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Von Agatha Christie sind erschienen:
Das Agatha Christie Lesebuch
Agatha Christle's Miss Marple
Ihr Leben und ihre Abenteuer
Agatha Christie's Hercule Poirot
Sein Leben und seine Abenteuer
Alibi
Alter schtzt vor Scharfsinn nicht
Auch Pnktlichkeit kann tten
Auf doppelter Spur
Der balispielende Hund
Bertrams Hotel
Die besten Crime-Stories
Der blaue Expre
Blausure
Das Bse unter der Sonne
oder Rtsel um Arlena
Die Bchse der Pandora
Der Dienstagabend-Club
Ein diplomatischer Zwischenfall
Dreizehn bei Tisch
Elefanten vergessen nicht
Die ersten Arbeiten des Herkules
Das Eulenhaus
Das fahle Pferd
Fata Morgana
Das fehlende Glied in der Kette
Ein gefhrlicher Gegner
Das Geheimnis der Goldmine
Das Geheimnis der Schnallenschuhe
Das Geheimnis von Sittaford
Die groBen Vier
Das Haus an der Dne
Hercule Poirots grte Trmpfe
Hercule Poirot schlft nie
Hercule Poirots Weihnachten
Karibische Affaire
Die Katze im Taubenschlag
Die Kleptomanin
Das krumme Haus
Kurz vor Mitternacht
Lauter reizende alte Damen
Der letzte Joker
Die letzten Arbeiten des Herkules
Der Mann im braunen Anzug
Die Mausefalle und andere Fallen
Die Memoiren des Grafen
Mit offenen Karten
Mrderblumen
Mrdergarn
Die Mrder-Maschen
Mord auf dem Golfplatz
Mord im Orientexpre
Mord im Pfarrhaus
Mord im Spiegel
oder Dummheit ist gefhrlich
Mord in Mesopotamien
Mord nach Ma
Ein Mord wird angekndigt
Die Morde des Herrn ABC
Morphium
Nikotin
Poirot rechnet ab
Rchende Geister
Rotkppchen und der bse Woff
Ruhe unsanft
Die Schattenhand
Das Schicksal in Person
Schneewittchen-Party
Ein Schritt ins Leere
16 Uhr 50 ab Paddington
Der seltsame Mr. Quin
Sie kamen nach Bagdad
Das Sterben in Wychwood
Der Tod auf dem Nil
Tod in den Wolken
Der Tod wartet
Der Todeswirbel
Todlicher Irrtum
oder Feuerprobe der Unschuld
Die Tote in der Bibliothek
Der Unfall und andere Flle
Der unheimliche Weg
Das unvollendete Bildnis
Die vergeliche Mrderin
Vier Frauen und ein Mord
Vorhang
Der Wachsblumenstrau
Wiedersehen mrt Mrs. Oliver
Zehn kleine Negerlein
Zeugin der Anklage
Agatha Christie
Das Geheimnis der
Schnallenschuhe
Scherz
Bern
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Mnchen
Wien
berarbeitete Fassung der einzig berechtigten bertragung
aus dem Englischen von Ursula von Wiese
Titel des Originals: The Patriotic Murders
Schutzumschlag von Heinz Looser
Foto: Thomas Cugini
22. Auflage 1994, ISBN 3-502-51220-5
Copyright 1940,1941 by Agatha Christie Mallowan
Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag Bern und Mnchen
Gesamtherstellung: Ebner Ulm
S & C by Mik
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Mr. Morley war beim Frhstck nicht besonders guter
Laune. Er mkelte ber den gebratenen Speck, wollte
wissen, warum der Kaffee wie flssiger Schlamm aussehe, und brummte, jede neue Sorte Cornflakes sei
noch ungeniebarer als die vorhergehende.
Mr. Morley war ein kleiner Mann mit energischem
Unterkiefer und streitschtigem Kinn. Seine Schwester,
die ihm den Haushalt fhrte, war gro und krftig und
sah aus wie ein Grenadier. Sie betrachtete ihren Bruder
nachdenklich und fragte, ob das Badewasser wieder
kalt gewesen sei.
Ziemlich widerwillig verneinte Mr. Morley. Er warf
einen Blick in die Zeitung und knurrte, die Regierung
scheine nun von bloer Unfhigkeit in einen Zustand
regelrechten Schwachsinns berzugehen. Miss Morley
besttigte mit tiefer Bastimme, es sei einfach schndlich.
Nachdem sich Mr. Morley eingehend ber den
Schwachsinn der Regierung ausgelassen hatte, trank er
eine zweite Tasse von dem verachteten Kaffee und
entledigte sich der eigentlichen Last, die ihn bedrckte.
Die Mdchen, sagte er, sind alle gleich! Wankelmtig, egoistisch man kann sich in keiner Weise auf sie
verlassen.
Gladys? fragte der Grenadier, und Mr. Morley
knurrte: Ja! Ihre Tante ist schwer erkrankt, und sie hat
zu ihr nach Somerset fahren mssen.
Miss Morley meinte: Sehr unangenehm, mein Lieber,
aber es ist doch wohl kaum ihre Schuld.
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Mr. Morley schttelte dster den Kopf.
Woher soll ich wissen, da die Tante wirklich einen
Schlaganfall gehabt hat? Woher soll ich wissen, da die
ganze Sache nicht ein abgekartetes Spiel ist zwischen
dem Mdchen und diesem hchst unpassenden jungen
Mann, mit dem sie dauernd herumzieht? Der Bursche
ist ein Taugenichts, wie er im Buche steht! Wahrscheinlich haben sie fr heute einen Ausflug zusammen
verabredet!
Aber nein, mein Lieber ich kann mir nicht denken,
da Gladys so etwas tun wrde. Du hast sie doch selbst
immer sehr gewissenhaft gefunden.
Ja, ja
Ein intelligentes Mdchen, tchtig und fleiig, hast du
gesagt.
Ja, ja, Georgina aber das war, ehe dieser unwillkommene junge Mann aufgetaucht ist. In der letzten Zeit ist
sie anders geworden ganz anders: geistesabwesend,
zerstreut, nervs.
Der Grenadier tat einen tiefen Seufzer.
Es ist nun einmal so, Henry, da Mdchen sich verlieben. Dagegen lt sich nichts machen.
Das sollte aber ihre Arbeit als meine Sekretrin nicht
beeintrchtigen! schnauzte Morley. Und gerade
heute, da ich besonders viel zu tun habe! Verschiedene
sehr wichtige Patienten. Hchst unangenehm!
Ich bin berzeugt, da es fr dich uerst lstig sein
mu, Henry. Wie macht sich brigens der neue Boy?
Mr. Morley sagte dster: Es ist der rgste, den ich jemals gehabt habe. Kann keinen einzigen Namen richtig
verstehen und hat die grbsten Manieren. Wenn er sich
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nicht bessert, werfe ich ihn raus und versuche es mit
einem anderen. Ich wei nicht, was heutzutage in
unseren Schulen los ist. Produzieren lauter Schwachkpfe, die nichts von dem verstehen, was man ihnen
sagt, geschweige denn, da sie es behalten.
Er sah auf die Uhr.
Ich mu runtergehen. Ein vollbesetzter Vormittag, und
auerdem mu ich noch diese Sainsbury Seale zwischendurch drannehmen, weil sie Schmerzen hat. Ich
hab ihr vorgeschlagen, sich von Reilly behandeln zu
lassen, aber sie hat nichts davon wissen wollen.
Natrlich nicht, sagte Georgina. Reilly ist sehr
tchtig wirklich sehr tchtig. Erstklassige Diplome.
Ganz modern in seiner Arbeit.
Er hat keine ruhige Hand, murrte Miss Morley.
Meiner Meinung nach trinkt er.
Ihr Bruder lachte seine gute Laune war wiederhergestellt.
Ich komme, wie gewhnlich, um halb zwei zu einem
Sandwich rauf! sagte er.
Im Savoy stocherte Mr. Amberiotis in den Zhnen und
lachte vor sich hin. Alles lief nach Wunsch. Er hatte
Glck gehabt, wie gewhnlich. Kaum zu glauben, da
die paar freundlichen Worte, die er mit diesem trichten Frauenzimmer gesprochen hatte, sich derart bezahlt
machten! Ja man mute eben ein gtiger, freundlicher
Mensch sein. Und grozgig! Knftig wrde er sogar
noch grozgiger sein knnen. Der kleine Dimitri...
Und der gute Konstantopopolous, der sich mit seinem
kleinen Restaurant so plagen mute. Was fr angeneh7
me berraschungen standen ihnen bevor... Der Zahnstocher rutschte aus, und Mr. Amberiotis zuckte zusammen. Die rosigen Zukunftsvisionen verblaten und
machten den Sorgen der unmittelbaren Gegenwart
Platz. Er fhlte vorsichtig mit der Zunge und nahm sein
kleines Notizbuch aus der Tasche.
Zwlf Uhr, Queen Charlotte Street 58. Er versuchte,
sich wieder in die frhere triumphierende Stimmung zu
versetzen, aber vergeblich. Die Welt war zu sechs drftigen Worten zusammengeschrumpft: Zwlf Uhr,
Queen Charlotte Street 58.
Im Glengowrie Court Hotel in South Kensington war
das Frhstck vorbei. Miss Sainsbury Seale sa in der
Halle und unterhielt sich mit Mrs. Bolitho. Ihre Tische
im Speisesaal standen nebeneinander, und sie hatten
sich am Tage nach Miss Seales Ankunft vor einer Woche kennengelernt.
Miss Sainsbury Seale sagte: Wissen Sie, meine Liebe,
der Schmerz hat wirklich aufgehrt! Nicht mehr der
kleinste Stich! Ich mchte eigentlich fast anrufen
und...
Mrs. Bolitho unterbrach sie: Also, jetzt seien Sie nicht
tricht, meine Liebe. Sie gehen zum Zahnarzt, und
dann haben Sie es hinter sich.
Mrs. Bolitho war eine groe, imponierende Person mit
einer tiefen Stimme. Miss Sainsbury Seale war ein Wesen um die Vierzig mit gebleichtem Haar, das ihr in unordentlichen Locken um den Kopf hing. Ihre Kleider
hatten keine rechte Form und sahen irgendwie knstlerisch aus; sie trug einen Zwicker, der dauernd herun8
terfiel, und redete viel.
Jetzt sagte sie schchtern: Aber ich habe wirklich
berhaupt keine Schmerzen mehr.
Unsinn. Sie haben mir doch erzhlt, da Sie in der
Nacht kein Auge schlieen konnten.
Ja, das stimmt das stimmt wirklich aber vielleicht
ist der Nerv jetzt tatschlich tot.
Ein Grund mehr, um zum Zahnarzt zu gehen, erklrte
Mrs. Bolitho energisch. Wir schieben es alle gern hinaus, aber das ist blo Feigheit. Besser, man gibt sich
einen Ruck und hat es dann hinter sich.
Miss Sainsbury Seale setzte zu einer Antwort an. Vielleicht wollte sie rebellisch murmeln: Ja, aber es ist
schlielich nicht Ihr Zahn! Sie sagte jedoch nur:
Wahrscheinlich haben Sie recht. Und Mr. Morley ist
ja auch so vorsichtig und tut einem berhaupt nicht
weh.
Die Sitzung des Verwaltungsrats war vorber. Alles
war glattgelaufen. Der Geschftsbericht war glnzend.
Kein Miton wre am Platz gewesen. Und doch hatte
Samuel Rotherstein, der eine Art sechsten Sinn fr so
etwas besa, Derartiges empfunden: eine winzige Nuance im Auftreten des Prsidenten. Einige Male hatte
seine Stimme eine Schrfe angenommen, die durch den
Verlauf der Sitzung keineswegs gerechtfertigt war.
Vielleicht irgendein geheimer Kummer? Allerdings war
Rotherstein nicht imstande, die Vorstellung eines
geheimen Kummers mit Alistair Blunt in Verbindung
zu bringen. Dazu war der Mann zu leidenschaftslos. Er
war so normal so vollkommen britisch. Natrlich
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konnte es die Leber sein. Auch Mr. Rotherstein hatte
von Zeit zu Zeit Leberbeschwerden. Aber Alistair hatte
noch niemals ber seine Leber geklagt. Seine Gesundheit war ebenso unerschtterlich wie seine Nerven und
sein finanzielles Geschick. Und doch irgend etwas
war da: Ein- oder zweimal hatte sich der Prsident mit
der Hand ans Gesicht gegriffen. Er hatte im Sitzen das
Kinn aufgesttzt, eine fr ihn ungewhnliche Haltung.
Und ein paarmal hatte er ja, man mute schon sagen:
zerstreut ausgesehen.
Die Herren verlieen das Sitzungszimmer und gingen
die Treppe hinunter.
Rotherstein sagte: Ich kann Sie wohl nicht im Wagen
mitnehmen?
Alistair Blunt schttelte lchelnd den Kopf.
Ich habe meinen eigenen Wagen unten. Er schaute
auf die Uhr. Ich fahre nicht in die City zurck. Nach
einer Pause fgte er hinzu: Ich mu nmlich zum
Zahnarzt.
Hercule Poirot stieg aus seinem Taxi, zahlte und klingelte am Haus Queen Charlotte Street 58. Ein Bursche
in roter Uniform ffnete die Tr; er hatte Sommersprossen, rote Haare und einen ernsten Gesichtsausdruck.
Hercule Poirot sagte: Zu Mr. Morley!
Tief im Herzen gab er sich der lcherlichen Hoffnung
hin, Mr. Morley sei vielleicht unplich, sei abberufen
worden oder knnte heute keine Patienten empfangen...
Alles vergebens. Der Boy trat zurck, Hercule Poirot
schritt durch den Hauseingang, und die Tr fiel mit der
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ruhigen Gefhllosigkeit eines unabnderlichen Verhngnisses hinter ihm zu.
Der Boy fragte: Ihren Namen, bitte?
Poirot nannte seinen Namen; eine Tr auf der rechten
Seite der Halle flog auf, und er betrat das Wartezimmer. Der Raum war geschmackvoll mbliert und
wirkte auf Hercule Poirot unbeschreiblich niederdrckend. Auf dem polierten Sheraton-Tisch lagen,
sorgfltig geordnet, Zeitungen und Zeitschriften. Auf
der Hepplewhite-Anrichte standen zwei versilberte
Leuchter und ein Tafelaufsatz. Den Kaminsims krnten
zwei Bronzevasen und eine bronzene Uhr. An den
Fenstern hingen blaue Samtvorhnge. Die Sesselbezge
waren mit roten Vgeln und Blumen gemustert.
In einem der Sessel sa ein militrisch aussehender
Herr mit grimmigem Schnurrbart und gelber Hautfarbe.
Er betrachtete Poirot, als hielte er ihn fr irgendein
schdliches Insekt. Er schien nicht so sehr eine Schuwaffe zu vermissen als eine Flitspritze. Poirot sah ihn
verdrielich an und dachte: Manche Englnder sind
wirklich dermaen unerfreulich und lcherlich, da
man sie schon bei der Geburt von ihrem Leiden erlsen
mte.
Nach lngerem Glotzen ri der militrische Herr die
Times an sich, rckte seinen Sessel so, da ihm Poirots
Anblick erspart blieb, und begann zu lesen.
Poirot griff nach dem Punch. Er ging ihn sorgfltig
durch, konnte aber keinen der Witze komisch finden.
Der Boy kam herein, sagte: Colonel Arrowbumby?
und fhrte den militrisch aussehenden Herr hinaus.
Whrend Poirot noch darber nachdachte, ob es einen
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so unwahrscheinlichen Namen tatschlich geben
konnte, ging die Tr von neuem auf, und es erschien
ein junger Mann von etwa dreiig Jahren. Er trat an den
Tisch und bltterte unruhig in den Zeitschriften.
Poirot sah ihn von der Seite an und dachte: Ein unangenehmer, gefhrlich aussehender junger Mann mglicherweise ein Mrder. Jedenfalls sah er weit mehr wie
ein Mrder aus als viele von den Mrdern, die Hercule
Poirot im Laufe seiner Karriere geschnappt hatte.
Der Boy ffnete die Tr und sagte in die leere Luft:
Mr. Pierer?
Poirot zog den richtigen Schlu, da diese Aufforderung ihm galt, und erhob sich. Er folgte dem Boy
zum hinteren Ende der Halle und um die Ecke zu einem
kleinen Aufzug, der sie in den zweiten Stock brachte.
Dort fhrte ihn der Boy einen Gang entlang, ffnete die
Tr zu einem kleinen Vorzimmer, klopfte an die zweite
Tr, ffnete diese, ohne eine Antwort abzuwarten, und
trat zurck, um Poirot eintreten zu lassen.
Unter dem Rauschen von flieendem Wasser ging Poirot hinein und entdeckte hinter der Tr Mr. Morley, der
sich mit berufsmiger Grndlichkeit in einem Becken
an der Wand die Hnde wusch.
Auch im Leben der grten Mnner gibt es gewisse
demtigende Situationen. Man pflegt zu sagen, da niemand vor seinem Kammerdiener ein Held ist. Es
knnte hinzugefgt werden, da wenige Mnner vor
sich selbst Helden sind, wenn sie den Zahnarzt besuchen.
Hercule Poirot war sich dieser Tatsache mit geradezu
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morbider Schrfe bewut. Gewhnlich hatte er eine
sehr gute Meinung von sich selbst. Er, Hercule Poirot,
war anderen Mnnern in vielfacher Beziehung berlegen. In diesem Augenblick jedoch war er unfhig, sich
in irgendeiner Beziehung berlegen zu fhlen. Seine
Moral hatte den Nullpunkt erreicht. Er war jetzt nichts
anderes als jenes wohlbekannte feige Wesen: ein
Mensch, der sich vor dem Zahnarzt frchtet.
Mr. Morley hatte seine professionellen Waschungen
beendet und sagte nun in seinem professionell ermunternden Ton: Lngst nicht warm genug fr diese Jahreszeit, nicht wahr?
Sachte geleitete er den Patienten an den kritischen Ort
zum Behandlungsstuhl! Er spielte gewandt mit der
Kopfsttze, die er auf und nieder gleiten lie. Hercule
Poirot tat einen tiefen Atemzug, stieg hinauf, setzte sich
hin und berlie seinen Kopf ergeben den Hnden Mr.
Morleys.
Haben Sie irgendwelche besonderen Beschwerden?
fragte er.
Etwas undeutlich, da die Bildung der Konsonanten mit
offenem Mund ihm Schwierigkeiten bereitete, gab
Hercule Poirot zu verstehen, da keine besonderen
Beschwerden zu verzeichnen seien. In der Tat handelte
es sich nur um eine der beiden regelmigen jhrlichen
Untersuchungen, die sein Sinn fr Ordnung und Reinlichkeit verlangte. Es war natrlich mglich, da es
berhaupt nichts zu tun gab... Vielleicht bersah Mr.
Morley den zweiten Zahn von hinten, der ihn unlngst
so gezwickt hatte... vielleicht aber nicht wahrscheinlich, denn Mr. Morley war ein sehr guter Zahnarzt.
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Mr. Morley ging langsam von Zahn zu Zahn, klopfte,
stocherte und murmelte dazu kleine Bemerkungen.
Diese Fllung ist ein bichen abgentzt nichts Ernstes. Das Zahnfleisch ist erfreulicherweise in recht gutem Zustand. Aufenthalt an einer verdchtigen Stelle;
eine Drehung der Sonde nein, weiter falscher
Alarm. Jetzt nahm er den Unterkiefer vor. Nummer
eins, Nummer zwei weiter auf Nummer drei? Nein
Der Hund, dachte Poirot mit einem wirren Vergleich,
hat den Hasen gewittert!
Hier ist eine kleine Stelle. Haben Sie da gar keine
Schmerzen gehabt? Hm, merkwrdig.
Die Untersuchung ging weiter. Endlich richtete sich
Mr. Morley befriedigt auf.
Alles in allem nichts Ernstes. Blo zwei Fllungen
und eine Spur von Karies an dem einen oberen Backenzahn. Ich glaube, wir knnen die ganze Arbeit in der
heutigen Sitzung erledigen.
Er knipste einen Schalter an, und ein Summen ertnte.
Mr. Morley nahm den Bohrer vom Haken und setzte
mit liebevoller Sorgfalt eine Nadel ein.
Sagen Sie, wenn es weh tut, befahl er kurz und
machte sich an sein furchtbares Werk.
Poirot brauchte von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch
zu machen; er brauchte nicht die Hand zu heben, zusammenzuzucken oder gar zu brllen. Genau im richtigen Augenblick hielt Mr. Morley den Bohrer an, erteilte kurz den Befehl aussplen, tupfte etwas auf den
Zahn, whlte eine neue Nadel und bohrte weiter. Die
Folter der Bohrmaschine bestand mehr in der Furcht als
im Schmerz.
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Whrend Mr. Morley die Fllung vorbereitete, wurde
das Gesprch aufgenommen.
Mu heute alles selbst machen, erklrte er. Miss
Nevill ist abberufen worden. Sie erinnern sich doch an
Miss Nevill?
Poirot bejahte die Frage heuchlerisch.
Mute zu einer kranken Verwandten aufs Land fahren.
Solche Sachen passieren immer, wenn gerade viel zu
tun ist. Ich bin heute morgen schon im Rckstand. Der
Patient vor Ihnen hat sich versptet. Sehr unangenehm,
wenn so etwas vorkommt. Wirft den ganzen Terminplan um. Dann mu ich noch eine Patientin einschieben, weil sie Schmerzen hat. Fr solche Flle reserviere
ich am Vormittag immer eine Extra-Viertelstunde.
Immerhin, es verstrkt den Andrang.
Mr. Morley guckte prfend in seinen kleinen Mrser.
Dann nahm er das Gesprch wieder auf.
Ich werde Ihnen sagen, was ich immer beobachtet
habe, Mr. Poirot. Die groen Leute, die bedeutenden
Leute, halten sich immer genau an die Zeit lassen
einen niemals warten. Frstlichkeiten zum Beispiel.
uerst pnktlich. Und mit den groen Geschftsleuten
ist es ebenso. Gerade heute vormittag kommt ein sehr
wichtiger Mann zu mir Alistair Blunt! Mr. Morley
betonte den Namen mit triumphierendem Klang.
Poirot, der durch mehrere Watterllchen und ein unter
seiner Zunge glucksendes Glasrhrchen am Sprechen
gehindert war, gab ein unbestimmtes Gerusch von
sich.
Alistair Blunt! Solche Namen waren es, die einen
heutzutage erschauern lieen! Nicht Herzge, Grafen
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oder Ministerprsidenten nein, Alistair Blunt. Ein
Mann, dessen Gesicht dem groen Publikum fast unbekannt war dessen Name nur in einer gelegentlichen
kleinen Zeitungsnotiz auftauchte. Keineswegs eine auffallende Erscheinung. Blo ein stiller, uerlich durch
nichts bemerkenswerter Englnder, der an der Spitze
der grten englischen Bankfirma stand.
Ein Mann von ungeheurem Reichtum, ein Mann, dessen Wort Regierungen bildete und strzte und der doch
nur ein ruhiges, bescheidenes Leben fhrte, der niemals
ffentlich auftrat oder Reden hielt. Und doch ein Mann,
in dessen Hnden hchste Macht lag...
Mr. Morleys Stimme klang immer noch ehrfrchtig, als
er sich ber Poirot beugte und die Fllung in den Zahn
prete.
Kommt zu seinen Sitzungen immer pnktlich auf die
Minute. Schickt seinen Wagen oft weg und geht zu Fu
ins Bro zurck. Netter, stiller, anspruchsloser Mensch.
Spielt gern Golf und interessiert sich sehr fr seinen
Garten. Man kme nie auf die Idee, da der Mann halb
Europa aufkaufen knnte, ein ganz einfacher Mensch
wie Sie und ich.
Bei dieser unberlegten Personenverbindung stieg ein
pltzlicher Groll in Poirot auf. Zugegeben, Mr. Morley
war ein guter Zahnarzt; aber es gab noch andere gute
Zahnrzte in London. Es gab jedoch nur einen Hercule
Poirot.
Bitte splen, gebot Mr. Morley. Kritisch schaute er
seinem Patienten in den Mund. So, das scheint in
Ordnung zu sein. Schlieen Sie bitte den Mund langsam. Geht es ganz bequem? Sie spren die Fllung gar
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nicht? Bitte nochmals ffnen. Nein, das scheint ganz in
Ordnung.
Das Tischchen schwang zurck, der Sessel drehte sich.
Hercule Poirot kletterte herab, ein freier Mann.
Also, auf Wiedersehen, M. Poirot. Ich hoffe, Sie haben in meinem Haus keinen Verbrecher aufgesprt?
Poirot sagte lchelnd: Vorhin erschien mir jeder wie
ein Verbrecher! Jetzt wird sich das vielleicht gendert
haben.
Ah, ja vor oder nach dem Zahnarzt: Das macht einen
gewaltigen Unterschied! Obwohl wir die Leute heutzutage nicht mehr so qulen wie frher. Soll ich fr Sie
nach dem Aufzug klingeln?
Nein, nein, ich gehe zu Fu.
Wie Sie wollen, der Aufzug ist gleich neben der
Treppe.
Poirot ging hinaus. Als er die Tr hinter sich schlo,
hrte er, wie das Wasser im Waschbecken zu rauschen
begann. Er ging die zwei Stockwerke hinunter. Vom
letzten Treppenabsatz aus sah er, wie der angloindische
Colonel zur Tr gefhrt wurde. Der Mann sieht gar
nicht so bel aus, dachte Poirot besnftigt. Vermutlich
ein ausgezeichneter Schtze, der manchen Tiger erlegt
hat. Ein brauchbarer Mann eine regelrechte Sttze des
Empire.
Er betrat das Wartezimmer, um Hut und Stock zu holen, die er dortgelassen hatte. Zu seinem Erstaunen war
der unruhige junge Mann immer noch da. Ein weiterer
Patient las den Field.
Poirots neuerwachte wohlwollende Stimmung veranlate ihn, den jungen Mann nher zu betrachten. Er sah
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immer noch so wild aus, als wolle er einen Mord begehen aber nicht eigentlich wie ein Mrder, dachte
Poirot freundlich. In kurzer Zeit wrde dieser junge
Mann nach berstandener Folter zweifellos mit vergngtem Lcheln die Treppe hinabspringen und niemandem etwas Bses wnschen.
Der Boy kam herein und sagte klar und deutlich: Mr.
Blunt.
Der Mann, der am Tisch sa, legte den Field hin und
stand auf. Mittelgro, in mittleren Jahren, weder dick
noch mager. Gut angezogen, ruhig. Er verlie hinter
dem Boy das Zimmer.
Einer der reichsten und mchtigsten Mnner Englands
und doch mute er wie jeder gewhnliche Mensch
zum Zahnarzt gehen und dort dieselben Seelenqualen
durchmachen wie jeder andere!
Dieser Gedanke scho Poirot durch den Kopf, whrend
er Hut und Stock nahm und zur Tr ging. Auf der
Schwelle sah er sich noch einmal um und erschrak: Der
junge Mann mute in der Tat sehr bse Zahnschmerzen
haben!
In der Halle blieb Poirot einen Augenblick vor dem
Spiegel stehen, um seinen Schnurrbart in Ordnung zu
bringen, der durch Mr. Morleys Bemhungen leicht
durcheinandergeraten war.
Eben hatte er das Werk zu seiner Zufriedenheit vollendet, als der Lift wieder herunterkam und der Boy unter
mitnendem Pfeifen aus dem hinteren Teil der Halle
auftauchte. Beim Anblick Poirots brach er seine musikalische Darbietung abrupt ab und kam nach vorn, um
ihm die Haustr zu ffnen.
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In diesem Augenblick fuhr ein Taxi vor, die Tr ffnete
sich, und ein weiblicher Fu wurde sichtbar. Poirot
betrachtete den Fu mit galantem Interesse. Eine
schmale Fessel, ein Strumpf von recht guter Qualitt.
Gar kein schlechter Fu. Aber der Schuh gefiel ihm
nicht. Ein nagelneuer Lackschuh mit einer groen,
blitzenden Schnalle. Er schttelte den Kopf. Nicht
schick geradezu provinziell!
Als die Dame aus dem Taxi stieg, blieb sie mit dem andern Fu an der Tr hngen und ri sich dabei die
Schnalle ab, die klirrend aufs Pflaster fiel. Ritterlich
sprang Poirot hinzu, hob die Schnalle auf und berreichte sie der Eigentmerin mit einer Verbeugung. O
weh! Eher fnfzig als vierzig. Zwicker auf der Nase.
Unordentliches, gelblichgraues Haar ein Kleid, das
ihr nicht stand: ein scheuliches, niederdrckendes
Grn! Sie dankte ihm: Der Zwicker fiel zu Boden, die
Tasche folgte. Poirot, hflich wie immer, wenn auch
nicht mehr galant, hob beides auf.
Sie ging die Stufen zum Haus Queen Charlotte Street
58 hinauf, und Poirot wandte sich an den Chauffeur,
der mrrisch sein mageres Trinkgeld betrachtete.
Sie sind frei, was?
Der Chauffeur sagte dster: Ja, ja, ich bin frei.
Ich auch, sagte Hercule Poirot. Frei von allen Sorgen!
Er bemerkte, da der Mann ihn mit tiefem Mitrauen
ansah.
Nein, lieber Freund, ich bin nicht betrunken. Ich bin
nur beim Zahnarzt gewesen und mu erst in sechs
Monaten wieder hin. Das ist ein wundervolles Gefhl.
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Es war Viertel vor drei, als das Telefon lutete. Hercule
Poirot sa gerade in seinem Lehnstuhl und verdaute
zufrieden ein ausgezeichnetes Mittagsmahl. Er rhrte
sich nicht, als das Klingelzeichen ertnte, sondern
wartete darauf, da der treue George erscheinen und
das Gesprch entgegennehmen wrde.
Eh bien? fragte er, als George: Einen Augenblick
murmelte und den Hrer senkte.
Es ist Chefinspektor Japp.
Aha! Poirot hob den Hrer ans Ohr. Eh bien, mon
vieux, sagte er. Wie geht es?
Sind Sie es, Poirot?
Natrlich.
Ich hre, Sie sind heute frh beim Zahnarzt gewesen?
Stimmt das?
Scotland Yard erfhrt alles, murmelte Poirot.
Bei einem gewissen Morley, Queen Charlotte Street
58?
Ja. Poirots Stimme hatte sich verndert. Warum?
Es war ein richtiger Besuch beim Zahnarzt, ja? Ich
meine Sie sind nicht hingegangen, um etwas herauszukriegen oder so? fuhr Chefinspektor Japp fort.
Keineswegs. Wenn Sie es genau wissen wollen: Er hat
mir drei Fllungen gemacht, antwortete Poirot.
Was fr einen Eindruck haben Sie von ihm gehabt?
Hat er sich so benommen wie immer?
Doch, das mchte ich eigentlich behaupten. Warum?
Japps Stimme war von berufsmiger Khle.
Weil er sich kurz darauf erschossen hat.
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Was?
Japp fragte scharf: Das berrascht Sie?
Offen gestanden: ja.
Ich sehe in der Sache nicht ganz klar, sagte Japp.
Wrde gern mit Ihnen darber sprechen. Sie knnen
wohl nicht vorbeikommen, oder?
Wo sind Sie denn?
In der Queen Charlotte Street.
Ich komme sofort! erwiderte Poirot.
Die Haustr von Nummer 58 wurde von einem Polizisten geffnet. Er fragte respektvoll: M. Poirot?
Jawohl!
Der Chefinspektor ist oben im zweiten Stock. Sie wissen, wo?
Ich war heute vormittag da.
Drei Mnner befanden sich im Zimmer. Japp schaute
auf, als Poirot hereinkam.
Freue mich, Sie zu sehen, Poirot. Wir wollen ihn gerade abtransportieren. Mchten Sie ihn vorher sehen?
Ein Mann mit einer Kamera, der neben der Leiche
gekniet hatte, stand auf. Poirot trat vor. Die Leiche lag
in der Nhe des Kamins. Mr. Morley sah im Tod fast so
aus, wie er im Leben ausgesehen hatte. Knapp unter
seiner rechten Schlfe sa ein kleines, geschwrztes
Loch. Eine kleine Pistole lag neben seiner ausgestreckten Hand auf dem Fuboden. Poirot schttelte
langsam den Kopf.
Japp sagte: Also gut, Sie knnen ihn jetzt fortschaffen.
Mr. Morley wurde hinausgetragen. Japp und Poirot
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blieben allein.
Poirot setzte sich und sagte: Erzhlen Sie.
Japps Gesicht war sehr nachdenklich.
Es ist mglich, da er sich erschossen hat. Es ist sogar
wahrscheinlich. Auf der Waffe sind nur seine eigenen
Fingerabdrcke. Aber ganz berzeugt bin ich nicht.
Was spricht Ihrer Auffassung nach dagegen?
Also, zunchst einmal sehe ich keinen Grund fr einen
Selbstmord. Morley war gesund, er hat gut verdient,
und niemand wei etwas von Sorgen, die er gehabt
haben knnte. Er war auch in keine Weibergeschichte
verwickelt.
Japp verbesserte sich vorsichtig: Wenigstens soweit
wir wissen. Er war nicht trbsinnig oder bedrckt oder
anders als sonst. Das ist einer der Grnde, weswegen
mir daran liegt, Ihre Meinung zu hren. Sie haben ihn
heute frh gesehen, und ich wrde gern wissen, ob
Ihnen etwas Besonderes aufgefallen ist.
Poirot schttelte den Kopf.
Gar nichts. Er war wie soll ich sagen die Normalitt in Person.
Das lt die Sache in einem merkwrdigen Licht erscheinen, nicht wahr? Jedenfalls wrde man nicht annehmen, da jemand sich sozusagen mitten in der
Geschftszeit erschiet. Warum hat er nicht bis heute
abend gewartet? Das wre das Natrliche gewesen.
Poirot pflichtete ihm bei.
Wann hat sich die Tragdie ereignet?
Schwer zu sagen. Anscheinend hat niemand den
Schu gehrt. Aber das war auch nicht gut mglich.
Zwischen diesem Zimmer und dem Korridor liegen
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zwei Tren, die beide mit Filz abgedichtet sind.
Wann ist er aufgefunden worden?
Ungefhr um halb zwei durch den Boy Alfred
Biggs. Kein groes Kirchenlicht, in keiner Beziehung.
Anscheinend hat die Patientin, die fr halb ein Uhr bestellt war, Krach geschlagen, weil sie so lange warten
mute. Etwa um ein Uhr zehn ist der Boy heraufgekommen und hat geklopft. Er bekam keine Antwort und
wagte offenbar nicht, hineinzugehen. Morley hatte ihn
schon ein paarmal angeschnauzt, und er hatte Angst,
wieder etwas verkehrt zu machen. So ging er wieder
hinunter, und die Patientin hat um ein Uhr fnfzehn
wutschnaubend das Haus verlassen. Ich kann es ihr
nicht verbeln. Man hatte sie fast eine Stunde warten
lassen, und sie wollte zu Mittag essen.
Wer war die Patientin?
Japp grinste.
Der Aussage des Boys nach eine Miss Shirty aber
aus dem Ordinationsbuch geht hervor, da sie Kirby
hie.
Wie hat sich das Hereinrufen der Patienten gewhnlich abgespielt?
Wenn Morley bereit war, den nchsten Patienten zu
empfangen, hat er auf den Klingelknopf dort drben
gedrckt, und dann hat der Boy den Patienten heraufgebracht.
Und wann hat Morley zum letzten Mal auf den Klingelknopf gedrckt?
Fnf Minuten nach zwlf. Der Boy hat den wartenden
Patienten heraufgefhrt. Laut Ordinationsbuch war es
Mr. Amberiotis, zur Zeit im Savoy wohnend.
23
Ein schwaches Lcheln umspielte Poirots Lippen. Er
murmelte: Ich bin neugierig, was unser Boy aus dem
Namen gemacht hat!
Ein hbsches Durcheinander, mchte ich behaupten.
Wir knnen ihn ja fragen, wenn uns nach Lachen zumute ist.
Poirot sagte: Und um welche Zeit ist dieser Mr. Amberiotis fortgegangen?
Das wei der Boy nicht, weil er ihn nicht hinausgelassen hat. Viele Patienten gehen einfach die Treppen hinunter, ohne nach dem Lift zu klingeln, und verlassen
ungesehen das Haus.
Poirot nickte.
Japp fuhr fort: Aber ich habe im Savoy angerufen. Mr.
Amberiotis hat mir ganz przise Angaben gemacht. Er
sagt, er habe auf die Uhr gesehen, als er die Haustr
hinter sich schlo, und da sei es fnfundzwanzig Minuten nach zwlf gewesen.
Etwas von Bedeutung konnte er Ihnen nicht mitteilen?
Nein. Er meinte nur, der Zahnarzt habe einen vollkommen normalen und ruhigen Eindruck gemacht.
Eh bien, murmelte Poirot, das ist also anscheinend
ganz klar. Zwischen zwlf Uhr fnfundzwanzig und ein
Uhr dreiig ist etwas vorgefallen und zwar vermutlich
eher gegen den ersten Zeitpunkt hin.
Richtig, denn sonst...
Sonst htte er nach dem nchsten Patienten geklingelt.
Ganz meine Meinung. Dem entspricht auch der rztliche Befund, soweit man damit etwas anfangen kann.
24
Der Polizeiarzt hat die Leiche untersucht um zwei
Uhr zwanzig. Er wollte sich nicht festlegen das tun
sie heutzutage nie, angeblich wegen der Verschiedenheiten in der individuellen Reaktion. Immerhin sagt er,
da Morley nicht spter als ein Uhr erschossen worden
ist, wahrscheinlich aber sogar erheblich frher eine
bestimmtere Angabe wollte er nicht machen.
Poirot meinte nachdenklich: Dann ist also unser
Zahnarzt um zwlf Uhr fnfundzwanzig ein normaler
Zahnarzt, liebenswrdig, gesittet und tchtig. Und danach? Verzweiflung, Entsetzen was Sie wollen , und
er erschiet sich.
Komisch ist es schon, sagte Japp. Sie mssen zugeben, da es komisch ist.
Komisch, meinte Poirot, ist nicht das richtige
Wort.
Ja, ja, ich wei aber man sagt das eben so. Es ist
sonderbar wenn Ihnen dieses Wort besser gefllt.
Hat die Pistole ihm gehrt?
Nein, er hat berhaupt keine besessen. Hat nie eine
besessen. Seine Schwester behauptet, im ganzen Haus
sei keine Waffe. Natrlich knnte er sie gekauft haben,
falls er sich entschlossen hatte, Selbstmord zu begehen.
Wenn ja, werden wir bald Nheres darber wissen.
Poirot fragte: Worber machen Sie sich sonst noch
Gedanken?
Japp rieb sich die Nase.
Nun zum Beispiel ber die Art, wie er dalag. Ich
will nicht behaupten, da es unmglich ist, so hinzufallen aber irgend etwas daran hat nicht gestimmt!
Und dann waren auch auf dem Teppich ein paar Spuren
25
als ob etwas darbergeschleift worden wre.
Das knnte entschieden eine Bedeutung haben.
Ja falls nicht der Boy die Hand dabei im Spiel hat.
Ich habe das Gefhl, da vielleicht er versucht hat, die
Leiche vom Platz zu bewegen, nachdem er sie entdeckt
hatte. Das leugnet er natrlich, aber vielleicht blo aus
Angst. Er ist einer von diesen jungen Eseln, die immer
irgendeine Ungeschicklichkeit begehen, dann dafr
angeschrien werden und infolgedessen fast automatisch
dazu gelangen, in jeder Lebenslage zu lgen.
Poirot sah sich nachdenklich im Zimmer um. Er
schaute auf das Waschbecken, das hinter der Tr an der
Wand befestigt war, und auf den hohen Akten-schrank
auf der anderen Seite der Tr. Auf den Behandlungsstuhl und die ihn umgebenden Apparaturen beim
Fenster, dann auf den Kamin und schlielich wieder auf
die Stelle, wo die Leiche gelegen hatte; neben dem
Kamin befand sich eine zweite Tr.
Japp deutete auf die Tr neben dem Kamin.
Da drin ist noch ein kleines Bro.
Er ffnete die Tr. Sie fhrte in einen kleinen Raum,
der einen Schreibtisch, einen Tisch mit Spirituskocher
und Teegeschirr sowie einige Sthle enthielt. Einen
zweiten Ausgang gab es nicht.
Hier hat seine Sekretrin und Assistentin gearbeitet,
erklrte Japp. Miss Nevill. Sie ist heute anscheinend
nicht dagewesen.
Poirots Blick begegnete dem seinen.
Poirot sagte: Ich erinnere mich, da er mir davon
erzhlt hat. Knnte nicht auch das ein Argument
gegen den Selbstmord sein?
26
Sie meinen, man htte sie absichtlich fortgelockt? Er
zgerte einen Augenblick und fragte dann: Aber wenn
Morley wirklich ermordet werden ist wer htte es tun
knnen?
Nahezu jeder htte es tun knnen, erklrte Poirot
ernst. Seine Schwester konnte ihn erschieen, sein
Partner Reilly konnte es tun, der Boy Alfred alle Patienten besaen die Mglichkeit, Morley zu tten. Er
berlegte einen Augenblick. Am leichtesten von allen
konnte ihn Amberiotis erschieen.
Aber in dem Fall mssen wir herausfinden, warum.
Ganz richtig. Sie sind wieder bei dem ursprnglichen
Problem angelangt: Warum? Amberiotis wohnt im Savoy. Warum sollte ein reicher Grieche den Wunsch haben, einen harmlosen Zahnarzt zu erschieen?
Das ist tatschlich unsere Hauptschwierigkeit: das
Motiv!
Poirot zuckte die Achseln.
Es sieht so aus, als habe der Tod in ganz unknstlerischer Weise den Falschen ausgesucht. Der geheimnisvolle Grieche, der reiche Bankier, der berhmte Detektiv wie natrlich htte es sich gemacht, wenn einer
von diesen erschossen worden wre! Denn geheimnisvolle Auslnder knnen in Spionagegeschichten verwickelt sein, reiche Bankiers haben Verwandte, die von
deren Tod profitieren, und berhmte Detektive bilden
eine Gefahr fr verbrecherische Elemente.
Wogegen der arme alte Morley niemandem etwas zuleide getan hat, ergnzte Japp mimutig.
Vielleicht doch?
Japp fuhr herum.
27
Woran denken Sie?
An nichts. Nur eine zufllige Bemerkung.
Er berichtete Japp, da Morley so nebenbei etwas ber
sein Physiognomiengedchtnis und das Wiederauftauchen eines bekannten Gesichts unter seinen Patienten gesagt hatte.
Japp machte ein bedenkliches Gesicht. Mglich ist es
schon, nehme ich an. Aber es scheint ein bichen weit
hergeholt. Es mu jemand gewesen sein, der seine
Identitt verschleiern wollte. Unter den Patienten heute
morgen ist Ihnen niemand aufgefallen?
Poirot murmelte: Im Wartezimmer habe ich einen
jungen Mann bemerkt, der aussah wie ein Mrder!
Japp meinte berrascht: Was meinen Sie damit?
Poirot lchelte: Mon cher das war, als ich das Haus
betrat! Ich war nervs, voll dummer Gedanken enfin,
ich war schlechter Laune. Alles erschien mir in einem
unheilvollen Licht. Das Wartezimmer, die Patienten,
sogar der Treppenlufer! In Wirklichkeit wird der junge
Mann wohl nur bse Zahnschmerzen gehabt haben
das war alles!
Ich wei, wie das ist, sagte Japp. Trotzdem werden
wir uns Ihren Mrder einmal nher ansehen. Wir werden uns alle mglichen Verdchtigen vornehmen, ob es
nun Selbstmord ist oder nicht. Ich denke, das nchste
wird eine nochmalige Unterhaltung mit Miss Morley
sein. Ich habe sie nur ganz kurz gesprochen. Natrlich
war es ein schwerer Schlag fr sie, aber sie gehrt zu
den Leuten, die nicht zusammenklappen. Kommen Sie,
wir wollen mit ihr sprechen.
28
Hoch aufgerichtet und unbewegt hrte Georgina
Morley den beiden Mnnern zu und beantwortete ihre
Fragen.
Sie sagte mit Nachdruck: Es scheint mir unglaublich
ganz unglaublich , da mein Bruder Selbstmord
begangen haben soll!
Ist Ihnen klar, Mademoiselle, da dann nur eine einzige andere Mglichkeit brigbleibt? sagte Poirot.
Sie meinen: Mord. Einen Augenblick schwieg sie
nachdenklich. Dann sagte sie langsam: Es stimmt
diese Lsung erscheint ebenso unmglich wie die andere.
Aber nicht ganz so unmglich?
Nein, weil verstehen Sie, in meinem Fall spreche ich
von etwas, das ich genau kannte, nmlich vom Seelenzustand meines Bruders. Ich wei, da ihn nichts
bedrckte, da er keinen Grund nicht den geringsten
Grund hatte, sich das Leben zu nehmen!
Sie haben ihn heute frh gesprochen, bevor er in die
Praxis ging?
Ja, beim Frhstck.
Und er war ganz wie immer in keiner Weise verndert?
Verndert war er aber nicht, wie Sie meinen. Er war
blo rgerlich.
Warum das?
Er hatte einen sehr arbeitsreichen Vormittag vor sich,
und seine Assistentin konnte nicht kommen.
Das ist Miss Nevill?
Ja.
Worin bestand ihre Ttigkeit?
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Sie hat die ganze Korrespondenz meines Bruders erledigt und das Ordinationsbuch und die Kartei gefhrt.
Ferner hat sie die Sterilisierung der Instrumente besorgt, die Fllungen angerhrt und hat ihm auch sonst
bei den Behandlungen assistiert.
Ist sie schon lange bei ihm?
Seit drei Jahren. Sie ist ein sehr zuverlssiges Mdchen, und wir hatten sie beide gern.
Poirot sagte: Wie mir Ihr Bruder gesagt hat, ist sie zu
einer erkrankten Verwandten gerufen worden.
