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Härle - Dogmatik

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C--

Wilfried Hrle

Zweite, berarbeitete Auflage

Walter de Gruyter . Berlin . New York


2000
Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf Fr
Lehrstuhl fr Systeniatische Theologie
EvangelisctrTheologische Fakultt
Sigrid

Glockzin-Bever

@l Gedruckt auf sutefreiem Papier,


das die US-ANSI-Norm ber Haltbarkeit erfllt

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hrle, Wilfried:
Dogmatik / Wilfried Hrle. - 2., berarb. Auf!. - Berlin ; New York :
de Gruyrer, 2000
(De-Gruyter-Lehrbuch)
ISBN 3-11-016590-2 Gb.
ISBN 3-11-016589-9 brosch.

Copyright 2000 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin


Dieses Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt, Jede Ver-
werrung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim-
mung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigun-
gen, bersetzungen, Mikroverfllmungen und die Einspeicherung und Verarbeirung
in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
Diskerrenkonvertierung: Readymade, Berlin
Druck und buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck, Rieden/Allgu
Vorwort

Ein Lehrbuch der Dogmatik trifft in unserer Zeit aufInteresse und auf
Skepsis. Schon der Begriff "Dogmatik" ruft bei vielen MenschenAssozia-
tionen von Enge, Starrheit und Dogmatismus hervor. Im Bewutsein der
hier drohenden Miverstndnisse bin ich nur zgernd an diese Aufgabe
herangegangen. Ihre bernahmewurde mir erleichtert durch die Tatsa-
che, da dieses Lehrbuch in einer Reihe erscheint, in der Wolfgang
Trillhaas vor fast einem Vierteljahrhundert das Ziel der Dogmatik be-
schrieben hat mit der Formulierung, sie mge "zu einer eigenen berzeu-
gung und zu befreiendem Verstehen behilflich sein" (Dogmatik:, 1972 3 ,
S. VIII). Diese Zielsetzung mchte ich mir gern zu eigen machen.
Angesichts des zunehmenden religisen Pluralismus gibt es gerade
heute. viele Menschen, denen es wichtig ist, sich ber ihren Glauben
gedanklich Rechenschaft zu geben und so im Dialog mit anderen Auffas-
sungen gesprchsfhig zu sein. Das kann aber nur gelingen, wenn sie in
der Auseinandersetzung mit den Inhalten des Glaubens, wie sie durch eine
lange berlieferungsgeschichte vorgegeben sind, dazu angeleitet werden,
eine aus eigenem Verstehen gewonnene berzeugung auszubilden und
argumentativ zu vertreten!
Die vorliegende Dogmatik will die Leserinnen und Leser da.durchiur
eigenen Urteilsbildung anregen, da in einem zusammenhngenden Ge-
dankengang die Fragen, Argumente und Lsungsa.nstze entfaltet wer-
den, die sich fr den Verfasser bei seiner Beschftigung mit demchristli-
chen Glauben ergeben haben. Diese Darstellung der eigenen Auffassung
(anstelle der Wiedergabe mehrerer unterschiedlicher Lehrmeinungen) soll
dazu anregen, inkritischer Anknpfung an das Vorgetragene nun auch
selbst einen eigenen Weg zu suchen.
In diesem Proze der Ausbildung systematisch-theologischer Urteils-
fhigkeit sind die Anfragen und Einwnde aus der gesellschaftlichen,
wissenschaftlichen und religisen Lebenswelt (aber auch aus dem eigenen
Nachdenken) nicht strende Zwischenrufe, sondern notwendige Heraus-
forderungen, die verhindern knnen, da Glaube und Leben sich vonein-
ander isolieren und damit - zum Schaden beider - beziehungslos werden.
Je deutlicher diese Einwnde artikuliert werden, desto mehr ntigen sie
die Theologie,in der Besinnung auf ihre Sache nach tragfhigen Antwor-
ten zu suchen und ber sie allgemeinverstndlich Rechenschaft zu geben -
oder ihre eigene Ratlosigkeit einzugestehen und auszuhalten.
viii Vorwort Vorwort IX

Daraus resultieren fr das vorliegende Dogmatik-Lehrbuch drei vor- sprch mit anderen theologischen Auffassungen fmdet allenfalls anmer-
rangige Intentionen: kungsweise statt. Wer diese Elemente sucht, wird in anderen Dogmatiken
eher fndig werden. Die beigefgten Literaturhinweise (s. S. 650 ff.) sol-
_ Die Klrung der verwendeten Begriffe mit dem Ziel, zu emem mg-
len aber einen Zugang zur fachwissenschaftlichen Diskussion erffnen. 2
lichst genauen Verstehen vorzudringen und so Verstndigung zu er-
Diese Dogmatik richtet sich dementsprechend nicht primr an Fach-
mglichen. Deswegen beginnen viele Kapitel und Abschnitte mit
kollegen, sondern an Theologiestudierende sowie an Frauen und Mn-
Vorberlegungen zum Sprachgebrauch und Zur
'Y7~7n4eten Begriff-
ner, die beruflich im Pfarramt oder im schulischen Religionsunterricht
lichkeit. ttig sind und nach Anregungen fr ihr systematisch-theologisches Nach-
_ Die Anknpfung andie biblische und kirchlich~:!~(l~it~?n,in der der denken suchen. Deswegen hoffe ich, da das Lehrbuch sowohl fr das
christliche Glaube fr die heutige kritische Refl~~f'md Auslegung Studium und die Examensvorbereitung brauchbar ist, als auch in der
vorgegeben ist. Deswegen spielt der Bezug aufdi~.~rs~.~gen der Bibel Berufspraxis (etwa bei der Predigt- und Unterrichtsvorbereitung) mit
und der kirchlichen Lehrentscheidungen durchg(:h,end eine wichtige
Gewinn verwendet werden kann. Letzteres ist meines Erachtens die Be-
Rolle. whrungsprobe fr den Nutzen aller dogmatischen Arbeit. Die beigefg-
_ Die Vermittlung dieser Tradition mit den ErfahI:~~~l1 und mit dem ten Bibelstellen- und Begriffsregister dienen vor allem der Verwendbar-
Denken der gegenwrtigen Lebenswelt, weil.d~~,~J~p.be nur so als keit in diesem Bereich und fr diese Aufgaben.
Grundlage und Orientierung fr das Lebend~~i7~elnen und der Das Lehrbuch ist mit seinen 15 Kapiteln so konzipiert, da es auch als
Gesellschaft entdeckt und angeeignet werden k~'.!37swegenwerden Textgrundlage fr ein dogmatisches Repetitorium verwendet werden
die Themen und Fragen, die in der heutigen Diskp.~~;()n eine besondere
kann. In diesem Falle empfiehlt es sich jedoch, das sehr umfangreiche
Rolle spielen (wie z. B. der Absolutheitsan~l'~p.(,;h, das Theodi- Kap. 14 entweder in zwei Einheiten aufzuteilen oder, wenn dies nicht
zeeproblem oder die Auseinandersetzung mit de~l1~1:Urwissenschaft
mglich ist, den Abschn. 14.1 zusammen mit Kap. 13 zu behandeln. Das
lichen Denken), relativ ausfhrlich behandelt. htte den zustzlichen Vorteil, da der Zusammenhang zwischen Snde
Um dieser Klrung, Anknpfung und Vermittlp,ng;willen geht diese und Heil besonders deutlich wrde.
Dogmatik an einigen Stellen neue, unvertraute Wege. Dasist insbesondere An dem Zustandekommen dieses Buches haben viele Menschen mit-
der Fall in der Gotteslehre, in der Christologie undin der Schpfungs- gewirkt, denen ich mich dadurch verbunden fhle:
lehre, wo mittels der Denkfigur des "kategprialenUnterschieds" der An erster Stelle mchte ich Studienleiterin Pfarrerin Sigrid Glockzin-
Versuch unternommen wird, .sowohl das Wesen; Gottes l als auch das Bever nennen, die den grten Anteil am Werden dieser Dogmatik hat.
Verhltnis zwischen Gott und Geschpf so zu bestimmen, da mit dem In der - durchaus kontroversen - Kommunikation mit ihr ist dieses Buch
grundlegenden Unterschied zugleich die Verbundenheit, ja (bezogen auf entstanden. Die Offenheit und Weite ihres theologischen Denkens, ihre
Jesus Christus) die Einheit zwischen Gott und Mensch denkbar wird. eigenstndige weibliche Perspektive und ihr verlliches Unterschei-
Diese Gedanken sowie die berlegungen zum (rezeptiven und) produkti- dungsvermgen zwischen lebendigen Gedanken und toten Formeln ha-
ven Aspekt des Erkennens (s. 7.1.1) sind anfngliche Schritte auf einem ben dieses Lehrbuch wesentlich mitgeprgt. Ihr ist darum die Dogmatik
Weg, der fr knftige Bewhrung und Korrektur offenbleibt. gewidmet.
Wegen der vorgegebenen lJmfangsbegrenzung muten andere mgli- Auf dem beschwerlichen Weg der Entstehung dieses Buches sind mir
che Zielsetzungen einer Dogmatik in den Hintergrund treten: So nimmt Botschaften von Menschen zuteil geworden, die mich ermutigt und die
die Information ber die dogm.en- und theologiegeschichtlichen Lehrent- mir weitergeholfen haben: aus meiner Familie, insbesondere von meinem
wicklungen nur geringen Raum ein, und das fachwissenschaftliche Ge- Sohn Michael; aus dem Kreis der Kollegen und Freunde, besonders von
Eilert Herms und Manfred Marquardt, sowie von meinem Arzt.
1 j)ie Allssagen ber Gottes "W7~e1}j11sLiebe werden mit groer Wahrscheinlich-
keit miverstanden und irr~fii1ll:eIld gebraucht, wenn die Hinweise in Ab-
sehn. 8.1.1.3 ber die Grenzen des Redens von Gottes Wesen als Liebe und
wenn die durchgehend vorausgesetzte Unterscheidung zwischen der gttlichen 2 Sofern im Text oder in den AnnIerkungen der Dogmatik Literaturhinweise in
Liebe und ihren irdischen VerWirklichungsformen nicht beachtet oder nicht Kurzform vorkommen, sind die ausfhrlichen Angaben den jeweils zu diesem
ernstgenommen werden. Kapitel oder Abschnitt gehrigen Literaturhinweisen zu entnehmen.
x Vorwort Vorwort xi

Einige meiner Mitarbeiter haben den Entstehungsproze der Dogma- mit ihrer Botschaft und den Menschen in unserer Lebenswelt zu ber-
tik kontinuierlich mit wohlwollender, kritischer Aufmerksamkeit beglei- brcken haben, aus diesem Buch Anregungen, neue Einsichten, vor allem
tet und mir eine Flle sachlicher und sprachlicher Korrekturvorschlge aber Ermutigung zum eigenen theologischen Denken empfangen.
gemacht: Rdiger Gebhardt, der insbesondere in den Abschnitten 2.2.4
und 15.3.2 fr wesentliche Verbesserungen sorgte und auerdem das Marburg, Jahreswende 1994/95 Wilfried Hrle
Bibelstellenregister anfertigte; Frank Miege, der mir insgesamtanhand
von Peirce zu neuen semiotischen Einsichten verholfen und in Ab-
schn. 7.1.1 bisin die sprachlichen Formulierungen hinein mitgewirkt hat;
Susanne Hahn, die sich nicht ganz erfolglos darum bemhte, die Sprache
ohne sthetische Einbuen frauenfreundlicherzu gestalten; Thomas
Jeromin, der in unermdlicher Geduld Fehler und Ungenauigkeiten. im
Text aufsprte und zur Strecke brachte, sowie Harald Goertz, der mich
im Abschn. 14.3.3 an dem profitieren lie, was er zum Allgemeinen Prie-
stertum und ordinierten Amt bei Luthererarbeitet hat; Die beiden Letzt-
genannten haben mich auerdem bei der Anfertigung des Personen- und
Begriffsregisters mit groem Einsatz untersttzt.
Zu danken habe ich ferner meinem Kollegen Dieter Lhrmann, der
sich der Mhe unterzog, Kap. 4 sowie Abschn. 9.2 aus derPerspektive des
Neutestamentlers kritisch durchzusehen. Daraus resultierten zahlreiche
wertvolle'Yerl::lessetungsvorschlge. Es versteht sich von selbst, da er
nicht die Verantwortung fr das trgt, was' schlielich aus seinen Anre-
gungen geworden ist.
Danken mchte ich ferner den Mitarbeitern des Verla.gs Walter de
Gruyter, insbesondere HerrnDr. Hasko von Bassi, der von Anfang an das
Entstehen dieses Lehrbuchs mit sachkundigem Interesse, grozgiger
Untersttzung und gelegentlichem sanftem Druck begleitet und gefrdert
hat.
Ein besonderer Dank gebiihrtFrau Brigitte Ritter, die diese Dogma-
tik mit bewundernswerter Sorgfalt in immer neuen Fassungen weit ber
ihre Arbeitszeit hinaus auf Diskette geschrieben hat; In zunehmendem
Maeregte sie auch stilistische Verbesserungen an und lie soihrfeines
Sprachgefhl dem Entstehen dieses Buches zugute kommen.
Da sie fr diese Ttigkeit immer wieder freigestellt wurde, habe ich
neben anderen Formen der Untersttzung meiner Arbeit der Evangeli-
schen Kirche von Kurhessen-Waldeck zu verdanken, die mir durch die
Ernennung zum Landeskirchenratim Nebenamt auch diese Hilfe zuteil
werden lie. Es ist mir ein Bediirfnis, dafr an dieser Stelle meinen herz-
lichen Dank auszusprechen.
Abschlieend mchte ich noch einmal der Hoffnung Ausdruck geben,
da neben den Studierenden insbesondere Pfarrer und Pfarrerinnen, Leh-
rerinnen und Lehrer als die Amtstrger im Bereich der evangelischen
Landeskirchen, die den gro gewordenen Abstand zwischen der Kirche
Vorwort zur zweiten Auflage

Die 1995 erschienene erste Auflage dieser Dogmatik hat eine edreulich
positive Aufnahme gefunden. Das kam in Briefen, Gesprchen, Rezensio-
nen und nicht zuletzt in denVerkaufsziffern zum Ausdruck. So ist schon
nach relativ kurzer Zeit eine zweite Auflage ntig und mglich geworden.
Ich hatte zunchst die Absicht, das Buch fr diese Neuauflage anhand
der Verbesserungsvorschlge und Anregungen, die mir von verschiedenen
Seiten gemacht wurden, zu berarbeiten. Aber eine solche Neubearbei-
tung htte die gemeinsame Benutzung der 'beiden Auflagen im Rahmen
von Repetitorien, Seminaren und Arbeitsgruppen erheblich erschwert.
Deshalb habe ich von diesem Plan Abstand genommen und mich auf die
Korrektur von Fehlern und miverstndlichen Formulierungen sowie auf
eine Ergnzung der Literatur im bibliographischen Anhang beschrnkt,
ohne in den Umbruch, d. h. in die Aufteilung und Zhlung der Seiten
einzugreifen.
Drei der vorgenommenen nderungen verdienen Erwhnung:
- Die aufflligste nderung betrifft die berschriften der beiden Haupt-
teile. Diese wurden zwar etwas umstndlicher, aber dafr genauer.
Whrend die alten Formulierungen den Anschein erwecken konnten,
es gehe um den Unterschied zwischen Wesen und Wirklichkeits-
verstndnis des christlichen Glaubens, wird nun deutlich, da es um
den zwischen Rekonstruktion und Explikation des christlichen Wirk-
lichkeitsverstndnisses geht, das das Wesen des christlichen Glaubens
ausmacht.
- In der Behandlung des Theodizeeproblems (12.3) habe ich einen Denk-
fehler entdeckt und zu beheben versucht. Ich hatte in der ersten Auf-
lage (S. 442 und 452) behauptet, nur wer den Anspruch erhebe, die
Schpfungsaussage beweisen zu knnen, msse auch die Anklagen im
Theodizeeproze widerlegen. Richtig ist dagegen, da man sich dieser
"Beweislast" auch dann nicht entziehen kann, wenn man nur hypo-
thetisch von der Welt als Schpfung Gottes spricht. Man mu dann
"nur" die Hypothese begrnden.
- Den Abschn. 14.1.4.1 habe ich aufgrund kritischer Hinweise und
konstruktiver Verbesserungsvorschlge von S. Glockzin-Bever und J.
Stolch sprachlich berarbeitet. Das hat dem Text m. E. gutgetan. Fr
diese Anregungen mchte ich auch an dieser Stelle meinen Dank aus-
sprechen.
XIV Vorwort zur zweiten Auflage

Zu danken habe ich ferner vor allem meinem Kollegen Th. Mahl- Inhaltsverzeichnis
mann, der bei seiner sorgfltigen Lektre eine groe Anzahl Corrigenda
entdeckt hat. Fr Hinweise auf Fehler bin ich auch Herrn Kollegen G.
Meckenstock, Herrn OKR Dr. R. Brandt, Frau K. Huxel und stud. theol.
H. Riehm dankbar. Meine Mitarbeiter R. Gebhardt, M. Kauer, F. Miege,
A.K. Redecker und W. Schmitt waren mir beim Korrekturlesen, bei der Vorwort ,....... Vll

berarbeitung der Register und bei der Erstellung der Druckfassung eine Vorwort zur zweiten Auflage X1l1

groe Hilfe. Abkrzungsverzeichnis '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxix


Ich hoffe, da das Buch auch weiterhin Menschen in Studium und
Einleitungsteil
Beruf, in Kirche und Gesellschaft anregt und herausfordert zum theologi-
schen Nachdenken und zumverantwottlichen Reden vom Glauben im 1 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie als
Kontext unserer Lebenswelt. Wissenschaft . 3
Heidelberg, den 29. Januar 1999 Wilfried Hrle 1.1 Zur Klrung des Wissenschaftsbegriffs . 4
1.1.1 Methodische Wissenserweiterung und -berprfung . 5
1.1.2 Umfassende Wissenserweiterung und -berprfung . 6
1.1.3 Rationale Wissenserweiterung und -berprfung . 7

1.2 Das Selbstverstndnis der Theologie . 10


1.2.1 Theologie und Glaube . 10
1.2.2 Christlicher Glaube und kirchliche Lehre . 12
1.3 Theologie als Wissenschaft ...................... 14
1.3.1 Die Frage nach der Notwendigkeit wissenschaftlicher
Theologie ................................... 14
1.3.2 Die Auseinandersetzung um den Wissenschaftsbegriff .. 16
1.3.3 Die Wissenschaftlichkeit der Theologie . 18
1.3.3.1 Methodisierbarkeit . 18
1.3.3.2 Vorurteilsfreiheit : . 19
1.3.3.3 Wahrheitsfhigkeit und Wahrheitsgewiheit . 21
1.3.3.4 Hypothesenbildung ............................ 22
1.3.3.5 Falsifizierbarkeit . 23
1.3.3.6 Widerspruchsfreiheit ........................... 24
1.3.3.7 (Selbst-)Relativierung ; . 26
1.4 Ort und Funktion der Dogmatik im
Gesamtzusammenhang der Theologie . 28
1.4.1 Die in sich differenzierte Einheit der Theologie 29
1.4.1.1 Die einheitliche Aufgabe der Theologie . 29
1.4.1.2 Die innere Differenzierung der Theologie . 32
1.4.2 Ort und Funktion der Dogmatik innerhalb
der Systematischen Theologie . 36
1.5 Die Gliederung der Dogmatik . 40
xvi Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis xvii

1.5.1 Grundstzliche berlegungen bezglich der Gliederung 2.3 Zur Wesensbestimmung des christlichen Glaubens .... 71
einer Dogmatik . 40 2.3.1 Der christliche Glaube als geschichtliche Wirklichkeit .. 72
1.5.2 Traditionelle Gliederungsprinzipien der Dogmatik . 41 2.3.1.1 Der geschichtliche Ursprung des christlichen Glaubens 72
1.5.2.1 Das trinitarische Gliederungsprinzip . 41 2.3.1.2 Der geschichtliche Charakter des christlichen Glaubens 73
1.5.2.2 Das heilsgeschichtliche Gliederungsprinzip . 42 2.3.2 Schwierigkeiten und Mglichkeiten der
1.5.2.3 Das methodisch-inhaltliche Gliederungsprinzip . 42 Wesens-Bestimmung des christlichen Glaubens . 74
1.5.3 Die Gliederung dieser Dogmatik . 43 2.3.2.1 Die kategoriale Unterscheidung des Wesens von jeder
1.5.3.1 Die trinitarische Gliederung des Gottesverstndnisses .. 43 Erscheinung . 74
1.5.3.2 Die "heilsgeschichtliche" Gliederung des 2.3.2.2 Das zirkulre Verhltnis von Erscheinung und Wesen .. 76
Weltverstndnisses . 43 2.3.2.3 Die Unabgeschlossenheit des christlichen Glaubens .... 77
1.5.3.3 Die Unterscheidung zwischen Rekonstruktion und 2.3.3 Konsequenzen fr die Beantwortung der Frage nach
Explikation . 44 dem Wesen des christlichen Glaubens . 78
1.5.3.4 Das Verhltnis der drei Teile zueinander . 44
3 Gottes Offenbarung in Jesus Christus als Grund des
christlichen Glaubens . 81
Hauptteil I: Rekonstruktion des Wesens des christlichen Glaubens
3.1 Der Offenbarungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 81
2 Die Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens .. 49 3.1.1 Offenbarung als Erschlieungsgeschehen 81
3.1.2 Die Strukturelementeder Offenbarung. . . . . . . . .. . .. 84
2.1 "Wesen" und "Erscheinung" . 49 3.1.2.1 Der Gehalt der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 84
2.1.1 Das Verhltnis von "Wesen" und "Erscheinung" . 49 3.1.2.2 Der Urheber der Offenbarung 86
2.1.2 Der Begriff "Wesen" . 51 3.1.2.3 Die Gestalt der Offenbarung 87
2.1.2.1 "Wesen" als das Unterscheidende und 3.1.2.4 Der Empfnger der Offenbarung 88
Unverwechselbare . 51 3.1.2.5 Die Wirkung der Offenbarung 89
2.1.2.2 "Wesen" als das Unvernderliche und stets
Gleichbleibende . 52 3.2 Jesus Christus als Gottes Offenbarung 89
2.1.2.3 "Wesen" als das Unaufgebbare und Unverzichtbare '" 53 3.2.1 Das Christusgeschehen als Offenbarungsgeschehen 90
3.2.2 Die Verborgenheit Gottes in Jesus Christus 92
2.2 Glaube . 55 3.2.2.1 Gottesoffenbarung in der Verborgenheit 92
2.2.1 Zur Klrung des Glaubensbegriffs . 55 3.2.2.2 Der offenbare und der verborgene Gott 94
2.2.1.1 Glaube als Vertrauen . 57 3.2.2.3 Das bleibende Geheimnis der Gottesoffenbarung in
2.2.1.2 Die Unbedingtheit des Glaubens . 58 Jesus Christus 95
2.2.1.3 Das Gegenber des Glaubens . 60
2.2.2 Die Angefochtenheit des Glaubens . 61 3.3 Gottesoffenbarung auerhalb von Jesus Christus? ..... 96
2.2.3 Glaube als Lebensbewegung . 64 3.3.1 Die Exklusivitt der Gottesoffenbarung in JesusChristus 97
2.2.4 Anthropologische Ortsbestimmung des Glaubens . 66 3.3.2 Die Mglichkeit und Wirklichkeit anderer
2.2.4.1 Glaube und Wille . 66 Gottesoffenbarung .,........................... 98
2.2.4.2 Glaube und Vernunft . 67 3.3.3 Das Verhltnis von allgemeiner und besonderer
2.2.4.3 Glaube und Gefhl . 67 Offenbarung 99
2.2.5 Konstitutionsbedingungen des Glaubens . 69
2.2.5.1 Die Unverfgbarkeit des Glaubens . 69 3.4 Der sog. Absolutheitsanspruch des Christentums 102
2.2.5.2 Der personale Charakter des Glaubens . 70 3.4.1 Begriffliche Vorklrungen 103
2.2.5.3 uere Entstehungsbedingungen des Glaubens . 70 3.4.1.1 Was bedeutet "Absolutheit"? 103
xviii Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis xix

3.4.1.2 Was bedeutet in diesem Zusammenhang 5.2 Die Bedeutung von Dogma und Bekeril1tnis fr den
"Christentum"? . 105 christlichen Glauben .. 146
3.4.1.3 Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Anspruch"? 107 5.2.1 "Dogma" und "Bekenntnis" 147
3.4.2 Die Absolutheit der Gottesoffenbarung 108 5.2.1.1 Zur Klrung des Dogma-Begriffs 147
5.2.1.2 Zur Klrung des Bekenntnis-Begriffs 148
4 Die Bibel als Quelle und Norm des christlichen 5.2.2 Die theologische Bedeutung des kirchlichen
Glaubens .................... " . . . . . . . . . . . . .. 111 Bekenntnisses 150
5.2.3 Die Relevanz des kirchlichen Bekenntnisses 155
4.1 Die Bibel als Kanon 112 5.2.3.1 Die Relevanz des Bekenntnisses fr das kirchliche Leben 156
4.1.1 Die geschichtliche Notwendigkeit der Kanonbildung . .. 112 5.2.3.2 Die Relevanz des Bekenntnisses
4.1.2 Die Legitimation des Kanons .... , . . . . . . . . . . . . . . .. 113 fr das ordinierte Amt 157
4.1.3 Die Autoritt des biblischen Kanons fr den christlichen 5.2.4 Die Notwendigkeit der angemessenen Interpretation des
Glauben 114 kirchlichen Bekenntnisses 158
4.1.3.1 Die auctoritas causativa des Kanons. . . . . . . . . . . . . . .. 115
4.1.3.2 Die auctoritas normativa des Kanons ............... 115 5.3 Das reformatorische Verstndnis des christlichen
Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159
4.2 Die Begrndung der Bibelautoritt 117 5.3.1 Die Mitte des reformatorischen Bekenntnisses 160
4.2.1 Mgliche Begrndungsanstze 117 5.3.2 Die Entfaltung derreformatorischen Grundeinsicht 162
4.2.1.1 Die Verfasser der biblischen Schriften 118 5.3.2.1 Der Glaube als Tter der guten Werke 162
4.2.1.2 DerInhalt der Bibel 119 5.3.2.2 Gerechter und Snder zugleich 163
4.2.1.3 Die gttliche Inspiration der Schrift. . . . . . . . . . . . . .. 119 5.3.2.3 Das weltliche und das geistliche Regiment Gottes 164
4.2.2 Das Verhltnis der Begrndungsanstzezueinander .... 123 5.3.2.4 Die Kirche als geistliche und leibliche Versammlung 165
4.2.3 Die Anwendbarkeit der Begrndung der Schriftautoritt 5.3.2.5 ueres Wort und Geistwirken 166
auf das Alte Testament 124
6 Die gegenwrtige Lebenswelt als Kontext des
4.3 Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 128
christlichen Glaubens 168
4.3.1 Das Verstehen der Bibel als Auslegungsgeschehen 128
4.3.2 Schriftauslegung als Erfassung des Schriftsinnes . . . . . .. 129 6.1 Die gegenwrtige Lebenswelt 169
4.3.2.1 Wahrheitsmomente der Lehre vom mehrfachen 6.1.1 Zum Begriff "Lebenswelt" 169
Schriftsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130 6.1.1.1 "Lebenswelt" als umfassende Wirklichkeit 169
4.3.2.2 Die Erfabarkeit des Literalsinnes 132 6.1.1.2 "Lebenswelt" als alltgliche Wirklichkeit . . . . . . . . . . .. 170
4.3.3 Die "Mitte der Schrift" als Auslegungsprinzip 133 6.1.1.3 "Lebenswelt" als subjektbezogene Wirklichkeit 171
4.3.3.1 Die Frage nach der Einheit des Kanons als 6.1.1.4 "Lebenswelt" als geschichtliche Wirklichkeit 171
Auslegungsaufgabe 134 6.1.2 Die Gegenwrtigkeit der Lebenswelt 172
4.3.3.2 Die Vielfalt der biblischen Schriften und die Mitte der 6.1.3 Die Erkenntnis der gegenwrtigen Lebenswelt 174
Schrift 135
4.3.3.3 Die kritische Funktion der Mitte der Schrift. . . . . . . . .. 138 6.2 Der Kontext-Charakter der gegenwrtigen Lebenswelt 176
6.2.1 Der Begriff "Kontext" und die Kontexte 176
6.2.1.1 Der Kontextbegriff 176
5 Das kirchliche Bekenntnis als magebliche Interpretation
6.2.1.2 Unterschiedliche Kontexte 177
des christlichen Glaubens 140
6.2.2 Die Funktion der Lebenswelt als Kontext des
5.1 Der konfessionelle und kumenische Charakter der christlichen Glaubens 178
Dogmatik 141 6.2.3 Kontextuelle Dogmatik? 181
xx Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis xxi

6.3 Christlicher Glaubeim Kontext der gegenwrtigen Teil A: Das Gottesverstndnis des christlichen Glaubens
Lebenswelt 183
6.3.1 Grundzge der gegenwrtigen Lebenswelt 183 8 Gottes Sein (Theo-Iogie) ........................ 235
6.3.1.1 Allgemeine Charakteristika neuzeitlicher Lebenswelten . 184
6.3.1.2 Grundlegende Bestimmungsfaktoren der gegenwrtigen 8.1 Gottes Wesen und Eigenschaften 236
Lebenswelt .................................. 187 8.1.1 Gottes Wesen als Liebe 236
6.3.2 Christlicher Glaube in der gegenwrtigen Lebenswelt .. 190 8.1.1.1 Was ist "Liebe"? 237
8.1.1.2 Die Zuordnung von Liebe zu Gottes Wesen .. . .. .. . .. 241
8.1.1.3 Die Grenzen des Redens von Gottes Wesen als Liebe ... 244
Hauptteil ll: Explikation des christlichen Wirklichkeitsverstndnisses 8.1.2 Die Personalitt Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 248
8.1.2.1 Zur Klrung der Begriffe "Person" und "Personalitt" . 248
7 Die im Wirklichkeitsverstndnis des christlichen
8.1.2.2 Die Anwendbarkeit personaler Kategorien auf Gott. . .. 250
Glaubens vorausgesetzte Gottes- und Welterkenntnis 195
8.1.2.3 Mnnliche und/oder weibliche Ausdrucksformen im
7.1 Die Bedingungen der Mglichkeit von Gottes- und Reden von Gott 253
Welterkenntnis 195 8.1.3 Die Eigenschaften Gottes 255
7.1.1 Erkenntnis 197 8.1.3.1 Einheit und Unterscheidbarkeit der Eigenschaften
7.1.1.1 Der rezeptive Aspekt der Erkenntnis 199 Gottes 256
7.1.1.2 Der produktive Aspekt der Erkenntnis 201 8.1.3.2 Die Eigenschaften, die den kategorialen Unterschied zum
7.1.1.3 Die Zusammengehrigkeit des rezeptiven und des Ausdruck bringen 258
produktiven Aspektes der Erkenntnis ............... 204 8.1.3.3 Die Eigenschaften, die die reale Verbundenheit zum
7.1.1.4 Das Entsprechungsverhltnis von Wirklichkeit und Ausdruck bringen 266
Interpretation 206
7.1.2 Der Begriff "Gott" ............................. 207 8.2 Gottes Wirklichkeit 269
7.1.2.1 "Etwas, ber das hinaus nichts Greres gedacht 8.2.1 Infragestellungen der Wirklichkeit Gottes 269
werden kann" 208 8.2.1.1 Der Illusionsverdacht 270
7.1.2.2 "Worauf Du Dein Herz hngest und verlssest" bzw. 8.2.1.2 Die naturalistische Antithese 271
"Was einen Menschen unbedingt angeht" 209 8.2.1.3 Das Theodizee-Problem 273
7.1.2.3 "Das Woher unseres empfnglichen und selbstttigen 8.2.2 Das christliche Verstndnis der Wirklichkeit Gottes 274
Daseins" bzw. "Der Grund des Seins" 210 8.2.2.1 "Existenz" und "Wirklichkeit" in Anwendung auf Gott 274
7.1.2.4 "Der Allmchtige, d. h. die Alles bestimmende 8.2.2.2 Die Wirklichkeit Gottes als Wirklichkeit der Liebe .... 276
Wirklichkeit" 211
7.1.3 Der Begriff "Welt" 212 8.3 Gottes Wirken 282
7.1.4 Das Erkenntnisinteresse des christlichen Glaubens 216 8.3.1 "Handeln" oder "Wirken" Gottes 283
8.3.2 . Gottes daseinskonstituierendes Wirken 285
7.2 Zugnge zur Gottes- und Welterkenntnis 218 8.3.3 Gottes geschichtliches Wirken (providentia) .. . . .. . . .. 287
7.2.1 Ansatzpunkte in der Welterkenntnis 218 8.3.3.1 Vorsehung als Mitwirkung ., , . . .. 291
7.2.1.1 Die Erkennbarkeit des Ursprungs der Welt 221 8.3.3.2 Vorsehung als Lenkung 293
7.2.1.2 Die Erkennbarkeit der Sinnhaftigkeit der Welt 222 8.3.4 Engel als Boten Gottes 296
7.2.1.3 Die Erkennbarkeit des Bestimmungszieles der Welt 223 8.3.5 Gottes Wirken und das Gebet des Menschen 300
7.2.2 Charakteristika der Gotteserkenntnis 225
7.2.2.1 Gotteserkenntnis als Ziel menschlichen Suchens 225 9 Gottes Selbsterschlieung in Jesus Christus
7.2.2.2 Gotteserkenntnis als Offenbarungserkenntnis . . . . . . . .. 228 (Christologie) 303
7.2.2.3 Gotteserkenntnis als Glaubenserkenntnis 230
xxii Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis xxiii

9.1 Das Thema der Christologie . ;.... 303 10.1.1 Beobachtungen und berlegungen zum Geistbegriff ... 360
9.1.1 Der christliche Glaube als Glaube an das Evangelium 10.1.2 Geist als Gott und Mensch verbindende Wirklichkeit .. 362
von Jesus Christus 303 10.1.3 Geist als Gabe und Geber ; . . . .. 364
9.1.1.1 Die Botschaft von Je~ll~ Shristus als Evangelium 303
9.1.1.2 Das Evangelium als Botschaft von Jesus Christus . . . . .. 304 10.2 Gott als Heiliger Geist 366
9.1.1.3 Der Bezug des Evangeliums zuJesus von Nazareth 305 10.2.1 Der Heilige Geist als Geist der Wahrheit ........... 367
9.1.1.4 Das EvangeliuJ:11 von Jesus als dem Christus 305 10.2.2 Der Heilige Geist als Geist der Liebe 368
9.1.2 Die Einheit von Person und Werk Jesu Christi 306 10.2.3 Der Heilige Geist als Geist des Lebens ............ 370

9.2 Verkndigung, Wirken und Geschick Jesu 307 10.3 Die Wirkungen des Heiligen Geistes ............... ; 372
9.2.1 Die geschichtliche berlieferung VOn Jesus 307 10.3.1 Die heiligende Wirkung des Heiligen Geistes . 372
9.2.2 Verkndigung und Wirken Jesu 308 10.3.1.1 Gemeinschaft der Heiligen . 373
9.2.3 Der Tod Jesu 312 10.3.1.2 Vergebung der Snden . 376
9.2.4 Die Auferweckung Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 313 10.3.1.3 Auferstehung der Toten und das ewige Leben . 377
10.3.2 Die begabende Wirkung des Heiligen Geistes ........ 378
9.3 Das Heilswerk Jesu Christi 314 10.3.2.1 Theologische Begabungen ; . 379
9.3.1 Jesus Christus als Offenbarung Gottes fr den . 10.3.2.2 Die Gabe der Krankenheilung . 380
Menschen ................................... 317 10.3.2.3 Die Gabe der Zungenrede . 382
9.3.1.1 Jesus Christus als Offenbarung in Person ; 317
9.3.1.2 Jesus Christus als Selbstoffenbarung Gottes ......... 319 11 Die Dreieinigkeit Gottes (Trinittslehre) . 384
9.3.1.3 Der Gehalt der Gottesoffenbarung inJesus Christus ... 319
11.1 Begrndung und Status der Trinittslehre . 385
9.3.2 Jesus Christus als Vershnung zwischen Gott
11.1.1 Die Begrndung der geschichtlichen Notwendigkeit der
und Mensch 321
Trinittslehre . 386
9.3.2.1 Die Schwierigkeiten der Vershnungslehre 321
11.1.2 Die Trinittslehreals Theorie reflektierten Redens von
9.3.2.2 Die Bedeutung der Vershnungslehre 324
Gott . 388
9.3.2.3 Denkmglichkeiten der Vershnungslehre 327
11.1.3 Die Unterscheidung zwischen konomischer und
9.3.3 Jesus Christus als die Erlsung des Menschen durch
immanenter Trinittslehre . 390
Gott 335
11.2 Die konomische Trinitt als immanente Trinitt ..... 392
9.4 Die Person Jesu Christi. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 339
11.2.1 Die Zuordnung des gttlichen Wirkens zu verschiedenen
9.4.1 Das Wesen Jesu Christi 342
Wirkweisen Gottes 392
9.4.2 Das Geheimnis des gttlichen Ursprungs Jesu Christi .. 347
11.2.2 Die Einheit des gttlichen Wirkens . . . . . . . . . . . . .. . .. 394
9.4.2.1 Die Einsetzung in die Gottessohnschaft durch die
11.2.3 Das Wirken des dreieinigen Gottes .. " 396
Auferstehung 347
9.4.2.2 Die Berufung zur Gottessohnschaftdurch die Taufe 348 11.3 Die immanente Trinitt als "konomische" Trinitt ... 397
9.4.2.3 Die Geburt des Gottessohnes von der Jungfrau Maria .. 349 11.3.1 Der "Vater" als die innertrinitarisch ermglichende
Exkurs zur Mariologie 351 Seinsweise Gottes 398
9.4.2.4 Die Prexistenz des Gottessohnes ;............. 354 11.3.2 Der "Sohn" als die innertrinitarisch zur welthaften
Existenz bestimmte Seinsweise Gottes 401
10 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist 11.3.3 Der Heilige Geist als die innertrinitarisch vermittelnde
(Pneumatologie) 357 Seinsweise Gottes 402
10.1 Die Rede vom "Geist" in Verbindung mit Gott 360
XXIV Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis XXV

Teil B: Das Weltverstndnis des christlichen Glaubens 12.3.3.2 Die Mglichkeit des moralischen bels als Preis
personaler Freiheit 448
12 Die geschaffene Welt (Schpfungslehre) 409 12.3.3.3 Das physische bel und die Reifung des Menschen 449
12.3.4 Ergebnis und Folgerungen 452
12.1 Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung"
12.3.4.1 Der Ausgang des Theodizeeprozesses 452
oder als "geschaffen" 409
12.3.4.2 Der Sinn der Beschftigung mit dem Theodizeeproblem 453
12.1.1 Geschaffensein als In-Beziehung-Sein der Welt zu Gott . 410
12.1.1.1 Die Wesensverschiedenheit zwischen Welt und Gott 411
13 Die gefallene Welt (Hamartiologie) 456
12.1.1.2 Die Verbundenheit von Welt und Gott 413
12.1.1.3 Die Einheit von Wesensverschiedenheit und 13.1 Zur Klrung des Begriffs "Snde" (und "Schuld") 457
Verbundenheit ; 414 13.1.1 Zum biblischen Sprachgebrauch 457
12.1.2 Schpfung und Weltentstehung 415 13.1.1.1 Hauptbegriffe fr "Snde" im Alten Testament 457
12.1.2.1 Schpfung und zeitlicher Anfang des Universums 415 13.1.1.2 Das Reden von "Snde" im Neuen Testament 459
12.1.2.2 Schpfung als innerer Grund der Weltentstehung 418 13.1.2 "Snde" (und "Schuld") in den Bekenntnisschriften 461
12.1.2.3 Schpfung als creatio ex nihilo. . 420 13.1.3 "Snde" und "Schuld" in unserer Sprache 462
12.1.3 Schpfung als creatio continua(ta) 423 13.1.3.1 "Snde" und "Schuld" im allgemeinen Sprachgebrauch 462
13.1.3.2 Theologisch verantwortliches Reden von "Snde" und
12.2 Die Geschpfe. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 424 "Schuld" 464
12.2.1 Vielfalt und Einheit der Geschpfe 425 13.1.3.3 Das Wesen der Snde 465
12.2.1.1 Die Vielfalt der Geschpfe ....................... 426
12.2.1.2 Die Einheit der Geschpfe 428 13.2 Die Wurzel der Snde .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 466
12.2.2 Der Mensch als Geschpf Gottes 429 13.2.1 Die Legitimitt der Frage nach der Wurzel der Snde .. 467
12.2.2.1 Der Begriff "Mensch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 430 13.2.2 Die Wurzel der Snde und der "Sndenfall" 468
12.2.2.2 Die Bestimmung des Menschen zum Ebenbild Gottes .. 434 13.2.2.1 Die Mglichkeit des Sndenfalls 469
12.2.2.3 Das Verhltnis des Menschen zu den anderen 13.2.2.2 Die Wirklichkeit des Sndenfalls 474
Geschpfen 437 13.2.3 Snde als Erbsnde 475
13.2.3.1 Erbsnde als peccatum originale 476
12.3 Das Theodizeeproblem 439 13.2.3.2 Erbsnde als peccatum personale 477
12.3.1 Bedingungen fr die Bearbeitung des
Theodizeeproblems 440 13.3 Erscheinungsformen der Snde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 480
12.3.1.1 Theodizee als Gerichtsverfahren des Menschen gegen 13.3.1 Der Umschlag der kreatrlichen Angst in dmonische
Gott? 440 Angst 481
12.3.1.2 Theodizee als Akt des Unglaubens? 441 13.3.2 bertragung und Verdrngung eigener Angst 482
12.3.1.3 Theodizee als Widerlegung aller Anklagen? 442
13.4 Auswirkungen der Snde 485
12.3.2 Die konstituierenden Elemente des Theodizeeproblems . 443
13.4.1 Folgen der Snde 485
12.3.2.1 Das bel in der Welt 444
13.4.1.1 Snde und Scham 486
12.3.2.2 Ein gtiger Gott als Schpfer und Herr der Welt 445
13.4.1.2 Snde und Tod . 487
12.3.2.3 Das Theodizeeproblem als Konflikt zwischen der
13.4.2 Snde und Teufel 489
Erfahrung des bels und dem Glauben an Gott 446
12.3.3 Lsungsmglichkeiten fr das Theodizeeproblem 446
14 Die vershnte Welt (Soteriologie) 493
12.3.3.1 Das metaphysische bel als Konsequenz des
Unterschiedes zwischen Gott und Geschpf 447 14.1 Das Heil in Jesus Christus 494
14.1.1 Vielfalt und Einheit des Heils 494
XXVI Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis xxvii

14.1.1.1 Die vielfltigen Erscheinungsformen des Heils . .. 495 14.3.3.1 Das Allgemeine Priestertum 583
14.1.1.2 Das einheitliche Wesen des Heils , 499 14.3.3.2 Das ordinierte Amt ; ........... 585
14.1.2 Erwhlungals Grund des Heils 505 14.3.3.3 Mitarbeiter in der Kirche 587
14.1.2.1 Erwhlung und doppelte Prdestination 506 14.3.3.4 Die kirchenleitenden mter ; 588
14.1.2.2 Die Unwiderstehlichkeit der Erwhlung 509 14.3.4 Zur StrUktur der Kirche 590
14.1.3 Die Aneignung des Heils durch den Glauben 510 14.3.4.1 Die Gemeinde im Verbund mit anderen Gemeinden 591
14.1.3.1 Der Glaube als Heilsmittel oder als Heil 511 14.3.4.2 Binnendifferenzierungen der Gemeindestruktuf ....... 593
14:1.3.2 Das Zustandekommen des Glaubens ..._........... 515 14.3.4.3 bergemeindliche Strukturen 594
14.1.4 Die Lebenspraxis des Glaubens 516 14.3.4.4 Volkskirche und Freikirche 595
14.1.4.1 Liebe als Lebellspraxis des Glaubens : 517
14.1.4.2 Die gesellschaftliche Lebenspraxis des Glaubens 525 15 Die vollendete Welt (Eschatologie) 600
14.1.4.3 Liebe als innere Konsequenz des Glaubens 527
15.1 Die vollendete Welt als Gegenstand theologischer
14.2 DieHeilsmittel ("media salutis") ; 532 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 602
14.2.1 Die Notwendigkeit uerer Heilsmittel ............. 533 15.1.1 Sinn und Notwendigkeit eschatologischer Aussagen ... 602
14.2.2 Wortverkndigung und Sakrament.; 534 15.1.2 Erkenntnistheoretische und ontologische Probleme der
14.2.2.1 Sinn und Begrndung der Unterscheidung zwischen Eschatologie 604
Wortverkndigung und Sakrament ; 535 15.1.2.1 Erkenntnistheoretische Probleme der Eschatologie 604
14.2.2.2 Begrndung und Abgrenzung der Sakramente 541 15.1.2.2 Ontologische Probleme der Eschatologie 606
14.2.3 Die Taufe 547 15.1.3 Konsequenzen fr die Gewinnung eschatologischer
14.2.3.1 Die Taufe als zeichenhafte Eingliederung in den "Leib Aussagen 608
Christi" . . .. . 548
14.2.3.2 Das Verhltnis von Taufe und Glaube 550 15.2 Vollendung als partikulares oder universales Heil 610
14.2.3.3 Erwachsenen- und Suglingstaufe 551 15.2.1 Der "doppelte Ausgang" 611
14.2.3.4 Taufverantwortung 556 15.2.1.1 Der Mastab der Entscheidung 612
14.2.4 Das Abendmahl 558 15.2.1.2 Anthropologische Implikationen 615
14.2.4.1 Das Abendmahl als zeichenhafteAnteilhabe am "Leib 15.2.1.3 Theo-Iogische Implikationen 618
Christi" 558 15.2.2 Die Einbeziehung des annihilatio-Gedankens 620
14.2.4.2 Die Realprsenz Christi in den sinnenhaften Zeichen 560 15.2.3 Die Apokatastasis panton als Allerlsung 624
14.2.4.3 Wrdiger und unwrdiger Empfang des Abendmahls .. 563
15.3 Ausblicke auf die vollendete Welt 628
14.2.4.4 Teilnahme am Abendmahl 565
15.3.1 Tod 629
14.2.5 Die Beichte 567
15.3.1.1 Der Tod als Trennung der Seele vom Leib 630
14.3 Die Kirche (Ekklesiologie) 569 15.3.1.2 Der Tod als definitives Ende des Menschen 631
14.3.1 Das Wesen der Kirche 570 15.3.1.3 Tod als Verhltnislosigkeit 632
14.3.1.1 Kirche als "Gemeinschaft der Glaubenden" 570 15.3.1.4 Tod als reine Passivitt 632
14.3.1.2 Die verborgene und die sichtbare Kirche 571 15.3.2 Auferstehung der Toten 634
14.3.1.3 Die Eigenschaften und Kennzeichen der Kirche 574 15.3.2.1 Diskontinuitt und Kontinuitt 634
14.3.2 Der Auftrag der Kirche 577 15.3.2.2 Auferstehung zum Gericht oder zum Heil 636
14.3.2.1 Die Bestimmung des kirchlichen Auftrags 577 15.3.3 Christi Kommen zum Gericht 639
14.3.2.2 Verwirklichungsformen des kirchlichen Auftrags 578 15.3.3.1 Das Gericht als Aufdeckung der Wahrheit des
14.3.2.3 Die Grenzen des kirchlichen Auftrags 580 irdisch-geschichtlichen Lebens 640
14.3.3 Die mter in der Kirche 582 15.3.3.2 Christus als der Richter 642
XXVlll Inhaltsverzeichnis

15.3.3:3 Gericht ber die Personuncl;berdie Werke 644 Abkiirzungsverzeichnis


15.3.4 Ewiges Leben. .. . 645
15.3.4.1 Der Begriff "ewiges.Leben" 645
15.3.4.2 Ewiges Leben und die Realitt des Todes 647
15.3.4.3 Die kosmische DiIIlensiondesewigen Lebens 647
Apol Apologie der Confessio Augustana
Literaturhinweise :. 650 BSLK Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche
CA Confessio Augustana
Bibelstellenregister 651 Conc(D) Concilium, Einsiedeln
DS Denzinger-Schnmetzer, Enchiridion Symbolorum
Personenregister ; , ;. 651 EG Evangelisches Gesangbuch
EKL Evangelisches Kirchenlexikon
Begriffsregister :; 651 Ep Epitome (der Konkordienformel)
EvTh Evangelische Theologie
FC Konkordienformel
FS Festschrift
GS Gesammelte Schriften
GTB Gtersloher Taschenbcher
GuV Glauben und Verstehen (R.Bultmann)
GW Gesammelte Werke
HDThG Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte
HK (Fr.) Heidelberger Katechismus (Frage)
HST Handbuch Systematischer Theologie
HW Hauptwerke
KD Kirchliche Dogmatik (K. Barth)
KTB Kohlhammer Taschenbcher
LK Leuenberger Konkordie
LM Lutherische Monatshefte
LThK Lexikon fr Theologie und Kirche
LuJ Luther-Jahrbuch
LuThK Lutherische Theologie und Kirche
MJTh Marburger Jahrbuch Theologie
MPG Migne Patrologia Graeca
MPL Migne Patrologia Latina
MThSt Marburger theologische Studien
MW Main Works
MySal Mysterium Salutis
NA Neuausgabe
ND Nachdruck
NR Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche
NZSystTh Neue Zeitschrift fr Systematische Theologie
QD Quaestiones disputatae
xxx Abkrzungsverzeichnis

RAC Reallexikon fr Antike. und Christentum


RGG Religion in Geschichte und Gegenwart
SA Schmalkaldische Artikel
SD Solida Declaratio (der Konkordienformel)
STB Siebenstern Taschenbcher
STh Systematische Theologie
stw Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft
Einleitungsteil
ThB Theologische Bcherei
ThExh Theologische Existenz heute
ThSt Theologische Studien
TRE Theologische Realenzyklopdie
UB Universalbibliothek
UTB Uni-Taschenbcher
VuF Verkndigung und Forschung
WA Weimarer Ausgabe (M. Luther)
W2 Walch'sche Luther-Ausgabe, 2. Auflage
WuG Wort und Glaube (G. Ebeling)
WzM Wege zum Menschen
ZdZ Zwischen den Zeiten
ZEE Zeitschrift fr Evangelische Ethik
ZSystTh Zeitschrift frSysternatische Theologie
ZThK Zeitschrift fr Theologie und Kirche
1 Dogm.atik im. Gesamtzusammenhang
der Theologie als Wissenschaft

Alles Lebendige braucht den Austausch mit seiner Umgebung. Nur so


kann es leben, sich entwickeln und fruchtbar werden. Das gilt auch fr
eine Dogmatik. Isoliert von ihrem Umfeld wird sie leicht zu einer ver-
trockneten oder sogar toten Angelegenheit... Um diese Gefahr zu ver-
mindern, soll hier der Versuch unternommen werden, die Dogmatik von
vornherein in die Zusammenhnge einzuordnen, in denen sie ihren Le-
bensraum hat. Das geschieht z. B., indem wir nach Ort und Funktion der
Dogmatik innerhalb der Systematischen Theologie im besonderen und
innerhalb der christlichen Theologie im ganzen fragen und diese wieder-
um als Teil der gesellschaftlichen Institution "Wissenschaft" betrachten.
Das ist der wissenschaftlich-theologische Zusammenhang der Dogmatik.
In anderer Hinsicht bilden der christliche Glaube und die christliche Kir-
che im Kontext der allgemeinen Religiositt einen konstitutiven Zusam-
menhang, in den die Dogmatik hineingehrt. Dies ist der kirchlich-religi-
se Zusammenhang der Dogmatik.
Die Einzeichnung der Dogmatik in solche Zusammenhnge kann nun
entweder so erfolgen, da man vom Speziellen, also von der Dogmatik,
ihrer Aufgabenstellung und Funktionsbestimmung ausgehend zu den im-
mer umfassenderen Kontexten weiterschreitet, oder so, da man zu~
nchst ein mglichst weites Feld der Kommunikation in den Blick nimmt,
in dem dann. die Dogmatik mit ihren Besonderheiten verortet wird. In
heiden Fllen mu man in der Darstellung zunchst Elemente vorausset-
zen, die erst spter expliziert werden knnen. In dieser Hinsicht ist also
keiner der beiden Wege dem anderen eindeutig vorzuziehen. Aber der
Weg vom Allgemeinen zum Besonderen empfiehlt sich, weil so die kon-
stitutive Bedeutung des Gesamtzusammenhanges von vornherein im Blick
ist.
Das Interesse an einer Kommunikation ber Grenzen hinweg spricht
ferner auch eher dafr, mit demyvissenschaftlichen statt mit dem kirch-
lichen Kontext zu beginnen. Damit ist nichts ber deren jeweilige Wich-
tigkeit gesagt, sondern nur etwas ber das empfehlenswerte Vorgehen
und ber den Aufbau dieses ersten Kapitels, das den Einleitungsteil dieser
Dogmatik bildet.
Bevor die fr dieses Kapitel zentrale Frage nach der Theologie als
Wissenschaft (1.3) beantwortet werden kann, mssen zunchst die grund-
4 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Zur Klrung des Wissenschaftsbegriffs 5

legenden Elemente des Wissenschaftsbegriffs (1.1) und das Selbstverstnd- verleiht. Sie sucht Antwort auf die Frage: Was wissen wir wirklich? Was
nis der (chrisdichen) Theologie (1.2) erhoben werden, um beides dann ist also tatschlich wahr?
unter der Leitperspektive der Wissenschaftlichkeit der Theologie mitein- Wenn es in der Wissenschaft darum geht, Wissen zu erweitern, so ist
ander zu verbinden. Danach soll der Versuch unternommen werden, die dies denkbar als berprfung und Besttigung (oder Verwerfung) von
Dogmatik in den Gesamtzusammenhang der in sich gegliederten Theolo- vorgegebenen Vermutungen oder Wissensansprchen, aber auch als Er-
gie einzuzeichnen (1.4). Den Abschlu dieses ersten Kapitels bildet das, schlieung von vllig neuen,in der Alltagskommunikation sogar nicht
was zu Aufbau und Gliederung des vorliegenden Lehrbuchs der Dogma- auftauchenden Fragestellungen, Erkenntnissen oder ganzen Wissensge-
tik zu sagen ist (1.5). bieten. Ein wesendiches Element wissenschaftlicher Arbeit kommt jedoch
erst in den Blick mit der Forderung, diese Wissenserweiterung msse auf
berpTfbare Weise erfolgen. Was ergibt sich daraus fr die Bestimmung
1.1 Zur Klrung des Wissenschaftsbegriffs des Wissenschaftsbegriffs ?

