Hausarbeit Vigilia Del Almirante Druck
Hausarbeit Vigilia Del Almirante Druck
Institut fr Romanistik
Hausarbeit im Seminar
Die (Wieder-)Erfindung der Neuen Welt und des Kolumbus im Roman Vigilia del Akmirante von Augusto Ro Bastos von Sandra Stelmach
bei Dr. Claudia Gatzemeier
Wintersemester 2010/11
Sandra Stelmach Wilhelm-Sammet-Strae 4 04129 Leipzig [email protected] Schulformspezifischer Master fr das hhere Lehramt an Gymnasien Spanisch/ Kunst 1.
Fachsemester
Inhaltsverzeichnis
I Die Entwicklung der Historiografie im 20. Jahrhundert als Ausgangspunkt fr die Rezeption von Vigilia del Almirante
1.1 Das Umdenken in den Wissenschaften und die Annales-Schule 2.2 Geschichte als Konstruktion die Postmoderne
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II Vigilia del Almirante historisch, neuhistorisch oder transversal? IIIPostmoderne Philosophie als Basis fr die Translation der Schrift von Vigilia del Almirante
3.1 Walter Benjamin: Die bersetzung der Schrift 3.2 Homi K. Bhabha: Die kulturelle Translation
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6 8
IV Aspekte der kulturellen Translation in Vigilia del Almirante und die (Neu-) Erfindung Amerikas und Cristbal Colns
4.1 Die Neue Welt 4.1.1 Ankunft in der neuen Welt 4.1.2 Descubrimiento Encubrimiento 4.1.3 Erfindung und Wiedererfindung der Neuen Welt 4.2 Die (Wieder-)Erfindung des Cristbal Coln 4.2.1 Wer war Kolumbus? 4.2.2 El Caballero de la Triste Figura 4.2.3 Kolumbus durch die Schrift
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11 11 12 15 16 16 19 21
V Kolumbus und Amerika durch die Zeit VI Abstracto en lengua espaola VII Anlagen VIII Quellenverzeichnis IXEidesstattliche Erklrung
22 23 24 29 31
I Historiografie I Die Entwicklung der Historiografie im 20. Jahrhundert als Ausgangspunkt fr die Rezeption von Vigilia del Almirante
Da der Geschichtsbegriff und die Entwicklung der Historiografie im 20. Jahrhundert eine entscheidende Rolle fr die Betrachtung des Romans Vigilia del Almirante von Augusto Roa Bastos spielt, soll diese im Folgenden kurz dargelegt werden.
Die Literaturwissenschaftlerin Linda Hutcheon prgt 1989 den Begriff der Historiographic Metfatiction (1989: 1), den sie einfhrt, um traditionelle historische Romane von denen zu unterscheiden, die gleichzeitig noch die Kategorie des Metafiktionalen aufweisen3. Auch Hutcheon verweist neben der metafiktionalen Autoreferentialitt auf die unhierarchische Intertextualitt von Diskursen und die Aktualisierung historischer Ereignisse durch deren Fiktionalisierung:
History and literature provide the intertexts in the novels examined here, but there is no question of a hierarchy, implied or otherwise. They are both part of the signifying systems of our culture. They both make and make sense of our world. (Hutcheon 1989: 26)
Im Rahmen seiner Dissertation fhrt Ren Ceballos Resndiz unter anderem fr den Roman Vigilia del Almirante von Augusto Roa Bastos den Begriff des transversalhistorischen Romans ein (Ceballos Resndiz 2005). Dabei widerspricht er den zuvor aufgefhrten Autoren nicht bezglich der Charakteristika dieser Textsorte4, sondern eher in Hinblick auf die Angemessenheit der Begriffwahl Die Begriffe nueva novela histrica und Historiographic Metafiction scheinen
3The term postmodernism, when used in fiction, should, by analogy, best be reserved to describe fiction that is at once metafictional and historical in its echoes of the texts and contexts of the past. In order to distinguish this paradoxical beast from traditional historical fiction, I would like to label it historiographic metafiction. (Hutcheon 1989: 1) 4 Konkret benennt Ceballos Resndiz Transversalitt, Ereignishaftigkeit, Hybriditt sowie Autoreferentialitt und Metadiskursivitt als die fnf Merkmale transversalhistorischer Romane (Ceballos Resndiz 2005: 89).
II Einordnung
ihm unzureichend, um die Extension der Neuerungen dieser Textsorte zu beschreiben. Daher schlgt er transversal als geeignetes Adjektiv vor, um einen Roman wie Vigilia del Almirante zu kategorisieren:
Fr besonders bildhaft halten wir diese Bezeichnung, weil sie in einem Wort die Art der Verknpfung zwischen Geschichte und Fiktion verdeutlicht, nmlich transversal. Dieses Merkmal charakterisiert dadurch die Erscheinung und Bezeichnung ein und desselben literarischen Phnomens, dessen Analyse in einen transdisziplinren Kontext eingebettet wird und mit einer disziplinbergreifenden Methode erklrt werden kann. (Ceballos Resndiz 2005: 60)
Ceballos Resndiz betont hiermit die Prozesshaftigkeit der Sinnbildung im transversalhistorischen Roman und akzentuiert dabei auch die Prozesse SchreibenLesen, die nicht separat zu denken sind. Verdeutlicht wird mit der Begriffswahl auch das Verschwinden der Grenzen der unterschiedlichen Diskursarten, die zwar noch identifizierbar sind, aber im nchsten Moment schon ineinander berflieen.
III Philosophische Basis III Postmoderne Philosophie als Basis fr die Translation der Schrift von Vigilia del Almirante
Magebende theoretische Basis fr die Beschftigung mit Vigilia del Almirante sind die Philosophen Walter Benjamin und Homi K. Bhabha, auf deren postmoderne, philosophische Konzepte im Folgenden eingegangen werden soll.
