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Kishon - Ephraim - ... Und Was Machen Wir Am Nachmittag

Das Buch enthält mehrere kurze Geschichten von Ephraim Kishon über das fiktive Land 'Trotzdemia', das Israel darstellt. Die Geschichten zeigen mit Humor verschiedene Aspekte des Lebens in dem kleinen Land und der Gesellschaft seiner Bewohner.

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Kishon - Ephraim - ... Und Was Machen Wir Am Nachmittag

Das Buch enthält mehrere kurze Geschichten von Ephraim Kishon über das fiktive Land 'Trotzdemia', das Israel darstellt. Die Geschichten zeigen mit Humor verschiedene Aspekte des Lebens in dem kleinen Land und der Gesellschaft seiner Bewohner.

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Ephraim Kishon

...und was
machen wir am
Nachmittag
Satirisches ber ein
kleines Land

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Die Kunst, auch in der verzwicktesten Situation seinen Humor nicht
zu verlieren, hat Ephraim Kishon auf unvergleichliche Weise in seinen
Satiren umgesetzt. Sie hat seine Geschichten zum klassischen Bestand
zeitgenssischer Literatur werden lassen und ihn zum erfolgreichsten
Satiriker unserer Tage.
Humor aber, so scheint es, ist insgesamt ein tragendes Element fr die
Bewohner jenes Landes, das so klein ist, da nur die Buchstaben
ISR. auf der Landkarte Platz haben.
Die kstlichsten Satiren aus jenem Land, in dem alles anders als
anderswo und alles genauso ist wie berall, vereint dieser Band, eine
Flle bisher noch unverffentlichter Humoresken und die umwerfend
komischen Klassiker zum Thema.
ISBN: 3-7844-2696-4
Ins Deutsche bertragen von Ephraim Kishon, Ursula Abrahamy und
Friedrich Torberg
Verlag: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH
Erscheinungsjahr: 1998

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!


Buch

Dieses neue Buch hat Ephraim Kishon dem Objekt seiner


besonderen Liebe gewidmet: dem Land Trotzdemia,
jenem einzigen Land, in dem ein Jude bis heute kein Jude
ist: Israel.
Trotzdem steht als humorvolles Lebensmotto ber
dem Alltag seiner Bewohner aus 90 Nationen, die sich seit
gut 50 Jahren auf diesem winzigen Fleckchen Erde gegen-
seitig auf die Fe treten. Die gelernt haben, mit uner-
schpflicher Phantasie und begnadetem Einfallsreichtum
allen Widerstnden ein Schnppchen zu schlagen.
Die einem Besucher, der sich wnscht, ihr Land grndlich
kennenzulernen, trocken zur Antwort geben: Aber gerne,
gleich morgen frh fahren wir los, und ich zeige Ihnen das
ganze Land. Und was machen wir am Nachmittag?
Von Pionieren und Neueinwanderern, geborenen Pessi-
misten und eingefleischten Optimisten, unverbesserlichen
Individualisten und den selbstbewuten Sabres, jener
neuen Generation, die nach der berhmten orientalischen
Kakteenfrucht Sabre genannt wird Auen stachelig,
aber innen ungeniebar , handeln diese wunderbaren
Geschichten, die einmal mehr zeigen, da Humor uner-
schpfliche Lebenskraft bedeutet.
Der Leser wird wie immer bei Kishon sein ungetrbtes
Lesevergngen finden, wenn er in den kstlichen Satiren
die Trotzdemianer kennenlernt, und er wird sie ins Herz
schlieen. So wird er sich nach der Lektre gerne dem
Urteil der Sddeutschen Zeitung anschlieen, die ber
Ephraim Kishons Satiren schrieb:
Der Autor bringt ein unglaubliches Kunststck fertig:
Er mokiert sich ber die Zustnde in seinem Land derart,
da man dort selbst am liebsten einwandern mchte.
Ephraim Kishon
Inhalt

Schnellkurs fr Anfnger..........................................10
Ich habe es versprochen .......................................23
Kein Dach ber dem Kopf ................................................ 24
Steter Tropfen hhlt den Stein ......................................... 28
Die unvollendete Stadt ....................................................... 33
Feuersturm ............................................................................. 34
Der Schwei der Edlen ....................................................... 34
Kein Pardon fr Schwager ................................................ 40
Ein ses Geheimnis ........................................................... 40
Die Dampfmaschine ............................................................ 47
Eine ohrenbetubende Stille ............................................. 47
Wunschtraum ........................................................................ 52
Liebe auf einen einzigen Blick......................................... 52
Keine Zukunft fr Linkshnder ....................................... 57
Philologisches Abenteuer .................................................. 57
Wort mit tausend Gesichtern ............................................ 61
Anno dazumal ....................................................................... 62
Ein prominenter Ku........................................................... 63
Elternerziehung..................................................................... 67
Nicht ohne meine Erdnu! ................................................ 68
Baujahr 1714 ......................................................................... 71
Mitleid nicht gleich bestraft .............................................. 72
Weitentfernte Verwandte ................................................... 76
Der Schmelztiegel ................................................................ 77
Blaumilch ist berall..................................................81
Turm von Babel .................................................................... 82
Verschaukelt .......................................................................... 82
Einsteins Erben ..................................................................... 86
Kein l, Moses ..................................................................... 86
Kein Schlsselloch umsonst ............................................. 87
Patriotismus zum Quadrat ................................................. 88
Blaumilch ist berall ........................................................... 89
Ein Quentchen Theologie .................................................. 89
Kohenitische Tragdie........................................................ 90
Affenliebe............................................................................... 95
Salzberger antwortet nicht ................................................. 96
Hexenjagd .............................................................................. 96
Treffpunkt im Jenseits ...................................................... 102
Parade der Wunderkinder ................................................ 104
Ein Dichter wird geboren ................................................ 105
Pioniergeist .......................................................................... 109
Neunzig Jahre und ein bichen weise .......................... 109
Quintessenz .......................................................................... 113
Jdisches Poker .................................................................. 113
Der kleine Unterschied ..................................................... 118
Die Unwiderruflichkeit des Strafzettels ...................... 118
Ein individueller Wegweiser .......................................... 120
Satan weiche ........................................................................ 121
Geschwindigkeitsrekord .................................................. 121
Die Polizei, dein Freund und Helfer ............................. 124
Die Freuden der Wechseljahre ...............................127
Es gibt eine Alternative .................................................... 128
Es geht auch ohne Strumpf ............................................. 128
Kettenreaktion ..................................................................... 132
Sand im Getriebe................................................................ 132
Vollbeschftigung .............................................................. 134
Wirtschaftswunder ............................................................. 135
Ein Brger sieht rot ........................................................... 136
Die Freuden der Wechseljahre ....................................... 138
Wie baut man Luftschlsser? ......................................... 139
Monogamie der Schrauben ............................................. 142
Hochtechnologie ................................................................ 145
Das Schweigen der Bgeleisen ...................................... 145
Ohne Disziplin gehts nicht............................................. 147
Geld spielt keine Rolle ..................................................... 147
David im Wunderland ...................................................... 153
Wie die Gerchte blhen ................................................. 153
Diebe unter sich .................................................................. 155
Nur nicht den Kopf verlieren .......................................... 156
Das Geheimnis des Bauchladens ................................... 157
Aktion Superton ................................................................. 159
Fristlose Entschuldigung.................................................. 164
Ein Knigreich fr einen Botenjungen ........................ 165
Halali! .................................................................................... 167
Blumenreich ........................................................................ 173
Kostbares Na ..................................................................... 173
Kalk ist ein ganz besonderer Stoff ................................ 175
Weinrebs Schienbein ........................................................ 176
Chronik eines Tisches....................................................... 178
Hrdenlauf der Propheten ......................................186
Sprachtalent ......................................................................... 187
Perpetuum mobile .............................................................. 187
Ein Schuh geht auf Reisen .............................................. 189
Touristenparadies ............................................................... 193
Von Musen und Menschen ........................................... 194
Endstation Plonski ............................................................. 198
Gratisurlaub ......................................................................... 200
Die gekaufte Braut ............................................................. 201
Hte dich vor Grndervtern .......................................... 204
Armut kommt teuer ........................................................... 205
Erfolg ist ansteckend ......................................................... 208
A Star Is Born ..................................................................... 208
Fundgrube ............................................................................ 213
Gottes langer Arm.............................................................. 213
Moses Kolumne ................................................................ 215
Ein fremder Brauch ........................................................... 216
Die bse sieben ................................................................... 217
Etwas stimmt hier nicht.................................................... 217
Feinschmecker .................................................................... 222
Hrdenlauf der Propheten................................................ 222
Volk des Telefonbuches ................................................... 223
Gott ganz Privat .................................................................. 227
Und wenn ja, warum nicht? ....................................229
Esperanto .............................................................................. 230
Otschi tschornaja ........................................................... 230
rzteschluverkauf ........................................................... 234
Integration ............................................................................ 234
Mangelware ......................................................................... 236
Kbelwalzer ......................................................................... 236
Massenbewegung ............................................................... 241
Jubilumsinvasion.............................................................. 241
Chuzpe .................................................................................. 244
Selbstkritik ........................................................................... 245
Knigliche Hoheit .............................................................. 245
Recht und Ordnung ........................................................... 246
Ein voller Terminkalender............................................... 246
Arabeske ............................................................................... 252
Enorm in Form.................................................................... 252
Cherchez la femme ............................................................ 256
Nationalsport ....................................................................... 257
Verschwiegen wie ein Grab ............................................ 257
Stegreifkabarett................................................................... 261
Alljhrliche Glckwunschlawine .................................. 262
Erinnerungen an Singapur ............................................... 263
Endlich aufgeklrt .............................................................. 265
Und wenn ja, warum nicht? ............................................ 265
Neue Besen kehren gut ..................................................... 269
Die grne Welle.................................................................. 270
Die Elite der Nation........................................................... 271
Untergang der Zombies .................................................... 272
Status quo ............................................................................. 276
Drama im Kindergarten.................................................... 276
Steuer macht klug .............................................................. 280
Die Lokomotivenaffre .................................................... 281
Integritt................................................................................ 282
Preiswrdigkeit ................................................................... 283
Bobb Gromann ist kein Ingenieur............................... 285
Machtbernahme ................................................................ 286
Trotzdemia mon amour...........................................291
Das nationale Ideal ............................................................ 292
Snde zahlt sich nicht aus................................................ 292
Ringelspiel der Augenzeugen ......................................... 294
Nahkampf ............................................................................. 298
Doppelt hlt besser ............................................................ 298
Heimweh .............................................................................. 300
Gewohnheitstiere ............................................................... 304
Heldenepos........................................................................... 304
Auf Wache mit Polyester ................................................. 307
Indirekter Nachschub ........................................................ 312
Die Schulthei-Methode .................................................. 312
Wetten da ..................................................................... 319
Ein gut getimter Bruch ..................................................... 319
Wie unfair, David .............................................................. 322
Gerechtigkeit fr den kleinen Mann ............................. 322
Wir sind nicht mehr allein ............................................... 327
Bitte nicht drngeln ........................................................... 329
Yigal ist vernagelt .............................................................. 329
Trotzdemia, mon amour ................................................... 332
Der Staat Israel liegt so gnstig entlang der
Mittelmeerkste, da man von jedem beliebigen Ort im
Landesinneren entweder an den Badestrand oder in
arabische Gefangenschaft kommt.
Unser Land ist so winzig, da auf den handelsblichen
Landkarten nur die Buchstaben Isr. Platz haben. Erst
als wir im Sechstagekrieg im Jahre 1967 den Suezkanal
erreicht hatten, konnten wir uns endlich ausschreiben:
Israel.
Dann hat uns der gute gyptische Prsident Sadat das
el wieder wegverhandelt. Und jetzt drngt man uns,
auch noch die restlichen Buchstaben aufzugeben, und so
werden wir uns noch glcklich schtzen, das groe I zu
behalten.
Meinen Lieblingsonkel Egon aus New York kmmerte das
alles wenig, als er uns krzlich besuchte. Er wnschte
sich, den neuen jdischen Staat grndlich kennenzulernen.
Aber gerne, antwortete ich bereitwillig, morgen stehen
wir frh auf, und ich zeige dir das ganze Land. Aber was
machen wir am Nachmittag?

9
SCHNELLKURS FR
ANFNGER

Kann man ber ein Land lachen, das man liebt? Kann man
ein Volk lieben, ber das man lacht?
Man kann.
Wer professionell arbeiten will, darf sich von Gefhlen
nicht beeinflussen lassen. Unser Finanzminister zum Bei-
spiel hat mich sehr gern, aber das hindert ihn nicht daran,
meine Steuererklrung auf Heller und Pfennig nachzu-
rechnen. Auch ich habe ihn recht gern und spotte dennoch
einmal pro Woche in meiner Kolumne ber seine katastro-
phalen Schnitzer. Das hat mit Liebe rein gar nichts zu tun,
wir tun beide schlielich nur unsere Pflicht.
Oder nehmen wir ein ganz persnliches Beispiel: Es ist
allgemein bekannt, da ich ein Affenvater bin, der seinen
dreikpfigen Nachwuchs vergttert. Das hat mich aber
nicht davon abgehalten, unzhlige humoristische Ge-
schichten gegen meine aufgeweckten kleinen Fratzen zu
schreiben, die man hierzulande Sabres nennt. Diese
treffende Bezeichnung fr die in Israel Geborenen leitet
sich von der orientalischen Frucht Sabre ab, die auen
stachelig, aber innen ungeniebar ist.
Das rgerliche ist, da die drei Fratzen in meinem Land
viel heimischer sind als ich. Sie sind mit der Sprache
aufgewachsen, die ich im Schweie meines Angesichts
erlernt habe. 25 lange Jahre hatte ich in meiner ungari-
schen Muttersprache die erste Silbe eines Wortes betont,
und nun mute ich pltzlich die letzte betonen. Dennoch
beherrsche ich das Hebrische natrlich besser als mein

10
Nachwuchs und trume sogar auf hebrisch. Was mich
daran strt, sind nur die ungarischen Untertitel.

Man kann den Staat Israel auf zweierlei Arten betrachten,


aus der Nhe und aus der Ferne.
Aus der Nhe gleicht er einem Sandhaufen, auf dem sich
die unmglichsten Geschpfe verschiedenster Herkunft
tummeln, schwitzend, schimpfend und streitend wegen
jeder Kleinigkeit, mit schlampigen Lebensgewohnheiten
und mhsam in Schach gehalten von einem brokratischen
Durcheinander, das sich Regierung nennt.
Aus der Ferne aber sieht man eine einmalige
Glanzleistung des 20. Jahrhunderts: ein zahlenmig
kleines Volk, das trotz seiner absurden Plazierung auf der
Landkarte eine musterhafte Demokratie aufgebaut hat. Ein
blhendes Land, das sich trotz stndiger Kriegsbedrohung
und massiver wirtschaftlicher Schwierigkeiten bewun-
dernswert entwickelt, ein Land voll von historischen
Sehenswrdigkeiten, stndig in seiner Existenz gefhrdet
und dennoch mit Menschen von berschumender Lebens-
lust.
Ja, so wirkt der 50 Jahre junge Staat Israel aus der Ferne
auf mich. In diesem Buch betrachte ich meine geliebte
Heimat jedoch lchelnd aus allernchster Nhe.

Israel ist ein besonderes Land voller berraschungen.


Schon seine Geburt war ein Wunder. Ein ungarischer
Feuilletonist namens Theodor Herzl, ein groer Prophet

11
und nebenbei ein gar nicht so schlechter Humorist, hatte
unter dem Eindruck des Dreyfus-Prozesses beschlossen,
den jdischen Staat wiederzubeleben.
Theodor Herzl war als Staatsgrnder jedoch ein blutiger
Anfnger und kannte nicht einmal das eherne biblische
Gesetz, wonach ein gewiefter Prophet niemals ein genaues
Datum nennt.
Und so verkndete er im Jahre 1897 im Kongrehaus zu
Basel wrtlich: In dieser historischen Versammlung habe
ich den Grundstein fr den jdischen Staat gelegt. In 50
Jahren wird es ihn wirklich geben.
Leider hat er sich geirrt. Den Staat Israel gab es nmlich
nicht 50, sondern erst 51 Jahre spter. Und diesen pein-
lichen Patzer haben ihm Israels Historiker bis heute nicht
verziehen.

Fr mich jedenfalls ist Israel zur rechten Zeit geboren


worden. Mit einer Million anderer Einwanderer strmte
ich kurz nach der Staatsgrndung in das Gelobte Land und
wurde ein mehr oder weniger ntzliches Mitglied dieser
multinationalen Gesellschaft.
Das israelische Volk hat die Verwirklichung seines
jahrtausendealten Traumes dann auch so richtig
ausgekostet, genauer gesagt zwei geschlagene Stunden
lang, bis es von sieben bis an die Zhne bewaffneten
arabischen Staaten recht unsanft geweckt wurde.
Der neugeborene Staat hat berlebt und versucht, sich
wie ein Erwachsener zu benehmen. Das war nicht gerade
leicht, denn zu dieser Zeit waren ein Drittel der Be-
vlkerung Steuerbeamte und das zweite Drittel Verkehrs-
polizisten. Das dritte Drittel hatte sich noch nicht ent-
12
schieden.
Wir hatten keinerlei Ahnung, welche Staatsform Israel
hatte. Waren wir jetzt Kommunisten, oder hatten wir noch
einige ruhige Tage vor uns? Ein Teil der Bevlkerung war
jedenfalls berzeugt davon, da in Krze die Rote Armee
einmarschieren wrde, und hamsterte eifrig Zndhlzer
und Toilettenpapier.
Unser Verhltnis zur Religion war ebensowenig geklrt.
Stalin war zwar die Sonne der Arbeiterklasse, aber sogar
seine leidenschaftlichsten Anhnger hatten zumindest
einen ehrwrdigen Rabbiner in der Familie und bezeich-
neten sich vorsichtig als loyale Opposition zum Allmch-
tigen. Die Fortschrittlichen Israels suchten inzwischen
verzweifelt nach einem Klassenfeind, den sie bekmpfen
konnten, aber alle potentiellen Kandidaten waren leider so
arm wie die Kirchenmuse.
Der kollektive Fortschrittstaumel erhielt dann einen
empfindlichen Dmpfer durch die Einwanderer aus den
Ostblocklndern, denen die Lust auf soziale Gerechtigkeit
grndlich vergangen war.
Andererseits sind bis heute unsere berhmten landwirt-
schaftlichen Kollektive, die Kibbuzim, Hter der marxisti-
schen Tradition.
Die Grundidee dieser menschenfreundlichen Institution
ist die totale Gleichheit aller. Niemand durfte eine
Taschenlampe sein eigen nennen, wenn nicht alle anderen
die gleiche Taschenlampe besaen. Niemand konnte ins
Kino gehen, wenn nicht alle Kibbuzmitglieder ins Kino
gingen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, da sich in
meinem Kibbuz Kfar Hachores bei Nazareth ein ver-
zweifelter Genosse aus Liebeskummer umbringen wollte.
Da stellte sich die Frage, ob im Sinne der kollektiven Idee
sich nicht auch jene umbringen mten, die augenblicklich

13
nicht liebeskrank waren.
Glcklicherweise ging die Krise vorbei, da das Liebes-
objekt des lebensmden Kibbuzim inzwischen stark zuge-
nommen hatte.
Ein besonderes Land, ohne Zweifel.

Die wenigen alteingesessenen Israelis muten innerhalb


weniger Jahre mit einer Einwanderungsflut ohnegleichen
fertigwerden. Statt Essen gab es Lebensmittelkarten, und
in Jerusalem wurde Trinkwasser nur gegen sofortige Bar-
zahlung abgegeben.
Die Pessimisten unter uns meinten: Schlechter kann es
nicht werden. Ich hingegen erwiderte als eingefleischter
Optimist: Doch.
Schritt fr Schritt muten wir dann die parlamen-
tarischen Spielregeln erlernen. Die sogenannten Minister
waren Kibbuzmitglieder und arbeiteten in der Kibbuz-
kche. Offizielle Anordnungen und vor allem persnliche
Empfehlungsschreiben wurden auf Schmierzetteln fest-
gehalten, weil noch keine offiziellen Amtspapiere
existierten. Dafr gab es viele Grnde, unter anderem den,
da es auch keine mter gab.
Nach und nach entstanden dann aber doch Regierungs-
gebude, und sogar Formulare wurden gedruckt. Das
erprobte Zettelsystem hatte in gewisser Weise berlebt
und wurde Protektion getauft. Diese populre Methode
ist inzwischen so verbreitet, da ein echter Israeli bis heute
kein Lokal betritt, ohne sich danach zu erkundigen, wer
von seinen Begleitern Beziehungen zur Kellnerin hat.
Fr die Millionen Einwanderer aus den unterschied-

14
lichen Klimazonen war es eine zustzliche Erschwernis,
sich an die brtenden Temperaturen zu gewhnen. Und
obwohl Israel am Mittelmeer liegt, haben viele Neuein-
wanderer nach dem 1. September nicht mehr gebadet, weil
es zu der Zeit in Polen schon zu kalt ist. Wie gesagt, ein
ganz besonderes Land.

Israel ist eine winzig kleine Insel, die nicht von Wasser,
sondern von Feindseligkeit umgeben ist. Das einzig Ange-
nehme daran: Jeder kennt jeden. Es gibt keinerlei Geheim-
nisse zwischen uns. Wenn ein Unbekannter mit Regen-
mantel und Sonnenbrille an der Tr klingelt und nach dem
ffnen heiser flstert: Die roten Krokodile fliegen diesen
Winter nicht, bekommt er womglich zur Antwort:
Tut mir leid, aber der Spion wohnt einen Stock hher.
Es war also nur natrlich, da sich in meiner Heimat mit
den Jahren auch ein besonderer Sinn fr Humor entwickelt
hat. Man hat gelernt, ber sich selbst zu lachen. Wenn
unser diensthabender Ministerprsident ein Versprechen
bricht, dann redet er sich mit den Worten heraus: Ich
gebe zu, ich habe es versprochen. Aber ich habe nicht
versprochen, mein Versprechen auch zu halten.
Das Finanzwesen funktioniert auf nicht unhnliche
Weise. Regierung wie Brger begleichen ihre Bank-
schulden getrost mit neuen Bankschulden. Der einzige
Unterschied zwischen denen da oben und jenen da unten
ist, da der kleine Mann fr seinen Kredit einen Brgen
braucht. Wenn man in den ruhmreichen Grnderjahren
einen Fugnger in Panik auf die andere Straenseite
flchten sah, herrschte kein Zweifel daran, da jemand in
der Umgebung einen Brgen suchte.

15
Auf die indiskrete Frage, wie unsere Regierung den
explodierenden Schuldenberg zu tilgen gedachte, hatte der
Regierungssprecher die beruhigende Antwort parat:
Einmal wird der Messias ja doch kommen.
Zur vlligen Beruhigung trug dann das statistische
Einwohneramt mit der vielversprechenden offiziellen
Kunde bei, jedes Baby in Israel kme mit 5000 US-Dollar
Auslandsschulden auf die Welt. Da aber andererseits der
Fiskus jedem Neugeborenen die gleiche Summe schuldet,
war das gesunde wirtschaftliche Gleichgewicht wiederher-
gestellt.
Inzwischen hat sich aber glcklicherweise der
Tourismus im Heiligen Land zu einer sprudelnden Ein-
nahmequelle gemausert. Historische Gedenksttten wie
die zwei Sndenpfuhle Sodom und Gomorrha sind zu
einem berlaufenen Eldorado fr Urlauber geworden.
Da das allein aber die leere Staatskasse nicht fllt, vor
allem im Winter, suchte die Regierung nach weiteren
vielversprechenden Geldquellen und wurde bei den Park-
sndern fndig. Dafr gab es zwar gengend Verkehrs-
polizisten, aber nicht gengend Autos. Es blieb dem
Fiskus also nichts anderes brig, als ein progressives
Steuersystem einzufhren, wenn auch mit der Ein-
schrnkung, da keiner mehr bezahlen mu, als er ver-
dient. Der unschtzbare Vorteil dieses Systems war, da
der Staatsbrger keine komplizierten Formulare ausfllen
mute. Der Steuerbescheid lautete ganz schlicht:
Wieviel haben Sie in diesem Jahr verdient?
berweisen Sie uns diese Summe.
Landeskundige knnten sich jetzt fragen, wie unter
dieser Voraussetzung ein Wirtschaftswunder mglich
wurde und niemand pleite ging, auer jenen jdischen
Vtern, die die Hochzeit ihrer Lieblingstochter finanzieren

16
muten. Es ist nmlich eine unserer schnsten alten Tradi-
tionen, da fr jeden jdischen Papa die Eheschlieung
seiner Tochter die finanzielle Katastrophe schlechthin
bedeutet. Zur Hochzeit wird zwar nur die Hlfte der
Bevlkerung eingeladen, aber es kommen mindestens
doppelt so viele.
Man darf nicht vergessen: Unsere Lage wurde dadurch
nicht leichter, da unsere guten Nachbarn in schner Regel-
migkeit jedes fnfte Jahr einen neuen Krieg gegen uns
fhren. Bisher wurden sie zwar immer noch besiegt und
gleich darauf von unseren amerikanischen Freunden
gerettet, aber durch diese unfreiwillige Ertchtigung sehen
wir bis heute wie eine junge Nation aus, wenn auch nur des-
halb, weil in der Armee kurze Haare vorgeschrieben sind.

Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, kurz in Erinnerung zu


rufen, wie der Autor damals Israeli geworden ist.
Es war im Jahr 1949, als ein ziemlich ramponiertes
Sklavenschiff namens Galila, fr 160 Passagiere
gebaut und mit 3000 Einwanderern vollgestopft, im Hafen
von Haifa vor Anker ging. An Bord drngelte sich auch
ein magerer Junge, der trotz seiner meisterhaften Beherr-
schung saftiger ungarischer Flche ziemlich verngstigt
war.
Es war Mitternacht, und als wrs ein Horrorfilm, lag der
Hafen dunkel und verlassen da. Zwar hatte die Einwan-
derungsbehrde der Hafenwache mitgeteilt, da wieder
ein neuer Pulk angeschwommen kme, aber es war keiner
mehr da, um uns in Empfang zu nehmen. Der Hafen-
meister war angeblich zu seiner ersten Frau nach
Jerusalem gefahren und hatte uns dem Schicksal ber-

17
lassen.
So blieben Tausende neue Emigranten hilflos an Bord
und blickten mit gemischten Gefhlen zum Strand ihrer
neuen Heimat hinber. Sie erinnerten sich nur ungern
daran, da schon Moses das Gelobte Land lediglich aus
der Ferne betrachten, aber nicht betreten durfte. Jede
Epoche hat offenbar ihren eigenen Hafenmeister.
So saen wir verzweifelt auf unseren Koffern und
zhlten die Stunden. Die konomisch Veranlagten unter
uns hatten sich auf die Landung sorgfltig vorbereitet.
Mein Reisenachbar hatte in Genua noch kurz vor dem
Auslaufen zwanzig Kilo Sicherheitsnadeln erworben,
nachdem ein italienischer Wohltter ihn davon berzeugt
hatte, da die Nadeln wegen des bekannten Sicherheits-
komplexes der Juden als Mangelware exzellente Handels-
chancen in Israel htten.
Aus einem hnlichen Grund hatte sich eine polnische
Familie mit drei Kisten Weihrauch versorgt. Ich selbst war
bei meinem Zwischenaufenthalt auf dem Schwarzmarkt
des Wiener Rothschildspitals in den Besitz einer Second-
hand-Maschine zur Erzeugung von Bakelit-Knpfen
gelangt, mit einem Produktionsaussto von vier Knpfen
pro Minute.
Meine Tante Ilka hatte mir zwar geschrieben, da man
sich zu jener Zeit in Israel nur durch Straenkehren oder
Penizillinerzeugung halbwegs ber Wasser halten knne,
aber meine Zeit reichte nicht aus, um einen dieser
Schlsselberufe zu erlernen. Andererseits hatte mein
Onkel Jakob von einer freien Stelle in einem Automaten
buffet in Tel Aviv gehrt und hoffte, mich dort als Auto-
maten unterzubringen. Auf keinen Fall, so warnte mich
Onkel Jakob, sollte ich in einen Kibbuz gehen, denn dort
spreche man hebrisch.

18
Meine ersten Hebrischkenntnisse hatte ich mir jedoch
bereits auf hoher See angeeignet und beherrschte
Schalom, schalom flieend. Auerdem hatte ich den
ersten Band eines antiquarischen hebrischen Wrter-
buches bis zum Buchstaben M an Bord geschmuggelt. Ich
konnte also getrost in die Zukunft blicken.
Diese Zuversicht entschdigte allerdings nicht dafr, da
die Verpflegung auf der Galila sehr zu wnschen
briglie. Die Mahlzeiten bestanden entweder aus
gefrorenem Fischfilet mit schwarzen Oliven oder aus
schwarzen Oliven ohne gefrorenes Fischfilet. Nur am
Sabbat wurden die schwarzen Oliven durch grne ersetzt.
Der Schiffsrabbiner erinnerte uns zwar gerne an das
Bibelwort, da der Mensch nicht vom Brot allein lebt,
aber davon lie unser profaner Hunger auch nicht nach.
Die Hitze ertrugen wir von Tag zu Tag schlechter. Erst
als uns der Kapitn erklrte, da es eigentlich nicht die
Hitze sei, sondern die Feuchtigkeit, die uns zu schaffen
machte, fhlten wir uns etwas besser.
Je lnger wir vor Anker lagen, desto hemmungsloser
fluchten wir auf die funkelnagelneue Regierung und
insbesondere auf unseren Ministerprsidenten David Ben
Gurion. Gezielte hysterische Ausbrche haben einer
Masseneinwanderung aber noch nie geschadet, und so
erschien statt Ben Gurion bereits einige Stunden spter ein
anderes hohes Tier, das sich im Namen der Jewish Agency
vielmals entschuldigte und uns hflich aufforderte, unsere
Nationalhymne Hatikwah anzustimmen. Wir sangen sie,
wenn auch ohne Text, und anschlieend bestrmten wir
ihn mit der Frage, wo man uns unterbringen wrde. Einige
Einwanderungsgefhrten waren entschlossen, nur nach Tel
Aviv zu gehen, andere erklrten sich auch mit einem
Villenviertel auerhalb der Hauptstadt zufrieden. Die
Sparsamen erkundigten sich sogleich nach den Wohnungs-

19
preisen: Wieviel kosten drei Zimmer mit Kche? Zwei
Zimmer mit Kochnische? Die Kochnische allein?
Sammle die Zerstreuten, spricht der Herr, und fhre sie
ins Gelobte Land, antwortete mit feierlicher Bibelstimme
die Jewish Agency.
Von all unseren Problemen war das Wohnungsproblem
tatschlich das drngendste. Wir erfuhren, da in der
Provinz ein Taubenschlag fr zwlf Pfund monatlich
angeboten wird, ohne Kaution, dafr aber mit einer
Zusatzgebhr von zwei Pfund fr die Leiter. Ein weit-
blickender Rumne kam auf die grandiose Idee, sich in
einem stillgelegten Aufzug eines arabischen Hotels in
Jaffa einzuquartieren. Alle beneideten ihn.
Ich selbst hatte zwei Mglichkeiten: entweder mit einer
tripolitanischen Familie mit elf lebhaften Kindern in eine
Blechhtte des bergangslagers von Haifa zu ziehen oder
meine Zelte vorbergehend bei Tante Ilkas Untermieter
aufzuschlagen, der vor kurzem einen Schlaganfall erlitten
hatte und sich nicht wehren konnte. Ich neigte zum
Auffanglager, weil man Tante Ilka nachsagte, da sie als
Hauptmieterin die Klosettpapierrollen numerierte.
Die schwerste Enttuschung bereitete mir Onkel Jakob.
Unter eingefleischten Zionisten sprach man von ihm wie
von einer Legende. Er wre vor dreiig Jahren mit einem
kleinen Koffer nach Palstina gekommen und bese den-
selben Koffer noch heute. Und mehr noch, er htte auch
einen riesengroen Khlschrank. Wie sich spter zeigte,
war der Khlschrank mit seiner Wohnung identisch. Das
Luxurise daran war, da das Licht von selbst anging,
wenn jemand die Tr ffnete.
Unterdessen hatte man den Hafenmeister schlafend im
Wartesaal gefunden, und wir durften endlich ans Gelobte
Land. In einem Holzverschlag, von dessen Decke eine

20
nackte elektrische Birne herabbaumelte, sa hinter einem
wackeligen Tisch ein an seiner kurzen Hose und an
seinem flieenden Jiddisch identifizierbarer Einwan-
derungsbeamter.
Wir waren tief ergriffen. Schlielich war es das erste Mal,
da wir in unserer neuen Heimat Schlange stehen durften.
Nach einer Stunde hatte ich den Tisch erreicht. Durch
Brillenglser, die ihm stndig von der Nase rutschten, sah
der Beamte mich traurig an.
Name?
Kishont Ferenc.
Das irritierte ihn sichtlich.
Welches von beiden ist der Familienname?
Kishont.
Kishon, korrigierte mich die Amtsperson und rckte
die Brille zurecht.
Nein, nicht Kishon, beharrte ich. Kishont, mit einem
t am Ende.
Kishon, wiederholte nicht minder beharrlich die
Behrde. Vorname?
Ferenc.
Wieder betrachtete er mich streng.
Ephraim, entschied er schlielich und hatte es auch
schon aufgeschrieben.
Nicht Ephraim, bitte, Ferenc.
So einen Namen gibt es nicht. Der Nchste!
So unwahrscheinlich es auch klingt, ich hatte damals
keine Ahnung davon, da mein Name aus der Bibel
stammte. Kishon heit nmlich der biblische Flu, in den
der Herr die Kampfwagen des kanaanitischen Feldherrn
Sisera versenkte. Und drckte nicht ausgerechnet auf dem

21
gegnerischen Berg Ephraim die Prophetin Debora den
jdischen Kmpfern die Daumen?
Aber das alles wute ich damals im Hafen noch nicht
und verlie meinen Taufpaten in tiefer Depression.
Dennoch war es jener historische Augenblick, in dem wir,
der Staat Israel und ich, den Entschlu faten, gemeinsam
humoristische Geschichten zu schreiben.

Inzwischen ist viel Wasser den Kishon hinuntergeflossen.


Das arme kleine Israel ist nicht mehr so klein und nicht
mehr so arm, und die Pionierzeit ist fast schon biblische
Vergangenheit. Die Steuer wird von einem Computer in
Jerusalem eingetrieben, und unser tgliches Leben hat
begonnen, das Fernsehen zu kopieren. In liberalen Kreisen
wurden die Rabbiner durch Psychiater ersetzt. Nicht
weniger als eine Million Russen mit jdischem Pa sind
inzwischen in unser Land gekommen, und Hebrisch ist
die zweite Landessprache geworden. Wer sich heutzutage
nicht mit dem Internet beschftigt, gilt als zurck-
geblieben, und wer mit ber vierzig noch Bus fhrt, gilt als
Versager. Fitne ist fr uns ein fester Begriff. Wir gehen
jedes Wochenende zu Fu ins Schwimmbad und kommen
mit einem Fahrrad zurck.
Das wars.
Am Ende meines historischen Rundblicks steht jedoch
eine verblffende Erkenntnis, die ich mit vielen meiner
Landsleute teile. Fnfzig Jahre lang haben wir unser
Bestes gegeben, um unseren neuen Staat von Grund auf zu
ndern. Und jetzt jammern wir gemeinsam darber, da es
nicht mehr das Israel ist, das wir vor fnfzig Jahren
betreten haben.

22
ICH HABE ES VERSPROCHEN

23
Kein Dach ber dem Kopf

Die Tatsache, da gleichzeitig mit mir noch eine Million


weitere Einwanderer ins Land kamen, bereitete den
verantwortlichen Behrden grtes Kopfzerbrechen. Es
gab nmlich insgesamt nur 14 Wohnungen fr die Neuan-
kmmlinge und fr drei davon bereits Anwrter, die
irgendeinen Verwandten im Wohnungsamt hatten. Die
Regierung ergriff sogleich Manahmen, um die Situation
zu verschlimmern. Sie grub ein uraltes Gesetz aus, wonach
jeder, der sich in einer zufllig freistehenden Wohnung
einmal eingenistet hat, von dort nie wieder vertrieben
werden kann, sondern in dieser Wohnung bleiben darf
samt Weib und Kind und smtlichen Nachkommen bis
zum Jngsten Tag.
Ich hatte Glck. Als ich weder aus noch ein wute,
begegnete ich meinem Freund und frheren Schul-
kameraden Julius Botoni, der seine Wohnung in Tel Aviv
fr ein Jahr fr 50 Pfund monatlich vermieten wollte, weil
er ein einjhriges Stipendium nach Italien bekommen
hatte, um dort einen Bridgekurs fr Fortgeschrittene abzu-
halten. Es traf sich also fr uns beide ganz hervorragend.
Wir besiegelten unsere Vereinbarung mit einem freund-
schaftlichen Hndedruck und trennten uns mit frohem
Winken.
Botoni eilte mir nach.
Es ist nicht Mitrauen, sagte er. Aber vielleicht
sollten wir die Angelegenheit durch einen Rechtsanwalt
formell besttigen lassen. Nur um Schwierigkeiten vorzu-
beugen. Man kann nie wissen. Du verstehst.

24
Ich verstand, und wir vereinbarten einen Termin bei
Botonis Anwalt Dr. Avigdor Wachsmann.
Als ich die Kanzlei des Anwalts betrat, sah ich sofort,
da er bereits alles mit meinem Freund besprochen hatte.
Jedenfalls sa Botoni leichenbla und zitternd in einem
Fauteuil. Dr. Wachsmann betrachtete mich nachdenklich.
Wir stehen vor einer schweren Entscheidung, begann
er. Herr Botoni hat mir die Details genannt. Ich finde 75
Pfund im Monat eher zu wenig, aber das ist schlielich
Sache des Vermieters. Abgesehen davon frage ich Sie,
welche Garantie Sie uns geben knnen, da Sie die
Wohnung tatschlich nach einem Jahr rumen werden?
Entschuldigen Sie, entgegnete ich ein wenig pikiert.
Wir sind schlielich alte Freunde und Schulkameraden.
Oder nicht, Botoni?
Botoni wollte antworten, brachte aber keinen Ton
heraus. Dr. Wachsmann sprang ihm bei.
Bei Wohnungsvermietungen gibt es keine Sentimentali-
tten. Das Mieterschutzgesetz legt fest, da Sie eine
Wohnung, die Sie einmal bezogen haben, nie wieder ver-
lassen mssen. Ich bitte Sie daher um eine Kaution von
8000 Pfund.
Warum? fragte ich. Die Wohnung ist doch hchstens
6000 Pfund wert.
Richtig, besttigte Dr. Wachsmann. Eben deshalb
verlange ich ja eine hhere Summe. Sie werden dann die
Wohnung um so lieber rumen. Ich verlange die Summe
in bar und werde sie nach Ihrem Auszug noch ein weiteres
Jahr einbehalten, damit Sie nicht versuchen, die Wohnung
auf betrgerischem Weg wieder zu beziehen. Wenn Sie
mit diesen Bedingungen einverstanden sind, bekommen
Sie die Schlssel.

25
*

Ich nahm einen Kredit auf und brachte dem Anwalt das
Geld. Als ich es auf den Tisch legte, fiel Botoni mit einem
leisen Aufschrei in Ohnmacht.
In Ordnung, sagte Dr. Wachsmann, nachdem er nach-
gezhlt hatte. Jetzt ist nur noch eine Kleinigkeit zu
regeln. Was geschieht, wenn das Geld abgewertet wird?
Ich erklre hiermit an Eides Statt, da ich die Wohnung
auch dann rumen werde.
Bei Vermietungen gibt es keine eidesstattlichen Erkl-
rungen. Wir brauchen Garantien. Ich schlage vor, Sie
adoptieren Herrn Botoni und setzen ihn als einzigen Erben
Ihres gesamten Vermgens einschlielich der Mietrechte
an seiner Wohnung ein. Unwiderruflich. Es ist, wie gesagt,
nur eine Formalitt.
Ich gab ihm recht, adoptierte meinen Schulkameraden
Botoni und machte mein Testament. Auf Dr. Wachsmanns
Wunsch bernahm ich auch noch die Beerdigungskosten
und die Erbschaftssteuer. Ich bergab ihm meinen Fami-
lienschmuck, den ich fr Notflle aus Europa mitgebracht
hatte, und dann war auch schon alles erledigt. Am
nchsten Tag sollte ich die Schlssel bekommen.
Mein Stiefsohn sa whrend der ganzen Zeit zusammen-
gekauert in einer Ecke und wimmerte.

Am nchsten Tag bekam ich die Schlssel nicht. Mit


Engelsgeduld erklrte mir Dr. Wachsmann, da fr den
Fall eines vorzeitigen Ablebens seines Mandanten be-
stimmte Regelungen zu treffen wren. Ich sollte deshalb

26
beim Oberrabbinat ansuchen, ber mich den groen
Bannfluch zu verhngen, falls ich nach Ablauf eines
Jahres auch nur einen Tag lnger in der Wohnung bliebe.
Kaum hatte ich das Dokument unterzeichnet, erlitt
Botoni einen Nervenzusammenbruch. Er sprang auf,
begann zu brllen, beschuldigte seinen Anwalt, da er
nicht sorgfltig genug wre, auerdem sei ich kein reli-
giser Mensch und kmmerte mich nicht um Bannflche,
und er, Botoni, spre in allen Knochen, da er seine Woh-
nung nun endgltig verloren habe.
Nach einer kurzen Beratung der beiden Herren erklrte
mir Dr. Wachsmann, da er sich den Argumenten Botonis
anschliee. Deshalb msse ich von einem Mitgliedsstaat
im UNO-Sicherheitsrat eine Garantie vorlegen, da er im
Falle einer nicht fristgerechten Freigabe der Wohnung
bereit wre, militrisch gegen Israel vorzugehen.
Wir einigten uns auf Frankreich. Ich mobilisierte alle
meine Verbindungen und bekam tatschlich die Unter-
schrift des franzsischen Botschafters, nachdem ihn der
Quai dOrsay aufgeklrt hatte. Dann blieb nur noch eine
letzte Formalitt, nmlich der Kauf einer Dreizimmer-
wohnung in Tel Aviv auf den Namen Dr. Wachsmann.
Durch eine Zusatzerklrung erteilte ich einer von
Dr. Wachsmann vertretenen Firma, die Insektenvertil-
gungsmittel erzeugte, das unwiderrufliche Recht, die
Wohnung Botonis nach Ablauf eines Jahres mit Kohlen-
monoxyd auszuruchern, falls ich dann noch darin
wohnte.
Jetzt konnte der Vertrag endlich geschlossen werden. Er
war 28 Seiten lang und sagte aus, da die betreffende
Wohnung groherzig und in gutem Glauben an mich im
folgenden kurz Der Eindringling genannt fr die
Dauer eines Jahres von Herrn Julius Botoni im folgen-
den kurz Der Wohltter genannt gegen eine monat-
27
liche Zahlung von 100 Pfund vermietet wurde, unter der
Voraussetzung, da der Eindringling keinerlei Recht habe,
lnger als ein Jahr in der Wohnung des Wohltters zu
bleiben.
Ich studierte den Vertrag, und schon zwei Tage spter
unterschrieben wir ihn. Botoni erhob sich mhsam aus
seinem Rollstuhl, bergab mir mit zitternder Hand die
Schlssel, zischte ein paar beleidigende Worte und fiel tot
um. Ich dachte zuerst, er wre aus Angst um seine
Wohnung gestorben. Er war jedoch, wie sich herausstellte,
nicht wirklich tot, sondern hatte nur einen Starrkrampf.

Leider konnte ich von dem Wohnungsschlssel keinen


Gebrauch machen. Der Paragraph 579 unseres Miet-
vertrages lautet: Dem Eindringling ist es verboten, die
Wohnung, beginnend mit dem Tag der Unterzeichnung
dieses Vertrages, zu betreten. Laut Dr. Wachsmann ist
diese Klausel ntig, damit ich die Wohnung nach Ablauf
eines Jahres auch tatschlich rume. Ich selbst habe mich
allerdings entschlossen, die Wohnung, wenn ich erst
einmal drin bin, nie mehr wieder zu verlassen.

Steter Tropfen hhlt den Stein

Ein Jahr ist schlielich doch ein Jahr, hat 365 Tage und
bisher immer noch vier Jahreszeiten. In Israel bereitet uns
davon nur der Herbst Probleme. In unseren Breiten
befindet sich nmlich in jeder Wohnung neben der Kche
eine lochhnliche Kammer, die nach allen Seiten ver-
schlossen ist, mit Ausnahme jener einen, wo der

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strmische Oktoberregen einfllt. Dieses Loch, im Volks-
mund Kchenbalkon genannt, darf keinesfalls ge-
schlossen werden. Das verbietet ein Gesetz aus dem Jahre
1187, mit dem Sultan Salch-a-Din die Kreuzritter daran zu
hindern suchte, in die Huser einzudringen und sich dort
zu verschanzen. Unsere Stadtverwaltungen wissen zwar
nur zu gut, da dieses Gesetz nicht mehr zeitgem ist,
schlielich haben wir heute unsere eigenen britischen
Gesetze. Es gibt jedoch nach wie vor keine juristische
Handhabe dagegen, und so werden Zuwiderhandelnde mit
hohen Geldbuen belegt, die die leeren Stadtsckel fllen.
Um die Straftat auszufhren gibt es mehrere
Vorgehensweisen.

Methode 1: Der hermetische Aaron Fuhrmann


Der Balkon wird vom Glasermeister Aaron Fuhrmann
hermetisch geschlossen. Er nimmt genau Ma und liefert
in ein, zwei Tagen, allerhchstens einem halben Jahr ein
Fenstermodul aus hochwertigem Aluminiumholz. Wh-
rend er es installiert, fragen wir Fuhrmann, ob unser Okto-
berregen auch wirklich nicht eindringen wird.
Ganz und gar unmglich, sagt der hermetische Fuhr-
mann, ich schraube zustzlich berall Leisten an.
Der Lebensgefhrte Fuhrmanns ist ein stdtischer Kon-
trolleur, der ihm Morgen fr Morgen nachschleicht und
die kriminelle Handlung fr die Stadtverwaltung festhlt.
Sobald der Kontrolleur gegangen ist, kommt der sub-
tropische Regen.

Methode 2: Taschentcher
Der Regen strt uns eigentlich gar nicht, solange er nicht
von Sdwesten einfllt. Dann aber wird der hermetisch

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geschlossene Balkon zu einem knstlichen Stausee. Auf
jeden einzelnen der dort in besseren Zeiten angesammel-
ten Gegenstnde, den Korb mit dem alten Besen, die
Koffer, die ausrangierte Stehlampe, den Sack mit den
Kartoffeln, strmen die fr unser Land so segensreichen
Regenschauer. Die Wohnung wird berschwemmt, und
der Geist des Ewigen schwebt ber dem Wasser.
Der Kriminelle und seine beste Ehefrau von allen
stemmen sich wie ein Mann den Fluten entgegen und
versuchen mit groen Taschentchern der Feuchtigkeit
Herr zu werden. Die Wischerei wird zwei bis drei Stunden
lang heldenhaft durchgehalten, doch dann ist es Zeit, ins
Bett zu gehen.
Der hermetische Fuhrmann wird alarmiert, und er lt
seine grau-schlauen Expertenaugen ber das ber-
schwemmte Schlachtfeld gleiten. Seine Diagnose ist
knapp, aber treffend.
Stimmt, sagt er, das Wasser dringt ein. Aber bald
kommt ja der Frhling.

Methode 3: Der mysterise Pflupp


In diesen schweren Stunden nimmt das Volk sein
Schicksal in die eigenen Hnde. Wenn Fuhrmanns Leisten
enttuscht haben, dann mssen wir uns eben allein aus der
feuchten Zwickmhle retten. Erster Schritt: Abdichtung
der Ritzen, durch die der fr unser Land so segensreiche
Regen dringt. Wir schleppen einen Stuhl heran, stellen
einen Schemel darauf, klettern hoch, fallen runter, stehen
auf, bringen einen Tisch, stellen einen Stuhl darauf,
steigen rauf, die Frau hlt den Fu fest, und wir
lokalisieren die Tropfstelle.
Die Stelle gibt es nicht. Nur die Tropfen.
Der Fensterrahmen klemmt stahlhart an der Wand, die
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Leiste deckt den Rahmen zu wie der Vater sein schlum-
merndes Kind, nicht einmal eine klitzekleine Ritze lt
sich finden und doch, irgendwo in schwindelnder Hhe
sammelt sich alle vier Sekunden ein dicker Tropfen und
Pflupp! tropft auf die Kartoffeln, die bereits frische
grne Keime treiben. Es ist unmglich festzustellen,
woher der Tropfen kommt, ganz pltzlich hockt er auf der
Leiste. Unsere Tochter Renana ist der Meinung, da das
Wasser durch die Poren der Glasscheiben dringt.
Halt deine vorlaute Klappe, fahre ich sie an, sonst
stopfe ich sie dir.

Methode 4: Stopfen
Aber womit? Wir haben keinerlei Stopfmaterial zu
Hause. Halt unsere knstlerisch hochbegabte Tochter
formt gerne allerlei hbsche Figuren aus einem ekelhaften
Knetgummizeug. Wir klauen ihr die rote Masse, ffnen
das Fenster, und ungeachtet der heftigen Regengsse, die
brutal auf uns herniederprasseln, stopfen wir den ganzen
Fensterrahmen mit Knetgummi zu. Wie Matrosen auf dem
Mast der Fregatte hngen wir zwischen dem strmischen
Meer und dem gnadenlosen Himmel, die grellen Blitze
sind unser einziges Licht. Ahoi! Nach getaner Arbeit sind
wir zufrieden und haben Angina. Das Wasser dringt
immer noch ein.
Pflupp!
Gut, gut, es war uns schlielich klar, da der Knetgummi
nur eine Zwischenlsung sein konnte. Schon nach zehn
Minuten liegt er auf der Strae. Am nchsten Morgen
macht sich die Beste auf und kauft in einem Do-it-
yourself-Laden professionellen Fensterkitt und einen
Spachtel. Wir ntzen die zwei Stunden, in denen der
Regen eine Atempause einlegt, und stopfen alles mit der

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klebrigen Masse zu, die wir mit unseren Schuhen gleich-
zeitig in die entferntesten Ecken unserer Wohnung tragen.
Nach dem Wiedereinsetzen des Sauwetters haben wir
den Eindruck, das Wasser dringe jetzt viel leichter ein.
Wir wechseln zu Plastikzement, einem wissenschaftlich
erprobten Material, wasserfest und absolut undurchlssig,
besonders geeignet fr hermetisch geschlossene Balkons.
Man stopft es zwischen Fenster und Rahmen, zwischen
Fenster und Fenster, zwischen Rahmen und Wand,
zwischen Tr und Angel und berhaupt. Gestopft wird in
zwei dicken Schichten, und siehe da, das Wasser dringt
nicht mehr ein. Es sei denn, drauen regnet es.

Methode 5: Die Kapitulation


Oh nein, keine Kapitulation im herkmmlichen Sinn.
Eher ein Sieg des gesunden Menschenverstands. Warum
gegen Naturgewalten ankmpfen? Das Wasser will ein-
dringen, bitte schn, soll es.
Wir stellen Tpfe unter die Tropfen, und so zhmen wir
nicht nur die Fluten, sondern sammeln auch den fr unser
Land so segensreichen Regen. Der kleine Balkon wird
nicht mehr berschwemmt, es sei denn, die Tpfe sind
voll und laufen ber. Na und, wir stellen die Tpfe einfach
in grere Tpfe, und so wird auf schlaue Weise
sichergestellt, da das Wasser von den kleinen in die
groen Tpfe luft, und nicht etwa in den
angeschimmelten Kronleuchter.
Der einzige Haken an diesem System: Auch die groen
Tpfe sind irgendwann voll. Da kann man nichts machen.

Methode 6: Nach uns die Sintflut


Normalerweise dauert es etwa zwei Wochen, bis die

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ideale Lsung gefunden wird: die Tr zwischen Balkon
und Kche. Diese Tr kann nmlich geschlossen werden.
Und von nun an sieht niemand mehr, was sich auf der
anderen Seite abspielt. Der segensreiche Regen kann ein-
dringen oder drauen bleiben, wie er will. Wir sind
drinnen, der Dschungel ist drauen, der Kontakt zum
Balkon ist unterbrochen. Jetzt mssen die Krbe, die
Koffer und die Kartoffeln selber fr sich sorgen.
Und dann, erst dann, ist der Balkon wirklich und
wahrhaftig ein hermetisch geschlossener Balkon.

Die unvollendete Stadt

Es ist ein gutes halbes Jahrhundert her, da blieben zwei


Juden in einer den Sandwste stecken, und einer von
ihnen stellte fest, da hier kein menschliches Wesen
berleben knne. Der andere behauptete, da berall, wo
ein Wille ist, auch ein Weg sei, und sie schlossen eine
Wette ab. So wurde Tel Aviv gegrndet.
Wer die Wette gewonnen hat, ist bis heute nicht
entschieden.
Als Tel Aviv etwa 1500 Seelen zhlte, war der Lrm so
gro, da 5000 Einwohner das Weite suchten. Die
Planung wurde immer chaotischer. Straen, fr 10000
Passanten angelegt, waren viel zu eng, um einen halbwegs
flssigen Verkehr fr 50000 Menschen zu garantieren, so
da selbst die grten Optimisten nicht an die Zukunft Tel
Avivs glaubten. Und tatschlich, die dstere, unschne
Stadt wirkte schon durch den vlligen Mangel an
erfrischenden Grnflchen deprimierend auf ihre 100000
Einwohner. Bedenkt man obendrein, da sie ber eine
vorsintflutliche Kanalisation verfgt, dann versteht man,
warum sie nur 150000 Einwohner hat. Tel Aviv, wir
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mssen es leider zugeben, ist wirklich nicht attraktiv. Wie
vielen Juden kann man auch zumuten, in einem total
bervlkerten Huserhaufen unter katastrophalen
hygienischen Bedingungen zu leben? Nun, wie vielen?
650000? Gut, aber das ist das uerste.

Feuersturm

Wenn es in Israel hei ist, dann wei man erst, was Hitze
ist. Dafr sorgt unser trockener, brennendheier Wsten-
wind, eine Art von Superschirokko, der nur ein Gegen-
stck hat: das Innere eines Panzers, in dem die Besatzung
auf ihre Widerstandskraft gegen Feuereinwirkung getestet
wird.
Dieser Wind heit auf arabisch Chamsin, und das
heit fnfzig, weil er genau nach Vorschrift 50 Tage
lang blst. Und wenn er blst, bekommt man keine Luft,
kann sich kaum auf den Beinen halten und fhlt das
Verdorren der Nervenstrnge beinahe plastisch.
Erfahrene Unterweltler legen ihre Verbrechen gern auf
Chamsin-Tage, weil der Chamsin zwar unertrglich, aber
als mildernder Umstand hchst angenehm ist.

Der Schwei der Edlen

Weib, sagte ich, vor zehn Minuten ist mir der


Kugelschreiber hinuntergefallen. Die beste Ehefrau von
allen lag auf der Couch und blinzelte mhsam unter ihren
Eiswrfeln hervor.
Heb ihn auf, murmelte sie. Den Kugelschreiber.
Unmglich. Zu hei.

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Ich wei nicht, auf welchem Breitengrad unsere
winzigkleine Wohnung liegt. Es kann nicht sehr weit vom
quator sein. Im Schlafzimmer haben wir 42 Grad, an der
Nordwand unserer schattigen Kche 48 Grad. Um Mitter-
nacht. Chamsin.
Seit den frhen Morgenstunden liege ich da, buchlings,
alle Glieder von mir gestreckt, wie ein verendendes Tier.
Nur da verendende Tiere kein weies Papier vor sich
haben, auf das sie etwas schreiben sollen. Ich, leider, soll.
Aber wie soll ich? Um den Kugelschreiber aufzuheben,
mte ich mich hinunterbeugen, in einem Winkel von 45
(45 Grad!), und dann wrde der Eisbeutel von meinem
Hinterkopf zu Boden fallen, und das wre das Ende.
Vorsichtig bewegte ich mein linkes Bein, um den
Kugelschreiber mit meinen Zehen zu erwischen. Umsonst.
Meine Verzweiflung wuchs. Das war heute schon der
fnfte Tag, an dem ich das weie Papier vor mir anstarrte,
und ich hatte nur den einen Satz zustande gebracht: Um
Himmels willen, diese Hitze!
Eine solche Hitze hatte es wirklich noch nie gegeben.
Nie. An einem bestimmten Tag des Jahres 1936 war es
fast so hei wie heute, aber nicht so feucht. Im Jahre 1957
wurde eine fast ebenso groe Feuchtigkeit gemessen,
dafr aber war es weniger hei. Nur ein einziges Mal,
1977, war es genauso hei und genauso feucht. Allerdings
in Afrika.
Afrika. Was fr ein sonderbares Wort. Meine Zunge
versuchte es nachzuformen, war aber zu schwerfllig.
Afri-ka. Was soll das? A-f-r-i-k-a.
Weib, was ist Afrika?
Afrika, flsterte sie. Arfika
Jawohl, sie hat Arfika gesagt, ganz deutlich. Vielleicht
ist das sogar richtig. Arfika. Warum nicht? Mir solls
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gleich sein. Mir ist alles gleich. Schon seit Tagen. Schon
seit Beginn dieser noch nicht dagewesenen Hitzewelle
sitze oder liege ich, genauer: bleibe ich sitzen oder liegen,
wo ich gerade hinsinke, und habe keinen anderen Wunsch,
als mich nicht zu bewegen. Wenn ich in dieser ganzen Zeit
fter als dreimal gezwinkert habe, wars viel. In meinem
Kopf regt sich das absolute Nichts, sofern ein absolutes
Nichts sich regen kann. Ich kann es jedenfalls nicht. Aber
ich wollte doch etwas sagen. Richtig: Diese Hitze. Um
Himmels willen, diese Hitze.
Das Telefon lutet. Ein wahres Wunder, da das Ding
noch funktioniert. Mhsam strecke ich meine Hand aus.
Hallo, sagt eine heisere Stimme, die ich als die
unseres Wohnungsnachbarn Felix Seelig erkenne. Ich bin
auf dem Dizengoff-Boulevard. Es ist entsetzlich. Kann ich
mit meiner Frau sprechen?
Sicher. Du brauchst nur deine eigene Nummer zu
whlen.
Daran habe ich gar nicht gedacht. Danke.
Ich hrte noch das dumpfe Gerusch eines fallenden
Krpers, dann war es still. Um so besser. Das lange
Gesprch hat mich ermdet.
Mit einer Handbewegung deutete ich meiner Ehegattin
an, da Felix Seelig allem Anschein nach tot sei. Erna
verstndigen, hauchte sie. Im Sommer neigen wir zu
kurzen Stzen. Und zur Lektre von Krimis. Da berluft
uns doch wenigstens ab und zu ein kalter Schauer.
Was wollten wir? Ach ja. Wir wollten die Witwe Seelig
benachrichtigen, da ihr Mann bei der Verteidigung des
Dizengoff-Boulevards gegen die Hitze gefallen war.
Die Witwe Seelig wohnt zwei Wnde weit entfernt. Wie
soll man sie erreichen?

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Mit bermenschlicher Anstrengung erhob ich mich und
zog meinen gepeinigten Krper hinter mir her, bis zur
Wohnungstr. Durch diese Tr verlie ich unsere Woh-
nung. Sie fiel hinter mir ins Schlo.
Erschpft lehnte ich mich ans Treppengelnder, um mit
heraushngender Zunge ein wenig Luft zu schnappen, falls
es eine solche gab. Aber es gab keine.
Es gab nur die Hitze. Groer Gott, was fr eine Hitze.
Sie drrte einem das Hirn aus, falls man ein solches hat.
Aber man hat keines. Man wei nicht einmal, warum man
hier am Treppengelnder lehnt.
Wirklich. Was suchte ich hier? Warum hatte ich meine
Wohnung verlassen? Ich wollte in meine Wohnung
zurck.
Ging nicht. Die Tr war zu. Was nun? Ein Mann steht
vor seiner eigenen Wohnung, in der sich seine eigene Frau
befindet, und kann nicht hinein. Was tun?
Es ist hei. Es wird immer heier.
Ich werde die Stiegen hinuntergehen und jemanden
bitten, meine Frau zu verstndigen, da ich drauen stehe.
Ich knnte ihr auch faxen. Ja, das ist die Lsung: ein Fax.
Aber wie komme ich aufs Postamt? Und natrlich
niemand in der Nhe, den man fragen konnte.
Ein Bus erschien. Ich stieg ein. Hinter mir die Hitze.
Was? fragte mit fieberglnzenden Augen der Fahrer.
In der Tasche meines Pyjamas entdeckte ich eine
Pfundnote und drckte sie ihm wortlos in die Hand. Dann
wandte ich mich an den nchstbesten Fahrgast. Entschul-
digen Sie, wohin fhrt dieser Bus?
Der Mann kehrte mir langsam sein Gesicht zu, und ich
werde den Ausdruck dieses Gesichts nie vergessen.
Wohin fhrt was?

37
Der Bus.
Welcher Bus?
Damit stolperte er hinaus in den Schatten. Das war sehr
vernnftig. Auch ich stieg aus.
Heda, Sie! hrte ich hinter mir die Stimme des
Fahrers. Sie bekommen noch auf Ihre zehn Pfund
heraus!
Ich drehte mich nicht einmal um. Widerwrtiger Pedant.
An der Straenecke befiel mich unwiderstehliche Gier
nach Eiscreme. Eine groe Portion, gemischt, Vanille,
Schokolade und Erdbeer. Und diese ganze Portion wrde
ich mir auf einmal unters Hemd schtten. Worauf wartete
ich noch?
Richtig. Die Wohnungstr war ins Schlo gefallen.
Eine grandiose Idee durchzuckte mich: Ich htte an der
Wohnungstr luten knnen. Die beste Ehefrau von allen
htte sich dann mglicherweise gesagt, da jemand herein
mchte, und htte geffnet. Warum war mir das nicht
frher eingefallen?
Aber wo wohne ich? Wo? Das ist das wahre Problem,
das jetzt gelst werden mu.
Ich werde es lsen. Nur keine Aufregung. Nur nicht
nervs werden. Ruhe. Das Gehirn arbeitet, und alles wird
wunderbar klar.
Ich wohne in einem dreistckigen Haus, dessen Fenster
nach auen gehen. Irgendwo hier in der Nhe. Eines von
diesen Husern, die alle gleich aussehen. Besondere Kenn-
zeichen: Der Bewohner hat bei der letzten Hitzewelle Ver-
brennungen dritten Grades ber dem zweiten Stock erlit-
ten. Wo wohne ich? Wo?!
Ruhig nachdenken. Nur die Ruhe fhrt zum Ziel. Und
die sonnendurchglhte Telefonzelle dort an der Ecke.

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Ganz einfach. Im Telefonbuch nachschauen. Hoffentlich
ist die Seite mit meinem Namen noch nicht versengt.
Mit welchem Namen? Wie heie ich? Vor ein paar
Minuten habe ich es noch gewut. Der Name liegt mir auf
der Zunge. Aber ich habe ihn vergessen. Ich wei nur
noch, da er mit einem S beginnt. S wie Sonne.
Es wird immer heier. Und es fllt mir immer schwerer,
meinen Krper aufrechtzuhalten. Zum ersten Mal im
Leben sehe ich den Chamsin, unser unvergleichliches
heimisches Hitze-Produkt, plastisch vor mir: ein purpur-
farbenes Gebilde aus kleinen und groen rotierenden
Kreisen, dazwischen dann und wann Diagonalen, Zick-
zacklinien und ein doppelter Whisky mit Eis.
Vom Dizengoff-Boulevard nhert sich etwas, das ich mit
groer Mhe als menschliche Gestalt erkenne und mit
noch grerer als Felix Seelig. Er lebt also noch, der arme
Hund. Auf allen vieren kommt er angekrochen, ein dnnes
Bchlein Schwei zeichnet seine Spur. Jetzt hat er mich
erreicht. Er glotzt mich aus hervorquellenden Augen an, er
fletscht die Zhne, er knurrt.
Grrr.
Grrr, knurre ich zurck und bin auch schon an seiner
Seite, auf allen vieren. Wir brauchen unsere Rcken nur
ganz kurz aneinanderzureiben, um volles Einverstndnis
darber zu schaffen, da wir jetzt gemeinsam weitertrotten
werden, grunzend den Smpfen zu, rherrr errrr grrr
es ist hei es wird immer heier es war noch nie
so hei

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Kein Pardon fr Schwager

Wir israelischen Brger sind ganz anders als die anderen.


Die Eigenart unseres Charakters zeigt sich bei jeder
Gelegenheit. Nehmen wir zum Beispiel an, man geht
friedlich und nichtsahnend die Strae entlang, und ganz
pltzlich tritt einem jemand in den Hintern. berall auf
der Welt wrde sich der anonyme Treter, wenn man sich
emprt nach ihm umdreht, sofort entschuldigen. In Israel
jedoch sagt er:
Oh, ich dachte, Sie wren mein Schwager.
Nichts liegt daraufhin nher als der Vorwurf:
Und wenn ich Ihr Schwager wre, berechtigt Sie das zu
einem Tritt in meinen Hintern?
Herr, schnaubt der andere da emprt. Wollen Sie mir
vorschreiben, ob ich meinen Schwager in den Hintern
treten darf oder nicht?
Man mu zugeben, da der Mann von seinem
Standpunkt aus recht hat. Wir sind eben anders.

Ein ses Geheimnis

Als bevorzugte Frucht unseres subtropisch bewsserten


Landes gilt die Melone, schon deshalb, weil das Wasser,
mit dem sie uns versorgt, nicht von Wolkenbrchen
abhngt, wie die folgende Kurztragdie plausibel macht.
DR. FEINHOLZ: (Kommt auf dem Heimweg am Obst-
markt vorbei und erinnert sich, da seine Gattin Elsa
immer vergit, Melonen zu kaufen, das einzige Mittel

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gegen die unertrgliche Sommerhitze. Geht auf einen Berg
von Melonen in der Mitte des Marktes zu und wendet sich
an Zuriel, den orientalischen Besitzer des Berges.) Sind sie
s?
ZURIEL: (antwortet nicht)
DR. FEINHOLZ: Also gut. Geben Sie mir eine.
ZURIEL: (Lt einen konzentrierten Rntgenblick ber
den grnen Berg schweifen, ergreift eine besonders dicke
Melone, wirft sie in die Luft, fngt sie auf, streichelt sie,
drckt sie, beklopft sie, hlt sie ans Ohr, wirft sie auf den
Haufen zurck, nimmt eine andere Luft auffangen
streicheln drcken beklopfen Ohr weg
eine dritte Die vierte ist in Ordnung. Zuriel wiegt sie im
finstersten Winkel seines Obststandes mit dem Rcken zur
Kundschaft.) 6 Kilo. 7 Pfund und 20 Piaster.
DR. FEINHOLZ: Die ist also s?
ZURIEL: Sehr s.
DR. FEINHOLZ: Wieso wissen Sie das?
ZURIEL: Erfahrung. In den Fingerspitzen. Beim
Betasten. Beim Auffangen aus der Luft. Eine Melone, die
nicht ganz reif ist, macht plopp. Eine Melone, die reif
ist, macht plopp.
DR. FEINHOLZ: Ich verstehe. (Zahlt, schultert die fnf
Kilo schwere Melone und tritt den Heimweg an. Die Hitze
ist so entsetzlich, da der Asphalt zu schmelzen beginnt.
Dr. Feinholz begreift mit einemmal, warum seine Gattin
Elsa immer vergit, Melonen zu kaufen. Zu Hause
angelangt, versteckt er die Melone im Eisschrank. Nach
der Mahlzeit zieht er sie als freudige berraschung hervor
und schneidet sie auf.)
DIE MELONE: (ist gelb, schmeckt wie gefrorener
Badeschwamm, wurde vermutlich mit Kerosin bewssert)

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DR. FEINHOLZ: (spuckt aus, wtend) Also bitte. Da
hast du unser gelobtes Land in seiner ganzen Pracht. Fast
8 Pfund hat mich das Zeug gekostet.
ELSA: Trags zurck.
DR. FEINHOLZ: Jawohl. Alles hat seine Grenzen, sogar
meine Geduld. (Schleppt die Melone in der kochenden
Hitze auf den Markt zurck und wirft sie vor Zuriels
Fe.) Was haben Sie mir da angehngt?
ZURIEL: (antwortet nicht)
DR. FEINHOLZ: Das kann man nicht essen.
ZURIEL: Dann essen Sies nicht.
DR. FEINHOLZ: Ich habe Sie ausdrcklich gefragt, ob
die Melone s ist, und Sie haben Ja gesagt.
ZURIEL: Das plopp beim Auffangen war in Ordnung.
Aber wer kann in das Innere einer Melone sehen?
DR. FEINHOLZ: Das wei ich nicht. Ich wei nur, da
Sie fr die Melonen, die Sie verkaufen, verantwortlich
sind.
ZURIEL: Nicht fr Melonen, die Sie ohne Garantie von
mir gekauft haben.
DR. FEINHOLZ: Es gibt Melonen mit Garantie?
ZURIEL: Ja.
DR. FEINHOLZ: Und was ist der Unterschied?
ZURIEL: Melonen ohne Garantie kosten 6 Pfund das
Kilo, Melonen mit Garantie 9,30. Dann bin ich verant-
wortlich.
DR. FEINHOLZ: (tritt heftig nach einer Melone, die ihm
gerade vor die Fe kollert) Wie ist diese hier, bitte?
ZURIEL: (antwortet nicht)
DR. FEINHOLZ: Also gut. Geben Sie mir eine Melone
mit Ihrer Garantie. Aber wenn sie wieder ungeniebar ist,

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knnen Sie sich auf etwas gefat machen.
ZURIEL: (Wirft eine Melone in die Luft, fngt sie auf,
streichelt sie, drckt sie, beklopft sie, hlt sie ans Ohr,
wirft sie weg. Zweite ebenso, dritte ebenso, die vierte ist
in Ordnung.) 7 Kilo 80.
DR. FEINHOLZ: Meinetwegen.
ZURIEL: (Schneidet eine schmale, dnne Scheibe aus
der Melone heraus und zeigt sie Dr. Feinholz.) Rot?
DR. FEINHOLZ: Rot.
ZURIEL: Ohne zu prahlen, das ist wirklich eine ganz
besonders rote Melone.
DR. FEINHOLZ: (Zahlt, schleppt die sechs Kilo
schwere Melone schwitzend und chzend nach Hause.)
Der alte Gauner hat sie ohne ein Wort des Widerspruchs
umgetauscht.
ELSA: Klar.
DR. FEINHOLZ: (Gibt die Melone in den Khlschrank,
wartet eine halbe Stunde, zieht sie hervor, schneidet sie
auf.) Eine prachtvolle rote Melone, wirklich.
ELSA: Hast du sie gekostet?
DR. FEINHOLZ: Gekostet habe ich sie nicht. Aber man
sieht ja, da sie gut sein mu.
DIE MELONE: (schmeckt schal, alt, abgestanden, faul,
bitter)
ELSA: Du wirst die Melone brav zurcktragen, ja?
DR. FEINHOLZ: (Abschleppdienst, Schwei, Keuchen,
Flche, Melone vor Zuriels Fe.) Da haben Sie den
Dreck.
ZURIEL: (antwortet nicht)
DR. FEINHOLZ: Habe ich diese Melone mit Garantie
gekauft oder nicht?