Ja.
Und darber hat sich Ihr Bruder so sehr gergert?
Ja. Ein leichtes Zgern lag in Miss Morleys Antwort.
Sie sprach eilig weiter. Sie Sie mssen meinen Bruder nicht fr gefhllos halten. Nur hat er im Augenblick
geglaubt...
Ja, Miss Morley?
Nun, er hat geglaubt, sie sei vielleicht absichtlich vom
Dienst ferngeblieben. Bitte, miverstehen Sie mich
nicht ich bin ganz berzeugt, da Gladys so etwas nie
tun wrde. Ich habe das Henry auch gesagt. Aber die
Sache ist so, da sie sich mit einem sehr unerfreulichen
jungen Mann verlobt hat Henry war wtend darber
und er hat sich eingebildet, dieser junge Mann htte sie
berredet, ihre Arbeit im Stich zu lassen.
Wre das wahrscheinlich gewesen?
Nach meiner berzeugung nicht. Gladys ist ein sehr
gewissenhaftes Mdchen.
Aber es htte dem jungen Mann entsprochen, einen
solchen Vorschlag zu machen?
Das mchte ich allerdings annehmen.
30
Was treibt dieser junge Mann wie heit er brigens?
Carter, Frank Carter. Er ist oder vielmehr, er war
Versicherungsangestellter. Vor ein paar Wochen verlor
er seine Stellung, und seitdem arbeitet er nicht mehr.
Henry hat gesagt und ich glaube, er hatte recht ,
Carter sei ein ausgemachter Taugenichts. Gladys hatte
ihm einen Teil ihrer Ersparnisse geliehen, und mein
Bruder war wtend darber.
Japp fragte interessiert: Hat Ihr Bruder versucht, Miss
Nevill zu einer Auflsung des Verlbnisses zu bewegen?
Ja, ich wei, da er das getan hat.
Dann wre es also durchaus mglich, da dieser Frank
Carter einen Groll gegen Ihren Bruder hegte?
Der Grenadier antwortete derb: Unsinn! Das heit,
wenn Sie meinen, da Frank Carter Henry erschossen
hat. Gewi hat mein Bruder versucht, das Mdchen von
dem jungen Mann abzubringen, aber sie hat seinen Rat
nicht befolgt sie hngt wie nrrisch an Frank.
Fllt Ihnen sonst noch jemand ein, der einen Groll gegen Ihren Bruder hegte?
Miss Morley schttelte den Kopf.
Mit seinem Partner Reilly ist er gut ausgekommen?
Miss Morley antwortete suerlich: So gut, wie man
mit einem Iren eben auskommen kann.
Was meinen Sie damit, Miss Morley?
Nun, Iren sind jhzornig und haben die grte Freude
an jedem nur denkbaren Streit. Mr. Reilly liebt politische Debatten.
Sonst hat es nichts gegeben?
31
Sonst nichts. Mr. Reilly hat viele Fehler, ist aber sehr
tchtig in seinem Beruf wenigstens hat mein Bruder
das immer gesagt.
Japp lie nicht locker: Worin bestehen seine Fehler?
Er trinkt aber machen Sie bitte keinen Gebrauch von
dieser Information.
Hat es zwischen ihm und Ihrem Bruder ber diesen
Punkt Differenzen gegeben?
Henry hat es ihm gegenber ein paarmal angedeutet.
Als Zahnarzt, fuhr Miss Morley belehrend fort,
braucht man eine ruhige Hand, und ein Atem, der
nach Alkohol riecht, flt dem Patienten kein Vertrauen ein.
Japp nickte zustimmend. Dann sagte er: Knnen Sie
uns etwas ber die finanziellen Verhltnisse Ihres Bruders sagen?
Henry verdiente gut und hatte auch gewisse Ersparnisse. Ferner besaen wir beide ein kleines Zinseinkommen, das wir von unserem Vater geerbt haben.
Japp rusperte sich und murmelte: Sie wissen wohl
nicht, ob Ihr Bruder ein Testament hinterlassen hat?
Doch, das hat er, und ich kann Ihnen auch sagen, was
drinsteht. Hundert Pfund hat er Gladys Nevill vermacht, und alles brige fllt an mich.
Aha. Nun ...
Wildes Pochen an der Tr. Dann steckte Alfred den
Kopf herein. Seine Glotzaugen nahmen jede Einzelheit
der beiden Besucher in sich auf, whrend er hervorstie:
Miss Nevill ist zurck. Ganz durcheinander. Sie will
wissen, ob sie hereinkommen soll.
32
Japp nickte, und Alfred verschwand.
Gladys Nevill war ein groes, blondes, etwas blutarmes
Mdchen von ungefhr achtundzwanzig Jahren. Obwohl offensichtlich sehr aufgeregt, zeigte sie sofort,
da sie tchtig und intelligent war. Unter dem Vorwand, Mr. Morleys Papiere durchsehen zu wollen,
fhrte Japp sie hinunter in das kleine Bro neben dem
Ordinationszimmer.
Sie sind heute abberufen worden, Miss Nevill begann Japp das Gesprch. Sie unterbrach ihn.
Ja, jemand hat sich einen dummen Scherz erlaubt. Ich
finde es unerhrt, da jemand sich so etwas ausdenkt.
Wirklich unerhrt.
Wie soll ich das verstehen, Miss Nevill?
Meiner Tante hat berhaupt nichts gefehlt. Sie war
ganz erstaunt, als ich so pltzlich auftauchte. Natrlich
habe ich mich sehr gefreut, da sie wohlauf war aber
wtend war ich doch. Ein solches Telegramm zu schikken und alles durcheinanderzubringen!
Besitzen Sie das Telegramm noch, Miss Nevill?
Nein, ich habe es weggeworfen auf dem Bahnhof,
glaube ich. Es stand nur drin: Tante gestern abend
Schlaganfall, bitte sofort kommen.
Sind Sie ganz sicher hm Japp hstelte, da es
nicht Ihr Freund war, Mr. Carter, der Ihnen das Telegramm geschickt hat?
Frank? Ja, aber wozu denn? Oh ich verstehe! Sie
meinen ein abgekartetes Spiel zwischen uns beiden?
Nein, Inspektor so etwas wrde weder er noch ich
tun.
Ihre Emprung schien echt, und Japp hatte alle Mhe,
33
sie zu beruhigen. Aber eine Frage nach den Patienten
des Vormittags brachte sie wieder vllig ins Gleichgewicht.
Die Patienten stehen alle hier im Buch. Sie werden es
schon gesehen haben. ber die meisten wei ich Bescheid. Zehn Uhr Mrs. Soames wegen ihres neuen
Gebisses. Zehn Uhr dreiig Lady Grant das ist eine
ltere Dame wohnt am Lowndes Square. Dann um elf
Uhr, Mr. Hercule Poirot, als dritter Patient; der kommt
regelmig oh, natrlich, da ist er ja! Entschuldigen
Sie, Mr. Poirot, aber ich bin ganz durcheinander! Elf
Uhr dreiig Mr. Alistair Blunt das ist der Bankier,
wissen Sie , nur eine kurze Sitzung, denn Mr. Morley
hatte die Fllung das letzte Mal vorbereitet. Dann Miss
Sainsbury Seale die hat extra angerufen, weil sie
Schmerzen hatte; Mr. Morley wollte sie zwischendurch
drannehmen. Sie schwatzt furchtbar viel kann kein
Ende finden , eine sehr umstndliche Dame. Dann um
zwlf Uhr Mr. Amberiotis ein neuer Patient, der im
Savoy abgestiegen ist. Eine ganze Menge Auslnder
und Amerikaner kommen zu Mr. Morley. Schlielich
um zwlf Uhr dreiig Miss Kirby. Die kommt aus
Worthing.
Poirot sagte: Als ich hier war, sa im Wartezimmer
ein groer, militrisch aussehender Herr. Wer kann das
gewesen sein?
Einer von Mr. Reillys Patienten, nehme ich an. Ich
werde Ihnen schnell einmal seine Liste besorgen, ja?
Ja, danke, Miss Nevill.
Nach wenigen Minuten kam sie mit einem Buch zurck, das hnlich aussah wie das von Mr. Morley.
34
Sie las vor: Zehn Uhr Betty Heath das ist ein kleines
Mdchen von neun Jahren. Elf Uhr Colonel Abercrombie.
Abercrombie! murmelte Poirot. C'tait a!
Elf Uhr dreiig Mr. Howard Raikes. Zwlf Uhr Mr.
Barnes. Das sind alle Patienten von heute vormittag.
Mr. Reilly ist natrlich nicht so stark beansprucht wie
Mr. Morley.
Knnen Sie uns irgend etwas ber diese Patienten von
Mr. Reilly mitteilen?
Colonel Abercrombie ist ein langjhriger Patient, und
Mrs. Heath schickt alle ihre Kinder zu Mr. Reilly. ber
Mr. Raikes und Mr. Barnes kann ich Ihnen nichts sagen, obwohl ich glaube, die beiden Namen schon gehrt zu haben. Verstehen Sie, ich nehme alle Telefongesprche entgegen...
Japp sagte: Wir knnen ja Mr. Reilly selbst fragen. Ich
mchte ihn so bald wie mglich sprechen.
Miss Nevill ging hinaus.
Japp sagte zu Poirot: Alles alte Patienten von Morley,
auer Amberiotis. Mit Mr. Amberiotis gedenke ich sehr
bald ein interessantes Gesprch zu fhren. Wie die
Dinge nun mal liegen, war er der letzte, der Morley
lebend sah, und wir mssen genau feststellen, ob
Morley wirklich am Leben war, als Amberiotis kam
oder ging.
Poirot schttelte den Kopf und sagte langsam: Dann
mssen Sie ihm aber immer noch ein Motiv nachweisen.
Das wei ich. Aber vielleicht finden wir etwas ber
Amberiotis in den Polizeiakten. Gespannt fgte er
35
hinzu: Sie sehen so nachdenklich aus, Poirot!
Ja, ich habe mir eben eine Frage vorgelegt.
Was fr eine Frage?
Poirot lchelte schwach und sagte: Warum, Chefinspektor Japp?
Wie... Oh dafr gibt es eine sehr einfache Erklrung:
Alistair Blunt. Sobald der Bezirksinspektor erfuhr, da
Blunt heute vormittag hier war, meldete er das der
Zentrale. Fr Leute wie Mr. Blunt wird hierzulande gut
gesorgt.
Sie meinen, da es Menschen gibt, die ihn gern aus
dem Weg schaffen wrden?
Blunt mit seiner Hochfinanz ist eine Macht im Staate,
die manchem im Wege steht.
Poirot nickte.
Das habe ich mehr oder weniger vermutet. Und ich
habe das Gefhl, da er machte eine ausdrucksvolle
Handbewegung vielleicht irgend etwas schiefgegangen ist. Als eigentliches Opfer war Alistair Blunt ausersehen. Oder das hier ist nur ein Anfang der Beginn
irgendeiner besonderen Kampagne? Ich rieche ich
rieche er schnffelte in der Luft herum , da
hinter dieser Geschichte eine Menge Geld steckt!
Japp brummte: Sie gehen mit Ihren Annahmen ein
bichen weit, wissen Sie.
Ich behaupte, da ce pauvre Morley nur eine untergeordnete Figur im Spiel war. Vielleicht hat er etwas gewut vielleicht hat er Blunt etwas erzhlt, oder man
befrchtete, da er Blunt etwas erzhlen wollte.
Er brach ab, als Gladys Nevill wieder ins Zimmer kam.
Mr. Reilly ist gerade mit einer Extraktion beschf36
tigt, sagte sie. Er steht Ihnen in ungefhr zehn Minuten zur Verfgung, falls Ihnen das recht ist.
Japp war damit einverstanden. In der Zwischenzeit
wollte er noch einmal mit diesem Alfred reden.
Alfred wurde hin und her gerissen zwischen freudiger
Erregung und panischer Angst, man werde ihm fr alles
Vorgefallene die Schuld zuschieben. Er stand erst seit
vierzehn Tagen in Mr. Morleys Diensten, und whrend
dieser kurzen Zeit hatte er bestndig und unweigerlich
alles falsch gemacht. Die dauernden Vorwrfe hatten
sein Selbstvertrauen untergraben.
Er war vielleicht ein bichen fahriger als sonst, gab
Alfred auf eine Frage zur Antwort, aber im brigen
kann ich mich an nichts Besonderes erinnern. Ich htte
nie gedacht, da er sich abmurksen wrde.
Poirot fiel ihm ins Wort.
Sie mssen uns, sagte er, alles ber heute vormittag
erzhlen, was Ihnen im Gedchtnis geblieben ist. Sie
sind ein wichtiger Zeuge, und Ihre Angaben knnen fr
uns von ungeheurem Nutzen sein.
Alfreds Gesicht lief knallrot an, und seine Brust war
stolzgeschwellt. Er hatte Japp bereits einen kurzen Bericht ber die Ereignisse des Vormittags gegeben. Jetzt
nahm er sich vor, ausfhrlicher zu werden. Ein wohltuendes Gefhl seiner eigenen Bedeutung durchzog ihn.
Ich kann Ihnen schon Bescheid sagen, sagte er. Fragen Sie nur immerzu.
Zunchst einmal: Ist heute vormittag irgend etwas
Ungewhnliches vorgefallen?
Alfred dachte einen Augenblick nach und antwortete
dann ziemlich betrbt: Knnte ich nicht behaupten. Es
37
war alles wie sonst.
Sind Unbekannte ins Haus gekommen?
Nein.
Auch nicht als Patienten?
Ach. Sie meinen die Patienten? Es ist niemand gekommen, der nicht angemeldet war.
Htte jemand ungesehen das Haus betreten knnen...?
Ausgeschlossen. Dazu mu man einen Schlssel haben.
Aber hinaus kommt man ohne weiteres?
Ja, dazu braucht man nur die Klinke zu drcken, hinauszugehen und die Tr hinter sich zuzuziehen. Wie
gesagt, so machen es die meisten. Sie gehen zu Fu die
Treppe hinunter, whrend ich den nchsten im Lift
hinauffahre.
Ich verstehe. Jetzt erzhlen Sie uns einmal, wer heute
morgen zuerst gekommen ist und so weiter. Beschreiben Sie die Personen, wenn Ihnen die Namen entfallen
sind.
Alfred berlegte eine Weile. Dann sagte er: Dame mit
einem kleinen Mdchen; die ist zu Mr. Reilly gekommen und eine Mrs. Soap oder so hnlich zu Mr.
Morley.
Poirot sagte: Ganz recht. Fahren Sie fort...
Dann eine andere, ltere Dame ziemlich elegant.
Nachher ein groer, militrisch aussehender Herr, und
nachher Sie...
Er machte eine Kopfbewegung zu Poirot hin.
Richtig.
Dann der Amerikaner...
38
Japp sagte scharf: Amerikaner?
Ja, Sir. Das war bestimmt ein Amerikaner an der
Aussprache deutlich zu hren. Noch jung. Er kam zu
frh war erst auf halb zwlf Uhr bestellt. Und nachher ging er gar nicht ins Sprechzimmer.
Wie meinen Sie das? fragte Japp.
Ich wollte ihn holen, als Mr. Reilly um halb zwlf Uhr
lutete es war brigens etwas spter, vielleicht zwanzig vor zwlf , und da war er nicht im Wartezimmer.
Hat wohl Angst bekommen und ist verduftet. Mit
wissender Miene setzte er hinzu: Kommt fters vor.
Poirot fragte: Dann mu er kurz nach mir das Haus
verlassen haben?
Stimmt. Sie sind fortgegangen, nachdem ich einen
Herrn hinaufgefahren habe, der in einem Rolls-Royce
gekommen war. Oh ein wunderbarer Wagen gehrt
Mr. Blunt. Dann ging ich hinunter, ffnete Ihnen die
Tr und lie eine Dame herein. Miss Some Berry Seal
oder so hnlich. Dann dann ging ich schnell in die
Kche und a einen Bissen, und whrend ich dort unten
war, lutete die Klingel Mr. Reillys Klingel. Ich ging
ins Wartezimmer, und da war der Amerikaner nicht
mehr da. Das habe ich Mr. Reilly gemeldet, und er hat
ein bichen geflucht, wie blich.
Poirot sagte: Weiter.
Moment was ist denn dann passiert? Ah, ja: Mr.
Morley hat gelutet, und ich habe Miss Sowieso im Lift
hinaufgefahren; whrenddessen ist der Mister mit dem
Rolls-Royce die Treppe hinunter und aus dem Haus gegangen. Dann bin ich wieder hinunter, und es sind zwei
Herren gekommen der eine war ein kleiner Herr mit
39
einer komischen Piepsstimme ich kann mich nicht an
den Namen erinnern. Der ist zu Mr. Reilly gekommen.
Und ein dicker Auslnder zu Mr. Morley.
Aha.
Miss Seal war nicht lange drin nicht mehr als eine
Viertelstunde. Ich habe sie hinausgefhrt und dann den
Auslnder hinaufgebracht.
Und Sie haben nicht gesehen, wie Mr. Amberiotis
der Auslnder das Haus verlassen hat?
Nein, Sir, das habe ich nicht gesehen. Er mu allein
hinausgegangen sein. Ich habe weder ihn noch den anderen Herrn mehr gesehen.
Wo waren Sie von zwlf Uhr an?
Ich setze mich immer in den Lift und warte darauf, ob
es lutet Haustr oder eine der beiden Klingeln aus
den Sprechzimmern.
Poirot vermutete: Dabei haben Sie vielleicht gelesen?
Alfred wurde rot.
Da ist doch nichts dabei? Etwas anderes knnte ich
whrend der Zeit nicht machen.
Ganz recht. Was haben Sie gelesen?
Mord Viertel vor zwlf heit das Buch. Ein amerikanischer Kriminalroman, wirklich groartig! Handelt
von lauter Gangstern. Poirot unterdrckte ein Lcheln.
Konnten Sie von Ihrem Platz aus hren, ob die Haustr geschlossen wurde?
Sie meinen, wenn jemand hinausgegangen wre? Ich
glaube nicht. Ich will damit sagen, da ich es nicht bemerkt htte. Sehen Sie, der Lift liegt ganz hinten um die
Ecke. Das Lutwerk von der Trglocke und den Kleingeln aus den beiden Sprechzimmern ist gerade daneben
40
das knnte ich nicht berhren.
Poirot nickte, und Japp fragte: Was ist dann noch passiert?
Alfred dachte angestrengt nach.
Dann ist nur noch die letzte Dame gekommen. Miss
Shirty. Ich habe dauernd auf Mr. Morleys Klingelzeichen gewartet aber nichts , und um ein Uhr ist die
Dame ziemlich bse geworden.
Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, ungerufen
hinaufzugehen und nachzusehen, ob Mr. Morley vielleicht frei war?
Alfred schttelte sehr energisch den Kopf. Mach ich
nicht, Sir wrde mir nie im Traum einfallen. Fr mich
war der letzte Patient immer noch dort oben im Sprechzimmer. Meine Sache war es, auf die Klingel zu
warten. Natrlich, wenn ich gewute htte, da sich
Mr. Morley abgemurkst hat...
Ich verstehe Poirot machte eine Pause und fuhr
dann fort:
Hat Mr. Morleys Selbstmord Sie berrascht, Alfred?
Ich war einfach platt. Soweit ich sehe, hat er nicht den
geringsten Grund gehabt, sich umzubringen oh! Er ist
doch nicht etwa ermordet worden?
Ehe Japp etwas sagen konnte, griff Poirot ein: Angenommen, das wre der Fall wren Sie dann weniger
berrascht?
Ich wei wirklich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen,
da jemand Mr. Morley umbringen wollte. Er war na,
er war so ein alltglicher Herr. Ist er tatschlich ermordet worden?
Poirot entgegnete mit Wrde: Wir mssen jede Mg41
lichkeit in Erwgung ziehen. Das ist auch der Grund,
weshalb ich Ihnen gesagt habe, Sie seien ein sehr wichtiger Zeuge und sollten sich alles ins Gedchtnis rufen,
was heute vormittag passiert ist.
Er legte besonderen Nachdruck auf seine letzten Worte,
und Alfred furchte in einer verzweifelten inneren Anstrengung die Stirn.
Ich kann mich an nichts sonst erinnern.
Seine Stimme klang klglich.
Schon gut, Alfred. Und sind Sie ganz sicher, da auer den Patienten keine fremden Personen heute vormittag das Haus betreten haben?
Fremde Personen nicht. Nur der junge Mann von Miss
Nevill ist vorbeigekommen hat sich sehr aufgeregt,
als sie nicht da war.
Japp fragte interessiert: Wann war das?
Etwas nach zwlf Uhr. Als ich ihm sagte, Miss Nevill
sei den ganzen Tag abwesend, machte er einen sehr
niedergeschlagenen Eindruck und wollte unbedingt mit
Mr. Morley sprechen. Ich erklrte, Mr. Morley sei bis
zum Mittagessen beschftigt, aber er meinte, das mache
nichts, er wrde warten.
Poirot fragte: Und hat er gewartet?
Pltzliches Erstaunen malte sich in Alfreds Zgen.
Oh daran habe ich berhaupt nicht gedacht! Er ist
ins Wartezimmer gegangen, aber spter war er nicht
mehr da! Wahrscheinlich ist es ihm langweilig geworden, und er hat sich gedacht, er wrde noch zurckkommen.
Als Alfred das Zimmer verlassen hatte, sagte Japp
scharf: Halten Sie es fr klug, diesem Burschen ge42
genber die Mglichkeit eines Mordes anzudeuten?
Poirot zuckte die Achseln.
Ich glaube ja. Es wird fr ihn ein Ansporn sein, sich
jeder kleinen Einzelheit zu erinnern, die er vielleicht
gesehen oder gehrt hat, und er wird scharf auf alle
Vorgnge im Haus achten.
Trotzdem, wir wollen unseren Verdacht nicht zu frh
bekanntwerden lassen.
Mon cher, diese Gefahr besteht nicht. Alfred liest Kriminalromane Alfred ist begeistert von Verbrechen.
Was immer Alfred ausplaudern mag, wird man auf das
Konto seiner blhenden Phantasie schreiben.
Nun, vielleicht haben Sie recht, Poirot. Jetzt wollen
wir einmal hren, was Reilly zu sagen hat.
Mr. Reillys Ordinationszimmer und Bro lagen im ersten Stock. Sie waren von gleicher Gre wie die
Rume darber, aber weniger hell und nicht so komplett eingerichtet. Mr. Morleys Partner war ein hochgewachsener junger Mann, dem eine dunkle Haarlocke
unordentlich in die Stirn hing. Er besa eine angenehme Stimme und einen intelligenten Blick.
Wir hoffen, Mr. Reilly, sagte Japp, nachdem er sich
vorgestellt hatte, da Sie etwas Licht in diese dunkle
Angelegenheit bringen knnen.
Da hoffen Sie leider vergeblich, antwortete Reilly.
Ich kann nur soviel sagen, da Henry Morley der
letzte Mensch war, der sich das Leben genommen htte.
Ich htte so etwas tun knnen er nicht.
Warum knnten Sie es getan haben?
Weil ich einen Berg von Sorgen habe, erwiderte der
43
andere. Zunchst einmal Geldsorgen! Mir ist es noch
nie gelungen, meine Ausgaben mit meinen Einnahmen
in Einklang zu bringen. Aber Morley war ein sorgsamer
Mensch. Bei ihm werden Sie keine Schulden finden,
keine Geldschwierigkeiten davon bin ich berzeugt...
Frauengeschichten? erkundigte sich Japp.
Sie meinen, ob Morley welche hatte? Dem armen
Teufel hat doch jede Daseinsfreude gefehlt! Stand vllig unter dem Pantoffel seiner Schwester.
Japp fragte Reilly nach Einzelheiten ber die Patienten,
die er am Vormittag empfangen hatte.
Oh, ich glaube, die sind alle ber jeden Zweifel erhaben. Da war die kleine Betty Heath, ein nettes Kind
ich habe die ganze Familie nach und nach behandelt.
Colonel Abercrombie ist ebenfalls ein alter Patient.
Wie steht es mit Mr. Howard Raikes? fragte Japp.
Der mir ausgerissen ist? Der war noch nie bei mir. Ich
wei nichts von ihm. Er hat angerufen und wollte ausdrcklich heute vormittag behandelt werden.
Von wo aus hat er angerufen?
Aus dem Holborn Palace Hotel. Er ist Amerikaner,
glaube ich.
Ja, das hat Alfred auch gesagt.
Alfred mu es wissen, sagte Reilly. Ein Filmnarr,
unser Alfred.
Und der andere Patient?
Barnes? Ein komischer, pedantischer kleiner Mann.
Pensionierter Beamter. Wohnt drauen in Ealing.
Japp machte eine kleine Pause und fragte dann: Was
knnen Sie uns ber Miss Nevill sagen?
44
Reilly machte ein erstauntes Gesicht.
Die wunderschne blonde Sekretrin? Nein nichts
zu machen! Ihre Beziehungen zum alten Morley waren
vollstndig unschuldig davon bin ich berzeugt...
Ich habe keineswegs das Gegenteil behauptet, murmelte Japp etwas betreten.
Verzeihung, sagte Reilly. Ich habe eben eine
schmutzige Phantasie. Dachte, Sie wollten etwas andeuten in Richtung cherchez la femme. Entschuldigen
Sie, wenn ich mich Ihrer Sprache bediene, bemerkte
er, Poirot zugewendet. Habe ich nicht eine glnzende
Aussprache? Das kommt davon, wenn man von Nonnen erzogen wird.
Japp mibilligte seinen leichten Ton. Er fragte: Wissen Sie Nheres ber den jungen Mann, mit dem Miss
Nevill verlobt ist? Er heit Carter, wie ich hre, Frank
Carter.
Morley hat nicht viel von ihm gehalten, sagte Reilly.
Er hat der Nevill zugeredet, ihm den Laufpa zu geben.
Das knnte Carter gegen ihn aufgebracht haben?
Hat ihn wahrscheinlich furchtbar gewurmt, pflichtete
Reilly ihm vergngt bei. Er hielt einen Augenblick inne
und fragte dann: Verzeihen Sie: Ist es eigentlich ein
Selbstmord, den Sie hier untersuchen oder ein
Mord?
Falls es ein Mord wre wrden Sie dann irgendwelche Vermutungen haben? fragte Japp scharf.
Nein. Ich mchte gern, da Georgina ihn begangen
htte! Eine von diesen humorlosen Frauen, die von der
Feindschaft gegen den Alkohol besessen sind. Aber ich
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frchte, Georgina ist viel zu moralisch fr einen Mord.
Natrlich htte auch ich mit Leichtigkeit in den oberen
Stock hinauflaufen und den alten Knaben umbringen
knnen habe ich aber nicht. Ich kann mir berhaupt
niemanden vorstellen, der den Wunsch gehabt haben
sollte, Morley zu ermorden. Ebensowenig kann ich mir
allerdings vorstellen, da er sich selbst umbrachte.
In verndertem Ton fgte er hinzu: In Wirklichkeit tut
mir die ganze Geschichte sehr leid. Sie mssen mich
nicht nach meinen Worten beurteilen. Das ist alles
Nervositt, wissen Sie. Ich habe den alten Morley recht
gern gehabt und werde ihn sehr vermissen.
Japp legte den Telefonhrer auf und wandte sich mit
ernstem Gesicht Poirot zu: Mr. Amberiotis fhlt sich
nicht wohl und mchte heute nachmittag niemanden
empfangen. Mich wird er aber doch empfangen mssen und entwischen lasse ich ihn auch nicht! Ich habe
schon einen Mann ins Savoy geschickt, der ihn beschatten soll, falls er durchzugehen versucht.
Sie glauben, da Amberiotis Morley erschossen hat?
Ich wei nicht. Aber Amberiotis ist immerhin der
letzte gewesen, der Morley lebend gesehen hat. Und er
war ein neuer Patient. Nach seinen Angaben war Morley gesund und munter, als er ihn um zwlf Uhr fnfundzwanzig verlie. Das kann wahr sein oder auch
nicht. Wenn Morley um diese Zeit wirklich noch in
normaler Verfassung war, mssen wir rekonstruieren,
was danach geschehen ist. Ist whrend der nchsten
fnf Minuten jemand zu ihm hereingekommen? Carter
zum Beispiel? Oder Reilly? Was hat sich abgespielt?
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Verlassen Sie sich drauf: Um halb eins oder sptestens
fnf Minuten nach halb eins war Morley tot sonst
htte er entweder geklingelt oder Miss Kirby mitteilen
lassen, er knne sie nicht empfangen. Nein entweder
ist er umgebracht worden, oder jemand hat ihn im
Sprechzimmer aufgesucht und ihm etwas gesagt, was
seine ganze Lebenssituation verndert und ihn zum
Selbstmord getrieben hat.
Japp hielt inne.
Ich werde jeden einzelnen der Patienten verhren, die
er heute vormittag empfangen hat. Es besteht immerhin
die vage Mglichkeit, da er zu einem von ihnen etwas
gesagt hat, was uns auf die richtige Spur bringt.
Er schaute auf die Uhr.
Mr. Alistair Blunt hat sich bereit erklrt, mir um vier
Uhr fnfzehn ein paar Minuten zu opfern. Den werden
wir also zuerst aufsuchen. Er wohnt am Chelsea
Embankment. Dann knnen wir uns auf dem Weg zu
Amberiotis diese Miss Sainsbury Seale vornehmen. Ich
mchte gern mglichst viel Material sammeln, bevor
wir unseren griechischen Freund in die Zange nehmen.
Nachher mchte ich gern ein paar Worte mit dem
Amerikaner sprechen, der bach Mord aussah, wie Sie
sagen.
Hercule Poirot schttelte den Kopf.
Nicht nach Mord nach Zahnweh.
Egal wir werden uns diesen Mr. Raikes anschauen.
Er hat sich um es vorsichtig auszudrcken sonderbar aufgefhrt. Und dann werden wir dem Telegramm
an Miss Nevill nachgehen und ihrer Tante und ihrem
jungen Mann. Wir werden einfach allem und jedem
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nachgehen!
Alistair Blunt hatte nie im Rampenlicht des ffentlichen Interesses gestanden. Vielleicht, weil er selbst ein
sehr ruhiger und zurckhaltender Mensch war. Vielleicht, weil er viele Jahre hindurch eher die Rolle eines
Prinzgemahls als die eines Knigs gespielt hatte.
Rebecca Sanseverato, geborene Arnholt, war als eine
enttuschte Frau von fnfundvierzig Jahren nach London gekommen. Sowohl von vterlicher wie von mtterlicher Seite stammte sie aus den vornehmsten
Kreisen der Hochfinanz. Ihre Mutter war die Erbin der
europischen Familie Rotherstein. Ihr Vater stand an
der Spitze des groen amerikanischen Bankhauses
Arnholt. Infolge eines Flugzeugunfalls, der den Tod
zweier Brder und eines Vetters zur Folge hatte, wurde
Rebecca Arnholt alleinige Erbin eines unermeliehen
Vermgens. Sie heiratete einen europischen Aristokraten mit berhmtem Namen, den Frsten Felipe di
Sanseverato. Drei Jahre spter lie sie sich scheiden,
nachdem sie mit diesem wohlerzogenen Schurken zwei
erbrmliche Jahre verbracht hatte; das Kind aus dieser
Ehe wurde ihr zugesprochen und starb bald darauf.
Durch ihr Unglck verbittert, konzentrierte Rebecca
ihre auergewhnlichen Geistesgaben auf das Finanzgeschft die Fhigkeit dazu lag ihr im Blut. Sie wurde
Teilhaberin ihres Vaters.
Nach seinem Tod blieb sie mit ihrem riesigen Besitz
weiter eine mchtige Erscheinung in der Finanzwelt.
Sie kam nach London, und der jngere Partner eines
dortigen Bankhauses, Alistair Blunt, wurde ins Hotel
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Claridge geschickt, um mit ihr eine Reihe von Schriftstcken durchzusehen. Ein Jahr spter empfing die
Welt wie einen elektrischen Schlag die Nachricht, da
Rebecca Sanseverato Alistair Blunt heiraten wrde,
einen Mann, der nahezu zwanzig Jahre jnger war als
sie.
Es gab das bliche Gesptt. Rebecca so sagten ihre
Freunde sei wirklich eine unverbesserliche Nrrin,
wenn ein Mann im Spiel war! Zuerst Sanseverato
jetzt dieser Jngling. Natrlich heiratete er sie nur des
Geldes wegen. Eine zweite Katastrophe stand ihr mit
Sicherheit bevor! Aber zur allgemeinen berraschung
erwies sich die zweite Ehe als ein Erfolg. Die Leute, die
prophezeit hatten, Alistair Blunt werde Rebeccas Geld
fr andere Frauen ausgeben, hatten sich geirrt. Er blieb
seiner Frau mit stiller Zuneigung treu. Sogar als er nach
ihrem Tod, zehn Jahre spter, sich als Erbe ihres
riesigen Vermgens jeden Wunsch erfllen konnte,
heiratete er nicht wieder. Er fhrte weiter sein altes ruhiges und einfaches Leben. Seine finanzielle Begabung
war nicht geringer als die seiner Frau. Sein Urteil und
seine Geschfte waren gesund sein Ruf stand auer
Frage. Er beherrschte die gewaltigen Interessen der
Arnholts und der Rothersteins durch seine berlegenen
Fhigkeiten.
In Gesellschaft ging er sehr wenig. Erbesa ein Haus in
Kent und eines in Norfolk, wo er das Wochenende zu
verbringen pflegte nicht mit lrmenden Scharen, sondern mit ein paar ruhigen, gesetzten Freunden. Er
spielte gern und mig Golf und beschftigte sich mit
seinem Garten.
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Das war der Mann, zu dem sich Chefinspektor Japp und
Hercule Poirot in einem etwas altersschwachen, rttelnden Taxi jetzt begaben. Das Gotische Haus war eine
bekannte Sehenswrdigkeit am Chelsea Embankment
innen nicht sehr modern, aber uerst behaglich und
mit dem Luxus kostspieliger Schlichtheit eingerichtet.
Alistair Blunt lie seine beiden Besucher nicht warten.
Chefinspektor Japp?
Japp begrte ihn und stellte Hercule Poirot vor, den
Blunt mit Interesse betrachtete.
Ich kenne natrlich Ihren Namen, M. Poirot. Und mir
ist, als htte ich irgendwo ganz krzlich... Er dachte
stirnrunzelnd nach.
Poirot sagte: Heute vormittag, Mr. Blunt im Wartezimmer de ce pauvre M. Morley.
Alistair Blunts Stirn glttete sich.
Natrlich. Ich wute, da ich Ihnen irgendwo begegnet bin. Er wandte sich an Japp. Was kann ich fr Sie
tun? Was ich ber den armen Morley gehrt habe, tut
mir auerordentlich leid.
Es hat Sie berrascht, Mr. Blunt?
Sehr. Natrlich habe ich sehr wenig ber ihn gewut,
aber er ist mir keineswegs wie ein Mensch vorgekommen, der Selbstmord begehen wrde.
Er hat also heute vormittag einen gesunden und normalen Eindruck gemacht?
Ich glaube wohl ja. Alistair Blunt hielt inne und
sagte dann mit einem fast knabenhaften Lcheln: Ehrlich gesagt, ich bin ein groer Feigling, wenn es sich
um den Zahnarzt handelt. Und den Bohrer, dieses
scheuliche Ding, hasse ich einfach. Deshalb habe ich
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eigentlich nicht viel bemerkt. Jedenfalls nicht, bis alles
vorbei war und ich aufstehen durfte. Aber ich mu sagen, da mir Morley hinterher vollkommen normal erschien. Guter Laune und geschftig.
Hatten Sie ihn schon fters konsultiert?
Es war mein dritter oder vierter Besuch bei ihm.
Hercule Poirot fragte: Wer hat Ihnen Morley empfohlen?
Blunts Augenbrauen zogen sich in konzentriertem
Nachdenken zusammen.
Warten Sie einmal ich hatte Zahnschmerzen jemand hat mir gesagt, Morley in der Queen Charlotte
Street sei der richtige Mann nein, ich kann mich beim
besten Willen nicht erinnern, wer das gewesen ist. Tut
mir leid.
Falls es Ihnen noch einfllt wrden Sie dann einem
von uns beiden Bescheid geben? bat Poirot.
Alistair Blunt sah ihn neugierig an.
Das will ich gern tun natrlich. Warum? Ist es wichtig?
Ich habe so eine Ahnung, sagte Poirot, da es sogar
sehr wichtig sein knnte.
Sie gingen gerade die Stufen vor dem Haus hinunter,
als ein Wagen vorfuhr. Es war einer jener sportlichen
Wagen, bei denen man sich, um auszusteigen, portionsweise unter dem Steuerrad hindurchquetschen mu.
Das junge Mdchen, das diese gymnastische bung
vollfhrte, schien hauptschlich aus Armen und Beinen
zu bestehen. Die beiden Mnner waren noch einige
Schritte vom Haus entfernt, als die Befreiung endlich
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glckte.
Das Mdchen stand auf dem Trottoir und sah ihnen
nach. Dann rief sie pltzlich mit krftiger Stimme:
He!
Keiner von beiden drehte sich um, denn weder Japp
noch Poirot ahnten, da der Ruf ihnen galt. Das Mdchen rief nochmals: He! He! Sie dort!
Sie blieben stehen und schauten fragend zurck. Das
Mdchen ging auf sie zu. Der Eindruck, sie bestehe
hauptschlich aus Armen und Beinen, blieb unverndert. Sie war gro und schlank, und ihr Gesicht strahlte
eine Intelligenz und Lebendigkeit aus, die fr den
Mangel an eigentlicher Schnheit entschdigten. Sie
war dunkelhaarig und tiefgebrunt.
Ich wei, wer Sie sind Sie sind dieser Detektiv,
Hercule Poirot!
Ihre Stimme hatte einen tiefen, warmen Klang und den
Anflug eines amerikanischen Akzents.
Poirot sagte: Zu Ihren Diensten, Mademoiselle.
Ihre Augen streiften seinen Begleiter.
Chefinspektor Japp, stellte Poirot vor. Sie ri die
Augen auf fast erschrocken, wie es schien. Atemlos
fragte sie: Warum sind Sie bei uns gewesen? Es ist
es ist doch Onkel Alistair nichts zugestoen?
Poirot fragte rasch: Warum glauben Sie das, Mademoiselle?
Es ist nichts passiert? Gut.
Japp griff Poirots Frage auf.
Warum glauben Sie, da Mr. Blunt etwas zugestoen
sein knnte, Miss...
Fragend hielt er inne, und mechanisch antwortete sie:
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Olivera. Jane Olivera. Dann lie sie ein leichtes, wenig berzeugendes Lachen hren. Wenn man Sprhunde auf der Schwelle findet, denkt man unwillkrlich
an ein Verbrechen im Haus, nicht wahr?
Mr. Blunt ist nichts zugestoen. Zu meiner Freude
kann ich Ihnen dies versichern, Miss Olivera.
Sie sah Poirot scharf an.
Hat er Sie zu sich gebeten?
Japp antwortete: Nein, Miss Olivera, wir haben ihn
aufgesucht, um zu erfahren, ob er zur Aufklrung eines
Selbstmordes beitragen kann, der sich heute ereignet
hat.
Ein Selbstmord? Wer hat sich denn umgebracht?
Ein Zahnarzt namens Morley in der Queen Charlotte
Street 58.
Oh! murmelte Jane Olivera ausdruckslos. Oh !
Sie sah stirnrunzelnd vor sich hin. Dann sagte sie unvermittelt: Aber das ist doch absurd!
Pltzlich wandte sie sich um, lie die beiden Mnner
ohne Gru stehen, lief die Stufen zum Gotischen Haus
hinauf, schlo die Tr auf und verschwand.
Nun! murrte Japp und starrte ihr nach. Das war eine
sonderbare Bemerkung!
Interessant, bemerkte Poirot milde.
Japp ri sich zusammen, schaute auf die Uhr und
winkte einem vorbeifahrenden Taxi.
Wir haben noch Zeit, auf dem Weg ins Savoy einen
Sprung zu dieser Sainsbury Seale zu machen.
Miss Sainsbury Seale sa in der matterleuchteten Halle
des Glengowrie Court Hotels und trank ihren Nach53
mittagstee.
Das Auftauchen eines Kriminalbeamten in Zivil erregte
sie aber es war, wie Japp beobachtete, eine angenehme Erregung.
Poirot stellte zu seinem Kummer fest, da sie ihre
Schuhschnalle noch nicht wieder angenht hatte.
Wirklich, Kommissar, fltete Miss Sainsbury Seale,
ich wei wirklich nicht, wo wir hingehen knnten, um
fr uns zu sein. So schwierig gerade um die Teezeit ,
aber vielleicht wrden Sie gern eine Tasse Tee nehmen
Sie und Ihr Freund?
Fr mich nicht, Madame, dankte Japp. Dies ist M.
Hercule Poirot.
Wirklich? flsterte Miss Sainsbury Seale. Dann
knnten wir vielleicht mchten Sie wirklich beide
keinen Tee? Nein? Nun, dann knnten wir es vielleicht
mit dem Salon versuchen, obwohl der hufig besetzt ist.
Oh dort drben wird eine Ecke frei in der Nische.
Die Leute stehen gerade auf. Wollen wir dorthin?
Sie steuerte auf ein Sofa und zwei Sthle zu, die verhltnismig abgelegen in einem Alkoven standen.
Poirot und Japp folgten ihr, wobei Poirot eine Schrpe
und ein Taschentuch aufhob, die Miss Sainsbury unterwegs verloren hatte. Er gab ihr beides zurck.
Oh, danke vielmals wie unachtsam von mir! Also
bitte, Inspektor nein Chefinspektor, nicht wahr?
stellen Sie alle Fragen, die Sie wnschen. Eine unglckselige Geschichte. Der arme Mann er hat wohl
irgendwelchen Kummer gehabt? Wir leben in so
schweren Zeiten!
Schien es Ihnen, Miss Sainsbury Seale, als htte er
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einen besonderen Kummer?
Also Miss Sainsbury Seale berlegte eine Weile
und sagte schlielich fast widerwillig: Wissen Sie, eigentlich kann ich das nicht behaupten. Aber vielleicht
habe ich es auch einfach nicht bemerkt unter den
herrschenden Umstnden. Ich bin leider ziemlich feig,
mssen Sie wissen.
Miss Sainsbury Seale kicherte ein bichen und ordnete
ihre vogelnestartige Frisur.
Knnen Sie uns sagen, wer noch im Wartezimmer
war, als Sie sich dort aufhielten?
Lassen Sie mich nachdenken es war nur ein junger
Mann da. Er mu wohl Schmerzen gehabt haben, denn
er murmelte dauernd vor sich hin, sah ganz wild aus
und bltterte ziellos in einem Magazin. Und dann
sprang er pltzlich auf und ging hinaus. Wahrscheinlich
hatte er starke Zahnschmerzen.
Der junge Mann mit den Zahnschmerzen war also der
einzige Patient, der Ihnen bei Mr. Morley begegnete?
Ja, ich kann mich sonst an keinen mehr erinnern! erklrte Miss Sainsbury Seale traurig.
Japp nderte die Taktik.
Sie haben wohl nichts dagegen, der Leichenschau als
Zeugin beizuwohnen? fragte er freundlich.
Nach einem ersten Schrei der Bestrzung schien sich
Miss Sainsbury Seale mit dem Gedanken anzufreunden.
Eine vorsichtig tastende Befragung durch Japp frderte
ihre ganze Lebensgeschichte zutage. Sie war, wie sich
herausstellte, vor einem halben Jahr aus Indien nach
England gekommen. Hier hatte sie in verschiedenen
Hotels und Pensionen gelebt, bis sie schlielich im
55
Glengowrie Court Hotel gelandet war, das ihr wegen
seiner anheimelnden Atmosphre sehr zusagte. In
Indien hatte sie meist in Kalkutta gelebt, wo sie in der
Mission ttig war und Sprachunterricht erteilte.
Eine gute, reine Aussprache sehr wichtig Chefinspektor. Sehen Sie Miss Sainsbury Seale lchelte
einfltig und warf sich in die Brust als junges Mdchen war ich beim Theater. Oh nur in kleinen Rollen , Sie verstehen. In der Provinz! Aber ich hatte
groen Ehrgeiz. Ein Repertoire. Dann bin ich auf eine
Welttournee gegangen: Shakespeare, Bernard Shaw.
Sie seufzte.
Das Schlimmste bei uns armen Frauen ist unser Herz
wir sind Sklavinnen unseres Herzens. Eine unberlegte, berstrzte Heirat. Ach wir sind fast sofort
wieder auseinandergegangen. Ich war grausam enttuscht. Spter nahm ich meinen Mdchennamen
wieder an. Glcklicherweise stellte mir eine Freundin
etwas Kapital zur Verfgung, und so begann ich mit
meinem Sprachunterricht. Ich beteiligte mich an der
Grndung einer sehr guten Liebhaberbhne. Ich mu
Ihnen einmal die Zeitungsausschnitte zeigen.
Chefinspektor Japp erkannte die Gefahr, die ihm jetzt
drohte. Er ergriff die Flucht.
Miss Sainsbury Seales letzte Worte waren: Und wenn
etwa zufllig mein Name in die Zeitung kommen sollte
ich meine, weil ich doch als Zeugin bei der Leichenschau erscheinen soll , werden Sie dann auch bestimmt dafr sorgen, da er richtig buchstabiert wird?
Mabelle Sainsbury Seale Mabelle schreibt sich M-AB-E-L-L-E und Seale S-E-A-L-E. Und falls Wert
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darauf gelegt werden sollte... ich bin in Wie es euch
gefllt im Oxford Repertory Theatre aufgetreten.
Natrlich, natrlich
Chefinspektor Japp war schon auf und davon. Im Taxi
seufzte er und wischte sich die Stirn.
Wenn es notwendig wird, knnen wir ja all das nachprfen, auer sie hat von A bis Z gelogen aber das
glaube ich nicht!
Poirot schttelte den Kopf.