Wissenschaft hat die Funktion; Wissen 1 aufberprfbare Weise zu erwei-


tern. Damit ist zunchst die Aufgabe gestellt,zu klren, was mit dem 1.1.1 Methodische Wissenserweiterung und -berprfung
Begriff "Wissen'~ gemeint ist. Im Begriff "Wissen" sind jedenfalls drei
Elemente enthalten, die auch fr denWisseIlschaftsbegriff unaufgebbar Von zahlreichen Formen alltglicher oder zuflliger Wissenserweiterung
sind: und -berprfung unterscheidet sich die Wissenschaft durch ihre strenge
Ausrichtung anMethoden. Unter "Methoden" werden hierbei verstanden
- der kognitive Irlhalt, der sich in Aussagen formulieren lt;
geordnete Wege zur Gewinnung neuen Wissens und zur Kontrolle von
- die subjektive berzeugung "oIll Wahrsein dieser Aussagen;
Wissensansprchen oder -vermutungen. Sie erfllen damit mehrere Funk-
- das tatschliche Wahrsein dieser Aussagen.
tionen:
Whrend die beiden ersten Elemente selbstverstndlich sind, weil sie
- Zunchst dient die Frage nach Methoden der Bewutmachung mg-
schon sprachlich aus der Formel "x wei a" abgeleitet werden knnen,
licher oder faktisch beschrittener Erkenntniswege;
ruft das dritte Element inder Regel Widerspruch hervor. Trotzdem ist es
sodann ermglicht die Formulierung von Methoden die Wiederho-
konstitutiv fr den Begriff "Wissen" auch und gerade in seinem wissen"
lung von Erkenntnisprozessen an gleichen oder vergleichbaren Gegen-
schaftstheoretischen Verwendungszusammenhang.
stnden;
SelbstVerstndlich gibt es vermeintliches oderangebliches Wissen, von
- schlielich ermglicht die Offenlegung von Methoden die berpr-
dem das Wahrsein der Aussagen nicht gilt, aber eben deshalb handelt es
fung sowohl der erzielten Ergebnisse (wurde die Methode unter Um-
sich dabei auch nicht um Wissen, sondern nur um vermeintliches oder
stnden fehlerhaft angewandt?) als auch die berprfung der Metho-
angebliches Wissen. "Wissen" impliziert"Wahrsein", und "Wissensan-
de selbst (ist die Methode in sich stimmig und dem Gegenstand
spruch" impliziert"Wahrheitsanspruch". So ist es mit den Verwendungs-
angemessen?) .
regeln des Wortes"Wissen". nicht vereinbar zu sagen: "Jemand wei, da
etwas der Fall ist, aber es ist gar nicht der Fall." Um das damit Gemeinte An diesem schlichten Dreischritt wird bereits deutlich, da die Orien-
auszudrcken, mssen wir sagen: "Jemand meint zu wissen, da etwas tierung an Methoden die Durchsichtigkeit des Prozesses der Wissens-
der Fall ist, aber es ist nicht der Fall." erweiterung und -berprfung und damit die Kommunikation ber ihn
Freilich: Genau in dem Unterschied zwischen der subjektiven ber- nicht nur erheblich befrdert, sondern eigentlich erst ermglicht. Zu-
zeugung vom Wahrsein und dem tatschlichen Wahrsein von Aussagen gleich zeigt sich, da Methoden selbst nicht nur der Gewinnung von
steckt das Problem, das der wissenschaftlichen Arbeit ihre Wic:htigkeit Wissen und der berprfung von Wissensansprchen dienen, sondern
selbst der kritischen Prfung unterliegen (mssen). Kriterium dieser Pr-
1 Dabei geht es in der Wissenschaft grundstzlich um alles berhaupt mgli- fung ist insbesondere die Sachgemheit einer Methode. Woran entschei-
che Wissen, obwohl sich die gesellschaftlich institutionalisierte Wissenschaft det sich aber, ob eine Methode sachgem ist? Offensichtlich daran, ob
faktisch auf relevantes bzw. als relevant vermutetes Wissen konzentriert. sie unser Wissen ber diesen Gegenstand erweitert. Ob das aber der Fall
6 Dogmatik im Gesamtzusammenkarzgder Theologie Zur Klrung des Wissenschaftsbegriffs 7

ist, lt sich nur mittels einer deIn Gegenstand angemessenen Methode Methoden und Gegenstnde keineswegs indifferent ist. Dasselbe gilt von
berprfen. So zeigt sich, da zwischen Gegenstand und Methode offen- den grundlegenden berzeugungen (basic beliefs), die den Menschen im
bar ein zirkulres Verhltnis be~teht,das nicht von einem archimedischen Laufe ihrer Lebensgeschichte zugewachsen sind und die als mitgebrachte
Punkt aus aufgebrochen \Verdettka.nh: Die Wissenschaft (auch die Natur- Vorurteile oftmals erst im Lauf eines Forschungsprozesses bewut wer-
wissenschaft) kann nur je\Veils<ineinen solchen Zirkel eintreten und in den und als solche erkannt werden knnen. Nicht der Verzicht auf solche
ihm arbeiten, um dadurch zti.'eihem angemesseneren Verstndnis des Grundannahmen und Voraussetzungen ist sinnvollerweise zu fordern und
Gegenstandes und der Methode zu kommen. Vergleiche, Prognosen, ber- deswegen ein Kriterium der Wissenschaftlichkeit, wohl aber die Bereit-
prfungen der Widerspruchsfreiheit und dabei sich einstellendes Gelingen schaft, alle diese Gren im Proze wissenschaftlichen Arbeitens der
oder Milingen sinddie:Elemente, durch die die zirkulre Bemhung um berprfung auszusetzen. Es ist kein Verlust, sondern ein Zugewinn an
Wissenserweiterung und-'berprfung so vorangebracht werden kann, Wissenschaftlichkeit, wenn solche Voraussetzungen, die ja stets vorhan-
da sie die Form einer Spirale annimmt, also Wissensfortschritt ermg- den sind, in den Wissenschaftsproze einbezogen werden, indem sie be-
licht. Aber auch die Konstatierung solchen Wissensfortschritts entrinnt wutgemacht und kritisch auf ihre Angemessenheit und Tragfhigkeit hin
nicht der zirkulren Struktur und steht insofern stets unter einem befragt werden.
wissenschaftstheoretischen Vorbehalt.

1.1.3 Rationale Wissenserweiterung und -berprfung


1.1.2 Umfassende Wissenserweiterung und -berprfung
Wissenschaftliche Arbeit ist rationale, also vernunftgeleitete Ttigkeit.
Der Wissensdrang, der in der Wissenschaft zum Zuge kommt, mag zwar Das Medium, in dem sie sich artikuliert, sind komplexe Zeichen, insbe-
von der geheimen Ahnung und Scheu des Menschen begleitet sein, da sondere Begriffe, Aussagen und Schlufolgerungen. Von da aus lt sich
er zerstrerisch werden knnte, gleichwohl ist er aus sich selbst heraus auch - jedenfalls annherungsweise - bestimmen, was unter der allen
unbegrenzt. Sollen ihm Grenzen gesetzt werden, so mu dies von auer- Wissenschaften gemeinsamen (also fr "Wissenschaft" generell zu for-
halb geschehen und kann legitimerweise nur die Methoden betreffen, dernden) Rationalitt zu verstehen ist.
durch die Wissen erworben werden soll (z. B. Wissenserweiterung durch Rationalitt ist zunchst und grundlegend die Fhigkeit zu differenzie-
Menschenversuche, durch entbehrliche Tierversuche oder durch risiko- ren und zu przisieren. Exemplarisch geschieht dies dort, wo Begriffe
reiche Projekte). Zwar gehrt zu verantwortlicher wissenschaftlicher wissenschaftlich definiert, also inhaltlich bestimmt und von anderen Be-
Arbeit auch die Anerkennung dessen, was wir nicht wissen knnen, aber griffen abgegrenzt werden.
diese Begrenzung, die sich im Wissenschaftsproze selbst einstellt, betrifft Rationalitt ist sodann die Fhigkeit, Zeichen so miteinander zu ver-
nicht den Wissensdrang, sondern nur seine mgliche Befriedigung. Da binden, da verstehbare, wahrheitsfhige Aussagen entstehen. Mindest-
Wissenserweiterung und -berprfung umfassend geschehen und nicht bedingung hierfr ist die Vermeidung kontradiktorischer Widersprche,
willkrlich begrenzt werden, ist vor allem deswegen wichtig, weil nur so d. h. von Aussagen, die implizieren, da etwas zum gleichen Zeitpunkt
die immer schon vorauszusetzenden Vorverstndnisse und Vorurteile in und in derselben Hinsicht bejaht und verneint wird.
den Proze wissenschaftlicher Prfung einbezogen werden knnen und Rationalitt erweist sich schlielich als die Fhigkeit, Aussagen so
nicht aus ihm ausgeklammert werden und ihn gerade dadurch beeinflus- miteinander zu verbinden, da dadurch gltige (wenn auch nicht immer
seil.. zwingende) Schlufolgerungen entstehen. Unter diesen gltigen Schlu-
Es ist lngst erkannt worden, da das damit angesprochene Postulat folgerungen nimmt traditionell die Deduktion den ersten Rang ein, wenn
der Vorurteilslosigkeit der Wissenschaft keinesfalls mit irgendeiner Form sie nicht sogar als einzige anerkannt wird, weil nur sie "zwingend" ist,
von Voraussetzungslosigkeit verwechselt oder gleichgesetzt werden darf. d. h. bei fehlerfreier Anwendung stets von wahren Prmissen zu wahren
Voraussetzungslos (und d. h. immer auch: ohne Vorverstndnisse und Konklusionen fhrt. Der Preis fr diese Exaktheit liegt freilich darin, da
Vorurteile) geschieht gar nichts - auch keine wissenschaftliche Arbeit. durch Deduktionen das Wissen inhaltlich nicht erweitert wird.
Schon die Sprache, mittels deren in der Wissenschaft kommuniziert wird, Neben der Deduktion ist insbesondere im Bereich der empirischen
ist eine Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens, die im Blick auf die Wissenschaften die Induktion von erheblicher Bedeutung. Sie ist (in po-
8 Dogmatik im Gesamtzusammenhangder Theologie Zur Klrung des Wissenschaftsbegriffs 9

sitiver Hinsicht) nicht zwingend,erweitertaber insofern auf unsichere2 falls (mit Sicherheit) falsifizieren. Generelle Aussagen, die nicht falsifiziert,
Weise unser Wissen, als sie von (einer Vielzahl von) Einzelfllen auf eine sondern induktiv besttigt sind, knnen als "wahrscheinlich", als "be-
generelle Regel schliet. Die Wissenserweiterung ist in diesem Falle also whrt" o. . gekennzeichnet werden. Da ihre knftige Falsifizierung aber
quantitativer Art, nmlich verallgemeinernd. Bei genauer Betrachtung nicht ausgeschlossen werden kann, ist eine (definitive) Verifikation nicht
ergibt sich freilich, da. die eigentliche wissenschaftliche Funktion der mglich. Hier besteht also eine wissenschaftstheoretisch relevante Asym-
Induktion darin besteht, anhand von Aussagen ber Einzelflle die Rich- metrie: Die Wahrheit genereller (affirmativer) Aussagen mu letztlich
tigkeit von Prmissen zu berprfen, aus denen Folgerungen fr diese offenbleiben, whrend ihr Falschsein gegebenenfalls definitiv festgestellt
Einzelflle abgeleitet!wurden; werden kann. D. h.: Wissenschaftliche Sicherheit gibt es nur im Blick auf
Neben Deduktion und Induktion ist die dritte, vielleicht schon von das, was wir nicht wissen, nicht dagegen im Blick auf das, was wir positiv
Aristoteles, jedenfalls aber von Peirce (1839-1914) entdeckte Schluform wissen. Die Wissenschaft ist zwar in der Lage, fr viele generelle Aussa-
der Abduktion kaum beachtet worden. Dabei ist sie fur jede Form quali- gen gute Grnde beizubringen - und das ist auerordentlich wichtig .:...,
tativer Wissenserweiterung .grundlegend und verdient insofern grte aber sie kann keine Letztbegrndung und damit keine Verbrgungeines
Aufmerksamkeit. Freilich teilt die Abduktion den problematischen, also Wahrheitsanspruchs liefern.
unsicheren Charakter mit der Induktion. Sie fhrt uns also nur zu (be-
grndeten) Vermutungen, die wahr sein knnen. Aber sie dient dadurch
der GewinnungmglicherneuerErkenntnis. Die Abduktion besteht dar- 1.1.1-1.1.3 Fazit
in, da ein (unbekannter oder unerklrbarer) Einzelfall versuchsweise
einer Regel zugeordnet und dadurch erklrt wird. Jede medizinische Dia- Die drei Charakterisierungen der Wissenserweiterung und -berprfung
gnose, jede Textinterpretation und jede kreative Theoriebildung erweist als methodisch, umfassend und rational, die ihrerseits aus dem Begriff der
sich als Abduktion. Auch fr die Theologie sind die abduktiven Schlu- berprfbaren Erweiterung des Wissens abgeleitet sind, ergeben zusam-
folgerungen von grter Bedeutung. mengenommen einen hinreichend konkreten Begriff von Wissenschaft
Von der Abduktion her lt sich brigens verstehen und erklren, wie bzw. Wissenschaftlichkeit, an dem sich die weiteren berlegungen orien-
die generellen Prmissen oder Axiome entstehen, aus denen mittels De- tieren knnen. Dabei sei noch einmal ausdrcklich notiert, da in dieser
duktion zwingende Folgerungen abgeleitet werden, die sich mittels In- Begriffsbestimmung, die selbst ein Resultat wissenschaftlicher, nmlich
duktion berprfen lassen, um so entweder die ursprngliche Abduktion wissenschaftstheoretischer Reflexion ist, eine Selbstrelativierung der Wis-
zu besttigen oder zu widerlegen. Im Falle der Widerlegung wird die senschaft enthalten ist, die ber die Einsicht in die prinzipielle Irrtums-
Wissenschaft sich veranlat sehen, eine neue Abduktion zu bilden, die fhigkeit aller menschlichen Aussagen noch hinausreicht: Es geht um die
wiederum der deduktiven und induktiven berprfung ausgesetzt wird. Erkenntnis, da zwar durch Wissenschaft Wissenserweiterung intendiert
Die drei Schluverfahren bilden also einen Kreislauf, genauer gesagt: eine wird, da aber das Erreichen dieses Zieles nicht definitiv festgestellt (also
Spirale. nicht verifiziert) werden kann. Der von der Aufgabe der berprfbaren
Keines dieser drei rationalenSchluverfahren ist jedoch in der Lage, Wissenserweiterung her verstandene Wissenschaftsbegriff erweist sich so-
Letztbegrndungen fr Wissensansprche zu geben. Stets mu entweder mit als eine "regulative Idee" (I. Kant), von der alle wissenschaftliche
das Wahrsein der Axiome oder Prmissen, aus denen Theoreme oder Arbeit bestimmt wird, ohne da sie je den Anspruch erheben knnte, das
Einzelaussagen zwingend gefolgert werden knnen, schon vorausgesetzt damit formulierte Ziel erreicht zu haben oder zu irgendeinem Zeitpunkt
werden, oder die Folgerungen haben selbst keinen zwingenden Charak- zu erreichen.
ter. Sicherheit lt sich allenfalls dort erreichen, wo Theoreme oder Einzel- Bevor entschieden werden kann, ob der so verstandene Wissenschafts-
aussagen, die aus Axiomen oder Prmissen abgeleitet wurden, induktiv begriff auf die Theologie angewandt werden kann, mu nun in einem
widerlegt werden knnen. Wissenschaft ist grundstzlich nicht in der zweiten Schritt das Selbstverstndnis der Theologie in den Blick genom-
Lage, generelle (affirmative) Aussagen zu verifizieren, sie kann sie allen- men werden.

2 Eine Ausnahme bildet die sog. vollstndige Induktion, die nicht unsicher ist,
dafr aber auch das Wissen nicht erweitert.
10 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Das Selbstverstndnis der Theologie 11

1.2 Das Selbstverstndnis der Theologie der Theologie als Funktion der Kirche (K. Barth, P. Tillich), ist mit ihr
allerdings auch nicht identisch, sondern ist als eine Przisierung gemeint.
Mit dem christlichen Glauben beschftigt sich nicht nur die Theologie, Wird die Theologie der Kirche funktional zugeordnet, so wird sie damit
sondern z. B. auch die Religionswissenschaft in ihren verschiedenen Aus- auf die institutionalisierte Sozialgestalt des christlichen Glaubens bezo-
prgungen als Religionsphnomenologie, Religionssoziologie, Religions- gen. Da der Gemeinschaftscharakter aber auch schon fr den christlichen
psychologie und Religionsphilosophie einschlielich der Religionskritik. Glauben an sich konstitutiv ist, stehen die beiden Thesen nicht im Wider-
Whrend die Religionswissenschaft sich mit dem christlichen Glauben spruch zueinander, besagen aber nicht dasselbe. Zwar entsteht die Theo-
bewut aus einer Auenperspektive befat, arbeitet die Theologie ebenso logie als Institution tatschlich erst dort, wo es eine institutionalisierte
bewut aus derInnenperspektive heraus. Beides ist zu unterscheiden, aber Glaubensgemeinschaft mit ihren spezifischen Erfordernissen gibt. Und
aufeinander bezogen, in vielerlei Hinsicht sogar aufeinander angewiesen. insofern ist die Theologie als Institution tatschlich eine Funktion der
Wichtig ist deshalb, da beide, indem sie je ihre spezifische Aufgabe Kirche. Aber die theologische AufgabensteIlung und damit das allgemei-
erfllen, die Fhigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation miteinander ne Erfordernis theologischen Nachdenkens ergibt sich nicht erst aus der
nicht verlieren. institutionalisierten Sozialgestalt des Glaubens, sondern schon aus sei-
Was aber besagt die Formel, da Theologie bewut aus der Innen- nem spezifischen Geltungsanspruch fr das menschliche Leben. Deshalb
perspektive heraus betrieben werde? ist es genauer und angemessener, die Theologie dem Glauben funktional
zuzuordnen.
Mit dieser Przisierung verbindet sich als weiterer Vorteil die Mg-
1.2.1 Theologie und Glaube lichkeit, ein hufig anzutreffendes Miverstndnis zu vermeiden: Die
These von der Theologie als Funktion der Kirche erweckt leicht den
Theologie ist eine Funktion des Glaubens. Christliche Theologie ist folg- Eindruck, als habe die Theologie die Aufgabe, unabhngig von der
lich eine Funktion des christlichen Glaubens. Das besagt zweierlei: Wahrheitsfrage der Erhaltung oder Stabilisierung bestimmter kirchlicher
Erstens: Es gibt christliche Theologie nur, weil, solange und sofern es Institutionen zu dienen. Daran ist zwar richtig, da die Theologie auch der
christlichen Glauben gibt. Die Wirklichkeit des christlichen Glaubens ist Institution Kirche dient, und zwar deshalb, weil sie dem als wahr erkann-
also einerseits die Begrndung und zeitliche Begrenzung fr die Existenz ten Glauben dient, weil dieser nur in einer Gemeinschaft von Glaubenden
einer christlichen Theologie, und sie ist andererseits der Aspekt, unter dem entstehen und bestehen kann, und weil diese Gemeinschaft ihrerseits nicht
die christliche Theologie sich mit den Inhalten und Vollzgen des Chri- dauerhaft ohne institutionelle Gestaltung existieren kann. Aber nur in
stentums beschftigt: nmlich um des christlichen Glaubens willen. Gbe dieser (zweifach) vermittelten Weise dient die Theologie der Institution
es keinen christlichen Glauben mehr, so bliebe das Christentum zwar'als Kirche. Das schliet jedoch nicht aus, da die Theologie u. U. die gesamte
ausgestorbene Religion ein mglicher Gegenstand wissenschaftlichetUn- institutionalisierte Kirche oder eine bestimmte kirchliche Institution kri-
tersuchung, aber einer christlichen Theologie wre damit der Boden ent- tisieren, ja radikal in Frage stellen mu, wenn diese sich in wesentlichen
zogen. Punkten vom christlichen Glauben entfernt oder entfremdet.
Zweitens: Christliche Theologie dient dem christlichen Glaub~I1,in Wird Theologie in diesem Sinne als Funktion des Glaubens (und der
dem sie ihn jeweils in ihrer Zeit zu verstehen versucht und auf semen Kirche) verstanden, dann ist sie kein Selbstzweck, sondern unterstellt
Wahrheitsgehalt hin berprft. Das ist ihr Erkenntnisinteresse;Weilund sich und untersteht damit dem Kriterium, ob und inwieweit sie tatsch-
sofern diese berprfung die Tragfhigkeit des christlichen/Glaubens lich dem Glauben dient. Die Zusammenordnung von Theologie und
besttigt, hat die Theologie ber das Erkenntnisinteressehinaus'~mEr Glauben hat also nicht nur zur Folge, da die Theologie unter Berufung
haltungsinteresse. Insofern ist sie (und zwar als jdische, christlich~;'isla auf den Glauben zum kritischen Gegenber fr die Kirchen wird, son-
mische etc. Theologie) nicht neutral, sondern geschieht aus defJPiffSpek- dern auch, da die Theologie zur Adressatin mglicher Kritik wird, die
tive des Glaubens heraus, also noch einmal: um des christlichen@latibens sich ihrerseits auf den Glauben beruft. Die Theologie ist also sowohl
willen. Subjekt. als auch Gegenstand solcher Kritik. Es ist kein Zeichen von
Die These von der (christlichen) Theologie als Funktiondesi(christli- Souvernitt, sondern von Funktionsvergessenheit, wenn die Theologie
chen) Glaubens steht nicht im Widerspruch zu der bekannten These von sich solcher Kritik entzieht oder verweigert - gleichgltig ob diese Kritik
12 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Das Selbstverstndnis der Theologie 13

ihr aus den Kirchen oder aus anderen Teilen der Gesellschaft entgegen- xion ber Inhalte der christlichen Botschaft und Vollzugsweisen ihrer
gehalten wird. Vermittlung.
In jedem Fall resultiert aus der hier vorausgesetzten Verhltnis- Gegen diesen Theologiebegriff lt sich jedoch ein naheliegender Ein-
bestimmung von Theologie und Glauben, da die Beschftigung mit dem wand erheben: "Theologie" heie Lehre (oder Rede) von Gott, aber nicht:
Glauben nicht nur zu den unverzichtbaren Aufgabenstellungen der Theo- Lehre von der Verkndigung oder vom Glauben. Dieser Einwand ist nicht
logie gehrt, sondern da. auch das Selbstverstndnis der christlichen nur sprachlich berechtigt, sondern enthlt auch ein zu bercksichtigendes
Theologie im allgemeinen und der Dogmatik im besonderen sachgemer- Sachanliegen. Das wird sichtbar, wenn wir hier schon im Vorgriff (s. u.
weise nicht unter Absehen vomWesen des christlichen Glaubens bestimmt 2.2.1.3) die These formulieren: Glaube im religisen Sinn des Wortes ist
werden kann. Insofern verweisen die Vorverstndigungen ber Theologie zu verstehen als unbedingtes Vertrauen, das sich stets und notwendiger-
und Dogmatik, wie sie in diesem ersten Kapitel vorgetragen werden, auf weise auf (einen) Gott richtet. Um dieses Gottesbezuges willen verdient
den folgenden ersten Hauptteil (I) und setzen ihn in inhaltlicher Hinsicht der Einwand gegen das oben angedeutete Theologieverstndnis Beach-
sogar voraus. tung, aber er ist gleichwohl nicht durchschlagend. Denn der Verweis auf
die Verkndigung und den Glauben ist ja kein Ersatz fr den Bezug der
Theologie auf Gott, sondern bezeichnet genau die Art und Weise, wie
1.2.2 Christlicher Glaube und kirchliche Lehre allein der Bezug des Menschen auf Gott (unter irdischen Bedingungen)
mglich und gegeben ist: eben nichtunmittelbar, sondern vermittelt durch
Die christliche Verkndigung geschieht in der berzeugung, da die christ- die Verkndigung, die ihrerseits aus dem Glauben erwchst und erst
liehe Botschaft sich im Lebensvollzugals wahr und tragfhig erweist. dadurch zum Ziel kommt, da sie Glauben findet.
Deshalb verfolgt sie das Ziel, Glauben zu wecken. Die dabei vorausgesetz- Angesichts des geschichtlichen Wandels und der kritischen Infra-
teWahrheitsgeWiheit begegnet jedoch Anfragen und Zweifeln, die auf- gestellung der christlichen Verkndigung und des christlichen Glaubens
genommen 'und beantwortet werden mssen. Der als wahr bezeugte In- stellt sich die - freilich nie abschlieend lsbare (s. u. 2.3.2.3) - Aufgabe,
halt des christlichen Glaubens verlangt nach Verstehen und Einsicht: immer wieder neu innerhalb der Kirche ber die Verkndigung und den
Fides quaerens intellecturn (Anseim von Canterbury). Deshalb ist es dem Glauben einen Konsens zu suchen. Die theologische Arbeit bezieht sich
Glauben angemessen, da seine Inhalte in Form von Aussagen und Aus- also auf die in der Kirche geltende Lehre, ohne da deswegen die theolo-
sagenzusammenhngen als Lehre dargestellt werden; gische Lehre mit dieser kirchlichen Lehre identisch wre. Die Theologie
Whrend bei der Verkndigung das Moment der Vermittlung der kann deshalb auch den fr die Kirche erforderlichen Konsens3 nicht her-
christlichen Botschaft im Vordergrund steht, geht es in der Lehre vorran- stellen, aber sie kann durch ihre Stellungnahmen, die den Charakter von
gig um die Reflexion der Inhalte dieser Botschaft. Ein Verbindungsglied "Gutachten" haben4, der Kirche begrndete Interpretationsvorschlge
zwischen Verkndigung und Lehre bildet die kirchliche Unterweisung (z. unterbreiten, und sie kann insbesondere denen, die (knftig) ein kirchli~
B. in Form des Konfirmandenunterrichts, der Christenlehre oder der kirch- ches oder schulisches Amt innehaben, diejenige theologische Kompetenz
lichen Erwachsenenbildung), aber auch der schulische Religionsunter- vermitteln, die sie zu einer der christlichen Botschaft angemessenen Wahr-
richt, diebeide sowohl eine reflektierende als auch eine vermittelnde nehmung ihrer beruflichen Aufgaben befhigt.
Funktion erfllen. Verkndigung und Lehre (sowie Unterweisung und Da an der Bildung und Erhaltung des kirchlichen Lehrkonsensus nach
Unterricht) haben also durchaus denselben Gegenstand, nmlich die christ- evangelischem Verstndnis grundstzlich alle Christen verantwortlich be-
liche Botschaft, aber sie befassen sich mit der christlichen Botschaft in teiligt sind, partizipieren sie auch grundstzlich alle an der (produktiven
unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlicher Absicht, wobei und rezeptiven) Pflege theologischer Lehre. Es gibt von den Anfngen der
die reflektierende Intention primr der Lehre, die vermittelnde Intention Christenheit an bis heute eine in ihrer Qualitt und Bedeutung nicht zu
primr der Verkndigung zugeordnet ist. unterschtzende Gemeinde- oder Laientheologie, die freilich selbst das
In einem weiten Sinn des Wortes kann man jede Form solcher (re- Resultat spezifischer Bildungsprozesse ist und deswegen ihrerseits zwar
flektierender) Lehre als "Theologie" bezeichnen;In einem engeren und
prziseren Sinn wird der Begriff "Theologie" dagegen verwendet zur 3 Vgl. CA 1: "Ecclesiae magno consensu apud nos docent ... " (BSLK 50,3 f.).
Bezeichnung der institutionalisierten, wissenschaftlichen Form der Refle- 4 S. dazu H. G. Fritzsche, Lehrbuch der Dogmatik I, S. 23.
14 Dogmatik im Gesamtzusamtnenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 15

nicht der Reglementierung, wohl aber der Deutung und der Pflege bedarf. liche Glaube knne in einer geschichtlichen und gesellschaftlichen Situa-
Auch dies ist ein - leider noch nicht gengend wahrgenommenes - Auf- tion, in der die Institution "Wissenschaft" ausgebildet worden und also
gabengebiet fr eine Theologie, die sich als Funktion des Glaubens und vorhanden ist, um seiner selbst willen nicht auf die denkende Verantwor-
der Kirche versteht. tung auf wissenschaftlicher Basis, also anhand der Standards wissen-
schaftlicher Arbeit verzichten. Wrde dies bestritten oder verweigert, so
bliebe nicht nur die denkende Verantwortung des christlichen Glaubens
1.3 Theologie als Wissenschaft unterbestimmt, sondern es wrde auch die individuell wie gesellschaftlich
unverzichtbare Vermittlung des christlichen Glaubens mit dem wissen~
Nachdem nunsowohlderWissenschaftsbegriff (1.1) als auch das Selbst- schaftlich erarbeiteten Wissen der jeweiligen Zeit versumt. Der Glaube
verstndnis der Theologie (1.2) in wenigstens elementarer Weise geklrt stnde dann in Gefahr, zu einer isolierten, partikularen, nicht-kom-
worden ist, kann die Frage angegangen werden, ob es notwendig, ange- munikablen Gre zu werden.
messen und mglich ist, Theologie als Wissenschaft zu verstehen und zu Gleichwohl ist die wissenschaftliche Analyse und Reflexion des
betreiben. christlichen Glaubens nicht frei von Problemen. Fr die Wissenschaft,
wie sie als Frucht des griechischen Denkens entstanden ist, seit dem
Mittelalter vor allem im Abendland heimisch wurde und in der Neuzeit -
1.3.1 Die Frage nach der Notwendigkeit insbesondere in Gestalt der Naturwissenschaften..., zu universaler und
wissenschaftlicher Theologie dominierender Bedeutung gelangte, ist der Proze einer immer weiter-
schreitenden Differenzierung und damit verbundenen Spezialisierung
Man kann sich ohne Schwierigkeiten Religionen vorstellen, die keine charakteristisch. Wissenschaftliche (und keineswegs nur naturwissen-
wissenschaftliche Theologie, ja nicht einmal so etwas wie eine kirchliche schaftliche) Arbeit tendiert dazu, den jeweiligen Untersuchungsgegen-
Lehre brauchen. Anschauungsbeispiele dafr sind etwa Stammesreli- stand aus greren Zusammenhngen herauszuprparieren, um ihm auf
gionen, die ausschlielich rituellen Charakter haben. Der christliche Glau- experimentellem oder analytischem Weg sein Geheimnis zu entlocken
be hingegen braucht - wie sich im vorigen Abschnitt zeigte - die denkende und ihn so (besser) handhabbar oder beherrschbar zu machen. Dabei
Verantwortung seiner Inhalte und Vollzge, weil er das Leben des Men- mu - methodisch - von vielen Zusammenhngen abstrahiert werden.
schen in umfassender Weise in Anspruch nimmt. Wrde dieser Anspruch Solange dies nicht dazu fhrt, da diese Zusammenhnge ignoriert oder
nicht denkend expliziert, reflektiert, berprft und vermittelt, so bliebe er bestritten werden, mu das abstrahierende Verfahren nicht zu grundle-
von einem wesentlichen Teil des menschlichen Seins und Selbstverstnd- genden Fehlorientierungen fhren. Im Blick auf den Verlauf und die
nisses ausgeschlossen. Das aber widersprche dem Wesen des christlichen Auswirkungen der abendlndischen Wissenschaftsgeschichte ist aber
Glaubens. Und deswegen ist das Christentum zwar niemals nur, aber kaum zu bestreiten, da die darin liegenden Gefahren in wachsendem
immer auch "denkende Religion".5 Ma akut werden.
Im Unterschied zum Denken, das eine anthropologische Konstante Solche Gefahren betreffen einerseits dieAngemessenheitwissenschaft-
darstellt, ist die Wissenschaft als die institutionalisierte, methodisch kon- licher Methoden fr alle mglichen Bereiche der Wirklichkeitserkenntnis.
trollierte Form der Wissenserweiterung und -berprfung und damit der So stellt sich etwa im Blick auf Religiositt im allgemeinen und christli-
Wirklichkeitserkenntnis eine vergleichsweise spte geschichtliche Errun- chen Glauben im besonderen die Frage, ob wissenschaftliche Analyse und
genschaft der Menschheit. Deshalb kann man nicht sagen, christlicher Reflexion berhaupt eine diesem "Gegenstand" angemessene Form des
Glaube brauche notwendigerweise die wissenschaftliche Durchdringung Umgangs sein kann. hnliche Fragen stellen sich bekanntlich aber auch
und Reflexion. Sehr wohl lt sich aber die These vertreten, der christ- im Blick auf Teile der medizinischen Forschung, also hinsichtlich des
Umgangs mit Krankheit und Gesundheit. Andererseits betreffen die hier
5 Vgl. zum Sinn dieser auf A. von Harnack zurckgehenden Formel den Auf- bestehenden Gefahren den Aspekt der verantwortbaren Anwendung wis-
satz von C. H. Ratschow: Das Christentum als denkende Religion (1963), in: senschaftlicher Ergebnisse in gesellschaftlichen und individuellen Lebens-
ders., Von den Wandlungen Gottes. Beitrge zur Systematischen Theologie, zusammenhngen. Wissenschaft bedarf deshalb der kritischen, wissen-
BerlinlNew York 1986, S. 3-23. schaftstheoretischen und -ethischen Reflexion und (Selbst-)Begrenzung.
16 Dogmatik im Gesamtzusammenhangdet Theologie Theologie als Wissenschaft 17

Und das gilt auch im Blick auf die Frage nach der mglichen oder sogar Theologie sollte diese dann auch nicht fr sich reklamieren. Damit wre
zu fordernden Wissenschaftlichkeit der Theologie. ja keineswegs gesagt, da Theologie berhaupt nicht mglich wre,son-
dern nur eben nicht als Wissenschaft.
Trotz dieser grundstzlichen Zustimmung zu der erstgenannten Auf-
1.3.2 Die Auseinandersetzung um den Wissenschafts begriff fassung gibt es aber auch ein Wahrheitsmoment der zweiten Position, und
zwar in zwei Facetten: So ist zunchst festzustellen, da der Begriff "Wis-
Schon die berlegungen des vorigen Abschnitts haben gezeigt, da der senschaft" selbst umstritten ist. Es gab und gibt nicht den Wissenschafts-
Begriff der Wissenschaft oder Wissenschaftlichkeit nicht so klar und ein- begriff, sondern ber diesen Begriff ist eine langanhaltende und intensive
deutig ist, da eine Reflexion ber seinen Gehalt sowie eine gegebenen- Auseinandersetzung im Gange, und seine Klrung ist eine Aufgabe,. die
falls damit verbundene auswhlende Entscheidung berflssig wre. sich immer wieder neu stellt und keineswegs notwendig oder faktisch zu
Damit stellt sich aber in unserem Zusammenhang die spezielle Frage, von einem einheitlichen Ergebnis fhrt. Insofern mu die Theologie zumindest
wo die Theologie den fr sie mageblichen Wissenschaftsbegriff herleiten prfen und entscheiden, welchen Wissenschaftsbegriff sie sich zu eigen
und gewinnen soll. machen kann und will- und welchen nicht.
Zwei Grundpositionen stehen sich in dieser Frage gegenber: Einer- Darber hinaus nimmt die Theologie - gerade wenn und weil sie sich
seits wird die Auffassung vertreten, da die Theologie, wenn sie sich als selbst als Wissenschaft versteht ~ teil an der Auseinandersetzung um den
Wissenschaft verstehen wolle, nicht einen eigenen Wissenschaftsbegriff Wissenschaftsbegriff. Das gilt grundstzlich fr jede Wissenschaft; Die
einfhren knne, der speziell auf sie zugeschnitten sei, sondern da sie sich Theologie kann sich aber um ihrer Sache willen auf keinen Fall von dieser
am allgemeinen Wissenschaftsbegrifforientieren msse (so z. B. H. Scholz Auseinandersetzung dispensieren. Da Wissenschaft es mit methodisch
und W. Pannenberg). Andererseits wird dem entgegengehalten, da die kontrbllierter und reflektierter Erkenntnis von Wirklichkeit zu tun hat,
Theologie, wenn sie ihrer Sache treu bleiben wolle, sich nicht einem und da der christliche Glaube ein umfassendes Wirklichkeitsverstndnis
allgemeinen, von auerhalb der Theologie stammenden Wissenschaftsbe- impliziert (s. u. 3.1.1 und 3.1.2.1), kann die christliche Theologie sich
griff unterwerfen drfe, sondern selbst bestimmen msse, in welchem nicht von der Auseinandersetzung (gegebenenfalls: dem Streit) um das
Sinne sie sich als Wissenschaft verstehen und wissenschaftlich arbeiten Wissenschaftsverstndnis ausschlieen oder ausschlieen lassen; denn das
knne und wolle (so z. B. K. Barth). christliche Wirklichkeitsverstndnis ist auch wissenschaftstheoretisch re-
Mu man zwischen diesen beiden Auffassungen whlen oder lassen levant. In der jngeren (insbesondere deutschen) Geschichte gibt es ber-
sie sich so miteinander verbinden, da die berechtigten Anliegen beider dies Beispiele dafr, da der Versuch eines solchen Ausschlusses (z. B.
Seiten zum Zuge kommen? unter ideologisch totalitren Bedingungen) ein Gefahrenpotential fr die
Zunchst wird man der ersten Auffassung darin Recht geben mssen, Institution Wissenschaft, ja fr das Bildungswesen insgesamt darstellt.
da es den Sinn der Wissenschaftlichkeit ausmacht, da Theologie damit Aus diesen berlegungen ergibt sich als Fazit: Da es fr die Theologie
ihre Sache auf dem allgemeinen Feld des Denkens mit allgemein aner- gute, aus dem Wesen des christlichen Glaubens resultierende Grnde gibt,
kannten Methoden verantwortet undkommunizierbar hlt. Wrde Theo- die Allgemeinheit der Methoden, Kriterien, Verfahren und Institutionen
logie, die sich als Wissenschaft versteht, unabhngig von den anderen der Wissenschaft fr sich in Anspruch zu nehmen, wre es nicht sachge-
Wissenschaften fr sich definieren, was"Wissenschaft" ist, dann liee sie m, wenn die Theologie den Wissenschaftsbegriff unabhngig von der
sich nicht wirklich auf die Herausforderung ein, die im Element der Philosophie und den Einzelwissenschaften fr sich definierte. Wohl aber
Wissenschaftlichkeit enthalten ist. Denn die denkende Verantwortung hat sich die Theologie an der allgemeinen Auseinandersetzung ber das,
anhand allgemein gltiger Standards und Methoden bildet das Spezifi- was "Wissenschaft" ist, zu beteiligen, und sie hat zu prfen, welchen
kum der Wissenschaftlichkeit einer Theologie. Wrde aber diese Allge- Wissenschaftsbegriff sie akzeptieren und bernehmen kann. Als Extrem-
meinheit durch Einfhrung eines spezifisch theologischen Wissenschafts- situation ist dabei der Fall zu denken, da der Wissenschaftsbegriff (trotz
begriffs in Frage gestellt, so ginge offenbar gerade das verloren, was die theologischen Protestes) in einer Gesellschaft eine verengte Bestimmung
Wissenschaftlichkeit leisten soll. Kann die Theologie hingegen die auf oder gar eine ideologisierte Fassung erhielte, aufgrund deren die Theolo-
dem allgemeinen Feld des Denkens gltigen Kriterien nicht akzeptieren, gie gezwungen wre, auf die Verwendung des Begriffs (vorbergehend)
dann ist Wissenschaftlichkeit fr sie offenbar nicht mglich, und die zu verzichten oder dem allgemein in Geltung stehenden Wissenschaftsbe-
18 Dogmatik im Gesamtzusainmenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 19

griff einen eigenen Wissenschaftsbegriff entgegenzusetzen. Diesen drfte Aspekte resultiert zugleich eine Vielfalt theologischer Methoden, die kei-
sie dann freilich nicht blo als fr sie selbst gltig in Anspruch nehmen, ne Beliebigkeit ist, weil und solange sie ihrerseits aus dem Kriterium der
sondern mte ihn als allgemeingltig behaupten und vertreten. Sachgemheit ihre Begrndung und Begrenzung empfngt.

