Kishon - Ephraim - Der Blaumilchkanal - Ein Hörspiel PDF
Kishon - Ephraim - Der Blaumilchkanal - Ein Hörspiel PDF
Der Blaumilchkanal.................................................................... 7
Sallach.......................................................................................... 22
Gott Pomerantz.......................................................................... 45
Deutsch von Hermann Motschach
Werdende Vter .......................................................................... 62
Trau nicht, schau nicht, wem..................................................... 70
Ziegler bertreibt........................................................................ 76
Ansthesie ................................................................................... 81
Schwierigkeiten beim Umsturz ................................................ 87
Was Sie wollen ........................................................................... 99
Ein Sessel mit Fasulja ................................................................. 106
Die ffentliche Meinung ........................................................... 114
Ein Brief, der ihn erreichte.......................................................... 122
Alle Menschen werden Brder.................................................. 132
Die Perle...................................................................................... 137
Abseits ......................................................................................... 146
Der Betrger ................................................................................ 153
Blick hinter die Kulissen .......................................................... 177
Der Blaumilchkanal
Ein Hrspiel
Seit der Errichtung des Staates Israel gehrt es zu unseren liebsten
Gewohnheiten, die Straen unserer Stdte der Lnge und Breite
nach aufzureien, smtliche Straen, in ihrer ganzen Lnge, in
ihrer ganzen Breite. Dies geschieht unter dem Vorwand, da irgend
jemand vergessen hat, irgend etwas unter dem Pflaster unterzu-
bringen: eine Kanalleitung, ein Telefonkabel, ein Wasserleitungs-
rohr oder was immer. Wenn das vorber ist, wird die Strae wieder
aufgerissen, weil irgend jemand vergessen hat, unter dem Pflaster
nachzuschauen, ob er dort nichts vergessen hat. Es gibt bereits eine
stdtebauliche Schule, die dafr eintritt, die israelischen Straen
mit Reiverschlssen zu versehen. Das sogenannte Blaumilch-
Prinzip sttzt sich im wesentlichen... Aber wir wollen nicht vor-
greifen.
Die folgende Geschichte ist pure Erfindung. Noch. Morgen viel-
leicht nicht mehr... Hallo, was soll der Lrm da drauen?
MNNLICHER SPRECHER: Guten Abend, meine Damen.
WEIBLICHER SPRECHER: Guten Abend, meine Herren.
MNNLICHER SPRECHER: Im heutigen Personenverzeichnis haben wir
beinahe die gesamte Menschheit versammelt.
WEIBLICHER SPRECHER: Als erstes einen Arzt.
MNNLICHER SPRECHER: Und natrlich die dazugehrigen Patienten.
WEIBLICHER SPRECHER: Einen Herrn.
MNNLICHER SPRECHER: Und eine Dame.
WEIBLICHER SPRECHER: Einen Kraftfahrer.
MNNLICHER SPRECHER: Und noch einen Kraftfahrer.
WEIBLICHER SPRECHER: Kurzum - alle verfgbaren Kraftfahrer.
MNNLICHER SPRECHER: Zwischendurch einen Verkehrspolizisten.
WEIBLICHER SPRECHER: Und seinen Vorgesetzten.
MANNLICHER SPRECHER: Einen Telefonbeamten, ohne Telefon geht's
ja nicht.
WEIBLICHER SPRECHER: Eine Sekretrin.
MNNLICHER SPRECHER: Einen Direktor.
WEIBLICHER SPRECHER: Einen Vorsitzenden.
MNNLICHER SPRECHER: Einen Brgermeister. Verzeihung, den Br-
germeister.
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LEIBLICHER SPRECHER: Und einen Verrckten. Einen hauptberufli-
chen Irren.
MNNLICHER SPRECHER: Reprsentative Persnlichkeiten.
LEIBLICHER SPRECHER: Delegierte.
MNNLICHER SPRECHER: Vertrauensmnner.
LEIBLICHER SPRECHER: Volk.
MNNLICHER SPRECHER: Bevlkerung.
LEIBLICHER SPRECHER: Einwohner.
MNNLICHER SPRECHER: Nicht zu vergessen den armen Ziegler.
: Hier entlang, meine Herren. In diesen Zellen sind unsere
schwersten Flle untergebracht. Die Unheilbaren. Ihre Persn-
lichkeitsspaltung ist bis zur vlligen Zersetzung fortgeschritten
und fhrt bisweilen zu unkontrollierbaren Wutausbrchen. Bitte
kommen Sie dem Patienten nicht zu nahe. (Aufsperren einer Zel-
lentr) Guten Morgen, Majestt.
ATIENT: Guten Morgen, Doktor.
\.RTT(leise): Beachten Sie seinen unsteten, brennenden Blick. Schon
darin uert sich die fortgeschrittene Schizophrenie und die dar-
aus resultierende Unbeherrschtheit. (Laut zum Patienten) Maje-
stt sehen heute sehr gut aus.
ATIENT: Danke. Wer sind diese Leute?
.RZT: Eine Deputation, Majestt. Gesandte des Knigs von Frank-
reich.
ATIENT: Frankreich ist seit lngerer Zeit eine Republik.
RZT: Natrlich, Majestt. Kein Zweifel. Ganz wie Majestt befeh-
len.
ATIENT: Machen Sie keine Geschichten, Doktor. Auf Wiedersehen.
RZT: Majestt - (Versperrt die Zellentr) Erste Verhaltungsmare-
gel, meine Herren: Greifen Sie niemals in die Phantasiewelt des
Patienten ein! Damit stren Sie den Sublimierungsproze, der ihn
in einem notdrftigen Gleichgewicht hlt. Nehmen wir zum Bei-
spiel den Patienten in Zelle 103, am Ende des Korridors. Ein pro-
totypischer Fall jener Geisteskrankheit, die man allgemein als
fixe Idee bezeichnet. Er heit Kasimir Blaumilch und war fr-
her einmal Straenarbeiter. Auf den ersten Blick wirkt er robust,
gesund, freundlich, beinahe normal. Sein roter Vollbart gibt ihm
sogar das Aussehen besonderer Milde. Man knnte ihn fr einen
Renaissanceheiligen halten. Hier, bitte. Hier geht's zur Zelle 103.
Ja, dieser Blaumilch. Er leidet an einem schweren Trauma, dem er
immer wieder zu entkommen versucht, oft mit ganz absurden, ja
geradezu phantastischen Mitteln. Wir haben ihn schon wiederholt
dabei ertappt, wie er mit dem Lffel einen Tunnel unter die Zel-
lentr graben wollte. Die Spuren seines letzten Versuchs sind hier
noch ganz deutlich zu sehen. Er hat mit unermdlichem Flei die
Schwelle aufgebrochen und die ersten Fliesen entfernt . . . (Auf-
sperren der Zellentr) Bitte halten Sie Abstand von ihm . . . Herr
Blaumilch! Herr Blaumilch! Wo sind Sie denn, Blaumilch? Um
Himmels willen, Blaumilch ist ausgebrochen . . . Blaumilch ist
geflohen . . .
(Klappern von Morsezeichen.)
FUNKER: Achtung, Achtung. Polizeihauptquartier. Polizeihaupt-
quartier. Achtung. Meldung an alle Funkwagen im Grogebiet
Tel-Aviv. Vergangene Nacht wurde in ein Werkzeuglager in Gi-
vatajim eingebrochen. Die Tter entwendeten einen Kompressor
und einen pneumatischen Drillbohrer, wie er bei Straenarbeiten
verwendet wird. Nach Aussage des Nachtwchters hat sich ein
Mann mit rotem Vollbart in der Gegend des Lagers herumge-
trieben. Ich wiederhole: Meldung an alle Funkwagen. Ncht-
licher Einbruch in ein Werkzeuglager in Givatajim. Entwendet
wurden ein Kompressor und ein pneumatischer Drillbohrer,
wie er . . .
(Das ohrenbetubende Gerusch eines pneumatischen Drillbohrers.)
POLIZIST: Zurck, bitte! Hier ist keine Durchfahrt! Wie oft soll ich
Ihnen das noch sagen, Herr?
FAHRER: Was ist denn los?
POLIZIST: Die Kreuzung Rothschild-Boulevard-Allenby-Strae
wird repariert. Zurck, Herr. Hier in die Seitengasse, bitte.
FAHRER: Sind Sie wahnsinnig geworden? Den wichtigsten Ver-
kehrsknotenpunkt der ganzen Stadt whrend der Stozeit
zu sperren?!
POLIZIST: Reden Sie nicht so viel, Herr, und zweigen Sie ab. Tempo,
Tempo.
FAHRER: Unglaublich, so etwas! Auf diese Weise wird ja der Verkehr
in der ganzen Stadt lahmgelegt.
POLIZIST: Herr, wenn der Magistrat eine Kreuzung aufreien lt,
dann wei er, was er tut. Ich bin kein Ingenieur, ich bin ein Ver-
kehrspolizist. Zurck, Herr, zurck.
FAHRER: Wohin zurck? Sehen Sie nicht, da die Autoschlange
schon bis zum Ende des Boulevards reicht? So etwas von Verstop-
fung habe ich noch nie erlebt. (Hupen) Kusch, Trottel!
ZWEITER FAHRER: Selber kusch, Idiot!
POLIZIST: Zurck, Herr, zurck.
Das Telefon klingelt.)
REVIERBEAMTER: Polizeihauptquartier Tel-Aviv.
BRGERMEISTER: Was haben Sie da angerichtet, um Himmels willen?
Was ist Ihnen eingefallen?
REVIERBEAMTER: Wer spricht?
BRGERMEISTER: Der Brgermeister spricht. Es ist ein Skandal. Hun-
derte Autos sind in der Allenby-Strae steckengeblieben, und Sie
rhren keinen Finger. Wozu haben wir eigentlich eine Verkehrs-
polizei?
REVIERBEAMTER: Entschuldigen Sie . . .
BRGERMEISTER (aufgeregt): Ich entschuldige gar nichts. Ich wei ge-
nau, was dahintersteckt. Mir kann man nichts vormachen. Mir
nicht. Die Gemeinderatswahlen stehen bevor, und da mu man
der Stadtverwaltung natrlich Sand vor die Fe werfen oder
Knppel ins Getriebe streuen oder was wei ich. Wie? Was? Na-
trlich. Aber diesmal nicht, das sage ich Ihnen!
REVIERBEAMTER: Herr Brgermeister, ich . . .
BRGERMEISTER: Kein Wort weiter! Ich werde diese Geschichte nicht
auf sich beruhen lassen. Wenn die Verkehrspolizei nicht imstande
ist, den Verkehr zu regeln, dann kann sie mich - dann kann sie
mich nicht zwingen, sie auch nur eine Sekunde lnger im Amt zu
lassen. Zurcktreten! Zurck, zurck.
Gerusch des Drillbohrers wie vorhin.)
POLIZIST: Zurck, zurck! Durchfahrt gesperrt!
FAHRER: Wohin zurck?
Wilde Hupsignale.)
BRGERMEISTER: Haben Sie mich verstanden?
REVIERBEAMTER: Ja. Aber ich bin nur der Revierbeamte.
BRGERMEISTER: Warum streiten Sie dann mit mir? Wo ist Ihr Vorge-
setzter?
REVIERBEAMTER: Er hat gerade vorhin angerufen, da er auf der Al-
lenby-Strae steckengeblieben ist . . .
Das Gerusch des Drillbohrers.)
PASSANT: Verdammter Lrm. Das ist ja nicht zum Aushalten.
PASSANTIN: Leben Sie hier?
PASSANT: Ganz genau hier, liebe Dame, ganz genau gegenber. Al-
lenby-Strae 103. Aber ich komm' nicht ber die Strae. Ver-
dammt noch einmal.
PASSANTIN: Da hilft kein Fluchen.
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PASSANT: Da hilft berhaupt nichts.
PASSANTIN: Was geht denn hier eigentlich vor?
PASSANT: Mich drfen Sie nicht fragen. Ich habe keine Ahnung. Ich
bin heute in der Frh aufgewacht, weil die Mbel in meinem Zim-
mer herumzutanzen begannen. Vom Lrm oder vom Luftdruck,
was wei ich. Ich schau' zum Fenster hinaus und sehe diesen rot-
brtigen Kerl mit seinem Drillbohrer den Asphalt aufbrechen.
Mittlerweile hat er aus der ganzen Kreuzung einen Schutthaufen
gemacht.
PASSANTIN: Wahrscheinlich braucht die Kreuzung eine Reparatur.
PASSANT: Wenn's nur die Kreuzung wre! Aber der hat ja schon die
halbe Allenby-Strae demoliert. Wenn er nicht bald aufhrt, ist er
ber kurz oder lang am Meer.
PASSANTIN: Vielleicht ist die Kanalisation schadhaft geworden.
PASSANT: Wenn da etwas schadhaft ist, dann sind's die Kpfe unserer
Politiker. Hier geht's um Politik, um nichts anderes. Vielleicht hat
der Brgermeister einen Konflikt mit dem Verkehrsminister und
will ihn blamieren. Und was ist das Resultat? Ich kann nicht in
mein Haus hinein.
PASSANTIN: Alles, was ihr Mnner knnt, ist schimpfen.
PASSANT: Soll ich vielleicht ruhig zuschauen, wie mich die Stadtver-
waltung obdachlos macht?
PASSANTIN: Sie bertreiben. Ein wenig staatsbrgerliche Verantwor-
tung wrde Ihnen nicht schaden, Herr.
PASSANT: Auch das noch! Nieder mit dem Brgermeister! Nieder mit
der Polizei! Nieder mit der Regierung!
PASSANTIN: Schmen Sie sich.
PASSANT: Ich will nach Hause.
POLIZIST: Brllen Sie hier nicht herum, Herr.
PASSANT: Rhren Sie mich nicht an.
PASSANTIN: Inspektor, dieser Mann untergrbt die ffentliche Moral.
POLIZIST: Weitergehen, weitergehen.
PASSANT und PASSANTIN (gleichzeitig): Wohin?
(Klopfen an der Tr.)
SEKRETRIN: Herein.
POLIZEIPRSIDENT: WO ist der Brgermeister?
SEKRETRIN: Guten Morgen.
POLIZEIPRSIDENT: Guten Morgen. Wo ist der Brgermeister?
SEKRETRIN: Wen darf ich melden?
POLIZEIPRSIDENT: Den Polizeiprsidenten von Tel-Aviv.
SEKRETRIN: In welcher Angelegenheit, bitte? Nehmen Sie Platz.
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POLIZEIPRSIDENT: In der Angelegenheit eines ffentlichen Skandals.
SEKRETRIN: Deshalb brauchen Sie mit mir nicht zu schreien. Wel-
chen ffentlichen Skandal meinen Sie?
POLIZEIPRSIDENT: Das fragen Sie noch! Knnen Sie mir vielleicht sa-
gen, wer den Auftrag gegeben hat, die Hauptverkehrsader der
Stadt aufzureien, ohne die Polizei vorher zu informieren?
SEKRETRIN: Ich bin nicht befugt, Informationen auszugeben. Neh-
men Sie Platz. Sie mssen eine schriftliche Eingabe machen.
POLIZEIPRSIDENT: Was? Schriftlich? Die ganze Stadt steht kpf, und
ich soll schreiben? Wo ist der Brgermeister?
SEKRETRIN: Er ist nicht in seinem Bro.
POLIZEIPRSIDENT: Schn, jetzt wei ich, wo er nicht ist. Aber wo ist
er?
SEKRETRIN: Er ist ins Polizeiprsidium gegangen, um mit Ihnen zu
sprechen. Nehmen Sie Platz. Er war sehr bse.
POLIZEIPRSIDENT: Der Teufel soll ihn holen.
SEKRETRIN: Schreien Sie nicht mit mir. Wir haben bereits Manah-
men ergriffen. Der Vizebrgermeister hat vom Planungsbro den
Akt Reparaturen auf der Allenby-Strae angefordert, damit er
die Arbeiten persnlich berwachen kann. Leider hat die Sache ei-
nen Haken.
POLIZEIPRSIDENT: Ich wei. Sie konnten den Akt nicht finden.
SEKRETRIN: Im Gegenteil. Wir haben drei gefunden und wissen jetzt
nicht, welcher der richtige ist. Unglcklicherweise wurde Dr.
Kwibischewsky vor vierzehn Tagen nach Jerusalem versetzt. Er
war der Leiter der Abteilung fr Reparaturen auf den Hauptver-
kehrsstraen.
POLIZEIPRSIDENT: Dann mu sich eben jemand anderer um die Sache
kmmern.
SEKRETRIN: Ganz richtig. Wir werden versuchen, alle drei Akten so
bald wie mglich nach Jerusalem zu schicken. Abschriften gehen
an das Arbeitsministerium, das Verkehrsministerium, die Bauar-
beitergewerkschaft und das Pressebro des Auenministeriums.
POLIZEIPRSIDENT (sthnt): Verbinden Sie mich mit Jerusalem. Ich
werde selbst mit Ihrem Dr. Kwibischewsky sprechen.
SEKRETRIN: Wie Sie wnschen. (Whlt) Besetzt. Bitte schreien Sie
nicht. Nehmen Sie Platz.
Telefon lutet.)
DR. KWIBISCHEWSKY: Hallo! Hallo! Dr. Kwibischewsky. Wer? Der
Polizeiprsident von Tel-Aviv? Meinetwegen . . . Nein, Herr,
ich habe kein Privatgesprch gefhrt. Ich wei nicht, wie Sie das
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halten, aber ich verwende mein Telefon nur fr Amtsgesprche.
Schon gut, schon gut. Bitte sehr . . . Ach ja, die Allenby-Strae,
ich erinnere mich. Die Arbeit war lngst berfllig. Jawohl . . .
Ich darf doch bitten. Dafr bin ich verantwortlich, wenn Sie
nichts dagegen haben. Kommt nicht in Frage. Bei allem Respekt
fr die Polizei von Tel-Aviv - das geht Sie nichts an. Wir haben
zum Glck unsere eigenen Experten, die fr diese Fragen zustn-
dig sind . . . Nein, Herr, ich bin weder willens noch in der Lage,
Ihnen zum gegenwrtigen Zeitpunkt weitere Ausknfte zu ertei-
len. Was ich zu sagen habe, sage ich in meinem Monatsbericht, der
mit Ihrer gtigen Erlaubnis dem Arbeitsminister, dem Verkehrs-
minister und dem Militrzensor vorgelegt wird. Ihnen, sehr ver-
ehrter Herr Polizeiprsident, bin ich keine Rechenschaft schul-
dig . . . Tut mir leid . . . Wie bitte? Was sagen Sie? Sie mssen
den ganzen Straenverkehr in Tel-Aviv reorganisieren? Nun,
dann hat die Polizei endlich einmal etwas zu tun. Damit sie wei,
wofr sie bezahlt wird. Adieu. (Legt den Hrer auf ruft seinen
Assistenten) Ziegler! Ziegler!
ZIEGLER: Bitte?
DR. KWIBISCHEWSKY: Was ist in Tel-Aviv geschehen, Ziegler? Wenn
das stimmt, was mir dieser verrckte Kerl gerade am Telefon ge-
sagt hat, dann stehen wir vor einer Katastrophe. Die Allenby-
Strae wurde der ganzen Lnge nach aufgerissen! Was soll das,
Ziegler, was soll das?
ZIEGLER: Keine Ahnung, Herr Doktor. Ich wei nicht mehr, als in
den Zeitungen steht.
DR. KWIBISCHEWSKY: Groer Gott! Schreiben die schon darber?
ZIEGLER: Und ob. Sie beschweren sich ber den schleppenden Fort-
gang der Reparaturarbeiten.
DR. KWIBISCHEWSKY: Natrlich. Kritisieren, das knnen sie. Und was
schreiben sie sonst noch? Lesen Sie vor, Ziegler.
ZIEGLER: Alle aufrechten Brger dieser Stadt billigen den Entschlu
der Stadtverwaltung, endlich die notwendigen Straenreparatu-
ren vorzunehmen.
DR. KWIBISCHEWSKY: Klingt ja gar nicht so schlecht.
ZIEGLER: Ich bin noch nicht fertig, Herr Doktor. Aber - so heit
es weiter - angesichts des Verkehrschaos, das durch die Schlie-
ung der Allenby-Strae entstanden ist, erhebt sich die Frage nach
der Verantwortung fr diese folgenschwere Manahme.
DR. KWIBISCHEWSKY: Wir mssen sofort dementieren, Ziegler. Geben
Sie ein Kommunique aus, Ziegler, Sie wissen ja, wie man das
macht . . . Schwierigkeiten auerhalb unserer Kontrolle . . .
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Kein Budget . . . Hhere Gewalt . . . Der strengste Winter seit
Menschengedenken . . . Noch was?
ZIEGLER: Was: Noch was?
DR. KWIBISCHEWSKY: Was die noch schreiben.
ZIEGLER: Ach so. Die Seitenstraen der restlos aus dem Verkehr ge-
zogenen Allenby-Strae sind von Kraftwagen verstopft, denen je-
der Ausweg versperrt ist. Es befinden sich zahlreiche Autobusse
und Ambulanzwagen darunter. Die Fahrer haben ihre steckenge-
bliebenen Fahrzeuge seit sechsunddreiig Stunden nicht mehr
verlassen und verwickeln sich an Ort und Stelle in heftige Faust-
kmpfe mit der Polizei . . .
DR. KWIBISCHEWSKY: Gesindel.
ZIEGLER: Wie Sie sagen. Wir zweifeln nicht an der Notwendigkeit
der vorgenommenen Aufgrabung. Wir bezweifeln nur, da es ein
zweckdienlicher Entschlu war, mit dieser fr unsere Stadt so le-
benswichtigen Reparatur einen einzigen Mann zu betrauen, der
die ganze Arbeit allein leisten mu.
DR. KWIBISCHEWSKY: Unerhrt. Eine Unverschmtheit. Niemand
wird mir vorschreiben, wie viele Arbeiter ich zu beschftigen
habe . . . brigens, Ziegler: Wer hat diese Reparatur angeordnet?
Ich vielleicht?
ZIEGLER: Daran kann ich mich nicht erinnern, Herr Doktor. Viel-
leicht irgendwer in der Zentrale.
DR. KWIBISCHEWSKY: Die htten mich doch wenigstens verstndigen
knnen! Ziegler, wir lassen jetzt sofort eine dringende Anfrage an
das Verkehrsministerium abgehen und fordern Aufklrung. In
sehr scharfen Worten, hren Sie? Sie knnen ruhig auch ein paar
Kraftausdrcke gebrauchen. Diesmal sollen sich die Herren ge-
tuscht haben. Los, Ziegler! Worauf warten Sie noch?
ZIEGLER: Ich dachte, Herr Doktor . . . Vielleicht . . .
DR. KWIBISCHEWSKY: Was dachten Sie?
ZIEGLER: Aber das ist ja Unsinn . . .
DR. KWIBISCHEWSKY: Reden Sie, Ziegler.
ZIEGLER: Ich dachte, da mglicherweise . . . Wie soll ich mich aus-
drcken . . . Also, da vielleicht berhaupt niemand die Anord-
nung gegeben hat - sondern - pltzlich - irgendwer . . .
DR. KWIBISCHEWSKY (fft nach): Pltzlich irgendwer. Vielleicht ein
Verrckter, der sich pltzlich entschlossen hat, die Allenby-
Strae aufzugraben? Groartig. Wirklich groartig, Ziegler. Ich
empfehle Ihnen, aus Ihrer Traumwelt mglichst rasch in die nch-
terne Wirklichkeit zurckzukehren. Sind Sie schon da? Dann
schicken Sie jetzt geflligst unseren Protest an das Verkehrsmini-
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sterium. Abschriften an die Kommission fr Entwicklungspro-
jekte, an alle Gewerkschaften und an alle zionistischen Organisa-
tionen Amerikas. Vertraulich! Geheim! Persnlich! Tempo!
ZIEGLER: Bitte sehr, Herr Doktor.
DR. KWIBISCHEWSKY: Und in dieser schicksalsschweren Stunde hocke
ich in Jerusalem, statt in meinem Bro in Tel-Aviv alle ntigen
Unterlagen zur Hand zu haben . . . Ziegler! Sagen Sie meinem
Chauffeur, er soll sofort nach Tel-Aviv fahren und meine gesamte
Broeinrichtung nach Jerusalem transportieren.
(Gerusch des Drillbohrers.)
HERR (PASSANT VON VORHIN) (unter hufigem Sthnen der Anstren-
gung) : Oh . . . Was fr ein Leben. In meinem Alter ber Strick-
leitern klettern . . . Ich sehe mich schon abstrzen . . . Wer soll
das aushalten - vom zweiten Stock herunter . . . Krach! (Ge-
rusch von splitterndem Glas) Da die auch noch das Fenster of-
fenstehen lassen . . . Es tut mir leid, Frau Birnbaum, ich kann
nichts dafr. Ich habe mich auf der Strickleiter vom zweiten Stock
herunterlassen wollen und bin mit den Fen . . . Gott sei Dank,
niemand zu Hause. Wahrscheinlich sind auch die in eine andere
Gegend geflchtet . . . Also klettern wir weiter . . .Ein Leben ist
das, ein Leben . . . Und wie nur die Allenby-Strae von hier oben
ausschaut - vollkommen ruiniert, gar nicht mehr wie eine Strae -
beinahe wie ein Kanal . . .
DAME (PASSANTIN VON VORHIN): AU!
HERR: Verzeihung.
DAME: Was fllt Ihnen ein, einfach auf meinen Kopf zu steigen?
HERR: Ich habe ja schon Verzeihung gesagt. Verzeihung, hren
Sie?
DAME: Nein.
HERR: Sind Sie taub?
DAME: Ich frchte es. Der Kompressor hat die ganze Nacht durchge-
tobt. Direkt unter meinem Fenster.
HERR: Ich sage Ihnen, der Mann ist nicht normal! Er arbeitet in drei
Schichten.
DAME: Wahrscheinlich braucht er das Geld. Der arme Kerl schlft ja
berhaupt nicht.
HERR: Er schlft nicht? Ich schlafe nicht. Vorgestern bin ich zu ihm
gegangen und habe ihn kniefllig beschworen, wenigstens nach
Mitternacht Ruhe zu geben. Und wissen Sie, was er geantwortet
hat?
DAME: Was?
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4ERR: Mein Doktor glaubt, ich bin verrckt, und hat mich selber
hergeschickt. Knnen Sie sich das erklren?
DAME: ES klingt wie ein Geheimcode. Vielleicht ist der Mann ein ho-
her Gewerkschaftsfunktionr oder etwas hnliches.
HERR: Wei der Teufel. Aber lange halte ich das nicht mehr aus.
Berge von Asphaltbrocken vor dem Haustor . . . Geborstene
Wasserleitungen . . . Wolken von Staub (Hustet) Wenn sie die
Stadt schon demolieren mssen, dann sollten sie es wenigstens in
Ruhe tun! In Ruhe! Ruhe! Ruhe!
DAME: Schonen Sie Ihre Lunge, sie kann's brauchen. Auerdem tut
der Arbeiter nur seine Pflicht. Warum beschweren Sie sich nicht
bei seiner vorgesetzten Behrde?
IERR: Hab' ich ja schon gemacht.
DAME: Und?
HERR: Ich bekam den Bescheid, da die betreffende Stelle sich nur
mit Taglrm beschftigt. Nachtlrm ist Sache der Polizei. Also
habe ich eine Beschwerde bei der Polizei eingereicht. Pnktlich
um Mitternacht.
DAME: Und?
HERR: Und bekam den Bescheid, da der in meiner Beschwerde
erwhnte Lrm nichts mit Bauttigkeit zu tun hat, wofr die
Polizei zustndig wre. Fr Demolierungslrm ist sie nicht
zustndig.
DAME: Gesetz ist Gesetz.
HERR: Bis zum Gesundheitsministerium bin ich gegangen und habe
eine Untersuchung verlangt, weil ich sonst noch verrckt werde
von dem pausenlosen Lrm. Und was, glauben Sie, ist geschehen?
DAME: Man hat keine Untersuchung gemacht.
HERR: Man hat. Mit dem Ergebnis, da ich nicht verrckt werde.
Und da ich noch froh sein soll, wenn man mich nicht wegen Irre-
fhrung der Behrden zur Verantwortung zieht.
DAME: Kopf hoch. Im Rundfunk wurde verlautbart, da ber Auf-
forderung des Verkehrsministeriums eine Kommission des Bau-
tenministeriums ein Komitee des Arbeitsministeriums ins Leben
rufen wird, um Nachforschungen darber anzustellen, welches
Komitee von welchem Ministerium . . .
8Ungeheures Getse des Drillbohrers.)
(Hammer des Vorsitzenden.)
VORSITZENDER: Meine Herren! Meine Herren! So geht das nicht wei-
ter! Ich fordere die Mitglieder der Kommission zum letztenmal
auf, ihre beleidigenden Zwischenrufe einzustellen. Der Vertreter
des Magistrats hat das Wort zur Berichterstattung. Bitte Herr
Doktor Kwibischewsky.
DR. KWIBISCHEWSKY: Herr Vorsitzender, das Verkehrsministerium
trgt die volle Verantwortung fr . . .
VERTRETER DES VERKEHRSMINISTERIUMS: Ich protestiere! Ich verwahre
mich gegen diese demagogische Unterstellung!
DR. KWIBISCHEWSKY: Sie haben's ntig.
POLIZEIPRSIDENT: ES ist ein Skandal.
DR. KWIBISCHEWSKY: Mich werden Sie nicht provozieren. In meinem
Bro herrscht musterhafte Ordnung.
VERTRETER: Ordnung? Schne Ordnung! Ein komplettes Irrenhaus.
DR. KWIBISCHEWSKY: Herr Vorsitzender, mu ich . . .
VORSITZENDER: (Hammer) Ruhe! Meine Herren, ich bitte Sie noch-
mals und dringend, persnliche Anwrfe zu unterlassen. Das gilt
auch fr den Vertreter des Verkehrsministeriums.
VERTRETER: Wenn ich das Bro von Herrn Doktor Kwibischewsky
als Irrenhaus bezeichne, so ist das kein persnlicher Anwurf, son-
dern eine sachliche Feststellung. Ich habe ihn dort einmal aufge-
sucht und wei, wovon ich rede.
DR. KWIBISCHEWSKY: Noch ein Wort, und . . .
VORSITZENDER: Ruhe! Ruhe, oder ich lasse Sie beide hinausweisen.
Herr Doktor Kwibischewsky, bitte kommen Sie zur Sache.
DR. KWIBISCHEWSKY: Gern. Am 3. Mrz i960 richtete ich an das Ver-
kehrsministerium unter der Ziffer 397/N. A./1960/3 eine dringli-
che Anfrage, in der ich die sofortige Einstellung der auf der Allen-
by-Strae begonnenen Reparaturarbeiten verlangte, solange das
Rathaus sich nicht verpflichtet htte, die unbehinderte Abwick-
lung des Straenverkehrs zu gewhrleisten. Abschriften dieser
Anfrage gingen am 4. Mai 1971 an die Personalkanzlei des Mini-
sterprsidenten und an das Oberrabbinat. Als einzige Antwort
bekam ich am 12. Juni 1971 eine Mitteilung des Departements fr
Gegenspionage im Generalstab, da das ganze Dossier an das Fi-
nanzministerium weitergeleitet worden sei . . .
(Gerusch des Drillbohrers von drauen.)
VORSITZENDER: Woher kommt dieser Lrm?
POLIZEIPRSIDENT: Von den Straenarbeiten am Strand, Herr Vorsit-
zender.
VORSITZENDER: Knnte die Polizei nicht dafr sorgen, da wenig-
stens ein paar Minuten lang Ruhe herrscht, Herr Polizeiprsi-
dent?
POLIZEIPRSIDENT: Das fllt leider in die Kompetenz der Stadtverwal-
tung, Herr Vorsitzender.
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DR. KWIBISCHEWSKY: Stimmt nicht! Solche Verfgungen kann nur die
Polizei erlassen. Aber die Polizei sorgt ja bei uns nicht fr Ord-
nung, sondern fr Anarchie.
POLIZEIPRSIDENT: Sie sind verrckt.
DR. KWIBISCHEWSKY: Sie sind verrckt.
POLIZEIPRSIDENT: Herr Vorsitzender!
VORSITZENDER: Meine Herren! Ich darf doch bitten! Wenn wir uns in
sterile und kindische Streitigkeiten verlieren, werden wir niemals
jene schpferischen Hhen erreichen, ohne die es keinen staats-
mnnischen Fortschritt gibt. Statt unfruchtbare Wellen zu schla-
gen und nach der Taube Ausschau zu halten, die mit Noahs Arche
im lzweig - mit dem lzweig der Arche Noahs im Schna-
bel . . .Was wollte ich sagen? Richtig! Bitte schlieen Sie das Fen-
ster.
8Schlieen des Fensters, Lrm aus.)
VORSITZENDER: Bitte fortzufahren.
(Stimmengewirr vom Eingang.)
ZIEGLER (im Kampf mit den Saalwcbtern): Lassen Sie mich
durch . . . Ich mu hinein . . .
VORSITZENDER: Was ist denn los?
ZIEGLER: Herr Vorsitzender . . . Ich habe herausgefunden . . . Ich
mchte eine Aussage machen . . . Lassen Sie mich hinein . . .
DR. KWIBISCHEWSKY: Ziegler? Was machen Sie hier?
ZIEGLER: Enstschuldigen Sie, Herr Doktor Kwibischewsky . . . Ich
kann nicht schweigen . . . Ich habe auf eigene Faust Nachfor-
schungen angestellt und . . .
VORSITZENDER: (Hammer) Ruhe! Lassen Sie den Mann eintreten!
Bitte sprechen Sie.
REGLER: Danke. (Atemlos) Was da geschehen ist . . . Das Gesche-
hene . . . Es gibt nur ein einziges Wort dafr . . . es ist der helle
Wahnsinn.
POLIZEIPRSIDENT: Hab' ich ja gleich gesagt.
REGLER: Der Straenarbeiter Kasimir Blaumilch hatte keine wie im-
mer geartete Befugnis, die von ihm durchgefhrten Straenarbei-
ten durchzufhren. Er hat von niemandem den Auftrag bekom-
men, die Allenby-Strae aufzugraben, weder vom Magistrat
noch . . .
DR. KWIBISCHEWSKY: Vom Magistrat jedenfalls nicht. Bei mir herrscht
Ordnung.
VORSITZENDER: (Hammer) Ruhe!
ZIEGLER: Blaumilch ist nicht von der Stadtverwaltung gekommen,
sondern aus dem Irrenhaus.
VERTRETER: Hren Sie, Herr Doktor Kwibischewsky? Irrenhaus!
ZIEGLER: Er ist ausgebrochen. Er ist aus dem Irrenhaus ausgebro-
chen.
POLIZEIPRSIDENT: Ein Wahnsinniger. Aber nicht der einzige.
DR. KWIBISCHEWSKY: Ich verwahre mich . . .
VORSITZENDER: Ruhe! Ruhe! (Hammer)
ZIEGLER: Blaumilch leidet an schweren geistigen Strungen. Er ist
verrckt. Er ist ein klinischer Fall von Wahnsinn.
VORSITZENDER: Keine persnlichen Beleidigungen, wenn ich bitten
darf! Ich mte Sie sonst aus dem Saal entfernen lassen.
ZIEGLER: Herr Vorsitzender, merken Sie denn nicht, was geschehen
ist? Das Schicksal der ganzen Stadt Tel-Aviv liegt in den Hnden
eines Irren!
VORSITZENDER: Jetzt ist es aber genug! Alles hat seine Grenzen. Saal-
wache! Entfernen Sie diesen Mann!
ZIEGLER (im Handgemenge): Lassen Sie mich los . . . Ich spreche die
Wahrheit . . . Loslassen . . . Um Himmels willen, versteht mich
denn hier kein Mensch . . . Blaumilch ist verrckt . . . Er hat den
Kompressor gestohlen - und den Drillbohrer . . . Ein Irrer, Herr
Vorsitzender . . . Ein Wahnsinniger . . . Ein Verrckter! (Er
wird abgeschleppt)
VORSITZENDER: Meine Herren, ich stelle mit grtem Bedauern fest,
da der Hang zu persnlicher Beschimpfung und Verchtlichma-
chung bedrohlich um sich greift. Niemand bemht sich mehr um
objektive Argumente. Jeder Andersdenkende ist verrckt, irre,
wahnsinnig oder dergleichen. Welch ein Sittenverfall, meine Her-
ren! Herr Doktor Kwibischewsky, bitte sprechen Sie weiter.
DR. KWIBISCHEWSKY: Danke, Herr Vorsitzender. Nachdem ich vom
Finanzministerium die Information erhalten hatte, da im Budget
kein Betrag fr die in Rede stehenden Straenarbeiten ausgewor-
fen sei und da man deshalb die ganze Angelegenheit dem Polizei-
prsidium unterbreiten wrde, verlangte ich die Bildung eines be-
ratenden Gremiums, bestehend aus . . . (Von drauen das an-
schwellende Gerusch einstrmender Wassermengen) . . . beste-
hend aus Vertretern des Innenministeriums, des Bautenministe-
riums, des Verkehrsministeriums und des Fonds fr Wstenbe-
wsserung. Alle genannten Krperschaften verweigerten ihre
Mitarbeit und zogen es vor, den Auenminister ins Vertrauen zu
ziehen, der sich jedoch zum betreffenden Zeitpunkt in New York
bei einer Tagung der Vereinten Nationen befand. Daraufhin ver-
suchte ich . . . (Seine letzten Worte werden vom drhnenden
Flutgerusch bertnt)
19
VORSITZENDER: Was geht hier vor? Was ist das?
VERTRETER: Das Meer!
DR. KWIBISCHEWSKY: Das Meerwasser strmt in die Allenby-Strae!
ALLE(durcheinander): Meerwasser . . . Das Meer . . . Die Flut . . .
(Das Rauschen wird immer strker, blendet langsam aus und geht
in einen feierlichen Chorgesang patriotischen Inhalts ber)
BORGERMEISTER: Exzellenzen, verehrte Festgste, Brger von Tel-
Aviv, meine Damen und Herren! Es ist ein wahrhaft festlicher
Anla, aus dem wir uns hier und heute versammelt haben. Wir
bergeben der ffentlichkeit den ersten Kanal, der die Stadt-Tel-
Aviv mit dem Meer verbindet.
(Hochrufe.)
ZIEGLER: Schwindler! Schwindler!
BRGERMEISTER: Jawohl, man hat uns Schwindler und Phantasten ge-
nannt, man hat uns gesagt, da wir etwas Unmgliches vorhaben.
Und dennoch: Heute ist dieses Produkt einer schpferischen
Phantasie zur Wirklichkeit geworden. Die Verwaltung der Stadt
Tel-Aviv wird auf diesem einzigartigen Wasserweg einen stndi-
gen Bootsverkehr zum Strand einrichten, und die Zeit ist nicht
mehr fern, da man Tel-Aviv das Venedig des Nahen Ostens
nennen wird.
(Allgemeiner Jubel.)
ZIEGLER: Sie haben die Stadt ruiniert! Es ist ungeheuerlich!
BRGERMEISTER: ES war in der Tat eine ungeheuerliche Aufgabe, die
wir zu bewltigen hatten, meine Damen und Herren! Unser tief-
gefhlter Dank geht in erster Linie an das stdtische Planungsamt,
ohne dessen khne Vorstellungskraft diese groartige Entwick-
lung unserer Stadt niemals mglich gewesen wre.
(Hochrufe.)
ZIEGLER: Glaubt ihm kein Wort! Glaubt ihm nicht!
BRGERMEISTER: Aber glauben Sie nicht, da damit schon alles getan
wre. Nicht nur dem Planungsamt sind wir Dank schuldig, nein,
auch den Experten und ihren weitblickenden Entwrfen, auch
den Technikern und ihren Maschinen und nicht zuletzt der Poli-
zei, die selbst in den schwierigsten Phasen den berblick nie ver-
loren hat. ber der ganzen herrlichen Errungenschaft, die wir
heute in berechtigter Festesfreude feiern, leuchtet jedoch in strah-
lenden Lettern der Name jenes Mannes, der das stolze Werk
durch seine persnliche Initiative in Gang gesetzt hat. Er weilt
heute leider nicht unter uns. Still und bescheiden hat er sich nach
getaner Arbeit wieder entfernt . . .
ZIEGLER: Ein Verrckter!
BRGERMEISTER: Ein Besessener seines Tatendrangs, ein Fanatiker
der gewaltigen Aufgabe, die er sich gestellt hatte, ein Symbol isra-
elischer Arbeitsfreude und Unternehmungslust. Meine Damen
und Herren, ich habe die Ehre, den Kasimir-Blaumilch-Kanal fr
erffnet zu erklren . . .
(Jubelrufe, Militrmusik, Gesang, langsam ausblenden.)
ARZT: Hier entlang, meine Herren. Am Ende des Korridors in Zelle
Nummer 103, befindet sich einer unserer schwersten Flle. Ein
frherer Magistratsangestellter. Der Prototyp einer allgemein als
fixe Idee bekannten Geisteskrankheit. Der Patient leidet an ei-
nem schweren Trauma. Er ist berzeugt, da die ffentlichen Ar-
beiten in unseren Stdten rein zufllig zustande kommen, manch-
mal sogar mit Hilfe von entsprungenen Geisteskranken . . . Hier,
bitte. Kommen Sie ihm nicht zu nahe . . . (Aufschlieen der Zel-
lentr) Guten Morgen, Herr Ziegler. Na, wie geht's uns denn
heute?
ENDE
Sallach
Ein Hrspiel
Von allen Gestalten, denen ich whrend meiner Ttigkeit als
Schriftsteller begegnet bin, liebe ich Sallach Schabati am tiefsten
und innigsten. Ich empfinde ihn als meinen Seelenverwandten -
ungeachtet aller Unterschiede, die uns herkunfts- und klassen-
mig voneinander trennen und die mich zweifeln lassen, ob wir
einander jemals begegnet wren, wenn ich ihn nicht erfunden
htte. Zum Beispiel ist Sallach von orientalischer Herkunft,
und ich im Gegenteil. Sein Gesicht ist von einem eindrucks-
vollen Bart umrahmt, meines ist glatt wie importierte Toiletten-
seife. Er hat sechs Kinder, ich habe es auf knappe drei gebracht.
Ich esse gerne Wiener Schnitzel, er wei nicht einmal, wo
Wien liegt. Ich trinke gerne Tee mit Milch, er gurgelt mit Arrak.
Ich spreche mit meiner Frau hebrisch, er spricht mit seiner
berhaupt nicht. Ich bin hochgewachsen, er ist untersetzt.
Ich trage Brillen im Gesicht und er ein freundliches Grinsen.
Aber das alles ist nichts gegen den einen, fundamentalen
Unterschied zwischen uns beiden: Wenn ich meine Tochter
eines Tages verheirate, und der Tag wird kommen, dann mu ich
ihr eine Mitgift geben. Sallach hingegen, der alte Gauner, wird sich
an der Mitgift seiner Tochter noch bereichern. Es sei denn, da
ich den Schlu des folgenden Hrspiels im letzten Augenblick
umschreibe.
NEUMANN: . . . Genossen! Ich glaube im Namen der gesamten Kib-
buz-Leitung zu sprechen, wenn ich konstatiere, da wir an den
vom Kibbuz festgelegten Lebensgrundstzen unerschtterlich
festhalten. Obwohl der Fall, den wir zu behandeln haben, nur ei-
nes unserer Mitglieder betrifft, ist er kein individueller Fall. Er
stellt vielmehr die Interessen unserer ganzen Gemeinschaft, ja un-
seres ganzen Volkes in Frage. Darber hinaus rollt er ein Problem
von grter menschlicher Tragweite auf, ein Problem, das
wir . . .
TSCHETSCHIK (unterbrechend): Was fr ein Problem, Neumann?
Komm endlich zur Sache.
NEUMANN (seufzend): Sallach!
SPRECHER: Sallach, ein Hrspiel in vier Szenen. Als Angehrige des
Kibbuz treten auf:
22
NEUMANN: Neumann, Finanzsekretr des Kibbuz. Ich leite die Sit-
zung.
FRIEDA (zurecHtweisend): Neumann!
NEUMANN: Das heit, Frieda hat den Vorsitz, ich habe nur die Erff-
nung.
FRIEDA: Ich bin die Leiterin des Komitees fr Verwaltungsfragen,
Frieda Glickstein, allgemein nur Frieda genannt, seit sechsund-
dreiig Jahren in diesem Kibbuz.
TSCHETSCHIK: Ich bin Tschetschik. Ein gewhnliches Mitglied.
SPRECHER: Tschetschik?
TSCHETSCHIK: Ich gebe zu, da es ein hlicher Name ist.
SPRECHER: Und Sie? Sie heien?
BATSCHEWA (kaum hrbar): Batschewa.
NEUMANN: Sprechen Sie lauter, Genossin.
BATSCHEWA (lauter): Batschewa. Zeitweilige Mitarbeiterin der Kib-
buz-Verwaltung.
SPRECHER: Sonst noch jemand?
FRIEDA: Sigi.
SPRECHER: WO steckt er?
FRIEDA: Treibt sich irgendwo herum. Er ist verliebt.
TSCHETSCHIK: Frieda! Das geht die ffentlichkeit nichts an!
NEUMANN: Sigi war frher in unserem landwirtschaftlichen Betrieb
ttig. Jetzt wirkt er als Instruktor in einer benachbarten Ma'abara.
Das sind die provisorischen Auffangsiedlungen fr unsere Neu-
einwanderer.
(Die Hintergrundmusik nimmt orientalischen Charakter an.)
SPRECHER: . . . Ja, und da wren wir also in dieser Ma'abara. Sie
heit Tuschja. Ein schner Name. Viel zu schn fr eine An-
hufung provisorischer Htten und ungepflegter Grnanlagen.
SALLACH: Der Herr - er wnscht etwas?
SPRECHER: Nein, nichts. Ich bin nur ein Besucher.
SALLACH: Schon wieder vom Wohlfahrtsamt?
SPRECHER: Nein, ich komme vom Rundfunk, Herr . . . Herr . . .
SALLACH: Kein Herr. Nur Sallach. Sallach Schabati. Sieben Jahre in
Ma'abara.
SPRECHER: Beschftigung?
SALLACH: Keine Arbeit und fnf Kinder.
FRAU SCHABATI: Sechs.
SALLACH: Sechs.
SPRECHER: Habe ich die Ehre, mit Frau Schabati zu sprechen?
SALLACH: Nein. Sie ist mein Weib. Stell dich vor, Weib.
FRAU SCHABATI: Schalom.
ALLACH: Das gengt. Und dieser dnn aussehende Herr, er heit
Goldstein. Wohnt bei uns.
GOLDSTEIN: Ezechiel Goldstein mein Name. Guten Abend.
SALLACH: Europer. Kommt aus Europa, er. Und trotzdem ganze
Zeit in Ma'abara. Aus Europa.
SPRECHER: Wo ist Chabuba?
FRAU SCHABATI: Nicht hier.
SALLACH: Weggegangen? Wohin?
FRAU SCHABATI: Wei nicht . . . Wei wirklich nicht, Sallach.
WALLACH: Schon wieder. Jeden Abend Chabuba weg und wei
nicht . . .
Die orientalisch angehauchte Musik geht in das Zirpen der Grillen
her, das Sigi und Chabuba auf ihrem Spaziergang begleitet.)
CHABUBA: Sigi.
SIGI: Ja.
CHABUBA: Siehst du den Mond?
SIGI: Natrlich. Er beobachtet uns schon die ganze Zeit.
CHABUBA: Lach nicht. Wir glauben, da der Mond bse ist. Beson-
ders der Vollmond. Er hat meine Mutter einmal fast zu Tode er-
schreckt.
SIGI: Ein dummer Aberglaube.
CHABUBA: Dummer Aberglaube? Und deine schwarze Katze?
SIGI: Das ist etwas anderes. Schwarze Katzen bringen Unglck.
BEIDE: (Lachen. Ihre Ksse alternieren mit dem Zirpen der Grillen.)
CHABUBA: Das sollten wir nicht tun, Sigi. Man knnte uns sehen.
SIGI: Hier im Wald?
CHABUBA: Unsere Ma'abara ist ganz in der Nhe. Die Kinder kom-
men oft hierher, um Holz aufzulesen. Vielleicht hat man uns
schon gesehen.
SIGI: Unsinn. Wen sollten wir interessieren? Irgendwo mu man ja
schlielich Spazierengehen knnen.
CHABUBA: Im Orient geht man nicht irgendwo spazieren. Mdchen
nicht. Unverheiratete Mdchen nicht. Fragt man dich im Kibbuz
nie, wo du hingehst?
SIGI: Nein. Und wenn man mich fragt, geb' ich keine Antwort.
Glaubst du vielleicht, da ich unser Sekretariat um Erlaubnis bit-
ten mu, mich zu verlieben?
CHABUBA: DU verliebst dich?
SIGI: Hast du das nicht gemerkt?
(Kichern und kssen.)
CHABUBA: Wenn uns mein Bruder Schimon jetzt sehen knnte . . .
SIGI: Schimon? Der bei uns im Gerteschuppen arbeitet?
24
CHABUBA: Ja.
SIGI: Hat auch nichts anderes im Kopf, als unseren Mdchen nachzu-
jagen.
CHABUBA: Er darf. Er ist ein Mann. Aber Mdchen drfen bei uns am
Abend nicht allein ausgehen.
SIGI: Sag nicht immer bei uns. Jetzt bist du bei uns.
(Ksse.)
CHABUBA: Sigi, das darfst du nicht.
SIGI: Ich darf. Ich bin ein Mann. Mnner drfen. (In einem pltzli-
chen Einfall) Chabuba!
CHABUBA: Ja, Sigi?
SIGI: Wir sind Idioten.
CHABUBA: Warum?
SIGI: Weil wir uns vor den anderen verstecken . . . Weil wir immer
so geheimnisvoll tun, statt einfach . . .
CHABUBA: Was?
SIGI: Ach, nichts. Ich dachte nur.
CHABUBA: Was dachtest du?
SIGI: Da du zu uns in den Kibbuz kommen knntest.
CHABUBA: Allein?
SIGI: Nein, nicht allein . . . Ich meine - wenn wir . . . Komm, la
uns gehen. Es ist spt.
(Zirpen der Grillen und Gerusch der Schritte im Gras.)
CHABUBA: Dieser Busfahrer.
SIGI: Welcher Busfahrer?
CHABUBA: Mein Vater kennt ihn.
SIGI: Und?
CHABUBA: Er will heiraten. Der Busfahrer.
SIGI: Alles Gute.
CHABUBA: Mich. Er will mich heiraten.
SIGI: Dich? Bist du in ihn . . . Hast du ihn denn gern?
CHABUBA: Mein Vater hat ihn gern.
SIGI: Dann soll ihn dein Vater heiraten.
CHABUBA: Er fhrt im ganzen Land herum. Mit seinem Bus. Er ist
dick. Er ist nicht so wie du. berhaupt nicht.
SIGI: Reden wir nicht von ihm. (Stille. Grillen.)
CHABUBA: Sigi!
SIGI: Ja?
CHABUBA: Ich will dich heiraten.
SIGI: DU wirst es nicht glauben - aber genau dasselbe wollte ich ge-
rade dir sagen.
CHABUBA: Wirklich?
25
SIGI: Wirklich.
(Ku.)
CHABUBA: Er hat 350 Pfund geboten.
SIGI: Wer?
CHABUBA: Der Busfahrer.
SIGI: Wem?
CHABUBA: Meinem Vater.
SIGI: Wofr?
CHABUBA: Fr mich.
SIGI (lacht nach einer kurzen Pause schallend heraus): Das darf nicht
wahr sein.
CHABUBA: Doch. Das ist bei uns so blich. Bei uns bekommt der Va-
ter Mitgift fr seine Tochter.
SIGI: Ich glaub's nicht.
CHABUBA: Warum? Bin ich keine 350 Pfund wert?
SIGI: DU bist eine Million wert, Chabuba. Aber wir leben in
Israel, unter zivilisierten Menschen, nicht unter Kamelen in der
Wste.
CHABUBA: Das ist nicht schn, was du jetzt gesagt hast, Sigi.
SIGI: Verzeih. Ich wollte dich nicht krnken. Aber du bist doch eine
von uns, du hast gute Schulen besucht, du lebst unser Leben - wie
kannst du solche Gebruche noch ernst nehmen?
CHABUBA: Ich will dich heiraten, Sigi. Hast du denn keine 350
Pfund?
SIGI: Darum geht's doch nicht . . . Was sind schon 350 Pfund . . .
Auerdem hab' ich sie nicht.
CHABUBA: Jetzt wei ich, da du mich nicht liebst.
SIGI: Ich lieb' dich, Chabuba, ich lieb' dich und will dich heiraten,
aber was hat das mit den 350 Pfund zu tun? Ich hab' keine 350
Pfund, ich hab' nicht einmal 35.
CHABUBA: DU bist Instruktor in unserer Ma'abara. Du bekommst ein
Gehalt.
SIGI: Mein Gehalt kommt sofort in die Kibbuz-Kasse. Und von der
bekomm' ich dann, was ich brauche.
CHABUBA: Das darf nicht wahr sein.
SIGI: Doch, so ist das bei uns. Wir haben kein Privatvermgen. Wir
haben kein persnliches Eigentum.
CHABUBA: Oh, ihr armen Teufel.
SIGI: Ich bin kein armer Teufel. Der ganze Kibbuz gehrt mir.
CHABUBA: Dann verkauf ihn.
SIGI: Das geht nicht.
CHABUBA: DU hast doch gesagt, da er dir gehrt.
26
SIGI: Ja, gewi. Aber deshalb kann ich ihn nicht verkaufen. Wir ver-
kaufen keinen Kibbuz. Das ist bei uns nicht blich.
CHABUBA: Jetzt sagst du immer bei uns . . .
(Aus dem Hintergrund Musik und Gesang, alles orientalisch.)
SIGI: Was ist das fr ein Lrm?
CHABUBA: Sie tanzen und singen in der Ma'abara.
SIGI: Ein Fest? Eine Feier?
CHABUBA: Nein, nichts Besonderes. Nur tanzen und singen.
SIGI: DU mut mit deinem Vater sprechen.
CHABUBA: Ich kann nicht.
SIGI: Warum nicht?
CHABUBA: Sprich du mit ihm.
SIGI: Glaubst du, da er einverstanden sein wird?
CHABUBA: Warum sollte er nicht einverstanden sein? Du bist ein In-
struktor, du bist gesund und krftig, und du zahlst 350 Pfund.
SIGI: Ich hab' dir doch gesagt, da ich sie nicht zahle.
CHABUBA: DU hast gesagt, da du sie nicht hast.
SIGI: Auch wenn ich sie htte, wrde ich sie nicht zahlen.
CHABUBA: Warum nicht?
SIGI: Weil - aus Prinzip. Das ist doch lcherlich.
CHABUBA: Worber willst du dann mit meinem Vater sprechen?
SIGI: ber den Aufbau unseres Staates . . . ber unsere Gesell-
schaftsordnung . . . ber den Fortschritt der Zivilisation . . .
CHABUBA: Dann will ich bei diesem Gesprch nicht dabeisein.
SIGI: Frchtest du dich vor deinem Vater, Chabuba? Ich frchte
mich nicht.
CHABUBA: Gut.
SIGI: Ich werde frei und offen mit ihm sprechen, ohne Umschweife.
CHABUBA: Gut.
(Aus der Musik hebt sich eine tiefe, krftige Stimme hervor. Es ist die
Stimme Sallachs.)
SIGI: Ist das dein Vater, der dort auf dem Tisch tanzt? Dieser wilde,
brtige Mann?
CHABUBA: Ja.
SIGI: Das ist dein Vater?
CHABUBA: Mhm.
SIGI: Vielleicht . . . Vielleicht wird mir der Kibbuz die 3 50 Pfund ge-
ben, die ich fr dich brauche . . .
CHABUBA: Sigi!
(Langer Ku. Die Hintergrundmusik wird klassisch. Gerusche ei-
ner stark besuchten Versammlung.)
NEUMANN: Bitte das Radio abzustellen.
TSCHETSCHIK: Wart doch wenigstens, bis der Satz zu Ende ist.
NEUMANN: ES mu sofort abgestellt werden! Man hrt ja sein eigenes
Wort nicht.
FRIEDA: Genossen! Wir sind in einer Vollversammlung, nicht in ei-
nem Erholungsheim! Bitte um Ruhe! (Brllt) Ruhe!! (Es wird ru-
hig, bis auf den Lrm aus der Kche) Ruhe auch in der Kche!
(Kchenlrm aus) Sprich weiter, Neumann.
NEUMANN: Genossen! Ich glaube im Namen der gesamten Kibbuz-
Leitung zu sprechen, wenn ich konstatiere, da wir an den vom
Kibbuz festgelegten Lebensgrundstzen unerschtterlich festhal-
ten. Obwohl der Fall, den wir zu behandeln haben, nur eines un-
serer Mitglieder betrifft, ist er kein individueller Fall. Er stellt viel-
mehr die Interessen unserer ganzen Gemeinschaft, ja unseres gan-
zen Volkes in Frage. Darber hinaus rollt er ein Problem von
grter menschlicher Tragweite auf, ein Problem, das wir . . .
SIGI: Es handelt sich um 350 Pfund.
(Gelchter in der Versammlung.)
FRIEDA: Bitte um Ruhe.
NEUMANN: Wir sprechen nicht ber Geld, Sigi, das weit du sehr
gut.
SIGI: Nein, das wei ich nicht, Neumann.
NEUMANN: Unsere Finanzverwaltung hat es noch nie versumt, die
ntigen Mittel fr konstruktive Zwecke zur Verfgung zu stellen.
Als wir dich, Sigi, in den landwirtschaftlichen Planungskurs ge-
schickt haben, hat uns das 400 Pfund gekostet, nicht gerechnet die
Zinsen, die wir der Landwirtschaftsbank zahlen muten. Aber
haben wir das unserem Sigi jemals vorgehalten? Nein, Genossen,
das haben wir nicht getan. Das htte unseren Prinzipien wider-
sprochen. Und nur von den Prinzipien reden wir jetzt.
FRIEDA: Nur von den Prinzipien, Sigi!
SIGI: Natrlich! Immer nur die Prinzipien! Was drauen in der Welt
vorgeht, kmmert uns nicht. Drauen in der Welt kann sich jeder
Kuhhirt eine Frau kaufen, und wenn er will, sogar zwei oder drei.
Gelchter in der Versammlung.)
FRAUENSTIMME: Hrt, hrt!
FRIEDA: Bitte um etwas mehr Ernst, Genossen! Ruhe! Ruhe!
BATSCHEWA: Wie ist denn das alles passiert, Sigi?
SIGI: Es ist passiert, und Schlu. Wie es passiert ist, geht keinen Men-
schen etwas an. Ihr habt mich in diese Ma'abara geschickt, und
dort hab' ich mich verliebt. Das ist alles.
FRIEDA: Sie ist eine Orientalin, nicht wahr?
SIGI: Was hast du geglaubt? Eine Lapplnderin?
TSCHETSCHIK: Witzig!
NEUMANN: Ist doch vollkommen egal. Hauptsache, da Sigi sie
liebt.
BATSCHEWA: Und jeden Abend mit ihr im Wald spazierengeht.
TSCHETSCHIK (pfeift durch die Zhne.)
SIGI: Hast du etwas dagegen, Batschewa? Und wer hat dich denn
berhaupt so gut informiert?
BATSCHEWA: Chabubas Bruder. Er hat brigens eine ziemliche Wut
auf dich.
FRAUENSTIMME: Ist das der Neue, der bei uns im Gerteschuppen ar-
beitet?
BATSCHEWA: Ja. Er heit Schimon. Ein netter Kerl.
SIGI: Die ganze Familie ist sehr nett. Alle acht oder neun. Aber es
herrscht bei ihnen die merkwrdige Sitte, da man fr eine Toch-
ter zu zahlen hat, wenn man sie heiraten will.
TSCHETSCHIK: Barbarische Gebruche!
MNNERSTIMME: Wir lassen uns nicht erpressen!
FRIEDA: Genossen! Sigi ist ein guter Arbeiter und hat ein Recht dar-
auf, gehrt zu werden. Ruhe! Ruhe . . .Sigi, du weit, da ich ei-
nes der ltesten Mitglieder dieses Kibbuz bin und da mir jedes
Problem eines jeden Mitglieds unserer Gemeinschaft am Herzen
liegt. Ich appelliere an deine Vernunft, Sigi. Haben wir jemals mit-
einander gestritten?
SIGI: Ununterbrochen.
FRIEDA: Um so weniger kannst du an meinem guten Willen zweifeln.
Ich spreche zu dir als ein Kibbuznik zum andern, und ich erklre,
ich, Frieda Glickstein, erklre feierlich, unwiderruflich, katego-
risch und diametral, da ich dagegen bin, Frauen einzukaufen.
SIGI: ES ist kein Einkauf.
FRIEDA: Wieso nicht? Du kaufst ein Mdchen von drauen.
SIGI: Eine von drinnen kann ich ja nicht kaufen.
(Gelchter in der Versammlung.)
FRIEDA: Bitte um Ruhe, Genossen! Ich bin noch nicht fertig. Ich er-
blicke in dem hier zur Debatte stehenden Vorgang einen schweren
Versto gegen die gesellschaftlichen Grundstze, auf denen un-
sere Gemeinschaft aufgebaut ist, ganz zu schweigen von . . .
Neumann!
NEUMANN (aufgeschreckt): Ja, ja . . . Ich hre . . .
FRIEDA: Ganz zu schweigen von der Frauenemanzipation, die im
Jahre 1879 ein fr allemal der Versklavung des weiblichen Ge-
schlechts ein Ende gesetzt hat. Wir leben nicht mehr in der Stein-
zeit, Genossen! Kurz und gut . . .
SIGI: Kurz und gut: Bekomm' ich die 350 Pfund - oder nicht ? Neu-
mann, du bist der Schatzmeister. Antworte ja oder nein. Ja oder
nein?
NEUMANN: Ich wei nicht.
TSCHETSCHIK: Einen Augenblick, Genossen. Darf sich auch ein ganz
gewhnliches Mitglied zu dieser Sache uern?
NEUMANN: Jetzt nicht.
TSCHETSCHIK: Also dann hr zu, Sigi. Du mut zugeben, da ich in
Dingen des Privateigentums immer einen sehr toleranten Stand-
punkt eingenommen habe. Erinner dich nur an die Vollversamm-
lung, in der wir die Frage diskutiert haben, ob es fr ein Kibbuz-
Mitglied zulssig ist, einen privaten Plattenspieler zu besitzen.