Schwindler, sagte er, pflegen weder so umstndlich
noch so unzusammenhngend zu lgen.
Japp fuhr fort: Ich hatte befrchtet, sie wrde vor der
Leichenschau bocken das tun die meisten alten Jungfern. Aber da sie Schauspielerin gewesen ist, ist es fr
sie die Gelegenheit, wieder einmal im Rampenlicht zu
stehen!
Poirot sagte: Wollen Sie sie wirklich zur Leichenschau vorladen?
Wahrscheinlich nicht. Es kommt darauf an. Er
machte eine Pause und sagte: Ich bin mehr denn je
berzeugt, Poirot das war kein Selbstmord.
Sie bezahlten das Taxi und betraten das Savoy. Japp
fragte nach Mr. Amberiotis.
Der Empfangschef sah die beiden Mnner sonderbar
an: Mr. Amberiotis? Tut mir leid, Sie knnen nicht
mit ihm sprechen.
Doch, doch, das kann ich, erklrte Japp grimmig und
zog seinen Ausweis hervor.
Hflich antwortete der Empfangschef: Sie haben mich
miverstanden, Sir. Mr. Amberiotis ist vor einer halben
Stunde gestorben.
57
3
Vierundzwanzig Stunden spter rief Japp bei Poirot an.
Seine Stimme klang enttuscht: Unser ganzer Fall ist
geplatzt!
Was meinen Sie damit, lieber Freund?
Morley hat tatschlich Selbstmord begangen. Wir haben das Motiv herausgefunden.
Und zwar?
Ich habe eben den rztlichen Bericht ber den Tod
von Amberiotis bekommen. Wenn man alle komplizierten Fachausdrcke weglt, dann ergibt sich, da
der Mann an einer berdosis Adrenalin und Procain
gestorben ist. Die Mittel haben auf das Herz gewirkt
und den Tod herbeigefhrt. Als der arme Teufel gestern
nachmittag sagte, er fhle sich sehr schlecht, sprach er
die reine Wahrheit. Nun, da kann man nichts machen.
Die Einspritzung, die der Zahnarzt zur rtlichen Betubung ins Zahnfleisch macht, ist eine Mischung aus
Adrenalin und Procain. Morley mu sich geirrt und
eine zu groe Dosis gespritzt haben. Nachdem
Amberiotis fort war, wurde ihm klar, was er angerichtet
hatte, und da erscho er sich eben.
Mit einer Pistole, die er nicht besessen hat?
Vielleicht hat er sie doch besessen. Verwandte wissen
nicht immer alles. Sie wrden sogar erstaunt sein, wenn
Sie wten, wie viele Dinge Verwandte nicht wissen!
Ja, das mag stimmen.
Damit ist die Sache erledigt, sagte Japp. Die Angelegenheit hat sich vollkommen logisch aufgeklrt.
Davon, entgegnete Poirot, bin ich gar nicht ber58
zeugt. Es ist zwar richtig, da Patienten in einzelnen
Fllen auf die Lokalansthesie ungnstig reagiert haben. berempfindlichkeit gegen Adrenalin ist eine
wohlbekannte Erscheinung. In Verbindung mit Procain
besitzen manchmal ganz kleine Dosen schon eine
starke toxische Wirkung. Aber der Arzt oder Zahnarzt,
dem so etwas passiert, geht doch nicht so weit, sich
umzubringen!
Ja, aber da sprechen Sie von Fllen, in denen die Mittel in normaler Dosis angewendet worden sind. In solchen Fllen kann dem Arzt kein besonderer Vorwurf
gemacht werden, denn der Tod wird dadurch herbeigefhrt, da der Patient die Mittel nicht vertrgt. In
unserm Fall handelt es sich aber eindeutig um eine zu
groe Dosis. Die genaue Menge steht noch nicht fest
diese Mengenanalysen dauern immer endlos , aber
jedenfalls ist die normale Dosis bei weitem berschritten worden. Das bedeutet, da Morley einen folgenschweren Irrtum begangen haben mu.
Aber selbst dann, sagte Poirot, war es nur ein Irrtum
und kein Verbrechen.
Nein, das nicht, aber es htte ihm beruflich sehr geschadet. Wahrscheinlich htte es ihn sogar ruiniert.
Niemand wrde mehr zu einem Zahnarzt gehen, der
fhig ist, einem Patienten eine tdliche Dosis Gift beizubringen, nur weil er zufllig gerade ein bichen zerstreut ist.
Es ist schon merkwrdig, das gebe ich zu.
Solche Dinge kommen eben vor sowohl bei rzten
wie bei Apothekern. Jahrelang sind sie gewissenhaft
und zuverlssig dann auf einmal ein Augenblick der
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Unachtsamkeit, und das Unglck ist geschehen, und der
arme Teufel hat die Folgen zu tragen. Morley war ein
sensibler Mensch. Bei den rzten ist meistens ein
Laborant oder ein Apotheker mitverantwortlich oft
sogar allein verantwortlich. In unserem Fall trug Morley die ganze Verantwortung.
Poirot war noch nicht berzeugt.
Htte er dann nicht irgendeine Mitteilung hinterlassen,
um zu erklren, was geschehen war? Und da er die
Folgen nicht auf sich nehmen knne? Nur ein paar
Worte in diesem Sinne? Eine Nachricht an seine
Schwester?
Nein wie ich die Sache sehe, wurde ihm ganz pltzlich klar, was er angerichtet hatte, und da verlor er die
Nerven und suchte den einfachsten Ausweg!
Poirot antwortete nicht, und Japp sagte gtig: Ich
kenne Sie, alter Freund. Wo Sie einmal einen Mord ahnen, knnen Sie sich nicht damit abfinden, da es keiner war. Diesmal bin ich daran schuld, da Sie auf die
falsche Spur geraten sind. Ich habe mich eben geirrt,
das gebe ich offen zu.
Haben Sie irgend etwas ber Amberiotis in Erfahrung
gebracht? fragte Poirot abwesend.
Ja, ziemlich viel. Er war ein Spion und auerdem ein
bler Erpresser. Es htte einer schon Grund genug
haben knnen, ihn zu ermorden. Aber Morley beabsichtigte dies bestimmt nicht. Er ttete ihn durch Zufall
und bezahlte dafr selber mit dem Leben. Morley
beging Selbstmord glauben Sie mir, Poirot!
Wir werden sehen! murmelte der kleine Mann.
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Hercule Poirot sa an seinem schnen, modernen
Schreibtisch. Er liebte moderne Mbel. Ihre eckigen,
soliden Formen sagten ihm mehr zu als die weichen
Konturen lterer Stilrichtungen. Vor ihm lag ein
quadratisches Blatt Papier mit suberlichen berschriften und Bemerkungen. Manche davon waren mit Fragezeichen versehen. Zuoberst stand:
Amberiotis. Spionage. Zu diesem Zweck in England?
War letztes Jahr in Indien. Whrend dieser Zeit Unruhen und Aufstnde. Knnte kommunistischer Agent
sein. Es folgte ein leerer Zwischenraum. Dann kam die
nchste berschrift:
Frank Carter? Morley hielt nichts von ihm. Ist krzlich
von seiner Firma entlassen worden. Warum? Dann kam
ein Name, hinter dem nur ein Fragezeichen stand:
Howard Raikes?
Auf diesen folgte ein Satz in Anfhrungsstrichen:
Aber das ist doch absurd! ? ? ?
Hercule Poirots Kopf war fragend zur Seite geneigt.
Vor dem Fenster flog ein Vogel vorbei, einen Zweig im
Schnabel, mit dem er ein Nest bauen wollte. Hercule
Poirot sah ebenfalls wie ein Vogel aus, als er so dasa
und den eifrmigen Kopf zur Seite neigte.
Etwas weiter unten auf dem Blatt machte er eine weitere Eintragung:
Barnes?
Nach einer Pause schrieb er: Morleys Bro? Spur auf
dem Teppich. Mglichkeiten.
Die letzte Notiz betrachtete er lngere Zeit. Dann stand
er auf, lie sich Hut und Stock geben und ging aus.
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Dreiviertel Stunden spter verlie Hercule Poirot die
Untergrundstation Ealing Broadway, und fnf Minuten
spter war er am Ziel. Castlegardens Road 88. Es war
ein kleines Zweifamilienhaus, dessen sorgfltig angelegter Vorgarten Poirot ein beiflliges Nicken abntigte.
Wunderbar symmetrisch, murmelte er vor sich hin.
Mr. Barnes war zu Hause. Poirot wurde in ein kleines,
steif eingerichtetes Ezimmer gefhrt, in das ihm Mr.
Barnes alsbald folgte.
Er war ein kleiner Mann mit blinzelnden Augen und
nahezu kahlem Kopf.
M. Poirot? Nun, das ist wirklich eine groe Ehre!
sagte er.
Sie mssen verzeihen, da ich Sie so unvorbereitet
berfalle, sagte Poirot betont hflich.
Das ist immer bei weitem das beste, antwortete Mr.
Barnes. Er machte eine einladende Handbewegung.
Setzen Sie sich, M. Poirot. Wir haben zweifellos ber
eine Menge Dinge zu reden. Ich vermute, es handelt
sich um die Queen Charlotte Street 58?
Sie vermuten richtig aber wie kommt es, da Sie
berhaupt so etwas vermuten? fragte Poirot verblfft.
Mein lieber M. Poirot, sagte Mr. Barnes, ich bin
zwar schon vor lngerer Zeit aus dem Innenministerium
ausgeschieden aber ganz eingerostet bin ich deswegen doch noch nicht. In einer streng geheimen Angelegenheit ist es besser, sich nicht der Polizei zu bedienen.
Erregt nur unntzes Aufsehen!
Lassen Sie mich noch eine weitere Frage stellen.
Warum vermuten Sie, da diese Angelegenheit streng
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geheim ist?
Ist sie das vielleicht nicht? fragte der andere zurck.
Nun, wenn sie es nicht ist, dann bin ich der Meinung,
da sie es sein sollte. Er beugte sich vor und klopfte
mit seinem Zwicker auf die Stuhllehne. Beim Geheimdienst will man nie das kleine Gesindel fangen,
sondern die groen Drahtzieher aber um an sie heranzukommen, mu man sich davor hten, das kleine
Gesindel kopfscheu zu machen.
Mir scheint, Sie wissen mehr als ich, Mr. Barnes,
entgegnete Poirot immer erstaunter.
Ich wei berhaupt nichts, erwiderte Mr. Barnes.
Ich versuche nur, zwei Tatbestnde zu kombinieren.
Und welches ist der eine Tatbestand? fragte Poirot.
Amberiotis, sagte Barnes schnell. Sie drfen nicht
vergessen, da ich ihm ein paar Minuten lang im Wartezimmer gegenbergesessen habe. Mich hat er nicht
erkannt. Ich bin immer ein unaufflliger Mensch gewesen. Das ist manchmal sehr ntzlich. Aber ich habe
ihn sehr wohl erkannt. Und ich konnte mir denken, was
er hier bei uns in England vorhatte.
Und was war das?
Seine Politik richtet sich gegen die konservative
Hochfinanz, wie Alistair Blunt sie verkrpert. Nach
einer Pause fuhr Mr. Barnes fort: Blunt gehrt zu den
Leuten, die im Privatleben jede Rechnung bezahlen und
nie mehr ausgeben, als sie einnehmen gleichgltig, ob
er jhrlich zwei Pence oder einige Millionen Pfund
verdient. Das ist so seine Art. Und er sieht einfach nicht
ein, warum ein Staat das nicht ebenso machen soll.
Keine kostspieligen Experimente. Keine wahnsinnigen
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Ausgaben fr utopische Experimente. Aus diesem
Grund er hielt einen Augenblick inne aus diesem
Grund haben sich gewisse Leute entschlossen, Blunt
aus dem Weg zu rumen.
Aha, murmelte Poirot.
Mr. Barnes nickte.
Ja, besttigte er. Ich wei, wovon ich rede. Es sind
ganz reizende Leute darunter. Mit langen Haaren,
ernsten Augen und voll von Idealen einer besseren
Welt. Auch andere, nicht so reizende sogar recht
ekelhafte Leute. Und dann eine dritte Gruppe, die sich
als die starken Mnner aufspielt. Aber alle haben den
gleichen Gedanken: Blunt mu weg!
Er beugte sich vor.
Sie sind bestimmt hinter Blunt her, das wei ich. Und
ich bin der Auffassung, da sie ihn gestern vormittag
um ein Haar erwischt htten. Vielleicht irre ich mich aber er wre nicht der erste von der Liste.
Er machte eine Pause und nannte dann ruhig und berlegt drei Namen. Den eines ungewhnlich befhigten
Schatzkanzlers, den eines fortschrittlichen und weitblickenden Fabrikanten und den eines hoffnungsvollen
jungen Politikers, der sich der Gunst der Whlerschaft
erfreut hatte. Der erste war auf dem Operationstisch
gestorben, der zweite war einer geheimnisvollen
Krankheit erlegen, die man zu spt erkannt hatte, der
dritte war von einem Auto berfahren und gettet
worden.
Es war alles sehr einfach, sagte Barnes. Im ersten
Fall ist ein Versehen bei der Narkose passiert kann
vorkommen. Im zweiten Fall hat es rtselhafte Symp64
tome gegeben, die der Arzt ein braver, ziemlich ahnungsloser Hausarzt nicht deuten konnte. Im dritten
Fall hat eine verngstigte Mutter, die zu ihrem kranken
Kind wollte, ihren Wagen unvorsichtig gesteuert. Eine
rhrende Geschichte das Gericht hat sie freigesprochen!
Nach einer Weile fuhr er fort: Alles ganz mit rechten
Dingen zugegangen und bald vergessen. Aber ich will
Ihnen einmal erzhlen, was aus den drei Leuten geworden ist. Der Mann, der die Narkose gemacht hat, besitzt
jetzt ein eigenes erstklassiges Forschungslaboratorium
mit der teuersten Einrichtung. Der Hausarzt hat seine
Praxis aufgegeben, hat einen hbschen kleinen Besitz
auf dem Land und eine Jacht. Die Mutter lt alle ihre
Kinder auf die kostspieligste Weise erziehen, lebt in
einem entzckenden Landhaus, Riesengarten, Ponys
zum Reiten und so weiter. Er nickte langsam. In
jedem Beruf und in jedem Lebenskreis gibt es jemanden, der einer Versuchung erliegt. In unserm Fall hat
die Schwierigkeit darin bestanden, da Morley ihr nicht
erlegen ist!
Glauben Sie, da es sich so abgespielt hat? fragte
nun Poirot.
Ja, sagte Barnes. Wissen Sie, es ist nicht leicht, an
solch groe Mnner heranzukommen. Sie sind im allgemeinen gut geschtzt. Der Trick mit dem Auto ist
riskant und funktioniert nicht immer. Aber beim
Zahnarzt ist man ziemlich wehrlos. Er nahm seinen
Klemmer ab, putzte ihn blank und setzte ihn wieder
auf. Dann sagte er: Das ist meine Theorie. Morley hat
sich geweigert, den Auftrag auszufhren! Aber da er
65
schon zuviel wute, mute man ihn beseitigen.
Man? fragte Poirot.
Wenn ich sage man, so meine ich die Organisation,
die hinter alledem steht. Den eigentlichen Mord hat
natrlich eine Einzelperson begangen.
Und zwar wer?
Nun, ich knnte eine Vermutung aussprechen, sagte
Barnes. Aber es ist wirklich nur eine Vermutung, und
vielleicht irre ich mich.
Poirot fragte ruhig: Reilly?
Natrlich. Das ist der gegebene Mann. Ich denke mir,
da von Morley wahrscheinlich gar nicht verlangt
worden ist, die Tat selbst zu begehen. Seine Aufgabe
drfte darin bestanden haben, Blunt im letzten Augenblick an seinen Partner abzutreten. Pltzliches Unwohlsein oder etwas hnliches. Den eigentlichen Mord
hatte Reilly zu begehen ein bedauerlicher Unglcksfall Tod eines bekannten Bankiers der beklagenswerte junge Zahnarzt in so kummervoller und zerknirschter Verfassung, da ihn das Gericht nur leicht
bestraft htte. Hinterher htte er seine Praxis aufgegeben und sich irgendwo mit einem Jahreseinkommen
von mehreren tausend Pfund zur Ruhe gesetzt.
Mr. Barnes schaute zu Poirot hinber.
Glauben Sie ja nicht, da ich spinne, sagte er. Solche Dinge kommen vor.
Ja, ja, ich wei, sie kommen vor.
Mr. Barnes klopfte auf ein Buch in marktschreierischem Einband, das auf dem Tisch in der Nhe lag, und
fuhr fort: Ich lese einen Haufen solcher Spionagegeschichten. Manche klingen phantastisch. Aber merk66
wrdigerweise sind sie nicht phantastischer als die
Wirklichkeit. Es gibt tatschlich bildschne Abenteurerinnen, dunkle Ehrenmnner mit auslndischem Akzent, internationale Banden und Meisterverbrecher! Ich
wrde errten, wenn ich manches von dem, was ich
wei, gedruckt lse kein Mensch wrde es nur einen
Augenblick lang glauben!
Welche Rolle spielt Amberiotis in Ihrer Theorie?
Darber bin ich mir nicht ganz klar. Ich glaube, da er
hereingelegt werden sollte. Er hat mehr als einmal
doppeltes Spiel gespielt, und ich mchte behaupten,
man wollte ihn diesmal zum Sndenbock machen. Aber
das ist natrlich nur eine Annahme.
Hercule Poirot sagte mit ruhiger Stimme: Angenommen, Ihre Theorie stimmt was folgt dann jetzt?
Mr. Barnes rieb sich die Nase.
Sie werden sich von neuem an Blunt heranmachen,
erklrte er. Doch, doch sie versuchen es noch einmal. Die Zeit ist knapp. Er hat Leute, die ihn beschtzen, denke ich mir. Die werden jetzt besonders aufpassen mssen. Nicht auf jemanden, der mit dem Revolver
hinterm Busch sitzt so einfach ist das nicht. Sorgen
Sie dafr, da auf die achtbaren Leute aufgepat wird
auf die Verwandten, auf die Dienerschaft, die seit
Jahren im Hause ist, auf den Apothekergehilfen, der
eine Medizin zurechtmacht, auf den Hndler, der Blunt
den Portwein liefert. Alistair Blunt aus dem Weg zu
rumen, ist viele Millionen wert, und es ist erstaunlich,
was jemand fr sagen wir eine hbsche Jahresrente
von viertausend Pfund zu tun bereit ist!
So viel wird dafr bezahlt?
67
Mglicherweise auch mehr...
Poirot schwieg einen Augenblick und sagte dann: Ich
habe von Anfang an Reilly verdchtigt.
Weil er Ire ist und der IRA angehren knnte?
Nicht so sehr deshalb, sondern weil der Teppich eine
Spur aufwies, als sei die Leiche darbergezerrt worden.
Wre Morley dagegen von einem Patienten erschossen
worden, dann htte das im Sprechzimmer stattgefunden, und es wre unntig gewesen, die Leiche an eine
andere Stelle zu schaffen. Das ist der Grund, weswegen
ich von Anfang an den Verdacht hatte, er sei nicht im
Sprechzimmer, sondern nebenan im Bro erschossen
worden. Und das wrde bedeuten, da ihn nicht ein
Patient umgebracht hat, sondern ein Bewohner des
Hauses.
Saubere Beweisfhrung, nickte Mr. Barnes anerkennend.
Hercule Poirot stand auf und reichte ihm die Hand.
Ich danke Ihnen, sagte er. Sie haben mir sehr geholfen.
Auf dem Heimweg machte Poirot einen Abstecher ins
Glengowrie Court Hotel. Dieser Besuch hatte zur
Folge, da er am folgenden Morgen sehr frh bei Japp
anrief.
Bon jour, mon ami. Heute ist die gerichtliche Leichenschau, nicht wahr?
Ja. Gehen Sie hin?
Ich glaube nicht.
Es ist auch nicht der Mhe wert, nehme ich an.
Haben Sie Miss Sainsbury Seale als Zeugin geladen?
68
Die schne Mabelle warum schreibt sie sich nicht
einfach Mabel? Diese Weiber machen mich ganz verrckt! Nein, ich lade sie nicht vor. Es ist unntig.
Sie haben nichts von ihr gehrt?
Nein, warum auch?
Hercule Poirot sagte: Das wundert mich eigentlich.
Vielleicht interessiert es Sie zu erfahren, da Miss
Sainsbury Seale vorgestern abend kurz vor dem Nachtessen das Glengowrie Court Hotel verlassen hat und
noch nicht wieder zurckgekehrt ist.
Was? Die ist ausgerissen?
Das wre eine denkbare Erklrung.
Aber warum? Sie mssen wissen: Sie ist vollkommen
in Ordnung. Was sie uns erzhlt hat, stimmt durchwegs.
Ich habe ihretwegen nach Kalkutta gekabelt, und
gestern abend ist die Antwort gekommen. Alles in
Ordnung. Sie ist dort seit Jahren bekannt, und ihr ganzer Bericht entspricht der Wahrheit nur mit ihrer Ehe
hat sie ein bichen geschwindelt. Hat einen HinduStudenten geheiratet und dann herausgefunden, da er
auerdem noch verschiedene andere Beziehungen zu
holder Weiblichkeit unterhielt. Da hat sie ihren
Mdchennamen wieder angenommen und in Wohlttigkeit gemacht. Sie steht auf bestem Fu mit den Missionaren gibt Sprachunterricht und bettigt sich bei
Liebhaberbhnen. In meinen Augen ist sie eine frchterliche Person aber jedenfalls weit erhaben ber den
Verdacht, in eine Mordaffre verwickelt zu sein. Und
jetzt erzhlen Sie mir, sie sei uns davongelaufen! Ich
kann es nicht verstehen.
Er hielt einen Augenblick inne und sagte dann unsicher:
69
Vielleicht ist ihr blo das Hotel verleidet? Mir htte es
auch so gehen knnen.
Ihre Sachen sind noch dort. Sie hat nichts mitgenommen, erklrte Poirot.
Japp stie einen Fluch aus.
Wann ist sie fortgegangen?
Ungefhr um Viertel vor sieben.
Und was sagen die Leute im Hotel?
Sie regen sich sehr auf. Die Leiterin des Hotels, Mrs.
Harrison, sieht ganz verzweifelt aus.
Warum hat sie keine Anzeige bei der Polizei gemacht?
Weil eine Dame, mon cher, wenn sie zufllig einmal
eine Nacht ausbleibt ich gebe zu, da im vorliegenden
Fall die uere Erscheinung keine solche Vermutung
zult , mit Recht erbost wre, bei ihrer Rckkehr
feststellen zu mssen, da die Polizei benachrichtigt
worden ist. Mrs. Harrison hatte verschiedene Spitler
angerufen, falls Miss Seale vielleicht ein Unfall
zugestoen wre. Sie hat sich gerade berlegt, ob sie
Anzeige bei der Polizei erstatten sollte, als ich erschien.
Mein Auftauchen bildete fr sie gewissermaen die
Antwort auf ihr Gebet. Ich habe alles bernommen und
mich verpflichtet, die Untersttzung eines besonders
diskreten Kriminalbeamten zu gewinnen.
Mit dem diskreten Kriminalbeamten meinen Sie vermutlich mich?
Sie vermuten richtig.
Japp sthnte: Also gut. Treffen wir uns nach der Leichenschau im Glengowrie Court Hotel.
70
Japp brummte, whrend sie auf Mrs. Harrison warteten:
Mchte wissen, aus welchem Grund das Frauenzimmer verschwunden ist?
Geben Sie zu, da es merkwrdig ist?
Sie hatten keine Zeit, das Gesprch fortzusetzen. Mrs.
Harrison, die Besitzerin des Glengowrie Court Hotels,
kam auf sie zu. Mrs. Harrison war redselig und den
Trnen nahe. Sie sorgte sich so um Miss Sainsbury
Seale. Was konnte ihr nur zugestoen sein? Rasch lie
sie alle Mglichkeiten des Verhngnisses Revue passieren: Gedchtnisverlust, pltzliche Erkrankung, Blutsturz, Autounglck. Raubberfall...
Endlich hielt sie, nach Atem ringend, inne und murmelte: So eine nette, gebildete Dame und sie hat sich bei
uns offensichtlich so wohl gefhlt...
Auf Japps Bitte hin fhrte sie die beiden Mnner in das
keusche Schlafzimmer hinauf, das die verschwundene
Dame bewohnt hatte. Dort herrschten Ordnung und
Sauberkeit. Kleider hingen an der Garderobe, ein
Nachtgewand lag zusammengefaltet auf dem Bett, und
in einer Ecke standen Miss Sainsbury Seales zwei bescheidene Handkoffer. Unter dem Toilettentisch befand
sich eine Reihe von Schuhen: ein Paar praktische
Sporthalbschuhe, zwei Paar ziemlich gewagte Kreationen aus Glaceleder, mit hohen Abstzen und Verzierungen, ein Paar Abendschuhe aus glattem schwarzen
Satin, so gut wie neu, und ein Paar Pantoffeln.
Poirot bemerkte, da die Abendschuhe eine Nummer
kleiner waren als die Straenschuhe das lie entweder
auf Hhneraugen oder auf Eitelkeit schlieen. Er berlegte, ob Miss Sainsbury Seale wohl Zeit gefunden
71
hatte, vor dem Ausgehen ihre Schuhschnalle wieder
anzunhen. Er hoffte es. Nachlssigkeit in der Kleidung
strte ihn immer. Japp war damit beschftigt, einige
Briefe durchzusehen, die er in einer Schublade des
Toilettentisches gefunden hatte. Hercule Poirot zog
vorsichtig eine Lade der Kommode auf. Sie enthielt
lauter Unterwsche. Er schob die Lade sittsam wieder
zu und murmelte, da Miss Sainsbury Seale anscheinend keine Abneigung dagegen habe, Wolle auf der
bloen Haut zu tragen. Dann ffnete er eine andere
Schublade, die Strmpfe enthielt.
Etwas Besonderes, Poirot? erkundigte sich Japp.
Poirot hielt ein Paar Strmpfe in die Hhe und sagte
niedergeschlagen: Nummer zehn, billige Glanzseide,
Preis vermutlich zwei Shilling elf Pence.
Sie brauchen noch nichts fr die Testamentserffnung
zu taxieren, alter Freund, lachte Japp. Hier sind zwei
Briefe aus Indien, ein paar Quittungen von Wohlttigkeitsvereinen, keine Rechnungen. Eine hchst schtzenswerte Person, unsere Miss Sainsbury Seale.
Hat aber keinen guten Geschmack, was Kleider angeht, murmelte Poirot bedauernd. Wahrscheinlich
betrachtet sie Kleider als weltlichen Tand.
Japp war dabei, von einem alten Brief, der zwei Monate
zurcklag, den Absender zu notieren.
Vielleicht wissen die Leute etwas ber sie, sagte er.
Wohnen drauen in Hampstead. Der Brief klingt, als
ob es ziemlich gute Bekannte wren.
Es lie sich im Glengowrie Court Hotel nichts weiter
ermitteln, ausgenommen die Feststellung, da Miss
Sainsbury Seale beim Ausgehen in keiner Weise einen
72
erregten oder bekmmerten Eindruck gemacht hatte.
Eine baldige Rckkehr lag offensichtlich in ihrer Absicht, denn sie hatte auf dem Weg durch die Halle ihrer
neuen Freundin, Mrs. Bolitho, zugerufen: Nach dem
Essen werde ich Ihnen die Patience zeigen, von der ich
Ihnen erzhlt habe!
Aber sie war nicht zurckgekehrt. Sie war die Cromwell Road hinuntergegangen und verschwunden. Japp
und Poirot begaben sich zu den Leuten in WestHampstead, deren Adresse sie auf dem Brief gefunden
hatten. Es war ein freundliches Haus, und die Familie
Adams bestand aus zahlreichen freundlichen Leuten.
Jahrelang hatten sie in Indien gelebt, und mit Wrme
sprachen sie von Miss Sainsbury Seale. Aber helfen
konnten sie nicht.
Sie hatten sie in der letzten Zeit nicht mehr gesehen einen ganzen Monat nicht, seit sie aus den Osterferien
zurckgekommen waren. Damals hatte sie in einem
Hotel nahe dem Russell Square gewohnt. Mrs. Adams
gab Poirot die Adresse dieses Hotels und auch die
Adresse einer anderen mit Miss Seale befreundeten angloindischen Familie, die in Streatham wohnte. Aber
auch diese beiden Adressen erwiesen sich als Fehlschlge. Miss Sainsbury Seale hatte zwar in dem fraglichen Hotel gewohnt, aber man erinnerte sich dort an
nichts, was irgendwie von Wert war. Eine nette, ruhige
Dame, die vorher im Ausland gelebt hatte. Auch die
Leute in Streatham konnten keine Auskunft geben. Sie
hatten Miss Seale seit Februar nicht mehr gesehen.
Blieb noch die Mglichkeit eines Unfalls, aber auch
diese lste sich in nichts auf. In keinem Krankenhaus
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fand sich jemand, der der abgegebenen Beschreibung
entsprach.
Miss Seale war spurlos verschwunden.
Am folgenden Morgen ging Poirot ins Holborn Palace
Hotel und fragte nach Mr. Howard Raikes. Er wre
kaum berrascht gewesen, htte man ihm gesagt, da
auch Mr. Howard Raikes eines schnen Abends ausgegangen und nicht zurckgekommen sei. Mr. Howard
Raikes wohnte jedoch noch im Holborn Palace; es hie,
er sei gerade beim Frhstck.
Das Auftauchen Hercule Poirots im Speisesaal schien
Mr. Raikes nur ein zweifelhaftes Vergngen zu bereiten. Er sah zwar nicht mehr ganz so mordlustig aus wie
in Poirots undeutlichem Erinnerungsbild, machte aber
immer noch einen uerst finsteren Eindruck.
Er starrte den ungeladenen Gast an und sagte unliebenswrdig: Was zum Teufel wollen Sie von mir?
Sie gestatten?
Poirot zog sich einen Stuhl vom Nebentisch heran. Mr.
Raikes sagte: Lassen Sie sich durch mich nicht stren!
Nehmen Sie Platz und tun Sie, als ob Sie zu Hause
wren!
Lchelnd machte Poirot von der Erlaubnis Gebrauch.
Ungndig wiederholte der junge Mann: Also, was
wollen Sie?
Erinnern Sie sich an mich, Mr. Raikes?
Habe Sie in meinem Leben noch nicht gesehen.
Da irren Sie sich. Vor drei Tagen haben Sie wenigstens fnf Minuten lang mit mir im gleichen Zimmer
gesessen.
74
Ich kann mich nicht an jeden Menschen erinnern, mit
dem ich auf irgendeiner verdammten Gesellschaft zusammenkomme.
Es war keine Gesellschaft, sagte Poirot. Es war im
Wartezimmer eines Zahnarztes.
Eine pltzliche Erregung flammte in den Augen des
jungen Mannes auf, erstarb aber sofort wieder. Sein
Verhalten nderte sich. Er war nicht mehr ungeduldig
und gleichgltig. Er war pltzlich auf der Hut.
Und fragte er lauernd.
Poirot beobachtete ihn prfend, ehe er antwortete. Er
hatte das ganz bestimmte Gefhl, dies sei wirklich ein
gefhrlicher junger Mann. Ein schmales, asketisches
Gesicht, ein aggressives Kinn, fanatische Augen. Aber
es war ein Gesicht, das Frauen vielleicht anziehend
fanden.
In Gedanken fate Poirot seinen Eindruck zusammen:
Ein Wolf mit Ideen...
Grob fragte Raikes: Was wollen Sie eigentlich von
mir, zum Teufel?
Mein Besuch ist Ihnen unangenehm?
Ich wei nicht einmal, wer Sie sind.
Ich bitte um Entschuldigung.
Wie ein Taschenspieler frderte Poirot eine Visitenkarte zutage und reichte sie ber den Tisch. Von neuem
spiegelten Mr. Raikes' Zge jene Empfindungen wider,
die Poirot nicht deuten konnte. Es war nicht Furcht
eher Angriffslust. Und dann, ganz deutlich: Zorn. Er
warf die Visitenkarte auf den Tisch.
Der sind Sie also? Ich habe von Ihnen gehrt.
Die meisten Menschen haben von mir gehrt, mur75
melte Poirot bescheiden.
Ein Privatdetektiv, was? Einer von der kostspieligen
Sorte. Einer von denen, die engagiert werden, wo Geld
keine Rolle spielt wo die Leute jeden Preis zahlen,
nur um ihre elende Haut zu retten!
Wenn Sie Ihren Kaffee nicht trinken, meinte Hercule
Poirot, wird er kalt.
Er sprach freundlich und mit Autoritt. Raikes starrte
ihn an.
Sagen Sie: Was sind Sie eigentlich fr ein Vogel?
Der Kaffee in diesem Lande ist ohnehin sehr
schlecht, erklrte Poirot bedauernd.
Das kann man wohl behaupten, besttigte Mr. Raikes.
Aber wenn Sie ihn kalt werden lassen, ist er praktisch
ungeniebar.
Der junge Mann beugte sich vor.
Worauf wollen Sie hinaus? Wozu sind Sie hergekommen?
Poirot zuckte die Achseln.
Ich wollte Sie sprechen.
Raikes' Augen wurden schmal.
Wenn Sie etwa auf Geld aus sind, dann sind Sie an
den Falschen geraten! Leute wie ich knnen sich nicht
leisten zu kaufen, was sie haben wollen. Gehen Sie
lieber zu dem Mann, der Ihnen Ihr Honorar zahlt.
Poirot meinte seufzend: Bis jetzt hat mir noch keiner
etwas bezahlt!
Das knnen Sie mir lange erzhlen, fauchte Raikes.
Es entspricht der Wahrheit, sagte Hercule Poirot.
Ich verschwende eine Menge wertvolle Zeit ohne jede
76
wie immer geartete Entschdigung. Blo, um -sagen
wir meine Neugier zu befriedigen.
Und ich nehme an, entgegnete Mr. Raikes, da Sie
neulich bei dem verfluchten Zahnarzt ebenfalls blo
Ihre Neugier befriedigt haben.
Poirot schttelte den Kopf.
Sie bersehen die allereinfachste Ursache, weswegen
man sich im Wartezimmer eines Zahnarztes aufhlt
nmlich, um sich die Zhne behandeln zu lassen.
Deshalb waren Sie also dort? Mr. Raikes' Ton
drckte unglubige Verachtung aus. Um sich die
Zhne behandeln zu lassen?
Gewi.
Sie werden verzeihen, wenn ich Ihnen sage, da ich
das nicht glaube.
Darf ich dann fragen, Mr. Raikes, was Sie beim Zahnarzt gemacht haben?
Mr. Raikes lchelte pltzlich: Jetzt haben Sie mich erwischt! Ich war ebenfalls zur Behandlung dort.
Sie haben vielleicht Zahnschmerzen gehabt?
Richtig, Sie Schlaumeier.
Und trotzdem sind Sie fortgegangen, ohne sich behandeln zu lassen?
Nun, und wenn schon? Das ist doch meine Angelegenheit ... Er hielt inne und sagte dann mit rasch aufflammendem Zorn: Ach, zum Teufel, warum reden
wir immer um die Sache herum? Sie waren einfach
dort, um auf Ihren Prominenten aufzupassen. Und
Ihrem wertvollen Mr. Alistair Blunt ist ja auch nichts
zugestoen. Mir knnen Sie nichts nachweisen.
Wohin gingen Sie, als Sie so pltzlich das Wartezim77
mer verlieen? fragte Poirot pltzlich scharf.
Aus dem Hause, natrlich.
Aha! Poirot blickte nach der Decke. Aber niemand
sah Sie hinausgehen, Mr. Raikes.
Macht das etwas aus?
Mglicherweise. Bedenken Sie: Kurz darauf ist in
demselben Haus jemand eines gewaltsamen Todes gestorben.
Raikes sagte: Ach so, Sie meinen den Zahnklempner.
Poirots Stimme klang hart, als er antwortete: Ja, ich
meine den Zahnklempner.
Raikes starrte ihn an.
Wollen Sie das etwa mir in die Schuhe schieben?
fragte er. Ist das Ihre Absicht? Das wird Ihnen nicht
gelingen. Ich habe eben den Bericht ber die gestrige
Leichenschau gelesen. Der arme Teufel hat sich erschossen, weil er sich bei einer Lokalansthesie irrte und
der betreffende Patient starb.
Poirot fuhr unbewegt fort: Knnten Sie beweisen, da
Sie das Haus verlassen haben? Kann jemand mit
Bestimmtheit angeben, wo Sie sich zwischen zwlf und
eins aufgehalten haben?
Raikes kniff die Augen zusammen.
Sie versuchen also tatschlich, die Geschichte mir in
die Schuhe zu schieben? Wahrscheilich hat Blunt Sie
dazu angestiftet?
Poirot seufzte: Verzeihen Sie aber dieses fortwhrende Herumreiten auf Mr. Alistair Blunt ist anscheinend eine Zwangsvorstellung von Ihnen. Ich stehe nicht
in seinen Diensten und habe nie in seinen Diensten
gestanden. Ich befasse mich nicht mit seinem Schutz,
78
sondern mit dem Tod eines Menschen, der in seinem
selbstgewhlten Beruf ntzliche Arbeit geleistet hat.
Raikes schttelte den Kopf.
Tut mir leid, murrte er, ich glaube Ihnen nicht. Sie
sind und bleiben fr mich Blunts Privatschnffler.
Ein harter Zug trat in sein Gesicht, als er sich ber den
Tisch lehnte.
Aber Sie knnen ihn nicht schtzen, verstehen Sie? Er
mu verschwinden er und alles, was er verkrpert.
Eine neue Zeit mu anbrechen. Das alte, korrupte
Finanzsystem mu weg dieses verfluchte Netz von
Bankiers, das die Welt wie ein Spinngewebe umgibt.
Alles das mu weggefegt werden. Ich habe nichts
gegen Blunt als Person aber als Typus hasse ich ihn.
Er ist mittelmig ein Philister. Er ist einer von
denen, die man nur mit Dynamit wegsprengen kann. Er
gehrt zu den Leuten, die sagen: Die Grundlagen der
Zivilisation darf man nicht zerstren. Darf man das
wirklich nicht? Er wird schon sehen! Blunt ist ein
Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt und mu
deshalb beseitigt werden. Fr Menschen wie Blunt ist
heutzutage auf der Welt kein Platz Menschen, die
sich nach der Vergangenheit zurcksehnen und so
leben mchten, wie ihre Vter oder sogar Grovter
gelebt haben! Hier in England gibt es viele solche
Leute verkncherte alte Reaktionre, unntze, verbrauchte berbleibsel einer morschen Epoche. Bei
Gott, die mssen verschwinden! Eine neue Welt mu
entstehen. Verstehen Sie: eine neue Welt!
Poirot seufzte und stand auf.
Ich sehe, sagte er. Sie sind ein Idealist.
79
Und was ist dagegen einzuwenden?
Sie sind zu sehr Idealist, um sich aus dem Tod eines
Zahnarztes etwas zu machen.
Verchtlich sagte Raikes: Wirklich, was geht mich der
Tod eines einzigen, armseligen Zahnarztes an?
Sie geht er nichts an, antwortete Poirot. Mich geht
er an. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.
Als Poirot heimkam, teilte George ihm mit, da eine
Dame auf ihn warte.
Die Dame ist h etwas nervs, sagte George.
Da die Dame ihren Namen nicht genannt hatte, stand es
Poirot frei zu raten, um wen es sich handelte. Er hatte
falsch geraten, denn die junge Frau, die bei seinem
Eintritt erregt vom Sofa aufsprang, war die Sekretrin
des verstorbenen Mr. Morley, Gladys Nevill.
Ach, M. Poirot, es ist mir so unangenehm, Sie in dieser Weise zu berfallen, und ich wei wirklich nicht,
wie ich den Mut gefunden habe, herzukommen ich
frchte, Sie werden mich fr sehr aufdringlich halten,
und ich mchte Ihre Zeit wirklich nicht in Anspruch
nehmen ich wei ja, wie wenig Zeit ein vielbeschftigter Mann wie Sie hat, aber ich war tatschlich so
unglcklich ich denke mir nur, Sie werden es fr
reine Zeitverschwendung halten...
Durch seinen langjhrigen Umgang mit dem englischen
Volk gewitzt, schlug Poirot eine Tasse Tee vor. Miss
Nevills Reaktion entsprach vollkommen seinen Erwartungen.
Also, M. Poirot, das ist wirklich reizend von Ihnen. Es
ist ja noch ziemlich frh am vormittag aber eine
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Tasse Tee kann man immer vertragen, nicht wahr?
Poirot, der eine Tasse Tee immer entbehren konnte,
stimmte ihr heuchlerisch zu. George erhielt entsprechende Anweisungen, und in erstaunlich kurzer Zeit
saen Poirot und seine Besucherin einander an einem
Teetischchen gegenber.
Ich mu Sie um Entschuldigung bitten, sagte Miss
Nevill, die unter dem Einflu des Getrnks ihr gewohntes sicheres Auftreten allmhlich wiedergewann,
aber die Sache ist so, da mich die gestrige Leichenschau ziemlich aufgeregt hat.
Davon bin ich berzeugt, meinte Poirot freundlich.
Nicht, da ich als Zeugin htte aussagen sollen oder
dergleichen davon war gar nicht die Rede. Aber ich
hatte das Gefhl, Miss Morley mte eine Begleitung
haben. Gewi, Mr. Reilly war da aber ich meine: ein
weibliches Wesen als Begleitung. Auerdem schtzt
Miss Morley Mr. Reilly nicht besonders. Deshalb hielt
ich es fr meine Pflicht, mit ihr hinzugehen.
Da haben Sie bestimmt ein gutes Werk getan, sagte
Poirot.
Ach nein ich mute es einfach tun. Schauen Sie, ich
habe eine ganze Reihe von Jahren fr Mr. Morley
gearbeitet die ganze Sache war ein schwerer Schlag
fr mich, und die Leichenschau hat natrlich alles noch
verschlimmert...
Ja, das kann ich mir denken.
Miss Nevill beugte sich mit ernstem Gesicht vor.
Aber es stimmt ja alles nicht, M. Poirot. Es stimmt
wirklich nicht.
Was stimmt nicht, Mademoiselle?
81
Nun, die Art und Weise, wie sich alles abgespielt haben soll ich meine, da er einem Patienten eine tdliche Dosis...
Sie glauben das nicht?
Ich bin berzeugt, da es nicht so war. Gelegentlich
kommt es schon vor, da die rtliche Betubung eine
nachteilige Wirkung hat, aber nur bei Patienten, die
bestimmte krperliche Beschwerden haben meist ist
das Herz nicht in Ordnung. Aber eine berdosis ist etwas uerst Seltenes. Schauen Sie Zahnrzte sind so
gewohnt, die vorgeschriebene Dosis zu geben, da das
Spritzen zu einem ganz mechanischen Vorgang wird
man gibt die richtige Dosis automatisch.
Poirot nickte zustimmend: Ja, diesen Gedanken habe
ich auch gehabt.
Schauen Sie, die Mittel sind vollkommen standardisiert. Es ist nicht wie bei einem Apotheker, der dauernd
verschiedene Rezepte zurechtmacht oder die Dosierung
verndern mu da kann natrlich durch Unaufmerksamkeit leicht ein Irrtum entstehen. Oder bei einem
Arzt, der viele verschiedenartige Rezepte schreiben
mu. Aber bei einem Zahnarzt ist das ganz anders.
Haben Sie versucht, diese Auffassung bei der gerichtlichen Leichenschau zu uern? erkundigte sich Poirot.
Gladys Nevill schttelte den Kopf.
Nein! stie sie schlielich hervor, ich habe mich
gescheut, die die Dinge noch zu verschlimmern.
Natrlich wei ich, da Mr. Morley ein solcher Irrtum
nicht htte passieren knnen aber dann htten die
Leute gedacht, er habe es absichtlich getan.
82
Poirot nickte, und Gladys Nevill fuhr hastig fort: Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, M. Poirot. Weil Sie
keine keine Behrde sind. Aber ich bin der Ansicht,
irgend jemand msse erfahren, wie wie wenig berzeugend die ganze Geschichte klingt.
Leider wnscht das niemand zu erfahren, murmelte
Poirot.
Sie schaute ihn berrascht an, und nach einer Weile
sagte er: Ich wte gern Nheres ber das Telegramm,
durch das Sie neulich aus London fortgelockt worden
sind.
Ehrlich gesagt, M. Poirot, ich wei nicht, was ich davon halten soll. Es erscheint mir so sonderbar. Schauen
Sie: Das Telegramm mu jemand abgeschickt haben,
der genau ber mich Bescheid wei und auch ber
meine Tante, wo sie wohnt und dergleichen.
Ja, man hat den Eindruck, da es entweder aus Ihrem
engsten Bekanntenkreis stammt oder von jemandem,
der bei Morleys im Haus lebt und gut ber Sie informiert ist.
Von meinen Freunden wrde niemand so etwas tun,
Monsieur Poirot.
Sie selbst haben gar keine Vermutungen?
Das Mdchen zgerte und sagte dann langsam: Ganz
zu Anfang, als ich hrte, Mr. Morley habe sich erschossen, dachte ich, er habe das Telegramm vielleicht
selber geschickt.
Sie meinen, aus Rcksicht auf Sie um Sie aus dem
Weg zu haben?
Sie nickte.
Aber dann ist mir dieser Gedanke zu phantastisch
83
vorgekommen selbst wenn er wirklich geplant htte,
sich an diesem Vormittag umzubringen. Es ist tatschlich sehr sonderbar. Frank mein Freund hat sich dabei zuerst ganz albern benommen. Er hat mir vorgeworfen, ich htte an diesem Tag mit einem anderen Mann
verreisen wollen als ob ich jemals so etwas tun
wrde!
Gibt es einen anderen Mann?
Miss Nevill errtete.
Nein, natrlich nicht. Doch Frank ist in letzter Zeit so
anders gewesen so bedrckt und mitrauisch. Aber
wissen Sie, das war nur, weil er seine Stellung verloren
hat und keine neue finden konnte. Miggang ist so
schdlich fr einen Mann. Ich habe mich um Frank sehr
gesorgt.