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ZURIEL: Ja.
DR. FEINHOLZ: Kosten Sie sie.
ZURIEL: Danke. Ich esse Melonen nicht gern. Ich mu
dann immer schwitzen.
DR. FEINHOLZ: Das nennen Sie s? Das soll eine
se Melone sein?
ZURIEL: Ich habe Ihnen keine se Melone garantiert.
Ich habe Ihnen eine rote Melone garantiert.
DR. FEINHOLZ: Ich pfeife auf die Farbe. Von mir aus
kann sie marineblau sein.
ZURIEL: Warum haben Sie mir nicht gesagt, da es
Ihnen auf den Geschmack ankommt? Die Garantie fr
se Melonen ist 12 Pfund pro Kilo.
DR. FEINHOLZ: (nach einer kurzen Erholungspause)
Also gut. Geben Sie mir eine garantiert se Melone.
ZURIEL: (Prozedur von Wurf bis Nummer vier wie
zuvor) 9 Kilo 30.
DR. FEINHOLZ: Einen Augenblick! Ich mchte sie
kosten.
ZURIEL: Bitte sehr. (Schneidet ein pyramidenfrmig
zugespitztes Stck aus der Melone heraus, und zwar der-
gestalt, da die Spitze der Pyramide dem geometrischen
Mittelpunkt des Meloneninhalts entspringt.)
DR. FEINHOLZ: (beit die Spitze ab) Sehen Sie, guter
Mann, das ist eine se Melone.
ZURIEL: (steckt die Pyramide rasch an ihren Platz
zurck) 11 Pfund 16 Piaster.
DR. FEINHOLZ: (zahlt, schwitzt, taumelt heimwrts)
Ich habe ihn gezwungen, sie umzutauschen. Und jetzt
koste einmal.
ELSA: (kostet, spuckt aus)

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DIE MELONE: (vollkommen schal, schmeckt besten-
falls nach Abwaschwasser, besteht fast ausschlielich aus
Samenkernen, verwandelt sich in unmittelbarer Nhe des
geometrischen Mittelpunktes in feuchte Watte)
ELSA: Zurcktragen!
DR. FEINHOLZ: (Qualprozedur wie zweimal zuvor bis
zum Ende) Und das? Was ist das?
ZURIEL: (antwortet nicht)
DR. FEINHOLZ: Was ist das?!?
ZURIEL: Sie haben ja gekostet.
DR. FEINHOLZ: Was ich gekostet habe, war s.
ZURIEL: Hier ist es s und zu Hause ist es sauer? Was
machen Sie zu Hause mit den Melonen? Marinieren?
DR. FEINHOLZ: (bekommt einen Erstickungsanfall und
flucht auf slowakisch)
ZURIEL: (klopft ihm auf den Rcken) Wollen Sie eine
andere?
DR. FEINHOLZ: (keuchend) Ja
ZURIEL: (beginnt mit dem Prfungsritual)
DR. FEINHOLZ: Werfen Sie Ihre Gromutter in die
Luft! Ich suche mir meine Melone selbst aus.
ZURIEL: Wie Sie wnschen.
DR. FEINHOLZ: (Fhlt sich nach kurzem Umsehen mit
magischer Gewalt von einer flaschengrnen Frucht
angezogen, betastet sie und wei mit jener unfehlbaren
Sicherheit, die sonst nur den schpferischen Augenblicken
des Genies innewohnt, da diese Melone einfach s sein
mu.)
ZURIEL: 16 Kilo 80. Wollen Sie die Garantie schrift-
lich?
DR. FEINHOLZ: Krepier! (Sthnen, Schwitzen,

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Ankunft zu Hause) Der Lump hat mir eine andere geben
mssen.
ELSA: Das sehe ich.
DR. FEINHOLZ: (Schliet sich mitsamt der Melone im
Eiskasten ein, kommt aber, da es dort sehr kalt ist, schon
nach wenigen Minuten wieder heraus und schneidet die
Melone auf.)
DIE MELONE: (s, reif, rot, zart, saftig, kernlos,
delikat, Exportqualitt)
DR. FEINHOLZ: (Strahlt, verjngt sich, das Leben ist
wieder schn, die Sonne geht in groer Farbenpracht
unter, Vglein zwitschern.) Das nenne ich Melone, was?
Liebling, so eine Melone hast du noch nie gegessen. Weil
ich sie selbst ausgesucht habe. Dieser Verbrecher. Dreimal
hintereinander hat er nichts Brauchbares gefunden. Und
ich, gleich beim ersten Mal, von einem geheimnisvollen
Instinkt geleitet
ELSA: Red keinen Unsinn.
DR. FEINHOLZ: Unsinn? Du wirst ja sehen. Von jetzt
an mache ichs immer so. (Sucht am nchsten Tag seine
Melone wieder selbst aus, fhlt sich wieder mit unerklr-
licher Magie zu einer bestimmten Frucht hingezogen,
zahlt, schwitzt, taumelt, Khlschrank, halbe Stunde,
Schnitt.)
DIE MELONE: (schmeckt nach verfaultem Laub, ist
vollkommen ungeniebar und spottet der menschlichen
Eitelkeit)
DR. FEINHOLZ: (versucht sich eine Kugel in den Kopf
zu schieen, trifft bedauerlicherweise daneben und lebt
weiter)

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Die Dampfmaschine

Das Wetter gehrt zu den besonderen Attraktionen unseres


schnen Landes. Aber offenbar ist da beim Schpfungsakt
oben etwas daneben gegangen, sonst knnte die
Atmosphre im Sommer nicht zehnmal mehr Feuchtigkeit
als Luft enthalten.
Whrend dieser Zeit lebt der Israeli nicht, er vegetiert
nicht einmal, er dampft. Sein einziges Mittel zur
Selbsterhaltung ist eine Wundermaschine, durch die sich
bekanntlich die Feuchtigkeit von drauen in Lrm nach
innen verwandelt.

Eine ohrenbetubende Stille

Es war Herbst. Es war ein sehr heier Herbst. Es war so


hei, da die beste Ehefrau von allen das Wort Klima-
anlage ins Gesprch brachte. Jetzt? fragte ich. Im
Herbst? Aber das beeindruckte sie ganz und gar nicht.
Sie entfaltete mit Mhe die schweigebadete Zeitung auf
dem Tisch und deutete auf eine halbseitige Anzeige der
Firma Pronto Klima-Anlagen Ges.m.b.H., die in
blumigen Worten ein neues, Flsterkasten genanntes
Modell anpries: Khle im Sommer, Wrme im Winter,
Stille in jeder Jahreszeit, Stille bei Tag und Nacht.
Ich willigte seufzend ein.
Der Chefingenieur der Firma Pronto, ein gewisser
Schlomo, erschien persnlich, um von unseren Fenstern
das passende fr den Apparat auszusuchen. Er machte uns

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auch auf einen speziell eingebauten Schalthebel aufmerk-
sam, den sogenannten Besnftiger, der Gerusche beim
Anlaufen des Apparats bis zur Unhrbarkeit reduzierte.
Die ganze Pracht kme auf 4999 Pfund plus 1500 Pfund
Installationsgebhr, beides in bar und im voraus. Den
hohen Preis fr die Installation begrndete Schlomo mit
der einjhrigen Garantie fr das Loch in der Mauer.
Nachdem wir gezahlt hatten, holte Schlomo zwei
vierschrtige Gesellen, die unter seiner fachkundigen
Anleitung das Fensterbrett aufbrachen, einen
Schweibohrer ansetzten, ein wenig hmmerten und ein
wenig sgten. Bald darauf gehrte der Flsterkasten zu
unserer Wohnung und zu unserem Leben.
Ich gratuliere, sagte Schlomo. Sie werden mit dem

Der Rest seiner Rede ging im ohrenbetubenden Lrm


des Apparates unter. Es war ein Lrm wie von einer alten
Boeing 747 vor dem Start.
Eine Weile standen wir reglos auf unserem Privatflug-
feld und lauschten dem akustischen Wunder, bevor ich zu
Schlomo sagte:
Ganz hbsch laut, wie?
Was? fragte Schlomo nach. Ich verstehe Sie nicht.
Lrm! brllte ich. Es lrmt.
Was? Wo?
Er sprach noch weiter, aber da einstmals in meinem
Gymnasium Lippenlesen nur Wahlfach war, hatte ich es
nicht erlernt. Mit Handzeichen lotste ich Schlomo in die
Kche, wo das Getse der Jetmotoren nur gedmpft her-
berklang. Schlomo erklrte mir, da jeder jungfruliche
Apparat ein bis zwei Tage brauchte, um sich an seine neue
Umgebung zu gewhnen und warmzulaufen. Aber, so

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fgte er hinzu, wenn es morgen noch irgendwelche
Beschwerden gebe, sollte ich ihn anrufen, er wrde sich
freuen.
Was sich in dieser Nacht abspielte, braucht den Ver-
gleich mit der aufwendigsten Son et Lumire-Produk-
tion nicht zu scheuen. Alle zehn Minuten stand ich auf,
drehte das Licht an und versuchte den Lrm abzustellen,
indem ich wieder und wieder den Besnftiger einschaltete.
Der jedoch besnftigte berhaupt nichts, nicht einmal die
beste Ehefrau von allen, die langsam hysterisch wurde. Ich
trstete mich mit der alten Binsenweisheit, da der
Mensch sich an alles gewhnt. Aber als ich um zwei Uhr
frh den Besnftigungshebel in der Hand hielt, konnte ich
nur noch auf ungarisch reagieren.
Der ungehemmte Lrm paarte sich jetzt immerhin mit
einer Art Khle, die mir vielleicht eine Art Schlaf ermg-
licht htte, wenn nicht die Betten unaufhrlich gezittert
htten.
Um drei Uhr unternahm die beste Ehefrau von allen
einen Rundgang und verteilte Ohropax. Daraufhin breitete
sich wohlttige Stille aus. Nur dann und wann durchbrach
die Boeing die Schallmauer.
Um fnf Uhr schrieb meine Frau auf den Notizblock,
den wir zwischen uns gelegt hatten: Das Monstrum geht
morgen an Schlomo zurck, verstanden? Ich informierte
sie gleichfalls schriftlich, da ich bar bezahlt htte. Der
stumme Schmerzensschrei, den ich sie ausstoen sah,
schnitt mir ins Herz. Mit einem pltzlichen Einfall strzte
ich zum Flsterkasten und stellte ihn ab.
Die Wirkung war sensationell. Der Flugverkehr erlosch,
und in der sommerlichen Wrme, die uns umschmeichelte,
schliefen wir ein wie zwei Spione, die aus der Klte
kamen.

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Am Morgen rief ich Schlomo an.
Hren Sie, sagte ich. Diese Klimaanlage
Schon gut, schon gut. Er lie mich gar nicht ausreden.
Wir nehmen sie zurck, Sie bekommen Ihr Geld
wieder.
Eine halbe Stunde spter erschienen die beiden
Vierschrter, montierten die Hllenmaschine ab und
erklrten sich bereit, das himmelblaue Loch in der Mauer
gegen 500 Pfund zuzumauern. Ich feilschte nicht lange.
Ich bin ein guter Verlierer.
Es brauchte einige Zeit, ehe wir uns an die Ruhe
gewhnten. Aber, wie schon gesagt, der Mensch gewhnt
sich an alles.
Als wir bald darauf ein befreundetes Ehepaar besuchten,
drhnte uns beim Betreten der angenehm khlen
Wohnung das vertraute Gerusch einer startenden Boeing
entgegen.
Das Ding ist erst heute vormittag montiert worden,
schrie mir die Frau des Hauses in die Ohren. Aber wir
haben die Firma Pronto bereits verstndigt, da wir s
zurckgeben. Verlieren wir eben die Installationsgebhr.
Immer noch besser.
Ich inspizierte die Maschine. Der Besnftigungshebel
war abgebrochen.

Schlomo machte an der Rckwand seines Bros ver-


zweifelte Anstrengungen, sich aus meinem Wrgegriff zu
befreien. Aber ich lie erst locker, als er gestand.
Mit den Klimaanlagen lt sich ja nichts verdienen,
sthnte er. Die Zlle und Steuern sind zu hoch. Das
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einzige, was Geld bringt, ist die Installation und das
Zumauern der Lcher.
Ich drehte ihm den Arm auf den Rcken und drngte ihn
in den Lagerraum. Mein Verdacht besttigte sich: Das
ganze Inventar bestand aus einer alten Boeing. Daneben
hockten die beiden Vierschrter und kauten an Salami-
broten.
Schlomo senkte den Kopf.
Jawohl, wir verkaufen immer denselben Apparat, und
am nchsten Tag wird er abmontiert. Ich gebe es zu. Aber
schlielich mu ich ja von irgend etwas leben. Ich habe
eine Frau, ich habe Kinder, ich habe eine Freundin

Warum die Pronto Klima-Anlagen Ges.m.b.H. trotz


guter Geschfte pltzlich Konkurs anmeldete, konnte sich
niemand so recht erklren. Keinesfalls lag es daran, da
die Abnehmer ausblieben. So schnell geht das nicht.
Nachforschungen ergaben: Schlomo hatte seinen Flster-
kasten nach Bat Jam verkauft, an einen der ltesten noch
lebenden Einwanderer berhaupt, und hatte am nchsten
Tag vergebens auf den blichen Anruf gewartet. Als auch
tags darauf nichts geschah, wurde er von Panik erfat und
rief selber an.
Ist der Apparat nicht ein wenig laut? erkundigte er
sich.
Leider, antwortete der greise Pionier. Fr Freitag
abend bin ich schon vergeben.
Der Mann war stocktaub. Und Schlomos Boeing, die
einzige ihrer Art, war aus dem Verkehr gezogen.

51
Wunschtraum

Das schnste auf Erden ist, im Sommer in Israel zu leben.


Das Zweitschnste ist, sich in Tel Aviv in eine bildschne
Israelin zu verlieben, sie zu heiraten und in einer echt
israelischen Atmosphre mit ihr gemeinsam
vorbergehend in New York zu leben.

Liebe auf einen einzigen Blick

New York, im Frhling


An den Israelischen Ministerprsidenten
Jerusalem

Lieber Ministerprsident!
Obwohl ich erst 21 Jahre alt bin, habe ich schon viel
ber Ihr schnes Land gehrt. Ich bin ein groer Bewun-
derer des Staates Israel. Das sage ich nicht nur als Jude,
sondern auch als ausgesprochen intellektueller Typ.
Besondere Hochachtung empfinde ich fr Sie und fr Ihre
hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete der
chemischen Forschung.
Ich habe eine kleine Bitte an Sie. Vor einiger Zeit
bekamen wir von Verwandten, die in Israel zu Besuch
waren, eine kleine Schachtel mit Sand aus dem Heiligen
Land. Sie hatten ihn am Strand von Tel Aviv fr uns
gesammelt. Seither steht die Schachtel mit dem Sand auf
unserem Kamin und wird von allen Gsten bewundert.
Aber das ist nicht der Grund, warum ich Ihnen schreibe.

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Sondern die Schachtel war in eine illustrierte Zeitschrift
aus Israel eingepackt, die Dawar Hapolet heit. Eines
der Photos zeigte einige junge Mdchen beim Pflcken der
Pampas oder wie man das bei Euch nennt. Mich fesselte
besonders der Anblick einer etwa achtzehnjhrigen Pam-
paspflckerin, deren se kleine Nase aus der Reihe der
anderen hervorstand.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Dieses Mdchen
verkrpert fr mich die Wiedergeburt des jdischen
Volkes vom landwirtschaftlichen Standpunkt aus. Ich mu
sie unbedingt kennenlernen, oder ich wei nicht, wie ich
weiterleben soll. Meine Absichten sind vollkommen ehr-
bar. Seit ich dieses Mdchen gesehen habe, esse und trinke
ich nicht. Ich gehe auf Wolken. Was fr eine Nase! Das
Photo liegt bei. Bitte finden Sie meine Braut. Ich nehme
an, da sie in der Armee dient, wahrscheinlich im
Offiziersrang. Vielen Dank im voraus.
Ihr aufrichtiger Harry S. Trebitsch

Streng vertraulich!
Israelische Botschaft
Psychopathisches Departement
Washington
WER IST DIESER MESCHUGGENE?

Kanzlei des Ministerprsidenten


Direktor des Informationsdienstes

DRINGEND TOP SECRET INFORMATION


JERUSALEM SEIN VATER HAT VIERTEL-
MILLION DOLLAR GESPENDET STOP
TAKTVOLL BEHANDELN SCHALOM
53
BOTSCHAFT WASHINGTON

Herrn Harry S. Trebitsch jr.


New York

Sehr geehrter Herr Trebitsch, Ihr Brief an unseren


Ministerprsidenten ist ein neuer Beweis dafr, da das
ewige Licht, welches dem Judentum durch die Jahr-
tausende geleuchtet hat, niemals verlschen kann. Wir
werden uns bemhen, Ihre Auserwhlte zu finden, und
haben bereits mit den Nachforschungen begonnen, an
denen sich auch die Polizei mit eigens fr diesen Zweck
trainierten Bluthunden beteiligt. Sobald ein Ergebnis
vorliegt, verstndigen wir Sie. Bis dahin unsere besten
Wnsche und SEHR HERZLICHE GRSSE AN IHREN
LIEBEN PAPA!
Israelisches Auenministerium
Photo-Identifizierungs-Sektion

JUNGER AMERIKANER SUCHT GLCK

DIE ODER KEINE! SAGT REICHER TREBITSCH-


ERBE / JUNGE ISRAELIN MIT WUNDERSCHNER
NASE / JUNGES PAAR WILL FLITTERWOCHEN
ZUSAMMEN VERBRINGEN / ERGREIFENDSTE
ROMANZE DES JAHRHUNDERTS.

(Bericht unseres Sonderkorrespondenten aus Tel Aviv)


Mit hchster Spannung verfolgt das ganze Land die
Liebesgeschichte zwischen einem jungen amerikanischen
Millionr und einer bezaubernd schnen israelischen
Schafhirtin.
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Das Photo, das die Liebe des jungen Harry S. Trebitsch
entflammt hat, erschien in einer hiesigen Illustrierten und
wird derzeit von der Anthropologischen Abteilung des
Technikums in Haifa geprft. Radio Israel sendet in
halbstndigen Intervallen einen Aufruf an das junge
Mdchen, sich zu melden. Fr zweckdienliche Nach-
richten sind hohe Belohnungen ausgesetzt.
Besondere Kennzeichen: eine kleine, aristokratische, in
etwa zwlfgrdigem Winkel aufwrts gerichtete Nase. Seit
einigen Tagen beteiligt sich auch die israelische Luftwaffe
an der Suche. Man hofft, da die beiden Liebenden bald
vereint sein werden.
LETZTE MELDUNG. Die zu Kontrollzwecken abgehal-
tenen Paraden in den weiblichen bungslagern der
israelischen Armee verliefen ergebnislos.
Die Flotte steht in Bereitschaft.

An das
Ministerium fr Auswrtige Angelegenheiten
Photo-Identifizierungs-Sektion Jerusalem

Liebe Freunde, in Beantwortung Ihres Schreibens mssen


wir Ihnen leider mitteilen, da wir keine Ahnung haben,
wer die Mdchen auf dem betreffenden Photo sind. Wir
konnten lediglich feststellen, da das Bild in unserer
Ausgabe vom 3. August 1967 erschienen ist.
Mit Arbeitergru:
Dawar Hapolet
Der Chefredakteur

DRINGEND AUSSENMINISTERIUM

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JERUSALEM JUNGE WIRD TOBSUECHTIG
SENDET SOFORT NASENMDCHEN ODER KEIN
CENT MEHR FUER ISRAEL.
FRANKLIN D. TREBITSCH

Herrn Franklin D. Trebitsch


New York

Sir, wir haben die Ehre, Ihnen mitzuteilen, da es den


israelischen Grenzpatrouillen gelungen ist, die reizende
Eigentmerin der gesuchten Nase festzustellen. Sie heit
Fatma Bin Mustafa El Hadschi, hat auf unser nach-
drckliches Betreiben in die Scheidung von ihrem Gatten
eingewilligt und hat ihren bisherigen Wohnort Abu
Chirbat El-Azun (Galila) bereits verlassen. Sie befindet
sich mit ihren Kindern auf dem Wege nach New York.
Dem jungen Paar gelten unsere herzlichen Wnsche.
Mge der Herr ihnen Glck und Freude in diesem erbrm-
lichen Leben gewhren.
Mit besten Empfehlungen
Israelische Botschaft
Washington

DRINGEND ISRBOTSCHAFT WASHINGTON


HARRY S. TREBITSCH SPURLOS VERSCHWUNDEN
STOP ANGEBLICH IN ALASKA GESICHTET
INTERPOL

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Keine Zukunft fr Linkshnder

Eine der vielen Quellen unseres Vergngens ist die


neuhebrische Sprache, die sich seit 3000 Jahren nicht
verndert hat. Man schreibt sie bekanntlich von rechts
nach links. Die Ursachen sind, wie so vieles, bei unseren
Vorvtern zu suchen, die ihre ersten schriftlichen Mit-
teilungen, lange vor Erfindung der Kugelschreiber, mit
Hammer und Meiel in Stein hauten. Und wenn man einen
Hammer in die rechte Hand nimmt und einen Meiel in
die linke, laufen die Worte unvermeidlich von rechts nach
links.
Wenn unsere Vorvter zufllig Linkshnder gewesen
wren, wrden wir heute vermutlich in der Gegenrichtung
schreiben.

Philologisches Abenteuer

Mein Neffe Aladar ist auch ein Neueinwanderer, stammt


ebenso wie ich aus Magyarorszg und hat sein Leben lang
nur Ungarisch gesprochen. Diesem Doppelschlag ver-
suchte er dadurch zu entgehen, da er sofort nach seiner
Ankunft Hebrisch lernte.
Als die einzige Bratpfanne in seiner bescheidenen Kche
einen Sprung bekam, begab er sich zu Landesmann &
Abramski, Metallwaren und Haushaltsgegenstnde, um
einen Ltkolben zu kaufen. Zuvor schlug er in seinem
ungarisch-hebrischen Taschenwrterbuch nach: Paka =
Malchem erfuhr er da, denn Ltkolben heit auf
ungarisch Paka und auf hebrisch Malchem.
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So gerstet wandte sich Aladar in bestem singenden
Akzent an den Verkufer.
Ich mchte einen groen Malchem.
Der in Israel geborene Verkufer kannte fast mchte
man sagen: eben deshalb so ausgefallene Vokabeln wie
Malchem nicht. Er lchelte freundlich und sprach betont
langsam.
Sprechen Sie noch eine andere Sprache? Vielleicht
Jiddisch?
Da erwachte in Aladars Brust der Patriotismus.
Ich spreche nur Hebrisch, brllte er. Und wenn Sie
mich nicht verstehen, rufen Sie Ihren Chef.
Vom Gebrll ohnehin herbeigeholt, erschien Herr
Landesmann.
Sie wnschen?
Einen Malchem. Einen groen Malchem.
Sprechen Sie Deutsch?
Malchem, wiederholte Aladar beharrlich. Malchem!
Was ist das?
Aladar strzte sich in die Arme seiner Muttersprache.
Einen Paka, rief er zornbebend. Paka! Verstehen Sie
jetzt? Pa-ka!
Herr Landesmann, durch seinen eigenen deutschen
Akzent verunsichert, kapitulierte. Er stotterte etwas
Undeutliches, trat an seine Regale, glitt mit der Hand an
ihnen entlang und hielt bei jedem Stck mit einem
fragenden Blick an. Als er zum Ltkolben kam, nickte
Aladar.
Ach so, murmelte Herr Landesmann. Sie wollen
einen hm einen
Einen Paka, ergnzte Aladar hhnisch. So heit das

58
nmlich. Paka.
Und er verlie triumphierend den Laden.
Herr Landesmann winkte den Verkufer zu sich.
Ich mchte wissen, Jossi, wozu ich mir einen Sabre im
Geschft halte, wenn er von der Kundschaft Hebrisch
lernen mu. Schmen Sie sich. Nicht einmal ein so
einfaches Wort wie Paka kennen Sie.
Doch, ich kenne es, widersprach der im Land
Geborene. Aber bei uns zu Hause haben wir es
Lotkolban genannt. Paka ist, wie soll ich sagen, ein
mehr literarischer Ausdruck.

Ungeduldig wartete Herr Landesmann auf seinen


Kompagnon Abramski, einen Schler des groen Rabbi
von Podgoretz und profunden Kenner der hebrischen
Sprache.
Whrend Ihrer Abwesenheit, lie er beilufig fallen
haben wir einen Paka verkauft.
Einen was?
Einen Paka. Sogar einen groen.
Herr Abramski wackelte mit dem Kopf und sagte nichts.
Im Geiste schlug er das Buch der Bcher auf Kapitel 4,
Leviticus: Und ging zu Tubal, welcher umzugehen wute
mit Stahl und Eisen und , nein, mit Paka nicht.
Vielleicht Samuel, Kapitel 15: Da schrfte ein jeder von
den Israeliten Sichel und Pflugschar, und keiner seinen
Paka. Ezechiel 33? Auch nichts. Im Talmud? Wie kommt
ein Paka in den Talmud? Und wieso wei dieser Ignorant
Landesmann etwas von Paka, wenn ich es nicht wei?
Jossi, lie er dem Verkufer gegenber beilufig
59
fallen, wie ich hre, haben Sie heute vormittag einen
Paka verkauft?
Ja, Herr Abramski. Einen groen Paka. So wie dieser
hier.
Herr Abramski betrachtete den Paka. Seit wann heit das
Paka? fragte er sich. Das heit doch Malchem? Aber
wenn einer mit hebrischer Muttersprache Paka sagt,
wirds schon stimmen. Na ja, ich werde alt
Und Jossi sagte sich: Wenn ein gelehrter Mann wie der
alte Abramski das Wort Paka gebraucht, dann kann man
Gift drauf nehmen, da es dieses Wort auch wirklich gibt.
Herr Landesmann, sagte Jossi ein wenig spter, im
Regal ist nur noch ein einziger Paka. Ich glaube, wir
sollten ein paar Pakas bestellen.

Die Sitzung der Metallwarenhndler wurde vom


Prsidenten Abramski erffnet.
Meine Herren, begann er, die Lage ist kritisch. Man
verweigert uns die Einfuhrgenehmigung fr ein so
wichtiges Gert wie den Paka. Wohin soll das fhren
Er sagte nicht Malchem, sondern Paka und war
nicht sicher, ob auch die anderen Metallwarenhndler
diesen neuhebrischen Ausdruck verstehen wrden. Seine
Zweifel waren unbegrndet. Die Versammlung nickte
wissend, und als Herr Landesmann, der in der vierten
Reihe sa, halblaut vor sich hinsagte: Ein Paka ist ein
Lotkolban, wurde er verchtlich angeblickt.

60
Paka ist zu einem festen Bestandteil unserer
Umgangssprache geworden. Nur die Linguisten streiten
noch ber den Ursprung des Wortes und ber seine
etymologische Einordnung.
Keinesfalls, erklrte Professor Elimelech Bar-
Friedlnder von der Hebrischen Akademie der
Wissenschaften, drfen wir diese farbige Vokabel, die
sich unter unseren Handwerkern so groer Beliebtheit
erfreut, gering schtzen. Auch wenn sich in den
hebrischen Quellen keine zuverlssigen Anhaltspunkte
finden, ist nicht daran zu zweifeln, da Paka aus der
Wurzel p-k-k entstanden ist, die Verschlieen, Ver-
siegeln oder Verlten unwillkommener Freirume meint.
Ich begre diesen reizvollen Neologismus und wende
mich mit aller Entschiedenheit gegen die von meinem
geschtzten Kollegen Professor Chavatzelet vertretene
These, nach der wir Paka nur in der aramischen Version
Pakah oder Pakah akzeptieren drfen. Die Erfahrung
hat uns gelehrt, da der Mann auf der Strae, und ihm
haben wir die Wiederbelebung unserer Sprache zu danken,
alle Bevormundungen ablehnt und eine Unterwanderung
des Hebrischen durch fremdsprachige Einflsse nicht
zult.

Wort mit tausend Gesichtern

Wenn die Israelis in ihrer Sprache berhaupt etwas


zulassen, dann nur aus dem Jiddischen, dem einzigen
deutschsprachigen Dialekt, den man mit hebrischen
Buchstaben schreibt.
Die Interjektion Nu! zum Beispiel, die ungefhr dem

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englischen Well entspricht, spielt im Hebrischen die
Rolle des Joker. Nach einer oberflchlichen Statistik hat
Nu! 680 verschiedene Bedeutungen, je nach dem Stand
des Gesprchs, dem Gesichtsausdruck des Sprechers und
seiner finanziellen Lage. Einige dieser Bedeutungen:
Komm schon!
Was ist los?
La mich in Ruhe.
Ich habe kein Wort verstanden. Was willst du eigent-
lich?
Schn. Nehmen wir an, es ist so, wie du sagst. Ich gebe
das nicht zu, ich sage nur, nehmen wir an. Aber deshalb
brauchst du nicht gleich zu schreien, ich bin doch nicht
taub.

Anno dazumal

Smtliche Nu!-Varianten sind nur einem


Menschenschlag gelufig, den Veteranen, die schon mit
Ben Gurion ins Land kamen, damals, als der Piaster noch
ein Piaster war.
Fr zehn Piaster konnte man in der Altstadt von
Jerusalem ein Haus mit Garten kaufen, sagt der Veteran.
Ich erinnere mich, da man mir damals eine funkelnagel-
neue Lokomotive mit zwei Waggons fr sechs Piaster
angeboten hat. Der Oberingenieur des Elektrizittswerkes
erhngte sich, weil er zwanzig Piaster, das ganze Grund-
kapital der Gesellschaft, im Poker verspielt hatte. In den
guten alten Zeiten bekam man eine junge Kuh fr zwei
Piaster. Fr vier Piaster konnte man von Kairo nach

62
Petersburg fahren, und zwei Paar Hosen kosteten einen
halben Piaster. Es war einfach unmglich, eine einzelne
Hose zu kaufen. Ja, das waren noch Zeiten. Damals wute
man noch, wofr man arbeitete.
Und, erkundigt man sich hflich daraufhin, und wie
hoch war damals der Monatslohn?
Eineinhalb Piaster.
Wo ist denn dann der Unterschied?
Der Unterschied? Wir waren fnfzig Jahre jnger, mein
Freund, volle fnfzig Jahre jnger.

Ein prominenter Ku

Diese Geschichte habe ich gehrt, als die Festlichkeiten


anllich des 16jhrigen Bestehens der Siedlung Sichin
vom ganzen Land mit grtem Interesse verfolgt wurden.
Sogar Ministerprsident David Ben Gurion kndigte
seinen Besuch in der ehrwrdigen Veteranensiedlung an.
So begannen die Vorbereitungen fr das historische
Ereignis. Alles ging gut, bis Munik Rokotowsky sich
einschaltete. Munik Rokotowsky, eines der ltesten Mit-
glieder der alten Siedlung, verkndete, er wrde die
Gelegenheit ntzen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen
und den Ministerprsidenten zu kssen.
David, so erklrte er mit leuchtenden Augen, wird
einen Ku von mir bekommen, da er vor Freude einen
Luftsprung macht.
Wie schon angedeutet, war Rokotowsky ein Siedlungs-
veteran und hatte zweifellos Anspruch auf einen Platz in
der vordersten Reihe. Seine Absicht verbreitete jedoch

63
gewisses Unbehagen.
Hast du schon darber nachgedacht, Genosse
Rokotowsky, ob das dem Ministerprsidenten und
Verteidigungsminister auch recht sein wird?
Was fr eine Frage! Rokotowsky rgerte sich.
Warum soll es ihm nicht recht sein? Schlielich haben
wir beide vor fnfzig Jahren gemeinsam auf einer
Zitrusplantage gearbeitet. Meine Baracke war die dritte
links um die Ecke von seiner. Ich sage euch, er wird auer
sich sein vor Freude, wenn er mich sieht!
Da meldete sich ein anderer Siedlungsveteran namens
Jubal.
Wenn Rokotowsky ihn kt, drohte er, dann k ich
ihn auch!

Auf der Sitzung des Gemeinderates wurde Rokotowsky


mit einer Majoritt von vier Stimmen zum offiziellen Mi-
nisterprsidentenksser bestellt. Um jedes Risiko auszu-
schlieen, informierte man die Kanzlei des Minister-
prsidenten.
Werte Genossen! Wir haben die Ehre, Euch mitzu-
teilen, da Munik Rokotowsky, ein Mitglied unserer Sied-
lung, den Ministerprsidenten und Verteidigungsminister
anllich seines Besuchs der Siedlung Sichin kssen will.
Der Gemeinderat machte jedoch den Genossen darauf
aufmerksam, da auch die Kanzlei des Ministerprsi-
denten zustimmen mte. Wir bitten Euch deshalb, werte
Genossen, um die ntigen Instruktionen.
Der Ministerprsident, lautete die Antwort, kann sich
zwar an einen Genossen namens Rokotowsky nicht oder

64
nur sehr dunkel erinnern, mchte aber angesichts der
besonderen Umstnde den emotionalen Aspekten der
Angelegenheit Rechnung tragen. Der Ku solle aller-
dings in wrdiger Form gegeben werden, am besten, wenn
der Ministerprsident seinem Wagen entsteige. Roko-
towsky solle aus dem Spalier der jubelnden Dorfbewohner
hervortreten und den geplanten Ku auf die Wange des
Ministerprsidenten und Verteidigungsministers drcken,
wobei er ihn auch kameradschaftlich umarmen knne,
doch sollte diese Umarmung keinesfalls lnger als 30
Sekunden dauern. Aus Sicherheitsgrnden erbitte man
ferner die bersendung von vier Aufnahmen Roko-
towskys in Paformat sowie die Panummer.
Alle waren mit der Lsung zufrieden, nur Rokotowsky
murrte: Was heit das: 30 Sekunden? Wofr halten die
mich? Und was, wenn David mich nicht loslt und mich
vor lauter Freude immer aufs neue umarmt?
Es sind offizielle Manahmen, erklrte man ihm. Die
Zeiten haben sich gendert, Genosse Rokotowsky. Wir
leben in einem modernen Staat, nicht mehr unter
trkischer Herrschaft wie damals.
Gut, antwortete Rokotowsky. Dann eben nicht.
Was nicht?
Dann werde ich David eben nicht kssen. Wir haben
auf derselben Zitrusplantage gearbeitet, meine Baracke lag
um die Ecke von seiner, die dritte von links, vielleicht
sogar die zweite. Wenn ich einen alten Freund nicht
umarmen kann, wie ich will, dann eben nicht.
Nicht? Was heit nicht? Wieso nicht? bestrmte man
den starrkpfigen Alten. Wie wird das jetzt aussehen?
Der Ministerprsident steigt aus, will gekt sein, und
niemand ist da, der ihn kt? Wenn du ihn nicht kt,
dann lassen wir ihn von jemand anderem kssen, du wirst

65
schon sehen.
Gut, sagte Munik Rokotowsky. Dann kt ihn eben
ein anderer.
Es war nichts zu machen mit Rokotowsky. Er schlo
sich in seine Wohnung ein, er kam auch nicht zu der ad
hoc einberufenen Sondersitzung.
Genosse Jubal beanspruchte den freigewordenen
Jubilumsku fr sich. Andere Ratsmitglieder schlugen
vor, einen erfahrenen Ksser von auswrts kommen zu
lassen. Nach langen Debatten einigte man sich auf einen
weiteren Brief an die Prsidialkanzlei.
Werte Genossen! Aus technischen Grnden mssen wir
auf die fr den Besuch des Ministerprsidenten vorgesehe-
nen Kudienste des Genossen Rokotowsky verzichten. Da
jedoch unsere Vorbereitungen schon sehr weit gediehen
sind, bitten wir Euch, uns bei der Wahl eines neuen
Kukandidaten behilflich zu sein.
Wenige Tage spter erschien ein offizieller Delegierter
der Prsidialkanzlei, der sofort eine Sichtungs- und
Siebungsttigkeit aufnahm und sich schlielich fr einen
freundlichen, gedrungenen, glattrasierten Mann mittleren
Alters entschied, der zufllig mit dem Sekretr der rt-
lichen Parteileitung identisch war. Auf einer Generalkarte
der Siedlung Sichin wurde dann der Weg, den das Auto
des Ministerprsidenten und anschlieend er selbst
nehmen wrde, genau eingezeichnet. Eine gestrichelte
Linie markierte den Weg, den der begeistert aus dem
Spalier Vortretende bis zur Wange des Minister-
prsidenten zurcklegen wrde. Sowohl der Austrittspunkt
als auch der Punkt der tatschlichen Kuszene wurden rot
eingekreist. Das Problem der Zeitdauer wurde dadurch
gelst, da der Ksser leise bis 29 zhlen und bei 30 den
Ministerprsidenten unverzglich loslassen sollte.

66
Dank dieser sorgfltigen Planung lief die Zeremonie
glatt ab. Der Ministerprsident traf mit seinem Gefolge
kurz nach elf in Sichin ein, stieg an der markierten Stelle
aus seinem Wagen und wurde auf dem Weg zum Verwal-
tungsgebude programmgem von einem ihm Unbe-
kannten gekt und umarmt, wobei ihm auffiel, da der
Unbekannte die Umarmung mit den Worten: Achtund-
zwanzig neunundzwanzig aus! beendete. Der
Ministerprsident lchelte herzlich, wenn auch ein wenig
verlegen, und setzte seinen Weg fort.
Nur ein einziger nahm an der allgemeinen Freude nicht
teil. Munik Rokotowsky stand ganz allein im Hintergrund
und konnte die Trnen nicht zurckhalten. Vor fnfzig
Jahren hatten sie zusammen in derselben Zitrusplantage
gearbeitet. Das war sein Ku.

Elternerziehung

Die waschechten Israelis, jene im Land geborenen


Generationen, haben mit ihren verweichlichten Vorfahren
nichts weiter gemein, als da sie von ihnen unvorsichtiger-
weise gezeugt wurden. Wenn israelische Eltern prahlen,
dann sagen sie: Unsere Tochter ist schon vierzehn Jahre
alt, aber sie hat uns noch nie geohrfeigt!
Ja, wir hngen an unseren Kindern, den Sabres, mit
blinder Bewunderung, idealisieren sie, stellen sie auf ein
Podest und blicken in seliger Verzckung zu ihnen auf.
Eigentlich brauchen sie aber gar kein Podest, weil die
Kinder ohnehin einen Kopf grer sind. Gewi, die lieben
Sabres sind manchmal ein wenig unhflich, ja sogar roh
und brutal, kurz gesagt, unertrglich, aber was solls. Sie

67
sind seit zweitausend Jahren die ersten Kinder mit
hebrischer Muttersprache, und dafr kann man schon mal
eine Ohrfeige in Kauf nehmen.

Nicht ohne meine Erdnu!

Der Angeklagte steht aufrecht vor dem Richter und kratzt


sich an der Nase. Ein strammer junger Mann, sein lockiges
Haar ke in der Stirn. Der Richter blttert in der
Anklageschrift.
Mussa Zwanziger, erffnet er die Verhandlung, nach
Paragraph 2 Absatz 4 des Gesetzes zur Vermeidung
ffentlichen rgernisses sind Sie der Zerrttung ffent-
licher Nerven im Kino angeklagt. Bekennen Sie sich
schuldig?
Bullshit, antwortet Mussa Zwanziger. Sonst noch
was?
Der Staatsanwalt ruft die Zeugen auf. Ein ltlicher Mit-
brger, dem der Kinoalptraum noch deutlich anzusehen
ist, gibt mit zitternder Stimme zu Protokoll:
Ich wollte mir einen der preisgekrnten Kultfilme von
Ingmar Bergmann ansehen. Der Angeklagte sa neben
mir. Mitten in der entscheidenden Szene, als die Lieben-
den eingedenk hherer menschlicher Werte gemeinsam
beschlieen, ihr Leben zu opfern, um das ihrer Kinder zu
retten, und sie sich in einem letzten innigen Ku vereinen,
in diesem erhabenen Augenblick brllte Mussa in das
ergriffene Publikum: Besorgs ihr, Schlappschwanz!
Kollektiver Schock im Gerichtssaal.
Stimmt das, Angeklagter?

68
Bullshit! Ich hatte ne Eintrittskarte wie alle anderen
auch, oder?
Euer Ehren, schaltet sich nun die Verteidigung ein.
Ich bitte, meinem Klienten zu gestatten, einige Erd-
nsse zu knabbern, sonst kann er sich nicht konzen-
trieren.
Man reicht dem Angeklagten eine Tte, und er scheint
sich ein wenig zu fassen. Der Platzanweiser wird in den
Zeugenstand gerufen.
Nachdem der Angeklagte Besorgs ihr, Schlapp-
schwanz gebrllt hatte, tastete ich mich zu seiner Reihe
vor und forderte ihn auf, sich geflligst zu benehmen. Er
entgegnete, er lasse sich von mir, einem, wie er sich
ausdrckte, rotrschigen Affen, nicht vorschreiben, was er
von einem derart beschissenen Film hielte, und brllte
weiter. Da wurde mir schlagartig klar, da ich es mit
einem eklatanten Fall eines ffentlichen rgernisses zu
tun hatte, und rief die Polizei.
Ja und, sagte der Richter, was geschah dann?
Gar nichts. Der Polizist kam nicht. Wenn er im Dienst
sei, sagte er, knne er keine Probleme lsen, und schlie-
lich htte er dem Angeklagten ja ganz allein gegenber-
gestanden.
Die Verteidigung ruft einen aus den Medien bekannten
Psychiater als Sachverstndigen auf. Er fhrt aus:
Herr Mussa Zwanziger ist der typische Reprsentant
einer kultivierten Generation, ein robuster Junge
tropischen Temperaments, dessen natrliche Reaktionen
als impulsive uerung auf die Aussage besagten
filmischen Werkes zu werten sind. Diese unsere Jugend
zeichnet sich durch chauvinistisch geprgte Offenheit aus,
derzufolge der Angeklagte seine natrliche Reaktion auf
die Ereignisse des Filmes gar nicht verhehlen kann und sie
69
in einer Art volkstmlichem Gemeinschaftsbedrfnis
uern mu, wie sie den Menschen unserer Region nun
mal eigen ist. Es handelt sich hier zweifellos um den
bekannten Besorgs ihr-Effekt, der instinktiv ausgelst
wird, wenn auf der Leinwand eine Kuhandlung von ber
drei Sekunden Lnge stattfindet. 65 Prozent der urbanen
Jugend ist von dem Besorgs ihr-Syndrom betroffen.
Wir haben es hier mit einem landesweit verbreiteten und
wissenschaftlich erforschten Phnomen zu tun, dem
Ergebnis eines berstarken endogenen Dranges, angebore-
nen scharfsinnigen Humor und intellektuelle berlegen-
heit zu demonstrieren, begleitet von den zugehrigen,
symptomatischen Vitallauten wie gurgelndes Gekicher
oder schrilles Gekreische.
Der Anwalt des Angeklagten bittet um das Wort.
Ich betrachte den cineastischen Zwischenruf meines
Mandanten als das aufrichtig empfundene Anliegen
unserer Jugend, sich organisch in den Kulturkreis der
benachbarten Lnder einzugliedern, sagt er. Nichts-
destotrotz bestreitet mein Mandant mit Nachdruck jeden
einzelnen Punkt der Anklage. Weder war er im Kino, noch
hat er den Film gesehen, zu keinem Zeitpunkt hat er
Besorgs ihr gebrllt, und berhaupt mchte er jetzt bitte
gehen.
Der Staatsanwalt legt Einspruch ein. Der Richter bittet
um eine Rekonstruktion des Geschehens. An der Rck-
wand des Gerichtssaal wird eine Leinwand herunter-
gelassen, und schon luft das berhmte Werk des Kino-
Genies Ingmar Bergmann, ein bewegender Meilenstein
der Filmgeschichte, vor den Augen der atemlos gebannten
Zuschauer im Gerichtssaal ab. Mussa sitzt neben seinem
Anwalt und knackt Erdnsse. Schon kommt die Szene, in
der die Kinder vor dem sicheren Tod gerettet werden.

70
Die Atmosphre im Gerichtssaal knistert vor Spannung.
Kurz vor dem Ku schreckt Mussa auf. Sein Anwalt hlt
ihn fest und flstert pausenlos auf ihn ein. Auf der Lein-
wand nehmen die Liebenden eingedenk hherer mensch-
licher Werte Abschied voneinander, und ihre Lippen fin-
den sich in einem innigen Ku. In Mussa tobt ein innerer
Kampf, seine Ohren rten sich und in seinem Bauch
rumort ein unwiderstehlicher Druck, der unaufhaltsam in
seinen Kehlkopf steigt. Energisch schttelt er die Hand
seines Anwalts ab und schiet in die Hhe.
Besorgs ihr, Schlappschwanz, brllt er, lutsch ihr
den Lippenstift runter!
Im Gerichtssaal gehen die Lichter an. Der Anwalt zittert
vor Erregung, der Staatsanwalt bebt vor Zorn, whrend der
ltere Mitbrger leblos hinausgetragen wird. Der Richter
zieht sich zur Urteilsfindung zurck.
Gem dem Gesetz zur Vermeidung von Besorgs ihr,
Schlappschwanz-Rufen in Lichtspielhusern aus dem
Jahre 1998, verkndet er nach seiner Rckkehr in den
Gerichtssaal, wrde ich den Angeklagten zu zwei
Monaten Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilen,
wenn es ein solches Gesetz in den Lndern des Nahen
Ostens denn gbe. Da es jedoch kein einschlgiges Gesetz
gibt, verurteile ich Ingmar Bergmann zu zwei Stunden
Mussa.

Baujahr 1714

Kleine Lnder haben nicht selten Profilneurosen. Wir sind


ein kleines Land. Darum haben wir zum Beispiel groe
Autos besonders gern, und das bringt einige Probleme mit

71
sich. Untersuchungen haben ergeben, da ein
amerikanischer Straenkreuzer vom Baujahr 1992
ungleich breiter ist als eine israelische Strae vom Baujahr
1714. In solchen Fllen parkt die Strae im Wagen. Dem
kleinen Israeli bietet sich als einzige Lsung an, sein Fahr-
zeug zu halbieren und somit zum guten alten Motorrad
zurckzukehren.

Mitleid nicht gleich bestraft

In jener Nacht verlie ich Petach Tikwah auf meinem


nagelneuen Motorrad in Richtung Tel Aviv. Am Stadtrand
von Petach Tikwah stand ein kleiner, altersgebeugter
Mann, winkte verzweifelt mit den Hnden und krchzte,
so laut er konnte: Tel Aviv, Tel Aviv.
Augenblicklich erwachte mein mitfhlendes jdisches
Herz. Eines Tages, so flsterte es mir zu, eines Tages wirst
auch du klein und altersgebeugt sein und wirst dich freuen,
wenn dich am Stadtrand von Petach Tikwah jemand nach
Tel Aviv mitnimmt.
Ich bremste scharf und bat den Alten auf den Hintersitz.
Er kroch mhsam und umstndlich hinauf.
Gottlob gibts noch anstndige Menschen im Lande,
sagte er in flieendem Jiddisch. Der Himmel segne Sie,
junger Mann.
Ich wehrte ab. Ich hatte nur meine Pflicht getan.
Sie mssen sich gut festhalten, Gropapa, sagte ich
sicherheitshalber und startete. Bald darauf hrte ich hinter
mir ein schmerzhaftes Oj, das sich mehrmals wieder-
holte.

72
Oj, sthnte mein greiser Mitfahrer. Haben Sie Ihren
Rcksitz mit Steinen ausgestopft?
Er hatte nicht so unrecht. Der Rcksitz besa keine
Federung und war sehr hart. Ich schmte mich, so bequem
dahinzufahren, whrend hinter mir der Veteran wie ein
Schifflein auf strmischer See umhergeschleudert wurde.
Auerdem mute er mit der einen Hand seinen Hut halten.
Es war bestimmt kein Vergngen fr ihn.
Ich kann Motorrder nicht ausstehen, vertraute er mir
an. Sie machen Lrm und stinken. Und was ist mit Ihnen,
junger Mann? Wo leben Sie?
In Tel Aviv.
Wieso haben Sie dann kein Auto? Jeder Schnorrer in
Tel Aviv hat ein Auto.
Wenn Ihnen das Motorrad zu unbequem ist, Gropapa,
knnen Sie ja absteigen.
Hier? Im Finstern? Wo sind wir hier berhaupt? Sie
haben komische Einflle, das mu ich schon sagen.
Knnen Sie nicht ein bichen schneller fahren?
Ich gab Gas.
Oj, wie windig, ertnte hinter mir die klagende
Greisenstimme. Den Tod kann man sich holen. Aber was
kmmert Sie das. Sie wrden mich ja nicht einmal im
Krankenhaus besuchen.
Doch, doch, ich besuche dich, gelobte ich mir. Sei du
erst einmal im Krankenhaus, dann werde ich dich schon
besuchen.
Aber ich wurde wieder vom Mitleid gepackt. Was hatte
der Arme durchgemacht, da solche Bitterkeit aus ihm
sprach.
Sie sind aber ein sehr schlechter Fahrer, sprach die
Bitterkeit aus ihm. Ich staune, da man jemanden wie Sie

73
berhaupt auf die Strae lt. Das kann wirklich nur hier
passieren. Hier geben sie jedem Rowdy, der Geld genug
fr Benzin hat, einen Fhrerschein. Und dann wundert
man sich ber die Verkehrsunflle. Wie viele Menschen
haben Sie schon berfahren?
Ich fahre seit zehn Tagen und hatte noch keinen einzi-
gen Unfall, versicherte ich stolz. In diesem Augenblick
ertnte ein lauter Knall. Der Reifen des Hinterrads war
geplatzt, und wir landeten im Straengraben. Der Motor
spuckte noch ein paarmal, dann gab er den Geist auf.
Mein Fahrgast erhob sich sthnend und fluchend.
Sie Mrder, schrie er, Sie rcksichtsloser Unmensch!
Rast durch die Gegend wie ein Verrckter. Aber ich habs
ja gewut, ich habs von Anfang an gewut.
Jetzt sah ich mir den Tobenden genauer an. Eigentlich
war er ja gar nicht so alt. Er war ein untersetzter Mann in
den besten Jahren, stmmig, beinahe fett. Wahrscheinlich
war der Reifen unter der Last seines Gewichts
zusammengebrochen.
Es tut mir leid, entschuldigte ich mich. Ich habe es
nicht absichtlich getan.
Das ist kein Trost fr mich. Meiner Nachbarin ist
neulich das Bgeleisen aus der Hand gefallen, direkt auf
den Kopf ihres Babys. Sie hat es auch nicht mit Absicht
getan. Aber das Kind ist jetzt frs ganze Leben schwach-
sinnig.
Mein Fahrgast hatte sich am Straenrand niedergelassen.
Er sah eindeutig so aus, wie jemand der Getzl heit. Meine
Aufforderung, mir beim Flottmachen meines Fahrzeugs zu
helfen, quittierte Getzl mit den Worten:
Bin ich ein Lasttrger?
Wenn Sie mir nicht helfen, das Motorrad bis zur

74
nchsten Straenlampe zu schleppen, lasse ich Sie hier
sitzen.
Getzl erhob sich widerwillig und legte Hand an die
Lenkstange. Whrend er so dahinstolperte, verfluchte er
mich und meine Familie auf polnisch.
Fluchen Sie ruhig weiter, ermunterte ich ihn. Mir
macht das nichts aus. Fr mich ist Polnisch eine
Fremdsprache. Aber meine Mutter sollten Sie aus dem
Spiel lassen. Sie versteht etwas Polnisch.
Nach einiger Zeit hatten wir das Fahrzeug bis zur
nchsten Laterne geschoben, da sah ich, da ich keinen
gebckten Greis vor mir hatte, sondern einen gesunden,
stattlichen Mann meines Alters. Vielleicht war er sogar ein
paar Jahre jnger.
Eine Weile standen wir einander gegenber, stumm und
nicht gerade liebevoll.
Einen Moment, rief Getzl pltzlich. Sie kenn ich
doch. Haben Sie letzten Winter nicht bei Kirschbaum im
Fleischerladen gearbeitet?
Wer, ich?
Ja, Sie. Sie haben wahrscheinlich geglaubt, ich wrde
Sie nicht erkennen. Zwei Tage mute ich damals im Bett
bleiben.
Warum?
Das fragen Sie? Weil Sie mir ein tiefgekhltes Huhn an
den Kopf geworfen haben.
Ein tiefgekhltes Huhn?
Tun Sie nicht so. Das waren doch Sie, oder etwa
nicht?
Jawohl, sagte ich. Und wenn Sie nchstens in den
Laden kommen, werfe ich Ihnen einen tiefgekhlten
Truthahn an den Kopf.

75
Getzl war sichtlich verwirrt. Eine Zeitlang folgte er
sogar freiwillig meinen Anweisungen. Ich lie ihn den
Kotflgel halten und die Kette. Davon bekommt man noch
schmutzigere Hnde als von der Veruntreuung ffentlicher
Gelder.
Das wird Ihnen noch leid tun, keuchte Getzl. Ich
werde mich bei der Polizei beschweren. Kennen Sie den
Inspektor Goldblatt?
Natrlich. Er ist mein Bruder.
Getzl drehte sich wortlos um und winkte den
vorberfahrenden Autos. Das knnte ihm so passen. Mich
mit meinem kaputten Motorrad in der Dunkelheit
zurckzulassen und bequem nach Tel Aviv zu fahren.
Zum Glck hielt kein einziger Wagen an.
Oder doch der Chrysler jetzt tatschlich!
Mit einem Satz war ich am Schlag, ri ihn auf und
sprang in den Wagen hinein.
Hilfe, ein berfall, rief ich dem Fahrer zu. Der Mann
dort wollte mich berfallen. Geben Sie Vollgas!
Der Chrysler gab Vollgas. Getzl blieb allein zurck. Es
war ein wunderschner Anblick, wie er wie vom Donner
gerhrt dastand. Vielleicht steht er morgen noch dort,
wenn ich das Motorrad abholen lasse. Meinetwegen
knnen sie dann auch ihn abschleppen.

Weitentfernte Verwandte

Ein armer Schlucker wandte sich an Baron Rothschild und


belehrte ihn: Alle Juden sind Brder. Rothschilds
Antwort wird von der Geschichte nicht berliefert, aber

76
bei seinem Begrbnis warf sich der arme Schlucker
weinend ber den Sarg.
Waren Sie mit dem Verstorbenen verwandt? fragte
man ihn.
Nein, schluchzte der Mann, deshalb weine ich ja.

Der Schmelztiegel

Als mein Motorrad lter geworden war, fuhr ich einmal


schwungvoll zu einer Tel Aviver Tankstelle und rief dem
Tankwart zu:
Fnf Liter Sprit und 200 Gramm l.
Der Mann strahlte, dann fiel er mir um den Hals.
Sie kommen auch aus Ungarn? Sagen Sie nichts, ich
habe das gleich an ihrem furchtbaren Akzent erkannt.
Mitbrger! Freund! Landsmann, wie geht es Ihnen?
Ich war gerhrt. Es ist nun einmal nichts Alltgliches,
wenn zwei einander vllig unbekannte Juden weit weg
von ihrem heimatlichen Budapest zusammentreffen und
sich hemmungslos in ihrer stets auf der falschen Silbe
betonten Muttersprache unterhalten knnen. Ja, das ist
Israel, der Schmelztiegel.
Dann erzhlte mir mein neuer Blutsbruder, da sein
Betrieb seit vierzig Jahren fest in ungarischer Hand sei.
Der Bo wre zwar ein abscheulicher Litauer, das fiele
aber nicht weiter auf, da er bereits mit ungarischem
Akzent sprche.
Nach einigen Minuten nostalgischen Schwelgens unter-
brach sich mein Landsmann.
Hren Sie, lieber Freund, ich will Sie nicht beleidigen
77
oder gar, Gott behte, krnken, aber Ihr Motorrad ist
ziemlich verschmutzt. Man sollte es grndlich subern.
Zwar gibt es bei uns Freitagnachmittags prinzipiell keine
Motorradwsche, aber bei einem ungarischen Kunden
mache ich natrlich eine Ausnahme.
Danke, aber ich habe es leider sehr eilig.
Es handelt sich nur um fnf Minuten, keine Sekunde
mehr. Wer soll schon wem helfen, wenn nicht ein
jdischer Ungar einem ungarischen Juden?
Ohne weitere Vorwarnung klatschte mein Landsmann in
die Hnde, worauf ein transsylvanischer Br aus einer
Hhle hervorkam, um mein am ganzen Leibe zitterndes
Motorrad in die Werkstatt zu entfhren. Dort setzte sich
der Br eine Rntgenbrille auf, ergriff eine Spritzpistole
und schaltete sie ein. Ihr Strahl war stark genug, um
Lcher in den Asphalt zu bohren. Der Bruderbr lchelte
mir ermutigend zu und lenkte den Strahl auf mein
Motorrad. Dieses fiel sofort um und blieb wie ein
angeschlagener Boxer verkrampft auf der Seite liegen.
Keine Sorge, mein Freund, trstete mich der Br in
einem eher rustikalen Ungarisch, so kann der Strahl
besser durchsplen, um den ganzen Schmutz zu vernich-
ten. Wissen Sie, wenn Sie zum Beispiel ein Pole wren
oder, Gott behte, gar ein Rumne, nie im Leben htte ich
am Freitag nachmittag diese Schwerstarbeit begonnen.
Weil Sie aber meine Sprache sprechen, berwinde ich
mich. Wir mssen zusammenhalten, um uns gegen den
starken balkanischen Druck zu wehren, verstehen Sie?
Mein Motorradsitz begann sich mittlerweile unter dem
starken Druck des transsylvanischen Reinigungsstrahls zu
wellen, und die Drhte des Scheinwerfers rissen wie
strapazierte Nerven.
Hren Sie auf, schrie ich.

78
Nur nicht nervs werden, erklang eine ungarische
Stimme hinter mir. Wem sie gehrte, konnte ich nicht
feststellen, da sich inzwischen das gesamte magyarische
Personal des Betriebes in die Hnde klatschend um mich
geschart hatte.
Wir Ungarn, stellte einer fest, wir sind berhmt fr
unsere einwandfreie Arbeit, besonders wenn wir fr einen
Landsmann arbeiten. Sehen Sie diesen ekelhaften Polen
dort, wie er uns aus haerfllten Augen anstarrt? Er
zeigte mit seinem lverschmierten Zeigefinger auf einen
einsamen Arbeiter, der sich still in einer Ecke verkroch..
Wer ist dieser Gnom? fragte ich.
Mein Schwager. Dann wandte er sich an den trans-
sylvanischen Bren: Jancsikm, etwas mehr Druck.
Jancsikm legte einige Dutzend At zu. Die Reinigungs-
masse drang durch das Loch des Zndschlosses in die
Dynamospulen und vernichtete dort alles. Vermutlich
auch den Schmutz. Aus einem der Ventile erklang ein
zarter Pfeifton, kurz danach lste sich das Hinterrad von
der Felge.
Vorsicht! schrie ich aus Leibeskrften. Was habt ihr
vor?
Krachbumm!
Das Nummernschild des Motorrads wurde fortgeblasen
und blieb in der Wand stecken. Der Putz fiel von der
Decke. Der Fahrersitz war vllig verschwunden, so als
htte er niemals existiert. Aus dem Motor kamen klebrige
Rauchschwaden. Ich versuchte, dem Bren die Spritz-
pistole zu entreien, aber der Strahl trennte mich von
meinem verendenden Motorrad.
Hren Sie, Mensch, brllte ich dem Bren zu, meine
Mutter ist Polin, die dazu noch Rumnisch versteht!
Hren Sie auf, es ist Freitag nachmittag
79
Das Untier grinste mir freundlich zu und lie dem
Motorrad aus einem riesigen Feuerlschgert einen Strahl
kochenden Wassers angedeihen. Die Lenkstange krmmte
sich, der Rckspiegel nahm Monokelform an, der Schein-
werfer glich einem Aquarium, das ganze Gefhrt
schrumpfte vor meinen Augen ein.
So, das wre erledigt, verkndete mein Bruderbr und
warf mir mein ehemaliges Motorrad zu. Aber erzhlen
Sie keinem Menschen, da wir am Freitag nachmittag
noch gearbeitet haben. Das war ein Spezialservice fr Sie,
weil Sie eben
Mein armes Motorrad sah aus, als wre es irrtmlich von
einem Pogrom heimgesucht worden.
Ich pumpte das Hinterrad wieder auf und versuchte,
mein Fahrzeug in Gang zu setzen. Es gab einen klglichen
Seufzer von sich, der wie ein frchterlicher Fluch klang.
Ich stand allein und verlassen da. Das magyarische
Tankstellenpersonal wandte sich wieder seiner verant-
wortungsvollen Arbeit zu. Ich trat einigemal auf den Kick-
starter in der waghalsigen Hoffnung, ihn vielleicht doch
noch zu starten.
Fahren Sie doch endlich los, tadelte mich der
Vorarbeiter.
Ich wies stumm auf mein lebloses Gefhrt.
Bringen Sie es zu einem Pannendienst, riet mir mein
magyarischer Freund. Wichtig ist aber, da Sie zu
keinem Polen oder gar Rumnen gehen. Diese Leute
machen alles kaputt.

80
BLAUMILCH IST BERALL

81
Turm von Babel

Wenn woanders auf der Welt ein Mensch pltzlich zu


meckern beginnt, ruft man das nchste Irrenhaus an. In
Israel nimmt man an, da er ein Ziegenhirt aus der sd-
lichen Mandschurei sei, der sich in seiner Muttersprache
verstndigen will. Und wenn er sich Ketchup ins Haar
schmiert, sollte man die Mglichkeit nicht ausschlieen,
da es sich hier um eine alte bolivianische Volkssitte
handelt.

Verschaukelt

Als der Kusine meines Freundes Jossele ein Sohn geboren


wurde, wollte ich dem Kleinen ein besonders schnes
Geschenk kaufen, ohne Rcksicht auf die Kosten. Daher
schrieb ich einen Brief an meinen Onkel Egon nach
Amerika. Knappe zehn Tage spter wurde ich vom Zoll
benachrichtigt, da ein groes Paket fr mich ange-
kommen sei.
Der Zollbeamte, bei dem ich landete, war auer-
ordentlich hflich und schlte mit Engelsgeduld eine
Papierhlle nach der anderen ab, bis sich schlielich ein
stattliches Schaukelpferd zeigte.
Ein wenig rgerte ich mich ber Onkel Egon. Der glck-
liche Sohn war um diese Zeit zwei Wochen alt, und ein
zwei Wochen altes Baby braucht kein Schaukelpferd.

82
Aber nun war es einmal da, und ich wollte es aus-
probieren. Doch das erlaubte mir der Beamte nicht. Ich
drfe das Schaukelpferd nicht anrhren, bevor ich nicht
die Zollgebhr von 871,30 Pfund bezahlt htte.
Das ist ja der helle Wahnsinn! Warum so viel?
Sehen Sie selbst, sagte der Beamte und hielt mir
irgendeine Gebhrentabelle unter die Nase. Es handelt
sich um ein zu Reitzwecken importiertes Vollblut.
Vollblut? Wovon sprechen Sie?
Unser beeideter Sachverstndiger hat diesen Hengst als
dreijhriges, hochgezchtetes, normannisches Rennpferd
eingestuft. Und erzhlen Sie mir geflligst nicht, da es
aus Holz ist, denn in Paragraph 117/82/kp steht kein Wort
davon, aus welchem Material ein Pferd hergestellt wird.
Ein Pferd ist ein Pferd.
Da er jedoch nicht nur Beamter, sondern auch Mensch
war, riet er mir, in einer Eingabe an die Zollbehrde das
Pferd als Spielzeug zu deklarieren.
Die Eingabe ging ihren vorschriftsmigen Weg, und
schon nach wenigen Wochen erhielt ich den abschlgigen
Bescheid. Ich beauftragte sofort einen Rechtsanwalt, der
zu dem Schlu kam, da die Hhe des Zollbetrags auf den
Vermerk fr Reitzwecke zurckginge. Die Zollgebhr
fr Nutzpferde sei bedeutend niedriger. Wir baten daher,
das Pferd als Nutzpferd einzustufen.
Bald darauf erschien ein hoher Beamter des Landwirt-
schaftsministeriums und machte mich darauf aufmerksam,
da ich vergessen hatte, den Namen des Pferdes
anzufhren.
Schulthei, sagte ich, denn ich besa einen pferde-
gesichtigen Freund, der so hie. Der Beamte notierte den
Namen und bergab mir eine Kopie.

