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Günther - Schelling Und Das Ende Des Idealismus - Fn-Klammern - 15-3-11

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GOTTHARD GNTHER

Schelling und das Ende des Idealismus*


Die Groe Logik Hegels stellt die totale Reflexion des zu sich selbst gekommenen Seins dar und damit geht der Kreis der Hegelschen Logik von ihrem Ende wieder an den Anfang zurck. Denn dem Sein steht als seine totale Negation nur das ebenso totale Nichts gegenber, und bei dem bergehen aus dem Sein in das Nichts erlischt das Denken. Im Nichts kann man beides nicht; man kann nicht denken und man kann nichts denken. D.h. sowohl der Prozess des Denkens als auch sein Inhalt ist verschwunden. Zwei Denker haben diese Grenze und ihre berschreitung als neues Thema der Philosophie gesehn und ausdrcklich benannt. Der erste ist Schelling, dessen heute noch absurd unterschtzte geistesgeschichtliche Bedeutung darin besteht, dass in dem Philosophieren seiner Altersperiode der Idealismus auf einen Punkt kommt, an dem er beginnt sich von innen heraus selbst zu berwinden. Und das noch ehe er in Hegel seine endgltige Form erhalten hatte. Schon in der 1809 erschienenen Schrift ber das Wesen der menschlichen Freiheit lesen wir: Bis zur Entdeckung des Idealismus fehlt der eigentliche Begriff der Freiheit in allen neueren Systemen...[1]. Wenn man aber jetzt erwartet, dass Schelling im Idealismus die eigentliche Philosophie der Freiheit sieht, so erfahren wir zu unserer berraschung dass die tiefsten Schwierigkeiten, die in dem Begriff der Freiheit liegen, durch den Idealismus fr sich genommen so wenig auflsbar sein werden als durch irgend ein anderes partielles System. Der Idealismus gibt nmlich einerseits nur den allgemeinsten, andererseits den blo
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Gekrzte Fassung eines Fragments aus dem Nachlass mit dem Titel Das Ende des Idealismus und die letzte Mythologie, Stiftung Preuischer Kulturbesitz, Nachlass Nr. 196, Mappe 268 A, B und C (Typoskript, um 1975, 292 Bltter) (zuerst verffentlicht unter http://vordenker.de/ggphilosophy/gg_ende-idealismus.pdf). Ein erster, von Gnther im Manuskript aber genderter Titel lautete Der Tod des Idealismus und das Chaos. Die hier herausgegebenen Passagen sind den Blttern 18 bis 61 entnommen. Die Orthographie wurde den Regeln der aktuellen Rechtschreibung angepasst, Interpunktion, Zeilenumbrche sowie stilistische Eigenheiten wurden weitgehend belassen und nur offensichtliche Tippfehler korrigiert. Unterstreichungen werden kursiv wiedergegeben. Die Anmerkungen sind von den Herausgebern hinzugefgt und deshalb in eckige Klammern gesetzt. 1 F.W.J. Schelling, Smmtliche Werke, hg. v. K.F.A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 185661, Bd. 7, 345. Im Folgenden zitiert als SW mit Angabe des Bandes.

formellen Begriff der Freiheit.[2] Selbstverstndlich hat Schelling sich selbst bis zum Ende seines Lebens als Idealist gefhlt und sich auch dort noch als solcher selbst interpretiert, wo er dialektischer Materialist ist. Aber er unterscheidet ganz deutlich und bewusst zwei Idealismen, nmlich den Idealismus als negative Philosophie und seinen eigenen Idealismus der positiven Philosophie in der Altersperiode. Er wirft Kant vor, dass er sich letzten Endes nicht ber den Standpunkt der negativen Philosophie erhoben htte, die der Charakter seiner theoretischen Philosophie ist[3]. Auch die Hegelsche Methode des Denkens endet fr Schelling in einer rein negativen Philosophie. Sie liefert nur ein passives Reflexionsbild des Seins, das sich in der Dimension der Zeit entwickelt. Aber, so sagt Schelling: Es gibt in der letzten und hchsten Instanz gar kein anderes Sein als Wollen. Wollen ist Ursein und auf dieses allein passen alle Prdikate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhngigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen hchsten Ausdruck zu finden[4]. In der Hegelschen Philosophie lst sich nach Schelling das Wollen als sekundres metaphysisches Moment in jenem Sein auf, das sich selbst sich so vllig im Denken angeeignet hat, dass das Wollen im Denken erloschen ist. Dem setzt Schelling seine positive Philosophie gegenber, die in ihren tiefsten Intentionen lngst ber den Idealismus hinweggekommen ist. Trotzdem kommt Schelling von idealistischen Formulierungen nicht los. Die Verbalsuggestion des Wortes Gott ist fr ihn zu stark. Aber solche Stze wie: Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht,[5] oder etwa ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realitt der Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil[6] sind keine idealistischen Formulierungen mehr, obwohl sie bei Schelling immer wieder in einen idealistischen Wortzusammenhang hineingezwungen werden. Aber wenn Gott nach Schelling einen Grund hat, der vor der gttlichen Existenz liegt und so die letztere sekundr erst begrndet, und wir dann bei Schelling lesen: Der Mensch hat dadurch, dass er aus dem Grunde entspringt (kreatrlich ist), ein relativ auf Gott unabhngiges Prinzip in sich ...[7], so ist in einem solchen Satz die philosophische Grenze des deutschen Idealismus endgltig berschritten. Die Relativitt dieses Prinzips menschlicher Unabhngigkeit von Gott ruht darauf, dass beide Gott sowohl wie Mensch eine parallele Beziehung zum Grunde
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Ebd., 352. Ebd., 352. 4 Ebd., 350. 5 Ebd., 360. 6 Ebd., 360. 7 Ebd., 363.

haben. Gott selbst, damit er sein kann, bedarf eines Grundes, der also seiner eigenen Existenz vorausgeht. Der Mensch aber kann ein freies Wesen nur dann sein und die Fhigkeit zum Bsen haben, wenn er eine ihm eigene Beziehung zum Grunde hat, die nicht identisch ist mit der des Grundes als Existenzbedingung Gottes. Die Unabhngigkeit des Menschen von Gott ist also nicht absolut. Der Mensch mag zwar von Gott geschaffen sein, aber das Material aus dem er geschaffen ist, stammt aus einer Urregion, die der Existenz Gottes selber vorausgeht. [...] Es ist kein Zweifel, dass Schelling mit solchen berlegungen sich bereits in transidealistischen Regionen befindet. Aber da er sich der Konsequenzen seines Denkens nicht bewusst ist, versucht er immer wieder seine Reflexionen in die idealistische Heimat seiner frhen Identittsphilosophie zurckzufhren. Er bemerkt: Da Nichts vor oder auer Gott ist, so mu er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien; aber sie reden von diesem Grund als einem bloen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.h. sofern er existiert; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die Natur - in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen.[8] Es ist nun zwar im idealistischen Sinne verstndlich und auch legitim, wenn wie Schelling am Anfang des vorangegangenen Zitats selber bemerkt der Grund Gottes als Begriff selber in Gott hinein verlegt wird. Aber Schelling will ja im Gegensatz zu aller bisherigen Philosophie nicht von dem Begriff des Grundes Gottes sprechen sondern von dem Grund als etwas Reellem und Wirklichem Das ist die Idee seiner positiven Philosophie, die sich ber die negative Philosophie des Idealismus von Kant bis Hegel hinausheben soll. Wenn er nun trotzdem behauptet, dass der Grund als reeller innerhalb Gottes selbst liegt und Gott derart ber sich selbst und den Grund seiner eigenen Existenz bergreift, so verwirrt Schelling damit vllig die Grenze zwischen idealem und realem Grund. Man wei dann nicht mehr, geht die Realitt von Gott aus, der ber seinen eigenen Grund bergreift, oder aber vom Grunde aus, der dann jedoch nicht mehr in Gott enthalten sein kann, sondern seinerseits ber Gott als Realitt bergreifen muss. Eine mgliche Lsung des Problems und es ist die, die Hegel ergriffen hat ist die, das Verhltnis vom Grund der Existenz und Existenz als dialektisches
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Ebd., 357 f.