1.3.3 Die Wissenschaftlichkeit der Theologie 1.3.3.2 Vorurteilsfreiheit

In diesem Abschnitt geht es nun um die Frage, ob die Theologie - und Das Element der Vorurteilsfreiheit bereitet offenbar einer Theologie, die
gegebenenfalls unter welchen Bedingungen, mit welchen Einschrnkun- sich als Funktion des Glaubens versteht, gewisse Schwierigkeiten. Ist
gen oder Ergnzungen - in der Lage ist, sich den in 1.1 explizierten Wis- nicht das Interesse an der Erhaltung und Weitergabe des Glaubens eine
senschaftsbegriff zu eigen zu machen. Bei der Beantwortung dieser Frage erhebliche Beeintrchtigung der Unabhngigkeit, die zu Recht von jeder
gehe ich an sieben Begriffen entlang, die bei der Klrung des Wissen- Wissenschaft gefordert wird? Am konfessionellen Charakter der christ-
schaftsbegriffs eine bestimmende Rolle gespielt haben und die geeignet lichen Theologie, also an ihrer Identitt als evangelische oder katholische
sind, sowohl die fr die Theologie unproblematischen, als auch die mg- Theologie, entzndet sich diese Frage immer wieder mit besonderer Hef-
licherweise inakzeptablen sowie schlielich die fr die Theologie spezifi- tigkeit. Tatschlich hat die Theologie in dieser Hinsicht einen - teilweise
schen Aspekte des Wissenschaftsbegriffs zu beleuchten. sogar staatskirchenrechtlich fixierten - Sonderstatus innerhalb der Uni-
versitt. Die Frage ist jedoch, ob dieser Sonderstatus ihre Wissenschaft-
lichkeit aufhebt oder jedenfalls einschrnkt. Man kann auch umgekehrt
1.3.3.1 Methodisierbarkeit fragen, ob die Theologie sich trotz dieser Sonderstellung die Forderung
zu eigen machen kann, alle vorgefaten berzeugungen (also auch die
Die Forderung der Methodisierbarkeit wissenschaftlicher Verfahrenswei- von der Wahrheit und Bedeutung des christlichen Glaubens) der ber-
sen knnte nur eine Theologie in Schwierigkeiten bringen, die entweder prfung auszusetzen und kritisch zu hinterfragen. Hier scheint es fr die
die ffentliche Kommunikation ihrer Inhalte und Methoden prinzipiell Theologie als Funktion des Glaubens Grenzen zu geben, die sie um ihrer
ablehnt oder einschrnkt (also sich als Funktion einer Mysterienreligion Identitt willen nicht berschreiten kann, aber um ihrer Wissenschaft-
versteht), oder die unter Berufung auf das Wirken Gottes (als Heiliger lichkeit willen berschreiten mte. Doch christliche Theologie ist nur
Geist) jegliche theologische Methode ablehnt. Der erste Fall kann wegen insofern und solange eine Funktion des christlichen Glaubens, als sie von
der Universalitt der christlichen Botschaft sofort ausgeschlossen werden. der Wahrheit und Bedeutung des christlichen Glaubens berzeugt ist
Die Methodenverweigerung aus theologischen (bzw. pneumatologischen) (s. o. 1.2.1). Indem die christliche Theologie sich als Wissenschaft eta-
Grnden ist an den Rndern des Christentums hingegen immer wieder mit bliert, bernimmt sie die Verpflichtung, diese (vorgefate) berzeugung
einern Schein von Plausibilitt aufgetreten. Ihr Wahrheitsmoment liegt der wissenschaftlichen Prfung auszusetzen. Tte sie dies nicht, dann
darin, da die christliche Theologie, weil sie um das Angewiesensein des hrte die Theologie tatschlich auf, Wissenschaft zu sein. Setzt sie jedoch
Menschen auf das erleuchtende Wirken des Heiligen Geistes wei, die auch die Gewiheit des Glaubens der wissenschaftlichen Prfung aus,
Leistungsfhigkeit von Methoden als grundstzlich begrenzt beurteilen dann mu es zumindest denkbar sein, da diese Gewiheit dabei auch
mu. Diese Begrenzung darf aber gerade nicht zu einer Verwechslung, zerbrechen und verlorengehen kann. Eine Theologie, die zu diesem Er-
Vermischung oder Vertauschung von wissenschaftlichen Methoden und gebnis kme, wre dann keine Funktion des Glaubens mehr und verlre
Geistwirken fhren, weil sonst die in ihr vorausgesetzte theologische damit ihre Existenzberechtigung als Theologie. Sie mte sich dann kon-
Unterscheidung zwischen Gottes- und Menschenwerk (s. dazu u. S. 167) sequenterweise als Religionswissenschaft definieren oder sogar zur Geg-
verlorengeht. Zu dem nicht suspendierbaren Menschenwerk gehrt die nerin von Glauben, Kirche und Theologie werden. Beide Mglichkeiten,
methodisch kontrollierte wissenschaftliche Arbeit einschlielich der Re- die sich in der Geschichte immer wieder individuell realisiert haben,
chenschaft ber die Methodenwahl. Kriterium dieser Rechenschaft ist die markieren Grenzen einer Theologie als Wissenschaft, aber sie stellen die
Funktion und damit zugleich der Gegenstand der Theologie, also - unse- Wissenschaftlichkeit der Theologie nicht (weder prinzipiell noch fak-
rer Auffassung zufolge - der christliche Glaube. Aus der Vielfalt seiner tisch) in Frage. Da ein negativer Ausgang der theologischenPrfung des

Prof. Dr. Friedrich Wilhetm Graf


Lehrstuhl fr Systematische Theologie
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20 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 21

christlichen Glaubens das Ende der christlichen Theologie markieren sein, als diese Bereitschaft bei ihm vorhanden ist. Es istfreilich nicht zu
wrde; ist wohl wahr. Gegen die Vermutung oder Unterstellung, da die sehen, wodurch diese Bereitschaft bei einem Menschen begrndet sein
christliche Theologie schon deswegen nicht zu vorurteilsfreier Prfung knnte, der zu der berzeugung gekommen ist, da es sich beim christ-
des christlichen Glaubens in der Lage sei, liefert die Theologiegeschichte lichen Glauben um Irrtum oder Lge handelt. Wenn diese berzeugung
hinreichend viele Beispiele, zu denen auch die Herkunft mancher Reli- sich nicht als momentaner Zustand oder als Station in einem Entwick-
gionskritiker zu zhlen ist. lungsproze, sondern als Resultat sorgfltiger Prfung und Erwgung
In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch noch ein anderes Pro- einstellt, dann erscheint die Trennung von der Theologie als die einzig
blem. Das bisher Gesagte knnte so verstanden werden, als sei der per- redliche Konsequenz. Aus der Sicht des christlichen Glaubens kann man
snliche Glaube eines Menschen die notwendige Bedingung dafr, Theo- sagen, da ein Mensch dann durch die Wa.hrhaftigkeit, mit der er zu
logie treiben zu knnen. Diese Vermutung hat genau besehen zwei seinem Unglauben steht, Gott die Ehre gibt, indem er nicht bereit ist, sich
Aspekte: .einen wissenschaftstheoretischen und einen wissenschafts- oder anderen vorzumachen, da das auf Gott verweise, was den Charak-
ethischen. Wissenschaftstheoretisch wrde sie besagen, da Nicht-Glau- ter des Irrtums oder der Lge hat.
bende gar nicht in der Lage sind, Theologie zu betreiben, weil ihnen der
existentielle Bezug zur Sache der Theologie fehlt, ohne den diese gar nicht
richtig verstanden und folglich auch nicht kritisch geprft werden kann.
Wissenschaftsethisch besagt diese Vermutung, da Nicht-Glaubende 1.3.3.3 Wahrheitsfhigkeit und Wahrheitsgewiheit
nicht das moralische Recht haben, Theologie zu treiben, weil ihnen der
positive Bezug zur Sache der Theologie fehlt, ohne den theologische Schon das im Begriff des Wissens implizierte Element der Wahrheits-
Arbeit ihren Sinn und ihre Existenzberechtigung verliert. In dem wissen- fhigkeit ist in Anwendung auf die Theologie nicht unumstritten. Auer-
schaftstheoretischen Aspekt taucht ein Problem auf, das unter dem Schlag- halb wie innerhalb der Theologie hat es immer wieder Versuche gegeben,
wort "theologia (ir)regenitorum" bereits in den Kontroversen zwischen den kognitiven Charakter, die Verstehbarkeit, ja sogar die Sinnhaftigkeit
Pietismus und Orthodoxie eine Rolle gespielt hat. Dabei geht es um die theologischer Aussagen zu bestreiten oder fr entbehrlich zu erklren. So
Frage, ob persnlicher Glaube oder Wiedergeburt eine notwendige Be- werden etwa Glaubensaussagen als unangemessene, irrefhrende Aus-
dingung theologischer Arbeit sei. Diese Frage ist zu verneinen, obwohl drucksformen von subjektiven Gefhlszustnden, von Lebenseinstellun-
sie auf einen wichtigen Problemaspekt hinweist. Es ist richtig, da sach- gen oder von Handlungsappellen interpretiert, die allesamt keinen angeb-
geme theologische Arbeit nur einem Menschen mglich ist, dem sich baren, wahrheitsfhigen Inhalt, sondern nur eine psychische oder soziale
die Sache der Theologie, also der Glaube, so erschlossen hat, da er Funktion haben. Demzufolge mte die Theologie alle kognitiven Inter-
dessen Wahrheitsgehalt und seine Bedeutung versteht. Aber dieses Ver- pretationen von Glaubensaussagen als irrefhrend abweisen und sich auf
stehen ist weder identisch mit der Wahrheitsgewiheit noch mit dem die Analyse (und Stabilisierung oder Kritik) solcher Funktionen beschrn-
Glauben eines Menschen noch setzt sie diesen notwendigerweise voraus ken. Eine so verstandene Theologie knnte zwar noch wahrheitsfhige
oder zieht ihn nach sich. Ob ein Mensch den Wahrheitsgehalt und die Meta-Aussagen (ber den Sinn der religisen Sprache) formulieren, aber
Bedeutung des christlichen Glaubens wirklich verstanden hat, zeigt sich keine wahrheitsfhigen Aussagen ber den Inhalt des christlichen Glau-
vielmehr daran, da er angeben kann, welche Bedingungen erfllt sein bens machen.
mssen, damit der christliche Glaube als wahr und relevant gelten kann. Gegen diese Auffassung ist zweierlei einzuwenden: Sie widerspricht
Und nur dieses Verstehen ist eine notwendige Bedingung theologischer erstens dem Selbstverstndnis des christlichen Glaubens, fr den es kone
Arbeit. stitutiv ist, einen aussagbaren, wahren (also jedenfalls auch wahrheits-
Der wissenschaftsethische Aspekt umfat sowohl persnliche wie fhigen) Inhalt zu haben. Und zweitens verkennt diese Auffassung, da
institutionelle Probleme, die durch die Begriffe Wahrhaftigkeit und der christliche Glaube seine psychischen und sozialen Funktionen fr
Loyalitt angedeutet werden. Grundstzlich gilt auch hier: Kriterium in Menschen nur erfllen kann unter der Voraussetzung, da er fr wahr
wissenschaftsethischer Hinsicht ist nicht der persnliche Glaube eines gehalten wird, also wenigstens wahrheitsfhig ist. Alles andere luft auf
Menschen, sondern seine persnliche Bereitschaft, dem Glauben zu die- Betrug - im schwierigsten Fall auf Selbstbetrug - hinaus. Gerade um sei-
nen (s. o. 1.2.1). Ein Mensch kann so lange aufrichtigerweise Theologe ner mglichen psychischen und sozialen Funktionen willen bedarf der
22 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 23

christliche Glaube der wissenschaftlichen Prfung seiner wahrheitsfhigen verstndnis nach sind sie (abduktive) Interpretationen des Geschehens,
Aussagen. das mit der Person Jesu von Nazareth (seinem Leben, seiner Verkndi-
Diese Aussagen sind der Theologie aber vorgegeben mit dem An- gung, seinem Wirken und seinem Geschick) verbunden ist. Ihre elemen-
spruch, wahr zu sein, und darum dort, wo sie als solche angenommen tarsten Gestalten waren Aussagen wie: "Herr ist Jesus (Christus)" (Rm
werden, im Modus der Wahrheitsgewiheit. Die allgemeine wissenschafts- 10,9; I Kor 12,3; PhiI2,11), "Er ist auferstanden" (Mt 28,6 f.; Lk 24,6 u.
theoretische Einsicht, da Wissenschaft auf Voraussetzungen aufbauen 34; I Kor 15,4) oder "Dieser ist (bzw. Du bist) Gottes Sohn!" (Mk 15,39;
mu, die nur im Modus der subjektiven Wahrheitsgewiheit zugnglich Mt 16,16; Joh 11,27). Solche Fundamentalaussagen enthalten den christ-
sind, ist fr die Theologie deshalb nicht nur akzeptabel, sondern nimmt lichen Glauben in nuce. Vom Selbstverstndnis des christlichen Glaubens
wesentliche theologische Einsichten auf. Dabei wei auch die Theologie, her ist es jedoch miverstndlich, ja in gewisser Hinsicht sogar inakzep-
da Wahrheitsgewiheit und Zweifel (sei es als existentieller oder als tabel, solche Fundamentalaussagen als "Hypothesen" zu bezeichnen. Fr
methodischer Zweifel) sich keineswegs gegenseitig ausschlieen, sondern Menschen, die von der Wahrheit und Bedeutung dieser Aussagen ergrif-
sich vielmehr bedingen: Aller Zweifel lebt von vorausgesetzter (und ge- fen worden sind, also in existentieller Hinsicht, handelt es sich dabei
suchter) aber fragwrdig gewordener Gewiheit, und alle Gewiheit er- gerade nicht um Hypothesen (im Sinne von Vermutungen oder nur be-
weist sich erst dadurch als echt, da sie sich der Konfrontation mit dem dingt gltigen Stzen), sondern um tragende Gewiheiten, fr die nicht
Zweifel aussetzt (s. dazu u. 2.2.2). Daher gilt, da der Zweifel die Gewi- wenige Menschen Hab und Gut, ja Leib und Leben aufs Spiel gesetzt und
heit begleitet und bedroht, aber auch zu sich selbst bringt, indem er sie von verloren haben. Wenn solche Fundamentalaussagen als "Hypothesen"
einem unangreifbaren Besitz unterscheidet. Die Teilnahme an dieser Aus- bezeichnet werden, so gilt das ausschlielich in wissenschaftstheoretischer
einandersetzung um die Wahrheitsgewiheit des Glaubens qualifiziert die Hinsicht. Und in dieser Hinsicht ist die Bezeichnung akzeptabe1. 6 Dies
Existenz als theologische Existenz. hebt nicht auf, da Aussagen, die wissenschaftstheoretisch als Hypothe-
sen bezeichnet werden (knnen oder mssen), in existentieller Hinsicht
den Charakter unumstlicher, existenztragender Gewiheiten haben
1.3.3.4 Hypothesenbildung knnen.

Die wissenschaftstheoretisch wichtige Unterscheidung zwischen Axio-


men und Theoremen stellt fr die Theologie nur dann ein Problem dar, 1.3.3.5 Falsifizierbarkeit
wenn der Axiom-Begriff mit der Zusatzbedingung verbunden wird, es
msse sich bei Axiomen um Aussagen von allgemeiner Plausibilitt oder In den Grenzen, in denen das deduktive Verfahren in der wissenschaftli-
allgemeiner Evidenz handeln. Tatschlich stand diese Zusatzbedingung chen Arbeit anwendbar ist, gilt dies auch fr die Theologie. D. h., es ist
ber Jahrhunderte in Kraft und hat sich erst im Gefolge der fundamenta- auch fr die Theologie ganz sachgem, aus gegebenen und als wahr
len Umbrche in der Logik und Mathematik um die Wende vom 19. zum vorausgesetzten Aussagen mittels deduktiver Schluformen Ableitungen
20. Jahrhundert als unsachgem erwiesen. Versteht man unter Axiomen vorzunehmen, die - wenn sie korrekt vollzogen wurden - zu Aussagen
jedoch lediglich die Aussagen, deren Wahrsein im Proze wissenschaftli- fhren, die den gleichen Wahrheitsgehalt besitzen wie die vorausgesetz-
chen Arbeitens vorausgesetzt, in Anspruch genommen und bis zum Er- ten Aussagen. Aber auch fr die Theologie bleibt das Problem, da solche
weis des Gegenteils festgehalten wird, dann ist gegen die theologische Ableitungen immer schon und notwendigerweise von Aussagen ausge-
bernahme dieses Konzepts nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Gerade hen, deren Wahrsein vorausgesetzt wird. Der daraus resultierende Ver-
von hierher ergibt sich fr die Theologie die wissenschaftstheoretische zicht auf Letztbegrndungen ist jedenfalls fr eine Theologie akzeptabel,
Unterscheidung zwischen den Aussagen des kirchlichen Bekenntnisses ja angemessen, die gelernt hat, sich selbst und ihre Aussagen sowohl von
oder Dogmas, deren Wahrsein im Vollzug theologischer Arbeit vorausge- ihrem Gegenstand (also dem christlichen Glauben) zu unterscheiden als
setzt (und berprft) wird, und den theologischen Aussagen, die daraus
abgeleitet werden. 6 In diesem Zusammenhang sei noch einmal ausdrcklich an die prinzipielle
Damit stellt sich freilich auch fr die Theologie die Aufgabe, das Begrenztheit der berprfung wissenschaftlicher Hypothesen erinnert. S. o.
Zustandekommen jener Fundamentalaussagen zu erklren. Ihrem Selbst- 1.1.3.
24 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 25

auch von dem, worauf sich der Glaube richtet (also von Gott in seiner wahr sein und unser Wissen erweitern knnen. 9 Andererseits wird vor
Offenbarung). Der Theologie entspricht durchaus ein Wissenschafts- allem in Hinblick auf zwei zentrale Themenaspekte der Theologie immer
konzept, das um das Angewiesensein wissenschaftlicher Arbeit auf wieder die partielle Suspendierung des Widerspruchssatzes gefordert:
Fundamentalaussagen (Axiome) wei und das. den Versuch unternimmt, einerseits fr Aussagen ber Gott im Verhltnis zur Welt sowie anderer"
sich der Wahrheit dieser Fundamentalaussagen so und dadurch zu verge- seits fr Aussagen ber die Snde im Verhltnis zu Gott und zum Men-
wissern, da sie aus ihnen Ableitungen vornimmt und deren mgliches schen. Im Blick auf Aussagen ber Gott kann sowohl mit der Majestt,
Falschsein berprft. Unerforschlichkeit und vlligen Andersheit Gottes gegenber allen logi"
Problematisch, ja inakzeptabel wrde dieses Konzept fr die Theolo- schen Gesetzen als auch mit den inneren Spannungen in Gottes Wesen
gie nur dann, wenn es (was in der Wissenschaftsgeschichte teilweise der und Wirken (Zorn/Gnade, Verdammnis/Erwhlung, Verborgenheit/Of".
Fall war und ist) mit demZusatz verbunden wrde, es drften nur solche fenbarung) argumentiert werden, aber auch wesentliche christologische
Fundamentalaussagen zugelassen werden, denen zu entnehmen sei, durch Bestimmungen (vere Deus/vere homo) scheinen darunterzufallen. Im Blick
welche empirischen Daten sie falsifiziert werden knnten. Der christliche auf die Aussagen ber die Snde wird hufig auf deren Rtselhaftigkeit
Glaube schlietzwar auch empirische Aussagen ein, und zwar sowohl als und das Nicht-sein-Sollende verwiesen, um zu begrnden, da und war-
Aussagen ber einzelne in der Erfahrung gegebene Tatbestnde (z. B. die um die Snde nicht in einem System widerspruchsfreier Stze unterzu-
Existenz Jesu von Nazareth oder die Existenz der christlichen Kirche als bringen sei. Gerade das Widersprchliche des Bsen (in sich.und gegen
leibliche Versammlung) als auch (und insbesondere) in Form von Aussa- die Schpfung) erfordere die Zulassung von Widersprchen, jedenfalls
gen ber die Erfahrungswirklichkeit im ganzen(z. B. ber die Welt als aber den Verzicht auf ein geschlossenes denkerisches System.
Schpfung oder ber die Snde als Signatur unserer Welt), aber ein em- Im Blick auf beide Einwnde ist jedoch zunchst zu betonen, da es
piristisches Sinnkriterium7 wre ihrem Gegenstand und ihrer Aufgabe beim Postulat der Widerspruchsfreiheit nicht um die Bestreitung von
nicht angemessen. 8 Trotzdem gilt fr die Theologie wie fr jede Wissen- Spannungen, Paradoxien oder Gegenstzen in der Wirklichkeit geht, son-
schaft, da jedes empirische Faktum, das einer theologischen Aussage dern um die Frage, ob es sein knnte, da die Gesetze der Logik, an die
widerspricht, diese Aussage damit falsifiziert und somit zur Revision oder unser Denken gebunden ist, der (widersprchlichen) Struktur der Wirk-
Korrektur dieser Aussage zwingt. Die empirische Falsifikation ist folglich lichkeit nicht gerecht werden. Angenommen, dies wre der Fall, dann
ein zwar hinreichendes(!), aber nicht notwendiges(!) Instrument zur ber- mten wir konzedieren, da wir solche "kontradiktorischen Sachverhal-
prfung theologischer Aussagen. te" nicht einmal verstehen knnten. Das ist zwar kein durchschlagendes
Argument gegen ihre Existenz - wohl aber gegen ihre Erkennbarkeit.
Gbe es "kontradiktorische Sachverhalte", so hiee das ja, es gibt Sach-
1.3.3.6 Widerspruchsfreiheit verhalte, denen bestimmte Eigenschaften (zum selben Zeitpunkt und in
derselben Hinsicht) sowohl zukommen als auch nicht zukommen. Das
Auch das Postulat der Widerspruchsfreiheit scheint der Theologie gewis- knnen wir zwar sagen, aber nicht denken und darum auch nicht ver-
se Schwierigkeiten zu bereiten. Einerseits kann man generell fragen, ob stehen.
nicht die Wirklichkeit (zumindest partiell) so widersprchlich sein knn- Daraus folgt fr die Wissenschaft zweierlei: Einerseits mu das Auf-
te, da auch nur widersprchliche Aussagen ihr gerecht werden, also tauchen von kontradiktorischen Widersprchen immer (und immer wie-
der) zum Anla genommen werden zu prfen, ob nicht doch eine der
beiden einander widersprechenden Aussagen falsch ist oder ob beide Aus"
sagen unzulssige Verallgemeinerungen darstellen oderauf irrigen Prmis-

7 Es besagt: "Nur solche Aussagen sind sinnvoll, die unmittelbar oder mittelbar
Sinneserlebnisse zum Ausdruck bringen". Vgl. dazu E. Wlfel, Der Positivis-
mus als Frage an die Theologie, in: Humanitas - Christianitas (FS W. v.
Loewenich), Witten 1968, S. 257-275, bes. S. 267. 9 Das klassische wissenschaftsgeschichtliche Beispiel fr diese Vermutung bie-
8 Ebensowenig ist ein solches empiristisches Kriterium z. B. der Mathematik tet bekanntlich die Physik mit ihren unvereinbaren Aussagen ber die Wellen-
oder der Philosophie angemessen. und Teilcheneigenschaften des Lichts.
26 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 27

sen beruhen. lo Solange es nicht gelingt, solche kontradiktorischen Wider- bernahme dieses Wissenschaftsbegriffs eher erleichtert als erschwert.
sprche aufzulsen, ist es wissenschaftstheoretisch geboten, an einer sol- Einerseits handelt es sich um den Abschied vom Ideal einer vorausset-
chen Stelle ein ungelstes und noch nicht lsbares wissenschaftliches Pro- zungslosen Wissenschaft, und d. h., um die Anerkennung, da (auch)
blem zu konstatieren. Gerade aus dieser Einsicht resultiert aber zugleich Wissenschaft stets Voraussetzungen in Anspruch nehmen mu, die sie
eine wichtige Selbstbegrenzung im Blick auf den Geltungsanspruch wis- erst im Proze wissenschaftlichen Arbeitens ins Bewutsein heben und
senschaftlichen Erkennens. Es kann sich immer nur auf die Wirklichkeit der kritischen Prfung aussetzen kann. Andererseits geht es um den
beziehen, soweit und sofern wir in der Lage sind, sie zu erkennen. Daraus Abschied vom Ideal einer definitiven Verifizierung wissenschaftlicher
folgt freilich fr keine Wissenschaft die Erlaubnis, Aussagen ber eine Aussagen, und d. h., sowohl um die Preisgabe der illusionren Vorstel-
widersprchliche Wirklichkeit zu machen; denn fr jede Wissenschaft lung eines kontinuierlichen wissenschaftlichen Fortschritts, als auch um
gelten diese Grenzen des Verstehens. Andererseits kann aber keine Wissen- das Eingestndnis, da alle Wissenschaft hinsichtlich der Wahrheitser-
schaft es ausschlieen, da sie auf Sachverhalte stoen knnte, die unse" kenntnis unter einem letzten Vorbehalt steht.
rem Verstehen nicht zugnglich sind und deren Realitt wir gleichwohl Diese zweifache Begrenzung und Selbstrelativierung stimmt mit Er-
nicht bestreiten knnen. kenntnissen zusammen, die fr die christliche Theologie grundlegenden
Und all das gilt auch fr die Theologie! Deshalb ist auch die Theologie Charakter besitzen und die im Fortgang der Dogmatik noch zur Sprache
als Wissenschaft verpflichtet und in der Lage, am Widerspruchssatz un- kommen werden: einerseits das Angewiesensein des Menschen auf die
eingeschrnkt festzuhalten. Das kann und sollte sie auf zweierlei Weise ihm unverfgbare Selbsterschlieung Gottes ("Offenbarung"; s. u. 3.1)
tun: Erstens, indem sie sich bei keinem auftauchenden kontradiktori- als Voraussetzung aller Wirklichkeitserkenntnis; andererseits der eschato-
schen Widerspruch beruhigt, sondern ihn zum Anla nimmt, immer wie- logische Vorbehalt, wie er im Begriff der "eschatologischen Verifikation"
der nach fehlerhaften Prmissen oder Schlssen zu suchen und sich so zur (J. Hick) zum Ausdruck kommt. Zu diesen Begrenzungen, die eindeutig
permanenten Selbstkritik motivieren zulassen. Andererseits, indem sie den Charakter von wissenschaftlichen bzw. wissenschaftstheoretischen
kontradiktorische Widersprche - solange diese nicht auflsbar sind- Selbstrelativierungen haben, kommen neuerdings Relativierungen, die teil-
als (derzeitige) Grenzen unserer Erkenntnis oder unseres Verstehens re- weise von auen an die (abendlndisch-westliche) Wissenschaft herange-
spektiert und sie weder mittels einer eigenen theologischen Logik ber- tragen werden, und von denen einige als theologisch wichtig und richtig
springt noch als theologische Errungenschaft verklrt, sondern sie durch beurteilt werden mssen. Ich denke hier an die in Abschn. 1.3.1 angedeu-
Schweigen respektiert.H teten Einwnde, die vor allem von Ganzheitlichkeitskonzepten aus die
Sachgemheit differenzierender, isolierender und analysierender wissen-
schaftlicher Methoden betreffen und demgegenber auf einer synthetisie-
1.3.3.7 (Selbst-) Relativierung renden Betrachtungsweise insistieren. Werden diese Einwnde verab-
solutiert, so besteht die Gefahr einer unkritischen, auerordentlich
In den hinter uns liegenden berlegungen deutete sich bereits an, da und ideologieanflligen Betrachtungsweise, die das Gegenteil christlich gefor-
inwiefern im neueren Wissenschaftsbegriff, wie er sich insbesondere den derter "Nchternheit" und "Wachsamkeit" darstellt. Aber als Korrektiv
Einsichten des Kritischen Rationalismus verdankt, eine Selbstrelativierung gegen eine Verabsolutierung traditionellen wissenschaftlichen Denkens
von Wissenschaft enthalten ist, die fr die christliche Theologie die mit seiner primr zergliedernden Vorgehensweise verdienen sie durchaus
Beachtung. Ein solches Korrektiv knnte sich aus theologischer Sicht
10 So hat das beharrliche Sich-nicht-Abfinden der Physik mit dem kontradikto- unter drei Aspekten als wichtig erweisen:
rischen Widerspruch zwischen der Wellen- und Teilchennatur des Lichts zu
einer tiefgreifenden Neuorientierung des physikalischen Denkens gefhrt, die
sowohl die Perspektivitt physikalischer Beobachtungen und Theoriebildun-
zunchst als Erinnerung an den schpfungsbedingten Gesamtzusam-
gen als auch die Verhltnisbestimmung von Energie und Materie betrifft (vgl. menhang der Wirklichkeit;
dazu A. J. Leggett, Physik, 1989, S. 17-21, 38-43, 110 f. sowie 205-209). sodann als Erinnerung an die daseinsbestimmende Bedeutung des
11 Vgl. dazu den Hinweis von H. Scholz auf den "schnen, heute fast vergessenen christlichen Glaubens;
Begriff des wissenschaftlichen Schweigens" (Wie ist eine evangelische Theo- schlielich als Erinnerung an die in Jesus Christus geoffenbarte Weis-
logie als Wissenschaft mglich?, in: Theologie als Wissenschaft, S. 257). heit Gottes, die die Torheit des Kreuzes einschliet (I Kor 1 f.).
28 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Theologie als Wissenschaft 29

Die damit intendierte Relativierung (nicht Bestreitung!) der wissen- ganzen, die als solche erst entwickelt werden mu. Alle drei Aufgabenstel-
schaftlichen Theologie erreicht ihr kritisches Ziel freilich erst in der in I lungen bilden zusammen das Arbeitsgebiet einer eigenen theologischen
Kor 13,2 exemplarisch formulierten Einsicht, da alles Wissen und alle Teildisziplin, die blicherweise der Systematischen Theologie zugerechnet
Erkenntnis, ja sogar alle Glaubensstrke ohne Liebe nichts ist. Da und wird, fr die aber alle theologischen Disziplinen gemeinsam die Verant-
warum das so ist, wird freilich erst noch aus der Sache der christlichen wortung tragen: die theologische Enzyklopdie. Es ist jedoch zu konsta-
Theologie, genauer: vom Inhalt des christlichen Glaubens her zu zeigen tieren, da es in und zwischen den einzelnen Disziplinen in methodischer
sein. und teilweise sogar in wissenschaftstheoretischer Hinsicht zu einer fort-
schreitenden Spezialisierung und Auseinanderentwicklung gekommen ist.
Deshalb ist kaum noch der berblick mglich, der zur enzyklopdischen
1.3.3.1-1.3.3..7 Fazit Arbeit befhigt und ermutigt. Dem defizitren Zustand dieser Teildisziplin
kann durch die folgenden knappen Andeutungen im Rahmen dieser Dog-
Als Fazit ergibt sich somit, da der unter 1.1 explizierte Wissenschaftsbe- matik nicht abgeholfen werden. Die hier gegebenen Hinweise wollen
griff, sofern er nicht mit bestimmten Zusatzbedingungen oder Interpreta- lediglich als Problemskizze verstanden werden.
tionen verbunden wird, fr die Theologie nicht nur akzeptabel ist, son-
dern von der Theologie ausdrcklich bejaht und vertreten werden kann.
Dabei sind es nicht zuletzt die selbstkritischen Begrenzungen des Wissen- 1.4.1 Die in sich differenzierte Einheit der Theologie
schaftsbegriffs, die sich aUs wissenschaftstheoretischen berlegungen in
unserem Jahrhundert ergeben haben, die der Theologie die Zustimmung 1.4.1.1 Die einheitliche Aufgabe der Theologie
zu diesem Wissenschaftsbegriff ermglichen. Die Tatsache, da dieser
heutige Wissenschaftsbegriff der Theologie besser entspricht, als es frhe- Was die Theologie zu einer Einheit macht, was also auch alle theologi-
re Wissenschaftsbegriffe getan haben, besttigt aber zugleich, da die schen Disziplinen miteinander verbindet, lt sich weder rein spekulativ
Theologie sich nicht einfach auf "den" Wissenschaftsbegriff (ihrer Zeit) aus der Idee des Wissens oder der Wissenschaft noch rein empirisch aus
festlegen (lassen) kann, sondern immer wieder zu prfen und zu entschei- dem faktischen Zustand oder der Ttigkeit wissenschaftlicher Theologie
den hat, welchen Wissenschaftsbegriff sie (mit-}verantworten kann. ableiten. Der spekulativdeduktive Ansatz ist unvereinbar mit der Tatsa-
che, da die christliche Theologie sich auf ein kontingentes geschichtli-
ches Ereignis bezieht, das nicht aus einer Idee abgeleitet werden kann.
1.4 Ort und Funktion der Dogmatik im Der empirisch-induktive Ansatz ist dagegen unvereinbar mit dem Ziel,
Gesamtzusammenhang der Theologie mgliche Defizite am faktischen Zustand der Theologie zu erkennen und
zu berwinden. Statt dessen soll hier (im Anschlu an Schleiermacher) ein
In den bisherigen Teilen dieses Kapitels war in der Regel allgemein und kritisch-abduktiver Ansatz gewhlt werden, der von der Aufgabenstel-
undifferenziert von "der (christlichen) Theologie" die Rede. Auf die Tat- lung der christlichen Theologie ausgeht, diese also als positive Wissen-
sache, da die Theologie ein in sich gegliedertes Ganzes ist, das aus schaft versteht, die die faktisch vorliegenden, d. h. im geschichtlich-ge-
mehreren (mindestens den fnf klassischen) Disziplinen besteht, wurde sellschaftlichen Lebenszusammenhang auftauchenden Probleme des
dabei noch nicht die Aufmerksamkeit gerichtet. Das ist das Thema dieses christlichen Glaubens bearbeitet.
vierten Teils. Dabei geht es genaugenommen um zwei Fragestellungen, die Da die christliche Theologie eine Funktion des christlichen Glau-
dann sichtbar werden, wenn man sich vergegenwrtigt, da Dogmatik bens sei, ist eine fr diese Dogtrlatik grundlegende Hypothese. Um von
ihrerseits eine Teildisziplin der Systematischen Theologie ist. Angesichts daher eine leitende Idee von der :Einheit der Theologie zu entwickeln, die
dessen ist nmlich zunchst nach dem Ort und der spezifischen Funktion auch aus der Sicht der anderen Disziplinen akzeptabel wre, mte die
der Systematischen Theologie innerhalb der Theologie zu fragen; sodann Hypothese einerseits weit genug sein, um fr alle theologischen Diszipli-
mu der Ort und die spezifische Funktion der Dogmatik innerhalb der nen angemessen zu sein, und sie mte andererseits eng genug sein, um
Systematischen Theologie bestimmt werden. Voraussetzung fr den er- nur auf die Theologie (im ganzen und in ihren Teilen) angewandt werden
sten Arbeitsschritt ist jedoch eine leitende Idee von der Theologie im zu knnen. Ob die Hypothese fr alle theologischen Disziplinen ange-
30 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Ort und Funktion der Dogmatik in der Theologie 31

messen ist, kann nicht ohne den Dialog mit den anderen Disziplinen Was den Glaubensakt anbelangt, so reflektiert die Theologie die Be-
entschieden werden. Um mehr als einen Vorschlag kann es sich hier also dingungen fr die Entstehung und Erhaltung des christlichen Glaubens.
nicht handeln. Da die Hypothese nicht nur auf die Theologie ange- Im Blick auf den Glaubensinhalt ist es Aufgabe der Theologie, das unver-
wandt werden kann, d. h., da sie zu weit ist, ist dagegen ohne weiteres wechselbare Wesen und das darin enthaltene Wirklichkeitsverstndnis
zu erkennen; denn nicht nur die Theologie ist eine Funktion des Glau- des christlichen Glaubens zu erfassen und darzustellen. Zum Wesen und
bens, sondern z. B. auch die Institution Kirche samt ihren Lebens- Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens gehren aber auch die
uerungen, wie z. B. Liturgie, Verkndigung, Unterweisung, Kirchen- Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen des Glaubensaktes. Insofern
musik, Seelsorge, Diakonie und Kirchenleitung. Von alledem gilt: Es kommt der Glaubensakt selbst im Glaubensinhalt vor und ist dort stets
handelt sich dabei um Funktionen des christlichen Glaubens. Die Hypo- mitzubedenken. Andererseits gehrt zum Glaubensakt das Gegenber,
these bedarf also einer przisierenden Einschrnkung, und es ist auch aufdas sich der Glaube richtet und das im Glaubensinhalt ausgesagt wird.
leicht zu erkennen, warum das so ist: Sie sagt ihrem Wortlaut nach nur, Insofern kommt auch der Glaubensinhalt (indirekt) im Glaubensakt vor
da die Theologie eine Funktion des Glaubens ist. Sie sagt aber nicht, um und ist dort stets mitzubedenken. Glaubensakt und Glaubensinhalt be-
welche Funktion es sich dabei handelt. Es geht also in der Frage nach der dingen und durchdringen sich also gegenseitig.
Einheit der Theologie zugleich um die Frage nach ihrer spezifischen Indem die Theologie den Glaubensakt und den Glaubensinhalt ex-
Funktion. pliziert und reflektiert, leistet sie zugleich ihren unverzichtbaren Beitrag
Aus den berlegungen zur Wissenschaftlichkeit der Theologie knnen zur Ausbildung theologischer Kompetenz, die ihrerseits eine Vorausset-
wir zunchst die Grundbestimmung bernehmen, da Theologie als Wis- zung fr die Wahrnehmung der berufenen ffentlichen Verkndigung,
senschaft die Funktion hat, Wissen auf berprfbare Weise zu erweitern. also des ordinierten kirchlichen Amtes 13 sowie des Lehramtes in Schule
Hier ist nun weiterzufragen, um welches Wissen es sich handelt. In einer und Hochschule ist.
ersten, sehr allgemeinen Formulierung knnen wir sagen: Es handelt sich Zur Erfllung dieser Aufgabe ist aber nicht nur die Beschftigung mit
um Wissen, das sich auf den (christlichen) Glauben bezieht. ,,(Christli- den Quellen und der Geschichte des christlichen Glaubens erforderlich,
cher) Glaube" kann jedoch zweierlei bedeuten: einerseits den Akt (oder sondern auch die Einbeziehung der Bedingungen, unter denen die christ-
den Vollzug, das Geschehen, die Haltung) des Glaubens, andererseits den liche Botschaft gegenwrtig kommuniziert wird. Die (fortgehende) Ge-
Inhalt, der besagt, worauf sich der Glaubensakt richtet. Aufbeides bezieht schichte des christlichen Glaubens ist selbst ein Teil der Entfaltung, Inter-
sich das Wissen, mit dem sich die Theologie beschftigt.12 pretation, Erfassung und Darstellung dessen, was die Identitt des
christlichen Glaubens ausmacht. Mit Schleiermacher kann gesagt werden,
da "es der letzte Zweck aller Theologie ist, das Wesen des Christentums
12 Deswegen verwende ich in dieser Dogmatik sehr hufig den Ausdruck "der
christliche Glaube" - auch dort, wo primr oder ausschlielich der Inhalt des
christlichen Glaubens gemeint ist und deshalb ebensogut von "der christli-
chen Botschaft" gesprochen werden knnte. Seit dem frhen 17. Jahrhundert dadurch - sicher unbewut und ungewollt - ein (kirchliches) Glaubensbe-
hat sich fr die Unterscheidung zwischen Glaubensakt und Glaubensinhalt kenntnis zu demjenigen wird bzw. wrde, worauf Christen vertrauen. Aber
(in Aufnahme und Weiterbildung einer Augustinischen Formulierung) die der christliche Glaube ist nicht ein Vertrauen auf ein Glaubensbekenntnis,
formelhafte Differenzierung zwischen fides qua creditur und fides quae sondern auf Gott in seinem Wort. Wegen der hier drohenden Verwechslung
creditur eingebrgert. Bei genauerem Zusehen erweist sich jedoch die Formel verzichte ich auf die - gelufige und bequeme - Unterscheidung zwischen
"fides quae creditur" als irrefhrend. Entweder nimmt man das "quae "fides qua creditur" und "fides quae creditur".
creditur" ernst, dann mu man sagen: Was bzw. woran geglaubt wird, ist 13 Der Ausdruck "ordiniertes ... Amt" hat sich (als bersetzung von "ordained
Gott selbst in seinem Wort. Dieses Gegenber, auf das sich der Glaubensakt ministry") im kirchlichen und theologischen Sprachgebrauch eingebrgert.
richtet, sollte man aber nicht als "Glauben" bezeichnen. Oder man versteht Der Ausdruck ist ungenau, da ja nicht das Amt ordiniert wird, sondern
unter "fides" das Glaubensbekenntnis, also die Aussagen ber das, woran Menschen fr ein Amt ordiniert werden. Korrekt wre deshalb die umstnd-
Christen glauben, dann kann nicht gesagt werden, das bzw. daran werde lichere Bezeichnung: "kirchliches Amt, fr das Menschen ordiniert werden".
geglaubt. Denn der Bezugspunkt des Glaubens sind nicht die Aussagen, Aus Grnden der Bequemlichkeit gebrauche ich hier und an anderen Stellen
sondern das, worauf sie sich beziehen. Das scheint nur ein geringfgiger (insbesondere in 14.3.3) den gebruchlichen, ungenauen Begriff "ordiniertes
Unterschied zu sein. Tatschlich ist er aber von groer Bedeutung, weil Amt".
32 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Ort und Funktion der Dogmatik in der Theologie 33

in jedem knftigen Augenblick reiner darzustellen" .14 Schon aus dieser a) Die Rckfrage nach dem
Aufgaben- und Zweckbestimmung der Theologie geht hervor, da die Ursprung des christlichen Glaubens
Theologie vor einer Aufgabe steht, die unter endlichen Bedingungenwe-
der in ihren einzelnen Teilen noch insgesamt jemals abschlieend erfllt Aus der Orientierung am christlichen Glauben ergibt sich die spezifische
werden kann. Das ndert nichts daran, da diese teleologische Aufgaben- Aufgabe der Rckfrage nach seinem Ursprung, ohne dessen Kenntnis die
und Zweckbestimmung die spezifische Funktion der Theologie in zurei- Identitt des christlichen Glaubens berhaupt nicht bestimmt und ber-
chender Genauigkeit erfat - jedenfalls dann, wenn in ihr mitgedacht ist, prft werden knnte. Indem die Alte Kirche den Kanon der biblischen
da es sich um eine Aufgaben- und Zweckbestimmung handelt, die mit Schriften festgestellt hat, hat sie die bleibende Mglichkeit der Orientie-
wissenschaftlichen Mitteln zu erfllen ist. Wie ergibt sich aber aus dieser rung an den ursprnglichen Zeugnissen des christlichen Glaubens ge-
Funktion der Theologie die Gliederung in eine Vielfalt von Disziplinen? schaffen (s. u. 4.1), die freilich - wie jedes Zeugnis und jeder Text ~ nur
Inwiefern ist also in der einheitlichen AufgabensteIlung bereits die innere verstanden werden knnen, indem sie interpretiert wetden. Von da aus
Differenzierung der Theologie angelegt? ergibt sich einerseits die Aufgabe der sachgemen Interpretation, also
Auslegung der biblischen Schriften auf dem jeweiligen Stand und unter
Frderung der Entwicklung der Auslegungskunst und andererseits die
1.4.1.2 Die innere Differenzierung der Theologie Aufgabe der Erforschung derjenigen Auslegungs- und berlieferungs-
geschichte des christlichen Glaubens (einschlielich seiner Ursprungs-
Als Funktion des Glaubens setzt die Theologie voraus, da Glaube eine zeugnisse), ohne die die Bedingungen der Auslegung weder wahrgenom-
Realitt ist, die im individuellen und sozialen Leben vorkommt und als men noch verstanden noch weiterentwickelt werden knnen. Dabei ist
eine bestimmte Ausprgung von Religiositt eine prgende Rolle spielt. diese Auslegungsgeschichte selbst auch als Wirkungsgeschichte der Bibel
Glaube (und zwar als Akt und Inhalt) ist also der Theologie Vorgegeben. (und ihrerJnterpretation) zu sehen und mu als solche selbst im herme-
Glaube - jedenfalls christlicher Glaube - entsteht aber nicht durch spon- neutischen Proze der Auslegung wahrgenommen und reflektiert werden.
tanen Entschlu und ist erst recht kein Teil der genetischen Ausstattung
des Menschen, sondern bedarf der Verkndigung, die auf Jesus Christus
als den Grund des Glaubens (I Kor 3,11) verweist und die in der Gemein-
schaft der Glaubenden tradiert und dargestellt, also kommuniziert wird.
Zum glaubenweckenden Geschehen wird die christliche Verkndi- b) Die Wahrnehmung der kirchlichen
gung aber nur dadurch, da ihr Inhalt Menschen als glaub-wrdig, also Lehrentscheidungen und Lebensuerungen
als wahr und tragfhig einleuchtet und daraufhin von ihnen angenommen
wird. Das damit angedeutete komplexe Beziehungsgefge aus geschicht- Eine besondere, herausragende Rolle spielen in der Auslegungsgeschichte
lichem Ursprung, berlieferung, Wahrheitsgewiheit und gegenwrtiger der Bibel die Akte der Bekenntnis- und Dogmenbildung, in denen die
Kommunikation mu stets mitgedacht und vorausgesetzt werden, wenn Kirchez. B. in Situationen aktueller Bedrohung durch unvereinbare In-
vom christlichen Glauben die Rede ist. Und diese Komplexitt des Glau- terpretationen des christlichen Glaubens einen innerkirchlichen (wenn
bensfindet in der Komplexitt und inneren Differenziertheit der Theolo- auch nicht in jedem Falle gesamtkirchlichen) Lehrkonsens gesucht, ge-
gie ihre Entsprechung. Dabei handelt es sich nicht um eine Verbindung funden, formuliert und fr verbindlich erklrt hat (s. u. 5.1). In solchen
ursprnglich selbstndiger Teile, die je fr sich, also isoliert voneinander kirchlichen Lehrentscheidungen bekommt eine bestimmte Interpretation
existieren knnten oder betrachtet werden drften, sondern es handelt des christlichen Glaubens (und damit auch der Ursprungszeugnisse des
sich nur um unterschiedliche Aspekte an diesem einen, unteilbaren, kom- christlichen Glaubens) fr die Kirche oder fr eine Konfession oder fr
plexen Phnomen: dem christlichen Glauben. eine kirchliche Gemeinschaft die Bedeutung eines Identittsmerkmals, das
nur unter Preisgabe der historischen Kontinuitt geleugnet werden kann.
Das hindert jedoch nicht, da auch solche Lehrentscheidungen alsbald
14 Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 1810, 2. Teil, Einleitung,
18; in der Ausgabe von H. Scholz, Leipzig 1910, S.36, Anm.1 (ganz zum Gegenstand einer Auslegungsgeschichte werden, fr die alles ber
hnlich formuliert in 84 der 2. Auf!. von 1830). die Auslegung der Bibel Gesagte in gleicher Weise gilt.
34 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Ort und Funktion der Dogmatik in der Theologie 35

Es wre freilich eine einseitige und damit abstrakte Betrachtung des d) Die Reflexion und Prfung der
christlichen Glaubens, wrden zu seiner Interpretation nur die sprach- christlichen Wahrheitsgewiheit
lich verfaten Texte herangezogen und nicht ebenso die sonstigen kultu-
rellen, institutionellen, geschichtlichen, politischen, sozialen etc. Lebens- In der bisherigen knappen Entfaltung des komplexen Beziehungsgefges
uerungen, die den Charakter von geprgten Ausdrucksformen, also der theologischen Beschftigung mit dem christlichen Glauben fehlt nun
Interpretationen des christlichen Glaubens (gehabt) haben. Daraus resul- nur noch ein, allerdings stets mitzudenkendes Element, das sich aus dem
tiert fr eine wissenschaftliche Theologie die Aufgabe einer umfassen- Wesen des christlichen Glaubens ergibt: das Element der Wahrheits-
den methodisch reflektierten Erforschung der Lebensuerungen des gewiheit. Zu einem Aspekt der theologischen AufgabensteIlung wird es
christlichen Glaubens in seinem jeweiligen Kontext, die insgesamt (wie dadurch, da der Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens nicht
die Auslegung der biblischen Schriften) im Dienst der Aufgabe der Theo- fraglos und unangefochten akzeptiert ist, sondern den Charakter des
logie steht, das Wesen des christlichen Glaubens immer genauer zu er- Umstrittenen hat. Dabei handelt es sich sogar um zwei Kommunikations-
fassen. zusammenhnge, in denen dieser Streit aufbricht oder aufbrechen kann:
die primr interne Kommunikation der Glaubenden ber das rechte Ver-
stndnis des christlichen Glaubens und die primr externe Kommunika-
c) Die Einbeziehung des gegenwrtigen Glaubenslebens tion zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden ber Wahrheit und
Gltigkeit des christlichen Glaubens. Beide Formen der Auseinanderset-
Der Versuch einer immer genaueren Erfassung und Darstellung des We- zung knnen brigens nicht nur zwischen verschiedenen Personen und
sens des christlichen Glaubens kann aber aus mehreren Grnden auch Gruppen, sondern auch innerhalb ein und derselben Person ausgetragen
nicht absehen von der gegenwrtig praktizierten christlichen Frmmig- werden. Das zeigt, da die Unterscheidung zwischen "intern" und "ex-
keit, wie sie (im Kontext allgemeiner Religiositt) in der Gemeinschaft der tern" nur relativen Charakter hat und sich letztlich nicht auf Personen-
Glaubenden Ausdruck und Gestalt gewinnt (s. u. 6.3.2). Erstens gehrt gruppen, sondern auf unterschiedliche Fragestellungen bezieht. Dabei
diese gegenwrtige Frmmigkeitspraxis in die fortlaufende Geschichte sind die beiden Fragestellungen insofern miteinander eng verzahnt, als die
der Auslegung des christlichen Glaubens hinein. Zweitens ist die Gemein- primr interne Kommunikation ber das rechte Verstndnis des christ-
schaft der jetzt (und knftig) lebenden Glubigen die Adressatin, auf die lichen Glaubens gerade dadurch ihre Brisanz erhlt, da es sich um das
sich die Theologie auszurichten hat, wenn und weil sie eine Funktion des rechte Verstndnis des Glaubens handelt, von dessen Wahrheit und Gl-
christlichen Glaubens ist. Whrend in der ersten Hinsicht die Beschfti- tigkeit die Gemeinschaft der Glaubenden ausgeht, die dort also in irgend-
gung mit gegenwrtiger kirchlicher Praxis (z. B. in Form der "kirchlichen einer Form vorausgesetzt wird. Andererseits entzndet sich die primr
Zeitgeschichte") und christlicher Frmmigkeit zur historischen Dimensi- externe Auseinandersetzung ber diese Wahrheit und Gltigkeit eben an
on und Aufgabe der Theologie gehrt, ist der zweite Aspekt (nmlich die dem Glauben, dessen genuiner Charakter als christlicher Glaube in ir-
Analyse der "Lage" oder "Situation") der praktischen Dimension und gendeiner Form vorausgesetzt ist. Da beide Kommunikationsstrnge aber
AufgabensteIlung der Theologie zuzuordnen und enthlt seinerseits eine gleichzeitig laufen, erweisen sie sich von ihren Voraussetzungen und
Mehrzahl von Teilaspekten. So geht es einerseits darum, die gegenwrtige Zielsetzungen her als aufeinander angewiesen.
Verfassung der institutionalisierten und der nicht-institutionalisierten Re-
ligiositt so genau zu erfassen, da Impulse, die ihrer Gestaltung dien~n
sollen, die Chance haben, das intendierte Ziel zu erreichen. AndererseIts a) - d) Fazit
geht es darum, solche Kommunikationsformen zu entwickeln und zu
pflegen, die der Entstehung und Erhaltung von christlichem Glauben Das im Eingangsteil dieses Abschnitts angesprochene mgliche Miver-
unter den gegenwrtigen Lebens- und Kommunikationsbedingungen an- stndnis, als handle es sich bei diesen vier Aspekten um selbstndige Teile
gemessen sind. Schlielich geht es darum, ein Instrumentarium auszubil- der Theologie, knnte dadurch noch befrdert worden sein, da hinter
den, das es erlaubt, die Entwicklungsprozesse in der Religiositt und den Aspekten unschwer die (biblischen, dogmen- und kirchengeschicht-
Frmmigkeitspraxis verllich wahrzunehmen und angemessen auf sie zu lichen, praktisch- und systematisch-theologischen) Disziplinen der Theo-
reagieren. logie mit ihren spezifischen Fragestellungen erkennbar geworden sind.
36 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Ort u"nd Funktion der Dogmatik in der Theologie 37