(Lrmender Protest in der Versammlung) Genossen, ich habe
diese Frage jetzt nicht zur Debatte gestellt, ich habe sie nur in Er-
innerung gerufen. Jetzt spreche ich ber Sigi. Und dir, Sigi, wollte
ich sagen, da es gewisse Grundstze gibt, an die sogar du dich
halten mut.
SIGI: Zum Beispiel?
TSCHETSCHIK: Zum Beispiel ist alles, was mit dem Geld des Kibbuz
gekauft wird, Eigentum der Gemeinschaft.
SIGI: Worauf willst du hinaus?
BATSCHEWA: Er meint, da auch deine Chabuba, wenn sie erst ein-
mal . . .
SIGI: Nein!!
FRIEDA: So weit brauchen wir gar nicht zu gehen. Es gengt, da kein
Mitglied unserer Gemeinschaft lebendes Inventar halten darf.
Und das gilt auch fr Sigi.
SIGI: Chabuba ist kein lebendes Inventar.
NEUMANN: Sondern? Unter welchem Kennwort sollen wir diese
Ausgabe verbuchen? Wir haben in unserem Budget keinen Posten
fr den Ankauf von Frauen.
SIGI: Das sind doch idiotische Formalitten. Es handelt sich um die
Lebensbedrfnisse unserer Mitglieder, nicht um das Kennwort,
unter dem sie befriedigt werden. Als Genosse Stucki an Rheuma
zu leiden begann, haben wir ihm eine Matratze gekauft, nicht
wahr?
FRIEDA: Allerdings. Aber die Matratze ist Eigentum des Kollektivs.
SIGI: Kollektiv hin, Eigentum her - es ist Stucki, der die Matratze
verwendet. Er allein liegt auf ihr.
TSCHETSCHIK: Gar so allein . . .
Gelchter.)
FRIEDA: Zur Sache, Genossen! Die Debatte artet aus!
SIGI: Das finde ich auch. Ich brauche bis morgen abend 350 Pfund,
und sonst interessiert mich nichts.
NEUMANN: Hr doch endlich auf, ber Geld zu sprechen. Darum
handelt sich's nicht. Wie oft soll man dir das noch sagen. Nimm
an, wir haben das Geld. Damit ist das Problem nicht gelst. Das
Problem heit: Wo sollen wir das Geld hernehmen?
SIGI: Von der Bank.
NEUMANN: Die versperren den Eingang, wenn sie mich nur sehen.
SIGI: Haben wir nicht vor kurzem ein Darlehen von der Jewish
Agency bekommen?
NEUMANN: Ja.
SIGI: Und?
NEUMANN: Weg.
SIGI: Wohin?
NEUMANN: Wei ich? Maschinen, Werkzeuge, Kinderheim, Fortbil-
dungskurse . . .
SIGI (unterbricht brllend): Ich brauche 350 Pfund!
(Schweigen.)
FRIEDA: Ich habe einen praktischen Vorschlag, Genossen, was aller-
dings nichts daran ndert, da diese ganze Angelegenheit in mei-
nen Augen unmoralisch und einer Kibbuz-Gemeinschaft unwr-
dig ist. Gehen wir systematisch vor. Sigi braucht 3 50 Pfund. Wie-
viel kann der Kibbuz aufbringen?
NEUMANN: Jetzt?
FRIEDA: Ja.
NEUMANN: 15 Pfund.
FRIEDA: In bar?
NEUMANN: Teilweise.
(Schweigen.)
BATSCHEWA: Ich wollte dich schon die ganze Zeit etwas fragen, Sigi.
Ist an dieser Chabuba irgend etwas Besonderes, was es bei uns im
Kibbuz nicht gibt?
FRIEDA: Eine ausgezeichnete Frage! Batschewa zum Beispiel hat sehr
schne blaue Augen, sehr schnes blondes Haar, und . . .
BATSCHEWA: Frieda! Deshalb habe ich nicht gefragt.
FRIEDA: Natrlich nicht. Aber wir mssen uns trotzdem vergegen-
wrtigen, da wir fr Dinge, die ebensogut im Kibbuz zu haben
sind, kein Geld ausgeben knnen.
SIGI (ausbrechend): Jetzt ist es aber genug! Wenn euch das Lebens-
glck eines treuen Genossen nicht einmal 350 Pfund wert ist, dann
verlasse ich morgen den Kibbuz.
(Lrm und Zwischenrufe.)
3
1
NEUMANN: Bitte um Ruhe! Wir mssen uns darber klar sein, Ge-
nossen, da unser Sigi sich in einer ungewhnlichen Lage befin-
det, die ungewhnliche Manahmen verlangt. Ich beantrage, den
Anteil des Kibbuz auf 25 Pfund zu erhhen. Der verbleibende
Rest soll durch persnliche Beitrge der einzelnen Mitglieder auf-
gebracht werden.
BATSCHEWA: Sammeln fr Sigi? Ich soll ihm auch noch eine Mitgift
geben?
TSCHETSCHIK: Eine Sammelaktion in Amerika wre das richtige.
SIGI: Gut, dann gehe ich eben nach Amerika.
TSCHETSCHIK: Kannst du dir ja auch erlauben. Du bist ja ein gelernter
Agronom.
MNNLICHE STIMME: Ausgebildet auf Kosten des Kibbuz!
WEIBLICHE STIMME: Und denkt an nichts als an Chabuba!
BATSCHEWA: Soll sie doch mit ihm nach Amerika gehen!
NEUMANN: Ruhe, Genossen! Ruhe!
(Lrm hlt an.)
FRIEDA: Genossen, ich unterbreche die Sitzung!
SIGI: Meinetwegen kannst du sie schlieen. Ich verlasse den Kibbuz.
(Der Lrm steigert sich - schwillt ab - geht in ein orientalisches Lie-
beslied ber.)
GOLDSTEIN: Sallach, knntest du nicht das Radio abstellen?
SALLACH: SO schnes Lied, Goldstein. So schn und laut.
GOLDSTEIN: Eben.
SALLACH: Wir lieben schne laute Lieder. Aber wenn du nicht willst,
Goldstein - bitte. (Dreht ab) Sonst verlierst du jedes Spiel weiter.
Wieviel bist du mir schuldig bis jetzt?
GOLDSTEIN: Zwei Pfund.
SALLACH: Drei, mit dieser Runde dazu.
GOLDSTEIN: Die Runde ist noch nicht zu Ende.
FRAU SCHABATI: Wie lange Sie wollen noch spielen, Herr Goldstein?
Spielen statt arbeiten! Zwei gesunde, starke Mnner - und spielen
ganzen Tag Schesch-Besch. Schande, Schande, Schande. Du,
Herr Goldstein, Sie sollten sich schmen. Noch dazu ein Euro-
per.
GOLDSTEIN: Wir alle sind Juden, Etroga. Ohne Unterschied.
FRAU SCHABATI: Unterschied! Wie lange wir mssen noch warten in
Ma'abara? Kleine Kinder wlzen sich ganze Zeit im Schmutz,
groe gehen weg, und Goldstein sagt: kein Unterschied.
SALLACH: Vielleicht ich bin schuld, vielleicht?
FRAU SCHABATI: Vielleicht Regierung ist schuld, wenn du Kinder
machst?
SALLACH: Vielleicht.
FRAU SCHABATI: Dafr Gott wird dich strafen, Sallach.
SALLACH: Fang nicht mit Gott an, Weib.
GOLDSTEIN: Sie sollten jetzt gehen, Etroga, sonst brllt er wieder wie
ein Verrckter.
FRAU SCHABATI: Brllen, das kann er. Aber arbeiten? Nein.
GOLDSTEIN: Machen Sie, da Sie fortkommen, Etroga. Er rollt schon
die Augen. Er wird wieder auf Sie losgehen, und dann haben Sie
wieder Angst vor ihm.
FRAU SCHABATI: Ich? Vor ihm?
SALLACH (brllend): Weib! Hinaus mit dir, oder es geschieht etwas
Frchterliches! Hinaus!
FRAU SCHABATI (im Hinausrennen): Hilfe, Hilfe, er tut mir Gewalt!
Er brllt wie ein Stier! Hilfe! Er bringt mich um! Er ist verrckt
geworden!
GOLDSTEIN: Sie wei nicht, was sie spricht.
SALLACH: Sie wei sehr gut. Herr Goldstein soll ber mein Weib
nichts Schlechtes sagen. Sie ist ein gutes Weib. Und sie hat recht.
Ich arbeite nicht, ich bringe kein Geld, ich spiele Schesch-Besch
den ganzen Tag - und mit wem? Mit Goldstein. Ist das hier ein
Haus zum Wohnen? Bei jedem Schritt man steigt auf Kind. Lauter
Kinder. (Brllt) Hinaus! Alle hinaus! (ngstliche Kinderstimmen,
Getrippel) Und keinen von euch will ich sehen! Ganzen Tag nicht!
(Gerhrt) Arme Kinder . . . Schreckliches Leben . . . Kein Platz
zum Spielen . . . Weib hat recht, Sallach Schabati hat unrecht.
Elendes Weib. Aber gutes Herz. Noch ein Spiel, Goldstein?
GOLDSTEIN: Ja.
SALLACH: Um drei Pfund. Goldstein fngt an.
GOLDSTEIN: Hast du einen Beruf, Sallach?
SALLACH: Schuhmacher. Niemand will mich.
GOLDSTEIN: Wie lange hast du als Schuhmacher gearbeitet?
SALLACH: Noch nicht.
GOLDSTEIN: Nie?
SALLACH: Nie.
GOLDSTEIN: Wieso bist du dann ein Schuhmacher?
SALLACH: Ich bin Schuhmacher, aber niemand will mich.
GOLDSTEIN: Aha. Und wovon lebst du, Sallach?
SALLACH: Von Schesch-Besch.
GULA (Altweiberlachen).
SALLACH: DU noch hier, Gula? Ich hab' gesagt: Alle hinaus. Hab' ich
gesagt.
GULA: Ich geh' schon . . . Ich geh' schon . . .
33
SALLACH: Altes Weib. Kann nicht mehr gehen. Kann nur noch essen.
GOLDSTEIN: Eine Verwandte?
SALLACH: Wei nicht. Ganzen Weg mit uns gekommen. Von Jemen.
Mu eine Verwandte sein. Wenn keine Verwandte ist - warum
lebt sie bei uns?
GOLDSTEIN: Ein schweres Leben, Sallach. Auch fr dich.
SALLACH: Nicht so schlimm, Goldstein, nicht so schlimm. Gibt auch
Freude im Leben. Chabuba ist groe Freude. Braves Mdchen,
liebes Mdchen, schnes Mdchen. Haut wie Milch. Vielleicht
500 Pfund bekomm' ich fr sie.
GOLDSTEIN: 500 Pfund?
SALLACH: Vielleicht ich geh' herunter auf 450. Vielleicht auf 400.
Schlechte Zeiten. Du kennst nicht zufllig einen netten jungen
Mann, Goldstein? Chabuba ist stark und macht keinen Lrm. Das
ist viel wert.
GOLDSTEIN: Ich wei nicht . . .
SALLACH: DU bekommst zehn Prozent.
GOLDSTEIN: Zehn Prozent?
SALLACH: Ja. Wieviel ist das?
GOLDSTEIN: 40 Pfund.
SALLACH: 20 Pfund in Ordnung?
GOLDSTEIN: In Ordnung. Geschft ist Geschft.
SALLACH: Geschft ist was?
GOLDSTEIN: Geschft.
SALLACH: Gut. Warum nicht. Warum soll Goldstein mit mir kein
Geschft ist Geschft machen. Aber Goldstein mu wissen: Da ist
ein Busfahrer. Dicker Busfahrer. ber lange Strecken. Wenn ich
keinen anderen finde, ich bekomm' 350 Pfund von ihm.
GOLDSTEIN: Chabuba liebt ihn?
SALLACH: Wen?
GOLDSTEIN: Den Busfahrer.
SALLACH: Wei ich nicht. Mu ihn lieben. Man kann nicht heiraten
einen Mann, den man nicht liebt. Also liebt sie ihn. Ganz einfach.
Viel einfacher als mit meinem Sohn Schimon. Schimon will heira-
ten und findet keine Frau. Armer Schimon.
CHABUBA (eintretend): Schalom, Vater.
SALLACH: Ja.
GOLDSTEIN: Schalom, Chabuba.
CHABUBA: Schalom, Herr Goldstein. Wo ist Mutter?
SALLACH: Nicht hier. Du bringst Geld?
CHABUBA: Erst am Ende des Monats.
SALLACH: Immer diese Ausreden.
14
CHABUBA: Ich mchte mit dir sprechen, Vater.
SALL ACH: Was?
CHABUBA: ES ist etwas Ernstes. Aber fr Herrn Goldstein ist es nicht
interessant.
GOLDSTEIN: Ich gehe.
SALLACH: Goldstein bleibt hier. Spiel noch nicht zu Ende. Was willst
du, Chabuba?
CHABUBA: Nichts.
SALLACH: Ich frage: Was willst du?
CHABUBA: Jemand . . . Da ist . . .
SALLACH: Ja.
CHABUBA: Jemand will mich heiraten.
SALLACH: Gott sei Dank. Hchste Zeit, du wirst vernnftig. Gutes
Mdchen. Vorhin ich sage zu Herrn Goldstein, Chabuba ist ein
Mdchen wie Milch. Hast du mit ihm schon gesprochen?
CHABUBA: Mit wem?
SALLACH: Mit dem Busfahrer.
CHABUBA: Ich meine nicht den Busfahrer. Ich meine Sigi.
SALLACH: Den Instruktor?
CHABUBA: Ja.
SALLACH: Er will dich heiraten?
CHABUBA: Ja.
SALLACH: Eine Minute jetzt. Wir denken nach. (Pause) Sigi ist ein eu-
ropischer Name.
CHABUBA: Goldstein auch.
SALLACH: Goldstein ist gut fr Schesch-Besch, nicht fr Heiraten.
CHABUBA: Ich liebe Sigi.
SALLACH: Macht nichts. Hat er Geld?
CHABUBA: Er ist ein netter Junge. Er wird dir gefallen.
SALLACH: Hat er Geld?
CHABUBA: Auch Schimon kennt ihn.
SALLACH: Hat er Geld?
CHABUBA: Nein.
SALLACH: Hinaus! Alle hinaus! Auch Goldstein! Ich koche vor Zorn,
und es wird etwas Schreckliches geschehen!
GOLDSTEIN: Wir spielen morgen weiter, Sallach. Auf Wiedersehen,
Chabuba.
SALLACH (in heiserem Flsterton): Sag's noch einmal!
CHABUBA: Was?
SALLACH: Das von Sigi. Das mit dem Geld.
CHABUBA: Sigi - hat - kein - Geld.
SALLACH: Lge! Du lgst! Er hat Kibbuz, nicht?
35
CHABUBA: Er wird den Kibbuz verlassen, weil sie ihm kein Geld ge-
ben. Nicht einen Piaster.
SALLACH: Nicht einen Piaster! Und will meine Tochter heiraten. Ein
Mann ohne Piaster.
CHABUBA: Er ist ein Pionier. Ein Kibbuznik. Im Kibbuz arbeiten sie
nicht fr Geld.
SALLACH: Kein Piaster und verrckt noch dazu.
CHABUBA: Ich liebe ihn.
SALLACH: DU siehst ihn nie mehr wieder, oder ich tte dich.
CHABUBA: Vater!
SALLACH: Schande, Schande, Schande. Pionier! Kibbuznik! Die wol-
len alles umsonst haben. Ich gebre Tochter- ich ziehe sie auf mit
Opfern und Gte - und jetzt kommt ein Mann ohne Piaster und
stiehlt sie mir.
CHABUBA: Er mchte ja gern bezahlen, aber sie haben ihm kein Geld
gegeben.
SALLACH: DU siehst ihn nie mehr wieder. Schwr auf das Heilige
Buch, da du ihn nie mehr wiedersiehst.
CHABUBA: Das kann ich nicht, Vater.
SALLACH: Was heit das, du kannst nicht? Dein alter Vater gibt Be-
fehl, und du kannst nicht?
CHABUBA: ES tut mir leid, Vater, aber ich heirate Sigi.
SALLACH: Ohne Erlaubnis?
CHABUBA: Ja.
SALLACH: Ohne Geld?
CHABUBA: Ja.
SALLACH: Du heiratest ihn?
CHABUBA: Ja.
SALLACH: Gut. (Er beginnt die Einrichtung des Raumes zu zertrm-
mern. Brllt) Ich zertrmmere dich . . . Ich erwrge das
Haus . . . Ich bringe alles um . . .
CHABUBA: Ich liebe ihn . . . Ich liebe nur ihn . . .
FRAU SCHABATI: Lauf, Chabuba, lauf rasch, er ist verrckt geworden.
(Sallachs Brllen und das Splittern des Holzes mischt sich mit Cha-
bubas Schluchzen und dem Kreischen von Frau Schabati und geht in
das Motorengerusch eines Traktors ber. Das Gerusch wird abge-
stellt. Vogelgezwitscher.)
TSCHETSCHIK: Schalom, Sigi. Fertig fr heute?
SIGI: Fr heute, fr morgen, frs ganze Leben.
ISCHETSCHIK: Sei nicht kindisch. Es kommt alles in Ordnung.
SIGI: Ich habe bereits meine Sachen im Sekretariat abgegeben.
TSCHETSCHIK: Sprichst du im Ernst?
SIGI: Ja. Ich gehe.
TSCHETSCHIK: Du verlt den Kibbuz wegen ein paar schbiger
Pfunde?
SIGI: Jawohl.
TSCHETSCHIK: Das wird dir noch leid tun.
SIGI: Euch wird es leid tun.
TSCHETSCHIK: Sollen wir vielleicht auf die Knie fallen und dich bitten,
da du bleibst?
SIGI: Nicht ntig.
TSCHETSCHIK: Dann also - alles Gute, Sigi.
SIGI: Alles Gute, Tschetschik. (Schritte, Gerusch einer sich ffnen-
den Tr) Was macht ihr hier in meinem Zimmer?
NEUMANN: Schalom, Sigi.
FRIEDA: Schalom, Sigi.
SIGI: Schalom, Frieda.
BATSCHEWA: Schalom, Sigi.
SIGI: Schalom, Batschewa.
NEUMANN: Setz dich, Sigi. Warum stehst du?
SIGI: Habt ihr das Geld?
NEUMANN: Hr zu, Sigi. Die Situation ist folgende. Wir haben alles
sehr genau berlegt, und so gern wir mchten - setz dich, Sigi.
Warum stehst du?
FRIEDA: Sag ihm die Wahrheit, Neumann. Es ist kein Geld da.
SIGI: Nicht?
NEUMANN: Noch nicht, Sigi. Es ist noch kein Geld da.
SIGI: Und dazu kommt eine Deputation der Kibbuz-Leitung eigens
auf mein Zimmer? Um mir nochmals zu sagen, da ich dem Kib-
buz keine 350 Pfund wert bin?
NEUMANN: Genossen! Die Hauptsache ist, da wir unser Tempera-
ment im Zaum halten. Wir sind nicht als Deputation zu dir
gekommen, Sigi. Nicht offiziell, sondern rein menschlich.
Ich bin jetzt kein Schatzmeister, Frieda ist keine Kibbuz-Sekre-
trin, und Batschewa ist nicht bse. Wir sind als Freunde ge-
kommen.
FRIEDA: Alte Freunde, die dich hindern wollen, eine Dummheit zu
machen.
SIGI: Dann sagt mir, ihr lieben alten Freunde, ob ihr wirklich so
schwachsinnig seid, wie ihr daherredet? Was soll das alles? Ich
kann ohne Chabuba nicht leben, Chabuba kostet 350 Pfund, und
diese 350 Pfund gebt ihr mir nicht. Das ist alles, und deshalb ver-
lasse ich den Kibbuz.
NEUMANN: Schn und gut, Sigi, aber bist du dir klar darber, welche
37
Auswirkungen auf das soziale Fundament unserer Gemeinschaft
dein Vorgehen haben wird?
SIGI: Ich bin derzeit in keiner sozialfundamentalen Stimmung. Ich
liebe Chabuba.
FRIEDA: Die Sache hat auch noch andere Aspekte. An dieser Sache
wird nicht nur unser Kibbuz Schaden nehmen, sondern auch die
Moral in der Ma'abara. Die Leute dort werden sich sagen: Warum
sollen wir arbeiten, wenn es doch viel bequemer ist, ein paar
Tchter aufzuziehen und sie zu Spitzenpreisen an einen Kibbuz
zu verkaufen?
SIGI: 350 Pfund sind kein Spitzenpreis.
NEUMANN: Entschuldige, Sigi, aber fr 3 50 Pfund kann man hundert
Meter Aluminiumrhren kaufen.
BATSCHEWA: Oder zehn Kerosinfen.
SIGI: Ich habe nicht die Absicht, einen Kerosinfen zu kssen.
FRIEDA: Dieses Gewsch geht mir auf die Nerven.
SIGI: Dann hilf mir packen.
NEUMANN: Genossen! Das ist ein unmglicher Zustand. Wir beneh-
men uns ja, als ob wir keine Lsung finden knnten. Aber es mu
doch eine Lsung geben. Und es gibt eine . . . Zum Beispiel . . .
hm . . . wir knnten das Geld zum Beispiel aus dem Budget . . .
Bitte, Sigi, miversteh mich jetzt nicht, es ist ja nur ein Vor-
schlag . . . Wir knnten das Geld aus dem Budgetposten nehmen,
der fr den Ankauf von Khen vorgesehen ist.
SIGI: Mir egal. Hauptsache, das Geld ist da.
FRIEDA: Einen Augenblick, Neumann! Willst du unseren Kindern
die lebenswichtige Milch entziehen?
SIGI: Und meine Kinder? Wenn das so weitergeht, werden sie nie ge-
boren. (Klopfen an der Tr) Wer ist drauen?
SALLACH: Ich bin's. Sallach Schabati.
SIGI (flsternd): Groer Gott. Das ist er.
NEUMANN: Wer?
SIGI: Ihr Vater. Er wird mich umbringen. Und ihr seid schuld daran.
(Neuerliches Klopfen.)
SALLACH: Ist jemand da?
SIGI (leise): Sagt etwas. Irgend etwas.
NEUMANN: Ich - ich mu zu einer Komiteesitzung. Ich betraue
Frieda mit der Weiterfhrung der Angelegenheit.
FRIEDA: DU bleibst hier, Neumann!
BATSCHEWA: So mach doch auf, Sigi.
SIGI: Ihr habt es so gewollt . . . Schalom, Herr Schabati. Ich freue
mich, Sie zu sehen.
38
SALLACH: Schalom.
FRIEDA: Der schaut ja gut aus.
SALLACH: Ich bin gekommen, um mit Herrn Sigi zu sprechen.
SIGI: Darf ich vorstellen? Herr Sallach Schabati - Genossin Frieda,
Genossin Batschewa und Genosse Neumann, der Schatzmeister
unseres Kibbuz.
SALLACH: Ah, Herr Schatzmeister. Schalom, Schalom. Schatzmei-
ster geben Geld. Stimmt's?
NEUMANN: Ja, allerdings . . . Vorausgesetzt, da . . .
SALLACH: Schatzmeister gibt 350 Pfund, damit Herr Sigi meine Cha-
buba heiraten kann. Gut?
NEUMANN: SO einfach ist das nicht, Herr Schabati. Setzen Sie sich.
Warum stehen Sie?
SALLACH: Lieber stehen mit Geld als sitzen ohne.
FRIEDA: Genossen, ich mchte . . .
NEUMANN: Vielleicht sollten wir etwas trinken? Genosse Sigi wird
uns einen guten, starken, schwarzen Kaffee machen.
SIGI: Genosse Sigi hat keine Kochgerte. (Mit Betonung) Er ist Jung-
geselle.
NEUMANN (lacht verlegen): Batschewa.
BATSCHEWA: Schon gut, ich mache den Kaffee. Entschuldigt mich.
(Trenschlagen)
SALLACH: Also - kein Geld?
NEUMANN: Nein . . . Das heit . . . Wer sagt, da kein Geld da ist?
SALLACH: Etwas trinken, Herr . . . Kaffee, Herr . . . Setzen Sie
sich, warum stehen Sie . . . Immer dasselbe. Immer wenn kein
Geld da ist. Auch am Wohlfahrtsamt.
NEUMANN: Wir sind hier nicht am Wohlfahrtsamt, Genosse Scha-
bati, sondern in einem Kibbuz. In einer Kollektivsiedlung.
SALLACH: Was ist Kollektiv?
NEUMANN: Ein Kollektiv ist . . . Wie soll ich das erklren . . . Ein
Kollektiv ist eine Institution . . . Bitte, Frieda!
FRIEDA: Ein Kollektiv ist eine landwirtschaftliche Siedlung auf sozia-
ler Grundlage, Genosse Schabati, in der sich freiwillige Pioniere
zusammentun, um durch gemeinsame Arbeit ohne individuellen
Nutzen und unter Verzicht auf persnliche Bereicherung . . .
SALLACH (unterbricht): Weiber sollen schweigen. Was sagt Herr
Neumann?
NEUMANN: Genosse Schabati, wenn ich unsern Genossen Sigi richtig
verstanden habe, verlangen Sie 300 Pfund fr Ihre Tochter, Ge-
nossin Chabuba?
SALLACH: 350, Herr.
39
NEUMANN: Das Geld ist jetzt nicht wichtig, Genosse Schabati.
S ALL ACH: Das Geld ist jetzt sehr wichtig, Herr.
FRIEDA: Genosse. Nennen Sie ihn Genosse.
NEUMANN: Wir fhren jetzt ein Grundsatzgesprch, Genosse Scha-
bati.
SALLACH: Ich brauche keinen Grundsatz, ich brauche Geld. Cha-
buba ist ein starkes, gesundes Mdchen. Kann gut arbeiten.
FRIEDA: Der Mann redet unmgliches Zeug zusammen. Wer soll das
anhren.
SALLACH: Mssen nicht anhren, Frau. Mssen nicht immer reden.
Frau soll kochen, Wsche waschen, Kinder aufziehen - nicht mit
Mnnern sitzen und reden, Frau!
FRIEDA (malizis): Hier spricht dein knftiger Schwiegervater, Sigi.
SIGI: Hoffentlich.
FRIEDA: Lieber Genosse Schabati . . .
SALLACH: Wieso Genosse? Sie kennen Sallach? Nein. Sallach kennt
Sie? Nein.
FRIEDA: Das spielt keine Rolle. Nehmen Sie doch endlich zur Kennt-
nis, da Sie im zwanzigsten Jahrhundert leben.
SALLACH: Ich lebe in Ma'abara.
FRIEDA: Sie miverstehen mich. Das zwanzigste Jahrhundert ist kein
Platz zum Leben.
SALLACH: Ma'abara auch nicht.
FRIEDA: Wir diskutieren jetzt nicht ber den Lebensstandard in un-
seren Auffangsiedlungen, Herr Schabati, wir diskutieren ber
Gesellschaftsstruktur und Moral. ber die Moral eines Vaters,
der seine Tochter verkauft, als ob sie ein - als ob sie ein Pferd wre.
SALLACH: Pferd?! Chabuba als ob ein Pferd?! Wo kauft man Pferd fr
350 Pfund? Wissen Sie, was Pferd heute kostet?
SIGI: Vielleicht 600 Pfund.
SALLACH: Vielleicht altes Pferd. Junge mindestens 2000.
NEUMANN: Wenn nicht mehr.
SALLACH: Also, was will die Frau von mir? Fr 50 Pfund man be-
kommt hchstens Frau wie Frau Genossin hier. Nicht jung, nicht
hbsch, wei nicht, wie man arbeitet, wei nur, wie man redet,
redet, redet. Wenn Sallach Schabati hergibt seine Tochter Cha-
buba fr weniger als 350 Pfund, alle Nachbarn, die kennen Sallach
Schabati und seine Tochter Chabuba, werden Hnde ber Kopf
schlagen und rufen: Ojojoj, Sallach Schabati hat verstoen seine
Tochter Chabuba.
NEUMANN: Ich beginne zu verstehen, Herr Schabati. Das Ganze ist
fr Sie keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Ehre.
40
SALLACH: Ehre ist sehr wichtig.
NEUMANN: Dann wrde ich vorschlagen, Herr Schabati, da Sie Ih-
ren Bekannten ganz einfach sagen, Sie haben fr Ihre Tochter
Chabuba 500 Pfund bekommmen. Ich verspreche Ihnen, da wir
Sie nicht verraten werden.
SALLACH: Ehre ist wichtig, Geld ist wichtiger. Von Ehre man kann
nicht leben, von Geld man kann. Wenn man hat. Leben kostet
Geld. Essen kostet Geld. Kleider kosten Geld. Tchter kosten
Geld. Wieviel Tchter kann einzelner Vater haben, Herr Neu-
mann?
NEUMANN: Ich wei nicht.
SALLACH: Drei, Herr Neumann. Drei. Und wie soll einzelner Vater
von drei Tchtern leben? Kleider? Schuhe? Zhne fr Etroga?
NEUMANN: Ja, schon gut, ich verstehe. Aber Sie mssen auch unsern
Standpunkt verstehen, Herr Schabati. Stellen Sie sich doch vor,
was geschehen wrde, wenn morgen alle 193 mnnlichen Mitglie-
der unseres Kibbuz dem Sekretariat mitteilen, da jeder von ihnen
sich eine Frau kaufen will, um 350 Pfund das Stck.
SALLACH: Wenn so viele Frauen kaufen, sie bekommen billiger.
FRIEDA: Barbaren . . . Es sind Barbaren . . .
NEUMANN: 193 mal 350, Herr Schabati - das ergibt eine astronomi-
sche Ziffer! Warten Sie, ich rechne es aus. 350 mal 193 . . . (Mur-
melt weiter)
SIGI (flsternd zu Sallach): Bleiben Sie fest, Herr Schabati. Geben Sie
nicht nach.
SALLACH: Vielleicht ich verlange zuviel? 350 ist zuviel, Herr Sigi?
SIGI: Keine Spur. Der bliche Marktpreis. Die Leute hier sind ein
wenig konservativ. Das ist alles.
SALLACH: Ja, konservativ. Besonders hier die hliche Frau. Sehr
konservativ. Redet ununterbrochen.
SIGI: Wie geht es Chabuba?
SALLACH: Gut, sehr gut. Weint ganzen Tag.
SIGI: Warum weint sie?
SALLACH: Eingesperrt in ihr Zimmer.
SIGI: Sie haben Chabuba eingesperrt?
SALLACH: Eingesperrt. Sonst sie kommt her und heiratet Herrn Sigi.
Ich sage zu ihr: Chabuba, mein Augapfel, wenn du stiehlst dei-
nem alten Vater 350 Pfund aus der Tasche, weil du liebst Herrn
Sigi, ich mu dich tten. Damit ich dich nicht tten mu, ich
sperr' dich ein. So. Sallach dreht Schlssel um, und Chabuba
weint. Aber es wird alles gut, Herr Sigi. Ich bekomm' 350 Pfund,
Sie bekommen Chabuba, und alle sind glcklich wie Kollektiv.
SIGI: Aber sie leidet.
SALLACH: Natrlich sie leidet. Alle Menschen leiden, Herr Sigi.
Auch ich. Herz blutet in meiner Brust, wenn ich denke, da ich
mu Chabuba tten, weil sie stiehlt mir Geld. So schnes Md-
chen, Chabuba, so jung und schn.
SIGI (seufzt): Wem sagen Sie das.
NEUMANN: Ich hab's ausgerechnet, Herr Schabati. Wenn alle 193
Mnner im Kibbuz auf der gleichen Basis heiraten wie Sigi, kostet
das die Kibbuz-Kasse 67.550 Pfund.
SALLACH: Ist das viel Geld, Herr Neumann Genosse?
NEUMANN: Das ist ein Vermgen!
SALLACH: Aber ich will nicht Vermgen fr 193, ich will nur 350 fr
Chabuba.
FRIEDA: Einen Augenblick, Genossen. Ich habe bisher ruhig zuge-
hrt und mchte jetzt auch etwas sagen. Ich bitte um Aufmerk-
samkeit. Mein lieber Genosse Schabati -
SALLACH: Nicht Genosse.
FRIEDA: Mein lieber Herr Schabati, ungeachtet der tiefen Zuneigung,
die wir unseren Brdern aus den orientalischen Lndern entge-
genbringen, deren alte Kultur wir aufrichtig bewundern, sind wir
dennoch der Meinung, da sie versuchen sollten, sich allmhlich
an den Standard unserer Zivilisation anzugleichen und die barba-
rischen Gebruche zu vergessen, die sie aus ihren Herkunftsln-
dern mitgebracht haben.
SALLACH: Vergessen? Warum vergessen? Genossin Frau will immer,
wir sollen vergessen, was ihr nicht gefllt. Genosse Herr Neu-
mann! Ich frage: Wenn wir htten barbarischen Gebrauch, da je-
der Vater gibt Kibbuz fr jede verheiratete Tochter tausend Pfund
- werden Sie wollen, da wir vergessen auch das ? Sie werden nicht
wollen. Sie werden wollen tausend Pfund. Sie werden immer wol-
len, was ist gut fr Kollektiv. Aber wir sollen vergessen, was ist
gut fr uns. Schischkebab ist nicht gut, weil Frau Genossin it
Schnitzel ganzen Tag. Arabische Lieder sind schn und weich wie
Seide - aber nicht gut, weil Radio spielt Symphonie a-moll und
dauert lnger. Sie wissen, was ist gut fr Sie, aber Sie wissen nicht,
was ist gut fr andere. Bei uns, man bezahlt Vater dafr, da er
Tochter hat gut erzogen fr Herrn Sigi. Barbarisch? Barbarisch.
Aber wenn Sie zchten Wassermelonen, Herr Neumann, Sie wol-
len auch haben Geld dafr, oder?
NEUMANN: Das klingt eigentlich nicht ganz unvernnftig.
FRIEDA: Neumann!!
NEUMANN: Ich kann mir nicht helfen, Frieda, von seinem Stand-
punkt aus hat der Mann vollkommen recht. Vielleicht lt es sich
mit keinen genauen Summen beziffern, was er in seine Tochter in-
vestiert hat, aber es ist bestimmt nicht unbillig, da er seine Inve-
stition jetzt amortisiert haben will. Wir sollten uns schmen, da
wir ihn fr seine Mhe nicht entschdigen knnen, weil wir kein
Geld haben . . .
(Schweigen.)
SALLACH: Nicht schmen, armer Genosse Herr Neumann. Sallach
verzichtet auf Geld. Weil kollektive Kibbuz-Gemeinschaft so arm
ist, noch rmer als Wohlfahrtsamt. Vielleicht ich knnte bekom-
men 400 Pfund von Busfahrer, aber Chabuba liebt Busfahrer
nicht. Busfahrer ist dick. Deshalb ich gebe Chabuba Herrn Sigi
umsonst. Sallach Schabati nimmt kein Geld von Bettlern.
NEUMANN (bewegt) : Ich danke Ihnen.
FRIEDA: Bettler? Seit wann sind wir Bettler, Neumann?
NEUMANN: Wirklich. Seit wann? Hren Sie, Herr Schabati. Sie wol-
len doch nicht ernsthaft behaupten, da ein dicker Busfahrer ei-
nem Kibbuz-Mitglied berlegen ist?
SALLACH: Behaupten . . . berlegen . . . Dumme Worte. Busfahrer
hat Geld, Kibbuz hat kein Geld. Nur Mitglieder.
FRIEDA: Das geht zu weit, Herr Schabati. Ich warne Sie. Sie werden
noch erreichen, da Ihnen der Kibbuz die ganze Summe auszahlt,
bis zum letzten Piaster. Wir lassen uns von Ihnen nicht glcklich
machen. Wir nehmen keine Almosen aus der Ma'abara. Sie be-
kommen Ihr Geld.
SIGI: Frieda! (Umarmt und kt sie) Ich hab' gar nicht gewut, was
du fr ein Schatz bist.
FRIEDA: La mich in Ruh! Genug!
SALLACH: Ich will genau wissen: Sie zahlen 350 Pfund?
ALLE: Ja.
SALLACH: Ich will genau hren: Sie zahlen mir 350 Pfund?
ALLE: Ja.
SALLACH: Gut. Ich bin einverstanden.
NEUMANN: In welcher Form wollen Sie das Geld haben, Herr Scha-
bati?
SALLACH: In Form von Geld.
NEUMANN: Ja, gewi, aber in wieviel Raten?
SALLACH: Raten sind nicht wichtig. Wichtig ist Geld. Jetzt. Hier. In
meine Hand.
NEUMANN: Oj.
FRIEDA: Das kannst du ruhig noch einmal sagen.
NEUMANN: Oj.
43
FRIEDA: Ist es denn wirklich so arg?
NEUMANN: Noch rger.
FRIEDA: Wo sollen wir das Geld hernehmen?
NEUMANN: Ich werde versuchen, ein paar Hhner zu stehlen, und
sobald ich das Geld beisammen habe, demissioniere ich.
SALLACH: Hauptsache, Geld ist beisammen. Hauptsache, Geld ist
bei mir.
FRIEDA: Und darf ich fragen, was Sie mit dem Geld machen werden,
Herr Schabati?
SIGI: Das geht dich nichts an, Frieda.
SALLACH: Ist kein Geheimnis, Herr Sigi. Geld, ich gebe es meinem
Sohn. Armer Junge. Will heiraten.
NEUMANN: Ist das der, der bei uns im Gerteschuppen arbeitet?
SALLACH: Ja. Schimon. Mein Sohn. Schn und stark und will heira-
ten. Also ich sage zu mir . . .
BATSCHEWA (eintretend) Hier ist der Kaffee.
SIGI: Hchste Zeit, Batschewa.
NEUMANN: Sprechen Sie weiter, Herr Schabati.
SALLACH: Also ich sage zu mir, wenn mein Sohn Schimon findet gu-
tes, gesundes Weib mit blauen Augen und hellen Haaren, ich gebe
ihm das Geld.
NEUMANN: Wieviel?
SALLACH: Die ganzen 350 Pfund.
NEUMANN: Batschewa!
BATSCHEWA: Ja?
NEUMANN: Kennst du Schimon aus dem Gerteschuppen?
BATSCHEWA: Ja. Netter Junge.
NEUMANN: Hm?
BATSCHEWA: Was heit hm? Was willst du? Was wollt ihr alle?
NEUMANN: Nichts, nichts, Batschewa. (Beiseite zu Sallach) Herr
Schabati, Sie merken doch schon, wo ich hinauswill?
SALLACH: Wo hinaus?
NEUMANN: Schimon und Batschewa - was halten Sie davon?
(Kurze Pause, Handschlag.)
SALLACH: Geschft ist Geschft.
ENDE
44
Gott Pomerantz
Geldgierige Menschen in der ganzen Welt haben schon immer
meine Landsleute der Geldgier beschuldigt. Man sprach von allen
mglichen finanziellen Transaktionen und Brsenspekulationen.
Hierzuland fgt man dieser Liste neuerdings einen weiteren Punkt
hinzu: das Fuballspiel. Unseren Amateurfuballern wird nmlich
vorgeworfen, es gelst allzusehr sie nach dem schnden Mammon.
Und zwar erheben diesen Vorwurf gerade jene, die mit dem Fu-
ball das ganz groe Geschft machen ... Die Antwort der geplag-
ten Sportler ist der folgende Sketch:
PERSONEN: Meyer Pomerantz, Fuballstar,
Shuster,
Butchie, Trainer
Detektiv Nissim
Detektiv Mendy
Frau Pomerantz
Direktor A
Direktor B
Direktor C
Direktor D
Sportberichter
Reporter
Schreiber
Funker
Funkerin
Zuschauermenge (einzelne Stimmen)
Ohrenbetubender Lrm eines Fuballspiels in vollem Gang. Begei-
sterter Auf schrei der Menge: To r!
SPORTBERICHTER (aufgeregt, sehr schnell): Tor! Tor! Tor! In der drei-
undfnfzigsten Minute des Nationalligaspiels zwischen den
Blockspaltern Tel-Aviv und den Berg-Karmel-Jets Tor
durch Pomerantz, den Mittelstrmer der Blockspalter! Soweit ich
es von hier sehen kann, berhufen ihn seine Mannschaftskamera-
den mit Kssen und Liebkosungen, sie ersticken Pomi frmlich
unter ihrer Liebe - und schon sprintet unser Publikumsliebling
leichtfig zum Mittelfeld zurck . . .
45
Meine Damen und Herren, das htten Sie sehen mssen! Mit wel-
cher Brisanz dieser Teufel in Rot und Gold die Verteidigungslinie
der Jets durchbrach und den unerhrten Scherenschlag, mit dem
er das Leder unhaltbar ins gegnerische Netz placierte! Es sind nun
vierundfnfzig Minuten seit Spielbeginn . . .
. . . Und nun geht das Spiel unerbittlich weiter mit einer rollen-
den Offensive der Karmel-Jets, Fickler hat den Ball, Fickler gibt
ab zu Lefkowitz, Lefkowitz zu Goliath - Goliath mit einer gro-
artigen Flanke, aber nein! Pomerantz stoppt den Ball mit makello-
ser Artistik, strmt in begeisterndem Alleingang ber die Mittelli-
nie . . .
. . . und reit seine Mannschaft noch einmal in einen alles ver-
nichtenden Angriff! Die Verteidiger der Karmel-Jets sind macht-
los; Pomi, mit einem infernalischen Dribbling, tnzelt an Stockler
vorbei zur Sechzehnmeterlinie, nimmt Ma, flankt scharf rechts -
in rasantem Flug saust der Ball ber Binders Kopf hinweg
und . . .
(Seine Stimme geht unter im Tor-Gebrll der Menge.)
. . . Meine Damen und Herren, das war ein Schu, wie ich nie zu-
vor einen gesehen habe!
SHUSTER: Was fr ein Sieg! Ungeheuer! Den Pokal nimmt uns keiner,
den haben wir, solang wir Pomi haben. Drei Tore allein durch ihn,
der Junge ist wirklich ein Genie. Und du auch, Butchie, doch,
doch, doch, du bist der grte Trainer, den die Blockspalter je
hatten, ich werde das bei der nchsten Sitzung zu Protokoll geben.
BUTCHIE: Aber vergessen Sie's nicht, Shuster.
SHUSTER: Wir werden sehen, mein Freund. Ich mu Pomi gratulie-
ren, wo steckt er?
BUTCHIE: Moment noch, Chef; ich mu Ihnen was sagen, bevor Sie
zu Pomerantz gehen.
SHUS7ER(erschrocken): Was ist los? (Hysterisch flsternd) Was denn,
jetzt wieder -? Die Sdamerikaner?
BUTCHIE: Ja.
SHUSTER: Oh, er bringt mich noch um!
BUTCHIE: Nach der Pause hab' ich so 'n bichen in Pomis Hosen ge-
kramt . . . Und in der hinteren Tasche fand ich einen Pa - vo-
rige Woche erneuert . . .
SHUSTER (den Trnen nahe): Nein, ich kann nicht . . . Ich halt's
nicht lnger aus.
BUTCHIE: Hren Sie, Shuster, Sie sind der Bo vom Verein, wenn Sie
schlappmachen, bricht alles zusammen. Pomerantz will absprin-
gen.
46
SHUSTER: Den Verein im Stich lassen? Nein! Ich lasse es nicht zu,
nicht in zehntausend Jahren!
BUTCHIE: Deswegen springt er ja ab, Shuster! Zweimal hat er sich
schon mit diesen sdamerikanischen Leisetretern getroffen, das
letztemal hinter der Diskontbank - anderthalb Stunden!
SHUSTER: Ohne Pomi sind wir geliefert, das Team steht und fllt mit
ihm!
BUTCHIE: Machen Sie ihm klar, er ist mehr als blo 'n Fuballer; er ist
eine nationale Institution, dieses Miststck.
SHUSTER: Ich habe alles versucht, Butchie. Er hat bekommen, was er
von mir bekommen konnte. Erst vor zwei Monaten hab' ich ihm
einen leichten Job besorgt, Babysitter bei einem kinderlosen Paar;
er kriegt drei Pfund frs Training, sogar bei Regen . . . Steuer-
pflichtig natrlich . . .
BUTCHIE: Was!?
SHUSTER: Na ja . . . Wir dachten, es gengt . . . Er wte solch bei-
spiellose Opfer seitens der Gesellschaft zu wrdigen, und
nun . . .: der Pa in der Gestasche! Was knnen wir noch tun?
Butchie, Sie sind sein Trainer, was sollen wir tun?
BUTCHIE: Wei ich? Ich krieg' kein Trainingsgeld, wenn's regnet,
mir bezahlt man keine Ausflle, kein Mensch hat mir je verraten,
da man Geld kriegt bei dem Scheiregen, entschuldigen Sie, da
ich geboren bin.
SHUSTER: DU bekommst etwas, ich sorge dafr. Fnfzig Prozent
oder so, wir sprechen noch darber. Wenn nur Pomi bei uns
bleibt! Jesus, der Junge bringt uns Spiel fr Spiel hundertfnfzig-
tausend Pfund!
BUTCHIE: Natrlich, was braucht ein Trainer Geld, wenn's regnet!
Aber Pomi, ein simpler Spieler . . . Sehr schn!
SHUSTER: Ich drck' es durch fr dich! Es ist im Gesprch! - But-
chie . . . (Mit gedmpfter Stimme) . . . Ich hab' ein paar Mnner
engagiert . . .
BUTCHIE: Mnner? . . . Detektive?
SHUSTER: Sagen wir Pfadfinder. Zwei alte Privatspitzel, Rentner. Sie
beschatten Pomerantz Tag und Nacht, er hat keine Ahnung da-
von.
BUTCHIE: Kriegen sie Monatsgehalt, diese Pfadfinder?
SHUSTER: Im Augenblick sitzen sie vor seiner Tr. Moment! (Erff-
net die Tr.) He! Hierher! Kommt 'rein, schnell! (Die beiden De-
tektive treten ein, die Tr wird geschlossen) Was Neues?
NISSIM: Knnen wir offen sprechen, Bo?
SHUSTER: Aber sicher. Butchie ist O. K.! Legt los.
47
NISSIM: Heute morgen ging er in eine Cafeteria, Bo. Dort bestellte
er einen sehr teuren Milchshake und fing an, eine Sportzeitung zu
lesen, eine sdamerikanische, glaub' ich.
BUTCHIE: Eine sdamerikanische?
NISSIM: Ja. Hat sich richtig vertieft, wie man sagt. Stimmt's, Mendy ?
MENDY: Genau, Nissim. Die lngste Zeit. Schien sich mchtig fr die
Ergebnisse der sdamerikanischen Ligaspiele zu interessieren.
BUTCHIE: Ich werd' verrckt. Wer htte gedacht, da er Spanisch le-
sen knnte!
SHUSTER: Wer htte gedacht, da er lesen knnte . . .! - Weiter, was
noch?
MENDY: Dann ging er weg und ich hinterher, wie gehabt, genau nach
Auftrag. Moment, ich hab' mir's notiert. Um fnf Uhr dreiig
ging er pltzlich in ein Warenhaus und kaufte eine Sonnenbrille.
SHUSTER (erschrocken): Eine Sonnenbrille?
MENDY: Gro wie 'n Fahrrad.
SHUSTER: Argentinien! Fr Argentinien! Dieses Miststck, dieses
Nichts, das ich aus der Gosse gefischt habe, dieser Strolch, den ich
zum Gott gemacht habe, dieser dreckige Gorilla hat die Frechheit,
seine Mannschaft zu verraten fr ein paar lausige stinkende Dol-
lars . . .
BUTCHIE: Ssst! Man kann hren . . .
SHUSTER: Soll man! Nebbich! (Leiser) Wie weit glaubt er es treiben zu
knnen? Dieses Miststck mach' ich fertig, Sie werden sehen.
Junge, dem geb' ich's . . .
(Die Tr gebt auf.)
Pomi!
(Mit schmelzender Se) Unser kleiner Pomi! Herein mit dir,
mein Junge, la dich umarmen. Du warst groartig.
BUTCHIE: Phantastisch, Pomi!
NISSIM UND MENDY: Bravo, Pomi! Bravo!
MENDY: Denen hast du vielleicht 'n paar Eier ins Krbchen gelegt!
BUTCHIE: Das war ein Meisterschu!
NISSIM UND MENDY: Ejejej . . .
POMERANTZ: Ruhe! Shuster, kann ich mit Ihnen sprechen? Ohne
Zeugen?
SHUSTER: Natrlich, mein Junge. Aber nicht jetzt . . . Nach solch ei-
nem Sieg! Ich bin trunken . . . Buchstblich trunken . . .
POMERANTZ: Jetzt, Shuster. Jetzt.
SHUSTER: Gut, Pomi. Weil du es bist. Komm, gehen wir, mein
Junge. Bye, bye, Leute. (Beide gehen ab.))
SHUSTER: Heute hast du dich selbst bertroffen, Pomi, und du weit
48
es. Hat deine Frau das Spiel gesehen? Gr sie schn von mir. Wie
geht's den Kindern, Pomi?
POMERANTZ: Ich hab' keine.
SHUSTER: Pomi ist Klasse, sag' ich immer, er ist eine Perle in einer j-
dischen Auster, leben soll er und sich wohl fhlen . . .
POMERANTZ: Die beiden Typen sind Detektive, wie?
SHUSTER: Was fr Typen? Was fr Detektive?
POMERANTZ: Latschen dauernd hinter mir her, eh?
SHUSTER: Aber nein, aber Unsinn, also . . .
POMERANTZ: Sie mssen gar nichts sagen. Ich kenn' euch Herz-
chen, alle, euch Klubmanager, und diese ganze verhurte Organi-
sation.
SHUSTER: Petersilie verhagelt, oder was?
POMERANTZ: Gestern, hren Sie, gestern steckt doch einer von diesen
Typen, der Lange, seinen Kopf durch mein Kchenfenster. Meine
Frau trifft fast der Schlag. Ich sag', Herr, was tun Sie hier oben, im
dritten Stock, und er sagt, ich putz' Ihnen die Fenster- aus Gefl-
ligkeit! Bin ich ein Idiot? Das sind Detektive!
SHUSTER: Pomi, was soll ich tun?
POMERANTZ: Mich auch als Detektiv anstellen, Shuster. Das is'n gu-
ter Job.
SHUSTER (lacht knstlich): Ideen hast du, Pomi . . .
POMERANTZ: Ich kann mir doch selber viel besser folgen als ein Frem-
der, klar? Nehmen Sie mich als Detektiv, so komm' ich doch an 'n
bichen Geld.
SHUSTER: Nein, Pomi, nicht weiter! (Sie bleiben stehen) Das ist Pro-
fessionalismus!
POMERANTZ: Na und?
SHUSTER: Aber Pomi! Sollen wir so tief sinken wie die Englnder?
POMERANTZ: Die sind aber Weltchampions.
SHUSTER: Ja, und um welchen Preis?! Alle Spieler werden ge-
schmiert, sie kriegen nette fette Posten, Armeeauftrge . . . Hr
mal! Wie nennt man das?
POMERANTZ: Das nennt man anstndige Vertragsbedingungen, Shu-
ster. Nehmen Sie dagegen zum Beispiel mich: Ich bin ein Gott und
hab' nicht 'n Sechser im Sack.
SHUSTER: DU bist doch Idealist, Junge.
POMERANTZ: Genau, und das soll sich endlich mal auszahlen.
SHUSTER: Niemals! Du machst mir den Fuball nicht zum Showbusi-
ne.
POMERANTZ: Warum nicht? Nenn es Fuballett.
SHUSTER: Nein, niemals. Solang ich Vorsitzender bin, gibt es bei den
49
Blockspaltern keine Profis. Die Organisation ist keine Milchkuh,
Pomerantz!
'OMERANTZ: Aber sie hat 'ne Menge Geld brig fr Detektive, ja?
iHUSTER: Das sind keine Amateure, Pomerantz!
'OMERANTZ: Also - nein?
iHUSTER: Nein!
Summen eines Morsecodes.)
^\ss\M(ber Funk): Kleiner Adler ruft Ballongummi. Kleiner Adler
ruft Ballongummi.
3
UNKER: Hier Ballongummi, Ich hre Sie, Kleiner Adler. Schie los,
Nissim, Ende.
NISSIM: Also, Feuerballs Frau, ich wiederhole, die Frau von Feuer-
ball lie sich heute morgen im Schnheitssalon das Haar blond t-
nen. Sie schien gut aufgelegt, ich wrde fast sagen: glcklich. Hin-
terher, genau um elf Uhr zwanzig ungefhr, kaufte Madame Po-
merantz zwei Koffer, ich wiederhole, zwei groe Koffer.
;
UNKER: Verstanden. Erbitten weitere Nachricht in einer Stunde.
Empfehlen grte Vorsicht, Ende.
JISSIM: Hallo! Hallo Ballongummi! Ich habe dreiig Pfund auf Sieg
gesetzt! Wenn Feuerball Abfhrpillen nimmt und die Blockspal-
ter die Hosen verlieren, bin ich pleite! Dreiig Pfund ist 'ne ver-
dammte Menge Geld, Ballongummi! Erbitte Verstrkung, noch
vier Mann, mit Knppeln, dringend, Ende.
;
UNKER: Wir berlegen es uns, Kleiner Adler. Ballongummi schaltet
ab. Schalom, Nissim, Ende.
IISSIM: Kleiner Adler kommt in einer Stunde wieder. Ich wieder-
hole, Kleiner Adler hat zehn Wettscheine gekauft, Kleiner Adler
sitzt auf Kohlen, Kleiner Adler ist mit Nerven am Ende,
Ende. . .
Morsegerusch hoch und aus. Stimmengewirr, Lrm. Das Direk-
irium der Blockspalter tagt.)
HUSTER: Meine Herren! Meine Herren, er ist noch da! Er ist nicht
geflohen!
)IREKTOR A: Vielleicht ist er schon in Sdamerika!
Bitteres Gelchter in der Runde.)
HUSTER: Also bitte! Ist das eine Direktorenversammlung oder ein
Kindergarten?
)IREKTORB: Pomi lst sich in Luft auf, und Sie lassen es zu, wie da-
mals bei Kowacz, dem besten Halbrechts . . .
)IREKTORC: In Neuseeland! Nicht hier.
HUSTER: Kowacz desertierte in einer Kiste, verkleidet als Schfer-
hund, es war nicht zu verhindern! Aber er wird zurckkom-
men. Sie werden sehen, wie er gekrochen kommt, auf allen
vieren.
D IREKTOR D: Werden wir kaum. Er hat sich nmlich gesundgestoen
drben. Wie man hrt, ist er Mitinhaber einer Kette von Night-
clubs.
DIREKTOR A: Strip-tease!
SHUSTER: Meine Herren, ich lasse Pomi jetzt schon von sechs Pfad-
findern bewachen! Was kann man mehr tun!
DIREKTOR B: Sie haben Lazarowitsch von einem ganzen Regiment
bewachen lassen, haben ihn gegen Flucht versichert, und heute ist
er Nationaltorschtze - in Ghana!
SHUSTER: Pomi steht vierundzwanzig Stunden pro Tag unter elektro-
nischer Kontrolle. Wenn es sein mu, ziehen wir ein Radarnetz
rund um sein Haus.
DIREKTOR A: Gut so! Sehen Sie nicht aufs Geld.
DIREKTOR C: Er spielt uns Millionen ein.
DIREKTOR D: Pomi ist eine Goldader. Sparen Sie nicht am falschen
Ende.
SHUSTER: Sparen, ich? Sie knnen die Bcher einsehen! Wo htte ich
gespart!
DIREKTOR C: Okay, okay, was regen Sie sich auf?
SHUSTER: Wer hat hier eben einen neuen Gebudetrakt fr eine halbe
Million Pfund anbauen lassen, Sie oder ich? Mir zu sagen, ich
spare! Jeder einzelne von Ihnen war das ganze Jahr ber mit dem
Team auf Achse, man konnte die Spieler nicht mehr sehen vor lau-
ter Direktoren . . .
DIREKTORD: Okay, okay, man wird doch noch fragen drfen!
SHUSTER: Ich und sparen! Das geht zu weit, meine Herren. Butchie,
bitte, zhl ihnen all die Tricks auf, die ich gegen Pomi brauche,
zhl sie her!
BUTCHIE: Was ist da zu zhlen? Ich wei nur, da er Trainingsgeld
kriegt, Regentage eingeschlossen, und ich krieg' nichts, Dreck
krieg' ich . . .
SHUSTER (flstert verzweifelt): Sei still! Halt den Rand, um Gottes
willen . . . !
DIREKTORB : Was hr' ich da? Pomerantz bekommt Trainingsgeld an
Regentagen?
DIREKTOR D: Wenn nicht trainiert wird . . .
BUTCHIE: . . . kriegt er Trainingsgeld! Und ob! Ich bin der Trainer,
und er kriegt Trainingsgeld!
SHUSTER: Zweieinhalb Pfund . . . Das ist alles, wirklich . . . Viel-
leicht drei Pfund brutto, Pfennige . . .
DIREKTOR B: Und wenn es nur ein Pfennig wre, Herr!
DIREKTORD: Das ist Professionalismus!
DIREKTOR C: Korruption!
DIREKTOR A: Skandals!
BUTCHIE: Was der Spieler kriegt, kriegt auch der Trainer!
DIREKTORB: Bakschischwesen! Schamlos! Zurcktreten!!
DIREKTORD: Keinen Heller mehr fr Vetternwirtschaft!
DIREKTORB: Keine Trainingsgelder mehr, nicht mal bei schnem
Wetter!
BUTCHIE: Ich kriege Dreck, und Pomerantz kriegt Trainigsgeld!
DIREKTOR C: Soll er arbeiten! Wie wir alle!
DIREKTOR A: Was sind wir hier, eine Goldmine?
(Der Lrm wird unertrglich laut. - Pltzlich vllige Stille. - Vogel-
gezwitscher. - Ein Zoo. Tierlaute im Hintergrund.)
POMERANTZ: Hren Sie, Shuster, wieso schleppen Sie mich in den
Zoo, noch dazu so frh? Bin ich Ihr Baby?
SHUSTER (in vterlichem Ton): Pomi, Pomi, was schmollst du? Ein
Schwtzchen unter Freunden . . . Nur du und ich . . . Niemand
sonst weit und breit . . . Ist doch keine Snde, mein Junge?
POMERANTZ: Was wollen Sie?
SHUSTER: Pomi, mein Lieber! Ich wei, du machst eine schwere Zeit
der Zweifel und des inneren Ringens durch.
POMERANTZ: Was heit inneres Ringen? Ich hab' Hunger, wenn Sie
das meinen! Ohne meine Frau, die 'n paar Korsetts macht, knnt'
ich nicht existieren. Selber, persnlich, hab' ich ja keinen Beruf,
das wissen Sie. Ich kicke. Ich brauch' Geld.
SHUSTER: Geld ist nicht alles, Pomi!
POMERANTZ: Gut, geben Sie mir Aktien, Obligationen, auch
recht. Oder so 'n paar Streifen, Leutnant, General, irgend so
was.
SHUSTER: Sieh mal, Junge, es ist keine Frage des Geldes. Es ist eine
Sache des Prinzips. Das Konsortium knnte dir Tausende von
Pfund auf den Tisch blttern und wrde es nicht einmal sp-
ren . . .
POMERANTZ: SO!
SHUSTER: . . . aber so leicht machen wir es uns nicht. Fr uns ist
Sport heilig! Bedenke, was Gott zu Abraham sagte, im Buch Ge-
nesis.
POMERANTZ: Ich hab's nicht gelesen, Shuster, aber alles verdient sich
tot an mir, und ich, der groe Gott Pomerantz, bin ein Schnorrer,
weiter nichts.
SHUSTER: Pomi! Das klingt ja nach Linksauen!! Du bist ein Ama-
52
teur, um Himmels willen! Du mut inwendig rein sein, mut im-
mer sauber bleiben . . .
POMERANTZ: Sauber bleiben, wenn ich 'rumlaufe und die Unterhosen
vom Team auftrage? Ich hab' noch nicht mal 'n eigenen Hosentr-
ger!
SHUSTER: Darin liegt deine Strke, Pomi. Du bist nicht ein Stck
Vieh, das man kaufen und verkaufen kann; du bist der Hoheprie-
ster des hebrischen Sports!
POMERANTZ: Selber Priester, Shuster! Wie ist es: Krieg' ich Geld oder
nicht?
SHUSTER: Tut mir leid, Pomerantz; das Konsortium verweigert jegli-
che Art von zustzlichen Schmiergeldern.
PoMERAHTzchreit): Also was, zum Teufel, strolch' ich hier mit Ih-
nen herum? Adios, Signor Shuster! Adios!
(Ein Lwe brllt im Hintergrund.)
SHUSTER: Halt! Halt! Was regst du dich so auf, Pomi? Warum
kommst du mir pltzlich spanisch?
POMERANTZ: Sie verweigern; also! Schei doch auf alles!
SHUSTER: Hab' ich gesagt, es ist endgltig? Wir verweigern . . .!!
(Schweigen.)
POMERANTZ: Wieviel verweigern Sie?
SHUSTER (ruhig): Vier . . . Drei Pfund pro Tor . . .
POMERANTZ: Drei Pfund? Da zahl' ich ja drauf! Verweigern Sie mir
wenigstens zehn Pfund.
SHUSTER: Verrckt geworden?
POMERANTZ: Bei den Karmel-Jets verweigern sie acht Pfund und
sechs bei Unentschieden.
SHUSTER: Das bersteigt unsere Mglichkeiten. berleg doch, Pomi.
Du bist unsere Torkanone, du knntest fnfzehn Tore pro Spiel
schieen, macht hundertfnfzig Pfund . . . Wo kommen wir
denn da hin!
POMERANTZ: Sieben Pfund, in Raten?
SHUSTER: WO sind wir, am Fischmarkt?
POMERANTZ: Nennen Sie mir Ihre uerste Verweigerung, Shuster.
SHUSTER: Meine uerste Verweigerung? (Zhlt in schnellem Jid-
disch) Draj Milljon, zwanzik schpiln, a hundred un fifzig tojsnt
wejniger sechzik tojsnt . . . Fr jedes Tor drei Pfund achtzig.
POMERANTZ: Drei Pfund achtzig? Adios, Signor, meschuggener
Chico! Die Malochim ber Ihre beiden Haciendas!
SHUSTER: Nein! Bitte nicht Spanisch, Pomi! Mein Herz! Nicht Spa-
nisch, bitte, bitte!
POMERANTZ: Ole! Ole! Ole!
53
SHUSTER: Nicht! Nicht! Gib mir ein Limit, Pomi, ich will mit dem
Konsortium verhandeln, aber . . . Bitte sprich nie wieder Spa-
nisch mit mir, du verstehst, was ich meine . . .
POMERAKTZ(verstohlen): Vierhundert pro Monat, Shuster!
SHUSTER: (sthnt).
POMERANTZ: Netto!