Kreisverhltnis zu betrachten. Aber Hegel hat das mit logischen Mitteln getan, die Schelling nie zur Verfgung gestanden haben. Sein Versuch den Grund Gottes in Gott selbst hineinzuverlegen ist ein Resultat seines Bemhens sich auf keinen Fall von der idealistischen Basis zu entfernen. Was er nicht sieht, ist dass er mit diesem Versuch die Idee seiner positiven Philosophie ruiniert. Es ist ihm nicht klar, dass das Totalphnomen des Idealismus eben negative Philosophie ist, d.h. eine Reflexion, die sich ganz im Anschauen ihrer selbst geniet und verliert. Er hat die Vision seiner positiven Philosophie nicht ausfhren knnen, weil er sich nicht zu der Erkenntnis durchringen konnte, dass ein echter Begriff der Handlung und der Freiheit als Philosophie den dialektischen Materialismus voraussetzt. De facto spricht Schelling diese Erkenntnis selber aus, obgleich er sie kaum ausgesprochen wieder zurckzunehmen versucht. So lesen wir im Zusammenhang der Schellingschen Theorie des doppelten Willens die folgenden tiefsinnigen Stze: Der Wille der Liebe und der Wille des Grundes sind zwei verschiedene Willen, deren jeder fr sich ist; aber der Wille der Liebe kann dem Willen des Grundes nicht widerstehen, noch ihn aufheben, weil er sonst sich selbst widerstreben mte. Denn der Grund mu wirken, damit die Liebe sein knne, und er mu unabhngig von ihr wirken, damit sie reell existiere. Wollte nun die Liebe den Willen des Grundes zerbrechen, so wrde sie gegen sich selbst streiten, mit sich selbst uneins sein, und wre nicht mehr die Liebe. Dieses Wirkenlassen des Grundes ist der einzig denkbare Begriff der Zulassung, welcher in der gewhnlichen Beziehung auf den Menschen vllig unstatthaft ist. So kann freilich der Wille des Grundes auch die Liebe nicht zerbrechen, noch verlangt er dieses, ob es gleich so oft scheint; denn er mu, von der Liebe abgewandt, ein eigner und besonderer Wille sein, damit nun die Liebe, wenn sie dennoch durch ihn wie das Licht durch die Finsternis hindurchbricht, in ihrer Allmacht erscheine. Der Grund ist nur ein Willen zur Offenbarung, aber eben, damit diese sei, mu er die Eigenheit und den Gegensatz hervorrufen. Der Wille der Liebe und der des Grundes werden also gerade dadurch eins, da sie geschieden sind, und von Anbeginn jeder fr sich wirkt. Daher der Wille des Grundes gleich in der ersten Schpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt, damit, wenn nun der Geist als der Wille

der Liebe aufgeht, dieser ein Widerstrebendes finde, darin er sich verwirklichen knne.[9] Wir haben Schelling hier so ausfhrlich zitiert, weil sich in diesen Stzen christlich-idealistische und nachchristlich-materialistische Gedankenmotive fast unlsbar durcheinander schlingen. Die persnliche Sympathie des Autors dieser Zeilen ist unleugbar auf der Seite des Christentums und des Idealismus. Aber die Tiefe und der systematische Ansatz seines Denkens treibt ihn sozusagen wider Willen ber seine eigenen metaphysischen Bedingungen hinaus. Nicht nur die Existenz Gottes ist nach Schellings Worten von dem absoluten Grunde abhngig, das Gleiche gilt notwendig auch fr die Manifestation seiner Existenz als Liebe. Aber der Wille Gottes, der Liebe ist, ist machtlos gegenber dem Willen des Grundes. So erklrt Schelling die Zulassung des Bsen in der Welt. Und soweit der Mensch einen freien Willen hat, stammt dieser Wille nicht aus dem Willen Gottes; denn dann knnte der Mensch so wenig wie Gott das Bse wollen. Zwar wurzelt der Mensch, soweit er ein denkendes Wesen ist, in dem ewigen Licht, das Gott ist, und innerhalb dieser Grenze ist er Kreatur. Der Mensch aber als Wille und verkrperte Freiheit kommt aus einem tieferen Grunde, dem der Wille der Liebe nicht widerstehen kann, wie wir lasen. Die Grenze des Christentums und des Idealismus ist hier insofern berschritten, als fr Schelling der Mensch nur noch partiell eine Kreatur Gottes ist. [...] In andern Worten: das Verhltnis des Menschen zu Gott ist ein Ich-Du Verhltnis. Es ist ein Teilhaben des Vernnftchen des Menschen (ratiuncula humana) an der groen gttlichen Vernunft. Aber diese Zweiseitigkeit, die wenigstens in einem beschrnkten Grade auf den Boden der Vernunft zwischen Gott und Mensch statthat, weicht dem Mysterium, wenn es um den Willen geht. Gottes Will hat kein Warumb so sagt ein altes deutsches Wort. Und diese Beziehung auf den unergrndlichen Willen fhrt nach Schelling den Menschen an Gott vorbei; d.h. neben dem Verhltnis zum universalen Du existiert fr den Menschen auch noch das Ich-Es Verhltnis. Die Beziehung zu Gott ist hier nur noch indirekt, insofern Gott als Liebe ebenfalls ein Verhltnis zum Es hat und haben muss, weil ja das Es des absoluten Grundes seine eigene Existenz zum Vorschein kommen lsst. Im absoluten Grunde wird der Wille als Es, also als Trans-Subjektivitt begriffen. Das reine Es ist, wie Hegel spter treffend bemerkt, Entscheidungslosigkeit. Erst in einer gefllten Entscheidung personalisiert sich der Wille. Und diese erste Entscheidung, die aus der Mglichkeit Wirklichkeit hervorruft, ist dass der Wille sich zur Liebe und zum Guten entscheidet,
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Ebd., 375 f.

und das ist Gott. Indem der Mensch aber ein direktes Verhltnis zum Absoluten, noch unentschiedenen Grund, besitzt, vermittelt ihm das Es die Fhigkeit zum Bsen, das sich dann in ihm und seiner Geschichte manifestiert. Es ist von unendlicher Wichtigkeit festzustellen, dass Schelling, wie wir in unserm obigen Zitat lesen, ausdrcklich bemerkt, dass der Grund nur ein Wille zur Offenbarung[10] ist. Und da der Wille als Liebe und der Wille als Urgrund dadurch voneinander getrennt sind, dass der eine als vollzogene Entscheidung, der andere aber als schwebende Unentschiedenheit auftritt, und von Anbeginn jeder fr sich wirkt[11], hat das zur Folge, dass die Geschichte als Offenbarung partiell und zwar in ihren tiefsten Grnden an Gott und der Liebe vorbei geht. Wenn der Idealismus sagt, dass in der Geschichte der Geist zu sich kommt und sich selbst realisiert, so ist das nur in einem sehr beschrnkten Sinne wahr, nmlich insofern als mit solchen Termini wie Gott, Geist und Liebe nur ein Hinweis auf ein Tieferes gegeben wird, das noch jenseits von ihnen zu suchen ist. Als Wille zur Offenbarung ruft sie der Grund als sekundre Gren hervor, weil er ein Medium braucht, in dem die Offenbarung vor sich gehen kann. Das aber ist nicht nur eine unidealistische sondern auch eine antichristliche Geschichtsbetrachtung, wie jeder Theologe gerne besttigen wird. Das impersonale Es spielt hier eine Rolle, wie sie weder mit Christentum noch mit Deutschem Idealismus vertrglich ist. Freilich darf dabei nie vergessen werden, dass Schelling subjektiv sich bemht Idealist zu bleiben, weshalb er in demselben Gedankenzusammenhang von der Allmacht der Liebe spricht. Eine Allmacht, die aber garnicht damit zusammengehen kann, dass es nicht der Wille Gottes sondern der Wille des Grundes ist, der gleich in der ersten Schpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt[12]. Trotz der Schwierigkeit des so intensiv mythologisierenden Textes von Schelling wird doch wohl deutlich, warum die positive Philosophie als Theorie des Willens und der Handlung ber die vom Idealismus gesteckten Grenzen hinausfhrt. Mit der Idee Gottes als letzter primordialer Voraussetzung lsst sich eine Theorie der Handlung nicht entwickeln. Der Idealismus produziert, wie Schelling richtig gesehen hat, nur eine Theorie des Bildes, wenngleich sich bei Hegel die Dimensionen des Bildes bis ins Absolute zu steigern scheinen. Generell muss bemerkt werden, dass die Formulierungen Schellings in der Abhandlung ber das Wesen der menschlichen Freiheit im hchsten
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Ebd., 396. Ebd., 375. 12 Ebd., 375.