Betrachtet man nun Vigilia del Almirante als den Versuch der Abbildung eines historischen Ereignisses, nmlich die Reise Kolumbus und die darauf folgende Entdeckung Amerikas, so fllt auf, dass die Darstellung dieses Ereignisses im Roman stark von dem in der Historiografie etablierten Muster des Heldenepos abweicht. Die Geschichtsschreiber sind um Mimesis, also die naturgetreue Abbildung der Realitt, bemht, mit dem Ziel geschichtliche Wirklichkeit zu beschreiben. Dahingegen arbeitet Roa Bastos in seinem Roman nach einem Prinzip der Anti-Mimesis. Es wird gar nicht der Versuch unternommen, ein historisches Ereignis so wiederzugeben, wie es gewesen ist. Lediglich versucht man, eine mgliche Wirklichkeit zu konstruieren5. Die Schilderung der Entdeckung Amerikas in Roa Bastos Roman deckt die unberwindbare Unmglichkeit auf, Realitt zu beschreiben. Damit entlarvt er die dargestellte Wirklichkeit als eine von Gesellschaft, Kultur und Sprache konstruierte Realitt, die es so nicht gibt, da sie in hchstem Mae subjektiv ist. Weiter ergrndet Benjamin in seinem Aufsatz den Zusammenhang der im Original und in der bersetzung verwendeten Sprachen sowie den Sinn einer solchen bersetzung:
Wenn in der bersetzung die Verwandtschaft der Sprachen sich bekundet, so geschieht es anders als durch die vage hnlichkeit von Nachbildung und Original. [] Vielmehr beruht alle berhistorische
5 Auch andere Zweige der Kunst beschftigt das Problem der Mimesis, so auch die Bildende Kunst. Um 1929 entstand La trahison des images (Der Verrat der Bilder) als eines von Ren Magrittes Gemlden (vgl. Anlage A, S.24), welches das Abbild einer Pfeife zeigt. Doch darunter steht in kursiver Schreibschrift Ceci nest pas une pipe (Dies ist keine Pfeife). Was der Maler zeigen mchte ist, dass die mimetische Abbildung eines Gegenstandes, sei er materiell oder historisch, nicht mglich ist, da es den Gegenstand nicht in allen Facetten erfassen kann. Am Beispiel von Magritte bedeutet dies, dass die Abbildung haptische Eigenschaften der Pfeife nicht mit einbeziehen kann. Und so uert er sich selbst dazu: Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berhren kann. Knnen Sie meine Pfeife stopfen? Natrlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Htte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so htte ich gelogen. Das Abbild einer Marmeladenschnitte ist ganz gewiss nichts Essbares. (Ren Magritte)
Vigilia del Almirante ist nur einer von vielen Texten, welche die Reise Kolumbus und die Entdeckung Amerikas thematisieren. Bereits vor Roa Bastos haben sich vor allem Historiografen mit diesem Ereignis befasst, ebenso Zeitzeugen von Kolumbus, wie bspw. der Dominikanermnch Bartolom de las Casas oder Kolumbus Sohn Hernando, vor allem aber Kolumbus selbst, indem er die berfahrt sowie die Entdeckung der neuen Welt durch Eintragungen im seinem Bordbuch dokumentierte. Jede Darstellung, selbst die wissenschaftliche der Geschichtsschreiber, kann nie mals objektiv sein, denn die Sprache des bersetzers ist stets eine abgeleitete, letzte, ideenhafte Intention (Ibd. 16). Somit ist jede Darstellung eine subjektive Interpretation des ursprnglichen Ereignisses. Dies begrndet sich auch darin, dass sich das Ereignis nur anhand von Quellen rekonstruieren lsst. Diese wiederum sind allerdings selbst subjektive Darstellungen. In der Historiografie muss sich der Wissenschaftler auf eine Quelle und einen Weg der Erkenntnis festlegen und somit eine andere von seiner Darstellung ausschlieen. Im transversalhistorischen Roman gilt dies nicht. Der Autor muss sich nicht auf die eine oder andere Perspektive festlegen, sondern kann sie einfach nebeneinander stellen. In metatextuellen Passagen thematisiert Augusto Roa Bastos dieses Problem explizit und unterluft damit den Wahrheitsanspruch, den die Historiografen fr ihre Darstellungen erheben:
Los historiadores son de hecho restauradores de hechos. A partir de documentos reales, fabrican la ficcin de teoras interpretativas semejantes a las historias y a los diagnsticos clnicos sobre la mente humana. Y son menos caticos e indescifrables los hechos, llamados histricos, que los inescrutables laberintos de la mente? Las historias fingidas, en cambio, abren la imaginacin al espectro incalculable del azar tanto en el pasado como en el futuro; abren la realidad al tejido de sus oscuras leyes. [...] Se limitan a elegir los smbolos que les convienen para hacer verosmil la representacin fingida de la realidad. Su lenguaje es pues simblico, no descriptivo. A partir de hechos mticos, fabrican alegoras. Hay un punto extremo, sin embargo, en que las lneas paralelas de la ficcin llamada historia y de la historia llamada ficcin se tocan. El lenguaje simblico siempre habla de una cosa para decir otra. [...] O finge escribir una historia para contar otra, oculta crepuscularmente en ella, como las escrituras superpuestas de los palimpsestos. (Roa Bastos 1992: 78 ff)
Roa Bastos widerspricht den Darstellungen des Historiografen oder, wie es Ren Ceballos Resndiz schreibt, er widerschreibt die Geschichte (2005: 105). Durch dieses Widerschreiben dekonstruiert er die herkmmliche Darstellung, um sie anschlieend neu zu konstruieren. Und dennoch sind die Autoren aller existierenden Texte um eine wahrhaftige Darstellung bemht6, selbst Roa Bastos, indem er den Missstand bzgl. des Wahrheitsanspruchs aufdeckt:
6 Walter Benjamin schreibt diesbezglich: Wenn anders es aber eine Sprache gibt, in welcher die letzten Geheimnisse, um die alles Denken sich mht, spannungslos und selbst schweigend aufbewahrt sind, so ist diese Sprache der Wahrheit die wahre Sprache (1972: 16).
