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Martin Trebsdorf

Biologie
Anatomie
Ph y siologie
Lehrbuch und Atlas
Der Autor hat alle Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass etwaige Auswahl und Dosierungsanga-
ben von Medikamenten im vorliegenden Text mit den aktuellen Vorschriften und der Praxis bereinstimmen.
Trotzdem muss der Leser im Hinblick auf den Stand der Forschung und mit Blick auf die nderung staatlicher
Gesetzgebungen, mit dem ununterbrochenen Strom neuer Erkenntnisse bezglich Medikamentenwirkung und
Nebenwirkungen unbedingt bei jedem Medikament den Packungsprospekt konsultieren, um mgliche nde-
rungen im Hinblick auf Indikation und Dosis nicht zu bersehen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt
auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-
und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und daher von jedermann benutzt werden drfen.

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Autor:
Dr. pd. Martin Trebsdorf
Illustrationsideen und Beratung:
Dipl.-Med. pd. Paul Gebhardt
Zeichnungen:
Sylvana Bardl, Halle
Mark Bitter, Hamburg
Andreas Busse, Suderburg
Steffen Faust, Berlin
Gerhard Schfer, Bad Bevensen
Layout und Satz:
GS Werbeagentur, Bad Bevensen

Lektorat:
Karin Schanzenbach, Hamburg
Rdiger Mackenthun, Suderburg

ISBN 3-928537-30-X
7. Auflage 2002
1993 by Lau-Verlag GmbH, Reinbek
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier
Vorwort 3

Das vllig neue Gesicht der 4. Auflage hat sowohl bei Schlern als auch bei Lehrern groen
Anklang gefunden, nicht zuletzt weil das bewhrte inhaltliche und didaktische Grundkonzept
beibehalten wurde. Das hat uns bewogen, auch die 5. Auflage weiter zu verbessern, was durch viele
neu gestaltete Zeichnungen sichtbar wird.

Bei der Arbeit mit dem Buch ist es deshalb von groer Bedeutung, stets den Text in engster
Verbindung mit den in unmittelbarer Nhe befindlichen Abbildungen und Tabellen zu studieren.
Gerade durch diese enge Nachbarschaft von Text und Bild lesen und sogleich sehen hebt sich die-
ses Lehrbuch unmissverstndlich von allen anderen ab, zum Vorteil von Lernenden und Lehrenden.
Aufgrund dieser Tatsache war es auch mglich, einfache oder bereits bekannte Sachverhalte, wie
zum Beispiel makroskopische Strukturen, nur aufzuzhlen, um dadurch das umfangreiche anato-
mische und physiologische Wissen gerafft wiedergeben zu knnen.

Das Studieren wird durch den streng logischen Aufbau und eine bersichtliche Anordnung des Stoffes
erleichtert. In Merkstzen wird das Wichtigste immer wieder przise zusammengefasst.
Wiederholungsfragen am Ende der Kapitel helfen, den Lerneffekt zu berprfen. Hilfreich dabei ist
auch das umfangreiche Stichwortregister.

Darber hinaus bietet die neugeschaffene, extra zu diesem Buch konzipierte CD-Rom die
Mglichkeit, mit Hilfe neuer Technik die Inhalte noch prziser anschaulich aufnehmen und erarbei-
ten zu knnen.

Reinbek, im Juni 2002 Martin Trebsdorf

Die positiven Resonanzen haben uns bewogen, das Konzept unverndert zu lassen. Mit der vorlie-
genden 6. Auflage zhlt das Werk im Bereich Biologie, Anatomie, Physiologie bereits zu den
erfolgreichsten Titeln in der Ausbildung der pflegerischen und medizinischen Berufe, was auch auf
die vielen Anregungen von Dozentinnen und Dozenten sowie den Auszubildenden selber zurckzu-
fhren ist. Hierfr mchten wir uns bedanken, weil ein gutes und erfolgreiches Buch nur dann Ihren
Ansprchen gerecht wird, wenn immer wieder Hinweise und Tipps aus der tglichen Praxis berck-
sichtigt werden.

Die mitgelieferte CD gehrt selbstverstndlich weiterhin zur Ausstattung und wird Ihnen ein hilfrei-
cher Begleiter whrend Ihres beruflichen Werdeganges sein.

Reinbek, im August 2002 Uwe Hamann


Lau-Verlag, Reinbek bei Hamburg
4 Erluterungen zu den Abkrzungen und Zeichen

Abk. Fachbez. deutsche Bez. Vorstze vor Maeinheiten


A. Arteria Arterie Symbol Faktor Beispiele
Aa. Arteriae Arterien
Art. Articulatio Gelenk Kilo k 1000 (103) 1 kg = 1000 g
Artt. Articulationes Gelenke Dezi d 0,1 (101) 1 dm = 0,1 m
Col. Columna Sule Zenti c 0,01 (102) 1 cm = 0,01 m
Gl. Glandula Drse Milli m 0,001 (103) 1 mm = 0,001 m
Gll. Glandulae Drsen Mikro 0,000001 (106) 1 m = 0,000001 m
Lig. Ligamentum Band Nano n 109 1 nm = 0,000000001m
Ligg. Ligamenta Bnder
M. Musculus Muskel Chemische Elemente
Mm. Musculi Muskeln Element Symbol
N. Nervus Nerv Calcium Ca
Nn. Nervi Nerven Chlor Cl
Proc. Processus Fortsatz Eisen Fe
R. Ramus Zweig, Ast Fluor F
V. Vena Vene Iod I
Vv. Venae Venen Kohlenstoff C
Magnesium Mg
Sonstige Abkrzungen Natrium Na
ADH antidiuretisches Hormon Sauerstoff O
ADP Adenosindiphosphat Stickstoff N
AMP Adenosinmonophosphat Zink Zn
ATP Adenosintriphosphat
BPH benigne Prostatahyperplasie
Chemische Verbindungen
Element Symbol
dB Dezibel (Pegelma)
EEG Elektroenzephalogramm, -graphie Kohlendioxid CO2
EPS extrapyramidal-motorisches System Kohlensure H2CO3
EZF extrazellulre Flssigkeit Salzsure HCl
EZR extrazellulrer Raum Wasser H2O
HCG Choriongonadotropin
HMV Herzminutenvolumen Funktionelle Gruppen
HPL human placento lactogen (Plazentalaktogen) Element Symbol
IgG Immunglobulin G Aminogruppe NH2
IZF intrazellulre Flssigkeit Carboxylgruppe COOH
IZR intrazellulrer Raum Hydroxylgruppe OH
NNM Nebennierenmark Phosphatgruppe PO4
NNR Nebennierenrinde Sulfatgruppe SO4
PNS peripheres Nervensystem
R Moleklrest
ZNS Zentralnervensystem Besonders hervorgehoben sind einzelne Passagen
mit folgenden Markierungen:

Maeinheiten Merke
s Mikrosekunde (0,000 001 s)
ms Millisekunde (0,001 s) Diese Merkestze enthalten wichtige ergn-
g Mikrogramm (0,000 001 g) zende oder zusammenfassende Informa-
mg Milligramm (0,001 g) tionen der vorangegangenen Inhalte.
m Mikrometer (0,000 001 m)
nm Nanometer (0,000 000 001 m)
l
nl
Mikroliter (0,000 001 l)
Nanoliter (0,000 000 001 l)

P Die nachfolgenden Informationen stellen
Pa Pascal (0,0075 mmHg) einen Praxisbezug dar.
mmHg Millimeter Quecksilbersule (133 Pa = 1,33 mbar)
mbar Millibar (100 Pa = 0,75 mmHg) Allgemeine Symbole
A Ampre (Stromstrke)

V Volt (Potential) = Erhhung, Anstieg


Hz Hertz (= 1/s) = Reduzierung, Abfall


mol Mol = siehe
Inhaltsverzeichnis 5

Vorwort 3

Vv.
Venae Erluterungen zu den Abkrzungen und Zeichen 4

1 Der menschliche Krper 11


1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie 11
1.2 Orientierung am Krper 15

2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe 17


2.1 Bau- und Funktionsstoffe des menschlichen Krpers
und ihre biologische Bedeutung 17
2.1.1 Wasser 17
2.1.2 Mineralstoffe 18
2.1.3 Kohlenhydrate, Fette und Eiweie 19
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 22
2.2.1 Bau und Funktion der Zelle 23
2.2.2 Flssigkeitsrume des Krpers und Krperflssigkeiten 28
2.2.3 Das innere Milieu 28
2.2.4 Sure-Basen-Haushalt 29
2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 31
2.3.1 Passiver Transport 32
2.3.2 Aktiver Transport 33
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 35
2.4.1 Stoff- und Energiewechsel 35
2.4.2 Bedeutung energiereicher Phosphatverbindungen
im Stoff- und Energiewechsel 36
2.4.3 Enzyme 37
2.4.4 Stoffumsatz- und Energiefreisetzung 40
2.5 Genetik (Vererbungslehre) 43
2.5.1 Chromosomen 43
2.5.2 Nukleinsuren als Trgerstoff der Erbinformation 44
2.5.3 Zellteilung 48
2.5.4 Gesetzmigkeiten der Vererbung Mendelsche Erbregeln 50
2.5.5 Mutationen 54
2.5.6 Modifikationen 56
Fragen zur Wiederholung 57
6 Inhaltsverzeichnis

3 Gewebe 59
3.1 Epithelgewebe (= Epithel) 60
3.2 Binde- und Sttzgewebe 62
3.3 Muskelgewebe 68
3.4 Nervengewebe 69
3.4.1 Bau 69
3.4.2 Grundlagen der Erregungsphysiologie 71
Fragen zur Wiederholung 76

4 Hautsystem (Hute und Drsen) 77


4.1 uere Haut 77
4.1.1 Schichten der ueren Haut 77
4.1.2 Gefversorgung 80
4.1.3 Haut als Sinnesorgan 80
4.1.4 Altersvernderung der Haut 82
4.2 Anhangsorgane der Haut 82
4.2.1 Hautdrsen 82
4.2.2 Haare (Pili) 83
4.2.3 Ngel 85
4.3 Schleimhaut (Tunica mucosa) 85
4.4 Serse Haut (Tunica serosa) und serse Hhlen 86
4.5 Drsen (berblick) 86
Fragen zur Wiederholung 88

5 Sttz- und Bewegungssystem 89


5.1 Allgemeine Knochenlehre 89
5.1.1 Aufgaben der Knochen 89
5.1.2 Knochentypen 89
5.1.3 Bau eines Knochens 89
5.1.4 Knochenwachstum 90
5.1.5 Knochenverbindungen 91
5.2 Allgemeine Muskellehre 95
5.2.1 Bau und Hilfseinrichtungen des Skelettmuskels 95
5.2.2 Kontraktion des Skelettmuskels 96
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 104
5.3.1 Wirbelsule (Columna vertebralis) 104
5.3.2 Brustkorb (Thorax) 109
5.3.3 Schultergrtel und obere Extremitt 111
5.3.4 Beckengrtel und untere Extremitt 118
5.3.5 Kopf (Caput) 128
Fragen zur Wiederholung 135
Inhaltsverzeichnis 7

6 Leibeswand und Beckenboden 137

6.1 Brustwand 137


6.2 Bauchwand 137
6.3 Leistenregion (Regio inguinalis) 138
6.4 Beckenboden 140
Fragen zur Wiederholung 142

7 Die groen Krperhhlen 143


7.1 Brusthhle (Cavitas thoracis) 143
7.2 Bauchhhle (Cavitas abdominalis) 144
7.2.1 Bauchfell (Peritoneum) 144
7.2.2 Lage der Bauchorgane 146
7.3 Beckenhhle 148
Fragen zur Wiederholung 148

8 Hals (Collum) 149


8.1 Bau 149
8.2 Leitungsbahnen 149
Fragen zur Wiederholung 152

9 Kreislaufsystem 153
9.1 Aufgaben (berblick) 153
9.2 Das Blut 153
9.2.1 Blutzellen (Blutkrperchen) 153
9.2.2 Blutplasma 156
9.3 Physiologie des Blutes 156
9.3.1 Transportfunktion 156
9.3.2 Blutstillung (Hmostase) 157
9.3.3 Fibrinolyse 158
9.3.4 Blut und Immunsystem 158
9.3.5 Unspezifische und spezifische humorale und zellulre
Abwehrmechanismen 165
9.3.6 Verschiedene Immunreaktionen 168
9.3.7 Immunisierung 168
9.3.8 Blutgruppen des Menschen 168
9.4 Das Herz (Cor) 172
9.5 Gefsystem 176
9.5.1 Blutgefarten 176
9.5.2 Blutkreislauf 178
9.5.3 Lymphgefsystem 187
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 189
9.6.1 Erregung des Herzens 189
9.6.2 Mechanik der Herzttigkeit 191
8 Inhaltsverzeichnis

9.6.3 Funktion der Gefe 196


9.6.4 Regulation des Blutkreislaufes 202
Fragen zur Wiederholung 205

10 Wrmehaushalt 207
10.1 Krpertemperatur des Menschen 207
10.2 Wrmeproduktion und Wrmeabgabe 208
Fragen zur Wiederholung 212

11 Atmungssystem 213
11.1 Gliederung 213
11.2 Bau der Atmungsorgane 213
11.2.1 Nase (Nasus) 213
11.2.2 Rachen (Pharynx) 214
11.2.3 Kehlkopf (Larynx) 216
11.2.4 Luftrhre (Trachea) 219
11.2.5 Lungen (Pulmones) 220
11.2.6 Brustfell (Pleura) 223
11.3 Physiologie der Atmung 224
11.3.1 Atembewegungen 224
11.3.2 Gasaustausch 228
11.3.3 Atemgastransport 229
11.3.4 Regulation der Atmung 230
Fragen zur Wiederholung 232

12 Verdauungssystem 233

12.1 Mundhhle (Cavum oris) 234


12.1.1 Lippen und Wangen 234
12.1.2 Zhne, Gebiss 234
12.1.3 Zunge (Lingua, Glossa) 237
12.1.4 Gaumen (Palatum) 238
12.1.5 Groe Mundspeicheldrsen 238
12.2 Speiserhre (sophagus) 239
12.3 Magen (Gaster, Ventriculus) 240
12.4 Dnndarm (Intestinum tenue) 242
12.5 Dickdarm (Intestinum crassum) 244
12.6 Leber (Hepar) 246
12.7 Bauchspeicheldrse (Pankreas) 250
12.8 Physiologie der Verdauung 252
12.8.1 Verdauungsvorgnge in der Mundhhle 252
12.8.2 Verdauungsvorgnge im Magen 254
12.8.3 Verdauungsvorgnge im Dnndarm 255
12.8.4 Verdauungsvorgnge im Dickdarm 256
12.8.5 Regulation der Verdauung 257
12.8.6 Funktionen der Leber (berblick) 259
Fragen zur Wiederholung 262
Inhaltsverzeichnis 9

13 Harnsystem, Funktionen der Niere 263

13.1 Niere (Ren, Nephron) 264


13.2 Harnleiter (Ureter) 267
13.3 Harnblase (Vesica urinaria) 268
13.4 Harnrhre (Urethra) 270
13.5 Physiologie der Niere 271
Fragen zur Wiederholung 276

14 Geschlechtssystem (Genitalsystem) 277


14.1 Mnnliche Geschlechtsorgane 277
14.1.1 Innere mnnliche Geschlechtsorgane 278
14.1.2 uere mnnliche Geschlechtsorgane 280
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 281
14.2.1 Innere weibliche Geschlechtsorgane 281
14.2.2 uere weibliche Geschlechtsorgane 285
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung des Menschen
bis zur Geburt (berblick) 286
Fragen zur Wiederholung 294

15 Hormonsystem (Endokrines System) 295


15.1 Regulationsfunktionen der Hormone 295
15.2 Hormongruppen 298
15.2.1 Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse 298
15.2.2 Hormone des Hypophysenvorderlappens 299
15.3 Periphere Hormondrsen, die durch die glandotropen Hormone
gesteuert werden 301
15.3.1 Schilddrse und die Hormone
Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) 301
15.3.2 Nebennieren und ihre Hormone 302
15.3.3 Keimdrsen, Sexualhormone
und Menstruationszyklus 304
15.4 Periphere Hormondrsen, die nicht durch die glandotropen
Hormone gesteuert werden 307
15.4.1 Pankreashormone und Blutzuckerregulation 307
15.4.2 Hormonelle Regulation des Mineralhaushaltes
(berblick) 308
Fragen zur Wiederholung 310

16 Sinnessystem 311

16.1 Oberflchen- und Tiefensensibilitt 312


16.2 Chemische Sinne (Geschmack und Geruch) 313
16.3 Hr- und Gleichgewichtssinn 315
10 Inhaltsverzeichnis

16.3.1 Gleichgewichtssinn 316


16.3.2 Gehrsinn 318
16.3.3 Physiologie des Hrens 319
16.4 Gesichtssinn 321
16.4.1 Bau des Auges 321
16.4.2 Schutz- und Bewegungsapparat des Auges 323
16.4.3 Physiologie des Sehens 326
Fragen zur Wiederholung 330

17 Nervensystem 331
17.1 Gliederung 331
17.2 Rckenmark (Medulla spinalis) 332
17.2.1 Lage und Form 333
17.2.2 Innerer Bau 333
17.2.3 Rckenmarksegmente 335
17.3 Gehirn (Encephalon) 335
17.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung 335
17.3.2 Endhirn (Telencephalon) 335
17.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon) 341
17.3.4 Mittelhirn (Mesencephalon) 342
17.3.5 Brcke (Pons) 343
17.3.6 Kleinhirn (Cerebellum) 343
17.3.7 Verlngertes Mark (Medulla oblongata) 344
17.3.8 Netzsubstanz (Formatio reticularis) und aufsteigendes
retikulres aktivierendes System (ARAS) 344
17.4 Hirnkammern (Ventriculi encephali) 345
17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS 345
17.6 Gehirn-Rckenmarks-Flssigkeit (Liquor cerebrospinalis) 346
17.7 Blutversorgung des Gehirns 348
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 349
17.8.1 Sensible aufsteigende Leitungsbahnen 349
17.8.2 Motorische absteigende Leitungsbahnen 350
17.9 Peripheres Nervensystem (PNS) 352
17.9.1 Hirnnerven 353
17.9.2 Rckenmarksnerven (Nn. spinales) 357
17.10 Reflexe 361
17.11 Vegetatives Nervensystem (VNS) 364
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme VNS,
animales Nervensystem und Hormonsystem 371
17.13 Wachsein und Schlafen 372
Fragen zur Wiederholung 375

Stichwortverzeichnis 377
11

1 Der menschliche Krper

1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie ist keine Diagnose
Anatomie und Physiologie (Krankheitsbestimmung) und ohne Diagnose
keine Therapie (Heilverfahren) mglich.
Die genaue Kenntnis des gesunden menschli-
chen Krpers ist eine unabdingbare Vorausset- Anatomische und physiologische Kenntnisse
zung, um pathologische (krankhafte) Vernde- sind die erste Voraussetzung fr alle Pflege- und
rungen festzustellen. Ohne die Kenntnisse der Gesundheitsfachberufe.

Kopf
(Caput)

Hals
(Collum)

Rumpf
(Truncus)

obere Extremitt
(Membrum superius)

Bauch
(Abdomen)

Becken
(Pelvis)

untere Extremitt
(Membrum inferius)

Krperbau von Mann und Frau. Abb. 1.1


12 1 Der menschliche Krper

Der Mensch gehrt als biologische Art zur rhre (vorn),


Klasse der Sugetiere, von denen er sich aller- den Anfangsteil der Speiserhre (hinter der
dings in einigen Merkmalen deutlich unter- Luftrhre und vor der Halswirbelsule) sowie
scheidet. Blutgefe und Nerven, welche zwischen
Dies sind Brusthhle und Kopf seitlich verlaufen;
die sprliche Krperbehaarung, Rumpf (Truncus), der aus der Wirbelsule, dem
der aufrechte Gang, Brustkorb und dem Beckengrtel besteht. In
der Gebrauch der Hnde und ihm eingebettet sind die Brusthhle (Cavitas
das stark entwickelte Endhirn (Grohirn), thoracis), die Bauchhhle (Cavitas abdominalis)
welches solche herausragenden Leistungen und der Beckenraum (Regio pelvis), in denen
wie das Denken und Sprechen ermglicht. viele Organe geschtzt untergebracht sind;
Betrachten wir also unseren komplizierten und obere Extremitt (Membrum superius), die
zugleich interessanten menschlichen Krper durch den Schultergrtel mit dem Rumpf
nher. An erster Stelle wenden wir uns zunchst beweglich verbunden ist und sich unterglie-
der ueren Krpergestalt zu ( Abb. 1.1). dert in
Oberarm (Brachium),
Gliederung des menschlichen Krpers Unterarm (Antebrachium) und
Der menschliche Krper gliedert sich in Hand (Manus);
Kopf (Caput), in dem sich das Gehirn, wichtige untere Extremitt (Membrum inferius), die
Sinnesorgane sowie die Anfangsorgane des durch den Beckengrtel mit dem Rumpf beweg-
Verdauungs- und Atmungstraktes befinden; lich verbunden ist und sich unterteilt in
Hals (Collum). Er enthlt als Verbindungsteil Oberschenkel (Femur),
zwischen Kopf und Rumpf: Unterschenkel (Crus) und
den Kehlkopf und den Anfangsteil der Luft- Fu (Pes).

Tab. 1.1 Unterschiede zwischen weiblichem und mnnlichem Krper.


Unterschiede Krper der Frau Krper des Mannes
Krpergre kleiner grer
Knochen und schwcher strker
Muskeln
Krperform abgerundet wegen des strker aus- weniger abgerundet wegen des dn-
gebildeten Unterhautfettgewebes (be- neren Unterhautfettgewebes, dafr
sonders an Brust, Ges und Hften) treten die oberflchlichen Muskeln
deutlicher hervor
Kopf kleiner, Kiefer und Kaumuskeln grer, strkere Ausprgung von Ober-
schwcher und Unterkiefer und der Kaumuskulatur
Hals zierlicher, Kehlkopf kleiner, dicker, Kehlkopf grer, deutlich hervor-
Schildknorpel (Adamsapfel) kaum tretender Adamsapfel
vorgewlbt
Schultern strker abgerundet, leicht abfallend, breiter und kantiger
schmaler
Brustkorb enger, krzer weiter, lnger
Rumpf lnger krzer
Becken breiter schmaler
Beine krzer, rundlicher, zierlichere lnger, oberflchliche Muskeln sind
Fugelenke deutlicher zu erkennen
Behaarung schwcher strker; Bartwuchs
Schambehaarung obere Grenze horizontal spitzfrmig zum Nabel laufend
1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie 13

Unterschiede von Mensch zu Mensch Vernderungen der Krpergestalt und


Bereits im Kindesalter erkennen wir, dass jeder Krperproportionen
Mensch eine Reihe uerer Merkmale besitzt, Nach der Geburt erfolgt das Wachstum des Men-
die ihn deutlich von allen anderen Menschen schen diskontinuierlich und proportional ver-
unterscheiden (Ausnahme eineiige Zwillinge). schieden, was bei einem Vergleich zwischen Neu-
Dazu gehren z. B. geborenem, 6jhrigem Kind und Erwachsenen
Konstitution, Krpermasse, deutlich zu erkennen ist ( Abb. 1.2).
Krpergre, Muskelkraft, Beim Neugeborenen sind Kopf und Rumpf
Haut- und Haartyp, Nasen- und Lippenform, relativ gro, Hals und Beine dagegen kurz. Sehr
Hautleistenmuster, Verhaltenseigenschaften, gut erkennt man diese Proportionsvernderun-
Widerstandsfhigkeit gen am Kopf. Whrend beim Neugeborenen die
gegen Krankheiten Kopflnge 1/4 der Krperlnge ausmacht, sind es
und v. a. m. beim Erwachsenen nur noch 1/8. Der Rumpf ist
Aufgrund der unterschiedlichen biologischen Funk- im Vergleich zu den Extremitten beim Neuge-
tionen treten deutliche Unterschiede zwischen borenen wesentlich grer. Beim Neugeborenen
weiblichem und mnnlichem Krper zutage, die in liegt der Nabel, beim Erwachsenen die Sym-
der Tabelle 1.1 gegenbergestellt sind. physe (Schambeinfuge) etwa in der Krpermitte.
Die Brustwirbelsule des Neugeborenen ist nur

P Die geschlechtsspezifischen Unterschiede leicht nach vorn gekrmmt. Erst mit dem
sind genetisch festgelegt und werden mageb- Laufenlernen und dem damit verbundenen auf-
lich durch die Wirkung verschiedener Hormone rechten Gang bilden sich beim Kind die typi-
(auch durch knstliche Hormongaben) beein- schen Krmmungen heraus ( S. 104, Kap.
flusst. 5.3). Das diskontinuierliche Wachstum des
menschlichen Krpers zeigt sich sowohl im

1/4

1/4

... der
gesamten
Krpergre

1/4

1/4

Neugeborenes 6-jhriger Erwachsener

Vernderungen der Proportionen durch Wachstum. Abb. 1.2


14 1 Der menschliche Krper

Lngen- als auch im Breitenwachstum. So ist im 3. Embryologie (Lehre von der Embryonalent-
1. und 5. bis 7. Lebensjahr sowie whrend der wicklung): Dieses Teilgebiet befasst sich mit
Pubertt ein verstrktes Lngenwachstum, der Entwicklung des Menschen von der be-
dazwischen und nach der Pubertt ein erhhtes fruchteten Eizelle bis zur Geburt.
Breitenwachstum zu beobachten.
4. Systematische Anatomie: Sie bietet eine Ein-
Im 5. bis 7. Lebensjahr verndert sich der fllige teilung nach gleichen Funktionen. Auf diese
Kleinkindtyp durch strkeres Wachstum der Weise wird eine Vereinfachung und bessere
Gliedmaen, Vergrerung des Kauapparates, bersicht des menschlichen Krpers erreicht.
Abnahme des Unterhautfettgewebes und Abfla-
chung des Rumpfquerschnittes in den typischen Das Lehrbuch orientiert sich deshalb an der
Schulkindtyp. Diese Krperformvernderungen systematischen Anatomie und behandelt fol-
werden als 1. Gestaltenwandel bezeichnet. Der gende Organsysteme:
2. Gestaltenwandel vollzieht sich whrend der Hautsystem (Hute und Drsen),
Pubertt und fhrt zu den endgltigen Krper- Sttz- und Bewegungssystem,
proportionen des Erwachsenen. In dieser Phase Kreislaufsystem,
werden auch die Geschlechtsorgane funktions- Atmungssystem,
tchtig, und es kommt zur Ausprgung der Verdauungssystem,
sekundren Geschlechtsmerkmale. Harnsystem,
Geschlechtssystem,
Die Regulation des Wachstums erfolgt durch das Hormonsystem,
Erbgut, das Hormon- und das Nervensystem Sinnessystem,
sowie durch Umweltfaktoren wie Ernhrung u.a. Nervensystem.

Inhalte des Lehrgebietes Biologie, Anatomie 5. Topographische Anatomie: Sie beschftigt


und Physiologie sich mit der Lagebeschreibung der Organe.
Im Mittelpunkt des Lehrgebietes steht die Betrach-
tung des Baus von Zellen, Geweben und Orga- Das Ziel der Physiologie besteht darin, die ursch-
nen des menschlichen Krpers einschlielich lichen (kausalen) Zusammenhnge der Lebens-
ihrer Funktionen. vorgnge zu ergrnden. Sie ist ein Teilgebiet der
Biologie und bedient sich naturwissenschaftlicher
Merke Forschungsmethoden.
Biologie ist die Lehre von den Lebewesen; Im vorliegenden Lehrbuch werden im Kapitel
Anatomie die von der Lage, der Form und Grundlagen notwendige physiologische Kennt-
dem Bau der Organe und Gewebe. Mit den nisse und Gesetzmigkeiten aufgezeigt, die
Funktionen und Leistungen des menschli- gleichermaen fr alle Organsysteme gelten.
chen Krpers, seinen Zellen, Geweben und In den weiteren Kapiteln werden die anatomi-
Organen befasst sich die Physiologie. schen und physiologischen Sachverhalte der ein-
zelnen Organe anschaulich dargestellt.
Gliederung der Anatomie
1. Makroskopische Anatomie: Das ist die Lehre Merke
der Krperstrukturen, die mit bloem Auge
wahrzunehmen sind. Anatomie und Physiologie bilden eine
Einheit. Der Bau und die Form einer anato-
2. Mikroskopische Anatomie: Sie befasst sich mit mischen Struktur werden erst verstndlich
den Krperstrukturen, die nur mit Lupe und durch die Kenntnis ihrer Funktion. Umge-
Mikroskop wahrzunehmen sind. Die mikro- kehrt lassen sich Funktionen erst richtig
skopische Anatomie umfat die Histologie erklren, wenn Bau und Form bekannt sind.
(Gewebelehre) und die Zytologie (Zellenlehre).
1.2. Orientierung am Krper 15

1.2 Orientierung am Lngsachse


Krper
Frontalebene
Sowohl in der Anatomie als auch
in der Medizin ist die Lagebe-
schreibung anatomischer Struk-
turen von groer Bedeutung. Um
dies mglichst exakt vornehmen
zu knnen, verwendet man Krper-
achsen und Krperebenen sowie
eine Reihe von Richtungsbezeich-
nungen. Man kann beliebig viele
Achsen und Ebenen durch den
menschlichen Krper bzw. seine Querachse
Organe legen. Entsprechend den
3 Raumdimensionen werden je- Horizontal- oder
weils 3 Gruppen von Hauptachsen Transversal-
und -ebenen unterschieden. ebene
Pfeilachse
Hauptachsen
1.) Lngsachse (Longitudinal- oder
Vertikalachse)
Die Lngsachsen verlaufen zwi-
schen cranial und caudal, also
bei aufrechtem Stand senkrecht
zur Standflche.
2.) Querachse (Horizontal- oder
Transversalachse)
Die Querachsen verlaufen zwi-
schen lateral und lateral, also
von links nach rechts bzw. um-
gekehrt. Jede Querachse steht
senkrecht auf einer Lngsachse.
3.) Pfeilachse (Sagittalachse)
Die Pfeilachsen verlaufen zwi- Medianebene
schen ventral und dorsal, also
von der Krperhinter- zur Kr-
pervorderflche bzw. umge-
kehrt. Die Pfeilachsen stehen Krperebenen. Abb. 1.3
senkrecht zu den Lngs- und
Querachsen.
2.) Sagittalebenen
Hauptebenen Die Sagittalebenen liegen parallel rechts und
Krperebenen sind gedachte Schnittflchen durch links zur Medianebene. Durch sie ist der Krper
den Krper in den 3 Dimensionen des Raumes. von medial nach lateral in viele Lngsscheiben
1.) Medianebene (Sonderfall unter den Sagittal- teilbar.
ebenen) 3.) Frontalebenen
Die Medianebene liegt genau in der Mitte des Die Frontalebene zerlegt den Krper jeweils in
Krpers und teilt ihn in eine rechte und eine einen vorderen und hinteren Abschnitt.
linke Hlfte, die sich spiegelbildlich annhernd 4.) Horizontal- oder Transversalebenen
gleich sind. Es gibt also nur eine Medianebene. Die Ebenen gliedern den Krper immer in einen
oberen und unteren Abschnitt.
16 1 Der menschliche Krper

Merke
Frontalebenen
Es gibt unendlich viele Sagittal-,
Medianebene
Frontal- und Horizontalebenen,
Sagittalebenen aber nur eine Medianebene
(Krpermittelebene).
Die Medianebene ist ebenfalls
eine Sagittalebene.
lateral
medial ventral
dorsal
cranial Richtungsbezeichnungen
Horizontal- caudal Die Richtungsbezeichnungen die-
oder nen ebenfalls der besseren Orien-
Transversal- tierung am Krper. Die wichtigsten
ebene sind in der Tabelle Lage- und
Richtungsbezeichnungen auf einen
Blick verdeutlicht.

Hinzuzufgen ist noch, dass fr


cranial hufig superior (= oben)
proximal
distal und fr caudal inferior (= unten)
benutzt wird.
In gleicher Weise verwendet man
statt ventral anterior (= vorn) und
statt dorsal posterior (= hinten).
Abb. 1.4 Richtungsbezeichnungen.

Lage- und Richtungsbezeichnungen auf einen Blick


Allgemein Den Schdel betreffend
anterior vorne basal in Richtung Schdelbasis
caudal steibeinwrts gelegen occipital in Richtung Hinterhaupt
cranial kopfwrts gelegen frontal in Richtung Stirn
dexter rechts Die Extremitten betreffend
dorsal rckenwrts gelegen proximal rumpfwrts
externus auenliegend distal vom Rumpf weg
inferior weiter unten Arm:
internus innenliegend radial auf der Speichenseite gelegen
lateral seitlich (daumenwrts)
longitudinal lngs verlaufend ulnar auf der Ellenseite gelegen
medial zur Mittelebene hin (kleinfingerwrts)
median in der Medianebene bzw. Hand:
Mittellinie gelegen palmar hohlhandwrts gelegen
posterior weiter hinten dorsal handrckenwrts gelegen
profundus tief gelegen Bein:
sinister links
tibial auf der Schienbeinseite
superficialis oberflchlich gelegen gelegen
superior weiter oben fibular auf der Wadenbeinseite
transversal quer verlaufend gelegen
ventral bauchwrts gelegen Fu:
plantar fusohlenwrts gelegen
dorsal furckenwrts gelegen
17
Grundlagen,
2 Bau- und Funktionsstoffe

Der Mensch ist ein Teil der belebten Natur. In der kleinsten lebensfhigen Struktureinheit,
Zwischen allen Lebewesen und der Umwelt be- der Zelle, vollziehen sich durch Wechselwirkung
stehen lebensnotwendige Wechselwirkungen. mit ihrer unmittelbaren Umgebung die fr das
Besonders wichtig sind: Leben notwendigen Funktionsablufe.
1. die stndige Aufnahme und Abgabe von Stof- Im Folgenden beschftigen wir uns mit allge-
fen und Energie, sowie meinen Grundlagen der Lebensvorgnge.
2. die stndige Aufnahme und Abgabe von Infor-
mationen.
Fr jedes Lebewesen sind die aus der Umwelt 2.1 Bau- und Funktionsstoffe des
aufgenommenen Stoffe krperfremd. In den
Zellen werden sie in der Regel in krpereigene menschlichen Krpers und
Stoffe umgewandelt (= Assimilation) oder un- ihre biologische Bedeutung
verndert ausgeschieden.
Alle Zellen bestehen aus organischen Stoffen
Autotrophe Assimilation (Eiweie, Fette, Kohlenhydrate) und anorgani-
Die grnen Pflanzen sind als autotrophe Lebe- schen Stoffen (Salze, Wasser). Die physikochemi-
wesen in der Lage, im Prozess der Photosynthese mischen Eigenschaften dieser Substanzen bestim-
die anorganischen energiearmen Stoffe CO2 und men ihre biologischen Funktionen in der Zelle.
H2O mithilfe ihres Chlorophylls und unter Nut-
zung der Lichtenergie in den energiereichen orga-
nischen Stoff Glucose (Traubenzucker) umzu- 2.1.1 Wasser
wandeln (= autotrophe Assimilation).
Die Glucose wiederum dient der Pflanze zusam- Der erwachsene Mensch besteht zu 60 % aus
men mit einigen anorganischen Stoffen, z. B. Wasser. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Das
Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phospor (P), als Wasser ist ein polarisiertes Molekl, das als
Ausgangsstoff fr die Synthese der verschiedens- Dipol auf einer Seite positiv, auf der anderen
ten Pflanzeninhaltsstoffe (z. B. Eiweie, Fette, Moleklseite negativ geladen ist. Diese Polari-
Vitamine, Farbstoffe, Duftstoffe). sierung ermglicht es, dass sich Wasser an ande-
re elektrisch geladene Teilchen (Ionen) anlagern
Heterotrophe Assimilation kann.
Alle Lebewesen ohne Chlorophyll, also auch der Der Vorgang der Wasseranlagerung wird als
Mensch, nehmen organische energiereiche Stoffe Hydratation bezeichnet ( Abb. 2.1, Seite 18).
auf, die letztendlich immer von chlorophyllhalti- Die Hydratation spielt fr Wasser- und Elektro-
gen Zellen stammen, und wandeln diese in kr- lytverschiebungen eine wichtige Rolle. Ins-
pereigene Stoffe um (Stoffwechsel). besondere gilt dies fr Flssigkeits- und Stoff-
bewegungen zwischen intrazellulrer Flssigkeit
Merke (IZF = Flssigkeit in den Zellen) und extrazel-
lulrer Flssigkeit (EZF = Flssigkeit auerhalb
Die Photosynthese ist der wichtigste Assimila- der Zellen in den Zellzwischenrumen). Dieser
tionsprozess auf der Erde, weil durch sie so- Dipolcharakter des Wassers ermglicht es auer-
wohl die stoffliche als auch die energetische dem, dass Stoffe gelst und mit der Flssigkeit
Grundlage fr alle heterotrophen Organismen im Organismus transportiert werden knnen.
geschaffen werden. Auerdem produziert sie den Wasser kommt in Moleklverbnden vor. Auf-
gesamten molekularen Sauerstoff auf der grund seiner inneren Struktur kann es viel
Erde. Wrme aufnehmen und transportieren. Diese
Eigenschaft ist eine wichtige Voraussetzung fr
die Regulation der Krpertemperatur.
18 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Wassermolekl positiver Ladungsschwerpunkt


negativer Ladungsschwerpunkt

Ionen mit Wasserhlle

Abb. 2.1 Wassermolekl und Hydratation.

Merke 2.1.2 Mineralstoffe


Wasser dient aufgrund seiner chemischen und Die Mineralstoffe (Salze) liegen entweder disso-
physikalischen Eigenschaften im Organismus ziiert (= Elektrolyte) oder in gebundener Form
als Baustoff (ca. 60 % des menschlichen vor. Die Elektrolytkonzentrationen sind in der
Krpers besteht aus Wasser), EZF und in der IZF unterschiedlich, wie die
als Lsungsmittel und Transportmilieu fr: Tabelle 2.1 zeigt. Alle brigen Mineralstoffe
Elektrolyte, Hormone, Glucose, Aminosu- kommen nur in sehr geringen Mengen vor und
ren, Stoffwechselzwischen- und Stoffwech- werden deshalb als Spurenelemente bezeichnet.
selendprodukte,
der Temperaturregulation, Spurenelemente (Bedeutung)
als Reaktionsmedium und Reaktionsteilneh- Eisen: Zentralatom des roten Blutfarbstoffes
mer fr die chemischen Reaktionen in der (Hmoglobin).
Zelle. Kupfer: Zentralatom vieler Enzyme.

Tab. 2.1 Elektrolytkonzentrationen.


IZR EZR hauptschliche Funktion/
Mineralstoffe (mmol/l)1) (mmol/l) biologische Eigenschaften
Natrium (Na+) 10 145 Grundvoraussetzung
Kalium (K+) 155 4 fr die Erregbarkeit,
osmotische Regulation.
+
Calcium (Ca2 ) 10-5 2,5 Blutgerinnung,
Muskelkontraktion,
Knochen- und Zahnaufbau,
Herzttigkeit, Erregbarkeit.
+
Magnesium (Mg2 ) 15 1 Bestandteil zahlreicher Enzyme.
Chlorid (Cl-) 8 102 HCl-Produktion im Magen,
osmotische Regulation.
Bicarbonat (HCO3-) 10 25 Pufferung.

1) 1 mol = 6 x 1023 Teilchen


2.1 Bau- und Funktionsstoffe 19

Zink: Bestandteil des Insulins und von Enzy- Stoffwechselvorgngen beteiligt. Auerdem sind
men. sie Bausteine fr viele biologisch wichtige
Mangan: Bindegewebs- und Skelettentwicklung, Verbindungen ( Tab. 2.2).
Bestandteil von Enzymen. Der eigentliche Energietrger ist die Glucose
Kobalt: Zentralatom des Vitamin B12, Bildung (Traubenzucker). Im Blut gelst wird Glucose
von Blutzellen. als Blutzucker zu allen Zellen transportiert.
Iod: Bestandteil der Schilddrsenhormone Durch regulierende Hormone (einerseits Insulin,
Trijodthyronin und Thyroxin. andererseits Glucagon u. a. ) wird der Glucose-
Fluor: Knochen- und Zahnaufbau. spiegel im Blut beim Gesunden zwischen 3,4
und 5,5 mmol/l einreguliert (= 0,6 bis 1 g pro
Merke Liter bzw. als Messwert oft angegeben 60 bis
In allen Krperflssigkeiten liegen charakte- 100 mg pro 100 ml Serum).
ristische Elektrolytkonzentrationen vor. Die
dominierenden Ionen im IZR sind K+ und

P Vor allem Erythrozyten und Nervenzellen
Eiweiionen, im EZR Na+ und Cl-. sind bei der Deckung ihres Eigenbedarfes auf
Die Mineralstoffe dienen dem Krper als Bau- Glucose angewiesen. Ein Glucoseabfall im
sowie Regelstoffe und sind Bestandteile von Blut unter 3,4 mmol/l fhrt deshalb zu Ausfall-
Enzymen. erscheinungen des zentralen Nervensystems
(ZNS). Besonders gefhrlich ist der hypoglyk-
mische Schock.

P Vernderungen der Mineralstoffkonzentra-


tionen fhren zu schweren Funktionsstrungen. Glykogen ist die Speicherform der Kohlenhydrate
im tierischen Organismus. Gespeichert wird es in
der Muskulatur (= Muskelglykogen) und in der
Leber (= Leberglykogen). Der Muskelglykogen-
2.1.3 Kohlenhydrate, Fette und Eiweie vorrat ist relativ stabil und betrgt ca. 300 g. Die
Leberglykogenmenge wird mit ca. 100 g angege-
Kohlenhydrate, Fette und Eiweie sind energie- ben und ist sehr beweglich. Glykogen kann bei
Bedarf rasch in Glucose umgewandelt werden.
reiche organische Stoffe. Sie werden als Bau-,
Umgekehrt lsst sich Glucose sehr schnell in
Betriebs- und Funktionsstoffe bentigt. Fr diese
Glykogen umwandeln.
Stoffe besteht ein Mindestbedarf.
Merke
Kohlenhydrate
Die Kohlenhydrate, die aus den Elementen Kohlenhydrate sind der Energielieferant
Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Wasserstoff Nummer eins. Die Mglichkeit der raschen
(H) bestehen, sind die einzigen von den Zellen Umwandlung von Glucose in Glykogen und
stndig bentigten und genutzten Energieliefe- umgekehrt garantiert einen konstanten Blut-
ranten. Sie sind an allen energieabhngigen zuckerspiegel.

bersicht ber wichtige Kohlenhydrate


und ihre biologische Bedeutung im menschlichen Krper. Tab. 2.2
Gruppe Vertreter Biologische Bedeutung

Monosaccharide Glucose (Hexose) Energiespender,


Baustein und Reaktionspartner
Fruktose (Hexose) Reaktionspartner
Ribose (Pentose) Baustein der RNA
Desoxyribose (Pentose) Baustein der DNA
Polysaccharide Glykogen Energiespeicherung
20 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Fette (Lipide)
Fette (bestehend aus den Atomen C, O, H) stel- G Fettsure-Rest
len eine heterogene Stoffgruppe dar. Alle Fett- l R lipophiler
stoffe sind wasserunlslich. Fr unsere Betrach- y Anteil
c e Fettsure-Rest
tung kommen infrage: e
Triglyceride als einfache Lipide, r s
Phosphatide als zusammengesetzte Lipide, die o t Phoshorsure-Rest hydrophiler
zustzlich Phospor (P) und andere Atome ent- l (organischer,
basischer Bestandteil) Anteil
halten,
Cholesterol (= Cholesterin) als wichtigstes
Sterin des hheren tierischen Organismus und Phosphatide gleichen im Aufbau den Triglyce-
Steroidhormone. riden, haben aber statt einem der drei Fettsure-
reste einen Phophorsurerest gebunden, der sich
Triglyceride sind Verbindungen (Ester) von an Wasser binden kann (hydrophiler Anteil). So
Glycerol mit drei gleichen oder verschiedenen knnen Stoffe, die sich nicht in Wasser lsen,
Fettsuren (daher Triester). Dabei kann es sich durch Bindung an Phosphatide wasserlslich,
um gesttigte Fettsuren (FS) handeln, die vor und dadurch mit der Blutflssigkeit transportiert
allem in tierischen Fetten vorkommen, oder um werden. Auerdem werden Phosphatide beim
ungesttigte Fettsuren mit einer oder mehreren Aufbau von Zellwnden und anderen Bio-
Doppelbindungen, die berwiegend Bestandteil membranen bentigt.
pflanzlicher Fette sind. Ungesttigte Fettsuren
Cholesterol (oft noch als Cholesterin bezeich-
sind ernhrungsphysiologisch gnstiger.
net) befindet sich, wie die Phosphatide, in allen
Fettbildung Zellen und wird ebenfalls fr den Aufbau der
G + FS G Biomembranen bentigt. Auerdem ist es
Fettsure-Rest + H2O
l l R Ausgangsstoff fr die Steroidhormone und
y y Gallensuren. Cholesterol kommt in freier
c c e (unveresterter Form) in den Zellen und in gebun-
e + FS e Fettsure-Rest + H2O
s dener (veresterter Form) im Blutplasma vor.
r r
o o t Steroidhormone
l + FS l Fettsure-Rest + H2O

P Ein erhhter Cholesterolspiegel im Blut
Einige Fettsuren kann der Krper selbst synthe- (Hypercholesterinmie) zhlt neben berge-
tisieren, andere mssen zugefhrt werden. Die wicht zu den ernhrungsbedingten Risiko-
wichtigste Fettsure fr den Menschen ist die faktoren fr Arteriosklerose mit den mglichen
Linolsure. Sie ist Ausgangsstoff fr die Syn- Folgen eines Herzinfarktes oder Schlagan-
these weiterer Fettsuren, die bei Mangel von falles.
Linolsure ebenfalls essentiell werden. Mehrfach
ungesttigte Fettsuren werden besonders fr den
Aufbau von Biomembranen bentigt. ( Hormonsystem, Kap. 15.3.3, S. 304).


P Ungesttigte Fettsuren sind besonders in Merke
pflanzlichen Fetten enthalten. Deshalb sind diese Fette leisten vielfltige und ntzliche Auf-
fr die Ernhrung wertvoller als tierische Fette. gaben, wie z. B.:
Energiespeicherung
Triglyceride dienen im Organismus als
Schutz vor Auskhlung Triglyceride
langfristige Energiespeicher und Reservedepot
mechanischen Schutz
(Glykogen dagegen ist ein Kurzzeitspeicher);
Krperfett dem Schutz vor mechanischen Be- und dienen als
lastungen;
Fettschicht unter der Haut der Isolation und Bausteine der Biomembranen Phosphatide,
Cholesterol
der Temperaturregelung des Krpers.
2.1 Bau- und Funktionsstoffe 21

Eiweie (Proteine) Je nach Anzahl der Amino- und Carboxylgrup-


Eiweie, die neben den Atomen C, O und H pen im Molekl unterscheiden wir:
noch Stickstoff (N) und hufig Schwefel (S) und neutrale Aminosuren (Alanin, Threonin,
Phosphor (P) enthalten, sind die kompliziertes- Methionin, Valin, Leucin, Isoleucin),
ten Verbindungen der Lebewesen. Sie stellen den basische Aminosuren (Lysin, Arginin),
Hauptanteil der organischen Substanz des saure Aminosuren (Asparaginsure, Gluta-
Menschen dar. Jeder Zelltyp besteht aus spezifi- minsure).
schen Eiweien, sodass sich auch jedes Indivi-
duum in der Gesamtheit seiner Eiweie von den Aminosuren bilden Ionen, und zwar:
brigen unterscheidet. in neutraler Lsung (pH 7): Zwitterionen,
in saurer Lsung (pH < 7): Kationen,
Aminosuren als Bausteine der Eiweie in basischer Lsung (pH > 7): Anionen.
Die Grundbausteine der Eiweie sind 20 ver-
schiedene Aminosuren, von denen Isoleuzin, Die Fhigkeit, berschssige H+ bzw. OH- che-
Leuzin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Thre- misch zu binden, trgt zur Konstanthaltung des
onin, Tryptophan und Valin essentiell (unent- pH-Wertes der Krperflssigkeiten bei ( auch
behrlich) sind, d. h., diese Aminosuren knnen Pufferung, S. 30).
vom menschlichen Organismus nicht syntheti-
siert werden. Eiweibildung
Aminosuren verknpfen sich zu Peptiden bzw.
Aminosuren sind Stoffe, die im Molekl Eiweien.
Aminogruppen (-NH2) und Carboxylgruppen
(-COOH) enthalten. Je nach Anzahl der miteinander verbundenen
Aminosuren unterscheidet man:
Tab. 2.3 Allgemeine Formel der Aminosuren. Dipeptide: 2 Aminosuren,
Tripeptide: 3 Aminosuren,
H Polypeptide: ab 4 Aminosuren.

R C COOH (= saure Funktion) Merke


Ab einer Kettenlnge von ca. 100 Aminosu-
ren spricht man von Eiweien (Proteinen).
NH2 (= basische Funktion)
Eiweie sind Riesenmolekle.

Verhalten von Aminosuren in Lsungen mit unterschiedlichen pH-Werten. Tab. 2.4

Zwitterion
Das H+ der Carboxylgruppe wandert zur Aminogruppe

R - CH - COO-

Protonenbergang
NH3+

Kation Anion
R - CH - COOH R - CH - COO-

NH3+ NH2

Bei H+-berschuss in saurer Lsung nimmt die Bei OH--berschuss in basischer Lsung verbindet
Carboxylgruppe ein H+ auf. Es entsteht ein Kation. sich das H+ der Aminogruppe mit dem OH- zu H2O.
Es entsteht ein Anion.
22 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Tab. 2.5 Einteilung der Eiweie (bersicht).

Eiweie

einfache Eiweie zusammengesetzte Eiweie


enthalten neben den
nur aus Aminosuren
Aminosuren noch andere
aufgebaut
Bestandteile

Glykoproteine (Schleimstoffe)
Globulre Gerst- (Protein + Kohlenhydrat)
Eiweie eiweie Lipoproteine
(Protein + Fett)
Albumine Kollagene Nucleoproteine
Globuline Keratine (Protein + Nucleinsure)
Phosphoproteine
(Protein + Phosphorsure)

Rumliche Struktur der Eiweie allem in Muskelzellen bzw. -fasern,


Die Proteine liegen in verschiedenen Strukturen Stofftransport durch Transportproteine,
vor, die fr ihre biologische Aktivitt bedeu- Festigung und Schutz durch Strukturproteine
tungsvoll sind. Man unterscheidet vier Stufen: (z. B. Kollagen) in Haut, Sehnen, Knorpel,
Primrstruktur: Genetisch festgelegte Aufein- Knochen,
anderfolge (= Sequenz) der Aminosuren, fr die Pufferung in den Krperflssigkeiten.
es eine gigantische Flle von Mglichkeiten gibt.
Sekundrstruktur: Spiralform (= Helixstruk-
tur), lange Peptidketten.
Tertirstruktur: knuelartige Aufwindung der 2.2 Zellen und ihr umgebendes
Sekundrstruktur durch intramolekulare Wechsel- Milieu
wirkungen.
Quartrstruktur: rumliche Anordnung mehre- Zellen sind die Grundbausteine des menschlichen
rer Tertirstrukturen durch weitere intramoleku- Organismus. Ein einziger Blutstropfen enthlt ca.
lare Wechselwirkungen. 5 Millionen Blutzellen.
In Anpassung an bestimmte Funktionen haben
Eigenschaften und Funktionen der Proteine lie- sich vielfltige Zellformen herausgebildet, z. B.
gen begrndet in ihrer Strukturvielfalt und che- Knochenzellen, Nervenzellen, Epithelzellen,
mischen Reaktionsfreudigkeit. Fettzellen etc.
Die Eiweie kommen bei Pflanzen und Tieren
vor und sind fr die Struktur und fr die Gewebe sind Zellverbnde aus annhernd
Funktion des menschlichen Organismus von gleichartig differenzierten Zellen und der von
groer Bedeutung. ihnen abgegebenen und sie verbindenden Inter-
zellularsubstanz, z. B. Muskelgewebe, Nerven-
Die wichtigsten biologischen Funktionen sind: gewebe, Epithelgewebe, Binde- und Sttz-
Baustoff von Zell- und Gewebsstrukturen, gewebe.
Stoffwechselsteuerung als Enzyme und Hor-
mone, Organe sind Teile des Krpers, die aus verschie-
Abwehr durch Antikrperbildung, denen Geweben bestehen und eine funktionelle
Blutstillung durch die Gerinnungsfaktoren, Einheit bilden, z. B. Auge, Herz, Niere, Lunge,
Bewegung durch kontraktile Eiweie, vor Leber u. a.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 23

Zellorganelle Zellen
(z. B. Mitochondrium) (z. B. glatte Muskelzellen,
Bindegewebszellen)

Ganzheit
Der Mensch
Gewebe
(z. B. Endothelgewebe
der Lungenblschen)

Organ
(z. B. Lunge)
Organsystem
(z. B. Atmungssystem)

Viele gleichartige Zellen bilden durch Zusammenschluss Gewebe; unterschiedliche


Gewebe bilden Organe, und Organe schlieen sich zu Organsystemen zusammen.
Alle Organsysteme bilden den menschlichen Organismus. Abb. 2.2

Organsysteme sind Funktionseinheiten, die aus Die Zelle ist die kleinste selbstndige Bau- und
mehreren Organen bestehen und geordnet zu- Funktionseinheit mit den Kennzeichen des
sammenarbeiten. Das Verdauungssystem z. B. Lebens. Diese sind:
besteht aus den Organen Mund, Rachen, Speise- Vermehrungsfhigkeit (Fortpflanzung),
rhre, Magen und Darm. Formwechsel (Wachstum und Entwicklung),
Informationsaustausch (Aufnahme, Weiter-
Merke leitung, Verarbeitung, Speicherung und Ab-
Der menschliche Organismus besteht aus Zel- gabe von Informationen),
len, Geweben, Organen und Organsystemen. Stoff- und Energiewechsel.
Beachte: Die Zellteilung wird im Abschnitt 2.5.3
Seite 48 beschrieben.
Zellen sind im Prinzip identisch gebaut. Sie vari-
2.2.1 Bau und Funktion der Zelle
ieren allerdings aufgrund unterschiedlicher
Funktionen vor allem in ihrer Gestalt und ihren
Die Zellenlehre (Zytologie) beschreibt den grund-
funktionellen Bestandteilen.
stzlichen Aufbau und die Leistungen der Zellen.
24 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Menschliche Zellen Zellmembran (d = 9 nm = 910 = 9 m)


durchschnittliche Gre: 7,5 m, Alle Membranen der Zelle sind im Prinzip
kleinste Zellen: Lymphozyten (5 m), gleichartig gebaut. Sie sind hauchdnn (wenige
grte Zelle: Eizelle (150 m), millionstel Millimeter) und bestehen aus einer
lngste Zelle: Nervenzelle mit Fortsatz (1 m). Phospholipiddoppelschicht mit eingelagerten
Membranproteinen. Jede Phospholipidschicht
besteht wiederum aus einem hydrophilen
Glykoprotein (wasserlslichen) Anteil (Membranauen- und
-innenseite) und einem hydrophoben (wasserab-
Proteine weisenden) Anteil (Membranmitte).
Die Membranproteine spielen eine wichtige
Fettsuren Rolle fr den Transport hydrophiler Stoffe durch
Cholesterol die Biomembranen. Man unterscheidet diesbe-
zglich zwischen Transportproteinen und Kanal-
oder Tunnelproteinen. Letztere durchdringen die
gesamte Membran, sodass durch den Kanal ge-
lste Stoffe flieen knnen.
Die meisten Zellmembranen besitzen an ihrer
Zytoplasma Auenseite spezifische Kohlenhydratketten, wel-
che in ihrer Gesamtheit als Glykokalyx bezeich-
net werden. Die Glykokalyx ist mit Rezeptor-
Wichtige Membranfunktionen
moleklen ausgestattet, z. B. fr Hormone und
Abgrenzung von Zellen und
Antikrper, und hlt die Zellen zusammen.
Kompartimenten als selektive Barriere
Erkennen von:
Kompartimente (membranumhllte Organellen)
krpereigenen Zellen
pathogenen Keimen (Viren, Bakterien) Als Kompartimente werden Reaktionsrume be-
Botenstoffen durch Rezeptoren zeichnet, die von Membransystemen umschlos-
Moleklen fr deren Aufnahme sen werden. Intrazellulr sind es die Zellorga-
nellen (z. B. Zellkern, Mitochondrien), die vom
Abb. 2.3 Elementarmembran mit Glykokalyx. Zellplasma getrennt sind. Weitere Membran-
systeme bilden das endoplasmatische Retikulum
und den Golgi-Apparat. Sinn dieser Membran-
systeme ist, den Zellinnenraum in eine Vielzahl
Grundbausteine tierischer bzw. von Reaktionsrumen aufzuteilen, damit mg-
menschlicher Zellen lichst viele verschiedene Stoffwechselreaktionen
gleichzeitig ablaufen knnen. Extrazellulr wer-
den der intravasale Raum (in den Blutgefen)
Zellmembran Zellplasma und das Interstitium (die Rume zwischen den
(Plasmalemm) (Zytoplasma)
Zellen, EZR) unterschieden. Die Beziehung der
Flssigkeitsrume zueinander ist in der Abb. 2.4
zu sehen.
Grundplasma Zellorganellen
(Cytosol) Zellkern (Nucleus)
Grundplasma (Cytosol)
Mitochondrien
Das Zellplasma ist ein kolloidales System mit
endoplasmatisches
Retikulum wechselnder Viskositt (= Zhigkeit) und besteht
Ribosomen hauptschlich aus Wasser, Eiweien, Ionen (vor
Golgi-Apparat allem Na+, K+, Ca2+, CI-, PO42-, SO42-) sowie
Lysosomen lslichen Kohlenhydraten und Nukleinsuren.
Microbodies Im Cytosol finden wichtige Stoffwechselreak-
Zytoskelett tionen statt (z. B. Glykolyse, Fettsuresynthese
Zentralkrperchen S. 40/41). Auerdem dient es dem Stoff- und
Informationsaustausch.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 25

Atmungssystem Verdauungssystem Harnsystem Haut

Schweidrse

Blutgef

intravasaler Raum

extrazellulrer
Raum (EZR) interstitieller Raum

intrazellulrer Raum (IZR)

Zellmembran Kapillarmembran
hohe Durchlssigkeit fr hohe Durchlssigkeit
Wasser, geringe fr Ionen fr Wasser und Ionen

Darstellung der Kompartiments-Beziehungen. Abb. 2.4


26 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Zellorganellen und ihre Aufgaben


Zellkern (Nucleus) d: 3 10 m (Kommandozentrale der Zelle)
Wird von einer Doppelmembran abgegrenzt. Im Inneren befinden sich das Chromatin, das Kernkrper-
chen und das Kernplasma. Chromatin und Kernkrperchen bestehen hauptschlich aus Nukleinsure
(95 % DNS, 5 % RNS) und Eiweien; das Kernplasma vorwiegend aus Wasser und Eiweien.
Hauptaufgaben: Speicherung der Erbinformation und ihre Weitergabe an die Orte der Eiweisynthese
whrend des Zellwachstums und der Zellentwicklung, bertragung der Erbinformation bei der Zell-
teilung.

Mitochondrien d: 0,5 1 m; l = 1 5 m (Kraftwerke der Zelle)


Lang gestreckte Zellorganellen, von zwei Membranen begrenzt (uere Membran glatt, innere einge-
stlpt), dadurch mehrfache Kammerbildung (Kompartimentierung) und Oberflchenvergrerung. Ent-
halten Enzyme der Atmungskette, des Zitronensurezyklus und des Fettabbaus.
Aufgabe: Energiebereitstellung durch Oxidation, Abbau von Nhrstoffen.

Agranulres (glattes) endoplasmatisches Retikulum


Meist schlauchfrmig und oft mit Golgi-Apparat verbunden, ohne Ribosomen.
Aufgabe: Bildung der Lipide und Steroidhormone, Entgiftungsfunktion (z. B. Entgiftung von Medika-
menten in Leberzellen).

Granulres (raues) endoplasmatisches Retikulum


Dreidimensionales, rhren- und blschenfrmiges Hohlraumsystem, Membranen sind mit Ribosomen be-
setzt.
Aufgabe: Synthese der verschiedenen Proteine (z. B. Membranproteine, Glykoproteine, Proteine fr den
Aufbau der Lysosomen).

Ribosomen d: 18 20 nm
Kleinste kugelfrmige Partikel, die aus ca. 40 % RNA und 60 % Proteinen bestehen, liegen entweder ein-
zeln im Plasma oder am granulren endoplasmatischen Retikulum.
Aufgabe: Eiweisynthese.

Golgi-Apparat netzfrmig oder Knuel (Verschiebebahnhof der Zelle)


Membranumgrenzte flache Hohlrume (ein Zwischenstapel oder Membranfeld heit Dictyosom).
Aufgabe: Beteiligung an der Synthese aller sekretorischen Produkte einer Zelle, z. B. der Glykoproteine
zur stndigen Erneuerung der Glykokalyx.

Lysosomen d: 0,1 1 m variabel


Vesikel (= Blschen) meist vom Golgi-Apparat stammend, mit Verdauungsenzymen.
Aufgabe: Intrazellulrer Abbau (Verdauung) organischer Substanzen sowohl aus der Zelle als auch von auen.

Microbodies (Peroxisomen) d: 0,5 1,5 m (Mll-Recycling-Anlage der Zelle)


Rundliche membranbegrenzte Zellorganellen, die durch Abschnrung vom endoplasmatischen Retikulum
entstehen, enthalten verschiedene oxydative Enzyme.
Aufgabe: Mithilfe der Katalase wird z. B. das bei bestimmten Stoffwechselreaktionen entstehende giftige
Wasserstoffperoxid (H2O2) in Wasser (H2O) und Sauerstoff (O2) gespalten. Entgiftungsfunktion.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 27

Zytoskelett
Die das Zytoskelett bildenden Strukturen sind fr den Erhalt der Zellform und fr die Stabilitt der Zellen
zustndig. Man unterscheidet:
Mikrofilamente, die aus den fadenfrmigen Eiweien Aktin und Myosin bestehen und sich meist in
Bndeln zusammenlagern, welche dann als Fibrillen bezeichnet werden (z. B. Myofibrillen in Muskel-
zellen, Neurofibrillen in Nervenzellen, Tonofibrillen in Epithelzellen).
Mikrotubuli sind 25 nm dicke, rhrenfrmige, vorwiegend aus dem Protein Tubulin bestehende
Strukturen. Sie befinden sich z. B. in Zilien, Geieln und Mikrovilli und bilden den Spindelapparat
whrend der Zellteilung.
Aufgaben: Stabilisierung von Form und Festigkeit der Zellen, Transport von Zellbestandteilen (z. B.
Chromosomen bzw. Chromatiden, Vesikel) und Widerlager bei Bewegungsablufen.

Zentralkrperchen (Zentriol) l: 400 nm, d: 150 nm


Das Zentriol liegt in der Nhe des Zellkerns und besteht aus 9 Gruppierungen gleich langer Mikrotubuli.
Aufgabe: Die Zentriolen stehen funktionell in enger Beziehung zur geordneten Bewegung der
Chromosomen bei der Zellteilung (Spindelapparat).

Zellkern (Nucleus) Mitochondrien Agranulres (glattes) Granulres (raues)


endoplasmatisches endoplasmatisches
Retikulum Retikulum
mit Ribosomen

Ribosomen Golgi-Apparat

Lysosomen Microbodies Zytoskelett Zentralkrperchen

Bestandteile einer Zelle. Abb. 2.5


28 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

2.2.2 Flssigkeitsrume des Krpers und Bilanzierung


Krperflssigkeiten
Wasserzufuhr Wasserausscheidung
Flssigkeitsrume durch Getrnke Harn Niere
Als Flssigkeitsrume bzw. Kompartimente wer- durch feste Nahrung Kot Darm
den hier die Volumenbereiche des Krpers (z. B. Oxidationswasser Atemluft Lunge
Blutvolumen) bezeichnet. Die Abbildung 2.4 Schwei Haut
(Seite 25) zeigt die Beziehungen der Komparti- = 2,5 l = 2,5 l
mente untereinander und zur Umwelt. Die
Permeabilitt (= Durchlssigkeit) der Barrieren Die temperaturabhngige nicht
(= Kapillar-, Zellmembran) gilt nur fr passive wahrnehmbare Wasserabgabe durch Haut
Transportvorgnge ( S. 32). und Atmung wird als
Perspiratio insensibilis bezeichnet.
Bei einem Erwachsenen mit einer Krpermasse
von ca. 70 kg ergeben sich bei 60 % Wasser-
gehalt ca. 42 l Wasser, die wie folgt auf die
Flssigkeitsrume aufgeteilt werden. 2.2.3 Das innere Milieu
l. Extrazellulrer Raum mit extrazellulrer
Flssigkeit: ca. 14 l Das innere Milieu ist die unmittelbare Umge-
interstitieller Raum (= Zwischenzell- bung der Zellen, wobei Menge, Verteilung und
raum) mit der interstitiellen Flssigkeit Zusammensetzung der Krperflssigkeiten (inne-
(ca. 10 l), res Flssigkeitsmilieu) und die Temperatur
intravasaler Raum (= Raum in den wichtige Bestimmungsgren sind. Damit alle
Blut- und Lymphgefen) mit der Blut- biologischen Reaktionen optimal ablaufen kn-
und Lymphflssigkeit (ca. 4 l). nen, muss das innere Milieu dauerhaft konstant
2. Intrazellulrer Raum (= Gesamtheit der gehalten werden. Dies wird als Homostase
Zellinnenrume) mit intrazellulrer Fls- bezeichnet.
sigkeit: ca. 28 l. Die Regelung der Homostase des inneren
Die Krperflssigkeiten sind Lsungen und Milieus umfasst demnach:
bestehen aus dem Lsungsmittel Wasser, in dem 1. die Regulation des inneren Flssigkeits-
eine Vielzahl an Stoffen enthalten ist. milieus mit
der Einstellung des normalen Volumens
Wasserbedarf (Isovolmie),
Der Wasserbedarf hngt von den Faktoren Alter, der Einstellung des normalen osmotischen
krperliche Belastung, Klima und Kochsalzzu- Druckes (Isotonie),
fuhr ab. der Einstellung des normalen Elektrolyt-
haushaltes (Isoionie) und
Merke der Einstellung des normalen pH-Wertes
(Isohydrie);
Der Mindestwasserbedarf pro Tag betrgt 2. die Regulation der Krpertemperatur.
1 bis 1,5 Liter.
Die durchschnittliche Wasserzufuhr pro Tag Darber hinaus spielt die Steuerung des Hor-
sollte ca. 2,5 Liter betragen. monhaushaltes, der Atmung und des Kreislaufes
ebenfalls eine bedeutende Rolle.

P Suglinge haben wegen ihres gesteigerten Merke
Stoffwechselgeschehens und erhhter Wasser-
ausscheidung einen im Verhltnis hheren Der Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns)
Wasserbedarf und trocknen leichter aus ist das wichtigste Integrationsorgan des inne-
(Lebensgefahr!). ren Milieus. Die Homostase des inneren
Milieus wird durch das Blut, die Nieren und
die Lunge reguliert.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 29

P Grere Abweichungen des inneren Milieus dische Logarithmus gewhlt, sodass ein fallender
knnen, insbesondere bei Suglingen und lte- pH-Wert eine hhere Wasserstoffionenkonzen-
ren Menschen, lebensbedrohlich sein. tration bedeutet.
Grnde, die zu solchen Vernderungen fhren,
sind z. B.: [H+] in mol/l pH-Wert
Wasser- und Elektrolytverluste bei extremem
Schwitzen, Durchfllen oder Erbrechen,
1,0 = 100 0
zu geringe Flssigkeitszufuhr ber lngere
0,1 = 10-1 1
Zeit,
0,01 = 10-2 2
Strungen des Elektrolythaushaltes bei Nieren-

sauer
0,001 = 10-3 3
erkrankungen,
0,0001 = 10-4 4
Eiweimangel bei Hunger oder Leberschden,
0,00001 = 10-5 5
Einnahme bestimmter Medikamente.
0,000001 = 10-6 6
Wichtig: Bei Verlust grerer Flssigkeitsmen-
0,0000001 = 10-7 7 neutral
gen fr ausreichende Flssigkeits- und Elektro-
0,00000001 = 10-8 8

alkalisch (basisch)
lytzufuhr sorgen!
0,000000001 = 10-9 9
0,0000000001 = 10-10 10
0,00000000001 = 10-11 11
2.2.4 Sure-Basen-Haushalt 0,000000000001 = 10-12 12
0,0000000000001 = 10-13 13
Fr eine normale Stoffwechselfunktion mssen 0,00000000000001 = 10-14 14
die Sure- und Basenkonzentrationen in den
Krperflssigkeiten immer konstant gehalten
werden. Lsung pH-Wert
Entscheidend fr das Sure-Basen-Gleichge- sauer < 7,0
wicht ist die Einstellung einer festen Wasser- neutral = 7,0
stoffionenkonzentration (Isohydrie) mit einem alkalisch bzw. basisch > 7,0
pH-Wert von 7,37 bis 7,43 in der extrazellulren
und 7,28 bis 7,29 in der intrazellulren Flssig- Magensaft 1,5
keit. Die Isohydrie ist notwendig, weil die En- Urin 4,7 bis 8,0
zyme bestimmte, oft sehr eng begrenzte pH-Werte destilliertes Wasser 7,0
fr ihre Wirksamkeit bentigen. Blut 7,37 bis 7,43
Schon eine geringfgige nderung der Wasser- Bauchspeichel 8,0 bis 9,0
stoffionenkonzentration ist lebensbedrohlich. Darmsaft 8,0
Ammoniak 12,0
Die Isohydrie ist permanent Strungen ausge-
setzt, weil im Stoffwechselgeschehen stndig
u. a. H+, aber auch OH- anfallen. Hauptsure- Merke
quelle ist der Energiestoffwechsel. Hier entsteht
Der pH-Wert der intra- und extrazellulren
die flchtige Kohlensure. Darber hinaus fallen
Krperflssigkeiten liegt im schwach alkali-
nichtflchtige Suren an, z. B. Milch- und
schen (basischen) Bereich.
Phosphorsure.

pH-Wert Die Zahlenangabe von 0 bis 14 kommt zustande,


Der pH-Wert ist eine Zahl zur Kennzeichnung weil in sauren, neutralen und basischen Lsun-
der Wasserstoffionenkonzentration [H+] in einer gen das Produkt aus Wasserstoffionenkonzen-
Lsung und somit der Strke einer Sure oder tration [H+] und Hydroxidionenkonzentration
Base. Der Organismus hlt den pH-Wert von [OH] konstant ist, immer 10-14 mol/l. Sind viele
allen Messgren am genauesten konstant. H+-Ionen enthalten (z. B. im sauren Milieu pH 4
Um eine praktikable Anwendung mit einer ein- = 104), dann sind weniger OH-Ionen vorhan-
fachen Zahl zu haben, wurde der negative deka- den (1010).
30 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Fr neutrale Lsungen Nun gibt man nacheinander in beide Reagenz-


[H+] [OH-] = konstant bedeutet dies: glser so viel Salzsure, bis ein Farbumschlag
[10-7] [10-7] = 10-14 eintritt. Dieser Farbumschlag tritt im Reagenz-
glas II bereits nach wenigen Tropfen, im
Regulation des Sure-Basen-Haushaltes Reagenzglas I erst nach vielen Tropfen Salzsure
Wie zuvor ausgefhrt, muss der pH-Wert in sehr ein.
engen Grenzen konstant gehalten werden. Dies
geschieht durch drei Vorgnge: Erklrung
Pufferung, Im Blutplasma befinden sich Puffersysteme
respiratorische Regulation durch Abatmung (Kohlensure-Bicarbonat-System, Plasmaeiwei-
von CO2 und e), die durch chemische Bindung der H+ zu-
renale Regulation durch differenzierte Aus- nchst den pH-Wert konstant halten.
scheidung von H+ bzw. HCO3- ber die Nieren. Die groe Bedeutung des Kohlensure-Bicar-
bonat-Puffersystems liegt darin, dass die Kon-
Pufferung zentrationen beider Pufferkomponenten (H+ und
Pufferung bedeutet, dass durch bestimmte Stoffe HCO3-) durch das System Blut Atmung Niere
Puffersubstanzen berschssige H+ bzw. weitestgehend unabhngig voneinander vern-
OH- chemisch gebunden und somit Schwan- dert werden knnen.
kungen des pH-Wertes vermieden werden. Die So zerfllt einerseits die bei H+-berschuss ver-
Puffersubstanzen befinden sich in den Krper- mehrt gebildete Kohlensure in H2O und CO2.
flssigkeiten, z. B. im Blutplasma. Letzteres kann ber die Lunge durch Intensivie-
Fr die Konstanthaltung des pH-Wertes im rung der Atmung abgegeben werden. Anderer-
menschlichen Organismus sorgen hauptschlich seits reguliert die Niere die Abgabe von H+ und
drei Puffersysteme: HCO3- ( Abb. 2.6).
1. Kohlensure-Bicarbonat-System,
2. Proteinpuffersysteme, z. B. Hmoglobin, Merke
3. Phosphatpuffersysteme.
Die respiratorische Regulation des pH-
Wertes erfolgt schnell, die renale dagegen
Versuch zum Nachweis der Pufferwirkung des
sehr langsam.
Blutplasmas
Zu diesem Zweck werden zunchst zwei Rea-
genzglser wie folgt gefllt:
P Bei den Strungen des Sure-Basen-
Reagenzglas I: 5 ml frisches Blutplasma, Haushaltes unterscheidet man:
2 bis 3 Tropfen Methylorange; respiratorische und nicht respiratorische
Reagenzglas II: 5 ml destilliertes Wasser, Azidose (= Sureberschuss) sowie
2 bis 3 Tropfen Methylorange. respiratorische und nicht respiratorische
Alkalose (= Basenberschuss).

Tab. 2.6 Regulation des pH-Wertes.

H+ -berschu OH- -berschu

H+ H2O OH- H+ + OH- H2O

H2CO3 H2CO3

HCO3- CO2 HCO3-


Lunge Niere
2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 31

Nahrung und Stoffwechsel

H+ CO2 OH- + CO2

HCO3-
CO2
Niere pH Wert Lunge

Puffersysteme

HCO3- oder H+

Kohlensure-Bikarbonat-
Proteinpuffersystem Puffersystem Phosphat-Puffersystem
(Hmoglobin) (Bicarbonat) (Phosphat)
HHb H+ + Hb- H2CO3 H+ + HCO3- H2PO4- H+ + HPO42-

Prinzip der Pufferung. Abb. 2.6

2.3 Arten des Stofftransports im lisierung verschiedene Transportformen.


Organismus Passive Transportformen (= Formen, die ohne
Energie aus dem Stoffwechsel ablaufen):
In die Zellen, innerhalb der Zellen, zwischen den Diffusion, Osmose, Filtration.
Zellen und aus den Zellen muss eine Vielzahl Aktive Transportformen (= Formen, die Ener-
von Stoffen transportiert werden. Zum Beispiel: gie aus dem Stoffwechsel bentigen): Bls-
Nhrstoffe, Mineralstoffe, chentransport, Trgertransport, Konvektion.
Vitamine, Atemgase, Eine wichtige Voraussetzung fr den geordneten
Harnstoff, Hormone. Stofftransport stellen die Biomembranen als Bar-
rieren mit vernderlicher Permeabilitt (Durch-
Der vielzellige Organismus nutzt zu dessen Rea- lssigkeit) dar.
32 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

2.3.1 Passiver Transport Merke

Diffusion Unter Diffusion versteht man die Wanderung


In einem Versuch (vgl. Abb. 2.7) geben wir in von Teilchen aufgrund ihrer Eigenbeweglich-
einen Glaszylinder zuerst etwas Wasser und da- keit vom Ort ihrer hheren zum Ort ihrer
nach wenige Kristalle Kaliumpermanganat oder niedrigeren Konzentration bis zum Konzen-
einige Tropfen eines wasserlslichen Farbstoffes. trationsausgleich. Dieser Transportprozess
Was geschieht? verluft relativ langsam und setzt deshalb im
Organismus auer dem Konzentrations-
l. Die Farbstoffteilchen bewegen sich vom Ort geflle hinreichend groe Austauschflchen
ihrer hheren zum Ort ihrer niedrigeren Kon- und sehr kurze Wege voraus.
zentration (sichtbar).
2. Die Wasserteilchen bewegen sich ebenfalls Vorkommen:
vom Ort ihrer hheren zum Ort ihrer niedrige- Gasaustausch
ren Konzentration (unsichtbar). zwischen Atemluft und Blut in der Lunge,
zwischen Blut und Zellen in den Geweben.
Die Folge: Die Stoffe mischen sich allmhlich.
Osmose
Wie auf S. 24 beschrieben, befinden sich die
rote Farbstoffteilchen Inhaltsstoffe einer Zelle in Kompartimenten, die
durch Membranen (= dnne Hutchen) vonein-
ander getrennt sind.
Diese Membranen wirken hnlich einem Sieb
mit einer bestimmten Porenweite: Kleine Teil-
chen, z. B. Wasser-, Sauerstoff- und Kohlen-
dioxidmolekle, knnen diffundieren, grere
Teilchen, z. B. Eiweimolekle, nicht.
Membranen, die nicht alle Teilchen hindurchtre-
ten lassen, werden als halbdurchlssige = semi-
permeable Membranen bezeichnet.

Ein Experiment in Abb. 2.8 dargestellt soll


Wasserteilchen uns Klarheit ber die genaueren Vorgnge an
einer solchen semipermeablen Membran ver-
Abb. 2.7 Diffusion. schaffen:
Reines Wasser wird durch eine semipermeable
Membran von einer Kochsalzlsung getrennt.

hyperton
isoton
hypoton

Abb. 2.8 Osmose.


2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 33

Die Kochsalzlsung ist die Lsung mit der hhe-


ren Konzentration1) (= hypertone Lsung) und
entspricht dem Zellplasma. Das Wasser ist die
Lsung mit der niederen Konzentration (= hypo-
tone Lsung) und entspricht der Auenlsung
einer Zelle.

Beobachtung:
Das Flssigkeitsvolumen im inneren Gef
Filtermembran
vergrert sich allmhlich.

Erklrung:
Die semipermeable Membran lsst nur die Was- Niere
serteilchen hindurch, die entsprechend ihrem
Konzentrationsgeflle von auen nach innen dif-
fundieren.

Merke
Wird die Bewegung bestimmter grerer Druck
Teilchen (hier Na+ und Cl-) durch eine halb- hoch niedrig

durchlssige Membran behindert, knnen Blutkapillare


also nur kleinere Teilchen (hier Wasserteil-
Interstitium
chen) durch die Membran, spricht man von
niedrig hoch
Osmose. Osmose fhrt immer zu einer Wasser-
zunahme der hypertonen Lsung. Die greren
Teilchen werden als osmotisch aktive Teil-
chen bezeichnet, der von ihnen hervorgerufe-
ne Druck an der semipermeablen Membran als Zellen (Gewebe)
osmotischer Druck. Verursachen Kolloide (z. B.
Eiweie) den osmotischen Druck, heit er kol- Filtration. Abb. 2.9
loid-osmotischer (KOD) oder onkotischer Druck.

Vorkommen: Filtration
Da fast alle Zellen semipermeable Membranen Besteht zwischen beiden Seiten einer Biomem-
als Grenzschichten (Zellmembran, intrazellulre bran ein Druckunterschied, werden alle Teilchen
Membransysteme) besitzen, spielt die Osmose einer Flssigkeit, die durch die Poren passen,
bei der Wasseraufnahme der Zelle und beim vom Ort des hheren zum Ort des niederen
Wassertransport innerhalb der Zelle eine bedeu- Druckes gepresst.
tende Rolle.
Vorkommen:
Merke Stoffaustausch im Gewebe,
Filtration des Blutplasmas in der Niere.
Voraussetzung fr den Ablauf der Krper-
funktionen ist, dass die Krperflssigkeiten
annhernd isoton (isoton = gleicher osmoti-
2.3.2 Aktiver Transport
scher Druck) sind.
Diese Transportform ist notwendig, um Stoffe
gegen Konzentrationsgeflle und hydrophile
Stoffe, die ansonsten die Biomembran nicht pas-
1) Konzentration bezieht sich auf die Menge der im Lsungsmittel
sieren knnen, zu transportieren. Hier sollen
Wasser gelsten osmotisch aktiven Teilchen. einige Formen nher beschrieben werden:
34 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

1. Blschentransport
verschiedene feste Partikel EZR 1) a) Phagozytose (griech.: Fressttigkeit
einer Zelle)
Zellmembran
Amoeboid3) bewegliche Zellen, z. B.
bestimmte weie Blutzellen, umflieen
feste Partikel (z. B. Bakterien). An der
IZR 2)
Berhrungsstelle der Zellmembran ent-
steht eine Vertiefung, die als Blschen
Blschen abgeschnrt wird.
b) Pinozytose (griech.: Trinken einer
Abb. 2.10 Phagozytose. Zelle)
Die Pinozytose luft prinzipiell hnlich
der Phagozytose ab. Es wird Flssigkeit
mit darin gelsten Stoffen aufgenom-
Flssigkeitstrpfchen EZR 1) men. Zur Pinozytose sind im Gegensatz
zur Phagozytose fast alle Zellen fhig.
Zellmembran c) Exozytose (griech.: Ausscheidung
von Stoffen durch eine Zelle)
Verschiedene in der Zelle anfallende
IZR 2) Stoffe, z. B. Sekrete, knnen ebenfalls
in Blschen, die meist vom Golgi-
Blschen Apparat abgeschnrt werden, einge-
schlossen werden. Diese Blschen ver-
Abb. 2.11 Pinozytose. schmelzen vom Plasma her mit der
Zellmembran und entleeren ihren
Inhalt nach auen.
EZR 1) verschiedene, in der Zelle anfallende Stoffe
2. Trgerstoffe
Die zu transportierenden Teilchen, vor
Zellmembran allem Nhr- und Mineralstoffe, werden
an spezifische Trgermolekle
Transporteiweie (Carrier) gebunden
IZR 2) (= Trgertransport) und transportiert.
Blschen Vorkommen:
Aufnahme der Glucose, Amino-
Abb. 2.12 Exozytose. suren, Vitamine und Mineralstoffe
in die Darmzellen, von dort in das
Blut und danach in die Krperzellen.

Blutkapillare 3. Konvektion
Unter Konvektion wird Stofftransport
Interstitium
durch Mitfhrung verstanden.
Die treibenden Krfte sind Temperatur-
oder Druckdifferenzen.

Beispiele:
Sauerstoff- und Kohlendioxidtrans-
port bei der Belftung der Lunge;
Trgermolekl Stofftransport durch das Blutplasma
Zellmembran Substrat
(Carrier) und durch den Harn.
Abb. 2.13 Trgertransport. 1) Extrazellulrer Raum
2) Intrazellulrer Raum
3) Kriechbewegungen von Zellen ohne feste Zellwand
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 35

2.4 Physiologie des Stoff- und Stoffaufnahme


Atmungssystem: Sauerstoff.
Energiewechsels Verdauungssystem: organische, energiereiche
2.4.1 Stoff- und Energiewechsel Stoffe (Kohlenhydrate, Fette, Eiweie), Vita-
mine, Mineralstoffe, Wasser und Ballaststoffe
Alle Lebensuerungen lassen sich im Prinzip (Letztere gelangen nicht in das Blut oder in
auf chemische Reaktionen im Krper zurck- die Zellen).
fhren, die Bestandteile des Gesamt- und Ener-
giestoffwechsels sind. Stofftransport
Herz-Kreislauf-System; Lymphsystem; Blut und
Merke Lymphe als Transportmittel.
Stoff- und Energiewechsel ist die Gesamtheit
der chemischen Vorgnge, die der Aufnahme, Stoffausscheidung
Umwandlung und dem Abbau jener Stoffe Harnsystem: Harn
dienen, die fr die Existenz des Organismus Atmungssystem: Kohlendioxid, Wasser
und der Aufrechterhaltung seiner Lebens- Hautsystem: Wasser
funktionen notwendig sind. Darm: Abbauprodukte des Stoffwechsels

Herz-Kreislauf-System

Atmungssystem Verdauungssystem

O2
Nahrung

CO2
O2

CO2

Nhrstoffe

Ausscheidung

Ausscheidung

Harnsystem Haut

Stoff- und Energiewechsel. Abb. 2.14


36 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Zelle

Blutkapillaren

interstitielle Flssigkeit

Abb. 2.15 Stoffaustausch im Gewebe.

Intermedirstoffwechsel Bau- und Betriebsstoffe aus einfachen Mole-


(Zwischenstoffwechsel) klen unter Energieverbrauch (z. B. Protein-
Intermedirstoffwechsel ist die Gesamtheit der synthese),
in den Zellen ablaufenden chemischen Reaktio- katabole (abbauende) Stoffwechselwege
nen, denen sowohl die aufgenommenen als auch (= Betriebsstoffwechsel) Abbau energierei-
die krpereigenen Stoffe unterworfen sind. cher organischer Verbindungen zum Zweck
der Energiefreisetzung fr Organleistungen.
Prinzip:
Ausgangs- chemische Um- und End-
stoff Abbauvorgnge produkt 2.4.2 Bedeutung energiereicher Phosphatver-
bindungen im Stoff- und Energiewechsel

Die Stoffe werden einerseits zum Aufbau und zur Energiereiche Phosphatverbindungen fungieren
Erhaltung der Krperstrukturen und andererseits als bertrger Energie verbrauchender und
als Energielieferant zur Aufrechterhaltung der Energie liefernder Prozesse.
Lebensvorgnge bentigt. Jeder Stoffwechsel Die grte Bedeutung hat das Adenosintriphos-
stellt also gleichzeitig einen Energiewechsel dar. phat (ATP). Es besteht aus der organischen Base
Dieser gliedert sich in zwei sich gegenseitig Adenin, dem Zucker Ribose (Adenin + Ribose
bedingende Bereiche: = Adenosin) und drei Phosphatgruppen  P (
anabole (aufbauende) Stoffwechselwege Tab. 2.7).
(= Baustoffwechsel) Synthese krpereigener
Wird Energie freigesetzt, luft in der Zelle fol-
Tab. 2.7 Energiereiche Phosphatverbindungen. gender Vorgang ab:

ADP + 
P + Energie ATP
Adenin Ribose 
P 
P ~
P
Wird Energie bentigt, kehrt sich der Vorgang um:
Adenosin energie-
reiche ATP ADP + 
P + Energie
Bindung
AMP = Adenosinmonophosphat
Merke

ADP = Adenosindiphosphat ATP ist in allen Zellen die wichtigste ener-


giereiche Phosphatverbindung und einziger
unmittelbarer Energielieferant.
ATP = Adenosintriphosphat
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 37

2.4.3 Enzyme Katalase1) hinzu, luft diese Reaktion so schnell


ab, dass man den frei werdenden O2 mit einem
Die chemischen Reaktionen in der Zelle laufen glhenden Holzspan nachweisen kann. Mithilfe
nur in Anwesenheit von Katalysatoren ab. Die der Katalase wird das beim Zellstoffwechsel
Katalysatoren der Zelle heien Enzyme (= Bio- anfallende Zellgift H2O2 beseitigt.
katalysatoren), die von ihnen umgesetzten Stoffe
Substrate. Alle Enzyme sind Proteine. 2 H2O2 Katalase 2 H2O + O2
Die Enzyme ermglichen die chemischen Um-
setzungen unter uerst gnstigen Bedingungen: Die Katalase ist ein Biokatalysator. Ein einziges
37 C, Normaldruck, pH 7,4 und wssriges Molekl kann in der Minute bis zu 5 Millionen
Milieu mit relativ hoher Geschwindigkeit. Molekle H2O2 zerlegen. Dabei geht das Enzym
selbst unverndert aus der Reaktion hervor.
Sinn der Enzyme ist, dass alle notwendigen Reak-
tionen unter Krperbedingungen koordiniert Wie ist das mglich?
ablaufen knnen. Jede chemische Reaktion bentigt fr den Start
einen bestimmten Energieschub. Diese Start-
Bezeichnung der Enzyme energie nennt man Aktivierungsenergie. Sie
Die Enzymnamen enden in der Regel auf -ase.
wird gebraucht, um die Teilchen der Stoffe, die
Fr uns sind drei Enzymgruppen bedeutungsvoll
miteinander reagieren sollen, in einen reaktions-
(Einteilung nach dem Reaktionstyp):
1. Hydrolasen katalysieren hydrolytische Spal- fhigen Zustand zu bringen.
tungen, d. h. Spaltung durch Wasser (z. B. Ver-
dauungsenzyme), Merke
2. Oxidoreduktasen katalysieren Redoxpro- Katalysatoren also auch unsere Enzyme
zesse, d. h. Oxidations- und Reduktionsvor- setzen die Aktivierungsenergie herab, indem
gnge (z. B. Enzyme der Atmungskette), sie die betreffenden Reaktionen in Teilschritte
3. Transferasen katalysieren die bertragung zerlegen. Jeder Teilschritt bentigt so wenig
von Stoffgruppen (z. B. Aminogruppen). Aktivierungsenergie, dass die Krpertempera-
tur ausreicht und die Reaktionsgeschwindig-
Enzyme sind substrat- und reaktionsspezifische keit stark erhht wird.
Funktionseiweie.
Substratspezifitt: Das Enzym reagiert nur
Es gibt aber auch Reaktionen, die gebremst wer-
mit einem ganz bestimmten Zwischenpro-
den mssen. Die entscheidende Reaktion zur
dukt des Stoffwechsels,
Reaktionsspezifitt: Von den vielen mgli- Energiefreisetzung: O2 (aus der Atmung) + H2
chen Reaktionen, die ein Zwischenprodukt (aus dem Zitratzyklus) zu H2O unter Freisetzung
eingehen kann, wird nur eine katalysiert. von Energie wrde unter Normalbedingungen
als Knallgasreaktion ablaufen. Die Enzyme der
Atmungskette sorgen dafr, dass die Energie
Ablauf einer Enzymreaktion
schrittweise bertragen und in Form von ATP
Wasserstoffperoxid (H2O2) zerfllt normalerwei-
gespeichert werden kann ( Tab. 2.15, S. 43).
se sehr langsam in Wasser (H2O) und Sauerstoff
(O2). Gibt man einem mit H2O2 gefllten 1) Katalase ist ein weit verbreitetes Zellenzym. Besonders hohe
Reagenzglas nur wenige Tropfen des Enzyms Konzentrationen sind in Leberzellen und Erythrozyten vorhanden.

Schritte der Enzymkatalyse. Tab. 2.8

+ +
Enzym Substrat Enzym-Substrat- Enzym Reaktions-
Komplex produkte
38 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Herabsetzung der Aktivierungsenergie durch Katalyse

Energie
Aktivierungsenergie
ohne Enzym

mit Enzym

fr die Enzym-
Substratverbindung
2 H2O2
metastabiler Ausgangsstoff

2 H2O + O2
energiearme stabile Endstoffe

Wirkungsweise der Carboanhydrase bei der Bildung von Kohlensure bzw. Wasser,
Wasserstoff- und Bicarbonat-Ionen

H+ HCO3-

H2O CO2
Carbo-
anhydrase
OH-

CA
H2O + CO2 H2CO3 H+ + HCO3- oder
CA
H2O H+ + OH-; OH- + CO2 HCO3-

Wirkungsweise der Verdauungsenzyme (Wirkung der Lipase zur Fettspaltung)

Lipase

G Fettsure-Rest + Wasser G + Fettsure


l R l
y y
c e c
e Fettsure-Rest + Wasser
e + Fettsure
r s
r
o t o
l Fettsure-Rest + Wasser l + Fettsure

Lipase

Abb. 2.16 Enzymwirkung.


2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 39

Coenzyme Merke
Fr viele Enzymkatalysen sind unbedingt
Coenzyme (= Cosubstrate) notwendig. Dies sind Jedes Enzym wirkt nur in einem bestimmten
niedermolekulare Stoffe (also keine Eiweie), pH-Bereich.
die im Gegensatz zum Enzym bei der Reaktion Enzyme haben meist eine geringe Temperatur-
verndert und wieder regeneriert werden ms- und pH-Wert-Toleranz. Manche Enzyme ms-
sen. Es handelt sich also nicht um Enzyme. Als sen durch bestimmte Ionen (z. B. Ca2+, Mg 2+,
Bausteine oder Vorstufen fr Coenzyme dienen K+) aktiviert werden bzw. bentigen die
verschiedene Vitamine. ATP ist das Coenzym Anwesenheit eines Coenzyms.
des Energiestoffwechsels.
Bestimmte Chemikalien (z. B. Kupfer- u. Silber-
Beeinflussende Faktoren der Enzymttigkeit ionen, Suren) hemmen bzw. blockieren die
Aus der Eiweistruktur der Enzyme ergibt sich, Enzymttigkeit.
dass ihre Aktivitt insbesondere von der Tempe-
ratur und vom pH-Wert abhngt. Dies verdeut-
lichen zwei Experimente (vgl. Tabelle 2.9).

Beeinflussende Faktoren der Enzymttigkeit. Tab. 2.9

1. Experiment: Reagenzglas 1 2 3
Drei Reagenzglser wer- Strkelsung 2 ml 2 ml 2 ml
den nach folgendem
Amylaselsung 4 ml 4 ml 4 ml
Schema gefllt:
Iod-Kaliumjodid-Lsung 1 Tropfen 1 Tropfen 1 Tropfen

Die Reagenzglser wer-


den in unterschiedliche Reagenzglas 1 in ein Wasserbad von 15 20 C
Temperaturbereiche Reagenzglas 2 in ein Wasserbad von 35 40 C
gebracht: Reagenzglas 3 in ein Wasserbad von 70 80 C

Ergebnis:
Das Temperaturoptimum fr die meisten Enzyme liegt zwischen 30 und 40 C, also bei Krper-
temperatur. Temperaturerhhung ber 60 C zerstrt die Enzyme.

2. Experiment: Reagenzglas 1 2 3
Drei Reagenzglser
werden wie folgt ge- Wasser 0,5 ml 0,5 ml 0,5 ml
fllt: Pufferlsung (pH = 4,8) 1 ml
Pufferlsung (pH = 7,0) 1 ml
Pufferlsung (pH = 8,0) 1 ml
Strkelsung 0,5 ml 0,5 ml 0,5 ml

Jetzt wird in jedes Reagenzglas 1 ml Amylaselsung (spaltet Strkemolekle) gegeben und kurz
geschttelt. Danach werden aus jedem Glas einige Tropfen in je eine Vertiefung einer Tpfelplatte
gegeben und mit 1 Tropfen Iod-Kaliumjodid-Lsung (verfrbt sich bei Vorhandensein von Strke
krftig blau) auf Strke geprft.
Ergebnis: Unterschiedliche Frbungen lassen erkennen, dass sich im Ansatz 2 (pH 7) kaum noch
Strke befindet, d. h., bei einem pH-Wert 7 ist der Substratumsatz optimal.
40 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

2.4.4 Stoffumsatz und Energiefreisetzung Glykolyse. Tab. 2.11


In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Glucose (C6-Krper)
Reaktionswege der Kohlenhydrate, Fette und
Eiweie in vereinfachter Form dargestellt. Glykolyse
Pyruvat (C3-Krper)
Abbau- und Synthesewege der Kohlenhydrate
Die Glucose (= Traubenzucker) ist das wichtigs- anaerob aerob
te Kohlenhydrat fr den menschlichen Organis- (ohne O2) (mit O2)
mus. Nervenzellen und Erythrozyten knnen
Energie nur durch Glucoseabbau bereitstellen. Lactat (C3-Krper) CO2 + H2O
Eine Voraussetzung hierfr ist ein geregelter (Milchsure)
Blutzuckerspiegel. ^ 2 ATP)
135 kJ (= ^ 38 ATP)
2847 kJ (=
Der Blutzuckerspiegel wird hauptschlich durch Vorkommen:
vier Faktoren beeinflusst ( Tab. 2.10). Erythrozyten alle Gewebszellen
Muskelfasern Muskelfasern
Faktoren, die den Krebszellen Mikroorganismen
Tab. 2.10 Blutzuckerspiegel beeinflussen.
Glykogen Glukoneogenese
Was geschieht bei Erschpfung der Glykogen-
reserven?
Der Organismus hat in einem solchen Fall die
Blutzuckerspiegel Mglichkeit, in der Leber aus Nicht-kohlenhy-
drat-Material Glucose zu synthetisieren. Dies
nennt man Glukoneogenese.
Nahrung Oxidativer
Abbau Folgende Ausgangsstoffe stehen zur Verfgung:
Glukoneogenese l. Lactat (aus Erythrozyten stndig, aus Musku-
latur bei berbeanspruchung),
2. Glycerol (aus eingeschmolzenen Fettvorrten),
Glykolyse
3. glucoplastische Aminosuren (durch Eiwei-
Die Glykolyse ist die wichtigste Stoffwechsel-
abbau verfgbar).
reaktion der Glucose und leitet deren Abbau zum
Zwecke der Energiefreisetzung ein.
Abbau und Synthese der Triglyceride (Neutral-
fette)
Die Glucose wird hierbei zu Pyruvat (= Brenz-
Fettabbau
traubensure) abgebaut, das bei Anwesenheit
Die Fette werden im Dnndarm zunchst in
von Sauerstoff (aerob) im Zitratzyklus weiter bis
Glycerol und Fettsuren zerlegt.
zum CO2 und H2O oxidiert wird (= Hauptab-
Glycerol kann zwecks Energiefreisetzung zu
bauweg).
CO2 und H2O abgebaut werden, oder es dient als
Anaerob (ohne O2) entsteht aus dem Pyruvat in
Ausgangsstoff fr die Bildung von Glucose
Anwesenheit des Enzyms Lactatdehydrogenase
(siehe Glukoneogenese).
(LDH) Milchsure.
Verstoffwechslung des Glycerols. Tab. 2.12

P Lebererkrankungen, Herzinfarkt, pernizise
Anmie, akute Hmolysen und Erkrankungen Glycerol
der Muskulatur verndern die LDH-Konzen- ATP
tration im Serum. LDH-Bestimmungen dienen
deshalb sowohl der Diagnosestellung als auch ADP
der Verlaufskontrolle dieser Erkrankungen.
Pyruvat Glucose
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 41

Die Fettsuren bilden eine wichtige Energie- Fettaufbau


quelle. Sie werden in den Mitochondrien zu- Die Tabelle 2.13 zeigt in stark vereinfachter Form
nchst in C2-Einheiten zerlegt und dann weiter die Synthese der Fettsuren bzw. Fette ( S. 20).
zu CO2 und Wasser abgebaut.
Abbau der Aminosuren

P Beim Fettsureabbau in der Leber entstehen Der Stoffwechsel der Proteine beginnt mit der
Ketonkrper (= Aceton, Acetessigsure, -Hy- Zerlegung des Eiweimolekls (im Verdauungs-
droxybuttersure) als Stoffwechselprodukte, trakt) in Aminosuren. In der Leber dienen die
die normalerweise in den peripheren Organen Aminosuren entweder dem Aufbau krpereige-
abgebaut werden. Bei Hunger und beim ner Proteine oder sie werden abgebaut. An dieser
Diabetes mellitus mit extremer Mobilisierung Stelle werden drei mgliche Reaktionswege
der Fettreserven kommt es zu einer ber- stark vereinfacht beschrieben:
schieenden Produktion dieser Ketonkrper. 1. Transaminierung
Sie werden dann mit dem Urin ausgeschieden Transaminasen (ASAT = Aspartat-Amino-Trans-
(Obstgeruch!). Auerdem fhren sie zu einer ferase, ALAT = Alanin-Amino-Transferase) ber-
azidotischen Stoffwechsellage ( S. 230). nehmen die NH2-Gruppe einer Aminosure und
geben sie an ein anderes Kohlenstoffskelett ab.
Fettspeicherung Auf diese Weise wird der Aminostickstoff in den
Triglyceride knnen in Fettzellen und begrenzt ausscheidungsfhigen Harnstoff berfhrt.
auch in der Leber gespeichert werden. ber-
schssige Kohlenhydrate knnen leicht in
P ASAT und ALAT spielen eine wichtige
Triglyceride umgewandelt und so ebenfalls zur Rolle in der Leberenzymdiagnostik. Erhhte
Auffllung der so genannten Fettdepots (z. B. Konzentrationen im Blutserum deuten auf
Bauch, Oberschenkel, Oberarm) dienen. einen Leberschaden hin.

Merke
Decarboxylierung. Tab. 2.14
Auch aus Kohlenhydraten knnen Fettdepots
gebildet werden. Decarboxylase

P Fettsucht (Adipositas) und das damit ver- Aminosure CO2 + biogenes Amin
bundene bergewicht sind eine der hufigsten
Ursachen fr Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2. Decarboxylierung
und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Spezifische Enzyme (Decarboxylasen) spalten
von Aminosuren CO2 ab.
Tab. 2.13 Synthese von Fettsuren und Fetten. Dadurch entstehen die
biogenen Amine, welche
CO2 im Organismus vielfltige
Aufgaben erfllen, z. B.
Glucose Pyruvat C2-Krper Fettsuresynthese durch
als Bausteine von Coen-
zymen oder Vorstufen von
Verketten der C2-Krper
Hormonen ( Tab. 2.14).
3. Oxidative Desaminie-
im Mitochondrium im Zellplasma rung
Mit Glycerol knnen Fettsuren Triglyceride oder Durch Aminosure-Oxida-
Phosphatide bilden sen wird in der Leber von
Aminosuren die NH2-
Triglycerid Phosphatid Gruppe abgespalten. Dabei
entsteht Ammoniak, der
FS FS
unter Energieverbrauch in
Glycerol FS Glycerol FS Harnstoff umgewandelt
FS Phosphat + Alkohol wird.
42 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Der Harnstoff besitzt folgende Eigenschaften, die Bei der Energiefreisetzung sind folgende bioche-
seine Ausscheidung mit dem Urin problemlos er- mische Vorgnge zu erkennen ( Tab. 2.15):
mglichen. Er ist ungeladen, nicht toxisch und Pyruvat und C2-Krper sind zentrale Stoffe im
kann gut durch die Biomembranen diffundieren. Energiestoffwechsel, wobei, wie bereits gesagt,
99 % aus der Glykolyse stammen.
Merke Alle C2-Krper werden in den Zitratzyklus
eingeschleust und weiter abgebaut, wobei
Die wenigen nicht als Baustoff oder Funk-
Wasserstoff (wird an Coenzyme gebunden)
tionsstoff bentigten Aminosuren werden vor
und CO2 (wird abgegeben) entstehen.
allem in der Leber zur Energiefreisetzung
abgebaut.
Die Endprodukte des Aminosureabbaus sind:

P Die zentrale Stellung des Zitratzyklus im
Intermedirstoffwechsel kommt darber hinaus
Wasser Kohlendioxid Ammoniak. beim Fettsure-, Aminosure-, Glucosestoff-
wechsel und bei der Synthese krpereigener

P Fast jede Erkrankung verursacht mehr oder Stoffe (z. B. Hm) zum Ausdruck.
weniger deutliche Vernderungen des Eiwei-
stoffwechsels. Bei Schwerkranken und Schock- Biologische Oxidation des Wasserstoffs
patienten ist immer darauf zu achten, dass aus- Unter biologischen Bedingungen werden Was-
reichend Harnstoff ausgeschieden wird. serstoff und Sauerstoff stufenweise in ihrer
Reduktions-Oxidationsenergie angenhert, so-
Stoffwechselwege zur Energiefreisetzung dass es nicht zur Knallgasreaktion kommt. Die
(berblick) bei der biologischen Oxidation hintereinander
Der Mensch bentigt zur Aufrechterhaltung sei- geschalteten Redoxreaktionen bezeichnet man
ner Lebensvorgnge (wie z. B. Informationsaus- als Atmungskette. Zuerst wird der Wasserstoff
tausch, Stoffsynthesen, Bewegung, gleichmige (enthlt die Energie) ionisiert. Die dabei entste-
Krpertemperatur) stndig Energie, die durch henden energiereichen Elektronen werden so-
Abbau energiereicher Stoffe in den Zellen be- gleich ber die Atmungskette, die aus Oxido-
reitgestellt werden muss. reduktasen besteht, bergab transportiert. Das
Als energiereiche Stoffe kommen infrage heit, es kommt zu einer schrittweisen Energie-
Kohlenhydrate: 99 %. abgabe. Die freigesetzte Elektronenenergie wird
Fette: Geringe Beteiligung, aber die sofort durch ATP-Bildung in chemische Bin-
langkettigen Fettsuren lie- dungsenergie umgewandelt ( S. 36). Zum
fern bei hohem O2-Verbrauch Schluss werden die energiearmen Elektronen auf
viel Energie. molekularen Sauerstoff bertragen. Der so ioni-
Eiweie: Spielen normalerweise keine sierte Sauerstoff verbindet sich mit den entstan-
Rolle. denen Wasserstoffionen (H+) zu Wasser.

Im Folgenden wird in einfacher Form darge- Merke


stellt, wie die chemische Energie dieser Stoffe
Das CO2 entsteht im Surekreislauf, der O2
freigesetzt wird. Grundstzlich erfolgt der Abbau
wird zur Wasserbildung verbraucht und nicht
schrittweise mithilfe von Enzymen, wobei drei
zur Oxidation von Kohlenstoff zu CO2.
grundlegende Schritte zu erkennen sind:

1. Zerlegung der Makromolekle in ihre Grundbausteine ( Kap. 12.8, S. 252): Die beschrie-
Amylasen benen Abbau-
Kohlenhydrate Monosaccharide, wege zur Ener-
Lipasen
Fette Glycerol + Fettsuren, giefreisetzung
Proteasen und Peptidasen
Eiweie Aminosuren. sind in allen
2. Zerlegung der Grundbausteine in C2-Krper. Zellen gleich.
3. Oxidation der C2-Krper zu CO2 + H2O, wobei die Hauptmenge der Energie
schrittweise freigesetzt wird.
2.5 Genetik 43

Biochemische Vorgnge bei der Energiefreisetzung. Tab. 2.15

Eiweie Kohlenhydrate Fette

Aminosuren Glucose Glycerol Fettsuren

Pyruvat

C2-Krper

Zitrat-
zyklus

CO2
Energie


H2
Oxydo- 38 ADP + 38 
P 38 ATP
reduk- oxidative Phosphorylierung
tasen
2e-

O2-
1
2H+ + 2 O2

H2O

2.5 Genetik (Vererbungslehre) 2.5.1 Chromosomen

Bei der Fortpflanzung einer Organismenart ent- Die nur whrend der Zellteilungsphase sicht-
stehen immer wieder Nachkommen, die in ihren baren Chromosomen gehen aus dem Chromatin
wesentlichen Merkmalen den Eltern gleichen. hervor und nach Abschluss der Zellteilung wie-
Diese relative Konstanz der Arten wird durch die der in dieses ber.
Konstanz spezifischer Eiweie gewhrleistet. Die
Anweisungen fr die Bildung der Eiweie sind Merke
in der DNA gespeichert, welche sich in den
Die Chromosomen stellen die Transportform
Chromosomen befindet. Bei der geschlechtlichen
der Erbinformation whrend der Zellteilung
Fortpflanzung werden sie von den Eltern auf die
dar. Das Chromatin ist die Funktionsform,
Nachkommen bertragen und bei der Zellteilung
die im Stoffwechsel der Zelle wirksam wird
an die Tochterzellen weitergegeben. Man sagt,
und sich verdoppelt. Struktur und Anzahl der
sie werden vererbt, und bezeichnet sie als Erb-
Chromosomen sind artspezifisch.
information oder genetische Information.
Alle Merkmale eines Lebewesens sind von sei-
ner Erbinformation abhngig. In der DNA sind
P Vernderungen der Chromosomenstruktur
die Informationen fr die einzelnen Eiweie hin- und Chromosomenzahl haben meist Krank-
tereinander angeordnet. heiten (Erbkrankheiten) zur Folge.
44 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Bei allen hheren Lebewesen, also auch beim Feinbau


Menschen, ist die arttypische Chromosomen- Jedes Chromosom ist gekennzeichnet durch sei-
zahl in allen Zellen zweimal vorhanden. Sie sind ne Lnge und die Lage seines Zentromers.
diploid. Nur ihre reifen Keimzellen sind haploid,
d. h., sie besitzen nur den einfachen Chromoso-
P Der unterschiedliche Bau ermglicht die
mensatz. Einordnung der Chromosomen in Karyogram-
me.1)
Merke
Im doppelten (diploiden) Chromosomensatz Ein Chromosom ( Abb. 2.17) besteht aus
sind immer 2 Chromosomen in Form und 2 Chromatiden (= Lngshlften, Halb- oder
Gre gleich. Sie heien homologe Chromo- Tochterchromosomen), die am Zentromer (Spin-
somen. delfaseransatzstelle) miteinander verbunden sind.
Eine Ausnahme bilden die Geschlechts- Jede Chromatide besteht aus einem doppelstrn-
chromosomen. Sie werden als X- und Y-Chro- gigen DNA-Molekl.
mosomen bezeichnet und sind nicht gleich
( S. 49). Merke
In einem Chromosom ist die Erbinformation
vierfach gespeichert. Die Chromosomen be-
stehen aus:
DNA (enthlt die genetische Information),
Zentromer RNA (ermglicht die Umsetzung der
genetischen Information, S. 45),
Chromatiden Eiweie (haben Sttz- und regulatorische
Funktionen).

DNS-Doppelhelix 2.5.2 Nukleinsuren als Trgerstoff der


Erbinformation

G
Bei je0der Zellteilung wird gewhrleistet, dass
C die Tochterzellen die vollstndige Erbinforma-
A tion der Mutterzelle erhalten ( S. 48). Die
Matrix T Nukleinsuren sind hierfr die stoffliche Grund-
C lage. Sie besitzen die fr diese Funktion notwen-
G
digen drei Eigenschaften:
T relativ stabil zu sein,
A
zahlreiche Informationen speichern zu knnen,
sich identisch zu verdoppeln.
Abb. 2.17 Bau des Chromosoms.
Aufbau der Nukleinsuren
Fr das Vererbungsgeschehen kommen zwei
unterschiedliche Nukleinsuren in Frage:
Menschliche Keimzellen (sowohl Eizellen als Desoxyribonukleinsure (DNS) oder (englisch)
auch Samenzellen) enthalten 23 Chromosomen; Desoxyribonucleinacid (DNA),
die bei der Befruchtung entstehende befruchtete Ribonukleinsure (RNS) oder (englisch)
Eizelle (Zygote) und alle aus ihr hervorgehenden Ribonucleinacid (RNA).
Krperzellen besitzen 46 Chromosomen (
S. 49). Jede dieser Nukleinsuren besteht aus vielen
miteinander verbundenen Nukleotiden als Bau-
stein. Deshalb werden sie auch als Polynukleotid
1) Bildliche Darstellung der Chromosomen eines Organismus
bezeichnet.
2.5 Genetik 45

4 verschiedene Nukleotide Doppelhelix

Phosphor- Desoxy- organische


surerest ribose stickstoffhaltige
Base

P Adenin
Stickstoffbase

Desoxyribose
P Thymin

Phosphorsure
P Guanin
Wasserstoff-
brckenbindung

P Cytosin

DNA. Abb. 2.18

Ein Nukleotid setzt sich zusammen aus: RNA


Zuckermolekl, Die RNA wird ebenfalls aus vier verschiedenen
Phosphorsuremolekl, Nukleotiden gebildet. An der Stelle von Thymin
organischer Stickstoffbase. steht Uracil im Nukleotid und die Desoxyribose
ist durch Ribose ersetzt ( Abb. 2.19).
DNA
Die DNA wird aus vier verschiedenen Nukle- Die Speicherung der Erbinformation erfolgt ver-
otiden gebildet ( Abb. 2.18). schlsselt durch Anzahl und Reihenfolge der ver-
hnlich den Proteinen sind auch bei der DNA schiedenen Nukleotide in der DNA bzw. RNA.
verschiedene Strukturen zu unterscheiden: Die spezifische Aufeinanderfolge der Nukleotide
Primrstruktur (= Nukleotidsequenz), beinhaltet die Anweisung fr die Synthese der
Sekundrstruktur (= Doppelstrang), Eiweie.
Tertirstruktur (= Raumstruktur, rechtsdrehen-
de Doppelhelix). Merke
Die Aminosuresequenz der Eiweie wird
Merke
durch die Basensequenz der DNA verschls-
Aufgrund der Moleklstruktur knnen sich selt (codiert) gespeichert.
durch Wasserstoffbrcken nur Adenin mit
Thymin und Guanin mit Cytosin verbinden. Triplett-Code
Die Aminosuren werden durch Nukleotidbasen-
Die sich im Doppelstrang gegenberstehenden tripletts codiert. Zur Codierung der 20 vorkom-
Basen heien komplementre Basen (= sich menden Aminosuren gibt es aufgrund vier ver-
ergnzende Basen). Der Doppelstrang lsst sich schiedener Basen 43 = 64 Kombinationsmg-
lngs der Wasserstoffbrcken in zwei komple- lichkeiten. Das heit, fr die meisten Amino-
mentre Einzelstrnge spalten. Dies besorgen suren gibt es mehrere Tripletts. Die Speicherung
bestimmte Enzyme. der Erbinformation ist bei allen Lebewesen gleich.
46 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Desoxyribose

Ribose

Kernmembran
Information
Kernpore
RNA

DNA
Proteinsynthese

Ribosom
Uracil

Abb. 2.19 Merkmale DNA RNA.

Identische Verdopplung (= Reduplikation) wird durch Enzyme gesteuert und verluft in


der DNA mehreren Phasen. Die Abbildung 2.20 stellt den
Die identische Verdopplung des genetischen komplizierten Vorgang schematisch dar.
Materials bei Zellteilungen ist die Voraussetzung 1. Mittels Enzymen werden die Wasserstoff-
fr die unvernderte Weitergabe und die Erhal- brckenbindungen zwischen den komplemen-
tung artspezifischer Merkmale. Nur dadurch ist tren Basen gelst. Der Doppelstrang ffnet
es mglich, dass bei der Zellteilung zwei vllig sich wie ein Reiverschluss. Es entstehen zwei
gleiche Zellen mit identischen Eigenschaften Einzelstrnge.
und gleicher Erbinformation entstehen. Ohne 2. An die Basen jedes Einzelstranges lagern sich
den Mechanismus der identischen Reduplikation die jeweils passenden freien Nukleotide aus
wre kein Wachstum und kein gleichwertiger dem Zellstoffwechsel an und verbinden sich
Ersatz abgestorbener Zellen mglich. in der bereits bekannten Weise miteinander.
Die identische Reduplikation beruht darauf, dass Es sind zwei genetisch identische Doppel-
die beiden Polynukleotidstrnge eines DNS- strnge entstanden, halb aus altem und halb
Molekls aufgetrennt werden und sich dann die aus neuem Material.
jeweils passenden Nukleotide aus dem Umfeld
so anlagern, dass eine vllig gleiche Kopie des
Ausgangsmolekls entsteht (komplementre
Paarung der organischen Basen). Dieser Vorgang
2.5 Genetik 47

Realisierung der Erb-


information
(Eiweisynthese) DNA-Doppelstrang
In den Abschnitten 2.1.3
( S. 21 22) und 2.4.3
( S. 37) ist die Bedeu-
tung der Eiweie als Bau-
und Funktionsstoffe dar- organische
gestellt. Schon der Ausfall Stickstoffbasen
eines einzigen Enzyms Wasserstoff-
fhrt zu einer gestrten brcken-
Zellfunktion oder gar bindungen
zum Zelltod. Deshalb
kommt der Eiweisyn-
these eine zentrale Be-
deutung zu.
Die Realisierung der Erb- Desoxyribose
information besteht in der
Synthese der individual-
spezifischen Eiweistoffe Phosphorsure
(= Genprodukte). Dabei
wird derjenige Abschnitt
der DNA, der die Syn-
these eines bestimmten
Eiweistoffes steuert, als
Gen (= Erbanlage) be-
zeichnet ( S. 50).

Der Ablauf erfolgt in zwei


Stufen:
l. Informationsabgabe im freie Nukleotide
Zellkern aus dem
(= Transkription) Zellstoffwechsel
Die Information der
DNA (Gen) wird in die
Nukleotidsequenz einer
m-RNA (m-RNA =
Messenger-RNA: Bo-
ten-RNA) umgeschrie-
ben. Dies geschieht
Tochterstrang Elternstrang Tochterstrang
wie folgt:
Aufspaltung des DNA-
Doppelstranges durch Identische Reduplikation der DNA. Abb. 2.20
Lsen der Wasserstoff-
brcken,
komplementre Anlage
rung der m-RNA-Nukleotide, Aminosuresequenz eines Proteins wird ent-
Ablsen der m-RNA und Wanderung durch schlsselt. Der Proteinaufbau erfolgt mithilfe
die Kernporen zu den Ribosomen im Cytosol. der t-RNA (= Transfer-RNA) in folgenden
Schritten:
2. Entschlsselung am Ribosom (= Translation) Anlagerung der m-RNA an ein Ribosom,
Die genetische Information der m-RNA als komplementre Basenpaarung zwischen
48 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

m-RNA und t-RNA und Verknpfung der Das Chromatin formt sich zu den Chromo-
Aminosuren, somen um ( Abb. 2.17, S. 44), und die
Lsen des neu gebildeten Eiweies (Gen- Chromatiden werden sichtbar (Lngsspalt).
produktes) von der t-RNA. Das Zentriol teilt sich.


P Sowohl durch uere Einflsse (z. B. radio-
Zentriol
aktive Strahlen, Rntgenstrahlen, Zellgifte,
Viren) als auch durch innere Einflsse (z. B.
Erbeinflsse) kann die DNA verndert werden.
Auf diese Weise knnen Zellen entarten und
beispielsweise Krebszellen entstehen, die
auerhalb der Regulations- und Steuervor-
gnge des Organismus liegen.
Hieraus lsst sich das weitgehend ungehemm-
te Wachstum von bsartigen Tumoren er-
klren.
Chromatin Chromosomen

Prophase. Abb. 2.21


2.5.3 Zellteilung

Die Zellteilung ist ein Grundvorgang, der bei Metaphase


den Lebewesen zur Zellvermehrung fhrt. So Auflsung der Kernmembran wird abge-
knnen sich aus einer Zelle vielzellige Lebe- schlossen.
wesen entwickeln. Die entstehenden Tochterzel- Bildung des Spindelapparates aus kontrakti-
len sind mit der Mutterzelle genetisch identisch. len Plasmafden und
Verbindung der Chromosomen am Zentromer
Entscheidend bei jeder Zellteilung ist, dass die mit den Plasmafden.
Erbinformation, die im Zellkern der Mutterzelle Die Chromosomen werden in die quatori-
gespeichert ist, fehlerfrei auf die Tochterzellen alebene verlagert und geordnet (die Chromo-
bertragen wird. somenarme zeigen polwrts).
Die Zellteilung ist die Grundlage fr das
Wachstum und die Vermehrung der Organismen
sowie die Regeneration abgestorbener Zellen.
Anordnung der
Formen der Zellteilung Chromosomen
in der
1. Mitose quatorialebene
Als Mitose bezeichnet man die indirekte Kern-
teilung im Sinne des Wachstums- und Zell-
erneuerungsprozesses. Sie kann in verschiedene
Phasen untergliedert werden, die ohne deutliche Metaphase. Abb. 2.22
Grenzen ineinander bergehen.

Die Kernteilung geht stets der Zellteilung vor-


aus. Anaphase
Die Zentromere werden geteilt und die
Prophase Chromatiden mithilfe der Spindelfasern an
Die spezifischen Zellfunktionen werden ein- die Zellpole transportiert. Bei diesem Vorgang
gestellt und viele Zellorganellen sowie die kommt es darauf an, dass die beiden Chromati-
Kernmembran beginnen sich aufzulsen. den eines jeden Chromosoms getrennt werden.
2.5 Genetik 49

Grundlage der Wundheilung:


Bei Verletzungen werden bestimmte Zellen
wieder zur Mitose angeregt.
Transport der
Chromatiden 2. Polyploidie ( Abb. 2.25)
mithilfe des
Im Zellkern entstehen Chromatiden, aber die
Spindelapparates
an die Zellpole Kernmembran bleibt erhalten und die Zelle teilt
sich nicht.
Ergebnis: Zellen mit vielfachen Chromosomen-
stzen (= polyploide Zellen).
Abb. 2.23 Anaphase. Vorkommen: Megakaryozyten des Knochen-
marks, bsartige Tumorzellen.