Grade widerspruchsvoll sind, wobei alle brigen Widersprche wohl auf den ursprnglichen zurckgehen, dass Gott fr seine Existenz zwar einen Grund haben muss, der aber nicht auer ihm sondern in ihm ist; weshalb er eine Natur besitzt, die von ihm selber verschieden [sein] soll. Diese Formulierung ist so paradox und Schelling muss wohl gewusst haben, wie sehr er damit den intelligenten Leser vor den Kopf stt dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die Widersprche seines Textes sind weniger Symptome einer logischen Schwche sondern gewollter Ausdruck der Dialektik, die dieser Denker in den Uranfngen aller Wirklichkeit entdeckt. Sieht man von den mythologischen Formulierungen ab, in denen Schellings Text schwelgt, so lsst sich daraus wohl folgendes rein begriffliches Resultat herauskristallisieren: Der primordiale Ursprung, aus dem sich Ichheit sowohl wie Nicht-Ich herleitet begegnet dem philosophischen Denken zuerst als ein neutrales also noch unentschiedenes Umtauschverhltnis. Schellings Ursein ist nichts wie eine schwebende Mglichkeit, eine reine Potenz, die aber entschieden werden muss, damit Wirklichkeit da ist. Fr dieses Muss setzt Schelling den Terminus Wollen. Was Schelling hier etwas missverstndlich als Ursein bezeichnet missverstndlich: denn von Sein kann vorlufig berhaupt noch nicht gesprochen werden ist nichts weiter als das Zusammensein einer Entscheidungsmglichkeit, deren Alternativen von sich aus keinen Fingerzeig geben, welche Seite vorzuziehen ist und der Notwendigkeit doch eine Entscheidung zu treffen, wenn etwas entstehen soll. Wenn Schelling die Idee Gottes von der Existenz Gottes unterscheidet, so meint er, dass in der Gestalt des existenten Gottes eine Entscheidung hchster Ordnung vorliegt. D.h. wenn wir Gott sagen, so verbirgt sich unter diesem theologischen Begriff ein Ordnungs- bezw. hierarchisches Verhltnis. Wie wichtig es ist diese mythische Terminologie fallen zu lassen und nur von symmetrischen Umtauschverhltnissen und asymmetrischen Ordnungsverhltnissen (Proportionen) zu sprechen, zeigt sich darin, dass das gleiche auch dann gilt, wenn der dialektische Materialist von Materie als erster Begrndung alles Wirklichen spricht. Materie ist ebenfalls ein mythischer Ausdruck fr symmetrischen Umtausch und Ordnung und den bergang von dem einen zum andern. Was Schelling schon 1809 also schon vor dem Erscheinen von Hegels Wissenschaft der Logik in seinen Reflexionen ber den Denkbereich der klassischen Logik hinaustreibt, ist die fundamentale, dann auch von Hegel geteilte Einsicht, dass damit, dass das Umtauschverhltnis als primordial vor das Ordnungsverhltnis gesetzt wird und damit Wirklichkeit als Entscheidung eines Umtauschverhltnisses begriffen wird, die Dialektik nicht als etwas erscheint, das nachtrglich als Attribut des Wirklichen, als Sekun-

drwirkung auftritt, sondern dass umgekehrt Wirklichkeit als Manifestation der Dialektik, aus deren Schoe sie emporsteigt, begriffen wird. Der Schellingsche Wille ist das Dialektische per se, das nach Offenbarung strebt. Aber Offenbarung ist Bestimmung als objektiver Geist. Sie ist Ordnung und Autoritt, also um ein anderes Wort Schellings zu gebrauchen gewesene Freiheit. Der Akzent liegt dabei auf dem gewesen. Wenn aber von Sein oder Objektivitt als gewesener Freiheit gesprochen wird, so heit das logisch garnichts anderes, als dass in einem Umtauschverhltnis eine Entscheidung fr eine der beiden alternativen Seiten gefallen ist. Das Hinausgehen ber die idealistische Tradition, das bei Schelling damit endgltig vollzogen und bei Hegel im Ansatz seiner Logik zum mindesten formell vorbereitet ist, liegt darin, dass alle bisherige Philosophie, insofern als sie von Gott als dem Urgrund ausgeht, an den Anfang des Denkens ein Ordnungsverhltnis stellt. Das Jenseitige, also das Metaphysische, ist a priori von hherem Rang als das Diesseitige. Das Sein des Seienden ist der hchste nicht mehr zu berbietende Ausdruck dieser philosophischen Attitde und aus diesem Grunde sagt Schelling, dass die bisherige Philosophie nicht in der Lage gewesen ist eine Philosophie der Freiheit und des Handelns zu entwickeln, denn das Verhltnis von Ursein zu empirischem Dasein ist ganz fraglos fr sie ein hierarchisches Verhltnis, d.h. die Entscheidung ist schon gefallen. [...] Die Dialektik kann deshalb in diesem philosophischen Bereich nur eine untergeordnete Rolle spielen, deren Aufgabe ist das noch Ungeordnete in eine Ordnung zu berfhren. [...] Der Deutsche Idealismus hat hier insofern Neuland betreten, als dass schon in Anstzen bei Kant und Fichte, ganz ausgeprgt und explizit bei Schelling und Hegel das logische Denken nicht mehr von einem Rangverhltnis als erster Grundlage der Philosophie ausgeht, sondern von einem Umtauschverhltnis ebenbrtiger Relationsglieder. Schelling weist, wie wir gesehn haben, auf diesen Tatbestand in der Idee des Grundes hin, die er der Existenz Gottes verordnet, und bei Hegel begegnen wir dieser fundamentalen Positionsnderung in der These, dass das reine Sein gleich dem reinen Nichts ist und umgekehrt das reine Nichts das reine Sein quivalent vertreten kann. Der Unterschied zwischen den beiden letztgenannten Denkern besteht darin, dass bei Schelling dieser Positionswechsel eine seherische Zukunftsvision bleibt, die ber den Idealismus hinausfhrt und mit der er in der Tat eine Schwche des idealistischen Denkens und dessen geistesgeschichtliche Vorlufigkeit aufdeckt. Bei Hegel andererseits ist von dem Bewusstsein einer solchen Vorlufigkeit auch nicht ein Hauch zu spren. Er benutzt seinerseits die Einsicht von der Primordialitt des Umtauschverhlt-