Das Ziel der Darstellung ist es nicht, einen Konsens mit den zuvor bestehenden Quellen herzustellen, sondern durch das Aufwerfen unterschiedlicher, auch widersprchlicher Ansichten zu einem paralogischen Konsens zu gelangen. Benjamin stellt weiter das Ziel einer ganzheitlichen, wahrhaftigen Darstellung infrage:
Ja, diese Aufgabe: in der bersetzung den Samen reiner Sprache zur Reife zu bringen, scheint niemals lsbar, in keiner Lsung bestimmbar. Denn wird einer solchen nicht der Boden entzogen, wenn die Wie dergabe des Sinnes aufhrt, magebend zu sein? (Benjamin 1972: 17)
Die wahrhaftige Darstellung kann und soll auch nicht das Ziel von Geschicht(en)schreibung sein, denn wie Benjamin auerdem herausstellt ist alle bersetzung nur eine irgendwie vorlufige Art [], sich mit der Fremdheit der Sprachen auseinander zu setzen (Ibd. 14). Auch die Darstellungen eines historischen Ereignisses knnen immer nur vorlufig sein, da sie sich nur auf Texte und Quellen beziehen knnen, die bereits vor ihrem eigenen Text existierten, insbesondere aber, weil sie sich nicht auf zuknftige Texte beziehen knnen, die wiederum andere Perspektiven aufdecken knnten. Alle Texte fr sich und zusammen knnen also immer nur eine Annherung an das Original sein. Benjamin begrndet dies damit, dass das Verhltnis des Gehalts zur Sprache vllig verschieden ist in Original und bersetzung (Ibd. 15). Dies hat natrlich, wie bereits beschrieben, mit der Unmglichkeit der Rekonstruktion des Ereignisses zu tun, ist aber auch dem Wandel der Gesellschaft und Kultur geschuldet. Sprache als Teil von Kultur verndert sich und somit ist auch die Konnotation von Worten nicht statisch. Indem also das Original, das ursprngliche Ereignis im Wandel der Gesellschaften mit ihren Kulturen, neu geschrieben oder wiedergeschrieben (Ceballos Resndiz 2005: 105) wird, wird es durch das Medium der Sprache angereichert und aktualisiert. Es erfhrt eine ganz andere Qualitt, da durch das Wiederschreiben der Sinn erweitert und dem Ereignis in der Gegenwart eine Relevanz eingerumt wird, oder wie Benjamin es schreibt:
Denn in seinem Fortleben, das so nicht heien drfte, wenn es nicht Wandlung und Erneuerung des Lebendigen wre, ndert sich das Original. (1972: 12)
Der Autor bertrgt dieses Konzept auf die Migrationsproblematik in den westlichen Lndern. Ganz selbstverstndlich trgt ein Mensch seine Muttersprache und seine Kultur wie einen genetischen Code in sich. Muss er nun seine Heimatkultur aus unterschiedlichen Grnden verlassen und in ein anderes Land emigrieren, so sieht er sich mit einer vllig anderen Sprache und Kultur konfrontiert. Das Problem besteht darin, dass der Mensch seine kulturellen Wurzeln nicht ablegen kann, da er sonst einen Teil seiner Identitt aufgeben msste. Eine vollstndige Assimilation mit Kultur und Sprache des Aufnahmelandes kann niemals stattfinden. Bhabha bezeichnet diesen Zustand des in-between, das Zwischen-den-Kulturen, als einen Zustand der Hybriditt, bei dem die Betroffenen eine Grenzerfahrung durchleben:
The margin of hybridity, where cultural differences contingently and conflictually touch, becomes the moment of panic which reveals the borderline experience. (Bhaba 1994: 207)
Der Autor von The Translation of Culture greift dabei auf bestehende poststrukturalistische Konzepte, wie das des Dazwischen von Gilles Deleuze und das des Rhizoms7 von Flix Guattari und Deleuze zurck. Alle verbindet die Logik des UND, eine transversale Pendelbewegung, die sowohl in die eine und in die andere Richtung geht (Deleuze/Guattari apud Ceballos Resndiz 2005: 65). In Vigilia del Almirante zeigt sich dieses Prinzip sowohl auf inhaltlicher als auch auf stilistischer Ebene. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzhlt, sie zeichnet sich durch einen nomadischen Charakter aus und lsst hier und da einen neuen Spross aus der Erde sprieen, indem der Autor bspw. geschickt mit Achronien spielt. Auf inhaltlicher Ebene bedient sich Roa Bastos unterschiedlicher Wissenschaftsdiskurse aus Bereichen der Philosophie, Historiografie und Kunst. Im Roman verschmelzen diese Diskurse miteinander zu einem Hybrid, in welchem ihre Grenzen nicht aufgehoben werden, sondern in ihrer Eigenstndigkeit erhalten bleiben und dennoch eine vllig neue Form annehmen. Laut Ren Ceballos Resndiz ist die notwendige Bedingung zur Hybridisierung im transversalhistorischen Roman der F-Faktor, welcher die Friktion von Faktum und Fiktion bezeichnet:
Die Friktion ist eine mechanisch erzeugte physikalische Kraft. Diese kommt nur dann zustande, wenn zwei Krper (Krfte) gegeneinander gerieben werden. Dabei konstituiert die reflexive Bewegung eine notwendige und abdingbare Voraussetzung, denn ohne Bewegung keine Kraft, und ohne Kraft keine Bewegung und keine Friktion. Die erzeugte Friktion stellt im bertragenen Sinne die Energie dar, die fr
7 Besonders bildhaft erscheint dieser Begriff, der im botanischen Sinne den Wurzelstock von Pilzen meint, bei dem es keine Hauptwurzel gibt, welche die anderen Wurzelabzweigungen nhrt (vgl. Anlage B, S.25). Alle Abzweigungen knnen eigenstndige Pflanzen hervorbringen, die unabhngig voneinander berleben knnen und dennoch ber das Erdreich miteinander verbunden sind. Deleuze und Guattari fhren den Begriff als Aktualisierung oder Korrektur der Metapher des Baumes des Lebens ein.