3. Amitose (= direkte Kernteilung)


Telophase Hierbei wird nur der Zellkern einfach geteilt,
Spindelapparat lst sich auf. ohne dass eine geordnete Aufteilung der Chro-
Neubildung der Kernmembran. matiden erfolgt ( Abb. 2.25).
Bildung des Chromatins. Ergebnis: Zellen mit zwei Zellkernen.
Zwischen den beiden Tochterkernen bildet Vorkommen: Leberzellen und Harnblasenepithel-
sich eine neue Zellmembran. zellen.
2 neue Tochterzellen sind entstanden.
4. Meiose ( Abb. 2.26)
Tochterkern Bildung der Tochterzellen Die Meiose dient der Bildung der Geschlechts-
zellen (= Keimzellen = Gameten). In den Hoden
werden die Samenzellen (Spermien) und in den
Eierstcken die Eizellen gebildet.
Die Krperzellen des Menschen besitzen einen
doppelten Chromosomensatz ( S. 44). Sie sind
diploid (= 2n).
In jeder menschlichen Krperzelle befinden sich
22 Autochromosomenpaare und 1 Gono- oder
Geschlechtschromosomenpaar (2n = 46).
Abb. 2.24 Telophase.
Chromosomensatz der Frau:
22 Autochromosomenpaare
+ 2 gleich gestaltete Geschlechtschromosomen,
Merke die X-Chromosomen.
Chromosomensatz des Mannes:
Bei der Mitose entstehen genetisch gleichwer- 22 Autochromosomenpaare
tige Zellen. Der Chromosomensatz der Toch- + 2 ungleich gestaltete Geschlechtschromoso-
terzelle entspricht dem der Mutterzelle. In der men, ein X- und ein Y-Chromosom.
auf die Mitose folgende Interphase (= Phase Damit dieser Chromosomensatz auch in den
zwischen den Kern- bzw. Zellteilungen) erfolgt Folgegenerationen erhalten bleibt, findet bei der
die identische Verdopplung der DNA ( S. 46). Bildung der Geschlechtszellen eine Halbierung
statt. Die Samen- und Eizelle besitzen demnach
Bedeutung der Mitose einen einfachen Chromosomensatz. Sie sind
Grundlage des Wachstums (= Zellteilungs- haploid (= n).
wachstum): In jeder reifen menschlichen Keimzelle befinden
Ausgehend von der befruchteten Eizelle sich somit 23 Chromosomen (n = 23), in den
(= Zygote) entstehen alle Krperzellen durch Samenzellen 22 Autosomen plus 1 Y- oder
Mitosen, besitzen also das gleiche Erbmaterial 1 X-Chromosom und in den Eizellen 22 Auto-
wie die Zygote. somen plus in jedem Fall 1 X-Chromosom.
50 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Trifft bei der Be-


fruchtung eine Sa- Mitose Polyploidie Amitose
menzelle mit einem
X-Chromosom auf
die Eizelle, so ent- direkte
Kerndurch-
steht ein weiblicher schnrung
Organismus (XX).
Eine Samenzelle mit
einem Y-Chromo-
som bewirkt bei der
Verschmelzung das 1 Zelle mit
mnnliche Geschlecht 2 genetisch
(XY) ( S. 288). ungleichen
Zellkernen

Ablauf der Meiose


(= Reifeteilung)
Die Meiose luft in Vergleichende bersicht der Zellteilungsformen. Abb. 2.25
zwei aufeinander
folgenden Teilungs-
schritten (Reifeteilungen) ab: Bedeutung der Meiose
1. Grundlage fr die Konstanz der artspezifi-
Meiose I (1. Reifeteilung) schen Chromosomenzahlen.
Prophase I 2. Grundlage fr die Neukombination des gene-
Paarung der homologen Chromosomen (je tischen Materials zwischen den Generationen.
1 mtterliches mit dem entsprechenden vter- Bei Trennung der homologen Chromosomen
lichen Chromosom). Whrend der Paarung hngt es vom Zufall ab, welche mtterlichen
kann es zum Austausch einzelner homologer bzw. vterlichen Chromosomen in die eine
Bruchstcke bei Nichtschwesterchromatiden oder andere Tochterzelle gelangen. Beim
kommen (crossing over). Dadurch knnen Menschen sind demnach 223 = 8.388.610
Vernderungen im Erbgut entstehen. verschiedene Kombinationen mglich. Dies
Metaphase I wird noch erweitert durch den mglichen
Anordnung der homologen Chromosomen in Austausch homologer Bruchstcke von Nicht-
der quatorialebene zufallsgem. schwesterchromatiden in der Prophase I.
Anaphase I
Die mtterlichen und vterlichen Chromosomen
gelangen entsprechend der zufallsgemen 2.5.4 Gesetzmigkeiten der Vererbung
Anordnung an die Zellpole. Mendelsche Erbregeln
Telophase I
Bildung von 2 haploiden Tochterzellen. Im 19. Jahrhundert stellte Gregor Mendel durch
Meiose II (2. Reifeteilung) zahlreiche Kreuzungsversuche als Erster das
Die Meiose II ist eine Mitose. Auftreten von Gesetzmigkeiten in der Verer-
Beim Menschen entstehen: bung fest. Er legte damit den Grundstein fr die
4 haploide plasmaarme Spermien (Mann) bzw. moderne Genetik. Im Folgenden wollen wir uns
1 haploide plasmareiche Eizelle plus 3 haploi- mit einigen seiner wichtigsten Erkenntnisse, den
de plasmaarme Polkrperchen (Frau). Mendelschen Erbregeln, genauer auseinander
setzen.
Merke
Zum besseren Verstndnis der Erbgnge werden
Bei der Meiose entstehen aus diploiden Ur- zunchst einige wichtige Fachbegriffe erklrt.
keimzellen in zwei Teilungsschritten haploide Gen (= Erbanlage): Ein Abschnitt der DNA, der
Geschlechtszellen. die Information fr den Aufbau eines bestimm-
ten Eiweies enthlt, heit Gen ( S. 47).
2.5 Genetik 51

1. Reifeteilung (Reduktionsteilung)

Bildung der Chromosomen Trennung der Bildung der


und Paarung der homologen Chromosomen haploiden Tochterzellen
homologen Chromosomen

2. Reifeteilung (Mitose)
haploide Tochterzellen haploide Geschlechtszellen

Samenzelle
(Spermium)
haploid

unbefruchtete Eizelle befruchte Eizelle


haploid (Zygote)
diploid

Meiose Bildung der Geschlechtszellen und Befruchtung. Abb. 2.26


52 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Jedes Gen hat eine spezifische Erbinforma- zwei ungleiche Buchstaben fr mischerbig,
tion gespeichert. Die Gesamtheit der Gene zum Beispiel aB, AB, bA.
eines Lebewesens werden als seine Erban-
lagen bezeichnet. An der Ausbildung eines Bei der Durchfhrung von Kreuzungen werden
Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind in der fr die Kreuzungspartner die folgenden Bezeich-
Regel Genpaare beteiligt, d. h. je ein Gen vom nungen benutzt:
Vater und von der Mutter. P = Elterngeneration (Parentalgeneration),
Genotyp: Gesamtheit der in den Genen verschls- V = Vater,
selten Erbinformation. M = Mutter,
Phnotyp: ueres Erscheinungsbild eines Fl = 1. Tochtergeneration (l. Filialgeneration),
Individiums, welches sich aus allen Merk- F2 = 2. Tochtergeneration (2. Filialgeneration)
malen zusammensetzt. usw.
Reinerbig (homozygot): Fr die Ausbildung
eines Merkmals sind zwei gleiche Gene oder 1. Mendelsche Erbregel (Uniformittsregel)
Gengruppen vorhanden. Kreuzt man reinerbige Individuen, die sich in
Mischerbig (heterozygot): Fr die Ausbildung einem oder mehreren Merkmalen unterschei-
eines Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind zwei den, sind alle Fl-Bastarde gleich (= uniform).
verschiedene Gene oder Gengruppen vorhan-
den. Diese Individuen mit 2 verschiedenen Beispiel: Vererbung der Blutgruppen
Anlagen fr ein Erbmerkmal werden als
Hybride oder Bastarde bezeichnet. a) Dominant-rezessiver Erbgang
Solche gleichen oder auch unterschiedlichen AA = Blutgruppe A (Vater)
Zustandsformen von Genen, die in homologen oo = Blutgruppe 0 (Mutter)
Chromosomen den gleichen Platz einnehmen,
werden als allele Gene oder Allele bezeichnet.
Monohybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich V
P: AA x oo A A
die Eltern in einem Allelpaar unterscheiden. M
Dihybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich die o Ao Ao
Eltern in zwei Allelpaaren unterscheiden. (F1)
Dominant: Ein Gen oder eine Gengruppe herrscht Keimzellen: A o o Ao Ao
in der Merkmalsausprgung vor.
Rezessiv: Ein Gen oder eine Gengruppe tritt in
der Merkmalsausprgung zurck. Ergebnis: Alle Nachkommen haben die Blutgruppe
Intermedir oder kodominant: Zwei Gene oder A und sind mischerbig.
Gengruppen sind in der Merkmalsausprgung
gleich stark. b) Intermedirer Erbgang
Autosomaler Erbgang: Ein an die Autosomen AA = Blutgruppe A (Vater)
(normale Chromosomen, nicht Geschlechts- BB = Blutgruppe B (Mutter)
chromosomen) gebundener Erbgang.
Geschlechtsgebundener Erbgang: Ein an die Ge-
schlechtschromosomen (Heterochromosomen) V A A
gebundener Erbgang. P: AA x BB M
B AB AB
Bei der Darstellung von Erbgngen werden zur (F1)
Vereinfachung Buchstaben verwendet: Keimzellen: A B B AB AB
ein groer Buchstabe fr dominant, zum Bei-
spiel B;
ein kleiner Buchstabe fr rezessiv, zum Bei- Ergebnis: Alle Nachkommen haben die Blutgruppe
spiel b; AB und sind mischerbig.
zwei gleiche Buchstaben fr reinerbig, zum
Beispiel BB, bb;
2.5 Genetik 53

2. Mendelsche Erbregel (Spaltungsregel) Beispiel: Vererbung der Blutgruppe und des


Kreuzt man Fl-Bastarde, die in einem Merkmal Rhesusfaktors.
mischerbig sind, so ist die F2-Generation in dem AAdd (Vater) x ooDD (Mutter)
betreffenden Merkmal nicht einheitlich, sondern A = Blutgruppe A o = Blutgruppe 0
spaltet sich in einem bestimmten Zahlen- d = rh- D = Rh+
verhltnis auf.
Bei dominant-rezessiven Erbgngen: P: AAdd x ooDD
3:1 = 75 % : 25 %
Bei intermediren Erbgngen:
1 : 2 : 1 = 25 % : 50 % : 25 % Keimzellen: Ad oD
Fl AoDd
Beispiel: Vererbung der Blutgruppen Keimzellen: AD, Ad, oD, od

a) Dominant-rezessiver Erbgang
Ao = Blutgruppe A (Vater) M V AD Ad oD od
Ao = Blutgruppe A (Mutter)
AD AADD AADd AoDD AoDd
V A o Ad AADd AAdd AoDd Aodd
P: Ao x Ao M (F2)
A AA Ao oD AoDD AoDd ooDD ooDd
(F1)
Keimzellen: A,o A,o o Ao oo od AoDd Aodd ooDd oodd

Ergebnis: Blutgruppe A = 3x, Blutgruppe o = lx;


Spaltungsverhltnis = 3 : 1.
Ergebnis:
4 Phnotypen:
A, Rh+; A, Rh-; 0, Rh+; 0, Rh- im Verhltnis
b) Intermedirer Erbgang 9:3:3:1.
AB = Blutgruppe AB (Vater)
AB = Blutgruppe AB (Mutter) A, Rh+ (reinerbig): 1
A, Rh+ (mischerbig): 8
}9
V A A, Rh- (reinerbig): 1
P: AB x AB M B
A, Rh- (mischerbig): 2
}3
A AA AB 0, Rh+ (reinerbig): l
Keimzellen: A,B A,B
(F1)
0, Rh+ (mischerbig): 2
}3
B AB BB
0, Rh- (reinerbig): l
0, Rh- (mischerbig):
}1
Ergebnis: Blutgruppe A = 1x, Blutguppe AB = 2x,
Blutgruppe B = 1x; Spaltungsverhltnis = 1 : 2 : 1.
9 Genotypen:
AADD, AADd (2x), AoDD (2x), AoDd (4x),
3. Mendelsche Erbregel (Neukombinationsregel) AAdd, Aodd (2x), ooDD, ooDd (2x), oodd.
Kreuzt man Bastarde, die sich in mehreren
Merkmalen unterscheiden, so werden die Merk- Die Genotypen AADD und oodd stellen rein-
male unabhngig voneinander nach der Spal- erbige Neukombinationen dar.
tungsregel vererbt, soweit sie nicht gekoppelt auf
einem Chromosom lokalisiert sind.
54 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

2.5.5 Mutationen Autosomal rezessive Erbgnge (typisch fr


Stoffwechseldefekte)
Mutationen sind spontan entstandene Vern- A = gesundes Gen, dominant;
derungen der Erbinformation. Das betroffene a = krankes Gen, rezessiv.
Individuum heit Mutante.
Beispiel 1:
Arten
Genmutationen betreffen ein Gen, sind also Heterozygote Merkmals-
Vernderungen innerhalb der Basenfolge der trger, klinisch gesund
DNA.
Beispiele: Sichelzellanmie,
Phenylketonurie und V A a
Hmophilie. M
P: Aa x Aa A AA Aa
Chromosomenmutationen sind Strukturvern- (F1)
derungen einzelner Chromosomen. a Aa aa
Beispiel Katzenschrei-Syndrom. Keimzellen: A,a A,a

Genommutationen sind nderungen der Chro- Ergebnis: aa (25 %) homozygot, klinisch krank;
mosomenzahl. AA (25 %) homozygot, klinisch gesund;
Beispiele: Trisomie 21 oder Langdon-Down- Aa (50 %) heterozygote Merkmalstrger; klinisch
Syndrom (Chromosom Nr. 21 ist gesund.
3x vorhanden),
Klinefelter-Syndrom: 44 + XXY,
Turner-Syndrom: 44 + X. Beispiel 2:
V
Ursachen: energiereiche Strahlen, z. B. Rnt- a a
M
genstrahlen,
Chemikalien, z. B. LSD, Nikotin, P: aa x AA A Aa Aa
Salpetersure, bestimmte Industrie- (F1)
abgase, A Aa Aa
Temperatur, z. B. Klte- und Wrme- Keimzellen: a A
schocks,
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch gesun-
Viren.
de Merkmalstrger.

Merke
Beispiel 3:
Mutationen in den Keimzellen knnen zu Erb- V
krankheiten fhren. A a
M
Mutationen in den Krperzellen hingegen
fhren zu vernderten Zellverbnden und P: Aa x aa a Aa aa
damit zu Fehlbildungen des Individuums (z. B. (F1)
Krebs), werden aber nicht direkt vererbt. a Aa aa
Keimzellen: A,a a
Ergebnis: Aa (50 %): heterozygot, klinisch gesunde
Merkmalstrger; aa (50 %): homozygot, klinisch
krank.
2.5 Genetik 55

Autosomal dominanter Erbgang (typisch fr Beispiele sind Hmophilie, Rotgrnblindheit


Missbildungen) und Sehnervenatrophie. Es bedeutet:
a = gesundes Gen, rezessiv; X = gesundes Gen,
A = krankes Gen, dominant. XK = krankes Gen.

Beispiel 1: Beispiel 1:
V V
a a X Y
M M
P: aa x Aa A Aa Aa P: XY x XXK X XX XY
(F1) (F1)
a aa aa Keim- XK XXK XKY
Keimzellen: a a zelle: X,Y X,XK

Ergebnis: aa (50 %): homozygot, klinisch gesund; Ergebnis: XX (25 %): homozygot, klinisch gesund;
Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank. XXK (25 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-
duktorin;
XY (25 %): klinisch gesund;
Beispiel 2: XKY (25 %): klinisch krank.

V A a
M
Beispiel 2:
P: Aa x Aa A AA Aa
(F1) V XK Y
M
a Aa aa
Keimzellen: A,a A,a P: XKY x XX X XXK XY
(F1)
Ergebnis: AA (25 %): homozygot, klinisch krank; Keim- X XXK XY
Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank; zelle: XK,Y X
aa (25 %): homozygot, klinisch gesund.
Ergebnis: XY (50 %): klinisch gesund;
XXK (50 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-
Beispiel 3: duktorin.
V A A
M
P: AA x aa a Aa Aa Beispiel 3:
(F1) V
a Aa Aa XK Y
M
Keimzellen: A a
P: XKY x XXK X XXK XY
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch krank. (F1)
Keim- XK XKXK XKY
zelle: XK,Y X,XK
Geschlechtsgebundener Erbgang
Das defekte Gen liegt auf dem X-Chromosom Ergebnis: XXK (25 %): klinisch gesund, heterozy-
und wird bei Vorhandensein eines Normalgens gote Konduktorin;
(heterozygote Frauen) von diesem unterdrckt. XKXK (25 %): klinisch krank;
Das Y-Chromosom des Mannes besitzt dieses XY (25 %): klinisch gesund;
XKY (25 %): klinisch krank.
Gen nicht, sodass es sich bei der Konstellation
X-Chromosom mit defektem Gen plus Y-Chro-
mosom um klinisch kranke Mnner handelt.
Heterozygote Frauen werden als Kondukto-
rinnen bezeichnet.
56 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

2.5.6 Modifikationen Die Ursache der Unterschiedlichkeit (Variabi-


litt) zwischen den Menschen sind Modifikatio-
Kein Mensch gleicht vllig dem anderen. Selbst nen und Mutationen.
eineiige Zwillinge mit weitgehend identischen
Erbanlagen sind nie vllig gleich. Die Unter-
schiede (krperliche und geistige Merkmale)
nehmen mit fortschreitendem Alter zu. Der
Grund liegt darin, dass selbst bei gemeinsamem
Aufwachsen die Umweltbedingungen nicht ab-
solut gleich sind.

Wird bei Individuen mit gleichen Erbanlagen


infolge unterschiedlicher Umweltfaktoren ein
Merkmal verndert, spricht man von einer
Modifikation. Dadurch wird die Erbanlage nicht
beeinflusst, d. h. in der Folgegeneration knnen
diese Vernderungen wieder fehlen.


P Beim Menschen knnen auch soziale Fakto-
ren verndernd auf die Ausprgung krperli-
cher und psychischer Merkmale wirken.

Sinn der Modifikationen ist, dass sich die Orga-


nismen innerhalb eines bestimmten erblichen
Spielraumes der Reaktionsnorm an vern-
derte Umweltbedingungen anpassen knnen.

Nicht alle Merkmale sind gleichermaen modi-


fizierbar. So gibt es beim Menschen:
umweltstabile Merkmale, die nicht modifi-
zierbar sind, z. B. die Blutgruppen;
umweltlabile Merkmale mit geringer Reak-
tionsnorm, z. B. Haarfarbe, Gre und Masse
des Krpers;
umweltlabile Merkmale mit groer Reak-
tionsnorm, z. B. Intelligenz, handwerkliche
Geschicklichkeit und andere Begabungen.


P Jeder Mensch besitzt andere Reaktions-
normen. Um das Gleiche im Leben zu errei-
chen, muss derjenige mit der ungnstigeren
Reaktionsnorm mehr tun.

Der berwiegende Teil der Merkmale wird beim


Menschen durch das Zusammenwirken von Erb-
anlagen und Umweltfaktoren geprgt.

nderung von Merkmalen knnen durch die


Gestaltung entsprechender Entwicklungsbedin-
gungen (Umwelt) niemals ber die Grenzen der
genetisch festgelegten Reaktionsnorm erfolgen.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe 57

Fragen zur Wiederholung

l. Beschreiben Sie die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers und seine
Bedeutung fr den menschlichen Organismus.
2. Nennen Sie die intra- und extrazellulren Elektrolytkonzentrationen, und geben Sie
wesentliche Funktionen der jeweiligen Elektrolyte an.
3. Erlutern Sie die Hauptfunktionen der Kohlenhydrate, Fette und Eiweie im menschlichen
Organismus.
4. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) Zelle,
b) Gewebe,
c) Organ,
d) Organsystem.
5. Skizzieren Sie aus dem Gedchtnis eine menschliche Zelle und ordnen Sie den einzelnen
Bestandteilen die entsprechenden Funktionen zu.
6. Beschreiben Sie den Aufbau der Zellmembran. Welche Eigenschaften und Aufgaben hat
sie?
7. Nennen Sie Vorkommen und Funktion der Kompartimente.
8. Erstellen Sie eine bersicht ber Menge und Verteilung der Krperflssigkeiten.
9. Was versteht man unter der Homostase des inneren Milieus?
10. Was versteht man unter dem pH-Wert? Nennen Sie den Normbereich des Blutes.
l l. Begrnden Sie, warum schon geringfgige Abweichungen vom normalen pH-Wert lebens-
bedrohlich sind.
12. Wie erfolgt die Regulation des Sure-Basen-Haushalts? Erlutern Sie exakt die Pufferung.
13. Erlutern Sie die Notwendigkeit des Stofftransportes im menschlichen Krper.
14. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) passiver Transport,
b) Konzentrationsgeflle,
c) Diffusion,
d) Osmose,
e) osmotischer Druck,
f) kolloidosmotischer Druck,
g) aktiver Transport,
h) Phagozytose,
i) Pinozytose,
j) Trgertransport,
k) Konvektion!
15. berlegen Sie, was passiert, wenn rote Blutzellen
a) in eine hypotone,
b) in eine hypertone Lsung gebracht werden.
16. Erlutern Sie den Begriff Stoff- und Energiewechsel und die wichtigsten Teilprozesse.
17. Was ist ATP und welche Bedeutung hat es?
18. Unterscheiden Sie Enzyme und Coenzyme.
19. Beschreiben Sie den Ablauf einer Enzymreaktion.
Welche Bedeutung haben Enzyme im Stoffwechsel?
20. Erklren Sie die Begriffe Glykolyse und Glukoneogenese.
21. Nennen und erlutern Sie die drei grundlegenden Schritte der Energiefreisetzung.
22. Worin liegt die besondere Bedeutung der biologischen Wasserstoffoxidation?
58 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe

Fragen zur Wiederholung

23. Erklren Sie folgende Begriffe:


a) Chromosom,
b) Chromatin,
c) Chromatide,
d) DNA, m-RNA, t-RNA,
e) Nukleotid, Polynukleotid,
f) Reduplikation.
24. Was versteht man unter dem Triplett-Code?
25. Beschreiben Sie die Eiweisynthese.
26. Beschreiben Sie die Mitose und ihre Bedeutung.
27. Erlutern Sie Ziel und Ablauf der Meiose.
28. Vergleichen Sie Mitose und Meiose.
29. Was versteht man unter der relativen Konstanz einer Art?
30. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) Erbinformation,
b) Gen,
c) Allel,
d) Genotyp,
e) Phnotyp,
f) homozygot,
g) heterozygot,
h) dominant-rezessiver Erbgang,
i) intermedirer Erbgang.
31. Erlutern Sie die drei Mendelschen Gesetze anhand konkreter Beispiele.
32. Mutter und Kind haben Blutgruppe 0. Kann der Vater Blutgruppe A haben?
Begrnden Sie Ihre Antwort.
33. Unterscheiden Sie Mutationen und Modifikationen. Welche Bedeutung haben sie?
34. Was verstehen Sie unter
a) autosomal-rezessiven Erbleiden?
b) autosomal-dominanten Erbleiden?
35. Was verstehen Sie unter X-chromosomal-rezessiver Vererbung?
59

3 Gewebe

Gewebe sind Verbnde von Zellen mit ann- b. geformte Interzellularsubstanzen (= Fasern)
hernd gleichem Bau und gleicher Funktion ein- Die Fasern ermglichen als wichtiger Bestandteil
schlielich der von ihnen abgegebenen Inter- des Krpers den Zusammenhalt und die Festig-
zellularsubstanz. keit der Organe.

Interzellularsubstanzen Bei den geformten Interzellularsubstanzen spre-


Die Interzellularsubstanzen (Zwischenzellsub- chen wir von drei Faserarten:
stanzen) sind Stoffe, welche in die Zwischenzell- 1. Retikulre Fasern
rume eingelagert werden und vor allem fr die Sie bilden Fasernetze um Zellen und um Blut-
Binde- und Sttzgewebe von besonderer Be- gefe. Auerdem kommen sie im retikulren
deutung sind. Bindegewebe vor.
Zu den Interzellularsubstanzen gehren
a. ungeformte Interzellularsubstanzen 2. Kollagenfasern
Flssigkeiten: Blut- und Lymphflssigkeit, Die Kollagenfasern sind die zugfesten Bauele-
interstitielle Flssigkeit sowie mente in den Bndern, Gelenkkapseln und Seh-
amorphe Grundsubstanz: Hierbei handelt es nen. Kollagen heit leimgebend. Aus diesen Fa-
sich um ein Gel unterschiedlicher Konsistenz, sern entsteht beim Kochen eine leimartige Masse.
das sich hauptschlich zusammensetzt aus:
Proteinen, 3. Elastische Fasern
Polysacchariden, Dieser Fasertyp verhlt sich wie ein Gummi-
anorganischen Verbindungen (z. B. Calcium- band. Wir finden ihn vor allem in hufig bean-
salze) und spruchten Organen (z. B. Wnde der groen
wechselnder Menge Wasser (wenig); Arterien, Lunge und Gallenblasenwand). Elas-
tische Fasern bilden ebenfalls Fasernetze.

retikulres straffes elastisches


Bindegewebe Bindegewebe Knorpelgewebe

Kollagenfasern
(Sehne)

Retikulozyten 1)
retikulre Fasern Knorpelzellen
weie Blutzellen elastische Fasern
1) netzfrmig angeordnete Zellen in den lymphatischen Organen

Geformte Interzellularsubstanz (= Fasern). Abb. 3.1


60 3 Gewebe

Der menschliche Organismus besteht aus vier 3.1 Epithelgewebe (= Epithel)


Haupttypen von Geweben:
1. Epithelgewebe, Das zellreiche Epithelgewebe ist praktisch in
2. Binde- und Sttzgewebe, allen Krperorganen anzutreffen. Es erfllt sehr
3. Muskelgewebe, unterschiedliche Aufgaben, wie z. B.:
4. Nervengewebe. mechanischen Schutz,
Einschrnkung der Verdunstung,
Jeder Typ hat mehrere Untergruppen, die an- Abgabe und Aufnahme von Stoffen sowie
schlieend beschrieben werden. Reizaufnahme.
Jedes Organ ist aus mehreren Gewebearten zu- Den Aufgaben entsprechend zeigen Epithel-
sammengesetzt (vgl. S. 22). Diejenigen Zellen, zellen ganz unterschiedliche Formen.
die fr die spezielle Organleistung der kompak- Nach ihrer Funktion werden die Epithelien in
ten inneren Organe verantwortlich sind, werden drei Gruppen eingeteilt:
als Parenchymzellen bezeichnet. Deckepithel,
Diese Zellen bilden also das eigentliche Organ- Drsenepithel ( Drsen, S. 86),
gewebe (Parenchym), z. B. Leber-, Pankreas- Sinnesepithel ( Sinnesorgane, S. 311),
und Nierenparenchym. Epithelgewebe sind fast ohne Interzellularsub-
stanz.

Tab. 3.1 Gliederung der Epithelgewebe.

Epithelgewebe

Deckepithel Drsenepithel Sinnesepithel

einschichtig mehrschichtig

Plattenepithel unverhorntes Plattenepithel


kubisches Epithel verhorntes Plattenepithel
Zylinderepithel Zylinderepithel
mehrreihiges Flimmerepithel
bergangsepithel (Urothel)

mehrreihiges Flimmerepithel Darmepithel

Flimmerhrchen Zellen Mikrovilli


(Cilien)
Zellkerne

Basalmembran

Abb. 3.2 Funktionell bedingte Ausstlpungen der Zellmembran.


3.1 Epithelgewebe 61

Plattenepithel
(mehrschichtig,
unverhornt)
Plattenepithel (einschichtig)

Hornschicht
kubisches Epithel (einschichtig)

Becherzellen

Plattenepithel
(mehrschichtig, verhornt)
Zylinderepithel Flimmerepithel
(einschichtig) (mehrreihig)

bergangsepithel (mehrreihig, gedehnt) bergangsepithel (mehrreihig, ungedehnt)

Tastkrperchen Hrsinnes-
zellen
Licht-
sinneszellen

Sinnesepithelien

Formen der Epithelgewebe: Deck- und Sinnesepithelien. Abb. 3.3


62 3 Gewebe

Deckepithel (= Schutzepithel) b) Nach der Zahl der Zellenlagen


Das Deckepithel bedeckt als flchiger, in sich Einschichtige Epithelien (die ein- oder mehr-
geschlossener Zellverband die Krperober- reihig sein knnen)
flche und kleidet die Hohlorgane (z. B. Verdau- 1.) Einschichtiges einreihiges Plattenepithel
ungstrakt, Harnwege) aus. Es ruht mit einer als Auskleidung der Blutgefe und Lun-
Grenzmembran (= Basalmembran) auf dem dar- genblschen (hier heit es Endothel),
unter liegenden Bindegewebe. Entsprechend den als Epithel der sersen Hute (hier heit
Funktionen weisen die Deckepithelien verschie- es Mesothel).
dene Merkmale auf. Man unterscheidet: 2.) Einschichtiges einreihiges kubisches Epithel
a) Nach der Zellform als Auskleidung der kleinen Bronchien.
Plattenepithel mit abgeflachten Zellen, 3.) Einschichtiges einreihiges Zylinderepithel
isoprismatisches (kubisches) Epithel mit an- als Auskleidung des Magens und Darmes.
nhernd wrfelfrmigen Zellen, 4.) Einschichtiges mehrreihiges Flimmerepithel
hochprismatisches Epithel (Zylinderepithel) als Auskleidung der Atemwege. Nicht
mit hohen Zellen, alle Zellen erreichen durch unterschiedli-
Flimmerepithel: Bewegliche Plasmastrukturen che Gre die Oberflche, aber alle Zellen
in der Schleimhaut der Atemwege sowie Eileiter sind mit der Basalmembran verbunden.
dienen dem Transport von Staub bzw. Eizelle. Da die Zellkerne in verschiedenen Ebenen
Die freie Oberflche der Zellen kann verschiede- liegen, wird von Mehrreihigkeit gespro-
ne Strukturen tragen. chen.
Beispiel: Brstensaum; feinste Fserchen (= Mi- 5.) Einschichtiges mehrreihiges bergangs-
krovilli) der Dnndarmepithelzellen, die an der epithel (Urothel)
Zelloberflche entspringen und der Oberflchen- kleidet berwiegend die harnableitenden
vergrerung und damit der besseren Stoffauf- Wege aus. Bedingt durch unterschiedliche
nahme dienen. Druck- und Dehnungszustnde ist die
Anzahl der Zellreihen verschieden.
Mehrschichtige Epithelien
1.) Mehrschichtiges Plattenepithel:
unverhornt als Auskleidung von Mund-
tubulr
hhle, Speiserhre, Scheide und Bede-
ckung der Lippen,
verhornt als Bedeckung der Krperober-
flche (= Epidermis).
2.) Mehrschichtiges Zylinderepithel als Aus-
kleidung der mnnlichen Harnrhre.

alveolr
3.2 Binde- und Sttzgewebe
Das Binde- und Sttzgewebe gibt dem Krper
Festigkeit und Halt und verbindet seine Teile
untereinander.

Zum Binde- und Sttzgewebe gehren:


Bindegewebe,
tubulo- Knorpelgewebe,
alveolr Knochengewebe.
Binde- und Sttzgewebe besitzen im Unter-
schied zum Epithelgewebe relativ wenig Zellen,
Abb. 3.4 Formen der Drsenepithelien. dafr reichlich Interzellularsubstanz.
3.2 Binde- und Sttzgewebe 63

Bindegewebsformen Tab. 3.2


Bindegewebe fixe Zellen freie Interzellular- Vorkommen und
Zellen substanz Aufgaben
Embryonales Binde- sternfrmige selten flssig bildet Fllgewebe des
gewebe, Mesenchym Zellen zu Embryos, Ausgangs-
einem material fr alle anderen
rumlichen Binde- und Sttzgewebe
Gitterwerk
angeordnet

Retikulres Bindegewebe, Retikulum- sehr flssig bildet das Grundgerst


netzfrmiges Bindegewebe zellen viele (= Gewebs- von Knochenmark, Milz,
flssigkeit) Lymphknoten und Lymph-
Verfestigung follikeln.
durch Retikulum- und freie Zellen
Retikulinfasern sind zur Phagozytose und
Speicherung befhigt

Fettgewebe zahlreiche keine Grundsubstanz Baufett: bildet druckelasti-


weies: Fetttropfen im Zyto- Fettzellen mit wenig sche Polster (z. B. Ges,
plasma als Bau- und Speicherfett
im Krper verteilt
Fasern Augenhhle, Wange) und
braunes: Fettzellen des Neugebo- hlt Organe in ihrer Lage
renen mit kleinen Fetttrpfchen (z. B. Niere)
und Mitochondrien; zur zitterfreien
Wrmebildung Speicherfett: wirkt v. a. als
Bestandteil des Unterhaut-
fettgewebes als Wrme-
isolator; auerdem stellt
es eine Energiereserve dar
und spielt eine wichtige
Rolle bei der Regulation
des Wasserhaushaltes

Lockeres Bindegewebe Fibrozyten viele, Gewebsflssig- fllt Lcken zwischen


z. B. keit mit einge- den Organen und
Plasma- lagerten verbindet sie beweglich,
zellen, retikulren liegt zwischen den
Histio- Kollagen- und Parenchymzellen der
zyten elastischen Organe,
Fasern speichert Flssigkeit,
erfllt Abwehraufgaben

Straffes Bindegewebe wenig selten sehr viel in baut Lederhaut,


Fibrozyten dichten Geflech- Sehnen, Bnder und
ten oder paral- Gelenkkapseln auf
lel angeordnete
Kollagenfasern,
die von elasti-
schen Fasern be-
gleitet werden
64 3 Gewebe

Bindegewebe hyaline Knorpel zeichnet sich durch hohe


Das Bindegewebe bezeichnet eine Gruppe recht Druckfestigkeit, aber nur geringe Zugfestig-
unterschiedlicher Gewebsformen. Dazu gehren keit aus. Es ist die am hufigsten vorkommende
das embryonale, retikulre, lockere und straffe Knorpelart.
Bindegewebe sowie auch das Fettgewebe. Das Vorkommen: Skelettanlage, Rippenknorpel,
Bindegewebe erfllt diverse Aufgaben; es Nasenscheidewand, Knorpelspangen der Luft-
umhllt und verbindet die Organe, rhre, Schild-, Ring- und Stellknorpel des Kehl-
bildet das Grundgerst der Organe, kopfes, Gelenkknorpel (ohne Perichondrium).
erfllt Stoffwechselfunktionen und
speichert Fett.
Neben den fixen Zellen (= jeweilige Bindege- Hyaliner Knorpel
webszellart) kommen oft sog. freie, teilweise zur
Wanderung befhigte Zellen vor, die Abwehr-
funktionen ausben ( Tab. 3.2).

Merke
Das Bindegewebe zeigt in seiner Ausbildung
eine groe Mannigfaltigkeit und bt im Orga-
nismus vielfltige Funktionen aus. Grund-
substanz

Knorpelgewebe und Knochengewebe Knorpelzelle Knorpelkapsel


Knorpel- und Knochengewebe sind die Sttz-
gewebe im engeren Sinn. Sie geben dem Krper
durch ihre besondere Festigkeit seine Form. Das Knorpelzelle
Elastischer Knorpel
formgebende Prinzip ist die geformte und unge-
formte Interzellularsubstanz. Letztere wird als
Grundsubstanz bezeichnet.

Knorpelgewebe, Knorpel
Das Knorpelgewebe geht aus dem Mesenchym
hervor. Es bildet auch beim Menschen zunchst
das Knorpelskelett, welches sich durch den Pro- Grund-
zess der Knochenbildung in das Knochenskelett substanz
umwandelt. Der Knorpel besteht aus den Knorpel-
zellen (Chondrozyten), die von einer gallertartigen elastische Fasern
Grundsubstanz mit eingekitteten Kollagenfasern
umgeben werden. Die Knorpelzellen liegen in Ein-
oder Mehrzahl in den Knorpelhhlen (= Ausspa- Faserknorpel Knorpelzelle
rungen der Interzellularsubstanz). Die Wand der
Knorpelhhlen heit Knorpelkapsel. Mit Aus-
nahme der Gelenkknorpel werden alle brigen von
einer Knorpelhaut (Perichondrium) berzogen,
von der aus die Versorgung des Knorpels erfolgt.

Eigenschaften
hohe Druckelastizitt, geringe Zugfestigkeit. Grund-
Beim Menschen tritt der Knorpel in 3 Formen auf: substanz
1. Hyaliner Knorpel
kollagene Fasern
Die Interzellularsubstanz wird etwa zur Hlfte
von amorpher Grundsubstanz und kollagenen
Knorpelarten. Abb. 3.5
Fibrillen (kleinste Fserchen) gebildet. Der
3.2 Binde- und Sttzgewebe 65

2. Elastischer Knorpel Knochengewebe, Knochen


Der elastische Knorpel ist dem hyalinen sehr Das Knochengewebe zeichnet sich durch seine
hnlich. Auer von kollagenen Fibrillen ist er besondere Druck- und Scherbelastbarkeit bei rela-
von elastischen Fasern durchsetzt. Er ist zug- tiv geringer Masse aus. Diese Eigenschaften sind
fester, dafr weniger druckfest als der hyaline. auf die Zusammensetzung und Anordnung der
Vorkommen: Ohrmuschel, Ohrtrompete, Kehl- reichlich vorhandenen Interzellularsubstanz
deckel. zurckzufhren.
3. Faserknorpel
Der Faserknorpel hat groe hnlichkeit mit Merke
dem straffen Bindegewebe. Die Kollagen- Die Interzellularsubstanz enthlt groe Men-
fasern berwiegen gegenber der amorphen gen Calciumphosphat und reichlich kolla-
Grundsubstanz deutlich. Er zeichnet sich des- gene Fasern, wodurch dem Knochengewebe
halb durch eine hohe Zugfestigkeit aus. Druckfestigkeit und Elastizitt verliehen wer-
Vorkommen: Zwischenwirbelscheiben, Disci, den. Die Anordnung des Baumaterials ist
Minisci. den Belastungen angepasst.

P Der Gelenkknorpel hat keine eigene Blut-


versorgung. Die stoffliche Versorgung erfolgt
P Mit zunehmendem Alter nimmt die Knochen-
durch Diffusion ber die Gelenkinnenhaut und elastizitt ab. Das Knochengewebe wird spr-
den unter dem Knorpel liegenden Knochen. der (= Ursache fr hufigere Knochenbrche).
Diese ohnehin nicht optimale Versorgung rea-
giert zudem sehr empfindlich auf unterschied- Die Struktur des Knochengewebes ist bei seiner
lichste Strfaktoren. Die Folge sind Abnutzun- Entstehung zunchst unregelmig und bildet
gen des Knorpels, die als Arthrose (= degene- die ursprnglichen Geflechtknochen ( Abb.
ratives Gelenkleiden) der entsprechenden 3.6, S. 66). Im Zuge des Wachstums wandelt sich
Gelenke in Erscheinung treten. Da die Zellen diese in Anpassung an die Belastung in eine
des erwachsenen Knorpels auerdem ihre lamellen- oder schalenfrmig geordnete
Teilungsfhigkeit verloren haben, ist die Knochenstruktur um und bildet die endgltigen
Arthrose irreversibel. Lamellenknochen ( Abb. 3.7, S. 66).

Knochengewebe. Tab. 3.3

Bestandteile des Knochengewebes

Knochenzellen Interzellularsubstanz

knochenbildende Zellen ungeformte


(Osteoblasten) anorganische
(amorphe) Fasern
Substanzen
Grundsubstanz
Knochenzellen
(Osteozyten) Calciumphos- kollagene
phat (ca. 85 %) Fibrillen
knochenabbauende Zellen
(Osteoklasten)
Elastizitt Festigkeit Elastizitt

Der anorganische Bestandteil betrgt 50 % und der organische 25 %. Der Rest ist Wasser. Die
Knochenzellen liegen in Knochenhhlen. Untereinander sind sie durch Plasmaauslufer
innerhalb feiner Knochenkanlchen verbunden.
66 3 Gewebe

Knochenzellen
(Osteozyten)

Interzellularsubstanz

Kollagenfasern

Abb. 3.6 Geflechtknochen.

Knochenbildung (Ossifikation) Die Verkncherung der Knorpelknochen er-


Die Bildung der einzelnen Knochen beginnt in folgt sowohl von der Knorpelhaut, also von auen
der Fetalzeit (ab 3. Monat der Schwangerschaft) (perichondrale Ossifikation) als auch von innen
und erfolgt auf zwei verschiedenen Wegen. (enchondrale Ossifikation).
Bei den langen Rhrenknochen entsteht zu-
1. Chondrale Ossifikation nchst im mittleren Bereich der Diaphyse auen
Bis auf wenige Ausnahmen werden die Knochen um den Knorpel eine Knochenmanschette. Diese
zunchst aus Knorpelgewebe (geht aus dem wird allmhlich nicht nur dicker, sondern wchst
Mesenchym hervor) vorgebildet (Knorpelkno- auch in Richtung der beiden Epiphysen ( Abb.
chen). Bereits vor der Geburt beginnt der Ab- 3.8). Gleichzeitig bildet sich innerhalb der Kno-
bau des Knorpels und sein Ersatz durch unge- chenmanschette die Markhhle, und die Knorpel-
ordnetes Knochengewebe, sodass zuerst Geflecht- haut wird zur Knochenhaut.
knochen entstehen. Die Epiphysen verknchern enchondral, d. h., im

Havers-System
(Osteon)

Knochenblkchen
(Substantia spongiosa)
Blutgefe

Haversscher Knochenhaut
(Periost)
Kanal mit
Bindegewebe,
Blutgefen, uere Lamellen
Nerven und
freien Zellen
Volkmann-Kanal
mit Blutgefen

Abb. 3.7 Lamellenknochen.


3.2 Binde- und Sttzgewebe 67

Gelenkknorpel
endochondraler
Knochenkern Epiphyse

Hyaliner
Knorpel

Markhhle

Diaphyse

Knochen-
manschette
einwachsende
Gefe
Epiphyse
Metaphyse oder
Epiphysenfuge

Knochenbildung. Abb. 3.8

Inneren entsteht ein sog. Knochenkern, der durch Mesenchym Knorpel Geflechtknochen
allmhlichen Abbau des Knorpelgewebes grer Lamellenknochen
wird. Am Ende ist das Knorpelgewebe bis auf
den Gelenkknorpel und die Epiphysenfugen voll- 2. Desmale Ossifikation
stndig in Knochengewebe umgebaut. Unter desmaler Ossifikation versteht man die
Die Ossifikation der einzelnen Knochen ge- Bildung von Knochengewebe direkt aus dem
schieht zeitlich verschoben. So sind zum Zeit- Mesenchym.
punkt der Geburt lediglich Rippen, Schdel- Beispiele: Schdeldach, Schlsselbein.
knochen, Wirbelkrper, Hftbeine und Diaphy- Mesenchym Knochen
sen der Rhrenknochen verknchert. In den
brigen Knochen sind entweder Knochenkerne Aufbau des Lamellenknochens ( Abb. 3.7)
(z. B. Epiphysen der Rhrenknochen, Fersen- Diese Knochenart ist durch ein lamellres Ord-
bein) vorhanden oder sie bilden sich zu einem nungsprinzip der Interzellularsubstanz charakte-
spteren Zeitpunkt in einer ganz bestimmten risiert. Die 5 10 m dicken plattenfrmigen
Reihenfolge. Knochenlamellen werden aus parallel zueinan-
der verlaufenden kollagenen Fibrillen und Kitt-
Merke substanz gebildet. Zwischen den Lamellen lie-
Mit dem Lngenwachstum der Knochen gen die pflaumenkernfrmigen Knochenzell-
( S. 90) bildet sich der Geflechtknochen in hhlen, welche die Knochenzellen (Osteozyten)
den Lamellenknochen um. enthalten.
68 3 Gewebe

Die Knochenzellhhlen sind durch enge Kno- Bruchspalt eine Knochenmanschette legen
chenkanlchen untereinander verbunden, in (= kncherner Kallus).
denen sich die Auslufer der Osteozyten befin- Jetzt, nach Fixierung der Bruchstcke, ver-
den. knchert das Bindegewebe im Spalt.
Zum Schluss des Heilungsprozesses wird die
Osteone (= Havers-System) Knochenmanschette abgebaut.
Durch die konzentrische Anordnung der Kno-
chenlamellen entstehen dnne mehrere Zenti-
meter lange Zylinder, die Osteone.
Wie in Abb. 3.7 zu erkennen, verlaufen die
Lamellen um eine Aussparung, die als Haver- 3.3 Muskelgewebe
scher-Kanal bezeichnet wird. Er enthlt die ver-
sorgenden Blutgefe und Nerven. Senkrecht zu Das Muskelgewebe besitzt im besonderen Mae
den Haverschen Kanlen verlaufen die Volk- die Fhigkeit zur Kontraktion, wodurch die Be-
mann-Kanle, in denen die Arterien, Venen und wegung der Krperteile ermglicht wird. Verant-
Nerven von der Knochenhaut ( S. 89) kom- wortlich fr die Kontraktilitt sind die Myofibril-
mend in das Zentrum der Osteone gelangen. len. Das sind feinste Fserchen, bestehend aus
den kontraktilen Eiweien Aktin und Myosin.

P Bei der Frakturheilung legt der Organismus Zwischen den Myofibrillen befindet sich ein
um den Bruchspalt einen sttzenden Verband Netz feinster Kanlchen (= Tubuli).
in folgender Art und Weise an: Nach morphologischen und funktionellen Ge-
Zunchst wchst vor allem vom Periost ge- sichtspunkten gliedert man das Muskelgewebe
freiches Bindegewebe in und um den in drei Muskelgewebearten:
Bruchspalt (= bindegewebiger Kallus). 1. glattes Muskelgewebe,
Im Bindegewebe entstehen knochenbildende 2. quer gestreiftes Muskelgewebe,
Zellen (= Osteoblasten), welche um den 3. Herzmuskelgewebe.

glattes Muskelgewebe quer gestreiftes Herzmuskelgewebe


Muskelgewebe
(Teil einer Muskelfaser)

balkenfrmige
Herzmuskelzelle
mit zentral
liegendem
Zellkern

lockeres
Bindegewebe
Glanzstreifen

lang gestreckte, Muskelfasermembran


spindelfrmige Muskelzellen Zellkerne Myofibrillen

Abb. 3.9 Muskelgewebearten.


3.4 Nervengewebe 69

1. Glattes Muskelgewebe Eigenschaften:


Bauelement des glatten Muskelgewebes ist die ist dem Willen unterworfen (= willkrliche
spindelfrmige glatte Muskelzelle mit zentral Muskulatur),
gelegenem ovalen Kern. Glattes Muskelgewebe kontrahiert schnell,
zeigt keine Querstreifung. entfaltet viel Kraft, d. h., bentigt deshalb viel
Energie und
Eigenschaften: ermdet schnell.
ist nicht dem Willen unterworfen (= unwill-
krlich), Steuerung durch das vegetative Vorkommen:
Nervensystem, Gesamte Skelettmuskulatur (= 45 % der
kontrahiert langsam, Krpermasse) sowie in der Zungen- und
kann einen bestimmten Spannungs- bzw. Rachenmuskulatur.
Dehnungszustand ber lngere Zeit aufrecht-
erhalten, ermdet also kaum, Aufgaben:
entfaltet nur geringe Kraft und bentigt des- Bewegungen der Extremitten, des Rumpfes,
halb nur wenig Energie. der Augpfel, Atembewegungen; auch fr die
Stimmbildung im Rachen wird die willkr-
Vorkommen: liche Muskulatur eingesetzt.
Verdauungstrakt,
Atmungstrakt, 3. Herzmuskelgewebe
Harnleiter, Harnblase, Bau- und Funktionselemente des Herzmuskel-
Gebrmutter, gewebes sind die quer gestreiften Herzmuskel-
Blutgefe. fasern. Sie werden aus einer Kette hintereinan-
der geschalteter Herzmuskelzellen gebildet und
Aufgaben: von einer gemeinsamen Membran umgeben.
Bewegungen der Hohlorgane sichern. Untereinander sind die Fasern durch Plasma-
auslufer miteinander verbunden. Die Zell-

P Besonders hohe Anforderungen fhren zur


grenzen innerhalb einer Faser werden durch die
Hypertrophie (= bermige Vergrerung der sog. Glanzstreifen (= typisches Kennzeichen)
Zellen). So kann im schwangeren Uterus die als Verzahnungsstellen sichtbar.
Zellgre auf das Achtfache gesteigert werden.
Vorkommen:
2. Quer gestreiftes Muskelgewebe Herzmuskel.
Bauelement des quer gestreiften Muskelgewebes
ist die quer gestreifte vielkernige Muskelfaser, Aufgaben:
die eine Lnge von wenigen Millimetern bis zu Spezifisch differenzierte Herzmuskelzellen
10 Zentimetern erreicht. (fibrillenarm, glykogenreich) garantieren die
Die reichlich vorhandenen Myofibrillen durch- Erregung des Herzmuskels;
ziehen die Faser als parallele Eiweifden in die Arbeitsmuskelzellen (fibrillenreich) sind
Lngsrichtung. Sie lassen unter dem Mikroskop fr die Kontraktion verantwortlich.
helle und dunkle Streifen erkennen, die meist in
gleicher Hhe liegen daher die Querstreifung.
Um die Myofibrillen bildet das endoplasmati- 3.4 Nervengewebe
sche Retikulum (hier sarkoplasmatisches Retiku-
lum) ein netzfrmiges Rhrensystem, das bei der 3.4.1 Bau
Erregung eine wichtige Rolle spielt.
Das Nervengewebe ist das am hchsten ent-
Muskelfaserbndel wickelte Gewebe. Es dient dem Informations-
Mehrere Muskelfasern werden zu Primrbn- austausch. Zusammen mit der Neuroglia oder Glia
deln und diese wiederum zu Sekundrbndeln ( S. 71) bildet es das zentrale und periphere
zusammengeschlossen. In ihrer Gesamtheit bil- Nervensystem. Hauptbestandteil des Nervenge-
den diese Faserbndel den Muskel. webes sind die Nervenzellen (= Neurone).
70 3 Gewebe

Merke
Nissl-Schollen Dendriten
Neurone leiten Erregungen schnell
ber weite Strecken weiter.
Neurolemm
Neuron
Das Neuron setzt sich zusammen aus
Synapse
dem Zellkrper (Perikaryon), dem
Stoffwechselzentrum, und den von ihm
ausgehenden Fortstzen (Dendriten,
Neuriten). Die meisten Neurone des
Zellkern Menschen sind multipolar, d. h., sie
besitzen mehrere Dendriten (baumartig
verzweigt) und einen lngeren Neurit
(= Axon). Das Axon zweigt sich am
Ende zum Endbumchen (Telodendron)
Axoplasma mit Zellkrper auf. Die Enden verdicken sich keulen-
Neurofibrillen (Perikaryon, Soma) frmig (= Endknopf).
Neurone sind funktionell bipolar, d. h.,
Nervenfaser Ursprungskegel
(Axon, Neurit) man unterscheidet einen Rezeptorpol zur
Informationsaufnahme und -weiterleitung
in das Perikaryon und einen Effektorpol
zur Informationsabgabe ber das Axon.
Ranvierscher Neurone besitzen ein stark ausgeprgtes
Schnrring granulres endoplasmatisches Retiku-
lum, welches als Nissl-Schollen oder
Tigroidsubstanz bezeichnet wird, und
Axolemm
zahlreiche Mitochondrien und Lysoso-
men im Perikaryon. Auerdem enthlt
das Perikaryon eine grere Anzahl von
Neurofibrillen, die sich in das Axon
fortsetzen. Sie dienen dem Transport von
Vesikeln und Mitochondrien in die synap-
tischen Endknpfe.

Nervenfaser und Hllen


Der Neurit bildet zusammen mit einer
Gliahlle die Nervenfaser. Die Gliahlle
wird im ZNS (zentrales Nervensystem)
von Oligodendrozyten und im PNS (peri-
pheres Nervensystem) von Schwann-
Zellen gebildet. Ein Oligodendrozyt
kann mehrere Neuriten umhllen, eine
Schwann-Zelle immer nur einen. Man
unterscheidet je nach Beschaffenheit der
Gliahlle 2 Nervenfaserarten.
synaptische Markhaltige Nervenfasern: Die Glia-
Endbumchen Endknpfchen zellen wickeln sich lamellenartig um
(Telodendron) das Axon, sodass eine isolierende
Fetthlle entsteht. Diese wird als Mark-
Abb. 3.10 Nervenzelle (Neuron). oder Myelinscheide bezeichnet. An
den Kontaktstellen von 2 benachbar-
3.4 Nervengewebe 71

ten Gliazellen fehlt das Myelin, wodurch eine


Einschnrung erfolgt. Diese heit Nerven- Nervenfasern Nervenfaser-
faserknoten oder Ranvierscher Schnrring. bndel
Marklose Nervenfasern: Mehrere Axone wer-
den einfach in eine Gliazelle eingeschlossen,
sodass nur sehr wenig isolierendes Myelin vor-
liegt und keine Nervenfaserknoten entstehen.

Merke
Nach der Menge des Myelins (= Mark) unter-
scheidet man markhaltige (myelinreiche) und
marklose (myelinarme) Nervenfasern. Endo-
neurium
Epineurium (lockeres Binde-
Einteilung der Nervenfasern nach ihren funk- (lockeres gewebe um die
tionellen Eigenschaften: Bindegewebe, das Perineurium Nervenfasern,
den Nerven umhllt (straffes Binde- mit Blut- und
Afferente (= sensible, aufsteigende) Nerven- und seine Verbin- gewebe um die Lymph-
fasern leiten die Information von der Periphe- dung zur Um- Nervenfaserbndel) kapillaren)
gebung herstellt)
rie zum ZNS.
Efferente (= motorische, absteigende) Nerven- Peripherer Nerv (Querschnitt). Abb. 3.11
fasern leiten die Informationen vom ZNS zur
Peripherie.
Merke
Faszikel und periphere Nerven
Die Nervenfasern sind zu Nervenfaserbndeln Die wesentlichen Aufgaben der Neuroglia
zusammengefasst. Im Gehirn und Rckenmark sind:
werden diese als Faszikel bezeichnet, auerhalb Sttzfunktion,
bilden sie den Hauptanteil der peripheren Isolationsfunktion,
Nerven ( Abb. 3.11). Die peripheren Nerven Beeinflussung des Nervenzellstoffwechsels.
sind berwiegend gemischte Nerven, weil sie
afferente und efferente Fasern enthalten.

P Gliazellen fllen Defekte in der Hirnsubstanz
Neuroglia (Glia) aus. Es entstehen die sog. Glianarben.
Auer den Neuronen befinden sich sowohl im
ZNS als auch im PNS noch die Gliazellen, die in
ihrer Gesamtheit als Neuroglia bezeichnet wer- 3.4.2 Grundlagen der
den. Je nach Funktion unterscheidet man ver- Erregungsphysiologie
schiedene Gliazelltypen.
Zentrale Glia: Das Nervengewebe sichert den Informationsaus-
Astrozyten. Dies sind verzweigte Zellen, die tausch, der in fnf Schritten dargestellt werden
die Neurone mit den Blutgefen verbinden kann:
und den Stoffaustausch ermglichen. Sie bil- 1. Informationsaufnahme durch Sinneszellen
den den Hauptanteil der Neuroglia. (= Rezeptoren),
Oligodendrozyten. Diese sind weniger ver- 2. Informationsleitung durch afferente Nerven-
zweigt und bilden die Markscheiden im ZNS. fasern zum Zentralnervensystem,
Ependymzellen. Sie kleiden Hirnventrikel und 3. Informationsverarbeitung und -speicherung
Zentralkanal des Rckenmarks aus. im Zentralnervensystem,
Periphere Glia: 4. Informationsleitung durch efferente Nerven-
Schwann-Zellen. Sie umhllen die peripheren fasern zum Muskel bzw. zur Drse (= Effek-
Neuriten. toren),
Mantelzellen. Sie umgeben die in den Gan- 5. Informationsabgabe an die Umwelt durch
glien liegenden Perikaryen. Muskelleistung und Drsensekrete.
72 3 Gewebe

extrazellulr
K+ [K+ ] 4 mmol/l Na+
[Na+ ] 140 mmol/l

Natrium-Kalium-Pumpe

intrazellulr
K+ [K+ ] 160 mmol/l Na+
[Na+ ] 10 mmol/l

Abb. 3.12 Ruhepotential.

Grundlage fr den Informationsaustausch ist die relativ gut durchlssig. Entsprechend der unter-
Erregung der Nervenzellen. Im Folgenden wer- schiedlichen Durchlssigkeit der Membran
den beschrieben: die Erregungsbildung, die Er- diffundieren im Ruhezustand stndig relativ
regungsleitung und die Erregungsbertragung. viele K+ von innen nach auen und wenige Na+
im umgekehrten Richtungssinn;
Erregungsbildung ein aktives Transportsystem (= Natrium-Kali-
Die Bildung einer Erregung bedeutet, dass von um- Pumpe) sorgt dafr, dass es nicht zum
einer erregbaren Zelle eine Information aufge- Konzentrations- und damit auch Ladungsaus-
nommen und in elektrische Impulse transfor- gleich kommt.
miert worden ist. Eine wichtige Voraussetzung
dafr ist das Ruhepotential. Letztendlich berwiegen in der intrazellulren
Flssigkeit einige wenige Anionen (negativ gela-
Ruhepotential dene Teilchen) und in der extrazellulren
Flssigkeit einige Kationen (positiv geladene
Merke Teilchen). Dies fhrt dazu, dass die Innenseite
Die Spannung (= Potential), die bei einer der Membran im Ruhezustand gegenber der
nicht gereizten Zelle zwischen Zellinnerem Auenseite negativ geladen ist. Sie ist polari-
und der Auenseite der Membran herrscht, siert.
bezeichnet man als Ruhepotential der Zelle
(Innenseite negativ, Auenseite positiv). Sie Erregung (Aktionspotentialbildung)
ist eine wichtige Voraussetzung fr die Erregung einer Zelle bedeutet die Umwandlung
Erregungsbildung. des Ruhepotentials in das Aktionspotential
(= AP) infolge Reizung.

Folgende Faktoren bedingen die Entstehung des Reize


Ruhepotentials: Ein Reiz ist eine energetische Vernderung phy-
ungleichmige Verteilung bestimmter Ionen sikalischer und/oder chemischer Natur in der
in der intra- und extrazellulren Flssigkeit Umgebung einer Zelle, die zu einer nderung
( S. 18); des Membranpotentials fhrt.
unterschiedliche Permeabilitt (Durchlssig-
keit) der ruhenden Membran fr die einzelnen Beispiele: nderung von Lichtintensitt, Tempe-
Ionenarten. Die Membran ist fr Proteinionen ratur, Schallwellen, Druck und pH-Wert.
undurchlssig, fr Na+ relativ gering und K+
3.4 Nervengewebe 73

(mV)
40
20 (1+5) Ruhepotential
3 (2) Depolarisation
0 (3) Ladungsumkehr
4 (4) Repolarisation
- 20
- 40
2
- 60 Schwellenpotential
1 5
- 80 Ruhepotential
(ms)
1 2 3 4

Reiz
Na+
+ + - - + +

- - + + - -
K+ K+

Ruhepotential Aktionspotential Ruhepotential

Aktionspotential. Abb. 3.13

Der Verlauf der Potentialnderung bei Reizung Je nach Reizstrke wird die Membran mehr oder
ist in der Abbildung 3.13 dargestellt. weniger depolarisiert.
Voraussetzung fr die Entstehung eines Aktions-
Es ist zu erkennen, dass bei Reizung das potentials ist eine Mindestreizstrke, welche die
Ruhepotential (1) sehr schnell zusammenbricht. Membran auf ca. 60 mV depolarisiert. Bei die-
Die Membran wird depolarisiert (2). Fr kurze sem Wert erhht sich aufgrund der Ladungsn-
Zeit findet sogar eine Ladungsumkehr bis ca. derung die Permeabilitt der Membran fr Na+
+30 mV statt (Membran innen positiv, auen auf das 500fache.
negativ; 3). Anschlieend wird die Membran Folge:
wieder repolarisiert (4), d. h., das Ruhepotential Rascher Na+-Einstrom mit weiterer Depolarisa-
wird wieder hergestellt (5). Der gesamte tion und anschlieender Ladungsumkehr.
Vorgang dauert nur wenige Millisekunden (ms).
Das durch die Mindestreizstrke ausgelste
Den Verlauf der Spannungsnderung von der Potential als Voraussetzung fr das Aktions-
Depolarisation bis zur Wiederherstellung des potential heit Schwellenpotential. Reize, die
Ruhepotentials nennt man Aktionspotential. Es die Membran bis zum Schwellenwert depolari-
ist Ausdruck einer Erregung. sieren, also die Reizschwelle der Zelle errei-
chen, nennt man berschwellige Reize. Reize,
Beachtet man die Faktoren, die das Ruhepoten- die die Membran nicht bis zum Schwellenwert
tial bedingen, so kann man feststellen: Reize depolarisieren und somit kein Aktionspotential
verndern die Membranpermeabilitt. Als Folge auslsen, bezeichnet man als unterschwellige
kommt es zu einer Vernderung der Ionen- Reize.
verteilung.
74 3 Gewebe

Die Permeabilittsnderung fr Na+ hlt nur kurz- zeichnet man als Alles-oder-Nichts-Gesetz.
fristig an. Dagegen wird die Membranpermea- Das bedeutet, nachdem das Schwellenpotential
bilitt fr K+ verbessert. erreicht ist, bleibt bei weiterer Verstrkung des
Folge: Reizes die Amplitude der Aktionspotentiale
Verstrkter K+-Ausstrom, dadurch Repolarisa- trotzdem unverndert.
tion, d. h., die Ruhespannung wird wieder er- Wie ist es aber mglich, dennoch unterschiedli-
reicht. che Reizstrken, z. B. unterschiedliche Druck-
einwirkung, wahrzunehmen?
Im Anschluss daran sorgt die Natrium-Kalium- Die Reizstrke wird durch die Frequenz der
Pumpe dafr, dass wieder die alten Konzentra- Aktionspotentiale verschlsselt. Je strker der
tionsverhltnisse (wie vor der Erregung) herge- Reiz, desto mehr Aktionspotentiale werden in
stellt werden. Bemerkenswert ist, dass trotz der der Zeiteinheit ausgelst.
groen Permeabilittsnderungen an der erreg-
ten Stelle der Membran die Ionenkonzentratio- Erregungsleitung
nen im intra- und extrazellulren Raum kaum Die Erregungsleitung besteht in der Fortleitung
verndert werden. der Aktionspotentiale entlang der Neuriten-
membran bis in die Synapsen. Wie ist das zu er-
Alles-oder-Nichts-Gesetz klren?
Die Tatsache, dass bei unterschwelligen Reizen Ein ausgelstes Aktionspotential hat zur Folge,
keine Erregung, bei berschwelligen aber immer dass zwischen benachbarten Membranabschnit-
eine Erregung in vollem Umfang erfolgt, be- ten ein Ladungsunterschied entsteht. Dieser
fhrt zu einem Ladungsausgleich
(= Ausgleichsstrom) lngs der
AP Faser (innen und auen). Der
Ladungsausgleich aus der Nach-
barschaft bedeutet dort die Bil-
dung eines neuen Aktionspoten-
tials usw.
Bei markscheidenhaltigen Neuri-
ten erfolgt die Erregungsleitung
Ausgleichsstrom saltatorisch (sprunghaft) von
Schnrring zu Schnrring. Bei
AP
markscheidenlosen Neuriten er-
folgt die Erregungsleitung konti-
nuierlich, weil polarisierte, de-
und repolarisierte Membranab-
schnitte viel dichter beieinander
liegen. Das hat Konsequenzen fr
die Erregungsleitungsgeschwin-
Ausgleichsstrom
digkeit und den Energieverbrauch.
AP Bei der saltatorischen Erregungs-
leitung springt das Aktions-
potential von Schnrring zu
Schnrring.
Folgen:
Erhhung der Leitungsgeschwin-
digkeit (zirka 100 gegenber
m
1 bei kontinuierlicher
s Leitung).
m
Geringerer
s Energieverbrauch,
Saltatorische Erregungsleitung da Natrium-Kalium-Pumpe nur
Abb. 3.14 (AP = Aktionspotential). an den Schnrringen ttig ist.
3.4 Nervengewebe 75

Axon

Neurotubuli

elektrische
prsynaptische Weiterleitung
Blschen (Vesikel)
mit Neurotransmitter
Mitochondrien
prsynaptische
Membran
synaptischer Spalt
chemische
bertragung
(Neurotransmitter)
postsynaptische
Membran mit
Membranrezeptoren
elektrische
Weiterleitung

Funktion der Synapse. Abb. 3.15

P Die Repolarisierung bentigt viel Energie, Folge:


Es kann ein Aktionspotential in der anderen
daher ist eine gute Durchblutung des Nerven-
systems notwendig. Sauerstoffmangel, niedri- Zelle ausgelst werden.
ge Temperaturen und Narkotika lhmen die
Ttigkeit des Nervensystems. Es gibt erregende und hemmende Transmitter
und damit erregende und hemmende Synapsen.
An einem Neuron knnen bis ber tausend
Erregungsbertragung in der Synapse
Synapsen liegen.
Unter Erregungsbertragung (= Informations-
bertragung) versteht man die bertragung einer
Erregung von einem Neuron auf andere Neurone,

P Es gibt zahlreiche chemische Substanzen, die
die Wirkung der natrlichen Transmitter nach-
Muskelzellen und Drsenzellen.
ahmen (imitieren) oder hemmen. Sie sind Be-
standteil vieler Medikamente (z. B. Atropin,
Die Erregungsbertragung erfolgt an besonderen
Propranolol).
Kontaktstellen, den Synapsen.

Funktion der Synapse Die Bildung von Aktionspotentialen in einem


Im prsynaptischen Endknpfchen treffen Akti- Neuron setzt voraus, dass eine bestimmte
onspotentiale ein und bewirken dort die Frei- Mindestzahl von erregenden Synapsen gegen-
setzung eines bestimmten Quantums Transmitter ber den hemmenden vorherrscht. Das
(= chemischer bertrgerstoff). Der bertrger- Verhltnis von erregenden und hemmenden
stoff diffundiert ber den synaptischen Spalt in Synapsenpotentialen bestimmt also, ob eine
die postsynaptische Membran (= Membran der Information weitergeleitet (= gebahnt) oder
benachbarten Zelle) und verndert dort die gehemmt wird. Synapsen wirken demnach wie
Durchlssigkeit fr positive Ionen. Ventile.
76 3 Gewebe

Fragen zur Wiederholung

1. Erklren Sie die Begriffe


a) Gewebe,
b) Interzellularsubstanz.
2. Nennen Sie Bauarten, Vorkommen und Aufgaben
a) des Epithelgewebes,
b) des Binde- und Sttzgewebes,
c) des Muskelgewebes.
3. Nennen Sie Unterschiede zwischen Epithel und Bindegewebe.
4. Welche Eigenschaften besitzt Knorpel?
Nennen Sie die Knorpelarten.
5. Erklren Sie die Festigkeit der Knochen aus ihrer Struktur.
6. Beschreiben Sie den Bau eines Lamellenknochens.
7. Beschreiben Sie die Knochenbildung.
8. Vergleichen Sie die Muskelgewebearten nach Bau, Vorkommen, Aufgaben und Eigen-
schaften.
9. Was sind Myofibrillen?
10. Vergleichen Sie eine Nervenzelle mit anderen Zellen hinsichtlich Bau und Funktion.
11. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) Dendrit,
b) Neurit,
c) Nervenfaser,
d) Axon,
e) Nerv.
12. Was versteht man unter der Neuroglia und welche Aufgaben erfllt sie?
13. Erklren Sie die Begriffe:
a) Ruhepotential,
b) Aktionspotential,
c) Erregung,
d) Synapse,
e) Transmitter.
14. Erklren Sie den Vorgang der Erregungsbildung.
15. Erklren Sie die Begriffe:
a) Reiz, einschlielich ber- und unterschwelliger Reiz,
b) Schwellenpotential,
c) Alles-oder-Nichts-Gesetz.
16. Wie wird die Reizstrke verschlsselt?
17. Erklren Sie den Vorgang der saltatorischen Erregungsleitung.
18. Erklren Sie die Erregungsbertragung in der Synapse.
Was sind erregende und hemmende Synapsen?
77

4 Hautsystem (Hute und Drsen)

Hute sind flchenhafte Gewebsstrukturen, die 4.1.1 Schichten der ueren Haut
aus einem Deckepithel und einer darunter lie-
genden Bindegewebsschicht bestehen. Die uere Haut besteht aus:
Besprochen werden in diesem Kapitel Oberhaut (Epidermis) mehrschichtiges
die uere Haut, die den Organismus gegen die verhorntes Plattenepithel.
Umwelt abgrenzt und im weitesten Sinne Lederhaut (Corium) vor allem straffes
Schutzaufgaben erfllt, Bindegewebe.
die Schleimhaut als innere Auskleidung vieler Oberhaut und Lederhaut bilden die eigent-
Hohlorgane mit wichtigen Schutz- und Trans- liche Haut, die als Cutis bezeichnet wird.
portaufgaben, Unterhaut (Subcutis) Verschiebeschicht
die serse Haut, deren Hauptaufgabe darin aus lockerem Bindegewebe zwischen Cutis
besteht, die Verschiebbarkeit der inneren Organe und Muskelfascien bzw. Periost (Knochen-
zu gewhrleisten und haut) der Knochen.
Drsen, die Sekrete bzw. Inkrete mit vielfl-
tigen Funktionen im Krper produzieren. Oberhaut (Epidermis)
Die Oberhaut ist ein mehrschichtiges verhorntes
Plattenepithel, welches sich in 2 Hauptschichten
4.1 uere Haut gliedert.
1. Keimschicht (Stratum germinativum), beste-
uere Haut und Schleimhaut bilden die Grenz- hend aus Basalzellschicht (Stratum basale),
schicht zwischen Organismus und Umwelt. Die Stachelzellschicht (Stratum spinosum), Krner-
uere Haut ist die Krperbedeckung des zellschicht (Stratum granulosum) und helle
Menschen. Sie ist beim Erwachsenen durch- Schicht (Stratum lucidum).
schnittlich 2 bis 3 mm dick, hat eine Masse von 2. Hornschicht (Stratum corneum).
ca. 4 kg und eine Flche von 1,5 bis 2 m2.
Die Dicke der Oberhaut schwankt in Abhngig-
Merke keit von der mechanischen Beanspruchung. Je
grer die Beanspruchung, desto dicker wird sie
Die wichtigsten Funktionen der ueren Haut
(Fusohle 1 2 mm, Hohlhand 1 mm).
sind:
Hautstellen, die sehr stark beansprucht werden,
Schutz vor physikalischen und chemischen
bilden Schwielen. Besonders dnn ist die
Einwirkungen,
Epidermis an den Augenlidern.
Vermittlung von Sinneseindrcken,
Die unterschiedliche Dicke ist vor allem durch
Wrmeregulation.
die Hornschicht bedingt.

P Da die uere Haut wie kein anderes Organ


P Zu viel Horn kann Krankheitswert bekom-

in ihrer ganzen Ausdehnung der unmittelbaren men (z. B. Hhnerauge).


Betrachtung zugnglich ist, hat sie fr die
Diagnostik besondere Bedeutung. Nicht zuletzt Die hochprismatischen Epithelzellen der ein-
auch deshalb, weil sich Erkrankungen anderer schichtigen Basalschicht sind als einzige Zellen
Organe in ihr widerspiegeln, z. B. Rtung der der Epidermis mit der Basalmembran verbunden,
Gesichtshaut bei Bluthochdruck (Hypertonie), sie werden also am besten versorgt. Hier finden
Blsse bei Blutarmut (Anmie), Blaufrbung stndig mitotische Zellteilungen zur Bildung
(Zyanose) bei O2-Mangel oder Gelbfrbung neuer Epithelzellen statt. Da ihre Lebensdauer
(Ikterus) bei Lebererkrankungen. nur ca. 50 Tage betrgt, sterben tglich Millionen
ab und genauso viele werden neu gebildet.
78 4 Hautsystem (Hute und Drsen)

Oberhaut
(Epidermis)

Hornschicht
Cutis Keimschicht
Lederhaut-
papillen

Lederhaut
(Corium)

Fettgewebe
Blutgefe
Unterhaut
(Subcutis) Faszie
Muskel

Abb. 4.1 Hautschichten.

Durch den Wachstumsdruck werden die lteren


Merke
Basalzellen in Richtung Oberflche befrdert.
Diese Zellen durchlaufen nun der Reihe nach Die Epidermis besteht aus der lebenden
alle Zellschichten der Keimschicht. Whrend Keimschicht (Stratum germinativum) und der
dieser Wanderung werden nach und nach toten Hornschicht (Stratum corneum). In der
Zytoplasma und alle Zellorganellen abgebaut. Im Basalschicht finden lebenslang mitotische
Stratum granulosum bilden die Zellen Kerato- Zellteilungen zur stndigen Regeneration der
hyalinkrnchen und Tonofibrillen (feine faserige Haut statt. Die fest geschlossene Hornschicht
zugfeste Strukturen), aus denen wahrscheinlich dient als Schutzpanzer.
der Hornstoff (Keratin) entsteht. Diese Schicht
und das darauf folgende Stratum lucidum bilden In den Hautschichten der Oberhaut (bei hellhu-
also die verhornende Schicht. tigen Menschen nur in der Basalschicht) befin-
den sich zwischen den Epithelzellen noch
Hornschicht (Stratum corneum) Pigmentzellen (Melanozyten). Die Zellen produ-
Die oberflchlich geschlossene Hornschicht zieren das braunschwarze Hautpigment Melanin
besteht praktisch nur noch aus abgestorbenen (= wichtigster Hautfarbstoff), das die mitoti-
keratinhaltigen Epithelzellen, wobei Zellgrenzen schen Zellteilungen in der Basalzellschicht vor
gar nicht mehr erkennbar sind. Da in der Horn- der schdlichen UV-Strahlung schtzt.
schicht die Verbindungen zwischen den Zellen
(sog. Desmosomen) verschwinden, werden die
P Wegen der raschen Regenerationsfhigkeit
verhornten Zellen laufend abgestoen. An der der Epidermis heilen Wunden, die nur sie be-
Kopfhaut bleiben sie hufig aneinander hngen treffen, schnell vom Rand her ohne Narben-
und bilden Schuppen. bildung ab.
4.1 uere Haut 79

Hautfarbe
Die Hautfarbe des Menschen wird Hornhaut-
bestimmt vom Pigmentgehalt, der schuppen
Farbe des Blutes (abhngig vom O2-
Gehalt) und vom Grad der Durch-
blutung. Die Hautpigmentierung ist
nicht an allen Stellen gleich. Besonders Hornschicht
stark pigmentiert ist die Haut der (Stratum corneum)
Geschlechtsorgane, des Afters und der
Warzenvorhfe.

P Individuen, die wegen eines


Hornbildungs-
schicht
Gendefekts kein Melanin synthetisie- (Stratum
granulosum)
ren knnen, heien Albinos; sie sind
blasshutig, haben eine rtliche Iris
und sind durch Sonnenstrahlung sehr Keimschicht
gefhrdet. (Stratum
germinativum)
Lederhaut (Corium, Dermis)
Die Lederhaut ist der bindegewebige Basalmembran
Anteil der Haut und enthlt demnach Basalschicht
alle typischen Bestandteile des Binde-
gewebes ( S. 63). Zellen werden durch stndige Zellteilung an die Ober-
Dominierend sind die wellenartig flche verlagert und als Hornschuppen abgestoen.
angeordneten miteinander verflochte-
nen Kollagenfasern mit eingelagerten Oberhaut (Epidermis). Abb. 4.2
elastischen Fasernetzen. Letztere sollen
erstere vor berdehnung schtzen.
Die Fasern besitzen auerdem eine gute Quell- vergrert, sodass diese mehr Halt bekommt.
fhigkeit, was das groe Wasserbindungsver- Die Papillen bestehen aus zellreichem feinfaseri-
mgen der Lederhaut erklrt. Auch die Grund- gem Bindegewebe. Die Fasern bilden ein dichtes
substanz enthlt relativ viel Wasser. Durch diese Geflecht. Eingebettet in das Gewebe ist entweder
Wasserspeicherung entsteht im Gewebe eine eine Kapillarschlinge oder ein Meissnersches
Spannung, die als Hauttugor bezeichnet wird. Er Tastkrperchen. Die Netzschicht wird aus dicke-
lsst mit zunehmendem Alter nach, weil das ren Fasern gebildet, welche dementsprechend
Wasserbindungsvermgen abnimmt. auch grbere und zugfeste Geflechte bilden.

Merke Leisten- und Felderhaut


In der Epidermis der Handflchen und Fu-
Durch die Kombination von kollagenen und sohlen spiegelt sich die Beziehung der in Reihen
elastischen Fasern enthlt die uere Haut oder Leisten angeordneten Lederhautpapillen
groe Zugfestigkeit und Elastizitt. deutlich wider und bildet die Grundlage fr das
Muster der nur hier vorkommenden Leistenhaut.
Die Lederhaut besteht aus 2 Schichten:
der Papillarschicht (Stratum papillare) und
P Die Leistenmuster sind genetisch festgelegt
der darunter liegenden Netz- oder Geflecht- (Beispiel: Fingerabdruck in der Kriminalistik).
schicht (Stratum reticulare).
Beide Schichten gehen ohne scharfe Grenze Die Leistenhaut ist nicht behaart und sehr fest an
ineinander ber. Die Papillarschicht ist mit der der Hohlhand- bzw. Fusohlensehnenplatte ver-
Basalmembran des Epithels durch die Binde- ankert, eine wichtige Voraussetzung fr sicheren
gewebspapillen (= Lederhautpapillen) verzahnt. Griff und Stand. Sie enthlt Schwei-, aber keine
Dadurch wird die Kontaktflche zur Oberhaut Talgdrsen. In der Leistenhaut befinden sich
80 4 Hautsystem (Hute und Drsen)

besonders viele Hautrezeptoren, so auch die


P Die Unterhaut kann viel Flssigkeit aufneh-
Merkel-Zellen in der Basalschicht ( Tab. 4.1). men und eignet sich daher gut zur Aufnahme
Die brige Haut zeigt durch feine Furchen von Medikamenten, z. B. bei subkutanen Injek-
getrennte rhombische Felder, daher der Name tionen (Heparin zur Thromboseprophylaxe,
Felderhaut. Die Felderhaut ist die behaarte Insulin zur Blutzuckersenkung).
Haut.

Unterhaut (Subcutis) 4.1.2 Gefversorgung


Die Subcutis gehrt nur funktionell zur Haut. Sie
besteht vor allem aus lockerem Bindegewebe In der Haut liegen drei arterielle und entspre-
und Fettgewebe und befestigt die Cutis mittels chende vense Gefgebiete bereinander:
von der Lederhaut kommender Faserbndel tiefes Gefgebiet unter der Subcutis,
mehr oder weniger verschiebbar an der darunter Gefgebiet an der Grenze von Subcutis und
liegenden Krperfaszie bzw. dem Periost der Cutis,
Knochen. Die Fettzellen bilden das Unterhaut- Gefgebiet unterhalb der Lederhautpapillen,
fettgewebe (Panniculus adiposus), welches als von dem die Kapillarschlingen der Lederhaut-
Fettmantel in stark unterschiedlicher Auspr- papillen abzweigen.
gung den Krper umgibt. Frei von Fettgewebe ist Von den Kapillarschlingen wird auch die
die Unterhaut der Augenlider, uerer Gehr- geflose Oberhaut versorgt.
gang und Penis.
Die besonderen Aufgaben der Subcutis sind In der Lederhaut existieren besonders viele arte-
Energiedepot und Wasserspeicherung, riovense Anastomosen. ber sie knnen die
Wrmeisolation und Kapillaren im Sinne der Wrmeregulation um-
mechanischer Schutz. gangen werden.

4.1.3 Haut als


Merkel-Zellen
Sinnesorgan

In der Haut befinden


Oberhaut sich zahlreiche Sin-
(Epidermis) neszellen (auch Ner-
freie
Nervenendungen venendkrperchen
Meissnersche genannt) und freie
Tastkrperchen Nervenendungen zur
Lederhaut
(Corium) Aufnahme von Rei-
Ruffini- zen. Die Rezeptoren
Krperchen sind in allen Haut-
Vater-Pacini- schichten vertreten
Krperchen
und sind nach ihren
Entdeckern benannt
Unterhaut Nervengeflecht (Merkel, Meissner,
(Subcutis) Ruffini, Vater-Pacini
Abb. 4.3).
Muskulatur
Fascie

Abb. 4.3 Sinneszellen der Haut.


4.1 uere Haut 81

bersicht ber die Funktionen der ueren Haut. Tab. 4.1


Funktion Strukturen

1. Mechanischer Schutz Hornschicht: unterschiedlich dick, wird durch das fetthaltige


Sekret der Talgdrsen geschmeidig gehalten.
Lederhaut: garantiert Zugfestigkeit und Beweglichkeit.
Unterhautfettgewebe: Druckpolster.
Ngel: schtzen die empfindlichen Finger- und Zehenendglieder.


P Die Hornschicht kann sich bei berbeanspruchung von der
Keimschicht lsen, es bildet sich eine Blase.

2. Temperaturregulation, Hautblutgefe: bei Erweiterung verstrkte Wrmeabgabe;


Wrmeschutz bei Verengung Drosselung der Wrmeabgabe.
Schweidrsen: Schwei verdunstet, wodurch dem Krper
Wrme entzogen wird (Verdunstungsklte).
Unterhautfettgewebe: ist ein schlechter Wrmeleiter und wirkt
daher wrmeisolierend (magere Menschen frieren leichter).

3. Flssigkeitsschutz Mehrschichtiges verhorntes Plattenepithel, Talgdrsen:


Talg bildet wasserabstoende Fettschicht.


P Grere Wasserverluste sind lebensbedrohlich.

4. Strahlenschutz Melanin: schtzt die Zellen vor schdlichen UV-Strahlen.

5. Infektionsschutz Schweidrsen: produzieren ein saures Sekret (= Schwei),


sodass ein Suremantel auf der Haut entsteht, durch den das
Wachstum der Bakterien gehemmt wird.

6. Speicherfunktion Unterhautfettgewebe: besteht berwiegend aus Fettgewebe


mit eingelagerten Kohlenhydraten, Eiweien und Mineralstoffen;
Fettgewebe dient auch als Energiereserve.

7. Sinnesfunktionen
Druckempfindung Merkel-Zellen in den untersten Schichten der Epidermis und
Ruffini-Krperchen der Lederhaut.
Berhrungsempfindung Meissnersche Tastkrperchen in den Lederhautpapillen;
Nervengeflechte um die Haarwurzeln.
Vibrationsempfindung Lamellenkrperchen (Vater-Pacini-Krperchen) in der Unterhaut.
Klte- und Freie Nervenendungen. Klterezeptoren unmittelbar unter
Wrmeempfindung der Epidermis, reagieren hauptschlich im Bereich 17  36 C.

Wrmerezeptoren liegen in der Lederhaut und reagieren maxi-


mal im Bereich 40  47 C.
Schmerzempfindung Freie Nervenendungen im Corium, der Subcutis und in den
unverhornten Schichten der Epidermis.
82 4 Hautsystem (Hute und Drsen)

4.1.4 Altersvernderung der Haut


Haar
Mit zunehmendem Alter treten typische Haut- Pore
vernderungen auf. So nimmt zum Beispiel die
Elastizitt der Haut infolge Verringerung der elas- Haartrichter
tischen und Zunahme der kollagenen Fasern ab.
Ebenso nimmt die Wasserbindungsfhigkeit ab; Talgdrse
durch den sinkenden Wassergehalt lsst der
Hautturgor nach. Die Sekretion der Schwei- und
Talgdrsen verringert sich. Dadurch wird die
Haut trockener und neigt zu verstrkter Schup-
penbildung verbunden mit Juckreiz. Schwei-
Besonders im Gesicht, an Unterarmen und drse
Handrcken entstehen sog. Altersflecken, weil
hier die Ttigkeit der Melanozyten zunimmt. Die
Oberhaut wird dnner und die Rezeptoren neh-
men ab.

P Lnger stehen bleibende abgehobene Haut-
falten lassen Rckschlsse auf den reduzierten Hautdrsen. Abb. 4.4
Flssigkeitsgehalt des Krpers zu. Besonders
im Alter ist deshalb auf ausreichende Flssig-
keitszufuhr zu achten. Lippenrot, Augenlider,
Immobilitt (z. B. infolge eines Schlaganfalls) Warzenvorhof, Anus,
und schlechte Nhrstoff- und Sauerstoffversor- Peniseichel und kleine Schamlippen.
gung der Gewebe fhren bei lteren Menschen
hufig zu Druckgeschwren (Dekubitus).
P Der natrliche Fettfilm schtzt die Haut.
Dabei handelt es sich um eine Hautentzndung Wird durch zu vieles Waschen mit Seife das
verbunden mit lokalem Gewebsverlust. Fett beseitigt, knnen wasserlsliche Schad-
stoffe und Bakterien leichter in die Haut ein-
dringen.
Bei zu starker Talgabsonderung kommt es in
4.2 Anhangsorgane der Haut den talgdrsenreichen Hautbezirken (Gesicht,
Brust, Rcken, Nacken) durch verstrkte Ver-
Bestimmte Teile der Haut stellen Einzelorgane hornung zur Verstopfung der Talgdrsenaus-
dar. Dazu gehren die Hautdrsen (Talg-, fhrungsgnge (sog. Mitesser Komedonen).
Schwei-, Duft- und Brustdrsen), die Haare
sowie die Ngel. Darber hinaus gibt es im Schweidrsen
ueren Gehrgang Drsen, die Ohrenschmalz Schweidrsen sind Knueldrsen, die den
produzieren. Zusammenfassend werden diese Schwei produzieren. Es gibt sie nahezu in der
Teile als Anhangsorgane bezeichnet. gesamten Haut. Besonders zahlreich sind sie
in der Achselhhle, am Handteller,
an der Stirn, an der Fusohle und
4.2.1 Hautdrsen am Rcken.

Talgdrsen (= Haarbalgdrsen) Die Schweidrsen mnden mit einer Pore auf


Talgdrsen sind einfache Drsen, welche den der Haut. Der Schwei dient der Wrmeregu-
Hauttalg produzieren. Ihr Ausfhrungsgang endet lation und in geringem Mae der Ausscheidung
vorrangig am Haartrichter. Der Talg fettet Haut von Stoffwechselendprodukten. Auerdem wirkt
und Haare so ein, dass sie geschmeidig und was- der Schwei aufgrund seines Suregehaltes (pH
serabweisend werden. Von Haaren unabhngige = 4,5) antibakteriell.
Talgdrsen kommen an folgenden Stellen vor:
4.2 Anhangsorgane der Haut 83

Duftdrsen 15 Einzeldrsen, die mit selbstndigen Ausfhr-


Dieser Drsentyp kommt beim Menschen nur in gngen (= Milchgnge) an der Brustwarze mn-
speziellen Hautarealen vor: Achselhaut, Genital- den. uere Form und Gre der Brustdrsen
und Afterbereich, Brustwarzen und Warzen- sind sehr variabel. Sie werden in erster Linie
vorhof. Die Duftdrsen mnden in den Haar- durch eingelagertes Bindegewebe (grtenteils
trichter. Ihr Sekret aber reagiert alkalisch und Fettgewebe) bestimmt. Der Busen ist im anato-
enthlt individuelle Duftstoffe. mischen Sprachgebrauch die Vertiefung zwi-
Das Sekret der Duft- und Schweidrsen kann schen den beiden Brsten.
durch Bakterien leicht zersetzt werden, wodurch Die Brustwarze wird vom deutlich strker pig-
ein unangenehmer Geruch entsteht. Auerdem mentierten Warzenvorhof umgeben.
zerstrt es den Sureschutzmantel, sodass die
Duftdrsen leicht von Bakterien infiziert werden
P Die Berhrung der Brustwarze lst den Auf-
knnen (Drsenabszess). richterreflex aus. Muskelkontraktionen fhren
zu ihrer Verlngerung, wodurch das Saugen
Brustdrsen (= Milchdrsen) erleichtert wird.
Die 2 Brustdrsen sind die grten Hautdrsen. Der Brustkrebs ist der hufigste Krebs der
Sie produzieren die Muttermilch, die als einziges Frau. Da bei Frherkennung gute Heilungs-
Drsensekret nicht dem eigenen Krper, sondern chancen bestehen, sollte eine regelmige
der Ernhrung des Suglings dient. Selbstuntersuchung vorgenommen werden.
Die Brustdrse (= Mamma) entwickelt sich in
der Pubertt beim Mdchen. Sie ist kein Ge- Ohrenschmalzdrsen
schlechtsorgan, sondern ein sekundres weibli- In der Haut des ueren Gehrganges befinden
ches Geschlechtsmerkmal. Beim Mann bleibt sich neben Talg- und Schweidrsen sog. Ohren-
die Brustdrse normalerweise in der kindlichen schmalzdrsen. Letztere produzieren ein hellgel-
Form bestehen. bes Sekret, das gemeinsam mit dem Talg und
Schwei sowie abgeschilferten Epithelzellen

P Durch Gabe weiblicher Geschlechtshormone


und Staub das Ohrenschmalz (Cerumen) bildet.
zur Behandlung des Prostatakrebses kann sich
auch beim Mann die Brustdrse entwickeln.
P Durch Quellung kann das Ohrenschmalz zu
einem Ohrschmalzpfropf werden und den
Der Drsenkrper liegt in der Unterhaut norma- Gehrgang vllig verlegen.
lerweise gut verschiebbar auf der Faszie des
groen Brustmuskels. Er besteht aus 12 bis Lymphabflusswege
Es gibt zwei Hauptabflussrichtungen:
auerhalb des Brustkorbes zum Achselbe-
reich und
in das Brustkorbinnere.
groer
Brustmuskel
(M. pectoralis major)
Milchgnge 4.2.2 Haare (Pili)
Brustwarzen- Das Haarkleid des Menschen ist im Vergleich zu
vorhof dem anderer Sugetiere stark reduziert. Haare
(Areola mammae)
Brustwarze dienen dem Wrmeschutz, der Reibungsminde-
(Mamilla, rung (z. B. Achselhhle) und der Berhrungs-
Papilla mammaria) empfindung. Man unterscheidet beim Menschen
Milchsckchen zwei Haararten: Woll- und Terminalhaare.
Einzeldrse
Fettgewebe Wollhaare (= Lanugohaare)
Wollhaare sind zarte, kurze und nicht pigmen-
tierte Haare. Sie kommen fast am gesamten
Abb. 4.5 Brustdrse (Mamma). Krper des Neugeborenen und auf groen Haut-
gebieten des Erwachsenen vor.
84 4 Hautsystem (Hute und Drsen)

Haarschaft

Haarrinde
Haarmark
(bei dnnem Haar
fehlend)
Haartrichter
Oberhutchen

(Bulbus pili)
(Cuticula)
Talgdrse innere
epitheliale
Wurzelscheide

Haarzwiebel
Haaraufrichter- uere
muskel epitheliale
(Musculus arrector pili)
Wurzelscheide
Haarzwiebel Glashaut
(Bulbus pili) bindegewebige
Wurzelscheide
(=^ Lederhaut)
Haarpapille Haar-
mit Blutgefen papille
mit Blut-
Haarwurzel gefen
Wachstumszone
Abb. 4.6 Haar.

Terminalhaare nennt man Haarfollikel oder Haarbalg.


Das sind die lngeren, krftigeren und pigmen-
tierten Haare wie Kopf-, Bart-, Achsel- und
P Aus geraden Follikeln wachsen glatte und aus
Schamhaare. Auch Augenbrauen, Augenwim- gekrmmten gekruselte Haare.
pern und Haare des ueren Gehrganges
gehren dazu. Die Terminalbehaarung erfolgt Die Haarwurzel wird von einer epithelialen und
zum Teil erst in der Pubertt unter dem Einfluss bindegewebigen Wurzelscheide umgeben. Letz-
der Geschlechtshormone. tere entspricht der Lederhaut und bildet den
Haarbalg. In die Wurzelscheide mndet unter-
Bau ( Abb. 4.6) halb des Haartrichters der Ausfhrgang einer
Haare sind schrg aus der Haut ragende bieg- Talgdrse. Darunter setzt der Haaraufrichter-
same und zugfeste Hornfden aus Keratin muskel (M. arrector pili) an, der das Aufrichten
(Hornstoff). Sie bestehen aus 2 Hauptteilen, der des Haares bewirkt und dabei die so genannte
Haarwurzel (steckt in der Haut) und dem Haar- Gnsehaut verursacht.
schaft (ragt aus der Haut heraus).
Haarschaft
Haarwurzel Der Haarschaft ragt aus der Haut heraus. Seine
Sie beginnt meist in der Unterhaut mit einer Teile bestehen aus verhornten Epithelzellen.
Anschwellung, der Haarzwiebel (Bulbus). Von
basal liegenden Epithelzellen der Haarzwiebel Haarwachstum
(= Wachstumszone) geht das Haarwachstum Haar wchst von der Haarwurzel aus pro Monat
aus. Der in der Haarzwiebel vorhandene Raum ca. 1 cm. Die Lebensdauer der Terminalhaare
heit Haarpapille. In ihr befinden sich die betrgt ca. 3 5 Jahre, die der Wimpern dagegen
Blutgefe fr die Versorgung der Wachs- nur 3 6 Monate. Das Ergrauen der Haare beruht
tumszone. auf Einlagerung von Luftblschen, das Wei-
Die bindegewebige Hlle um die Haarzwiebel werden auf dem Erlschen der Pigmentbildung.
4.3 Schleimhaut 85

4.2.3 Ngel
P Sauerstoffmangel oder Klte fhren zur
Blaufrbung der Ngel, Durchblutungsstrun-
Die Ngel bedecken als Hornplatten die End- gen zur Beeintrchtigung des Nagelwachstums
glieder der Finger und Zehen und dienen als (erkennbar an Querlinien). Hufige Erkrankun-
Schutz und als Widerlager fr die Tastballen und gen sind Entzndungen von Nagelwall und -bett
gewhren dadurch eine Verbesserung der Tast- sowie Pilzerkrankungen (Nagelmykosen).
empfindung.

Bau
Der sichtbare Teil des Nagels ist die aus ver- 4.3 Schleimhaut (Tunica mucosa)
hornten Epithelzellen bestehende Nagelplatte.
Sie ist durchscheinend und sieht nur deshalb rosa Schleimhute sind feucht und schleimreich. Der
aus, weil sie auf dem gut durchbluteten Nagel- Schleim wird in Schleimdrsen (Becherzellen)
bett liegt. Die Nagelplatte wird von einer Haut- produziert. Wir finden die Schleimhute als
falte, dem Nagelwall, umgeben. Proximal be- innere Auskleidung solcher Hohlorgane, deren
deckt der Nagelwall die Nagelwurzel, die in die Lichtungen mit der Umwelt in Verbindung ste-
ca. 5 mm tiefe Nageltasche eingeschoben ist. hen, dies sind:
Ein schmaler Epithelsaum (Eponychium) der Verdauungskanal, Atemwege,
Nageltasche geht auf die Nagelplatte ber. Harnwege, Geschlechtsorgane,
Unmittelbar unter der Nagelplatte befindet sich Augenlider-Bindehaut, Mittelohr.
zuerst ein Epithel (Hyponochium). Danach folgt
das bindegewebige Nagelbett, das mit der Kno- Jede Schleimhaut besteht aus mindestens zwei
chenhaut des Fingerendgliedes verwachsen ist. Schichten:
Das Hyponochium wird unter der Nagelwurzel 1. Epithelium,
(in der Nageltasche) zur Nagelmatrix. Von ihr 2. Schleimhautbindegewebe.
geht das Nagelwachstum aus. Es betrgt pro Tag
0,1 bis 0,3 mm. Die Nagelmatrix ragt mit ihrem Aufgaben:
konvexen Rand immer etwas aus der Nagel- Die Schleimhute sind in ihrem Bau der speziel-
tasche heraus. Dieser halbmondfrmige hellere len Funktion angepasst. Ihre Aufgaben sind in
Teil heit Lunula (Mndchen). der Tabelle 4.2 genannt.
Die verhornten Zellen der Nagelplatte sowie
jene des Hyponochiums entsprechen der
Epidermis, das aus Bindegewebe bestehende Funktion der Schleimhaut. Tab. 4.2
Nagelbett dem Corium. Funktion Struktur
Schutzaufgabe Unverhorntes mehrschichti-
hohe ges Plattenepithel, z. B.
mechanische Mundhhle, Speiserhre,
Beanspruchung Harnrhre, Scheide.
Nagelplatte Abtransport von Flimmerepithel,
Nagelbett staubigem z. B. Atemwege.
Schleim
Nagelfalz Schutz der Urothel, z. B. Harnblase.
Harnwege
Lunula Stoffaufnahme Falten, Zotten und Mikrovilli
(= Teil der (Resorption) zur Vergrerung der Ober-
Nagelmatrix)
flche, z. B. Dnndarm.
Nagelwall Stoffabgabe Abgabe von Schleim zum
(Sekretion) Schutz der Schleimhaut,
z. B. Magen.
Stofftransport Blut- und Lymphgefe des
Schleimhautbindegewebes.
Abb. 4.7 Fingernagel. Abwehr Weie Blutzellen des
Schleimhautbindegewebes.
86 4 Hautsystem (Hute und Drsen)


P Schleimhautentzndungen sind hufig vor- Eine serse Hhle besteht aus zwei Blttern:
kommende akute und chronische Erkrankungen dem visceralen Blatt, das dem jeweiligen
der Atemwege (Bronchitis), des Verdauungs- Organ anliegt und
traktes (Gastritis) und der ableitenden Harn- dem parietalen Blatt, das sich mit der Um-
wege (Cystitis, Pyelonephritis). gebung verbindet.
Die Endung -itis weist immer auf eine Ent-
zndung hin. Zwischen den beiden Blttern liegt die eigentli-
che Hhle, die in Wirklichkeit nur einem
kapillaren Spaltraum (= Serosaspalt), in dem
sich etwas Flssigkeit befindet, entspricht. Zu
4.4 Serse Haut (Tunica serosa) den sersen Hhlen gehren das Brustfell
und serse Hhlen (Pleura Abb. 11.12, S. 223), der Herzbeutel
(Perikard S. 176) und das Bauchfell
Serse Hute sind spiegelglatt und feucht. Sie (Peritoneum Abb. 7.3, S. 145).
bestehen (wie die Schleimhute) ebenfalls aus
mindestens zwei Schichten.
P Eiter in solchen Hhlen nennt man Empyem
1. Serosaepithel: Es ist im Unterschied zur (z. B. Pleuraempyem).
Schleimhaut immer ein einschichtiges, drsen- Eine Vermehrung der Flssigkeit im Serosaspalt
loses Plattenepithel, welches als Mesothel fhrt zur Bildung eines Ergusses (z. B. Pleura-
bezeichnet wird. erguss), welcher durch Punktion beseitigt wer-
2. Serosabindegewebe. den kann.
Aufgabe:
Die Serosa ermglicht einerseits eine uerst
reibungsarme Verschiebbarkeit der inneren 4.5 Drsen (berblick)
Organe. Das wird durch einen Flssigkeitsfilm
erreicht, der durch Transsudation (= bertritt Drsen sind Organe, die aus spezialisierten
von Flssigkeit aus dem Blut) und Resorption Epithelzellen bestehen. Die spezielle Funktion
(= bertritt von Flssigkeit in das Blut) konstant ist die Bildung von Wirkstoffen (= Sekrete) mit
gehalten wird. Andererseits verbindet sie die einer bestimmten chemischen Zusammenset-
Organe miteinander. zung und physiologischen Bedeutung.
Die Realisierung dieser Aufgabe wird ermg- Die Abgabe der Sekrete heit Sekretion. Sie
licht, indem die Serosa die einzelnen Organe erfolgt entweder nach auen (Krperoberflche)
doppelwandig umgibt, so dass eine sog. serse oder in das Blut. Sekrete sind z. B. Schleim,
Hhle entsteht. Talg, Schwei, Gallenflssigkeit, Hormone.

Ausfhrungsgang

mehrzellige Sekret einzellige


Drse Drse
(Becherzelle)
im
mehrreihigen
Flimmerepithel

Abb. 4.8 Exokrine Drsen.


4.5 Drsen (berblick) 87

mit Follikelbildung ohne Follikelbildung

Drsenzellen

Follikel

Drsen-
Hormon zellen
Blutkapillaren

Hormon
Blutkapillaren Blutkapillaren Hormon

Endokrine Drsen. Abb. 4.9

Klassifizierung der Drsen ebenfalls ins Blut zu gelangen. Mit dem Blut-
1. Nach ihrer Lage zum Oberflchenepithel: strom erreichen sie den Wirkungsort.
a) im Oberflchenepithel
einzellige schleimproduzierende Becher- Merke
zellen der Darmschleimhaut,
Die endokrinen Drsen (= Hormondrsen)
mehrzellige schleimproduzierende Drsen besitzen im Unterschied zu den exokrinen
im Schleimhautepithel der Atemwege; Drsen keine Ausfhrungsgnge.
b) unter dem Oberflchenepithel im Bindegewebe
es handelt sich immer um mehrzellige
Drsen, die von einer bindegewebigen Zirbeldrse
Kapsel begrenzt werden. (Epiphyse)
2. Nach der Form ( Abb. 3.4, S. 62): Hirnanhangdrse
a) schlauchfrmige (tubulse) Drsen (Hypophyse)

Darmkrypten; Magendrsen; Schwei- Schilddrse


drsen; Lieberkhn-Drsen, (Gl. thyroidea)
b) beerenfrmige (acinse) Drsen Nebenschilddrsen
Talg-, Bauchspeichel-, Ohrspeicheldrse, oder
c) blschenfrmige (alveolre) Drsen Epithelkrperchen
(Gl. parathyroidea)
Duftdrsen.
Nach dem Sekretionsziel unterscheidet man:
exokrine Drsen (= Drsen mit uerer
Sekretion meist mit Ausfhrungsgang) und Nebenniere
(Gl. suprarenalis)
endokrine Drsen (= Drsen mit innerer
Eierstcke
Sekretion ohne Ausfhrungsgang). Keimdrsen
(Gonaden)
Hoden
In den mehrzelligen exokrinen Drsen befindet
sich ein Gangsystem, welches das Sekret (z. B.
Mundspeichel, Bauchspeichel, Schwei, Talg)
aufnimmt und an die Oberflche leitet. Die Langerhans-
Sekrete der endokrinen Drsen werden Hor- Inseln der
mone (= Inkrete) genannt (z. B. Adrenalin, Bauchspeichel-
Thyroxin, Insulin). Die in den Zellen gebildeten drse
Hormone gelangen entweder direkt ins Blut oder Lage der endokrinen Drsen (Schema). Abb. 4.10
werden in sog. Follikel sezerniert, um von diesen
88 4 Hautsystem (Hute und Drsen)

Fragen zur Wiederholung

1. Vergleichen Sie den Aufbau von uerer Haut, Schleimhaut und serser Haut.
2. Welche Beziehung besteht zwischen serser Haut und serser Hhle?
3. Stellen Sie in einer bersicht die hauptschlichen Funktionen der verschiedenen Hute
zusammen.
4. Stimmt es, dass die Haut atmen muss? Begrnden Sie Ihre Antwort.
5. Wo kommen
a) Schleimhute und
b) serse Hute (serse Hhlen) vor?
6. Definieren Sie: Transsudation und Resorption.
7. Geben Sie einen berblick ber die Anhangsgebilde der Haut.
8. Welche Aufgaben erfllen
a) der Talg und
b) der Schwei?
9. Beschreiben Sie den Aufbau der Brustdrse. Erlutern Sie die Bedeutung der Selbstunter-
suchung durch Abtasten.
10. Nennen und begrnden Sie einige Manahmen, die zum Erhalt der Funktionstchtigkeit
der ueren Haut beitragen.
11. Welche Rolle spielt die uere Haut im Rahmen der Krankenbeobachtung und Diagnostik?
12. Erklren Sie die Begriffe:
a) Drse,
b) Sekretion,
c) Sekret,
d) Hormon.
13. Unterscheiden Sie exokrine und endokrine Drsen.
14. Nennen Sie die exokrinen und endokrinen Drsen und die von ihnen gebildeten Sekrete.
Beschreiben Sie kurz die Lage dieser Drsen.
89

5 Sttz- und Bewegungssystem

Das Bewegungssystem ist die Gesamtheit der an platte Knochen (z. B. Schulterblatt, Scheitel-
der Fortbewegung des Menschen beteiligten Orga- bein, Darmbeinschaufel) sind flache, kompakte
ne. Man unterscheidet den passiven Bewegungs- Knochen mit einer festen Auenschicht und
apparat (= Knochen, Gelenke und Bnder) und einer inneren aufgelockerten Knochenschicht;
den aktiven Bewegungsapparat (= Muskulatur). unregelmige Knochen auch kurze Knochen
genannt (z. B. Nasenbein, Jochbein, Unter-
kiefer, Oberkiefer, Wirbel, Handwurzelknochen,
5.1 Allgemeine Knochenlehre Fuwurzelknochen) sind grtenteils wrfel-
oder quaderfrmig.
Die allgemeine Knochenlehre befasst sich im
Wesentlichen mit der Knochenstruktur und den
Knochenverbindungen. 5.1.3 Bau eines Knochens

Knochen bestehen aus der Knochenrinde (= Sub-


5.1.1 Aufgaben der Knochen stantia corticalis, kurz: Kortikalis uere kom-
pakte Knochenschicht) und den Knochenblk-
Knochen sind Organe, bei denen das Knochen-
chen (= Substantia spongiosa, kurz: Spongiosa
gewebe den Hauptanteil darstellt. Die Knochen
aufgelockerte Knochenschicht im Inneren).
erfllen die folgenden Aufgaben:
1. Sttzfunktion: Alle Knochen bilden das Skelett
Den Schaft eines Rhrenknochens ( Abb. 5.1,
(Sttzwerk), das mageblich die Krpergestalt
S. 90) nennt man Diaphyse, das proximale und
bestimmt.
distale Gelenkende Epiphyse. Der dazwischen
2. Schutzfunktion: Das Skelett schtzt lebens-
liegende Abschnitt ist die Wachstumszone
wichtige Organe, z. B. Gehirn in der Schdel-
(Metaphyse oder Epiphysenfuge).
hhle, Rckenmark im Wirbelkanal, Herz und
Lunge im Brustkorb, Harn- und Geschlechts-
Bei den Rhrenknochen befindet sich Substantia
organe im kleinen Becken.
spongiosa nur in den Epiphysen, whrend sie bei
3. Bewegungsfunktion: Knochenverbindungen
allen anderen Knochen berall zu finden ist.
bewirken zusammen mit den Muskeln Bewe-
gungen.
Knochenhaut (= Periost)
4. Bildung der Blutzellen: Das rote Knochenmark
Jeder Knochen wird, mit Ausnahme der Gelenk-
ist die wichtigste Bildungssttte der Blutzellen.
flchen, von einer Knochenhaut umgeben. Sie ist
Der Knochen ist kein totes Gebilde, er hat einen
durch zugfeste Fasern im Knochen verankert.
intensiven Stoffwechsel.
Die Knochenhaut ist gef- und nervenreich.
Von ihr aus dringen Blutgefe und Nerven in
das Knocheninnere und versorgen den Knochen
5.1.2 Knochentypen ( Abb. 3.7, S. 66).

Der Mensch besteht aus einer Vielzahl unter- Knochenmark


schiedlicher Knochen. Man teilt sie entspre- Man unterscheidet
chend ihrer Form und Funktion ein. das rote Knochenmark im Bereich der Sub-
Rhrenknochen (z. B. Oberarmknochen, Fin- stantia spongiosa, es ist das Gewebe der Blut-
gerknochen, Oberschenkelknochen) sind lng- zellbildung, und
liche Knochen mit einem rhrenfrmigen das gelbe Knochenmark (= Fettmark) in den
Schaft, auen einer dichten Knochenschicht Markhhlen der Rhrenknochen bei Erwach-
(Kompakta) und innen einer aufgelockerten senen.
Struktur mit Knochenmark;
90 5 Sttz- und Bewegungssystem


P Das Fettmark kann unter
schwammartiges besonderen Umstnden (z. B.
Gerstwerk feiner bei groen Blutverlusten oder
Knochenblkchen proximales Leukmien) in rotes Knochen-
mit rotem Gelenkende mark umgewandelt werden.
Knochenmark (proximale
(Substantia spongiosa) Epiphyse)

5.1.4 Knochenwachstum
Muskel-
ansatzhcker
(Apophyse) Beim Wachstum der Rhren-
knochen unterscheidet man Ln-
gen- und Dickenwachstum.
Das Lngenwachstum erfolgt
kompakte unter dem Einfluss verschiede-
Knochenrinde ner Hormone von der Epiphy-
(Substantia compacta) senfuge aus, die bis zum Wachs-
nur im Diaphysen-
bereich der tumsende aus Knorpelgewebe
Rhrenknochen besteht. Nach beiden Seiten wird
Knorpelgewebe abgebaut und
durch Knochengewebe ersetzt.
Knochenhaut Gleichzeitig wird das Knorpel-
(Periost)
gewebe der Epiphysenfuge stn-
dig nachgebildet. Die Verknche-
rung der Wachstumszone be-
Schaft ginnt zwischen dem 15. und
(Diaphyse) 17. Lebensjahr und endet bei der
Frau mit dem 18. und beim
Mann mit dem 20. Lebensjahr.
Zu diesem Zeitpunkt ist das
Lngenwachstum abgeschlossen.


P Verletzungen (z. B. Fraktur
durch die Epiphysenfuge) und
Markhhle Knochenmarkserkrankungen
mit gelbem knnen zu einem vorzeitigen
Fettmark Schluss der Epiphysenfugen
fhren, was z. B. ungleiche
Beinlngen zur Folge haben
kann.
Durch Hormonwirkungen (z. B.
Keimdrsenhormone) kann die
distales Verkncherung der Epiphysen-
Gelenkende
Knochenrinde (distale fuge beschleunigt oder verz-
(Substantia corticalis) Epiphyse) gert werden.
Folgen sind dann Zwerg- bzw.
Wachstumszone Riesenwuchs.
(Metaphyse oder
Epiphysenfuge) Das Dickenwachstum geht von
der Knochenhaut aus, die zeit-
Abb. 5.1 Bau eines Rhrenknochens (Oberschenkelknochen). lebens funktionstchtig bleibt.
5.1 Allgemeine Knochenlehre 91

P Bruchheilung erfolgt durch die so genannte Dementsprechend gibt es verschiedene Arten


Kallusbildung, die grtenteils vom Periost von Knochenverbindungen ( Tab. 5.1):
ausgeht ( S. 68). 1. Bandgelenke (Articulationes fibrosae).
Knochen werden durch Bindegewebe mitein-
ander verbunden:
Knochenumbau
a) Bandhaft (Syndesmosis)
Einmal gebildete Knochen verndern sich im
Zwischenknochenmembran zwischen Elle
Laufe des Lebens stndig. So werden, wie auf
und Speiche bzw. Schien- und Wadenbein.
Seite 65 bereits beschrieben, im Kindesalter die
b) Naht (Sutura)
primitiveren unregelmig strukturierten Geflecht-
Verbindung zwischen den Schdelknochen.
knochen in die kalziumreicheren und stabileren
c) Einzapfung (Gomphosis)
Lamellenknochen umgebaut. Weiterhin findet
Federnde Befestigung der Zhne im Zahn-
eine funktionelle Anpassung statt, die es dem
fach.
Knochen ermglicht, sich auf vernderte Be-
lastungen einzustellen. Dies erfolgt z. B. durch
2. Knorpelgelenke (Articulationes cartilagineae)
Zu- oder Abnahme der Knochensubstanz bzw.
Knochen werden durch Knorpelgewebe mit-
nderung der Knochenstruktur durch Umbau
einander verbunden.
der Substantia spongiosa als Anpassung an:
Beispiele:
Vernderungen der Krpermasse und/oder
Schambeinfuge, Bandscheiben und Rippen-
der krperlichen Aktivitt,
knorpel.
einseitige oder asymmetrische Belastungen
Band- und Knorpelgelenke haben nur sehr
z. B. bei Lhmungen oder einseitiger Arbeits-
geringe Bewegungsausmae.
belastung etc.

P Ist der Mineralstoffgehalt der Knochen ver- 3. Synoviale Gelenke (Articulationes synoviales)
mindert, entsteht eine Osteomalazie (Knochen- Wenn man vom Gelenk spricht, ist praktisch
erweichung). Wird im Alter vermehrt Knochen- immer das synoviale Gelenk gemeint.
substanz abgebaut, spricht man von Osteopo-
rose. Durch die Entkalkung werden die Synoviale Gelenke sind gekennzeichnet durch:
Knochen brchiger. Es kann schon bei geringen a) mindestens 2 Gelenkkrper mit von Gelenk-
Belastungen zu Frakturen, besonders Schenkel- knorpel berzogenen Gelenkflchen;
halsfrakturen, kommen. Frauen sind durch die b) einen Gelenkspalt (gewebefreier Raum
verminderte strogenbildung (nach der Meno- zwischen den Gelenkflchen);
pause) hufiger betroffen. c) die Gelenkschmiere (Synovia) im Gelenk-
spalt sie wird von der inneren Schicht der
Gelenkkapsel produziert, hat Ernhrungs-
funktion und dient gemeinsam mit dem
5.1.5 Knochenverbindungen
Gelenkknorpel der Reibungsminderung;
d) die Gelenkkapsel zur Abgrenzung des Ge-
Der Grad der Beweglichkeit von zwei oder mehr
lenkraumes, bestehend aus der Auen-
Knochen gegeneinander muss funktionsbedingt
schicht (Membrana fibrosa) aus straffem
sehr unterschiedlich sein.

Knochenverbindungen. Tab. 5.1

Knochenverbindungen

Bandgelenke Knorpelgelenke synoviale Gelenke

Zwischen den Knochenteilen befindet sich ein Gewebe zwischen den


als Verbindungsmaterial. Knochenteilen
Band- und Knorpelgelenke werden auch als Haften befindet sich ein
bzw. unechte Gelenke (Fugen) bezeichnet. Gelenkspalt.
92 5 Sttz- und Bewegungssystem

e) die Gelenkbnder aus straffem Bindege-


Kniescheibe webe, die dem Zusammenhalt des Gelenkes
(Patella)
dienen.
Meniscus
Oberschenkel- Merke
knochen
(Femur) Das synoviale Gelenk wird zusammenge-
Gelenkknorpel halten durch Gelenkkapsel, Muskeln, Kr-
(Cartilago articularis) pergewicht, Bnder und Adhsion im
Gelenkspalt.
Gelenkkapsel
(Capsula articularis)
Gelenkknorpel Darber hinaus knnen bei bestimmten synovia-
(Cartilago articularis) len Gelenken Besonderheiten auftreten, die die
Kniescheiben- Kongruenzverhltnisse der Gelenkkrper ver-
band bessern bzw. die Bewegungsmglichkeiten be-
(Lig. patellae)
einflussen. Dies sind:
Schleimbeutel 1. Gelenkzwischenscheibe (= Discus, Pl: Disci)
(Bursa synovialis) aus Faserknorpel zur Verbesserung der Kon-
Schienbein gruenz und Vergrerung der Kontaktflche;
(Tibia)
Beispiel: proximales Handgelenk.
2. Halbmondfrmiger Faserknorpel (= Meniscus,
Abb. 5.2 Synoviales Gelenk (Kniegelenk).
Pl: Menisci). Der Meniscus hat im Prinzip
die gleichen Aufgaben wie der Discus;
Beispiel: Kniegelenk.
Bindegewebe, die den Gelenkzusammenhalt 3. Gelenklippe (= Labium articulare) zur Ver-
sichert, und der Innenschicht (Membrana grerung der Gelenkpfanne;
synovialis), bestehend aus lockerem Binde- Beispiel: Hftgelenk.
gewebe sowie Fettgewebe, die zahlreiche 4. Schleimbeutel (= Bursa synovialis) als Aus-
Nerven, Blut- und Lymphgefe enthlt stlpung der Gelenkkapsel und damit Reser-
und die Synovia sezerniert und resorbiert; veraum fr die Gelenkschmiere.

rechtes proximales Handgelenk rechtes Kniegelenk


(Art. radiocarpalis) von palmar (Art. genus) von dorsal

Handwurzelknochen
Auenband
(Lig. collaterale fibulare)

Meniscus lateralis

Gelenkknorpel

Innenband
(Lig.collaterale tibiale)
Menisken
Discus Querband
Radius (Lig. transversum
genus)
Ulna Meniscus
Kreuzbnder lateralis
(angeschnitten)
Meniscus
medialis

Abb. 5.3 Disci und Menisci.


5.1 Allgemeine Knochenlehre 93

Merke
P Bei Strungen oder Schwchung einer dieser

Disci trennen den Gelenkraum vollstndig; Komponenten kann eine Gelenkfhrung durch
Menisci nur teilweise. eine andere teilweise kompensiert werden.
Zum Beispiel wird trotz einer Kreuzbandruptur
die Funktion des Kniegelenkes aufgrund einer
Die Bewegungsausmae und Stabilitt der Gelen- gut ausgebildeten Oberschenkelmuskulatur
ke werden durch drei Komponenten beeinflusst: kaum beeintrchtigt.
Knochenfhrung (beim Hftgelenk z. B. bes-
ser ausgeprgt als beim Schultergelenk);
Einteilung der synovialen Gelenke
Muskelfhrung (besonders ausgeprgt beim Nach der Form der Gelenkflchen und den sich
Schultergelenk, z. B. durch den Deltamuskel, daraus ergebenden Bewegungsmglichkeiten sind
M. deltoideus); verschiedene Gelenktypen zu unterscheiden
Bnderfhrung (besonders ausgeprgt beim ( Abb. 5.4 bis 5.6):
Kniegelenk). Scharniergelenk (einachsig),
Radgelenk (einachsig),
Eigelenk (zweiachsig),
Sattelgelenk (zweiachsig),
Kugelgelenk (dreiachsig) und
straffes Gelenk (Amphiarthrose).

Oberarm-Ellen-Gelenk Fingergelenke
(Art. humeroulnaris)

Fingerendgelenk
(Art. interphalangealis
distalis)
Oberarmrolle Fingermittelgelenk
(Trochlea humeri) (Art. interphalangealis
proximalis)
Ellenbogen Fingergrundgelenk
(Olecranon)
(Art. metacarpo-
phalangealis)

Scharniergelenk (einachsig). Beispiel: Ellenbogengelenk, Fingermittel- und endgelenke. Abb. 5.4

Gelenk zwischen dem 1. und 2. Halswirbel


Querfortsatz
Atlasquerband
(Lig. transversum atlantis)

Atlas

Rippe
Axis
Wirbel-Rippen-
Gelenke
Wirbelkrper

Radgelenk (einachsig). Beispiel: Wirbel-Rippen-Gelenk; Gelenk zwischen Altas und Dreher. Abb. 5.5
94 5 Sttz- und Bewegungssystem


P Hufige Gelenkverletzungen sind
Prellung (= Kontusion), Bnderriss (= Ligamentruptur) und
Zerrung (= Distorsion), Verrenkung (= Luxation).

Handwurzelknochen Trapezbein
(Os trapezium)

proximales
Handgelenk
(Art. radiocarpalis)

Elle
(Ulna)

Speiche
(Radius)

distales Handgelenk
(Art. metacarpalis)
Daumensattelgelenk
(Art. carpometacarpalis pollicis)
Mittelhandknochen
Handwurzel- des Daumens
Mittelhandgelenke II + III (Os metacarpale I)
(Carpometacarpalgelenke II + III)

Eigelenk (zweiachsig). Beispiel: rechtes proximales Handgelenk von palmar.


Straffes Gelenk (Amphiarthrose). Beispiel: Handwurzel-Mittelhandgelenk II und III.
Abb. 5.6 Sattelgelenk (zweiachsig). Beispiel: Daumensattelgelenk.

Schultergelenk Hftgelenk
(Art. humeri) (Art. coxae)

Schultergelenkpfanne
(Cavitas glenoidalis)
Oberarmkopf
(Caput humeri)

Hftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Oberschenkelkopf
(Caput femoris)

Abb. 5.7 Kugelgelenk (dreiachsig). Beispiel: Schulter- und Hftgelenk.


5.2 Allgemeine Muskellehre 95

5.2 Allgemeine Muskellehre


5.2.1 Bau und Hilfseinrichtungen des Muskelfasern
Skelettmuskels
Muskelfaser-
Muskeln sind Organe, die hauptschlich aus bndel
Muskelgewebe bestehen ( S. 68). Daneben fin- Faszie
den wir straffes und lockeres Bindegewebe
sowie Blutgefe und Nerven.
Muskelbauch
An einem Skelettmuskel lassen sich in der Regel
folgende Teile unterscheiden: Ansatz
Ursprung
Der cranial bzw. proximal befestigte Teil des
Muskels besteht aus einem oder mehreren
Muskelbauch
Kpfen.
Ansatz
Der caudal bzw. distal befestigte Teil des Mus-
kels. Sehne
Ursprung
Muskelbauch
Der zwischen den Sehnen bzw. Ansatz und
Ursprung gelegene Teil. Bau eines Skelettmuskels. Abb. 5.8
Muskelfaszie (= Muskelbinde)
Hlle aus straffem Bindegewebe um einzelne
Muskeln oder Muskelgruppen. Muskelfaszien
bilden gewissermaen Fhrungsrhren fr die beidseitig einseitig
Muskeln. gefiederter gefiederter
Muskel Muskel
Skelettmuskelformen (M. tibialis (M. semi-
Nach Lage und Aufgabe sind die Muskeln in anterior) membranosus)

unterschiedlichen Muskelformen organisiert.


Hierdurch wird eine optimale Wirkungsweise
aufgrund der unterschiedlichen anatomischen spindel-
Erfordernissen bei den einzelnen Muskelfunk- frmiger
tionen erreicht. So kann zum Beispiel der Kau- einbuchiger
Muskel mit
muskel (M. masseter) durch seine kurze und Muskel mit einem Kopf
platte Form die zum Kauen erforderliche Kraft Zwischen- (M. palmaris
entwickeln. Der fr die Beugung des Armes zu- sehnen longus)
(M. rectus
stndige zweikpfige Oberarmmuskel (M. biceps abdominis)
brachii) muss dagegen eine groe Strecke zurck- platter
legen und ist deshalb lang und spindelfrmig. Muskel
(M. trapezi-
us)
Hilfseinrichtungen der Muskeln
Zu den Hilfseinrichtungen der Muskeln gehren
Sehnen, Sehnenscheiden, Schleimbeutel und zwei-
Sesambeine. kpfiger runder
Sehnen Muskel Muskel
bestehen aus straffem Bindegewebe und (M. biceps (M. orbicularis
brachii) oculi)
befestigen die Muskeln direkt am Knochen
oder Periost. Die parallel angeordneten kolla-
genen Fasern verleihen ihnen eine sehr hohe Skelettmuskelformen. Abb. 5.9
Zugfestigkeit. Sehnen sind verschieden geformt.
96 5 Sttz- und Bewegungssystem


P Wichtige Sehnen fr Reflex-
prfungen sind:
Kniescheibensehne, Achillessehne,
Halteband
(Retinaculum) Bicepssehne und Tricepssehne.
bermige Beanspruchung von
Sehnenscheiden Sehnenscheiden und Schleimbeuteln
knnen zu deren aseptischer Ent-
zndung fhren (Bursitis = Schleim-
beutelentzndung, Tendovaginitis =
Sehnenscheiden
Sehnenscheidenentzndung).

Bei der Beschreibung der Muskel-


mechanik werden u. a. folgende Be-
griffe verwendet:
Synergisten
Muskeln, die bei einer Bewegung
zusammenarbeiten.
Agonist (= Spieler, sich kontrahie-
render Muskel) und Antagonist
(= Gegenspieler). Je nach Rich-
Haltebnder
(Retinacula) tungssinn einer beabsichtigten Be-
wegung wirkt ein Muskel entweder
als Agonist oder Antagonist.
Beachte: Die Sehnenscheiden der Hand sind an Daumen und
kleinem Finger durchgehend, an den restlichen Fingern
Bewegungsmuskeln
unterbrochen. Muskeln, die berwiegend schnelle
Bewegungen ausfhren;
Abb. 5.10 Sehnenscheiden. Beispiel: Muskeln der Extremitten.
Haltemuskeln
Muskeln, die berwiegend Halteauf-
Breite, flache Sehnen werden als Aponeurosen gaben ausben;
bezeichnet, wie z. B. die Sehnen der Bauch- Beispiel: tiefe Rckenmuskulatur.
muskeln und die sehnigen Platten unter der
Haut der Hohlhand (Aponeurosis palmaris) Merke
sowie der Fusohle (Aponeurosis plantaris).
Sehnenscheiden Muskeln haben Halte- und Bewegungsfunk-
sind Gleit- und Schutzhllen fr Sehnen. Sie tion.
werden durch Haltebnder (Retinacula) fixiert
und befinden sich im Bereich der Hand- und
Sprunggelenke. 5.2.2 Kontraktion des Skelettmuskels
Schleimbeutel
sind bindegewebige Sckchen mit Flssigkeit, Fast die Hlfte der Krpermasse, nmlich ca.
die der Druckverteilung und Reibungsminde- 45 %, besteht aus Skelettmuskulatur. Die Mus-
rung zwischen Knochen, Muskeln und Sehnen kelfasern, die eine Lnge bis zu 15 Zentimetern
dienen. Man findet sie dort, wo Muskeln um erreichen knnen, verleihen dem Skelettmuskel
einen Knochen gelenkt werden ( Abb. 4 grundlegende Eigenschaften:
5.2, S. 92). Er kann sich aktiv verkrzen (= kontrahieren),
Sesambeine er kann passiv gedehnt werden,
sind meist kleinere Knochen, die in eine er ist elastisch, d. h., er nimmt nach Kontrak-
Sehne eingebaut sind, um sie umzulenken. tion oder Dehnung seine Ursprungslage wieder
Dadurch bildet sich mit dem darunter liegenden ein,
Knochen ein synoviales Gelenk. Das grte er ist erregbar.
Sesambein ist die Kniescheibe.
5.2 Allgemeine Muskellehre 97

Die Skelettmuskulatur erfllt drei Aufgaben: Erschlaffung:


Haltung des Krpers in sitzender oder stehen- Die Ca2+ werden aktiv in das sarkoplasmati-
der Position, sche Retikulum zurckgepumpt.
Bewegung des Krpers und Die Verbindungsstellen zwischen Aktin und
Wrmeproduktion. Myosin werden durch ATP besetzt, der Akto-
myosinkomplex wird gelst. Die Muskelfasern

P Frauen haben geringere Skelettmuskel- werden wieder schlaff und weich.


massen als Mnner (Mnner ca. 30 kg, Frauen
ca. 24 kg). Frauen knnen deshalb nur 65 % Die Abstufung der Muskelkraft geschieht durch
der Kraft eines Mannes entwickeln. die Erregung unterschiedlicher Anzahlen moto-
rischer Einheiten und die nderung der Aktions-
Der Kontraktionsvorgang eines Muskels wird potentialfrequenz.
stets durch Nervenimpulse von Motoneuronen
gesteuert, setzt also Erregung voraus ( S. 72 Eine Dauerkontraktion (= Tetanus) kommt zu-
und 333). stande, wenn die Frequenz der Nervenaktions-
potentiale 50 bis 150 Impulse je Sekunde be-
Die Erregungsbertragung auf den Muskel trgt. Der Ruhetonus (= Ruhespannung) wird
erfolgt in spezifischen Synapsen, den motori- durch geringere Aktionspotentialfrequenzen an
schen Endplatten ( Abb. 5.11, S. 98). einzelnen motorischen Endplatten verursacht.

Der Neurit (= Axon, S. 70) eines motorischen Kontraktionsarten


Neurons versorgt mit seinen Verzweigungen Isotonische Kontraktion:
5 bis 200 Muskelfasern. Die von einem Moto- Verkrzung des Muskels und Erzeugung einer
neuron versorgten Muskelfasern bilden eine Bewegung bei annhernd gleich bleibender
motorische Einheit. Spannung.
Je weniger Muskelfasern durch einen Neurit ver- Beispiel: Bewegungen der Gliedmaen.
sorgt werden, desto feiner abgestimmte Be- Isometrische Kontraktion:
wegungen des entsprechenden Muskels sind Keine Verkrzung, aber Kraftentwicklung.
mglich (z. B. bessere Feinmotorik der Augen- Beispiel: Haltearbeit vieler Rckenmuskeln.
und Fingermuskeln gegenber der Beinmuskula- Meistens wirken beide Kontraktionsarten zu-
tur). sammen, d. h., der Muskel verkrzt sich und ent-
wickelt gleichzeitig Kraft.
Erregungsumwandlung in Bewegung
Kontraktion:
P ATP-Mangel verhindert die Erschlaffung.
Nervenaktionspotentiale setzen in der motori- Das ist auch die Ursache der Totenstarre.
schen Endplatte Acetylcholin frei.
Acetylcholin lst die Entstehung von Muskel- Energiequellen fr die Muskelkontraktion
aktionspotentialen aus, die sich in der Muskel- Bei der Muskelkontraktion wird chemische
fasermembran ausbreiten und ber Tubuli in Energie des ATP in mechanische umgewandelt
die Tiefe gelangen. (Wirkungsgrad: 20 30 %). Das ATP als einzige
Dort bewirken sie die Freisetzung von Ca2+ unmittelbare Energiequelle wird durch drei
aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, welche Prozesse regeneriert:
zusammen mit den Regulatoreiweien Tropo- 1. Bildung von ATP aus Kreatinphosphat
nin und Tropomyosin fr eine Energiefrei- (= besonderer Energiespeicher der Muskeln).
setzung aus ATP sorgen ( Kap. 2.4.2, S. 36). Kreatinphosphat (KP) + ADP
ATP ADP +  P + Kontraktionsenergie. Kreatinin (K) + ATP.
Dadurch kommt es zur Muskelzuckung, die 2. Anaerobe Glykolyse
Muskelfasern werden verkrzt, indem die Glykogen Glucose Milchsure +
Aktinfilamente (bilden zusammen mit den 2 ATP ( S. 40).
Myosinfilamenten die Myofibrillen) zwischen 3. Atmungskette
die Myosinfilamente gleiten und sich mit ihnen Glykogen Glucose CO2 + H2O +
verbinden. Es entsteht ein Aktomyosinkomplex. 38 ATP ( S. 40).
98 5 Sttz- und Bewegungssystem

Motorische Einheit
mer
Sarko
Markscheide
motorisches
Kontraktion
Axon

Aktin- Z-Scheibe
Myosin- filament
filament
Z-Scheibe

Erschlaffung
motorische
Endplatte
longitudinaler
Tubulus mit Ca2+ Myosin- Aktin
Z kpfe Z
+ + + + + Muskelfaser- Myosin
membran
transversaler
Tubulus

Aktin
Myosinschaft
Z Myosin Z
+ + +
Kontraktion
= Verkrzung
der Sarkomere

Aktin

Aktin-Myosin- Gleiten Lsen Aktin-Myosin- Gleiten


Bindung Bindung
Myosin

Die Myosinkpfe rudern durch die Kippbewegung die Aktinfilamente in Richtung


Sarkomermitte. Weil die Myosinkpfe elastisch sind, knnen die Sarkomere, auch ohne
dass die Filamente ineinander gleiten, Kraft entwickeln. Der Muskel verkrzt sich in die-
sem Fall nicht.
Bei Dehnung des Muskels werden die dnnen Aktinfilamente wieder aus den dicken
Myosinfilamenten herausgezogen.