83
Von da an ging alles glatt. Das Landwirtschafts-
ministerium verstndigte mich, da ich Schulthei als
Nutzpferd fhren drfe, sobald ich den Nachweis erbracht
htte, da ich ihn fr die Zucht bentige. Da es ein offenes
Geheimnis war, da ich keine Pferdezucht besa, wandte
ich mich von neuem an meinen Anwalt, der mir nach
Prfung der einschlgigen Gesetze mitteilte, da schon der
Besitz einer einzigen Stute mich zur Haltung eines
Hengstes berechtige. Wir verstndigten das Landwirt-
schaftsministerium, da meine Stute Brunhilde in Jaffa
eingestellt sei. Ein Jockey besttigte mir gegen nur 50
Pfund, da Brunhilde rossig und ein sofortiges Eingreifen
Schultheiens von grter Wichtigkeit fr die israelische
Pferdezucht wre.
Eine Woche spter lutete es an meiner Tr. Zwei
Detektive mit Hausdurchsuchungsbefehl drangen ein. Der
Staat Israel hatte mich auf Betrug verklagt.
Sie wollen uns einreden, da ein Schaukelpferd Fohlen
kriegen kann? schnauzte einer der Detektive mich an.
Halten Sie uns fr komplette Idioten?
Ich bejahte, packte das Ntigste zusammen und nahm
Abschied von meinem Weib. Erst im letzten Augenblick
fand ich meine oft bewhrte Schlagfertigkeit wieder.
Aber meine Herren, sagte ich. Wissen Sie denn nicht,
da auch Brunhilde ein Schaukelpferd ist?
Die Detektive flsterten miteinander, entschieden, da
dies natrlich die Sache grundlegend ndere, und verab-
schiedeten sich. Zwei Stunden spter erhielt ich eine
Rechnung ber 117 Pfund fr Stallgebhren fr Hengst
Schulthei. Ein weiterer Zwischenfall ergab sich mit dem
von der Regierung eingesetzten Tierarzt, der den staub-
bedeckten Schulthei im Zolldepot untersuchte und einen
unhygienischen Zustand, mglicherweise ansteckend

84
diagnostizierte.
Das wre gefhrlich geworden, aber zum Glck stellte
sich heraus, da ein Vetter des Pferdedoktors mit dem
Schwager von Frau Toscanini verwandt war, die den
Zusatz Die Zeugungsfhigkeit des Hengstes ist zweifel-
haft durchsetzte.
Leider waren damit immer noch nicht alle
Schwierigkeiten aus der Welt geschafft. Das Landwirt-
schaftsministerium wollte wissen, wo ich die Schauke-
lstute namens Brunhilde gekauft und wieviel Luxussteuer
ich fr sie bezahlt htte. Zu diesem Zeitpunkt gab mein
Anwalt mit der Begrndung, da er eine Familie erhalten
msse, meinen Fall ab.
In der darauffolgenden Nacht wurde ich verhaftet.
Die Verhandlung war kurz. Dank meiner bisherigen
Unbescholtenheit bekam ich nur zwei Jahre Gefngnis.
Die drei Monate, die ich in Verkehr mit den Behrden
gestanden hatte, wurden mir angerechnet.
Man wies mich in die Zelle Nummer 18 des alten
Gefngnisses von Jaffa ein. Anfangs litt ich sehr unter
dem ungerechten Urteil und vor allem unter der Ein-
samkeit, aber eines Tages ging die Zellentr auf, und ich
erhielt die Gesellschaft eines gutartigen, wenngleich etwas
heruntergekommenen Zugpferdes. Es war gleichfalls
wegen Betrugs verurteilt worden, weil es sich vor den
Hafenbehrden in Haifa als Schaukelpferd ausgegeben
hatte.

85
Einsteins Erben

Alles ist relativ. Nach Ansicht des israelischen


Finanzministers ist alles, was man fr Geld kaufen kann,
Luxus. Nach Ansicht der Steuerzahler, ist der Finanz-
minister ein Luxus.

Kein l, Moses

Und zogen die Kinder Israels aus der Wste Sinai. Und
es murrte die ganze Gemeinde wider Moses, und forderte
von ihm den Treibstoff, dessen sie brauchten zur
Weiterfahrt. Und Moses redete zu ihnen, und sprach:
Was murret ihr wider mich, und versuchet den Herrn?
Das Volk aber fuhr fort zu hadern, und fragte: Wozu hast
du uns herausgefhrt aus dem Lande gypten, welches
reichlich versehen ist mit Erdl? Sind wir dir nachgefolgt
in die Wste, da wir hier sterben sollen mit unseren
Kindern? Und Moses schrie zum Herrn, und rief: Was
soll ich tun mit diesem widerborstigen Volk? Und der
Herr antwortete ihm, und sprach: Tritt hin vor das Volk,
und nimmt mit dir die ltesten in Israel, und nimmt den
Stab in deine Hand, gehe hin, und ich will vor dir stehen
auf einem Fels in Horeb, und sollst auf ihn einschlagen
mit deinem Stecken, und wird viel l daraus hervor-
flieen, und wird ausreichen bis ins Gelobte Land. Und
Moses tat wie geheien, und schlug auf das Gestein, und
schlug und schlug, einen ganzen Tag und eine ganze
Nacht, und es kam nichts heraus. Und der Herr redete aufs
neue und sprach: Es tut mir leid, dann werden die Juden
eben zu Fu gehen mssen.

86
Kein Schlsselloch umsonst

Wieder einmal schlenderte ich mit meinem Freund


Jossele, dem phantasievollen Weltmeister im Nichtstun,
von einem Kaffeehaus zum andern, wieder einmal wuten
wir nicht, was wir mit dem angebrochenen Nachmittag
anfangen sollten. Da hatte Jossele pltzlich eine Idee.
Weit du was? La uns Wir kommen von der Stadt-
verwaltung spielen!
Damit zog er mich ins nchste Haus und lutete an der
erstbesten Tr. Man ffnete, und wir traten ein.
Schalom, sagte er. Wir kommen von der Stadt-
verwaltung.
Der Wohnungsinhaber wurde bla, umarmte seine Frau
und fragte nach dem Grund unseres Besuchs.
Sie haben die Anzahl der Sthle in Ihrer Wohnung
nicht angegeben, sagte Jossele und zog aus seiner Brust-
tasche einige Papiere hervor, Briefe, Mahnungen und
hnliches. Ihre Erklrung ist berfllig!
Welche Erklrung?
Ihre Steuererklrung fr die Bestuhlung Ihrer Wohn-
rume. Jede Sitzgelegenheit mu angegeben werden.
Lesen Sie denn keine Zeitungen?
Ich, ja , stotterte der Schuldige. Irgend etwas habe
ich schon gelesen. Aber ich dachte, das bezieht sich nur
auf Brorume.
Drfen wir eine Bestandsaufnahme durchfhren?
fragte Jossele hflich.
Wir gingen durch die Wohnung und notierten vier
Fauteuils im Wohnzimmer, je zwei Sthle in den beiden
Schlafzimmern und einen unter dem Kchentisch

87
versteckten Schemel. Das Ehepaar folgte uns zitternd.
Haben Sie vielleicht Eimer im Haus? fragte Jossele als
nchstes.
Ja. Einen.
Kann umgedreht werden und gilt als Notsitz.
Jossele notierte den Zuwachs.
Jetzt wurde der Mann wtend.
Das geht zu weit. Als ob ich nicht schon genug Steuern
bezahle.
Was wollen Sie von mir? entgegnete Jossele beleidigt.
Ich bin nur ein kleiner Beamter, der seine Anweisungen
befolgt. Das Ganze wird Sie ungefhr 270 Pfund kosten.
Die Hausfrau, offenbar der ngstlichere Teil des Ehe-
paars, wollte den Betrag sofort bar bezahlen. Jossele
verweigerte jedoch die Annahme des Geldes, er wisse
schlielich nicht, wie hoch die Zusatzsumme fr das
Zahlungsversumnis wre.
Damit verabschiedeten wir uns.
In der Nachbarwohnung registrierten wir die
Schlssellcher und belegten sie mit einer jhrlichen
Steuer von 390 Pfund. Nchste Woche nehmen wir uns die
Glhbirnen vor. Von 60 Watt an aufwrts.

Patriotismus zum Quadrat

Nach dem israelischen Grundgesetz erhlt jeder jdische


Einwanderer ohne weiteres die Staatsbrgerschaft. Israel
drfte also das einzige Land der Welt sein, wo jeder
Wahnsinnige einreisen und Staatsbrger werden kann.

88
Aber man lt ihn nie wieder hinaus, damit er das Land
nicht blamiert.

Blaumilch ist berall

Jedes Volk hat sein nationales Hobby. Die Israelis reien


ihre Straen leidenschaftlich gern der Lnge und Breite
nach auf, weil irgend jemand vergessen hat, irgend etwas
unter dem Pflaster unterzubringen, eine Kanalleitung, ein
Telefonkabel, ein Wasserleitungsrohr oder was immer.
Wenn das vorber ist, wird die Strae wieder aufgerissen,
um nachzusehen, ob nicht irgend jemand irgend etwas
unter dem Pflaster vergessen hat.
Es ist kein Zufall, da der Film Der Blaumilchkanal in
Tel Aviv spielt.

Ein Quentchen Theologie

Die Frommen unseres Landes vertrauen vor allem auf


Gott, haben jedoch zur Sicherheit auch einige politische
Parteien gegrndet, die im Parlament das Znglein an der
Waage bilden und jedes Kabinett strzen knnen. Der
Staat Israel besitzt vermutlich als einziger auf Erden eine
sozialistische Regierung, die unter Aufsicht des ehrw.
Oberrabbinats steht. In letzter Zeit gab es allerdings einige
Versuche, Religion und Staat voneinander zu trennen.
Seither herrscht nur noch die Religion.

89
Kohenitische Tragdie

Ich hatte Jankel nie vorher gesehen, aber ich zerstrte


seine Zukunft und sein Familienglck innerhalb weniger
Minuten.
Es begann damit, da eine mir gleichfalls unbekannte
Frau von etwa 40 Jahren in meiner Wohnung auftauchte
und mit einem Redeschwall ber mich herfiel.
Entschuldigen Sie lieber Herr da ich Sie berfalle wo
wir uns doch kaum kennen aber jetzt bin ich endlich
soweit da ich Jankel heiraten knnte ach so Sie wissen
nicht da ich von meinem ersten Mann geschieden bin
warum spielt keine Rolle er hat getrunken und hat anderen
Weibern Geschenke gemacht aber Jankel trinkt nicht und
verdient sehr schn und kmmert sich nicht um Politik
und er lebt schon sehr lange im Land und hat einen sehr
guten Posten in der Textilbranche und will ein Kind haben
aber schnell denn er kann nicht mehr lange warten
schlielich ist er nicht der Jngste aber er schaut noch sehr
gut aus auch wenn er kein Haar auf dem Kopf hat und er
hat sogar eine Wohnung ich wei nicht wo aber Sie
mssen uns unbedingt besuchen und Sie werden uns doch
sicherlich diesen kleinen Gefallen tun nicht wahr?
Ich wnsche Ihnen von Herzen alles Gute, liebe Frau,
sagte ich. Mge Ihrer Ehe Segen beschieden sein.
Schalom, schalom, und lassen Sie gelegentlich von sich
hren.
Danke vielmals ich danke Ihnen aber ich habe ganz
vergessen Ihnen zu sagen da Jankel hier keine Freunde
hat auer ein paar alten Siedlern und die knnen vor dem
Rabbi nicht bezeugen da Jankel im Ausland nie
verheiratet war aber Sie sind noch nicht so lange im Land

90
und Sie sind Journalist und das ist sehr gut denn da
knnen Sie fr uns zeugen.
Gut, sagte ich. Ich gebe Ihnen ein paar Zeilen mit.
Das gengt leider nicht wissen Sie ein Freund von
Jankel hat uns auch so ein schriftliches Zeugnis geschickt
er ist Junggeselle noch dazu auf Briefpapier von Pepsi-
Cola aus Amerika dort lebt er nmlich aber der Rabbiner
hat gesagt es gilt nur persnlich und man mu selber
herkommen und ich danke Ihnen schon im voraus fr Ihre
Gte wo ich doch eine begeisterte Leserin Ihrer Witze bin
der letzte war leider schwach also morgen um 9 Uhr frh
vor dem Caf Passage oder doch lieber gleich beim
Rabbinat und jetzt entschuldigen Sie ich mu schon gehen
mein Name ist Schulamit Ploni sehr angenehm.
Ich bin im allgemeinen kein Freund von Geflligkeiten,
weil sie immer zuviel Mhe machen. Aber diesmal hatte
ich das Gefhl, zwei Liebenden helfen zu mssen.
Auerdem mu ich zugeben, da ich mich vor Frau
Schulamit Ploni ein wenig frchtete. Ich war also am
nchsten Morgen pnktlich um 9 Uhr auf dem
Oberrabbinat, wo mich ein groer, glatzkpfiger Mann
bereits mit Ungeduld erwartete.
Sind Sie der Zeuge?
Erraten.
Beeilen Sie sich. Man hat uns schon aufgerufen.
Schulamit wird gleich hier sein. Sie versucht unter den
Passanten einen zweiten Zeugen zu finden. Das Ganze
dauert nur ein paar Minuten. Sie mssen sagen, da Sie
mich noch aus Podwoloczyska kennen und da ich nie
verheiratet war. Das ist alles. Eine reine Formsache. In
Ordnung?
In Ordnung. Sagen Sie mir nur, ganz unter uns, waren
Sie wirklich nie verheiratet?

91
Nie im Leben. Ich hab schon allein genug Sorgen.
Um so besser. Aber diese Stadt, die Sie mir da genannt
haben, die kenne ich berhaupt nicht.
Sie sind doch Journalist? Erzhlen Sie irgend etwas.
Da Sie eine Reportage ber Podwoloczyska gemacht
haben, und ich habe Ihnen jahrelang geholfen.
Das wird man uns nicht glauben.
Warum nicht? Meinen Sie, da irgend jemand hier
wei, was eine Reportage ist?
Schn. Aber jetzt habe ich schon wieder vergessen, wie
diese Stadt heit, die mit P anfngt.
Wenns Ihnen so schwerfllt, dann sagen Sie, wir
kennen uns aus Brody. Das ist auch in Polen.
Brody war viel leichter. Ich brauchte nur an Brody
Miska zu denken, der in der Volksschule hinter mir
gesessen hat.
Jankel hrte mich noch einmal ab, war beruhigt und
informierte mich zur Sicherheit noch, da sein Nachname
Kuchmann sei. Ich ahnte nicht, da sein Schicksal zu
diesem Zeitpunkt bereits besiegelt war.
Dann kam Schulamit Ploni und brachte tatschlich einen
zweiten Zeugen angeschleppt. Nachdem ich meinen Kopf
vorschriftsmig mit einem bunten Halstuch bedeckt
hatte, wurden wir in das Amtszimmer des Rabbiners
gefhrt, eines brtigen, verehrungswrdigen Patriarchen
mit erschreckend dicken Brillenglsern und noch dickerem
jiddischen Akzent. Der Rabbi grte mich herzlich.
Offenbar hielt er mich fr die Braut. Ich korrigierte ihn,
worauf er die Daten des Brautpaares in ein mchtiges
Buch schrieb und sich dann wieder an mich wandte, als
sprte er, da ich das schwchste Glied in der Kette war.
Wie lange kennst du den Brutigam, mein Sohn?

92
36 Jahre, Rabbi.
Gab es irgendwann eine Zeit, eine noch so kurze Zeit,
in der ihr nicht gut miteinander standet?
Nicht eine Minute, Rabbi.
Alles ging planmig. Der Rabbiner schluckte Brody
kommentarlos, wute nicht, was eine Reportage war,
fhrte die Eintragungen durch und fragte mich nochmals:
Du kannst also bezeugen, mein Sohn, da der
Brutigam niemals verheiratet war?
Nie im Leben. Rabbi.
Du kennst ihn gut?
Ich mte lgen, wenn ich behaupten wollte, da ich
ihn besser kennen knnte.
Dann weit du vielleicht auch, mein Sohn, ob er einer
kohanitischen Familie entstammt?
Natrlich entstammt er einer kohanitischen Familie.
Und ob!
Ich danke dir, mein Sohn. Du hast groes Unglck
verhtet, sagte der Rabbi und schlo das vor ihm
liegende Buch. Dieser Mann darf diese Frau nicht
heiraten. Niemals kann ein Kohen, ein Nachkomme des
Hohepriesters, mit einer geschiedenen Frau in den heiligen
Stand der Ehe treten.
Schulamit Ploni brach in hysterisches Schluchzen aus,
Jankel sah mich haerfllt an.
Verzeihen Sie, Rabbi, stotterte ich. Ich habe in
Ungarn eine weltliche Erziehung genossen und wute
nichts von der Sache mit den Kohanim. Bitte streichen Sie
diese Stelle aus meiner Zeugenaussage.
Es tut mir leid, mein Sohn. Wir sind fertig.
Einen Augenblick.

93
Wutschnaubend sprang Jankel auf.
Vielleicht hren Sie auch mich an? Mein Name ist
Kuchmann, und ich war nie im Leben ein Kohen. Im
Gegenteil, ich stamme von ganz armen, unbedeutenden
Juden ab, man knnte fast sagen von Sklaven.
Warum hat dann Ihr Zeuge gesagt, da Sie ein Kohen
sind?
Mein Zeuge? Ich sehe ihn heute zum ersten Mal.
Woher soll ich wissen, wie er auf diese verrckte Idee
gekommen ist?
Der Rabbiner warf mir ber den Rand seiner dicken
Brille einen Blick zu, vor dem ich die Augen senkte.
Es ist wahr, gestand ich. Wir haben uns erst heute
kennengelernt. Ich habe keine Ahnung, wer er ist und was
er ist. Ich dachte, es knnte ihm nicht schaden, ein Kohen
zu sein. Vielleicht wre es sogar gut fr ihn, dachte ich,
vielleicht verbilligt das die Trauungsgebhr. Lassen Sie
die beiden heiraten, Rabbi.
Das ist unmglich. Es sei denn, der Brutigam weist
nach, da er nicht aus einer kohanitischen Familie
stammt.
Um Himmels willen, sthnte Jankel. Wie soll ich so
etwas nachweisen?
Das wei ich nicht, und es ist auch noch niemandem
gelungen, sagte der Rabbi. Und jetzt verlassen Sie bitte
das Zimmer.
Drauen entging ich nur mit knapper Not einem
Mordanschlag. Jankel schwor beim Andenken seiner
armen, unbedeutenden Vorfahren, da er es mir noch
heimzahlen wrde, und Schulamit besprengte das Straen-
pflaster mit ihren Trnen.
Warum haben Sie uns das angetan? heulte sie.

94
Warum drngen Sie sich dazu unser Zeuge zu sein wenn
Sie berhaupt nicht wissen was Sie sagen sollen ein
Lgner sind Sie jawohl das ist es was Sie sind ein Lgner
ein ganz gemeiner Lgner.
Sie hatte recht. Gott soll sich meiner verlorenen Seele
erbarmen.

Affenliebe

Die Bewohner des Mea-Schaarim-Viertels von Jerusalem,


die den jdischen Staat nicht anerkennen, weil er nicht
vom Messias ausgerufen wurde, suchen schon lange nach
Lsungen, wie man den Ruhetag ohne Probleme einhalten
knne. Ein Tierpfleger aus dem Tel Aviver Zoo erzhlte,
da jene Leute ihn gefragt htten, ob man nicht einen
Affen dressieren knne, am Sabbat einen Elektroschalter
zu bettigen. Es wre eine Mglichkeit dieses Gesetz zu
umgehen, da die Bettigung eines Lichtschalters am
Sabbat verbiete. Die Rabbiner erlaubten die Affenlsung,
allerdings nur unter der Bedingung, da der Affe aus
eigener Initiative handle. Der Tierpfleger schtzte die
Dauer der Dressur auf rund sechs Jahre. Daraufhin wurde
die Angelegenheit vertagt.
Auch die berlegung, die Fotos mit dem Affen am
Lichtschalter zu einer Pressesensation zu machen,
scheiterte. Dafr htte nmlich ein zweiter Affe dressiert
werden mssen, da schlielich auch fotografieren am
Sabbat verboten ist.

95
Salzberger antwortet nicht

Das Telefon lutete, und jemand fragte schon zum dritten


Mal, ob er mit der Vereinigten Holzwolle AG verbunden
sei.
Vereinigte Holzwolle? Nein, da haben Sie eine falsche
Nummer, sagte ich und legte auf. Als es zum vierten Mal
lutete, griff ich zum Hrer und sagte:
Vereinigte Holzwolle.
Endlich, sagte eine erlste Stimme. Ich mchte mit
Salzberger sprechen.
Bedaure, antwortete ich. Herr Salzberger hat mit
unserer Firma nichts mehr zu tun.
Wieso nicht, ist etwas geschehen?
Man ist ihm auf seine Betrgereien gekommen.
Was Sie nicht sagen.
Das berrascht Sie? Solche Sachen mssen doch
einmal auffliegen.
Wem erzhlen Sie das. Ich warte schon seit Monaten
darauf.
An Ihrer Stelle wrde ich mich jetzt aber auch aus dem
Staub machen.
Hier endete das Gesprch. Manche Leute haben wirklich
keine Geduld.

Hexenjagd

Der Prototyp unserer heimischen Telefonistin ist eine


magere Sabra mit durchdringendem Blick und Adlernase.

96
Sie trgt einen knielangen braunen Pullover, wird morgens
von Hustenanfllen geqult und hat unter anderem auch
mich.
Die Feindseligkeiten zwischen uns werden damit
erffnet, da wir die Nummer whlen, die hebrische
Telefonistin an der gegnerischen Front den Hrer abhebt
und sagt:

Sie sagt gar nichts, sie hebt nur ab. Sie beschert uns
andchtige Stille, ewiges Schweigen. Im besten Falle
hren wir in weiter Ferne, ganz im Hintergrund, das dnne
Stimmchen von Schlomo Grienspan, der soeben eine
Transportfirma verzweifelt anfleht, die Rechnung diesmal
doch bitte an die neue Adresse zu schicken, nicht wie im
letzten Herbst
Hallo, brllen wir in die Muschel, hallo!
Die hebrische Telefonistin hrt uns, und sie hrt
Grienspan, hlt uns jedoch unerbittlich auf Stand-by. Tief
in ihrem Inneren hofft sie, da wir aus einer Telefonzelle
anrufen und uns nicht wegrhren knnen. Zu Hause haben
wir nmlich straferleichternde Bewegungsfreiheit und ver-
lassen die andchtige Stille, gehen in die Kche, machen
uns ein Ksebrot mit Tomaten und kehren gerstet fr die
lange Belagerung an den Apparat zurck.
Hallo, rufen wir mit noch vollem Mund, hallo!
Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, da sie doch ant-
wortet. Schlielich richtet sich der abgrundtiefe Ha der
heimischen Telefonistin nicht gegen uns persnlich,
sondern gegen die feindliche Auenwelt, die auf tausend
Wegen hinterlistig versucht, in ihre Zentrale einzudringen.
Persnlich wird der Konflikt erst, wenn sie sich zu
erkennen gibt:
Hier 729556, bitte sehr.
97
Sie nennt weder Namen noch Adresse, denn die sind
streng geheim und nur einigen wenigen Eingeweihten
bekannt. Man knnte den Namen vielleicht in Erfahrung
bringen, jedoch nicht telefonisch. Telefonisch gibt es nur
eine schlichte Nummer, sonst gar nichts.
Hallo, sagen wir, knnte ich bitte mit Herrn
Zerkowitz sprechen?
Mit wem?
Wir sehen verunsichert auf unseren Zettel. Nein, nein, es
war schon der richtige Name.
Mit Zer Zerko witz
Bitte sehr, mein Herr.
Jetzt ertnt hoffnungsfrohes, elektronisches Klicken ver-
schiedener Tasten und Knpfe, eine drahtlose Verbindung
wird hergestellt. Und andchtige Stille. Die Welt des
ewigen Schweigens kehrt in ihrer ganzen gttlichen Pracht
zu uns zurck. Vielleicht gibt es ein wenig Zerkowitz,
vielleicht auch nicht. Das kann man jetzt noch nicht sagen.
Das wird sich schon noch zeigen. Wir knien neben dem
Telefon und summen Mrsche aus der Zeit des Befrei-
ungskrieges. So mssen sich Astronauten auf der anderen
Seite des Mondes fhlen, vllig abgeschnitten vom Rest
der Menschheit.
Hallo, sagen wir hin und wieder, hallo!
Man kann mit dem Mittelfinger auf den Hrer klopfen
und versuchen ihn damit zum Leben zu erwecken. Man
kann es aber auch lassen. Nach einer Viertelstunde haben
wir kapiert, legen auf und schalten uns damit kurzerhand
aus dem Nichts aus. Da aber das Gesprch mit Zerkowitz
nicht ganz ohne Bedeutung ist, denn wir wollen ihn um
die Telefonnummer seines Schwagers bitten, drcken wir
erneut und mit frischer Energie auf die Tasten. Diesmal

98
erhalten wir sofort eine Antwort.
Naftali wird das Paket nach vier Uhr abholen, sagt die
hebrische Telefonistin. Ich habe wirklich keine Lust,
jeden Tag irgend etwas zur S-Bahn zu schleppen.
Moment, hallo, 729556, bitte sehr.
Wir versuchen, Ordnung in den Hrer zu bringen. Wir
hatten doch, Hand aufs Herz, niemals die Absicht, Fru-
lein Shulamit zu zwingen, irgendein Paket eigenhndig zu
irgendeiner S-Bahn zu schleppen. Wozu hat man denn
schlielich Naftali? Soll doch Naftali so um vier, halb fnf
das Ding abholen, und damit ist die Sache erledigt.
Wir bemhen uns, unserer Erregung ber die fatale
Zumutung Herr zu werden.
Hallo, sagen wir, ich hatte Zerkowitz verlangt.
Wen?
Zer Zerko witz
Wer ist am Apparat?
Jetzt will sie es wissen. Beim letzten Gesprch konnten
wir ihr noch entkommen, aber diesmal klang etwas in
unserer Stimme mit, das ihr natrliches Mitrauen
geweckt hat. Die letzte Schranke ist gefallen, es kann
losgehen. Wir berlegen haarscharf, was wir ihr sagen
sollen: Hallo, hier ist das E-Werk oder vielleicht
Dr. Schai-Scheinberger, ein Schulfreund von Zerkowitz,
wei der Teufel, was berzeugender ist. Schlielich sagen
wir:
Oliver.
Oliver ist immer gut. Oliver klingt sehr berzeugend.
Die hebrische Telefonistin beruhigt sich, und wieder ist
vielversprechendes elektronisches Klicken zu vernehmen.
Und innerhalb Sekundenfrist haben wir tatschlich die
diensthabende Stelle am Ohr. Diesmal verschwenden wir

99
keine Zeit mehr mit der Analyse der Stille, sondern
schlagen das Buch Hannibal, einer gegen Rom auf und
berqueren gemeinsam mit dem sagenhaften Helden die
schneebedeckten Alpen. Mein Gott, welch ein wunder-
bares Abenteuer war das doch, eine ganze Kolonne halb-
erforener Elefanten ber die Bergkette zu fhren, ber
Flsse und Seen, bei Sturm und Donner
Vor den Toren Roms halten wir kurz inne, vielleicht sind
wir unterdessen ja im Zimmer von Zerkowitz gelandet.
Hallo, schreien wir in den Hrer, hallo!
In ganz weiter Ferne, vielleicht jenseits des Meeres, im
Herzen von New York City, murmelt jemand etwas in
flieendem Jiddisch. Jemand, dem Shulamit eine Chance
gegeben hat. Fr uns stehen die Chancen nicht gut. Wir
sind schlimmer als Naftali. Zu viel Verbitterung hat sich in
den letzten Minuten aufgestaut. Wenn wir, Shulamit und
ich, uns auerhalb der Geschftsstunden kennengelernt
htten, dann htten wir vielleicht eine gemeinsame
Sprache gefunden. Vielleicht htten wir ihr trotz ihrer
Magerkeit den Hof gemacht, auch eine Heirat ist nicht
ausgeschlossen, Kinder, Alimente. Aber so, verschanzt
hinter den vorderen Linien, haben wir weder Gegenwart
noch Zukunft, sie ist die Telefonistin, und wir sind einer
der Anrufer, Katz und Hund. Nicht etwa, da wir bse auf
sie wren, oh nein, wir verehren sie, wir bewundern ihre
ganze Machtflle, nur haben wir leider keine zwischen-
menschliche Verbindung mit ihr. Das einzige, was wir zur
Wiederaufnahme eines Kontaktes unternehmen knnen, ist
ein Druck auf die Gabel, erneutes Fluchen und erneute
Wiederwahl ihrer Nummer in der alles entscheidenden
vierten Runde.
Hren Sie, meine Dame, sagen war, warum lassen
Sie mich eine halbe Stunde ohne jede Antwort?

100
Wer ist da?
Oliver. Vor einer dreiviertel Stunde habe ich Zerkowitz
verlangt.
Der ist nicht da.
Ja warum sagen Sie das nicht gleich?
Ich sage es jetzt.
Wann kommt er zurck?
Wei ich nicht.
Ist er berhaupt bei Ihnen beschftigt?
Keine Ahnung.
Kann ich ihm eine Nachricht hinterlassen?
An dieser Stelle wirft sie uns mit einer federleichten
Handbewegung aus der Leitung. Alles ist vorbei. In
diesem letzten kritischen Augenblick jedoch war der
gegenseitige Ha so verzehrend, da wir beide genau
fhlten, wenn das Gesprch auch nur eine Minute lnger
gedauert htte, htte ich mich meines Sakkos entledigt,
wre in den Apparat gesprungen und durch die Drhte
direkt in ihre Telefonzentrale gekrochen, um mich mit
tierischem Gebrll auf sie zu strzen, in einem Kampf auf
Leben und Tod. Shulamits scharfe Ngel bohrten sich in
meinen Hals, whrend meine Zhne ihre Hauptschlagader
suchten, und so wrden wir, Urlaute ausstoend, uns bis
zum blutigen Ende auf dem Boden der Telefonzentrale
wlzen. Ja, eines Tages wird es dazu kommen. Es ist nur
eine Frage der Zeit. Diplomatische Lsungen sind vllig
ausgeschlossen.

101
Treffpunkt im Jenseits

Die Diagnose der Krankheit, von der ich spreche, lautet:


pathologische Neigungen des Durchschnittsisraelis zur
Erzeugung wuchernder Abmachungen ohne Sinn und
Zweck.
Als ich mich, zum Beispiel, whrend einer Theater-
premiere der Saison 1984/85 am Pausenbuffet erholte,
kam Stockler auf mich zu.
Hren Sie, sagte er. Wir mssen uns unbedingt
treffen. Ich haben Ihnen einen Vorschlag zu machen.
Wenns Ihnen recht ist, rufe ich Sie morgen an. Oder besser
Dienstag. Okay?
Okay, gab ich gelassen zurck, ohne tatschlich mit
seinem Anruf zu rechnen. Ich kenne Stockler nur flchtig,
ein Wichtigtuer, der vorgibt, alle mglichen Leute zu
kennen und alle mglichen Geschfte zu machen. Aber
wenn er mir etwas vorschlagen will und wenns ein guter
Vorschlag ist, warum nicht.
Aber es kam kein Anruf von Stockler.
Einen Monat spter sahen wir einander durch Zufall auf
der Strae.
Fr Sie habe ich etwas sehr Interessantes, hielt er
mich fest. Wir mssen die Sache in Ruhe besprechen.
Stehen Sie im Telefonbuch?
Ja.
Fein. Dann rufen Sie mich Mitte nchster Woche an.
Warum ich ihn Mitte nchster Woche nicht anrief, wei
ich nicht mehr. Auch hatte ich Stockler mitsamt seinen
Vorschlgen lngst vergessen, als ich ihn ein Jahr spter
pltzlich am Telefon hatte.

102
Ich wollte Sie schon die ganze Zeit anrufen, um Ihnen
etwas vorzuschlagen. Sind Sie um die Mittagszeit
erreichbar?
Immer.
Gut, dann werde ich Sie anrufen.
Da ich am nchsten Tag fr eine Woche verreiste, wei
ich nicht, ob er mich wirklich angerufen hat. Jedenfalls
verging wieder ein Jahr, bis er sich auf einer Gartenparty
vor mir aufbaute.
Ich bin gerade aus Frankreich zurckgekommen,
raunte er, whrend er mich in eine stille Ecke zog. Ich
habe einen interessanten Vorschlag fr Sie. Wir mssen
irgendwo eine stille Ecke ausfindig machen und ber die
Details sprechen.
Wie Sie meinen.
Einverstanden. Wir telefonieren noch miteinander.
Es folgte eine Zeit ohne jeden Kontakt. Sie dauerte zwei
Jahre. Dann meldete sich pltzlich Stockler am Telefon
und wollte meine Telefonnummer wissen, weil er etwas
Wichtiges mit mir zu besprechen htte. Ich gab sie ihm.
Wir vereinbarten, da an einem der nchsten Tage
entweder er mich oder ich ihn anrufen wrde, um ein
Treffen zu vereinbaren.
Um die Mitte des Jahres 1993 sah ich Stockler auf einer
Kaffeehausterrasse sitzen, offenbar in Gedanken in seinem
Tee rhrend. Ich ging auf ihn zu und stellte mich vor. Er
freute sich, meine Bekanntschaft zu machen. Er htte mich
brigens in Krze anrufen wollen, um mir eine sehr
interessante Sache vorzuschlagen. Am besten, berlegte
er, wre es, wenn wir uns auf einer Kaffeehausterrasse
zusammensetzen und die Sache in Ruhe besprechen
knnten. Er wrde mich am Donnerstag oder Freitag
anrufen, um den Termin zu vereinbaren. Bis dahin hatte er
103
keine Zeit.
Im Mai 1996 begegneten wir einander in einem
Philharmonischen Konzert, konnten aber nur wenige
Worte wechseln, weil die Musik zu laut war.
Aus Andeutungen, die er mir voriges Jahr machte, erriet
ich, da er mich mehrmals angerufen htte, aber es sei
immer besetzt gewesen. Ich riet ihm, es in den frhen
Abendstunden zu versuchen, so zwischen 6 und 7 Uhr. Er
versprach, sich diese Zeit zu merken, und ergnzte, sein
Vorschlag wrde mich bestimmt interessieren.
Das ist eigentlich das Ende der Geschichte.
Kurz nach unserem letzten Gesprch wurde Stockler
krank, und etwas spter starb er.
Ich erhielt die traurige Nachricht durch einen Brief
seiner Witwe. Sie berichtete, ihr verstorbener Mann hatte
noch auf dem Totenbett an mich gedacht und immer
wieder von den groen Plnen gesprochen, die er mit mir
und nur mit mir verwirklichen wollte.
Gestern nacht klingelte mein Telefon. Es war Stockler.
Ich habe jetzt etwas mehr Zeit, sagte er mit
Grabesstimme. Und ich mchte Ihnen einen sehr
interessanten Vorschlag machen.
Ausgezeichnet, antwortete ich. Rufen Sie mich bald
einmal an.

Parade der Wunderkinder

Die jdische Religion schreibt in grenzenlosem Optimis-


mus vor, da ein Kind mnnlichen Geschlechts sich an
seinem dreizehnten Geburtstag bergangslos in einen

104
Erwachsenen zu verwandeln hat. Dieses schicksals-
schwere Ereignis heit Bar-Mizwa, und das Wunder-
kind wird dressiert, wie ein Rabbiner zu beten und sich bei
den prachtvollen Eltern fr alle angeblichen Wohltaten zu
bedanken. Das Kind wird vielleicht zum Mann, die Eltern
aber in jedem Fall infantil.

Ein Dichter wird geboren

Im ersten Morgengrauen lutete das Telefon.


Hallo, sagte eine gedmpfte Mnnerstimme. Ich mu
dringend mit Ihnen sprechen.
In welcher Angelegenheit?
Nicht telefonisch.
Es tut mir leid, wehrte ich ab, aber ich bekomme
tglich ungefhr ein Dutzend solcher Anrufe, und meistens
handelt sichs dann um die Bar-Mizwa des kleinen Jonas,
fr die ich eine Rede schreiben soll.
Glauben Sie, unterbrach mich emprt mein
Gesprchspartner, da ich Sie wegen einer solchen
Lappalie so frh anrufe? Kommen Sie sofort.
Er nannte mir seinen Namen, der mir bekannt vorkam,
irgendwas zwischen Regierung und Groindustrie. Nun,
man kann ja nie wissen. Ich beeilte mich.
Der Regierungsindustrielle erwartete mich vor der
Haustr.
Wir haben keine Zeit zu verlieren, sagte er streng,
whrend wir die Stiegen hinaufkeuchten. Mein Sohn
Jonas begeht in wenigen Tagen seine Bar-Mizwa und
braucht eine Rede.

105
Ich wollte wortlos kehrtmachen, aber er hielt mich
zurck.
Bitte enttuschen Sie uns nicht, flehte er. Wir bauen
auf Ihre Hilfe. Der Junge liebt und verehrt uns und hat
keinen sehnlicheren Wunsch, als uns fr all unsere Gte
von Herzen zu danken.
Soll er.
Durch eine Rede.
Die soll er sich selbst schreiben.
Das kann er nicht. Bitte, bitte. Sie mssen uns helfen.
Nur ein Genie wie Sie ist dazu imstande. Selbstver-
stndlich gegen Honorar, wenn Sie es wnschen. Geld
spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Zeit. Sie drngt.
Jede Stunde ist kostbar. Jede Minute. Verstehen Sie mich
doch! Verstehen Sie ein besorgtes Vaterherz.
Er wollte vor mir niederknien.
Ich hinderte ihn daran und fhlte, wie ich weich wurde.
Nur eine klitzekleine Rede. Gefhlvoll, berquellend
von kindlicher Dankbarkeit, womglich in Reimen. Wie
oft im Leben hat man denn schon Bar-Mizwa? Ein
einziges Mal. Sie knnen nicht Nein sagen.
Ich konnte wirklich nicht. Das besorgte Vaterherz hatte
mich herumgekriegt.
Bis wann wollen Sie das Manuskript haben?
Bis gestern. Wir sind verzweifelt knapp dran.
Ich brauche mindestens zwei Tage.
Unmglich! Bedenken Sie, das Kind mu ja noch den
ganzen Text auswendig lernen. Heute abend, ich
beschwre Sie. Heute abend!
Na schn. Sagen wir, um neun.
Halb neun! Ich verdopple das Honorar, wenn Sie um

106
halb neun liefern!
Beinahe htte er mir die Hand gekt. Von der Tr rief
er mir nach:
Um acht! Vergessen Sie nicht, sptestens um acht!
Zu Hause empfing mich die beste Ehefrau von allen mit
der Nachricht, es htte soeben jemand angerufen und nur
gesagt Zehn Minuten vor acht. Ich bat sie, mir einen
enorm starken, enorm schwarzen Kaffee zu kochen, und
machte mich an die Arbeit.
Zunchst versuchte ich, die geistigen und seelischen
Wallungen des jungen Jonas nachzuempfinden. Wie
wrde er sie wohl ausdrcken? Vielleicht so:

Ihr lieben Eltern alle zwei Habt mich umsorgt vom ersten
Schrei. Dafr dank ich euch noch heute, Ihr seid wirklich
nette Leute.

Vielleicht ein wenig trocken, aber immerhin ein


brauchbarer Anfang.
Whrend ich ber die Fortsetzung nachdachte, brachte
ein Bote einen Blumenstrau mit einem Krtchen: Alles
Gute! Bitte um halb acht!
Die nchste Strophe lautete:

Lieber Vater und liebe Mutter, Dank Euch ist nun alles in
Butter. Ihr schenktet mir das schnste Leben. Dafr will
ich jetzt die Hand Euch geben.

Die nchste Strung erfolgte telefonisch.

107
Wie siehts aus? erkundigte sich das besorgte
Vaterherz. Haben Sie schon etwas fertig?
Ich las ihm das bisherige Ergebnis vor.
Nicht schlecht, meinte er. Aber auch der Name des
Jungen sollte gereimt werden. Er liebt uns abgttisch.
Sieben Uhr zwanzig?
Ich werde mein Bestes tun, versprach ich, schaltete
das Telefon aus und machte mich auf die Suche nach
einem Reim auf Jonas. Es war zu dumm. Htten die Leute
ihren berflssigen Sprling nicht anders nennen
knnen? Zum Beispiel Gideon, mit dem eingebauten Reim
auf Sohn? Ganz zu schweigen von Ephraim, ein wahrhaft
vorbildlicher Name, der sich wie von selbst auf
Jeruscholajim reimt, und das pat immer. Aber nein, Jonas
mu er heien.
Endlich hatte ich ihn erwischt:

Euch Eltern, gilt mein kindlich Sehnen, Euch gelten meine


Dankestrnen. Schon machen sie mein Mikrofon na, Es
schluchzt vor Rhrung euer Jonas.

Ein Exprebote ri das Papier aus meiner


Schreibmaschine und verschwand. Ich hatte die
Ablieferungszeit genau eingehalten. Dann fiel ich in
tiefen, traumlosen Schlummer.

Wochen vergingen, ohne da ich von meiner Bank oder


von meinem Auftraggeber etwas gehrt htte.

108
Ich griff zum Telefon und fragte ihn, ob er zufrieden
gewesen sei.
Womit? fragte er zurck.
Nicht ohne Stolz outete ich mich als Verfasser der
kunstvollen Rede, die Jung-Jonas zur Feier seiner Bar-
Mizwa gehalten hatte.
Ach so, richtig. Ich erinnere mich. Leider habe ich noch
keine Zeit gehabt, ihr Manuskript zu lesen. Rufen Sie
mich doch wieder an.
Morgen frh? Um acht?
Es eilt nicht. Vielleicht gegen Mittag. Oder nchste
Woche.

Pioniergeist

Es ist nicht ganz leicht, im Alter reich zu werden und


dabei noch jung und arm zu bleiben.

Neunzig Jahre und ein bichen


weise

Die Ottomanisch-Jdische Wohlfahrts-Einrichtungs-


Hilfe, abgekrzt OJWEH, wurde um die Jahrhundert-
wende in Jerusalem gegrndet und hatte den Zweck, die
jdische Gemeinde den trkischen Behrden gegenber zu
vertreten. Sie nahm ihre segensreiche Ttigkeit auf und
versuchte etwa das Verbot ffentlicher Diskussionsabende

109
und privater Beschneidungsfeiern aufzuheben, was ihr
durch erfolgreiche Bestechung dreier Paschas hinter-
einander tatschlich gelang.
Nach einiger Zeit machte sich jedoch auch bei diesem
Verein etwas bemerkbar, was fr jdische Vereine typisch
ist, nmlich Geldmangel. Was tut man in solchen Fllen?
Man geht schnorren. So auch im Falle der OJWEH.
berall auf der Welt, wo es Juden gab, tauchten jene blau-
weien Sammelbchsen auf, die uns allen so lieb und
vertraut sind und auf denen man einen kleinen Knaben
sah, der in der Hand eine Sammelbchse hielt, auf der man
einen kleinen Knaben sah, der in der Hand eine Sammel-
bchse hielt und so weiter, bis gengend Geld vorhanden
war, um von den Trken Diskussions- und Beschnei-
dungsfreiheit zu erkaufen.
Zugleich entstand ein kleines Liedchen, das bei ent-
sprechenden Anlssen gerne gesungen wurde:

Wir Juden haben, wie bekannt, von alters her ein


Heimatland.
Fr dieses mu man wirken, sonst knechten uns die
Trken.
Drum hrt, ihr Juden in der Welt:
Wir brauchen Geld, wir brauchen Geld.

Die Juden in der Welt begegneten dem OJWEH-Appell


mit offenen Ohren und ebensolchen Taschen. Die Spenden
gingen so zahlreich ein, da die OJWEH ihre Ttigkeit
ausweiten konnte. Ein Verwaltungsgebude mit einer
groen Menge von Amtsrumen, Schreibtischen und
sonstigem Zubehr wurde errichtet, und wer dem Verwal-
tungsrat angehrte, hatte auf Lebenszeit ausgesorgt. Die

110
freiwilligen Spenden wurden in Jahresbeitrge umgewan-
delt, die auf Wunsch auch monatlich gezahlt werden
konnten und in der einen oder anderen Form wirklich
gezahlt wurden. Fr die Juden in der Welt, zumindest fr
jene, die in gesicherten Verhltnissen lebten und infolge-
dessen ein schlechtes Gewissen hatten, galten die
OJWEH-Zahlungen als Ehrensache.
Der Erste Weltkrieg bereitete diesem paradiesischen
Zustand ein Ende: Die Trken verloren Palstina an die
Englnder. Und was immer man ber die englischen
Herren denken mag, gegen Diskussionen und Beschnei-
dungen hatten sie nichts einzuwenden. Das war ein
schwerer Schlag fr die OJWEH. Alle Bemhungen, die
alten Verbote wieder durchzusetzen, scheiterten am
britischen Understatement.
Der berhmte Kongre von Singapur beschlo dann
einstimmig die Fortfhrung der OJWEH. So wurden
mehrere tausend Mitarbeiter neu eingestellt und in jeder
wichtigen Stadt ein eigenes Verwaltungsgebude errichtet.
Kampagnen wie Kanarienvgel fr unsere Kinder-
grten! setzten neue, populre Akzente. In bezug auf das
Verbot ffentlicher Diskussionen und privater Beschnei-
dungsfeiern lie sich allerdings keine Besserung erzielen.
Sie blieben gestattet. Auch die Trken kamen nicht
zurck.
Und das Schicksal schlug abermals zu: Der Staat Israel
wurde gegrndet und nahm dem altehrwrdigen Verein
aus ottomanisch-jdischen Tagen seine Existenzberech-
tigung. Diskussionen und Beschneidungen waren eine
Selbstverstndlichkeit, an die Kanarienvgel in den
Kindergrten hatte man sich lngst gewhnt, und was an
Verboten existierte oder entstand, war israelisches Eigen-
produkt. Wie, so fragte man sich im ganzen Land, wrde
die OJWEH darauf reagieren? Die Antwort gab der XXIII.

111
Kongre, auf dem alle 13210 Delegierten folgende
Bestands-Proklamation verabschiedeten:
Die OJWEH mu weiterbestehen, und zwar aus
folgenden Grnden:
Sie sichert den Lebensunterhalt von 67000 Beamten.
Jeder Beamte hat eine Familie.
Jede Familie hat Kinder.
Man kann eine Organisation, die so lange Zeit besteht,
nicht einfach auflsen.
Zum Abschlu der Konferenz sangen die 14005 Dele-
gierten das alte OJWEH-Lied mit leicht aktualisiertem
Text:

Wir Juden haben, wie bekannt, von alters her ein


Heimatland.
Wir habens wirklich, aber
Jetzt drohn uns die Araber.
Drum hrt, ihr Juden in der Welt:
Wir brauchen Geld, wir brauchen Geld!

Nachdem der Fortbestand der Organisation gesichert war,


holte man zahlreiche Organisationsfachleute aus dem
Ausland, die eine Reihe vielversprechender Projekte
ausarbeiteten. Der Slogan Ein Blumentopf in jedes
Fenster! erwies sich als hnlich erfolgreich wie einst die
Kanarienvogel-Kampagne, und die Aktion Ein Beamter
ein Baum veranlate die Einwohner Israels zum Pflanzen
von Bumen in Patenschaft der einzelnen OJWEH-
Beamten.
Danach war klar, da die OJWEH auf Dauer nicht ohne
offizielle Untersttzung existieren konnte. Der XXXVII.

112
Kongre in Neuseeland richtete an die Regierung den ein-
dringlichen Appell, eine Vereinigung, an deren
Bedeutung fr unser Land nicht gezweifelt werden kann,
gesetzlich anzuerkennen und dadurch 136000 Beamte und
Whler vor dem Gespenst der Arbeitslosigkeit zu
schtzen.
Wie es sich fr ein demokratisches Staatswesen gehrte,
wurden nicht alle Forderungen des Kongresses von der
Regierung erfllt. Es wurde ausdrcklich festgelegt, da
die OJWEH kein Recht hatte, von den Brgern des Staates
Geldmittel einzutreiben, es sei denn, der betreffende
Brger: bewohnt ein Haus; trinkt Wasser; besucht Kino-
vorstellungen; raucht; ist ber drei Jahre alt; und lebt in
Israel.

Quintessenz

Israel ist bis heute das einzige Land, in dem ein Jude kein
Jude ist.

Jdisches Poker

Jossele langweilte sich. Weit du was? sagte er endlich.


Spielen wir Poker!
Nein, sagte ich. Ich hasse Karten. Ich verliere
immer.
Wer spricht von Karten? Ich meine jdisches Poker.
Jossele erklrte mir kurz die Regeln. Jdisches Poker
113
wird ohne Karten gespielt, nur im Kopf, wie es sich fr
das Volk des Buches gehrt.
Du denkst dir eine Ziffer und ich denk mir eine Ziffer,
erklrte mir Jossele. Wer sich die hhere Ziffer gedacht
hat, gewinnt. Das klingt sehr leicht, hat aber viele Fallen.
Nu?
Einverstanden, sagte ich. Spielen wir.
Jeder von uns setzte fnf Pfund ein, dann lehnten wir uns
zurck und dachten uns Ziffern aus. Jossele deutete mir
durch eine Handbewegung an, da er eine Ziffer htte. Ich
besttigte, da auch ich soweit sei.
Gut, sagte Jossele. La hren.
11, sagte ich.
12, sagte Jossele und steckte das Geld ein. Ich htte
mich ohrfeigen knnen. Denn ich hatte zuerst 14 gedacht
und war im letzten Augenblick auf 11 heruntergegangen,
ich wei selbst nicht warum.
Hre, sagte ich zu Jossele. Was wre geschehen,
wenn ich 14 gedacht htte?
Dann htte ich verloren. Das ist ja der Reiz des
Pokerspiels, da man nie wissen kann, wie es ausgeht.
Aber wenn deine Nerven zu schwach dafr sind, dann
sollten wir Schlu machen.
Ohne ihn einer Antwort zu wrdigen, legte ich zehn
Pfund auf den Tisch. Jossele ebenso. Ich kam mit 18
heraus.
Verdammt, sagte Jossele. Ich hab nur 17.
Zufrieden strich ich das Geld ein. Jossele hatte sich wohl
nicht trumen lassen, da ich die Tricks des jdischen
Pokers so rasch begreifen wrde. Er hatte vielleicht an 15
oder 16 gedacht, aber bestimmt nicht an 18. In seinem
rger verdoppelte er seinen Einsatz.

114
Wie du willst, sagte ich und unterdrckte nur mhsam
den Triumph in meiner Stimme, weil ich mittlerweile auf
eine phantastische Ziffer gekommen war: 35!
Komm heraus, sagte Jossele.
35!
43!
Und nahm die vierzig Pfund. Ich fhlte, wie mir das Blut
zu Kopf stieg. Meine Stimme zitterte.
Warum hast du vorhin nicht 43 gesagt?
Weil ich mir 17 gedacht hatte, antwortete Jossele
entrstet. Das ist ja das Aufregende an diesem Spiel, da
man nie
Fnfzig Pfund, unterbrach ich trocken und warf die
Banknote auf den Tisch. Jossele legte seine Pfundnote
herausfordernd langsam daneben. Die Spannung wuchs
ins Unertrgliche.
54, sagte ich mit gezwungener Gleichgltigkeit.
Zu dumm, fauchte Jossele. Auch ich habe mir 54
gedacht. Wir mssen noch einmal spielen.
In meinem Hirn arbeitete es blitzschnell. Du glaubst
wahrscheinlich, da ich wieder mit 11 oder etwas
hnlichem herauskommen werde, mein Guter. Aber du
wirst eine berraschung erleben! Ich whlte die unschlag-
bare Ziffer 69 und sagte zu Jossele:
Jetzt kommst einmal du als erster heraus, Jossele.
Bitte sehr. Verdchtig rasch stimmte er zu. Mir
kanns recht sein. 70.
Ich mute die Augen schlieen. Meine Pulse hmmerten,
wie sie seit der Belagerung von Jerusalem nicht mehr
gehmmert hatten.
Nun? drngte Jossele. Wo bleibt deine Ziffer?

115
Jossele, flsterte ich und senkte den Kopf. Ob dus
glaubst oder nicht, ich hab sie vergessen.
Lgner fuhr Jossele auf. Du hast sie nicht vergessen,
ich wei es. Du hast dir eine kleinere Ziffer gedacht und
willst jetzt nicht damit herausrcken. Ein alter Trick.
Schm dich!
Am liebsten htte ich ihm die Faust in seine
widerwrtige Fratze geschlagen. Aber ich beherrschte
mich, erhhte den Einsatz auf hundert Pfund und dachte
im gleichen Augenblick 96, eine wahrhaft mrderische
Ziffer.
Komm heraus, du Stinktier! zischte ich.
Jossele zischte zurck: 1683!
1800, flsterte ich kaum hrbar.
Gedoppelt, rief Jossele und lie die vier Pfund in
seiner Tasche verschwinden.
Wieso gedoppelt? Was soll das heien?!
Nur ruhig. Wenn du beim Poker die
Selbstbeherrschung verlierst, verlierst du Hemd und
Hosen, sagte Jossele von oben herab. Jedes Kind kann
dir erklren, da meine Ziffer als gedoppelte hher ist als
deine.
So einer bist du also, brachte ich mhsam hervor.
Mit solchen Mitteln versuchst dus. Als htte ichs beim
letzten Mal nicht genauso machen knnen.
Natrlich httest dus ganz genauso machen knnen,
besttigte mir Jossele. Es hat mich sogar berrascht, da
du es nicht gemacht hast. Aber so gehts im Poker, mein
Junge. Entweder kannst dus, oder du kannst es nicht. Und
wenn du es nicht kannst, dann la die Finger davon.
Der Einsatz betrug jetzt zweihundert Pfund.
Deine Ansage, knirschte ich.

116
Jossele lehnte sich ganz langsam zurck und sagte
aufreizend ruhig: 4.
100000, trompetete ich.
Ohne die geringste Erregung verkndete Jossele:
Ultimo!
Und nahm die zweihundert Pfund.
Schluchzend brach ich zusammen. Jossele streichelte
meine Hand und belehrte mich, da nach dem
sogenannten Hoyleschen Gesetz derjenige Spieler, der als
erster Ultimo ansagt, auf jeden Fall und ohne Rcksicht
auf die Ziffer gewinnt. Das sei ja gerade der Spa im
Poker, da man innerhalb weniger Sekunden
Fnfhundert Pfund!
Wimmernd legte ich mein letztes Geld in die Hnde des
Schicksals.
Josseles Pfunde lagen daneben. Auf meiner Stirn standen
kalte Schweiperlen. Ich sah Jossele scharf an. Er wirkte
vllig gelassen, aber seine Lippen zitterten ein wenig, als
er fragte:
Wer sagt an?
Du, antwortete ich lauernd. Und er ging mir in die
Falle.
Ultimo, sagte er und streckte die Hand nach dem Geld
aus.
Einen Augenblick, sagte ich eisig. Pavarotti. Und
schon hatte ich das Geld bei mir geborgen. Pavarotti ist
noch strker als Ultimo, erluterte ich. Aber es wird
spt. Wir sollten Schlu machen.
Schweigend erhoben wir uns. Ehe wir gingen, unter-
nahm Jossele einen klglichen Versuch, sein Geld zurck-
zubekommen. Er behauptete, das mit Pavarotti sei eine
Erfindung von mir.
117
Ich widersprach ihm nicht.
Schau, sagte ich, darin besteht ja gerade der Reiz des
Pokerspiels, da man gewonnenes Geld niemals
zurckgibt.

Der kleine Unterschied

In Amerika hat jeder fnfte ein Verkehrsmittel. In Israel


ist jeder fnfte ein Verkehrspolizist.

Die Unwiderruflichkeit des Straf-


zettels

Es ist immer das gleiche Spiel. Ich kehre nach aus-


gedehntem Fumarsch zu meinem Motorrad zurck und
stoe auf einen gut ausgeruhten Verkehrspolizisten, der
seinen ersten Strafzettel ausfllt.
Sie da, donnert die Staatsgewalt, ohne den Blick auch
nur zu heben, was steht dort gut leserlich auf dem
Verkehrsschild?
Da nur bis sieben sieben Uhr abends nur zum
Abladen
Laden Sie etwa ab?
Nein.
Und wie spt ist es jetzt?
Sieben Uhr dreiig.
Das heit?
118
Das heit, da ich hier parken darf.
Der Verkehrspolizist sieht mich an, dann das Schild,
dann wieder mich, das Motorrad, den Strafzettel, mich,
seine Armbanduhr, den Strafzettel und dann wieder das
Schild.
Vielleicht haben Sie recht, sagt er schlielich zgernd,
aber wie soll ich das jetzt rckgngig machen? Wir sind
gehalten, eine Verwarnung nach Beginn der Ausstellung
in jedem Fall auszuhndigen. Sonst kann ja jeder Schuft
daherkommen und verlangen, da man seinen Strafzettel
zerreit.
Diesmal bin ich aber unschuldig, warf ich entrstet
ein.
Mglich. Das Gegenteil habe ich ja auch nicht
behauptet. Er schien kurz nachzudenken. Htten Sie
mich noch vor der Ausstellung des Strafzettels gewarnt, so
htte ich Ihren Fall vielleicht berdacht. Jetzt ist es zu
spt. Unterschreiben Sie also bitte hier und achten Sie
nchstens besser auf die Uhrzeit und auf die
Verkehrsregeln.
Ich sah ihn mir jetzt genauer an. Eigentlich war er gar
nicht so unsympathisch. Nicht zu glattrasiert, aber trotz-
dem gut gekmmt. Ein recht stattlicher Mann.
Tut mir leid, beharrte ich trotzdem. Es ist sieben Uhr
vierzig. Ich werde nichts unterschreiben und schon gar
nichts bezahlen.
Wer soll denn dann bezahlen? fuhr der Polizist auf.
Ich etwa? Von meinem Gehalt? Schauen Sie, sagte er
verbindlich, es sind ja nur 150 Pfund. Ich htte schlie-
lich auch nach Paragraph 5 verfahren knnen, aber ich
habe es gut mit Ihnen gemeint. Da, nehmen Sie schon
Ihren Strafzettel.

119
Ich habe aber wirklich nichts verbrochen.
Wirklich nicht? brllte die Staatsgewalt. Und wie oft
haben Sie gegen Verkehrsregeln verstoen, ohne erwischt
zu werden? Ich verstehe Sie wirklich nicht. Wenn ein
Fahrrad gestohlen wird, rennt Ihr sofort zur nchsten
Wache. Bei jedem Unfall wird Polizei! Polizei! gerufen,
aber die lppischen 150 Pfund will dann keiner mehr
zahlen.
Ist ja gut, beschwichtigte ich und unterschrieb. Man
wird doch wohl noch etwas sagen drfen.
Lassen Sie mich ja in Ruhe, zischte der Beamte und
entfernte sich mit grimmigem Gesicht. Alles hat seine
Grenzen.
Tut mir leid, ich habe halt die Fassung verloren. Das
kann doch mal passieren, oder?

Ein individueller Wegweiser

Immer wieder bietet dieses kleine, geplagte Land dem


Besucher beste Unterhaltung. Wir sind eben von Natur aus
komisch. In anderen Lndern mu man sich in Disko-
theken und Musical-Halls vergngen, bei uns bekommt
man das Kabarett auf der Strae geliefert.
Fragt man zum Beispiel einen Passanten, ob er wei, wo
der Rothschildboulevard ist, antwortet der Mann Aber
natrlich und geht weiter, ohne zu ahnen, da er soeben
als Komiker ttig war.
Sollte er jedoch wider Erwarten stehenbleiben, ist mit
folgendem Dialog zu rechnen:
Wo ist bitte der Rothschildboulevard?

120
Rothschildboulevard? Welche Nummer?
Dreiundzwanzig.
Dreiundzwanzig dreiundzwanzig Nein, tut mir
leid, ich habe keine Ahnung, wo der Rothschildboulevard
ist.
Bleibt noch der Verkehrspolizist an der Ecke. Der mu
es doch wissen. Er holt auch sofort ein Straenverzeichnis
aus der Tasche. Er blttert minutenlang, blttert und
blttert, wird von Minute zu Minute ungeduldiger und sagt
schlielich verrgert:
Was Sie suchen, mein Herr, ist nicht der Rothschild-
boulevard, sondern die Rosenbergstrae, der dritte Huser-
block links.
Und salutiert.

Satan weiche

Am Anfang war das Benzin und der Vergaser. Dann schuf


Gott den Motor, die Karosserie und die Verkehrsampel.
Dann betrachtete Er sein Werk und sah, da es nicht
genug war. Darum schuf er noch das Halteverbot und die
Einbahnstrae. Und als dies alles getan war, stieg Satanas
aus der Hlle empor und schuf die Parkpltze.

Geschwindigkeitsrekord

Ihre Papiere, sagte der Verkehrspolizist. Sie sind zu


schnell gefahren.
121
Mglich, sagte ich. Beweisen Sie es.
Wie Sie wnschen.
Er fhrte mich zu einem an der Ecke lauernden Polizei-
auto. Kein Zweifel, ich war einer Radarfalle ins computer-
geknpfte Netz gegangen. Endlich einmal sah ich mit
eigenen Augen, wie unsere Steuergelder verschwendet
wurden.
Der Beamte hatte die Inspektion meiner Papiere beendet.
Sie sind Schriftsteller? Dann sollten Sie den anderen
mit gutem Beispiel vorangehen, statt draufloszurasen wie
ein Verrckter!
Es tut mir leid. Schuldbewut senkte ich den Blick.
Jetzt, da ich sehe, da Sie Radar haben, tut es mir
wirklich leid.
Sie geben also zu, die Geschwindigkeitsgrenze ber-
schritten zu haben?
Natrlich gebe ich es zu.
Warum haben Sie sie berschritten?
Ich war in Eile.
Und warum?
Weil mir die entgegenkommenden Fahrer kein Warn-
signal gegeben haben. Sie wissen doch, zweimal blinken
bedeutet: Achtung, Radarfalle. Aber es hat keiner
geblinkt.
Ist das vielleicht ein Grund, die Geschwindigkeits-
grenze zu berschreiten?
Nein, gewi nicht. Erlauben Sie mir die Bemerkung,
da ich seit fnfzehn Jahren fahre und heute zum ersten
Mal die Geschwindigskeitsgrenze berschritten habe.
Wurden Sie heute zum ersten Mal erwischt, oder haben
Sie zum ersten Mal die Geschwindigkeitsgrenze ber-

122
schritten?
Ich habe sie zum ersten Mal berschritten.
Wie kommt es, da Sie fnfzehn Jahre lang die
Geschwindigkeitsgrenze nicht berschritten haben und es
heute pltzlich tun?
Zufall. Und jetzt geben Sie mir bitte endlich meinen
Strafzettel.
Sie schreiben Bcher. Was wrde geschehen, wenn alle
Fahrer die Geschwindigkeitsgrenze berschreiten?
Es wrde Unflle geben.
Mchten Sie Unflle verursachen?
Nichts liegt mir ferner.
Warum berschreiten Sie dann die Geschwindigkeits-
grenze?
Aus unverantwortlichem Leichtsinn. Meine Lern-
fhigkeit hatte ihre natrliche Grenze erreicht. In der
Regel wird man fr so ein Vergehen mit zwanzig Pfund
bestraft.
Woher wissen Sie, da die Strafe fr die ber-
schreitung der Geschwindigkeitsgrenze zwanzig Pfund
betrgt, wenn Sie noch nie wegen berschreitung der
Geschwindigkeitsgrenze bestraft wurden?
Andere Fahrer, die wegen berschreitung der
Geschwindigkeitsgrenze bestraft wurden, haben es mir
gesagt.
Werden Sie jemals wieder die Geschwindigkeitsgrenze
berschreiten?
Jawohl! brllte ich und ri meinen Hemdkragen auf.
Ich werde sie berschreiten. Sooft ich will! Immer
wieder! Ich bergrenze die Schwindigkeitsschreitung
Das Auge des Gesetzes runzelte die Brauen.

123
Dann kann ich Sie leider nicht verwarnen, wie ich
ursprnglich vorhatte. Hier haben Sie Ihren Strafzettel.
brigens: Wegen berschreitung der Geschwindigkeits-
grenze.

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Als ich krzlich sptabends nach Hause kam, sah ich


unseren Nachbarn Felix Seelig vor dem Haustor mit einem
maskierten Fremdling auf Leben und Tod kmpfen. Die
rechte Hand des Maskierten umklammerte ein Fleischer-
messer, von dem sich Felix nicht ganz zu Unrecht bedroht
fhlte.
Wie von einem Nachbarn meiner Gteklasse nicht
anders zu erwarten, benachrichtigte ich unverzglich die
nchste Tel Aviver Polizeistelle.
Ich stieg ber die beiden hinweg, strzte ins Haus,
sprintete die Treppen hinauf, eilte grulos an meiner
Familie vorbei, ergriff das Telefon und whlte Eins-Null-
Null. Am anderen Ende war sofort eine beruhigende
Stimme zu vernehmen:
Polizei.
Ich brllte in den Hrer, da mein Nachbar Felix von
einem Gangster bedroht werde, der mit einem riesigen
Messer
Einen Augenblick, unterbrach mich Eins-Null-Null,
wer spricht dort?
Ich sagte ihm, da ich es wre, worauf er nach meinem
Namen fragte. Ich gab ihm meinen Namen durch. Er
verstand ihn nicht.

124
K wie Kamel, brllte ich, I wie Ipsilon, S wie
Sicherheit, H wie Hhenluft, O wie Oma und N wie
Napoleon.
Wie was?
Wie Napoleon.
Welcher Napoleon?
Den franzsischen Kaiser meine ich.
Also K wie Kaiser.
Nein, Napoleon, mit N.
Entscheiden Sie sich, bitte.
Vergessen Sies.
Meinten Sie vielleicht Napoleon Bonaparte?
Ja, genau den.
Was ist mit ihm?
Er ist tot. Aber mein Nachbar noch nicht. Hoffentlich.
Er wird von einem Gangster mit einem Messer bedroht.
Moment. Wie ist Ihr Vorname?
Ich nannte meinen Vornamen.
Die Polizei mu in diesen Dingen sehr genau sein,
erklrte mein Gesprchspartner. Nur so ist es mglich,
einen Anrufer spter zu identifizieren, falls er die Polizei
irregefhrt hat.
Dann erkundigte sich Eins-Null-Null nach meinem
Beruf. Und dann nach meiner Adresse.
Ramat Gan, sagte ich, Reuvenistrae 64, Block 3,
Tr 7.
Wo ist das?
Das ist sehr einfach, erklrte ich ihm. Sie fahren mit
dem Autobus Nr. 21 bis zum Friedhof, dort steigen Sie
aus, biegen nicht die erste, nicht die zweite, aber die dritte

125
Strae nach rechts ab, und die nchste Abzweigung ist die
zweite Strae links. Nicht die erste, denn in der ersten
wohnen die Orthodoxen, die am Sabbat mit Steinen nach
Radfahrern werfen. Also die zweite Strae links. Wenn
Sie richtig fahren, treffen Sie auf ungefhr halbem Weg
einen jungen Mann, der vor einem Gerteschuppen kniet,
sein Motorrad repariert und die Regierung verflucht. Dann
gehen Sie geradeaus, bis Sie die groen weien Huser
mit den hellgrnen Rollden sehen. Das ist die Reuveni-
strae.
Ja, ich kenne die Gegend. Warum erzhlen Sie mir das
eigentlich alles?
Lassen Sie mich einen Moment berlegen, ich dachte
nach. Leider fllt es mir im Augenblick nicht ein. Ich
habe es irgendwie vergessen. Bitte, entschuldigen Sie die
Strung.
Nicht der Rede wert.
In der Nacht, nachdem ich Seelig im Krankenhaus
besucht hatte, hatte ich einen Alptraum. Ich jagte mit
einem Bluthund die Polizei. Vergeblich. Der Bluthund
hie Napoleon. Mit Z wie Polizei.

126
DIE FREUDEN DER
WECHSELJAHRE

127
Es gibt eine Alternative

Um zu Geld zu kommen, steht der kleine Mann vor einer


schwierigen Wahl. Entweder mu er eine Bank berfallen,
oder er ist gezwungen, einen Kredit aufzunehmen.
Israel macht es seinen Brgern leicht: Bei uns mu man
nur eine Bank berfallen und schon hat man Kredit.