In Vigilia del Almirante thematisiert der Autor den Hybridisierungsprozess in metatextuellen Passagen. Hier wird deutlich, dass die von Ceballos Resndiz beschriebene Friktion vor allem durch die Historisierung von Fakten entsteht. Der Erzhler des Romans setzt sich intensiv mit Quellen bezglich des Ereignisses auseinander. Im Vertextungsprozess historisiert dieser die ermittelten Fakten, was die Sensation einer Grenzerfahrung zwischen Wahrheit und Fiktion hervorruft. Homi K. Bhabha bezeichnet den Ort des in-between, des Dazwischen, der Hybridisierung als third space, der durch den stndigen Prozess der berschreitung gekennzeichnet ist. Auf die Einwanderungsproblematik bezogen, sind die Migranten in beiden Kulturen, denen sie auf gewisse Weise angehren und dann wieder doch nicht, unhomely8. Ebenso verhlt es sich mit dem Roman Vigilia del Almirante, welcher zwischen Wahrheit und Fiktion angesiedelt ist und der die Figur des Kolumbus sowie das Ereignis der Entdeckung Amerikas an einen dritten Ort des Nicht-Seins stellt, in welchem er weder Fakt noch Fiktion ist. Die Geschichte befindet sich in actu rather than in situ, da sie durch ihre performative nature in einem movement of meaning besteht; a wandering of errance, a kind of permanent exile (Bahbha 1994: 228). Der Text befindet sich im dritten Ort, wo sein Sinngehalt von einem stagnierten Sein zu einem performativen Werden berwechselt und somit in einen literarischen Sinnbildungsprozess mndet, der niemals begonnen hat und niemals beendet werden kann.
8 In that displacement, the borders between home and world become confused; and, uncannily, the private and the public be come part of each other, forcing upon us a vision that is as divided as it is disorienting (Bhabha 1994: 9).
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IV Kulturelle Translation und Neuerfindung Amerikas IV Aspekte der kulturellen Translation in Vigilia del Almirante und die (Neu-)Erfindung Amerikas und Cristbal Colns
Im Folgenden sollen das Konzept der kulturellen Translation von Texten nach Walter Benjamin und das der kulturellen Translation von Homi K. Bhabha (vgl. III) und seine Bedeutung fr die Vertextungsverfahren im Roman Vigilia del Almirante genauer betrachtet werden, ebenso wie die damit in Verbindung stehende Erfindung, bzw. Wiedererfindung Amerikas.
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Die koloniale berheblichkeit der Entdecker, ihre fehlende Bereitschaft, das Unbekannte anzuerkennen und zu akzeptieren, sowie ihr Unwissen fhren zu zahlreichen Fehlinterpretationen des Vorgefundenen, wovon in der Folge die Rede sein soll.
Demzufolge hat Kolumbus schon bevor er seinen Fu auf die angesteuerten Inseln setzt eine sehr klare Vorstellung von dem, was ihn erwarten wird. Entsprechend beschreibt er alles, was er sieht und von den Ureinwohnern hrt mit dem ihm zur Verfgung stehenden Wissen ber die indische Geografie, Bauweise und dem Herrscher Indiens. Kolumbus beschreibt alles ihm Unbekannte mit Begriffen der westlichen Welt und verdeckt somit durch die Ignoranz und Blindheit fr das Neue, seiner kolonialen Arroganz den neu entdeckten Kontinent sowie dessen Kultur und Sprache:
En Guanahan (y aun mucho antes) comienza el encubrimiento del continente que iba a llamarse Amrica y de las sociedades indgenas que un da vendran a ser descubiertas. No slo el Almirante, con el fanatismo de un iluminado, traslada y pone sobre ellas como una inmersa alfombra mgica regiones enteras del Oriente asitico. (Ibd. 331).
10 Immerhin meinen sie zu verstehen, dass die Ureinwohner glauben, dass sie gesandte Mnner aus dem Himmel seien: Lle g un viejo, muy viejo, en una almada en la que l mismo remaba con gran destea. Subi la colina y grit con fuerte voz a la multitud, al menos por lo que yo entend de sus gestos: !stos son los hombres llegados del cielo! [...] (Ibd. 298).