nisses gegenber dem Ordnungsverhltnis dazu, um den Bereich der negativen Philosophie zu erweitern und in bisher nicht da[r]gestellte Region[en] vorzutreiben, aber er sieht noch alles unter dem Gesichtspunkt der Reflexion bezw. des Bildes. Die umkehrbare Relation von Sein und Nichts ist ihm ein reines gegenseitiges Abbildungsverhltnis. Er sieht das Umtauschverhltnis nicht als die primordiale Wurzel des Willens, woraus sich dann ergibt, dass der Wille und das Handlungsproblem in seiner Philosophie auch nirgends grundstzlich zum Zuge kommt. [...] In diesem Sinne ist von dem Standpunkte Schellings von 1809 her gesehn die Hegelsche Philosophie und speziell seine Logik ein Denken, das von sich selbst trumt und nirgends als Handlung wirklich ist. Aber damit wird man weder Hegel noch Schelling ganz gerecht. Zwar ist es richtig, dass von Schelling her gesehn die positive Philosophie der negativen ontologisch vorausgeht, denn sie redet von einer Urgeschichte des Seins, die dort eigentlich schon zuende ist, wo das Werden bei Hegel erst anfngt. Aber wenn man sich nicht wie Schelling mit Genieblitzen und flchtigen Intuitionen begngt, sondern die Tagelhnerarbeit der Logik bernimmt, der sich Hegel willig unterzogen hat, so muss man sehen, dass das ehrgeizige Programm einer Theorie des Willens, die nicht nur zum Bild des Seins sondern zum Sein selbst kommt, auch nicht im entferntesten mit den logischen Mitteln durchgefhrt werden kann, die Schelling zur Verfgung standen. Erst die die Hegelsche Logik und die in ihr durchgefhrte Theorie der Dialektik gibt uns heute bei entsprechender Interpretation der Hegelschen Denkmethode die Mittel an die Hand uns dem Schellingschen Programm ernsthaft zuzuwenden. Hegel selbst wrde die Notwendigkeit eines solchen Programms noch bestritten haben. Und hier liegt das eigentliche innerste Motiv seines Hasses gegen den Formalismus. Wenn wir nmlich den Anspruch erheben, dass sich eine Logik formalisieren lsst, so meinen wir damit, dass besagte Logik keine Wirklichkeit beschreibt, sondern uns ein Bild der Wirklichkeit gibt. Und zwar ein Strukturbild. Das entspricht aber nicht den mehr oder weniger irrtmlichen Voraussetzungen Hegels. Fr ihn ist, grob gesprochen, die Logik nicht der Codex der Gesetze des Denkens, die die rationale Dimension des Bewusstseinsraums eines Ichs beherrschen, sie ist vielmehr die Beschreibung von Realprozessen, die sich in der Objektivitt des Seins abspielen und fr die der partielle Durchgang durch ein menschliches Bewusstsein nicht unbedingt relevant ist. [...] Es ist selbstverstndlich dass fr Hegel die Existenz, die nach Schellingscher Auffassung durch eine Urgeschichte des Seins, die vor der wirklichen Geschichte der Welt liegt, erst erzeugt werden muss, im konkreten Begriff

von vornherein gegeben ist. Er braucht also Schellings Urgeschichte nicht. Nimmt man aber Hegel seinen konkreten Begriff nicht ab und wir sind so wenig wie Schelling geneigt das zu tun , dann muss zu dem gegenseitigen Verhltnis von Schelling und Hegel folgendes gesagt werden: Gleichgltig ob die Schellingsche Urgeschichte der Hegelschen Logik vorausgeht oder nicht, besteht nicht die geringste Mglichkeit ber sie inhaltlich mehr zu sagen als in den drftigen und widersprchlichen Angaben Schellings, speziell in dem Fragment Die Weltalter, schon enthalten ist. Die logischen Mittel um die Schellingsche Thematik ausreichend zu behandeln werden erst durch die vollendete Hegelsche Logik geliefert. In diesem Sinne steht die Schellingsche Philosophie der Freiheit und des Willens nicht am Anfang sondern am Ende der Hegelschen Logik. Wissenschaftsgeschichtlich behlt Hegel damit gegenber Schelling recht. Die philosophischen Forderungen, die Schelling seit 1809 erhob, waren verfrht und in keiner Weise durchfhrbar, bevor die Hegelsche Logik ihre Darstellung gefunden hatte und wie wir weiterhin sehen werden das theoretische Denken in einer bestimmten Hinsicht ber Hegel hinausgegangen war. [...] Was wir hier besonders im Auge haben, ist die radikal antiformalistische Tendenz der Hegelschen Logik und der bisherigen Entwicklung der Dialektik berhaupt. Das wird deutlich, wenn wir die Hegelschen Aussagen an der Schellingschen Kritik der negativen Philosophie messen. Die negative Philosophie kommt nicht weiter als bis zu dem kontemplativen, in der Beschauung versunkenen Leben des Geistes, der inneres Licht und nichts weiter ist. In ihr soll das Licht immer leuchtender werden und die Finsternis immer mehr verblassen. Die tiefe metaphysische Schwche dieser Philosophie liegt darin, dass sie sich nirgends aufmacht, die Finsternis als Finsternis zu be-greifen, denn die Wirklichkeit des Geistes west nicht in seinem Licht, sondern in der Finsternis. Der vor-Schellingsche Idealismus vergisst die Doppelsinnigkeit in dem Wort Begriff, das nicht nur Erleuchtung und Verstehen meint, sondern auch Zugreifen, Handeln. Zwar finden sich bei Hegel gengend Lippenbekenntnisse, die auf diese Doppeldeutigkeit hinweisen, aber es bleibt bei Lippenbekenntnissen. In der negativen Philosophie geht der Begriff immer tiefer ins Licht, und das Begreifen im Sinne der Handlung wird nur mitgeschleppt wie ein Gefangener auf einem siegreichen Heereszug. Schelling ist der einzige Idealist gewesen, dem es gelegentlich dmmert, dass dieser Zug nicht zum Sieg sondern in die Niederlage fhrt. Es bleibt in der negativen Philosophie auch dort, wo sie angeblich das Absolute erreicht, bei dem Begriff der Realitt und die Realitt selber ist weiter denn je, denn man hat sie hinter sich in der finstersten Dunkelheit zurckgelassen, in der die Blindheit des zugreifenden Willens wirkt.

Und dort ist philosophisch betrachtet das Reich der Technik, und man darf vielleicht sagen, dass in der positiven Philosophie Schellings die ersten Keime zu einer Transzendentalphilosophie der Technik liegen, also einer Wissenschaft, in der Subjektivitt in der technischen Konstruktion objektiviert wird. Wenn der Zugang zur Realitt, also zum Inhaltlichen und Konkreten, nur auf dem Weg ber die positive Philosophie verwirklicht werden kann, dann bedeutet das, dass die Hegelsche Logik als ein Organ der negativen Philosophie ihrem innersten Kerne nach durch und durch formal ist. [...] Wir haben bereits weiter oben in unserer Bemhung so formal wie mglich zu sein darauf hingewiesen, dass wenn Schelling vom Willen spricht, es sich um eine ontologische Situation handelt, die formal nur als noch nicht entschiedenes Umtauschverhltnis bezeichnet werden kann, und dass, wenn er von Existenz spricht, er jene Entscheidung meint, durch die ein symmetrisches Umtauschverhltnis in ein Ordnungs- bezw. Proportionsverhltnis mit hierarchischen Relationen bergeht. Wenn Schelling also von der Dunkelheit spricht, die die Heimat des Urwillens ist, so kann Dunkelheit garnichts anderes meinen als die vllige Bestimmungslosigkeit, in der sich die Relationsglieder eines Umtauschverhltnisses gegeneinander verhalten. Der Begriff der Bestimmung ist immer mit dem des Lichts assoziiert und wo man schlechterdings nicht sehen kann, da ist eben Dunkelheit. In den poetischen Formulierungen, mit denen das begriffliche Gerst der Philosophie oft umkleidet worden ist, ist oft gesagt worden, dass wir in einer mittleren Welt leben, die sich zwischen der absoluten Dunkelheit der Tiefe und der Hhe des absoluten reinen von keinem Schatten mehr getrbten Lichtes sich erstreckt. Diese mittlere Welt ist ganz manichistisch der Schauplatz, auf dem die Finsternis und das Licht miteinander kmpfen. Aller Mythologie entkleidet bedeutet eine solche Bildersprache, dass unsere irdische Welt ein Strukturzusammenhang einer fast unbersehbaren Flle von Ordnungs- und Umtauschrelationen ist. Nichts weiter. Schon in den mythologischen Fassungen lsst sich erkennen, dass es sich hier um ein strikt zweiwertiges Weltbild handelt und, wenn man diese Welt als ein Ordnungsgefge zweier Relationstypen betrachtet, so stt man letzten Endes wieder auf Zweiwertigkeit. Von hier aus gesehn kann man die welthistorische Wende des Denkens, die sich im Deutschen Idealismus anbahnt, anbahnt nur und nicht vollendet , dahin gehend beschreiben, dass man feststellt, dass die transzendentalen Idealisten begriffen, oder wenigstens geahnt, haben, dass die Struktur der Wirklichkeit nicht zureichend beschrieben werden kann, wenn man sich auf die einfache Entgegensetzung von Umtausch- und Ordnungsrelation al-