Es geht auch ohne Strumpf

Es begann damit, da ich von Weinreb einen Scheck ber


16 Pfund bekam, ausgestellt auf die Zweigstelle der
National-Bank. Ich fuhr hin und bergab den Scheck
einem Beamten.
Der warf einen Blick auf den Scheck, warf zugleich
einen anderen, er schielte ein wenig, auf Weinrebs Konto-
auszug und sagte:
In Ordnung. Sie bekommen das Geld an der Kasse.
Ich ging zum Schalter und sagte:
Schalom.
Was wnschen Sie? fragte der Kassierer.
Das Geld, antwortete ich wahrheitsgem.
Bitte sehr, sagte der Kassierer, ffnete den Safe und
holte alle Banknotenbndel heraus.
Was soll das? fragte ich.
Ich tue, was Sie wollen. Bei bewaffneten Bankber-
128
fllen leiste ich keinen Widerstand.
Das schallende Gelchter, in das ich daraufhin ausbrach,
verblffte ihn offenbar.
Ha, ha, ha, ffte er mich nach. Sehr komisch, was?
Das ist mein fnfter berfall in diesem Monat.
Ich versuchte ihm zu erklren, da ich keine Waffe bei
mir hatte und nur mein Geld haben wollte.
Herr Singer! rief der Kassierer einem anderen
Beamten zu. Bitte kommen Sie einen Augenblick her.
Wir haben es mit einem leicht verwirrten Bankruber zu
tun.
Sofort.
Herr Singer kam mit einem Stapel Banknoten herber.
Mehr ist heute leider nicht im Safe. Erst wieder am
Freitag, wenn die Supermrkte einzahlen. brigens,
warum tragen Sie keinen Strumpf berm Kopf?
Weil das kitzelt.
Es war eine etwas merkwrdige Situation. Rings um
mich drngten sich Neugierige, schnitten Gesichter und
redeten durcheinander. Einer strzte zur Tr, wo seine
Frau wartete:
Hol die Kinder, schnell! Hier gibts einen Bank-
berfall.
Immer noch lagen die Banknotenbndel vor mir, immer
noch versuchte ich Herrn Singer klarzumachen, da ich sie
nicht nehmen wrde.
Nehmen Sie nur, nehmen Sie nur, ermunterte mich
Herr Singer. Wir sind versichert.
Wie ich erfuhr, hatten erst in der Vorwoche zwei kleine
Mdchen mit einem Schraubenzieher die Bankfiliale in
Jaffa ausgeraubt, und der dortige Filialleiter hatte ihn
gewarnt, da er als nchster drankme. Seither hielt Singer
129
immer eine grere Menge Bargeld bereit. Das gehrt
zum Kundenservice der israelischen Banken, sagte er
nicht ohne Stolz. Wir haben inzwischen gewisse Verhal-
tensmaregeln erarbeitet, nach denen sich auch unsere
Kunden richten. Es luft wie am Schnrchen.
Tatschlich, die Besucher waren mittlerweile in
Deckung gegangen, lagen flach auf dem Boden und
wurden dort von den Beamten bedient. Nachher krochen
sie auf allen vieren zum Ausgang. Andere kamen auf allen
vieren herein.
Frher einmal, fuhr Herr Singer fort, liefen
Bankberflle noch nach dem klassischen Muster ab. Die
Verbrecher waren maskiert, gaben Schreckschsse ab,
brllten und drohten. Heute geht das alles viel zivilisierter
vor sich, und die israelischen Banken sind sehr dankbar
dafr. Erst vor wenigen Tagen wurde die Barkley-Bank
von zwei Mnnern, die nur mit einer Fahrradpumpe
bewaffnet waren, um 100000 Pfund erleichtert, und bei
der Leumi-Bank wurde dem Schalterbeamten nur noch ein
Eislutscher vorgehalten. Hat funktioniert. Gestern erschien
eine Anzeige der Diskont-Bank in Haifa mit der Auf-
forderung an Bankruber, whrend der Sommermonate
berflle nur Montag, Mittwoch und Donnerstag durch-
zufhren.
Nieder mit der Brokratie, warf ich ein.
Sie sehen das falsch, entgegnete Singer. Es ist eine
Situation, von der Theodor Herzl nicht zu trumen gewagt
htte. Jetzt haben auch wir unsere Kriminellen. Jetzt sind
wir endlich ein normales Volk. Batja, wandte er sich an
seine Sekretrin, haben Sie die Polizei angerufen?
Ja, antwortete Batja Kaugummi kauend. Aber die
Nummer ist besetzt.
Dann lassen Sies, sagte Singer.

130
Whrend ich das Geld zhlte, erkundigte ich mich bei
Singer, wieso es hier keine Alarmanlage gbe. Wegen des
Lrms, erklrte mir Singer. In der benachbarten Bank hatte
neulich whrend des Raubberfalls die Alarmglocke eine
volle Stunde lang gelutet, und der Lrm hatte zu Nerven-
zusammenbrchen unter den Angestellten gefhrt.
Und wo sind Ihre bewaffneten Wchter? fragte ich
weiter.
Irgendwo drauen. Um diese Zeit fhrt unser
Generaldirektor seine Hunde spazieren. Dabei mu er
natrlich bewacht werden.
Inzwischen hatte der Kassierer die Notenbndel in zwei
kleinen Kfferchen verstaut und fragte mich, wo ich mein
gestohlenes Fluchtauto geparkt htte.
Auf der Strae umringten mich wartende Passanten, die
Schnappschsse machen wollten. Sie baten mich,
wenigstens ein Taschentuch vors Gesicht zu halten und
nicht so dumm zu grinsen.
Ich verteilte noch rasch ein paar Autogramme und unter-
nahm einen letzten Versuch, der Bank die beiden Koffer
mit dem Geld aufzudrngen. Singer wehrte sich heftig.
Nicht ntig, nicht ntig. Wir haben bereits die Zentrale
und die Versicherung benachrichtigt. Nur keine Kom-
plikationen. Bleiben Sie lieber noch bis die Leute vom
Fernsehen kommen.
Dazu hatte ich leider keine Zeit, verabschiedete mich
von Singer mit einem herzlichen Hndedruck und fuhr zur
nchsten Tankstelle.
Wieviel? fragte der Tankwart.
Auffllen, sagte ich.
Der Tankwart ffnete meinen Kofferraum und warf alles
Geld hinein, das er hatte.

131
Brauchen Sie eine Empfangsbesttigung? fragte ich.
Danke nein. Ich bin versichert.
Wie schade, dachte ich auf der Heimfahrt, wie schade,
da wir gerade jetzt eine Inflation im Land haben. Wo wir
doch endlich ein normales Volk geworden sind.

Kettenreaktion

Die Inflation arbeitet nach dem bekannten Prinzip der


Kettenreaktion: Der Preis von Irgendwas geht rauf, des-
wegen verlangt irgendwer einen hheren Lohn, was dazu
fhrt, da der Preis von Irgendwas wiederum steigt und
Irgendwer das zum Anla nimmt zu streiken, um noch
hheren Lohn zu erhalten. Das sind die Spielregeln, die
eine eskalierende Aktion erfordern, wie beim Tennis.
Deswegen ist auch der Preis von Tennisschlgern vor-
gestern hinaufgegangen. Genau wie der Preis der Ketten.

Sand im Getriebe

Was, so wandte sich der Finanzminister an diesem


denkwrdigen Abend an seinen Kabinettschef, was
wurde heute teurer?
Mmh, antwortete der Kabinettschef ausweichend,
heute, mmh, heute nichts.
Hr zu, KC, der Minister wurde ungeduldig, fr
billige Witze ist meine Zeit zu kostbar.
Das ist kein Witz, erwiderte der KC. Heute ist kein
132
einziger Preis gestiegen. Ich habe keine Ahnung, wie das
passieren konnte. Die Preise sind seit gestern eingefroren.
Irgendwo mu Sand ins Getriebe gekommen sein. Aber
wenn es ntig wird, bernehme ich die persnliche Ver-
antwortung dafr. Deshalb bitte ich den Herrn Minister,
meinen Rcktritt zu akzeptieren.
Der Minister wurde bla. Einen Moment lang sa er da,
starr wie der Preisindex, dann schlug er mit der Faust auf
die Schreibtischplatte.
Verdammt noch mal! Und das sagen Sie mir erst jetzt,
kurz vor Feierabend?
Wir haben alle bis zur letzten Minute gehofft, da
irgendein Preis steigen wrde, wand sich der Kabinetts-
chef.
Der Minister hob mit zittriger Hand den Telefonhrer.
Hallo, Handelsministerium? Was ist mit den
Zigaretten?
Wir bedauern, wurde ihm bedeutet, die Erhhungen
kommen immer am Wochenende.
Was ist mit dem Salz?
Morgen.
Kartoffeln?
Wurden vorgestern erhht.
Hhneraugenpflaster?
Vor fnf Tagen.
Schwimmunterricht?
Der Minister wartete die Antwort gar nicht mehr ab. In
panischem Schrecken sah er auf die Uhr und schrie: Nur
noch eine halbe Stunde Zeit!, strzte aus dem Haus, warf
sich in seinen Dienstwagen und raste mit Blaulicht und
Sirene ins Postministerium.

133
Ich flehe euch an, erhht irgend etwas. Telefon-
gesprche, Briefporto, was immer euch einfllt. Es geht
um Leben und Tod.
Gerne, antwortete man ihm, aber fr heute ist es
leider zu spt.
Heute leider nicht, lautete auch das Urteil im
Elektrizittswerk. Der lpreis wurde eben um 8 Cent
gesenkt.
Auch im Textilmuseum schttelte man nur den Kopf.
Nichts zu machen, Exzellenz. Wenn Sie nach dem
Monatsersten wiederkommen
Der Minister war in dieser halben Stunde um Jahre
gealtert. Er fuhr zurck in sein Bro und lie den
Kabinettschef antreten.
Melden Sie sofort der Presse, befahl er, da in
Anbetracht der steigenden Rohstoffpreise einerseits und
infolge der Auswirkungen auf die Produktionskosten
andererseits wir gezwungen sind, die Preise irgendeines
Produktes um 14 1/2 Prozent zu erhhen. Nheres wird in
Krze bekanntgegeben.
Der Kabinettschef eilte in sein Bro, um die Presse zu
unterrichten, whrend der Minister sich erleichert in
seinem Sessel zurcklehnte: Geschafft, atmete er auf.
Wenigstens haben wir eine Panik in der Bevlkerung
verhindert.

Vollbeschftigung

Angesichts der derzeitigen berproduktion von Steuern,


Zllen, Darlehenszinsen, Abzgen, Zuschlgen, Auf-

134
schlgen und neuen Zllen mssen die Israelis mehr
arbeiten, um sich zustzliche Einnahmequellen zu
schaffen. Hier ein Querschnitt durch die Recherchen eines
privaten Marktforschungsinstitutes:
R. L. Hauptberuf: stdtischer Ingenieur. Verkauft in
seiner Freizeit Lotterielose. Seine Frau stopft berufsmig
Strmpfe, Whrend der Mittagspause singt er im Rund-
funkchor.
K. N. Hauptberuf: Kassierer. Seit 37 Jahren in derselben
Firma beschftigt. Arbeitet bis Mitternacht als Akrobat,
von Mitternacht bis 8 Uhr frh als Nachtwchter. Ents-
chuldigt sich von Zeit zu Zeit mit Magenkrmpfen von
seiner Broarbeit und nht zu Hause Hemden.
A. P. Hauptberuf: Bibelexperte. Arbeitet nachmittags als
Testpilot. Hat zwei Shne und eine Tochter an Missionare
verkauft. Tanzt bei Hochzeiten. Studiert Panzerschrank-
knacken.
T. A. bekleidet eine hohe Stelle im Finanzamt
(Gehaltsklasse I). Ist an den Abenden als Liftboy
beschftigt. Unterrichtet an Sonn- und Feiertagen Qi
Gong fr alle. Schraubt in seinen Amtsrumen
elektrische Birnen aus und verkauft sie. Urlaubs-
beschftigung: Spionage fr eine fremde Macht.

Wirtschaftswunder

Die berlegung eines verantwortlichen Staatsmannes


lautet so:
Ich bin noch nicht 60 Jahre alt, also ein junger
Politiker, sagt sich der Mann im Parlament. Wenn

135
nichts dazwischenkommt, kann ich mein hohes Amt noch
gute 15 Jahre lang bekleiden. Nach den Berechnungen der
Sachverstndigen bricht die Wirtschaft meines Landes erst
dann zusammen, wenn die Staatsschuld, inklusive Zinsen
und Zinseszinsen, die Hhe von 45 Milliarden Dollar
erreicht hat. Das bedeutet, da ich, whrend meiner
restlichen fnfzehnjhrigen Amtszeit, bei den Banken, bei
den Amerikanern und bei Baron Rothschild jhrlich drei
Milliarden ausborgen kann, um sie in meine Popularitt zu
investieren. Demnach wird die Wirtschaft meines Landes
frhestens zwei Minuten nach Abschlu meiner erfolg-
reichen Regierungszeit, also erst nach der Amtsbernahme
durch meinen idiotischen Nachfolger, mit ohrenbetuben-
dem Krach zusammenbrechen.

Ein Brger sieht rot

An einem besonders heien Sommertag lag ich flach in


der Badewanne und trumte von Eisbren. Die Trglocke
beendete meine Polarexpedition. Da die beste Ehefrau von
allen wieder einmal im vollklimatisierten Supermarkt
einkaufen war, mute ich meine subtropische Trgheit
berwinden und selbst ffnen.
Vor meiner Tr stand ein berdimensionaler Schiffs-
container. Daneben ein kleiner, ausgemergelter Mann, der
auch schon bessere Tage gesehen hatte, der arme Teufel.
Guten Tag, sagte der arme Teufel, wnschen Sie eine
Tomate?
Davon war nmlich der Container randvoll. Mit wunder-
schnen, reifen Tomaten. Das heit, dem Geruch nach
waren sie sogar schon ein bichen berreif.

136
Sie sind sicher berrascht, da ich Ihnen Tomaten
anbiete, reagierte der arme Teufel auf meine germpfte
Nase, noch dazu jetzt, wo Tomaten tonnenweise auf den
Mlldeponien verfaulen. Aber damit beweisen Sie nur,
da Sie unsere Marktpolitik nicht begriffen haben.
Das mssen Sie mir nher erklren.
Gerne, mein Herr. Sehen Sie, Sie glauben sicherlich,
da man in diesem Jahr unbegrenzte Mengen Tomaten
kaufen kann, weil die Bauern viel zu viele angebaut
haben. Doch jeder, der fhig ist zu denken, wird sich vor
dem nchsten Jahr grauen.
Wieso?
Knnen Sie sich auch nur einen einzigen Bauern
vorstellen, der nach dieser katastrophalen berproduktion
in der nchsten Saison Tomaten anpflanzen wird? Ich
nicht. Nicht fr Geld und nicht fr gute Worte wird es im
kommenden Jahr Tomaten geben. Fr eine einzige dieser
herrlichen Frchte wird man sich gegenseitig die Schdel
einschlagen. Aber Sie und Ihre kleine Familie werden in
beneidenswertem Glck und persnlicher Zufriedenheit
schwelgen, sozusagen in Noahs Vitamin-Arche, denn Sie
haben gengend Vorrte des roten Goldes auf die Seite
gelegt. Mensch, kapieren Sie nicht, was Fortuna Ihnen
anbietet? Sicherheit! Ein Leben in berflu! Hormonales
Gleichgewicht! Das reinste Paradies. Ihre werte Frau
Gemahlin wird Ihnen bis zu Ihrem letzten Atemzug
dankbar sein. Also, was ist?
Er hatte mich tatschlich nachdenklich gemacht.
Tut mir leid, besann ich mich noch rechtzeitig, geben
Sie mir ein Kilo, aber von den schnsten.
Tut mir leid, antwortete der arme Teufel, ich kann
Ihnen nur ein halbes Kilo geben. Ich mu auch an meine
anderen Kunden denken.

137
In diesem schicksalhaften Augenblick ging mein Selbst-
erhaltungstrieb mit mir durch. Die Zeiten der Nchsten-
liebe sind vorbei. Sollen doch die anderen sehen, wo sie
bleiben.
Mir geht meine Familie ber alles.
Ich kaufe den ganzen Container, stie ich heiser
hervor. Geld spielt keine Rolle.
Macht 2000 Pfund, sagte der arme Teufel und kippte
den ganzen Inhalt in den Rosengarten vor unserem Haus.
Die obersten Tomaten erreichten gerade den ersten Stock.
Ich zahlte bar, und der Marktpsychologe fuhr mit dem
leeren Container davon.
Kurz darauf kam meine Frau nach Hause und lie sich
scheiden.

Die Freuden der Wechseljahre

Israelische Frauen verabscheuen nichts so sehr wie ihre


Haushaltspflichten, wegen der Hitze, der Arbeit und ber-
haupt. Selbst Mtter ziehen es vor, schlecht bezahlte,
anstrengende Jobs zu bernehmen und fr das verdiente
Geld eine Haushlterin zu engagieren, nur damit sie selbst
mit ihrem Haushalt nichts zu tun haben. Die beste Lsung
ist natrlich, wenn immer je zwei Ehefrauen vereinbaren,
fr das gleiche Geld ihre Haushalte gegenseitig zu
betreuen.

138
Wie baut man Luftschlsser?

Ausnahmsweise sa ich allein in unserem Stammcafe.


Nach einiger Zeit erschien Jossele, sichtlich in Eile.
Mchtest du dich an einer geschftlichen Transaktion
beteiligen? fragte er, ohne sich hinzusetzen.
Ich bejahte instinktiv und wollte Nheres wissen.
Darber sprechen wir noch, antwortete Jossele. Ruf
mich in einer Viertelstunde an, und wir setzen uns in
einem anderen Lokal zusammen.
Nach einer Viertelstunde rief ich an, und weitere zehn
Minuten spter traf ich ihn in einem anderen Lokal. Er
versicherte mir, die richtigen Leute wren mit der
Durchfhrung dieser Transaktion betraut und der
Geldgeber htte keinen Zweifel am Erfolg. Nur noch ein
paar Kleinigkeiten wren zu klren, und da habe man eben
an mich gedacht. Wir sollten, meinte Jossele, mglichst
bald wieder zusammenkommen, um das alles genau zu
besprechen. Er erwarte meinen Anruf.
Ich war nicht nur interessiert, ich war aufgeregt. So eine
Gelegenheit kommt nicht jeden Tag. Lustige Geschichten
fr die Zeitungen schreiben, das ist schn und gut. Aber
wenn einmal die richtigen Leute eine richtige Sache
aufziehen, hat man endlich die Chance, das groe Geld zu
machen, und da mu man einsteigen. Nach meinem
nchsten Anruf bei Jossele wurde ein Treffen aller Partner
in Bennys Bar vereinbart.
In Bennys Bar machte mich Jossele mit dem Rechts-
anwalt Dr. Tschapsky und einem Geschftsmann namens
Kinneret bekannt. Das Gesprch steuerte direkt auf den
Kern der Sache zu.

139
Wir drfen nicht zu lange zgern, stellte
Dr. Tschapsky fest. Sonst versumen wir den Anschlu.
Die Voraussetzungen fr eine solche Transaktion sind in
Israel gerade jetzt sehr gnstig. Man wei ja nie, wie sich
der Markt entwickelt.
Sie haben recht, besttigte ich. Wovon sprechen
wir?
Bereitwillig gab mir Herr Kinneret Auskunft.
Wir sprechen von einer geschftlichen Angelegenheit
greren Umfangs, die sorgfltig geplant werden mu,
weil sie, wie jedes Geschft, mit einem gewissen Risiko
verbunden ist. Deshalb wrde ich vorschlagen, da wir
zunchst einmal die personellen Aspekte berprfen.
Dann knnen wir sofort anfangen.
Womit? fragte ich.
Mit der geplanten Transaktion. Wer von den Herren
bernimmt die Aufgabe?
Jossele erklrte meine Bereitschaft. Die anderen waren
einverstanden. Ich sollte mich grndlich umsehen und
Jossele ber das Ergebnis informieren. Einer neuerlichen
Besprechung stnde dann nichts mehr im Wege.
Ich machte mich sofort auf den Weg, sprach mit ver-
schiedenen Leuten und fragte sie, was sie von der Sache
hielten. Sie meinten, da es zur Zeit im Grunde auch noch
einige andere aussichtsreiche Projekte gbe. Man mte
sich einmal zu einer unverbindlichen Aussprache zusam-
mensetzen, meinten sie.
Ich telefonierte mit Jossele, und wir vereinbarten eine
interne Konferenz in der Halle eines der groen Hotels.
Unsere Partner wollten als erstes meine Eindrcke
hren.
Es sieht nicht schlecht aus, berichtete ich. Um die

140
Sache zu konkretisieren, mssen wir uns allerdings
darber klar werden, was wir wollen. Was wollen wir?
Wir wollen, sagte Jossele, vor allem die ntigen
Bewilligungen einholen. Das ist wichtig.
Dr. Tschapsky untersttzte ihn.
Stimmt. Und wie die Dinge liegen, kann ich nur sagen:
je frher, desto besser.
Herr Kinneret fragte mich nach meiner Meinung ber
die unmittelbaren Aussichten unseres Vorhabens. Ich
sagte, da wir alle Mglichkeiten bedenken sollten, um
uns abzusichern.
Dr. Tschapsky nickte.
Das halte ich tatschlich fr das beste. Nur nichts
berstrzen.
Ganz meine Meinung, bekrftigte Jossele.
Dann knnen wir unsere heutige Sitzung als abge-
schlossen betrachten, sagte Herr Kinneret.
Und um was handelt es sich? fragte ich.
Aber ich bekam keine Antwort mehr. In aller Eile wurde
Lindas Strandcafe als Ort der nchsten Sitzung gewhlt,
und falls bis dahin etwas Unerwartetes geschhe, wrden
wir einander telefonisch verstndigen. Jedenfalls aber
sollte ich Jossele anrufen. Ich rief ihn nicht mehr an.
Meine Nerven versagten mit den Dienst.

Gestern abend sah ich Jossele in Gustis Caf an einem


anderen Tisch sitzen. Er unterhielt sich angeregt mit
einigen Unbekannten, kam aber sofort zu mir.
Wo steckst du denn, zum Teufel? Du kannst doch nicht

141
mitten in einer Transaktion abspringen? Warum bist du
nicht zu der Besprechung ins Strandcafe gekommen?
Was solls, Jossele, entgegnete ich mde. Wozu wre
das gut gewesen.
Wozu? Das kann ich dir sagen. Damals wurde der
Gewinn fr jeden von uns auf 4000 Pfund fixiert.
Die Gewinnquote wovon?
Von unserer Transaktion.
Um was geht es bei dieser Transaktion?
So weit sind wir noch nicht, fauchte Jossele. Das
wird sich rechtzeitig herausstellen. Hauptsache, die Sache
luft.
Ich erhob mich wortlos, ging zur Telefonzelle und rief
das Hadassa-Hospiz an. Unsere Wirtschaft sei krank,
meldete ich. Das wten sie, erwiderte das Hospiz. Aber
sie htten im Augenblick keine Ambulanz frei.

Monogamie der Schrauben

Jedes Land hat bestimmte Produktionsmethoden mit


bestimmten Charakteristika. Zweckmige Verpackung
kennzeichnet die amerikanischen Produkte, Przisions-
arbeit ist typisch fr die Schweiz, am niedrigen Preis
erkennt man die Koreaner.
In Israel hingegen gibt es eine Produktionserscheinung,
die sich so formulieren lt:
Der israelische Handwerker ist physisch und geistig
auerstande, etwa im Baugewerbe, jene Anzahl von
Schrauben anzubringen, die mit der Anzahl der Lcher
bereinstimmt, welche zur Anbringung von Schrauben
142
vorgesehen sind.
Mit anderen Worten: Seit Bestehen des Staates Israel hat
noch kein israelischer Handwerker jemals die jeweils vor-
geschriebene Anzahl von Schrauben eingeschraubt. Statt
dreier Schrauben nimmt er zwei oder vielleicht auch nur
eine.
Warum?
Internationale Fachleute sehen die Ursache in einem
bersteigerten Selbstbewutsein des organisierten israeli-
schen Arbeiters, der davon berzeugt ist, da zwei
jdische Schrauben so gut sind wie drei nichtjdische. Die
Tiefseelenforscher, besonders die Anhnger Jungs, fhren
das Zwei-Schrauben-Mysterium auf den Ewigen Juden
zurck, das heit auf die tiefe Skepsis unserer stets
verfolgten, immer wieder zur Wanderschaft gezwungenen
Vorvter, die nicht an die Dauer materieller Gter
glaubten.
Wie auch immer die fehlende Schraube ist meist die
mittlere. Das Muster sieht ungefhr so aus:

Es tritt am hufigsten bei hebrischen Trangeln auf,


und zwar sowohl bei Zimmer- wie bei Schranktren. Man
kann ihm eine gewisse Symmetrie und dekorative
Ausgeglichenheit nicht absprechen. Da deutet seine rechte
Abweichung entschieden auf seelische Labilitt hin:

Man findet es hufig unter Radioapparaten, CD-Playern


und an der Wand zu befestigenden Kchengerten.
Eine dritte Form wird von der jungen israelischen

143
Kraftwagenindustrie gepflegt, und zwar an den mit
bloem Auge nicht sichtbaren Motorteilen, wo sie nur
dem gebten Ohr durch das rhythmische Klappern loser
Metallplatten auffllt, meistens auf einsamen Landstraen.
Man bezeichnet diese Form als Mono-Schraubismus:

Grndliche, mit staatlicher Untersttzung durchgefhrte


Untersuchungen haben keinen einzigen Fall von drei
Schraubenlchern ergeben, die mit allen drei dazu-
gehrigen Schrauben ausgestattet gewesen wren. Vor
kurzem wurde in einer Waffenfabrik im oberen Galila ein
feindlicher Spion entdeckt, der sich dadurch verraten
hatte, da er in alle Schraubenlcher Schrauben montiert
hatte. Ich selbst habe in einer Tischlerei in Jaffa ein auf-
schlureiches Experiment durchgefhrt. Ich beobachtete
den Besitzer bei der Montage von zwei Schrauben anstelle
der vorgesehenen drei an einem Hngeregal, das ich
bestellt hatte.
Warum nehmen Sie keine dritte Schraube? fragte ich.
Weil das berflssig ist, antwortete Kadmon. Zwei
tuns auch.
Wozu sind dann drei Schraubenlcher da?
Wollen Sie ein Regal haben, oder wollen Sie mit mir
streiten? fragte Kadmon zurck.
Als ich ihn schlielich berredet hatte, doch noch die
dritte Schraube zu nehmen, machte er sich fluchend an die
Arbeit. Nicht ohne anzudeuten, da bei mir eine Schraube
locker sei.

144
Hochtechnologie

Was den technischen Fortschritt betrifft, so hlt der


winzige Fleck, der auf der Landkarte des Nahen Ostens
den Staat Israel reprsentiert, natrlich keinen Vergleich
mit dem hochindustrialisierten Westen aus. Man wird
daher verstehen, wie stolz wir waren, als eine israelische
Elektronikfirma das ausgefeilteste Diebstahlsicherungs-
alarmsystem entwickelte, das jemals auf dem Weltmarkt
angeboten wurde. Kurz darauf fielen die Konstruktions-
plne direkt unter der Nase des Alarmsystems nchtlichen
Einbrechern in die Hnde. Die Fabrik zog umgehend die
ntigen Konsequenzen, stellte einen alten Beduinen als
Nachtwchter ein und verkauft seither ihr ausgefeiltes
Produkt nur noch auf dem israelischen Markt.

Das Schweigen der Bgeleisen

Vorigen Dienstag erkrankte unser Bgeleisen und


verschied kurz danach. Da smtliche Haushaltsgerte, die
auch nur im entferntesten mit Elektrizitt zu tun haben,
mir unterstehen, machte ich mich auf den Weg zu unserem
Elektrogeschft.
Der Besitzer bediente mich persnlich. Er schleppte eine
Anzahl von Bgeleisen in den verschiedensten Farb-
Schattierungen an und versicherte mir mit patriotischem
Stolz, er fhre nur einheimische Ware, denn diese sei
robuster in der Ausfhrung und daher weit zuverlssiger
als der ganze importierte Schrott. Ich whlte ein zinnober-
rotes Modell, um es auszuprobieren. Der Fachmann

145
meinte, da dies eigentlich nicht ntig sei, da das Bgel-
eisen bereits im Werk geprft worden sei. Aber wenn mir
so viel daran lge, htte er nichts gegen eine kurze
Vorfhrung. Er tat den Stecker in die Dose und sagte:
Nun, was habe ich Ihnen gesagt? Ich wrde niemals
etwas verkaufen, das nicht hundertprozentig
In diesem Augenblick gab das rote Ding ein seltsames
Gerusch von sich, das an das Jaulen eines jungen Hundes
erinnerte. Gleich darauf entwich ihm eine Rauchwolke,
und das Bgeleisen begann zu donnern und zu blitzen.
Mein Patriot warf die stinkende Leiche hinter die Laden-
theke.
Sie sind recht whlerisch, bemerkte er und steckte ein
grnes Bgeleisen an.
Wir warteten fnfundzwanzig Minuten und tatschlich,
es rauchte nicht und stank nicht. Kein Blitz, kein Donner.
Es wurde auch nicht hei. Nicht einmal lauwarm. Es blieb
teilnahmslos, sozusagen mausetot. Der Elektrofachmann
schenkte mir einen vorwurfsvollen Blick, warf das grne
Eisen dem roten nach und versuchte sich an einem rosa-
farbenen. Dieses hier ist ganz sicher in Ordnung, zischte
er mich an. Es besitzt eine gltige Fabriksgarantie.
Das Rosafarbene begann wie eine Zeitbombe zu ticken.
Wir warfen uns blitzschnell zu Boden, steckten die Finger
in die Ohren und waren auf das Schlimmste gefat. Nach
einer knappen Minute ertnte ein lauter Knall, und das
einheimische Qualittsprodukt gab seinen Geist auf.
Da brllte mich der Fachmann an:
Das hier ist ein Elektrogeschft, mein Herr, und keine
ffentliche Versuchsanstalt! Wenn Sie nicht die Absicht
haben, etwas zu kaufen, warum vergeuden Sie dann meine
Zeit?
Ich verlie fluchtartig den Laden und hrte noch, wie er

146
mir nachrief:
Von Ihnen lasse ich mich nicht noch einmal
schikanieren!

Ohne Disziplin gehts nicht

Zu den hervorragendsten Nationaleigenschaften meiner


Landsleute gehrt die Disziplin, eine alles umfassende
Disziplin und dennoch keine, der man blind folgt.
Wenn wir zum Beispiel eine Telefonzelle mit der Tafel
Auer Betrieb sehen, so berkommt uns sofort der
heftige Wunsch, gerade hier zu telefonieren, und in neun
von zehn Fllen tun wir das auch.
Werden wir aufgefordert: Bitte das Geld sofort nach-
zhlen, sptere Reklamationen werden nicht berck-
sichtigt, gehen wir sofort nach Hause, zhlen das Geld
spter nach und schlagen Krach, weil man uns offen-
sichtlich betrogen hat.
Wenn allerdings auf einer Tr Eintritt verboten steht,
treten wir wirklich nicht ein. Auer wir mssen. Oder um
nachzusehen, was eigentlich hinter der Tr los ist.
Nur so. Wir folgen eben einer absolut individuellen
Disziplin.

Geld spielt keine Rolle

Direktor Schulthei, bevor wir mit dem Verhr beginnen,


weisen wir Sie darauf hin, da Sie nicht aussagen mssen.
147
Der parlamentarische Finanzausschu, vor dem Sie stehen,
kann Sie nicht dazu zwingen.
Vielen Dank fr den Hinweis, Herr Vorsitzender.
Bitte.
Kann ich jetzt gehen?
Gewi. Wir htten uns allerdings sehr gerne mit Ihnen
ber die Verluste Ihrer Investitionsgesellschaft unter-
halten, die ja schlielich von der Regierung untersttzt
wird.
Woher wissen Sie, da wir Verluste hatten?
Aus den Zeitungen, Herr Schulthei.
Sie glauben, was in den Zeitungen steht? Die haben
zuerst geschrieben, da sich unsere Verluste auf 20
Millionen belaufen, dann sollten es 40 Millionen und
schlielich 70 gewesen sein. ber eine solche Bericht-
erstattung kann ich doch nur lachen.
Und wie hoch sind Ihre Verluste wirklich?
Mindestens doppelt so hoch.
Wie sind Ihre Verluste zustande gekommen?
Das werden wir erst feststellen knnen, wenn wir alle
Subventionen von der Regierung erhalten haben. Ich
pldiere dafr, da wir vorlufig von einem kontrollierten
Profitdefizit sprechen.
Aber fr ein Profitdefizit mu es doch Ursachen
geben?
Natrlich.
Also? Woran liegts?
Zumeist an den Umstnden. Gelegentlich auch daran,
wie sich die Dinge entwickeln. Es ist eine sehr
komplizierte Angelegenheit, meine Herren.
Erlutern Sie das bitte an einem Beispiel.

148
Mit Vergngen. Nehmen wir zum Beispiel das Stau-
dammprojekt in Sansibar. Ein vielversprechender Auftrag.
Wir hatten gigantische Bauvorrichtungen installiert, hatten
die waghalsigsten Konstruktionsprobleme gelst, hatten
sogar alle Sprachschwierigkeiten berwunden und dann
kam eine Springflut, die alle unsere Berechnungen
wegschwemmte.
Bauvorrichtungen welcher Art?
Abwehrdmme und Ablenkungskanle fr Spring-
fluten. Es war ein hochinteressantes Projekt.
Wie haben Sie denn den Auftrag bekommen?
Wir arbeiten mit Vermittlern, wie alle anderen
regierungsgefrderten Unternehmen auch. Unsere
Kalkulationen sind stets konservativ. Von den Gesamt-
kosten eines Projekts ziehen wir zunchst die voraus-
sichtlichen Verluste unserer Gesellschaft ab
In welcher Hhe?
In mglichst geringer Hhe. Gewhnlich rechnen wir
mit hchstens 15 bis 30 Prozent Verlust. Da sind aber die
Bestechungsgelder noch nicht drin.
Warum nicht?
Weil wir zwischenmenschliche Beziehungen nicht mit
zu harten Geschftspraktiken belasten wollen. Deshalb
werden die Bestechungen in unseren Bchern gesondert
aufgefhrt.
Wo genau?
In meinem kleinen schwarzen Notizbuch. Hier, sehen
Sie: An Muki 750000 fr Kfigzug. Steht alles drin.
Was heit Kfigzug?
Das wei ich nicht mehr. Aber es war ein
hochinteressantes Projekt. Oder hier: Aga Khan 903 705
nein, das ist seine Telefonnummer, entschuldigen Sie.

149
Stimmt es, da Sie ber 20 Millionen fr Bestechungen
ausgegeben haben.
Das ist eine besonders komplizierte Angelegenheit.
Wir wollen aber hren, wie das vor sich ging.
Sehr diskret. Unser Vertrauensmann begibt sich mit
einem schwarzen Kfferchen voller Banknoten ins
Ausland, zahlt an irgend jemanden irgendeine Summe,
kommt zurck und meldet: Alles in Ordnung. Das
wichtigste ist, da es keine Zeugen gibt und da die ganze
Sache still und taktvoll abgewickelt wird. In den meisten
Fllen wissen wir nicht einmal, wer das Geld bekommen
hat und wo. Nehmen wir den Fall des kolumbianischen
Innenministers. In einer dunklen Nacht haben wir ihm
zwei Millionen durch das offene Fenster zugeworfen, da-
mit er uns den Auftrag fr den Bau des kolumbianischen
Kanalisationssystems erteilt.
Und das hat geklappt?
Nein. Wir entdeckten zu spt, da in diesem Haus nicht
der Innenminister wohnt, sondern ein Innenarchitekt, der
einige Monate zuvor gestorben war. Wer kennt sich schon
in einem kolumbianischen Telefonbuch aus.
Wie wurde der Verlust gebucht?
Unter dem Kennwort Hhere Gewalt. Unsere Gesell-
schaft arbeitet mit einer sogenannten Mono-Balance-
Buchhaltung. Auf der einen Seite werden die Ausgaben
verbucht, und fr die Einnahmen haben wir einen Stempel
Keine Sorge!. Das System hat sich sehr bewhrt.
Bleibt immer noch zu klren, wen oder was Sie fr Ihr
Defizit verantwortlich machen.
Das Schicksal. Es hat viele unserer Plne vereitelt.
Vielleicht nicht mit Absicht, aber doch. Ich denke da etwa
an die Auffllung der nicaraguanischen Kste.

150
Was war das?
Ein hochinteressantes Projekt. Wir hatten uns mit der
Regierung von Nicaragua auf 60 Millionen Cordobas ge-
einigt, zu einem Wechselkurs von l Cordoba = l Israeli-
sches Pfund. Im letzten Augenblick wurde die lokale
Whrung abgewertet und sank auf 10 Cordoba = l Israeli-
sches Pfund.
Warum haben Sie keine Abwertungsklausel in Ihrem
Vertrag gehabt?
Das war die Bedingung der nicaraguanischen
Regierung. Sonst htten wir den Auftrag fr dieses Projekt
nicht bekommen.
Bitte sagen Sie nicht immer Projekt, Herr Schulthei.
Der Ausdruck macht uns nervs.
Wie Sie wnschen. Es ist jedenfalls eine sehr
komplizierte Angelegenheit.
Wurden Sie von der Regierung nie ber Ihre Verluste
befragt?
Ununterbrochen. Mindestens einmal im Monat erkun-
digte sich das Wirtschaftsministerium nach dem Stand der
Dinge, und meine Antwort lautete immer: Klopfen Sie
auf Holz. Ich habe diesen Vorschlag auch mehrmals
schriftlich gemacht.
Aber auf die Dauer mu es doch zwischen den Regie-
rungsbehrden und Ihnen zu Reibereien gekommen sein?
Und ob. Als wir den Dalai Lama bestachen, um an der
tibetischen Agrarreform beteiligt zu werden, luden wir ihn
zum Mittagessen ein, und das Finanzministerium weigerte
sich, die Rechnung zu bernehmen. Sie bewilligten uns
nur acht Pfund, und auch das nur unter der Voraussetzung,
da das Restaurant nicht weiter als acht Kilometer vom
Palast des Dalai Lama entfernt wre. Es kam zu einer str-

151
mischen Auseinandersetzung. Schlielich appellierten wir
an den Obersten Gerichtshof und erreichten eine Verg-
tung in Hhe von 9.50 Pfund. Ich frage Sie, meine Herren,
wie soll man unter solchen Umstnden effektiv arbeiten.
Das ist in der Tat nicht ganz leicht.
Noch dazu bekommen wir weder Spesengelder noch
Diten. Was bleibt uns brig, als Darlehen aufzunehmen?
Allein die Zinsen fr diese Darlehen betragen eine Viertel-
million Pfund in der Woche. Seit Beginn dieses Gesprchs
haben wir bereits 20000 Pfund verplaudert. Ich beantrage
Schlu der Debatte.
Noch eine Frage, Herr Schulthei. Wer bezahlt das
alles?
Ich, meine Herren. Ich und die anderen Brger unseres
Landes. Ich komme meinen Brgerpflichten nach. Ich
zahle meine Steuern, um das Finanzamt mit dem Geld zu
versorgen, das zur Deckung der uns zugestandenen
Garantien bentigt wird.
Wer, Herr Schulthei, hat Ihrer Gesellschaft diese
Garantien zugestanden?
Sie.
Wir?
Jawohl, Sie. Der parlamentarische Finanzausschu.
Es ist spt geworden, finden Sie nicht?
Allerdings.
Das Ganze ist wirklich eine sehr komplizierte
Angelegenheit.
Ganz meine Meinung, Herr Vorsitzender.
Wir danken Ihnen fr Ihre Mhe, Herr Schulthei.
Nach den Wahlen reden wir weiter.
Sehr gerne.

152
David im Wunderland

Wenn der Finanzminister irgendeines anderen Landes in


einer Kabinettssitzung verkndet: Meine Herren, nur ein
Wunder kann uns retten, so bedeutet das, da die
betreffende Regierung, oder vielleicht das ganze Land, vor
einer Katastrophe steht. In Israel bedeutet es nichts weiter,
als da das betreffende Wunder in den nchsten zwei, drei
Tagen geschehen wird.

Wie die Gerchte blhen

Elazar Weinreb ist zweifellos ein Meister im Geld-


verdienen. Der Grund dafr ist sein unerschtterlicher
Glaube an die Macht von Gerchten. Er glaubt nun einmal
an jedes kursierende Gercht, als kme es von Gott
persnlich. Und obwohl er dank dieser angeborenen Gabe
steinreich geworden ist, findet seine Seele keinen Frieden.
Es begann noch vor der Abwertung des Pfund. Die
Regierung, so hie es aus unzuverlssiger Quelle, werde
den Kurs ndern und US-Dollar-Aktien wren die einzige
Lsung. Aber so einfach konnte es doch wirklich nicht
sein, zu Wohlstand zu kommen. Das htte schlielich
bedeutet, da jeder Dummkopf nur US-Dollar-Aktien
htte kaufen mssen, um im Handumdrehen ein wohl-
habender Mann zu werden.
Das klingt zu schn, um wahr zu sein, hie es
allgemein, unsere Politiker sind doch keine Kindskpfe.
Und was fr Kindskpfe, seufzte Elazar Weinreb,

153
begab sich zur Bank, kaufte US-Dollar-Aktien, war im
Handumdrehen ein wohlhabender Mann und zgerte
keinen Augenblick, seinen Gewinn in Wohnungen zu
investieren, weil er gehrt hatte, die Mieten wrden
steigen. Und tatschlich, kurz darauf stiegen sie.
Elazar Weinreb traut einzig und allein Gerchten. Als
zum Beispiel niemand die lppische Information glaubte,
da die Steuern fr Auslandsreisen empfindlich erhht
wrden, sprang Elazar in ein Taxi, raste ins erstbeste
Reisebro und buchte eine Weltreise. Er verlie das Land
am Tag der Einfhrung der neuen Steuer. Es hie sogar,
da die Kstenwache seinem Schiff hinterherscho, aber
er befand sich bereits auerhalb der israelischen Steuer-
hoheit.
Whrend seines Parisaufenthaltes flatterte ihm eine
hebrische Zeitung in die Hnde. Darin las Elazar, da die
Regierung scharf gegen das Gercht vorging, die Mehr-
wertsteuer auf Grundstcke wrde eingefhrt. Er buchte
die nchste Maschine, stieg um 9 Uhr 30 aus dem Flug-
zeug, verkaufte um 11 Uhr seine Immobilien, und um 12
Uhr trat die Mehrwertsteuer in Kraft.
Natrlich ist es zermrbend, der Regierung stndig einen
Schritt voraus zu sein. Darum ist Elazar nur noch ein
einziges, von Gerchten gehetztes Nervenbndel. Sitzt er
einmal seelenruhig in einem Kaffeehaus, schlendern doch
gleich zwei junge Mnner vorbei, von denen einer zum
andern sagt: Sollten die Zigaretten wirklich teurer
werden
Kellner, die Rechnung! schreit Elazar Weinreb und
kauft innerhalb der nchsten Viertelstunde den gesamten
Zigarettenbestand am gegenberliegenden Kiosk auf.
Noch am gleichen Abend kann er die Zigaretten mit
betrchtlichem Gewinn abstoen, da mittlerweile ihr Preis
gestiegen ist. So wurde er auch seine amerikanischen
154
Wertpapiere los, nachdem er das dumme Gequatsche ber
ihren mglichen Verfall gehrt hatte.
Zur Zeit nennt Elazar Weinreb dreiig Autos sein eigen.
Es stand ja schlielich in der Boulevardpresse, da am
Sonntag der Kaufpreis fr Pkws im Durschnitt um 2500
Pfund steigen knnte.
2500 mal 30 ergibt 75000, berlegte Elazar, kein
schlechtes Geschft, kaufte noch am Freitag die Autos,
und am Sonntag stiegen die Autopreise. Er ist immer auf
der Lauer, dieser Elazar Weinreb. Er schlft mit offenen
Augen und einer Uhr in der Hand, heit es.
Nur in einer einzigen Schlacht hat er bisher versagt. Den
Herzinfarkt hat er vor der neuen Erbschaftssteuer nicht
mehr bekommen.
Aber keine Angst, es wird schon noch werden.

Diebe unter sich

Der Talmud, die Sammlung jdischer Weisheiten und


Interpretation religiser Gesetze aus dem Alten Testament,
hlt einige berraschungen bereit. Unter anderem erklrt
er, da ein Dieb, der einen anderen Dieb bestiehlt, nicht
bestraft werden darf.
Das ist sicher ein begrenswertes Vorhaben, aber wenn
man es verwirklicht, wird die Untersuchung staatlicher
Korruption praktisch unmglich.

155
Nur nicht den Kopf verlieren

Eines Abends lutete es Sturm an der Haustr, und der


berhmte Schulthei stolperte herein, Panik im Gesicht.
Ich drckte ihn in den Schaukelstuhl auf unserer Terrasse
und wartete, bis er zu sich kam. Noch immer schwer
atmend berreichte er mir die Zeitung vom Tage.
Lies! stie er heiser hervor.
Schulthei, das korrupte Schwein, stiehlt 400000 Pfund
aus der Gemeindekasse! las ich. Unter dieser Schlagzeile
stand ein ausfhrlicher Artikel ber Jeheskel Schulthei.
Angeblich hatte er als Beamter der Stadtverwaltung ein
Bruttogehalt von nur 2983,65 Pfund bezogen. Trotzdem
hatte man ihn vor zwei Monaten dabei beobachtet, wie er
sich einen funkelnagelneuen Rolls-Royce fr 236000
Pfund anschaffte.
Woher hat der Beamte die Mittel fr dieses
Luxusauto? fragte der Verfasser des Berichts, um sich
gleich selbst die Antwort zu geben. Dieser Parasit
bediente sich einfach aus der Sozialkasse seiner Abteilung
und entnahm daraus 300000 Pfund in bar. Der Schuft
deponierte statt dessen geflschte Quittungen ber
Sozialhilfe fr imaginre Witwen und Waisen in der Kasse
und stopfte Mitwissern mit Zehntausenden von Pfund den
Mund. Einen seiner Verbndeten, der die Beute zurck-
wies, da sie ihm nicht ppig genug war, beseitigte
Schulthei mit Zyankali, das er bei einem frheren
Einbruch in die Lagerrume der Krankenversicherung
erbeutet hatte. Schulthei erfreut sich nach wie vor bester
Gesundheit. Wie lange wird die korrupte Ratte ihren
Rolls-Roye noch fahren?
Mit gemischten Gefhlen gab ich Jeheskel die Zeitung

156
zurck.
Nun ja, bemerkte ich. Wann reichen Sie Verleum-
dungsklage ein?
Es wird keine geben, erwiderte mein Gast. Mein
Anwalt hat mir geraten, auf die Provokation nicht vor-
schnell zu reagieren, vor allem jetzt, so kurz vor der
Olympiade. In derartigen Fllen mu man sich strategisch
verhalten, einen khlen Kopf bewahren und die Zhne
zusammenbeien, so schwer es auch fllt.
Wieso denn das?
Man wartet doch nur darauf, da meine Nerven auer
Kontrolle geraten, aber ich werde doch nicht auch noch
Propaganda fr diese Lgner machen. Schlielich unter-
scheidet sich ein echter Mann von einem Waschlappen
dadurch, da er, der echte Mann, Herr ber seine Triebe
ist, selbst wenn er im stillen die Fuste ballt.
Alle Achtung, Jeheskel, voller Bewunderung
schttelte ich seine beiden Hnde. Ich kann mir lebhaft
vorstellen, wie schwer Ihnen das fllt.
Manchmal mu man auch positiv denken, sagte
Schulthei, stieg in seinen Rolls-Royce und fuhr nach
Hause.

Das Geheimnis des Bauchladens

Vor drei Jahren erschien der Hausierer zum ersten Mal. Er


klingelte an allen Wohnungstren und hob, wenn eine Tr
sich ffnete, seinen kleinen Handkoffer ein wenig hoch.
Seife? Rasierklingen?
Nein, danke, lautete die regelmige Antwort.

157
Zahnbrsten?
Danke, nein.
Kmme?
Nein!
Toilettenpapier?
Hier schlug ich ihm die Tr vor der Nase zu. Gestern
klingelte er wieder.
Seife? Rasierklingen?
Mich packte die Abenteuerlust.
Ja. Geben Sie mir eine Rasierklinge.
Zahnbrsten?
Ich wollte eine Rasierklinge haben.
Kmme?
Eine Rasierklinge!
Grenzenlose Verblffung zeigte sich auf seinem Gesicht.
Toilette , wimmerte er. Toilettenpapier?
Ich ri ihm den Koffer aus der Hand und ffnete ihn.
Der Koffer war leer. Vollkommen leer.
Was soll das?
Was soll das, was soll das? rief der Hausierer zornig.
Noch nie hat jemand etwas von mir gekauft. Wozu also
das ganze Zeug herumschleppen?
Ich verstehe, lenkte ich ein. Aber warum steigen Sie
dann die vielen Stiegen hinauf und klingeln an jeder Tr?
Man mu sich ja irgendwie seinen Lebensunterhalt
verdienen.

158
Aktion Superton

Anfangs war es nicht mehr als ein Gedankenblitz des


Prsidenten des Dachverbandes jdischer Sammel-
aktionen, Direktor Lipowitz. Anllich seiner alljhrlichen
Rundreise durch Israel besuchte er unter anderem auch die
sdlichste Lagersttte der Gesellschaft zur Kultivierung
reiner Tonerde GmbH in der Negevwste. Dort erblickte
er einige Arbeiter, die gerade einen Lastwagen mit Scken
voll Tonscherben beluden.
Sensationell, dieser herrliche Ton, begeisterte sich
Direktor Lipowitz, und seine Augen leuchteten bedrohlich.
Ich habe eine Idee, verkndete er seinen Begleitern.
Wie stehen unsere Sammelergebnisse in Boston?
Der persnliche Referent nahm eine Landkarte der
Vereinigten Staaten aus seiner Aktentasche.
Rekordspenden, sagte er eifrig, im vergangenen Jahr
waren es ber zehn Millionen Dollar.
Nicht schlecht, sagte Direktor Lipowitz, aber es
knnte noch besser werden. Was halten Sie davon, meine
Herren, wenn wir morgen dem weltberhmten philharmo-
nischen Orchester von Boston einen Sack von diesem
herrlichen Ton berreichen. Ein symbolischeres Ge-
schenk, mit musikalischem Bezug und noch dazu aus dem
Heiligen Land, hat ein Orchester vermutlich nie erhalten.
Die Herren waren berwltigt. Der Propaganda-Effekt
unter jdischen Musikliebhabern in den USA knnte
Wunder wirken. Die Freude der weltberhmten Bostoner
Philharmoniker angesichts des Postboten mit dem Sack
voll Ton wrde berwltigend sein.
Postbote? Lipowitz runzelte die Stirn. Glauben Sie

159
wirklich, meine Herren, da ich so ein Geschenk mit der
Post schicke?
Die Herren duckten sich schuldbewut.
Lipowitz war nicht mehr zu bremsen. Dieser Sack soll
im Konzertsaal der Stadt Boston von einem echt
israelischen Lastentrger in Nationaltracht berreicht
werden!
Und noch bevor die Herren in Begeisterungsstrme
ausbrechen konnten, wies der Direktor auf einen
ausgemergelten Arbeiter orientalischer Herkunft.
Er wird das Geschenk berreichen.
Wann?
Morgen! Ich gebe der ganzen Aktion insgesamt zwei
Tage!
Direktor Lipowitz ist nicht nur ein Mann des Geistes,
sondern auch der Tat. Schon fnfundzwanzig Minuten
spter war Sallah Schabati, der auserwhlte Lastentrger,
mit Reisepa, Ausreisegenehmigung, Devisenkontingent,
Visum sowie einigen guten Ratschlgen versorgt.
Herr Schabati, wurde ihm verkndet, wir
beglckwnschen Sie sowohl in unserem Namen als auch
im Namen des musikbegeisterten Judentums in aller Welt.
Sie werden sofort nach Boston reisen, um dem Chef-
dirigenten diesen Ton zu berreichen.
Warum ich? fragte Schabati in panischem Schrecken.
Was habe ich getan?
Nichts, lieber Freund, machen Sie sich keine Sorgen.
Sie haben einen langen Weg vor sich. Wir werden, um den
Propaganda-Effekt unserer Aktion noch zu erhhen, auf
dem Weg nach Boston ber Washington fliegen.
Sallah Schabati bestand darauf, zu Hause sein stark
gepfeffertes Abendessen einzunehmen, um seine treu-

160
sorgende Gattin nicht zu beunruhigen. Das mute
natrlich verhindert werden. Also zerrte man den wild um
sich schlagenden Lastentrger in ein Auto, wo sich sofort
zwei fette Beamte auf ihn setzten.
Danach verlief die Aktion ohne weitere Zwischenflle.
Kurz vor dem Flughafen warf jemand whrend der
rasenden Fahrt aus dem Lieferwagen eines renommierten
Modehauses eine reichbestickte weiblaue Nationaltracht
fr Schabati durch das Wagenfenster.
An der Gangway angelangt die Motoren heulten
bereits auf vollen Touren , bestieg ein festlich gekleideter
Sallah Schabati das Flugzeug, eskortiert von Direktor
Lipowitz und dreizehn Beamten im Laufschritt.
Jede Minute zhlt, bemerkte Direktor Lipowitz und
wandte sich an den Piloten. Und jetzt mit Vollgas nach
Washington!

Nach Zwischenlandungen in Athen, Singapur, Manila und


Tokio berquerte man den Stillen Ozean. Der Flug verlief
relativ ruhig, nur Sallah Schabati kauerte sthnend auf
dem Boden und verlangte nach Wasser. Die
Pockenimpfung, die ihm einer der beiden Vertreter des
Gesundheitsministeriums ber Istanbul verpat hatte,
verursachte hohes Fieber.
Direktor Lipowitz sa mit der Uhr in der Hand neben
dem Piloten und ermahnte ihn immer wieder, schneller zu
fliegen.
Nach der Landung in Los Angeles bestieg Direktor
Lipowitz mit seinen Begleitern eine groe Limousine, und
die Delegation setzte sich in Bewegung, um recht bald die
amerikanische Bundeshauptstadt zu erreichen.
161
Sallah Schabati lief locker und entspannt mit dem
Geschenksack auf den Schultern nebenher. Nach einigen
Kilometern wandte er sich um und fragte:
Sind wir bald in Haifa?
Lauf weiter bis nach Washington, befahl Lipowitz und
lehnte sich bequem zurck. Ein Beobachter der Kultus-
gemeinde von Los Angeles, der beauftragt wurde, die
Delegation zu begleiten, wandte sich an ihn.
Von welchem Washington ist hier eigentlich die
Rede?
Blde Frage! antwortete Lipowitz herablassend.
Natrlich von der Bundeshauptstadt.
Der Beobachter erschrak. Die Bundeshauptstadt liegt in
der Nhe der Westkste. Hier am Stillen Ozean gibt es den
Staat Washington. Die Stadt, die Sie meinen, liegt am
Atlantik, dreitausend Meilen entfernt.
Lipowitz schluckte kurz. Na und? sagte er. Dann
werden wir eben einen dreitausend Meilen langen
Triumphzug durch die Vereinigten Staaten unternehmen.
Je mehr Amerikaner von unserem geistvollen Geschenk
erfahren, desto besser! Dann wandte er sich an Schabati.
Lauf schneller, Mann, sonst kommen wir zu spt.

Der Triumphzug wurde zu einem ungeheuren Erfolg. Fast


in jeder Stadt mute haltgemacht werden, um der
jdischen Bevlkerung eine kleine Feier zu ermglichen.
Immer mehr freiwillige Funktionre schlossen sich mit
ihren Fahrzeugen der Kolonne an. In Las Vegas war es
bereits ein Konvoi von 17 Wagen, die Sallah auf seinem
langen Marsch begleiteten.

162
Irgendwo beim Durchqueren des Grand Canyon ging
Schabati ganz pltzlich verloren. Er hatte seinen
wertvollen Sack kurz abgestellt, um sich hinter einem
Riesenkaktus zu erleichtern. Und das war das letzte, was
man von ihm hrte.
Direktor Lipowitz, ein Mann der schnellen Entschlsse,
engagierte flugs einen stmmigen Indianer, der zufllig
vorbeistreunte, und beauftragte ihn mit dem Transport des
Sackes. Nach Durchqueren des Death Valley kam man
endlich in Salt Lake City an, wo die ansssige Ortsgruppe
aus dem Stegreif ein kleines Passionsspiel improvisierte.
In Denver, Colorado, war der Konvoi bereits auf 47
Fahrzeuge angewachsen. Das Fest, das nach Volkstnzen
und Rundgesang noch ein biblisches Kabarett zu bieten
hatte, dauerte drei Tage lang. Als es vorbei war, konnte
man den Indianer mit den Tonscherben nirgends
auftreiben. Der unerschtterliche Lipowitz machte sich
mit einem weiteren Trger erneut auf den Weg. In
Ermangelung eines Indianers mute man mit einem
Schwarzen, der am Hauptbahnhof als Koffertrger wirkte,
vorliebnehmen.
Nach einigen Wochen waren die Staaten Idaho, Montana
und North-Dakota durchquert. Die Kolonne war
inzwischen auf 623 Fahrzeuge angewachsen. In dieser
Phase des Siegeszuges hatten die Kosten die 15-
Millionen-Dollar-Grenze noch nicht berschritten.
Dank grter gemeinsamer Anstrengungen aller
Beteiligten erreichte die Fahrzeug-Schlange nach weiteren
21 Tagen den stdtischen Konzertsaal von Boston.
Direktor Lipowitz, der sich whrend des fnftgigen
unvergelichen Besuchs in der Hauptsynagoge von
Washington, D. C., einen echten schwarzen polnischen
Kaftan sowie den dazugehrigen pelzverbrmten Hut

163
ausgeborgt hatte, trug den Sack mit dem herrlichen Ton
hchstpersnlich den letzten Absatz der Freitreppe empor
und lutete am Tor des Konzerthauses.
Niemand ffnete.
Anscheinend ist das Orchester nicht zu Hause, teilte
Lipowitz seiner eintausendsiebenundsiebzigkpfigen
Eskorte mit. Schade. Na schn, versuchen wir es eben ein
anderes Mal.
Pltzlich ging das Tor doch noch auf.
Herr Chefdirigent? fragte Lipowitz.
Nein, erwiderte das schwarze Dienstmdchen. Der
Herr Chefdirigent ist seit drei Wochen mit dem Orchester
auf Tournee.
Wo?
In Israel.
Aha, erwiderte Lipowitz und leerte den Inhalt des
Sackes vor die Fe des erstaunten Dienstmdchens. Das
ist fr ihn. Schalom.
So liegt hier also wieder einmal der berzeugende
Beweis klar auf der Hand, da eine wohlorganisierte,
konsequente und sparsame Propaganda-Aktion frher oder
spter von Erfolg gekrnt sein wird. Wie blich.

Fristlose Entschuldigung

In Israel gibt es keine Kndigung, denn wir sind ein


sozialistischer Staat. Unsere Firmen werden von Arbeiter-
Komitees geleitet, und wenn es zu Meinungsverschieden-
heiten mit dem Bo kommt, wird ein Schiedsgericht ein-
gesetzt. Das Schiedsgericht besteht aus drei Vertretern des
164
Arbeiter-Komitees, zwei Gewerkschaftsvertretern und
dem Bo als Beisitzer ohne Stimme.
Die letzte Kndigung in Israel gab es im Jahre 1932, als
ein Zitruspacker namens Sprotzek den Besitzer der
Plantage im Verlauf eines Wortwechsels totgeschlagen
hatte. Das Schiedsgericht sprach sich zwar gegen die
Entlassung Sprotzeks aus, entschuldigte sich aber bei der
Witwe.

Ein Knigreich fr einen Boten-


jungen

Gottes unerforschlicher Ratschlu hatte entschieden, da


auch unser Khlschrank streiken sollte. Mich beunruhigte
das keineswegs, denn ich hatte einen Garantieschein und
mute ihn nur ausgefllt an die Firma schicken. Dann
lehnte ich mich entspannt zurck und wartete.
Nach einigen Tagen begannen die Nahrungsmittel im
einstigen Khlschrank zu gren. Ich rief bei der Firma an.
Sie sind nicht der einzige, mein Herr, teilte mir der
Manager bedauernd mit. Wir bekommen schon seit drei
Tagen keine Post mehr.
Warum denn das?
Unser Botenjunge ist nicht gekommen.
Ich erfuhr, da Tuwal, der vierzehnjhrige Botenjunge,
der am Morgen immer die Post holte, seit Sonntag nicht
mehr gekommen war und dadurch den ganzen Betrieb
lahmgelegt hatte. Das Postamt ist ziemlich weit vom
Firmengebude entfernt, und Tuwal hatte ein Fahrrad.
Wir wissen nicht, was mit ihm los ist, fuhr der
165
Manager fort. Er hat uns noch nie sitzenlassen. Vielleicht
ist er krank.
Da unser Khlschrank weiter vor sich hingrte, rief ich
zwei Tage spter nochmals an.
Nichts Neues, sagte er bereitwillig. Bei uns gehts
drunter und drber. Rechnungen, Bestellscheine und alle
mglichen Briefe, die schon lngst unterwegs sein sollten,
hufen sich auf meinem Schreibtisch, und ich habe keinen
Botenjungen, der sie befrdert. Versuchen Sie sich das
Chaos vorzustellen. Wir sind bekanntlich Armee-
lieferanten.
Mir kam der rettende Gedanke.
Knnten Sie sich nicht erkundigen, was mit Tuwal
geschehen ist?
Daran haben wir auch schon gedacht. Aber er wohnt
weit auerhalb der Stadt, und wir haben keinen Boten-
jungen.
Um diese Zeit stank es aus unserem Khlschrank schon
so erbrmlich, da man ihn nicht mehr zu ffnen wagte.
Ich erkundigte mich dreimal tglich. Er war immer noch
nicht erschienen. Eine typisch israelische Tragdie: Wenn
feststnde, da Tuwal nicht mehr zurckkme, erklrte
mir der Manager, wrde man das Firmengebude
schlieen oder eines nher beim Postamt bauen. Aber so?
Das Direktorium hatte das Problem bereits dem
Verteidigungsminister unterbreitet. Auf den Fliebndern
herrschte die reinste Anarchie, denn es gab keinen Boten-
jungen, der die Anweisungen und Entwrfe ausgetragen
htte. Auch die Buchhaltung stand vor dem Zusammen-
bruch.
Haben Sie, erkundigte ich mich vorsichtig, schon
daran gedacht, einen anderen Botenjungen zu suchen?
Unmglich. Diese Bengel wollen ja nicht arbeiten. Sie
166
lassen sich das Geld fr zehn Busfahrten geben und
verschwinden. Aber Tuwal hat ein Fahrrad. Wir mssen
auf ihn warten.
An der Brse fielen die Aktien der Gesellschaft um vier
Prozentpunkte, als bekannt wurde, da ihr Botenjunge sie
verlassen hatte. Daran waren schon grere Unternehmen
zugrunde gegangen.
Wo steckte Tuwal? Warum kam er nicht?
Wir schoben den Khlschrank auf den Balkon hinaus
und versperrten die Tr. In den Zeitungen lasen wir von
Unruhen an der syrischen Grenze. Sollten die Syrer
vorhaben, Tuwals Erkrankung zu ntzen?
Als ich gestern den Manager sprechen wollte, meldete
sich an seinem Apparat der Konkursverwalter, der zu
retten versuchte, was noch zu retten war. Angeblich hat
der Handelsminister einen genauen Bericht ber den
Hergang des Bankrotts angefordert. Der Bericht ist seit
Tagen fertig, kann aber nicht zugestellt werden, weil kein
Botenjunge da ist.
In seiner nchsten Sitzung wird sich der Ministerrat mit
der Angelegenheit beschftigen.

Halali!

Der Schlamassel begann mit dem epochalen Projekt Jetzt


hauen wir auf die Pauke 98.
Der Tourismus-Gigant Supertours GmbH hatte diese
neuntgige Kreuzfahrt an Bord des legendren griechi-
schen Passagierschiffes Santanos ausgeschrieben.
Hhepunkt dieses epochalen Erlebnisses sollte ein Live-

167
Stierkampf auf hoher See sein, mit einem Star-Torero und
Export-Stieren. Darber hinaus werden erotische Filme
nonstop und tglich um Mitternacht ein epochales
Getrnk vom Hause versprochen.
Das epochale Projekt fiel leider ins Wasser. Eine Woche
vor der Kreuzfahrt beantragte der Staatsanwalt eine Einst-
weilige Verfgung gegen Supertours GmbH gem
einer ottomanischen Vorschrift, welche die Inbetrieb-
nahme schwimmender Schlachthuser untersagt. Der
Aufsichtsrat von Supertours GmbH legte Widerspruch
ein und kndigte an, Betonpfeiler unter der Santanos zu
montieren, wodurch das Passagierschiff zu einer knst-
lichen Insel wrde. Danach huften sich jedoch die
wirtschaftlichen Probleme des Tourismus-Giganten, und
das epochale Projekt wurde endgltig abgesagt. Angeblich
wre Jetzt hauen wir auf die Pauke 98 fr die Gesell-
schafter erst ab 8000 Passagieren rentabel gewesen. Es
waren jedoch nur 7961 israelische Touristen bereit
gewesen, 11650 Dollar fr einen Live-Stierkampf auf
hoher See hinzublttern.
Es war ein eklatanter Fehler, den Reisetermin auf Ende
Januar zu setzen, gab der Supertours-Prsident Kaiman
Kalmi Grienspan bei der Pressekonferenz, wenn auch
nur ungern, zu. Wir htten bedenken mssen, da ein
Groteil unserer potentiellen Kunden am Monatsende
knapp bei Kasse ist.
Der Prsident beruhigte die Gesellschafter jedoch mit
der Nachricht, von nun an werde seine Firma fest auf dem
Boden der katastrophalen wirtschaftlichen Tatsachen des
Landes bleiben.
In diesem Sinne prsentiere ich Ihnen unser jngstes
Angebot, freute sich Kaiman Kalmi Grienspan.
Anfang Mrz organisieren wir, auf vielfachen Wunsch
unserer Kunden, eine epochale Fuchsjagd mit Boris
168
Becker in den Wldern Galilas.
Schon am nchsten Morgen verkndeten groformatige
Anzeigen in der Tagespresse:

GESTRESST? FIX UND FERTIG? PLEITE?


ENTSPANNEN SIE SICH MIT UNSEREM
EPOCHALEN ANGEBOT
FANG DEN FUCHS!
ENGLISCHE FUCHSJAGD (Fox HUNTING)
EIN EPOCHALES ERLEBNIS IM NORDEN!
HALALI!

Galoppieren Sie im roten Frack mit dem epochalen Boris


Becker durch die immergrnen Wlder Galilas, umgeben
von einer bellenden Hundemeute, auf den Spuren des
Fuchses Fox, unter der Leitung eines schottischen
Experten und in Begleitung eines international renommier-
ten britischen Hornisten, der das Start-Signal blasen wird:
Halali!
In den Pausen unterhlt Sie Rockstar Joe Hunter mit
seiner Band The Crazy Foxes.
Gesamtpreis des epochalen Erlebnisses, heute bis 15 Uhr
30 nur 15000 Dollar. Sichern Sie sich rechtzeitig Ihren
Platz!