Abb. 5.11 Muskelkontraktion und -erschlaffung.


5.2 Allgemeine Muskellehre 99

Der ATP-Vorrat eines Muskels wird bei Dauer- die erschpften ATP- und KP-Speicher werden
leistungen in dem Mae aerob1) regeneriert, wie auf diese Weise wieder aufgefllt.
er verbraucht wird. Es herrscht also ein Flie- Skelett- und Herzmuskulatur besitzen im
gleichgewicht vor. Dabei kann die Muskel- Myoglobin3) einen besonderen Sauerstoffspei-
durchblutung auf das 20fache zunehmen, was cher, wodurch kurzfristiger O2-Mangel whrend
wiederum eine entsprechende Erhhung von der Kontraktion berbrckt wird.
Herz- und Atemzeitvolumen voraussetzt. Die
begrenzenden Faktoren sind das Herz-Kreislauf- Bewegungsbezeichnungen der Muskulatur
System und die Enzymkapazitten. Je nach Lage und Ausgangsposition knnen
Sowohl bei Ttigkeitsbeginn, wenn der Muskel- Muskeln unterschiedliche Gelenkbewegungen
stoffwechsel noch auf Ruhe eingestellt ist, als ausfhren. Oftmals lsst bereits die Bezeichnung
auch bei kurzzeitigen Hchstleistungen wird des Muskels Rckschlsse auf diese zu (z. B.
zustzlich Energie bentigt. Diese Energie- M. flexor digitorum manus, M. pronator teres,
menge wird anaerob2) durch Glykolyse bereitge- M. supinator, M. extensor hallucis).
stellt, was zwei- bis dreimal schneller erfolgt.
Allerdings wird dieser Vorgang relativ rasch Gelenkbewegungen
begrenzt. Es kommt durch die Anhufung von Adduktion = Heranfhren
Milchsure und die damit verbundene Senkung Abduktion = Wegfhren
des pH-Wertes (= metabolische Azidose) sowie oder Opposition = Gegenberstellen
die Anhufung von ADP und Phosphat zur Reposition = Zurckstellen
Ermdung. Flexion = Beugen
Die ATP-Bildung aus Kreatinphosphat und ADP Extension = Strecken
erfolgt ebenfalls zgig. oder Anteversion = Vornehmen
Retroversion = Zurcknehmen
Bei der Kreatinphosphatspaltung und der anae- Innenrotation = Einwrtsdrehen
roben Glykolyse geht der Organismus eine Auenrotation = Auswrtsdrehen
Sauerstoffschuld ein. In der anschlieenden oder Supination = Auswrtswenden
Ruhephase muss diese wieder abgetragen wer- Pronation = Einwrtswenden
den. Die angesammelte Milchsure wird unter
1) aerob = unter Sauerstoffverbrauch
erhhtem O2-Verbrauch (trotz krperlicher 2) anaerob = ohne Sauerstoffverbrauch
Ruhe) in Leber und Herz verstoffwechselt, und 3) roter Muskelfarbstoff, dem Hmoglobin hnlich

dreikpfiger groer Brustmuskel


Oberarmmuskel (M. pectoralis major)
Flexion (M. triceps brachii)

Adduktion
zweikpfiger Extension
Oberarmmuskel
(M. biceps brachii)
Deltamuskel breiter Rckenmuskel
(M. deltoideus) (M. latissimus dorsi)

Trapezmuskel
(M. trapezius)

Abduktion Adduktion

Muskelbewegungen. Abb. 5.12


100 5 Sttz- und Bewegungssystem

Schdel
(Cranium)

Halswirbel
(Vertebrae cervicales)
Schlsselbein
(Clavicula)
Schulterblatt Brustbein
(Scapula) (Sternum)

Oberarmknochen Rippen
(Humerus) (Costae)

Lendenwirbel
(Vertebrae lumbales)

Speiche
(Radius) Kreuzbein
(Os sacrum)
Elle
(Ulna) Hftbein
(Os coxae)

Fingerknochen Oberschenkelknochen
(Ossa digitorum = (Femur)
Phalanges)
Mittelhandknochen
(Ossa metacarpi)
Handwurzelknochen Kniescheibe
(Ossa carpi) (Patella)

Schienbein
(Tibia)

Wadenbein
(Fibula)

Fuwurzelknochen
(Ossa tarsi)
Mittelfuknochen
(Ossa metatarsi)
Zehenknochen
(Ossa digitorum = Phalanges)

Abb. 5.13 Skelett (Vorderansicht).


Allgemeine Knochen- und Muskellehre 101

Schdel
(Cranium)

Halswirbel
(Vertebrae cervicales)

Schulterblatt
(Scapula)
Brustwirbel
(Vertebrae thoracicae)
Oberarmknochen
(Humerus)

Lendenwirbel
Speiche (Vertebrae lumbales)
(Radius)

Elle
(Ulna) Kreuzbein
(Os sacrum)
Steibein
(Os coccygis)

Oberschenkelknochen
(Femur)

Schienbein
(Tibia)

Wadenbein
(Fibula)

Skelett (Rckansicht). Abb. 5.14


102 5 Sttz- und Bewegungssystem

Kopfwendemuskel
(M. sternocleidomastoideus)

Deltamuskel
(M. deltoideus)
groer Brustmuskel
(M. pectoralis major)
zweikpfiger
vorderer Sgemuskel Oberarmmuskel
(M. serratus anterior) (M. biceps brachii)

gerader Bauchmuskel
(M. rectus abdominis)
uerer schrger
Bauchmuskel Unterarmmuskeln
(M. obliquus externus (Beuger)
abdominis)
Leistenband
(Lig. inguinale)
Kammmuskel Hohlhandsehne
(M. pectineus) (Aponeurosis palmaris)
langer Anzieher
(M. adductor longus)
schlanker Muskel
(M. gracilis) gerader
Schneidermuskel Oberschenkelmuskel
(M. sartorius) (M. rectus femoris)
uerer
Oberschenkelmuskel
(M. vastus lateralis)

Kniescheibe innerer
(Patella) Oberschenkelmuskel
(M. vastus medialis)

vorderer vierkpfiger
Schienbeinmuskel Oberschenkelmuskel
(M. tibialis anterior) (M. quadriceps femoris)

Abb. 5.15 Muskeln des Menschen (Vorderansicht).


Allgemeine Knochen- und Muskellehre 103

Untergrtenmuskel
(M. infraspinatus) Trapezmuskel =
Kapuzenmuskel
kleiner runder (M. trapezius)
Muskel Deltamuskel
(M. teres minor)
(M. deltoideus)
groer runder
Muskel
(M. teres major) Caput laterale
breiter Rckenmuskel
(M. latissimus dorsi) Caput longum
Caput mediale
dreikpfiger
uerer schrger Armstrecker
Bauchmuskel (M. triceps brachii)
(M. obliquus externus
abdominis)

Unterarmmuskeln groer Gesmuskel


(Strecker) (M. gluteus maximus)

zweikpfiger Darmbein-
Oberschenkelmuskel Schienbein-Sehne
(M. biceps femoris) (Tractus iliotibialis)
halbsehniger Muskel
(M. semitendinosus) schlanker Muskel
(M. gracilis)
halbmembranser
Muskel
(M. semimembranosus)

Wadenmuskel
(M. gastrocnemius)

Achillessehne
(Tendo calcaneus)

Muskeln des Menschen (Rckansicht). Abb. 5.16


104 5 Sttz- und Bewegungssystem

5.3 Spezielle Knochen- und 5.3.1 Wirbelsule (Columna vertebralis)


Muskellehre Die Wirbelsule verleiht dem Krper zusammen
In diesem Kapitel werden Wirbelsule (Columna mit einer Vielzahl von Bndern und Muskeln
vertebralis), Brustkorb (Thorax), der Schulter- Stabilitt und Beweglichkeit. Sie erfllt folgende
grtel mit den oberen Extremitten, der Hauptaufgaben:
Beckengrtel mit den unteren Extremitten Sttzung des Rumpfes durch die von cranial
sowie der Kopf (Caput) behandelt. nach caudal grer werdenden Wirbelkrper;
Schutz des Rckenmarkes durch den Wir-
belkanal, der von den Wirbelbgen gebildet
wird sowie
Federung und vielseitige Beweglich-
keit durch Doppel-s-Form und zahl-
reiche einzelne Wirbel, die durch
Halswirbelsule (HWS) Bandscheiben und synoviale Ge-

7 gegeneinander bewegliche lenke gegeneinander beweglich sind.


Halswirbel
(Vertebrae cervicales = C1 C7)
Die menschlische Wirbelsule gliedert
sich in 5 Abschnitte ( Abb. 5.17).
Form
Die normal gebaute menschliche
Wirbelsule ist doppel-s-frmig in
der Medianebene gekrmmt. Die phy-
Brustwirbelsule (BWS) siologisch bedingten Krmmungen
12 gegeneinander bewegliche heien

Brustwirbel
(Vertebrae thoracicae = Th1 Th12) Lordose: konvexe Seite der Krm-
mung liegt ventral;
Kyphose: konvexe Seite der Krm-
mung liegt dorsal.
Physiologisch sind Halslordose,
Brustkyphose und Lendenlordose.
Neben der Doppel-s-Form ist das
Promontorium (= ventrale, gegen den
5. Lendenwirbel abgewinkelte Kante
Lendenwirbelsule (LWS) des Kreuzbeins) charakteristisch fr
5 gegeneinander bewegliche
Lendenwirbel die menschliche Wirbelsule ( Abb.

(Vertebrae lumbales = L1 L5) 5.20, S. 107).

Bauelemente
Die Bauelemente der Wirbelsule
Kreuzbein sind
5 miteinander verwachsene 24 bewegliche Wirbel; sie bilden
Kreuzwirbel
(Os sacrum = S1 S5)
den mehr oder weniger beweglichen
Teil der Wirbelsule,
Steibein 8 bis 10 miteinander verwachsene
3 5 miteinander verwachsene Wirbel (Kreuz- und Steibein) und
Steiwirbel
(Os coccygis = Co1 Co35)
23 Bandscheiben (= Zwischenwirbel-
scheiben) zwischen den beweglichen

Lordose

Kyphose Wirbeln (auer zwischen C1 und C2).


Die 5 Abschnitte der Wirbelsule
Abb. 5.17 und physiologische Krmmungen.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 105

P Es gibt viele zum Teil krankhafte Ver- Halswirbel


biegungen, z. B. Flach- und Rundrcken, Wirbelkrper klein und sattelfrmig,
Buckel, Skoliosen (= Krmmung in der Fron- Querfortstze mit Lchern fr die Wirbelgefe,
talebene). Dornfortsatz hufig gegabelt.
1. Halswirbel (= Atlas)
Bis auf die ersten beiden Halswirbel weisen die ohne Wirbelkrper und Dornfortsatz,
Wirbel folgenden Bau auf. mit vorderem und hinterem Bogen sowie
Wirbelkrper (Corpus vertebrae) zwei seitlichen Tragstcken fr den Schdel.
Ventral gelegenes massives Tragstck. (Man 2. Halswirbel (= Axis)
beachte die Grenzunahme von cranial nach mit Dens (= Zahn), der als Fortsetzung des
caudal.) Wirbelkrpers nach oben in den vorderen
Wirbelbogen (Arcus vertebrae) mit 7 Fortstzen: Bogen des Atlas ragt.
1 Dornfortsatz (Processus spinosus), 7. Halswirbel (= Vertebra prominens)
2 Querfortstze (Processus transversi), mit besonders langem Dornfortsatz (Tast-
2 obere Gelenkfortstze, punkt).
2 untere Gelenkfortstze.
Wirbelloch (Foramen vertebrale)
P Die sattelfrmigen Wirbelkrper der Hals-
Die Wirbellcher aller Wirbel bilden zusam- wirbel knnen sich seitlich gelenkig verbinden
men den Wirbelkanal (Canalis vertebralis). (= Unkovertebralgelenke). Diese Verbindungen
sind besonders verschleianfllig.
Besonderheiten der Wirbelarten
Die einzelnen Wirbeltypen zeichnen sich durch
unterschiedliche Erkennungsmerkmale aus.

1. Halswirbel (Atlas = Trger)


Ansicht von oben
2. Halswirbel (Axis = Dreher)
Ansicht von hinten oben
Wirbelloch vorderer
(Foramen vertebrale) Wirbelbogen

Zahn
(Dens)
Querfortsatzloch
(Foramen oberer
transversale)
Gelenkfortsatz
Gelenkflche
fr den Schdel hinterer
Wirbelbogen

Verbindung zwischen Atlas und Axis


Zahn
(Dens axis) Wirbelbogen
(Arcus vertebrae)
Atlasband Wirbelkrper
(Lig. transversum (Corpus vertebrae) Dornfortsatz
atlantis) (Proc. spinosus)

linkes, seitliches
Atlantoaxialgelenk

Halswirbel. Abb. 5.18


106 5 Sttz- und Bewegungssystem

Brustwirbel einer Bandscheibe (= Zwischenwirbelscheibe),


Lange schrg nach unten zeigende Dornfort- zwei Wirbelbogengelenken,
stze, zwei Zwischenwirbellchern und
Gelenkflchen fr die Rippen am Krper und verschiedenen Bndern.
Querfortsatz.
Bandscheiben (Disci intervertebrales)
Lendenwirbel Bandscheiben bestehen aus einem Gallertkern
Sind die grten Wirbel, (Nucleus pulposus), der von einem faserknorpe-
Dornfortsatz ist breit und steht horizontal. ligen Ring (Anulus fibrosus) umgeben ist. Sie
verbinden die Wirbelkrper nach Art der Knor-
Kreuzbein (Os sacrum) pelgelenke und erlauben Bewegungen. hnlich
Die fnf Kreuzbeinwirbel sind beim Erwach- einer Wasserkissenfunktion ermglichen sie
senen zu einem einheitlichen Knochen verwach- darber hinaus eine Dmpfung zwischen den
sen. An Wirbel erinnern Wirbelkrpern.
Knochenkmme auf der Rckseite als ber-
bleibsel der Dorn-, Quer- und Gelenkfortstze,
Kreuzbeinkanal als Fortsetzung des Wirbel-
P Mit zunehmendem Alter kann es zu Abnut-
kanals, zungen (degenerative Vernderungen in Form
Kreuzbeinlcher. einer Hhenvernderung der Bandscheiben
= Osteochondrose) besonders wegen des ge-
Steibein (Os coccygis) ringeren Wasseraufnahmevermgens und
Die ebenfalls verwachsenen Steiwirbel sind damit abnehmender Elastizitt kommen. ber-
stark zurckgebildet. Der Wirbelbogen fehlt. lastung der Bandscheiben kann zum Band-
scheibenvorfall fhren (Prolaps des Nucleus
Knochenverbindungen pulposus). Der faserknorpelige Ring reit,
Die Verbindung der Wirbel geschieht durch die Gallertmasse gelangt in die Zwischenwirbel-
lcher oder in den Wirbelkanal und kann dort
Bandscheiben zwischen den Wirbelkrpern und
die Nervenfunktion behindern (Schmerz, Sen-
Wirbelbogengelenke zwischen den Gelenk-
sibilittsausflle, Lhmung). Abnutzungser-
fortstzen der Wirbelbgen sowie durch Bnder. scheinungen der Bandscheiben sind besonders
Den der Bewegung dienende Raum zwischen hufig im Lendenwirbelsulenbereich zu beob-
zwei Wirbeln bezeichnet man als Bewegungs- achten, da hier die Belastung durch das
element. Es wird gebildet von: Krpergewicht am grten ist.

Ansicht von der rechten Seite Ansicht von oben

Querfortsatz oberer Gelenkfortsatz Wirbelloch


(Proc. transversus) (Proc. articularis superior) (Foramen vertebrale)

Wirbelkrper
(Corpus vertebrae)
oberer
Gelenkflchen Gelenk-
fr die Rippen fortsatz
(Proc. articularis
Gelenkflchen superior)
fr die Rippen unterer
Gelenkfortsatz
(Proc. articularis inferior)
Wirbelbogen Querfortsatz
(Arcus vertebrae) (Proc. transversus)

Dornfortsatz
(Proc. spinosus)

Abb. 5.19 Brustwirbel.


5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 107

von vorn
Vorgebirge
(Promontorium)

Querlinien
(Lineae transversales)

Kreuzbein
(Os sacrum)
Kreuzbeinlcher
(Foramina sacralia
pelvina)

Steibein
(Os coccygis)
Medianschnitt

von rechts
Vorgebirge
(Promontorium)

Darmbeingelenkflche
(Facies auricularis)

Kreuzbeinkanal 5 verwachsene
(Canalis sacralis)
Kreuzwirbel
Vorderflche
(Fascies pelvina)

Hinterflche
(Fascies dorsales)

Kreuz- und Steibein. Abb. 5.20

Bnder Dornspitzenband (Lig. supraspinale) an den


Die menschliche Wirbelsule wird durch zahl- Dornfortstzen vom Kreuzbein bis zum
reiche Bnder stabilisiert. Im Einzelnen sind es 7. Halswirbel. Das Lig. supraspinale ver-
3 lange Lngsbnder und mehrere kurze Bnder. breitert sich im Halsbereich zum Nacken-
3 Lngsbnder (lange Bnder), die fast ber band (Lig. nuchae).
die gesamte Wirbelsule ziehen und wie folgt
bezeichnet werden: Kurze Bnder:
Vorderes Lngsband (Lig. longitudinale an- Gelbe Bnder (Ligg. flava), elastische Bn-
terius) an der Vorderseite der Wirbelkrper der zwischen den Wirbelbgen,
vom Hinterhauptbein bis zum Kreuzbein, Ligg. interspinalia, Bnder zwischen den
hinteres Lngsband (Lig. longitudinale Dornfortstzen benachbarter Wirbel und
posterius) an der Hinterseite der Wirbel- Ligg. intertransversaria, Bnder zwischen
krper, also im Wirbelkanal, den Querfortstzen benachbarter Wirbel.
108 5 Sttz- und Bewegungssystem

Faserring Zwischenwirbelscheibe, Bandscheibe


(Anulus fibrosus) (Discus intervertebralis)

Gallertkern
(Nucleus pulposus)
Wirbelkanal
(Canalis vertebralis)
Zwischenwirbel-
scheibe
(Discus intervertebralis)

Wirbelbogen-
gelenk
Zwischenwirbelloch
(Foramen intervertebrale)

Abb. 5.21 Bewegungselement (Lendenwirbelsule).

Knochenverbindungen zwischen Wirbelsule zge entlang der Wirbelsule. Sie ist das mch-
und Kopf (Kopfgelenke) tigste Muskelsystem des Menschen und ermg-
Bei den Kopfgelenken handelt es sich um licht im Zusammenwirken mit der Bauchmus-
5 synoviale Gelenke zwischen Hinterhauptbein, kulatur das Vorneigen, Strecken, Seitneigen und
Atlas und Axis. Sie erlauben Bewegungen wie in Drehen.
einem Kugelgelenk, sodass im Zusammenwir- Weitere wichtige Aufgaben der Rckenmusku-
ken mit den brigen Halswirbeln die groe latur im Zusammenwirken mit dem Bandapparat
Beweglichkeit des Kopfes als Trger wichtiger sind Stabilisierung der Wirbelsule und For-
Sinnesorgane ermglicht wird. Dies ist eine mung ihrer physiologischen Krmmungen.
wichtige Voraussetzung fr die Orientierung und Fr die uerst fein abgestuften Kopfbewegun-
Fortbewegung, aber auch fr das individuelle gen sorgt ein vielgliedriger und komplizierter
Ausdrucksvermgen des Menschen. Muskelapparat, der aus Hals-, Nacken- und
Man unterscheidet Zungenbeinmuskeln besteht.
die paarigen oberen Kopfgelenke (Artt. atlan-
tooccipitales) zwischen Atlas und Hinter-
P Es ist darauf Wert zu legen, dass die Wirbel-
hauptbein. Sie ermglichen Vor-, Rck- und sule nicht einseitig, vorwiegend statisch be-
Seitneigung des Kopfes; ansprucht wird. Vielmehr kommt es darauf an,
das unpaarige mediale Kopfgelenk (Art. at- Stabilitt und Mobilitt gleichmig zu ent-
lantoaxialis mediana) zwischen Dens, vorde- wickeln. Das bedeutet vor allem, auf eine all-
rem Atlasbogen und dem berknorpelten seitige Krftigung der Muskulatur mit der
Atlasquerband (Lig. transversum atlantis); Entwicklung einer aufrechten Haltung zu ach-
die paarigen unteren Kopfgelenke (Artt. ten, sodass der passive Bewegungsapparat ent-
atlantoaxiales laterales) zwischen Atlas und lastet wird.
Axis. Nur eine aufrechte Haltung gewhrleistet eine
Mediales Kopfgelenk und untere Kopfgelenke optimale Belftung der Lunge. Mit den Patien-
ermglichen die Drehbewegungen des Kopfes. ten sollten nach Mglichkeit tglich leichte
gymnastische bungen zur Strkung von
Muskulatur und ihre Funktion Bauch- und Rckenmuskulatur durchgefhrt
Die Bewegungen der Wirbelsule werden durch werden.
das Zusammenwirken von Rcken- und Bauch-
muskulatur ermglicht (Bauchmuskulatur S. Tastbare Knochenpunkte sind die Dornfortstze
138). Die Rckenmuskulatur besteht aus einem ab 7. Halswirbel.
komplexen System sich berlappender Muskel-
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 109

5.3.2 Brustkorb (Thorax)

Der Brustkorb ist Bestand-


teil des Rumpfskelettes und
umschliet die Brusthhle
(Cavitas thoracis). Er dient
dem Schutz wichtiger Or- Halbdornmuskel
(M. semispinalis)
gane wie Herz, Lunge,
Leber, Magen und ermg- Riemenmuskel
(M. splenius capitis)
licht die Atembewegungen
und damit die Belftung der hinterer, oberer
Lunge. Auerdem ist der Sgemuskel
(M. serratus posterior
Thorax eine Durchgangs- superior)
strae fr viele Organe, Wirbelsulen-
wie z. B. Speiserhre, Ge- aufrichter
(Mm. erector spinae)
fe und Nerven.
Darmbein-Rippen-
Muskel
Knochen (M. iliocostalis)
Die Knochen des Brust-
hinterer, unterer
korbes setzen sich aus der Sgemuskel
Brustwirbelsule, dem (M. serratus posterior
Brustbein (Sternum), be- inferior)
stehend aus Handgriff (Ma-
nubrium), Brustbeinkrper
(Corpus sterni) und Schwert-
fortsatz (Proc. xiphoideus)
sowie 12 Paar Rippen zu-
sammen. gerader Bauchmuskel
Die drei Teile des Sternums (M. rectus abdominis)
sind anfangs durch Knor-
pelzonen getrennt, die mit
zunehmendem Alter all-
mhlich verknchern.
Halte- und Bewegungsmuskeln der Wirbelsule. Abb. 5.22
Beziehung der Rippen zum
Sternum
Nach ihrer Beziehung zum Sternum lassen sich Drehgelenke), die durch die gebogenen Rippen
die Rippen in zwei Gruppen unterteilen: das Heben und Senken des Thorax ermglichen
Echte Rippen, sie sind direkt mit dem Ster- ( Abb. 5.5 links, S. 93) sowie Brustbein-
num verbunden (Rippenpaare 1 7). Rippen-Gelenke (= teils synoviale, teils Knor-
Falsche Rippen, die Rippenpaare 8 10 errei- pelgelenke).
chen das Sternum indirekt ber den Knorpel
der 7. Rippe. Dadurch entstehen der rechte
P Die Ansatzstelle der 1. Rippe ist nicht tast-
und linke Rippenbogen. Die Rippenpaare 11 bar. Die 2. Rippe setzt am Brustbeinwinkel an.
und 12 erreichen das Sternum gar nicht. Sie Diese Stelle ist tastbar und eine Orientierungs-
enden als freie Rippen in der Muskulatur. hilfe am Thorax.

Knochenverbindungen Brustkorb-Muskulatur und ihre Funktion


Die Knochen des Thorax sind elastisch verbun- ( Kap. Atembewegungen 11.3.1, S. 224).
den durch Wirbel-Rippen-Gelenke (= synoviale
110 5 Sttz- und Bewegungssystem

Brustkorbffnungen (Thoraxaperturen)
Einschnitt zur Der Thorax besitzt zwei ffnungen:
Gelenkverbindung Obere Thoraxapertur, gebildet von
mit dem Schlsselbein
(Incisura clavicularis) 1. Brustwirbelkrper,
1. Rippenpaar,
Handgriff des Brustbeins
(Manubrium sterni) Handgriff des Brustbeins.
Untere Thoraxapertur, gebildet von
Brustbeinwinkel
(Angulus sterni) 12. Brustwirbel,
Schwertfortsatz,
Rippenbgen,
Brustbeinkrper 11. und 12. Rippenpaar.
(Corpus sterni)
Einschnitte zur
P Die Thoraxform ndert sich in
Gelenkverbindung Abhngigkeit vom Alter. Beim Neu-
mit den Rippen geborenen stehen die Rippen nahezu
(Incisurae costales)
horizontal. Im Laufe des Lebens senken
sie sich, und der Thorax wird flacher
und auch starrer.
Schwertfortsatz Die elastische Verspannung vom
(Processus xiphoideus)
Thorax wird in der Ersten Hilfe bei der
externen Herzmassage genutzt.
Ansicht von ventral Ansicht von rechts
Tastbare Knochenpunkte sind Sternum,
Abb. 5.23 Sternum (Brustbein). die Ansatzstelle der 2. Rippe, der Rippen
5 7 sowie die Rippenkrper.

Ansicht von vorn Ansicht von hinten

Schulterblatt Schlsselbein
(Scapula) (Clavicula)
obere Thoraxffnung
(Apertura thoracis superior)

Rippenknorpel
(Cartilago costalis)
Rippenknochen
Rippen
(Costae)
Brustbein
(Sternum)

Rippenbogen
(Arcus costalis)

untere Thoraxffnung 12 Brustwirbel


(Apertura thoracis inferior)

Abb. 5.24 Brustkorb (Thorax).


5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 111

5.3.3 Schultergrtel und obere Extremitt Die inneren Schlsselbeingelenke verbinden


die Schlsselbeine mit dem Brustbein,
Schultergrtel und obere Extremitt bilden eine die ueren die Schlsselbeine mit dem
Einheit. Lagemig gehrt der Schultergrtel Schulterblatt.
zum Rumpf. Einzelheiten sind der Abbildung 5.25 auf Seite
112 zu entnehmen.
Schultergrtel ( Abb. 5.25)
Der Schultergrtel bildet im Unterschied zum Obere Extremitt
Beckengrtel einen vorn und hinten offenen Alle Armknochen, mit Ausnahme der Hand-
Ring, der allerdings vorn durch das Brustbein wurzelknochen, gehren zu den Rhrenknochen
verschlossen wird. Auf jeder Seite besteht der (Einzelheiten Abbildung 5.26, Seite 113).
Schultergrtel jeweils aus einem Schlsselbein
(Clavicula) und Schulterblatt (Scapula). Knochenverbindungen,
Er liegt dem Thorax locker auf, wodurch die Bewegungsmglichkeiten, Muskeln
Arme viel beweglicher als die Beine sind. Schultergrtel und Arm sind durch drei groe
Gelenke verbunden:
Merke Schultergelenk (Art. humeri),
Ellenbogengelenk (Art. cubiti),
Der Schultergrtel verbindet die Arme mit Handgelenk (Art. radiocarpalis).
dem Rumpf. Auerdem ist er Ansatz- und Ur-
sprungsstelle vieler Muskeln. Schultergelenk (Art. humeri)
Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile sind
Knochenverbindungen die Gelenkflche des Schulterblattes (liegt un-
An beiden Enden der s-frmigen Clavicula terhalb des Schulterecks) und
befindet sich jeweils ein Kugelgelenk. der Oberarmkopf (Caput humeri).

Obere Extremitt Gliederung der Knochen. Tab. 5.2

Obere Extremitt

Oberarm Unterarm Hand (Manus)

1 Oberarmknochen 2 Unterarmknochen
(Humerus) Speiche (Radius)
Elle (Ulna)

Handwurzel (Carpus) Mittelhand (Metacarpus) Finger (Digiti)


8 Handwurzelknochen 5 Mittelhandknochen 14 Fingerknochen
(Ossa metacarpi = Metacarpalia I bis V; (Ossa digitorum= Phalanges)
proximale Reihe (von radial nach ulnar) I = Mittelhandknochen des Daumens)
Kahnbein (Os scaphoideum)
Mondbein (Os lunatum)
Dreieckbein (Os triquetrum)
Erbsenbein (Os pisiforme)
distale Reihe (von radial nach ulnar)
Handwurzelknochen-Merkspruch:
groes Vieleckbein (Os trapezium) Ein Schiffchen fuhr im Mondenschein ums
kleines Vieleckbein (Os trapezoideum) Dreieck- und ums Erbsenbein.
Kopfbein (Os capitatum) Vieleck gro, Vieleck klein ein Kopf, der
Hakenbein (Os hamatum) muss beim Haken sein.
112 5 Sttz- und Bewegungssystem

Ansicht von vorn


Schlsselbein
(Clavicula)
ueres inneres
Schlsselbeingelenk Schlsselbeingelenk
(Articulatio
(Articulatio
acromioclavicularis)
sternoclavicularis)
Schultereck mit Discus
(Acromion)
Schultergelenk Handgriff des
(Articulatio humeri) Brustbeins
(Manubrium sterni)
Oberarmknochen
(Humerus)

Ansicht von hinten


Schlsselbein
(Clavicula)
Schultereck
(Acromion)
Schultergelenk
(Articulatio humeri)

Schulterblatt
(Scapula)

Oberarmknochen
(Humerus)

Elle
(Ulna)
Speiche
(Radius)

Abb. 5.25 Schultergrtel.

Merkmale des Schultergelenkes durch das Zusammenwirken mit den Schlssel-


Das Schultergelenk als Kugelgelenk bietet einen beingelenken wird eine betrchtliche Erweite-
sehr groen Bewegungsspielraum durch rung des Bewegungsumfanges ermglicht.
relativ kleine Kontaktflchen (groer Gelenk-
kopf, kleine Gelenkpfanne, d. h. kaum Kno- Im Bereich des Schultergelenkes liegt zur
chenfhrung), Minderung der Reibung eine groe Zahl von
sehr weite Gelenkkapsel, Schleimbeuteln.
berwiegend Muskelfhrung,
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 113

anatomischer Hals Oberarmkopf


(Collum anatomicum) (Caput humeri)
chirurgischer Hals Vorder- bzw.
(Collum chirurgicum)
Rippenseite des
Schulterblattes
(Facies costalis)

Obergrtengrube
(Fossa supraspinata)
Oberarmknochen
Rabenschnabelfortsatz (Humerus)
(Processus coracoideus)
Oberarmkpfchen
Schultereck (Capitulum humeri)
(Acromion)
Oberarmrolle
Schulterblattgrte (Trochlea humeri)
(Spina scapulae)
innerer Obergelenkknorren
(Epicondylus medialis)
Ellenbogengelenk
uerer Obergelenkknorren (Articulatio cubiti)
(Epicondylus lateralis)
Radiuskopf
(Caput radii)

Untergrtengrube
(Fossa infraspinata) Elle
(Ulna)

Speiche Ellenkopf
(Radius) (Caput ulnae)

Griffelfortsatz
(Proc. styloideus ulnae)
proximales Handgelenk
(Art. radiocarpalis) Handwurzel
(Carpus)

Mittelhand
(Metacarpus)

Grundglied Fingerglieder
(Phalanx proximalis) (Phalanges)
Mittelglied
(Phalanx media)
Die Elle (Ulna) liegt kleinfingerwrts,
Endglied die Speiche (Radius) daumenwrts.
(Phalanx distalis)

Rechte obere Extremitt und Schulterblatt (rechter Arm). Abb. 5.26

P Die geringe Knochenfhrung, die schlaffe lenkkapsel umschlossen werden.


Oberarm-Ellen-Gelenk (Art. humeroulnaris)
Kapsel sowie die fehlende Bnderfhrung sind
Ursachen hufiger Luxationen. mit Oberarmrolle und Ellenhaken (Scharnier-
gelenk),
Ellenbogengelenk (Art. cubiti) Oberarm-Speichen-Gelenk (Art. humeroradia-
Das Ellenbogengelenk wird aus drei Teilgelen- lis) mit Speichenkopf und Oberarmkpfchen
ken gebildet, die von einer gemeinsamen Ge- (Kugelgelenk) und
114 5 Sttz- und Bewegungssystem

proximales Ellen-Speichen-Gelenk (Dreh-


Scharniergelenk funktionell) mit Spei-
Auswrtsdrehung chenkopf und Einschnitt der Elle.
(Supination)
Das proximale Ellen-Speichen-Gelenk bildet
mit dem distalen Ellen-Speichen-Gelenk ein
Drehgelenk.

Handgelenke
zweikpfiger proximales Handgelenk (Art. radiocarpalis)
Oberarmmuskel Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile sind
(M. biceps brachii) Radius,
proximale Handwurzelknochenreihe,
Ulna (durch einen Discus von den Hand-
wurzelknochen getrennt).
Auswrtsdreher Gelenktyp:
(M. supinator)
Eigelenk.
Bewegungen:
Elle Palmarflexion (Beugung der Hand hand-
Speiche flchenwrts) Dorsalflexion (Bewegung
der Hand handrckenwrts),
Radialabduktion (Bewegung der Hand zur
Speiche) Ulnarabduktion (Bewegung der
Hand zur Elle).


P Beim Sturz auf die Hand bricht meistens
der Radius. Die distale Radiusfraktur ist
Einwrtsdrehung eine der hufigsten Frakturen berhaupt.
(Pronation)
distales Handgelenk (Art. metacarpalis)
zwischen proximaler und distaler Hand-
wurzelknochenreihe.
Gelenktyp:
Scharniergelenk.
Bewegungen:
Palmarflexion Dorsalflexion.
runder
Einwrtsdreher Handwurzel-Mittelhand-Gelenke (Carpo-
(M. pronator teres) metacarpalgelenke), Daumensattelgelenk.
Die Carpometacarpalgelenke liegen zwischen
Speiche der distalen Handwurzelknochenreihe und den
Elle Basen der Mittelhandknochen.
viereckiger Das Carpometacarpalgelenk I ist das Dau-
Einwrtsdreher mensattelgelenk und liegt zwischen Os trape-
(M. pronator zium und Os metacarpale I.
quadratus)
Bewegungen im Daumensattelgelenk:
Abduktion Adduktion (Daumen wird vom
Zeigefinger abgespreizt und wieder herange-
fhrt), Opposition Reposition (Daumen
wird aus der Abduktionsstellung dem kleinen
Finger gegenbergestellt und wieder in Nor-
Abb. 5.27 Ein- und Auswrtsdrehung der Hand. malstellung zurckgefhrt).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 115

Die Carpometacarpalgelenke II bis


IV sind Amphiarthrosen (straffe Palmaransicht
Gelenke). Das Gelenk V lsst geringe
Oppositionsbewegungen des kleinen
Fingers zu.
Speiche Elle
(Radius) (Ulna)
Fingergelenke Kahnbein Mondbein
Fingergrundgelenke (Metacarpo- (Os scaphoideum) (Os lunatum)
phalangealgelenke). groes Erbsenbein
Die Fingergrundgelenke II bis V Vieleckbein (Os pisiforme)
sind anatomisch gesehen Kugelge- (Os trapezium) Dreieckbein
(Os triquetrum)
lenke.
Das Daumengrundgelenk ist ein Hakenbein
(Os hamatum)
Scharniergelenk.
Fingermittelgelenke und Finger-
endgelenke (proximale und distale
Interphalangealgelenke)
Die Fingermittel- und -endgelenke kleines
sind Scharniergelenke. Vieleckbein
(Os trapezoideum)

Merke Kopfbein
(Os capitatum)
Alle Scharniergelenke werden
durch Seitenbnder (= Kollateral-
bnder) gesichert.
proximale Reihe
Dorsalansicht distale Reihe
Achselhhle
Einbuchtung der Krperoberflche
zwischen Rumpf und Arm. Elle Speiche
Inhalt: (Ulna) (Radius)
Bindegewebskrper mit Gefen und
Mondbein
Nerven (Armgefe, Armnerven) Dreieckbein (Os lunatum)
und regionre Achsellymphknoten. (Os triquetrum)
Kahnbein
Kopfbein (Os scaphoideum)
(Os capitatum)
Ellenbeuge groes
Hakenbein Vieleckbein
Liegt zwischen Flexoren des Ober- (Os hamatum) (Os trapezium)
armes und Flexoren sowie Exten-
soren des Unterarmes. Fingergrund-
Inhalt: gelenk
Venen der Ellenbeuge (Cubital-
venen; hufig genutzt zur Blut- Fingermittel-
entnahme und i.v.-Injektion), gelenk
Fingerend- kleines
Aufzweigung der Oberarmarterie Vieleckbein
gelenk
(A. brachialis) in Speichenarterie (Os trapezoideum)
(A. radialis) und Ellenarterie (A.
ulnaris) ( Abb. 9.27, S. 181,
Abb. 9.28, S. 182 und Abb. 9.33,
S. 185).

Knochen der Hand. Abb. 5.28


116 5 Sttz- und Bewegungssystem

Tab. 5.3 Verlauf und Funktion der Muskulatur des Schultergrtels


Muskeln Verlauf Funktion

Groer Brustmuskel Clavicula, Sternum Adduktion, Anteversion und


(M. pectoralis major) Humerus Innenrotation im Schultergelenk

Kleiner Brustmuskel unter M. pectoralis major Senkung des Schultergrtels,


(M. pectoralis minor) Hebung der Rippen
( Abb. 6.1, S. 137) (= Einatemhilfsmuskel)

Trapezmuskel Hinterhauptbein, Brustwirbel Bewegungen des Schulter-


(M. trapezius) Clavicula, Scapula grtels

Breiter Rckenmuskel Brust- und Lendenwirbel Adduktion, Retroversion und


(M. latissimus dorsi) Humerus Innenrotation im Schultergelenk

Schulterblattheber unter M. trapezius, hebt Schultergrtel


(M. levator scapulae) 1. 4. Halswirbel Scapula

Deltamuskel Clavicula, Scapula Abduktion, Adduktion,


(M. deltoideus) Humerus Anteversion, Retroversion,
Innen- und Auenrotation im
Schultergelenk

Rckansicht Vorderansicht

Treppen-
Trapezmuskel muskeln
(Mm. scaleni)
(M. trapezius)

Deltamuskel Deltamuskel
(M. deltoideus)
(M. deltoideus)

Untergrten- groer
muskel Brustmuskel
(M. infraspinatus) (M. pectoralis
major)
groer/kleiner
runder Muskel zweikpfiger
(M. teres Armmuskel
major/minor) (M. biceps brachii)

dreikpfiger vorderer
Armstrecker Sgemuskel
(M. triceps brachii) (M. serratus
anterior)
breiter
Rckenmuskel breiter
(M. latissimus Rckenmuskel
dorsi) (M. latissimus
dorsi)

Abb. 5.29 Muskeln des Schultergrtels.


5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 117

Muskulatur des Schultergrtels brachii ist der dreikpfige Oberarmmuskel


Den Schultergrtel erreichen zahlreiche Muskeln (M. triceps brachii) Strecker genannt. Er
von allen Seiten. Dadurch ist er sehr beweglich. bewirkt die Extension des Unterarmes sowie die
Einige Muskeln setzen am Humerus (Oberarm- Fixation des Ellenbogengelenkes.
knochen) an, wodurch das funktionelle Zusam-
menwirken zwischen Schlsselbeingelenken Unterarmmuskulatur
und Schultergelenk ermglicht wird. Die Unterarmmuskeln lassen sich entsprechend
ihrer Funktion in vier Gruppen einteilen:
Merke Pronatoren
Die Schultergrtelmuskulatur dient Sie bewirken die Innenrotation von Hand und
der Bewegung von Schultergrtel und Arm, Unterarm, also die Drehung von Elle und Speiche
der Haltung und Fixation des Schultergrtels in der Lngsrichtung nach innen (Pronation).
( Tab. 5.3). Supinatoren
Sie ermglichen die Auenrotation von Hand
Muskulatur des Armes und Unterarm, also die entgegengesetzte Dre-
Die Muskulatur des Armes wird in Ober- und hung von Elle und Speiche in der Lngsrichtung
Unterarmmuskulatur unterteilt. nach auen (Supination).
Flexoren
Oberarmmuskulatur Die Flexoren liegen ulnar und palmar. Sie bewir-
Die Oberarmmuskulatur wird aus Beugern ken die Palmarflexion im Handgelenk und
(Flexoren) und Streckern (Extensoren) gebildet. Flexion der Finger.
Wichtigster Beugemuskel ist der zweikpfige Extensoren
Oberarmmuskel (M. biceps brachii). Seine Die Extensoren liegen radial und dorsal. Sie
Funktionen sind Flexion und Fixation des Ellen- bewirken die Dorsalextension im Handgelenk
bogengelenkes sowie Supination des Unterarmes. und Extension der Finger.
Der Gegenspieler (Antagonist) des M. biceps

Palmaransicht Dorsalansicht

Palmaransicht

Flexorengruppe Extensorengruppe
fr Handgelenk fr Handgelenk
und Finger und Finger

Halteband der Halteband der


Beugersehnen Streckersehnen
(Retinaculum flexorum) (Retinaculum extensorum)
Hohlhandsehne
(Aponeurosis palmaris)
Sehnenscheiden
(Vaginae tendines)

Muskeln und Bnder von Unterarm und Hand. Abb. 5.30


118 5 Sttz- und Bewegungssystem

langer radialer
Handstrecker
(M. extensor carpi
Oberarm- radialis longus)
Knorrenmuskel
speichenmuskel (M. anconeus) kurzer radialer
(M. brachioradialis) Handstrecker
(M. extensor carpi
runder ulnarer Handstrecker radialis brevis)
Einwrtsdreher (M. extensor carpi ulnaris)
(M. pronator teres)
radialer Handstrecker
(M. flexor carpi radialis) langer
langer Daumenabzieher
Kleinfingerstrecker (M. abductor pollicis
Hohlhandmuskel longus)
(M. palmaris longus) (M. extensor digiti minimi)
oberflchlicher kurzer
Fingerstrecker Daumenstrecker
Fingerbeuger (M. extensor digitorum) (M. extensor pollicis
(M. flexor digitorum
brevis)
superficialis) ulnarer Handstrecker
(M. flexor carpi ulnaris) Halteband
(Retinaculum
extensorum)

Abb. 5.31 Unterarmmuskulatur.

Merke Innervation
Die Muskulatur der oberen Extremitten wird
Die im Unterarm liegenden Flexoren und Ex- von Nerven versorgt, die aus dem Armgeflecht
tensoren (= lange Fingermuskeln) sind ber (Plexus brachialis) hervorgehen (N. radialis, N.
lange Sehnen mit den Fingergrund-, Finger- ulnaris, N. medianus; Abb. 17.21, S. 358).
mittel- und Fingerendgliedern verbunden. Sie
verlaufen im Bereich der Hand- und Finger-
gelenke in Sehnenscheiden (= Gleitschutz). 5.3.4 Beckengrtel und untere Extremitt
Haltebnder (Retinacula) fixieren die Sehnen-
scheiden. Beckengrtel und untere Extremitt haben Halte-
und Sttzfunktion. Deshalb sind hier die Kno-
Handmuskulatur chen und Gelenke viel krftiger ausgebildet als
Die herausragende Fhigkeit der menschlichen beim Schultergrtel und der oberen Extremitt.
Hand ist die Greiffunktion. Sie wird durch die
Oppositionsfhigkeit des Daumens mglich, Beckengrtel
d. h., der Daumen kann den brigen Fingern Der Beckengrtel stellt im Unterschied zum
gegenbergestellt werden. Schultergrtel einen geschlossenen Ring dar.
Fr diese Greiffunktion steht ein komplizierter Aufgaben
Muskelapparat der Hand zur Verfgung: Verbindung der Beine mit dem Rumpf.
4 Muskeln des Daumenballens und bertragung der Krpermasse von der Wirbel-
4 Muskeln des Kleinfingerballens. sule auf die beiden Oberschenkelknochen.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 119

mnnliches Becken
(Pelvis masculinum) Vorgebirge
(Promontorium)
Darmbeinkamm
(Crista iliaca)
Kreuzbein
(Os sacrum)
vorderer oberer Darmbeinstachel
Hftbein (Spina iliaca anterior superior)
(Os coxae) vorderer unterer Darmbeinstachel
(Spina iliaca anterior inferior)
Hftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Hftloch
(Foramen obturatum)

Schambeinwinkel Hftbein
(Angulus pubis: 7075)
(Os coxae)

Darmbeinkamm hinterer oberer


(Crista iliaca)
Darmbeinstachel
vorderer oberer Darmbeinstachel (Spina iliaca posterior
(Spina iliaca anterior superior) superior)
vorderer unterer Darmbeinstachel hinterer unterer
(Spina iliaca anterior inferior) Darmbeinstachel
(Spina iliaca posterior
Hftgelenkpfanne inferior)
(Acetabulum)
Sitzbeinstachel
(Spina ischiadica)

bilden zusammen Schambein Darmbein


das Hftbein (Os pubis) (Os ilium)
Hftloch
(Foramen obturatum) Sitzbeinhcker
(Tuber ischiadicum)

weibliches Becken Sitzbein


(Pelvis femininum) (Os ischii)

Darmbeingrube
(Fossa iliaca)
Darmbein-Kreuzbein-Gelenk
(Articulatio sacroiliaca)
Schambeinhcker
(Tuberculum pubicum)
Hftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Schambeinfuge
(Symphysis pubica)

Bei den Darmbein-Kreuzbein-Gelenken sind


die Gelenkflchen unregelmig und inein-
Schambeinbogen ander verkeilt. Die Gelenkkapsel ist sehr
(Arcus pubis: 90100) eng, fest und durch Gelenkbnder vielfltig
verstrkt. Eigentliche Bewegungen sind
nicht mglich. Sie wirken federnd.

Becken und Hftbein. Abb. 5.32


120 5 Sttz- und Bewegungssystem

Zu diesem Zweck ist er, im Unterschied zum Schambeinfuge (Symphysis pubica) verbindet
Schultergrtel, als stabiler Ring fest mit der die beiden Hftbeine im Bereich der Scham-
Wirbelsule verbunden. beine mittels Faserknorpel.
Gebrkanal.
Ansatz- und Ursprungsstelle von Bauch-, Gestalt
Rcken- und Gesmuskeln. Das Becken ist trichterfrmig gebaut. Der Innen-
Schutz der Beckenorgane. raum wird durch die Grenzlinie (Linea termina-
lis), die vom Promontorium bogenfrmig zum
Knochen Oberrand der Symphyse verluft, gegliedert in
Der Beckengrtel besteht aus groes Becken oberhalb der Grenzlinie zwi-
1 Kreuzbein (Os sacrum), schen den beiden Darmbeinschaufeln,
2 Hftbeinen (Ossa coxae) sowie kleines Becken (= Beckenkanal) mit Becken-
l Steibein (Os coccygis). eingang und Beckenausgang unterhalb der
Jedes Hftbein wiederum setzt sich aus drei mit- Grenzlinie.
einander verwachsenen Knochen zusammen: Die Beckeneingangsebene ist im Stand vorn
dem Darmbein (Os ilium), nach unten geneigt.
dem Schambein (Os pubis) und Verbindet man die beiden Sitzbeinhcker durch
dem Sitzbein (Os ischii). eine Linie miteinander, entstehen zwei Dreiecke:
ventral das Trigonum urogenitale fr den
Merke Durchtritt der Harn- und Geschlechtsorgane;
Die Hftgelenkpfanne (Acetabulum) wird dorsal das Trigonum rectale fr den Durch-
von Teilen der Krper aller drei Teilknochen tritt des Rectums ( Abb. 5.33).
des Hftbeines gebildet und besitzt einen
halbmondfrmigen Gelenkknorpel. Geschlechtsunterschiede ( Abb. 5.32, S. 119)
Mnnliches Becken: Untere Schambeinste
bilden spitzen Winkel. Das mnnliche Becken
Knochenverbindungen ist hoch, schmal und eng.
Darmbein-Kreuzbein-Gelenke (Iliosacralge- Weibliches Becken: Untere Schambeinste
lenke) verbinden die Hftbeine im Bereich bilden stumpfwinkligen Bogen. Das weibliche
der Darmbeinschaufeln mit dem Kreuzbein. Becken ist flach, breit und weit.
Wegen der sehr straffen, knappen Gelenkkap-
sel sind praktisch keine Bewegungen mglich. Untere Extremitt
Die Gelenke sind wichtig fr die Elastizitt des Die untere Extremitt ist beim Menschen als
Beckens und die Federung der Wirbelsule. Sttzorgan ausgebildet.
Gliederung und Bau:
( Tab. 5.4, S. 122 und
Abb. 5.34)

Alle Beinknochen, au-


groes Becken er Fuwurzelknochen,
sind Rhrenknochen.
Der Oberschenkelkno-
chen (Femur) ist der
grte Knochen des
Durchtritt des Rectums Menschen. Sein Kopf
(Trigonum rectale) (Caput femoris) ist
Durchtritt der Harn- und durch den Schenkelhals
Geschlechtsorgane vom Schaft abgespreizt,
(Trigonum urogenitale)
kleines Becken wodurch der Schenkel-
halswinkel (= Kollodia-
Abb. 5.33 Knchernes Becken. physenwinkel) von ca.
125 entsteht.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 121

Ventralansicht Dorsalansicht
Oberschenkelkopf
(Caput femoris)
Oberschenkelhals groer Rollhgel
groer Rollhgel (Collum femoris) (Trochanter major)
(Trochanter major)
kleiner Rollhgel
(Trochanter minor)

Schaft des
Oberschenkelknochens
(Corpus femoris)

uerer
innerer Gelenkknorren Obergelenkknorren
(Condylus medialis femoris) (Epicondylus lateralis
Kniescheibe femoris)
(Patella) innerer uerer
uerer Obergelenkknorren Gelenkknorren
(Epicondylus medialis femoris) (Condylus lateralis
Gelenkknorren
femoris)
des Schienbeins innerer Gelenkknorren
(Condylus lateralis tibiae) des Schienbeins Gelenkknorren-
Wadenbeinkopf (Condylus medialis tibiae) grube
(Fossa intercondylaris)
(Caput fibulae)
Ansatzstelle des
Kniescheiben-
bandes Das strkere Schienbein (Tibia)
(Tuberositas tibiae) liegt medial, das schwchere
Wadenbein (Fibula) lateral im
Wadenbeinkrper Unterschenkel. Schienbeinkrper
(Corpus fibulae) (Corpus tibiae)

mittlerer (innerer)
Knchel seitlicher (uerer)
(Malleolus medialis) Knchel
Fuwurzelknochen (Malleolus lateralis)
(Ossa tarsalia)
Malleolengabel

Mittelfuknochen
(Ossa metatarsi)

Zehenknochen
(Ossa digitorum pedis)

Knochen der unteren Extremitt. Abb. 5.34


122 5 Sttz- und Bewegungssystem

Tab. 5.4 Untere Extremitt Gliederung und Knochen.

Untere Extremitt

Oberschenkel Unterschenkel Fu (Pes)

1 Oberschenkelknochen 2 Unterschenkelknochen
(Femur) Schienbein (Tibia)
Wadenbein (Fibula)

Fuwurzel (Tarsus) Mittelfu (Metatarsus) Zehen (Digiti)


7 Fuwurzelknochen 5 Mittelfuknochen 14 Zehenknochen
(Ossa metatarsi = Metatarsalia I V; (Ossa digitorum = Phalanges)
proximale Reihe I = Mittelfuknochen der Grozehe)
Sprungbein (Talus)
Fersenbein (Calcaneus)
Kahnbein (Os naviculare)
distale Reihe
mediales Keilbein (I)
(Os cuneiforme mediale)
mittleres Keilbein (II)
(Os cuneiforme intermedium)
laterales Keilbein (III)
(Os cuneiforme laterale)
Wrfelbein (Os cuboideum)

Fersenbein Fuknochen von oben


(Calcaneus)
Sprungbein
(Talus)

Wrfelbein
(Os cuboideum)
Kahnbein
(Os naviculare)
Fuknochen von medial
Keilbeine
(Os cuneiforme mediale,
intermedium, laterale)
Mittelfuknochen Wadenmuskel
(Ossa metatarsi I V) (M. gastrocnemius)
Schienbein
(Tibia)
Zehenknochen
(Phalanges) Sprungbein
(Talus)
Zehengrundglied Achillessehne
(Phalanx proximalis) (Tendo calcaneus)
Zehenmittelglied Fersenbein
(Phalanx media) (Calcaneus)
Zehenendglied
(Phalanx distalis)
Lngsgewlbe des Fues

Abb. 5.35 Knochen des Fues.


5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 123

Malleolengabel (= Knchelgabel)
Den inneren Knchel der Malleolen-
gabel bildet die Tibia, den ueren die
Fibula. Aufgrund der Beteiligung von Hftbein
(Os coxae)
zwei Knochen sind zustzliche Feder-
wege eingebaut. Hftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Oberschenkelkopf
Knochenverbindungen, Bewegungs- (Caput femoris)
mglichkeiten, Muskeln
Beckengrtel und Bein sind durch drei
groe Gelenke verbunden: Hftgelenkbnder
Hftgelenk (Art. coxae), (Ligg. articulatio coxae)
Kniegelenk (Art. genus) und
oberes Sprunggelenk (Art. talocru-
ralis).

Hftgelenk (Art. coxae)


Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile Hftgelenk. Abb. 5.36
des Hftgelenks sind Hftgelenkpfanne
mit ausgeprgter Gelenklippe und
kugelfrmigem Oberschenkelkopf (= Hftkopf). Verstrkung durch 4 krftige Bnder. Das
Darmbein-Oberschenkelband (Lig. ileofemo-
Merkmale rale) ist das strkste Band des Menschen.
Kugelgelenk mit eingeschrnkter Beweglich-
keit (Nussgelenk), weil der Hftkopf von der Kniegelenk (Art. genus)
Hftpfanne zu zwei Dritteln umschlossen Das Knieglenk ist das grte Gelenk des Men-
wird. Daher geringe Luxationsgefahr und gute schen. Es erlaubt Bewegungen um zwei Haupt-
Knochenfhrung. achsen. Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile
Weite, derbe Kapsel, die auch den Oberschen- sind Femur-Condylen und Tibia-Condylen sowie
kelhals teilweise mit einschliet. die Patella.

sagittal Oberschenkelknochen Rckansicht


vierkpfiger (Femur)
Oberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
vorderes Kreuzband
(Lig. cruciatum anterior)
hinteres Kreuzband
Sehne des (Lig. cruciatum posterior)
M. quadriceps innerer Meniscus
Gelenkkapsel (Meniscus medialis)
(Capsula articularis) Auenband
(Lig. collaterale tibiale)
Kniescheibe
(Patella) uerer Meniscus
(Meniscus lateralis)
Meniscus
Innenband
(Lig. collaterale fibulare)
Kniekehlenmuskel
(M. popliteus)
Schleimbeutel Schienbein
(Bursa synovialis) Synovial- (Tibia)
membran Wadenbein
(Fibula)

Rechtes Kniegelenk. Abb. 5.37


124 5 Sttz- und Bewegungssystem

Zehengrundgelenke,
vorderes Kreuzband Zehenmittelgelenke (auer Gro-
(Lig. cruciatum anterior)
zehe = Hallux, die kein Mittel-
Gelenkflchen gelenk besitzt),
des Schienbeins
Zehenendgelenke.
uerer Meniscus Der Fu besitzt je ein Quer- und
(Meniscus lateralis)
Lngsgewlbe, die durch Muskeln
innerer Meniscus
(Meniscus medialis) und Bnder gehalten werden.
hinteres Kreuzband
(Lig. cruciatum posterior)

P Durch schlaffe Bnder, durch
Muskellhmungen und aufgrund
Abb. 5.38 Menisken des rechten Kniegelenks. schlechten Schuhwerks knnen
Gefgestrungen (= Deformitten)
auftreten, wie z. B.
Merkmale Senkfu: Lngswlbung abgeflacht
Drehscharniergelenk. (als Extremform Plattfu),
4 Hauptbewegungen: Extension und Flexion, Hohlfu: Lngswlbung verstrkt,
Auen- und Innenrotation (nur in Beuge- Spreizfu: Querwlbung abgeflacht.
stellung).
Ungleichheiten der Gelenkflchen werden Muskulatur und ihre Funktionen
durch zwei halbmond- und keilfrmige Die Muskeln im Bereich der Hftregion ermg-
Menisci (Innen- und Auenmeniscus) ausge- lichen die verschiedensten Bewegungen des
glichen. Jeder Meniscus ist durch krftige Beines wie Beugen, Strecken, Heranziehen,
Bnder mit der Gelenkkapsel verankert. Spreizen und Rotationen. Der berwiegende Teil
Stabile Bandfhrung (z. B. vorderes und hinte- von ihnen zieht ber das Hftgelenk direkt zum
res Kreuzband zwischen den Femurcondylen, Oberschenkel. Andere wiederum verlaufen ber
inneres und ueres Seitenband). das Kniegelenk zum Unterschenkel und ermg-
Sehr weite Kapsel. lichen so die Bewegung von Hft- als auch Knie-
gelenk (z. B. Schneidermuskel).

P Das Kniegelenk erleidet hufig Verletzungen,
da es am wenigsten durch Muskelmassen ge- Hftmuskulatur
schtzt ist. Drehungen am Knie bei fixiertem 1. Vordere Muskelgruppe
Unterschenkel (Ski- und Fuballsport) lsen Darmbein-Lenden-Muskel (M. iliopsoas).
Bandschden aus. Sturz in senkrechter Rich- Funktion: Flexion im Hftgelenk.
tung (Absprung) fhren zu Tibiakopfbrchen;
direkte Gewalt (Autoarmaturenaufprall) zu 1) = Darmbein-Lenden-Muskel
Patella- oder supracondylren Femurfrakturen. (M. iliopsoas)

Oberes Sprunggelenk (Art. talocruralis) kleiner Lendenmuskel1)


(M. psoas minor)
Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile des obe-
ren Sprunggelenkes sind Sprungbein und Malle- groer Lendenmuskel1)
olengabel. Krftige Seitenbnder sichern die (M. psoas major)
Scharnierbewegung. Darmbeinmuskel1)
Weitere Knochenverbindungen der Fuwurzel (M. iliacus)
und des Fues sind Leistenband
(Lig. inguinale)
unteres Sprunggelenk zwischen Sprung-,
Fersen- und Kahnbein (ermglicht die Prona- Kammmuskel
(M. pectineus)
tions-/Supinationsbewegungen des Fues),
Fuwurzel-Mittelfu-Gelenke zwischen Fu-
wurzel und proximalen Enden der Mittelfu-
knochen, Tiefe Hftmuskeln. Abb. 5.39
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 125

2. Hintere Muskelgruppe Oberschenkelmuskulatur


Groer Gesmuskel (M. gluteus maximus), 1. Extensorengruppe
mittlerer Gesmuskel (M. gluteus medius), Vierkpfiger Oberschenkelmuskel (M. qua-
kleiner Gesmuskel (M. gluteus minimus). driceps femoris), besteht aus vier Teilmus-
Funktion: Extension, Abduktion, Adduktion keln (fr intramuskulre Injektionen ist der
im Hftgelenk. M. vastus lateralis wichtig). Die gemeinsame

kleiner
Lendenmuskel1)
(M. psoas minor)
groer viereckiger
Lendenmuskel1) Lendenmuskel
(M. psoas major) (M. quadratus lumborum)
Darmbeinmuskel1)
(M. iliacus)
groer Gesmuskel
Leistenband (M. gluteus maximus)
(Lig. inguinale)
Kammmuskel
(M. pectineus)
langer Anzieher
(M. adductor longus)
schlanker Muskel
(M. gracilis) zweikpfiger
Schneidermuskel Oberschenkelmuskel
(M. sartorius) (M. biceps femoris)

gerader halbsehniger Muskel


(M. semitendinosus)
Oberschenkel-
muskel2) halbmembranser
(M. rectus femoris) Muskel
(M. semimembranosus)
uerer Kniescheibe
Oberschenkel- (Patella)
muskel2)
(M. vastus lateralis)
innerer
Oberschenkel- Zwillings-
muskel2) wadenmuskel
(M. vastus medialis) (M. gastrocnemius)
langer Schollenmuskel
Wadenbein- (M. soleus)
muskel
(M. peroneus longus)
vorderer
Schienbeinmuskel
(M. tibialis anterior) Achillessehne
(Tendo calcaneus)

1) Diese Muskeln bilden den


Darmbein-Lenden-Muskel
(M. iliopsoas).
2) Diese Strecker (Extensoren) und der verdeckte mittlere Schenkelmuskel (M. vastus intermedius) werden unter dem
Begriff vierkpfiger Oberschenkelmuskel (M. quadriceps femoris) zusammengefasst.

Untere Extremitt wichtige Muskeln. Abb. 5.40


126 5 Sttz- und Bewegungssystem

Flexion Extension
im Hftgelenk im Kniegelenk

Darmbein-
Lenden-Muskel vierkpfiger
(M. iliopsoas) Oberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)

Flexion Streckbewegung
im Kniegelenk im Hft- und
Kniegelenk

vierkpfiger
Oberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
zweikpfiger groer Gesmuskel
Oberschenkel- (M. gluteus maximus)
muskel
(M. biceps femoris)

Adduktion Dorsal- und


im Hftgelenk Plantarflexion

Adduktoren
vorderer
Schienbeinmuskel
(M. tibialis anterior)
Zwillingswadenmuskel
(M. gastrocnemius)

Abb. 5.41 Untere Extremitt Bewegungsmglichkeiten.


5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 127

Deltoideus-Injektion
Einstichstelle:
Deltamuskel oberes mittleres Drittel
(M. deltoideus)

hchster Punkt des intragluteale Injektion


Darmbeinkammes
(Crista iliaca) Einstichstelle
(Methode nach von Hochstetter):
vorderer oberer ventraler Muskelbereich
Darmbeinstachel zwischen dem hchsten
(Spina iliaca anterior Punkt des
superior)
Darmbeinkammes, dem
groer Rollhgel groen Rollhgel und
(Trochanter major)
dem vorderen oberen
Darmbeinstachel

intragluteale Injektion

Darmbeinkamm Einstichstelle
(Crista iliaca) (Crista-Methode nach
Sachtleben):
beim Erwachsenen
3 Querfinger breit caudal
der gedachten Linie
Mitte des
groer Rollhgel Darmbeinkammes und
(Trochanter major)
dem groen Rollhgel

laterale Vastus-Injektion
uerer Einstichstelle:
Obergelenkknorren Mitte des seitlichen
(Epicondylus lateralis Oberschenkels
femoris)

groer Rollhgel
(Trochanter major)

Intramuskulre Injektionen hufigste Verabreichungsorte. Abb. 5.42


128 5 Sttz- und Bewegungssystem

Endsehne des Muskels, in die die Patella als Hufige Weichteilverletzungen des Beines sind:
Umlenkrolle vor dem Kniegelenkspalt ein- Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse. Oft
gelagert ist, setzt an der Tuberositas tibiae betroffen sind M. gastrocnemius und
an. M. quadriceps femoris.
Schneidermuskel (M. sartorius) Achillessehnenverletzungen (Teil- oder
Funktion: Bewegung und Haltung im Hft- komplette Risse).
und Kniegelenk. Typisch fr diese Verletzungen sind pltzlich
2. Flexorengruppe auftretende akute Schmerzen und Funktions-
Zweikpfiger Oberschenkelmuskel (M. bi- strungen. Durch lockeres Aufwrmen vor
ceps femoris) begrenzt die Kniekehle lateral. sportlicher Bettigung wird der Stoffwechsel
Halbsehniger Muskel (M. semitendinosus) der Muskulatur aktiviert und die Dehnbarkeit
begrenzt die Kniekehle medial. der Muskelfasern verbessert, sodass das Verlet-
Halbmembranser Muskel (M. semimem- zungsrisiko vermindert wird.
branosus) begrenzt die Kniekehle medial.
Funktion: Extension im Hftgelenk und
Flexion im Kniegelenk. 5.3.5 Kopf (Caput)
3. Adduktorengruppe
Schlanker Muskel (M. gracilis). Der Kopf (Caput) ist durch den Hals gut beweg-
Kammmuskel (M. pectineus). lich mit dem Rumpf verbunden. Er befindet sich
Langer Adduktor (M. adductor longus). mit den wichtigsten Sinnesorganen an oberster
Funktion: Adduktion im Hftgelenk. Stelle des menschlichen Organismus und hat so
auerordentlich groe Bedeutung beim Er-
Unterschenkelmuskulatur kennen der Umwelt.
1. Extensorengruppe (vorn)
Vorderer Schienbeinmuskel (M. tibialis Schdel (Cranium)
anterior). Der Schdel ist das Knochengerst des Kopfes.
Funktion: Dorsalflexion (Fubewegung nach Er dient als Schutz des Gehirns und wichtiger
oben), Anheben der Zehen. Sinnesorgane. Hier beginnen der Verdauungs-
2. Flexorengruppe (hinten) und der Atmungstrakt.
Dreikpfiger Wadenmuskel (M. triceps Der Schdel gliedert sich in Gehirnschdel und
surae) ber Achillessehne am Fersenbein- Gesichtsschdel.
hcker befestigt. Er gliedert sich in Zwil-
lingswadenmuskel (M. gastrocnemius Gehirnschdel (Neurocranium)
Caput mediale und laterale) und Schollen- Am Gehirnschdel unterscheidet man das
muskel (M. soleus). Schdeldach, die innere und uere Schdel-
Funktion: Plantarflexion, Supination des basis und die Schdelhhle mit dem Gehirn. Bei
Fues, Flexion im Kniegelenk (nur M. Suglingen ist der Gesichtsschdel durch die
gastrocnemius). fehlende Kaufunktion (dadurch unvollstndig
ausgebildete Kiefer) geringer ausgeprgt.

P Intramuskulre Injektionen sind tiefe Injek-
tionen in einen Muskel. Dafr gibt es im Wesent- Knochen des Schdeldaches (Calvaria):
lichen drei Verabreichungsorte ( Abb. 5.42): Scheitelbein (Os parietale),
Deltamuskel (M. deltoideus) an der Auen- Stirnbein (Os frontale),
seite des Schultergelenks, Hinterhauptbein (Os occipitale).
mittlerer Gesmuskel (M. gluteus medius)
im Bereich zwischen Darmbeinkamm und Knochenverbindungen
der Verbindungslinie zwischen vorderem Die Knochen des Schdeldaches werden durch
und hinterem oberem Darmbeinstachel, Knochennhte miteinander verbunden. Die
seitlicher Oberschenkelmuskel (M. vastus wichtigsten sind:
lateralis) auf der Mitte einer gedachten Linie Kranznaht (Sutura coronalis) zwischen Stirn-
zwischen groem Rollhgel und uerem bein und Scheitelbeinen,
Obergelenkknorren. Pfeilnaht (Sutura sagittalis) zwischen den
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 129

Kranznaht
(Sutura coronalis)
Stirnbein Scheitelbein
(Os frontale) (Os parietale)

Lambdanaht
(Sutura lambdoidea)
Trnenbein
(Os lacrimale) Hinterhauptbein
(Os occipitale)
Nasenbein
(Os nasale) Schlfenbein
(Os temporale)
Jochbein
(Os zygomaticum) uerer Gehrgang
(Meatus accusticus externus)
Oberkiefer
(Maxilla) Warzenfortsatz
(Processus mastoideus)
Griffelfortsatz
Unterkiefer (Processus styloideus)
(Mandibula)

Schdel. Abb. 5.43

Scheitelbeinen,
Lambdanaht (Sutura lamb-
doidea) zwischen Hinter-
hauptbein und Scheitel- Stirnbein
beinen, (Os frontale)
Stirnnaht zwischen den Stirn- Scheitelbein
beinen (beim Erwachsenen (Os parietale)
nicht mehr zu erkennen). Schlfenbein
(Os temporale)
Fontanellen Keilbein
Fontanellen sind straffe Binde- (Os sphenoidale)
gewebsverbindungen, die nur Trnenbein
beim Neugeborenen vorhanden (Os lacrimale)
sind. Sie verbinden die Jochbein
(Os zygomaticum)
Schdeldachknochen und er-
mglichen eine Verschiebung Nasenbein
(Os nasale)
der Knochen gegeneinander. Oberkiefer
Dies ist bedeutend fr den (Maxilla)
Geburtsvorgang und das Sch-
delwachstum.
Das menschliche Neugeborene
hat 2 unpaarige und 2 paarige Unterkiefer
Fontanellen. (Mandibula)

Unpaarige Fontanellen
Vordere, groe oder Stirn- Schdel (Ansicht von ventral). Abb. 5.44
fontanelle an der Vereinigung
130 5 Sttz- und Bewegungssystem

hintere kleine Fontanelle vordere groe Fontanelle

Stirnbein
Scheitelbein

vordere
Seitenfontanelle

Scheitelbein Schlfenbein
Pfeilnaht hintere Seitenfontanelle
Hinterhauptbein Hinterhauptbein

Abb. 5.45 Fontanellen.

von Kranz-, Pfeil- und Stirnnaht. Die rhom-


P Blutungen unter der Kopfschwarte knnen
benfrmige Fontanelle schliet sich bis zum oberhalb oder unterhalb der Knochenhaut lie-
Ende des 2. Lebensjahres. gen.
Kleine oder Hinterhauptfontanelle an der
Vereinigung von Pfeil- und Lambdanaht. Sie Knochen der Schdelbasis
ist dreieckig geformt und schliet sich bis zum Die Schdelbasis wird aus vier unpaarigen und
Ende des 1. Lebensjahres. einem paarigen Knochen gebildet.
Paarige Fontanellen Unpaarige Knochen
Vordere Seitenfontanelle zwischen Stirnbein, Stirnbein (Os frontale),
Scheitelbein und groem Keilbeinflgel. Keilbein (Os sphenoidale),
Hintere Seitenfontanelle zwischen Scheitel- Siebbein (Os ethmoidale),
bein, Hinterhauptsbein und Warzenfortsatz. Hinterhauptbein (Os occipitale).

P Beim Geburtsvorgang sind die beiden un-
Paariger Knochen
paarigen Fontanellen wichtig. Sie ermglichen Schlfenbein (Os temporale).
whrend der Geburt eine Verformung des Im Felsenbein des Schlfenbeines befinden sich
Schdels beim Durchtritt durch den kncher- Gehr- und Gleichgewichtsorgan.
nen Beckenring der Mutter.
Innenrelief
Schichten des Schdeldaches Die innere Schdelbasis weist eine Dreiteilung
Das Schdeldach (Calvaria) besteht aus fnf auf.
Schichten ( Abb. 5.46): der ueren Knochen- Die vordere Schdelgrube wird hauptschlich
haut (Periost), der ueren kompakten, der auf- von Stirn- und Keilbein gebildet, liegt am
gelockerten und der inneren kompakten hchsten und beinhaltet die Stirnlappen des
Knochenschicht sowie der harten Hirnhaut. Grohirns.
Mit dem ueren Periost ist die Kopfschwarte Die mittlere Schdelgrube wird hauptschlich
(= funktionelle Einheit von Haut, Unterhaut und vom Keilbein gebildet. Im Trkensattel des
Sehnenhaube) durch Bindegewebe verschiebbar Keilbeines liegt die Hypophyse. Auerdem
verbunden. befinden sich im Bereich der mittleren Sch-
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 131

delgrube Durchtritts-
stellen fr Hirnnerven Kopfhaut
sowie seitliche Teile uere
der Schlfenlappen des Knochenhaut
(Pericranium)
Grohirns und Teile des uere kompakte
Mittelhirns. Knochenschicht
Die hintere Schdel- (Lamina externa)
grube wird hauptsch- aufgelockerte
lich vom Hinterhaupt- Knochenschicht
(Diploe)
bein gebildet; liegt am
innere kompakte
tiefsten, beinhaltet Hirn- Knochenschicht
stamm und Kleinhirn. (Lamina interna)
harte Hirnhaut venser Blutleiter
Die Grenze zwischen vor- (Dura mater encephali)
derer und mittlerer Sch-
delgrube bilden die Hinter- Schichten des Schdeldaches. Abb. 5.46
kanten der beiden kleinen
Keilbeinflgel. Mittlere
und hintere Schdelgrube
werden durch das Felsenbein getrennt. Die drei groen Knochen sind
die paarigen Oberkieferknochen (Maxilla),
Gesichtsschdel (Viscerocranium) der Unterkiefer (Mandibula) und
Der Gesichtsschdel besteht aus 3 groen und das Stirnbein (Os frontale).
11 kleinen Knochen.

Hahnenkamm
(Crista galli)
vordere
Stirnbein Schdelgrube
(Os frontale)
(Fossa cranii anterior)
Siebbeinplatte
(Lamina cribrosa)
Keilbein
(Os sphenoidale)
Trkensattel
(Sella turcica)
Schlfenbein
(Os temporale)
mittlere
Felsenbein Schdelgrube
(Pars petrosa) (Fossa cranii media)
groes
Hinterhauptloch
(Foramen occipitale
magnum)

Hinterhauptbein
(Os occipitale)
hintere
Schdelgrube
(Fossa cranii posterior)

Schdelbasis. Abb. 5.47


132 5 Sttz- und Bewegungssystem

2 Nasenbeinen (Ossa nasalia),


Schlfenbein 1 Pflugscharbein (Vomer),
(Os temporale)
1 Gaumenbein (Os palatinum),
Unterkiefergrube
(Fossa mandibularis) 1 Siebbein (Os ethmoidale) mit
Gelenkscheibe
den 2 oberen und den 2 mittleren
(Discus articularis) Nasenmuscheln,
2 untere Nasenmuscheln.
Gelenkkopf
(Caput mandibulae)
Schdelhhlen
Gelenkkapsel Zu den Schdelhhlen gehren die
(Capsula articularis)
Nasenhhle (Cavitas nasi), die
Warzenfortsatz Augenhhlen (Orbitae) und die
(Proc. mastoideus)
Mundhhle (Cavitas oris).
Griffelfortsatz
(Proc. styloideus)
Als Nasennebenhhlen (Sinus para-
Kronenfortsatz Unterkieferast nasales; Tab. 5.5) werden luftge-
(Proc. coronoideus) (Ramus mandibulae) fllte Hohlrume in einigen Sch-
delknochen bezeichnet. Sie dienen
Abb. 5.48 Kiefergelenk. der Masseverminderung und als
Resonanzorgan, liegen in unmittel-
barer Nhe der Nasenhhle und ste-
Der Oberkiefer (Maxilla) steht als grter hen mit ihr in Verbindung.
Knochen des Gesichtsschdels ber zahlreiche
Fortstze mit fast allen anderen Gesichtssch- P Schdelmissbildungen sind auf Miss-
delknochen in Verbindung. Er ist an der Bildung bildungen des Gehirns zurckzufhren.
von Mund-, Nasen- und Augenhhlen beteiligt.
Kiefergelenk (Art. temporomandibularis)
Der Unterkiefer (Mandibula) besteht aus einem Die Gelenkpartner des Kiefergelenkes sind:
u-frmigen Krper, der an den Kieferwinkeln Unterkiefergrube (Fossa mandibularis) des
jeweils in einen Ast bergeht. Diese ste enden Schlfenbeins,
mit zwei Fortstzen, die als Muskelansatz dienen Gelenkkopf (Caput mandibulare) am Gelenk-
bzw. an der Bildung des Kiefergelenkes beteiligt fortsatz (Proc. condylaris) des Unterkiefers,
sind. dazwischen die Gelenkscheibe (Discus arti-
cularis), die das Gelenk in zwei Teilgelenke
Merke gliedert.
Die beiden Kiefergelenke wirken bei allen
Der Gesichtsschdel ist ber Stirn- und Sieb-
Kieferbewegungen zusammen.
bein mit der Schdelbasis verbunden.
Scharnierbewegung: ffnen und Schlieen
des Mundes,
Die 11 kleinen Knochen des Gesichtsschdels Schlittenbewegung: Gleiten des Unterkiefers
setzen sich zusammen aus nach vorn und wieder zurck,
2 Jochbeinen (Ossa zygomatica), Mahlbewegung (Rotation): Seitwrtsbe-
2 Trnenbeinen (Ossa lacrimalia), wegungen.

Tab. 5.5 Verbindungen der Nasennebenhhlen zur Nasenhhle.


Nasennebenhhle Verbindung zur Nasenhhle
Stirnhhle (Sinus frontalis) im Stirnbein mittlerer Nasengang
Kieferhhle (Sinus maxillaris) im Oberkiefer mittlerer Nasengang
Keilbeinhhle (Sinus sphenoidalis) im Keilbein ber der oberen Nasenmuschel
Siebbeinzellen (Cellulae ethmoidales) im Siebbein mittlerer und oberer Nasengang
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 133

Stirnmuskel
(M. epicranius)
ringfrmiger Schlfenmuskel
Augenmuskel (M. temporalis)
(M. orbicularis oculi) hinterer Sehnen-
Oberlippenheber haubenmuskel
(M. levator labii (M. epicranius)
superioris) groer Jochbein-
Nasenmuskel muskel
(M. nasalis) (M. zygomaticus
major)
Mundringmuskel
(M. orbicularis oris) Kaumuskel
(M. masseter)
Unterlippen-
herabzieher Wangenmuskel
(M. depressor labii (M. buccinator)
inferioris)
zweibuchiger
Kinnmuskel Muskel
(M. mentalis)
(M. digastricus)
Mundwinkel- Kopfwende-
herabzieher muskel
(M. depressor
(M. sternocleidoma-
anguli oris)
stoideus)

Kopfmuskulatur. Abb. 5.49

Sehnenhaube
(Galea aponeurotica)

Stirnmuskel
ringfrmiger (M. epicranius)
Augenmuskel
(M. orbicularis oculi)
kleiner Joch- Nasenmuskel
beinmuskel (M. nasalis)
(M. zygomaticus Oberlippenheber
minor) (M. levator labii
groer Joch- superioris)
beinmuskel
(M. zygomaticus
major) Mundring-
Lachmuskel muskel
(M. risorius) (M. orbicularis oris)
Unterlippen- Kinnmuskel
herabzieher (M. mentalis)
(M. depressor labii Mundwinkel-
inferioris)
herabzieher
(M. depressor
anguli oris)

Gesichts- oder mimische Muskulatur. Abb. 5.50


134 5 Sttz- und Bewegungssystem

Schlfenmuskel
(M. temporalis)
Kieferschlieer
zieht Unterkiefer zurck


Kaumuskel

(M. masseter)
Kieferschlieer

uerer Flgelmuskel
(M. pterygoideus lateralis)
Kieferffner zieht Unterkiefer nach vorn

mittlerer Flgelmuskel
(M. pterygoideus medialis)
Kieferschlieer

Abb. 5.51 Kaumuskulatur.

Merke primren Funktion, die im Erweitern und


Verengen der Krperffnungen besteht, sekun-
Beim Kauen wirken alle genannten Bewe- dr die Bewegung der Gesichtshaut. Dadurch
gungen in komplexer Weise zusammen. Das knnen Falten und Grbchen hervorgerufen wer-
Kiefergelenk wird deshalb als Dreh-Gleit- den, die die Mimik (individueller Gesichtsaus-
Schiebe-Gelenk bezeichnet. druck) ausmachen.
Wichtige ringfrmige mimische Muskeln im

P Wegen der schlaffen Gelenkkapsel besteht Bereich der Krperffnungen sind:
der ringfrmige Augenmuskel (M. orbicularis
am Kiefergelenk die Gefahr der Verrenkung. oculi) und
der Mundringmuskel (M. orbicularis oris).
Kopfmuskeln Alle Gesichtsmuskeln werden durch den Gesichts-
Als eigentliche Kopfmuskeln werden die Ge- nerv (N. facialis) innerviert.
sichts- oder mimischen Muskeln sowie die
Kaumuskeln bezeichnet.
P Das Mienenspiel (= unwillkrliche Bewe-
gungen der Gesichtsmuskeln) ist oft Ausdruck
Gesichts- oder mimische Muskeln
der Stimmungslage und Gemtsverfassung. Bei
Die zahlreichen mimischen Muskeln liegen unter
zentraler und peripherer Lhmung der Gesichts-
der Gesichtshaut, teils um die Krperffnungen
nerven treten charakteristische Ausflle auf.
(Mund- und Lidspalte bzw. Nasen- und Ohrff-
nung) und bilden die Grundlage der Wangen. Sie
sind meist mit dem einen Ende am Schdel und Kaumuskeln
mit dem anderen in der Gesichtshaut befestigt. Zu den Kaumuskeln im engeren Sinne gehren
Diese Besonderheit ermglicht neben ihrer 4 Paar groe Muskeln:
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 135

der Kaumuskel (M. masseter), Kiefergelenk ein. Daneben gibt es noch weitere
der Schlfenmuskel (M. temporalis), Muskeln (z. B. die Mundboden- und Halsmus-
der mittlere Flgelmuskel (M. pterygoideus keln), die indirekt auf das Kiefergelenk wirken.
medialis) und Die Kaumuskeln werden durch den dreiteiligen
der seitliche Flgelmuskel (M. pterygoideus Nerv (N. trigeminus) innerviert.
lateralis). Funktion:
Diese Muskeln verlaufen vom Schdel zum Die Kaumuskeln dienen der Zerkleinerung der
Unterkiefer und wirken unmittelbar auf das Nahrung.

Fragen zur Wiederholung

1. Unterscheiden Sie aktiven und passiven Bewegungsapparat.


2. Warum sind Knochen Organe?
3. Welche Knochentypen gibt es? Nennen Sie Beispiele.
4. Beschreiben Sie den Feinbau eines Knochens.
5. Welche Aufgaben hat die Knochenhaut?
6. Wie erfolgt
a) das Lngenwachstum,
b) das Dickenwachstum eines Knochens?
7. Charakterisieren Sie kurz die verschiedenen Knochenverbindungen.
Gehen Sie dabei auf das synoviale Gelenk nher ein.
8. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) Discus,
b) Gelenklippe,
c) Meniscus,
d) Muskelfascie,
e) Sehne,
f) Sehnenscheide,
g) Schleimbeutel,
h) Sesambein.
9. Beschreiben Sie den makroskopischen und mikroskopischen Bau eines Skelettmuskels.
10. Beschreiben Sie Kontraktion und Erschlaffung eines Skelettmuskels.
11. Wie kommt die Totenstarre zustande?
12. Unterscheiden Sie isotonische und isometrische Kontraktion.
13. Wie kommt eine Dauerkontraktion (Tetanus) zustande?
14. Was bedeutet, der Muskel geht eine Sauerstoffschuld ein?
15. Nennen Sie die Hauptaufgaben der Wirbelsule.
16. Nehmen Sie eine Gliederung der menschlichen Wirbelsule vor.
17. Beschreiben Sie die physiologischen Krmmungen der Wirbelsule. Welche Bedeutung
haben sie?
18. Welche Aufgaben erfllen die Rckenmuskeln?
19. Fertigen Sie eine Skizze von einem Brust- oder Lendenwirbel an und beschriften Sie diese.
20. Wo liegen die Bandscheiben und welche Funktion erfllen sie?
21. Welche Aufgaben hat der Brustkorb? Beschreiben Sie, wie er in seinem Bau diesen Auf-
gaben gerecht wird.
22. Beschreiben Sie den Aufbau des Schultergrtels.
23. Beschreiben Sie Bau und Funktion folgender Gelenke:
a) Schultergelenk,
b) Ellenbogengelenk,
c) proximales Handgelenk.
136 5 Sttz- und Bewegungssystem

Fragen zur Wiederholung

24. Nehmen Sie eine Gliederung des Armes vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen zu.
25. Fhren Sie mit Ihrem Arm folgende Bewegungen aus, und benennen Sie die beteiligten
Muskeln:
a) Flexion und Extension.
b) Abduktion und Adduktion.
26. Begrnden Sie, warum das Schultergelenk relativ hufig auskugelt.
27. Welche Gebilde befinden sich
a) in der Achselhhle,
b) in der Ellenbeuge?
28. Skizzieren Sie mit Hilfe von Strichen (= Knochen) und kleinen Kreisen (= Gelenke) ein
Schema vom Handskelett.
29. Begrnden Sie die Sonderstellung des Daumens.
30. Nennen Sie die Aufgaben des Beckengrtels.
31. Beschreiben Sie den Aufbau des Beckens als Ganzes.
Unterscheiden Sie mnnliches und weibliches Becken.
32. Nehmen Sie eine Gliederung des Beines vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen
zu.
33. Vergleichen Sie den Aufbau von Arm- und Beinskelett. Formulieren Sie eine Schluss-
folgerung.
34. Beschreiben Sie Bau und Funktion
a) des Hftgelenkes,
b) des Kniegelenkes,
c) des oberen Sprunggelenkes.
35. Wo befinden sich
a) Schenkelhals,
b) Malleolengabel?
36. Erkunden Sie am eigenen Arm und Bein die Lage und die Funktion von
a) Flexoren und Extensoren,
b) Abduktoren und Adduktoren.
37. Wo befindet sich die Achillessehne, und welche Aufgabe hat sie?
38. Prgen Sie sich genau die Stellen fr intramuskulre Injektionen ein und beschreiben Sie,
wie man diese lokalisiert.
39. Unterscheiden Sie Kopf und Schdel.
40. Beschreiben Sie den Aufbau des Hirnschdels.
41. Unterscheiden Sie Nhte und Fontanellen. Nennen Sie deren Aufgaben.
42. Beschreiben Sie den Aufbau des Gesichtsschdels.
43. In welchen Schdelknochen befinden sich Nasennebenhhlen, und wie heien diese?
44. Welche mimischen Muskeln kennen Sie?
Welche Bedeutung haben die mimischen Muskeln fr die Krankenbeobachtung?
45. Erkunden Sie an sich selbst die in diesem Kapitel genannten tastbaren Knochenpunkte.
137

6 Leibeswand und Beckenboden

Als Leibeswand wird die Begrenzung der Brust-, 6.2 Bauchwand


Bauch- und Beckenhhle bezeichnet. Im Einzel-
nen werden besprochen: Die Bauchwand umschliet Bauch- und Becken-
Brustwand, Bauchwand, hhle. Man unterscheidet vordere-seitliche, hin-
Leistenregion, Beckenboden. tere, obere und untere Bauchwand.

Vordere-seitliche Bauchwand
6.1 Brustwand Die vordere und seitliche Bauchwand wird in
neun Regionen unterteilt ( Abb. 7.4, S. 146).
Die Brustwand umschliet die Brusthhle als Sie besteht aus drei Schichten:
eine steife Wand. Dies ist die Voraussetzung fr oberflchliche Schicht; Cutis und Subcutis,
den rhythmischen Wechsel von Unterdruck (zur mittlere Schicht; 4 paarige Bauchmuskeln und
Einatmung) und berdruck (zur Ausatmung) in ihre Aponeurosen (breite, flache Sehnen),
der Brusthhle. Die Skelettelemente sind in innere Schicht; Fascia transversalis1) und
Abschnitt 5.3.2, S. 109 ff. beschrieben. Bauchfell.
Zu den 4 paarigen Bauchmuskeln zhlen der
Muskeln gerade Bauchmuskel (M. rectus abdominis), der
Zwischen den Rippen, also im Bereich der Zwi- uere schrge Bauchmuskel (M. obliquus exter-
schenrippenrume (Interkostalrume), liegen die nus abdominis), der innere schrge Bauchmuskel
ueren (Musculi intercostales externi) und die (M. obliquus internus abdominis) und der quere
inneren Zwischenrippenmuskeln (Musculi inter- Bauchmuskel (M. transversus abdominis).
costales interni). Sie haben die Aufgabe, bei der
Ein- und Ausatmung die Rippen zu heben bzw. 1) Faszie zwischen der Innenflche der Bauchwand und dem
zu senken. Bauchfell

Kopfwendemuskel
(M. sternocleidomastoideus)
kleiner
Brustmuskel
(M. pectoralis minor)

Brustbein
(Sternum) groer
Brustmuskel
(M. pectoralis major)
uere
Zwischenrippen-
muskeln vorderer
(Mm. intercostales Sgemuskel
externi) (M. serratus anterior)

innere
Zwischenrippen-
muskeln
(Mm. intercostales
interni)

Abb. 6.1 Brustwand.


138 6 Leibeswand und Beckenboden

Rektusscheide Aufgaben
Die Aponeurosen der queren und schrgen Begrenzung der Bauchhhle und Anpassung
Bauchmuskeln bilden fr die geraden Bauch- an unterschiedliche Volumina der Bauchorgane,
muskeln eine Fhrungs- und Gleithlle, die Rek- Bauchpresse zur Druckerhhung bei Stuhl-
tusscheide genannt wird. gang, Husten, Entbindung,
Ausatemhilfsmuskel,
Rumpfhaltung und -bewegung,
Anheben des Beckens Schutz der Bauchorgane.


P Bauchdeckenreflexe sind wich-
tige Schutzreflexe.
gerade
Bauchmuskeln Hintere Bauchwand
Die hintere Bauchwand wird ge-
bildet von der Lendenwirbelsule,
Rumpfdrehen dem ueren schrgen Bauchmus-
kel (M. obliquus externus abdomi-
schrge nis), dem viereckigen Lendenmuskel
Bauchmuskeln
(M. quadratus lumborum), der tie-
fen Rckenmuskulatur (M. erector
Vorneigen
spinae) und dem unteren Teil des
breiten Rckenmuskels (M. latissi-
mus dorsi) ( Abb. 5.29, S. 116).

Obere Bauchwand
gerade Bauchmuskeln Die obere Bauchwand ist das
Abb. 6.2 Funktionen der Bauchmuskeln. Zwerchfell (Diaphragma), das sich
kuppelfrmig zwischen Brustbein,
den unteren sechs Rippen und der
Lendenwirbelsule erstreckt. Es
trennt die Brust- von der Bauch-
gerader hhle ( S. 143).
Bauchmuskel
(M. rectus abdominis) Untere Bauchwand
querer Der Beckenboden ist die untere Be-
Bauchmuskel
(M. transversus grenzung des Bauchraumes. Die
abdominis) straffen Muskeln des Beckenbodens
innerer schrger halten die Eingeweide ( Kap. 6.4).
Bauchmuskel
(M. obliquus internus
abdominis)
uerer schrger
6.3 Leistenregion
Bauchmuskel (Regio inguinalis)
(M. obliquus externus
abdominis) Die Leistenregion ( Abb. 6.5, S.
Leistenband 140) befindet sich im Winkel zwi-
(Lig. inguinale)
schen geradem Bauchmuskel und
Leistenband. Zu ihr gehren das
Leistenband (Lig. inguinale), der
Leistenkanal (Canalis inguinalis)
Muskeln der vorderen und seitlichen und zwei Lcken in der Bauchwand
Abb. 6.3 Bauchwand und Leistenregion. (Lacuna vasorum und muscu-
lorum).
6.3 Leistenregion 139

Leistenband (Ligamentum inguinale)


Das Leistenband erstreckt sich vom
vorderen oberen Darmbeinstachel
(Spina iliaca anterior superior) zum gerade
Schambeinhcker (Tuberculum pu- Bauchmuskeln
bicum) neben der Symphyse (
Abb. 5.32, S. 119). uere schrge
Es begrenzt somit die Leisten- Bauchmuskeln
gegend gegen den Oberschenkel
und bietet eine zustzliche Ansatz- innere schrge
Bauchmuskeln
stelle fr die Bauchmuskeln.

Leistenkanal (Canalis inguinalis) quere


Bauchmuskeln
Die beiden ca. 4 cm langen Leisten-
kanle sind schrge Durchtritt- weie Linie
stellen in der Bauchwand. (Linea alba)

Funktion
Beim Mann verlagert sich kurz vor
der Geburt der Hoden aus der
Bauchhhle durch den Leistenkanal
in den Hodensack (Descensus
testis). Die geringere Temperatur
auerhalb des Krpers ist fr die Schematischer Verlauf der Bauchmuskeln. Abb. 6.4
sptere Funktionsaufnahme eine
unabdingbare Voraussetzung.
Im mnnlichen Leistenkanal befindet sich der Schwachstellen der Bauchwand
Samenstrang mit Samenleiter, Hodengefen Besonders empfindlich ist die Bauchwand in der
und -nerven. Leistengegend oberhalb und unterhalb des Leis-
Der weibliche Leistenkanal enthlt das runde tenbandes, in der Nabelregion und den Zwerch-
Mutterband mit Gefen, welches vom Uterus fellffnungen ( S. 143).
kommend durch den Leistenkanal zu den groen
Schamlippen zieht.
P An den Schwachstellen der Bauchwand
knnen Brche (= Hernien) entstehen. Unter
Lacuna vasorum und musculorum einem Bruch versteht man den Vorfall von
Beide Lcken (oder Fcher) befinden sich Eingeweideteilen, wie Darm, Harnblase, Netz,
unterhalb des Leistenbandes. Ovarien (= Bruchinhalt), in eine Vorbuchtung
Lacuna vasorum: liegt medial, Durchtritt von des Peritoneum parietale (= Bruchsack) durch
A. und V. femoralis, Lymphgefen und Nerven. eine Lcke der Bauchwand (= Bruchpforte). Das
Lacuna musculorum: liegt lateral, Durchtritt Peritoneum wird noch von der Haut (= Bruch-
des Hftlendenmuskels (M. iliopsoas), N. femo- hlle) umgeben.
ralis und N. cutaneus femoris lateralis. Hernien knnen angeboren oder erworben sein.
Von den vielfltigen Formen der Hernien sind
P Bei fehlender (= Bauchhhlenhoden) oder die Leistenhernien mit ca. 75 % die hufigsten.
unvollstndiger (= Leistenhoden) Hodenwan- Hier tritt der Bruchsack mit Bruchinhalt durch
derung in den Hodensack muss dies bis zum den Leistenkanal und kann bis zum Hoden rei-
2. Lebensjahr medikaments oder operativ chen.
behandelt werden. Die angeborene Leistenhernie tritt bei Jungen
Wird das unterlassen, kann spter die Spermio- achtmal hufiger als bei Mdchen auf.
genese (Entwicklung der Samenzellen) gestrt
sein, und es besteht ein erhhtes Krebsrisiko.
140 6 Leibeswand und Beckenboden

uerer schrger
Bauchmuskel
(M. obliquus externus viereckiger
abdominis) Lendenmuskel
(M. quadratus
lumborum)

uerer Leistenring
(Anulus inguinalis super-
ficialis)
Darmbeinmuskel
(M. iliacus)
= uere ffnung
des Leistenkanals
Leistenband
Samenstrang (Lig. inguinale)
(Funiculus spermaticus)
Oberschenkelarterie Oberschenkelnerv
(A. femoralis)
(N. femoralis)
Oberschenkelvene
(V. femoralis)
Hftnerv
(N. obturatorius)

Oberschenkelvene
(V. femoralis)

Oberschenkelarterie
(A. femoralis)
Leistenband
(Lig. inguinale)
Muskelfach unter
dem Leistenband innerer
(Lacuna musculorum) Leistenring
(Anulus inguinalis pro-
Geffach unter fundus)
dem Leistenband = innere ffnung
(Lacuna vasorum) des Leistenkanals

Samenstrang
(Funiculus spermaticus)

Abb. 6.5 uere und innere Leistenregion beim Mann.

6.4 Beckenboden Eine 1 cm dicke Bindegewebs-Muskelplatte


(Diaphragma urogenitale) zwischen den Scham-
Das Zwerchfell begrenzt den Bauchraum nach beinsten, gebildet von den queren Damm-
oben, und der Beckenboden schliet ihn nach muskeln und dem Harnrhrenschliemuskel;
unten ab. Dieser besteht aus den Dammmuskeln eine innere nach unten gewlbte trichter-
(Mm. perinei) und den dazugehrigen Fascien, frmige Muskelplatte (Diaphragma pelvis) des
die zwei Muskelplatten bilden: Beckenausgangs, gebildet vom Afterheber
6.4 Beckenboden 141

(M. levator ani) und u-


eren Afterschliemuskel. Kitzler uere
(Clitoris) Harnrhrenffnung
(Ostium urethrae
Merke externum)
Scheide
Durch den Beckenboden (Vagina)
treten von vorn nach hin- Dammmuskeln
ten die folgenden Organe. (M. transversus perinei)
Bei der Frau: Damm
(Perineum)
Harnrhre, Scheide und
Mastdarm. After
(Anus)
Beim Mann: Afterheber
Harnrhre und Mastdarm. (M. levator ani)
uerer
willkrlicher
Damm (Perineum) Afterschliemuskel
Als Damm wird die Gegend (M. sphincter
zwischen den ueren Genital- ani externus)
organen und dem After groer
(Anus) bezeichnet. Er liegt Gesmuskel
(M. glutaeus maximus)
bei der Frau als schmaler
Hautbereich zwischen Scheide Beckenboden der Frau. Abb. 6.6
(Vagina) und Anus und beim
Mann als viel breiterer Be-
reich zwischen dem dorsalen
Ansatz des Hodensackes
(Scrotum) und dem Anus.
Penis

P Auf den Damm wirken Hodensack


whrend der Geburt starke (Scrotum)
Krfte, sodass es zu Ver- Dammmuskeln
letzungen vor allem des (Mm. transversus perinei)

Afterhebers (M. levator ani) Damm


(Perineum)
kommen kann und spter zu uerer willkrlicher
Beckenbodenschwche mit Afterschliemuskel
den mglichen Folgen eines (M. sphincter ani externus)
Gebrmutter- oder Mast- After
darmvorfalls (Prolapsus (Anus)

uteri, Prolapsus recti). Um Afterheber


(M. levator ani)
dem vorzubeugen, wird bei groer
Erstgebrenden und Frh- Gesmuskel
geburten bei Bedarf ein (M. glutaeus maximus)
Dammschnitt (= Episio-
tomie) durchgefhrt. Beckenboden des Mannes. Abb. 6.7
Aufgaben der
Beckenbodenmuskeln
Schlieen den Beckenbodenraum ab und Beckenraum.
tragen die inneren Organe. Wirken beim Verschluss von Harnrhre und
Wirken bei der Bauchpresse und beim Husten After mit. Teile der Beckenbodenmuskulatur
mit. bilden die ueren willkrlichen Schliemus-
Sind Teil des Geburtskanals. keln von Harnrhre und After.
Sichern die Lage der Beckenorgane im Wirken bei der Verengung der Scheide mit.
142 6 Leibeswand und Beckenboden

Fragen zur Wiederholung

1. Beschreiben Sie den Aufbau der Brustwand.


2. Benennen Sie die wichtigsten Brustmuskeln (mithilfe der Abbildung 6.1, S. 137) und er
klren Sie ihre Aufgaben.
3. Welche Bauchwandabschnitte sind zu unterscheiden, und woraus bestehen sie?
4. Nennen Sie in der richtigen Reihenfolge die Schichten der vorderen Bauchwand.
5. Bestimmen Sie in den Abbildungen 69/S. 102, 6.3/S. 140 und 6.5/S. 142 die Bauch-
muskeln und nennen Sie ihre Aufgaben.
6. Was verstehen Sie unter Rektusscheide? Begrnden Sie ihre Notwendigkeit.
7. Was gehrt zur Leistenregion?
8. Wo verlaufen
a) Leistenband und
b) Leistenkanal?
9. Was befindet sich
a) im mnnlichen und
b) im weiblichen Leistenkanal?
10. Was bedeutet Descensus testis?
11. Nennen Sie Schwachstellen der Bauchwand und bestimmen Sie diese in der Abb. 6.3,
S. 138 bzw. 6.5, S. 140.
12. Beschreiben Sie den Aufbau des Beckenbodens.
Welche Organe treten in welcher Reihenfolge hindurch?
13. Was versteht man unter dem Damm? Beschreiben Sie seine Lage.
14. Nennen und vergleichen Sie die Funktionen von Zwischenrippen-, Bauch-, Rcken- und
Beckenbodenmuskeln.
143

7 Die groen Krperhhlen

Der von der Leibeswand umschlossene Innen- 7.1 Brusthhle (Cavitas thoracis)
raum ist die Leibeshhle. Diese wird durch das
Zwerchfell scharf in Brust- und Bauchhhle Die Brusthhle liegt innerhalb des Brustkorbes
getrennt. Im Allgemeinen ist es jedoch blich, und beherbergt die Brustorgane. Sie wird von
von drei groen Krperhhlen zu sprechen: auen wie folgt begrenzt:
der Brusthhle, vorn: Brustbein, Rippen,
der Bauchhhle und seitlich: Rippen,
der Beckenhhle (kleines Becken). hinten: Rippen und Brustwirbelsule,
Zwischen Bauch- und Beckenhhle gibt es keine unten: Zwerchfell,
scharfe Grenze. Letztere ist anatomisch gesehen oben: obere Thoraxffnung.
ein Teil der Bauchhhle.
Gliederung und Lage der Brustorgane
Zwerchfell (Diaphragma, Abb. 11.12, S. 223) Die Brusthhle wird durch einen Bindegewebs-
Das Zwerchfell trennt als doppelkupplige mus- raum, Mediastinum (Mittelfellraum), in die rech-
kuls-sehnige Platte die Brusthhle von der te und linke Pleura unterteilt. Jede Pleura enthlt
Bauchhhle. Es gliedert sich in einen sehnigen eine Lunge ( S. 223). Im Mediastinum liegt als
Teil (Centrum tendineum) und in drei muskul- 3. Hhle der Herzbeutel (Perikard) mit dem
se Teile (Brustbein-, Rippen- und Lendenteil). Herzen.
Der sehnige Teil liegt zentral und bildet die rech-
te etwas hher stehende und linke Zwerchfell- Mittelfellraum (Mediastinum)
kuppel mit dem dazwischen liegenden Herzsat- Das Mediastinum ist der mittlere Brustraum. Es
tel. Alles zusammen bildet den horizontalen Teil erstreckt sich vom Sternum bis zu den Brust-
des Zwerchfelles. wirbelkrpern und wird seitlich von den Pleu-
rahhlen begrenzt. Caudal endet es am Zwerch-
Die Zwerchfellmuskeln entspringen peripher an fell und cranial geht es ohne scharfe Grenze in
der Innenflche des Schwertfortsatzes und der den Bindegewebsraum des Halses ber.
7. 12. Rippe sowie am 1. 3. Lendenwirbel
und verlaufen nach oben zum Centrum tendine- Merke
um. Dadurch stlpt sich das Zwerchfell weit in Das Mediastinum ist in erster Linie eine
den Brustraum hinein, und die ihm anliegenden Durchgangsregion fr die Luft- und Speise-
Bauchorgane (Leber, Magen, Milz, Nebennieren, rhre sowie Nerven, Blut- und Lymphgefe.
Nieren) mssen den Auf- und Abbewegungen Es enthlt 2 grere Organe: das Herz und
bei der Atmung folgen. Folgende Durchtritt- den Thymus (bildet sich nach der Pubertt
stellen sind wichtig ( Abb. 12.7, S. 240): zum thymischen Fettkrper zurck).
Aortenschlitz (Hiatus aorticus) im Lenden-
teil fr die Aorta und den Milchbrustgang
(Ductus thoracicus), Gliederung und Organe
Speiserhrenffnung (Hiatus oesophageus) Das Mediastinum gliedert man in:
im Lendenteil fr Speiserhre und Vagus- Oberes Mediastinum zwischen Luftrhren-
nerven, gabel (Bifurcatio tracheae) und Hals.
Hohlvenenffnung (Foramen venae cavae) Organe:
im Centrum tendineum fr die V. cava inferior. Thymus,
groe Venen (V. cava superior, Vv. brachio-

P Bei Zwerchfellbrchen (Hiatushernien) tre- cephalicae),


ten Magen- und Darmteile in den Brustraum. groe Arterien (Truncus pulmonalis, Aorten-
bogen mit seinen Abgngen),
144 7 Die groen Krperhhlen

Vagusnerven, Zwischen dem Peritoneum parietale und viscera-


Endabschnitt der Luftrhre, le knnen sich die Organe verschieben.
Lymphknoten,
Teil der Speiserhre.
P Entzndungen des Bauchfells (Peritonitis)
Unteres Mediastinum zwischen Bifucatio sind sehr schmerzhaft, weil sie die Gleitfunk-
tracheae und Zwerchfell. Es wird weiter unter- tion beeintrchtigen.
teilt in
vorderes Mediastinum: zwischen Brustbein und
Herzbeutel (= schmaler bindegewebiger Spalt), Um die einzelnen Organe verschiebbar mitein-
mittleres Mediastinum: es enthlt das Herz mit ander zu verbinden und zu fixieren, bildet das
dem Herzbeutel sowie den Zwerchfellnerv Bauchfell Falten, Taschen, Nischen und Auf-
(N. phrenicus), hngebnder.
hinteres Mediastinum: es enthlt die Speise-
rhre und zahlreiche Leitungsbahnen (u. a. 1. Bauchfellduplikaturen
Vagusnerven, Brustaorta, Brustlymphgang). Das sind dnne Bindegewebsplatten mit Blut-
gefen, die mit Bauchfell berzogen sind. Sie
verbinden Leber, Magen, Milz und quer verlau-
7.2 Bauchhhle fenden Dickdarm untereinander und mit der
(Cavitas abdominalis) Bauchwand.
Das kleine Netz (Omentum minus) verbindet
Als Bauchhhle wird der Hohlraum bezeichnet, Magen, Duodenum und Leberpforte.
in dem sich die Bauch- und Beckenorgane be- Das groe Netz (Omentum majus) ist am quer
finden. verlaufenden Dickdarm und der groen
Sie wird folgendermaen begrenzt: Magenkrmmung befestigt und bedeckt
vorn: vordere Bauchwand, Rippenbgen, schrzenartig die im Unterbauch liegenden
seitlich: seitliche Bauchwand, Rippenbgen, Darmabschnitte. Es erfllt Abwehr-, Resorp-
Darmbeinschaufeln, tions- und Speicherfunktion.
hinten: Lendenwirbelsule, hintere Bauch-
wand,
unten: Beckeneingangsebene (keine schar-
fe Grenze), Magen
oben: Zwerchfell. (Gaster)
kleines Netz
(Omentum minus)
Die Bauchhhle ragt weit in den knchernen
Thorax hinein, sodass die Leber unter dem rech- Leber
(Hepar)
ten und der Magen unter dem linken Rippen- Zwlffingerdarm
bogen liegen. (Duodenum)

7.2.1 Bauchfell (Peritoneum, Abb. 7.3)


Teil des
Das Bauchfell mit einer Gesamtoberflche von Mesenteriums mit
ca. 1,6 m2 bildet die innere Begrenzung der Blutgefen und
Bauchhhle. Als serse Hhle ( S. 86) gliedert Lymphknoten
sie sich in: Dnndarm
wandstndiges Bauchfell (Peritoneum parieta- (Intestinum tenue)
le), welches Bauch- und Beckenwand sowie Lymphknoten
die Unterseite des Zwerchfelles bedeckt;
eingeweideseitiges Bauchfell (Peritoneum
viscerale), welches einen groen Teil der Kleines Netz (Omentum minus),
Bauch- und Beckenorgane umhllt. von dorsal. Abb. 7.1
7.2 Bauchhhle (Cavitas abdominalis) 145

2. Bauchfelltaschen
Zu den Bauchfelltaschen gehren groes Netz
der Netzbeutel (Bursa omenta- (nach oben gelegt)
lis) hinter Magen und kleinem quer verlaufender
Netz; einziger Zugang ist das Grimmdarm
(Colon transversum)
Foramen omentale unten rechts,
die Excavatio rectouterina absteigender
Grimmdarm
(= Douglasscher Raum) als der (Colon descendens)
tiefste Punkt des Bauchfells Dnndarmgekrse
zwischen Mastdarm und Ge- (Mesenterium)
brmutter bei der Frau, Dnndarm
(Intestinum tenue)
die Excavatio vesicouterina
s-frmiger
zwischen Gebrmutter und Grimmdarm
Harnblase (Frau), (Colon sigmoideum)
die Excavatio rectovesicalis
zwischen Mastdarm und Harn-
blase (Mann).
Dnndarmgekrse (Mesenterium). Abb. 7.2

P In den Bauchfelltaschen
kann sich bei Entzndungen
und inneren Blutungen Eiter
bzw. Blut ansammeln (z. B. Leber Zwerchfell
(Hepar) (Diaphragma)
bei Douglas-Abszessen).
kleines Netz
3. Gekrse (Omentum minus)
Gekrse sind Bauchfellduplika- Netzbeutel
turen, die durch das Umschlagen (Bursa omentalis)
des Peritoneum parietale von der Bauchspeicheldrse
(Pankreas)
Krperhhlenwand auf das Organ
Magen
entstehen. Sie werden mit Mes (Gaster)
plus dem Fachnamen des Organs Gekrsewurzel
bezeichnet, z. B. (Radix mesenterii)
Magen: Mesogastricum, quer verlaufender
Dickdarm: Mesocolon, Grimmdarm
(Colon transversum)
Dnndarm: Mesenterium,
Peritoneum
Eileiter: Mesosalpinx. parietale
Dnndarmgekrse
Merke (Mesenterium)
Die Gekrse haben 2 Haupt- groes Netz
(Omentum majus)
aufgaben:
Sie enthalten die Blut- und Gebrmutter
(Uterus)
Lymphgefe sowie vege- Douglasscher
tative Nerven zur Versor- Raum
gung des Organs. (Excavatio rectouterina)
Sie dienen der Fixierung Harnblase
bzw. Aufhngung der sack- (Vesica urinaria)
artig umhllten Organe. Excavatio Scheide Mastdarm
vesicouterina (Vagina) (Rektum)

Medianschnitt durch den weiblichen Bauchraum


mit Verlauf des Bauchfells (grn). Abb. 7.3
146 7 Die groen Krperhhlen

7.2.2 Lage der Bauchorgane Extraperitoneale Lage


Die Organe haben keine Beziehung zum Perito-
Die Lage der Bauchorgane lsst sich einerseits neum.
durch ihre Beziehung zum Peritoneum und ande- Beispiele:
rerseits aus rumlichen Gesichtspunkten be- Vorsteherdrse, Samenblasen.
schreiben.
Nach rumlichen Gesichtspunkten wird die
Je nachdem, ob das Organ innerhalb oder auer- Bauchhhle durch den quer verlaufenden Dick-
halb des Peritoneums liegt, unterscheidet man: darm in Ober- oder Drsenbauch und Unter-
oder Darmbauch gegliedert.
Intraperitoneale Lage
Die Organe sind vom Peritoneum bis auf ihre Der Raum zwischen Peritoneum parietale und
Mesos umhllt und somit gut gegeneinander hinterer Bauchwand wird als Retroperitoneal-
verschiebbar. raum bezeichnet. Die Beckenhhle liegt als
Beispiel: Teil der Bauchhhle unterhalb der Beckenein-
Leber, Magen, Milz, Darm (ausgenommen: gangsebene und erstreckt sich bis zum Becken-
Duodenum, Colon ascendens und descendens, ausgang.
Rektum), Uteruskrper, Eileiter und Eierstcke.
Oberbauch (= Drsenbauch)
Retroperitoneale Lage Die Oberbauchorgane liegen oberhalb des quer
Die Organe sind nur auf einer Seite vom Perito- verlaufenden Dickdarms ( Tab. 7.1).
neum bedeckt, d. h., sie liegen zwischen Perito-
neum und hinterer Bauchwand im Retroperito- Unterbauch (= Darmbauch)
nealraum. Die Organe des Unterbauches liegen unterhalb
Beispiele: des quer verlaufenden Dickdarms. Zu ihnen
Nieren, Harnblase, Bauchspeicheldrse, Duo- gehren der Leerdarm (Jejunum), der Krumm-
denum, Colon ascendens und descendens. darm (Ileum) und der grte Teil des Dickdarmes.

linke
Rippenbogenregion
(Regio hypochondriaca sinistra)
rechte Magengrube
Rippenbogenregion (Regio epigastrica)
(Regio hypochondriaca dextra)
linke Lendenregion
(Regio lateralis sinistra)
rechte Lendenregion
(Regio lateralis dextra) Nabel
(Umbilicus)
Nabelregion
(Regio umbilicalis)
linke Leisten- oder
rechte Leisten- oder Darmbeinregion
Darmbeinregion (Regio inguinalis sinistra)
(Regio inguinalis dextra)
Schambeinregion
(Regio pubica)

Abb. 7.4 Regionen der vorderen und seitlichen Bauchwand.


7.2 Bauchhhle (Cavitas abdominalis) 147

Lage der Bauchorgane. Tab. 7.1


Oberbauchorgane Lage
Magen (Ventriculus, Gaster) 3/4 unter dem linken Rippenbogen,
1/4 in der Magengrube (Regio epigastrica)
Zwlffingerdarm (Duodenum) oberhalb der Nabelgegend
Bauchspeicheldrse (Pankreas) zwischen Magen- und Nabelgegend
Milz (Lien) linke Rippenbogengegend (durch Magen und Darm verdeckt)
Leber (Hepar) rechte Rippenbogengegend (rechter Lappen) und
in der Magengrube (linker Lappen)

P Unter einem akuten Bauch, wie er in der


Klinik genannt wird, werden akute und oft
Leber
lebensbedrohliche Erkrankungen der Bauch- (Hepar)
hhle verstanden, die umgehend rztliches Magen
Eingreifen erfordern. Als Ursachen kommen (Gaster)
z. B. infrage: Darmverschluss (Ileus), Blutun-
Grimmdarm
gen, Organperforationen und Infektionen. (Colon)
Leerdarm
Typische Leitsymptome sind (Jejunum)
harte Bauchdecke,
starke Schmerzen,
belkeit, Erbrechen, Krummdarm
evtl. Fieber. (Ileum)

Retroperitonealraum
Der Retroperitonealraum liegt zwischen Perito-
neum parietale und hinterer Bauchwand. Nach
caudal reicht er bis zum Beckeneingang. Er ist Intraperitoneale Organe. Abb. 7.5
wie das Mediastinum, die seitliche Halsgegend
und die Achselhhlen eine wichtige Durchgangs-
und Verteilungsregion fr Gefe und Nerven.
Bauch-
Seine Begrenzungen sind speicheldrse
(Pankreas)
vorn: Peritoneum parietale, Niere
hinten: hintere Bauchwand, (Ren)
oben: Zwerchfell, Zwlffinger-
unten: Beckeneingang. darm
(Duodenum)

Organe untere
Hohlvene
Der Retroperitonealraum beherbergt folgende (V. cava inferior)
Organe: Bauchaorta
Nieren (Renes) zwischen 12. Brust- und 3. Len- (Pars abdominalis
denwirbel beidseits der Lendenwirbelsule; aortae)

Harnleiter (Ureter) links und rechts der Len- Harnleiter


(Ureter)
denwirbelsule; Harnblase
Nebennieren (Glandulae suprarenales) auf den (Vesica urinaria)
oberen Nierenpolen;
Bauchaorta (Pars abdominalis aortae) links Organe im Retroperitonealraum. Abb. 7.6
von der Lendenwirbelsule;
148 7 Die groen Krperhhlen

untere Hohlvene (V. cava inferior) rechts der 7.3 Beckenhhle


Lendenwirbelsule;
Lymphstmme beidseits der Bauchaorta; Der Raum im kleinen Becken wird als Becken-
Lymphknotengruppen lngs der groen Ge- hhle bezeichnet. Sie liegt zwischen Beckenein-
fe und gangsebene und Beckenboden.
Nervengeflechte vom Hiatus aortae bis zur
Aortengabel. Begrenzung
seitlich und vorn: Hftbeine,
Merke hinten: Kreuz- und Steibein,
Retroperitonealraum und Mediastinum sind unten: Beckenboden,
wichtige Durchgangs- und Verzweigungs- oben: Beckeneingangsebene.
regionen fr Gefe und Nerven.
Organe (= Beckenorgane)
Mann/Frau: Harnblase (hinter Symphyse), Mast-
darm (vor Kreuz- und Steibein),
Frau: Eierstcke, Eileiter, Gebrmutter,
Scheide,
Mann: Samenleiter, Samenblasen, Vor-
steherdrse.

Fragen zur Wiederholung

1. Welche Krperhhlen werden von der Leibeswand umschlossen?


2. Wie heit die Grenze zwischen Brust- und Bauchhhle?
3. Wie wird die Brusthhle begrenzt?
4. Nehmen Sie eine Gliederung der Brusthhle vor, und ordnen Sie die entsprechenden
Organe zu.
5. Was verstehen Sie unter dem Mediastinum? Wie wird es gegliedert?
6. Wie wird die Bauchhhle begrenzt?
7. Beschreiben Sie Bau, Verlauf und Aufgaben des Bauchfells.
Nennen Sie die wichtigen Bildungen des Bauchfells und deren Bedeutung.
8. Wo befindet sich der Douglassche Raum und welche Bedeutung hat er?
9. Was verstehen Sie unter dem Mesenterium?
10. Was ist der Retroperitonealraum?
Wo liegt er?
11. Nennen und erlutern Sie die Lagebeziehung der Organe zum Bauchfell.
12. Wie wird die Beckenhhle begrenzt?
13. Nehmen Sie eine Gliederung in Oberbauch-, Unterbauch- und Beckenorgane vor.
14. Auf welche Regionen der vorderen Bauchwand projizieren sich die Bauch- und Becken-
organe? Fertigen Sie eine Skizze an.
149

8 Hals (Collum)

Der Hals (Collum) verbindet den Kopf mit dem Trapezmuskel (M. trapezius) als oberflchli-
Rumpf. Er gewhrleistet die relativ freie Be- cher Halsmuskel.
weglichkeit des Kopfes als eine wichtige Vor-
aussetzung fr die Orientierung im Raum. Unter dem M. trapezius liegt eine Vielzahl tiefer
Halsmuskeln, die teilweise auf den Kopf bzw.
Rumpf bergehen.
8.1 Bau ( Abb. 8.1) Speise- und Luftrhre bilden die Grenze zwi-
schen vorderen und hinteren Halsmuskeln. Zu
Der Hals besteht aus der dorsal gelegenen, sehr den vorderen Halsmuskeln zhlen z. B. der
gut beweglichen Halswirbelsule, den Hals- flchige Hautmuskel (Platysma), der Kopfwen-
muskeln, den Halseingeweiden mit Luftrhre demuskel (M. sternocleidomastoideus) und der
( S. 219), Speiserhre ( S. 239), Rachen Schlsselbein-Zungenbein-Muskel (M. sterno-
( S. 214), Kehlkopf ( S. 216), Schilddrse hyoideus). Zu den hinteren Halsmuskeln ge-
und Nebenschilddrsen ( S. 301) sowie den hren u. a. die Gruppe der Treppenmuskeln (Mm.
beiden Gef-Nerven-Strngen. scaleni), die auch als Atemhilfsmuskeln fungie-
ren, und der Trapezmuskel (M. trapezius).
Am Hals sind folgende Teile uerlich zu erken-
nen bzw. zu tasten: Die Halsmuskeln ermglichen
Vordere Halsgegend Hautbewegungen (Hauthalsmuskel),
Zungenbein (Os hyoideum) = Hals- und Kopfbewegungen
einziger Knochen ohne Verbindung mit einem (Kopfwender, Treppenmuskeln),
anderen Knochen, Kauen und Schlucken,
Drosselgrube (ber dem Manubrium sterni), Kehlkopfbewegungen.
Schildknorpel (Adamsapfel),
Ringknorpel,
Schilddrse, 8.2 Leitungsbahnen
Hauthalsmuskel (Platysma), eine breite, dnne
Muskelplatte, die die Gesichtshaut mit der 1. Arterien ( Abb. 9.28, S. 182)
oberen Brusthaut verbindet und die Haut des Vom Aortenbogen kommend durchqueren links
Halses spannt. und rechts zwei groe Arterien den Hals.
Die rechte und linke gemeinsame Halsarterie
Seitliche Halsgegend (A. carotis communis dextra und sinistra),
Halsschlagader-Dreieck (Trigonum caroticum) welche sich jeweils in eine innere und uere
Puls der A. carotis communis, Kopfarterie (A. carotis interna und externa)
Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoideus), teilen, und
uere Drosselvene (V. jugularis externa). die rechte und linke Schlsselbeinarterie
(A. subclavia dextra und sinistra).

P Die V. jugularis externa ist fr intravense Beachte: Hals- und Schlsselbeinarterie ent-
Injektionen gut geeignet. springen links getrennt aus dem Aortenbogen,
Alle Hautvenen stehen unter dem Sog des Brust- rechts mit einem gemeinsamen Stamm, dem
raumes, sodass bei ihrer ffnung die Gefahr Truncus brachiocephalicus.
der Luftembolie besteht. Die rechte und linke Wirbelarterie (A. vertebra-
lis) entspringen aus der rechten bzw. linken
Hintere Halsgegend (= Nackengegend) Schlsselbeinarterie, verlaufen in den Querfort-
Dornfortstze der Halswirbel, wichtig: satzlchern der Halswirbel und gelangen durch
C7 als Tastpunkt (Zhlwirbel S. 105), das groe Hinterhauptloch in die Schdelhhle.
150 8 Hals (Collum)


P Bei degenerativen Vernderungen der Hals- Merke
wirbelsule mit Einengung der Querfortsatz- Der Hals ist neben Achselhhle und Leisten-
lcher knnen infolge Minderdurchblutung gegend eine weitere wichtige Lymphknoten-
des Innenohres Gleichgewichts- (Schwindel) station.
und Hrstrungen auftreten.

Bei Schlag gegen den Hals oder berempfind- Die Halslymphknoten werden in oberflchliche
lichem Karotissinus1) kann es durch Reizung und tiefe unterteilt. Aus den tiefen Halslymph-
der Pressorezeptoren zu pltzlichem Blut- knoten gelangt die Lymphe rechts in den Ductus
druckabfall mit Ohnmachtsanfall (Synkopen) lymphaticus dexter und links in den Ductus
kommen. thoracicus.

In der Wand der A. carotis communis befinden 4. Nerven


sich zwei Stellen mit Sinneszellen. Fr Nerven ist der Hals ebenfalls Durchgangs-
Sinus caroticus (Karotissinus) mit Presso- und Verteilerregion. Sie bilden mit den Gefen
rezeptoren zur Blutdruckerfassung (= kleine den Gef-Nerven-Strang, bestehend aus
Erweiterung nahe der Teilungsstelle in A. caro- A. carotis communis, V. jugularis interna und
tis interna und externa). N. vagus.
Glomus caroticum mit Chemorezeptoren zur
Messung von pO2, pCO2, pH-Wert (Krper- Im Hals liegen:
chen im Teilungswinkel der A. carotis com- 4 Hirnnervenpaare (Hirnnerven IX bis XII,
munis). S. 356 357 und Abb. 17.20, S. 355),
Halsnervengeflecht ( S. 357),
2. Venen Armnervengeflecht ( S. 357),
Auer den Hautvenen durchziehen den Hals als Halssympathicus (liegt hinter dem Gef-
Begleitvenen der groen Arterien die V. subcla- Nerven-Strang; S. 365).
via und V. jugularis interna (gehrt zu den
strksten Venen des Menschen). Beide Venen
bilden die sog. Venenwinkel, in die die Lymph-
stmme einmnden ( Abb. 9.37, S. 189).


P V. subclavia und V. jugularis interna eignen
sich sehr gut fr intravense Infusionen (zent-
raler Venenkatheter), da es kaum Strmungs-
hindernisse gibt, der Weg zum Herzen nur kurz
und ein Katheter hier gut verschiebbar ist.

3. Lymphgefe und Lymphknoten ( Abb.


9.37, S. 189)
Im Hals treffen die Lymphbahnen von Kopf,
Hals und Rcken sowie der Arme und Brust-
wand zusammen. Deshalb sind der vordere und
seitliche Halsbereich regelrecht mit Lymph-
knoten durchsetzt.