lein beschrnkt. Das Suchen nach einem Dritten ist in dem Schellingschen Fragment Die Weltalter deutlich zu spren. Und bei Hegel erscheint das Dritte unter dem Titel Werden. Damit ist deutlich genug gesagt, dass wenn noch eine zustzliche Relation neben Ordnung und Umtausch bentigt ist, sie irgendwie im Zeitproblem verborgen sein muss. Hier kommt die Dialektik ins Spiel. Denn die Systematik der Dialektik ist im Grunde nichts anderes als das zeitlose System der klassischen Relationen von Umtausch und Ordnung auf die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft zu projizieren. [...] Auch bei flchtiger Vertrautheit mit der Philosophie muss dem Leser an dieser Stelle deutlich sein, dass bei dem Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft nur in anderem begrifflichen Gewande der Gegensatz von Form und Inhalt ins Gesichtsfeld tritt. Man kann deshalb [...] den Charakter der Dialektik auch dahingehend beschreiben, dass man sie als eine Theorie des bergangs des Inhalts in die Form zugleich mit der rcklufigen Bewegung der Form in den Inhalt versteht. [...] Der Hegelsche Begriff der Logik ist nur dann akzeptabel, wenn man dem Autor der Groen Logik eine Voraussetzung zugesteht, die aber bestritten werden kann und die wie wir bereits wissen von Schelling faktisch bestritten wird. Sie ist die, dass alle Philosophie und somit auch alle Logik mit einem entschiedenen und nicht einem unentschiedenen Umtauschverhltnis beginnt. Wem das in der verklausulierten Sprache des Anfangs der Groen Logik einen Anfang, auf den wir noch einmal zurckkommen mssen nicht sofort deutlich wird, sei auf das Ende der Logik verwiesen, wo sich der Begriff als freie, aus der uerlichkeit in sich gegangene Existenz (empor gehoben hat), in der Wissenschaft des Geistes seine Befreiung durch sich vollendet (hat) und den hchsten Begriff seiner selbst in der logischen Wissenschaft als dem sich begreifenden reinen Begriffe (gefunden hat).[13] Hier ist die uerlichkeit zugunsten einer Innerlichkeit, die sich die Welt angeeignet hat, entwertet. Die Logik endet mit einem Ordnungsverhltnis, weil sie mit einem solchen schon begonnen hat. Der absolute Geist ist wieder der hchste Gott der Religion, der im jngsten Gericht das Irdische bezwungen hat. Die Geschichte der Welt hat also ein Ziel, auf das sie zustrebt (Utopie) und in dem sie ein Ende finden muss. Sie muss diesem Ziel zustreben, weil alles schon im Voraus entschieden war, ehe es berhaupt begonnen hatte. [...] Diesen Anspruch Hegels verwirft Schelling. Aber nicht, weil er trotz seiner Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung den
13 Hegel, Wissenschaft der Logik, Werke Bd. 6, Frankfurt/M. 1996, 573 (die eingeklammerten nderungen des Zitats sind von Gnther).

Fichteschen oder auch Kantischen Glauben wiederherstellen will, sondern weil fr ihn auf die Hegelsche Logik und den universalen Denkbereich, den die letztere ausgemessen hat, eine systematische Fortsetzung in einer neuen Dimension der Philosophie erfolgen muss. Die letzte Einheit der Philosophie liegt paradoxerweise in der Dualitt von negativer und ihr folgender positiver Philosophie. In den einleitenden Worten zu den Mnchener Vorlesungen ber die Geschichte der neueren Philosophie bemerkt Schelling, dass die Philosophie eine Entwicklungsstufe erreicht hat, in der es nicht blo um eine neue Methode oder vernderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Vernderung im Begriff der Philosophie selbst[14] geht. Bisher umschloss der Begriff der Philosophie allein die denkende Erfassung der Welt derart, dass in ihr das Phnomen der Freiheit bezw. Handlung in der metaphysischen Identitt von Freiheit und Notwendigkeit aufgelst war, derart dass im vollendeten Absoluten die Freiheit nur noch als Denken erschien. Das ist der innerste Kern des Idealismus und in diesem Sinne ist alle Philosophie hchsten Ranges, wo immer sie bisher auf Erden erschienen ist, Idealismus gewesen. Die Vernderung im Begriff der Philosophie, die jetzt eintreten muss, kann sich also nur darauf beziehen, dass dem spekulativen Denken seine Fhigkeit bestritten wird, Freiheit und Notwendigkeit derart zu vershnen, dass die Freiheit in dem blendenden Sonnenlicht der Vernunft verschwindet. Wir haben weiter oben bemerkt, dass die Hegelsche Philosophie als letzter Reprsentant des Idealismus mit einem Ordnungsverhltnis das Objekt ist im Subjekt aufgezehrt! enden muss, weil sie mit einem Ordnungsverhltnis beginnt. Die Schellingsche Philosophie aber beginnt mit einem unentschiedenen Umtauschverhltnis, in dem die Relationsglieder noch darauf warten, dass sie geordnet werden sollen. Der Akt der Ordnung ist Freiheit, also Handlung, die nicht bestimmt ist, sondern ihrerseits bestimmt. Also muss das Ganze der Philosophie fr Schelling auch wieder in einem unentschiedenen Umtauschverhltnis enden. D.h. der Wille wird nicht verzehrt im Begriff und die eschatologischen Perspektiven der Wirklichkeit mnden in eine Dunkelheit, so wie alle Existenz aus dem Dunklen entsprungen ist. Das ist die systematische Konsequenz der positiven Philosophie, die auf die negative folgt. Es ist wichtig festzustellen, dass Schelling diese Konsequenzen nie gezogen hat. Er hat sie nicht ziehen knnen, weil es ihm versagt geblieben ist eine Theorie des Willens wirklich zu entwickeln. De facto erscheinen in allen seinen eschatologischen Perspektiven immer wieder idealistische For14

Schelling, SW 10, 3.

mulierungen, so sehr sie dem Gedankenansatz auch widersprechen mgen. [...] Die positive Philosophie kommt also nach der negativen Philosophie, indem sie auf ihren Grund zurckgreift, der vor dem idealistischen Denken liegt. In diesem Verhltnis des Vor und Nach bleibt Schelling Dialektiker; aber der neue philosophische Ansatz lsst sich nicht mehr im Rahmen des Idealismus unterbringen, so sehr auch Schelling vor diesem Tatbestand die Augen verschliet. [...] Indem der Wille als Nachfolger des Denkens auftritt, ist in der Tat das Denken zur Ruhe gekommen; denn dort, wo wir wollen, denken wir nicht mehr. Unklar bleibt allerdings, wie das Denken von der Bhne des Geistes abtreten und der Handlung Platz machen soll. Es ist selbstverstndlich, dass hier kein deus ex machina erlaubt ist. D.h. dem Denken darf nicht von auen her halt geboten werden, sondern sein Stillstand muss aus ihm selbst kommen. [...] Die Lsung scheint darin zu liegen, dass der bergang der Dialektik der negativen Philosophie in die Dialektik des Positiven voraussetzt, dass wir von vornherein zwei Modi des dialektischen Prozesses unterscheiden mssen. [...] Der zweite Modus aber ist die Dialektik des Willens. Die ganze positive Philosophie Schellings setzt voraus, dass die Dialektik auf sich selbst reflektieren kann und in dieser (wieder dialektischen) Reflexion die Grenzen ihrer Bewegung als Begriff sieht und damit sich ber diese Grenzen selbst hinaustreibt. Der Begriff erkennt in der Reflexion auf seine Selbstbewegung sich als Wille. Wichtig ist an dieser Stelle festzustellen, dass der Begriff in dieser Dialektik der Dialektik sich selbst zum Objekt wird. Nicht seine Bewegung als solche wird negiert, sondern der Modus dieser Bewegung als Denken. Die Bewegung selbst bleibt in der Negation erhalten und sie ist die Handlung. Diese Unterscheidung zweier dialektischer Bewegungen, in der der Modus der einen zum Gegenstand der andern wird, ist aber begrifflich berhaupt nicht durchfhrbar, wenn man nicht einen Formalismus der Dialektik von der Inhaltsdialektik zu unterscheiden gewillt ist. [...] Alle Materialitt der Dialektik, d.h. ihr ganzer Charakter als Selbstbewegung des Inhalts ist jetzt aus dem Denken in die Handlung bergegangen. Aber wie soll es eine Philosophie der Freiheit geben, wenn es nicht erlaubt ist ber das Wesen eines freien Willens nachzudenken? Dem Denken muss die Freiheit als Form erscheinen. Das hat schon Kant in dem Formalismus seines kategorischen Imperativs dargelegt und Fichte wiederholt es auf seine eigene Art. Aber schon Fichte ist ber Kant hinausgegangen. Er erkennt, dass die Kantische Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft unzulssig sei, da sich einsehen (also theoretisch begreifen) lasse,