Das Projekt Halali! schlug alle Rekorde. Bereits wenige


Stunden nach Erscheinen der Anzeigen belagerten rund
400 Jagdfans, darunter Touristen aus den USA,
prominente Steuerberater aus der Umgebung und ein paar
Arbeitslose, die mit Kreditkarten bezahlten, die Bros von
Supertours. Nach zwei Tagen mute die Firma

169
mitteilen, Fox Hunting sei ausgebucht. Es gbe nur
noch vereinzelte Stehpltze fr zustzliche Jagdausflge
im April und Mai.
Auch die Organisation des Projekts klappte wie am
Schnrchen. Jeder Teilnehmer erhielt bei der Anmeldung
eine gestempelte Urkunde mit Seidenband, die ihn als
diplomierten Fuchsjger (Fox Hunter) auswies, und ein
italienischer Frack-Designer nahm die individuellen
Krpermae. Mit der Fertigung des traditionellen roten
Outfits wurde ein renommiertes Bauunternehmen im
Sden des Landes beauftragt. Darber hinaus erhielt jeder
Teilnehmer ein Pferd und zwei persnliche Hunde
zugeteilt.
Die vier erfahrenen Jagdfchse, eine freundliche Leih-
gabe des Tel Aviver Zoos fr die Dauer der Jagdsaison,
wurden unterdessen in den nrdlichen Wldern trainiert.
Zwar entpuppte sich der international renommierte
britische Hornist aus Bukarest als Xylophon-Virtuose,
und die Halali-Signale wrden ber einen galoppieren-
den CD-Player erklingen, aber ansonsten klappte alles wie
am Schnrchen.
Nach ersten vorsichtigen Schtzungen erwartete
Supertours GmbH von Fox-Hunting einen Rein-
gewinn von 7,5 Millionen Dollar, vor und nach Steuern.
Das erste Problem ergab sich ausgerechnet im landwirt-
schaftlichen Bereich. Das Schrottunternehmen mute
nmlich 15 Arbeiter entlassen, woraufhin der Personalrat
die Fabrik in Brand steckte. Bei Zusammensten mit der
Polizei beschlagnahmten die Streikenden die 3000 halb-
zugeschnittenen Fracks von Supertours GmbH. Die
Firmenanwlte forderten zwar unverzglich beim
Obersten Gerichtshof die Freigabe des unverzichtbaren
Bekleidungsstckes. Die Eingabe gelangte jedoch auf-
grund des eskalierenden Postbotenstreiks nicht an ihr Ziel.
170
Auch die Zusammenstellung der Hundemeute stie auf
unerwartete Schwierigkeiten, zum einen wegen des
Begriffs Meute, der den meisten israelischen Hunde-
zchtern unbekannt war, zum anderen wegen des
Beamtenstreiks bei der Bahn, Post, Telekom und im
ffentlichen Dienst.
Wer heutzutage im Nahen Osten ein Fox Hunting
organisiert, ist ein Naivling, schimpfte Kaiman Kalmi
Grienspan in privaten Gesprchen mit seinen engsten Mit-
arbeitern. Man will den Arbeitern ein wenig Lebens-
freude bereiten, und was ist der Dank dafr? Auf Schritt
und Tritt werfen sie einem Prgel zwischen die Beine.
Zu diesem Zeitpunkt wute Kalmi noch nicht, da der
Kibbuz an der syrischen Grenze, mit dem er einen Vertrag
ber die Lieferung von 300 gebrauchten Pferden gegen
einen betrchtlichen Vorschu abgeschlossen hatte, eine
Woche zuvor aufgrund des Crashs an der Tel Aviver
Wertpapierbrse Konkurs angemeldet hatte.
Einen weiteren Hhepunkt erreichte die Krise sodann
vllig unerwartet in den nrdlichen Wldern. Das Exper-
tenteam der Supertours GmbH, das die vier Leihfchse
ausbilden sollte, versptete sich, da die arbeitslosen
Gewerkschafter mit ihren Zweitwgen die Umgehungs-
straen blockierten. Als es dem Team endlich gelungen
war, sich in die Wlder vorzuarbeiten, war bereits einer
der Fchse bei einem Schuwechsel zwischen der Grenz-
polizei und arabischen Terroristen von einem Quer-
schlger gettet worden, woraufhin ein weiterer Fuchs
nach Jordanien entfloh. Die zwei restlichen erfahrenen
Jagdfchse wurden am nchsten Tag whrend einer
Steuerrazzia von Beamten in den rtlichen Gasthusern
konfisziert.
Danach traf die recht unerfreuliche Nachricht ein, da
von den 48 Treibern, die mit den Hunden beim Klang des
171
CD-Halali durch die Wlder hetzen sollten, 36 an akuter
Unterernhrung litten und in stationre Behandlung
muten.
Man knnte ein paar Dutzend philippinische Treiber
importieren, schlug Kaiman Kalmi Grienspan auf einer
Krisensitzung der Supertours GmbH vor und stellte
dann bekmmert fest, da die Firma mittlerweile in den
roten Zahlen war. Die Gesellschafter htten in vollem
Vertrauen auf den Finanzminister ihre Kalkulation auf die
Grundlage einer jhrlichen Inflationsrate von 2 Prozent
brutto gestellt, und seien nun durch eine tatschliche
Inflation von 82 Prozent in ein ernsthaftes Cashflow-
Problem geraten. Auch die Regierung sei unterdessen
zurckgetreten und ein Generalstreik ausgerufen worden.
Die eigentliche Hiobsbotschaft aber kam von Boris
Becker. Er sagte mit der fadenscheinigen Ausrede ab, er
stehe auf der Seite der Fchse. Der Vorstand habe sich
sofort mit Steffi Graf in Verbindung gesetzt, aber er,
Kalmi, habe nun endgltig die Nase voll.
Mir reichts, erklrte er, in Israel kann man nicht
arbeiten.
Sein allerletzter Vorschlag wre: Eine epochale
Nilpferd-Safari in zehn Etappen auf Holzflen auf dem
Toten Meer. 18 gut geftterte Nilpferde sind bereits beim
Wildpark von Kenia per Fax angefordert worden. Die
Fle sind selbstverstndlich mit digitalen Roulettetischen
ausgestattet und werden von Kaiser Franz Beckenbauer
bedient. Die einzige offene Frage: die epochalen Nilpferde
gelten beim Zoll als Fleischimport, und Supertours
GmbH mu nach Gewicht bezahlen.
Die Anmeldung hat begonnen.

172
Blumenreich

Die israelische Sprache ist reich an blumigen Wendungen


und Hintergrndigkeiten. Seien Sie unbesorgt! kndigt
eine Katastrophe an, Vertrauen Sie mir! einen
verlorenen Rechtsfall. Sofort! bedeutet zwei Stunden,
Ein paar Tage bedeutet ein Jahr, Nach den Feiertagen
bedeutet nie.

Kostbares Na

In der vergangenen Woche stieg ich morgens als


vollberechtigter Brger der Stadt Tel Aviv aus meinem
Bett, ging ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn
auf. Dieser gab ein Gerusch von sich, das sich etwa so
anhrte:
Frrrrrskl.
Wasser kam keines heraus. Ich stand ein Weilchen mit
der Zahnbrste im Mund da und wartete auf ein Wunder.
Es ereignete sich nicht. In der ganzen Wohnung gab es
keinen einzigen Tropfen Wasser mehr, auer in den Blu-
menvasen, deren Inhalt jedoch recht stenglig schmeckte.
Die beste Ehefrau tobte.
Leben wir denn in der Wste? fragte sie mich. Will
man uns umbringen?
Vielleicht ja, vielleicht nein, verteidigte ich die
Behrden, sie haben vermutlich das Wasser gesperrt.
Die Morgenzeitungen besttigten meine Hellsicht. Die
Wasserversorgungsbehrde hatte nmlich festgestellt, da

173
die Einwohner von Tel Aviv mit dem lebenswichtigen
Na zu verschwenderisch umgingen und pro Durch-
schnittsfamilie fast drei Kubikmeter tglich durch die
Leitungen jagten. Daher wurden drastische Sparma-
nahmen beschlossen und der Wasserdruck in der Snden-
stadt drastisch gesenkt. Ich und die beste Ehefrau von
allen htten die Manahme mit demokratischem Gleich-
mut hingenommen, wenn wir Parterre gewohnt htten.
Tu etwas, in Gottes Namen, fauchte die Beste an der
Zahnpasta kauend.
Anfangs wollte ich eine Einstweilige Verfgung gegen
den Gesundheitsminister erwirken, doch dann sandte ich
unsere betagte Putzfrau in das bodennahe Paradies, um
dort zu schmarotzen. Aber auch da tobte bereits die
stdtische Drre. Im ersten Stock, in der Wohnung des
Bezirksvorstands, entdeckte unsere Wassertrgerin einen
stark tropfenden Hahn auf Kniehhe, doch darunter lagen
bereits Haus- und Putzfrauen aus allen benachbarten
Husern. Erst im Keller wurde sie fndig.
Dieses kmmerliche Na ist nichts fr dich, beschlo
die beste Ehefrau von allen, damit wird aufgewischt.
Zum Mittagessen gingen wir in ein tiefgelegenes
Restaurant, und hinter uns die Sintflut. Womit ich andeu-
ten will, da wir aus dem Restaurant aufsteigend ein
gewaltiges Rauschen vernahmen. Es war Wasser, das sich
aus allen inzwischen voll aufgedrehten Hhnen ergo.
Dieses Mal sorgten wir vor. Die Badewanne wurde
abgedichtet und bis zum Rand gefllt, ebenso Wasch-
becken, Tpfe, Schsseln und Flaschen, selbst das Plastik-
planschbecken unserer Tochter fate leicht eine Reserve
von rund sechs Kubikmetern. Mit dem herrlichen Gefhl,
gute zwanzig Kubikmeter Wasser auf die hohe Kante
gelegt zu haben, gingen wir zu Bett.

174
Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt.
Am nchsten Morgen sprudelten die Hhne reichlich
Wasser. Wir atmeten auf und lieen das berflssige
Grundwasser abflieen. Gleichzeitig hrte man aus allen
anderen Wohnungen des Hauses hnliches Gluckern und
Rauschen, das Erinnerungen an die Niagaraflle weckte.
Aber, wie gesagt. Der Mensch denkt, und Gott lenkt.
Mittags lie der Wasserdruck pltzlich nach und stieg
erst zwei Stunden spter wieder an. Sofort lieen wir
Badewanne, Waschbecken und alles andere vollaufen.
Abends kam der Druck wieder, und wir entleerten. Das
Wasser. Morgens gab es kein Wasser.
An dieser Stelle wurden die Wassersparmanahmen fr
die Bewohner Tel Avivs eingestellt, da bei einer Fort-
setzung das gesamte Land innerhalb von zwei Tagen
vllig ausgetrocknet wre.

Kalk ist ein ganz besonderer Stoff

Vergelichkeit wird im allgemeinen als Altersleiden


bezeichnet: Das Gehirn wird weicher, je hrter die
Arterien werden, oder so hnlich. In unserem durch-
organisierten Land hat sich die Vergelichkeit jedoch zu
einer liebgewordenen Gewohnheit entwickelt, man knnte
fast sagen, zu einem Nationalsport. Vor einiger Zeit wurde
eine Gruppe renommierter Psychiater damit beauftragt,
eine Untersuchung ber Ursache und Wirkung dieses
Phnomens durchzufhren, doch die Sache geriet irgend-
wie in Vergessenheit, ich erinnere mich nicht mehr
warum.

175
Weinrebs Schienbein

Ich traf Weinreb vor der Oper. Ich strzte sofort auf ihn zu
und erinnerte ihn daran, sich unbedingt morgen frh mit
dem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen.
Mach ich, sagte Weinreb. Wenn ichs nicht ver-
gesse.
Was heit, wenn ichs nicht vergesse? fragte ich
fassungslos. Sie wissen genausogut wie ich, wie unge-
heuer wichtig es ist.
Wei ich, entgegnete Weinreb beschwichtigend.
Aber ich habe in letzter Zeit so viel um die Ohren, da
ich es bis morgen lngst wieder vergessen habe. Das beste
wird sein, Sie rufen mich morgen frh um sechs Uhr an
und erinnern mich daran.
Um sechs dusche ich, knnten Sie sich nicht selbst
erinnern?
Versuchen kann ich es, aber ich kann nichts ver-
sprechen. Ich bin so frh am Morgen immer noch im
Halbschlaf und wei nicht, wo ich bin und wer ich bin,
bevor ich meine erste Tasse Kaffee getrunken habe.
Und wie ist es nach dem Kaffee?
Da wei ich, wo ich bin.
Und setzen sich mit dem Rechtsanwalt in Verbindung.
Gut, da Sie mich erinnern. Ich hab ihn vollkommen
vergessen. Hren Sie, es hat keinen Zweck.
Was tun wir also?
Keine Ahnung.
Wir gingen bedrckt nebeneinander her. Mir kamen die
abenteuerlichsten Ideen.

176
Ich hab es, Weinreb, rief ich triumphierend. Wie
wre es mit einem Knoten in Ihrem Taschentuch?
Weinreb sah zu mir auf. Sein mdes Lcheln rhrte
mich.
Und wer, fragte er, bitte wer erinnert mich, was der
Knoten zu bedeuten hat? Nein, die einzige Lsung ist
leider die: Sie rufen mich um sechs Uhr frh an.
Also gut, vielleicht.
Wieso vielleicht?
Weil ich den Anruf vielleicht vergesse. Sie glauben
nicht, wie auch mein Gedchtnis in diesem Sommer nach-
gelassen hat. Wissen Sie was? Es ist alles kein Problem,
wenn Sie mich morgen frh um zehn vor sechs anrufen
und mich erinnern, Sie anzurufen.
Gern. Nur, ich werde es vergessen.
Da hob ich meinen rechten Fu und trat ihm zielgenau
gegen das Schienbein.
Jetzt knnen Sie keinen Schritt mehr machen, ohne zu
humpeln. Sie werden beim Humpeln stndig daran
denken, warum Sie humpeln. Und warum? Weil Sie mich
um zehn vor sechs anrufen mssen.
Das wird nicht klappen, seufzte Weinreb, whrend er
sich das Schienbein rieb. Wie ich mich kenne, werde ich
auch das Humpeln vergessen. Deshalb wre es das beste,
wenn Sie mich morgen frh, sagen wir um fnf Uhr
vierzig, anrufen wrden, um mich ans Humpeln zu
erinnern. Okay?
Okay. Wenn ichs nicht vergesse.

177
Chronik eines Tisches

7. April Heute brach unser Tisch unter der Last des fest-
lichen Mahls endlich zusammen. Meine Frau war darber
sehr froh. Sie hatte das wackelige Mbelstck ohnehin
schon lange loswerden wollen. Ich zersgte es freudig, und
wir machten einen schnen Scheiterhaufen daraus.
Meine Frau behauptet, da man in Jaffa Tische direkt
beim Hersteller kaufen kann. Das geht rascher und ist
billiger.

8. April Der Hersteller, bei dem wir den Tisch bestellt


haben, heit Josef Nebenzahl. Er machte auf uns einen
besseren Eindruck als seine Konkurrenten. Er ist ein ehr-
licher, aufrechter Mann von sympathischem ueren. Als
wir bei ihm erschienen, steckte er bis ber beide Ohren in
der Arbeit. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich
mit imposanter Regelmigkeit, whrend er Brett um Brett
zersgte, und die tadellosen Maschinen stampften den
Takt dazu. Fr den Tisch verlangte er 360 Pfund
Anzahlung. Meine Frau versuchte zu handeln, hatte aber
kein Glck.
Madame, sagte Josef Nebenzahl und sah ihr mit
festem Blick ins Auge, Josef Nebenzahl leistet ganze
Arbeit und wei, was sie wert ist. Er verlangt nicht einen
Piaster mehr und nicht einen Piaster weniger!
So ists recht, dachten wir. Das ist die Rede eines
ehrlichen Mannes.
Ich fragte, wann der Tisch fertig wre. Nebenzahl zog
ein kleines Notizbuch aus seiner Hosentasche: Montag
mittag. Meine Frau schilderte ihm lebhaft, wie es ohne
Tisch bei uns zuginge, da wir stehend essen mten und
178
da unser Leben kein Leben sei. Nebenzahl ging in die
Nebenwerkstatt, um sich mit seinem Partner zu beraten,
kam zurck und sagte: Sonntag abend. Aber wir mten
den Transport bezahlen. Nachdem ich die Hlfte der
Transportkosten bezahlt hatte, nahmen wir Abschied.
Nebenzahl schttelte uns krftig die Hand und sah uns mit
festem Blick in die Augen: Mir knnt ihr vertrauen.

14. April Bis Mitternacht haben wir auf den Tisch


gewartet. Er kam nicht. Heute frh rief ich Nebenzahl an.
Sein Partner sagte mir, Nebenzahl htte auswrts zu tun,
und er wte nichts von einem Tisch. Aber sobald Neben-
zahl zurckkme, wrde er uns anrufen. Nebenzahl rief
uns nicht an. Unsere Mahlzeiten nehmen wir auf dem
Teppich ein.

15. April Ich fuhr nach Jaffa, um Krach zu schlagen.


Nebenzahl steckte bis ber beide Ohren in der Arbeit. Die
Kreissge, die er mit mchtiger Hand bediente, warf Fon-
tnen von Sgespnen um sich. Ich mute mich vorstellen,
da er sich nicht mehr an mich erinnerte. Dann erklrte er
mir, da sein bester Arbeiter vorzeitig zum Militrdienst
eingezogen worden sei, und versprach mir den Tisch fr
morgen vier Uhr nachmittag. Wir einigten uns auf 3.30
Uhr.
Nebenzahl ist wie ein Przisionsuhrwerk, sagte
Nebenzahl. Keine Sekunde frher und keine Sekunde
spter.

17. April Nichts. Ich rief an. Nebenzahl, so erfuhr ich von
seinem Kompagnon, hatte sich in die Hand geschnitten, so
da der Tisch erst morgen zugestellt werden knnte. Nun,
ein Tag mehr oder weniger spielte wirklich keine Rolle.

179
18. April Der Tisch kam nicht. Meine Frau behauptet, das
von Anfang an gewut zu haben. Nebenzahls schiefer,
betrgerischer Blick htte ihr sofort mifallen. Dann rief
sie in Jaffa an. Nebenzahl selbst war am Telefon und fand
berzeugende Trostworte. Das Tischholz htte unvorher-
gesehene Schwellungen entwickelt, jetzt aber sei es im
Druckrahmen, und der Tisch so gut wie fertig. Auerdem
seien die Beine noch nicht eingesetzt, aber das wrde nicht
lnger als drei Tage dauern, und das Polieren nicht lnger
als zwei. Wir haben bereits groe bung im Sitzen mit
untergeschlagenen Beinen. Die Japaner, ein altes Kultur-
volk, nehmen ihre Mahlzeiten schlielich seit Jahr-
tausenden so ein.

21. April Nebenzahls Partner rief uns von sich aus an, um
uns mitzuteilen, da der Polierer Mumps bekommen htte.
Meine Frau erlitt einen hysterischen Anfall. Madame,
sagte Nebenzahls Partner, wir knnten den Tisch im
Handumdrehen fertigmachen, aber wir wollen Ihnen doch
eine erstklassige Handwerksarbeit liefern. Morgen um
zwei Uhr bringen wir Ihnen den Tisch und trinken
zusammen eine Flasche Bier.

22. April Sie brachten den Tisch weder um zwei Uhr noch
danach. Ich rief an. Nebenzahl kam ans Telefon und wute
von nichts, versprach uns aber einen Anruf seines
Partners.

25. April Ich fuhr mit dem Bus nach Jaffa. Nebenzahl
steckte bis ber beide Ohren in der Arbeit. Als er mich
sah, fuhr er mich unbeherrscht an, ich sollte ihn nicht
unentwegt stren, unter solchem Druck knne er seine

180
Verpflichtungen nicht erfllen. Der Tisch sei in Arbeit.
Was wollte ich also noch? Er zeigte mir die Bretter. Erste
Qualitt. Stahlhart. Wann? Ende nchster Woche. Sonntag
vormittag.
5. Mai
Selbst diesen strahlenden Sonntag mute mir meine Frau
durch ihre Unkenrufe verderben. Sie werden nicht
liefern, sagte sie mit typisch weiblicher Hartnckigkeit.
Du wirst schon sehen. Die Sge ist gebrochen.
Zu Mittag rief ich an. Nebenzahl teilte mir mit, da sie
noch an der Arbeit wren. Sie htten im Holz ein paar
kleinere Sprnge entdeckt und wollten keine zweitklassige
Handwerksarbeit abliefern.
Meine Frau hatte wieder einmal unrecht gehabt. Es war
nicht die Sge, es waren Sprnge im Holz. Ende nchster
Woche.
12.Mai Nichts. Meine Frau hat sich bereits damit
abgefunden, da wir noch mindestens einen Monat warten
mten. Hchstens vierzehn Tage, sage ich.
Ich rief an. Der Kompagnon teilte mir mit, da Neben-
zahl seit vorgestern abwesend sei. Irgendwelche
Geschichten am Zollamt. Wir brauchten gar nicht mehr
anzurufen, pnktlich am Morgen des 3. Juni wrde der
Tisch vor unserem Haus abgeladen.
Siehst du, wandte ich mich an meine Frau. Du hast
von einem Monat gesprochen, ich von vierzehn Tagen.
Drei Wochen sind ein schner Kompromi.
Wir essen liegend, wie die Rmer. Sehr reizvoll.

3. Juni Nichts. Kein Anruf, keine Antwort. Meine Frau:


Mitte August. Ich: Ende Juli. Fuhr mit dem Bus nach
Jaffa. An der Endstation hielt gerade ein Taxi, der Fahrer

181
steckte den Kopf heraus und rief: Nebenzahl, Neben-
zahl! Sofort stiegen zwei weitere Passagiere ein. Einer
von ihnen hatte seit sechs Monaten Prsenzdienst bei
Nebenzahl, wegen einer Sesselgarnitur. Der andere, ein
Physikprofessor, wartete erst seit zwei Monaten auf seinen
Arbeitstisch. Unterwegs freundeten wir uns herzlich an. In
Nebenzahls Werkstatt fanden wir nur den Kompagnon.
Alles wrde sich bestens regeln, sagte er. Ich warf einen
Blick in die Werkstatt. Die stahlharten Bretter waren
verschwunden. Auf dem Rckweg diskutierten wir ber
Nebenzahls Persnlichkeit, ber die Arbeit, die ihn so sehr
in Anspruch nimmt, und ber seinen Wunsch, es allen
recht zu machen. Daran wird er noch zugrunde gehen.
Schon jetzt sieht er aus wie ein gehetztes Wild. Wir
beschlossen, uns nchste Woche wieder an der Nebenzahl-
Linie zu treffen.
Meine Frau leugnet, sich jemals auf Ende August
festgelegt zu haben. Ich verlangte, da von jetzt an alles
schriftlich niedergelegt werden mte.

30. Juli Ich wette fnf Pfund auf den Termin Laub-
httenfest, das heuer in die erste Oktoberfesthlfte fllt.
Meine Frau konterte mit dem Jahresende nach dem
gregorianischen Kalender. Ihre Begrndung: Geburt eines
Sohnes bei Nebenzahls. Meine Begrndung: Kurzschlu.
Alles schriftlich festgehalten.
An der Haltestelle stie ein weiterer Nebenzahl-Fan zu
uns, ein lteres Mitglied des Obersten Gerichtshofs mit
Bchergestell, zwei Jahre. Der Konvoi rollte nach Jaffa.
Nebenzahl steckte bis ber beide Ohren in der Arbeit.
Durch Fontnen von Sgespnen und das Drhnen der
Maschinen rief er uns zu, da er unmglich mit jedem
einzelnen von uns sprechen knne. Ich wurde zum
Sprecher der Gruppe bestimmt. Nebenzahl versprach
182
diesmal feierlich, da Ende November alles geliefert sein
wrde, mein Tisch sogar etwas frher, um das jdische
Neujahr herum. Warum so spt? Weil Nebenzahls eine
Tochter erwarten. Der Physikprofessor schlug vor, da wir
auch untereinander Wetten abschlieen sollten. In der
gleichen Strae befnde sich ein Buchdrucker, Schaukel-
stuhl, 18 Monate, der uns die ntigen Quiz-Formulare
drucken wrde. Grndung eines Nebenzahl-Klubs.

21. August Diesmal fand die Klubsitzung bei uns statt. 31


Teilnehmer. Das Mitglied des Obersten Gerichtshofs
brachte die endgltigen Statuten des Nebenzahl-Klubs mit.
Wer ordentliches Mitglied werden will, mu mindestens
drei Monate gewartet haben. Mit geringerer Wartezeit
wird man nur Kandidat. Genehmigung der Wettformulare.
Es sind jeweils drei Sparten auszufllen: a) versprochenes
Datum der Fertigstellung, b) Ausrede, c) tatschliches
Datum der Lieferung (Tag, Monat, Jahr). Mit groer
Mehrheit wurde beschlossen, ein Portrt in Auftrag zu
geben: Josef Nebenzahl, bis ber beide Ohren in Arbeit
steckend und dem Besucher mit festem Blick in die Augen
sehend.
Die Klubmitglieder sind ungewhnlich nette Leute, ohne
Ausnahme. Wir bilden eine einzige, groe, glckliche
Familie. Alle essen auf dem Fuboden.

2.Januar Heute war ich an der Reihe, bei Nebenzahl


vorzusprechen. Er entschuldigte sich fr die Versptung.
Zeugenaussage vor Gericht. Zeitverlust. Dann zog er das
kleine Notizbuch aus seiner Hosentasche, bltterte, ber-
legte angestrengt und versprach mir in die Hand,
bermorgen nachmittag mit der Arbeit an unserem Tisch
zu beginnen. Wir fllten sofort die Formulare aus. Meine

183
Frau: 1. Juni. Ich: 7. Januar nchsten Jahres.

1. Februar Festversammlung des Nebenzahl-Klubs.


Stndiges Anwachsen der Mitgliederzahl. Am Quiz
beteiligen sich bereits 104 Personen. Die Inhaberin eines
Schnheitssalons hatte 50 Pfund auf die Lieferung einer
Ersatzschublade gewettet, 15. Januar, Grippe, 7. Juli, und
gewann 500 Pfund, da sie sowohl die beiden Daten als
auch die Ausrede richtig erraten hatte. Die Festsitzung
wurde durch ein Konzert unseres Kammerquartetts
erffnet, drei Sthle, eine Gartenbank. Im Rahmen des
Kulturprogrammes hielt der Prorektor des Technikums in
Haifa einen Vortrag ber das Thema Der Tisch, ein ber-
flssiges Mbel. Seine farbigen Schilderungen ber die
Speisegewohnheiten des frhen Neandertalers fanden
grtes Interesse. Nach dem Bankett erfolgte in drei
Bussen die traditionelle Pilgerfahrt nach Jaffa. Nebenzahl
steckte bis ber beide Ohren in der Arbeit. Er versprach,
bis Freitag nachmittag alles fertigzustellen. Die Verzge-
rung sei auf eine unangenehme Affre in seiner Familie
zurckzufhren.

4. September Unser Exekutivkomitee bereitet die Ein-


richtung eines medizinischen Hilfsfonds fr Nebenzahl-
Kunden vor. Ferner wurde eine Monatszeitschrift mit dem
Titel Ewigkeit beschlossen, die sich mit aktuellen
Fragen beschftigen soll: Beschreibung neuer Maschinen
in den Nebenzahl-Werksttten, mit Fotos, Namenslisten,
Lehrlinge und Gehilfen, Resultate des Nebenzahl-Quiz,
Fhrungen durch Jaffa, eine stndige Rubrik Neues aus
der Tischlerei und anderes mehr. Das Training unserer
Basketballmannschaft findet jetzt zweimal wchentlich
statt. Wir machen gute Fortschritte. Das Geld fr den Bau
eines Nebenzahl-Klubhauses soll durch Anleihen aufge-
184
bracht werden.
Nach Schlu der Sitzung wurde der in den Statuten
vorgeschriebene Anruf nach Jaffa durchgefhrt. Nur der
Kompagnon war da. Nebenzahl befindet sich auf Hoch-
zeitsreise. Der Kompagnon versprach, fr beschleunigte
Abwicklung zu sorgen. Meine Frau setzte 300 Pfund auf
den 17. August in drei Jahren.

10. Januar Etwas vollkommen Unerklrliches ist


geschehen. Heute vormittag erschien Josef Nebenzahl vor
unserem Haus und zog eine Art von Tisch hinter sich her.
Wir fragten uns, was er wohl vorhtte. Nebenzahl
erinnerte uns, da wir vor einiger Zeit, er wte nicht
mehr genau, wann, bei ihm einen Tisch bestellt htten, und
der wre jetzt also fertig. Offenbar handelte er in geistiger
Umnachtung. Seine Augen flackerten. Nebenzahl
verspricht, Nebenzahl liefert, sagte er. Bitte zahlen Sie
den Transport.
Es war ein frchterlicher Schlag fr uns. Adieu
Nebenzahl-Klub, adieu Vorstandssitzungen, Kultur-
programm und Wetten. Aus und vorbei. Und das
Schlimmste ist: Wir wissen nicht, was wir mit dem Tisch
machen sollen. Wir knnen lngst nicht mehr im Sitzen
essen. Meine Frau meint, wir sollten uns nach den
Mahlzeiten unter dem Tisch zur Ruhe legen.

185
HRDENLAUF DER
PROPHETEN

186
Sprachtalent

Juden reden gerne. Und wenn ich reden sage, meine ich
reden. Sie reden, solange sie knnen, und sie knnen sehr,
sehr lange reden und dann in mindestens dreiig Sprachen
und das noch gleichzeitig.

Perpetuum mobile

Es ist ein Problem, das uns alle betrifft, zumeist unter


freiem Himmel: Der israelische Mann-auf-der-Strae
bleibt an der Ecke stehen und wechselt ein paar Worte mit
einem dort bereits stehengebliebenen Mitmann-auf-der-
Strae. Wie gehts, danke, wie immer, freu mich Sie zu
sehen, man kann ja mit niemandem mehr reden,
scheuliches Wetter, na und die politische Lage, und die
Preise sind auch schon wieder gestiegen, dafr sinkt die
ffentliche Moral, was macht die Familie, Ihre liebe
Gattin, so ist das Leben, etwas anderes war ja nicht zu
erwarten, was Sie nicht sagen, und was sagen Sie zu
Pavarotti, und wer htte das gedacht und so weiter und so
fort und so lange, bis wir beide, Mitmann und ich, alles
besprochen haben, was uns zu Hause und in der Welt auf
die Nerven geht, innen und auen, oben und unten, und
dann sind wir so erschpft, da wir kaum noch stehen
knnen, und halten uns unter dem Vorwand eines
Hndedrucks aneinander fest und murmeln, da wir bald
einmal zusammenkommen sollten, und gren Sie zu

187
Hause, und ich werde Sie anrufen und jetzt, da es nichts
mehr zu sagen gibt, wirklich nichts mehr, sagt Mitmann,
seine Hand noch in der meinen: Und wie gehts Ihnen
sonst?
Genau das sagt er. Mit eben diesen Worten. Er will
wissen, wie es mir sonst geht. Was soll ich darauf
antworten? Gerade habe ich ihm des langen und breiten
erklrt, wie es mir geht, ich habe nichts ausgelassen, er
wei alles, bis ins kleinste Detail, und fragt: Wie geht es
Ihnen sonst?
Wieso sonst?
Was meint er mit sonst?
Es gbe eine einzige Antwort auf diese Frage: wortlos
kehrtmachen und verschwinden. Aber wer bringt das
schon ber sich? Ich nicht. Ich stehe da, scharre mit den
Fen, schttle immer noch Mitmanns Hand und denke
ber eine geeignete Antwort nach. Soso lala ist nicht
genug. Gut ist nicht wahr. Wie immer hatten wir
schon, was bleibt?
Angenommen, ich brumme etwas Unverbindliches,
etwa, da ich in der letzten Zeit keinen Menschen gesehen
htte. Dann kommt Mitmann sofort auf Avizohars
Scheidung zu sprechen, die wir doch schon ausfhrlich
besprochen haben, Avizohar ist vollkommen fertig, warten
Sie, das mu ich Ihnen noch erzhlen, ich begleite Sie
nach Hause, also die Anwlte htten sich ja geeinigt, aber
vor dem entscheidenden Gesprch ist seine Frau mit
diesem Architekten nach Australien durchgebrannt,
Avigdor ist vollkommen fertig, kein Wunder, man mu
sich das vorstellen und als Avigdor zum vierten Mal
vollkommen fertig ist, stehen wir endlich vor meinem
Haus, und whrend ich mich bemhe, Mitmanns letzten
Hndedruck abzuschtteln, sage ich, man glaubt es nicht,

188
aber ich hre mich ganz deutlich: Und wie gehts Ihnen
sonst?
Das lt sich ein Mitmann natrlich nicht zweimal
fragen. Denn da ist die Sache mit der Gewerkschaft, und
so knnen sie ihn nicht behandeln, ihn nicht, er ist kein
Waschlappen, und bevor ich mir das alles noch einmal
anhre, frage ich lieber nach Avigdor. Vielleicht ist seine
Frau inzwischen aus Australien zurckgekommen, oder es
gibt sonst etwas Neues Es gibt nichts sonst.
Ich erinnere mich an den tragischen Fall meines
Nachbarn Felix Seelig, der mit seinem Mitmann neun
Stunden lang vor dem Haus stand, sie konnten zu Ende
nicht kommen, weil sie einander immer wieder nach ihrem
sonstigen Ergehen fragten, und als sie die Sache mit
Avigdor und die Sache mit der Gewerkschaft je fnfmal
abgehandelt hatten, lehnten sie keuchend an der Hauswand
und schnappten nach Luft und hrten erst auf, als Felix
bewutlos zu Boden glitt. Sein letztes Wort, so behauptet
Mitmann, war ein kaum hrbar geflstertes und
sonst .
Gestern fragte mich ein anderer Mitmann, wie es mir
sonst geht. Ich informierte ihn, da meine Antwort auf
schriftlichem Wege erfolgen wrde. Das ist hiermit
geschehen.

Ein Schuh geht auf Reisen

Das ganze Unglck begann damit, da ich mir


amerikanische Schuhe, ihrer Gummisohlen wegen
Rubber Soles genannt, kaufen wollte.
Herr Leicht, sagte ich zum Besitzer des von mir
189
bevorzugten Schuhgeschftes am Mograbi Square, ich
mchte ein Paar echte Rubber Soles, smisch, mit
amerikanischen Spitzen.
Einen Augenblick, sagte Herr Leicht, begann seine
Regale zu durchstbern und fand keine. Also schickte er
einen Botenjungen in sein Filialgeschft gegenber der
Hauptpost. In ein paar Minuten haben Sie Ihre Schuhe,
sagte er und winkte den Jungen heran, einen kleinen
Jemeniten von etwa vierzehn Jahren.
Hre, Achimaaz, sagte Herr Leicht langsam und
deutlich. Du gehst jetzt in unser Zweiggeschft gegen-
ber vom Hauptpostamt und verlangst dort ein Paar
Rubber Soles, smisch, amerikanisch, Nummer 7. Die
bringst du her. Hast du verstanden?
Wozu? antwortete Achimaaz.
Na ja. Herr Leicht wandte sich entschuldigend an
mich. Es ist vielleicht besser, wenn wir dem kleinen
Schwachkopf einen Schuh mitgeben, sonst bringt er die
falsche Gre.
Ich zog meinen linken Schuh aus, den Herr Leicht dem
Botenjungen bergab.
Also, Achimaaz, Rubber Soles, smisch, amerikanisch,
Nummer 7. Wirst du dir das merken? Ja? Dann lauf.
Herr Leicht, stammelte Achimaaz, ich wei nicht,
wohin ich gehen soll, Herr Leicht.
Du weit doch, wo die Hauptpost ist?
Ja, das wei ich.
Also. Worauf wartest du noch? Es eilt.
Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten wuten weder
Herr Leicht noch ich, worber wir noch sprechen sollten.
Alle gngigen Konversationsthemen vom Wachstum Tel
Avivs bis zur herrschenden Tropenhitze hatten wir durch.

190
Endlich wurde die Tr aufgerissen und Achimaaz trat ein,
vollkommen atemlos und mit vollkommen leeren Hnden.
Herr Leicht sprang auf ihn zu. Wo sind die Schuhe?
Mit Luftpost abgegangen, sagte Achimaaz stolz.
Unsere Nachforschungen ergaben schlielich: Achimaaz
war, wie befohlen, direkt aufs Hauptpostamt gerannt und
hatte sich dort in die Schlange vor Schalter 4 eingereiht,
weil sie die lngste war. Er kam nur langsam voran, denn
an Schalter 4 werden Einschreiben abgefertigt und ein
Bote des Postministeriums hatte 200 mitgebracht. Endlich
aber war Achimaaz an der Reihe.
Erlst schob er dem Beamten die Schachtel mit meinem
alten Schuh unter die Nase und sagte brav das
Auswendiggelernte auf.
Rubber Soles Smisch Amerika Nummer 7.
Schalter 8, sagte der Beamte. Bitte weitergehen.
Achimaaz wechselte zur Schlange vor Schalter 8 und
wiederholte sein Sprchlein.
Rubber Soles Smisch Amerika Nummer 7.
Du hast keinen Brief, sagte der Beamte. Das ist ein
Paket.
Macht nichts, sagte Achimaaz. Herr Leicht will es
so.
Na schn. Der Beamte zuckte die Schultern und legte
die Schachtel auf die Waage. Das wird ein Vermgen
kosten. Wohin solls gehen?
Rubber Soles Smisch Amerika Nummer 7.
Macht nach Amerika drei Pfund zehn Piaster, sagte
der Beamte. Mit Eilzustellung?
Warum eil?
Ist es eilig?

191
Sehr eilig.
Macht achtundfnfzig Piaster mehr. Hast du so viel
Geld bei dir, Junge?
Ich glaube schon.
Erst jetzt merkte der Beamte, da auf der Schachtel
keine Adresse stand.
Was soll das? Warum hast du keine Adresse
geschrieben?
Ich kann nicht sehr gut schreiben, entschuldigte sich
Achimaaz und wurde knallrot. Wir sind acht Kinder.
Mein ltester Bruder ist im Kibbuz.
Schon gut, unterbrach ihn der Beamte, griff selbst
nach einem Stift. An wen geht das also?
Rabbi Sols Smisch Amerika Nummer 7, flsterte
Achimaaz.
Rabbi Sol Smisch, USA, schrieb der Beamte auf das
Paket und knurrte etwas von diesen amerikanischen Juden,
die sogar ihre biblischen Vornamen abkrzen und statt
Solomon nur Sol sagen. Welche Stadt, zum Teufel?
Welche Strae?
Herr Leicht hat gesagt, gegenber vom Hauptpostamt.
Das gengt nicht.
Rabbi Sols Smisch Amerika Nummer 7, wiederholte
Achimaaz tapfer. Mehr hat Herr Leicht nicht gesagt.
Wirklich ein starkes Stck. Der Beamte schttelte den
Kopf und vervollstndigte die Adresse: Postfach No. 7,
Brooklyn, N. Y., USA. Wer ist der Absender?
Herr Leicht.
Wo wohnt Herr Leicht?
Ich wei nicht. Sein Geschft ist auf dem Mograbi
Square.

192
*

Als ich vor einigen Tagen wieder am Schuhgeschft


Leicht vorbeikam, winkte mich Herr Leicht in den Laden
und zeigte mir stolz einen Brief von Rabbi Smisch aus
Hartford, Connecticut. Die falsche Brooklyner Adresse
war offensichtlich von der findigen amerikanischen Post
richtiggestellt worden. Rabbi Smisch bedankte sich
herzlich fr das hbsche Geschenk, bemerkte jedoch, da
er im allgemeinen neue Schuhe vorzge und wenn
mglich einen rechten und einen linken gemeinsam. Im
brigen htte ihn die kleine Aufmerksamkeit, obwohl er
sich seit jeher lebhaft fr die zionistische Bewegung
interessierte, doch ein wenig berrascht.

Touristenparadies

Im Zeitalter grassierender Wirtschaftskrisen gibt es nur


eine Methode, schnell und sicher zu Devisen zu kommen:
Man importiert Touristen. Das gilt besonders fr ein Land,
in dem Moses, Jesus und Mohammed nur durch eine
kleine Zeitdifferenz daran gehindert wurden, sich zu
einem Symposium ber das Thema Der Monotheismus
und sein Einflu auf den Fremdenverkehr zusammen-
zusetzen.

193
Von Musen und Menschen

Kellner! Herr Ober!


Jawohl, Herr Sternberg.
Frhstck fr zwei, bitte.
Jawohl. Zweimal Frhstck. Sofort. Ich mchte Sie nur
noch rasch etwas fragen, Herr Sternberg. Sind Sie der
berhmte amerikanische Schriftsteller, ber den man jetzt
so viel in den Zeitungen liest?
Mein Name ist John Steinbeck, mein Freund.
Aha. Erst gestern habe ich ein Bild von Ihnen in der
Zeitung gesehen. Aber da hatten Sie einen Bart, scheint
mir. Es war auch ein Artikel dabei, da Sie einen Monat
hier bleiben wollen und da Sie inkognito sind, damit man
Sie nicht belstigt. Ist das Ihre Frau?
Ja, das ist Frau Steinbeck.
Schaut aber viel jnger aus als Sie.
Ich habe das Frhstck bestellt.
Sofort, Herr Steinberg. Sie mssen wissen, da alle
mglichen Schriftsteller in dieses Hotel kommen. Erst
vorige Woche hatten wir einen hier, der Exodus
geschrieben hat. Haben Sie Exodus gelesen?
Nein.
Ich auch nicht. So ein dickes Buch. Aber Alexis
Sorbas habe ich in unserem Kino gesehen. Wann haben
Sie Alexis Sorbas geschrieben?
Ich habe Alexis Sorbas nicht geschrieben.
Hat mir groartig gefallen, der Film. An einer Stelle
wre ich vor Lachen fast geplatzt. Wissen Sie, wo?
Ich htte zum Frhstck gerne Kaffee. Und Tee fr

194
meine Frau.
Sie haben Alexis Sorbas nicht geschrieben?
Nein. Das sagte ich Ihnen ja schon.
Wofr hat man Ihnen dann den Nobelpreis verliehen?
Fr Frchte des Zorns.
Also Kaffee und Tee, richtig?
Richtig.
Sagen Sie, Herr Steinberg, wieviel bekommt man fr so
einen Preis? Stimmt es, da er eine Million Dollar ein-
bringt?
Knnten wir dieses Gesprch nicht nach dem Frhstck
fortsetzen?
Da hab ich leider keine Zeit mehr. Warum sind Sie
eigentlich hergekommen, Herr Steinberg?
Mein Name ist Steinbeck.
Sie sind aber kein Jude, nicht wahr?
Nein.
Hab ich mir gleich gedacht. Amerikanische Juden
geben kein Trinkgeld. Schade, da Sie ausgerechnet jetzt
gekommen sind, wo es fortwhrend regnet. Jetzt gibt es
hier nichts zu sehen. Oder sind Sie in Israel an etwas ganz
Speziellem interessiert?
Ich mchte ein weichgekochtes Ei.
Drei Minuten?
Ja.
Sofort. Ich wei, Herr Steinberg, in Amerika ist man es
nicht gewhnt, sich mit Kellnern so ungezwungen zu
unterhalten. In Israel ist das anders. Wir haben
Atmosphre. brigens war ich nicht immer Kellner. Ich
habe Orthopdie studiert, zwei Jahre lang. Leider braucht
man hierzulande Protektion, sonst kommt man nicht

195
weiter.
Bitte bringen Sie uns das Frhstck, mit einem weichen
Ei.
Drei Minuten, Herr Steinberg, ich wei. Aber dieser
Alexis Sorbas, das war vielleicht ein Film. Auch wenn
Sie gegen Schlu ein wenig dick aufgetragen haben. Unser
Koch hat mir gesagt, da es von Ihnen auch noch andere
Filme gibt. Ist das wahr?
Ja.
Was, zum Beispiel?
Zum Beispiel Jenseits von Eden.
Hab ich gesehn! Mein Ehrenwort, das hab ich gesehn.
Zum Brllen komisch. Besonders diese Szene, wo sie
versuchen, die Bume aus dem Wald zu transportieren
Das kommt in Alexis Sorbas vor.
Ja, richtig. Da haben Sie recht. Also was schreiben Sie
sonst?
Von Musen und Menschen.
Mickymaus?
Wenn ich nicht bald das Frhstck bekomme, mu ich
verhungern, mein Freund.
Sofort. Nur noch eine Sekunde. Muse, haben Sie
gesagt. Das ist doch die Geschichte, wo die Batja Lacet
mit diesem Idioten ins Bett gehen will.
Wie bitte?
Und das ist so ein dicker Kerl, der Idiot, das heit, in
Wirklichkeit ist er gar nicht so dick, aber sie stopfen ihm
lauter Kissen unter die Kleider, damit er dick aussieht, und
sein Freund neben ihm ist ganz mager, und der dicke Kerl
will immer Muse fangen und, wieso wissen Sie das
eigentlich nicht?

196
Ich kenne den Inhalt meiner Stcke.
Natrlich. Jedenfalls mu man auf diesen dicken
Idioten immer aufpassen, damit er die Leute nicht
verprgelt, aber wie der Sohn vom Bo dann mit der Batja
Lacet frech wird, steht er ganz ruhig auf und geht zu ihm
hinber und
Kann ich mit dem Geschftsfhrer sprechen?
Nicht ntig, Herr Steinberg. Es wird alles sofort da
sein. Aber diese Muse haben mir wirklich gefallen. Nur
der Schlu der Geschichte, entschuldigen Sie, also der hat
mich enttuscht. Da htte ich von Ihnen wirklich etwas
Besseres erwartet. Warum mssen Sie diesen dicken Kerl
sterben lassen? Nur weil er ein bichen schwach im Kopf
ist? Deshalb bringt man einen Menschen nicht um, das
mu ich Ihnen schon sagen.
Gut, ich werde das Stck umschreiben. Nur bringen Sie
uns jetzt endlich
Wenn Sie wollen, lese ichs mir noch einmal durch und
sage Ihnen dann alles, was falsch ist. Das kostet Sie nichts,
Herr Steinberg, haben Sie keine Angst. Vielleicht komme
ich einmal nach Amerika und besuche Sie. Ich htte viel
mit Ihnen zu reden. Privat, meine ich. Aber das geht jetzt
nicht. Ich habe viel zu tun. Wenn Sie wten, was ich
erlebt habe. Daneben ist Alexis Sorbas ein Anfnger.
Bekomme ich ein weiches Ei oder nicht?
Bedaure, am Sabbat servieren wir keine Eier. Aber
wenn ich Ihnen einmal meine Lebensgeschichte erzhlte,
Herr Steinberg, dann knnen Sie damit ein Vermgen ver-
dienen. Ich knnte sie natrlich auch selbst aufschreiben,
jeder sagt mir, ich bin verrckt, da ich nicht einen Roman
schreibe oder eine Oper oder was hnliches. Keiner wei,
wie mde ich am Abend bin. Hab ich ihnen allen gesagt,
sie sollen mich in Ruh lassen und ich gebs dem Steinberg.

197
Was sagen Sie dazu?
Das Frhstck
Zum Beispiel vor zwei Jahren. Im Sommer, als ich mit
meiner Frau nach Sodom gefahren bin. Pltzlich bleibt das
Auto stehen, der Chauffeur steigt aus, hebt die Khler-
haube, schaut hinein, und wissen Sie, was er gesagt hat?
Lassen Sie geflligst meinen Bart los. Loslassen!
Er hat gesagt: Der Vergaser ist hin. Stellen Sie sich
das vor. Mitten auf dem Weg nach Sodom ist der Vergaser
hin. Sie werden vielleicht glauben, ich hab das erfunden?
Es ist die reine Wahrheit. Der Vergaser war hin. Die ganze
Nacht muten wir im Wagen sitzen. Und es war eine kalte
Nacht, eine sehr kalte Nacht. Sie werden das schon richtig
beschreiben, Steinberg. Sie werden schon einen Bestseller
draus machen. Ich sage Ihnen: Es war eine Nacht, in der
nicht einmal Alexis Sorbas He, wohin gehen Sie, ich
bin noch nicht fertig. Ich habe noch eine ganze Menge
Geschichten fr Sie. Wie lange bleiben Sie eigentlich?
Ich fliege mit dem nchsten Flugzeug ab.
Herr Steinberg! So warten Sie doch, Herr Steinberg!
Und zuerst hat er gesagt, da er einen ganzen Monat
bleiben will. So eine Nervensge.

Endstation Plonski

Vor ein paar Tagen erwarteten wir Besuch aus Amerika.


Es handelte sich um eine angesehene Persnlichkeit und
einen glhenden Bewunderer des Heiligen Landes. Unser
Bekannter, wir wollen ihn Bob nennen, unter anderem
deshalb, weil er ohnehin so heit, taumelte zitternd und

198
bla in unser Wohnzimmer und erzhlte uns, er htte im
Bus Plonski getroffen.
Normalerweise nehme ich ja immer ein Taxi, fuhr
Bob fort, nachdem er sich mit einem Drink gestrkt hatte.
Aber heute fuhr ich mit dem Bus. Mit der Hand am
Puls der Bevlkerung reisen, wenn Sie wissen, was ich
meine. Also, da kam ein Bus daher, und ich fragte einen
Mann, wohin dieser Bus fahre. Der Mann war Plonski.
Ein Bekannter von Ihnen?
Ach wo. Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen. Er
stand zufllig neben mir an der Bushaltestelle und schien
ein harmloser Brger zu sein. Es stellte sich ziemlich bald
heraus, da er lieber nur Jiddisch sprach, aber denselben
Weg hatte wie ich. Also blieben wir zusammen und
setzten uns gemeinsam auf die hinterste Bank.
Nach zwei Haltestellen legte Plonski pltzlich den Kopf
an meine Schulter und begann zu weinen. Es war rhrend,
wenn auch recht peinlich. Ich fragte ihn, was er hatte, und
er erzhlte, da ihn seine heigeliebte Frau, diese billige
Nutte, verlassen htte. Sie lebe jetzt in New York, und ob
ich sie nicht zufllig kenne. Ich versuchte ihn zu trsten,
sagte ihm, es seien schon viel schlimmere Dinge auf der
Welt passiert, und erkundigte mich ganz nebenbei nach
seinem Namen. Plonski sagte mir, da er Plonski heie,
und seine Frau Rivka, aber mit ef. Ich versicherte ihm, es
tte mir leid, aber die Dame sei mir nicht bekannt, New
York ist schlielich kein Provinznest. Da begann Plonski
zu jammern und zu betteln, ich mge doch seine Frau in
New York anrufen und ihr ausrichten, sie mge unbedingt
wieder nach Israel zurckkehren. Ich versprach ihm, mein
Bestes zu tun, und schrieb die Adresse der Dame, mit ef,
in mein Notizbuch. Plonski war auer sich vor Freude. Er
fiel mir um den Hals, kte mich ab und versicherte mir,

199
ich sei ein Engel. Nach zwei weiteren Stationen aber
wurden seine Augen pltzlich schmal, und er fragte
mitrauisch: Sagen Sie mal, wie kommen Sie eigentlich
dazu, meine Frau einfach anzurufen? Ich fragte vllig
verwirrt zurck, was er damit sagen wolle und ob ich seine
Frau nun etwa nicht anrufen solle, obwohl er mich doch
eben darum angefleht htte. Da packte er mich am Hals
War er stark?
Stark nicht, aber zornig. Jedenfalls packte er mich an
der Gurgel, schttelte mich und begann zu schreien: Ich
bringe dich um, wenn du an meine Frau auch nur einen
Gedanken verlierst, du elender Schuft. Ich kenne euch
amerikanische Touristen, ich bin nicht von gestern! Die
Passagiere drehten sich nach uns um und lieen einige
abfllige Bemerkungen ber New Yorker Juden fallen, die
glaubten, sie knnten fr ihre schmutzigen Dollars alles
kaufen. Hoch und heilig schwor ich Plonski, Frau Rivka
nicht anzurufen, nicht fr alles Geld der Welt, aber er gab
meine Gurgel erst frei, nachdem ich mein Notizbuch in
tausend kleine Fetzen zerrissen hatte. An der nchsten
Haltestelle stieg ich aus. Plonski wrdigte mich keines
Blickes und murmelte vor sich hin, er htte eigentlich
wissen sollen, da man diesen Lumpen von Auslndern
nicht ber den Weg trauen drfe.
Man kann so etwas nicht verallgemeinern, meinte ich.
An Ihrer Stelle wrde ich einfach seltener Bus fahren.

Gratisurlaub

Alljhrlich, wenn der Frhling kommt, empfehlen


Ehefrauen und Zahnrzte den Kibbuz als ideale Erholung
von den tglichen Brseln, als einzig mglichen Ort, einen

200
langweiligen Cousin zweiten Grades oder jemand
hnlichen zu treffen, am Busen der Natur zu ruhen,
kuhwarme Milch zu trinken, sich im frischen grnen Gras
zu wlzen und fr dieses ganze Glck nicht einen
lumpigen Groschen zu zahlen.

Die gekaufte Braut

Mein langweiliger Cousin Schimon konnte sich vor


Freude ber meine Ankunft nicht fassen, denn er war
gerade an diesem Tag in ein neues Zimmer bersiedelt,
sein kleiner Junge lag mit den Masern im Bett, seine Frau
spielte Hebamme bei einer widerstrebenden Kuh, und er
selbst mute dringend in den Speisesaal, wo eine Voll-
versammlung ber den Fall eines Kibbuzmitgliedes
beraten sollte. Dieses Mitglied hrte auf den Namen
Ricki der Verrckte und verlangte aus der Kibbuzkasse
schon seit Wochen eine Summe von 4400 Pfund.
Wozu braucht ein Kibbuznik Geld? fragte ich meinen
Cousin, whrend ich hinter ihm zum Speisesaal rannte.
Schimon, der Schatzmeister des Kibbuz war, antwortete:
Er will eine Frau kaufen.
Vor einiger Zeit war nmlich Ricki der Verrckte mit
der Funktion eines Einkufers betraut worden, hatte in
einer von Jemeniten bewohnten Nachbarsiedlung zu tun
gehabt und sich dort Hals ber Kopf in ein jemenitisches
Mdchen namens Chefzibah verliebt. Da Rickis Fami-
lienname Kraus war und Chefzibas Familienname Habifel,
strte ihn nicht.
Papa Habifel erteilte sofort seine Zustimmung. Mehr als
das, wegen der Jugendlichkeit des Brutigams verlangte er
201
fr seine Tochter nur 4400 Pfund in bar.
Herrn Habifels Forderung verblffte Ricki, aber der alte
Mann erklrte ihm mit patriarchalischer Geduld, da er als
Vater Anspruch darauf htte, die in seine Tochter inve-
stierten Spesen zurckzubekommen. Ricki der Verrckte
mute einsehen, da es sich hier um eine uralte, unab-
nderliche jdische Sitte handle.
Was tut ein normaler Stadtbewohner unter solchen
Umstnden? Er nimmt ein Darlehen bei einer Bank auf,
verkauft den Familienschmuck seiner Gromutter, verun-
treut Firmengelder oder macht berstunden. Ein Kibbuz-
nik hat aber keine Gromutter mit Familienschmuck,
keine Bank und keine Firmenkasse. Er hat nichts zu
verkaufen, auer seinem reinen Gewissen, und dafr
bekme er hchstens fnfzig bis sechzig Pfund. Er kann
also nur von der Kibbuzverwaltung das Geld zum Kauf
einer Gattin verlangen.
Die Kibbuzverwaltung lehnte den Wunsch Rickis des
Verrckten nach kurzer Debatte ab, und zwar aus drei
Grnden: 1. Man kauft keine Frau fr bares Geld. 2. Wir
leben nicht mehr in der Steinzeit. 3. Hat man so etwas je
gehrt?
Das Sekretariat bot jedoch an, mit dem alten Herrn
Habifel zu verhandeln. Und so begaben sich der Kibbuz-
sekretr und die Vorsitzende des Sozialausschusses in die
jemenitische Nachbarsiedlung. Nach zwei Tagen kamen
sie zurck und berichteten der Vollversammlung, da
schlielich und endlich, bei nchterner Betrachtung der
jemenitischen Lebensformen, da also, kurz und gut und
im Grunde, gegen die Forderung von Herrn Habifel nichts
einzuwenden sei. 4400 Pfund sei aber ein exorbitant hoher
Preis, den man unmglich zahlen knne. Fr 400 Pfund
bekme man ja schon eine Kuh oder eine Dieselpumpe.

202
Ricki der Verrckte schlug Krach, da die Wnde
zitterten. Er verwahrte sich dagegen, da man seine
Chefzibah mit einer Kuh vergliche, noch dazu geringer
einschtze, verlangte auf der Stelle des Geld, sonst wrde
er sofort aus dem Kibbuz austreten.
In der darauf folgenden Vollversammlung herrschte
gespannte Stimmung. In den ersten Reihen saen die
Funktionre, dahinter die brigen mnnlichen Kibbuz-
mitglieder. Die weiblichen saen an den Wnden und
strickten warme Pullover. Die Kinder standen an den
Fenstern und gingen trotz wiederholter Strafandrohungen
nicht schlafen.
Genossen, begann der Kibbuzsekretr. Wir stehen
vor einem vllig neuen Problem. Wir alle kennen und
lieben unseren Ricki. Er ist ein alter Kibbuznik und ein
guter Arbeiter. Deshalb schlage ich vor, da wir die Hlfte
des Brautpreises bezahlen und ihm fr die andere Hlfte
einen in zwanzig Jahren rckzahlbaren Kredit geben.
Ich brauche keine Geflligkeiten von euch, schrie
Ricki der Verrckte aufgebracht. Heiraten ist eine bio-
logische Notwendigkeit. Ihr knnt mich also, wenn ihr
wollt, krank schreiben lassen und die 4400 Pfund fr
meine Heilung bewilligen.
Der Vorsitzende wollte wissen, von welchem Budget
man eigentlich die 200 Pfund nehmen wollte?
Von unserem Erziehungsbudget abzweigen, schlug
ein friedfertiger Kibbuznik vor, aber der Protest war ein-
hellig.
Was fllt dir berhaupt ein? Sollen unsere Kinder
darunter leiden, da Ricki verrckt ist?
Und was ist mit meinen Kindern? brllte Ricki.
Haben sie kein Recht, geboren zu werden?!
Wir mssen eine Lsung finden. Der Sekretr bat um
203
Ruhe. Miversteh mich nicht, Ricki, vielleicht knnten
wir das Geld aus dem Viehbestandsbudget freimachen.
Wir haben nmlich, unterbrich mich nicht, Ricki, wir
wollten nmlich gerade eine Kuh kaufen.
Mrder! klang es im Chor der entfesselten Mtter.
Du spielst mit dem Leben unserer Kinder! Milch fr
unsere Kleinen! Milch! Milch! Milch!
Die Diskussion eskalierte. Ricki der Verrckte bat ums
Schluwort. Bis morgen Mittag, so sagte er mit zitternder
Stimme, htte das Geld zur Stelle zu sein, auch wenn man
zu diesem Zweck einige Kibbuzmdchen verkaufen
mte. Wenn nicht, wrde es dem ganzen Kibbuz noch
sehr, sehr leid tun.
In die Stille meldete sich abermals Schimon, mein lang-
weiliger Cousin oder so. Wie wre es mit einem Heirats-
fonds, in den knftig jeder Junggeselle zwischen fnf-
undzwanzig und fnfzig Pfund pro Braut einzuzahlen
htte, je nach Gewicht und anderen besonderen Merk-
malen?
Erlst schlo der Vorsitzende die Versammlung.
Genossen, sagte er, das ist ein sehr vernnftiger
Vorschlag. Ich mchte nur noch unseren Junggesellen
raten, ihre Brute mglichst unter den Kibbuzmdchen zu
whlen. Oder wenn es schon unbedingt eine Braut von
auswrts sein mu, dann wenigstens keine berbezahlte
Schlampe.

Hte dich vor Grndervtern

Als Ministerprsident Ben Gurion seinerzeit demissio-


nierte und sich in den Kibbuz Sde Boker zurckzog,
brachte er die ganze Organisation ins Wanken, weil er jede

204
Bevorzugung ablehnte. Er wollte entsprechend der
kollektiven Ideologie des Kibbuz genauso behandelt
werden wie alle anderen Mitglieder. Infolgedessen muten
alle anderen Mitglieder eine salzlose, proteinarme Dit zu
sich nehmen. Etwas spter wurden fr alle Kibbuz-
mitglieder zwangsweise Griechischkurse eingefhrt, weil
unser Expremier, der bekanntlich ein groer Platoverehrer
ist, die Lehren dieses klassischen Denkers nicht allein in
sich aufnehmen durfte.
Der Kollektivismus ist eine gewaltige Idee, die nur den
einen Nachteil hat, da sie sich verwirklichen lt,
bemerkte einmal ein geistreicher Zeitgenosse, und wie
recht hatte ich doch.

Armut kommt teuer

Herr Habifel?
Der bin ich. Treten Sie ein, und nehmen Sie Platz. Ja,
dort in der Ecke. Auf der zerbrochenen Kiste.
Vielen Dank.
Wenn Ihnen die Kinder im Weg sind, kann ich sie
erwrgen.
Das wird nicht ntig sein.
Gut, dann sperre ich sie ins Badezimmer. Marsch
hinein. So. Schreiben Sie fr eine Tageszeitung oder fr
eine Zeitschrift?
Fr eine Tageszeitung.
Wochenendbeilage?
Ja, Herr Habifel. Ich habe Ihr Inserat in unserem Blatt
gelesen: Slum-Fam. m. 13 Kind. zur Verfg. d. Massen-
205
medien. Haben Sie jetzt Zeit fr mich?
Eine Stunde fnfzehn Minuten. Heute vormittag hatte
ich ein Rundfunkinterview, und nach Ihnen kommt ein
Fernsehteam, aber jetzt knnen wir sprechen.
Danke, Herr Habifel. Meine erste Frage
Nicht so schnell, nicht so schnell. Was zahlen Sie?
Wie bitte?
Ich will wissen, wie hoch mein Honorar ist. Oder
glauben Sie, da ich zum Vergngen in dieser Bruchbude
sitze und da ich mit meiner Familie von der staatlichen
Untersttzung leben kann? Von 1930 Pfund im Monat?
Das hatte ich nicht bedacht.
Aber ich. Die katastrophale Situation der orientalischen
Einwanderer hat heute einen ziemlich hohen Marktwert.
Daran mssen doch auch diejenigen partizipieren, denen
man diese Situation verdankt. Nehmen wir an, Sie
schreiben eine schne Geschichte mit viel Armeleute-
Geruch und Mangel an Hygiene und so. Das erregt
Aufsehen, das ist gut fr den Verkauf Ihrer Zeitung und
gut fr Ihr Honorar. Auerdem verschafft es Ihnen den
Ruf eines gesellschaftskritischen Journalisten. Ich helfe
Ihnen dabei. Sie bekommen von mir eine herzerweichende
Schilderung meines Jammers, meiner Enttuschung,
meiner Bitterkeit, meiner
Wieviel verlangen Sie?
Mein blicher Tarif ist 300 Pfund die Stunde zuzglich
Mehrwertsteuer. Mit Photos 30 Prozent mehr. Bar. Keine
Schecks. Keine Quittung.
300 Pfund fr eine Stunde?!
Davon mu ich ja noch meinen Manager bezahlen. Das
ist er aber wert. Im Jemenitenviertel finden Sie vielleicht
schon fr 150 Pfund Verzweiflung, aber wie sieht die aus?

206
Hchstens elf Kinder, alle gut genhrt, und eine Wohl-
fahrtsrente von 2680 Pfund monatlich. Bei mir haben Sie
eine neunzehnkpfige Familie auf 55 Quadratmetern
Wohnraum. Mit drei Gromttern.
Wo ist Ihre Frau?
Wird oben auf dem Dach fotografiert. Hngt gerade die
Wsche auf an unserer Fernsehantenne. Schwanger ist sie
auch.
Da mten Sie ja eine Zulage zur staatlichen Unter-
sttzung beziehen.
Ich habe auf beides verzichtet. Meine Position auf dem
Elendsmarkt knnte darunter leiden. Interviews sind
eintrglicher. Demnchst ziehen wir in eine noch kleinere,
baufllige Htte um. Wahrscheinlich nehme ich auch eine
Ziege mit hinein. Wo bleibt Ihr Fotograf?
Er kommt gleich.
Was die Aufmachung betrifft: Ich mchte eine Doppel-
seite, Headline durchlaufend.
Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Habifel. Wir
werden alle Ihre Forderungen in gehriger Weise
bercksichtigen.
Gut. Fangen Sie an.
Meine erste Frage: Fhlen Sie sich in Israel schlecht
behandelt, Herr Habifel?
Warum sollte ich? Ich bin meinen Landsleuten
aufrichtig dankbar. Sie haben ein goldenes Herz. Gewi,
sie machen keine besonderen Anstrengungen zur Bekmp-
fung der Armut, und niemand kmmert sich um die
Slums. Andererseits nimmt die ffentlichkeit lebhaften
Anteil und ist immer tief betroffen, wenn unser Elend im
Fernsehen gezeigt wird. Man mu nur hren, wie sich
dann alle diese Professoren und Soziologen aufregen. Ihre

207
Reden sind ein wirklicher Genu. Und der Bedarf der
Massenmedien an Elendsgeschichten steigt stndig, so da
der Lebensstandard von uns Unterprivilegierten steigt und
steigt. Man kann ruhig sagen, Israel ist das erste Land der
Welt, das seine sozialen Probleme durch Interviews lst.

Erfolg ist ansteckend

Soweit ich in den letzten fnfzig Jahren gehrt habe,


existiert nirgends auf der Welt ein Volk, das aus neunzig
verschiedenen, aus allen Ecken der Erde zusammen-
gekratzten Nationalitten besteht, mit Ausnahme der
Vereinigten Staaten von Amerika, die ohnehin eine
milungene Kopie Israels sind.

A Star Is Born

In Amerika, sprach meine Tante Trude, als wir eines


Abends durch Brooklyn schlenderten, in Amerika kann
ein Israeli ohne Publicity keine Karriere machen.
Ich wei, antwortete ich kleinlaut. Aber wie soll ich
das anfangen?
Du mut im Fernsehen auftreten. Das wre das beste.
Oder etwas hnliches. Glcklicherweise habe ich ausge-
zeichnete persnliche Verbindungen sowohl zum Rund-
funk wie zum Fernsehen. Im Rundfunk wird es leichter
sein, weil ich im Fernsehen niemanden kenne.
Der Rest war ein Kinderspiel. Meine Tante trifft bei

208
ihrem Friseur gelegentlich Frau Perl Traubman, die seit
vierzig Jahren in einem jiddischen Radiosender New
Yorks die beliebte Fanny-Swing-Show leitet. Ja mehr
als das, Frau Traubman ist Fanny Swing und hat sowohl in
Brooklyn wie in der Bronx viele Fans, besonders unter den
jdischen Hausfrauen.
Schon wenige Tage spter kam Tante Trude vom Friseur
nach Hause, ihr Gesicht unter den frisch gelegten Dauer-
wellen strahlte.
Perl Traubman erwartet dich morgen um 7 Uhr 30 in
Studio 203. Ich habe ihr gesagt, da du Beat-Lyrik
schreibst und Oberst bei den israelischen Fallschirmjgern
bist, und sie war sehr beeindruckt. Du bist auf dem besten
Weg zu einer amerikanischen Karriere.

Frau Traubman-Swing ist eine freundliche Dame von


Anfang Sechzig und sieht auch nicht viel lter aus, wenn
man sich ihre knallblond gefrbten Haare und ihre grellrot
geschminkten Lippen wegdenkt. Ich mute im Studio 203
eine halbe Stunde auf sie warten, dann begrte sie mich
mit der Frage: In welcher Synagoge singen Sie, Herr
Friedmann?
Ich stellte mich als der lyrische Oberst von Tante Trudes
Friseursalon vor.
Richtig, richtig. Frau Traubman bltterte gedankenvoll
in den vor ihr liegenden Papieren. Kantor Friedmann
kommt ja erst nchste Woche. Schn, wir knnen
anfangen.
Ein rotes Lmpchen flammte auf, ein mrrischer
Glatzkopf schlurfte herein, rief dreimal Fanny ins
Mikrofon, setzte sich zu uns, und es ging los. Frau
209
Traubmans Stimme nahm das schwelgerische Timbre
einer verliebten Nachtigall an.
Guten Morgen, Freunde. Sie hren Ihre Freundin Fanny
Swing aus New York. Drauen regnet es, aber wenigstens
ist es nicht feucht, sondern khl. Sollte der Winter
gekommen sein? Und weil wir schon von gekommen
sprechen, in unser Studio ist heute ein sehr lieber Besuch
gekommen, ein guter alter Freund, dessen Name Ihnen
allen bekannt ist, besonders den Besuchern der Or-
Kabuki-Synagoge hier machte ich mich mit einer
Handbewegung bemerkbar, die Frau Traubman sofort
kapierte aber auch alle anderen werden den groen
israelischen Dichter kennen, der soeben eine kurze
Inspektionsreise durch die Vereinigten Staaten unter-
nimmt. Er ist aktiver Oberst in der israelischen Luftwaffe
und Reserve-Astronaut. Wie geht es Ihnen, Herr
Kitschen?
Danke, antwortete ich. Sehr gut.
Das freut mich. Wie gefllt Ihnen New York?
Sehr gut, danke.
Waren Sie schon im Theater?
Noch nicht, aber was mein eigenes Off-Broadway-
Stck angeht
Jakobovskys Speisel kocht von allein, bemerkte Frau
Traubman freundlich. Fr eine leicht verdauliche und
dennoch nahrhafte Mahlzeit, fr Sirup und Salat, fr
Gebck und Gemse, nur Jakobovskys Speisel. Was
meinst du, Max?
Der mrrische Glatzkopf unterbrach seine Zeitungs-
lektre. Widerwillig beugte er sich zum Mikrofon. Er war,
wie ich spter erfuhr, der politische Kommentator und
Theaterkritiker des Senders, half aber auch bei den
Werbespots der Fanny-Swing-Show mit.
210
Jakobovskys Speisel ist das beste koschere l der
Welt, besttigte er. Nichts schmeckt besser als
Jakobovsky!
Er schmatzte hrbar mit den Lippen und vertiefte sich
wieder in seine Zeitung.
Jakobovskys Speisel enthlt kein Nitroglyzerin, res-
mierte Fanny Swing, und dann war wieder ich an der Rei-
he. Sie schreiben Ihre Gedichte selbst, Herr Kitschen?
Ja, antwortete ich, danke.
A schejn gitn Tug, lie Fanny sich daraufhin
vernehmen. Mein Grovater hat immer jiddisch
gesprochen, wenn er wollte, da wir Kinder ihn verstehen.
Er hat auch Gedichte geschrieben. Nicht jiddisch, sondern
russisch. Gott hab ihn selig.
Ich konnte geradezu spren, wie mein Ruhm von Minute
zu Minute wuchs. Dank dieser grandiosen Sendung wrde
er demnchst Alaska erreicht haben. Es war ja auch
wirklich keine Kleinigkeit, in der Fanny-Swing-Show
mitzuwirken. Manch einer wrde sich das etwas kosten
lassen, und ich durfte es ganz umsonst tun. Tante Trude
schtzte die jdische Einschaltquote auf 35 Prozent im
Schatten. So etwas will ausgentzt sein.
Jiddisch und Russisch sind schne Sprachen, sagte
ich. Was mich betrifft, so schreibe ich hebrisch.
Wie schn.
Ja, danke.
Ich fr meine Person habe keine Sorgen mit dem
Essen, trstete mich Frau Traubman. Jakobovskys
Speisel kocht von allein. Ob Fleisch- oder Teigwaren, ob
Braten oder Beilagen, es gibt nichts Besseres als
Jakobovskys Speisel. Nicht wahr, Liebling?
Ich koche nur selten, antwortete ich, aber Fanny

211
Swing machte eine nervse Gebrde zum mrrischen
Glatzkopf hin, der die Situation sofort erfate.
Jakobovskys l ist koscher bis zum letzten Tropfen.
Fr mich gibts nur mit Jakobovskys l zubereitete
Speisen.
Schmackhaft und leicht verdaulich, kein Nitroglyzerin,
wenn l, dann Jakobovsky, bekrftigte Fanny, ehe sie
sich wieder mir zuwandte.
Herr Friedmann, wo werden Sie an den Feiertagen
singen?
Ich habe mich noch nicht entschieden.
Wir alle kommen in Ihre Synagoge, um Sie zu hren.
Das freut mich.
Ich bin sicher, da Sie groen Erfolg haben werden,
Herr Friedmann.
Wie sollte ich nicht? fragte ich. Mit Jakobovskys
Speisel gibts keinen Fehlschlag.
Sehr richtig. Es kocht von allein.
Jakobovskys Speisel ist das beste, ergnzte ich
bereitwillig. Hab ich nicht recht, Max?
Fr mich gibts nur Jakobovsky, improvisierte Max.
Koscher, schmackhaft und leicht verdaulich.
Ich schnalzte mit den Lippen ins Mikrofon.
Frau Traubman-Swing sah nach der Uhr.
Vielen Dank, Herr Friedmann. Es war schn, Sie als
Gast in unserem Studio zu haben und einmal aus wirklich
kompetentem Mund etwas ber den israelischen Syna-
gogengesang zu hren. A gitn Tug und Schalom.
Schalom und Salat, erwiderte ich. Und l.
Meine amerikanische Karriere war nicht mehr aufzu-
halten.