SHUSTER (fllt mit dumpfem Drhnen zu Boden).
POMERANTZ: He Shuster, ist was?
SHUSTER (wimmert.)
POMERANTZ: Nicht hier, Shuster, meine Gte. (Er ttschelt ihm das
Gesicht) Wachen Sie auf, ich bin bei Ihnen, esto a qui, Shuster.
Esto a qui! . . .
(Ein Elefant trompetet im Hintergrund. Alle Tiere stimmen ein. -
Frhliche Musik bertnt die Gerusche und endet im Schrillen einer
Trglocke.)
FRAU POMERANTZ: Wer ist da? (Sie ffnet) Wer sind Sie?
REPORTER: Reporter der Sportnachrichten, Ma'am Pomerantz, hey
hey! . . .
FRAU POMERANTZ: Nehmen Sie den Fu aus der Tr, nehmen Sie ihn
'raus.
REPORTER: Zwei Worte, Ma'am, nur 'n paar Worte. (Schnell) Oder
wir bringen Ihr Foto!
FRAU POMERANTZ: Was wollen Sie?
REPORTER: Interne Information, werte Dame. Stimmt es, da Ihr
Mann ein Angebot von den argentinischen Muchachos hat?
FRAU POMERANTZ: Kein Kommentar.
REPORTER: ES heit, sie bieten ihm sechzigtausend Dollar, eine Pen-
sion, eine Extradividende und all so was . . .?
FRAU POMERANTZ: Kein Kommentar.
REPORTER: Stimmt es, da Sie beide Spanisch lernen?
FRAU POMERANTZ: NO, diga nada!
REPORTER: Wird sich's lohnen, Ma'am Pomerantz?
FRAU POMERANTZ: Kein Kommentar.
REPORTER: Was bietet Ihnen Argentinien?
FRAUPOMERANTZ(/>/Z/ZCA aufkreischend): Ein Mdchen! Ich werde
ein Mdchen haben! Es steht im Vertrag! Sie geben mir ein India-
nermdchen und ein Apartment ber einem China-Restaurant,
und wir werden einen amerikanischen Wagen haben mit einem ja-
panischen Chauffeur und ein Kofferradio nach jedem Sieg und ein
Abonnement fr die Philharmoniker bei Unentschieden und
Abendkleider, ein Mdchen, freie Medikamente, siamesische
Katzen, vier Tage Urlaub und eine Versicherung fr Pomis Fe
4
und eine Waschmaschine - zwei! eine frs Mdchen! - und Ski,
Tennis, Hockey und Schmuck mit echten Steinen und Vitamine
und ein Indianermdchen und Pomi tritt im Fernsehen auf, nicht
als Sportler, sondern als Persnlichkeit, und wir werden eine
Menge Scheckbcher haben und ein Mdchen und gute Manieren
und Public Relations und ein Einkommen steuerfrei, und eine
Prmie fr Eigentore und Huser und einen Sekretr und einen
Anwalt und ein Mdchen, ein Mdchen, ein Mdchen . . .
REPORTER: Danke, Ma'am. Ist also doch was dran an dem Rummel?
FRAU POMERANTZ: Kein Kommentar.
(Gerusche eines Kontrollraumes.)
SHUSTER (dumpf): Wie spt ist es?
BUTCHIE: Zwlf Uhr, Shuster. In genau fnfzig Minuten beginnt das
Entscheidungsspiel gegen die Haifa-Hmmer. Wenn Pomerantz
nicht kommt . . .
SHUSTER: Er wird kommen, locker, Butchie, er wird kommen. Wir
haben den Notstand ausgerufen, das Haus ist umstellt, Spezial-
trupps kmmen die Stadt durch, ein Aufgebot von sechsundzwan-
zig Mann, voll bezahlt . . .
BUTCHIE (pfeift).
SHUSTER: Haben wir eine Wahl?
(Geklapper im Hintergrund.)
Ha! der Fernschreiber! (Zur Funkerin) Lesen Sie doch vor, mein
Gott!
FUNKERIN: Hier Kleiner Adler, hallo Ballongummi . . .
SHUSTER: Idiot!
FUNKERIN: . . . Frau Feuerball ging vor drei Minuten mit zwei gro-
en Koffern weg, Ende.
BUTCHIE: Gerechter Himmel!
SHUSTER: Schnauze! (Hysterisch) Wo ist Pomi, findet ihn! Schreiben
Sie das! Wo ist Pomi, schreiben Sie, los! - Pomi! -
FUNKERIN: Wer ist Pomi?
SHUSTER: Feuerball, um Christi willen. Schreiben Sie endlich!
FUNKERIN: Ich hab' nur zwei Hnde, stimmt's? (Schreibt) Kleiner
Adler, wo ist Pomi Feuerball, Ende.
SHUSTER: Ruhe! Er antwortet!
(Antwort ber Fernschreiber. Butchie liest ab.)
BUTCHIE: Feuerball - ist - noch - daheim - in - der - Kche - chic - in -
Schale - reisefertig - er - steigt - auf - eine - Leiter - schraubt - die -
Birnen - heraus - eine - nach - der - andern - Ende.
SHUSTER: Eskalation! Ich hab's geahnt. Er trmt! Pomi trmt! Was
wird nun aus uns? Was tun wir jetzt?
55
BUTCHIE: Weniger Trainingsgeld zahlen, wenn's regnet, das tun Sie
jetzt!
SHUSTER: Man wird dir zahlen! Man wird dir zahlen!
BUTCHIE: Wann?
SHUSTER: Spter! Jetzt brauche ich den Flughafen! Den Turm! So-
fort!
SCHREIBER: Kontrollturm, ich verbinde -
(Der Fernschreiber rattert wieder.)
SHUSTER: Lesen Sie vor!
ScHREiBER(7e$t: Soeben - wurde - Platz - bestellt - Flug - 213 - Rom -
entdeckten - Paket - mit - zehn - Fubllen . . .
SHUSTER: Nein! Nein! Nein! (Fernschreiber im Hintergrund rattert)
Was ist das?
FUNKERIN (liest): Kleiner - Adler - verkauft - Wettscheine - zu - hal-
bem - Preis . . .
SHUSTER: Nicht jetzt! Nissim bleibt, wo er ist! Wehe, wenn er aus-
rckt! Er soll sich alle drei Minuten melden, sagen Sie ihm das!
FUNKERIN (spricht, whrend sie den Fernschreiber bettigt): Kleiner -
Adler - wenn - du - wagst - zu - kneifen - wird - Shuster - dich -
massakrieren - bleib - in - Verbindung - herzliche - Gre.
SHUSTER: Hallo . . . Wo ist der Flughafen? Maschine stoppen, zur
Landung zwingen, sofort! Rasch!
(Alle Apparate rattern los.)
ScHRzmER(morst) : Bitte - verzgert - Flug - 213- Rom - stop - mgli-
cherweise - entlaufener - Gott - an - Bord - stop . . .
SHUSTER: WO bleibt die Polizei?
FUNKERIN: Schon auf der Welle.
SHUSTER: Bis auf weiteres Grenzen sperren! Geben Sie's durch!
FUNKERIN (ber Sprechfunk) : Polizeihauptquartier - Polizeihaupt-
quartier - sperrt - sofort - alle - Grenzen - erbitten - Billigung -
Ende.
ANTWORT BER SPRECHFUNK: Hier - Hauptquartier - Sperrbefehl -
geht - an - alle - Dienststellen - was - soll - das - Ende . . .
SHUSTER: Das sind schicksalhafte Augenblicke fr Israel, Butchie;
mge uns Pomi erhalten bleiben! - Wo bleibt die Sicherungs-
gruppe? Es ist zum Heulen, wo bleibt die Sicherungsgruppe?
(Das Telefon lutet. Shuster nimmt den Hrer.)
Hallo, hier Shuster, wer dort?
MENDY(ber Telefon): Hier Kalte Fe, Kalte Fe.
SHUSTER: Wer?
MENDY: Mendy, der kleine Pfadfinder, Chef. Laut Code bin ich
Kalte Fe.
56
SHUSTER: Schie los!
MENDY: Ich spreche aus einer Zelle gegenber Feuerballs Haus. H-
ren Sie?
SHUSTER: Ich hre! Bitte sprechen, Kalte Fe! Was ist los? Was ist
mit Pomi?
MENDY: Er geht weg! Eben ruft er 'n Taxi, zwanzig Schritte von
hier . . . kleine Schritte . . .
BUTCHIE: O Gott, die Ungewiheit, ich halt's nicht aus . . .
SHUSTER: He, ist das Taxi - prpariert?
MENDY: Klar, drei Jungs drin . . . Jetzt steigt Pomerantz ein . . .
(Geschrei ber Telefon, entfernt.)
Pomi liefert einen harten Kampf . . . Aber sie mischen ihn
auf . . .
BUTCHIE: Bratet ihm eins ber, haut ihn auf 'n Keks . . .
SHUSTER: Schnauze! - Wie steht der Kampf? Kalte Fe, spre-
chen!
MENDY: Junge, der gibt's ihnen . . . Er versucht aus dem Wagen zu
entkommen . . . Die armen Teufel, drei gegen einen . . .
Vom Haus gegenber kommt Verstrkung . . . Mit Gummi-
knppeln, das ist das Wahre . . . Gott steh dem Hurensohn bei!
Peng! Genau auf die Birne!
BUTCHIE: Gott gepriesen!
SHUSTER: Glckwunsch!
FUNKERIN: Gratuliere! Na, denn Prost!
MENDY: Danke, vielen Dank . . . Sie schlieen die Wagentr . . .
Fahren direkt zum Stadion, mit Feuerball . . . Alles im Lot,
Sh . . . Shu . . . Shuster . . .
SHUSTER: Gut! - Alles zum Stadion! -
(Der Mannschaftsraum der Blockspalter; drauen Tumult von voll-
besetzten Tribnen.)
POMERANTZ (mit schwacher Stimme): Oh - oh - mein Kopf . . . Wo
bin ich?
SHUSTER: Unter Freunden, Pomi, unter deinen treuen Freunden.
BUTCHIE: LOS, hoch, Pomerantz, das Spiel beginnt in zehn Minuten.
POMERANTZ: Ich kann nicht aufstehen . . . Mein Kopf . . . Was-
ser . . .
SHUSTER: Fnfzigtausend Zuschauer warten auf dich, mein Junge,
und jeder einzelne hat zehn Pfund fr seinen Platz gezahlt.
POMERANTZ: Gib mir was ab, eine Kleinigkeit . . . Schmerzens-
geld . . .
SHUSTER: Pomi, du bist strrisch wie ein Maultier! Sie haben dich in
57
Ausbung ihrer Pflicht verletzt, basta! Fe hoch, ich zieh' dich
an. So, brav.
POMERANTZ: Ich will Honorar . . .
BUTCHIE: Und Trainingsgeld bei Regen . . .!
POMERANTZ: Krieg' ich schon . . . Sechs Pfund . . .
BUTCHIE: Sechs Pfund? Shuster, wieso auf einmal sechs Pfund? Sie
sagten drei Pfund!
SHUSTER: Er ist krank . . . Er wei nicht, was er sagt . . . Den an-
dern Fu, bitte . . .
POMERANTZ: Gehalt, bitte . . . Dreihundert netto . . . (Kreischend)
Geld!
SHUSTER: Pomi
BUTCHIE: Jetzt reicht's. Siehst du das MG, Pomerantz? Eine falsche
Bewegung beim Spiel, und du hast 'n Kilo Blei im Bauch. Ich
knall' dich ab wie einen tollen Hund.
POMERANTZ: Sagen wir zweihundertfnfzig, plus Urlaubsgeld . . .
SHUSTER: Nein! Nein! Nein!
(Die Tr wird geffnet, jemand ruft: Los, aufs Feld! Das Spiel be-
ginnt! Tr zu.)
BUTCHIE: 'raus, Pomerantz. Und spiel, wie du nie vorher gespielt
hast!
SHUSTER: Die Augen der Nation blicken auf dich!
POMERANTZ: Zweihundert, ohne Extras . . .
SHUSTER: Nur ber meine Leiche.
BUTCHIE: 'raus!
POMERANTZ: Si, si, Amigos. Hier ist mein Hinter, Shuster, besame
mucho!
(Er knallt die Tr zu.)
SHUSTER (ruft ihm nach): Ich verbitte mir jegliches Spanisch! - But-
chie, du nimmst sofort Kontakt mit unserem Rechtsberater auf.
Wir mssen auf gesetzlichem Wege verhindern, da Pomi auer
Landes geht.
BUTCHIE: Wie wollen Sie das deklarieren?
SHUSTER: Illegale Ausfuhr einer nationalen Institution! -
(Anpfiff. Die Menge rast. Die Atmosphre scheint elektrisch gela-
den.)
SPORTBERICHTER (^ingm'ssen, sehr schnell):. . . und wieder ist Pomi
am Ball, in der neunzehnten Spielminute, wird gekontert von As-
sisi, dem rechten Verteidiger der Haifa-Hmmer, entzieht sich
mit einer unerhrt gekonnten Wendung und braust wie ein Wir-
belwind ber die Weite des Feldes . . .
'Die Menge: Pomi! Pomi!)
58
Durch rasend schnelles Dribbling entkommt er den beiden Vertei-
digern, schwenkt scharf rechts zur Seitenlinie und luft, was er
laufen kann, wundervoll, Pomerantz! Jetzt hebt er den Ball - mit
der Hand! -, er springt ber die Linie, den Ball immer noch in der
Hand, rast die Stufen hinauf, vorbei an drei Leuten, die versu-
chen, ihm ein Bein zu stellen . . .
. . . und wie ein Hllenspuk prescht er an seinem Trainer vor-
ber . . .
(Maschinengewehrsalven, Geschtzdonner.)
. . . Pomerantz erklettert die Einfriedung, und was soll ich euch
sagen, Leute, er springt aus dem Stadion! Meine Damen und Her-
ren, in der einundzwanzigsten Minute des Pokalendspiels ist Po-
merantz entflohen.
Aber nein! Man hat ihn geschnappt, ich sehe es von hier, jenseits
der Mauer hat man ihn geschnappt! Das Prsidium der Blockspal-
ter hat in fliegender Eile ein riesiges Netz gespannt und Pomerantz
gefangen wie einen Fisch - in der zweiundzwanzigsten Spielmi-
nute! Der Ball ist noch im Besitz der Blockspalter, und Pomi wird
von drei starken Mnnern zum Spielfeld zurckgefhrt. Ja, meine
Damen und Herren, Pomerantz ist uns wiedergegeben, und es
steht 2:2 im Pokalfinale . . .
(Ungeheures Getse im Hintergrund.)
SHUSTER (schwer atmend, eskortiert Pomerantz, der sich in den Hn-
den von Nissim und Mendy befindet): Pomi! Pomi! Wie siehst du
aus! Schmutzig, zerzaust, zerschlagen, blutig, ich kenne dich
kaum wieder! Und wozu die Schinderei? Um ein lausiges Gehalt!
Schmst du dich nicht vor all deinen Fans? Sag was, Pomi, warum
schweigst du?
POMERANTZ (grunzt).
NISSIM: Geh spielen, Schatz, ich hab' auf dich gesetzt, jede Menge.
MENDY: Platz da, bitte! 'zeihung! 'zeihung!
SHUSTER: Pomi . . . Pomi . . . Nach dem Spiel sprechen wir ber all
deine Probleme, aber jetzt spiele! (Flsternd) Ich will sehen, da
du zwei Pfund frs Haarschneiden kriegst, Hand aufs Herz. Je-
desmal, wenn du dir die Haare nur ein bichen trimmen lt, zwei
Pfund . . . Ich zahl's aus meiner eigenen Tasche, alles fr dich,
Pomi, okay? - Sag doch was, ich kann dein Schweigen nicht ertra-
gen! Sag etwas! Irgend was, meinetwegen auf Spanisch! Ich be-
sorg' dir belegte Brote vor jedem Spiel, ehrlich, mit Ei! Heie Pa-
strami! Wir werden keinen Richter brauchen. Aber jetzt, Pomi,
gib alles, was du hast, spiel, Pomi! Pomi! Pomi!
(Schiedsrichterpfiff.)
59
BUTCHIE(keucht heran): Shuster! Shuster!
SHUSTER: La mich zufrieden! Was ist los?
BUTCHIE: Unser Torwart . . . In dem Durcheinander hat er versucht
zu fliehen . . .
SHUSTER: Fliehen? Wohin?
BUTCHIE: Australien.
SHUSTER: Hat man ihn gefat?
BUTCHIE: Ja, aufm Busbahnhof. Sie haben ihn schon zurckge-
bracht und mit Handschellen ans Tor geschlossen.
SHUSTER: Ah ja. Macht er wieder mit?
BUTCHIE: Er verlangt eine Handikapzulage . . . Fnfundzwanzig
Pfund, ohne Abzge . . .
SHUSTER: Gib ihm einen ungedeckten Scheck. La nur erst das Po-
kalspiel zu Ende sein . . . Pomi! Pomi! Pomi!
(Scharfer Pfiff.)
SPORTBERICHTER: Die Haifa-Hmmer verlieren den Ball an Blumen-
feld, Blumenfeld spielt zu Tuckermann, Tuckermann zu Andra-
pulski II, Andrapulski II zu Schoschik, Schoschik gibt ab an Po-
merantz, gerade vor dem Tor, Pomi stoppt den Ball auf der Sech-
zehnmeterlinie, holt aus und - tritt daneben!
Sein Fu hat den Ball nicht einmal berhrt!
Pomerantz, was hast du getan! - Er hat den entscheidenden Ball
verfehlt! Als ob er nicht unser Pomerantz wre! . . . Meine Da-
men und Herren, das ist auch nicht unser Pomerantz! Das ist je-
mand anders. Pomi ist ein kahlkpfiger Hne, und dieser da ist ein
Zwerg mit langen Locken! Er ist es nicht! - Wo aber ist Pomi? Wo
ist der echte Pomerantz? Wo ist er? Was geht hier vor? Wo ist
Pomi?
SHUSTER(>wt der bebenden Stimme eines gebrochenen Mannes): Un-
ser ehemaliger Mittelstrmer Meyer Pomerantz stie von den K-
sten unseres Landes ab, in einem gemieteten Motorboot, Kurs
Zypern. Sein planvoller Verrat ist beispiellos in den Annalen der
Fuballgeschichte. Pomi erkletterte die Mauer, aber ein anderer
sprang drauen an seiner Stelle ab, sein zweiter Neffe, dieser Hu-
rensohn, im rot-goldenen Dre! Dadurch gewann Pomerantz
Zeit, die Kste zu erreichen, auf einem gestohlenen Dreirad. Der
gebuchte Flug nach Rom war eine Finte . . . In den Koffern be-
fanden sich Steine . . . Er ist nicht einmal verheiratet . . . (Er
kmpft mit Trnen.) Heute ist Pomi Star der Sky Master Swingers
in Rhodesien. Er kassiert Monat fr Monat achtzehnhundert Dol-
lar, hat ein Spesenkonto von viertausend Dollar und freies Tele-
fon. Er wird niemals zurckkehren.
60
Was mich am meisten rgert: Pomerantz ist stiller Teilhaber des
Bestsellers Ich war Pomis Double! Unsere Jungs, die Block-
spalter Tel-Aviv, einst stolze Spitzenreiter, sind heute Tabellen-
schlulicht . . .
Freien Haarschnitt hab' ich ihm angeboten . . . Aus meiner eige-
nen Tasche . . . Und Sandwiches, mit heier Pastrami . . . Pomi,
warum? Pomi! . . . Pooooooom!
ENDE
Ins Deutsche bertragen von Hermann Motschach
Werdende Vter
Der werdende Vater darf als Verkrperung des hchsterreichbaren
Nervosittsgrades gelten. Seit man den werdenden Vtern gestattet
hat, sich in den Warterumen der Gebrkliniken aufzuhalten,
haben die Zigarettenfabriken keine Existenzsorgen mehr. Dem
Vernehmen nach gibt es primitive Vlkerschaften, bei denen der
Vater genau die gleichen Geburtswehen durchmacht wie die Mut-
ter. In unserem fortschrittlichen Land leiden die Mtter weniger
als die Vter, weil sie besser darber informiert sind, was mit ihnen
geschieht. Ich protestiere gegen diese schreiende Ungerechtigkeit.
ERSONEN: Der Ruhige
Der Nervse
Der Orientale
Dr. Wasserlauf, Geburtshelfer
Dr. Wasserlaufs Frau
Schwester Gerti
Herr Cohen
DRT DER HANDLUNG: Warteraum einer Gebrklinik. Eine Sitzbank
in der Wand. Eine Tr mit der Aufschrift: Kreisaal.
, wartet, raucht, liest eine Zeitung. Ne-
>en ihm ein groer Blumenstrau. Links ein Empfangstisch mit Tele-
on und SCHWESTER GERTI, die sich mhsam wach hlt. DERORIEN-
ALE geht schweigend auf und nieder. Das Telefon lutet.
'CHWESTER GERTI (hebt ab): Stdtische Gebrklinik . . . Ja, wie
heit Ihre Frau? . . . Und seit wann . . . (Blttert im Register).
Elischewa Kunstetter . . . Gratuliere, Sie haben eine Toch-
ter . . . Jawohl, eine Tochter, Herr Kunstetter. Ich gratu-
liere . . . Ja, eine Tochter . . . Zwei Kilo dreiig . . .
DER RUHIGE: Nur zwei Kilo dreiig? Eine Migeburt.
iCHWESTERGERTI: Nein, Herr Kunstetter. Sie knnen Ihre Frau jetzt
nicht besuchen . . . Weder jetzt noch spter in der Nacht . . . Ich
bitte Sie dringend, erst morgen zu kommen, und auch morgen nur
zur Besuchsstunde . . . Drei bis vier . . . Nein, unter gar keinen
Umstnden . . . Ja, eine Tochter, zwei Kilo dreiig . . .
DER RUHIGE: Armes Kind.
ICH WESTER GERTI: Nein, wir haben uns nicht geirrt, es ist Ihre Toch-
ter . . . Sehr hbsch . . . Hochintelligent . . . Der ganze Papa . .
Uff! (Legt auf)
DER ORIENTALE: Frulein! Liebes Frulein! Wenn meine Frau . . .
Wenn auch sie . . . Wenn ich bekomme wieder eine Tochter -
dann erdrossele ich meine Frau, liebes Frulein.
SCHWESTER GERTI: (gleichgltig): Ganz wie Sie wnschen, mein
Herr.
DER ORIENTALE: Drei Tchter habe ich schon . . . Ist nicht genug,
liebes Frulein?
SCHWESTER GERTI: Gewi.
DERORIENTALE: Vierte Tochter kann ich nicht ertragen. Wenn meine
Frau mir nicht geburtet einen Sohn . . .
SCHWESTER GERTI: Dann erdrosseln Sie sie.
DERORIENTALE: Ja. Ich schwre beim Glck meiner Kinder. Ich er-
drossele, liebes Frulein. (Zum Ruhigen) Es ist ein Unglck,
Herr, es ist eine Schande. Sie verstehen? Nein? Wieso nicht? Eine
Tochter - gut. Zweite Tochter - Menschen beginnen zu lachen
hinterrcks. Kannte/; dafr? Hab' ich geboren? Frau hat geboren.
Wie gekommen ist dritte Tochter, ich wollte Frau erdrosselen,
aber Polizei ist ber mich gedrungen und hat verlangt Unter-
schrift, da ich werde Frau ein Jahr lang nicht erdrosselen. Jahr ist
vorber. Und jetzt wieder eine Tochter . . .
DER RUHIGE: Vielleicht werden es Tchter.
DER ORIENTALE: Wieso?
DER RUHIGE: Zwillinge.
DERORIENTALE: (in Panik zu Gerti): Frulein! Frulein!
SCHWESTER GERTI: Wenn Sie nicht sofort ruhig sind, Herr, lasse ich
Sie hinausweisen. Eigentlich sollten Sie gar nicht hier sein. Wieso
hat Sie der Portier noch hereingelassen.
DERORIENTALE: Blumen. Mit Blumen, man kommt berall hinein.
Portiers glauben, man ist Bote von Blumenhandlung.
DER NERVSE (platzt durch die Tr mit einem groen Blumenstrau
im Arm): Schwester! Schwester!
SCHWESTER GERTI: Nein, noch nichts. Wie oft soll ich Ihnen sagen,
da wir Sie verstndigen werden, wenn's soweit ist. Wozu kom-
men Sie zehnmal am Tag und stren?
DER NERVSE: Sie haben vollkommen recht, Schwester. Wei Gott,
da Sie recht haben. Aber ich kann mir nicht helfen. Meine bsen
Ahnungen. Vor ein paar Minuten ist mir ein schwarzer Hund ber
den Weg gelaufen.
DERORIENTALE: Hunde gelten nicht. Nur Katzen.
DER NERVSE: Hunde gelten nicht? Wissen Sie das bestimmt?
63
DER ORIENTALE: Ja. Haben Sie Zigarette?
DER RUHIGE: (zum Nervsen): Verzeihen Sie - sind Sie der Vater
oder das Baby? Knnen Sie sich nicht hinsetzen und hbsch ruhig
sein, wie es sich fr einen erwachsenen Menschen gehrt?
DER NERVSE: Sie verkennen die Situation, Herr. Sie wissen nicht,
was vorgeht. Meine Frau bekommt ein Kind.
DER RUHIGE: Nein, sowas! Und weshalb, glauben Sie, bin ich hier?
Um an einem Nachtwchterkurs teilzunehmen?
DER ORIENTALE: Guter Witz. Nachtkurserwcht. Haha, (zu Gerti)
Hren Sie, liebes Frulein. Wenn sie wieder bekommt ein Md-
chen, dieses mein Weib, ich habe mich entschlossen. Ich erdros-
sele beide.
DERRUHIGE: Meine Herren, Sie erinnern mich an den alten Witz, in
dem die Schwester in einer Gebrklinik mit einem kleinen Gorilla
auf dem Arm hereinkommt und . . . (stockt) Na ja. Mit Gottes
Hilfe wird's ein gesundes Baby, und dann ist alles gut.
DER NERVSE: Sie glauben?
DERRUHIGE: Ja.
DER NERVSE: (atmet auf): Ich danke Ihnen. Geben Sie mir eine Zi-
garette.
DER RUHIGE: Die Geburt eines Kindes ist ein alltgliches biologi-
sches Phnomen. Warum sollen wir einen Alpdruck daraus ma-
chen? Alle zwei Minuten wird irgendwo auf der Welt ein Kind ge-
boren. Vielleicht sogar alle zwei Sekunden.
DER NERVSE: Nicht mglich. Und ich warte schon seit zwlf Stun-
den.
DER RUHIGE: Deshalb brauchen Sie nicht hysterisch zu werden.
Bitte, meine Herren! Nur Ruhe, nur Ruhe . . .
DR. WASSERLAUF (steckt den Kopf durch die Tr. Er stottert):
Med . . . Med . . .
DERRUHIGE: (hysterisch): Ein Mdchen?
DER NERVSE: Ein Mdchen?
DER ORIENTALE: WO ist Weib? Ich erdrossele!
DR. WASSERLAUF: Medikamente . . . Gerti! Wo . . . Wo - ist der
Med . . . Medikamentenkasten?
DER RUHIGE: Ist etwas passiert?
DER NERVSE: Um Gottes willen . . .
DER ORIENTALE: Ich erdrossele . . .
DR. WASSERLAUF: G . . . G . . . Gerti, ich brauche Seh . . . Seh . . .
Schlaftabletten und Ruhe. (Verschwindet)
SCHWESTER GERTI: Meine Herren, Sie wurden schon wiederholt ge-
beten, whrend der Nachtstunden nicht herzukommen. Auch un-
64
sere rzte mssen schlafen. Bitte, gehen Sie. Sie helfen nieman-
dem, wenn Sie hier sitzenbleiben. Kommen Sie morgen wieder.
Gute Nacht.
DIE DREI: Gute Nacht.
(Gerd folgt dem Doktor, die drei Mnner bleiben).
DER RUHIGE: (zum Orientalen): Geben Sie mir eine Zigarette.
DER NERVSE (liest Zeitung, knllt sie zusammen, wimmert): Also
bitte. Das ist doch unerhrt! Diese Idioten. So etwas nennt sich
Zeitung.
DER ORIENTALE: Was ist los?
DER NERVSE: Das fragen Sie noch? In Venezuela wurde ein Lamm
mit zwei Kpfen geboren! Wer will das wissen? Warum drucken
sie das?
DER RUHIGE: Solche Dinge knnen vorkommen. Auf einer Siedlung
im Negev gibt es angeblich ein Kalb mit sechs Beinen.
DER NERVSE: Ich mu mit dem Doktor sprechen . . . Meine bsen
Ahnungen . . . Ein Kalb mit sechs Beinen . . . Ich mu mit dem
Doktor sprechen . . .
DER RUHIGE: Setzen Sie sich und bleiben Sie sitzen. Ist das Ihr erstes
Kalb?
DER NERVSE: ES wird meine lteste Tochter.
DERORIENTALE: Was? Sie wollen haben eine Tochter? Ohne Erdros-
selung?
DER NERVSE: Ich will nur eine Tochter haben.
DERORIENTALE: Aber warum? Warum?
DER NERVSE: Ich will nicht, da mein Kind jemals durchmacht, was
ich jetzt durchmache.
DERORIENTALE: Das ist richtig. (Zum Ruhigen) Geben Sie mir Ziga-
rette.
SCHWESTER GERTI (tritt ein, siebt die drei Mnner, schttelt den Kopf,
geht wortlos in den Kreisaal zurck).
DER RUHIGE: ES besteht kein Grund zur Nervositt, meine Herren.
Ich spreche aus Erfahrung. Mit Gottes Hilfe wird das mein drittes
Kind. Beim erstenmal ist man noch aufgeregt, aber dann gewhnt
man sich dran und wei, da es nichts weiter auf sich hat.
DER NERVSE: Das dritte Kind? Gratuliere. Haben Sie Fotos von
den beiden anderen?
DER RUHIGE: Fotos? Nein, wozu. Ich trage keine Fotografien mit
mir herum. Was gibt's denn da schon zu sehen. Es sind, Gott sei
Dank, liebe, gesunde Kinder, nichts Auergewhnliches, wirk-
lich . . . (Greift in die Tasche) So ein Zufall! Ich habe zufllig ein
paar Schnappschsse bei mir . . . (Zieht einen dicken Sto Foto-
65
grafien hervor, zeigt sie) Schauen Sie sich den Groen an. Ein her-
vorragend entwickeltes Kind. Auf welches Alter wrden Sie ihn
schtzen?
DER NERVSE: Zwei.
DER ORIENTALE: Eineinhalb.
DERRUHIGE: Zwei? Eineinhalb? Er ist vier Jahre, meine Herren, vier
Jahre! Ein phantastisches Kind. Bei seiner Geburt hat er dreiein-
halb Kilo gewogen.
DER NERVSE: Nein!
DERRUHIGE: Ja!
DER NERVSE (zum Orientalen): Ist das viel?
DER ORIENTALE: Wie man's nimmt.
DER NERVSE: Und Sie? Haben Sie keine Fotografien bei sich?
DER ORIENTALE: Ich habe, aber ich pflege nicht, sie zu zeigen.
DER NERVSE: Warum nicht?
DER ORIENTALE: Weil es wre grausam fr andere Eltern. Wenn
jemand sieht Fotografien von meine Kinder, er will nie wieder
sehen seine eigenen. Sie glauben nicht? (Zieht einen noch gre-
ren Haufen von Fotografien aus der Tasche, zeigt sie) Sie
sehen?
DER NERVSE: Mdchen?
DER ORIENTALE: Drei. Aber wenn Weib jetzt noch ein viertes Md-
chen . . .
DERRUHIGE: Ja, wir wissen schon. (Gebrde des Erdrosseins)
DER NERVSE (zum Orientalen): Geben Sie mir eine Zigarette.
DER ORIENTALE (zeigt immer neue Fotografien): Dann Sie wollen
wissen, wer ist welche? Gut. Dieses hier ist meine Tochter jng-
ste, Abigail. Wenn sie war sechs Monate alt, sie wiegte fnf Kilo
und zwei Monate. Mit Fingerngel abgeschnitten.
DERRUHIGE: (Fotografien zeigend): Das ist noch gar nichts. Mein
Rafael hat im Alter von einem Jahr die Kinderwaage zerbrochen.
Wir muten ein Spezialerzeugnis aus dem Ausland importieren,
weil man hierzulande keine so starken Kinderwaagen baut. Mit
Doppel-A. Nicht Kinderwgelchen. Kinderwaagen. Ja, ja, mein
Rafi. Das ist ein Prachtexemplar. Er wird wahrscheinlich Diplo-
mat werden. Oder Atomphysiker.
DER NERVSE: Und wenn er nicht will? Was dann?
DER RUHIGE: Dann werde ich ihn nicht zwingen. Er soll machen,
wozu er Lust hat. Wenn er Aerodynamik studieren will, soll er
Aerodynamik studieren. (Zeigt Fotos, nimmt andere entgegen,
der Austausch unter den drei Mnnern beginnt einem Kartenspiel
zu hneln) Sehen Sie sich diesen blonden Engel an.
56
DERNERVSE: Bezaubernd. Hat aber nicht ein einziges Haar auf dem
Kopf.
DER RUHIGE: Na und? Zeit genug. Die wachsen noch. (Zum Nerv-
sen) Geben Sie mir eine Zigarette.
DER ORIENTALE (brllt auf): Zwillinge! Meine Herren, heute nacht
ich bekomme Zwillinge.
DER RUHIGE: Gratuliere.
DER ORIENTALE: Und ich wei, was ich aus ihnen werde machen.
Wenn es sind Tchter, ich erdrossele, wenn es sind Shne, sie be-
kommen Krawattengeschft.
DERNERVSE: Krawatten sind ein gutes Geschft.
DER ORIENTALE: Und Wollwaren. berhaupt Modewaren. Jeder
braucht. Meine Zwillinge sollen nicht arm sein wie Professoren.
DER RUHIGE: Ausgenommen Atomphysiker.
DERNERVSE: Habe ich Ihnen schon mein Baby gezeigt?
DER RUHIGE: Nein.
DERNERVSE: Hier. (Zeigt ein Foto)
DER ORIENTALE: Was ist das, um Gottes willen?
DER NERVSE: Ein Rntgenbild. Das Kleine ist ja noch nicht gebo-
ren.
DER ORIENTALE: S. Sehr s.
DR. WASSERLAUF (steckt den Kopf herein): M . . . M . . . M . . .
DERNERVSE: Etwas Neues?
DR. WASSERLAUF (wimmert).
DERNERVSE: Das wollte ich nur wissen. (Setzt sich)
DR. WASSERLAUF (bemerkt die herumliegenden Fotos und beginnt sie
anzusehen).
DER RUHIGE: Was sagen Sie dazu, Doktor? Ist der Kleine nicht ein
richtiger Samson? Gestern hat er den dicken Spiegel in unserem
Schlafzimmer zertrmmert. Wie nichts. Was ihm unter die klei-
nen Fchen kommt, geht in Scherben.
DER ORIENTALE: Dieses hier ist Schulamith. Meine Tochter Schula-
mith. Immer lustig. Immer lacht. Immer singt. (Besinnt sich) Mu
krank sein . . .
DR. WASSERLAUF (zieht Fotos aus seiner Tasche): Bob . . .
SCHWESTER GERTI(*IS dem Kreisaal): Doktor Wasserlauf! Doktor
Wasserlauf!
DR. WASSERLAUF (saust zurck).
DER ORIENTALE: Gesegneter Doktor. Hat Sohn so gro wie Elefant.
Aber mein Weib, wenn sie wieder hat Tochter . . .
DR. WASSERLAUF (steckt den Kopf durch die Tr): Bob! (Reit dem
Orientalen das Foto aus der Hand und verschwindet)
67
DER RUHIGE: Geht mir entsetzlich auf die Nerven, der Doktor. Ein
Glck, da ich nicht nervs bin.
DER NERVSE: Unter gar keinen Umstnden.
DER ORIENTALE: Was?
DER NERVSE: Ich lasse meine Tochter unter gar keinen Umstnden
einen Arzt heiraten.
DER RUHIGE: Von wem sprechen Sie?
DER NERVSE: Von Galila.
DER ORIENTALE: Wer ist Galila?
DERNERVSE: Meine Tochter. Nein, meine Herren, ich mchte, da
sie bei Nacht ruhig schlft. Und wenn sie darauf besteht, einen
Arzt zu heiraten, bekommt sie keine Mitgift. (Schluckt Pillen)
Lieber Himmel, auf Ja und Nein bin ich Grovater.
SCHWESTER GERTI (sfec&f den Kopf durch die Tr) : Herr Cohen!
ALLE DREI (springen auf): Ja?
SCHWESTER GERTI: ES ist soweit, Herr Cohen. Man hat soeben Ihre
Frau hereingebracht.
DER ORIENTALE: Sie heien Cohen?
DERNERVSE: Ja. Und Sie?
DER RUHIGE: Ich auch.
ALLE DREI: Oj.
SCHWESTER GERTI (wie oben): Es geht los, Herr Cohen!
DER NERVSE: Welchen Cohen meinen Sie?
SCHWESTER GERTI: Herrn Cohen. (Verschwindet)
DER ORIENTALE: Wen?
DER RUHIGE: Jeden.
DER ORIENTALE: Herr Cohen, haben Sie eine Beruhigungspille?
DERNERVSE: Hier, Herr Cohen.
DER RUHIGE: Danke, Herr Cohen. (Nimmt sie ihm aus der Hand
und schluckt sie) Kann ich noch eine haben?
FRAv(kommt aufgeregt herein, setzt sich neben die Mnner, zndet
nervs eine Zigarette an. Die Mnner glotzen.)
DER RUHIGE: Sie auch?
FRAU: Wie Sie sehen.
DER ORIENTALE: Ihre Schwester?
FRAU: Mein Mann.
DERNERVSE: Auch gut. (Pltzlich) Was?!
DER RUHIGE: Ihr Mann ist im Kreisaal?
FRAU: Schon den ganzen Tag. Offenbar eine sehr schwere Geburt.
DR. WASSERLAUF (kommt aus dem Kreisaal, hinter ihm Gerti).
FRAv(geht auf ihn zu) : Rudi, du hast schon wieder die Schlssel mit-
genommen. Wenn du so spt nach Hause kommst, darfst du die
68
Schlssel nicht mitnehmen. Sei doch nicht immer so zerstreut.
(Bekommt von ihm die Schlssel und einen Ku auf die Stirn, geht
ab)
DR. WASSERLAUF (wtend zu den drei Mnnern): Hi . . . Ha . . .
hinaus.
DER ORIENTALE (ZU Gerti): Er will etwas?
DER NERVSE: Was will er?
SCHWESTER GERTI: Doktor Wasserlauf will, da Sie alle sofort nach
Hause gehen, ausgenommen Herr Cohen. (Ab mit Doktor)
DERORIENTALE: Ich erdrossele. Wenn mein Weib wieder eine Toch-
ter bekommt, ich erdrossele.
DERNERVSE: Lieber Gott im Himmel, wenn es eine gesunde Toch-
ter wird, kaufe ich meiner Frau den teuersten Pelzmantel, den es
gibt . . . Lieber Gott im Himmel . . .
DERORIENTALE: Ruhe! Still! Ich hre Baby weinen!
DER NERVSE: Ich stehe zu meinem Eid. Ich kaufe ihr die schnste
Armbanduhr, wenn es nur diesmal . . .
DER RUHIGE: Wenn es nur diesmal gut ausgeht . . . Wenn es nur die-
ses eine Mal noch gut ausgeht . . .
DR. WASSERLAUF (steckt den Kopf durch die Tr): Bo . . . Bo . . .
Bo . . .
DER RUHIGE (brllt): Den haben Sie doch schon zurckbekommen,
Ihren Bob!
DR. WASSERLAUF: BU . . . Bu . . . Bu . . .
ALLE DREI: Also was?
DR. WASSERLAUF: Bub. Ein Bub. (Ab)
ALLE DREI (fassen einander bei den Hnden, tanzen Ringelreihen):
Bub, Bub, Bub . . . Wir haben einen Buben . . . Wir sind Vter,
Vter, Vter.
DERNERVSE: Drei Kilo!
DER RUHIGE: Drei achtzig!
DER ORIENTALE: Vier fnfzig!
DER RUHIGE: Fnf!
SCHWESTERGERTI^H* der Tr): Herr Cohen, Sie knnen hereinkom-
men und Ihren Sohn anschauen.
HERR COHEN (der soeben mit einem groen Blumenstrau das War-
tezimmer betreten hat): Danke vielmals, Schwester Gerti. (Schaut
auf seine Armbanduhr) Genau richtig. (Geht strahlend durch die
Tr ab)
ENDE
6
9
Trau nicht, schau nicht, wem
Ein Eifersuchtsdrama
Nach traditioneller jdischer Auffassung gilt die sogenannte
Eifersucht als das schlimmste aller menschlichen Laster. Zwecks
Vermeidung von Unzukmmlichkeiten auf diesem so ungemein
vielschichtigen Gebiet heit es in den Zehn Geboten: Du sollst
nicht begehren deines Nchsten Weib eine Aufforderung, die
sich leider als vollkommenes Fiasko erwiesen hat. Es ist hoch an
der Zeit, da wir das zugeben und uns um eine leicht modifizierte
Fassung bemhen, etwa: Du sollst auf dein eigenes Weib aufpas-
sen, so gut es geht. Das wre zweckdienlicher.
Die folgende kleine Episode handelt von den Schwierigkeiten, die
sich in diesem Zusammenhang ergeben.
PERSONEN: Der Gatte
Die Gattin
Der Friseur
FRISEUR: Meine Damen und Herren! Wir stehen im Begriff, Ihnen ei-
nen Einblick in die Hlle menschlicher Leidenschaften zu gewh-
ren. Der Stil des Einblicks ist neorealistisch. Die Personen des
Einblicks sind drei verlorene Seelen, die sich in einem unentrinn-
baren Netz von Wollust und Lge verfangen haben: der Gatte, die
Gattin und . . . Na ja, sagen wir: ich. Ich bin von Beruf Friseur,
aber das tut nichts zur Sache, von der unser Drama handelt. Dieses
Drama wollen wir Ihnen jetzt vorfhren, rckhaltslos, offen, bru-
tal. Wir verheimlichen nichts, wir zeigen alles, erotische Aben-
teuer, gefhrliche Liebschaften, Sex, Sex und nochmals Sex. Ein
wahrhaft modernes Schauspiel! Das unerschpfliche Thema, die
ewige Tragdie des Menschengeschlechts: Eifersucht. Genauer:
die Eifersucht des Mannes auf seine Frau. Ein spannungsgeladenes
Produkt der Neuen Welle, vom Zensor zweimal beschlagnahmt,
von der Produktionsleitung zweimal zurckerobert . . . Sind
Minderjhrige unter sechzehn Jahren anwesend? Nein? Dann
knnen wir anfangen. (Nimmt in einem Sessel Platz. Romantische
Hintergrundmusik, intime Atmosphre. In der Nhe des Sessels auf
einem Tischchen zwei Glser, eine Cognacflasche und ein Telefon.)
GATTIN (tritt hftenschwingend ein).
7
FRISEUR: Da ist sie.
GATTIN (setzt sich dem Friseur auf den Scho, schlingt ihre Arme um
seinen Nacken): K mich! Pre mich an dich! Bei mich!
FRISEUR (macht sich nicht ohne Mhe von ihr los).
GATTIN: DU ser Narr! Was willst du von mir?
FRISEUR: Ich liebe dich.
GATTIN: Sag's noch einmal!
FRISEUR: Ich liebe dich.
GATTIN: Noch einmal!
FRISEUR: Gib schon Ruh.
GATTIN: DU liebst mich nicht.
FRISEUR: Doch, ich liebe dich.
GATTIN: Noch einmal! (Neuerliche Umarmung und neuerlicher Be-
freiungskampf des Friseurs)
GATTIN: DU ser Narr.
FRISEUR: WO ist dein Mann?
GATTIN: Auf Waffenbung. Warum liebst du mich?
FRISEUR: Kann er nicht unerwartet nach Hause kommen?
GATTIN: Nein. Er ist ja erst am Morgen abgefahren. Liebst du mich?
FRISEUR: Ja. Ist er stark? Ich meine: krperlich?
GATTIN: Nein. Nur sehr gescheit.
FRISEUR: Das macht nichts.
GATTIN: Was hab' ich dich nur fragen wollen . . . Ach ja, richtig:
Liebst du mich?
FRISEUR: Natrlich. (Umarmung) Aber ich mchte nicht in Schwie-
rigkeiten kommen.
GATTIN: Ich sagte dir schon, da er auf Waffenbung ist.
FRISEUR: Und wer garantiert uns, da er dort bleibt? Sie knnten ihn
als berzhlig wegschicken. Er knnte krank werden und knnte
pltzlich zur Tr hereinkommen. (Der Raum erhellt sich. In der
Tr steht der Gatte) Siehst du? Da steht er. Und ich wollte doch
nicht in Schwierigkeiten kommen. Jetzt haben wir's.
GATTIN (ohne die Umarmung zu lsen): Du liebst mich nicht.
FRISEUR: Ich liebe dich, aber diese Geschichte beginnt mir zu mifal-
len.
GATTIN: Er hat gesagt, da er fr sechs Tage auf Waffenbung geht.
FRISEUR: Er hat gesagt, er hat gesagt. Ist er jetzt hier oder nicht?
GATTIN: Er ist hier. (Zum Gatten) Also, du bist auf einer Waffen-
bung, was?
GATTE: Jetzt bin ich hier, Weib!
GATTIN: Das sehe ich. Du spionierst mir nach, du erbrmlicher
Schnffler! Du erzhlst mir alle mglichen Geschichten und alle
71
mglichen Lgen ber deine Pflichten als Vaterlandsverteidiger,
du gibst vor, ein Mustergatte zu sein - und in Wahrheit schmiedest
du Rnke und denkst dir die gemeinsten Intrigen aus. Gut, mein
Lieber. Ganz wie du willst. Wenn's dir Vergngen macht - nur
zu. Nimm dir Detektive, die mich beobachten und verfolgen, stell
dich auf den Kopf und mach dich zum Gesptt der ganzen Welt.
Aber la dir dann ja nicht einfallen, zu mir zu kommen und um
Verzeihung zu betteln.
GATTE: Wie darfst du es wagen . . .
FRISEUR (beginnt Zeitung zu lesen).
GATTIN: Schm dich, Jonas. Du glaubst jedem Gercht, jedem
Tratsch, jeder Verleumdung, die dir zu Ohren kommt. Du hast
kein Vertrauen zu mir. Du mut eine sehr schmutzige Phantasie
haben. Wie kann ein Mann sich so erbrmlich benehmen? Ist dir
der letzte Rest von Wrde abhanden gekommen? Bist du ein Poli-
zeihund, den man hinter einem Verbrecher herhetzt? Nachher
wird's dir leid tun. Nachher wirst du dich an die Brust schlagen,
wenn du merkst, was du mir mit deinem schbigen Benehmen an-
getan hast. Nachher geht das Gewinsel los. Deborah hin, Debo-
rah her, Deborah dort, Deborah hier . . .
GATTE: Deborah hier . . . Das ist es ja . . . Ich mute . . .
GATTIN (zum Friseur): Er mute! Hast du gehrt? Etwas Dmmeres
konnte ihm gar nicht mehr einfallen. Er mute. Das sagt jeder
Verbrecher, wenn man ihn erwischt. Aber da ich so etwas von
dir zu hren bekommen wrde, Jonas . . . Wenn mir das jemand
prophezeit htte - ich htte geantwortet: Mein Jonas tut so etwas
nicht. Ausgeschlossen. Undenkbar. Mein Jonas ist ein Gentle-
man, ja mehr als das, er ist ein Mann. Htte ich geantwortet. Of-
fenbar habe ich dich in all den Jahren unseres gemeinsamen Le-
bens nicht wirklich kennengelernt. Du stehst vor mir wie ein
Fremder. Du hast eine Wand zwischen uns aufgerichtet, durch die
ich dich kaum noch sehen kann. Und wozu das alles? Nur um mir
nachzuspionieren.
GATTE: Aber . . .
GATTIN: Schweig! Du ekelst mich an.
(Telefon lutet.)
GATTE (hebt ab): Hallo . . . Jemand will mit Mischa sprechen.
FRISEUR (steht auf, nimmt dem Gatten den Hrer aus der Hand):
Hallo, hier Mischa . . . Du bist's? Na fein . . . (Frhliches Ge-
plauder.)
GATTE: La mich erklren. Ich war ganz sicher, da ich zu Hause al-
les in bester Ordnung vorfinden wrde und . . .
72
GATTIN: Darf ich fragen, was hier nicht in bester Ordnung ist?
GATTE: Hr endlich auf, mich wie einen Idioten zu behandeln. Ich
bin nicht ganz so dumm, wie du glaubst.
GATTIN: Groe Worte. Das kannst du: Worte machen. Aber was
steckt dahinter? Nichts. Ich ahne nicht einmal, wovon du
sprichst.
GATTE: Deborah, was bedeuten die zwei Glaser hier auf dem Tisch?
GATTIN: Zwei Glser sind zwei Glser. Warum fragst du? Welche
Erklrungen soll ich dir darber abgegen, was zwei Glser bedeu-
ten?
GATTE: Nur so weiter! Vielleicht hast du gleichzeitig aus zwei Gl-
sern getrunken?
GATTIN: Ich wei wirklich nicht, was ich darauf sagen soll.
GATTE: Ach, das weit du nicht? Du sollst mir antworten. Du sollst
mir sagen, warum hier zwei Glser stehen. Ich habe ein Recht, es
zu erfahren. Du schweigst? Das sagt alles.
GATTIN: Das sagt gar nichts. Ich schweige aus Verachtung. Ich
schweige, weil deine schbigen Unterstellungen mich anwidern.
Weil dein niedertrchtiger Verdacht mich jeder moralischen Ver-
pflichtung enthebt, noch ein Wort an dich zu verlieren.
FRISEUR (hat das Telefongeplauder beendet und legt den Hrer auf):
Entschuldigen Sie die Strung. (Nimmt wieder im Fauteuil Platz)
GATTIN (setzt sich auf seinen Scho und streichelt ihn. Zum Gatten):
Du offenbarst mir deinen Charakter in seiner ganzen Niedrigkeit
- und sprichst ber zwei lppische Glser. Aber das hilft dir
nichts. Damit kannst du mich nicht dumm machen. In keinem an-
dern Land der Welt wrde ein so erbrmlicher Spion wie du mit
dem Leben davonkommen. Man wrde ihn an die Wand stellen.
Ganz einfach an die Wand, und Schlu.
GATTE: SO einfach ist das nicht.
GATTIN: Nicht? (Zum Friseur) Jetzt sag mir, Mischa, was soll ich mit
ihm anfangen? Hat es berhaupt einen Sinn, mit ihm zu diskutie-
ren? Ist es berhaupt der Mhe wert, einem solchen Mann treu zu
sein?
FRISEUR: Mich darfst du nicht fragen. Ich mchte in keine Familien-
streitigkeiten verwickelt werden.
GATTIN: Da fllt mir ein - kennt ihr euch eigentlich? Das ist Mischa,
mein Friseur.
GATTE: Darber bin ich informiert.
GATTIN: Und das ist mein Mann.
FRISEUR: Angenehm.
GATTE (khl): Sehr erfreut.
73
GATTIN: Jonas, was ist los mit dir?
GATTE: Was soll los sein?
GATTIN: Das frage ich dich.
GATTE: DU mut dir doch klar darber sein, da ich Verschiedenes
wei.
FRiSEURfzwr Gattin): Ich hab' dir ja prophezeit, da es zu Streitigkei-
ten kommen wird.
GATTIN (zum Gatten): Aber deshalb mut du dich nicht so beneh-
men. Hast du denn gar keine Manieren? Rei dich zusammen, Jo-
nas. Sag etwas zu deiner Verteidigung, irgend etwas. Gestehe.
Entlaste dein Gewissen. Sag mir- aber bitte ganz ruhig, ohne Hy-
sterie, in chronologischer Reihenfolge -, sag mir, wie das alles ge-
kommen ist und was dich dazu getrieben hat.
GATTE: Ich habe einen anonymen Brief bekommen.
GATTIN: Das dachte ich mir. Bei Gott, das dachte ich mir.
FRISEUR: Natrlich. Lag auf der Hand.
GATTE: Zuerst nahm ich das Ganze nicht ernst . . . wollte es von mir
abschieben . . . aber es blieb etwas haften - ein kleiner . . . nicht
direkt ein Verdacht - ein - ein . . .
FRISEUR: Zweifel.
GATTE: Ja. Ein Zweifel. Und der nagte an mir.
GATTIN: Jonas, Jonas, wann wirst du endlich erwachsen werden!
GATTE: ES ist ja nur, weil ich dich liebe. Das ist es. Deshalb ent-
schied . . . entschul . . . entschlo . . .
GATTIN: Stotter nicht.
GATTE: Deshalb entschlo ich mich, dich in flagranti zu ertappen.
Deshalb erfand ich die Geschichte mit der Waffenbung.
GATTIN: DU hinterhltiger Schuft. Mit welcher Kaltbltigkeit mut
du deinen abscheulichen Plan ausgeheckt haben!
GATTE: Aber Deborah!
GATTIN: Rhr mich nicht an mit deinen klebrigen Verbrecherhn-
den! Fort von mir! La mich allein!
GATTE: Deborah . . . Ja, gewi . . . Ich gebe zu, da ich einen Feh-
ler gemacht habe. Ich war eiferschtig. Ich war verrckt vor Eifer-
sucht. Aber du mut mich verstehen . . . Ihr beide mt mich
verstehen . . . Was htte ich tun sollen, als ich diesen Brief be-
kam? (Zieht einen Brief aus der Tasche, liest) Sehr geehrter Herr,
whrend Sie sich mhen und plagen, um Ihrer Frau das Leben nur
ja recht schn zu machen, vergngt sich die saubere Dame mit
dem Schlagzeuger vom Nebenhaus . . .
FRISEUR: Einen Augenblick, bitte. (Nimmt den Brief an sich, liest
weiter) . . . mit dem Schlagzeuger vom Nebenhaus, der jeden
'4
Donnerstag von 20 Uhr 30 bis ungefhr 22 Uhr auf seine Weise
mit ihr musiziert . . . (Zur Gattin) Darf ich fragen, was das hei-
en soll?
GATTIN: Sei nicht albern, Mischa!
FRISEUR: Jeden Donnerstag?
GATTE: Ich darf doch bitten! Was soll das alles?
GATTIN: Mischa, ich schwre . . .
FRISEUR: Ein Schlagzeuger, was? (Zum Gatten) Hren Sie - das geht
zu weit.
GATTE: Beruhigen Sie sich.
FRISEUR: Diese Frau hat alles, was sie braucht, buchstblich alles -
und treibt sich mit Schlagzeugern herum!
GATTE: In dem Brief ist nur von einem Schlagzeuger die Rede.
FRISEUR: Na wenn schon. Heutzutage kann man niemandem glau-
ben.
GATTE: Aber man darf auch nicht alles ernst nehmen. Schlielich ist
es ja nur ein anonymer Brief.
FRISEUR: Lassen Sie mich in Ruhe.
GATTE: Die Erfindung eines anonymen Verleumders. Kennen Sie
den Typ nicht? Der braucht keine Beweise. Eine attraktive junge
Frau, die ihren Gatten liebt - das gengt den bsen Zungen, um
die absurdesten Gerchte in Umlauf zu setzen.
GATTIN: Stimmt.
FRISEUR: Jonas, Sie sind naiv.
GATTE: Sagen Sie das nicht. Im Gegenteil, meine Augen sind sehr
weit geffnet und sehen sehr scharf. Aber warum stehen Sie? Set-
zen Sie sich.
FRISEUR: Danke. Ich mu jetzt gehen.
GATTE: Schade. Kommen Sie bald wieder.
FRISEUR: Mit Vergngen. Auf Wiedersehen. (Ab)
GATTE: Auf Wiedersehen.
GATTIN: Mischa! (Bricht schluchzend zusammen)
GATTE: Na . . . na . . . na . . . Nicht weinen, Liebling. (Nimmt sie
auf den Scho) Es wird alles wieder gut . . . Die Zeit heilt Wun-
den . . . Kannst du mir verzeihen?
GATTIN: DU liebst mich nicht.
GATTE: Doch, ich liebe dich.
GATTIN: Sag's noch einmal!
GATTE: Doch, ich liebe dich.
GATTIN: DU ser Narr! (Fllt ihm um den Hals)
ENDE
75
Ziegler bertreibt
In einem Mini-Land wie dem unseren hat alles, was anderswo
grere Ausmae hat, kleinere Ausmae. Das gilt auch fr die
Korruption. Und weil sie so klein ist, verbirgt man sie nicht und
sucht sie nicht schamhaft zu leugnen, sondern nimmt sie als einen
integralen'Bestandteil des ffentlichen Lebens zur Kenntnis. Man
knnte beinahe sagen, da sie von offizieller Seite, ja sogar von der
Regierung, gefrdert wird. Unglaublich? Allerdings. Ich selbst
konnte es nicht glauben - bis ich mein nachfolgendes Hrspiel las.
PERSONEN: Ziegler
Ein Amtsdirektor
Sekretrin
ORT DER HANDLUNG: Eine Regierungskanzlei
ZIEGLER: Entschuldigen Sie, Herr Direktor. Stre ich?
DIREKTOR: Kommen Sie nur herein, Ziegler. Ich habe genau fnf Mi-
nuten fr Sie. Setzen Sie sich. Was gibt's?
ZIEGLER: ES tut mir leid, Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehmen zu
mssen.
DIREKTOR: Schon gut, Ziegler. Schieen Sie los.
ZIEGLER: Ich mchte eine Gehaltsaufbesserung haben.
DIREKTOR: Sie mchten eine - was?
ZIEGLER: Ja, Herr Direktor.
DIREKTOR: ES ist Ihnen doch bekannt, da die ffentlichen Ange-
stellten bei uns nach einem ganz bestimmten Gehaltsschema be-
zahlt werden.
ZIEGLER: Ich wei. Aber in Anbetracht der steigenden Lebensko-
sten . . .
DIREKTOR: Sprechen Sie nicht weiter. Ihr Gehalt ist eine Angelegen-
heit direkter Verhandlungen zwischen den Behrden und den
Vertretern der Gewerkschaft fr ffentliche Erpressung und
Streikdrohung. Stellen Sie sich vor, was geschehen wrde, wenn
alle zweihundertsechzig Angestellten unserer Abteilung zu mir
kmen, um Gehaltserhhungen zu verlangen. Es berrascht mich
ein wenig, da Sie, ein alter, loyaler Beamter . . .
ZIEGLER: Ich verstehe, Herr Direktor. Das heit also, da sich nichts
machen lt. Nicht einmal eine Aufbesserung um 50 Pfund netto.
DIREKTOR: Kommt nicht in Frage.
76
ZIEGLER: Brutto?
DIREKTOR: Auch nicht.
ZIEGLER: Dann mu ich also Bestechungen annehmen.
DIREKTOR: ES sieht so aus.
ZIEGLER: Und ich hatte gehofft, wenigstens dieses Jahr . . . Nicht,
da es gar so schwer wre. Man findet immer wieder Leute, die
bereit sind, einen Beamten zu bestechen. Um die Wahrheit zu sa-
gen: Man findet kaum noch Leute, die nicht dazu bereit sind. Im
vergangenen Jahr habe ich auf diese Weise ungefhr 60.000 Pfund
einkassiert.
DIREKTOR: bertreiben Sie nicht, Ziegler.
ZIEGLER: ES war ein sehr gutes Jahr. Die Reorganisation unseres Ei-
senbahnnetzes hat die Dinge in Schwung gebracht. Ich hab's mir
spaeshalber in diesem Bchlein notiert. Hier, lesen Sie selbst,
Herr Direktor . . .
DIREKTOR: Oktober. Ankauf gebrauchter Lokomotiven: 15.600
Pfund. Ja, ich erinnere mich. Ich habe mich damals gefragt,
wozu unser Ministerium zwei alte Lokomotiven braucht. Eine
htte gengt. Zeigen Sie her. November. Griff in die Kasse:
1.700 Pfund. Na, das ist ja nicht so viel.
ZIEGLER: Der November ist immer ein schwacher Monat. Es war
mehr aus Gewissenhaftigkeit vor Bilanzschlu. Aber im Dezem-
ber kam eine wirklich serise Bestechung.
DIREKTOR: Dezember. 33.000 Pfund bar von Herrn R. Wer ist R.?
Robitschek?
ZIEGLER: Ja.
DIREKTOR: Regierungsauftrge?
ZIEGLER: Ja.
DIREKTOR: Ziegler, Ziegler. Mich geht's ja nichts an. Aber sind
33.000 Pfund in einem Monat nicht etwas zuviel?
ZIEGLER: Sie knnen sich nicht vorstellen, Herr Direktor, wie be-
harrlich dieser Robitschek war. Er hat mir das Geld buchstblich
aufgedrngt. Dafr war der Januar wieder sehr schwach. 8.000
Pfund, alles zusammen.
DIREKTOR: Einfuhrbewilligungen?
ZIEGLER: Ausfuhrgenehmigungen.
DIREKTOR: Hm. Wie ich aus Ihrem Bchlein ersehe, hat's im Februar
wieder einen Aufschwung gegeben.
ZIEGLER: Der Frhling, Herr Direktor, der Frhling. Aber jetzt mu
ich Ihnen endlich ein Gestndnis machen. Ich . . . ich lasse mich
nicht gern bestechen. Es pat mir nicht.
DIREKTOR: Warum nicht?
77
ZIEGLER: Wei der Teufel. Vielleicht bin ich pervers. Wenn ich von
meinem Gehalt leben knnte- glauben Sie mir, Herr Direktor, ich
wrde keine einzige Bestechung mehr annehmen.
DIREKTOR: Sie berhren da ein Problem von allgemeiner Gltig-
keit.
ZIEGLER: Ich wei.
DIREKTOR: ES ist ein Problem unseres gesamten ffentlichen Lebens.
ZIEGLER: Ich wei. Aber ich fr meine Person habe ein schlechtes
Gefhl dabei. Schlielich und endlich . . . wenn man's recht be-
sieht . . . ist es nichts anderes als Diebstahl.
DIREKTOR: Von einem rein technischen Standpunkt- gewissermaen
als Verfahrensfrage -, lt es sich nicht leugnen.
ZIEGLER: Deshalb sage ich ja, da ich mit einem halbwegs anstndi-
gen Gehalt -
DIREKTOR: Ausgeschlossen.
ZIEGLER: Vierzig netto.