wie die Vernunft praktisch sein knne und wie diese praktische Vernunft gar nicht das so wunderbare und unbegreifliche Ding sei, fr welches sie zuweilen angesehn wird, garnicht etwa eine zweite Vernunft sei, sondern dieselbe, die wir als theoretische Vernunft alle gar wohl anerkennen.[15] D.h. die theoretische verhlt sich theoretisch nicht nur dem Objekt gegenber, sondern auch in Hinsicht auf sich selbst, wenn sie frei handelt. Diese Dialektik zwischen der Freiheit und dem theoretischen Gesetz hat Fichte klar ausgesprochen, wenn er sagt: Wenn Du Dich frei denkst, bist Du gentigt, Deine Freiheit unter ein Gesetz zu denken; und wenn Du dieses Gesetz denkst, bist Du gentigt, Dich frei zu denken; denn es wird in ihm Deine Freiheit vorausgesetzt, und dasselbe kndigt sich an als ein Gesetz fr die Freiheit. ... Die Freiheit folgt nicht aus dem Gesetz, eben so wenig als das Gesetz aus der Freiheit folgt. Es sind nicht zwei Gedanken, deren einer als abhngig von dem andern gedacht wrde, sondern es ist ein und derselbe Gedanke.[16] Wenn Freiheit und Gesetz aber dasselbe sind, wie der transzendentale Idealismus bereinstimmend sagt, dann muss man sich fragen: wo finden wir das Kriterium, das der auf sich selbst reflektierenden Vernunft die Mglichkeit gibt, sich selbst als Gesetz von sich als Freiheit zu unterscheiden? Da oft im spekulativen Idealismus daraufhin gewiesen wird, dass sich im Gesetz die Materialitt und Objektivitt der Welt ausdrckt, und der Kantische Rigorismus darauf besteht, dass Freiheit ein Formprinzip der Wirklichkeit ist, liegt es nahe zu der Einsicht zu kommen, dass der Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunft nichts anderes ist als der zwischen Inhalt und Form. Von hier aus wird es auch verstndlich, warum das Freiheitsproblem in der Hegelschen Dialektik zu verschwinden bestimmt ist. Bei Hegel lsst sich keine Form von ihrem Inhalt abtrennen. Infolgedessen erscheint die Vernunft als materiales Weltgesetz, das vorwrts rollt, und nirgends nimmt die Bewegung der Dialektik die Gestalt einer Handlung an. Wo immer sie auftritt, ist sie Ereignis und nirgends aus dem Entschluss geborene Tat. Im
15 Johann Gottlieb Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798), Hamburg 1995, 56. 16 Ebd., 52.

Hinblick auf das Problem der Freiheit reprsentiert Hegel einen Rckschritt hinter Fichte, fr den die Vernunft trotz aller dialektischen Balance im Wesentlichen doch lauteres, reines Tun[17] ist. Ihre Ttigkeit besteht darin, dass sie sich selbst bestimmt (whrend sie als theoretische Vernunft durch die Objekte bestimmt wird). Aber so sagt Fichte Bestimmtheit eines reinen Tuns, als solchen, gibt kein Sein, sondern ein Sollen. So ist die Vernunft durch sich selbst bestimmend ihre Ttigkeit; aber eine Ttigkeit bestimmen, oder praktisch sein, ist ganz dasselbe. In einem gewissen Sinne ist es von jeher der Vernunft zugestanden worden, da sie praktisch sei; in dem Sinne, da sie die Mittel fr irgend einen auer ihr, ... gegebenen Zweck finden msse. In dieser Bedeutung heit sie technisch-praktisch.[18] Der Unterschied zwischen der Vernunft, die begreift, ist ganz deutlich. Im Begreifen liegt der Akzent auf dem Objekt. Die Vernunft ist das was sie begreift. Aber in diesem Begreifen bleibt die Vernunft sich selber nur ein Bild. Im zweiten Fall ist die Vernunft nur eine formelle Handelsanweisung aus dem Bild durch eine technische Prozedur eine Wirklichkeit zu machen. Die positive Philosophie, von der Schelling trumt, aber eben nur trumt, ist in ihrem konkreten Kern eine metaphysische Theorie der Technik. Wenn wir hier mit Reservation den Terminus metaphysisch gebrauchen, so wollen wir damit andeuten, dass wenn im transzendentalen Idealismus der Terminus technisch gebraucht wird, unvergleichlich viel mehr darunter verstanden wird als was die klassische Tradition und die moderne Maschinentheorie darin sehen kann. Stillschweigende Voraussetzung der landlufigen Auffassung ist, dass eine Handlung die ein technisches Artifakt darstellt und dadurch die Materialitt der Welt an einer gegebenen Stelle formell verndert, eine in diesem Sinne vernderbare Welt als total subjektloses Objekt betrachten muss. Es erscheint als die Hhe der Absurditt, die Seele mit Hammer und Schraubenzieher behandeln zu wollen. Die Handlung als moralischer Akt kann keine technische Relevanz haben. Mit solchen Argumenten bewegt man sich im Reich der Selbstverstndlichkeiten und es wre weise, hier auf dem wohl ausgetretenen Pfad der Trivialitten zu bleiben. Dabei wird aber nur eins vergessen. Wir wissen heute, dass der enge Kreis exakter Wissenschaften, den wir heute besitzen, nur dadurch zustande gekommen ist, dass mythische, bzw. religise Vorstellungsbilder skularisiert
17 18

Ebd., 56. Ebd., 56.

worden sind, weil man in ihnen einen przis definierbaren theoretischen Kern entdeckte. Aber wenn es keine Naturwissenschaft ohne einen voraufgegangenen Mythus gibt, so ist erst recht nicht einzusehen, warum es nicht eine exakte Geisteswissenschaft geben sollte fr die der Weg der Skularisierung noch krzer sein muss. Die Antwort ist: der Mythus und die Religion enthlt sowohl theoretische, restlos objektivierbare als auch Handlungselemente, die sicherlich erschpfend objektivierbar sind und aus diesem Gefhl heraus, dass uns hier ein Element reiner Subjektivitt begegnet, wird geschlossen, dass hier berhaupt nichts objektivierbar ist. An diesem Vorurteil ist der Schellingsche Entwurf einer Philosophie des Willens und der Handlung zerbrochen und Schellings dieser Aufgabe gewidmeten Altersphilosophie verliert sich im Bilderjungle des Mythus. Und doch liegt d[ie] Idee einer Theorie der Handlung so nahe, wenn man von der im transzendentalen Idealismus gewonnenen Einsicht ausgeht, dass die Handlung natrliches Ereignis ist, das aber seine objektive Form gegen eine andere eingetauscht hat. Der Kern einer Theorie des Willens dreht sich also um das Problem eines Formwechsels. Der Inhalt eines Ereignisses bleibt immer bestehen, und die Ereignisse kommen so wie sie mssen. Das ist ihre natrliche objektive Determination. Aber diese Determination kann berdeterminiert werden, wodurch uns das selbe Ereignis als der Ausdruck eines mehr oder weniger mythologischen Willens erscheint. Im letzten Fall reden wir nicht mehr von einem Ereignis das sich zwischen toten Objekten abspielt sondern von einer Aktivitt, in der angeblich eine treibende und dirigierende Kraft steht. Es kommt also zu dem bloen Ereignis noch etwas hinzu, was das Ereignis zur Handlung macht. Die klassische Vermgenspsychologie begeht hier den Fehler, dass sie hinter das Ereignis noch mal ein Objekt setzt, nmlich die Willenskraft, die das Ereignis beleben soll. Es ist klar, dass es sich hier um eine illegitime Hypostasierung handelt, die wir vom landlufigen Denken abziehen mssen um zur philosophischen Besinnung zu kommen. Die Idee von agierenden Ich-Subjekten, die als Regisseure hinter den blinden Ereignissen stehen und sie mit ihrer privaten Motorik umlenken, ist nichts weiter als eine unzulssige Verdoppelung der Objektwelt. Niemand hat eindringlicher als Arnold Gehlen in seiner tiefsinnigen Studie ber die Willensfreiheit dargestellt, dass Freiheit allein die Form eines Ereignisses betrifft und nichts weiter. Damit dass wir ein Ereignis als eine Handlung begreifen, kommt zum Ereignismaterial schlechterdings nichts hinzu. Ein echtes Symbol der Freiheit ist deshalb der Amor Fati: die volle Bejahung dessen, was sowieso geschieht[19]. Wir begegnen hier im Bereiche
19 Vgl. Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit, in: ders., Gesamtausgabe, Bd. 2, Philosophische Schriften II (1933-1938), hg. v. L. Samson, Frankfurt/M. 1980, 1-180, 145.