212
Fundgrube

Ja, die Bibel ist ein Medienliebling, ein Publikumshit,


obwohl das Alte und das Neue Testament trotz des
Generationsunterschiedes ihrer Verfasser oft miteinander
verwechselt werden.
Unter uns gesagt, keiner kennt in unserer hektischen
Konsumgesellschaft die Heilige Schrift wirklich. Man
wei gerade noch, da die Bibel etwas mit dem lieben
Gott zu tun hat, und das ist es dann auch schon. Aber bis
heute lt sich jede Diskussion kinderleicht mit dem
Hinweis abwrgen: Verzeihung, meine Gndigste, aber
das steht bereits in der Bibel.
Und was tut Gott? Es steht wirklich da. Bis auf das
Fernsehen. Der Begriff Fernsehen kommt in der Bibel
kein einziges Mal vor.
Kein Wunder, das Buch ist besser als der Film.

Gottes langer Arm

Die Krise brach aus, als in der Druckfarbenfabrik


Blackprint eine Beschwerde des Hauptrabbinats ein-
ging. Darin wurde der Direktor von Blackprint aufge-
fordert, umgehend die Lieferung von Druckerfarben an die
Zeitung Der Morgen einzustellen. Es sei nmlich
bekannt geworden, da der Chefredakteur des Blattes
unkoschere Wurst esse. Der Direktor von Blackprint
wurde aufgefordert, der Anordnung des Rabbinats unver-
zglich zu folgen, sonst werde man von den Druckfarben

213
seiner Firma den Koscherstempel entfernen, und die
Vierfarbbeilagen der Wochenendausgaben wrden dann
von einer anderen Firma gedruckt.
Wegen unsittlichen Verhaltens in der ffentlichkeit,
hie es abschlieend, und teuflischer Taten, trotz mehr-
facher scharfer Abmahnung, sei die Thora zu preisen und
zu verherrlichen, mit heiligem Eid und innigem Schwur,
gelobt sei Sein Name in Ewigkeit, Amen.
Wenn ihr meint, sagte der Direktor von Blackprint.
Aber was passiert, wenn ich euch nicht folge?
Dann werden wir dir die Hlle hei machen,
Freundchen.
Gesagt, getan. Bereits einige Tage danach gab der Khl-
schrank des Direktors seinen Geist auf, und er mute einen
Handwerker bestellen. Aber kein Handwerker wagte, sein
Haus zu betreten, denn auch die Gewerkschaft der Khl-
schrankinstallateure hatte unterdessen ein Schreiben des
Rabbinats erhalten. Darin hie es, man werde ihre Enkel-
shne nicht mehr beschneiden, wenn einer von ihnen das
Haus des sndigen Klecksers betrete. Nur der Installateur
Nubaum, offenbar ein Mann mit etwas labilem
Charakter, lie sich mit ein paar greren Geldscheinen
zur Reparatur hinreien. Offenbar plagte ihn aber mitten
in der Arbeit das Gewissen, er packte sein Werkzeug
wieder ein und sah zu, da er nach Hause kam. Zu spt.
Seine Frau lie ihn nicht mehr in die Wohnung, da
inzwischen der Apotheker von nebenan ein Fax des
Rabbinats erhalten hatte, es drfe dem Frevler kein Milch-
pulver frs Baby mehr verkauft werden, andernfalls wrde
der gesamte Vorrat des Apothekers an Aspirin zu unreinen
Mottenkugeln erklrt.
Zu guter Letzt wurde die Angelegenheit in einer
auerplanmigen Regierungsdebatte errtert, und nach

214
langwierigen Beratungen der Koalitionsparteien fand sich
ein Kompromi: Der Chefredakteur von Der Morgen it
jetzt nur noch koschere Wurst.

Moses Kolumne

Da ich heute das Alte Testament endlich im Original lesen


kann, verstehe ich sehr viel besser, warum die
Religionslehrer in meinem Gymnasium so viele Kapitel
bersprungen haben, als stnden sie unter Jugendverbot.
So etwa das 20. Kapitel der Genesis, wo unser Urvater
Abraham seine gesetzlich angetraute Ehefrau Sara als
seine Schwester vorstellt, um sie dann an Knig
Abimelech zu einem exorbitanten Preis zu verkaufen.
Immerhin blieb das Geld in der Familie. Auch die delikate
Geschichte der beiden Tchter Lots, der Nichten
Abrahams, ist nicht unbedingt jugendfrei. Die Mdchen
und Papa nehmen Gottes Gebot an Noah, Gehet hin und
mehret euch, in ihrer Notlage etwas zu ernst.
Abrahams Hagar-Affre ist auch nicht gerade ein
Lieblingsstck der Religionslehrer. Als Sarah feststellte,
da sie keine Kinder mehr bekommen kann, hat sie ihren
Gemahl zunchst dazu berredet, sein Glck mit der
schnen Sklavin Hagar zu versuchen. Als aber Hagar dann
den Sohn Ismael gebar, bekam die beste Ehefrau von
Abraham einen Wutanfall und schickte das impertinente
Flittchen samt Sohn in die Wste.
Seither hat sich nicht viel verndert. Hchstens die
Wste.

215
Ein fremder Brauch

Wie bekannt ist auf dem gregorianischen Kalender der 31.


Dezember als Silvester verzeichnet. An diesem Tag
feiern die Nichtjuden die Jahreswende, und zwar mit
diversen Partys, Bllen, Strmen von Alkohol und einer
Mordsgaudi. So etwas kennt man bei uns berhaupt nicht,
da in Israel das Steuerjahr erst am 31. Mrz mit der
Einreichung der Steuererklrung endet.
Das soll natrlich nicht heien, da wir an diesem Tag
nicht auch Freunde besuchen knnten. Wir achten aller-
dings streng darauf, da diese Besuche im blichen
Rahmen bleiben. Wir begngen uns damit, den Gsten ein
paar Kanapees und einen guten Tropfen anzubieten. Und
warum die gute Laune knstlich schmlern, nur weil am
gleichen Tag auch dieses Silvester, oder wie man es nennt,
stattfindet. Einfach lcherlich. Wir lassen uns von den
Nichtjdischen, im Volksmund Gojim genannt, doch nicht
vorschreiben, wann und wie wir Spa haben. Und wenn
wir gerade an diesem Abend ein paar Glschen ber den
Durst trinken, dann trinken wir eben gerade an diesem
Abend ein paar Glschen ber den Durst. Sollte uns
zufllig danach sein, an diesem Abend nicht ins Bett zu
gehen, dann gehen wir halt nicht ins Bett, sondern singen
und tanzen und machen durch bis zum frhen Morgen,
lassen Raketen steigen, machen um Mitternacht das Licht
aus und fallen uns in die Arme.
Die Gojim machen es genauso. Von mir aus, sollen sie
uns doch ruhig nachmachen.

216
Die bse sieben

Vermutlich habe ich schon erwhnt, da wir ein


ungewhnlich traditionsbewutes Volk sind. Genauer
gesagt, unsere Traditionen haben uns unharmherzig im
Griff. Man braucht nur an jenes Gebot aus dem Buch der
Bcher zu denken, welches uns auferlegt, in jedem
siebenten Jahr unsere Sklaven zu befreien und unser Land
nicht zu bebauen. Mit der Sklaverei kommen wir schon
irgendwie zurecht, aber was soll mit den ckern
geschehen? Wenn wir das Land brachliegen lassen,
mssen wir verhungern. Wenn wir es bebauen, rufen wir
den Zorn des Allmchtigen auf uns herab. Wie so oft im
Leben hilft nur ein Kompromi.

Etwas stimmt hier nicht

Die himmlischen Regionen lagen in strahlendem Licht.


Allberall herrschte majesttische Ruhe. Gott der Herr sa
auf Seinem Wolkenthron und lchelte zufrieden, wie
immer, wenn alles nach Seinen Wnschen ging.
Einer der Himmelsbeamten, ein nervser kleiner Kerl
mit schtterem Spitzbart, bat um Gehr.
Allmchtiger Weltenherr, begann er. Bitte verzeih
die Strung, aber
Was gibts?
Es handelt sich schon wieder um Israel.
Ich wei. Gott machte eine resignierte Handbewe-
gung. Die unreinen Fleischkonserven aus Argentinien.

217
Wenn es nur das wre. Aber sie bearbeiten das Land.
Auch auf den Kibbuzim der religisen Parteien.
Sollen sie arbeiten. Es wird ihnen nicht schaden.
Herr der Welten, sagte der Beamte beschwrend.
Heuer ist ein Schmitta-Jahr. Ein siebentes Jahr, Herr,
ein Jahr, in dem alle Landarbeit zu ruhen hat, auf da Dein
Wille geschehe.
Der Herr der Welten schlo nachdenklich die Augen.
Dann widerhallte Seine Stimme durch den Weltenraum.
Ich verstehe. Sie bearbeiten das Land, das Ich ihnen
gegeben habe, auch im Jahr der Sabbatruhe. Sie miachten
Meine Gebote. Das sieht ihnen hnlich. Wo ist Bunzl?
Geschftiges Durcheinander entstand. Himmlische
Boten flogen in alle Richtungen, um Ausschau zu halten
nach dem Vertreter der Orthodoxen Partei Israels im
Himmel, Isidor Bunzl, frher Preburg. Blitze durch-
zuckten das All. Bunzl kam angerannt. Sein Gebetsmantel
flatterte hinter ihm her.
Warum bebaut ihr euer Land in einem Schmitta-Jahr?
donnerte der Herr. Anworte.
Isidor Bunzl senkte demtig den Kopf.
Adonai Zebaoth, wir bebauen unser Land nicht. Wir
besitzen gar kein Land in Israel.
Sprich keinen Unsinn. Was ist los mit eurem Land?
Es wurde vom Rabbinat verkauft. In ganz Israel
befindet sich derzeit kein Land in jdischen Hnden.
Das Antlitz des Herrn verfinsterte sich.
Verkauft? Ganz Israel? Wo ist Mein Rechtsberater?
Im nchsten Augenblick schwebte Dr. Siegbert
Krotoschiner herbei.
Herr der Heerscharen, begann er, wir stehen einer

218
rechtlich vollkommen klaren Situation gegenber. Das
Ministerium fr religise Angelegenheiten hat aufgrund
einer Vollmacht, die im Landwirtschaftsministerium erteilt
wurde, das gesamte israelische Ackerland fr die Dauer
eines Jahres an einen Araber verkauft.
Und warum verkauft man das Land ausgerechnet in
einem Schmitta-Jahr? Die Stirn des Herrn runzelte sich.
Und ausgerechnet fr die Dauer eines Jahres? Alles
Land? An einen Araber? Sehr merkwrdig.
Die Beteiligten haben den Vertrag ordnungsgem
gezeichnet und versiegelt und in einem Banksafe
deponiert, erluterte Dr. Krotoschiner. Er ist juristisch
unanfechtbar.
Wurde das Schofar geblasen? fragte Gott der Herr.
Selbstverstndlich, beruhigte ihn Isidor Bunzl. Gott
der Herr war noch nicht berzeugt. Sturmwolken zogen
auf, einige Engel begannen zu zittern.
Mit gefllt das alles nicht, sprach der Herr. Nach
Meinem Gebot soll das Land in jedem siebenten Jahr
ruhen, und es ruhe auch der, welcher es bebaut. Nie habe
Ich gesagt, da dieses Gebot auf verkauftes Land nicht
anzuwenden ist.
Verzeih, Allmchtiger. Isidor Bunzl warf sich dem
Herrn zu Fen. Schlage mich, wenn Du willst, mit
starker Hand, aber in dieser Sache kenne ich mich besser
aus als Du. Es steht ausdrcklich geschrieben
Was steht ausdrcklich geschrieben? unterbrach ihn
zrnend der Herr. Ich mchte das Protokoll sehen.
Moses, Moses! schallte es durch den Raum.
Der Gerufene erschien unter Sphrenklngen, die fnf
Protokollbcher unterm Arm. Freundlich nickte der Herr
ihm zu.

219
Lies Mir die Stelle vor, Mein Freund.
Schon nach kurzem Blttern hatte Moses die Stelle
gefunden.
In meinem dritten Buch, Kapitel 25, Absatz 2, 3 und 4,
heit es wie folgt. Rede mit den Kindern Israels, und
sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich
euch geben werde, so soll das Land dem Herrn die Feier
halten.
Da habt ihrs. Gott blickte triumphierend in die
Runde. Ich wute es doch.
Sechs Jahre sollt ihr eure Felder besen, fuhr Moses
fort, und eure Weinberge beschneiden und die Frchte
einsammeln. Im siebenten Jahre aber soll das Land seine
groe Feier dem Herrn feiern, und sollt eure Felder nicht
besen noch eure Weinberge beschneiden.
Moses klappte das Protokollbuch zu. Eine Pause
entstand. Dann ergriff Bunzl das Wort.
Du siehst, Knig der Knige, es heit ausdrcklich:
eure Felder. Somit bezieht sich Dein Gebot nicht auf
fremden Landbesitz.
Von Landbesitz ist nirgends die Rede, widersprach
Gott, aber es klang ein wenig unsicher.
Herr der Welten, das Rabbinats-Gremium der Ortho-
doxen Partei hat diese Interpretation des Textes auf einer
eigens einberufenen Tagung feierlich gebilligt.
Wurde das Schofar geblasen?
Selbstverstndlich.
Hm
Der Heilige, gepriesen sei Sein Name, schien sich
allmhlich mit dem Arrangement abzufinden. Ein
erleichtertes Aufatmen ging durch Sein Gefolge. Aber da
verfinsterte sich Gottes Antlitz von neuem, und Seine

220
Stimme erhob sich grollend.
Ihr knnt sagen, was ihr wollt, da stimmt etwas nicht.
Irgendwo steckt doch ein Betrug.
Herr, flsterte Isidor Bunzl mit leisem Vorwurf.
Herr, Du willst doch nicht sagen
Ruhe, Ich bitte mir Ruhe aus. Also wie war das? Das
Ministerium fr religise Angelegenheiten hat eine
Vollmacht vom Landwirtschaftsministerium bekommen?
Ja, o Herr. Eine schriftliche Vollmacht.
Wie darf ein Ministerium sich die Macht anmaen,
Mein Land zu verkaufen? An einen Araber? Fr wieviel
haben sie es verkauft?
Fr fnfzig Pfund, antwortete Dr. Krotoschiner. Und
selbst diese Summe hat man dem arabischen Kufer
rckerstattet.
Die Geschichte wird immer undurchsichtiger, zrnte
der Ewige. Was soll das alles? Ich habe dieses Land, in
welchem Milch und Honig fliet, den Nachkommen
Abrahams zu eigen gegeben fr alle Zeiten. Und dann
kommt irgendein Landwirtschaftsminister und verschleu-
dert es fr fnfzig Pfund?
Wir haben das Schofar geblasen, versuchte Isidor
Bunzl zu beschwichtigen, aber auf Gott den Herrn machte
das keinen Eindruck mehr.
Der Herr erhob sich. Gewaltig drhnte seine Stimme
durch das All, gewaltige Donnerschlge begleiteten sie.
Ich lege Berufung ein, sprach der Herr. Und wenn
ntig, bringe ich den Fall vor das Jngste Gericht.
Damit wandte Er sich ab. Aber einige Engel wollen
gesehen haben, da Er in Seinen Bart schmunzelte.

221
Feinschmecker

Die epochale Erfindung des ersten Exodus war das


ungesuerte Brot, im Volksmund Mazzes genannt.
Begreiflicherweise hatten unsere Vorfahren auf der Flucht
aus gypten keine Zeit, sich mit der Zubereitung von
Sauerteig zu beschftigen, und zur Erinnerung daran essen
wir noch heute whrend des achttgigen Passahfestes
ausschlielich ungesuertes Brot.
Falls irgend jemand einmal versucht haben sollte, acht
Tage lang von purem Pappendeckel zu leben, wird er
begreifen, warum wir fr den Rest des Jahres nur noch auf
gesuertes Brot Wert legen.

Hrdenlauf der Propheten

Die Juden sind bekanntlich das Volk des Buches und


waren es schon, als die Welt zu bestehen anfing, ein
Vorgang, der mit einiger Zuverlssigkeit nur im
hebrischen Original geschildert wird. Deshalb legen die
Frommen unter uns Wert darauf, da ihre Kinder die
Heilige Schrift auswendig lernen, Vers fr Vers, Satz fr
Satz, Buchstabe fr Buchstabe. Auerdem wird in
Jerusalem an jedem Unabhngigkeitstag ein Bibel-Quiz
abgehalten, um festzustellen, wer das Buch Jeremia am
wrtlichsten auswendig kann. Der Prophet selbst wrde
nie ins Finale kommen.

222
Volk des Telefonbuches

Der Briefverkehr hat in der Geschichte des Volkes Israel


immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Denn das Volk
Israel lebte die lngste Zeit in der Diaspora, und fr die
zerstreuten Stmme war es lebenswichtig, miteinander
Kontakt zu halten. Kein Wunder, da eine Welle der
Begeisterung durch die israelische ffentlichkeit ging, als
das Postministerium in Zusammenarbeit mit dem
Ministerium fr Kultur und Unterricht ein Nationales
Telefon-Quiz ankndigte.
Im ganzen Land wurden Ausscheidungskmpfe abge-
halten, aus denen schlielich vier Finalisten hervorgingen.
Sie versammelten sich fr den Endkampf in der Groen
Volkshalle zu Jerusalem. Der Rundfunk hatte seine besten
Sprecher aufgeboten, um ber den Verlauf des Abends zu
berichten, und die Bevlkerung, soweit sie nicht an Ort
und Stelle dabei sein konnte, versammelte sich in ihren
Husern vor den Apparaten, die Telefonbcher griffbereit
zur Hand.
Auf der Bhne saen die vier Kandidaten und genossen
die Bewunderung des Publikums. Man wute, welches
ungeheure Ma an Wissen, Intelligenz und Orientierungs-
vermgen diese vier so weit gebracht hatte. Jeder kannte
ihre Namen. Da war Towah, Telefonistin in der Fernamt-
zentrale und Liebling des Publikums, Ing. Glanz, der
Computer-Fachmann, Prof. Dr. Birnbaum von der
Forschungsstelle fr Elektronengehirne und der Dichter
Tolaat-Shani, Nachkomme einer langen Reihe von
Jongleuren.
Auch ich wollte einen Blick auf die Helden der Nation
werfen. Es herrschte ebenso festliche wie gespannte

223
Stimmung. Der Minister fr Post- und Verkehrswesen
erffnete den Abend mit einer kurzen, aber niveauvollen
Ansprache.
Zum ersten Mal seit zweitausend Jahren halten freie
Juden ein Telefon-Quiz in ihrer eigenen Volkshalle ab,
begann er und erluterte sodann den historischen
Hintergrund.
Im vergangenen Jahr hatte das Quiz in Anwesenheit
zahlreicher Auslandskorrespondenten stattgefunden,
weshalb die Jury auch weniger wichtige Fragen
zugelassen hatte, wer das Telefon erfunden hatte, wie die
bermittlung funktioniert, wo das erste transatlantische
Kabel gelegt wurde und dergleichen Unerheblichkeiten
mehr. Dagegen war die heutige Konkurrenz streng
regionalen Problemen gewidmet und konzentrierte sich
auf wirklich Wesentliches, nmlich auf heimische
Telefonnummern.
Da klang die erste Frage durch die atemlose Stille.
Wie lautet die erste Nummer auf Seite 478, Haifa?
Ing. Glanz, ein berlegenes Lcheln auf den Lippen,
antwortete wie aus der Pistole geschossen.
Weinstock, Mosche, Tel-Chai-Strae 12, Nummer 40-
5-72.
Lautes Geraschel der Telefonbcher im Zuschauerraum,
strmischer Beifall, als sich die Antwort als richtig
herausstellte. Im brigen dienten die ersten Fragen
lediglich dem Aufwrmen der Konkurrenten und wurden
von den vier lebenden Nummernverzeichnissen leicht
beantwortet. Nur als Towah auf die Frage des Rektors, wie
viele Goldenblums im Telefonbuch von Tel Aviv stnden,
sechs antwortete, bahnte sich eine Sensation an.
Es tut mir leid, sagte der Rektor, ich sehe nur fnf.

224
Der sechste, belehrte ihn Towah, steht im Anhang.
Goldenblum, Ephraim, Levi-Jitzchak-Strae 22, Nummer
27-9-16.
Der Rektor griff nach dem Anhang und sagte
anerkennend: Stimmt!
Noch nie war so viel profundes Wissen auf so engem
Raum versammelt gewesen. Da zhlte kaum, da Prof.
Dr. Birnbaum die nchste Frage nicht beantworten konnte
und da der Dichter Tolaat-Shani erst im allerletzten
Augenblick die richtige Antwort fand.
Dann demonstrierte Towah ihre enorme Sachkenntnis in
Fragen der Telefon-Prosa.
Merkspruch auf Seite 52, Jerusalem?
Richtig whlen erleichtert die Verbindung, antwortete
Towah lssig.
Ing. Glanz hingegen war zur allgemeinen berraschung
auerstande, den Inserenten auf Seite 356, Tel Aviv, zu
nennen. Jeder bessere Telefonbuch-Amateur htte gewut,
da es sich um die Papierhandlung Josef Pfeffermann
handelte.
Mit der Zeit wirkten alle vier Kandidaten ein wenig
erschpft. Prof. Dr. Birnbaums Zeit lief ab, ehe ihm
einfiel, welche Telefonnummer in der Mitte eine Ziffer
hatte, die der Differenz zwischen den beiden ersten und
den beiden letzten Ziffern entsprach. Er schied aus. Seine
Frage wurde nicht ohne Mhe von Ing. Glanz beantwortet.
Gardosch, Schoschana, Tel Aviv, Seite 180, zweite
Spalte, 29. Nummer von oben 2-3-1-6-7.
Das Publikum tobte. Auch ich klatschte mit, obwohl ich
inzwischen ein wenig skeptisch war.
Wozu soll das eigentlich gut sein, wandte ich mich an
meinen Nachbarn, jede Nummer im Telefonbuch

225
auswendig zu kennen?
Wie meinen Sie das, wozu das gut sein soll?
Das Telefonbuch ist ein unentbehrliches Nachschlage-
werk, das ist mir klar. Ohne Telefonbuch knnten wir
keinen einzigen Tag berleben. Aber wozu mu man es
auswendig lernen, wenn man alles nachschlagen kann?
Und wenn Sie eines Tages in der Wste sind und kein
Telefonbuch haben?
Dann htte ich ja auch kein Telefon.
Nehmen wir an, Sie htten eines.
Dann wrde ich die Auskunft anrufen.
Da mute ich mir sagen lassen, da die vier Geistes-
giganten oben auf der Bhne schon in frhestem
Kindesalter, echt jdischem Brauch folgend, sich dem
Studium jedes Buchstabens, jeder Ziffer, jeden Druck-
fehlers gewidmet hatten, bis sie zu jenen geistigen Hhen
gelangt waren, denen sie jetzt Beifall und Bewunderung
aller verdankten.
Auf der Bhne hatte mittlerweile die Endrunde
begonnen. Soeben lste Ing. Glanz ein bermenschliches
Problem.
Wenn man eine Nadel durch die dritte Ziffer der vierten
Zeile der zweiten Spalte auf Seite 421 steckt, welche
Ziffern durchdringt sie auf den folgenden Seiten?
Ing. Glanz kam bis Petach-Tikwah, Seite 505. Lnger
war die Nadel nicht.
Das Publikum hielt den Atem an. Als er die letzte
richtige Ziffer nannte, brach ein Sturm von Bravorufen
los. Mein Nachbar flsterte: Gepriesen sei der Ewige.
Einige Zuschauer weinten, andere fielen in Ohnmacht.
Der Rektor bat um Ruhe. Bevor er die Namen der Sieger
bekanntgebe, wolle er noch eine vom Ministerprsidenten

226
eingesandte Frage stellen. Sie lautete:
Wie telefoniert man?
Die vier Champions verfielen in betretenes Schweigen.
Towah murmelte etwas von Tasten, aber es war klar, da
keiner der vier die richtige Antwort wute. Nach einigem
Gemurmel erhob sich der Dichter Tolaat-Shani und
reklamierte, da die Frage ber den Rahmen der hier
veranstalteten Konkurrenz hinausginge, da sie nicht in
Ziffern zu beantworten war. Der Vorsitzende der Jury
beschwichtigte das Publikum, indem er Ing. Glanz zum
Telefonbuch-Meister des Jahres 1998 ausrief und
Towah mit dem zweiten Preis auszeichnete.
Die Menge strmte das Podium und trug ihre Idole auf
den Schultern hinaus.
Ich wollte zu Hause anrufen, um der besten Ehefrau von
allen das Ergebnis mitzuteilen, aber ich hatte meine
Nummer vergessen.

Gott ganz Privat

Ich befinde mich in einer unmglichen Situation. Ihr


schreibt mir die Erschaffung der Welt zu, ich gelte euch
als ein berirdisches Wesen, dessen Werke das mensch-
liche Fassungsvermgen weit bersteigen. Und trotzdem
behandelt ihr mich wie einen Schmierenschauspieler, dem
der Applaus ber alles geht. Jeden Morgen mu ich mir
die gleichen unterwrfigen Lobeshymnen anhren:
Herrscher der Welt, unser Vater, der Knig der Knige,
Dem nichts verborgen bleibt, wir preisen Dich in
Ehrfurcht, Allmchtiger, der Du entscheidest ber Leben

227
und Tod und Dessen Augen alles sehen. Und so weiter
und so fort. Ich mu schon sagen.
DER HERR IN EINEM EXKLUSIV-INTERVIEW

228
UND WENN JA, WARUM NICHT?

229
Esperanto

Die Einwohner Israels schreiben hebrisch, lesen englisch


und sprechen russisch.

Otschi tschornaja

Lassen Sie mich der erste sein, der Ihnen die gute
Nachricht bringt. Eine Sensation.
Einwanderung aus Ruland?
Ja! Im Rahmen der Familienzusammenfhrung drfen
ab sofort drei Millionen Personen nach Israel kommen.
Man erwartet den ersten Transport bereits fr
Donnerstag.
Endlich! Endlich! Ich mchte Sie am liebsten
umarmen.
Gott segne Sie. Die Sache lag Ihnen ja schon immer am
Herzen.
Das kann man sagen. Keine Petition, die ich nicht
unterschrieben habe, keine Versammlung, in der ich nicht
aufgestanden bin, um die Heimkehr unserer in Ruland
schmachtenden Brder zu fordern.
Sie sind russischer Herkunft?
Nein. Ich bin ein Sympathisant. Was fr wunderbare
Menschen das doch sind! Gro, stark, gesund, essen gern,
trinken gern, leben gern.

230
Ja, wunderbar.
Man mu sie nur tanzen sehen. Oder singen hren.
Otschi tschornaja, otschi krasnaja. Und jede Familie hat
mindestens drei bis vier Kinder.
Unsere Zukunft! Ein fleiiger, disziplinierter Men-
schenschlag. Da sie unter kommunistischem Regime auf-
gewachsen sind, haben sie gelernt, in aller Herrgottsfrhe
aufzustehen und hart zu arbeiten. Eine neue Pionier-
generation. Die Auswirkungen auf die Entwicklung
unseres Landes lassen sich noch gar nicht absehen.
Drei Millionen neue Menschen!
Und was fr Menschen!
Gren Sie sie von mir.
Nun, das knnen Sie persnlich tun.
Leider ist mein Wagen in Reparatur.
Kein Wagen ntig. Sie kommen her.
Wer kommt her?
Die Russen.
Zu wem?
Zu Ihnen. Natrlich nicht alle drei Millionen. Nur eine
Familie.
Ich habe keine Familie in Ruland.
So ist es nicht gemeint. Jeder israelische Haushalt wird
eine russische Familie aufnehmen. Ich bin gekommen, Sie
darber zu informieren.
Ist das eine gesetzliche Manahme?
Vorlufig nicht. Wir versuchen es zuerst auf
freiwilliger Basis.
Also was heit dann informieren? Da mten Sie
mich doch zuerst fragen.
Nach Ihrem Freudenausbruch habe ich das eigentlich
231
fr berflssig gehalten.
Freudenausbruch, Freudenausbruch. Natrlich freue ich
mich. Das ist doch klar. Mich brauchen Sie nicht zu
belehren, worber ich mich freuen soll. Mein Haus steht
dem Strom der Sowjetjudenschaft immer offen. Allerdings

Allerdings?
Dworahs Musik.
Ich verstehe nicht.
Das werde ich Ihnen sofort erklren. Der einzige freie
Raum in unserem Haus ist das Gstezimmer. Und im
Gstezimmer steht der Flgel. Und meine Tochter Dworah
nimmt dort dreimal in der Woche Privatstunden bei Frau
Preburger. Frau Preburger unterrichtet auch am Konser-
vatorium. Wir haben Jahre gebraucht, bis sie Dworah als
Schlerin akzeptierte.
Vielleicht lt sich der Flgel anderswo unterbringen?
Daran habe ich auch schon gedacht. Aber wo? Mein
Arbeitszimmer ist zu klein, das Speisezimmer ist zu voll,
und berhaupt ist es keine Kleinigkeit, einen Konzert-
flgel zu verrcken.
Nur fr kurze Zeit
Wenn Sie frher gekommen wren, bevor Dworah mit
den Klavierstunden anfing. Ich htte gerne etwas fr
unsere russischen Brder getan. Aber jetzt ist es zu spt.
Haben Sie schon in der Nachbarschaft gefragt?
Ja.
Und?
Ihre Nachbarn sind sehr musikalische Menschen. Alle.
Violine. Trompete. Klarinette. Alphorn.
Ja, so gehts. Die Leute haben sich eben aus kleinen
Anfngen emporgearbeitet. Ich selbst, was hatte ich denn
232
schon, als ich herkam?
Eine Dreizimmerwohnung.
Nur zweieinhalb Zimmer, bitte. Aber Ihre Russen sind
ja an ganz andere Wohnverhltnisse gewhnt. Sie sind in
grter Not und unter rmlichsten Verhltnissen aufge-
wachsen, das ist allgemein bekannt.
Also nichts zu machen?
Das habe ich nicht gesagt. Ich bin immer zu Opfern
bereit, wenn es unbedingt ntig ist. Warten Sie. Ich habe
doch irgendwo einen Lotterieschein. Der Hchstgewinn ist
zwlf Millionen Pfund. Ich verzichte auf ihn. Geben Sie
den Schein den Russen.
Und bis dahin?
Bis dahin mchte ich wenigstens in meinem eigenen
Hause Ruhe haben. Diese Menschen stehen in aller Herr-
gottsfrhe auf und machen einen frchterlichen Wirbel.
Ich kenne sie. Nichts als tanzen, nichts als singen, otschi
tschornaja, otschi krasnaja, es ist zum Verrcktwerden.
Und alle haben mindestens drei bis vier Kinder. Sie
kommen eben aus einer anderen Welt. Glauben Sie mir, da
hilft alles nichts.
Also was nun?
Tja, das ist ein schwieriges Problem. Bekommt man
einen Zuschu, wenn man die Leute aufnimmt?
Nein.
Ja dann
Sollen wir sie zurckschicken?
Ich wei nicht.
Schade. Wirklich schade.
Nur Geduld. In ein paar Jahren wird meine Tochter mit
dem Klavierunterricht hoffentlich fertig sein. Oder Frau

233
Preburger geht in Pension. Da fllt mir ein, Frau
Preburger hat eine riesige Wohnung und lebt, wenn ich
richtig informiert bin, ganz allein. Wollen Sie die
Telefonnummer?

rzteschluverkauf

In den neunziger Jahren, als die Einwanderung aus der


Sowjetunion ihren Hhepunkt erreichte, herrschte ein
solcher Andrang an rzten, da vorsichtige israelische
Hausfrauen ein Schild vor die Tr hngten: Sprech-
stunden fr rzte nur nachmittags von 3 bis 4 Uhr.

Integration

Ich traf den Einwanderer vor einer ffentlichen Telefon-


zelle. Er trippelte nervs von einem Bein auf das andere
und sprach mich nach einer Weile auf jiddisch mit
leichtem russischem Akzent an.
Immer derselbe Mist. berall lassen sie einen warten.
Wer?
Alle. Fr Neueinwanderer hat man eben keine Zeit. Nur
fr die verkalkten Siedler.
Sie werden auch einmal einer sein.
Seien Sie da nicht so sicher. Wenn es nach mir ginge,
wrde ich sofort mein letztes Hemd fr ein Flugticket
verkaufen. Egal wohin. Nur weg von hier. Glauben Sie
aber ja nicht, da ich immer so dachte.
234
Nein?
Nein, mein Herr. Mein Widerwille gegen dieses Land
wurde erst nach und nach geweckt. Als ich hierherkam,
war ich noch Idealist. In meiner guten alten Heimat habe
ich jede Kritik an Israel vehement abgelehnt. Eure
Verleumdungen will ich gar nicht erst hren. Ich glaube
nur, was ich mit eigenen Augen sehe, so sprach ich, bevor
ich hierherkam.
Und dann?
Dann? Dann war ich da, und mein Amoklauf begann.
Ich komme nicht einmal mehr dazu, Luft zu holen. Ich
renne, schwitze und rede mich fusselig. Ich bin nur noch
ein Schatten meiner selbst. Dabei verlange ich ja gar nicht
viel. O nein, mein Herr, ich will nichts weiter als ein
Dach, ein kleines Dach ber dem Kopf in Tel Aviv und
ein bescheidenes Auskommen in meinem Beruf.
Was sind Sie denn von Beruf?
Ich bin Trainer fr Falkenjagd. Ich habe in allen
mglichen ffentlichen mtern angesucht, aber die Mhe
htte ich mir sparen knnen. Eventuell wrde mir die
Regierung einen Kredit geben, aber diese Verrckten
erwarten ja allen Ernstes, da ich ihnen das Geld
zurckzahle. Und die Gewerkschaften kmmern sich
einen Dreck um einen, solange es gengend Streiks gibt.
Wie recht Sie haben.
Eben. Man hat mir zu einer Umschulung geraten. Aber
ich lasse mir nichts schenken. Zum Teufel mit dieser
sogenannten Wohlttigkeit. Die Regierung sollte abdan-
ken. Es wimmelt ja nur so von Idioten im Staatsapparat.
Die schreiben dir einen lausigen Empfehlungsbrief, und
dann beginnst du dich abzuhetzen. Von morgens frh bis
spt nachts, von hier nach dort, hinauf und hinunter, von
einem Bro zum andern. Beamte, Beamte, Beamte. Aber

235
was kmmert es diese Verbrecher, da ein einsamer
Einwanderer am Zusammenklappen ist? Die scheren sich
doch den Teufel drum, Hauptsache, sie bekommen ihre
sicheren Gehlter und Extraditen. Ich bin es mde, werter
Herr, angeekelt bis ins Innerste. Ich bin fix und fertig.
Entschuldigen Sie, wann sind Sie eigentlich nach Israel
gekommen?
Vorgestern.

Mangelware

Es ist nur natrlich, da in einem Volk von Pionieren


manche Berufe sprlich besetzt sind. Die ersten Siedler im
Heiligen Land waren, wie aus den einschlgigen
Geschichtsbchern hervorgeht, Kaufleute, Rabbiner,
Dichter oder Abenteurer, von Mllmnnern liest man kein
Wort.

Kbelwalzer

Wann schlft der Mensch am besten? Nach den neuesten


wissenschaftlichen Erkenntnissen bis 5.25 Uhr am
Morgen. Um 5.25 Uhr am Morgen fhrt der Durch-
schnittsbrger aus dem besten Schlafe hoch. Der hllische
Lrm, der ihn aufrttelt, klingt nach Fliegeralarm, nach
einer stampfenden Bffelherde, nach einem Sturmangriff
mit schweren Panzern und nach dem Dschungelschrei
eines wildgewordenen Tarzans gleichzeitig.

236
Um 5.25 Uhr am Morgen.
Die Reaktion der Menschen, die von dieser
Naturkatastrophe betroffen werden, ist unterschiedlich.
Manche vergraben sich in ihre Kissen und beginnen zu
beten. Andere, vor allem die, die vor Schreck aus dem
Bett gefallen sind, sausen ziellos zwischen Schlafzimmer
und Badezimmer hin und her. Ich werfe mich bei den
ersten Donnerschlgen wortlos auf meine neben mir
schlummernde Gattin und wrge sie so lange, bis sie die
Nachttischlampe anknipst und mir vorsichtig beibringt,
da mich niemand ermorden will.
Wie um des Himmels willen ist es mglich, fragte
mich Nachbar Felix Seelig, als er sich einmal um 5.25 Uhr
am Morgen aus dem Fenster beugte, da vier Mnner
einen so ungeheuerlichen Krach machen?
Wir beobachteten die Vier von oben. Es handelte sich
um den Fahrer der stdtischen Mllabfuhr, um seinen
Mitfahrer, der meistens auf dem Trittbrett stand, und um
die beiden Kerle, die sich der wartenden Mlltonnen
bemchtigten und sie mit Getse ausleerten. Auf den
ersten Blick sehen diese Vier wie einfache Statistiker des
Gesundheitsamtes aus, aber hinter ihrem unaufflligen
ueren verbergen sich vier Weltmeister des Hllenlrms.
Zum Beispiel benutzt der Fahrer grundstzlich nur den
ersten Gang, um seinen Motor auf hchste Umdrehungs-
zahlen zu bringen, whrend die beiden Zubringer jede
einzelne Tonne polternd ber das Pflaster schleifen und
dabei so laut und lsterlich fluchen, als wollten sie sich
gleich prgeln.
Dabei haben sie keinerlei Streit miteinander. Hrt man
mit den Restbestnden von Membranen, die einem
geblieben sind, genauer hin, so stellt man fest, da sie sich
ber ganz alltgliche Dinge unterhalten. Allerdings
beginnt die Unterhaltung grundstzlich dann, wenn der
237
eine mit der schon entleerten Tonne im Hausflur steht und
der andere in 20 bis 30 Meter Entfernung seine noch
gefllte auf die Kippe niederkrachen lt.
Hey! brllt der eine. Hey! Was hast du gestern abend
gemacht gestern abend?
Darauf antwortet jedoch nicht der andere, sondern der
Fahrer steckt den Kopf aus seinem Gehuse hervor, legt
die Hnde an den Mund und brllt: Hey! Wir sind zu
Hause geblieben! Zu Hause! Und du?
Hey! Wir waren im Kino! Im Kino waren wir! Bei
diesem Wildwestfilm! Groartig! Alle haben sehr gut
gespielt haben alle!
Hey! Kommen dir diese verdammten Tonnen heute
nicht auch verdammt schwer vor?
Verdammt schwer heute! Wo es noch dazu so
verdammt hei ist! Verdammt!
Frau Kalaniot, der das Schicksal ein Schlafzimmer direkt
oberhalb des Haustors beschert hat und die daher stndig
am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht, ri in
ihrer Verzweiflung einmal das Fenster auf und rief
hinunter: Bitte Ruhe! Ich flehe Sie an, Ruhe! Mssen Sie
denn jede Nacht einen solchen Lrm machen?
Nacht? Wieso Nacht? Der Angeflehte wieherte
frhlich. Es ist ja schon halb sechs vorbei ist es schon!
Wenn Sie mit diesem Lrm nicht aufhren, hole ich die
Polizei! Das war Benzion Ziegler, der sein Fenster
gleichfalls aufgerissen hatte. Die vier apokalyptischen
Fahrer krmmten sich vor Lachen.
Polizei! Hohoho! Hol doch einen Polizisten hol ihn
doch! Wenn du in der Nacht einen findest! Hohoho!
Ja, so sind sie, unsere stmmigen, breitschultrigen, von
keiner Hemmung belasteten Naturburschen, die neue

238
Generation, die neue Rasse, der neue Mensch. Man hat
den Eindruck, da keine Macht der Welt mit ihnen
fertigwerden knnte.
Auf dem letzten Protestmeeting unseres Huserblocks
erhielt ich den ehrenvollen Auftrag, vom Stdtischen
Gesundheitsamt die Einstellung der nchtlichen Erdbeben-
katastrophen zu verlangen.
Noch ehe ich begann, unterbrach mich der Beamte.
Mir brauchen Sie nichts zu erzhlen. Ich bekomme das
jeden Morgen zu hren. Sie werden verrckt, sagen Sie?
Ich werde verrckt
Der Sommer kam, und mit ihm kamen die Nchte, in
denen man, wenn berhaupt, nur bei offenem Fenster
schlafen kann. Unsere Eingabe an die Behrde war ohne
Antwort geblieben. Wre es nicht am besten, fragten wir
uns, mit den Leuten zu reden, von Israeli zu Israeli?
Immerhin empfanden wir doch auch Bewunderung fr
jene vier Aufrechten, die schon im frhen Morgengrauen
ihre schwere Arbeit verrichteten, whrend wir nichts-
nutzigen Schmarotzer in unseren weichen, weien Betten
wohlig bis 5.25 Uhr schnarchten. Es wurde beschlossen,
die Sache psychologisch anzugehen. Wir muten zu den
Herzen der Vier einen Weg finden. Geld sollte keine Rolle
spielen.
An einem der nchsten Tage enthielt die allmorgendliche
Lrmsendung eine Variante.
Hey! drhnte es vom Trittbrett zu den Kbeln.
Langsam wirds kalt! Kalt wirds langsam!
Hey! donnerte die Antwort. Kauf dir einen Pullover!
Kauf dir einen!
Pullover? Sagst du Pullover hast du gesagt? Hey! Wo
soll ich einen Pullover hernehmen wo?

239
Wir handelten unverzglich. Wir handelten im Interesse
unserer Nachkommen, im Interesse des Friedens im Nahen
Osten. Aus den Geldern des neuen Reinigungs-Fonds
kaufte Frau Kalaniot einen knallroten Pullover, und Felix
Seelig begab sich an der Spitze einer Delegation zum
Wohnhaus des Trittbrett-Tarzans, der seine Rhrung kaum
verbergen konnte. Er zeigte volles Verstndnis fr den
vorsichtigen Hinweis, warme Kleider trgen bekanntlich
zur Schaffung einer ruhigeren Atmosphre bei, dankte der
Delegation und versprach, auch seine Mitarbeiter ent-
sprechend zu informieren.
Am nchsten Morgen um 5.25 Uhr wurde Frau Kalaniot
durch ein Gebrll von noch nicht dagewesener Unmensch-
lichkeit aus ihrem Bett geschleudert:
Hey! Die haben mir diesen Pullover gekauft haben sie!
Diesen roten Pullover!
Sind nette Leute, brllte es zurck. Nette Leute sind
sie wirklich nett!
Hierauf erfolgte eine Explosion, die alle bisherigen
bertraf. In seiner Freude ber den roten Pullover
schleuderte der Trittbrett-Tarzan einen eben entleerten
Kbel so kunstvoll zurck, da zwei andere Kbel
mitgerissen wurden und dreifach niederkrachten.
Seither hre ich schlecht auf dem linken Ohr. Dafr
schlafe ich sehr gut auf der rechten Seite. Eine exzellente
und im Grunde ganz einfache Lsung. Ich wundere mich,
da ich nicht schon frher darauf gekommen bin.

240
Massenbewegung

Die Bevlkerungsexplosion, von der die Welt mit Recht


beunruhigt wird, ist bisher an unserem kleinen Land
vorbeigegangen. Bei uns gibt es dank der freundlichen
Mithilfe unserer Nachbarstaaten mehr Explosionen als
Bevlkerung. Nur bei Fuballspielen und Militrparaden
nimmt die Bevlkerungsdichte bedrohliche Ausmae an.

Jubilumsinvasion

Am frhen Morgen des Unabhngigkeitstages, kurz nach 5


Uhr, holte mich das schrille Klingeln des Telefons aus
dem Bett.
Hallo Josske, erklang eine zutrauliche Stimme. Hab
dich schon lange nicht gesehen. Wie gehts denn immer?
Danke, gut, ghnte ich. Und wie gehts selbst?
Soso, lala. Eigentlich eine Schande, da wir uns nie
mehr sehen, Josske.
Eigentlich ja. Aber ich heie gar nicht Josske. Mit wem
habe ich das Vergngen?
Das fragst du noch? Hier ist Mischa. Erinnerst du dich
nicht? Ich bin mit deinem Bruder in die Schule
gegangen!
Mischa versprach, mich um 10 Uhr 30 zu einem
gemtlichen Plausch zu besuchen. Ich bat meine Frau, fr
den Schulfreund meines Bruders einen kleinen Imbi
vorzubereiten. Sie erfahre erst jetzt, da ich einen Bruder
habe, sagte meine Frau.

241
Ich war zu verwirrt, um der Sache nachzugehen. Und
meine Verwirrung wuchs, als um 6 Uhr die Familie
Grnspan aus Beer-Scheba mit allen drei Kindern und
deren Spielgefhrten vor der Tr stand. Auch das Dienst-
mdchen hatten sie mitgebracht. Und auch das Dienst-
mdchen hatte ein Kind.
Wir wollten euch schon lngst einmal besuchen,
erklrte die Familie Grnspan. Aber es ist immer etwas
dazwischengekommen. Heute hats endlich geklappt.
Im brigen wollten sie uns nicht zur Last fallen. Sie
wollten nur ein wenig frische Luft schnappen, auf dem
Balkon, wo sie es sich entlang dem Gelnder bequem
machten.
In den folgenden zwei Stunden riefen mich 17 frhere
Schulkollegen an und erkundigten sich nach meiner
Gesundheit. Langsam verstanden wir, warum die unter uns
wohnende Familie Bialazurkewitsch vor zwei Tagen ihre
Wohnung verlassen und an der Tr das Schild Achtung,
Malariagefahr! angebracht hatte.
Um 8 Uhr 30 schalteten wir das Telefon ab.
Bald darauf erschien ein junger Mann mit einem
Empfehlungsschreiben von Frau Pomeranz, in dem sie uns
bat, ihren Neffen, den sie wie einen Sohn liebte, von
unserem Balkon aus die Parade mitansehen zu lassen. Es
war das erste Mal, da man uns um so etwas bat, und ich
empfand es als groe Ehre, obwohl ich keine Frau
Pomeranz kannte.
Danach beschlossen wir, niemanden mehr herein-
zulassen. Mischa konnte natrlich kommen, schon
meinem Bruder zuliebe, aber dann war Schlu. Hchstens
fr unsere Verwandten wrden wir noch eine Ausnahme
machen. Und fr den Besitzer des Fleischerladens mit
Frau und Kindern. Von dem waren wir ja in gewissem

242
Sinn abhngig.
Da der Balkon bereits berfllt war, wurden Tische und
Sthle zu den Fenstern geschoben. Ein anhaltendes Surren
des ausgeschalteten Telefons zwang mich, abzunehmen.
Hier der Strungsdienst. Ist etwas mit Ihrem Apparat
nicht in Ordnung?
Ich habe ihn fr den Rest des Tages ausgeschaltet, das
ist alles.
Wir mssen trotzdem nachprfen. Bitte sorgen Sie
dafr, da um 10 Uhr 30 jemand zu Hause ist.
Um 10 Uhr wurde die Tr aufgebrochen. Zahlreiche
junge Menschen, die sich als Schulkameraden meines
Sohnes bezeichneten, strzten herein und stellten die
restlichen Sthle auf das Klavier. Auf meinen Vorwurf, ob
er denn gleich die ganze Schule htte einladen mssen,
antwortete mein Sohn gekrnkt, er kenne keinen einzigen.
Ich glaubte ihm. Mein Sohn war damals acht Jahre alt, das
Durchschnittsalter der Eindringlinge lag bei zwanzig.
Die Situation auf dem Balkon wurde kritisch, als Mischa
eine Leiter gegen die Rcken der Familie Grnspan
sttzte. In dem heftigen Gerangel strzte der Bruder des
Gatten der Grnspanschen Haushaltshilfe, also der Onkel
des Kindes, auf den Bialazurkewitsch-Balkon unter uns.
Zum Glck blieb er unverletzt, da der Balkon dicht mit
Malariakranken besetzt war.
Ein Beamter der Stdtischen Behrde fr Wohnbau-
sicherheitsfragen brachte mir ein offizielles Warn-
schreiben, da der Balkon und der Fuboden bei weiterer
Belastung einstrzen wrden. Dann fragte er, ob er seine
Frau hierlassen knnte.
Schlielich kam der Installateur, den wir im Herbst des
Vorjahres zur Reparatur eines tropfenden Wasserhahns
bestellt hatten.
243
Als der rechte Teil des Balkons zu brckeln begann,
verzogen sich die dort Versammelten nach links. Wegen
der Risse im Fuboden des Wohnzimmers bersiedelten
die Verbliebenen in die Kche, doch das war auch nur
eine bergangslsung.
Einige meiner Gste hatten Glck und wurden von den
Trmmern nur bis zur Brusthhe begraben, so da sie
noch einen freien Ausblick auf die bezaubernde Militr-
parade darunter hatten. Ich selbst verfolgte die Parade vom
vllig belagerten Fenster des Krankenhauses aus.

Chuzpe

Sollten Sie zum Abschlu eines ereignisreichen Tages ins


Kino gehen wollen, dann tun Sie es erst 43 Wochen nach
dem Filmstart. Es gibt dann keine Schlangen mehr.
Niemand steht vor oder hinter Ihnen, wenn Sie zur Kasse
gehen.
Doch da kommt pltzlich ein Brger in Hemdsrmeln
auf Sie zugestrzt und keucht:
Wrden Sie bitte auch fr mich eine Karte kaufen? Ich
stehe so ungern in der Schlange.
Sie stehen, wie gesagt, nach wie vor ganz allein vor der
Kasse. Gibt es ein zweites Land auf der Welt, in dem
einem hnliches widerfhrt?

244
Selbstkritik

Die Juden sind ein lstiges Volk. Wenn sie allerdings nicht
so lstig wren, dann wren sie lngst kein Volk mehr.

Knigliche Hoheit

Hre, Abdullah, wenn ich dich jemals wieder beim


Haschisch-Schmuggel erwische, lasse ich dich in den
Jordan werfen.
Gnade, Gnade, winselte der Scheich. Eure Exzellenz
mssen sich eines armen, hilflosen Kuhhirten erbarmen!
Nun, sagte der britische Gouverneur, du hast
unwahrscheinliches Glck, Abdullah. Nach den jngsten
Anweisungen aus London soll ich dich zum Knig
machen.
Mich? Zum Knig?
Ich scherze nicht. Ab sofort bist du der Knig dieses
Landes.
Abdullah richtete sich wrdevoll auf.
Danke, mein Freund, und hielt dem Gouverneur die
Hand zum Kusse hin. Wollen Sie bitte meinen lieben
Vetter, den Knig von England, aufs herzlichste von mir
gren.

245
Recht und Ordnung

Man kann an unseren Nachbarn manches aussetzen, aber


was die Organisation betrifft, machen sie wirklich enorme
Fortschritte. Wo vor wenigen Jahren noch heillose
Anarchie herrschte, ist heute alles bis zum letzten Attentat
sorgfltig geplant.

Ein voller Terminkalender

EIN FIKTIVES INTERVIEW MIT EINEM FIKTIVEN


STAATSOBERHAUPT IN EINEM FIKTIVEN LAND
IM NAHEN OSTEN

Herr Prsident Abdul Abdel Abdalla, erlauben Sie mir,


Ihnen im Namen meiner Zeitung zu Ihrem Amtsantritt zu
gratulieren. Drfte ich etwas ber Ihre weiteren Plne
wissen?
Ich habe meine Plne noch nicht im Detail ausge-
arbeitet, werde aber whrend der kommenden Monate vor
allem mit der Strkung unserer nationalen Einheit
beschftigt sein. Schon in den nchsten Tagen erlasse ich
eine Amnestie fr Kommunisten. Damit sind, hoffe ich,
alle Hindernisse beseitigt, die der Verwirklichung unserer
sozialistischen Ziele noch entgegenstehen.
Und auf volkswirtschaftlichem Gebiet, Herr
Prsident?
Eine bessere Auslastung unserer nationalen Inlands-
produktion ist ebenso dringend erforderlich wie eine

246
Revision unserer Vertrge mit den auslndischen
lgesellschaften. Ein sofortiges Friedensabkommen mit
den Kurden sollte das geeignete Klima fr die ntigen
Reformen unseres Erziehungswesens schaffen. Alle diese
Plne hoffe ich bis Mitte Juni verwirklicht zu haben.
Warum gerade bis Mitte Juni, wenn ich fragen darf?
Weil ich Mitte Juni das erste Komplott gegen mein
Regime aufdecken werde.
Offiziere des Generalstabs?
Ausnahmsweise nicht. An der Spitze der Verschwrung
steht der Garnisonskommandant des Militrdistriktes
Nord, einer meiner zuverlssigsten Kampfgefhrten, den
ich nchste Woche sogar zum Brigadegeneral ernennen
werde.
Wird die Verschwrung Erfolg haben?
Nein. Der Bruder des Garnisonskommandanten lt der
Geheimpolizei rechtzeitig eine Geheiminformation
zugehen. Anschlieend kommt es zu einer rcksichtslosen
Suberung des Offizierskorps und zu Massenverhaftungen
unter Kommunisten. Der Fhrer der Rebellen wird von
mir eigenhndig aufgehngt. Aber das ist vertraulich. Bitte
erwhnen Sie in Ihrem Bericht nichts davon.
Ganz wie Sie wnschen, Herr Prsident. Wann werden
die Suberungen abgeschlossen sein?
Ungefhr Mitte August. Am 20. August fliege ich nach
Kairo, um die Vereinigung unserer beiden Schwester-
republiken und die Befreiung Palstinas zu besprechen.
Unglcklicherweise wird gerade auf dem Hhepunkt der
Verhandlungen die Nachricht von einer neuen Offensive
der jemenitischen Royalisten eintreffen. Das wird mich
aber nicht hindern, aus Kairo mit genauen Plnen fr eine
sofortige Vereinigung unserer beiden Staaten zurck-
zukehren.
247
Dann werden wir also Ende August mit gypten
vereinigt sein?
Leider nicht. Whrend meiner Ansprache an die
Absolventen der Kadettenschule wird ein Attentat auf
mich verbt.
Um Allahs willen!
Beruhigen Sie sich. Nur der Verteidigungsminister und
der Befehlshaber der 6. Infanteriedivision fallen dem
Attentat zum Opfer. Ich selbst begnge mich mit einem
Streifschu an der linken Schulter und richte noch vom
Krankenhausbett aus eine Fernsehansprache an mein
Volk. Diese Rede, an der ich bereits arbeite, wird von mir
in wenigen Tagen auf Band gesprochen, so da sie unter
allen Umstnden rechtzeitig verfgbar ist.
Darf ich etwas ber den Inhalt der Rede erfahren, Herr
Prsident?
Zunchst danke ich Allah fr die Rettung meines
Lebens und unseres Landes. Dann kndige ich eine
umfassende Suberung unter den progyptischen Mitglie-
dern des Offizierskorps an, die meine Besprechungen in
Kairo benutzt haben, um das Attentat zu organisieren.
Wissen Sie schon, wer Sie bei dieser Suberungsaktion
untersttzen wird?
Der Kommandant der Panzertruppen. Ich ernenne ihn
dafr Mitte September zu meinem Stellvertreter, was ich
bereits Ende November tief bedauern werde. Aber dann ist
es zu spt.
Und bis dahin, Herr Prsident?
Bis dahin erfolgt die Verstaatlichung der Banken und
ein unvorhergesehenes Massaker unter den Anhngern der
Linken. Der anschlieende Proze wird vom Rundfunk
bertragen, die anschlieenden Hinrichtungen sendet das

248
Fernsehen live. Es werden insgesamt neun Kommunisten-
fhrer gehngt.
Wieder durch Ihre eigene Hand?
Diesmal nicht. Ich halte mich zur betreffenden Zeit in
Moskau auf, um ber eine neue Waffenlieferung zu
verhandeln. Der stellvertretende Generalstabschef wird
mich begleiten.
Nicht der Generalstabschef selbst, Herr Prsident?
Er ist unabkmmlich. Er mu ein Attentat auf mich
vorbereiten, das in der ersten Oktoberwoche stattfinden
wird.
Maschinengewehr?
Bomben. Der Kommandant unserer Luftwaffe macht
sich die neuen Kurdenunruhen zunutze und bombardiert
am Morgen des 6. Oktober meine Privatresidenz.
Wird Ihre Leiche unter den Trmmern gefunden, Herr
Prsident?
Nein. Meinen Plnen zufolge werde ich wie durch ein
Wunder gerettet, denn ich befinde mich zufllig im Keller,
whrend die Bomben in mein Arbeitszimmer fallen. Von
dem Sessel, auf dem Sie sitzen, und vom Bcherregal zu
Ihrer Rechten bleiben nur Holzsplitter brig.
Das wre also am 6. Oktober, wenn ich recht
verstehe?
Mit einer Verzgerung von ein bis zwei Tagen mu
man natrlich immer rechnen. Aber an meinem Termin-
kalender wird sich nichts Wesentliches ndern. Hier, in
diesem kleinen Notizbuch, ist alles genau aufgezeichnet.
Lassen Sie mich nachsehen. Ja. Fr Mitte Oktober steht
eine umfangreiche Suberung auf dem Programm, dann
folgen umfangreichere Suberungen, und Ende Oktober
wird der Justizminister hingerichtet.

249
Eine Verschwrung?
Ein Irrtum. Anschlieend Blutbad, allgemeines Aus-
gehverbot, noch ein Blutbad und Belagerungszustand. Der
Gouverneur des Regierungsbezirks Sdwest wird
verhaftet. Am 1. November trifft eine Goodwill-Mission
der Vereinigten Staaten ein und berbringt eine grere
Anzahlung auf die soeben bewilligte Entwicklungshilfe
sowie einen neuen Waffenlieferungsvertrag, dessen
Kosten mit der nchsten Rate der Entwicklungshilfe
verrechnet werden. Eine Verschwrung des neuen
Verteidigungsministers scheitert.
Und fr wann, Herr Prsident, ist Ihr eigentlicher Sturz
vorgesehen?
Er wird plangem zwischen dem 8. und 11. November
stattfinden.
Der stellvertretende Generalstabschef?
Ist in die Sache verwickelt. Aber die fhrende Rolle
spielt der Kommandant der Panzertruppen, den ich im
September so voreilig zu meinem Stellvertreter gemacht
hatte.
Ich verstehe. Darf ich fragen, wie das Ganze vor sich
gehen wird?
Motorisierte Truppen besetzen unter der Vorspiegelung
von Routinemanvern das Rundfunkgebude. Mein
Vetter, den ich im Oktober zum Innenminister ernannt
haben werde, richtet einen Aufruf an die Nation und nennt
mich warten Sie, auch das mu ich irgendwo haben
richtig. Er nennt mich einen Bluthund mit triefenden
Pranken und einen stinkenden Schakal im Dienste
auslndischer Hynen. Zum Schlu appelliert er an die
nationale Einheit.
Sehr vernnftig, Herr Prsident. Nur noch eine kleine
Frage: Warum lassen Sie, da Ihnen ja das genaue Datum
250
des Aufstands bekannt ist, das Rundfunkgebude nicht in
die Luft sprengen, bevor es die Aufstndischen besetzen?
Ich erteile selbstverstndlich einen solchen Befehl.
Aber mein zuverlssigster Vertrauensmann, der fr den
Sender verantwortliche Garnisonskommandant, schlgt
sich leider auf die Seite der Rebellen.
Schade. Werden Sie kmpfen, Herr Prsident?
Nein. Ich fliehe in einem blaugestreiften Pyjama. Nach
meinen Berechnungen sollte man mich zwei Tage spter
gefangennehmen, gerade als ich in Frauenkleidern ein
Versteck auerhalb der Hauptstadt zu erreichen versuche.
Bald darauf werde ich gekpft.
Wird man Ihren Leichnam durch die Straen
schleifen?
Selbstverstndlich. Zumindest durch die Haupt-
straen.
Und Ihre Plne fr die weitere Zukunft, Herr
Prsident?
Sie enden ungefhr hier. Meine Aufgabe als Fhrer
dieses Landes ist ja um diese Zeit bereits erfllt.
Und wer, wenn Sie gestatten, wird Ihr Nachfolger?
In meinem Testament empfehle ich den von mir
eingesetzten Garnisonskommandeur, der mich spter
verraten hat.
Was sind seine Plne?
Ich vermute, Strkung der nationalen Einheit,
allgemeine Amnestie fr Kommunisten und Befreiung
Palstinas. Aber vielleicht fragen Sie besser ihn selbst, so
um den 15. November herum. Ich bin nur fr meine eigene
Planung verantwortlich. Und jetzt entschuldigen Sie mich.
Ich mu eine Siegesparade abnehmen.

251
Arabeske

Inschallah heit in unserer Umgebung Mit Gottes


Hilfe. Es eignet sich aber gar nicht gut fr ungarischen
Akzent.

Enorm in Form

Ich schme mich nicht, es zuzugeben. Ich persnlich stand


dieser kessen Mode anfangs eher skeptisch, ja spttisch
gegenber. Wir haben in dieser Region andere Sorgen,
Ephraim, sagte ich mir. Als dann aber ein Star wie Jane
Fonda ihr Heil darin suchte, die erwachsene Welt-
bevlkerung zu retten, horchte ich auf. Frau Fonda hat die
Menschheit ja bekanntlich durch Aerobic revolutioniert,
eine Gymnastik, die es schon seit Jahrhunderten gibt, aber
bislang noch nie so genannt wurde. Mittlerweile trgt sie
schon wieder einen neuen Namen, einen noch einprg-
sameren: Fitne.
Ich schmunzelte also wissend in mich hinein, als auch
die israelischen Illustrierten das Thema begierig aufgriffen
und berichteten, da das rhythmische Gliederschwingen
die Herzen der Millionen Molligen weltweit mit neuer
Hoffnung erfllt. Fitne-bungen werden neues Blut in
Ihre Adern pumpen, versichern wohlbeleibte Experten.
Schon nach einigen Wochen wird diese innovative Gym-
nastik Ihr hormonelles Gleichgewicht wiederherstellen,
und Sie werden sich so prachtvoll fhlen wie nach der 3:0-
Niederlage Deutschlands gegen Kroatien.
Marktschreierisches Getue, Verschwrung der Welt-
252
konzerne. Eine vorbergehende Plage, urteilte ich gering-
schtzig und meldete mich heimlich fr eine Probestunde
an, die drei Straen weiter angeboten wurde. Es war mir
ein dringendes Bedrfnis, einen authentischen Hetzartikel
ber diesen Schwachsinn zu schreiben. Aber das Schicksal
hatte anderes mit mir vor. Der reuige Snder ist mehr
wert als einer, der nie gesndigt hat, oder so hnlich heit
es schlielich. Heute zhlt der Verfasser dieser Zeilen zu
den fanatischsten Anhngern der Fitne-bungen und
nimmt sogar regelmig an einer schweitreibenden
Teamarbeit teil, die einer Spontaninitiative aus der Nach-
barschaft zu verdanken ist. Unsere Gruppe besteht aus
sieben mittelalterlichen Herren, und wir treffen uns
dreimal in der Woche bei Felix Seelig, der ein mobiles
Videogert zu Hause hat.
Was uns nmlich die Idee des Bodybuilding in unserem
Land mit seinem glhend heien Klima nahegebracht hat,
waren eben jene Videokassetten, die uns den Weg zu
krperlichem und hormonellem Gleichgewicht gewiesen
haben. Als die neue Therapie noch in den Kinderschuhen
stak, gab es nmlich nur medizinische Artikel und
illustrierte Fachliteratur. Die Fitne-Gurus haben jedoch
sehr schnell die berzeugungskraft der visuellen
Anleitung erkannt. Auch die Fernsehsender haben rasch
geschaltet und senden Tag fr Tag junge, braungebrannte
Tnzerinnen, die mit strahlendem Lcheln ihre Strand-
bungen vorfhren. Eine wirklich lobenswerte Idee. Zeigt
sie doch dem altersmden Zuschauer, da er, wie der
bronzefarbene Tnzer, zu einem durchtrainierten Krper
kommen kann, wenn er nur gengend Energie und Geld in
die erlsenden Kassetten investiert.
Wir, die glorreichen Sieben, versumen also keine
einzige Turnstunde, vor allem, seit zwei Kursteilnehmer
aus Europa 18 brandneue Fitne-Kassetten fr Fort-

253
geschrittene mitgebracht haben.
Jedes Gruppenmitglied hat seine persnliche Lieblings-
kassette. Felix bevorzugt zum Beispiel immer noch die
Lektionen der Grndermutter Fonda, whrend Ingenieur
Glck sein Herz an die Trainingsmethode von Madame
Mariin verloren hat, dem Star des berhmten Lido in
Paris. Ich hingegen schwanke noch zwischen der
bungskassette der blonden Schnheit Claudia Schiffer
und jener der Go-Go-Girls Gaby und Judy, die Europas
Bildschirme mit ihrer Sendung Enorm in Form
eroberten. Wobei ich aber auch die Fonda nach wie vor
schtze, Ihre langen, wohlgeformten Beine beeindrucken
bei den Bodenbungen wie eh und je. Von der Taille
aufwrts sind ihr die jungen Konkurrentinnen jedoch
haushoch berlegen. Unvergleichlich, wenn Judy ihr
hautenges, rotes T-Shirt trgt und ihre Beugebungen nach
vorn demonstriert. Diese bung heit im Fachjargon: Es
gibt doch Neues unter der Sonne. Gabi aber ist der
Champion dieser bungen. Mit einem rhythmischen
Schwingen der Hften hpft sie auf der Stelle, ein
bezauberndes Lcheln auf ihren vollen Lippen. Ihr Eins-
Zwei, lockt zum Mitmachen. Bein-hoch, Arm, Seite
drei-vier, tiiiief durchatmen
Oh ja, wir atmen tief. Rhythmisch versinkt die Gruppe in
Felixens kuschlige Sessel, und wenn dann die Mariin vom
Lido noch ihren Spagat hinlegt, wird das Atmen noch
tiefer. Das ist ja das Schne am Fitne-Training. Man
trainiert zwar gemeinsam, kann aber doch seinem
persnlichen Stil frnen. Wenn zum Beispiel Claudia
Schiffer in ihrem zartgrnen Outfit ihre unvergleichliche
Brcke vorgefhrt hat, kann Ingenieur Glck ohne
weiteres ein Dakapo verlangen. Dann wird der Film
zurckgespult, und wir bewundern diese sportliche
Meisterleistung noch einige Male unter dem Motto des

254
Ing. Glck: Gesundheit geht ber alles.
Jedem Mann seine eigene Fitne. Und immerhin sieht
der betagte Ingenieur seit Beginn unserer Video-Fitne um
mindestens zwei Monate jnger aus. Wenn er auch, wie
wir alle, stark an Gewicht zugelegt hat, vermutlich wegen
der beachtlichen Mengen an Keksen und Nssen, die wir
whrend der bungen futtern. Unser Hormonhaushalt
jedoch ist ausgeglichen wie nie zuvor.
Fitne-bungen halten aber auch fr den ausgefuchsten
Profi noch so manche berraschung bereit. So habe ich
zum Beispiel erst whrend der zehnten bungsstunde in
der zweiten Reihe hinter Claudia Schiffer die dritte von
links entdeckt, ein absolutes Traummdchen in einem
umwerfenden Body, die, wie es die Bodybuilding-Gurus
versprechen, frisches Blut in wirklich alle Krperteile
treibt.
Letzte Woche aber, als wir gerade im schnsten Fitne-
Rausch waren bei heien Rockrhythmen, zu denen eine
uns bislang unbekannte Trainerin im roten Bikini vor-
turnte, ertnte pltzlich im Dunkeln die zgernde Stimme
Gustis.
Vielleicht versuchen wir s auch einmal
Felix stoppte den Bikini mit der Fernbedienung auf dem
Hhepunkt des Brustmuskeltrainings und erstarrte.
Wie bitte, fragte Felix nach, was sollen wir?
Ich schlage vor, da wir mitmachen, wiederholte
Gusti jetzt schon etwas forscher.
Wo mitmachen?
Bei den bungen.
Felix knipste das Licht an.
Um Gottes willen, sagte er, was will er?
Erst nach einer Weile durchschauten wir Gustis Absich-

255
ten. Er schlug tatschlich vor, da wir, die glorreichen
Sieben, uns aus unseren Sesseln erheben sollten, um
unsere Gliedmaen zu bewegen. Er flog natrlich sofort
aus unserem Kurs.
Perverse haben hier nichts zu suchen, stie Ing. Glck
wtend hervor, der seit seiner pltzlichen Scheidung etwas
gereizt war.
Nach Gustis Abgang gingen wir zur Tagesordnung ber.
Vor allem, da wir aus Dnemark ein Dutzend Kassetten
erwarteten, auf denen eine neue Krperertchtigung, das
sogenannte Nudfitne, gezeigt wird. Ich persnlich bin
kein Freund dieser neuen Mode. Meiner Meinung nach
gibt es pdagogisch nichts Wertvolleres als ein knig-
liches Becken und ein Paar formschne Schenkel, einge-
hllt in eine perfekt sitzende schwarze Strumpfhose.
Deshalb bleibe ich bei der klassischen Methode. Jede
bertreibung ist ungesund, das sagen auch die
Therapeuten.
Die glorreichen Sechs teilen meine Ansicht vorbehaltlos,
wie eine Abstimmung zu dem heiklen Thema Nudfitne
ergab.
Wer gegen Ephraim ist, der hebe den Arm, schlug
Felix aus seinem Vorstandssessel vor, und niemand hob
den Arm. Seit wir unsere Auswahl an Keksen und Nssen
durch Popcorn erweitert haben, fllt es uns nmlich allen
etwas schwer, den Arm zu heben.