1) Erweiterung der A. carotis communis an ihrer Teilungsstelle


8.2 Leitungsbahnen 151

Zungenbein
(Os hyoideum)
Hauthalsmuskel Schildknorpel
(Platysma)
Ringknorpel
linke gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis
Luftrhre sinistra)
(Trachea) mittlerer
rechte gemeinsame Treppenmuskel
Halsarterie (M. scalenus medius)
(A. carotis communis dextra) Armgeflecht
rechte Wirbelarterie (Plexus brachialis)
(A. vertebralis dextra) linke
innere Drosselvene Schlsselbeinarterie
(V. jugularis interna) (A. subclavia sinistra)

uere Drosselvene linke


(V. jugularis externa) Schlsselbeinvene
(V. subclavia)
rechte
Schlsselbeinvene vorderer
(V. subclavia) Treppenmuskel
(M. scalenus anterior)
obere Hohlvene
(V. cava superior) 1. Rippe
Arm-Kopf-Vene
(V. brachiocephalica)

zweibuchiger
Muskel
Griffel-Zungenbein- (M. digastricus)
muskel Trapezmuskel
(M. stylohyoideus) (M. trapezius)
Zungenbein hinterer
(Os hyoideum)
Treppenmuskel
Schlsselbein- (M. scalenus posterior)
Zungenbein-Muskel mittlerer
(M. sternohyoideus)
Treppenmuskel
Kopfwendemuskel (M. scalenus medius)
(M. sternocleidomastoideus)
vorderer
Gef- und Treppenmuskel
Nervenlcke (M. scalenus anterior)
(Hiatus scaleni)

Hals (Gefe, Muskeln). Abb. 8.1


152 8 Hals (Collum)

Fragen zur Wiederholung

1. Welche Teile sind am Hals uerlich zu erkennen?


Ertasten Sie diese an sich selbst.
2. Was gehrt zum Gef-Nerven-Strang des Halses?
3. Welche praktische Bedeutung haben V. jugularis externa und V. subclavia?
4. Was versteht man unter den Venenwinkeln?
5. Begrnden Sie, warum viele Bestandteile des Halses bergreifende Aufgaben haben.
6. Wo kann man den Puls zuverlssig tasten?
153

9 Kreislaufsystem

Das Herz-Kreislaufsystem, auch kardiovaskul- 9.2 Das Blut


res System genannt, ist als Einheit von drei
Systemen aufzufassen: dem Blut als Transport- Menge und Zusammensetzung
mittel, dem Herzen als Pumpe und den Gefen Das Blut ist ein flssiges Gewebe und besteht zu
(Arterien, Venen, Lymphgefe, Kapillaren) als ca. 45 % aus Blutkrperchen (= Blutzellen, ge-
Leitungsrhren bzw. Sttten des Stoffaus- formte Bestandteile) und zu ca. 55 % aus Blut-
tausches. plasma (= gelbliche, klare Flssigkeit).
Der Erwachsene besitzt 4 6 Liter Blut, das ent-
Merke spricht 6 8 Prozent der Krpermasse.
Durch das Kreislaufsystem werden alle
rote Blutzellen
Organe des Organismus miteinander ver- Blutzellen (45 %; (Erythrozyten)
bunden. Blutkrperchen, weie Blutzellen
feste Bestandteile) (Leukozyten)
Blut Blutplttchen
(Thrombozyten)
9.1 Aufgaben (berblick)
Blutplasma (55 %; Blutwasser
Das Kreislaufsystem hat folgende Funktionen: flssiger Plasmaeiweie
1. Transportfunktion Bestandteil) Plasmaelektrolyte
Versorgung der Zellen mit lebensnotwendi-
gen Stoffen (z. B. Sauerstoff, Kohlenhydrate,
Fette, Eiweie, Vitamine, Wasser, Mineralien),
Entsorgung der Zellen von Stoffwechsel- 9.2.1 Blutzellen (Blutkrperchen)
endprodukten (z. B. CO2, Harnstoff).
2. Koordinationsfunktion Blut enthlt beim Mann 46 % und bei der Frau
Transport von Botenstoffen (z. B. Hormonen) 41 % Blutkrperchen. Dieser Wert wird Hma-
vom Bildungs- zum Wirkungsort. tokrit (Hk) genannt (= Volumenanteil der Blut-
3. Temperaturregulation zellen am Gesamtblutvolumen).
Wrmetransport von den stoffwechselakti-
ven Organen (z. B. der Leber) zur Haut. 1 mm3 Blut des Gesunden enthlt:
4. Blutverteilung 4,5 5 Mio. rote Blutkrperchen
Bedarfsgerechte Verteilung des vorhande- (Erythrozyten),
nen Blutvolumens auf die einzelnen Kreislauf- 4.000 10.000 weie Blut-
abschnitte. krperchen (Leukozyten).
Davon sind
5. Vermittlung des Stoffaustausches ca. 67 % Granulozyten,
Vermittlung des Stoffaustausches zwischen ca. 27 % Lymphozyten,
Zelle und Umwelt und der damit verbundenen ca. 6 % Monozyten und
Homostase des inneren Milieus ( S. 28). 150.000 300.000 Blutplttchen
6. Schutzfunktion (Thrombozyten).
Blutstillung zur Vermeidung von Infektionen
und Blutverlusten. 5% 1%
7. Abwehrfunktion 94 %
Abwehr von Krankheitserregern.

Prozentualer Anteil der Blutzellen. Abb. 9.1


154 9 Kreislaufsystem

Bildung und Abbau


P Bei Anmien sind Erythrozytenzahl, Hmo-
Die Blutzellen werden im roten Knochenmark globinkonzentration und/oder Hmatokrit ver-
gebildet (beim Fetus zunchst in Milz, Leber, mindert.
Mesenchym und Knochenmark).
Aus den dort befindlichen Stammzellen ent-
wickeln sich ber verschiedene Zwischenstufen
die reifen Zellen, wie wir sie im strmenden Blut
vorfinden. Der Abbau erfolgt vor allem in der
Leber und Milz.
Draufsicht

Stammzellen der
Erythrozyten
Querschnitt
Stammzellen der
Granulozyten
Rote Blutzellen (Erythrozyten). Abb. 9.3
Retikulumzelle

Knochenmark- Die Lebensdauer der Erythrozyten betrgt 100


riesenzellen
(Megakaryozyten) Knochen- bis 120 Tage. Mit zunehmendem Alter nimmt
blkchen ihre Elastizitt ab. Sie werden dann in Leber,
Milz und Knochenmark abgebaut. In nur
1 Sekunde mssen 2.400 Erythrozyten neu
Abb. 9.2 Rotes Knochenmark. gebildet werden. Ihre Hauptfunktion ist der
Sauerstofftransport.

Weie Blutzellen (Leukozyten)


Rote Blutzellen (Erythrozyten) Die Leukozyten erfllen hauptschlich Abwehr-
Die roten Blutzellen sind bikonkave Scheiben aufgaben. Ihre Zahl im Blut wechselt in Abhn-
(d = 7,5 m), die von einer hauchdnnen Zell- gigkeit von der Tageszeit und dem Funktions-
membran begrenzt werden. Dadurch ist eine Ober- zustand des Organismus sehr stark.
flchenvergrerung und eine bessere Verform- Im Blut befinden sich ca. 5 % der Leukozyten,
barkeit gegeben. Durch die Verformung in den 95 % sind auf die brigen Gewebe verteilt. Ein
engen Kapillaren wird wiederum die O2-Abgabe groer Teil hlt sich im Knochenmark (ca. 33 %)
erleichtert. Es fehlen Zellkern und Zellorga- und in den lymphatischen Organen (Thymus,
nellen. Der Erwachsene besitzt etwa 30.000 Milz, Lymphknoten, Mandeln) auf.
Milliarden rote Blutzellen. Diese bestehen zu ca. Die kernhaltigen Leukozyten sind vielgestaltige
1/3 aus Hmoglobin (= roter Blutfarbstoff) zur Zellen. Ihre Lebensdauer betrgt wenige Stun-
reversiblen O2-Bindung, enthalten Enzyme, z. B. den (Granulozyten) bis Jahre (Lymphozyten;
Karboanhydrase, und sind Trger von Blut- auch Kap. 9.3.4, S. 158).
gruppensubstanzen (= hochmolekulare Verbin-
dungen aus Aminosuren und Kohlenhydraten).
Hmoglobingehalt des Blutes:
P Bei bestimmten Erkrankungen kommt es zu
Frauen: 7,45 10,1 mmol/l = 12 16 g/dl, einem deutlichen Anstieg (= Leukozytose)
Mnner: 8,70 11,2 mmol/l = 13 18 g/dl. bzw. einer Verminderung (= Leukopenie) der
Leukozyten. Das Differentialblutbild gibt
Wegen der fehlenden Zellorganellen knnen sich die Hufigkeit der einzelnen Leukozyten-
Erythrozyten nicht teilen und nur anaerob formen an. Das Verteilungsmuster lsst Rck-
Energie freisetzen. schlsse auf Diagnose und Verlauf von Krank-
heiten zu.
9.2 Das Blut 155

Leukozyten

Monozyten Granulozyten Lymphozyten

groer Lymphozyt
eosinophiler basophiler

neutrophiler

kleiner Lymphozyt
stabkerniger segment-
kerniger

Weies Blutbild. Abb. 9.4

Blutplttchen (Thrombozyten) endoplasmatisches Retikulum,


Die kernlosen Thrombozyten (d = 2 4 m) Serotoninspeichergranula und Enzyme zur
gehen aus dem Zytoplasma der Knochenmark- Blutstillung,
riesenzellen (Megakaryozyten) des roten Mikrotubuli zur Stabilisierung ihrer Form,
Knochenmarks hervor. Sie verbleiben 7 bis 14 Aktomyosinsystem zur Kontraktilitt und da-
Tage im Blut und werden dann meist in der Milz mit Haftung am Endothel.
abgebaut.
Die Thrombozyten enthalten zahlreiche Zell- Die Thrombozyten sind mageblich an der Blut-
organellen, z. B.: stillung beteiligt.
Mitochondrien,

groer Lymphozyt
basophiler Granulozyt
kleiner Lymphozyt
Thrombozyten
Erythrozyt

eosinophiler Granulozyt segmentkerniger,


neutrophiler Granulozyt

stabkerniger, Monozyt
neutrophiler Granulozyt

Differentialblutbild unter dem Mikroskop. Abb. 9.5


156 9 Kreislaufsystem

9.2.2 Blutplasma Nhrstoffe


Glucose als Transportform der Kohlen-
Das Blutplasma ist eine Lsung mit ausgezeich- hydrate,
neten Flieeigenschaften. Es erfllt berwiegend freie Fettsuren als Transportform der Fette,
Transportaufgaben. Die gelbliche Farbe ist vor freie Aminosuren als Transportform der Ei-
allem auf den Gehalt von Bilirubin zurckzu- weie.
fhren, ein Abbauprodukt des Hmoglobins. Fr Stoffwechselprodukte wie
die Zusammensetzung sind in erster Linie die Cholesterol, Bilirubin, Fructose,
Leber als Bildungsort der Plasmaeiweie und die Milchsure, Pyruvat, Harnstoff,
Niere als Effektorgan zur Regulation des inneren Harnsure.
Milieus verantwortlich. Wirkstoffe wie
Hormone, Vitamine,
Zusammensetzung Enzyme, Medikamente.
Wasser (90 %). Der hohe Wasseranteil ermg-
licht z. B. den Transport der mit der Nahrung Merke
im Darm aufgenommenen Nhrstoffe, Vitamine
und Salze zu den Krperzellen. Normalwerte im Blutplasma
Plasmaproteine Glucose: 3,5 5,5 mmol/l
Albumine (ca. 59 % der Plasmaproteine). Sie = 80 100 mg/100 ml
spielen eine wichtige Rolle als Transport- Cholesterol: 4,7 6,5 mmol/l
proteine. So werden z. B. Eisen, Calcium, Eiwei: 66 87 g/l
Thyroxin und Penicillin an Albumine gebun-
den und im Blut transportiert. Auerdem
P Die quantitative Bestimmung der einzelnen
sind sie wichtig bei der Aufrechterhaltung Komponenten des Blutplasmas ermglicht
des kolloid-osmotischen Druckes ( S. 33). wesentliche Einsichten bei vielen Krankhei-
Immunglobuline (ca. 40 % der Plasmapro- ten (z. B. Zuckerkrankheit und Schilddrsen-
teine). Es handelt sich um die wichtigste funktionsstrungen).
Gruppe der Globuline. Man unterscheidet
IgG (sprich Immunglobulin G), IgA, IgM,
IgD, IgE. Die Immunglobuine werden auch als
Antikrper bezeichnet. Sie spielen eine wich- 9.3 Physiologie des Blutes
tige Rolle im Abwehrsystem des Menschen.
Fibrinogen und Prothrombin sind an der Die Hauptaufgabe des Blutes ist die Vermittlung
Blutgerinnung beteiligt. des Stoffaustausches zwischen Umwelt und
Plasmaelektrolyte: z. B. Na+, K+, Ca2+, Mg2+, Zelle zur Konstanthaltung des inneren Milieus
Cl-, HPO42- ( Kap. 2.1.2, S. 18). ( S. 28).

Tab. 9.1 Bestandteile des Blutes (bersicht).


9.3.1 Transportfunktion
Erythrozyten
Blutzellen Leukozyten Die Transportfunktion ist eine der wichtigsten
Thrombozyten Funktionen des Blutes ( auch 11.3.3, S. 229).
Blut Die Aufgaben im Einzelnen sind:
Prothrombin Transport von Glucose, Fett- und Aminosu-
Blutplasma Fibrinogen
Blutserum
ren, Vitaminen und Elektrolyten vom Darm in
die einzelnen Organe,
Sauerstofftransport von der Lunge zu den Zel-
Merke len,
Transport von Stoffwechselendprodukten (z. B.
Plasmaeiweie und Plasmaelektrolyte sind die Kohlendioxid, Harnstoff, Harnsure) zu den
eigentlichen Funktionsstoffe des Blutplasmas. Ausscheidungsorganen Lunge, Niere und Haut,
9.3 Physiologie des Blutes 157

Transport von Wrme entsprechend des Tem- Nachphase: Fibrinfden ziehen sich zusam-
peraturgeflles, men (Retraktion), sodass sich die Wundrnder
Transport von Hormonen und anderen Wirk- einander nhern. Gleichzeitig entsteht aus
stoffen vom Bildungs- zum Wirkungsort zur allen geformten Bestandteilen der Blut-
chemischen Steuerung des Organismus und kuchen (= roter Thrombus). Dabei wird Serum
Transport von Arzneiwirkstoffen. abgepresst.

Merke
9.3.2 Blutstillung (Hmostase)
Die Blutungszeit betrgt 1 bis 3 Minuten, die
Gerinnungszeit 3 bis 5 Minuten.
Die Blutstillung umfasst alle Vorgnge, die zwi-
schen dem Entstehen und dem Verschluss einer Serum ist Plasma minus Fibrinogen.
Wunde ablaufen. Sie erfolgt nur in mittleren und
kleinen Gefen. In greren Gefen wird der Phasen der Blutgerinnung bei
entstehende Thrombus (= Blutpfropf) immer wie- kleineren und mittleren Gefen. Tab. 9.2
der weggesplt.
Gewebeverletzung
Die Blutstillung verluft in zwei Schritten.
1. Vorlufiger Wundverschluss (primre Hmo-
stase)
Nach Verletzung eines Gefes laufen fol- Vorphase Thromboplastin
(Thrombokinase)
gende Vorgnge ab:
Thrombozyten lagern sich an der defekten
Stelle an und verkleben. Sie bilden einen
Thrombozytenpfropf (= weier Thrombus).
1. Phase Prothrombin Thrombin
Gleichzeitig setzen die Thrombozyten ge-
fverengende Stoffe (z. B. Serotonin) frei.
Auerdem rollt sich die Innenschicht des
verletzten Gefes ein. 2. Phase Fibrinogen Fibrin
Die letzten beiden Vorgnge begnstigen die
Verschlussfhigkeit. Daher kann die Blutung
bereits gestillt sein (Blutungszeit), obwohl die
Gerinnung noch nicht abgeschlossen ist Nachphase Blutkuchen
(roter Thrombus)
(Gerinnungszeit).

2. Endgltiger Wundverschluss (= eigentliche Unter dem Schutz des Blutkuchens knnen sich
Blutgerinnung, sekundre Hmostase) die zerstrten Gewebe wieder regenerieren. Die
Die Blutgerinnung beginnt etwa zur gleichen Blutgerinnung erfolgt normalerweise nur im
Zeit wie die primre Hmostase und ist der Wundbereich, weil im strmenden Blut die Kon-
wichtigste Prozess der Blutstillung. zentration der gerinnungsaktiven Stoffe zu nied-
Vorphase: Gewebeverletzung und/oder Ober- rig ist und Antithrombin die Gerinnung stoppt.
flchenkontakt fhren zur Bildung von Throm-
boplastin (= Thrombokinase).
1. Phase: Das in der Leber mithilfe von Vit-

P Heparin steigert die Antithrombinwirkung
amin K gebildete inaktive Prothrombin wird und wirkt deshalb gerinnungshemmend. Die
in wenigen Sekunden durch Thromboplastin, extravasale Blutgerinnung bei Blutentnahme
Ca2+ und weitere Faktoren in aktives Throm- wird durch Stoffe verhindert, die die auf
bin berfhrt. vielen Stufen des Gerinnungsprozesses notwen-
2. Phase: Das Thrombin wandelt das lsliche digen Ca2+-Ionen binden, wie z. B. Lsungen
ebenfalls in der Leber gebildete Fibrinogen in von Na-Citrat.
unlsliches fadenfrmiges Fibrin um. Normalerweise gerinnt das Blut in unverletzten
Gefen nicht.
158 9 Kreislaufsystem

Nur unter bestimmten Bedingungen (z. B. Ver- 9.3.4 Blut und Immunsystem2)
nderungen der Intima1), verminderte Str-
mungsgeschwindigkeit des Blutes, abnorme 1. Abwehrmechanismen (berblick)
Blutzusammensetzung) bilden sich ausnahms- Jeder Organismus ist normalerweise in der
weise Gerinnsel in den Gefen. Lage, mithilfe seines Immunsystems krper-
Bewirken knnen diese Gerinnsel z. B. fremde Stoffe (z. B. Krankheitserreger oder
Thrombose, Embolie, andere Schadstoffe) zu erkennen und abzu-
Herzinfarkt Schlaganfall. wehren.
Die hufigste Vernderung der Intima der Arte- Zu diesem Zweck besitzt er verschiedene unspe-
rien ist die Arteriosklerose. Sie ist gekenn- zifische und spezifische Abwehrmechanismen,
zeichnet durch unphysiologische Fett- und wobei die Abwehr aus mehreren Stufen besteht
Kalkeinlagerungen. Dies fhrt zu Elastizitts- ( Tab. 9.4).
verlust und Einengungen, im Extremfall bis
zum vlligen Gefverschluss (arterielle Ver- Merke
schlusskrankheit). Unspezifische Abwehrmechanismen sind
Trotz der weiten Verbreitung sind die Ursachen gegen alle Erregerarten gerichtet, spezifische
bis heute nicht genau bekannt. Risikofaktoren nur gegen eine einzige. Beide besitzen je-
sind auf jeden Fall Rauchen, hoher Blutdruck, weils eine humorale3) und zellulre Kompo-
hoher Cholesterinspiegel und Diabetes mellitus. nente.

9.3.3 Fibrinolyse 2. Anatomische Grundlagen


Zu den anatomischen Grundlagen der Abwehr
Fibrinolyse ist die enzymatische Auflsung eines gehren die Organe des ueren Schutzwalls
Thrombus. Unter Einwirkung von Blut- und (Haut, Schleimhaut), die verschiedenen Leuko-
Gewebsaktivatoren entsteht aus inaktivem Plas- zyten des Blutes, die lymphatischen Organe
minogen aktives Plasmin. Das Fibrin wird durch sowie der Blut- und Lymphkreislauf.
Plasmin zu lslichen Peptiden und Aminosuren
abgebaut. a) uerer Schutzwall
Der uere Schutzwall wird gebildet von
Tab. 9.3 Fibrinolyse. der ueren Haut. Besonders ihr mehr-
schichtiges verhorntes Plattenepithel sowie
Verschiedene Aktivatoren die surehaltigen Sekrete der Schwei- und
(z. B. Urokinase, Streptokinase) Talgdrsen stellen eine wirksame Barriere
fr Bakterien und Viren dar;
Plasminogen Plasmin den Schleimhuten. Eingedrungene Krank-
heitserreger und andere Schadstoffe kleben
Fibrin lsliche Peptide am Schleim fest und werden fr Verdauungs-
enzyme zugnglich (Verdauungstrakt) oder
mithilfe des Flimmerepithels und Husten-
Merke reflexes in den Rachen transportiert;
Blutgerinnung und Fibrinolyse stehen norma- den Suren. Suren wirken keimhemmend
lerweise im Gleichgewicht. oder keimttend,
Magensure im Magen,
Fettsuren im Talg,

P Im Uterus sorgt eine hohe Konzentration an Milchsure in der Scheide und im Schwei.
Gewebsaktivatoren fr Verflssigung des
Menstrualblutes.
Blutungsneigung entsteht bei verminderter
Gerinnung und/oder gesteigerter Fibrinolyse, 1) Intima = Innenschicht der Blutgefe
Thromboseneigung bei umgekehrten Ver- 2) immun = unempfindlich
3) humoral = an Flssigkeit gebunden
hltnissen.
9.3 Physiologie des Blutes 159

Einteilung der Abwehrmechanismen. Tab. 9.4

Abwehrmechanismen

unspezifische (allgemeine) Abwehr spezifische (erlernte) Abwehr

uerer humorale1) zellulre humorale zellulre


Schutzwall Abwehr Abwehr Abwehr Abwehr
uere Haut Komplement- Phagozyten Antikrper T-Effektor-
Schleimhute system zellen
Magensure Lysozym
Milchsure Interferone
der Vagina Inhibine
(Hemmstoffe) 1) humoral = an Flssigkeit gebunden

Merke weglich und zur Phagozytose relativ groer


Partikel im Gewebe fhig. Aus den Mono-
Der uere Schutzwall ist die erste Barriere, zyten entstehen die Gewebsmakrophagen
die von einem Krankheitserreger berwun- (z. B. Histiozyten, Kupffersche Sternzellen
den werden muss. Seine Wirksamkeit wird der Leber).
entscheidend bestimmt von der Intaktheit der
ueren und inneren Krperoberflchen
(Hute und dazu gehrende Drsen). Er Merke
gehrt zum unspezifischen Abwehrsystem. Neutrophile Granulozyten werden als Mikro-
phagen, Monozyten und ihre Abkmmlinge
b) Leukozytenarten und ihre Bedeutung im als Makrophagen bezeichnet.
Abwehrsystem
Granulozyten. Die Granulozyten haben ihren Lymphozyten. Die Lymphozyten nehmen eine
Namen aufgrund der vorhandenen Krnchen Schlsselstellung im Abwehrsystem (spezifi-
(= Granula = Lysosomen). Nach der Frbbar- sche Abwehr) ein. Etwa 25 40 % der Leuko-
keit der Granula werden sie in drei Gruppen zyten sind Lymphozyten. Davon befinden
eingeteilt ( Tab. 9.5). sich ca. 99 % in den lymphatischen Organen
Monozyten. Monozyten sind die grten und Geweben. Lymphozyten besitzen zahlrei-
Blutzellen (d = 20 m). Sie stellen 4 6 % che Ribosomen fr die Eiweisynthese.
der Leukozyten dar. Wie die neutrophilen Tabelle 9.6 gibt einen berblick ber die
Granulozyten sind sie sehr gut amboid be- wichtigsten Formen der Lymphozyten.

Granulozyten. Tab. 9.5


Granulozyten Anteil amboide eiwei- Funktion
Beweglichkeit: abbauende
Phagozytose Enzyme
1. Eosinophile 2 4% ja ja Phagozytose von Antigen-
(groe Granula) Antikrper-Komplexen; Elimi-
nierung krperfremder Eiweie.
2. Basophile 0,5 1% Wenig bekannt, enthalten
(kleinste Granulozyten) Heparin, Histamin, Serotonin.
3. Neutrophile 55 70% sehr gut ja Zur Diapedese (Wanderung
vom Blut ins Gewebe) befhigt;
unspezifische Abwehr.
160 9 Kreislaufsystem

Tab. 9.6 Lymphozytenformen. Zunchst werden 2 Arten von Lymphozyten


unterschieden, die T-Lymphozyten und die B-
Lymphozyten. Beide Lymphozytenarten gehen
undifferenzierte
Stammzellen aus sog. Pr-B- und Pr-T-Lymphozyten hervor,
die in der fetalen und frhkindlichen Entwicklung
im roten Knochenmark gebildet werden. Ein Teil
Pr-B- und Pr-T- dieser Zellen gelangt mit dem Blut in den Thymus
Lymphozyten und wird hier zu T-Lymphozyten geprgt.
Ein weiterer Teil erhlt seine Prgung vermutlich
im roten Knochenmark bzw. dem lymphatischen
B-Lymphozyten T-Lymphozyten Gewebe des Darmtraktes. Spter werden die B-
und T-Lymphozyten vor allem in der Milz und in
den Lymphknoten gebildet und gelangen von da
T-Regulatorzellen T-Effektorzellen
aus in das Blut und die Lymphe.

T-Helferzellen T-Suppressorzellen
c) Lymphatisches System
Das lymphatische System ist der hauptsch-
liche Trger der spezifischen Abwehr.
z. B. zytotoxische Zellen Es wird gebildet
(= T-Killerzellen); vom Lymphgefsystem ( S. 187) und
vernichten Zellen den lymphatischen Organen.
regulieren ohne Beteiligung von
Immunreaktion Antikrpern

Rotes Knochenmark
Lymphozyt Thymus

Lymphozyten

Blutgef

lymphatisches
Lymphknoten Gewebe des Darmes

weie Milz
(Pulpa)

Lymphozyten

Blutgef

Prgung der T- und B-Lymphozyten im Kindesalter (oben) und


Abb. 9.6 Erwachsenenalter (unten).
9.3 Physiologie des Blutes 161

Zu den lymphatischen Organen retikulres


gehren: Bindegewebe
Thymus, mit Lymphozyten
Milz,
Lymphknoten,
Mandeln,
Lymphozytenansammlungen
in den Schleimhuten, vor allem
Darm- und Bronchialschleim- Thymus
haut. Lunge
Herz
Thymus
Bau
Der Thymus besteht aus zwei
Thymus bei einem Neugeborenen. Abb. 9.7
Lappen (jeweils 2 x 5 cm), die
wiederum in Lppchen gegliedert
sind. Er wird von einer bindege-
webigen Kapsel begrenzt. In dem Umfang, wie sich der Thymus zu-
Bei Kindern ist der Thymus relativ am grten rckbildet, werden die Prgungen von Null-
(Masse 30 bis 40 Gramm). Nach der Pubertt zellen in T-Lymphozyten von den sekundren
bildet er sich zum thymischen Fettkrper zurck. lymphatischen Organen (Milz und Lymph-
knoten) bernommen.
Lage
Der Thymus liegt im oberen Mediastinum direkt Milz (Lien, Splen)
hinter dem Brustbein. Nachbarorgane sind vorn Bau
das Brustbein, seitlich die Pleura mediastinalis Die Milz ist von einer derben bindegewebigen
und hinten die V. cava superior, V. brachiocepha- Kapsel umgeben, von der aus ein ebenfalls aus
lica sowie der Aortenbogen. straffem Bindegewebe bestehendes Balken-
werk das Organ durchzieht. Das zwischen den
Aufgaben Balken liegende Milzgewebe heit Pulpa. Man
Der Thymus ist das primre lymphatische Organ. unterscheidet:
In der Fetalzeit und frhen Kindheit wandern aus Weie Pulpa (ca. 15 %); Sie wird gebildet aus
dem roten Knochenmark die Pr-T-Lympho- retikulrem Bindegewebe mit reichlich
zyten in die Thymusrinde. Dort teilen sie sich Lymphozyten (= lymphatisches Gewebe).
mitotisch und gelangen allmhlich in das Mark. Letzteres finden wir in Gestalt der lymphati-
Dabei werden sie verndert (z. B. bezglich schen Begleitscheide um die Zentralarterie mit
Enzymausstattung); das bedeutet, sie erhalten hauptschlich T-Lymphozyten und der Milz-
ihre Immunkompetenz. Die so geprgten reifen kntchen (= Lymphkntchen) mit B-Lympho-
Thymus-Lymphozyten (= T-Lymphozyten) ver- zyten. Es handelt sich hier um rundliche An-
lassen auf dem Blutweg den Thymus und siedeln sammlungen von Lymphozyten;
sich sekundr in den T-Lymphozyten-Regionen rote Pulpa; sie wird gebildet von erweiterten
der anderen lymphatischen Organe an, z. B. Blutkapillaren, den sog. Milzsinus, mit zahl-
Milz- und Lymphknoten. reichen Erythrozyten.

Der Thymus bildet das Hormon Thymosin, das Form, Gre, Masse
die zellulre Immunabwehr aktiviert. Die Milz hat die Gestalt einer groen Kaffee-
bohne. Sie ist etwa 12 cm lang, 7 cm breit und
4 cm dick. Ihre Masse betrgt 150 bis 200 Gramm.
162 9 Kreislaufsystem

Bindegewebskapsel
Milzbalken hinterer Pol
(Extremitas posterior)
rote Pulpa
(Milzsinus)

Magenflche
(Fascies gastrica)
Schnittrand
des Lig.
gastrolienale
Milzvene
(V. splenica)
Milzarterie
(A. splenica)
Bauchspeichel-
drsenflche
(Fascies pancreatica)
Balkenvene
Balkenarterie rote Pulpa
(Milzsinus) Schnittrand
Pulpavene weie Pulpa1) des Lig.
Pulpaarterie phrenicolienale
vorderer Pol
(Extremitas anterior)
1) Pulpaarterie mit Lymphscheide (T-Lymphozyten)
und Milzfollikel (B-Lymphozyten) bilden die Grimmdarmflche
weie Pulpa (Fascies colica)

Abb. 9.8 Milz.


P Bei Erkrankungen des lymphatischen Sys- ist wichtigstes Speicherorgan fr Lymphozyten,
essentielles Immunorgan fr Pneumokokken.
tems kann sich die Masse der Milz auf mehre-
re Kilogramm erhhen. Sie ist dann unter dem
Merke
linken Rippenbogen tastbar.
Eine normal groe Milz ist in der Regel nicht Die Milz ist in ihrer Abwehrttigkeit fr die
palpabel. gesamte Blutbahn zustndig.

Lage Die rote Pulpa steht im Dienst des Blutkreislau-


Die faustgroe Milz liegt intraperitoneal tief im fes. In ihr werden gealterte unelastische Erythro-
linken Hypochondrium, eingeschmiegt in die zyten und Thrombozyten von Makrophagen ab-
Zwerchfellwlbung. Die Lngsachse verluft gebaut (= Blutmauserung). Das dabei frei wer-
parallel zur 10. Rippe. dende Hmoglobin gelangt ber die Pfortader in
Nachbarorgane: Magen, Bauchspeicheldrse und die Leber. Dort wird es zu Gallenfarbstoffen ab-
linke Niere. gebaut. Auerdem werden von den Uferzellen in
den Milzsinus Bakterien und andere Schadstoffe
Aufgaben phagozytiert.
Als lymphatisches Organ (weie Pulpa) hat die
Milz folgende Aufgaben: Die Aufgaben der roten Pulpa knnen bei Aus-
Sie bildet Lymphozyten und Abwehrstoffe fall der Milz von der Leber und vom Knochen-
(prgt in hohem Mae T-Lymphozyten), mark bernommen werden.
9.3 Physiologie des Blutes 163

zufhrendes Lymphgef Lymphgefklappen


marknahe Abschnitte
der Rindenschicht
(= parakortikale Zone)
Randsinus mit T-Lymphozyten
Bindegewebsstrang
Bindegewebskapsel

Rindensinus Lymphfollikel
= Lymphkntchen
Lymphkntchen
= Lymphfollikel Rinde
(B-Lymphozyten)
Mark mit Marksinus
Vene Bindegewebs-
strnge
Arterie
abfhrendes
Lymphgef
Hilus

Lymphknoten. Abb. 9.9

Lymphknoten (Nodus lymphaticus) Lage


Bau (Abb. 9.9) Die Lymphknoten sind in das Lymphgefsys-
Die rundlich bis bohnenfrmigen Lymphknoten tem eingeschaltet ( Abschnitt 9.5.3, S. 187).
haben einen Durchmesser von 1 mm bis 2,5 cm. Sie liegen in Gruppen. Jede Lymphknotengruppe
Sie werden, wie die Milz, auen von einer aus wird von der Lymphe aus ganz bestimmten
straffem Bindegewebe bestehenden Kapsel be- Krperregionen durchstrmt. Klinisch bedeu-
grenzt. Von dieser Kapsel verlaufen Bindege- tungsvoll sind vor allem die regionren Lymph-
websstrnge in das Innere und bilden ein grobes knoten, weil sie die erste Filterstation der
Gerstwerk. Lymphe aus einer bestimmten Krperregion
Mehrere zufhrende Lymphgefe treten in den sind.
Lymphknoten ein. ber sie gelangt die Lymphe
in die erweiterten spaltfrmigen Lymphbahnen Wichtige regionre Lymphknoten sind:
(Rand-, Rinden- und Marksinus) des Lymph- Achsellymphknoten fr Arm, Brustwand
knotens. und Rcken;
Leistenlymphknoten fr Bein, Bauchwand
Ein abfhrendes Lymphgef am Hilus 1) leitet die und Ges;
Lymphe wieder heraus. In der Randzone (Rinde) Halslymphknoten fr den Kopf.
befinden sich Anhufungen von B-Lympho-
zyten. Diese rundlichen Strukturen werden als Meistens durchstrmt die Lymphe auf ihrem Weg
Lymphkntchen (= Lymphfollikel) bezeichnet. zum Blut nach den regionren Lymphknoten
An der Grenze zum Mark liegen Ansammlungen noch ein oder mehrere Gruppen von Sammel-
von T-Lymphozyten. lymphknoten. Wichtige Sammellymphknoten
liegen im Hals fr Kopf, Hals, Arme, Brustwand
1) Hilus (Pl. Hili) = Vertiefung an der Oberflche eines und Rcken sowie an der hinteren Bauchwand
Organs, verursacht durch Gefein- und -austritte
fr Beine, Bauchwand, Ges, Becken- und
Bauchorgane.
164 9 Kreislaufsystem


P Die Kenntnis der Abflussgebiete zu bestimm-
ten regionalen Lymphknoten hat klinische
Bedeutung fr die Diagnostik und Therapie-
Tubenmandel kontrolle von Tumoren und Entzndungen.
(Tonsilla tubaria)
Aus den entsprechenden Gebieten gelangen
Rachenmandel Entzndungszellen bzw. Tumorzellen in die
(Tonsilla pharyngea)
Lymphbahnen und werden in den Lymph-
ffnung der knoten zurckgehalten. Infiltrierte Lymph-
Ohrtrompete
knoten sind vergrert und oft tastbar.
Seitenstrang
Als Lymphographie bezeichnet man die
Zunge rntgenologische Darstellung der Lymphgef-
(Lingua)
e und Lymphknoten mittels Kontrastmittel.

Aufgaben
Lymphknoten sind die Filterstation der
Lymphe. Im Lymphsinus ist die Strmungsge-
schwindigkeit der Lymphe vermindert. Da-
durch haben die dort vorhandenen Uferzellen
( S. 165) ausgiebigen Kontakt und knnen
zusammen mit den Retikulumzellen Zell-
trmmer, Bakterien, Staub- und Ruteilchen
phagozytieren. Auch Krebszellen werden zu-
rckgehalten, so dass Lymphknotenmetastasen
vorderer entstehen knnen.
Gaumenbogen Prgung von B- und vor allem T-Lymphozyten
hinterer fr die spezifische Immunabwehr ( S. 166).
Gaumenbogen Speicherung von Lymphozyten. Die Lympho-
Gaumenmandel zyten halten sich in der Regel mehrere Stun-
(Tonsilla palatina) den in einem lymphatischen Organ auf. Danach
begeben sie sich fr 30 bis 45 Minuten ins
strmende Blut und gelangen dann erneut in
ein lymphatisches Organ zurck.

Lymphfollikel (= Lymphkntchen)
Als Lymphkntchen werden grere Ansamm-
Zunge lungen von B-Lymphozyten bezeichnet. Sie
(Lingua) kommen in allen lymphatischen Organen auer
Thymus und im Darm (= Peyersche Plaques)
vor.
Zungenmandel
(Tonsilla lingualis) Tonsillen (Mandeln)
Unter Tonsillen versteht man das lymphatische
Gewebe im Rachenbereich.
Alle Tonsillen bilden den lymphatischen Ra-
Gaumenmandel
chenring (Waldeyerscher Rachenring). Er stellt
(Tonsilla palatina) einen vorgeschalteten Immunapparat dar, der das
Abwehrsystem gewissermaen konomisiert. In
der Schleimhaut sitzen Makrophagen und versu-
chen, die Antigene abzufangen. Anschlieend
Tonsillen bilden den wandern sie in das Innere der Tonsille zu den
Abb. 9.10 lymphatischen Rachenring. dort vorwiegend vorhandenen B-Lymphozyten.
9.3 Physiologie des Blutes 165

Zu den Tonsillen gehren b) Lysozym (= Muramidase)


die paarigen Gaumenmandeln (Tonsilla pala- Lysozym ist ein bakterizid (Bakterien abttend)
tina) zwischen vorderem und hinterem Gau- wirkendes Enzym, das die Zellwnde der Bakte-
menbogen, rien auflst. Es befindet sich in Phagozyten und
die paarigen Ohrtrompetenmandeln (Tonsilla wird bei ihrem Zerfall freigesetzt. Weiterhin ist
tubaria) um die ffnungen der Ohrtrompeten, es in Krpersekreten wie Trnenflssigkeit und
die unpaarige Rachenmandel (Tonsilla pha- Bronchialschleim enthalten.
ryngea) am Rachendach, c) Interferone
die unpaarige Zungenmandel (Tonsilla lin- Interferone werden von virusinfizierten Zellen
gualis) am Zungengrund, gebildet. Sie verhindern die Vermehrung der
die Seitenstrnge lymphatisches Gewebe Viren in der Wirtszelle.
in Schleimhautfalten, die vom jeweiligen
Tubenwulst abwrts laufen. 2. Unspezifische zellulre Abwehr
Die unspezifische zellulre Abwehr erfolgt
Die Lymphkntchen der Tonsillen stehen meist durch Phagozyten (Frezellen). Sie nehmen die
in enger Beziehung zum Deckepithel der Fremdstoffe in sich auf und bauen sie mithilfe
Schleimhaut. ihrer Enzyme ab. Zu den Phagozyten gehren
Mikrophagen, vor allem neutrophile Granulo-

P Da sich der lymphatische Rachenring am zyten: Sie versuchen, jeden krperfremden


Eingang des Luft- und Verdauungsweges be- Stoff zu eliminieren;
findet, wird er mit Krankheitserreger berladen. Makrophagen: Monozyten und alle phagozy-
Deshalb sind bei Kindern die Tonsillen oft tierenden Zellen, die sich aus ihnen rekrutie-
vergrert (hypertrophiert), da gegen viele Er- ren, nmlich
reger erst eine Abwehr aufgebaut werden muss, Histiozyten im lockeren Bindegewebe;
die bei Erwachsenen schon vorhanden ist. Uferzellen in Lymphknoten, Milz, Knochen-
Die Tonsillen sind hufig entzndet (Angina). mark;
Sternzellen in den Lebersinus;
Osteoklasten im Knochen;
Langerhans-Zellen der Haut;
9.3.5 Unspezifische und spezifische humorale Mesangiumzellen der Nieren und
und zellulre Abwehrmechanismen Alveolarmakrophagen der Lunge.

1. Unspezifische humorale Abwehr


Dieser Abwehrmechanismus basiert auf Stoffen, neutrophiler Granulozyt
die entweder im Blut enthalten sind oder von ge-
schdigten Zellen (z. B. virusinfizierten Zellen)
Erkennung + Bindung
gebildet werden.
a) Komplementsystem
Hierbei handelt es sich um ca. 20 verschiedene Antigen
Glykoproteine, die in einer ganz bestimmten
Reihenfolge nacheinander reagieren. Ihre Akti- Aufnahme
vierung erfolgt z. B. durch Antigen-Antikrper-
Komplexe, Viren oder Bakterien. Danach kommt
es zu den verschiedenartigen Abwehrreaktionen:
Zerstrung der Biomembranen von Erregern, Fusion mit Lysosomen
Anregung der Makrophagen zur Phagozytose,
Lyse von Antigen-Antikrper-Komplexen u. a.

Merke
Auflsung + Abbau
Das Komplementsystem ist das wichtigste un-
spezifische humorale Abwehrsystem. Phagozytose. Abb. 9.11
166 9 Kreislaufsystem

Die Makrophagen phagozytieren am lebhaftes- Antigen-Antikrper-Komplexe (= Immunkom-


ten. Darber hinaus geben sie wichtige Infor- plexe);
mationen ber die Zusammensetzung des Erre- im Antigen-Antikrper-Komplex sind bereits
gereiweies an die Lymphozyten weiter und sti- viele Antigene wirkungslos. Die Komplexe
mulieren diese. werden in der Regel rasch beseitigt, z. B. durch
Phagozytose oder das Komplementsystem.
3. Spezifische humorale Abwehr
Gegen eine ganze Reihe von Erregern (z. B. Merke
bestimmte Streptokokken, Staphylokokken,
Viren) sind die beschriebenen unspezifischen Kernpunkt der spezifischen humoralen Ab-
Abwehrmechanismen unwirksam. Diese Krank- wehr ist die Bildung spezifischer Antikrper,
heitserreger knnen nur durch spezifische Ab- die zu einer Antigen-Antikrper-Reaktion
wehrmechanismen bekmpft werden. Die spezi- fhren und die Antigene durch Agglutination
fische Abwehr beginnt mit der Phagozytose der (Verklumpung), Lyse (Auflsen) oder Przi-
Erreger durch Makrophagen, z. B. in der Milz pitation (Ausfllen) unschdlich machen.
oder den Lymphknoten.
Im Ergebnis der Auseinandersetzung des Makro-
phagen mit dem Erreger lagert er die Antigene1)

P In einigen Fllen knnen die Immunkom-

an seine Zelloberflche. Man sagt: Der Makro- plexe nicht abgebaut werden. Sie setzen sich
phage prsentiert die Antigene den Lympho- dann in bestimmten Organen (z. B. Niere, Ge-
zyten. Die Antigenprsentation bewirkt je nach lenke) fest und rufen dort Entzndungen her-
Beschaffenheit des Antigens entweder eine vor.
Beteiligung der B- oder T-Lymphozyten.
4. Spezifische zellulre Abwehr
Im Fall der spezifischen humoralen Abwehr Fr die spezifische zellulre Abwehr sind die
spielen die B-Lymphozyten die zentrale Rolle. T-Lymphozyten verantwortlich.

Folgende Vorgnge spielen sich ab: Folgende Vorgnge spielen sich ab:
T-Helferzellen heften sich an die Antigene und Die vom Makrophagen prsentierten Antigene
stimulieren die B-Lymphozyten; des Erregers aktivieren die T-Lymphozyten;
die aktivierten B-Lymphozyten teilen sich in die aktivierten T-Lymphozyten teilen sich in
B-Plasmazellen und T-Helferzellen,
B-Gedchtniszellen; T-Suppressorzellen (= T-Unterdrckerzellen),
die B-Plasmazellen produzieren antigenspezi- T-Effektorzellen (= T-Killerzellen);
fische Antikrper2) (= Immunglobuline); die spezifischen T-Effektorzellen lagern sich an
die spezifischen Antikrper reagieren mit den die infizierten Zellen und zerstren sie mithilfe
Antigenen, gegen die sie gebildet wurden ihrer Enzyme. Gleichzeitig produzieren sie
(= Antigen-Antikrper-Reaktion). Es entstehen Lymphokin, das die Makrophagen aktiviert,
sodass diese jetzt die Erreger abtten
knnen.
Antigen Antikrper Antigen-
(z. B. Masernvirus) + gegen Antikrper-
Masernvirus Komplex

1) Antigene = krperfremde Substanzen, die in


+ einem bestimmten Organismus eine Immun-
antwort auslsen knnen
2) Antikrper = Immunglobuline, die mit
dem Antigen spezifisch reagieren, das
ihre Bildung verursacht hat
Abb. 9.12 Antigen-Antikrper-Reaktion.
9.3 Physiologie des Blutes 167

Spezifische Spezifische
humorale Abwehr zellulre Abwehr

Antigen
Antigen
Krankheitserreger
Krankheitserreger

1. Phagozytose
 der Erreger durch
Makrophagen 

Makrophage Makrophage

T-Helferzelle
2. Antigenprsentation
 (Verlagerung der Antigene 
an die Zelloberflche)

B-
Lymphozyt T-Suppressorzelle
 
 T-Helferzelle

T-Lymphozyt
3. Anlockung und
3. Anlockung und rezeptive Anheftung
rezeptive Anheftung
von T-Lymphozyten,
von B-Lymphozyten, T-Helferzellen,
T-Helferzellen und T-Suppressorzellen
Kooperation der und Kooperation der
beiden Zellarten drei Zellarten 

 4. Vermehrung
T-Gedchtniszelle
 der B- bzw.
T-Lymphozyten Lymphokin
Antikrper (klonale Expansion) produzierende
T-Zelle
B-Gedcht- spezifische
niszelle Lymphokin
Antikrper
produzierende
Plasmazelle Lymphokin
befhigt

Makrophagen,
Erreger abzutten
Makrophage

Antigen-AntikrperReaktion Antigen-ImmunzellenReaktion

Spezifische Abwehrmechanismen. Abb. 9.13


168 9 Kreislaufsystem

Merke 9.3.7 Immunisierung


Die spezifischen Abwehrvorgnge werden Durch Immunisierung (Impfung) kann knstlich
mageblich durch die Ttigkeit der Regulator- Immunitt erlangt werden.
zellen gesichert. Dabei ben die T-Helferzellen
eine stimulierende und die T-Suppressorzellen Man unterscheidet
eine hemmende Wirkung aus. aktive Immunisierung. Hier wird die Primr-
reaktion vorweggenommen, indem man dem
Die bei den spezifischen Abwehrvorgngen ge- Organismus abgeschwchte lebende oder ab-
bildeten langlebigen B- und T-Gedchtniszellen gettete Erreger oder abgeschwchte Erreger-
erkennen bei erneutem Kontakt mit ihrem toxine zufhrt;
Antigen dieses sofort und bewirken in der Regel passive Immunisierung. Dem Organismus
eine sehr schnelle immunologische Reaktion. werden therapeutisch oder auch prophylak-
tisch spezifische Antikrper zugefhrt.

P Die Dauer des immunologischen Gedcht-
nisses ist unterschiedlich: lebenslang bei
Rteln, Windpocken und Masern, einige 9.3.8 Blutgruppen des Menschen
Jahre bei Tetanus und Poliomyelitis.
Die Blutgruppen sind auf Stoffe zurckzu-
Eine optimale Immunantwort hngt entschieden fhren, die sich an der Oberflche der Erythro-
von ihrer Regulation ab. Makrophagen, T-Regu- zytenmembranen befinden und antigene Eigen-
latorzellen und humorale Einflsse (Katechola- schaften besitzen.
mine, Nebennierenrindenhormone, S. 303)
sind dafr verantwortlich. Sie stimulieren die Merke
Lymphozyten, stimmen die verschiedenen Das wichtigste Blutgruppensystem ist das
Abwehrmechanismen optimal aufeinander ab AB0-System mit 4 Blutgruppen: A, B, AB
und sorgen fr die rechtzeitige Beendigung der und 0.
Immunantwort.
Jeder Mensch besitzt eine dieser Blutgruppen.
Dadurch werden dem Menschen bestimmte
9.3.6 Verschiedene Immunreaktionen immunologische Eigenschaften zugeordnet, die
ber die gesamte Lebensdauer vorhanden blei-
Allergie
ben und nach festen Gesetzmigkeiten vererbt
Von einer Allergie (berempfindlichkeit) spricht
werden ( Kap. 2.5.4, S. 50).
man, wenn nach Rekontakt mit einem bestimm-
ten Antigen abnorm starke Immunreaktionen
Vermischt man Blut von zwei Menschen, so
auftreten.
beobachtet man entweder eine Zusammenbal-
Immunologische Toleranz lung (Agglutination) der Erythrozyten, mgli-
Immunologische Toleranz liegt vor, wenn der cherweise mit ihrer nachfolgenden Auflsung
Organismus nach Antigenkontakt immunolo- (Hmolyse), oder keine Reaktion.
gisch reaktionslos bleibt (z. B. immunologische
Toleranz der Mutter gegenber dem Feten). Das erste Phnomen wrde bei einer Bluttrans-
fusion zur Verstopfung der Kapillaren fhren.
Merke Ursache der Agglutination ist eine Antigen-
Antikrper-Reaktion:
Wirkungen von Antigenen knnen sein: Die Erythrozytenmembranen tragen spezifi-
normale Immunreaktion sche Stoffe, die Agglutinogene (= agglutinable
Antigen keine Immunreaktion Substanzen), die als Antigene wirken.
bermige Im Blutplasma sind spezifische Antikrper
Immunreaktion = Allergie
(Agglutinine) gelst, die mit den Antigenen
reagieren.
9.3 Physiologie des Blutes 169

P Man kennt heute ca. 400 Merkmale der Ery- weiteren Schwangerschaften zu Schdigungen
throzytenmembran, von denen die meisten eines Rh-positiven Kindes fhren knnen. Dies
bei Bluttransfusionen bedeutungslos sind. lsst sich durch eine Serodiagnostik feststellen.

Eine besondere Bedeutung fr die Medizin be-



P Eine Serodiagnostik sollte deshalb ab der
16. Schwangerschaftswoche klren, ob eine
sitzen das AB0-System und das Rh-System.
Blutgruppenunvertrglichkeit vorliegt. Ist dies
der Fall, muss unmittelbar nach der Geburt
AB0-System
eine Immunisierung mit Human-Immunglo-
Mit der Entdeckung der AB0-Blutgruppen im
bulin Anti D durchgefhrt werden. Dieses
Jahre 1901 durch Landsteiner begannen die sys-
Immunglobulin zerstrt die fetalen Erythro-
tematischen Untersuchungen der Blutgruppen-
zyten mit dem D-Agglutinogen, die in den
eigenschaften.
mtterlichen Kreislauf bergetreten sind;
Entscheidend fr das AB0-System sind:
somit kommt es auch nicht zur Bildung von
zwei verschiedene Agglutinogene (= Anti-
Anti D. Durch diese mgliche Immunisie-
gene) der Erythrozytenmembran: A und B sowie
rung der Frauen nach der ersten Schwanger-
zwei spezifische Antikrper im Serum:
schaft, aber auch nach Schwangerschafts-
Anti A und Anti B.
unterbrechung (Interruptio) und Fehlgeburt
Die Antikrper werden im Laufe des ersten
(Abort), spielen heute derartige Strungen
Lebensjahres gegen diejenigen Antigene gebil-
keine nennenswerte Rolle mehr.
det, die die eigenen Erythrozyten nicht besitzen.

Aus dieser Konstellation ergeben sich vier Merke


Blutgruppen des AB0-Systems ( Abb. 9.14).
Die erste Schwangerschaft fhrt trotz un-
gnstiger Rh-Konstellation nicht zu fetalen
Rhesussystem (= Rh-System; Abb. 9.15,
Schdigungen. Unbedenklich sind auch
S. 171)
Schwangerschaften mit rh-negativen Feten.
Das Rhesussystem ist ein weiteres Blutgruppen-
Bei Bluttransfusionen verwendet man prak-
system und beruht auf dem Vorhandensein oder
tisch immer AB0-gruppengleiches Blut.
Nichtvorhandensein von Rh-Agglutinogenen
Beim Rh-System wird in der Regel nur das
auf der Erythrozytenmembran. Die wichtigsten
D-Antigen bercksichtigt.
sind C, D, E, c und e, wobei D die grte anti-
gene Wirksamkeit besitzt.

P Um Verwechslungen, Fehlbestimmungen
Merke und Unvertrglichkeiten auszuschlieen, wer-
den vor jeder Blutbertragung folgende Tests
In Europa sind 85 % der Menschen Rh-positiv. durchgefhrt:
die so genannte Kreuzprobe im Labor.
Im Rh-System treten im Unterschied zum AB0- Spendererythrozyten plus Empfngerserum
System erst nach Sensibilisierung Antikrper (Majortest),
auf. Das bedeutet, die Bildung von Rh-Antikr- Spenderserum plus Empfngererythrozyten
pern wird nur bei rh-negativen Menschen aus- (Minortest).
gelst. Bei bereinstimmung der Blutgruppen kommt
Dies kann geschehen bei es in beiden Fllen nicht zu einer Agglutina-
Bluttransfusionen: Empfnger d, Spender D. tion;
Schwangerschaft: Mutter d, Fetus D. der Bed-side-Test am Patientenbett.
Unmittelbar vor der Transfusion wird am Pa-
Bei ca. 10 % der Schwangerschaften wird eine tientenbett nochmals die Vertrglichkeit von
Unvertrglichkeit hinsichtlich des Rhesusfaktors Empfnger- und Spenderblut festgestellt.
beobachtet. Die Agglutinogene (D) gelangen
whrend des Geburtsvorganges vom kindlichen Nur wenn beide Tests negativ verlaufen, darf
Kreislauf in den mtterlichen. Dort bewirken sie transfundiert werden. Trotz bereinstimmender
die Bildung von Antikrpern (Anti D), die bei Blutgruppe besteht bei jeder Bluttransfusion
170 9 Kreislaufsystem

Blutgruppen

Blutgruppe A B AB 0

Agglutinogene
= Antigene der A B A, B
Erythrozyten-
membran

Anti B Anti A Anti A


Antikrper im
Serum
Anti B

Agglutination Agglutinat
verschliet
A Blutgef
B
A B

+ +
Anti A Anti B
A B

Blutgruppentest Kreuzprobe

Blut- Spender
gruppe A B AB 0 Serum Erythrozyten
minor major
Anti A
Testserum

Anti B

Anti A
und Empfnger
Anti B Erythrozyten Serum

keine starke schwache


Agglutination Agglutination Agglutination

Abb. 9.14 Blutgruppen des AB0-Systems.


9.3 Physiologie des Blutes 171

Bluttransfusion

Empfnger Rh+ (D) Empfnger Rh+ (D)


Spenderblut Spenderblut
rh (d) rh (d)

langsame Bildung 1. Transfusion schnelle Bildung 2. Transfusion


spezifischer spezifischer
Antikrper (Anti D) Antikrper (Anti D)

keine Komplikation Komplikation

Mutter rh (d) Vater Rh+ (D)

1. Schwangerschaft 2. Schwangerschaft

Zygote

Kind Rh+ (D)


Antigen Mutter bildet whrend
der Schwangerschaft
aufgrund voran
Mutter bildet gegangener
nach der Geburt Sensibilisierung
Anti D Anti D

keine Komplikation Komplikation


(Blut des Kindes wird
hmolysiert)

Unvertrglichkeit im Rhesussystem. Abb. 9.15

fr den Empfnger ein Restrisiko. Das Blut eine gewisse Zeit, oftmals Wochen bis Monate,
jedes Menschen enthlt ein individuell einma- sodass bei kurz nach einer Infektion entnom-
liges Gemisch verschiedener Eiweie, und da menen Blutkonserven die Antikrperbildung
prinzipiell jedes krperfremde Eiwei als zwar noch nicht nachgewiesen werden kann,
Antigen wirken kann, ist eine allergische sie aber dennoch infektis ist. Aus diesen
Reaktion nie ausgeschlossen. Auerdem kn- Grnden wird die Indikation fr eine Voll-
nen Krankheitserreger bertragen werden. Die blutkonserve sehr streng gestellt.
Antikrperbildung nach einer Infektion dauert
172 9 Kreislaufsystem

9.4 Das Herz (Cor) mnden):


rechter Vorhof = obere Hohlvene (V. cava
Das Herz, ein muskulres Hohlorgan, ist der superior), untere Hohlvene (V. cava inferior),
Motor des Blutkreislaufes. Es befindet sich Herzvene (Sinus coronarius);
zwischen den Brustfellhhlen und wird vollstn- linker Vorhof = vier Lungenvenen (Vv. pul-
dig vom Herzbeutel (Perikard) umhllt. monales).
Ausflussbahnen (= Arterien, die an den Herz-
Bau kammern beginnen):
Das Herz wird durch die Herzscheidewand rechte Herzkammer = Stamm der Lungen-
(Septum) in eine rechte und linke Herzhlfte arterien (Truncus pulmonalis);
geteilt. Es besitzt vier Innenrume ( Abb. 9.16): linke Herzkammer = groe Krperarterie
rechter Vorhof (Atrium dextrum), (Aorta).
linker Vorhof (Atrium sinistrum),
rechte Herzkammer (Ventriculus dexter), Form, Masse, Gre
linke Herzkammer (Ventriculus sinister). Das Herz ist kegelfrmig. An der Oberflche
Vorhfe und Kammern werden durch das binde- kann man folgende Einzelheiten erkennen: Herz-
gewebige Herzskelett getrennt. Es besteht im spitze, Herzbasis, Herzkranzfurche und Zwischen-
Prinzip aus vier Faserringen als Ansatzstelle fr kammerfurchen mit Herzkranzgefen sowie
die Herzklappen (= Herzventile). Man bezeich- Herzohren. Die Gre entspricht etwa der Faust
net die Ebene, in der das Herzskelett mit den des Trgers. Seine Masse betrgt bei Mnnern
Herzventilen liegt, deshalb auch als Ventilebene. ca. 300 Gramm und bei Frauen ca. 220 Gramm.

Anschluss der Herzrume an das Gefsystem


P Kinder haben ein relativ groes Herz. Bei
( Abb. 9.16 und 9.17) Leistungssportlern ist das Herz ebenfalls ver-
Einflussbahnen (= Venen, die an den Vorhfen grert.

linker Vorhof
(Atrium sinistrum)
groe Krperarterie Lungenvenen
(Aorta) (Vv. pulmonales)

zweizipflige
Stamm der Segelklappe/
Lungenarterien Mitralklappe
(Truncus pulmonalis) (Valva bicuspidalis,
Valva mitralis)
obere Hohlvene
(V. cava superior) Aortenklappe
(Valva aortae)
rechter Vorhof
(Atrium dextrum) linke
Lungenarterienklappe/ Herzkammer
(Ventriculus sinister)
Pulmonalklappe
(Valva trunci pulmonalis) Herzinnenhaut
dreizipflige (Endokard)
Segelklappe Herzmuskel-
(Valva tricuspidalis) schicht
Papillarmuskel (Myokard)
untere Hohlvene Herzauenhaut
(V. cava inferior) (Epikard)
rechte Herzkammer Herzscheide-
(Ventriculus dexter) wand
(Septum cardiale)

Abb. 9.16 Herzinnenrume.


9.4 Das Herz 173

Herz, ventral
rechte gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis dextra)

rechte linke gemeinsame


Schlsselbeinarterie Halsarterie
(A. subclavia dextra) (A. carotis communis
sinistra)
Stamm der linke
Hals-Arm-Arterie Schlsselbeinarterie
(Truncus brachiocephalicus) (A. subclavia sinistra)
obere Hohlvene Lungenvenen
(V. cava superior) (Vv. pulmonales)

groe Krperarterie
(Aorta)
linke Lungenarterie
rechte Lungenarterie (A. pulmonalis sinistra)
(A. pulmonalis dextra)
Stamm der
rechtes Herzohr Lungenarterien
(Auricula dextra) (Truncus pulmonalis)

rechte vorderer
Herzkranzarterie Zwischenkammerast
(Ramus interventricularis
(A. coronaria dextra)
anterior)
rechte Herzkammer linke Herzkammer
(Ventriculus dexter) (Ventriculus sinister)

Herzbasis Herzspitze

Herz, dorsal

Aortenbogen obere Hohlvene


(Arcus aortae)
(V. cava superior)
linke Lungenarterie rechte Lungenarterie
(A. pulmonalis sinistra) (A. pulmonalis dextra)

linke Lungenvenen rechte Lungenvenen


(Vv. pulmonales dextrae)
(Vv. pulmonales sinistrae)
linkes Herzohr untere Hohlvene
(V. cava inferior)
(Auricula sinistra)
kleine Herzvene
Sammelvene (V. cordis parva)
(Sinus coronarius)
rechte
linke umschlingende Herzkranzarterie
(A. coronaria dextra)
Kranzarterie
(Ramus circumflexus) mittlere Herzvene
(V. cordis media)
hinterer
Zwischenkammerast
(Ramus interventricularis
posterior)

Bau des Herzens (Vorder- und Rckansicht). Abb. 9.17


174 9 Kreislaufsystem

sten Hohlororganen
Herzbasis dreischichtig:
(2. Zwischenrippenraum)
Herzinnenhaut (Endo-
linke Lunge kard), Muskelschicht
(Myokard) und Herz-
auenhaut (Epikard).
ueres Das Myokard ist ein
Herzbeutelblatt
(Perikard) krftiger Hohlmuskel
Herzspitze aus Herzmuskelge-
(5. Zwischen- webe ( S. 68).
rippenraum) Seine Dicke ist der
Zwerchfell Belastung angepasst;
(Diaphragma) so ist das Vorhofmyo-
Leber kard schwcher als das
(Hepar) Kammermyokard (ein-
Magen schlielich Vorhof-
(Gaster, und Kammerseptum)
Ventriculus)
und das linke Kammer-
myokard deutlich str-
Abb. 9.18 Lage des Herzens. ker als das rechte.

Lage ( Abb. 9.16, S. 172) Herzklappen (Herzventile)


Das Herz liegt im mittleren Mediastinum, Die Herzklappen sind Duplikaturen des Endo-
2/3 links und 1/3 rechts der Medianebene. Die kards. Sie besitzen, wie Ventile, eine Durchlass-
Lngsachse verluft von rechts hinten oben nach und eine Sperrrichtung; das ffnen und Schlie-
links vorne unten. en wird also durch die Druckverhltnisse bei-
derseits der Klappe bestimmt. Jede Herzkammer
Herzwand ( Abb. 9.16, S. 172) wird von zwei Herzklappen begrenzt, einer
Der Wandaufbau des Herzens ist wie bei den mei- Segelklappe zwischen Kammer und Vorhof und
einer Taschenklappe
zwischen Kammer und
dreizipflige zweizipflige Segelklappe/Mitralklappe Ausflussbahn.
Segelklappe/ (Valva bicuspidalis/Valva mitralis)
Tricuspidalklappe
(Valva tricuspidalis) Segelklappen (Atrio-
ventrikularklappen)
Die Segelklappen be-
stehen aus einer Dop-
pellage Herzinnenhaut
ffnung fr
Hissches (Endokard). Durch fei-
Bndel ne Sehnenfden sind
sie mit den Papillar-
muskeln verbunden.
Steigt der Kammer-
rechte druck ber den Vorhof-
Herzkranzarterie druck, kontrahieren
(A. coronaria dextra) linke
Herzkranzarterie diese Muskeln, sodass
Pulmonalklappe (A. coronaria sinistra)
(Valva trunci die Klappen nicht (wie
pulmonalis) Aortenklappe eine Pendeltr) in den
(Valva aortae)
Vorhof zurckschla-
Abb. 9.19 Herzskelett, Ventilebene von oben. gen knnen.
Text Kreislauf 22.08.2002 9:32 Uhr Seite 175

9.4 Das Herz 175

Systole (Austreibungsphase) Diastole (Fllungsphase)

Vorhofdruck niedrig hoch


Herzkammerdruck hoch niedrig
Tricuspidalklappe geschlossen offen
Pulmonalklappe offen geschlossen
Blutbewegung Blutauswurf in den Truncus Blut fliet vom Vorhof in die
pulmonalis und Vorhoffllung Herzkammer

Tricuspidal-
klappe
(Valva
Pulmonalklappe tricuspidalis)
(Valva trunci pulmonalis)

rechter Vorhof
(Atrium dextrum)

Papillarmuskeln

rechte Herzkammer
(Ventriculus dexter)

Tricuspidalklappe
(Valva tricuspidalis)

Ventilfunktion der Herzklappen in der rechten Herzhlfte. Abb. 9.20

Bei den Segelklappen unterscheiden wir


Tricuspidalklappe (Valva tricuspidalis drei

P Entzndungen des Endokards (Endokarditis)

Segel) zwischen rechtem Vorhof und rechter zeigen sich insbesondere an den Klappen. Als
Herzkammer und Folge knnen Herzklappenfehler entstehen.
Mitralklappe (Valva mitralis zwei Segel)
zwischen linkem Vorhof und linker Herz- Blutversorgung ( Abb. 9.17, S. 173)
kammer. Die Blutversorgung des Herzens erfolgt durch die
Herzkranzgefe (Koronargefe). Zwei Herz-
Taschenklappen (Semilunarklappen) kranzarterien entspringen aus der Aorta dicht
Die dnnen Membranen der Taschenklappen be- hinter der Aortenklappe.
stehen aus einer Doppellage der Arterieninnen- Rechte Herzkranzarterie (A. coronaria dextra),
haut (Intima) und haben die Form von Schwal- sie verluft in der rechten Kranzfurche nach
bennestern. Sie sind so angeordnet, dass sie vom hinten. Ihr Endast, der hintere Zwischenkam-
zurckstrmenden Blut gefllt werden, sich da- merast (Ramus interventricularis posterior),
durch aufblhen und somit die ffnung ver- steigt in der hinteren Zwischenkammerfurche
schlieen. Jede Klappe besteht aus drei Taschen. ab;
linke Herzkranzarterie (A. coronaria sinistra).
Die Taschenklappen unterteilen wir in Sie teilt sich nach l cm in zwei Endste:
Pulmonalklappe (Valva trunci pulmonalis) den vorderen Zwischenkammerast (Ramus
zwischen rechter Herzkammer und Truncus interventricularis anterior), der in der vorde-
pulmonalis sowie ren Zwischenkammerfurche herzspitzen-
Aortenklappe (Valva aortae) zwischen linker wrts verluft und
Herzkammer und Aorta. den umbiegenden Ast (Ramus circumflexus),
der in der linken Herzkranzfurche nach hin-
ten verluft.
176 9 Kreislaufsystem


P Durchblutungsstrungen des Herzens sind 9.5 Gefsystem
relativ hufig.
Begrndung: Das Herz wird durch zwei Arte- Das Gefsystem bildet in Verbindung mit dem
rien versorgt. Dies sind funktionelle End- Herzen ein Transportsystem, in dem das Trans-
arterien, die kaum ber Anastomosen in Ver- portmittel Blut in einem geschlossenen Kreis-
bindung stehen. Durch die stndige Energie lauf bewegt wird. Auf diese Weise werden den
verbrauchende Pumpttigkeit hat das Herz Zellen die zum Leben notwendigen Stoffe zu-
einen groen Durchblutungsbedarf. und die Stoffwechselprodukte abgeleitet. Man
Bei unvollstndigem oder kurzzeitigem Ver- unterscheidet das Blutgefsystem und das
schluss kleinerer Gefe kommt es zu hefti- Lymphgefsystem.
gem Thoraxschmerz, der oft in den linken
Arm ausstrahlt (Angina pectoris). Einige
Tropfen oder Sprayste Nitroglyzerin (ber 9.5.1 Blutgefarten
die Mundschleimhaut resorbiert) lindern
prompt die Beschwerden, weil dadurch eine Das Blutgefsystem ist ein geschlossenes
Erweiterung der Herzkranzgefe erfolgt. Der System, d. h., der Inhalt (Blut) bewegt sich aus-
vollstndige Verschluss eines Gefes (meist schlielich in den Gefen. Es werden folgende
durch einen Thrombus) verursacht extrem star- Blutgefarten unterschieden:
ke Brustschmerzen (Herzinfarkt). Das berle- 1. Arterien. Gefe, die das Blut vom Herzen
ben des Patienten hngt hauptschlich davon weg transportieren. Die kleinsten Arterien
ab, wie schnell er in eine Klinik kommt und heien Arteriolen.
dort der Thrombus durch knstliche Fibrino- 2. Venen. Gefe, die das Blut zum Herzen hin
lyse mit Medikamenten (z. B. Streptokinase, transportieren. Die kleinsten Venen heien
Urokinase) aufgelst wird. Auch heute noch Venolen (oder Venulen).
sterben viele Menschen am Herzinfarkt, da bei 3. Kapillaren. Kleinste Haargefe zwischen
einem greren Gefverschluss das dahinter Arteriolen und Venolen, die dem Stoffaus-
liegende Herzmuskelgewebe irreversibel ge- tausch zwischen Blut und Zelle dienen.
schdigt wird und der Pumpvorgang nicht auf-
rechterhalten werden kann. Die Ver- und Entsorgung der Zellen erfolgt indi-
rekt ber die interstitielle Flssigkeit.
Nervenversorgung
Das Herz wird vom vegetativen Nervensystem
(sympathische und parasymphatische Herznerven) interstitielle Flssigkeit
versorgt ( S. 364 ff). Bei sympathischer
Erregung steigen Herzfrequenz und Schlagkraft,
der Parasympathikus hemmt beides.
Arteriole

P Viele Herzmedikamente wirken ber die
Beeinflussung des vegetativen Nervensystems
(z. B. Betablocker). Venole
Kapillaren
Herzbeutel (Perikard) Gewebe

P Der Herzbeutel ermglicht die freie Beweg-
lichkeit des Herzens. Er ist wie alle sersen Stoffaustausch im Kapillargebiet. Abb. 9.21
Hhlen aus zwei Blttern aufgebaut ( S. 86):
dem ueren fibrsen parietalen Blatt (Perikard
im engeren Sinn) und Arteriovense Anastomosen sind Gefverbin-
dem inneren sersen viseralen Blatt (Epikard), dungen zur Umgehung der Kapillaren. Sie die-
das dem Herzen anliegt. nen der Durchblutungsregulation (z. B. Vern-
Der Umschlag vom Epikard in das Perikard derung der Hautdurchblutung zur Steuerung des
befindet sich an den Ein- und Ausflussbahnen des Wrmehaushaltes.
Herzens.
9.5 Gefsystem 177

Kapillaren Hauptgef
Arteriole
Nebengef

Gewebe
Venole interstitielle
Flssigkeit
Brckenanastomose

Abb. 9.22 Anastomosen.


Bei Unterbrechung des Blutstromes im
Hauptgef erfolgt die Blutversorgung des
Bau der Gefe betreffenden Gewebeabschnittes ber die
Alle Hohlorgane haben ein gemeinsames Bau- Nebengefe.
prinzip. Ihre Wnde bestehen meist aus drei Kollateral- oder
Hauptschichten. Umgehungskreislauf. Abb. 9.23
Die Gefe sind ebenfalls Hohlorgane, deren
Innenraum wir als Geflumen bezeichnen.
Ihre drei Hauptschichten heien: Die Blutversorgung der Arterienwand bei Arte-
Intima (Innenschicht). Sie wird gebildet aus rien bis etwa 1 mm Durchmesser erfolgt durch
dem Endothel ( S. 62) und einem
Diffusion aus dem durchstrmenden Blut. Groe
bindegewebigen Anteil.
Media (Mittelschicht). Sie ist die strkste Schicht Arterien wie z. B. die Aorta werden durch eige-
und besteht aus ne Blutgefe (Vasa vasorum) mit Sauerstoff
elastischen und kollagenen Fasern sowie versorgt.
glatten Muskelzellen.
Adventitia (Auenschicht). Sie setzt sich aus Gefendothel Geflumen
kollagenen und elastischen Fasernetzen zusammen,
die mit der Umgebung in Verbindung stehen. elastische
Membran
Arterien
Arterien zeigen den klassischen Dreischichten- Interna
aufbau. Man unterscheidet: Arterie
Arterien elastischen Typs, bei denen die elasti- Media elastischer Typ
schen Elemente in der Media berwiegen. Da-
zu gehren die Aorta und ihre ste (herznahe Externa
Arterien). Sie ermglichen die so genannte mit ver-
Windkesselfunktion ( Kap. 9.6.3, S. 197). sorgenden
Blutgefen
Arterien muskulren Typs, die in der Media und Nerven grere Arterie
reichlich glatte Muskelzellen besitzen. Dazu Arterie muskulser Typ
gehren die herzfernen kleineren Arterien und
Arteriolen, ber die die Regulation der Organ- Geflumen
durchblutung erfolgt. Gefendothel
Endarterien haben keine Anastomosen, sodass Intima
bei Verschluss keine Umgehung (= Kollateral- (Tunica interna)
kreislauf) mglich ist und das nicht mehr ver- Externa
sorgte Gewebe abstirbt. Endarterien besitzen (Tunica externa)
z. B. Herz, Lunge, Niere, Leber, Milz, Gehirn. Media Vene
(Tunica media)

P Hufigste Erkrankung der Arterien ist die Bau von Arterie und Vene. Abb. 9.24
Arteriosklerose (Arterienverkalkung).
178 9 Kreislaufsystem

Venen Pulmonalklappe ber die Lungenarterien in die


Der Bau der Venenwand entspricht im Prinzip Kapillaren der Lunge. Nach erfolgtem Gasaus-
dem der muskulren Arterien. Im Unterschied zu tausch wird das O2-reiche und CO2-arme Blut
diesen ist aber die Venenwand (Media) dnner. ber die Lungenvenen in den linken Vorhof
Am strksten sind die Wnde der Beinvenen. Zur transportiert. Vom linken Vorhof fliet das Blut
Verhinderung des Blutrckstromes dienen die durch die Mitralis in den linken Ventrikel.
Venenklappen (= Taschenklappen).
2. Groer Blut- oder Krperkreislauf
Den Weg des O2-reichen und CO2-armen Blutes
aus dem linken Ventrikel durch die Aortenklappe
ber die Aorta und ihre ste in die Kapillaren
der parallel geschalteten Organ- bzw. Teilkreis-
lufe (Herz, Milz, Magen, Muskulatur, Niere
Venenklappen usw.) nennt man den groen oder Krperkreis-
lauf. Nach erfolgtem Stoffaustausch sammelt
sich das O2-arme und CO2-reiche Blut in den
Venen, die schlielich als V. cava superior und
inferior in den rechten Vorhof mnden. Vom
rechten Vorhof fliet das Blut durch die
Abb. 9.25 Venenklappen. Tricuspidalis in den rechten Ventrikel.

Merke


P Hufige Erkrankungen der Venen sind
Das Blut gelangt ber Venen immer zuerst in
die Vorhfe. Im Herzen fliet das Blut dann
Krampfadern (Varizen) als Folge schwacher
vom rechten Vorhof in die rechte und vom
Venenwnde: Die Klappen schlieen nur noch
linken Vorhof in die linke Herzkammer. In
unvollkommen.
der rechten Herzhlfte befindet sich O2-
armes, in der linken Herzhlfte O2-reiches
Kapillaren Blut.
Die Kapillarwand ist einschichtig und besteht
nur aus der Intima, die von einem Gitterfaser-
hutchen umhllt wird. Der Durchmesser der Die einzelnen Organkreislufe (z. B. Nierenkreis-
kleinsten Kapillaren ist geringer als der eines lauf) des Krperkreislaufes sind parallel geschal-
Erythrozyten, sodass diese sich nur aufgrund tet, d. h., jedes Organ erhlt einen bestimmten Teil
ihrer Elastizitt hindurchbewegen knnen. des Gesamtblutvolumens.
Jeder Organkreislauf zeigt eine bestimmte
Geffolge:
9.5.2 Blutkreislauf

Als Blutkreislauf wird der durch die Herzttigkeit


bewirkte Blutumlauf im Blutgefsystem be- groe Venen groe Arterien
zeichnet. Der Blutkreislauf als funktionelle Ein-
heit von Herz und Gefen sichert den Stoff-
und Wrmetransport im Krper ber grere mittlere Venen mittlere Arterien
Strecken. Beim Menschen strmt das Blut in
einer doppelt kreisfrmigen Bahn. Der Blutkreis-
lauf besteht aus zwei hintereinander (in Reihe) kleine Venen kleine Arterien
geschalteten Abschnitten.

1. Kleiner Blut- oder Lungenkreislauf Venolen Arteriolen


Das ist der Weg des O2-armen und CO2-reichen
Blutes aus dem rechten Ventrikel durch die Kapillaren
9.5 Gefsystem 179

linke
gemeinsame Lungenarterie
Halsarterie (A. pulmonalis
(A. carotis communis) sinistra)
linke
Lungenvenen
(Vv. pulmonales
obere sinistrae)
Hohlvene
(V. cava superior) Lungenstamm-
rechter arterie
Vorhof (Truncus pulmonalis)
(Atrium dextrum) linker Vorhof
rechte (Atrium sinistrum)
Herzkammer linke
(Ventriculus dexter) Herzkammer
Leber (Ventriculus sinister)
(Hepar) Aorta
Pfortader
(V. portae)

Grimmdarm
(Colon)

untere
Hohlvene
(V. cava
inferior)

gemeinsame Oberschenkel-
Becken- oder arterie
Hftarterie (A. femoralis)
(A. iliaca communis)

Blutkreislauf. Abb. 9.26


180 9 Kreislaufsystem

Tab. 9.7 Aorta und ihre ste.


Aortenabschnitte abgehende ste Versorgungsgebiete

Aufsteigende Aorta Rechte und linke Herzkranzarterie Herz


(Pars ascendens aortae) (A. coronaria dextra et sinistra)

Aortenbogen Truncus brachiocephalicus mit


(Arcus aortae) rechter gemeinsamer Halsarterie
(A. carotis communis dextra) und
rechter Schlsselbeinarterie
(A. subclavia dextra) Hals, Kopf, Arm.
linke gemeinsame Halsarterie
(A. carotis communis sinistra)
linke Schlsselbeinarterie
(A. subclavia sinistra)

Brustaorta Bronchialarterien,
(Pars thoracica aortae) Speiserhrenarterien, Brusteingeweide,
obere Zwerchfellarterien, Zwerchfelloberseite,
Zwischenrippenarterien. Brustwand.
Bauchaorta Unpaarige ste:
(Pars abdominalis aortae) Bauchhhlenstamm
(Truncus coeliacus) mit
linker Magenarterie, Magen, Duodenum,
gemeinsamer Leberarterie, Leber, Milz,
Milzarterie (A. lienalis); Bauchspeicheldrse.
obere Gekrsearterie Darm ab Jejunum bis
(A. mesenterica superior), Quercolon (2. Drittel).
untere Gekrsearterie Letztes Drittel Quer-
(A. mesenterica inferior). colon bis zum oberen
Teil des Mastdarms.
Paarige ste Nebennierenarterien, Nebennieren,
Nierenarterien (Aa. renales), Nieren,
Hoden- bzw. Eierstockarterien, Hoden bzw. Eierstcke,
Zwerchfellarterien, Zwerchfellunterseite,
Lendenarterien. Bauchwand.
Gemeinsame Hftarterie
(A. iliaca communis) mit
innerer Hftarterie Beckenorgane
(A. iliaca interna) und
uerer Hftarterie Bein
(A. iliaca externa).

Die Arterien verzweigen sich bis zu den Kapilla- Arterien des Krperkreislaufes und ihre
ren stndig weiter auf. Dabei nehmen der Gesamt- Versorgungsgebiete
querschnitt zu, Durchmesser und Wandstrke ab. Alle groen Arterien des Krperkreislaufes ent-
Ebenso verringert sich die Strmungsgeschwin- springen aus der Aorta. Die Aorta beginnt im lin-
digkeit des Blutes. ken Ventrikel und wird ihrem Verlauf entspre-
Die Organdurchblutung wird vom vegetativen chend in folgende Abschnitte gegliedert:
Nervensystem und durch Hormone dem jeweili- Aufsteigende Aorta (Pars ascendens aortae) im
gen Funktionszustand angepasst. oberen Mediastinum.
Aortenbogen (Arcus aortae) verluft vom obe-
ren Mediastinum in das hintere.
9.5 Gefsystem 181

Schlfenarterie
(A. temporalis)
Gesichtsarterie uere Kopfarterie
(A. facialis) (A. carotis externa)
innere Kopfarterie
(A. carotis interna)
gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis)

Schlsselbeinarterie
(A. subclavia)
Stamm
Achselarterie der Kopf-Arm-Arterie
(A. axillaris) (Truncus brachiocephalicus)
Oberarmarterie Aorta
(A. brachialis) Bauchhhlenstamm
Nierenarterie (Truncus coeliacus)
(A. renalis) obere
gemeinsame Gekrsearterie
Hftarterie (A. mesenterica superior)
(A. iliaca communis) untere
Speichenarterie Gekrsearterie
(A. radialis) (A. mesenterica inferior)
Ellenarterie uere Hftarterie
(A. ulnaris) (A. iliaca externa)
tiefer
Hohlhandbogen
(Arcus palmaris
profundus)
innere Hftarterie
(A. iliaca interna)
oberflchlicher Oberschenkelarterie
Hohlhandbogen (A. femoralis)
(Arcus palmaris
superficialis)

Kniekehlenarterie
(A. poplitea)

vordere
Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior) hintere
Wadenbeinarterie Schienbeinarterien
(A. fibularis) (Aa. tibiales posterior)

Furckenarterie
(A. dorsalis pedis)

Arterien des Krpers Gesamtbersicht. Abb. 9.27


182 9 Kreislaufsystem

Hinterhauptarterie
(A. occipitalis)

Schlfenarterie uere Halsarterie


(A. temporalis superficialis) (A. carotis externa)
rechte gemeinsame Halsarterie innere Halsarterie
(A. carotis communis dextra) (A. carotis interna)
rechte Schlsselbeinarterie linke gemeinsame Halsarterie
(A. subclavia dextra) (A. carotis communis sinistra)
Wirbelarterie
(A. vertebralis)

Achselarterie linke Schlsselbeinarterie


(A. axillaris) (A. subclavia sinistra)

Oberarmarterie Stamm der Kopf-Arm-Arterie


(A. brachialis) (Truncus brachiocephalicus)
Aortenbogen
(Arcus aortae)

Speichenarterie Bauchaorta
(A. radialis) (Pars abdominalis aortae)
Ellenarterie
(A. ulnaris)
uere Hftarterie
(A. iliaca externa)

Oberschenkelarterie
(A. femoralis)

Kniekehlenarterie
(A. poplitea)
vordere Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior) Wadenbeinarterie
(A. fibularis)

hintere
Schienbeinarterie
(A. tibialis posterior)
Furckenarterie
(A. dorsalis pedis)

Pulstaststellen

Abb. 9.28 Arterielle Versorgung von Kopf, Arm und Bein.


9.5 Gefsystem 183

rechte gemeinsame linke gemeinsame


Halsarterie Halsarterie
(A. carotis communis dextra) (A. carotis communis
sinistra)
rechte
Schlsselbeinarterie linke
(A. subclavia dextra) Schlssel-
beinarterie
(A. subclavia
Stamm der rechten sinistra)
Hals- und
Schlsselbeinarterie
(Truncus
brachiocephalicus)

Aortenbogen
aufsteigende Aorta (Arcus aortae)
(Pars ascendens aortae)
Brustaorta
Bauchhhlenstamm (Pars thoracica aortae)
(Truncus coeliacus)
obere Gekrsearterie linke Nierenarterie
(A. mesenterica superior) (A. renalis sinistra)
Keimdrsenarterie
Bauchaorta (Hoden- bzw.
(Pars abdominalis aortae) Eierstockarterie)
gemeinsame untere
Hftarterie Gekrsearterie
(A. iliaca communis) (A. mesenterica inferior)
uere Hftarterie Aortengabel
(A. iliaca externa) (Bifurcatio aortae)
innere Hftarterie
(A. iliaca interna)
absteigende Aorta
(Pars descendens aortae)

Abschnitte der Aorta und ihre Hauptste. Abb. 9.29

oberer Magen
Bauchhhlenstamm (Gaster)
(Truncus coeliacus) Milz
(Splen, Lien)
Milzarterie
(A. lienalis)
linke Magenarterie
(A. gastrica sinistra)

gemeinsame Leberarterie
(A. hepatica communis)
Ast der A. hepatica
Leber communis
(Hepar) (A. gastroduodenalis)
Bauchspeicheldrse Ast der A. lienalis
(Pankreas) (A. gastroepiploica)
Zwlffingerdarm rechte Magenarterie
(Duodeum) (A. gastrica dextra)

Versorgungsgebiet des oberen Bauchhhlenstammes (Truncus coeliacus). Abb. 9.30


184 9 Kreislaufsystem

Alle Venen sammeln sich in zwei groen Venen-


groes Netz stmmen, der oberen Hohlvene (V. cava superi-
(Omentum majus) or) und der unteren Hohlvene (V. cava inferior).
Grimmdarm
(Colon) Einzugsgebiet der oberen Hohlvene (V. cava
untere superior): Sammelt das Blut aus der oberen
Gekrsearterie Krperhlfte (oberhalb des Zwerchfelles). Sie
(A. mesenterica
inferior) liegt im oberen Mediastinum.
obere
Gekrsearterie Einzugsgebiet der unteren Hohlvene (V. cava
(A. mesenterica inferior): Sammelt das Blut aus der unteren
superior) Krperhlfte (unterhalb des Zwerchfelles). Sie
Dnndarm liegt im Retroperitonealraum rechts der Bauch-
(Intestinum tenue)
aorta und beginnt mit der Vereinigung der bei-
den gemeinsamen Hftvenen.

Versorgungsgebiete der Arterien und Venen des Lungenkreislaufes


Abb. 9.31 Gekrsearterien. Aus dem rechten Ventrikel entspringt der Lun-
genarterienstamm (Truncus pulmonalis), der
sich aufteilt in rechte (A. pulmonalis dextra) und
linke Lungenarterie (A. pulmonalis sinistra) (
Absteigende Aorta (Pars descendens aortae) mit Abb. 9.34, S. 186).
Brustaorta (Pars thoracica aortae) im hinte- Beide Arterien treten am Lungenhilus1) in die
ren Mediastinum, Lunge ein und zweigen sich dort weiter auf.
Bauchaorta (Pars abdominalis aortae) im
Retroperitonealraum. Zum Lungenkreislauf gehren 2 rechte und
Die Aorta endet mit der Aufgabelung (Bifurcatio 2 linke Lungenvenen (Vv. pulmonales), die das
aortae) in die beiden gemeinsamen Hftarterien. sauerstoffreiche Blut von den Lungen in den lin-
ken Vorhof transportieren.
Wichtige Arterien des Krpers Abb. 9.27 bis
9.31.

Venen des Krperkreislaufes und ihre 1) Hilus = Hilum


Einzugsgebiete
Bei den Venen des Krperkreislaufes unter-
scheiden wir stchen der
Lungenarterie
tiefe Venen, die in der Regel als Begleitvenen
der greren Arterien verlaufen und auch die Bronchiole
gleiche Bezeichnung haben, stchen der
Beispiel: A. radialis und V. radialis, Lungenvene
A. renalis und V. renalis;
oberflchliche oder Hautvenen, die als blu-
liche Strnge besonders gut an Hand- und
Furcken sowie in der Ellenbeuge zu sehen Kapillarnetz
sind (Abb. 9.33).
Lungen-
Merke blschen
(Alveolen)
Oberflchliche und tiefe Venen stehen durch
Anastomosen miteinander in Verbindung.
Das vense Blut fliet von den Oberflchen- bergang der Lungenarterie
venen in die tiefen Venen. zu den Lungenvenen. Abb. 9.32
9.5 Gefsystem 185

Sinus sagittalis Schlfenvene


superior (V. temporalis)
Sinus transversus
Venengeflecht Hinterhauptvene
(Plexus pterygoideus) (V. occipitalis)
Gesichtsvene uere Drosselvene
(V. facialis) (V. jugularis externa)
innere Drosselvene
(V. jugularis interna)
rechte linke
Schlsselbeinvene Schlsselbeinvene
(V. subclavia dextra) (V. subclavia sinistra)
obere Hohlvene Arm-Kopf-Vene
(V. cava superior) (V. brachiocephalica)
Achselvene linke Lngsvene
(V. axillaris) (V. hemiacygos)
V. cephalica1) rechte Lngsvene
V. basilica1) (V. acygos)
Lebervenen
Nierenvene (Vv. hepaticae)
(V. renalis)
V. mediana cubiti1) untere Hohlvene
(V. cava inferior)
aufsteigende
Lendenvene
(V. lumbalis ascendens)

gemeinsame
Hftvene
(V. iliaca communis)
Oberschenkelvene
(V. femoralis) uere Hftvene
(V. iliaca externa)
groe Hautvene
(V. saphena magna) innere Hftvene
(V. iliaca interna)

groe Hautvene1)
(V. saphena magna)
entsteht im Bereich
des Schienbeinknchels
Kniekehlenvene1) und zieht medial am
(V. poplitea) Unter- und Oberschenkel
nach proximal
kleine Hautvene
(V. saphena parva)
beginnt im Breich des
Wadenbeinknchels
und verluft an der
dorsalen Seite des
Unterschenkels zur
Kniekehle und
mndet hier in die
V. poplitea

1) Hautvenen
Venennetz des
Furckens ber die mit markierten Venen bestehen
(Rete venosum dorsale Verbindungen (Anastomosen) zum Pfort-
pedis) aderkreislauf

Venen des Krpers Gesamtbersicht. Abb. 9.33


186 9 Kreislaufsystem

linke
Lungenarterie
(A. pulmonalis
rechte sinistra)
Lungenarterie Lungenvenen
(A. pulmonalis (Vv. pulmonales)
dextra)
linker Vorhof
Lungenvenen (Atrium sinistrum)
(Vv. pulmonales)
Lungenarte-
rienstamm
(Truncus
pulmonalis)
rechte
Herzkammer
(Ventriculus
dexter)

Abb. 9.34 Arterien und Venen des Lungenkreislaufs.

Pfortaderkreislauf
Merke
Unter den Organkreislufen des Krperkreis-
laufes nimmt der Pfortaderkreislauf eine Sonder- Unter dem Pfortaderkreislauf versteht man
stellung ein. Abbildung 9.35 verdeutlicht dies folgenden Weg des Blutes:
wie folgt: Bauchaorta
Das Blut kommt von der Bauchaorta ber die
Organarterien in die Kapillargebiete der unpaari- Organarterien der unpaarigen Bauchorgane
gen Bauchorgane (Magen, Darm, Bauchspei-
cheldrse, Milz). Kapillaren der unpaarigen Bauchorgane
(1. Kapillargebiet)
Hier finden folgende wichtige Vorgnge statt:
Pfortader (= Sammelvene)
Im Magen- und Darmkapillargebiet erfolgt die
Resorption der Nahrungsstoffe, Leberkapillaren
im Milzkapillargebiet die Aufnahme von Ab- (2. Kapillargebiet)
bauprodukten des Blutes und
im Bauchspeicheldrsenkapillargebiet die Auf- Lebervenen
nahme der Hormone Insulin und Glukagon.
untere Hohlvene
Das in seiner Zusammensetzung so vernderte
Blut fliet danach ber die Venen der unpaarigen blut befindlichen Stoffe werden einer Kontrolle
Bauchorgane in die Pfortader (V. portae), also unterzogen, bevor sie in die anderen Organe
nicht wie blich in die untere Hohlvene. ber gelangen.
die Pfortader gelangt es in das 2. Kapillargebiet, Die Leber verndert also das Blut deutlich, in
das der Leber. Von da strmt es schlielich ber dem sie u. a.
die Lebervenen zur unteren Hohlvene. die resorbierten Nahrungsstoffe abbaut oder
ineinander umwandelt,
Die Leber ist das wichtigste Stoffwechselorgan toxische Stoffe (Alkohol, Medikamente) ent-
( Kap. 12.6, S. 246), d. h., die im Pfortader- giftet,
9.5 Gefsystem 187

untere Hohlvene
linke (V. cava inferior)
Magenvene
(V. gastrica sinistra)

Pfortader
(V. portae)

Leberpforte
(Porta hepatis)
Milzvene
(V. lienalis)

rechte
Magenvene
(V. gastrica dextra)

Bauchspeicheldrsenvenen
(Vv. pancreaticae)

obere Gekrsevene
(V. mesenterica superior)
untere Gekrsevene
(V. mesenterica inferior)

Venen des Pfortaderkreislaufes (Organe von dorsal). Abb. 9.35

Hmoglobin in Gallenfarbstoffe umwandelt, 9.5.3 Lymphgefsystem


unter Einwirkung von Hormonen den Blut-
zuckerspiegel reguliert. Das Lymphgefsystem stellt ein zustzliches
Zwei Besonderheiten des Pfortaderkreislaufes Abflusssystem dar, durch das die berschssige
sind hervorzuheben. interstitielle Flssigkeit in das Blutgefsystem
1. Das Blut durchstrmt zwei Kapillargebiete. zurckgefhrt wird. Blut- und Lymphgef-
2. Im Venenblut befinden sich nicht nur Stoff- system stehen also in enger Beziehung.
wechselendprodukte, sondern auch die resor- Die Lymphgefe durchziehen den gesamten
bierten Nahrungsstoffe. Krper, sodass jede Zelle angeschlossen ist.
Im Bereich der Blutkapillaren beginnt das

P Bei Verstopfung der Pfortader nimmt das Lymphgefsystem mit zahlreichen blindver-
Blut einen Umweg (Kollateralkreislauf) ber schlossenen Lymphkapillaren. Die Lymphkapil-
Anastomosen, die zu Venen der vorderen laren vereinigen sich zu ableitenden, oft mit
Bauchwand fhren. Deren Erweiterung fhrt Klappen ausgestatteten Lymphgefen, die ber
zum sog. Medusenhaupt. Eine weitere Um- den Milchbrustgang (Ductus thoracicus) und den
gehung erfolgt ber Speiserhrenvenen und rechten Lymphstamm (Ductus lymphaticus dex-
damit verbundener Varizenbildung. ter) in das Venensystem einmnden. An den
188 9 Kreislaufsystem

Lymphe Entstehung ( S. 200) und


Interzellularraum blindgeschlossene Zusammensetzung
Lymphkapillare
Die Lymphe besteht aus interstitieller Flssigkeit
Blutkapillaren und ist hnlich dem Blutplasma zusammenge-
setzt. Wichtige Unterschiede zum Blutplasma
Arteriole Gewebe sind hherer Wasseranteil, geringerer Eiwei-
Venole
anteil (ca. 20 g/l), geringerer Glucoseanteil. Auer-
dem enthlt sie keine Erythrozyten. Es gibt aller-
dings erhebliche regionale Unterschiede.

Merke

Lymphgef Die Darmlymphe heit Chylus und ist vor al-


lem fr den Abtransport von Fettstoffen ver-
antwortlich (Ursache fr das milchige Aus-
Abb. 9.36 Blut- und Lymphkapillaren. sehen).

Lymphmenge
Extremitten verlaufen die mittleren Lymphge- Sie betrgt unter normalen Bedingungen ca. 2 l/d
fe hufig in unmittelbarer Nachbarschaft der (= 1/10 des kapillren Filtrats).
greren Hautvenen.
Lymphtransport
Der Ductus thoracicus ist der grte Lymph- Das Lymphsystem hat im Unterschied zum
stamm. Er beginnt in Hhe des 1. Lendenwirbels Blutgefsystem kein Pumporgan. Der Trans-
mit einer blschenfrmigen Erweiterung port der Lymphe erfolgt durch Kontraktion der
(= Cisterna chyli) und tritt mit der Aorta durch glatten Gefmuskulatur und durch vorber-
das Zwerchfell. Danach verluft er im hinteren gehende Drucksteigerung in der Umgebung der
Mediastinum und mndet in den linken Venen- Lymphgefe. Die mittlere Strmungsgeschwin-
winkel (= Vereinigung von V. subclavia sinistra digkeit ist dementsprechend sehr langsam.
und V. jugularis interna sinistra). Er sammelt die
Lymphe aus allen Krperteilen unterhalb des
P Verschluss von Lymphgefen fhrt zu
Zwerchfelles, dem linken Arm und der linken Lymphdemen.
Brust-, Hals- und Kopfseite. Entzndungen der Hautlymphgefe (z. B.
Der nur ca. 1 cm lange Ductus lymphaticus dex- nach Insektenstich) erkennt man an deren roter
ter mndet in den rechten Venenwinkel (Ver- Verfrbung (roter Strich im Volksmund fl-
einigung von V. subclavia dextra und V. jugularis schlich als Blutvergiftung bezeichnet).
interna dextra) und sammelt die Lymphe aus
dem rechten Arm und der rechten Hals- und
Kopfseite. Aufgabe
Bevor die Lymphe in die groen Lymphgefe Das Lymphgefsystem dient dem Flssigkeits-
gelangt, passiert sie zahlreiche zwischengeschal- transport in das Venensystem, wobei gleichzeitig
tete Lymphknoten. Diese kommen an bestimm- Kontroll- und Abwehraufgaben erfllt werden.
ten Stellen gehuft vor (z. B. regionre Lymph- Mittransportiert werden solche Stoffe, die die
knoten) und besitzen Filter- und Abwehrfunktion Wand der Blutkapillaren nicht passieren knnen
( S. 163). und erst gefiltert werden mssen.
Beispiele: Bakterien, Ru, Krebszellen und
Merke Fettstoffe (werden im Dnndarm resorbiert).
Die Flssigkeit in den Lymphgefen wird
als Lymphe bezeichnet und fliet in das
Venensystem.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 189

Lymphknoten Drosselvene
hinter dem Ohr (V. jugularis)
Unterkieferlymphknoten linker
Venenwinkel
rechter Hauptlymphgang Schlssel-
(Ductus lymphaticus dexter) beinvene
(V. subclavia)
rechter
Venenwinkel Achsellymphknoten
Achsellymphknoten Lungenhiluslymphknoten
Brustmilchgang
(Ductus thoracicus)

Cisterna chyli

Ellenbogen-
lymphknoten
Gekrselymphknoten

Beckenlymphknoten

Leistenlymphknoten

Lymphgefsystem. Abb. 9.37

9.6 Physiologie des Kreislaufsystems weitestgehend selbstndig zu sein, bildet das Herz
deshalb die Erregungen selbst. Bei der Ttigkeit
Dieser Abschnitt beschftigt sich mit der Herz- des Herzens sind demnach das elektrische
ttigkeit und den speziellen Aufgaben der einzel- Geschehen (Erregung) und das mechanische
nen Gefarten. Geschehen (Pumpttigkeit) zu unterscheiden.

Funktion des Herzens 9.6.1 Erregung des Herzens


Die Pumpttigkeit des Herzens gewhrleistet die
stetige Strmung des Blutes durch das Gef- Die Pumpttigkeit des Herzens wird durch
system. Das Aussetzen der Herzttigkeit bedeu- Aktionspotentiale ausgelst, die vom Herzmus-
tet bereits nach wenigen Minuten den Tod. Um kelgewebe selbst und spontan gebildet werden.
190 9 Kreislaufsystem

Man nennt dies Autorhythmie oder Autonomie 1. Sinusknoten


(fr alle anderen Muskeln des Krpers werden Vom Sinusknoten geht normalerweise der
die Aktionspotentiale im Zentralnervensystem Ansto zu einem Herzschlag aus, weshalb er
erzeugt). auch als Schrittmacher des Herzens bezeich-
Das Myokard besteht demnach aus zwei Typen net wird. Er liegt im rechten Vorhof zwischen
von Herzmuskelzellen: der Einmndung der V. cava superior und dem
Zellen, die sich verkrzen knnen, sie bilden rechten Herzohr.
die Arbeitsmuskulatur; Der Sinusknoten treibt bei Krperruhe das
Zellen, die rhythmisch Aktionspotentiale pro- Herz mit einer Frequenz von ca. 70 Aktions-
duzieren und weiterleiten, sie bilden das Er- potentialen (= elektrische Impulse) pro Minu-
regungsbildungs- und Erregungsleitungs- te an (=Sinusrhythmus).
system (Reizleitungssystem) des Herzens. 2. Vorhofmyokard
Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung
Da die Herzmuskelzellen nicht gegeneinander gleichmig ber das Myokard beider Vorhfe
isoliert sind, breitet sich eine Erregung, die im aus, sodass diese gleichzeitig kontrahieren.
Herzmuskel entsteht, immer ber das gesamte Anschlieend wird der AV-Knoten erregt.
Herz aus (Alles-oder-Nichts-Gesetz, S. 74). Wegen der Isolationseigenschaft des Herzske-
lettes kann die Erregung nicht unmittelbar vom
Erregungsbildung und -weiterleitung Vorhof- auf das Kammermyokard bergehen.
Das Erregungsbildungs- und Erregungsleitungs-
system wird von verschiedenen Strukturen ge-
bildet.

rechter Vorhof
(Atrium dextrum)

linker Vorhof
(Atrium sinistrum)

Herzskelett
bestehend aus
4 bindegewebigen
Ringen
(Anuli fibrosi)
Sinusknoten
linke
Herzkammer
(Ventriculus
Atrioventrikular- sinister)
knoten1)
(AV-Knoten) Papillarmuskeln
His-Bndel

Kammer-
schenkel
rechte
Purkinjesche Herzkammer
(Ventriculus dexter)
Fasern

1) AV-Knoten = Vorhof-Kammer-Knoten, frher auch Aschoff-Tawara-Knoten genannt

Abb. 9.38 Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem des Herzens.


9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 191

3. Atrioventrikularknoten = AV-Knoten ebenfalls gleichmig, sodass auch beide Kam-


Er liegt in der Vorhofscheidewand unter dem mern zur gleichen Zeit kontrahieren. Die
Endokard zwischen der Mndung des Sinus Kontraktion der Herzkammern setzt unmittel-
coronarius und der Tricuspidalis. bar nach Beendigung der Vorhofkontraktion
Der AV-Knoten bildet die berleitungsstelle ein.
zwischen den Vorhfen und Ventrikeln. Er
verzgert die Erregungsleitung etwas.
P Das Erregungsgeschehen kann durch ver-
4. His-Bndel schiedene Schdigungen gestrt werden. Man
Vom AV-Knoten luft die Erregung auf einer spricht von Herzrhythmusstrungen.
vorgeschriebenen Bahn in Richtung Herz- Beispiele:
spitze weiter. Unmittelbar an ihn schliet sich Strung der Erregungsbildung (Sinustachy-
das His-Bndel an und zieht zur Kammer- kardie, Sinusbradykardie, Sinusarrhythmie,
scheidewand. Es liegt in einer Lcke des Extrasystolen u. a.),
Herzskelettes. Strung der Erregungsleitung (z. B. Schen-
5. Kammerschenkel kelblock).
Das His-Bndel teilt sich in die beiden
Kammerschenkel, die zur Herzspitze ziehen Bei Ausfall des Sinusknotens kann dessen
und sich dabei aufzweigen. Sie liegen links Funktion durch einen knstlichen Herzschritt-
und rechts des Kammerseptums. macher ersetzt werden.

Das Elektrokardiogramm (EKG, Abb. 9.40,


Merke
S. 192)
Der Sinusknoten bildet die Erregungen fr Das EKG registriert die mit dem Erregungs-
das Herz automatisch. Die Sinusfrequenz geschehen des Herzens verbundenen Spannungs-
betrgt in Ruhe ca. 70 Impulse pro Minute. schwankungen.
Zuerst werden beide Vorhfe gleichmig Es kann Auskunft geben ber:
erregt, sodass sie sich auch gleichzeitig Herzfrequenz,
kontrahieren. Erregungsrhythmus und -ursprung,
Etwas spter werden beide Kammern gleich- Impulsausbreitung,
mig erregt, sodass auch sie sich gleich- Erregungsrckbildung,
zeitig kontrahieren. Herzlage.
Diese geordnete Erregungsbildung und
-ausbreitung ist Voraussetzung fr die Be-
P Das EKG leistet hauptschlich einen Bei-
wegung des Blutes in einem vorgegebenen trag zur Diagnosefindung von Herzrhythmus-
Richtungssinn. strungen und Herzdurchblutungsstrungen
Grundstzlich kann die automatische Erre- (Angina pectoris, Herzinfarkt). Es hat nur eine
gungsbildung im gesamten Herzen erfolgen, bedingte Aussagekraft zur Herzleistung.
sodass ein Ausfall des Sinusknotens nicht
zum Herzstillstand fhrt. Die Impulsfre- Die gebruchlichsten Ableitungen sind stan-
quenz anderer Teile ist aber immer niedriger, dardisiert, um vergleichbare Aufzeichnungen
z. B. AV-Rhythmus: 30 40 Impulse/min. zu erhalten ( Abb. 9.39, S. 192).
Beim gesunden Herzen bildet der Sinus-
knoten die Erregungen am schnellsten und
unterdrckt dadurch die anderen Teile
(Sinusknoten als Schrittmacher). 9.6.2 Mechanik der Herzttigkeit

Die Herzttigkeit verluft in Form einer Pump-


6. Purkinjesche Fasern arbeit (Herz als Saug-Druck-Pumpe), die sich in
Als Purkinjesche Fasern bezeichnet man die einem dauernden Wechsel von Systole (Kontrak-
Aufzweigungen der beiden Kammerschenkel, tion) mit Anspannungs- und Austreibungsphase
die die Erregung auf die Kammer- und die und Diastole (Erschlaffung) mit Entspannungs-
Papillarmuskulatur bertragen. Dies geschieht und Fllungsphase vollzieht.
192 9 Kreislaufsystem

nach Einthoven nach Goldberger nach Wilson

+ +

+
Abb. 9.39 EKG-Ableitungen.

P = Vorhoferregung
Q
R = Kammererregung
S
T = Erregungsrckbildung
in der Kammer-
muskulatur

Abb. 9.40 Elektrokardiogramm (EKG).


9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 193

Der Herzzyklus erzeugt fortlaufende Druck- und Herzleistung


Volumenvernderungen, die ein entsprechendes Die Frderleistung des Herzens wird als Herz-
Spiel der Herzklappen und damit die Blutstr- minutenvolumen (= Herzzeitvolumen) berechnet.
mung gewhrleisten. Herzminutenvolumen (HMV)
= Herzfrequenz Schlagvolumen.
Merke
Beispiel:
Nur whrend der Diastole fliet das Blut von Herzfrequenz: 72 Schlge pro Minute
der Aorta in die Herzkranzgefe, sodass der Schlagvolumen: 70 ml pro Kontraktion
hohe Blutbedarf des Herzmuskels gedeckt HMV 72 Schlge 70 ml
wird. Whrend der Systole werden die Herz- = 4,9 Liter pro Minute
kranzgefe durch die Muskelkontraktionen
abgedrckt.
Merke

Ablauf eines Herzschlages Das Herzminutenvolumen gibt an, welche


Folgende urschliche Zusammenhnge sind zu Blutmenge pro Minute in das Gefsystem
beachten: gepumpt wird.

Elektrischer Impuls
 Wie die Vorgnge im
P Bei krperlicher Anstrengung kann das Herz-
Muskelttigkeit Einzelnen ablaufen, minutenvolumen bis auf 20 l/min ansteigen.
 ist aus der Tabelle 9.8,
Druckverhltnisse
 Seite 194 und der
Abb. 9.42, Seite 195
Regelung der Herzleistung ( Abb. 9.41)
Klappenstellung Die Eigenrhythmik (Autonomie) des Herzens
 zu ersehen.
Blutbewegung kann vom vegetativen Nervensystem ( S. 364)
modifiziert werden. Dadurch erfolgt die funk-
tionsgerechte Einstellung der Herzttigkeit ent-
Begleiterscheinungen der Herzaktion sprechend der Belastungssituation.
Durch den Klappenschluss erzeugte Schwingun-
gen fhren zu diagnostisch verwertbaren Schall-
erscheinungen. Man unterscheidet den 1. Herz- Herzfrequenz
ton, der beim Schluss der Segelklappen am (Herzschlag pro Minute)
Systolenbeginn auftritt, und den 2. Herzton, der
beim Schluss der Taschenklappen am Diastolen-
beginn auftritt.

P Strungen der Klappenfunktion (Klappen-


fehler), z. B. eine Stenose (Klappen knnen sich
nicht mehr richtig ffnen) oder eine Insuffizienz
(Klappen schlieen sich nicht mehr vollstndig)
beeintrchtigen die Pumpfunktion. Funktionsun- Parasympathicus Sympathicus
tchtige Herzklappen knnen durch knstliche (N. vagus) steigert
reduziert
Klappen ersetzt werden. Stenosen (Verengun-
gen) und Insuffizienzen verursachen Schall-
erscheinungen. Sie (Tne = physiologisch, Ge-
rusche = meist pathologisch) knnen vom Arzt
mit dem Stethoskop abgehrt werden, wobei
der Schall jeder Klappe an bestimmten Stellen
der Brustwand am besten zu hren und dadurch
meist einer bestimmten Klappe zuzuordnen ist.
Objektiviert werden knnen die Schallereignisse Regelung der Herzleistung. Abb. 9.41
mittels der Phonokardiographie.
194 9 Kreislaufsystem

Tab. 9.8 Herzaktion.


Sinusknotenimpuls breitet sich im Vorhofmyokard aus

Kontraktion des Vorhofmyokards
(Vorhfe sind zu diesem Zeitpunkt gefllt; Segelklappen offen und
Taschenklappen geschlossen)

geringer Anstieg des Vorhofdruckes

wenig Blut strmt von den Vorhfen in die Kammern

Erregungsbertragung auf das Kammermyokard Beginn
 Kammersystole
Kontraktionsbeginn des Kammermyokards Anspannungs-
 phase
Kammerdruck steigt ber Vorhofdruck

Segelklappen werden geschlossen
so dass der Rckfluss des Blutes in die Vorhfe verhindert wird

Kammermyokard kontrahiert weiter

Kammerdruck steigt ber den Arteriendruck
 Austreibungs-
Taschenklappen werden geffnet phase

 
Schlagvolumen Gleichzeitig verlagert sich die
von ca. 70 ml Ventilebene herzspitzenwrts
wird aus jeder Kammer 
in die Ausflussbahnen gedrckt; Entstehung eines Soges in den
Restvolumen Vorhfen
von ca. 70 ml  Ende
verbleibt in den Kammern Fllung der Vorhfe Kammersystole

Erregungsrckbildung Beginn
Kammerdiastole

Erschlaffung des Kammermyokards Entspannungs-
 phase
Kammerdruck fllt
zunchst unter den Arteriendruck

Taschenklappen werden geschlossen,
sodass der Rckfluss des Blutes in die Kammern verhindert wird
wenig spter fllt der Kammerdruck unter den Vorhofdruck
 Kammer-
Segelklappen werden geffnet fllungsphase

Ventilebene verlagert sich wieder herzbasiswrts

Blut fliet von den Vorhfen in die Kammern
anfangs schnell, dann langsamer
gleichzeitig kann Blut ber die Einflussbahnen in die Vorhfe nachflieen
Vorhfe und Kammern befinden sich whrend dieser Zeit in einer kurzen Ende
Ruhephase (= Erholungszeit) Kammerdiastole
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 195

Systole Hauptphasen der Herzaktion Diastole


Aortenklappe und Pulmonalklappe Aortenklappe und Pulmonal-
geffnet Mitralis und klappe geschlossen
Tricuspidalis Mitralis und
geschlossen Tricuspidalis geffnet

ne
be
it le
ne n
be Ve
tile
n
Ve

Ausgangs-
situation Kammern gefllt,
zu Beginn Anspannungsphase
Segelklappen offen,
der Systole Taschenklappen zu, isometrische
Kammerdruck fast 0 mmHg Hg
m
m Kontraktion des
0 Kammermyokards,
8 Hg
m
m Segelklappen
25 fast
0 mmHg
werden geschlossen

fast
0 mmHg 80 mmHg

25 mmHg

Entspannungs- und
m
Hg Fllungsphase
m
80 Hg
m
m
2 5
10 mmHg
Hg
m
0
m Austreibungsphase
fast 13 Hg
10 mmHg 0 mmHg m
m
40 Unter- isotonische Kontraktion
fast druck des Kammermyokards,
0 mmHg
Taschenklappen werden
130 mmHg
Unter-
geffnet, Schlagvolumen
Entspannung des Kammermyokards, druck wird ausgestoen,
Segelklappen werden geffnet, 40 mmHg Vorhfe werden gefllt
Kammern werden gefllt

Ablauf des Herzschlages. Abb. 9.42


196 9 Kreislaufsystem

9.6.3 Funktion der Gefe a) Das Blut strmt entlang des herrschenden
Druckgeflles im Kreislaufsystem.
Der Transport des Blutes unterliegt bestimmten b) Die Durchflussmenge ist umso grer, je gr-
physikalischen Gesetzmigkeiten, von denen er die Druckdifferenz und je geringer der
hier einige genannt werden. Strmungswiderstand ist.

Hochdruck- Niederdruck- Hochdruck- Niederdruck-


system system system system
Kapillaren

Kapillaren
Arteriolen

Arteriolen
Venolen

Venolen
Arterien

Arterien
Venen

Venen
[cm2 ] [%]
4000
Querschnitt 80 Volumen
3500
70
3000 63
60
2500
50
2000
40
1500
30
1000
20 15
500 12
10 3 7
[cm/s] [%]
Strmungs- Widerstand
geschwindigkeit 60
15 50 47
40
10
30 27
20 19
5
10 4 3
[mmHg] [%]
140 Blutdruck 70 Oberflche
120 60 59

100 50
80 40
60 30 29
40 20
10
20 10
0,5 1,5

Abb. 9.43 Hoch- und Niederdrucksystem.


9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 197

c) Der Strmungswiderstand ist


umso geringer, je krzer und Systole (Austreibungsphase)

je weiter die Gefe sind linker Ventrikel weiterflieendes Blut


(durch Parallelschaltung der
vielen Kapillaren ist der
Strmungswiderstand trotz
des geringen Durchmessers
der einzelnen Kapillare gerin- Aortenklappe vorbergehende Speicherung
ger als in den Arteriolen). auf von Blut
d) Die Strmungsgeschwindig-
keit ist in den Kapillaren am
geringsten und in der Aorta Diastole weiterflieendes Blut
am hchsten ( Abb. 9.43).

Arteriensystem
Die Arterien erfllen zwei Auf-
gaben. Sie verteilen das Blut auf Aortenklappe
zu Entspeicherung
die Krperperipherie und ver-
wandeln die stoweise Blutstr-
mung am Aortenanfang in eine Systole (Austreibungsphase)
annhernd kontinuierliche Str-
mung (Windkesselfunktion).

Merke
Austreibungsphase der Aortenklappe
auf Pulswelle
Kammersystole
Ein Teil des Schlagvolumens
fliet als systolisches Ab- Windkesselfunktion. Abb. 9.44
flussvolumen sofort weiter,
ein anderer Teil wird kurz-
fristig in dem sich dehnenden Aortenab- Im Pars ascendens aortae eines jungen, gesunden
schnitt gespeichert. Es entsteht der systoli- Erwachsenen betragen die Werte durchschnittlich:
sche arterielle Blutdruckwert. systolisch 120 mmHg1) (= 120 Torr),
diastolisch 80 mmHg (= 80 Torr).
Diastole Der mittlere arterielle Blutdruck betrgt mithin
In der Phase des Druckabfalls zieht sich die 100 mmHg.
gedehnte Aortenwand elastisch zusammen Die Hhe des Blutdruckes hngt vor allem von
und bewirkt das Weiterflieen des Blutes in 3 Faktoren ab:
Richtung Kapillaren. Es entsteht der diastoli- von der Pumpkraft des Herzens,
sche arterielle Blutdruckwert. von der Gre des Schlagvolumens und
vom peripheren Widerstand (Gefquerschnitt,
Elastizitt und Glattheit der Gefwand).
Blutdruck
Der in den Blutgefen und Herzinnenrumen
herrschende Druck heit Blutdruck. Merke
Der systolische arterielle Blutdruck hngt
Beim Blutdruckmessen werden 2 arterielle Blut- hauptschlich vom Herzminutenvolumen und
druckwerte ermittelt; der systolische arterielle der diastolische arterielle Blutdruck vom
Blutdruckwert, der whrend der Austreibungs- peripheren Widerstand in den Arteriolen ab.
phase der Kammersystole entsteht, und der dias-
tolische arterielle Blutdruckwert, der whrend
der Kammerdiastole vorherrscht. 1) mmHg = Millimeter Quecksilbersule
198 9 Kreislaufsystem

Blutdruckamplitude Verteilungsfunktion der Arteriolen ( Abb. 9.45)


Die Blutdruckamplitude ist die Differenz zwi- Die Verteilung des Herzminutenvolumens auf die
schen systolischem und diastolischem arteriellen einzelnen parallel geschalteten Organkreislufe ge-
Blutdruck. Sie betrgt in dem angegebenen schieht durch die Arteriolen. Unter dem Einfluss
Beispiel 40 mmHg (= 40 Torr). des vegetativen Nervensystems bzw. von bestimm-
ten Hormonen werden diese Gefe verengt oder
Blutdruckmessungen erweitert, somit auch der periphere Widerstand
Der Blutdruck kann direkt oder indirekt gemes- verndert und die Durchblutung gesteuert.
sen werden. Die direkte oder blutige Blutdruck-
messung erfolgt im Blutgef. Sie ist sehr genau Merke
und kommt nur in der Klinik zum Einsatz.
Die bekannteste und am hufigsten angewandte Die Arteriolen sind die wirksamsten Wider-
Methode ist die indirekte oder unblutige Blut- standsregler des Kreislaufes und hauptsch-
druckmessung nach Riva Rocci (RR). Sie erfolgt lich fr die Durchblutungsgre der Kapil-
an der Oberarmarterie (A. brachialis) mithilfe largebiete verantwortlich.
einer aufblasbaren Gummimanschette, die mit
einem Druckmesser (Manometer) verbunden ist. Kapillarsystem
Genutzt werden die Strmungsgerusche (sog. In den Kapillargebieten findet der gesamte
Korotkoff-Gerusche) des Blutes. Stoffaustausch zwischen dem Transportmittel
Darber hinaus gibt es eine Reihe automatischer Blut und dem Gewebe ber die interstitielle
Blutdruckmessgerte zur individuellen Blut- Flssigkeit statt.
druckkontrolle, die meistens nicht auf den Korot-
koff-Geruschen basieren und zum Teil zur Im Bereich der Kapillargebiete erfolgt die
Messung an den Handgelenken befestigt werden. Versorgung und die Entsorgung der Zellen, die
hormonelle Informationsbertragung sowie der
Puls (Sto, Schlag) Ausgleich der Wasser- und Elektrolytbilanz.
Als Puls wird die rhythmische Erweiterung der Die Kapillargebiete sind durch folgende Eigen-
groen elastischen Arterien bezeichnet. Diese schaften diesen Funktionen bestens angepasst:
Erweiterung entsteht durch den Anschlag der Grter Querschnitt langsame Strmung,
vom Herzen erzeugten Druckwelle an den Ge- Oberflchenvergrerung infolge starker Ge-
fwandungen und ist als Erhebung mit dem fverzweigung groe Austauschflche,
Finger tastbar. sehr dnne durchlssige Gefwnde
kurze Transportwege,
Merke kleine Versorgungsgebiete, kleiner Radius
ausreichender Druck.
Die Pulsfrequenz ist die Anzahl der Puls-
Der Flssigkeitsaustausch zwischen Blut, inter-
schlge pro Minute. Es gilt:
stitieller Flssigkeit und Zellen wird durch fol-
Sinusfrequenz = Herzfrequenz = Pulsfrequenz
gende Mechanismen gewhrleistet:
(normal: 60 80 pro Minute)
Diffusion ( S. 32). Hat die grte Bedeutung.
Frei diffundieren knnen kleine Teilchen. Dazu

P Eine Pulsfrequenz unter 60 Schlgen pro gehren H2O, O2, CO2, lipidlsliche Substanzen
Minute heit Bradykardie. ber 100 Schlge wie Alkohol, Elektrolyte, Harnstoff. Mit zu-
pro Minute werden als Tachykardie bezeich- nehmender Teilchengre wird die Diffusion
net. Unter der Pulsqualitt versteht man den immer strker behindert (z. B. fr Glucose)
Fllungszustand der Arterien. Als Pulsrhyth- bzw. unmglich (z. B. fr Albumine).
mus wird die Regelmigkeit bzw. Unregel- Filtration ( S. 33). Durch die Filtration kn-
migkeit des Pulses bezeichnet. Arrhyth- nen schnelle Flssigkeitsverschiebungen
mien knnen krankhaft sein. Durch Palpation zwischen Blutplasma und Zwischenzellraum
der Pulswelle knnen wichtige Informationen (Interstitium) realisiert werden. Die treibende
ber den Funktionszustand des kardiovas- Kraft ist der effektive Filtrations- bzw. Re-
kulren Systems gewonnen werden. absorptionsdruck (= Druckdifferenz zwischen
Blut und Gewebe). Aus Abbildung 9.46 ist zu
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 199

Organdurchblutung richtet sich mageblich


1. nach dem Bedarf an Sauerstoff,
2. nach der Menge der abzutransportierenden Stoffwechselprodukte.

Bewegungssystem aktiv Verdauungssystem aktiv

Bedarf an Sauerstoff in Skelettmuskulatur: Bedarf an Sauerstoff in Skelettmuskulatur:


hoch niedrig
Bedarf an Sauerstoff im Verdauungs- Bedarf an Sauerstoff im Verdauungs-
system: niedrig system: hoch
Anfallende Stoffwechselprodukte in Anfallende Nhrstoffe, die in das Blut
Skelettmuskulatur: hoch resorbiert werden: hoch

Daraus folgt:
Organdurchblutung muss angepasst werden

optimale Durchblutung der Skelett- optimale Durchblutung der Organe des


muskulatur Verdauungssystems
Erhaltung der Mindestdurchblutung des Erhaltung der Mindestdurchblutung der
Verdauungssystems Skelettmuskulatur

Erreichung des optimalen Zustandes durch folgende Mechanismen


Weitstellung der Arteriolen in der Weitstellung der Arteriolen in den
Skelettmuskulatur Organen des Verdauungssystems
Hervorgerufen Hervorgerufen
1. durch Wirkung des Sympathicus 1. durch Wirkung des Parasympathicus
2. durch Wirkung von Hormonen wie z. B. 2. durch Wirkung von gefaktiven
Noradrenalin Substanzen wie Bradykinin und Kallidin

Vereinfachte Darstellung der Regulation der Organdurchblutung. Abb. 9.45


200 9 Kreislaufsystem

Lymphkapillare

Lymphe

2 l/d

Arteriole Interstitium Venole


37 mmHg Blutkapillare 22 mmHg

28 mmHg 28 mmHg
= effektiver Filtrationsdruck: = effektiver
37 mmHg 28 mmHg = Reabsorptionsdruck:
9 mmHg 28 mmHg 22 mmHg = 6 mmHg
Folge: Filtration 20 l/d Folge: Reabsorption 18/d (Auswrtsfiltration)
= Flssigkeitsbewegung

Abb. 9.46 Filtration im Krperkapillargebiet.

erkennen, dass der effektive Filtrationsdruck Venensystem


9 mmHg und der effektive Reabsorptionsdruck Das Venensystem erfllt im Kreislaufsystem
6 mmHg betragen. Somit werden aus den Kr- 2 Aufgaben:
perkapillaren pro Tag ca. 20 Liter Flssigkeit Rcktransport des Blutes zum Herzen nach
in das Interstitium filtriert und umgekehrt ca. erfolgtem Stoffaustausch in den Kapillaren
18 Liter reabsorbiert. Die restlichen 2 Liter (= venser Rckstrom);
erreichen die Blutbahn als Lymphe. Blutspeicher (ca. 60 % des Blutvolumens be-
Pinozytose ( S. 34). Aktiver Transport vor finden sich im Venensystem).
allem von Eiweien.
Transportfunktion
Der vense Rckstrom des Blutes in den rechten
Merke
Vorhof wird durch folgende Mechanismen gesi-
Normalerweise herrscht zwischen der aus- chert ( Abb. 9.47 bis 9.50):
wrts strmenden und der einwrts strmen- Restblutdruck, der von der Herzarbeit im
den Flssigkeitsmenge, einschlielich Lymph- Venensystem noch wirkt;
strom, ein Gleichgewicht. Strungen dieses Schwerkraft oberhalb des Herzens;
Gleichgewichtes knnen zu Flssigkeitsver- Sogwirkung der Vorhfe durch die Verlage-
schiebungen zwischen den drei groen Fls- rung der Ventilebene herzspitzenwrts (
sigkeitsrumen fhren ( S. 28), so z. B. zu S. 194 und 195);
demen. Sogwirkung des Thorax whrend der Inspira-
tion ( S. 225);
Muskelpumpe durch
Tab. 9.9 Stabilisierung des Kreislaufes durch das Venensystem. die Kontraktion der
Muskeln werden die
steigt Entspeicherung Venen zusammenge-
Herz- (Arbeit)
Venen- drckt, die Wirksam-
minuten-
system keit der Muskelpumpe
volumen fllt Speicherung
wird durch die Venen-
(Ruhe)
klappen untersttzt,
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 201

Inspiration Exspiration
Venendruck Venendruck
fllt steigt

Venen Venen
erweitert verengt

Druck auf Druck auf


Venen Venen
gesenkt erhht

Inspiration Thoraxinnen- Exspiration Thoraxinnen-


(Einatmung) raum erweitert (Ausatmung) raum verengt

Sog- und Druckwirkung bei der Inspiration und Exspiration. Abb. 9.47

die als Ventile ein Rckstrmen verhindern; obere Hohlvene


Arterien-Venen-Kopplung die Pulsation der
Arterie bertrgt sich auf die Vene und wirkt
wie die Muskelpumpe. Lungenvenen
ne
be ch
it le t si en-
n g z
Ve we pit s
be rzs rt
Vene he w

Venenklappen
geffnet
Venen verengt Kammersystole
Venenklappen
geschlossen untere Hohlvene
Arterie
Sogwirkung der Vorhfe
Abb. 9.48 Arterien-Venen-Kopplung. whrend der Kammersystole. Abb. 9.50

Erschlaffung der Kontraktion der Speicherfunktion


Muskeln Muskeln Im Venensystem befinden sich aufgrund seiner
Dehnbarkeit ca. 60 % des Blutvolumens. Je nach
Vene zu erbringender Krperleistung wird, ohne dass
Venenklappe sich der zentrale Venendruck wesentlich vern-
dert, das Blut mobilisiert. Dadurch trgt das
Venensystem entscheidend zur Stabilisierung
des Kreislaufes bei und eignet sich besonders gut
fr Punktionen, Infusionen und Transfusionen.