Er hat sich sehr aufgeregt, nicht wahr, als er feststellte,
da Sie an dem betreffenden Tag verreist waren?
Ja denn er war gekommen, um mir zu erzhlen, da
er eine neue Stellung gefunden habe eine wunderbare
Stellung zehn Pfund in der Woche. Und er war ungeduldig: Ich sollte es sofort erfahren. Auerdem wnschte er wohl, da auch Mr. Morley es erfahren sollte,
denn es krnkte ihn sehr, da Mr. Morley ihn nicht
schtzte.
Leichthin sagte Poirot: Ich wrde Ihren Freund gern
kennenlernen.
Das wre mir sehr recht, M. Poirot. Aber augenblicklich hat er nur den Sonntag frei. Whrend der Woche
arbeitet er auf dem Land.
Ah, die neue Stellung. Was ist das brigens fr eine
Arbeit?
84
Genau wei ich das auch nicht. Ich glaube, so eine Art
Sekretrsposten. Oder bei einer Behrde. Ich mu
meine Briefe an Franks Londoner Adresse schicken,
und von dort werden sie ihm nachgesandt.
Finden Sie das nicht ein bichen sonderbar?
Ja, anfangs fand ich es schon aber Frank meint, das
werde heuzutage oft gemacht.
Poirot sah sie ein paar Sekunden schweigend an. Dann
sagte er entschlossen: Morgen ist Sonntag, nicht
wahr? Vielleicht machen Sie mir beide das Vergngen,
mit mir zu Mittag zu essen sagen wir, im Longans
Corner Restaurant? Ich mchte diesen traurigen Vorfall
mit Ihnen beiden besprechen.
Danke vielmals, M. Poirot. Ich wir werden uns sehr
freuen!
Frank Carter war ein blonder, mittelgroer junger
Mann, dessen Erscheinung billige Eleganz verriet. Er
redete bereitwillig und flieend. Seine Augen standen
ziemlich nahe beisammen und bewegten sich unruhig
hin und her, wenn er verlegen war. Er war mitrauisch
und etwas feindselig gestimmt.
Ich hatte keine Ahnung, da wir das Vergngen haben
wrden, mit Ihnen zu speisen. M. Poirot. Gladys hat
mir nichts davon erzhlt.
Er warf ihr einen rgerlichen Blick zu.
Es wurde erst gestern vereinbart, entschuldigte Poirot
lchelnd. Miss Nevill hat sich ber die nheren Umstnde von Mr. Morleys Tod sehr aufgeregt, und ich
dachte, wenn wir alle einmal einen Kriegsrat abhalten
wrden...
85
Frank Carter unterbrach ihn grob.
Morleys Tod? Morleys Tod hngt mir schon zum Hals
heraus! Denk doch einfach nicht mehr an den Mann,
Gladys. Ich verstehe nicht, was an ihm so groartig gewesen sein soll.
Oh, Frank das darfst du nicht sagen. Schon allein,
da er mir hundert Pfund vermacht hat gestern abend
habe ich den Brief bekommen, in dem das stand.
Nun ja, das ist ja ganz gut und schn, gab Frank grollend zu. Aber warum schlielich auch nicht? Wie eine
Sklavin hat er dich schuften lassen und wer hat alle
die fetten Honorare eingesteckt? Er!
Aber das war doch vollkommen in Ordnung er hat
mir ein sehr gutes Gehalt gezahlt.
Nicht, was ich unter einem guten Gehalt verstehe!
Mein liebes Kind, du bist viel zu gutmtig du lt
dich ausntzen. Ich habe Morley ganz richtig eingeschtzt. Du weit so gut wie ich, da er alles versucht
hat, um uns beide auseinanderzubringen.
Er hat es nicht besser verstanden.
Er hat es sehr wohl verstanden. Der Mann ist jetzt tot,
sonst htte ich ihm einmal meine Meinung gesagt
kannst dich darauf verlassen.
Zu diesem Zweck sind Sie auch am Todestag von Mr.
Morley ins Haus gekommen, nicht wahr? fragte
Hercule Poirot freundlich.
Frank Carter sagte zornig: Wer hat das behauptet...?
Sie sind doch gekommen, nicht wahr?
Nun, und wenn schon? Ich wollte Miss Nevill sprechen.
Aber man hat Ihnen mitgeteilt, sie sei nicht da.
86
Ja, und das hat mich uerst mitrauisch gemacht,
kann ich Ihnen sagen. Ich habe diesem rothaarigen
Trottel gesagt, da ich warten und selbst mit Morley
sprechen wrde. Ich hatte es satt, da er Gladys dauernd gegen mich aufhetzte, und wollte ihm klarmachen,
da ich kein armseliger Taugenichts bin, sondern ein
Mann in guter Stellung, der absolut in der Lage ist zu
heiraten.
Aber Sie haben doch nicht mit Morley gesprochen?
Nein, ich bekam das Warten in dieser verstaubten
Gruft satt und ging fort.
Um welche Zeit verlieen Sie das Haus?
Daran kann ich mich nicht erinnern.
Haben Sie eine halbe Stunde gewartet lnger oder
krzer als eine halbe Stunde?
Ich sage Ihnen doch, ich wei es nicht. Ich gehre
nicht zu den Leuten, die dauernd auf die Uhr schauen.
War noch jemand im Wartezimmer, whrend Sie dort
warteten?
Ein dicker, liger Kerl war da, als ich eintrat, aber er
wurde bald zu Morley gerufen. Dann war ich allein.
Dann mssen Sie vor halb eins gegangen sein denn
um diese Zeit ist eine Dame gekommen.
Schon mglich. Wie gesagt, die Bude ist mir auf die
Nerven gegangen.
Poirot sah ihn nachdenklich an. Das forsche Auftreten
wirkte irgendwie unecht. Aber das lie sich vielleicht
auch durch bloe Nervositt erklren.
Einfach und ungeknstelt sagte darum Poirot: Miss
Nevill erzhlte mir, da Sie groes Glck gehabt und
eine sehr gute Stellung gefunden haben.
87
Das Gehalt ist gut.
Zehn Pfund pro Woche, habe ich gehrt.
Stimmt. Nicht bel, was? Das beweist, da ich etwas
erreichen kann, wenn ich es mir in den Kopf setze.
Carter sah sehr stolz aus.
Ja, in der Tat. Und die Arbeit ist nicht zu anstrengend?
Es geht.
Und interessant?
O ja, ganz interessant. Da wir gerade von Arbeit reden: Ich habe mich immer gefragt, wie ihr Privatdetektive eigentlich arbeitet. Ich nehme an, die Zeiten des seligen Sherlock Holmes sind vorbei, oder? Heutzutage
gibt es wohl nur noch Scheidungsaffren zu bearbeiten?
Ich befasse mich nicht mit Ehescheidungen.
So? Dann begreife ich nicht, wie Sie existieren knnen.
Man richtet sich ein, lieber Freund, man richtet sich
ein.
Aber Sie sind doch eine Koryphe auf Ihrem Gebiet,
nicht wahr, M. Poirot? warf Gladys Nevill ein. Mr.
Morley hat das immer behauptet. Ich meine: Detektive
wie Sie arbeiten fr knigliche Hoheiten oder fr das
Innenministerium oder fr Herzoginnen.
Poirot lchelte sie an.
Sie schmeicheln mir, sagte er dann.
Nachdenklich kehrte Poirot heim und rief sofort Japp
an.
Verzeihen Sie, lieber Freund, wenn ich Sie stre
88
aber haben Sie eigentlich etwas unternommen, um dem
bewuten Telegramm an Gladys Nevill auf die Spur zu
kommen?
Sind Sie immer noch an der Sache dran? Ja, wir haben
das Telegramm tatschlich aufgesprt. Die Sache war
sehr schlau eingefdelt: Die Tante wohnt in Richbourne
in Somerset, und das Telegramm wurde in Richbarn,
einem Londoner Vorort, aufgegeben.
Anerkennend meinte Poirot:
Das war schlau ja, das war schlau. Wenn die Empfngerin zufllig nach dem Aufgabeort sah, besa dieser Name gengend hnlichkeit mit Richbourne, um
keinen Verdacht zu erregen. Er hielt inne. Wissen
Sie, was ich denke, Japp?
Nun?
Hinter dieser Sache steckt Verstand.
Hercule Poirot wnscht, da es Mord ist, also mu es
Mord sein.
Und wie erklren Sie sich das Telegramm?
Ein Zufall. Jemand hat einen Streich gespielt.
Aus welchem Grund?
Du lieber Himmel, Poirot aus welchem Grund tut
man so etwas? Aus Spa, aus Fopperei. Ein verdrehter
Sinn fr Humor das ist alles.
Und der Spa mute ausgerechnet an dem Tag stattfinden, an dem Morley den Irrtum mit der Injektion
begeht?
Vielleicht hat dabei ein gewisser Zusammenhang von
Ursache und Wirkung bestanden: Eben weil die Assistentin abwesend war, hat sich Morley infolge seiner
dadurch bedingten berlastung in der Dosis geirrt.
89
Ich bin noch nicht berzeugt.
Das glaube ich Ihnen aber sehen Sie nicht, wohin
Ihre Auffassung fhrt? Wenn jemand die Nevill aus
dem Weg haben wollte, dann war es vermutlich Morley
selbst. Und daraus wrde sich ergeben, da er
Amberiotis mit Vorbedacht und nicht aus Versehen
umgebracht hat.
Poirot schwieg.
Japp sagte: Sehen Sie das ein?
Amberiotis kann auch auf andere Weise umgebracht
worden sein, erklrte Poirot.
Ausgeschlossen. Niemand hat ihn im Savoy besucht,
und im rztlichen Befund steht ausdrcklich, da das
Zeug gespritzt und nicht geschluckt worden ist im
Magen war nichts davon zu finden. Da ist nicht viel zu
machen der Fall liegt klar.
Ja, das sollen wir eben glauben... Und was ist mit der
verschwundenen Dame?
An dem Fall arbeiten wir noch. Irgendwo mu das
Weibsbild doch sein! Man kann schlielich nicht einfach auf die Strae laufen und sich in Luft auflsen.
Das hat sie aber anscheinend getan.
Im Augenblick sieht es so aus. Aber irgendwo mu sie
sein, tot oder lebendig und ich glaube nicht, da sie
tot ist.
Warum nicht?
Weil wir sonst inzwischen die Leiche gefunden htten.
Oh, lieber Freund tauchen denn Leichen immer
schon so bald auf?
Wahrscheinlich wollen Sie mir jetzt einreden, die Frau
90
sei gleichfalls umgebracht worden?
Man kann nie wissen, sagte Poirot vorsichtig. Aber
die Hauptsache ist, da Sie sie erst einmal finden.
Ja, ja, natrlich. Wir werden jetzt ihren Steckbrief
durch die Presse verffentlichen und auch den Rundfunk mobilisieren.
Aha, meinte Poirot, das knnte was bringen.
Machen Sie sich keine Sorgen, alter Freund. Wir
werden Ihnen Ihre verschwundene Schnheit schon zur
Stelle schaffen einschlielich wollener Unterwsche
und allem anderen.
Japp legte auf.
George betrat in seiner gewohnten geruschlosen Art
das Zimmer. Er stellte eine Kanne dampfende Schokolade und etwas Gebck auf ein Tischchen.
Haben Sie noch einen Wunsch, Monsieur?
Meine Gedanken befinden sich in groer Verwirrung,
George.
Wirklich, Monsieur? Das tut mir leid.
Hercule Poirot go sich eine Tasse Schokolade ein und
rhrte gedankenvoll darin herum. George blieb in
ehrerbietiger Haltung wartend stehen, denn er verstand
das Zeichen zu deuten. Es gab Augenblicke, in denen
Hercule Poirot seine Flle mit dem Diener besprach. Er
pflegte zu sagen, Georges Bemerkungen seien ungewhnlich ntzlich.
Es ist Ihnen zweifellos bekannt, George, da mein
Zahnarzt eines pltzlichen Todes gestorben ist?
Mr. Morley, Monsieur? Ja, Monsieur. Sehr unangenehm, Monsieur. Er hat sich erschossen, wie ich hre.
Das ist die allgemeine Annahme. Wenn er sich nicht
91
selbst erschossen hat, dann hat man ihn ermordet.
Jawohl, Monsieur.
Die Frage ist nun: Wenn er ermordet worden ist wer
hat die Tat begangen?
Ganz richtig, Monsieur.
Es gibt nur eine beschrnkte Zahl von Menschen,
George, die den Mord begangen haben knnen. Das
heit: die Menschen, die zu der betreffenden Zeit im
Hause waren oder im Hause htten sein knnen.
Sehr richtig, Monsieur.
Diese Menschen sind: eine Kchin und ein Hausmdchen freundliche Angestellte, von denen kaum
anzunehmen ist, da sie etwas Derartiges tun wrden.
Ferner eine treue Schwester ebenfalls sehr unwahrscheinlich , die aber immerhin das ganze Geld ihres
Bruders erbt; man darf den finanziellen Aspekt nie
vollstndig auer acht lassen. Ein fhiger und tchtiger
Teilhaber das eventuelle Motiv unbekannt. Ein etwas
einfltiger Boy, der gern billige Kriminalromane liest.
Und endlich ein Herr aus Griechenland mit etwas
zweifelhafter Vergangenheit.
George hustete.
Diese Auslnder, Monsieur...
Ganz richtig. Ich pflichte Ihnen vollkommen bei. Der
Herr aus Griechenland ist entschieden verdchtig. Aber
schauen Sie, George, der griechische Herr ist gleichfalls gestorben, und es ist anscheinend Mr. Morley
gewesen, der ihn umgebracht hat, ob mit Absicht oder
auf Grund eines bedauerlichen Irrtums, wissen wir
nicht.
Es knnte so sein, Monsieur, da die Herren sich ge92
genseitig umgebracht haben. Ich meine folgendes,
Monsieur: Jeder der beiden Herren hatte den Plan gefat, den anderen Herrn umzubringen natrlich ohne
Wissen des anderen Herrn.
Hercule Poirot schnurrte beifllig.
uerst scharfsinnig, George. Der Zahnarzt ermordet
den unglcklichen Herrn, der im Sessel sitzt, ohne zu
wissen, da besagtes Opfer im gleichen Augenblick
genau berlegt, wann es die Pistole ziehen soll. So
knnte es sich natrlich abgespielt haben aber,
George, das kommt mir doch hchst unwahrscheinlich
vor. Und unsere Personenliste ist noch nicht zu Ende.
Es gibt noch zwei weitere Leute, die im gegebenen
Moment mglicherweise im Hause waren. Alle Patienten vor Mr. Amberiotis sind beim Verlassen des Hauses
gesehen worden alle bis auf einen jungen Amerikaner. Er hat das Wartezimmer ungefhr zwanzig
Minuten vor zwlf verlassen, aber niemand hat gesehen, da er aus dem Haus gegangen ist. Deshalb mssen wir ihn als einen mglichen Tter betrachten. Der
andere ist ein gewisser Frank Carter kein Patient ,
der kurz nach zwlf ins Haus gekommen ist, mit der
Absicht, Mr. Morley zu sprechen. Den hat auch niemand weggehen sehen. Das, mein guter George, sind
die Tatsachen: Was halten Sie davon?
Um welche Zeit wurde der Mord begangen, Monsieur...?
Wenn der Mord von Mr. Amberiotis begangen wurde,
dann irgendwann zwischen zwlf Uhr und zwlf Uhr
fnfundzwanzig. Wenn ein anderer den Mord begangen
hat, dann mu das nach zwlf Uhr fnfundzwanzig
93
geschehen sein, denn sonst htte Amberiotis die Leiche
sehen mssen.
Er blickte George aufmunternd an.
Nun, mein guter George, was halten Sie von der Geschichte?
George berlegte. Schlielich sagte er: Was mir auffllt, Monsieur...
Ja, George?
Monsieur werden sich einen anderen Zahnarzt suchen
mssen...
Sie bertreffen sich selbst, George. Dieser Aspekt der
Angelegenheit war mir noch gar nicht aufgegangen!
Mit befriedigtem Gesicht verlie George das Zimmer.
Hercule Poirot blieb sitzen, schlrfte seine Schokolade
und ging in Gedanken nochmals die Ereignisse durch,
die er soeben geschildert hatte. Er war berzeugt, da
die Tatsachen seiner Darstellung entsprachen. Unter
den aufgezhlten Personen befand sich diejenige, die
den Mord begangen hatte gleichgltig, wer hinter
dem Anschlag stand. Pltzlich schossen Poirots Augenbrauen in die Hhe: Ihm war eingefallen, da seine
Liste eine Lcke enthielt. Und niemand durfte
ausgelassen werden auch nicht die unwahrscheinlichste Person. Noch jemand war zur Zeit des Mordes
im Haus gewesen. Er notierte: Barnes.
George meldete: Eine Dame mchte Sie am Telefon
sprechen, Monsieur.
Eine Woche zuvor hatte Poirot die Person einer Besucherin falsch erraten. Diesmal riet er richtig. Er erkannte die Stimme sofort.
94
M. Hercule Poirot?
Am Apparat.
Hier ist Jane Olivera die Nichte von Mr. Alistair
Blunt.
Ja, Miss Olivera?
Knnten Sie bitte ins Gotische Haus kommen? Ich
glaube nmlich, da Sie etwas erfahren mten.
Gewi. Um welche Zeit wrde es Ihnen passen?
Um halb sieben, bitte.
Ich werde kommen.
Ich ich hoffe, ich stre Sie nicht in Ihrer Arbeit?
Ganz und gar nicht. Ich habe Ihren Anruf erwartet.
Er legte rasch auf und wandte sich lchelnd vom Telefon ab. Er war neugierig, welche Ausrede Jane Olivera
sich wohl ausgedacht haben mochte, um ihn kommen
zu lassen.
Bei seiner Ankunft im Gotischen Haus wurde er direkt
in die groe Bibliothek gefhrt, durch deren Fenster
man auf die Themse hinaussah. Alistair Blunt sa am
Schreibtisch und spielte zerstreut mit einem Papiermesser. Er machte das leicht gequlte Gesicht eines
Mannes, dem das Weibervolk um sich herum zunehmend auf die Nerven geht.
Jane Olivera stand beim Kamin. Eine rundliche Dame
in mittleren Jahren zeterte bei Poirots Eintreten gerade:
und ich bin wirklich der Meinung, Alistair, da in
dieser Angelegenheit auf meine Gefhle Rcksicht
genommen werden mu.
Ja, natrlich, Julia natrlich, natrlich.
Alistair sprach in beschwichtigendem Ton und stand
auf, um Poirot zu begren.
95
Und wenn ihr euch Schauergeschichten erzhlt, verlasse ich das Zimmer, fgte die Dame hinzu.
An deiner Stelle, Mutter, wrde ich lieber gleich hinausgehen, meinte Jane hflich. Mrs. Olivera rauschte
aus dem Zimmer, ohne von Poirot Notiz zu nehmen.
Sehr freundlich, da Sie gekommen sind, M. Poirot,
begrte Alistair Blunt ihn. Ich glaube, Sie kennen
Miss Olivera bereits?
Jane sagte rasch: Es handelt sich um diese verschwundene Frau, von der alle Zeitungen voll sind Miss
Sowieso Seale.
Sainsbury Seale? Ja?
Es ist ein so pompser Name deshalb habe ich mich
daran erinnert. Wer soll erzhlen ich oder du, Onkel
Alistair?
Mein liebes Kind die Geschichte gehrt dir.
Jane wandte sich wieder an Poirot.
Vielleicht ist es ganz unwichtig aber ich habe jedenfalls gemeint, da Sie es erfahren sollten.
Ja?
Es war beim letzten Mal, als Onkel Alistair zum
Zahnarzt ging ich meine: nicht neulich, sondern vor
etwa drei Monaten. Ich habe ihn in die Queen Charlotte
Street begleitet; der Wagen sollte mich dann zu Freunden am Regents Park bringen und hinterher Onkel
Alistair wieder abholen. Wir hielten vor Nummer 58,
und Onkel stieg aus. In diesem Augenblick kam eine
Frau aus dem Haus eine Frau in mittleren Jahren mit
wirrem Haar und geschmacklos angezogen. Sie scho
auf Onkel zu und sagte hier ging Jane Oliveras
Stimme in ein affektiertes Quietschen ber Oh, Mr.
96
Blunt, Sie knnen sich gewi nicht mehr an mich
erinnern ! Ihm war natrlich anzumerken, da er sich
wirklich nicht im geringsten an sie erinnerte.
Blunt seufzte.
Das geht mir immer so. Die Leute sagen...
Er machte ein ganz bestimmtes Gesicht, fuhr Jane
fort, das ich genau kenne ein Gesicht, das den
Leuten etwas vormachen soll, aber keinen Sugling
tuschen knnte und sagte lahm: Oh h doch,
gewi. Darauf sagte das schreckliche Weib: Ich war
sehr befreundet mit Ihrer Frau, wissen Sie!
Auch das sagen die Leute immer, fgte Alistair Blunt
in dsterem Ton hinzu. Er lchelte verlegen. Es luft
immer auf dasselbe hinaus: ein Beitrag fr irgendeinen
wohlttigen Zweck. Damals habe ich mich mit fnf
Pfund zugunsten einer Zenana-Mission loskaufen
knnen billig!
Hatte sie wirklich Ihre Frau gekannt?
Nun, da sie sich fr die Zenana-Mission interessierte,
htte das nur in Indien gewesen sein knnen, wo wir
vor etwa zehn Jahren waren. Aber sehr befreundet war
sie mit meiner Frau sicher nicht, denn davon htte ich
gewut. Wahrscheinlich hat sie sie einmal bei irgendeinem Empfang getroffen.
Jane meinte: Ich glaube nicht, da sie Tante Rebecca
berhaupt gekannt hat. Das war sicher nur ein Vorwand, um dich anzusprechen, Onkel.
Alistair Blunt murmelte nachsichtig: Nun, das ist sehr
gut mglich.
Hat sie noch weitere Annherungsversuche gemacht? fragte Poirot.
97
Blunt schttelte den Kopf.
Ich habe nie wieder an sie gedacht. Sogar ihr Name
war mir entfallen, bis Jane ihn in der Zeitung entdeckt
hat.
Unsicher sagte Jane: Nun, ich fand, da M. Poirot von
dieser Begegnung erfahren sollte!
Ich danke Ihnen, Mademoiselle, erwiderte Poirot
hflich. Zu Blunt gewandt, fgte er hinzu: Ich mchte
Sie nicht unntig aufhalten, Mr. Blunt. Sie sind ein
vielbeschftigter Mann.
Jane sagte schnell: Ich bringe Sie hinunter.
Poirot lchelte hinter seinem Schnurrbart.
Im Erdgescho blieb Jane pltzlich stehen: Kommen
Sie hier rein! flsterte sie und fhrte ihn in ein kleines
Zimmer, das neben der Halle lag.
Sie drehte sich um und stand ihm gegenber. Was
meinten Sie, als Sie am Telefon sagten, Sie htten
meinen Anruf erwartet?
Poirot lchelte: Genau, was ich gesagt habe, Mademoiselle. Ich habe Ihren Anruf erwartet und der
Anruf ist gekommen.
Wollen Sie damit sagen, Sie htten gewut, da ich
Sie wegen dieser Sainsbury Seale anrufen wrde?
Poirot schttelte den Kopf.
Das war nur ein Vorwand. Sie htten ntigenfalls auch
einen anderen Vorwand gefunden.
Aus welchem anderen Grund htte ich Sie anrufen
sollen? fragte das Mdchen wtend.
Aus welchem Grund sollten Sie die kleine Information
ber Miss Sainsbury Seale mir zukommen lassen statt
der Polizei? Das wre doch der normale Weg ge98
wesen.
Also gut was wissen Sie eigentlich?
Ich wei, da Sie sich fr mich interessieren, seit Sie
erfahren haben, da ich neulich im Holborn Palace
Hotel war.
Sie wurde so bla, da er erschrak. Er htte nie gedacht, da diese tiefgebrunte Haut eine derart grnliche Schattierung annehmen knnte.
Mit ruhiger, fester Stimme fuhr er fort: Sie haben
mich veranlat, heute hierherzukommen, weil Sie mich
ausholen wollen das ist das richtige Wort, nicht wahr?
ja, weil Sie mich ausholen wollen ber Mr. Howard
Raikes.
Wer ist das? fragte Jane wenig berzeugend.
Poirot sagte: Sie brauchen mich nicht auszuholen,
Mademoiselle. Ich werde Ihnen erzhlen, was ich wei
oder vielmehr, was ich erraten habe. Damals, als ich
mit Chefinspektor Japp zum ersten Mal hier ins Haus
kam, waren Sie berrascht, uns zu sehen erschrocken.
Sie dachten, Ihrem Onkel sei etwas zugestoen.
Warum?
Nun, er gehrt zu den Leuten, denen etwas zustoen
knnte. Einmal hat er eine Bombe in einem Postpaket
bekommen, und jetzt erhlt er fast tglich Drohbriefe.
Poirot fuhr fort: Chefinspektor Japp sagte Ihnen, da
ein gewisser Morley, ein Zahnarzt, erschossen aufgefunden worden sei. Sie erinnern sich vielleicht noch an
Ihre Antwort. Sie sagten: Aber das ist doch absurd!
Habe ich das gesagt? Das war absurd von mir, nicht
wahr?
Es war eine sehr sonderbare Bemerkung, Mademoi99
selle. Sie verriet, da Sie von der Existenz des Mr.
Morley wuten und da Sie erwartet hatten, etwas
wrde passieren nicht ihm, aber mglicherweise in
seinem Hause.
Sie denken sich gern zu Ihrem Vergngen Geschichten aus, wie?
Poirot lie sich nicht aus der Ruhe bringen.
Sie hatten erwartet oder vielmehr gefrchtet , da
etwas in Mr. Morleys Haus Ihrem Onkel passieren
wrde. Aber wenn dem so war, dann muten Sie etwas
wissen, was wir nicht wuten. Ich lie die Menschen,
die an jenem Tag Mr. Morleys Haus betreten hatten,
vor meinem inneren Auge Revue passieren und kam sofort auf die einzige Person, die mit Ihnen in Verbindung
stehen knnte es war dieser junge Amerikaner,
Howard Raikes.
Das klingt ja wie ein Schauerroman! Was bringt die
nchste spannende Fortsetzung?
Ich suchte Mr. Raikes auf. Er ist ein gefhrlicher und
anziehender junger Mann.
Poirot schaltete eine ausdrucksvolle Pause ein.
Jane sagte nachdenklich: Das ist er wirklich, nicht
wahr? Sie lchelte. Also schn! Sie haben gewonnen! Ich bin fast gestorben vor Angst!
Sie beugte sich vor.
Ich werde Ihnen alles erzhlen, M. Poirot. Sie kann
man nicht an der Nase herumfhren. Lieber erzhle ich
es Ihnen, als da Sie herumschnffeln und alles selbst
herausbringen. Ich liebe diesen Howard Raikes. Meine
Mutter hat mich nur nach England gebracht, um mich
von ihm zu trennen. Teils deshalb, und teils weil sie
100
hofft, Onkel Alistair knnte mich gengend liebgewinnen, um mir sein Vermgen zu vermachen. Mutter
ist eine angeheiratete Nichte. Ihre Mutter war die
Schwester von Rebecca Arnholt. Wir sind also nur sehr
entfernt verwandt aber Blutsverwandte hat er nicht,
und deshalb bildet Mutter sich ein, wir knnten ihn
einmal beerben. Sie sehen, ich bin offen, M. Poirot.
Solche Leute sind wir. Wir haben selbst eine Masse
Geld eine geradezu unanstndige Masse, sagt Howard , aber nicht in der Grenordnung von Onkel
Alistair.
Sie hielt inne und schlug mit der Hand wtend auf die
Stuhllehne.
Wie kann ich es Ihnen begreiflich machen? Alles,
woran ich auf Grund meiner ganzen Erziehung glaube,
verabscheut Howard und will es vernichten. Und wissen Sie manchmal empfinde ich genauso wie er. Ich
habe Onkel Alistair sehr gern, aber er geht mir auf die
Nerven. Er ist so schwerfllig so englisch so vorsichtig und konservativ. Manchmal habe ich das Gefhl, er und seine Klasse mten wirklich hinweggefegt
werden sie stehen dem Fortschritt im Wege, nur ohne
sie wird man etwas erreichen knnen!
Sie bekennen sich zu den Ideen von Mr. Raikes?
Ja und nein. Howard ist radikaler als die meisten
seiner Genossen. Wissen Sie, es gibt Leute, die bis zu
einem gewissen Punkt mit Howard bereinstimmen.
Sie wren bereit, etwas Neues zu wagen, wenn Onkel
Alistair und seine Leute es zulassen wrden. Aber das
tun die niemals! Sie sitzen blo da, wackeln mit den
Kpfen und sagen: Das drfen wir nicht riskieren.
101
Und: Das wre keine gesunde Wirtschaft. Und: Wir
mssen verantwortungsbewut sein.
Jane hatte sich richtig in Rage geredet.
Warum hat Mr. Raikes den Zahnarzt in der Queen
Charlotte Street aufgesucht? fragte Poirot betont
sachlich.
Weil ich wollte, da er Onkel Alistair kennenlernt,
und nicht wute, wie ich das anders zustande bringen
sollte. Howard ist so erbittert ber Onkel Alistair, so
erfllt von ja, von Ha, und ich glaube, das wrde
sich ndern, wenn er einmal sehen knnte, was fr ein
netter, gtiger, bescheidener Mensch Onkel in Wirklichkeit ist. Hier im Haus lie sich ein Zusammentreffen nicht ermglichen Mutter htte alles verdorben.
Und nachdem Sie alles vorbereitet hatten, wurden Sie
ngstlich, nicht wahr? fragte Poirot sachte.
Ihre Augen weiteten sich und wurden dunkel.
Ja. Weil weil Howard weil Howard sich manchmal
hinreien lt. Er er
Er ist fr ein abgekrztes Verfahren. Fr die Vernichtung, sagte Poirot.
Nein, nein, so nicht! rief Jane Olivera.
4
Die Zeit verging. Seit Mr. Morleys Tod war mehr als
ein Monat verstrichen, und noch immer wute man
nichts von Miss Sainsbury Seale. Japp wurde jedesmal
grimmiger, wenn er auf die Sache zu sprechen kam.
Zum Donnerwetter, Poirot irgendwo mu das Weib
102
doch stecken!
Zweifellos, mon cher.
Entweder ist sie tot oder lebendig. Wenn sie tot ist wo ist dann die Leiche? Nehmen wir an, sie hat Selbstmord begangen...
Noch ein Selbstmord?
Lassen wir das. Sie behaupten immer noch, Morley sei
ermordet worden ich behaupte, es war Selbstmord.
Wo die Pistole herkam, haben Sie nicht feststellen
knnen?
Nein, ein auslndisches Fabrikat.
Das lt doch gewisse Schlsse zu, nicht wahr...?
Nicht, wie Sie glauben. Morley war oft im Ausland.
Er kann die Pistole im Ausland gekauft haben. Eine
Menge Leute haben gern eine Waffe bei sich, wenn sie
im Ausland sind. Sie haben dann das Gefhl, das Leben
sei gefhrlich.
Er brach ab und knurrte: Bringen Sie mich nicht vom
Thema ab. Ich wollte gerade sagen: Wenn nur wenn,
verstehen Sie die Dame Selbstmord begangen hat,
wenn sie zum Beispiel ins Wasser gegangen ist, dann
htte die Leiche lngst irgendwo auftauchen mssen.
Wenn sie ermordet worden ist, natrlich auch.
Nicht, wenn man die Leiche mit einem Gewicht beschwert und in die Themse geworfen hat.
Aus einem Keller im Chinesenviertel, was?
Ich wei, ich wei. Ich werde rot, wenn ich so was
sage.
Und umgebracht worden ist sie wahrscheinlich von
einer internationalen Verbrecherbande?
Poirot meinte seufzend: Man hat mir unlngst erzhlt,
103
da es so etwas wirklich gibt.
Wer hat Ihnen das erzhlt?
Mr. Reginald Barnes aus der Castlegardens Road in
Ealing.
Nun, der knnte vielleicht etwas wissen, sagte Japp
nachdenklich. Er hat sich im Innenministerium mit der
berwachung der Auslnder befat.
Aber Sie sind anderer Meinung?
Es ist nicht mein Gebiet gewi, ja, es gibt solche Sachen , aber doch sehr selten.
Es herrschte einen Augenblick Schweigen, dann begann Japp von neuem: Ein paar ergnzende kleine Informationen haben wir bekommen. Die Seale ist von
Indien nach England auf dem gleichen Schiff gereist
wie Amberiotis. Aber da sie in der zweiten und er in
der ersten Klasse gefahren ist, glaube ich nicht, da viel
dahintersteckt. Allerdings bildet sich einer der Kellner
im Savoy ein, sie und Amberiotis ungefhr eine Woche
vor dessen Tod zusammen gesehen zu haben.
Es knnte also eine Verbindung zwischen den beiden
bestanden haben?
Mglicherweise aber fr wahrscheinlich halte ich es
nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, da eine Missionsdame sich auf dunkle Machenschaften einlt.
Hatte Amberiotis sich auf wie Sie sich ausdrcken
dunkle Machenschaften eingelassen? fragte Poirot.
Ja.
Das wissen Sie bestimmt?
Ja. Natrlich die Schmutzarbeit hat er nicht selbst
gemacht. Wir htten ihm nichts anhaben knnen. Organisieren und Berichte anfordern das war seine Spezia104
litt.
Japp machte eine Pause und fuhr dann fort: Aber das
bringt uns mit der Sainsbury Seale nicht weiter. Die
konnte nicht zu diesen Leuten gehren.
Denken Sie daran, da sie in Indien gelebt hat. Dort
hat es letztes Jahr eine Menge Unruhen gegeben.
Amberiotis und die tugendhafte Miss Sainsbury Seale
ich bin einfach nicht imstande, mir die beiden als
Partner vorzustellen.
Wuten Sie, da Miss Sainsbury Seale mit der verstorbenen Mrs. Alistair Blunt eng befreundet war?
Wer behauptet das? Kann ich nicht glauben. Ganz
verschiedene soziale Schichten.
Sie hat es selbst behauptet.
Und wem gegenber?
Alistair Blunt.
Ah so ist das gewesen! Nun, er ist ja wohl gewhnt,
da ihm solche Sachen erzhlt werden. Meinen Sie,
Amberiotis habe die Seale irgendwie vorgeschoben?
Das htte zu nichts gefhrt. Blunt htte sie mit ein paar
Pfund fr wohlttige Zwecke abgespeist. Htte sie niemals zu sich eingeladen oder so etwas hnliches. So
naiv ist er schlielich auch nicht.
Das war von so stringenter Logik, da Poirot ihm nur
beipflichten konnte.
Und dennoch, fuhr Japp fort, ist die Seale ein
Mensch aus Fleisch und Blut ich meine: Manchmal
stt man sozusagen auf eine Attrappe, auf jemanden,
der sich beispielsweise fr Miss Spinks ausgibt, ohne
da diese Miss Spinks in Wirklichkeit existiert. Aber
diese Frau ist echt, hat eine Vergangenheit und einen
105
realen Hintergrund. Wir wissen alles ber sie, von ihrer
Kindheit angefangen. Sie hat ein vollkommen normales, nachvollziehbares Leben gefhrt und auf einmal:
Hokuspokus verschwindibus!
Das mu einen Grund haben, sagte Poirot.
Den Morley hat sie nicht erschossen falls Sie das
meinen sollten. Amberiotis hat ihn hchst lebendig gesehen, nachdem sie schon fort war, und wir haben die
Wege berprft, die sie nach dem Verlassen der Queen
Charlotte Street gegangen ist.
Poirot unterbrach ungeduldig: Ich behaupte keinen
Augenblick, da sie Morley erschossen hat natrlich
hat sie das nicht getan. Aber trotzdem...
Japp sagte: Wenn Ihre Theorie stimmt, da Morley
ermordet worden ist, dann ist es viel wahrscheinlicher,
da er etwas zu ihr gesagt hat, was ohne da sie es
wute auf die Spur seines Mrders fhrt. In diesem
Fall knnte es sein, da sie absichtlich aus dem Weg
gerumt worden ist.
Poirot sagte: All das setzt eine Organisation voraus irgendeinen Apparat, der in keinem Verhltnis zum Tod
eines unaufflligen Zahnarztes in der Queen Charlotte
Street steht.
Sie mssen nicht alles glauben, was Reginald Barnes
Ihnen erzhlt! Er ist ein komischer Vogel sieht berall Spione und Verrter.
Japp stand auf, und Poirot sagte: Verstndigen Sie
mich, wenn Sie etwas Neues hren.
Als Japp gegangen war, blieb Poirot stirnrunzelnd am
Tisch sitzen. Er hatte das sichere Gefhl, auf etwas zu
warten. Aber auf was?
106
Er erinnerte sich, da er schon frher einmal so dagesessen und einige Vorgnge und Namen aufgeschrieben
hatte.
Drauen vor dem Fenster war ein Vogel vorbeigeflogen, einen Zweig im Schnabel.
Auch er hatte Zweige zusammengesucht. Nun lagen sie
vor ihm eine ganze Reihe. Jeder einzelne Zweig hatte
seinen Platz in Poirots suberlich registrierendem
Gehirn aber er hatte noch nicht versucht, Ordnung in
die Zweige zu bringen. Das war der nchste Schritt: die
Zweige ordnen.
Was hielt ihn davon ab? Er wute die Antwort: Er wartete auf etwas. Auf etwas Unvermeidliches, Vorbestimmtes auf das nchste Glied in der Kette. Wenn es
eintrat, dann erst dann konnte er weitermachen.
Eine Woche danach, spt am Abend, kam der Anruf.
Japps Stimme am Telefon klang schroff.
Sie sind da, Poirot? Wir haben sie gefunden. Es wre
gut, wenn Sie herkmen. King Leopold Mansions, Battersea Park. Appartement Nummer 45.
Eine Viertelstunde spter setzte ein Taxi Poirot vor den
King Leopold Mansions ab.
Das war ein groer Block von Etagenwohnungen, die
alle auf den Battersea Park hinausgingen. Nummer 45
lag im zweiten Stock. Japp ffnete persnlich die Tr.
Sein Gesicht durchzogen grimmige Falten.
Kommen Sie herein, sagte er. Sie ist nicht besonders schn anzuschauen, aber ich nehme an, Sie wollen
sie selbst sehen.
Poirot fragte aber es war eigentlich keine Frage:
107
Tot?
Man kann es wohl mausetot nennen.
Poirot neigte den Kopf zur Seite und lauschte auf ein
wohlbekanntes Gerusch, das hinter einer Tr zu seiner
Rechten hervordrang.
Das ist der Portier, sagte Japp. bergibt sich
gerade. Ich mute ihn zur Identifizierung heraufholen.
Er fhrte Poirot den Korrdor entlang. Poirot rmpfte
die Nase.
Nicht erfreulich, sagte Japp. Aber was soll man machen? Die Frau ist seit mehr als einem Monat tot.
Der Raum, den sie betraten, war eine kleine Rumpelund Kofferkammer. In der Mitte stand eine groe, metallene Truhe, wie man sie zur Aufbewahrung von Pelzen hat. Der Deckel war geffnet. Poirot trat vor und
schaute in die Truhe. Als erstes sah er den Fu mit
einem abgetragenen Schuh bekleidet, auf dem eine
Schnalle befestigt war. Das erste, was er von Miss
Sainsbury Seale erblickt hatte, war fiel ihm ein eine
Schuhschnalle.
Sein Blick wanderte ber den Rock und die Jacke aus
grnem Wollstoff bis hinauf zum Kopf. Er gab ein undeutliches Gerusch von sich.
Ich wei, sagte Japp. Sieht schauderhaft aus.
Das Gesicht war dermaen zugerichtet, da sein ursprngliches Aussehen nicht mehr zu erkennen war.
Bercksichtigte man noch den natrlichen Verwesungsproze, so war es kein Wunder, da die beiden Mnner
leicht erbsengrn aussahen, als sie sich schlielich
abwandten.
Das, brummte Japp, gehrt zum Beruf zu unserem
108
Beruf. Keine Frage: Manchmal ist unsere Arbeit lausig.
Nebenan ist noch ein Tropfen Cognac. Sie sollten etwas
davon trinken.
Das Wohnzimmer war modern und elegant eingerichtet: viel Chrom und ein paar mchtige, eckige Polstersessel, bezogen mit bla rehbraunem, geometrisch gemustertem Stoff.
Poirot fand die Karaffe und go sich einen Cognac ein.
Er trank ihn aus und schttelte dann den Kopf.
Das war nicht schn, gar nicht schn! Jetzt erzhlen
Sie, lieber Freund.
Die Wohnung gehrt einer Mrs. Albert Chapman.
Mrs. Chapman ist, wie ich hre, eine hbsche Blondine
in den Vierzigern. Zahlt ihre Rechnungen pnktlich,
spielt gern mit den Nachbarn Bridge, lebt aber mehr
oder weniger zurckgezogen. Keine Kinder. Mr.
Chapman ist Geschftsreisender. Die Seale ist am
Abend unserer Unterhaltung mit ihr hierhergekommen,
etwa um Viertel nach sieben also vermutlich auf
direktem Weg vom Glengowrie Court Hotel. Wie der
Portier sagt, war sie schon vorher einmal da. Sie sehen:
Alles klar und einwandfrei ein netter, freundschaftlicher Besuch. Der Portier fuhr Miss Sainsbury Seale
im Lift hinauf. Er sah noch, wie sie vor der Wohnungstr stand und auf die Klingel drckte.
Poirot bemerkte: Da hat er sich aber reichlich Zeit gelassen, bis ihm das eingefallen ist!
Er lag anscheinend mit einer Darmerkrankung im
Spital, und ein anderer Portier mute ihn in dieser Zeit
vertreten. Erst vor ungefhr einer Woche will er in
einer alten Zeitung die Personenbeschreibung der ver109
schwundenen Seale entdeckt und zu seiner Frau gesagt
haben: Hrt sich an wie die Dame, die damals zu Mrs.
Chapman im zweiten Stock auf Besuch gekommen ist.
Jedenfalls hat die ein grnes Wollkleid angehabt und
Schnallenschuhen Und nach einer weiteren Stunde hat
er gesagt: Und ihren Namen hat sie mir doch auch
gesagt, sie hie tatschlich Miss Sowieso Seale.
Hinterher, fuhr Japp fort, hat er vier Tage gebraucht, um seine natrliche Abneigung gegen eine
Fhlungnahme mit der Polizei zu berwinden und mit
seiner Aussage zu uns zu kommen. Wir haben erst nicht
recht geglaubt, da es zu etwas fhren wrde. Sie
haben keine Ahnung, wie oft wir falschen Alarm bekommen haben. Immerhin habe ich Sergeant Beddas
hierhergeschickt das ist ein aufgeweckter junger Kerl.
Hat ein bichen zuviel von dieser neuen, hochgestochenen Ausbildung genossen, aber da ist nichts zu
machen das ist jetzt modern.
Nun, Beddas hatte gleich das Gefhl, wir seien diesmal
auf dem richtigen Dampfer. Erstens ist diese Mrs.
Chapman seit ber einem Monat von niemandem im
Haus gesehen worden. Sie ist abgereist, ohne eine
Adresse zu hinterlassen. Das ist doch sonderbar. berhaupt ist alles sonderbar, was Beddas ber Mr. und
Mrs. Chapman erfahren konnte. So entschlo er sich,
die Wohnung mal nher anzuschauen. Wir stellten
einen Haussuchungsbefehl aus und besorgten uns vom
Geschftsfhrer einen Schlssel. Fanden zuerst nichts
Interessantes, auer im Badezimmer. Dort war irgendeine eilige Suberung vorgenommen worden. Auf dem
Linoleum war eine Blutspur in einer Ecke, wo man
110
sie beim Aufwischen bersehen hatte. Danach ging es
nur noch darum, die Leiche zu finden. Mrs. Chapman
konnte kein Gepck mitgenommen haben, denn dann
htte der Portier davon gewut. Deshalb mute die
Leiche noch in der Wohnung sein. Die Pelztruhe hatten
wir rasch aufgesprt luftdicht verschlossen, verstehen
Sie , gerade das richtige Versteck. Die Schlssel lagen
in einer Schublade des Toilettentisches. Die Truhe
wurde geffnet und da war sie, unsere verschwundene Dame!
Und diese Mrs. Chapman? fragte Poirot.
Sehr richtig! Wer ist Sylvia so heit sie nmlich ,
und wo ist Sylvia? Eines steht fest: Sylvia oder ihre
Freunde haben die Seale umgebracht und in die Truhe
gesteckt.
Poirot nickte und fragte: Aber warum hat man ihr das
Gesicht so ruiniert? Das war nicht hbsch.
Das glaube ich, da das nicht hbsch war! Und was
das Warum angeht, kann man wohl nur Vermutungen
anstellen. Vielleicht aus bloer Wut. Oder vielleicht in
der Absicht, die Identifizierung der Leiche unmglich
zu machen.
Poirot runzelte die Stirn.
Aber es hat sie nicht unmglich gemacht.
Nein, weil wir nicht nur eine sehr genaue Beschreibung der Kleider hatten, die Mabelle Sainsbury Seale
bei ihrem Verschwinden trug, sondern weil auch ihre
Handtasche mit in die Pelztruhe gestopft worden ist, in
der sich ein alter Briefumschlag befand, der an sie
adressiert war.
Poirot setzte sich auf und sagte: Aber das ist doch wi111
dersinnig!
Gewi ist es das. Ich nehme an, es war ein Versehen.
Ja vielleicht ein Versehen. Aber...
Er stand auf.
Sie haben die Wohnung durchsucht?
Ziemlich grndlich. Wir haben keine aufschlureichen
Hinweise gefunden.
Ich mchte Mrs. Chapmans Schlafzimmer sehen.
Dann kommen Sie mit.