Nun soll gar nicht bestritten werden, da es zwischen jenen Aspekten und damit die unterschiedlichen Aufgabenfelder sichtbar werden, mit denen
den einzelnen theologischen Disziplinen Affinitten gibt, aufgrund deren sich die Systematische Theologie zu beschftigen hat.
sich sagen lt, da die jeweilige Disziplin sich schwerpunktmig mit
dem zugehrigen Aspekt befat. Es ist jedoch problematisch, wenn diese
schwerpunktmige Zuordnung als Trennung und isolierte Behandlung a) Die Wesensbestimmung des christlichen Glaubens
der Aspekte in den Disziplinen miverstanden und so gehandhabt wird. 15
Um der einheitlichen Sache und Aufgabe der Theologie willen drfen sich Die Aufgabe der Wesensbestimmung des christlichen Glaubens, die nur in
die einzelnen theologischen Disziplinen nicht auf den ihnen besonders engster Zusammenarbeit mit den anderen theologischen Disziplinen er-
naheliegenden Aspekt beschrnken. So knnen z. B. die biblischen Fcher fllt werden kann, bezieht sich primr auf die interne Kommunikation
oder die Praktische Theologie ihre Aufgabe ebensowenig sachgem er- zwischen den Glaubenden. Diese Aufgabe stellt sich in dreifacher Weise:
fllen, wenn sie vom Wahrheitsanspruch biblischer Texte oder vom
Schriftverstndnis und Schriftgebrauch in. der Geschichte der Christen- - Aus den aktuellen innerkirchlichenKonflikten resultiert die situations-
heit abstrahieren, wie es die systematischen Fcher knnen, wenn sie die bedingteAufgabe, zu neu auftauchenden Problemen oder Fragestel-
Frage nach dem angemessenen Verstndnis des biblischen Zeugnisses lungen einen Konsens ber da.s rechte Verstndnis der Aussagen des
oder der kirchengeschichtlichen berlieferung ausblenden. D. h.: In jeder christlichen Glaubens zu finden und zu formulieren.
der theologischen Disziplinen mu - wenn auch mit ganz unterschiedli- - Aus der Geschichtlichkeit, an der auch der Glaube und die Glauben-
chen Gewichtungen - das gesamte komplexe Beziehungsgefge des christ- den partizipieren, resultiert die kontinuierliche Aufgabe, den Konsens
lichen Glaubens im Blick sein. Nur unter dieser Bedingung gert. die ber das rechte Verstndnis des christlichen Glaubens zu berprfen,
Spezialisierung der Disziplinen nicht zur Zersplitterung der Theologie, weiterzuentwickeln und so zu erhalten.
sondern ermglicht differenzierte wissenschaftliche Arbeit im Interesse - Aus den zwischen den verschiedenen Konfessionen bestehenden Di-
des Ganzen. vergenzen resultiert die kumenische Aufgabe einer (kritischen und
selbstkritischen) christlichen Glaubenskommunikation ber Konfes-
sionsgrenzen hinweg mit dem Ziel, vorhandene bereinstimmungen
1.4.2 Ort und Funktion der Dogmatik wahrzunehmen und echte von blo scheinbaren Dissensen zu unter-
scheiden.
innerhalb der Systematischen Theologie

Der Aspekt der theologischen AufgabensteIlung, der schwerpunktmig


der Systematischen Theologie zufllt, lt sich nach dem zuletzt Gesagten b) Die Explikation des Wahrheitsgehaltes
umschreiben mit der Formel: Rechenschaft ber den Wahrheitsgehalt des des christlichen Glaubens
christlichen Glaubens angesichts interner und externer Herausforderun-
Die Aufgabe der Explikation des Wahrheitsgehaltesdes christlichen Glau-
gen. Dabei zeigte sich bereits, da diese AufgabensteIlung bipolaren Cha-
bens, die nur im Austausch mit anderen Wissenschaften, insbesondere mit
rakter hat, da sie zweierlei einschliet: einerseits die Wesensbestimmung
der Philosophie erfllt werden kann, bezieht sich vor allem (aber nicht
des christlichen Glaubens in seinem Gesamtzusammenhang; andererseits
nur) auf die externe Kommunikation zwischen Glaubenden und Nicht-
die Explikation des Wahrheitsgehaltes des christlichen Glaubens. Schlie-
Glaubenden (in uns, in unserer Mitte oder in unserer Umgebung). Auch
lich mu aber auch das in dieser polaren AufgabensteIlung implizierte
sie stellt sich in dreifacher Weise:
Verhltnis von Dogmatik und Ethik bedacht und die daraus folgende
Aufgabenbestimmung der Dogmatik expliziert werden. Diese allgemei- - Aus den aktuellen, bedrngenden Gesellschafts- und Weltproblemen
nen Aussagen bedrfen jedoch nun, da es um die Binnenstruktur der resultiert die Aufgabe, den spezifischen Beitrag des christlichen Glau-
Systematischen Theologie geht, der Spezifizierung und Konkretisierung, bens in die (auch internationale) gesellschaftliche Diskussion ber
Glaubens- und Weltanschauungsgrenzen hinweg einzubringen und
15 Man kann freilich nicht bestreiten, da es in der gegenwrtigen Theologie Fra.gen zu stellen, die in Gefahr sind, bersehen zu werden oder ver-
zumindest eine starke Tendenz in diese Richtung gibt. lorenzugehen.
38 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Ort und Funktion der Dogmatik in der Theologie 39

- Aus der Bestreitung des Wahrheitsanspruches des christlichen Glau- die von ihm ergriffenen Menschen mit innerer Notwendigkeit zu be-
bens durch Nicht-Glaubende (seien es Atheisten, Agnostiker oder stimmten Handlungen motiviert, aber selbst nicht aus diesen Handlungen
Unwissende) resultiert die Herausforderung zur argumentativen, d. h. resultiert. Christlicher Glaube wird dadurch ermglicht, da Menschen
den allgemeinen Regeln des Denkens verpflichteten Rechenschaft ber eine neue Sicht der Wirklichkeit zuteil wird, die sie nicht produzieren,
die Inhalte und Grnde des christlichen Glaubens. sondern nur aufnehmen knnen. Der Glaube wird folglich konstituiert
- Aus der Infragestellung des christlichen Glaubens durch die Existenz durch etwas, was den Glaubenden vorgegeben ist, also nicht erst von
anderer Religionen und durch deren Kritik resultiert die Aufgabe einer ihnen hervorgebracht wird. Innerhalb dieses Vorgegebenen ist dann frei-
(kritischen und selbstkritischen) Kommunikation ber Religions- lich noch einmal grundstzlich zu unterscheiden zwischen dem, was den
grenzen hinweg mit dem Ziel, vorhandene bereinstimmungen wahr- Glaubenden durch Gottes Wirken vorgegeben ist (z. B. als Offenbarung),
zunehmen und echte von blo scheinbaren Dissensen zu unter- und dem, was ihnen durch menschliches Handeln vorgegeben ist (z. B. als
scheiden. Erziehung, Unterricht, Verkndigung). Beides hat jedoch den Charakter
einer Wirklichkeit, die Glauben ermglicht.
Es ist unschwer zu erkennen, da sowohl innerhalb der Unterpunkte Christlicher Glaube ermglicht und erfordert aber selbst einen ver-
als auch zwischen den jeweiligen Unterpunkten die Unterscheidungen nderten Umgang mit der Wirklichkeit, der in der Verantwortung der
weder Trennungen sind noch absoluten Charakter haben. Sie gehen an Glaubenden liegt. Diese Gestaltung der Wirklichkeit ist den Glaubenden
ihren Grenzpunkten sogar ineinander ber, sind also blo relativ vonein- aufgegeben, wird also von ihnen erst hervorgebracht.
ander unterschieden. Als solche relative Unterscheidungen eignen sie sich Es ist nicht nur sinnvoll, sondern von grundlegender Wichtigkeit,
freilich recht gut, um sich die Binnendifferenzierung der Systematischen diese den Glaubenden vorgegebene Sicht der Wirklichkeit von der den
Theologie bewutzumachen und die spezifische Funktion der Dogmatik Glaubendenaufgegebenen Gestaltung der Wirklichkeit zu unterscheiden.
zu bestimmen. Die Analyse und Darstellung des ersteren ist Sache der Dogmatik, die der
letzteren ist Sache der Ethik. 16
Eine Trennung zwischen beidem ist schon deswegen nicht mglich,
c) Das Verhltnis von Dogmatik und Ethik weil das, was den Glaubenden aufgegeben ist (z. B. die Verkndigung des
Evangeliums), fr andere Menschen zugleich dasjenige sein kann, was
Zu diesem Zweck ist freilich noch eine weitere Unterscheidung erforder- ihnen als Ermglichung des Glaubens vorgegeben sein mu. Solche Ele-
lich: Auf jedem der sechs Aufgabenfelder kann die zur Klrung anstehen- mente mssen darum sowohl in einer ausgefhrten Dogmatik wie in einer
de Problematik sich entweder eher auf Handlungen (Ziele, Normen, ausgefhrten Ethik auftauchen, und gerade dadurch wird der unauflsba-
Werte, Motive etc.) oder eher auf Erkenntnisse (Einsichten, Deutungen, re sachliche Zusammenhang von Dogmatik und Ethik sichtbar.
Erklrungen, Begrndungen etc.) beziehen. Die damit intendierte Unter-
scheidung ist begrifflich nicht leicht zu fassen, obwohl sie umgangs-
sprachlich z. B. als Unterscheidung zwischen Handeln und Denken oder d) Die Aufgabenbestimmung der Dogmatik
zwischen Tun und Wissen durchaus gelufig ist. Die begriffliche Schwie-
rigkeit resultiert daraus, da auch Erkenntnisse (in einem weiten Sinn) als Hieraus ergibt sich eine weite Aufgabenbestimmung fr die systematisch-
Handlungen aufgefat werden knnen und da Handlungen ohne Er- theologische Teildisziplin "Dogmatik". Sie hat auf den genannten sechs
kenntnisse (bezogen auf Handlungsmglichkeiten und -ziele, Mittel und Aufgabenfeldern die dem christlichen Glauben eigene Sicht der Wirklich-
Folgen) gar nicht vorstellbar sind. Das weist darauf hin, da es sich keit darzustellen und ihren Wahrheitsgehalt zu explizieren. Sie ist dabei
(auch) hier um eine blo relative Unterscheidung an einem unteilbaren
Gesamtzusammenhang handelt. Wie ist diese Unterscheidung genauer zu 16 In Anlehnung an Schleiermacher lt sich deshalb sagen: Die Aufgabe der
fassen? Dogmatik ist die Beantwortung der Frage: "Was mu sein, weil christlicher
Es mu jedenfalls eine Unterscheidung sein, die sich auf den christli- Glaube ist?"; whrend die Ethik die Frage zu beantworten versucht: "Was
chen Glauben bezieht und an ihm gemacht werden kann. Und diese Un- mu (durch menschliches Handeln) werden, weil christlicher Glaube ist?"
terscheidung mu sich darauf beziehen, da der christliche Glaube zwar (Die christliche Sitte, Hg. 1. Jonas, Berlin 18842, S. 23).
40 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Die Gliederung der Dogmatik 41

lediglich von der ethischen Aufgabenstellung der Systematischen Theolo~ net, weil auch im Erkenntnisvollzug die methodischen und methodologi-
gie abgegrenzt. Eine solche weite Aufgabenbestimmung der Dogmatik schen berlegungen erst aus der Beschftigung mit den Inhalten resultie-
wird auch in diesem Lehrbuch vorausgesetzt und ihre Realisierung zumin- ren. Und bei der Bestimmung des Wesens des christlichen Glaubens
dest angestrebt. mte z. B. von der gegenwrtigen Situation ausgegangen und nach
Hiervon lt sich eine sehr viel engere Aufgabenbestimmung unter- Bekenntnis, Bibel und Offenbarung zurckgefragt werden.
scheiden, derzufolge die Dogmatik die Teilbereiche der Fundamental- Der ursprngliche Plan, in dieser Dogmatik mglichst streng der
theologie (= dogmatische Prinzipienlehre), der Apologetik und kumenik Erkenntnisordnung zu folgen, erwies sich aber aus zwei Grnden als
nicht umfat, sondern neben sich stehen hat. Dogmatik wre dann ledig- undurchfhrbar. Einerseits wrde eine solche Dogmatik - verglichen mit
lich innerkonfessionelle Entfaltung der geltenden kirchlichen Lehre. Eine der gewohnten Anordnung - extrem unbersichtlich, widersprche den
so eingegrenzte Dogmatik stnde jedoch inder Gefahr, diejenigen inter- Lesegewohnheiten und fhrte so leicht zur Desorientierung. Andererseits
nen und externen Herausforderungen aus dem Blick zu verlieren, die (und dies war der Hauptgrund) zeigte sich, da dieser Erkenntnisweg so
einen erheblichen Teil der Relevanz des systematisch-theologischen N ach- kompliziert ist, da er fortgesetzt ein erneutes Durchdenken von bereits
denkensim allgemeinen und des dogmatischen Nachdenkens im besonde- Gesagtem unter neuen Gesichtspunkten erforderlich macht, wodurch der
ren ausmachen. vorgegebene Rahmen vollstndig gesprengt wrde. Menschliches Erken-
nen vollzieht sich offenbar so verwickelt, genauer gesagt:spiralfrmig
vertiefend, und deshalb so wenig geradlinig, da sich seine Struktur nicht
gut als Gliederungsprinzip fr eine Dogmatik (oder ein anderes Lehr-
1.5 Die Gliederung der Dogmatik buch) eignet.

1.5.1 Grundstzliche berlegungen


bezglich der Gliederung einer Dogmatik 1.5.2 Traditionelle Gliederungsprinzipien der Dogmatik
Fragen des Aufbaus und der Gliederung einer Dogmatik sind zwar keine berblickt man die Geschichte der Dogmatik (von den Sentenzenbchern
theologischen Grundsatzfragen, haben aber trotzdem eine gewisse Bedeu- des Petrus Lombardus bis zur Gegenwart), so zeigt sich, da es in ihr drei
tung, die sich einerseits aus der dogmatischen Gesamtkonzeption, ande- dominierende Gliederungsprinzipien gibt, die sich gegenseitig nicht aus-
rerseits aus dem Vermittlungsinteresse des Autors ergibt. Wesentlich ist, schlieen mssen, sondern miteinander kombiniert werden knnen und
da eine Dogmatik in systematischer Form in den Gesamtzusammenhang oft genug kombiniert worden sind:
der christlichen Glaubenslehre einfhrt. Wichtig ist aber auch, von wel-
cher Seite aus und in welchen Schritten diese Einfhrung erfolgt. Hierfr
sind Kriterien der Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit angemessen 1.5.2.1 Das trinitarische Gliederungsprinzip
und ausreichend.
Ein Grundproblem hinsichtlich der Gliederung einer Dogmatik be- In Anlehnung an den Aufbau des Apostolischen und Nicaenischen Glau-
steht darin, da bei der Entscheidung fr eine bestimmte Gliederung und bensbekenntnisses hat die Dogmatik von Anfang an immer wieder eine
bei der damit verbundenen Rechenschaft ber den Erkenntnisweg der triadische oder trinitarische Gliederung gefunden, die sich von der Unter-
Dogmatik immer schon eine inhaltliche Konzeption vorausgesetzt ist, die scheidung zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist ihre
aber erst sukzessive entfaltet werden kann. Dieses Grundproblem knnte Strukturierung vorgeben lt. Je strenger eine Dogmatik theozentrisch
dadurch minimiert (wenn auch nicht beseitigt) werden, da die Dogma- ausgerichtet ist, um so eher wird sie diesem Gliederungsprinzip zuneigen.
tik soweit wie mglich dem menschlichen Erkenntnisweg (und nicht der Freilich geben schon die Glaubensbekenntnisse insofern keinen rein
Seinsordnung, soweit wir sie erkennen) folgt. Dies wrde jedoch eine trinitarischen Aufbau vor, als im dritten Glaubensartikel der Zusammen-
weitgehende Umkehrung des blichen Dogmatikaufbaus nach sich zie- hang zwischen Heiligem Geist, Kirche, Sakrament, Sndenvergebung und
hen. Die Methoden- bzw. Prinzipienfragen stnden dann z. B. nicht am eschatologischer Hoffnung zumindest nicht explizit wird, sondern eher
Anfang vor den inhaltlichen Fragen, sondern wren diesen nachgeord- den Charakter einer losen Assoziierung hat.
42 Dogmatik im Gesamtzusammenhang der Theologie Die Gliederung der Dogmatik 43

1.5.2.2 Das heilsgeschichtliche Gliederungsprinzip der Dogmatik zu einer Unterscheidung zwischen "Fundamentaltheo-
logie" (= dogmatische Prinzipienlehre) und "Dogmatik" weiterzuent-
Schon das trinitarische. Gliederungsprinzip wurde hufig mittels einer wickeln und so beides zu verselbstndigen. Das Problem einer solchen
starken Betonung des sog. (heils-)konomischen Aspekts der Trinitts- Verselbstndigung liegt darin, da damit die methodischen Grundfragen
lehre (s. u. 11.2) geffnet fr das heilsgeschichtliche Wirken Gottes, das aus der Dogmatik hinausverlagert werden knnten und nicht mehr in
sich jeweils zuordnungsweise mit den einzelnen Personen der Trinitt ihr, und d. h. in engster Beziehung zu den inhaltlichen Aussagen bear-
verbinden lt, also: der Vater in Verbindung mit dem Werk der Schp- beitet und geklrt wrden. Deshalb empfiehlt es sich, die Unterschei-
fung, der Sohn in Verhindung mit dem Werk der Vershnung, der Heilige dung zwischen Methode und Inhalt als inneren Gliederungsgesichtspunkt
Geist in Verbindung mit dem Werk der Erlsung oder Vollendung. Das der Dogmatik und nicht als Teilungsgesichtspunkt fr systematisch-
heilsgeschichtliche Gliederungsprinzip konnte sich aber auch verselb- theologische Teildisziplinen zur Geltung zu bringen.
stndigen und zur eigenstndigen Leitperspektive werden, der sich dann
auch das trinitarische Prinzip zu- und einordnen lie. Das hatte den
Vorteil, da nicht nur eineAufteilung der Christologie und Vershnungs-
lehre auf den zweiten und dritten Artikel vermieden und statt dessen 1.5.3 Die Gliederung dieser Dogmatik
beides zusammen behandelt werden konnte, sondern da auch eine eigen-
stndige Einbeziehung der Lehre von der Snde (die in einer trinitarischen Die vorliegende Dogmatik versucht alle drei Gliederungsprinzipien je fr
Gliederung keinen genuinen Ort hat) mglich wurde. So entstand parallel sich im angemessenen Zusammenhang zur Geltung zu bringen. Sie lst
zu dem dreiteiligen (trinitarischen) ein vierteiliges (heilsgeschichtliches) dabei die weithin praktizierte Vermischung dieser Gliederungen auf und
Gliederungsprinzip, das sich in der Regel an den Begriffen Schpfung, ordnet sie einander so zu, da deren eigenstndige Intention mglicher-
Snde (bzw. Fall), Vershnung und Vollendung orientierte, wobei der weise besser zur Geltung kommt.
Begriff der Erlsung entweder mit Vershnung oder mit Vollendung
verbunden werden konnte.
Die meisten Gliederungsentwrfe der Dogmatik orientieren sich in-
1.5.3.1 Die trinitarische Gliederung des Gottesverstndnisses
haltlich an einer Mischung oder Verbindung des trinitarischen Prinzips
mit dem heilsgeschichtlichen und bieten in der Regel die Reihenfolge:
Es bedarf keiner Begrndung, da die trinitarische Gliederung im stren-
Gott (der Vater), Schpfung, Snde, Jesus Christus, Vershnung, Heili-
gen Sinne nur der Gotteslehre (bzw. wie wir sagen werden: dem Gottes-
ger Geist (und sein Wirken in Wort, Sakrament und Kirche) sowie Voll-
verstndnis des christlichen Glaubens) angemessen ist. Deswegen soll sie
endung.
auch nur das Gliederungsprinzip fr den Teil abgeben, der von Gott - in
seiner Beziehung zur Welt - handelt.
1.5.2.3 Das methodisch-inhaltliche Gliederungsprinzip

In dem Mae, in dem die Dogmatik (aus ueren und inneren Grnden) 1.5.3.2 Die "heilsgeschichtliche"
ber ihre Voraussetzungen, Quellen, Kriterien und Methoden Rechen- Gliederung des Weltverstndnisses
schaft ablegen mute, kamen Themen hinzu, die nicht (oder nur mit
Mhe, z. B. in der Gotteslehre oder in der Ekklesiologie) im Rahmen Das heilsgeschichtliche Gliederungsprinzip wird hingegen am ange-
eines trinitarischen und/oder heilsgeschichtlichen Aufbaues unterzu- messensten verstanden werden, wenn es nicht im Sinne einer (quasi-)
bringen waren. Diese Themen bildeten im Laufe der Zeit einen eigenen geschichtlichen Abfolge des Handeins Gottes an der Welt verstanden
Teil der Dogmatik, der hufig unter der berschrift "Dogmatische wird, sondern im Sinne des Aufweises der verschiedenen Aspekte der
Prinzipienlehre" oder "Prolegomena" dem materialen (trinitarisch- Welt - in ihrer Beziehung zu Gott - wie sie im christlichen Glauben als
heilsgeschichtlich gegliederten) Teil der Dogmatik vorangestellt wurde. Elemente seines Weltverstndnisses wahrgenommen und dargestellt wer-
Wie oben bereits angedeutet, gibt es Tendenzen, diese Untergliederung den. Deswegen sollen diese Aspekte nur das Gliederungsprinzip fr den
44 Dogmatik im Gesamtzusammenhangder Theologie Die Gliederung der Dogmatik 45

Teil abgeben, der das Weltverstndnis des christlichen Glauben~ zum je das Ganze des christlichen Wirklichkeitsverstndnisses in seinen Grund-
Thema hat: die geschaffene, die gefallene, die vershnte und die vollen- ~.gen unter verschiedenen Fragehinsichten zur Sprache gebracht werden.
dete Welt. Uberschneidungen zwischen den drei Teilen sind darum nicht immer zu
vermeiden, vielleicht sind sie fr das bessere Verstndnis des Gesamtzu-
sammenhanges sogar eine gewisse Hilfe.
1.5.3.3 Die Unterscheidung zwischen
Rekonstruktion und Explikation

Die bipolare Aufgabenstellungder Dogmatik, die einerseits auf die


Identittsbestimmung, andererseits auf die Explikation des Wahrheitsge-
haltes des christlichen Glaubens gerichtet ist (s. o. 1.4.2), legt es nahe,
diese Unterscheidung auch im Aufbau der Dogmatik zur Geltung zu brin-
gen. Dies dient zugleich der Erinnerung daran, da die Dogmatik ihren
Gegenstand (als einen identischen) nichthervorbringt, sondern da er ihr
vorgegeben ist, woraus. die Doppelaufgabe .der. Rekonstruktion dieser
Identitt und der Explikation ihres Wahrheitsgehaltes allererst folgt. Dem
trgt die Gliederung di~s~r Dogmatik dadureh Rechnung, da demHaupt-
teil II, in dem das (aus dem Gottes- und Weltverstndnis bestehende)
Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens expliziert Werden soll,
ein Hauptteil I vorangestellt ist, in dem das Wesen des christlichen Glau-
bens bestimmt wird. Die Themen der Prinzipienlehre teilen sich nun in
solche auf, die das gesamte Unternehmen einer Dogmatik als Teildisziplin
der wissenschaftlichen Theologie betreffen, und insolche, die es im spezi-
fischen Sinn mit den Grundlagen, Quellen und Normen des christlichen
Glaubens zu tun haben. Die ersteren wurden in diesem vorangestellten
Kapitel (1) zusammengefat, die letzteren werden innerhalb von Haupt-
teil I jeweils dort verhandelt, wo sie sich von der Sache her stellen.

1.5.3.4 Das Verhltnis der drei Teile zueinander


Da und wie die drei Teile sich gegenseitig ergnzen und miteinander das
Ganze einer gegliederten Dogmatik ergeben sollen,. ist aus dem unter
1.5.3.1-3 Gesagten wohl deutlich.geworden. Es wre aber ein Mi-
verstndnis, wrden die drei Teile nur als Bruchstcke eines Ganzen auf-
gefat, vielmehr wollen sie jeweils auch als Darstellung des Ganzen unter
einem bestimmten Aspekt verstanden werden. Die Aussagen ber das
Wesen (I) des christlichen Glaubens werden durch die Ausfhrungen ber
das Wirklichkeitsverstndnis (II) nicht ergnzt oder vervollstndigt, son-
dernexpliziert. Die Aussagen ber das Gottesverstndnis (II A) des christ-
lichen Glaubens bedrfen ebenfalls nicht der Komplettierung durch die
ber das Weltverstndnis (II B) -oder umgekehrt -, sondern in ihnen soll
Hauptteil I
Rekonstruktion des Wesens des
christlichen Glaubens
2 Die Frage nach demWesert
des christlichen Glauberts

Die Rede vom "Wesen" stt hufig auf BedenkeIl,ja auf Widerspruch.
Der Haupteinwand richtet sich dagegen, da mit .der Orientieryng m
(vermeintlichen) Wesen die Realitt der geschichtlichen, also wandelba-
ren Erscheinungen nicht ernstgenommen we~de. Geschichtsve.rlust oder
ungeschichtliches Denken schein~n hier zu. drohen~ Um so. bemerke~s
werter.ist es, da die. programmatische Formel "Wesen des Christen-
tums"1 als ein Resultat des historischen Denkens an der Wende vom 18.
en ist. 2In derFor-
zum 19. Jahrhundert zu breiter Verwendl.lnggeko
mm
mulierung"Wesen des Christentums" meldet sich die Frage nach dem,
was angesichts des allgegenwrtigen geschichtlichen Wandels. imChri-
stentum bleibenden Charakter hat und darum verlliche Orientierung
ermglicht. Mit der Suche nach dem Wesen (des Christentmlls) soll das
geschichtliche Denken jedoch nicht ausgeschaltet oder neutralisiert wer-
den.. Es geht um das Wesen im geschichtlichen Wandel und unter ge-
schichtlichen Bedingungen.
Die Verhltnisbestimmung von Wesen und geschichtlicher Erschei-
nung erweist sich damit als ein Zentralproblem, das hier zu bedenken ist.
In diesem Zusammenhang ist zunchst zu klren, was mit den Begriffen
"Wesen" und "Erscheinung" (2.1) sowie " Glauben" (2.2) gemeint ist, um
dann (2.3) zu prfen, unter welchen Bedingungen und in welcher Weise
es mglich ist, das Wesen des christlichen Glaubens zu. erfassen.

2.1 "Wesen" und "Erscheinung"


2.1.1 Das Verhltnis von" Wesen" und "Erscheinung"

Das Begriffspaar "Wesen" und "Erscheinung" weist auf eine Differenz


hin, die nur scheinbar einfach zu erfassen ist. Konstatierbar ist zunchst,
da mit diesem Begriffspaar ausgeagtwerden soll, die Erscheinung einer

1 Zur Geschichte und Herklillft dieser Formel s. die Arbeiten von Schfer ttiId
Wagenhammer.
2 Der ganze Ausdruck ,Wesen des Christentums' hngt mit der modernen,
kritischen und entwickelungsgeschichtlichen Historie zusammen", so Troeltsch
GS 11, S. 391.
50 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens "Wesen"und "Erscheinung" 51

Sache sei nicht notwendigerweise mit deren Wesen identisch (und umge- Prgu~gen des erkennenden Subjekts stets mit ein. Erscheinungen haben
kehrt). Dabei meint der Begriff "Erscheinung" (oder "Phnomen") offen- daher Immer perspektivischen Charakter, als solche erfassen sie aber nur
bar die Art und Weise, wie eine Person oder ein Geschehen oder eine Sache Aspekte der wahrgenommenen Wirklichkeit. Und deshalb knnen sie das
uns erscheint, d. h., sich uns zeigt. Dabei mu weder behauptet noch Wahrgenommene auch verflschend reprsentieren. Durch die Einsicht,
bestritten werden, da sich eine Sache allen, die mit ihr zu tun haben, in da zwischen ,;Wesen" und "Erscheinung" immer schon eine deutende
gleicher Art und Weise zeigt. Nicht diese mgliche intersubjektive Ge- bzw. interpretierende Vermittlung stattfindet, wird also verstndlich,
meinsamkeit ist entscheidend, sondern das Erschlossensein und Sich-Zei- warum zu den Erscheinungen auch Unwesentliches, ja sogar Wesens-
gen fr ein Subjekt. fremdes gehren kann.
Indessen ist der Gedanke des Vergleichs verschiedener Wahrnehmun-
gen von Phnomenen doch eine brauchbare Brcke, um sich der Diffe-
renz zwischen Wesen und Erscheinung zu nhern. Dabei mu es sich 2.1.2 Der Begriff " Wesen"
nichtum einen intersubjektiven, sondern kann sich auch um einen tem-
porren Vergleich handeln. So erscheint mir z. B. ein Mensch in einer Aber was meinen wir nun eigentlich genau, wenn wir in diesem Zusam-
bestimmten Situation als aufrichtig oder mutig, whrend er sich mir ein menhang den ~egriff "Wesen" gebrauchen? Es gibt hier mehrere mgliche
anderes Mal als verschlagen oder feige zeigt. Hier stellt sich die Frage: Antworten, dIe angedeutet werden knnen mit Formeln wie "das Un-
Gehrt beides zu seinem Wesen, oder waren Aufrichtigkeit und Mut terscheidende und Unverwechselbare" oder "das Unvernderliche und
bloe Erscheinungen, gemessen am Wesen des Menschen also Vorspie- immer Gleichbleibende" oder "das Unaufgebbare und Unverzichtbare".
gelungen oder Tuschungen? In hnlicher Weise kann ein Mensch, der Keine dieser Bestimmungen ist ganz verfehlt, aber teilweise treffen sie die
gemeinte Sache nicht genau genug. Bei dem Versuch der Przisierung gehe
eine Religionsgemeinschaft in einer bestimmten Erscheinungsweise ken-
nengelernt hat, z. B. in einem Gottesdienst, in dem Mnner und Frauen ich so vor, da ich mich zunchst mit den miverstndlicheren und nur
streng getrennt sind, sich (oder andere) fragen, ob dies zum Wesen dieser partiell richtigen Begriffsbestimmungen auseinandersetze und mich auf
Religion gehrt oder nur eine - zufllige - orts- und zeitbedingte Er- diese Weise einer sachgemen Begriffsbestimmung von "Wesen" an-
zunhern versuche.
scheinungsweise ist.
In beiden Beispielen ist vorausgesetzt, da nicht alles, was sich in einer
Erscheinung zeigt und damit wahrnehmbar und erkennbar wird deshalb
2.1.2.1 " Wesen" als das
schon zum Wesen dessen gehrt, was sich zeigt. Aber wie ist das :igentlich
Unterscheidende und Unverwechselbare
~glich, wenn doch "Erscheinung" die Art und Weise bezeichnet, wie
Jemand oder etwas "sich uns zeigt"? Mssen dann nicht doch alle Erschei-
Dieses Verstndnis des Wesensbegriffs setzt erneut mit dem Gedanken
nungen Ausdruck des Wesens sein - auch wenn vielleicht nicht alles was
einer Differenz an. Vorausgesetzt wird dabei, da das, was das Wesen
zum Wesen gehrt, in Erscheinung tritt? '
einer Sache ausmacht, dasjenige sein msse, was diese Sache von anderen
Das angedeutete Problem entsteht dadurch, da das Verhltnis von
unter~cheide. Zur Begrndung hierfr knnte man z. B. darauf verweisen,
Wesen und Erscheinung in den bisherigen Aussagen noch nicht genau
da .eme (Real-)Definition das Ziel habe, das Wesen einer begrifflich
genug bestimmt worden ist. Es ist nmlich noch nicht bedacht worden
da die Erscheinungen nicht "an sich" existieren, sondern immer nur al~
b.ezelchneten Sache zu formulieren, und da jede Definition (zugleich)
eme Abgrenzung ("de-finitio") sei. Was unter dieselbe Definition fllt
"Erscheinungen fr jemand". Erscheinungen sind Bilder, Vorstellungen,
kann sich nicht seinem Wesen nach (also "wesentlich") voneinander un~
Modelle, kurz: sie sind Zeichen, durch die etwas reprsentiert, also fr
t~rscheiden, wohl aber unterscheidet es sich (eben dadurch) von dem, was
jemanden vergegenwrtigt wird. Diese Zeichen werden zwar ausgelst,
nIcht unter diese Definition fllt.
gewissermaen angestoen durch das "Objekt", das zur Erscheinung
Das ist im Blick auf das Wesen von Gattungen oder Gattungsbegriffen
kommt, aber die Zeichen sind keine Abbilder, die das "Objekt" im
wohl wahr3, aber bei nherem Zusehen zeigt sich, da diese Bestimmung
Subjekt hinterlt, sondern sie sind gedeutete Wahrnehmungen des er-
kennenden Subjekts. Und in diese Deutungen oder Interpretationen ge-
hen die spezifischen (sprachlichen, lebensgeschichtlichen, kulturellen etc.) 3 Das Wesen von Individuen kann gar nicht definiert werden.
52 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens " Wesen" und "Erscheinung" 53

von "Wesen" irrefhrend und deshalb unangemessen ist. Wre das Wesen oder Unvernderliches geben, da unter geschichtlichen Bedingungen
einer Sache von dem her abiuleiten und zu bestimmen oder auf das zu (wesensmig!) alles dem Wandel unterliege.
begrenzen, was sie vonanderemunterscheidet oder das an ihr unverwech- Was mit diesem Einwand beschrieben wird, ist jedoch - paradoxer-
selbar ist, so liee sich nur inabgrenzender Hinsicht etwas ber das Wesen weise - das unvernderliche Wesen von Geschichtlichkeit, das offenbar
sagen. Aber warum sollte nicht etwas zum Wesen einer Gattung gehren, gerade darin besteht, da alles geschichtlich Gegebene dem Wandel unter-
das diese mit anderen verbindet?4 So wre es doch abwegig, zu behaupten, liegt, sich also verndert. Und gerade dies bleibt sich offenbar gleich, ist
der konstitutive Bezug auf die Offenbarung Gottes gehre deswegen nicht also seinerseits unvernderlich. Insofern besttigt der Einwand wider
zum Wesen des christlichen Glaubens, weil er (auch) zum Wesen des Willen das, wogegen er erhoben wird. Demnach gilt: Das unvernderliche
Judentums oder des Islam gehrt. Wesen der Geschichtlichkeit ist die Vernderung. Und das giltfolglich als
Zwar wird sich zeigen, da das Wesen tatschlich auch das Unver- ein Wesensmerkmal fr alles geschichtlich Existierende, also z. B. auch fr
wechselbare und Unterscheidende einer Sache ist. Aber das ist einlmplikat Personen, Ereignisse und Beziehungen.
des Wesens und nicht dessen Konstituierung. Die Schwche der abgren- Aber der genannte Einwand kann doch eine wichtige Einsicht vermit-
zenden Wesensbestimmung liegt darin, da das Wesen hier nichtvon dem teln: Das Wesen steht nicht auf derselben Ebene wie die (geschichtlichen)
Gemeinten her, sondern nur von seinem Unterschied zu anderem, also Erscheinungen, es wird also niemals selbst zu einer Erscheinung neben
von diesem her erfat wird. Deshalb ist der Versuch, "Wesen" als Unter- anderen. Zwischen Wesen und Erscheinung besteht eine grundlegende (in
scheidendes und Unverwechselbares zu bestimmen, miverstndlich und 2.3.2.1 noch genauer zu bestimmende) Differenz. Und insofern gilt in der
irrefhrend. 5 Tat: Die Erscheinungen wandeln sich unter geschichtlichen Bedingungen;
das Wesen hingegen bleibt sich gleich.
Stellt der Hinweis auf die Geschichtlichkeit keinen stichhaltigen Ein-
2.1.2.2 " Wesen" als das Unvernderliche wand gegen die Bestimmung von "Wesen" als das Unvernderliche und
und stets Gleichbleibende stets Gleichbleibende dar, sondern fhrt nur zu einer differenzierenden
Einsicht, so gibt es einen anderen Einwand, der. ernst zu nehmen ist:
Im Unterschied zu den sich wandelnden Erscheinungsformen scheint Nicht alles, was sich gleichbleibt oder unvernderlich ist, mu deswegen
"Wesen" das zu bezeichnen, was stets gleichbleibt, ja sich gar nicht ndern schon zum Wesen gehren. 6 Unvernderlichkeit und Dauer knnen sich
kann, weil sonst das Gemeinte aufhren wrde, es selbst zu sein. Dagegen auch aus ueren Umstnden ergeben, die nichts mit dem Wesen einer
erhebt sich freilich sofort der eingangs schon angedeutete Einwand, unter Sache oder Person zu tun haben. Das Moment der Dauer reicht fr sich
geschichtlichen Bedingungen knne es gar nichts stets Gleichbleibendes allein also offenbar nicht aus, um zu bestimmen, was mit "Wesen" ge-
meint ist.

4 In der Terminologie der traditionellen Definitipnslehre ("Definitio fit per ge-


nus proximum et differentiam specificam") formuliert: Nicht nur die diffe- 2.1.2.3 " Wesen" als das Unaufgebbare und Unverzichtbare
rentia specifica gehrt zum Wesen, sondern auch das genus proximum. Und
nicht nur das genus proximum, sondern auch die differentia specifica kann Die Begriffe "Unaufgebbares" und "Unverzichtbares" enthalten die
eine Sache mit einer anderen verbinden, die nicht unter diesen Begriff fllt. Wahrheitsmomente der bisher reflektierten Begriffe, vermeiden aber de-
5 Ein klassisches Beispiel fr dieses Miverstndnis liegt in der reformatori- ren Schwchen. Sie bestimmen das Wesen weder von der Differenz noch
schen Ekklesiologie vor. Aus der richtigen Einsicht, da nicht (schon) die von der Kontinuitt, sondern von der Identitt her und scWieen - von
leibliche Gemeinschaft, sondern .(erst) die geistliche Gemeinschaft des Glau-
daher - die Momente der Differenz und Kontinuitt als Implikate ein.
bens die Kirche konstituiert und von anderen Gemeinschaften unterscheidet,
zog Luther terminologisch die Konsequenz, nur die geistliche Gemeinschaft
als "wesentlich" (WA 6,296,39), d. h. zum WeseIlder Kirche gehrig, zu
bezeichnen. Dadurch konnte der irrefhrende Eindruck entstehen, die leibli- 6 So hat z. B. die Konkordienformel mit guten Grnden die Auffassung vertre-
che Gemeinschaft (ihr Aufbau, ihre Pflege etc.) gehre nicht zum Wesen der ten, da die Erbsnde dem Menschen lebenslang anhnge, aber gleichwohl
Kirche. S. dazu u. 14.3.1. nicht zum Wesen des Menschen gehre (Fe I).
54 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 55

Aber auch gegen diese Begriffsbestimmung scheint ein Einwand mg- christlichen Glaubens so genau wie mglich zu erfassen und darzustel-
lich zu sein: Kann nicht grundstzlich alles aufgegeben, also auf alles len, um es vor drohenden Deformationen, also vor Identittsverlust zu
verzichtet werden? Gibt es also im strengen Sinn berhaupt etwas bewahren.
Unaufgebbares oder Unverzichtbares?
Nun ist es generell richtig, da:man bei der Deutung einer Wahrneh-
mung alles aufgeben kann, aber man kann - jedenfalls in einem Kom- 2.2 Glaube
munikationszusammenhang - nichtBeliebiges folgenlos aufgeben. Es gibt
Elemente, deren Preisgabe bei gleichzeitiger Anerkennung allgemeiner Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war es -wie oben (2.1) angedeutet-
Kommunikationsbedingungen zugleich die Identitt des Gemeinten preis- blich, vom "Wesen des Christentums" oder vom "Wesen der christli-
gibt, und andere, bei denen das nicht der Fall ist. So knnten wir nach den chen Religion" zu sprechen, wenn man dasjenige zu bestimmen suchte,
Regeln der deutschen Sprache z. B. etwas, das keine Bltter hat, unter was die Identitt des Christlichen ausmacht. Es drfte vor allem eine
Umstnden als "Baum" bezeichnen; aber etwas, das keinen Stamm hat, Wirkung der Dialektischen Theologie (vielleicht auch wichtiger form-
knnten wir nicht (mehr) als "Baum" bezeichnen, sondern (vielleicht) als geschichtlicher Einsichten) gewesen sein, da dieser Sprachgebrauch fast
eine "Ansammlung von Zweigen". Das Unaufgebbare oder Unverzicht- vollstndig verschwunden ist und durch die Formel "Wesen des christli-
bare ist also dasjenige, was die Identitt einer Sache oder Person aus- chen Glaubens" ersetzt wurde.
macht. Das "kann" man nur so aufgeben, da man damit entweder diese Diese terminologische Vernderung ist insofern von sachlicher Bedeu-
Sache oder die personale Identitt preisgibt oder - implizit - die Teilnah- tung, als damit das Spezifische des Christlichen anhand einer Formel zum
me an dem Kommunikationszusammenhang aufkndigt. Ausdruck gebracht wird, die nicht automatisch eine Vergleichba~keit mit
Demzufolge bezeichnet der Begriff "Wesen" im Kontext eines Kom- anderen Religionen voraussetzt oder ermglicht. Whrend "Christen-
munikationszusammenhanges den Inbegriff derjenigen Merkmale, die die tum" terminologisch ohne weiteres vergleichbar ist mit "Judentum"; "Is-
Identitt einer Person oder einer Sache ausmachen, durch die sie also als lam", "Buddhismus", "Hinduismus" etc., ist im Blick auf die Formel.
sie selbst ausgezeichnet ist, durch die sie sich deshalb von anderem unter- "christlicher Glaube" erst noch zu fragen, ob das Wesentliche anderer
scheidet, und die ihr deshalb unvernderlich zukommen. Bestimmt man Religionen nach deren Selbstverstndnis berhaupt im Begriff "Glaube"
so "Wesen" als "Identitt", dann ermglicht dieser Begriff drei wichtige zum Ausdruck kommt oder dort gesucht werden darf. Sind Islam, Bud-
Differenzierungen: dhismus, Hinduismus etc. ihrem Selbstverstndnis nach "Glaubens-
- die Differenzierung zwischen dem Wesen des einen und dem Wesen weisen", wie M. Buber dies im Blick auf Judentum und Christentum
des anderen (also z. B. zwischen dem Wesen des christlichen Glaubens formuliert hat??
und dem des Islam); Mit der Rede vom Wesen des christlichen Glaubens ist jedenfalls
- die Differenzierung zwischen dem Wesen und den vielfltigenErschei- implizit die Behauptung verbunden, die Identitt des Christlichen lasse
nungsformen (also z. B. zwischen dem Wesen des christlichen Glau- sich mit Hilfe und anhand des Begriffs "Glaube" bestimmen. Was aber ist
bens und den konfessionellen Kirchen); unter "Glaube" bzw. "glauben" zu verstehen?
- die Differenzierung zwischen dem Wesen und den wesenswidrigen
Deformationen (also z. B. zwischen dem Wesen des christlichen Glau-
bens und Folterungen oder Hinrichtungen im Namen des christlichen 2.2.1 Zur Klrung des Glaubensbegriffs
Glaubens).
Vom "Glauben" (als Substantiv und weit mehr noch als Verb) ist in der
Erst in dieser dritten Differenzierung, durch die das Wesen vom Un- deutschen Umgangssprache in vielfltigen Zusammenhngen und Wen-
wesen unterschieden wird, kommt die Bedeutung der Frage nach dem dungen die Rede. Als die wichtigsten sprachlichen Formen, in denen
Wesen des christlichen Glaubens voll zum Ausdruck. Versteht sich Theo- "glauben" vorkommt, knnen folgende vier gelten:
logie als Funktion des Glaubens und hat ihm gegenber nicht nur ein
Erkenntnis-, sondern auch ein Erhaltungsinteresse (s. o. 1.2.1), so ist es
eine ihrer unaufgebbaren (also wesentlichen) Aufgaben, das Wesen des 7 Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, 1950.
56 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 57

glauben, da etwas ist oder sein wird ("ich glaube, da ... "); besonders wichtig und sollen im folgenden interpretiert werden: Glaube
etwas glauben ("das glaubeich"); ist ein Vertrauen, das unbedingt ist und sich auf ein bestimmtes Gegen-
jemandem glauben ("ich glaube dir"); ber richtet.
an etwas oder an jemand glauben ("ich glaube an ... ").
Diese unterschiedlichen Formuli~rungen knnen sich schlielich noch auf
ganz unterschiedliche Sachverhalte, wie z. B. Aussagen, Ereignisse, Ideale
2.2.1.1 Glaube als Vertrauen
oder Personen bezieh~n. Die Bedeutungsflle erscheint geradezu als ufer-
"Vertrauen" (oder synonym: "Sich-Verlassen") auf jemand oder etwas
los und sie schliet eine erhebliche Spannweite ein. Bei genauerem Zuse-
he~ zeigt sich jedoch, da es zwei yrundbedeutungen gibt, aus denen sich gehrt zu den fr das gemeinschaftliche und individuelle Leben unver-
zichtbaren Begriffen (mit einer groen emotionalen und ethischen Bedeu-
die anderen Bedeutungen ableiten lassen: "Glaube" wird entweder ver-
tung), die wir in der Regel ohne besondere Schwierigkeiten gebrauchen
standen als. eine defizitre. Erkenntnisbeziehung im Sinne subjektiven
und verstehen knnen. Die Sicherheit im Umgang mit diesen Begriffen
berzeugtseins oderVermutens, das aber objektiv unzureichend ist, weil
zeigt sich darin, da es uns nicht schwerfllt, Beispiele fr Vertrauen zu
es ohne hinreichende Grnde zustande kommt 8, oder als unbedingtes
nennen. Hingegen bereitet es in der Regel Mhe, begrifflich zu bestim-
Vertrauen, d. h. als der Akt, durch den ein Mensch sich einem Gegenber
men, was mit "Vertrauen" eigentlich genau gemeint sei.
anvertraut (s.u. 2.2.1.1).
Einen brauchbaren Zugang zur Begriffsbestimmung liefert die Beob-
Bei dem Versuch, beide Bedeutungen miteinander zu verbinden oder
achtung, da es sich bei"Vertrauen" offensichtlich um einenRelationsbe-
zu vermitteln, zeigt sich, da es keinen schlssigen Weg vom Glauben
griff handelt. "Ich vertraue" ist keine vollstndige Aussage. Es fehlt das
als Nichtwissen zum Glauben als unbedingtem Vertrauen gibt, weil
"wem" oder "worauf". Dagegen sind die Aussagen: "Ich vertraue dir"
nicht einzusehen ist, wieso dasjenige, vorl dem wir nur unzureichendes
oder "Ich vertraue auf die Zukunft" vollstndig und verstndlich. Es
Wissen haben, zum Gegenstand unbedingten Vertrauens werden .sollte.
scheint sich also beim Begriff "Vertrauen" um einenzweistelligen Relati-
Wohl aber gibt es umgekehrt einen schlssigen Weg vom unbedmgten
onsbegriff zu handeln, der die Struktur hat: "x vertraut (auf) y". Bei dem
Vertrauen zum Nichtwissen, weil sehr wohl einzusehen ist, da der
synonymen Begriff "Sich-Verlassen" scheint diese Zweistelligkeit gerade-
Adressat unbedingten Vertrauens jenseits dessen stehen knnte, was
zu rumlich sichtbar zu werden. Nimmt man ihn in seinem bildhaft-
menschlicher Erkenntnis und darum menschlichem Wissen zugnglich
wrtlichen Sinn, dann besagt er, da jemand sich von sich selbst weg-und
ist. 9
sich auf jemand oder etwas anderes hinbewegt, ja sich an andere(s) hin-
Der Ansatzpunkt beim Glauben als unbedingtem Vertrauen verdient
gibt. Ganz hnlich, sogar noch bildkrftiger, kommt dies in der Formel
aber nicht nur wegen dieser sprachlichen Beobachtungen den Vorzug.
"Sein-Herz-an-etwas-Hngen" zum Ausdruck. Gerade diese bildhaften
Ausschlaggebend ist vielmehr, da nur der Glaubensbegriff in dieser
Formulierungen weisen jedoch darauf hin, da die Struktur von"Vertrau-
Bedeutung als christlicher Zentralbegriff in Frage kommt. " Glaube "
en" offensichtlich komplexer ist, als dies bislang sichtbar wurde. lo
bezeichnet nach christlichem Verstndnis das grundlegende, daseinsbe-
Es handelt sich nicht nur - .explizit - um eine zweistellige externe
stimmende Vertrauen oder Sich- Verlassen eines Menschen aufein Gegen-
Relation, die mit Begriffen wie "Sich-Anvertrauen", "Sich-Hingeben"
ber, von dem man mit Luther (BSLK 560,22 ft) sagen kann: Dasjenige,
oder "Sich-Ausliefern" bezeichnet werden kann, sondern zugleich - im-
worauf ein Mensch sich so verlt, ist sein Gott (oder sein hchstes Gut
plizit - um eine reflexive Relation, also um eine Beziehung des Vertrau-
oder die fr ihn absolute Autoritt). Drei Bestandteile dieser Formel sind
enden zu sich selbst. Nicht schon die Auslieferung oder Hingabe an ein
Gegenber ist Vertrauen (sie kI1.I1.te gegen die innere Einstellung eines
8 So I. Kant, Werke (Akademie-Ausgabe), Bd. IX, S. 67.
9 Sprachgeschichtlich wird dieser Befund im brigen besttigt durch die Tatsa-
che, da "glauben" ursprnglich religise Bedeutung hatte oder bedeutete 10 Schon die bisherigen Aussagen ber "Vertrauen", aber auch das folgende
"jemandem vertrauen, sich auf jemand verlassen". Die Bedeutung "meinen, zeigt, da Glaube (als Vertrauen) strukturell und inhaltlich mit Liebe und
vermuten" entstand erst sekundr durch Abschleifung (s. Grimm, J. u. W., Hoffnung nahe verwandt ist. Die Trias von I Kor 13,13 erweist sich auch von
Deutsches Wrterbuch, 4. Bd., 1. Abt., 4. Teil, Leipzig 1949, Sp. 7821f.). daher als gut begrndet.
58 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 59