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Ebenso verhlt es sich mit seiner Vorstellung von den Kannibalen. Im Gesprch mit dem Vorentdecker erwhnt dieser die caribes, doch der Admiral versteht canbales und aktiviert sogleich sein Wissen ber Fleischfresser in einem Dorf in Zambia, von dem er wei:
Me dijo [el piloto] que en estas latitudes [...] las Guardas se ponen en el cielo de los caribes. El Piloto entendi canbales. Gracias a este saber, dijo, mis hombres se salvaron de ser devorados en la isla donde ellos viven en medio de montculos de esqueletos y calaveras. [...] En una aldea de antropfagos, en Zambia, v hasta qu punto de crueldad pueden llegar estos tenebrosos comedores de carne humana. (Ibd. 27 f)
Die caniba, so denkt Kolumbus, seien Angehrige des Knigreiches des Gran Khan, den er als Herrscher ber die indischen Lande vermutet. Selbst wenn dem historischen Kolumbus bewusst gewesen sein sollte, dass er mglicherweise doch nicht in Indien gelandet war, so verdeckte er zumindest seine Unwissenheit in seinem Diario de abordo, denn er ging womglich davon aus, dass dieses noch bei den Katholischen Knigen zur Dokumentation der Reise vorgelegt werden msse11. Natrlich ist dies kein zu verifizierender Fakt, wodurch in der Geschichte eine Lcke entsteht, die Roa Bastos mit seiner Geschichtsversion in Vigilia del Almirante auszufllen wei und die Verdeckung [aufdeckt] (Ceballos Resndiz 2005: 143). Dies geschieht unter anderem in Kapitel XLVI (Descubrimiento = Encubrimiento), in dem der Erzhler die diesen Sachverhalt explizit thematisiert und den Jesuiten Bartomeu Meli zu Wort kommen lsst, welcher zuerst von einer Verdeckung Amerikas schrieb: Meli, antroplogo, lingista, humanista, fue uno de los primeros en calificar el descubrimiento como encubrimiento (Roa Bastos 1992: 332). Dabei bezieht er sich auf die unter III.1.1 beschriebenen Verdeckungen von Sprache und Kultur. Doch Kolumbus selbst glaubt bis zu seinem Tod, dass er Indien entdeckt habe:
Si asegur despus haber descubierto las Indias Occidentales, tampoco descubri nada pues hizo sino superponer en ellas las del Oriente. Hasta su ltimo suspiso ignor que haba descubierto en verdad la puerta de entrada a un Nuevo Mundo. (Ibd. 41)
11 Vergleichbar ist Kolumbus in dieser Hinsicht mit Julius Caesar, der whrend seiner Eroberungen in Gallien die 7 Bcher De Bello Gallico als eine Art Rechtfertigungs- und Verteidigungsrede schrieb, in denen er seine Feinde als besonders schlau und mchtig darstellte, da er davon ausgehen musste, bei seiner Rckkehr nach Rom, sich vor einem Gericht verantworten zu mssen.
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Doch diese (unbewusste?) Verdeckung, ist nicht die Einzige, welche in Vigilia del Almirante thematisiert wird. Ebenso beschreibt Roa Bastos, wie der Admiral der literarische ebenso wie der historische die Anzahl der zurckgelegten Seemeilen verschwieg. In seinem Bordbuch notiert er zwar die tatschlich zurckgelegten Distanzen, doch der Mannschaft teilt er eine geringere mit, da diese nicht bemerken sollte, wie weit sie gesegelt waren:
La doble cantidad registrada en el Diario de abordo establece la distancia real que ser sometida a la realeza. La otra, que acorda el camino recorrido, es la distancia irreal, fingida en la escritura del cuaderno [...]. (Ibd. 226)
Eine weitere Verdeckungsstrategie ist die Theorie vom unbekannten Vorentdecker. Diese Theorie vom piloto desconocido wird im Roman Vigilia del Almirante als Fakt akzeptiert. Laut dieser Theorie hat Kolumbus von einem anonymen Vorentdecker Informationen ber einen unbekannten Kontinent auf der anderen Seite des Mar Tenebroso erhalten. Da der unbekannte Pilot stirbt, bevor er seine Entdeckungen ffentlich bekannt machen kann, behlt Kolumbus dieses Geheimnis fr sich und fhrt kontinuierlich gen Westen, um den unbekannten Kontinent zu entdecken: me [Coln] embarqu rumbo al continente ingnoto y lejano (Ibd. 45). Der Historiker Juan Manzano bekrftigt die Theorie des anonymen Piloten, indem er erklrt, dass Kolumbus von diesem auch Informationen bzgl. Der Wind- und Wasserstrmungen erhalten habe (Manzano apud Ceballos Resndiz 2005: 144). In Vigilia del Almirante wird diese Theorie wenn auch nicht ganz unkritisch vom Erzhler bernommen, der auf Chronisten verweist, die diese Annahme ebenfalls teilen und behaupten, vom unbekannten Piloten Kenntnis gehabt zu haben, wie Francisco Lpez de Gmara (Roa Bastos 1992: 73), Pedro Mrtir de Anglera (Ibd. 74 f), der Inka Gracilaso (Ibd. 77) sowie Gonzalo Fernndez de Oviedo (Ibd. 67 f). Jedoch erweist sich der Erzhler nicht als unkritisch bei der bernahme dieser Theorie und stellt in metafiktionalen Passagen die Argumente fr und gegen diese Theorie vom piloto desconocido einander gegenber. Er fgt hinzu, dass die groen Entdeckungen posthum gemacht werden und demzufolge auch die Entdecker dann erst festgelegt werden, wenn sie bereits verstorben sind: Los grandes descubrimientos nacen pstumos. Los descubridores tambin (Ibd. 62). Hiermit macht der der Erzhler transparent, dass die Geschichte die der Historiografen sowie die literarische von Roa Bastos eine Konstruktion sei. In beiden Geschichten, der proklamierten wahrhaftigen, vermeintlich verifizierten und der fiktionalen, entscheidet der Schreiber (und der Leser), wer als Entdecker in die Geschichte der Menschheit eingehen soll. Es geht im Roman nicht darum, eine der beiden Theorien als wahrhaftig anzuerkennen oder Partei fr eine der beiden zu ergreifen. Vielmehr deckt der Erzhler die hnlichen Vertextungsverfahren von Geschichts- und Geschichtenschreibern auf. Beide setzen sich mit historischen Quellen auseinander und entscheiden sich anhand dieser fr diesen oder jenen Ablauf ihrer Geschichte. Den Personen in diesen Geschich14
Immer wieder wird der piloto desconocido als Vorlufer der Entdeckung und Kolumbus selbst als Vorlufer der Verdeckung gehandelt. Doch gleichzeitig wird erwhnt, dass es unmglich sei, einen einzelnen als Entdecker zu bezeichnen, da alle, ebenso wie die Keltiberer, die Glen, die Skandinavier, Angelsachsen und Mongolen Vorentdecker des unbekannten Piloten und Kolumbus gewesen seien, die ebenso ihre kulturellen Zeugnisse auf dem so genannten Neuen Kontinent hinterlassen haben (vgl. Roa Bastos 1992: 63 f). Dies spiegelt die Konstruktion dieser Neuen Welt durch die Europer wider. Erst nachdem der Kontinent von den Europern entdeckt wurde, galt er auch als entdeckt und alle zuvor dagewesenen Seefahrer werden zu Vorentdeckern degradiert oder gar von der Geschichtsschreibung ausgeschlossen.