P Beim Wechsel vom Liegen zum Stehen
(Orthostase1)) kann ein Teil des Blutes vor
allem aus dem Lungenkreislauf in den
Abb. 9.49 Muskelpumpe.
Beinvenen versacken und unter Umstnden
zum orthostatischen Kollaps fhren.

1) aufrechte Krperhaltung
202 9 Kreislaufsystem

9.6.4 Regulation des Blutkreislaufes infolge Gefverengung (Vasokonstriktion)


bzw. Geferweiterung (Vasodilatation; Tab.
Aufgabe der Kreislaufregulation ist es, das Herz- 9.10).
minutenvolumen (HMV) stndig an die augen-
blicklichen Bedrfnisse des Organismus bzw. be- Die Vernderung des Gefquerschnittes zum
stimmter Organe anzupassen. Diese Anpassung Zweck der Leistungsanpassung wird erreicht
geschieht in Kombination von lokalen (regiona- durch die lokale, die nervale und die humoral-
len) und zentralen (berregionalen) Regula- hormonelle Durchblutungsregulation.
tionsmechanismen.
Lokale Durchblutungsregulation (auch Auto-
Regulation der Organdurchblutung regulation)
Die Verteilung des Herzminutenvolumens ist den Diese Regulationsmglichkeit beruht einerseits
unterschiedlichen Bedingungen angepasst. Orga- auf der Eigenschaft vieler Gefe, bei Blutdruck-
ne mit gleich bleibend hohen Anforderungen anstieg mit Kontraktion und bei Blutdruckabfall
(z. B. Gehirn) werden konstant gut durchblutet, mit Erschlaffung zu reagieren; auf diese Weise
whrend Organe mit wechselnden funktionel- bleibt trotz Blutdruckschwankungen die Durch-
len Anforderungen (z. B. Muskulatur, Gastro- blutung der lebenswichtigen Organe weitgehend
intestinaltrakt) bei Belastung strker und in Ruhe konstant (z. B. Niere).
schwcher durchblutet werden. Andererseits bewirken eine Reihe von Stoffen,
z. B. ADP, ATP, Pyruvat, Adenosin, Kohlen-
Die Regulation der Organdurchblutung erfolgt dioxid, bei Konzentrationsanstieg eine sofortige
durch die nderung des Strmungswiderstandes lokale Vasodilatation.

Merke
Tab. 9.10 Regulation der Organdurchblutung. Durch lokale
Regulation ist
Erhhung des Durchblutung der Organismus
ng Strmungswiderstandes gemindert in der Lage, die
e ngu
Ve r Organdurchblu-
Gef tung schnell,
Erw aber nur bis zu
ei t
eru
einem gewissen
ng Verringerung des Durchblutung Grade anzupas-
Strmungswiderstandes verbessert sen.

Tab. 9.11 Zentrale Kreislaufregulation durch das Kreislaufzentrum.


Einflsse von bergeordneten Zentren

Sympathische und parasympathische


Kreislaufzentren in der Medulla oblongata
Chemo- und Schmerz
Pressorezeptoren
im Aortenbogen Atemzentrum psychische
und Karotissinus Einwirkungen
messen CO2-
und O2-Konzen-
trationen sowie Arteriolen Herzfrequenz
den arteriellen Vasokonstriktion Herzkraft
Blutdruck Vasodilatation

peripherer Widerstand Blutdruck Herzminutenvolumen


9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 203

Reflektorische Regulation des arteriellen Blutdruckes. Tab. 9.12


arterieller Blutdruck arterieller Blutdruck

Druckrezeptoren (Pressorezeptoren)
(in Aorta, A. carotis, Ventriculus sinister)

afferente Nervenfasern der


Hirnnerven IX und X

Vasomotorisches Zentrum im verlngerten Mark


(Medulla oblongata)

Hemmung des Erregung des Erregung des Hemmung des


Sympathicus Parasympathicus Sympathicus Parasympathicus

Geferweiterung Herzfrequenz Gefverengung Herzfrequnz


(Vasodilatation) Schlagvolumen (Vasokonstriktion) Schlagvolumen

arterieller Blutdruck arterieller Blutdruck

Nervale Durchblutungsregulation Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus


Die nervale Regulation der Durchblutung kann Dieser Regulationsmechanismus setzt hauptsch-
sowohl lokal als auch zentral erfolgen. Die loka- lich bei einer Verminderung der Nierendurchblu-
le Regulation erfolgt berwiegend durch den tung ein und fhrt letztendlich durch die Bil-
Sympathicus im Bereich der Arteriolen. Das an dung von Angiotensin II zu einer starken Vasokon-
den sympathischen Nervenendungen freigesetz- striktion ( Tab. 9.13).
te Noradrenalin bewirkt je nach Quantum eine
mehr oder weniger starke Gefwandkontraktion Zentrale Kreislaufregulation (stark vereinfacht)
( Tab. 9.12). Fr die richtige Durchblutung der einzelnen
Organe ist vor allem die Aufrechterhaltung eines
Humoral-hormonelle Durchblutungsregulation bestimmten Blutdruckes notwendig.
Diese Durchblutungsregulation erfolgt vor allem
durch die Hormone Adrenalin und Noradrenalin Blutdruck und Herzminutenvolumen hngen ab
sowie weitere gefaktive Substanzen. von der treibenden Kraft, die durch das Herz ver-
Adrenalin wirkt in niedriger Konzentration ursacht wird, und dem Strmungswiderstand im
geferweiternd und in hoher Konzentration Gefsystem.
gefverengend, Noradrenalin wirkt gefver-
engend ( S. 303). Neben den lokalen Regulationsmglichkeiten
Angiotensin II ist die Substanz, die die strks- erfolgt unter Kontrolle des Kreislaufzentrums in
te Vasokonstriktion direkt an den Arteriolen der Medulla oblongata ber das vegetative
hervorruft. Nervensystem eine zentrale Regulation des
Kallidin, Bradykinin und Histamin wirken Kreislaufes ( Tab. 9.11). Darber hinaus wird
vasodilatatorisch. durch sog. Kreislaufreflexe eine stndige Stabi-
lisierung des Blutdruckes gewhrleistet.
204 9 Kreislaufsystem

Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus. Tab. 9.13


Blutdruck 

Adrenalin Plasmavolumen 
Renin
Noradrenalin Na+ 

Angiotensinogen Angiotensin I Vasokonstriktion ber


Stimulation des
Converting- Kreislaufzentrums
Enzym


Angiotensin II Durstgefhl

Nebennierenrinde Vasokonstriktion in der


Niere
Vasokonstriktion Glomerulre Filtrationsrate
der Arteriolen Aldosteron 


(GFR)

Blutdruck  Niere

Na+-Rckresorption 


P Versagen der Kreislaufregulation bedeutet, Bei den beschriebenen Regulationsmglichkei-
dass lebenswichtige Organe zu wenig durch- ten sind die schnelle Regelung ber das vegetati-
blutet werden. Dies kann nach Blutverlust ve Nervensystem und die langsame Regelung
und bei orthostatischem Kreislaufversagen mithilfe von Hormonen und anderen Wirkstoffen
auftreten. zu unterscheiden ( Tab 9.14).

Merke Zusammenwirken von Nerven- und Hormonsystem. Tab. 9.14


Kreislauf- und Atemre- Sympathicus
gulationen sind immer schnelle
gekoppelt, weil mit dem Herz Arteriolen Regulation
vernderten Herzminu-
tenvolumen auch ver-
nderte O2- und CO2- Blutvolumen, Blutdruck
Mengen transportiert
werden mssen, um der
vernderten biologi-
schen Oxidation ge- Renin Angio- Aldosteron Adrenalin langsame
recht zu werden. tensin II Regulation
9 Kreislaufsystem 205

Fragen zur Wiederholung

l. Definieren Sie den Begriff Kreislaufsystem und geben Sie einen berblick ber dessen
Funktionen.
2. Geben Sie einen berblick ber die Zusammensetzung des menschlichen Blutes.
3. Beschreiben Sie den Bau eines Erythrozyten und nennen Sie die Hauptfunktion.
Was ist der Hmatokrit?
4. Welche Arten von Leukozyten kennen Sie?
5. Wie ist ein Thrombozyt gebaut?
6. Wo werden die Blutzellen gebildet bzw. abgebaut?
7. Geben Sie die Normalwerte der Blutzellen an.
8. Nennen Sie die Bestandteile des Blutplasmas und erlutern Sie deren Funktion.
9. Welche Funktionen hat das Blut?
10. Beschreiben Sie die Vorgnge, die zum Verschluss eines verletzten kleineren Blutgefes
fhren.
11. Warum kann es wegen einer Gerinnungsstrung zu einer Verschiebung des OP-Termines
kommen?
12. Wie kann man die Blutgerinnung bei Blutentnahmen am gnstigsten verhindern?
13. Was versteht man unter der Fibrinolyse und wie luft sie ab?
14. Welche Beziehungen bestehen zwischen Blut und Immunsystem?
15. Nehmen Sie eine Einteilung der verschiedenen Abwehrmechanismen vor.
Begrnden Sie den Zusammenhang zwischen uerem Schutzwall und persnlicher
Hygiene.
16. Welche Aufgaben erfllen die verschiedenen Leukozytenarten?
17. Was gehrt zum lymphatischen System und welche Aufgabe hat es zu erfllen?
18. Beschreiben Sie Bau, Lage und Aufgaben von
a) Thymus,
b) Milz,
c) Lymphknoten.
19. Kann der Mensch ohne Milz leben? Begrnden Sie Ihre Antwort.
20. Was sind regionre Lymphknoten und welche Bedeutung haben sie?
21. Was versteht man unter dem Waldeyerschen lymphatischen Rachenring?
22. Was verstehen Sie
a) unter unspezifischer und
b) unter spezifischer Abwehr?
23. Unterscheiden Sie Allergie und immunologische Toleranz.
24. Was versteht man unter Immunisierung und welche praktische Bedeutung hat sie?
25. Charakterisieren Sie
a) das AB0-System, b) das Rhesussystem.
26. Erlutern Sie die Problematik von Organtransplantationen.
27. Beschreiben Sie Lage und Bau des Herzens.
28. Welche Gefarten bilden das Gefsystem?
29. Beschreiben Sie den Wandaufbau der Gefarten.
30. Was sind Anastomosen und welche Bedeutung haben sie?
31. Erlutern Sie den Blutstrom durch das Herz.
32. Beschreiben Sie Lungen- und Krperkreislauf.
33. Warum spricht man von Lungenarterien, obwohl diese Gefe venses Blut fhren?
34. Wie erfolgt die Blutversorgung
a) des Kopfes, b) der Arme,
c) der Bauchorgane, d) der Beckenorgane,
e) der Beine?
206 9 Kreislaufsystem

Fragen zur Wiederholung

35. Nennen Sie die Einzugsgebiete


a) der V. cava superior, b) der V. cava inferior.
36. Suchen Sie am eigenen Krper folgende Arterien:
A. radialis, A. carotis communis,
A. temporalis, A. dorsalis pedis.
37. Erlutern Sie den Pfortaderkreislauf.
38. Beschreiben Sie den Weg des Blutes mithilfe folgender Beispiele:
a) Nhrstofftransport vom Darm zur Leber,
b) Arzneimitteltransport von der Armvene zum Herzmuskel,
c) Harnstofftransport von der Leber zur Niere,
d) Arzneimitteltransport vom M. gluteus medius zum Herzmuskel.
39. Beschreiben Sie den Aufbau und die Funktion des Lymphgefsystems.
40. Wie entsteht die Lymphe?
41. Beschreiben Sie den Erregungsablauf im Herzen.
42. Erkunden Sie in der Praxis die EKG-Abnahme und erbitten Sie die Befunderklrung durch
einen Arzt.
43. Beschreiben Sie den Ablauf eines Herzschlages! Beginnen Sie mit dem Sinusknoten-
impuls.
44. Definieren Sie: Sinusfrequenz, Herzfrequenz, Schlagvolumen, Restvolumen, Herzminuten-
volumen, Phonokardiogramm.
45. Warum herrscht in der linken Herzkammer ein hherer Druck als in der rechten?
46. Wie erfolgt die Anpassung der Herzleistung an unterschiedliche Belastungen?
47. Was verstehen Sie unter der Windkesselfunktion und welche Bedeutung hat sie?
48. Definieren Sie:
a) Puls (wodurch kann die Pulsqualitt verndert werden?),
b) arterieller Blutdruck,
c) Hoch- und Niederdrucksystem.
49. Erlutern Sie die Aufgaben der Arteriolen.
50. Erklren Sie die Mechanismen des Stoffaustausches zwischen Kapillarblut und Gewebe.
51. Erlutern Sie die Mechanismen, die den vensen Rckstrom bewirken.
52. Worin liegt die Bedeutung des vensen Systems als Blutspeicher?
53. Begrnden Sie die Eignung des Venensystems fr Blutentnahmen, Injektionen, Infusionen
und Transfusionen.
54. Begrnden Sie, warum man nach einer reichlichen Mahlzeit nicht gleich schwimmen soll.
55. Begrnden Sie die Notwendigkeit der Kreislaufregulation. Was sind die grundstzlichen
Ziele?
56. Was wissen Sie ber die Organdurchblutung und wie erfolgt deren Regulation?
57. Wie wird auf lokaler Ebene die Durchblutung der Niere konstant gehalten?
58. Erlutern Sie die zentrale Kreislaufregulation.
59. Erlutern Sie die reflektorische Regulation des arteriellen Blutdruckes.
60. Welche Bedeutung haben Adrenalin, Noradrenalin und Angiotensin II bei der Durch-
blutungsregulation?
61. Beschreiben Sie den Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus und seine Bedeutung.
62. Unterscheiden Sie zwischen schnellen und langsamen Regulationsmechanismen im Kreis-
lauf.
63. Begrnden Sie, warum Kreislauf- und Atmungsregulation gekoppelt sein mssen.
207
Wrmehaushalt und
10 Temperaturregulation

Die Temperatur hat einen entscheidenden Merke


Einfluss auf alle Funktionsablufe im Organis-
Die genauesten Werte liefert die rektale
mus ( 2.4.3, S. 39). Gleichwarme (homoio-
Messung am Morgen sofort nach dem Er-
therme) Lebewesen, zu denen auch der Mensch
wachen (Morgen- oder Aufwachtemperatur).
gehrt, halten ihre Krpertemperatur durch
zustzliche Wrmeproduktion und Regelmecha-
nismen, unabhngig von der Umgebungstempe-
P Bei einer Entzndung im Unterbauch (z. B.
ratur, konstant. Appendizitis) liegt die Rektaltemperatur um
ca. 1 C ber der Axillartemperatur.
10.1 Krpertemperatur des Die nhere Bestimmung der Krperschalen-
Menschen temperatur erfolgt durch Messung der Haut-
temperatur an mehreren Hautstellen (z. B. Stirn,
Die inneren Krperteile weisen eine hhere Leibeswand, Arm, Bein). Aus den Messwerten
Temperatur als die oberflchlichen auf. Es knnen dann Mittelwerte sowohl fr den gesam-
besteht also ein Temperaturgeflle von innen ten Krper als auch einzelne Krperteile gebil-
nach auen (in den Extremitten zustzlich von det werden.
proximal nach distal). Dementsprechend werden
2 Temperaturbereiche unterschieden: Mittlere Hauttemperatur
die relativ konstante Krperkerntemperatur Gesamtkrper 33 34 C
von ca. 37 C im gleichwarmen (homoiother- Bein 27 29 C
men) Krperkern (=^ Krperhhlen) und Arm 30 32 C
die mehr oder weniger schwankende Krper-
schalentemperatur in der wechselwarmen
P Die Messung der Hauttemperatur erfolgt
(poikilothermen) Krperschale (=
^ Haut und insbesondere bei peripheren Durchblutungs-
Gliedmaen). strungen. Hier kann die Temperatur der kran-
ken Extremitt 2 bis 3 C niedriger liegen.
Messung der Krpertemperatur
Die Krpertemperatur wird einigermaen genau
dort gemessen, wo grere Blutgefe dicht [C]
unter der ueren Haut bzw. Schleimhaut verlau- 37,5
fen oder Haut auf Haut liegt und der Einfluss der
Umgebungstemperatur weitestgehend ausge-
schlossen werden kann. Hierfr sind drei Stellen 37,0
gut geeignet:
Mastdarm (Rektum), 36,5
Mundhhle und [Uhrzeit] 6 12 18 24 6
Achselhhle.

Tab. 10.1 Temperaturmessungen. Die Krpertemperatur des


Menschen zeigt eine Tages-
Messmethoden Messdauer Normaltemperatur C periodik, die auf einem
(in Minuten) morgens nachmittags endogenen Rhythmus (in-
rektal (im Rektum) 24 36,5 37,8 nere Uhr) beruht. Das
oral (unter der Zunge) 5 36,2 37,5 Temperaturminimum tritt
axillar (in der geschlossenen 8 10 36,0 37,2 frh und das -maximum
Achselhhle) abends auf.
208 10 Wrmehaushalt und Temperaturregulation

Darber hinaus treten Temperaturschwankun- Dies erfolgt durch:


gen auch ber lngere Zeitrume auf, wie dies Kltezittern als Ausdruck unwillkrlicher
z. B. im Zusammenhang mit dem Menstruations- Muskelaktivitt,
zyklus zu beobachten ist. willkrliche Krperbewegungen und
zitterfreie Wrmeproduktion beim Neugebo-
renen im mitochondrienreichen braunen Fett-
10.2 Wrmeproduktion und gewebe, das zwischen Schulterblatt und Ach-
Wrmeabgabe selhhle liegt.

Voraussetzung fr eine konstante Krpertempe- Wrmeabgabe


ratur ist ein Gleichgewicht zwischen Wrme- Aufgrund des im Krper vorherrschenden Tem-
produktion, Wrmeaufnahme (nur wenn Um- peraturgeflles nimmt das Blut die im Krper-
gebungstemperatur ber der Krpertemperatur kern produzierte Wrme auf und transportiert sie
liegt) und Wrmeabgabe. durch Konvektion (= Wrmestrom) zur Haut
(= innerer Wrmestrom).
Wrmeproduktion
Merke
Die Wrmeproduktion ist an den Energiestoff-
wechsel gekoppelt. Bei allen Energieumwand- Die Hautdurchblutung ist fr die Wrme-
lungen im Krper wird ein bestimmter Teil in regulation von entscheidender Bedeutung.
Wrmeenergie umgewandelt, der, soweit not-
wendig, fr die Aufrechterhaltung der Krper- Der Wrmetransport von der Haut in die umge-
temperatur genutzt wird. bende Luft (= uerer Wrmestrom) erfolgt in
Welchen Anteil die Krperorgane an der Wrme- Ruhe und bei einer Umgebungstemperatur von
bildung in Ruhe und bei krperlicher Arbeit 20 C zu ca. 70 % durch Wrmestrahlung (be-
haben, ist aus Abbildung 10.1 ersichtlich. ntigt keinen Wrmetrger und wird durch die
Lufttemperatur kaum beeinflusst). Der Rest ent-

P Bei schwerer krperlicher Arbeit erhht sich
fllt zu ca. 10 % auf Wrmeleitung (ist an Luft
die Wrmebildung um ein Vielfaches gegen- gebunden und funktioniert nur, wenn die umge-
ber dem Ruhezustand. bende Luft khler als die Haut ist) und zu ca.
20 % auf die Verdunstung von Wasser.
In bestimmten Situationen kann es erforderlich Bei fehlendem Temperaturgeflle zwischen Haut-
werden, zustzlich Wrme zu produzieren. oberflche und umgebender Luft (Umgebungs-
temperatur oberhalb der Krpertemperatur)

Organe der Brust- und Bauchhhle Organe der Brust- und Bauchhhle
Gehirn Muskulatur
Haut, Muskulatur Rest
Rest

10 % 16 % 8% 2 %
18 %
90 %
56 %

... in Ruhe ... bei krperlicher Arbeit

Abb. 10.1 Anteil der Krperorgane an der Wrmebildung.


10.2 Wrmeproduktion und Wrmeabgabe 209

Gehirn ATP

Krperkern-
Thoraxorgane temperatur 37 C

Bauchorgane
28 C
ADP + P
Krperschalen-
31 C temperatur

Hypothalamus
Temperaturregulationszentrum

on
m ati
or
Inf

Haut

Rckenmark
Blutgefe
Haut
Schweidrse

eng weit

Schwei Schwei

Wrmeregulation. Abb. 10.2


210 10 Wrmehaushalt und Temperaturregulation

kann Wrme nur noch durch Verdunstung abge- Vorgnge bei Temperaturanstieg ber den
geben werden. Sollwert:
Die Wasserabgabe erfolgt durch Diffusion, Die Wrmeabgabe wird erhht durch
wobei man 2 Formen unterscheidet: Erweiterung der Hautblutgefe und damit
1. Perspiratio insensibilis (= extraglandulre Forcierung des inneren Wrmestroms sowie
Wasserabgabe), die nicht steuerbare tempera- vermehrte Schweibildung.
turabhngige Wasserabgabe durch Haut und
Atmung (normal: 0,5 1 l/d). Vorgnge bei Temperaturabfall unter den
2. Perspiratio sensibilis (= glandulre Wasser- Sollwert:
abgabe), die durch das vegetative Nerven- Die Regulation erfolgt hauptschlich durch zwei
system steuerbare Wasserabgabe Schwitzen Mechanismen.
(normal: 0,5 l/d). Drosselung der Wrmeabgabe durch Engstel-
lung der Hautblutgefe und damit Vermin-

P Die Wasserverdunstung ist ein stark Energie derung des inneren Wrmestroms.
verbrauchender Vorgang, d. h., dass beim Ver- Erhhung der Wrmeproduktion durch Muskel-
dunsten relativ geringer Wassermengen dem zittern (Zittern vor Klte) und willkrliche
Krper relativ viel Wrme entzogen wird. Da Muskelbewegungen.
die Wrme vorwiegend ber die Haut abge- Wie bereits erwhnt, besitzt das Neugeborene in
geben wird, hat das Verhltnis zwischen Form der zitterfreien Wrmebildung im braunen
Krperoberflche und -volumen groe Be- Fettgewebe eine zustzliche Regulationsmg-
deutung. lichkeit.
Beim Sugling ist die Krperoberflche im
Verhltnis zum Krpervolumen grer als Merke
beim Erwachsenen, folglich khlt er sehr leicht
Die Mechanismen zur Regulation der Krper-
aus.
temperatur sind Verengung (Vasokonstrik-
tion) und Erweiterung (Vasodilatation) der
Regulation der Krpertemperatur Hautblutgefe, Schweisekretion und Ver-
Die Thermoregulation erfolgt ber einen biologi- nderung der Wrmebildung.
schen Regelkreis. Das Temperaturregulations- Diese Mechanismen knnen sehr schnell aus-
zentrum liegt im Hypothalamus des Zwischen- gelst werden, d. h. innerhalb von Sekunden
hirns und speichert den Sollwert (normal 37 C). oder Minuten.
Durch Thermorezeptoren in der Haut, im
Rckenmark und im Hypothalamus erfolgt die Neben den beschriebenen schnellen Anpassungs-
Messung des Istwertes, der dem Zentrum zum vorgngen gibt es auch langfristige. Diese phy-
Vergleich mit dem Sollwert zugeleitet wird. siologischen Adaptationen werden als Akkli-
matisation bezeichnet.

Tab. 10.2 Regelkreis zur Regulation der Krpertemperatur.

Wrmeregulationszentrum
35 36 37 38 39 40 41

Sollwert Fieber

Hautblutgefe
Schweisekretion Wrme- und Klte-
Krperkerntemperatur rezeptoren in
Wrmebildung Krperschale und -kern
Verhalten
10.2 Wrmeproduktion und Wrmeabgabe 211

Am bedeutsamsten ist die Hitzeadaptation bei infolge berlastung der Wrmeproduktion unter
schwerer krperlicher Arbeit und hohen Um- normal wird als Hypothermie bezeichnet. Bei
gebungstemperaturen bzw. bei in den Tropen Krpertemperaturen um 25 C erlschen die
lebenden Menschen. Die Anpassung beruht vor Reflexe des Nervensystems und es tritt der Tod
allem auf einer Verdreifachung der Schwei- durch Herzflimmern ein.
sekretion, die aufgrund der nach unten verscho-
benen Reizschwelle schon bei niedrigeren Kr- Bei lteren Menschen kann es dazu kommen,
pertemperaturen einsetzt. Auerdem nimmt der dass ihre Krpertemperatur infolge Senkung des
Elektrolytgehalt des Schweies ab. Sollwertes im Temperaturregulationszentrum
Hitzeadaptation bedeutet, dass der Betroffene (Gegenteil von Fieber) niedriger (z. B. auf 35 C)
mehr trinken muss, um seinen Flssigkeits- eingeregelt wird.
haushalt auszugleichen.
Die Hitzeadaptation bewahrt den Menschen vor
P Hypothermie kann als medizinisches
einem Hitzekollaps, d. h. einer berlastung des Verfahren auch knstlich herbeigefhrt werden
Kreislaufes (kritischer Anstieg von Herzfre- mit dem Ziel, die Stoffwechselvorgnge herab-
quenz und Hautdurchblutung). zusetzen und die Reflexe zu dmpfen. Dadurch
werden tiefgreifende operative Eingriffe z. B.
Fieber in der Herzchirurgie ermglicht.
Als Fieber bezeichnet man eine Erhhung der
Krpertemperatur, z. B. bei Infektionen. So ge-
nannte fiebererregende (pyrogene) Stoffe bewir-
ken im Temperaturregulationszentrum, dass der
Sollwert der Krpertemperatur hher gestellt
wird.

Fieberanstieg (= Anstieg der Krpertemperatur,


bis der neue Sollwert erreicht ist). Die Vorgnge
sind die gleichen wie bei Temperaturabfall unter
den Sollwert.

P Tritt die Differenz zwischen Ist- und neuem


Sollwert (= Fieberwert) pltzlich auf, kommt
es zum Schttelfrost.

Fieberabfall (= Abfall der Krpertemperatur,


nachdem der normale Sollwert im Temperatur-
regulationszentrum wieder eingestellt worden
ist). Die Vorgnge entsprechen denen beim
Temperaturanstieg ber den Sollwert.

P Fieberabfall kann zu Schweiausbrchen


fhren.
Hyperthermie und Hypothermie
Wenn bei extremer Hitzebelastung die Wrme-
abgabemechanismen berfordert werden, kann
es ebenfalls zu einem Temperaturanstieg kom-
men (Hyperthermie). Man spricht von Hitz-
schlag oder Sonnenstich. Hlt sie bei Tempera-
turen um 41 C lnger an, kommt es zur Zer-
strung von Nervenzellen im Gehirn und evtl.
zum Tod. Ein Absinken der Krpertemperatur
212 10 Wrmehaushalt und Temperaturregulation

Fragen zur Wiederholung

1. Welche Bedeutung hat die Temperatur fr den Ablauf der Krperfunktionen?


2. Unterscheiden Sie Krperkerntemperatur und Schalentemperatur.
3. Welchen Wert hat die normale Krpertemperatur des Menschen?
4. Welche Mglichkeiten der Temperaturmessung kennen Sie?
Nennen Sie Vor- und Nachteile der verschiedenen Messmethoden.
5. Welche Bedeutung haben Wrmeproduktion und Wrmeabgabe bei der Konstanthaltung
der Krpertemperatur?
6. Erklren Sie die Regulation der Krpertemperatur.
7. Begrnden Sie, warum Fieber mit Frieren beginnt.
213

11 Atmungssystem

Das Atmungssystem dient der Aufnahme von rer und mittlerer Nasenmuschel;
Sauerstoff und der Abgabe von Kohlendioxid. untere Nasenmuschel (= selbstndi-
Diesen Gasaustausch, bei dem die Lunge eine ger Knochen). Die Nasenmuscheln
zentrale Funktion bernimmt, bezeichnet man dienen der Oberflchenvergre-
als uere Atmung. Sie ist die Voraussetzung fr rung.
den oxidativen Abbau energiereicher Stoffe Boden: Gaumen (Palatum), der gleichzeitig
(z. B. Glucose) zum Zweck der Energiebereit- Dach der Mundhhle ist ( S. 238)
stellung und somit fr die innere Atmung, deren
Vorgnge in den Zellen ablaufen. Unter jeder Nasenmuschel befindet sich ein
Nasengang. Die Grenze zwischen Nasenhhle
und Rachen bilden die beiden Choanen (hintere
11.1 Gliederung ffnungen der Nase). Durch feine Kanle ist die
Nasenhhle mit den Nasennebenhhlen (Sinus
Das Atmungssytem besteht aus den oberen und paranasales) verbunden ( Abb. 11.3, S. 214 und
unteren Luftwegen. Abb. 11.4, S. 215). Die Belftung dieser Hhlen
erfolgt mit der Atmung. Eine weitere Verbindung
Nase obere Luftwege besteht vom unteren Nasengang zur Augenhhle
Rachen durch den Trnennasengang (Ductus nasolacri-
Kehlkopf malis). Auf diesem Weg wird die Trnenflssig-
Luftrhre untere Luftwege keit in die Nasenhhle abgeleitet.
Bronchialbaum
Lunge
Merke
Der Naseninnenraum gliedert sich in den
Nasenvorhof (Vestibulum nasi) und die
11.2 Bau der Atmungsorgane Nasenhhle (Cavum nasi) mit Nasen-
muscheln und Nasengngen.
11.2.1 Nase (Nasus)

Die Nase erfllt neben der Riechfunktion wich-


tige Aufgaben im Bereich der Atmung.
In der Nase wird die Luft fr die unteren Luft-
wege vorbereitet, d. h., die Luft wird angewrmt,
Nasenwurzel
angefeuchtet, von Staubteilchen und Bakterien
gereinigt und auf ihre chemische Beschaffenheit
geprft. Nasenrcken
Der Naseninnenraum wird durch die Nasen-
scheidewand (Septum nasi) in einen rechten und
linken Abschnitt geteilt. Die Nase ist im Bereich
des Nasenvorhofes (= unmittelbar an die Nasen- Nasenspitze
lcher grenzender Raum) knorpelig, dahinter im
Bereich der eigentlichen Nasenhhle knchern.
Nasenloch
Begrenzung der Nasenhhle Nasenflgel
( Abb. 11.4, S. 215)
Oben: Siebbeinplatte. Die Nase in ihrer ueren Struktur. Abb. 11.1
Seitlich: Weitere Teile des Siebbeins mit obe-
214 11 Atmungssystem

Nasenschleimhaut
Die die Nasenhhle auskleidende Schleimhaut
teilt sich in 2 Bereiche:
1. respiratorische Schleimhaut (Regio respiratoria) Stirnhhle
Sie bedeckt den grten Teil der Nasenhhle (Sinus frontalis)
und ist gekennzeichnet durch
Siebbeinhhle
mehrreihiges (Sinus ethmoidalis)
Flimmerepithel, oder
zahlreiche Reinigung Siebbeinzellen
Anfeuchtung (Cellulae
Becherzellen ethmoidales)
Venengeflechte Erwrmung
Kieferhhle
(Sinus maxillaris)
2. Riechschleimhaut (Regio olfactoria)
Sie befindet sich oberhalb der oberen Nasen-
muscheln und enthlt die Lage der Nasennebenhhlen
Riechzellen, von denen fadenfrmige Ner- (Sinus paranasales). Abb. 11.3
ven durch die Siebbeinplatte zum Gehirn
ziehen (N. olfactorius = I. Hirnnerv;
S. 354). Kehlkopf und die Mundhhle mit der Speise-
rhre. Damit kreuzen sich in ihm Luft- und
Speiseweg. Der Rachenraum wird ohne scharfe
11.2.2 Rachen (Pharynx) Grenzen in drei bereinander liegende Abschnitte
gegliedert ( Tab. 11.1).
Der schlauchfrmige Rachenraum ( Abb. 11.4
und 11.5) verbindet die Nasenhhle mit dem Merke
Der Rachen hat 7 ffnungen:

2 Choanen
Nasenhhle Nasenhhle,
(Cavitas nasi) 2 ffnungen
Nasenvorhof der Ohrtrompeten
(Vestibulum nasi) Mittelohr,
Rachenraum Schlundenge
(Pharynx)
Kehlkopf
Mundhhle,
(Larynx) Kehlkopfeingang
Luftrhre Kehlkopf,
(Trachea) Speiserhrenffnung
Speiserhre.

Rachenschleimhaut
Entsprechend der unterschiedlichen
Beanspruchung enthlt sie Flimmer-
Mittelfellraum epithel mit Becherzellen im Nasen-
(Mediastinum)
abschnitt und mehrschichtiges unver-
Lungen horntes Plattenepithel im Mund- und
(Pulmones)
Zwerchfell Kehlkopfabschnitt.
(Diaphragma)

Abb. 11.2 Atmungssystem.


11.2 Bau der Atmungsorgane 215

Abschnitte des Rachens. Tab. 11.1


Abschnitt Merkmale

Nasenrachenraum Rachenmandel (Tonsilla pharyngea) am Rachendach der


(Pars nasalis pharyngis): Schdelbasis.
hinter den Choanen

P Bei Kindern ist diese Tonsille hufig vergrert (z. B. durch
Wucherungen) und behindert dadurch die Nasenatmung.

ffnungen der Ohrtrompeten oder Eustachischen Rhren


(Tubae auditivae) an den Seitenwnden. Um die Tuben-
ffnung befinden sich die Tubenmandeln und von dort nach
unten die Seitenstrnge.

P Die Tuben verbinden die Paukenhhle des Mittelohres mit
dem Rachen zum Zwecke des Luftdruckausgleiches.

Mundrachenraum Kreuzung von Luft- und Speiseweg.


(Pars oralis pharyngis): Ringfrmige Muskeln (Schlundschnrer) befrdern die
hinter der Mundhhle Nahrung in die Speiserhre.

Unterrachenraum Kehldeckel ragt wie ein Wellenbrecher in den Speiseweg


(Pars laryngea pharyngis): und leitet den Speisebrei rechts und links in die hinten
seitlich und hinter dem Kehlkopf liegende Speiserhre.

Siebbeinplatte
Stirnhhle (Lamina cribrosa)
(Sinus frontalis)
Keilbeinhhle
obere Nasenmuschel (Sinus sphenoidalis)
(Concha nasalis superior)
oberer Nasengang
mittlere Nasenmuschel (Meatus nasi superior)
(Concha nasalis media)
mittlerer Nasengang
untere Nasenmuschel (Meatus nasi media)
(Concha nasalis inferior)
Rachenmandel
Oberkiefer (Tonsilla pharyngea)
(Maxilla)
unterer Nasengang
Mundhhle (Meatus nasi inferior)
(Cavitas oris)
Nasenrachen
Zunge (Pars nasalis pharyngis)
(Lingua)
Mundrachen
Unterkiefer (Pars oralis pharyngis)
(Mandibula)
Zungenwurzel
Zungenbein (Radix linguae)
(Os hyoideum)
Kehldeckel Unterrachenraum
(Epiglottis) (Pars laryngea pharyngis)
Kehlkopfeingang
Schildknorpel
(Cartilago thyroidea) Speiserhre
Luftrhre (sophagus)
(Trachea)

Nasenhhle, Rachen und Mundhhle (Medianschnitt). Abb. 11.4


216 11 Atmungssystem

unter die Zungenwurzel.


Er ist durch ein Band an
der Innenseite des Schild-
Rachenmandel
(Tonsilla pharyngea) knorpels befestigt.
hintere
Nasenffnungen Der Kehlkopfinnenraum
(Choanen) wird durch zwei Falten,
Ohrspeicheldrse Taschenfalten (oben) und
(Glandula parotis)
Stimmfalten (unten), ein-
Nasenscheidewand
(Septum nasi) geengt. Er bekommt da-
weicher Gaumen durch die Form einer Sand-
Gaumen-
mandel (Palatum molle) oder uhr. Die Stimmfalten ent-
(Tonsilla palatina) Gaumensegel halten die Stimmband-
(Velum palatinum)
Zpfchen muskeln (Mm.vocales) und
(Uvula palatina) Zungenmandel
(Tonsilla lingualis) die Stimmbnder (Ligg.
Kehldeckel vocalia). Durch die beiden
(Epiglottis) Kehlkopfvorhof
(Vestibulum laryngis) Engstellen entstehen drei
Speiserhre
(sophagus) Luftrhre bereinander liegende Ab-
(Trachea) schnitte ( Abb. 11.6):
Oberer Abschnitt
Abb. 11.5 Rachenraum (von dorsal geffnet). Vorhof (Vestibulum
laryngis) zwischen
Kehlkopfeingang und
11.2.3 Kehlkopf (Larynx) Taschenfalten.
Mittlerer Abschnitt mittlerer Kehlkopfab-
Mit dem Kehlkopf beginnen die unteren schnitt (Cavitas laryngis intermedia) zwi-
Atemwege. Er dient primr dem Verschluss des schen Taschen- und Stimmfalten. Die seitliche
Atemweges beim Schlucken, Husten und bei der Erweiterung dieses Raumes wird als Kehl-
Bauchpresse. Auerdem werden im Kehlkopf kopftasche (Morgagni-Tasche) bezeichnet.
die Tne beim Sprechen erzeugt.
Zungenbein
Lage (Os hyoideum)
Der Kehlkopf liegt im vorderen oberen Hals- Kehldeckel
(Epiglottis)
bereich (Neugeborenes: in Hhe des 3./4. Hals-
wirbels; Erwachsener: in Hhe des 5./6. Hals- Kehlkopfvorhof
(Vestibulum laryngis)
wirbels). Seitlich verlaufen die Gef-Nerven- Taschenfalte
Strnge des Halses ( S. 150, 151). Schildknorpel
Bau Kehlkopftasche
Das Grundgerst des Kehlkopfes wird aus mittlerer
Kehlkopfabschnitt
5 Knorpeln gebildet ( Abb. 11.7).
Stimmfalte mit
1 Ringknorpel: Bildet die Basis des Kehl- Stimmband
kopfes. Ringknorpel
1 Schildknorpel: Liegt ber dem Ringknorpel Stimmritze
und ist durch je 1 Membran (Rima glottidis)
an ihm und dem Zungenbein subglottischer Raum
befestigt. Luftrhre
2 Stellknorpel: Sie sind auf der hinteren (Trachea)
Platte des Ringknorpels dreh- Luftrhrenknorpel
bar gelagert.
1 Kehldeckel Dieser rennsattelfrmige Kehlkopfinnenraum (von dorsal). Abb. 11.6
(Epiglottis): Knorpel erstreckt sich bis
11.2 Bau der Atmungsorgane 217

Dorsalansicht Lateralansicht

Zungenbein Zungenbein
(Os hyoideum) (Os hyoideum)
Kehldeckel
(Epiglottis)
Kehldeckel
Schildknorpel- (Epiglottis)
Zungenbein-
Membran Schildknorpel
(Membrana (erffnet)
thyrohyoidea)
Stellknorpel
Schildknorpel
Stimmbnder
Stellknorpel
Ringknorpel

Ringknorpel
Luftrhre
(Trachea)

Stellknorpel

Schildknorpel

Ringknorpel

Kehlkopf. Abb. 11.7

Unterer Abschnitt subglottischer Raum falten zur Innenseite des Schildknorpels. Die
(Cavitas infraglottica) zwischen Stimmfalten ffnung zwischen Stimmbndern (vorn) und
und Luftrhrenbeginn. Stellknorpeln (hinten) ist die Stimmritze.

Der Kehlkopfinnenraum wird durch die Kehl- Merke


kopfschleimhaut ausgekleidet. Im Vorhof und
an den Stimmbndern besteht sie aus mehr- Die Stimmritze besteht aus
schichtigem unverhornten Plattenepithel. In den dem Stimmbandanteil zwischen den Stimm-
anderen Bereichen aus mehrreihigem Flimmer- bndern (vordere zwei Drittel) und
epithel. dem Stellknorpelanteil, einem dreieckigen
Spalt zwischen den Stellknorpeln (sog.
Flsterdreieck), hinteres Drittel.
Merke
Beim Schlucken wird der Kehlkopf durch
Muskeln gehoben. Dabei drckt sich der Kehlkopfmuskeln
Kehldeckel unter die Zungenwurzel und Die inneren Kehlkopfmuskeln haben die Auf-
verschliet den Eingang zum Kehlkopf ( gabe, die Stimmritze zu erweitern und zu
S. 253, Schluckvorgang). verschlieen sowie die Spannung der Stimm-
bnder zu verndern.
Dementsprechend unterscheidet man Stell- und
Stimmritze (Rima glottidis) Spannmuskeln. Die Stellmuskeln setzen an den
Von jedem Stellknorpel zieht ein Stimmband Stellknorpeln an und bewegen diese, sodass die
(Lig. vocale) als oberer freier Rand der Stimm- Stimmritze verengt bzw. erweitert wird.
218 11 Atmungssystem

Die Erweiterung erfolgt nur durch einen


Ruheatmung forcierte Atmung
Muskel, den hinteren Ringknorpel-Stell-
knorpel-Muskel (M. cricoarytenoideus
posterior, kurz: Posticus).
Die Verengung bzw. der komplette Ver-
schluss erfolgt u. a. durch den seitlichen
Ringknorpel-Stellknorpel-Muskel (M.
cricoarytenoideus lateralis, kurz: Late-
ralis) im Stimmbandbereich und den
queren (M. arytenoideus) und schrgen
(M. arytenoideus obliquus) Stellknorpel- Stimmritze elastischer Stimmband
muskel im Stellknorpelbereich. (Rima glottidis) Konus1) (Ligamentum vocale)
Stellknorpel (Conus Schildknorpel
(Cartilago arytenoidea) elasticus) (Cartilago thyroidea)
Merke
Der Posticus ist der einzige Stimm- Phonation Pressen
ritzenerweiterer. Die Stimmritze ist (Stimmbildung)
beim Atmen erweitert (= Respirations-
stellung), beim Sprechen und Singen
geschlossen oder stark verengt (= Pho-
nationsstellung) und beim Pressen
vollstndig verschlossen.

Durch die Spannmuskeln werden die


Stimmbnder mehr oder weniger ge-
spannt, sodass sich ihre Lnge und Dicke
verndern. Zu diesen Muskeln gehren 1) Teil der sog. fibroelastischen Membran, die unter der Kehlkopf-
schleimhaut zwischen Ringknorpel und Stimmbndern liegt
z. B. der Ringknorpel-Schildknorpel-
Muskel (M. cricothyroideus, kurz:
Externus) und der Stimmmuskel (M. Stellung der Stimmbnder (Blick von oben). Abb. 11.8
vocalis, kurz: Vocalis).
Die Innervation der inneren Kehlkopf-
muskeln erfolgt durch den rcklufigen Kehl- Stimme. Der Spannungszustand der Stimm-
kopfnerv (N. laryngeus recurrens), einem Ast bnder sowie ihre Lnge und Dicke bestimmen
des N. vagus. die Stimmhhe (je krzer, dnner und gespann-
ter, desto hher die Stimme). Fr die Lautstrke

P Eine Lhmung der Kehlkopfmuskulatur ist die Strke des Luftstromes verantwortlich.
wird als Kehlkopflhmung bezeichnet. Als Durch Formvernderung des sog. Ansatzrohres
Ursache kommen z. B. Erkrankungen des N. (= Resonanzraum), bestehend aus Rachen-,
vagus bzw. dessen ste, die die Kehlkopfmus- Nasen- und Mundraum, werden die verschiede-
keln innervieren, Gehirnentzndung oder mul- nen Laute gebildet. Dies nennt man Artikulation.
tiple Sklerose infrage. Der Resonanzraum bedingt auch die individuelle
Bei doppelseitiger Lhmung des Posticus ent- Klangfarbe. Die Flsterstimme entsteht, wenn
steht Atemnot, die zur Erstickung fhren kann. die Luft bei nichtschwingenden Stimmbndern
nur durch das Flsterdreieck strmt.
Stimmbildung und Artikulation
Bei der Stimmbildung befinden sich die Stimm- Merke
bnder in Phonationsstellung. Durch Anblasen Die Stimme wird als Lautuerung des
wird der Stimmritzenverschluss gesprengt und Menschen durch die in Schwingung versetz-
die Stimmbnder in Schwingung versetzt. Da- ten Stimmbnder im Zusammenwirken mit
durch, dass der Schwingungsrhythmus stndig Resonanzerscheinungen im Ansatzrohr er-
den aus der Lunge und Luftrhre (= Anblasrohr) zeugt.
kommenden Luftstrom unterbricht, entsteht die
11.2 Bau der Atmungsorgane 219

Unter der Einwirkung der


Geschlechtshormone kommt
es whrend der Pubertt Zungenbein
vor allem beim Jungen zu (Os hyoideum)
einer Vergrerung des Schildknorpel-
Kehlkopfes einschlielich Zungenbein-
der Verlngerung der Stimm- Kehlkopf Membran
(Larynx) (Membrana thyrohyoidea)
bnder. Die Folge ist der
Wechsel von der hheren Schildknorpel
(Cartilago thyroidea)
Kinderstimme zur tieferen
Stimme des Erwachsenen Ringknorpel
(Cartilago cricoidea)
(= Stimmbruch). Die Mn-
nerstimme ist um acht Tne Knorpelspangen
tiefer als die Frauenstimme.

Fr den Schutz der unteren Ringbnder


(Ligg. anularia)
Atemwege ist der Husten- Luftrhre
(Trachea) aus elastischem und
reflex wichtig. Hier kommt kollagenem Bindegewebe
es nach Einatmung zum
Verschluss der Stimmritze
und kurz danach wird sie
beim Ausatmen wieder
schlagartig geffnet, sodass
der entstehende Luftstoss
Luftrhrengabel
Schleim oder Fremdkrper (Bifurcatio tracheae)
in den Rachen befrdert.

P Bei Entzndungen der


Stimmfalten entsteht Hei- Bronchial-
baum
serkeit. (Anfang)
Auch das Kehlkopfkarzi-
nom (Kehlkopfkrebs) be- linker
Hauptbronchus
ginnt hufig an den rechter (Bronchus principalis sini-
Stimmfalten. Bei lnger Hauptbronchus ster)
(Bronchus principalis dexter)
bestehender Heiserkeit
sollte deshalb immer ein
Arzt aufgesucht werden. Wandschichten
uere lockere
Bindegewebe-
schicht
11.2.4 Luftrhre (Trachea) (Adventitia)
lichte Weite
(Lumen) hufeisenfrmige
Lage und Nachbarschafts- Knorpelspange
beziehungen Schleimhaut (Cartilago trachealis)
(Tunica mucosa
Die Luftrhre eines Erwach- respiratoria) Hinterwand
senen ist ca. 12 Zentimeter (bindegewebig-
lang und verbindet den Kehl- muskulre Membran)
kopf mit dem Bronchial- Speiserhre
baum. Sie schliet sich dem (sophagus)
Ringknorpel des Kehlkopfes
an und endet in Hhe des 4.
Brustwirbels mit der Tei- Luftrhre. Abb. 11.9
lung in die beiden Haupt-
220 11 Atmungssystem

bronchien. Die Teilungsstelle ist die Luftrhren- Lunge ist weich, elastisch und schwammig. Die
gabel (Bifurcatio tracheae). Nach der Lage Lungen sind die relativ leichtesten Organe. Die
unterscheiden wir 2 Hauptabschnitte: Farbe der Lungenoberflche ist beim Neugebo-
Halsteil renen rosa, spter wird sie durch die Ablagerung
Der Halsteil befindet sich vor der Speiserhre. von Ruteilchen zunehmend fleckig (rtlich,
Davor und seitlich liegt die Schilddrse. grau bis schwarz). Die Lungen erhalten ihre
Brustteil Form durch die Anlagerung ber die Pleura an
Hier verluft die Luftrhre im oberen Medias- die Innenwnde des Thorax und das Zwerchfell.
tinum zwischen den groen Blutgefen und
vor der Speiserhre. An jeder Lunge erkennt man
Lungenbasis: liegt auf der Zwerchfell-
Bau kuppel (= Zwerchfellseite);
Die Wnde der luftleitenden Wege sind versteift, Lungenspitze: berragt die 1. Rippe;
damit sie durch den bei der Einatmung entste- Lungenhilus: an der medialen Seite zum
henden Sog nicht zusammengepresst werden. Mediastinum hin gelegen, Eintritts- bzw.
Dies geschieht bei der Trachea durch 16 bis 20 Austrittsstelle von Hauptbronchus (Bronchus
hufeisenfrmige Knorpelspangen. An der principalis), Lungenarterie (A. pulmonalis),
Hinterwand wird sie durch eine bindegewebig- Lungenvenen (Vv. pulmonales), Lymph-
muskulre Membran verschlossen. gefen und Nerven; hier liegen auch die
Ringbnder verbinden die Knorpelspangen elas- Hiluslymphknoten;
tisch miteinander. Rippenseite: liegt den Rippen an.

P Beim Transport der Nahrung dehnt sich die
Gliederung der Lungen ( Tab. 11.2)
Speiserhre, sodass die Luftrhre eingedrckt Entsprechend der Gliederung des Bronchial-
wird. baumes ( Abb. 11.11, S. 222) ergibt sich die
Gliederung der Lungen in Lappen, Segmente
Die Schleimhaut enthlt mehrreihiges Flimmer- und Lppchen.
epithel und im tieferen Bereich (Submucosa)
zahlreiche Schleimdrsen. Bronchialbaum
Als Bronchialbaum bezeichnet man die Ge-
samtheit der Bronchien und Bronchiolen. Er bil-
det die Fortsetzung der Luftrhre. Im Einzelnen
11.2.5 Lungen (Pulmones) sind folgende Abschnitte zu unterscheiden:
linker und rechter Stamm- oder Haupt-
In den Lungen findet der Gasaustausch statt. bronchus (Bronchus principalis sinister und
Dies wird durch die Lungenblschen (Alveolen) dexter) als Aufzweigung der Trachea;
ermglicht, die eine hinreichend groe Aus- Lappenbronchien der rechte Stammbronchus
tauschflche (ca. 100 m2) garantieren. Das mus- zweigt sich in 3 und der linke in 2 Lappen-
kelfreie Lungengewebe der rechten und linken bronchien auf;

Tab. 11.2 Gliederung der Lunge.


rechte Lunge linke Lunge

Oberlappen Mittellappen Unterlappen Oberlappen Unterlappen

3 Segmente 2 Segmente 5 Segmente 5 Segmente 4 Segmente

Lungenlppchen
11.2 Bau der Atmungsorgane 221

rechte Lunge linke Lunge

Oberlappen Oberlappen
(Lobus superior) (Lobus superior)

Mittellappen
(Lobus medius)

Unterlappen Unterlappen
(Lobus inferior) (Lobus inferior)

rechte Lunge linke Lunge


3 Segmente des Lungensegmente 5 Segmente des
Oberlappens Oberlappens

1 1 1 1
2 2
2
2 3
3 3 6
3 6 6
6 4 4
4 5 5
7 10 10 9 10
5 8 5 8
9 8
10 8 9 2 Segmente 9
des
5 Segmente des Unterlappens Mittellappens 4 5 Segmente des Unterlappens

Lungenlppchen Kapillarnetz der Alveolen


Endbronchiole Trennwand
stchen der (Bronchiolus terminalis)
(Septum interalveolare)
Lungenarterie
stchen der
respi- Lungenvene
ratorische
Bronchiole Lungenblschen
(Bronchiolus (Alveolen)
respiratoris
Abzweigung
zum
Alveolargang) Lungenblschen
(Alveole) Kapillarnetz

Lunge. Abb. 11.10


222 11 Atmungssystem

rechte Lunge linke Lunge


(Pulmo dexter) Luftrhre (Pulmo sinister)
(Trachea)

rechter Hauptbronchus linker Hauptbronchus


(Bronchus principalis dexter) (Bronchus principalis sinister)

rechter linker
Oberlappen Oberlappen
(Lobus superior (Lobus superior
dexter) sinister)
rechter oberer
Lappenbronchus linker oberer
(Bronchus lobaris Lappenbrochus
superior dexter) (Bronchus lobaris
rechter superior sinister)
Mittellappen Segment-
(Lobus medius dexter) bronchien
rechter mittlerer (Bronchi segmentales)
Lappenbronchus
(Bronchus lobaris
medius dexter)
rechter linker
Unterlappen Unterlappen
(Lobus inferior dexter) (Lobus inferior sinister)
Luftrhrengabel
(Bifurcatio tracheae)

rechter unterer Lappenbronchus linker unterer Lappenbronchus


(Bronchus lobaris inferior dexter) (Bronchus lobaris inferior sinister)

Abb. 11.11 Bronchialbaum.

Segmentbronchien jeder Lappenbronchus Feinbau des Bronchialbaumes


zweigt sich in mehrere Segmentbronchien auf; Die Bronchien werden mit zunehmender Auf-
Bronchiolen die Segmentbronchien versteln zweigung immer kleiner und enger.
sich; ab einem Durchmesser von 1 mm spricht Grere Bronchien. Sie sind im Prinzip wie die
man von Bronchiolen. Trachea gebaut; der Knorpel tritt jedoch in Form
Die Endverzweigungen des Bronchialbaumes von unregelmig geformten zusammenhngen-
sind die Lungenlppchen, von denen jedes mit den Knorpelplatten auf.
einer Endbronchiole (Bronchiolus terminalis) Kleinere Bronchien. Die Knorpeleinlagerungen
verbunden ist. Der Bronchiolus terminalis zweigt werden immer sprlicher, und das Epithel wird
sich in mehrere Bronchioli respiratorii auf fortschreitend flacher. Es ist eine ringfrmig
(besitzen bereits vereinzelt Lungenblschen), die angeordnete glatte Muskulatur zur Regulation
jeweils in einen blindverschlossenen Alveolar- der Belftung vorhanden.
gang bergehen. Um jeden Alveolargang sind Bronchiolen. Sie sind knorpelfrei, besitzen krf-
zahlreiche Lungenblschen (Alveolen) angeord- tige Spiralmuskeln zur Steuerung der Beatmung.
net, zwischen denen sich unvollstndige Lungenblschen (Alveolen). Die Alveolarwand
Trennwnde, die Alveolarsepten, befinden. besteht aus einem sehr dnnen Alveolarendothel
und korbgeflechtartig eingelagerten elastischen

P Der rechte Hauptbronchus verluft steiler Fasern, die Blut und Luft voneinander trennen.
nach unten und hat einen greren Durch- Nur hier findet der Gasaustausch zwischen
messer als der linke. Daher befinden sich Organismus und Umwelt statt. Sauerstoff aus der
aspirierte Fremdkrper meistens rechts. Alveolarluft tritt in das Kapillarblut ber,
11.2 Bau der Atmungsorgane 223

whrend das Kohlendioxid in die Gegenrichtung Pleura visceralis (Lungenfell)


diffundiert. Die kleinen ste der Lungenarterie Die Pleura visceralis bedeckt die Lungenober-
gehen in filzartige Kapillarnetze an der Auen- flche und ist mit ihr verwachsen. Am Lungen-
flche der Alveolen ber. Diese schlieen sich hilus schlgt sie in die Pleura parietalis um.
wieder zu Lungenvenen zusammen ( Abb.
11.10). Pleura parietalis (Rippenfell)
Die Pleura parietalis ist mit ihrer Umgebung ver-
Merke wachsen und wird in 3 Abschnitte gegliedert:
In der Lunge werden auf kleinstem Raum Pleura costalis an der Innenseite der Brust-
groe Oberflchen (= Austauschflchen fr wand,
O2 und CO2) geschaffen. Mit den Alveolen Pleura diaphragmatica als berzug der
vergrert sich die Oberflche fr den Gas- Zwerchfelloberflche,
austausch auf ca. 100 Quadratmeter. Pleura mediastinalis an den Seitenflchen des
Mediastinums.

11.2.6 Brustfell (Pleura) Pleurahhle (Cavitas pleuralis)


Der kapillare Spalt zwischen den beiden Pleura-
Die Pleura umhllt die Lungen ( Abb. 11.12 blttern heit Pleurahhle. In ihm befindet sich
und S. 86). Sie ermglicht ihre Verschiebbarkeit etwas serse Flssigkeit, und es herrscht ein
bei den Atembewegungen und die Kopplung an geringer Unterdruck. Unterdruck, Kohsions-
die Brustinnenwand sowie an das Zwerchfell. und Adhsionskrfte halten die beiden Pleura-
Ihre Form entspricht etwa der der Lungen. bltter und damit die Lungen fest an der
Sie besteht aus einem inneren visceralen und Innenwand der Brusthhle und der Oberflche
einem ueren parietalen Blatt. des Zwerchfells. Somit mssen die Lungen den

Umschlagfalte der Pleura visceralis in die


Pleura parietalis am Hilum pulmonis

mikroskopische Darstellung
Eingeweide-
teil der Eingeweide-
Pleura teil der Pleura
(Pleura (Pleura
visceralis) visceralis)
Pleurahhle Wandteil der
(Cavitas
pleuralis) Pleura
(Pleura
parietalis)

Rippen
(Costae)

Zwerchfell Pleurahhle
(Diaphragma) (Cavitas pleuralis)

Pleura costalis Pleura diaphragmatica Pleura mediastinalis

Rippenfell
(Pleura parietalis)

Teile des Brustfelles und Lagebezeichnungen. Abb. 11.12


224 11 Atmungssystem

Bewegungen von Thorax und Zwerchfell folgen 11.3.1 Atembewegungen


und knnen fast reibungslos im Brustraum glei-
ten. Voraussetzung fr den Gasaustausch ist die stn-
dige Belftung der Alveolen. Diese wird durch
Reserve- oder Komplementrrume der Pleura- den rhythmischen Wechsel von Einatmung
hhle (Recessus pleurales) (Inspiration) verbunden mit einer Erweiterung
Damit sich die Lungen erweitern knnen, befin- des Brustraumes und Ausatmung (Exspiration)
den sich im Bereich der Lungenbasis Erwei- verbunden mit einer Brustraumverengung
terungsbereiche. In diese gleiten die Lungen bei bewirkt.
Inspiration hinein.
Merke

P Im Gegensatz zum Alveolargewebe der Bei der Inspiration wird O2-reiche und CO2-
Lungen enthlt die Pleura zahlreiche sensible arme Luft (Frischluft) in die Alveolen trans-
Nervenfasern. portiert und bei der Exspiration O2-arme und
Bei einer trockenen Rippenfellentzndung CO2-reiche Luft (verbrauchte Luft) an die
(Pleuritis sicca) verursachen die Atembewe- Umwelt abgegeben.
gungen wegen der Reibung zwischen den
beiden Pleurablttern starke Schmerzen.
Bei verschiedenen Erkrankungen (z. B. Pneu- Einatmung (Inspiration) und
monie, Pleuritis) kann es zum Pleuraerguss Ausatmung (Exspiration)
kommen (= verstrkte Flssigkeitssammlung
im Pleuraspalt). Merke
Bei der Inspiration muss der intrapulmonale
Druck niedriger und bei der Exspiration
hher sein als der Druck der Umweltluft.
11.3 Physiologie der Atmung
Jede Zelle unseres Krpers bentigt fr die Auf- Die wechselnden Druckdifferenzen werden
rechterhaltung ihrer Lebensvorgnge stndig folgendermaen erreicht.
Energie, fr deren Bereitstellung sie selbst ver- Bei der Inspiration wird der Brustraum erwei-
antwortlich ist. In der Regel erfolgt die Energie- tert und das Lungenvolumen vergrert. In
bereitstellung (oder -freisetzung) in den Zellen der Lunge entsteht ein Unterdruck (Sog).
durch biologische Oxidation energiereicher Bei der Exspiration wird der Brustraum ver-
organischer Stoffe (vor allem Kohlenhydrate). engt und das Lungenvolumen verkleinert. In
Die Zelle verbraucht dazu einerseits Sauerstoff der Lunge entsteht ein berdruck.
und produziert andererseits Kohlendioxid als
Stoffwechselendprodukt ( Abb. 2.15, S. 43). Merke

Merke
Brustraumerweiterung und -verengung ent-
stehen durch das Wirken der Atemmusku-
Der im Zusammenhang mit der Energiefrei- latur.
setzung bzw. biologischen Oxidation notwen-
dige O2- und CO2-Transport (auch Gasaus-
tausch genannt) zwischen Umwelt und Zellen Die Atemmuskulatur gliedert sich in Ein- und
wird als uere Atmung bezeichnet. Ausatemmuskeln.

Einatemmuskeln (Inspirationsmuskeln)
Der gesamte Prozess der Atmung lsst sich a. Zwerchfell (Diaphragma)
untergliedern in: Das Zwerchfell ist der Haupteinatemmuskel.
Atembewegungen, Bei seiner Kontraktion flacht es ab und bewegt
Gasaustausch, sich wie ein Zylinderkolben im Thorax nach
Atemgastransport und caudal. Dabei kommt es auch zu einer Ver-
Regulation der Atmung. lagerung der Bauchorgane.
11.3 Physiologie der Atmung 225

Inspiration Exspiration

Unterdruck berdruck

Dehnung der Lufteinstrom bis Luftausstrom bis Lunge zieht


Lunge Druckausgleich Druckausgleich sich zusammen

uere uere
Zwischen- Zwischen-
rippenmuskeln rippenmuskeln






Zwerchfell Zwerchfell

Kontraktion Erschlaffung

Atemmechanik (Inspiration und Exspiration). Abb. 11.13

b. uere Zwischenrippenmuskeln (Mm. inter- Ausatemmuskeln (Exspirationsmuskeln)


costales externi) Die Exspirationsmuskeln sind wesentlich schw-
Sie heben bei ihrer Kontraktion die Rippen- cher ausgebildet als die Inspirationsmuskeln,
bgen, wodurch sich der Thorax erweitert. weil die Exspiration durch zustzliche Krfte
(= elastische Rckstellkrfte von Lunge, Thorax
Vorgnge bei der Einatmung (Inspiration): und Baucheingeweiden) untersttzt wird. Als
1. Kontraktion der Einatmungsmuskeln. echte Ausatemmuskeln kommen eigentlich
 nur die Bauchmuskeln (M. rectus abdominis, M.
2. Vergrerung des Thoraxinnenraumes obliquus abdominis) in Betracht.
und der Lunge gegen die elastischen Rck-
stellkrfte von Lunge, Thorax, Bauchein-
geweiden und Schwerkraft. Vorgnge bei der Ausatmung (Exspiration)
 Die Ausatmung in Ruhe ist im Allgemeinen ein
3. Entstehung eines Unterdruckes im Thorax- passiver Vorgang:
raum und der Lunge. 1. Erschlaffung der Einatmungsmuskeln.
 
4. Lufteinstrom in die Lunge bis zum Druck- 2. Verkleinerung des Thoraxinnenraumes und
ausgleich. der Lunge, bedingt durch die elastischen
Rckstellkrfte von Lunge, Thorax und

P Durch Messung des Brustumfanges dicht Baucheingeweiden sowie der Schwerkraft.


unter den Brustwarzen in maximaler In- und 
Exspirationsstellung lsst sich die Erweiterungs- 3. Entstehung eines berdruckes im Thorax-
fhigkeit des Thorax prfen. Sie ist z. B. bei innenraum und in der Lunge.
Verkalkung der Rippenknorpel, Vernderung 
der Wirbel-Rippen-Gelenke und Wirbelsulen- 4. Luftausstrom aus der Lunge bis zum Druck-
verkrmmung herabgesetzt, wodurch die Leis- ausgleich.
tungsfhigkeit des Atmungssystems abnimmt.
Die Differenz der beiden Werte sollte bei jun-
gen Mnnern 7 bis 10 cm, bei jungen Frauen
5 bis 8 cm betragen.
226 11 Atmungssystem

Atmungstypen Einatemhilfsmuskeln
Wie bereits beschrieben, erfolgt die Erweiterung Treppenmuskeln (Mm. scaleni)
des Brustraumes einerseits durch Senkung des Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoide-
Zwerchfells und andererseits durch Hebung der us) bei fixiertem Kopf
Rippenbgen. Dementsprechend werden zwei Vorderer Sgemuskel (M. serratus anterior)
Atmungstypen unterschieden. und kleiner Brustmuskel (M. pectoralis minor)
bei fixiertem Schulterblatt
abdominaler thorakaler Groer Brustmuskel (M. pectoralis major) bei
Atmungstyp Atmungstyp aufgsttzten Armen
Brustraumvergrerung erfolgt hauptschlich
durch ... Ausatemhilfsmuskeln
Alle Bauchmuskeln bei fixiertem Becken.
... Zwerchfellsenkung ... Heben der Hinterer Sgemuskel (M. serratus posterior).
Rippenbgen Breiter Rckenmuskel (M. latissimus dorsi).


P Bei Atemnot: Die Arme angewinkelt hinter
den Kopf heben. Hierdurch wird eine zustzli-
che Zugwirkung auf den Brustkorb durch die
Atemhilfsmuskeln erreicht.

Aufgabe der Pleura


Das Bauprinzip der Pleura gewhrleistet, dass
die Lungen passiv den Atembewegungen des
Thorax und des Zwerchfells folgen. Gleichzeitig
sind die Lungen mit ihrer Umgebung gegenein-
Bauchatmung Brustatmung ander verschiebbar. Diese mechanische Kopp-
(abdominale Atmung) (thorakale Atmung) lung kann man sich einfach veranschaulichen:
Bringt man zwischen zwei Objekttrger einige
Atemhilfsmuskeln Tropfen Wasser, so sind sie fast reibungslos
Bei erhhtem Sauerstoffbedarf (Arbeit) oder gegeneinander verschiebbar, jedoch nicht von-
Atembehinderungen (z. B. Asthma bronchiale) einander zu trennen. Von Bedeutung fr diese
werden zustzlich Atemhilfsmuskeln eingesetzt. Kopplung ist weiterhin, dass die gedehnte Lunge
aufgrund ihrer Elastizitt bestrebt ist, sich wie-
der zusammenzuziehen. Die Folge ist ein negati-
ver intrapleuraler Druck (= Druckdifferenz
Kopfwender zwischen Pleuraspalt und Auenraum), der am
(M. sternocleido- Ende der Inspiration am grten ist.
mastoideus)

kleiner Merke
Brustmuskel
(M. pectoralis Die Pleura gewhrleistet die bertragung der
minor) Thorax- und Zwerchfellbewegung auf die
vorderer Lunge.
Sgemuskel
(M. serratus
anterior)
P Wird durch Verletzung oder Krankheit die
Pleurahhle geffnet, sodass Luft einstrmt,
zieht sich die Lunge infolge eigener Elasti-
zitt zusammen. Es entsteht ein Pneumo-
thorax ( Abb. 11.15) und Atemnot.
Abb. 11.14 Einatemhilfsmuskeln.
11.3 Physiologie der Atmung 227

Volumina werden zu Kapazitten zusammen-


gefat ( Abb. 11.16).

Merke
Die Ventilationsgre hngt vom Atemzug-
volumen (= Atemtiefe) und von der Atem-
frequenz (Anzahl Atemzge pro Minute) ab.
Das Produkt aus beiden Gren heit Atem-
minutenvolumen.
Lufteinstrom Lunge kollabiert Beispiel:
16 Atemzge pro Minute x 500 ml Atemzug-
ffnung der Pleurahhle volumen ergeben
Abb. 11.15 (Pneumothorax). = 8 Liter  min-1 als Atemminutenvolumen.

Lungenvolumina
Lungenbelftung (Ventilation) a. Atemruhevolumen: Luftmenge, die in Ruhe
Die treibende Kraft fr den Gasaustausch in der ein- und wieder ausgeatmet wird. Nach norma-
Lunge sind entsprechende Druckgeflle der ler Ausatmung befinden sich Thorax und
Atemgase ( Abb. 11.17, S. 228). Die Aufrecht- Lunge in der Atemruhelage. Hier handelt es
erhaltung dieser Druckgeflle whrend der sich um eine stabile Mittelstellung, bei der
Inspiration und Exspiration wird u. a. durch den sich zwei passive Krfte aufheben.
stndigen Luftwechsel in der Lunge gesichert. b. Inspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge,
die bei normaler Einatmung noch zustzlich
Lungenvolumina und -kapazitten aufgenommen werden kann. Es wird vor allem
Das Volumen der Atemzge kann unterschied- bei krperlicher Belastung in Anspruch ge-
lich sein, weshalb man verschiedene Volumen- nommen, wenn das Atemruhevolumen nicht
einteilungen unterscheidet. Zusammengesetzte mehr ausreicht.

[ Liter ]
6
Inspirations-
Vitalkapazitt (4,5 l)

5 Inspiratorisches
kapazitt

Reservevolumen (2,5 l)
Totalkapazitt (6,0 l)

Atemruhevolumen (0,5 l)
3
Residualkapazitt

Exspiratorisches
funktionelle

2 Reservevolumen (1,5 l)

Kollapsluft (0,7 l)
1
Residualvolumen (1,5 l)
Restluft (0,8 l)
0
Die Werte knnen in Abhngigkeit von Krpergre, Geschlecht, Konstitution und Trainingszustand stark schwanken.

Lungenvolumina und -kapazitten eines 25-jhrigen Mannes. Abb. 11.16


228 11 Atmungssystem

c. Exspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge, Der Totraum hat die Funktionen, die Ein-
die bei normaler Ausatmung noch zustzlich atmungsluft zu erwrmen, zu reinigen und zu
abgegeben werden kann. befeuchten. Gleichzeitig frdert er die Ventila-
d. Residualvolumen: Luftmenge, die nach maxi- tion der Atmung durch Erweiterung (bei Ein-
maler Ausatmung in der Lunge verbleibt atmung) bzw. Verengung (bei Ausatmung) der
(Kollapsluft und Restluft). Bronchiolen.

Lungenkapazitten Merke
e. Inspirationskapazitt: Luftmenge, die maxi-
Die Belftung des Totraumes ist eine kon-
mal eingeatmet werden kann (Summe aus a
stante Gre (0,15 l). Eine Verminderung der
und b).
Gesamtventilation bedeutet also immer eine
f. Funktionelle Residualkapazitt: Luftmenge,
Verringerung der alveolren Ventilation.
die nach normaler Ausatmung noch in der
Lunge verbleibt (Summe aus c und d). Durch
sie ist es mglich, dass es stndig zu einer
Mischung der vorhandenen Luft mit der zuge-
fhrten Frischluft kommt und die Zusammen- 11.3.2 Gasaustausch ( Abb. 11.17)
setzung der Alveolarluft nur geringfgig
schwankt; das heit, inspiratorische und Der Gasaustausch zwischen Organismus und
exspiratorische O2- und CO2-Konzentrationen Umwelt in den Lungen wird als Atmung im
im Alveolarraum werden ausgeglichen. engeren Sinn oder uere Atmung bezeichnet.
g. Vitalkapazitt: Luftmenge, die nach maxima- Unter innerer Atmung versteht man die
ler Einatmung ausgeatmet werden kann (Sum- Oxidation der energiereichen Stoffe in den
me aus a, b und c). Die Vitalkapazitt ist ein Zellen zum Zwecke der Energiebereitstellung
Ma fr die Ausdehnungsfhigkeit von Lunge ( S. 43).
und Thorax.
h. Totalkapazitt: Luftmenge, die nach maxima-
ler Einatmung in der Lunge enthalten ist (Sum- von A. pulmonalis zur V. pulmonalis
me aus d und g).

Atemwiderstnde
Den Atembewegungen und dem Atemluftstrom pO2
stellen sich Widerstnde entgegen, die durch 100
Muskelarbeit berwunden werden mssen. pO2 mmHg
pCO2
pCO
pCO2 100 pCO2
40 mmHg
46
46 mmHg 40
Zu den Atemwiderstnden gehren mmHg
mmHg mmHg
elastische Atemwiderstnde von Lunge und
Thorax. Von Bedeutung sind die elastischen
Fasern des Lungengewebes und die Ober-
flchenspannung der Alveolen. Letztere wird pO2 40 mmHg
bei inspiratorischer Dehnung der Lunge durch
oberflchenaktive Substanzen (Surfactants) Alveole Lungenkapillare Blut-Luft-Schranke
(Alveolar- und
vermindert, Kapillarmembran,
Druckdifferenzen
Reibungswiderstnde von Lunge und Thorax, (Partialdruckgeflle) dazwischen
Basalmembran)
Strmungswiderstnde in den Atemwegen.
pO 2 = 60 mmHg
Funktion des Totraumes pCO 2 = 6 mmHg
Die luftleitenden Wege (von der Nase bis zu den O2 -arme und CO2 -reiche Luft / Blut = blau
Bronchiolen) bilden den Totraum, weil hier kein O2 -reiche und CO2 -arme Luft / Blut = rot
Gasaustausch erfolgt.
Gasaustausch in der Lunge. Abb. 11.17
11.3 Physiologie der Atmung 229

Die Lungenblschen (Alveolen) sind umgeben Merke


von netzartig angeordneten Blutkapillaren
( Abb. 11.10, S. 221). O2-Aufnahme und CO2-Abgabe sind mit der
Lungendurchblutung gekoppelt.
Merke
Nur im Bereich der Alveolen werden die Das Belftungs-Durchblutungs-Verhltnis betrgt
Atemgase Sauerstoff und Kohlendioxid beim gesunden Menschen in Ruhe 4 Liter Luft
durch Diffusion ausgetauscht. Das heit: pro Minute zu 5 Liter Blut pro Minute, also 0,9.
Sauerstoff gelangt aus der Luft der Alveolen
in das Blut der Lungenkapillaren und das

P Krankheitsbedingte Einschrnkungen der
Kohlendioxid aus dem Lungenkapillarblut in Austauschflche, z. B. Lungenemphysem, Lun-
die Alveolarluft. Voraussetzung ist die genentzndung, vermindern den Gasaustausch;
Ventilation. es entstehen Atemnot und Zyanose.

Die Zusammensetzung von Ein- und Ausat-


mungsluft sowie der Luft in den Lungenblschen 11.3.3 Atemgastransport ( Abb. 11.18)
ist demnach unterschiedlich ( Tab 11.3).
Dem Atemgastransport im menschlichen Krper
dienen verschiedene Transportformen ( S. 31
Zusammensetzung von Ein- und ff.). Kurze Wege werden durch Diffusion und
Tab. 11.3 Ausatmungsluft.
lngere Distanzen durch Konvektion berbrckt.
Einatmungs- Ausatmungs-
luft ca. luft ca. Atemgastransport durch das Blut
Sauerstoff 21 % 15 % Das Blut transportiert die Atemgase zwischen
Lungen und Zellen. Die treibende Kraft wird
Kohlendioxid 0,03 % 4%
vom Herzen erzeugt.
Stickstoff, 79 80 % 79 80 %
Wasser, [Luft]
Edelgase

Die treibende Kraft der Diffusion als einem zen- [Luft]


H2O [Blut] [Blut]
tralen Vorgang beim Gasaustausch ist das jewei- CO2 CO2 O2
lige Partialdruckgeflle des Gases. Der Umfang
H2CO3
des Gasaustausches pro Zeiteinheit ist umso
Lunge

HHb HbO2
intensiver, je grer Partialdruckgeflle und
Austauschflche, je krzer der Diffusionsweg H+
und je besser die Durchblutung sind. HCO3- O2-reich
CO2-arm [Blut]
Nach dem gleichen Prinzip wie in der Lunge
[Blut] O2-arm
(= alveolrer Gasaustausch) findet der Gasaus-
tausch im Gewebe statt. O2 gelangt entsprechend CO2-reich
seines Partialdruckgeflles aus dem Kapillarblut
Gewebe

des Gewebes ber das Interstitium in die Zellen HCO3-


und CO2 aus den Zellen ber das Interstitium in H+ HHb HbO2
das Gewebskapillarblut. H2CO3 H2O+ CO2

Ventilation und Lungendurchblutung (= Lungen- O2


perfusion) CO2
Wie bereits bekannt, werden O2 und CO2 im
Alveolarraum ausgetauscht. Zu diesem Zweck Transport der Atemgase
mssen sie vom Blutstrom an- bzw. abtranspor- durch das Blut. Abb. 11.18
tiert werden.
230 11 Atmungssystem

Sauerstofftransport (Lunge Krperzellen) 2. Der grte Teil der Kohlensure dissoziert in


Vorgnge in den Lungen: Wasserstoff- und Bikarbonationen:
Der Sauerstoff wird im Lungenkapillarblut nach H CO H+ + HCO -
2 3 3
physikalischer Lsung an das desoxygenierte
Hmoglobin (Hb) gebunden. Es entsteht oxyge- Die freien Wasserstoffionen werden an das des-
niertes Hb. Dieser Vorgang heit Oxygenation. oxygenierte Hb gebunden (= Pufferung; S. 30).

Vorgnge in der Lunge:


Hb + O2 HbO2
In der Lunge wird das HCO3- unter Vermittlung
desoxygeniert, oxygeniert, von Carboanhydrase wieder in CO2 umgewan-
schwchere Sure, strkere Sure, delt.
dunkelrot. hellrot. l. Das Bicarbonation verbindet sich mit Wasser-
stoff (wird vom oxygenierten Hb zur Verf-
gung gestellt) zu Kohlensure:
l g Hb bindet 1,34 ml O2. 100 ml Blut ent- HCO3- + H+ H2CO3
halten 16 g Hb.
Also: 16 g Hb 1,34 ml O2 = 21 ml O2. 2. Die Kohlensure zerfllt in Wasser und CO2.
Demnach knnen 100 ml Blut 21 ml O2 binden. Letzteres lst sich physikalisch und diffundiert
aus dem Blut in die Alveolarluft:
Vorgnge im Gewebe: Carboanhydrase
Im Gewebe wird der Sauerstoff wieder vom Hb
gelst (= Desoxygenation). Nach erneuter physi-


kalischer Lsung diffundiert er in die Zellen. H2CO3 H2O + CO2

Merke Merke
Der Sauerstofftransport erfolgt nach physikali- Der CO2-Transport erfolgt nach physikali-
scher Lsung in chemischer Bindung an Hmo- scher Lsung berwiegend in chemischer
globin, das sich in den Erythrozyten befindet. Bindung als NaHCO3 im Blutplasma und in
Carbominobindung (Bindung des CO2 an
NH-Gruppen der Bluteiweie).

P Eine bedeutend grere Affinitt zum Hb
als der Sauerstoff hat das Kohlenmonoxid (CO).
Bereits in geringen Konzentrationen verdrngt
P Bei Atemstillstand oder behinderter Atmung
es den Sauerstoff aus der Hb-Bindung (Giftig- erhht sich die Wasserstoffionenkonzentration.
keit). Eine starke CO-Vergiftung erkennt man Es entsteht eine bersuerung des Blutes, der
an der kirschroten Farbe der Haut. pH-Wert (normal 7,37 7,43) sinkt. Man
spricht von einer respiratorischen Azidose.
Kohlendioxidtransport (Krperzellen Lunge)
Das von den Zellen abgegebene Kohlendioxid
(CO2) wird hauptschlich in Form von Bicar- 11.3.4 Regulation der Atmung
bonat (= Hydrogencarbonat, HCO3-) im Blut
zur Lunge transportiert. Nach physikalischer Durch die Atmungsregulation wird die Aufnah-
Lsung wird im Gewebskapillarblut unter me von Sauerstoff sowie die Abgabe von
Vermittlung des Enzyms Carboanhydrase CO2 Kohlendioxid den Erfordernissen unseres Kr-
wie folgt in HCO3- berfhrt. pers angepasst. Das geschieht durch die Vern-
derung von Atemfrequenz und Atemtiefe (Atem-
Vorgnge im Gewebe: minutenvolumen). In Ruhe betrgt die Atemfre-
1. Kohlendioxid verbindet sich mit Wasser zu quenz 16 bis 20 Atemzge pro Minute. Bei kr-
Kohlensure: perlicher Belastung erhht sie sich um das Drei-
bis Vierfache. Gleichzeitig nimmt auch die
Carboanhydrase
Atemtiefe zu.
CO2 + H2O H2CO3
11.3 Physiologie der Atmung 231

Merke Organismus angepasst und eine berdehnung


der Lunge verhindert ( Tab. 11.4).
Das Ziel der Atmungsregulation ist die An-
passung der ueren Atmung an die Erfor- Chemische Atmungsregulation
dernisse des Gesamtorganismus. Im Zentrum Die chemische Atmungsregulation gewhrleistet
stehen die ausreichende O2-Versorgung der die Anpassung des Atemminutenvolumens an
Zellen und die Konstanthaltung des pH- die Stoffwechselbedrfnisse des Organimus. Zu
Wertes. diesem Zweck erfolgt eine stndige Kontrolle
des pCO2, pO2 und der [H+] im arteriellen Blut.
Im Einzelnen bedeutet dies:
die Atemfrequenz und Atemtiefe konomisch Die chemische Atmungsregulation arbeitet nach
aufeinander abzustimmen, dem Prinzip eines biologischen Regelkreises.
die Atmungsform beim Schluck-, Nies- und
Hustenreflex bzw. Sprechen und Singen abzu- Chemische Atemregulation. Tab. 11.5
wandeln,
den Sure-Basen-Haushalt konstant zu halten.
Die optimale Anpassung der Atmung wird durch Atemzentrum
verschiedene mehrfach kontrollierte Regel-
mechanismen erreicht, von denen die wichtig- Chemo- Atemmuskulatur
sten kurz beschrieben werden. rezeptoren
Atem-
Zentrale Atmungsregulation minutenvolumen
Die rhythmische Folge von In- und Exspiration
wird durch wechselnde Erregung und Hemmung pCO2, pO2, [H+]
inspiratorischer und exspiratorischer Neurone
im arteriellen Blut
im verlngerten Mark (Medulla oblongata)
erreicht. Diese Neurone bilden das Atem-
zentrum. Stoffwechsel

Mechanisch-reflektorische Atmungsregulation
Im Folgenden sind die wichtigsten Faktoren zu-
(Hering-Breuer-Reflex)
sammengestellt, die die Atmung (Ventilation)
Durch den Hering-Breuer-Reflex werden In- und
beeinflussen.
Exspiration den aktuellen Bedingungen des
Ventilationssteigernd wirken:
Tab. 11.4 Hering-Breuer-Reflex (Reflexbogen). pCO2 (= strkster Atemreiz), pO2 ,

[H+] , Warm- und Kaltreize, Vernde-


Atemzentrum rungen der Krpertemperatur (Fieber,

Hypothermie), Schmerz, Adrenalin ,


afferente Bahnen efferente Bahnen Progesteron .


(im N. Vagus) (in motorischen Nerven Ventilationsverringernd wirken:
fr Atemmuskeln) pCO2 , pO2 , [H+] , RR .


P Im Gegensatz zur Herzttigkeit sind Atem-
Atemmuskulatur frequenz und Atemtiefe ber die Grohirnrinde
Dehnungsrezeptoren
in der Lunge willkrlich beeinflussbar.
Atmet der Mensch ohne krperliche Belastung
vielleicht aus Angst sehr schnell und tief,
Reaktion sinkt die Wasserstoffionenkonzentration im
Reiz
(Vernderung des (Vernderung der Atemtiefe Blut. Es entsteht eine respiratorische Hyper-
Lungenvolumens) zur konomisierung ventilations-Alkalose mit Krampferscheinun-
der Atemarbeit)
gen und vorbergehendem Atemstillstand.
232 11 Atmungssystem

Fragen zur Wiederholung

1. Nehmen Sie eine Gliederung des Atmungssystems vor.


2. Beschreiben Sie Bau und Funktion der Nase.
3. Beschreiben Sie den Rachen als Teil des Atmungs- und Verdauungstraktes.
4. Beschreiben Sie den Kehlkopf als luftleitendes und stimmbildendes Organ.
5. Beschreiben Sie Lage, makroskopischen und mikroskopischen Bau der Trachea.
6. Vergleichen Sie die Schleimhautepithelien von Nase, Rachen, Kehlkopf und Luftrhre!
Ziehen Sie eine Schlussfolgerung.
7. Warum steigt bei Mundatmung die Infektionsgefahr?
8. Beschreiben Sie den Bronchialbaum.
9. Beschreiben Sie Lage und Aufbau der Lungen.
10. Stellen Sie den Aufbau eines Lungenlppchens unter Bercksichtigung seiner Funktion
dar.
11. Beschreiben Sie Bau und Funktion der Pleura.
12. Erklren Sie die Vorgnge
a) bei der Einatmung,
b) bei der Ausatmung.
13. Erlutern Sie die Belftung der Lunge einschlielich wichtiger
a) Lungenvolumina,
b) Lungenkapazitten.
14. Was ist der Totraum und welche Funktionen hat er?
Unterscheiden Sie alveolre und Totraumventilation.
15. Vergleichen Sie die Zusammensetzung von Einatmungsluft, Ausatmungsluft und Alveolar-
luft hinsichtlich des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehaltes.
16. Beschreiben Sie den Gasaustausch.
17. Vergleichen Sie die Partialdrcke von O2 und CO2 im arteriellen und vensen Blut sowie
in der Alveolarluft! Begrnden Sie die Unterschiede.
18. Begrnden Sie, warum Belftung und Durchblutung der Lunge gleich wichtig sind.
19. Erklren Sie den Gastransport zwischen Lunge und Gewebe.
20. Wodurch wird der Gastransport mageblich beeinflusst?
21. Begrnden Sie die Notwendigkeit der Atmungsregulation.
22. Wie erfolgt die Regulation der Atmung?
23. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Atmung und pH-Wert der Krperflssigkeiten?
233

12 Verdauungssystem

Im Verdauungssystem wird die Nahrung so ver- Zum Verdauungssystem gehren Mundhhle,


arbeitet, dass die in ihr enthaltenen lebensnot- Rachen, Speiserhre, Magen, Dnndarm, Dick-
wendigen Stoffe in Blut und Lymphe gelangen darm, Leber mit Gallenblase sowie Bauch-
knnen. speicheldrse.

Mundhhle Rachenraum
(Cavitas oris) (Pharynx)
Zunge
(Lingua)

Speiserhre
(sophagus)

Leber Magen
(Hepar) (Gaster, Ventriculus)

Bauchspeicheldrse
(Pankreas)
Grimmdarm Zwlffingerdarm
(Colon) (Duodenum)
Leerdarm
(Jejunum)

Blinddarm Krummdarm
(Caecum) (Ileum)
Wurmfortsatz
(Appendix vermiformis) Mastdarm Dnndarm
(Rektum) (Intestinum tenue)

Verdauungssystem (bersicht). Abb. 12.1


234 12 Verdauungssystem

12.1 Mundhhle (Cavitas oris) 12.1.1 Lippen und Wangen

Mit der Mundhhle beginnt der Verdauungstrakt. Der Mundschliemuskel (M. orbicularis oris) bil-
Sie dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme, det die Basis der Lippen und schliet den Mund;
aber auch der Atmung und wird eingeteilt in die die ffnung des Mundes erfolgt u. a. durch den
eigentliche Mundhhle und den Mundvorhof. zweibuchigen Muskel (M. digastricus). Der
Wangenmuskel (M. buccinator) bildet die Wan-
Die Mundhhle (Cavitas oris) ist der Raum inner- genwand und sorgt im Zusammenspiel mit der
halb der Zahnbgen zwischen Gaumen, mus- Zunge dafr, dass die Nahrung immer wieder
kulsem Mundboden einschlielich Zunge und zwischen die Zhne gelangt. Beim Kauen wird
Schlundenge (Isthmus faucium). zwischen Schneid- und Mahlbewegungen unter-
Der Mundvorhof (Vestibulum oris) liegt zwi- schieden. Die Schneidbewegung (Kieferschluss)
schen der Auenseite der Zahnbgen, den Wan- erfolgt durch den Kaumuskel (M. masseter) und
gen und den Lippen. den Schlfenmuskel (M. temporalis). Die Mahl-
Die Mundschleimhaut besitzt ein mehrschichti- bewegung (seitliche Verschiebung des Unterkie-
ges unverhorntes Plattenepithel und zahlreiche fers) wird durch die Flgelmuskeln (Mm. ptery-
kleine Speicheldrsen. Letztere sind an der goideus medialis/lateralis) ausgefhrt ( Abb.
Lippeninnenseite tastbar. 5.49 5.51, S. 133 134).

Zum Mundhhlenbereich gehren:


die Lippen (Labia), die Wangen (Buccae), 12.1.2 Zhne, Gebiss ( Abb. 12.3, S. 236)
die Zhne (Dentes), der Gaumen (Palatum),
die Zunge (Glossa, Lingua) und Die Zhne sind fr das Abbeien und die mecha-
3 Paar groe Mundspeicheldrsen. nische Zerkleinerung der Nahrung zustndig.
Zwischen dem 6. Monat und dem 2. Lebensjahr
entwickelt sich zunchst das
Milchgebiss, bestehend aus
20 Zhnen. Etwa ab dem
Mundvorhof
6. Lebensjahr verdrngen die
(Vestibulum oris) bereits vorgebildeten bleiben-
den Zhne nach und nach die
harter Gaumen Milchzhne. Das endgltige
(Palatum durum) Gebiss besteht aus 32 Zhnen.

weicher Gaumen Zahnarten


(Palatum molle) Entsprechend ihrer Funktion,
Mundschliemuskel Form und Stellung im Gebiss
(M. orbicularis oris) werden die Zhne bezeichnet:
vorderer u. hinterer Schneidezahn (Dens incisi-
Gaumenbogen vus),
Zpfchen Eckzahn (Dens caninus),
(Uvula)
Backenzahn (Dens prae-
Gaumenmandel
(Tonsilla palatina) molaris),
Mahlzahn (Dens molaris),
Zunge der hinterste Mahlzahn ist
(Lingua)
Rachenenge der Weisheitszahn.
(Isthmus faucium)
Die Zahnformel dient der
genauen Bestimmung jedes
Zahnes im Gebiss. Zu die-
sem Zweck erhalten die vier
Abb. 12.2 Mundhhle. Kieferhlften und die Zahn-
arten Nummern.
12.1 Mundhhle 235

Zahnformel. Tab. 12.1


rechte Oberkieferhlfte linke Oberkieferhlfte

18 17 16 15 14 13 12 11 21 22 23 24 25 26 27 28
48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38
rechte Unterkieferhlfte linke Unterkieferhlfte

Erste Ziffer bedeutet 3. Zahnwurzel (Radix dentis)


1 rechte Oberkieferhlfte Sie liegt im knchernen Zahnfach (Alveolus)
2 linke Oberkieferhlfte des Kieferknochens und ist vom Zahnzement
3 linke Unterkieferhlfte (Cementum) berzogen. Die Wurzelhaut um-
4 rechte Unterkieferhlfte hllt die Zahnwurzel.

Zweite Ziffer bedeutet Als Sttzgerst liegt in allen 3 Abschnitten


1 und 2 Schneidezhne des Zahnes das Zahnbein (Dentin). In seinem
3 Eckzahn Inneren befindet sich die Zahnhhle (Pulpa-
4 und 5 Backenzhne hhle) als durchgehender Hohlraum von der
6, 7 und 8 Mahlzhne (8 = Weisheitszahn) Wurzelspitze bis in die Zahnkrone. Im Bereich
der Wurzel heit sie Wurzelkanal.
Beispiel Die Zahnhhle beinhaltet das Zahnmark (Pulpa
11 bis 18 (sprich: eins-eins bis eins-acht) sind dentis), bestehend aus lockerem Bindegewebe
die Zhne der rechten Oberkieferhlfte usw. und ber den Wurzelkanal eintretende Gefe
und Nerven.
Bau eines Zahnes
Drei Teile lassen sich unterscheiden: Zahnhalteapparat
1. Zahnkrone (Corona dentis) Der Zahnhalteapparat wird vom Zahnzement der
Sie ist der sichtbare, aus dem Zahnfleisch Wurzelhaut und den Alveolarknochen gebildet.
ragende Teil des Zahns und ist vom Zahn- Zugfeste Fasern der Wurzelhaut sind einer-
schmelz (Enamelum) berzogen. Der Zahn- seits im Zement und andererseits im Kiefer-
schmelz ist die hrteste Substanz unseres knochen verankert und halten den Zahn
Krpers und kann bei Defekten nicht mehr federnd im Zahnfach.
nachgebildet werden.

P Bei Entzndungen des Zahnhalteapparates

P Bestimmte Bakterien bauen Nahrungsbe- (Parodontitis) knnen durch Rckgang des


standteile in der Mundhhle zu organischen Zahnfleisches die Zahnhlse frei liegen und
Suren ab. Diese lsen bei lngerer Einwir- dadurch schmerzempfindlich werden.
kung den Zahnschmelz auf. Es entsteht Karies Versteckte Zahnerkrankungen, ausgelst durch
(Zahnfule = Zerstrung des Zahnschmelzes). mangelhafte Zahnhygiene, knnen Ursache fr
Sachgerechte Mundpflege kann diesen Prozess schwere entzndliche Allgemeinerkrankungen
weitgehend verhindern. sein, die oftmals nicht sofort mit den Zhnen in
Zusammenhang gebracht werden. Daher ist die
2. Zahnhals (Cervix dentis) Zahnhygiene bei der Patientenbetreuung ein
Er stellt den bergang zwischen Krone und wichtiger Aspekt.
Zahnwurzel dar und ist vom Zahnfleisch um-
schlossen.
236 12 Verdauungssystem

Zahnarten Schneidezhne Eckzahn Backenzhne Mahlzhne


(Prmolaren) (Molaren)

1 2 3 4 5 6 7 8

Zahnschmelz
(Enamelum)

Zahnbein Zahnkrone
(Corona dentis)
(Dentin)

Zahnhhle Nervenversorgung der Zhne


(Cavum pulpae)
Zahnhals
(Cervix dentis)

Zahn-
fleisch
(Gingiva)

Zahn-
zement
(Cementum) Zahnwurzel
(Radix dentis)
Wurzel-
haut
(Perio-
dontium) Alveolarnerven
(Nn. alveolares)
sind ste des
Blutgefe N. maxilaris und
und Nerv N. mandibularis

bleibendes Gebiss (Durchbruchzeiten)

1 6. 8. J.
2 7. 9. J.
3 11. 13. J. Milchgebiss
(Durchbruchzeiten)
4 9. 11. J.
5 1 6. 8. M.
10. 15. J.
7. 9. M.
2
6 7. J. 3 16. 20. M.

7 4 12. 15. M.
13. 16. J.

8 5 20. 24. M.
13. 18. J.

Abb. 12.3 Gebiss.


12.1 Mundhhle 237

12.1.3 Zunge (Lingua, Glossa)


P Die A. lingualis ist ein krftiger Endast der
A. carotis externa: Bei Verletzung besteht akute
Die Zunge ist ein mit Schleimhaut berzogenes Verblutungsgefahr (z. B. Biss bei epileptischen
muskulses Organ. Ihre Muskulatur wird aus Krampfanfllen).
quer gestreiftem Muskelgewebe gebildet, dessen
Fasern die Zunge in Lngs-, Breit- und Tiefen-
richtung durchziehen. Diese Anordnung er- Merke
mglicht auerordentlich differenzierte Bewe- Aufgaben der Zunge Anatomische
gungen. Zungenstrukturen
Merke Mitwirken beim Saugen, Zungenmuskulatur
Kauen und Schlucken
Die Zungenmuskulatur wird durch zahlreiche Lautbildung Zungenmuskulatur
sensible und motorische Nervenfasern ver- formt Zunge
sorgt. Tast- und Berhrungs- Zungenspitze
empfindung
Bau Geschmacksempfindung Geschmacksknospen
An der Zunge kann man die raue Zungenober- Abwehrfunktion Zungenmandel
seite (= Zungenrcken) mit Zungenspitze, Zun-
genrndern, Zungenwurzel (= Zungengrund)
und die glatte Zungenunterseite mit dem median
gelegenen Zungenbndchen unterscheiden.
Die Schleimhaut des Zungenrckens ist durch
zahlreiche Zungenpapillen gekennzeichnet, was
zu einer Vergrerung ihrer Oberflche fhrt.

In den Geschmacksknospen der wall-, blatt- und Wallpapillen


pilzfrmigen Papillen sind die Geschmackssin- (Papillae vallatae)
neszellen (Chemorezeptoren) konzentriert, die
Blattpapillen
den Geschmackssinn vermitteln ( S. 313). (Papillae foliatae)

Die hckrige Oberflche der Zungenwurzel ent-


Pilzpapillen
steht durch zahlreiche Lymphfollikel, die die (Papillae
Zungenmandel (Tonsilla lingualis) bilden. fungiformes)
Die Blutversorgung erfolgt ber die Zungen-
arterie (A. lingualis), die bis zur Zungenspitze
Fadenpapillen
reicht. (Papillae filiformes)

Zungenpapillen. Abb. 12.4

Zungenpapillen. Tab. 12.2


Zungenpapillen Lage Besonderheit
Fadenpapillen Auf dem ganzen Zungenrcken
(Papillae filiformes) verteilt (am hufigsten auftreten- Dienen der Tastempfindung.
de Papillen).
Wallpapillen v-frmig am Beginn
(Papillae vallatae) der Zungenwurzel. Enthalten Geschmacksknospen,
Blattpapillen Zungenrand. in ihrer Nhe liegen Spldrsen.
(Papillae foliatae)
Pilzpapillen Zungenrand, Zungenspitze. Enthalten Geschmacksknospen.
(Papillae fungiformes)
238 12 Verdauungssystem

Fadenpapillen
(Papillae filiformes)

Wallpapillen
Zungenwurzel (Papillae vallatae)
(Radix linguae) Blattpapillen
Zungenmandel (Papillae foliatae)
(Tonsilla lingualis)
Kehldeckel
(Epiglottis)
Rachen Zungenbein
(Pharynx)
(Os hyoideum)
Schildknorpel
(Cartilago thyroidea)

Ringknorpel
(Cartilago cricoidea)
Speiserhre Luftrhre
(sophagus) (Trachea)

Abb. 12.5 Zunge- und Kehlkopfbereich.

12.1.4 Gaumen (Palatum) Rachenenge (Isthmus faucium; Abb. 12.2, S.


Der Gaumen bildet einerseits das Mundhhlen- 234)
dach und andererseits den Boden der Nasen- Die Rachenenge liegt zwischen der Zungen-
hhle. wurzel und dem weichen Gaumen und ist der
Man unterscheidet 2 Abschnitte: bergang von der Mundhhle in den Rachen-
den harten Gaumen = Kaudruckbereich. raum.
den weichen Gaumen = Gaumensegel.
Er schliet sich nach hinten dem harten Gau-
men an. In der Mitte befindet sich das Gaumen- 12.1.5 Groe Mundspeicheldrsen
zpfchen (Uvula), von dessen Basis links und
rechts zwei Schleimhautfalten bogenfrmig Die 3 groen Mundspeicheldrsen ( Abb.
seitlich nach unten verlaufen. Es handelt sich 12.6) dienen neben vielen kleinen Drsen in der
um die vorderen und hinteren Gaumenbgen. Mundschleimhaut der Speichelbildung. Sie sind
Rechts und links liegt in einer Nische zwi- paarig angeordnet. Der Mundspeichel wird ber
schen vorderem und hinterem Gaumenbogen Ausfhrungsgnge direkt in den Mundraum
jeweils 1 Gaumenmandel (Tonsilla palatina). abgegeben.

Aufgaben des weichen Gaumens Ohrspeicheldrse (Glandula parotis)


Die muskulre Grundlage ermglicht whrend Sie ist mit einer Masse von 20 30 Gramm die
des Schluckens das Verschlieen des Rachen- grte Drse und liegt auerhalb der Mund-
raumes zur Nasenhhle. hhle. Ihr Ausfhrungsgang mndet im Mund-
Muskelzge ffnen beim Schlucken die Ohr- vorhof gegenber dem 2. oberen Mahlzahn.
trompete, sodass ein Druckausgleich im Mittel-
ohr erfolgen kann.
P Bei einer Entzndung der Ohrspeicheldrse
(Mumps) steht in der Regel das Ohrlppchen
ab (Schwellung vor dem Ohr).
12.2 Speiserhre 239

Ausfhrungsgang
der
Ohrspeicheldrse
(Ductus parotideus)

kleine Ohrspeicheldrse
(Glandula parotis)
Unterzungen-
speichelgnge
Unterkiefer-
speichelgang1)
(Ductus Unterzungen-
submandibularis) speicheldrse
(Glandula sublingualis)
Unterkiefer-
1) Er mndet meist gemeinsam mit dem speicheldrse
(Glandula
groen Unterzungenspeichelgang neben
submandibularis)
dem Zungenbndchen auf der Unter-
zungenkarunkel.

Mundspeicheldrsen. Abb. 12.6

Unterkieferspeicheldrse (Glandula submandi- Halsteil. Er liegt hinter der Trachea. Seitlich


bularis). Sie liegt an der Innenseite des Unter- befinden sich Teile der Schilddrse sowie die
kiefers (ist tastbar). Gef-Nerven-Strnge des Halses, dahinter
Unterzungenspeicheldrse (Glandula sublingu- die Halswirbelsule.
alis). Sie liegt im Mundhhlenboden. Brustteil. Er verluft vor der Brustwirbelsule
neben der Brustaorta zwischen den beiden
Die Ausfhrungsgnge von Unterkiefer- und Lungen. Diagnostisch wichtig ist die Anlage-
Unterzungendrse mnden unter der Zunge rung an den linken Vorhof.
neben dem Zungenbndchen. Bauchteil. Nach dem Durchtritt durch das
Der alkalische Mundspeichel ermglicht das Zwerchfell sind es noch 0 3 Zentimeter bis
Wirken des Ptyalins (-Amylase des Speichels), zum Mageneingang.
dient der Erhaltung des Zahnschmelzes und wehrt Beginn und Ende der Speiserhre werden durch
mithilfe Immunglobulin A und Lysozym Krank- einen Ringmuskel verschlossen. Der untere
heitserreger ab. Schliemuskel verhindert den Rckfluss von
Mageninhalt.

12.2 Speiserhre (sophagus)


P Bei Versagen des unteren Schliemuskels
kann durch Rckfluss von Mageninhalt eine
Die Speiserhre ist ein mit Schleimhaut ausge- Refluxsophagitis (Speiserhrenentzndung)
kleideter muskulser Schlauch. Sie ist beim entstehen, die zu Sodbrennen fhrt.
Erwachsenen ca. 24 Zentimeter lang und verbin-
det den Rachenraum mit dem Magen. In ihrem Verlauf hat die Speiserhre 3 Engen:
Ringknorpelenge in Hhe des Ringknorpels

P Von den Schneidezhnen bis zum Beginn hinter dem Kehlkopf,


der Speiserhre sind es ca. 15 Zentimeter. Aortenenge in Hhe des Aortenbogens,
Diese Strecke ist bei der Magensondierung zu Zwerchfellenge beim Durchtritt durch das
beachten. Zwerchfell.

Verlauf und Lagebeziehungen


P Die Speiserhre ist relativ locker in das
Nach ihrem Verlauf vom Hals ber die Brust- in Zwerchfell eingebaut. Dadurch kann es u. U. zu
die Bauchhhle unterscheidet man 3 Abschnitte: Zwerchfellbrchen (Hernien) kommen.
240 12 Verdauungssystem

Durch das Zusammenwirken von


Speiserhre Brustabschnitt Ring- und Lngsmuskulatur ent-
(sophagus Pars thoracica) steht die Peristaltik (wellenfrmig
Luftrhre fortschreitende Kontraktionsvor-
(Trachea) gnge), durch die die Speise in den
Aortenbogen
Magen befrdert wird.
(Arcus aortae)
Aorten-
enge

P Bei Blutstauung im Pfortader-
Luftrhrengabel kreislauf (z. B. bei Leberzirrhose)
(Bifurcatio tracheae)
wird ein Teil des Blutes ber
Brustaorta Venen des sophagus zur V. cava
(Pars thoracica aortae)
superior geleitet. Es entstehen
Speiserhrenarterien
(Aa. oesophageae) sophagusvarizen, die zu massi-
ven Blutungen fhren knnen.
Durchtrittsffnung
fr die Speiserhre
(Hiatus oesophageus)
Zwerch- Zwerchfell
fellenge (Diaphragma) 12.3 Magen
Speiserhre (Gaster, Ventriculus)
Bauchabschnitt
(sophagus Der Magen ( Abb. 12.9) schliet
Pars abdominalis)
sich der Speiserhre an. Er ist ein
Aortenschlitz groer Speicher am Anfang des
(Hiatus aorticus)
Darmkanals. Nach der Nahrungs-
Magen aufnahme speichert der Magen die
(Gaster/Ventriculus)
Nahrung vorbergehend, um sie
Abb. 12.7 Verlauf der Speiserhre. spter in kleinen Mengen an den
Zwlffingerdarm abzugeben.
Wandschichten ( Abb. 12.8) Form
Die Wand der Speiserhre ist wie die meisten Hohlorgane aus Der gebogenen Form entsprechend
drei Hauptschichten aufgebaut: liegt rechts die kleine Magenkrm-
Bindegewebige Hlle zum Einbau und zur Verschiebung mung (Curvatura gastrica minor)
in der Umgebung. und links die groe Magenkrm-
Muskelwand zum Transport. mung (Curvatura gastrica major).
Schleimhaut als glatte Gleitflche.
Im brigen ist die Form des Magens
abhngig von
Auenschicht der Fllung: Der im leeren Zu-
(Tunica adventitia) stand darmfrmige Magen weitet
Lngsmuskelschicht sich mit zunehmender Fllung
Ringmuskelschicht Muskelschicht nach links zur groen Magen-
(Tunica
Unterschleimhaut muscularis) krmmung hin aus. An der
(Tela submucosa) kleinen Magenkrmmung bleibt
Lumen die Magenstrae fr den Durch-
lauf von Flssigkeiten frei;
Schleimhautepithel der Krperhaltung: Im Stehen
(mehrschichtiges unver-
horntes Plattenepithel) Schleimhaut hngt der Magen weiter nach
(Tunica mucosa) unten.
Muskelschicht der
Schleimhaut

Abb. 12.8 Schichtaufbau der Speiserhre.


12.3 Magen 241

Magenschleimhaut
Auenschicht Muskelschicht
(Peritoneum) (Tunica muscularis)
Magengrbchen
(Voveolae gastricae)

Schleimhaut
(Mucosa)
Speiserhre Magengrund
(sophagus) (Fundus gastricus)
Mageneingang
(Kardia/Ostium Magenkrper
cardiacum) (Corpus gastricum)
Magenstrae
kleine
Magenkrmmung
(Curvatura gastrica
minor) groe
Zwlffingerdarm Magenkrmmung
(Duodenum) (Curvatura gastrica
major)

Belegzelle
Nebenzelle
Hauptzelle
Pfrtnerabschnitt
(Pars pylorica, Antrum)
Magenpfrtner
(Pylorus/Ostium pyloricum)

Magen. Abb. 12.9

Gliederung Muskelschicht (Tunica muscularis) mit uerer


Der Mageneingang (Kardia) liegt auf der rech- Lngsmuskelschicht, mittlerer Ringmuskel-
ten Seite, der Ausgang Pfrtner (Pylorus) schicht und innerer schrger Muskelschicht
befindet sich von der Leber bedeckt ebenfalls sowie der
rechts. Unter die linke Zwerchfellkuppel wlbt Magenschleimhaut (Tunica mucosa).
sich der Magengrund (Fundus gastricus). Auf
den Magengrund folgt der Magenkrper (Corpus Die Magenschleimhaut zeigt ein ausgeprgtes
gastricum) und diesem schliet sich der Pfrt- Lngsfaltenrelief (besonders im Bereich der
nervorraum (Pars pylorica oder Antrum) an. Magenstrae). Sie besitzt einschichtiges Zylin-
derepithel. Die Schleimhautoberflche ist durch
Lage Magenfelder mit einem Durchmesser von 1 bis 6
Der Magen liegt intraperitoneal zu 3/4 im linken Millimeter gekennzeichnet. In jedem Feld befin-
Oberbauch (unter linker Zwerchfellkuppel und den sich zahlreiche kleine Magengrbchen, in
linkem Rippenbogen) und 1/4 im rechten denen die Mndungen der Magendrsen liegen.
Oberbauch ( Abb. 12.10, S. 242).
Die Magendrsen bestehen aus Hauptzellen (bil-
Wandschichten den das Pepsinogen), Belegzellen (bilden Salz-
Die Magenwand besteht aus den 3 Haupt- sure) und Nebenzellen (bilden Schleim, Intrinsic-
schichten: Factor, S. 255). Diese Sekrete gehren zu den
Bauchfell (Peritoneum), hauptschlichen Bestandteilen des Magensaftes.
242 12 Verdauungssystem

Blutversorgung
Arterien. Alle 3 ste des Truncus
coeliacus ( Abb. 9.29 und 9.30, Zwerchfell
(Diaphragma)
S. 183) sind an der Versorgung des
Magens beteiligt. Leber
(Hepar)
Venen. Das Blut des Magens fliet
ber 4 groe Magenvenen zur V. Magen
portae ab ( Abb. 9.35, S. 187). (Gaster)
Gallenblase
(Vesica biliaris)
Nervenversorgung
Die Innervation der Magenttigkeit Dickdarm
erfolgt ber den N. vagus, der auch (Intestinum
crassum)
die Sureproduktion stimuliert (
Abb. 17.20, S. 355 und S. 356).
Dnndarm

P Bei Strungen des Gleichge-
(Intestinum tenue)

wichtes zwischen schtzenden Fak-


toren (Schleim, gute Durchblu-
tung) und schdigenden Faktoren
(Sure, Stress, Gallenreflux, Stase,
Bakterien) kann es zu Entzn- Harnblase
(Vesica urinaria)
dungen der Magenschleimhaut
(Gastritis) bis zum Magengeschwr
(Ulcus ventriculi) kommen.
Lage der Verdauungsorgane im Bauch. Abb. 12.10

12.4 Dnndarm (Intestinum tenue) Leerdarm (Jejunum) und


Krummdarm (Ileum) liegen intraperitoneal im
Der Dnndarm schliet an den Magen an und Unterbauch, eingegrenzt vom Dickdarm. Die
mndet in den Blinddarm. Er hat eine Lnge von Grenzen zwischen diesen beiden Dnndarm-
2,5 3,5 Metern. Im Dnndarm erfolgt der abschnitten sind flieend.
wesentliche Teil der Verdauung. Bemerkenswert
ist, dass der Darm auch das grte Abwehrorgan Schleimhaut ( Abb. 12.11)
des Organismus darstellt. ber 80 Prozent der Die Dnndarmschleimhaut ist gekennzeichnet
Zellen unseres Immunsystems sind in und um durch
den Verdauungstrakt konzentriert. feststehende Ringfalten (Kerckring-Falten,
Plicae circulares);
Gliederung Zotten (Villi intestinales). Das sind kleine
Der Dnndarm wird in 3 unterschiedlich lange Fortstze der Ringfalten. Innerhalb dieser
Abschnitte gegliedert. Zotten befinden sich Blutkapillaren und ein
zentral gelegenes Lymphgef. Lngs ange-
Zwlffingerdarm (Duodenum): Der ca. 30 Zen- ordnete glatte Muskelzellen verkrzen die
timeter lange c-frmige Zwlffingerdarm be- Zotte, wodurch Blut und Lymphflssigkeit mit
ginnt am Magenpfrtner und endet an der den resorbierten Nahrungsstoffen ausgepresst
Zwlffingerdarm-Leerdarm-Krmmung (Fle- werden. Die Anzahl der Kerckringschen
xura duodenojejunalis). Er liegt im Oberbauch Falten und der Zotten nimmt im Verlauf des
retroperitoneal ( Abb. 7.6, S. 147); Dnndarms ab. Im letzten Teil des Ileums
fehlen sie vllig;
12.4 Dnndarm 243

Kerckringsche Falte
(Plica circularis)

Lieberkhnsche
Zottenmuskel Krypten
zentrales
Lymphgef
Dnndarmzotten
Zylinderepithel (Villi intestinales)

Blutgefe

Becherzelle
Ring-
muskulatur

Lngs-
muskulatur

Blutgefe

Bauchfell

Mikroskopischer Bau des Dnndarms. Abb. 12.11

Merke Gefversorgung
Sie erfolgt durch
Die sezernierende und resorbierende Ober- Arterien. Obere Gekrsearterie (A. mesen-
flche des Dnndarmes (ca. 100 m2) wird terica superior, Abb. 9.29, S. 183).
3fach vergrert: Venen. Mesenterialvenen leiten das Blut in die
durch die Ringfalten, Pfortader ( Abb. 9.35, S. 187).
durch die Zotten an den Ringfalten,
durch die Mikrovilli (= Brstensaum) der Nervenversorgung
einschichtig angeordneten Zylinderepithel- Die Funktionen des Dnndarms werden haupt-
zellen. schlich von 2 Geflechten des Parasympathicus
(= Teil des vegetativen Nervensystems), die in
Lieberkhnsche Krypten. Das sind Vertiefun- der Darmwand liegen, reguliert, dem Plexus
gen zwischen den Zotten, in denen sich die submucosus (Meissnerscher Plexus) in der Sub-
Ausfhrungsgnge der Drsen der Dnndarm- mucosa und dem Plexus myentericus (Auer-
schleimhaut befinden; bachscher Plexus) zwischen uerer Lngs- und
Lymphkntchen. Sie liegen in den tieferen Be- innerer Ringmuskulatur.
reichen der Schleimhaut und erfllen Abwehr-
aufgaben; Der Dnndarm ist mittels Mesenterium an der
groe Zwlffingerdarmpapille (Papilla duo- hinteren Bauchwand befestigt, ber dessen
deni major, Vater-Papille). Sie liegt im ab- Wurzel smtliche Versorgungsbahnen laufen
steigenden Teil des Duodenums. Hier befin- ( Abb. 7.2 und 7.3, S. 145).
den sich die Mndungen des Hauptgallen-
ganges (Ductus choledochus) und des Bauch-
speicheldrsenganges (Ductus pancreaticus)
( Abb. 12.21, S. 251).
244 12 Verdauungssystem

12.5 Dickdarm (Intestinum crassum) Wurmfortsatz (Appendix vermiformis)


Er ist ein Anhang des Blinddarms, ca. 8 cm lang
Der Dickdarm umgibt wie ein Rahmen die zen- und hat keinerlei Verdauungsfunktion, son-
tral gelegenen Dnndarmschlingen des Unter- dern gehrt zu den lymphatischen Organen.
bauches. Seine Gesamtlnge
betrgt 1,20 bis 1,50 Meter.
Er schliet an den Dnn- Zwerchfell
darm an. Wie den Dnndarm (Diaphragma)
gliedert man auch den Dick-
darm in 3 Abschnitte; den
Blinddarm mit Wurmfort-
satz, den Grimmdarm und aufsteigender
den End- oder Mastdarm. Grimmdarm
(Colon ascendens)
1. Blinddarm (Caecum) Nabel
Das blind beginnende Cae- (Umbilicus)
cum ist der ca. 7 cm lange Krummdarm
erste Hauptabschnitt des (Ileum)
Dickdarms. Es liegt im rech- Blinddarm
ten Unterbauch unterhalb (Caecum) X
der Einmndung des Ileums. vorderer oberer
Darmbeinstachel
An der Einmndungsstelle (Spina iliaca anterior
des Ileums in den Dickdarm superior)
liegt ein Ventil, Krumm- McBurney-Punkt
darm-Blinddarm-Klappe Wurmfortsatz
(Valva ileocaecalis) oder (Appendix vermiformis)
Bauhinsche Klappe. Sie
verhindert den Rckfluss
des Nahrungsbreis und
damit auch den bertritt von Lage des Blinddarms mit Wurmfortsatz. Abb. 12.12
Bakterien in den Dnndarm.


P Bei Entzndung des Wurmfortsatzes (Appen-
aufsteigender dicitis) entstehen starke Druckschmerzen.
Grimmdarm Einen typischen Druckschmerzpunkt (= Mc-
(Colon ascendens) Burney-Punkt) finden Sie in der Abb. 12.12
Krummdarm oben.
(Ileum)
Bauhinsche
Klappe 2. Grimmdarm (Colon)
(Valva ileocaecalis) Das Colon ist mit ca. 1 m der lngste Abschnitt
Blinddarm des Dickdarms und liegt zwischen Blinddarm
(Caecum)
und Mastdarm. Es umgibt den intraperitonealen
Abgangsstelle des Teil des Dnndarms rahmenfrmig. Das Colon
Wurmfortsatzes wird in 4 Abschnitte gegliedert ( Abb. 12.14):
Wurmfortsatz aufsteigender Grimmdarm (Colon ascendens),
(Appendix vermiformis)
quer verlaufender Grimmdarm (Colon trans-
versum),
Blinddarm mit Bauhinscher absteigender Grimmdarm (Colon descendens),
Abb. 12.13 Klappe und Wurmfortsatz. s-frmiger Grimmdarm (Colon sigmoideum).
12.5 Dickdarm 245

quer verlaufender Grimmdarm


(Colon transversum)

linke
rechte Grimmdarm-
Grimmdarm- krmmung
krmmung (Flexura coli sinistra)
(Flexura coli dextra)

Aussackungen
(Haustra)

Lngs- absteigender
aufsteigender muskel-
Grimmdarm bndel Grimmdarm
(Colon ascendens) (Colon descendens)
(Taenien)

Krummdarm
(Ileum)

Blinddarm s-frmiger
(Caecum) Grimmdarm
Aufhngeband des (Colon sigmoideum)
Wurmfortsatzes Mastdarm
Wurmfortsatz (Rektum)
(Appendix vermiformis)

Dickdarmabschnitte. Abb. 12.14

Das Colon erkennt man uerlich an


den Taenien (Taeniae coli):
Das sind 3 ca. 1 cm breite deut-
lich sichtbare Lngsmuskel- s-frmiger
bndel; Grimmdarm
(Colon
den Haustra: sigmoideum)
Das sind die zwischen den
Taenien liegenden Aussackun-
gen (Schpfeimer); Querfalten
den Fettanhngseln:
Hier handelt es sich um unter- Mastdarm-
ampulle Lngsfalten
schiedlich groe mit Fett gefll- (Ampulla recti) innerer
te Ausstlpungen an der Darm- Afterschliemuskel
auenwand. (M. sphincter ani internus)
uerer
3. Mastdarm (Rektum) Afterschliemuskel
Analkanal (M. sphincter ani externus)
Der 10 bis 15 cm lange Mastdarm (Canalis analis)
Schwellkrper
folgt in seinem Verlauf der Kreuz- After
bein-Steibein-Krmmung. Er liegt (Anus)
als einziges Verdauungsorgan im
dorsalen Beckenbereich und be- Mastdarm und After. Abb. 12.15
steht aus 2 Abschnitten:
Mastdarmampulle
(Ampulla recti). und dient als Speicherorgan der Facies. Er ent-
Dieser Abschnitt ist stark erweiterungsfhig hlt 3 quere feststehende Schleimhautfalten
246 12 Verdauungssystem

(zwei rechts und eine links). Die linke heit des Colons sind die Lngsmuskeln gerafft und
Kohlrausch-Falte und liegt ca. 6 cm vom Anus heien Taenien.
entfernt.
Analkanal (Canalis analis).
P ber die Mastdarmschleimhaut knnen Wirk-
Der Analkanal schliet sich ohne scharfe Gren- stoffe resorbiert werden, z. B. Narkotika, Nhr-
ze ab der Biegung des Rektums nach vorn an klistiere, Analgetika. Diese gelangen ber
die Ampulla recti an und endet mit dem After, das Blut, ohne Leberpassage (mglicher Ab-
Anus (= ffnung an der Haut). Die Schleim- bau), direkt zu den Wirkorten.
haut besitzt 8 bis 10 Lngsfalten (Columnae
anales). Zwischen ihnen liegen die After-
buchten (Sinus anales). Auerdem ist sie nahe
dem Anus in der so genannten Hmorrhoidal- 12.6 Leber (Hepar)
zone mit Venengeflechten unterpolstert (Plexus
venosus rectalis = Plexus haemorrhoidalis). Die Leber ist die Stoffwechsel- und Entgiftungs-
zentrale des menschlichen Krpers und bildet
Merke u. a. die Gallenflssigkeit. Fr ihre umfangrei-
che Ttigkeit verfgt sie ber eine auerge-
Das Rektum besitzt im Unterschied zum whnliche Regenerationsfhigkeit.
Colon keine Taenien, Haustren und Fettan-
hngsel, dafr aber reichlich schleimprodu- Form, Farbe und Gre
zierende Becherzellen. Die braunrote Leber ist mit einer Masse von ca.
1,5 kg nicht nur die grte Drse, sondern ber-
Afterverschluss ( Abb. 12.15, S. 245) haupt das grte innere Organ des menschlichen
Der Verschluss des Afters geschieht durch 2 ring- Krpers. Ihre Form wird im Wesentlichen von
frmige Schliemuskeln und einen Schwell- den Nachbarorganen bestimmt. Deutlich zu
krper. unterscheiden sind zwei Hauptflchen, die
Muskeln Zwerchfellflche (Facies diaphragmatica) und
Innerer unwillkrlicher Afterschliemuskel die Eingeweideflche (Facies visceralis). Die
(M. sphincter ani internus) aus glattem Mus- Zwerchfellflche liegt in der Rundung der rech-
kelgewebe; ten Zwerchfellkuppel, die Eingeweideflche liegt
uerer willkrlicher Afterschliemuskel auf Teilen des Magens, des Duodenums und des
(M. sphincter ani externus) aus quer gestreif- Dickdarms. Im vorderen Bereich sind beide Fl-
tem Muskelgewebe. chen durch eine spitzwinklige Kante (= Leber-
Schwellkrper unterrand) getrennt.
Der wie ein Ring unmittelbar vor dem After lie-
gende Schwellkrper wird von dem zuvor Lage und Nachbarorgane
beschriebenen Venenplexus gebildet. Bei Kon- Die Leber liegt im rechten Oberbauch unter dem
traktion der Schliemuskeln wird der Blutabfluss rechten Rippenbogen (im rechten Hypochondri-
ber die Venen behindert. Die Lngsfalten legen um) und reicht nach links bis in die Magengrube
sich aneinander und verschlieen den Anal- (Epigastrium). Wichtige Nachbarorgane sind
kanal. rechte Niere, Colon transversum, Magen und
Duodenum ( Abb. 7.4, S. 146).

P Hmorrhoiden sind knotigenartige Vergr-
erungen bestimmter Schwellkrperabschnitte. Oberflchliche Gliederung
Leitsymptom sind hellrote Sickerblutungen aus Der rechte Leberlappen (Lobus dexter) wird
dem After. durch ein Band vom linken (Lobus sinister)
getrennt. An der Eingeweideflche liegen
die Leberpforte (Porta hepatis) mit Leberarte-
Wandschichten rie (A. hepatica; bringt sauerstoffreiches Blut
Der Wandaufbau entspricht grundstzlich dem = 25 %) und die Pfortader (V. portae; fhrt
des Dnndarms. Die Schleimhaut ist glatt und sauerstoffarmes, mit Nahrungsstoffen aus dem
besitzt Krypten fr Schleimdrsen. Im Bereich Darm angereichertes Blut = 75 % in die Leber);
Text-Verdauung 22.08.2002 10:13 Uhr Seite 247

12.6 Leber 247

Merke Zwischenlppchen- Zwischenlppchen-


Die Leber erhlt Blut aus der Leberarterie vene arterie
und der Pfortader. Zentralvene Zwischenlppchen-
gallengang

der gemeinsame Lebergallengang (Ductus


hepaticus communis): Er transportiert die
Gallenflssigkeit aus der Leber heraus;
die Gallenblase (Vesica biliaris): Sie spei-
chert die Gallenflssigkeit. Leber-
sinus
Blutabfluss Leber-
Im oberen hinteren Bereich der Leber, un- zellen
mittelbar unter dem Zwerchfell, mnden
3 Lebervenen in die V. cava inferior (die V.
cava inferior ist hier mit der Leber verwach-
sen, sodass die Lebervenen uerlich nicht
sichtbar sind).
Glissonsche Trias Gallenkapillaren Sammelvene
Mikroskopische Struktur der Leber
Das Lebergewebe gliedert sich in viele Leberzellbalken Zentralvene Lebersinus
Leberlppchen (d = 1 2 mm). Im Zentrum
jedes Lppchens befindet sich die Zentral-
vene, von der strahlenfrmig die polygonalen1)
Leberzellen (Hepatozyten) als Leberzellbal-
ken zur Peripherie verlaufen. Auf diese Weise
entsteht ein dreidimensionales labyrintharti-
ges System aus 1 bis 2 Zellschichten dicken
Zellplatten. Zwischen den Leberzellbalken Gallenkapillare
bzw. -platten liegen die Leberkapillaren, die
besonders weit sind und deshalb als Leber- Glissonsche Trias
sinusoide bezeichnet werden. Ihre Wand be-
steht aus Endothelzellen und Kupffer-Stern- Mikroskopische Struktur der Leber. Abb. 12.16
zellen, die zur Phagozytose befhigt sind. In
den Leberzellbalken bzw. -platten befinden
sich die Gallenkapillaren. ader. In den Sinusoiden mischt sich das Blut von
Blut- und Gallenkapillarsystem sind voneinander Leberarterie und Pfortader ( Abb. 12.16).
vllig getrennt.
Zwischen Kapillarendothel und Leberzellen Im folgenden Schema ist der gesamte Blutfluss
liegt anstelle der Basalmembran ein besonderer durch die Leber zusammengefasst.
Verteiler-Raum, der sog. Disse-Raum, in den die
Mikrovilli der Hepatozyten hineinragen. Durch Merke
diesen Raum wird eine grere und damit lei- Leberkreislauf
stungsfhigere Austauschflche zwischen dem Pfortader Leberarterie
Blut in den Lebersinusoiden und den Leberzel-
len geschaffen. Zwischen- Zwischen-
lppchenvene lppchenarterie

Lebersinus
Leberkreislauf
Die Speisung der Lebersinusoide mit Blut erfolgt Zentralvene

von der Peripherie des Leberlppchens durch je- Lebervenen
weils ein stchen der Leberarterie und der Pfort-
untere Hohlvene
1) vieleckig
248 12 Verdauungssystem

Vordere obere Leberflche Schweiflappen


(Fascies diaphramatica)
(Lobus caudatus)
linkes
Kronenband
(Lig. coronarium
sinistrum1)
rechter
Leberlappen rechtes
(Lobus dexter) Kronenband
(Lig. coronarium
dextrum1)
linker
Leberlappen
(Lobus sinister)

sichelfrmiges
Gallenblase Band1)
(Ligamentum
(Vesica biliaris)
falciforme)

Eingeweideflche
(Fascies visceralis)

untere
Hohlvene
linker (V. cava inferior)
Leberlappen
(Lobus sinister)
Schweif-
Pfortader lappen
(V. portae) (Lobus caudatus)
Leberpforte
(Porta hepatis) rechter
Leberarterie Leberlappen
(Lobus dexter)
(A. hepatica)

Haupt-
gallengang
(Ductus Gallenblase
choledochus) (Vesica biliaris)
quadratischer
Lappen
1) Bildung des Peritoneums (Lobus quadratus)

Abb. 12.17 Leber.