DIREKTOR: Lieber Freund, wir sind hier nicht in einem Basar, son-
dern in einer Regierungskanzlei. Hier wird nicht gehandelt. Ver-
standen? Ich versichere Ihnen, da die Regierung sich dieses
schmerzlichen Problems durchaus bewut ist. Aber Sie Ihrerseits,
Ziegler, mssen sich darber klar sein, da Sie etwas Unmgliches
verlangen. Wenn wir Ihr Gehalt erhhen, verlangen am nchsten
Tag Ihre zweihundertsechzig Kollegen -
ZIEGLER: Sie werden nichts davon erfahren. Ehrenwort.
DIREKTOR: Das will ich nicht gehrt haben. Zu solchen Machen-
schaften gebe ich mich nicht her . . . Also Robitschek hat Ihnen
33.000 Pfund gezahlt?
ZIEGLER: In drei Raten. Die letzte davon erst heute. Hier, in dieser
Rocktasche, befinden sich 11.000 Pfund in Banknoten.
DIREKTOR: Sehr unvorsichtig von Ihnen, so viel Bargeld bei sich zu
tragen.
ZIEGLER: Ich nehme keine Schecks.
DIREKTOR: Haben Sie das Geld schon nachgezhlt?
ZIEGLER: Dazu hatte ich noch keine Zeit.
DIREKTOR: Versteh' ich nicht. Ein so gewissenhafter Beamter wie
Sie?
ZIEGLER: Ich bin nervs. Ich mache mir Gedanken. Wenn im De-
zember alle unsere Angestellten mit 11.000 Pfund pro Kopf besto-
chen worden wren, so htte das weit mehr ausgemacht als eine
allgemeine Gehaltserhhung.
DIREKTOR: Was reden Sie da? Sind Sie verrckt geworden? Erstens
kommen fr Bestechungen die Staatsbrger auf und nicht der
78
Staat. Und zweitens, entschuldigen Sie, haben nicht alle Ange-
stellten die Chance, sich bestechen zu lassen.
ZIEGLER: Dreiig Pfund monatlich, und ich hr' auf damit.
DIREKTOR: Sie sind ein Querkopf, Ziegler. Das mu ich schon sagen.
Einen Augenblick. Ich rufe meine Sekretrin. (Klingel)
SEKRETRIN: Sie wnschen, Herr Direktor?
DIREKTOR: Bringen Sie mir das Dossier fr diverse Nebeneinknfte.
SEKRETRIN: Von wann?
DIREKTOR: Die letzten zwei Jahre.
SEKRETRIN: Hier, bitte.
DIREKTOR: Wie hoch war die Bestechungstotale am Ende des letzten
Jahres?
SEKRETRIN: Inklusive Veruntreuungen in bar?
DIREKTOR: Ja.
SEKRETRIN: Im letzten Quartal . . . Also im Oktober erreichten die
Entnahmen in unserer Abteilung eine Gesamthhe von 22.800
Pfund.
DIREKTOR: Das geht noch an. November?
SEKRETRIN: 38.000 Pfund, aber ich habe meine 2.000 Pfund vor der
Inspektion zurckerstattet.
DIREKTOR: Ja, ja, ich erinnere mich. Weiter.
SEKRETRIN: Dezember: 3.000 Pfund.
DIREKTOR: Natrlich Robitschek. Und wie sieht die Gesamtbilanz
aus?
SEKRETRIN: In der Sparte Indirekte Bestechungen haben wir eine
Abschluziffer von 240.000 Pfund, aber davon sind 20.000 ein
bertrag vom Vorjahr.
DIREKTOR: Macht keinen Unterschied. Sagen wir: rund eine Viertel-
million. Nehmen Sie Papier und Bleistift, Ziegler, und kalkulieren
Sie. Wenn ich Ihr Gehalt um 40 Pfund monatlich erhhe, mu ich
morgen 260 Angestellten die gleiche Erhhung bewilligen. 40
Pfund netto sind bei unserer Steuergebarung 80 Pfund brutto. Mit
Krankenversicherung, Pensionsfonds und so weiter kommen wir
ziemlich genau auf 100. Multiplizieren Sie das mit 260. Das ergibt
26.000 Pfund pro Monat.
SEKRETRIN: Oder mehr als 300.000 Pfund im Jahr.
DIREKTOR: Und jetzt sagen Sie mir, Ziegler, wo soll unser kleines
Land so viel Geld fr Gehaltserhhungen hernehmen? Wir sind
arm, wir haben keine Bodenschtze, wir kmpfen hart um unsere
wirtschaftliche Unabhngigkeit. 300.000 Pfund im Jahr. Woher,
Ziegler? Woher?
ZIEGLER: Ich wei nicht.
79
DIREKTOR: Da haben Sie's. Auf der andern Seite kosten uns, wie Sie
soeben gehrt haben, alle Veruntreuungen zusammen nicht mehr
als eine Viertelmillion, also um 50.000 Pfund weniger. Wollen Sie
die Staatskasse um diese 50.000 Pfund berauben?
ZIEGLER: Gott behte.
DIREKTOR: Dann tun Sie mir den Gefallen und hren Sie endlich auf,
von mir eine Gehaltserhhung zu verlangen.
ZIEGLER: Jawohl, Herr Direktor. Sie haben recht.
DIREKTOR: Ich freue mich, da Sie vernnftig geworden sind, Zieg-
ler. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn die Staatsfinanzen sich
konsolidiert haben . . . vielleicht knnen wir dann ber eine Ge-
haltserhhung sprechen.
ZIEGLER: In ein paar Jahren bin ich Millionr.
DIREKTOR: Dann kann ich Ihnen leider nicht helfen, Ziegler. Auf
Wiedersehen.
ZIEGLER: Auf Wiedersehen, Herr Direktor.
ENDE
Ansthesie
Ansthesie ist nicht die geheimnisumwitterte Tochter des letzten
Zaren, sondern ein medizinischer Vorgang, der dazu dient, den
Patienten fr die Dauer der Operation in Schlaf zu versetzen. Der
nachstehend geschilderte Alpdruck entstand, als sein Verfasser den
Blinddarm einbte und sich nicht dazu aufraffen konnte, dem
Chirurgen whrend der Operation mitzuteilen, da die Ansthesie
nicht gewirkt hatte. Der Chirurg wre sonst vielleicht nervs
geworden.
PERSONEN: Der Chirurg
Sein Assistent
Die Operationsschwester
Der Patient
ORT DER HANDLUNG: Ein Operationssaal
Alles ist fr die Operation vorbereitet. Die Tr steht offen. In der
Ecke ein kleiner Radioapparat.
SCHWESTER (bereitet die Instrumente vor).
ASSISTENT (durch die Tr) : Schwester! Der Blinddarm vom zweiten
Stock kommt angerollt! Ist alles vorbereitet?
SCHWESTER: Jawohl.
ASSISTENT: Genug ther fr die Ansthesie?
SCH WESTER (geht zum Regal): Zwei Flaschen sind voll, in einer ist nur
noch ein kleiner Rest. (Hebt die zuletzt beschriebene hoch) Hch-
stens ein paar Tropfen . . .
ASSISTENT: Das lohnt nicht mehr. Fllen Sie die Flasche mit Wasser
auf, und wir verwenden sie zur Desinfektion.
SCHWESTER: In Ordnung. (Tut es. Pltzliches Glockenzeichen. Sie
stellt die Flasche zu den Instrumenten) Der Patient! (Luft hinaus)
CHiRURGfm mit dem Assistenten ein, beide maskiert): Fertig? (Pro-
zedur des Hndewaschens)
ASSISTENT: ES ist alles vorbereitet, Herr Professor. (Ruft) Herein mit
ihm!
CHIRURG: Ein leichter Fall. Sollte uns nicht lange aufhalten. Ich habe
heute noch drei Operationen.
STlMMEDEsPATiENTEN(Von drauen): Es wird weh tun. Ich wei, da
es weh tun wird. (Der Patient wird hereingerollt)
81
SCHWESTER: Beruhigen Sie sich, Herr Neumann, es wird nicht weh
tun. Es ist eine ganz leichte Operation. Glauben Sie mir.
PATIENT: Warum soll ich Ihnen glauben? Sind Sie eine medizinische
Autoritt? Sie sind eine Krankenschwester. Ich mchte es von ei-
nem Fachmann hren. Welcher von den Herren ist der Professor?
CHIRURG: Ich. Und ich kann Ihnen versichern, da Sie von der Ope-
ration berhaupt nichts spren werden.
PATIENT: Das sagen Sie nur, um mich zu beruhigen. Schwren Sie!
CHIRURG: Seien Sie nicht kindisch, mein Lieber. (Zur Schwester)
Schlfern Sie ihn ein.
SCHWESTER: Sofort, Herr Professor. (Nimmt die mit Wasser gefllte
Flasche)
PATIENT: Einen Augenblick! Wenn der Herr Professor sich weigert,
zu schwren, dann mchte ich in mein Zimmer zurckgebracht
werden. Dann lasse ich mich nicht operieren. Entweder der Herr
Professor schwrt, da er mir nicht weh tun wird, oder die Ope-
ration findet nicht statt.
CHIRURG: Also gut, ich schwre.
PATIENT: Auf was?
CHIRURG: Auf die Bibel.
PATIENT: Das gengt nicht. Schwren Sie bei Ihrer Karriere.
CniRUKcfnachsichtig, wie man zu einem harmlosen Narren spricht):
Ich schwre bei meiner Karriere.
PATIENT: Sind Sie verheiratet?
CHIRURG: Ja.
PATIENT: Dann schwren Sie bei der Gesundheit Ihrer Frau!
CHIRURG (wie oben) : Ich schwre bei der Gesundheit meiner Frau.
PATIENT: Kinder?
ASSISTENT: Jetzt ist es aber genug, Herr Neumann. (Zum Professor)
Vergessen Sie nicht, da wir heute noch drei Operationen haben.
CHIRURG: Richtig. (Zur Schwester) Legen Sie ihm die thermaske
auf.
PATIENT (wehrt sich verzweifelt): Ich la' mich nicht einschlfern,
ich la' mich nicht einschlfern! Wenn ich schlafe, bekomm' ich
Alpdrcken.
CHIRURG: Machen Sie weiter, Schwester.
PATIENT: Herr Professor, versprechen Sie mir wenigstens, da Sie
mich aufwecken, wenn ich aus dem Schlaf schreie. Ich schreie im-
mer: Oj, Spiegel!
ASSISTENT: Wer ist Spiegel?
PATIENT: Keine Ahnung. Ich kenne ihn nur aus meinen Alptrumen.
Er verfolgt mich immer mit einem gezckten Messer. Ich versuche
82
davonzurennen und schreie: Oj, Spiegel! Oj, Spiegel! Bitte
wecken Sie mich auf, wenn Sie das Stichwort Oj, Spiegel! h-
ren.
CHIRURG: Gut, ich werde Sie aufwecken.
PATIENT: Schwren Sie.
(Assistent und Schwester drcken die thermaske aufsein Gesicht.
Die Schwester trnkt sie mit der Flssigkeit aus der Desinfektionsfla-
sche.)
CHIRURG: Und jetzt beginnen Sie zu zhlen, lieber Freund. Wollen
mal sehen, wie weit Sie kommen.
PATIENT: Was heit das, wie weit ich komme? Ich war in meiner
Klasse immer der Beste in Mathematik. Ich habe ein kolossales
Gedchtnis fr Ziffern, Herr Professor.
CHIRURG (gibt der Schwester ein Zeichen, weiterzuschtten): Das
trifft sich gut. Dann sagen Sie uns ein paar Ziffern und berlassen
Sie alles weitere uns.
PATIENT: 53, 846, 22, 701, 60, 503 . . .
CHIRURG: Was machen Sie da?
PATIENT: Ich nenne Ziffern, Herr Professor.
CHIRURG: Sie sollen zhlen, verstehen Sie?
PATIENT: Ach so. Ich dachte, das spielt keine Rolle. Aber wenn die
Reihenfolgeso wichtig ist-mir kann's recht sein. 1, 2, 3 . . .(Fl-
sternd) . . . 4, 5, 6, 7 . . . (Beinahe unhrbar) . . . 8, 9, 10,11, 12,
13 . . . (Der Professor nimmt das Skalpell und schickt sich an, mit
der Operation zu beginnen, als Herrn Neumanns Stimme sich
pltzlich belebt) 14, 15, 16 . . . (laut) . . . 17, 18, 19, 20, 21.
CHIRURG: Um Himmels willen, Schwester, was ist das fr eine An-
sthesie? Wieso schlft der Patient noch nicht?
PATIENT: Vielleicht habe ich in der Nacht zuviel geschlafen. Ich leide
an einer berdosis von Schlaf.
SCHWESTER (schttet weiter): Das mte fr ein Pferd ausreichen,
Herr Professor.
CHIRURG: Zhlen Sie.
PATIENT: WO bin ich stehengeblieben? Sehen Sie, jetzt kann ich mich
nicht erinnern. Sie reden zuviel. Das verwirrt mich.
CHIRURG: 24.
PATIENT: Nein, nein. Ich wei ganz genau, da 24 noch nicht heraus-
gekommen ist. Wie soll man in diesem Durcheinander arbeiten?
Also ich beginne bei 30.
CHIRURG: Bitte.
PATIENT: 31, 32, 33 . . . (Seine Stimme wird schwcher) . . . 34, 35,
36. (Er verstummt )
83
CHIRURG: Endlich! (Beugt sich ber den Patienten. Lautstark) Wie
heien Sie?
PATIENT (noch lautstrker): Samuel Neumann.
SCHWESTER (schreit auf).
ASSISTENT: Ich werde verrckt.
CHIRURG: Geben Sie ihm noch mehr ther.
ASSISTENT (schttet).
PATIENT: Vielleicht gehrt das nicht hierher, aber ich werde mir dem-
nchst den Namen ndern lassen. Wissen Sie einen schnen hebr-
ischen Namen fr mich? Ich hatte noch keine Zeit, darber nach-
zudenken.
CHIRURG: Zhlen Sie!
PATIENT: Wie Sie wnschen. 37, 38, 75, 100, 200 . . .
CHIRURG: Was ist denn das schon wieder?
PATIENT: Ich berspringe die unwichtigen Ziffern, damit ich schnel-
ler einschlafe. 300, 400, 500, 750, 1000 . . . (Er verstummt).
CHIRURG (aufatmend): Gott sei Dank! Jetzt knnen wir anfangen.
PATIENT (setzt sich auf): Wissen Sie, Herr Professor, ich war nicht
nur in Mathematik sehr gut, sondern auch in Geographie. Ich
kenne die Namen aller bedeutenden Hafenstdte der Welt. Soll
ich sie hersagen?
CHIRURG: Meinetwegen.
PATIENT: Aden, Bombay, Port de Galle, Mandalay, Calcutta, Ran-
gun, Singapur, Pago-Pago, Batavia, Surabaja, Pandang, Madagas-
kar, Dar-es-Salam, Bagamoya, Sansibar, Togo, Mombassa . . .
ASSISTENT: Hren Sie auf mit dem Unsinn. Schlafen Sie.
P ATiENT(7egt sich hin und richtet sich sofort wieder auf): Punta Aran-
has, Valparaiso, Buyaquil, Panama, Tehuantepec, Accapulco,
Guadalajara, San Francisco, Honolulu.
ASSISTENT (wtend): Mund halten! Hinlegen!
PATiEm(liegend): Malaga, Valencia, Barcelona, Marseilles, Toulon,
Genua, Livorno, Neapel, Palermo, Cagliari, Piraeus, Haifa . . .
Bitte alles fr die Zollinspektion vorbereiten . . . (Verstummt)
CHIRURG: Jetzt sind wir aber soweit! Skalpell-Jod-Schere . . . (Er
macht sich ans Werk)
PATIENT (lacht): Kitzeln Sie mich nicht, Herr Professor! Ich zhle
noch immer.
CHIRURG: Was? Wieso? Ich habe Sie nicht gehrt.
PATIENT: Weil ich im Geist weitergezhlt habe.
CHIRURG (schreiend): ther! Schtten Sie drauflos!
SCHWESTER: Ich schtte ja die ganze Zeit.
ASSISTENT: Das ist doch nicht zu fassen . . . Zhlen Sie!
84
PATIENT: 1500, 1750, 2000. (Verstummt)
CHIRURG (wie zuvor): Wie heien Sie?
PATIENT: Pst. Ich schlafe.
CHIRURG: Na endlich. (Nimmt seine Ttigkeit wieder auf) Das war
vielleicht eine Anstrengung. So etwas von Widerstand hab' ich
noch bei keinem Patienten erlebt. Aber jetzt mssen wir uns beei-
len . . . (Zum Assistenten) brigens habe ich Sie gestern im Thea-
ter gesehen. Wie fanden Sie das Stck?
PATIENT: Groartig.
ASSISTENT (steht wie vom Schlag gerhrt).
SCHWESTER (ebenso).
CHIRURG (macht weiter, als ob er nichts bemerkt htte): Podmantzky
war so gut wie schon lange nicht.
PATIENT: Ja, das stimmt. Er hat alle an die Wand gespielt.
CHIRURG: War das Ihre Frau, die neben Ihnen gesessen ist?
PATIENT: Nein. Meine Freundin.
CHIRURG (wirft erst jetzt einen Blick auf den immer noch reglos da-
stehenden Assistenten): Was hre ich? Sie sind erst seit zwei Mo-
naten verheiratet und zeigen sich in aller ffentlichkeit mit einer
Freundin?
PATIENT: Mir scheint, Sie verwechseln mich mit irgend jemandem,
Herr Professor. Ich bin seit zehn Jahren geschieden.
CHIRURG: ther!
SCHWESTER (schttend): Ich versteh' berhaupt nichts mehr.
ASSISTENT: Herr Professor . . . Mir ist bel . . . Ein Schwindelan-
fall . . . (Wankt)
CHIRURG: Zhlen Sie, zum Teufel!
PATIENT: 2500, 3000, 5000 . . . Darf ich wieder von vorn anfangen?
CHIRURG: ther! Noch mehr ther! Oder ich lasse alles stehen und
liegen!
SCH WESTER (schttet. Ein paar Sekunden vergehen.)
PATIENT (leise, aber gut hrbar): Oj, Spiegel! Oj, Spiegel!
CHIRURG: Jetzt schlft er.
PATIENT (setzt sich auf): Keine Spur. Ich wollte Sie nur auf die Probe
stellen. Ich wollte sehen, ob Sie mich wecken, wenn ich Oj, Spie-
gel rufe. Sie haben mich nicht geweckt. Und jetzt werde ich nie
mehr einschlafen.
ASSISTENT: Ich falle in Ohnmacht.
CHIRURG: ther! Warum schtten Sie nicht?
SCHWESTER: ES hilft nichts, Herr Professor. Der Mann ist schlimmer
als ein Elefant. Er scheint gegen Schlaf immun zu sein.
CHIRURG: Schlafen Sie! Schlafen Sie!
85
PATIENT: Ich habe genug geschlafen. Jetzt will ich aufstehen.
CHIRURG: ther!
SCHWESTER: Nichts mehr da. Er hat fnf Liter bekommen.
ASSISTENT: Herr Professor, ich gebe meine Stellung auf.
(Schlpft aus dem Operationskittel)
SCHWESTER (ebenso): Ich gehe nach Hause. Was zuviel ist, ist zuviel.
Man hat mir sowieso einen Posten im Kindergarten angeboten.
CHIRURG: Warten Sie! Es gibt eine Notlsung fr extreme Dringlich-
keitsflle. (Zum Assistenten) Bitte drehen Sie das Radio auf.
ASSISTENT (tut es).
RADIO (im bekannt langweiligen Tonfall regierungsoffizieller Ver-
lautbarungen) :. . . Und wie wir alle wissen, lt sich das Rad der
Geschichte nicht rckwrts drehen. Die Initiative des ebenso auf-
bauwilligen wie unternehmungstchtigen Geistes, der unser Volk
sowohl durchdringt als auch beherrscht, ist nicht auf die Vergan-
genheit gerichtet, sondern auf die Zukunft. Wir schauen vor-
wrts, nicht rckwrts oder seitwrts. Ohne das Erbe unserer gro-
en Tradition zu verraten, stehen wir mit beiden Beinen auf dem
Boden jener unwiderleglichen Tatsachen, die uns von der Fortset-
zung unserer Kontinuitt auferlegt sind. Wir haben diese Heraus-
forderung vor aller Welt angenommen und werden sie erfllen,
auch wenn wir dabei den grten Opfern entsagen mssen . . .
(CHIRURG ghnt, setzt sich auf den Operationswagen, zieht nach ei-
ner Weile die Beine hoch und legt sich neben den laut schnarchenden
PATIENTEN. ASSISTENT und SCHWESTER folgen in kurzen Abstnden.
Allgemeines rhythmisches Schnarchen.)
ENDE
86
Schwierigkeiten beim Umsturz
Auch bei uns ist es nicht anders. Auch unser Jungvolk verfllt von
Zeit zu Zeit in jene revolutionren Zuckungen, die sich gegen ein
beraltertes Erziehungssystem wenden, gegen versteinerte Auto-
rittsbegriffe, gegen die Beschrnkungen im Handel mit Rausch-
giften, gegen das Verbot, ffentliche Gebude in die Luft zu spren-
gen, und dergleichen mehr. Die jungen Menschen sind mit ihren
Protesten gegen die ihnen zugefgte Freiheitsberaubung so inten-
siv beschftigt, da sie keine Zeit finden, ihr Universittsstudium
zu beenden. Sie mssen sich darauf beschrnken, dann und wann
die Einrichtung eines Hrsaals zu zertrmmern oder Andersden-
kende zu verprgeln. Im brigen erfreut sich das rote Bchlein des
Vorsitzenden Mao in unseren Breiten nur miger Beliebtheit. Die
Anstrengung, es zu schwenken, ist bei der hier herrschenden
Hitze doch etwas zu gro.
PERSONEN: Tibi, ein Student
Julia, eine Studentin
Appendix, trotzdem ein Student
Leon, ebenfalls
Kellnerin
Die Schwalbe, eine Studentin
Kaffeehausgast
ORT DER HANDLUNG: Ein kleines Kaffeehaus
TiBifm'tt ein. Er bat die lauernden Bewegungen eines Panthers) : Wie
spt ist es, Julia?
JULIA: 5 Uhr 45, Bo.
TIBI: Zum Teufel. Ich habe Appendix ausdrcklich beauftragt, mir
genau um 5 Uhr 40 den neuen Kandidaten zu bringen. Man kann
sich auf niemanden verlassen. Keine Disziplin. Kein revolution-
rer Geist. Und mit solchen Leuten soll man die Struktur der herr-
schenden Gesellschaft ndern.
JULIA: Willst du Appendix loswerden? Peng - und es ist vorbei.
TIBI: Noch nicht, Julia. Erst wenn wir mehr sind. Dann gibt's eine
Suberungswelle. Jetzt haben wir die Aufgabe, unsere Reihen zu
strken.
JULIA: Jawohl, Bo.
TIBI: WO ist die Schwalbe?
JULIA: Holt Karten frs Kino.
87
TIBI: Gut. Wieviel kostet eine Karte?
JULIA: Ungefhr ein Pfund.
TIBI: Ein Pfund! Verbrecher! Dieses Ausbeutergesindel mssen wir
abschaffen.
JULIA: Peng - und es ist vorbei.
TIBI: Noch nicht.
JULIA: Wer ist der neue Kandidat?
TIBI: Ein groartiger Kerl. Von der Fakultt fr vergleichende Lite-
raturwissenschaften. Vollkommen desillusioniert. Der manisch-
depressivste Revolutionr auf dem ganzen Campus. War sehr be-
eindruckt von meinem Pamphlet: Die Kapitalistenhunde jagen
uns.
JULIA: Peng - und es ist vorbei.
TIBI: Spter. Appendix hlt ihn fr einen erstklassigen Verschwrer.
Wir mssen ihn dementsprechend behandeln. Vorsichtig taktie-
ren. Sein Aktionsbedrfnis wecken. Seine Aggressionsbereit-
schaft freilegen. So lange, bis er bereit ist, die Kanzlei des Rektors
in die Luft zu jagen.
JULIA: Die Rektoratskanzlei? Oh, Tibi, das ist wunderbar. Davon
habe ich die ganze Zeit getrumt.
TIBI: Kommt alles. Nur Geduld. Der betreffende Flgel der Univer-
sitt ist noch nicht fertiggebaut. - Still!
KELLNERIN (kommt): Sie wnschen?
TIBI (betrachtet die Speisekarte): Ich glaub's nicht. Was kostet das
Gulasch?
KELLNERIN: 2,70.
TIBI: 2,70 fr ein Gulasch! Und so was nennt sich Demokratie!
JULIA: ES dauert nicht mehr lange.
TIBI: Bestimmt nicht. Wieviel Geld hast du bei dir?
JULIA (sieht in ihrer Geldbrse nach. Zur Kellnerin): Tee.
KELLNERIN: Und zu essen?
JULIA: Bringen Sie erst einmal das Gulasch.
KELLNERIN: Zwei Portionen?
JULIA: Eine.
KELLNERIN: Wie Sie wnschen.
TIBI: Gesindel.
JULIA: Da kommen sie.
(Appendix und Leon treten ein.)
TIBI: Ihr seid versptet.
APPENDIX (ein schlfriger Typ): Wir haben Eis gegessen.
TIBI: Bo!
APPENDIX: Wir haben Eis gegessen, Bo.
TIBI: Das Losungswort!
APPENDIX: Was?
TIBI: Wer bist du?
APPENDIX: Appendix.
TIBI (brllt): Ich habe dir tausendmal gesagt, da man auf die Frage
Wer bist du? das Losungswort zu geben hat! Wer bist du?
APPENDIX: Append . . . Ich wei nicht. Ich hab's vergessen.
TIBI: Idiot! Das Losungswort fr die nchsten achtundvierzig Stun-
den lautet: Hhneraugen heilen hufig.
LEON fei zerstreuter Typ): Nein! Bitte nicht!
TIBI: Tut mir leid. Losungswort ist Losungswort. Ohne Losungs-
wort gehrst du nicht zu uns. Wer bist du?
LEON (zgernd): Hhneraugen - heilen - hufig.
TIBI: In Ordnung. Jetzt sind wir abgesichert. Setz dich.
JULIA: Willkommen in den Reihen der Revolutionre, Genosse. Ich
heie Julia.
LEON: Freut mich sehr. Mein Name ist Jakob.
TIBI: Nie den richtigen Namen angeben, Genosse! Ich zum Beispiel
heie in der Bewegung nur Tibi.
LEON: Und wie heit du wirklich?
TIBI: Ezechiel Goldberg.
APPENDIX: Mich kennt man unter dem Namen Appendix, weil ich
einmal einen Molotow-Cocktail in die Universittsklinik gewor-
fen habe. Meine Freunde rufen mich Appi.
JULIA: Und wir sollen Jakob rufen?
TIBI: Augenblick . . . (denkt nach) Ich hab's. Leon!
JULIA und APPENDIX (applaudieren).
JULIA: Tibi ist unser geistiger Fhrer.
TIBI: Ruhe jetzt. (Feierlich) Genossen, heute nehmen wir ein neues
Mitglied in die Reihen unserer Bewegung auf.
LEON: Entschuldige, Goldberg - aber ich bin der Bewegung noch
nicht beigetreten.
TIBI: ZU spt, mein Junge! Du kannst nicht mehr zurck! Du bist be-
reits in unsere Geheimnisse eingeweiht.
LEON (steht auf): Ich will nach Hause.
TIBI: Setz dich. Wenn du erst einmal von der Gerechtigkeit unserer
Sache berzeugt bist, wenn du erst einmal weit, wofr wir uns
aufopfern, werden deine ngste dahinschwinden.
JULIA: Bist du denn gar nicht desillusioniert?
LEON: Nicht im geringsten.
JULIA: Warum nicht?
LEON: Keine Ahnung.
89
APPENDIX: Solltest du aber sein.
LEON: Ich bin bei der Geschichtsprfung durchgefallen. Und meine
Fahrradpumpe wurde mir gestohlen.
TIBI: Gesindel.
JULIA: Peng -
APPENDIX: - und es ist vorbei.
TIBI: Genug. Wir mssen Leons ideologische Einstellung kennenler-
nen. Zuerst ein paar Fragen. Wer bist du und was tust du?
LEON: Hhneraugen heilen hufig.
TIBI: Nein, jetzt nicht. Jetzt wollen wir wissen, wovon du lebst.
LEON: In den Semesterferien arbeite ich als Aushilfe in der Parfme-
rie Tamari auf der Allenby-Strae.
JULIA: Fein!
TIBI: Ruhig. Immerhin, Freunde - ein gewisser sozialrevolutionrer
Antrieb ist gegeben. Leon rebelliert gegen die Ausbeutung durch
ein verbrecherisches Establishment. Wie stehst du mit dem Ver-
brecher persnlich?
LEON: Mit welchem Verbrecher?
TIBI: Mit diesem Tamari, dem die Parfmerie gehrt.
LEON: Er ist mein Papi.
APPENDIX: Was?! Dein leiblicher Vater?
LEON: Ja. Ich bin Jakob Tamari.
TIBI (brllt): Keine Namen, bitte!
LEON: Schon gut, Goldberg.
TIBI: Tibi!
LEON: Tibi.
TIBI: Und jetzt hr zu. Kannst du mit einem Gewehr umgehen?
LEON: DU meinst putzen und so?
TIBI: Nein. Ich meine schieen.
JULIA: Tten.
LEON: Ich hab's noch nicht versucht. Einmal hab' ich in einer
Schiebude im Luna-Park geschossen und einen Kamm gewon-
nen.
APPENDIX: Gratuliere.
LEON: Nichts zu gratulieren. Der Kamm war ein Trostpreis, wenn
man nach zehn Schssen nichts getroffen hat.
TIBI: Kopf hoch, Leon. Du wirst es noch lernen. (Legt eine Schach-
tel auf den Tisch) Weit du, was das ist?
LEON: Eine Handgranate.
TIBI: Woher weit du das?
LEON: AUS einem Film. Man wirft sie - peng - und es ist vorbei.
JULIA: DU bist s.
90
TIBI: Schweig, Julia. Wir dulden in unserer Bewegung keine persn-
lichen Gefhlsuerungen.
LEON: Ich bin der Bewegung noch nicht beigetreten.
TIBI: Dich fragt niemand. Von jetzt an hast du auf Abruf bereit zu
sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wann immer die Befreiung
der Massen es verlangt.
LEON: Meinetwegen. Ausgenommen Samstag nachmittag.
TIBI: Was heit das?
LEON: Samstag nachmittag besuche ich mit meiner Mutter die Tante
Ilka. Jeden Samstag. Tut mir leid.
TIBI: Deine Tante Ilka ist dir wichtiger als die Revolution?
LEON: Meine Tante Ilka ist mir berhaupt nicht wichtig. Offen ge-
sagt: Ich kann sie nicht schmecken. Aber sie ist die Schwester mei-
ner Mutter, und ich mu meine Mutter begleiten. Samstag nach-
mittag kommt nicht in Frage.
TIBI: Bist du verrckt?
LEON: Nicht da ich wte. Warum soll ich verrckt sein?
TIBI: Wenn man dich bei einer Aktion erwischt und wenn du bewei-
sen kannst, da du verrckt bist, gehst du frei.
LEON: Ich will aber nicht erwischt werden.
TIBI: Auch wir wollen nicht, da du erwischt wirst. Aber wir
mssen vorsichtig sein. Die sind wie die Bluthunde hinter uns
her, seit wir damals die Plastikbomben in die Aula geworfen
haben.
LEON: Das wart ihr}
APPENDIX: Ich. Mit diesen Hnden.
LEON: Groer Gott!
APPENDIX: Keine Heldentat. Ich bin ja schlielich verrckt.
LEON: DU bist -?
APPENDIX: Und wie! Da, schau. Mein rztliches Zeugnis. Unter-
schrieben, gestempelt und beglaubigt. Ich kann jede beliebige
Universitt anznden, wenn's mich freut. Ich hab' einen Jagd-
schein.
LEON: DU Glckspilz.
TIBI: Das hat nichts mit Glck zu tun, Leon. Appendix hat sich ver-
letzt, als wir damals die portugiesische Gesandtschaft mit Dyna-
mit behandelt haben.
JULIA: Junge, das war vielleicht eine Sache! Der portugiesische Koch
war der einzige, dem nichts passiert ist.
LEON: Ja. So? Aha. Aber wenn ich fragen darf: Warum habt ihr -
Verzeihung -, warum haben wir die portugiesische Gesandtschaft
eigentlich attackiert?
TIBI: Warum? (Zu den anderen) Er fragt warum! (Zu Leon) Bist du
gegen den Atomkrieg?
LEON: Ja.
TIBI: Bist du gegen den Vietnamkrieg?
LEON: Ja.
TIBI: Bist du fr die Schwarzen?
LEON: Wei ich nicht.
TIBI: Siehst du? (Reicht ihm die Speisekarte) Lies! Wieviel kostet ein
Gulasch?
LEON: 2,70.
APPENDIX: Verbrecher!
TIBI: Etwas anderes. Wie schaut's bei uns mit den Verkehrsverhlt-
nissen aus?
LEON: Frchterlich.
TIBI: Wie kommst du zur Universitt und wieder nach Hause?
LEON: Bevor sie mir meine Fahrradpumpe gestohlen haben . . .
TIBI: Da hast du's. Und unser Stadion?
LEON: In einem erbrmlichen Zustand.
TIBI: Brauchen wir eine Revolution oder nicht?
APPENDIX UND JULIA (klatschen Beifall).
TIBI: Wie ich sagte: Wenn du erst einmal die richtige ideologische
Einstellung gefunden hast, wirst du die Dinge richtig sehen.
LEON: Ich bin noch nicht beigetreten.
TIBI: La die Kindereien. Jetzt wirst du vereidigt. Die Aufnahmeze-
remonie beginnt. (Alle erheben sich) Leon! Leg deine Hand auf
die Granate!
LEON (legt die zitternde Linke auf die Schachtel und hebt die Rechte
zum Schwur).
TIBI: Sprich mir nach: Ich, Leon . . .
LEON: DU heit auch Leon?
TIBI: Ich, Leon . . . ein entschlossener Freiheitskmpfer . . .
LEON (wiederholt zgernd den Text).
TIBI: . . . schwre bei meinem Eid und bei der Heiligkeit der
Lehre des Vorsitzenden Mao, da ich vom heutigen Tage
an . . .
KELLNERIN (nhert sich mit einem Glas Tee).
TIBI: Achtung. Niemand rhrt sich. Die Kellnerin kommt.
LEON: . . . da ich vom heutigen Tage an . . . Achtung, niemand
rhrt sich, die Kellnerin kommt . . . Ich kann mir nicht helfen,
Goldberg, aber das ist ein idiotischer Text.
TIBI (zischt) : Der Idiot bist du.
KELLNERIN (hat sich entfernt).
92
TIBI: . . . da ich vom heutigen Tage an nichts anders im Sinn ha-
ben werde als den Umsturz des kapitalistischen Gesellschaftssy-
stems, die Befreiung der unterdrckten Massen und den unerbitt-
lichen Kampf gegen die Konterrevolution . . .
LEON: . . . gegen die Konterrevolution. Ausgenommen Samstag
nachmittag.
TIBI: Ich verpflichte mich, unter allen Umstnden revolutionre
Disziplin zu halten und die mir erteilten Befehle auszufhren. Ich
bin bereit, fr jede Widersetzlichkeit mit dem Leben zu ben.
LEON: Das ist mir zu streng.
JULIA: Streng oder nicht -wir dulden keine Verrter in unseren Rei-
hen. Weit du, was wir mit einem Verrter machen?
LEON: Ich kann's mir - denken. Peng - und es ist vorbei.
JULIA: DU bist s.
TIBI: Keine Emotionen! (Erschttelt Leon die Hand) Genosse Leon,
du gehrst jetzt mit allen Rechten und Pflichten zu unserer Zelle.
LEON: WO ist hier eine Zelle?
APPENDIX: Zelle ist der Ausdruck fr eine revolutionre Kampfein-
heit. Sie besteht nur aus wenigen Mitgliedern, die einander gut
kennen. Sonst kennen sie niemanden. Wer in den anderen Zellen
arbeitet, wissen sie nicht, damit sie der Polizei auch unter Folte-
rungen niemanden angeben knnen.
LEON: Sehr intelligent. Und wieviel Zellen gibt es in unserer Bewe-
gung?
APPENDIX: Wir sind die einzige. Aber dafr sind wir komplett.
TIBI: Ist alles klar?
LEON: Vollkommen.
TIBI: Bo.
LEON (steht auf und grt mit erhobener Faust): In Ordnung. (Zu
Appendix) Hol mir ein Pckchen Zigaretten aus dem Kiosk.
Tm(brllt): Du hast mich mit Bo anzureden, verstanden?
LEON (setzt sich enttuscht nieder): Ich dachte, ich bin der Bo.
TIBI: DU wirst sehr bald eingesetzt werden. Hast du noch irgendwel-
che Fragen?
LEON: Nein, Goldberg. Das heit - was ich euch schon die ganze
Zeit fragen will - wozu soll das alles gut sein?
TIBI: Was?
LEON: Alles. Die Bewegung. Die Revolution. Das ganze Zeug, von
dem ihr ununterbrochen redet.
TIBI: Fragen sind das! Siehst du denn nicht, da wir eine neue Seite
im Buch der Geschichte aufblttern?
LEON: Aha, eine Seite. Jetzt versteh' ich. Vielen Dank.
93
TIBI: Wir werden sie niedermachen wie tollwtige Hunde.
LEON: Wen?
APPENDIX: Sie.
JULIA: Manchmal mu man eben Gewalt anwenden.
LEON: Gegen wen?
TIBI: Gegen alle, die sich uns in den Weg stellen.
LEON: Die Sozialdemokratische Partei?
TIBI: Die ist nur ein Werkzeug.
LEON: Dann sind wir also gegen die ganze Regierung?
TIBI: Das nennst du Regierung? Diese Hampelmnner? Der wirkli-
che Feind steht anderswo.
LEON: Die Armee?
APPENDIX: Bldsinn. Die hat nichts zu reden.
LEON: Die Polizei?
JULIA: Satelliten.
LEON: Die Feuerwehr?
TIBI: Marionetten.
LEON: Also gegen wen kmpfen wir eigentlich?
TIBI: Gegen - gegen - gegen sie. Und zwar erbarmungslos. Wir ha-
ben keine Wahl, mein Junge. Entweder wir oder sie.
JULIA: Einer mu verschwinden.
LEON: Ich melde mich freiwillig. (Schickt sich zum Gehen an)
TIBI: Bleib sitzen. Wir geben uns nicht mit Detailfragen ab. Wir ha-
ben ein groes Ziel vor Augen. Ein nchternes, realistisches Ziel:
neue Horizonte zu erschlieen.
APPENDIX: Die Zukunft zu gestalten.
JULIA: Die Ketten der Reaktion abzuschtteln.
TIBI: Freiheit!
JULIA: Anti-Kolonialismus!
APPENDIX: Anti-Imperialismus!
TIBI: Verstehst du jetzt?
LEON: Peng - und es ist vorbei.
TIBI: Richtig. Du beginnst die Dinge zu sehen, wie sie sind. (Ein
Gast tritt ein und setzt sich in die Nhe des Tisches) Wer ist das?
APPENDIX: Keine Ahnung.
LEON: Irgend jemand.
TIBI: Knnte ein Geheimagent sein.
JULIA: Den mssen wir loswerden. Peng - und . . .
TIBI: Noch nicht. Appendix, versuch ihn auszuhorchen. Aber vor-
sichtig!
APPENDIX: Auf mich kannst du dich verlassen, Bo. (Tritt an den
Gast heran) Entschuldigen Sie bitte - sind Sie ein Geheimagent?
94
GAST: Nein.
APPENDIX: Danke. (Kehrt an den Tisch zurck) Er ist in Ordnung.
TIBI: Das htte uns leicht ins Auge gehen knnen . . . So. Und jetzt
zur Planung unseres Unternehmens.
JULIA: Unternehmen Akustik?
TIBI: Ja.
LEON: Was bedeutet das?
TIBI: Den groen Konzertsaal in die Luft sprengen.
LEON: Warum?
TIBI: Diese ewige Fragerei! Wir mssen etwas unternehmen, oder
nicht?
LEON: Schon mglich, Goldberg.
TIBI: Sollen wir vielleicht ruhig zuschauen, wie sie uns das Leben
vergiften?
LEON: Auf keinen Fall.
TIBI: Dann unterbrich nicht immer. Appendix! Du kaufst einen Cel-
lokasten und fllst ihn mit zwanzig Kilo TNT.
APPENDIX: Violine wre mir lieber.
TIBI: Ein Violinkasten reicht hchstens frs Parkett. Fr den Balkon
nicht mehr.
JULIA: Warum mssen wir immer Gebude in die Luft sprengen,
Tibi? Es wre doch viel gescheiter, die Leute ganz einfach umzu-
bringen.
TIBI: Das hat etwas fr sich. Umbringen kann nicht schaden. Wen
schlgst du vor?
JULIA: Ein paar Minister.
APPENDIX: Schon wieder?
TIBI: Wie wr's mit dem Rektor der Universitt?
LEON: Bitte um Entschuldigung - aber was kann der Rektor dafr?
TIBI: Er fragt schon wieder! Bist du fr den Frieden?
LEON: Ja.
TIBI: Bist du gegen den Kolonialismus?
LEON: Das will ich meinen.
TIBI: Und unser Stadion?
LEON: In einem erbrmlichen Zustand.
TIBI: Dann mssen wir den Rektor umbringen.
LEON: Also gut. Und was dann?
TIBI: Was dann? Dann haben wir eine Tat gesetzt. Eine symbolische
Tat.
APPENDIX: Und blttern eine neue Seite auf.
JULIA: Fr die Zukunft der Freiheit.
APPENDIX: Fr die Freiheit der Zukunft.
95
TIBI: Achtung! (Der Gast am Nebentisch erhebt sich und geht ab)
JULIA: Also. Wen nehmen wir uns vor?
APPENDIX: Ich hab's! Den Kerl, der Rmisches Recht liest.
TIBI: ZU alt. Der Finanzminister wre besser.
JULIA: ZU kompliziert. Wie wr's mit dem Brgermeister von Tibe-
rias?
APPENDIX: Tiberias? Und wer zahlt das Taxi?
JULIA: Das stimmt . . . Aber irgend jemanden mssen wir schlie-
lich umbringen.
LEON: Wenn ich einen Vorschlag machen darf . . . meine Tante.
Meine Tante Ilka. Sie wohnt hier in der Nhe.
TIBI: Nicht schlecht. Hauptsache, da etwas geschieht. Die desillu-
sionierten Massen warten auf ein Signal.
(Der Gast kommt zurck und wirft ihnen einen Blick zu.)
TIBI: Habt ihr das gesehen? Er scheint doch vom Geheimdienst zu
sein.
JULIA: Dann wre er der Richtige fr uns.
TIBI: Eine gute Idee.
APPENDIX: Und bequem. Wir brauchen nicht weit zu gehen.
TIBI: Okay. (Zu Leon) Los, mein Junge.
LEON: Was? Wohin?
JULIA: Peng - und es ist vorbei.
LEON: Ich soll . . . Ihr wollt, da ich . . .
TIBI: Natrlich du. Hast du geglaubt, wir wrden dich hier nur so
herumsitzen lassen?
LEON: Tut mir leid, Goldberg . . .
TIBI: Bo!
LEON: Bo. Ich bin doch eben erst hergekommen.
TIBI: Deshalb mut du ja auch aktiv werden. Wir sitzen auf einem
Vulkan.
JULIA: Mach's kurz. Peng - du weit schon.
LEON: Ich wei . . . Aber ich wei nicht . . .
TIBI: Und die Verkehrsverhltnisse?
APPENDIX: Der Vietnamkrieg?
JULIA: Das Stadion?
TIBI: Die Speisekarte? Schau sie dir noch einmal an, Leon.
LEON(schaut): Ich finde 2,70 fr ein Gulasch nicht zu hoch.
TIBI: Und so was will die Gesellschaftsordnung verndern!
JULIA (deutet auf Leon): Vielleicht sollten wir ihn -?
TIBI: Noch nicht.
APPENDIX: Mach keine Faxen, Leon. Nimm zwei Granaten und
bring's hinter dich.
96
LEON: Ich tte so ungern jemanden, der mir nichts getan hat.
Tm(drohend): Du darfst unsere Geduld nicht zu lang auf die Probe
stellen, Leon!
LEON (erhebt sich ngstlich): Na schn. Wenn's sein mu. Wenn's
wirklich keinen andern Weg zur sozialen Gerechtigkeit gibt.
TIBI: Leider nicht.
JULIA: Sei ein Mann!
LEON: Bin ich. Und was soll ich machen?
APPENDIX: Als ob das ein Problem wre. Du gehst zu diesem Herrn
hinber, wirfst zwei Granaten auf ihn, und die Sache ist erledigt.
JULIA: Ganz einfach.
LEON: Ich hab' noch nie eine Granate geworfen.
TIBI: Einen feinen Revolutionr haben wir uns da angelacht. Also
pa auf: Du reit die Sicherung ab, zhlst bis zehn und wirfst. Das
ist alles.
L E O N : . . . i , 2 . . .
TIBI (brllt auf) :Nicht hier! Dort drben! Mglichst weit weg von
uns!
LEON: Ach so. Aber ich mu schon sagen - gern tu ich's nicht. Es
macht mir keine Freude.
APPENDIX: Freude? Glaubst du, uns macht es Freude? Hast du eine
Ahnung, was fr eine Rauchentwicklung das geben wird?
JULIA: DU mut ihn richtig treffen. Am besten in den Bauch.
LEON (nhert sich unentschlossen dem Gast, die Granate in der
Hand, umkreist ihn, rennt zur Tr, entsichert die Granate, schickt
sich zum Wurf an).
TIBI: Deckung! (Alle ducken sich unter den Tisch.)
hEON(umkreist aufs neue den Gast, der ungestrt seine Zeitung liest,
und kehrt zur Gruppe zurck): Seid ihr sicher, da es anders nicht
geht?
TIBI: Vollkommen sicher. Es ist der einzige Weg in die Zukunft.
Mach schon endlich!
LEON: Meinetwegen. (Setzt seinen Rundgang fort, kommt zurck)
Eine Fahrradpumpe kostet nicht viel . . .
TIBI: Geh!
APPENDIX: Feigling!
JULIA: Wurm!
TIBI: LOS!
LEON(hlt sich mit der einen Hand das Ohr zu, schwingt in der an-
dern die Granate, berlegt sich's, steckt die Granate in die Tasche
und kommt zurck): Ich bin heute nicht in Form.
TIBI: Schm dich!
97
LEON: Gut, ich schme mich. (Rennt hinaus.)
TIBI: Eine Schmach. So sehen die Reprsentanten der heutigen Ju-
gend aus.
APPENDIX: Und dann wundern sie sich, warum es mit der Revolution
nicht klappt.
JULIA: Wir htten ihn abknallen sollen. Peng - und es ist vorbei.
TIBI: Noch nicht. Wir haben andere Dinge zu tun. (Blickt auf seine
Armbanduhr) Bei mir ist es sechs Uhr.
APPENDIX: Bei mir ist es zwei.
TIBI : Einigen wir uns auf vier. Um vier Uhr dreiig strmt Appendix
das Auditorium maximum und wirft die Sprengkrper.
APPENDIX: In Ordnung, Bo.
TIBI: Julia gibt dir Deckung.
JULIA: Peng!
TIBI: Um fnf mu alles vorbei sein. Um halb sechs treffen wir uns
im Bunker. Wo ist die Schwalbe?
APPENDIX: Sollte jeden Augenblick hier sein.
TIBI: Seid ihr bereit, Freunde? Auf in die Zukunft! Einer neuen Ord-
nung entgegen!
T)\EScHWALBE(strzt berein): Kinder, ich hab' Karten fr uns alle be-
kommen!
ALLE: Klasse!
TIBI: Gute Arbeit, Schwalbe. Wir gehen ins Kino.
APPENDIX: Und das Auditorium maximum?
TIBI: Morgen. Oder noch besser: am Wochenende. Vielleicht spter.
ALLE (verlassen das Lokal).
KELLNERIN (luft ihnen mit der auf dem Tisch liegengebliebenen
Schachtel nach): Herr Goldberg! Herr Goldberg!
TIBI: Ja?
KELLNERIN: Sie haben Ihre Handgranate vergessen.
TIBI: Oh, danke vielmals. (Nimmt die Schachtel entgegen und stt
zu den anderen)
KELLNERIN (kehrt ins Kaffeehaus zurck).
GAST: Wer waren die?
KELLNERIN: Revolutionre.
GAST: Wirklich? (Ghnt und liest die Zeitung weiter)
ENDE
Was Sie wollen
Das folgende Drama mit dem an Shakespeare gemahnenden Titel
stellt uns vor eine hchst ungewhnliche Situation: Der Instal-
lateur, und es handelt sich um einen jdischen solchen, ist in-
folge eines unerklrlichen Irrtums nicht nur verabredungsgem
erschienen, sondern hat in offenbarer Sinnesverwirrung sogar den
schadhaften Wasserhahn repariert. Und jetzt ist es soweit, da er
seinen wohlverdienten Lohn empfangen soll.
PERSONEN: Kishon
Frau Kishon, seine Gattin
Stucks, der Installateur
STUCKS (kommt langsam ins Zimmer und tritt auf Herrn Kishon zu,
der friedlich seine Zeitung liest): Also, Herr Kishon, die Sache ist
in Ordnung. Ich habe den Wasserhahn im Badezimmer repariert.
Es war keine leichte Arbeit, wirklich nicht, aber jetzt wird der
Hahn nicht mehr tropfen. Ich mute den Zylinder ein wenig ab-
feilen, aber frs Feilen rechne ich Ihnen nichts, Herr Kishon. Und
die beiden neuen Dichtungen, die ich eingesetzt habe, werden
kein Wasser mehr durchlassen, darauf knnen Sie sich verlassen,
Herr Kishon.
KISHON (liest weiter).
STucKS(sez mit lautem Knall seinen Werkzeugkasten ab): Also, wie
gesagt, Herr Kishon: Ich bin mit meiner Arbeit fertig. Ich habe
meine Arbeit beendet. (Schweigen) Ich habe sie vollkommen be-
endet. Meine Arbeit, verflucht noch einmal. Sind Sie taub?
KISHON: Wie? Oh, vielen Dank. Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen.
STUCKS: Ich sagte, da ich den Wasserhahn repariert habe!
KISHON: War auch schon hchste Zeit.
STUCKS: Wieso hchste Zeit?
KISHON: Stellen Sie sich nicht dumm. Ich mute einen ganzen Monat
lang in Ihrem Geschft antichambrieren, bevor Sie mir die Ehre
erwiesen, diesen lppischen Wasserhahn in Ordnung zu bringen.
STUCKS: Weil ich so viel zu tun habe, Herr Kishon. Weil ich immer in
Eile bin. Ich bin immer in Eile, Herr Kishon. Ich habe keine freie
Minute. Was heit: Minute? Keine halbe Minute. Und darf ich
fragen, wieso der Wasserhahn lppisch ist?
KISHON: Schn, dann ist er nicht lppisch.
99
STUCKS: Warum haben Sie ihn dann lppisch genannt?
KISHON: Schon gut, schon gut. Ich werde mich beim Wasserhahn
entschuldigen. Einverstanden?
STUCKS: Man mu aufpassen, was man sagt, Herr Kishon. Man darf
nicht nur so drauflosreden.
KISHON: Da haben Sie recht, und das gengt. Was bin ich schuldig?
STUCKS (zieht Papier und Bleistift hervor): Also, lassen Sie mich se-
hen . . . Zwei neue Dichtungen aus bestem Gummi . . . Frs Fei-
len rechne ich Ihnen nichts . . . (Blick auf die Taschenuhr). Jetzt
haben wir 6 Uhr 30 . . . Lassen Sie mich sehen. Nmlich, von
jetzt an wird der Hahn jede Menge Wasser halten, Herr Kishon.
Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Also zahlen Sie mir fr
die ganze Arbeit . . . Sagen wir . . . Wieviel mchten Sie zahlen,
Herr Kishon?
KISHON: Nennen Sie mir einen Preis, Herr Stucks, und wir werden
keinen Richter brauchen. Gut?
STUCKS: Gut. Nmlich, ich habe diesen Hahn so repariert, da er Ihr
ganzes Leben lang halten wird.
KISHON: Das freut mich.
STUCKS: Vielleicht sogar fnf Jahre lang.
KISHON: Um so besser. Und was kostet das?
STUCKS: Richtig. Jetzt mu ich Ihnen aber wirklich einen Preis nen-
nen. Es wird spt. Also, Herr Kishon, wenn auch Sie der Meinung
sind, da ich eine gute Arbeit geleistet habe, dann zahlen Sie mir-
was Sie wollen.
KISHON: Sehen Sie, mein Lieber, das ist genau die Art, die ich
nicht vertragen kann. Was Sie wollen - wieviel ist das? Was
soll ich mir darunter vorstellen? Es ist nicht meine Sache,
Kalkulationen zu machen. Sie haben den Wasserhahn sehr
schn repariert und sagen mir jetzt: Die Reparatur kostet so-
undso viel.
STUCKS: Wieviel?
KISHON: Das mssen Sie sagen. So ist es unter zivilisierten Menschen
blich. Hab' ich recht?
STUCKS: Vollkommen, Herr Kishon. Sie haben vollkommen recht.
So ist es unter zivilisierten Menschen blich.
KISHON: Also?
STUCKS (schweigt).
KISHON: Auf diese Art kommen wir nicht weiter. Was rechnen Sie
denn gewhnlich fr so eine kleine Reparatur?
STUCKS: Gar so klein war sie nicht.
KISHON: Also fr so eine groe Reparatur.
100
STUCKS: Sie war auch nicht gro. Es handelt sich um einen Wasser-
hahn mittlerer Gre . . . (Handbewegung) . . . ungefhr sechs
Zentimeter.
KISHON: Also was rechnen Sie fr einen sechs Zentimeter langen
Wasserhahn?
STUCKS: Ich sagte: ungefhr sechs Zentimeter. Vielleicht ist er etwas
grer.
KISHON: Was rechnen Sie fr die Reparatur eines Wasserhahns, der
etwas grer ist als sechs Zentimeter?
STUCKS: Ja, das ist eben die Frage. Vielleicht ist er acht Zenti-
meter lang. Ich wei es nicht genau. Lassen Sie mich nachsehen.
Nur einen Augenblick. (Er schickt sich an, das Zimmer zu
verlassen)
KISHON (hlt ihn zurck): Das ist doch gleichgltig. Meinetwegen
kann der Hahn auch zehn Meter lang sein.
STUCKS: Nei n, Herr Ki shon. Zehn Met er best i mmt ni cht .
Es gibt keinen zehn Meter langen Wasserhahn. Ich bin
ziemlich sicher, da er zwischen sechs und acht Zentimeter
mit.
KISHON: Dann sagen Sie mir endlich, was Sie fr einen sechs bis acht
Zentimeter langen Wasserhahn bekommen!
STUCKS: Sie meinen: fr die Reparatur?
KISHON: Fr die Reparatur.
STUCKS (denkt nach): Wenn ich's mir berlege - er war doch eher
acht Zentimeter lang.
KISHON: Um Himmels willen, was bekommen Sie?!
STUCKS: Je nachdem, Herr Kishon. Das hngt davon ab. Manche
Leute wissen eine ehrliche Arbeit zu schtzen, manche nicht. Sie
wrden nicht glauben, was es fr Geizkragen gibt. Richtige
Schmutz iane.
KISHON: Wieviel zahlt jemand, der kein Geizkragen und kein richti-
ger Schmutzian ist?! Wieviel zahlt er?!
STUCKS: Mehr.
KISHON: Ich meine in barem Geld!
STUCKS: Natrlich in barem Geld. Ich nehme keine Schecks.
KISHON: Hren Sie, Herr Stucks. Wenn Sie vielleicht glauben, da
Sie mich auf diese Weise . . . (brllt) Nicht mit mir! (Zu Frau Kis-
hon, die soeben eingetreten ist) Ich bitte dich, Liebling, hilf mir.
Ich ertrage das nicht lnger. (Zieht sie zur Seite, flstert) Es han-
delt sich darum, was ich diesem Idioten fr die Reparatur im Ba-
dezimmer zahlen soll . . .
FRAU KISHON: Was verlangt er?
IOI
KISHON: Das ist es ja. Er will sich nicht festlegen. Wenn ich ihn frage,
was er bekommt, gibt er keine klare Antwort. Immer nur Was
Sie wollen und so.
FRAU KISHON: Wie lange hat er gearbeitet?
KISHON: Ich habe keine Stoppuhr. Vielleicht eine halbe Stunde, viel-
leicht lnger. Ich wei nicht. Auerdem hat er noch irgendeine
Dichtung hineingegeben . . .
STUCKS (von der andern Seite, flsternd): Zwei Dichtungen. Aus
erstklassigem Gummi . . .
KISHON (gleichfalls flsternd): Zwei Dichtungen aus erstklassigem
Gummi. Und jetzt frage ich dich, woher ich wissen soll, was man
fr so etwas zu zahlen hat.
FRAU KISHON: Warte. Wenn ich meine Strmpfe repassieren lasse,
zahle ich achtzig Piaster. Er kann fr den Wasserhahn bestenfalls
etwas mehr verlangen . . . Also ein Mehrfaches dieser
Summe . . . Ungefhr . . .
KISHON: Das dachte ich mir. Frs Rasieren mu ich zum Beispiel ein
halbes Pfund zahlen. Aber das ist etwas anderes. Dazu braucht
man Seife und ein Rasiermesser, aber keine Gummidichtung. An-
derseits besteht die Mglichkeit, da der Raseur, wenn er nicht
aufpat . . . Du verstehst . . .
FRAU KISHON: Nein. Ich lasse mich nicht rasieren.
STVCKS(zieht unter allen Anzeichen von Ungeduld seine Taschenuhr
hervor).
FRAU KISHON: Ich glaube nicht, da dieser Wasserhahn mehr als
zwei- oder dreimal soviel kosten kann wie eine Rasur.
KISHON: Mir fllt etwas ein. (Zu Stucks) Sagen Sie, Herr Stucks, was
macht Ihnen mehr Mhe - sich zu rasieren oder einen Wasserhahn
zu reparieren?
STUCKS: Der Wasserhahn.
KISHON: Warum?
STUCKS: Ja, sehen Sie . . . Das Rasieren ist fr mich ein Kinderspiel.
Ich habe einen weichen Bart, und mit einer guten Klinge bin ich
ihn in zwei Minuten los. Aber so ein zehn Zentimeter langer Was-
serhahn braucht Zeit.
FRAU KISHON: Halt. Ich wei was. (Flsternd) Vor ein paar Tagen ha-
ben die Mnner von der Mbelfirma eine schwere Couch in den
dritten Stock hinaufgetragen und haben dafr zehn Pfund bekom-
men.
STUCKS (flstert):. Zwlf.
FRAU KISHON: Also gut, zwlf. Das ist doch kein Unterschied.
KISHON: Das ist ein sehr groer Unterschied. Wir wohnen im zwei-
102
ten Stock, und ein Wasserhahn ist nicht annhernd so schwer wie
eine Couch.
STUCKS (Taschenuhr): Es wird spt. Ich kann nicht mehr lange war-
ten.
KISHON: Wer, zum Teufel, hlt Sie zurck? Es liegt nur an Ihnen.
Weil Sie sich nicht entschlieen knnen, eine bestimmte Summe
zu nennen.
STUCKS: Entschuldigen Sie- ich dachte, darber htten Sie gerade mit
Ihrer Frau geflstert.
KISHON: Was Sie denken, geht mich nichts an. Glauben Sie, wir ha-
ben keine anderen Sorgen, als ber Ihr verdammtes Geld zu re-
den?
FRAU KISHON: Wer Geld bekommt, mu selber sagen, wieviel er be-
kommt. Das ist so blich.
STUCKS: Da kann ich nicht widersprechen. Herr Kishon, Sie sind ein
Schriftsteller - sagen Sie mir, wieviel Geld Sie dafr bekommen.
KISHON: Aha. Eine neue Walze. Aber damit werden Sie mich nicht
hereinlegen, Herr Stucks. Was wollen Sie haben? 4 Pfund, 7
Pfund, 100 Pfund, 1.000 Pfund?
STUCKS: Na, na, na, was ist denn in Sie gefahren, Herr Kishon? 1.000
Pfund fr einen Wasserhahn? Wo denken Sie hin. Es stimmt, ich
habe zwei neue Dichtungen eingesetzt. Und habe den Zylinder
abgefeilt. Aber frs Feilen rechne ich ja nichts. Im ganzen . . .
(Taschenuhr) . . . habe ich . . . Na ja, jedenfalls habe ich lange
genug gearbeitet. Also dann zahlen Sie mir - was Sie fr angemes-
sen halten.
KISHON: Ich lasse mich von Ihnen nicht erpressen, Sie Strolch. Mit
solchen Tricks knnen Sie's bei anderen Idioten versuchen, nicht
bei mir. Mit Ihnen werde ich noch fertig. Ganz leicht. So. (Finger-
schnappen) Ich frage Sie zum letztenmal: Was bekommen Sie?
STUCKS: Also gut. (Fingerschnappen) Ich habe zwei Dichtungen ein-
gesetzt . . .
KISHON: Und Sie rechnen nichts frs Feilen . . .
STUCKS: O ja, jetzt schon . . . (Taschenuhr) Ich habe den Wasser-
hahn sehr sorgfltig repariert, Herr Kishon . . .
KISHON: Warum schauen Sie immer auf diese blde Uhr?
STUCKS: Meine Uhr ist nicht bld.
KISHON: Gut, sie ist nicht bld.
STUCKS: Warum sagen Sie's dann? Man mu aufpassen, was man
sagt, Herr Kishon.
KISHON: Warum schauen Sie immer auf Ihre Uhr?
STUCKS: Wirklich . . . warum? Sie hat sowieso keine Zeiger. Ich
103
ht t e s i e l ngs t i n di e Repar at ur gegeben, aber i ch
habe keine Zeit.
KISHON(brllend): Was bekommen Sie???
STUCKS: Ich mchte mit Ihnen nicht streiten, Herr Kishon, ich
mchte mit Ihnen nicht feilschen, ich mchte mit Ihnen nicht han-
deln. (Ergreift Kisbons Hand) Sie geben mir - was Sie wollen.
KiSHON(atmet keuchend): Sie werden . . . Wenn Sie noch lange . . .
Mich trifft der Schlag . . .
FRAU KISHON: Sie drfen meinen Mann nicht aufregen.