einer wissenschaftlichen Willenstheorie dem exakten Gegenstck zu dem Verhltnis von Assertion und Negation innerhalb des Bereiches der Logik. Wir erwhnten weiter oben die paradoxe Bemerkung von Reinhold Baer, dass zwar jede Aussage von ihrer Negation verschieden sei, dass aber kein wesentlicher Unterschied zwischen positiven und negativen Aussagen bestnde, sogar schrfer zwischen einer Aussage und ihrer Negation[20]. Wir fgen jetzt hinzu, dass genau dasselbe Verhltnis zwischen einem Ereignis und einer Handlung besteht. Beide sind zwar verschieden, aber materialiter besteht kein Unterschied zwischen ihnen. Genau wie in der Logik kann die Differenz dann nur in einem Form-Unterschied bestehen. Relativ zu einem Ereignis, das nichts weiter als Ereignis ist und sich in einer subjektlosen Welt abspielt, ist die Handlung im Hinblick auf ihre Formprinzipien strukturell redundant. Man kann infolgedessen auch umgekehrt sagen, jedes Ereignis ist eine Handlung, in der das Suchen nach Redundanz vergeblich ist. Aus diesem Grunde kann man auch dem Determinismus nicht widersprechen, denn wenn ein Ereignis ohne jegliche mythologische Zutaten beschrieben werden soll, dann ist es notwendig alle redundanten Elemente abzuziehen. Genau hier liegt auch der Unterschied zwischen Schpfung und Geschaffenem. Die Endlichkeit des Geschaffenen ist gegenber dem Akt der Schpfung nur ein Redundanzunterschied, also ein formeller. Hier tritt die fundamentale Kategorie der Wiederholung in ihr Recht. Im Amor Fati tritt nichts Neues zur Welt hinzu; es wird das, was ohnehin schon ist, noch einmal im Bilde wiederholt. Dabei erscheint im Amor Fati die Subjektivitt als Bejahung und nicht als Negation, whrend in der Logik die Negation als die Wiederholung erscheint, die bei der Beschreibung der dinglichen Welt und ihrer Kausalzusammenhnge abgestreift werden kann und muss. Wir stoen hier wieder auf das Isomorphieverhltnis zwischen Denken und Wollen, in dem sich die beiden als Relationsglieder eines Umtauschverhltnisses erweisen. Nur unter dieser Voraussetzung kann Fichte sagen, da unsere Freiheit selbst ein theoretisches Bestimmungsprinzip unserer Welt[21] ist. Damit ergibt sich das Folgende: Wenn der Unterschied zwischen Gesetz und Freiheit nur ein formeller ist und, soweit die transzendental-idealistische Logik in Frage kommt, der Inhalt von der Form nicht getrennt werden kann, kann die Unterscheidung zwischen Ereignis und Handlung nur darin liegen, dass sich in der Handlung jene Trennung von Form und Inhalt voll20 Reinhold Baer, Hegel und die Mathematik, in: Verhandlungen des zweiten HegelKongresses, 18. bis 21. Oktober 1931 in Berlin, hg. v. B. Wigersma, Tbingen 1932, 104-120, 104 f. 21 Fichte, a.a.O., 67.

zieht, die dem Denken nicht erlaubt ist. Es ist unter diesem Gesichtspunkt wissenschaftsgeschichtlich nicht zufllig, dass die abendlndische Kultur eine technische Bearbeitung der Welt wenn auch noch in primitiver Form geleistet hat, weil sie sich wissenschaftstheoretisch ausschlielich einer zweiwertigen Form der Logik bedient hat, die zu einer Trennung von Form und Inhalt zwingt, weil sie keinen Operator entwickeln kann, der den bergang von der Form zum Inhalt leisten kann. Von hier aus wird noch einmal deutlich sichtbar, wie sehr die Schellingsche Kritik an Hegel berechtigt ist. Es muss zwei Formen der Philosophie geben derart, dass in der ersten die Form vom Inhalt nicht getrennt ist. Aber genau diese Situation stellt ihrerseits die Aufgabe die Form vom Inhalt zu trennen, weil in der ersten Philosophie das Problem der Freiheit gegenber der Notwendigkeit berhaupt nicht erscheinen kann. Freiheit und Notwendigkeit verhalten sich zueinander wie reine Formgesetzlichkeit zur Inhaltsgesetzlichkeit. Wenn Fichte sagt, dass unsere Freiheit ein theoretisches Bestimmungsprinzip unserer Welt ist, so kann dieser Satz auch umgekehrt werden und wir knnen sagen, dass die Welt ein praktisches Bestimmungsprinzip der Freiheit ist. Anders ausgedrckt: die Trennung von Form und Inhalt ist eine Bedingung der Freiheit und umgekehrt liefert die Voraussetzung der Untrennbarkeit von Form und Inhalt die Theorie der Notwendigkeit. Der dialektische Zusammenhang zwischen Freiheit und Notwendigkeit wird hier ganz deutlich. Aber es wird hier auch ersichtlich, dass der wissenschaftstheoretische bergang vom klassischen Formalismus zum transzendentalen Idealismus selbst undialektisch bleibt, wenn man ihn fr endgltig hlt. Dadurch dass der Deutsche Idealismus seine eigene Unfhigkeit enthllt eine Philosophie der Freiheit zu entwickeln ist er gezwungen die Vorlufigkeit seiner These von der Untrennbarkeit von Form und Inhalt zuzugestehen. Die Handlung braucht ein Material, das auerhalb ihrer selbst ist und das von ihr bearbeitet werden kann. Aber in dieser Trennung von Arbeit und Zu-Bearbeitendem tritt die vorlufig ausgelschte Unterscheidung von Form und Inhalt wieder auf. Hier entdecken wir das grndende Prinzip der positiven Philosophie Schellings. Wir sehen einerseits wie die negative Philosophie Hegels der Schellingschen Altersphilosophie historisch sowohl wie systematisch vorausgehen muss. Wir sehen andererseits aber auch, dass trotz dieser Folgeordnung, was die Thematik der beiden Philosophien anbetrifft, ein thematisches Umtauschverhltnis zwischen beiden besteht. Wollen und Denken stellen gegenseitig vertauschbare Glieder einer symmetrischen Relation dar, zwischen denen es systematisch betrachtet kein eigentliches Prius gibt. Die Situation des Vor- und des Nachher entsteht dann, wenn wir einmal ber das Problem des Willens und des Handelns nachzu-