Die beiden zufhrenden Blutgefe Zwischen- Galle und Gallengnge


lppchenarterie und Zwischenlppchenvene ver- Von den Leberzellen wird pro Tag ca. 1 Liter
laufen immer gemeinsam mit dem Zwischenlpp- Gallensaft gebildet, der ber das Gallengang-
chengallengang (= Trias heaptica oder Glisson - system in das Duodenum geleitet wird. Der Gal-
sche Trias) und etwas lockerem Bindegewebe im lensaft besitzt einen pH-Wert von 7,4 8,5 und
Portalkanal (Canalis portalis). ist dem Blut isoton. Wichtigste Bestandteile des
Gallensaftes sind:
Merke Wasser (95 %), Gallensuren,
Die Flierichtung des Blutes und die der Gallenfarbstoffe (Bilirubin), Cholesterol,
Gallenflssigkeit im und zwischen den Hormone (Steroidhormone, Insulin),
Leberlppchen ist entgegengesetzt. evtl. Medikamente.
12.6 Leber 249

linker Lebergallengang rechter Lebergallengang


(Ductus hepaticus sinister) (Ductus hepaticus dexter)

gemeinsamer
Gallenblasen- Lebergang
gang (Ductus hepaticus
(Ductus cysticus) communis)
gemeinsamer
Lebergallengang Gallen-
(Ductus hepaticus
blasen-
communis)
gang
Hauptgallengang Haupt-
(Ductus choledochus) gallengang
(Ductus
Bauchspeichel- choledochus)
drsengang
(Ductus pancreaticus) Gallen-
Zwlffingerdarm- blase
papille
(Papilla duodeni
major)
Weg der
Zwlffingerdarm Gallenflssigkeit
(Duodenum)

Extrahepatische Gallengnge. Abb. 12.18

Intrahepatische und extrahepatische (Ductus hepaticus communis). Von dort verluft


Gallengnge der Gallenblasengang (Ductus cysticus) zur
Der Gallensaft wird von Gallenkapillaren aufge- Gallenblase. Ab dem Abzweig des Gallenblasen-
nommen und ber die Gallengnge in das Duo- ganges setzt sich der gemeinsame Lebergallen-
denum geleitet. Dieses Gallengangsystem glie- gang als Hauptgallengang (Ductus choledochus)
dert sich in zum Duodenum fort. Die besondere Funktion
Gallenwege innerhalb der Leber (intrahepati- der Gallenblase besteht darin, eine bestimmte
sche Gallengnge) und Menge an Gallensaft zu speichern (40 100 ml)
Gallenwege auerhalb der Leber (extrahepati- und bei Bedarf abzugeben. Whrend des
sche Gallengnge). Speichervorganges wird die hellgelbe Leber-
Die Gallenkapillaren liegen zwischen 2 Leber- galle durch Wasserentzug zur grnlichen
zellen, haben also keine eigene Wand. Sie neh- Blasengalle eingedickt. Bei 2/3 der Menschen
men die Gallenflssigkeit auf. Von den Gallen- vereinigen sich Ductus choledochus und Ductus
kapillaren wird die Gallenflssigkeit innerhalb pancreaticus innerhalb des Pankreaskopfes und
der Leberlappen von winzig kleinen Gallengn- mnden ber ein gemeinsames Endstck in die
gen in die Zwischenlppchengallengnge gelei- groe Zwlffingerdarmpapille (= Papilla duo-
tet. Diese vereinigen sich zu immer grer wer- deni major = Vater-Papille), die in der Hinter-
denden intrahepatischen Gallengngen, die dann wand des absteigenden Teils des Duodenums
schlielich an der Leberpforte in die extra- liegt. Bei 1/3 mnden beide Gnge getrennt.
hepatischen bergehen.
Merke
In Abbildung 12.18 ist der Weg der Gallen-
flssigkeit ber die extrahepatischen Gallen- Die extrahepatischen Gallengnge sind mit
wege gut zu verfolgen. Ausnahme des Ductus cysticus Einbahn-
Das extrahepatische Gallengangsystem beginnt straen.
mit dem linken und rechten Lebergallengang
(Ductus hepaticus sinister et dexter). Beide ver-
einigen sich zum gemeinsamen Lebergallengang
250 12 Verdauungssystem

gemeinsamer Lebergallengang
P Hufige Erkrankungen der Gallenblase sind
(Ductus hepaticus communis) Entzndungen und Steinleiden. Sind die
Mikrovilli Nachbarorgane mit der Gallenblase verwach-
ein- sen, knnen bei Perforation Steine in den
schichtiges Darm gelangen und zum Darmverschluss
Zylinder- (Ileus) fhren.
epithel
der Gallenkoliken entstehen, wenn ein Stein im
Schleimhaut Ductus cysticus oder choledochus einge-
(Tunica mucosa) klemmt wird.
Gallenblasen-
gang
(Ductus cysticus)
Hals der 12.7 Bauchspeicheldrse (Pankreas)
Gallenblase
(Collum vesicae
biliaris)
Die Bauchspeicheldrse hat eine Doppelfunk-
tion: Einerseits bildet sie den Bauchspeichel,
Hauptgallen-
gang der wichtige Verdauungsenzyme und Elektrolyte
(Ductus enthlt, andererseits produziert sie Hormone zur
choledochus) Blutzuckerregulation.
Krper der
Gallenblase Form, Gre
(Corpus vesicae
biliaris) Das Pankreas ist eine ca. 15 cm lange, 3 4 cm
breite und 1 2 cm dicke Drse mit einer Masse
Grund der
Gallenblase von ca. 85 Gramm. Die Lppchenstruktur ist
(Fundus deutlich an der Oberflche zu erkennen.
vesicae biliaris)
Gliederung, Lage
Abb. 12.19 Gallenblase (Gliederung). Kopf (Caput pancreatis). Liegt in der inneren
Krmmung des Duodenums.
Krper (Corpus pancreatis).
Schwanz (Cauda pancreatis).
Krper und Schwanz liegen
dorsal des Magens. Der
exokriner Teil mit Schwanz endet am Milz-
Drsenendstck hilus.
(Acini)
und Ausfhrungs-
gang Merke
Das Pankreas liegt retroperi-
Blutkapillare
toneal auf der linken Seite
der hinteren Bauchwand.

A-Zellen Mikroskopische Struktur


Die Bauchspeicheldrse be-
B-Zellen steht aus 2 unterschiedlichen
endokriner Teil Anteilen.
(Langerhans'sche Exokriner Anteil: Er ist der
Inseln) grte Lieferant von Verdau-
ungsenzymen. Hier werden
Abb. 12.20 Mikroskopische Struktur der Bauchspeicheldrse. pro Tag ca. 1 2 Liter Bauch-
speichel (= Verdauungssekret)
12.7 Bauchspeicheldrse 251

Bauchspeicheldrse
(Pankreas)
Anfangsteil des
Zwlffingerdarms Kopf Krper Schwanz
(Bulbus duodeni) (Caput) (Corpus) (Cauda)
oberer Abschnitt
(Pars superior)
Hauptgallengang
(Ductus choledochus)
absteigender Abschnitt
(Pars descendens)

kleine
Zwlffingerdarmpapille Ausfhrungsgang der
(Papilla duodeni minor) Bauchspeicheldrse
(Ductus pancreaticus)
groe
Zwlffingerdarmpapille aufsteigender Abschnitt
(Pars ascendens)
(Papilla duodeni major
Papilla Vateri) bergang des
Zwlffingerdarms
horizontaler Abschnitt in den Leerdarm
(Pars horizontalis) (Flexura
duodenojejunalis)
Leerdarm
(Jejunum)
Zwlffingerdarm
(Duodenum)

Makroskopischer Bau von Zwlffingerdarm und Bauchspeicheldrse. Abb. 12.21

gebildet, der ber den Bauchspeicheldrsen- A-Zellen; sie produzieren das blutzuckerspie-
gang (Ductus pancreaticus) durch die Papilla gelhebende Glukagon und
duodeni major (Papilla Vateri) in das Duode- B-Zellen; sie bilden die Hauptmasse und pro-
num gelangt. duzieren das blutzuckerspiegelsenkende Insu-
lin ( auch Kap. 15.4.1, S. 307).

P Die Verdauungsenzy-
me des Bauchspeichels
knnen bei akuter Pan-
kreatitis wegen fehlender untere Hohlvene
Selbstschutzmechanis- (V. cava inferior)
men die Drse zerstren. Magen
(Gaster)

Endokriner Teil (= Lan- kleines Netz


(Omentum minus)
gerhanssche Inseln):
Leber
Das sind Zellanhufun- (Hepar)
gen, die besonders zahl- Bauchspeichel-
reich in der Schwanz- drse
und Krperregion vor- (Pankreas)
kommen und Hormone Zwlffingerdarm
produzieren. Die Lan- (Duodenum)
gerhansschen Inseln be-
stehen hauptschlich Lage der oberen Bauchorgane von dorsal. Abb. 12.22
aus zwei Zellarten:
252 12 Verdauungssystem

12.8 Physiologie der Verdauung Motorik


Durch Schneid- und Mahlbewegungen der Zhne
Die Verdauung ist die mechanische und chemi- und mithilfe der Zunge wird die feste Nahrung
sche Aufbereitung der Nahrung, sodass die zerkleinert, mit Mundspeichel vermischt und
lebensnotwendigen Stoffe in Blut und Lymphe damit gleitfhig. Danach schiebt die Zunge den
aufgenommen (resorbiert) werden knnen. Bissen (Bolus) vom Gaumen zur Rachenenge,
und der Schluckreflex wird ausgelst.
Mechanische Verdauungsvorgnge (Motorik)
sind Zerkleinern, Mischen, Transportieren,
P Ungengendes Kauen, z. B. durch ein
Fllen, Speichern und Entleeren der Nahrung. schadhaftes Gebiss, ist nicht selten Ursache fr
Verdauungsstrungen.
Chemische Verdauungsvorgnge (Sekretorik)
sind Vorgnge, bei denen groe Teilchen durch
Bildungsort, Zusammensetzung und Aufgaben
Verdauungsenzyme und z. T. mithilfe sog.
des Mundspeichels
Aufschlussmittel (Salzsure, Gallensuren) in
resorbierbare kleinere Teilchen zerlegt werden. Bildungsort:
Der eigentliche Bildungsort des Mundspeichels
Verdauungssekrete sind die Drsenendstcke (Azini) der Mund-
Verdauungssekrete setzen sich zusammen aus: speicheldrsen. In ihnen entsteht der sog. Primr-
Wasser als Lsungsmittel, speichel, der dann in den Ausfhrungsgngen
Schleim als Gleit- und Schutzmittel, durch Resorptions- und Sekretionsvorgnge je
Verdauungsenzyme als Spaltmittel, nach Bedarf der Nahrung angepasst wird.
Suren als Aufschlussmittel.
Die Verdauungsvorgnge werden durch das Zusammensetzung Aufgaben
vegetative Nervensystem und durch Gewebs- Wasser Lsungs- und Transport-
hormone gesteuert. mittel
Muzine machen den Bissen gleit-
Merke (Schleimstoffe) und schluckfhig, erleich-
Alle Verdauungsenzyme gehren zu den tern Kau- und Sprechbe-
Hydrolasen. wegungen
Bei den chemischen Reaktionen wird immer -Amylase Einleitung der Kohlen-
Wasser angelagert (= Hydrolyse). (= Ptyalin) hydrat-(Strke-)verdauung
beim Kauen
Immunglobulin A, Abwehr von Krankheitser-
12.8.1 Verdauungsvorgnge in der Mundhhle Lysozym und regern
Rhodanid-Ionen
Die Funktion der Mundhhle wird durch das HCO3- Alkalisierung und Pufferung
Zusammenwirken ihrer Wnde mit der Zunge, auf pH 7 8
den Speicheldrsen und den Zhnen ermglicht. Fluoridionen Schutz des Zahnschmelzes

Strkeverdauung in der
Tab. 12.3 Nahrungsstoffe. Mundhhle. Tab. 12.4
Nicht resorbierbar resorbierbar Ptyalin
Kohlenhydrate
(Di-, Polysaccharide) Monosaccharide
Eiweie Aminosuren Strke Maltose
Fette Glycerol und Fettsuren
Vitamine
anorganische Ionen (Mineralien)
Wasser H2 O
12.8 Physiologie der Verdauung 253

Mechanische Chemische Verdauung


Verdauung

 Mundspeichel
1,5 Liter/Tag
Mund Enzym:
zerkleinern, mischen, Amylase spaltet Strke.
schlucken 
Magensaft
 2 Liter/Tag
Speiserhre HCL denaturiert Eiweie
Transport (Peristaltik) und aktiviert
Pepsinogen  Pepsin
 spaltet Eiwei.
Schleim: Schutz vor
Magen Selbstverdauung.
fllen, mischen, 
Transport, entleeren Gallensaft
0,5 Liter/Tag
 Gallensure emulgiert
Fette.
Dnndarm +
mischen, resorbieren, Bauchspeichel
Transport 1,5 Liter/Tag
 Enzyme:
Lipase  Fettspaltung.
Dickdarm Amylase  Kohlen-
mischen, resorbieren, hydratspaltung.
Transport Proteinasen, Peptidasen
 Eiweispaltung.
 +
Darmsaft
Mastdarm 1,5 Liter/Tag
schlieen, entleeren Enzyme:
Maltase  Maltosespaltung.
Peptidasen
 Eiweispaltung

ca. 7 Liter
Verdauungssaft tglich

Verdauung. Abb. 12.23

P Trockene Speisen und Mundatmung erfor- Durch Muskelzug wird das Gaumensegel an-
dern grere Speichelmengen. Bei psychi- gehoben und so die Mundhhle gegen den
scher Erregung (z. B. Angst, rger) kann die Nasenrachenraum abgeschlossen.
Speichelsekretion herabgesetzt werden. Gleichzeitig kontrahiert die Mundbodenmus-
kulatur und zieht das Zungenbein mit Kehl-
Schluckvorgang kopf und Trachea nach vorn und oben.
Der Schluckvorgang ist ein angeborener Reflex. Wird der schluckfhige Bissen (Bolus) bei ge-
Er kann willkrlich eingeleitet werden. Im Be- schlossenem Mund mit der Zunge gegen das
reich des weichen Gaumens und an der Zungen- Gaumensegel und/oder die hintere Rachen-
wurzel befinden sich Druckrezeptoren. Werden wand gedrckt, erfolgen die weiteren Vorgn-
diese durch Speisen, Speichel oder durch einen ge reflektorisch.
Spatel berhrt, wird der Schluckreflex ausgelst. Die Zungenwurzel wird ruckartig nach hinten
254 12 Verdauungssystem

Gaumensegel
verschliet
Mundhhle
gegen den
Nasenrachen
Luftweg
Zungenwurzel
Nahrungsweg Nahrungsfluss

kreuzen sich Kehlkopfdeckel


im wird ber
Mundrachen Kehlkopfeingang
gedrckt

Luftrhre Speiserhre

Abb. 12.24 Luft- und Nahrungsweg (links), Schluckvorgang (rechts).

bewegt. Dadurch stt sie den Bolus in den 12.8.2 Verdauungsvorgnge im Magen
Mundrachen und drckt den Kehldeckel nach
unten. Gleichzeitig zieht der Schildknorpel- Motorik
Zungenbein-Muskel (M. thyrohyoideus) den Der Magen nimmt die geschluckte Speise auf
Kehlkopf nher an das Zungenbein (Os hyoi- (Fllung), durchmischt sie mit Magensaft und
deum), damit der Kehldeckel (Epiglottis) leitet sie portionsweise in das Duodenum. Dabei
schtzend ber den Kehlkopfeingang zu lie- findet eine weitere Zerkleinerung und damit
gen kommt. Oberflchenvergrerung statt.
Zungenbewegung und Kontraktion der Ra-
chenmuskulatur transportieren schlielich
P Die Verweildauer der Speisen im Magen
den Bissen in den sophagus, dessen Peristal- hngt von deren Zusammensetzung ab. Getrn-
tik dann den Weitertransport in den Magen ke gelangen nach wenigen Minuten entlang der
bernimmt. Magenstrae in das Duodenum. Kohlenhydrate
bleiben 1 2, Eiweie 2 und Fette 4 5

P Der Schluckakt wird durch verschiedene Stunden im Magen.
Hirnnerven (V, VII, IX, X) gesteuert. Strun-
gen des Schluckvorganges weisen deshalb hu- Sekretorik
fig auf eine Lsion einer dieser Hirnnerven Im Magen beginnt die Eiweiverdauung. Durch
hin. die Salzsure werden die Eiweie denaturiert1)
Im Zustand der Bewusstlosigkeit erlischt der und das inaktive Pepsinogen zu Pepsin aktiviert.
Schluckreflex, und es besteht die Gefahr, dass Letzteres spaltet ca. 10 % der Eiweie in kleine-
Erbrochenes in die Atemwege gelangt (Aspira- re Polypeptidketten ( S. 21).
tion). Deshalb mssen Bewusstlose in die sta-
bile Seitenlage gebracht werden. Beginn der Eiweiverdauung im
Magen. Tab. 12.5
HCl Proteinase des
Magensaftes (Pepsin)

Eiweie Peptidbruchstcke
1) Denaturierung: Meist irreversible Strukturvernderung der Prote-
ine mit Verlust ihrer biologischen Eigenschaften (z. B. Enzymwir-
kung) und Vernderung ihrer physikalischen Eigenschaften (z. B. H2O
Gerinnung)
12.8 Physiologie der Verdauung 255

Merke Nahrungskohlenhydrat Strke wird im Dnn-


darm zunchst durch die Amylase des Bauch-
Die Salzsure erfllt 4 Funktionen: speichels in das Disaccharid Maltose zerlegt.
Aufschlussmittel fr Eiweie, Letzteres gelangt in die Darmzellen und wird
Aktivierung des Pepsinogens, dort durch das Enzym Maltase in das Mono-
Desinfektion, saccharid Glucose gespalten.
pH-Einstellung von 1 2.
Das Pepsin leitet die Eiweiverdauung ein.
Merke
Der Schleim schtzt den Magen vor Selbst-
verdauung. Amylase des Maltase der
Bauchspeichels Darmzellen
Die Salzsure wirkt durch den niedrigen pH-
Poly- Di- Mono-
Wert desinfizierend, d. h., die meisten mit der saccharide saccharide saccharide
Nahrung aufgenommenen Bakterien und Viren (Strke) (Maltose) (Glucose)
werden abgettet. Der von den Nebenzellen ge-
bildete alkalische Schleim schtzt die Magen- H2O H2O
schleimhaut vor Selbstverdauung.
Resorption: Die Glucose wird aktiv in das Blut
transportiert (Blutzucker).
Intrinsic-Factor
Dieses Glykoproteid wird wie die Salzsure in
den Belegzellen synthetisiert. Der Intrinsic-
P In der Enzymdiagnostik hat die Amylase
Faktor ist fr die Resorption von Vitamin B12 insofern Bedeutung, da bei Pankreasentzn-
(Cyanocobalamin) unbedingt erforderlich. dungen ihre Konzentration im Blut ansteigt.

P Fehlt der Intrinsic-Faktor, entstehen Vitamin-


B-Mangel-Anmien (pernizise Anmie). Verdauung und Resorption der Eiweie
Nach der Denaturierung durch die Magensalz-
sure werden die Eiweie durch mehrere Enzy-
me ber Peptidbruchstcke bis zu den einzelnen
12.8.3 Verdauungsvorgnge im Dnndarm
Aminosuren aufgespalten. Im Dnndarm spal-
ten die Proteinasen (z. B. Trypsin und Chymo-
Die durch Langstreckung und Faltung betrcht-
trypsin) des Bauchspeichels die Peptidketten
lich vergrerte Oberflche des Dnndarms er-
mehr oder weniger spezifisch in Peptidbruch-
klrt seine groe Bedeutung fr die Verdauung.
stcke. Diese werden von Peptidasen (z. B. Car-
boxypeptidasen) des Pankreas- und Darmsaftes in
Motorik
kleinste Peptide aufgespalten, welche von den
Die Dnndarmmotorik bewirkt:
Darmzellen resorbiert werden. In den Darmzellen
Mischung des Speisebreis (Chymus) durch
erfolgt durch die reichlich vorhandenen Peptida-
Segmentier- und Pendelbewegungen,
sen die weitere Spaltung bis zu den Aminosuren.
Weitertransport durch Peristaltik ber die
Bauhinsche Klappe in den Dickdarm,
Merke
Pumpen der Zotten zum besseren Transport
von Blut und Lymphe. Proteinasen des Peptidasen des
Pankreassaftes Pankreas- und
(z. B. Trypsin und Darmsaftes sowie
Sekretorik ( Tab. 12.3, S. 252) Chymotrypsin) der Darmzellen
Im Dnndarm findet die endgltige Zerlegung
der Kohlenhydrate, Eiweie und Fette in ihre Ei- Peptid- Amino-
weie bruchstcke suren
Grundmolekle und deren Resorption statt.
H2O H2O
Verdauung und Resorption der Kohlenhydrate
Die Kohlenhydratverdauung in der Mundhhle Resorption: Die Aminosuren werden aktiv in
hat wenig Bedeutung, weil die Amylasemenge das Blut transportiert.
im Mundspeichel nur gering ist. Das wichtigste
256 12 Verdauungssystem

Verdauung und Resorption der Fette 12.8.4 Verdauungsvorgnge im Dickdarm


Die hydrolytische Spaltung der Nahrungsgly-
ceride geschieht komplett im Dnndarm durch Die Hauptfunktionen des Dickdarms sind:
das Enzym Lipase. die Bildung der Faeces (Stuhl) und
Zunchst sorgen die Gallensuren dafr, da die die Stuhlentleerung (Defkation).
wasserunlslichen Triglyceride in feinste Trpf-
chen zerlegt werden (= Emulgierung). Dadurch Die Faeces entstehen durch weiteren Wasserent-
wird die Oberflche grer, so dass nun die zug. So werden die pro Tag vom Ileum in das
enzymatische Spaltung der Fette erfolgen kann. Caecum kommenden ca. 1.000 Milliliter Darm-
Auerdem aktivieren sie die Pankreaslipase und inhalt auf ca. 150 Milliliter reduziert. Gleich-
hemmen die Magensaftsekretion. zeitig werden wasserlsliche Vitamine und
Die Triglyceride werden durch Lipase in Glyce- Elektrolyte resorbiert.
rol und Fettsuren zerlegt.
Merke
Die Spaltprodukte gelangen in die Darmzellen,
Die Resorptionsfhigkeit des Dickdarms ist im
knnen aber bis auf einige kurzkettige Fettsu-
Vergleich zum Dnndarm gering (Wasser-
ren nicht vom Blut aufgenommen werden, da
resorption im Dnndarm ca. 8.500 ml, im Dick-
sie wasserunlslich sind. In den Darmzellen
darm ca. 850 ml). In den Dickdarm gelangte
erfolgt deshalb schrittweise eine Resynthese von
Fette werden unverndert ausgeschieden.
Triglyceriden und deren Kopplung an bestimmte
Proteine. Es entstehen wasserlsliche Komplexe,
die Lipoproteine ( S. 22). Die in den Darm- Der Dickdarm ist mit Bakterien besiedelt
zellen gebildeten resorbierbaren Lipoproteine (Escherichia coli, Aerobacter aerogenes, nicht-
heien Chylomikronen und werden mit der pathogene Kokken). Man bezeichnet diese als
Lymphe abtransportiert. Darmflora. Wichtige Verdauungsfunktionen die-
ser Bakterien sind:
Merke Weiterer Abbau der Kohlenhydrate durch G-
Fettverdauung rung. Dabei entstehen als Grungsprodukte
Lipase des Milchsure, Essigsure, Alkohol, Kohlendioxid
Bauchspeichels und Wasser.
Glycerol Weiterer Abbau der Eiweie durch Fulnis.
Triglyceride + Fettsuren Als Fulnisprodukte entstehen biogene Amine
(z. B. Histamin, aber auch das giftige Indol),
Gallensuren H2O Wasserstoff, Schwefelwasserstoff und Methan.
Weiterer Abbau der Gallenfarbstoffe.
Resorption:
Wenige kurzkettige Fettsuren ins Blut, der
Rest als resynthetisierte Triglyceride in Chylo-
P Normalerweise besteht zwischen Grung
mikronen in die Lymphe. und Fulnis ein Gleichgewicht. Ist dies gestrt,
kommt es zur Ausscheidung faulender oder
grender Sthle.

P Bei Strungen der Fettresorption (z. B. ver-
minderte Gallenproduktion bei Lebererkran- Menge, Zusammensetzung und Eigenschaften
kungen, Darmentzndungen) wird auch die der Faeces
Aufnahme fettlslicher Vitamine beeintrch- Die ausgeschiedene Menge betrgt bei ausgewo-
tigt. So kann es durch Vitamin-K-Mangel im gener Ernhrung ca. 150 Gramm pro Tag.
Blut, das normalerweise durch die Darmflora Zusammensetzung:
immer ausreichend gebildet wird, zu einer 75 80 % Wasser,
erhhten Blutungsneigung kommen. 20 25 % feste, unverdauliche Bestandteile
(Zellulose, Bakterien, unlsliche Calcium- und
Eisensalze, abgeschilferte Epithelien, Schleim,
Fett).
12.8 Physiologie der Verdauung 257

Die Farbe wird durch die Gallenfarbstoffe be- Faktor aktiv im Ileum.
stimmt, der Geruch durch den Schwefelwasser- Wasser und Natrium werden vorwiegend im
stoff, organische Suren, Indol sowie Scatol und Duodenum und Jejunum durch Diffusion aufge-
der pH-Wert durch die Grungsprodukte. nommen.
Calcium und Magnesium werden hauptschlich
Motorik aktiv resorbiert. Die Resorption wird durch
Die Dickdarmmotorik bewirkt: 2 Hormone (Calcitonin, Parathormon, Tab.
die weitere Durchmischung des Darminhaltes 15.8, S. 309) gesteuert.
durch langsames Fortschreiten von Ringmus-
kelkontraktionen (sog. Haustrenflieen) und
P Die Calciumresorption setzt die Anwesenheit
rhythmische Segmentierung; von Vitamin D voraus, dessen aktive Form unter
den Weitertransport des Darminhaltes in das Mitwirkung von Niere und Haut bei Lichtein-
Rektum. Zu diesem Zweck laufen 2- bis 3-mal wirkung entsteht (bei Mangel: Rachitis).
am Tag, gewhnlich nach der Nahrungsauf-
nahme, starke peristaltische Kontraktionen Eisen wird ebenfalls aktiv im oberen Dnndarm
vom Caecum ber das gesamte Colon; aufgenommen.

Merke Merke
Im Vergleich zum Dnndarm erfolgt der Die Resorption der Verdauungsprodukte er-
Transport im Dickdarm relativ langsam folgt passiv durch Diffusion oder aktiv mit-
(10 bis 18 Stunden). hilfe von Trgersubstanzen bzw. durch Pino-
zytose.
die Stuhlentleerung (Defkation). Hier han- Der Hauptresorptionsort ist der obere Dnn-
delt es sich um einen willkrlich beeinflussba- darm (Duodenum, Jejunum). Er hat eine sehr
ren reflektorischen Vorgang. Mit zunehmen- groe Oberflche, und alle lebensnotwendigen
der Fllung des Rektums werden durch erhh- Nahrungsbestandteile sind resorptionsfhig.
ten Druck die Dehnungsrezeptoren der Darm- Grundstzlich ist die gesamte Schleimhaut
wand gereizt. Die Aktionspotentiale gelangen des Verdauungstraktes zur Resorption fhig.
in das zustndige Reflexzentrum im Sakral- So besteht auch die Mglichkeit der knstli-
mark, das etwa ab dem 2. Lebensjahr von der chen Ernhrung durch Nhrklistier ber die
Grohirnrinde kontrolliert werden kann. Bei Dickdarmschleimhaut.
der Darmentleerung wird der uere Schlie-
muskel willkrlich entspannt und die Bauch-
presse erzeugt. Gleichzeitig fhren parasym-
pathische Efferenzen zur Erschlaffung des 12.8.5 Regulation der Verdauung
inneren Schliemuskels. Daraufhin kommt es
zur Kontraktion der Ring- und Lngsmuskulatur Die Regulation der einzelnen Verdauungsvor-
des Darmes, und es erfolgt die Entleerung. gnge ist recht kompliziert. Hier werden nur
einige grundstzliche Mglichkeiten dargestellt.

P In der Regel findet der Stuhlgang einmal


tglich statt, oft nach der Einnahme von Mahl- Das vegetative Nervensystem steuert sowohl
zeiten (Gastrokolonreflex). Motorik als auch Sekretorik der Verdauung
(Sympathicus hemmt, Parasympathicus frdert).
Resorption von Vitaminen, Wasser und
Mineralstoffen
P Psychische Einflsse, bestimmte Stoffe
Die Resorption der fettlslichen Vitamine (A, D, (Coffein, Nikotin) und der Grad der krper-
E, K) erfolgt in gleicher Weise wie die Fett- lichen Aktivitt knnen nachhaltig die Wirkun-
resorption. Die wasserlslichen Vitamine gelan- gen des vegetativen Nervensystems beeinflus-
gen wie folgt in das Blut: Vitamin C und B2 sen.
durch Diffusion und Vitamin Bl2 mit Intrinsic-
258 12 Verdauungssystem

Die Regulation erfolgt 1. Kephale Phase (psychisch-nervale Einflsse)


ber angeborene Fremdreflexe, deren Aus-
lser hauptschlich mechanische Reize (z. B. Geruch
Druckanstieg) sowie die Geruchs- und Ge- Geschmack


schmacksreize sind. Pepsin


Beispiel: Sekretion der Verdauungssekrete, Erregung N. vagus HCL


Peristaltik und Defkation; Gastrin
ber erlernte Reflexe, deren Auslser Gehr- Anblick
oder Sehreize, aber auch Vorstellungen sind. Vorstellung
Beispiel: Mundspeichel und Magensaftsekre-
tion (= nervale Phase Regulation
durch Vorstellung von Nahrung);
P Aggressionen knnen sekretionssteigernd
hormonal durch Gewebshormone, die durch und Angst sekretionshemmend wirken.
bestimmte Verdauungsprodukte freigesetzt
werden.
2. Gastrale Phase (lokale Einflsse)
Regulation der Speichelproduktion Die Sekretion von Magensaft wird durch den
Die Bildung und Freisetzung des Mundspeichels direkten Kontakt der Nahrung mit der Magen-
wird reflektorisch gesteuert. wand ausgelst.

Dehnungsreiz
Reize Grohirnrinde Nahrung Freisetzung
(Sehen, Hren, Vorstellen) im von
Antrum Gastrin
Reize Hypothalamus chemische Reize
(Geruch) (z. B. Produkte
der Eiweiver- Blutweg
dauung, Alkohol,
Kaffee,
Arzneimittel)
Speichelzentrum Corpus
ventriculi

Reize Mundspeichel- Magensaftsekretion


(Berhrung,
Geschmack) drsen (ein sehr geringer
pH-Wert des Magensaftes
hemmt die Gastrinsekretion
= negative Rckkopplung)
Speichelsekretion

3. Intestinale Phase
Regulation der Magensaftsekretion Der bertritt des Nahrungsbreis vom Magen in
In den Magendrsen werden pro Tag ca. 3 Liter das Duodenum beeinflusst rckwirkend die
Magensaft gebildet. Magensaftsekretion in folgender Weise:
Zusammensetzung des Magensaftes:
Wasser Dehnung der
eiweispaltende Enzyme (Pepsin) Darmwand Freisetzung
von Magensaft-

Schleim (Muzin) Gewebs- Blut sekretion


Salzsure resorbierte hormonen
Intrinsic-factor Aminosuren

Die physiologische Magensaftsekretion wird vor niedriger Freisetzung


allem durch die Nahrungsaufnahme gesteuert. pH-Wert von Magensaft-

Man unterscheidet 3 Phasen. Gewebs- sekretion


Fett hormonen
12.8 Physiologie der Verdauung 259

12.8.6 Funktionen der Leber (berblick) der Blutglucosespiegel, werden die Glykogen-
vorrte wieder in Glucose umgebaut und an das
Der grte Teil der resorbierten Hydrolysepro- Blut abgegeben. Bei Erschpfung der Glykogen-
dukte der Nahrung dient zunchst dem Aufbau vorrte setzt schlielich die Glukoneogenese ein
krpereigener Stoffe (z. B. Glykogen, Proteine, ( S. 40).
Triglyceride, Phosphatide). Die meisten dieser
anabolen Stoffwechselvorgnge vollziehen sich Merke
in der Leber. Die Leber spielt eine wichtige Rolle bei der
Konstanthaltung des Blutglucosespiegels (
Merke S. 307).
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan
unseres Krpers (Zentrallabor). Aufgaben im Fettstoffwechsel
Bei reicher Glucosezufuhr synthetisiert die
Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Leber reichlich hhere Fettsuren und weiterhin
Funktionen der Leber ein. Triglyceride sowie Phosphatide.
Mit dem Pfortaderblut gelangen nachstehende Mit der Synthese der Plasmalipoproteine schafft
Produkte direkt in die Leber: sie die Grundstoffe fr den Aufbau von Transport-
aus dem Dnndarm: Kohlenhydrate, Eiweie, micellen.1) Diese bentigt der Organismus fr
Fette, Vitamine, Minera- den Transport der wasserunlslichen Stoffe wie
lien, Medikamente etc.; Triglyceride, Phosphatide und Cholesterol in den
aus dem Magen: Alkohol, Medikamente; wssrigen Krperflssigkeiten.
aus dem Pankreas: Hormone (Insulin) der
Langerhansschen Inseln; Die Leber wandelt berschssige Kohlenhydrate
aus der Milz: Abbauprodukte des H- in Triglyceride um und ist fr die Synthese der
moglobins. Plasmalipoproteine unterschiedlicher Dichte ver-
Daraus ergibt sich eine ihrer wesentlichsten Auf- antwortlich.
gaben, nmlich wichtige Stoffkonzentrationen in
den extrazellulren Flssigkeiten, insbesondere Aufgaben im Cholesterolstoffwechsel
im Blut, konstant zu halten und damit eine kon- Die Leber ist der Hauptort der Cholesterol-Bio-
tinuierliche Versorgung der Zellen zu sichern. synthese. Sie nimmt aber auch Cholesterol, das
Hufig geschieht dies durch wechselseitige in anderen Krperzellen gebildet bzw. mit der
Umwandlung von Speicher- und Transportform Nahrung aufgenommen wurde, in ihren Vorrat
eines Stoffes: auf.

Konstanter Blutglucosespiegel Der Cholesterolvorrat wird vor allem zur Bil-


dung der Gallensuren verwendet und zum Teil in
berschuss Speicherform Form von Lipoproteinen wieder an den Kreislauf
(Glykogen) abgegeben, um andere an Cholesterolmangel lei-
Transportform Mangel dende Organe zu versorgen.
(z. B. Glucose)

Merke
Aufgaben im Kohlenhydratstoffwechsel Die Leber ist mageblich fr den Cholesterol-
Die Leber erfllt hier vor allem die eben beschrie- haushalt des Krpers verantwortlich.
bene Aufgabe, wodurch sie den Blutglucosespie-
gel konstant hlt.
Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit gelangt Aufgaben im thanolstoffwechsel
viel Glucose, aber auch Insulin, mit dem Pfort- Alkohol (thanol, C2H5OH) wird berwiegend
aderblut in die Leber. Durch das Hormon stimu- in der Leber abgebaut. Die Leber konzentriert
liert, wird die berschssige Glucose in Glyko-
gen und wenn dessen Speicherkapazitt er- 1) Plasmalipoproteine (Bestandteile: Cholesterol, Phospha-
schpft ist, in Fett umgewandelt. Sinkt danach tide, Triglycerid, Eiwei), die dem Lipidtransport dienen
260 12 Verdauungssystem

ihn aber nicht, sondern der Alkohol wird mit lslich und unschdlich. In dieser Form wird das
Ausnahme von Fett- und Knochengewebe im Bilirubin aktiv in die Gallenkapillaren transpor-
ganzen Krper verteilt. tiert und gelangt mit dem Gallensaft in den
Darm. Im Colon wird es durch die Ttigkeit der

P Die Blut-Alkohol-Konzentration ist ein Darmbakterien vor allem in Urobilinogen und
guter Indikator fr die Konzentration des andere Farbstoffe (Sterkobilinogen, Urobilin,
Alkohols im Gehirn. Sterkobilin) umgewandelt. Diese Abbauprodukte
bewirken die braune Farbe des Stuhls. Der
grte Teil wird mit dem Stuhl ausgeschieden
Abbau von Hmoglobin, Produktion und (ca. 85 %). Der Rest wird wieder resorbiert und
Sekretion des Gallensaftes gelangt entweder ber die Pfortader in die Leber
Mit dieser Spezialleistung erfllt die Leber zurck oder bei Resorption im Rektum unter
2 Funktionen: Umgehung der Leber in die Niere. Dieser Teil
Mitwirkung bei der Fettverdauung durch die wird mit dem Harn ausgeschieden und bestimmt
Gallensuresynthese; die bernsteingelbe Harnfarbe mit.
Abbau beralterter Blutzellen.
Beim Abbau von Hmoglobin in der Leber ent- Bestandteile des Gallensaftes und Bedeutung
stehen die Gallenfarbstoffe. Zuerst bildet sich das der Gallensuren
grne Biliverdin, das dann zum wichtigsten Der Gallensaft besteht aus Gallensuren,
Gallenfarbstoff, dem Bilirubin, umgewandelt Gallenfarbstoffen (Bilirubin), Cholesterol, Lezi-
wird. Das Bilirubin ist wasserunlslich und zell- thin, Na+, K+, Ca2+, HCO3-. Die Salze der
schdigend. Deshalb wird es in den Leberzellen Gallensuren sind fr die Verdauung und
an Glucuronsure gebunden und dadurch wasser- Resorption der Fette von groer physiologischer
Bedeutung. Sie setzen die Ober-
flchenspannung herab und wirken
dadurch emulgierend (verteilend) und
Leberarterie dispergierend (verkleinernd). Auer-
(A. hepatica)
Cholesterol im Blut dem aktivieren sie die Lipasen und
hemmen die Magensaftsekretion.
Cholesterol
P Gallensteine entstehen, wenn das
Gleichgewicht der Bestandteile des
Gallensure (0,6 g/d) Leber Gallensaftes gestrt ist. Am hufig-
(Hepar)
sten sind Cholesterol-Pigment-Kalk-
Steine.

Gelbsucht (Ikterus) entsteht, wenn


ca. 3 g
Gallensure zu viel Gallenfarbstoffe ins Blut ge-
Pfortader zirkulieren Haupt- langen. Die Ursachen hierfr sind
(V. portae) 4- bis 12-mal gallengang vielfltig.
pro Tag (Ductus
choledochus)

Merke

Dnndarm Der Gallensaft spielt einerseits bei


(Intestinum tenue) der Verdauung und Resorption der
ca. 0,6 g/d ca. 90 % der Fette und andererseits fr die
werden mit dem Gallensure werden Ausscheidung verschiedener Stoffe
Stuhl ausgeschieden hier aktiv resorbiert (Bilirubin, berschssiges Choles-
terol, abgebaute Arzneistoffe) in
Enterohepatischer Kreislauf den Darm eine wichtige Rolle.
Abb. 12.25 (Beispiel: Gallensuren).
12.8 Physiologie der Verdauung 261

Enterohepatischer Kreislauf
P Die Biotransformationen in der Leber kn-
Unter dem enterohepatischen Kreislauf versteht nen die Konzentration von Arzneistoffen
man die Ausscheidung von Stoffen (z. B. Gallen- beeinflussen. Man spricht vom sog. First pass
suren und Gallenfarbstoffe) mit dem Gallen- effect (Einfluss der ersten Leberpassage).
saft aus der Leber in den Darm und deren Leber- oder Nierenfunktionsstrungen knnen
Rckresorption und Rcktransport mit dem zur Retention von Giftstoffen fhren und
Pfortaderblut in die Leber. Hier gelangen die dadurch ein Coma hepaticum oder eine Urmie
Stoffe dann erneut in die Gallenflssigkeit und hervorrufen.
erfahren den gleichen Kreislauf.
Dieser Vorgang ist in erster Linie eine konomi-
sierung bestimmter Stoffwechselprozesse. Im
Falle der fr die Fettverdauung so wichtigen
Gallensuren bedeutet dies einen tglichen
Verlust von nur ca. 10 %, ca. 90 % werden rck-
resorbiert.
Bei fettreicher Ernhrung ist der Bedarf an
Gallensuren erhht, deshalb zirkulieren die
Gallensuren 4- bis 12-mal pro Tag.

Aufgaben im Eiweistoffwechsel
In der Leber werden die mit dem Pfortaderblut
ankommenden Aminosuren verstoffwechselt.
Sie dienen zum einen der Synthese der Plasma-
proteine (Albumine, Gerinnungsfaktoren, einige
Globuline), die an das Blut abgegeben werden.
Ein weiterer Teil wird abgebaut und der dabei
frei werdende Stickstoff in Harnstoff berfhrt.
Der Harnstoff gelangt mit dem Blutkreislauf zur
Niere. Der Rest der Aminosuren wird benutzt,
um intrazellulre Proteine der Leber aufzubauen.

Merke
In der Leber findet die Synthese der Plasma-
proteine und des Harnstoffes statt.

Biotransformation und Entgiftung


Unter Biotransformation versteht man alle enzy-
matisch gesteuerten chemischen Reaktionen in
der Leber. Das Ziel ist die Bildung von wasser-
lslichen, harnfhigen Stoffen, die ber die Niere
(renal) mit dem Harn ausgeschieden werden.

Merke
Biotransformationen fhren hufig zur Ent-
giftung von Stoffen. Entgiftung bedeutet
demnach, dass krperfremde und krpereige-
ne Stoffe durch Abbau, Umbau oder Kopp-
lung an andere Stoffe (z. B. Glucoronsure)
in biologisch inaktive und fr den Organis-
mus unschdliche oder harnfhige Ver-
bindungen berfhrt werden.
262 12 Verdauungssystem

Fragen zur Wiederholung

1. Geben Sie einen berblick ber die Verdauungsorgane und deren Lage.
2. Beschreiben Sie den Bau der Mundhhle und deren Organe (Zunge, Zhne, groe
Speicheldrsen).
3. Beschreiben Sie die Lage sowie den makroskopischen und mikroskopischen Bau der
Speiserhre.
4. Beschreiben Sie die Lage, den makroskopischen und mikroskopischen Bau sowie die Blut-
und nervale Versorgung des Magens.
5. Nennen Sie die Abschnitte des Dnndarms.
Beschreiben Sie deren bauliche Besonderheiten und Lage.
6. Nehmen Sie eine Gliederung des Dickdarms vor.
7. Beschreiben Sie die Lage des Blinddarms.
8. Nennen Sie charakteristische Merkmale des Colons.
9. Wie wird das Rektum verschlossen?
10. Beschreiben Sie Lage und Aufbau der Leber.
11. Beschreiben Sie den Verlauf der intra- und extrahepatischen Gallenwege.
12. Beschreiben Sie Lage und Bau des Pankreas.
13. Definieren Sie:
a) Verdauung,
b) Motorik,
c) Sekretorik,
d) Resorption.
14. Beschreiben Sie die Verdauung und Resorption:
a) der Kohlenhydrate,
b) der Fette,
c) der Eiweie.
15. Interpretieren Sie die Redensart Gut gekaut ist halb verdaut.
16. Nennen Sie die Aufgaben:
a) der Salzsure,
b) der Gallensuren.
17. Begrnden Sie, warum der Dnndarm fr die Resorption am besten geeignet ist.
18. Wie erfolgt die Regulation der Verdauung?
19. Nennen und erlutern Sie die wichtigsten Funktionen der Leber.
263

13 Harnsystem, Funktionen der Niere

Die Harnorgane entwickeln sich gemeinsam mit Harnleitern, der Harnblase und der Harnrhre
den Geschlechtsorganen aus der gleichen An- als harnableitende Organe.
lage. So erklren sich auch die engen nachbar- Mit der Harnproduktion und -ausscheidung er-
schaftlichen Beziehungen. fllt das Harnsystem die fr die Aufrechter-
haltung des inneren Milieus entscheidenden
Das Harnsystem besteht aus den paarigen Nieren Regulierungsaufgaben. Wichtigstes Organ hierbei
als harnbildende Organe sowie den paarigen ist die Niere.

rechte Niere linke Niere


(Ren dexter) (Ren sinister)

rechter Harnleiter linker Harnleiter


(Ureter) (Ureter)

groer
Lendenmuskel
(M. psoas major)

Harnblase
(Vesica urinaria)
Harnrhre
(Urethra)

Zwerchfell
(Diaphragma)

rechte Niere linke Niere


(Ren dexter) (Ren sinister)

rechter Harnleiter linker Harnleiter


(Ureter) (Ureter)
untere Hohlvene Aorta
(V. cava inferior)

Mastdarm
(Rektum)
Harnblase
(Vesica urinaria)

Harnsystem Lage der Harnorgane. Abb. 13.1


264 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

13.1 Niere (Ren, Nephros) ihrem oberen Pol dicht unter dem Zwerchfell und
ventral der 12. Rippen. Die rechte Niere liegt
Die Niere ist, wie auch der Harnleiter, paarig an- wegen ihrer Nachbarschaft zur Leber etwas tiefer.
gelegt.
Merke
Gre, Farbe und Form Die unteren Nierenpole stehen ca. 3 Finger
Die rotbraun aussehende bohnenfrmige Niere breit oberhalb des Darmbeinkammes.
hat eine Masse von 120 220 Gramm und ist
10 12 cm lang, 5 cm breit und 4 cm dick. Die
Form der Niere wird bestimmt durch Die Nachbarschaftsbeziehungen der Nieren zei-
den konvexen lateralen Rand, gen die Abb. 7.6, S. 147 und Abb. 13.1, S. 263.
den konkaven medialen Rand, an der
die Nierenbucht mit

P Vernderungen der Nieren knnen beim lie-

dem Nierenhilus liegt, genden Menschen beidhndig tastbar sein.


den oberen Nierenpol und
den unteren Nierenpol. Die Nieren werden in ihrer Lage gehalten und
geschtzt durch

P Angeborene Fehlbildungen sind z. B. Ein- die Blutgefe ( Abb. 13.2),
nierigkeit und Hufeisennieren. die Fettkapsel (Capsula adiposa) das Fett ist
bei Krpertemperatur halbflssig, sodass eine
Merke gewisse Beweglichkeit gegeben ist,
die Nierenfaszie (Fascia renalis) als Begren-
Der Nierenhilus ist die Eintrittsstelle der Nie- zung der Capsula adiposa.
renarterie (A. renalis) und die Austrittsstelle
der Nierenvene (V. renalis) sowie des Harn-
leiters (Ureter).

P Wird Fettgewebe der Capsula adiposa ver-
strkt abgebaut, z. B. durch massive Ab-
magerung, kann die Niere ihren Halt verlieren
Lage und nach unten sinken. Man spricht von einer
Die Nieren liegen hinter dem Bauchfell (retrope- Wanderniere (Ren mobilis).
ritoneal) lateral der Wirbelsule (Th12 L3) mit

rechte Nierenarterie
Nebenniere (A. renalis)
(Glandula supra-
renalis dextra) linke Nebenniere
oberer (Glandula supra-
Nierenpol renalis sinistra)

untere lateraler Rand


Hohlvene medialer Rand
(V. cava inferior)
Nierenbucht
Fettkapsel mit Nierenhilus
(Capsula adiposa)
(Hilus renalis)
Bindegewebs-
kapsel Aorta
(Capsula fibrosa) Harnleiter
Nierenfaszie (Ureter)
(Fascia renalis)
Nierenvene
unterer (V. renalis)
Nierenpol

Abb. 13.2 Nierenkapseln und Nierenpforte.


13.1 Niere 265

Bindegewebskapsel
(Capsula fibrosa)

Nierenrinde
(Cortex renalis)

Nierenarterie
(A. renalis)
Nierenbecken Nierenvene
(Pelvis renalis)
(V. renalis)
Markpyramiden
(Pyramides renales)

Nierensule
(Columna renalis) Nierenkelch
Markpapille (Calix renalis)
(Papilla renalis) Harnleiter
(Ureter)

Frontalschnitt durch die Niere. Abb. 13.3

Makroskopischer Bau ist. Auslufer der Nierenrinde zwischen den


An einem Frontalschnitt (Abb. 13.3) erkennt Markpyramiden werden als Nierensulen
man mit bloem Auge (Columnae renales) bezeichnet.
das Mark: Es ist die streifige
Innenschicht und bildet die
ca. 10 Markpyramiden. Auf Bindegewebskapsel
deren Spitze, der Markpapille (Capsula fibrosa)
(Papilla renalis), befinden Nierenrinde
sich die 15 20 ffnungen (Cortex renalis)
der Papillargnge (Ductus Zwischen-
papillares), die in kleine lppchenarterie
(A. interlobularis)
Hohlrume, Nierenkelche,
Bogenarterie
mnden; (A. arcuata)
die Nierenkelche: Sie umge- Zwischen-
ben die Markpyramidenspit- lappenarterie
zen. In den Kelchen wird der (A. interlobaris)
fertige Urin aufgefangen und Markpyramide
(Pyramides renalis)
zum Nierenbecken weiterge-
leitet; Papillargang
(Ductus papillaris)
das Nierenbecken: Es entsteht
durch den Zusammenschluss Markpapille
(Papilla renalis)
der Kelche;
Nierenkelch
die Rinde: Es ist die an der (Calix renalis)
Peripherie durchlaufende kr-
nige Auenschicht, die von
einer Bindegewebskapsel Nierenparenchym. Abb. 13.4
(Capsula fibrosa) berzogen
266 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

Apparates.1) Hier wird bei Blutdruck-


distaler Tubulus abfall das Hormon Renin produziert
Vas efferens ( Tab. 9.13, S. 204). Aus dem Glo-
Vas afferens merulus heraus fhrt wiederum eine
Glomerulus Arteriole, das Vas efferens. Die Ein-
Bowmansche und Austrittsstelle der beiden Arterio-
Kapsel len heit Gefpol;
der Bowmanschen Kapsel. Sie um-
Nierenkrperchen gibt als doppelwandige Epithelhlle
den Glomerulus. Ihre innere Schicht
proximaler
liegt direkt auf den Blutkapillaren.
Tubulus 2. Tubulusapparat (Nierenkanlchen).
Der Tubulusapparat gliedert sich in
Sammelrohr drei Hauptabschnitte:
den proximalen Tubulus. Am Harn-
pol geht der Raum der Bowman schen
Tubuluskapillargebiet Kapsel in das Nierenkanlchen ber;
den intermediren Tubulus (Nephron-
schleife, Henlesche Schleife) mit dn-
nem absteigendem und aufsteigendem
Schleifenschenkel;
den distalen Tubulus. Er mndet in
ein Sammelrohr. Dort, wo er das Pol-
kissen berhrt, befindet sich ein wei-
Nephronschleife, terer Teil des juxtaglomerulren Appa-
Henlesche Schleife rates, die Macula densa (= dichter

Abb. 13.5 Mikroskopischer Bau der Niere Nephron.


1) Dient der Regulation von Blutdruck und
Nierendurchblutung

Mikroskopischer Bau
Die Funktionseinheit der Niere
ist das Nephron, von dem es in abfhrende Arteriole
(Vas efferens)
jeder Niere ca. 1 Million gibt. In zufhrende Arteriole
Gefpol
ihnen wird der Harn gebildet. (Vas afferens)

Jedes Nephron besteht aus dem


Nierenkrperchen und dem Tubu- Gefknuel
(Glomerulus)
lusapparat.
1. Nierenkrperchen Bowmansche Kapsel
(= Malpighisches Krperchen). (Capsula glomeruli)
Die Nierenkrperchen befin- inneres Blatt
(viscerales Blatt)
den sich im Rindengewebe.
Sie bestehen aus ueres Blatt
(parietales Blatt)
dem Glomerulus (innen),
einem Knuel von Blutka- Harnpol
pillaren. Dem Glomerulus proximaler Tubulus
wird das Blut ber eine (Tubulus proximalis)
Arteriole, das Vas afferens,
zugefhrt. In dessen Wand Bau des Nierenkrperchens
liegt das sog. Polkissen, ein (Corpusculum renale). Abb. 13.6
Teil des juxtaglomerulren
13.2 Harnleiter 267

Fleck). Sie besteht aus Chemorezeptoren


P Eine hufige Erkrankung der Niere ist die
zur Messung der Natriumkonzentration. Um Nierenbecken-/Nierenentzndung (Pyelonephr-
die Harnkanlchen befindet sich das Tubu- itis), deren Hauptrisiken Schrumpfniere,
luskapillargebiet. Bluthochdruck und Nierenvereiterung sind.
Sammelrohrsystem
Mit dem System der Sammelrohre beginnen die Blutversorgung der Niere
ableitenden Harnwege innerhalb der Niere. In Die Blutzufuhr erfolgt durch die unmittelbar aus
jedes Sammelrohr mnden etwa 10 Nierenkanl- der Bauchaorta entspringende A. renalis. Die
chen. Kleinere Sammelrohre schlieen sich zu blutabfhrenden Vv. renales mnden direkt in
immer greren zusammen. die V. cava inferior.
Die Endstcke liegen in den Nierenpapillen und
heien Papillargnge (Ductus papillares). Merke

Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon) Das Blut durchstrmt in der Niere 2 Kapillar-
Das Nierenbecken, als Auffangbehlter fr den gebiete:
Harn, entsteht durch den Zusammenschlu von das Glomerulum und danach
8 10 Nierenkelchen. Es kann recht unter- das Tubuluskapillargebiet.
schiedlich geformt sein. Im Nierenbecken be-
ginnt das bergangsepithel als Charakteristikum
fr die ableitenden Harnwege ( S. 61 und 62).
13.2 Harnleiter (Ureter)
Tab. 13.1 Nierenkreislauf. Die paarigen Harnleiter gehen kontinuierlich aus
Pars abdominalis aortae
dem Nierenbecken hervor. Es handelt sich um
dnne muskulse Schluche. Die Harnleiter, ca.

30 cm lang mit einem Durchmesser von 4 bis
A. renalis

Zwischenlappenarterien Harnblasenwand
(ziehen zur Basis der Pyramiden)
 Ureter Ureter
Bogenarterien
(verlaufen zwischen Rinde und Pyramidenbasis bogenartig)

Lppchenarterien
(an ihnen hngen wie Beeren die Nierenkrperchen)

Vas afferens
 auen
Glomerulus

Vas efferens innen auen innen

Tubuluskapillargebiet

Venen innerhalb der Niere
 Harnfluss Rckfluss verhindert
V. renalis
 Eintritt des Ureters in die
Harnblase. Abb. 13.7
V. cava inferior
268 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

7 mm, leiten den Harn durch Peristaltik vom tere Seite der Harnblase ist vom Bauchfell ber-
Nierenbecken in die Harnblase. Beide Harnleiter zogen. An der hinteren Blasenwand verluft das
liegen wie die Nieren retroperitoneal. Bauchfell tief nach unten, um danach entweder
auf das Rektum (Mann) oder auf den Uterus
Ureterengen (Frau) berzugehen.
Der Harnleiter hat 3 enge Stellen: Beim Mann liegt an diesem bergang der tiefste
am bergang vom Nierenbecken in den Harn- Punkt der Bauchhhle (Excavatio rectovesica-
leiter, lis), bei der Frau liegt der tiefste Punkt zwischen
beim bergang in das kleine Becken und dem Uterus und dem Rektum (Excavatio recto-
in der Harnblasenwand. uterina = Douglasscher Raum, auch S. 145).


P In der Niere gebildete kleinere Nierensteine
P Ist die Harnblase gefllt, liegt sie an der vor-
knnen in den Harnleiter abgehen. Hufig deren Bauchwand (ohne Zwischenschaltung
verklemmen sie sich in einer der Harnleiter- des Bauchfells) und kann oberhalb der Symphy-
engen. Dies fhrt zu starken Kontraktionen der se punktiert werden (Abb. 13.10, S. 270).
Ureterwandmuskulatur mit heftigen Schmerzen
(Nierenkolik). Bei entzndlichen Prozessen im kleinen Be-
cken sammelt sich Eiter in den Bauchfell-
taschen bzw. nach Verletzungen Blut.
Wandschichten
Die Wandschichten zeigen den klassischen Drei-
schichtenaufbau der Hohlorgane. Das ber- Harnblasenwand
gangsepithel des Nierenbeckens geht kontinuier- Die Schleimhaut ist mit mehrreihigem ber-
lich auf den Harnleiter ber. gangsepithel (Urothel) besetzt und liegt im lee-
ren Zustand in Falten. Eine Ausnahme bildet das
am Blasengrund liegende immer faltenfreie
13.3 Harnblase (Vesica urinaria) Harnblasendreieck (Trigonum vesicae). Seine
Eckpunkte werden von 3 ffnungen markiert,
Die Harnblase ist ein muskulses Hohlorgan, der inneren Harnrhrenffnung (Ostium ure-
dessen Form und Gre vom unterschiedlichen thrae internum) vorn und den 2 Ureterffnungen
Fllungszustand abhngen. Ihre Aufgaben sind hinten.
die Speicherung und periodische Entleerung
des von den Nieren stndig produzierten Urins. Merke
Das mittlere Fassungsvermgen der Harnblase
betrgt ungefhr 1 Liter. Die Ureter durchsetzen die Harnblasenwand
schrg. Dadurch entsteht ein Ventil, und
Gliederung der Harn kann bei gefllter Blase nicht
An der Harnblase unterscheidet man folgende zurckflieen ( Abb. 13.7).
Teile:
Harnblasenscheitel (Apex vesicae) oben ge-
legen,
P Beim vesikoureteralen Reflux ist das Ver-
Harnblasenkrper (Corpus vesicae) darunter, schlusssystem geschwcht. Dadurch werden
Harnblasengrund (Fundus vesicae) unten, Harnleiter- und Nierenbeckeninfektionen be-
Harnblasenhals (Cervix vesicae) bergang gnstigt.
in die Harnrhre.
Die Muskulatur der Harnblasenwand ist drei-
Lage und Nachbarschaftsbeziehungen schichtig und so angeordnet, dass sich bei ihrer
Die Harnblase liegt im kleinen Becken hinter der Kontraktion die Harnblase vollstndig entleeren
Symphyse. Beim Mann schiebt sich zwischen kann.
Harnblasengrund und Beckenboden die Vorste- Der Harnblasenwandmuskel heit M. detrusor
herdrse (Prostata). Auerdem liegen hinten vesicae.
unten die Blschendrsen an. Die obere und hin-
13.3 Harnblase 269

Harnleiter Scheitel der


(Ureter)
Harnblase
Samenleiter (Apex vesicae)
(Ductus deferens)

Ureter- Krper der


ffnungen Harnblase
(Ostia ureterum)
(Corpus vesicae)
Harnblasen-
dreieck
(Trigonum vesicae)
Blschendrsen Harnblasengrund
(Glandula seminalis) (Fundus vesicae)
innere Harnblasenhals
(Cervix vesicae)
Harnrhrenffnung
(Ostium urethrae
internum) Samenhgel
(Colliculus seminalis)
Vorsteherdrse
(Prostata)
Harnrhre
(Urethra)
Cowpersche Drse
(Glandula
bulbourethralis)

Harnblase (mnnlich) von ventral erffnet. Abb. 13.8

Merke
Scheitel der Harnblase
Die Entleerung der Harnblase heit Miktion (Apex vesicae)
( S. 274).

Krper der
Verschluss von Harnblase und Harnrhre Harnblase
Der Verschluss erfolgt durch eine aus glattem (Corpus vesicae)
Muskelgewebe bestehende Muskelschlinge, den Harnleiter
(Ureter)
unwillkrlichen Schliemuskel der Harnblase
(M. sphincter vesicae) um die innere Harn- Samenleiter
(Ductus
rhrenffnung und den willkrlichen quer ge- deferens)
streiften Harnrhrenschliemuskel (M. sphincter
Blschen-
urethrae) im Beckenboden. drsen
(Glandula

P Die Regulation der Miktion unterliegt kom- seminalis)

plizierten nervalen Mechanismen. Ist sie gestrt Vorsteher-


(z. B. bei Querschnittslhmung, Gewebsschw- drse
(Prostata)
che), kommt es, meist vorbergehend, zu stn-
Harnrhre
digem unwillkrlichen Harntrufeln (Harn- (Urethra)
inkontinenz). Die Blasenschleimhaut kann mit-
tels einer Zystoskopie (Harnblasenspiegelung)
Harnblase (mnnlich) von dorsal. Abb. 13.9
untersucht werden.
270 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

Bauchfell
(Peritoneum)
gerader bauchfellfreier Raum
Bauchmuskel ber der Schambeinfuge
(M. rectus abdominis)
Harnblasenwandmuskel
(M. detrusor)
Punktionskanle

Schambeinfuge
(Symphysis pubica) innere
Harnrhrenffnung
Harnrhre (Ostium urethrae internum)
(Urethra)
Scheide
Kitzler (Vagina)
(Clitoris) uere
Scheidenvorhof Harnrhrenffnung
(Vestibulum vaginae) (Ostium urethrae externum)

Abb. 13.10 Weibliche Harnblase (Blasenpunktion) Medianschnitt.

13.4 Harnrhre (Urethra) Mnnliche Harnrhre (Urethra masculina)


Die mnnliche Harnrhre endet spaltfrmig auf
Die Harnrhre ist der letzte Teil der harnablei- der Eichel des mnnlichen Gliedes ( S. Abb.
tenden Organe. 14.1, S. 277). Sie hat eine Lnge von 20 25 cm
und einen Durchmesser von 5 7 mm.
Verlauf und Mndung der Harnrhre
Die Harnrhre leitet den Harn von der Harnblase Man unterscheidet die folgenden 3 Abschnitte:
schubweise nach auen. Sie beginnt am Harn- Vorsteherdrsenabschnitt (Pars prostatica)
blasenfundus mit der inneren Harnrhrenff- Er durchzieht die Prostata, ist ca. 3 cm lang
nung (Ostium urethrae internum) und endet mit und enthlt den Samenhgel mit den ffnun-
der ueren Harnrhrenffnung (Ostium ure- gen der beiden Spritzkanle.
thrae externum). Beckenbodenabschnitt (Pars membranacea)
Am bergang zu diesem Abschnitt befindet sich
Weibliche Harnrhre (Urethra feminina) der willkrliche Harnrhrenschliemuskel.
Die weibliche Harnrhre liegt vor der Scheide. Schwellkrperabschnitt (Pars spongiosa)
Ihre uere ffnung befindet sich im Scheiden- Hier verluft die Harnrhre im Harnrhren-
vorhof. In ihrem oberen Bereich geht das ber- schwellkrper bis zum Ausgang an der Eichel.
gangsepithel, wie es im Nierenbecken, in den
Harnleitern und der Harnblase vorkommt, in
mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel ber. Merke
Die weibliche Harnrhre ist etwa 4 cm lang. Die mnnliche Harnrhre ist ab Samenhgel
eigentlich eine Harn-Samen-Rhre.

P Die sehr kurze weibliche Harnrhre macht
das Zystoskopieren und Katheterisieren leich-
ter. Nachteilig: Da fr Krankheitserreger der Krmmungen
Weg vom After bis zur Harnrhre sehr kurz ist, Die mnnliche Harnrhre hat 2 Krmmungen (
ist die Gefahr einer Entzndung der ableiten- S. 277). Sie liegen hinter der Symphyse und
den Harnwege, die ber Blase und Harnleiter beim Eintritt in den Harnrhrenschwellkrper.
bis zur Niere aufsteigen kann, bei Frauen
grer als bei Mnnern.
13.5 Physiologie der Niere 271

Beide Krmmungen knnen in einen Bogen (Nucleinsurestoffwechsel), Kreatinin (Mus-


verwandelt werden, wenn das mnnliche Glied kelstoffwechsel). Harnpflichtig sind sie des-
nach oben auf die Bauchwand gelegt wird halb, weil sie nur von der Niere ausgeschie-
(wichtig z. B. beim Katheterisieren). den werden knnen und ihr Verbleiben im
Krper zur allmhlichen Selbstvergiftung
In der Prostata wird das bergangsepithel der Harn- fhrt.
blase vom Zylinderepithel (zuerst einschichtig, Differenzierte Ausscheidung von Stoffen
dann mehrschichtig) abgelst. Ab Schiffergrube (z. B. Ionen, Wasser).
(= Erweiterung der Urethra in der Eichel) folgt Ausscheidung von Fremdsubstanzen bzw.
unverhorntes mehrschichtiges Plattenepithel. deren Stoffwechselprodukten (z. B. Medika-
mente).

P Durch viele sensible Nervenendungen ist 2. Regulationsfunktion


die Harnrhre sehr berhrungs-, schmerz- und Einstellung des osmotischen Drucks (Isoto-
temperaturempfindlich. nie) und des Flssigkeitsvolumens im extra-
zellulren Raum (Isovolmie).
Einstellung der Ionenkonzentration (Isoio-
Merke nie).
Die mnnliche Harnrhre weist in ihrem Einstellung des pH-Wertes (Isohydrie).
Verlauf sowohl 3 enge Stellen als auch 3 weite 3. Hormonbildung
Stellen auf. Die Niere bildet 2 Hormone: Renin, das mittel-
Enge Stellen: Innere Harnrhrenffnung bar an der Blutdruckregulation beteiligt ist, und
(Harnblasenwand), Beckenboden (willkrli- Erythropoetin, das die Bildung der Erythrozyten
cher Schliemuskel), uere Harnrhrenff- im roten Knochenmark stimuliert.
nung (Eichel).
Weite Stellen: Prostatabereich, Harnrhren-
P Bei chronischen Nierenerkrankungen (z. B.
schwellkrper, Eichel (Schiffergrube). Glomerulonephritis) spielen neben der Gefahr
der Selbstvergiftung (Urmie) die Entstehung
des Bluthochdrucks (nephrogener Hyperto-
nus) und der Blutarmut (Anmie) eine Rolle.
13.5 Physiologie der Niere
Harnbildung
Damit die Zellen unseres Krpers ihre Aufgaben Der Prozess der Harnbildung durch das Nephron
erfllen knnen und so die Existenz des Orga- wird in 2 Teilfunktionen vollzogen:
nismus sichern, bentigen sie eine mglichst Filtration in den Nierenkrperchen (Primr-
konstante Umgebung (= inneres Milieu, S. 28). harnbildung),
Das wichtigste Organ fr die Erhaltung der Resorption und Sekretion im Tubulusapparat
Homostase des inneren Milieus ist die Niere. (Sekundr- oder Endharnbildung).
Sie sichert durch die Harnbildung das innere
Gleichgewicht trotz diskontinuierlicher Auf- Bildung des Primrharns durch Filtration im
nahme und Abgabe von Stoffen. Nierenkrperchen
Whrend das Blut durch die Kapillarschlingen
Merke des Glomerulus fliet, wird es filtriert und der
Die Umwelt der Zellen ist die interstitielle Primrharn gebildet. Dabei werden bei einem
Flssigkeit ( S. 28). renalen Plasmafluss von ca. 600 ml pro Minute
120 ml Plasmabestandteile in den Kapselraum
filtriert (= glomerulre Filtrationsrate GFR).
Im Einzelnen erfllt die Niere mit der Harnpro- Das entspricht einer Tagesmenge von ca. 170
duktion folgende lebenswichtige Aufgaben. Litern. Um diese Menge zu erhalten, wird das
l. Ausscheidungsfunktion Blutplasma (ca. 3 Liter) etwa 60-mal pro Tag
Ausscheiden der harnpflichtigen Substanzen dem Filtrationsvorgang unterzogen.
Harnstoff (Eiweistoffwechsel), Harnsure
272 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

kolloidosmotische Druck des Blutplasmas von


Vas efferens 25 mmHg und der Kapseldruck von 15 mmHg
Vas afferens entgegen. Als Ergebnis entsteht der effektive
Filtrationsdruck von 10 mmHg (502515=10)
als treibende Kraft der Filtration.


P Bei einem arteriellen Systemblutdruck unter
Glomerulus 70 mmHg besteht Anurie, bei einem arteriel-
len Systemblutdruck ber 220 mmHg eine
Bowmansche Druckdiurese.
Kapsel
Selbstregulation der Nierendurchblutung
Die renale Durchblutung betrgt 25 % des
Primrharn Herzminutenvolumens. Damit die Niere ihre
Funktionen kontinuierlich erfllen kann, muss
glomerulre Filtrationsrate sie mglichst konstant durchblutet werden. Dies
(GFR) 120 ml/min
erfolgt vor allem durch das Vas afferens, indem
es bei einer arteriellen Druckvernderung selb-
Abb. 13.11 Glomerulre Filtration. stndig die Geflichtung so verndert, dass die
Durchblutung konstant bleibt ( S. 202). Auf
diese Weise knnen Blutdruckschwankungen
Die ca. 1 m2 groe Filtermembran wird aus zwischen 80 und 180 mmHg ausgeglichen
3 Schichten (Kapillarendothel, Deckzellen [Po- werden.
dozyten] des inneren Blattes der Bowmanschen
Kapsel, gemeinsame Basalmembran der Po-
P Bei starkem Absinken des zentralen Blut-
dozyten und Kapillarendothelzellen) gebildet druckes, z. B. bei Schock, versagt auch die
und lsst auer Blutzellen und Plasmaproteinen Nierendurchblutung und damit die Filtration
alle Blutbestandteile hindurch. Weil nur kleine des Primrharns.
Teilchen des Blutes im Glomerulusfiltrat enthal- Es kommt zu akutem Nierenversagen, d. h.
ten sind, wird es als Ultrafiltrat und der gesamte keine Harnbildung (= Anurie).
Vorgang als Ultrafiltration bezeichnet.
Bildung des Endharns durch Resorption und
Merke Sekretion im Tubulus
In den Nierenkrperchen entstehen durch Resorption: Stofftransport (aktiv oder passiv)
Filtration pro Tag ca. 170 Liter Primrharn. Er aus dem Tubulus in den Blutkreislauf.
enthlt alle Stoffe des Blutes mit Ausnahme Sekretion: Stofftransport (aktiv oder passiv)
der groen Eiweimolekle und der Blut- aus dem Blutkreislauf in den Tubulus.
zellen. Die Konzentration der filtrierbaren
Teilchen ist im Blutplasma und Primrharn Resorption
gleich. Durch die Resorption werden alle Stoffe, auch
Wasser, die der Krper zur Erhaltung der
Homostase des inneren Milieus bentigt, aus

P Durch akute und chronische Nierenkrank- dem Tubulus in das Blut zurckgefhrt; das sind
heiten kann es zur Filtration von Erythrozyten 98 % der gereinigten Blutflssigkeit. Die aktive
(blutiger Harn Hmaturie), Leukozyten Resorption ist eine Leistung der Tubuluszellen.
(eitriger Harn Leukozyturie) und Eiweien Wrde bei einem 70 kg schweren Mann die
(Proteinurie) kommen. Resorption fr 5 Stunden versagen, betrge die
Masse des Mannes theoretisch nur noch 28 kg.

Effektiver Filtrationsdruck Glucoseresorption


Der glomerulre Blutdruck (= Bruttofiltrations- Glucose wird (wie auch die Aminosuren) nor-
druck) betrgt ca. 50 mmHg. Diesem wirken der malerweise vollstndig aktiv rckresorbiert. ber-
13.5 Physiologie der Niere 273

steigt jedoch die Blutglucose 18 g/dl = 10 mmol/1, Diese Normwerte ndern sich bei einer Erkran-
dann erscheint sie im Urin (= Glucosurie). kung hufig.

P Da Glucose nur in gelster Form ausgeschie-


P Diese Normalwerte verndern sich bei vielen
den werden kann, wird die Urinmenge erhht Krankheiten (z. B. Pyelonephritis, verschiedene
(Polyurie), und der Mensch hat greren Stoffwechselerkrankungen) und knnen des-
Durst (= Symptome der Zuckerkrankheit). halb wichtige Hinweise fr die Diagnose geben.

Sekretion Hormonelle Regulation der Nierenttigkeit


Durch die Sekretion knnen zustzlich Stoffe aus Bei der Einstellung der endgltigen Harnmenge,
dem Eiweiabbau (Harnstoff, Harnsure), aber einschlielich der Kompensation normaler Ver-
auch Medikamente (z. B. Penicillin) aus dem Blut nderungen der osmotischen Konzentration, sind
in den Tubulus transportiert werden. 2 Hormone wichtig:

1. Antidiuretisches Hormon, (Adiuretin, ADH)


Merke Das ADH wird im Hypothalamus gebildet, ge-
Die Hauptmasse der Stoffe wird im proxima- langt ber den Hypophysenstiel in den Hypo-
len Tubulus resorbiert. Die auszuscheidende physenhinterlappen und von dort in das Blut. Im
Endharnmenge pro Tag beluft sich auf Tubulus steuert es die Wasserrckresorption, in-
ca. 1,5 Liter. Die Dichte des Endharns betrgt dem es die Wasserdurchlssigkeit der Zellen
1 005 bis 1 025 g/l, der pH-Wert liegt im erhht.
Mittel bei 5,5.

Hypophysenhinterlappen
Malpighisches Krperchen Zwischenhirn

ion
Sekretion Resorption
at
Glucose rm
Blutkapillaren fo
Penicilin Aminosuren In
HCO3-, Na+
NH3
K+, Ca2+,
Mg2+ Durst

H2O osmotischer
H O Druck
2
Harnstoff, CI-
ADH
Osmorezeptor
Na+, CI-
Harnstoff
H2O

CI-
Na+
NH3
Na+, K+, Ca2+ Tubulus Blutkapillaren
H+
CI-, H2O

K+

H2O H2O

= aktiv
= passiv
Tubulus-Apparat Harnkonzentration

Tubulre Resorption, Sekretion und Harnkonzentrierung. Abb. 13.12


274 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

Beispiel: Bei Natriummangel bewirkt Aldosteron im


Wassermangel (z. B. infolge starken Schwitzens). Tubulus eine verstrkte Natrium- und Wasser-
rckresorption, allerdings auf Kosten gleichzei-
Osmotischer Druck steigt tiger Kalium- bzw. Wasserstoffionensekretion.

ADH-Sekretion steigt Harnausscheidung


Von den Nierenpapillen gelangt der Endharn
ber die Nierenkelche in das Nierenbecken. An-
vermehrte Auslsung des schlieend befrdern ihn die Harnleiter durch
Wasserrckresorption Durstgefhls peristaltische Wellen ihrer Wandmuskulatur in
die Harnblase.

P Erkrankungen im Bereich des Zwischenhirns
Blasenentleerung (Miktion)
bzw. der Hypophyse knnen zum Verlust der Bei der Harnblase wechseln lange Sammelpha-
ADH-Bildung fhren. Folge ist die Wasser- sen und kurze Entleerungsphasen einander ab.
harnruhr (Diabetes insipidus) mit einer Beide Phasen stehen unter der Kontrolle vor
Urinmenge von tglich 20 25 Liter (aus- allem des vegetativen Nervensystems, das
gleichend muss die entsprechende Flssigkeit whrend der Sammelphasen ber den glatten
wieder zugefhrt werden). Harnblasenschliemuskel (M. vesicae) eine
Entleerung verhindert bzw. hemmt (= Kontinenz
2. Aldosteron der Harnblase).
Es wird in der Nebennierenrinde gebildet und Bei der Entleerung der Harnblase (= Miktion)
dort in das Blut abgegeben. ber die Natrium- greifen unwillkrliche und willkrliche Vorgn-
resorption im Tubulus reguliert es die Isotonie. ge ineinander. Pro Stunde werden ca. 50 ml Urin

Nierenkrperchen
(Malpighisches Krperchen)

Osmorezeptor Harnkanlchen
innere Kopfarterie (Tubulus)

(A. carotis interna) osmotischer Druck

Plasmavolumen
Nebennierenrinde Tubulus Blutkapillaren
n
tio
orma
Inf

Na+ Plasma-
H2O volumen
Aldos
teron

H+
K+

Abb. 13.13 Hormonelle Regulation der Na+-Resorption.


13.5 Physiologie der Niere 275

in die Harnblase transportiert, sodass der


P Durch den willkrlichen Schliemuskel kann
Blaseninnendruck stetig steigt. Kurze Druck- die Blasenentleerung eine begrenzte Zeit auf-
anstiege lsen bei 150 bis 200 ml bereits kurz gehalten werden. Liegt die abgegebene Harn-
anhaltenden Harndrang aus. Bei 250 300 ml menge unter 20 ml/s, sollte an ein Abfluss-
wird der Harndrang so intensiv, dass die Ent- hindernis gedacht werden.
leerungsphase eingeleitet wird. Inkontinenz bedeutet, der Mensch ist auf-
Parasympathisch wird Folgendes bewirkt: grund von Organvernderungen oder Funk-
Kontraktion des M. detrusor bei tionsstrungen unfhig, die Blasenentleerung
gleichzeitiger Erschlaffung des M. sphincter willkrlich zu steuern.
vesicae und
Verschluss der Ureterffnungen. Zusammensetzung des Endharns
Wird nun der willkrliche Schliemuskel zur Wasser ca. 97 %,
Erschlaffung gebracht, fliet der Harn unter Ein- Stoffwechselendprodukte des Eiweistoff-
satz der Bauchpresse restlos ab. wechsels (Harnstoff, Kreatinin) ca. 40 g/d,
anorganische Substanzen (Kochsalz, Kalium,
Merke Calcium, Ammoniak, Magnesium) ca. 18 g/d,
Durch die Verknpfung des sakralen Mik- Harnfarbstoffe (Urobilin, Urochrom),
tionszentrums mit der Grohirnrinde kann Hormone, Enzyme, Vitamine, evtl. Arzneimittel
die weitgehend reflektorisch und automatisch und Fremdstoffe.
ablaufende Blasenentleerung kontrolliert,
d. h. eingeleitet oder unterdrckt, werden.
Dieser Vorgang wird in den ersten Lebens-
jahren erlernt.

Vereinfacht dargestellt, laufen dabei folgende


Vorgnge ab:
Druckanstieg (= Reiz)

Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand

Sakrales Miktionszentrum
(Dieses Reflexzentrum steuert
fr uns unbewusst
Sammel- und Entleerungsphase.)

Miktionszentrum im Stammhirn

Grohirnrinde
(Der Harndrang wird bewusst.
Nun gibt es 2 Mglichkeiten: willkrliche
Unterdrckung oder Blasenentleerung.)

Merke
Bei gesunden Menschen enthlt der Urin
weder Eiwei noch Zucker, hchstens einige
abgestoene Epithelzellen der ableitenden
Harnwege und einige Leukozyten.
276 13 Harnsystem, Funktionen der Niere

Fragen zur Wiederholung

l. Nennen Sie die Harnorgane und beschreiben Sie deren Lage.


2. Beschreiben Sie den makroskopischen und mikroskopischen Bau der Niere.
3. Wodurch werden die Nieren in ihrer Lage gehalten?
Was ist eine Wanderniere?
4. Beschreiben Sie das Sammelrohrsystem.
5. Beschreiben Sie den Blutfluss durch die Niere.
Welche Besonderheit gibt es?
6. Auf welchem Weg gelangt der Urin vom Bildungsort nach auen?
7. Beschreiben Sie die anatomischen Besonderheiten der ableitenden Harnwege.
8. Vergleichen Sie mnnliche und weibliche Harnrhre und ziehen Sie praktische
Schlussfolgerungen.
9. Nennen Sie die Aufgaben der Niere.
10. Erlutern Sie die Harnbildung als Mittel der Regulations- und Ausscheidungs-
funktion.
11. Definieren Sie:
a) Primrharn,
b) Endharn,
c) effektiver Filtrationsdruck,
d) Selbstregulation der Nierendurchblutung.
12. Warum drfen bei eingeschrnkter Nierenfunktion viele Arzneimittel nur in geringen
Dosen verordnet werden?
13. Wie erfolgt die hormonelle Regulation der Nierenttigkeit?
14. Beschreiben Sie die Miktion.
15. Wie ist der Endharn zusammengesetzt?
277

14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Im Zusammenhang mit dem Geschlechtssystem 14.1 Mnnliche Geschlechtsorgane


werden primre und sekundre Geschlechts-
merkmale unterschieden. Die primren Ge- Die primren Geschlechtsorgane werden ent-
schlechtsmerkmale sind bereits zum Zeitpunkt sprechend ihrer Lage in innere und uere unter-
der Geburt vorhanden (z. B. Hoden, Eierstcke gliedert. Sie stehen in enger Beziehung zu den
etc.), die sekundren entwickeln sich whrend Harnorganen (z. B. mnnliche Harnrhre als
der Pubertt (z. B. weibliche Brustdrsen, Harnsamenrhre).
Schambehaarung etc.).

linker Harnleiter
gerader (Ureter sinister)
Bauchmuskel Blschendrse
(M. rectus abdominis) (Glandula seminalis)
Harnblase Mastdarm
(Vesica urinaria) (Rektum)
Samenleiter Cowpersche Drse
(Ductus deferens) (Glandula bulbourethralis)
Vorsteherdrse After
(Prostata) (Anus)
Gliedschwellkrper Harnrhre
(Corpus cavernosum (Urethra)
penis)
Nebenhoden
Hoden (Epididymis)
(Testis)
Hodensack
Eichel (Scrotum)
(Glans penis)

Harnblase
(Vesica urinaria)
innere Harnleiter
Harnrhrenffnung (Ureter)
(Ostium urethrae
internum)
Blschendrse
Symphyse (Glandula seminalis)
Harnrhre Mastdarm
(Urethra)
(Rektum)
Gliedschwellkrper
(Corpus cavernosum Vorsteherdrse
penis) (Prostata)
Schiffergrube Spritzkanal
(Fossa navicularis (Ductus ejaculatorius)
urethrae)
Hodensack
uere (Scrotum)
Harnrhrenffnung
(Ostium urethrae Hoden
externum) (Testis)

Mnnliche Beckenorgane. Abb. 14.1


278 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

14.1.1 Innere mnnliche Geschlechtsorgane


P Bleiben die Hoden im Bauchraum oder im
Leistenkanal hngen (Kryptorchismus), ist eine
Zu den inneren mnnlichen Geschlechtsorganen operative Verlagerung in den Hodensack not-
gehren wendig, da fr die Bildung der Samenzellen
die paarigen Hoden, (Spermiogenese) eine etwas niedrigere Tempe-
die paarigen Nebenhoden, ratur als die Krpertemperatur Voraussetzung
die paarigen Samenleiter, ist. Auerdem neigen im Bauchraum verbliebene
die Vorsteherdrse und Hoden zu krankhaften Entartungen (Tumoren).
die paarigen Blschendrsen (= Samenblasen)
und die paarigen Cowperschen Drsen.
Beim erwachsenen Mann sind die Hoden wal-
Hoden (Testis, Orchis) nussgro.
Form, Gre, Lage
Die Hoden entwickeln sich im Bauchraum und Mikroskopische Struktur
wandern am Ende der Embryonalzeit durch den Der Hoden wird von einer bindegewebigen Hlle
Leistenkanal ( S. 139) in den Hodensack (Des- umschlossen. Von dieser ziehen kleine Binde-
census testis, descensus = absteigen). Dabei ge- gewebssepten nach innen, dadurch kommt es zu
langen auch Bauchfellanteile in den Hodensack. einer Aufteilung in ca. 250 Hodenlppchen. In
jedem Hodenlppchen befinden sich
2 4 Hodenkanlchen, die zusam-
men eine Lnge von ca. 300 Metern
erreichen.

Funktionen
Samenzellbildung
A. testicularis Die Bildung der Samenzellen (Sper-
Samenleiter mien) erfolgt im gewundenen Teil
(Ductus deferens)
der Hodenkanlchen; diesen Vorgang
V. testicularis
bezeichnet man als Spermiogenese.
ber den gestreckten Teil gelangen
Samenstrang die Spermien in das Hodennetz.
(Funiculus spermaticus)

Nebenhodenkopf

P In der Scheide sind die Spermien
(Caput epididymidis) ca. 2 Stunden, in der Gebrmutter
bis zu 48 Stunden befruchtungs-
Bindegewebslager
mit Hodennetz fhig.
(Rete testis)
Hodenlppchen Hormonbildung
(Lobuli testis)
mit Hodenkanlchen In den Leydigschen Zwischenzellen,
(Tubuli seminiferi) die zwischen den Hodenkanlchen
Bindegewebssepten im Bindegewebe liegen, wird das
(Septula testis) Androgen Testosteron gebildet. Mit
Bindegewebshlle Beginn der Pubertt schttet der
(Tunica albuginea)
Hypophysenvorderlappen ( Kap.
Nebenhodenkrper 15.3.3, S. 304) Hormone aus, die die
Nebenhodenschweif Spermienreifung und die Ausscht-
tung von Testosteron anregen. Das
mit 4 5 m langem Testosteron ist mit den weiblichen
Nebenhodengang
Sexualhormonen strogen und Pro-
gesteron verwandt.
Abb. 14.2 Hoden (Testis) und Nebenhoden (Epididymis).
14.1 Mnnliche Geschlechtsorgane 279

Blutversorgung
Die Blutversorgung der Hoden erfolgt durch die
Arteria und Vena testicularis.
Spermien
Nebenhoden (Epididymis) Sperma-
Der Nebenhoden liegt an der Hinterflche des tiden
Hodens, also ebenfalls im Hodensack. Vom Hoden-
netz ziehen Kanlchen in den Nebenhodenkopf Spermatozyt 2 Sertoli-
und mnden hier in den 4 5 m langen auf ca. Zelle 1)
5 cm zusammengeknulten Nebenhodengang. Spermatozyt 1
Dieser durchzieht den Nebenhoden und geht am Ursamenzelle
Nebenhodenschweif in den Samenleiter ber. (Spermatogonie)

Funktion
Im Nebenhoden reifen die Samenzellen aus. Er 1) Sttzzellen, die der Ernhrung der reifenden Samen-
ist der wichtigste Speicher fr die Spermien. zellen dienen

Samenleiter (Ductus deferens) Reifung der Samenzellen. Abb. 14.3


Lnge und Lage
Die Samenleiter sind 50 60 cm lang und haben
einen Durchmesser von 3 mm. Sie ziehen zu- Vorsteherdrse (Prostata)
nchst aus dem Hodensack heraus bis vor die Die kastaniengroe Prostata umschliet den
Schambeinste und von da aus im Samenstrang ersten Abschnitt der Harnrhre, liegt also zwi-
durch den Leistenkanal in das kleine Becken. schen Harnblasenfundus, Beckenboden und
Anschlieend verlaufen die Samenleiter seitlich Rektum.
der Harnblase in enger Nachbarschaft der Bls-
chendrsen zum Fundus der Harnblase. Hier
P Das phosphathaltige Prostatasekret wirkt
durchbohren sie von beiden Seiten die Vorsteher- bewegungsauslsend auf die Spermien.
drse und mnden innerhalb dieser auf dem
Samenhgel in die Harnrhre. Der in der In etwa 30 Einzeldrsen wird ein milchig, dnn-
Vorsteherdrse verlaufende Endabschnitt der flssiges, alkalisches Sekret gebildet, das beim
Samenleiter heit Spritzkanal (Ductus ejaculato- Samenerguss (Ejakulation) durch die reichlich
rius). vorhandene glatte Muskulatur rasch in die
Harnrhre abgegeben wird. Diese Muskulatur
Funktion verleiht der Prostata eine im Vergleich zu ande-
Im Samenleiter erfolgt der Transport der Samen- ren Drsen feste Konsistenz. Auen hat sie eine
zellen von den Nebenhoden in die Harnrhre. unelastische Kapsel aus straffem Bindegewebe
und glatter Muskulatur.
Samenstrang (Funiculus spermaticus)
Der Samenstrang liegt im Leistenkanal. Er ent-
hlt auer dem Samenleiter die A. und V. testicu-

P Bei lteren Mnnern kann sich die Prostata
vergrern (Benigne Prostatahyperplasie
laris, Lymphgefe und Nerven des Hodens.
BPH). Die Harnrhre wird eingeengt und der
Harn in der Blase zurckgestaut (Retentio
Blschendrsen (Glandula seminalis)
urinae).
Die beiden Blschendrsen liegen beidseitig am
Harnblasengrund und grenzen dorsal an das Der Prostatakrebs ist ein typischer Alterskrebs.
Rektum. Ihr Ausfhrgang verbindet sich mit
dem Ductus ejaculatorius. Durch rektale digitale Untersuchung bei
Mnnern ber 50 Jahre kann eine vergrerte
Funktion Prostata (BPH, Krebs) rechtzeitig erkannt und
Die Blschendrsen produzieren fr die Beweg- damit u. U. ein mgliches Prostatakarzinom
lichkeit der Spermien ein alkalisches Sekret. Es oder eine Nierenschdigung durch Harnstau
bildet den Hauptteil der Samenflssigkeit. (Hydronephrose) verhindert werden.
280 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Samenflssigkeit (Sperma) 14.1.2 uere mnnliche Geschlechtsorgane


Als Sperma bezeichnet man die bei einem
Samenerguss (Ejakulation) ber die Harnrhre Zu den ueren mnnlichen Geschlechtsorganen
ausgestoene gallertartige weiliche Flssigkeit. gehren das mnnliche Glied mit Harnsamen-
Es setzt sich im Wesentlichen aus den in den rhre sowie der Hodensack.
Hoden gebildeten Spermien und den Sekreten
von Blschendrsen und Prostata zusammen. Mnnliches Glied (Penis)
Das Sperma besteht aus ca. 0,5 10 ml Am Penis unterscheidet man uerlich drei Ab-
Flssigkeit mit 30 150 Millionen Spermien pro schnitte:
Milliliter. Die Spermien bestehen aus Kopf, Wurzel. Dieser Teil befestigt den Penis an
Hals, Mittelstck und Schwanz ( Abb. 14.10, den Schambeinsten und dem Beckenboden;
S. 287). Schaft. Das ist der bewegliche Teil ohne Eichel;
Eichel (Glans penis). Die Eichel wird von
einem Doppelblatt der Penishaut (Vorhaut =
Prputium) bedeckt.

Harnleiter
(Ureter)
Samenleiter
(Ductus deferens)
Harnblase
(Vesica urinaria)

Samenhgel Mndung des Harnleiters


(Colliculus seminalis) (Ostium ureteris)
Mndung des Blschendrse
linken Spritzkanals (Glandula seminalis)
(Ductus ejaculatorius sinister)
innere Harnrhrenffnung
Vorsteherdrsenabschnitt (Ostium urethrae internum)
der Harnrhre Vorsteherdrse
(Pars prostatica urethrae) (Prostata)
Cowpersche Drse
Beckenbodenabschnitt (Glandula bulbourethralis)
der Harnrhre Gliedschenkel
(Pars membranacea urethrae) (Crus penis)
im Diaphragma urogenitale,
vom quer gestreiften
Harnrhrenschliemuskel
umgeben

paarige Gliedschwellkrper
(Corpora cavernosa penis)

Schwellkrperabschnitt Schwellkrper der


der Harnrhre Harnsamenrhre
(Pars spongiosa urethrae) (Corpus spongiosum penis)

Schiffergrube
(Fossa navicularis urethrae)

Eichel des Penis


(Glans penis)
uere Harnrhrenffnung
(Ostium urethrae externum)

Abb. 14.4 Mnnliche Harnblase und Penis erffnet.


14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 281

P Hufige Entwicklungsst-
Haut
rung ist eine zu enge Vorhaut (Cutis)
(Phimose). Fascia penis
Scheidewand
Im Inneren des Penis liegen drei (Septum penis)
lang gestreckte Schwellkrper. Gliedschwellkrper
Die paarigen Gliedschwell- (Corpus cavernosum penis)

krper: Sie liegen im obe- Bindegewebshlle


(Tunica albuginea)
ren Bereich am Penisrcken. Schwellkrper der
Der Schwellkrper der Harn- Harnrhre
samenrhre: Er umfasst die (Corpus spongiosum penis)
Harnrhre und trgt an sei- Harnrhre
(Urethra)
nem vorderen Ende die Ei-
chel. Am hinteren Ende ist
er zwiebelfrmig verdickt. Penisquerschnitt. Abb. 14.5
Hier in der Beckenboden-
muskulatur liegen auch die
beiden erbsengroen Cowperschen Drsen 14.2 Weibliche Geschlechtsorgane
(Glandulae bulbourethrales). Ihr schleimiges
Sekret, das kurz vor der eigentlichen Ejakula- 14.2.1 Innere weibliche Geschlechtsorgane
tion abgegeben wird, soll die Urinreste der
Harnrhre neutralisieren. Zu den inneren weiblichen Geschlechtsorganen
Die Schwellkrper bestehen aus zahlreichen gehren die paarigen Eierstcke, die paarigen
kleinen Hohlrumen und werden von einer Eileiter, die Gebrmutter und die Scheide.
derben Hlle umgeben.
Eierstock (Ovarium)
Versteifung bzw. Aufrichtung des Gliedes Gre und Lage
Die Erektion (Aufrichtung) des Gliedes zum Die bei der geschlechtsreifen Frau ca. pflaumen-
Zwecke des Geschlechtsverkehrs wird erreicht, groen (4 cm x 2 cm x l cm) Ovarien liegen an
indem durch nervale Regulation eine Erweite- den Seitenwnden des kleinen Beckens, in der
rung der zufhrenden Arterien bei gleichzeitiger sog. Eierstockgrube, zwischen den inneren und
Verengung der abfhrenden Venen erfolgt. Die ueren Beckengefen.
Schwellkrper werden prall mit Blut gefllt,
ohne dass jedoch der Blutstrom vllig zum Erlie- Mikroskopischer Bau
gen kommt. Von auen nach innen gibt es 4 Schichten:
Bauchfellberzug.
Merke Organkapsel aus Bindegewebe.
Der Penis hat eine Doppelfunktion. Er ist Ge- Eierstockrinde: Sie enthlt schon beim Neu-
schlechts- und Ausscheidungsorgan. geborenen ca. 200.000 Follikel mit ebenso
vielen Eizellen. Nach der Geburt bilden sich
Hodensack (Scrotum) keine neuen Eizellen mehr.
Der Hodensack ist eine Hauttasche, in der Eierstockmark: Es besteht aus lockerem Binde-
Hoden, Nebenhoden und die Anfnge der gewebe mit Gefen und Nerven.
Samenleiter liegen. Die Haut ist pigmentiert und
weist als Besonderheit reichlich glattes Muskel- Funktion
gewebe anstelle von Fettgewebe auf, daher der 1. Follikelreifung
Name Fleischhaut. Dieses Muskelgewebe er- Follikel sind Blschen aus Follikelepithel, wel-
mglicht ein Zusammenziehen der Fleischhaut che jeweils eine Eizelle umhllen. Bereits vor der
bei niedrigen und Erschlaffen bei hheren Geburt beginnen die Reifeteilungen ( S. 50).
Temperaturen im Sinne eines Wrmeregulators Aber erst mit Beginn der ersten Regelblutung
fr die empfindlichen Keimdrsen. (Menarche) reift in ca. 28 Tagen ein Follikel heran.
282 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Dabei sind drei Stadien zu beobachten: die noch keine Kinder geboren haben (Nulli-
Primrfollikel. Die Eizelle ist meist von einer para).
Schicht Follikelepithelzellen umgeben.
Sekundrfollikel. Durch Teilung der Follikel- Gliederung ( Abb. 14.8, S. 284)
epithelzellen schon in den ersten Lebenstagen Bei der ueren Betrachtung der Gebrmutter
wird die Hlle dicker. erkennt man die folgenden Abschnitte.
Tertirfollikel (= Graaf scher Follikel). Er Gebrmuttergrund (Fundus uteri): Dies ist die
entwickelt sich ab dem 10. und 14. Lebensjahr. Wlbung ber den Eintrittsstellen der Eileiter
Das Follikelepithel teilt sich schnell. Es ent- in den Uteruskrper.
steht ein mit Flssigkeit gefllter Hohlraum. Gebrmutterkrper (Corpus uteri): Im Inneren
Der sprungreife Follikel ist kirschkerngro dieses breiten, abgeflachten Teiles liegt die
und hebt sich bis zum Eisprung (Ovulation) Gebrmutterhhle (Cavitas uteri) als Entwick-
deutlich von der Oberflche ab. lungsraum fr den Keimling. Ihre Form ist im
Frontalschnitt dreieckig und im Lngsschnitt
2. Hormonbildung spaltfrmig. Nach unten verengt sich die
Im Eierstock werden in bestimmten Zellen Sexual- Gebrmutterhhle zum Gebrmutterhalskanal
hormone gebildet. = Cervixkanal (Canalis cervicis uteri).
strogene (Follikelhormone), Gebrmutterhals (Cervix uteri): Zwischen
Gestagene (Gelbkrperhormon = Progesteron). Krper und Hals liegt eine Engstelle als Ver-
bindung, der Isthmus uteri. Der obere Teil des
Eileiter (Tuba uterina, Salpinx uterina) Gebrmutterhalses liegt ber der Scheide, der
Der Eileiter ist ein 10 15 cm langer Schlauch untere Halsteil ragt als Mutterkegel (Portio
und dient dem Transport der Eizelle vom Eier- vaginalis) in die Scheide hinein.
stock in die Gebrmutter. Die uere trichterfr-
mige Eileiterffnung umfasst mit fingerartigen
P Der uere Muttermund ist bei der Nullipara
Fortstzen (Fimbrien) den Graaf schen Follikel, rund und bei der Multipara lippenartig quer
fngt die Eizelle beim Eisprung auf und trans- gestellt. Er kann vom Arzt bei einer gynkolo-
portiert sie mithilfe von Flimmerbewegungen gischen Untersuchung betrachtet werden.
der Flimmerepithelzellen sowie peristaltischen
Muskelkontraktionen in die Gebrmutter. Der Lage
Transport dauert ca. 4 Tage. Im Eileiter findet Der Uterus liegt im kleinen Becken zwischen der
normalerweise die Befruchtung statt. Blase und dem Rektum. Normalerweise ist der
Krper nach vorn ber die Blase gebeugt

P ber die Eileiter besteht eine direkte Verbin- (Anteflexio uteri).
dung von der freien Bauchhhle ber Gebrmut-
ter und Scheide nach auen (Infektionsgefahr).
P Bei einer Krmmung des Krpers nach hin-
Bei gestrtem Auffang- und Transportmechanis- ten (Retroflexio uteri) auf den Mastdarm
mus kann sich eine befruchtete Eizelle sowohl in knnte der Weg fr die Spermien versperrt
der Bauchhhle als auch im Eileiter einnisten. werden, weil der uere Muttermund gegen
Im ersten Fall spricht man von einer Bauch- die vordere Scheidenwand gedrckt wird.
hhlen-, im zweiten von einer Eileiterschwan-
gerschaft. Beide sind lebensbedrohlich (Ver- Bauchfellbeziehung und Bnder
blutungsgefahr) und mssen behandelt werden. Der Bauchfellberzug des Uterus zieht als
Doppelblatt seitwrts zur Beckenwand. So ent-
Gebrmutter (Uterus) steht von der Gebrmutter ausgehend das breite
Form und Gre Mutterband (Lig. latum uteri) als Aufhngung
Die Gebrmutter ist birnenfrmig, etwa 7 bis fr Eileiter und Eierstock. Das Gewebe zwischen
10 cm lang und wiegt 60 bis 70 Gramm. Bei dem Bauchfelldoppelblatt heit Parametrium und
Frauen, die mehrere Kinder geboren haben enthlt in Bindegewebe eingebettet Gefe und
(Multipara), ist sie etwas grer als bei Frauen, Nerven. Vom Fundus der Gebrmutter ziehen die
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 283

beiden runden Mutterbnder (Lig.


teres uteri) durch den Leisten-
kanal zu den groen Schamlippen Mastdarm
(Rektum)
( Abb. 14.6).
Eierstock
(Ovarium)

P In der Gynkologie werden Gebrmutter


die dem Uterus anhngenden (Uterus)
Organe (Eileiter, Eierstock, Eileiter
breites Mutterband) als Adnexe (Tuba uterina)
(= Anhangsgebilde) bezeichnet. rundes
Dementsprechend heien Ent- Mutterband
(Lig. teres uteri)
zndungen der Gebrmutteran-
hnge Adnexitis. Wegen hnli- Harnblase
(Vesica urinaria)
chen Symptomen ist auf eine
exakte Unterscheidung zwi-
schen Adnexitis und Appen- Weibliche Beckenorgane (Frontalschnitt). Abb. 14.6
dizitis (Entzndung des Wurm-
fortsatzes) auch im Hinblick
auf therapeutische Manahmen Mikroskopischer Bau der Uteruswand
unbedingt zu achten. Die Uteruswand ist dreischichtig. Von innen nach
Der Halteapparat des Uterus wird bei jeder auen sind zu unterscheiden:
Schwangerschaft gedehnt. Bei manchen 1. Gebrmutterschleimhaut (Endometrium)
Frauen verliert er seinen Halt, und es kommt Diese gef- u. drsenreiche Schicht besteht aus
zum Gebrmuttervorfall (Prolapsus uteri) mit der Basalschicht (direkt an die Muskulatur
erheblicher Infektionsgefahr. grenzend) und

Gebrmutter
Eierstock (Uterus)
(Ovarium)
Douglasscher
Eileiter Raum
(Tuba uterina) (Excavatio
Bauchfelltasche rectouterina)
zwischen Uterus Mastdarm
und Blase (Rektum)
(Excavatio
vesicouterina) Scheiden-
gewlbe
Harnblase (Fornix vaginae)
(Vesica urinaria)
Scheide
Symphyse (Vagina)
Harnrhre kleine
(Urethra) Schamlippe
Kitzler (Labium minus
(Clitoris) pudendi)

uere groe
Harnrhrenffnung Schamlippe
(Ostium urethrae (Labium majus
externum) pudendi)

Weibliche Beckenorgane Medianschnitt. Abb. 14.7


284 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Fransen/ Ampulle des Eileiters Gebrmuttergrund


Fimbrien (Ampulla tubae uterinae) (Fundus uteri)
(Fimbriae tubae) Eileiterenge Gebrmutterkrper
Tubentrichter (Isthmus tubae uterinae) (Corpus uteri)
(Infundibulum
tubae uterinae)

Gebrmutterhals
(Cervix uteri)
Eierstock Muttermund
(Ovarium) (Ostium uteri)
Gebrmutterhhle Scheide
(Cavitas uteri) (Vagina)
Gebrmutterenge Mutterkegel
(Isthmus uteri) (Portio vaginalis)

Abb. 14.8 Innere weibliche Geschlechtsorgane von vorn.

der Funktionsschicht, welche whrend der teren Seite des Gebrmutterhalses zieht dann
monatlichen Regelblutung (Menstruation) das Bauchfell zur Vorderflche des Rektums.
abgestoen und in den darauf folgenden
Tagen wieder aufgebaut wird. Scheide (Vagina)
Die Schleimhaut im Gebrmutterhalskanal Die Scheide ist ein ca. 10 cm langer elastischer
enthlt palmenblattartige Falten. Hier bilden Schlauch zwischen Harnrhre und Mastdarm.
die Zellen einen Schleimpfropf, der das Ein- Vorder- und Hinterwand liegen aufeinander, so-
dringen von Krankheitserregern von der dass ein Querspalt entsteht. Die Wand besitzt
Scheide her verhindert. Reservefalten fr den Geburtsvorgang, aber
auch als Reibeflche fr den Penis beim
2. Gebrmuttermuskulatur (Myometrium) Geschlechtsverkehr (Koitus).
Diese glatte Muskulatur ist in Spiralzgen an- Der obere Scheidenteil ist gewlbeartig erweitert
geordnet und wirkt vor allem als austreibende (man spricht vom Scheidengewlbe) und umfasst
Kraft whrend der Geburt des Kindes durch den ueren Muttermund (Portio vaginalis). Das
Gebrmutterhalskanal und Scheide. untere Ende der Scheide (Scheideneingang,
Scheidenmund) mndet in den Scheidenvorhof.

P Das Myometrium neigt zur Bildung gut-
Scheidenschleimhaut
artiger Gewchse (Myome).
Die Schleimhaut der Scheide trgt mehrschichti-
ges unverhorntes Plattenepithel. Die Zellen ent-
3. Bauchfellberzug (Perimetrium) halten sehr viel Glykogen. Nach ihrem Abster-
Das Peritoneum berzieht vom Scheitel der ben bilden Milchsurebakterien, auch Dder-
Harnblase kommend die Gebrmutterober- leinsche Scheidenbakterien genannt, aus dem
flche. Der Uterus liegt also intraperitoneal anfallenden Glykogen Milchsure. Dadurch
und ist entsprechend beweglich (Gren- wird das Scheidensekret sauer (pH-Wert = 4) und
zunahme bei Schwangerschaft). Von der hin- bildet einen wichtigen Infektionsschutz.
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 285

Funktion dem vorderen Zusammenschluss der groen


Die Scheide hat 3 Aufgaben: Sie Schamlippen und ist behaart. Die Behaarung
ist weibliches Geschlechtsorgan, schliet nach oben horizontal ab.
nimmt das ejakulierte Sperma auf (Speiche-
rung im hinteren Scheidengewlbe) und Groe Schamlippen (Labia majora pudendi)
dient als Geburtskanal. Die groen Schamlippen werden aus 2 breiten
Diesen Funktionen entsprechend ist die Scheide behaarten Hautwlsten gebildet und umschlieen
elastisch, dehn- und verformbar. die Schamspalte (Rima pudendi). Sie enthalten
Talg-, Schwei- und Duftdrsen.

P Scheidensplungen sollten wegen Beein-


trchtigung der Scheidenflora nicht zu hufig Kleine Schamlippen (Labia minora pudendi)
vorgenommen werden. Die kleinen Schamlippen sind fettfreie, mit Talg-
Beim Scheidenabstrich wird die hintere drsen versehene dnne unbehaarte Hautfalten,
Wand der Scheide im oberen Bereich abge- die an der Innenseite der groen Schamlippen
tupft und so Zellen fr die mikroskopische liegen.
Untersuchung gewonnen.
Scheidenvorhof (Vestibulum vaginae)
Der Scheidenvorhof ist der Raum zwischen den
kleinen Schamlippen. In ihm liegen von vorn
14.2.2 uere weibliche Geschlechtsorgane nach hinten
die uere Harnrhrenffnung (Ostium urthrae
Das uere Genitale der Frau wird als Vulva externum) und
(= weibliche Scham) bezeichnet. Es besteht aus: der Scheideneingang (Ostium vaginae).
Schamberg (= Venushgel),
paarige groe Schamlippen, Kitzler (Clitoris)
paarige kleine Schamlippen, Der Kitzler besteht aus Schwellkrpergewebe.
Scheidenvorhof und Er hnelt in seinem Bau dem Penis und erigiert
Kitzler. bei sexueller Stimulation. Die Clitoris ist von der
Kitzlervorhaut (Preputium clitoris) umgeben,
Schamberg (Mons pubis) und seine Schleimhaut ist reichlich mit sensiblen
Der Schamberg ist ein Fettpolster. Er liegt ber Nervenendungen versorgt.

vorderer
Zusammenschluss der Schamberg
groen Schamlippen (Mons pubis)
(Commissura groe Schamlippe
labiorum anterior) (Labium majus
Kitzlervorhaut pudendi)
(Preputium clitoris) kleine Schamlippe
Kitzler (Labium minus pudendi)
(Clitoris) Scheidenvorhof
uere Harnrhrenffnung (Vestibulum vaginae)
(Ostium urethrae externum)
Scheideneingang hinterer Zusammen-
(Ostium vaginae) schluss der groen
Reste des Schamlippen
Jungfernhutchens (Commissura
(Carunculae hymenales) labiorum posterior)
Damm After
(Perineum) (Anus)

uere weibliche Geschlechtsorgane. Abb. 14.9


286 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Jungfernhutchen (Hymen) Merke


Der Hymen ist eine dnne Schleimhautplatte am
Scheideneingang und engt dessen ffnung ein. Die individuelle Entwicklung des Menschen
Er trennt mithin uere und innere weibliche beginnt mit der Befruchtung und endet mit
Geschlechtsorgane. Beim Kind stellt er einen dem Tod. Man unterscheidet die vorgeburt-
zustzlichen Infektionsschutz dar. Beim ersten liche (prnatale) und nachgeburtliche (post-
Geschlechtsverkehr wird das Jungfernhutchen natale) Entwicklung. Die menschlichen Ent-
zerstrt (= Defloration). Dieser Vorgang kann wicklungsperioden werden von biologischen,
schmerzhaft sein und zu einer geringfgigen psychischen und sozialen Faktoren beein-
Blutung fhren. flusst.

Geschlechtsverkehr (Coitus, Kohabitation, Bei-


14.3 Fortpflanzung und Individual- schlaf)
Der Geschlechtsverkehr ist normalerweise die
entwicklung des Menschen Voraussetzung fr die Befruchtung. Hierbei wird
bis zur Geburt (berblick) das mnnliche Glied (Penis) in die weibliche Schei-
de (Vagina) eingefhrt und die Samenflssigkeit
Fortpflanzung bedeutet Reproduktion artgleicher (Sperma, Ejakulat) entleert. Der Geschlechtsakt
Nachkommen, wobei die Erbinformationen von kann in 4 Phasen eingeteilt werden, die vom
den Eltern auf die Nachkommen bertragen wer- vegetativen Nervensystem gesteuert werden
den ( Kap. 2.5, ab S. 43). Der Mensch pflanzt ( Tab. 14.2 auf Seite 288).
sich geschlechtlich (sexuell) fort, d. h. mit Hilfe
von Geschlechtszellen. Weg der Eizelle
In einem Eierstock eines Mdchens befinden
Die Individualentwicklung (Ontogenese) des sich bereits bei der Geburt ca. 200.000 Ureizel-
Menschen lt sich in 4 Entwicklungsperioden len, eingeschlossen von sog. Follikelzellen
gliedern ( Tab 14.1).

Tab. 14.1 Entwicklungsperioden der Individualentwicklung.


Entwicklungsperiode wichtige Wachstums- und Entwicklungsprozesse (bzw. Merkmale)

1. Befruchtung Furchung (Blastogenese)


Embryonal-/ und Keimbltterbildung (Gastrulation)
Fetalentwicklung Bildung der Organanlagen und Organe (Organogenese)
Diese Periode ist durch ein intensives Zellteilungswachstum und
vielfltige Zelldifferenzierungen gekennzeichnet.

2. Suglings-, Wachstum und weitere Organausbildung, insbesondere der


Kindes- und Geschlechtsorgane und sekundren Geschlechtsmerkmale
Jugendentwicklung In dieser Periode wird die Fortpflanzungsfhigkeit erreicht und das
Wachstum abgeschlossen.

3. Erwachsenenstadium Zellen, Gewebe und Organe sind voll leistungsfhig


(adulte Periode) Bildung und Reifung der Geschlechtszellen
Fortpflanzung
Hier erreicht der Mensch seine optimale krperliche und geistige
Leistungsfhigkeit.

4. Altern (Seneszenz) Abbauprozesse, Gewebsrckbildung


Tod Nachlassen der Stoffwechselintensitt
In der 4. Periode kommt es zum Nachlassen der Leistungsfhigkeit.
Die Individualentwicklung endet mit dem Tod.
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 287

Befruchtung 22 Autochromosomenpaare + X, X = weiblich


oder
haploide Samenzelle 22 Autochromosomenpaare + X, Y = mnnlich

haploide  und  Vorkerne ver- Beginn der Zellteilung


Eizelle schmelzen zu diploider Zygote

Eileiter
(Tuba uterina)

Eileiter
(Tuba uterina)

Eierstock
(Ovarium)

Eierstock
(Ovarium)
Gebrmutter
Scheide (Uterus)
(Vagina)
uerer Muttermund
(Ostium externum uteri)
Eizelle
Kopf mit Kopfkappe
(Akrosom)
Hals mit Zentriol
Mittelstck mit Mitochondrien

Achsenfaden aus Mikrotubuli


Hllenzellen
Follikelflssigkeit
Eizelle
Schwanz
Follikelzellen

sprungreifer Follikel
(Tertirfollikel =
Graafscher Follikel)

Weg der Samen- und Eizelle zum Ort der Befruchtung. Abb. 14.10
288 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Tab. 14.2 Die vier Phasen des Geschlechtsaktes.


Phase Mann Frau
Erregungsphase Versteifung (Erektion) und Vergre- Erweiterung und Befeuchtung der
rung des Penis. Vagina.
Plateauphase Sekret der Cowperschen-Drsen wird Optimales Anschwellen der Schwell-
zur Neutralisierung von Harnresten in krper des Kitzlers (Clitoris).
die Harnrhre ausgestoen.
Orgasmusphase Ausstoen der Samenflssigkeit (= Eja- Entstehung der sog. orgastischen Man-
(= Hhepunkt des kulation) durch rhythmische Kontraktio- schette in der Vaginalwand; rhythmische
Geschlechtsver- nen der Beckenboden- und Samenleiter- Kontraktionen der Vaginal-, Uterus- und
kehrs) muskulatur. Beckenbodenmuskulatur.
Rckbildungs- Schwellkrper entleeren sich; Erschlaf- Schwellkrper entleeren sich; Muskel-
phase fung und Verkleinerung des Penis. tonus von Uterus, Vagina und Becken-
boden normalisieren sich.

(Eizelle plus Follikelzellen gleich Primordialfol- Merke


likel). Mit Beginn der Pubertt reift in jedem
Zyklus ein Follikel und wird sprungfhig. Beim Menschen bestimmen die Geschlechts-
chromosomen das Geschlecht. XX-Zygoten
Der sprungreife Follikel heit Tertir- oder ergeben weibliche und XY-Zygoten mnnli-
Graaf scher Follikel. che Individuen. Entscheidend fr das Ge-
schlecht des Kindes ist somit die Samenzelle.
Eisprung (= Follikelsprung = Ovulation)
Der reife Follikel erreicht einen Durchmesser
von 1 2 cm. Er reit schlielich ein. Eizelle

P Ursachen fr Unfruchtbarkeit knnen sein:
Beim Mann
und Hllzellen gelangen mit der Follikelflssig-
zu geringe Spermienzahl,
keit in den Eileiter. Der Eisprung erfolgt bei
missgebildete Spermien,
einem 28-tgigen Zyklus in der Regel zwischen
zu geringe Beweglichkeit der Spermien,
dem 12. und 15. Tag. In dieser Zeit ist eine Be-
nicht durchgngige Samenleiter;
fruchtung am wahrscheinlichsten. Die Eizelle ist
bei der Frau
nur 12 Stunden befruchtungsfhig.
Missbildungen der inneren Geschlechts-
Weg der Samenzellen (= Spermien) organe,
Beim Geschlechtsverkehr (Coitus) gelangen mit Funktionsstrungen der Eierstcke oder
der Samenflssigkeit ca. 200 bis 300 Mill. Samen- der Gebrmutter,
zellen vom Hoden ber Nebenhoden, Samenlei- nicht durchgngige Eileiter.
ter und Harnrhre in die Scheide. Von da aus
wandern sie aufgrund ihrer Eigenbeweglichkeit Furchung
ber die Gebrmutter ebenfalls in den Eileiter Unter Furchung versteht man die ersten mitoti-
(Zeitdauer: 45 60 Min.). Die Samenzellen sind schen Zellteilungen der Zygote auf ihrem Weg
hchstens 72 Stunden befruchtungsfhig. durch den Eileiter in die Gebrmutter. Sie be-
ginnt ca. 30 Stunden nach der Befruchtung. Nach
Befruchtung (Fertilisation) ca. 72 Stunden ist die Gebrmutter erreicht und
Unter Befruchtung versteht man die Verschmel- ein stecknadelkopfgroer Zellhaufen aus 32 Zel-
zung einer haploiden Samenzelle mit einer len entstanden die Morula (= maulbeerfrmiger
haploiden Eizelle zu einer diploiden Zygote Keim). Anschlieend bildet sich durch Verlage-
= befruchtete Eizelle). Die Zygote ist die erste rung der Zellen aus der Morula die Blastozyste
Krperzelle des neuen Organismus. Die Be- (= blschenfrmiger Keim). Die Zellen werden nun-
fruchtung findet in der Regel im Eileiter statt. mehr als Blastomeren bezeichnet. In Abb. 14.11
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 289

2-Zellen-Stadium
Gebrmutterschleimhaut
(Endometrium)

Einnistung (Nidation)
4-Zellen-Stadium
innere Blastomeren



8-Zellen-Stadium Blastozystenhhle

uere Blastomeren

Morula Blastozyste

Die Stadien der Furchung. Abb. 14.11

sind die Teile der Blastozyste zu erkennen:


P Bereits 1 Woche nach der Befruchtung kann
innen die Blastozystenhhle mit Flssigkeit, das Choriongonadotropin im Blut bzw. Urin
die ueren Blastomeren als einschichtige nachgewiesen und eine Schwangerschaft fest-
Hlle und gestellt werden (immunologischer Schwanger-
die inneren Blastomeren als kleiner Zellhaufen. schaftstest).

Merke Keimblattbildung (= Gastrulation)


Nach der Nidation der Blastozyste differenzieren
Aus den ueren Blastomeren entwickelt sich sich die Zellen des Embryoblasten in 3 Schichten
der Trophoblast, der sich mit Teilen der Gebr- (Keimbltter): Ektoderm (= ueres Keimblatt),
mutterschleimhaut zum Mutterkuchen (Pla- das auch das Amnion bildet, Mesoderm (= mitt-
centa) umbildet, und aus den inneren der leres Keimblatt), Entoderm (= inneres Keimblatt).
Embryoblast, aus dem die eigentliche Keim-
und Fruchtanlage entsteht.
Furchung. Tab. 14.3
Einnistung (Nidation)
Zygote
Im zuvor beschriebenen Entwicklungszustand
beginnt in der 2. Entwicklungswoche die Ein-
nistung in die jetzt besonders aufnahmebereite Furchung
Gebrmutterschleimhaut. Die Blastozyste dringt
in die Schleimhaut ein und verwchst mit ihr. Morula
Dies geschieht mithilfe von Enzymen der
Trophoblastzellen.
Zellumlagerung
Schon zu diesem Zeitpunkt produziert der
Trophoblast auch das Schwangerschaftshormon
Choriongonadotropin (HCG), das den Gelb- Blastozyste
krper zur weiteren Progesteronsynthese anregt.
Das Progesteron verhindert den Abbau der innere Blastomeren uere Blastomeren
Gebrmutterschleimhaut ( S. 305).
Embryoblast Trophoblast
290 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Tab. 14.4 berblick ber wichtige Phasen der Embryonalentwicklung.


Monat Lnge Masse Merkmale Bemerkungen
(in cm) (in g)

1. 0,5 Typische Krpergliederung; Anlagen fr Nerven- Keimling


system, Augen, Ohren; einfacher Blutkreislauf. (= Embryo).

2. 2 1 Knorpelskelett.

3. 9 35 Alle Organanlagen, Geschlecht feststellbar. Von nun an heit


der Keimling Fetus.

4./5. 25 500 Beginn der Verkncherung, Lanugobehaarung, Mutter sprt


Herzschlag hrbar. Bewegungen.

6. Zahnanlagen, ffnen der Augen.

7. 40 1.300 Alle Organe ausgebildet. Frhgeburt


eingeschrnkte
Leistungsfhigkeit.

8. 50 3.000 Starke Massenzunahme. Reifezeichen


3.500 vollstndig.

Organbildung normalerweise im oberen Teil der Uterushhle


Aus den Keimblttern bilden sich durch weitere an der Vorder- oder Hinterseite. Die ca. 50 cm
Zellverlagerungen und Zelldifferenzierungen die lange Nabelschnur verbindet Placenta und Kind.
einzelnen Organanlagen fr die spteren Organe. Sie enthlt 3 Blutgefe: 1 Nabelvene (V. umbi-
licalis) leitet das Blut von der Placenta zum Kind,

P In den ersten drei Schwangerschaftsmonaten und 2 Nabelarterien (Aa. umbilicales) leiten das
ist der Embryo aufgrund der Organbildung be- Blut vom Kind zur Placenta zurck.
sonders stark gefhrdet. Schdigende Einflsse Eine Vermischung von kindlichem und mtter-
ben z. B. bestimmte Medikamente, Viren, lichem Blut findet nicht statt.
radioaktive Strahlen, Rntgenstrahlen, Alkohol
und Nikotin aus.
P Medikamente, Alkohol, Nikotin, Drogen,
Toxine, Viren und Bakterien knnen die Pla-
In der Tabelle 14.4 sind die wichtigsten Merk- centaschranke berwinden und dem Embryo
male der einzelnen Entwicklungsphasen zusam- schwerwiegende Schden zufgen.
mengestellt.
Merke
Versorgung des Keimlings
Unmittelbar nach der Einnistung wird der Keim- Neben der Versorgung des Kindes mit allen
ling mit Stoffen aus dem mtterlichen Gewebe lebensnotwendigen Stoffen und der Entsor-
zunchst ber den Trophoblasten versorgt. Nach gung von Stoffwechselprodukten sichert die
Bildung der Placenta (Mutterkuchen, Nachge- Placenta durch die Produktion von Hormo-
burt) bernimmt diese die Ver- und Entsorgung. nen (Choriongonadotropin = HCG und Pla-
Die scheibenfrmige Placenta (Durchmesser = centalaktogen = HPL als schwangerschaftsspe-
15 20 cm, Masse = ca. 500 g) besteht aus zifische Hormone; strogene, Progesteron)
einem mtterlichen Anteil (stammt von der und Enzymen den Erhalt der Schwanger-
Gebrmutterschleimhaut) und einem kindlichen schaft.
Anteil (stammt vom Trophoblasten). Sie sitzt
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 291

Vor Abtrennung der Nabelschnur Nach Abtrennung der Nabelschnur

Aortenbogen
(Arcus aortae)
Ductus arteriosus
Lig. arteriosum
(vormals Ductus arteriosus)
rechter Vorhof linker Vorhof
(Atrium dextrum)
(Atrium sinistrum)

offen ovales Loch geschlossen


Ductus venosus (Foramen ovale)

Bauchaorta
(Pars abdominalis
aortae)
Leber
(Hepar)

Lig. venosum
(vormals Ductus
venosus)
Navelvene
(V. umbilicalis) untere
Hohlvene
(V. cava inferior)
Nabel
(Umbilicus)

Nabelschnur
(Chorda umbilicalis)
Mutterkuchen Gebrmutter
(Placenta) (Uterus)

Fruchtblase mit Fruchtwasser


Gebrmutterschleimhaut
(Endometrium)
Scheide
O2-reiches Blut (Vagina)
O2-armes Blut
Mischblut

Der Blutkreislauf des Keimlings (Fetalkreislauf). Abb. 14.12


292 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Der Blutkreislauf des Keimlings (Fetalkreislauf)


P Nicht selten wird das Foramen ovale, also
In der 2. Schwangerschaftshlfte bildet sich der die ffnung im Vorhofseptum, nicht vollstn-
Kreislauf des Fetus heraus. Seine Besonderheit dig geschlossen. Bei nur geringer Restffnung
besteht darin, dass mit Ausnahme der Nabel- ergeben sich kaum nachteilige Folgen; bei voll-
schnurvene alle anderen Gefe Mischblut fh- stndig persistierender ffnung muss diese
ren. Der Stoffaustausch erfolgt in der Placenta, operativ geschlossen werden.
in der mtterlicher und fetaler Kreislauf vllig
getrennt sind. Das Blut des Keimlings wird
durch die Arbeit seines Herzens bewegt. Schutz des Keimlings
Der Keimling wird durch das Fruchtwasser und
die aus den Eihllen bestehenden Fruchthllen
Merke
wirksam geschtzt. Bereits 6 Wochen nach der
Die Nabelschnur enthlt 3 Gefe: Befruchtung schwimmt der Embryo im Frucht-
1 Nabelschnurvene, die das sauerstoff- und wasser der Amnionhhle, die spter zur Frucht-
nhrstoffreiche Blut von der Placenta in blase wird.
den Keimling leitet;
2 Nabelschnurarterien, die das verbrauchte Merke
Blut aus dem Keimling in die Placenta zu-
rckfhren. In Flssigkeiten breitet sich der Druck
Der fetale Kreislauf ist gekennzeichnet durch gleichmig nach allen Seiten aus, sodass ein
3 physiologische Shunts (Kurzschlussver- optimaler Schutz des Kindes vor allem vor
bindungen) Druck besteht. Gleichzeitig schtzt das
Umgehung der Leber: Ductus venosus Fruchtwasser vor Temperaturvernderungen
Arantii (zwischen Nabelvene- und unterer und ueren Einflssen.
Hohlvene);
Umgehung der Lunge:
Foramen ovale (im Vorhofseptum); Das Fruchtwasser wird stndig von den
Ductus arteriosus Botalli (zwischen Trun- Epithelzellen der Fruchthhlen produziert und
cus pulmonalis und Aorta). auch wieder resorbiert, es wird also laufend
erneuert. Dabei halten sich Produktion und
Resorption im Gleichgewicht. In der spten
Schwangerschaft betrgt die normale Menge
Durch diese Umgehungen gelangt in Lunge und
ca. 1 Liter.
Leber relativ wenig Blut. Dies ist aber ausrei-
chend, da durch die fehlende uere Atmung und
Geburt
die von der Mutter fertig aufbereiteten Nhr-
Die Schwangerschaft des Menschen dauert
stoffe beide Organe ihre volle Funktion noch
ca. 40 Wochen (280 Tage). Der voraussichtliche
nicht erfllen mssen. Kurz nach der Geburt
Geburtstermin wird wie folgt bestimmt:
werden die Shunts geschlossen.
1. Tag der letzten Regelblutung minus 3 Monate
plus 7 Tage plus 1 Jahr.
Umbildungen im Kreislauf nach der Geburt
Beim ersten Atemzug des Neugeborenen vollzie-
Beispiel:
hen sich folgende Umbildungen:
1. Tag der letzten Regel = 1. 3. minus
Durch Entfaltung der Lungen wird das Blut
3 Monate plus 7 Tage plus 1 Jahr ergibt den
aus dem Truncus pulmonalis angesaugt,
8. 12. als voraussichtlichen Geburtstermin.
durchstrmt die Lungen und fliet ber die
Lungenvenen in den linken Vorhof.
Der im linken Vorhof entstehende Druck Geburtsverlauf
schliet das Foramen ovale. Der Verlauf der normalen Geburt wird in
Nabelschnurgefe, Ductus arteriosus und 3 Perioden eingeteilt.
Ductus venosus verden in den ersten Lebens- Erffnungsperiode
monaten zu bindegewebigen Strngen. Beginnt mit der regelmigen Wehenttigkeit
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 293

und endet mit der vollstndigen Erffnung des erffnet ist und endet mit der Geburt des Kindes.
Muttermundes und normalerweise dem Plat- Dauer bei Erstgebrenden: ca. 30 Minuten.
zen der Fruchtblase. Der Kopf des Kindes Nachgeburtsperiode
hat sich bis zum Beckenboden geschoben. Das ist der Zeitraum von der Geburt des Kindes
Dauer bei Erstgebrenden: ca. 12 Stunden. bis zum Abstoen der Placenta (= Nachge-
Austreibungsperiode burt). Der Geburtsvorgang ist damit beendet.
Sie beginnt, wenn der Muttermund vollstndig Dauer: 15 20 Minuten.