STUCKS: Wer regt ihn auf? Er regt sich auf. Entschuldigen Sie, gn-
dige Frau, aber ich bin eben in geschftlichen Dingen nicht so
rcksichtslos wie andere Leute. Ich bin von Natur aus scheu.
KISHON: Scheu sind Sie? Ein raffinierter Gauner sind Sie! Scheu!
Halten Sie mich denn fr einen vollkommenen Kretin?
STUCKS: Nein, Herr Kishon, wirklich nicht. Ich bertreibe immer.
Erst gestern sage ich zu meiner Frau . . . wie wir gerade spazie-
rengegangen sind - im Park - mit meinem Schwager und dem klei-
nen Herschele . . .
(Kishon und Frau Kishon sinken erschpft in ihre Sessel.)
Kennen Sie den kleinen Herschele? Ein Wunderkind. Das Se-
ste, was Sie sich vorstellen knnen. Die ganze Nachbarschaft hat
Angst vor ihm . . . Also, um es kurz zu machen . . . Wir wollen
keine Zeit verschwenden . . . Ich bin in Eile . . . Also ich sage zu
meiner Frau . . . gerade wie wir zur ersten Bank kommen, sage
ich zu meiner Frau . . . ich kann mich noch ganz genau erin-
nern . . . Oder vielleicht waren wir auch schon an der ersten Bank
vorbei . . . jetzt wei ich nicht . . . lassen Sie mich nachden-
ken . . . (Gebt auf und ab, bemht sich um eine Rekonstruktion
der Ereignisse.) Also wir stehen hier, und von dort kommt Her-
schele gelaufen . . .
KISHON (wimmernd): Was bin ich Ihnen schuldig?
STUCKS: . . . sagen wir: in der Nhe der ersten Bank, es spielt ja keine
groe Rolle . . .
KISHON (springt auf, wrgt ihn): Wieviel bekommen Sie?
STUCKS: Weniger kann ich nicht nehmen.
KISHON (wrgt weiter): Wieviel bekommen Sie?
STUCKS (rchelnd): Was Sie entbehren knnen . . .
FRAU KISHON (trennt die beiden mit groer Mhe, schreiend): Um
Himmels willen, was soll das alles!
KISHON: Dieser Gangster bringt mich noch ins Grab. Hier . . .
(greift in die Tasche) Hier haben Sie zwei Pfund und verschwin-
den Sie.
104
STUCKS: Was? Zwei Pfund? Wo mich allein die Gummidichtungen
dreieinhalb gekostet haben? Ich sag's ja. Manche Leute sind Geiz-
kragen. Richtige Schmutziane.
KISHON: Hinaus!! (Schleudert Stucks' Werkzeugkasten auf den Bo-
den. Ohrenbetubender Krach. Die Werkzeuge kollern in alle
Richtungen. Frau Kishon bekommt einen Schreikrampf. Kishon
bricht endgltig zusammen.)
STUCKS: Was ist das fr ein Benehmen? (Hebt seine Ltlampe auf)
Herr Kishon, jetzt haben Sie mir die Ltlampe zerschlagen.
KISHON (sthnend): Ich werde sie Ihnen ersetzen. Ich werde sie Ih-
nen bezahlen. Ich zahle alles. Die Gummidichtungen, den Zylin-
der, das Abfeilen, alles. Was bekommen Sie fr die Ltlampe?
STUCKS (setzt sich, zieht seine Uhr hervor, macht es sich bequem):
Was Sie wollen, Herr Kishon.
ENDE
Ein Sessel mit Fasulja
Die israelische Gesellschaftsstruktur entwickelt sich mit Riesen-
schritten zu ungeahnter Perfektion. Noch vor wenigen Jahren hielt
man die Kluft, die zwischen den orientalischen und den europi-
schen Einwanderern klaffte, fr schlechthin unberbrckbar.
Heute hat man sich mit ihr abgefunden. Und mittlerweile wchst
eine neue Generation heran, die nach ebenso scharf gewrzten
Speisen verlangt wie zu Hause.
PERSONEN: Sa'adia Schabataj
Herr Pollak
ORT DER HANDLUNG: Vor dem Wohnhaus des Hern Pollak
POLLAK (kommt von rechts und ruft in die Kulisse): Das ist das
Haus . . . Wir sind angekommen . . . Hier . . . Nur lang-
sam . . . Keine Eile . . .
S A' ADiA(tritt auf, taumelnd unter der Last eines schweren Fauteuils).
POLLAK: SO - brav - und jetzt nur noch die Stiegen hinauf . . . vor-
sichtig . . . dritter Stock, Tr sechs, Pollak . . .
SA'ADIA (setzt das Fauteuil ab).
POLLAK (ungeduldig): Was ist denn los? Wir haben's ja schon fast
hinter uns. Packen Sie den Sessel und hinauf damit. Nur keine
Zeitverschwendung.
SA'ADIA (zieht aus seiner Tasche eine kleine Blechschachtel hervor
und beginnt umstndlich eine Zigarette zu drehen).
POLLAK: Kommen Sie, kommen Sie. Das knnen Sie nachher ma-
chen. Los, los.
SA'ADIA (lt sich nicht stren, spuckt ein paar Tabakreste aus).
POLLAK (wird unsicher): Ich bitte Sie . . . also wirklich . . . nur in
den dritten Stock . . . Das ist doch keine groe Sache . . . Bitte,
lieber Freund, tragen Sie das Zeug in den dritten Stock.
SA'ADIA: Wer, ich?
POLLAK: Ja. Bitte.
SA'ADIA: Ich nicht.
POLLAK: Wieso? Was heit das?
SA'ADIA: Nicht ich.
POLLAK: Einen Augenblick, mein Lieber. Wir haben uns doch geei-
nigt, da Sie den Sessel zu mir nach Hause transportieren?
106
SA'ADIA: Richtig. Zu Herrn Pollaks Haus. Hier ist es. Ist hier das
Haus, wo Herr Pollak wohnt?
POLLAK: Ja.
SA'ADIA: Ich habe den Sessel zu Herrn Pollaks Haus getragen.
POLLAK: Und wer trgt ihn in meine Wohnung?
SA'ADIA: Das wei ich nicht.
POLLAK: Das wissen Sie nicht?
SA'ADIA: Ein Haus ist ein Haus, eine Wohnung ist eine Wohnung.
POLLAK: Machen Sie keine Geschichten. Etwas nach Hause trans-
portieren heit, es in der Wohnung abliefern.
SA'ADIA: Das sagen Sie, Herr Pollak. Wo steht es geschrieben? In der
Bibel?
POLLAK: Unsere Abmachung war, da Sie den Sessel zu mir nach
Hause transportieren. Ich wohne nicht vor dem Haus, sondern
drinnen. Dritter Stock, Tr sechs. Dafr haben Sie acht Pfund be-
kommen. So war es vereinbart.
SA'ADIA: Dritter Stock Tr sechs ist kein Haus. {Gebrde) Hier ist
das Haus, hier ist der Sessel.
POLLAK: Wollen Sie mich erpressen?
SA' ADIA (verstndnislos) : Jetzt?
POLLAK: Also machen Sie schon.
SA'ADIA: Herr Pollak, dieser Sessel ist sehr schwer.
POLLAK: Das haben Klubsessel so in Gewohnheit.
SA'ADIA: Klub? Noch schwerer.
POLLAK: Also gut. (Seufzt, legt seinen Rock ab, streift die Hemdr-
mel hoch) Alter orientalischer Gangster. Man darf denen kein
Wort glauben. Die wollen einem nur das Geld aus der Tasche zie-
hen, sonst nichts.
(Zu Sa'adia) Auf was warten Sie noch?
SA'ADIA: Ich warte auf nichts. Ich steh' nur so da.
POLLAK: Bei mir haben Sie Pech gehabt. Erpressungen lasse ich mir
nicht gefallen. Aus Prinzip nicht.
SA'ADIA (verstndnislos): Prinzipnicht?
POLLAK: Mit mir ist das nicht so einfach, wissen Sie. Ich bin ein alter
Sportler. Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen die Pokale zei-
gen, die ich gewonnen habe.
SA'ADIA: ES interessiert mich nicht.
PoLLA.(versucbt das Fauteuil zu heben): Nein, mein Lieber . . . Sie
k e n n e n mi c h n i c h t . I c h k a n n . . . a u c h h e u t e n o c h . . . I n me i n e m
Alter . . . (Keucht, gibt auf, wird vershnlich) Das ist doch kin-
disch, was wir da treiben. Wir werden uns doch nicht um ein paar
Piaster streiten.
107
SA'ADIA: Piaster? Sie brauchen Piaster, Herr Pollak? Ich kann Ihnen
ein paar Piaster geben. Ein Haus ist ein Haus . . .
POI.LAK: . . . und eine Wohnung ist eine Wohnung.
SA'ADIA: Das ist richtig. Welches Stockwerk, Herr Pollak, haben Sie
gesagt?
POLLAK (liebenswrdig) : Zweiter Stock. Und sehr wenig Stufen.
SA'ADIA: Warten Sie. Ich mu nachdenken. (Denkt nach) Wieso
zweiter Stock, pltzlich? Zuerst haben Sie dritter Stock gesagt,
Herr Pollak.
POLLAK: Ja, dritter Stock. Kein groer Unterschied.
SA'ADIA: Ein sehr groer Unterschied. Fr den zweiten Stock be-
komme ich drei Pfund. Fr den dritten Stock nur zwei.
POLLAK: Was? Warum?
SA'ADIA: AUS Prinzip, Herr Pollak. Im zweiten Stock sind die Woh-
nungen teuer. Dort wohnen die Leute mit viel Geld. Vom dritten
Stock an haben die Leute nicht mehr so viel Geld. Deshalb nehme
ich weniger.
POLLAK: Mir kann's recht sein. Auf jeden Fall mu der Sessel in
meine Wohnung geschafft werden. (Neuerlicher Versuch) Ein
halbes Pfund?
SA'ADIA: Ein halbes Pfund fr diesen Sejsel in den dritten Stock?
Herr Pollak, fr ein halbes Pfund lade ich Ihnen den Sessel auf den
Rcken. Mehr nicht.
Pou.AK(nach kurzem Zgern, entschlossen): In Ordnung. (Gibt ihm
eine Banknote und bckt sich) Los!
SA' ADIA (schickt sich an): Herr Pollak hat recht. Herr Pollak
ist gescheit. Behlt sein Geld und macht noch sportliche bun-
gen fr die Pokale. (Beginnt das Fauteuil mit bertriebener
Anstrengung zu heben) Sind Sie bei einer Krankenkasse, Herr
Pollak?
POLLAK (gebckt): Natrlich.
SA'ADIA: Das ist gut. Dann bekommen Sie freie Spitalsbehandlung,
Herr Pollak.
POLLAK (richtet sich auf): Ein Pfund.
SA'ADIA: Ein Pfund?
POLLAK: Ja.
SA'ADIA: Fr den dritten Stock?
POLLAK: Was haben Sie geglaubt? Fr den sechsten?
SA'ADIA: Herr Pollak macht Witze. Dafr habe ich keine Zeit. (Wen-
det sich zum Gehen)
POLLAK (luft ihm nach): Seien Sie doch nicht gleich beleidigt. Wie
ein kleines Kind!
108
SA'ADIA: Ein kleines Kind kann so einen schweren Sessel nicht tra-
gen. Ich kann. Und dafr bekomme ich drei Pfund.
POLLAK: Aber ich habe Ihnen doch schon ein halbes Pfund gegeben.
SA'ADIA: Gut. Dann also dreieinhalb Pfund. Spielt keine Rolle.
POLLAK: Hren Sie, mein Guter . . . Wie heien Sie eigentlich?
SA'ADIA: Dreieinhalb Pfund, Herr Pollak, und Schlu.
POLLAK: Ich habe Sie gefragt, wie Sie heien.
SA'ADIA: Ich? Sa'adia. Sa'adia Schabataj.
POLLAK: Dann nehmen Sie geflligst zur Kenntnis, Herr Schabataj,
da Ihre Sitten und Gebruche in diesem Land keine Zukunft ha-
ben. Das gibt's hier nicht. Hier kommen Sie mit Ihren Betrge-
reien ber das erste Mal nicht hinaus.
SA'ADIA: WO hinaus?
POLLAK: Nicht. Nirgends. Deshalb empfehle ich Ihnen, wenn Sie
weiter Arbeit bekommen wollen -
SA'ADIA: Will ich nicht. Ich will mich ausruhen.
POLLAK: Sie miverstehen mich. Ich meine: Sie sind nicht mehr bei
sich zu Hause, wo immer das war . . .
SA'ADIA: ES war besser. Hier gefllt's mir nicht.
POLLAK: Aber Sie sind nun einmal hier und mssen hier leben. Be-
mhen Sie sich ein wenig. Herr Schabataj. Seien Sie bescheiden.
bertreiben Sie Ihre Ansprche nicht. Whlen Sie den goldenen
Mittelweg.
SA'ADiA(ausbrechend): Wo ist Gold? Dreieinhalb Pfund sind Gold?
POLLAK (seufzt): Lassen wir das, und versuchen wir uns zu einigen.
SA'ADIA: Ich versuche.
POLLAK: Worber streiten wir eigentlich? Im Grunde ist es doch
ganz einfach: Sie wollen dreieinhalb Pfund haben, und ich biete
Ihnen ein Pfund an. Treffen wir uns auf halbem Weg.
SA'ADIA: WO?
POLLAK: Wir schlieen ein Kompromi, Herr Schabataj, wie es un-
ter erwachsenen Menschen blich ist.
SA'ADIA: Gut. Ich denke nach. (Denkt nach) Herr Pollak, ich mache
Ihnen ein erwachsenes Kompromi, aber das ist dann mein letztes
Wort.
POLLAK: Also? Wieviel wollen Sie?
SA'ADIA: Dreieinhalb Pfund.
POLLAK (verbeit seinen Zorn): In Gottes Namen. Aber in diesen
dreieinhalb Pfund ist dann wirklich alles enthalten. Dreieinhalb
Pfund brutto. Abgemacht.
SA'ADIA: Brutto? Warum brutto? Das ist ein sehr schwerer Sessel,
Herr Pollak. Ein sehr schwerer Klub. Mein Krper wird unter der
109
Last zusammenbrechen, das spre ich schon. Und Sie sagen
brutto.
POLLAK: Schn, also nicht brutto.
SA'ADIA: Warum sagen Sie dann brutto?
POLLAK: Vergessen Sie's, Herr Schabataj. Um Himmels willen, ver-
gessen Sie's. Nehmen Sie den Sessel und tragen Sie ihn hinauf.
SA'ADIA: Haben Sie eine Zigarette, Herr Pollak?
POLLAK (zieht ein Pckchen hervor, hlt es ihm hin): Hier.
SA'ADIA: Danke. (Steckt das Pckchen ein) Sehr gute Zigaretten. Was
ist Ihr Beruf, Herr Pollak?
POLLAK: Ich bin Buchhalter.
SA'ADIA: Pferderennen?
POLLAK: Nein, nicht Buchmacher, Buchhalter. Ich bin bei der Regie-
rung angestellt.
SA'ADIA: Regierung?
POLLAK: Ja.
S A' ADIA (setzt das Fauteuil ab): Dann bekomme ich noch ein halbes
Pfund.
POLLAK: Wieso?
SA'ADIA: Als Trinkgeld.
POLLAK: Wir haben uns doch schon auf dreieinhalb Pfund geeinigt?
SA'ADIA: Dreieinhalb sind die Taxe. Das halbe Pfund ist ein Trink-
geld. Handeln Sie nicht, Herr Pollak. Wenn ich von Anfang an ge-
wut htte, da Sie von der Regierung sind . . . Ich kann die Re-
gierung nicht leiden. Sie lt mich immer stundenlang Schlange
stehen. (Streckt die Hand aus) Vier Pfund.
POLLAK: Jetzt habe ich aber genug! Jetzt reit mir die Geduld! Lieber
lasse ich diesen Klubsessel vor meinem Haus verrotten, als auf
Ihre Erpressungen einzugehen.
SA'ADIA (blickt zum Himmel): Es kommt Regen.
POLLAK: Macht nichts. Sie werden sich auf meine Kosten nicht berei-
chern.
SA'ADIA: Bereichern? Das nennen Sie bereichern? Gemse wird je-
den Tag teurer, Herr Pollak - aber das ist in Ordnung, nicht wahr,
weil die Regierung den Preis bestimmt. Und der arme Sa'adia
Schabataj, der nur ein Paar Hosen hat, darf nicht einmal ein halbes
Pfund mehr verlangen, weil er sonst reich wird.
POLLAK: Na schn, dann werden Sie also nicht reich.
SA'ADIA: Was glauben Sie, Herr Pollak: Wieviel Klubsessel habe ich
in der Woche?
POLLAK: Keine Ahnung.
SA'ADIA: Einen, Herr Pollak. Einen einzigen. Also mu ich aus die-
sem einen Klubsessel etwas Geld herausholen. Man will ja schlie-
lich leben. Man will esssen. Man braucht Kerosin fr die Lampe.
Man braucht sechzig Piaster, hren Sie: sechzig Piaster monatlich
fr Chabubas Kindergarten. Und der kleine Mordechai will auch
nicht hungern . . .
POLLAK: Schon gut, Herr Schabataj, schon gut.
SA'ADIA: Gar nichts ist schon gut, Herr Pollak. Wenn Sie so viel Sor-
gen htten wie ich, wrden Sie fr diesen Sessel in den dritten
Stock hundert Pfund verlangen. Wie stellen Sie sich das vor? Be-
leuchtung kostet Geld, nicht? Zhne fr das Weib kosten Geld,
nicht? Mantel fr die Tochter kostet Geld, nicht? Arzt fr den
Ring, den der kleine Schimon geschluckt hat, kostet Geld . . .
POLLAK; Alles kostet Geld . . .
SA'ADIA: Eben. Aber warum mu auch noch der Arzt Geld kosten?
Nur weil das Weib den kleinen Schimon eine Minute allein lt.
Also nimmt der kleine Schimon den Ring und it ihn auf.
POLLAK: Groer Gott.
SA'ADIA: ES war der schnste Ring in ganz Tel-Aviv, Herr Pollak.
Vielleicht nur in halb Tel-Aviv, aber der schnste. Das Weib hatte
ihn von ihrer Mutter. Wir sind zu Tode erschrocken. Und ich
habe dem Doktor gesagt: Herr Doktor, wenn Sie den Ring nicht
aus dem kleinen Schimon herausnehmen, mache ich einen Sitz-
streik vor der Jewish Agency.
POLLAK: Hat er den Ring gefunden?
SA'ADIA: Er hat ihn gefunden. Den Ring. Aber nicht den Stein, den
der kleine Schimon mitgegessen hat. Ein gefriger Knabe. Wie er
gesund war, haben wir ein groes Fest gegeben, Herr Pollak. Die
ganze Familie hat Schischkebab gegessen.
POLLAK: Mit scharfem Pfeffer?
SA'ADIA: Nein, Herr Pollak. Mit Bandjan-Kebabi.
POLLAK: Und sehr viel Knoblauch, hoffentlich.
SA'ADIA: Natrlich. Ohne Knoblauch schmeckt es nicht. (Erkennt in
Pollak pltzlich den Fachmann) Herr Pollak . . . Sagen Sie, Herr
Pollak: Sie kennen orientalische Gerichte?
POLLAK: Leider. Ich bekomme nichts anderes zu essen, Tag fr Tag.
SA'ADIA: ZU Hause?
POLLAK: ZU Hause.
SA'ADIA: Und wer kocht fr Sie, Herr Pollak?
POLLAK: Wer fr mich kocht? Dumme Frage. Meine Frau natrlich.
SA'ADIA: Frau Pollak?
POLLAK: Ja.
SA'ADIA: Und wie heit Frau Pollak noch?
POLLAK: Was kmmert Sie das?
SA'ADIA: ES kmmert mich.
POLLAK: Leila.
SA'ADIA: Leila? Das ist kein europischer Name.
POLLAK: Wer hat gesagt, da sie Europerin ist?
SA'ADIA: Frau Pollak heit Leila? Und Leila kocht fr Herrn Pollak
unsere Speisen? Machschi-Kussa?
POLLAK: Machschi-Kussa? Das ist noch gar nichts. Sie kocht Mach-
schi-Schekal. Mit Fasulja.
SA'ADIA (strahlend): Nicht mglich, Herr Pollak!
POLLAK: Ehrenwort.
SA'ADIA: Sie haben Kinder?
POLLAK: Einen Buben. David. (Zieht eine Fotografie heraus)
SA'ADIA (betrachtet sie): Hbsches Kind, David. Ein bichen fett.
Was essen Sie an Samstagen, Herr Pollak?
POLLAK: Meistens Lachman-Schwaje.
SA'ADiA(verzckt): Gut! Gut!
POLLAK: Gehrt Ihnen. Der Mund brennt mir noch drei Tage spter.
SA'ADIA: Schadet nichts, Herr Pollak. Es ist ein bichen scharf, aber
es macht stark.
POLLAK: Ruba-Kemja ist noch schlimmer. Davon bekomm' ich rich-
tige Magenschmerzen.
SA'ADIA: Wirklich? Essen Sie es mit etwas Burgul, Herr Pollak. Dann
wird es milder. Leila soll nicht so viel Fll hineingeben. Lieber
Bandjan und eine kleine Prise Basil.
POLLAK: Ich werde es ihr sagen.
SA'ADIA: Leila . . . Das ist doch ein orientalischer Name, nicht?
POLLAK: Was denn sonst.
SA'ADIA: Gut, gut. Und gibt es noch etwas anderes, was Herrn Pol-
lak Magenschmerzen macht?
POLLAK: Kubana Bulsja.
SA'ADIA: Kubana Bulsja? (Begeistert) Ich sagen Ihnen, Herr Pollak,
wenn Sie viel Kubana Bulsja essen, werden Sie so stark wie Ben
Gurion und knnen zehn Klubsessel in einer Hand tragen. Ganz
einfach. So, sehen Sie. (Hebt das Fauteuil mit einer Hand hoch)
Aber trotzdem, Herr Pollak: Dadja-Mokli schmeckt besser als al-
les.
POLLAK: Nur wenn das Fleisch gut abgelegen ist . . . (Zieht Geld-
scheine hervor) Es wird langsam spt. Hier, mein Lieber, Ihr
Geld.
SA'ADIA: Welches Geld?
POLLAK (Geste): Fr den Sessel. In den dritten Stock.
SA'ADIA: Wegen dieser paar Stufen? Fr diesen kleinen Sessel? Ma-
chen Sie sich nicht lcherlich, Herr Pollak. (Packt sich das Fau-
teuil auf den Rcken und geht ab)
ENDE
Die ffentliche Meinung
Es wurde schon bis zum berdru festgestellt, da in einem klei-
nen, dicht besiedelten Land wie Israel jeder jeden kennt, wenn
nicht persnlich, dann wenigstens theoretisch. Der Raummangel
ntigt uns, in der benachbarten Wohnung zu leben, die Bcher des
Hausherrn zu lesen, im Bett der Hausfrau zu schlafen. Wer das
Bedrfnis nach Ruhe hat, mu aus dem Fenster springen. Und
nicht einmal das hilft immer.
PERSONEN: Der Spender
Erster Brger
Zweiter Brger
Der Beamte
Die Sekretrin
ORT DER HANDLUNG: Warteraum in einem ffentlichen Amt. An der
Wand eine Tafel mit der Aufschrift: Amtsstunden von 8-12
Wenn der Vorhang aufgeht, sitzt auf der einzigen Bank des Warte-
zimmers der SPENDER, ein gut gekleideter, wrdig aussehender lte-
rer Herr.
ERSTER BRGER^ Khaki-Shorts, tritt ein, geht zur Verbindungstr,
die zum Amtsraum fhrt): Wer ist als letzter gekommen?
SPENDER: Ich, wenn mich nicht alles tuscht.
ERSTER: Ich war schon vorher da. Ich hab' mir nur etwas geholt.
(Nimmt einen nher zur Tr gelegenen Platz ein, zieht eine Zei-
tung heraus und liest) Wo ist der Beamte?
SPENDER: Das wei ich leider nicht.
ERSTER: Zustnde sind das.
ZWEITER B ORGER (tritt ein, genauso gekleidet wie der erste, ffnet die
Tr zum Amtsraum, wirft einen Blick hinein, schliet die Tr,
nimmt den ihr zunchst gelegenen Platz ein): Ich war schon vor-
her da. Ich hab' mir nur etwas geholt.
ERSTER: Guten Tag.
ZWEITER: Ach, guten Tag. Beinahe htte ich Sie nicht erkannt. Wie
geht's?
ERSTER: SOSO, lala. Und Ihnen?
ZWEITER: SOSO, lala. Wie geht's zu Hause?
114
ERSTER: SOSO, lala. Und bei Ihnen?
ZWEITER: SOSO, lala.
ERSTER: Na, das ist die Hauptsache. Kommen Sie doch gelegentlich
einmal bei uns vorbei.
ZWEITER: Machen wir. An einem der nchsten Tage. (Pause) Sind Sie
sicher, da Sie mich nicht verwechseln?
ERSTER: Ganz sicher. Sie sind doch der . . . Sie sind doch dieser . . .
ZWEITER: Ja. Was tun Sie hier?
ERSTER: Ich versuche ein kleines Darlehen fr einen Bekannten zu ar-
rangieren. Armer Teufel. Mit groer Familie. Er braucht das Geld
dringend, um eine Schuld zu bezahlen.
ZWEITER: Heutzutage hat beinahe jeder Mensch Schulden.
ERSTER: Ja, aber dieser Verbrecher hat sie bei mir . . . Wo bleibt der
Beamte? Ich warte schon seit einer Stunde.
ZWEITER: Kennen Sie denn unsere Beamten nicht?
ERSTER: Und ob ich sie kenne. Sind zu nichts anderem gut, als Steu-
ern aus uns herauszupressen.
ZWEITER: Was zahlen Sie Steuer?
ERSTER: Keinen roten Heller. Diesen Lumpen? (Steht auf, verbeugt
sich tief) Guten Morgen, Herr Amtsrat.
BEAMTER (ist eingetreten): Morgen.
ZWEITER: Ich wnsche Ihnen einen guten Morgen, Herr Oberamts-
rat.
BEAMTER{ZW Spender): Bitte kommen Sie weiter.
ERSTER: Einen Augenblick. Hier geht's der Reihe nach, oder?
SPENDER: Ich glaube, ich war als erster hier.
ZWEITER: Sie haben doch gehrt, da es der Reihe nach geht. Einer
nach dem andern!
BEAMTER: Dieser Herr ist gekommen, um unsere Einrichtungen
durch eine Spende zu frdern. Und was wnschen Sie}
ERSTER: Nehmen Sie ihn zuerst dran.
ZWEITER: Selbstverstndlich.
ERSTER: Dieser Herr ist natrlich wichtiger als wir. Eine Spende!
Bitte sehr. Entschuldigen Sie.
SPENDER: Vielen Dank. (Er folgt dem Beamten in den Nebenraum)
ERSTER: Eine Spende. Wem will er das erzhlen.
ZWEITER: Sie meinen . . . Sie glauben . . .
ERSTER: Ich wei. Diese sogenannten Spender knnen mir gestohlen
bleiben. Hat sich was. Einer von ihnen, ich habe ihn persnlich
gekannt, hat einmal 500 Pfund gespendet. Das heit: Er hat das
Geld auf den Tisch gezhlt, und eine Minute spter hat er die Ge-
nehmigung in der Tasche gehabt.
" 5
ZWEITER: Was fr eine Genehmigung?
ERSTER: Spielt keine Rolle. Eine Genehmigung. Eine Bewilligung.
Eine Lizenz.
ZWEITER: Die hat er sich damit verschafft?
ERSTER: Ja. So machen sie's immer. Und wir sitzen daneben und
schauen durch die Finger.
ZWEITER: Man mte ihnen das Handwerk legen.
ERSTER: Denen? Legen? Das Handwerk? Seien Sie nicht kindisch.
Da kenne ich einen, nichts Besonderes, ein ganz gewhnlicher
Mensch, ein normaler Staatsbrger. Der ist denen einmal dahin-
tergekommen. Und hat sich gesagt: Diesmal nicht, meine Herren,
ausnahmsweise nicht. Diesmal sollen sie sich geschnitten haben.
Kurz und gut: Er horcht herum, sammelt Material und bringt eine
Beschwerde ein. Mit Beweisen. Mit Belegen. Mit Fakten. Alles
schwarz auf wei. Hren Sie? Schwarz - auf- wei. Keine Hirn-
gespinste-Tatsachen! Glauben Sie vielleicht, die haben etwas un-
ternommen?
ZWEITER: Wer?
ERSTER: Sie wissen schon, wer. Jene. Keine Spur. Bis heute haben sie
keinen Finger gerhrt. Interessant, was?
ZWEITER: Hochinteressant.
ERSTER: Und wissen Sie, warum?
ZWEITER: Was warum?
ERSTER: Warum nichts geschehen ist? Ich kann es Ihnen verraten.
ZWEITER: Verraten Sie's mir.
ERSTER: Bitte. Wenn Sie's unbedingt wissen wollen. (Verschwre-
risch) Jemand war in die Geschichte verwickelt. Sie verstehen.
ZWEITER: Jemand, der . . .?
ERSTER: Ganz richtig. Allerdings nicht er selbst. Sein Schwager.
ZWEITER: Dann wundert mich gar nichts mehr.
ERSTER: Eben. Die halten uns fr komplette Idioten (Schleicht zur
Tr) Ich mchte wissen, worber die dort drinnen reden.
ZWEITER: Glauben Sie, da auch sie . . .?
ERSTER: Natrlich. Ich knnte wetten . . . (Legt das Ohr an die Tr)
Da haben wir's.
ZWEITER: Was sagt er?
ERSTER: Er sagt, da er einen kleinen Beitrag leisten mchte, um die
Lage in den Slums zu verbessern.
ZWEITER: Das ist doch sehr anstndig von ihm.
ERSTER: Anstndig? Sie sind aber naiv. Unser Freund dort drinnen
hat's faustdick hinter den Ohren, das drfen Sie mir glauben.
ZWEITER: Kennen Sie ihn nher?
116
ERSTER: WOZU nher? Ich kenne den Typ. Ich wittere ihn auf Kilo-
meter. Das ist einer von denen, die alles erreichen, was sie wollen.
Mit einer ganz bestimmten Methode. (Legt die rechte Hand ber
den Kopf und fat sich am linken Ohr) So macht er das. Warum
schiebt er eine Spende vor? Warum sagt er nicht klar heraus, da er
einen Baukontrakt haben will?
ZWEITER: Will er haben?
ERSTER: Nein, spenden will er. Dumme Frage. Wer spendet heutzu-
tage? Spenden Sie? Spende ich? Nur Wahnsinnige spenden. In
Amerika. (Horcht) Unglaublich!
ZWEITER: Was ist jetzt?
ERSTER: Er lt sich nicht lumpen. Ganz groer Mann. Bietet
ioo.ooo Pfund.
ZWEITER: Das ist eine Menge Geld.
ERSTER: Ja, fr Sie. Und fr mich. Aber Sie knnen sich ausrechnen,
wieviel Geld dieser Kerl auf der Bank hat, wenn er mir nichts, dir
nichts 100.000 Pfund zum Fenster hinauswirft.
ZWEITER: Er mu sehr vermgend sein.
ERSTER: Vermgend? Herr, ich wre glcklich, wenn ich in meinem
ganzen Leben so viel verdienen knnte, wie der in einem Jahr an
Zinsen einstreicht! Aber Steuern zahlen - das nicht. - Hren Sie,
da kenne ich jemanden - das bleibt natrlich ganz unter uns . . .
ZWEITER: Selbstverstndlich.
ERSTER: Ich mchte mit den Leuten nicht in Schwierigkeiten kom-
men. Was hab' ich davon. Also dieser Mann, den ich meine - von
Haus aus war er gar nicht so bel -, hat also Geld veruntreut. Eine
bestimmte Summe. Fragen Sie mich nicht, warum er das Geld ver-
untreut hat - er hat es veruntreut. Einfach veruntreut. Schn.
Gut. Eines Tages kommt man zu ihm und sagt: Lieber Herr, das
haben Sie geschickt eingefdelt, sogar sehr geschickt, aber es
hilft Ihnen nichts . . .
ZWEITER: Man hat ihn eingesperrt?
ERSTER: Warten Sie. Seien Sie doch nicht so ungeduldig. Eile mit
Weile. Man wollte ihn einsperren. Und was geschieht? Der Mann
wei, an wen er sich zu wenden hat - er kennt die richtigen Stellen
- geht hin - und eins, zwei, drei: alles in Ordnung!
ZWEITER: Wieder einmal nichts.
ERSTER: Wie gewhnlich. (Horcht) Er bricht mir das Herz.
ZWEITER: Was sagt er denn?
ERSTER: Da er der guten Sache immer gedient hat.
ZWEITER (im Stil des ersten) : Hoffentlich treibt ihn seine Hilfsbereit-
schaft nicht in den Ruin.
ERSTER: Gute Sache! Auch Mdchen sind eine gute Sache.
ZWEITER: Wollen Sie damit sagen . . .?
ERSTER: Genau das. Diese feinen Herren mit den fetten Brieftaschen
haben einen enormen Verbrauch an Mdchen und Sekretrinnen
und was wei ich. Und die Frau sitzt zu Hause und ahnt nichts.
ZWEITER: Die rmste.
ERSTER: Braucht Ihnen nicht leid zu tun. Sie sorgt schon dafr, da
sie nicht zu kurz kommt.
ZWEITER: ES ist ekelerregend.
ERSTER: Dolce vita. Wer hat, der hat.
ZWEITER: Und unsereins . . . Man knnte verrckt werden.
ERSTER: Wem sagen Sie das? Mir? (Wechselt pltzlich den Tonfall)
Entschuldigen Sie - ich war zuerst hier, oder nicht? (Verbeugt
sich) Ja, Herr Oberamtsrat? Bin ich dran?
BEMATERfrfer in die Tr getreten ist): Haben Sie vielleicht meine Se-
kretrin gesehen?
ERSTER: Nein, leider nicht, Herr Oberamtsrat. (Diensteifrig, mit me-
lodiser Stimme) Frulein Sekretrin! Liebes Frulein! (Zum Be-
amten) Sie scheint nicht hier zu sein. Vielleicht ist sie in die
Kantine gegangen.
ZWEITER: Soll ich nachsehen, Herr Oberamtsrat?
ERSTER: Ein Wort von Ihnen - und ich hole sie.
BEAMTER: Danke, das ist nicht ntig.
ERSTER: ES wre mir ein Vergngen. Aber wenn Sie wnschen,
bleibe ich hier und warte weiter.
BEAMTER: In Ordnung.
ERSTER: Danke, Herr Oberamtsrat.
ZWEITER: Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfgung, Herr Oberamtsrat.
BEAMTER: Schon gut. (Zieht sich in den Nebenraum zurck)
ERSTER: Na, was habe ich Ihnen gesagt? Sekretrin! Auf einmal
braucht er eine Sekretrin!
ZWEITER: Das heit . . .?
ERSTER: Natrlich heit es das. Was soll es denn sonst heien.
ZWEITER: ES ist ein Skandal, der zum Himmel stinkt. (Geht zur Tr
und horcht)
ERSTER: Wie geht's dort drinnen weiter?
ZWEITER (denkt nach, pltzlich): Jetzt wei ich's! Ich kenne diesen
Herrn. Ich habe einmal seinen Khlschrank repariert.
ERSTER: Khlschrank. Kann mir denken, was fr einen Khlschrank
der hat. Gro wie ein Haus. Wie ein Palast. Das lebt sich! Korrup-
tion, wo man hinschaut. Hngt mir zum Hals heraus. Ich frage
mich nur, wo das alles hinfhren soll.
118
ZWEITER: Wenn ich mich recht erinnere, war sein Khlschrank eher
klein.
ERSTER: Die mit den kleinen Khlschrnken sind die gefhrlichsten.
Der reine Bluff. Man knnte ein Buch ber sie schreiben. Kleiner
Khlschrank - groer Dieb.
ZWEITER: Wieso?
ERSTER: Wieso? Das fragen Sie noch? Mit diesem kleinen
Khlschrank, also nach auen hin, wnscht dieser Typ den
Anschein zu erwecken, da er gar nicht so reich ist. Und dahin-
ter verbergen sich die Millionen. Ich war einmal in der Woh-
nung so eines kleinen Khlschrankbesitzers. Es war wirklich
nur ein kleiner Khlschrank. Vielleicht einen Meter hoch,
nicht mehr. Aber drinnen - du lieber Himmel - was war da
alles drinnen!
ZWEITER: Was war drinnen?
ERSTER: Woher soll ich das wissen? Glauben Sie, der hat mich in den
Khlschrank hineinschauen lassen? Das ist es ja gerade. Aber man
kann sich's ausmalen. Lauter Delikatessen.
ZWEITER: Steaks?
ERSTER: SO gro!
ZWEITER: Ananas.
ERSTER: Avocados.
ZWEITER: Avocados?
ERSTER: Warum keine Avocados? Warum gerade Avocados nicht,
wenn er alles andere hat?
ZWEITER: Ich lasse mir das nicht lnger gefallen. (Springt auf, als ob er
in den Nebenraum strzen wollte) Da mu man endlich dreinfah-
ren! Da mu -
ERSTER (hlt ihn zurck): Ruhig. Brllen Sie nicht. Man knnte Sie
hren und dann geht's Ihnen an den Kragen.
ZWEITER: Ist mir egal. Alles hat seine Grenzen. Avocados fressen -
das knnte denen so passen. Jeder kleine Taschendieb wird einge-
sperrt - und diese Avocadofresser leben in Saus und Braus und
machen sich noch ber die Polizei lustig.
ERSTER: Polizei? Herr, lassen Sie mich mit der Polizei in Ruhe. Ich
erzhle Ihnen etwas von Ihrer Polizei. In meiner Gegend wohnt
ein Polizeioffizier - mit Brillen - aber sonst - ich will mich nicht
uern. Der kommt eines Tags zu mir und sagt: Ich mu in der
Stadt etwas erledigen - hren Sie? Etwas erledigen, sagt er.
Knnen Sie mich in Ihrem Wagen mitnehmen? Und ich ant-
worte ihm: Warum nicht? Schlielich ist er ein Polizeioffizier.
Sogar ein ziemlich hoher. In Uniform. Und mit Brillen. Immer
119
gut rasiert. Ein Offizier. Wer wrde annehmen, da da etwas
nicht stimmt?
ZWEITER: Sollen alle zum Teufel gehen . . . Die ganze Bande . . .
ERSTER: Warten Sie, ich bin noch nicht fertig. Ich nehme ihn also mit.
In die Stadt. Warum auch nicht? So bin ich nun einmal. Ich glaube
an das Gute im Menschen. Nennen Sie mich naiv, nennen Sie mich
dumm - ich kann mir nicht helfen. Meine Natur zwingt mich, so
lange an jeden einzelnen Menschen zu glauben, bis ich - hren Sie
gut zu - bis ich entdecken mu, da er nicht so ist, wie ich glaube.
Ich fahre also mit diesem Offizier in die Stadt und bringe ihn ge-
nau dorthin, wo er hinwill.
ZWEITER: Und was ist geschehen?
ERSTER: Was geschehen ist? Fragen Sie lieber, was nicht geschehen
ist.
ZWEITER: Ich wte aber gern, was geschehen ist.
ERSTER: Fragen Sie mich nicht.
ZWEITER: Deuten Sie es wenigstens an.
ERSTER: Ich halte nichts von Andeutungen. Schon gar nicht in einem
so gefhrlichen Zusammenhang.
ZWEITER: Ich verstehe. Ein hoher Offizier, sagten Sie?
ERSTER (mit Betonung): Ein hoher /Wj'zei-Offizier.
ZWEITER: Aha.
ERSTER: Richtig. Haben Sie etwas anderes erwartet? Und solche
Dinge .passieren jeden Tag. Das sind keine Erfindungen. Das sind
Tatsachen. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen.
ZWEITER: Wenn ich das nicht von Ihnen gehrt htte - mein Ehren-
wort, ich wrde nicht glauben, da so etwas mglich ist.
ERSTER: Und dabei habe ich Ihnen gar nicht alles erzhlt . . . (Steht
auf, verbeugt sich) Ah, hier sind Sie, meine Gndige. Sie werden
erwartet.
SEKRETKRiN(ein ltliches Frulein mit Brille, nhert sich der Tr zum
Nebenraum).
ZWEITER (springt eilfertig herzu, ffnet, ruft hinein): Die Dame ist
hier . . . Bitte sehr, meine Gndige. (Schliet die Tr)
ERSTER (pfeift durch die Zhne): Haben Sie die Figur gesehen?
ZWEITER: Und den Teint!
ERSTER: Und wer bezahlt's? Der kleine Mann. Der Mann von der
Strae. Sie und ich. Wir zahlen dafr. (Geht zur Tr)
ZWEITER: Man mu nur die Parteimitgliedskarte in der Tasche haben,
dann sieht alles anders aus.
ERSTER: Woher nehmen und nicht stehlen? Wir stehlen ja nicht.
ZWEITER: Der dort drinnen wird fr seine Spende eine Menge Pu-
120
blicity bekommen. Das ist ja das Wichtigste. Das ist das einzige,
was so einen interessiert. Publicity, Interviews, Fotos, Schlagzei-
len . . .
ERSTER (horcht): Er sagt, da er anonym bleiben will.
ZWEITER: Begreiflich. Um diese ganze windige Affre besser vertu-
schen zu knnen. Keine Sorge. Der Akt wird geschlossen.
ERSTER: Welcher Akt?
ZWEITER: Der betreffende. Die finden schon einen. Die haben genug
Aktenordner hier . . . Ich breche ihm alle Knochen im Leib, die-
sem Verbrecher.
ERSTER: Wissen Sie, was er jetzt gesagt hat? Er will auch sein eigenes
Haus spenden.
ZWEITER: WOZU?
ERSTER: Soll in ein Museum umgewandelt werden.
ZWEITER: Museum! Das kennt man schon.
ERSTER (hat die Tr spaltbreit geffnet): Jetzt lehnt er sich aus dem
Fenster und zeigt irgendwohin . . . Warten Sie, das mu ich se-
hen . . . (Luft zum Fenster des Warteraums und beugt sich hin-
aus) Es scheint sehr weit zu sein.
ZWEITER: Natrlich ist es weit. Die wohnen ja alle in den Villenvier-
teln.
ERSTER: Man kann es von hier kaum sehen . . . (Schreit auf) Groer
Gott!
SEKRETRIN (von drinnen): Hilfe!
BEAMTER (von drinnen): Und er hat noch nicht unterschrieben. (Der
Beamte und die Sekretrin eilen in Panik ber die Szene)
ERSTER (verdattert): Er . . . er ist aus dem Fenster gefallen.
ZWEITER: Natrlich.
ERSTER: Warum auch nicht?
ZWEITER: Sie knnen sicher sein, da er an diesem Fall nichts verlie-
ren wird.
ERSTER: Der wei schon, was er tut.
ZWEITER: Haben Sie etwas anderes erwartet?
ENDE
121
Ein Brief, der ihn erreichte
Die alteingesessenen Mitglieder jenes Irrenhauses, das man Thea-
ter nennt, knnen sich auerhalb der Anstaltsmauern vllig frei
bewegen und entdecken bei dieser Gelegenheit, da zwischen
innen und auen kein wesentlicher Unterschied besteht. Anders-
herum besehen, trgt der Schauspieler, wo er geht und steht, das
Theater mit sich und macht dadurch auch alle anderen Leute zu
Schauspielern. Manchmal gewinnt man sogar den Eindruck, da
diese anderen Leute ihre Texte tatschlich im voraus einstudiert
haben.
PERSONEN: Jarden Podmanitzky, Schauspieler
Bilitzer, Portier
Kaddasch, Postoffizial
Cheschwan, Postoberoffizial
Lea Birnbaum, i. Sekretrin
Tirsa Gadol, 2. Sekretrin
Weinberger, Inspektor
Mazalgowitsch, Abteilungsleiter
Beamter
ORT DER HANDLUNG: Ein Korridor im Hauptpostamt
JARDEN (strmt herein): Ich mu zu ihm! Ich mu sofort zu ihm!
BILITZER(< seiner Portiersloge): He! Wo brennt's denn?
JARDEN: Ich mu mit dem Abteilungsleiter sprechen.
BILITZER: Immer mit der Ruhe. Um was handelt es sich?
JARDEN: Man hat mich verstndigt, da ein eingeschriebener Brief
fr mich angekommen ist und verlegt wurde.
BILITZER: Da mssen Sie sich an das Postamt wenden.
JARDEN: Danke vielmals. Guten Tag.
BILITZER: Guten Tag.
JARDEN(hltpltzlich inne): Ja- aber wieso? Hier ist doch das Post-
amt?
BILITZER: Natrlich.
JARDEN: Warum sagen Sie mir dann, da ich mich an das Postamt
wenden mu?
BILITZER: Weil Sie sich an das Postamt wenden mssen.
JARDEN: Hren Sie - ich habe keine Zeit fr Ihre Scherze. In einer
halben Stunde mu ich auf der Probe sein.
BILITZER: Immer mit der Ruhe. Wer sind Sie?
JARDEN: Ich bin Jarden Podmanitzky.
BILITZER: Wer?
JARDEN (mit Betonung): Jarden Podmanitzky.
BILITZER (unbeeindruckt): Und was wollen Sie?
JARDEN (fassungslos): Jarden Podmanitzky. Der Schauspieler.
BILITZER: Ich habe gefragt, was Sie wollen.
JARDEN: Und ich habe Ihnen gesagt, da ich mit dem Abteilungslei-
ter sprechen will. Es ist seine Pflicht, diesen eingeschriebenen
Brief aufzufinden. Ich bin sicher, da ein Scheck drin ist.
BILITZER: Wie hoch?
JARDEN: 150 Pfund.
BILITZER: Von wem?
JARDEN: Von meiner Gromutter.
BILITZER: Wie alt ist sie?
JARDEN: WO ist der Abteilungsleiter?
BILITZER: Dritte Tr links.
JARDEN (strzt davon).
BILITZER (sieht ihm gedankenvoll nach).
JARDEN (kehrt atemlos zurck): Hab' ich nicht gefunden.
BILITZER: Was?
JARDEN: ES gibt auf der linken Seite keine Tr.
BILITZER: Nicht mglich.
JARDEN: Keine einzige.
BILITZER (achselzuckend): Ja dann . . .
JARDEN (brllt): Warum haben Sie mich dorthin geschickt?
BILITZER: Probieren geht ber Studieren.
JARDEN: Ich werde mich beim Generalpostmeister beschweren.
BILITZER: Den werden Sie nicht finden.
JARDEN: Sie sind ein Lmmel.
BILITZER: Sie sind selber ein Lmmel. Auch Ihr Vater.
JARDEN: Ihr Vater und Ihr Grovater!
BILITZER: Ihr Grovater, Ihr Urgrovater und Ihr Ururgrovater!
JARDEN: Der Vater Ihres Ururgrovaters und - oj (Greift sich ans
Herz)
BILITZER: Einen Augenblick.
JARDEN: Was?
BILITZER: Entschuldigen Sie - sind Sie vielleicht Schauspieler?
JARDEN: Was heit vielleicht? Ich bin Schauspieler.
BILITZER: Sie sind . . . Sind Sie nicht . . .
JARDEN: Jarden Podmanitzky.
BILITZER (fassungslos vor Aufregung): Nein!!
JARDEN: Ja!!
BILITZER: Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Welche
Ehre . . . Bitte nehmen Sie Platz.
JARDEN (nimmt Platz): Ich bin in groer Eile, mein Freund. In einer
halben Stunde mu ich auf der Probe sein.
BILITZER: Bitte bleiben Sie ein paar Minuten . . . Nur ein paar Minu-
ten, ich bitte Sie . . . Nein, diese Ehre . . .
JARDEN: Ich mchte mit dem Abteilungsleiter sprechen.
BILITZER (krmmt sich vor Verlegenheit): Nein, wirklich . . . Sie
mssen entschuldigen . . . Ich hatte keine Ahnung . . . Ich wei
gar nicht, wie ich das sagen soll . . . So eine Ehre . . . so ein
Schauspieler . . . Die werden zu Hause Augen machen, wenn
ich's ihnen erzhle . . . Nein, so etwas . . . da ich Sie nicht so-
fort erkannt habe . . . Ich wollte Sie immer schon persnlich ken-
nenlernen . . . Dabei hatte ich sofort ein ganz bestimmtes Ge-
fhl - gleich wie Sie hereingekommen sind . . . Gleich im ersten
Moment hab' ich mir gedacht: Wer ist dieser lcherliche Zwerg?
Man mu ja schon lachen, wenn man sein Gesicht sieht . . . Nein,
diese Ehre . . .
JARDEN: In einer halben Stunde beginnt die Probe.
BILITZER: WO hab' ich Sie nur gesehen? Ich mu Sie schon irgendein-
mal gesehen haben . . .
JARDEN: Fhren Sie mich zum Abteilungsleiter.
BILITZER: Halt, ich hab's! In der Habimah . . . Warten Sie . . . Sie
haben einen Negerpriester gespielt, der seinen Sohn in Johannes-
burg sucht.
JARDEN: Das war Aron Honigmann.
BILITZER: Mir sagen Sie? Honigmann! Ein herrlicher Schauspieler!
Gott, hab' ich mich gut unterhalten bei dem Stck. Ich hab' mich
beinah gewlzt vor Lachen . . . (Lacht, besinnt sich pltzlich)
Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?
JARDEN: Ich bin Jarden Podmanitzky.
BILITZER: Vom -?
JARDEN: Vom Kammertheater.
BILITZER: Was ist das?
JARDEN: Eine stdtische Bhne.
BILITZER (hlt den gerade vorbeikommenden Kaddasch auf): Au-
genblick, Herr Kaddasch. Kennen Sie ein gewisses Kammer-
theater?
K\DDAScH(bleibt stehen): Natrlich. (Blick auf Jarden) Jarden Pod-
manitzky!
JARDEN (Blick auf Bilitzer): In der Tat.
124
KADDASCH: Welche Ehre! Ich habe Sie in Ihrer jngsten Rolle gese-
hen. Hervorragend.
BILITZER: Was heit hervorragend? Grandios!
KADDASCH: Gestatten Sie: Alexander Kaddasch, Postoberoffizial.
JARDEN: Freut mich. (Mit Seitenblick auf Bilitzer) Jarden Podma-
nitzky.
KADDASCH: Ich will Ihnen nicht schmeicheln, aber Sie waren groar-
tig-
JARDEN (wehrt mit gespielter Verlegenheit ab): Ich bitte Sie. Es war
eine dankbare Rolle.
KADDASCH: Ich verstehe, ich verstehe . . .
JARDEN: Hauptsache, da es Ihnen gefallen hat.
KADDASCH: Gefallen? Ich war hingerissen! Und meine Frau hat sich
direkt in Sie verliebt.
JARDEN: Ich bitte meine Empfehlungen zu bestellen.
KADDASCH: Am besten fand ich die Szene, wo Sie als alter Kurde . . .
Sie wissen ja . . .
JARDEN: Ich? Als alter Kurde?
KADDASCH: Ja. Erinnern Sie sich nicht? Eine berwltigende Szene.
JARDENftrocken): Es ist ein eingeschriebener Brief fr mich da.
KADDASCH: Wirklich? Apropos Brief- da mu ich Ihnen einen kst-
lichen Witz erzhlen. (Will ihn beiseite zerren) Sie verstehen doch
Jiddisch?
JARDEN: Ich bin in Eile.
KADDASCH: Also hren Sie. Ein Volkswagen kommt durch die Al-
lenby-Strae gesaust, der Fahrer steckt den Kopf heraus und
schreit: Hallo! Wer kennt sich in Volkswagen aus? (Lacht)
BILITZER: Hahahaha . . . Er wei nmlich nicht, wo die Bremse ist.
KADDASCH: Genau. Der kleine Kfer saust mit 120 Kilometern durch
die Allenby-Strae, und der Fahrer wei nicht . . .
JARDEN: . . . wo die Bremse ist. Deshalb steckt er den Kopf heraus
und schreit: Hallo! Wer kennt sich in Volkswagen aus?
BILITZER UND KADDASCH (lachen wie verrckt).
JARDEN: Weil er nicht wei, wo die Bremse ist.
BILITZER UND KADDASCH: Bruhahaha . . .
^>\\-nzm.(kemhend): Der kann vielleicht Witze erzhlen, dieser Pod-
manitzky! Und wie er die Pointen bringt!
KADDASCH: Da sieht man eben den Routinier.
CHESCHW AN (tritt ein): Was ist denn hier los?
KADDASCH (brllt Bilitzer an): Lassen Sie dieses idiotische Lachen!
Wir sind hier in einem Amt, oder nicht?
CHEscHWAN{'./ic& auf Jarden): Augenblick . . . Sie sind doch der
Schauspieler vom . . . vom . . . Nicht sagen . . . Es liegt mir auf
der Zunge . . .
JARDEN: Jarden Podmanitzky.
CHESCHWAN: Richtig! Wahrscheinlich haben Sie wieder einen Witz
erzhlt, was? Ja, das lustige Knstlervlkchen! Immer zu Spaen
aufgelegt, was? (Schlgt ihm auf die Schulter) Hahaha! Wollen Sie
mich nicht auch mitlachen lassen, altes Haus? Na? Schieen Sie
los! Um was handelt sich's?
JARDEN: ES handelt sich um einen eingeschriebenen Brief, der verlegt
wurde.
BILITZER, KADDASCH UND CHESCHWAN (bersten vor Gelchter).
CHESCHWAN: Kstlich! Zum Schieen! Ein eingeschriebener
Brief . . . Was ihr fr Einflle habt, ihr Schauspieler . . . Ver-
legt . . . (Schttelt sich vor Lachen und deutet dabei auf den Zet-
tel, den Jarden in der Hand hlt) Was ist das?
JARDEN: Die Verstndigung, da der Brief verlegt wurde.
CHESCHWAN (liest, fhrt auf Kaddasch los): Das ist ein Skandal!
KADDASCH (ZU Bilitzer): Haben Sie gehrt?!
JARDEN: Ich bin in Eile, meine Herren.
BILITZER: Er hat eine Probe mit dem Volkswagen.
CHESCHWAN: Halten Sie den Mund, Bilitzer. Das ist keine Art, Be-
schwerden des Publikums zu behandeln! Und mit Ihnen, Herr
Kaddasch, spreche ich spter noch unter vier Augen.
KADDASCH: Jawohl. (Zu Bilitzer) Grinsen Sie nicht! (Ab)
CHESCHWAN(zieht Jarden zur Seite) : Ich habe alle Kritiken ber Ihre
letzte Rolle gelesen. Der eine Kritiker- ich habe vergessen, wie er
heit - versteht berhaupt nichts vom Theater. Kmmern Sie sich
nicht um ihn.
JARDEN: Das sowieso. Wer liest schon Kritiken? (Seufzt) Ich.
CHESCHWAN: Unsinn. Wissen Sie, was Sie tun sollten?
JARDEN: Nicht genau.
CHESCHWAN: Ich sag's Ihnen. Hren Sie gut zu. Sie brauchen drei
Dinge. A: ein gutes Stck, B: einen guten Regisseur, C: eine gute
Rolle. Und natrlich mssen Sie die gute Rolle auch gut spielen.
Das ist alles.
JARDEN: Sie haben den Stein der Weisen gefunden. Darf ich's mir
aufschreiben? Sonst verge' ich's vielleicht.
CHESCHWAN: Aber gewi. Schreiben Sie's nur auf. A, B, C. Ich ver-
steh' nmlich etwas vom Theater. Ich wurde seinerzeit wiederholt
von der Teatrikowskaja Podolbaskinoja eingeladen.
JARDEN: Dann ist es allerdings kein Wunder, da Sie etwas von den
Dingen verstehen.
126
CHESCHWAN: Auch spter wurde ich wiederholt aufgefordert, mich
um verschiedene Theater zu kmmern. Leider habe ich keine Zeit.
JARDEN: Auch ich habe keine Zeit.
CHESCHWAN: Ja, richtig. Sofort. Nur noch eine Kleinigkeit. Meine
Frau sekkiert mich schon seit Wochen, da sie ins Theater gehen
will. Knnten Sie uns drei Karten verschaffen? Mglichst in der
Mitte?
JARDEN: Gern. Drei?
CHESCHWAN: Ja. Meine Schwester will auch gehen - mit ihrem
Mann.
JARDEN: Also vier.
CHESCHWAN: Stimmt. Vier im ganzen. Egal fr welchen Tag.
JARDEN: Dann sagen wir: Montag?
CHESCHWAN: Lieber Mittwoch.
JARDEN: Aber am Mittwoch spiele ich nicht.
CHESCHWAN: Ich habe leider nur den Mittwoch abend frei. Wir ms-
sen bei Mittwoch bleiben.
JARDEN (suerlich): Na schn. Vier Karten fr Mittwoch.
CHESCHWAN: Danke. Ich habe mich sehr gefreut, Sie kennenzuler-
nen. Auf Wiedersehen. (Will abgehen)
JARDEN: Halt, halt! Was ist mit meinem eingeschriebenen Brief?
CHESCHWAN: Wir werden der Sache nachgehen. Also sechs Karten
fr Mittwoch.
JARDEN: Mglichst in der Mitte.
CHESCHWAN: Ich hoffe, Sie haben fr die Karten nichts zu zahlen.
JARDEN: Nein. Das wird mir von der Gage abgezogen.
CHESCHWAN: Dann ist ja alles gut. (Ab)
BiLiTZERfz Jarden): Ich will auch zwei Karten haben.
JARDEN: Bitte sehr. Sie werden an der Abendkasse bereit liegen.
BILITZER: Danke, Herr Honigmann.
JARDEN: Ich bin Jarden Podmanitzky.
BILITZER: Wenn schon. Ein Schauspieler ist ein Schauspieler.
LEA BIRNBAUM (strzt aufgeregt herein): Herr Podmanitzky? Mein
Name ist Lea Birnbaum. Ich bin hier Sekretrin. Haben Sie Ihre
letzten Kritiken gelesen?
JARDEN: Leider.
LEA: Vergessen Sie's. Lauter Unsinn. Ich verehre Sie schon seit Jah-
ren. Ich komme zu jeder Ihrer Premieren.
JARDEN (Blick auf die Uhr): Und ich komme zu spt zur Probe.
LEA: Ach ja, Ihr eingeschriebener Brief. Ich hab' schon mit Herrn
Mazalgowitsch gesprochen, unserem Abteilungsleiter. Die Sache
ist in Arbeit.
127
JARDEN: Dann will ich Sie nicht lnger aufhalten.
LEA: Nein, das macht nichts. Ich bin froh, mit Ihnen sprechen zu
knnen. Das Theater ist mein Leben.
JARDEN (nervs): Freut mich, freut mich.
LEA: Ich habe selbst schon ein paar Theaterstcke geschrieben.
JARDEN: Interessant.
LEA: Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich einmal zu Ihnen
und lese Ihnen ein paar Seiten vor. Wieviel zahlen Sie fr ein
Stck?
JARDEN: Ein Vermgen, Frulein Birnbaum, ein Vermgen. Aber
zuerst mchte ich den eingeschriebenen Brief haben.
BILITZER: ES ist ein Scheck von seiner Gromutter drin.
LEA: Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Knnen Sie morgen
wiederkommen?
JARDEN: Ja.
LEA: 14 Uhr 30?
JARDEN: 14 Uhr 30 geht. Aber ich werde nicht viel Zeit haben.
LEA: Da fllt mir ein: Morgen kann ich nicht. Ich habe schon zwei
Verabredungen fr den Nachmittag. Wie wr's mit Freitag?
JARDEN: Auch gut.
LEA: Wann?
JARDEN: Um fnf Uhr in der Frh.
LEA: Gut, ich nehme ein Taxi. (Notiert) Freitag, fnf Uhr. Pat mir
sehr gut ins Programm.
JARDEN: Eigentlich - warum so spt? Warum nicht schon um drei?
LEA: Ich mache nicht gern Besuche bei Mondschein.
JARDEN (beherrscht sich mhsam): Wenn ich jetzt nicht sofort mit
dem Abteilungsleiter sprechen kann, zertrmmere ich die Ein-
richtung.
LEA: Was ist denn los mit Ihnen? (Schon in der Tr) Ich habe auch
eine sehr schne Stimme.
JARDEN (brllt): Hinaus!
BILITZER: Alle Leute belstigen Sie, Herr Podmanitzky. Alle wollen
Karten von Ihnen - oder wollen Ihnen etwas vorsingen . . . (Be-
ginnt eine Melodie aus Grfin Mariza zu singen)
JhRDEN(sthnt auf, will entfliehen, stt mit dem hereinkommenden
Inspektor Weinberger zusammen).
INSPEKTOR: Ich hre, da wir einen bekannten Schauspieler zu Gast
haben. Mein Name ist Inspektor Weinberger.
JARDEN: Jarden Podmanitzky.
INSPEKTOR: Wei ich, wei ich. Sie kennt man doch . . . Was wollte
ich Ihnen sagen . . .
128
JARDEN: Ja. Ich habe die Kritiken gelesen und vergessen. Lauter
dummes Zeug.
INSPEKTOR: Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.
JARDEN: Kann ich etwas fr Sie tun, Herr Inspektor?
INSPEKTOR: Ja. Einen Augenblick, Herr . . . Herr . . .
JARDEN: Podmanitzky.
INSPEKTOR: Wie bitte?
JARDEN: Jarden Podmanitzky.
INSPEKTOR: Natrlich. Also, es handelt sich um meine Cousine. Ein
sehr begabtes Mdchen. Kann tanzen, singen und kochen.
JARDEN: Ich habe derzeit keine Absicht, mich zu verehelichen.
INSPEKTOR: Wer spricht von Ehe? Sie mchte zum Theater.
JARDEN: Soll sie.
INSPEKTOR: Sie hat auch schon einen Kurs gemacht.
JARDEN: Was fr einen Kurs?
INSPEKTOR: Stenographie. Was wrden Sie ihr als nchstes raten,
Herr . . . Herr . . .
JARDEN: Honigmann.
INSPEKTOR: Herr Honigmann. Vielleicht knnten Sie ein gutes Wort
bei der Habimah fr sie einlegen. Ein Wort von Ihnen wrde ge-
ngen.
JARDEN: Ein Wort? Es gengt, wenn ich pfeife.
INSPEKTOR: Um so besser. Rufen Sie doch gleich einmal dort an.
JARDEN: Wer? Ich? Wo?
INSPEKTOR: Bilitzer, verbinden Sie uns mit der Direktion der Habi-
mah.
B ILITZER (verbindet).
JARDEN (rchelt) Mein Brief . . .
INSPEKTOR: Was fr ein Brief? Machen Sie sich keine Sorgen. Das
bringen wir schon in Ordnung.