denken anfangen. Ein solches Bemhen setzt voraus, dass wir erst einmal das Denken und seine Gesetze haben, ehe wir etwas ber Willen und Handlung erfahren knnen. Nur in diesem beschrnkten Sinne ist es also richtig, wenn wir weiter oben sagten, dass die positive Philosophie der zeitliche und der systematische Nachfolger der negativen Philosophie ist. Andererseits aber muss wieder festgestellt werden, dass wir ja garnicht zu denken anfangen knnen, wenn wir nicht erst einmal denken wollen. Das Faktum des Wollens, ohne dass wir ber dasselbe auch nur das Geringste aussagen knnen, muss also seinerseits dem Denken vorausgesetzt werden, oder besser und mehr nach Schellings Geschmack es macht erst das Denken zu einem Reellen; oder noch anders: im Schellingschen Schema ist das Denken die erste Selbstrealisation des Willens. Er nennt sie Gott. Sie ist das Licht und selbst-transparent. Und in dieser Transparenz kann der Wille sich spter selbst durch das Denken verstehen. Das sollte in der positiven Philosophie spter geleistet werden. Dieses Spter aber ist, so mchten wir bemerken, auch heute noch nicht gekommen. Immerhin klren schon heute Schellings Bemhungen die wichtige Frage nach dem systematischen Ort des liberum arbitrium indifferentiae wohl endgltig auf. Diese Formulierung, in der sich ein angeblicher Wille einem Umtauschverhltnis von Motiven gegenber sieht, die von sich aus keinen Anreiz geben sich fr die eine oder die andere Seite zu entscheiden, die also letzten Endes, weil sich zwischen ihnen keine materialen Unterschiede angeben lassen, identisch sind, versucht den Willen in einem Zustand zu begreifen, in dem er noch nicht gehandelt hat. Wille und die Handlung, in der der Wille real wird, werden hier also getrennt. Der erste steht am Anfang der Schellingschen Philosophie, ist jenes Dunkel, aus dem die Existenz erst hervorsteigt. Die Handlung aber ist das Ende, in dem sich der Wille die erst aus ihm entlassene Existenz wieder aneignet und so fr sich selbst wirklich wird. Aber an diesem Punkte greift das Denken wieder ein; es blickt zurck auf den Weg, den es vom Schellingschen Dunkel her gegangen ist und es erkennt, dass jener Wille, von dem im liberum arbitrium indifferentiae die Rede ist, sich jetzt als ein Bild der Reflexion, die nicht zum Handeln kommt[22], enthllt. Vor dem angeblich primordialen Willen, aus dem alle Existenz kommt, steht also wieder die bildermachende Reflexion. Und wenn ein jetzt noch nicht desillusioniertes Denken weiter fragte, so wre es gezwungen vor jenes primordiale Bildermachen wieder einen Willen zu setzen, um den es noch dunkler wre. Umgekehrt, wollte man den Weg ber die positive Philosophie in die Zukunft hinaus verfolgen und dieser Weg darf nicht abgeschlossen werden, wenn wir nicht wieder bei dem Jngsten
22

Gehlen, a.a.O., 114.

Gericht, bezw. der realisierten Utopie landen wollen dann ergibt sich dass jenes Wechselspiel von Freiheit und Notwendigkeit, also von Denken und Wollen, sich auch hier in gleicher Weise fortsetzt. Das Denken in einer durch die Handlung vernderten Welt kann nicht mehr das gleiche sein wie das Denken, das sich einmal der reinen Natur gegenber sah. Ein Hinweis auf die Kybernetik sei hier gestattet. Wenn durch die menschliche Handlung als Technik theoretische Fhigkeiten, die die klassische Tradition ausschlielich dem Bewusstseinsraum zuwies, wie etwa Gedchtnis und logische Entscheidungsroutinen, jetzt in der Dimension physisch-natrlicher Objektivitt auftreten, dann wird dadurch fr die nicht distribuierte, im Bewusstseinsraum eingeschlossene Dialektik eine neue Ausgangssituation erzwungen. Wir kommen zum Schluss der bisherigen Betrachtungen, und wir beginnen mit dem Ergebnis, mit dem Schelling den systematischen Durchbruch durch den Idealismus erzwungen hat. Es ist unmglich, den Willen in der Idee aufzulsen und ihn der letzteren gnzlich untertan zu machen. Diese Tradition begann wenn nicht eher sich zu der Zeit zum philosophischen Leitmotiv des klassisch-philosophischen Denkens zu entwickeln, als Sokrates lehrte, dass die Tugend lehrbar sei und der Wille dem als wahr Erkannten folgen msse. Bei Kant ringt sich noch einmal die immer unterschwellig wirkende Gegenmeinung vom Primat der praktischen Vernunft durch, aber er widerlegt sich sofort, indem er im bloen Formalismus des privaten Gewissens stecken bleibt. Der Grund des sittlichen Weltgesetzes wird in der Sonderexistenz des Menschen gesucht, wo es nur regulative Idee bleibt. Erst bei Schelling bricht der Gedanke mit voller systematische Konsequenz durch, dass die Frage nach dem Primat von theoretischer und praktischer Vernunft niemals eine Antwort finden kann, weil sie falsch gestellt ist. Der Autor dieser Betrachtungen sagt dies mit vollem Bewusstsein der Tatsache, dass die Majoritt der bewussten Formulierungen Schellings noch auf einen Primat der praktischen Vernunft hinzielt. Wre das nicht der Fall, so drften bei ihm solche Worte wie Urzufall oder Wollen ist Ursein nicht vorkommen. Aber es handelt sich jetzt nicht darum, dass Schelling sich mit persnlicher subjektiver berzeugung fr einen Idealisten gehalten hat, sondern dass de facto die innere systematische Konsequenz seiner Gedankenfhrung ihn aus dieser Tradition herausgetrieben hat. Das ist schon anderweitig bezeugt worden. Wir haben schon Karl Jaspers angefhrt und wir mchten auch noch auf Helmut Schelskys Essay Schellings Philosophie des Willens und der Existenz aufmerksam machen, in dessen ersten Zeilen der Autor sofort erklrt: dass Schelling der einzige Idealist war, der den Idealismus berwunden hat, indem er Denkbereiche aufzeigte, die dem sich idealistisch

nennenden Denken keinen Zugriff gestatten[23]. Wir haben, soweit Schelling in Frage kommt, das in diesem Stadium der Untersuchung Mgliche getan, wenn wir einen systematischen Tatbestand herausschlen, den wir von jetzt ab das Orthogonalittsprinzip der Umtauschverhltnisse nennen wollen. Mit den andern Idealisten ist Schelling einig, dass Denken und Wollen im Gesetzesbegriff dasselbe sind. Und trotzdem schliet diese Formulierung die Mglichkeit nicht aus, dass die Identitt von Wollen und Intellekt derartig verstanden wird, dass das Wollen letzten Endes als untergeordnete Variante des Denkens erscheint. Das ist im Panlogismus Hegels der Fall. Vergegenwrtigt man sich aber den Existenzbegriff Schellings, so muss fr diesen Denker diese Interpretation unbedingt ausgeschlossen werden. Fr ihn decken sich Wille und Vernunft gegenseitig so, wie sich Sein und Nichts in der Hegelschen Logik gegenseitig abdecken, d.h. eben als reines Umtauschverhltnis zweier ebenbrtiger Relationsglieder. [...] Schelling glaubte bis zum Ende, die idealistische Position nirgends verlassen und sie nur betrchtlich erweitert zu haben. Aber diese seine Reflexionssituation machte es unmglich fr ihn zu sehen, welche Rolle das am Anfang dieser Betrachtungen von uns kurz berhrte Isomorphieproblem in der Entwicklung der Philosophie ber den Hegelschen Standpunkt hinaus spielen muss. Zwar ist seine Philosophie der Positivitt in der Anlage eine Umkehrung der Hegelschen Systematik; aber diese Umkehrung, soweit sie sich berhaupt in seinen Formulierungen uert, ist hchst drftig und berhaupt nicht auf eine Intention seinerseits zurckzufhren sondern eine Folgerung, die sich aus dem Gesetz der Sache selbst ergibt. Wenn wir sagen, dass Schelling niemals weiter als bis auf ein unklares Spiegelbild der Hegelschen Logik hinausgekommen ist, so meinen wir damit, dass wenn es Hegel nur zu einem Bilde des Seins gebracht hat, dann ist das Schellingsche Denken auch nur bis zu einem Bilde der Handlung gekommen und nicht zur wirklichen Handlung, denn die ist eben von der idealistischen Grundlage aus schlechterdings nicht zu erreichen. Hier unterliegt die Schellingsche Philosophie einer grandiosen Selbsttuschung, der Marx und seine Nachfolger nicht mehr zum Opfer gefallen sind. Wie Moses das Gelobte Land nur aus der Ferne sehen durfte, so liefert die positive Philosophie nur eine Fata Morgana, zu der keine Schritte hinfhren. Wieder lag es im Gesetz der Sache, dass das System der positiven Philosophie nie geschrieben worden ist. [...]

23 Helmut Schelsky, Schellings Philosophie des Willens und der Existenz, in: G. Gnther und ders., Christliche Metaphysik und das Schicksal des modernen Bewutseins, Leipzig 1937, 47-108, 47.

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