Das Schlafzimmer wies keinerlei Anzeichen einer hastigen Flucht auf. Es war ordentlich und gut aufgerumt. Das Bett war unbenutzt, aber fr die Nacht hergerichtet. Auf allem lag eine dicke Staubschicht.
Keine Fingerabdrcke, soweit wir feststellen konnten.
In der Kche haben wir ein paar gefunden, aber ich
erwarte, da sie von dem Mdchen stammen werden,
erluterte Japp.
Das lt also darauf schlieen, da die ganze Wohnung nach dem Mord sehr sorgfltig gesubert worden
ist?
Ja.
Poirot lie den Blick langsam durchs Zimmer schweifen. Es war, wie das Wohnzimmer, modern eingerichtet, und zwar diesen Eindruck hatte er von einem
Menschen mit migem Einkommen. Die Gegenstnde
darin waren nicht billig, aber auch nicht bertrieben
kostspielig. Sie sahen nach etwas aus, waren aber nicht
erstklassig. Die vorherrschende Farbe war Rosarot. Er
schaute in den eingebauten Garderobenschrank und
befhlte die Kleider elegante Kleider, aber wiederum
nicht von erster Qualitt. Sein Blick fiel auf die Schuhe;
112
sie gehrten berwiegend zur Kategorie der Sandalen,
die augenblicklich in Mode war, und manche besaen
turmhohe Korksohlen. Er nahm einen Schuh in die
Hand, vermerkte die Tatsache, da Mrs. Chapman
Gre fnf trug, und stellte ihn wieder hin. In einem
anderen Schrank fand er einen Haufen Pelze, die man
offenbar achtlos hineingeworfen hatte.
Das stammt aus der Pelztruhe, sagte Japp.
Poirot nickte. Er strich ber einen grauen Eichhrnchenmantel und meinte anerkennend:
Erstklassige Felle.
Dann ging er ins Badezimmer. Dort gab es Schnheitsmittel in verschwenderischer Flle. Poirot betrachtete
sie interessiert. Puder, Rouge, Tagescreme, Nachtcreme, Pflegemasken, zwei verschiedene Haarfrbemittel.
Japp sagte: Keine natrliche Blondine, wie Sie
sehen.
Poirot murmelte: Mit vierzig, mon ami, beginnt bei
manchen Frauen das Haar zu ergrauen aber Mrs.
Chapman gehrt nicht zu denen, die klein beigeben.
Wahrscheinlich trgt sie jetzt zur Abwechslung rotes
Haar.
Wer wei?
Japp sagte: Etwas qult Sie, Poirot. Was ist es?
Ja, etwas qult mich, qult mich sehr ernsthaft. Es gibt
hier fr mich, verstehen Sie, ein unlsbares Problem.
Entschlossen ging er nochmals in die Kofferkammer.
Er packte den Schuh am Fu der toten Frau. Der Schuh
leistete Widerstand und lie sich nur mit Gewalt ausziehen.
113
Er untersuchte die Schnalle. Sie war mit ungeschickter
Hand angenht worden. Hercule Poirot seufzte.
Wahrscheinlich trume ich! murmelte er.
Was treiben Sie da eigentlich wollen Sie die Sache
noch komplizierter machen? unterbrach ihn Japp.
Genau das.
Ein Lackschuh, sagte Japp, komplett mit Schnalle.
Was ist los mit dem Schuh?
Nichts absolut nichts. Und trotzdem ich verstehe
es nicht.
Hercule Poirot sah sehr nachdenklich aus.
Mrs. Merton aus Appartement 82 der King Leopold
Mansions war vom Portier als Mrs. Chapmans beste
Bekannte im Hause bezeichnet worden. Zum Appartement 82 lenkten also Japp und Poirot ihre nchsten
Schritte.
Mrs. Merton war eine geschwtzige Dame mit lebhaften schwarzen Augen und einer sorgfltig hergerichteten Frisur. Es bedurfte keiner Mhe, sie zum Reden zu
bringen. Sie zeigte sich der dramatischen Situation gewachsen.
Sylvia Chapman also natrlich kenne ich sie nicht
sehr gut nicht intim, sozusagen. Wir haben gelegentlich zusammen Bridge gespielt und sind miteinander
ins Kino gegangen. Aber sagen Sie mir sie ist doch
nicht etwa tot, wie?
Japp beruhigte Mrs. Merton.
Nun, ich bin froh, das zu hren. Eben war der Brieftrger hier und hat alles mgliche erzhlt von einer
Leiche, die in einer der Wohnungen gefunden worden
114
sein soll aber man darf ja nicht die Hlfte von dem
glauben, was die Leute so schwatzen, finden Sie nicht
auch?
Japp stellte eine weitere Frage.
Nein, ich habe nichts von Mrs. Chapman gehrt seit
ihrer Abreise. Sie mu ganz pltzlich verreist sein,
denn wir hatten damals verabredet, da wir uns in der
folgenden Woche den Film mit Grear Garson anschauen wollten, und da hat sie nichts von Verreisen
gesagt.
Von einer Miss Sainsbury Seale hatte Frau Merton nie
etwas gehrt. Bestimmt hatte Mrs. Chapman diesen
Namen niemals erwhnt.
Und trotzdem, wissen Sie, kommt mir der Name bekannt vor ganz entschieden. Ich mu ihn in allerletzter Zeit irgendwo gehrt haben.
Trocken entgegnete Japp: Der Name hat wochenlang
in allen Zeitungen gestanden.
Natrlich eine Vermitenmeldung, nicht wahr? Und
Sie meinen, da Mrs. Chapman sie kannte? Nein, ich
bin ganz sicher, da Sylvia den Namen nie erwhnt
hat.
Wissen Sie etwas ber Mr. Chapman, Mrs. Merton?
Ein sonderbarer Ausdruck erschien auf Mrs. Mertons
Gesicht.
Er ist, glaube ich, Geschftsreisender wenigstens hat
mir Mrs. Chapman das erzhlt. Vertritt seine Firma im
Ausland eine Rstungsfirma, glaube ich. Er bereist
ganz Europa.
Sind Sie jemals mit ihm zusammengekommen?
Nein, nie. Er war so selten zu Hause, und wenn er da
115
war, wollte Mrs. Chapman mit ihm allein sein. Sehr begreiflich.
Wissen Sie, ob Mrs. Chapman nahe Verwandte oder
Freunde besitzt?
Ob Freunde, wei ich nicht. Nahe Verwandte hat sie
wohl keine. Jedenfalls hat sie nie von ihnen gesprochen.
War sie jemals in Indien?
Nicht, da ich wte.
Mrs. Merton machte eine Pause. Dann stie sie hervor:
Aber bitte, sagen Sie mir doch: Warum stellen Sie
diese ganzen Fragen? Ich verstehe schon, da Sie von
der Kriminalpolizei kommen, aber dann mu doch ein
besonderer Grund vorliegen.
Nun, Mrs. Merton, in Mrs. Chapmans Wohnung ist
tatschlich eine Leiche gefunden worden.
Oh ! Mrs. Merton sah einen Augenblick aus wie der
Hund im Mrchen, dessen Augen so gro wie Untertassen waren.
Eine Leiche! Etwa Mr. Chapman? Oder ein Auslnder?
berhaupt kein Mann eine Frauenleiche.
Eine Frau? Mrs. Mertons Erstaunen schien noch zu
wachsen.
Poirot fragte milde: Warum dachten Sie, es sei ein
Mann?
Ach, ich wei nicht. Es kam mir wahrscheinlicher
vor...
Aber warum? Pflegte Mrs. Chapman Mnnerbesuche
zu empfangen?
O nein keineswegs. Mrs. Merton war ganz emprt.
116
So etwas habe ich nicht gemeint. So eine Frau war
Sylvia Chapman nicht im geringsten! Es war nur, weil
Mr. Chapman ich meine... Sie brach ab.
Ich glaube, sagte Poirot, Sie wissen ein bichen
mehr, als Sie uns erzhlt haben, Madame.
Mrs. Merton erklrte zgernd: Ich wei wirklich nicht,
was ich tun soll. Ich mchte keinen Vertrauensbruch
begehen und habe natrlich niemandem verraten, was
Sylvia mir erzhlt hat auer zwei Freundinnen, von
denen ich bestimmt wute, da sie kein Wort weitersagen wrden.
Mrs. Merton holte tief Atem.
Was hat Ihnen Mrs. Chapman erzhlt? fragte Japp.
Mrs. Merton beugte sich vor und senkte die Stimme.
Es ist ihr eines Tages gewissermaen zufllig entschlpft. Wir sahen einen Film, der vom Geheimdienst
handelte, und Mrs. Chapman sagte, es sei deutlich zu
merken, da die Filmleute nicht viel von diesem Metier
verstnden. Und dann ist es herausgekommen, nur hat
sie mich beschworen, darber zu schweigen. Mr.
Chapman ist nmlich beim Geheimdienst ttig. Das ist
der wirkliche Grund, weshalb er dauernd ins Ausland
fahren mu. Die Geschftsreisen sind nur ein Vorwand.
Als sie die Treppe hinunter zu Nummer 42 zurckgingen, war Japp sichtlich wtend.
Sergeant Beddas, der tchtige junge Mann, erwartete
die beiden und sagte respektvoll: Aus dem Mdchen
habe ich nichts Vernnftiges herausbringen knnen,
Chefinspektor. Mrs. Chapman hat ihre Bedienung an117
scheinend ziemlich hufig gewechselt. Diese Nelly hat
die Stellung erst seit ein oder zwei Monaten gehabt. Sie
sagt, Mrs. Chapman sei eine nette Dame gewesen, habe
gern Radio gehrt und mit ihr nie unfreundlich gesprochen. Manchmal hat sie Briefe aus dem Ausland
bekommen, ein paar aus Deutschland, zwei aus Amerika, einen aus Italien und einen aus Ruland. Der
Freund des Mdchens sammelt Marken, und Mrs.
Chapman gab ihr diese stets, wenn ein Brief gekommen
war.
Unter Mrs. Chapmans Papieren haben Sie nichts gefunden?
Nicht das geringste, Chefinspektor. Es war auch nicht
viel an Papieren da. Ein paar Rechnungen und Quittungen alle von hiesigen Firmen. Einige alte Theaterprogramme, ein paar Kochrezepte, die sie aus der Zeitung ausgeschnitten hatte, und eine Broschre ber die
Zenana-Mission.
Nun, und wer die ins Haus gebracht hat, ist leicht zu
erraten. Das klingt kaum nach einer Mrderin, was?
Und doch scheint sie das gewesen zu sein. Zumindest
mu sie eine Komplizin sein. Und fremde Mnner sind
an dem Abend nicht im Haus gesehen worden?
Der Portier kann sich an keine erinnern, aber es ist ja
auch schon ziemlich lange her, und berhaupt ist das
Haus sehr gro ein dauerndes Kommen und Gehen.
An das Datum erinnert er sich nur deshalb, weil er am
nchsten Tag ins Spital gebracht worden ist und sich an
dem betreffenden Abend schon sehr schlecht gefhlt
hat.
Der Arzt kam aus dem Badezimmer, wo er sich die
118
Hnde gewaschen hatte.
Eine hchst unappetitliche Leiche, sagte er heiter.
Schicken Sie sie mir rber, sobald Sie soweit sind.
Dann werde ich mich an die Arbeit machen.
Todesursache noch nicht festgestellt, Doktor?
Bevor ich die Autopsie gemacht habe, kann ich unmglich etwas Genaues sagen. Die Verletzungen im
Gesicht sind ihr bestimmt erst nach dem Tod beigebracht worden, mchte ich behaupten. Aber mit Sicherheit lt es sich erst sagen, wenn ich sie auf dem
Seziertisch habe. Frau in mittleren Jahren, anscheinend
soweit gesund, Haare an der Wurzel grau, aber blond
gefrbt. Vielleicht hat sie am Krper besondere Merkmale wenn nicht, wird sie schwer zu identifizieren
sein , ach, Sie wissen, wer es ist? Das ist groartig.
Was? Die vermite Frau, ber die soviel in der Zeitung
stand? Ich lese die Zeitung immer nur flchtig. Lse
nur die Kreuzwortrtsel.
Und das ist nun die ffentliche Meinung! sagte Japp
bitter, als der Arzt hinausging.
Poirot stand ber den Schreibtisch gebeugt. Er nahm
ein braunes Adrebchlein zur Hand und schlug es
beim Buchstaben Z auf. Da stand: Dr. Zacharias, Prince
Albert Road 17; Zaccoletti und Drake, Fischgeschft.
Und darunter stand: Zahnarzt, Mr. Morley, Queen
Charlotte Street 58.
In Poirots Augen leuchtete ein grnes Licht. Es wird,
sagte er, nicht schwierig sein, die Leiche einwandfrei
zu identifizieren.
Japp sah ihn erstaunt sein.
Sie glauben doch nicht etwa...
119
Ich will ganz sicher sein! antwortete Poirot heftig.
Miss Morley war aufs Land gezogen. Sie wohnte jetzt
in einem Bauernhuschen in der Nhe von Hertford.
Der Grenadier empfing Poirot freundlich. Seit dem Tod
ihres Bruders war ihr Gesicht jedoch noch grimmiger,
ihre Haltung noch aufrechter, ihre allgemeine Einstellung zum Leben noch unnachgiebiger geworden. Sie
trug schwer an dem Makel, mit dem das Ergebnis der
Leichenschau die Berufsehre ihres Bruders befleckt
hatte. Auf Poirots Fragen antwortete sie bereitwillig
und sachverstndig. Mr. Morleys Papiere, soweit sie
mit seiner Arbeit zusammenhingen, waren von Miss
Nevill geordnet und seinem Nachfolger bergeben
worden. Manche Patienten waren zu Mr. Reilly bergewechselt, andere hatten den neuen Partner gewhlt.
Als sie ihre Ausknfte erteilt hatte, sagte sie: Sie
haben also diese Patientin von Henry gefunden Miss
Sainsbury Seale , und auch sie ist ermordet worden.
Das auch klang herausfordernd. Sie sagte es mit besonderem Nachdruck.
Hat Ihr Bruder, fragte Poirot, Miss Sainsbury Seale
Ihnen gegenber nie erwhnt?
Nein, ich kann mich nicht erinnern. Wir haben gewhnlich nicht viel ber seine Arbeit gesprochen. Er
war froh, sie vergessen zu knnen, wenn der Tag vorbei
war. Manchmal war er sehr mde.
Knnen Sie sich erinnern, von einer Patientin namens
Chapman gehrt zu haben?
Chapman? Nein, ich glaube nicht. Bei allen diesen
Dingen knnte Ihnen am ehesten Miss Nevill behilflich
120
sein.
Wo ist sie denn jetzt?
Ich glaube, sie arbeitet bei einem Zahnarzt in Ramsgate.
Sie hat also diesen jungen Mr. Carter noch nicht geheiratet?
Nein, und ich hoffe, da auch in Zukunft nichts daraus
wird. Ich mag den jungen Mann nicht, Mr. Poirot, ich
mag ihn wirklich nicht. Mit dem stimmt etwas nicht.
Wrden Sie es fr mglich halten, da er Ihren Bruder
erschossen hat? erkundigte sich Poirot.
Miss Morley sagte langsam: Ich habe das Gefhl, da
er vielleicht dazu fhig gewesen wre denn er ist sehr
unbeherrscht. Aber ich sehe nicht ein, welchen Grund
brigens auch welche Gelegenheit er dafr gehabt
haben knnte. Schlielich ist es Henry nicht gelungen,
Gladys von ihm abzubringen. Sie hat weiter treu zu ihm
gehalten.
Glauben Sie, da man ihn bestochen haben knnte?
Bestochen? Meinen Bruder umzubringen? Das halte
ich fr einen phantastischen Gedanken!
In diesem Augenblick brachte ein nettes, dunkelhaariges Mdchen den Tee.
Als es die Tr hinter sich schlo, erkundigte sich
Poirot: Dieses Mdchen war schon in London bei
Ihnen, nicht wahr?
Agnes? Ja, sie war unser Stubenmdchen. Ich habe die
Kchin entlassen, und Agnes macht jetzt alles. Sie hat
sich zu einer sehr netten kleinen Kchin entwickelt.
Poirot nickte. Er erinnerte sich der huslichen Verhltnisse in der Queen Charlotte Street 58 noch sehr genau.
121
Sie waren zur Zeit der Tragdie grndlich untersucht
worden. Mr. Morley und seine Schwester hatten ihre
Wohnrume in den beiden oberen Stockwerken des
Hauses. Das Souterrain war gnzlich abgeschlossen,
mit Ausnahme eines schmalen Ganges, der zum Hinterhof fhrte; dort waren ein Sprachrohr und ein Aufzug
zum obersten Stock angebracht, der die Lebensmittel
und anderen Waren fr den Haushalt hinaufbefrderte.
Den einzigen Zugang zum Haus bildete daher die
vordere Eingangstr, die von Alfred bedient wurde.
Dies hatte der Polizei einen sicheren Anhaltspunkt
dafr geboten, da an dem betreffenden Vormittag kein
Auenseiter das Haus hatte betreten knnen.
Kchin und Stubenmdchen waren schon jahrelang bei
den Morleys und hatten einen guten Leumund. Obwohl
es also theoretisch mglich gewesen wre, da sich
eine von den beiden in den zweiten Stock hinuntergeschlichen und dort den Hausherrn erschossen hatte,
war doch diese Annahme niemals ernstlich in Erwgung gezogen worden. Beim Verhr hatten beide
keinen bermig ngstlichen oder aufgeregten Eindruck gemacht, und es bestand im ganzen keinerlei
Anla, sie mit dem Tod Morleys in Verbindung zu
bringen.
Aber als Poirot beim Fortgehen von Agnes Hut und
Stock berreicht bekam, wandte sie sich mit auffallender Nervositt an ihn mit der Frage: Ist ist etwas
Neues herausgekommen ber den Tod von Mr. Morley?
Poirot sah sie aufmerksam an: Nichts Neues ist bekannt geworden, antwortete er.
122
Glaubt man immer noch, da er sich umgebracht hat,
weil ihm ein Versehen mit dem Mittel passiert ist?
Ja. Warum fragen Sie?
Agnes strich sich verlegen ber die Schrze. Sie
wandte das Gesicht zur Seite und stotterte undeutlich:
Miss Morley glaubt nicht daran.
Und Sie?
Ich? Ach, ich wei ja nichts. Ich wollte nur ganz sicher sein.
Hercule Poirot sagte mit seiner sanftesten Stimme: Es
wre fr Sie eine Erleichterung, wenn Sie ohne jeden
Zweifel wten, da es Selbstmord war?
O ja, antwortete Agnes rasch, das wre wirklich
eine Erleichterung.
Aus irgendeinem bestimmten Grund?
Ihr erschrockener Blick begegnete dem seinen. Sie
zuckte zurck.
Ich ich wei keinen bestimmten Grund. Ich wollte
nur fragen.
Ja, aber warum hat sie gefragt? murmelte Poirot vor
sich hin, als er den Weg zum Gartentor hinunterschritt.
Er war berzeugt, da es eine Antwort auf diese Frage
gab. Aber einstweilen konnte er die Antwort nicht
erraten.
Trotzdem hatte er das Gefhl, einen Schritt weitergekommen zu sein.
Beim Heimkommen fand Poirot zu seiner berraschung einen unerwarteten Besucher vor. Ein kahler
Kopf war ber dem Rcken eines Lehnstuhls sichtbar,
und es erhob sich die kleine, adrette Gestalt von Mr.
123
Barnes.
Er blinzelte, wie blich, und entschuldigte sich trocken
fr sein unangemeldetes Erscheinen. Er war gekommen
so erklrte er um M. Hercule Poirots Besuch zu
erwidern.
Poirot seinerseits erklrte, er sei entzckt, Mr. Barnes
zu sehen. George wurde beauftragt, Kaffee zu bringen
es sei denn, der Besuch ziehe Tee oder Whisky-Soda
vor?
Kaffee wre ausgezeichnet, sagte Mr. Barnes. Ich
nehme an, da Ihr Diener ihn gut macht, was das englische Personal meist nicht fertigbringt.
Nach dem Austausch einiger hflicher Bemerkungen
rusperte sich Mr. Barnes schlielich und sagte: Ich
will ganz offen mit Ihnen sein, M. Poirot. Es ist die
reine Neugierde, die mich zu Ihnen gefhrt hat. Sie,
dachte ich, wrden ber alle Einzelheiten dieses seltsamen Falles am besten informiert sein. Ich ersehe aus
der Zeitung, da man die verschwundene Mabelle
Sainsbury Seale gefunden hat und da eine Leichenschau abgehalten und bis zur Beibringung neuer
Beweismittel vertagt wurde. Als Todesursache wurde
eine berdosis Medinal angegeben.
Genau so verhlt es sich, besttigte Poirot, und nach
einer Pause fragte er: Haben Sie jemals etwas von Albert Chapman gehrt, Mr. Barnes?
Ah, der Gatte der Dame, in deren Wohnung Miss
Seale umgekommen ist? Wie es scheint, eine schwer zu
fassende Persnlichkeit.
Aber doch wohl kaum eine Persnlichkeit, die es nicht
gibt?
124
Oh, keineswegs, sagte Mr. Barnes. Es gibt ihn. O ja,
es gibt ihn oder hat ihn gegeben. Ich hrte, er sei tot.
Aber auf solche Gerchte kann man sich nie
verlassen.
Wer war Chapman, Mr. Barnes?
Ich glaube nicht, da da Nheres herauskommt
wenn es sich irgendwie vermeiden lt. Man wird an
der Lesart vom Vertreter einer Rstungsfirma festhalten.
Er war also tatschlich beim Geheimdienst?
Natrlich war er das. Aber er hatte nicht das Recht, es
seiner Frau zu verraten keinesfalls. Er htte sogar den
Dienst quittieren mssen, als er heiratete. Als verheirateter Mann bleibt man gewhnlich nicht aktiv das
heit, wenn man zum Kreis der Geheimagenten gehrt.
Und Chapman hat zu diesen gehrt?
Ja. QX 912: Das war seine Chiffre. Namen werden
dort nie gebraucht. Ich will nicht behaupten, QX 912
sei ein besonders wichtiger Mann gewesen. Aber er war
gut verwendbar, weil er so unauffllig aussah. Fr
Botenreisen kreuz und quer durch Europa hat man ihn
viel eingesetzt.
Dann war er also im Besitz wertvoller Informationen?
Ach, vermutlich hat er berhaupt nichts gewut,
meinte Mr. Barnes frhlich. Seine Aufgabe bestand
einzig darin, in Eisenbahnzgen, Schiffen und Flugzeugen hin- und herzurasen und eine passende Begrndung fr seine jeweilige Reise bereit zu haben.
Und Sie haben gehrt, er sei tot?
125
Das habe ich gehrt, erwiderte Mr. Barnes. Aber
man darf nicht alles glauben, was man hrt. Ich tue das
nie.
Poirot schaute Mr. Barnes forschend an: Was ist,
glauben Sie, aus seiner Frau geworden?
Ich habe keine Ahnung, erklrte Barnes. Sie vielleicht?
Ich hatte eine Ahnung, sagte Poirot zgernd, aber es
ist alles sehr verworren.
Mr. Barnes murmelte mitfhlend: Macht Ihnen irgendein bestimmter Punkt Schwierigkeiten?
Hercule Poirot antwortete langsam: Ja. Etwas, das ich
mit eigenen Augen gesehen habe...
Japp betrat Poirots Wohnzimmer und knallte seinen
steifen Hut mit solcher Wucht auf den Tisch, da alles
wackelte. Was zum Teufel, fragte er, hat Sie auf
den Gedanken gebracht?
Mein lieber Japp, ich wei berhaupt nicht, wovon Sie
sprechen.
Langsam und nachdrcklich sagte Japp: Was hat Sie
auf den Gedanken gebracht, die Leiche sei nicht die
von Miss Sainsbury Seale?
Es war das Gesicht, das man so zugerichtet hat.
Warum sollte es notwendig gewesen sein, einer toten
Frau das anzutun? sagte Poirot leise.
Ich hoffe nur, der alte Morley ist an einem Ort, wo er
davon erfhrt. Wissen Sie, es ist sehr gut mglich, da
er mit Vorbedacht aus dem Weg gerumt worden ist
damit er keine Aussage machen konnte! erklrte Japp
unmutig.
126
Es wre natrlich weit besser, wenn er selbst als
Zeuge htte auftreten knnen.
Leatheran gengt auch, Morleys Nachfolger. Er ist ein
tchtiger, fhiger Mann, der einen guten Eindruck
macht, und das Beweismaterial ist nicht anzuzweifeln.
Die Abendbltter des folgenden Tages enthielten eine
sensationelle Nachricht: Die in einer Wohnung am
Battersea Park aufgefundene Frauenleiche, von der angenommen worden war, es sei die von Miss Sainsbury
Seale, war einwandfrei als die von Mrs. Albert
Chapman identifiziert worden. Zahnarzt Leatheran,
Queen Charlotte Street 58, hatte sie auf Grund des
Gebisses, dessen genaue Einzelheiten in der Kartei
seines verstorbenen Vorgngers Morley verzeichnet
waren, mit Bestimmtheit als Mrs. Albert Chapman
erkannt. Die Leiche war mit den Sachen von Miss
Sainsbury Seale bekleidet gewesen, und Miss
Sainsbury Seales Handtasche hatte daneben gelegen.
Wo aber befand sich Miss Sainsbury Seale?
5
Als sie die Totenschau verlieen, sagte Japp triumphierend zu Poirot: Saubere Arbeit, das! Hat die Leute
vollkommen verblfft! Poirot nickte.
Sie, Poirot, sind als erster draufgekommen, lobte
Japp. Aber wissen Sie, ich habe auch meine Zweifel
gehabt wegen der Leiche. Schlielich schlgt man
einem toten Menschen nicht ohne triftigen Grund das
127
Gesicht kaputt. Und der einzige triftige Grund konnte
sein, da man die Identitt verschleiern wollte. Er
fgte gromtig hinzu: Aber ich wre nicht so schnell
daraufgekommen, da es gerade die andere Frau war.
Poirot lchelte.
Und doch, lieber Freund, waren die beiden Frauen
einander uerlich gar nicht so unhnlich. Mrs.
Chapman war eine fesche, gutaussehende Person, stark
geschminkt und elegant angezogen. Miss Sainsbury
Seale war nachlssig gekleidet und hat Lippenstift und
Rouge nur vom Hrensagen gekannt. Aber in den wesentlichen Punkten bestand bereinstimmung zwischen
den beiden Frauen. Beide waren in den Vierzigern,
beide hatten ungefhr die gleiche Gre und Figur.
Beide besaen angegrautes Haar, das sie blond
frbten.
Ja, natrlich, da haben Sie recht. Eines mssen wir zugeben nmlich, da die schne Mabelle uns beide
mordsmig reingelegt hat. Ich htte schwren mgen,
da sie das war, wofr sie sich ausgab.
Aber lieber Freund, sie war wirklich das, wofr sie
sich ausgegeben hat. Wir kennen doch ihre ganze Vergangenheit.
Wir haben nicht gewut, da sie imstande war, einen
Mord zu begehen und es sieht doch ganz danach aus.
Nicht Sylvia hat Mabelle umgebracht, sondern Mabelle
Sylvia.
Hercule Poirot wiegte kummervoll den Kopf. Er konnte
sich noch immer nicht mit der Vorstellung abfinden,
da Mabelle Sainsbury Seale eine Mrderin sein sollte.
Und doch klang ihm Mr. Barnes' leise, ironische
128
Stimme im Ohr: Sorgen Sie dafr, da auf die
achtbaren Leute aufgepat wird... Mabelle Sainsbury
Seale war uerst achtbar gewesen.
Mit Nachdruck schlo Japp: Ich werde diesen Fall bis
zum bitteren Ende verfolgen, Poirot. Dieses Frauenzimmer wird mich nicht mehr reinlegen.
Am nchsten Tag rief Japp an. Seine Stimme klang
sonderbar: Poirot, wollen Sie das Neueste hren? Es
ist aus, mein Lieber. Aus!
Pardon? Die Verbindung scheint nicht gut zu sein. Ich
habe nicht ganz verstanden.
Es ist aus, alter Freund. A-U-S. Wir knnen einpacken! Uns hinsetzen und die Daumen drehen!
Seine Stimme klang jetzt unverkennbar erbittert.
Was ist aus?
Unser ganzer lausiger, verdammter Fall! Die Suche
nach der vermiten Person! Das ganze Drum und
Dran!
Aber ich verstehe immer noch nicht...
Also hren Sie zu, und zwar genau, denn ich kann
keine Namen nennen. Sie wissen, da wir berall nach
nach dieser Miss... suchen, und jetzt ist die ganze
Aktion abgeblasen. Die Jagdhunde werden zurckgepfiffen verstehen Sie jetzt?
Ja, ja. Aber warum?
Befehl vom lieben guten Auswrtigen Amt.
Das ist aber doch sehr ungewhnlich?
Nun, dann und wann kommt so was schon vor.
Warum ist man so rcksichtsvoll gegen gegen den
Pelzmantel?
Um die dreht es sich nicht. Die ist ihnen ganz egal.
129
Aber man will es nicht zu einem Proze kommen lassen, weil man Angst hat, da dann zu viel ber Mrs. A.
C. bekannt wird ber die Leiche! Ich kann nur
annehmen, da der Ehemann A. C, verstehen Sie...?
Ja, ja, gewi.
Da der Ehemann irgendwo im Ausland zur Zeit an
einer kitzligen Sache arbeitet und nicht gestrt werden
soll.
Tsch!
Was sagen Sie?
Es war, mon ami, ein Ausruf des Verdrusses.
Aha ich dachte, Sie htten sich einen Schnupfen
geholt! Verdru ist gut! Ich mchte lieber ein strkeres
Wort gebrauchen. Da man die Dame einfach laufenlt, reizt mich bis zur Weiglut.
Poirot sagte leise: Man wird sie nicht laufenlassen.
Ich sage Ihnen doch, da uns die Hnde gebunden
sind ...!
Ihnen vielleicht mir nicht.
Braver alter Poirot! Sie wollen die Sache weiterverfolgen?
Mais oui bis zum Tod!
Nun sorgen Sie nur dafr, da es nicht Ihr eigener
ist, alter Freund! Wenn die Geschichte so weitergeht,
wie sie angefangen hat, dann wird Ihnen wahrscheinlich demnchst jemand ein Paket mit einer Giftschlange
schicken!
Als Poirot den Hrer auflegte, fragte er sich: Warum
habe ich nur diese dramatische Phrase gebraucht bis
zum Tod? Vraiment absurd!
130
Der Brief kam mit der Abendpost. Er war mit der Maschine geschrieben, bis auf die Unterschrift:
Lieber M. Poirot!
Ich wre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich morgen
aufsuchen knnten. Ich habe vielleicht einen Auftrag
fr Sie. Ich schlage vor, da Sie um halb eins in meine
Wohnung am Chelsea Embankment kommen. Sollte
Ihnen diese Zeit nicht passen, bitte ich Sie, telefonisch
einen anderen Termin mit meinem Sekretr zu vereinbaren. Verzeihen Sie, da ich Sie so kurzfristig bemhen mu.
Ihr ergebener Alistair Blunt
Poirot strich den Bogen glatt und las den Brief zum
zweiten Mal. In diesem Augenblick lutete das Telefon.
Eine unpersnliche Stimme fragte: Welche Nummer
haben Sie?
Hier ist Whitehall 7272.
Eine Pause. Ein Knacken. Dann eine Stimme. Eine
weibliche Stimme.
M. Poirot?
Ja.
M. Poirot, Sie haben einen Brief erhalten oder werden ihn sehr bald erhalten.
Wer ist dort?
Es ist unntig, da Sie das wissen.
Gut. Ich habe, Madame, mit der Abendpost acht
Briefe und drei Rechnungen erhalten.
Dann wissen Sie, welchen Brief ich meine. Wenn Sie
klug sind, M. Poirot, werden Sie den Auftrag ablehnen,
131
den man Ihnen erteilen will.
Das, Madame, ist eine Frage, die ich selbst zu entscheiden habe.
Die Stimme sagte khl: Ich warne Sie, M. Poirot. Ihre
Einmischung wird nicht lnger geduldet. Halten Sie
sich aus der Sache raus.
Und wenn ich mich nicht raushalte?
Dann werden wir Manahmen ergreifen, um zu erreichen, da Ihre Einmischung nicht mehr zu befrchten
ist...
Das ist eine Drohung, Madame!
Wir verlangen nichts anderes, als da Sie Vernunft
annehmen. Es ist zu Ihrem eigenen Besten.
Sie sind wirklich gromtig!
Sie knnen den vorgezeichneten Gang der Ereignisse
nicht ndern. Kmmern Sie sich also nicht um Dinge,
die Sie nichts angehen. Verstehen Sie mich?
Gewi verstehe ich Sie. Ich bin nur der Meinung, da
Mr. Morleys Tod mich angeht.
Morley war nur eine Nebenfigur. Er hat unsere Plne
gestrt.
Er war immerhin ein Mensch, Madame und ist vor
seiner Zeit gestorben.
Er war bedeutungslos.
Poirots Stimme klang gefhrlich, als er ruhig sagte: In
diesem Punkt irren Sie sich...
Es war seine eigene Schuld. Er weigerte sich, Vernunft anzunehmen.
Ich weigere mich ebenfalls, Vernunft anzunehmen.
Dann sind Sie ein Narr.
Es knackte im Apparat; am anderen Ende war der H132
rer aufgelegt worden.
Poirot rief Allo? und legte dann seinerseits auf. Er
machte sich nicht die Mhe, durch die Zentrale ermitteln zu lassen, woher der Anruf gekommen war. Er war
ziemlich sicher, da er von einem ffentlichen Fernsprecher aus gefhrt worden war. Was ihn beschftigte
und verwirrte, war, da er sich einbildete, die Stimme
schon irgendwo gehrt zu haben. Er zermarterte sich
das Gehirn in dem vergeblichen Versuch, sich ihrer
Besitzerin zu erinnern. Konnte es die Stimme von
Sainsbury Seale sein? Mabelle Sainsbury Seale hatte
eine hohe, affektierte Stimme mit bertrieben deutlicher Aussprache gehabt. Die Stimme am Telefon hatte
ganz anders geklungen und doch war es vielleicht
Miss Sainsbury Seale gewesen, nur verstellt. Sie war ja
einmal Schauspielerin gewesen. Vermutlich machte es
ihr keine groen Schwierigkeiten, die Stimme zu
verstellen. Aber diese Erklrung befriedigte ihn nicht.
Nein, die Stimme erinnerte ihn an eine andere Frau. Es
war keine Stimme, die er gut kannte, aber er war immer
noch berzeugt, sie schon einmal oder vielleicht
zweimal gehrt zu haben.
Warum so berlegte er hatte sie sich die Mhe gemacht, ihn anzurufen und ihm zu drohen? Glaubten
diese Leute wirklich, da er sich einschchtern lassen
wrde? Schlechte Psychologen!
Im Gotischen Haus wurde Poirot vom Sekretr Alistair
Blunts empfangen, einem hochgewachsenen, etwas
schlaffen jungen Mann mit vollendeten Umgangsformen.
133
Er entschuldigte sich liebenswrdig.
Es tut mir auerordentlich leid, M. Poirot und Mr.
Blunt gleichfalls. Er ist ins Auenministerium gerufen
worden. Ich habe bei Ihnen zu Hause angerufen, aber
leider waren Sie schon fort.
Der junge Mann sprach rasch weiter: Mr. Blunt hat
mich beauftragt, Sie zu bitten, das Wochenende mit
ihm in seinem Landhaus in Kent zu verbringen. Sie
wissen: Exsham. Falls es Ihnen pat, wrde er Sie morgen abend mit dem Wagen abholen.
Poirot zgerte.
Der junge Mann sagte in berredendem Ton: Es liegt
Mr. Blunt wirklich sehr viel daran, mit Ihnen zu sprechen.
Hercule Poirot neigte den Kopf.
Danke. Ich nehme die Einladung an.
Ah, das ist famos. Mr. Blunt wird entzckt sein. Wenn
er Sie morgen um etwa Viertel vor sechs abholen
wrde, wre das oh, guten Morgen, Mrs. Olivera.
Jane Oliveras Mutter war eingetreten. Sie war sehr elegant angezogen; auf ihrer kunstvoll gebauten Frisur balancierte schrg ein Hut, der das eine Auge fast verdeckte.
Mr. Selby, hat Ihnen Mr. Blunt wegen der Gartensthle Bescheid gesagt? Ich wollte gestern abend mit
ihm darber sprechen, weil ich wute, da wir bers
Wochenende hinausfahren, und...
Mrs. Olivera bemerkte Poirots Anwesenheit und verstummte.
Darf ich Sie Mrs. Olivera vorstellen, M. Poirot?
Ich hatte schon das Vergngen, Madame kennenzu134
lernen.
Poirot machte eine Verbeugung. Mrs. Olivera sagte
zerstreut: Oh guten Tag. Mr. Selby, ich wei natrlich, da Alistair ein vielbeschftigter Mann ist, und
da diese kleinen huslichen Dinge ihm vielleicht
unwichtig vorkommen.
Es ist alles in Ordnung, Mrs. Olivera, entgegnete
Selby. Ich habe bei der Firma Deevers wegen der
Sthle angerufen.
So da fllt mir aber ein Stein vom Herzen. Nun
etwas anderes, Mr. Selby: Knnen Sie mir sagen...
Mrs. Olivera gackerte weiter. Sie kam Poirot vor wie
eine Henne. Eine groe, fette Henne. Immer noch
gackernd, bewegte sie sich majesttisch auf die Tr zu.
... und wenn Sie bestimmt wissen, da wir dieses
Wochenende ganz unter uns sind...
Mr. Selby hustete.
h M. Poirot kommt ebenfalls zum Wochenende
hinaus.
Mrs. Olivera brach ab. Sie drehte sich um und betrachtete Poirot mit sichtlichem Mifallen.
So? Wirklich?
Mr. Blunt war so liebenswrdig, mich einzuladen,
erklrte Poirot hflich.
Also, das wundert mich das ist doch sehr sonderbar
von Alistair. Sie werden verzeihen, M. Poirot, aber Mr.
Blunt hat mir ausdrcklich gesagt, da er diesmal das
Wochenende nur im Familienkreis zu verbringen
wnschte.
Selby sagte mit fester Stimme: Mr. Blunt liegt besonders viel daran, da M. Poirot mit nach Exsham
135
kommt.
Tatschlich? Mir gegenber hat er nichts davon erwhnt.
Die Tr ging auf. Jane erschien und sagte ungeduldig:
Mutter, kommst du nicht? Wir sind auf Viertel nach
eins zum Mittagessen verabredet.
Ich komme schon, Jane. Sei nicht so ungeduldig.
Mach schnell, um Himmels willen hallo, M. Poirot!
Sie war pltzlich ganz still. Ihr Gesicht erstarrte, und
ihre Augen verrieten, da sie auf der Hut war.
Mrs. Olivera sagte mit eisiger Stimme: M. Poirot
kommt zum Wochenende nach Exsham hinaus.
Aha.
Jane Olivera trat zurck und lie ihre Mutter durch die
Tr gehen. Sie schien ihr folgen zu wollen, drehte sich
dann aber rasch herum.
M. Poirot!
Es klang wie ein Befehl. Poirot ging quer durchs
Zimmer zu ihr hin. Sie sagte leise: Sie kommen mit
nach Exsham? Warum?
Poirot zuckte die Achseln.
Es war ein liebenswrdiger Einfall Ihres Onkels.
Jane sagte: Aber er kann doch nicht wissen... er kann
nicht... Wann hat er Sie denn eingeladen? Ach, es ist
doch nicht notwendig...
Jane! Mrs. Olivera rief aus der Halle.
Jane sagte in leisem, beschwrendem Ton: Bleiben
Sie weg. Bitte, kommen Sie nicht.
Sie ging hinaus. Poirot hrte, wie sich drauen eine
Auseinandersetzung abspielte.
136
Ich kann deine Frechheit wirklich nicht lnger dulden,
Jane... ich werde Manahmen ergreifen, damit du dich
nicht mehr einmischst...
Der Sekretr sagte: Dann also morgen abend, kurz vor
sechs, M. Poirot?
Poirot nickte mechanisch. Er stand da wie jemand, der
ein Gespenst gesehen hat. Aber es waren die Ohren,
nicht die Augen, durch die er den Schlag empfangen
hatte. Zwei von den Stzen, die durch die offene Tr zu
ihm gedrungen waren, stimmten fast wrtlich mit dem
berein, was er am Abend zuvor am Telefon gehrt
hatte und er wute jetzt, wieso ihm die Stimme bekannt vorgekommen war.
Als er in den Sonnenschein hinaustrat, schttelte er
fassungslos den Kopf. Mrs. Olivera? Aber das war doch
unmglich! Es konnte nicht Mrs. Olivera gewesen sein,
die am Telefon zu ihm gesprochen hatte! Diese
hohlkpfige Gesellschaftshyne egoistisch, dumm,
habgierig? Wie hatte er sie eben im stillen genannt?
Diese groe, fette Henne? C'est ridicule! murmelte
er.
Seine Ohren, entschied er, muten ihn getuscht haben.
Und trotzdem...
Der Rolls-Royce holte Poirot pnktlich vor sechs ab.
Alistair Blunt und sein Sekretr waren die einzigen Insassen. Mrs. Olivera und Jane waren mit dem anderen
Wagen schon frher hinausgefahren. Die Fahrt verlief
ereignislos. Blunt erzhlte ein bichen von seinem
Garten und von einer krzlich veranstalteten Blumenausstellung. Und dann bat er Poirot, ihm von seinen
137
interessantesten Kriminalfllen zu erzhlen. Fr den
Rest der Fahrt drehte sich die Unterhaltung um die
bedeutendsten Flle in der Karriere Hercule Poirots.
Blunt verschlang gierig wie irgendein Schuljunge jede
Einzelheit, die er darber erfahren konnte.
Die behagliche Stimmung schwand, sobald sie in
Exsham waren. Mrs. Olivera strahlte eisige Mibilligung aus. Sie bersah Poirot so weit wie mglich und
richtete das Wort ausschlielich an den Gastgeber und
den Sekretr.
Mr. Selby fhrte Poirot in das fr ihn bestimmte Zimmer. Das Haus war reizend, nicht sehr gro, und mit
demselben unaufflligen guten Geschmack eingerichtet, den Poirot schon in London bewundert hatte. Alles
war kostbar, aber einfach. Die Bedienung war musterhaft, die Kche englisch, und die Weine, die bei Tisch
getrunken wurden, bewogen Poirot zu geradezu leidenschaftlicher Anerkennung. Es gab eine ausgezeichnete klare Suppe, gebratene Seezunge, Hammelrcken
mit jungen Erbsen und Erdbeeren mit Schlagrahm.
Poirot geno diese kreatrlichen Freuden mit solcher
Hingabe, da er sich um die unverndert eisige Haltung
von Mrs. Olivera und die ungehrige Schroffheit ihrer
Tochter kaum kmmerte. Jane begegnete ihm aus
irgendeinem Grunde mit entschiedener Feindseligkeit.
Warum wohl? fragte sich Poirot verwirrt, als das
Abendessen seinem Ende zuging.
Blunt lie den Blick mit sanftem Erstaunen ber den
Tisch schweifen und fragte: Speist Helen heute abend
nicht mit uns?
Julia Olivera prete die Lippen zu einem geraden Strich
138
zusammen und sagte: Die gute Helen hat sich, glaube
ich, im Garten beranstrengt. Ich fand, es wrde ihr
weit besser tun, sich ins Bett zu legen und auszuruhen,
als sich umzuziehen und zum Essen herberzukommen.
Sie hat es vollkommen eingesehen.
Aha, ich verstehe. Blunt machte ein unbestimmtes,
etwas berraschtes Gesicht. Ich dachte, sie wrde zum
Wochenende gern etwas Abwechslung haben.
Helen ist ein so einfacher Mensch. Sie geht gern frh
zu Bett.
Als Poirot sich in den Salon zu den Damen begab, whrend Blunt zurckblieb, um ein paar Minuten mit seinem Sekretr zu sprechen, hrte er, wie Jane Olivera zu
ihrer Mutter sagte: Die Art, wie du Helen Montressor
abgeschoben hast, war Onkel Alistair gar nicht recht,
Mutter.
Unsinn, antwortete Mrs. Olivera unbekmmert.
Alistair ist nur zu gutmtig. Arme Verwandte sind ja
schn und gut es ist sehr grozgig von ihm, da er
ihr das Bauernhuschen ohne Miete berlt, aber zu
glauben, da er sie nun jedes Wochenende zum Abendessen einladen mu, ist albern! Sie ist doch nur eine
Cousine zweiten Grades oder so etwas. Ich bin der Meinung, da Alistair nicht ausgentzt werden sollte!
In ihrer Art ist sie stolz, sagte Jane. Sie arbeitet viel
im Garten.
Das zeigt, da sie die richtige Auffassung von ihrer
Stellung hat, erklrte Mrs. Olivera zufrieden. Die
Schotten sind sehr selbstndig und werden deshalb
auch geachtet. Sie machte es sich auf dem Sofa bequem und fuhr fort, ohne von Poirot Notiz zu nehmen:
139
Bring mir doch einmal die Low Down Review,
Liebes. Es steht etwas drin ber Lois von Schuyler und
ihren marokkanischen Fhrer das mchte ich lesen.
Alistair Blunt erschien in der Tr: Wenn Sie jetzt bitte
in mein Zimmer kommen wrden, M. Poirot! sagte er.
Es war ein gemtliches Zimmer mit tiefen Sesseln und
Diwans; angenehme Unordnung herrschte, die es um so
wohnlicher erscheinen lie. Selbstverstndlich htte
Hercule Poirot eine grere Symmetrie vorgezogen.
Blunt bot seinem Gast eine Zigarette an, entzndete
seine Pfeife und kam ohne Umschweife zum Thema.