So, wie die vermeintliche Entdeckung Amerikas nicht der Beginn der Identittsbildung Amerikas ist, so ist sie auch bis heute noch nicht abgeschlossen, sie kann lediglich aus der Perspektive der Gegenwart, unter Einbeziehung aller historischer Quellen und der aktuellen kulturellen Gegebenheiten, immer wieder neu bewertet und neu erfunden werden:
Las cosas no son como las vemos y sentimos sino como queremos que sean vistas, sentidas y hechas. No
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Der Roman liest sich demzufolge als Interpretation der Vergangenheit unter Einbeziehung von Gegenwart (und mglicher Zukunft?) und zeigt uns auf, dass unsere Einstellung stark von der Perspektive der Darstellung abhngig ist. Doch diese Perspektiven sind nicht immer klar voneinander zu trennen: Lo real y lo irreal cambian continuamente de lugar. Por momentos se mezclan y engaan (Ibd. 20). Und somit befinden sich die Reise des Kolumbus sowie seine Person im deleuzianischen Dazwischen, zwischen den Kontinenten auf einem undurchdringlichen Algenmeer, zwischen den Zeitaltern12 und in der Geschichte zwischen Faktum und Fiktion. In diesem Dazwischen, dem bhabhaschen Dritten Ort, wird der Kontinent kulturell immer wieder von Neuem entdeckt bzw. konstruiert. Diese Konstruktion ist in einem Prozess beschlossen der weder Anfang noch Ende kennt und auch in Zukunft andauern wird:
En este viaje no cuentan meses ni aos, leguas ni desengaos, das naturales ni artificiales. Un solo da hecho de innumerables das no basta para finar un viaje de imposible fin. [...] Cinco siglos son demasiado cortos para saber si hemos llegado. (Ibd. 18) [Hervorh. S.St.]
So wie die Reise des Kolumbus noch nicht abgeschlossen ist, so ist auch die Identittsbildung Amerikas, im Speziellen Lateinamerikas, noch nicht abgeschlossen und wird dies niemals sein. Mglicherweise mchte der Autor die vorwiegend europische Sichtweise und Identittsgebung zu einer eigenen, emanzipierten Identittsbildung der lateinamerikanischen Kulturen hin verschieben.
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Mglicherweise drckt sich also in diesem Namenswechsel die Vernderung des christlichen Selbstverstndnisses oder die besondere Betonung des katholisch-christlichen Glaubens gegenber den kastilischen Knigen aus, die soeben die Araber aus ihrem Herrschaftsbereich vertrieben hatten. Die Unterschrift, als identittsbildendes Merkmal, ndert sich in der Regel nicht, oder nur dann, wenn dies auch mit einem Persnlichkeitswandel einhergeht. Der implizite Leser kann also vermuten, dass Kolumbus sein Signum verndert, da er sich in seiner Funktion als Admiral und Entdecker, als berbringer des christlich-katholischen Glaubens sieht. Er sieht seine Aufgabe unter anderem darin, die Ureinwohner, welche keinen Glauben zu haben scheinen, zum Katholizismus zu bekehren. Des Weiteren ist die Konfession von Kolumbus ebenso wenig klar festzumachen in einigen Quellen heit es, er sei Jude gewesen wie seine Herkunft. Des Weiteren bestehen Probleme im Schreiben einer verifizierbaren Biografie von Kolumbus. Alle seine Lebensdaten basieren auf der, von seinem Sohn Hernando Coln ber ihn geschriebenen, und posthum verffentlichten Biografie Historia del Almirante von 1537-39. Allerdings ist davon auszugehen, das Hernando einige Fakten ber die Herkunft seines Vaters zu verschleiern sucht, wie dies sein Vater zu Lebzeiten getan hatte13, um die Privilegien und die Ehre seines Vaters zumindest im Tode wiederherzustellen. Hinzu kommt, dass viele von Kolumbus Schriften verloren gegangen sind und bei denen, die erhalten geblieben sind, wie das Diaro de Abordo, bestehen erhebliche Zweifel an deren Autoritt, d.h. sowohl an ihrer Originalitt als auch an ihrem Urheber. Es ist nachgewiesen, dass Kolumbus sowohl Italienisch (Italien ist vermutlich sein Geburtsland), Portugiesisch (er hielt sich einige Jahre in Portugal auf) und Spanisch (in Spanien lebte er lange Zeit und von hier kommen auch die Frderer seines Unternehmens) sprach, allerdings keine der Sprachen perfekt beherrschte. Es kann aus Briefen rekonstruiert werden, dass Kolumbus alle seine Sprachen miteinander vermischte, so auch in den Aufzeichnungen seines Bordbuches. Da dieses aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch den kastilischen Knigen Isabel und Ferdinand als Dokumentation, ja als Reisebe13 No slo no quiere acordarse del lugar en que naci, sino que finge haberlo por completo olvidado. Probablemente el Almirante no olvida nada en su vida salvo que alguna vez estuvo vivo en ese punto preciso de la Liguria, o de cualquie otro lugar que se llev su lugar a otro lugar [...] (Roa Bastos 1992: 162).