Placenta
Nabelschnur
Muttermund

Erffnungsperiode
regelmige
Wehenttigkeit
ffnung des
Muttermundes
Platzen der Fruchtblase

Austreibungsperiode
vollstndige ffnung
des Muttermundes
Geburt des Kindes

Nachgeburtsperiode
Abstoen der Placenta

Die drei Perioden des Geburtsverlaufes. Abb. 14.13


294 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)

Fragen zur Wiederholung

1. Geben Sie einen berblick ber die mnnlichen Geschlechtsorgane und deren Lage.
2. Welche Aufgaben erfllen die inneren mnnlichen Genitalorgane?
3. Wie ist das Sperma zusammengesetzt?
4. Beschreiben Sie den Weg der Spermien vom Bildungsort zum Ort der Befruchtung.
5. Geben Sie einen berblick ber die weiblichen Geschlechtsorgane und deren Lage.
6. Beschreiben Sie die Follikelreifung im Eierstock.
7. Welche Aufgabe hat der Eileiter, und wie erfllt er sie?
8. Beschreiben Sie den Aufbau des Uterus.
9. Was bedeutet der Begriff Adnexe?
10. Begrnden Sie, warum eine gesunde Scheidenflora der wichtigste Schutz gegen
Infektionen der inneren weiblichen Geschlechtsorgane ist.
11. Was versteht man unter dem Scheidenvorhof?
Welche Gebilde liegen in ihm?
12. Nennen und beschreiben Sie die Entwicklungsperioden in der menschlichen Individual-
entwicklung.
13. Was versteht man unter der Befruchtung, und welches sind die wichtigsten Ergebnisse?
14. Was geschieht whrend der Furchung?
15. Unterscheiden Sie Trophoblast und Embryoblast.
16. Was versteht man unter Nidation?
17. Wie erfolgen Versorgung und Schutz des Embryos bzw. des Fetus?
18. Welche Besonderheiten kennzeichnen den fetalen Kreislauf, und welche Umstellungen
vollziehen sich nach der Geburt?
19. berlegen Sie, welche Folgen ein sich nicht schlieendes Foramen ovale fr den Organis-
mus hat.
20. Wie wird der Geburtstermin bestimmt?
21. In welche Perioden wird der Geburtsverlauf eingeteilt, und wodurch sind diese gekenn-
zeichnet?
295

15 Hormonsystem (Endokrines System)

Hormonsystem und Nervensystem koordinieren Hormone


im engen Zusammenwirken alle Organfunk- Die Hormone gehren wie die Vitamine und
tionen. Sie werden deshalb auch als Koordina- Enzyme zu den Wirkstoffen. Diese meist organi-
tionssysteme bezeichnet. Dementsprechend wer- schen Verbindungen besitzen eine hohe und spe-
den hormonelles und nervales Regulations- zifische biologische Wirkung, d. h., geringste
system unterschieden. Mengen lsen bereits spezifische biologische
Beide Systeme beeinflussen sich wechselseitig. Reaktionen aus. Die Hormone sind chemische
So knnen Aktionspotentiale Hormonfreiset- Signal- und Regulatorstoffe. Sie werden deshalb
zung und umgekehrt Hormone Aktionspotential- in treffender Weise als Botenstoffe bezeichnet.
bildung bewirken. Vorrangig hormonell reguliert
werden langsam ablaufende Lebensprozesse Merke
(z. B. Wachstums- und Entwicklungsprozesse, Hormone sind biochemische Regulatorstoffe.
Energiestoffwechsel). Vorrangig nerval reguliert Sie werden entweder in Hormondrsen oder
werden Lebensprozesse, die schnell ablaufen zerstreut verteilten endokrinen Zellen gebil-
mssen (z. B. Pupillenadaptation, Anpassung der det und gelangen meist mit dem Blutstrom zu
Herzfrequenz). ihren Erfolgsorganen.

15.1 Regulationsfunktionen der Einteilung


Hormone Wegen der flieenden bergnge von Hormonen
und hormonhnlichen Stoffen ist es zweck-
Das Hormonsystem reguliert durch Hormone: mig, diesbezglich von 4 Stoffklassen zu spre-
die Nahrungsaufnahme, chen:
den Stoffwechsel, 1. Glandulre Hormone (= Drsenhormone)
die Homostase des inneren Milieus (z. B. Die Bildung erfolgt in Drsen. Die Hormone
Wasser-Salz-Haushalt, Sure-Basen-Haushalt, diffundieren ber die interstitielle Flssigkeit in
Kreislauf, Wrmehaushalt), das Blut oder die Lymphe. Mit dem Blutstrom
das Wachstum sowie die krperliche, sexuelle werden sie rasch im Krper verteilt (Fern-
und geistige Entwicklung, wirkung) und erreichen so ihren Wirkungsort
die Leistungsanpassung (z. B. Blutdruck), entweder eine untergeordnete endokrine
die Fortpflanzungsmechanismen (Bildung und Drse oder nichtendokrine Zellen ( Tab 15.1).
Reifung der Samen- und Eizellen, Schwanger-
schaft, Geburt). Merke

Merke
Die glandulren Hormone werden in Drsen
gebildet und gelangen durch den Blutkreis-
Das Hormonsystem realisiert seine Funktion lauf zum Wirkungsort. Bildungs- und Wir-
mithilfe von Hormonen (= Inkrete). kungsort liegen meist weit entfernt.

Die Hormon- oder endokrinen Drsen sind 2. Aglandulre Hormone (Gewebshormone)


eigenstndige Organe (z. B. Schilddrse), die im Diese Hormone werden nicht in Drsen, son-
Unterschied zu den exokrinen Drsen keinen dern in spezialisierten Zellgruppen bestimmter
Ausfhrgang besitzen ( S. 87). anderer Gewebe bzw. Organe gebildet, daher
Ansammlungen hormonbildender Zellen sind der Name Gewebshormon. Meist gelangen
z. B. die Langerhansschen Inseln des Pankreas sie durch Diffusion ber die interstitielle
und die Leydigschen Zwischenzellen in den Flssigkeit zum Erfolgsorgan, in einigen
Hoden. Fllen aber auch ber den Blutweg.
296 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Tab. 15.1 Glandulre Hormone. 4. Mediatorstoffe (Mediatoren, Ver-


mittler)
Hormon Bildungsort Diese Wirkstoffe werden in vielen
Thyroxin, Trijodthyronin, Zellen (hufig bei Erkrankungen
Calcitonin Schildrse wie Allergien, Entzndungen) ge-
bildet. Sie diffundieren nur inner-
Parathormon (= Parathyrin) Nebenschilddrse
halb des Gewebes, wirken also
Aldosteron, Cortisol Nebennierenrinde (NNR) lokal. Typische Mediatorstoffe sind
Adrenalin, Noradrenalin Nebennierenmark (NNM) Histamin, Serotonin und die Prosta-
glandine.
strogene, Progesteron Eierstcke
Testosteron Hoden Die Zuordnung von Wirkstoffen ist
Insulin, Glukagon Bauchspeicheldrse manchmal schwierig. So sind Adre-
nalin und Noradrenalin einerseits
glandulre Hormone, wenn sie vom
Merke Nebennierenmark an das Blut abgegeben werden
Die aglandulren Hormone wirken in der ( S. 368). Sie gelten aber auch als neurosekre-
Regel in unmittelbarer Nhe ihrer Bildungs- torische Hormone (Neurotransmitter, chemische
stellen, also lokal (Nahwirkung). Zu den bertrgerstoffe).
aglandulren Hormonen gehren die Hormone
Merke
des Magen-Darm-Traktes (z. B. Gastrin) und
der Niere (Renin, Erythropoetin). Bei der Einteilung der biochemischen Regu-
latorstoffe ist es wegen der flieenden ber-
3. Neurosekretorische Hormone gnge zweckmig, glandulre, aglandulre
Diese Hormone werden in Nervenzellen ge- und neurosekretorische Hormone einerseits
bildet (Neurosekretion) und gelangen ber die und Mediatorstoffe andererseits zu unter-
Blutbahn zum Erfolgsorgan. Zu ihnen gehren scheiden.
die Hormone des Hypothalamus: Releasing- Alle schlecht wasserlslichen Steroidhormone,
und Inhibitinghormone, Oxytocin und Adi- aber auch verschiedene wasserlsliche Hormone
uretin. werden im Blut an zum Teil spezifische
Transportproteine
Tab. 15.2 Chemische Struktur der Hormone. gebunden und so
zu ihrem Zielort
Hormongruppen transportiert.
Beispiel:
Transcortin fr Cor-
Hauptgruppen kleine Gruppen tisol und Progeste-
ron, Sexualhormon-
Hormone, die Bindungs-Globulin
Steroidhormone Peptid- und sich von einer fr Testosteron und
Glykoproteinhormone Aminosure die strogene,
ableiten thyroxinbindendes
leiten sich vom aus Aminosuren Vertreter Globulin (TBG)
Cholesterol ab aufgebaut Adrenalin fr Thyroxin.
fettlslich wasserlslich Noradrenalin
(lipophil) (hydrophil) Thyroxin
Trijodthyronin Die meisten Hor-
Vertreter Vertreter mone gehren zu
Aldosteron alle Hormone mit den Peptiden bzw.
Cortisol Ausnahme der
Testosteron Steroidhormone Proteinen sowie
strogene und Hormone den Steroiden.
Progesteron der kleinen Gruppe
15.1 Regulationsfunktionen der Hormone 297

Hormonales Hierarchie der Hormone. Tab. 15.3


Regulationssystem
Das hormonale Regulations-
bergeordnete Zentren des ZNS
system besteht aus folgenden
Hauptteilen:
Hormonproduzierende Zellen
(Bildungsort des Hormons),
+
Blut als Transportmittel,
Erfolgsorgan (Wirkungsort
Hypothalamus
des Hormons),
Organe, in denen ber-
schssige Hormone inakti- Releasinghormone Inhibitinghormone

negative Rckkopplung
viert und eliminiert werden. +
Auf diese Weise werden zu
hohe Hormonspiegel ver- Hypophysenvorderlappen
hindert.
Die meisten Hormone wer- glandotrope Hormone
den in der Leber inaktiviert +
und die Abbauprodukte ber
die Niere ausgeschieden.
periphere endokrine Drse
Biologischer Regelkreis
als Regulator der
Hormonproduktion effektorische Hormone
Die Hormonkonzentrationen
im Blutplasma werden in vie-
len Fllen nach dem Prinzip + = frdern
Erfolgsorgan
der negativen Rckkopplung = hemmen
konstant gehalten: Ein Anstieg
der Hormonkonzentration im
Plasma wirkt hemmend auf seine Freisetzung, ein anderes Molekl oder Ion (= Ligand, Agonist)
ein Abfall dagegen frdernd. mit Reiz- bzw. Signalwirkung ist.
In dem das Hormon mit dem Rezeptor reagiert,
Hormonrezeptoren und Erfolgsorgane werden bestimmte Effekte (z. B. die Synthese
Hormonrezeptoren gehren zu den molekularen eines Enzymeiweies) ausgelst. Den Mechanis-
Rezeptoren (biochemische Definition). Auf mus kann man sich als Schlssel(Ligand)-
molekularer Ebene versteht man unter einem Schloss-(Rezeptor)-Prinzip vorstellen. Stoffe,
Rezeptor ein Molekl (meist sind es Glykolipide die die molekularen Rezeptoren hemmen bzw.
oder Glykoproteine), das Reaktionspartner fr blockieren, werden als Antagonisten bezeichnet.

Merke
Tab. 15.4 Schlssel-Schloss-Prinzip.
Die Rezeptoren fr Hormone sind
spezifische Molekle, die die Hor-
Ligand, Agonist
mone binden und dadurch ihre
Schlssel (z. B. Hormon,
Bakterientoxin, Wirkung vermitteln.
Effekt
Opiat, Antigen)
(z. B. Synthese Die Rezeptoren fr die wasserlsli-
eines bestimmten
Enzymeiweies) chen Hormone befinden sich auf der
Zellmembran, jene fr die Steroid-
Rezeptor
Schloss hormone sitzen am Zellkern oder
(Glykolipid,
Glykoprotein) anderen Zellorganellen, also innerhalb
der Zellen.
298 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Wirkungsweise der Hormone 15.2 Hormongruppen


Jedes Hormon hat spezifische chemische Wir-
kungen (d. h., es beeinflusst ganz bestimmte Bezglich ihrer Funktionsweise lassen sich
chemische Vorgnge), die in der Regel durch 3 Hormongruppen unterscheiden ( Tab 15.3):
keinen anderen chemischen Stoff hervorgerufen Releasinghormone und Inhibitinghormone
werden knnen. Sie werden in der hypophysiotropen Zone
Man unterscheidet 2 Primrreaktionen: des Hypothalamus gebildet und regulieren
1. Die Steroid- und Schilddrsenhormone diffun- die Bildung und Freisetzung der Hormone
dieren durch die Zellmembran in die Zelle und des Hypophysenvorderlappens.
binden sich an einen intrazellulren Rezeptor. Glandotrope Hormone
Anschlieend wird der Hormon-Rezeptor- Sie werden im Hypophysenvorderlappen ge-
Komplex in den Zellkern transportiert und die bildet und regulieren die Ttigkeit von Schild-
Transkription beeinflusst ( S. 47). drse, Nebennieren und Keimdrsen.
Effektorische Hormone
Merke Das sind alle Hormone, die unabhngig von
Hormone, die in die Zellen eindringen, wir- ihrem Bildungsort unmittelbar auf das Er-
ken hauptschlich durch die Kontrolle der folgsorgan wirken.
Genaktivitt.

2. Alle brigen Hormone verbinden sich mit 15.2.1 Hormone des Hypothalamus und der
einem Zellmembranrezeptor. Dadurch bewir- Hypophyse
ken sie die Bildung eines 2. Boten (second In Kerngebieten des Hypothalamus liegen die
messenger) in der Zelle, der dann die typische bergeordneten vegetativen Zentren. Von hier
Wirkung vermittelt. Dieser 2. Bote ist hu- werden sowohl die Aktivitten des vegetativen
fig das cyclische Adenosinmonophosphat Nervensystems als auch die Bildung und
(cAMP). Freisetzung der Hypophysenhormone gesteuert.
Merke Hormone des Hypothalamus
Die meisten Peptid- und Glykoprotein- Releasing- und Inhibitinghormone
hormone sowie Aminosureabkmmlinge Im Hypothalamus werden Releasinghormone,
(kleine Gruppe, Tab. 15.2) knnen die Inhibitinghormone und effektorische Hormone
Zellmembran nicht passieren und wirken des- gebildet.
halb ber einen 2. Boten. Die Wirkungen der 1. Releasinghormone (= Liberine):
Hormone beruht im Wesentlichen auf der Sie steuern die Bildung und Freisetzung der
Beeinflussung von Enzymen in den Zellen 4 glandotropen1) Hormone (thyreotropes Hor-
der Erfolgsorgane. mon, luteinisierendes Hormon, follikelstimu-
Dabei gibt es drei Mglichkeiten: lierendes Hormon, adrenocorticotropes Hor-
1. Aktivierung oder Hemmung vorhandener mon) sowie der 3 effektorischen Hormone des
Enzyme, Hypophysenvorderlappens (Wachstumshormon,
2. Steigerung der Enzymsynthese ber eine Prolactin, melanocytenstimulierendes Hormon).
Genaktivierung, 2. Inhibitinghormone (= Statine):
3. Vernderung der Zellmembranaktivitt Sie hemmen die Freisetzung der 3 effektori-
und damit Einflussnahme auf die Substrat- schen Hormone des Hypophysenvorderlappens
bereitstellung. (Wachstumshormon, Prolactin, melanocyten-
stimulierendes Hormon).
Merke
Wachstumshormon, Prolactin und melano-
cytenstimulierendes Hormon werden sowohl
von Releasing- als auch von Inhibitinghormo-
1) auf eine periphere Hormondrse einwirkend nen gesteuert.
15.2 Hormongruppen 299

3. Effektorische Hormone: Releasing- und Inhibitinghormone des


Es handelt sich um Hypothalamus und Hypophysenvorderlappenhormone. Tab. 15.5
2 Hormone. Sie werden
Releasinghormone (Liberine) Hormone des Hypophysenvorderlappens,
nach ihrer Bildung auf deren Bildung und Freisetzung von den
dem Nervenweg in den Releasinghormonen gesteuert werden
Hypophysenhinterlappen Kurzbez. ausfhrliche Bez. Kurzbez. ausfhrliche Bez.
transportiert, dort gespei- TRH Thyreotropin- TSH thyreotropes Hormon
chert und bei Bedarf an Releasinghormon
das Blut abgegeben. CRH Corticotropin- ACTH adrenocorticotropes
a) Adiuretin, antidiuretisches Releasinghormon Hormon
Hormon (ADH) oder GnRH Gonadoliberin FSH und follikelstimulierendes
Vasopressin: LH Hormon
Das ADH erhht die luteinisierendes
Wasserresorption aus den Hormon
distalen Tubuli der Nie- GH-RH Somatoliberin STH Wachstumshormon
ren in das Blut und ver- PRH Prolactoliberin PRL Prolactin
mindert damit die Harn- MRH Melanoliberin MSH Melanotropin
menge; es ist also an der
Inhibitinghormone (Statine) Hormone des Hypophysenvorderlappens,
Aufrechterhaltung der deren Bildung und Freisetzung von den
Isotonie beteiligt ( Inhibitinghormonen gehemmt werden
S. 273). GH-IH Somatostatin STH Wachstumshormon
b) Oxytocin. Das Oxytocin
PIH Prolactostatin PRL Prolactin
erhht die Spannung der
glatten Muskulatur. MIH Melanostatin MSH Melanotropin
Durch dieses Hormon
wird die Geburt eingeleitet (deshalb der 15.2.2 Hormone des Hypophysenvorderlappens
Name Wehenhormon). Nach der Geburt be-
wirkt es die Kontraktion der Milchgnge, so- Im Hypophysenvorderlappen werden glando-
dass die Milchejektion zustande kommt. trope und effektorische Hormone gebildet.

Hormone der Hypophyse 1. Glandotrope Hormone


Die Hypophyse ist ein kleines, bohnenfrmiges Gemeinsam mit den Releasinghormonen wird
Organ. nach dem Regelkreisprinzip gewhrleistet, dass
Masse: 0,5 bis 1 Gramm, die abzugebende Hormonmenge der Schild-
Lage: Trkensattel des Keilbeins, drse, Nebennieren und Keimdrsen den diffe-
Bau: Die Hypophyse besteht aus: renzierten Erfordernissen angepasst wird.
einem Vorderlappen (= Adenohypo- Thyrotropin thyreotropes Hormon (TSH).
physe). Dieser wird von Drsenge- Stimuliert das Wachstum der Schilddrse und
webe gebildet; reguliert die Freisetzung von Thyroxin und
einem Hinterlappen (= Neurohypo- Trijodthyronin.
physe). Er enthlt spezifische Neu- Corticotropin adrenocorticotropes Hormon
roglia und markscheidenlose Ner- (ACTH). Bewirkt das Wachstum der Neben-
venfasern. nierenrinde und reguliert die Bildung und
Durch den Hypophysenstiel (Infundibulum) ist Freisetzung der Glucocorticoide.
die Hypophyse mit dem Hypothalamus verbun- Follitropin follikelstimulierendes Hormon
den. Dieser ist ein Teil des Zwischenhirns ( S. (FSH) und luteinisierendes Hormon (LH).
341). Im Bereich des Infundibulums liegt das Beide Hormone werden auch als gonadotrope
hypophysre Pfortadersystem. ber diese Blut- Hormone bezeichnet. Sie regulieren die Ent-
gefe gelangen die im Hypothalamus gebilde- wicklung der Keimdrsen (Gonaden) sowie
ten Releasing- und Inhibitinghormone in den die Bildung und Freisetzung der Sexual-
Hypophysenvorderlappen. hormone (z. B. strogen, Progesteron,
Testosteron).
300 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Hemmung Hypothalamus
Hypophysen-
Releasinghormone stiel
Hypophysen-
Hypophysenvorderlappen hinterlappen
Hypophyse
glandotrope Hormone

TSH ACTH FSH LH


thyreotropes adrenocortico- follikelstimulie- luteinisierendes
Hormon tropes Hormon rendes Hormon Hormon

Schilddrse Nebennierenrinde Eierstcke

effektorische Hormone

Blut
Hormonkonzentration

Abb. 15.1 Funktion der Hypophyse.

2. Effektorische Hormone Melanotropin melanocytenstimulierendes


Somatotropin Wachstumshormon (STH). Hormon (MSH). Das MSH beeinflusst die
Wichtige Wirkungen sind die Frderung des Pigmentbildung in der Haut.
Lngenwachstums, die Anregung der Protein- Prolactin (PRL). Das Prolactin lst die Milch-
synthese und Steigerung der Fettoxidation produktion (= Laktation) nach der Geburt aus.
sowie die Beeinflussung des Blutzucker-
spiegels, indem es den Glucoseabbau hemmt. Epiphyse (Epiphysis cerebri) oder Zirbeldrse
(Glandula pinealis)

P STH-berschuss hat bei Kindern Riesen- Die 0,1 0,2 Gramm wiegende Drse liegt den
wuchs (Gigantismus) bis 2,50 Meter zur Folge. oberen Hgeln des Mittelhirns an. Sie bildet in
Im Erwachsenenalter entsteht die Akromegalie Abhngigkeit vom Lichtfaktor (mehr Licht
(Wachstum der gipfelnden Krperteile Nase, hemmt) das neurosekretorische Hormon Mela-
Kinn, Zunge, Hnde, Fe), da wegen der ge- tonin. Seine Wirkungen beim Menschen sind
schlossenen Epiphysenfugen ein Lngen- noch nicht geklrt.
wachstum nicht mehr mglich ist. STH-Mangel Geforscht wird nach folgenden Effekten:
Hemmung der Freisetzung von FSH und LH
fhrt zum hypophysren Zwergwuchs (Lilipu-
bis zur Pubertt und damit Verhinderung einer
tismus). Krperproportionen und Intelligenz vorzeitigen Geschlechtsreife.
sind normal entwickelt. Abstimmung von Krperfunktionen auf Tag-
und Nacht-Rhythmus.
15.3 Periphere Hormondrsen 301

15.3 Periphere Hormondrsen, die linken Lappen, die durch eine Brcke (Isthmus)
miteinander verbunden sind. Die beiden Schild-
durch die glandotropen drsenlappen liegen seitlich der Luftrhre und
Hormone gesteuert werden reichen nach oben bis zum Ringknorpel des
Kehlkopfes, nach hinten bis zur Speiserhre, der
Zu den Hormondrsen, die durch glandotrope Isthmus liegt der Trachea vorne auf.
Hormone gesteuert werden, gehren Schild-
drse, Nebennierenrinde und die Keimdrsen Auen befindet sich eine Bindegewebskapsel,
(Gonaden). von der kleine Septen in das Drsengewebe zie-
hen. Dadurch entstehen die Schilddrsen-
lppchen. Das Drsengewebe selbst besteht aus
kleinen Blschen, den Follikeln.
15.3.1 Schilddrse und die Hormone
Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) Die Hormone Thyroxin und Trijodthyronin wer-
den in den Follikelepithelzellen gebildet und in
Die Schilddrse ist die grte Hormondrse. Sie den Follikeln gespeichert.
hat eine Masse von 30 40 Gramm und liegt in Entscheidend fr die Wirkung ist ihr Jodgehalt.
der vorderen Halsregion vor der Luftrhre unter- Neben den Follikelzellen liegen C-Zellen, in
halb des Schildknorpels. Die Schilddrse (Glan- denen ein Hormon (Calcitonin) gebildet wird,
dula thyreoidea) besteht aus einem rechten und das den Calciumstoffwechsel mit reguliert.

von ventral von dorsal

Zungenbein Rachenwand
(Os hyoideum) von dorsal
Schildknorpel- rechter und linker
Zungenbein- Schilddrsenlappen
Membran
(Membrana thyrohyoidea) Nebenschilddrsen
Schildknorpel (Glandula parathyroidea)
(Cartilago thyroidea)

Speiserhre
rechter und linker
Schilddrsenlappen (sophagus)
Kolloid
Epithel Blutkapillaren
Schilddrsenenge
(Isthmus glandulae
thyroideae)
Luftrhre
(Trachea)

mikroskopische Struktur der


Schilddrse

C-Zellen Drsenfollikel lockeres


Bindegewebe

Schilddrse (Glandula thyroidea). Abb. 15.2


302 15 Hormonsystem (Endokrines System)


P Krankhafte Vergrerungen der Schilddrse hufiges Schwitzen,
(Struma) knnen Atem- und Schluckbeschwer- starkes Herzklopfen,
den hervorrufen. Eine Struma kann mit einer hervortretende Augpfel
ber-, Unter- oder normalen Hormonproduk- (Exophthalmus = Glotzauge) und
tion einhergehen. Abmagerung.
Darber hinaus gibt es noch andere Ursachen
Hauptschliche Wirkungen von T4 und T3 fr eine Hyperthyreose, z. B. hormonproduzie-
Die von den Follikelzellen produzierten Schild- rende Schilddrsentumoren.
drsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin
(T3) werden aus der Aminosure Tyrosin durch Schilddrsenunterfunktion (Hypothyreose)
Anreicherung von Jod gebildet. Der Zahl entspre- Ursachen knnen Jodmangel in der Nahrung,
chend enthlt Thyroxin (T4) vier und Trijodthyro- aber auch erblich bedingte Faktoren sein.
nin (T3) drei Jodatome. Thyroxin ist trotz seiner Kennzeichen bzw. Folgen sind u. a.
10fach hheren Konzentration im Blut biolo- niedriger Stoffumsatz,
gisch nicht so wirksam wie Trijodthyronin. Ein geistige und krperliche Trgheit,
Groteil von Thyroxin geht nach der Sekretion in niedriger Blutdruck,
Trijodthyronin ber. Beide wirken hauptschlich teigiges Aussehen der Haut (Myxdem).
auf den Stoffwechsel: Die Hormone stimu- Im Kindesalter kann es aufgrund des gehemm-
lieren vor allem den Energiestoffwechsel. Sie ten Stoffwechsels zur unproportionierten
sind gewissermaen das Gaspedal fr den Kleinwchsigkeit kommen. Meist ist dies mit
Stoffwechsel. geistiger Retardierung verbunden, weil auch
auf Wachstum und Entwicklung: T4 und T3 die Entwicklung des Nervensystems gestrt ist.
frdern die Eiweisynthese, das Lngen-
wachstum der Knochen und die Entwicklung
des Nervensystems.
15.3.2 Nebennieren und ihre Hormone

P Schilddrsenberfunktion (Hyperthyreose)
Ein TSH-hnlicher Stoff regt die Bildung von Die zusammen ca. 10 Gramm schweren paarigen
T4 und T3 wegen der nicht funktionierenden Nebennieren (Glandulae suprarenales) bestehen
negativen Rckkopplung ungehemmt an eigentlich aus 2 Organen, der dreischichtigen
(Basedow-Krankheit). Kennzeichen einer Nebennierenrinde und dem Nebennierenmark.
Schilddrsenberfunktion sind u. a. Bei den Wirbeltieren bilden sie ein kompaktes
erhhter Energieverbrauch, Organ.

Nebennierenkapsel Nebennierenrinde
(NNR)

uere Knuelzone
(Zona glomerulosa)
mittlere Zone, Bndelzone
Zentralvene (Zona fasciculata)
innere Zone, Netzzone
Nebennierenmark (Zona reticularis)
(NNM)

Abb. 15.3 Nebenniere.


15.3 Periphere Hormondrsen 303

Form und Lage Nebennierenmarkhormone


Die halbmondfrmigen Nebennieren liegen je- Im Nebennierenmark werden die Hormone
weils auf dem oberen Pol der Nieren und sind Adrenalin und Noradrenalin gebildet (geschieht
einerseits von deren Fettkapsel umgeben und auch in sympathischen Nervenendungen).
andererseits durch eine dnne Fettschicht von Beide Hormone gehren zu den Katecholaminen.
ihnen getrennt. Die Nebenniere (Glandula supra- Der Wirkungskomplex dieser Hormone (beson-
renalis) besteht aus der auen gelegenen Neben- ders Adrenalin) ergnzt die ergotropen Funk-
nierenrinde und dem innen liegenden Neben- tionen des Sympathicus (= sympathico-adrenales
nierenmark. System), damit erhht sich der Energieverbrauch
im Krper ( S. 368).
Nebennierenrinde und ihre Hormone Im Einzelnen tragen dazu folgende Wirkungen
Unter ACTH-Einfluss werden in den Schichten bei:
der Nebennierenrinde die folgenden Hormone Beeinflussung des Herz-Kreislauf-Systems
gebildet: Steigerung des Herzminutenvolumens,
1. Glucocorticoide (Corticosteron, Cortisol) Erhhung des peripheren Widerstandes
Sie beeinflussen den Kohlenhydratstoffwech- Blutdruckanstieg.
sel, indem sie die Glukoneogenese frdern Beeinflussung des Stoffwechsels durch Frde-
und den Glucoseabbau hemmen also blut- rung der Glykogenolyse und Lipolyse
zuckerspiegelsteigernd wirken. Erhhung des Blutzuckerspiegels.

P Wichtige therapeutische Effekte sind: Beispiel:


Entzndungshemmung Adrenalin bewirkt gleichzeitig eine Erweiterung
(indem sie die Lymphozytenbildung hemmen), (Vasodilatation) der Herzkranzgefe und Gefe
antiallergische Wirkung. der Skelettmuskulatur und Verengung (Vasokon-
Die berproduktion des Cortisols kann das so striktion) der Arteriolen im Verdauungssystem.
genannte Cushing-Syndrom zur Folge haben Die gegenstzliche Wirkung auf unterschiedliche
mit den typischen Zeichen: Stammfettsucht, Gefe beruht auf dem unterschiedlichen Besatz
Vollmondgesicht, Muskelschwund, Hypertonie mit verschiedenen Rezeptortypen.
und erhhter Blutzuckerspiegel.
Merke
2. Mineralcorticoide (wichtigstes = Aldosteron)
Die Katecholamine aus dem Nebennieren-
Das Aldosteron beeinflusst den Elektrolyt-
mark sind hauptschlich Stoffwechselhormone.
haushalt. Im Tubulusapparat der Nieren fr-
dert es die Rckresorption von Na+, zwangs-
weise muss passiv Wasser folgen. Stress
Das Plasmavolumen wird erhht und die Eine ganze Reihe von Reizen, wie starke Klte-
Urinmenge vermindert. Gleichzeitig werden und Hitzebelastung, Infektionen, Atemnot,
K+- und H+-Ausscheidung gefrdert, sodass Unterzuckerung, Operationen, Verletzungen,
der pH-Wert des Urins sinkt ( S. 274). rger, Leistungsdruck und auch Freude knnen
den Krper in einen sog. Stresszustand

P Eine aus unterschiedlichen Grnden hervor- (= Belastungs-, Spannungszustand) versetzen.


gerufene Unterfunktion der Nebennierenrinde, Deshalb nennt man solche Reize Stressoren.
bei der besonders ein Aldosteronmangel vor- In einem derartigen Zustand werden alle hormo-
herrscht, bezeichnet man als Addison'sche nellen und vegetativen Funktionen vom Hypo-
Krankheit. thalamus so gesteuert, dass es zu Alarmreak-
tionen der Krpers kommt.
Hormon wird gebildet in Dies sind Reaktionen, die ihn optimal auf eine
kurz andauernde krperliche Hochleistung ein-
Aldosteron Zona glomerulosa stellen. In einer solchen Situation kommt es ber
Cortisol und Zona fasciculata und eine erhhte Sympathicusaktivitt zur verstrk-
Corticosteron reticularis ten Ausschttung von Adrenalin und Noradrena-
Androgene Zona reticularis lin, die ihrerseits ACTH-Freisetzung und damit
304 15 Hormonsystem (Endokrines System)

auch die Glucocorticoide erhhen. Adrenalin, 15.3.3 Keimdrsen, Sexualhormone und


Noradrenalin und Glucocorticoide sorgen fr Menstruationszyklus
eine optimale Durchblutung jener Organe, die
fr eine krperliche Hchstleistung in erster Die zu den Steroiden gehrenden Sexualhormone
Linie verantwortlich sind, allerdings auf Kosten werden hauptschlich in den Keimdrsen
einer geringeren Durchblutung anderer nicht (Gonaden) gebildet und in 3 Gruppen eingeteilt:
unmittelbar beteiligter Organe.
Im Einzelnen sind es folgende Vorgnge, die Haupt- Bildungsort
eine Stresssituation kennzeichnen: vertreter
Erhhung des Herz- und Atemminutenvolu- strogene stradiol Ovar,
mens verbunden mit einer Erweiterung der Placenta, Hoden.
Bronchien,
optimale Durchblutung von Skelett- und Herz- Gestagene Progesteron Ovar, Placenta,
muskulatur sowie der Lunge bei gleichzeitiger Hoden.
Durchblutungsverminderung der inneren Or-
gane (z. B. Verdauungsorgane) und Haut, Androgene Testosteron Hoden, Ovar,
Frderung der Glucosebildung bei gleichzeiti- Nebennierenrinde.
ger Hemmung der Insulinfreisetzung und
dadurch Erhhung des Blutglucosespiegels,
vermehrte Schweisekretion, Hauptschliche Wirkungen
Pupillenerweiterung und schlielich Die Sexualhormone steuern
Herabsetzung der Schmerzschwelle. 1. die embryonale Geschlechtsdifferenzierung;

Folgt auf diese Alarmreaktionen wirklich die


P Strungen der Hormonproduktion im Embryo
krperliche Belastung, sind diese physiologisch knnen zu Pseudohermaphroditismus (Zwitter-
sinnvoll. Nur wenn solche Alarmreaktionen ber bildung) fhren.
einen lngeren Zeitraum immer und immer wie-
der vergeblich (also ohne unmittelbar folgende 2. die pubertre Entwicklung und die Ausbil-
krperliche Belastung) in Gang gesetzt werden, dung der sekundren Geschlechtsmerkmale.
knnen gesundheitliche Schden auftreten (sog. Dazu gehren:
negativer Stress). So begnstigt ein stndig zu Wachstum und Reifung der Geschlechts-
hoher Blutglucosespiegel die Entstehung einer organe bis zu ihrer Funktionstchtigkeit.
generalisierten Arteriosklerose und deren Folge- Ausbildung der Schambehaarung.
krankheiten. Herausbildung des typischen Krperbaus
mit der geschlechtsspezifischen Fettvertei-
Merke lung sowie Hft- und Schulterbreite.
Adrenalin, Noradrenalin und Glucocorticoide Ausbildung der weiblichen Brustdrsen;
werden auch als Stresshormone bezeichnet, 3. den zyklischen Auf- und Abbau der Uterus-
und man muss positiven und negativen schleimhaut;
Stress unterscheiden. 4. Schwangerschaft und Geburt;
5. bzw. beeinflussen das Sexualverhalten, z. B.
Entwicklung der Libido (= Bedrfnis
Zusammenwirken der den nach sexueller Bettigung);
Tab. 15.6 Menstruationszyklus steuernden Hormone. 6. das Knochenwachstum.
Releasinghormon Hypothalamus
P Bei Mangel an Sexualhormonen
negative kann durch ausbleibende Verknche-
Rck- FSH LH Hypophysen- rung der Epiphysenfugen ein hypogo-
kopplung vorderlappen nadaler Riesenwuchs auftreten, weil
das Wachstumshormon weiter wirkt.
strogen Progesteron Eierstock
15.3 Periphere Hormondrsen 305

Der Menstruationszyklus und seine hormonelle Merke


Steuerung
Der Menstruationszyklus beginnt mit dem l. Tag Die Proliferationsphase wird effektorisch
der Regelblutung und erstreckt sich regulr ber hauptschlich durch strogen gesteuert.
28 Tage ( 3 Tage). Parallel dazu sind die zykli-
schen Vorgnge im Eierstock und Uterus zu
P Die Bildung und Freisetzung des Releasing-
bercksichtigen. hormons wird nicht nur durch negative Rck-
kopplung gesteuert, sondern auch durch ber-
Ablauf des Menstruationszyklus, wenn keine geordnete Zentren im ZNS. Dadurch kann der
Befruchtung stattfindet Menstruationszyklus durch zahlreiche Faktoren,
Jeder Zyklus verluft in folgenden 3 Phasen: nicht zuletzt psychisch, beeinflusst werden.
1. Phase: Menstruation (1. bis 4. Tag)
In dieser Phase wird die Functionalis (Funk- Follikelsprung (Ovulation)
tionsschicht) der Uterusschleimhaut abge- Am Ende der Proliferationsphase, um den
stoen. Damit ist die Regelblutung verbun- 14. Tag, erfolgt die Ovulation. Der reife
den (Blutverlust ca. 20 bis 60 ml). Graafsche Follikel platzt, und die Eizelle wird
2. Phase: Proliferationsphase (5. bis 14. Tag) vom Eileiter aufgenommen.
Durch zahlreiche Zellteilungen in der Basalis
wird die Funktionalis wieder aufgebaut und Steuerung
auf eine Schwangerschaft vorbereitet. Ebenfalls angeregt durch das Releasinghormon
kommt es in der Zyklusmitte zu einem steilen
Steuerung LH-Anstieg. Dieser bewirkt die Ovulation sowie
Angeregt durch das Releasinghormon kommt es die Umwandlung des Follikels in den Gelbkr-
zu einem FSH-Anstieg. Das FSH bewirkt, dass per (Corpus luteum menstruationis), der vor
ein Follikel heranreift. Dieser produziert zuneh- allem Progesteron bildet. Das Hormon ist an der
mend mehr strogen, unter dessen Wirkung der Regulation fast aller Vorgnge der weiblichen
Aufbau der Uterusschleimhaut erfolgt. Reproduktion beteiligt (z. B. Befruchtung, Nida-
Die strogensekretion wird durch das Mi- tion, Bildung der Drsensekrete in der Eileiter-,
schungsverhltnis von FSH und LH bestimmt. Uterus- und Vaginalschleimhaut u. a. m.).

Eileiter Gelbkrperbildung
Follikelstadien und -rckbildung
Vorgnge
im
Eierstock

Schleimhaut
(Endometrium)
Follikelsprung
(Ovulation)
Funktions-
schicht
(Functionalis)

Vorgnge
Basalschicht in der
(Basalis) Gebr-
mutter
Muskelschicht
(Myometrium) 28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1

Menstruation Proliferationsphase Sekretionsphase

Menstruationszyklus (ohne Befruchtung). Abb. 15.4


306 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Der LH-Gipfel ist die unmittelbare Ursache des Steuerung


Follikelsprungs. Zwischen beiden verstreicht Der Gelbkrper (hier: Corpus luteum gravidita-
eine Latenzzeit von 24 36 Stunden. tis) bildet zunehmend Progesteron. Der Anstieg
des Progesterons reguliert die Vorgnge im

P Ovulationshemmung: Werden zu Zyklusbe- Uterus whrend der Sekretionsphase.
ginn strogene und Gestagene (beides in der
Antibabypille enthalten) zugefhrt, wird infol- Merke
ge der negativen Rckkopplung der LH-Gipfel Die Sekretionsphase wird effektorisch haupt-
und damit die Ovulation gehemmt. schlich durch Progesteron gesteuert.
3. Phase: Sekretionsphase (15. bis 28. Tag)
Blutgefe und Drsen der Functionalis wer-
P Der hohe Progesteronspiegel in der 2. Zyk-
den reichlicher. Dies dient der unmittelbaren lushlfte fhrt zu einem Anstieg der Krper-
Vorbereitung fr die Einnistung (Nidation) temperatur um 0,5 C. Dies kann (z. B. zum
des Keimes. Zwecke einer Schwangerschaftsverhtung)
durch Messung besttigt werden.

GnRH Hypothalamus
Gonadoliberin
negative Rckkopplung

negative Rckkopplung
follikelstimulierendes luteinisierendes Hypophysen-
Hormon Hormon vorderlappen
(FSH) (LH)

Gelbkrperbildung
Follikelreifung und Gelbkrperrckbildung

Ovar

Follikel Eizelle Eileiter Gelbkrper

strogen Progesteron

Gebrmutter-
schleimhaut
(Endometrium)

Uterus

28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1
regt an
Menstruation Proliferationsphase Sekretionsphase hemmt

Abb. 15.5 Hormonelle Regulation des Menstruationszyklus.


15.4 Periphere Hormondrsen 307

Ein steiler Abfall der Sexualhormone am Ende 15.4 Periphere Hormondrsen, die
der Sekretionsphase lst die nchste Menstrua-
tionsblutung aus.
nicht durch die glandotropen
Hormone gesteuert werden
Merke
Die Regulation der infrage kommenden Hormon-
Die Menstruationsblutung steht nicht mit der drsen und deren Hormone erfolgt in erster
Ovulation im Zusammenhang. Linie durch die Vernderungen der von ihnen
konstant zu haltenden Stoffkonzentrationen
Hormonelle Steuerung der Schwangerschaft (z. B. Glucose, Calcium, Natrium) im Krper. So
Erfolgt eine Kopulation in der Zeit um die Ovu- fhrt eine Erhhung oder Verminderung des
lation, kann eine Befruchtung stattfinden und Blutzucker- oder Blutcalciumspiegels zu einer
damit eine Schwangerschaft eintreten. Ist dies unmittelbaren Stimulierung der Hormonsekre-
der Fall, nistet sich am 7. Tag nach der Befruch- tion. Eine Steigerung der Aldosteronsekretion
tung die Morula in die Uterusschleimhaut ein. wiederum kann durch eine Verminderung des
Nun bildet der Trophoblast (= Hllzellen, die der Plasmavolumens erreicht werden.
Ernhrung dienen) 2 Hormone: HCG (Chorion-
gonadotropin) und HPL (Human Placental
Lactogen). Diese Hormone bewirken, dass der Gelb- 15.4.1 Pankreashormone und
krper zunchst erhalten bleibt. Auerdem regen Blutzuckerregulation
sie ihn zur verstrkten Progesteronproduktion an.
Die in den Langerhansschen Inseln gebildeten
Die Aufrechterhaltung des hohen Progesteron- Hormone Insulin und Glukagon beeinflussen
spiegels verhindert die Abstoung der Uterus- den Blutglucosespiegel.
schleimhaut. Gegen Ende des 1. Schwanger-
schaftsmonats produziert der entstandene Mutter- Insulin wirkt als einziges Hormon blutzucker-
kuchen (Placenta) jene Mengen von Progesteron spiegelsenkend, indem es
und strogen, die fr die Erhaltung der Schwan- die Glucosepermeabilitt der Zellmembranen
gerschaft notwendig sind. Der Gelbkrper (Cor- erhht, sodass Glucose verstrkt in die Zellen
pus luteum) bildet sich nun zurck ( S. 289). gelangen und verbraucht werden kann,
die Umwandlung von Glucose in Glykogen
sowie die Eiwei- und Fettbildung aus Koh-
lenhydraten frdert,
die Glukoneogenese hemmt.

Regulation des Blutzuckerspiegels. Tab. 15.7

Hypothalamus
kontrolliert

Wachstums-
Insulin Glukagon Adrenalin
hormon

Senkung Steigerung

Blutzucker

glucoseliefernde Prozesse glucoseverbrauchende Prozesse


(z. B. Kohlenhydrataufnahme mit der Nahrung) (z. B. biologische Oxidation)
308 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Glukagon wirkt blutzuckerspiegelsteigernd durch: Die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) ist eine
Steigerung der Glykogenolyse (Umwandlung Strung insbesondere des Kohlenhydratstoff-
von Glykogen in Glucose) in der Leber, wechsels durch relativen oder absoluten Insulin-
Frderung der Glukoneogenese (Neubildung mangel.
von Glucose) und des Fettabbaus. Die wichtigsten Formen sind der Typ-I-Diabetes
(10 %), der meist in der Jugend beginnt und

P Insulinmangel fhrt zur Zuckerkrankheit insulinabhngig ist, und der Diabetes vom Typ II
(Diabetes mellitus). Dabei kommt es zum An- (90 %), der oft nach dem 40. Lebensjahr auftritt
stieg des Blutzuckerspiegels (Hyperglykmie) und nicht unbedingt Insulinspritzen bentigt.
und infolgedessen zur Ausscheidung des
Zuckers im Urin (Glucosurie) bei gleichzeiti- Hauptursache beim Typ II ist eine genetisch be-
ger Erhhung der Urinmenge (Polyurie). dingte Strung am Insulinrezeptor der Zellen,
Auerdem kommt es durch den verstrkten sodass die Glucose nicht in die Zellen gelangt.
Fettsureabbau (um Glucose zu sparen) Folge:
zwangslufig zu einer erhhten Ketonkrper- Zuckermangel in den Krperzellen und Zucker-
synthese (Acetessigsure -Hydroxybutter- berschuss im Blut.
sure, Aceton). Diese Suren im Blut bedingen
eine metabolische Azidose, die in den Zustand Hufig auftretende Symptome der schweren
tiefer Bewusstloskeit (Coma diabeticum) Zuckerkrankheit sind groer Durst, Polyurie
fhren kann. (= krankhafte Vermehrung der Harnmenge),
trockene juckende Haut und Leistungsschwche.
Regulation des Blutzuckerspiegels In vielen Fllen kann durch sorgfltige Ab-
Der normale Nchternwert des Blutzuckers liegt stimmung der Ernhrung und krperlichen Akti-
zwischen 4,4 6,6 mmol/l = 80 100 (als Grenz- vitt der Blutglucosespiegel ohne Medikamente
wert bis 120) mg/dl. Da Abweichungen von der im Normbereich gehalten werden.
Norm zu schwerwiegenden Erkrankungen Gefrchtete Komplikationen der Zuckerkrank-
fhren, gehrt die Konstanthaltung des Blut- heit sind:
glucosespiegels zu den wichtigsten Regula- Blutzuckerentgleisungen (Hyper- und Hypo-
tionsaufgaben des Hormonsystems. Die wech- glykmie, die ins Koma bergehen knnen)
selnde Aufnahme von Kohlenhydraten mit der und die
Nahrung und die unterschiedliche krperliche diabetischen Sptfolgen wie Arteriosklerose,
Belastung und folglich auch unterschiedliche erhhte Infektanflligkeit, schlechte Wund-
biologische Oxidationsrate verndern stndig heilung, Erblindung, Nierenversagen und
den Blutglucosespiegel. Neuropathien.
Ein wichtiger Risikofaktor fr die Krankheits-
Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels wird von entstehung (Typ II) ist das bergewicht.
Glucoserezeptoren im Pankreas registriert. Dar-
aufhin wird verstrkt Insulin freigesetzt, bis sich
der Blutzuckerspiegel wieder normalisiert hat. 15.4.2 Hormonelle Regulation des
Mineralhaushaltes (berblick)
Ein Abfall des Blutzuckerspiegels wird von Glu-
coserezeptoren (sog. Glukostate) im Hypothala- Die Regulation des Mineralhaushaltes erfolgt
mus registriert. Zur Normalisierung werden durch mehrere Hormone, die in verschiedenen
3 Antagonisten des Insulins vermehrt freigesetzt: Hormondrsen gebildet werden.
Glukagon, Adrenalin und Wachstumshormon. Man unterschiedet 2 Gruppen:

P Da der Blutglucosespiegel von mehreren 1. Hormone zur Regulation der Natrium-,
Hormonen beeinflusst wird, knnen Vernde- Kalium- und Wasserkonzentration
rungen Rckschlsse auf den Hormonhaushalt Die Regulation erfolgt durch Aldosteron im
des Krpers geben. Deshalb kommt der Mes- Zusammenwirken mit Renin und Angiotensin
sung des Blutzuckergehaltes groe Bedeutung ( S. 204 und 274). Dabei wird der Wasserhaus-
zu. halt zwangslufig mit beeinflusst.
15.4 Periphere Hormonsdrsen 309

2. Hormone zur Regulation des Calciumhaus- die Calciumresorption aus dem Darm,
haltes die Calciumein- bzw. -auslagerung im Kno-
Die Regulation umfasst: chensystem,
die Konstanthaltung des Blutcalciumspiegels, die Calciumausscheidung durch die Niere.

Hormone zur Regulation des Calciumhaushaltes. Tab. 15.8


Hormon Bildungsort Wirkung

Parathormon Nebenschilddrse Steigert Blutcalciumspiegel durch:


(Epithelkrperchen). Frderung der Ca2+-Resorption aus dem
Die 4 erbsengroen Darm,
Krperchen liegen an Herauslsung von Ca2+ aus dem Knochen,
der hinteren Flche verstrkte Ca2+-Rckresorption in der Niere.
des rechten und linken
Schilddrsenlappens
(s. Abb. 15.2, S. 301).
Calcitonin Schilddrse Senkt Blutcalciumspiegel durch:
(s. S. 301). Hemmung der Ca2+-Freisetzung aus dem
Knochen,
Frderung der Ca2+-Ausscheidung.
Vitamin-D3-Hormon In Leber und Niere aus Steigert Blutcalciumspiegel durch:
(Cholecalciferol) Vitamin D. Frderung der Ca2+-Resorption aus dem
Darm.
Senkt Blutcalciumspiegel durch:
Frderung der Einlagerung von Ca2+ in die
Knochen.
310 15 Hormonsystem (Endokrines System)

Fragen zur Wiederholung

l. Nennen Sie die Hormondrsen und beschreiben Sie ihre Lage.


2. Welche allgemeinen Funktionen erfllen die Hormone?
3. Erlutern Sie den Begriff Hormon.
4. Nehmen Sie eine Einteilung der Hormone vor.
Welche Schwierigkeiten treten dabei auf?
5. Begrnden Sie, warum Hormondrsen reich kapillarisiert sind.
6. Nennen und erlutern Sie die Hauptteile des hormonellen Regulationssystems.
7. Erlutern Sie das Zusammenwirken von Releasing-/Inhibitinghormonen, glandotropen
und effektorischen Hormonen.
8. Erklren Sie das Prinzip der negativen Rckkopplung.
9. Was sind Hormonrezeptoren und welche Bedeutung haben sie?
10. Erklren Sie die Wirkungsweise von Hormonen.
11. Nennen Sie die Hormone der Adenohypophyse und beschreiben Sie deren Wirkungen.
12. Welche hauptschlichen Wirkungen haben T4 und T3?
Nennen und begrnden Sie einige Symptome
a) einer Schilddrsenberfunktion,
b) einer Schilddrsenunterfunktion.
13. Unterscheiden Sie Nebennierenmark- und -rindenhormone.
Nennen Sie einige Wirkungen!
14. Was versteht man unter Stress?
Diskutieren Sie Mglichkeiten, negativem Stress entgegenzuwirken.
15. Nehmen Sie eine Einteilung der Sexualhormone vor, und nennen Sie deren hauptschliche
Wirkungen.
16. Beschreiben Sie die Regulation des Blutzuckerspiegels.
17. Beschreiben Sie die hormonelle Regulation des Menstruationszyklus.
18. Wie erfolgt die hormonelle Steuerung der Schwangerschaft?
19. Erklren Sie folgende Begriffe:
a) Diabetes mellitus,
b) Hyperglykmie,
c) Glucosurie,
d) Polyurie,
e) Coma diabeticum.
20. Geben Sie einen berblick ber die Regulation des Mineralhaushaltes.
311

16 Sinnessystem

Die Koordinationsfunktion des Nervensystems Physiologische Definition


setzt unter anderem die stndige Aufnahme von Zellulre Rezeptoren sind Zellen, in denen durch
Informationen sowohl aus der Umwelt des einen Reiz Generatorpotentiale (GP) und in der
Menschen als auch von den Organen selbst vor- Folge Aktionspotentiale (AP) ausgelst werden.
aus. Die Trger dieser Informationen sind Reize, Die AP werden ber sensible Nervenzellen in
die Empfangs- oder Aufnahmestrukturen sind des Zentralnervensystem geleitet ( Abb. 16.1).
Sinnes- oder Nervenzellen, die als Rezeptoren Die Rezeptoren sind entweder ber die Krper-
bezeichnet werden. oberflche (Hautsinneszellen) oder im Krper-
inneren (z. B. Drucksinneszellen) verstreut bzw.
Reiz in Sinnesorganen (z. B. Auge) mit anderen Zel-
Ein Reiz ist ein Ereignis (= energetische Ver- len zusammengefasst.
nderung) in der Umgebung lebender Systeme,
das eine Erregung auslst. Reize treffen in unter- Einteilung der Rezeptoren nach dem Bau
schiedlichen Energieformen auf den Krper. Sie Freie Nervenendungen:
knnen nach verschiedenen Gesichtspunkten (Schmerz- und Temperaturempfindung),
eingeteilt werden, z. B. primre Sinneszellen:
nach der Art ihrer Einwirkung: mechanische, modifizierte, bipolare Nervenzellen (Licht-
thermische, chemische, optische und akustische sinneszellen, Riechzellen),
Reize; sekundre Sinneszellen:
nach ihrer Herkunft: exterozeptive (aus der von Nervenfasern umgeben, an die sie die Er-
Umwelt kommende) und interozeptive (aus regung weiterleiten (Hr-, Gleichgewichts- und
den Organen kommende) Reize. Geschmackssinneszellen).
Einteilung der Rezeptoren nach Funktion
Rezeptor Exterozeptoren:
Im Allgemeinen sind Rezeptoren Messfhler Nehmen Reize aus der Umwelt auf (Sehen,
oder -glieder, die bei Reizeinwirkung eine Reak- Hren, Temperatur, Druck),
tion auslsen. Dies kann sowohl auf molekularer Enterozeptoren:
als auch zellulrer Ebene geschehen. Dement- Nehmen Reize aus den Eingeweiden auf (Deh-
sprechend ist eine biochemische Definition fr nung von Hohlorganen, Blutdruck, pH-Wert,
molekulare ( S. 297) und eine physiologische osmotischer Druck),
fr zellulre Rezeptoren notwendig.

adquater Verbiegung der Hrzentrum der ZNS


ber- Sinneshrchen Endhirnrinde Hrzentrum
schwelliger
Reiz
Hrsinneszellen Analyse

Schallwellen
GP
akustische
AP Wahr-
nehmung
bipolare Nervenzellen

Informationsaustausch Beispiel Hren. Abb. 16.1


312 16 Sinnessystem

Propriozeptoren: Warmpunkte an verschiedenen Stellen des Kr-


Nehmen Reize von den Muskeln auf (Dehnung, pers unterschiedlich ausgeprgt. Besonders gut
Spannung). mit Rezeptoren ausgestattet sind Lippen, Zunge
und Fingerspitzen.
Adquater Reiz und Reizschwelle
Rezeptoren sind normalerweise auf eine be- Tast- und Temperatursinn. Tab. 16.1
stimmte Reizart spezialisiert, z. B. Lichtsinnes-
Sinn Rezeptoren adquater Reiz
zellen auf optische, Geruchssinneszellen auf
chemische Reize. Diese Reizart wird als adqua- Tastsinn: Meinersche Tast-
ter Reiz bezeichnet. Fr den adquaten Reiz krperchen,
besitzt der Rezeptor die niedrigste Reizschwelle. Haarwurzelrezep-
toren Berhrung
Unter Reizschwelle versteht man die Mindest-
intensitt eines Reizes, um eine Rezeptorzelle zu Merkel-Zellen
erregen. Ruffini-Krperchen Druck
Vater-Pacinische
Informationsaufnahme Lamellenkrperchen Vibration
Zur Aufnahme einer Information sind notwendig: Tempe- Kaltrezeptoren
ein berschwelliger Reiz, ratursinn: (unter 36 C),
intakte Sinneszellen, Warmrezeptoren Temperatur-
intakte Leitungsbahn (= sensible Nervenzellen), (ber 36 C) vernderungen
intaktes ZNS (= Analysator).

P Fr das Heranwachsen von Suglingen und
Vorgnge (vereinfacht) Kleinkindern ist Krperkontakt besonders
Der berschwellige Reiz fhrt zur Entstehung wichtig. Dies gilt auch fr viele schwer kranke
eines Rezeptor- bzw. Generatorpotentials. Patienten.
Wird ein bestimmter Schwellenwert des Rezep-
torpotentials erreicht, kommt es zur Auslsung Tiefensensibilitt
von Aktionspotentialen, die durch sensible (Propriorezeption, kinsthetische Sensibilitt)
Nervenzellen in das zugehrige Verarbeitungs- Unter Tiefensensibilitt verstehen wir die Fhig-
zentrum im Gehirn weitergeleitet und ver- keit, Informationen aus dem Krperinneren zu
arbeitet werden. erhalten.
Als Qualitten der Tiefensensibilitt gelten
Merke Stellungssinn: Ohne visuelle Hilfe knnen wir
Die Sinnesfunktion ist eine wichtige Voraus- sagen, in welcher Stellung (Winkelstellung)
setzung fr den Erwerb von Kenntnissen. Sie bzw. Lage sich die einzelnen Extremitten-
liefert die ursprngliche Information fr die abschnitte befinden;
subjektive Verarbeitung im Gehirn. Bewegungssinn: die Fhigkeit, auch ohne
visuelle Kontrolle Geschwindigkeit und Rich-
tung einer aktiven oder passiven Bewegung
wahrzunehmen;
Kraftsinn: Er ermglicht, die unterschiedlich
16.1 Oberflchen- und notwendigen Muskelkrfte einzuschtzen, die
Tiefensensibilitt z. B. beim Heben von Gegenstnden verschie-
denen Gewichts angewendet werden mssen.
Oberflchensensibilitt Man spricht auch vom Kraftunterscheidungs-
Die Oberflchensensibilitt umfasst die Sinnes- vermgen;
bereiche der Haut: Tastsinn (Druck, Berhrung,
Vibration) und Temperatursinn ( S. 81). Die Rezeptoren befinden sich in den Muskeln
Tast- und Temperatursinn sind wegen der un- (= Muskelspindeln), den Sehnen (= Sehnenspin-
gleichmigen Verteilung der ca. 500.000 Druck- deln) und den Gelenkkapseln (Gelenkrezeptoren).
punkte bzw. ca. 250.000 Kalt- und ca. 30.000
16.2 Chemische Sinne 313

Sonstige viscerale Rezeptoren Von bertragenem Schmerz spricht man, wenn


Diese Rezeptoren berwachen in den Eingeweideschmerzen an bestimmten Stellen der
Eingeweiden wichtige Regulationsgren des Krperoberflche empfunden werden ( S. 370).
Stoffwechsels. Im Einzelnen handelt es sich um
Chemo-, Osmo- und Pressorezeptoren sowie
P Analgetika (z. B. Morphin) sind Substanzen,
Dehnungsrezeptoren in der Lunge und in den die Schmerzen unterdrcken.
Wnden von Hohlorganen.

Merke
16.2 Chemische Sinne
Die Sinne der Oberflchen- und Tiefensensibi- (Geschmack und Geruch)
litt ermglichen zusammen mit dem Gleich-
gewichtssinn die Regulation der Krperhal- Zu den chemischen Sinnen gehren Geschmacks-
tung und die Ausfhrung von sensiblen und Geruchssinn. Ihre Bedeutung liegt im
Bewegungsprogrammen, indem sie entspre- Wahrnehmen von Umwelteinflssen, die ihrer-
chende Reflexhandlungen auslsen. seits lebenswichtige Nahrungsreflexe auslsen,
das Wohlbefinden des Menschen entscheidend
Schmerz mitbestimmen und ihn vor schdigenden Ein-
Akuter Schmerz ist ein lebensnotwendiges wirkungen schtzen.
Warnsignal mit Schutzfunktion. Als Schmerz-
rezeptoren kommen in fast allen Krpergeweben Konkrete Aufgaben sind:
freie Nervenendungen infrage. Diese reagieren Nahrungskontrolle,
auf bestimmte chemische Stoffe (z. B. Histamin, Auslsung der Speichel- und Magensaft-
Serotonin, Wasserstoffionen ab pH 6), die bei sekretion,
Beeinflussung des Sexualverhaltens und der
Schdigung von Geweben freigesetzt werden.
allgemeinen Affektlage (Lust, Unlust),
Ursache fr die Bildung dieser Stoffe sind
soziale Information (jemanden nicht riechen
mechanische, chemische oder thermische Reize knnen).
(die eine bestimmte Intensitt berschreiten),
aber auch krankhafte Vernderungen (z. B. Geschmackssinn
Entzndungen). Die durch Schmerzreize aus- Die zahlreiche Mikrovilli tragenden sekundren
gelsten Aktionspotentiale werden durch sensi- Geschmackssinneszellen bilden ca. 4.000 Ge-
ble Neurone in das entsprechende Verarbeitungs- schmacksknospen, die in den Zungenpapillen
zentrum der Grohirnrinde geleitet. Hier wird liegen ( S. 237). Die Geschmacksstoffe der
der Schmerz bewusst wahrgenommen. Nahrung lagern sich nach ihrer Lsung an die
Zellmembranen der Geschmacksrezeptoren und

P Schmerzrezeptoren adaptieren nicht (Bei- erzeugen Aktionspotentiale. Diese werden ber


spiel: stundenlange Kopfschmerzen). afferente Nervenfasern, die sich in den Hirn-
nerven VII, IX und X ( S. 356) befinden, ins
Schmerzqualitten Zentralnervensystem geleitet.
Oberflchenschmerz: Kommt von der Haut und Es knnen 4 Grundqualitten des Geschmacks
lt sich differenzieren in unterschieden werden: s, salzig, sauer, bitter.
einen hellen 1. Schmerz, der vorwiegend
Fluchtreflexe auslst, sowie Geruchssinn
einen nachfolgenden dumpfen 2. Schmerz, Die bipolaren primren Geruchsrezeptoren sind
der vor allem zu Schonhaltungen fhrt. im Riechfeld (Regio olfactoria) der Nase lokali-
Tiefenschmerz: dumpfer Schmerz, z. B. Kopf-, siert und von Sttzzellen umgeben. Ihre Riech-
Muskel-, Gelenk-, Bindegewebsschmerzen. hrchen sind in Schleim eingebettet. Die mit
Eingeweideschmerz: dumpfer Schmerz, der z. B. dem Luftstrom antkommenden Riechstoffe
auftritt bei Mangeldurchblutungen, starker Deh- (= organische Substanzen) reichern sich in der
nung von Hohlorganen oder Spasmen (Menstrua- Zellmembran an und lsen Generator- und
tionsschmerz). Aktionspotentiale aus, die ber den Riechnerven
(N. olfactorius) zum ZNS geleitet werden.
314 16 Sinnessystem

Geschmacksknospe Geschmacksempfindungen auf der Zunge

Speichel mit
Geschmacksstoffen

Geschmacks-
rezeptoren s sauer

afferente
Nervenfasern

salzig bitter

Abb. 16.2 Geschmackssinn Zungenpapillen.

Riechzentrum
Riechbahn
Riechnerv afferente Nervenfasern
(N. olfactorius)

Geruchs- Sttzzelle
rezeptoren

Riechfeld
(Regio olfactoria)

Schleim
Riechfden
(Fila olfactoria)
vereinigen sich zum Luft mit Duftstoffen
Riechnerven

Abb. 16.3 Geruchssinn.

Merke
P Mit zunehmendem Alter nimmt die Leis-
Gewhnlich berlagern sich Geruchs- und tungsfhigkeit der chemischen Sinne ab.
Geschmacksempfindungen zu Mischempfin- Bestimmte Krankheiten und Rauchen beein-
dungen. Im Vergleich zu anderen Sinnen trchtigen diese ebenfalls.
zeigen sie eine besonders ausgeprgte
Adaptation.
16.3 Hr- und Gleichgewichtssinn 315

16.3 Hr- und Gleichgewichtssinn Mittelohr


Hinter dem Trommelfell liegt die Paukenhhle,
Hr- und Gleichgewichtsorgan liegen im Ohr. ein luftgefllter Hohlraum mit der Gehrknchel-
Das Ohr befindet sich im Felsenbein, einem Teil chenkette, bestehend aus:
des Schlfenbeins. Die beiden Sinne vermitteln Hammer mit Handgriff am Trommelfell
Schall-, Lage- sowie Bewegungsempfindungen. verwachsen,
Die Sinneszellen besitzen haarartige Fortstze Amboss gelenkig mit Hammer und Steig-
(Cilien) und werden deshalb auch Haarsinnes- bgel verbunden,
zellen genannt. Steigbgel passt sich mit seiner Fuplatte
dem ovalen Fenster (= Grenze zum Innenohr)
Gliederung des Ohres an.
Das Ohr wird in 3 Abschnitte gegliedert.
Die Paukenhhle ist durch die Ohrtrompete
ueres Ohr (Tuba auditiva) mit dem Nasenrachen verbun-
Zum ueren Ohr gehren Ohrmuschel und den. Bei jedem Schluckvorgang wird die
uerer Gehrgang, der am Trommelfell endet. Ohrtrompete kurz geffnet, damit der Druck
Das Trommelfell ist eine etwa kreisfrmige bin- zwischen Mittelohr und Auenwelt ausgeglichen
degewebige Membran mit einem Durchmesser wird.
von ca. 1 Zentimeter.

Bogengnge Trommelfell
(Membrana tympani)
Ohrmuschel
Schnecke (Auricula)
(Cochlea)
uerer Gehrgang
Hr- und Gleich- (Meatus acusticus
gewichtsnerv externus)
(N. vestibulocochlearis)
Paukenhhle
(Cavitas tympanica)
Ohrtrompete
(Tuba auditiva)

Bogengnge
ovales Fenster
Schnecke Vorhof
(Cochlea)
Steigbgel Hammer
(Stapes) (Malleus)
mit Handgriff
Amboss
(Incus) uerer
Gehrgang
Trommelfell (Meatus acusticus
(Membrana tympani) externus)

Abschnitte des Ohres. Abb. 16.4


316 16 Sinnessystem


P Schleimhautschwellungen bei Nasen-Ra- lymphe als schtzendes Flssigkeitspolster.
chen-Infekten knnen den Druckausgleich ver- Flssigkeitsraum innerhalb des hutigen Laby-
hindern und somit vorbergehend das Hren rinths mit der Endolymphe, die das jeweilige
beeintrchtigen. Sinnesepithel umsplt.

Innenohr (= Labyrinth)
Das Innenohr wird von einem knchernen 16.3.1 Gleichgewichtssinn
Kanalsystem, dem knchernen Labyrinth, ge-
bildet. Der Gleichgewichtssinn lst wichtige Reflexe
Im knchernen Labyrinth befindet sich, von zur Gleichgewichtserhaltung des Krpers aus.
Perilymphe (s. u.) getrennt, ein analoges hutiges
Kanalsystem, das hutige Labyrinth. Es enthlt Gliederung
die Sinneszellen des Hr- und Gleichgewichts- Das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) ist
organs. gemeinsam mit dem Hrorgan im Innenohr
Das Innenohr (knchernes und hutiges Laby- lokalisiert.
rinth) gliedert sich in 3 Abschnitte: Es besteht aus 2 Untereinheiten:
kncherne Schnecke mit hutigem Hrorgan, 1. den 2 Vorhofsckchen Utriculus und Saccu-
kncherner Vorhof mit den beiden hutigen lus, mit den Lagesinneszellen und
Vorhofsckchen und 2. den 3 Bogengngen (seitlicher, vorderer und
kncherne Kanle der Bogengnge mit huti- hinterer hutiger Bogengang) mit den Dreh-
gen Bogengngen. sinneszellen.

Flssigkeitsrume und Innenohrflssigkeiten Merke


Das hutige Labyrinth liegt dem knchernen
nicht unmittelbar an. Auf diese Weise sind Die Sinneszellen des Gleichgewichtsorgans
2 Flssigkeitsrume vorhanden: sind Haarsinneszellen, d. h., sie besitzen Cilien.
Flssigkeitsraum zwischen hutigem und kn-
chernem Labyrinth. Hier befindet sich die Peri-

Gleichgewichtsnerv Ganglion vestibulare mit


vorderer hutiger (N. vestibularis) bipolaren Nervenzellen
Bogengang
(Ductus semicircularis anterior)
Blindsack
(Saccus endolymphaticus) Hrnerv
(N. cochlearis)
Endolymphgang
(Ductus endolymphaticus)
hinteres Vorhofsckchen
(Utriculus)
seitlicher hutiger
Bogengang
(Ductus semicircularis lateralis)
hinterer hutiger
Bogengang
(Ductus semicircularis posterior) Schnecke
Nervenfasern vom (Cochlea)
vorderes Vorhofsckchen Sinnesepithel kommend
(Sacculus)

Abb. 16.5 Gleichgewichtsorgan rechts hutiges Labyrinth.


16.3 Hr- und Gleichgewichtssinn 317

Utriculus Sacculus
Horizontalbeschleunigung Vertikalbeschleunigung

Endolymphe

Ciliarbewegung
Statolithen-
membran
Erregung
Haarsinnes-
zellen
Nervenzellen Gehirn

Funktion der Vorhofsckchen. Abb. 16.6

Sacculus (vorderes Vorhofsckchen) und Dies wird ermglicht, weil die 3 Bogengnge in
Utriculus (hinteres Vorhofsckchen) den 3 Hauptebenen des Raumes senkrecht auf-
In den Vorhofsckchen liegen die Lagesinnes- einander stehen. Die Bogengnge haben ihren
zellen zum Registrieren geradliniger Beschleuni- Ursprung am Utriculus, ber den sie auch in
gungen. Der Fleck, an dem sich das Sinnes- Verbindung stehen. Jeweils ein Schenkel der
epithel befindet, heit Macula. halbkreisfrmig gebogenen Rhren erweitert
Die Haarsinneszellen mit den Sinneshrchen sind sich an der Basis zu einer Ampulle, in der auf
in eine gallertartige Masse eingebettet, die einer kaminartigen Erhebung (Crista ampulla-
durch winzige Kalksteinchen beschwert wird. ris) die Sinneszellen lokalisiert sind. Die Sinnes-
Diese Masse wird als Statolithenmembran hrchen tauchen ebenfalls in eine Gallerte, die
bezeichnet und ist schwerer als die Endolymphe. wie ein Hut (Cupula) auf den Sinneszellen liegt.
Das Gewicht der Statolithenmembran verbiegt Dreht sich der Kopf (= adquater Reiz), dann
die Sinneshrchen bereits in Ruhe. Bei jeder kann die Endolymphe infolge ihrer Trgheit der
positiven oder negativen Linearbeschleunigung Bewegung nicht gleich folgen, sie bleibt stehen.
(= adquater Reiz) bewirkt sie infolge der Dadurch wird die Cupula (Gallertkappe) in die
Trgheit eine zustzliche Verbiegung der Gegenrichtung gedrckt, und die Sinneshrchen
Sinneshrchen, welche dann Erregung auslst. werden verbogen. Die Verbiegung der Sinnes-
Die vertikal angeordneten Sinneszellen des hrchen fhrt zur Erregung der Haarsinnes-
Sacculus werden durch Vertikalbeschleunigungen zellen.
erregt, z. B. durch rasches Anfahren oder
Stoppen eines Fahrstuhls. Die horizontal ange-
P Die Folgen bermiger Reizung des Vesti-
ordneten Sinneszellen des Utriculus werden bularapparates sind Kinetosen (See- oder
durch Horizontalbeschleunigungen erregt, z. B. Reisekrankheit) und Schwindelgefhl.
pltzliches Anfahren oder Bremsen eines Autos.
Zentrale Verarbeitung
In den Bogengngen befinden sich die Dreh- Die Erregungen vom Gleichgewichtsorgan ge-
sinneszellen zum Registrieren von Winkel- langen ber den Gehr- und Gleichgewichts-
(Dreh-) beschleunigungen. nerven (N. vestibulocochlearis) zu den Vestibu-
lariskernen im verlngerten Mark (Medulla
oblongata).
318 16 Sinnessystem

Erregung
Haarsinneszellen
Ampulle
(Crista ampullaris)
Verbiegung der Cilien
Gallertkappe
(Cupula)
Endolymphe
Lymphstrmung

Winkelbeschleunigung

Abb. 16.7 Funktion der Bogengnge.

Die Vestibulariskerne stehen in Verbindung mit 16.3.2 Gehrsinn


den Augenmuskelkernen,
dem Kleinhirn, Bau des Hrorgans
den Muskelspindeln der Skelettmuskulatur Das Hrorgan wird seiner Form wegen Schnecke
(insbesondere der Halsmuskulatur) und (Cochlea) genannt. Die Schnecke besteht aus
der hinteren Zentralwindung der Grohirn- 3 bereinander liegenden Kanlen, die spiralfr-
rinde (dadurch wird die bewusste Raumorien- mig aufgerollt sind.
tierung mglich). Um ein besseres Verstndnis fr den Bau der
Schnecke zu bekommen, stelle man sich anhand
Merke der Abb. 16.8 Folgendes vor:
Die wichtigsten Aufgaben des Gleichge- Als Minimensch steigt man von der Pauken-
hhle durch das ovale Fenster (= Vorhoffenster)
wichtsorgans sind
in die Scala vestibuli und gelangt ber
die Auslsung von Reflexen zur 2 1/2 Windungen im immer enger werdenden
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts Kanal zur Schneckenspitze. Dort, am Helico-
(Sttzmotorik, S. 363) und trema, kommt man ber eine ffnung in die
Einstellung des Kopfes und der Augen Scala tympani und erreicht wiederum ber
trotz Kopf- und Krperbewegungen 2 1/2 Windungen im wieder weiter werdenden
sowie Kanal durch das runde Fenster (= Schnecken-
die Teilnahme an der Aktivierung der fenster) die Paukenhhle. Das runde und das
Formatio reticularis und des vegetativen ovale Fenster sind durch Membranen abgedich-
Nervensystems ( S. 344). tet, damit die Perilymphe nicht aus den Scalen
entweichen kann.

Cortisches Organ
In der Scala media liegt auf der Basilarmembran
das Cortische Organ. Es enthlt die Gehr-
sinneszellen, die ebenfalls zu den Haarsinnes-
zellen gehren. Die gallertartige Masse, in die
die Cilien eintauchen, heit Tektorialmembran.
An der ueren Seite der Scala media befindet
sich eine blutgefreiche Region (= Stria vascu-
laris) zur Versorgung des Hrorgans.
16.3 Hr- und Gleichgewichtssinn 319

16.3.3 Physiologie des Hrens also bei relativ niedrigem Schalldruck gehrt
werden.
Der adquate Reiz fr das Hrorgan sind Schall-
wellen der Frequenzen 16 Hz bis ca. 20.000 Hz. Merke
Sie mssen eine bestimmte Intensitt (Mindest- Das menschliche Ohr besitzt fr den Fre-
schalldruck) besitzen, damit die Reizschwelle quenzbereich 2.000 5.000 Hz die grte
(= Hrschwelle) erreicht bzw. berschritten wird. Empfindlichkeit. Hier gengen bereits sehr
Die Hrschwelle ist nicht fr alle Frequenzen niedrige Schalldrcke, um die Hrschwelle
gleich, sie liegt fr den Frequenzbereich 2.000 zu berschreiten.
5.000 Hz am niedrigsten; diese Tne knnen

Schnecke
(Cochlea)
Schnecke Schneckenloch
(Cochlea)
zwischen Vorhof-
und Paukentreppe
(Helicotrema)
Vorhof Schneckenachse
ovales Fenster Vorhoftreppe
(= Vorhoffenster) (Scala vestibuli)
rundes Fenster Schneckengang
(= Schneckenfentser) (Ductus cochlearis,
Vorhoftreppe Scala media endet
(Scala vestibuli) an der Schneckenspitze
blind)
Paukentreppe
(Scala tympani) Paukentreppe
(Scala tympani)

Cortisches Organ
Vorhoftreppe
(Scala vestibuli)
mit Perilymphe
Schneckengang
(Ductus cochlearis,
Scala media)
mit Endolymphe
Reissnersche Membran
(Membrana vestibularis)
Tektorialmembran
(Membrana tectoria)

uere Sinneszellen
innerer Tunnel
innere Sinneszellen
Basilarmembran
(Lamina basilaris)
Paukentreppe
(Scala tympani)
mit Perilymphe

Sttzzellen
Haarzellen

Innenohr. Abb. 16.8


320 16 Sinnessystem


P Der Schalldruckpegel ist ein Ma fr den Erregung der Gehrsinneszellen
Schalldruck. Die Maeinheit ist das Dezibel Die Schwingungen der Membran des ovalen
(dB). Der Schalldruck, der gerade noch eine Fensters erzeugen in der Perilymphe der Scala
Hrempfindung auslst, wird mit 0 dB ange- vestibuli fortlaufende Druckwellen. Diese pflan-
geben. Bei jeder Verzehnfachung des Schall- zen sich zur Schneckenspitze fort und gelangen
druckes erhht sich der Schalldruckpegel um ber die Scala tympani wieder zurck. Das run-
20 dB. de Fenster am Ende der Scala tympani dient dem
Druckausgleich.
Die Schallwellen gelangen hauptschlich ber Durch die gegenlufigen Flssigkeitsstrmun-
das uere Ohr zum Trommelfell und versetzen gen in der Scala vestibuli und tympani geraten
es in Schwingungen. Diese werden ber die die beweglichen Strukturen in der Scala media,
3 Gehrknchelchen auf die Membran des ovalen Reissner-Membran und Basilarmembran in eine
Fensters bertragen, welche dadurch ebenfalls wellenfrmige Bewegung. Sie wird als Wander-
zu schwingen beginnt. Dieser Weg der Schall- welle bezeichnet und breitet sich zur Schnecken-
bertragung heit Luftleitung. spitze hin aus; das Helicotrema wird allerdings
Wird der ganze Schdel, z. B. durch das Aufset- aufgrund bestimmter Dmpfungsvorgnge nicht
zen einer Stimmgabel, in Schwingungen ver- erreicht. Das heit, jede Wanderwelle endet an
setzt, entsteht ebenfalls eine Hrwahrnehmung einem bestimmten Punkt und erzeugt hier ein
man spricht von Knochenleitung. Sie spielt phy- Amplitudenmaximum (strkste Auslenkung der
siologisch nur eine geringe Rolle. Basilarmembran).
Da die Basilarmembran zur Schneckenspitze hin

P Mittelohrerkrankungen knnen zu Schwer- breiter und schlaffer wird, entsteht das Ampli-
tudenmaximun der hohen Tne (hohe Frequenz)
hrigkeit fhren, Versteifung des ovalen
in der Nhe des ovalen Fensters und das niedri-
Fensters zu Taubheit.
ger Tne (niedrige Frequenz) weiter hinten in
der Schnecke. So ist es mglich, dass das Gehirn
Tab. 16.2 Schallaufnahme und -weiterleitung. jeder Stelle der Scala media eine bestimmte
Tonhhe zuordnen kann.
ueres Ohr
 Die Verformung des Endolymphkanals bewirkt
Trommelfell eine Verschiebung der Tektorialmembran gegen-
 ber den Haarsinneszellen (Hrzellen) und damit
Hammer eine Verbiegung ihrer Cilien. Diese Verbiegung
 fhrt zur Erregung, die ber den Hrnerv in das
Amboss Verstrkung Gehirn (Hrrinde) geleitet und dort verarbeitet
 wird: Das Gehrte wird uns bewusst.
Steigbgel
 Leistungen des Gehrsinns
ovales Fenster Zu den Leistungen des Gehrsinns gehren vor
 allem
Perilymphe der Scala vestibuli die Unterscheidung von Tonhhen und Schall-
 intensitten sowie
Wanderwelle  Amplitudenmaximum die Feststellung der Schallrichtung und Ent-
 fernung der Schallquelle.
Verbiegung der Cilien

P Die Zerstrung einzelner Abschnitte der
Aktionspotentiale Basilarmembran oder Hrzellen z. B. durch
 Lrm fhrt zu Hrausfall fr einzelne Ton-
Hrnerv hhen bzw. auch zu Schwerhrigkeit. Bei be-
 stimmten Krankheiten und im Alter kann sich
Gehirn die Reizschwelle verndern.
16.4 Gesichtssinn 321

16.4 Gesichtssinn haut uhrglasartig eingelassen. Sie wird vom N.


trigeminus versorgt. Whrend der sichtbare Teil
Der grte Teil der Informationen aus der der Lederhaut mit Bindehaut bedeckt ist, die im
Umwelt wird ber das Auge aufgenommen. Bindehautsack umschlgt, ist die Hornhaut frei
von Bindehaut.

16.4.1 Bau des Auges Merke


Die Lederhaut ist vor allem formgebender
1. uere Augenhaut Bestandteil des Auges. Die Hornhaut ist str-
Die uere Augenhaut wird gebildet von der ker gekrmmt als die Lederhaut. Sie ist
Lederhaut und der Hornhaut. gemeinsam mit der Augenlinse fr die Licht-
Die Lederhaut (Sclera) ist aufgrund des Vorhan- brechung verantwortlich. Ihre Brechkraft
denseins vieler Fasern wei und sehr zugfest. Die liegt bei 43 Dioptrien.
Hornhaut (Cornea) ist glasklar, enthlt keine
Blutgefe, aber viele Nerven. Daraus erklrt
sich die extreme Schmerzempfindlichkeit. Die
P
Hornhauttrbungen knnen zur Erblindung
Hornhaut ist in den vorderen Bereich der Leder- fhren.

Bau des Auges Augenhintergrund

Schlemm'scher Ziliarkrper Lederhaut


Kanal (Corpus ciliare) (Sclera)
Aderhaut
Hornhaut (Chorioidea)
(Cornea)
Netzhaut
Pupille (Retina) Netzhaut-
Linse blutgefe
(Lens)
gelber
vordere Fleck
Augen-
kammer blinder
Regen- Fleck
bogenhaut
(Iris) Sehnerv
(N. opticus)
hintere Augenkammer
Glaskrper

Pigmentepithel
Netzhaut
(Schema)
Stbchen
Lichteinfall

Zapfen

Nervenfasern, die den bipolare Nervenzellen


Sehnerv bilden
multipolare Nervenzellen

Bau des Auges. Abb. 16.9


322 16 Sinnessystem

2. Mittlere Augenhaut
Zur mittleren Augenhaut gehren Aderhaut, Ziliarkrper mit Ziliarmuskel
Ziliarkrper und Regenbogenhaut. Die Aderhaut und Ziliardrse
(Chorioidea) ist fr die Blutversorgung verant-
wortlich und deshalb gefreich. Der Ziliar- Schlemm'scher
krper (Corpus ciliare) hat 3 Aufgaben: Kanal
Haltesystem fr die Linse;
vordere Augen- hintere Augen-
Vernderung der Linsenkrmmung durch Kon- kammer kammer
traktion bzw. Erschlaffung des Ziliarmuskels;
Produktion des Kammerwassers. Pupille Linse
(Lens)
Hornhaut
Die Regenbogenhaut (Iris) ist farbig und besteht (Cornea) Regenbogen-
aus einem Ringmuskel zum Engstellen und ei- haut
nem Radialmuskel zum Weitstellen der Pupille. Lederhaut (Iris)
(Sclera)
Die Pupille ist eine kreisrunde ffnung in der
Iris, die sich vor der Linse befindet.
Weg des Kammerwassers. Abb. 16.10
3. Brechende Medien
Brechende Medien sind Hornhaut, Linse, Kam-
merwasser und Glaskrper.
Hornhaut (Cornea): 3/4 der Brechkraft des Merke
Auges entfallen auf die Hornhaut.
Das Kammerwasser dient dem Stofftransport
Linse (Lens): Die bikonvexe Linse ist eine glas- innerhalb des Auges.
klare elastische Struktur mit variabler Brechkraft.
Sie besteht aus eiweireichen Zellen und ist ge- Weg des Kammerwassers
f- und nervenfrei. Eine ebenfalls durchsichtige Das Kammerwasser gelangt vom Bildungsort
Linsenkapsel begrenzt sie. Die Linse ist an Fasern zunchst in die hintere Augenkammer, von dort
des ringfrmigen Ziliarmuskels aufgehngt. durch die Pupille in die vordere Augenkammer.
Vom Kammerwinkel (= Hornhaut-Iris-Winkel)

P Beim grauen Star (Katarakt) tritt eine Tr-
fliet die Hauptmenge ber den Schlemmschen
bung der Linse ein. Kanal in das Venensystem.

Kammerwasser: Das Kammerwasser ist eine Merke


glasklare zellfreie Flssigkeit. Es wird von der
Ziliardrse produziert und befindet sich in der Fr die Konstanz des Augeninnendruckes
vorderen und hinteren Augenkammer. spielt das Gleichgewicht zwischen Produk-
tion und Abfluss des Kammerwassers eine
Glaskrper: Der Glaskrper fllt den grten wesentliche Rolle. Er wird bei ca. 15 mmHg
Teil des Auges aus. Er besteht aus zellfreier konstant gehalten.
Gallerte und liegt zwischen Netzhaut und Linse.
Blutgefe fehlen ebenso wie Nerven, sonst
wre die Weiterleitung der Lichtstrahlen zur

P Ein erhhter Augeninnendruck entsteht
Netzhaut nicht mglich. durch ein Missverhltnis zwischen Kammer-
wasserproduktion und -abfluss. Liegt er ber
4. Augenkammern und Kammerwasser 20 mmHg, wird dies als grner Star (= Glau-
Man unterscheidet die vordere Augenkammer kom) bezeichnet.
zwischen Hornhaut und Iris und die hintere Die eigentliche Gefahr des Glaukoms besteht in
Augenkammer zwischen Iris, Glaskrper und einer verminderten Durchblutung der Netzhaut
Ziliarkrper. Beide Augenkammern sind durch mit irreversiblen Schden bis hin zur Erblin-
die Pupille miteinander verbunden und mit dung.
Kammerwasser gefllt.
16.4 Gesichtssinn 323

5. Netzhaut (Retina) Augenhintergrund


Als innere Augenhaut kleidet die Retina die Der Augenhintergrund erscheint wegen der
Innenflche der Augapfelwand bis weit nach Blutgefe der Chorioidea (Aderhaut) rtlich.
vorn aus. 2 Stellen sind hervorzuheben:
Sie gliedert sich in 2 Abschnitte: Blinder Fleck (= Sehnervenpapille, Discus
dem kleineren vorderen blinden Abschnitt, nervi optici): Das ist ein Loch in der Netzhaut,
der aus 2 pigmenthaltigen Epithelzellschichten durch das die Nervenfasern das Auge verlas-
besteht und der Ziliarkrper und Iris bedeckt sen und die Blutgefe in das Augeninnere
sowie treten. An dieser Stelle kann man nichts sehen.
dem greren hinteren Abschnitt (Pars optica). Gelber Fleck (Macula lutea): Diese blutge-
In diesem aus 10 Schichten bestehenden Teil ffreie Stelle der Netzhaut stellt eine kleine
liegen die ersten 3 Neurone der Sehbahn. Grube oder Vertiefung (Fovea centralis) dar.
Hier befinden sich nur tageslichtempfindliche
Das 1. Neuron bildet die Photorezeptoren Zapfenzellen. Sie ist die Stelle des schrfsten
(6 7 Mill. Zapfenzellen und ca. 120 Mill. Sehens.
Stbchenzellen pro Auge). Die Photorezeptoren
befinden sich am weitesten auen, also dem
P Macula-Degenerationen beeintrchtigen das
Lichteinfall abgewandt, sodass die Lichtstrahlen Sehvermgen besonders stark.
zunchst durch alle anderen Netzhautschichten
hindurchdringen mssen.

Die Stbchenzellen liegen mit Ausnahme des 16.4.2 Schutz- und Bewegungsapparat
gelben und blinden Flecks in der gesamten Pars des Auges
optica. Die Zapfenzellen sind auf die Fovea cen-
tralis (kleine Grube) des gelben Fleckes und ihre Die Teile des Schutz- und Bewegungsapparates
unmittelbare Umgebung konzentriert. gewhrleisten die strungsfreie Funktion des
hochempfindlichen Lichtsinnesorgans. Zu ihnen
Das 2. Neuron wird von bipolaren Nervenzellen gehren die kncherne Augenhhle, die Augen-
gebildet. lider und der Trnenapparat.

Das 3. Neuron wird von multipolaren Nerven- Kncherne Augenhhle (Orbita)


zellen gebildet. Ihre Neuriten treten am blinden Beide Augenhhlen enthalten jeweils
Fleck durch die Augapfelwand und bilden den den Augapfel und
Sehnerven. 4 gerade und 2 schrge Augenmuskeln zur
Bewegung des Augapfels. Die Augenmuskeln
Weitere Zellen wie die Horizontal- und amakri- werden von 3 Hirnnerven (III, IV,VI) innerviert.
nen Zellen (multipolare Nervenzellen) sichern Diese sichern das koordinierte Zusammen-
die vielfltigen Verschaltungen. spiel der Muskeln beider Augen ( S. 354);
den Sehnerven (N. opticus), der s-frmig ge-
Die Blutversorgung der Retina erfolgt durch die bogen ist, um die Bewegung des Auges nicht
zentrale Netzhautarterie (A. centralis retinae), zu behindern;
die von der Augenarterie (A. ophthalmica) Fettgewebe zur Abpolsterung;
kommt, und die zentrale Netzhautvene (V. centra- die Trnendrse: Sie liegt in einer kleinen Gru-
lis retinae), die in die obere Augenvene (V. oph- be an der ueren oberen Augenhhlenwand.
thalmica superior) mndet. A. und V. centralis
retinae treten gemeinsam mit dem Sehnerven am
P Weichen beide Augachsen stark voneinan-
blinden Fleck durch die Augapfelwand. der ab, kommt es zum Schielen (Strabismus),
wobei Doppelbilder entstehen knnen.
Merke
Die Retina ist das eigentliche Sinnesorgan Augenlider
des Auges. Vor jedem Auge befindet sich ein Oberlid und
ein Unterlid.
324 16 Sinnessystem

Lidheber kncherne Augenhhle


(M. levator (Orbita) mit Fettgewebe ausgepolstert
palpebrae
superioris) oberer schrger Augenmuskel
(M. obliquus superior)
oberer gerader Augenmuskel
(M. rectus superior)

Oberlid
gemeinsamer
Sehnenring der
Augenmuskulatur
Augapfel
(Bulbus oculi) Sehnervenkanal
(Canalis opticus)
Sehnerv
(N. opticus)

mittlerer gerader Augenmuskel


(M. rectus medialis)
unterer gerader Augenmuskel
(M. rectus inferior)
Unterlid uerer gerader Augenmuskel
(M. rectus lateralis)
unterer schrger Augenmuskel
(M. obliquus inferior)

Abb. 16.11 Augapfel und Augenmuskeln.

Die Lider bestehen aus: Bindehaut


der Bindegewebs-Muskelplatte im Inneren, Die Bindehaut sowohl des Ober- als auch des
dem Skelett der Augenlider, Unterlides geht in die Bindehaut des Augapfels
einer zarten ueren Haut, die leicht ver- ber. Dadurch entsteht oben und unten jeweils
schiebbar ist, eine Bindehauttasche. Diese bezeichnet man
den Wimpern (oben ca. 150, unten ca. 275) zusammen als Bindehautsack (Saccus conjunc-
zwischen vorderer und hinterer Lidkante, tivalis). Der Bindehautsack ist zu sehen, wenn
den Lidhebe- und Lidschliemuskeln sowie man das Augenlied vom Augapfel wegzieht.
der Bindehaut (Tunica conjunctiva palpebralis),
einer Schleimhaut an der Hinterflche.

oberer schrger
Augenmuskel
III. Augen- oberer gerader
bewegungsnerv Augenmuskel
(N. oculomotorius)
uerer gerader
Mittelhirn Augenmuskel
Brcke
IV. Augenrollnerv
(N. trochlearis)
mittlerer gerader unterer schrger
Medulla oblongata Augenmuskel Augenmuskel
VI. Augenabziehnerv unterer gerader
(N. abducens) Augenmuskel

Abb. 16.12 Augenmuskeln und ihre Innervation durch die Augenmuskelnerven.


16.4 Gesichtssinn 325

Liddrsen Trnenapparat

Augenbraue
Trnendrse
Oberlid (Gl. lacrimalis)
Mollsche Drse obere
Wimper Umschlagstelle
der Bindehaut
Meibomsche Drse (Bindehautsack) Trnensack
Regen-
bogenhaut Trnen-
Pupille nasengang
(Ductus
nasolacrimalis)

Bindehaut Trnen-
(Conjunctiva)
untere Umschlagstelle rhrchen
Unterlid der Bindehaut
Mollsche Drse Trnen-
(Bindehautsack)
punkt
Meibomsche Drse

Liddrsen und Trnenapparat. Abb. 16.13

P Sowohl das Berhren der Hornhaut als auch Trnenapparat


Die Trnendrsen hinter dem Oberlid sezernie-
der Bindehaut fhrt reflektorisch zum Lid-
ren pro Tag etwa 500 ml Trnenflssigkeit. Sie
schluss (Schutzreflex).
ist farblos und enthlt desinfizierende Substan-
zen (z. B. Kochsalz) und das bakterienabttende
Die Bindehaut eignet sich wie alle Schleim-
Lysozym. ber mehrere Ausfhrgnge gelangt
hute gut zur Resorption von Arzneimitteln. In
die Trnenflssigkeit in den Bindehautsack und
Form von Augentropfen werden sie meist in
wird durch den Lidschlag ber die Vorderflche
den unteren Teil des Bindehautsackes (Unterlid
des Augapfels verteilt, sodass die Hornhaut
wird abgezogen oder umgeschlagen) einge-
feucht gehalten wird. Die Trnenflssigkeit sam-
trufelt.
melt sich im medialen Augenwinkel, dem sog.
Liddrsen Trnensee, und fliet ber Trnenrhrchen,
Meibom-Drsen (innere Talgdrsen). Sie lie- Trnensack und Trnennasengang in den unte-
gen an der Lidhinterseite und produzieren ein ren Nasengang.
talghnliches Sekret, das ber Ausfhrgnge
Merke
der hinteren Lidkante an die Lidrnder gelangt
und diese einfettet. Die Trnenflssigkeit sichert die einwand-
Moll-Drsen. Schweidrsen, die in der Nhe freie Funktion der Hornhaut, indem sie sie
des Lidrandes liegen und dort ausmnden. feucht hlt und kleine Unebenheiten aus-
Zeis-Drsen. uere Talgdrsen, deren Aus- gleicht sowie Fremdkrper im Bindehautsack
fhrgnge am Follikel der Wimpern enden. ausschwemmt.

P Das Gerstenkorn (Hordeolum) entsteht durch


Stauung des Sekretes und Entzndung der Zeis-
P Zu wenig Trnenflssigkeit fhrt zu Binde-
Drsen. Das Hagelkorn (Chalazion) entsteht haut- und Hornhautentzndung (Conjunctivitis,
durch Stauung des Sekrets und Entzn- Keratitis, Syndrom des trockenen Auges).
dung der Meibom-Drsen.
326 16 Sinnessystem

16.4.3 Physiologie des Sehens Das geschieht durch aktive nderung der Linsen-
krmmung (vorwiegend ihrer vorderen Flche)
Als adquater Reiz wirken elektromagnetische und heit Akkommodation.
Strahlen der Wellenlngen 400 bis 700 nm (= Man unterscheidet
sichtbares Licht). Fernakkommodation: Bei entspanntem Ziliar-
muskel flacht sich die Linse ab, die Brechkraft
Bildentstehung auf der Netzhaut wird verringert.
Die brechenden Medien (Cornea, Kammerwas- Nahakkommodation: Durch Kontraktion des
ser, Linse, Glaskrper) werden als dioptrischer Ziliarmuskels kann sich die Linse so weit
Apparat bezeichnet. Dieser wirkt wie eine Sam- krmmen, dass die Brechkraft um etwa
mellinse und lsst auf der Netzhaut verkleinerte 14 Dioptrien steigt. Das ermglicht ein schar-
umgekehrte reelle Bilder der Umwelt entstehen. fes Sehen bis zu einem Abstand von ca. 10 cm
(= Nahpunkt).
Brechkraft
Die Brechkraft gibt an, wie stark Lichtstrahlen
P Die Nahakkommodation nimmt mit zuneh-
gebrochen werden. Sie wird als Kehrwert der mendem Alter ab (Linse krmmt sich aufgrund
Brennweite (f) berechnet und in Dioptrien (dpt) ihres Elastizittsverlustes nicht mehr genug).
ausgedrckt. Die vordere Brennweite des mensch- Wenn der Nahpunkt grer als 30 cm wird,
lichen Auges betrgt 17 mm, deshalb gilt: spricht man von der Alterssichtigkeit (Presbyo-
1 1 pie). Die Kompensation erfolgt durch Sam-
D = = = 58,8 dpt mellinsen, die den Nahpunkt wieder nher an
f 0,017 m das Auge rcken. Nicht immer sind Gre und
Form des Augapfels genau auf die Brechkraft
Akkommodation des dioptrischen Apparates abgestimmt, sodass
Das Bild eines Gegenstandes wird nur dann Strungen bei der Bildentstehung auftreten.
scharf abgebildet, wenn es genau auf der Netz- Die wichtigsten sind:
haut entsteht. Damit die Bilder von Gegenstn- Kurzsichtigkeit (Myopie),
den unterschiedlicher Entfernungen scharf gese- Weitsichtigkeit (Hyperopie, Hypermetropie).
hen werden, ndert das Auge seine Brechkraft.

dingseitige Brennweite bildseitige Brennweite

Parallelstrahl
Sehachse
(Axis opticus)

gelber
Achse des uerer Fleck
Augapfels Brennpunkt
(Axis bulbi)
Hornhaut
Brennpunktstrahl (Cornea)
Linse
(Lens cristallina) innerer
Brennpunkt
Strahlenkrper
(Corpus ciliare) Netzhaut
(Retina)

Abb. 16.14 Bildentstehung.


16.4 Gesichtssinn 327

Fernakkommodation Nahakkommodation

Ziliarmuskel entspannt Ziliarmuskel angespannt

Linse abgeflacht, Linse gekrmmt,


geringe Brechkraft groe Brechkraft

Akkommodation. Abb. 16.15

Bildebene Zerstreuungslinse

Augapfel ist zu lang.


Bildebene liegt vor der Fovea centralis.
Ferne Gegenstnde werden unscharf abgebildet.

Kurzsichtigkeit mit Korrekturlinse. Abb. 16.16

Bildebene Sammellinse

Augapfel ist zu kurz.


Bildebene liegt hinter der Fovea centralis.
Nahe Gegenstnde werden unscharf abgebildet.

Weitsichtigkeit mit Korrekturlinse. Abb. 16.17


328 16 Sinnessystem

Funktion der Stbchen- und Zapfenzellen Merke


Die Zapfen ermglichen das farbige Sehen von
Einzelheiten bei heller Beleuchtung. Wenig Licht groe Pupille
Die Stbchen ermglichen das Schwarzwei- (ein Neuron wird durch groe
sehen bei schlechter Beleuchtung. Retinaflche gereizt),
viel Sehfarbstoff.
Merke Viel Licht kleine Pupille
(ein Neuron wird von kleiner
Scharfe Bilder entstehen nur an der Stelle des Retinaflche gereizt),
gelben Flecks. wenig Sehfarbstoff,
da rascherer Zerfall.
Erregungsbildung
In den Stbchen- und Zapfenzellen befinden
sich Sehfarbstoffe (z. B. Rhodopsin). Diese wer- Gesichtsfeld und Sehbahn
den durch Lichtabsorption mehr oder weniger Das Gesichtsfeld ist das Bild der Umwelt, das
abgebaut (= gebleicht). man mit unbewegten Augen und fixiertem Kopf
Die Bleichung der Sehfarbstoffe fhrt zur Erre- sieht.
gung der Sinneszelle.
Die Sehbahn wird von 4 sensiblen Neuronen
Adaptation gebildet, von denen die ersten 2 komplett in der
Adaptation ist die Anpassung des Auges an die Retina liegen.
jeweilige Lichtintensitt. Man unterscheidet die Vom 3. Neuron befinden sich die Nervenzell-
Pupillen- und Netzhautadaptation. Die Pupillen- krper in der Netzhaut. Seine Axone bilden
adaptation passt das Auge reflektorisch schnell zunchst den Sehnerven (N. opticus), der bis zur
an einen pltzlichen Lichtwechsel an, indem sich Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) zieht. Ab
die Pupille im Hellen verengt und im Dunklen hier verlaufen sie als Sehstrang (Tractus opticus)
erweitert (Pupillenreflex). Die Netzhautadapta- zum seitlichen Kniehcker (Corpus geniculatum
tion passt das Auge durch die Vernderung der laterale) des Thalamus sowie zur Vierhgelplatte
Konzentration der Sehfarbstoffe der Lichtinten- des Mittelhirns. Letztere sind wichtig fr den
sitt an. Pupillen- und Akkommodationsreflex.

Helladaptation M. spincter pupillae Kontraktion


Lichteinfall

Pupille eng
Parasympathicus

Dunkeladaptation M. dilatator pupillae Kontraktion


Lichteinfall

Pupille weit
Sympathicus

Abb. 16.18 Pupillenadaptation.


16.4 Gesichtssinn 329

Im Chiasma opticum kreu-


zen die Nervenfasern der linkes Gesichtsfeld rechtes
Gesichtsfeld
jeweiligen nasalen Retina-
hlfte auf die Gegenseite,
whrend die temporalen
auf der gleichen Seite blei-
ben. Die Nervenfasern aus
dem gelben Fleck (Fovea
centralis) ziehen sowohl
ungekreuzt als auch ge-
kreuzt zur Hirnrinde. Auf nasal temporal
diese Weise werden die Sehnerv
Erregungen gemischt, was (N. opticus)

eine wichtige Vorausset-


zung fr das rumliche Sehnerven-
Sehen ist. kreuzung
(Chiasma opticum)
Sehstrang
Die Perikaryen des 4. Neu- (Tractus opticus)
rons liegen im seitlichen seitlicher
Kniehcker, ihre Axone Kniehcker
verlaufen als Sehstrah- des Thalamus
(Corpus geniculatum
lung (Radiatio optica) laterale)
zum Sehzentrum (= Seh- Sehstrahlung
(Radiatio optica)
rinde) im Hinterhaupt-
lappen der Grohirnrinde.
Jedem Punkt des Gesichts- Sehzentrum
feldes ist hier eine be-
stimmte Anzahl von Neu-
ronen zugeordnet, die mei-
sten dem gelben Fleck. Sehbahn. Abb. 16.19

Merke
Die Aufgabe der Sehzentren besteht darin,
die von den Augen kommenden Informationen
in ein aufrechtes, reelles Bild umzuwandeln.

P Bei Zerstrung der Sehzentren, z. B. durch


Tumoren, Verletzungen etc., erblindet der
Mensch (= Rindenblindheit).

Leistungen des Gesichtssinns


Die Sehleistungen des Menschen umfassen
Hell-dunkel-Sehen,
Farbsehen,
rumliches Sehen und
Erkennen von Mustern und Bewegungen.
330 16 Sinnessystem

Fragen zur Wiederholung


,

1. Definieren Sie
a) Reiz,
b) adquater Reiz,
c) Reizschwelle,
d) Rezeptor,
e) Sinnesorgan.
2. Nehmen Sie eine Klassifizierung der Reize vor.
3. Erlutern Sie
a) Reizaufnahme,
b) Informationsleitung.
4. Was ist
a) unter Oberflchensensibilitt,
b) unter Tiefensensibilitt zu verstehen?
Erlutern Sie die biologische Bedeutung dieser Sinne.
5. Welche Bedeutung hat der Schmerz?
Was versteht man unter bertragenem Schmerz?
6. Erlutern Sie die biologische Bedeutung von Geruch und Geschmack.
7. Beschreiben Sie den Aufbau des Ohres.
8. Wie arbeitet das Gleichgewichtsorgan, und welche Aufgaben erfllt es im Krper?
9. Erlutern Sie die ablaufenden Prozesse bei der Schallaufnahme und -weiterleitung.
10. Erklren Sie, wie es zur Erregung der Hrsinneszellen im Cortischen Organ kommt.
11. Nennen Sie Manahmen zur Lrmbekmpfung.
12. Beschreiben Sie den Bau des menschlichen Auges.
13. Welche Aufgaben haben:
a) die brechenden Medien,
b) der Ziliarkrper,
c) das Kammerwasser?
14. Beschreiben Sie den Abfluss des Kammerwassers.
15. Wo liegen
a) vordere und
b) hintere Augenkammer?
16. Beschreiben Sie die Verteilung der Photorezeptoren in der Retina.
17. Definieren Sie
a) gelber Fleck,
b) blinder Fleck!
18. Nennen Sie die Schutzeinrichtungen des Auges und ihre Aufgaben.
19. Beschreiben Sie die Bildentstehung auf der Netzhaut und das Funktionsprinzip der Stb-
chen und Zapfen.
20. Erklren Sie Akkommodation und Adaptation.
Worin liegt ihre biologische Bedeutung?
21. Was versteht man unter der Sehbahn?
22. Geben Sie einen berblick ber die Leistungen des Gesichtssinnes.
23. Warum strengt langes Nahsehen die Augen besonders an?
331

17 Nervensystem

Das Nervensystem steuert


und koordiniert die lebens-
erhaltenden Krperfunk-
tionen so, dass mit mg- Gehirn
lichst wenig Aufwand eine (Cerebrum)

optimale Anpassung an
die aktuellen Umweltein- ZNS
wirkungen erfolgt. Dazu
nimmt es mithilfe von Rckenmark
Rezeptoren Informationen (Medulla spinalis)
auf, analysiert und spei-
chert sie, um danach die
Effektorgane zur Aktivitt
anzuregen. Zum Beispiel
wird Sprachinformation
akustisch aufgenommen,
analysiert und gespei-
chert, danach werden die
Sprechorgane erregt, und
es erfolgt die Reaktion.

17.1 Gliederung periphere


Nerven
1. Nach anatomischen Ge-
sichtspunkten werden PNS
Zentralnervensystem
und peripheres Nerven-
system unterschieden
( Tab. 17.1, S. 332).
Zentralnervensystem
(ZNS):
Gehirn und Rckenmark.
Sie bestehen aus:
grauer Substanz (= Ner-
venzellkrper) und
weier Substanz (= Ner-
venfasern), deren weie Nervensystem. Abb. 17.1
Farbe auf die lipidhalti-
ge Markscheide zurck-
zufhren ist.
Peripheres Nervensystem (PNS): Merke
Das periphere Nervensystem besteht aus den Das ZNS dient der Weiterleitung, Verarbeitung
zu- und abfhrenden Nervenfasern, die sich in und Speicherung von Informationen, das PNS
den peripheren Nerven befinden ( S. 352). hauptschlich der Weiterleitung.
Das periphere Nervensystem verbindet ZNS
und Organe miteinander.
332 17 Nervensystem

Tab. 17.1 Anatomische Gliederung des Nervensystems.

Nervensystem (NS)
ZNS anatomische Gliederung PNS

Gehirn Rckenmark Gesamtheit der Nervenfasern auerhalb des Ganglien


ZNS als Bestandteil der peripheren Nerven
(z. B. Armnerven, Zwerchfellnerven etc.)

Tab. 17.2 Physiologische Gliederung des Nervensystems.

Nervensysten (NS)
animales NS physiologische Gliederung vegetatives NS, VNS
(= cerebrospinales NS, (= Eingeweide-
Umweltnervensystem) nervensystem)

2. Nach physiologischen (funktionellen)


Gesichtspunkten werden unterschieden Ansicht von ventral Ansicht von dorsal
( Tab. 17.2).
Animales (cerebrospinales somati-
sches) Nervensystem: verlngertes Mark
Das sind jene Teile des Nervensystems, (Medulla oblongata)
die aus der Umwelt Informationen auf-
nehmen, sie verarbeiten und damit eine
individuelle Anpassung an die Umwelt
ermglichen.
Vegetatives Nervensystem (VNS):
Anschwellung im
Das VNS innerviert die glatte Muskula- Halsbereich
tur der Gefe und inneren Organe und (Intumescentia cervicalis)
stimmt so deren Ttigkeit harmonisch
vordere mittlere
aufeinander ab. Rckenmarkspalte
(Fissura mediana anterior)
Merke
hintere mittlere
Animales und vegetatives Nervensystem Rckenmarkfurche
funktionieren nur kooperativ aufeinander (Sulcus medianus posterior)
abgestimmt. Sie bilden also eine Einheit.

17.2 Rckenmark
Anschwellung im
(Medulla spinalis) Lendenbereich
(Intumescentia lumbosacralis)
Das Rckenmark leitet ber absteigende
Nervenfasern (Leitungsbahnen = weie
Rckenmark
Substanz) Informationen vom Gehirn zur (Medulla spinalis)
Peripherie bzw. ber die aufsteigenden
Nervenfasern Informationen von der Rckenmark (Medulla spinalis). Abb. 17.2
Peripherie zum Gehirn.
17.2 Rckenmark 333

17.2.1 Lage und Form kleine -Motoneurone Beeinflussung des


Muskeltonus.
Das Rckenmark liegt als ovaler Strang, Durch- Auerdem befinden sich in den Vorderhr-
messer ca. l cm, Lnge ca. 45 cm, im Wirbel- nern zahlreiche Interneurone zur Steuerung
kanal. Es beginnt als Fortsetzung des verlnger- der -Motoneurone.
ten Markes des Gehirns am groen Hinter- b) 2 Hinterhrner (Cornu posterius) oder
hauptloch und endet in Hhe der Oberkante des Hintersulen (Columna posterior)
2. Lendenwirbels. Der caudale Teil ist verjngt In den Hinterhrnern liegen die Nervenzell-
und wird durch einen 20 25 mm langen End- krper des 2. sensiblen Neurons; die des
faden an der Rckseite des 2. Steiwirbels be- 1. befinden sich auerhalb des Rckenmarkes
festigt. im Spinalganglion, und deren Neuriten ziehen
An der Oberflche des Rckenmarkes fallen als hintere Wurzel in die Hinterhrner.
2 lngs verlaufende Vertiefungen besonders auf: c) 2 Seitenhrner (Cornu laterale) oder
vordere mittlere Rckenmarkspalte (Fissura Seitensulen (Columna lateralis)
mediana anterior) an der Vorderseite tief, In den Seitenhrnern befinden sich Perikaryen
hintere mittlere Rckenmarkfurche (Sulcus des Sympathicus (C8 L3) und des Parasym-
medianus posterior) an der Hinterseite flach. pathicus (S2 S4).
d) Zentralkanal (Canalis centralis)
Er liegt als Rest der Lichtung des Neuralrohres
17.2.2 Innerer Bau ( Abb. 17.3) (eine der ersten Anlagen des ZNS in der
Embryonalentwicklung) im zentralen Verbin-
Die Schnittflche eines Rckenmarkquerschnit- dungsstck der grauen Substanz und enthlt
tes zeigt 2 deutlich unterscheidbare Zonen. Liquor. Cranial steht er mit dem 4. Ventrikel in
Verbindung, caudal endet er blind. Beim
1. Graue Substanz (Substantia grisea) Erwachsenen ist er oft stellenweise verdet
Die schmetterlingsfrmige graue Substanz besteht ( Abb. 17.14, S. 347).
hauptschlich aus Nervenzellkrpern. Es sind
folgende Teile zu unterscheiden: 2. Weie Substanz (Substantia alba)
a) 2 Vorderhrner (Cornu anterius) oder Die weie Substanz umgibt die graue Substanz.
Vordersulen (Columna anterior) Sie besteht hauptschlich aus markscheidenhal-
In ihnen liegen die motorischen Nervenzell- tigen Nervenfasern, die als Leitungsbahnen
krper der peripheren
motorischen Neurone.
Ihre Neuriten treten ge- Hinterhorn hintere
bndelt an der Vorder- (Columna posterior) Rckmarksfurche
(Sulcus medianus posterior)
seite des Rckenmarks Hinterwurzel
(Radix dorsalis)
als motorische vordere
Wurzeln heraus und
ziehen in den entspre- Spinalganglion
graue (Ganglion spinale)
chenden Nerven zu Substanz
den Muskeln. Bei den (Substantia grisea)
motorischen Nerven- Vorderhorn Spinalnerv
(Cornu anterius) (N. spinalis)
zellkrpern (Perika-
ryen) gibt es 3 Typen. weie
Substanz
groe 1-Motoneu- (Substantia alba) Seitenhorn
rone schnelle Be- (Cornu lateralis)
wegungen der Bewe- motorische
gungsmuskeln, vordere tiefe Lngsspalte Zentralkanal Vorderwurzel
kleine 2-Motoneu- (Fissura mediana anterior) (Canalis centralis) (Radix ventralis)
rone langsame Be-
wegungen der Halte- Rckenmark (Querschnitt). Abb. 17.3
muskeln und
334 17 Nervensystem

C1
Halsteil (Pars cervicalis) mit
8 Paar Halsnerven (Nn. cervicales)
C8
Th1

Rckenmark Brustteil (Pars thoracica) mit


(Medulla spinalis) 12 Paar Brustnerven (Nn. thoracici)

Th12
L1
Lendenteil (Pars lumbalis) mit
Pferde- 5 Paar Lendennerven
(Nn. lumbales)
schweif
(Cauda
equina) L5
S1 Kreuzbeinteil (Pars sacralis) mit
5 Paar Kreuzbeinnerven (Nn. sacrales)
S5
Co1 Steibeinteil (Pars coccygea) mit
1 3 Paar Steibeinnerven (Nn. coccygei)
Co3

Abb. 17.4 Rckenmarksegmente.

zwischen Peripherie und Gehirn verlaufen. Die weier Substanz, die Commisura alba anterior,
weie Substanz wird durch die graue Schmet- in Verbindung;
terlingsfigur rechts und links in jeweils einen Seitenstrang (Fubiculus lateralis)
3 Strnge unterteilt: zwischen motorischer Vorder- und sensibler
einen Vorderstrang (Funiculus anterior) Hinter wurzel und
zwischen Fissura mediana anterior (vordere einen Hinterstrang (Funiculus posterior)
Lngsspalte) und motorischer Vorderwurzel. zwischen sensibler Hinterwurzel und Sulcus
Beide Vorderstrnge stehen durch eine Brcke medianus posterior (hinterer Rckenmarks-
furche).
17.3 Gehirn 335

17.2.3 Rckenmarksegmente Zwischenhirn (Diencephalon),


Mittelhirn (Mesencephalon),
Das Rckenmark wird analog der Wirbelsule in Hinterhirn (Metencephalon),
5 Abschnitte gegliedert. Jeder Abschnitt besteht mit Kleinhirn (Cerebellum)
aus Segmenten (uerlich nur durch die austre- Rautenhirn
und Brcke (Pons),
tenden Rckenmarkwurzeln erkennbar). Zu (Rhomben-
Nachhirn (Myelencephalon) cephalon)
einem Rckenmarksegment gehren 2 vordere oder verlngertes Mark
und 2 hintere Rckenmarkwurzeln. Auf jeder (Medulla oblongata).
Seite verbinden sich die vordere und hintere Sehr vereinfacht wird das Gehirn eingeteilt in
Wurzel im Zwischenwirbelloch zu einem Rcken- das Grohirn und den Hirnstamm (= alle brigen
marknerven (Spinalnerven). Hirnabschnitte).

17.3 Gehirn (Encephalon) 17.3.2 Endhirn (Telencephalon)

17.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung Das Endhirn ist der Sitz des Bewusstseins, des
Empfindens, des Willens und des Gedchtnisses.
Das Gehirn ist der rostrale Teil des Zentralnerven- Es ist beim Menschen der grte Hirnabschnitt,
systems. Beim Erwachsenen betrgt die Hirn- der einen weiten Teil der brigen Hirnteile ber-
masse durchschnittlich 1.350 bis 1.500 Gramm. deckt und diesen funktionell bergeordnet ist.
Das Gehirn liegt von Hirnhuten und Liquor Gebildet wird es von zwei fast symmetrischen
umgeben in der knchernen Schdelhhle und halbkugelfrmigen Hlften (Hemisphren), die
ist dieser in seiner ueren Form angepasst. Die durch einen tiefen Lngsspalt (Fissura longitudi-
untere Flche des Gehirns heit Hirnbasis. nalis cerebri) voneinander getrennt und durch
den Balken (Corpus callosum) miteinander ver-
Gliederung des Gehirns bunden sind.
Folgende Abschnitte unterscheidet man:
Endhirn (Telencephalon) oder Die Oberflche der beiden Hemisphren wird
Grohirn (Cerebrum), durch zahlreiche Windungen (Gyri, Singular:

Endhirn
(Telencephalon)
= Grohirn
(Cerebrum)
Scheitel-
Hinterhaupt-Furche
(Sulcus parietooccipitalis)
Balken
(Corpus callosum)

Zirbeldrse
Zwischenhirn (Epiphyse)
(Diencephalon)
Hirnanhangdrse
(Hypophyse) Kleinhirn
(Cerebellum)
Mittelhirn
(Mesencephalon) Brcke
(Pons)
verlngertes
Mark
(Medulla oblongata)

Rechte Hirnhlfte. Abb. 17.5


336 17 Nervensystem

vordere hintere
Zentralwindung Zentralwindung
(Gyrus praecentralis) (Gyrus postcentralis)
Stirnlappen Scheitellappen
(Lobus frontalis) (Lobus parietalis)

Scheitel-
Hinterhaupt-Furche
seitliche Furche (Sulcus parieto-occipitalis)
(Sulcus lateralis)
Hinterhauptlappen
Schlfenlappen (Lobus occipitalis)
(Lobus temporalis)
Zentralfurche
(Sulcus centralis)

Abb. 17.6 Lappen und Furchen des Endhirns.

Gyrus) und Furchen (Sulci, Singular: Sulcus) Graue Substanz (Substantia grisea)
beachtlich vergrert. Gleichzeitig wird durch Die graue Substanz bildet
die tiefen Furchen jede Endhirnhemisphre in die Endhirnrinde (Cortex cerebri), die wie
4 Endhirnlappen (Lobi, Singular: Lobus) unter- ein Mantel das Endhirn (Grohirn) umschliet.
teilt: Sie besteht aus 10 16 Milliarden Nervenzell-
Stirnlappen (Lobus frontalis), krpern, die in 6 Schichten bereinander an-
Scheitellappen (Lobus parietalis), geordnet sind;
Schlfenlappen (Lobus temporalis) und die Kerne des Endhirns: Als solche werden
Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis). Ansammlungen von grauer Substanz unter-
halb der Hirnrinde bezeichnet.
Wichtige Furchen als Grenzlinien zwischen den
Lappen sind Funktionszentren der Endhirnrinde
die Zentralfurche (Sulcus centralis) zwischen Die ablaufenden Nervenprozesse knnen be-
Stirn- und Scheitellappen, stimmten Teilen der Rinde (= Rindenfelder) zu-
die seitliche Furche (Sulcus lateralis) zwi- geordnet werden. Diese Rindenfelder werden von
schen Stirn-, Scheitel-, Schlfenlappen sowie Nervenzellkrpern gebildet, die gleiche oder hn-
die Scheitel-Hinterhaupt-Furche (Sulcus parieto- liche Funktionen erfllen. Die Projektion erfolgt
occipitalis) zwischen Scheitel- und Hinter- in der Weise, dass die Abschnitte der linken
hauptlappen. Krperhlfte auf dem Kopf stehend (Bein und
Becken oben, Kopf unten) in der rechten End-
Merke hirnhemisphre und umgekehrt reprsentiert
werden. Nach der Funktion unterscheidet man
Vor der Zentralfurche liegt die vordere Zentral-
2 verschiedene Rindenfeldtypen, die motorischen
windung (Gyrus praecentralis) und hinter
und die sensorischen (sensiblen) Rindenfelder.
ihr die hintere Zentralwindung (Gyrus post-
centralis).
Motorische Rindenfelder
Sie werden von motorischen Neuronen gebildet
Innerer Bau
und sind fr das Zustandekommen der Bewe-
Wie das Rckenmark besteht auch das Gehirn
gungen verantwortlich.
aus grauer und weier Substanz.
17.3 Gehirn 337

Zentralfurche
(Sulcus centralis)

vordere
Zentralwindung hintere
(Gyrus praecentralis) Zentralwindung
Willkrmotorik (Gyrus postcentralis)
motorisches Krperfhlsphre
Lese- und
Schreibzentrum Scheitellappen
(Blickzentrum) (Lobus parietalis)
Stirnlappen Hinterhauptlappen
(Lobus frontalis) (Lobus occipitalis)
seitliche Furche Sehzentrum
(Sulcus lateralis)

Hrzentrum optisches Schreib-


und Lesezentrum
motorisches
Sprachzentrum
(Broca-Zentrum)

sensorisches
Sprachzentrum
(Wernicke-Zentrum)

Funktionszentren der linken Endhirnrinde. Abb. 17.7

Primrzentrum der Willkrmotorik. Es liegt Motorisches Sprachzentrum (Broca-Zentrum).


in der vorderen Zentralwindung (Gyrus prae- Dieses Zentrum liegt unter der vorderen Zen-
centralis) des Stirnlappens. Die Zentren fr tralwindung und ist das Koordinationszentrum
den Kopf liegen unten, die fr die Beine oben. fr die Sprachmuskeln (Kehlkopf, Zunge,
Hier werden die Befehle fr alle willkrlichen Wangen, Lippen, weicher Gaumen).
Bewegungen an die Peripherie gegeben.
Vom primren Projektionszentrum ziehen die
P Ein Ausfall des Broca-Zentrums fhrt zur
Projektionsbahnen (Pyramidenbahnen) zu motorischen Aphasie. Der Betroffene ver-
den motorischen Hirnnervenkernen und den steht zwar Worte, kann aber selbst nicht arti-
motorischen Vordersulen des Rckenmarks kuliert sprechen.
( auch Abb. 17.18, S. 351).
Vor der vorderen Zentralwindung liegen die Motorisches Lese- und Schreibzentrum. Es
sekundren motorischen Zentren (Assozia- liegt im Frontallappen. Von dort aus werden
tionszentren). In ihnen entstehen im Zusam- die Augenmuskeln beim Schreiben und Lesen
menwirken mit anderen motorischen Zentren gesteuert.
die Handlungsantriebe und Bewegungsent-
wrfe. Merke
Muskeln, die sehr fein abgestimmte Bewegun- Die motorischen Bahnen kreuzen entweder in
gen (Feinmotorik) ausfhren mssen, besitzen den Pyramiden der Medulla oblongata oder im
ein relativ groes Rindenfeld: So nehmen die Zielsegment auf der Gegenseite, d. h., Strun-
Zentren fr Hand und Mund den grten gen in der linken vorderen Zentralwindung
Raum im Gyrus praecentralis ein. fhren zu Ausfllen in der rechten Krperhlfte.
338 17 Nervensystem

Sensorische Rindenfelder
P Bei Ausfall des Sehzentrums ist der Mensch
Sie werden von sensiblen Neuronen gebildet und blind (Rindenblindheit).
verarbeiten die von den Sinneszellen aufgenom-
menen Informationen. Dem Sehzentrum benachbart sind verschiede-
Primres sensorisches Rindenfeld (= Krper- ne optische Assoziationszentren, z. B. das
fhlsphre). Das Zentrum befindet sich in der optische Erinnerungszentrum fr die Schrift
hinteren Zentralwindung (Gyrus postcentra- (= optisches Lese- und Schreibzentrum).
lis) des Scheitellappens, wo die sensiblen Kr-
perfhlbahnen enden. Diese leiten die Infor-
mationen von den Tast-, Druck-, Temperatur-

P Fllt das Zentrum der optischen Erinnerung
aus, kann der Mensch zwar sehen, aber nicht
und Schmerzrezeptoren der Haut, den Mus-
erklren, was er gesehen hat. Dies wird als
keln, Gelenken und inneren Organen in das
Seelenblindheit bezeichnet.
Zentrum. Hier werden sie dann zu Tast-,
Druck-, Temperatur- und Schmerzempfindun- Zentren fr Geschmacks- und Geruchsemp-
gen verarbeitet und bewusst wahrgenommen findungen. Beide Zentren liegen an der Innen-
( auch Abb. 17.17, S. 350). seite des Schlfenlappens (Gyrus parahippo-
Hrzentrum. Das Hrzentrum liegt im Schl- campalis), wobei sich das Geruchszentrum im
fenlappen und ist nur wenige Millimeter gro. vorderen Abschnitt befindet.
Es ist fr die Wahrnehmung von Lauten und
Tnen zustndig.
Merke

P Ausfall des Hrzentrums fhrt zur Taubheit. Die Organe des Krpers sind bestimmten sen-
siblen und motorischen Regionen der Endhirn-
Sensorisches Sprachzentrum (= Wernicke- rinde zugeordnet. Dies bezeichnet man als
Zentrum). Dieses Zentrum befindet sich hin- Somatotopie ( Abb. 17.8).
ter dem Hrzentrum im Schlfenlappen und
ist wie das motorische Sprachzentrum meist In den primren Projektionsfeldern der Motorik
nur in der linken Endhirnhlfte zu finden. Es (vordere Zentralwindung) und Sensibilitt (hin-
ist fr das Verstehen und die Interpretation tere Zentralwindung) der Endhirnrinde sind die
von Wrtern zustndig. einzelnen Organe nicht nach ihrer Gre, son-
dern entsprechend ihrer funktionellen oder bio-
logischen Wertigkeit reprsentiert. Das heit, je

P Ausfall bedeutet Seelentaubheit. Dem bedeutungsvoller ein Organ diesbezglich ist,
Kranken fehlt die Spracherinnerung. Worte und desto grer ist die rumliche Ausdehnung sei-
Silben werden als Wortsalat hervorgebracht nes Rindenbezirkes und umgekehrt.
(Paraphasie).