Da sind noch verschiedene Dinge, ber die ich mir
den Kopf zerbreche. Ich meine natrlich den Fall
Sainsbury Seale. Aus Grnden, die ich nicht kenne, die
aber zweifellos gerechtfertigt sind, haben die Behrden
die Jagd abgeblasen. Ich wei nicht genau, wer Albert
Chapman ist und was er treibt aber jedenfalls scheint
seine Ttigkeit ziemlich wichtig zu sein und zu den
Dingen zu gehren, die den Betreffenden leicht in eine
schwierige Lage bringen knnen. Die nheren Umstnde sind mir unbekannt, aber der Premierminister hat
mir angedeutet, da die ffentlichkeit nichts ber die
Sache erfahren darf und da es um so besser ist, je
rascher der Fall aus dem Gedchtnis des Publikums
verschwindet. Das alles finde ich vollkommen in
Ordnung. Die Behrden nehmen nun einmal diesen
Standpunkt ein, und sie wissen, was notwendig ist. Infolgedessen sind der Polizei die Hnde gebunden.
Er beugte sich vor.
Aber ich mchte die Wahrheit wissen, M. Poirot. Und
Sie sind der Mann, der die Wahrheit fr mich ergrn140
den kann. Sie sind durch keine offiziellen Rcksichten
behindert.
Was wnschen Sie, da ich tun soll, Mr. Blunt?
Ich wnsche, da Sie diese Frau finden Sainsbury
Seale.
Lebend oder tot?
Blunt erhob erstaunt die Augenbrauen.
Sie halten es fr mglich, da sie tot ist?
Hercule Poirot schwieg einige Augenblicke, dann sagte
er langsam und mit Nachdruck: Wenn Sie meine
Meinung hren wollen: Ja, ich glaube, da sie tot ist.
Warum nehmen Sie das an?
Hercule Poirot lchelte leicht.
Es wird Ihnen albern vorkommen: Weil ich ein Paar
ungetragene Strmpfe in einer Schublade gefunden
habe.
Alistair Blunt starrte ihn verwundert an.
Sie sind ein seltsamer Mensch, M. Poirot.
Ich bin sehr seltsam. Das heit, ich bin ordentlich,
methodisch und logisch, und ich liebe es nicht, Tatsachen zu verdrehen, um eine Theorie zu sttzen das ist,
wie ich leider feststellen mu, wirklich ungewhnlich...
Alistair Blunt sagte: Ich habe mir die ganze Sache
durch den Kopf gehen lassen brauche immer eine
Weile, bis ich etwas durchdacht habe. Und diese Geschichte ist so verdammt sonderbar! Ich meine erst
erschiet sich dieser Zahnarzt, dann wird diese Mrs.
Chapman mit zerschmettertem Gesicht in ihre eigene
Pelztruhe gesteckt... Widerlich! Verdammt widerlich!
Ich kann mir nicht helfen, aber es mu doch etwas
141
dahinterstecken.
Poirot nickte.
Blunt fuhr fort: Und wissen Sie: Je mehr ich darber
nachdenke, desto klarer wird mir, da die Seale meiner
Frau nie begegnet ist. Das war einfach ein Vorwand,
um mich anzusprechen. Aber wozu? Was hat sie davon
gehabt? Ich meine was hatte sie davon, auer einem
kleinen Geldbetrag? Trotzdem habe ich das Gefhl, als
sei das Zusammentreffen mit mir bewut herbeigefhrt
worden. Es hat so verdchtig gut geklappt! Aber
warum? Das frage ich mich immerzu: warum?
Ja, das ist tatschlich die Hauptfrage: warum? Ich
habe mich das auch gefragt und ich kann es nicht
verstehen.
Sie machen sich gar keine bestimmten Ideen ber die
Sache?
Poirot schttelte den Kopf.
Meine Ideen sind im hchsten Mae kindisch. Ich
sage mir, es sei vielleicht eine List gewesen, um jemanden auf Ihre Person aufmerksam zu machen um
sozusagen mit dem Finger auf Sie zu weisen. Aber auch
das ist albern, denn Sie sind eine ziemlich bekannte
Erscheinung, und jedenfalls wre es viel einfacher
gewesen zu sagen: Schau, das ist er der Mann, der
jetzt zur Tr hineingeht.
Warum sollte jemand auf meine Person aufmerksam
gemacht werden?
Mr. Blunt, versetzen Sie sich noch einmal zurck an
den betreffenden Vormittag beim Zahnarzt. Hat Morley
gar nichts gesagt, was Ihnen ungewhnlich vorgekommen ist? Knnen Sie sich an nichts erinnern, was
142
uns als Spur dienen knnte?
Blunt dachte angestrengt nach. Dann schttelte er den
Kopf.
Es tut mir leid. Mir fllt nicht das geringste ein.
Sind Sie ganz sicher, da er die Frau nicht erwhnt hat
Miss Sainsbury Seale?
Ganz sicher.
Auch nicht die andere Mrs. Chapman?
Nein, nein wir haben berhaupt nicht von Menschen
gesprochen. Nur von Rosen, von Grten, die Regen ntig haben, und von Ferien von nichts anderem.
Und niemand ist whrend Ihrer Anwesenheit ins Zimmer gekommen?
Warten Sie nein, ich glaube nicht. Sonst war immer
eine junge Dame da, eine Blondine. Aber an dem Tag
habe ich sie nicht gesehen. Oh, jetzt erinnere ich mich:
Ein zweiter Zahnarzt ist fr einen Augenblick hereingekommen dem Akzent nach anscheinend ein Ire.
Und was sagte oder tat er?
Er fragte Morley etwas und ging gleich wieder hinaus.
Er war nur ganz kurz im Sprechzimmer.
Und sonst knnen Sie sich auf nichts besinnen? Auf
gar nichts?
Nein, Morley hat sich ganz normal benommen.
Hercule Poirot murmelte nachdenklich: Ja, ich fand
ihn auch ganz normal.
Es entstand eine lngere Pause. Dann fragte Poirot:
Knnen Sie sich an einen jungen Mann erinnern, der
mit Ihnen unten im Wartezimmer war?
Alistair Blunt runzelte die Stirn.
Warten Sie einmal ja, ich entsinne mich ein ziem143
lich unruhiger junger Mann. Aber etwas Besonderes ist
mir an ihm nicht aufgefallen. Warum fragen Sie?
Wrden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn shen?
Blunt schttelte den Kopf.
Ich habe ihn kaum angeschaut.
Versuchte er nicht, mit Ihnen ins Gesprch zu kommen?
Nein. Blunt sah Poirot mit unverhllter Neugierde
an. Worauf wollen Sie hinaus? Wer war der junge
Mann?
Er heit Howard Raikes.
Poirot pate scharf auf, wie Blunt reagieren wrde;
aber es erfolgte nichts.
Kenne ich den Namen? Habe ich den Mann schon
irgendwo getroffen?
Ich glaube nicht, da Sie ihm schon begegnet sind. Er
ist ein Freund Ihrer Nichte, Miss Olivera.
Aha, einer von Janes Freunden.
Ihre Mutter hlt, soviel ich wei, nicht sehr viel von
dieser Freundschaft.
Blunt sagte geistesabwesend: Ich kann mir nicht
denken, da das auf Jane groen Eindruck macht.
Mrs. Olivera hat sogar so ernste Einwnde gegen
diese Freundschaft, da sie ihre Tochter aus Amerika
nach England gebracht hat, um sie von diesem jungen
Mann zu trennen.
Oh! Nun hatte Blunt begriffen. Der war das also!
Aha, jetzt fangen Sie an, Interesse zu bekommen!
Ich halte ihn fr einen in jeder Beziehung hchst
unliebsamen Burschen. Ist in alle mglichen um144
strzlerischen Aktionen verwickelt.
Von Miss Olivera habe ich gehrt, da er an dem
betreffenden Vormittag nur zu dem Zweck in die
Queen Charlotte Street gegangen ist, um Sie zu sehen.
Und um mich zu bewegen, Gefallen an ihm zu finden?
Nun nicht ganz die Absicht war eher, da er bewogen werden sollte, an Ihnen Gefallen zu finden.
Alistair Blunt sagte emprt: Das ist ja wohl der Gipfel
der Frechheit!
Poirot unterdrckte ein Lcheln.
Anscheinend verkrpern Sie so ungefhr alles, was er
ablehnt.
Ganz bestimmt gehrt er zu der Sorte junger Leute,
die ich ablehne! Vertrdelt seine Zeit damit, groe politische Reden zu halten und das Blaue vom Himmel
herunterzuschwtzen, anstatt irgendeine ordentliche
Arbeit anzupacken!
Wrden Sie mir erlauben, eine unverschmte und sehr
persnliche Frage an Sie zu richten? bat Poirot nach
einer kleinen Pause.
Schieen Sie los.
Wie sehen, fr den Fall Ihres Todes, Ihre testamentarischen Verfgungen aus?
Blunt starrte ihn an.
Warum wollen Sie das wissen?
Weil immerhin eine schwache Mglichkeit besteht
Poirot zuckte die Achseln da dies fr unseren Fall
wichtig ist.
Unsinn!
Vielleicht vielleicht auch nicht.
145
Alistair Blunt sagte kalt: Ich denke, Sie sind unntig
dramatisch, M. Poirot. Niemand hat versucht, mich zu
ermorden oder dergleichen.
Eine Bombe am Frhstckstisch ein Schu auf der
Strae...
Ach, diese Dinge! Ein Mann, der in der internationalen Hochfinanz mitmischt, wird immer derartigen kleinen Aufmerksamkeiten von verrckten Fanatikern ausgesetzt sein!
Es kann sich auch um jemanden handeln, der nicht fanatisch und nicht verrckt ist.
Blunt machte groe Augen.
Worauf wollen Sie hinaus ...?
In nchternen Worten mchte ich gern wissen, wer
aus Ihrem Tod Nutzen zieht.
Blunt lachte.
Hauptschlich das St. Edward's Hospital, das Krebskrankenhaus und das Knigliche Blindeninstitut.
Aha!
Auerdem habe ich einen bestimmten Geldbetrag
meiner angeheirateten Nichte, Mrs. Julia Olivera, vermacht; einen gleich hohen Betrag der aber treuhnderisch zu verwalten ist ihrer Tochter, Jane Olivera;
und schlielich ein namhaftes Legat meiner einzigen
noch lebenden Blutsverwandten, einer Cousine, Helen
Montressor, die in sehr schlechten Verhltnissen ist und
hier auf dem Besitz ein kleines Bauernhaus bewohnt.
Er hielt inne und sagte: Das alles, M. Poirot, ist streng
vertraulich.
Natrlich, Monsieur, natrlich.
In spttischem Ton fgte Blunt hinzu: Ich hoffe, Sie
146
wollen nicht behaupten, M. Poirot, da Julia oder Jane
Olivera oder meine Cousine Helen Montressor mich
um meines Geldes willen umzubringen beabsichtigen?
Ich behaupte nichts gar nichts.
Blunts leichte Gereiztheit verflog wieder. Er fragte:
Und meinen Auftrag nehmen Sie an?
Die Suche nach Miss Sainsbury Seale? Jawohl.
Bravo! sagte Alistair Blunt herzlich.
Beim Verlassen des Zimmers stie Poirot um ein Haar
mit Jane zusammen.
Ich bitte um Entschuldigung, Mademoiselle, sagte er
hflich.
Jane Olivera trat etwas zur Seite.
Wissen Sie, was ich ber Sie denke, M. Poirot?
Eh bien, Mademoiselle ...
Sie lie ihn nicht ausreden. Ihre Frage hatte nur rein
rhetorischen Wert besessen. Jane Olivera war im Begriff, selbst darauf zu antworten.
Sie sind ein Spitzel das sind Sie! Ein elender, niedriger, gemeiner Spitzel, der seine Nase in alles steckt und
nichts als Verwirrung stiftet!
Ich versichere Ihnen, Mademoiselle...
Ich wei genau, worauf Sie es abgesehen haben! Und
ich wei jetzt auch, wie Sie lgen! Warum geben Sie es
nicht offen zu? Aber eines kann ich Ihnen sagen: Sie
werden nichts, gar nichts herausbekommen! Es gibt fr
Sie nichts herauszubekommen! Niemand hat die
Absicht, meinem werten Onkel auch nur ein Haar zu
krmmen. Dem passiert nichts. Dem wird nie etwas
passieren. Frisch und gesund, korrekt, wohlhabend
147
und voll von Gemeinpltzen! Er ist nichts als ein
stumpfsinniger John Bull ohne ein Gramm Phantasie
oder Weitblick!
Sie senkte ihre wohlklingende Stimme und zischte
haerfllt: Ich kann Ihren Anblick nicht ertragen Sie
verdammter kleiner Bourgeois-Detektiv! Und sie
rannte fluchtartig davon.
Hercule Poirot blieb mit weit aufgerissenen Augen und
hochgezogenen Brauen stehen; seine Hand spielte
nachdenklich am Schnurrbart. Die Bezeichnung
Bourgeois pate gut auf ihn das mute er zugeben.
Seine Lebensphilosophie war durchaus brgerlich
war es immer gewesen. Aber da die elegante und
gepflegte Jane Olivera dieses Wort anwandte, um ihre
Verachtung fr ihn auszudrcken, gab ihm zu denken.
Immer noch in Gedanken versunken, ging er in den
Salon. Mrs. Olivera war gerade dabei, eine Patience zu
legen. Sie schaute auf, als Poirot hereinkam, lie flchtig einen Blick ber ihn gleiten, als betrachte sie einen
besonders unappetitlichen Kfer, und murmelte zerstreut: Roter Bube auf schwarze Dame.
Wie ein begossener Pudel zog Poirot sich zurck. Er
berlegte traurig: Ach, es scheint, da mich hier niemand mag!
Er schlenderte durch die Glastr hinaus in den Garten.
Es war ein herrlicher Abend, erfllt vom Duft der
nchtlich atmenden Bsche und Strucher. Poirot
schnffelte und schlug einen Weg ein, der zwischen
zwei hohen Hecken verlief.
Hercule Poirot bog um eine Ecke, und zwei Gestalten
fuhren auseinander. Offenbar hatte er ein Liebespaar
148
gestrt. Hastig kehrte er um und ging den gleichen Weg
zurck. Sogar hier drauen war er anscheinend berflssig. Er kam an Alistair Blunts Fenster vorbei; Blunt
diktierte Mr. Selby. Es schien letzten Endes nur einen
einzigen Aufenthaltsort fr Hercule Poirot zu geben: Er
ging zu Bett. Aber noch eine ganze Weile dachte er
ber die verschiedenen phantastischen Aspekte nach,
die die Lage bot.
Hatte er sich geirrt, als er in der Stimme am Telefon
Mrs. Olivera zu erkennen glaubte? Oder hatte er sich
nicht geirrt? Der Gedanke war absurd! Er rief sich die
dramatischen Enthllungen des stillen, kleinen Mr.
Barnes ins Gedchtnis zurck und stellte Mutmaungen
an ber die geheimnisvollen Wege des Mr. QX 912,
alias Albert Chapman. Mit pltzlichem Unbehagen
erinnerte er sich an den ngstlichen Blick des Stubenmdchens Agnes. Es war immer dasselbe: Die Leute
wollten mit einzelnen Dingen nicht herausrcken!
Meist waren es ganz unwichtige Dinge; aber solange
sie nicht aus dem Weg gerumt waren, kam man nicht
vorwrts. Und was lag augenblicklich nicht alles auf
seinem Weg! Was ihn am meisten am klaren Denken
und methodischen Fortschreiten hinderte, war das
Widerspruchsvolle und unlsbare Problem Sainsbury
Seale. Denn wenn die Tatsachen stimmten, die Hercule
Poirot festgestellt hatte dann ergab berhaupt nichts
mehr einen Sinn!
Poirot fragte sich, voll Erstaunen ber seine eigene
Frage: Knnte es sein, da ich alt werde?
149
6
Nach einer unruhigen Nacht war Poirot am anderen
Morgen frhzeitig auf den Beinen. Das Wetter war
herrlich, und er ging noch mal den gleichen Weg, wie
am Abend zuvor.
Die Bsche und Strucher standen in voller Pracht, und
obwohl Poirots persnlicher Geschmack zu einer regelmigeren Anordnung der Blumen neigte wie die
ordentlichen Geranienbeete, die man in Ostende sieht ,
war ihm doch klar, da hier der Geist englischer
Gartenpflege seinen vollkommensten Ausdruck gefunden hatte. Sein Weg fhrte ihn weiter durch einen
Rosengarten, wo ihn die Anlage der Beete entzckte,
und dann in Windungen durch einen alpinen Steingarten, bis er schlielich zu dem von einer Mauer
eingefaten Kchengarten gelangte. Hier bemerkte er
eine krftige Frau im Tweedkostm, mit dunklen Augenbrauen und kurzgeschnittenem schwarzem Haar, die
in der langsamen und eindringlichen Sprechweise der
Schotten auf einen Mann einredete, der offenbar der
Obergrtner war. Es fiel Poirot auf, da der Obergrtner
an der Unterhaltung keine groe Freude zu haben
schien.
In Miss Helen Montressors Stimme war ein deutlich
sarkastischer Ton nicht zu berhren, und Poirot
huschte schnell auf einem Seitenweg davon. Ein
Grtner, der sich wie Poirot vermutete rastend auf
seinen Spaten gesttzt hatte, begann pltzlich eifrig zu
graben. Poirot kam nher. Der Mann, ein junger
Bursche, grub weiter, mit dem Rcken zu Poirot, der
150
stehenblieb, um ihn zu beobachten.
Guten Morgen, sagte Poirot freundlich.
Ein gemurmeltes Morgen, Sir war die Antwort, aber
der Mann hrte nicht auf zu arbeiten. Poirot war etwas
erstaunt. Nach seinen Erfahrungen war ein Grtner, so
sehr er auch bestrebt sein mochte, den Eindruck
fleiiger Arbeit zu erwecken, gewhnlich nur allzu
bereit, seine Ttigkeit zu unterbrechen und ein paar
Worte zu plaudern, wenn man ihn ansprach.
Nachdenklich setzte er seinen Weg fort, verlie den
ummauerten Kchengarten und blieb stehen, um einen
mit Bschen bewachsenen Hgel zu betrachten. Auf
einmal erhob sich, einem phantastischen Mond
vergleichbar, ein runder Gegenstand langsam ber die
Gartenmauer. Es war Hercule Poirots eifrmiger Kopf,
und Hercule Poirots Augen betrachteten mit starkem
Interesse den jungen Grtner, der jetzt zu graben aufgehrt hatte und sich mit dem Hemdrmel den Schwei
von der Stirn wischte.
Sehr sonderbar und interessant, murmelte Hercule
Poirot, indem er vorsichtig den Kopf wieder hinter der
Mauer verschwinden lie. Er tauchte aus den Bschen
auf und klopfte sich ein paar Zweige und Bltter ab. Ja,
es war tatschlich sehr sonderbar und interessant, da
Frank Carter, der einen Sekretrsposten auf dem Lande
bekleidete, als Grtner im Dienste Alistair Blunts ttig
war. Whrend er darber nachdachte, hrte er in einiger
Entfernung Gongschlge und ging zum Haus zurck.
Auf dem Weg begegnete er seinem Gastgeber im
Gesprch mit Miss Montressor, die soeben durch die
andere Tr aus dem Kchengarten gekommen war. Ihre
151
Stimme mit der rollenden schottischen Aussprache war
klar und deutlich zu hren: Es ist sehrr lieb von dirr,
Alistairr, aberr ich ziehe es vorr, diesmal keine
Einladung anzunehmen, whrrend deine amerrikanischen Verrwandten auf Besuch sind.
Julia ist leider ziemlich taktlos, aber sie hat es bestimmt nicht so gemeint, beschwichtigte Blunt.
Miss Montressor sagte ungerhrt: Meinerr Meinung
nach ist ihrr Benehmen mirr gegenber sehrr unverschmt und Unverschmtheiten lasse ich mirr nicht
gefallen, wederr von Amerikanerinnen noch von anderren Leuten!
Miss Montressor entfernte sich. Hercule Poirot ging auf
Blunt zu, der ein Schafsgesicht machte, wie die meisten
Mnner, wenn ihr Weibervolk ihnen Schwierigkeiten
bereitet.
Er sagte betreten: Die Weiber soll wirklich der Teufel
holen! Guten Tag, M. Poirot. Prachtvolles Wetter!
Sie schritten dem Hause zu, und Blunt murmelte seufzend: Wie mir meine Frau fehlt!
Im Speisezimmer bemerkte er zu Mrs. Olivera: Ich
frchte, Julia, du hast Helen sehr gekrnkt.
Mrs. Olivera erwiderte grimmig: Die Schotten sind
immer gleich so empfindlich.
Alistair Blunt machte ein unglckliches Gesicht.
Wie ich sehe, haben Sie einen jungen Grtner, der erst
krzlich eingestellt worden ist? lenkte Poirot ab.
Das stimmt, sagte Blunt. Jawohl Burton, der dritte
Grtner, ist vor drei Wochen gegangen, und da haben
wir diesen jungen Burschen engagiert.
Knnen Sie sich erinnern, wo er vorher war?
152
Nein, keine Ahnung. MacAlister hat ihn eingestellt.
Irgend jemand hat mich gebeten, es mit ihm zu versuchen. Hat ihn wrmstens empfohlen. Ich bin darber
etwas erstaunt, denn MacAlister behauptet, da er nicht
viel taugt. Er will ihn wieder entlassen.
Wie heit er?
Dunning Sunbury so hnlich.
Wre es sehr zudringlich, Sie zu fragen, was Sie dem
Mann zahlen?
Alistair Blunt machte ein amsiertes Gesicht.
Ganz und gar nicht. Zwei Pfund fnfzehn Shilling die
Woche, glaube ich.
Nicht mehr?
Bestimmt nicht mehr eher etwas weniger.
Nun, sagte Poirot, das ist sehr sonderbar.
Alistair Blunt sah ihn fragend an. Aber in diesem
Augenblick raschelte Jane Olivera mit der Zeitung und
lenkte das Gesprch in eine andere Richtung.
Eine Menge Leute haben es anscheinend auf dich abgesehen, Onkel Alistair!
Ach, du liest die Parlamentsdebatte. Das ist nicht
weiter schlimm. Nur Archerton der kmpft ja immer
gegen Windmhlenflgel. Und von finanziellen Dingen
hat er total verrckte Vorstellungen. Wenn man ihm
seinen Willen liee, wre England innerhalb einer
Woche bankrott.
Hast du denn nie den Wunsch, neue Methoden auszuprobieren? fragte Jane.
Nein, meine Liebe wenn sie nicht besser sind als die
alten.
Aber du wrdest nie anerkennen, da sie besser sind.
153
Du wrdest immer sagen: Das kann zu nichts fhren.
Jane fuhr hitzig fort: Was wir brauchen, ist eine neue
Welt! Und du sitzest hier und it gebratene Nieren!
Sie stand auf und ging durch die Glastr in den
Gartenhinaus.
Blunts Gesicht drckte mildes Erstaunen und leichtes
Unbehagen aus.
Jane hat sich in letzter Zeit sehr verndert...,
brummte er. Wo hat sie nur alle diese neuen Ideen
her?
Du brauchst nicht auf das zu achten, was Jane sagt,
meinte Mrs. Olivera. Jane ist ein ganz trichtes Mdchen. Du weit ja, wie Mdchen sind: Sie gehen zu
solchen merkwrdigen Gesellschaften in Ateliers, wo
junge Mnner mit unmglichen Krawatten hinkommen,
und dann reden sie zu Hause eine Menge Unsinn.
Ja, aber Jane ist doch frher nicht auf diese Dinge hereingefallen.
Es ist nur eine Mode, Alistair diese Sachen liegen
einfach in der Luft!
Mrs. Olivera erhob sich, und Poirot ffnete ihr die Tr.
Sie rauschte stirnrunzelnd hinaus.
Pltzlich sagte Blunt: Wissen Sie, es gefllt mir nicht,
da alle Leute solches Zeug reden! Und niemand denkt
sich etwas dabei! Es ist alles blo leeres Geschwtz!
Immerzu stoe ich darauf: Eine neue Welt. Was soll
das bedeuten? Sie wissen es selbst nicht! Sie berauschen sich einfach an Worten! Er lchelte etwas
verlegen. Ich bin nmlich einer der letzten von der alten Garde.
Poirot nickte. Und in einem ganz neuen Sinn begann
154
ihm klarzuwerden, was Alistair Blunt eigentlich verkrperte. Mr. Barnes hatte es ihm schon gesagt, aber
damals hatte er es kaum aufgenommen. Pltzlich empfand er Angst...
Ich bin mit meinen Briefen fertig, sagte Blunt, als er
am spteren Vormittag wieder erschien. Jetzt, M. Poirot, werde ich Ihnen meinen Garten zeigen.
Die beiden gingen zusammen hinaus, und Blunt erzhlte von seiner Liebhaberei.
Seine grte Freude war der Felsengarten mit seinen
seltenen Alpenpflanzen; dort verbrachten sie lngere
Zeit, whrend Blunt einzelne besonders wertvolle Arten
erluterte.
Hercule Poirot, der seine besten Lackschuhe anhatte,
hrte geduldig zu und trat von Zeit zu Zeit vorsichtig
von einem Fu auf den anderen; er sthnte leise, denn
die Fe taten ihm wirklich weh. Sein Gastgeber
schlenderte weiter und wies auf verschiedene Pflanzen
hin. Bienen summten, und aus der Nhe klang das
Gerusch einer Gartenschere, mit der eine Lorbeerhecke gestutzt wurde. Es herrschte eine friedliche,
verschlafene Stimmung. Blunt blieb am Ende der
Einfassung stehen und schaute zurck. Das Klippklapp
der Gartenschere klang ganz nahe, aber wer sie
bediente, war nicht zu sehen.
Genieen Sie den Blick von hier aus, Poirot. Die Bartnelken sind dieses Jahr besonders schn. Ich kann mich
nicht erinnern, sie schon einmal so prchtig gesehen zu
haben. Und die Lupinen dort. Herrliche Farben!
Krach! Ein Schu zerri den morgendlichen Frieden.
Etwas pfiff durch die Luft. Alistair Blunt sah verwirrt
155
nach einem schwachen Rauchwlkchen, das mitten aus
den Lorbeerbschen aufstieg. Pltzlich erhoben sich
zornige Stimmen. In den Bschen kmpften zwei
Mnner miteinander und versetzten diese in schwankende Bewegung.
Eine amerikanisch klingende Stimme rief entschlossen:
Hab ich dich, du verdammter Gauner! La die Waffe
fallen!
Die beiden Gestalten taumelten ins Freie. Der junge
Grtner, der am frhen Morgen so fleiig gegraben
hatte, wand sich unter dem krftigen Griff eines anderen Mannes, der nahezu einen Kopf grer war. Auch
ihn erkannte Poirot sofort. Die Stimme hatte ihn schon
verraten.
Frank Carter zischte: Lassen Sie mich los! Ich sage Ihnen, ich habe es nicht getan!
Ach nein? Wahrscheinlich blo ein bichen auf die
Vgel geschossen, wie? schrie Howard Raikes emprt.
Er hielt inne und sah auf Blunt und Poirot, die nher
traten.
Mr. Alistair Blunt? Dieser Kerl da hat gerade aus dem
Hinterhalt auf Sie geschossen. Ich habe ihn auf frischer
Tat ertappt.
Frank Carter schrie: Das ist gelogen! Ich war gerade
dabei, die Hecke zu schneiden, hrte einen Schu, und
die Pistole fiel mir direkt vor die Fe. Ich habe sie aufgehoben das ist doch ganz begreiflich , und pltzlich
ist der da auf mich losgesprungen!
Howard Raikes sagte grimmig: Sie haben die Waffe in
der Hand gehabt, und sie war eben abgefeuert worden!
156
Wollen einmal sehen, was der Detektiv dazu meint!
Jedenfalls ein Glck, da ich Sie rechtzeitig erwischt
habe. Ich denke, da noch mehrere Schsse im Magazin sind.
Ganz richtig! murmelte Poirot.
Blunt runzelte rgerlich die Stirn. Er sagte in scharfem
Ton: Also, Dunnon Dunbury oder wie Sie heien...
Hercule Poirot unterbrach hin: Dieser Mann heit
Frank Carter.
Carter drehte sich wtend nach ihm um.
Sie haben es schon die ganze Zeit auf mich abgesehen! Schon damals am Sonntag wollten Sie mich ausspionieren. Ich sage Ihnen, es ist nicht wahr ich habe
nicht auf ihn geschossen.
Nun gut wer hat dann geschossen? fragte Poirot
ruhig. Auer uns ist ja niemand in der Nhe.
Jane Olivera kam den Garten entlanggelaufen. Ihre
Augen waren angstvoll geweitet. Sie keuchte: Howard?
Howard Raikes sagte in leichtem Ton: Hallo, Jane. Ich
habe deinem Onkel eben das Leben gerettet. Du?
Sie hielt inne.
Sie sind tatschlich im richtigen Moment erschienen,
Mr. h Blunt zgerte.
Das ist Howard Raikes, Onkel Alistair. Ein Freund
von mir.
Blunt sah Raikes an und lchelte.
Oh! sagte er. Sie sind also Janes junger Freund! Ich
mu Ihnen danken.
Mit dem schnaubenden Gerusch einer Dampfmaschine
157
tauchte Julia Olivera auf. Atemlos stie sie hervor:
Ich habe einen Schu gehrt. Ist Alistair was ... Sie
starrte Raikes verstndnislos an. Sie? Wie wie
knnen Sie sich unterstehen ...?
Jane sagte in eisigem Ton: Howard hat Onkel Alistair
das Leben gerettet, Mutter.
Was? Ich ich ...
Dieser Mann hier hat versucht, Onkel Alistair zu erschieen, und Howard hat ihn gepackt und ihm die Pistole entrissen.
Frank Carter schnaubte haerfllt: Ihr seid alle verdammte Lgner.
Mrs. Olivera sperrte vor berraschung den Mund auf
und flsterte nur: Oh! Es dauerte einige Zeit, bis sie
sich gefat hatte. Dann wandte sich sich an Blunt.
Mein lieber Alistair! Wie schrecklich! Ich danke Gott,
da dir nichts passiert ist. Du mut furchtbar
erschrocken sein. Ich ich selbst fhle mich ganz
schwach. Meinst du, da ich einen Cognac haben
knnte nur ein kleines Schlckchen?
Blunt sagte rasch: Natrlich. Komm mit mir ins
Haus.
Sie nahm seinen Arm und sttzte sich schwer darauf.
Blunt sah ber die Schulter auf Poirot und Raikes
zurck.
Knnen Sie den Burschen mitbringen? fragte er.
Wir wollen ihn der Polizei bergeben.
Frank Carter ffnete den Mund, brachte aber kein Wort
heraus. Er war totenbla, und die Knie zitterten ihm.
Howard Raikes packte ihn hart. Kommen Sie mit,
Sie...
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Frank Carter murmelte mit heiserer und unsicherer
Stimme: Alles Lge.
Howard Raikes schaute Poirot an. Fr einen erstklassigen Sprhund haben Sie aber herzlich wenig
eigene Meinung! Warum uern Sie sich eigentlich
nicht?
Ich denke nach, Mr. Raikes.
Das wird auch ntig sein, glaube ich! Ich mchte behaupten, da diese Geschichte Sie Ihre Stelle kosten
kann! Jedenfalls ist es Ihnen nicht zu verdanken, wenn
Alistair Blunt noch am Leben ist.
Hercule Poirot murmelte: Ich frage mich...
Beim Ankleiden frs Abendessen betrachtete Poirot
stirnrunzelnd sein Spiegelbild, whrend er sich bemhte, seine Krawatte so exakt wie mglich zu binden.
Er war unzufrieden, htte aber nicht erklren knnen,
warum. Denn der Fall das mute er zugeben lag
vllig klar. Frank Carter war wirklich auf frischer Tat
ertappt worden.
Nicht etwa, da er in Frank Carter besonderes
Vertrauen gesetzt oder Sympathie fr ihn empfunden
htte. Nchtern betrachtet, hielt er Carter fr eine bestimmt sehr unerfreuliche Erscheinung. Einer von diesen brutalen jungen Leuten, die den Frauen gefallen
und sie so weit bringen knnen, da sie trotz einwandfreier Gegenbeweise nichts Bses von ihnen glauben
wollen. Und Carters ganze Geschichte war in hchstem
Grade schwach. Agenten des Geheimdienstes sollten
an ihn herangetreten sein und ihm einen Posten
angeboten haben einen Posten als Grtner, um ber
159
die Gesprche und Handlungen der anderen Grtner zu
berichten! Die Unwahrheit dieser Behauptung lie sich
leicht nachweisen. Carter konnte keinerlei glaubwrdigen Anhaltspunkt liefern.
Ein auerordentlich schwach erfundenes Mrchen
gerade die Art Mrchen, dachte Poirot, die sich ein
Mensch wie Carter ausdenken wrde.
Zu Carters Gunsten lie sich berhaupt nichts sagen. Er
selbst war nicht imstande, den Vorgang zu erklren,
sondern blieb dabei, da ein anderer den Schu abgefeuert haben mute. Immer wieder sprach er von einem
abgekarteten Spiel. Nein, zugunsten Carters war
nichts vorzubringen. Fr Raikes hatten sich die Dinge
sehr glcklich entwickelt. Seine Anwesenheit in
Exsham konnte er dadurch erklren, da er in Janes
Nhe sein wollte, und es war ja ein Glck, da er da
war, denn sonst wre Alistair Blunt wohl kaum mehr
am Leben. Und in Zukunft wrde man dem jungen
Lebensretter kaum mehr das Haus verbieten knnen.
Janes unerwnschter junger Freund hatte im Hause
Blunt festen Fu gefat und schien entschlossen, sich
nicht wieder vertreiben zu lassen.
Poirot beobachtete ihn nachdenklich whrend des ganzen Abends. Er spielte seine Rolle mit betrchtlicher
Geschicklichkeit. Er uerte keine umstrzlerischen
Meinungen, sprach berhaupt nicht von Politik. Er erzhlte lustige Geschichten von seinen Fahrten und
Abenteuern in der Wildnis.
Er ist nicht mehr der Wolf, dachte Poirot. Nein, er hat
den Schafspelz angezogen. Aber was ist darunter? Das
wte ich gern...
160
Errette mich, Herr, von den bsen Menschen; behte
mich vor den freveln Leuten, sagte Mrs. Olivera mit
fester, wenn auch etwas falscher Stimme.
Sie tat es mit solcher Inbrunst, da Hercule Poirot zu
der bestimmten Schlufolgerung kam, der frevle
Mensch, der ihr im Geiste vorschwebte, sei Howard
Raikes. Hercule Poirot hatte seinen Gastgeber und die
ganze Familie zur Morgenandacht in die Dorfkirche
begleitet.
Sie schrfen ihre Zunge wie eine Schlange, sangen
die Chorknaben in schrillem Diskant, Otterngift ist
unter ihren Lippen. Die Tenre und Bsse baten hingebungsvoll: Bewahre mich, Herr, vor der Hand der
Gottlosen; behte mich vor den frevlen Leuten, die
meinen Gang gedenken umzustoen.
Hercule Poirot machte einen schchternen baritonalen
Versuch: Die Hoffrtigen legen mir Stricke und bereiten mir Seile aus zum Netze und stellen mir Fallen an
den Weg...
Sein Mund blieb offenstehen. Er sah sie er sah die
Falle deutlich, in die er um ein Haar gegangen war! Ein
schlau gelegter Strick Seile zum Netz ausgebreitet
eine offene Grube zu seinen Fen sorgfltig
angelegt, auf da er hineinfallen sollte.
Wie ein Verzckter blieb Hercule Poirot mit offenem
Munde stehen und starrte ins Leere. Er stand immer
noch da, als die Gemeinde schon geruschvoll ihre
Pltze eingenommen hatte.
Jane Olivera zerrte ihn am rmel und zischte: Setzen
Sie sich doch!
161
Hercule Poirot setzte sich. Ein bejahrter Geistlicher mit
Vollbart begann zu predigen. Aber Poirot hrte nichts
von der Zchtigung der Amalekiter. Er befand sich in
einer anderen Welt einer herrlichen Welt, in der
unzusammenhngende Dinge wild kreisten und sich
dann suberlich am richtigen Ort niederlieen.
Es war wie ein Kaleidoskop: Schuhschnallen, Strmpfe
Nummer zehn, ein zerschmettertes Gesicht, der
schlechte literarische Geschmack Alfreds, des Boys, die
Umtriebe des Mr. Amberiotis, die Rolle des verstorbenen Zahnarztes Morley all das flatterte auf, wirbelte
im Kreis und gruppierte sich schlielich zu einem
zusammenhngenden, bersichtlichen Ganzen. Zum
ersten Mal betrachtete Hercule Poirot den Fall von der
richtigen Seite.
Denn Ungehorsam ist eine Zaubereisnde, und Widerstreben ist Abgtterei und Gtzendienst. Weil du
nun des Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch
verworfen, da du nicht Knig seist. Hier endet der erste Abschnitt..., schlo der bejahrte Geistliche.
Wie ein Trumender erhob sich Hercule Poirot, um den
Herrn im Te Deum zu preisen.
7
Poirot machte in Hampstead einen zweiten Besuch bei
Miss Sainsbury Seales Bekannten. Mrs. Adams war
ber seine Erscheinung vielleicht etwas erstaunt. Obwohl ein Chefinspektor von Scotland Yard sozusagen
fr ihn gebrgt hatte, betrachtete sie ihn dennoch als
162
einen sonderbaren kleinen Auslnder und nahm ihn
nicht ganz ernst. Sie war aber gern zu weiteren Ausknften bereit. Nach den ersten sensationellen Verffentlichungen ber die Identitt des Opfers waren die
Ergebnisse der Totenschau vom Publikum ohne besonderes Interesse aufgenommen worden. Es hatte sich
eben um eine Personenverwechslung gehandelt: die
Leiche von Mrs. Chapman war fr die von Miss
Sainsbury Seale gehalten worden. Mehr wute die ffentlichkeit nicht. Die Tatsache, da Miss Sainsbury
Seale vermutlich die letzte Person war, die Mrs. Chapman lebend gesehen hatte, wurde nicht hervorgehoben.
Die Presse machte nicht die geringste Andeutung, da
Miss Sainsbury Seale mglicherweise wegen eines
Kapitalverbrechens polizeilich gesucht wurde.
Mrs. Adams war ein Stein vom Herzen gefallen, als sie
erfahren hatte, da die unter so dramatischen Umstnden entdeckte Leiche nicht die ihrer Freundin gewesen
war. Anscheinend entging ihr vollstndig, da Mabelle
Sainsbury Seale einen schweren Verdacht auf sich
geladen hatte.
Aber es ist hchst eigenartig, da sie so spurlos verschwunden ist. Ich habe das ganz bestimmte Gefhl, M.
Poirot, da sie das Gedchtnis verloren haben mu.
Amnesie, glaube ich, nennen die rzte das.
Poirot sagte, er glaube auch, da dies der medizinische
Ausdruck sei. Nach einer Pause fragte er Mrs. Adams,
ob sie Miss Sainsbury Seale jemals von Mrs. Albert
Chapman sprechen gehrt habe. Nein, Mrs. Adams
konnte sich nicht entsinnen, da ihre Freundin diesen
Namen je erwhnt htte. Aber natrlich war nicht zu
163
erwarten, da Miss Sainsbury Seale im Gesprch ber
ihre smtlichen Bekannten berichten wrde. Wer war
diese Mrs. Chapman? Hatte die Polizei irgendeinen
Anhaltspunkt, wer sie ermordet haben knnte?
Es ist nach wie vor ein Rtsel, Madame.
Poirot schttelte den Kopf und fragte dann, ob es Mrs.
Adams gewesen sei, die Miss Sainsbury Seale den
Zahnarzt Morley empfohlen hatte. Mrs. Adams verneinte. Ihr Zahnarzt war ein Mr. French in der Harley
Street, und wenn Mabelle sie nach einem Zahnarzt
gefragt htte, so htte sie ihr diesen empfohlen.
Poirot meinte, mglicherweise sei es diese Mrs.
Chapman gewesen, die Miss Sainsbury Seale zu
Morley geschickt habe.
Mrs. Adams pflichtete ihm bei aber wute man nicht
vielleicht in der Praxis des verstorbenen Mr. Morley
Nheres darber?
Poirot hatte diese Frage schon Miss Nevill gestellt, und
zwar vergeblich. Sie erinnerte sich an Mrs. Chapman,
glaubte aber nicht, da diese jemals eine Miss
Sainsbury Seale erwhnt hatte das wre ihr angesichts
des ungewhnlichen Namens bestimmt nicht entgangen.
Poirot fuhr fort mit seinen Fragen. Mrs. Adams hatte
Miss Sainsbury Seale in Indien kennengelernt, nicht
wahr? Mrs. Adams bejahte das.
Wute Mrs. Adams etwas davon, ob Miss Sainsbury
Seale dort irgendwann die Bekanntschaft von Mr. oder
Mrs. Alistair Blunt gemacht hatte?
Oh, das glaube ich nicht, M. Poirot. Sie meinen doch
den groen Finanzmann? Der war vor einigen Jahren
164
mit seiner Frau auf Besuch beim Vizeknig, aber ich
bin berzeugt, da Mabelle mir erzhlt htte, wenn sie
den Blunts irgendwo begegnet wre. Ich glaube, fgte
Mrs. Adams lchelnd hinzu, die prominenten Leute
erwhnt man doch immer. Wir sind im Grunde genommen alle groe Snobs.
Und die Blunts besonders Mrs. Blunt hat sie nie
erwhnt?
Niemals.
Wenn sie eine gute Bekannte von Mrs. Blunt gewesen
wre, htten Sie wahrscheinlich davon gewut?
Ja, ganz bestimmt. Ich glaube nicht, da sie Leute dieses Ranges berhaupt gekannt hat. Mabelles Freunde
waren alles ganz gewhnliche Menschen wie Sie und
ich...
Das, Madame, kann ich nicht zugeben, sagte Poirot
galant.
Mrs. Adams fuhr fort, ber Mabelle Sainsbury Seale zu
sprechen, wie man ber eine Freundin spricht, die
krzlich gestorben ist. Sie zhlte alle guten Werke Mabelles auf, ihre Freundschaftsdienste, ihre unermdliche
Arbeit fr die Mission, ihren Eifer, ihren Ernst. Hercule
Poirot hrte ihr zu. Es stimmte, was Japp gesagt hatte:
Mabelle Sainsbury Seale war ein Mensch aus Fleisch
und Blut. Sie hatte in Kalkutta gelebt, dort Sprachunterricht gegeben und unter der indischen Bevlkerung gearbeitet. Sie war achtbar und wohlwollend
gewesen, vielleicht ein bichen umstndlich und nicht
sehr klug, aber das, was man einen Menschen mit
goldenem Herzen zu nennen pflegt.
Er verabschiedete sich von Mrs. Adams und ging fort,
165
tief in Gedanken versunken. Er versuchte, Mabelle
Sainsbury Seales Charakter zu ergrnden.
Eine nette Frau eine ernsthafte und gtige Frau ,
eine achtbare, anstndige Person. Gerade unter solchen
Menschen konnte man, wie Mr. Barnes behauptet hatte,
mgliche Verbrechernaturen finden. Sie war auf dem
gleichen Schiff aus Indien heimgereist wie Mr.
Amberiotis. Es bestand Grund zu der Annahme, da sie
mit ihm im Savoy zu Mittag gegessen hatte.
Sie hatte Alistair Blunt angesprochen und behauptet,
eine gute Bekannte seiner Frau gewesen zu sein. Sie
hatte zweimal die King Leopold Mansions aufgesucht,
wo spter eine verstmmelte Leiche aufgefunden worden war, die ihre Kleider trug und ihre Handtasche bei
sich hatte zur bequemeren Identifizierung! Ein
bichen allzu bequem, das! Nach einem Polizeiverhr
hatte sie ganz pltzlich ihr Hotel verlassen. Konnte die
Theorie, die Hercule Poirot fr richtig hielt, sich mit
allen diesen Einzelheiten vertragen und sie erklren? Er
hielt es fr mglich.
Diese berlegungen beschftigten Hercule Poirot auf
dem ganzen Weg, bis er Regent's Park erreichte. Er beschlo, einen Teil des Parks zu Fu zu durchqueren,
ehe er ein Taxi nahm. Aus Erfahrung konnte er fast auf
die Minute den Augenblick berechnen, da seine eleganten Lackschuhe ihn unertrglich zu drcken anfingen. Es war ein wundervoller Sommertag, und Poirot
schaute zufrieden den Kindermdchen zu, die schwatzend und kichernd mit ihren Verehrern schkerten,
whrend ihre Schtzlinge aus der Unaufmerksamkeit
166
ihrer Betreuerinnen vollsten Nutzen zogen.
Hunde bellten und jagten umher. Kleine Buben lieen
Segelboote schwimmen. Und fast unter jedem Baum
sa ein Paar, das sich eng aneinanderschmiegte...
Ah jeunesse, jeunesse, murmelte Hercule Poirot,
den dieses Bild angenehm berhrte. Whrend sein
Blick wohlwollend auf einem jungen Paar ruhte, wurde
ihm pltzlich klar, da ihm die zwei Menschen bekannt
vorkamen. Es waren Jane Olivera und ihr junger amerikanischer Revolutionr.
Poirots Gesicht wurde pltzlich traurig und ernst. Nach
kurzem Zgern schritt er ber das Gras auf die beiden
zu.
Bonjour, Mademoiselle! sagte er.
Es war ihm, als sei sein Auftauchen Jane nicht ganz
unlieb. Howard Raikes dagegen schien sich ber die
Strung ziemlich zu rgern. Er knurrte: Ach da sind
Sie ja schon wieder!
Guten Tag, M. Poirot, sagte Jane. Wie unerwartet
Sie immer erscheinen!
Eine Art Springteufel, murrte Raikes, der Poirot mit
khlem Blick musterte.
Stre ich? fragte Poirot besorgt.
Keineswegs, antwortete Jane liebenswrdig.