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Doch gleich im Anschluss ergnzt der Erzhler: Hay dudas sobre este retrato (Ibd. 161). Um diese Zweifel zu begrnden stellt er unterschiedliche Meinungen der Historiografen nebeneinander. So wird bspw. die Vermutung geuert, dass dieses Portrt gar nicht Kolumbus sondern den Kapitn eines seiner Schiffe zeigt, nmlich Martn Alonso Pinzn (vgl. Anlage F, S. 28), der sich hier als eigentlichen Anfhrer der Expedition ausgegeben hat14. Dem Erzhler ist es nicht wichtig, fr eine der unterschiedlichen Meinungen Partei zu ergreifen, er schliet lediglich mit dem Fazit, dass dieser Streitpunkt wieder nur ein weiterer Hinweis auf die Ungreifbarkeit der Person des Admirals in der Geschichte sei: De todos modos, el retrato de Ghirlandaio, conservado o ms bien oculto en el Museo Naval de Gnova, contibuye a espesar, en genio y figura, el enigma del Almirante (Ibd. 162). Was der Erzhler eigentlich versucht uns zu sagen ist, dass es nicht mglich ist, eine detaillierte Geschichte ber das Leben des Christoph Kolumbus zu schreiben, ohne sich auf Texte aus Quellen zu sttzen, die sich ebenfalls mit diesem Thema auseinander setzen. Da diese Texte jedoch keine Originale von Kolumbus sind, sondern Rekonstruktionen, Wieder-Schriften von Kolumbus oder Kopien und Manipulationen kann man nicht von einer Biografie sprechen. Um Kolumbus in seiner gesamten Diversitt und Widersprchlichkeit darzustellen, mssen alle Mglichkeiten der Geschichtsauslegung betrachtet werden. Das bedeutet den Kolumbus gibt es nicht, es existieren
14 Algunos eruditos sostienen que es el retrato de Martn Alonso Pinzn, tomado por el pintor como el verdadero jefe de la empresa descubridora. (Roa Bastos 1992: 161)
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Der Erzhler von Vigilia del Almirante geht sogar so weit, Kolumbus als den Vorgnger von Quijote zu bezeichnen: El Caballero de la Triste Figura pudo tal vez ser imitado un siglo antes por el Caballero Navegante y ser ste su ms notable antecesor. Slo que lo hize al revs y se convirti en su polo opuesto (Roa Bastos 1992: 197). Damit enthebt der Autor beide Figuren ihrem eigentlichen zeitlichen Kontext, was mglich ist, da beide fiktiv sind17. Interessanterweise wird Kolumbus dem Quijote hier auch unter dem Aspekt der berfahrt und Entdeckung Amerikas gleichgestellt:
En mala hora el manchego, celoso de su genio y de su honra, justo un siglo despus, en 1583, quiere pasarse a las Indias, que su antecesor, imitador, falsificador pretende haber descubierto. (Ibd. 198)
Beide bekommen den neuen Kontinent niemals zu sehen, Quijote nicht, weil ihm die berfahrt nicht gestattet wird und Kolumbus, weil er sich selbst nicht gestattet das Fremde wahrzunehmen und anzuerkennen. Der Erzhler beschreibt voller Ironie, wie es auch dem Urheber des Quijote nicht gestattet war, den neuen Kontinent, der nun schon Amerika hie, zu bereisen (Ibd. 198); wie allerdings im Jahre 1606 sein Werk den Ozean berquerte: Pero un siglo despus de muerto el Almirante, exactamente en mayo de 1606, los primeros cinco ejemplares de su Quijote lo harn en su [Cervantes] nombre (Ibd. 198). Der reale als auch der literarische Kolumbus sind rtselhaft und in der Geschichte nicht greifbar, doch die literarische Figur unterscheidet sich vom historischen Kolumbus schon allein dadurch, dass sie keine einheitliche Figur ist, sondern eine literarisch entfaltete Kon-Figuration darstellt, die aus mehreren konstruierten Geschichten besteht (2005: 152), wie es Ren Ceballos Resndiz ausdrckt. Diese Kon-Figuration besteht in der Schichtung der intertextuellen Bezge zu historischen und literarischen Quellen, was bewirkt, dass sich die Figur des Kolumbus im Roman an einem third place befindet, im deleuzianischen Dazwischen von Geschichtswissenschaft, Literatur und Philosophie. Da der literarische Kolumbus eine fiktionale Figur ist, hat er die Mglichkeit, die Bedeutung seiner selbst in der Geschichte zu bewerten und wei ebenso, dass seine Person nicht greifbar ist, was sich unter anderem darin ausdrckt, wie er sein Testament unterzeichnet:
Item cuarto: En la imposibilidad fsica de estampar en este documento mi firma legal y religiosa de Christo Ferens (ya no soy el Portador de Cristo sino el abandonado por Cristo), dejo impresas sobre l las seas de las yemas de mis dedos con el zumo de mis ojos. (Roa Bastos 1992: 375) [Hervorh. S.St.]