Cherchez la femme

Die auerordentliche Bedeutung des Ruhetages hat der


Herr im Buch Deuteronomium, im Volksmund fnftes
256
Buch Moses genannt, hervorgehoben: Du sollst keine
Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein
Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh.
Dieses Verbot gilt offenbar nicht fr Ehefrauen. Aber
vielleicht sind sie Moses einfach nicht eingefallen.

Nationalsport

Wie jede Hausfrau wei, mu ein Schnellkochtopf Dampf


ablassen, sonst explodiert er. Auch der kleine Mann auf
der israelischen Strae wrde explodieren, wenn er einen
bestimmten berdruck nicht loswerden knnte. Andere
Nationen besorgen das beim Stierkampf, beim
Gruppensex oder beim Militrputsch. Wir tratschen.

Verschwiegen wie ein Grab

Als ich unlngst aus dem Haus ging, kam unser


Wohnungsnachbar Felix Seelig auf mich zu.
Schon gehrt? fragte er lauernd. Haben Sie es schon
gehrt?
Was? fragte ich zurck. Solange ich nicht wei, was
es ist, wei ich nicht, ob ich es schon gehrt habe.
Felix blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um.
Schwren Sie mir, da Sie es nicht weitersagen.
Abgemacht. Also?
Seine Stimme senkte sich zu einem kaum hrbaren

257
Flstern: Der Architekt um die Ecke, der mit dem
Chevrolet, wissen Sie, mit wem der seine Freundin
erwischt hat?
Nein. Mit wem?
Felix schwieg. In seinen Gesichtszgen spiegelte sich
ein heftiger Gewissenskampf.
Ich habe Angst, es Ihnen zu sagen, stie er hervor.
Warum denn?
Weil ich geschworen habe, es niemandem zu sagen,
und jetzt stehe ich da und sage es Ihnen. Wenn sich das
herumspricht, gehen dreieinhalb Nachbarfamilien zugrun-
de oder mindestens auseinander. Man kann ja heute nie-
mandem mehr trauen.
Das stimmt, besttigte ich. Und das ist sehr schlimm.
Wir stehen vor einem schweren Problem, lieber Felix.
Tatschlich, der schnste Tratsch ber Sie-
wissenschon-welche Scheidung, ber Sie-knnen-sich-
denken warum, ber Sie-werden-es-nicht-glauben seit
wann, all dies verliert jeden Sinn, wenn man nicht seinen
Nachbarn schnellstens davon erzhlen kann. Zurck-
gehaltener Tratsch ist geradezu ein Gesundheitsrisiko.
Dennoch verlangt ein Naturgesetz, da der Tratsch-
inhaber den Tratschabnehmer zu vlligem Schweigen
verpflichtet, bevor er zu tratschen beginnt. Ein ausge-
machter Unsinn. Wozu tratscht man, wenn nicht zum
Weitererzhlen?
Also geschworen haben Sie, wandte ich mich an
Felix.
Bei was haben Sie geschworen?
Bei allem, was mir heilig ist.
Gut. Das ist nicht so schlimm.
Erfahrungsgem soll man niemals auf die eigene
258
Gesundheit noch die eines Familienmitgliedes schwren,
es sei denn, man wnscht ihm den Tod. Aber das ist nach
dem Fnften Gebot sowieso nicht erlaubt. Empfehlenswert
sind allgemein gehaltene Floskeln wie Aber das versteht
sich doch von selbst oder Nicht einmal meiner Frau
oder Auf mich knnen Sie sich verlassen. Ich selbst
bringe gern einen leicht gekrnkten Hinweis auf meine oft
bewhrte Verschwiegenheit vor. Im uersten Notfall
setze ich das Leben meines Onkels Julius ein, er ruhe in
Frieden.
Nun? sagte Felix Seelig. Schwren Sie?
Nein.
Ich wei nicht, was pltzlich in mich gefahren war. Ich
hatte einfach keine Lust mehr, das Spiel mitzumachen.
Wissen Sie, wer in die Affre verwickelt ist? lockte
Felix Seelig. Der Chauffeur eines Ministers.
Bitte reden Sie nicht weiter.
Ein Schwuler.
Ich will nichts hren. Ich kenne mich, Felix. Ich bin ,
nicht imstande, den Mund zu halten. Ich werde meiner
Schwester und meinem Freund Jossele davon erzhlen,
wahrscheinlich auch dem alten Wertheimer. Und wenn ich
zwei Glschen Wodka getrunken habe, kann es passieren,
da ich bei einer Verkehrsampel wildfremde Fugnger
einweihe.
Felix wand sind in Qualen.
Dann nennen Sie wenigstens keine Namen.
Namen sind die Wrze des Tratsches, Felix.
Aber der Gatte jener Dame, die in flagranti erwischt,
wurde, gehrt zu Ihrem engsten Bekanntenkreis. Das mu
Sie doch interessieren.
Wie Sie meinen. Reden Sie, wenn Sie unbedingt

259
wollen. Ich habe mich auf nichts festgelegt, und Sie
wissen es.
Versprechen Sie mir, eine Woche lang keinen Wodka
zu trinken?
Ich verspreche Ihnen gar nichts.
Warum? sthnte Felix. Warum tun Sie mir das an?
Was bringt Sie dazu?
Mein Ehrgefhl.
Felix begann zu schluchzen. Ich klopfte ihm beruhigend
auf die Schulter.
Vielleicht wre es am besten, wenn Sie die ganze
Geschichte aufschreiben und in einem versiegelten
Umschlag bei Ihrem Anwalt deponieren.
Der Architekt, schluchzte Felix, wollte den
Chauffeur berfahren mit seinem Chevrolet weil er
wute, da die geschiedene Frau des Ministers mit der
Siamkatze, die eigentlich dem Schwulen gehrt
Ich hielt mir beide Ohren zu und wandte mich ab.
Hren Sie auf! Kein Wort weiter. Ich erzhle alles, was
Sie sagen, dem nchsten Journalisten. Man wird jedes
Detail recherchieren. Morgen wei es die ganze Stadt.
Sie sind ein Schuft, brllte Felix. Sie tun, als wre es
Ihnen gleichgltig, mit wem die Freundin des Architekten
ein Verhltnis hat.
Mit Benzion Ziegler, antwortete ich trocken.
Felix glotzte.
Wer wieso wissen Sie das?
Weil ich es Ihnen vor ein paar Wochen selbst erzhlt
habe, Sie Idiot. Und damals haben Sie mir bei allem, was
Ihnen heilig ist, geschworen, da kein Wort davon jemals
ber Ihre Lippen kommen wrde.

260
Es dauerte ungefhr eine Minute, bis Felix sich gefangen
hatte.
Richtig, murmelte er verlegen. Ich habe diese
Geschichte schon so oft erzhlt, da ich die Quelle
vergessen habe. Pltzlich erhellte ein glckliches
Lcheln sein Gesicht. Aber dann breche ich ja gar kein
Versprechen, wenn ich es Ihnen erzhle. Also hren Sie

Arm in Arm setzten wir unseren Weg fort, und Felix


sprudelte ungehemmt drauflos.
Es begann damit, da Frau Ziegler bei der bewuten
Dame anrief und da eine mnnliche Stimme antwortete.
Frau Ziegler legte auf, ergriff ihre Kamera und ihre
Reitpeitsche und nahm sofort ein Taxi
Begierig hrte ich ihm zu. Wir gingen die ganze
Geschichte nochmals durch, bis zum Ende. Was in unserer
Nachbarschaft los ist, ist wirklich skandals, das mu ich
schon sagen. Ich wrde es nicht glauben, wenn ich die
skandalse Geschichte nicht selbst erfunden htte.

Stegreifkabarett

Wir befinden uns im Zentrum von Tel Aviv und nhern


uns einem Straenverkufer, der seine garantiert unzer-
brechlichen Wunderteller auf einem kleinen Klapptisch
verkauft.
Der garantiert unzerbrechliche Wunderteller garantiert
bruchfest splitterfest kratzfest ein wahres Wunder aus
Amerika nicht aus gewhnlichem Plastik nicht aus
Spezialplastik nicht aus Superplastik sondern aus

261
Superspezialplastik meine Damen und Herren, sprudelt
aus dem Verkufer mosaischen Glaubens heraus. Sie
knnen auf diesen Wunderteller mit der geballten Faust
losdreschen. Sie knnen mit schweren Stiefeln auf ihm
herumspringen natrlich nur die Herren die Damen haben
ja keine schweren Stiefel nicht wahr die knnen statt
dessen aus nchster Nhe in den Wunderteller hinein-
schieen aber es hilft nichts der Teller bleibt ein Teller ein
Wunderteller aus Amerika ein amerikanisches Teller-
wunder. Mutti wird wtend und knallt ihn an die Wand
hahaha die Wand zerbricht der Teller bleibt ganz Mutti
bricht in ein frhliches Gelchter aus und kt Vati auf
beide Wangen hahaha alles freut sich alles lacht und jetzt
passen Sie auf meine Damen und Herren jetzt nehme ich
diesen schweren Hammer kein Holz kein Pappmache kein
doppelter Boden ein schwerer eisener Hammer und jetzt
lasse ich ihn auf den Teller niedersausen und der Wunder-
teller wird nicht zerbrechen wird nicht zersplittern wird
keinen Kratzer zeigen
Und er hebt den Hammer und lt ihn niedersausen, und
der Teller zersplittert in tausend Scherben, allerdings ohne
Kratzer.
Der Wunderverkufer glotzt auf den Hammer in seiner
Hand und auf die Scherben zu seinen Fen, dann hlt er
den Hammer hoch und sprudelt los:
Ein israelischer Wunderhammer zerbricht alles!

Alljhrliche Glckwunschlawine

Da unsere weisen Vorvter, um Zeit zu sparen, den


jiddischen Monat auf 27 Tage gekrzt haben, wird bei uns

262
Neujahr, Rosh-Hashana genannt, jedes Jahr an einem
anderen Tag mit unzhligen Glckwnschen gefeiert.
Der Versand von Rosh-Hashana-Karten hat nochmals
um 19 Prozent zugenommen, gab der Postminister
anllich seines Rcktritts bekannt, das kostet immerhin
ein sattes Drittel des Bruttosozialproduktes.
Es gehen Gerchte um, die Regierung plane die
gesetzliche Abschaffung des neuen Jahres. Eine andere
Lsung scheint es nicht zu geben.

Erinnerungen an Singapur

Jedes Jahr, wenn ich kurz vor dem Neujahrsfest fragte:


Hat Teddy geschrieben?, hatte es der berhmte
Brgermeister von Jerusalem bereits getan. Selbst wenn er
im Ausland weilte, traf stets pnktlich vor dem Fest seine
bescheidene Karte ein, unterschrieben: Herzlichst Teddy
Kollek, Jerusalem. Diese Bestndigkeit rhrte mich, und
so wurde ich von Jahr zu Jahr persnlicher. Nach fnf
Jahren dann schickte ich ihm, wenn ich mich recht
erinnere, ein wertvolles Gemlde direkt nach Singapur, wo
sich Teddy Kollek zu Neujahr bei einem internationalen
Stadtvterkongre aufhielt. Auf die Karte schrieb ich:
In Dankbarkeit und Rhrung wnscht Ihnen, lieber
Kollek, ein glckliches und erfolgreiches neues Jahr Ihr
ergebener Schtzling, der Kraft und Ermutigung aus dem
Zeichen Ihrer ungebrochenen Zuneigung schpft.
Danach kam der polnische Zirkus nach Tel Aviv.
Ich liebe diese Art der Volksbelustigung, vor allem weil
ich stets Freikarten fr die Premiere bekomme. Ich hatte

263
also viel Spa im Zirkus, vor allem bei der Affennummer,
und schilderte meine Begeisterung einem Bekannten, der
fr die PR des Zirkus verantwortlich war.
Vielen Dank, antwortete der Mann, aus Ihrem Mund
ist das ein groes Kompliment. Ich wei ja, wie sparsam
Sie mit Glckwnschen umgehen.
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
Was meinen Sie damit?
Nun ja, entgegnete geqult das PR-Genie, stur wie
ein Esel schicke ich Ihnen jedes Jahr eine Neujahrskarte,
und bisher haben Sie mir noch nicht ein Mal geantwortet.
Das ist unmglich, brauste ich auf, ich beantworte
jede Karte, Herr Herr
Kollek, sagt der Mann, Teddy Kollek, Gaulstr. 4,
Jerusalem.
Ich hatte das Gefhl, als brche das Zirkuszelt ber mir
zusammen. Teddy Kollek war also der Name dieses ver-
antwortungslosen Kerls, der nicht davor zurckschreckte,
sich des Namen eines weltbekannten Brgermeisters zu
bedienen. Whrend ich ganz langsam in den Erdboden
versank, fielen mir die unzhligen, schmalztriefenden
Glckwunschkarten wieder ein, die ich dem unerzogenen
Funktionr nach Jerusalem geschickt hatte. Die
Erinnerung verschlechterte meinen seelischen Zustand
erheblich, und die Erinnerung an Singapur strich ich ein
fr allemal aus meinem Gedchtnis.
Der polnische Zirkus ist auch nicht mehr das, was er
einmal war.

264
Endlich aufgeklrt

Einmal in jener Zeit vor mehr als 50 Jahren in Budapest,


als ich mich als Arier verkleiden mute und im Restaurant
von einem Henker in schwarzer Uniform als Jude
beschimpft wurde, entgegnete ich: Sind Sie blind? Bin
ich denn nicht blond und stupsnasig?, aber ich konnte
seine Wachsamkeit nicht tuschen.
Du bist ein Jude, erklrte mir der Nazi. Du it die
Krautwickel mit Zucker.
Da haben wir es.
Unsere Juristen sollten in die Verfassung aufnehmen,
da ein jeder Jude ist, der Zucker auf seine Krautwickel
streut.

Und wenn ja, warum nicht?

Vor einigen Tagen kam Stockler, der Sekretr unseres


Kulturklubs, mit einer Bitte zu mir.
Am nchsten Sonntag veranstalten wir einen Unter-
haltungsabend. Wir wrden uns freuen, Sie als Vor-
tragenden zu begren. Das Thema lautet: Gibt es einen
typisch israelischen Humor, und wenn ja, warum nicht?
Meiner Meinung nach, sagte ich abweisend, soll ein
Schriftsteller schreiben und nicht reden.
Sie haben vollkommen recht. Trotzdem knnen wir
Ihnen nicht mehr als 60 Pfund zahlen.
Fr mich ist das keine Frage des Geldes.

265
Einverstanden. Der Beginn ist um 18 Uhr 30.
Um 18 Uhr 20 fand ich mich im Klubhaus ein. Ohne zu
prahlen, es herrschte ein solcher Andrang, da die
Veranstalter bereits das Gittertor geschlossen hatten, um
die Massen abzuwehren. Ich wollte mich durchzwngen
und kam auch wirklich bis an das Tor heran, aber dann
gings nicht weiter. Ein eisernes Gittertor ist ein eisernes
Gittertor, besonders wenn es von innen versperrt ist.
Es blieb mir nichts anderes brig, als um das ganze
Gebude herumzugehen, bis zur Hinterfront. Dort gab es,
wie ich wute, noch einen Eingang, eine kleine Glastr.
An der Innenseite dieser Tr hing eine Tafel mit der
Ankndigung meines Vortrags. Ein paar optimistische
junge Menschen, der Stolz unseres Landes, standen dort,
in der Hoffnung, vielleicht doch noch meinen Vortrag zu
erleben.
Ich klopfte an die Tr. Niemand ffnete. Ich klopfte
krftiger. Ein untersetzter Ordner nherte sich von innen,
schob die Tafel ein wenig zur Seite und machte das
international gebruchliche Zeichen fr Schert euch zum
Teufel!. Ich zeigte auf mich und gab mich als Vortragen-
den zu erkennen. Die nicht minder ausdrucksvolle
Gebrde des Ordners deutete an, da er durchaus imstande
sei, mir alle Knochen im Leib zu brechen. Die
optimistischen jungen Menschen ringsum verhhnten
mich, weil ich es mit einem so alten Trick versucht hatte.
Ich begann aufs neue zu klopfen, diesmal mit beiden
Fusten. Nach einiger Zeit nahm ich auch noch die Fe
zu Hilfe. Tatschlich ffnete sich die Tr, wenn auch nur
einen Spaltbreit, und der Ober-Ordner schlug mir mit
einem Besen ber den Kopf.
Ausverkauft! brllte er. Verschwinde!
Ich bin der Vortragende, stie ich hervor und sprang

266
hurtig zur Seite. Lassen Sie mich hinein.
Nicht einmal der Staatsprsident kommt hier herein!
Der Besenstiel sauste drohend durch die Luft. Reiz
mich nicht, oder ich hol die Polizei.
Er schlug die Tr zu, versperrte sie und schob mit
hmischem Nachdruck den Riegel vor.
Von drinnen klang gedmpftes Klatschen. Die Ungeduld
des Publikums wuchs. Ich mute handeln.
Von der gegenberliegenden Apotheke rief ich den
Kulturklub an.
Ausverkauft, sagte eine mrrische Stimme.
Bitte holen Sie Herrn Stockler.
Unmglich. Er ist drinnen beim Vortrag.
Klick.
Als ich zu meiner Tr zurckkehrte, hatten sich die
jungen optimistischen Menschen bereits aus dem Staub
gemacht. Nur ein einziger stand noch da. Er trug eine
groe Ziehharmonika und war, wie sich herausstellte, das
Gemischte knstlerische Programm des Abends. Auch
er war zu spt gekommen.
Rasch freundeten wir uns an und tauschten Ideen aus,
wie wir die Wachsamkeit der Ordner umgehen knnten.
Es fiel uns nichts Brauchbares ein. Mendel, so der Name
des Gemischten Programms, begann auf seiner Zieh-
harmonika eine mitreiende Marschmelodie zu spielen,
konnte sich aber gegen die lauten Pfiffe des ungeduldigen
Publikums im Saal nicht mehr durchsetzen.
Etwas mute geschehen. Ich ging wieder in die
Apotheke und bat um irgend etwas, womit man auf Glas
schreiben konnte.
Sind Sie der Vortragende von drben? fragte der
Apotheker. Die Vortragenden nehmen gewhnlich
267
Lippenstift.
Ich kaufte einen Lippenstift der bewhrten Marke
Feurige Ksse, lie mich vom Gemischten Programm
hochheben und schrieb in leuchtenden Lettern auf das
Glas: ICH BIN DER VORTRAGENDE.
Der Ober-Ordner und sein vierschrtiger Assistent sahen
mich und griffen nach ihren Besenstielen, aber bevor sie
die Tr ffnen konnten, brachten wir uns in Sicherheit.
Du Trottel, keuchte das Gemischte Programm. Du
hast nicht in Spiegelschrift geschrieben.
Als wir an einem Postamt vorbeisausten, durchzuckte
mich ein grandioser Einfall. Ich strzte hinein und fragte
den Schalterbeamten, wie lange die Befrderung eines
Telegramms dauerte.
Keine Ahnung, antwortete er.
Ich lie mich davon nicht abhalten und schrieb auf das
Formular: STEHE DRAUSSEN VOR EINGANG STOP
HINEIN-LASSET MICH RASCHEST STOP DER
VORTRAGENDE.
Wir eilten zum Klubhaus zurck, diesmal zum Haupt-
eingang, aber der Telegrammbote kam nicht. Die
israelischen Postverhltnisse lagen damals noch sehr im
argen.
Drinnen im Saal war unterdessen ein wahres
Pandmonium losgebrochen. Man hatte den Eindruck, da
das Haus jeden Augenblick in die Luft gehen wrde.
Wir mssen das Tor rammen, sagte Mendel heiser.
In einer Ecke des Vorhofs lehnte eine pensionierte
Wagendeichsel. Wir nahmen sie unter die Arme, gingen
ein paar Schritte rckwrts, um gengend Anlauf zu
haben, und warfen uns mit aller Kraft gegen die Festung.
Beim zweiten Versuch splitterte das Tor.

268
Der Nahkampf war kurz und heftig. Mendel brach unter
der Pranke des Ober-Ordners zusammen. Ich entging dem
Stuhl, den man gegen mich schleuderte, durch eine
geschickte Krperdrehung und rannte im Zickzack, um
den Kugeln zu entgehen, in Richtung Vortragssaal. Der
Ober-Ordner lie den leblosen Krper des Gemischten
Programms liegen und sprang mich von hinten an. Mein
Mantel blieb in seinen Hnden. Ich selbst taumelte auf das
Podium zu, blutverschmiert, aber aufrecht.
Stockler war sichtlich erleichtert, mich zu sehen, und
fragte, warum ich so spt kme. Ich sagte es ihm.
Ja, ja, besttigte Stockler. So was passiert schon mal.
Vielleicht sind unsere Ordner ein wenig bereifrig. Aber
glauben Sie mir, es ginge sonst noch viel schlimmer zu.
Voriges Jahr ist der bekannte Lyriker Melamed-Becker
beinahe erstickt, als er versuchte, sich durch die
Ventilation in den Saal zu zwngen.
Dann stellte mich Stockler dem Publikum vor, das mich
mit frenetischem Applaus empfing. Seitlich vom Podium
stand der Ober-Ordner mit seinem Assistenten. Beide
klatschten wie besessen.
Meine Damen und Herren, begann ich. Es gibt ganz
entschieden einen typisch israelischen Humor.

Neue Besen kehren gut

Whrend der zwei Jahrtausende ihres Exils wurden die


Juden durch fremde Herrscher, fremde Staatsgewalten und
fremde Obrigkeiten unterdrckt. Kein Wunder, da sie
jetzt, in ihrem eigenen Staat, das Bedrfnis haben, ab und
zu selbst Obrigkeit zu spielen, soweit die Obrigkeit das
269
zult.
Das rgerliche daran ist, da Vermgen und politische
Macht in Israel ausschlielich in jdischen Hnden sind.

Die grne Welle

Vor einigen Tagen fuhr ich gutgelaunt irgendwo in Tel


Aviv Aufzug. Josef, der betagte Liftboy, bewachte die
Knpfe und las in hingebungsvoller Pflichterfllung die
Morgenzeitung. Zwischen der vierten und fnften Etage
blickte Josef vorwurfsvoll auf.
Haben Sie das gelesen? Gibon GmbH, diese miese
Strumpffabrik, hat in diesem Jahr fr 25 Millionen Dollar
Waren ins Ausland exportiert. Ich sage Ihnen, mein Herr,
da ist etwas nicht in Ordnung.
Josef war ganz grn vor Neid, da es dieser letzt-
klassigen Sockenfirma gelungen war, so viele letztklassige
Strumpfhosen rund um den Globus an den Mann zu
bringen, whrend er, Josef, ohne jegliche Exportaussichten
an seinen Aufzugknpfen klebte.
Josefs heftige Reaktion berrascht jedoch nur jenen, der
nicht wei, wie es in unserem mediterranen Land zugeht.
Bei uns beneidet der Installateur Stucks den Brger-
meister, der Brgermeister die Ansagerin im Fernsehen
und die Ansagerin im Fernsehen Stucks, den Installateur.
Unser Neid verluft kreuz und quer, diagonal, spiral- und
schneckenfrmig.
Schon seit der Erschaffung der Welt, sptestens aber seit
Adam und Eva, sind wir grn vor Neid. Nehmen Sie doch
zum Beispiel Kain. Als dieser aufgeweckte Knabe

270
feststellte, da die Beziehungen seines Bruders nach oben
viel besser waren als seine eigenen, machte er kurzerhand
seinem Bruder auf dem nchsten Acker den Garaus. Das
war zwar nicht sehr menschenfreundlich, doch zumindest
ein herzhafter Auftakt zur jdischen Neidtradition.
Sogar unser Gott im Himmel trgt im Alten Testament
den offiziellen Titel Der neidische Herr. Es ist daher
kein Zufall, da sich das erste und das zweite Gebot mit
dieser Thematik beschftigen.
Nicht selten bitten unsere Neider in diesem Sinne den
Schpfer instndig um eine persnliche Intervention.
Dann beklagt sich der Allmchtige bei den Erzengeln:
Morgen sind zwei Theaterpremieren in Tel Aviv. Das
wird wieder ein Tag

Die Elite der Nation

Wen wundert es, wenn in einer echten Demokratie wie der


unseren das Verhltnis der ffentlichkeit zu den
Regierungsmannen von Mitrauen geprgt ist.
Es ist wirklich schwer, jemanden zu bewundern, dessen
Berufsausbildung sich auf zwanzigtausend Siestastunden
bei Sitzungen, Versammlungen und Parteitagen
beschrnkt und dessen besondere Fhigkeiten das Schlafen
mit offenen Augen und das Ghnen mit geschlossenem
Mund sind, und natrlich regelmige Reisen in
angenehmere Klimazonen.

271
Untergang der Zombies

Herr Auenminister, Sie wollten daran erinnert werden,


da morgen seine Exzellenz, der israelische Auen-
minister, in unserem Land eintrifft.
Zombia wird ihn mit allen gebhrenden Ehren
empfangen. Hat unser Blasorchester schon die Noten der
israelischen Hymne erhalten?
Leider nicht. Aber ein israelischer Exportkaufmann hat
sich bereit erklrt, unseren Musikern die Hymne so lange
vorzupfeifen, bis sie sie blasen knnen.
Wir werden auch noch das Ausrollen des roten
Teppichs proben mssen. Reicht er bis zum Flugzeug?
Wenn es gleich neben dem Flughafengebude stehen-
bleibt, ja.
Wir werden siebzehn Kanonenschsse brauchen.
Selbstverstndlich, Exzellenz. Wir haben uns schon die
Kanone von Nigeria ausgeborgt.
Gut, dann wollen wir also die Details des Empfangs
festlegen. Der Auenminister wird mit seiner Begleitung
die Ehrengarde unseres Fallschirmjgers abschreiten,
anschlieend begeben sich die Herren in den VIP-Raum.
Wie gro ist die Begleitung des israelischen Auen-
ministers?
Vierzig Personen, Exzellenz.
Also, darin wird im VIP-Raum ein Begrungsumtrunk
wie viele haben Sie gesagt?
Vierzig Begleiter, Exzellenz. Diese wiederum werden
von weiteren dreiig Begleitern begleitet.
Warum so viele?

272
Damit sich das Charterflugzeug amortisiert.
Was soll das? Wollen diese Leute Zombia erobern?
Soviel ich wei nicht, Exzellenz. Aber sie reisen gern,
die Israelis.
Wenn ich mich recht entsinne, bestand die Begleitung
der Queen Elizabeth aus zehn oder zwlf Leuten.
Kein Wunder, Exzellenz, in Grobritannien gibt es nur
drei Parteien.
Knnten wir nicht lieber die Queen wieder einladen?
Sicher, aber nicht fr morgen. Soviel ich wei, wurden
die Israelis schon geimpft.
Alle siebzig?
Einundsiebzig. Mit dem Auenminister.
Wie sollen wir die in die Stadt transportieren?
Ich habe bereits alle zombischen Kraftfahrzeuge
konfiszieren lassen.
Das wird nicht gengen. Sogar wenn alle unsere
Regierungsmitglieder ihre Dienstwagen zur Verfgung
stellen und sich auf Fahrrdern in die Stadt begeben,
werden wir mit unseren Autos nicht auskommen.
Man knnte die Gste vielleicht in zwei oder drei
Schichten befrdern.
Gut, aber wo werden wir sie unterbringen?
Dieses Problem ist noch nicht konsequent durchdacht
worden. Ich frchte, da wir das Wohnviertel der Stadt
beschlagnahmen mssen.
Und was machen wir mit den Bewohnern?
Die knnten wir in den Urwald transportieren, bis alles
vorbei ist.
Also dann wre das wenigstens gelst. Jetzt fragt sich
nur noch, wo wir das Festbankett veranstalten.

273
Natrlich im grten Saal der Hauptstadt, im Kino.
Sagen Sie, essen diese Leute viel?
Alles deutet darauf hin, da sie sich eines gesunden,
mediterranen Appetits erfreuen, Exzellenz.
Entsetzlich.
Ich habe gehrt, da die Regierung von Ghanovia nach
dem letzten israelischen Staatsbesuch bei der UNO um
Nahrungsmittelhilfe ansuchen mute, um eine Hungersnot
zu vermeiden.
Wenn ich das frher gewut htte. Sagen Sie mir, wer
begleitet eigentlich den Auenminister?
Hier ist die Liste, Exzellenz.
Lassen Sie mich nachsehen. Also zwei General-
direktoren, vier Nebendirektoren, drei stellvertretende
Nebendirektoren, erster Sekretr, zweiter Sekretr, dritter
Sekretr, vierter, fnfter, sechster, siebenter. Siebzehn
Photographen, dreiundzwanzig Journalisten, ein Zauberer,
achter Sekretr, zwei rzte. Wieso zwei rzte?
Wenn einer von ihnen krank wird, behandelt ihn der
andere, Exzellenz.
Aha. Vier Landwirtschaftsexperten, zwei Steuerberater
und zehn Experten fr staatliche Sparfrderungsma-
nahmen. Ja, das ist bekannt, auf dem Gebiet des Sparens
sollen sie fhrend sein.
Dann htten wir noch fnf Gewerkschaftsfunktionre
sowie drei Versicherungsagenten, acht Feuerwehrleute
und Birnbaum.
Wer ist Birnbaum?
Birnbaum ist versehentlich mitgefahren. Er wollte
eigentlich nach New York reisen, wurde jedoch auf dem
Flughafen von der Begleitung des israelischen Auen-
ministers in das Charterflugzeug gesplt.

274
Du meine Gte!
Was ist passiert?
Eben ist mir die Ehrentribne eingefallen
Daran habe ich auch schon gedacht, Exzellenz. Die
Ehrentribne wird ringsherum mit Eisentrgern verstrkt
und erhlt ein neues Betonfundament. Und dem Gstebuch
habe ich drei weitere Bnde hinzugefgt.
Jetzt fragt sich nur noch eines: Wo sollen wir die
Verleihung der Ehrendoktorwrde an den Auenminister
vornehmen?
Im Fuballstadion.
Sehr gut. Ist sonst irgend etwas vorgesehen?
Jawohl, Exzellenz. Die israelische Delegation beabsich-
tigt, die jdische Gemeinde von Zombia zu besuchen.
Interessant. Wie viele Mitglieder zhlt diese
Gemeinde?
Drei Familien, Exzellenz. Allerdings sind zwei dieser
Familien, nachdem sie von der Ankunft der israelischen
Delegation gehrt haben, spurlos verschwunden.
Und die dritte?
Steht unter Hausarrest.
Sehr gut. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, da sich
unsere Wirtschaft innerhalb der nchsten Jahre von den
Folgen dieses Staatsbesuches erholt.
Man darf die Hoffnung nie aufgeben.
Ist die Begrungsansprache des Prsidenten schon
schriftlich fixiert?
Jawohl, Exzellenz. Er kann sie zum Teil schon
auswendig.
Was wird er sagen?
Der Prsident wird unser aller Gefhle mit folgenden

275
Worten zum Ausdruck bringen: Ich begre im Namen
aller mir Untertanen Zombies die Mnner, Frauen und
Kinder des Volkes Israel. Mit Stolz darf ich darauf
hinweisen, da noch zu keinem Zeitpunkt der Mensch-
heitsgeschichte so viele fr so kurze Zeit so wenige
besucht haben. Schalom und raschen Rckflug.

Status quo

Auch der Staat Israel ist seit seiner Grndung ein fester
Bestandteil seiner Gewerkschaften.

Drama im Kindergarten

Hier ist endlich der genaue Sachverhalt der dramatischen


Ereignisse, die sich krzlich auf dem Ben-Gurion-
Flughafen zugetragen haben und auch in der Presse eine
kurze Erwhnung fanden.
Es war 9 Uhr morgens, als der Kapitn des Jumbos,
Hans-Joachim Hierspricht, die Wartungscrew vorsorglich
darauf hinwies, da der Countdown fr den Abflug nach
New York liefe.
Beeilt euch Jungs, sagte er zu ihnen, die Passagiere
warten schon ziemlich lange.
Die Arbeiter wurden bla, lieen die Luft aus den Reifen
und wandten sich an Ginzburg.
Ginz, sagten sie zum Gewerkschaftssekretr, der
Hansi Hierspricht hat unterstellt, das Schicksal der

276
Passagiere wre uns scheiegal. Das geht gegen unsere
Ehre.
Auch Ginzburg wurde bla und berief unverzglich den
Betriebsrat ein. Die Dienstleistungen am Flughafen
wurden auf das Notwendigste beschrnkt.
Genossen, teilte Ginzburg dem Betriebsrat mit,
Kapitn Hierspricht hat etwas an unserer Wartungscrew
auszusetzen. Jeder wei doch, da fr uns das Wohl der
Passagiere an allererster Stelle steht. Sie werden mir recht
geben, da dies ein eklatanter Fall von Rufmord ist.
Es erfolgte eine Abstimmung, und der Betriebsrat
besttigte den Eindruck des Sekretrs mit neun zu acht
Stimmen. Der Abflug wurde auf unbestimmte Zeit
verschoben. Die 310 Passagiere warteten bereits seit
eineinhalb Stunden in der Abflughalle. Um 10 Uhr 30
erklrte ihnen eine Stewarde, da die Nackensttzen im
Flugzeug noch ausgewechselt werden mten, man aber
gleich abfliegen wrde. Um 11 Uhr 30 kam zufllig der
Vorsitzende der Flugbegleitergewerkschaft vorbei und
regte eine Verhandlung zwischen den Beteiligten an.
Ginzburg blieb fest.
Der Betriebsrat lt nicht mit sich spaen, erklrte er,
der Jumbo fliegt nicht ab, bis sich Hierspricht ffentlich
entschuldigt hat.
Hiersprichts Entschuldigung, schlug er vor, sollte vor
dem gesamten Flughafenpersonal, einigen Regierungs-
mitgliedern sowie Vertretern der Lufthansa, der Swissair
und der El-Al erfolgen, die zu diesem Zweck mit Sonder-
bussen von Mnchen und Zrich herbeizuschaffen seien.
Weiterhin forderte er, da der UNO ein ausfhrlicher
Bericht ber den einmaligen Vorfall vorgelegt wird.
Kapitn Hierspricht wies die Forderungen hohnlachend
zurck.

277
Entschuldigen? fragte er. Wofr? Die sind wohl
nicht ganz dicht.
Hansi, warnte Ginzburg, keine Entschuldigung, kein
Flug.
Dann eben nicht, Ginz!, Der Kapitn zog sich zu
einem kleinen Nickerchen ins Cockpit zurck, und die
Wartungsmannschaft spielte eine Runde Volleyball. Die
310 Passagiere lmmelten in ihren Sitzen herum und
warteten auf Getrnkeboys, whrend die Tatkrftigen eine
Stellungnahme der Flughafendirektion erzwangen.
Gegen 14 Uhr 15 bat der Generaldirektor der Fluglinie
um eine Aussprache. Ginzburg forderte, der schuldige
Kapitn msse folgendermaen Abbitte leisten: Es tut
mir sehr, sehr leid. Hierspricht stimmte der Entschuldi-
gung zu, wehrte sich aber nachdrcklich gegen das zweite
sehr. Alles hat seine Grenzen, sagte er. Um 15 Uhr 30
ging die Wartungscrew ins Kino. Entweder man nimmt
zur Kenntnis, da uns nichts mehr am Herzen liegt als das
Wohl der Passagiere, oder ihr knnt den Flug vergessen,
sagte Ginz. Um 16 Uhr starb die erste Passagierin, eine
ltere kanadische Heiratsvermittlerin, und einige Touristen
zertrmmerten die Einrichtung der Abflughalle. Die Flug-
gste, die umbuchen wollten, wurden von den Trgern
daran gehindert, die sich aus Solidaritt weigerten, die
Koffer aus dem bestreikten Jumbo zu holen. Die Verluste
der Fluggesellschaft wurden mittlerweile auf 30 Millionen
geschtzt. Die Krankenwagen, die das Ehepaar abtranspor-
tieren sollten, das sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte,
kamen nicht, da sich auch die Krankenhuser im Soli-
darittssitzstreik befanden. Um 17 Uhr schlug der
Verkehrsminister einen Kompromi vor: Hansi sollte
erklren, es tte ihm wirklich leid, mit der Betonung auf
wirklich.
Wir sind doch nicht im Kindergarten, reagierte
278
Hierspricht. Bei dieser Gelegenheit erinnerte er an die
Gehaltszulagen der Piloten und die bevorstehenden
Befrderungen.
Um 19 Uhr 30 hatten sich die meisten Passagiere am
Boden zur Ruhe gelegt, so da man ber sie hinweg-
steigen mute. Ein belgischer Wissenschaftler strzte sich
auf Ginzburg, um ihn zu erwrgen, wurde aber von dessen
Bodyguards brutal zusammengeschlagen. Einige Passa-
giere hatten sich zusammengetan und waren in die Imbi-
halle eingebrochen. Die Polizei erhielt Verstrkung vom
Grenzschutz. Um Mitternacht wurde die Besatzung erneut
abgelst, der Navigator hatte eine beachtliche Summe
beim Pokern gewonnen. Auf Anweisung Ginzburgs wurde
der Jumbo zerlegt, und man nahm aus Sicherheitsgrnden
Einzelteile mit nach Hause. Die Verluste beliefen sich auf
1,8 Milliarden. Das Arbeitsministerium bat um eine
Stellungnahme des Regierungsjustitiars.
Aus rechtlichen Grnden kommt eine Schlieung des
Flughafens und die Erffnung eines anderen durchaus in
Frage, teilte der Justitiar mit. Die Alternative wre, da
die Passagiere auf den Flug verzichten und sich im Lande
niederlassen.
Um 6 Uhr morgens kam die Stunde der starken Hand.
Der Staatsprsident schaltete sich ein und bot an,
persnlich im Namen der Regierung und ihrer Ministerien,
eine Entschuldigung auszusprechen. Ginzburg antwortete
hflich, aber entschlossen.
Immer mit der Ruhe, mein Freund, sagte er dem
Prsidenten, der Hansi Hierspricht hat uns schlecht
gemacht, also mu er persnlich zugeben, da uns das
Wohl der Passagiere am Herzen liegt.
Der Prsident bekam einen Weinkrampf. Der Gewerk-
schaftsbo berief eine Pressekonferenz ein und stellte die

279
ultimative Forderung nach dem 15. Monatsgehalt. Die
hungrigen Passagiere versuchten, sich wenigstens an dem
Lagerfeuer zu wrmen, fr das sie die Einrichtung
angezndet hatten. Ein dicker Kaufmann aus Neuseeland
war am Morgen spurlos verschwunden. Er hatte sich auf
dem Klo aufgehngt.
Wegen ein paar ausgeflippter Passagiere werden wir
doch nicht unseren Prinzipien untreu, war die Reaktion
Ginzburgs.
Um 9 Uhr morgens trat die dritte Schicht zum Pokern an.
Die Passagiere schlossen Blutsbrderschaft und grndeten
den IBzEsF, den Internationalen Bund zum Erschlagen
streikenden Flugpersonals. Um 11 Uhr 30 beugte sich
Hierspricht dem starken gesellschaftlichen Druck und war
bereit, zweimal Es tut mir leid zu murmeln, wobei er
sich jedoch weiterhin standhaft weigerte, wirklich
hinzuzufgen. Der Vorstand der Fluglinie bat um
Einsetzung eines Konkursverwalters.
Die Verluste belaufen sich auf 2,3 Milliarden Dollar.
Resme: drei Todesopfer und 102 Verletzte.
Eine umgehende Erhhung der Einkommensteuer ist zu
erwarten.

Steuer macht klug

Jedes Volk bekmpft die Steuerbehrde nach seinem


Nationalcharakter. Die Italiener hren ganz einfach zu
arbeiten auf und lassen sich am Meeresstrand brunen. Die
Amerikaner spenden und stiften und lassen sich dafr als
Philanthropen feiern. Die Deutschen bersiedeln nach
Monaco. Die Englnder berauben Postzge, ohne die
280
Beute zu versteuern. Der Israeli denunziert sich selbst als
Steuerbetrger, um die dafr ausgesetzte hohe Belohnung
zu bekommen.

Die Lokomotivenaffre

Der Skandal flog auf, als der Brgermeister im Kosten-


bericht des Abteilungsleiters fr das Reinigungswesen,
Dr. Bar-Bizua, unter den kleineren Ausgaben folgende
entdeckte: Fahrtkosten 120 Pfund, neue Sessel 850
Pfund, Dampflokomotive 103000 Pfund, Uhrreparatur
20 Pfund. Der Brgermeister zeichnete den Kosten-
bericht ab, hatte aber nach etwa zwei Wochen ein
unangenehmes Kribbeln im Bauch. Er rief Dr. Bar-Bizua
zu sich und fragte ihn, wofr das Reinigungswesen eine
Dampflokomotive bentige.
Eine gut funktionierende Dampflokomotive, erwiderte
Dr. Bar-Bizua, kann nie schaden.
Ich wrde diese Dampflokomotive gern einmal sehen,
beharrte der Brgermeister.
Ihre politischen Absichten sind widerwrtig und nur
allzu durchsichtig, emprte sich Dr. Bar-Bizua.
Der Brgermeister war nmlich Mitglied der Arbeiter-
partei, whrend Dr. Bar-Bizua zu den Anhngern der
Nationalpartei gehrte. Somit war sonnenklar, da der
Brgermeister dem Leiter des Reinigungswesens eine
Dampflokomotivenaffre anhngen wollte, um ihn
politisch zu erledigen.
Dr. Bar-Bizua bat seine Partei umgehend um Unter-
sttzung gegen diese billigen Verleumdungsversuche.
rgerlich war nur, da die Dampflokomotive in dem
ganzen Durcheinander verlorengegangen war und die der

281
Arbeiterpartei nahestehende Presse sowohl Dr. Bar-Bizua
als auch der Dampflokomotive durchsichtige politische
Motive vorwarf. Das peinliche Gemetzel wurde durch das
staatliche Prfungsamt vorbergehend mit einer
ffentlichen Anfrage beendet.
Was, Herr Dr. Bar-Bizua, hat es mit der Dampf-
lokomotive auf sich?
Ich will es kurz machen, antwortete Dr. Bar-Bizua,
um ihre Zeit nicht ber Gebhr zu beanspruchen.
Tatsache ist, da der Brgermeister meinen Posten mit
einem Mitglied der Vereinigungspartei besetzen will.
In dieser Pattsituation bewies der Brgermeister
politischen Anstand. Er trat der Nationalpartei bei, um
Licht in die Sache zu bringen.
Jetzt sind wir Parteifreunde, sagte er. Wo bitte ist die
Dampflokomotive?
Da lief Dr. Bar-Bizua zur Arbeiterpartei ber und
erwiderte:
Ich bin nicht bereit, mich meiner politischen ber-
zeugung zu opfern!
Zu guter Letzt ordnete der Brgermeister als
Kompromi eine Strafverschrfung fr stdtische
Verkehrssnder zwischen 8 und 13 Uhr an. Irgendwer
mu schlielich bestraft werden.

Integritt

Zum Status eines westlichen Politikers gehrt ein


Schweizer Nummernkonto auf den Namen seiner
Grotante mtterlicherseits.
Israelische Regierungsmitglieder hingegen rhren
keinerlei Schmiergelder an.
282
Ihre Selbstbeherrschung endet erst bei literarischen
Preisen.

Preiswrdigkeit

Die Jury fr den Jerusalem-Preis fr Belletristik war in


arger Bedrngnis. Stunden strmischer Diskussionen
waren ergebnislos vergangen, und noch immer war nicht
entschieden, wer mit dem Literaturpreis fr das heraus-
ragendste literarische Werk des vergangenen Jahres
ausgezeichnet werden sollte. Unzhlige Vorschlge
wurden gemacht und wieder verworfen.
Der Ministerprsident?
Erhielt erst letztes Jahr den Israel-Preis fr
hervorragende journalistische Leistungen.
Der Stellvertretende Ministerprsident?
Bereits zweimal fr das Tagebuch des sozialistischen
Parteitages in Hongkong preisgekrnt.
Der Unterrichtsminister?
Erst dieses Jahr ist er mit dem Groen Roman-Preis
ausgezeichnet worden.
Der Auenminister?
Vier Tschernichowsky-Lyrik-Preise fr seine Reden
vor der UNO.
Diese hoffnungsvollen Kandidaten kommen also leider
nicht in Frage. Einige Male fiel auch der Name eines
hohen Finanzbeamten, als pltzlich ein Jury-Mitglied
aufgeregt ums Wort bat.
Ich habe eine Idee. Warum verleihen wir in diesem Jahr

283
den Preis nicht einem Schriftsteller?
Ratlose Stille.
Wem sollen wir den Preis verleihen? war die
fassungslose Frage.
Einem Schriftsteller! Einem Schriftsteller, der Bcher
schreibt, Stcke und hnliches.
Wieso denn das?
Nach und nach stellte sich heraus, was der Antragsteller
vorschlug. Es handelte sich um die Schnapsidee, den
Literaturpreis einer Person zu verleihen, die sich ihren
Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdiente.
Eine revolutionre Idee, meinte dann doch jemand,
und nicht ganz unoriginell.
Das wird zwar einen Riesenskandal geben, aber was
solls, sagte ein anderer, der allgemein bekannt war fr
seine Zivilcourage. Verleihen wir den Preis doch einem
jungen Schriftsteller.
Der Vorsitzende protestierte heftig Das kommt gar
nicht in Frage! Ich kann dem Finanzminister doch nicht
mehr unter die Augen treten, wenn er den Preis dieses Jahr
nicht endlich bekommt.
Er hat doch schon dreimal den Staatspreis der
Akademie der Schnen Knste erhalten.
Aber dieses Jahr hat er schlielich einen neuen
Haushaltsplan verfat.
Dem Vorschlag, den Finanzminister statt dessen mit dem
Jaffa-Preis fr Darstellende Kunst zu trsten, schlossen
sich nicht alle an. Dagegen htte jedoch der Sekretr des
Verkehrsamts lngst den Ehrendoktor des Weizmann-
Instituts verdient, wurde eingeworfen. Und bei der
Verleihung knnte auch der Postminister geehrt werden.
Der Justizminister soll die Auszeichnung der Gemeinde

284
Tel Aviv-Jaffa fr die originellste Theateridee erhalten
und der Minister fr Wohnungsbau den Gewerkschafts-
preis fr Kammermusik. Letzterer war zwar bereits dem
Ministerprsidenten versprochen worden, aber den knnte
man doch mit einem Professorentitel fr Geistes-
wissenschaften, Astronomie und etwas Physik ent-
schdigen. In diesem Fall wrde der Staatspreis fr Humor
und Satire an den Gesundheitsminister gehen.
Am Ende siegte wieder einmal der gesunde Menschen-
verstand, und ein Kompromi wurde beschlossen: Der
Jerusalem-Preis fr Belletristik wird der gesamten
Staatsregierung Israels verliehen, den neu geschaffenen
Zusatzpreis Zweiter Klasse wrden sich der Literatur-
preistrger E. Kishon und der Vizeverkehrsminister teilen.

Bobb Gromann ist kein Ingenieur

Knnen Sie bitte mir sagen, wo die Zerkowitz-Strae


ist?
Zerkowitz Sehen Sie die breite Querstrae dort
unten? Also die Zerkowitz-Strae ist die erste
Abzweigung links.
Nicht die zweite?
Warum soll es die zweite sein?
Ich dachte, es wre die zweite.
Wenn es die zweite wre, htte ich Ihnen gesagt, da es
die zweite ist. Aber es ist die erste.
Wieso wissen Sie das? Wohnen Sie vielleicht in dieser
Strae?
Ein Freund von mir wohnt dort.

285
Bobby Gromann?
Nein. Ein Ingenieur.
Wer sagt Ihnen, da Bobby Gromann kein Ingenieur
ist?
Entschuldigen Sie, ich kenne Herrn Gromann gar
nicht.
Natrlich kennen Sie ihn nicht. Die erste Strae nach
links ist nmlich der Birnbaum-Boulevard.
Ja, das stimmt. Aber welche ist dann die Zerkowitz-
Strae?
Zerkowitz Warten Sie. Sie gehen geradeaus, und
dann ist es die dritte Querstrae rechts.
Danke vielmals, Schalom.
Schalom.

Machtbernahme

Eines heien Sommertages bekam mein Schwiegervater


Bernhard, ein alter Zionist, der erst kurz zuvor nach Israel
gekommen war, ein Empfehlungsschreiben an die
stdtische Wohnungsbaugenossenschaft mit der Bitte, ihm
eine Wohnung zu beschaffen und ihm womglich nicht
mehr zu berechnen als den blichen Mietpreis.
Auf Wunsch meines Schwiegervaters ging ich selbst auf
das Amt. Man schickte mich auf Zimmer 314, zu einem
Herrn Cheschwan.
Zimmer 314 war leer. Im Nebenzimmer erfuhr ich, da
Herr Cheschwan gerade eine Besprechung mit Herrn Stern
htte, aber jeden Augenblick zurckkommen mte. Ich

286
sollte solange Platz nehmen. Ich nahm Platz. Ich sa eine
Weile. Ich ging eine Weile auf und ab. Ich nahm abermals
Platz. Dann ffnete sich die Tr. Ein Mann steckte den
Kopf herein und fragte: Wo ist Cheschwan?
Er ist in einer Besprechung mit Stern, sagte ich.
Nehmen Sie Platz.
Der Mann schien es eilig zu haben, denn er verschwand
wortlos. Wenige Minuten spter erschien ein anderer
Mann, offensichtlich ein Beamter, und sah sich nervs im
Zimmer um.
Seien Sie nicht nervs, beruhigte ich ihn. Cheschwan
ist in einer Besprechung mit Stern, aber er mu jeden
Augenblick zurckkommen. Nehmen Sie Platz.
Keine Zeit. Wenn Cheschwan zurckkommt, bestellen
Sie ihm bitte, da Mayer ihn zu einer dringenden
Besprechung erwartet. Er soll sofort kommen.
In Ordnung, sagte ich.
Eine knappe Viertelstunde war vergangen, als wieder ein
Beamter hereinkam und fragte: Wo ist Kirschner?
Er war gerade hier, antwortete ich. Wenn Cheschwan
von Stern zurckkommt, schicke ich ihn sofort hinber.
Nehmen Sie Platz.
Danke. Wissen Sie zufllig, ob er schon etwas wegen
des Wohnbauprojektes Ramat Aron unternommen hat?
Das ist sehr wahrscheinlich, sagte ich.
Dann nehme ich die Mappe gleich mit. Wenn er nach
Feintuch fragt, sagen Sie ihm, da ich eine Besprechung
mit Mayer habe.
Einige Sekunden spter stand Kirschner atemlos vor mir:
Wo ist die Mappe Ramat Aron? Der Alte wird tob-
schtig, wenn sie nicht sofort auftaucht.
Um Himmels willen, rief ich. Vor einer Minute hat

287
Feintuch die Mappe zum Alten mitgenommen.
Und wo ist Cheschwan?
Er konferiert noch immer mit Stern. Ich warte hier auf
ihn.
Gut, meinte Kirschner. Wenn das so ist, dann legen
Sie doch bitte den Goldberg-Plan in die Givath-Seren-
Mappe!
Mit Vergngen, sagte ich, bernahm die Papiere,
suchte in den Regalen die Mappe Givath Seren heraus und
legte den Goldberg-Plan hinein. Kaum war das erledigt,
als Feintuch ins Zimmer strzte.
Was machen Sie denn hier? stie ich unbeherrscht
hervor, denn jetzt verlor ich langsam die Geduld. Warum
sind Sie noch nicht in der Besprechung? Wo doch der Alte
ohnehin so schlecht gelaunt ist.
Ich bin ja schon unterwegs. Ich wollte mir nur den
Goldberg-Plan abholen.
Wozu brauchen Sie gerade jetzt den Goldberg-Plan,
Feintuch? Ich habe ihn eben erst in die Givath-Seren-
Mappe gelegt. Soll ich ihn vielleicht wieder hervor-
kramen? Das ist doch unglaublich. Alle nutzen mich aus.
Und ich Idiot lasse mich ausnutzen.
Feintuch war sichtlich verwirrt.
Ich wollte den Goldberg-Plan ja nur fr Mayer haben,
stotterte er entschuldigend. Was halten Sie brigens von
dem Plan?
Nicht schlecht. Aber ich wte gern, was der Alte dazu
sagt.
Feintuch nahm den Plan an sich, um ihn an Mayer
weiterzugeben. Bevor er ging, sagte er mir noch, da der
Alte es sehr gerne she, wenn ich die Liste der Mieter des
Wohnbauprojektes durchginge und fr Stern einen Bericht

288
darber schriebe.
Ich machte mich sofort an die Arbeit.
Whrend ich die Liste noch berprfte, erschien
Feintuch: Ich mchte sofort zu Mayer kommen. Als ob
ich vier Paar Hnde htte, wie? bemerkte ich, raffte die
Akten zusammen und ging zum Alten. Mayer wollte
meine Meinung ber die architektonischen Qualitten des
Projektes Ramat Aron hren. Ich erklrte ihm, da die
Huser zu nahe beieinander stnden und die Fenster zu
klein wren. Kirschner stammelte: Immer dasselbe,
sagte er. Um so schlimmer, gab ich scharf zurck. Und
das sei nur ein weiterer Beweis dafr, da es so nicht
weitergehen knne.
Der Alte gab mir hundertprozentig recht, versetzte
Kirschner in eine andere Abteilung der wird mich jetzt
mit seinem Ha verfolgen, dachte ich und erteilte mir
den Auftrag, das Ramat-Aron-Projekt zu bernehmen. Ich
schickte sofort nach Feintuch und verlangte einen genauen
Bericht innerhalb vierundzwanzig Stunden. Dann bestellte
ich einen Wagen, fuhr nach Ramat Aron hinaus, fhrte ein
ausfhrliches Gesprch mit dem Architekten, prfte die
Plne und nahm ein paar kleine Verbesserungen vor. Dann
fuhr ich ins Bro zurck.
Dort erwartete man mich bereits aufgeregt. Kirschner,
der mir meinen meteorhaften Aufstieg neidete, hatte gegen
mich intrigiert. Er wurde leichenbla, als Feintuch auf
mich zukam und mir mitteilte, da Stern persnlich mich
zu einer dringenden Besprechung erwarte.
Ich gab Stern einen detaillierten, vertraulichen Bericht
ber den Stand des Projektes und sparte nicht mit
kritischen Bemerkungen ber das langsame Arbeitstempo.
Aber Sie mssen einsehen, Stern, sagte ich
abschlieend, da ich ohne die entsprechende Autoritt

289
keine Verantwortung bernehmen kann.
Stern sah das ein, berief sofort eine auerordentliche
Sitzung und gab bekannt, da er mich zu seinem Vertreter
ernannt htte. Mayer machte ein paar schbige
Bemerkungen ber meine relativ kurze Dienstzeit, aber
Stern war an diese Intrigen gegen mich bereits gewhnt,
drckte mir zum Abschied demonstrativ die Hand und
sprach mir, fr alle hrbar, sein Vertrauen aus.
Als ich in mein Bro kam, um noch rasch einmal die
Akten Givath Seren durchzusehen, begegnete ich einem
neuen Mann. Mayer stellte ihn mir vor. Es war Herr
Cheschwan, den ich sofort mit einer wichtigen Aufgabe
betraute.
Ich bin gewi kein Pedant, sagte ich ihm, aber ich
verlange pnktliche und gewissenhafte Arbeit. Besonderen
Wert lege ich darauf, da meine Leute whrend der
Brostunden, also whrend das Publikum Zutritt zu den
Amtsrumen hat, an keinen Besprechungen teilnimmt. Es
knnten sonst die merkwrdigsten Situationen entstehen.
Nachdem ich meinem Schwiegervater einen kompletten
Wohnblock in Ramat Aron zugewiesen und mir einen
kleinen Vorschu auf mein Gehalt angewiesen hatte,
machte ich Feierabend. Seit diesem Tag arbeite ich im
Zentralbro der Wohnbaugenossenschaft. Sprechstunden
tglich von 11 bis 13 Uhr, Zimmer 314. Wenn Sie mich in
meinem Zimmer nicht antreffen, dann bin ich gerade in
einer Besprechung. Nehmen Sie Platz.

290
TROTZDEMIA MON AMOUR

291
Das nationale Ideal

Unsere Lieblingsbeschftigung ist, an der Strand-


promenade im Kaffeehaus zu sitzen, Mokka zu trinken
und nicht ber unsere katastrophale Wirtschaftslage zu
diskutieren.

Snde zahlt sich nicht aus

Jetzt, da die geheimnisvollen Morde im Supermarkt


endlich aufgeklrt sind und der Mrder fr alle Zeiten
hinter Schlo und Riegel sitzt, mu die brillante Detektiv-
arbeit gelobt werden, die schon nach knapp zwei Jahren
zur Verhaftung des Verbrechers fhrte.
Die Fakten sind bekannt. Der Tter betrat an jenem
schicksalhaften Tag den Supermarkt und suchte nach
Hustenbonbons. Als er keine fand, zog er eine Maschinen-
pistole hervor und erledigte dreizehn Kunden und eine
Kassiererin. Dann drehte er sich um und ging davon. Die
Kriminalpolizei setzte sofort ein Sonderkommando ein. Es
war wie einige Spezialisten spter zugaben so ziemlich
die schwierigste Aufgabe, mit der sie je betraut wurden.
Lange Zeit schien es, als ob der Killer kein einziges
Indiz hinterlassen htte. Doch dann, im letzten Moment,
kurz bevor man den Fall zu den Akten legen wollte,
tauchte das Beweisstck auf, das die Polizei auf die Spur
brachte.

292
Einer der erfahrensten Beamten fand ein langes, weies
Haar auf einer Dose veredelten Zwetschgenkompotts im
untersten Fach eines Regals, und hier setzte eine logische
Kette von Schlufolgerungen an.
Das weie Haar, so folgerte man messerscharf, deutete
auf eine ltere Person hin. Aus seiner Lnge war zu
schlieen, da der ehemalige Besitzer in finanziellen
Nten sein mute, da er nicht in der Lage war, regelmig
zum Friseur zu gehen. Da dieses Haar ausgerechnet auf
einer Dose Zwetschgenkompott klebte, wies weiter darauf
hin, da der Verbrecher unter Verstopfung leiden msse.
Darber hinaus konnte man annehmen, da jemand, der
sich aus einem Regal ganz unten bedient, klein und
kurzsichtig ist. So wurde das Netz immer enger gezogen.
Aus dem vorhandenen Beweismaterial entwarfen
erfahrene Fachleute eine Phantomzeichnung des Killers:
einen lteren, kleinwchsigen, kurzsichtigen und schbig
gekleideten Mann mit strumpfbedecktem Gesicht, dessen
verkrampfter Ausdruck von einem trgen Stuhlgang
herrhrte.
Das Bild des Tters wurde zunchst in der Presse
verffentlicht und kurz danach im Fernsehen gezeigt. Die
Bevlkerung wurde gebeten, die Polizei bei der
Verbrecherjagd zu untersttzen. Innerhalb weniger Tage
meldeten sich bei den Behrden 327 Anrufer, die den
Verdchtigen erkannt hatten. 321 davon behaupteten, es
handle sich um den Brgermeister von Jerusalem. Dieser
hatte jedoch fr die fragliche Zeit ein hieb- und stichfestes
Alibi. Daher konzentrierte man sich auf die brigen sechs
Verdchtigen.
Sie wurden im Hof des Polizei-Hauptquartiers in eine
Reihe gestellt, und etliche Stammkunden des Super-
marktes wurden aufgefordert, den Mrder zu identi-
fizieren. Im Anschlu daran wurden drei Stammkunden

293
festgenommen, welche ihrerseits von den Verdchtigen
identifiziert wurden.
Am nchsten Tag konnte der spektakulre Fall endgltig
aufgeklrt werden.
Auf dem Polizeirevier erschien nmlich eine blutjunge
Bardame, die gegen die versprochene Belohnung ihren
Freund, den Supermarkt-Killer, anzeigte. Es handelte sich
um einen dnnen, hochgeschossenen, kurzgeschorenen
jungen Mann, der sich geweigert hatte, ihr ein Paar
Ohrringe zu schenken.

Ringelspiel der Augenzeugen

ORT DER HANDLUNG: Jede Bushaltestelle


ZEIT: Jederzeit
PERSONEN: Jedermann
DR. PARTZUF (bricht die bereits geschlossene Tr auf
und drngt sich in den zur Abfahrt bereiten Bus): In Ord-
nung. Fahren wir.
FAHRER (stellt den Motor ab): Sie dort! Steigen Sie
aus.
DR. PARTZUF: Warum?
FAHRER: Ich bin kein Auskunftsbro. Sagen Sie von
mir aus Idiot, aber steigen Sie aus.
DR. PARTZUF: Ich denke nicht daran. Hier ist Platz
genug. Die Herrschaften brauchen nur ein wenig zusam-
menzurcken (er drngt mit voller Wucht gegen die
geballte Menge).
NERVSER HERR: Was gibts denn? Was denkt sich

294
der Fahrer eigentlich? Ein Fahrgast mehr oder weniger
spielt doch keine Rolle.
LTERE DAME: Ganz richtig. Noch dazu ein so
magerer Mensch. Der nimmt keinen Platz weg. Fahren wir
endlich.
FAHRER: Solange der Mann noch im Wagen ist, wird
nicht gefahren. Ich habe Zeit.
DR. PARTZUF: Idiot (will aussteigen).
ZWICKER (packt ihn am rmel): Warten Sie, warten
Sie. Langsam. Nur nicht nervs werden. Und Sie, Fahrer,
hren Sie mit den Witzen auf und lassen Sie diesen armen
Kerl mitfahren. Aus so etwas macht man keine Prestige-
frage. Geben Sie Gas und fahren Sie los.
FAHRER: Ich wei nicht, mit wem Sie reden. Ich habe
Zeit.
NERVSER HERR: Unverschmtheit!
MANFRED TOSCANINI: Durch solche Fahrer ent-
stehen Wirtschaftskrisen. Es ist ein Skandal.
LTERE DAME: Pfui!
EIN IRAKI: Allah wird ihn bestrafen.
DR. PARTZUF: Ich mchte aussteigen.
ZWICKER: Immer mit der Ruhe, alter Freund. Das ist
jetzt nicht mehr Ihre Privatangelegenheit. Es betrifft uns
alle. Seien Sie kein Feigling. Hauen Sie dem Fahrer eine
herunter.
DR. PARTZUF: Ich mchte aussteigen.
VIELE STIMMEN: Nichts da Hiergeblieben
Bestehen Sie auf Ihrem guten Recht, Mann Sie sind
Steuerzahler Wir drfen uns nicht tyrannisieren lassen
heute dir, morgen mir
NERVSER HERR (beugt sich zum Fenster hinaus,

295
was streng verboten ist): Polizei, Polizei!
FAHRER (sortiert mit nervenzermrbender Ruhe sein
Kleingeld).
POLIZIST (zwngt sich mhsam in den Wagen): Alles
nach hinten, bitte! Was geht hier vor?
NERVSER HERR: Der unverschmte Kerl von einem
Fahrer hat diesen Herrn hier einen Idioten geschimpft und
wollte ihn vom Trittbrett stoen. Natrlich mute sich der
Herr zur Wehr setzen und hat ihn geboxt. Daraufhin hat
der Fahrer zurckgeschlagen.
POLIZIST: Wenn das so ist, nehme ich den Fahrer
sofort mit (zieht sein Notizbuch heraus). Ich brauche zwei
Zeugen fr die Gerichtsverhandlung. Ihr Name?
NERVSER HERR: Ich Tourist. Nicht sprechen gut.
Amerikaner. Nje ponjemaj po ruski.
POLIZIST: Vielleicht Sie?
LTERE DAME: Das stellen Sie sich so vor. Und wer
wird fr den kleinen Herschi kochen? Sie? No also.
Auerdem hab ich nichts gesehen. Ich hab meine Brille
zu Haus vergessen.
POLIZIST: Sie heien?
IRAKI: Allah Akbar.
POLIZIST (blickt zornig um sich): Jetzt ist es genug.
Wenn sich keine Zeugen melden, kann ich gegen den
Fahrer nicht einschreiten. He, Sie dort! Kommen Sie
sofort her! Wie heien Sie?
MANFRED TOSCANINI: Dr. Lloyd Sauermilch,
interne Krankheiten, Sadam-Hussein-Boulevard 101,
zweimal luten (er verzieht sich ans andere Ende des
Busses, whrend der Polizist Notizen macht).
POLIZIST: Jetzt brauche ich noch einen Zeugen.
(Lange nervse Stille)
296
NERVSER HERR: Also, ich wei gar nicht, was man
gegen diesen Fahrer berhaupt aussagen sollte. Ist es
vielleicht seine Schuld, wenn ein undisziplinierter Fahr-
gast sich weigert, einen zum Bersten berfllten Bus zu
verlassen?
LTERE DAME: Ganz meine Meinung. Der arme
Busfahrer arbeitet unter den schwierigsten Bedingungen,
und dann kommt so ein Schwarzhndler daher
MANFRED TOSCANINI (aus dem Hintergrund):
Gegen arbeitende Menschen darf man nichts sagen. Die
Zeiten sind vorbei.
DR. PARTZUF: Ja nein gewi ich wollte ja
auch gar nicht
ZWICKER: Schweigen Sie! Vor ein paar Minuten haben
Sie noch das Maul aufgerissen, und jetzt wissen Sie
pltzlich von nichts. Ein Skandal! Steigen Sie nchstes
Mal geflligst aus, wenn der Fahrer Sie hflich darum
ersucht.
MANFRED TOSCANINI: Warum halten wir uns so
lang mit dem Kerl auf? Wir brauchen ihn nur hinaus-
zuwerfen und knnen weiterfahren.
VIELE STIMMEN: Jawohl Sehr richtig
Wachtmeister, werfen Sie diesen fetten Gauner hinaus
Der Fahrer hat vollkommen recht Allah ist gro
Fahren wir endlich los
DR. PARTZUF: Aber bitte, ich wollte ja
POLIZIST (wirft ihn hinaus): Sie werden den Verkehr
nicht mehr aufhalten. Stehen Sie sofort von der Strae auf.
Ihren Ausweis, bitte.
FAHRER (lt den Motor an): Vielen Dank, liebe
Zeugen. Das habt ihr gut gemacht.