Menschen oder aus ganz anderen Grnden als denen des Vertrauens, z. B. sen indirekt (erneut) darauf hin, da Vertrauen verschiedene Hinsichten
aus Berechnung, erfolgt sein), sondern "Vertrauen" meint in der Regel ein haben kann. Das Vertrauen zu einem Sessellift, einem Blindenhund, einer
spezifisches Bestimmtwerden durch ein Gegenber, aufgrund dessen ein Anlageberaterin oder einem Seelsorger unterscheidet sich in der Regel
Mensch sich auf dieses Gegenber ausrichtet und sich ihm hingibt. Erst qualitativ voneinander. Das hngt nicht nur daran, da das Vertrauen in
dieses Bestimmtwerden lst Handlungen des Vertrauens aus, z. B. das diesen vier Fllen unterschiedliche Adressaten hat, sondern auch daran,
Anvertrauen eines Geheimnisses oder der eigenen Gesundheit oder des da es sich auf verschiedene Aspekte des Daseins bezieht.
Lebens an einen anderen, oder es schafft die Disposition fr solche Hand- Als "grundlegend", "daseinsbestimmend" und darum als unbedingt
lungen. Noch genauer gesagt: Erst das Sich-bestimmen-Lassen durch ein kann ein Vertrauen nur bezeichnet werden, wenn es sich nicht blo auf
Gegenber zur Hingabe hat den Charakter des Vertrauens; denn das einzelne Elemente, bestimmte Hinsichten oder Erwartungen bezieht, son-
spezifische Bestimmtwerden des Vertrauens kommt weder durch Nti- dern auf das, was "ber Sein oder Nichtsein entscheidet".13 Dabei wre
gung noch durch Zwang zustande. Vertrauen kann man nur schenken, es zu kurz gegriffen, "Sein oder Nichtsein" einfach mit "Leben oder Tod"
und d. h. zugleich: Man kann sich weigern, sich so von einem Gegenber gleichzusetzen. "Sein oder Nichtsein" bezeichnet in diesem Zusammen-
bestimmen zu lassen, da Akte des Vertrauens zustande kommen. Von hang vielmehr eine Leitdifferenz, die ihrerseits auf Leben und Tod anzu
daher kann man sagen: "Vertrauen" heit, sich in seinem Handeln und in wenden ist, so da sowohl das Leben als Nichtsein als auch der Tod als
seinen Handlungsdispositionen von einem Gegenber zur Hingabe an Sein erfahren und gedeutet werden knnen. 14 Andere Begriffspaare, die
dieses Gegenber bestimmen zu lassen. diese letztgltige Alternative bezeichnen, sind z. B. "Sinn oder Sinnlosig-.
Aber diese Definition ist noch zu ungenau, weil sie zu formal ist. Sie keit", "Gelingen oder Scheitern", "Erfllung oder Leere" . Vorausgesetzt
knnte unter Umstnden auch gelten fr Begriffe wie "Furcht" oder ist in jedem Fall, da es fr das menschliche Leben ein Ziel oder eine
"Angst". Es fehlt offensichtlich noch das positive Moment, das den Be- Bestimmung gibt, die erreicht oder verfehlt werden knnen. Die Rede von
griff "Vertrauen" auszeichnet und von negativen Haltungen unterschei- einem grundlegenden, daseinsbestimmenden, unbedingten Vertrauen hat
det. l l Das positive Element im Vertrauen besteht darin, da ein Mensch, nur Sinn, wenn dieses Vertrauen sich auf dasjenige richtet, von dem das
der vertraut, sich an ein Gegenber hingibt und ausliefert in der Hoff- Erreichen oder Verfehlen der menschlichen Bestimmung (und in diesem
nung, da ihm Gutes zuteil wird. Das mu nicht immer Angenehmes oder Sinn also: die Entscheidung ber Sein oder Nichtsein) abhngt. Der christ-
Lustvolles sein, wohl aber etwas, das dem Wohl oder Heil des Menschen liche Glaube will verstanden sein als das unbedingte Vertrauen, das von
dient. seinem Gegenber alles Gute, d. h. alles Lebens- und Heilsnotwendige
Von daher lt sich nun przisieren: "Vertrauen" meint das Sich- erhofft und empfngt, also "Leben in Flle".
bestimmen-Lassen eines Menschen zur Hingabe an ein Gegenber in der Unbedingt ist der christliche Glaube insofern, als er sich auf das
Hoffnung auf GutesY richtet, was ber Sein oder Nichtsein entscheidet und darum nicht ab-
hngt von bestimmten Bedingungen, die sich erst aus speziellen Gestal-
tungsmglichkeiten und -erwartungen des Lebens ergeben. Unbedingt
2.2.1.2 Die Unbedingtheit des Glaubens wird der christliche Glaube also nicht erst dadurch, da er das Dasein
eines Menschen vollkommen bestimmt, Die Frage, in welchem Ma und
In der ersten Definition am Beginn von Abschn. 2.2.1 wurde (christli- in welcher Intensitt der Glaube faktisch das Leben und Handeln eines
cher) Glaube als grundlegendes, daseinsbestimmendes Vertrauen bezeich- Menschen bestimmt, ist zwar keineswegs unwesentlich, aber sie ist nicht
net. Die beiden Adjektive "grundlegend" und "daseinsbestimmend" wei- mit der Charakterisierung des Glaubens als unbedingtes (grundlegendes,
daseinsbestimmendes) Vertrauen zu verwechseln oder zu vermischen. In
11 Ein gewisser Unterschied liegt allerdings bereits in dem Sich-bestimmen- der Bibel ist z. B. die Rede von einem vom Unglauben angefochtenen
Lassen, weil Furcht oder Angst den Charakter des Zwanges haben, auf den ein
Mensch sich einlt oder dem er sich unterwirft, weil er nicht anders kann.
12 Diese Definition lt sich brigens auch auf den besonderen Fall des Selbst- 13 So Tillich, STh I, S. 21.
vertrauens anwenden, in dem das Selbst des Vertrauenden dasjenige "Gegen- 14 Hierfr steht exemplarisch das Jesus-Logion aus Mk 8,35 parr.: "Wer sein
ber" ist, an das ein Mensch sich hingibt, weil er Gutes von ihm, also von sich Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um
selbst erhofft. meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten."
60 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 61

Glauben (Mk 9,24), von kleinem Glauben oder Kleinglubigen (Mt 6,30; das Gegenber sei gar nicht in der Lage, das Vertrauen zu rechtfertigen,
8,26; 17,20; Lk 12,28; 17,6) sowie vom Wachsen im Glauben (II Kor kann Glaube nicht gedeihen. Dies zu verkennen, ist der entscheidende
10,15; II Thess 1,3), aber in all diesen Fllen handelt es sich gleichwohl Fehler aller Theorien, die den Wahrheitsanspruch der Religion fr erle-
um unbedingten Glauben, weil er sich auf die Macht richtet, von der es digt halten, aber gleichwohl am Glauben als ntzlicher (sei es trstlicher,
abhngt; ob die Bestimmung des menschlichen Lebens erreicht oder ver- sei es motivierender) Illusion festhalten wollen.
fehlt wird. Das, worauf ein Mensch sein unbedingtes Vertrauen richtet, ist sein
Gott. Die Frage ist jedoch, welcher "Gott" ist in der Lage, das in ihn
gesetzte (oder: zusetzende) unbedingte Vertrauen zu rechtfertigen? Lu"
2.2.1.3 Das Gegenber des Glaubens ther prft im Groen Katechismus unter diesem Gesichtspunkt die - da-
mals wie heute - wichtigsten "Gtter": Geld, Wissen, Macht, Einflu,
Wenn Glaube zu verstehen ist als Akt unbedingten Vertrauens, dann setzt Ehre, Heilige und gute Werke (BSLK 561-565), und kommt zu dem
dies voraus, da der Glaubende das, worauf er vertraut, fr verllich, Ergebnis, da keiner von ihnen unbedingtes Vertrauen verdient; denn
wahr, gltig, also fr vertrauenswrdig hlt. D. h., Glaube mu sich auf keiner von ihnen kann ber Sein und Nichtsein entscheiden bzw. dem
etwas beziehen, das als glaubwrdig erkannt ist oder zumindest mit Grn- Menschen das Heil gewhren. Sie versagen also alle. Gleichwohl gibt es
den vermutet wird. Glaube ist insofern Ausdruck einer Lebensbewegung, den Glauben, richtiger den Aberglauben an solche Gtter bzw. Gtzen. 15
in der ein Mensch nach dem sucht, was verllich ist und worauf er darum Dieser Aberglaube ist der (in sich widersprchliche) Versuch, sich auf
sein Vertrauen richten kann (vgl. dazu u. 14.3.1.1). Dieser kognitive etwas Irdisches mit dem unbedingten Vertrauen zu richten, als wre es
Aspekt von Glauben schliet sogar, wie schon die altprotestantische Gott und knnte deshalb ber Sein oder Nichtsein entscheiden. Dieser
Theologie erkannt hat, zwei Elemente ein: einerseits die Kenntnis (notitia) Versuch ist wegen seiner inneren Widersprchlichkeit letztendlich zum
des Gegenbers, dem das Vertrauen gilt; andererseits die Anerkennung Scheitern verurteilt.
(assensus) des Gegenbers als vertrauenswrdig. Zwar sind Kenntnis und Das Scheitern des Aberglaubens fhrt freilich nicht automatisch zum
Anerkennung weder je fr sich noch zusammen identisch mit dem Glau- Glauben an Gott (zurck), sondern es kann auch die resignative oder
ben im Sinne des Vertrauens (fiducia), auch folgt das Vertrauen keines- nihilistische Konsequenz nach sich ziehen, auf jedes unbedingte Vertrauen
wegs notwendig aus der Kenntnis und Anerkennung, wohl aber impliziert zu verzichten. Der Streit zwischen Glauben und Aberglauben wird dar-
der Glaube als Vertrauen (bewut oder unbewut) immer sowohl ein ber gefhrt, auf wen oder was sich das unbedingte Vertrauen eines
Element der Kenntnis als auch der Anerkennung. Menschen richtet. Die Auseinandersetzung zwischen Glauben und Un-
Die Anerkennung (assensus) ist ein Element im Glaubensakt, das glauben geht dagegen um die Frage, ob es berhaupt Sinn hat, auf etwas
nicht primr vom Willen oder Entschlu des Glaubenden abhngt. Des- oder jemanden sein unbedingtes Vertrauen zu setzen, und was es fr das
halb kann es irrefhrend und gefhrlich sein, Menschen zum "Glauben" Leben eines Menschen bedeutet, wenn in ihm solches Vertrauen (k)einen
im Sinne eines "Fr-wahr-Haltens" aufzufordern. Ob eine Person etwas Platz (mehr) hat.
fr wahr halten, also als glaubwrdig anerkennen kann, hngt zualler-
erst davon ab, wie sich das Gegenber ihr erschlossen hat und immer
wieder erschliet. Dabei gibt es nicht nur die Mglichkeit, durch eigene 2.2.2 Die Angefochtenheit des Glaubens
Erfahrung die Gewiheit von der Vertrauenswrdigkeit zu gewinnen,
sondern auch ein indirektes Sich-Erschlieen, bei dem andere Menschen Die berlegungen am Ende des vorigen Abschnitts haben bereits gezeigt,
in der Funktion als Glaubenszeugen eine entscheidende Rolle spielen. da der Glaube weder eine selbstverstndliche noch eine unumstrittene
Eine dauerhaft tragfhige Basis ist aber nur in dem Mae gegeben, in Gre ist. Glaube ist ungesichert, begleitet vom Zweifel, in Frage gestellt,
dem sich eigene Gewiheit einstellt. Fehlt sie, kann kein fundierter Glau- kurz: Glaube ist angefochten. Das resultiert aus seinem Wesen als Ver-
be entstehen, sondern u.V. nur das verzweifelte Bemhen des Glauben- trauen (a), aus seinem Angewiesenseinauf Gewiheit (b) und aus seiner
WaUens oder gar die zwanghafte Forderung des Glauben-SoUens, das die Ausrichtung auf Gott (c).
(schmerzliche) Realitt des Nicht-glauben-Knnens in ihrer ganzen Hr-
te bewutmacht. Wo der Verdacht aufkommt und zur Gewiheit wird, 15 BSLK 560,15 ff. u. 564,16 ff. sowie TiIlich, STh I, S. 247.
62 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 63

a) Durch den Begriff "Glauben" als christlichen Zentralbegriff wird Mensch mit seinem ganzen Dasein angreifbar und verwundbar wird. Aber
deutlich, da das spezifisch Christliche nicht in einem Haben oder Sein des dazu gibt es keine Alternative; denn in der Beziehung zu Gott und in der
Menschen besteht, sondern den Charakter einer suchenden Bewegung personalen Beziehung zum Mitmenschen wrde das Streben nach Sicher-
(von sich weg) zu einem anderen hin hat. In diesem Aus-sieh-heraus- heit jede echte Begegnung verhindern. 16 Glaube, der auf Gewiheit grn-
Gehen, Sich-Verlassen und Sein-Herz-an-etwas-Hngen liegt das Risiko det, ist angefochtener Glaube.
der Enttuschung. Wer (unbedingt) vertraut, lebt nicht aus dem, was er c) Glaube als unbedingtes Vertrauen richtet sich auf (einen) Gott. Das
besitzt oder sich selber geben und beschaffen kann, sondern erhofft sein ist nur mglich, wenn und weil (dieser) Gott sich dem Menschen in
Leben von auerhalb (ab extra). Aber er hat nicht die Garantie oder irgendeiner Weise erschlossen hat. Der christliche Glaube hat sein Funda-
Gewhr dafr, da dieses Vertrauen Erfllung findet. Es kann enttuscht ment in der Erkenntnis, da Gott sich in der Schwachheit, Schande und
werden, z. B. weil es sich auf das falsche Gegenber richtet oder weil es Torheit des Kreuzes Christi erschlossen hat (I Kor 1,18-2,16). D. h. nicht
sich mit falschen Erwartungen verbindet, oder weil es festgelegt ist auf nur, da Gott sich an einem Ort und in einer Gestalt zeigt, wo keine
eine bestimmte Art oder einen bestimmten Zeitpunkt der Erfllung. Im menschliche Fantasie oder Spekulation die Selbsterschlieung Gottes er-
Vertrauen wagt ein Mensch sich ber das, was er hat, was er sieht und was warten wrde (s. dazu u. 3.2.2.1); sondern es heit auch, da Gott sich
er beweisen kann, hinaus in einen Bereich des nicht Verfgbaren. Nur so in einer Rtselhaftigkeit zeigt, die als ein Widerspruch zu seiner Allmacht
ist es mglich, die Grenzen des bekannten Lebens und der verfgbaren und seiner Liebe wirken mu. Oftmals erscheint Gott den Glaubenden als
Welt zu berschreiten und sich fr noch Ausstehendes zu ffnen. Aber ein in sich zerrissener, widersprchlicher, unzuverlssiger Gott, der ihr
diese Suche und dieses Wagnis begegnen eigenen und fremden Zweifeln Vertrauen auf eine harte Probe stellt. Insbesondere im Blick auf die Grau"
und Widerstnden. Glaube ist als Vertrauen angefochtener Glaube. samkeiten der Weltgeschichte und die verzweifelten Abgrnde individu-
b) Im vorigen Abschnitt (2.2.1.3) war bereits die Rede von Luthers eller Schicksale mu sich immer wieder die Frage stellen, ob es berhaupt
Unterscheidung zwischen falschem und rechtem Vertrauen. Danach ist mglich ist, Gott unbedingt zu vertrauen, also (s. o. 2.2.1.1 u. 2.2.1.2)
das falsche Vertrauen (das sich auf einen "Abgott" richtet) gekennzeichnet von ihm alles Gute und die Erfllung der Bestimmung des Lebens zu
durch das Schwanken zwischen Sicherheit und Verzweiflung, der rechte erhoffen. Weil der Glaube auf Gott, wie er sich in der Welt erschliet,
Glaube jedoch durch die ihm zugrundeliegende "Zuversicht des Herzens" ausgerichtet ist, darum ist er angefochtener Glaube.
(BSLK 560,32 u. 561,9-46), die sich nicht beirren lt. Diese Zuversicht
oder Gewiheit (certitudo) steht demnach nicht nur im Gegensatz zur
Verzweiflung (desperatio), sondern auch zur Sicherheit (securitas). Diese a) - c) Fazit
Entgegensetzung widerstrebt freilich unserem Denken und Sprachgefhl,
in denen "Sicherheit" und "Gewiheit" (oder "sicher" und "gewi") hu- Diese dreifache Angefochtenheit kann der christliche Glaube (als auf
fig als austauschbare Begriffe verstanden oder empfunden werden. Inwie- Gewiheit gegrndetes unbedingtes Vertrauen zu Gott) nicht abschtteln,
fern bezeichnen diese beiden Begriffe tatschlich etwas Gegenstzliches? sondern mu sie als seine verletzliche Wirklichkeit bernehmenY Die in
Insofern, als "Sicherheit" den (freilich blo relativ erreichbaren) Zustand diesen Anfechtungen enthaltenen Fragen sind zwar nicht die einzigen,
bezeichnet, in dem ein Mensch eine Situation so beherrscht und bestimmt, wohl aber die gravierendsten Grnde dafr, da der Glaube zu seiner
da er unverwundbar ist. Gerade das gilt fr Gewiheit nicht. Die Zuver- eigenen Klrung der theologischen Reflexion bedarf. Von diesen Fragen
sicht oder das berzeugtsein von einer Einsicht oder von einem Gefhl, die hat darum auch eine Dogmatik explizit und implizit zu handeln, wenn sie
man als "Gewiheit" bezeichnet, ist kein Beherrschen und Bestimmen, dem christlichen Glauben dienen will.
sondern viel eher ein Beherrscht- und Bestimmtwerden, dem ein Mensch
wehrlos ausgesetzt ist, und schliet deshalb Verletzbarkeit gerade nicht
16 Das Streben nach einem Hchstma an Sicherheit kann jedoch in den Bezie-
aus. Denn Gewiheit basiert nicht auf Beweisen, sondern auf Erfahrung, hungen zu Dingen und in den sachlichen Beziehungen zwischen Menschen
die jede Person nur fr sich machen, die sie aber anderen nicht an- legitim, ja ethisch geboten sein.
demonstrieren kann. Deshalb ist Gewiheit anfechtbar, ohne da dem, der 17 Das kommt auf beeindruckende Weise in dem K. Rahner zugeschriebenen
sie hat, Verteidigungswaffen zur Verfgung stnden. Der Glaube - als auf Diktum zum Ausdruck: "Glauben heit, die Unbegreiflichkeit Gottes ein
Gewiheit gegrndetes unbedingtes Vertrauen - impliziert sogar, da ein Leben lang aushalten."
64 Die Frage nach demWesen des Glaubens Glaube 65

2.2.3 Glaube als Lebensbewegung In der Lebensbewegung des Glaubens mu demzufolge die Tatsache
zur Geltung kommen, da das, was ber Scheitern oder Gelingen der
Wenn der Glaube den Charakter eines Vertrauens hat, durch das das Da- Existenz der Glaubenden entscheidet, ihnen von auerhalb ihrer selbst,
sein eines Menschen in grundlegender Hinsicht bestimmt wird, dann er- genauer: von Gott als dem Gegenber ihres unbedingten Vertrauens her
weist sich ein Glaubensbegriff als defizitr, der unter "Glauben" ein Ver- zukommt und zuteil wird. Deshalb kann es nicht anders sein, als da die
trauen versteht, das nicht als solches verbunden wre mit dem Tun und Ausrichtung auf Gott, das Hren und Empfangen, wie es exemplarisch
Lassen, also mit dem Lebensvollzug eines Menschen, so da erst noch zu im Gottesdienst und im Lesen der Bibel geschieht, einen Ort im Leben
fragen wre, ob aus demGlauben bestimmte, dem Glauben entsprechende hat und ein prgendes Element in der Lebensbewegung des Glaubens
Taten bzw. Werke folgen. 18 Daseinsbestimmendes Vertrauen drckt sich bildet. Das gilt ebenso fr die einzelnen wie fr die Gemeinschaft der
per definitionem in den symbolisierenden (also deutenden) und in den ge- Glaubenden.
staltenden (also verndernden) Handlungen und Verhaltensweisen eines Ein damit eng zusammenhngendes weiteres Element, das fr den
Menschen aus, andernfalls bestimmt es nicht das Dasein dieses Menschen. Glauben als Lebensgestalt charakteristisch ist, ist das Gebet, sei es als
D. h. nicht, da aus ethisch berzeugenden Handlungen auf den wahren persnliches Gebet (oder auch nur als Stoseufzer) von einzelnen oder als
Glauben geschlossen werden knnte, wohl aber erweist sich daseins- liturgisches Gebet der Gemeinde. In den Grundformen der Klage, Bitte
bestimmendes Vertrauen erst dadurch als wirklich, da es wie das Fhlen, und Frbitte, des Dankes und Lobes bringt der betende Mensch alles, was
Denken und Wollen so auch das Handeln eines Menschen bestimmt. Es ihn bewegt, vor Gott und spricht es vor ihm aus. Zugleich ffnet der
hat den Charakter einer Handlungs- und Verhaltensdisposition, die sich Mensch sich im Gebet, um von Gott zu erbitten und zu empfangen, was
jeweils angesichts konkreter Entscheidungssituationen in bestimmter Wei- er fr sein Leben braucht und sich nicht selbst geben kann (s. dazu u.
se aktualisiert. Ob ein Mensch glaubt, woran er glaubt und was er glaubt, 8.3.5). Glaubende Existenz ist betende Existenz; denn: "Fromm sein und
erweist sich letztlich daran, wie er sich tatschlich verhlt (bzw. wie er sich beten, das ist eigentlich eins und dasselbige" .19
in einer gegebenen Situation verhalten wrde). Das Fragmentarische und Ferner gehrt auch die gedankliche Durchdringung des christlichen
Gebrochene der christlichen Existenz besteht demnach nicht in einer man- Glaubens zu den Elementen, in denen die Lebensbewegung des Glaubens
gelhaften" Umsetzung des Glaubens in die Praxis", sondern in dem man- zum Ausdruck kommt. Damit der Glaube das ganze Dasein eines Men-
gelnden, blo bruchstckhaften Vertrauen auf Gott. schen erfassen und durchdringen kann, ist es notwendig, da auch das
Was lt sich inhaltlich ber die Lebensbewegung sagen, in der der menschliche Denken (samt allen Fragen, Zweifeln und Einwnden) nicht
Glaube Gestalt annimmt? ausgeklammert, sondern einbezogen wird. Das geschieht normalerweise
Aus den bisherigen berlegungen zum Glauben als daseinsbestim- in Gestalt einer sog. Laientheologie, die auch schon bei Kindern in be-
mendes Vertrauen folgt, da die Lebensbewegung des Glaubens geprgt merkenswerten Anstzen ausgebildet sein kann. Im besonderen Fall des
ist durch eine Gewiheit, die die Angst vor Enttuschung und eigenem akademischen Studiums nimmt die gedankliche Durchdringung die Ge-
Versagen nicht ausklammert, sondern in "getroster Verzweiflung" (M. stalt einer wissenschaftlichen Theologie an, die den Glauben in tiefe
Luther) in das Vertrauen auf Gott hineinnimmt. Glaubende sind dessen Krisen fhren kann und jedenfalls immer eine existentielle Dimension
gewi, da die Entscheidung ber das Scheitern oder Gelingen ihrer Exi- hat.
stenz letztlich nicht von ihren eigenen Anstrengungen und Bemhungen Schlielich ist es fr den Glauben als Lebensbewegung charakteri-
abhngt, sondern von dem, was ihnen von Gott her zugedacht ist und stisch, da Glaubende sich in ihrem Tun und Lassen in den Gesamtzu-
zuteil wird. Das nimmt dem eigenen Handeln nicht seine Wichtigkeit, sammenhang aller Menschen, ja aller Geschpfe hineingestellt und darin
wohl aber seine Verbissenheit und befhigt zu der Leichtigkeit und Gelas- zur Dankbarkeit und Verantwort~ng gerufen wissen. Sie erkennen, da
senheit, ja zu dem Humor des Glaubens, der seine Echtheit gerade in der daseinsbestimmende Charaktefdes Glaubens sich nicht blo auf das
schwierigen, "ausweglosen" Lebenssituationen erweist. Dasein der Glaubenden selbst bezieht, sondern auf schlechthin alles
Daseiende. Das resultiert aus der Gewiheit des Glaubens, da auch fr
18 Vgl. dazu die vom Glaubensbegriff her defizitre Auseinandersetzung des alle anderen Geschpfe das Wohl und Heil von Gott zu erwarten und zu
]akobusbriefs mit einer inhaltlich miverstandenen Interpretation der pauli-
nischen Aussagen zum Glauben (Jak 2,14-26). 19 F. Schleiermacher, Kleine Schriften und Predigten, Bd. I, 1970, S. 167.
66 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Glaube 67

erhoffen ist. Diese Erkenntnis ordnet die Mitgeschpfe ein in die Gesamt- zum Glauben zugrunde liegen mu, das nicht vom Subjekt des Glaubens
heit der Mittel und Gaben, die den Glaubenden zum Erlangen der Bestim- ausgeht, sondern vom Gegenber des Glaubens? Der Glaube selber schafft
mungihres Lebens helfen sollen, und zugleich wird fr sie das Dasein der nicht die Tatsache des Bestimmtwerdens, sondern der Glaubende nimmt
anderen Geschpfe zur Aufgabe, ihnen zur Erlangung ihrer Bestimmung es wahr und lt es fr sich gelten. D. h. aber: Er bezieht sich auf ein
zu helfen. Bestimmt-Werden und auf ein Sich-bestimmt-Wissen, das jedem Willens-
akt als Ermglichungsgrund schon vorgegeben ist und insofern nicht von
ihm abhngt.
2.2.4 Anthropologische Ortsbestimmung des Glaubens

Wenn Glaube die daseinsbestimmende Bedeutung fr den Menschen hat, 2.2.4.2 Glaube und Vernunft
die sich im vorigen Abschnitt zeigte, so stellt sich die Frage, wie solcher
unbedingter Glaube anthropologisch zuverorten ist. Setzt man die Drei- Fr die Annahme, da die Vernunft das Zentrum der menschlichen Per-
teilung der Seelenvermgen in Wille, Vernunft und GefhPo voraus, so ist son und damit der Ort unbedingten Glaubens sei, spricht, da Glaube ein
zu fragen, ob und wie der Glaube im Sinne des unbedingten Vertrauens Geschehen ist, in dem der Mensch sich seiner selbst in spezifischer Weise,
diesen Seelenvermgen zuzuordnen ist. Um diese Frage mit Grnden nmlich in seinem Bestimmtwerden vom Gegenber des Glaubens her,
beantworten zu knnen, ist es sinnvoll, zu prfen, ob es unter den Seelen- bewut ist. Dazu gehrt auch -wie sich zeigte (s. 0.2.2.1.3) - das Erken-
vermgen so etwas wie ein Zentrum gibt, von dem aus das ganze Sein des nen des Gegenbers, auf das sich der Glaube richtet, und die weisheitlich-
Menschen bestimmt wird und das darum als anthropologischer Ort un- denkende Vergewisserung seiner Vertrauenswrdigkeit (vgl. o. 1.3.3.7).
bedingten Vertrauens betrachtet werden kann. Ohne irgendeine Form der "notitia" und des "assensus" (wie elementar
auch immer) gibt es also allem Anschein nach keinen Glauben.
Aber ist die Vernunft deswegen der Ort des Glaubens? Dagegen
2.2.4.1 Glaube und Wille spricht, da die Vernunft offenbar nicht das Menschsein im ganzen um-
fat: Nicht nur der Bereich der Leibhaftigkeit, sondern auch die Gefhle
Kein Geringerer als Luther hat das Zentrum der menschlichen Person und Neigungen unterliegen nur in geringem Mae der Kontrolle durch
immer wieder mit dem Begriff"voluntas" (neben "cor" und "conscien- die Vernunft. Gegenber diesen Elementen erscheint die Vernunft als ein
tia") bezeichnet. Fr diese These spricht, da im Wollen die Person offene "evolutionrer Sptling", der schwerlich die (somatischen und emotio-
bar ganz sie selbst ist. Ist nicht das "ich", das"will", der personale Kern, nalen) Tiefenschichten erreicht, in die Glaube doch hineinwirken mu,
hinter den man nicht zurckkommen kann? Und wenn "glauben" heit, wenn er im umfassenden Sinn des Wortes daseinsbestimmend sein soll.
sich von einem Gegenber zu unbedingtem Vertrauen bestimmen zu las- Vor allem aber: Menschen knnen alle Glaubensaussagen verstanden
sen, dann zeigt dies doch - wie wir sahen (s. o. 2.2.1.1) -, da dem und eingesehen haben, sie sogar mglicherweise fr wahr halten, ohne
Glauben unverzichtbar ein voluntatives Element anhaftet. Glaube ist deshalb zu glauben. Welch respektable Bedeutung z. B. Gottesbeweise
nichts, was ein Mensch ohne sein Wollen oder gar gegen seinen Willen auch immer haben mgen - Glaube lt sich durch sie vermutlich nicht
htte, sondern er schenkt sein Vertrauen frei-willig - oder er verweigert es. erzeugen.
Aber ist der Wille deswegen der anthropologische Ort des Glaubens?
Gegen diese Vermutung spricht, da es Menschen gibt, die von ganzem
Herzen glauben wollen, aber es nicht knnen. Dies wre jedoch nicht 2.2.4.3 Glaube und Gefhl
denkbar, wenn der Wille der anthropologische Ort des Glaubens wre.
Zeigt dies nicht, da allem Sich-bestimmen-Lassen ein Bestimmt- Werden Der Verweis auf das Gefhl ist wohl die tragfhigste der drei Antwort-
mglichkeiten; denn das Gefhl reicht von allen Seelenvermgen am
20 Sie wurde in Aufnahme und Weiterentwicklung von Platons Seelenlehre weitesten und am tiefsten: Es bezieht unsere Leiblichkeit mit ein, und es
(Politeia, 439 d) erstmals 1776 von]. N. Tetens vertreten und gelangte durch bestimmt uns bereits in einer Entwicklungsphase, in der wir noch keinen
Kant und Schleiermacher schnell zu weitgehender Anerkennung. Anla haben, einem Menschen mehr als die Anlage von Vernunft oder
68 Die Frage nach dein Wesen des Glaubens Glaube 69

Willen zuzusprechen. Von Affekten wie Lust und Unlust, Angst und stimmt- Wissens und des Sich-bestimmen-Lassens. Erst in dieser Ganzheit
Freude, Geborgenheits- und Verlassenheitsgefhlen werden Menschen und Einheit ist der Glaube, was er ist.
vom Anfang ihres Daseins an bestimmt. Beim Glauben geht es freilich
nicht um einzelne Gefhlszustnde, sondern um den affektiven Grund-
akkord, der das Leben bestimmt und begleitet. Man kann dies das Lebens- 2.2.5 Konstitutionsbedingungen des Glaubens
gefhl nennen, durch das ein Mensch - so oder so - bestimmt wird noch
lange bevor er sich dessen bewut wird und sich dazu willentlich (also Aus den berlegungen zur anthropologischen Ortsbestimmung des Glau-
auswhlend) verhalten kann. Das Gefhl als das Vermgen seelisch-leib- bens ergeben sich einige grundlegende Einsichten in die Bedingungen,
lichen Bestimmtwerdens ist offenbar die am tiefsten reichende Veranke- unter denen Glaube in einem menschlichen Leben mglich und wirklich
rung des Glaubens. wird:
Aber ist das Gefhl deswegen der Ort des Glaubens? Das wird man
schon deshalb besser so nicht sagen, weil dann die bei Wille undVernunft
aufgewiesenen Wahrheitsmomente nicht mehr zum Tragen kmen. Eine 2.2.5.1 Die Unverfgbarkeit des Glaubens
solche Festlegung wre also defizitr. Auerdem wrde sie mglicherwei-
se dazu fhren, da der konstitutive Zusammenhang des Gefhls mit In fundamentaler und darum entscheidender Hinsicht existieren Men-
Willen und Vernunft bestritten wird und nachtrglich nicht mehr herge- schen von Bezugspunkten auerhalb ihrer Existenz her. Sie sind auf das
stellt werden kann. angewiesen, was ihnen begegnet und lebensgeschichtlich "zugespielt"22
wird. Insbesondere sind sie - immer wieder - darauf angewiesen, wie
Gott sich ihnen in der Geschichte ihres Daseins erschliet. Die Rede von
2.2.4.1-2.2.4.3 Fazit der Unverfgbarkeit des Glaubens hat insofern zentrale, ja unaufgebbare
Bedeutung, und zwar in zweifacher Hinsicht: einerseits deswegen, weil
Der anthropologische Ort des Glaubens kann also nicht in einem der Menschen vom Beginn ihres Lebens an darauf angewiesen sind, mit wel-
Seelenvermgen, sondern nur in deren Gesamtzusammenhang gesucht chen Botschaften (verbaler und nonverbaler Art) sie konfrontiert werden.
werden. D. h., als anthropologischer Ort des Glaubens kommt nur die Das machen und whlen sie nicht nur, sondern das erleben und empfan-
Dreiheit von Gefhl, Vernunft und Wille in ihrer gegenseitigen Durchdrin- gen sie zunchst. Andererseits haben sie es ebenfalls nicht in der Hand, ob
gung und in der damit gegebenen (zirkulren) Einheit in Frage. Denn erst diese Botschaften sie so erreichen, da in ihnen Gewiheit entsteht und
wenn und indem das affektive Bestimmtwerden die Form einer dem Men- daseinsbestimmendes Vertrauen geweckt wird. Auch das widerfhrt ih-
schen erschlossenen Erkenntnis annimmt und willentlich zugelassen (also nen von dem Gegenber des Glaubens her, das sich ihnen vermittelt bzw.
weder verdrngt noch verhindert) wird, kann von einem daseinsbestim- das ihnen vermittelt wird. Insofern ist es zutreffend, wenn der Glaube -
menden, grundlegenden Vertrauen, also vom Glauben die Rede sein. Frei- seiner Konstitutionsbedingung nach - als Werk Gottes bezeichnet wird. 23
lich: Auf unmittelbarste (widerfahrnisartige) Weise ist die Bestimmung
durch den Glaubensgegenstand im Lebensgefhl bzw. Selbstgefhl gege-
ben, aber auf vermittelte Weise auch in der Vernunft und im Willen, und
zwar als Selbstbewutsein und Selbstbestimmung. Das Bestimmtwerden
durch den Adressaten des Glaubens, Gott, hat also unmittelbar den Cha-
rakter des Sich-bestimmt-Fhlens 2\ mittelbar den Charakter des Sich"be-
Lebens- oder Selbstgefhl bezieheri. Aber das ist eben nur ein wesentlicher
Aspekt von Glauben - lcht seine ganze Wirklichkeit.
21 Wenn Luther immer wieder von der Mglichkeit des Suglingsglaubens ("fides 22 So H. Weder in seinem Synodalvortrag: "Die Entdeckung des Glaubensim
infantium") spricht und gelegentlich sogar sagen kann, nur bei Kleinstkin- Neuen Testament", in: Glauben heute. Christ werden - Christ bleiben,
dern sei der Glaube unverflscht erhalten (so z.B. WA 11,301,31-34; 17 Gtersloh 19893, S. 53.
II,85,7-10; 20,659,36-38; 47,331,36-332,3), so haben diese Aussagen guten 23 So besonders markant: Luther in seiner Vorrede zum Rmerbrief (WA DB
Sinn, sofern sie sich auf das fundamentale Element des Bestimmtwerdens im 7,6,2 f.).
70 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Wesensbestimmung des christlichen Glaubens 71

2.2.5.2 Der personale Charakter des Glaubens Mensch in der Hand. Menschen knnen sich jedoch diesem Wort entzie-
hen oder zuwenden. Sie knnen dies tun in der Beharrlichkeit des Nicht-
Die Formel vom Glauben als Werk Gottes wird aber miverstndlich, ja hren-Wollens oder in der Hoffnung, zum Glauben zu finden. Eine hin-
verkehrt, wenn daraus der Eindruck entsteht, Gott selbst sei das Subjekt reichende Bedingung fr die Entstehung des Glaubens 24 ist auch das
des Glaubens oder der Glaube werde im Menschen ohne oder wider des- letztere nicht, wohl aber ist es die Weise, wie ein Mensch ttig am
sen innere Beteiligung erschaffen. Die nicht nur schne, sondern auch Zustandekommen des Glaubens beteiligt sein kann.
sachlich angemessene Redeweise vom Glauben, der in einem Menschen
"geweckt" wird (so wie Neugier, Interesse, Zuneigung oder Leidenschaft
"geweckt" werden knnen), deutet schon an, da es sich hierbei um ein 2.3 Zur Wesensbestimmung des christlichen Glaubens
Geschehen handelt, das die Personalitt des Menschen betrifft und bei
dem Gefhl, Vernunft und Wille des Menschen nicht ausgeschaltet, son- Die beiden hinter uns liegenden Abschnitte 2.1 u. 2.2 sollten dazu beitra-
dern auf wache Weise einbezogen sind. Deshalb ist der Mensch dem gen, den Begriff "Wesen" (im Verhltnis zu "Erscheinung") und den
Entstehen und der Lebensbewegung des Glaubens nicht willenlos ausge- Begriff "Glauben" zu klren. Zwischen beidem bestand insofern ein im-
liefert, sondern kann dies geschehen lassen oder sich dem entziehen und .pliziter Zusammenhang, als die berlegungen zum Wesensbegriff erge-
verweigern. Da es Grnde fr diese Verweigerung gibt, wird plausibel, ben hatten, da das Wesen einer Gattung durch die Erarbeitung einer
wenn man dessen gewahr wird, welche Zumutung es fr das menschliche angemessenen Begriffsdefinition zu bestimmen ist. Die Begriffsklrung
Selbstgefhl, fr Vernunft und Willen bedeutet, nicht autark zu sein, dient also selbst derWesensbestimmung. Das gilt aber nur im Blick auf
sondern sich von einer Wirklichkeit auerhalb seiner selbst grundlegend Gattungsbegriffe - wie z. B. "Wesen" oder" Glauben" -, nicht jedoch fr
bestimmen zu lassen und ihr die Mglichkeit zu verdanken, da das Le- Individuen oder ein bestimmtes, besonderes Beziehungsgeschehen, wie es
ben gelingt. mit dem Ausdruck "christlicher Glaube" bezeichnet wird. In ihm ist zwar
das Allgemeine von "Glauben" enthalten, aber nur in der besonderen,
individuellen Gestalt des Christlichen, das sich (wie alles Individuelle)
2.2.5.3 Auere Entstehungsbedingungen des Glaubens einer vollstndigen begrifflichen Erfassung entzieht.
D. h. freilich nicht, da uns das Wesen des christlichen Glaubens in
Wird der Glaube so - unter Voraussetzung und Anerkennung des gege- seiner Individualitt und Besonderheit gar nicht zugnglich wre. Im
benen lebensgeschichtlichen Kontextes (2.2.5.1) - als personaler Akt ver- Gegenteil! So wie sich uns das Wesen eines (bestimmten, individuellen)
standen, dann wird nicht nur die Entstehung von Unglauben im Sinne der Menschen durch persnliche Begegnung und Erfahrung erschlieen kann
Abkehr vom Glauben als Tat des Menschen verstehbar, sondern es kann und es dabei zu einem wirklichen Erkennen kommt, so gilt dies auch fr
dann auch deutlich werden, inwiefern ein Mensch im Blick auf die Ent- das Wesen des christlichen Glaubens. Mit der Begriffsklrung erreichen
stehung des Glaubens selber ttig sein kann. Jedenfalls als Jugendliche wir nur die Auenseite oder Hlle des Glaubens. Erst durch eigene Erfah-
und Erwachsene werden Menschen nicht nur von einem vorgegebenen rung und persnliche Begegnung kommt es zu einem tieferen Erkennen.
Lebenszusammenhang geprgt, sondern knnen auch (in begrenztem Um- Die entscheidende Frage ist jedoch, auf welchem Weg eine solche erken-
fang) whlen, welchen Botschaften sie sich aussetzen und welchen sie sich nende Begegnung mit dem christlichen Glauben mglich wird.
entziehen. Damit kann zwar weder das gefhlsmige Bestimmtwerden
noch die Glaubensgewiheit noch die Bereitschaft, sich von Gott bestim-
men zu lassen, produziert werden, aber es ist auf diese Weise mglich,
sich in die Hrweite des Wortes zu begeben, das die Weckung des Glau-
bens verheit. Da sich beim Hren dieses Wortes tatschlich ein Ange-
rhrt- und Bestimmtwerden in der Tiefe der Existenz ereignet und die
Gewiheit der Vertrauenswrdigkeit dieses Wortes und dieses Gottes 24 Das alles gilt freilich nicht nur fr den christlichen Glauben, sondern fr den
einstellt, ist eine Mglichkeit, die ein Leben lang immer wieder erhofft religisen Glauben (also das unbedingte, grundlegende, daseinsbestimmende
werden kann, aber die Verwirklichung dieser Mglichkeit hat kein Vertrauen) berhaupt.
72 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Wesensbestimmung des christlichen Glaubens 73

2.3.1 Der christliche Glaube als geschichtliche Wirklichkeit die Gefahr der Verfehlung - auf jenen Urimpuls, als die Quelle des christ-
lichen Glaubens, zubewegt3 5
Der christliche Glaube ist keine ontologische oder anthropologische Kon-
stante, sondern eine geschichtliche Wirklichkeit. D. h. zweierlei: Er ent-
steht in der Geschichte (2.3.1.1), und er hat selbstAnteil an der Geschichte 2.3.1.2 Der geschichtliche Charakter des christlichen Glaubens
(2.3.1.2).
Christlicher Glaube hat in allen seinen Erscheinungsformen selbst teil an
der Geschichte und damit auch an der Vernderlichkeit und Wandelbar-
keit. Es gehrt deshalb zum Wesen des christlichen Glaubens, grundle"
gend und ausnahmslos an den geschichtlichen Bedingungen der Wirklich-
2.3.1.1 Der geschichtliche Ursprung des christlichen Glaubens keit teilzuhaben. Der christliche Glaube ist unwandelbar geschichtlich.
D. h. einerseits: Er ist eine geschichtlich bedingte Gre, die den jewei-
Christlicher Glaube verdankt seine Entstehung einem geschichtlichen ligen kulturellen, gesellschaftlichen, politischen Bedingungen nicht ent-
Impuls. Das gilt zunchst fr jeden einzelnen Menschen, der mit dem nommen ist, sondern an ihnen teilhat. D. h. andererseits: Er ist eine
christlichen Glauben in seiner Lebensgeschichte durch andere Menschen geschichtlich bedingende Gre, die in die jeweiligen kulturellen, gesell-
in BerhrllIlg kommt. Das gilt aber hur deshalb fr jeden einzelnen Men- schaftlichen, politischen Gegebenheiten so eingeht, da sie diese mitbe-
sehen, weil es zuvor und grundstzlich fr das Entstehen des christlichen stimmt, verndert und prgt. Diese unabgeschlossene, ja geschichtlich
Glaubens in der Menschheitsgeschichte galt und gilt. Jeder einzelne ge- unabschliebare Wirkungsgeschichte des christlichen Glaubens ist ein
schichtliche Impuls verweist zurck auf den geschichtlichen Urimpuls, Grund dafr, da unter geschichtlichen Bedingungen eine vollstndige
von dem er letztlich selbst herkommt. Freilich verweist auch dieser Erkenntnis des Wesens des christlichen Glaubens nicht mglich ist, ob-
Urimpuls zurck auf (s)eine Vorgeschichte, die ihn beeinflut hat und auf wohl in dem geschichtlichen Urimpuls das Wesen des christlichen Glau-
ihn zugelaufen ist. Der Urimpuls selbst hat also auch Anteil an der Ge- bens vollkommen enthalten ist.
schichte (s. dazu u. 2.3.1.2). Dieser Urimpuls ist gegeben in der Person, Die Einsicht in die konstitutive Geschichtlichkeit des christlichen Glau-
dem Wirken und Geschick Jesu Christi als der heilvollen Offenbarung bens hat Konsequenzen fr die Haltung gegenber den geschichtlichen
Gottes(s. u. 3), die als solche zugleich die Offenbarung der Bestimmung Wandlungen des Glaubens. Aus ihr resultiert nicht der Versuch, Vernde-
der Welt und des Menschen ist. In diesem Urimpuls ist darum alles rungen im Bereich der geschichtlichen Erscheinungen nach Mglichkeit
enthalten, was das Wesen des christlichen Glaubens ausmacht. Und des- zu verhindern oder abzulehneh; vielmehr kommt alles darauf an, das
wegen besteht die Erkenntnis des Wesens des christlichen Glaubens in Wesen des christlichen Glaubens als konstruktives und kritisches Prinzip
nichts anderem, als darin, diesen Urimpuls immer genauer und vollstn- fr die Entwicklung und Beurteilung seiner geschichtlichen Erscheinun-
diger zu erfassen und immer reiner darzustellen. gen zur Geltung zu bringen. Es geht also nicht um die Frage, ob, sondern
Der geschichtliche Urimpuls des christlichen Glaubens wre vllig nur um die Frage, welche Vernderungen dem Wesen des christlichen
miverstanden, wenn er als ein erst noch zu entwickelnder "Keim~' oder Glaubens angemessen sind.
gar als eine erst noch zu realisierende "Idee" aufgefat wrde. Die Bestim- Dabei gilt: Der christliche Glaube ist seinem Wesen nach nicht be-
mung der Welt und des Menschen ist in Jesus Christus als der Offenba- grenzbar auf Menschen bestimmter Kulturkreise oder Epochen. Er hat
rung Gottes bereits vollkommen gegeben. Und insofern kann man schein- einen rumlich und zeitlich universalen Geltungsanspruch, der nicht jen-
bar paradox formulieren, da der christliche Glaube vom Ziel her seits von Raum und Zeit, sondernin ihnen zur Erscheinung kommt. Damit
unterwegs ist. Aber dieses Bestimmungsziel, das im Ursprung des Glau- geht der christliche Glaube notwendigerweise ein in die sich von Kultur-
bens enthalten ist, wird von Anfang an und immer wieder durch mensch- kreis zu Kulturkeis und von Epoche zu Epoche wandelnde Welt der Er-
liche Deutungsversuche auch miverstanden und verkannt, ja, es wird
abgelehnt und verworfen. Und deshalb kann die Aufgabe der Wesens- 25 Darin liegt die ausschlaggebende Begrndung fr die Kennzeichnung der
bestimmung des christlichen Glaubens sachgem nur so in Angriff ge- Kirche als "ecclesia semper reformanda" (so erstmals als Titel der 1952 von
nommen werden, da sich die Erkenntnis - unter der Gefahr und gegen W. Schneemelcher und K. G. Steck herausgegebenen Festschrift fr E. Wolf).
74 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Wesensbestimmung des christlichen Glaubens 75

scheinungen. Und dies gehrt zu seinem Wesen. D. h.: Wesen und Ge- Differenz. Quantitative Differenzen bestehen zwischen unterschiedlichen
schichtlichkeit des christlichen Glaubens bilden keinen Gegensatz, son- Graden ein und derselben Art (z. B. zwischen Grerem und Kleinerem
dern einen unauflslichen Zusammenhang. Unter geschichtlichen Bedin- oder zwischen Entwickelterem und weniger Entwickeltem). Qualitative
gungen kann nur im Wandel der Erscheinungsformen die Identitt des Differenzen bestehen zwischen verschiedenen Arten ein und derselben
christlichen Glaubens gewahrt werden. Wfudendie Erscheinungsformen Klasse oder Gattung (z. B. zwischen verschiedenen Tierrassen oder
bei allgemeinem geschichtlichem Wandel unverndert bleiben, so wrde Lehrveranstaltungstypen). Kategoriale Differenzen bestehen zwischen
sich - wider Willen - ihre Beziehung zur sich wandelnden Welt und damit Sachverhalten, die jeweils unterschiedlichen Grundbegriffen zuzuordnen
auch ihre Bedeutung unkontrolliert verndern. Es kme dadurch zum sind (z. B. zwischen Liebe und Liebenden) oder unterschiedlichenBegriffs-
Identittsverlust durch Erstarrung. Deshalb ist unter geschichtlichen Be- ebenen angehren (z. B. zwischen Geschpf und Mensch26 ).
dingungen Vernderung eine notwendige Voraussetzung fr die Wahrung Die Abfolge dieser drei Arten von Differenzen (quantitativ, qualitativ,
der Identitt des christlichen Glaubens, also fr die Wahrung seines We- kategorial) erweckt leicht den Eindruck, als verhielten sie sich wie Steige-
sens. Umgekehrt gibt es freilich auch die Gefahr des Identittsverlustes rungen zueinander. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Zwar knnte man
durch Anpassung. Sie tritt dort ein, wo die sich verndernde Welt nicht als sagen, die kategoriale Differenz sei "grundstzlicher" als die quantitative
Verstehens- und Bewhrungskontext des Glaubens, sondern als dessen oder qualitative, aber sie ist deswegen keineswegs "grer". Im Gegen-
Norm verstanden wird (s. dazu u. 6.2.2). teil: Nur im Fall der kategorialen Differenz ist es mglich, da die beiden
unterschiedenen Elemente in einem einzigen Sachverhalt ungetrennt, ja
unter Umstnden untrennbar verbunden sind. So besteht zwischen" Ge-
2.3.2 Schwierigkeiten und Mglichkeiten der schpf" und "Mensch" ein kategorialer Unterschied im Sinne unter-
Wesens-Bestimmung des christlichen Glaubens schiedlicher Begriffsebenen, aber gerade deshalb kann beides im Begriff
"Mensch als Geschpf" miteinander untrennbar verbunden werden.
Was das Wesen des christlichen Glaubens ist, ist strittig z. B. zwischen Ebenso besteht zwischen "Liebe" und "Liebenden" ein kategorialer Un-
Christen und Nichtchristen, zwischen orthodoxen, rmisch-katholischen terschied im Sinne unterschiedlicher Grundbegriffe (Kategorien), aber
und evangelischen Christen, zwischen Konservativen und Progressiven gerade deshalb eine untrennbare Verbindung, weil Liebe ja dasjenige ist,
und auch innerhalb dieser Gruppierungen. Es wird sich in diesem Ab- was Menschen erst zu Liebenden macht, und weil Liebe dadurch in der
schnitt zeigen, da diese Strittigkeit auch sachliche und prinzipielle Grn- Welt existiert, da sie in Liebenden Gestalt annimmt.
de hat, die nicht einfach mit gutem Willen eliminiert werden knnen. Drei Von daher zeigt sich, da die kategoriale Unterscheidung zwischen
Schwierigkeiten, in denen freilich zugleich Mglichkeiten des sachgem- Wesen und Erscheinung keine Trennung, sondern - im Gegenteil- eine
en Umgangs mit dem Problem enthalten sind, halte ich dabei fr beson- untrennbare Einheit meint. Und diese Einsicht erlaubt, ja gebietet es,
ders gewichtig: noch einen weiteren gedanklichen Schritt zu tun. Wenn das Wesen einer
Person oder Sache nur insofern erkennbar wird, als es zur Erscheinung
- die kategoriale Unterscheidung des Wesens von jeder Erscheinung;
kommt, dann mu - jedenfalls aus der Sicht des erkennenden Subjekts -
- das zirkulre Verhltnis von Erscheinung und Wesen;
gesagt werden: Es gehrt zum Wesen einer Person oder Sache, zur Er-
- die Unabgeschlossenheit des christlichen Glaubens.
scheinung zu kommen. ber ein "Wesen an sich", das nicht zur Erschei-
nung kme, lassen sich gar keine Aussagen mit irgendwelchem Er-