BILITZER (am Telefon): Hallo? Habimah? Einen Augenblick.
jARDEN(Vei/?t ihm den Hrer aus der Hand, spricht sehr schnell): Ha-
bimah? Schalom. Ich wnsche, da Sie die Cousine von Herrn
Weinberger engagieren. Sofort. Kein Wort weiter. Es ist ein Be-
fehl. (Pfeift, legt den Hrer auf) Sie ist engagiert.
INSPEKTOR: Vielen Dank. Ich wute ja, da es klappen wird. Das M-
del ist so begabt. brigens - es geht mich ja nichts an - aber was
machen Sie hier?
JARDEN: Ich suche meinen eingeschriebenen Brief.
INSPEKTOR: Dann will ich nicht lnger stren. (Ab)
BEAMTER (steckt den Kopf zur Tr herein): Hallo, Podmanitzky!
JARDEN: Ja?
129
BEAMTER (hlt zwei Finger in die Hhe).
JARDEN: In Ordnung. Zwei Karten in der Mitte. Liegen an der
Abendkasse unter der Chiffre Eingeschriebener Brief.
BEAMTER: Gut. (Verschwindet)
Twsk(kommt mit Bilitzer).
BILITZER: Darf ich Ihnen unsere zweite Sekretrin vorstellen?
TIRSA: Tirsa Gadol.
JARDEN: Stanislawsky.
TIRSA: Ich bin eine groe Verehrerin von Ihnen. (Zu Bilitzer, fl-
sternd) Er ist ein Schauspieler, nicht wahr?
BILITZER: Sagt er.
TIRSA (ZU Jarden): Ich wollte Sie um etwas bitten.
JARDEN: Wie viele und fr wann?
TIRSA: Nein, ich gehe nie ins Theater. Nur ins Kino.
JARDEN: WO ist mein eingeschriebener Brief?
TIRSA: Davon wei ich nichts. Ich meine etwas anderes. Nchste
Woche findet der Universittsball statt.
JARDEN: Ich tanze nicht.
TIRSA: Mein Freund tanzt. Aber ich habe kein Abendkleid.
JARDEN: Gut. Ich werde Ihnen eins nhen.
TIRSA: Nicht ntig. Man hat mir erzhlt, da die Frauen in My Fair
Lady so schne Kostme getragen haben.
JARDEN: Ich werde Ihnen einige Modelle vorlegen.
BILITZER: Und dann suchen wir uns eins aus.
TIRSA: Aber kein schwarzes.
JARDEN: Nein. Niemals.
BILITZER: Gelb wre besser.
TIRSA: Oder weinrot.
JARDEN: Vielleicht mit einem violetten Saum?
TIRSA: Nicht schlecht. Aber es ist sehr dringend.
JARDEN: Ich breche noch heute in den Fundus ein. Noch in der
Nacht.
TIRSA: Danke. (Zu Bilitzer) Er ist doch sehr nett.
JARDEN(heult auf): Wo ist mein eingeschriebener Brief?
MAZALGOWITSCH (kommt mit einem Brief in der Hand): Hier, Herr
Podmanitzky. Hier in meiner Hand.
JARDEN: Gott sei Dank. (Wirft sich auf den Brief)
MAZALGOWITSCH (wehrt ab): Nein, nein, so schnell geht das nicht,
Herr Podmanitzky. Nur Geduld. Wir haben vorher noch eine
Kleinigkeit zu besprechen. Mein Name ist Mazalgowitsch.
Ich bin der Abteilungsleiter. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft
zu machen. Samstag abends veranstaltet unsere Belegschaft
130
ihre alljhrliche Betriebsfeier. Haben Sie nicht ein paar lustige
Nummern?
JARDEN: Ich habe einen eingeschriebenen Brief!
MAZALGOWITSCH: Sehr gut. Den knnen Sie auf jeden Fall singen,
und noch zwei oder drei passende Stcke dazu. Ihnen mu ich
doch keine Ratschlge geben.
JARDEN: Nein. Den Brief.
MAZALGOWITSCH: Wir zahlen natrlich kein Honorar. Woher sollten
wir das Geld nehmen? Aber Sie werden sich bei uns sehr wohl fh-
len.
JARDEN (reit ihm den Brief aus der Hand).
MAZALGOWITSCH: Aber Herr . . . Herr . . .
JARDEN: Mein Scheck, mein Scheck . . . reit den Brief auf, liest)
Lieber Jarden, wahrscheinlich kannst Du Dich nicht mehr an
mich erinnern, wir sind zusammen in die Schule gegangen, und
ich mchte Dich bitten, mir fr Deine nchste Premiere zwei Kar-
ten zu verschaffen. Mglichst in der Mitte. Dein dankbarer
Mischa.
ENDE
Alle Menschen werden Brder
Gehabte Sorgen, die hab' ich gern, heit es in einem bekannten
Volkslied, und danach richten wir uns. Wir sind stndig darauf
bedacht, mglichst vielen Menschen mglichst viele Sorgen zu
bereiten, womit wir ihnen Gelegenheit geben, diese Sorgen gehabt
zu haben. Auf diese Weise kommen wir einander nher, so nahe,
da wir's kaum noch ertragen knnen. Manchmal eilt uns die
Natur zu Hilfe und verursacht uns kostenlos eine Extrasorge, wie
beispielsweise in der folgenden Szene, die ich in dunkler Nacht, in
der Pause zwischen zwei Anfllen von Sodbrennen, niederge-
schrieben habe.
PERSONEN: Der Dieb
Das Opfer
ORT DER HANDLUNG: Die Wohnung des Opfers
ZEIT: Nacht
OPFER (liegt im Bett und schlft).
DIEB (steigt im Mondlicht durch das Fenster ein. Er trgt ber dem
Gesicht eine Maske, in der einen Hand eine Taschenlampe und in
der anderen einen Revolver).
OPFER (schnarcht in Intervallen).
DIEB (geht auf Zehenspitzen zum Schrank und ffnet ihn).
OvFER(erwachtjh, dreht das Licht an): Was ist los? Was - wer sind
Sie? Was wollen Sie?
DiEBfzje/f mit dem Revolver auf ihn): Rhren Sie sich nicht, wenn
Ihnen Ihr Leben lieb ist. Ich scherze nicht.
OPFER (ngstlich): Wer sind Sie?
DIEB: Was glauben Sie? Der Steuereinnehmer?
OPFER (jammert laut).
DIEB: Halten Sie den Mund. Wenn Sie noch einen Laut von sich ge-
ben, sind Sie ein toter Mann.
OPFER: Da so etwas mglich ist! In unserm Land! Da ein Jud ei-
nem andern so etwas antut!
DIEB: Na wenn schon. Das gehrt zu unserem Normalisierungspro-
ze. In einem normalen Land mu es auch Ruber geben, und
deshalb werden Sie jetzt ausgeraubt. Kein Grund zum Jammern.
OPFER: Ich jammere nicht meinetwegen. Ich jammere ber die Zu-
kunft unseres Landes.
DIEB: Dann jammern Sie leise.
OPFER (jammert leise).
DIEB: Und jetzt wollen wir einmal nachsehen . . . (Whlt in den F-
chern des Schranks) Aha! Der Schmuck Ihrer Frau, wie?
OPFER: Um Gottes willen, nur das nicht.
DIEB: Keine Bewegung! Sie werden auch ohne Juwelen auskommen.
(ffnet eine Schatulle und leert den Inhalt auf den Tisch) Pracht-
voll! Wunderschn!
OPFER: Alles falsch.
DIEB: Maul halten. (Setzt seine Whlarbeit fort) Wo ist das Geld? Sa-
gen Sie mir sofort, wo Sie Ihr Geld versteckt haben, oder es knallt.
OPFER: Geld? Ich?
DIEB: Lassen Sie die Kindereien. Das ntzt Ihnen nichts. Haben Sie
das Geld vielleicht im Strumpf versteckt? Jetzt erbleichen Sie,
was? (Zieht aus dem Schrank ein paar prall gefllte Strmpfe her-
vor) Und was ist da drinnen ? (Entnimmt jedem Strumpf eine lng-
liche Pappschachtel und jeder Schachtel ein Bndel Banknoten)
Na also.
OPFER: Das ist nicht schn von Ihnen. Ich habe das Geld fr einen
Khlschrank beiseite gelegt.
DIEB: Gut, ich werde mir dafr einen Khlschrank kaufen. (Hebt
eine Medikamentenschachtel hoch) Und was ist das?
OPFER: Nichts, was Sie interessieren knnte. Meine Medikamente.
DIEB (ffnet die Schachtel): Was fr Medikamente?
OPFER: Fr meine Magengeschwre.
DIEB: Magengeschwre?
OPFER: Magengeschwre.
DIEB: Wann haben Sie die bekommen?
OPFER: Vor vierzehn Jahren.
DIEB: Gro?
OPFER: Ungefhr so. (Zeigt) Tun manchmal frchterlich weh.
Warum fragen Sie? Haben Sie auch Magengeschwre?
DIEB: Ob ich Magengeschwre habe? Seit siebenundzwanzig Jah-
' ren, mein Lieber. Perforiert.
OPFER: Begreiflich. In einem Beruf wie dem Ihren, wo man sich un-
unterbrochen aufregen mu . . .
DIEB: Eben. Was fr Medikamente nehmen Sie?
OPFER: Amid-benzol-molfo-mycin-bromid.
DIEB: Ich nehme Carbo-strichio-bicarbonat-magnesium.
OPFER: Ach, Carbo-strichio-bicarbonat-magnesium. Kenn' ich. Ist
berhaupt nichts wert. Lindert die Schmerzen fr ein paar Minu-
ten, und dann geht's wieder los.
33
DIEB (liest das Etikett der Schachtel): Was steht hier?
OPFER: Bei Schmerzen infolge von Aufregungszustnden oder fett-
haltiger Nahrung sofort eine Tablette einnehmen, wenn vom Arzt
nicht anders verordnet.
DIEB: Dann verordne ich Ihnen jetzt zwei Tabletten. Es wird Ihnen
guttun.
OPFER: Dazu brauche ich Wasser.
DIEB: Dann holen Sie' s. (Droht ihm mit dem Revolver) Los,
los!
OPFER (ge^j ab).
DIEB (ruft ihm nach): Auch fr mich ein Glas! Ich mchte Ihre Ta-
bletten ausprobieren!
OPFER (kommt mit zwei gefllten Wasserglsern zurck): Hier,
bitte. Wissen Sie - ich habe schon berlegt, ob ich mich nicht ope-
rieren lassen soll.
DIEB: Tun Sie das nicht. Operationen sind immer gefhrlich. Darauf
soll man sich nur einlassen, wenn's gar nicht mehr anders geht.
(Nimmt die Maske vom Gesicht, holt Luft) Mir ist zu hei unter
diesem Tuch. Hat man Ihnen eine Dit vorgeschrieben?
OPFER: Ja, aber sie hilft nicht. (Schluckt die Tabletten und hustet)
DIEB (klopft ihm hilfreich auf den Rcken): Ich halte nichts von
Ditvorschriften. Lauter Schwindel. Der Organismus lt sich
nicht betrgen. Manchmal esse ich geflltes Kraut und nichts pas-
siert. Manchmal trinke ich ein Glas vorgewrmte Milch und be-
komme einen Anfall.
OPFER: Kenn' ich, kenn' ich. Magensure!
DIEB: Stimmt.
OPFER: Sie sollten nicht so lange stehen. Setzen Sie sich.
DIEB: Danke. (Setzt sich) Also Ihr Magen produziert zuviel Sure?
OPFER (mit stolzem Lcheln): 68.
DIEB: Ich habe 71.
O?vm(eiferschtig): 71? Phantastisch! Wirklich 71?
DIEB: Genau.
OPFER: Knnen Sie das beweisen? Mit einem rztlichen Zeugnis oder
so?
DIEB: Selbstverstndlich. (Betastet seine Taschen) Zufllig habe ich
die Besttigung nicht bei mir.
OPFER (ironisch): Zufllig . . . - ein merkwrdiger Zufall. Ich
kann Ihnen meine Besttigung zeigen. (Entnimmt seiner Briefta-
sche ein Blatt Papier) Was steht hier? Magensure: 68!
DIEB (nimmt das Papier in Augenschein): Hier stand ursprnglich
58. Wenn man genau hinschaut, sieht man's ganz deutlich. Sie ha-
'34
ben 68 draus gemacht. Eine klare Dokumentenflschung. Kann
Sie zwei Jahre kosten.
OPFER: Ich - ein Flscher? Das ist doch unerhrt. Passen Sie gefl-
ligst auf, was Sie reden, sonst mte ich Sie bitten, meine Woh-
nung zu verlassen. Ich habe keine 68? Wenn Sie's genau wissen
wollen - beim ersten Test hatte ich sogar 73. Aber die rzte woll-
ten das nicht anerkennen, weil der Test whrend einer Hitzewelle
gemacht wurde.
DIEB: Schon gut, schon gut. Sie sollen sich nicht aufregen, auch bei
58 nicht.
OPFER: Nehmen Sie endlich Ihre Tablette. Ich mchte sehen, wie sie
bei Ihnen wirkt.
DIEB: Das ist individuell. (Entnimmt der Schachtel zwei Tabletten)
Ich nehme zwei, gut?
OPFER: Gut.
DIEB: Bitte halten Sie einen Augenblick den Revolver.
OPFER: Gerne. (Tut es) Und jetzt schlucken Sie.
DiEBftMt es): Wir werden ja sehen . . . Aber warum stehen Sie? Set-
zen Sie sich.
OPFER: Danke. (Setzt sich)
DIEB: Ich frchte, da ich einen groen Fehler gemacht habe. Wenn
ich sofort auf Dit gegangen wre, htte es noch geholfen. Aber
ich habe die Symptome nicht beachtet, und jetzt ist es zu spt.
Jetzt kann ich's nicht mehr ndern. Ich esse, ich rauche . . .
OPFER: Ich auch. Es ist hoffnungslos. Trinken Sie?
DIEB: Wenn man mir etwas anbietet.
OPFER: Augenblick - ich habe eine wahre Kstlichkeit im Haus.
(Nimmt eine Flasche aus dem Schrank) Darf ich? (Dieb nickt. Op-
fer schenkt ein, stellt die Flasche auf den Tisch, trgt die Schmuck-
schatulle und das Geld in den Schrank zurck)
DiEB(trinkt, leckt sich die Lippen): Ah, franzsischer Cognac. Her-
vorragend.
OPFER: Hervorragend, aber fr uns beide das reine Gift. (Schenkt
nach und fllt auch fr sich ein Glas. Sie stoen an) L'chajim.
DIEB: L'chajim. Das schmeckt! Gestatten Sie: Max Polakoff.
OPFER: Moritz Deutscher. Sehr erfreut.
DIEB (whrend des Einschenkens): Haben Sie Nierensteine?
OPFER: Sand.
DIEB: Ich habe einen solchen Stein. (Gebrde) Schmerzt frchter-
lich.
OPFER: Der Sand auch! Manchmal krmme ich mich vor Schmerzen.
DIEB: Das ist noch gar nichts. Wenn bei mir ein Anfall beginnt,
mchte ich am liebsten die Wnde hinaufklettern. So bin ich ja
auch hier hereingekommen . . . Haben Sie einen guten Arzt?
OPFER: Ich bin bei der Krankenkasse..
DIEB: Moritz - fr so dumm htte ich Sie nicht gehalten. Kranken-
kasse? Sie zahlen und zahlen und zahlen - und wenn's drauf an-
kommt, haben Sie nichts davon. Mit der Krankenkasse werden Sie
Ihre Magengeschwre nie loswerden. Ich gebe Ihnen die Adresse
von meinem Arzt. Ein Spezialist fr Leber, Niere und Magenge-
schwre. Berufen Sie sich auf mich. Der Mann ist eine Kapazitt.
Er wird wahrscheinlich auch etwas an Ihrem Herzen finden.
OPFER: Sehr leicht mglich. Ich spre sowieso schon seit einiger
Zeit, da es mit meinem Kreislauf nicht stimmt. (Schweigen)
D ws.(steht auf): Ja - das ist alles schn und gut - aber davon kann ich
nicht leben.
OPFER: Warum laufen Sie schon? Bleiben Sie noch ein paar Minuten,
Max. Nur keine Eile. Bei Ihrem Gesundheitszustand . . . Wir
knnten noch ein wenig unsere Symptome vergleichen.
DIEB: Leider. Ich mchte ja gerne bleiben, aber ich habe hier in der
Gegend noch zu tun . . . Was gibt's? Ist Ihnen schlecht?
OPFER: Dieses Brennen im Magen . . . Ich darf keinen Alkohol trin-
ken . . . Und dabei waren's doch nur zwei Glser . . .
DiE3(zieht ein Pckchen aus der Tasche): Da haben Sie etwas Bikar-
bonat. Ich trag' das immer bei mir, wenn ich bei Nacht arbeite.
OPFER (nimmt und schluckt): Werden Sie es heute nicht selbst brau-
chen?
DIEB: Keine Sorge. (Steckt den Revolver in die Tasche) Dann breche
ich eben in eine Apotheke ein. Schlafen Sie gut, Moritz. Wir brau-
chen Schlaf . . . (Ntigt ihn ins Bett und deckt ihn sorgfltig zu)
OPFER: Komm doch bald wieder, Max. Es wird mir eine Freude sein.
DIEB: Mir auch.
OPFER: DU mut mich nur rechtzeitig wissen lassen, wann.
DIEB: Wie wr's mit Dienstag?
OPFER: In Ordnung. Hol mich zum Nachtmahl ab.
DIEB: Mach' ich. Warte, ich schreib's mir auf. (Zieht ein Notizbuch
hervor, murmelt) Dienstag abend . . . Moritz Deutscher abho-
len . . . Durch die Tr kommen. Auf Wiedersehen, Moritzl.
OPFER: Auf Wiedersehen, Maxi. Alles Gute.
ENDE
I
3
6
Die Perle
Die zivilisierte Menschheit ist heutzutage in zwei Klassen einge-
teilt: diejenigen, die Hausgehilfinnen haben, und die Habenichtse.
Der allgemeine Wohlstand hat es mit sich gebracht, da auch die
Hausgehilfinnen ihrerseits sich manchmal schon Hausgehilfinnen
halten, und jedenfalls achten sie sehr sorgfltig darauf, welche
Arbeitgeber sie nehmen.
PERSONEN: Sami Fuchs
Bronka, seine Frau
Etroga, Hausgehilfin
Knapp, Untermieter
ORT DER HANDLUNG: Die Wohnung des Ehepaares Fuchs.
Eine Tr fhrt ins Badezimmer, eine zweite in den Nebenraum, eine
dritte in den Hausflur.
BRONKA (am Frhstckstisch): Sami!
SAMI (aus dem Badezimmer): Ja?
BRONKA: Dein Kaffee wird kalt. Warum kommst du nicht frhstk-
ken?
SAMI: Ich rasiere mich.
BRONKA: Jetzt? Wo sie jeden Augenblick hier sein kann?
SAMI (erscheint in der Tr des Badezimmers, trocknet sein Gesicht
mit einem Handtuch): Warum so nervs, Bronka?
BRONKA: Wer ist nervs? Ich habe lediglich festgestellt, da das neue
Mdchen jeden Augenblick kommen kann - und du rasierst dich,
als ob du wei Gott wieviel Zeit httest. Setz dich hin und trink
deinen Kaffee.
SAMI: Das neue Mdchen ist kein Grund zur Aufregung. Soviel ich
wei, hast du ja schon gestern ausfhrlich mit ihr gesprochen.
(Nimmt einen Schluck Kaffee) Der Kaffee ist eiskalt.
BRONKA: Hab' ich dir ja gesagt. Sami, ich mu mit dir ber Etroga
sprechen.
SAMI: Wer ist Etroga?
BRONKA: Das neue Mdchen. Sie macht einen sehr guten Eindruck.
Zuverlssig und arbeitswillig.
SMAI(kauend): Um so besser. Dann nimm sie auf.
BRONKA: Aber der Eindruck knnte tuschen. Vielleicht ist sie eine
Schlampe und faulenzt den ganzen Tag.
137
SAMI: Dann wirf sie hinaus.
BRONKA: Und wer wird unsere Wohnung in Ordnung halten?
SAMI: Das stimmt. Weit du was? Nimm sie zuerst auf und wirf sie
nachher hinaus.
BRONKA: Witzig. (Pltzlich schreiend) Aber wenn du deine Pantoffel
nicht finden kannst, beginnst du zu toben, was?
KNAPP (tritt ein, in Pyjama und Schlafrock, mit Pfeife und Zeitung) :
Stre ich?
SAMI: Nicht im geringsten, Herr Knapp. Meine Frau hat mich nur
angeschrien, weil ich angeblich immer schreie. Au! (Greift sich
ans Schienbein)
BRONKA: Das Badezimmer ist frei, Herr Knapp.
KNAPP: Danke . . . Und was das Ordnungmachen in meinem Zim-
mer betrifft, mu ich Sie wirklich bitten . . .
BRONKA: Ist erledigt, Herr Knapp. Ich habe bereits ein Mdchen auf-
genommen. Sie wird jeden Augenblick hier sein.
KNAPP: Ein Mdchen?
BRONKA: Ja. Eine Hausgehilfin, wenn Ihnen das besser pat.
KNAPP: Und sie wird auch mein Zimmer in Ordnung halten?
BRONKA: Selbstverstndlich.
KNAPP: Eine Frage, Frau Fuchs. Haben Sie sich von diesem (mit Be-
tonung) Mdchen irgendwelche Zeugnisse oder Referenzen zei-
gen lassen?
BRONKA: Nein. Hab' ich nicht. Warum fragen Sie in so einem merk-
wrdigen Ton?
KNAPP: Frau Fuchs - tun Sie mir den Gefallen, dieses Mdchen von
meinem Zimmer fernzuhalten.
BRONKA: Aber warum, Herr Knapp? Das Mdchen macht einen aus-
gezeichneten Eindruck . . . Sie heit Etroga . . .
KNAPP: Ist das eine Empfehlung?
SAMI: Darf ich Sie bitten, Herr Knapp, sich deutlich auszudrcken?
KNAPP: Sie sind wirklich naiv, Herr Fuchs. Lesen Sie denn keine Zei-
tungen?
SAMI: Doch.
KNAPP: Und Sie wissen nichts davon, da ununterbrochen gestoh-
len, eingebrochen, geraubt und ermordet wird? Auf welchem Pla-
neten leben Sie, Herr Fuchs?
BRONKA: Soll das heien, da Sie - da das neue Mdchen . . .
KNAPP: Das soll nichts weiter heien, Frau Fuchs, als da ich den
Schlssel zu meinem Zimmer bei mir behalte, damit mir dieses
neue Mdchen nicht hineinkommt. (Ah ins Badezimmer)
(Ein paar Sekunden Schweigen.)
138
BRONKA: Ich kann die Verantwortung nicht bernehmen. Du mut
mit ihr sprechen, Sami.
SAMI: Warum ich?
BRONKA: Weil du der Hausherr bist.
SAMI: Ich werde nicht mit ihr sprechen.
BRONKA: Warum nicht?
SAMI: Weil du die Hausfrau bist.
BRONKA: Schn, dann sprich nicht mit ihr. Ich verzichte auf deine
Geflligkeiten. (Wtend ab ins Nebenzimmer)
SAMi(zeitunglesend, halblaut): Zwei Raubberflle im Villenviertel
von Tel-Aviv . . . Einbruch am hellichten Tag . . . (Es klopft)
Ja?
ETROGAfewe sympathisch wirkende Orientalin, tritt mit einem ber-
groen Koffer ein): Ich bin das neue Mdchen. Guten Morgen.
SAMI: Nur herein, nur herein. Meine Frau wird sofort hier sein.
ETROGA: Guten Morgen.
SAMI: Was?
ETROGA: Ich sagte guten Morgen.
SAMI: Ach ja. Guten Morgen.
ETROGA: Wenn man in ein Zimmer kommt, wnscht man guten
Morgen.
SAMI: Guten Morgen.
ETROGA: Guten Morgen.
SAMI (ruft): Bronka!
BRONKA (tritt ein): Da sind Sie ja, Etroga.
ETROGA: Guten Morgen.
SAMI: Sag guten Morgen zu ihr, ich bitte dich.
BRONKA: Guten Morgen, Etroga. Da sind Sie ja.
SAMI: ES sieht so aus.
BRONKA: Misch dich nicht drein. (Betrachtet Etroga) Sie scheinen
eine gesunde und krftige Person zu sein, meine Liebe.
ETROGA: Gott sei Dank.
BRONKA: Haben Sie Zeugnisse bei sich?
ETROGA: Was, bitte?
BRONKA: Zeugnisse, wissen Sie. Das sind Bescheinigungen, wo Sie
bisher gearbeitet haben. Und wie Sie gearbeitet haben. Darber
stellt der Herr oder die Dame, wo Sie gearbeitet haben, ein Zeug-
nis aus.
ETROGA: Mir?
BRONKA: Ja.
ETROGA: Ich verstehe nicht.
SAMI: Passen Sie auf, Etroga. Wir mchten wissen, ob die Leute, bei
139
denen Sie gearbeitet haben, mit Ihnen zufrieden waren und ob Sie
dafr irgendwelche Referenzen beibringen knnen.
ETROGA: Jetzt verstehe ich noch weniger. Was Madame gesagt hat,
war leichter.
BRONKA: Hab' ich dich nicht gebeten, dich nicht einzumischen? Sa-
gen Sie, Etroga, was fr ein Gehalt mchten Sie denn von uns
gerne haben?
ETROGA: 65 im Monat.
SAMI: Pfund?
ETROGA: Gibt es noch andere Geldscheine?
BRONKA: DU lieber Himmel! 65 Pfund im Monat?
5>tM\(beiseite zu Bronka): Mir kommt das sehr vernnftig vor.
BRONKA: Mir auch. (Zu Etroga) Hren Sie, meine Liebe, warum
glauben Sie, da Sie von uns so eine astronomische Summe verlan-
gen drfen?
ETROGA: Was, bitte?
(Knapp erscheint in der Tr des Badezimmers.)
SAMI: Warum Sie so viel Geld verlangen.
ETROGA: Weil Dienstmdchen stehlen.
BRONKA UND SAMI (gleichzeitig): Was?!
ETROGA: Dienstmdchen stehlen.
SAMI: Ja ja, gewi . . . Nur - das ist doch kein Grund . . . Im Ge-
genteil, fr einen Posten, auf dem man stehlen kann, bekommt
man weniger . . .
ETROGA: Aber ich stehle nicht. Wirklich, Madame, es ist nicht viel,
was ich verlange. Ein anderes Mdchen verlangt vielleicht weniger
und stiehlt dafr die Armbanduhr von Madame. Die Uhr kostet
200 Pfund. Das macht im Jahr beinahe 20 Pfund monatlich.
SAMI: Lcherlich. Die Uhr ist keine 200 Pfund wert. Sie knnen sie
fr 80 haben.
BRONKA: Sami! Also gut, Etroga, Sie sind versuchsweise aufgenom-
men. Aber fr diese 65 Pfund werden Sie sehr hart arbeiten ms-
sen.
ETROGA: Danke schn, Madame. Was soll ich als erstes machen?
(Zeigt auf Knapp) Vielleicht das Zimmer von diesem Herrn?
BRONKA: Nein. Fangen Sie lieber mit dem Badezimmer an. Ich sage
Ihnen dann schon, wie es weitergeht. Vorlufig machen Sie die
Wanne sauber.
ETROGA: Bitte sehr, Madame. (Ab ins Badezimmer. Panik unter den
Zurckgebliebenen)
KNAPP: Die Hauptsache ist, Ruhe zu bewahren. Wir drfen nicht
den Kopf verlieren.
140
BRONKA: Warum hat sie gesagt, da sie nicht stiehlt?
KNAPP: Ganz einfach. Weil sie stiehlt.
SAMI: Das entspricht ja auch der orientalischen Mentalitt. Wenn ein
Orientale ja sagt, meint er nein, wenn er nein sagt-
BRONKA: Hast du bemerkt, wie sie sofort den silbernen Kerzen-
leuchter ins Auge gefat hat?
SAMI: Und der berdimensionale Koffer!
KNAPP: Irgend etwas an dieser Person erinnert mich an Dostojewskis
Raskolnikow.
BRONKA: Was tun wir jetzt, Sami? Was tun wir? Wir knnen
doch nicht fr jeden Schrank und jede Lade Schlsser machen
lassen.
KNAPP: Wrde auch gar nichts ntzen. Die hat Nachschlssel.
BRONKA: Um Himmels willen! Mein Schmuck ist im Toilette-
tisch.
SAMI (zieht sich den Rock an): Ich hole die Polizei.
BRONKA: Mach schnell! Vielleicht triffst du eine Streife.
SAMI: Verla dich auf mich. Wir werden uns nicht in aller Ruhe aus-
rauben lassen. Es gibt Gesetze in diesem Land. Und die Polizei ist
dazu da, um -
KNAPP (unterbricht): Einen Augenblick, Herr Fuchs. Ich frchte,
wir haben noch nicht genug Beweismaterial.
SAMI: Nicht?
KNAPP: Nein.
BRONKA: Da sieht man, wie raffiniert diese Person ist.
SAMI: Eine Raskolnikowa.
BRONKA: Was wrden Sie uns raten, Herr Knapp? Mssen wir war-
ten, bis sie uns bestohlen hat?
KNAPP (souvern): In solchen Fllen, Frau Fuchs, mu man den
Kopf oben behalten und mit khler berlegung vorgehen.
SAMI: Das bedeutet?
KNAPP: Das bedeutet, da wir sie auf die Probe stellen mssen.
SAMI: Und sie auf frischer Tat ertappen?
KNAPP: Genau das.
SAMI: Groartig.
BRONKA: Aber wie?
KNAPP: Ganz einfach. Wir verstecken irgendwo, zum Beispiel unter
der Fumatte im Badezimmer, einen Fnfpfundschein - sie wird
ihn natrlich finden - wird ihn natrlich nicht zurckgeben - und
dann: ab ins Gefngnis.
BRONKA: Ein genialer Plan. Sie sind ein Genie, Herr Knapp.
KNAPP (bescheiden): Manche Leute behaupten es.
141
SAMI: Hier ist eine Fiinfpfundnote, Herr Knapp. Drfen wir Sie bit-
ten, sie unter der Matte zu verstecken?
KNAPP: Ich? Warum ich?
SAMI: Sie sind der Fachmann.
KNAPP: Nein, danke. Ich habe Sie mit einem guten Rat versorgt, aber
weiter will ich mit der Sache nichts zu tun haben. Ich sperre jetzt
mein Zimmer ab und nehme den Schlssel zu mir. (Ab)
BRONKA (nimmt die Banknote an sich): Ich mach' das schon. Du
mut sie nur beschftigen, whrend ich im Badezimmer bin. Da-
mit sie nichts merkt.
SAMI: Beschftigen? Wie?
BRONKA: Sag ihr irgend etwas. Was dir gerade einfllt. (Ruft) Etroga!
SAMI: Ich fleh' dich an, Bronka, la mich mit dieser Person nicht al-
lein . . . Bronka . . .
BRONKA (ungerhrt in Richtung Badezimmer) : Etroga! Mein Mann
will Ihnen etwas Wichtiges sagen!
SAMI: Bronka . . . Ich habe keine Ahnung . . . Geh nicht weg von
mir . . .
ETROGA (kommt): Bitte? (Bronka ab)
SAMI (verwirrt): Ja, also . . . Was diese Sache betrifft, Etroga, ich
wollte Ihnen sagen . . . Was wollte ich Ihnen eigentlich sagen?
ETROGA: Das wei ich nicht.
SAMifmit nervsen Blicken zum Badezimmer): Ja, richtig. Erzhlen
Sie, Etroga.
ETROGA: Was?
SAMI: In welche Schulen sind Sie gegangen?
ETROGA: In eine.
SAMI: Elementarschule?
ETROGA: Nein. Die Herzl-Hochschule.
SAMI: Wieviel Semester?
ETROGA: Semester? Die Vorhalle und alle drei Stockwerke. Als
Scheuerfrau.
SAMI: Was ich meinte, war eine Schule, wo man lernt.
ETROGA: In der Herzl-Hochschule lernt man.
SAMI: Aber nicht Sie.
ETROGA: Hab' ich gesagt, da ich dort gelernt habe?
SAMI: Nein.
ETROGA: Also was wollen Sie?
SAMI: Nichts. Hei heute, nicht wahr?
ETROGA: Sehr hei.
SAMI: Entsetzlich hei. (Schweigen)
ETROGA: Kann ich jetzt gehen?
142
SAMI: Ja. Danke, Etroga. Das ist alles, was ich wissen wollte.
ETROGA: Sie wollten mir doch etwas Wichtiges sagen. Vielleicht, was
ich jetzt tun soll?
BRONKA (kommt aus dem Badezimmer): Nein, Etroga, gehen Sie
noch einmal ins Badezimmer und bringen Sie es grndlich in Ord-
nung. Alles sehr sorgfltig. Jeden Winkel . . . Den ganzen Fu-
boden . . . Auch unter der Matte . . . berall.
ETROGA: Bitte sehr, Madame. (Ab ins Badezimmer)
KNAPP (steckt den Kopf herein): Matte okay?
BRONKA: Okay. (Knapp verschwindet) Sie wird das Geld nicht zu-
rckgeben.
SAMI: Warum sollte sie.
BRONKA: Ich bin so aufgeregt, Sami . . . Diese Verbrecherin zerrt an
meinen Nerven . . . (Beinahe schluchzend) Wie komm' ich dazu?
Hab' ich eine solche Behandlung verdient? Ich nehme sie ohne
Zeugnisse auf . . . Ich zahle ihr ein enormes Gehalt . . . Und jetzt
das . . .
ETR.OGA(kommt aus dem Badezimmer): Hier, Madame, ich habe un-
ter der Matte zehn Pfund gefunden. (bergibt ihr zwei Fnf-
pfundnoten) Sie sollten besser achtgeben.
SAMI: Ja, schon gut . . .
ETROGA: Ich sagte Ihnen ja, da ich nicht stehle. (Ab ins Badezim-
mer)
SAMI: Eine ehrliche, grundanstndige Person. Hab' ich sofort ge-
wut.
BRONKA: Warum hast du mich dann gegen sie aufgehetzt?
SAMI: Ich? Dich? Aufgehetzt?
BRONKA: Und wie! Orientalische Mentalitt . . . Wenn sie ja sa-
gen, meinen sie nein . . . Du vergit sehr schnell, mein Lieber.
SAMI: DU vergit noch sehr viel schneller. Oder kannst du mir viel-
leicht erklren, warum du zehn Pfund unter der Matte versteckt
hast? Es war nur von fnf die Rede.
BRONKA: Ich habe auch nur fnf versteckt. Vielleicht waren es zwei
aneinandergeklebte Scheine. Kein Wunder bei dieser Hitze.
SAMI: Ist ja auch egal. (Lacht) Wie immer man's nimmt- es ist gefun-
denes Geld.
KNAPP (kommt auf Zehenspitzen) : Nun?
SAMI: Alles in Ordnung.
KNAPP: Wie? Nein! Sie hat das Geld zurckgegeben? Nicht mglich.
Machen Sie keine Witze mit mir. Das kann nicht wahr sein.
ETROGA (kommt): Ich bin mit dem Badezimmer fertig, Madame.
BRONKA: Fein. Machen Sie jetzt bitte das Zimmer von Herrn Knapp.
ETROGA: Jawohl. Sonst noch etwas?
BRONKA: Was denn?
ETROGA: Ich dachte, Sie wollten mir vielleicht etwas sagen, Madame.
BRONKA: Nein, meine Liebe.
ETROGA (ZU Sami) : Vielleicht Sie?
SAMI: Nein, nichts.
ETROGA: Bestimmt nicht?
SAMI: Ganz bestimmt.
ETROGA: Und das Geld, das Madame unter die Matte gelegt hat?
BRONKA: Ach ja . . . Das heit . . . Ich wei nicht, wovon Sie spre-
chen, Etroga.
ETROGA: SO? (Richtet sich zu voller Gre auf) Dann kann ich viel-
leicht meine fnf Pfund zurckbekommen.
SAMI: Was?
ETROGA: Jawohl. Sie wissen ganz genau, da Sie mich mit fnf Pfund
auf die Probe gestellt haben, nicht mit zehn.
BRONKA: Aber ich bitte Sie . . . Lassen Sie sich erklren . . .
ETROGA: Zuerst geben Sie mir das Geld zurck! Oder wollen Sie es
behalten?
SAMI (bergibt ihr mit zitternder Hand eine Fnfpfundnote, lacht
verlegen).
F.TROGA(nimmt die Note): Sehr schn ist das. Sehr schn von Ihnen,
Herr und Frau Fuchs. Das mu ich schon sagen.
SAMI: Sie sind im Irrtum, liebe Etroga. Das Ganze ist ein Miver-
stndnis. Aber warum haben Sie uns eigentlich zehn Pfund zu-
rckgegeben?
ETROGA: Warum? Wenn man gegen eine Hausgehilfin so mitrau-
isch ist wie Sie, dann wird auch die Hausgehilfin mitrauisch.
BRONKA: Also haben eigentlich Sie uns auf die Probe gestellt . . .
ETROGA: Ja. Und Sie haben die Probe nicht bestanden. Wenn ich
die fnf Pfund nicht zurckverlangt htte, htten Sie sie behal-
ten.
BRONKA: Wollen Sie damit sagen . . . Glauben Sie vielleicht . . .
ETROGA: Ich sage nichts und ich glaube nichts. Ich lese die Zeitun-
gen. (Macht sich zum Gehen bereit)
BRONKA: Sie wollen gehen, Etroga?
ETROGA: Ja. In einem Haus, wo die Herrschaft stiehlt, arbeite ich
nicht. Adieu. (Ab)
SAMI (mit schwacher Stimme) : Etroga!
BRONKA (ebenso): Etroga! (Gibt auf)
SAMI: Jetzt haben wir's.
KNAPP: Wer htte das gedacht . . .
144
BRONKA(Z Sami): Von jetzt an wirst du die Betten machen und das
Geschirr waschen.
SAMI: Und du?
BRONKA: Ich halte das Zimmer von Herrn Knapp in Ordnung.
KNAPP: Nein! Mein Zimmer betreten Sie nicht, Frau Fuchs! Nicht
einmal fr eine Minute. Unglaublich . . . Ein wohlhabendes Ehe-
paar, und will einer armen, ehrlichen Hausgehilfin ihr hart ver-
dientes Geld stehlen . . . Und gleich fnf Pfund . . . Eine
Schande . . .
ENDE
Abseits
22 Mnner in bunter Narrenkleidung stehen auf einem grnen
Rasen. Pltzlich erscheint ein Schwarzgekleideter, pfeift, und es
beginnt zu regnen. Auf diese Weise uert sich ein altes burmesi-
sches Volksmrchen ber die Aufgabe des Fuballschiedsrichters.
Und in der Tat: Was veranlat die Mitglieder dieses sonderbaren
Berufszweigs, sich allwchentlich mit ihrer Pfeife dem Zorn der
angesammelten Menschenmassen auszuliefern? Idealismus? Gel-
tungsbedrfnis? Manisch-depressiver Pfeifzwang?
PERSONEN: Der Zivilrichter (Richter)
Taschkemoni Pidjon
Der Fuballschiedsrichter (Referee)
Saaldiener
ORT DER HANDLUNG: Ein Gerichtssaal
Dem Zuschauerraum gegenber der vorlufig noch leere Richter-
tisch. Zu beiden Seiten je eine Bank. Auf der einen sitzt PIDJON,
sichtlich nervs und verngstigt, auf der anderen der REFEREE,
in der blichen Kleidung: Shorts, Kniestrmpfe, Hemd, alles
schwarz. Von seinem Hals baumelt eine Trillerpfeife. Angespannte
Stille.
SAALDIENER (tritt ein, ruft) : Der Gerichtshof erscheint! Bitte aufste-
hen!
RICHTER (wrdige, respektgebietende Erscheinung, ernstes Gesicht,
gibt das Zeichen zum Niedersetzen).
REFEREE (setzt sich).
PIDJON (bleibt stehen).
SAALDIENER: Sie sollen sich niedersetzen! Setzen Sie sich!
PIDJON (setzt sich seufzend).
RICHTER: Ich erffne die Verhandlung. Klger ist Herr Eliahu Wein-
stein, Fuballschiedsrichter. Ist er anwesend?
REFEREE (steht auf): Hier.
RICHTER: Sie sind Fuballschiedsrichter?
REFEREE: Ja.
RICHTER: Nehmen Sie Platz. Gegenstand der Verhandlung ist eine
Zivilklage, die von Herrn Weinstein gegen Herrn Taschkemoni
Pidjon eingebracht wurde.
146
PIDJON (steht auf): Hier.
RICHTER (winkt ihm, sich zu setzen. Pidjon bleibt stehen.)
SAALDIENER: Niedersetzen! Setzen Sie sich! Ja, Sie! (Pidjon setzt sich)
RICHTER: Die Klage beschuldigt Herrn Taschkemoni Pidjon . . .
(Pidjon steht auf, Richter winkt, Saaldiener drckt Pidjon auf den
Sitz nieder) . . . der Beleidigung, Schmhung und gefhrlichen
Drohung, gerichtet gegen die Person des Herrn Eliahu Wein-
stein . . . (Referee steht auf, Richter winkt, Referee setzt sich)
. . . whrend dessen Ttigkeit als Schiedsrichter im Endspiel um
die Staatsmeisterschaft zwischen Hapoel Tel-Aviv und Makkabi
Petach-Tikvah. Die Klage gegen Herrn Taschkemoni Pidjon . . .
PIDJON (steht auf): Hier.
RICHTER (winkt).
SAALDIENER: Setzen! Setzen! (Pidjon setzt sich)
RiCHTm(leicht enerviert) : Wie gesagt, die Klage gegen Herrn Tasch-
kemoni Pidjon . . . (Wartet. Pidjon versucht aufzustehen, wird
aber vom Saaldiener niedergehalten) . . . wurde von Herrn
Eliahu Weinstein eingebracht. Herr Pidjon, bekennen Sie sich
schuldig?
PIDJON (bleibt sitzen).
SAALDIENER: Aufstehen! Aufstehen!
PIDJON (steht auf): Hohes Gericht, die Sache war die . . .
RICHTER: Bekennen Sie sich schuldig? Ja oder Nein?
PIDJON: Ich mu Ihnen erklren . . .
RICHTER: Herr Pidjon! Schuldig oder nicht! Antworten Sie mit ja
oder nein!
PIDJON: Oder.
RICHTER: Wie bitte?
PIDJON: Oder.
RICHTER: Was soll das heien?
PIDJON: ES liegt zwischen Ja und Nein. Das heit, ich bekenne mich
schuldig, aber ich bin unschuldig. Sehr geehrter Herr Richter,
man kann mich fr nichts verantwortlich machen, was ich auf ei-
nem Fuballplatz tue. Ich bin ein Fuballnarr, Herr Richter. Ich
kann ohne Fuball nicht leben. Fuball ist fr mich so unentbehr-
lich wie - wie . . .
RICHTER: Sind Sie Fuballspieler?
PIDJON: Ich? Keine Spur. Anderthalb Stunden lang hinter einem Ball
herrennen? Fllt mir nicht ein. Ich schau' nur zu, Herr Richter.
Ich bin Zuschauer. Mindestens einmal in der Woche. Wenn ich
lnger als eine Woche kein Fuballmatch sehe, bekomme ich ein
trockenes Gefhl im Mund, meine Hnde beginnen zu zittern,
147
und auf meinem Bauch erscheinen rote Flecken. (Schickt sich an,
seine Hosen herunterzulassen) Bitte, hier . . .
RICHTER (schlgt mit dem Hammer auf den Tisch): Wir verzichten.
SAALDIENER: Wir verzichten!
RICHTER: Ist Ihre Aussage dahin zu verstehen, da Sie bei dem vorer-
whnten Fuballspiel anwesend waren?
PIDJON: Natrlich war ich anwesend. Auf der Mitteltribne, dritte
Reihe. Es war ein wahnsinnig aufregendes Match . . . (Gert in
Wallung) Vom Start greift Hapoel an . . . Aber die Strmer ver-
lieren immer wieder den berblick . . . Also springe ich auf und
rufe: Nach rechts! Pa nachrechts! Auf denFlgel hinaus! . . .
Also pat Bialazurkewitsch endlich nach rechts - bekommt den
Ball zurck und schiet in der 19. Minute . . . (Wirft die Arme
hoch, brllt) Goal!!!
REFEREE (pfeift).
RICHTER: (Hammer) Ruhe! Im Gerichtssaal wird nicht gepfiffen.
SAALDIENER: Niedersetzen. (Pidjon setzt sich)
RICHTER: Herr Weinstein, ich bitte um Ihre Darstellung des Falles.
PIDJON: In die rechte Ecke! Unhaltbar!
RICHTER: Ruhe!
SAALDIENER: Schweigen Sie!
PIDJON (gestikuliert stumm).
REFEREE (steht auf, spricht im vorwurfsvollen Ton eines Menschen,
dem man schweres Unrecht zugefgt hat): Hohes Gericht! Ich bin
seit vielen Jahren als Schiedsrichter ttig und darf in aller Beschei-
denheit sagen, da ich mich meiner Aufgabe immer nach bestem
Wissen und Gewissen entledigt habe. Ich glaube, da noch nie-
mand Anla hatte, sich ber mich zu beschweren.
PIDJON: Bin ich niemand?
REFEREE: Unterbrechen Sie mich nicht!
PIDJON: Sie knnen die Zeit ja einrechnen.
RICHTER: (Hammer)
REFEREE: Die Gewissenhaftigkeit, mit der ich meinen Berufspflich-
ten nachgekommen bin, hat mir schweren gesundheitlichen Scha-
den verursacht, Herr Richter. Fnf Jahre hingebungsvoller Ttig-
keit auf dem Fuballfeld haben mich physisch ruiniert.
PIDJON: Das stimmt.
RICHTER: Ruhe!
SAALDIENER: Sie sollen ruhig sein!
REFEREE: Schon seit dem frhen Mittelalter gelten die Fuball-
schiedsrichter als vogelfrei. Jeder darf sie nach Herzenslust belei-
digen und beschimpfen, wenn er mit einer Entscheidung nicht
148
einverstanden ist. Aber bei dem in Rede stehenden Spiel Hapoel-
Makkabi wurde es mir zuviel. Diesmal nicht, sagte ich mir. Auch
ich bin ein Mensch. Und ich habe von Anfang an alles, was mir zu
Ohren kam, wrtlich notiert. (Zieht ein Notizbuch heraus) In der
21. Minute der ersten Halbzeit sprang dieser Herr auf, formte aus
seinem Sportjournal einen Trichter . . .
PIDJON: Weil ich eine schwache Stimme habe!
REFEREE: . . . und brllte: (Schaut ins Notizbuch) Gehen Sie zum
Augenarzt, Sie blinde Fledermaus!
RICHTER: Herr Pidjon, haben Sie das gerufen?
PIDJON (steht auf): Jawohl, Herr Richter. Ich mute. Ich kann doch
nicht ruhig mitansehen, wie Bialazurkewitsch vonBarabanz, dem
rechten Makkabi-Verteidiger, schwer gefoult wird, ohne da der
Schiedsrichter pfeift.
REFEREE: Sie haben ferner gerufen: (Blickt ins Notizbuch) Du Ver-
brecher! Du Hungerleider! Hat dir Makkabi das Mittagessen be-
zahlt?
PIDJON: Hungrige Leute sollten nicht als Schiedsrichter amtieren.
RICHTER: Das hat etwas fr sich.
REFEREE: Die gegen mich gerichteten Zurufe waren um so ehrenrh-
riger, als sie von 26.000 Zuschauern gehrt wurden. Dieser Herr
bezeichnete mich vor 26.000 Zuschauern als bestechlichen Schma-
rotzer, der fr seine Verkstigung nicht aufkommen kann - nur
weil der Verteidiger Barabanz den Strmer Bialazurkewitsch an-
geblich regelwidrig attackiert hat. Nicht einmal wenn das wirklich
geschehen wre -
PiDjON(s/?rozg auf): Einen Augenblick! Man mu sich die Situation
vor Augen halten! Stellen Sie sich vor, Herr Richter: Ich bin jetzt
Bialazurkewitsch und habe soeben den Ball zugespielt bekommen
(Stellt die Szene dar) . . . Ich habe den Ball am Fu . . . breche
durch . . . strme aufs gegnerische Tor . . . immer weiter . . .
Die Zuschauer feuern mich an . . . Der gegnerische Lufer
Dubsky will mir den Weg abschneiden . . . Ich berspiele ihn mit
einem technisch hervorragenden Trick . . . (Der Saaldiener be-
ginnt aufgeregt Anteil zu nehmen) . . . laufe weiter . . . Dubsky
bleibt mir auf den Fersen . . . Ich schttle ihn mit einer raffinier-
ten Krpertuschung ab . . . bin bereits an der 16-Meter-Li-
nie . . . setze zum Schu an . . .
SAALDIENER: Schu, Bialazurkewitsch!
PIDJON: . . . Und in diesem Augenblick zieht mir Barabanz von hin-
ten die Fe weg. Ich strze. Es ist ein klares Foul. Es ist ein klarer
Elfmeter. Aber der Schiedsrichter pfeift nicht . . . pfeift
149
nicht . . . pfeift nicht. (Pidjon fllt dem Saaldiener schluchzend in
die Arme)
REFEREE: Das alles berechtigte Sie als Zuschauer noch lange nicht,
abermals laute Beschimpfungen gegen mich auszustoen. Sie rie-
fen: (Schaut ins Notizbuch) Idiot! Idiot!
PIDJON: Nein, nicht so. Im Rhythmus, und dreimal: I-di-ot!
I-di-ot! I-di-ot!
RICHTER: Setzen Sie sich. (Pidjon setzt sich)
REFEREE: Genauso hat er's gerufen, Herr Richter. Und die ganze Tri-
bne hat den Ruf aufgenommen: I-di-ot! I-di-ot!
PIDJON: Dreimal.
REFEREE: Das Gebrll hielt minutenlang an. Als es endlich ver-
stummte, sprang dieser Herr nochmals auf und rief mir zu: Du
hrst, da die ganze Tribne meine Ansicht teilt!
SAALDIENER (schttelt sich vor Lachen).
RICHTER: Ruhe!
SAALDIENER: Ruhe!
RICHTER: ES handelt sich hier in der Tat um eine hchst bedrohliche
Zeiterscheinung, verursacht durch das bersteigerte ffentliche
Interesse, das man dem Sport und insbesondere dem Fuballsport
entgegenbringt. Zumindest teilweise. Das hat zur Folge, da
selbst Menschen von hohem Intelligenzniveau jeden Sinn fr die
richtigen Proportionen einben. Ganz zu schweigen von den
Auswirkungen auf unsere Jugend. Statt sich die ntigen Kennt-
nisse anzueignen, die fr das Schicksal unserer Nation mitbestim-
mend sein werden, zieht es die israelische Jugend vor, die Aufstel-
lung von Fuballmannschaften auswendig zu lernen. Die Mitglie-
der unserer derzeit im Amt befindlichen Regierung kennt unsere
Jugend nicht. Aber sie kennt die Mitglieder des ungarischen
Nationalteams aus seiner lngst vergangenen Glanzzeit.
PIDJON: Grosics, Buzanski, Lantos . . .
REFEREE: Boszik, Lorant, Zakarias . . .
SAALDIENER: Czibor, Kocsics, Puskas, Hidegkuti
RICHTER: Irrtum. Hidegkuti hat Mittelstrmer gespielt und Budai
Rechtsauen.
PIDJON: Sehr richtig. Die Strmerreihe von rechts nach links lautete:
Budai, Kocsics, Hidegkuti, Puskas, Czibor.
RICHTER: Ersatz: Geliert, Toth, Palotas, Kovacs II. Erst spter . . .
Hm . . . (Ruspert sich verlegen) Ja, was ich sagen wollte . . .
(Hammer) Bitte fortzufahren.
REFEREE: Als in der 57. Minute der Verteidiger Spitz ein Hands ver-
schuldete . . .
150
PIDJON: ES war kein Hands.
REFEREE: ES war ein deutliches Hands - was tat da der Beschuldigte?
Was rief er, Herr Richter? (Blickt ins Notizbuch) Er rief: Du
Pestbeule! Du Verrter! Schakale wie du sind schuld daran, da
wir im Nahen Osten keinen Frieden haben! (Beginnt zu schluch-
zen) Hohes Gericht! Selbst wenn der Verteidiger Spitz den Ball
nicht mit der Hand berhrt htte - mu ich mich deshalb als Pest-
beule und Verrter beschimpfen lassen?
PIDJON: ES tut mir leid. Ich nehme es zurck.
REFEREE: Ja, jetzt. Aber damals riefen Sie den Spielern zu: (Notiz-
buch) Kmmert euch nicht um den Ball, Jungens! Lieber den
Schiedsrichter in den Hintern treten!
Piv>]ON(schluchzend): Es stimmt. Das waren meine Worte. Das habe
ich gerufen. Und noch dazu - das konnten Sie allerdings nicht h-
ren, weil ich's zu meinem Nachbarn gesagt habe . . .
REFEREE: Was?
PIDJON: Krepier! hab' ich gesagt.
REFEREE: Warum soll Ihr Nachbar krepieren?
PIDJON: Sie sollen krepieren, Herr Schiedsrichter. Damals. Ich
meine, das habe ich damals gesagt. Eine Schande. Ich schme
mich. Verdient ein Schiedsrichter, der unter den schwersten Be-
dingungen seine anstrengende Pflicht erfllt, da man ihn so be-
handelt? Ich bin nicht normal. (Zum Richter) Ich bin whrend ei-
nes Fuballspiels einfach nicht zurechnungsfhig, Herr Richter.
RICHTER: Diese Entscheidung mu dem Gericht berlassen bleiben.
Greifen Sie nicht vor!
SAALDIENER: Nicht vorgreifen, Sie!
REFEREE: Ich bin noch nicht fertig, Herr Richter. In der 24. Minute
der zweiten Halbzeit habe ich ein Abseits abgepfiffen. Bialazurke-
witsch stand abseits.
PIDJON: Er stand nicht abseits.
REFEREE: Er stand abseits.
(Dieser Dialog wiederholt sich viermal, immer rascher.)
RICHTER: Er stand nicht abseits . . . Hm. Ja. Was soll das alles?
SAALDIENER: Was soll das.
REFEREE: Herr Richter! Sofort nach meinem Pfiff sprte ich harte
Gegenstnde an meinen Kopf fliegen. Es waren Steine. Ich drehte
mich um und sah den Beschuldigten . . .
PIDJON: ES waren Kieselsteine, Herr Richter. Ganz kleine, unge-
fhrliche Kieselsteine. Ich stecke mir immer ein paar in die Tasche,
wenn ich zum Match gehe. Man kann nie wissen . . . (Zum Refe-
ree) Hat's weh getan? (Greift in die Tasche, bergibt ihm eine
Handvoll Kieselsteine) Da. Werfen Sie! Auf mich! (Kehrt ihm den
Rcken zu) Los!
REFEREE: Das knnte Ihnen so passen. Ich denke nicht daran. (Zum
Richter) Und nach Beendigung des Kieselsteinbombardements
rief mir der Beschuldigte laut hrbar zu: Dein eigener Sohn wird
dir die Kehle durchschneiden, du Nachgeburt eines King Kongs!
(Schluchzt) Mein eigener kleiner Sohn! Die Kehle durchschnei-
den! Nur weil Bialazurkewitsch abseits stand.
PIDJON: Nicht nur deshalb.
RICHTER: Ruhe!
SAALDIENER: Ruhig sein!
REFEREE: Bin ich die Nachgeburt eines King Kongs?
PIDJON: Also gut, ich nehme die Nachgeburt zurck.
SAALDIENER: Ruhe!
RICHTER: Ruhig sein! Niedersetzen! Der Fall ist klar. Ich schreite zur
Urteilsverkndung. (Er steht auf, auch der Referee steht auf, Pid-
jon bleibt sitzen)
SAALDIENER: Aufstehen! (Pidjon steht auf)
RICHTER: Im Namen des Staates Israel und auf Grund der mir ber-
tragenen richterlichen Befugnis erklre ich den beschuldigten
Taschkemoni Pidjon in allen Punkten der Anklage fr unschuldig.
REFEREE: Was?!?
RICHTER: Ruhe!
SAALDIENER: Ruhig sein!
RICHTER: Magebend fr diese Entscheidung ist der unzweifelhaft
vorliegende Beweis, da nur ein sehbehinderter und vollkommen
schwachsinniger Schiedsrichter die Position des Strmers Biala-
zurkewitsch fr abseits halten konnte. Bialazurkewitsch stand
nicht abseits.
REFEREE: Nicht?
RICHTER: Nein.
REFEREE: Wieso wissen Sie das?
RICHTER: Weil ich dort war.
REFEREE: Ich lege Berufung ein! Ich glaube Ihnen nicht, da Sie dort
waren.
RICHTER: Sie glauben mir nicht? (Steckt zwei Finger in den Mund,
pfeift schrill, brllt) Schiedsrichter zum Telefon!
REFEREE: Ach ja. Ich erinnere mich.
ENDE
Der Betrger
Ein Alpdruck in 5 Szenen
Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, wie klein unser
Staat ist. Nur in einer einzigen Hinsicht ist er gro: als Steuerein-
nehmer .. . Allerdings: Wenn drei Millionen Juden gezwungen
sind, zum Schutz ihres kleinen Staates die beste Luftwaffe der
ganzen Gegend zu unterhalten, bleibt ihnen wohl nichts andres
brig als ein tiefer Griff in die Tasche. Was unser Finanzminister
denn auch ausgiebig besorgt. Sein Arm ist bereits vllig in unserer
Tasche verschwunden, der Krper ist allmhlich nachgefolgt, und
nur der Kopf lugt ab und zu hervor, um Ausschau zu halten, ob es
noch etwas zu besteuern gibt.
PERSONEN: Finanzminister
Ausschumitglieder A, B, C und D
Platschek
Chaja, seine Frau
Postbote
Kraus, Untermieter
Schulthei, Oberinspektor
Inspektoren, Kadetten
1. Fugnger
2. Fugnger
3. Fugnger
Trger
Rechtsanwalt
Scharfrichter
1. SZENE
Leerer Sitzungssaal. Konferenztisch mit Sthlen. Auf dem Tisch ein
Hammer und eine Rechenmaschine.
MINISTER: Liebe Freunde! Verehrte Anwesende und Regierungsbe-
amte ! Exzellenz! brigens - die Exzellenz bin ich. Ich bin der Mi-
nister fr Balanceakte und heie Luft. Und ich habe die Absicht,
ber mich selbst zu sprechen. Natrlich bin ich mir klar darber,
153
da ich mich in der Bevlkerung keiner groen Beliebtheit erfreue
- nein, nein, widersprechen Sie nicht. So etwas fhlt man. Wer
liebt schon einen Minister fr Balanceakte und heie Luft? Viel-
leicht das Budget. Die Menschen gewi nicht. In ihren Augen bin
ich ein gefhrliches Monstrum. Jawohl, auch das fhle ich. Ich
brauche Sie nur anzusehen und wei: Sie alle halten mich fr ein
Ungeheuer, das dem armen Brger sein bichen Geld wegnimmt.
Aber wem soll ich das Geld wegnehmen, wenn nicht den Armen?
Es gibt ja bei uns nur noch Arme. Und der rmste von allen ist der
Staat. Haben Sie eine Ahnung, was ein Unterseeboot kostet? Ge-
braucht und ohne Periskop? Ein Vermgen! Aber daran denkt
niemand, das spielt keine Rolle, nicht wahr. Ich gebe Ihnen mein
Wort, da ich mein Amt schon lngst zurckgelegt htte, wenn
ich nicht so gern Minister wre. Nehmen Sie zum Beispiel dieses
dringende Telegramm, das mich gestern erreicht hat. Es lautet:
Liebling, ich habe ein Defizit von 60 Millionen. Um Himmels
willen, hilf mir, mein Budget in Ordnung zu bringen. 60 Millio-
nen! Woher soll ich die nehmen? Heute frh hatte ich noch 2 Mil-
lionen . . . Wo sind sie denn nur . . . (Sucht in seinen Taschen)
Ach ja, mit denen habe ich das Phosphatdefizit gedeckt. Ich bin in
der letzten Zeit ein wenig zerstreut. Kein Wunder . . . Jedenfalls
werde ich das Budget ausgleichen, auch wenn's noch so viel ko-
stet. (Hammer) Der Finanzausgleichsausschu, bitte! Ich berufe
hiermit eine auerordentliche Sitzung ein.
(Die Ausschumitglieder A, B, C und D betreten den Sitzungssaal
und nehmen Platz.)
MINISTER: (Hammer)
FRAU A: Ich ersuche Seine Exzellenz, die Sitzung zu erffnen.
MINISTER: Vielen Dank, Liebling.Meine Damen und Herren, wir be-
finden uns in einer uerst kritischen Situation. Es ist kein Regie-
rungsgeheimnis, da unsere Ausgaben alle Planungen und Scht-
zungen bei weitem bersteigen. Ich mchte die Lage nicht direkt
als katastrophal bezeichnen - das wird schon die Opposition be-
sorgen. Tatsache ist, da erst vor wenigen Tagen unser dringendes
Ersuchen um eine Milliarde Dollar fr technische Hilfe im Rah-
men der weltweiten Hilfsaktion fr Entwicklungslnder abge-
lehnt wurde. Es ntzt nichts, unser Lebensstandard ist zu hoch.
Er mu gesenkt werden. Aber wir werden ihn nicht senken.
D: Warum nicht?
MINISTER: Das kann ich Ihnen sagen. Aber ich werde es Ihnen nicht
sagen.
D: Warum nicht?
MINISTER: Weil ich auf Provokationen nicht eingehe.
D: Eine Unverschmtheit!
FRAU A: Sie sind unverschmt!
B: Nein, Sie!
MINISTER: Ich verdopple den Einsatz. (Zum Protokollfhrer C) Bitte
streichen Sie das aus dem Protokoll. Wo bin ich stehengeblieben?
Richtig. Wissen Sie, was ein Unterseeboot kostet?
FRAU A: Ein Vermgen.
MINISTER: Und nicht einen Pfennig weniger. Dem habe ich nichts
mehr hinzuzufgen. Ich warte auf Vorschlge, wie wir das ntige
Geld beschaffen sollen.
B: Durch einen Verteidigungszuschlag.
MINISTER: Auf was?
B: Auf die Verteidigungszuschlge. Jeder, der einen Verteidigungs-
zuschlag entrichtet, mu dafr einen Verteidigungszuschlag ent-
richten.