Am Ende seines Lebens ist Kolumbus ein beinahe verlassener, mittelloser Mann, dem die ihm versprochenen Privilegien aberkannt wurden. Er ist nicht mehr imstande sein Testament mit den zuvor von ihm genutzten Signaturen zu unterzeichnen, da sie seiner Identitt nicht mehr entspre17 Los tiempos patas arriba, trastocados por los poetas, tabucan el orden cronolgico, caro a los cientficos de la historia, pero no pueden trastocar el flujo interior de las fbulas [...]. (Roa Basos 1992: 197)
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Diese Aussage, dass der Leser der wahrhaftige Autor eines Werkes sei, basiert auf der Theorie des Schreibbaren von Roland Barthes, der sagt: [...] lo que hoy puede ser escrito (re-escrito): lo escribible. [...] es hacer del lector no ya un consumidor, sino und productor del texto (1970/1980: 2) und przisisert weiter die Rolle des Lesers: [...] se ve que la escritura no es la comunicacin de un mensaje que parta del autor y vaya al lector; es especficamente la voz misma de la lectura: en el texto slo habla el lector (1970/1980: 127). Erst durch die Re-Lektre des Rezipienten wird das Buch geschrieben. Folglich wird jedes Buch mit jeder Lektre eines jeden Lesers wieder- und widergeschrieben, da aufgrund der unterschiedlichen Persnlichkeiten der Leser18 der geschriebene Text immer wieder neu bewertet, in einen neuen Zusammenhang gestellt und somit aktualisiert wird. Der literarische Kolumbus kann sich selbst lesen und die Auswirkungen seines eigenen Handelns bewerten. In seinem Testament verlangt er Gerechtigkeit und Wiedergutmachung fr die indogenen Vlker:
Item tercero: Mando que todas las tierras y posesiones que se me han atribuido en recompensa de un descubrimiento que no ha sido hecho por m, y de una conquista que yo he comenzado y que va contra todas las leyes de Dios y de los hombres, sean devueltas a sus propietarios genuinos y originarios [...]. Los grandes daos y el holocausto de ms de cien millones de indios deben ser reparados material y espiritualmente en sus descendientes y sobrevivientes. (Roa Bastos 1992: 374 f)
Damit initiiert der literarische Kolumbus einen Dialog zwischen dem Vergangenem und der Gegenwart und thematisiert damit die Kriegsverbrechen der Eroberer an den Ureinwohnern, welche bis heute fr ihre Verluste noch nicht entschdigt worden sind und trgt damit zur Aktualisierung von Geschichte bei.
18 Im einem jeden Leser vereinen sich ganz persnlichkeitsspezifische Eigenschaften wie Kultur, Sprache, Erfahrungshorizont und andere identittsbildende Merkmale, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind.
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V Kolumbus und Amerika durch die Zeit V Kolumbus und Amerika durch die Zeit
Die Geschichtsschreibung stellt ihre Geschichte als die Geschichte dar. Doch im Reisetagebuch des Kolumbus wird der Prozess des Schreibens und Wieder-Schreibens der Geschichte verdeutlicht, die sich stetig unter dem Einfluss von Co-Autoren (Batrolom de las Casas, Hernando, Jos Manzano) verndert und neu interpretiert oder manipuliert wird:
La palabra escrita, la letra, es siempre robada porque nadie puede llegar al vaco que est antes de la palabra ltima-ltima-primera, despus de la cual todas fueron palabras robadas y todas las que sigan sern palabras robadas hasta la ltima-ltima-ltima que sea escrita en el mundo. (Roa Bastos 1992: 133)
Mit seinem transversalhistorischen Roman stellt Roa Bastos die Fakten der Historiografie in Frage, ohne selbst den Anspruch auf Wahrhaftigkeit fr seine Geschichte zu erheben. Es soll lediglich eine verstndliche bersetzung der Welt geschaffen werden. Dies erreicht der Autor, indem er versucht, die Lcken, welche die Historiografie hinterlsst, mit einer mglichen Geschichte zu fllen. Der Roman beschreibt nicht die Reise des Kolumbus nach Amerika, sondern die unendliche Reise des Kolumbus und Lateinamerikas durch die Geschichte. Im Sinne der diffrance von Derrida kennt diese Reise Amerikas und Kolumbus durch die Zeit weder Anfang noch Ende. Sie ist ein Prozess der sich immer wieder von neuem durch das Schreiben und Lesen, Wieder-Schreiben und Wieder-Lesen von Texten initiiert. Roa Bastos zeigt uns keinen Zustand der Gegenwart oder der Vergangenheit, er zeigt uns einen Prozess auf, welcher alle Mglichkeiten beinhaltet. Der historische und der literarische Kolumbus sowie Amerika befinden sich im deleuzianischen Dazwischen, einem third place, und sind eingeschlossen in einem Prozess kontinuierlicher Re-Konstruktion, denn die Geschichte dauert an und der letzte Text wird niemals geschrieben sein, da sich die die Kultur und mit ihr die Gesellschaften immer weiter transformieren werden, was den Diskurs auch in Zukunft verndern, erweitern, in jedem Falle aber anreichern wird:
En este viaje no cuentan meses ni aos, leguas ni desengaos, das naturales ni artificiales. Un slo da hecho de innumerables das no basta para finar un viaje de imposible fin. [...] Cinco siglos son demasiado cortos para saber si hemos llegado. (Roa Bastos 1992: 18)
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Quelle: http://celinechampenois.files.wordpress.com/2010/12/rene_magritte-la_trahison_des_images-1300px1.jpg
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VII Anlagen
Anlage B: Beispiel fr die Vermehrung ber Rhizome Illustration zweier Farnkleegewchse
Quelle: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/73/Illustration_Pilularia_globulifera0.jpg
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VII Anlagen
Anlage C/D: Landkarte von Paolo del Pozzo Toscanelli
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VII Anlagen
Anlage E: Domenico Bigordi (Ridolfo Ghirlandaio) Ptrat von Kolumbus?, ca. 1520
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VII Anlagen
Anlage F:
Unbekannter Knstler Ptrat Martn Alonso Pinzn, ca. 1520 Museo Naval de la Torre del Oro de Sevilla
Quelle: http://www.latinamericanstudies.org/pinzon.gif
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Sekundrliteratur
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Hiermit erklre ich, Sandra Stelmach, an Eides statt, dass ich vorliegende Hausarbeit selbstndig angefertigt und ausschlielich die in der Bibliographie aufgefhrten Quellen genutzt habe.
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