2.3.2.1 Die kategoriale Unterscheidung


des Wesens von jeder Erscheinung
26 Diese beiden Arten kategorialer Differenzen oder Unterschiede durfen nicht
Die grundlegende Differenz zwischen Wesen und Erscheinung, von der gleichgesetzt oder verwechselt werden. Gemeinsam ist ihnen jedoch, da
bereits in Abschn. 2.1.2 die Rede war, ist eine kategoriale Differenz. Das Begriffe, zwischen denen die eine oder andere kategoriale Differenz besteht,
soll nun genauer bedacht werden. Eine kategoriale Differenz unterschei- nicht sinnvoll in quantitativer oder qualitativer Hinsicht miteinander vergli-
det sich sowohl von einer quantitativen als auch von einer qualitativen chen werden knnen. Tut man es dennoch, so entstehen "Kategorienfehler".
76 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Wesensbestimmung des christlichen Glaubens 77

kenntniswert machen, sondern nur ber das Wesen, das zur Erscheinung lichen Glaubens) zugleich Quelle fr die Wesensbestimmung des christlic
kommt. 2? chen Glaubens und Objekt, das anhand dieserWesensbestimmung auf
Genau dies gilt aber auch fr die kategoriale Differenz zwischen Wesen seine Wesensgemheit berprft wird. Aus diesem hermeneutischen
und Erscheinung des christlichen Glaubens. Wer das Wesen des christli" Zirkel gibt es grundstzlich kein Entrinnen. 29
chen Glaubens als eine seiner Erscheinungsformen sucht, geht ebenso in Diese Zirkularitt lt sich auch nicht mit rein quantitativen Mitteln,
die Irre wie derjenige, der meint, es sei auerhalb dieser Erscheinungsfor- also. mechanisch neutralisieren. Die Erscheinungsformen des christlichen
men zu finden. Nur in den Erscheinungsformen kann das gesucht und Glaubens drfen nicht nur gezhlt, sondern mssen immer auch gewogen
gefunden werden, was das Wesen des christlichen Glaubens ausmacht. werden. Die vollstndige bereinstimmung mit allen Erscheinungsfor-
men und der vollstndige Widerspruch gegen alle Erscheinungsformen
sind zwar eindeutige Grenzwerte fr eine Wesensbestimmung, die jedoch
2.3.2.2 Das zirkulre Verhltnis von Erscheinung und Wesen im Blick auf die Vielfalt und Disparatheit der Erscheinungsformen eher
idealtypische als heuristische Bedeutung haben. Trotzdem lassen sich
Wie kann aber in den Erscheinungsformen das Wesen des christlichen Kriterien nennen, die bei der abduktiven Interpretation der Erscheinungs-
Glaubens gesucht und gefunden werden? Nach den berlegungen zum formen auf das in ihnen zum Ausdruck kommende Wesen des christlichen
Wesensbegriff scheiden zwei mgliche Verfahrensweisen als unzureichend Glaubens hin Beachtung.verdienen:
aus: Weder kann das Wesen des christlichen Glaubens aus den Differen-
- das Kriterium der Widerspruchsfreiheit oder inneren Homogenitt als
zen zwischen den Erscheinungsformen des christlichen Glaubens einer-
Bedingung fr die Verstehbarkeit des Wesens des christlichen Glau-
seits und den Erscheinungsformen anderer Religionen bestimmt werden,
bens in der Vielfalt seiner Erscheinungen;
noch aus dem, was in den Erscheinungsformen des christlichen Glaubens
- das Kriterium der Neuheit oder Originalitt als Bedingung fr die
immer und berall gleichgeblieben ist. 28 Aber auch eine Verbindung bei-
Erklrung der Entstehung eigenstndiger Erscheinungsformen des
der Verfahrensweisen fhrte nicht weiter, weil auch so faktisch das Wesen
christlichen Glaubens, die zwar an Vertrautes anknpfen, sich aber
auf der Ebene der Erscheinungen (als eine von ihnen oder als eine Summe
zugleich von ihm unterscheiden;
von Elementen aus ihnen) gesucht wrde.
- das Kriterium der Erklrungsfhigkeit oder Plausibilitt als Bedin-
Die Frage nach dem Wesen in den Erscheinungen richtet sich dagegen
gung fr dieAbleitungvon sich wandelnden (einschlielich deformier-
auf die Erscheinungsformen des christlichen Glaubens, aus denen wir alles
ten) Erscheinungsformen aus dem Wesen des christlichen Glaubens.
Entscheidende ber das Wesen des christlichen Glaubens erfahren, aber
in dem Wissen um die Mglichkeit, da in diesen Erscheinungsformen Alle drei Kriterien zusammengenommen verhelfen zu einem metho-
auch Deformationen, ja Pervertierungen des christlichen Glaubens ent- disch geordneten Umgang mit dem hermeneutischen Zirkel zwischen
halten sein knnen. Ob und wo dies tatschlich der Fall ist, knnen wir Erscheinung und Wesen des christlichen Glaubens. Keines von ihnen
freilich nur entscheiden aufgrund von Einsichten, die wir aus diesen Er- allein, aber auch nicht alle drei zusammen knnen jedochgarantieren, da
scheinungsformen gewonnen haben. Damit bewegen wir uns aber in ei- die Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens eine zweifelsfrei
nem hermeneutischen Zirkel, der konstituiert wird durch abduktive richtige Antwort findet.
Hypothesenbildung, deduktive Ableitung, induktive berprfung und
gegebenenfalls erneute Abduktion. In diesem komplexen Verfahren ist
dasselbe "Material" (nmlich die Flle der Erscheinungsformen des christ- 2.3.2.3 Die Unabgeschlossenheit des christlichen Glaubens

Die beiden bisher angesprochenen Schwierigkeiten und Mglichkeiten


27 Die Bedeutung dieser Einsicht wird sich sowohl im Zusammenhang der Lehre
von der Offenbarung (s. u. 3.1) als auch innerhalb der Ekklesiologie (s. u. betreffen die Wesensbestimmung jeder geschichtlichen Erscheinung-
14.3.1) erweisen.
28 Was also z. B. das Kriterium des Vinzenz von Lerinum erfllen wrde: "quod
ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est" (Commonitorium, cap. 29 P. Tillich hat wohl recht, wenn er die These vertritt: "Jedes Verstndnis
2,3). geistiger Dinge ist zirkulr" (STh I, S. 16).
78 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens Wesensbestimmung des christlichen Glaubens 79

auch wenn es sich dabei um eine bereits abgestorbene, nur noch in der Wesensbestimmung eine diffizile, ja unabschliebare hermeneutische, ana-
Erinnerung vorhandene Gre handelt. Fr geschichtliche Erscheinungen, lytische und rekonstruktive Aufgabe der Theologie darstellt. Das besagt:
die noch lebendig sind, kommen weitere Schwierigkeiten und Mglich-
- Auch die Verkndigung oder das Leben Jesu sind nicht das Wesen des
keiten hinzu. Dabei ist diese Lebendigkeit fr den christlichen Glauben
christlichen Glaubens. Und das glte auch dann, wenn wir diese Ver-
insofern konstitutiv, als nur durch sie der universale Geltungsanspruch
kndigung in ihrem genauen und vollstndigen Wortlaut kennen
des christlichen Glaubens, der ja auch die knftigen Menschheitsgenera-
wrden oder wenn uns alle biographischen Daten Jesu zuverlssig
tionen umfat, zur Wirkung kommen kann. berliefert wren. 3o
Es ist fr den christlichen Glauben also wesentlich, im geschichtlichen
- Auch die Bibel, die Dogmen oder Bekenntnissesind weder in einzelnen
berlieferungsproze weitervermittelt zu werden. Jeder solcher Ver-
Teilen noch im ganzen das Wesen des christlichen Glaubens.
mittlungs- und Verstehensakt ist aber ein Interpretationsgeschehen, in
- Und natrlich sind auch nicht die Vorstellungen oder Ausdrucksfor-
dem der christliche Glaube neu gedeutet und verstanden wird und werden
men der heutigen Christenheit das Wesen des christlichen Glaubens.
mu, und zwar - wie sich zeigte (s. o. 2.3.1.2) - gerade um seiner Identitt
unter sich wandelnden Verstehensbedingungen willen. Aber andererseits gilt: In alledem kommt das Wesen des christlichen
Alle diese Deutungsversuche stehen unter dem Risiko des Milingens, Glaubens - mehr oder weniger authentisch und angemessen - zur Er-
aber sie enthalten auch die Chance eines genaueren Verstehens, als es in scheinung. Deshalb kann das Wesen des christlichen Glaubens nur be-
den bisherigen geschichtlichen Erscheinungsformen gelang. Die christli- stimmt werden anhand seiner Erscheinungen. Dabei ist jedoch zu fragen,
che berlieferungsgeschichte ist also nicht nur unter der Alternative von ob es in diesen geschichtlichen Erscheinungen selbst eindeutige Hinweise
Bewahrung oder Verflschung zu sehen, sondern kennt auch die Mglich- auf normative Elemente gibt, an denen sich die Wesensbestimmung zu
keit vertieften oder umfassenderen und damit genaueren Verstehens. orientieren hat. Das lt sich - abgesehen von dem geschichtlichen
Solch ein genaueres Verstehen ist aber selbst ein Teil der Wirkungsge- Urimpuls - nicht vorab beantworten, sondern nur aufgrund der konkre-
schichte des christlichen Glaubens und nichts von auen zu ihr Hin- ten Beschftigung mit den geschichtlichen Erscheinungsformen des christ-
zukommendes. Insofern ist nicht nur die Geschichte des christlichen lichen Glaubens selbst.
Glaubens als Geschichte der fortgehenden Unterweisung, Mission und Was vorab beantwortet werden mu und kann, ist jedoch die Frage
Evangelisation unabgeschlossen, also offen, sondern auch als Geschichte nach dem Einstiegspunkt. Und hierfr gibt es wohl nur zwei Mglichkei-
eines genaueren Verstehens des Wesens des christlichen Glaubens. Dies ist ten: Entweder wird der Einstieg gewhlt bei dem geschichtlichen Urimpuls
nicht im Sinne eines kontinuierlichen Fortschritts gemeint. Die Mglich- der Gottesoffenbarung in Jesus Christus, der allererst christlichen Glau-
keit vertieften Verstehens bleibt bis ans Ende der Tage begleitet von der ben ermglicht und erweckt, oder bei den gegenwrtigen Erscheinungs-
Mglichkeit der Verflachung, des Miverstndnisses und der Perversion. formen christlichen Glaubens als dem Ort, an dem jede theologische
Aber solange diese positiven (und vielleicht auch die negativen?) Mglich- Besinnung auf das Wesen des christlichen Glaubens stattfindet.
keiten nicht zur Entfaltung gekommen sind, kann die Frage nach dem Die Argumente, die fr diese beiden Mglichkeiten sprechen, sind
Wesen des christlichen Glaubens nicht abschlieend beantwortet werden. ganz unterschiedlicher Art: Im ersten Fall handelt es sich vor allem um
Ihre Beantwortung geschieht notwendigerweise unter eschatologischem inhaltliche, im zweiten Fall vor allem um hermeneutische Argumente.
Vorbehalt. Unter diesem Vorbehalt kann und mu sie aber gewagt wer- Deswegen lt sich die Entscheidung argumentativ nicht zwingend be-
den. grnden. Die hier getroffene Entscheidung fr den Einstieg bei der
Gottesoffenbarung in Jesus Christus, also bei der "Quelle", ergibt sich
auch aus Grnden der bersichtlicheren Darstellung und besseren Nach-
2.3.3 Konsequenzen fr die Beantwortung der vollziehbarkeit. Ihr sachlicher Vorteil ist, da der normative Charakter
Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens des geschichtlichen Urimpulses fr den christlichen Glauben auf diese
Weise unbersehbar wird. Ihr Nachteil liegt darin, da dabei aus dem
Durch die in 2.3.2 beschriebenen Schwierigkeiten drfte klar geworden
sein, da es das Wesen des christlichen Glaubens nicht als oder wie eine 30 Wohl aber ist in Jesus Christus als dem geschichtlichen Urimpuls alles enthal-
seiner Erscheinungsformen in der Geschichte gibt, sondern da die ten, was das Wesen des christlichen Glaubens ausmacht (s. o. 2.3.1.1).
80 Die Frage nach dem Wesen des Glaubens

Blick geraten knnte, da jede Aussage ber den Ursprung des Glaubens 3 Gottes Offenbarung in Jesus Christus als
ihrerseits bedingt ist durch den geschichtlichen Kontext, in dem und aus Grund des christlichen Glaubens
dem heraus sie gemacht wird. Auf diesen hermeneutischen Aspekt mu
darum in den folgenden Kapiteln immer wieder. besonders geachtet
werden.

3.1 Der Offenbarungsbegriff

Neuere theologische Arbeiten ber den Offenbarungsbegriff haben ge-


zeigt, da "Offenbarung" als ein komplexer Relationsbegriffzu verstehen
ist, dessen Struktur durch mehrere Elemente konstituiert wird. Zu ihnen
gehren auf jeden Fall ein Urheber der Offenbarung, eine Person, die die
Offenbarung empfngt, sowie der Inhalt oder Gehalt der Offenbarung.
Diese Struktur sagt aber als solche noch nicht gengend ber das Beson-
dere der Relation aus, die zwischen diesen Elementen besteht. (Durch
dieselben Strukturelemente wird z. B. auch eine Unterrichtsstunde, ein
Konzert oder ein Brief konstituiert.) Deshalb wenden wir uns zunchst
dieser Relation zu, um dann die einzelnen Elemente zu betrachten und
nher zu bestimmen.

3.1.1 Offenbarung als Erschlieungsgeschehen

Einem verbreiteten Sprachgebrauch zufolge ist "Offenbarung" eine Ein-


gebung, die einem Menschen auf auergewhnliche Weise (z. B. mittels
einer Vision oder Audition oder auch durch einen Traum) zuteil wird und
die deshalb ihrem Zustandekommen nach nicht ohne weiteres nachvoll-
zogen oder berprft werden kann. So verstanden wre Offenbarung
etwas, das im Leben der meisten Menschen ganz selten oder berhaupt
nicht vorkommt, sondern nur bei besonders veranlagten Personen oder in
Ausnahmesituationen. Nun soll gar nicht bestritten werden, da es solche
visionren oder auditionren Erlebnisse gibt und dasie Offenbarungs-
charakter haben knnen. Insbesondere darf die Bedeutung von Triunen
auch in diesem Zusammenhang nicht unterschtzt werden. Aber das Ent~
scheidende am Offenbarungsbegriff wird mit der genannten Deutung in
ganz irrefhrender Weise auf ein mgliches Teilmoment verschoben,.das
im Ganzen des Offenbarungsbegriffs allenfalls einen Nebenaspekt dar-
stellt.
Dem Wortsinn nach liegt (nicht nur im Deutschen) die. Pointe des
Begriffs "Offenbarung" darin, da etwas, das bisher verhllt, verborgen,
unbekannt war, nun aufgedeckt, gezeigt, zugnglich gemacht wird, und
82 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der Offenbarungsbegriff 83

zwar so, da das Offenbarungsgeschehen auf einen Menschen zukommt, kenntnisproze, der sich nicht erdenken lt, sondern der sich erschliet.
ihm widerfhrt als etwas, das er nicht von sich aus aufdecken, zeigen oder Das ist das Wesentliche an diesem Begriff.
sich zugnglich machen konnte. Eine Person oder eine Sache offenbart Das spezifisch religise Moment am Offenbarungsbegriff lt sich
sich fr jemand. bestimmen vom Urheber der Offenbarung oder von ihrem Gehalt her. Im
Orientieren wir uns an diesem Wortsinn von "Offenbarung", dann ersten Fall ist religise Offenbarung zu verstehen als ein von Gott ausge-
zeigt sich, da Offenbarung ihrem Wesen nach ein Erschlieungs- hendes Erschlieungsgeschehen, im zweiten Fall als ein Erschlieungs-
geschehen ist, durch das einem Menschen (dem Offenbarungsempfnger) geschehen, durch das Gott erschlossen wird. Es wird sich zeigen, da
eine Person oder eine Sache in einer Weise zugnglich gemacht wird, die beides richtig ist und dort sogar eine Einheit bildet, wo Offenbarung als
ihm bisher verschlossen war und die er sich auch nicht selbst erschlieen Selbstoffenbarung Gottes gedacht wird; Aber dieses Verstndnis der Of-
konnte. Ob dieses Erschlieungsgeschehen auf sinnliche oder bersinnli- fenbarung als Selbstoffenbarung ist nicht immer vorauszusetzen. So gibt
che, auf natrliche oder bernatrliche Weise, im Wachzustand oder im es z. B. in der biblischen berlieferung sowohl die Rede von "Offenba-
Traum etc. erfolgt, ist dabei fr den Offenbarungsbegriff unerheblich. rung", die sich auf einzelne von Gott her ergehende Worte oder Weisun-
Das alles ist kontingent und daher variabel. gen fur bestimmte Situationen bezieht (z. B. I Sam 3,1; Jes 1,1; 21,2; Ez
Nun scheint bei diesen berlegungen nicht im Blick zu sein, da 7,26; Dan 2,19; I Kor14,2630; II Kor 12,1; GaI2,2), als auch den Begriff
"Offenbarung" ursprnglich und auch in unserem Verwendungszusam- von "Offenbarung", der besagt, da Gott Menschen begegnet und sich
menhang ein religiser Begriff ist. Tatschlich enthielten die bisherigen ihnen dadurch erschliet (z. B. Gen 15,1; 46,2; Ex 3,14; Jes 40,5; Mt
berlegungen keine spezifisch religise Komponente, und das war inso- 11,27 par. Lk 10,22; Rm 1,17 f.; 3,21; II Kor 2,14; GaI1,16). Das, was
fern wichtig, als auf diese Weise die eingangs genannte unangemessene im religisen Begriff der Offenbarung angelegt ist, findet erst da seine
Interpretation des religisen Moments am Offenbarungsbegriff vermie- Erfllung, wo Gott sowohl als Urheber als auch als der Gehalt der Offen-
den werden kann. Dieses religise Moment scheint einem irrefhrenden barung gedacht ist, d. h. dort, wo Offenbarung den Charakter der Selbst-
Denken und Sprachgebrauch zufolge im Element des bernatrlichen erschlieung Gottes hat. Diese Selbsterschlieung geschieht niemals be-
oder Widervernnftigen enthalten zu sein. Aber wenn religiser Glaube ziehungslos oder isoliert. Das gilt zunchst in dem trivialen Sinn, da die
nach christlichem Verstndnis ein daseinsbestimmendes Vertrauen ist, Offenbarung als Selbsterschlieung Gottes fr jemanden (s. dazu u.
dann gibt es keinen Grund fr die Annahme, da ausgerechnet die Suspen- 3.1.2.4) selbst eine Beziehung herstellt. Es gilt sodann aber auch in dem
dierung der sinnlichen Wahrnehmung oder der Vernunft die Grundlage nicht-trivialen Sinn, da diese Beziehung - als Beziehung Gottes zu einem
fr den Glauben bilden msse oder knne, ja dann erweist sich gerade der nicht-gttlichen Wesen - ihrerseits aufdeckt und bewutmacht, da der
Ausschlu der natrlichen menschlichen Erkenntnisfhigkeiten als eine Mensch, der die Offenbarung empfngt, in seinem ganzen Dasein, ja samt
gefhrliche Verengung, die die umfassende Bedeutung des Glaubens in der ganzen Welt, in der er lebt, immer schon von Gott her bestimmt ist.
Frage stellt. Mit der theologischen Tradition ist daran festzuhalten, da Denn indem Gott sich als Gott erschliet, erschliet er sich als "die Alles
die Offenbarung zwar "supra rationern" ist, weil sie von der Vernunft bestimmende Wirklichkeit" (Bultmann; s. dazu u. 7.1.2.4). D. h. aber,
nicht erdacht werden kann, aber nicht contra rationem (s. dazu u. S. 367, da aufgrund der Selbsterschlieung Gottes notwendigerweise die Emp-
Anm. 18). Trotzdem ist an der Unterscheidung zwischen Offenbarung fnger der Offenbarung und die ganze Welt in ein neues Licht rcken und
und natrlichem Erkenntnisvermgen insofern etwas Richtiges, als da- in einer bestimmten Weise verstanden werden mssen. Das Gottes-
durch zum Ausdruck kommt, da es Sachverhalte gibt, die wir (berwie- verstndnis bedingt ein bestimmtes Weltverstndnis, das ein bestimmtes
gend) mittels Wahrnehmung oder Denken von uns aus methodisch er- Selbstverstndnis einschliet und dadurch daseinsbestimmende Bedeu-
schlieen knnen\ und andere, die sich (berwiegend) diesem Zugriff tung erhlt. Fr diesen unauflslichen Zusammenhang von Gottes-
entziehen2 "Offenbarung" bezeichnet grundstzlich den Aspekt am Er- verstndnis, Welt- und Selbstverstndnis werde ich knftig den Begriff
"Wirklichkeitsverstndnis" verwenden.
1 Hierbei ist z. B. zu denken an Mevorgnge, an die Lsung von Rechenauf- In der (religisen) Selbstoffenbarung erschliet sich also Gott als
gaben oder an die bersetzung fremdsprachiger Texte. Gott-in-Beziehung. Insofern impliziert bereits das Geschehen der Offen-
2 Hierfr kann man z. B. verweisen auf das Entdecken eines sog. Suchbilds, auf barung eine grundlegende Aussage ber das Wesen Gottes. Ebenso gilt
das Verstehen eines Traumes oder auf das Erkennen eines Menschen. aber fr den Offenbarungsempfnger, da er durch die Offenbarung
84 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der Offenbarungsbegriff 85

Gottes sich selbst neu erschlossen wird, nmlich als ein Wesen, das unter fassenden Interpretationshorizont ein, der auch den Grund und die
der Bestimmung Gottes steht. Dieses Selbstverstndnis kommt nicht als Bestimmung der Welt und des eigenen Lebens umschliet. In der letzt-
ein auswechselbarer Bestandteil zum Personsein hinzu, sondern ist die genannten Hinsicht, also bezogen auf die Bestimmung, hat das Wirk-
Weise, wie eine Person sich ihrer selbst bewut ist. Insofern impliziert lichkeitsverstndnis zugleich den Charakter einer Verheiung. Ein sol-
bereits der Empfang der Offenbarung eine grundlegende Aussage ber ches Wirklichkeitsverstndnis ist eine Sinndeutung des Daseins, wobei
das Wesen der Person, der die Offenbarung zuteil wird. der Grad an Differenziertheit und Komplexitt solcher Sinndeutungen
erheblich variieren kann. Invariant ist hingegen der mit dem erschlosse-
nen Wirklichkeitsverstndnis verbundene Anspruch von dessen Ange-
3.1.2 Die Strukturelemente der Offenbarung messenheit, also Wahrheit, und damit zugleich von dessen Tragfhigkeit
(s. dazu weiter unter 3.1.2.5).
Ist "Offenbarung" zu verstehen als ein Erschlieungsgeschehen, so han- Da ein Wirklichkeitsverstndnis das ganze Dasein umfat, steht es
delt es sich mindestens um einen dreistelligenBegriff: Jemand erschliet nicht zur beliebigen Disposition der Person, der es zuteil wird. Es gibt fr
etwas einem oder einer anderen. Mitgedacht ist dabei aber stets zweierlei, sie auch keinen archimedischen Punkt auerhalb des eigenen Wirk-
das auch expliziert zu werden verdient, nmlichwodurch und mit welcher lichkeitsverstndnisses, von dem aus dieses verndert werden knnte.
Wirkung dieses Erschlieungsgeschehen sich ereignet. Von daher erweist Vielmehr mu ein Wirklichkeitsverstndnis, wie es z. B. in der religisen
es sich als sinnvoll (im Anschlu an Herms undSchwbel), den Offen- berlieferung enthalten ist, sich einem Menschen so erschlieen, da er es
barungsbegriff als fnfstelligen Begriff zu rekonstruieren und zu explizie- sich aneignen oder es ablehnen kann. Aber mit dieser Formulierung ist der
ren. Diese Struktur gilt ebenso fr denweiten, alle Erschlieungsvorgnge Vorgang in dreifacher Hinsicht noch zu undifferenziert beschrieben:
umfassenden Begriff "Offenbarung" wie fr den. spezifisch religisen
Offenbarungsbegriff, auf den ich mich im folgenden konzentrieren will. - In ihrer Lebenswelt werden Menschen nicht blo mit einem Wirk-
Wegen dieser Konzentration legt es sich nahe, die Strukturskizze von den lichkeitsverstndnis konfrontiert, sondern es begegnen ihnen unter-
Elementen aus zu entwickeln, die das spezifisch Religise ausmachen und schiedliche, miteinander konkurrierende Wirklichkeitsverstndnisse,
zu erfassen erlauben: vom Gehalt der Offenbarung und von ihrem Ur- die angeeignet werden wollen. Deswegen mssen Menschen zwischen
heber aus. verschiedenen. Wirklichkeitsverstndnissen whlen - und dies nicht
nur einmal in ihrem Leben, sondern immer wieder.
- Das Whlen bezieht sich nicht nur auf die Alternative: Zustimmung
3.1.2.1 Der Gehalt der Offenbarung
oder Ablehnung, sondern schliet auch die Mglichkeit ein, Teile oder
Elemente auszuwhlen und sie mit anderen Elementen zu einem neuen
Beim Nachdenken ber Offenbarung als Erschlieungsgeschehen (s. o.
Wirklichkeitsverstndnis zu kombinieren. Das widerspricht zwar dem
3.1.1) zeigte sich, da der Gehalt der religis verstandenen Offenbarung
Charakter der vorgegebenen Wirklichkeitsverstndnisse als umfas-
als ein (umfassendes) Wirklichkeitsverstndnis zu bestimmen ist. Das
sender, einheitlicher Deutungen und es schafft in weltanschaulich-
entspricht auch genau dem Wesen des Glaubens als grundlegendes,
religiser Hinsicht eine pluralistische Situation, in der Kommunikation
daseinsbestimmendes Vertrauen, und es entspricht der glaubenskon-
erschwert sein kann, aber es frdert auch Tendenzen der Indi-
stitutiven Funktion von Offenbarung. Was aber ist genauer mit einem
vidualisierung und Eigenverantwortung, die positiv beurteilt werden
Wirklichkeitsverstndnis gemeint? Ein Wirklichkeitsverstndnis ist eine
knnen. 3
das Dasein mit all seinen konstitutiven Elementen und Aspekten umfas-
sende Deutung bzw. Interpretation, die sich einem Menschen als ange-
messene (weil wahre) Deutung der Wirklichkeit (einschlielich seiner 3 Die Studie "Person und Institution. Volkskirche auf dem Weg in die Zu-
kunft", die von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau 1992 heraus-
selbst) erschlossen hat. D. h. nicht, da darin jedes einzelne Element des
gegeben wurde, unterstreicht durchgngig diese Individualisierungstendenz,
Daseins explizit vorkommen mte, wohl aber, da das Dasein insge- neigt jedoch dazu, sie schon in die kirchliche Darstellung des christlichen
samt in eine neue Perspektive gerckt wird, von der jedes einzelne Ele- Wirklichkeitsverstndnisses hineinzunehmen. Damit wird jedoch beides ge-
ment mitbestimmt wird. Ein Wirklichkeitsverstndnis strukturiert nicht fhrdet: die Klarheit der kirchlichen Verkndigung und die Eigenstndigkeit
nur die Wirklichkeitswahrnehmung, sondern es ordnet sie in einen um- der individuellen Aneignung.
86 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der Offenbarungsbegriff 87

- Die (auswhlende) Stellungnahme zu einem vorgegebenen Wirk- schlieungen kann es immer auch trgerische Selbstverhllungen des
lichkeitsverstndnis hat nicht nur rezeptiven Charakter, sondern auch Bsen geben, das mit dem Anspruch und Schein der Gottesoffenbarung
einen produktiven Aspekt (s. dazu u. 7.1.1.2): Sie schliet selbst eine auftritt. Deswegen mahnt das Neue Testament zur wachsamen Prfung
bestimmte eigene Deutung dieses Wirklichkeitsverstndnisses ein, die und zur Unterscheidung der Propheten und der.Geister (Mt 7,15; 24,4 f.
von nun an einen - wenn auch vielleicht nur minimalen - Bestandteil u. 23 f.; 11 Kor 11,13-15; I Joh 4,1). Nirgends erweckt es jedoch den
dieses Wirklichkeitsverstndnisses bildet und in dessen Geschichte Eindruck, dies sei eine leicht und sicher zu erfllende Aufgabe (s. u. 10.2).
eingeht. In dieser sekundren Form wird ein erschlossenes Wirk-
lichkeitsverstndnis durch seine Empfnger nicht nur rezipiert, son-
dern auch verndert. 3.1.2.3 Die Gestalt der Offenbarung

Unter "Gestalt" verstehe ich in diesem Zusammenhang das Ereignis, die


3.1.2.2 Der Urheber der Offenbarung Person, den Gegenstand etc., an denen oder durch die die Selbster-
schlieung Gottes geschieht. Den Begriff"Gestalt" verwende ich an Stelle
Als weiterer Ertrag der Reflexion ber Offenbarung als Erschlieungs- der sonst mglichen oder gebruchlichen Begriffe "Medium", "Trger",
geschehen (3.1.1) ergab sich und soll hier festgehaltenwerden, da re~ "situativer Anla" oder "Situation", weil in ihm der fr den christlichen
ligise Offenbarung als Selbsterschlieung Gottes gedacht werden mu. Glauben wesentliche Bezug zu einer menschlichen Person ("menschliche
Dem erschlossenen Gehalt der religisen Offenbarung (dem Wirklich- Gestalt") am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
keitsverstndnis) korrespondiert der erschlieende Urheber der Offen- Offenbarung braucht zwar immer irgendeine Gestalt, aber sie ist nicht
barung (Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit). Impliziert das notwendig an bestimmte Gestalten gebunden. Ein Wirklichkeitsver-
Wirklichkeitsverstndnis ein Gottesverstndnis, dann mu Gott auch als stndnis kann sich beim Miterleben der Geburt eines Kindes oder des
der Urheber des erschlossenen Wirklichkeitsverstndnisses gedacht wer- qualvollen Sterbens eines Menschen, beim Betrachten eines Kristalls oder
den. Damit enthlt der Offenbarungsbegriff eine erste Bestimmung ber beim Hren eines Chorals sowie in unendlich vielen anderen Situationen
das Wesen Gottes: Gott ist so zu denken, da er sich selbst erschlieen erschlieen. All dies kann zur Gestalt der Offenbarung werden, die nicht
kann. Ist diese Erkenntnis jedoch ihrerseits aus Offenbarung gewonnen, selbst Gegenstand religiser Verehrung ist, sondern ber sich hinaus auf
so lt sich wesentlich mehr sagen: Gott ist so zu denken, da er sich selbst das Ganze der Wirklichkeit und damit zugleich auf Gott verweist. Die
erschlossen hat und erschliet. Gott als Urheber der Offenbarung ist ein Gestalt der Offenbarung hat also die Funktion eines Zeichens.
sich-offenbarender Gott. Die reformatorische Theologie hat konsequent daran festgehalten,
Aber lt sich dies auch umkehren zu der Aussage: Wo immer auf- da die Offenbarung die Gestalt des ueren (d. h. hrbaren oder sicht-
grund von Offenbarung geglaubt wird, ist Gott als Urheber dieses baren) Wortes braucht (CA 5). Das verdient schon deshalb Beachtung,
Offenbarungsgeschehens zu denken? Gibt es nicht auch eine Selbster- weil damit festgehalten wird, da die materiellen Elemente der irdischen
schlieung der widergttlichen Wirklichkeit, die als Grund des Aberglau- Welt - als von Gott geschaffen - grundstzlich geeignet sind, zur Gestalt
bens gedacht werden mu? Es reicht nicht aus, das Sich-Durchsetzen der Selbsterschlieung Gottes zu werden. Im seIben Zusammenhang
"dmonischer" Ideologien ausschlielich auf das menschliche Verkennen schrft CA 5 freilich die ebenso wichtige Erkenntnis ein, da dies auf eine
oder Mideuten gttlicher Offenbarung zurckzufhren. Es mu auch fr den Empfnger der Offenbarung unverfgbare Weise geschieht: "ubi
eine gewimachende Selbstmitteilung der widergttlichen Wirklichkeit et quando visum est Deo".
gedacht werden, die freilich gerade nicht den Charakter der Selbster-
schlieung hat, sondern den der Verschleierung und damit der Selbst-
verstellung. Die Lge mu sich, um Gewiheit zu stiften, den Schein der
Wahrheit geben, die Macht der Finsternis mu sich als Lichtgestalt pr-
sentieren, sonst finden sie keinen Glauben (s. u. 13.4.2). Insofern gilt
tatschlich: Urheber der Offenbarung, die den Charakter der Selbster-
schlieung hat, ist stets Gott. Aber unter den behaupteten Selbster-
88 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Jesits Christus als Gottes Offenbarung 89

3.1.2.4 Der Empfnger der Offenbarung 3.1.2.5 Die Wirkung der Offenbarung

Da die Person, die die Offenbarung empfngt, selber als Struktur- Nach dem bisher Gesagten scheint es sich nahezulegen, die Wirkung der
elementdes Offenbarungsbegriffs reflektiert wird, ist vor allem deshalb religisen Offenbarung mit dem Begriff "Glauben" zu beschreiben. Aber
wichtig, weil nur so die problematische Vorstellung von einer "Offen- in einer entscheidenden Hinsicht ist das unrichtig. Zwar kann man sagen,
barung an sich", die (noch) keinen Empfnger htte, ausgeschlossen da Glaube stets eine Wirkung religiser Offenbarung ist, aber die Um-
werden kann. Als Erschlieungsgeschehen mu Offenbarung stets als kehrung (da also die Wirkung religiser Offenbarung stets Glaube sei)
"Offenbarung fr jemanden" gedacht werden, also fr diejenigen, denen gilt nicht. Glaube - als unbedingtes, daseinsbestimmendesVertrauen-
sie sich erschliet. Dabei kommen als Empfnger religiser Offenbarung setzt die Selbsterschlieung Gottes voraus, aber diese Selbsterschlieung
nur solche Wesen in Frage, die ein Wirklichkeitsverstndnis aufnehmen zieht -wie wir bereits sahen (s. 0.2.2.1.1 u. 2.2.5.2) - den Glauben nicht
knnen. Das gilt, soweit wir wissen, nur fr personale Wesen, und d. h. notwendig nach sich, sie erzwingt ihn nicht. Die konstitutive Bedeutung
in dem uns zugnglichen Bereich: fr Menschen. Ohne sie kann Offen- der Offenbarung fr den Glauben darf also nicht im Sinne einer hinrei-
barung gar nicht gedacht werden. Die Frage, wie ein Mensch Zugang zur chenden, sondern nur im Sinne einer notwendigen Bedingung verstanden
Offenbarung erlangt, verwandelt sich damit in die Frage, ob Offenbarung werden. Wie ist das angemessen begrifflich auszudrcken? Offenbarung,
berhaupt stattfindet, von der per definitionem gilt, da Gott sich durch so kann man sagen, schafft diejenige (vom Zweifel begleitete und in Frage
sie Menschen erschliet. D. h. aber zugleich, da z. B. die zustimmende gestellte) Gewiheit (s. 0.2.2.2) oder Erkenntnis, die zwar eine notwen-
Rede von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus sich nicht auf dige, aber keine hinreichende Bedingung des Glaubens ist. Die Wirkung
ein geschichtlich abgeschlossenes, zurckliegendes Ereignis beziehen von Offenbarung lt sich also mit dem Begriff (Glaubens-)Gewiheit
kann, von dem die Nachgeborenen Kunde erhalten, die sie fiir-wahr- beschreiben. Damit ist gesagt; da dasWirklichkeitsverstndnis durch die
halten oder nicht, sondern Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus Offenbarung so fr eine Person erschlossen ist, da ihr dessenWahrsein
geschieht (auch) heute, wo sich einem Menschen (auf mittelbare Weise) einleuchtet oder jedenfalls als mglich erscheint. Mehr kann aber nicht
durch das Zeugnis von Jesus Christus ein neues Verstndnis der Wirk- gesagt werden. Zwar liegt es in der "Intention" und "inneren Logik" eines
lichkeit erschliet. Damit ist freilich nicht gesagt, da alle Menschen aller Wirklichkeitsverstndnisses, das als wahr einleuchtet, durch das daseins-
Zeiten als Empfnger dieser Offenbarung gedacht werden mten. Zwar bestimmende Vertrauen zur lebensgestaltenden Realitt zu werden, also
schliet der Begriff "Offenbarung"das Strukturelement des(personalen) Glauben zu wecken, aber gerade diese Konsequenz kann der Mensch
Empfngers ein, aber der Begriff "Mensch" schliet den Empfang dieser verweigern. Er gleicht dann mglicherweise dem in Jak 1,23 f. beschrie-
Offenbarung nur als Mglichkeit, nicht jedoch als Faktum oder als benen Mann, der sein Angesicht im Spiegel beschaut und, nachdem er sich
Notwendigkeit ein. Es ist mglich, da ein Mensch im Zustand weltan- beschaut hat, davongeht und von Stund' an vergit, wie er aussah. Es
schaulich-religiser Desorientierung lebt. Freilich, wenn solche Offenba- gehrt nicht zur Wirkung der Offenbarung, eine eigenstndige Stellung-
rung einen Menschen erreicht und wirksam bestimmt, dann hat sie fr nahme unmglich zu machen. Offenbarung hebt menschliche Entschei-
das Dasein dieses Menschen konstitutive Bedeutung; denn wie sich schon dungsfreiheit nicht auf, ja sie fhrt den Menschen berhaupt erst in die
in 3.1.2.1 zeigte, impliziert das Wirklichkeitsverstndnis als Gehalt der Entscheidung hinein, indem sie sein bisheriges Wirklichkeitsverstndnis
Offenbarung notwendigerweise ein Selbstverstndnis des Menschen, in Frage stellt und ihm ein neues Wirklichkeitsverstndnis als tragfhig
durch das er sich im Geschehen der Offenbarung selbst erschlossen wird. erschliet, das zum Fundament seines Lebens werden kann.
Deswegen lt sich der Mensch nicht umfassend bestimmen unabhngig
vom Erschlieungsgeschehen der Offenbarung, sondern nur unter seiner
Einbeziehung. 3.2 Jesus Christus als Gottes Offenbarung
War im zweiten Kapitel vom christlichen Glauben als Glaube die Rede, so
wird in diesem Abschnitt das Moment des Christlichen durch den Verweis
aufJesus Christus explizit. Der christliche Glaube ist in grundlegender und
unaufgebbarer Weise auf Jesus Christus bezogen. Er ist der "Grund" des
90 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens ]esus Christus als Gottes Offenbarung 91

christlichen Glaubens, der durch nichts anderes ersetzt werden kann (I Kor dem Bekenntnis zu Jesus Christus als Offenbarung Gottes verbindet sich
3,11), weil mit ihm die Identitt, also das Wesen des christlichen Glaubens fr den christlichen Glauben die Gewiheit, da sich Gott in diesem
steht und fllt. Diese allgemeinen Formeln und Formulierungen werden - Menschen so erschlossen hat, da durch ihn Welt und Mensch im Lichte
zumindest innerhalb der christlichen Kirche(n} - kaum auf Widerspruch ihrer tiefsten Wahrheit, nmlich im Lichte Gottes wahrgenommen und
stoen. Sie sind in dieser Form auch noch viel zu allgemein und unspezi- erkannt werden knnen. Deswegen ist es nach christlichem Verstndnis
fisch, um irgendwelche genauen inhaltlichen Aussagen entwickeln zu kn- nicht nur mglich, sondern ganz angemessen und sachgem, von der
nen. Dazu ist es erforderlich, den Christusbezug des christlichen Glaubens Erkenntnis Jesu Christi her Aussagen ber das Wesen Gottes sowie ber
zu przisieren (3.2.1) und zu begrenzen (3.2.2). die Bestimmung des Menschen und der Welt zu machen, die mit dem
Anspruch verbunden sind, wahr und deshalb tragfhig und orientierungs-
krftig zu sein.
3.2.1 Das Christusgeschehen als Offenbarungsgeschehen Da Jesus von Nazareth nicht mit dem expliziten Anspruch auftrat,
Gottes Offenbarer zu sein, scheint selbst ein Argument gegen die Wahr-
Der Begriff "Offenbarung" bzw. "offenbaren" dient vereinzelt schon in heit dieser Deutung zu sein. Tatschlich ist jedoch das Gegenteil der Fall:
den neutestamentlichen Schriften (z. B. Mt 11,27 par.; Joh 17,6; Rm Htte Jesus selbst diesen Anspruch erhoben, so wre schon diese Tatsache
1,17 u. 3,21 f.), hufiger in der Geschichte der Kirche und Theologie, ein mglicher Erklrungsgrund dafr, da der Kreis derer, die ihm nach-
insbesondere in der Neuzeit zur Interpretation des Wirkens und der Heils- folgten, oder die sptere christliche Kirche ihn als den Offenbarer Gottes
bedeutung Jesu Christi: In seiner Person, seiner Verkndigung, seinem bezeichneten. Entfllt hingegen jener Eigenanspruch, so bleibt erst noch
Wirken, seinem Tod und seiner Auferstehung hat Gott sich selbst zu erklren, wie diese Auszeichnung berhaupt entstehen konnte.
geoffenbart. Es spricht vieles fr die Annahme, da Jesus von Nazareth Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, stt man in der christ-
nicht mit dem expliziten Anspruch auftrat, der Offenbarer Gottes zu sein, lichen berlieferung mit groer Einmtigkeit auf ein Ereignis, das Oster-
da er aber in seiner Verkndigung und in seinem Wirken implizit einen geschehen: Der gekreuzigte Jesus von Nazareth erscheint den Frauen und
solchen Anspruch erhoben hat. Er redete, handelte und lebte wie einer, Mnnern, die ihm in der kurzen Zeit seines irdischen Wirkens nachgefolgt
dem sich Gott erschlossen hat und durch den Gott sich den Menschen waren. Er zeigt sich als der Lebendige, von Gott Erhhte und Verherrlich-
erschlieen will. In den christologischen Hoheitstiteln, die die Urgemein- te. Die durch diese Erlebnisse hervorgerufene Gewiheit findet ihren Aus-
de ihm beilegte, und in den christologischen Aussagen, die sie ber ihn druck in dem Bekenntnis: "Er ist auferstanden" (Mt 28,6 f.; Mk 16,6; Lk
machte, explizierte sie diesen impliziten Anspruch. 24,6 u. 34; I Kor 15,4,12 u. 20; I Thess 4,14; 11 Tim 2,8) oder "Gott hat
Die Kategorie der Offenbarung oder Selbsterschlieung Gottes knpft ihn auferweckt" (Act 2,32; 3,15; Rm 4,24 f.; 6,4; 8,11 u. 34; I Kor 6,14;
an die prophetische Tradition des Alten Testamentes an, in der immer 15,15; Eph 1,20; 2,6; I Thess 1,10; I Petr 1,21 u. .). Damit ist zumindest
schon Menschen in besonderen Situationen Worte und Weisungen Gottes zweierlei ausgesagt: Erstens: Gott hat sich in diesem Geschehen geoffen-
vernahmen, die sie weitergaben oder in Zeichenhandlungen zur Darstel- bart als Herr ber den Tod, als Gott, "der die Toten lebendig macht"
lung brachten. Aber die legitimierende Berufung auf eine Eingebung oder (Rm 4,17; vgl. auch I Kor 15,54 ff.). Zweitens: Gott hat den Gekreuzig-
einen Spruch Jahwes ("So spricht der Herr"), die fr die Propheten cha- ten nicht seinem Todesschicksal berlassen, sondern sich zu ihm bekannt,
rakteristisch ist, findet sich in der ganzen Jesus-berlieferung an keiner ja ihn durch den Tod hindurch zum Herrn eingesetzt (Act 2,32 f.; Rm
Stelle. Er kennt Gott wie ein Sohn seinen Vater. Insofern sprengt seine 1,4; Phi12,9 ff.).
Person den Titel des Propheten (s. dazu u. 9.4). Erst in diesem zweiten Aspekt des Osterglaubens kommt die spezifi-
Indem Jesus Christus als der Offenbarer Gottes verstanden wird, geht sche Bedeutung Jesu von Nazareth als Offenbarer Gottes zur Geltung.
der christliche Glaube davon aus, da Gottes Offenbarung nicht in einer Da Gott den Gekreuzigten auferweckt und sich dadurch zu ihm be-
Kundgabe von Aussagen oder Lehrstzen besteht, sondern in einer kennt, das erweist ihn in unverwechselbarer Weise als den Offenbarer
menschlichen Person ("Menschwerdung" Gottes). Die Zentralstellung Gottes. Aber von hier aus wird dann auch die Rckfrage nach der Ver-
einer menschlichen Person als Gestalt der Selbstoffenbarung Gottes ist in kndigung, dem Wirken und Leben des irdischen Jesus wichtig, ja unver-
dieser Form eine religionsgeschichtliche Besonderheit. Zu ihr gibt es al- meidlich. Denn der christliche Glaube grndet sich nicht darauf, da
lenfalls in bestimmten Kaiser- oder Knigskulten gewisse Analogien. Mit Gott irgendeinen Toten auferweckt hat, sondern diesen bestimmten, ein-
92 Offenbarungin Christus als Grund des Glaubens ]esus Christus als Gottes Offenbarung 93

maligen und unverwechselbaren Jesus von Naiareth, derdie anbrechende armseligen Geburt, in der Unbehaustheit und Mittellosigkeit seines Le-
Gottesherrschaft verkndigt und den Willen Gottes vollmchtig ausge- bens als Wanderprediger, im Verraten-, Verlassen- und Verleugnet-
legt hatte. Durch die Auferweckung von den Toten wird er als Offenbarer werden durch die eigenen Jnger sowie in der sozialen Schichtung und
beglaubigt. D. h. aber: Nicht die Auferweckung - abstrahiert und isoliert Zusammensetzung der ltesten christlichen Gemeinde (I Kor 1,26-31).
von der Person Jesu Christi, seinem Leben und Geschick - ist Gottes Ein merkwrdiger, beharrlicher "Zug nach unten" ist fr die Gottes-
Offenbarung, sondern beides nur in engster Verbindung miteinander. offenbarung in Jesus Christus insgesamt charakteristisch. Bedenkt man,
Dabei erweist sich Jesus Christus gerade dadurch als Offenbarung da es sich um die Offenbarung des allmchtigen Gottes (Apk 1,8) und
Gottes, da seine Erkenntnis als der Christus, Sohn und Herr, kurz: als die seiner Herrlichkeit (11 Kor 4,6) handelt, dann steht das Zeichen des Kreu-
Offenbarung Gottes den Menschen. nicht verfgbar oder von ihnen aus zes dazu (scheinbar oder tatschlich) in schneidendem Gegensatz: Gottes
zugnglich ist, sondern ohne ihr Zutun von Gott erschlossen werden mu Allmacht offenbart sich in der Ohnmacht eines wehrlos Leidenden (Mk
und erschlossen wird (vgl. Mt 16,17; I Kor 12,3 b; I Joh 4,2 t). 15,29-32 parr.), Gottes Weisheit und Herrlichkeit in der Torheit und
Alles, was ber die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus gesagt Schande des Kreuzes, seine Gerechtigkeit in der Hinrichtung Jesu Christi
wurde, gilt dabei in gleichem Mae fr die Menschen, die ihm zu seinen als Verbrecher. Indem wir dies so formulieren, entsteht der Anschein, als
Lebzeiten persnlich und leibhaft begegneten oder erste Zeuginnen und nhmen wir das Offenbarungsgeschehen aus der Sicht des sich selbst
Zeugen des Auferstandenen waren, wie fr alle Sptergeborenen, die ihm erschlieenden Gottes wahr. Aber den Menschen, die der Person und
vermittelt durch das Glaubenszeugnis frherer Generationen begegnen. dem Geschick Jesu begegneten, mute sich diese Sichtweise ja erst er-
Die Mglichkeiten und die Schwierigkeiten, in ihm die Selbstoffenbarung schlieen. Sie sehen die Armseligkeit, Verlassenheit, das Leiden, den
Gottes zu erkennen und sich vertrauend darauf einzulassen, werden durch Tod. Und all dies wird ja auch durch den Osterglauben nicht aufgehoben
den zeitlichen Abstand und durch die Indirektheit der Begegnung weder oder durchgestrichen, sondern so, wie es ist, als Offenbarung Gottes
grer noch geringer. ("sub contrario") erschlossen. 4
Hier stellt sich freilich die Frage: Steht diese Gestalt der Offenbarung
tatschlich im Widerspruch zu ihrem Gehalt oder widerspricht sie nur
3.2.2 Die Verborgenheit Gottes in ]esus Christus den menschlichen Vorstellungen und Erwartungen hinsichtlich des We-
sens und der Selbsterschlieung Gottes? Diese Frage ist insofern von
Mit der Gewiheit: Gott hat sich in Jesus Christus selbst geoffenbart, erheblichem Gewicht, als im Falle des Widerspruchs das Kreuz gar nicht
scheint der Gedanke der Verborgenheit Gottes inJesus Christus nur schwer die Gestalt der Offenbarung wre, sondern allenfalls ein irrefhrendes,
zusammengedacht werden zu knnen. Und doch deutete sich bereits im in die falsche Richtung weisendes Zeichen, hinter dem Gott verborgen
vorigen Abschnitt an, da die Gottesoffenbarung in Jesus Christus sich bliebe. Ist das Kreuz hingegen tatschlich die Gestalt der Offenbarung
verbindet mit den Momenten der Indirektheit, der Verhllung, ja des Gottes, die nur insofern den Charakter der Verborgenheit hat, als sie im
Nicht-Erkennens. Davon mu nun noch unter drei Aspekten die Rede Gegensatz zu den menschlichen Vorstellungen vonGott steht, dann mu
sein, in denen zugleich wesentliche Elemente von Luthers theologia crucis zwischen dieser Gestalt und dem Gehalt der Gottesoffenbarung in Jesus
und seine Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus Christus ein innerer Zusammenhang bestehen, der sich nicht von selbst
revelatus zur Sprache kommen. versteht und darum noch sorgfltig bedacht werden mu (s. dazu u. 8.1
und 9.3).