297
Nahkampf

Der lteste aller menschlichen Kriegszustnde ist der


Klassenkampf. Sklaven wollen sich von ihren Herren
befreien und die Herren sich von ihren Frauen. Monarchen
bekmpfen die Kirche, Mieter die Untermieter, das
Naphtalin die Motten. Aber keiner dieser Lebenskmpfe
wird mit so viel Vehemenz ausgefochten wie der zwischen
zwei Menschen, die beide im strmenden Regen auf ein
Taxi warten.

Doppelt hlt besser

Der Wolkenbruch erwischte mich mitten im Stadtzentrum.


Natrlich hatte ich keinen Regenschirm. Glcklicherweise
erblickte ich ein herumstreunendes Taxi. Ich brllte aus
Leibeskrften, ri die Tr auf, machte einen Hechtsprung
ins Innere des Wagens und befahl dem Fahrer: Fahren
Sie los, egal wohin.
Dann erst fiel mein Blick auf den knochigen Unbe-
kannten am anderen Ende der Sitzbank, der gleichzeitig
mit mir von der gegenberliegenden Seite hereingehechtet
war. Wir starrten einander an, bis die Spannung zwischen
uns unertrglich wurde.
Tut mir leid, sagte der Taxifahrer, ich darf nur einen
Fahrgast befrdern.
Oje, sthnte ich. Warum?
Vorschrift, erklrte der Taxler uns vorschriftsmig.
Whrend einer Fahrt kein zweiter Fahrgast. Also keine

298
Verbrderung, bitte.
Es war einer jener historischen Augenblicke, in denen
sich die unterdrckten Massen gegen die allmchtige
Brokratie zusammenrotten.
Was heit hier Verbrderung, wir gehren zusammen,
sagte ich dem Fahrer und drehte mich zu meinem
knochigen Mitfahrer: Hast du eine Ahnung, Walter,
warum Lefkovitz am Sonntag nicht gekommen ist?
Schlomo war fuchsteufelswild, und man kann es ihm nicht
einmal belnehmen.
Schlomo ist doch ein Trottel, kapierte der Knochige
blitzschnell. Er hat genau gewut, da Lefkovitz eine
leichte Kolik hatte. brigens, findest du nicht auch, da
der arme Schlomo sich in letzter Zeit vollkommen
verndert hat?
Der Fahrer drehte sich um und durchbohrte uns mit
seinem Blick. In seinen Gesichtszgen spiegelte sich tiefes
Mitrauen. Daher fhlte ich mich verpflichtet, dem
Knochigen all meine Vorbehalte gegen den unver-
schmten Schlomo und seine Machenschaften zu erffnen.
Der Taxifahrer gab sich geschlagen und fuhr los. Whrend
der Fahrt besprach ich mit Walter eingehend die obskuren
Familienverhltnisse von Dr. Grnberger, unter beson-
derer Bercksichtigung der Seitensprnge seiner zweiten
Frau. Als unser Taxifahrer in einer Gesprchspause leicht
bremste, ergriff uns Panik, und wir erweiterten unseren
Themenkreis auf die drei siamesischen Katzen dieses
liederlichen Weibes.
Als wir endlich aus dem Taxi stiegen, der Knochige und
ich, waren wir so gut befreundet, da wir in der nchsten
Bierstube zwei weitere Stunden Lefkovitz Nierensteine,
Schlomos trbe Geschfte und Grnbergers rgerlichen
Lottogewinn besprachen.

299
Dann hrte es zu regnen auf.
Wir fuhren mit einem Taxi heimwrts.
Unterwegs machten wir noch einen Hflichkeitsbesuch
in der nchsten Irrenanstalt, Walter und ich, und fhlten
uns ganz wie zu Hause.

Heimweh

Schon einige Abende lang hatte die beste Ehefrau von


allen den Eindruck, da sich jemand in unserer Wohnung
versteckt. Wir dachten zuerst an den Steuerprfer und
wollten ihn nicht provozieren, aber schlielich gingen uns
die Gerusche im Vorzimmer so auf die Nerven, da ich
beschlo, etwas zu unternehmen. Ich ging ins Vorzimmer,
und da sa ein Mann mit Brille in unserem Lehnstuhl und
schlief. Als ich ihn geweckt hatte, stand er auf und stellte
sich vor.
Mein Name ist Blitz.
Sehr erfreut.
Vor mir stand einer unserer prominentesten Taschen-
diebe, der erst vor zwei Wochen zu 15 Monaten Kerker
verurteilt worden war. Wir plauderten ein wenig, und ich
erfuhr, da Blitz mit dem Ergebnis der jngsten Wahlen
nicht einverstanden war. Er htte einen Sieg der Liberalen
bevorzugt, hauptschlich wegen der vorgesehenen
nderungen im Strafvollzug.
Nach einiger Zeit hielt ich es nicht lnger aus.
Entschuldigen Sie, sagte ich. Wie sind Sie eigentlich
aus dem Gefngnis herausgekommen?
Mein Gast lehnte sich zurck, sichtlich berwltigt von

300
jngsten Erinnerungen.
Wir hatten das von langer Hand vorbereitet, Farkas und
ich. Ich hielt mit Farkas von Anfang an Kontakt durch
einen speziell ausgearbeiteten Klopfzeichencode, bis sich
die Wrter beschwerten, da unser ewiges Klopfen sie
verrckt mache. Unser Antrag auf Telefon wurde jedoch
abgelehnt. Die Gefangenen, sagten sie, drfen nicht
miteinander telefonieren. Sie sind sehr streng in
israelischen Gefngnissen.
Sie werden dafr ben.
Hoffentlich. Aber es hat uns doch sehr verbittert. Wir
arbeiteten also einen detaillierten Fluchtplan aus, Farkas
und ich. Als erstes wollten wir einen Tunnel zum
Gefngnisfriseur graben und uns dort rasieren, dann weiter
zur Kanalisationsanlage und in die Kleiderkammer, um
uns Anzge zu besorgen. Von dort in die Kche zu einem
kleinen Imbi, dann ins Bro des Direktors, um uns die
ntigen Papiere zu verschaffen. Dann wollten wir uns an
einem Strick zum Gefngniskino hinunterlassen und noch
einmal einen guten Film sehen. Die eigentliche Flucht war
erst nach Vorstellungsschlu geplant.
Beeindruckend.
Warten Sie. Das Ganze war nicht so einfach, wie es
klingt. Wir muten ja einen genauen Plan des Gefngnis-
gebudes anlegen. Dazu brauchten wir Schreibmaterial.
Aber das wurde uns von der Gefngnisverwaltung nicht
bewilligt. Die mitrauischen Kerle denken an alles. So
blieb uns nichts brig, als den Lageplan mit unseren
Taschenmessern in die Wand des Baderaums zu ritzen.
Wie lstig.
Eben. Andauernd fehlte uns irgend etwas. Besonders
schwierig war die Beschaffung eines Spatens. Kleine
ntzliche Gerte wie Zangen, Schraubenzieher und

301
elektrische Drillbohrer kann man sich im Gefngnis
verhltnismig mhelos besorgen. Aber ein Spaten erregt
Aufsehen. Deshalb beschlossen wir, ihn in Eigen-
produktion herzustellen, und wollten in die Gefngnis-
tischlerei eindringen. Die Tr war versperrt und verriegelt.
Wir htten vor Verzweiflung am liebsten geweint.
Kann ich mir vorstellen. Immer wieder diese unvorher-
gesehenen Schwierigkeiten.
Richtig. Das kommt von der strengen Hausordnung in
den heutigen Gefngnissen. So muten wir das Schlo
durchsgen. Und dazu brauchten wir unbedingt eine Sge.
Zum Glck erinnerte ich mich, da es in Jaffa einen
Eisenhndler gab, der solche Sachen fhrt. Ich bat um
Ausgang und kaufte eine Sge.
Woher hatten Sie das Geld?
Das war tatschlich ein Problem. Wir hatten keines,
und als wir die Gefngniskasse aufbrachen, fanden wir nur
ein paar lcherliche Mnzen. Aber ich bekam die Sge auf
Kredit.
Wie schn, da ein einfacher Eisenhndler so viel
Verstndnis fr seine Mitmenschen hat.
Er wird es nicht zu bereuen haben. Jedenfalls hatten wir
jetzt alles, was wir brauchten. Smtliche Details waren
besprochen, die Uhren aufeinander abgestimmt. Pnktlich
um 17 Uhr, nach Arbeitsschlu, stiegen wir in den Tunnel
ein. Mit dem Rasieren auf der ersten Station klappte es,
nur die Rasiercreme war schlecht, und Farkas schnitt sich
in die Oberlippe. In der Kleideraufbewahrung suchten wir
uns wie geplant zwei unauffllige dunkle Anzge und
gestreifte Krawatten aus. Eine Enttuschung war die
Kche. Wir fanden nichts zum Essen, weil der Koch am
Vortag geflchtet war. Was tun? Mit leerem Magen
ausbrechen? Unmglich. Farkas schlich zum Erfrischungs-

302
kiosk an der nchsten Straenecke und kam mit ein paar
belegten Broten zurck, so da wir uns strken konnten.
Dann brachen wir ins Bro des Gefngnisdirektors ein.
Wie?
Verhltnismig einfach. Wir drckten die Klinke
nieder. Nachdem wir die ntigen Dokumente hatten,
machten wir uns ber die vergitterten Fenster her. Drei
Stunden lang arbeiteten wir wie verrckt. Von Zeit zu Zeit
rief man uns von irgendwo zu, wir sollten dieses
entsetzliche Kreischen abstellen, aber wir antworteten
nicht. Als wir fertig waren, lieen wir uns mit dem Seil
aus Bettchern vom Fensterbrett hinunter und dann
geschah es
Was geschah?
Ach, Sie werden es nicht glauben
Was, um Himmels willen?
Wir hatten uns in der Richtung geirrt. Ursprnglich
wollten wir ja zum Kino. Jetzt befanden wir uns pltzlich
auf einer dunklen, vllig verlassenen Strae. Weit und
breit keine Menschenseele. Ringsum Totenstille. Knnen
Sie sich das vorstellen? Im Kino luft Das Schweigen der
Lmmer, und wir stehen drauen und sehen nichts. Wir
trommelten mit den Fusten ans Gefngnistor.
Aufmachen! brllten wir. Aufmachen! Nichts rhrte
sich. Alle saen beim Film. Wir versuchten das Tor
aufzubrechen, aber unsere Schlosser verstehen ihr
Handwerk. Wir muten unseren Weg im nchtlichen
Dunkel suchen
Er schwieg erschpft. Der Kopf sank ihm auf die Brust.
Und was weiter? fragte ich.
Ich wei es nicht. Es fhrt kein Weg zurck.

303
Gewohnheitstiere

Wir werden oft gefragt, wie wir es aushalten, so frhlich


in einem Land zu leben, in dem man bei jeder Gelegenheit
ber einen Terroristen stolpert. Nun, man gewhnt sich
eben an alles, auch daran, da man sich an alles gewhnt.

Heldenepos

Eines Vormittags im Mai besuchte das Ehepaar Geiger die


Ausstellung moderner Skulpturen im Museum von
Jerusalem. Frau Geiger entdeckte schon beim Eingang ein
interessantes Objekt. Es war ein kleines, in eine schwarze
Plastikhlle verpacktes Paket, mit einem Klebestreifen an
der Wand befestigt und mit einer weien, etwa zehn Meter
langen Schnur versehen, von deren Ende her sich ein
Flmmchen auf das Paket zubewegte.
Frau Geiger sagte zu Herrn Geiger: Was wird diesen
modernen Knstlern als nchstes einfallen?
Ihr kunstverstndiger Gatte antwortete: Alles besser als
ein kitschiger Sonnenuntergang.
Dann sah er im Ausstellungskatalog nach, suchte ver-
geblich nach dem Objekt und beschlo, sich bei der
Museumsleitung zu beschweren, weil sie drei Pfund fr
ein paar wertlose Seiten verlangte, in denen man nichts
fand.
Da niemand da war, um seine Beschwerde entgegen-
zunehmen, schickte Geiger seinen siebenjhrigen Sohn
Arie, jemanden zu holen. Der Junge weigerte sich und

304
wurde geohrfeigt.
Hol mir sofort einen Museumsdiener, schrie ihn der
Vater an.
Arie entfernte sich schluchzend und fragte unterwegs
einen Besucher, wo die Museumsdiener wren.
Die trinken wahrscheinlich Tee unten im Kiosk,
lautete die Auskunft.
Immer noch unter Trnen machte sich Arie auf den Weg
zum Kiosk und erkundigte sich beim Kellner nach dem
rtchen frs Pipi. Dort sah ein Polizist das schluchzende
Kind und fhrte es zu den Eltern in die Ausstellungsrume
zurck. Bei dieser Gelegenheit durchschnitt er die Znd-
schnur, deren Flmmchen jetzt bereits 20 Zentimeter vor
dem Paket angelangt war.
Die Geigers waren ber Nacht zu Helden der Nation
geworden, besonders der kleine Arie, der noch rechtzeitig
Hilfe geholt hatte.
Wir verdienen keinen Dank, erklrte Herr Geiger auf
der Pressekonferenz. Wir haben unsere Pflicht getan,
nichts weiter. Jeder andere Brger htte ebenso
gehandelt.
Ein Gruppenbild mit der Familie Geiger, dem Polizisten
und dem Kellner zierte die Titelseite smtlicher Tages-
zeitungen.
Das Kind zitterte und konnte kaum sprechen,
berichtete der Kellner. Es war mir klar, da ich sofort
handeln mute.
Inzwischen suchte man nach dem Unbekannten, der
Klein-Arie zum rettenden Kiosk geschickt hatte. Die
Presse nahm sich der Sache an, und schon am nchsten
Tag hatte man in dem Klavierstimmer Schmuel Kaganski
den Richtigen gefunden.

305
Ich war nicht ganz sicher, ob der Kiosk die Rettung
wre. Aber ich sagte mir, da unbedingt etwas geschehen
mu. Also schickte ich das Kind, ohne zu zgern
Aries Mutter stand noch unter Schock.
Lieber Gott, seufzte sie whrend des Festbanketts, das
die Stadtverwaltung zu Ehren der Familie Geiger gab.
Wie gut, da mein Bruder mich gerade an diesem
Vormittag ins Museum geschickt hat.
Frau Geigers Bruder, von Beruf Elektriker, gab zu, selbst
noch nie in einem Museum gewesen zu sein.
Was hat mich wohl dazu gebracht, meine Schwester
und meinen Schwager hinzuschicken? gab er im Inter-
view zu bedenken. Mein Instinkt, meine Vaterlandsliebe?
Vielleicht lag es auch nur daran, da ich von einem
befreundeten Sportjournalisten berraschend zwei Ein-
trittskarten geschenkt bekommen hatte.
Der Spender, der Sportjournalist Jankel Horowitz,
wehrte die Dankesbezeugungen ab.
Der einzelne ist in einem solchen Fall nicht wichtig.
Hauptsache, da ich das Museum gerettet habe.
Seit Erscheinen des Fotos, das ihn zusammen mit seiner
Mutter und dem Brgermeister zeigt, erfreut sich Jankel
Horowitz grter Popularitt. Seine Mutter erhielt vom
Brgermeister ein Ehrendiplom dafr, da sie einem
solchen Sohn das Leben geschenkt hatte. Vater Horowitz,
der ja einen gewissen Anteil an dieser Schenkung hat,
segnete die Demonstranten vom Balkon seines Wohn-
hauses.
Allein aus diesem Grund, sagte er mit bewegter
Stimme, allein um der Geburt meines Sohnes willen hat
es sich gelohnt, da ich vor vierzig Jahren geheiratet
habe.

306
Das fehlende Glied in der Kette ist der Rabbiner, der
damals die Trauung vornahm. Die Nachforschungen sind
im Gange.

Auf Wache mit Polyester

Alle Mnner in unserem Huserblock haben sich bereits


freiwillig gemeldet, lautete das Rundschreiben von
Dr. Wechsler. Was ist mit Ihnen?
Erst kam die Mahnung.
Dann kam die beste Ehefrau von allen.
Was werden die Nachbarn sagen? Du mut dich zum
freiwilligen Zivilschutz melden.
Ich rief Wechsler an.Hallo, sagte ich. Wegen dieser
Sache
Sie sind heute um drei Uhr dran, antwortete Wechsler.
Um drei Uhr nachts. Oder um drei Uhr frh. Ganz wie
Sie wollen. Um drei.
Meine Vereidigung verlief feierlich. Als ich im Haupt-
quartier ankam, es war im Werkzeugschuppen unserer
Volksschule untergebracht, lag auf dem Tisch ein beinahe
neues Notizbuch sowie zwei Flinten aus der Zeit der
Franzsischen Revolution. Daneben, zusammengekauert
vor sich hin dsend, ein Zivilschtzer, der soeben seine
Wache beendet hatte. Er bergab mir das Kommando und
murmelte schlaftrunken: Immer um den Huserblock
herumgehen. Und wenn du fertig bist, la alles auf dem
Tisch liegen, gute Nacht.
Dann stie er zwei undeutliche Flche aus, den einen
gegen die Araber, den anderen gegen unsere Regierung,

307
und dste weiter. Das Problem war, da unsere
Dienstzeiten viel zu lange dauerten, nmlich vier volle
Stunden. Und das taten sie deshalb, weil sich auer mir
noch niemand freiwillig gemeldet hatte. Ich fragte nach
Wechsler und erfuhr, da er schlief. In seinem Bett. Er
htte das Intervall von 3 bis 7 bernehmen sollen, aber er
schlief. Und so war ich dran, gemeinsam mit Isachar.
Kamerad Halbschlaf bergab mir die Flinte.
Kurz darauf erschien Isachar. Ich warf noch rasch einen
Blick in das Logbuch. Die letzte Eintragung lautete:
Stellte um 01.35 einen Verdchtigen. Er behauptete, auf
Nummer 14 zu wohnen. Wurde nachgeprft. Wohnt auf
Nummer 14. Das ist alles, glaube ich. Schlu.
Wir begannen unsere Wache. Isachar hatte seine
Franzsische Revolution geschultert, ich trug die meine in
der Hand. Sie besa einen krftig ausladenden Kolben,
und wer damit eins ber den Kopf bekam, war nicht zu
beneiden.
Gehen wir ein wenig, schlug Isachar vor. Es regnet
nicht.
Wir fielen in Marschtritt, um militrischer zu wirken.
Die Patronen in meiner Tasche zogen meine Hosen hinab
und lieen meine Moral steigen. Achtung, wir kommen,
links-rechts, links-rechts, schlaft ruhig, Nachbarn, wir
schtzen euch.
Das einzige, was meine patriotische Hochstimmung ein
wenig trbte, war die trostlose Eintnigkeit. Wie lange
kann man denn als erwachsener Mensch um einen Huser-
block herummarschieren, herum und wieder herum?
Dauerts noch lange? fragte ich nach einer Stunde
meinen Kameraden. Er sah auf seine Uhr.
Noch drei Stunden und vierundfnfzig Minuten.
Wir waren also erst sechs Minuten auf Wache. Merk-
308
wrdig. Ich hatte den Eindruck, die Zeit wre lngst um.
So kann man sich tuschen.
Isachar berichtete mir, da er um sechs Uhr aufstehen
msse. Eine dringende Arbeit in Haifa. Er arbeitet in der
chemischen Isolierungsbranche. Das heit, er stopft
Mauerlcher, damits nicht hineinregnet.
Es gibt jetzt eine Menge neuer Prparate, belehrte er
mich. Wir verwenden keinen Kitt mehr, sondern eine
groartige neue Flssigkeit. Polygum. Auf Polyesterbasis.
Wirklich hervorragend. Klebt nicht an der Kelle und
trocknet in zwei Tagen. Wenns nicht regnet.
Ich hing an seinen Lippen und warf von Zeit zu Zeit eine
fachmnnische Frage ein, zum Beispiel ber die Wider-
standskraft von Polybumsti oder wie das hie. Man kann
ja nicht stundenlang wortlos mit einem Menschen herum-
marschieren.
Es stimmt, die Belgier haben ein Isolationsmaterial auf
den Markt gebracht, das keine Luftblasen macht, gestand
Isachar. Aber das taugt meiner Meinung nach nur fr
undichte Grundmauern, die keiner direkten Feuchtigkeit
ausgesetzt sind. Wenns um groe, luftige Rumlichkeiten
geht, kme es fr mich nicht in Frage. Nicht fr mich!
Es war ihm anzusehen, da man ihm ein Vermgen
bieten knnte, und er wrde dieses belgische Zeug nicht
anrhren. Er ist ein Fachmann, er mu auf seinen Ruf
bedacht sein, er ist ein Fels in der Isolierbrandung.
Glcklich der Mann, den Isachar isoliert.
Mit der Zeit wurde ich doch ein wenig nervs. Ich
interessiere mich sehr fr alles Chemische, aber nicht die
ganze Nacht. Vorsichtig sah ich auf die Uhr: 40 Minuten
vergangen. Also noch 3 Stunden und 20 Minuten grnd-
licher Isolierung.
Dubcek, ich versuchte dem Gesprch eine scharfe

309
Wendung zu geben, Dubcek wollte protestieren, als die
Russen damals in die Tschechoslowakei einmarschierten

Mir schwebte ein Themawechsel zum Politisch-


Historischen vor. Allmhlich hoffte ich bis zum Zaren zu
gelangen. Die Tschechoslowakei schien mir ein guter
Ausgangspunkt zu sein.
Isachar ging bereitwillig darauf ein.
Ganz in der Nhe von hier wohnt ein tschechisches
Ehepaar. Vorige Woche habe ich ihnen das Dach repariert.
Mit einem Spezial-Silikonmantel auf Polyesterbasis.
Verzweifelt hielt ich nach irgend etwas Ausschau, was
fr Zivilschutz geeignet wre, aber die Gegend war
niederschmetternd friedlich. Isachar fuhr fort, mir von
seinen glorreichen Isolationsmanvern zu erzhlen. Es gab
im weiten Umkreis nichts, was er nicht zugestopft htte,
ausgenommen seinen Mund. Ich versuchte es nochmals
mit dem Dubcek-Gambit, aber nach zwei Zugwechseln
waren wir wieder auf der Polyesterbasis. Meine Uhr zeigte
4.15, und die Sonne wollte nicht aufgehen. Schon um
mich wachzuhalten, stellte ich immer weitere Fragen, und
Isachar erteilte mir immer weitere Ausknfte.
Einmal, so berichtete er um 5.20 Uhr, hat mir
Schechter eine Gallone Plastikzement verkauft. Auf
halbem Weg nach Haifa schaute ich nach, und was mute
ich sehen? Das Zeug war hart wie Granit. So etwas kann
mir mit amerikanischem Polyester nicht passieren. Aber
wie willst du feststellen, ob die Flssigkeit, die du kaufst,
aus Amerika kommt? In einem neutralen Behlter. Wie
willst du das feststellen?
Ich wollte gar nichts feststellen, schon lngst nicht mehr.
Wenn zwei Eheleute eines Tages entdecken, da sie nicht
zueinander passen, lassen sie sich scheiden. Auch alte

310
Geschftspartner gehen gelegentlich auseinander. Nur ein
Zivilschtzer wie ich bleibt hoffnungslos einzementiert.
Und es fehlten noch anderthalb Stunden.
Halt!
Ich stellte eine verdchtige Katze und verjagte sie. Dann
lehnte ich mich erschpft an die Hausmauer.
Ich mu stehend eingeschlafen sein. Isachar klopfte mir
auf die Schulter, um mich zum Weitermarschieren aufzu-
fordern. Aber er schwieg. Offenbar hatte ich meine fllige
Gegenfrage versumt.
Und was, fragte ich, wenn das Zeug nicht rechtzeitig
trocknet?
Es war einer der grten Fehler meines Lebens. Isachar
brauchte fr die Beantwortung meiner Frage bis 6.15 Uhr.
Ich betete zu Gott, er mge uns ein paar Terroristen ber
den Weg schicken, damit ich endlich etwas anderes zu tun
bekme, als dieses entsetzliche Isoliergewsch ber mich
ergehen zu lassen.
Und was das beste ist, fuhr Isachar erbarmungslos
fort, als Schechter mir das nchste Mal so einen Kanister
andrehen wollte
An dieser Stelle geschah es. Nach den Berichten von
Augenzeugen begann ich wild in die Luft zu schieen und
brllte jedem, der sich mir nherte, unverstndliche
Befehle zu wie: Polyester in Deckung!, Zement
Feuer! und dergleichen mehr. Man konnte mich nur mit
Mhe beruhigen.
brigens erfuhr ich, da ich nicht das erste Zivilschutz-
opfer war. Schon vor mir hatte ein Zivilschtzer, nach
vierstndigem Wachdienst mit einem Installateur, durch
Gewehrsalven greren Sachschaden an den Fenster-
scheiben der umliegenden Huser verursacht.

311
Um sieben Uhr frh deponierten wir unsere Ausrstung
im Hauptquartier. Isachar entkam nach Hause und wollte,
wie Wechsler mir ein paar Tage spter erzhlte, nie wieder
mit mir zusammen Wache schieben. Ich htte ihn, so sagte
er, mit meinen Fragen zu Tode gelangweilt.

Indirekter Nachschub

Bei seinem Besuch in Moskau nach dem verlorenen


Sechstagekrieg berreichte der gyptische Prsident Abdul
Gamel Nasser, wie aus sicherer Quelle verlautet, seinem
Gastgeber, dem Sowjetischen Generalstabschef, eine
umfangreiche Wunschliste, auf der alle von gypten
wieder bentigten Flugzeuge, Tanks, Kanonen und so
weiter genau verzeichnet waren. Der russische General las
die Liste aufmerksam durch. Dann fragte er: Und was
brauchen die Israelis sonst noch?

Die Schulthei-Methode

Es sah nicht gut aus. Das entfhrte Flugzeug war vor


wenigen Minuten gelandet, die Terroristen hatten ihre
Forderungen gefunkt und abschlieend bekanntgegeben,
da sie im Nichterfllungsfall die Maschine in die Luft
jagen wrden. Im Kontrollturm des Flughafens Lydda
beriet der Krisenstab.
Es gibt nur einen Ausweg, man mu die Bande
ermden bis an die Grenzen eines Nervenzusammen-

312
bruchs.
Sehr schn. Aber wie?
Darauf gibt es nur eine Antwort: Schulthei!
Zehn Minuten spter, im Wagen des Generalstabschefs
und mit Blaulichteskorte, erschien Jeckezkel Schulthei,
der Star unseres brokratischen Establishments. Er kam
direkt aus dem Krankenhaus, wo er mit den Bckern ber
eine zweiprozentige Tariferhhung verhandelt hatte, und
zwar ununterbrochen seit drei Tagen und drei Nchten. Im
Lauf der Verhandlungen waren nach und nach smtliche
Bcker unter schweren Erschpfungssymptomen ins
Krankenhaus eingeliefert worden, nur Schulthei hatte
nichts von seiner Frische eingebt.
Jetzt wurde er vom Verteidigungsminister persnlich
instruiert.
Wenn wir die Passagiere nicht anders freibekommen,
tauschen wir sie gegen inhaftierte Terroristen aus. Sie,
Schulthei, haben fr Ihr Gesprch mit den Entfhrern
freie Hand. Wenden Sie die blichen Methoden an.
Behandeln Sie die Kerle so, als ob es israelische Steuer-
zahler wren.
Okay, sagte Schulthei, bestellte einen Tee mit
Zitrone und bat um die Telefonistin aus seinem Bro.
Nachdem Ilana sich eingerichtet hatte, wurde die Funk-
verbindung mit dem Flugzeug aufgenommen.
Aus dem Cockpit erklang eine tiefe Mnnerstimme.
Tod den Juden. Hier spricht die Organisation
Schwarzer September. Befolgen Sie meine Anord-
nungen.
Einen Augenblick, unterbrach Schulthei. Man
versteht schlecht. Wer ist schwarz, die Organisation oder
der September?

313
Halten Sie den Mund!
Verzeihung, aber wer sind Sie eigentlich?
Was heit das, wer ich bin?
Woher soll ich wissen, da Sie wirklich ein Terrorist
sind? Sie knnten ja auch ein Fluggast sein.
Wrde ich dann mit Ihnen sprechen?
Vielleicht hlt man Ihnen einen Revolver an die
Schlfe.
Na und?
Das wrde die Situation grundlegend ndern. Es ginge
dann nicht um eine direkte Verhandlung, sondern um eine
Vermittlung.
Was fr ein Unterschied wre das, zum Teufel?
Ein gewaltiger, mein Herr. Im Falle einer Vermittlung
mte ich eine andere Behrde einschalten. Ich will gerne
mit Ihnen kooperieren, aber ich mu mich nach meinen
Vorschriften richten. Wie ist Ihr Name, bitte?
Hauptmann Dschamel Rafat.
Mit einem K in der Mitte?
Man hrte ein heiseres Rcheln. Dann meldete sich der
Kapitn des Flugzeugs.
Er ist der Anfhrer der Gruppe, Sie knnen mir
glauben.
Ich akzeptiere Sie als provisorischen Zeugen. Ihre
Panummer?
75103/97381.
Wann und wo ausgestellt?
An dieser Stelle ri Hauptmann Rafat das Gesprch
wieder an sich.
Wenn die Verhandlungen nicht in zwanzig Sekunden
beginnen, jagen wir das Flugzeug in die Luft!
314
Zwanzig Sekunden von wann an?
Was meinen Sie?
Ich meine, wann beginnen die zwanzig Sekunden?
Sie beginnen jetzt, sofort, in diesem Augenblick.
Wie spt haben Sie?
11.29 Uhr, verdammt noch mal!
Auf meiner Uhr ist es erst 11.22 Uhr, ich lasse nach-
sehen. In solchen Situationen kann jede Sekunde eine
Rolle spielen. Bitte warten Sie.
Hallo, brllte Hauptmann Rafat, aber die Verbindung
war bereits unterbrochen und blieb es fr drei Minuten.
Dann kam Hauptmann Rafat wieder zum Kontrollturm
durch. Was er hrte, war die Stimme Ilanas.
Wer hat Ihnen erzhlt, da ich mit Chaim ausgegangen
bin? Dudik lgt. Sie kennen doch Dudik, oder? Haupt-
mann Rafat? Endlich. Man sucht Sie schon. Bitte
sprechen.
Und Hauptmann Rafat sprach.
Wir verlangen die sofortige Entlassung von 390 pal-
stinensischen Freiheitskmpfern, die sich bei Ihnen in Haft
befinden. Ich diktiere die Namen.
Bitte nicht ber das Telefon, sagte Schulthei.
Auerdem liegen 390 Enthaftungen weit ber der
zulssigen Quote. Wir haben gar keine Transportmittel fr
so viele Personen. Ich dachte an sechs oder sieben,
hchstens acht.
390.
Neun. Einer von ihnen stottert.
Ich handle nicht.
Also gut, zehn. Sechs bei Inkrafttreten unseres
Abkommens, drei am 31. Oktober und vier am

315
Jetzt sofort und alle!
Alle zehn?
300.
Elf, ohne Empfangsbesttigung.
250. Das ist mein letztes Wort!
Zwlf. Es kostet mich selbst mehr.
Die Verbindung zwischen Cockpit und Kontrollturm
wurde aufs neue unterbrochen. Nach ihrer Wiederher-
stellung drangen rtselhafte Satzfetzen an Hauptmann
Rafats Ohren: Galila-Import-Export Schechter, Gure-
witsch alle weggegangen niemand mehr hier
Dann schaltete sich die erregte Stimme des Flugzeug-
kapitns in das Gesprch ein.
Achtung, Kontrollturm. Die Entfhrer treffen Vor-
bereitungen zur Zndung der Sprengkrper. Sie stellen
Ihnen ein Ultimatum von dreiig Minuten. Und sie meinen
es ernst. Achtung, Kontrollturm. Haben Sie verstanden?
Ein Ultimatum. Dreiig Minuten.
Verstanden, sagte Schulthei. Aber ich brauche es
schriftlich. Sagen Sie den Leuten, Sie sollen auf Sabena-
Briefpapier ungefhr folgendes schreiben: Wir, die unter-
zeichneten Terroristen, wohnhaft dort und dort, erklren
hiermit, da wir die auf dem Flughafen Lydda stehende
Maschine der Sabena mittels chemischer Substanzen und
so weiter und so weiter. In dreifacher Ausfertigung.
Hebrisch, arabisch und flmisch. Pafotos erwnscht.
Der Flugkapitn antwortete nicht. An seiner Stelle
meldete sich Rafat und verlangte nach einem Rettungs-
wagen des Roten Kreuzes.
Das heit bei uns Roter Davidstern, belehrte ihn
Schulthei.
Rafat berhrte ihn.

316
Der Wagen soll mit einer weien Flagge an das
Flugzeug heranfahren, schlo er keuchend.
Welche Gre?
Was welche Gre?
Wie gro soll die Flagge sein?
Das ist mir scheiegal, Sie Trottel. Eine kleine weie
Flagge.
Wir haben zwei Flaggen, eine zu 78 mal 45 und eine zu
75 mal 30, aber die ist in der Wsche. Sollte Ihnen die
andere zu gro sein, dann kann ich aus Haifa eine kleinere
bestellen.
Der Kehle des Terroristenanfhrers entrang sich ein
dumpfes Sthnen.
Kommen Sie ohne Flagge.
Ich oder der Rettungswagen? Bitte entscheiden Sie
sich. Sonst wei ich ja nicht, was ich ins Protokoll
schreiben soll. Hallo? Hallo?
Auf der anderen Seite trat Funkstille ein. Dann gaben die
Entfhrer bekannt, da sie ihre Geiseln im Tausch gegen
25 inhaftierte Palstinenser freilassen wrden, unter der
Bedingung, da sie nicht lnger mit Schulthei verhandeln
mten.
Schulthei schlug eine gemischte Kommission vor,
bestehend aus einem akkreditierten Terroristen des
Gazastreifens, einem parteilosen Justizbeamten und
Dr. Bar-Bizua vom Verkehrsministerium.
Hauptmann Rafat fragte, ob man ihm einen Arzt
schicken knnte. Seine Stimme klang hohl.
Auch sein Stellvertreter, der jetzt das Mikrofon ber-
nahm, lie deutliche Anzeichen von Nervenzerrttung
erkennen. Das Entfhrungskommando, erklrte er, sei
bereit, in ein anderes Land abzufliegen, sobald die

317
Maschine aufgetankt htte.
Ich verbinde mit unserem Treibstoffdepot, sagte Ilana
und lie die Anwesenden den nun folgenden Dialog
mithren.
Ziva (die Telefonistin des Depots): Bedaure, unser
Abteilungsleiter ist weggegangen.
Rafat: Wann kommt er zurck?
Ziva: Keine Ahnung. Wahrscheinlich sitzt er beim
Essen.
Rafat: ffnen Sie das Depot, oder es geschieht ein
Unglck.
Ziva: Die Schlssel sind bei Mottke.
Rafat: Ich zhle bis drei. Dann lassen meine Leute das
Flugzeug explodieren. Eins zwei
Schlechter: Hallo, hier Schechter, Galila-Import-
Export. Womit kann ich dienen?
Rafat (mit ersterbender Stimme): Hier Schwarz ich
meine der Schwarze Oktober Wir wollen weg von hier
weg weg
An dieser Stelle bernahm Schulthei noch einmal das
Gesprch.
Hauptmann Rafat? Es ist alles in Ordnung. Der
Tankwagen wird sofort vorfahren.
Er nickte dem Verteidigungsminister zu. Der Verteidi-
gungsminister nickte dem Leiter des Einsatzkommandos
zu. Den Rest kennt man aus den Zeitungsberichten, die im
Wirbel der Ereignisse eine Kleinigkeit bergangen haben.
Sie htten noch folgendes hinzufgen mssen:
Nach erfolgreicher Beendigung seiner Mission auf dem
Flughafen begab sich Jeckezkel Schulthei in das Kran-
kenhaus zurck, wo er seine Verhandlungen mit den
Bckern fortsetzte.
318
Wetten da

Gestern fuhr ich mit dem Aufzug zur 11. Etage unseres
stolzen Wolkenkratzers, des Schalom-Turms, und ging
eine hchst riskante Wette ein, indem ich den Knopf
drckte, meine Augen schlo und die Etagen zhlte.
Die Wette ging um nicht mehr und nicht weniger als das
Schicksal unseres Landes: Wenn ich bis zur 11. Etage
richtig zhle, werden wir endlich Frieden mit unseren
arabischen Nachbarn haben.
Ich zhlte mit uerster Konzentration, und wirklich, als
ich die Augen ffnete, hielt der Aufzug in der 11. Etage.
Es stimmte auch umgekehrt, als der Aufzug in der 11.
Etage hielt, ffnete ich die Augen. Es war ein vollkommen
ausgewogenes, ganz und gar berzeugendes Resultat, ein
Sieg auf der ganzen Linie.
Knftige Generationen, so hoffe ich, werden schtzen,
was ich fr sie getan habe.

Ein gut getimter Bruch

Die folgende Geschichte begann an einem Morgen gegen


Ende September, nicht lange vor Ausbruch des Jom-
Kippur-Kriegs. Ihr Held ist Ing. Glick. Er verlie an jenem
Morgen sein Haus in tiefen Gedanken ber die
herrschende Zementknappheit, denn Ing. Glick ist im
Bauwesen ttig. Unaufmerksam, wie er war, fiel er in den
Graben, der vor seinem Haus ausgehoben worden war, um
spter einmal in einen Abflukanal umgewandelt zu

319
werden.
Ing. Glick brach sich das linke Bein an zwei Stellen
oberhalb des Knchels. Man brachte ihn ins Krankenhaus,
wo er bestens gepflegt und in der zweiten Oktoberhlfte
entlassen wurde. Er trug einen Gipsverband ber dem
linken Bein und ging auf Krcken, aber er ging.
Whrend seines Krankenhausaufenthaltes hatte sich im
Nahen Osten einiges abgespielt. Kaum hatte Ing. Glick im
Fond seines Taxis Platz genommen, als der Fahrer ihn
auch schon teilnahmsvoll fragte:
Wo ist es passiert? Oben oder unten?
Zwei Stellen oberhalb des Knchels.
Das meine ich nicht. Ich meine, oben auf den Golan-
Hhen oder unten am Suez?
Schon wollte Ing. Glick antworten, da er in der
Hajarden-Strae in Tel Aviv verwundet worden sei, da
siegte seine Abneigung gegen intime Gesprche mit
Fremden, und er antwortete: Sprechen wir nicht darber.
Was solls?
Der Fahrer schwieg respektvoll. Erst als sie in der
Hajarden-Strae angekommen waren, erlaubte er sich die
Bemerkung: Kerle wie Sie sind die Sttze der Nation.
Fr die Fahrt nahm er keinen Pfennig, sondern half
seinem Fahrgast bis zum Haustor.
Damit begann das Gips-Festival des Ing. Glick.
Wenn er in einen Laden humpelte, wurde er sofort
bedient, die Kellner im Restaurant lasen ihm seine
Wnsche von den Augen ab, die Angestellten ffentlicher
Dienste umsorgten ihn mit der Hilfsbereitschaft einer
Privatkrankenschwester. Jedermann hatte das Bedrfnis,
den Dank der Nation, oder wenigstens einen kleinen Teil
davon, an ihn abzustatten. Jedermann empfand es als

320
persnliche Beleidigung, wenn er fr irgend etwas
bezahlen wollte.
Nach einiger Zeit hatte sich Ing. Glick an diesen Zustand
gewhnt. Schwierigkeiten entstanden nur noch dann, wenn
die Rede darauf kam, wo er sich seine Verletzung geholt
hatte. Glick, der Lgen hate, reagierte auf detaillierte
Fragen nach der syrischen oder gyptischen Herkunft
seiner Wunde in der Regel mit einem mden Lcheln, das
ungefhr besagte: Es gibt Dinge, die ein echter Mann
lieber vergit oder: Wozu lange darber reden.
Ende November tauschte er die Krcken gegen einen
Stock, aber der weie Gipsverband leuchtete in alter
Pracht vom Knchel und verschaffte ihm beim Philhar-
monischen Konzert einen selbst fr ihn berraschenden
Empfang. Ing. Glick war erst knapp vor Beginn ein-
getroffen und humpelte den Mittelgang entlang, als das
Publikum pltzlich wie ein Mann aufstand und ihm eine
donnernde Ovation bereitete. Nach Schlu des Konzerts
fand er sich von Autobesitzern umringt, die um die Ehre
stritten, ihn nach Hause zu bringen. Nachdem der
Gewinner ihn im Wagen verstaut hatte, streckte Glick sein
Gipsbein aus und entdeckte auf dem Verband eine
Aufschrift, die sein Sitznachbar in der Dunkelheit
hingekritzelt haben mute: Das Volk steht tief in Ihrer
Schuld. Wir danken Ihnen.
Allmhlich begann die Erinnerung an den wirklichen
Verlauf der Dinge in Glicks Gedchtnis zu verblassen. Als
ein populrer Schlagersnger, der ihn in einer Hotelhalle
sitzen sah, gratis drei Lieder fr ihn sang, unterdrckte
Glick nur mit Mhe ein Schluchzen.
Es war die Mhe wert ich tte es wieder
Auch fr Eier, die in jener Zeit schwer zu bekommen
waren, sorgte der Gipsverband. Jeden Montag bergab

321
ihm eine freundliche alte Dame an der Haustr einen Korb
voll frischer Eier, flsterte unter Trnen: Gott segne Sie,
junger Mann! und huschte davon. Nur einmal blieb sie
etwas lnger stehen, nahm all ihren Mut zusammen und
fragte: Wo wurden Sie verwundet, mein lieber Junge?
Und Ing. Glick antwortete: Am Kanal.
Glick berlegt, den Gipsverband auch nach der end-
gltigen Heilung noch ein paar Monate zu tragen. Am
liebsten behielte er ihn fr alle Ewigkeit. Oder gar bis zum
Abschlu eines Friedensvertrags.

Wie unfair, David

Der kleine David ttete den riesigen Goliath und erhielt


dafr anhaltenden Beifall, da zu Zeiten der Bibel noch
keine politischen Kommentatoren in den Medien
beschftigt waren, um seine infame Tat zu analysieren.
Angesichts der internationalen Berichterstattung der
letzten Jahrzehnte, die das winzige Israel zu einer
imperialistischen Gromacht umfunktionierte, machte ich
mich freiwillig zum Sprecher des heutigen Salon-
antisemitismus, um Davids und Goliaths bekannte
Geschichte professionell zu flschen.

Gerechtigkeit fr den kleinen Mann

Die Ereignisse sind zur Genge bekannt. Nach lngeren


Manvern auf beiden Seiten hatten die Philister in

322
Sichtweite der israelischen Armee, nahe der Stadt Sochon,
Stellung bezogen. Auf dem Hhepunkt der Krise begab
sich der philistinische Oberstabswachtmeister Goliath in
das Niemandsland zwischen den beiden Lagern, wo er, wir
zitieren einen absolut zuverlssigen Bericht, seine
Stimme erhob, um schwerere Kmpfe und unntiges
Blutvergieen zu verhindern. Ein als Hirte getarnter
Angehriger des Geheimdienstes namens David, ein
bekannter Growildjger, reagierte darauf mit einem
berraschungsangriff gegen Oberstabswachtmeister
Goliath, den er brutal zu Fall brachte und abschlachtete.
Soweit die Tatsachen.
Rein militrisch betrachtet, kann der israelischen Aktion
eine gewisse Qualitt nicht abgesprochen werden.
Angesichts der moralischen Botschaft der Zehn Gebote
fhlen wir uns jedoch verpflichtet, das Vorgehen Davids
und seiner Auftraggeber grndlich zu analysieren, um eine
Geschichtsflschung zu verhindern. Dabei leiten uns keine
Hagefhle gegen das Volk Israel. Im Gegenteil. Wir
mchten dem zweifelhaften Ruf dieses ewig rastlosen
Stammes eine neue, schwere Belastung ersparen.

Wir sind durchaus nicht der Meinung, da ein soldatischer


Kampf eine vllige Gleichheit in der beidseitigen
Bewaffnung voraussetzt. Aber Fairne verlangt zumindest
annhernd gleiche Voraussetzungen. Leider gab es die in
der Auseinandersetzung zwischen David und Goliath
nicht. Vielmehr lagen von Anfang an alle Vorteile bei
David.
Das zeigte sich bereits bei der Ausrstung.
Oberstabswachtmeister Goliath hatte einen ehernen Helm

323
auf seinem Haupte und einen schuppichten Panzer an, und
das Gewicht seines Panzers war 5000 Schekel Erzes, und
hatte eherne Beinharnische an seinen Schenkeln und einen
ehernen Schild auf seinen Schultern. Das heit, da er
etwa 60 bis 70 Kilo zu schleppen hatte. Demgegenber
war David, wie man wei, lediglich mit einer Hirtentasche
und einer Schleuder bewaffnet, was ihm den unschtz-
baren Vorteil optimaler Beweglichkeit sicherte. Hinzu
kam, da der philistinische Freiheitskmpfer sechs Ellen
und eine Handbreit hoch war, was eine geradezu riesen-
hafte Krpergre von fast vier Metern bedeutete. Das
benachteiligte ihn dem kleinen, gelenkigen Israeli gegen-
ber noch mehr. Bedenkt man schlielich den taktischen
Effekt des berraschungsangriffs, der sich gleichfalls
zuungunsten Goliaths auswirkte, so darf man ruhig
behaupten, da der ungleiche Kampf im voraus
entschieden war.
Die Frage, wer den Kampf gewonnen hat, wird die
Experten noch lange beschftigen. Nachforschungen
haben ergeben, da whrend der 40 Tage, die dem
Ausbruch der Feindseligkeiten vorangingen, keinerlei
Truppenbewegungen stattfanden und da sich zum Schlu
sogar Anzeichen einer Entspannung bemerkbar machten,
die eine Lsung auf diplomatischem Weg in Aussicht
stellten. Warum diese Mglichkeit scheiterte, lt sich
ohne besondere Mhe der schon mehrfach zitierten Quelle
entnehmen. Goliath trat hervor und ging einher,
whrend David, der gleichen Quelle zufolge, eilete und
lief vom Zeuge gegen den Philister. Damit drften die
letzten Zweifel beseitigt sein, wer der Aggressor war.

324
Indessen soll auch die menschliche Seite des Vorfalls
nicht zu kurz kommen. Das Wort hat der jdische
Schildtrger Goliaths, der sich im Militrkrankenhaus nur
langsam von den Folgen seines Schocks erholt.
Oberstabswachtmeister Goliath griff niemals als erster
an, sagte der junge Kriegsversehrte, wobei er mhsam
Haltung annahm. Er war ein grundgtiger Mensch, voll
Lebensfreude und Humor. Manche Leute hielten ihn auf
Grund seiner ueren Erscheinung fr einen brbeiigen
Krieger, aber die rauhe Schale verbarg einen weichen
Kern. Er liebte Musik, versuchte sich an der Harfe und
stimmte am Lagerfeuer gern ein kleines Liedchen an, wie
etwa: Ich hab nicht Vater noch Mutter hier, ihr guten
Leute, habt Mitleid mit mir. Der Oberstabswachtmeister
war nmlich als Waise aufgewachsen und hatte schon
damals unter seinen ungewhnlichen Krpermaen zu
leiden. Nichts lag ihm ferner als Raufhndel, nichts hate
er so sehr wie den Krieg. Sicherlich wollte er diesem
Hebrerjngling einen Kompromi vorschlagen, der fr
beide Teile annehmbar gewesen wre. Und seine abflli-
gen Bemerkungen ber den Gott der Hebrer waren
wirklich nicht bse gemeint. Das sagt man so, ohne sich
viel dabei zu denken. Mein guter Kamerad dachte nur an
sein Heim und seine Familie. Er wollte in Ruhe seinen
Acker bestellen, nichts weiter. Ich werde es nie verwin-
den, da er seinen Lieben auf so hinterhltige Weise
entrissen wurde.
Zu diesem Bild des biederen, friedfertigen Land-
bewohners lt sich wohl kaum ein grerer Gegensatz
denken als die wendige Figur seines listigen, mit allen
stdtischen Wassern gewaschenen Gegners, dessen
berechnende Wesensart sich schon darin zeigt, da er
bereits lange vor dem Kampf wissen wollte, welcher Lohn
denjenigen erwartete, der diesen Philister erschlgt und

325
wendet die Schande von Israel. Erst nachdem er sich
zahlreicher materieller Vergnstigungen aus der kgl.
Saulschen Privatschatulle versichert hatte, war er bereit, in
den Kampf zu ziehen, bei dem er sich, was nicht einmal
von israelischer Seite geleugnet wird, einer unkonventio-
nellen Waffengattung auerhalb aller internationalen
Abkommen bediente. Da er diese Waffen, eine Art
steinerner Geschosse, planmig und zielbewut aus den
besetzten Wasserlufen gewonnen hatte, also schon seit
geraumer Zeit heimliche Kriegsvorbereitungen betrieb,
besttigt die von neutralen Beobachtern aufgestellte
Aggressionsthese. Wenn man seine provokativen Bemer-
kungen vor Beginn des Kampfes genauer auf ihren Inhalt
prft, erwartete er im Notfall sogar Hilfe von oben. Man
wei, was das bedeutet.

Der Kampf selbst hat, wie wir schon sagten, der jdischen
Geschichte kein Ruhmesblatt hinzugefgt. Nach
bereinstimmenden Augenzeugenberichten mu die
Kampfweise Davids barbarisch genannt werden. Keiner,
der dabei war, wird je vergessen, wie dieser entfesselte
Hysteriker auf seinen unbeweglichen Gegner losging und
unbarmherzig auf den bereits Geschwchten einschlug,
whrend seine vorsichtig im Hintergrund agierenden
Judenhorden ein ohrenbetubendes Triumphgeheul
anstimmten.
Einfach widerlich.
Oberstabswachtmeister Goliath gehrt fr alle Zeiten zu
den tragischen Heldengestalten der Kriegsgeschichte. In
seiner rhrenden Naivitt hatte er geglaubt, da das Ende
der jdischen Besatzung gekommen wre.

326
Er fiel fr die Freiheit der Philister, er fiel im Kampf
gegen einen bermchtigen Gegner, dem er sich arglos
gestellt hatte. Seiner unglcklichen Witwe wendet sich die
allgemeine Anteilnahme zu. Zum Abschlu geben wir ein
Gesprch wieder, das wir mit Frau Franziska Goliath im
Kreise ihrer 14 Kinder fhren durften.
Ich habe keinen Mann, und meine Kinder haben keinen
Vater mehr, sagte sie schlicht. Das Leben wird schwer
fr uns sein. Was wir besaen, ist uns von der plndernden
Soldateska Israels geraubt worden. Nein, ich will nicht
weinen. Aber wenn diese armen Waisenkinder mich
immer wieder fragen: Wo ist Pappi Goliath? Kommt er
bald zurck? Hat er schon alle Juden erschlagen?, dann
bricht mir das Herz. Und die Welt schaut zu, ohne etwas
zu tun
Wir senken ergriffen das Haupt vor dieser Frau und
Mutter, die einem unverschuldeten Schicksal tapfer die
Stirn bietet.
Das Rad der Geschichte ist ber das kleine Volk der
Philister hinweggerollt. David hat gesiegt. Es war ein Sieg
der rohen Kraft ber den Geist des Friedens. Goliath, das
wird kein wahrheitsliebender Mensch noch lnger
bezweifeln, wurde das Opfer einer schamlosen jdischen
Aggression.

Wir sind nicht mehr allein

Jedes Land hat den Verbndeten, der ihm gebhrt. Denn


man braucht, wie in einer Ehe, einen Partner frs Leben.
Saudi-Arabien zum Beispiel hat die USA, Zypern ist der
Partner Libyens, Ruland marschiert mit Syrien und die

327
Gerechtigkeit mit uns.
Nicht immer war unsere Lage so rosig wie heute. Lange
Zeit waren wir allein, vllig isoliert in der internationalen
Arena, bis wir endlich draufkamen, da die Gerechtigkeit
auf unserer Seite steht. Dieses Schlsselerlebnis hatten wir
an einem jener Tage, als unsere Delegation an einer
Sondersitzung der UNO-Vollversammlung teilnahm.
Pltzlich erkannten unsere Abgeordneten, da die Gerech-
tigkeit auf unserer Seite stand. berrascht stellten sie ihr
die Frage:
Warum tust du das, Gerechtigkeit?
Und die Gerechtigkeit antwortete schlicht, aber nicht
ohne einen gewissen Stolz:
Ich habe mich eben fr euch entschieden.
Es ist ein wunderbares Gefhl. Endlich sind wir nicht
mehr allein. Wenn uns, Gott behte, irgend etwas
geschehen, etwas Unvorhergesehenes passieren sollte,
knnen wir uns jederzeit auf die Gerechtigkeit verlassen.
Sie ist zwar nur eine mittelgroe Macht, nicht zu
vergleichen mit den Weltmchten, aber das ist entschieden
besser als nichts. Fr Antrge, die von der Gerechtigkeit
eingebracht werden, stimmen in der UNO meist folgende
Staaten: Honduras.
Nein, wir haben keine Angst mehr. Die Gerechtigkeit
verfgt hoffentlich ber eine gewaltige Kriegsflotte, ihre
Armee ist vorzglich ausgebildet und mit den modernsten
Waffen gerstet. Sollten wir von unseren 21 Nachbar-
staaten angegriffen werden, dann werden wir Gerech-
tigkeit! Gerechtigkeit! rufen, und sie wird uns gleich mit
Dsenjgern und zielsicheren Raketen zu Hilfe eilen.
Auch wenn jede Generation aufs neue versucht, uns ins
Meer zu werfen, wir sind trotz allem noch auf dem
Trockenen. Jeder Feind Israels hat im Verlauf der

328
Geschichte das Zeitliche gesegnet. Manch einer erst in
hohem Alter, 120 Jahre und auch darber, aber dann ist er
doch noch gestorben. Und warum? Weil die Gerechtigkeit
letzten Endes immer den Sieg davon trgt. Das ist nun
einmal so. Und wenn nicht jetzt, dann in 38 Jahren. Und
wenn nicht in 38 Jahren, dann in 380 Jahren. Die
Gerechtigkeit, das lehrt die Erfahrung, siegt.
Ja, der kleine jdische Staat ist endlich nicht mehr allein.
Was fr ein gutes Gefhl.

Bitte nicht drngeln

Aufmerksame unter uns werden sich bestimmt noch an das


Inserat erinnern, das wir anllich der Grndung des
Staates Israel in den Zeitungen verffentlichten:
Ein kleines, einsames und regelmig schikaniertes
Volk sucht zwecks Existenzsicherung einen bemittelten
Partner. Zuschriften erbeten an das Auenministerium
Jerusalem.
Bis Redaktionsschlu hat sich gemeldet: Friedrich
Holzer Kleiderhandlung, Frankfurt am Main.

Yigal ist vernagelt

Unlngst sa ich im Park auf einer Bank, auf der ein alter
Herr in die Lektre einer jiddischen Zeitung vertieft war.
Neben ihm las ein ungefhr zehn Jahre alter Junge in
einem blutrnstigen Comic-Heft. Pltzlich fragte der

329
Junge den alten Herrn:
Gropapa, was ist Inquisition?
Gropapa faltete die Zeitung zusammen und holte
genieerisch aus.
Vor Hunderten von Jahren, mein kleiner Yigal, im
finsteren Mittelalter, hatten unsere Vorvter ein sehr
schweres Leben. Man sperrte sie in Gettos, die von hohen
Mauern umgeben waren, und jeder Christ konnte sie treten
und anspucken und nach Herzenslust erniedrigen. Ja, ja.
So war das damals. Die Steuereintreiber der Frsten und
Bischfe raubten ihnen das letzte Geld, wenn es ihnen
nicht schon die lieben Nachbarn geraubt hatten. Unsere
Waisen wurden lebendig verbrannt, unsere Mnner
wurden zu den niedrigsten Diensten gezwungen, unsere
Frauen wurden
Schon gut, unterbrach ihn Yigal. Das gengt. Ich
habe dich gefragt, Gropapa, was Inquisition bedeutet.
So warte doch. Ich bin gleich so weit. Die Inquisition
war ein frchterliches, grausames Verfahren zur Ein-
schchterung all derer, die an den Dogmen der Kirche
zweifelten. Natrlich waren die Opfer fast immer Juden.
Warum natrlich?
Wirst du mich endlich in Ruhe weiterreden lassen?
rgerte sich der alte Herr. Hr doch zu. In den Folter-
kammern der Inquisition wurden die Opfer von Mnchen
in roten Kapuzen entsetzlich geqult. Man zwickte sie mit
glhenden Zangen, hngte sie verkehrt herum auf, zog
unseren Mrtyrern bei lebendigem Leib
Genug, unterbrach Yigal aufs neue. Den Rest bis zur
Revolution kannst du berspringen.
Bis zu welcher Revolution?
Na, der Aufstand der Juden gegen die Mnche.

330
La deine dummen Reden, Yigal. Unsere Vorfahren
waren fromme, gottesfrchtige Juden, die sich gegen den
Willen des Ewigen nicht auflehnten.
Was heit das? Willst du etwa sagen, da Gott diese
Dinge, da er die Inquisition wollte?
Schm dich, Yigal. Spricht man so von Gott? Unsere
Vorfahren waren groe Helden, die nicht einmal auf dem
Scheiterhaufen von ihrem Glauben ablieen. Ihre ber-
zeugung war unerschtterlich, und ihre innere Strke war
gewaltig.
Fein. Und dann sind sie schlielich doch auf die
Mnche losgegangen?
Schweig, du miratenes Kind. Deine einzige Entschul-
digung ist, da du nicht weit, wovon du sprichst. Unsere
Vorfahren glaubten so fest an Gottes Gerechtigkeit, da
selbst ihre Folterknechte von bleichem Schrecken erfat
wurden und aus Angst immer mehr und mehr unschuldige
Opfer tteten.
Ist das ein Witz, Opa?
Ruhe. Willst du das Andenken unserer Mrtyrer
entweihen? Wenn sie der Inquisition nicht so heldenhaft
Widerstand geleistet htten, wrest du heute kein Jude.
Das ist nicht wahr, emprte sich Yigal. Ich wre auf
jeden Fall ein Jude, weil ich in Israel geboren bin.
Ein Heide bist du, sonst nichts. Weil du keine Ehrfurcht
vor dem Heldenmut unserer Vorfahren hast.
Quatsch, rief Yigal und sprang auf. Willst du mir
einreden, da es Gottes Wille wre, wenn mich die
Mnche verbrennen? Sei nicht bs, Gropapa, aber das ist
ein Unsinn. Und deine Vorfahren mssen frchterliche
Waschlappen gewesen sein.
Damit wandte Yigal sich ab und lie uns sitzen.

331
Was sagst du da, was? zrnte der alte Herr hinter ihm
her. Dann wandte er sich kopfschttelnd an mich:
Waschlappen! Ist Ihnen eine solche Unverschmtheit
jemals untergekommen? Und fr diese Brut haben wir
unseren Staat gebaut. Sind sie nicht frchterlich? Sagen
Sie selbst, sind sie nicht frchterlich? Er schttelte
nochmals den Kopf, seufzte tief auf und sagte leise: Gott
segne sie.

Trotzdemia, mon amour

Der typische Bewohner des Landes Trotzdemia zeichnet


sich dadurch aus, da er am Freitag um 15.30 Uhr noch
zum Paketpostamt geht und zu unserem Treffen zu spt
kommt. Das heit, er kommt nicht zu spt, sondern gar
nicht. Man findet ihn, wenn berhaupt, zu Hause. Unseren
Vorwurf wischt er einfach hinweg: Mein Lieber, wir
waren fr Dienstag verabredet. Protest ist sinnlos. Wir
hatten ohnedies Donnerstag vereinbart.
Wo immer er auftaucht, greift der Trotzdemianer sofort
alles an, um festzustellen, ob es echt ist. Sieht er ein
Sandwich, so beit er hinein, sieht er irgendwo eine Taste,
schaut er sich vorsichtig um und drckt sie. Gibt es dann
einen Kurzschlu, beschimpft er das E-Werk. Er steckt
seine Nase in fremde Taschen, fremde Schubladen, fremde
Schachpartien. Wenn nichts da ist, wo er sie hineinstecken
kann, bohrt er in ihr.
Nicht weniger charakteristisch ist die Flasche nach dem
Sndenfall. Wenn ich irgendwo auf der Welt in einem
Kino oder Konzertsaal das unangenehme Gerusch einer
herumrollenden Flasche hre, kann ich mit Sicherheit

332
gleich einem Landsmann die Hand schtteln.
Ein weiteres Kennzeichen sind die Schlssel, die der
Trotzdemianer bei sich trgt. Es sind mindestens 21. Von
12 hat er keine Ahnung, zu welchem Schlo sie gehren.
Wenn er nach Hause kommt und aufsperren will, mu er 8
Schlssel ausprobieren, bevor er den richtigen hat. Dieser
qulenden Prozedur entgeht er dadurch, da er alle 21
verliert und erzhlt, er sei auf der Strae berfallen
worden.
Ein Beamter der trotzdemianischen Regierung begab
sich vor kurzem mit wichtigen Geheimdokumenten des
Sicherheitsdienstes nach Istanbul. Dort angekommen,
ffnete er seinen Diplomatenkoffer und stellte fest, da er
den Schminkkoffer seiner Gattin Selma geb. Friedmann
mitgenommen hatte. Daraufhin behauptete er, man htte
ihn offensichtlich mit dem Transport von Kosmetik-
artikeln beauftragt. Er wurde entlassen und ist seither in
der Gegenspionage ttig.
Ein besonders aufflliges Merkmal des Trotzdemianers
ist seine Abneigung gegen jede Art von Gebrauchs-
anweisungen. Eine Liste mit der Aufschrift Oben stellt
er grundstzlich so hin, da das Oben nach unten zeigt.
Pakete mit der roten Aufschrift Vorsicht, zerbrechlich
wirft er in die Luft, steckt die Finger in die Ohren und tritt
zur Seite. Die Anweisung Kalt und trocken aufbe-
wahren veranlat ihn, das jeweilige Produkt auf dem
Boiler seines Badezimmers zu deponieren, was
glcklicherweise keine Folgen hat, da der Boiler nicht
heizt. Er ruft den Installateur an, der ist aber auf dem
Paketpostamt. Daraufhin bermalt er den Boiler. Er
bermalt leidenschaftlich gerne. Wenn etwas schmutzig
ist, bermalt er es. Wenn es rostig ist, malt er ein zweites
Mal drber. Fr Reparaturen, fr die ein Schweigert
erforderlich ist, verwendet er Klebstoff. Schrauben ersetzt

333
er durch Heftpflaster. Es hlt.
Der Trotzdemianer it laut, spricht laut, geht laut und
beklagt sich ber den Lrm. Manchmal allerdings zeigt
sich seine gute Kinderstube. In einem Restaurant schmatzt
er erst dann darauf los, wenn der Pianist zu spielen
beginnt. Aber wenn sein Radio zu Hause wie ein
Teekessel pfeift, wartet er ein Jahr, bevor er den Elektriker
holt. Dieser rt ihm, den Apparat links ein wenig anzu-
heben. Er hebt ihn an, und da der Lrm tatschlich aufhrt,
legt er eine leere Streichholzschachtel unter die linke
Seite. Wenn der Lrm wieder beginnt, wechselt er die
Streichholzschachtel oder versetzt dem Kasten einen
leichten Schlag.
Beim CD-Player macht er es genauso und mit dem
gleichen Erfolg. Seine Stereoanlage hat 16 Lautsprecher,
wovon 3 einwandfrei funktionieren. Bei greren
Apparaten arbeitet er mit Futritten. Die Zentralheizung
funktioniert berhaupt erst nach einem Tritt in den
Thermostat. Jeden Morgen geht er in den Keller, um zu
treten. Schlielich bricht er sich den groen Zeh. Darauf-
hin ruft er seinen Kassenarzt an, der aber nicht kommen
kann, weil er um 15.30 Uhr ein Paket aufgeben mu.
Daraufhin kauft der Trotzdemianer sechs kleine Petro-
leumfen heimischer Produktion, von denen zwei wunder-
bare Wrme geben.
Heimische Produkte zeichnen sich berdies durch ihre
Vielfalt aus. Im Brot sind Nsse oder Reingel. In der
Milch noch nicht ausgeschlpfte Schmetterlinge. Im
Mineralwasser Wasser. Im Koffer doppelter Boden.
Wenn ein trotzdemianischer Wasserhahn nicht tropft, so
liegt das daran, da das Wasser abgesperrt ist. Auch der
elektrische Strom wird einmal am Tag abgestellt, denn die
Turbinen des Elektrizittswerks mssen bermalt werden.

334
Der echte Trotzdemianer bentzt zum Eindrehen von
Schrauben seine Nagelfeile und zum Putzen seiner Ngel
einen stumpfen Bleistift. Wichtige Telefonnummern
notiert er auf einer Papierserviette, die er verliert. Bei
extremer Nervositt ruft er den Notdienst an, weil ihn das
Besetztzeichen beruhigt. Wenn nicht besetzt ist, wei er,
da er eine falsche Nummer erwischt hat und legt auf.
Der Trotzdemianer ist stolz und freiheitsliebend. Er reist
viel, bestellt in vegetarischen Gasthusern mit Vorliebe
Beefsteak, in Sushi-Bars Wienerschnitzel, natrlich nur
vom Kalbfleisch. Zwischen zwei Reisen kauft er Dutzende
von Lotterielosen. Er legt grten Wert auf Hygiene. Zum
Einpacken von Kse verwendet er kein beliebiges
Zeitungspapier, sondern Hochglanzmagazine. Auch in der
Oper benimmt er sich sehr wohlerzogen und wirft die
Orangenschalen nicht auf die Bhne, sondern unter den
Sitz.
Seine trotzdemianische Sprache ist reich an ber-
raschungen und sprachlichen Vieldeutigkeiten. So sollte
ein Uneingeweihter wissen, da er zum Beispiel bei der
Ankndigung Wird gleich erledigt gar nicht erst zu
warten braucht und bei der Beschwichtigung: Nun
machen Sie sich mal keine Sorgen das Schlimmste
befrchten sollte. Ein gutes Zeichen ist hingegen, wenn er
gar keine Antwort bekommt. Dann gibt es noch eine
gewisse Hoffnung.
Der Trotzdemianer gewinnt Kriege, wenn ihn die
Amerikaner nicht daran hindern. Er lenkt seinen Panzer
verschlafen in die falsche Richtung, nimmt den feind-
lichen Generalstab versehentlich gefangen und kehrt
immer noch verschlafen als Sieger zurck. Auer fr
militrische Fragen interessiert er sich nur fr die Bar-
Mizwa seines Sohnes Nimrod und fr Fuball. Er betreibt
auch selbst Sport, obwohl er eigentlich am liebsten den

335
ganzen Tag in einem Liegestuhl auf dem Balkon faulenzen
wrde. Wenn der Liegestuhl nicht kaputt wre. Er hat ihn
zwar schon ein paar Mal mit Klebestreifen repariert, aber
die Beine halten nicht. Man wird sie bermalen mssen.
Der Trotzdemianer ist letzten Endes ein netter Kerl. Er
hat seinen eigenen mediterranen Lebensstil entwickelt, an
den man sich erst gewhnen mu. Er hat vielleicht nicht
die feinste Lebensart, aber fr einen Humoristen ist er
ungemein ergiebig.
Ich jedenfalls habe ihn gern.
Das war also Israel aus der Nhe. Wie schon erwhnt,
sieht es aus der Ferne viel vorteilhafter aus. Und der
Israeli, gewissermaen von Natur aus schizophren, hat die
sonderbare Fhigkeit entwickelt, sein Land gleichzeitig
aus der Nhe und aus der Ferne zu betrachten.
Von wo aus auch immer er es betrachtet, es ist das
einzige Land, das ihm gehrt, das einzige Land auf Erden,
in dem ein Jude kein Jude mehr ist.
Es ist das Land, das ihm seine Menschenwrde wieder-
gegeben hat, und die ist fr seine Sabres etwas so
Selbstverstndliches, da sie gar nicht mehr verstehen,
worber er sich so aufregt.
Es ist das Land seiner Vter, es ist seine historische,
seine gegenwrtige und seine zuknftige Heimat. Er liebt
es mit all seinen Fehlern, aber er mchte auch die Vorzge
lieben drfen, auch die einmaligen Leistungen, die er voll-
bracht hat.
Er mchte stolz darauf sein, ein Israeli zu sein, ein
Mensch wie alle anderen auch.
Schalom.

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