Howard Raikes aber stand auf. Ich bin nicht zum
Plaudern aufgelegt, Jane, sagte er. Ich glaube, ich
werde gehen.
Er nickte Poirot kurz zu und schlenderte davon. Jane
Olivera sah ihm nach, ihr Kinn in die Hand gesttzt.
Pltzlich wandte sie sich zu Poirot.
Ich mchte Sie um Verzeihung bitten. Neulich habe
167
ich mich sehr schlecht benommen. Ich dachte, Sie
htten sich bei uns eingeschlichen und seien nur nach
Exsham gekommen, um Howard nachzuspionieren.
Aber spter erzhlte mir Onkel Alistair, da er Sie
ausdrcklich eingeladen hatte, weil er die Geschichte
mit der verschwundenen Sainsbury Seale aufgeklrt
haben wollte. So ist es doch gewesen?
Genau so.
Es tut mir also leid, was ich Ihnen damals an dem
Abend gesagt habe. Aber es sah ganz so aus, verstehen
Sie. Ich meine: Es sah so aus, als ob Sie wirklich
Howard gefolgt wren und uns beiden nachspionierten.
Selbst wenn das der Fall gewesen wre, Mademoiselle
so habe ich doch mit eigenen Augen gesehen, da Mr.
Raikes Ihrem Onkel mutig das Leben rettete, indem er
auf den Attentter zusprang und ihn hinderte, einen
zweiten Schu abzufeuern.
Sie haben eine seltsame Art zu sprechen, M. Poirot.
Ich wei nie, ob Sie es ernst meinen oder nicht.
Poirot sagte feierlich: Im Augenblick meine ich es
sehr ernst, Miss Olivera.
Mit einem leichten Zittern in der Stimme fragte Jane:
Warum schauen Sie mich so an? Als ob als ob ich
Ihnen leid tte?
Vielleicht, Mademoiselle, weil mir die Dinge leid tun,
die ich sehr bald tun mu...
Nun, dann machen Sie sie doch nicht!
Leider, Mademoiselle, mu es sein...
Sie sah ihn eine Weile an. Dann fragte sie: Haben Sie
die Frau gefunden?
168
Sagen wir: Ich wei, wo sie ist.
Ist sie tot?
Das habe ich nicht gesagt.
Dann lebt sie also?
Auch das habe ich nicht gesagt.
Jane warf ihm einen gereizten Blick zu.
Nun, eins von beiden mu sie doch sein, nicht wahr?
In Wirklichkeit liegen die Dinge nicht so einfach.
Ich glaube, Sie neigen einfach dazu, alles knstlich zu
komplizieren!
Das behauptet man von mir, gab Poirot zu.
Ein Frsteln berlief Jane.
Ist das nicht komisch? Ein herrlicher, warmer Tag
und doch ist mir pltzlich kalt, murmelte sie.
Vielleicht sollten Sie lieber ein Stck gehen, Mademoiselle.
Jane erhob sich und stand einen Augenblick unentschlossen da. Dann stie sie hervor: Howard wnscht,
da wir heiraten. Sofort. Ohne da jemand es wei. Er
meint er meint nur auf diese Weise wrde ich es
jemals tun. Er findet, ich sei schwach. Sie brach ab
und packte mit erstaunlicher Kraft Poirot am Arm.
Was soll ich tun, M. Poirot?
Warum fragen Sie gerade mich um Rat? Es gibt doch
Menschen, die Ihnen nher stehen?
Mutter? Die wrde bei dem bloen Gedanken daran in
Schreikrmpfe ausbrechen! Und Onkel Alistair? Der
wre vorsichtig und prosaisch. La dir noch Zeit,
meine Liebe. Erst wenn du deiner Sache ganz sicher
bist, verstehst du. Bichen sonderbarer Vogel, dein
Verehrer. Hat keinen Zweck, die Dinge zu berstr169
zen.
Und Ihre Freunde? schlug Poirot vor.
Ich besitze keine Freunde. Nur viele blde Bekannte,
mit denen ich trinke und tanze und mich in sinnlosem
Geschwtz ergehe! Howard ist der einzige Mensch aus
Fleisch und Blut, dem ich je begegnet bin.
Trotzdem warum fragen Sie gerade mich, Miss
Olivera?
Weil Sie ein so sonderbares Gesicht machen als ob
Ihnen etwas leid tte, als ob Sie wten, da etwas Unvermeidliches herannaht... Sie brach ab. Nun?
fragte sie: Was meinen Sie?
Hercule Poirot schttelte langsam den Kopf.
Als Poirot zu Hause anlangte, meldete ihm George:
Chefinspektor Japp wartet auf Sie, Monsieur.
Japp lachte etwas verlegen, als Poirot das Zimmer betrat.
Da bin ich, alter Freund! Bin nur vorbeigekommen,
um Ihnen meine Bewunderung auszudrcken! Wie
machen Sie das nur? Wie kommen Ihnen solche Einflle?
Und mit alledem wollen Sie sagen...? Pardon, darf ich
Ihnen nicht irgendeine Erfrischung anbieten? Vielleicht
Wein? Oder lieber Whisky?
Fr mich ist Whisky gut genug.
Ein paar Minuten spter erhob er sein Glas und sagte:
Auf das Wohl von Hercule Poirot, der immer recht
hat!
Nein, nein, mon ami...
Da hatten wir nun einen wunderbaren Selbstmordfall.
170
H. P. behauptet, es sei Mord er wnscht, da es Mord
sein soll , und tatschlich: Es ist Mord!
Ah Sie stimmen mir also endlich bei?
Nun, ich bin ja kein Dickkopf. Ich stemme mich nicht
gegen berzeugende Beweise. Die Schwierigkeit vorher
bestand ja eben darin, da wir keine Beweise hatten.
Und jetzt haben wir Beweise?
Jawohl, und ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen
den Leckerbissen sozusagen auf einer silbernen
Schssel zu prsentieren.
Mein lieber Japp: Ich bin sehr gespannt.
Gut, also los. Die Pistole, mit der am Samstag Frank
Carter Blunt erschieen wollte, ist das genaue Pendant
zu der Waffe, mit der Morley umgebracht wurde!
Poirot starrte ihn an.
Aber das ist ja auergewhnlich...!
Ja, es wirft ein bses Licht auf Mr. Frank Carter.
Ein Beweis ist es nicht.
Nein, aber es erschttert entscheidend die Selbstmordtheorie. Die beiden Pistolen sind auslndisches
Fabrikat, und noch dazu ein ziemlich ausgefallenes!
Hercule Poirot sa mit weit aufgerissenen Augen da.
Seine Brauen glichen zwei zunehmenden Monden.
Endlich sagte er: Frank Carter? Nein, bestimmt
nicht!
Japp stie einen Seufzer der Verzweiflung aus.
Was ist nur los mit Ihnen, Poirot? Erst bestehen Sie
darauf, da Morley keinen Selbstmord begangen hat,
sondern von fremder Hand umgebracht worden ist. Und
jetzt, wo ich zu Ihnen komme und Ihnen sage, da wir
geneigt sind, uns Ihrer Theorie anzuschlieen jetzt
171
drucksen Sie herum und sind unzufrieden!
Sie glauben wirklich, da Morley von Frank Carter ermordet worden ist?
Es pat jedenfalls vollkommen ins Bild. Carter war
Morley feindlich gesinnt das haben wir immer schon
gewut. Er ist damals am Vormittag in die Queen
Charlotte Street gegangen und hat hinterher so getan,
als sei er nur gekommen, um seinem Mdchen von der
neuen Stellung zu erzhlen, die er gefunden habe. Wir
haben aber jetzt ermittelt, da er um diese Zeit die neue
Stellung noch gar nicht hatte! Erst spter am Tag
bekam er sie das gibt er jetzt zu. Lge Nummer eins.
Ferner ist nicht festzustellen, was er nach zwlf Uhr
fnfundzwanzig getrieben hat. Er behauptet, die Marylebone Road entlanggegangen zu sein, aber nachzuweisen ist nur, da er sich um ein Uhr fnf in einer
Kneipe aufhielt. Und der Kellner sagt, er sei in einem
furchtbaren Zustand gewesen mit zitternden Hnden
und leichenblassem Gesicht!
Hercule Poirot schttelte seufzend den Kopf.
Es lt sich nicht mit meiner Theorie vereinbaren,
murmelte er.
Wie ist denn Ihre Theorie?
Was Sie mir erzhlen, ist sehr verwirrend. Wirklich
uerst verwirrend. Denn verstehen Sie: Wenn Sie
recht haben...
Die Tr ging leise auf, und George flsterte respektvoll: Verzeihen Sie, Monsieur, aber ...
Weiter kam er nicht. Miss Gladys Nevill schob ihn beiseite und betrat aufgeregt das Zimmer. Sie schluchzte:
Oh, M. Poirot...
172
Ich mu jetzt leider gehen, brummte Japp und
drckte sich hastig hinaus.
Gladys Nevill zollte seiner Rckseite den Tribut eines
haerfllten Blickes.
Das ist ja dieser grliche Inspektor von Scotland
Yard, der alle die Lgen ber den armen Frank aufgebracht hat!
Kommen Sie, Sie drfen sich nicht so aufregen.
Aber es ist doch so! Erst wird behauptet, Frank htte
auf diesen Mr. Blunt geschossen und damit nicht genug: Jetzt wirft man ihm auch noch den Mord an dem
armen Mr. Morley vor!
Hercule Poirot hustete: Ich war selbst drauen in Exsham, sagte er, als der Schu auf Mr. Blunt abgefeuert
wurde... Wie will sich Mr. Carter denn vor Gericht
verteidigen?
Frank will beschwren, da er berhaupt nichts getan
und da er die Pistole vorher nie gesehen hat. Er behauptet, es sei ein abgekartetes Spiel gewesen, um ihn
reinzulegen.
Ist es wahr, fragte Poirot, da er noch keine neue
Stellung hatte, als er damals am Vormittag in die Queen
Charlotte Street kam?
Also, M. Poirot ich kann tatschlich nicht einsehen,
was das fr einen Unterschied machen soll. Ob er die
Stellung am Morgen oder am Nachmittag erhalten hat
darauf kommt es doch gar nicht an!
Aber ursprnglich sagte er doch aus, er sei gekommen, um Ihnen von seinem Glck zu berichten. Jetzt
stellt sich heraus, da der Glcksfall noch gar nicht
eingetreten war. Warum also ist er in Morleys Haus
173
gegangen?
Weil der arme Junge vllig niedergeschlagen und
aufgelst war ehrlich gesagt, glaube ich, da er sich
betrunken hatte. Der arme Frank vertrgt so wenig
das Trinken wird ihn aggressiv gemacht haben, und da
wollte er eben Krach schlagen. Deshalb ist er in die
Queen Charlotte Street gegangen, um sich mit Mr.
Morley auseinanderzusetzen, denn Frank ist sehr empfindlich und war furchtbar zornig darber, da Mr.
Morley ihn nicht anerkannte und wie er sich ausdrckte meine Seele vergiftete.
Er hatte also den Plan gefat, in der Sprechstunde eine
Szene zu machen?
Ja das war wohl seine Absicht. Natrlich war es sehr
ungerecht von ihm, sich so etwas auszudenken.
Poirot schaute die verweinte junge Blondine nachdenklich an.
Wuten Sie, da Frank Carter eine Pistole besa
vielmehr zwei ganz gleiche Pistolen?
O nein, M. Poirot, das schwre ich Ihnen. Und ich
kann auch nicht glauben, da es wahr ist.
Poirot schttelte ratlos den Kopf.
Ach, M. Poirot, helfen Sie uns doch. Wenn ich nur
wte, da Sie auf unserer Seite sind ...
Ich bin auf keiner Seite. Ich bin nur auf der Seite der
Wahrheit.
Nachdem Poirot das Mdchen losgeworden war, rief er
Scotland Yard an. Japp war noch nicht zurck, aber
Sergeant Beddas gab bereitwilligst Auskunft. Die Polizei war bis jetzt auf nichts gestoen, wodurch bewiesen
174
werden konnte, da Frank Carter die Pistole vor dem
Attentat in Exsham besessen hatte. Poirot legte nachdenklich den Hrer auf. Das war ein Punkt, der zu
Carters Gunsten sprach. Aber es war vorlufig auch der
einzige.
Beddas hatte ihm noch ein paar neue Einzelheiten der
Aussage mitgeteilt, die Carter ber seine Beschftigung
als Grtner in Exsham gemacht hatte. An der Behauptung, es habe sich um einen Auftrag fr den
Geheimdienst gehandelt, hielt er fest. Er hatte eine Vorauszahlung und ein paar Zeugnisse ber seine grtnerische Befhigung erhalten und sich dann weisungsgem bei Blunts Obergrtner MacAlister um einen
Posten beworben. Seine Instruktionen befahlen ihm, die
Gesprche der brigen Grtner zu belauschen, sie nach
etwaigen roten Neigungen auszuhorchen und selbst
ein bichen so zu tun, als sei er ein Roter. Den
Auftrag und die Instruktionen hatte ihm eine Frau erteilt, die sich als Q. H. 56 ausgab und ihm sagte, er
sei ihr als berzeugter Antikommunist empfohlen
worden. Das Gesprch hatte bei sehr schwacher Beleuchtung stattgefunden, und er hielt es fr unwahrscheinlich, da er die Frau wiedererkennen wrde. Es
war eine rothaarige, stark geschminkte Dame gewesen.
Poirot sthnte. Er fhlte sich versucht, mit Mr. Barnes
ber die Sache zu sprechen. Mr. Barnes hatte behauptet, da solche Dinge wirklich passierten.
Die Abendpost brachte ihm einen Brief, der ihn noch
mehr verwirrte. Ein billiger Umschlag, mit ungebter
Hand beschrieben, in Hertfordshire abgestempelt.
Poirot ffnete den Brief und las:
175
Sehr geehrter Herr, bitte verzeihen Sie, da ich an Sie
schreibe, aber ich bin sehr beunruhigt und wei nicht,
was ich tun soll. Ich mchte auf keinen Fall etwas mit
der Polizei zu tun bekommen. Ich wei, da ich vielleicht etwas, das ich wei, schon frher htte sagen
sollen, aber als es hie, der Herr hat sich erschossen,
dachte ich, es ist schon recht. Und ich wollte auch nicht
Miss Nevills Verehrer in Schwierigkeiten bringen, obwohl ich nie geglaubt habe, da er es getan hat. Aber
jetzt lese ich in der Zeitung, da er verhaftet worden ist,
weil er auf einen andern Herrn geschossen hat, und da
mu ich es wohl sagen. Ich schreibe an Sie, weil Sie mit
meinem Frulein bekannt sind und mich neulich
gefragt haben. Jetzt wnsche ich natrlich, ich htte es
Ihnen schon neulich gesagt. Aber ich hoffe, das heit
nicht, da ich es mit der Polizei zu tun bekomme, denn
das wre mir sehr unangenehm und meiner Mutter
auch. Meine Mutter ist immer sehr eigen gewesen.
Hochachtungsvoll
Agnes Fletcher.
Poirot murmelte: Ich habe immer gewut, da es etwas mit einem Mann zu tun hatte. Ich habe nur auf den
falschen Mann getippt das ist alles.
8
Das Gesprch mit Agnes Fletcher fand in Hertford statt,
und zwar in einer menschenleeren Teestube; denn
176
Agnes hatte groen Wert darauf gelegt, ihre Geschichte
nicht unter dem kritischen Blick Miss Morleys erzhlen
zu mssen...
Miss Morley mchte ich nichts davon sagen, denn sie
wrde vielleicht meinen, ich htte es schon lngst
erzhlen mssen. Aber die Kchin und ich waren der
Meinung, es sei nicht unsere Sache, denn wir haben ja
schwarz auf wei in der Zeitung gelesen, da Mr.
Morley sich in dem Betubungsmittel geirrt und dann
selber erschossen hat nicht wahr?
Und wann haben Sie angefangen, Ihre Meinung zu
ndern?
Poirot hoffte, durch eine aufmunternde, aber nicht zu
unmittelbare Frage die versprochene Enthllung aus
Agnes herauszulocken.
Agnes erwiderte prompt: Als ich in der Zeitung las,
da Mr. Carter auf den Herrn geschossen hat, bei dem
er Grtner war! Da dachte ich, er sei vielleicht ein bichen verrckt, denn es gibt doch Leute, die glauben, sie
wrden verfolgt und seien von Feinden umringt, und
zum Schlu kann man sie nicht mehr daheim behalten,
sondern mu sie in eine Heilanstalt stecken. Und ich
habe gedacht, Mr. Carter sei vielleicht auch so ein Irrer,
denn ich habe mich erinnert, da er immer sagte, Mr.
Morley sei ein Feind und wolle ihn und Miss Nevill
auseinanderbringen aber natrlich hat sie kein Wort
gegen Mr. Carter hren wollen, und das mit Recht,
haben wir immer gedacht, Emma und ich, denn Mr.
Carter schaut doch so gut aus und ist ein richtiger Herr,
das kann man nicht leugnen. Aber natrlich hat keine
von uns beiden geglaubt, da er Mr. Morley wirklich
177
etwas zuleide getan hat. Wir haben nur gedacht, da es
ein bichen sonderbar war wenn Sie verstehen, was
ich meine.
Poirot fragte geduldig: Was war sonderbar?
Damals am Vormittag an dem Vormittag, an dem
sich Mr. Morley erscho. Ich ging damals auf den Vorplatz und schaute ins Treppenhaus hinunter, weil ich
wissen wollte, ob auf dem Tisch schon die Post lag.
Agnes holte tief Atem und fuhr fort: Und da sah ich
ihn Frank Carter, meine ich. Er stand auf halber Hhe
der Treppe unserer Treppe, meine ich also oberhalb
des Sprechzimmers. Da wartete er und schaute hinunter
und je mehr ich jetzt darber nachdenke, desto merkwrdiger kommt mir das vor. Es war, als ob er aufmerksam gelauscht htte wenn Sie verstehen, was ich
meine ...
Um welche Zeit war das?
Es mu gegen halb zwlf gewesen sein. Und gerade
als ich dachte, nanu, das ist doch Frank Carter, und
Miss Nevill ist fr den ganzen Tag fort, der wird nicht
schlecht enttuscht sein, und wie ich so berlege, ob ich
nicht hinunterlaufen und ihm das sagen soll da
entschliet er sich, geht die Treppe hinunter und verschwindet in dem Gang, der zum Sprechzimmer von
Mr. Morley fhrt. Da habe ich mir im stillen gedacht,
das wird Mr. Morley aber gar nicht recht sein, und war
neugierig, ob es nicht Krach geben wrde. Aber gerade
in dem Augenblick rief Emma nach mir, und ich ging
wieder hinein. Als ich etwas spter hrte, Mr. Morley
habe sich erschossen, da war das natrlich ein solcher
Schreck, da ich alles andere verga. Erst als der Poli178
zist wieder fort war, erzhlte ich Emma, da ich am
Vormittag Mr. Carter zu Mr. Morley habe gehen sehen.
Emma meinte, ich htte es vielleicht bei der Polizei
angeben sollen, aber dann beschlossen wir, noch zu
warten, weil wir Mr. Carter nicht in Schwierigkeiten
bringen wollten. Und als dann bei der Leichenschau
herauskam, da Mr. Morley sich bei einer Narkose geirrt und dann den Kopf verloren und sich erschossen
habe, nun da war kein Grund mehr, etwas davon zu
erzhlen. Aber jetzt, nachdem ich das vom Schu auf
Mr. Blunt gelesen habe, bin ich nicht schlecht erschrocken! Und im stillen habe ich mir gesagt, wenn
der wirklich verrckt ist und herumgeht und auf die
Leute schiet ja, dann hat er vielleicht doch Mr. Morley erschossen!
Ihr Blick war ngstlich, aber zugleich hoffnungsvoll auf
Poirot gerichtet. Poirot gab seiner Stimme einen mglichst beruhigenden Klang.
Sie drfen berzeugt sein, Agnes, da Sie vollkommen recht daran getan haben, mir das zu erzhlen,
sagte er.
Also, dann fllt mir wirklich ein Stein vom Herzen.
Verstehen Sie, ich habe mir immer schon gesagt, da
ich es vielleicht htte erzhlen mssen. Und dann, nicht
wahr, habe ich mich davor gefrchtet, etwas mit der
Polizei zu tun zu bekommen, und was meine Mutter
dazu sagen wrde. Unsere Mutter ist ja immer so eigen
mit uns allen gewesen.
Gewi, gewi, sagte Poirot hastig. Von der eigenen Mutter wnschte er nichts mehr zu hren.
179
Poirot fuhr nach Scotland Yard und lie sich bei Japp
melden. Als er das Zimmer des Chefinspektors betrat,
sagte er: Ich mchte Carter sprechen.
Japp warf ihm einen schnellen Blick zu.
Was haben Sie vor? Aus welchem Grund wollen Sie
mit Carter sprechen? Wollen Sie ihn fragen, ob er
Morley tatschlich ermordet hat?
Zu Japps berraschung nickte Poirot nachdrcklich.
Ja, mein Freund, aus genau diesem Grund.
Und Sie glauben, da er es Ihnen sagen wird, falls er
der Tter war?
Japp sagte es lachend. Aber Poirot blieb ernst, als er
antwortete: Ja, vielleicht wird er es mir sagen.
Japp sah ihn unsicher an.
Wissen Sie, Poirot, ich kenne Sie nun schon so lange
sind es zwanzig Jahre? Ja, ungefhr. Aber immer noch
ist mir manchmal nicht klar, worauf Sie hinauswollen.
Ich wei, da Sie sich ber den jungen Frank Carter
Flausen in den Kopf gesetzt haben. Aus irgendeinem
Grund wnschen Sie nicht, da er schuldig ist.
Hercule Poirot schttelte energisch den Kopf.
Nein, nein da irren Sie sich. Die Sache liegt umgekehrt.
Ich dachte, es wre vielleicht wegen seinem Mdchen.
In mancher Beziehung sind Sie ein sentimentaler alter
Junge.
Jetzt war Poirot ehrlich emprt.
Nicht ich bin es, der sentimental ist! Das ist eine englische Schwche! Es ist in England, wo ber liebende
junge Mdchen, ber sterbende Mtter und aufopferungsvolle Kinder geweint wird. Ich ich bin logisch.
180
Wenn Frank Carter ein Mrder ist, dann bin ich bestimmt nicht sentimental genug, um ihn mit einem
netten, aber alltglichen Mdchen verheiraten zu wollen, das ihn, falls er gehngt wird, in lngstens zwei
Jahren vergessen hat und einen anderen Mann findet
und mit ihm glcklich wird.
Warum wollen Sie dann nicht glauben, da er schuldig ist?
Im Gegenteil: Ich mchte sehr gern glauben, er sei
schuldig.
Sie denken vermutlich, Sie seien auf etwas gestoen,
das mehr oder weniger schlssig seine Unschuld beweist? Warum verschweigen Sie das dann? Sie sollten
ehrliches Spiel mit uns spielen, Poirot!
Ich spiele ehrliches Spiel mit Ihnen. Bald, sehr bald,
werde ich Ihnen Namen und Adresse einer Zeugin
nennen, die fr die Anklage von unschtzbarem Wert
ist. Ihre Aussage drfte den Fall Carter abschlieen.
Ja, aber dann ach, Sie haben mich total verwirrt.
Warum wollen Sie ihn unbedingt sprechen?
Um selbst ganz sicher zu gehen, sagte Hercule Poirot.
Und mehr war nicht aus ihm herauszubringen. Frank
Carter, hohlwangig, bla und immer noch leicht prahlerisch, sah den unerwarteten Besucher mit unverhohlener Abneigung an.
Also Sie sind es, Sie verdammter kleiner Auslnder?
Was wollen Sie von mir?
Ich wollte Sie sehen und mit Ihnen sprechen.
Nun, sehen knnen Sie mich ja jetzt. Aber sprechen
werde ich nicht. Jedenfalls nicht ohne meinen Anwalt.
181
Das ist mein gutes Recht, nicht wahr? Dagegen knnen
Sie nichts machen. Ich habe das Recht, jede Aussage zu
verweigern, wenn mein Anwalt nicht dabei ist.
Gewi haben Sie dieses Recht. Wenn Sie wollen, knnen Sie ihn kommen lassen aber es wre mir lieber,
Sie tten es nicht.
Das kann ich mir denken. Sie wollen mich wohl in irgendeine Falle locken, oder?
Vergessen Sie nicht, da wir ganz allein sind.
Gerade das kommt mir ein bichen ungewhnlich vor.
Mchte wetten, da Ihre Freunde von der Polizei mithren.
Da sind Sie im Irrtum. Es handelt sich um ein ganz
privates Gesprch zwischen uns beiden.
Frank Carter stie ein unangenehmes, schlaues Lachen
aus.
Hren Sie auf! Mit dem alten Trick knnen Sie mich
nicht reinlegen!
Erinnern Sie sich an ein Mdchen namens Agnes
Fletcher?
Nie gehrt.
Ich glaube, Sie werden sich doch an sie erinnern, obwohl Sie wahrscheinlich nicht viel Notiz von ihr genommen haben. Sie war Stubenmdchen in der Queen
Charlotte Street 58.
Und...?
Hercule Poirot sagte langsam: An dem Vormittag, da
Mr. Morley erschossen wurde, hat diese Agnes zufllig
vom obersten Stockwerk ber das Treppengelnder
hinuntergeschaut. Sie hat Sie Frank Carter wartend
und lauschend auf der Treppe gesehen. Sie sah auch,
182
da Sie schlielich in Mr. Morleys Sprechzimmer gingen. Es zwar ziemlich genau sechsundzwanzig Minuten
nach zwlf.
Frank Carter begann heftig zu zittern. Der Schwei
brach ihm aus. Seine Blicke, tckischer denn je, irrten
angstvoll hin und her.
Zornig schrie er: Das ist eine Lge! Eine verdammte
Lge! Sie haben sie bestochen die Polizei hat sie
bestochen, damit sie gegen mich aussagt!
Um diese Zeit, fuhr Hercule Poirot ruhig fort, hatten
Sie nach Ihrer eigenen Angabe das Haus bereits verlassen und gingen die Marylebone Road entlang.
Ja, das stimmt auch. Das Mdchen lgt. Sie kann mich
nicht gesehen haben. Wenn sie mich gesehen htte
warum hat sie es dann nicht schon lngst gesagt?
Hercule Poirot erwiderte ruhig: Sie hat es damals sofort der Kchin gegenber erwhnt. Beide haben sich
Sorgen darber gemacht, waren bestrzt und wuten
nicht, was sie tun sollten. Als der amtliche Spruch auf
Selbstmord lautete, waren sie sehr erleichtert und hielten es fr unntig, auf die Beobachtung des Stubenmdchens zurckzukommen.
Ich glaube kein Wort von alledem! Die beiden haben
sich gegen mich verschworen, das ist alles. Ein paar
dreckige, verlogene kleine...
Er verlor sich in wtenden Beschimpfungen. Hercule
Poirot wartete. Als Carters Redestrom versiegte,
begann Poirot von neuem zu sprechen, immer noch im
gleichen ruhigen, gemessenen Ton.
Zorn und trichte Beschimpfungen werden Ihnen
nichts ntzen. Die beiden Mdchen werden ihre Aus183
sage machen, und man wird ihnen Glauben schenken.
Denn, sehen Sie: Die Mdchen sprechen die Wahrheit.
Agnes Fletcher hat Sie wirklich gesehen, Carter. Sie haben zur angegebenen Zeit auf der Treppe gestanden.
Sie hatten das Haus nicht verlassen. Und Sie sind in
Morleys Sprechzimmer gegangen.
Nach einer Pause fragte er: Und was war dann?
Ich sage Ihnen doch: Es ist alles erlogen!
Hercule Poirot fhlte sich sehr mde sehr alt. Frank
Carter gefiel ihm nicht. Er mifiel ihm sogar aufs uerste. Nach seiner Meinung war Frank Carter ein brutaler Bursche, ein Lgner, ein Schwindler ein Individuum, ohne das die Welt sehr gut auskommen konnte.
Er, Hercule Poirot, brauchte sich nur still zu verhalten
und diesen jungen Mann weiter seine Lgen erzhlen
lassen dann wrde die Erde bald einen ihrer unerfreulichsten Bewohner los sein.
Hercule Poirot sagte: Ich schlage vor, da Sie mir die
Wahrheit sagen.
Worum es in diesem Kampf ging, war ihm durchaus
klar. Frank Carter war dumm, aber immerhin schlau
genug, zu erkennen, da hartnckiges Leugnen seine
beste und sicherste Taktik war. Hatte er einmal zugegeben, das Sprechzimmer sechsundzwanzig Minuten
nach zwlf betreten zu haben, dann befand er sich in
hchster Gefahr. Denn nach diesem Eingestndnis
mute er befrchten, da alles, was er noch erzhlte,
mit groer Wahrscheinlichkeit als Lge betrachtet
wrde. Er sollte also ruhig beim Leugnen bleiben. In
diesem Fall war Hercule Poirots Aufgabe erledigt.
Frank Carter wrde hchstwahrscheinlich als Mrder
184
Henry Morleys gehngt werden. Hercule brauchte nur
aufzustehen und hinauszugehen.
Frank Carter wiederholte: Es ist alles gelogen!
Eine Pause entstand. Hercule Poirot stand nicht auf und
ging nicht hinaus. Er htte es gern getan, sehr gern.
Trotzdem blieb er. Er beugte sich vor.
In seiner Stimme lag die bezwingende Kraft seiner
starken Persnlichkeit, als er sagte: Ich lge nicht,
Carter. Ich bitte Sie, mir zu glauben. Wenn Sie Morley
nicht umgebracht haben, dann besteht Ihre einzige
Chance darin, mir die volle Wahrheit zu gestehen.
Das unehrliche, charakterlose Gesicht ihm gegenber
zuckte und verriet Unsicherheit. Frank Carter zupfte
sich an der Lippe. Seine Augen irrten hin und her: die
Augen eines gengstigten, in die Enge getriebenen
Tieres. Es ging jetzt auf Biegen oder Brechen. Und
pltzlich, berwltigt von der Strke der Persnlichkeit
des Gegners, gab Frank Carter den Kampf auf.
Er sagte mit heiserer Stimme: Also gut ich will es
Ihnen erzhlen. Aber Gott soll Sie strafen, wenn Sie
mich betrgen! Ich bin hineingegangen. Ich ging die
Treppe hinauf und habe gewartet, bis ich sicher war,
ihn allein zu treffen. Habe dort gestanden, oberhalb von
Morleys Etage. Dann ist einer herausgekommen und
die Treppe hinuntergegangen so ein Dicker. Ich habe
noch eine Weile berlegt, ob ich jetzt hineingehen
sollte da ist noch einer aus dem Sprechzimmer
herausgekommen und hinuntergegangen. Dann bin ich
los und ohne anzuklopfen reingegangen. Ich war fest
entschlossen, es mit ihm auszufechten. Mich mit Dreck
zu bewerfen, meine Braut gegen mich aufhetzen
185
verdammt noch einmal... Er brach ab.
Ja? sagte Hercule Poirot, und seine Stimme klang
drngend zwingend. Carters Stimme wurde zu einem
Krchzen.
Und da lag er vor mir tot! Das ist die Wahrheit ich
schwre es! Hat dagelegen, genau wie es bei der Leichenschau ausgesagt worden ist. Ich habe es zuerst
nicht glauben knnen habe mich ber ihn gebeugt.
Aber er war mausetot. Seine Hand war eiskalt, und ich
habe den Einschu im Kopf gesehen, mit einer Blutkruste drum herum ...
Bei der Erinnerung daran brach ihm von neuem der
Schwei aus.
Da habe ich gemerkt, da ich in der Tinte sa. Da
man sagen wrde, ich htte es getan. Ich hatte nichts
berhrt auer seiner Hand und der Trklinke. Die Trklinke habe ich auf beiden Seiten mit dem Taschentuch
abgerieben, und dann habe ich mich so schnell als
mglich die Treppe hinuntergeschlichen... In der Halle
war niemand, und so bin ich zur Haustr hinaus und
habe mich aus dem Staube gemacht. Kein Wunder, da
ich elend ausgesehen habe.
Er hielt inne. Seine Augen waren angstvoll auf Poirot
gerichtet.
Das ist die Wahrheit. Ich schwre, da es die Wahrheit ist. Er war schon tot, als ich ins Zimmer kam. Sie
mssen mir glauben!
Poirot erhob sich. Seine Stimme klang mde und unlustig, als er sagte: Ich glaube Ihnen.
Er ging zur Tr.
Frank Carter rief: Man wird mich hngen, wenn man
186
erfhrt, da ich im Sprechzimmer war!
Sie haben sich vor dem Galgen gerettet, indem Sie die
Wahrheit gesagt haben, antwortete Poirot.
Nein, nein man wird behaupten...
Poirot unterbrach ihn.
Ihr Bericht hat besttigt, was ich bereits als Wahrheit
erkannt hatte. Sie knnen jetzt alles weitere mir berlassen.
Er ging hinaus. Er fhlte sich keineswegs glcklich.
Um sechs Uhr fnfundvierzig langte Poirot bei Mr.
Barnes in Ealing an. Barnes arbeitete in seinem Garten.
Er betrachtete seinen Gast sinnend und meinte: Sie
sehen nicht sehr gut aus, M. Poirot.
Manchmal, murmelte Poirot, gefallen mir die Dinge
nicht, die ich tun mu.
Mr. Barnes nickte teilnahmsvoll.
Ich kenne das! sagte er.
Hercule Poirot lie seinen Blick ber die sorgfltig angeordneten kleinen Beete schweifen und murmelte:
Er ist gut angelegt, dieser Garten. Alles hat die richtigen Proportionen. Klein, aber exakt.
Wenn man nur wenig Raum hat, mu man ihn grndlich nutzen. Man kann es sich dann nicht leisten, Fehler
in der Anlage zu begehen, erklrte Barnes.
Poirot nickte.
Barnes fuhr fort: Ich sehe, da Sie Ihren Mann erwischt haben?
Frank Carter?
Ja. Ich bin eigentlich sehr berrascht.
Sie hatten nicht gedacht, da es sozusagen ein pri187
vater Mord war?
Offen gestanden: nein. Amberiotis Alistair Blunt
ich war berzeugt, da es sich um eine Fehde zwischen
Spionage und Abwehr handelte.
Das ist die Auffassung, die Sie mir bei unserer ersten
Begegnung auseinandergesetzt haben.
Ich wei. Ich habe damals mit aller Bestimmtheit an
diese Auffassung geglaubt.
Poirot sagte langsam: Aber Sie haben sich getuscht.
Ja. Das Schlimme ist, da man immer von seinen eigenen Erfahrungen ausgeht. Ich habe so viel mit diesen
Spionagedingen zu tun gehabt, da ich sie berall
anzutreffen erwarte.
Sie haben, sagte Poirot, doch sicher schon einmal
gesehen, wie ein Taschenspieler jemanden aus dem
Publikum eine Karte ziehen lt? Wie er der betreffenden Person die Karte aufzwingt?
Ja, natrlich.
Genau das ist hier geschehen. Jedesmal, wenn einem
ein persnlicher Grund fr Morleys Ermordung einfllt,
wird einem eins, zwei, drei die Karte aufgezwungen. Amberiotis, Alistair Blunt, die unsichere politische
Lage des Landes... Er zuckte die Achseln. Und was
Sie betrifft, Mr. Barnes, so haben Sie mich mehr als
alle anderen in die Irre gefhrt.
Das tut mir aufrichtig leid. Wahrscheinlich haben Sie
recht.
Bei Ihnen durfte man eine genaue Kenntnis der Situation voraussetzen, verstehen Sie? Deshalb hatte Ihre
Meinung Gewicht.
Nun von dem, was ich gesagt habe, war ich ehrlich
188
berzeugt. Das ist das einzige, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen kann. Er machte seufzend
eine Pause. Und in Wirklichkeit war das Mordmotiv
ein ganz persnliches?
Jawohl. Ich habe lange Zeit gebraucht, um es zu entdecken obwohl ich in einem bestimmten Punkt entschieden Glck gehabt habe.
Worin bestand dieses Glck?
In dem Bruchstck eines Gesprchs. Ein uerst aufschlureiches Bruchstck wenn ich nur seine Bedeutung gleich erkannt htte!
Mr. Barnes rieb sich mit dem Spatenstiel nachdenklich
die Nase. Sie tun sehr geheimnisvoll, sagte er
freundlich.
Hercule Poirot erwiderte achselzuckend: Vielleicht
bin ich etwas gekrnkt, da Sie mir gegenber nicht offen waren.
Ich?
Jawohl.
Mein Lieber ich hatte nicht die geringste Ahnung,
da Carter der Tter ist. Soweit ich informiert war,
hatte er das Haus lange vor Morleys Tod verlassen.
Wahrscheinlich ist jetzt festgestellt worden, da er sich
zur kritischen Zeit noch im Hause aufhielt?
Carter war um zwlf Uhr sechsundzwanzig noch im
Hause. Er hat den Mrder mit eigenen Augen gesehen,
sagte Poirot.
Dann ist also Carter nicht...
Ich sage Ihnen doch: Carter hat den Mrder gesehen.
Hat hat er ihn erkannt?
Poirot schttelte langsam den Kopf.
189
9
Am folgenden Tag verbrachte Poirot einige Stunden
mit einem Theateragenten aus seiner Bekanntschaft.
Nachmittags fuhr er nach Oxford. Am Tag darauf
machte er eine Autotour ber Land und kam spt zurck.
Vor der Abfahrt hatte er mit Alistair Blunt telefoniert
und ein Treffen fr den Abend verabredet. Es war halb
zehn, als er im Gotischen Haus anlangte. Er lie sich zu
Blunt fhren, der allein in der Bibliothek sa.
Blunt schttelte seinem Besucher die Hand und warf
ihm einen fragenden Blick zu.
Nun?
Hercule Poirot nickte langsam. Blunt sah ihn mit unglubiger Bewunderung an.
Sie haben sie gefunden?
Ja, ich habe sie gefunden.
Er setzte sich und seufzte.
Alistair Blunt fragte: Sind Sie mde?
Ja, ich bin mde. Und was ich Ihnen zu sagen habe
ist nicht angenehm.
Ist sie tot?
Das hngt davon ab, antwortete Poirot langsam, wie
Sie die Sache betrachten...
Blunt sagte stirnrunzelnd: Mein lieber Mann ein
Mensch mu doch entweder tot oder lebendig sein.
Eines von beiden mu also auch auf Miss Sainsbury
Seale zutreffen, oder?
Ja aber wer ist Miss Sainsbury Seale?
Meinen Sie damit, da diese Person gar nicht exi190
stiert? fragte Blunt zgernd.
Nein, nein: Sie hat existiert. Sie hat in Kalkutta gewohnt, gab Sprachunterricht, war wohlttig, und auf der
Maharanah kam sie nach England. Sie war auf
demselben Schiff, das auch Mr. Amberiotis benutzte.
Obschon sie nicht in der gleichen Klasse reisten, hat er
ihr einen kleinen Dienst erwiesen es drehte sich um
ihr Gepck. In Kleinigkeiten scheint er ein hilfsbereiter
Mensch gewesen zu sein. Und manchmal, Mr. Blunt,
macht sich Hilfsbereitschaft in unerwarteter Weise bezahlt. So erging es auch Mr. Amberiotis. Der Zufall
wollte, da er die Dame in London auf der Strae wiedertraf. Er war in Geberlaune und lud sie zum Mittagessen ins Savoy ein. Das war ein unerwartetes Fest fr
sie und fr Mr. Amberiotis ein unerwarteter Glcksfall! Denn seiner Gutmtigkeit lag keinerlei Berechnung zugrunde er hatte keine Ahnung, da diese verwelkte, ltliche Dame ihm ein Geschenk machen
wrde, das fr ihn einer Goldgrube gleichkam. Und
doch tat sie das freilich ohne es zu wissen. Sie war
nicht besonders helle, verstehen Sie. Eine brave,
gutmtige Haut, aber mit der Intelligenz sagen wir
einer Henne.
Blunt fragte: Dann ist die Chapman also nicht von ihr
umgebracht worden?
Poirot sagte langsam: Ich wei nicht recht, wie ich den
Fall darstellen soll. Ich werde, glaube ich, dort anfangen, wo er fr mich begonnen hat. Mit einem
Schuh!
Blunt fragte verstndnislos: Mit einem Schuh?
Poirot nickte.
191
Ja, mit einem Schnallenschuh. Ich kam von der
Behandlung beim Zahnarzt, und als ich auf den Stufen
des Hauses Queen Charlotte Street 58 stand, hielt ein
Taxi, und ich sah den Fu der Frau, die im Begriff war
auszusteigen. Ich gehre zu den Mnnern, die sich Fu
und Knchel bei einer Frau ansehen. Es war ein wohlgeformter Fu mit schlanker Fessel und einem teuren
Strumpf aber der Schuh gefiel mir nicht. Es war ein
neuer, glnzender Lackschuh mit einer groen, verzierten Schnalle. Nicht schick gar nicht schick!
Und whrend ich diese Beobachtungen anstellte, kam
der restliche Teil der Frau zum Vorschein. Das war, offen gesagt, eine Enttuschung: eine angejahrte Dame
ohne Charme und schlecht angezogen.
Miss Sainsbury Seale?
Sehr richtig. Bei ihrem Aussteigen ereignete sich ein
kleiner Unglcksfall: Die Schnalle ihres einen Schuhs
verfing sich in der Tr des Taxis und wurde abgerissen.
Ich hob die Schnalle auf und gab sie ihr zurck. Das
war alles. Der Zwischenfall war abgeschlossen. Im
weiteren Verlauf des gleichen Tages suchte ich mit
Chefinspektor Japp die Dame auf, um ihr verschiedene
Fragen zu stellen brigens hatte sie da die Schnalle
noch nicht wieder angenht. Am selben Abend verlie
Miss Sainsbury Seale ihr Hotel und verschwand spurlos. Bis dahin, wollen wir sagen, reicht der erste Teil.
Der zweite Teil begann, als Chefinspektor Japp mich in
die King Leopold Mansions kommen lie. In einer der
Wohnungen stand eine Pelztruhe, und in dieser Pelztruhe war eine Leiche gefunden worden. Das erste, was
ich sah, als ich an die Truhe trat, war ein abgetragener
192
Schnallenschuh!
Nun?
Sie haben den springenden Punkt nicht ganz erfat: Es
war ein abgetragener Schuh, ein Schuh, der schon
lngere Zeit in Gebrauch gewesen war. Nun bedenken
Sie aber: Miss Sainsbury Seale war am Abend des gleichen Tages in die King Leopold Mansions gekommen
des Tages, an dem Morley ermordet worden war. Am
Morgen waren die Schuhe neu gewesen am Abend
waren sie alt. Sie verstehen man kann ein Paar
Schuhe nicht in einem einzigen Tage abtragen.
Alistair Blunt bemerkte ziemlich gleichgltig: Wahrscheinlich hat sie zwei Paar besessen.
Ah aber gerade das war nicht der Fall. Japp und ich
hatten ihr Zimmer im Glengowrie Court Hotel durchsucht und keine Schnallenschuhe gefunden. Ja, sie htte
ein Paar alte Schuhe besitzen und nach einem anstrengenden Tag am Abend anziehen knnen aber dann
htten wir das neue Paar im Hotel vorfinden mssen,
nicht wahr? Sie werden zugeben, da das Fehlen des
zweiten Paars ein auffallender Umstand war.
Blunt sagte mit schwachem Lcheln: Ich kann nicht
einsehen, da es so wichtig gewesen sein soll.
Nein wichtig nicht, aber es strt mich, wenn ich mir
etwas nicht erklren kann. Ich stand vor der Pelztruhe
und betrachtete den Schuh die Schnalle war erst
krzlich mit der Hand angenht worden. Ich will zugeben, da in mir in diesem Augenblick Zweifel aufstiegen. Zweifel an mir selbst. Ja, sagte ich mir im stillen,
Hercule Poirot, vielleicht warst du an diesem Morgen
etwas leichtsinnig. Du hast die Welt durch eine rosa
193
Brille gesehen. Sogar die alten Schuhe sind dir neu
vorgekommen!
Vielleicht war das tatschlich die richtige Erklrung?
Aber nein, keineswegs. Meine Augen tuschen mich
nicht! Weiter: Ich untersuchte die Leiche, und was ich
sah, gefiel mir gar nicht. Warum war das Gesicht mit
Absicht brutal verstmmelt und unkenntlich gemacht
worden...?
Alistair Blunt rckte unruhig hin und her.
Mssen wir das alles noch einmal durchgehen? Wir
wissen doch schon...
Hercule Poirot entgegnete mit fester Stimme: Es ist
notwendig. Ich mu mit Ihnen alle Phasen des Weges
durchgehen, der mich schlielich zur Lsung gefhrt
hat. Ich sagte mir: Hier stimmt etwas nicht. Da liegt
eine tote Frau in der Kleidung der Sainsbury Seale
ausgenommen vielleicht die Schuhe? und daneben die
Handtasche der Sainsbury Seale: Und warum hat man
ihr Gesicht so zugerichtet, da es nicht zu erkennen ist?
Etwa, weil das Gesicht nicht das von Miss Sainsbury
Seale ist? Und sofort beginne ich alles zusammenzutragen, was ich ber die Erscheinung der anderen Frau
der Frau, der die Wohnung gehrt erfahren habe,
und ich frage mich: Ist es nicht mglicherweise die
andere Frau, die da tot vor mir liegt? Dann gehe ich und
schaue mir das Schlafzimmer der anderen Frau an. Ich
versuche mir auszumalen, um was fr eine Art Frau es
sich handelt. Oberflchlich betrachtet, scheint sie sich
von der Seale sehr zu unterscheiden. Elegant, auffallend angezogen, stark zurechtgemacht. Aber in den
wesentlichen Zgen ihr nicht unhnlich: Haar, Krper194
bau, Alter. Ein Unterschied ist jedoch vorhanden: Mrs.
Albert Chapman hatte Schuhgre fnf, whrend Miss
Sainsbury Seale, wie ich wute, Strmpfe Nummer
zehn trug, also wenigstens Schuhgre sechs hatte.