3.2.2.1 Gottesoffenbarung in der Verborgenheit

Es ist ein Wesensmerkmal, das das Christentum von anderen Religionen


unterscheidet, da sein Glaubensgrund, die Offenbarung Gottes in Jesus
Christus, von Armseligkeit, Schwche und Schande gekennzeichnet ist.
Brennpunkt dessen ist das Faktum und Symbol des Kreuzes. Was im 4 Im biblischen Bild gesprochen: Der Auferweckte trgt noch die Ngelmale
Kreuz kulminiert, hat freilich seine Vor- und Nachgeschichte: in der des Gekreuzigten (Joh 20,20 u. 27).
94 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens ]esus Christus als Gottes Offenbarung 95

3.2.2.2 Der offenbare und der verborgene Gott zeitlichen Ordnung und Folge Gottes Heilshandeln in der Welt und mit
der Welt zum Ziel kommt. b) Alles, was fr den Menschen zu seinem Heil
Der christliche Glaube hat seinen Grund in der Selbsterschlieung Gottes zu wissen notwendig ist, hat Gott in Jesus Christus geoffenbart.
in Jesus Christus, aber er wei sich zugleich begrenzt durch eine escha- Aus diesen beiden Grundgedanken folgt, da es nicht zum Heil (son-
tologische Hoffnung, fr die in der Bibel immer wieder ebenfalls der dern allenfalls zur Stillung des Wissensdurstes) notwendig ist, Erkenntnis
Begriff "Offenbarung" verwendet wird (Act 2,20; I Kor 1,7; I Petr 4,13). ber den Verlauf der zuknftigen (Heils-)Geschichte zu gewinnen. Diese
Wie ist diese Begrenztheit zu verstehen und - vor allem - wie lt sie sich Begrenzung und die damit zugemutete Bescheidungfllt schwer; denn es
mit der Vorstellung von der Selbsterschlieung Gottes zusammendenken? geht ja in der Regel nicht um die Befriedigung menschlicher Neugier,
Im Neuen Testament findet sich der Gedanke, da Jesus Christus als sondern um Antworten auf ungemein qulende und belastende Fragen.
der Sohn zwar den Vater kennt (Mt 11,27), ja da, wer ihn sieht, den Insofern wiegt diese Begrenzung der Selbstoffenbarung Gottes schwer.
Vater sieht (Joh 14,9), da er aber dennoch nicht alles wei, was der Vater Man mu sich aber andererseits klarmachen, da das Postulat, die Selbst-
wei (Mk 13,32 par. Mt 24,36; vgl. auch Act 1,7). Dabei bezieht sich das offenbarung Gottes msse das Wissen auch um den Verlauf der Geschich-
Nicht-Wissen auf den Zeitpunkt des Kommens des Menschensohnes zum te einschlieen, unweigerlich zum Determinismus fhren wrde. Indem
Gericht bzw. auf den Zeitpunkt der Wiederaufrichtung des Reiches fr Luther einerseits sagt, da Gott in Jesus Christus "selbs offenbaret und
Israel. Nach neutestamentlichem Verstndnis gibt es also Elemente, die aufgetan [hat] den tiefsten Abgrund seines vterlichen Herzens" (BSLK
Gott so vorbehalten sind, da sie auch dem Sohn und Offenbarer Jesus 660,29 f.), andererseits aber die Rtsel des Geschichtsverlaufs dem uner-
Christus, der doch die Selbsterschlieung Gottes ist, nicht erschlossen sind forschbaren Deus absconditus zuweist, macht er jedenfalls vor einer sol-
und darum auch nicht durch ihn geoffenbart werden. chen explizit deterministischen Auffassung halt. Darin mchte ich ihm
Von einem scheinbar ganz anderen Ansatzpunkt aus kommt Luther folgen.
in seiner Schrift "De servo arbitrio" (1525) zu Aussagen ber Gott, sofern
er sich in Jesus Christus nicht geoffenbart hat, also ber den "Deus
absconditus". In der Auseinandersetzung mit Erasmus stellt sich fr Lu- 3.2.2.3 Das bleibende Geheimnis der
ther dort die Frage: "warum die einen ... die angebotene Gnade annehmen Gottesoffenbarung in ]esus Christus
und die anderen sie verachten".5 Auf diese Frage gibt die Offenbarung
Gottes in Jesus Christus, gibt also - wie Luther sagt - der Deus revelatus Der tiefste Aspekt der Verborgenheit Gottes inJesus Christus, der zu-
keine Antwort; Der in Jesus Christus, in seinem Wort geoffenbarte Gott gleich die beiden bisher angesprochenen Aspekte begrndet, wird wohl
bietet die Gnade an; denn er will nicht den Tod des Snders, sondern da erst dort wahrgenommen, wo die Offenbarung Gottes selbst als Geheim-
dieser sich bekehre und lebe (Ez 18,23). Es ist fr Luther das Geheimnis nis verstanden wird. Soll damit etwas gedanklich Nachvollziehbares ge-
des verborgenen Gottes, den wir weder erforschen sollen noch knnen, sagt werden, so empfiehlt es sich freilich zunchst, gewisse Mehrdeutig-
warum dieses Angebot der Gnade, also die Selbstoffenbarung Gottes in keiten im Begriff" Geheimnis" anzusprechen und - wenn mglich - einer
Jesus Christus den einen zuteil wird, den anderen aber verschlossen bleibt. Klrung nherzubringen.
Vergleicht man die neutestamentlichen Aussagen (ber den unbekannten Unter "Geheimnis" kann man mindestens 6 viererlei verstehen:
Zeitpunkt der Parusie) und die Aussagen Luthers (ber das rtselvolle
a) etwas, das ein Mensch (von sich selbst) wei, aber unter keinen Um-
Wirken des verborgenen Gottes) miteinander, so stimmen sie in zwei
stnden irgendeinem anderen mitteilen mchte, sondern es ausschlie-
Hinsichten miteinander berein: a) Da Gott sich in Jesus Christus
lich fr sich behalten will (das Unaussprechbare);
geoffenbart hat, schliet nicht aus, da Gottes "Gedanken" und "Plne"
bezglich des Welt- und Geschichtsverlaufs uns verborgen bleiben. Die
Offenbarung schliet nicht auch eine Mitteilung darber ein, in welcher 6 Wenigstens anmerkungsweise sei auf die mibruchliche Verwendung des
Begriffs "Geheimnis" zur Bemntelung mangelnder gedanklicher Durchdrin~
gung verwiesen - gleichgltig, ob die Durchdringung nicht versucht ode~
nicht erreicht wurde. Die Erwhnung dieses Mibrauchs in einer Dogmatik
5 WA 18,684,32 ff. schliet ihn freilich - auch fr sie selbst - noch nicht aus.
96 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Gottesoffenbarung auerhalb von ]esus Christus? 97

b) etwas, das einem Menschen mitgeteilt wurde unter der Bedingung Behauptungen ohne Wahrheitsgehalt beurteilt werden mten. Dabei
oder im Vertrauen darauf, da er es fr sich behlt und es nicht an die wre es in unserem Zusammenhang unerheblich, ob es sich bei solchen
ffentlichkeit bringt (das Vertrauliche); Offenbarungsansprchen um Irrtmer oder um bewute Tuschungen
c) etwas, das ein Mensch wissen oder verstehen mchte, zu dem er aber handelte.
bisher (noch) keinen Zugang finden konnte (das Rtselhafte); Die Frage wird insbesondere dort unabweisbar, wo Gott als Urheber
d) etwas, das einem Menschen zwar zugnglich wird, aber nichtsdesto- und als Gehalt der Offenbarung gedacht wird, diese also den Charakter
weniger unerklrlich bleibt und deshalb Anla zum ehrfrchtigen der - wirklichen oder blo behaupteten - Selbsterschlieung Gottes hat.
Staunen ist (dasUnverfgbare). Die Frage stellt sich aber auch schon dort, wo einzelne Aussagen, die in
Man sieht schnell, da die - in der Alltagssprache dominierenden- den verschiedenen Religionen aus einer Offenbarung Gottes abgeleitet
Bedeutungen abis c mit dem Begriff der Offenbarung nicht sinnvoll werden, inhaltlich nicht mit der Gottesoffenbarung in Jesus Christus
zusammengedacht werden knnen. Zwar berhrt die Bedeutung c die vereinbar sind. Vorausgesetzt ist dabei, da wir nur dann sinnvolle,
Aussagen ber den "Deus absconditus" (s. o. 3.2.2.2), aber dabei ging verstehbare Aussagen ber Gott und folglich auch ber das Wirklichkeits-
es ja um die Begrenzung und nicht um die Explikation der Offenbarung. verstndnis des christlichen Glaubens machen knnen, wenn die Offen-
Nur in der BedeJItung d ist der Geheimnisbegriff sinnvoll mit dem Offen- barung nicht in sich widersprchlich ist, sondern sich unserem Verstehen
barungsbegriff zu verbinden, ja auf ihn anzuwenden. Und diese Anwen- erschliet (s. o. 1.3.3.6).
dung ist sogar auerordentlich wichtig,umdie Rede von "Offenbarung" Die Annherung an eine Beantwortung der oben genannten Fragen
oder "Selbsterschlieung Gottes" vor Miverstndnissen zu schtzen. soll in drei Schritten erfolgen. Zunchst (3.3.1) geht es darum, genauer zu
Offenbarung ist nicht zu verstehen als ein einmaliger Vorgang, durch den bestimmen, ob und inwiefern die Gottesoffenbarung inJesus Christus als
einem Menschen ein neues Wirklichkeitsverstndnis erschlossen wrde, exklusiv zu verstehen ist. Sodann (3.3.2) ist zu prfen, ob der christliche
das er nun "hat" oder ber das er "verfgt". Es ist gerade fr das Glaube selbst die Mglichkeit und Wirklichkeit anderer Gottesoffen-
christliche Wirklichkeitsverstndnis charakteristisch, da es zwar zu- barung kennt und anerkennt. Schlielich (3.3.3) geht es um die Verhltnis-
gnglich wird, aber l.lnverfgbar bleibt. Selbst ein Apostel hat es nicht bestimmung von sog. allgemeiner und besonderer Offenbarung.
ergriffen, sondern kann nur von ihm ergriffen werden und sich dadurch
auf den Weg bringen lassen, auf dem er es zu ergreifen sucht, wie Paulus
dies Phil 3,12-16 beschreibt. 3.3.1 Die Exklusivitt der Gottesoffenbarung in ]esus Christus
Aber mehr noch: Nicht nur die Art und Weise, wie die Selbster-
schlieung Gottes in Jesus Christus einem Menschen begegnet, hat den Die Formulierung von Art. I der Barmer Theologischen Erklrung, in der
Charakter des unverfgbaren, ehrfurchtgebietenden Geheimnisses, son- Jesus Christus als "das eine Wort Gottes" bezeichnet wird, erweckt den
dern auch der Gehalt dieser Offenbarung. Da im Leben, Leiden und Eindruck eines exklusiven Offenbarungsverstndnisses. Aber dies ergibt
Sterben Jesu Christi sich Gottes Wesen zum Heil der Welt erschliet, das sich allem Anschein nach auch schon aus der Bezeichnung Jesu Christi als
bleibt ein Geheimnis, das eine Dogmatik auch und gerade dann zu ehren des "ein(zig)geborenen Sohnes", die sich im johanneischen Schrifttum
und zu wahren hat, wenn sie insgesamt den Versuch unternimmt, es zu (Joh 1,14 u. 18; 3,16 u. 18; I Joh 4,9) und in kirchlichen Bekenntnissen
verstehen. (Apostolicum; Nicaenum) immer wieder findet. Schlielich ergibt es sich
aus einer ganzen Reihe neutestamentlicher Aussagen, unter denen die
folgenden durch ihre Pointiertheit und Bekanntheit herausragen: "Nie-
mand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren
3.3 Gottesoffenbarung auerhalb von ]esus Christus? will" (Mt 11,27 par. Lk 10,22). "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich" (Joh 14,6). "In
Wenn Jesus Christus die Selbstoffenbarung Gottes ist, dann stellt sich die keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel
Frage, ob damit die Mglichkeit und Wirklichkeit jeder anderen Offen- den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden" (Act 4,12).
barung (vor, neben oder nach Jesus Christus) bestritten ist. Das wrde Nicht so sehr die positiven Aussagen, als vielmehr die damit verbundenen
heien, da alle Aussagen ber andere Gottesoffenbarungen als bloe Negationen ("niemand", "keinem", "kein") erwecken den Eindruck der
98 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Gottesoffenbarung auerhalb von Jesus Christus? 99

Exklusivitt. Er ergibt sich aber genau besehen auch schon. aus dem Noch weiter reichen die Aussagen, die Paulus in Rm 1 u. 2 zur
Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes als solchem, der weder eine Al- Offenbarung auerhalb von Christus macht. Hier wird sogar von den
ternative noch eine Aufteilung noch eine Ergnzung zuzulassen scheint. Heiden gesagt: "was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offen-
Bedenkt man diese Aussagen jedoch genau, so zeigt sich, da die bar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen,
Exklusivitt nur in einer bestimmten, allerdings entscheidenden Hinsicht das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schpfung der Welt
gilt: im Blick auf die Offenbarung als Weg zum Heil. Hier gilt, da eine ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, so da sie keine
Alternative, Aufteilung oder Ergnzung ausgeschlossen ist. Aus Joh 14,6 Entschuldigung haben" (Rm 1,19 f.). Aus dem Schlu des Zitats und aus
und Act 4,12 ergibt sich dies ausdrcklich, bei Mt 11,27 aus dem Kontext. dem Kontext der Stelle wird deutlich, da Paulus von einer mibrauchten
Und auch Art. I der Barmer Erklrung beansprucht im ganzen genommen Mglichkeit spricht: Gott hat sich ihnen geoffenbart, und sie wuten von
"nur" die soteriologische Exklusivitt der Christusoffenbarung, heit es Gott (Rm 1,21; vgl. auch SD 11, 9), aber sie haben Gott nicht als Gott
dort doch: "Jesus Christus ... ist das eine Wort Gottes, das wir zuhren, anerkannt. Paulus behauptet damit aber nicht nur eine Mglichkeit, son-
dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir dern sogar die Wirklichkeit einer Gottesoffenbarung durch die Werke der
verwerfen die falsche Lehre, als knne und msse die Kirche als Quelle Schpfung, die als solche prinzipiell allen Menschen aller Zeiten zugng-
ihrer Verkndigung auer und neben diesem einen Wort Gottes auch lich ist. Und er vertritt ausdrcklich die Auffassung, da es sich bei dieser
noch andere Ereignisse und Mchte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung um eineSelbsterschlieung Gottes, seines Wesens und seiner
Offenbarung anerkennen" (Hervorhebungen vonW.H.). Gottheit handelt.
Die eigentliche Provokation (insbesondere fr unser pluralistisches Aber nun mu noch einmal daran erinnert werden, da diese Gottes-
Zeitalter) steckt jedoch schon in der These, da es nicht mehrere oder gar offenbarung nach paulinischer und gemeinchristlicher Auffassung gene-
beliebig viele Wege zum wahren Leben gebe, sondern genau einen, und rell verkannt, miachtet und mibraucht wird. Deshalb erschliet sie
da dieser eine Weg von Gott in Jesus Christus geoffenbart sei. Mit diesem nicht den Weg zum Leben, sondern hat nur die Funktion, die Unent-
herausfordernden Anspruch mssen wir uns noch genauer (s. u. 3.3.3 und schuldbarkeit des Menschen deutlich zu machen, ihm also die Ausflucht
3.4) auseinandersetzen. abzuschneiden, Gott habe sich ihm nicht erschlossen, und darum knne
er Gott auch nicht erkennen. Aber auch in dieser Funktion bleibt die
Offenbarung Selbsterschlieung Gottes, die letztlich keinem anderen Ziel
dient als dem Heil des Menschen.
3.3.2 Die Mglichkeit und Wirklichkeit
anderer Gottesoffenbarung
3.3.3 Das Verhltnis von allgemeiner und
Die neutestamentlichen Aussagen ber Offenbarung(en) Gottes auer- besonderer Offenbarung
halb von Jesus Christus sind nicht zahlreich, aber markant. An erster
Stelle ist hier an den solennen Beginn des Hebrerbriefs zu erinnern: In der christlichen berlieferung stehen sich so gegenber einerseits die
"Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu Aussagen ber die Exklusivitt der in Jesus Christus erschlossenen Heils-
den Vtern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns Offenbarung und andererseits die Aussagen ber die Mglichkeit und
geredet durch den Sohn" (Hebr 1,1 L). Zweierlei ist hieran wichtig: einer- Wirklichkeit von Gottesoffenbarung auerhalb von Jesus Christus. Die
seits die Unterscheidung zwischen dem Reden Gottes durch diePropheten altprotestantische Theologie hat zwei - nicht scharf voneinander getrenn-
und seinem Reden durch den Sohn; andererseits die Verbindung, die te - Distinktionen entwickelt, um das Verhltnis dieser unterschiedlichen
zwischen beidem dadurch festgestellt wird, da es als Reden Gottes, also Aussagen zueinander zu klren, indem sie einerseits revelatio naturalis
als Gottesoffenbarung bezeichnet wird. Hier ist. also ausdrcklich von von revelatio supernaturalis, andererseits revelatio generalis von revelatio
vielfacher und vielfltiger Gottesoffenbarung durch die Propheten vor specialis unterscheidet und einander zuordnet. Die Unterscheidung zwi-
Christus die Rede, und diese Anerkennung alttestamentlicher Prophetie, schen revelatio naturalis und supernaturalis ist jedoch theologisch kaum
zu der sogar auer-israelitische Gestalten wie Bileam gehren (Num 22- brauchbar; denn es ist weder sinnvoll, zwischen einer natrlichen und
24), ist im Neuen Testament nicht strittig. einer bernatrlichen Weise der Offenbarung zu unterscheiden (Offenba-
100 O(fenb{lrttng in Christus als Grund des Glaubens GOffeso(fenbarung auerhalb von ]esus Christus? 101

rung ist immer Selbsterschlieung Gottes}, noch ist es sinnvoll,dieSchp- Gleichwohl ist - auch fr. Luther - die revelatio generalis von groer
fung als natrlich,]esus Christus dagegen als bernatrlich zu bezeichnen Bedeutung, sofern sie dem Menschen seine Unentschuldbarkeit und seine
(die Gestalten der Offenbarung sind immer Teil der geschpflichen Welt). Unheilssituation bewutmacht und damit die Sehnsucht nach Rettung
Leistungsfhiger ist - gerade von Rm 1her - die Unterscheidung zwi- und wahrem Leben wachhalten und so die Hinwendung zum Evangelium
schen revelatio generalis, die durch die Werke der Schpfung als solche bewirken kann.
geschieht, also generell, und der revelatio specialis, die durch die beson- Aber gengt diese Deutung? Mssen wir nicht doch aus guten theo-
dere, einmalige Person Jesus Christus geschieht.? logischen Grnden darber hinausgehen? Gibt es nicht doch auch (zumin-
Mit dieser Unterscheidung mu allerdings auch deren konkrete Be- dest als Mglichkeit) auerhalb von Jesus Christus so etwas wie Heils-
stimmung bernommen werden, die besagt, da die revelatio generalis Offenbarung?
dem Menschen zwar ein Wissen um Gott und das' von' Gott Gebotene Gerade aus neutestamentlicher Sicht wird man diese Frage bejahen
vermittelt, aber nicht den Weg zum Heil. Das tut erst die revelatio specialis mssen. Die Gestalt, um derentwillen dies unumgnglich ist, ist Abra-
in Jesus Christus, die ihrerseits auch das Wissen um Gott und sein Gebot ham, von dem es heit, Gott habe sich ihm geoffenbart (Gen 15,1;
enthlt. Die revelatiospecialisist also paradoxerweise " umfassender " als 17,1 f.; Lk 1,55; Act 7,1), er habe Gott geglaubt und das sei ihm von Gott
die revelatio generalis. Aber das ist nicht der entscheidende Unterschied. als Gerechtigkeit angerechnet worden (Gen 15,6; Rm 4,9-25rGal 3,6;
Dieser besteht vielmehr darin, da.die revelatio generalis zwar zum Leben Jak 2,23), und er habe teil an Gottes Reich und Herrlichkeit (Mt 8,11;
gegeben ist, durch Miverstndnis und Mibrauch aber zum Unheil fhrt, Lk 13,28; 16,22-31). Was so an Abraham, dem "Vater des Glaubens"
whrend die revelatio specialis gegen diesen Mibrauch den Weg zum (Rm 4,11 f.), der ja nicht nur fr das Judentum, sondern auch fr das
Leben weist. Christentum und den Islam eine zentrale Offenbarungsgestalt ist, un-
Whrend das Neue Testament sich damit begngt, dies als Faktum zu bersehbar deutlich wird,. gilt aber nicht nur fr ihn, sondern auch fr
konstatieren, hat die Theologie Luthersversucht, die Grnde aufzuZei- andere Gestalten (z. B. fr Henoch, Mose und Elia).
gen, warum das so ist. Schon in der Heidelberger Disputation von 1518 Ist das mit der These von der Exklusivitt der Heilsoffenbarung in
weist Luther darauf hin, da der Mensch, der Gott nur aus den Werken JesusChristus vereinbar? Ja, aber nur dann, wenn man diese Exklusivitt
der Schpfung (also aufgrund der revelatio generalis) kennt und deswe- als Aussage ber den Gehalt der Offenbarung versteht und nicht als Aus-
gen die Gre seiner Schpfungswerke bewundert, notwendigerweise dem sage ber ihre Gestalt. Allerdings gehrt es zum Gehalt der Gottes-
Wahn verfllt, das Urteil dieses Gottes ber den Menschen hnge eben- offenbarung als Heilsoffenbarung, da sie sich in dieser Gestalt erschliet.
falls von den Werken ab, die der Mensch erbringe. Unter dieser Prmisse Der Gehalt ist also von der Gestalt nur zu 'unterscheiden, aber nicht zu
werden die Werke des Menschen aber notwendigerweise zu einem Instru- trennen. Man kann zwar nicht (theologisch verantwortlich) sagen, die
ment, um Gott zugunsten des Menscheri gndig zu stimmen, sie treten Christusoffenbarung sei die einzige Gestalt wahrer Selbsterschlieung
also in den Dienst der Selbstrechtfertigung des Menschen. Die so moti- Gottes zum Heil, wohl aber iS,t festzuhalten, da aus christlicher Sicht die
vierten Werke geschehen also nicht um Gottes und des Nchsten, son- Selbstoffenbarung Gottes in ]esus Christus den Charakter eines Ma-
dern um der eigenen Seligkeit willen. Sie sind also gerade nicht Ausdruck stabs bzw. einer Norm hat, die an jeden Offenbarungsanspruch anzule-
der Gottes- und Nchstenliebe, was sie sein mten, um mit dem Willen gen ist. Unter Aufnahme einer glcklichen Begriffsprgung Tillichs kann
Gottes bereinzustimmen, sondern sie sind Ausdruck von Eigensucht und man sagen: Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus zum Heil ist
fhren deshalb ins Unheil. "letztgltig".8
Von da aus mu, ja darf die Mglichkeit und Wirklichkeit von (heil-
7 Die Orthodoxie denkt bei revelatio specialis freilich nicht primr an Jesus bringender) Gottesoffenbarung aUerhalb von Jesus Christus - sei es vor,
Christus, sondern vor allem an die Bibel und kommt damit gewissermaen zu neben oder nach ihm - nicht bestritten werden, aber jeder derartige
einer Verdoppelung des Offenbarungsgeschehens (s. dazu u. 4.1) Wenn
Offenbarungsanspruch mu sich an der Gottesoffenbarung in Jesus Chri-
Quenstedt die revelatio specialis definiert als "actus divinus externus, quo
Deus sese humano generi per verbum suum patefecit ad salutarem ejusdem stus messen lassen. Damit kehrt sich aber - und das ist eine wichtige Kon-
infrmationem" (Theologia didactico-polernica, [1685] 169F, Bd. I, 5.32), so sequenz-das Verhltnis von revelatio generalis und revelatio specialis in
kann dem nur zugestimmt werden, wenn dabei vorausgesetzt ist, da das Wort
Gottes stets den Charakter eines lebendigen, unverfgbaren Geschehens hat. 85Th I, 5. 158 ff.
102 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der sog. Absolutheitsanspruch des Christentums 103

sachlicher Hinsicht um: Von da aus wird nmlich nicht mehr zunchst die steht, worum es in diesem Streit eigentlich genau geht. Dabei sind - bei
revelatio generalis als Vorbereitung oder Hinfhrung auf die Christus- Licht besehen - alle Elemente der Formel mehrdeutig und bedrfen der
offenbarung verstanden, um danach in der revelatio specialis das insge- Klrung: "Absolutheit", "Anspruch" und "Christentum".
heim gesuchte und intendierte Ziel zu finden; sondern nun ist zunchst zu
bestimmen, was der Gehalt der revelatio specialis ist, um von da aus zu
fragen, wo dieser Gehalt - im ganzen oder partiell- auch auerhalb von 3.4.1 Begriffliche Vorklrungen
Jesus Christus anzutreffen ist.
Indes liegt in dieser Aussage noch ein groes Problem: Kann es denn 3.4.1.1 Was bedeutet "Absolutheit"?
Gottes Offenbarung zum Heil berhaupt "partiell" geben? Handelt es
sich dann nicht de facto um etwas anderes als um Gottes heilsame Offen- In der Formel "absolute Religion" (Hegel) bzw. "Absolutheit des Chri-
barung? Ein Wirklichkeitsverstndnis ist doch - wie wir sahen - nicht stentums"9 wird das vom lateinischen "absolvere" (ablsen, losmachen,
aufteilbar! Man mu diesen Einwnden zustimmen. Ein Wirklichkeits- befreien etc.) abgeleitete Adjektiv "absolutus" bzw. dessen deutsche Sub-
verstndnis hrt auf, es selbst zu sein, wenn es auf Teile reduziert wird. stantivierung ("Absolutheit") auf die (christliche) Religion angewandt.
Wohl aber ist in einem anderen Sinn Partialitt und damit auch eine "Absolutus" kann dabei sehr Unterschiedliches bedeuten: "losgelst",
Entwicklung von Offenbarung denkbar: im Blick auf ihren erkannten "unbedingt", "unabhngig", "ohne Einschrnkung", "unberbietbar"
und anerkannten Geltungsbereich. Ob ein Wirklichkeitsverstndnis/als sowie"vollendet", "vollstndig" oder"vollkommen". Bei den fnf erst-
blo fr eine Person, einen Stamm, ein Volk oder fr die Menschheit, ja genannten Bedeutungen handelt es sich explizit oder implizit umNegatio-
fr alle Kreaturen gltig erkannt und anerkannt wird, verndert nicht nen von Beziehungen, die eine Beeintrchtigung der Eigenstndigkeit oder
(notwendig) dessen Gehalt, aber trotzdem gibt es hier einen Fortschritt des Wertes darstellen (wrden). "Absolutheit" ist hier also ein Gegen-
von partieller zu universeller Geltung. Diese Unterscheidung erlaubt es, begriff zu Relativitt, wobei das Relative dasjenige ist, was blo unter
auch dort bereinstimmung im Gehalt der Offenbarung zu konstatieren, bestimmten Bedingungen oder Einschrnkungen vorhanden bzw. gltig
wo der Adressatenkreis der Offenbarung unterschiedlich weit bestimmt ist. Mit diesen negativen Bedeutungsnuancen von "absolut" oder "Abso-
wird. lutheit" stimmen die positiven ("vollendet" etc.) insofern berein, als
Aus der Sicht des christlichen Glaubens kann also an der Exklusivitt auch diese implizit eine Negation des Relativen, im Sinne des Fragmenta-
der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus festgehalten werden, weil rischen oder Partikularen enthalten: Das Vollendete, Vollstndige und
und sofern die Identitt dieser Offenbarung durch ihren Gehalt bestimmt Vollkommene ist die Negation (berwindung oder Transzendierung) des
ist. Dies erlaubt, ja erfordert die Anerkennung von mglicher Gottes- Bruchstckhaften. Das zeigt, da paradoxerweise der Begriff "Absolut-
offenbarung durch andere Gestalten, sofern sie ihrem Gehalt nach mit heit" gar nicht expliziert werden kann ohne fortgesetzte Bezugnahme auf
der Christusoffenbarung bereinstimmen. Das Entdecken solcher ber- diejenigen Relationen, durch die er konstituiert ist. "Absolutheit" ist also
einstimmung ist aus der Sicht des christlichen Glaubens ein Grund zur selbst kein absoluter, sondern ein relativer Begriff, der aufgrund der Viel-
Freude. zahl seiner (negierten) Bezugspunkte eine erhebliche Bedeutungsbreite
hat. Um diese einzuschrnken und so den Begriff "Absolutheit" zu pr-
zisieren, ist es ntig, den Zusammenhang zu benennen und zu betrachten,
3.4 Der sog. Absolutheitsanspruch des Christentums in dem von "Absolutheit" die Rede ist.
Dieser Zusammenhang ist in unserem Fall die Vielzahl der Religionen,
Ist mit der im letzten Abschnitt (3.3) entwickelten Position nun der genauer: die Vielfalt der Religionsgeschichte, wie sie sich dem historischen
Absolutheitsanspruch des Christentums behauptet oder bestritten, fest- und philosophischen Denken darstellt. Sowohl die Bejahung als auch die
gehalten oder preisgegeben worden? Diese Frage ist nicht leicht zu beant- Bestreitung der Absolutheit des Christentums (oder einer anderen Religi-
worten, und das liegt vor allem daran, da die Rede vom Absolutheits-
anspruch des Christentums relativ vage und vieldeutig ist. Der Streit um 9 Die bislang lteste Belegstelle findet sich bei I. A. Dorner, Die deutsche
den sog. Absolutheitsanspruch gehrt zu den Kontroversen, die auch Theologie und ihre dogmatischen und ethischen Aufgaben in der Gegenwart
deshalb schwer zu entscheiden sind, weil groe Unklarheit darber be- (1856), in: ders., Gesammelte Schriften, 1883, S. 21.
104 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der sog; Absolutheitsanspruch des Christentums 105

on) erfolgt also im Kontext einer religionsgeschichtlich oder religions- 3.4.1.2 Was bedeutet in diesem
philosophisch vergleichenden Betrachtungsweise. Dabei wird hufig vor- Zusammenhang "Christentum"?
ausgesetzt, da es eine (sei es aufsteigende oder absteigende) geschichtli-
che Entwicklung gebe, an der die Religionen partizipieren. Auf diesem Die Explikationen im vorigen Abschnitt (3.4.1.1) haben bereits gezeigt,
Hintergrund knnte nun unter Absolutheit verstanden werden, da in da der Begriff "Absolutheit" im Kontext der religionsgeschichtlichen
einer bestimmten Religion die Wahrheit ber Gott und die Welt vollkom- Vielfalt beheimatet ist. Schon von daher legt sich die Vermutung nahe,
men erfat und damit zugleich die Idee der Religion auf vollkommene da mit "Christentum" nichts anderes als "die christliche Religion" ge-
Weise erfllt ist oder da eine bestimmte Religion hinsichtlich ihres Wahr- meint sein knne. Das kann auch im Blick auf die Entstehungs- und
heitsgehaltes alle anderen Religionen bertrifft oder jedenfalls - etwas Bltezeit der Formel "absolute Religion" oder "Absolutheit des Christen-
vorsichtiger formuliert - von keiner anderen bertroffen wird und inso- tums", also fr die Zeit vom frhen 19. bis zum frhen 20. Jahrhundert
fern bisherige "Hchstgeltung" (Troeltsch) besitzt. Wer diese letztge- durchaus so konstatiert werden.
nannte Auffassung vertritt, mu zumindest mit der Mglichkeit rechnen, Aber was kann in diesem Zusammenhang mit "christlicher Religion"
da es knftig noch hhere Entwicklungsstufen von Religion geben knn- gemeint sein und was nicht? Zunchst ist mit Sicherheit die Vermutung
te. Dann kann aber hierfr nicht ernsthaft der Begriff "Absolutheit" auszuscheiden, damit knnte die Gesamtheit der Menschen gemeint sein,
verwendet werden. "Absolutheit" meint mehr und etwas anderes als die den christlichen Kirchen angehren. Aber auch die geschichtlich ge-
"Hchstgeltung" oder "Unberbotenheit", .ninlich: "Unberbietbar- wordene institutionelle Gestalt der christlichen Religion: die Gesamtheit
keit". ihrer Gesetze, Ordnungen, Riten, Lebensformen, mter und Veranstal-
Der Begriff "Absolutheit" im Sinne von"Unberbietbarkeit" wird tungen kann damit nicht gemeint sein. Denn von alledem gilt ja, da es
nun durch zwei negative Merkmale konstituiert: Er negiert erstens die dem geschichtlichen Wandel unterliegt, also auch durchaus berbietbar
berlegenheit irgendeiner anderen Religion gegenber derjenigen be- ist. Dasselbe gilt aber auch, wenn man unter" Christentum" den Inbegriff
stimmten Religion, die als "absolut" gekennzeichnet wird. Und mit dieser der in der christlichen Kirche (oder in den christlichenKirchen) formulier-
ersten Negation setzt der Begriff implizit die Vergleichbar~eit von Reli- ten und als gltig anerkannten christlichen Lehre versteht. Selbst die
gionen unter dem Gesichtspunkt der berbietung oder Uberlege,?-heit rmisch-katholische Kirche behauptet von der durch das ppstliche Lehr-
voraus. Der Begriff negiert aber zweitens auch die Mglichkeit der Uber- amt verkndeten Lehre ja nur, sie sei "infallibel" und "irreformabel",.also
bietung einer bestimmten Religion durch irgendeine andere zu irgendei- unfehlbar und unvernderlich, aber d. h. keineswegs: unberbietbar.Das
nem Zeitpunkt. Und mit dieser zweiten Negation setzt er entweder eine gilt um so mehr fr die evangelischen Kirchen, nach deren Selbstverstnd-
Kenntnis (auch) der Zukunft oder ein prinzipielles Wissen ber das nis die kirchliche Lehre irrtumsfhig und daher am Wort Gottes, also an
Mgliche voraus. der Selbsterschlieung Gottes zu messen ist (s. dazu u. 5.2).
Mit diesen letzten berlegungen sind die Fragen sichtbar geworden, Damit kommt nun auch erst die Instanz in den Blick, die ernsthaft
die unweigerlich mit dem Begriff "Absolutheit" in Anwendung auf Re- gemeint sein kann, wenn von "Abslutheit des Christentums" die Rede
ligion verbunden sind: Inwiefern sind Religionen unter dem Gesichts- ist: die "christliche Offenbarung", also die Selbsterschlieung Gottes in
punkt der berbietung vergleichbar, und wie lt sich die Behauptung Jesus Christus. Von ihr, genauer: von ihrem Gehalt, also vom christlichen
der Unberbietbarkeit einer Religion berhaupt begrnden? B~ide Fra- Wirklichkeitsverstndnis wird "Absolutheit" behauptet oder bestritten.
gen und die Mglichkeit ihrer Beantwortung haben mehr, als es auf den Im Blick auf den uns vertrauten Sprachgebrauch ist es zumindest miver-
ersten Blick scheint, mit der Przisierung dessen zu tun, wovon "Abso- stndlich, ja irrefhrend, wenn dies mit der Formel "Absolutheit des
lutheit" ausgesagt wird, nmlich: von der Religion, oder genauer: vom Christentums" bezeichnet wird. Weniger miverstndlich wre es schon,
Christentum. Davon soll nun die Rede sein. wenn von der Absolutheit des christlichen Glaubens gesprochen Wrde,
wobei sogleich hinzuzufgen wre, da damit nicht der Glaubensakt,
sondern der Glaubensinhalt gemeint ist. Um dies zu verdeutlichen, ist es
wohl noch angemessener und genauer, wenn von der Absolutheit der
(Selbst~)Offenbarung Gottes in ]esus Christus gesprochen wird, um die
106 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens Der sog. Absolutheitsanspruch des Christentums 107

gemeinte "Sache" zu bezeichnen. Ob sie (als der Inhalt des christlichen 3.4.1.3 Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Anspruch"?
Glaubens und als das Fundament der christlichen Religion) unberbiet-
bar ist, das ist die Frage, um die es geht. Wenn vom Absolutheits-Anspruch die Rede ist, dann ist damit offenbar
Aber wenn sich die Frage so stellt, dann mssen die berlegungen gemeint, da die Aussage von der Gottesoffenbarung in Jesus Christus im
zum Begriff "Unberbietbarkeit" noch einmal aufgenommen werden. Modus der Behauptung auftritt, die anerkannt werden, also Zustimmung
Was kann es im Blick auf ein durch Offenbarung erschlossenes Wirklich- finden will oder soll. Soweit ist die Bedeutung des Begriffs "Anspruch"
keitsverstndnis heien, es sei im Vergleich zu anderen (un-)berbietbar? ziemlich klar.
Wenn ich es recht sehe, kann das in kategorialer, in qualitativer und in Noch vllig ungeklrt ist damit aber, von wem dieser Anspruch er-
quantitativer Hinsicht gemeint sein und gelten: hoben und an wen er gerichtet wird. Die naheliegendste Antwort ist
vermutlich: von den Christen (oder vom "Christentum") an die Nicht-
a) In kategorialer Hinsicht wre ein durch Offenbarung erschlossenes
christen, d. h. an die Anhnger anderer Religionen, aber auch gegenber
Wirklichkeitsverstndnis dann unberbietbar, wenn es den Begriff
sog. Religionslosen. Wre diese Antwort richtig, dann wrde das bedeu-
"Wirklichkeitsverstndnis" tatschlich erfllt, also z. B. nicht nur
ten: Christen, denen sich die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus
isolierte Gottes- bzw. Gttervorstellungen oder lediglich rituelle oder
als Wahrheit erschlossen hat (s. o. 3.1.2.5), erheben anderen Menschen
ethische Anweisungen enthlt, sondern in umfassender Weise Gott
gegenber, denen dieses Erschlieungsgeschehen (mglicherweise) nicht
und Welt einschlielich des Menschen zur Sprache bringt.
auf gewimachende Weise zuteil geworden ist, die Forderung, diese
b) In qualitativer Hinsicht wre ein durch Offenbarung erschlossenes
Selbstoffenbarung gleichwohl als solche anzuerkennen. Das wre eine
Wirklichkeitsverstndnis dann unberbietbar, wenn es wahr ist, also
Aufforderung zu einer Zustimmung wider besseres Wissen, also eine
weder im Ganzen noch in seinen Elementen Irrtmer enthlt, sondern
Aufforderung zur Unwahrhaftigkeit. Das kann nicht ernsthaft, jedenfalls
die Wirklichkeit so zur Sprache bringt, wie 'sie in der Tiefe ist.
nicht verantwortlicherweise gemeint sein.
c) In quantitativer Hinsicht wre ein durch Offenbarung erschlossenes
Zwar gibt es sehr wohl die Verpflichtung der an Christus.Glaubenden
Wirklichkeitsverstndnis dann unberbietbar, wenn es mit einem uni-
zur Bezeugung der geglaubten und erkannten Gottesoffenbarung inJesus
versalen Geltungsanspruch (s. o. 3.3.3) ausgestattet ist, also nicht
Christus gegenber allen Menschen (Mission); aber diese Bezeugung hat
blo fr bestimmte Menschengruppen oder fr bestimmte Zeitab-
den Charakter der Verkndigung, die sich selbst als Mittel versteht, durch
schnitte gltig zu sein behauptet, sondern fr alle Menschen, ja alle
das Gott sich einem Menschen offenbaren kann, indem er in ihm Wahr"
Kreaturen aller Zeiten. heitsgewiheit schafft und Glauben weckt. Diese legitime, ja unverzicht-
Bei genauerer Betrachtung erweisen sich freilich alle drei Explikatio- bare Bezeugung der Christusoffenbarung als Wahrheit ist jedoch radikal
nen als zwar zutreffend, aber redundant, und sie sind deshalb entbehrlich. zu unterscheiden von der Forderung oder dem Anspruch an einen Men-
Da ein Wirklichkeitsverstndnis so umfassend ist, da es den Begriff schen, die Wahrheit der Christusoffenbarung anzuerkennen, ohne da sie
"Wirklichkeitsverstndnis" tatschlich erfllt, heit ja nichts anderes, als sich ihm als solche erschlossen hat. Ein solcher Absolutheitsanspruch
da es ein Wirklichkeitsverstndnis ist. Und da e,in Wirklichkeits- wre ein das Gewissen der Adressaten vergewaltigender Unterwerfungs-
verstndnis, das per definitionem beansprucht, Gott und Welt einschlie- anspruch, der unter Berufung auf den christlichen Glauben niemals erho-
lich des Menschen so darzustellen, wie sie sind, wahr ist, heit ebenfalls, ben werden darf. Deshalb kann es sich nur um den Anspruch handeln,
da es tatschlich ein Verstndnis der Wirklichkeit ist. Und wenn ein den die Offenbarung selbst an den Menschen erhebt, dem sie zuteil wird.
Wirklichkeitsverstndnis tatschlich wahr ist, dann ist es damit fr alle Und dieser Anspruch enthlt die Forderung, die erkannte Wahrheit anzu-
Menschen aller Zeiten wahr, also universell gltig. Damit lt sich das mit erkennen und zur Wirkung kommen zu lassen (vgl. Joh 3,21 u. 8,32).
dem Begriff "Absolutheit" bzw. "Unberbietbarkeit" Gemeinte zusam- D. h. aber zugleich: die erkannte Wahrheit ernst zu nehmen und jedes
menfassen in der Aussage: Ein durch Offenbarung erschlossenes Wirk- distanzierte Spielen mit der Wahrheit zu unterlassen.
lichkeitsverstndnis ist unberbietbar, also absolut, wenn es den in die-
sem Begriff enthaltenen Anspruch erfllt, also umfassend, wahr und
universell gltig ist. In diesem Sinn soll hier der Begriff "Absolutheit"
weiterhin gebraucht werden.
108 O{fenbarungin Christus als Grund des Glaubens Der sog. Absolutheitsanspruch des Christentums 109

3.4.2 Die AbsolutheitderGottesoffenbarung nerseits kann der Absolutheitsanspruch nicht aufgegeben werden, ohne
den eigenen Glauben zu verleugnen oder zu verraten. Und das gilt, wenn
Ich gebrauche nun bewut nicht mehr die irrefhrende Formel vom nicht fr alle, so doch fr viele Religionen. Andererseits folgt daraus aber
"Absolutheitsanspruch des Christentums", sondern spreche von der Ab- keineswegs die gegenseitige Anerkennung der verschiedenen Offen-
solutheit, d. h. von der (universell gltigen) Wahrheit der Gottesoffen- barungsgewiheiten und Absolutheitsansprche. Das ist schon deshalb
barung in Jesus Christus, also des in ihm von Gott her erschlossenen um- nicht mglich, weil "Offenbarung" nicht von auerhalb konstatiert wer-
fassenden Wirklichkeitsverstndnisses. Die Anerkennung und Behauptung den kann, sondern nur aus der Position dessen, dem sie zuteil geworden
dieser Absolutheit ist fr den christlichen Glauben nicht nur angemessen, ist (s. o. 3.1.2.4). Diese Einsicht wird sowohl dort preisgegeben, wo die
sondern unverzichtbar. Denn es geht dabei um nicht mehr und nicht we c Angehrigen verschiedener Religionen einander ihre Offenbarungser"
niger als um die Wahrheit und um die damit gegebene Tragfhigkeit der kenntnis bestreiten, als auch dort, wo sie diese anerkennen. Weder das
christlichen Botschaft. Diese bezeugt ja Jesus Christus als die Offenbarung eine noch das andere ist legitimerweise mglich, sondern nur die Treue
des Wesens Gottes, die als solche das Fundament des - als wahr ge- gegenber dem Absolutheitsanspruch der Offenbarung in der eigenen
glaubten - christlichen Wirklichkeitsverstndnisses ist. Deswegen, und Religion und der respektvolle Umgang mit dem Absolutheitsanspruch in
nur deswegen gilt fr denchristlicheri Glauben das "solus Christus", weil anderen Religionen. Dabei ist der AufWeis von Spannungen, Gegenstzen
in ihm die heilsame Wahrheit, die, weder reduzierbar noch ergnzungs- und Widersprchen zwischen den Offenbarungsaussagen in den verschie-
bedrftig ist, erschienen ist. Dagegen wird die christliche Botschaft mit den denen Religionen ein wesentlicher Teil dieses respektvollen Umgangs rind
(relativierenden) Aussagen: "Jesus Christus ist eine heilsame Wahrheit" keineswegs als mit ihm unvereinbar zu unterlassen oder zu unterdrcken.
oder: "Er ist ein Weg zum Leben" hoffnungslos unterbestimmt. Und dies Es sind also zwei Ebenen zu unterscheiden: Zunchst gibt es die Ebene
ist deshalb als unangemessen zurckzuweisen, weil damit eine Distanzie- der Religion bzw.des Glaubens, auf der ein Mensch der Selbsterschlieung
rungvon der erschlossenen Wahrheit zum Ausdruck kommt, die mit deren Gottes gewi wird und die Gottesoffenbarung als an ihn gerichteten
Absolutheitsanspruch (s. o. 3.4.1.3) unvereinbar ist. Absolutheitsanspruch erfhrt, der keine Einschrnkung zult. Sodann
Aber das alles gilt nicht nur fr den christlichen Glauben, sondern gibt es die (Meta)Ebene der Kommunikation ber Religion, auf der einem
zumindest auch schon fr den alttestamentlich-jdischen Glauben, wie er Menschen bewut wird, da das, was fr ihn in seiner Religion gilt,
inder exklusiven Forderung der Jahweverehrung und in der Verpflich- prinzipiell fr alle Religionen gltig ist, obwohl die unterschiedlichen
tung auf Gottes heilsamen Willen Ausdruck gefunden hat (z. B. im Deka- Absolutheitsansprche inhaltlich nicht kongruent, ja teilweise sogar in-
log: Ex 20,2-6; Dtn 5,6-10; im Sche'ma Israel: Dtn 6,4 f. oder auch Jes konsistent sind. Es ist sehr wohl mglich, ja sogar notwendig, sich auf
45,5 f.: "Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr"). Wir knnen hierbei diesen beiden Ebenen zu bewegen. Der Absolutheitsanspruch der eigenen
jedoch nicht haltmachen. Zumindest als Mglichkeit ist jeder Religion, Religion wird dadurch nicht aufgehoben oder eingeschrnkt, wohl aber
zumaljeder monotheistischen Offenbarungsreligion ein solcher Absolut- wahrgenommen, artikuliert und gelebt im Horizont der (mglichen)
heitsanspruch zuzubilligen. Es ha.ndelt sich also um kein Privileg des Absolutheitsansprche anderer Religionen.
christlichen oder des biblischen Glaubens. Denn: "Ei~ Gott ist als Gott der Der subjektiv bedingten Wahrnehmung der Wirklichkeit und der da-
absolute Herr wie die absolute Wahrheit wie der einzig absolute Halt im mit gegebenen Perspektivitt knnen wir nicht entrinnen, wir knnen sie
Leben und im Sterben.Er besitzt diese absolute Geltung unter denen, die uns aber bewutmachen. Das hat nichts zu tun mit den relativistischen
seine Epiphanie betraf. Alle anderen Menschen vermgen seinen absolu- Thesen, es gebe gar keine Wahrheit oder es gebe fr jeden Kulturkreis eine
ten Anspruch weder einzusehen noch anzuerkennen ... Der Absolutheits- eigene Wahrheit. Wre - was an sich schon einen Widerspruch darstell-
anspruch der Religionen ist daher fr die eigene Religion unabweisbar, fr te - eine dieser Thesen wahr, so wre damit dem Dialog zwischen den
jede fremde Religion nicht nachvollziehbar. "10 Das besagt zweierlei: Ei- Religionen ber die Wahrheitsfrage der Boden entzogen. Das Festhalten
am Wahrheitsbegriff und an der notwendigen Konsistenz aller wahren
10 So C. H. Ratschow, Die Religionen, 1979, S. 126 f. Wichtig ist in diesem Aussagen bei gleichzeitigem Wissen um die immer nur subjektiv erschlos-
Zusammenhang auch Ratschows ergnzende, przisierende These: "Die ,Ab- sene Wahrheitsgewiheit lt Mission und Dialog zwischen den Religio-
solutheit' der religisen ... Einrichtungen, Antworten und Sitten ... zu be- nen als gleichermaen sinnvoll und notwendig erkennen und ermglicht
haupten, ist die Dmonisierung der eigenen Religion" (a.a.O., S. 126). zugleich denjenigen Respekt vor abweichenden Wahrheitsgewiheiten
110 Offenbarung in Christus als Grund des Glaubens

und Absolutheitsansprchen, der den Namen "Toleranz" verdient. Denn 4 Die Bibel als Quelle und
Toleranz besteht weder in der Bagatellisierung der Wahrheitsfrage noch
Norm des christlichen Glaubens
in der Anerkennung aller Wahrheitsansprche als gleichermaen berech-
tigt und gltig, sondern in der (aus dem Wissen um die "tolerantia Dei"ll
gespeisten) Bereitschaft, die Gegenstze zwischen den unvereinbaren
Absolutheitsansprchen auszuhalten und zu erleiden.
Einer verbreiteten Meinung zufolge ist die Schaffung bzw. das Finden
eines Konsensus in den Fundamentalberzeugungen die Voraussetzung Der Grund des christlichen Glaubens ist die Selbstoffenbarung Gottes in
fr jedes gedeihliche Miteinander unter Menschen. Dem ist aus der Sicht Jesus Christus - dieser Gedanke wurde im vorigen Kapitel entfaltet und
des christlichen Glaubens zu widersprechen: Die Fhigkeit zum gedeihli- przisiert. Die thematische Beschftigung mit der Bibel, die sich nun
chen Miteinander hat sich gerade dort zu erweisen, wo Dissens, ja Wider- anschliet, ergibt sich aus der Frage, wie den spter Lebenden die ge-
spruch im Fundamentalen besteht. Und deswegen rechtfertigt kein Dis- schichtliche Gestalt Jesu Christi gegeben und fr sie zugnglich ist, so da
sens ein respektloses oder rcksichtsloses Umgehen miteinander. Ein sie (auch) fr diese Menschen zur Selbsterschlieung Gottes werden konn-
Konsens in den Fundamentalberzeugungen kann sich nur einstellen, te und kann. In dieser Frage ist vorausgesetzt, da es eine Differenz gibt
wenn er getragen ist von einer gemeinsamen Wahrheitsgewiheit, die zwischen der Offenbarungssituation, in der Jesus Christus als leibhafte,
jedoch kein Mensch schaffen, sondern die nur, wenn sie sich einstellt, geschichtliche Person anwesend war, und der Offenbarungssituation, in
hingenommen werden kann. Das Vertrauen darauf, da trotz aller gegen- der er nur vermittelt durch andere Zeichen 1 zugnglich wird.
teiligen geschichtlichen Erfahrungen nicht Irrtum und Lge, sondern die Das damit angesprochene Problem hat sogar zwei Aspekte: Einerseits
Wahrheit das letzte Wort behlt (II Kor 13,8), ermglicht aus christlicher geht es um die Frage, wie und wodurch die Nachgeborenen von der
Sicht das Ertragen der unvereinbaren Absolutheitsansprche in der Hoff- Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus, die der Grund des christlichen
nung auf ihre noch ausstehende berwindung. Glaubens ist, Kunde haben knnen. Andererseits geht es um die Frage, wie
und wodurch Jesus Christus sich nach seinem irdischen Wirken so verge-
genwrtigt, da dadurch Begegnung mit ihm mglich wird. Dieser zweite
Aspekt soll in der Lehre von den Heilsmitteln (s. u. 14.2) behandelt
werden. Von dem erstgenannten Aspekt handelt die Lehre von der Bibel
als der Heiligen Schrift des Christentums, mit der wir uns in diesem
Kapitel beschftigen. Dabei geht es vor allem um folgende drei Themen-
steIlungen: um die Bibel als Kanon (4.1), um die Begrndung der Bibel-
autoritt (4.2) sowie um das Problem der sachgemen Bibelausle-
gung (4.3).