MINISTER: Das ist lcherlich. Auerdem haben wir es schon vorge-
stern beschlossen.
B: Dann mssen wir eine andere Bezeichnung dafr finden. Sagen
wir zum Beispiel: eine Sicherheitsgebhr fr den Verteidigungs-
zuschlag. Wer eine Sicherheitsgebhr fr den Verteidigungszu-
schlag entrichtet, entrichtet eine Sicherheitsgebhr fr den Vertei-
digungszuschlag.
MINISTER: Ich ziehe das fr nchste Woche in Erwgung. Man darf
diese Dinge nicht bereilen. Weiter?
FRAU A: Eine Zusatztaxe fr Luxusschuhe.
MINISTER: Was sind Luxusschuhe?
FRAU A: Schuhe, in denen man gehen kann.
D:Vollkommen vertrottelt.
B: Sie sind ein-Trottel.
FRAUA: Selber Trottel!
MINISTER: Gedoppelt!
C: Ich beantrage, den Punkt zu vertagen.
MINISTER: Sie fhren das Protokoll und reden uns nichts drein.
C (steht auf): Ich trete zurck. Glauben Sie vielleicht, weil ich eine
kleine Partei vertrete, knnen Sie mit mir -
MINISTER: Setzen Sie sich. Es war nicht so gemeint. Haben Sie einen
Vorschlag?
C (setzt sich): Strafmandate fr alle Autos, die im Regen fahren. (All-
gemeines Gemurmel)
MINISTER: Wie lange regnet es schon bei uns? Hchstens zwei Mo-
nate im Jahr. Das bringt nichts ein. (Hammer) Meine Damen und
155
Herren, wir werden so lange beraten, bis wir die Balancefrage ge-
lst haben.
B: Ich will ins Kino gehen.
MINISTER: Tut mir leid.
D: Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht. Verteidigungszuschlag - Si-
cherheitsgebhr - Luxusschuhtaxe - was sollen wir jetzt noch be-
steuern? Vielleicht das Atmen?
MINISTER (horcht auf): Sagten Sie atmen?
D: Ja.
MINISTER (nachdenklich): Atmen . . . Atmen . . . Wie viele Men-
schen atmen in diesem Land?
FRAUA: Eigentlich alle.
D (beschwichtigend): Na, na, na.
C: Jedenfalls die groe Mehrheit.
B: Das knnte stimmen. Und wir knnten eine sehr hbsche kleine
Steuer . . .
MINISTER: Meine Damen und Herren, solange ich auf diesem Mini-
stersessel sitze, wird die Steuerlast des Brgers nicht erhht. Eine
Atemsteuer einzuheben wre nicht nur unpraktisch, sondern
wrde bei der Bevlkerung auf grten Widerstand stoen. Und
das mit Recht. Es gibt Dinge, die man einfach nicht machen kann.
Zum Beispiel eine Atemsteuer erheben. Deshalb beantrage ich
statt dessen das Atmen zu verbieten.
FRAUA: Sehr gut. Hchste Zeit.
D: Grundstzlich habe ich nichts dagegen. Aber warum gleich ver-
bieten?
MINISTER: Wegen der Strafgebhren. Wenn das Atmen fr ungesetz-
lich erklrt wird, brauchen die anstndigen, gesetzestreuen Br-
ger nichts zu befrchten. Nur Zuwiderhandelnde werden be-
straft.
B: Eine sehr tolerante Auslegung.
D: Mit wieviel Einknften aus diesen Straf gebhren rechnen Sie?
MINISTER (manipuliert an der Rechenmaschine).
DIE RECHENMASCHINE: Ping!
MINISTER: 60 Millionen! Die Bilanz ist gerettet.
D: Augenblick. Und was, wenn alle Brger vorschriftsmig zu at-
men aufhren?
MINISTER: Da kennen Sie unsere Juden schlecht. Die atmen weiter.
Machen Sie sich keine Sorgen.
FRAUA: Eine so althergebrachte Gewohnheit kann man schlielich
nicht ber Nacht aufgeben.
MINISTER: Goldene Worte. (Zu C) Protokollieren Sie . . . Geset-
156
zesentwurf ber ein allgemeines Atmungsverbot. Ziffer
Beginnend mit Donnerstag nchster Woche ist es allen im Lande
lebenden Brgern einschlielich der nur zeitweilig hier wohnhaf-
ten . . .
C: . . . i m folgenden Luftverbraucher genannt . . .
MINISTER: . . .gesetzlich verboten, die umliegende Luft in ihre
Lungen zu ziehen, sei es durch Nase oder Mund . . .
B: . . . oder durch andere im menschlichen Krper vorhandene
ffnungen . . .
MINISTER: Jeder Luftverbraucher hat innerhalb von drei Tagen eine
eidesstattliche Erklrung ber den genauen Zeitpunkt abzugeben,
an dem er den Luftverbrauch oder das sogenannte >Atmen< einge-
stellt hat. Und jetzt die Hauptsache. Bitte in Grobuchstaben:
Wer eine unvollstndige oder falsche Erklrung vorlegt, wird mit
einer Geldbue von IL 3.000. - oder Gefngnis bis zur Dauer eines
Jahres bestraft . . . Wir werden sehen, was sich da machen
lt . . . (Zu C) Nein, das protokollieren Sie nicht. Weiter: Der
Strafsatz fr Zuwiderhandlung gegen das Gesetz ber die Einstel-
lung des Luftverbrauchs bzw. der Ttigkeit >atmen< betrgt IL
10.000.- oder Gefngnis bis zu drei Jahren oder beides - oder ab-
wechselnd . . . Hauptsache, da gezahlt wird.
FRAUA: Bravo.
D: Einen Augenblick. Ich habe Bedenken. Die Strafstze sind zu
hoch und knnten zu einem Zusammenbruch der Privatwirtschaft
fhren.
B: Aha! Schon im voraus eine Ausrede, was?
D: Auf Ihre Unterstellung gibt es nur eine einzige Antwort: Maul
halten!
FRAUA: Selber Maul halten!
D: Alle Maul halten!
MINISTER: Gedoppelt!
C: Gestrichen.
MINISTER: Meine Damen und Herren, in der Hitze der Diskussion ist
ein kleines Detail unbeachtet geblieben. Haben Sie eine Ahnung,
was ein Unterseeboot kostet?
FRAUA: Ein Vermgen!
MINISTER: Bis gestern. Heute kostet es drei Prozent mehr. Und jetzt
rechnen Sie sich aus, welche Belastung das fr unsere Wirtschaft
bedeutet. Fr den Preis eines einzigen Unterseeboots knnten wir
in Friedenszeken ein Dutzend neue Grenzsiedlungen errichten,
hundert Huser bauen, tausend Lautsprecher kaufen oder zehn-
tausend Wahlplakate drucken. Auf jedem israelischen Hausdach
knnten wir Neon-Wahl-Leuchtreklamen in groen Lettern und
verschiedenen Farben anbringen, von denen die ganze Umge-
bung in bunt schillerndes Licht getaucht wrde. Wre das nicht
schn?
FRAU A: Ich stimme mit Seiner Exzellenz berein, da die Bevlke-
rung zumindest fr einen Teil der ffentlichen Lasten aufkommen
mu. Die Regierung kann schlielich nicht fr alles zahlen. Ich
mchte nur einen kleinen Vorbehalt anbringen. Seine Exzellenz
sollte berlegen, ob von der Arbeiterklasse, und besonders von
jenem Teil, der mit krperlicher Arbeit beschftigt ist, eine vllige
Einstellung des Luftverbrauchs whrend der Arbeit verlangt wer-
den kann. Ein selbstndiger Kaufmann, der die ganze Zeit wie
eine ruberische Spinne in seinem Laden sitzt, kann jederzeit ohne
Mhe das Atmen einstellen. Aber die arbeitenden Massen . . .
D: Hrt, hrt!
C: Gestrichen.
D: In Ordnung. Und diesmal werden auch die Kibbuzim zahlen. Ich
bitte das festzuhalten.
B: Ich konstatiere mit grtem Bedauern, da unsere Diskussion in
eine Schimpforgie auszuarten droht. Wohin, meine Damen und
Herren, soll das fhren? Wenn man das Problem von allen er-
reichbaren Seiten betrachtet, gelangt man unweigerlich zu dem
Schlu, da das Gesetz ber die Einstellung des Atmens auf Kib-
buzbewohner nicht anwendbar ist, weil sie in der freien Luft ar-
beiten und ihr Luftverbrauch somit keinen direkten Einflu auf
den Index hat. (Zu D) Maul halten!
D: Hatten wir schon.
MINISTER: Meine Damen und Herren, wir schreiten zur Abstim-
mung. Wer fr den Gesetzentwurf stimmt, hebt die Hand. Wir
alle sind uns bewut, da dieses Gesetz eines der letzten in den
Geburtswehen unseres Staates - da es einen wichtigen Schritt zur
Erreichung unserer wirtschaftlichen . . . Kurz und gut, liebe
Freunde . . . Die Bilanz bezglich der Unterseeboote . . . Wie
gesagt. Nur der Ordnung halber mchte ich anfhren, da die
Mitglieder dieses Ausschusses dem in Rede stehenden Gesetz
nicht unterliegen, was zwar keine Rolle spielt und Sie, meine Da-
men und Herren, ganz gewi nicht beeinflussen wird, aber ich
mchte es gesagt haben.
D (hebt die Hand): Sehr richtig.
B (hebt die Hand): Wre mir gar nicht eingefallen.
FRAU A: Ich schliee mich meinem Vorredner an.
C (hebt die Hand): Ich enthalte mich der Stimme.
158
MINISTER (Gebrde des Auszhlens): Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bin tief bewegt. Ich danke Ihnen
fr Ihre wahrhaft vorbildliche und wahrhaft patriotische Gesin-
nung. In der morgigen Parlamentssitzung wird das Gesetz ber
die Einstellung des Atmens verabschiedet werden, und dann wird
es uns endlich wieder mglich sein, frei zu atmen.
2. SZENE
Ein Wohnraum. PLATSCHEK sitzt in einem Lehnstuhl und liest Zei-
tung. CHAJA, seine Frau, rumt den Frhstckstisch ab.
PLATSCHEK: Also die Knesseth hat das Gesetz verabschiedet.
CHAJA: Welches Gesetz?
PLATSCHEK: Das Gesetz ber die Einstellung des Atmens.
CHAJA: Natrlich haben sie es verabschiedet.
PLATSCHEK: Nein, das war gar nicht so sicher. Eigentlich htte ich er-
wartet, da die Orthodoxen dagegen stimmen werden, weil man
ihnen den Vizebrgermeister von Haifa weggenommen hat.
CHAJA: Wie kommt das zu dem?
PLATSCHEK (seufzt): Jedenfalls ist die Gesetzesvorlage durchgegan-
gen. (Liest) Nach einer langen, hitzigen Debatte, die bis weit
ber Mitternacht anhielt, verabschiedete die Knesseth kurz nach
vier Uhr frh das Atmungsverbotsgesetz mit allen Stimmen der
Regierungsparteien. Nur die Opposition stimmte dagegen. Es ist
erst wenige Stunden her . . .
(Luten an der Tr.)
CHAjA(ffnet).
POSTBOTE: Platschek?
CHAJA: Erraten?
POSTBOTE: Unterschreiben Sie hier.
CHAJA: Was ist das?
POSTBOTE: Die Formulare fr die Luftverbrauchserklrungen.
PLATSCHEK (nimmt das umfangreiche Paket entgegen): Warum hat
das so lange gedauert?
POSTBOTE: Weil ich auch noch andere Kundschaften habe.
PLATSCHEK(7*es die Aufschrift): Staatliche Atmungsbehrde. Man
glaubt es nicht. Seit wann besteht diese merkwrdige Behrde?
POSTBOTE: Seit soeben. Wohnt hier ein Herr Kraus?
CHAJA: Ja. Er ist unser Untermieter. Kraus!
KRAUS (erscheint im Bademantel): Was ist los?
PLATSCHEK: Ein eingeschriebener Brief fr Sie.
KRAUS: Ich zahle nicht. (Ab)
PLATSCHEK: Das fngt ja gut an.
POSTBOTE: Niemand wei, um was es sich handelt, aber jeder macht
Schwierigkeiten. Typisch! (Ab)
CHAJA: Er hat recht. Du solltest dich schmen, Jossei. Du benimmst
dich, als ob wir noch in der Diaspora wren. Solange wir unter un-
seren Feinden gelebt haben, war das eine verstndliche Haltung.
Aber jetzt werden wir von unseren eigenen Glaubensgenossen be-
raubt. Das ist doch etwas ganz anderes - oder nicht? Sind wir jetzt
im eigenen Land oder nicht?
PLATSCHEK: Trotzdem knnen sie uns nicht verbieten zu atmen.
CHAJA: Wie du siehst, knnen sie. Sonst wrden sie es nicht tun.
Schlielich besteht die Regierung nicht aus kleinen Kindern.
PLATSCHEK: Nicht?
CHAJA: DU solltest etwas mehr Ernst und etwas mehr Verstndnis
fr die Staatsraison aufbringen, Jossei.
PLATSCHEK: Ich habe Bedenken gegen dieses Gesetz. Ich finde - du
kannst natrlich anderer Meinung sein -, ich finde, da der
Mensch atmen mu. Das liegt in seiner Natur.
CHAJA: Vielleicht in deiner. Woher nimmst du das Recht, fr die ge-
samte Menschheit zu sprechen?
PLATSCHEK: Ich bin nicht der einzige, der an diesem Gesetz etwas
auszusetzen hat. Auch die Zeitungen tun das. Hier, im Leitarti-
kel steht es ganz deutlich: Wie gro das Defizit in unserem
Staatshaushalt sein mag - dieses Gesetz wird die Lcke nicht
schlieen. Hast du gehrt? Weiter: Es wird nur ein paar Lcher
stopfen und andere dafr aufreien oder umgekehrt. Das ist die
Meinung eines Fachmanns, damit du's nur weit. Eines Wirt-
schaftsexperten. Gesetze dieser Art bewirken eine Verlagerung
der Kaufkraft von jenen Gebieten, wo sie bestanden hat, auf an-
dere Gebiete, wo die Kaufkraft erst geweckt werden mu. Klar
genug fr dich?
CHAJA: Gesetz ist Gesetz. Im brigen habe ich den Eindruck, da
der Verfasser des Leitartikels im Grunde fr das Gesetz ist.
PLATSCHEK: Aber mit Vorbehalten! Er gebraucht zu oft das Wort
Kaufkraft. Das ist immer ein Zeichen dafr, da die Journali-
sten mit ihren Gehltern nicht zufrieden sind.
CHAJA: Nur so weiter. Im Gefngnis werde ich dich nicht besuchen,
das sag' ich dir schon jetzt.
PLATSCHEK: Ich bin noch nicht im Gefngnis.
CHAJA: Weil sie dich noch nicht erwischt haben.
160
PLATSCHEK: Sie werden mich auch in Zukunft nicht erwischen, mach
dir keine Sorgen.
CHAJA: Ich? Sorgen? Du zitterst jedesmal, wenn du einen ganz klei-
nen Versto gegen ein ganz kleines Gesetz begehst. Ich erinnere
mich noch an deinen Ohnmachtsanfall bei der Zollkontrolle da-
mals, wie wir aus Europa mit einem halben Kilo Kaffee zurckge-
kommen sind.
PLATSCHEK: ES war der einzige Ausweg. Htte ich vielleicht 6j Pfund
Zoll zahlen sollen? Fr so viel Geld kann ich mich mit einer eige-
nen Kaffeeplantage etablieren.
CHAJA: Das wre nicht das schlechteste. Vielleicht will uns die Re-
gierung auf diese Weise in die Landwirtschaft eingliedern. Weit
du etwas von den Plnen der Regierung? Kennst du dich in der ho-
hen Politik aus? Keine Spur. Du kannst nur kritisieren. Das ist al-
les. Warum hast du damals, wie wir nach Europa gefahren sind,
Dollar hinausgeschmuggelt?
PLATSCHEK: Weil sie mir fr einen sechsmonatigen Auslandsaufent-
halt nur 250 Dollar bewilligt haben. Von 250 Dollar kann man
nicht sechs Monate lang leben.
CHAJA: Woher weit du das? Hast du's schon versucht? Ihr Mnner
seid alle gleich. Ihr habt nichts anderes im Kopf, als euch vor den
Pflichten des Staatsbrgers zu drcken. Auch jetzt wieder. Die
Regierung kommt und sagt: Meine Herren, wir befinden uns in
einer kritischen Lage, wir mssen den Grtel enger schnallen,
bitte hren Sie auf zu atmen! - und was ist Jossei Platscheks er-
ster Gedanke? Wie er dieses Gesetz umgehen kann.
KRAUS (kommt mit einem Paket Formulare in der Hand): Was soll
ich damit?
PLATSCHEK: Zeigen Sie her . . . Da steht's ja ganz deutlich: Formular
Nr. I/986463 829 betr. Einstellung des Luftverbrauchs, in acht Ex-
emplaren auszufllen.
CHAJA: Setzen Sie sich, Kraus.
KRAUS: Danke schn, Frau Platschek. Ich versteh' das nicht. Wie
kann ich aufhren zu atmen?
PLATSCHEK: Vielleicht ist es gar nicht so streng gemeint. Vielleicht
findet sich ein Ersatz.
KRAUS: Wenn ich doch aber atmen mu.
PLATSCHEK: Warum mssen Sie?
KRAUS: Weil - weil ich Mundharmonika spiele.
CHAJA: Ich nehme an, da es irgendwo in den Vorschriften eine
Klausel fr musikalisches Atmen gibt. Haben Sie schon das Klein-
gedruckte gelesen, Kraus?
161
KRAUS: Nein. Ich bin kurzsichtig.
CHAJA: Wir alle mssen unser Scherflein beitragen, Kraus. Auch Sie.
Hren Sie auf zu atmen. Daran ist noch niemand gestorben.
KRAUS: Ich bin gerne bereit dazu, Frau Platschek, aber unter einer
Bedingung: da auch alle anderen mit dem Atmen aufhren.
PLATSCHEK: Sehr richtig.
KRAUS: Ich kann mir nmlich sehr gut vorstellen, Frau Platschek,
wie sich das abspielen wird. Die Leute werden herumgehen und
behaupten, da sie nicht atmen, aber wenn niemand hinschaut,
fllen sie sich ihre Lungen rasch mit Luft an, als ob es das Natr-
lichste von der Welt wre.
CHAJA: Sie knnen sicher sein, da mein Mann so etwas nie tun
wrde.
KRAUS: Wir werden ja sehen, Frau Platschek. (Ab)
PLATSCHEK: Der Mann gefllt mir nicht.
CHAJA: Schon wieder ngstlich? Wer seine staatsbrgerlichen Pflich-
ten erfllt, hat nichts zu frchten. Nur die Drckeberger mssen
zittern. Versuch's Jossei. Versuch einmal im Leben, den behrdli-
chen Anordnungen zu folgen. Vielleicht wird es am Anfang nicht
ganz leicht sein, vielleicht wird es dich Mhe kosten, aber du wirst
ein reines Gewissen haben, und das ist die Hauptsache.
PLATSCHEK: Eigentlich hast du recht. Man soll sich nicht knstlich in
Schwierigkeiten bringen. Ich hre auf zu atmen, und die Sache ist
erledigt. La mich die Formulare ausfllen. (Schreibt) Der Luft-
verbraucher Platschek Josef hat heute, Montag, um 9.15 Uhr das
Atmen eingestellt und erklrt an Eides Statt, da er die Behrden
nicht hintergehen wird . . . Unterschrift . . . (Unterschreibt)
CHAJA: SO ist's recht. Ich bin stolz auf dich, Platschek. Jetzt holst du
noch einmal Luft, und dann hrst du mit dem Atmen auf.
PLATSCHEK (tut es).
CHAJA: Na? War das gar so schwer?
PLATSCHEK (mit schwacher Stimme): Nicht sehr.
KRAUS (erscheint in der Tr, eine Wscheklammer ber die Nase ge-
klemmt, und betrachtet Platschek in stummem Mitrauen).
PLATSCHEK (dem Ersticken nahe): Alles in Ordnung . . .
162
3. SZENE
Ministerium. Der MINISTER hlt eine Ansprache an die neuernannten
Inspektoren (einige hundert). Ihm zunchst steht Oberinspektor
SCHULTHEISS.
MINISTER: Kadetten! Werdende Inspektoren! Absolventen des Per-
fektionskurses! Ihr verlat heute das Trainingslager der Staatli-
chen Atmungsbehrde, um eine wichtige Rolle im Ausbalancie-
ren unseres Budgets zu bernehmen. Kadetten! Haltet die Fahne
de; wirtschaftlichen Gesundung hoch! Geht rcksichtslos gegen
alle vor, die fr unsere Gesetze nur ein oberflchliches Lippenbe-
kenntnis brig haben, ohne sie zu befolgen! Die Verordnungen
ber die Einstellung des Atmens haben sich noch nicht wunschge-
m durchgesetzt, haben noch nicht jenen Punkt erreicht, an dem
die konomischen und biologischen Faktoren zweckdienlich auf-
einander abgestimmt sind. Noch ist das von uns angestrebte Ziel
in weiter Ferne, um nicht zu sagen: in ferner Weite. Aber das darf
uns nicht irremachen. Wir schreiten mit angehaltenem Atem vor-
wrts! (Hochrufe) Die religisen Oppositionsparteien fhren eine
schmhliche Verleumdungskampagne und bestrken die Brger-
schaft in der Aufrechterhaltung jener blen Gewohnheiten, die in
den zweitausend Jahren des Exils leider auch bei uns Fu gefat
haben. Auf der andern Seite betreibt die extreme Linke eine sub-
versive Propaganda von noch nicht dagewesenen Ausmaen. Wir
aber wissen, da jedes Pfund, das als Bue fr ungesetzliches At-
men eingehoben wird, zur Festigung unseres Staatshaushalts, un-
serer Wirtschaft und unserer nationalen Selbstndigkeit beitrgt!
Das wissen wir und danach handeln wir! (Hochrufe) Ich bitte den
Oberinspektor, die Angelobung vorzunehmen.
SCHULTHEIS: Achtung! Ich spreche die Eidesformel vor. Sie ist lang-
sam und deutlich zu wiederholen: Als neubestellter israelischer
Atmungsinspektor schwre ich . . . (Wiederholung im Chor)
. . . da ich fest und heilig entschlossen bin (Wie oben) . . . die
Befolgung des Gesetzes ber die Einstellung des Luftverbrauchs
streng zu beobachten . . . (Wie oben) . . . und alle Zuwiderhan-
delnden, die dieses Gesetz in krimineller Weise und zum Schaden
unseres Staates verletzen . . . (Wie oben) . . . der gerechten Be-
strafung zuzufhren . . . (Wie oben) . . . Hurra!
DIE INSPEKTOREN: Hurra!
SCHULTHEISS: Hurra! Hurra!
DIE INSPEKTOREN: Hurra! Hurra!
163
SCHULTHEIS: Hurra! Hurra! Hurra!
DIE INSPEKTOREN: Hurra! Hurra! Hurra!
(Die Kapelle spielt einen Militrmarsch, die Inspektoren marschieren-
militrisch ab.)
MINISTER: Gut gemacht, Schulthei.
SCHULTHEISS: Danke, Exzellenz. Auch meine Jungens werden es gut
machen.
MINISTER: Hoffen wir's. Diese 25.000 neuen Inspektoren kosten uns
60 Millionen im Jahr.
SCHULTHEISS: Noch 5.000 Absolventen des Kadettenkurses - und wir
haben die geplante Strke erreicht.
MINISTER: Immerhin sollten wir darauf achten, da die Zahl der In-
spektoren in keinem Zeitpunkt die Zahl der Luftverbraucher
bersteigt.
SCHULTHEISS: Gewi. Gibt es etwas Neues an der Atmungs-
front?
MINISTER: Fortschritte. Anfangs versuchen sie alle, heimlich zu at-
men, man kennt das ja. Aber mit der Zeit wird ihnen hoffentlich
klar werden, da auch in diesem Land die Gesetze befolgt werden
mssen.
SCHULTHEISS: Wir sind eben noch ein junger Staat, Exzellenz.
MINISTER: Wei ich, wei ich. Und es liegt mir fern, den Durch-
schnittsbrger diffamieren zu wollen . . . Unter uns gesagt,
Schulthei: Es ist schwer, jahrelang nicht zu atmen.
SCHULTHEISS: Sie sagen es. Und die Versuchung ist gro. Wir mssen
uerste Wachsamkeit walten lassen.
MINISTER: Wachsamkeit und Disziplin. Aber ich habe den Eindruck,
Schulthei, da trotzdem - gewissermaen dessen ungeachtet...
SCHULTHEISS: Die Zeit arbeitet fr uns.
MINISTER: Ja, das tut sie. Zum Beispiel sind die Berichte aus Nord-
Galila durchaus zufriedenstellend. Dort ist die Zahl der Luftver-
braucher bereits auf 85 Prozent gesunken. Hingegen gibt es in
Tel-Aviv praktisch nur Delinquenten.
SCHULTHEISS: Eine korrupte Stadt.
MINISTER: Andererseits ist die Bevlkerung auf ihre Weise durchaus
zur Mitarbeit bereit. Wir haben bisher 800.000 anonyme Schmh-
briefe bekommen.
SCHULTHEISS: Das spricht fr meinen Vorschlag, ein paar zustzliche
und zum Teil geheime Verordnungen zu erlassen.
MINISTER: Die probeweise eingefhrten Denunziationsformulare
haben ganz gut eingeschlagen. Sie sind jetzt in jedem Postamt
erhltlich. Das hier habe ich gerade heute bekommen. (Zieht ein
164
Papier aus der Tasche) Lesen Sie's. Es ist ein bemerkenswertes
Dokument von Zivilcourage.
SCHULTHEISS(liest): Denunziationsformular IV/8oo.ooi, Kreis Tel-
Aviv Nord. Name des Delinquenten: Josef Platschek. Finanz-
lage: zufriedenstellend . . . Soll ich weiterlesen?
MINISTER: Natrlich. Jetzt wird's ja erst interessant.
ScHULTHEiss(7ie5t): Sehr geehrte Fhrer! Im allgemeinen tue ich nie,
was die Regierung von mir verlangt, weil das meinem Charakter
widerspricht. Diesmal jedoch mute ich mir sagen: So geht's nicht
weiter bzw. was geht hier vor. Entweder herrschen Gesetz und
Ordnung, oder sie herrschen nicht. Ich wohne seit einem Jahr bei
den Platscheks und zahle ihnen IL 45,- monatlich ohne Kchen-
bentzung. Ich darf auch keine weiblichen Besuche empfangen,
was meine Lebensfreude empfindlich beeintrchtigt. Anderseits
ist es berflssig, weibliche Personen nach Hause zu bringen,
wenn eine weibliche Person sich sowieso im Hause befindet, und
zwar Frau Platschek. Sie ist nicht mehr die Jngste, aber das htte
mich nicht gestrt. Sie wollte nicht. Sehr geehrte Behrde, ich
kann Beweise beibringen, da der Mann von Frau Platschek noch
atmet. Whrend des Tags macht er gewisse Anstrengungen zum
Durchhalten, aber in der Nacht schnarcht er wie eine Kreissge
mit Hilfe von Luft. Dadurch bricht er die gesetzlichen Vorschrif-
ten unseres Landes. Ich ersuche Sie, den Verrter im Interesse der
Gerechtigkeit zu verhaften, und danke Ihnen im voraus. Hoch-
achtungsvoll: Kraus, Patriot.
MINISTER: Her mit ihm.
SCHULTHEISS (pfeift).
INSPEKTOREN A UND B (strzen herbei).
SCHULTHEISS: Bringen Sie uns den Luftverbraucher Josef Platschek!
Tot oder lebendig!
A UND B (salutieren, gehen im Laufschritt und mit drohenden Rufen
ab.): Platschek, wo bist du . . . Versteck dich nicht, Platschek, du
elender Feigling . . . Komm heraus und zeig dich, Platschek . . .
Platschek . . .
165
4. SZENE
Strae. An einer Husermauer lehnen zwei Mnner, die an ihrer Un-
aufflligkeit sofort als Detektive kenntlich sind. Vor INSPEKTOR A
steht ein Koffer, auf den ersieh von Zeit zu Zeit setzt. Zu Fen von
INSPEKTORB ein lgemlde. An der Mauer ein Plakat: Willst du ein
gutes Gewissen haben? Dann hr zu atmen auf!
A: Heute erwischen wir diesen Platschek. Ich spr's in allen Kno-
chen.
B: Er mu jeden Augenblick kommen.
A: Was ist das fr ein Leben, das wir fhren . . . Tag und Nacht Wa-
che stehen - ob Sonnenschein, ob Regen . . .
B: Ich mach's ja nicht des Geldes wegen.
A: Wieviel verdienst du?
B: 203 monatlich.
A: Ich 205.50.
B: Wie ist das mglich?
A: Nachwuchszulage. Ich habe drei Kinder.
B: Glckspilz.
A: Glck hat man nicht von selbst. Man mu es planen. (Sieht sich
um) Platschek kommt nicht. Schon wieder nicht. Das macht er
mit Absicht, der Verbrecher.
B: Vielleicht kann er gar nicht mehr? Woher wissen wir, ob er ber-
haupt noch atmet? Nur weil es in einem anonymen Brief stand?
A: Was das Atmen betrifft, darf man den anonymen Briefen glau-
ben.
B: Du meinst -alle atmen?
A: Nicht alle. Dann und wann findet sich ein aufrechter, ehrlicher
Brger, der die Gesetze befolgt. Dann und wann. Nicht fter.
Mein Nachbar, zum Beispiel. Einer von der alten Garde. Als das
Gesetz herauskam, sagte er: Wenn meine Regierung etwas von
mir verlangt, dann mach' ich's. Und er hat sein Wort gehalten.
Als altes Parteimitglied htte er sich's richten knnen. Aber das
wollte er nicht.
B: Ein groartiger Kerl.
A: Hunderte waren auf seinem Begrbnis.
B: Woran ist er gestorben?
A: Er ist in seinem Swimming-pool ertrunken. Man zog ihn recht-
zeitig heraus, gab ihm knstliche Atmung - und er starb vor
Scham. Welch ein Mann! (Bemerkt einen Fugnger, der vorber-
huschen will) He, Sie da!
166
i. FUSSGNGER: Wer, ich?
A: Nein, meine Gromutter.
i. FUSSGNGER: Sie machen mir Angst.
A: Kommen Sie nher! Ich mchte mit Ihnen sprechen.
i. FUSSGNGER: Was . . . was wnschen Sie?
A (zeigt eine Plakette): Staatliche Atmungsbehrde. Atmen Sie,
Herr?
i. FUSSGNGER: Natrlich nicht.
B: Sind Sie sicher?
i. FUSSGNGER: Erlauben Sie - mit welchem Recht stellen Sie so be-
leidigende Fragen? Ich bin schlielich ein freier Brger.
A: Das werden wir gleich haben. (Hlt dem Fugnger mit zwei Fin-
gern die Nase zu und steckt ihm eine Pfeife in den Mund. Whrend
er ihn in dieser Position lssig festhlt, spricht er weiter zu B) Ge-
stern habe ich mit den Kindern eine kleine Ausfahrt im Dienst-
wagen gemacht. Ich bin gewi kein Chauvinist, aber ich mu
schon sagen: Unser Land ist ein schnes Land. Die Wste
blht.
B: Wohin seid ihr gefahren?
A: Ans Meer. Es war ein stolzes Gefhl, dieses Land zu sehen und
sich sagen zu drfen, da man etwas fr dieses Land tut . . .
i. FUSSGNGER: (Pfeifton.)
A: Aha! Also Sie atmen nicht, was?
B: Lgner!
A: Und frech war er auch noch.
i. FUSSGNGER: Haben Sie Erbarmen, meine Herren, ich bitte
Sie . . . Lassen Sie mich dieses eine Mal noch gehen . . . Ich habe
drei Kinder . . .
B: Um so schlimmer! Denen sollten Sie ein leuchtendes Beispiel
sein.
i. FUSSGNGER: Ich wei . . . Aber ich konnte mir nicht helfen . . .
Ich bin ein kranker Mann (Hustet) . . . Haben Sie Mitleid.
B: Sparen Sie sich den Husten, Herr. Das hilft Ihnen nichts. (Zu A)
Wir Inspektoren stehen Tag und Nacht bei jeder Witterung Wa-
che - und er hustet.
i. FUSSGNGER: Vielleicht kann ich Ihre Mhen und Entbehrungen
ein wenig lindern.
A: Was sagen Sie da?
i. FUSSGNGER: Ich meine . . . Ich dachte . . . Vielleicht . . .
B: Vielleicht was?
i. FUSSGNGER: Ach, nichts.
A: Das knnte Ihnen so passen. Ich habe zum Glck ein ausgezeich-
167
netes Gedchtnis und kann mich genau erinnern, da Sie meinen
Kollegen bestechen wollten.
i. FUSSGNGER: Bestechen? Aber von Bestechung kann doch keine
Rede sein, meine Herren. Was ich im Sinn hatte, war eine kleine
Linderung . . . ein kleines Zeichen meines Respekts fr Ihre an-
strengende Ttigkeit.
A: Wirklich? Und wie gro ist das kleine Zeichen?
i. FUSSGNGER: IOO . . . 200 . . .
A (zu B): Okay, den verhaften wir.
1. FUSSGNGER: 500! (Zieht seine Brieftasche und entnimmt ihr mit
zitternder Hand einige Banknoten)
A: Sie glauben doch nicht, da wir uns an Ihrem dreckigen Geld die
Finger schmutzig machen werden?
1. FUSSGNGER: Ich glaube es nicht, ich -
A (zu B): Nimm's ihm weg.
B (reit die Brieftasche an sich): Und jetzt schau, da du weiter-
kommst!
1. FUSSGNGER: Danke . . . Danke tausendmal . . . Gott segne
Sie . . . Sie und Ihre Kinder . . .
B (das Geld zhlend): Schon gut, schon gut . . .
1. FUSSGNGER: Wer wagt da noch zu behaupten, da die Gutherzig-
keit in unserm Land ausgestorben ist . . .
A: Wir tun nur unsere Pflicht . . . Und jetzt verschwind!
1. FUSSGNGER: Sie Engel! (Ab)
B: Nchstesmal kommst du nicht mehr so billig davon. (Zu A) Wie-
viel macht's?
A: 620 und etwas Kleingeld.
B: Netto?
A: Was heit netto? Als ob du nicht wtest . . . (Deutet nach oben)
Auf wieviel sind wir heute gekommen?
B: Ungefhr 50.000 in bar, drei Schecks, sieben Armbanduhren und
ein lgemlde.
A: Ja, von diesem unglckseligen Maler. Aber vergi nicht: Es ge-
hrt mir! Du hast gestern zwei Plastiken und eine Ziehhar-
monika geschnappt, (ffnet den Koffer und wirft die Banknoten
zu den vielen schon dort befindlichen, von denen einige heraus-
fallen)
B: Pa auf, sonst verlierst du was.
A: Schicken wir's lieber gleich in die Bank. (Klatscht in die
Hnde)
TRGER (kommt um die Ecke): Jawohl, bitte?
A: Deponieren Sie das auf mein Konto.
168
TRGER: Jawohl, bitte. (Ab mit dem Koffer)
A (ihm nachblickend): Und so was war einmal ein berhmter Dich-
ter, bevor wir ihn beim Atmen erwischt haben.
B: Man kann heute niemandem mehr vertrauen . . . (Ruft hinter
dem vorbereilenden 2. Fugnger her) Hallo, Sie!
2. FUSSGNGER: Bitte?
B (Plakette): Atmungsbehrde. Atmen Sie, Herr?
2. FUSSGNGER: Soviel ich wei, ist es verboten.
A: Gut. (Nasen- und Pfeifenprozedur wie beim 1. Fugnger. Pause)
B (zum 2. Fugnger) : Na? (Zu A) Der scheint in Ordnung zu sein.
A: Abwarten. (Wartet noch eine "Weile, lt dann die Nase des 2.
Fugngers los. Hflich) Wir bitten um Entschuldigung.
2. FUSSGNGER: Keine Ursache.
B: Wir tun nur unsere Pflicht.
2. FUSSGNGER: Davon bin ich berzeugt. Ich habe Ihnen ja gleich
gesagt, da ich nicht atme.
A: Was sind Sie von Beruf, Herr?
2. FUSSGNGER: Tiefseetaucher. (Ab)
A: Wie schn, da es noch ehrliche Leute gibt.
B: Wer nicht atmet, hat nichts zu befrchten. (Tritt an den 3. Fu-
gnger heran) Atmungsbehrde. (Nase, Pfeife)
3. FUSSGNGER (beginnt wie verrckt zu pfeifen).
A: Was fllt Ihnen ein, zum Teufel?
3. FUSSGNGER: Ich bin Parlamentsabgeordneter.
A: Oh, Verzeihung. Sie knnen gehen. Entschuldigen Sie.
3. FUSSGNGER: Eine Unverschmtheit . . . (Ab)
A: Wachsamkeit und Disziplin. Und Vorsicht.
B (zischt): Achtung, da kommt er!
A: Wer?
B: Platschek!
PLATSCHEK (kommt nher, drckt sich die Husermauer entlang,
stt mit den beiden Inspektoren zusammen, versucht zu fliehen).
A (stopft einen Gummiballon in Platscheks Mund. Der Ballon blht
sich auf)
B: Da ntzt kein Leugnen, mein Junge! Ein ganz schner Luftver-
brauch!
PLATSCHEK (in Panik): Ich atme nicht, ich atme nicht!
A: Und wer hat den Ballon aufgeblasen?
PLATSCHEK: Keine Ahnung. Ein Wunder.
A: Halten Sie uns fr komplette Idioten?
B: Erzhlen Sie das Wunder auf der Polizeistube.
A: Gehen wir.
169
B: Da wirst du deine Wunder erleben.
A UND B (zerren Platschek unter Beschimpfungen und Handgreif-
lichkeiten davon): Das wird dir noch leid tun, du Lump . . . At-
men, was? . . . Und sich dann noch ber die Behrden lustig ma-
chen . . . Na warte . . .
5. SZENE
Polizeistube. Zweigeteilter Raum, klein aber trostlos. An der einen
Wand ein Richtungszeiger (Pfeil): Zur Folterkammer Nr. 107", an
der andern Wand ein Plakat: Wer nicht atmet, bleibt freu Auf dem
Tisch im linken Teil des Raums ein Lgendetektor. Auf einer Bank
im rechten Teil CHAJA und der RECHTSANWALT. CHAJA weint still vor
sich hin, der ANWALT liest ungerhrt eine Zeitung. Die Tr wird auf-
gerissen, und die beiden INSPEKTOREN stoen PLATSCHEK herein. Er
strzt zu Boden.
CHAjA(heult auf): Jossei, Jossei . . . Ich hab' dir immer gesagt, da
sie dich erwischen werden . . . Aber du wolltest nicht hren . . .
PLATSCHEK: ES ist aus . . . Ich bin verloren . . . Das ist das Ende . . .
Friede meiner Asche . . .
CHAJA (zum Anwalt): Auf den Knien hab' ich ihn angefleht, da er
nicht atmen soll . . . Beschworen hab' ich ihn: Jossel,,einmal im
Leben sei ehrlich, versuch's wenigstens . . .
ANWALT: Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, Frau Platschek. Es
wird natrlich sehr schwer sein, einen Beweis dafr zu erbringen,
da Ihr Gatte nicht geatmet hat. Die Inspektoren haben seine per-
snliche Luft in einen Behlter abgezogen, den sie als Corpus de-
licti vorlegen werden. Wahrscheinlich wurde der Inhalt im Labo-
ratorium der Atmungsbehrde bereits untersucht. Ich werde
trotzdem geltend machen, da die Luft, die sich in der Lunge Ih-
res Gatten befunden hat, schon vor Erla des Gesetzes eingezogen
wurde.
CHAJA: Aber das stimmt nicht, Herr Doktor.
ANWALT: Natrlich stimmt's nicht. Das wissen auch die Behrden.
Und wir wissen, da sie es wissen. Ja noch mehr: Sie wissen, da
wir wissen, da sie wissen, da -
PLATSCHEK: Aufhren, um Gottes willen!
CHAJA: Unterbrich ihn nicht! Reden Sie weiter, Herr Doktor.
170
ANWALT: Das wrde noch stundenlang dauern. Frau Platschek, Je-
denfalls liegt hier die juristisch-kriminologische Achillesferse in
der kriminologisch-juristischen Konstruktion der Anklage. Luft?
Jawohl! Aber: von wo?
CHAJA: Wei ich?
ANWALT: ES gibt einen Przedenzfall, der im Jahr 1773 vor dem K-
niglichen Gerichtshof in London verhandelt wurde. Ein Metzger-
meister war angeklagt, seine Frau erschlagen zu haben, aber man
konnte die Leiche nicht finden, und -
PLATSCHEK: Hat man ihn verurteilt?
ANWALT: Man hat ihn aufgehngt. Aber es war ein Justizirrtum.
PLATSCHEK: Lassen Sie mich mit Ihren Przedenzfllen in Ruhe,
Herr Doktor. Ich bin verloren.
ANWALT: Das wird sich zeigen. Wir haben es schlielich mit einem
jdischen Gerichtshof zu tun und nicht mit einem englischen.
SCHULTHEISS (betritt den linken Teil des Raums und lutet mit der
kleinen Tischglocke).
PLATSCHEK: Das gilt mir. Adieu. Herr Doktor.
ANWALT: Adieu, Herr Platschek. Seien Sie stark!
PhATSCHEKfumarmt Chaja): Lebwohl, Chaja . . . Du warst mir bei-
nahe immer eine gute Frau . . . Wenn du mich in zwei Stunden
nicht wiedersiehst, geh zu deiner Mutter . . .
CHAJA (schluchzend): Nein, ich bleib' lieber mit Kraus in unserer
Wohnung . . .
SCHULTHEISS (klingelt).
PLATSCHEK (winkt den beiden anderen zu und torkelt in die Folter-
kammer).
C.HK]h(im Abgehen mit dem Anwalt) : Jossei, Jossei, warum hast du
nur atmen mssen. (Beide ab)
SCHULTHEISS: Josef Platschek?
PLATSCHEK: Noch.
SCHULTHEISS: Nehmen Sie Platz. Ich bin Oberinspektor Schulthei.
Sie brauchen sich nicht zu frchten. Wir sind keine Kannibalen.
PLATSCHEK: Nicht?
SCHULTHEISS (berhrt ihn und blttert im Akt) : Wie ich sehe, Herr
Platschek, wurden Sie in flagranti ertappt. Gewissermaen auf fri-
schem Atem. (Hebt den aufgeblhten Ballon) Ist das Ihre Luft,
Herr Platschek?
PLATSCHEK (nach kurzer Prfung): Ja. Eigentlich htte ich geglaubt,
da meine Luft eine etwas grere Transparenz aufweist . . .
Aber vielleicht liegt das daran, da ich in diesen Ballon die eiserne
Reserve eingeatmet habe, die in meiner Lunge aufgespeichert war.
171
SCHULTHEISS: Und das soll ich Ihnen glauben? (Lt den Ballon frei.
Der Ballon steigt auf und verschwindet) Ihrer eidesstattlichen Er-
klrung zufolge haben Sie vor etwa eineinhalb Monaten mit dem
Atmen aufgehrt. Richtig?
PLATSCHEK: Richtig.
SCHULTHEISS: Knnen Sie das beweisen, Herr Platschek?
PLATSCHEK: Ist Ihnen mein Ehrenwort nicht gut genug?
SCHULTHEISS: Leider haben wir mit Ehrenworten schon sehr traurige
Erfahrungen gemacht . . . Nun, ich will Ihnen den guten Glau-
ben zubilligen und annehmen, da sie tatschlich nicht mehr at-
men. Sind Sie bereit, sich einem medizinischen Test zu unterzie-
hen?
PLATSCHEK: Warum nicht? (Beginnt sich zu entkleiden)
SCHULTHEISS: Nicht diese Art von Test. (Deutet auf den Lgendetek-
tor, der mit zwei an der Mauer befestigten Lampen verbunden ist.
Von Fall zu Fall leuchtet die Lampe mit dem Zeichen Wahr* oder
mit dem Zeichen Lge* auf. Dazu ein Summton)
PLATSCHEK (nachdem Schultheiss die Demonstration beendet hat):
Was ist das?
SCHULTHEISS: Ein Lgendetektor.
PLATSCHEK (erschrickt): Ach so . . . Nein . . . Das nicht . . . Das
mchte ich nicht.
SCHULTHEISS: Aha!
PLATSCHEK: Ich mchte mich zuerst mit meinem Anwalt beraten . . .
Ich komme morgen wieder . . . (Steht auf)
SCHULTHEISS (drckt ihn nieder): Da Sie seit eineinhalb Monaten
nicht mehr geatmet haben, brauchen Sie sich mit niemandem zu
beraten. Sie befinden sich in voller bereinstimmung mit den Ge-
setzen, Herr Platschek. Sie sind ein musterhafter Brger.
PLATSCHEK: Ich verstehe nichts von Apparaten.
SCHULTHEISS: Ist auch gar nicht ntig. Versuchen wir's einmal. Wie
geht es Ihnen, Herr Platschek?
PLATSCHEK: Miserabel. (Summton, das Signal Wahr* leuchtet
auf)
SCHULTHEISS: Sehen Sie, es stimmt. Probieren wir's noch einmal. Bin
ich Ihnen sympathisch?
PLATSCHEK: Selbstverstndlich. (Summton, Lge*)
SCHULTHEISS: Wie gehabt. Und jetzt, Herr Platschek, kommt die
Frage, die ber Ihre Zukunft entscheidet.
PLATSCHEK: Ich fhle mich schlecht.
SCHULTHEISS: Das glaube ich Ihnen. Konzentrieren Sie sich. uer-
ste Konzentration, Herr Platschek. Atmen Sie?
172
PLATSCHEK (schweigt).
SCHULTHEISS: Nun?
PLATSCHEK: Ich konzentriere mich.
SCHULTHEISS: Lassen Sie sich Zeit. Ich kann warten. Nochmals, Herr
Platschek: Atmen Sie?
PLATSCHEK: Gewohnheitsmig?
SCHULTHEISS: Ja. Gewohnheitsmig.
PLATSCHEK: Ein guter Apparat. Eine intelligente Maschine. Man
sollte das gar nicht glauben. Knpfe . . . Drhte . . . Lichtsi-
gnale . . .
SCHULTHEISS (scharf): Beantworten Sie meine Frage! Atmen Sie, ja
oder nein?
PLATSCHEK: Nein! (Summton, Wahr*) Also bitte.
SCHULTHEISS (fassungslos): Was . . . was ist das?
PLATSCHEK: Die Wahrheit. Ich atme nicht. (Steht auf) Kann ich jetzt
gehen?
SCHULTHEISS (fingert am Detektor herum, wird immer nervser, reit
die Drhte aus): Das ist doch unmglich . . . Der Apparat mu
kaputt sein . . .
PLATSCHEK: ES war mir eine Freude, Sie kennenzulernen.
SCHULTHEISS (schleudert den Detektor auf den Boden): Ein Skan-
dal . . . Das hat er mir noch nie gemacht . . . dieser dreckige Ka-
sten . . .
PLATSCHEK: Wie reden Sie mit so einem kostbaren Instrument? Las-
sen Sie sich warnen, in aller Freundschaft . . .
SCHULTHEISS (schwer atmend, fat sich): Setzen Sie sich wieder hin,
Herr Platschek. Wir sind noch nicht fertig miteinander. (Plat-
schek setzt sich) Also Sie atmen nicht?
PLATSCHEK: Nein. Niemals, Fragen Sie den Detektor.
SCHULTHEISS: Und ich sage Ihnen - ich, Oberinspektor Schulthei,
sage Ihnen auf Grund meiner langjhrigen Erfahrung: Sie
atmen, Herr Platschek. Sogar jetzt, in diesem Augenblick,
atmen Sie.
PLATSCHEK: Nein.
SCHULTHEISS: Vom Augenblick Ihres Eintritts in diesen Raum - vom
ersten Augenblick an haben Sie geatmet.
PLATSCHEK: Nein.
SCHULTHEISS: Und Sie haben auch vorher geatmet.
PLATSCHEK: Nein.
SCHULTHEISS: Sie haben immer geatmet. Sie haben nicht eine Sekunde
lang aufgehrt. So wenig wie alle anderen. Sie haben die ganze Zeit
das Gesetz verletzt.
173
'LATSCHEK: Wieso wissen Sie das?
JCHULTHEISS: Wieso ich das wei? Wenn Sie das Gesetz nicht verletzt
haben, Herr Platschek - wieso leben Sie dann?
'LATSCHEK: Oj.
SCHULTHEISS: Sie mssen wissen - ich komme aus Galizien.
'LATSCHEK: Ich auch.
ICHULTHEISS: Aber ich schon frher. Wollen Sie jetzt endlich geste-
hen, Platschek?
'LATSCHEK (nickt stumm mit dem Kopf).
(CHULTHEiss(brllt): Sie Betrger!
'LATSCHEK: Ja, ich bin ein Betrger. Ich gestehe es. Ich habe mich ei-
nes abstoenden Verbrechens schuldig gemacht. Ich habe die
ganze Zeit geatmet. Schon als kleiner Junge. Auch mein seliger
Vater hat geatmet. Ich konnte mir nicht helfen . . . es war strker
als ich . . . und dabei habe ich mich so bemht . . .Am Anfang ist
es ja auch ganz gut gegangen - aber dann konnte ich der Versu-
chung nicht widerstehen und begann wieder zu atmen . . . Jetzt
bin ich verloren . . .
ICHULTHEISS: Weinen Sie nicht, Herr Platschek. Es kann ja noch alles
gut werden.
'LATSCHEK: Chaja hat recht gehabt . . . Ich bin nichts wert . . . Ich
bin ein vollkommen wertloses Subjekt . . .
ICHULTHEISS: Beruhigen Sie sich doch endlich, Herr Platschek. Jetzt,
da Sie Ihr Verbrechen gestanden haben, mssen Sie sich doch bes-
ser fhlen.
'LATSCHEK: berhaupt nicht.
'CHULTHEISS: Was mich erschttert, Herr Platschek, ist nicht so sehr
die Tatsache, da Sie atmen. Auch andere Leute verstoen gegen
das Gesetz. Aber das sind gewhnlich Neuankmmlinge, die hier
noch nicht Wurzel gefat haben. Sie, Herr Platschek, sind doch
aber schon seit dreiig Jahren im Land, wenn ich nicht irre. Sie
sind ein Pionier. Sie haben im Unabhngigkeitskrieg mitge-
kmpft, haben Straen gebaut und Felder bepflanzt, Sie sind einer
von uns, Fleisch von unserm Fleisch, Blut von unserm Blut- und
Sie atmen?!
'LATSCHEK: Sie haben ja so recht . . . Ich knnte vor Scham versin-
ken . . . Ich bin eine nichtswrdige Kreatur . . .
CHULTHEISS: Ich bedaure, Herr Platschek. Aber jetzt mu ich meine
Pflicht tun.
'LATSCHEK: Das drfen Sie nicht bedauern. Tun Sie Ihre Pflicht. Ich
verdiene es.
CHULTHEISS: Ich richte mich nur nach dem Gesetz. Sie haben das
74
Gesetz miachtet und haben geatmet - dafr werden Sie jetzt
bestraft. (Gongschlag)
ScHARFRiCHTERftn'tt ein. Riesenhafte Erscheinung, in der besten mit-
telalterlichen Tradition gekleidet: nackter Oberkrper, blutrote
Gesichtsmaske, eine Axt in der Hand. Er stellt sich in die Ecke und
verschrnkt die Arme)
PLATSCHEK(sinkt in die Knie): Nein!!
SCHULTHEISS: Zu spt. Das Recht nimmt seinen Lauf. (Erhebt sich,
feierlich) Josef Platschek! Sie sind des gesetzwidrigen Atmens fr
schuldig befunden. Ihr Gestndnis gilt als mildernd. Auf Grund
von Paragraph IV Absatz 7 des Luftverbrauchsgesetzes werden
Sie zu einer Geldstrafe von 8.000 Pfund verurteilt. (Setzt sich)
PLATSCHEK: 8.000 Pfund? Wo soll ich die hernehmen?
SCHULTHEISS: Sie knnen in Raten bezahlen.
PLATSCHEK: WO soll ich die Raten hernehmen?
SCHULTHEISS: Hren Sie, Platschek. Ich htte Sie im Rahmen des zi-
tierten Paragraphen auch zu 10.000 Pfund verurteilen knnen.
PLATSCHEK: Wenn schon.
SCHULTHEISS: Etwas mssen Sie zahlen.
PLATSCHEK: Etwas ist gut. Etwas zahl' ich. 20, 30, meinetwegen
50 Pfund. Aber keine Phantasiebetrge.
SCHULTHEISS: Ich wei, da Ihnen 5.000 Pfund nicht weh tun wer-
den.
PLATSCHEK: Da wissen Sie mehr als ich.
SCHULTHEISS: Aber 3.000 Pfund werden Sie doch aufbringen?
PLATSCHEK: 50 Pfund und kein Wort weiter.
SCHULTHEISS: 2.000. Es kostet mich selber mehr.
PLATSCHEK: Sie htten besser kalkulieren sollen.
SCHULTHEISS: I.OOO.
PLATSCHEK: Machen Sie sich nicht lcherlich.
SCHULTHEISS: Wir mssen die Sache in Ruhe besprechen, sonst kom-
men wir zu keinem Resultat.
PLATSCHEK: Wer braucht Resultate? Ich vielleicht?
SCHARFRICHTER: La ihn mit 500 Pfund heraus, Schuld, und der Fall
ist geschlossen.
PLATSCHEK: Wer hat frs bloe Atmen jemals 500 Pfund gezahlt?
SCHULTHEISS (zum Scharfrichter): Jetzt frage ich dich, Schlesinger:
Was macht man mit solchen Leuten?
SCHARFRICHTER: Hren Sie, Platschek. Ein letzter Vorschlag. 300
Pfund auf ein Jahr.
PLATSCHEK: 60 Pfund auf zwei Jahre.
SCHULTHEISS: Wieviel ist das?
175
SCHARFRICHTER: 2,50 im Monat.
SCHULTHEISS: Meinetwegen. Aber die erste Rate jetzt sofort in bar.
PLATSCHEKf/egt 2,50 Pfund auf den Tisch): Ruber! Banditen! Wirk-
lich, man mu ein hoffnungsloser Idealist sein, um in diesem Land
zu leben. (Ab)
MINISTER (kommt durch eine kaschierte Tr): Wieviel?
icHULTHEiss: Zweieinhalb netto.
MINISTER: Nicht schlecht. (Nimmt das Geld und verschwindet)
JCHULTHEISS (zum Scharfrichter): Die Sache kommt in Schwung,
Schlesinger. (Hndeschtteln)
ENDE
Blick hinter die Kulissen
Die ganze Welt ist ein Theater, erklrte der Prinz von Dnemark.
Verllichen Quellen zufolge soll er aber noch mehr gesagt haben,
und zwar: ... Und jedes Theater ist ein Irrenhaus.
Er hatte nicht ganz unrecht. Denn es ist doch wirklich merkwr-
dig, da relativ intelligente Erwachsene Abend fr Abend auf ein
Bretterpodium klettern, sich in seltsame Gewnder hllen, sich
fettige Schminke ins Gesicht schmieren und ihre Nase mit Papp-
mache verlngern. Und dann stellen sie sich hin und rezitieren mit
groer Begeisterung einen Text, den irgend jemand vor langer Zeit
geschrieben hat. Ganz zu schweigen von der Oper, in der sie sich
oftmals benehmen, als wren sie reif fr den Psychiater.
Das Theater ist etwas Frchterliches. Und wir wrden uns be-
stimmt nicht damit einlassen, wenn wir nicht so irrsinnig in dieses
Irrenhaus verliebt wren...
PERSONEN: Podmanitzky
i. Sprecher
Shlomo Kinori
Kunstetter
Richter
Mundek
Veteran
Regisseur
Bulitzer
Hausfrau
Kischinowskaja
2. Sprecher
Sprecherin
Besucherin
Besucher
Frau Kunstetter
Rundfunksprecher
Stimme A
Stimme B
Stimme C
Polizist
Stimme
(Leise parodistische Musik.)
i. SPRECHER: Theater ist immer schn. Theater ist berall gleich. Im-
mer aufregend, immer wirblig, immer geht's ein bichen durch-
einander . . . Meine Damen und Herren, Sie hren jetzt ein Hr-
spiel . . . Es folgt jetzt eine Folge . . . Kurz und gut: Sie hren
jetzt eine Folge von Hrspielszenen aus dem Theater. Genauer:
aus den Hintergrnden des Theaters. Aus den wilden, uner-
forschten Hintergrnden des israelischen Theaters.
Aber es knnte ebensogut jedes andre Theater sein, auch das
unsre. Sie brauchen nur Ihnen bekannte Namen einzusetzen -
Namen von Schauspielern, von Regisseuren, von Kritikern - und
sofort wird Ihnen alles vertraut vorkommen.
(Applaus setzt ein.)
Da - was hren Sie?
(Applaus schwillt an.)
Ganz richtig: den Schluapplaus nach einer Theatervorstellung.
(Applaus auf dem Hhepunkt, Bravorufe.)
Kennen Sie das? Natrlich kennen Sie das. Das Stck ist zu Ende,
der Vorhang hebt sich, damit die Schauspieler sich verbeugen
knnen - er hebt sich immer aufs neue, damit die Schauspieler sich
immer aufs neue verbeugen knnen . . .
(Applaus auf die Erklrungen des Sprechers abgestimmt.)
. . . zuerst das ganze Ensemble, friedlich vereint - dann, grup-
penweise, die Darsteller der kleinen und kleinsten Rollen, die mit
freiem Auge von der Statisterie kaum zu unterscheiden sind,
dann, zu zweien oder dreien, die Darsteller der Nebenrollen - der
mnnliche Star - der weibliche Star - beide Stars - dann nochmals
die Nebenrollen - und dann, ehe nochmals die Stars kommen, ein
Episodist, der heute eine besonders starke Szene hatte und sich
ausnahmsweise einmal allein verbeugen darf . . .
RUFE: Bravo, Podmanitzky! Bravo! Hoch Podmanitzky! Jarden
Podmanitzky!
i. SPRECHER: Ja, es ist ein groer Tag fr Jarden Podmanitzky. Und
weil groe Tage fr Jarden Podmanitzky so selten sind, macht er
vollen Gebrauch davon . . .
(Applauskulisse bleibt gedmpft als Hintergrund.)
. . . verbeugt sich, so oft man ihn lt, schaukelt selig auf den Bei-
fallswogen - auch als der Beifall schon lngst wieder den andern
gilt, bezieht er ihn immer noch auf sich - zieht ihn hinter sich
her . . .
(Das Durcheinander gratulierender Stimmen.)
. . . durch die Kulisse - auf den Gang hinaus - und bis in seine
Garderobe.
(Trschlieen. Gleich darauf Klopfen.)
PODMANITZKY: Herein.
BESUCHERIN (erschauernd): Herr Podmanitzky . . . Jarden Podma-
nitzky . . .
PODMANITZKY: Gndige Frau?
BESUCHERIN: Darf ich Ihnen gratulieren? Sie waren phantastisch.
PODMANITZKY: Finden Sie? Das freut mich.
BESUCHERIN: SO gro wie heute abend sah ich Sie noch nie. Ich sa in
der ersten Reihe.
178
PODMANITZKY: Wirklich?
BESUCHERIN: Ich habe geweint. Ich habe heie Trnen geweint. Im
zweiten Akt . . .
PODMANITZKY (unterbricht): Im zweiten Akt war ich gar nicht auf der
Bhne.
BESUCHERIN: Nicht? Vielleicht habe ich deshalb geweint . . .
(Klopfen.)
PODMANITZKY: Herein.
BESucHER:Meinen Glckwunsch, Herr Podmanitzky. Heute haben
Sie uns restlos berzeugt!
PODMANITZKY: Ja -?!
BESUCHER: Schon in der Pause habe ich Ihr Loblied gesungen.
PODMANITZKY: Tatschlich?
BESUCHER: Ja. Ich konnte einfach nicht an mich halten. Seid alle ru-
hig, habe ich gesagt-mir gefllt er. Ich finde diesen Podmanitzky
sehr gut. Und wenn Ihr andrer Meinung seid, versteht Ihr nichts
vom Theater. Direkt ins Gesicht hab' ich ihnen das gesagt. Ohne
Scheu. Ich frchte mich nicht.
PODMANITZKY (satter): Sehr interessant.
(Klopfen, Tr wird sofort aufgerissen.)
KINORI(stolpert herin): Jarden, Jarden, wo sind Sie?
PODMANITZKY: Hier, mein Freund.
KINORI: Sie waren heute abend hervorragend.
PODMANITZKY: Lassen Sie die Komplimente, Shlomo. Sagen Sie mir
Ihre ehrliche Meinung.
KINORI: Sie waren hervorragend.
PODMANITZKY: Was heit das?
KINORI: Grandios. Kolossal.
PODMANITZKY: Noch!
KINORI: Pyramidesk! Synagogal! Klaustrophob!
PODMANITZKY: Was reden Sie? Ich war krank. Ich bin mit vierzig
Grad Fieber auf die Bhne gekommen. Im dritten Akt wre ich
beinahe in Ohnmacht gefallen.
KINORI: Nein! Nein! Sie waren unvergleichlich, Podmanitzky! Sie
haben das ganze Ensemble an die Wand gespielt! Plattgedrckt
haben Sie es! Abziehbilder haben Sie aus denen gemacht!
PODMANITZKY: Genug. Ich sagte Ihnen schon, da ich Komplimente
nicht vertragen kann. Lassen Sie mich in Frieden . . .He, wohin?
Warum gehen Sie, Kinori? Warten Sie auf mich, Kinori! So warten
Sie doch . . .
(Lrmkulisse abschwellend.)
i. SPRECHER: Shlomo Kinori wartet nicht. Keiner wartet. Jeder will
W9
seine verlogene Lobhudelei so rasch wie mglich loswerden - und
den Schauspieler, dem sie gilt, erst recht. Besonders einem Schau-
spieler wie Jarden Podmanitzky fllt man nicht gern in die Hnde.
Nicht einmal in der Mitte einer verkehrsreichen Strae.
(Straenlrm, dann das Gerusch eilig herannahender Schritte.)
PODMANITZKY: He, Shlomo Kinori! Warten Sie! He . . .
(Trillerpfeife.)
I c h m u I h n e n e t w a s T o l l e s e r z h l e n ! Wa r t e n S i e . . .
(Trillerpfeife.)