Sehzentrum. bersicht ber die paarig angelegten Basalganglien. Tab. 17.3


Das Sehzentrum liegt
in der Kalkarinarinde Basalganglien
oder Area striata des
Hinterhauptlappens.
In dieser primren Seh- Streifenkrper Vormauer Mandelkrper
(Corpus striatum) (Claustrum) (Corpus amygdaloideum)
rinde endet die vom
seitlichen Kniehcker
des Thalamus kom-
mende Sehbahn, und Schweifkern Linsenkern
(Nucleus caudatus) (Nucleus lentiformis)
hier entstehen die opti-
schen Wahrnehmun-
gen.
Schale Bleicher Kern
(Putamen) (Pallidum)
17.3 Gehirn 339

Gyrus postcentralis Gyrus praecentralis


sensorisch motorisch

Reprsentation des Krpers im Gyrus postcentralis und praecentralis (Somatotopie). Abb. 17.8

So ist zum Beispiel das sehr gut abgestimmte Basalganglien (= Stammganglien)


Bewegungsspiel der fr Hand und Mund zustn- Die grauen Kerne des Endhirns werden als Ba-
digen Muskeln darauf zurckzufhren, dass salganglien bezeichnet. Sie liegen in seiner Tiefe
diese ber die Hlfte der motorischen Reprsen- und werden von weier Substanz eingeschlos-
tation in der vorderen Zentralwindung einneh- sen.
men.

Lngsfurche
primres motorisches (Fissura longitudinalis
Rindenzentrum cerebri)
Endhirnrinde
(Cortex cerebri),
graue Substanz
Hirngewlbe (Substantia grisea)
(Fornix) weie Substanz
(Substantia alba)
Schweifkern
(Nucleus caudatus) Balken
(Corpus callosum)
Thalamus
Vormauer innere Kapsel
(Claustrum) (Capsula interna)
mit
Linsenkern- Projektionsbahnen
schale (nicht dargestellt)
(Putamen)
Mandelkrper
Bleicher Kern (Corpus amygdaloideum
(Pallidum)
Hypothalamus
Linsenkern
(Nucleus lentiformis) rechte Hemisphre alinke Hemisphre

Kerne des Endhirns (Frontalschnitt). Abb. 17.9


340 17 Nervensystem

Die Basalganglien sind ein wichtiges Bindeglied Assoziationsbahnen: Sie verbinden die Zen-
zwischen den motorischen Zentren der Grohirn- tren innerhalb einer Endhirnhemisphre unter-
rinde und denen des Hirnstammes; sie sind aber einander.
der Rinde untergeordnet. Kommissurenbahnen: Sie verbinden die bei-
den Hemisphren miteinander.
Aufgaben
Die Basalganglien sind vor allem am Zustande- Merke
kommen und der Sicherung der normalen Bewe-
gungsablufe beteiligt. Das heit, als Teil des Das wichtigste Kommissurensystem ist der
extrapyramidal-motorischen Systems Balken (Corpus callosum).
sichern sie die Flssigkeit und Zweckmig-
keit der Bewegungen sowie automatisierte und Projektionsbahnen: Diese Leitungsbahnen
individuelle Mitbewegungen, verbinden das Endhirn mit den anderen Hirn-
koordinieren sie die Bewegungen und sind teilen und dem Rckenmark.
mitverantwortlich fr Mimik und Muskeltonus,
Merke
integriert der Mandelkrper Umweltreize und
inneres Milieu und beeinflusst somit die Das Hauptprojektionssystem ist die innere
Ttigkeit des vegetativen Nervensystems. Kapsel (Capsula interna), die in Wirklichkeit
keine Kapsel ist, sondern ein Gebiet, in dem
Merke die meisten afferenten und efferenten Projek-
Koordinierte und orientierte Handlungen bis tionsfasern auf engstem Raum verlaufen.
hin zum Persnlichkeitsprofil sind immer das
Ergebnis des Zusammenwirkens aller Funk-
P Schdigungen der inneren Kapsel entstehen
tionszentren der Endhirn- bzw. Grohirnrinde z. B. bei Blutungen. Sie fhren zu schwerwie-
mit den brigen Teilen des Nervensystems. genden Ausfllen (z. B. Halbseitenlhmungen).
Weie Substanz (Substantia alba)
Sie befindet sich unter der Hirnrinde. Man unter- Limbisches System
scheidet folgende Leitungsbahnsysteme: Es wird aus Hirnteilen gebildet, die wie ein Saum
(Limbus) an der Innenflche der Endhirnhemi-
sphre um den Balken und den
3. Ventrikel liegen.
vorderer Schweifkern
Thalamuskern (Nucleus caudatus) Zum limbischen System gehren
(Nucleus thalami Hirngewlbe u. a.:
anterior) (Fornix) das Ammonshorn (Hippocam-
Balken pus) am Boden des seitlichen
(Corpus Ventrikels,
callosum)
die Ammonshornwindung (Gy-
rus hippocampi) unmittelbar
neben dem Zwischenhirn,
die Grtelwindung (Gyrus cin-
guli; gehrt teils zum Stirn-
Ammonshorn und teils zum Schlfenlappen),
(Hippocampus)
das Hirngewlbe (Fornix) um
Teil des Hirnstamm
Riechhirns den 3. Ventrikel,
(Truncus cerebri)
(Bulbus olfactorius) Teile des Riechhirns (z. B.
Mandelkrper
Hirnanhangdrse (Corpus amygdaloi- Bulbus olfactorius),
(Hypophyse) deum) der Mandelkrper (Corpus
Hypothalamus amygdaloideum) im Schlfen-
lappen und
Abb. 17.10 Limbisches System. der vordere Thalamuskern
(Nucleus thalami anterior).
17.3 Gehirn 341

Merke Kniehcker: Sie liegen zu zweit im unteren


hinteren Bereich und dienen als Umschaltzen-
Alle Strukturen des limbischen Systems haben tren der zentralen Sehbahn (seitlicher Knie-
enge Verbindungen zum Hypothalamus. hcker = Corpus geniculatum laterale) und
zentralen Hrbahn (mittlerer Kniehcker =
Funktionen Corpus geniculatum mediale).
Steuerung des emotionalen Verhaltens und da-
mit des Motivationsgefges zur besseren An- Merke
passung an die konkrete Umweltsituation; Im Thalamus erfolgt die Umschaltung der meis-
Regulierung der Lern- und Gedchtnisprozesse; ten Sinnesbahnen, wobei eine Filterung er-
als dem Hypothalamus direkt bergeordnete folgt, d. h., nur die aktuell bentigten Informa-
Zentrale beeinflusst das limbische System tionen werden zum Endhirn weitergeleitet.
zahlreiche vegetative Funktionen wie Blut-
druck, Verdauung und Herzfrequenz.
Hypothalamus
Der Hypothalamus liegt unter dem Thalamus,
Merke getrennt durch eine Furche (Sulcus hypothalami-
Das limbische System steuert vordergrndig cus), und bildet den Boden des 3. Ventrikels.
die Verhaltensweisen, die die Befriedigung der
primren Bedrfnisse sichern, also letztendlich Aufgaben
der Erhaltung der Art dienen ( S. 371). In den Kerngebieten des Hypothalamus liegen
die bergeordneten Zentren des vegetativen
Nervensystems.

P Erkrankungen des limbischen Systems kn-


1. Hunger- bzw. Esszentrum. Regulation des
nen zu fehlangepassten Verhaltensweisen fhren. Appetits und der Verdauungsfunktionen.


P Bei Ausfall erlischt das Bedrfnis zur Nah-
rungsaufnahme.
17.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon)
2. Durstzentrum. Hier wird die Flssigkeitsauf-
Das Zwischenhirn wird zum grten Teil vom nahme reguliert.
Endhirn berlagert. Nur kleinere Abschnitte sind 3. Temperaturregulationszentrum. Hier aus wird
an der Hirnbasis sichtbar. die Krpertemperatur reguliert ( S. 210).
Es wird hauptschlich aus 2 Abschnitten ge- 4. Sexualittszentrum. Durch die Bildung der
bildet, dem viel greren Thalamus und dem Releasing- und Inhibitinghormone werden die
darunter liegenden kleineren Hypothalamus. Sexualfunktionen regulierend beeinflusst.
Beide Abschnitte begrenzen den spaltfrmigen
3. Ventrikel und werden dadurch in einen linken Merke
und rechten Anteil getrennt.
ber dem Hypophysenstiel (Infundibulum)
Thalamus steht der Hypothalamus und damit das Gehirn
Der Thalamus besteht berwiegend aus grauer mit der Hypophyse in Verbindung. Er stellt
Substanz, die zahlreiche Kerngebiete bildet. somit das zentrale Bindeglied zwischen
Nervensystem und Hormonsysten dar.
Aufgaben
Vorderer Kern (Nucleus anterior thalami):
Umschaltstation der Riechbahn.
Seitlicher Kern (Nucleus lateralis thalami):
Umschaltstation aller sensiblen Bahnen zur
hinteren Zentralwindung (Krperfhlsphre).
Mittlerer Kern (Nucleus medialis thalami):
Regulierende Beeinflussung der Bahnen zur
Bewegungssteuerung.
342 17 Nervensystem

17.3.4 Mittelhirn (Mesencephalon) die Haube (Tegmentum),


die Grohirnschenkel (Cruca cerebri) oder
Das Mittelhirn schliet sich als kleinster Hirnab- Grohirnstiele (Pedunculi cerebri).
schnitt dem Zwischenhirn an und ist oberster
Teil des Hirnstammes. Der Hirnstamm selbst Das Dach (Tectum, Vierhgelplatte) des Mittel-
besteht aus dem Mittelhirn, der Brcke und hirns liegt dorsal und wird vom Endhirn ber-
endet mit dem verlngerten Mark, das auf der deckt. Es wird aus der Vierhgelplatte gebildet
Hhe des Hinterhauptlochs in das Rckenmark ( Abb. 17.12). In den 2 oberen Hgeln befindet
bergeht. sich die Umschaltstelle fr die Sehbahn und in
den 2 unteren die fr die Hrbahn. Von diesen
Bevor das Mittelhirn und die weiteren Hirnab- Zentren ziehen Reflexbahnen zum Rckenmark
schnitte nher erlutert werden, ist es erforder- weiter.
lich, auf die Hirnnervenkerne einzugehen. Auch
diese Kerne bestehen aus abgegrenzten Ansamm-
P Bei Tumoren in der Vierhgelplatte kann es
lungen von Nervenzellkrpern (Perikaryen). Bei zu Blickparesen (Lhmungen) und Hrstrun-
den Kerngebieten der Hirnnerven werden moto- gen kommen.
rische und sensible (sensorische) unterschieden.
Die motorischen Hirnnervenkerne sind Ur- Die Haube (Tegmentum) liegt zwischen Dach
sprungskerne. Sie bestehen aus den Perikaryen und Hirnschenkeln. Sie enthlt
des 2. peripheren motorischen Neurons, deren wichtige Kerngebiete, die fr den Ablauf
Neuriten die peripheren Hirnnerven bilden ( automatischer Bewegungen bedeutungsvoll
Abb. 17.18, S. 351 und Kap. 17.9.1). sind und zum extrapyramidal-motorischen
Die sensiblen Hirnnervenkerne sind Endkerne System (EPS) gehren;
und werden von den Perikaryen der 2. sensiblen die Ursprungskerne der Hirnnerven 3 und 4.
Neurone gebildet. Die Perikaryen der 1. sensi- Diese sind zustndig fr
blen Neurone pseudounipolare Nervenzellen die Steuerung der Augenbewegungen,
sitzen in den Hirnnervenganglien ( Abb. 17.17, den Pupillenreflex und
S. 350). die Akkommodation;
durchlaufende sensible Bahnen, z. B. zum
Man untergliedert das Mittelhirn in 3 Teile mit Zwischenhirn und Hrzentrum.
2 motorischen Kerngebieten:
das Dach (Tectum), Die 1,5 cm langen Grohirnschenkel (Crura
cerebri) liegen ven-
dorsal tral. Sie beginnen
Verbindung zwischen am oberen Brcken-
Zirbeldrse 3. und 4. Hirnventrikel rand und treten dann
(Corpus pineale) (Aquaeductus cerebri)
in die Tiefe. In den
oberer Hgel Dach Grohirnschenkeln
(Colliculus cranialis) (Tectum) befinden sich die
Haube Nervenfasern vom
(Tegmentum)
Endhirn zum Klein-
hirn und der Pyra-
roter Kern midenbahn.
(Nucleus ruber)
schwarze Kerngebiete des
Substanz Mittelhirns
(Substantia Im Mittelhirn heben
nigra) Grohirn-
schenkel sich 2 grere Kerne
ventral (Cruca cerebri) ab. Sie sind Teil der
Formatio reticularis.
Abb. 17.11 Mittelhirn mit Kerngebieten (Querschnitt).
17.3 Gehirn 343

Balken
(Corpus callosum)
Adergeflecht
Gewlbebogen (Plexus choroideus)
(Fornix) Epiphyse
Thalamus (Epiphysis cerebri)
3. Ventrikel Zirbeldrse
(Ventriculus tertius) (Corpus pineale)

Hypophysenstiel Vierhgelplatte
(Lamina tecti)
Sehnerven-
kreuzung Kleinhirn
(Cerebellum)
Hirnanhangs-
drse 4. Ventrikel
(Hypophyse) Mittelhirn (Ventriculus quartus)
(Mesencephalon)
Brcke verlngertes Mark
(Pons) Wasserkanal (Medulla oblongata)
(Aquaeductus cerebri)

Hirnstamm und Kleinhirn (Medianschnitt). Abb. 17.12

Roter Kern (Nucleus ruber) Bewegungsarmut (Akinese),


Der rote Kern ist kugelfrmig. Die rtliche erhhte Muskelspannung (Rigor),
Farbe beruht auf der Einlagerung eisenhalti- Zittern (Tremor),
ger Farbstoffe. Er ist Umschaltstation fr Strungen des vegetativen Nervensystems,
Informationen des extrapyramidal-motori- Verlangsamung des Gedankenablaufs.
schen Systems zwischen Endhirn, Kleinhirn
und Rckenmark und koordiniert in diesem
Zusammenhang das Zusammenspiel der 17.3.5 Brcke (Pons)
Beuger und Strecker beim Gehen und Laufen.
Die Brcke ist an der Hirnbasis als vorspringen-

P Strungen des Nucleus ruber uern sich der weier Querwulst zwischen verlngertem
u. a. als Mark und Mittelhirn sichtbar. Sie besteht aus
ungeordnete Bewegungen (Ataxien), quer verlaufenden Nervenfasern, die End- und
fehlerhaftes Muskelzusammenspiel und Kleinhirnrinde verbinden. In diese Nerven-
Zittern. bahnen sind die Brckenkerne eingeschaltet,
sodass die Brcke hier als Schaltstation dient;
Schwarze Substanz (Substantia nigra) motorischen und sensiblen Nervenfasern, die
Das Kerngebiet liegt als flchenhafte Nerven- zwischen Endhirn und Rckenmark verlaufen.
zellplatte zwischen Haube und Hirnschenkeln.
Die Nervenzellkrper enthalten Melanin, da-
her die dunkle Farbe.
Die Substantia nigra ist wechselseitig verbun- 17.3.6 Kleinhirn (Cerebellum)
den mit den Basalganglien und dem Endhirn.
Ihre Zellen sind zustndig fr die Produktion Das Kleinhirn befindet sich in der hinteren
des Neurotransmitters Dopamin, das in den Schdelgrube unterhalb des Hinterhauptlappens
Basalganglien bentigt wird. des Grohirns. Wie das Grohirn besteht auch
dieser Hirnteil aus 2 Hemisphren, die in der
Mitte durch den Kleinhirnwurm (Vermis cere-

P Eine Strung der Dopaminsynthese in der


belli) verbunden werden. Die Kleinhirnrinde
Substantia nigra fhrt zur Parkinsonschen (Cortex cerebelli) bildet die Hlle und weist an
Erkrankung mit den Symptomen: ihrer Oberflche zahlreiche quer verlaufende
344 17 Nervensystem

Furchen auf. Im Inneren der Hemisphren unter


P Verletzungen der Medulla oblongata sind
der Rinde befindet sich die weie Substanz, die mit der Gefahr des Atem- und nachfolgenden
sich in Form der Kleinhirnstiele in die benach- Herzstillstandes verbunden.
barten Hirnteile (Mittelhirn, Brcke, Medulla
oblongata) fortsetzt. In beiden Kleinhirnhemi-
Merke
sphren befinden sich auerdem jeweils 4 Klein-
hirnkerne. Durch verlngertes Mark, Brcke, Mittelhirn
und Zwischenhirn verlaufen smtliche sensi-
Funktionen des Kleinhirns blen und motorischen Nervenbahnen zwischen
Das Kleinhirn dient in erster Linie dazu, die Rckenmark und Endhirnrinde. Die sensiblen
Ttigkeit der anderen motorischen Zentren zu Bahnen liegen mehr dorsal und die motori-
untersttzen und miteinander zu koordinieren. schen ventral.
Insbesondere ist es zustndig fr
die Erhaltung des Gleichgewichts, indem es
Muskelbewegungen und -spannungen aufein-
ander abstimmt und 17.3.8 Netzsubstanz (Formatio reticularis) und
die reibungslose Durchfhrung der vom End- aufsteigendes retikulres aktivierendes
hirn entworfenen schnellen Zielmotorik. System (ARAS)
Zu diesem Zweck erhlt das Kleinhirn sensible
Informationen von den Muskeln und Sehnen, Zwischen den abgegrenzten Kernen und spezifi-
Informationen vom Gleichgewichtsorgan und von schen Nervenbahnsystemen in verlngertem Mark,
der Grohirnrinde. Alle diese Informationen Brcke, Mittelhirn und Zwischenhirn befinden
werden vom Kleinhirn verarbeitet und anschlie- sich verstreut liegende, unterschiedlich groe
end in extrapyramidalen Bahnen (s. S. 352) den Neuronengruppen. Es handelt sich v. a. um
peripheren Neuronen zugeleitet. Zwischenneurone mit vielen Dendriten und
Synapsen. Diese Neurone bilden die sog. Netz-
substanz. Am strksten ist sie im Mittelhirn

P Pltzlicher Funktionsausfall des Klein- (Nucleus ruber, Substantia nigra) ausgeprgt.
hirns fhrt zu starkem Schwindelgefhl. Ge-
zielte Bewegungen knnen nicht mehr durchge- Aufgaben
fhrt werden. Das Gesicht erhlt ein starres In der Formatio reticularis bleibt immer ein Teil
Aussehen. der zum Endhirn laufenden Afferenzen hngen
und erzeugt hier unspezifische Erregungen. Diese
bilden die Grundlage fr die Entstehung von auf-
17.3.7 Verlngertes Mark (Medulla oblongata) steigenden aktivierenden Impulsen, die vor allem
zu den unspezifischen Thalamuskernen gelangen
Die Medulla oblongata verbindet das Rcken- und selbige aktivieren. Durch dieses aufsteigen-
mark mit der Brcke. Es beginnt also in Hhe de retikulre aktivierende System bestimmt die
des Atlas. Formatio reticularis mageblich den Wachheits-
Seine Hauptbestandteile sind: grad des ZNS und beeinflusst Vorgnge wie
afferente (sensible) und efferente (motorische) Schlaf-wach-Rhythmus,
Nervenbahnen, die vom Rckenmark zum Informationsaustausch,
Gehirn fhren und umgekehrt; Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermgen,
Atmungsregulationszentrum; Emotionen,
Herz-Kreislauf-Zentrum (kardiovaskulres vegetative Funktionen (z. B. Atmung, Kreislauf).
Zentrum); Neben den afferenten Bahnen fhren von der
Sitz der Pyramidenkreuzung; Formatio reticularis auch efferente ber Zwi-
verschiedene Reflexzentren (z. B. Husten-, schenneurone zu den Motoneuronen der Vorder-
Nies-, Schluck- und Brechreflex). sulen im Rckenmark. Auf diese Weise wird
der allgemeine Tonus der Skelettmuskulatur be-
einflusst.
17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS 345

Merke
P Sind die ffnungen zwischen uerem und

Die Formatio reticularis beeinflusst als Koordi- innerem Liquorraum nicht angelegt oder ver-
nator des Hirnstammes Bewusstsein, Motorik, legt, entsteht der Wasserkopf (Hydrocepha-
vegetative Funktionen und Emotionen. Die lus).
dazu notwendigen Informationen erhlt sie von
allen Sinnessystemen, vom Hypothalamus,
Thalamus, dem limbischen System sowie
bestimmten Arealen der Endhirnrinde. 17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS
Die Formatio reticularis ist der Assoziations-
apparat des Hirnstammes. Das ZNS wird von knchernen Hllen (Wirbel-
kanal, Schdelhhle), 3 Rckenmarks- bzw.
Hirnhuten (Meningen) und von 1 Liquorhlle
geschtzt.
Die Hirn- bzw. Rckenmarkshute sind:
17.4 Hirnkammern harte Hirn- bzw. Rckenmarkshaut (Dura
(Ventriculi encephali) mater encephali bzw. spinalis). Die feste und
derbe Dura mater ist als uerste Haut mit der
Im Gehirn liegen 4 mit Liquor gefllte Hirn-
knchernen Umgebung verwachsen;
kammern (Ventrikel; Abb. 17.12, S. 343 und
Spinnwebenhaut (Arachnoidea encephali bzw.
Abb. 17.14, S. 347).
spinalis) liegt direkt unter der Dura. Sie be-
1. und 2. Ventrikel
steht aus einer dnnen Lage Bindegewebe,
Sie liegen in der rechten und linken Endhirn-
dessen kollagene Fasern einander berkreuzen
hemisphre und werden auch als Seiten-
und enthlt keine Blutgefe;
ventrikel bezeichnet.
weiche Hirn- bzw. Rckenmarkshaut (Pia
3. Ventrikel
mater encephali bzw. spinalis). Die ebenfalls
Dieser liegt als spaltfrmiger Raum im Thala-
zarte, dnne, aber gefreiche Pia mater
mus.
schmiegt sich dem Gehirn und Rckenmark an
4. Ventrikel
und dringt in smtliche Vertiefungen ein.
Diese Hirnkammer befindet sich im Rauten-
hirn (Rhombencephalon). Ihr Boden ist die
Rautengrube (Fossa rhomboidea), und das Dach
P Meningitis ist eine Entzndung der Hirn-
wird aus Teilen des Kleinhirns gebildet. hute.
Beide Seitenventrikel sind jeweils durch das
Zwischenkammerloch (Foramen interventricu- Subarachnoidalraum
lare) mit dem 3. und dieser durch einen Kanal Dies ist ein Spaltraum zwischen Arachnoidea
(Aquaeductus cerebri) mit dem 4. Ventrikel ver- und Pia mater, der mit Liquor gefllt ist.
bunden.
Merke
Im beschriebenen Hohlraumsystem befindet Das ZNS ist allseitig von Liquor wie mit einem
sich die Hirn-Rckenmark-Flssigkeit (Liquor Wasserkissen schtzend umgeben. Auf diese
cerebrospinalis). Sie wird von Venengeflechten Weise werden mechanische Erschtterungen
(Plexus chorioideus), die sich in allen Hirn- abgefedert. Auerdem kommt es bei begrenz-
kammern befinden, gebildet. Die 4 Hirnkam- ten Hirnschwellungen nicht zu einem intra-
mern bilden den inneren Liquorraum. Er steht craniellen Druckanstieg.
ber 3 ffnungen im Boden des 4. Ventrikels mit
dem ueren Liquorraum (Subarachnoidalraum,
Zentralkanal des Rckenmarks) in Verbindung:

P Bei der Lumbalpunktion wird beim sitzen-

eine mediane ffnung (Apertura mediana den Menschen eine Kanle zwischen L3 und L4
ventriculi quarti = Magendie-Loch) hinten; oder L4 und L5 in den Subarachnoidalraum
zwei laterale ffnungen (Apertura latera- gefhrt, um Liquor zu gewinnen. Das Rcken-
lis ventriculi quarti = Luschka-Loch) hinter mark kann dabei nicht verletzt werden, da es
sowie unter der 4. Hirnkammer. in Hhe von L2 endet.
346 17 Nervensystem

Rckenmark
weiche
Rckenmarkhaut harte
(Pia mater spinalis)
Rckenmarkhaut
uerer Liquorraum (Dura mater spinalis)
(Subarachnoidalraum) inneres Blatt
Spinnwebenhaut Epiduralraum
(Arachnoidea spinalis)
harte
Wirbel Rckenmarkhaut
(Dura mater spinalis)
Zwischen- ueres Blatt
wirbelscheibe Rckenmarknerv
vorderer Ast (N. spinalis)
(Ramus ventralis)
hinterer Ast
Grenzstrangganglien (Ramus dorsalis)
des Sympathicus

Abb. 17.13 Rckenmarkhute.

Zwischen Arachnoidea und Pia mater von durae matris). Durch ihre besondere Wandstruk-
Rckenmark und Gehirn gibt es keine nennens- tur (um den Endothelschlauch befindet sich
werten Unterschiede. straffes Bindegewebe der Dura mater encephali)
knnen sie nicht kollabieren und werden deshalb
Harte Rckenmarkhaut (Dura mater spinalis) nicht als Venen bezeichnet.
Die harte Rckenmarkshaut bildet im Wirbel-
kanal
P Ein Tentoriumriss (Riss im Kleinhirnzelt)
ein ueres Blatt: Es kleidet als Periost den kann whrend der Geburt eines Kindes durch
Wirbelkanal aus; zu groen Druck im Geburtskanal lebensge-
ein inneres Blatt: In ihm steckt das Rcken- fhrliche Blutungen zur Folge haben.
mark wie in einem Sack. Blutungen im Bereich der Hirnhute, wie sie
Zwischen diesen beiden Blttern befindet sich z. B. bei Schdel-Hirn-Traumen entstehen,
der Epiduralraum, angefllt mit Fettgewebe und knnen zu lebensgefhrlichen Hirndruck-
Venengeflechten zum Schutz des Rckenmarkes erhhungen fhren. Das Blut sammelt sich in
vor Zerrungen. den entsprechenden Rumen.

Harte Hirnhaut (Dura mater encephali)


Bei der harten Hirnhaut sind die 2 Bltter ver-
schmolzen. Sie lsst sich vom Knochen nur
schwer ablsen und bildet aus kollagenem 17.6 Gehirn-Rckenmark-Flssig-
Bindegewebe bestehende Fortstze, die als keit (Liquor cerebrospinalis)
Scheidewnde schtzend zwischen bestimmten
Hirnteilen liegen. Die wichtigsten sind: Der Liquor befindet sich im inneren Liquorraum
Grohirnsichel (Falx cerebri) zwischen den (= Ventrikelsystem) und im ueren Liquorraum
Grohirnhemisphren, (= Subarachnoidalraum, Zentralkanal des Rcken-
Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) zwischen marks).
Hinterhauptlappen und Kleinhirn. Menge:
Ca. 150 Milliliter, davon ca. 35 Milliliter in den
Blutleiter der harten Hirnhaut 4 Ventrikeln.
Innerhalb der harten Hirnhaut verlaufen die Bildung:
klappenlosen vensen Hirnblutleiter (Sinus Die Produktion erfolgt hauptschlich in den zot-
17.6 Gehirn-Rckenmarks-Flssigkeit 347

tenartigen Adergeflechten
(Plexus choroidei1)) der vier Innerer und uerer Liquorraum
Hirnventrikel durch Ultra-
Subarachnoidalraum
filtration aus dem Blut (Cavum subarachnoidale)
(Tagesmenge ca. 650 ml).
knchernes
Resorption: Schdeldach
Die Resorption in das Blut (Calvaria)
erfolgt im ueren Liquor- Seitenventrikel
raum im Bereich der Rcken- (1. und 2. Ventrikel)
markswurzeln sowie durch Wasserkanal
(Aquaeductus cerebri)
die Zotten der Arachnoidea,
die sich in die vensen
4. Ventrikel
Hirnblutleiter vorwlben.
Zentralkanal
Blut-Liquor- bzw. Zwischenkammerloch
Blut-Hirn-Schranke (Foramen interventriculare)
Die aus 3 Schichten (Plexus- 3. Ventrikel
epithel, Basalmembran, Hirn-
kapillarendothel) bestehende
Permeabilittsbarriere be- Schichten des Schdeldaches, Hirnhute
dingt eine unterschiedliche aufgelockerte
Zusammensetzung von Blut- uere kompakte Knochenschicht
serum und Liquor. Dies ist Knochenschicht (Diploe)
ein weiterer Schutzmecha- innere kompakte
nismus fr das hochemp- Knochenschicht
findliche ZNS. Schdeldach
(Calvaria)
venser
Zusammensetzung: harte Hirnhaut Blutleiter
(Dura mater encephali)
Der Liquor beim gesunden Liquorraum
weiche Hirnhaut
Menschen ist eine eiwei- (Pia mater encephali)
arme wasserklare Flssig-
Grohirnrinde Spinn-
keit, deren Zusammenset- (Cortex cerebri) webenhaut
zung aufgrund stndiger (Arachnoidea
Austauschprozesse geringf- encephali)
gig schwankt.

Messgren lumbal: Schutzeinrichtungen von Gehirn und Rckenmark. Abb. 17.14


Eiwei = 190 420 mg/l,
Glucose = 2,7 4,2 mmol/l,
Leukozyten = < 4  106/l.

P Bei Erkrankungen des ZNS kann sich die
Aufgaben: Zusammensetzung des Liquors verndern (bei
Mechanische (Schutz-)Funktion; Gehirn und Meningitis kann er wegen Erhhung der
Rckenmark werden schwebend gehalten. Lymphozytenzahl und des Eiweigehaltes trb,
Temperaturausgleich. bei Blutungen rtlich oder gelblich sein). Zu
Versorgung des Nervengewebes. diagnostischen Zwecken wird durch Lumbal-
punktion selten durch Subokzipitalpunktion
Liquor entnommen. Beide Punktionsarten er-
mglichen auch die Verabreichung von Medi-
kamenten direkt in den Liquor.

1) in Ventrikel eingewachsene Gefnetze


348 17 Nervensystem

17.7 Blutversorgung des Gehirns das Blut in die oberflchlichen Hirnvenen und
sammelt sich in den Sinus der Dura mater. Von
Der Blutzufluss erfolgt ber 4 groe Arterien: diesen fliet es in die innere Drosselvene
rechte innere Kopfarterie (A. carotis interna (V. jugularis interna).
dextra),
linke innere Kopfarte-
rie (A. carotis interna
sinistra),
rechte Wirbelarterie
(A. vertebralis dextra), vorderer
linke Wirbelarterie (A. Verbindungsast
(A. communicans
vertebralis sinistra). anterior)
Beide Wirbelarterien ver-
einigen sich am oberen innere
Kopfarterie
Rand der Medulla oblon- (A. carotis
gata zur Schdelbasis- interna)
arterie (A. basilaris).
hinterer
Arterienring Verbindungsast
(A. communicans
(Circulus arteriosus cere- posterior)
bri)
Die A. basilaris und die Schdelbasis-
arterie
beiden inneren Kopfarte- (A. basilaris)
rien sind durch verschie-
dene Arterienste zu ei- Wirbelarterie
(A. vertebralis)
nem Arterienring zusam-
mengeschlossen. Von die-
sem Ring aus werden die
einzelnen Hirnteile von Arterielle Blutversorgung des Gehirns. Abb. 17.15
der Oberflche her ver-
sorgt.

P Ein Platzen der Arte-
rien fhrt zu Hirnblu- Sinus sagittalis
superior
tungen, die z. B. im
Bereich der inneren Sinus sagittalis
Kapsel Nervenbahnen inferior
schdigen knnen, so- Sinus rectus
dass eine Halbseiten- innere Kopfarterie
lhmung entsteht. Ver- (A. carotis interna)
engungen oder Ver-
Sinus cavernosus
schluss dieser Arterien
fhren zu Durchblu- Sinus petrosus
tungsstrungen unter- superior
schiedlichen Grades Sinus sigmoideus
bis zum Schlaganfall Gesichtsvene
(Apoplexie). (V. facialis)

innere Drosselvene
Der Blutabfluss aus dem (V. jugularis interna)
Schdelinneren geschieht
folgendermaen: Von den Venser Hirnblutleiter (Sinus durae matris). Abb. 17.16
tiefen Hirnvenen gelangt
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 349

17.8 Leitungsbahnen des ZNS Die peripheren Fortstze dieser Zellen sind
mit den Rezeptoren (Schmerz, Druck, Tempe-
Die Bereiche des ZNS werden miteinander ratur, Tiefensensibilitt) verbunden. Die zen-
durch afferente (sensible) und efferente (motori- tralen Fortstze ziehen bei den Rckenmarks-
sche) Leitungsbahnen verbunden. nerven als sensible Hinterwurzel in das
Rckenmark und enden entweder im Hinter-
horn oder in der Medulla oblongata. Bei den
17.8.l Sensible aufsteigende Leitungsbahnen Hirnnerven enden sie in den sensiblen Hirn-
nervenkernen.
In den sensiblen Leitungsbahnen werden die Zweites sensibles Neuron
Informationen von den Sinneszellen (z. B. Es beginnt im verlngerten Mark. Die Neuri-
Wrme, Druck) und Nervenendungen (z. B. ten dieser Neurone kreuzen entweder im
Schmerz) des Krpers den entsprechenden Teilen Rckenmark oder der Medulla oblongata auf
des ZNS zugeleitet. An der Leitung zur End- die Gegenseite und ziehen zum Thalamus.
hirnrinde sind 3 sensible Neurone beteiligt: Drittes sensibles Neuron
Erstes sensibles Neuron (= peripheres sensi- Es geht vom Thalamus aus. Die Neuriten dieser
bles Neuron) Neurone verlaufen durch die innere Kapsel
Diese Neurone sind pseudounipolare Nerven- und enden in der hinteren Zentralwindung
zellen. Die Nervenzellkrper liegen bei den (Krperfhlsphre). Hier entstehen die Empfin-
Rckenmarksnerven in den Spinalganglien dungen und Wahrnehmungen. Die Neuriten der
und bei den Hirnnerven in den Hirnnerven- 2. sensiblen Neurone, die fr die Tiefensensi-
ganglien. bilitt zustndig sind, fhren zum Kleinhirn.

Sensible (afferente, aufsteigende) Leitungsbahnen. Tab. 17.4


Lage Schaltstellen/ Kreuzung Funktion
Synapsen
1. Tractus spinotha- Hinterstrang Medulla Medulla feine Tast- und
lamicus posterior oblongata; oblongata Berhrungsempfin-
Thalamus dungen
1a. Fasciculus medial; mit den Vibration,
gracilis Fasern aus der unte- bewusste
(Goll-Strang) ren Rumpfhlfte und Tiefensensibilitt
den Beinen (Information ber
1b. Fasciculus lateral; mit den Gelenkstellungen und
Muskelspannungen)
cuneatus Fasern aus der obe-
(Burdach-Strang) ren Rumpfhlfte,
dem Hals und den
Armen
2. Tractus spinotha- Seitenstrang Hintersule Rckenmark grobe Schmerz- und
lamicus lateralis des Rcken- vor dem Temperaturempfindun-
marks Zentralkanal gen;
in der grobe Druck- und
3. Tractus spinotha- Vorderstrang Hintersule Commissura Berhrungsempfin-
lamicus anterior des Rcken- alba dungen
marks
4. Kleinhirn-Seiten- Seitenstrang; auen Hintersule Rckenmark unbewusste
strangbahnen des Rcken- und im Tiefensensibilitt
marks Kleinhirn aus Muskeln,
4.1 Tractus spinoce- Sehnen und
rebellaris wieder
zurck Gelenken
anterior
(Gowers-Bahn)
4.2 Tractus spinoce-
rebellaris
posterior
350 17 Nervensystem

17.8.2 Motorische
hintere Zentralwindung
(Gyrus postcentralis) absteigende
= Krperfhlsphre Leitungsbahnen
Endhirnrinde
(Cortex cerebri) Zu den motorischen (abstei-
innere Kapsel der genden, efferenten) Bahnen
Grohirnhlften gehren die Pyramidenbah-
(Capsula interna)
nen und verschiedene extra-
3. sensibles Neuron pyramidale Bahnen. Sie sind
Thalamus fr das Zustandekommen der
Brckenkern willkrlichen und unwillkr-
2. sensibles Neuron lichen Bewegungen zustn-
Hirnnervenganglion dig.
1. sensibles Neuron
sensibler Endkern 1. Pyramidenbahn (Tractus
Kopfganglien pyramidalis)
Medulla oblongata Die Pyramidenbahn dient der
Kleinhirn Willkrmotorik. Sie verbindet
(Cerebellum)
zu diesem Zweck die Endhirn-
peripherer rinde mit den
Fortsatz
motorischen Hirnnerven-
kernen und
motorischen Vorderhrnern
des Rckenmarks. Im Unter-
Hinterstrang-
bahnen schied zur afferenten Lei-
tung wird die efferente nur
aus 2 Neuronen gebildet.
Kleinhirn-
Seitenstrang- Erstes motorisches
bahn (= zentrales) Neuron
Die relativ groen Nerven-
1. sensibles
Neuron zellkrper liegen in der
vorderen Zentralwindung
Skelettmuskel (Gyrus praecentralis) des
mit Stirnlappens. Ihre Axone
Muskelspindel ziehen zum Rckenmark
bzw. zu den motorischen
Hautsinnes- Hirnnervenkernen.
zellen
Zweites motorisches
(= peripheres) Neuron
Die Nervenzellkrper lie-
peripherer gen in den Vorderhrnern
Fortsatz
des Rckenmarks und im
Spinalganglion Hirnstamm. Ihre Axone
erreichen in den motori-
Abb. 17.17 Sensible Leitungsbahnen. schen Vorderwurzeln und
weiterfhrenden periphe-
ren Nerven oder in den
Hirnnerven die quer ge-

P Krankheitsbedingte Schden der Hinter- streifte Muskulatur.
strangbahnen fhren zu schweren Sensibilitts-
und Bewegungsstrungen. Demnach werden 2 Leitungssysteme der Pyrami-
denbahnen unterschieden:
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 351

der Tractus corticonuclea-


ris und vordere
Zentralwindung
der Tractus corticospinalis. (Gyrus praecentralis)
= Willkrmotorik Endhirnrinde
(Cortex cerebri)
Die Abbildung 17.18 zeigt,
dass die Axone beider Bahn- 1. motorisches Neuron
systeme zunchst gemeinsam oder zentrales
motorisches Neuron
von der vorderen Zentral-
windung folgenden Weg neh- Thalamus
men: innere Kapsel
(Capsula interna)

vordere Zentralwindung quer gestreifte


Kopfmuskulatur

innere Kapsel

Hirnschenkel

Tractus
vordere Seite des Mittelhirns corticonuclearis

verlngertes Mark
Brcke (Medulla oblongata)

Pyramidenbahn- 2. motorisches
verlngertes Mark. kreuzung oder peripheres
(Decussatio pyramidum) motorisches Neuron
Im Hirnstamm kreuzt ein Teil motorische
Hirnnervenkerne
der Axone auf die Gegenseite Pyramidenbahnen
und zieht als Tractus corti-
conuclearis zu den motori-
schen Kerngebieten der Hirn-
motorisches Pyramiden-Seiten-
nerven. Hier werden sie auf strangbahn
Vorderhorn
die 2. motorischen Neurone (Tractus cortico-
umgeschaltet, deren Axone zu spinalis lateralis)
den quer gestreiften Kopf-
2. oder
muskeln ziehen. 80 90 % peripheres
der brigen Fasern kreuzen in motorisches
den Pyramiden der Medulla Neuron
oblongata (Pyramidenbahn-
Skelett-
kreuzung, Decussatio pyrami- muskulatur
dum) auf die Gegenseite und
ziehen als Pyramiden-Seiten-
strangbahn (Tractus cortico-
spinalis lateralis) zu den
motorischen Vorderhrnern
des Rckenmarks. Die restli-
chen 10 20 % der Axone
ziehen ungekreuzt als Pyra- Motorische Leitungsbahnen. Abb. 17.18
miden-Vorderstrangbahn
(Tractus corticospinalis ante-
rior) zu ihren Zielsegmenten und kreuzen erst schen Zentren ab, was fr die Koordination der
hier auf die Gegenseite. Bewegungsablufe sehr wichtig ist. Die Pyrami-
Die Axone der Pyramidenbahn geben auf ihrem denbahn bt einen dmpfenden Einfluss auf den
Weg in das Rckenmark ber Abzweigungen Ablauf der spinalen Eigenreflexe, die den Mus-
stndig Informationen an die anderen motori- keltonus regulieren, aus ( S. 363).
352 17 Nervensystem

Merke rik die Basisimpulse gegeben werden, greift das


EPS regulierend so ein, dass die Bewegungs-
Die Pyramidenbahn wird aus dem Komplex ablufe glatt und individuell werden.
der zentralen motorischen Neurone gebildet. Auerdem ist das EPS fr folgende unbewusste
Im Rckenmark wird die Verbindung zu den Muskelaktivitten zustndig:
Muskeln durch die peripheren motorischen automatisierte Bewegungsablufe, z. B. das
Neurone hergestellt. Mitbewegen der Arme beim Gehen und Spre-
chen, sowie

P Schdigungen der Pyramidenbahn fhren zu die Stellung und Haltung im Raum (Gleich-
gewicht).
erhhtem Muskeltonus und berschieenden
Eigenreflexen (Spastik).
Merke

2. Extrapyramidal-motorische Bahnen Das extrapyramidal-motorische System modi-


Als extrapyramidale Bahnen werden alle motori- fiziert die Willkrmotorik und steuert die
schen Bahnen bezeichnet, die nicht zur Pyrami- unwillkrlichen Muskelbewegungen sowie den
denbahn gehren. Sie ziehen von verschiedenen Muskeltonus. Die Grundlage hierfr sind viel-
subcorticalen (nicht zum Cortex gehrenden) fltige Verschaltungen der extrapyramidalen
motorischen Zentren ebenfalls zu den motori- Kerngebiete untereinander, mit dem Cortex,
schen Vorderhrnern des Rckenmarks und die- dem Gleichgewichts- und Gesichtssinn.
nen der unwillkrlichen Motorik. Pyramidales und extrapyramidales System
Die extrapyramidalen Bahnen bilden zusammen sind auf das engste miteinander verknpft.
mit ihren Kerngebieten das extrapyramidal-
motorische System (EPS) mit:
P Typische Zeichen bei Strungen im EPS
dem roten Kern (Nucleus ruber) als zentrale sind Ataxien (ungeordnete Bewegungen),
Umschaltstation ( S. 343), Tremor (Zittern), Hypokinesen (Bewegungs-
der schwarzen Substanz (Substantia nigra), armut) und Hyperkinesen (Bewegungsunruhe)
den Kernregionen des Gleichgewichtsnerven, ( S. 343).
vor allem der Nucleus vestibularis lateralis
(Deitscher Kern),
Anteilen der Netzsubstanz (Formatio reticula-
ris; S. 344),
den Basalganglien ( S. 339), 17.9 Peripheres Nervensystem
dem Kleinhirn (Cerebellum; S. 343), (PNS)
Teilen des Cortex im Stirnlappen, den sog.
prmotorischen Feldern, und Das periphere Nervensystem besteht aus sensi-
den extrapyramidalen Bahnen. blen und motorischen Nervenfasern, die sich in
den peripheren Nerven befinden, und aus Gan-
Wichtige extrapyramidale Bahnen glien. Es dient der nervlichen Versorgung der
Bahn Ursprung Funktion Organe. Dies bezeichnet man als Innervation.
Tractus Nucleus Zu den peripheren Nerven gehren
rubrospinalis ruber ber diese 31 Rckenmarksnervenpaare,
Bahnen werden 12 Hirnnervenpaare und
Tractus Nucleus Beuger und
vestibulospinalis vestibularis Strecker alle weiteren Nerven im Krper (z. B. Arm-
lateralis und Beinnerven, Magennerven, Zwerchfell-
erregt oder nerven etc.).
Tractus Formatio gehemmt.
reticulospinalis reticularis
Ganglien sind Anhufungen von Nervenzell-
Aufgaben des EPS krpern, die sich auerhalb des ZNS in Ver-
Die entscheidende Aufgabe des EPS ist die dickungen von Nerven und Nervenwurzeln
Koordination der willkrlichen Bewegungen. befinden. Sie fungieren als synapthische Um-
Whrend vom Primrzentrum der Willkrmoto- schaltstationen.
17.9 Peripheres Nervensystem 353

Man unterscheidet Hirnnerv VII,


sensible Ganglien, z. B. Spinalganglien in den Gesichtsnerv (N. facialis)
hinteren Rckenmarkswurzeln und Hirn- verlngertes Hirnnerv VIII, Hr- und Gleich-
nervenganglien im Kopf. Sie enthalten die Mark gewichtsnerv (N. vestibulo-
Nervenzellkrper der 1. animalen und vegeta- cochlearis)
tiven afferenten Neurone ( Abb. 17.17, Hirnnerv IX, Zungen-Rachen-
S. 350), Nerv (N. glossopharyngeus)
Hirnnerv X, Herz-Lungen-
Tab. 17.5 Afferente Leitung. Magen-Nerv (N. vagus)
Hirnnerv XI, Beinerv (N.
sensibles Ganglion accessorius)
(Spinal- und Hirnnerv XII, Unterzungen-
Hirnnervenganglien)
nerv (N. hypoglossus)
Haut-
rezeptoren  
 
 Rckenmark
Merke
peripherer zentraler Es gibt sensible, motorische und gemischte
Fortsatz Fortsatz
des pseudo-unipolaren Hirnnerven.
afferenten Neurons
I. Hirnnerv (N. olfactorius) sensibel
Eingeweide-
rezeptoren   
  Rckenmark Der Riechnerv ist ein Teil des Endhirns. Von den
Riechzellen (= 1. Neuron) der Nase ziehen ca.
vegetatives Ganglion
20 Nervenfaserbndel durch die Siebbeinplatte
in den Riechkolben (Bulbus olfactorius). Hier
wird auf das 2. Neuron umgeschaltet, dessen
vegetative Ganglien (= Ganglien des vegetati- Neuriten dann zu den Riechzentren des Endhirns
ven Nervensystems), z. B. Grenzstranggang- gelangen.
lien und vegetative Kopfganglien. Sie enthal-
ten die Zellkrper der 2. efferenten sympathi- II. Hirnnerv (N. opticus) sensibel
schen und parasympathischen Neurone. Der Sehnerv ist ca. 5 cm lang. Er zieht vom
Augapfel in der Augenhhle durch den Canalis
opticus in die Schdelhhle. Vor der Hypophyse
17.9.1 Hirnnerven ( Abb. 17.19, S. 343) vereinigen sich beide Nerven zur Sehnerven-
kreuzung (Chiasma opticum), um dann als Seh-
An der Hirnbasis treten 12 Paar Hirnnerven aus. nervenstrang (Tractus opticus) zunchst zum
Nach der Reihenfolge ihres Austritts aus den ver- Thalamus und von dort aus als Sehstrahlung
schiedenen Hirnabschnitten werden sie mit den (Radiatio optica) zur Hirnrinde zu ziehen
Zahlen I bis XII bezeichnet. ( Abb. 16,19, S. 329).
Hirnabschnitt austretende Hirnnerven III., IV., VI. Hirnnerv (= Augenmuskelnerven)
Endhirn Hirnnerv I1), berwiegend motorisch
Riechnerv (N. olfactorius) Diese Nerven ziehen durch den oberen Augen-
Zwischenhirn Hirnnerv II1), hhlenspalt (Fissura orbitalis superior) zu den
Sehnerv (N. opticus) Muskeln am Augapfel. Der N. oculomotorius
Mittelhirn Hirnnerv III, Augenbewegungs- fhrt auerdem parasympathische Fasern zur
nerv (N. oculomotorius) Verengung der Pupille.
Hirnnerv IV,
Augenrollnerv (N. trochlearis)
P Bei Ausfall des N. abducens kommt es zum
Brcke Hirnnerv V, Einwrtsschielen.
Drillingsnerv (N. trigeminus)
Hirnnerv VI, Augenabzieh-
nerv (N. abducens) 1) Hirnnerv I und II sind keine echten peripheren Nerven,
sondern vorgeschobene Hirnteile.
354 17 Nervensystem

I. Hirnnerv: Riechkolben II. Hirnnerv:


Riechnerv Sehnerv
(N. olfactorius) (N. opticus)

Siebbeinplatte

Riechfden
(Fila olfactoria)
Riechfeld
(Area olfactoria)

Sehnerv
(N. opticus)

III. Hirnnerv:
Augenbewegungsnerv
(N. oculomotorius)

VI. Hirnnerv:
Augen-
abziehnerv
(N. abducens)

IV. Hirnnerv:
Augenrollnerv
(N. trochlearis)

Ganglion trigeminale V. Hirnnerv: Ganglion trigeminale


Drillingsnerv N. ophthalmicus (V1)
(N. trigeminus)
N. maxillaris (V2)
N. mandibularis (V3)
V3

Schlfenmuskel
(M. temporalis) V1
Kaumuskel
(M. masseter)
V2

Motorische Fasern versorgen die V3


Kaumuskeln

Abb. 17.19 Innervationsgebiete der I. VI. Hirnnerven.


17.9 Peripheres Nervensystem 355

VII. Hirnnerv: VIII. Hirnnerv:


Gesichtsnerv Hr- und Gleichgewichtsnerv
(N. facialis) (N. vestibulocochlearis)

oberer
Facialiskern

unterer Speichelkern
Facialiskern
mimische N. facialis
Muskulatur

Felsen-
bein
X. Hirnnerv:
Nervengeflecht Herz-Lungen-
(Plexus parotideus) Magennerv
(N. vagus)

IX. Hirnnerv:
Zungen- rcklufiger
Rachennerv Kehlkopfnerv
(N. glossopharyngeus) (N. laryngeus
recurrens)

Ohrspeicheldrse

XI. Hirnnerv: XII. Hirnnerv:


Beinerv Unterzungennerv
(N. accessorius) (N. hypoglossus)

Trapezmuskel
(M. trapezius)

Innervationsgebiete der VII. XII. Hirnnerven. Abb. 17.20


356 17 Nervensystem

V. Hirnnerv (N. trigeminus = Drillingsnerv) nur von der vorderen Zentralwindung der
berwiegend sensibel Gegenseite versorgt.
Zunchst bilden die sensiblen Fasern im Bereich
der Pyramidenspitze das mchtige Ganglion tri-
P Ausfall des rechten zentralen motorischen
geminale (Gasser-Ganglion). Aus diesem Gan- Neurons, z. B. infolge eines Schlaganfalls, be-
glion treten die 3 Hauptste des Trigeminus. deutet Lhmung der mimischen Muskulatur
1. N. ophthalmicus (V1). Er versorgt sensibel: der linken unteren Gesichtshlfte.
Dura mater der vorderen Schdelgrube, Ausfall des rechten peripheren motorischen
Stirnhaut, Nasenrcken, Neurons, z. B. infolge eines Schdelbasisbru-
Auge, Nasenhhle, ches oder einer Mittelohrentzndung, bewirkt
Stirnhhlen, Keilbeinhhlen, totale Lhmung der rechten Gesichtshlfte
Siebbeinzellen. (u. U. fliet aus dem herabhngenden Mund-
2. N. maxillaris (V2). Er versorgt sensibel: winkel der Speichel und das Auge kann nicht
Haut des unteren Augenlides, mehr geschlossen werden.
Wangen,
Oberlippe, Nasenhhle, VIII. Hirnnerv (N. vestibulocochlearis = Hr-
Gaumen und Zhne des Oberkiefers. und Gleichgewichtsnerv) sensibel
3. N. mandibularis (V3). Er versorgt sensibel: Dieser Nerv tritt ebenfalls durch den inneren
Haut, Kinn, Gehrgang in das Felsenbein. Ein Teil leitet die
Unterlippe, vordere Zungenabschnitte, Erregungen vom Gleichgewichtsorgan und ein
Zhne des Unterkiefers, zweiter die vom Gehrorgan.
untere Wangenbereiche bis Gehrgang und
Trommelfell IX. Hirnnerv (N. glossopharyngeus = Zungen-
sowie motorisch: die Kaumuskulatur. Rachen-Nerv) sensibel, motorisch, parasym-
pathisch
VII. Hirnnerv (N. facialis = Gesichtsnerv) Dieser Nerv innerviert
berwiegend motorisch motorisch die Rachenmuskeln,
Zusammen mit dem Hr- und Gleichgewichts- sensibel die hintere Rachenwand und das hin-
nerv zieht der Gesichtsnerv durch den inneren tere Drittel der Zunge,
Gehrgang in das Felsenbein und verlsst durch parasympathisch die Ohrspeicheldrse (Spei-
eine ffnung (Foramen stylomastoideum) die chelsekretion).
Schdelhhle und gelangt so an die uere Sch-
delbasis. Von hier zieht er durch die Ohrspei- X. Hirnnerv (N. vagus = Herz-Lungen-Magen-
cheldrse in den Gesichtsschdelbereich. Nerv) berwiegend parasympathisch
Der N. facialis enthlt Der N. vagus ist der wichtigste Nerv des Para-
motorische Fasern zur Innervation der mimi- sympathicus.
schen Muskulatur, Er tritt mit 10 15 Faserbndeln aus der Medulla
sensorische Nervenfasern (Geschmacksfasern) oblongata und verlsst die Schdelhhle durch
aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge und das Drosselloch (Foramen jugulare).
parasympathische Fasern zu den Unterkiefer-
und Unterzungendrsen, Trnendrsen, Becher- Verlauf
zellen der Mund- und Nasenschleimhaut. Der X. Hirnnerv ist zunchst Bestandteil des
Gef-Nerven-Stranges des Halses, gelangt
Der motorische Ursprungskern des Facialis in durch die obere Thoraxffnung in das hintere
der Brcke besteht aus 2 Anteilen, Mediastinum und von dort mit der Speiserhre
dem oberen Facialiskern (Augenfacialis): Er durch den Hiatus oesophageus in den Bauch-
versorgt die obere Gesichtshlfte und wird raum.
von den motorischen Rindenzentren sowohl
der rechten als auch der linken Zentral- Entsprechend dieses Verlaufes werden 4 Teile
windung innerviert; unterschieden:
dem unteren Facialiskern (Mundfacialis). Er Kopfteil: Er innerviert sensibel die Dura mater
innerviert die untere Gesichtshlfte und wird der hinteren Schdelgrube.
17.9 Peripheres Nervensystem 357

P Eine Reizung durch Meningitis hat reflekto- XII. Hirnnerv (N. hypoglossus = Unterzungen-
risches Erbrechen zur Folge. nerv) motorisch
Innervationsgebiet: Zungenmuskulatur.
Halsteil: Er innerviert motorisch den Kehl-
kopf, parasympathisch das Herz.

P Einseitige Lhmung des Hypoglossus fhrt

Brustteil: Er innerviert zu erheblichen Behinderungen beim Kauen,


durch rcklufige motorische ste (N. Schlucken und Sprechen.
laryngeus recurrens) die Kehlkopfmuskeln,
parasympathisch: Herz, Bronchien, Speise-
rhre. 17.9.2. Rckenmarksnerven (Nn. spinales)
Bauchteil: Hier bilden die beiden Vagusnerven
Geflechte mit Nerven des Sympathicus. Para- Die Rckenmarksnerven gehen vom Rckenmark
sympathisch innerviert werden Leber, Pan- ab und treten durch das jeweilige Zwischenwir-
kreas, Milz, Nieren, Nebennieren, Magen, belloch aus dem Wirbelkanal heraus. Entspre-
Dnndarm, Dickdarm bis zur Mitte des Quer- chend den 31 Rckenmarkssegmenten gibt es
colons (= Cannon-Bhm-Punkt). 31 Rckenmarksnervenpaare.

XI. Hirnnerv (N. accessorius = Beinerv) Whrend der Embryonalentwicklung bleibt das
motorisch Wachstum des Rckenmarkes gegenber dem
Innervationsgebiete: Kopfwendermuskel, Tra- der Wirbelsule zurck. Das hat zur Folge, dass
pezmuskel. sich die Austrittsstellen (Zwischenwirbellcher)

Nervengeflechte. Tab. 17.6


Plexus hervorgehende Nerven Versorgung

Halsgeflecht Zwerchfellnerven motorisch: Zwerchfell und Zungenbeinmuskel


(Plexus cervicalis) (Nn. phrenici)
C 1 C4 weitere Nerven sensibel: Haut und Muskeln der Hals- und
Schulterregion

Armgeflecht Hautmuskel-Nerv motorisch: Flexoren (Beuger) des Oberarmes


(Plexus brachialis) (N. musculocutaneus) sensibel: Haut am Oberarm und an der
C5 Th1 Auenseite des Unterarmes

Ellennerv (N. ulnaris), motorisch: Unterarmflexoren auf Kleinfingerseite


er ist am Epicondylus sensibel: Haut des Unterarms bis zum kleinen
medialis tastbar, Finger
Musikantenknochen,
Mittelnerv (N. medianus) motorisch: Unterarmflexoren
Speichennerv (N. radialis) motorisch: Extensoren (Strecker) an Unterarm und
Oberarm

Lendengeflecht Oberschenkelnerv motorisch: Muskeln und Haut an der Vorderseite


(Plexus lumbalis) (N. femoralis) des Oberschenkels
L1 L4

Kreuzgeflecht Ischiasnerv motorisch Gesgegend, Damm,


(Plexus sacralis) (N. ischiadicus), u.sensibel: Oberschenkelflexoren
L4 S3 oberhalb der Kniekehle
teilt er sich in:
Schienbeinnerv motorisch: Wadenmuskulatur
(N. tibialis) sensibel: Haut an der Hinterseite des Unter-
schenkels
Wadenbeinnerv motorisch: vordere Unterschenkelmuskeln
(N. peroneus communis) sensibel: Haut an der Vorderseite des Unter-
schenkels
358 17 Nervensystem

Arm von der Arm von der


Beugeseite Streckseite

Armgeflecht
(Plexus brachialis)
Axillararterie
(A. axillaris)

Axillarnerv
(N. axillaris)
Ellennerv
(N. ulnaris)
Hautmuskelnerv
(N. musculocutaneus)

Mittelnerv
(N. medianus)

Speichennerv
(N. radialis)

Ellennerv
(N. ulnaris)

Mittelnerv
(N. medianus)

tiefer Ast des Speichennerves


(Ramus profundus nervi radialis)

oberflchlicher Ast des Speichennerves


(Ramus superficialis nervi radialis)

Ellennerv
(N. ulnaris)

Abb. 17.21 Innervation des Armes.


17.9 Peripheres Nervensystem 359

fr die Rckenmarknerven zu-


nehmend weiter caudal verschie-
ben. Die Wurzeln der Lenden-,
Kreuz- und Steinerven errei- Halsgeflecht
(Plexus cervicalis)
chen deshalb im Wirbelkanal eine
Lnge bis zu 20 cm, ehe sie ihr
Zwischenwirbelloch erreichen. Armgeflecht
Diese Wurzelansammlung unter- (Plexus brachialis)
halb des l./2. Lendenwirbels bil-
det den sog. Pferdeschweif (Cauda Zwerchfellnerv
equina). (N. phrenicus)
Die gemischten Rckenmarks-
nerven teilen sich entweder schon
im Zwischenwirbelloch oder kurz Zwischen-
danach in einen hinteren und rippennerven
einen vorderen Hauptast. Die (Nn. intercostales)

hinteren ste versorgen sensibel


die Haut vom Hinterkopf bis zum
Steibein und motorisch die tiefe
Rckenmuskulatur. Die vorderen
ste bilden mit Ausnahme der
Brustste Nervengeflechte (Ple-
xus), aus denen wichtige periphe-
re Nerven hervorgehen ( Tab.
17.6. S. 357).
Hals- und Armnervengeflecht. Abb. 17.22

L1
Lendengeflecht
(Plexus lumbalis) L2

L3
N. ileohypogastricus
N. ileoinguinalis L4
N. genitofemoralis
N. cutaneus femoris L5
lateralis

N. femoralis
Kreuzbeingeflecht
(Plexus sacralis)

Ischiasnerv*)
(N. ischiadicus)

*) Mchtigster Nerv
des Krpers

Lenden- und Kreuzbeinnervengeflecht. Abb. 17.23


360 17 Nervensystem

Bein von vorn Bein von hinten

Lendengeflecht
(Plexus lumbalis)

Gluteus-Nerven
(Nn. glutaei)
Oberschenkelnerv
(N. femoralis) Kreuzbeingeflecht
(Plexus sacralis)

Obturator-Nerv Obturator-Nerv
(N. obturatorius) (N. obturatorius)
Ischiasnerv
(N. ischiadicus)

Wadenbeinnerv
(N. peroneus communis)
Schienbeinnerv
(N. tibialis)

tiefer Wadenbeinnerv
(N. peroneus profundus)
oberflchlicher
Wadenbeinnerv
(N. peroneus superficialis)
Funerven
(Nn. plantares)

Abb. 17.24 Innervation des Beines.

Merke
P Folgen von Nervenausfllen

Der Rckenmarksnerv (N. spinalis) entsteht N. ulnaris = Krallenhand.


aus dem Zusammenschluss der vorderen moto- N. medianus = Schwurhand.
rischen Wurzel und der hinteren sensiblen N. radialis = Fallhand.
Wurzel eines Segmentes. Die hintere Wurzel N. femoralis = keine Streckung im Kniegelenk,
enthlt das Spinalganglion (Ganglion spinale), Beugung im Hftgelenk ist erschwert.
das als deutliche Verdickung zu erkennen ist. N. tibialis = Fuspitze kann nicht mehr gesenkt
werden.
Im Spinalganglion befinden sich die Neurone N. peroneus communis = Spitzfu.
(pseudounipolare Zellen) der sensiblen Fasern,
deren distale Fortstze Informationen aus der Merke
Krperperipherie erhalten und deren zentrale Hautnerven werden von den sensiblen Nerven-
Fortstze ins Rckenmark ziehen. fasern der Wrme-, Klte-, Druck- und
Schmerzpunkte der Haut gebildet. Das sensi-
Die Rckenmarksnerven liegen in den Zwi- ble Versorgungsgebiet eines Spinalnerven in
schenwirbellchern und sind etwa l cm lang. der Haut wird als Dermatom bezeichnet.
17.10 Reflexe 361

17.10 Reflexe Reflexbogen. Tab. 17.7

Der Mensch ist in der Lage, durch spezifische afferentes efferentes


Rezeptoren Vernderungen in der Umwelt bzw. (sensibles) Neuron (motorisches) Neuron
in sich selbst zu erkennen und darauf zu reagieren.
Diese Vernderungen werden als Reize bezeich- Afferenz Reflexzentrum Efferenz
(Rckenmark,
net ( S. 311). Der Organismus reagiert auf Hirnstamm)
einen Reiz bzw. beantwortet einen Reiz. Reiz- (Umschaltung)
beantwortung bedeutet, dass eine Information,
z. B. in Form einer Bewegung, abgegeben wird. Rezeptor Effektor
Beim Menschen gehren hierzu auch die
Sprachbewegungen. (Reizaufnahme) (Reaktion)

Reflexe stellen die einfachste Form der Reiz- Monosynaptische Eigen- oder Dehnungsreflexe
beantwortung dar. Es handelt sich hierbei um Beispiel: Kniesehnenreflex
eine unwillkrliche stereotypisierte Reaktion auf Ein leichter Schlag auf das rechte Kniesehnen-
einen Reiz, die unter gleichen Bedingungen band (Lig. patellae) fhrt zu einer passiven Deh-
immer in der gleichen starren und schnellen Art
und Weise abluft. Die Reflexzentren hemmendes
(Umschaltstellen) liegen im Rckenmark und Zwischenneuron
Hirnstamm. Hinterhorn sensorische Bahn
Vorderhorn motorische Bahn
Beispiele
Zurckziehen der Hand beim Anfassen eines
heien Gegenstandes;
Saugen und Schlucken,
Reaktionen zur Bewahrung der Krperhaltung,
Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf.

Reflexbogen ( Tab. 17.7)


Grundlage eines jeden Reflexes ist der sog.
Reflexbogen, der eine funktionelle Einheit aus
5 Gliedern darstellt.
Der kurze direkte Informationsweg Erregung
Rezeptor sensibles Neuron Reflexzentrum
im ZNS motorisches Neuron Effektor Hemmung
(Muskel, Drse) heit Reflexbogen.
Die biologische Bedeutung der Reflexe liegt in
der sofortigen und sehr schnellen Reaktion auf
Reize. Dadurch werden die Reflexe zu wichtigen Reiz
Schutzmechanismen (z. B. Fluchtreflexe), sichern vierkpfiger
elementare Lebensvorgnge (z. B. Atmung, Ver- Oberschenkel-
dauung) und stellen die Grundlagen fr das muskel
(M. quadriceps
Erlernen komplizierter Bewegungsvorgnge dar. femoris) zweikpfiger
Oberschenkel-
Merke muskel
(M. biceps femoris)
Es gibt angeborene und durch Lernvorgnge
erworbene Reflexe. Bei den angeborenen Re-
flexen unterscheidet man monosynaptische
Eigenreflexe und polysynaptische Fremd-
Eigenreflex (Kniesehnenreflex). Abb. 17.25
reflexe.
362 17 Nervensystem

nung des rechten vierkpfigen Oberschenkel- Merke


muskels (M. quadriceps femoris) sowie einer
Dehnung und damit Erregung seiner Muskel- Bei den Eigenreflexen befinden sich die Rezep-
spindeln (= Rezeptor). toren (Muskel-, Sehnenspindeln) im Erfolgs-
Die Erregung wird durch sensible Neurone ber organ (Muskel).
die rechte Hinterwurzel in das Hinterhorn des Charakteristisch fr diese Reflexe ist:
betreffenden Rckenmarksegmentes geleitet. in der Regel ist nur 1 Synapse beteiligt,
Auf der gleichen Seite des Segmentes wird ber kurze Reflexzeiten (Zeit von der Reizeinwir-
nur 1 Synapse (daher monosynaptischer Reflex) kung bis zur Kontraktion ca. 20 50 ms),
auf das motorische Neuron des Vorderhorns fehlende Ermdbarkeit,
umgeschaltet. Die Folge ist eine Kontraktion des laufen unabhngig von der Reizstrke ab.
gedehnten Muskels, wodurch die passive Deh- Die Eigenreflexe halten Muskellnge und
nung rckgngig gemacht bzw. die ursprng- Muskelspannung konstant und gleichen auf
liche Muskellnge wieder hergestellt wird. diese Weise den Einfluss der Schwerkraft aus.

Damit die Kontraktion des vierkpfigen Ober- Weitere Beispiele:


schenkelmuskels (als Reaktion auf seine Deh- Achillessehnenreflex. Schlag auf Achilles-
nung) nicht dazu fhrt, dass seine Antagonisten sehne Flexion in den Sprunggelenken.
(als Reaktion auf ihre Dehnung) nun auch reflek- Bicepssehnenreflex. Schlag auf Bicepssehne
torisch kontrahieren, werden diese gehemmt. Flexion im Ellenbogengelenk.
Das geschieht, indem das erregte sensible Tricepssehnenreflex. Schlag auf Tricepssehne
Neuron des vierkpfigen Oberschenkelmuskels Extension im Ellenbogengelenk.
ber eine Abzweigung seines Neuriten gleichzei-
tig ein hemmendes Zwischenneuron im Vorder- Polysynaptische Fremd- oder Hautreflexe
horn erregt, welches die -Motoneurone der Bei den Fremdreflexen findet die Reizaufnahme
Antagonisten hemmt. durch Hautrezeptoren statt und als Reaktion
erfolgt eine Muskelkontraktion.
Neben der Muskellnge wird nach dem gleichen Beispiel: Beugereflex (= typischer Schutzreflex)
Prinzip auch die Muskelspannung (= Muskel- Tritt man mit dem rechten Fu auf einen spitzen
tonus) konstant gehalten. Als Rezeptoren fungie- Gegenstand, so fhrt dies zur Beugung in allen
ren Sehnenspindeln (= Golgi-Sehnenorgane) in Gelenken des rechten und Streckung im linken
den muskelnahen Bereichen der Muskelsehnen. Bein. Wie ist dies zu erklren?

Bestreichen des Bauches von der


Lende zur Bauchmitte und damit
Reizung der Hautrezeptoren fhrt Meinersches Tastkrperchen
zur Kontraktion der der Haut
Bauchmuskeln
(Nabel verzieht
sich zur
Reizseite)

Muskel

Abb. 17.26 Fremdreflex (Bauchdeckenreflex).


17.10 Reflexe 363

Die durch den Schmerzreiz entstehende Er-


P Reflexprfungen sind wichtige diagnostische
regung wird ber sensible Neurone der Hinter- Verfahren. Typisches Beispiel fr einen patholo-
wurzeln in das Rckenmark geleitet. gischen Reflex ist der Babinski-Reflex (Dorsal-
Im Rckenmark werden die Motoneurone der flexion der Grozehe bei Streichen des seitli-
Beuger (liegen in verschiedenen Segmenten) chen Furandes), der bei Schdigung der
des rechten Beines ber erregende Zwischen- Pyramidenbahn auftritt.
neurone erregt und die Motoneurone der Stre-
cker (liegen ebenfalls in verschiedenen Seg- Sttzmotorik
menten) ber hemmende Zwischenneurone Die motorischen Leistungen, die der Haltung des
gehemmt. Das rechte Bein wird gebeugt und Krpers im Raum dienen, werden als Sttz-
flieht von der Schmerzursache weg. motorik bezeichnet. Sie wird durch eine Vielzahl
Gleichzeitig werden ber erregende Zwischen- von Reflexen realisiert. Die Reflexzentren befin-
neurone die Motoneurone der Strecker des lin- den sich in Rckenmark und Hirnstamm.
ken Beines erregt und ber hemmende Zwi-
schenneurone die Beuger gehemmt. Dadurch Motorische Leistungen des Rckenmarks
wird die Flucht noch vergrert und der Auf Rckenmarksebene existiert eine Vielzahl
Krper kann abgesttzt werden. von Verschaltungen, ber die Bewegungen ausge-
lst oder gehemmt werden knnen. Die spinalen
Merke Reflexe beinhalten gewissermaen einen Vorrat
Bei Fremdreflexen finden Reizaufnahme und elementarer Haltungs- und Bewegungsprogram-
-beantwortung in verschiedenen Organen statt. me, die je nach Bedarf vom Organismus genutzt
Die Erregungen laufen ber mehrere Neurone werden knnen, ohne dass sich die bergeordne-
und Zwischenneurone in mehreren Rcken- ten Abschnitte des ZNS im Einzelnen um die
marksegmenten und damit ber mehrere Ausfhrung der Programme bemhen mssen.
Synapsen, so dass auch mehrere Muskeln an- Auf diese Weise werden nderungen in der Be-
gesprochen werden knnen. lastung der Muskeln automatisch ausgeglichen
Fremdreflexe sind auerdem charakterisiert oder Muskeln aufeinander abgestimmt. So ist z. B.
durch beim Streckreflex zu erkennen, dass Schrittbe-
verlngerte Reflexzeiten, wegungen nur mglich sind, wenn die motori-
schnelle Ermdbarkeit und Anpassung, schen Neurone der Strecker und der Beuger
die Tatsache, dass sich unterschwellige Reize wechselseitig aktiviert bzw. gehemmt werden.
summieren knnen, um dann den Reflex aus-
zulsen (z. B. Niesen). Motorische Leistungen des Hirnstamms
Die motorischen Leistungen des Hirnstamms
sorgen mit Halte- und Stellreflexen fr die
Weitere Beispiele fr Fremdreflexe Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der
Bauchdeckenreflex ( Abb. 17.26) normalen Krperhaltung.
Schutzreflexe: Husten, Niesen, Erbrechen,
Trnenfluss, Fluchtreaktionen (z. B. Zurck- Merke
ziehen der Hand infolge eines Schmerzreizes).
Willkrmotorik und Sttzmotorik sind eng
Nutrationsreflexe: Saugen, Schlucken.
miteinander verknpft, denn jede gezielte
Vegetative Reflexe: Kreislauf, Atmung, Ver-
Bewegung muss von einer Neueinstellung der
dauung, Blasen- und Darmentleerung, Sexual-
Sttzmotorik begleitet werden.
funktionen.

P Neugeborene reagieren in erster Linie mit Erworbene Reflexe (bedingte Reflexe)


Reflexen auf Reize, da die Grohirnrinde Wird einem Menschen seine Lieblingsspeise ge-
noch nicht funktionsreif ist. zeigt oder beschrieben, reagiert er mit Speichel-
absonderung, also mit einem Reflex, der nicht
angeboren ist, sondern erlernt wurde.
In der Abbildung 17.27 ist die Herausbildung
des bedingten Speichelreflexes dargestellt.
364 17 Nervensystem

Sehzentrum erregt und ...

sehen
und ... Speichelreflexzentrum erregt
schmecken
= Speicheldrsen werden
angeregt

1. Schritt: angeborener Reflex Speichelsekretion erfolgt

zeitweilige Verbindung

nur Sehzentrum erregt


nur sehen
Bahnung
(durch wiederholte gleichzeitige Erregung
von Seh- und Speichelreflexzentrum
entsteht eine zeitweilige Verbindung
zwischen beiden Zentren)

= Speicheldrsen werden
angeregt

2. Schritt: erworbener Reflex Speichelsekretion erfolgt

Abb. 17.27 Entstehung eines erworbenen (bedingten) Reflexes (Beispiel: Speichelreflex).

Zunchst erzeugen sowohl der 1. Reiz (Sehen 17.11 Vegetatives Nervensystem


der Nahrung) als auch der 2. Reiz (Schmecken
der Nahrung) nur getrennt Wahrnehmungen im (VNS)
Sehzentrum und Speichelreflexzentrum. Wenn
sich dieser Vorgang (sehen dann essen) oft Das VNS erfllt gemeinsam mit dem Hormon-
genug wiederholt hat, gengt allein der 1. Reiz system 2 Aufgaben.
das Sehen der Nahrung fr das Einsetzen der Es regelt die Funktion der inneren Organe
Speichelsekretion durch die Bahnung (= Einpr- wie Atmungs-, Verdauungs-, Kreislauf- und
gung). Drsenttigkeit und stimmt ihre Aktivitt
entsprechend der aktuellen Situation sinnvoll
Merke aufeinander ab.
Es regelt die Homostase des inneren Milieus,
Bedingte Reflexe werden auf der Grundlage d. h., es beeinflusst die Stoffwechselprozesse
angeborener Fremdreflexe durch Lernvorgnge so, dass sich der Organismus den wechseln-
herausgebildet. Der biologische Sinn besteht den inneren und ueren Bedingungen an-
darin, besser und mheloser auf wechselnde passen kann.
Situationen in der Umwelt zu reagieren.
Die bedingten Reflexe laufen ber die Hirn- Da das VNS die Organfunktionen regelt, die
rinde und werden bei mehrmaligem Fehlen des unbewusst und unwillkrlich ablaufen, wird es
2. Reizes wieder vergessen. auch autonomes Nervensystem genannt.
17.11 Vegetatives Nervensystem 365

Funktionell basiert das VNS hauptschlich auf Merke


dem Reflexbogen. Im Unterschied zum somati-
schen Nervensystem wird die efferente Strecke Das VNS wird wie das somatische Nerven-
von 2 efferenten peripheren vegetativen Neuro- system aus zentralen und peripheren Neuronen
nen gebildet. Die synaptische Umschaltung vom gebildet.
1. auf das 2. Neuron erfolgt in vegetativen Im ZNS gibt es verschiedene vegetative Zen-
Ganglien. Das 1. Neuron liegt demnach vor dem tren, deren oberste Steuereinheit der Hypotha-
Ganglion und wird prganglionres Neuron lamus ist.
genannt, das 2. Neuron liegt hinter dem Ganglion Der efferente Teil besteht aus 2 vegetativen
und heit postganglionres Neuron. Neuronen.

Die Effektorgane (= Erfolgsorgane) des VNS


sind: VNS (efferenter Leitungsweg). Tab. 17.8
das glatte Muskelgewebe der inneren Organe,
das Herzmuskelgewebe und  Hypothalamus
die Drsen. zentrales efferentes Neuron
Hirnstamm


Merke Seitensulen des Rckenmarks


Das VNS ist mit dem somatischen Nerven- Th1 L3 und S2 S4
system vielfach verknpft. 1. peripheres efferentes oder
prganglionres Neuron
(markscheidenarm)
Aufbau


VNS vegetatives Ganglion


2. peripheres efferentes Neuron oder
zentraler Teil peripherer Teil postganglionres Neuron
= zentrale afferente = periphere afferente (meist markscheidenlos)


und efferente und efferente


vegetative Neurone vegetative Neurone Erfolgsorgan
im ZNS in der Peripherie
Das VNS wird nach morphologischen und funk-
Die Perikaryen der peripheren afferenten Neu- tionellen Gesichtspunkten in 2 Teile gegliedert:
rone liegen in den Spinalganglien. Ihre Fort- den Sympathicus oder das sympathische Ner-
stze leiten die Afferenzen von den Eingeweide- vensystem,
und Schmerzrezeptoren in die Hinterhrner des den Parasympathicus oder das parasympathi-
Rckenmarks. Von hier kann ber Zwischen- sche Nervensystem.
neurone auf die prganglionren (1. efferenten)
Neurone umgeschaltet werden oder auf zentrale 1. Sympathicus
Neurone, die die Informationen in hhere vege- Die Perikaryen der prganglionren Neurone
tative Zentren und zum Cortex cerebri (Gro- liegen in den Seitenhrnern der grauen Rcken-
hirnrinde) weiterleiten. marksubstanz (Nuclues intermediolateralis) vom
1. Brust- bis zum 3. Lendensegment (Th1 L3).
Die Perikaryen der zentralen efferenten Neuro- Die Axone der prganglionren Neurone ziehen
ne liegen im Gehirn. Ihre Axone schalten entwe- ber die motorischen Vorderwurzeln und die
der im Hirnstamm oder in den Seitenhrnern des weien Verbindungsste (Rami communicates
Rckenmarks auf die 1. peripheren efferenten albi) zu den 25 30 paarigen sympathischen
Neurone um. Die synaptische Umschaltung auf Grenzstrangganglien (= paravertebrale Gan-
das 2. periphere efferente Neuron erfolgt in den glien) oder durch diese hindurch zu den unpaari-
vegetativen Ganglien. Von den Neuriten dieser gen prvertebralen vegetativen Ganglien.
Neurone werden die Erfolgsorgane innerviert.
366 17 Nervensystem

Innervationen durch Steuerung durch bergeordnete Zentren


Sympathicus + Parasympathicus (z. B. Hypothalamus)

parasympathische
N. oculomotorius Kopfganglien

Ganglion
cervicale
Auge N. facialis

superius

Speichel- und


Grenzstrang

Ganglion
Trnendrsen


N. glossopharyngeus
stellatum
Kopfgefe
Th1
Th2

N. vagus

Th3
Herz
Th4
Nn. splanchnici
major und minor
organnahe
parasympathische


Ganglien
Th5
Th6
Ganglion
coeliacum Lunge
Th7

Th8
Magen
Th9

Th10
Ganglion

Th11
mesenteri-
cum Leber

Th12
superius

L1


Pankreas
L2
L3

L4
Niere

L5

S2
S3
Darm

S4
S5 Urogenital-Trakt
(Rektum, Blase,
Genitale)

Ganglion Plexus N. splanchnici
mesentericum inferius hypogastricus pelvini

Zentren und Funktionen des vegetativen Nervensystems


Abb. 17.28 (Sympathicus = rot, Parasympathicus = blau).
17.11 Vegetatives Nervensystem 367

Sympathische Innervation. Tab. 17.9


Erfolgsorgan Segmentbezug und Verlauf der Verlauf der postganglionren
prganglionren Neurone Neurone

glatte Muskulatur Th1 L3 graue Verbindungsste


Hautgefe


Schweidrsen
weie Verbindungsste Nn. spinales


Grenzstrangganglien periphere Nerven
(synaptische Umschaltung)


Erfolgsorgane
Hautgefe Vasokonstriktion
Schweidrsen Sekretion


Drsen und glatte Th1 Axone der postganglionren
Muskulatur des Neuronen winden sich um die

Kopfes versorgenden Arterien und er-


weie Verbindungsste reichen mit ihnen die Erfolgs-
organe.

Ganglion cervicale superius


(synaptische Umschaltung)

Herz und Lungen Th1 Th5 spezielle Nerven



weie Verbindungsste Erfolgsorgane


Herzfrequenz
Ganglion stellatum Atemfrequenz
(synaptische Umschaltung)

Baucheingeweide Th5 Th12 Axone bilden Nervengeflechte


(z. B. das sog. Sonnengeflecht

des Ganglion coeliacum =


weie Verbindungsste Plexus solaris), von denen sie
mit den Gefen zu den Erfolgs-

organen ziehen
Nn. splanchnici major und minor

Motilitt

Kontraktion der
prvertebrale Ganglien Schliemuskeln
(Ganglion coeliacum, Ganglion
mesentericum superius)
(synaptische Umschaltung)

Beckenorgane L 1 L4 Plexus mesentericus inferior



weie Verbindungsste Erfolgsorgane


Harnblase: Entleerung wird


gehemmt, Kontraktion des
Ganglion mesentericum inferius Schliemuskels
(synaptische Umschaltung)
Genitalien:  Ejakulation
 Kontraktion
368 17 Nervensystem

1. efferentes
sympathisches Neurone Spinalganglion prvertebrales Ganglion
Rckenmarknerv weier Verbindungsast
Hinterwurzel
zum Grenzstrang
grauer Verbindungsast
zum Grenzstrang
sensible Afferenz

Vorderwurzel
Vorderhorn
Seitenhorn sympathische sympathische
Efferenz Efferenz Haut
Hinterhorn
Baucheingeweide
Hautblutgefe
Schweidrsen
Beispiele: viscerale Afferenz
zwischen Baucheingeweiden und
Hautblutgefen bzw. Schweidrsen 2. efferentes Grenzstrangganglion
sympathisches
zwischen Haut Neuron
und den Baucheingeweiden

Abb. 17.29 Eingeweidereflexbogen der sympathischen Innervation (Schema).

Merke Transmitter
Die chemischen bertrgerstoffe im sympathi-
Die paarigen sympathischen Grenzstranggang- schen Nervensystem sind:
lien sind beiderseits der Wirbelsule von der Acetylcholin vom pr- auf das postganglio-
Hirnbasis bis zum Kreuzbein in einer Doppel- nre Neuron in den Grenzstrang- und pr-
reihe angeordnet und werden als Grenzstrang des vertebralen Ganglien.
Sympathicus bezeichnet. Sie sind untereinan- Noradrenalin vom postganglionren Neuron
der verbunden. In den Grenzstrangganglien oder auf das Erfolgsorgan.
praevertebralen Ganglien wird von den pr-
auf die postganglionren Neurone synaptisch Da die sympathischen Ganglien organfern lie-
umgeschaltet. Die Neuriten der postganglio- gen, sind die prganglionren Axone kurz und
nren Neurone ziehen zu den Erfolgsorganen. die postganglionren lang.

Es gibt auch prganglionre Neurone, deren Efferente Leitungsbahn


Axone direkt zu den Zellen des Nebennieren- des Sympathicus. Tab. 17.10
markes (diese entsprechen den postganglionren
Neuronen) ziehen und hier die Sekretion von Rckenmark vegetatives Ganglion Organ
Adrenalin und Noradrenalin veranlassen. Beide
Hormone untersttzen die Wirkungen des Sym-
pathicus auf die Organe. So regen sie vor allem

  
1. efferentes 2. efferentes
die biologische Oxidation in Belastungs- Neuron Neuron
situationen (Stress) an. (= prganglionres (= postganglionres
Neuron) Neuron)

P Langfristig erhhte Adrenalinspiegel im Blut mit kurzer
Nervenfaser
mit langer
Nervenfaser
infolge emotionalen Stresses knnen die Entste-
hung verschiedener Erkrankungen begnstigen. Acetylcholin Noradrenalin
17.11 Vegetatives Nervensystem 369

P
Arzneimittel, die die gleiche Wirkung wie
Merke
Adrenalin und Noradrenalin haben, heien Nach der Lage der zentralen Teile unterschei-
Sympathomimetika. Arzneimittel, die die det man einen cranialen (Pars encephalica)
Wirkung dieser Hormone blockieren oder und sacralen (Pars sacralis) Parasympathicus.
abschwchen, nennt man Sympatholytika.
Die synaptische Umschaltung von den pr- auf
Noradrenalin und Adrenalin erzeugen an den die postganglionren Neurone erfolgt in peri-
sympathisch innervierten Erfolgsorganen ver- pheren parasympathischen Ganglien, die entwe-
schiedene physiologische Wirkungen. Das ist der in unmittelbarer Organnhe oder im Organ
mglich, weil diese Organe 2 Arten von Rezep- (= intramurale Ganglien) liegen.
toren besitzen, die - und -Rezeptoren. Erstere Die prganglionren Axone ziehen in speziellen
sprechen besser auf Noradrenalin, letztere besser Nerven zu den postganglionren Neuronen, sind
auf Adrenalin an. also im Vergleich zum Sympathicus sehr lang.
Allgemein gilt: Entsprechend kurz sind die postganglionren
-Rezeptoren vermitteln die erregende (Aus- Axone.
nahme: Magen-Darm-Trakt), -Rezeptoren die
hemmende (Ausnahme: Herzerregung) Wirkung Parasympathische Innervation
des Sympathicus. Cranialer Parasympathicus
Von den prganglionren Perikaryen des Hirn-
2. Parasympathicus stammes ziehen die Axone in den Hirnnerven III
Die Perikaryen der praeganglionren (1. efferen- (N. oculomotorius), VII (N. facialis), IX (N. glos-
ten) parasympathischen Neurone liegen: sopharyngeus) und X (N. vagus) zu den post-
im Hirnstamm (Pars encephalica), v. a. im ganglionren Neuronen der vegetativen para-
Mittelhirn und verlngerten Mark, und sympathischen Kopf- bzw. Brust- und Bauch-
im Kreuzmark (Pars sacralis) in den Seiten- ganglien. In den Kopfganglien werden die pr-
sulen der Rckenmarksegmente S2 S4. ganglionren Neurone, deren Axone in den
Hirnnerven III, VII und IX verlaufen, auf die
postganglionren Neurone umgeschaltet. Die

Parasympathische Innervation. Tab. 17.11


Parasympathi- vegetatives Ganglion Erfolgsorgan
sche Axone der
Hirnnerven

III Ganglion ciliare1) M. sphincter pupillae Pupillenadaptation


M. ciliaris Akkommodation

VII Ganglion pterygopalati- Trnendrsen, Nasen-


num1) und Gaumendrsen Sekretion


Ganglion submandi- Unterkiefer- und
bulare Unterzungenspeichel-

drsen Sekretion

IX Ganglion oticum1) Ohrspeicheldrse Sekretion


X parasympathische Brust- Herz Herzfrequenz


und Bauchganglien
Lunge Atemfrequenz
intramurale Ganglien Gastrointestinaltrakt bis

Cannon-Bhm-Punkt2) Motilitt

1) Kopfganglien 2) Grenze zwischen mittlerem und linkem Drittel des Colon trans-
versum
370 17 Nervensystem

synaptische Umschaltung jener, die im Hirn- Merke


nerv X verlaufen, erfolgt in den Brust- und
Bauchganglien. Die meisten inneren Organe werden sympa-
thisch und parasympathisch innerviert, wobei
Sacraler Parasympathicus die Effekte antagonistisch sind.
Die Axone der prganglionren parasympathi-
schen Neurone ziehen ber die Vorderwurzel der Reizung des Reizung des
Rckenmarksegmente S2 S4 in die Spinalner- Beispiele Sympathicus Parasympa-
ven. Ab hier verlaufen sie in den Beckeneingewei- bewirkt thicus bewirkt
denerven (N. splanchnici pelvini) in die parasym-
pathischen Ganglien des Plexus hypogastricus. Schlagfrequenz Zunahme Abnahme
und -volumen
Hier erfolgt die synaptische Umschaltung auf die des Herzens
postganglionren Neurone. Die Axone dieser
Neurone innervieren den Dickdarm ab Cannon- Darmmotorik Abnahme Zunahme

Bhm-Punkt (Sekretion , Schliemuskel ), die Gallenblasen- Erschlaffung Kontraktion


Harnblase (Entleerung), die Harnleiter (Kontrak- muskulatur
tion) und die Genitalorgane ( Erektion). Bronchial- Erschlaffung Kontraktion
muskulatur
Transmitter
Als Transmitter dient sowohl in den Ganglien als Vorwiegend parasympathisch werden innerviert:
auch auf das Erfolgsorgan Acetylcholin. Harnblase und Speicheldrsen.
Nur parasympathisch werden innerviert:
Efferente Leitungsbahn Trnendrsen und
Tab. 17.12 des Parasympathicus. Drsen des Nasen-Rachen-Raumes.
Nur sympathisch werden innerviert:
Rckenmark vegetatives Ganglion Organ fast alle Blutgefe, Milz.
Sakralmark oder Nervengeflecht Genitalorgane werden sowohl parasympathisch

   als auch sympathisch innerviert..

1. efferentes 2. efferentes
P Bei verschiedenen Erkrankungen innerer
Neuron Neuron Organe kann die Haut ber dem Krankheits-
(= prganglionres (= postganglionres
Neuron) Neuron) herd, aber auch in weiterer Entfernung,
mit langer Nervenfaser mit kurzer Nervenfaser schmerzhaft und gertet sein. Der Eingeweide-
Acetylcholin Acetylcholin schmerz wird also auf die Hautoberflche
bertragen (bertragener Schmerz). Wichtig zu
wissen ist, dass diese grtelfrmigen Hautareale
Wirkungsweise des VNS (= Dermatome) nicht immer unmittelbar ber
Sympathicus und Parasympathicus weisen je dem erkrankten Organ liegen (Headsche
nach Situation unterschiedliche Erregungszu- Zonen: nerval mit inneren Organen verbundene
stnde auf. Der Sympathicus bewirkt eine Hautregionen). Der Grund dafr: Von einem
Leistungssteigerung, die als ergotrope Reaktion Rckenmarksegment werden sowohl das Organ
bezeichnet wird (vorherrschend bei Arbeit). Der wie die entsprechende Hautregion innerviert.
Parasympathicus sorgt fr die Aktivierung jener
Organfunktionen, die fr den Aufbau der Ener-
giereserven ntig sind, d. h., er hat eine tro- Vergleich Sympathicus und Parasympathicus.
photrope Wirkung (vorherrschend bei Ruhe). Die wichtigsten Gemeinsamkeiten:
Meist 3 Neurone bilden die efferente Strecke
von ZNS zum Erfolgsorgan (Effektor),

P Arzneimittel, die so wirken wie Acetylcholin,
gleicher Transmitter zwischen pr- und post-
werden Parasympathomimetica genannt. ganglionren Neuronen,
Arzneimittel, die die Wirkung von Acetylcholin oft gemeinsame Nervengeflechte um Arterien.
blockieren oder abschwchen, heien Para-
sympatholytica.
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme 371

Die wichtigsten Unterschiede: sowie Motorik und Sekretorik,


Hemmung der Skelettmuskeldurchblutung.
Beispiele Sympathicus Parasympa- Abwehrverhalten:
thicus Erhhung der Skelettmuskeldurchblutung,
Lage der organferne organnahe Blutdruckerhhung,
Perikaryen der sympathische parasympa- Erhhung der Herzfrequenz,
postganglionren Ganglien thische Steigerung der Atemfrequenz,
Neurone Ganglien Hemmung der Magen-Darm-Durchblutung.
prganglionre kurz lang Fortpflanzungsverhalten:
Neuriten (Axone) Steuerung des Sexualverhaltens und der
postganglionre lang kurz Sexualerregung.
Neuriten (Axone)
physiologische ergotrop trophotrop Die Aktivierung bzw. Hemmung der einzelnen
Wirkung Organe erfolgt bei Sofortreaktionen durch Ak-
Transmitter Noradrenalin Acetylcholin tionspotentiale der schnell leitenden Nerven und
zwischen ber - und bei Dauerleistungen durch anhaltend wirkende
postganglionren -Rezeptoren Hormone ( Abb. 9.45, S. 199).
Neuronen und
Effektor

P Die Vorgnge des Abwehrverhaltens werden

Wegen der unterschiedlichen Transmitter zwi- oft aufgrund vieler tglicher Belastungen
schen postganglionren Neuronen und Effektor (Verkehr, Schule, Arbeit u. a.) in Gang gesetzt,
wird der Sympathicus als adrenerges und der ohne dass danach die krperliche Handlung
Parasympathicus als cholinerges System be- (Abwehr, Flucht) erfolgt.
zeichnet. Folgen knnen z. B. sein: Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Magengeschwre, Drsenfunk-
tionsstrungen.
17.12 Zusammenwirken der
Koordinationssysteme Verarbeitung
VNS, animales Nervensystem
Umwelt
und Hormonsystem
Die verschiedenen Verhaltensformen, wie z. B.
Nahrungs-, Abwehr- oder Fortpflanzungsver- Sinnesorgan
halten, sind das Ergebnis des engen Zusammen- Information
wirkens von animalem und vegetativem Nerven-
system sowie dem Hormonsystem. Der Hypo-
thalamus als oberstes Steuerzentrum aller vege-
tativen und der meisten endokrinen Prozesse
erhlt vom Endhirn Informationen aus der
Umwelt. Daraufhin steuert er die ihm unterge-
ordneten hormonellen, vegetativen und animalen
Prozesse so, dass z. B. Ernhrung und Verdau-
ung gefrdert werden, ein Abwehrverhalten vegetatives NS Hormonsystem
(Alarmstellung) praktiziert wird oder ein Ver-
halten entsteht, das der Fortpflanzung dient. Bei
den 3 genannten Verhaltensformen werden die
Krperfunktionen wie folgt beeinflusst (verein- Herzfrequenz, Atemfrequenz

facht dargestellt): Stoffwechsel, Muskeltonus


Nahrungsverhalten:
Blutdrucksenkung, Koordinationssysteme. Abb. 17.30
Erhhung der Magen-Darm-Durchblutung
372 17 Nervensystem

14 30 Hz 8 13 Hz 14 30 Hz

EEG-Ableitpunkte
Wachsein Ruhe Wachsein

Abb. 17.31 EEG-Wellen.

17.13 Wachsein und Schlafen und Plne zu haben,


die Selbsterkenntnis und das Erkennen ande-
Der Aktivittszustand der Neurone des Gehirns rer Individuen,
(Wachheitsgrad) ist stndigen Schwankungen das Akzeptieren sthetischer und ethischer
unterworfen. Ursachen sind z. B. die Afferenzen, Werte.
die aufgrund von Umweltreizen bzw. Reizen aus
dem Krper selbst entstehen.
P Abweichungen vom normalen Bewusstsein
werden als Bewusstseinsstrungen bezeichnet.
Elektroencephalogramm (EEG) Sie uern sich in einem vernderten Ablauf
Durch das EEG ist es mglich, die elektrische oder Ausfall der genannten Merkmale.
Hirnaktivitt zu registrieren. Das geschieht mit Im Vergleich zur normalen Bewusstseinslage
Hilfe von Elektroden von der Kopfhaut aus. Je (Bewusstseinsklarheit) spricht man von ver-
nach Wachheitsgrad variieren die Potential- schiedenen Schweregraden wie leichte Bewusst-
schwankungen in Amplitude und Frequenz. seinstrbung (= leichte Benommenheit), schlf-
riger Zustand, Schlfrigkeit (= Somnolenz),
Wachsein und Bewusstsein mittelgradige Bewusstseinsstrung (= Sopor),
Wachsein bedeutet, dass der Mensch aktiv mit Bewusstlosigkeit (= Koma).
der Umwelt in Kontakt tritt und auf einwirkende
Reize entsprechend reagiert. Herzfrequenz, Atem-
frequenz, Stoffwechsel und Muskeltonus sind im Schlafen
Vergleich zum Schlafzustand erhht. Schlafen dient der Erholung, ist aber nicht ein-
Beim Menschen ist Wachsein eng mit Bewusst- fach ein Ruhen des Gehirns, sondern eine vom
sein verknpft, das durch folgende Merkmale Wachsein unterschiedliche Organisationsform
gekennzeichnet ist: der Hirnfunktion.
die Aufmerksamkeit und Fhigkeit, die Rich- Im Schlafzustand ist die Informationsaufnahme
tung der Aufmerksamkeit gezielt zu wechseln, aus der Umwelt auf ein Minimum eingeschrnkt,
die Kreativitt und den Umgang mit abstrak- aber bestimmte Schlsselreize, wie beispielswei-
ten Ideen sowie ihr Ausdrcken durch Worte se das Wimmern des Suglings, werden von der
oder andere Symbole, Mutter aufgenommen. Stoffwechsel, Herz und
die Fhigkeit, die Bedeutung einer Handlung Atemfrequenz sind gedrosselt (= parasympathi-
im Voraus abzuschtzen, also Erwartungen sche Reaktionslage).
17.13 Wachsein und Schlafen 373

Darber hinaus knnen unterschiedliche Schlaf-


stadien als Ausdruck der Schlaftiefe abgegrenzt
werden.
Whrend eines normalen Nachtschlafes werden
die REM- und Non-REM-Phasen und die
Schlafstadien im Durchschnitt 3 bis 5 mal durch-
laufen. Dabei treten charakteristische EEG-
Wellen auf.
Parasympathicus
- trophotrop - Non-REM- oder orthodoxer Schlaf
Diese Schlafphase umfasst beim Erwachsenen
ca. 80 % der Gesamtschlafdauer. Sie ist durch
5 Schlafstadien (A, B, C, D, E) gekennzeichnet
und luft wie in der Tabelle 17.33 dargestellt ab.

5 Schlafstadien. Tab. 17.13


Herzfrequenz Muskeln Atemfrequenz Schlaf- Schlaftiefe EEG- Frequenz


Schlagvolumen erschlafft Atemtiefe


stadium Wellen (in HZ)

A entspanntes Alpha () 8,0 13,0


Abb. 17.32 Parasympathische Reaktionslage. Wachsein

B Einschlafen Theta () 5,0 7,0



Mit dem EEG lassen sich 2 Schlafphasen fest-
stellen: C Leichtschlaf Delta () 4,0
der REM (Rapid Eye Movements = schnelle

Augenbewegungen) oder der paradoxe Schlaf


D mitteltiefer Delta () 3,0 3,5
und Schlaf

der Non-REM (ohne diese Augenbewegungen)


oder orthodoxe Schlaf. E Tiefschlaf Delta () 0,5 1,2

Merke
10 min 20 min 30 min 40 min EEG
Der erste Tiefschlaf (D, E) einer
Schlafperiode wird etwa 30 bis
wach
90 Minuten nach dem Einschlafen
A
paradoxer

REM-Schlaf (B) ber das Stadium C erreicht.


Schlaf

Die maximale Schlaftiefe nimmt


B mit zunehmender Schlafdauer ab.
Schlafstadien

C In der orthodoxen Schlafphase sind


orthodoxer

verschiedene Lebensfunktionen her-


Schlaf

abgesetzt und zwar


D
die Herz- und damit die Puls-
frequenz,
E der Blutdruck,
die Atemfrequenz,
0 1 2 3 4 5 6 7 die Drsenttigkeit,
Schlafdauer der Stoffwechsel,
der Muskeltonus und
Abb. 17.33 Schlafstadien im Verlauf einer Nacht. die Reizschwelle der Sinnes- und
Nervenzellen.
374 17 Nervensystem

REM- oder paradoxer Schlaf


P Ein gesteigertes Schlafbedrfnis kann Hin-
Der REM-Schlaf stellt eine besondere Phase dar: weis auf Strungen sein (z. B. Allgemein- oder
Das EEG gleicht dem Schlafstadium E (deshalb hirnorganische Erkrankungen).
paradoxer Schlaf). Schlafstrungen (Einschlaf-, Durchschlaf-
strungen, frhes Erwachen, Schlafumkehr)
Merke sind sehr hufig. Bevor Schlafmittel verab-
Die erste REM-Phase wird schon beim reicht werden, sollte versucht werden, mg-
Einschlafen durchschritten (Sekundenschlaf) liche Strfaktoren auszuschalten.
und wiederholt sich etwa alle 1,5 Stunden. Schlafmittel stren den Ablauf der natrlichen
Die einzelnen Phasen dauern im Mittel Schlafphasen und sind daher bei Dauer-
20 Minuten, wobei die lngsten gegen gebrauch gesundheitsschdigend.
Morgen auftreten.

Der REM-Schlaf zeichnet sich aus durch:


schnelle Augenbewegungen und Muskel-
zuckungen (z. B. Gesichtsmuskeln);
das fast vollstndige Erlschen des Muskel-
tonus der Skelettmuskulatur;
Zunahme der Atem-, Herz- und Pulsfrequenz,
wobei gewisse Unregelmigkeiten auftreten.
Auftreten von Peniserektionen sowie der
meisten Trume.

Merke
Zu einem erholsamen Schlaf gehren sowohl
Non-REM- als auch REM-Schlaf-Phasen.

Entsprechend der Dauer des Nachtschlafes kann


man von 3 Schlaftypen sprechen:
Kurzschlfer < 6 Stunden,
Mittelschlfer 6 9 Stunden,
Langschlfer > 9 Stunden.

Im Allgemeinen nimmt mit zunehmendem Alter


die Gesamtschlafdauer ab, wobei vor allem die
Non-REM-Perioden erheblich krzer werden.
Der hohe Anteil des REM-Schlafes bei Suglin-
gen und Kleinkindern knnte mglicherweise
ein gewisser Ersatz fr fehlende uere Reize
sein.

Der normale Schlaf-wach-Rhythmus wird von


einer in ihrer Wirkungsweise noch weitgehend
unbekannten inneren Uhr gesteuert.
17 Nervensystem 375

Fragen zur Wiederholung

1. Aus welchen Anteilen besteht das menschliche Nervensystem?


2. Erklren Sie anhand eines Querschnittes den Aufbau des Rckenmarkes.
3. Nehmen Sie eine Gliederung der Rckenmarksegmente vor.
4. Definieren Sie
a) graue Substanz, b) weie Substanz,
c) Nervenfaser, d) Nerv.
5. Nehmen Sie eine Gliederung der einzelnen Hirnabschnitte vor.
6. Beschreiben Sie den Bau des Endhirns.
7. Nennen Sie die verschiedenen Funktionszentren in der Grohirnrinde, und beschreiben Sie
kurz ihre Aufgaben.
8. Welche Bedeutung haben die Basalganglien?
9. Aus welchen Abschnitten besteht das Zwischenhirn, und welche Aufgaben erfllen sie?
10. Welche Funktionen erfllen
a) Mittelhirn, b) Kleinhirn,
c) Medulla oblongata, d) Formatio reticularis?
11. Was sind Hirnventrikel, und welche gibt es?
12. Wie werden Gehirn und Rckenmark geschtzt?
13. Unterscheiden Sie inneren und ueren Liquorraum.
14. Welche Bedeutung hat der Liquor?
An welcher Stelle kann man am gnstigsten Liquor gewinnen?
Begrnden Sie den Punktionsort aus anatomischer Sicht.
15. Beschreiben Sie die Blutversorgung des Gehirns.
16. Lokalisieren Sie die afferenten und efferenten Fasersysteme des Rckenmarkes und
Gehirns! Wo liegen die Umschaltstellen zwischen den einzelnen Neuronen?
17. Was verstehen Sie unter dem extrapyramidal-motorischen System, und welche Bedeutung
hat es?
18. Was sind Ganglien?
19. Nennen Sie die 12 Hirnnerven und ihre Aufgaben.
20. Beschreiben Sie die Entstehung und Aufzweigung eines Rckenmarksnerven.
21. Geben Sie einen berblick ber die Innervationsgebiete der Rckenmarksnerven unter
Beachtung der Geflechtbildung.
22. Nennen Sie die wichtigsten Nerven des Armes und ihre Aufgaben.
23. Stellen Sie Ursprung, Verlauf und Versorgungsgebiet des N. ischiadicus dar.
24. Was ist ein Reflexbogen?
25. Erlutern Sie Wesen und Bedeutung von
a) Eigenreflexen, b) Fremdreflexen,
c) bedingten Reflexen.
Beschreiben Sie einige wichtige Reflexe genauer.
26. Welche Leistungen vollbringt die Sttzmotorik, und wie werden diese realisiert?
27. Welche Aufgabe erfllt das VNS?
28. Unterscheiden Sie zentrales und peripheres VNS.
29. Unterscheiden Sie
a) para- und prvertebrale Ganglien,
b) pr- und postganglionre efferente Neurone.
30. Beschreiben Sie Aufbau und Aufgabe des Sympathicus.
31. Erlutern Sie den Zusammenhang zwischen Sympathicus und den Hormonen Adrenalin
und Noradrenalin.
32. Beschreiben Sie Aufbau und Aufgabe des Parasympathicus.
376 17 Nervensystem

Fragen zur Wiederholung

33. Vergleichen Sie Sympathicus und Parasympathicus hinsichtlich ihrer Wirkungsweise.


34. Erlutern Sie an einem konkreten Beispiel das Zusammenwirken von VNS, animalem
Nervensystem und Hormonsystem.
35. Erlutern Sie die Bedeutung des Schlafes aus physiologischer Sicht.
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fgt. Mit rund 379 untersttzenden (Mandibula)
zu den Lungenvenen. Abb. 9.32
farbigen Abbildungen und Tabellen Schdel (Ansicht von ventral). Abb. 5.44
werden der Bau (Anatomie) und die
300
Funktion (Physiologie, Biochemie) des
zt m it rund bildungen
menschlichen Krpers dargestellt. Jet bab
n Far
Die hervorragende didaktische Aufberei-
c hwertige
tung des Inhaltes hlt sich konsequent, in ho
gut erreichbaren Lernschritten, an die zur Herzskelett
bestehend aus

Verfgung stehende Gesamtstundenzahl linker Vorhof


(Atrium sinistrum)
4 bindegewebigen
Ringen
(Anuli fibrosi)

des Unterrichts. Vor allem durch die gut Sinusknoten


linke
His-Bndel Herzkammer
gewhlten Wiederholungsfragen nach ein- Atrioventrikular-
(Ventriculus
sinister)
knoten1)
zelnen Kapiteln ist es gleichermaen fr (AV-Knoten) Papillarmuskeln
rechter Vorhof
den Unterricht wie auch fr das Selbst- (Atrium dextrum) Purkinjesche
Fasern

studium bestens geeignet. rechter Kammer-


linker Kammer-
schenkel

Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis schenkel rechte


Herzkammer
(Ventriculus dexter)

macht den Titel zu einem wertvollen und


unverzichtbaren Nachschlagewerk. 1) AV-Knoten = Vorhof-Kammer-Knoten, frher auch Aschoff-Tawara-Knoten genannt

Abb. 9.38 Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem des Herzens.


Das Standardwerk der Anatomie.

2
Anatomie / Physiologie

Das Buch ist durch seinen stringenten, didaktischen Aufbau hervorragend fr den Einsatz
im Unterricht geeignet. Durch zahlreiche farbige, meist dreidimensionale Abbildungen wird
eine hohe Anschaulichkeit des komplexen Lehrstoffes erreicht. Die Auswahl des Stoffes
konzentriert sich auf das Wesentliche, das bersichtlich und verstndlich dargestellt wird.
Die inhaltliche Orientierung wird durch Merkstze erleichtert und konkrete Bezge zur
beruflichen Praxis aufgebaut.
Insgesamt ein hervorragendes Buch fr den Unterricht, zur Examensvorbereitung, aber auch
zum Nachschlagen. Ein Buch, mit dem ich gerne arbeite.

Dr. Birgit Hls


Dozentin fr Anatomie und Physiologie
Krankenpflegeschule, Kreiskrankenhaus Elmshorn Ein lohnendes Medium fr Auszubildende, die
sich ber das geforderte Wissen hinaus infor-
mieren und fortbilden mchten.
Ebenso kann dieses Buch fr Lehrende als Zusatz-
Meinungen zum Lehrbuch ... literatur wertvolle Impulse liefern.
Alle wesentlichen Themen sind
Ein sehr gutes Lehrbuch: umfangreich dargestellt
Kurz und prgnant. Hilfreich sind die auffllig markierten
Sinnvoll gegliedert und bersichtlich Praxisbezge, welche wertvolle Hinweise
angeordnet. fr die pflegerische Ttigkeit und fr
Viele gute anatomische Zeichnungen die Krankenbeobachtung liefern.
erleichtern das Verstndnis.
S. M. Elisa Dschl
Begeisterung ber die kostenlose CD.
Lehrerin fr Pflegeberufe,
Katharina Schrter Krankenpflegeschule St. Elisabeth Krankenhaus,
Dozentin fr Anatomie und Physiologie, Zweibrcken
Hhere Berufsfachschule fr Altenpflege,
Erfurt

Dozenten CD Anatomie
Alle Abbildungen und Tabellen aus dem
Lehrbuch zum Farbfolienausdruck auf CD fr
visuelle Darstellungen und Projektionen im
NEU t fr
Unterricht.
ISBN 3-928537-40-7
im Forma n
auch tione 2. Auflage 2002
Jetzt bildprojek (ab 7. Lehrbuch-Auflage)
Gro 49,00
Systemvoraussetzung:
ab Windows 95.
Minimalanforderung:
8 MB RAM, 20 MB freie Festplatte.

3
Anatomie / Physiologie

Mathias Bardl Paul Gebhardt


Prfungswissen Anatomie Zeichenbltter
in Frage und Antwort FR DEN UNTERRICHT
BIOLOGIE ANATOMIE PHYSIOLOGIE 10. Auflage 2002,
2. Auflage 2001, 240 Seiten, gebunden 120 Seiten DIN A 4, 239 Zeichnungen,
16,80 gebunden
ISBN 3-928537-26-1 12,80
ISBN 3-928537-41-5

Das Fachgebiet Biologie, Anatomie und Die Anatomie-Zeichenbltter sind eine seit
Physiologie bereitet den Schlerinnen Jahren erprobte Unterrichtseinheit, die
und Schlern immer wieder Schwierig- anatomisches Grundwissen durch aktive
keiten im Erfassen und Wiedergeben des Mitarbeit zielstrebig vermittelt.
Unterrichtsstoffes. Das liegt zum einen an
der umfangreichen Stoffmenge und zum Fr bungen zur Benennung der ana-
anderen an der Kompliziertheit des tomischen Begriffe und zum Ausmalen.
Unterrichtsfaches.
Anatomie Zeichenbltter
Dieses Buch bietet die Mglichkeit, den
eigenen Kenntnisstand jederzeit gezielt zu Lsungsheft
berprfen und die Vorbereitung auf DEUTSCH UND FACHBEZEICHNUNG
Klausuren und Prfungen zu vereinfachen.
10. Auflage 2002,
68 Seiten, kartoniert,
Ideal als Ergnzung zum Lehrbuch.
7,80
Hlt sich streng an die Vorschriften fr
ISBN 3-928537-42-3
Prfungsarbeiten.
Mit einer Vielzahl von Abbildungen.
Das Lsungsheft dient zur berprfung
der Richtigkeit der im Buch der Anatomie-
Zeichenbltter erarbeiteten anatomischen
Begriffe; eine unverzichtbare Ergnzung
der Zeichenbltter mit ber 1.000
Stichwrtern.

4
Anatomie / Physiologie
0 0

Lerntafel Lerntafel
Die menschliche Muskulatur Das menschliche Skelett

2. Auflage 2002 2. Auflage 2002


Lerntafel 85 x 60 cm Lerntafel 85 x 60 cm
bestbt mit Aufhnger, Bilderdruck bestbt mit Aufhnger, Bilderdruck
4-farbig 4-farbig
12,80 12,80
ISBN 3-928537-35-0 ISBN 3-928537-36-9

Eine vollstndige Darstellung der Muskula- Diese Tafel stellt weltweit einmalig in
tur des Menschen auf hchstem anatomi- Qualitt und Ausfhrung ein idealisier-
schen und grafischen Niveau. Auf unter- tes, echtes Skelett in allen natrlichen
schiedlichen Schnittebenen wird Einblick Details dar. Beide Lerntafeln vermitteln
selbst in die tiefen Muskelschichten ge- eine Gesamtbersicht und helfen so, das
whrt. erworbene Wissen anatomisch rumlich
richtig einzuordnen.

5
Anatomie / Physiologie

n
Exame ht!
gemac
leicht

Vorderseite
M. levator scapulae (Schulterblattheber) 65
Notizen

Anatomie-Lernkarten
GESAMTDARSTELLUNG DER MENSCHLICHEN
MUSKULATUR UND DES SKELETTES

Lau-Verlag, Reinbek (Germany)


Mit den Lernkarten besteht die Mglichkeit, das Wissen
durch einfaches Wenden der Karten effektiv zu ber-
prfen. Keine langatmigen, wissenschaftlichen
Abhandlungen, bersichtliche, leicht zu mer-
kende Erklrungen.
Durch ergnzende, detaillierte Abbildungen
und funktionelle Darstellungen wird die rum-
liche Vorstellung verstrkt angesprochen.
Die handliche Gre und die stabile Aus-
fhrung ermglichen den problemlosen Ein-
satz mit direkter Kontrolle an einem Lernmodell
(z.B. Skelett). Durch die Verwendung dieses
Systems wird die Lerndauer nachweislich deut-
lich herabgesetzt, die Merkfhigkeit gestei-
Rckseite
gert und somit das Examen leicht gemacht.

Die menschliche Muskulatur


Deutsche Ausgabe Englische Ausgabe
3. Auflage 2001 2. Auflage 2001
35,30 50,10
ISBN 3-928537-32-6 ISBN 3-928537-43-1
Anatomie, Funktion, Innervation
303 einzelne Karten im Format A7.
Jeder Muskel mit eigener, farbiger Abb.
Qualittsdruck auf stabilem Karton.
Im stofesten Karteikasten.
Klein handlich effektiv.

6
Anatomie / Physiologie

n
Exame ht!
gemac
leicht

Pes (Fu) rechts 2/2 271

Ansicht von plantar

Das menschliche Skelett



Os cuneiforme laterale
Os cuneiforme inter|medium
Os cuneiforme mediale
Deutsche Ausgabe Tuberositas ossis navicularis
Caput tali
3. Auflage 2001 Sustentaculum tali
Processus medialis tuberis calcanei
Knochen, Bnder und Gelenke Processus lateralis tuberis calcanei
Tuberositas ossis cuboidei
303 einzelne Karten im Format A7. Sulcus tendinis musculi peronei longi

Alle Knochen in hchster


Pes (Fu) rechts
Druckqualitt.
Ansicht von plantar 2/2
Fotoanmutung, feinste Strukturen.
Hervorragende Plastizitt, Os cuneiforme
laterale

Transparenz. Cranium (Schdel)


Ansicht von ventral 1/2
35,30
Os cuneiforme
inter|medium
1 2 3

ISBN 3-928537-33-4
4 Os cuneiforme
mediale
Englische Ausgabe 15
5

2. Auflage 2001 Sulcus tendinis Tuberositas ossis

50,10
musculi peronei longi navicularis

6
ISBN 3-928537-44-X 14 Tuberositas
ossis cuboidei Caput tali

7
Cranium (Schdel) 1/2 5 13
Processus Processus medialis Sustentaculum
lateralis tuberis tuberis calcanei tali
calcanei
Ansicht von ventral
1 Sutura fronto|maxillaris 9 Ramus mandibulae 12
2 Os frontale (Squama frontalis) 10 Gnathion 8
3 Sutura fronto|nasalis 11 Mandibula (Corpus)
4 Foramen supra|orbitale 12 Foramen infra|orbitale
5 Sutura spheno|parietalis 13 Sutura naso|maxillaris 11 10 9
6 Os lacrimale 14 Os temporale
7 Sutura spheno|zygomatica 15 Os sphenoidale
8 Conchae nasales media et (Facies orbitalis)
inferior
Lau-Verlag

7
Medizinische Fachsprache

Peter Wolfgang Ruff Gnter Grosche


Einfhrung in den Gebrauch bungsheft zur Einfhrung
der medizinischen in die medizinische
Fachsprache Fachsprache
5. Auflage 2002, 86 Seiten, kartoniert 6. Auflage, 2002, 40 Seiten, geheftet
9,80 6,90
ISBN 3-928537-29-6 ISBN 3-928537-31-8
Eine ideale Lernanleitung zur medizini- 19 umfassende Arbeitsbltter sollen bei
schen Fachsprache. Sie vermittelt Kennt- Lernenden, die sich beruflich mit dem
nisse ber Herkunft, Bildung, Recht- medizinischen Fachwortschatz beschf-
schreibung, Aussprache und Betonung, tigen mssen und keine Vorkenntnisse der
Deklination und Konjugation und gibt griechischen und lateinischen Sprache
ebenso Auskunft ber medizinische Fach- haben, Verstndnis fr die Termini we-
ausdrcke sowie hufig vorkommende cken, ohne die Grammatik der beiden
Wortbildungselemente aus dem Latei- Sprachen lernen zu mssen.
nischen und Griechischen. Es informiert
ber die Fachausdrcke in Anatomie, Klinik Lsungsheft (o.Abb.)
und Pharmazie. zur 4. Auflage 1998, 36 Seiten geheftet
7,90
ISBN 3-928537-17-2
Nur an Lehrkrfte direkt vom Verlag.

8
Medizinische Fachsprache Hallesche Sammlungen

Peter Wolfgang Ruff


Rdiger Schultka

Die Hallesche Anatomie


Medizinische Fachsprache und ihre Sammlungen
Ein Instituts- und Sammlungsfhrer
Geschichte, Anwendung, Aussprache
und Rechtschreibung

g ms A
u T



LAU Verlag

Peter Wolfgang Ruff Rdiger Schultka


Medizinische Fachsprache Die Hallesche Anatomie und
GESCHICHTE, ANWENDUNG, ihre Sammlungen
AUSSPRACHE
UND RECHTSCHREIBUNG
1. Auflage 1999, 176 Seiten, kartoniert
5,10
1. Auflage 1996, 190 Seiten, ISBN 3-928537-28-8
gebunden Instituts- und Sammlungsfhrer des
11,00 Institutes fr Anatomie und Zellbiologie
ISBN 3-928537-19-9 der Medizinischen Fakultt der Martin-
Dieser Umgang mit der medizinischen Luther-Universitt Halle-Wittenberg; ent-
Fachsprache ist eine Art Sprach-Knigge hlt viele bemerkenswerte Einzelheiten zur
fr alle, die es mit der medizinischen Fach- Entwicklung des Faches Anatomie und gibt
sprache zu tun haben. Das sind rzte, einen lebendigen Abriss ber wichtige
Schwestern, Lehrkrfte, Gesundheitsinge- Kapitel europischer Medizingeschichte.
nieure, Bibliothekare, Informatiker oder Fr Medizinhistoriker, rzte, Studierende
interessierte Brger sowie Patienten. Er und Laien ein ergiebiges Nachschlage-
lehrt sie weder alle einzelnen Bezeichnun- werk.
gen der Fachsprache ihrer Bedeutung
oder Herkunft nach, noch lehrt er sie
Latein oder Griechisch. Eine Fachsprache
lernt man nicht vokabelmig, sondern
beim Studium des Faches und bei der
Beschftigung mit seinen Gegenstnden.
Man lernt sie nicht schulmig wie eine
Fremdsprache, eher unbewuter hnlich
wie eine Muttersprache.
Das Buch ist gut lesbar und gibt auf viele
Fragen eine Antwort.

9
Pflegedokumentation

Sabine Rothfuchs Brigitte Sommer

Curriculum
Curriculum
Krankenpflege
Krankenpflege
Kinderkrankenpflege
Kinderkrankenpflege

Auf dem Wege zur Integration

Basispflege
Fachspezifische Pflege
Praxisaufgaben

NEU
Ortrun Ruschmeyer
Karin Schiller
Sabine Rothfuchs Brigitte Sommer
Praxisbegleitbuch fr die
Curriculum Krankenpflegeausbildung
Krankenpflege Kinderkrankenpflege
3. Auflage 2000, 212 Seiten, gebunden,
AUF DEM WEGE ZUR INTEGRATION 24,80 ISBN 3-928537-38-5
1. Auflage 2001, 144 Seiten, kartoniert, Das Praxisbegleitbuch umfasst zur Dokumen-
29,80 ISBN 3-928537-45-7 tation des aktuellen, theoretischen Lern-
Mit diesem Curriculum wird ein transparen- standes ausfhrlich geordnet nach Basis-
tes Ausbildungskonzept vorgelegt, das eine pflege und Fachspezifische Pflege die
pflegerisch fachliche und berufspdagogisch Lerninhalte der praktischen Kranken-
zukunftsorienterte Ausbildung gewhrleistet. pflegeausbildung. Einsatzbersichten fr
Neben der Vermittlung von Fachkompetenz alle Kliniken, Spezial- und Zusatzbereiche.
wurde vor allem auf die Frderung von
Schlsselqualifikationen Wert gelegt. Die Michael Strmer
Ausbildung ist durchgngig fcherintegrativ
mit einer systematischen Verknpfung von Dokumentation
Theorie und Praxis gestaltet. In einer klaren der praktischen
und nachvollziehbaren Ausbildungsstruktur
sind die Inhalte der Ausbildung einheitlich
Krankenpflegeausbildung
und verbindlich festgelegt, wobei Freirume 2. Auflage 2002, 80 Seiten, gebunden,
fr situative Anforderungen und spezifische 8,90 ISBN 3-928537-27-X
Lerninhalte im Sinne des offenen Curriculums
Die Dokumentation basiert auf der
gegeben sind.
Grundlage einer ganzheitlichen Sichtweise
Somit besteht jetzt die Mglichkeit die theo-
in der Krankenpflege; konzipiert speziell
retische Kranken- und Kinderkrankenpflege-
fr kleinere und mittlere Krankenhuser.
ausbildung im 1. Ausbildungsabschnitt inte-
Teil 1: Untersttzung der ATLs.
grativ zu gestalten, wobei das eigenstndige
Teil 2: Mithilfe der Schler/Schlerinnen.
Profil der Berufsbilder erhalten bleibt.
Teil 3: Fachkundige und geplante Pflege.

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Physiotherapie

Studienbcher fr medizinische Berufe

Dieter Nelius

Manuelle
Lymphdrainage

Lau-Verlag

Dieter Nelius Rolf Meinecke


Manuelle Lymphdrainage Bewegungs-, Lngen- und
1. Auflage 1994, 80 Seiten, kartoniert Umfangsmessungen
9,80 (Neutral-Null-
ISBN 3-928537-05-9 Durchgangsmethode)
Mit diesem Werk erhalten Sie eine aus-
fhrliche bersicht ber die theoretischen 4. Auflage 2002, 72 Seiten,
Grundlagen und Techniken der manuellen 57 Abbildungen, kartoniert
Lymphdrainage. 9,80
Dem Lymphknoten wichtiger biologi- ISBN 3-928537-39-3
scher Filter kommt fr die Verbreitung Der Autor wendet sich mit diesem Werk
von Entzndungen und bsartiger Tumo- an alle, die sich mit der Messung und
ren eine entscheidende Bedeutung zu. Beurteilung des Sttz- und Bewegungs-
Um diese anspruchsvolle Behandlungs- apparates befassen. Whrend bei den
methode aber effektiv anwenden zu kn- Lngen- und Umfangsmaen schon
nen, bedarf es einer detaillierten Kenntnis immer exakte, vergleichbare Werte er-
von Bau und Funktion des Bindegewebes, reicht wurden, entspricht die Feststellung
der Lymphgefe und Lymphknoten. und Dokumentation der Bewegungsmae
bersichtliche bungsbeispiele runden nicht den geforderten Normen.
dieses Werk sinnvoll ab. Die Neutral-Null-Durchgangsmethode hat
sich als ideale Memethode herausge-
stellt, deren Ergebnisse gut reproduzierbar
und dokumentierbar sind.

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