Mrs. Chapman besa also kleinere Fe als Mrs.
Sainsbury Seale. Ich ging zu der Leiche zurck. Wenn
meine halbgare Theorie stimmte und da die Leiche
von Mrs. Chapman in Miss Sainsbury Seales Kleidern
war, dann muten ihr die Schuhe zu gro sein. Ich
ergriff einen der Schuhe aber er sa fest. Das sah also
aus, als sei es doch die Leiche von Miss Sainsbury
Seale! Aber warum war dann das Gesicht verstmmelt?
Ihre Identitt war doch schon durch die Handtasche
bewiesen, die man leicht htte entfernen knnen, aber
nicht entfernt hatte.
Es war ein Rtsel ein hchst verwickeltes Rtsel. In
meiner Verzweiflung strzte ich mich auf Mrs.
Chapmans Adrebuch: Ein Zahnarzt war der einzige
Mensch, der mit Bestimmtheit feststellen konnte, wer
die tote Frau war oder nicht war. Zufllig war Mrs.
Chapmans Zahnarzt Mr. Morley. Morley war tot, aber
die Identifizierung lie sich trotzdem ermglichen. Sie
kennen das Ergebnis. Die Leiche wurde bei der Totenschau durch Mr. Morleys Nachfolger als diejenige von
Mrs. Albert Chapman identifiziert.
Blunt verriet Zeichen der Ungeduld, aber Poirot beachtete sie nicht. Er fuhr fort: Nun stand ich vor einem
psychologischen Problem. Was fr eine Art Frau war
Mabelle Sainsbury Seale? Auf diese Frage gab es zwei
Antworten. Die erste war die nchstliegende, die durch
Mabelles ganzes Leben in Indien und durch das Zeug195
nis ihrer persnlichen Bekannten gegeben wurde.
Danach war sie ein gewissenhaftes, ernstes, etwas
trichtes Wesen. Gab es noch eine andere Sainsbury
Seale? Anscheinend ja. Es gab die Frau, die mit einem
bekannten auslndischen Agenten zu Mittag a; die
Frau, die Sie, Mr. Blunt, unter der offensichtlich falschen Vorspiegelung, sie sei eine enge Freundin Ihrer
Frau gewesen, auf der Strae ansprach; die Frau, die
Morleys Haus verlie, unmittelbar bevor dort ein Mord
begangen wurde; die Frau, die eine andere just an dem
Abend besuchte, an dem diese hchstwahrscheinlich
ermordet wurde; die Frau, die seither verschwunden
war, obwohl die gesamte Polizeimacht Englands nach
ihr suchte. Lieen sich alle diese Handlungen mit dem
Leumund vereinbaren, den ihre Freunde ihr ausstellten?
Anscheinend doch nicht. Wenn also Miss Sainsbury
Seale nicht das gute, liebenswerte Geschpf war, als
das sie erschien, dann war sie mglicherweise eine
kaltbltige Mrderin oder zumindest Helfershelferin.
Noch etwas stand mir zur Verfgung: mein eigener
persnlicher Eindruck. Ich hatte selbst mit Mabelle
Sainsbury Seale gesprochen. Wie hatte sie auf mich gewirkt? Und auf diese Frage, Mr. Blunt, war die Antwort
am schwersten zu finden. Alles, was sie gesagt hatte,
ihre Sprechweise, ihr Auftreten, ihre Bewegungen
alles entsprach vllig der Persnlichkeit, als die sie uns
geschildert worden war.
Aber gleichzeitig pate all das ebensogut auf eine geschickte Schauspielerin, die sich in eine bestimmte
Rolle hineingelebt hat. Und schlielich hatte ja Mabelle
Sainsbury Seale ihre Laufbahn als Schauspielerin
196
begonnen! Stark beeindruckt war ich von einem Gesprch, das ich mit Mr. Barnes aus Ealing fhrte auch
er war an dem betreffenden Tag in der Queen Charlotte
Street zur Behandlung gewesen. Seine Theorie, die er
sehr nachdrcklich vertrat, ging dahin, da die Morde
an Morley und Amberiotis sozusagen nur Randerscheinungen waren, und da Sie, Mr. Blunt, das beabsichtigte Opfer darstellten.
Ach, gehen Sie, das ist doch ein bichen weit hergeholt! meinte Alistair Blunt wegwerfend.
Wirklich, Mr. Blunt? Stimmt es nicht, da es augenblicklich mehrere politische Gruppen gibt, fr die es
eine Existenzfrage ist, da Sie sagen wir beseitigt
werden?
Ja, das ist schon richtig. Aber was soll das mit der Ermordung Morleys zu tun haben?
Dieser Fall weist einen bestimmten wie soll ich
mich ausdrcken verschwenderischen Zug auf. Die
Kosten spielen keine Rolle auch Menschenleben spielen keine Rolle. Ja, wir stehen hier vor einer Khnheit
und Rcksichtslosigkeit, die auf ein wahrhaft groes
Verbrechen hindeuten!
Sie glauben also nicht, da sich Morley wegen eines
Irrtums erschossen hat?
Ich habe das nie geglaubt keine Sekunde lang. Nein:
Morley wurde ermordet, Amberiotis wurde ermordet,
die unkenntlich gemachte Frau wurde ermordet. Und
warum? Um eines bestimmten hohen Einsatzes willen.
Barnes neigte zu der Theorie, man habe versucht,
Morley oder seinen Partner zu bestechen, Sie aus dem
Weg zu rumen.
197
Unsinn! sagte Alistair Blunt scharf.
Ah ist es wirklich Unsinn? Nehmen wir an, es soll
jemand aus dem Weg gerumt werden. Ja, aber der Betreffende ist gewarnt, gewappnet, und man kommt
schwer an ihn heran. Um einen solchen Menschen
umzubringen, mu man es so einrichten, da man zu
ihm gelangt, ohne seinen Verdacht zu erregen. Wre
das Sprechzimmer des Zahnarztes dafr nicht der ideale
Ort?
Ja, das drfte stimmen. Von dieser Seite habe ich die
Sache noch nie betrachtet.
Sicher stimmt es. Und als mir das aufgegangen war
da sah ich zum ersten Mal einen Schimmer der Lsung
vor mir.
Sie haben sich also die Theorie des Mr. Barnes zu eigen gemacht? Wer ist brigens dieser Barnes?
Barnes war Reillys Zwlf-Uhr-Patient. Er ist pensionierter Beamter des Innenministeriums und wohnt in
Ealing. Ein unaufflliger kleiner Mann. Aber Sie irren
sich, wenn Sie sagen, ich htte mir seine Theorie zu eigen gemacht. Das habe ich nicht getan. Ich habe mir
nur ihr Prinzip zu eigen gemacht.
Was meinen Sie damit?
Von Anfang an bin ich immer wieder vom richtigen
Weg abgedrngt worden manchmal unbeabsichtigt,
manchmal bewut und zu einem bestimmten Zweck.
Dauernd wurde mir eingeredet, ja aufgezwungen, es
handle sich hier um ein sozusagen ffentliches Verbrechen. Das heit: Sie, Mr. Blunt, standen als ffentliche Erscheinung im Brennpunkt der Geschehnisse
Sie, der Bankier, der Finanzmagnat, der Verfechter der
198
konservativen Ideen! Aber jede Person des ffentlichen
Lebens hat auch ihr Privatleben. Und das war mein
Fehler: Ich verga das Privatleben. Es gab private
Grnde fr die Ermordung Morleys Frank Carter besa zum Beispiel solche Grnde. Es konnte auch private Grnde dafr geben, Sie zu ermorden, Mr. Blunt.
Sie hatten Angehrige, die bei Ihrem Tod erben wrden. Es gab Leute, die Ihnen Liebe oder Ha entgegenbrachten und zwar dem Menschen, nicht dem Politiker.
Und so gelangte ich zu dem klassischen Fall dessen,
was ich die aufgezwungene Karte nenne: zu dem angeblichen Attentat Frank Carters auf Sie. War dieses
Attentat echt, dann handelte es sich wirklich um ein
politisches Verbrechen. Oder gab es eine andere Erklrung dafr? Es konnte sie geben. Im Gebsch befand
sich noch jemand: der Mann, der herbeieilte und Carter
packte. Ein Mann, der mit Leichtigkeit den Schu abgefeuert und dann die Pistole Carter vor die Fe geschleudert haben konnte, so da dieser sie fast unvermeidlich aufheben und damit ertappt werden mute.
Ich dachte ber das Problem Howard Raikes nach.
Raikes befand sich an dem kritischen Vormittag in der
Queen Charlotte Street. Raikes ist ein erbitterter Gegner
alles dessen, was Sie, Mr. Blunt, verkrpern und sind.
Ja, aber Raikes ist noch mehr: Er ist der Mann, den Ihre
Nichte wahrscheinlich heiraten wird, und Ihre Nichte
soll bei Ihrem Tod ein betrchtliches Vermgen erben,
wenn Sie auch vorsichtig dafr gesorgt haben, da sie
das Kapital nicht angreifen kann.
War das Ganze schlielich doch ein privates Verbre199
chen ein Verbrechen um privater Vorteile, um privater Ziele willen? Warum hatte ich es fr ein ffentliches
Verbrechen gehalten? Weil mir dieser Gedanke nicht
nur einmal, sondern wiederholt suggeriert und wie
eine Spielkarte, die ich unbedingt ziehen sollte, aufgezwungen worden war!
Als mir dieser Einfall gekommen war, sah ich, wie gesagt, zum ersten Mal einen Schimmer der richtigen Lsung. Ich war damals in der Kirche und sang einen
Psalm: und stellen mir Fallen an den Weg, hie es
darin.
Eine Falle? Fr mich gestellt? Ja, das konnte sein. Aber
dann gab es nur einen einzigen Menschen, der sie gestellt haben konnte. Und das wre doch widersinnig
gewesen! Oder war es nicht widersinnig? Hatte ich den
Fall bisher aus der verkehrten Perspektive betrachtet?
Geld spielt keine Rolle? Natrlich! Rcksichtslose Opferung von Menschenleben? Jawohl, richtig! Denn der
Einsatz, um den es fr den Schuldigen ging, war riesengro ...
Aber wenn meine neue, sonderbare Theorie stimmte,
dann mute sie sich nicht nur auf vereinzelte Punkte
anwenden lassen, sondern auf alles. Sie mute beispielsweise das Geheimnis der gespaltenen Persnlichkeit von Miss Sainsbury Seale erklren. Sie mute das
Rtsel des Schnallenschuhs lsen. Und sie mute die
Frage beantworten: Wo befindet sich Miss Sainsbury
Seale jetzt?
Eh bien meine Theorie erfllt alle diese Wnsche,
und noch mehr. Sie zeigte mir, da Miss Sainsbury
Seale Anfang, Mitte und Ende des ganzen Falles bildet.
200
Kein Wunder, da ich geglaubt hatte, es gebe zwei
Mabelle Sainsbury Seales. Es gab tatschlich zwei
solche Frauen. Die eine war die liebe, gute, dumme
Person, fr die ihre Freunde so warm eintraten. Und die
andere war die Frau, die in zwei Mordflle verwickelt
war, Lgen erzhlte und auf geheimnisvolle Weise verschwand. Denken Sie daran: Der Portier der King Leopold Mansions hat ausgesagt, Miss Sainsbury Seale sei
vorher schon einmal dagewesen...
In meiner Rekonstruktion des Falles wurde dieses erste
Mal zum einzigen Mal. Sie hat die King Leopold
Mansions nicht wieder verlassen. Ihre Rolle wurde von
der andern Miss Sainsbury Seale weitergespielt. Diese
andere Mabelle Sainsbury Seale zog sich entsprechende
Kleider an, trug ein neues Paar Schnallenschuhe, weil
die anderen ihr zu gro waren, ging zu einer belebten
Tageszeit in das Hotel am Russell Square, packte die
Sachen der Toten, bezahlte die Rechnung und zog ins
Glengowrie Hotel. Denken Sie daran, da niemand von
den Bekannten der echten Sainsbury Seale sie von da
an gesehen hat. Dort spielte sie die Rolle Mabelle
Sainsbury Seales ber eine Woche lang. Sie trug
Mabelle Sainsbury Seales Kleider, sprach mit deren
Organ, aber sie mute sich auch ein kleineres Paar
Schuhe kaufen. Und dann verschwand sie: Zum letztenmal wurde sie gesehen, als sie am Abend von Morleys
Todestag wiederum die King Leopold Mansions aufsuchte.
Wollen Sie behaupten, fragte Alistair Blunt, da die
Leiche in der Pelztruhe schlielich doch Mabelle
Sainsbury Seale war?
201
Natrlich war sie es! Es handelte sich um einen sehr
geschickten doppelten Bluff: Das verstmmelte Gesicht
sollte Zweifel an ihrer Identitt wecken!
Aber das Gebi?
Ah! Darauf kommen wir jetzt. Es war nicht ihr Zahnarzt persnlich, der ber das Gebi ausgesagt hat.
Morley war tot und konnte ber seine Arbeit keine
Auskunft mehr geben. Er htte bestimmt gewut, wer
die Leiche war. Statt dessen wurden die Karteikarten
vorgelegt und die Karten waren geflscht. Bedenken
Sie: Beide Frauen waren Morleys Patientinnen. Es
brauchte nichts weiter zu geschehen, als da ihre Namen auf den Karten ausgetauscht wurden.
Hercule Poirot fgte hinzu: Und jetzt verstehen Sie
auch, warum ich auf Ihre Frage, ob die Frau tot sei, geantwortet habe: Das kommt darauf an, wie Sie die Sache betrachten. Denn wenn Sie von Miss Sainsbury
Seale sprechen wen meinen Sie dann? Die Frau, die
aus dem Glengowrie Court Hotel verschwand oder die
richtige Mabelle Sainsbury Seale?
M. Poirot, sagte Alistair Blunt, ich wei, da Sie
groes Ansehen genieen. Deshalb finde ich mich damit ab, da Sie wahrscheinlich Ihre Grnde fr diese
auergewhnliche Annahme haben denn es ist eine
Annahme, nicht mehr. Aber soweit ich sehe, ist die
ganze Geschichte von einer geradezu phantastischen
Unwahrscheinlichkeit. Sie behaupten, Mabelle Sainsbury Seale sei mit Vorbedacht ermordet worden, und
auch Morley habe man gettet, um eine Identifizierung
der Leiche durch ihn zu verhindern. Aber was ich gern
wissen mchte, ist warum? Warum soll ein derartig
202
verwickelter Plan in Szene gesetzt worden sein, um
eine vollkommen harmlose Frauensperson in mittleren
Jahren zu beseitigen, die eine Menge Bekannte und
anscheinend keinen einzigen Feind besa?
Warum? Ja das ist die Frage. Warum? Wie Sie sehr
richtig sagen: Mabelle Sainsbury Seale war ein vollkommen harmloses Geschpf, das keiner Fliege etwas
zuleide getan htte! Warum also hat man sie mit Vorbedacht brutal ermordet? Nun, ich will Ihnen sagen,
was ich glaube.
Ja?
Hercule Poirot beugte sich vor.
Ich glaube, da Mabelle Sainsbury Seale ermordet
worden ist, weil sie ein zu gutes Gedchtnis fr Physiognomien hatte.
Wie meinen Sie das?
Poirot war jetzt ganz ruhig und sachlich: Wir haben
die beiden Persnlichkeiten voneinander geschieden:
die harmlose Dame aus Indien und die geschickte
Schauspielerin, die die Rolle der harmlosen Dame aus
Indien spielte. Aber einen Vorfall gab es, der zwischen
den beiden Erscheinungsformen lag. Welche Miss
Sainsbury Seale war es, die Sie, Mr. Blunt, vor Morleys
Haustr ansprach? Sie werden sich erinnern, da sie
behauptete, sehr befreundet mit Ihrer Frau gewesen zu
sein. Nach der Ansicht ihrer Bekannten und im Lichte
der allgemeinen Umstnde kann diese Behauptung
nicht gestimmt haben. Deshalb durften wir den Schlu
ziehen: Das war eine Lge die echte Sainsbury Seale
lgt nicht, also handelte es sich um eine Betrgerin, die
einen bestimmten Zweck verfolgte.
203
Alistair Blunt nickte.
Ja, diese berlegung ist durchaus klar. Obwohl ich nie
erfahren habe, welchen Zweck sie eigentlich verfolgt
hat.
Pardon, fuhr Poirot fort, erst wollen wir die Sache
von der anderen Seite betrachten. Es war die echte
Sainsbury Seale. Diese lgt nicht. Also mu ihre Behauptung stimmen.
Natrlich lt es sich auch so betrachten aber es ist
doch hchst unwahrscheinlich...
Freilich ist es unwahrscheinlich! Aber wenn wir unsere zweite Hypothese als Tatsache unterstellen, dann
stimmt die Behauptung! Demnach hat Miss Sainsbury
Seale Ihre Frau wirklich gekannt. Sie war sogar befreundet mit ihr. Also mu Ihre Frau jemand gewesen
sein, den Miss Sainsbury Seale gut gekannt haben
konnte. Ein Mensch aus der gleichen Lebenssphre wie
sie. Eine Englnderin in Indien, eine Missionarin oder
um noch weiter zurckzugreifen vielleicht... eine
Schauspielerin. Jedenfalls nicht Rebecca Arnholt!
Verstehen Sie jetzt, Mr. Blunt, woran ich dachte, als ich
von einem ffentlichen und einem privaten Leben
sprach? Sie sind ein bekannter Grobankier. Aber Sie
sind auch ein Mann, der eine reiche Frau geheiratet hat.
Und bevor Sie diese heirateten, waren Sie blo jngerer
Teilhaber in einer Firma, einige Zeit nach Beendigung
Ihrer Studien in Oxford.
Sie begreifen: Ich begann den Fall aus der richtigen
Perspektive zu betrachten. Kosten spielen keine Rolle?
Natrlich nicht fr Sie. Rcksichtslose Opferung von
Menschenleben? Auch das macht Ihnen nichts aus,
204
denn Sie sind praktisch seit langer Zeit ein Diktator
und fr einen Diktator wird sein eigenes Leben bertrieben wichtig und das der anderen immer unwichtiger.
Was wollen Sie damit sagen, Monsieur Poirot...?
fragte Blunt leise.
Ich will damit sagen, Mr. Blunt, da Sie, als Sie die
Ehe mit Rebecca Arnholt schlossen, bereits verheiratet
waren. Da Sie geblendet durch die Hoffnung weniger auf Reichtum als auf Macht Ihre erste Ehe verschwiegen und mit Vorbedacht Bigamie getrieben haben. Und da Ihre richtige Frau sich mit dieser Situation abgefunden hat.
Und wer soll diese richtige Frau gewesen sein?
Als Mrs. Albert Chapman war sie in den King Leopold Mansions bekannt ein bequemer Ort brigens,
zu Fu keine fnf Minuten von Ihrem Haus am Chelsea
Embankment entfernt. Sie entliehen fr sie den Namen
eines wirklich existierenden Geheimagenten, weil Sie
wuten, da das die Glaubwrdigkeit der Andeutungen
ber den stndig abwesenden Gatten erhhen wrde.
Ihrer Komdie war ein voller Erfolg beschieden.
Niemand schpfte den geringsten Verdacht. Trotzdem
blieb die Tatsache bestehen, da Ihre Ehe mit Rebecca
Arnholt gesetzlich ungltig war und da Sie sich des
Verbrechens der Bigamie schuldig gemacht hatten. An
eine Gefahr haben Sie nach so vielen Jahren nicht
gedacht. Sie kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel
in Gestalt einer lstigen Frauensperson, die Sie nach
fast zwanzig Jahren als Gatten ihrer Freundin erkannte.
Der Zufall hatte sie nach England zurckgefhrt, der
205
Zufall fhrte sie in der Queen Charlotte Street mit
Ihnen zusammen und der Zufall wollte es, da Ihre
Nichte dabei war und hrte, was sie zu Ihnen sprach.
Sonst htte ich es wahrscheinlich nie erraten.
Ich habe Ihnen selbst davon erzhlt, mein lieber
Poirot.
Nein, es war Ihre Nichte, die darauf bestand, da ich
es erfahren sollte und da konnten Sie, um keinen
Verdacht zu erregen, nicht gut protestieren. Und nach
diesem Zufallstreffen passierte noch ein weiteres Malheur von Ihrem Standpunkt aus betrachtet. Mabelle
Sainsbury Seale traf Amberiotis, ging mit ihm essen
und erzhlte ihm von dieser Begegnung mit dem Mann
einer Freundin: Denken Sie nur, nach all den Jahren!
Hat natrlich lter ausgesehen, aber sonst kaum
verndert! Ich gebe zu, da das meinerseits bloes
Rtselraten ist aber so ungefhr mu es sich abgespielt haben. Ich glaube nicht, da Mabelle Sainsbury
auch nur eine blasse Ahnung gehabt hat, da es sich bei
diesem Mr. Blunt, den ihre Freundin geheiratet hatte,
um den groen internationalen Finanzgewaltigen
handelte. Der Name ist schlielich nicht ungewhnlich.
Aber Amberiotis, mssen Sie bedenken, war nicht nur
Geheimagent, sondern auch Erpresser und Erpresser
besitzen einen unheimlichen Riecher fr Geheimnisse.
Amberiotis berlegte. Er beschlo festzustellen, um
welchen Blunt es sich handelte. Und dann ich zweifle
nicht daran hat er Ihnen geschrieben oder telefoniert. Ah gewi! Fr Amberiotis war das eine Goldgrube!
Nach einer Pause fuhr Poirot fort: Es gibt nur eine
206
einzige wirksame Methode, um mit einem tchtigen
und erfahrenen Erpresser fertig zu werden: Man mu
ihn zum Schweigen bringen. Das Leitmotiv des Falles
lautete also nicht wie ich zunchst irrtmlich angenommen hatte , Blunt mu verschwinden. Es lautete
im Gegenteil: Amberiotis mu verschwinden. Aber
die Antwort war die gleiche. Am leichtesten kommt
man an ein Opfer heran, wenn es nicht auf der Hut ist.
Und wo ist man weniger auf der Hut als im Behandlungsstuhl beim Zahnarzt.
Wiederum machte Poirot eine Pause.
Ein schwaches Lcheln umspielte seine Lippen, als er
sagte: Die Wahrheit ber den Fall wurde schon frhzeitig erwhnt. Alfred, der Boy, las einen Kriminalroman, der Mord Viertel vor zwlf hie. Wir htten
den Titel als einen Wink des Himmels nehmen sollen.
Denn das war natrlich ungefhr der Zeitpunkt, an dem
Morley umgebracht wurde. Sie, Mr. Blunt, erschossen
ihn, als Sie fortgingen. Dann drckten Sie auf den
Klingelknopf, lieen Wasser ins Waschbecken laufen
und verlieen das Sprechzimmer. Sie richteten es so
ein, da Sie die Treppe gerade hinunterkamen, als
Alfred die falsche Mabelle Sainsbury Seale zum Aufzug brachte. Sie ffneten die Haustr, vielleicht traten
Sie sogar zum Schein einen Augenblick hinaus, aber als
sich die Aufzugstren geschlossen hatten und der Lift
nach oben fuhr, schlpften Sie wieder hinein und rannten die Treppe hinauf. Von meinen eigenen Besuchen
her wei ich, wie Alfred sich zu verhalten pflegte,
wenn er einen Patienten ins Sprechzimmer fhrte. Er
klopfte an die Tr, machte sie auf und trat zurck, um
207
den Patienten eintreten zu lassen. Aus dem Sprechzimmer hrte man Wasser rauschen Schlufolgerung:
Morley wusch sich, wie blich, die Hnde. Aber sehen
konnte Alfred ihn nicht.
Kaum war Alfred wieder im Lift hinuntergefahren,
schlpften Sie ins Sprechzimmer. Zusammen mit Ihrer
Komplizin hoben Sie die Leiche auf und trugen sie nebenan ins Bro. Dann ein rasches Blttern in den Papieren: Die Karteikarten von Mrs. Chapman und Miss
Sainsbury Seale wurden vertauscht. Sie zogen einen
weien Kittel an; vielleicht hat Ihre Frau Sie etwas
zurechtgeschminkt. Eine eigentliche Maske zu machen
war unntig, denn es war ja Amberiotis' erster Besuch
bei Morley. Er hatte Sie nie gesehen. Und Ihr Bild erscheint nur selten in der Zeitung. Auerdem warum
sollte er Verdacht schpfen? Vor dem Zahnarzt hat ein
Erpresser keine Angst. Miss Sainsbury Seale geht hinunter und wird von Alfred hinausgelassen. Die Klingel
ertnt, und Amberiotis wird ins Sprechzimmer gebracht. Er trifft den Zahnarzt an, der sich in gewohnter
Weise die Hnde wscht. Er wird zum Stuhl gefhrt
und bezeichnet Ihnen den schmerzenden Zahn. Sie reden das bliche Zeug, sagen ihm, es sei das beste, das
Zahnfleisch zu vereisen. Sie nehmen das Procain und
Adrenalin zur Hand, spritzen ihm eine tdliche Dosis
ein. Auerdem wird er dank der lokalen Betubung
kaum merken, da Sie kein gebter Zahnarzt sind!
Amberiotis verlt Sie, ohne Verdacht geschpft zu
haben. Sie schaffen Morleys Leiche aus dem Bro ins
Sprechzimmer und legen sie hier auf den Fuboden. Da
Sie diesmal allein arbeiten mssen, lassen Sie sie etwas
208
ber den Teppich schleifen. Sie wischen die Pistole ab
und drcken sie Morley in die Hand. Sie wischen die
Trklinken ab, damit Ihre Fingerabdrcke nicht als die
obersten erscheinen. Die Instrumente, die Sie bentzt
haben, liegen schon alle im Sterilisierapparat. Sie verlassen das Sprechzimmer, gehen die Treppe hinunter
und schlpfen im geeigneten Moment aus dem Haus.
Das ist fr Sie der einzige gefhrliche Augenblick.
Alles htte so wunderbar laufen knnen! Zwei Menschen, die Ihre Sicherheit bedroht hatten, waren tot.
Noch ein dritter Mensch war tot aber das war von
Ihrem Standpunkt aus unvermeidlich gewesen. Und
alles war so leicht zu erklren. Morleys Selbstmord erklrte sich durch den Irrtum, den er im Fall Amberiotis
begangen hatte. Sein Tod und der von Amberiotis heben sich gegenseitig auf. Nur ein bedauerlicher Unglcksfall.
Aber zu Ihrem Pech ist Hercule Poirot auf der Szene.
Poirot hat Zweifel, Poirot erhebt Einwnde. Es geht
nicht alles so glatt, wie Sie gehofft hatten. Sie mssen
also eine zweite Verteidigungslinie errichten. Es mu
fr den Notfall ein Sndenbock vorhanden sein. ber
Morleys Haushalt haben Sie schon genaue Erkundigungen eingezogen. Da ist dieser Frank Carter der
wird gengen. Ihre Komplizin sorgt dafr, da er auf
geheimnisvolle Weise als Grtner angestellt wird.
Wenn er spter etwa eine derartig lcherliche Geschichte erzhlen sollte, wird ihm niemand Glauben schenken. Irgendwann wird die Leiche in der Pelztruhe ans
Licht kommen. Zuerst wird man sie fr die von Miss
Sainsbury Seale halten, dann aber wird die Identifi209
zierung des Gebisses erfolgen. Groe Sensation! Auf
den ersten Blick erscheint das als unntige Komplikation, aber es war notwendig. Sie wnschen nicht, da
die ganze englische Polizei nach einer verschwundenen
Mrs. Albert Chapman fahndet. Nein, Mrs. Chapman
soll ruhig tot bleiben, und Miss Sainsbury Seale soll
diejenige sein, nach der gefahndet wird denn die kann
die Polizei nie finden. Auerdem werden Sie auf Grund
Ihres groen Einflusses nach und nach erreichen
knnen, da man den Fall einschlafen lt.
Es war fr Sie dringend notwendig, stndig auf dem
laufenden zu sein ber das, was ich unternahm. Deshalb
lieen Sie mich zu sich kommen und beauftragten mich
mit der Suche nach der Verschwundenen. Und Sie
fuhren fort, mir stndig wieder eine bestimmte Spielkarte aufzuzwingen. Ihre Komplizin rief mich an, um
mich auf dramatische Weise vor der bernahme des
Auftrags zu warnen. Mir sollte suggeriert werden, es
handle sich um Politik, Spionage, was wei ich
jedenfalls um nichts Persnliches oder Privates. Ihre
Gattin ist eine glnzende Schauspielerin, aber wenn
man die eigene Stimme verstellt, so neigt man unwillkrlich dazu, eine Fremde nachzuahmen. Ihre Gattin
ahmte die Stimme von Mrs. Olivera nach. Das hat mir
ich gestehe es offen viel Kopfzerbrechen verursacht.
Dann luden Sie mich nach Exsham ein der Schluakt
wurde aufgefhrt. Wie einfach, in den Lorbeerbschen
eine geladene Pistole derart zu befestigen, da sie losgeht, wenn die Bsche gestutzt werden! Die Pistole
fllt dem Mann vor die Fe. Verblfft hebt er sie auf.
Was verlangen Sie mehr! Man hat ihn auf frischer Tat
210
ertappt im Besitz einer Pistole, die der Mordwaffe im
Fall Morley gleicht wie ein Ei dem anderen, und zur
Begrndung seiner Anwesenheit vermag er nur ein
lcherliches Mrchen vorzubringen. Das war die Falle,
in die Hercule Poirot tappen sollte.
Alistair Blunt bewegte sich in seinem Sessel. Sein Gesicht war ernst und etwas traurig.
Er sagte: Miverstehen Sie mich nicht, Poirot. Wieviel
von alledem ist bloe Vermutung? Und wieviel wissen
Sie wirklich?
Poirot erwiderte: Ich besitze ausgestellt von einem
Standesamt in der Nhe von Oxford die Abschrift
eines Trauscheins von Martin Alistair Blunt und Gerda
Grant. Frank Carter hat gesehen, wie kurz nach zwlf
Uhr fnfundzwanzig zwei Mnner Morleys Sprechzimmer verlieen. Der erste war ein dicker Mann:
Amberiotis. Der zweite waren natrlich Sie. Frank
Carter hat Sie nicht erkannt. Er hat Sie nur von oben
gesehen.
Anstndig von Ihnen, M. Poirot, da Sie mir das sagen!
Carter ging ins Sprechzimmer und fand Morleys Leiche. Sie war schon erkaltet, und das Blut an der Schuwunde war schon trocken. Das bedeutete, da Morley
bereits einige Zeit tot war. Deshalb konnte der Zahnarzt, der Amberiotis behandelt hatte, nicht Morley,
sondern nur dessen Mrder gewesen sein.
Noch etwas?
Ja. Helen Montressor ist heute nachmittag verhaftet
worden.
Alistair Blunt zuckte zusammen. Dann sa er ganz still.
211
Das drfte wohl entscheidend sein! flsterte er.
Jawohl. Die echte Helen Montressor, Ihre entfernte
Cousine, starb vor sieben Jahren in Kanada. Das hatten
Sie verschwiegen und sich zunutze gemacht.
Ein Lcheln trat auf Alistair Blunts Lippen. Er begann
zu erzhlen, zwanglos und mit einem fast jungenhaften
Vergngen.
Das Ganze hat Gerda riesigen Spa gemacht,
verstehen Sie. Ich mchte gern, da Sie das begreifen.
Sie sind ein gescheiter Kerl. Ich hatte sie geheiratet,
ohne meiner Familie etwas zu sagen. Sie spielte damals
mit einer Theatergruppe in der Provinz. Meine Familie
war ziemlich spieig, und ich sollte in die Firma eintreten. Gerda und ich beschlossen, unsere Ehe geheimzuhalten. Sie fuhr fort, Theater zu spielen. Mabelle Sainsbury Seale war ebenfalls bei der Gruppe. Sie wute von
uns beiden. Dann ging sie auf eine Auslandstournee.
Gerda hrte ein paarmal aus Indien von ihr. Dann
kamen keine Briefe mehr. Mabelle hatte sich mit
irgendeinem Hindu eingelassen. Sie war immer eine
trichte, leichtglubige Person gewesen.
Ich wnschte, ich knnte Ihnen begreiflich machen, wie
es war, als ich Rebecca kennenlernte und sie heiratete.
Gerda verstand es vollkommen. Ich kann es nur so ausdrcken: Ich hatte das Glck, eine Knigin zu heiraten,
und spielte die Rolle des Prinzgemahls oder sogar des
Knigs. Meine Ehe mit Gerda betrachtete ich als
morganatisch. Ich liebte sie. Ich wollte sie nicht verlieren. Und das Ganze funktionierte groartig. Ich
mochte Rebecca wirklich sehr gern. Sie besa einen
hervorragenden Finanzverstand, und der meinige war
212
dem ihren ebenbrtig. Wir haben glnzend zusammengearbeitet. Es war unerhrt aufregend. Sie war eine
ausgezeichnete Gefhrtin, und ich glaube, da ich sie
glcklich gemacht habe. Als sie starb, empfand ich
aufrichtig Trauer. Das Sonderbare war, da Gerda und
ich an unseren geheimen Begegnungen immer mehr
Gefallen fanden. Wir hatten alle mglichen schlauen
Kombinationen. Sie war die geborene Schauspielerin
und verfgte ber ein Repertoire von sieben oder acht
Charaktergestalten Mrs. Chapman war nur eine
davon. In Paris spielte sie eine amerikanische Witwe.
Dort traf ich sie, wenn ich geschftlich nach Frankreich
fuhr. Dann wieder fuhr sie als Malerin nach Norwegen,
wo ich zu fischen pflegte. Und spter lie ich sie als
meine Cousine Helen Montressor auftreten. Die ganze
Geschichte hat uns einen Riesenspa gemacht, und
wahrscheinlich haben wir damit auch unsere Liebe jung
erhalten. Nach Rebeccas Tod htten wir ja offiziell
heiraten knnen aber wir wollten nicht. Gerda wre es
schwergefallen, mein brgerliches Leben mitzuleben,
und natrlich htte auch die Vergangenheit in irgendeiner Weise ans Licht kommen knnen. Aber der wirkliche Grund dafr, da wir unser bisheriges Leben mehr
oder weniger unverndert fortsetzten, war der, da wir
unsere Komdie nicht mehr missen wollten. Ein nach
auen hin gemeinsames Leben htten wir unertrglich
langweilig gefunden.
Blunt schwieg. Seine Stimme klang bitter und hart, als
er fortfuhr.
Und dann hat dieses nrrische Frauenzimmer alles
verdorben. Mich wiederzuerkennen nach all den lan213
gen Jahren! Und natrlich hat sie es Amberiotis erzhlt.
Sie sehen ein Sie mssen einsehen -, da etwas
geschehen mute! Es ging nicht nur um meine Person
um mein egoistisches Interesse. Wenn ich ruiniert und
gechtet wurde, bedeutete das auch einen schweren
Schlag fr das Land fr England. Denn ich habe
einiges fr England getan, M. Poirot. Geld als solches
ist mir eigentlich gleichgltig. Dagegen liebe ich die
Macht: Ich liebe es zu herrschen allerdings ohne zu
tyrannisieren. Wir sind demokratisch in England
wirklich demokratisch. Wir drfen murren, wir drfen
unsere Meinungen uern und ber unsere Staatsmnner lachen. Wir sind frei. An alledem hnge ich es ist
mein Lebenswerk gewesen. Aber wenn ich gehen
mte nun, Sie knnen sich vorstellen, was dann
geschehen wrde. Ich werde gebraucht, M. Poirot. Und
ein verdammter, betrgerischer, erpresserischer Gauner
von einem Griechen war im Begriff, mein Lebenswerk
zu zerstren! Etwas mute geschehen auch Gerda hat
das verstanden. Die Sainsbury Seale hat uns leid getan
aber es ntzte nichts: Wir muten sie zum Schweigen
bringen. Wir konnten uns nicht darauf verlassen, da
sie den Mund halten wrde. Gerda suchte sie auf, lud
sie zum Tee ein, sagte ihr, sie wohne vorbergehend in
Mrs. Chapmans Apartment. Mabelle Sainsbury Seale
kam, ohne den geringsten Verdacht zu schpfen. Sie
hat nichts gesprt: Im Tee war Medinal, das ist ganz
schmerzlos. Man schlft einfach ein und wacht nicht
wieder auf. Das Gesicht haben wir erst hinterher
verstmmelt es war grlich, aber wir hielten es fr
notwendig. Mrs. Chapman mute endgltig vom
214
Schauplatz verschwinden. Ich hatte meiner Cousine
Helen ein Huschen auf meinem Besitz in Exsham
zum Wohnen berlassen. Wir hatten die Absicht, nach
einer gewissen Zeit nun doch offiziell zu heiraten. Aber
erst muten wir Amberiotis aus dem Weg rumen. Es
ging glnzend. Er hat berhaupt nicht gemerkt, da ich
kein richtiger Zahnarzt war. Die Spritze habe ich tadellos gehandhabt. Den Bohrer habe ich allerdings nicht
riskiert. Aber nach der Injektion konnte er natrlich
auch nicht mehr genau fhlen, was ich mit seinen
Zhnen anstellte.
Poirot fragte: Wie war das mit den Pistolen?
Die gehrten ursprnglich einem Sekretr von mir,
den ich einmal in Amerika beschftigt habe. Sie waren
irgendwo im Ausland gekauft. Er hat sie bei mir vergessen, als er fortging.
Eine Pause entstand. Dann fragte Blunt: Mchten Sie
sonst noch etwas wissen?
Und Morley? sagte Poirot leise.
Es hat mir leid getan um Morley, erwiderte Blunt.
Hercule Poirot sagte: Aha ich verstehe...
Nach langem Schweigen fragte Blunt: Nun, M. Poirot,
was wird jetzt geschehen?
Poirot antwortete: Helen Montressor ist bereits verhaftet.
Und nun bin ich dran?
Ja, das habe ich gemeint.
Blunt fragte leise: Sie haben nicht viel Freude daran
oder?
Nein, ich bin gar nicht erfreut.
Alistair Blunt sagte: Ich habe drei Menschen gettet.
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Ich mte also vermutlich gehngt werden. Aber Sie
haben meine Verteidigung gehrt.
Worin besteht Ihre Verteidigung?
Ich bin nach bestem Wissen und Gewissen der festen
berzeugung, da ich dringend gebraucht werde, um
unserem Land Frieden und Wohlstand zu erhalten.
Von Ihrem Standpunkt aus mgen Sie vielleicht recht
haben, gab Poirot zu.
Also, was geschieht?
Sie meinen, ich soll den Fall aufgeben?
Jawohl.
Und Ihre Frau?
Ich habe ziemlichen Einflu. Man knnte es auf eine
Personenverwechslung hinauslaufen lassen.
Und wenn ich mich weigere?
Dann, erwiderte Blunt ruhig, bin ich erledigt. Hastig fuhr er fort: Sie haben es in der Hand, Poirot. Aber
ich wiederhole und ich sage das nicht nur, um mich
zu retten: Die Welt braucht mich. Und wissen Sie,
warum? Weil ich ein ehrlicher Mensch bin. Und weil
ich gesunden Menschenverstand habe und keine
selbstschtigen Ziele verfolge.
Poirot nickte. Seltsamerweise glaubte er Blunt aufs
Wort.
Ja, das ist die eine Seite der Angelegenheit. Sie sind
der richtige Mann auf dem richtigen Platz. Aber es gibt
eben noch die andere Seite: drei Menschen, deren Tod
Sie verschuldet haben.
Ja, aber berlegen Sie sich einmal: was fr Menschen!
Mabelle Sainsbury Seale von der haben Sie selbst gesagt: Eine Frau mit dem Verstand einer Henne!
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Amberiotis ein Schwindler und Erpresser!
Und Morley?
Ich habe Ihnen schon gesagt: Um Morley tut es mir
leid. Das war ein anstndiger Kerl und ein guter Zahnarzt aber schlielich gibt es noch andere Zahnrzte.
Ja, nickte Poirot, es gibt noch andere Zahnrzte.
Und Frank Carter? Den htten Sie gleichfalls ohne Bedenken sterben lassen?
Mit dem habe ich kein Mitleid. Der taugt nichts. Ein
ganz unntzer Geselle! erwiderte Alistair Blunt.
Aber auch ein Mensch...
Nun ja, Menschen sind wir schlielich alle...
Eben, wir alle sind Menschen das scheinen Sie zu
vergessen. Sie sagen, Mabelle Sainsbury Seale sei ein
trichter Mensch gewesen, Amberiotis ein gemeiner
Mensch, Frank Carter ein unntzer Mensch und Morley
nun, Morley nur ein Zahnarzt, und Zahnrzte gebe es
in Hlle und Flle. Das ist der Punkt, an dem unsere
Auffassungen sich trennen. Fr mich ist das Leben
dieser Menschen ebenso wichtig wie Ihr Leben.
Da irren Sie sich!
Nein, ich irre mich nicht. Einen einzigen Schritt irrten
Sie vom Weg ab und uerlich hat das an Ihnen
nichts verndert. Nach auen hin sind Sie der gleiche
geblieben: aufrecht, verllich, ehrenwert. Aber in
Ihrem Innern schwoll das Bedrfnis nach Macht zu
berwltigender Gre. So haben Sie vier Menschenleben geopfert und sich nichts dabei gedacht.
Ist Ihnen denn nicht klar, Poirot, da die Sicherheit
und der Wohlstand der ganzen Nation von mir abhngt?
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Ich kmmere mich nicht um Nationen, Monsieur. Ich
kmmere mich um das Leben einzelner Menschen, die
ein Recht darauf haben, da ihnen dieses Leben nicht
mit Gewalt genommen wird.
Er stand auf.
Das also ist Ihre Antwort, flsterte Alistair Blunt.
Hercule Poirot erwiderte mit mder Stimme: Ja das
ist meine Antwort...
Er ging zur Tr und ffnete sie. Zwei Mnner betraten
das Zimmer.
Poirot stieg die Treppe hinunter. Im Erdgescho wartete ein Mdchen. Jane Olivera lehnte bla und abgespannt am Kamin, neben ihr stand Howard Raikes.
Sie fragte: Nun?
Behutsam sagte Poirot: Es ist alles vorbei.
Raikes knurrte: Was meinen Sie damit?
Alistair Blunt ist unter Mordanklage verhaftet worden.
Raikes warf ein: Ich dachte, er wrde sich bei Ihnen
mit einem Scheck loskaufen.
Nein, das habe ich nie gedacht, versicherte Jane.
Poirot sagte seufzend: Die Welt gehrt euch. Der neue
Himmel und die neue Erde. In eurer neuen Welt lat
Freiheit sein und Mitleid. Das ist alles, was ich von
euch will.
Hercule Poirot ging durch die verlassenen Straen zu
Fu nach Hause. Eine unauffllige Gestalt schlo sich
ihm an.
Nun? fragte Mr. Barnes.
Hercule Poirot zuckte die Achseln und machte eine
Gebrde des Bedauerns.
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Barnes fragte: Wie hat er sich verteidigt?
Er hat alles zugegeben und nur eingewandt, da seine
Handlungsweise gerechtfertigt gewesen sei. Er sagt,
sein Land brauche ihn.
Das stimmt, meinte Mr. Barnes. Nach ein paar
Augenblicken setzte er hinzu: Glauben Sie nicht?
Doch, das glaube ich.
Also dann...
Vielleicht irren wir uns, sagte Hercule Poirot.
Daran habe ich nie gedacht, erwiderte Mr. Barnes.
Ja, vielleicht irren wir uns.
Sie gingen schweigend ein Stck weiter. Dann erkundigte sich Barnes neugierig: Worber denken Sie
nach?
Hercule Poirot zitierte aus der Bibel: Weil du nun des
Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen,
da du nicht Knig seist.
Hm ich verstehe, murmelte Mr. Barnes. Saul die
Amalekiter. Ja, so knnte man es deuten.
Sie gingen wieder weiter. Pltzlich sagte Mr. Barnes:
Ich steige hier in die Untergrundbahn. Gute Nacht,
Poirot.
Unschlssig blieb er stehen. Dann sagte er verlegen:
Wissen Sie, ich wollte Ihnen schon immer etwas sagen.
Ja, mon ami?
Ich habe das Gefhl, da es meine Pflicht ist. Habe
Sie unabsichtlich irregefhrt. Handelt sich um Albert
Chapman. Q. X. 912.
Ja?
Ich bin Albert Chapman. Das ist einer der Grnde,
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weshalb ich an dem Fall so interessiert war. Verstehen
Sie: Ich wute, da ich nie verheiratet war.
Er eilte kichernd davon.
Poirot stand unbeweglich da. Dann seufzte er tief und
wandte sich heimwrts.
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Agatha Christie
Agatha Mary Clarissa Miller,
geboren am 15. September
1890 in Torquay, Devonshire,
sollte nach dem Wunsch der
Mutter Sngerin werden.
1914 heiratete sie Colonel
Archibald Christie und arbeitete whrend des Krieges als
Schwester in einem Lazarett.
Hier entstand ihr erster Kriminalroman Das fehlende
Glied in der Kette, Eine betrchtliche Menge Arsen war
aus dem Giftschrank verschwunden und die junge Agatha spann den Fall aus. Sie fand
das unverwechselbare Christie-Krimi-Ambiente.
Gleich in ihrem ersten Werk taucht auch der belgische Detektiv
mit den berhmten kleinen grauen Zellen auf: Hercule Poirot,
der ebenso unsterblich werden sollte wie sein weibliches Pendant, die reizend altjngferliche, jedoch scharf kombinierende
Miss Marple (Mord im Pfarrhaus).
Im Lauf ihres Lebens schrieb die Queen of Crime 67 Kriminalromane, unzhlige Kurzgeschichten, 7 Theaterstcke (darunter
Die Mausefalle) und ihre Autobiographie.
1956 wurde Agatha Christie mit dem Order of the British Empire ausgezeichnet und damit zur Dame Agatha. Sie starb am
12. Januar 1976 in Wallingford bei Oxford.
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