. . . He, Shlomo . . .
i. SPRECHER: Aber ein Podmanitzky lt so rasch nicht locker. Er
kann warten. Und als er viele Wochen spter den flchtigen Ki-
nori auf der Strae erspht . . .
(Laufende Fe.)
KINORI (keuchend, im Laufen): Lieber Gott im Himmel, hilf mir.
Jetzt in dieser Minute. Rette mich vor Jarden Podmanitzky. La
mich entkommen, lieber Gott. Taxi! Taxi! Taxi!!
Podmanitzky (schnaubt heran): Endlich. Da ich Sie endlich einge-
holt habe, Kinori. Wie geht es Ihnen? Sie haben sicherlich eine Mi-
nute Zeit fr mich. Wollen wir etwas Kaltes trinken?
KINORI: Nein, danke, Podmanitzky, danke vielmals, aber so gern
ich auch mchte - es geht nicht. Mein Taxi wartet. Taxi!!
PODMANITZKY: Immer ruhig, Kinori. Nur keine Hast. Trinken wir
etwas Kaltes.
KINORI: Ich mu laufen. Schultheiss wartet auf mich.
PODMANITZKY: Eben. Nehmen Sie einen Sessel und setzen Sie sich.
Das ist ein sehr angenehmes Kaffeehaus. Die kalten Getrnke hier
sind ausgezeichnet.
KINORI: Im Rathaus. Schultheiss wartet auf mich im Rathaus. In sei-
nem Amtszimmer. Um zwlf Uhr.
PODMANITZKY: Ausgezeichnet. Kellner! Zweimal Tee mit Milch.
Sehr hei.
KINORI: Genau um zwlf. Auf die Minute genau. Ich mu pnktlich
sein.
PODMANITZKY: Gewi, gewi. Ich will ja nur ein klein wenig mit Ih-
nen plaudern. ber Sie. ber Ihre eigenen Angelegenheiten. Re-
den wir von Ihnen, Kinori. HabenSie mich schon in meiner neuen
Rolle gesehn? Im Verblhten Nubaum?
KINORI: Noch nicht. Nchste Woche hole ich es bestimmt nach.
Und jetzt mu ich gehen. Schultheiss verreist heute nachmittag,
und wenn ich meine Angelegenheit bis dahin nicht -
PODMANITZKY: Dabei ist die Rolle, die ich im Verblhten Nu-
180
bum spiele, gar nicht so gro. Aber ich, Jarden Podmanitzky,
mache selbst aus dem kleinsten Auftritt eine Hauptrolle. Und was
fr eine. Warten Sie, ich lese sie Ihnen vor.
(Rascheln von Papier.)
KINORI: Vielleicht ein andres Mal. Wenn ich Schultheiss heute ver-
fehle -
PODMANITZKY: Dritter Akt, zweite Szene. Ein gutgekleideter Herr
tritt von rechts auf. Entschuldigen Sie, Madame, wann geht der
Zug nach St. Petersburg? Katharina Nikolajewna: Morgen vor-
mittag, Monsieur. Der gutgekleidete Herr, sanft: Wie schade,
Madame. Wie schade. Geht links ab. Nun?
KINORI: Nun? Sie wollten mir doch Ihre Rolle vorlesen?
PODMANITZKY: Wieso? Das ist schon die Rolle. Wie gefllt sie Ihnen?
Aufregend, was?
KINORI: Na ja. Klingt nicht schlecht. Man wird sehen. Aber jetzt
mssen Sie mich wirklich entschuldigen. Ich -
PODMANITZKY: Mein ganzer Text im Verblhten Nubaum besteht
aus diesen wenigen Worten. Erst durch mich, Jarden Podma-
nitzky, wird aus diesen wenigen Worten eine Rolle. Stanislawsky
sagte mir einmal: Merken Sie sich, Podmanitzky - es gibt keine
unbedeutenden Rollen. Es gibt nur unbedeutende Autoren. Na-
trlich htte ich in diesem Stck auch die Hauptrolle bekommen
knnen. Aber das wahre schauspielerische Genie, zum Beispiel
meines, beweist sich am besten in Nebenrollen.
KINORI: Sehr richtig. Und jetzt mu ich zu Schultheiss.
PODMANITZKY: Sicherlich interessiert es Sie, wie ich die Rolle auf-
fasse. Stanislawsky hat mich gelehrt, da man zuerst den Hinter-
grund jeder Rolle analysieren mu, ehe man sie berhaupt spielen
kann. Es gengt nicht, lieber Freund - so sagte er mir -, es ge-
ngt nicht, den Text auswendig zu lernen. Man mu den Charak-
ter des ganzen Menschen kennen, den man darstellen will. Seine
Trume, seine Enttuschungen, seine Mentalitt. Man mu sogar
wissen, ob er an Schlaflosigkeit leidet oder nicht. Man mu eins
werden mit der Rolle, mu mit ihr verschmelzen, mein lieber
Freund. Wenn Sie das nicht knnen, werden Sie nie ein Schauspie-
ler. Nach diesen Worten Stanislawskys habe ich mich mein Le-
ben lang gerichtet. Und als ich die Rolle des gutgekleideten Herrn
im Verblhten Nubaum bernahm, begann ich sie sofort zu
analysieren. Was ist's mit Ihnen, Sie gutgekleideter Herr? fragte
ich. Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Wohin gehen Sie?
KINORI: ZU Schultheiss. Sonst mu ich wieder zwei Wochen warten
und -
181
PODMANITZKY: Vielleicht ist dieser gutgekleidete Herr innerlich we-
niger vornehm als auen. Vielleicht ist er robust, vielleicht ein In-
valide, vielleicht ein Verbrecher. Ich gestehe, da ich nahezu eine
Woche vllig im dunkeln tappte. Aber eines schnen Mittags er-
wachte ich, setzte mich im Bett auf und hrte mich ausrufen: Er ist
klein und gedrungen! Er mu klein und gedrungen sein, es geht
gar nicht anders.
KINORI: Ich habe im Rathaus zu tun!
PODMANITZKY: Er ist mindestens um zwanzig Zentimeter kleiner als
ich.
KINORI: Um zwlf!
PODMANITZKY: Um zwanzig! Widersprechen Sie nicht! Und jetzt
wollen Sie wahrscheinlich wissen, wie ich das mache.
KINORI: Nein!!
PODMANITZKY: Aber Stanislawsky wollte es wissen. Stanislawsky
sagte mir einmal: Nicht jeder Versteller ist ein Schauspieler, aber
jeder Schauspieler ist ein Versteller. Verstehen Sie? Wenn ich
will, kann ich auf der Bhne wie ein Zwerg wirken, und wenn ich
will wie eine chinesische Porzellanfigur. Auerdem trgt er einen
Zwicker. Das war bei den gutgekleideten Herren jener Zeit b-
lich. Er ist weitsichtig. Nicht sehr, vielleicht zwei oder drei Diop-
trien - aber er braucht den Zwicker zum Sehen. Schlielich ist er
nicht mehr der Jngste. Das Haar an seinen Schlfen ist grau me-
liert. Vielleicht spiele ich auch eine kleine Andeutung von Ischias.
Ganz diskret, versteht sich . . .
KINORI: Herr Podmanitzky, ich kann wirklich nicht -
PODMANITZKY: Sie knnen wirklich nicht begreifen, wie dieser Mann
vor meinem geistigen Auge Gestalt angenommen hat. Ich will es
Ihnen verraten. Neulich im Autobus sa ich ihm gegenber. Und
wute sofort: Das ist er! Das ist der Typ, den ich im Verblhten
Nubaum darzustellen habe. Der und kein andrer. Ich fuhr bis
zur Endstation mit ihm, nur um ihn zu beobachten. Glauben Sie,
da er reich ist?
KINORI: Woher soll ich das wissen? Wie soll ich einen wildfremden
Mann im Autobus -
PODMANITZKY: Den meine ich nicht! Ich meine den gutgekleideten
Herrn im Verblhten Nubaum! Ist er reich? Nein, mein
Freund. Er ist nicht reich. Da staunen Sie, was? Gut gekleidet und
trotzdem nicht reich . . . Bleiben Sie sitzen!
KINORI: Es tut mir leid, jetzt mu ich aber . . .
PODMANITZKY: Oh, ich wei, was Sie sagen wollen. Jetzt mssen Sie
aber erfahren, warum er Katharina Nikolajewna nach dem Zug
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fragt. Ja, glauben Sie denn, da dieser lppische Zug ihn interes-
siert? Keine Spur. Er mu ganz einfach etwas fragen, mu mit ir-
gendeinem Menschen in diesem Augenblick ber irgend etwas re-
den, sonst wird er verrckt. Das ist es. Hier reie ich ihm die
Maske vom Gesicht und zeige das Leid, das ihn durchfurcht, das
ewige Leiden, die groe Einsamkeit. Wie lange ertrgt ein Mensch
diese Einsamkeit auf einer Bahnstation?
KINORI: Bis zwlf -
PODMANITZKY: Nein. Bis hierher und nicht weiter. Er kann nicht
mehr. Vor drei Monaten hat er sich scheiden lassen. Seither ist er
ein gebrochener Mann. Nicht nach auen hin, oh nein. Da lt er
sich nichts anmerken. Innerlich. Eine Saite seiner Seele ist geris-
sen. Er hat dieses Weib angebetet - ach, nicht wegen ihrer Schn-
heit, so schn war sie gar nicht, aber sie war eine Frau. Eine echte,
heibltige Frau. Und als er an jenem schicksalsschweren Abend
aus der Botschaft nach Hause kam . . .
KINORI: Um Himmels willen, das alles ist in der Rolle drin?
PODMANITZKY: . . . hrte er Stimmen aus dem Blauen Salon. Er
schlich auf Zehenspitzen nher und sah Margaret in Stanislawskys
Armen. Wie vom Schlag gerhrt stand er da, unfhig, einen Laut
hervorzubringen. Sein ganzes Leben zog blitzartig an ihm vor-
ber. Sein Heimatdorf, der alte Friedhof, der Schmied, der buck-
lige Schneider -
KINORI: Schultheiss -
PODMANITZKY: Schultheiss, der Schuster, seine erste Liebe, die Ml-
lerstochter, die berschwemmung . . . Dann wandte er sich ab
und ging davon, auf Zehenspitzen, wie er gekommen war. Vier-
zehn Tage spter wurde die Ehe geschieden. Der kleine Wladimir
blieb bei der Mutter. Er wuchs als ein komplexbeladenes Kind
heran, litt an chronischer Appetitlosigkeit, starrte aus groen
blauen Kinderaugen ins Leere . . .
KINORI: Lassen Sie meine Jacke los, Podmanitzky! Sie haben mir
schon zwei Kpfe abgedreht!
PODMANITZKY: Und jetzt verstehen Sie die Worte, die er an Katharina
Nikolajewna richtet. Wie schade, Madame, wie schade. Geht
links ab. Wem gilt sein Bedauern? Der Frau? Was ist ein Zug?
hat Stanislawsky mich einmal gefragt. Nein. In diesem einen Satz
liegt sein ganzes Mitleid mit der Kreatur, liegt alles Aufbegehren
gegen die Tyrannis des Schicksals. Warten Sie, ich spiele Ihnen die
Szene vor . . . Ich komme von rechts, nicht wahr . . . (Ruspert
sich) Entschuldigen Sie, Madame, wann geht der Zug nach St. Pe-
tersburg?
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KINORI: Punkt zwlf! Ich habe keine Sekunde mehr zu verlieren!
(Ein Sessel wird umgeworfen, rasch verklingende Schritte.)
PODMANITZKY: SO warten Sie doch! Wohin rennen Sie? He, Kinori!
Madame! Ich bin noch nicht fertig. He. Aufhalten! Aufhalten!
(Ausblenden.)
(Musik.)
1. SPRECHER: Zwei armselige Stze, aber sie umfassen die ganze Welt.
Das ist das Schicksal des Schauspielers. Und nicht einmal dieses
Schicksal hat er sicher. Auf irgendeiner Probe kann es geschehen,
da der Regisseur - ein Scharlatan, der keine Ahnung vom Theater
hat - die beiden Stze streicht, so armselig sind sie. Weil sie so
armselig sind. Das heit, weil er sie fr so armselig hlt. Der ah-
nungslose Idiot. Weil er nicht wei, da es die beiden wichtigsten
Stze im ganzen Stck sind. Da die ganze Welt in ihnen beschlos-
sen liegt. Dieser Mrder.
REGISSEUR (brllt): Halt! Podmanitzky! Den Satz Entschuldigen
Sie, Madame, wann geht der Zug nach St. Petersburg? brauchen
wir nicht. Er ist gestrichen.
PODMANITZKY (leise, traurig): Gewi, Herr Direktor.
REGISSEUR: Weg damit. Haben Sie verstanden?
PODMANITZKY (wie vorher): Gewi, Herr Direktor.
1. SPRECHER: Podmanitzky ist nicht gerade das, was man eine Sttze
des Ensembles nennt. Wie wrde sich nun der eben geschilderte
Vorgang mit einem abgehrteten Veteranen, einem an Kummer
gewhnten Routinier abspielen?
REGISSEUR: Halt! Hren Sie, Gustl. Sie haben hier einen sehr
wirkungsvollen Auftritt. Er wre vielleicht noch wirkungs-
voller, wenn wir den Satz Entschuldigen Sie, Madame, wann
geht der Zug nach St. Petersburg? streichen. Was halten Sie
davon?
VETERAN: Warum nicht. Geht auch. Ganz wie Sie wollen. So etwas
ist fr mich kein Problem. Wenn mein Regisseur mir sagt, da ich
einen Satz streichen soll, dann streiche ich den Satz, ohne auch nur
eine Silbe darber zu verlieren. Im vorliegenden Fall habe ich al-
lerdings den Eindruck, da es vom rein gefhlsmigen Stand-
punkt besser wre, nicht den ganzen Satz zu streichen. Vielleicht
sollte ich einfach sagen: Nach Petersburg, Madame?
REGISSEUR: Schn. Sagen Sie Nach Petersburg? oder noch besser:
flstern Sie es.
VETERAN: In Ordnung. Ich werde flstern. Ungefhr so. (Mit erho-
bener Stimme) Nach Petersburg?? Hahaha Nach Petersburg!!
Hahahaha . . .
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1. SPRECHER: Und jetzt die gleiche Szene mit einer wirklich ersten
Kraft, mit einem Spitzenschauspieler, mit dem Star des Hauses.
REGISSEUR: Bitte einen Augenblick! Entschuldigen Sie, meine Da-
men und Herren, wenn ich die Probe an einer so packenden Stelle
unterbreche, aber es scheint mir wichtig. Mir ist soeben etwas sehr
Sonderbares geschehen. Als Herr Bulitzer den Satz sprach: Ent-
schuldigen Sie, Madame, wann geht der Zug nach St. Peters-
burg? - als er diese Worte sprach, wurde mir hei und kalt vor
Aufregung, so hei und kalt, da ich mich kaum noch konzentrie-
ren konnte. Einem alten Hasen wie mir passiert so etwas nur sehr
selten, und es ist natrlich kein Wunder, da es mir gerade bei
Herrn Bulitzer passiert. Wer sollte derart gewaltige Wirkungen
hervorrufen knnen, wenn nicht ein Bulitzer. Das mu man gar
nicht ausdrcklich betonen. Trotzdem, oder vielleicht gerade des-
halb, habe ich den Eindruck, da der Ablauf dieser Handlungs-
phase eine solche Erschtterung nicht vertrgt. Da das Publikum
ihr einfach nicht gewachsen wre. Natrlich kommt es mir nicht
zu, einem Eleasar G. Bulitzer vorzuschreiben, was er sagen und
was er nicht sagen soll. Ich uere hier nur meine ganz unmageb-
liche, persnliche, aus einer tiefen Erschtterung herrhrende
Ansicht. Die Entscheidung hat selbstverstndlich Herr Bulitzer
zu treffen. Wie denken Sie darber, lieber Bulitzer? Scheint es Ih-
nen nicht auch, da Ihr Auftritt an Wirkung womglich noch ge-
winnen wrde, wenn man ihn ganz auf Ihre Persnlichkeit abstellt
und ihn durch keinen Text verwssert? Sollte dieser kleine Satz
nicht besser wegfallen?
BULITZER: Nein.
REGISSEUR: Der Satz bleibt. Bitte weiter.
(Musik.)
i. SPRECHER: Da Eleasar G. Bulitzer auf diesen Satz nicht verzich-
ten wollte, hatte noch einen anderen Grund: Er ging mit diesem
Satz von der Szene ab. Es waren seine Abgangsworte. Und jeder
Seminarist, jeder blutjunge Anfnger kennt die Bedeutung der
letzten Sekunden vor dem Abgang, kennt die entscheidende
Wichtigkeit der letzten Worte, die ein Schauspieler zu sprechen
hat, ehe er in der Kulisse verschwindet. Ein guter Abgang be-
kommt Applaus bei offener Szene, und wenn das Publikum in
Stimmung ist, kann eine richtige Ovation daraus werden. Aber
Applaus fllt nicht vom Himmel, und Abgangsapplaus schon gar
nicht. Er will erarbeitet sein. Vom Schauspieler erarbeitet und er-
trotzt. Denn der Autor kmmert sich nicht um ihn. Der Autor
kmmert sich nur um seinen eigenen, jmmerlichen Text. Sonst
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interessiert ihn nichts. Womglich noch schlimmer ist der Regis-
seur, der den Abgangsapplaus geradezu sabotiert, weil dadurch
angeblich das Tempo des Handlungsablaufs unterbrochen
wird. Tempo! Man glaubt es nicht. Mit was fr einer lcherlichen
Ausrede wird er nchstens daherkommen, um seine Eifersucht auf
den Erfolg des Schauspielers zu bemnteln? Er wei vor Neid und
Migunst gar nicht mehr, wie er den Schauspielern das Leben
sauer und die Kunst reizlos machen soll. Er scheut vor nichts zu-
rck, um seinen egozentrischen Standpunkt durchzusetzen. Aus
dem Dunkel des Zuschauerraums ertnt mitten in die Probe hin-
ein seine kreischende Stimme.
REGISSEUR(brllend): Halt! Halt!!! Frau Kischinowskaja! Ich habe
Ihnen schon tausendmal gesagt, da Sie an dieser Stelle keinen
Text haben. Sie verlassen die Szene ohne jede uerung. Sie sind
ein wortloses Stubenmdchen mit einem leeren Tablett in der
Hand, nicht mit einem Text im vollen Mund!
KISCHINOWSKAJA: Entschuldigen Sie vielmals. Ich wei, da ich
nur eine kleine verschreckte Hausgehilfin spiele, aber auch in
einer Hausgehilfin regen sich Gefhle. Und die Gefhlsregung,
die ich hier uere, liegt im Sinn der Rolle. Irgendwie mu ich
doch reagieren, wenn die Herrin des Hauses mich anfhrt:
Etroga, Sie haben schon wieder zuviel Salz in die Suppe
gegeben!
REGISSEUR: Genau darauf drfen Sie eben nicht reagieren, Kischi-
nowskaja! Sie sind eine Hausgehilfin ohne jede Reaktion und ohne
jedes Klassenbewutsein! Sie sind stumm! Sie sind taub! Sie sind
taubstumm! Bitte weiter.
1. SPRECHER: Und fortan geht Frau Kischinowskaja, weil sie eine dis-
ziplinierte Schauspielerin ist, auf jeder Probe von der Szene ab,
ohne ein Sterbenswrtlein zu sagen oder zu murmeln, ganz wie
der Regisseur es wnscht. Auf jeder Probe. Aber am Abend der
Premiere . . .
HAUSFRAU: Etroga, Sie haben schon wieder zuviel Salz in die Suppe
gegeben!
KISCHINOWSKAJA: Macht nichts, gndige Frau, dann schmeckt die
Suppe wenigstens nach etwas.
(Schwacher Abgangsapplaus.)
REGISSEUR (zwischen den Zhnen): Der Teufel soll sie holen.
SPRECHER: Das war die Stimme des Regisseurs. Aber er ist hilflos.
Frau Kischinowskaja hat immerhin einen, wenn auch schwachen
Abgangsapplaus herausgeschunden, und das macht ihr Mut fr
die nchste Vorstellung . . .
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HAUSFRAU: Etroga, Sie haben schon wieder zuviel Salz in die Suppe
gegeben!
KISCHINOWSKAJA: Macht nichts, gndige Frau, dann schmeckt die
Suppe wenigstens nach etwas. Aber Sie halten sich wahrscheinlich
fr eine groe Kchin. Sie wissen berhaupt alles besser. Leute
wie Sie sind schuld daran, da wir jetzt eine Inflation im Lande ha-
ben! (lacht diabolisch)
(Zuknallen einer Tr.)
(Donnernder Abgangsapplaus.)
i. SPRECHER: Haben Sie das gehrt? Das war ein Abgang. Gewi, der
Autor des Stcks erlitt einen Nervenzusammenbruch und be-
schwerte sich beim Direktor des Theaters in heftigen Worten ber
Frau Kischinowskaja. Aber seine Beschwerde wurde zurckge-
wiesen. Der Direktor des Theaters heit Kischinowsky und ist der
Gatte der bewhrten Schauspielerin.
(Musik.)
So kmpft der Regisseur gegen den Schauspieler, der Schauspieler
gegen den Autor, der Autor gegen den Theaterdirektor, so kmpft
jeder gegen jeden. Und einer gegen alle. Dieser eine, der gegen alle
kmpft und von allen bekmpft wird, ist der Kritiker.
Die intuitiven Fhigkeiten Jarden Podmanitzkys kamen ihm
diesmal sehr zustatten, schrieb der bekannte Kritiker J. L.
Grienbotter . . . Was heit das? Will er Podmanitzky beleidigen?
Was meint er mit diesmal ? Sonst nicht? Sonst ist Jarden Podma-
nitzky mitsamt seinen intuitiven Fhigkeiten eine Null? Und wel-
che Tcke spricht aus den Worten des ebenso gefrchteten Kriti-
kers Schmirkowitsch: Eine interessante Figur gab Jarden Pod-
manitzky. In seiner Schwche lag berzeugung, in seiner ber-
zeugung lag Schwche . . . Sollen diese infamen Spitzen, diese
Krnkungen und Ehrabschneidereien niemals aufhren? Kann
man gegen die Kritiker gar nichts unternehmen? Sind ihrer Will-
kr berhaupt keine Grenzen gesetzt?
(Dramatische, spannungsgeladene Musik.)
i. SPRECHER: Der Kse-Proze.
SPRECHERIN: ES war einmal ein Theaterkritiker, und zu unserem
grenzenlosen Bedauern war er nicht nur, sondern er ist noch im-
mer. Wie ein reiendes Raubtier, von unersttlichem Blutdurst
gejagt, durchstreift er die Landschaft des Theaters und holt sich
erbarmungslos seine Opfer. Niemand kann sich dem Terror, den
er verbreitet, entziehen. Am Tag nach einer Premiere suchen die
Menschen mit zitternden Fingern nach der Kritik, die er geschrie-
ben hat. Denn was Zalman Kunstetter schreibt, das gilt. Wenn
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Kunstetter ein Theaterstck lobt, dann rennen die Leute hinein,
auch wenn es noch so schlecht ist. Wenn Kunstetter ein Theater-
stck verreit, dann bleiben die Leute drauen, auch wenn es
noch so gut ist. So ging das Jahr um Jahr, ohne da sich auch nur
der leiseste Widerspruch geregt htte. Bis eines Tages im Heim des
allgewaltigen Kritikers das Folgende geschah . . .
(Musik.)
FRAU KUNSTETTER: Mchtest du noch einen kleinen Nachtisch, Lieb-
ling?
KUNSTETTER: Vielleicht etwas Kse, Liebling.
FRAU KUNSTETTER: Hier. Eine ganz neue Ksesorte. Ich sah sie heute
zum erstenmal auf dem Markt und habe sofort ein Stck fr dich
gekauft. Gut fr deine Magengeschwre, Liebling.
KUNSTETTER: Tausend Dank. Das ist lieb von dir, Liebling. Hm . . .
FRAU KUNSTETTER: Willst du den Kse nicht versuchen?
KUNSTETTER: Sofort, Liebling.
KUNSTETTER (probiert, heftiges Ausspucken; wild brllend): Was ist
das?!?
FRAU KUNSTETTER: Kse.
KUNSTETTER: Kse soll das sein? Schmeckt wie verfaulte Seife. Oder
wie vergiftete Watte. Ich wei nicht. Ich habe noch nie etwas
hnliches im Mund gehabt. Wer wagt es, dieses Zeug auf den
Markt zu bringen? Zeig her!
FRAU KUNSTETTER: Reg dich nicht auf, Zalman. Der Doktor sagt -
KUNSTETTER: Zeig her! Staatliche Kserei-Gesellschaft!! Unver-
schmt. Darber schreibe ich gleich morgen. Die werden eine
Kritik zu lesen bekommen, da ihnen Hren und Sehen vergeht.
FRAU KUNSTETTER: Um Himmels willen, Zalman . . .
KUNSTETTER: Kein Wort! Spann die Schreibmaschine ein und bring
mir ein Glas Wasser! Und etwas Schwefelsure . . .
(Pausenzeichen einer Station.)
RUNDFUNKSPRECHER: In der heutigen Morgenausgabe des Prell-
bocks verffentlicht der bekannte Kritiker Zalman Kunstetter
unter dem Titel Ein nationales Unglck einen scharfen Artikel,
in dem es unter anderem heit: Dieser Tage wurde den wehrlo-
sen Einwohnern unseres Landes ein gelbes, belriechendes,
schwammartiges Erzeugnis zum Kauf angeboten, das von seinen
Herstellern aus unerfindlichen Grnden als >Kse< bezeichnet
wird. Nur skrupellose Verbrecher sind imstande, dem menschli-
chen Magen so etwas zuzumuten. Wir zweifeln nicht, da das Pu-
blikum den Angriff auf seine Gesundheit abwehren und das ab-
scheuliche Produkt boykottieren wird.
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SPRECHERIN: Mit dieser Verffentlichung schien - wie immer, wenn
Zalman Kunstetter eine Kritik verffentlicht hatte - das letzte
Wort gesprochen. Aber die Staatliche Kserei-Gesellschaft war
offenbar anderer Ansicht und brachte gegen Kunstetter Klage ein.
Das Publikum teilte sich scharf in zwei Lager.
(Straenlrm, fahrender Autobus, Stimmen.)
STIMME A: Entschuldigen Sie, aber Kunstetter hat das Recht, auch ei-
nen Kse zu kritisieren. Er hat das Recht zur freien Meinungsu-
erung wie jeder andere. Nein, lassen Sie mich ausreden -
STIMME B: Aber das ist doch gar nicht das Problem. Entweder glau-
ben wir an ehrliche Kritik, oder - unterbrechen Sie mich nicht -
oder wir glauben an ehrlichen Kse - das heit -
STIMME C: Bldsinn. Die Frage ist nicht, ob Kunstetter recht hat,
sondern ob der Kse recht hat - das heit die Staatliche -
STIMME A: Das-heit, da Sie ein Idiot sind!
STIMME B: Bitte keine unqualifizierbaren uerungen!
STIMME C: Bitte keinen ungeniebaren Kse!
STIMME A: Das knnen Sie Ihrer Gromutter erzhlen! Oder Ihrer
Frau!
STIMME B: Der knnen Sie gleich auch den staatlichen Kse zu essen
geben!
STIMME C: Lassen Sie meiner Frau den Kse in Ruh - ich meine -
STIMME A: Alter Tepp!
STIMME B: Trottel!
STIMME C: Kretin!
(Wilde Geruschkulisse, Stimmenwirrwarr, Trillerpfeife.)
POLIZIST: Auseinandergehen . . . Keine Raufhndel auf offener
Strae . . . Auseinander . . .
STIMMEN: Kunstetter hat recht . . . Er versteht berhaupt nichts von
Kse . . . Da versteht er noch eher etwas vom Theater . . . Aus-
einandergehen . . . Im Gegenteil . . . Der Kse ist ausgezeich-
net . . . Kunstetter ist ungeniebar . . . Auseinandergehen . . .
Ruhe. . . Ruhe. . .
(Ausblenden.)
SPRECHERIN: Kunstetters Vortrag im Knstlerklub fand unter schwe-
rer Polizeibedeckung statt. Alle Eintretenden wurden auf Waffen
untersucht.
KUNSTETTER (brllt): Ich wiederhole und werde es immer aufs neue
wiederholen: Dieser Kse eignet sich nicht fr den menschlichen
Konsum, er ist lebensgefhrlich, er ist geschmackswidrig, er ist
sittenwidrig, er ist ein Kapitalverbrechen, er ist berhaupt kein
Kse, aber er hat auch keine anstndigen Lcher, er ist das vollen-
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dete, verchtliche Nichts! Freie Brger unseres Landes, boykot-
tiert dieses unaussprechliche Produkt!
(Donnernder Applaus, der allmhlich in die Geruschkulisse eines
Gerichtssaals bergeht.)
SPRECHERIN: Wenige Tage spter folgte die Gerichtsverhandlung ge-
gen Zalman Kunstetter. Auf dem Weg von seinem Heim ins Ge-
richtsgebude wurde er von einer berittenen Schutzmannschaft
eskortiert, um ihn gegen krperliche Angriffe zu sichern. Ein-
trittskarten fr den Proze gingen am schwarzen Markt zu Re-
kordpreisen ab.
(Hammerschlge des Vorsitzenden. Ruhe.)
RICHTER: Zalman Kunstetter, Sie stehen unter der Anklage der Ver-
leumdung, der vorstzlichen Beleidigung und Verchtlichma-
chung, der blen Nachrede und der schweren Geschftsschdi-
gung. Bekennen Sie sich schuldig?
KUNSTETTER: Nein. Niemals. Wenn ich berhaupt etwas bedaure,
dann nur, da ich keine strkeren Ausdrcke gebraucht habe.
Aber so ist das immer bei mir. Ich drcke mich eben viel zu sanft
und schonungsvoll aus.
RICHTER: Warum haben Sie geschrieben, da dieser Kse schlecht
schmeckt?
KUNSTETTER: Die Antwort ist einfach: weil er schlecht schmeckt.
RICHTER: Sind Sie denn ein Fachmann fr Kse?
KUNSTETTER: Das kann man wohl sagen. Ich esse Kse seit meinem
dritten Lebensjahr.
RICHTER: Ich meine: Verstehen Sie etwas von der Kseerzeugung?
Kennen Sie die einschlgigen Prozeduren?
KUNSTETTER: Entschuldigen Sie - ich bin ein Kritiker, kein Ksefa-
brikant.
STIMME A: Bravo.
RICHTER: Ruhe! Herr Kunstetter- wenn Ihnen der Kse geschmeckt
htte, htten Sie dann ber ihn eine gute Kritik geschrieben?
KUNSTETTER: Meinen Sie das im Ernst? Haben Sie schon jemals eine
gute Kritik ber einen Kse gelesen?
RICHTER: Nach den von uns angestellten Erhebungen findet das
breite Publikum an diesem Kse Geschmack.
KUNSTETTER: Weil das breite Publikum keinen Geschmack hat. Ich
sag's ja immer. Der Staat sollte eine Schule fr ffentliche Ge-
schmacksbildung errichten, statt Kse zu erzeugen.
RICHTER: Das ist vielleicht Ihre private Meinung.
KUNSTETTER: Nein. Das ist die Meinung von Zalman Kunstetter.
(Lrm im GerichtssaaL Hammerschlge.)
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RICHTER: Wenn noch einmal Unruhe entsteht, lasse ich den Saal ru-
men. Herr Kunstetter, sind Sie bereit, sich vereidigen zu lassen?
KUNSTETTER: Jawohl. Bitte sehr. Ich schwre bei der Unfehlbarkeit
meiner Kritiken, da dieser Kse vollkommen unbrauchbar und
ungeniebar ist, so wahr mir Gott helfe.
(Lrmen und Hammerschlge.)
RICHTER: Stehen Sie auf, Herr Kunstetter. Ich schreite nunmehr zur
Urteilsverkndung. Der Theaterkritiker Zalman Kunstetter wird
der Verleumdung, der vorstzlichen Beleidigung und Vercht-
lichmachung, der blen Nachrede und der schweren Geschfts-
schdigung schuldig gesprochen und zu einer Gefngnisstrafe von
zwei Jahren sowie zur Zahlung einer Schadenersatzsumme von
15.000 Pfund an die Staatliche Kserei-Gesellschaft verurteilt. Be-
grndung: Es ist im Rahmen der Gesetze nicht zulssig, die f-
fentliche Meinung bezglich der Qualitt eines Kseerzeugnisses
zu beeinflussen und das Publikum einseitig davon berzeugen zu
wollen, da der betreffende Kse schlecht ist . . .
(Langsam ausblenden.)
SPRECHERIN: SO etwas darf man nur mit Schauspielern machen. Was
dem Kse recht ist, ist dem Theater noch lange nicht billig. Und
deshalb hat Zalman Kunstetter von da an wieder ausschlielich
ber Schauspieler, Regisseure und Schriftsteller geschrieben.
Denn ber Kse durfte er nicht mehr.
(Musik.)
(Straenlrm.)
SPRECHER: Wir sind wieder einmal auf freiem Feld, das heit auf offe-
ner Strae. Und da ist es wohl nur eine Frage von Sekunden, wann
wir unsrem alten Freund Jarden Podmanitzky wiederbegegnen
und er seinem alten Freund . . .
PODMANITZKY: Kallo, Kinori! Da man Sie wieder einmal sieht! Wie
steht's?
KINORI: Danke, man lebt. Und man hat es eilig. Gerade jetzt mu ich
-Taxi!!
PODMANITZKY: Immer diese Hast, Kinori. Was Sie brauchen, ist ein
wenig Ruhe. Eine kleine Schnaufpause. Setzen wir uns fr ein paar
Minuten hier ins Kaffeehaus.
KINORI: Aber ich mu -
PODMANITZKY: Ja, gleich hier. Ganz wie Sie wollen. Um mit Ihnen
plaudern zu knnen, ist mir alles recht. Kellner! Zweimal Tee mit
Milch. Also, Kinori - was treiben Sie immer?
KINORI: Nichts Besonderes. Ich habe Die Kosaken gesehen . . .
PODMANITZKY: Lassen Sie das, Kinori, ich bitte Sie. Warum glauben
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Sie eigentlich, da Sie immer gleich vom Theater anfangen ms-
sen, wenn Sie einen Schauspieler treffen? Kommt Ihnen nie der
Gedanke, da uns das langweilt? Wir interessieren uns schlielich
auch fr andere Dinge, die in der groen Welt vorgehen.
KINORI: Sie beschmen mich, Herr Podmanitzky. Ich will's mir
merken.
PODMANITZKY: ES ist immer dasselbe. Kaum sehen Sie mich, be-
komme ich von Ihnen auch schon zu hren, wie groartig ich in
meiner letzten Rolle war. Als ob man auf diese ewigen Kompli-
mente versessen wre. Darf denn ein Schauspieler nur ber
sich selbst reden? Schn, ich habe in den Kosaken gespielt,
ich habe das Meinige getan, schn und gut - aber jetzt ist es
genug.
KINORI: Sie haben in den Kosaken gespielt?
PODMANITZKY: Was?! Sie erinnern sich nicht?!
KINORI: Nein - das heit- einen Augenblick- natrlich! Sie waren ja
- Sie haben ja die Rolle -
PODMANITZKY: Ganz richtig.
KINORI: Ja. Und Sie waren hervorragend.
PODMANITZKY: Fangen Sie schon wieder an, Kinori? Ich habe Sie
doch gebeten . . .
KINORI: Verzeihung. Es geschah aus Vergelichkeit. (Pause)
Tja . . . Der Sommer ist im Land. Man merkt' s an der Hitze.
PODMANITZKY: Und wie hat es Ihnen gefallen?
KINORI: Was?
PODMANITZKY: Das Stck.
KINORI: Welches Stck?
PODMANITZKY: Die Kosaken.
KINORI: Ach so. Groartig. Es war groartig. Ich glaube, nicht ein-
mal Kunstetter fand etwas daran auszusetzen.
PODMANITZKY: Kunstetter? Wer ist das?
KINORI: Aber Herr Podmanitzky! Sie werden doch unseren fhren-
den Theaterkritiker kennen!
PODMANITZKY: Mein lieber junger Freund - es ist jetzt ungefhr
zwanzig Jahre her, seit ich die letzte Kritik gelesen habe. Wozu
soll ich mich rgern? Darber bin ich, Gott sei Dank, hinaus. Ich
habe es mir zur Gewohnheit gemacht, die betreffende Seite in den
Zeitungen zu berblttern. Und wenn ich sie trotzdem einmal irr-
tmlich aufschlage, lege ich sofort die ganze Zeitung weg.
KINORI: Sehr vernnftig!
PODMANITZKY: Nehmen Sie zum Beispiel Ginzenstein von der
Theaterwoche. Man erzhlt mir, er htte ber meine groe
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Szene im zweiten Akt - wie ich den letzten Schluck Wasser aus
meiner Feldflasche nehme und mir nicht anmerken lasse, da es
der letzte Schluck ist -, darber htte also dieser Ginzenstein ge-
schrieben: Podmanitzky erreicht hier einen Gipfel der Schau-
spielkunst.
KINORI: Wasser? Feldflasche? Ach ja, ich entsinne mich. Der letzte
Schluck Wasser aus der Feldflasche. Hervorragend!
PODMANITZKY: Genau das sagte auch David Steiner in der Tglichen
Rundschau. Und jetzt frage ich Sie: Wer ist auf diese oberflchli-
chen Lobhudeleien neugierig? Mu man einem Jarden Podma-
nitzky erst sagen, da er Theater spielen kann? Nein, wirklich,
mein Lieber - reden wir von etwas andrem!
KINORI: Wie recht Sie doch haben. Gerade jetzt, wo in der Welt die
ungeheuerlichsten Dinge vorgehen. Man ist einem neuen Verfah-
ren auf der Spur, um die Energie der Sonnenstrahlen mit der
Atomenergie zu koppeln. Wissen Sie, was das bedeutet?
PODMANITZKY: Ich kann's mir denken. Oder sind Sie vielleicht auch
der Meinung, da ich im letzten Akt, kurz bevor der Herzog
stirbt, versagt habe?
KINORI: Welcher Herzog?
PODMANITZKY: Der Herzog.
KINORI: Der Herzog. Wer denn sonst. Aber da waren Sie doch sehr
gut! Wer behauptet das Gegenteil?
PODMANITZKY: Josef Jablonek vom Jungen Arbeiter. Kinori -
wenn auch Sie den Eindruck hatten, da ich nicht gut war, dann
sagen Sie es mir.
KINORI: Nein, nein. Sie waren ausgezeichnet, Herr Podmanitzky.
Allerdings ein wenig wie soll ich mich ausdrcken? - ein wenig
zurckhaltend.
PODMANITZKY: Sie meinen offenbar die Szene, in der die Verschw-
rung entdeckt wird?
KINORI: Ja, wieso. Welche Verschwrung?
PODMANITZKY: Gegen den Kardinal.
KINORI: Gegen den Kardinal. Natrlich.
PODMANITZKY: Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Aber meine
Zurckhaltung war Absicht. Ich stehe stumm da und blicke vor
mich hin. ber diesen Blick hat Rafael Kirschner im Rundfunk
gesprochen, letzten Donnerstag um 16 Uhr 15. ber diesen Blick
sagte er- warten Sie, ich hab's mir zufllig aufgeschrieben -: u-
erste Verzweiflung und tiefste Trauer lagen in diesem Blick.
Und jetzt schauen Sie einmal her, wie ich blicke. Ist das ein Blick,
Kinori?
'93
KINORI: Es ist ein Blick von noch nicht dagewesener Ausdrucks-
kraft, Herr Podmanitzky.
PODMANITZKY: Ach Gott, schon wieder diese leeren Komplimente.
Ich brauche Kritik, mein Freund, ehrliche Kritik. Sagen Sie mir
ganz ehrlich: Welches war meine beste Szene?
KINORI: Alle Ihre Szenen waren groartig.
PODMANITZKY: Gewi. Aber eine mu doch wohl die beste gewesen
sein. Welche?
KINORI: Hm. Das ist schwer zu entscheiden . . . Wissen Sie was? Sie
sagen mir Ihre Auftritte - einen nach dem andern -, und ich sage
Ihnen, welcher mir am besten gefallen hat.
PODMANITZKY: Gut. Also da war der Auftritt mit dem unterdrckten
Schluchzen.
KINORI: Richtig. Das war berwltigend. Das war niederschmet-
ternd.
PODMANITZKY: Und dann die Szene im Feldlager, in der ich mich in-
nerlich zerfleische. Und die Szene am Schlu des letzten Akts,
wenn ich ein leichtes Hinken vortusche, um das Reh hinauszu-
tragen.
KINORI: Das Reh?
PODMANITZKY: Ja. Was wundert Sie?
KINORI: Ich denke nach. Ich glaube, diese Szene hat den grten
Eindruck auf mich gemacht. Wie Sie dieses arme, zitternde Tier an
sich drcken - ich htte weinen knnen.
PODMANITZKY: Wieso Tier? Das Reh! Die Fahne mit dem Symbol der
Revolution!
KINORI: Eben. Das war's. Da waren Sie voll auf der Hhe.
PODMANITZKY: Ich wei. Aber Herr Schmirkowitsch von der
Abendpresse schreibt wrtlich: In der Hinkszene war Podma-
nitzky nicht auf der Hhe. Wie gefllt Ihnen das?
KINORI: Groartig. Ich meine das Reh. Schmirkowitsch ist ein klei-
ner Niemand.
PODMANITZKY: Sie irren. Schmirkowitsch hat mich seit siebzehn
Jahren. Vor siebzehn Jahren habe ich ihm auf den Kopf zugesagt,
da er Gallensteine hat, und seither verfolgt er mich mit seinem
tdlichen Ha. Erinnern Sie sich an meinen Text beim Ausbruch
der Revolution? (Deklamiert) Es darf jetzt keiner / Und sei er
noch so niedrig, so gering/Er darf jetzt nicht zurckstehn! Keiner
Keiner! An dieser Stelle habe ich fast immer Szenenapplaus. Ich
habe ihn, nicht die Stelle. Und da schreibt ein Herr Schmirko-
witsch, da ich meinem Text nicht gewachsen bin. (Aufbrllend)
Nicht gewachsen! Ich - nicht gewachsen!!
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KINORI: Beruhigen Sie sich, Herr Podmanitzky. Ich habe Sie ja gese-
hen! Sie waren groartig.
PODMANITZKY: Wei ich. Aber wissen Sie, was Herr Gamzu ge-
schrieben hat?
KINORI: Ich habe es nicht wrtlich im Gedchtnis.
PODMANITZKY: Ein Glck fr Sie, da ich Ihnen aushelfen kann. Zu-
fllig habe ich das Album bei mir, in das ich meine Kritiken ein-
klebe.
(Ein schwerer Foliant wird auf die Tischplatte geworfen, Blttern.)
Alphabetisch nach den Namen der Kritiker geordnet . . . Warten
Sie . . . Grudensky, Ginsenstein, Gelber, Gamzu. Da haben
wir's:
Herr Podmanitzky sollte seine Versuche, sich in kleinen Szenen
in den Vordergrund zu spielen, endlich aufgeben. Es langt nicht.
(Schreiend) Mir langt's! Womit habe ich das verdient? Womit?
Wodurch?! Wie komme ich dazu?!
KINORI: Kein Grund zur Aufregung, Herr Podmanitzky. Sie waren
groartig. Und jetzt reden wir wirklich von etwas andrem. Ver-
gessen Sie die Kritiker.
PODMANITZKY (wimmernd): Es geht nicht. Sie erscheinen mir noch
im Schlaf. Kein Mensch auf Erden kann seiner selbst so sicher
sein, da er nicht manchmal an sich zweifeln mte. Das ist das
Zeichen echten Knstlertums. Es geht nicht. Ich denke zum Bei-
spiel an die schielende Frau.
KINORI: Ja. Sie war groartig.
PODMANITZKY: Nein. Ich spreche von einer Frau im Zuschauerraum.
Nach jeder Premiere kommt sie in meine Garderobe, umarmt
mich trnenberstrmt und sagt mit einer vor Anbetung erster-
benden Stimme: Unfalich . . . unfalich . . .
KINORI: Wer ist sie?
PODMANITZKY: Keine Ahnung. Sie schielt. Mehr wei ich nicht von
ihr. Und diesmal, nach der Premiere der Kosaken . . .
KINORI: Kam sie nicht?
PODMANITZKY: Doch. Sie kam.
KINORI: Sie hat Sie nicht umarmt? Sie war nicht trnenberstrmt?
PODMANITZKY: Sie strmte wie immer. Aber sie sagte nicht: Unfa-
lich, unfalich. Sie umarmte mich stumm. Sie strmte, ohne zu
sprechen. Warum?
KINORI: Vielleicht war sie heiser.
PODMANITZKY: Sie glauben?
KINORI: Ich bin sicher.
PODMANITZKY: ES wre eine Mglichkeit. Aber warum, wenn das so
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ist, warum schreibt dann Ben Rappaport im Tagesboten, da
meine Rollenauffassung sich nicht mit der des Autors deckt?
KINORI: Das kann auch gegen den Autor gerichtet sein.
PODMANITZKY (steigert sich in immer heftigere Erregung): Nein! Es
richtet sich gegen mich!! Ich kenne Rappaport! Nehmen Sie die-
sen Lumpen nicht in Schutz, das verbitte ich mir! Wissen Sie, was
ich mit ihm mache, wenn ich ihn nchstens treffe? Ich erwrge ihn
mit meinen bloen Hnden . . . so . . .
KINORI (rchelnd): Loslassen . . . losla . . .
PODMANITZKY (im Nahkampf): Da, du Hund . . . Da hast du . . .
(Deklamiert keuchend) Nimm, Bastard, diesen Hieb . . . Und
diesen hier auf dein verruchtes Haupt . . . Dem noch die Enkel-
kinder fluchen werden . . . Fahr hin, Despot . . .
KINORI (hat sich endlich befreit): Gott sei Dank . . . Taxi . . .
Taxi. . .
(Rennt davon.)
PODMANITZKY: Feige Memme. Zu den Kritikern mit dir. Ich verachte
euch alle.
(Musik.)
i. SPRECHER: Feinde innen, Feinde auen, Feinde berall. Wo
soll der Schauspieler Ruhe und Erholung finden? Vielleicht zu
Hause?
(Telefon lutet.)
PODMANITZKY: Hier Jarden Podmanitzky.
STIMME: Wie geht's, lieber Freund? Hier ist Rockefeller. Sie kennen
mich doch.
PODMANITZKY: N - nicht sehr gut, frchte ich.
STIMME: Aber, aber. Sie werden doch schon Bilder von mir gesehen
haben. In den Zeitungen. Und wenn nicht von mir, dann von mei-
nem Bruder. Wir sehen einander sehr hnlich.
PODMANITZKY: Sie sind - der Millionr Rockefeiler?
STIMME: Ach, sagen wir: ein Angehriger der Millionrsfamilie.
PODMANITZKY: Natrlich. Selbstverstndlich. Und darf ich fragen,
was . . .
STIMME: Ich mchte gerne Ihr neues Stck sehen.
PODMANITZKY: Selbstverstndlich.
STIMME: Knnen Sie mir Freikarten verschaffen?
PODMANITZKY: Wie bitte?
STIMME: Ich brauche zwei gute Pltze, mglichst weit vorn. Einer da-
von soll ein Ecksitz sein. In Ordnung?
PODMANITZKY: Ja, ich wei nicht recht . . . Meine eigenen Freikarten
sind . . . Ich selbst habe keine bei mir.
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STIMME: WO knnte ich sie abholen?
PODMANITZKY: Hm - ja . . . Das ist nicht so einfach . . . Da mte
man erst schriftlich in der Direktionskanzlei - mit meiner Gegen-
zeichnung . . .
STIMME: Macht nichts. Ich schicke Ihnen sofort meinen Chauffeur,
der unterwegs die ntigen Formulare abholen wird, und die brau-
chen Sie dann nur auszufllen.
PODMANITZKY: Leider, leider. Das geht nicht. Ich verreise in wenigen
Minuten.
STIMME: Wohin?
PODMANITZKY: ZU einem Gastspiel in die Provinz.
STIMME: Mit der Bahn?
PODMANITZKY: Mit dem Bus.
STIMME: Um so besser. Mein Chauffeur wird mit den Formularen
hinter Ihrem Bus herfahren. Wo steigen Sie ab?
PODMANITZKY: Das wei ich noch nicht.
STIMME: Auch gut. Wenn Sie's wissen, schicken Sie mir ein Tele-
gramm. Hierher. Und natrlich auf meine Rechnung.
PODMANITZKY: Gut . . . An welche Adresse?
STIMME: Hm . . . Warten Sie - damit keine Verzgerungen eintre-
ten . . . Ich heirate nmlich heute nachmittag. Deshalb will ich ja
meine junge Frau am Abend ins Theater fhren. Hm . . . Wissen
Sie was? Ich verschiebe die Hochzeit, und Sie telegrafieren mir
nach Hause. Mein Chauffeur kommt Ihnen dann mit den Formu-
laren nach.
PODMANITZKY: Ja, so wird es am einfachsten sein. Es gibt da nur noch
eine kleine Schwierigkeit, Mister Rockefeiler. Man wird Ihrem
Chauffeur die Formulare nicht aushndigen, wenn er nicht einen
von mir gezeichneten Anforderungszettel mitbringt.
STIMME: Richtig. Und wie komme ich zu diesem Zettel?
PODMANITZKY: Ganz leicht. Ich glaube, Sie wohnen in der Nhe der
Feuerwehrzentrale, nicht?
STIMME: Ja.
PODMANITZKY: Na sehen Sie. Also ich mache folgendes: Ich znde
meine Wohnung an, und wenn die Feuerwehr kommt, gebe ich
den Zettel einem von den Feuerwehrmnnern fr Sie mit. Ist Ih-
nen das recht?
STIMME: Gewi. Sie knnen sofort mit dem Anznden beginnen.
PODMANITZKY: Ja, gerne - einen Augenblick . . . So ein Pech. Ich
entdecke soeben, da ich keine Zndhlzer habe.
STIMME: Soll ich Ihnen mit meinem Privathubschrauber welche
schicken?
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PODMANITZKY: Dafr wird es jetzt leider schon zu spt sein. Mein
Bus hupt bereits.
STIMME: Ach, wie dumm. Jetzt bin ich aber wirklich ratlos. Was tun
wir?
PODMANITZKY: Ich htte einen Vorschlag.
STIMME: Ja?
PODMANITZKY: Sie gehen zur Abendkasse und kaufen zwei Eintritts-
karten, Mister Rockefeiler.
STIMME: Sie meinen - kaufen? An der Abendkasse? Das wre ja. viel
zu kompliziert . . . Karten kaufen . . . Hat man so etwas je ge-
hrt . . .
(Musik.)
i. SPRECHER: Als wre es nicht genug an den bisher geschilderten Ka-
tastrophen, die dem Schauspieler das Leben verbittern, als htte er
nicht genug unter Regisseuren, Kollegen, Kritikern, Autoren,
Verehrern und Freikartenschnorrern zu leiden - die frchterlich-
ste Katastrophe lauert in der Kulisse: der gewerkschaftlich organi-
sierte Bhnenarbeiter. Er ist es, der den armen Schauspieler rest-
los zugrunde richtet.
Betrachten wir doch einmal Jarden Podmanitzky, wie er jetzt des
Weges kommt: bleich, ausgemergelt, leeren Blicks, dunkle Ringe
um die Augen, gebckt und mde . . . Sie sehen etwas angegriffen
aus, Herr Podmanitzky. Was ist geschehen?
PODMANITZKY (dumpf): Mundek.
i. SPRECHER: Verzeihung - was?
PODMANITZKY: Mundek. Er bringt mich ins Grab.
i. SPRECHER: Wer?
PODMANITZKY: Wollen Sie sagen, da Sie noch nie von Mundek ge-
hrt haben? Wo leben Sie, Herr? Mundek ist der lteste Kulissen-
schieber an unserem Theater. Und wenn ich demnchst abkratze,
wird die Welt ihn und niemanden sonst fr meinen Tod verant-
wortlich zu machen haben.
SPRECHER: Sie bertreiben, Herr Podmanitzky.
PODMANITZKY: Ich? Mundek bertreibt. Er ist ein kolossaler Kerl,
berstend vor Energie und vollkommen zahnlos. Ich wei nicht,
wie er in dieses Theater gekommen ist. Er sagt, er hat es gegrn-
det. Miverstehen Sie mich nicht. Ich bin kein Reaktionr. Im Ge-
genteil, die Arbeiterklasse hat an mir seit jeher einen Freund ge-
habt. Aber wenn ich an Mundek denke, sehne ich mich manchmal
nach den guten, alten Feudalzeiten zurck. Das ganze Land liegt
mir zu Fen- das wissen Sie ja - man jubelt mir zu, wo immer ich
erscheine -, und dieser Mundek behandelt mich wie irgendeinen
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Komparsen. Nur ein Beispiel. In einer der letzten Vorstellungen
von Richard II. beginne ich meinen berhmten Monolog im
fnften Akt - spreche Shakespeares unsterbliche Verse, wie nur
ich sie sprechen kann - Ich habe nachgedacht, wie ich der Welt /
Den Kerker, wo ich lebe, mag vergleichen - das Publikum
hngt an meinen Lippen - und pltzlich, neben mir in der
Kulisse und mitten in die atemlose Stille hinein, schneuzt dieser
Mundek drhnend seine Nase und sagt zu ein paar Bhnen-
arbeitern:
MUNDEK: Kinder, wie wr's mit einem kleinen Spielchen?
(Gerusch von Spielkarten.)
PODMANITZKY: SO laut sagt er das, da man es bis in die erste Parkett-
reihe hrt. Und whrend ich, Jarden Podmanitzky, heute wahr-
scheinlich der bedeutendste Shakespeare-Darsteller der Welt, den
Monolog Richards II. spreche, sehe ich in der Kulisse Herrn
Mundek und die anderen Herren Kulissenschieber Karten spie-
len, als ob die Welt ihnen gehrte. Jetzt frage ich Sie: Was htten
Sie an meiner Stelle getan?
SPRECHER: Ich htte sie gebeten aufzuhren.
PODMANITZKY: Machen Sie sich nicht lcherlich. Sind Sie ein Baby?
Oder ein Kritiker? Glauben Sie, man knnte diesen Leuten mit
Vernunft beikommen? Nehmen Sie Mundek, in einem andern
Stck. Jeden Abend bringt er ein halbes Kilo Kse, ein Laib Brot
und zwei groe Rettiche mit - und pnktlich im zweiten Akt,
whrend meiner groen Liebesszene, beginnt er zu fressen. Ich
soll eine Prinzessin verfhren, ich soll ihr kniend den Schlssel zu
meiner Geheimtruhe berreichen - und kaum knie ich mich hin,
beit Mundek in den Rettich, da es kracht. Was sage ich: kracht.
Es drhnt. Vom Geruch ganz zu schweigen. Wie oft habe ich ihn
schon angefleht: Mundek, ich beschwre Sie, fressen Sie Ihren
Rettich etwas spter oder meinetwegen frher, aber doch nicht ge-
rade whrend meiner Liebesszene! Und was sagt Mundek? Es
tte ihm leid, sagt er, aber er pflege sein Nachtmahl seit vierzig
Jahren regelmig um 9 Uhr einzunehmen, und wenn uns das
nicht recht wre, dann mten wir eben die Liebesszene verlegen.
Sie halten also Ihren Rettich fr wichtiger als meine Liebes-
szene? frage ich ihn. Und Mundek antwortet:
MUNDEK: Ja.
PODMANITZKY: Schlicht und einfach: Ja. Nichts weiter. Oder die
Art, wie er ber die Bhne geht. Ein Elefant, sage ich Ihnen. Die
Bretter knarren, die Kulissen schwanken, die Versatzstcke wak-
keln. Eines Tages konnte ich es nicht lnger ertragen. Trampeln
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Sie whrend der Vorstellung nicht herum! brlle ich ihn an. Dar-
aufhin erkhnt sich Mundek zu der Bemerkung:
MUNDEK: Mit mir schreit man nicht, Podmanitzky. Verstanden?
PODMANITZKY: Das war zuviel fr mich. Ich begann zu toben. Sie
Wurm! Sie Niemand! Wer ist hier der Star, Sie oder ich? Mundek
zuckt die Achseln. Und fragt mich, was ich verdiene. Hundert-
fnfundvierzig vor Abzug der Steuer, antworte ich, weil ich
mich schme, die wahre Summe zu nennen. Darauf Mundek:
MUNDEK: Sehen Sie. Ich habe dreihundertfnfundzwanzig. Ohne
berstunden. Also?
PODMANITZKY: Er ist ein absoluter Diktator. Alle Macht konzentriert
sich in seiner Hand. Wenn der Vorhangzieher auf Urlaub geht -
wer vertritt ihn? Mundek. Und was geschieht? Kaum beginne ich
meinen berhmten Monolog im fnften Akt - kaum spreche ich
Shakespeares unsterbliche Verse, wie nur ich sie sprechen kann -
kaum beende ich die Zeile: Ich habe nachgedacht, wie ich der
Welt -, da fllt der Vorhang. Aus. Nachdem mir der Theaterarzt
Erste Hilfe geleistet hat, strze ich mich auf Mundek: Was war
das, Sie Abschaum?! Wie knnen Sie es wagen, mich um meinen
Monolog zu bringen?!
MUNDEK: Nur keine Aufregung. Das Stck ist sowieso zu lang, au-
erdem hatten wir mit Versptung angefangen, und Sie, Herr
Podmanitzky, waren so miserabel, da man es nicht lnger anh-
ren konnte. Glauben Sie mir: Es war hchste Zeit fr den Vor-
hang!
PODMANITZKY: Ich konnte nur noch wimmern. Kerl, dieses Stck ist
von Shakespeare, wimmerte ich. Und was sagt Mundek?
MUNDEK: Meinetwegen kann es von Einstein sein. Ich bin seit
siebenunddreiig Jahren beim Theater, und wenn Mundek sagt,
da ein Stck zu lang ist, dann ist es zu lang.
PODMANITZKY: Das waren die Tage, in denen ich mich mit ernsten
Selbstmordabsichten trug. Wissen Sie, was ich gemacht habe?
SPRECHER: Veronal?
PODMANITZKY: Nein. Ich ging zu Sulzberger in die Direktionskanz-
lei. Sulzberger, sagte ich ruhig. Sie wissen, da ich nicht ber-
empfindlich bin, aber wenn das so weitergeht, wird Ihre Bhne
auf Jarden Podmanitzky verzichten mssen. Und ich erzhlte
ihm alles. Alles. Auch da Mundek in den Pausen immer auf mei-
nem Thron sitzt und manchmal mit Absicht seine Zeitung dort
vergit. Einmal hat er sogar seinen Zigarettenstummel in meinen
Kronreif gesteckt, und das Publikum kam aus dem Lachen nicht
heraus, weil es noch nie einen Knig mit rauchender Krone gese-
200
hen hat. Nachher versuchte ich es mit Mundek in Gte: Sie ms-
sen doch wissen, was ein Knig ist, sagte ich ihm. Wie knnen
Sie mir als Knig so etwas antun? Ich bin ein Knig, und meine
Krone raucht! Und Mundeks Antwort:
MUNDEK: Was sind Sie? Ein Knig sind Sie? Sie sind ein alter Schmie-
rist und heien Jarden Podmanitzky. Ein Knig spielt nicht Thea-
ter.
PODMANITZKY: Seit siebenunddreiig Jahren ist dieser Idiot beim Ge-
schft und hat noch immer keine Ahnung, was auf der Bhne vor-
geht. Das alles sage ich Sulzberger - entweder ich oder Mundek.
Entscheiden Sie sich. Sulzberger versucht mich zu beruhigen, es
ist nicht so schlimm, es wird vorbergehen, auch ein Mundek lebt
nicht ewig - aber ich bleibe hart. Ich bleibe so hart, da Sulzberger
schlielich nichts anderes tun kann als mich entlassen. Er hat mich
entlassen. Was sagen Sie jetzt? Er hat Jarden Podmanitzky entlas-
sen. Verstehen Sie?
SPRECHER: Ich verstehe. Er hat Sie entlassen.
PODMANITZKY: Sie scheinen sich nicht klar darber zu sein, was das
bedeutet! Ich sage noch zu Sulzberger: Also Mundek ist Ihnen
lieber als Podmanitzky? Und Sulzberger antwortet: Keine
Spur, aber ihn kann ich nicht entlassen, sonst streiken die Bhnen-
arbeiter, und wir haben keine Vorstellung. Auerdem mte ich
ihm laut Gewerkschaftsvertrag eine Abfindung von 35.000 Pfund
zahlen. Woher nehme ich die? An diesem Argument ist natrlich
etwas dran. Sulzberger hat irgendwie recht. Wir Schauspieler blei-
ben auf dem Posten, ob wir bezahlt werden oder nicht. Aber ver-
suchen Sie, einen Mundek lnger als zehn Minuten auf seine Uber-
stundengebhr warten zu lassen! Mundek ist alles. Podmanitzky
ist nichts . . .
SPRECHER: Herr Podmanitzky, Sie sind ein Titan des zeitgenssi-
schen Theaters. Sie sind viel zu gro, als da ein Zwerg wie Mun-
dek Ihnen etwas anhaben knnte. Lschen Sie ihn aus Ihrem Ge-
dchtnis. Denken Sie nicht an ihn.
PODMANITZKY: Ja, wenn das so einfach wre! Aber was, glauben Sie,
ist gestern abend geschehen? Mundek hatte sich krank gemeldet,
zum erstenmal in seinem Leben. Mundek war nicht da. Kein
Trampeln, kein Schneuzen, keine Kartenpartie, kein Rettich,
nichts. Es war so bengstigend ruhig hinter der Szene, da ich ner-
vs wurde und dreimal hngenblieb . . . Ohne Mundek geht's
nicht. Hoffentlich ist er bald wieder gesund! Ich mu ja weiter
Theater spielen, nicht wahr . . .
(Abklingende Musik.)
SPRECHER: Mundek ist gesund geworden, und Jarden Podmanitzky
hat weiter Theater gespielt, und Theater ist immer schn und ist
berall gleich . . . All die Dinge, die wir Ihnen jetzt geschildert
haben, htten sich ebensogut an unserem Theater zutragen kn-
nen . . . Sie wissen das ja . . .
(Applauskulisse wie zu Beginn.)
. . . Sie wissen, was der Applaus, den Sie jetzt hren, zu bedeuten
hat: Es ist der Schluapplaus . . . Der Vorhang hat sich ge-
senkt . . . Das Stck ist zu Ende . . . Auf Wiedersehen.
(Abklingender Applaus und Schluakkord.)
ENDE