1 Die Formel "durch andere Zeichen" geht davon aus, da semiotisch betrachtet
auch eine leibhafte, geschichtliche Person ein (Ensemble von) Zeichen ist. Es
geht also nicht um die Differenz zwischen einem zeichenvermittelten und
11 Vgl. G. Ebelings Aufsatz ber "Die Toleranz Gottes und die Toleranz der unvermittelten Zugang, sondern um die zwischen der leibhaften, geschichtli-
Vernunft", in: Glaube und Toleranz, 1982, S. 54-73. chen Person als Zeichen und anderen Zeichen.
112 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Bibel als Kanon 113

4.1 Die Bibel als Kanon ze der Kanollbildung ist fr das Judentum bis ZUm Ende des 1. Jahrhun-
derts n.Chr. abgeschlossen. Fr das Christentum ist die Entscheidung fr
4.1.1 Die geschichtliche Notwendigkeit der Kanonbildung den zweiteiligen (alttestamentlichen/neutestamentlichen) Kanon um
200 n.Chr. gefallen, der Umfang des neutestamentlichen Kanons bleibt
Wird Menschen durch Gottes Selbsterschlieung ein neues Wirklichkeits- jedoch im Blick auf einzelne Schriften bis ins 4. Jahrhundert umstritten. 4
verstndnis so erschlossen, da es in ihnen daseinsbestimmendes Vertrau- Die Ausbildung des biblischen Kanons dient also der Erhaltung der
en, also Glauben weckt, so kann es gar nicht anders sein, als da davon Identitt des (jdischen und) christlichen Glaubens unter geschichtlichen
auch ihre (sprachliChen und nichtsprachlichen) uerungen bestimmt Bedingungen, und zwar dadurch, da das ursprngliche Offellbarungs-
werden. Sie werden notwendigerweise zu Zeugen der Offenbarung. Die- zeugnis in mglichst reiner Form als Mastab aller knftigen Verkndi-
ser innere Zusammenhang zwischen Offenbarungsempfang und Zeugen- gung und Lehre benannt und ausgezeichnet wird. Das "sola scriptura" ist
schaft ist nur ein Element des unaufhebbaren Zusammenhangs zwischen deshalb nicht zu verstehen als eine Konkurrenz zum "solus Christus",
Glauben und Leben, von dem bereits (s. o. 2.2.3) die Rede war. sonder~ als dessen Konsequenz angesichts der Notwendigkeit geschichte
Die Bezeugung der Offenbarung gegenber anderen Menschen hat licher Uberlieferung.
zwei Grundformen: einerseits die Erzhlung, durch die primr die Gestalt
und damit das Ereignis der Offenbarung erinIiert und berliefert wird,
andererseits die Unterweisung und Lehre, durch die primr der Gehalt der 4.1.2 Die Legitimation des Kanons
Offenbarung, also das Wirklichkeitsverstndnis formuliert und weiter-
vermittelt wird. 2 Weil der biblische Kanon verstanden wird als Konsequenz der geschicht--
Diese zweifache berlieferung geschieht (in der Regel) zunchst in lichen Gottesoffenbarung in Jesus Christus,darum sind die biblischen
mndlicher Form. Und das ist - wie insbesondere Luther immer wieder Schriften nach reformatorischer Lehre "die einige Regel und Richtschnur,
betont hat - auch dem Gehalt der Gottesoffenbarung in Jesus Christus, als nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilet
dem Evangeliuin, ganz angemessen. Die schriftliche Fixierung, inder die werden sollen".5 Gegen diese berordnung des biblischen Kanons ber
Lebendigkeit einer menschlichen Stimme eliminiert ist, stellt im Blick auf "alle Lehren und Lehrer" wird immer wieder eingewandt, das Zustande-
das Evangelium einen Notbehelf dar. Aber im Blick auf das drohende kommen des Kanons beweise, da er ein Werk der Kirche sei, die aus einer
Verblassen der Erinnerung und mit dem Auftauchen von irritierenden Vielzahl von Schriften ausgewhlt und erst so den Kanon gebildet habe.
Abweichungen wchst das Bedrfnis nach Verschriftlichung, durch die Das scheint zu zeigen, da die Kirche dem Kanon faktisch bergeordnet
das berlieferte festgehalten, vor Verflschung (besser) geschtzt und ist und da folglich auch die Lehre der Kirche nicht dem Kanon. zu
weiterverbreitet werden sol1. 3 unterwerfen ist. Wie ist dieser Einwand zu beurteilen?
Wegen der schlechthin grundlegenden Bedeutung der geschichtlichen Der Sinn der Kanonbildung besteht darin, einer Verflschung des
Gottesoffenbarung ist dieses Bemhen um Sicherung der berlieferung christlichen Glaubens zu wehren, und zwar durch Sammlung und Sich-
fr die Glaubensgemeinschaft von grter Bedeutung. In diesem Proze tu~g derjenigen Schriften, in denen das Zeugnis von der Offenbarung, wie
entsteht sowohl fr das nachexilische Judentum als auch fr das junge es 1m Glaubensbekenntnis zusammengefat ist, so authentisch wie mg-
Christentum insbesondere angesichts krisenhafter, identittsbedrohender lich bewahrt wird. Es sind demnach inhaltliche Merkmale der einzelnen
Situationen die Notwendigkeit, die schriftlichen Zeugnisse von Gottes Schriften, durch die sie sich als Bestandteil des Kanons qualifizieren,
Offenbarungswirken nicht nur zu sammeln, sondern wegen ihrer partiel- wobei zwischen Kanon und Glaubensbekenntnis ein Wechselverhltnis
len Uneinheitlichkeit auch zu sichten und sich auf einen Kanon (= Ma- besteht.
stab, Richtschnur) verbindlicher Schriften zu verstndigen. Dieser Pro-

2 Andere Formen, wie z. B. der Ritus mit den Elementen der Feier, des Gebets 4 S. dazu die Artikel "Bibel I und III"sowie "Kanon" in TRE Bd. 6 u. 17.
und des Liedes etc., dienen weniger der Bezeugung, als vielmehr der Darstel- 5 BSLK 767,15 H. Dies ist die Fassung der Epitome. Die Solida Declaratio
lung und Vergewisserung. spricht an dieser Stelle theologisch genauer von " Gottes Wort" (BSLK
3 Dem Gesetz ist die Schriftlichkeit ganz angemessen. 837,10 H.).
114 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Bibel als Kanon 115

Zwar trifft die Kirche die formelle Feststellung, welche Schriften (mit 4.1.3.1 Die auctoritas causativa des Kanons
Gewiheit oder auf umstrittene Weise) als authentisches Offenbarungs-
zeugnis (" Offenbarungsurkunde" ) gelten, aber diese Feststellung hat nicht Die "auctoritas causativa" wird9 definiert als diejenige Autoritt, durch
den Charakter einer (freien) Erfindung, sondern den einer Entdeckung, die die Schrift die Zustimmung zum Glaubensinhalt in der Vernunft des
die sich auf die Wirkung bezieht, die diese Schriften aufgrund ihres Inhalts Menschen erzeugt und befestigt. Diese Definition zeigt zunchst, da die
in der christlichen Kirche (gehabt) haben. Im Proze der Kanonbildung auctoritas causativa ganz eng zusammengehrt, ja letztendlich zusam-
versucht die Kirche durch ihre Entscheidung festzustellen und festzuhal- menfllt mit einer anderen, traditionell der Bibel zugesprochenen Eigen-
ten, welche Schriften sich selbst legitimiert haben. 6 schaft, nmlich ihrer "efficacia", also ihrer Wirksamkeit als Mittel zur
Dieser Proze der Kanonbildung ist nur in einem vorlufigen, aber Erleuchtung, zur Bekehrung und damit zum Heil des Menschen. lo
nicht in einem endgltigen Sinne abgeschlossen? Zwar ist durch nichts Die primre Autoritt der Bibel besteht also darin, da sie Menschen
rckgngig zu machen, da der Kanon in seiner jetzigen Fassung (ein- so anspricht, da sie in ihnen Glauben weckt. Sie wird dadurch zum Wort
schlielich seiner umstrittenen Bestandteile und seiner unscharfen Rn- Gottes und erweist sich damit als solches. Die Gewiheit, da die Bibel
der) in der Kirche Anerkennung gefunden hat, aber dadurch ist nicht diese auctoritas causativa "besitzt" und Gottes Wort "ist", kann sich nur
ausgeschlossen, da in der berlieferungsgeschichte - z. B. aufgrund der dadurch einstellen, da sie sich durch das innere Zeugnis des Heiligen
patriarchalen Gesellschaftsstruktur8 - Verluste stattgefunden haben kn- Geistes ("testimonium spiritus Sancti internum", so Calvin) selbst als
nen. Deswegen ist auch nicht auszuschlieen, da eventuelle Funde von solches beglaubigt und einem Menschen "imponiert". Die Bibel ist also
Schriften, die den Charakter eines authentischen Offenbarungszeugnisses als Offenbarungszeugnis ihrerseits selbst eine Gestalt, durch die die Selbst-
haben, dem Kanonzuwachsen knnten. Dies knnte freilich ebenfalls nur erschlieung Gottes geschieht. Es wird freilich noch zu fragen sein (s. u.
geschehen aufgrund eines Prozesses, in dem sich diese Schriften fr die 4.2), wie sich diese Gestalt (das "geschriebene Wort Gottes") zu der
Kirche als dem Kanon zugehrig erweisen. Gestalt Jesu Christi (dem "menschgewordenen Wort Gottes") verhlt.

4.1.3 Die Autoritt des biblischen 4.1.3.2 Die auctoritas normativa des Kanons
Kanons fr den christlichen Glauben
Durch ihre auctoritas causativa bringt die Bibel sich in ihrer auctoritas
Von diesen berlegungen her wird einsichtig, da und warum die altpro- normativa zur Geltung, d. h. sie erweist sich als die einzige Regel und
testantische Theologie von einer zweifachen Autoritt der Bibel gespro- Richtschnur fr alle christlichen Lehren und Lehrer. Eine solche Charak-
chen hat: von ihrer auctoritas causativa und von ihrer auctoritas norma- terisierung der Schriftautoritt klingt fr moderne Ohren vllig berzo-
tiva - und zwar in dieser Reihenfolge. Beides ist nun zu bedenken. gen. Trotzdem ist an ihr unter drei Bedingungen nichts zu beanstanden.
Die Aussagen ber die auctoritas normativa der Schrift gelten,
wenn die Gottesoffenbarung in Jesus Christus der Mastab fr alle
6 Darin liegt das partielle Recht der These Barths: "die Bibel macht sich selbst christliche Lehre ist;
zum Kanon. Sie ist Kanon, weil sie sich als solcher der Kirche imponiert hat
wenn die Bibel das Zeugnis von dieser Offenbarung und damit das
und immer wieder imponiert" (KD 111, S. 110). Von einem nur partiellen
Recht ist zu sprechen, weil in Barths These nicht zum Ausdruck kommt, da Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens zuverlssig zur
und wie die Kirche in diesen Proze durch ihre Interpretation und Aus- Sprache bringt;
wahlentscheidung einbezogen ist. wenn es keine andere Quelle gibt, die in vergleichbarer Weise einen
7 Dem entspricht es, da die lutherischen Bekenntnisschriften (im Unterschied Zugang zur Gottesoffenbarung in Jesus Christus erschliet.
sowohl zu den reformierten Bekenntnisschriften als auch zum Konzil von
Trient) keine Liste der kanonischen Schriften und keine Festlegung auf eine
bestimmte Textfassung enthalten.
8. Vgl. dazu E. Schssler Fiorenza, Zu ihrem Gedchtnis ...; samt der problema- 9 Z. B. von D. Hollaz, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, 1707, S. 153.
tischen Konsequenz einer "Hermeneutik des Verdachts". 10 S. dazu K. Hase, Hutterus redivivus, 1883 12, S. 99.
116 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 117

Sind diese drei Bedingungen erfllt, so wre es sogar ein Selbst- mans, sondern nur norma normata (s. dazu u. 5.1) ist? Dieser Einwand
widerspruch, der Bibel die Rolle als "unica regula et norma omnium liee sich nur entkrften, wenn gezeigt werden knnte, da und wie es
dogmatum" (BSLK 837,13 f.) zu bestreiten. Aber $ind sie erfllt? trotz der Unvollkommenheit der Schrift keiner externen und bergeord-
Die erste Bedingung kann als das Identittsmerkmal des christlichen neten Kriterien oder Instanzen bedarf, um das Wirklichkeitsverstndnis
Glaubens bezeichnet werden und ist insofern als erfllt vorauszusetzen. des christlichen Glaubens aus ihr zu erheben. (Damit werden wir uns in
Die dritte Bedingung kann ebenfalls als erfllt bezeichnet werden, weil es Abschn. 4.3 beschftigen.) Wenn sich dies nicht zeigen liee, mte in der
keine ernsthafte Alternative zu den biblischen Schriften als Quelle fr die Tat die These von der Vollstndigkeit der Schrift preisgegeben werden.
Christusoffenbarung gibt. Aber ist auch die. zweite Bedingung erfllt?
Gibt es berzeugende theologische Grnde fr die Annahme, die Bibel
bringe das in Jesus Christus erschlosseneWirklichkeitsverstndnis des
christlichen Glaubens zuverlssig zur Sprache? 4.2 Die Begrndung der Bibelautoritt
Aber was ist in diesem Zusammenhang mit "Zuverlssigkeit" ("suf-
ficientia" bzw. "perfectio") genau gemeint? Damit kann einerseits ge- In den hinter uns liegenden berlegungen ergab sich fr die Themenstel-
meint sein: Jeder Bestandteil der Bibel stimmt vollkommen mit dem in lung dieses Abschnitts dreierlei: Erstens: Der Kanon der biblischen Schrif-
Jesus Christus erschlossenen Wirklichkeitsverstndnis berein und gibt ten besitzt fr den christlichen Glauben Autoritt, und zwar sogar in
es auf irrtumslose Weise wieder (perfectio als Vollkommenheit). Damit zweifacher Hinsicht, nmlich als Glaubensgewiheit bewirkende und als
kann aber andererseits gemeint sein: In der Gesamtheit der Bibel ist (ne- die Lehre normierende Autoritt. Zweitens: Diese Autoritt wird der
ben und mit anderem) das Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glau- Bibel nicht durch eine externe, bergeordnete Instanz beigelegt, sondern
bens so enthalten, da es vollstndig, also ohne da irgendein wesentli- durch sie selbst beansprucht. Drittens: Durch ihre verursachende Autori-
ches Element fehlt, aus ihr gewonnen werden kann (sufficientia als tt bringt die Bibel sich in ihrer normierenden Autoritt zur Geltung.
Vollstndigkeit). Diese drei Resultate werden im folgenden vorauSgesetzt und nicht mehr
Welche dieser beiden Deutungen des Begriffs "Zuverlssigkeit" sind weiter erlutert, wohl aber soll der zwischen ihnen bestehende Zusam~
theologisch angemessen und welche entsprechen tatschlich der Bibel? menhang noch deutlicher herausgearbeitet werden.
Gegen die Deutung der "Zuverlssigkeit" im Sinne der Vollkommen- Die nun vor uns liegende Frage lautet nicht mehr, ob und inwiefern die
heit sprechen zwei Argumente, ein faktisches und ein prinzipielles: Fak- Bibel innerhalb der Christenheit Autoritt beansprucht und besitzt, son-
ti$ch ist es so, da die Bibel Widersprche und Irrtmer enthlt und da dern wodurch diese Autoritt begrndet ist. Es geht also nicht mehr um
wir deshalb nicht berechtigt sind, ihr Vollkommenheit im Sinne von Un- die quaestio facti, sondern um die quaestio iuris: Beansprucht die Bibel
fehlbarkeit zuzuschreiben. Grundstzlich ist jedoch darber hinaus zu mit Recht Autoritt, und worin besteht dieses Recht? Zunchst (4.2.1)
bedenken, da nur von Gott als dem Urheber und Gehalt der Offenba- sollen unterschiedliche Antwortmglichkeiten bedacht, sodann (4.2.2)
rung, aber gerade nicht von irgendeiner ihrer (sekundren) irdischen derenVerhltnis zueinander bestimmt werden.
Gestalten Vollkommenheit ausgesagt werden kann. Beide Argumente (das
faktische und das prinzipielle) lassen es alsnicht vertretbar erscheinen, der
Bibel, als dem Offenbarungszeugnis, das als solches selbst eine (sekund-
re) Gestalt der Offenbarung ist, Vollkommenheit zuzusprechen. 4.2.1 Mgliche Begrndungsanstze
Aber auch gegen das Verstndnis von "Zuverlssigkeit" im Sinne der
Vollstndigkeit lt sich ein Einwand erheben. Wenn das Wirklichkeits- Soweit ich sehe, stehen drei Begrndungsmglichkeiten, genauer: drei
verstndnis des christlichen Glaubens in der Bibel zwar vollstndig, aber Typen mglicher Begrndungen zur Auswahl, nmlich der Verweis
neben und mit anderem enthalten ist, bedarf es dann nicht eines Kriteri-
- auf die Verfasser,
ums oder einer Instanz auerhalb und ber der Schrift, um dieses
- auf den Inhalt,
Wirklichkeitsverstndnis von anderem zu unterscheiden und als solches
- auf die gttliche Inspiration der Bibel.
zu erheben? Und zeigt nicht gerade dies, da unter dieser Voraussetzung
die Bibel doch nicht die einzige Regel und Richtschnur, also norma nor- Diese drei mglichen Antworten sollen nun einzeln geprft werden.
118 Die Bibelals Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 119

4.2.1.1 Die Verfasser der biblischen Schriften Inhalt zuzuordnen ist. Geistbegabung ist ja in diesem Fall nichts anderes
als Inspiration. Und das Kriterium der unmittelbaren, authentischen Zeu-
Unter den Kriterien, die sowohl fr das Judentum als auch fr das Chri- genschaft bindet die Begrndung der Autoritt ganz an den bezeugten
stentum bei der Auswahl und Kanonisierung der biblischen Schriften Inhalt. Deshalb kann in den weiteren berlegungen dieser auf die Verfas-
magebend waren, spielte immer auch die Verfasserfrage eine wichtige ser verweisende Begrndungstypus (der in der Geschichte eine erhebliche
Rolle. Kanonische Schriften sollten nur diejenigen sein, die auf Propheten Rolle gespielt hat) weitgehend unbercksichtigt bleiben.
undApostel zurckgehen oder jedenfalls aus deren Schlerkreis stammen.
Worin liegt die Begrndung fr dieses Kriterium?
Man knnte an zwei mgliche Begrndungen denken: Entweder ist 4.2.1.2 Der Inhalt der Bibel
gedacht an die Geistbegabung von Prophetinnen, Propheten und Apo-
steln oder an ihre Funktion als Menschen, die Gottes Offenbarung emp- In Abschn. 4.1.1 hat sich ergeben, da die geschichtliche Notwendigkeit
fangen haben und bezeugen (sollen). Im Falle der ersten Begrndung der Kanonbildung aus zweierlei resultiert: einmal aus der grundlegenden
ergbe sich eine Tendenz zur Verselbstndigung der Schriftautoritt ge- Bedeutung von Gottes geschichtlicher Offenbarung fr den Glauben,
genber der Offenbarung. Das spricht aus der Sicht des christlichen Glau- sodann aus der besonderen Gefahr der Verflschung des Offenbarungs-
bens, fr den die Exklusivitt der Christusoffenbarung wesentlich ist, zeugnisses durch die blo mndliche berlieferung. Von diesem Ansatz
gegen diese Begrndung. Im Fall der zweiten Begrndung ergibt sich her erweist sich der Inhalt der Bibel, nmlich die durch sie bezeugte
dagegen eine unmittelbare Verbindung zum Ereignis der Offenbarung. Gottesoffenbarung, als der innere Grund fr die Ausbildung des Kanons
Als dessen erste Zeugen werden Propheten und Apostel hier namhaft und damit auch als die entscheidende Begrndung seiner Autoritt.
gemacht, und zwar im Wissen um die Gefahr des Miverstndnisses, der Diesem Ansatz zufolge ist die Autoritt der Schrift eine abgeleitete,
Umdeutung und Verflschung, die mit jedem Akt der Weitergabe des und zwar aus der Gottesoffenbarung in Jesus Christus abgeleitete Auto-
Offenbarungszeugnisses verbunden ist. Um. der grundlegenden Bedeu- ritt. Das besagt zunchst negativ: Die Bibel ist nicht selbst eine von der
tung der Offenbarung willen sucht die Gemeinschaft der Glaubenden also Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus unabhngige, zweite Gottes-
die ursprnglichsten (ltesten und vermutlich authentischsten) Offen- offenbarung. Folglich kann ihre Autoritt auch nicht. aus einer solchen
barungszeugnisse zu sichern und erkennt ihnen um ihrer Nhe zum eigenstndigen Offenbarungsqualitt abgeleitet werden. Ebenso wichtig
Offenbarungsereignis willen normative Autoritt zu. ist aber das Positive: Weil und sofern die Bibel dieSelbstoffenbarung
Freilich wirft das Kriterium der prophetischen oder apostolischen Gottes in Jesus Christus bezeugt, hat sie Autoritt, japartizipiert sie an der
Verfasserschaft schon in historischer Hinsicht schwierige Probleme auf. Autoritt der Christusoffenbarung.
Da eine Schrift unter dem Namen eines Propheten oder Apostels um- In der Formulierung "weil und sofern" ist freilich schon angedeutet,
luft, bedeutet ja noch nicht, da sie tatschlich von ihm stammt. In der da die Begrndung der Schriftautoritt aus dem Inhalt nicht aus-,
Regel lassen sich nur in negativer Hinsicht, also was den Ausschlu eines sondern einschliet, da der Inhalt damit auch zur kritischen Instanz
bestimmten Verfassers betrifft, einigermaen zuverlssige Ergebnisse er- gegenber dem Text der Bibel wird. Davon wird noch im Zusammen-
zielen. Im Blick auf die positive Feststellung der Verfasserschaft knnen hang mit dem Problem der sachgemen Schriftauslegung (4.3) zu spre-
wir angesichts der Quellenlage hufig nicht ber Vermutungen hinaus- chen sein.
kommenY Schon deshalb kann dem Verfasserkriterium fr die Begrn-
dung der Schriftautoritt keine vorrangige Bedeutung zukommen.
Genau betrachtet handelt es sich bei der Begrndung der Schrift- 4.2.1.3 Die gttliche Inspiration der Schrift
autoritt durch die Verfasser jedoch gar nicht um einen eigenstndigen
Begrndungstyp, sondern blo um einen Anwendungsfall, der entweder Mit der Inspiration, also dem "Eingeben" bzw. "Eingegebensein" der
der Begrndung durch die Inspiration oder der Begrndung durch den "Schrift", argumentiert bekanntlich bereits 11 Tim 3,16 (hnlich 11 Petr
1,21). Dort ist mit "Schrift" freilich (noch) nicht die ganze Bibel, sondern
11 Hierbei handelt es sich um einen Anwendungsfall eines bereits erluterten "nur" das Alte Testament gemeint. Das ist jedoch kein ernsthafter Ein-
wissenschaftstheoretischen Spezifikums (s. o. 1.1.3). wand gegen eine von daher motivierte Entwicklung einer Inspirations-
120 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 121

lehre als Begrndung der Schriftautoritt im ganzen. Schwerer wiegt ein In der theologischen Tradition findet sich hufig eine Unterscheidung
zweiter, gngiger Einwand, nmlich: der Verweis auf die Zirkularitt der dreier Aspekte der Inspirationslehre, die durch die Begriffe Personal-,
Argumentation, die darin besteht, da die Begrndung der Schriftautoritt Real- und Verbalinspiration oder auch durch die Begriffe "impulsus ad
durch die Inspirationslehre mittels einschlgiger Schriftaussagen bereits scribendum", "suggestio rerum" und "suggestio verborum" zum Aus-
die (inspirierte) Autoritt dieser Aussagen voraussetzen mu, um ber- druck gebracht werden. Das zweite und dritte Glied beider Triaden ist
haupt beweiskrftig zu sein. Aber auch dieser Einwand widerlegt nicht die dabei offensichtlich identisch, nicht aber das erste; denn unter Personal-
Inspirationslehre, sondern zeigt nur, da es sich hierbei um eine Argumen- inspiration kann durchaus mehr und anderes verstanden werden (und ist
tation handelt, die allenfalls in sich kohrent, aber nicht nach auen immer verstanden worden) als der Ansto zum Schreiben, nmlich z. B.
beweiskrftig sein kann. das Bewahrtwerden der Schreiber vor Irrtum oder das Bestimmtwerden
Wirklich gravierend sind jedoch zwei andere Einwnde, von denen ihres ganzen Lebens durch das Wirken des Geistes.
zumindest bestimmte Fassungen der Inspirationslehre getroffen werden: Wenn ich es recht sehe, findet (auchunter neuzeitlichen Bedingungen)
Erster Einwand: Wird die gttliche Inspiration der Bibel als ein der die Personalinspiration weitgehende Zustimmung oder jedenfalls Sympa-
Gottesoffenbarung in ]esus Christus gegenber eigenstndiger Akt der thie, qie Verbalinspiration wird dagegen weithin als Irrweg abgelehnt, die
Eingebung des Schriftinhalts durch Gottes Geist verstanden, so wird die Realinspiration nimmt eine (meist etwas unklare) Mittelposition ein. Auf
inspirierte Bibel nicht nur zu einer zweiten, gleichrangigen Offenbarungs- diese Weise bilden die Aspekte der Inspirationslehre eine Art theologi-
gestalt neben ]esus Christus, sondern faktisch zu der fr alle Nachgebo- sches Geflle, das von der Personalinspiration aus gedacht ist und- je
renen einzig relevanten Gestalt der Offenbarung, denn nur sie ist ihnen ja nach theologischem Standort - mehr oder weniger weit in Richtung der
direkt zugnglich. Der Tendenz nach tritt hier das "sola scriptura" an die Verbalinspiration reicht, in der Regel aber vor ihr abbricht.
Stelle des "solus Christus" und nimmt es in sich auf. Das ist jedenfalls Diese Verhltnisbestimmung scheint mir in sich tief problematisch zu
berall dort der Fall, wo die Christusoffenbarung nicht mehr als kritische sein, und sie ist - vor allem - ungeeignet, die Wahrheitsmomente (aber
Instanz gegenber der Bibel zur Geltung gebracht wird, ja nicht gebracht auch die entscheidende Problematik) der Inspirationslehre in den Blick zu
werden darf. bekommen. Das Grundproblem liegt m. E. darin, da die Inspirations-
Zweiter Einwand: Die Inspirationslehre ist hufig verbunden mit der lehre hier nicht vom Begriff der Realinspiration aus gedacht wird und da
Lehre von der Irrtumslosigkeit und Vollkommenheit der Bibel. Damit soll dadurch die Personalinspiration als eine von der Realinspiration relativ
sichergestellt werden, da die Gottesoffenbarung in ]esus Christus uns unabhngige, ja ihr sachlich vorgeordnete Gre erscheint.
durch die Schrift auf untrgliche und eindeutige Weise vermittelt wird. ] a, Whlt man dagegen den Einstieg bei der Realinspiration, dann ist der
es gibt Formen der Inspirationslehre, die letztlich gar keinen anderen Akt der Inspiration nichts anderes als die Wirkung derdurch die Selbst-
Zweck haben, als die Unfehlbarkeit des biblischen Glaubenszeugnisses erschlieung Gottes (in]esus Christus) erfolgenden und durch dasWirken
theoretisch zusichern. Aber gerade gegen diesen - sozusagen "menschlich des Heiligen Geistes beglaubigten Mitteilung des Offenbarungsgehaltes,
verstndlichen" - Versuch der Absicherung des Offenbarungszeugnisses der ja allein die "res" der Offenbarung und der Schrift ist und sein kann.
erheben sich theologische Bedenken: Ist eine solche Sicherung mit dem Durch die Wahl dieses Einstiegspunktes ist zweierlei gewonnen: Der In-
Wesen der Offenbarung und des Glaubens vereinbar? (s. o. 2.2.2) Ent- halt (die res) der Inspiration ist dann per definitionem kei~ anderer als der
springt sie nicht dem der Glaubensgewiheit widersprechenden Verlan- Gehalt der Gottesoffenbarung, und der Akt der Inspiration ist per
gen, das Offenbarungszeugnis und die Berufung auf dieses Zeugnis unan- definitionem kein anderer als das Ereignis der Gottesoffenbarung, durch
greifbar zu machen? Und kann dieser Versuch angesichts der zutage das einem Menschen die Gewiheit von der Wahrheit des Offenbarungs-
liegenden Geschichtlichkeit und Irrtumsfhigkeit der Bibel berhaupt- gehaltes zuteil wird.
redlich - gelingen? Aus der so verstandenen Real1~spiration resultiert nun die Personal-
Beide Einwnde sind m. E. gewichtig und stellen bestimmte Motive inspiration, die sich - nicht nur, aber auch - auf die WeitergabJ des
und Formen der Inspirationslehre grundstzlich in Frage. Aber davon Offenbarungszeugnisses bezieht. Von da aus erschliet sich nun aber
wird keineswegs die Inspirationslehre insgesamt und generell getroffen. auch der Wahrheitsgehalt der Lehre von der Verbalinspiration; denn
Diese enthlt vielmehr unaufgebbare Wahrheitsmomente, die in den bis- eine Real- und Personalinspiration, die sich nicht auch auf die Worte der
herigen berlegungen noch nicht zur Geltung gekommen sind: Persn bezge, wre ein Abstraktum. Die knstliche - und hermeneu-
122 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 123

tisch unhaltbare - Unterscheidung zwischen Inspiration im Blick auf erschlossenen Wirklichkeitsverstndnis ergriffen ist, da ihr Reden
Person, Inhalt und Wort entfllt damit. Zugleich zeigt sich, da die und Schreiben von daher entscheidend bestimmt wird.
altprotestantische Orthodoxie konsequent gedacht hat, wenn sie die
Aber mte dann nicht doch alles Gesagte und Geschriebene wahr, ja
Worte der biblischen Schriften als ebenso inspiriert verstand wie die
unfehlbar sein? Das ist aus zwei Grnden nicht der Fall: Erstens erfat
Autoren und den Inhalt. 12 Insoweit ist die Lehre von der Verbal-
kein Mensch in diesem Leben (durch das Geschehen der Inspiration) das
inspiration nicht zu tadeln oder preiszugeben, sondern erneut zur Gel-
in der Offenbarung erschlossene Wirklichkeitsverstndnis vollkommen,
tung zu bringen. sondern immer nur in bestimmten Aspekten und Tiefenschichten. Andere
Aber die traditionelle Inspirationslehre verndert sich durch die hier
bleiben ihm verborgen und unzugnglich. Und das gilt auch fr die Ver-
vorgeschlagene Interpretation in drei Hinsichten ganz entscheidend:
fasser der biblischen Schriften. Nichtsdestoweniger sind sie wahrhaftige
- Die gttliche Inspiration ist so gesehen kein Geschehen, das nur den Zeugen der Offenbarung. Zweitens bleibt jeder Mensch (im Geschehen
Verfassern der biblischen Schriften zuteil geworden wre, sondern es der Inspiration) geprgt durch seine Sprache, seine Kultu):, sein Ge-
wird verstanden als Akt der Geistmitteilung durch Gottesoffenbarung, schlecht, seinen Bildungsstand. Das schliet nicht aus, sondern ein, da
der berall stattfindet, wo Glaubensgewiheit entsteht. Der gttliche diese Prgung durch die Begegnung mit dem Offenbarungszeugnis aufge-
Geist ist allen Glaubenden verheien und gegeben. Und nur dieser brochen, verndert und korrigiert wird. Aber dieser Proze hat nicht den
Geist kann gemeint sein und ist gemeint, wenn von Inspiration oder Charakter einer vollstndigen, momentanen Neuerschaffung, sondern
Theopneustie die Rede ist (11 Petr 1,21: "getrieben vom Heiligen eines Wachsens und Reifens, das in diesem Leben nicht zu dem Ziel voll-
Geist"). kommener Wahrheitserkenntnis fhrt.
Der "impulsus ad scribendum" ist von daher nicht mehr zu verstehen Problematisch ist also weder die Inspirationslehre im allgemeinen,
als die "Spitze" der Inspiration, sondern als deren Konsequenz fr eine noch die Lehre von der Verbalinspiration im besonderen. Beide sind
Person, die sich in eine Situation gestellt sieht, in der die schriftliche vielmehr richtig und wichtig. Problematisch wird die Inspirationslehre
Formulierung des Glaubenszeugnisses zu der angemessenen, vielleicht aber dann,
sogar unabweisbar notwendigen Form wird, wie sie im Gehorsam
- wenn sie die Bibel gegenber der Gottesoffenbarung in Jesus Christus
gegen die ihr zuteil gewordene Offenbarung das Zeugnis der Offenba- verselbstndigt,
rung weiterzugeben hat.
- wenn sie auf die Verfasser der biblischen Schriften begrenzt wird,
- Mit alledem erweist sich die Inspiration als ein Akt nicht der Ausschal-
wenn sie die menschliche Begrenztheit und damit auch die Irrtums-
tung, sondern derI ndienstnahme menschlichen Fhlens, Denkens und
fhigkeit der biblischen Verfasser und ihrer Schriften ausschlieen
Wollens durch und fr die Bezeugung der Gottesoffenbarung. Alles - will.
also auch die Worte - wird durch dieses Erschlieungsgeschehen neu
bestimmt; aber alles bleibt menschlich unddeshalb mitbestimmt durch Wo auch nur eine dieser drei isolierenden Tendenzen wirksam wird,
die zwar gebrochene, aber nicht verschwundene Macht des Irrtums ist die Inspirationslehre zu kritisieren. Aber diese Tendenzen gehren
und des Bsen. Die paulinische Erinnerung an die "irdenen Gefe", nicht zu ihrem Wesen, wohl aber zu bestimmten Erscheinungsformen, die
in denen wir den "Schatz" der Offenbarung tragen, ist hier ebenso am korrigiert werden knnen und mssen.
Platz wie seine - durchschlagende - Begrndung hierfr: "damit die
berschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns" (11 Kor 4,7).
Inspiration schafft also in keiner ihrer Formen (als Real-, Personal-
4.2.2 Das Verhltnis der Begrndungsanstze zueinander
und Verbalinspiration) Irrtumslosigkeit, sondern sie besagt in jeder
Im zurckliegenden Abschnitt wurde erkennbar, da zwischen Inhalt
ihrer Formen, da eine Person so von dem in der Christusoffenbarung
und Inspiration dann eine Spannung besteht, wenn die Begrndung von
der Inspiration her so akzentuiert wird, da die Schrift als eigenstndige,
12 Damit wird nicht behauptet, dies sei in allen Fllen das Motiv der altprote- von der Christusoffenbarung unabhngige Gottesoffenbarung verstan-
stantischen Orthodoxie gewesen. Hier spielte vielmehr das Interesse an der den und damit (wider Willen) der Christusoffenbarung neben- oder gar
Verteidigung einer bestimmten Textfassung der Bibel eine wesentliche Rolle. vorgeordnet wird. Eine solche Inspirationslehre ist abzulehnen; denn der
124 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 125

christliche Glaube basiert auf der Gewiheit, da Gott sich letztgltig in Die jdische Sichtweise und Begrndung der Schriftautoritt kann im
Jesus Christus, also in einem Menschen, nicht in einem Buch geoffenbart Rahmen einer christlichen Dogmatik nur aus einer Auenperspektive
hat. 13 heraus wahrgenommen und beschrieben werden (s.o. 1.2.1). Aus dieser
Aber die Inspirationslehre enthlt ein grundstzlich berechtigtes An- Perspektive kann gesagt werden, da offenbar zweierlei fr die jdische
liegen, wenn sie zum Ausdruck bringt, da dieses Buch auf eine Art und Begrndung der Schriftautoritt konstitutiv ist:
Weise von der Gottesoffenbarung in Jesus Christus spricht, die als von a) Grundlegend ist die Gewiheit, da der Gott Abrahams, Isaaks und
Gottes Geist bestimmt zu bezeichnen ist. Mehr noch: Erst sie bringt zum Jakobs sich seinem Volk geoffenbart hat. Diese Offenbarung ist durch
Ausdruck, da es das testimonium spiritus Sancti internum ist, das den Taten (z. B. den Exodus) und durch Worte (z. B; den Dekalog) geschehen,
Inhalt der Heiligen Schrift so beglaubigt, da ihr dadurch die auctoritas und ihr Gehalt besteht darin, da Gott Israel als sein Volk auserwhlt und
causativa zuteil wird, aus der ihre auctoritas normativa resultiert (s. o. sich ihm als sein Gott zugesagt hat. Er geht mit Israel einen Bund ein, der
4.1.3.2). Und wenn dem so ist, dann kommt alles darauf an, die untrenn- diesem Volk eine heilvolle Zukunft verheit. Als Wegweisung in diese
bare Zusammengehrigkeit, ja die Einheit von Inhalt und Inspiration Zukunft offenbart Gott dem Volk seinen Willen und nimmt damit zu-
(also von uerem und innerem Wort) zu denken. gleich das Volk fr sich in Anspruch. Diese Doppelstruktur von Zusage
Die von der Realinspiration her verstandene Inspirationslehre bildet und Inanspruchnahme, die sowohl im Begriff der "Erwhlung" als auch
mit der Begrndung der Schriftautoritt durch den Rekurs auf den Inhalt im Begriff des "Bundes" in ihrer inneren Zusammengehrigkeit zum Aus-
der Bibel eine solche untrennbare Einheit. Dementsprechend handelt es druck gebracht wird, findet immer wieder ihren Ausdruck in der Formel:
sich nicht um eine Alternative, sondern um zwei Aspekte, die int'egrativ "Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein. " (Lev26,12;Jer 7,23;
zusammengehren. 11,4; 24,7; 31,1 u. 33; Ez 11,20; 37,23 u. 27; Hos 2,25; Sach 8,8 u. .)15
Die Doppelstruktur von Zusage und Inanspruchnahme bestimmt auch
das erste Gebot des Dekalogs (Ex 20,2 f.; Dtn 5,6 f.; vgl. auch Dtn 6,4 f.).
4.2.3 Die Anwendbarkeit der Begrndung Damit ist in knappster Form der Gehalt der Gottesoffenbarung, wie er in
der Schriftautoritt auf das Alte Testament der "jdischen Bibel" bezeugt ist, zum Ausdruck gebracht.
b) Fr das Judentum hat aber Jesus Christus nicht den Charakter einer
Angesichts der zentralen Bedeutung, die in diesem Modell dem Inhalt der Selbsterschlieung Gottes, dementsprechend kann es auch im christlichen
Schrift zukommt, der mit der Gottesoffenbarung in Jesus Christus gleich- Neuen Testament kein Offenbarungszeugnis erkennen, dem kausative
gesetzt wurde, scheint es so, als sei das Alte Testament, das doch zum oder normative Autoritt zukme. Zwar ist das Judentum offen fr eine
Kanon gehrt, gar nicht im Blick. Lt sich die Bibelautoritt insgesamt knftige Epiphanie Gottes in Gestalt des erwarteten Messias Israels. Aber
so begrnden, wie das hier versucht wurde? das Judentum teilt nicht die christliche berzeugung, da in Jesus Chri-
Hier mssen zwei Sichtweisen unterschieden werden: die jdische stus der Messias Israels bereits erschienen ist.
Sichtweise, fr die das "Alte Testament" die hebrische, genauer: die Die Autoritt der "jdischen Bibel" lt sich also ebenfalls vom
jdische Bibel ist, und die christliche Sichtweise, fr die die "jdische Gehalt der Schrift her, d. h. von der in ihr bezeugten Gottesoffenbarung
Bibel" das Alte Testament ist.l 4 begrnden. Aber dieser Gehalt hat sich dem Judentum anders erschlos-

13 Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, da dies einen gewichtigen


Unterschied zwischen Christentum und Islam darstellt. Fr den Islam steht besser gerecht zu werden, lst das hier bestehende Problem nicht berzeugend.
nicht etwa der Prophet Mohammed, sondern der Koran an der Stelle, an der In Konsequenz dieses Vorschlags mte ja das "Neue Testament" als "Zwei-
fr den christlichen Glauben Jesus Christus steht. tes Testament" bezeichnet werden, was in gleichem Mae den Eindruck
14 Gebrauchen Christen den Ausdruck "hebrische" bzw. "jdische Bibel" als erwecken kann, das Erste Testament sei hinfllig geworden. Wenn man den
ihre Bezeichnung fr das Alte Testament, so machen sie sich die jdische Begriff "Altes Testament" (oder "Erstes Testament") so miversteht, als
Sichtweise zu eigen. Wenn dies nicht als Konversion gemeint ist, hat es den bedeute er "hinfllig gewordenes Testament", ist er zu beanstanden. Aber
Charakter eines bergriffs. Der von E. Zenger (Das Erste Testament) zur dieses Miverstndnis kann vermieden werden.
Diskussion gestellte Vorschlag, die Bezeichnung "Altes Testament" durch 15 Im Neuen Testament findet diese Formel Aufnahme in 11 Kor 6,16; Hebr 8,10
"Erstes Testament" zu ersetzen, um damit dem jdischen Selbstverstndnis u. Apk 21,3.
126 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Die Begrndung der Bibelautoritt 127

sen und mu daher von ihm auch anders bestimmt werden als vom und beseitigt nicht die dominierende Begrenzung auf Israel, die insbeson-
Christentum. dere darin sichtbar wird, da den Feinden Israels nicht Gottes Heilswille
Fr den christlichen Glauben verliert von der Gewiheit der Gottes- zugesagt, sondern sein Vernichtungswille angedroht wird (besonders
offenbarung in Jesus Christus her die "jdische Bibel" nicht ihre Gltig- massiv in den sog. Rachepsalmen, z. B. Ps 68, 22-24; 137,7-9 oder inJes
keit, sondern diese Gltigkeit wird (durch Zitierung und inhaltliche An- 13,15 f.).
knpfung) ausdrcklich besttigt. Wohl aber wird die Gottesoffenbarung Mit der hier skizzierten christozentrischen Begrndung der Autoritt
in Jesus Christus fr den christlichen Glauben zur normgebenden Offen- (auch) des Alten Testaments mache ich mir ausdrcklich nicht eine Deu-
barung, und zwar auch im Blick auf seine Stellung zu dem Offenbarungs- tung zu eigen, die das Alte Testament auf eine Formel festlegt und so dem
zeugnis Israels. Eben damit wird die "jdische Bibel" fr die Christen zum Neuen Testament gegenberstellt oder zuordnet (z. B. als Gesetz gegen~
Alten Testament und damit zu einem Teil ihrer Heiligen Schrift. Wenn ber dem Evangelium oder als Weissagung gegenber der Erfllung).
Christen das Alte Testament lesen, dann knnen sie dabei nicht von dem Solche Formeln werden weder dem Alten Testament noch dem Neuen
absehen, was sich ihnen (durch das Neue Testament) von Jesus Christus Testament und deshalb natrlich auch nicht deren Verhltnis zueinander
her erschlossen hat. Von daher entdecken sie, da die Wurzeln ihres gerecht. Auch das Alte Testament enthlt Evangelium, und auch das Neue
Glaubens in der Gottesoffenbarung liegen, die sich dem Volk Israel er- Testament enthlt Gesetz. Ebensowenig wird hier freilich ein das Alte
schlossen hat und die im Alten Testament bezeugt wird. Deshalb gilt die Testament und das Neue Testament miteinander verbindender kontinu-
Begrndung der Schriftautoritt von Jesus Christus her aus christlicher ierlicher oder geradliniger Entwicklungszusammenhang behauptet. Auch
Sicht tatschlich auch fr das Alte Testament. er ist ein Konstrukt, das der Vielfalt und Lebendigkeit der Texte nicht
Dabei wre die Rede von den Wurzeln des christlichen Glaubens gerecht wird.
oberflchlich und unzureichend interpretiert, wenn sie sich primr an den Die christozentrische Begrndung der Autoritt des Alten Testaments
sog. messianischen Weissagungen des Alten Testaments orientieren und schliet aus christlicher Sicht die christozentrische Kritik des Alten Testa-
diese als in Jesus Christus erfllt bezeichnen wrde. Es geht viel umfassen- ments ein. Dasselbe gilt brigens - wie sich zeigen wird (s. u. 4.3.3.3)~
der und grundlegender um die vierfache Gewiheit, auch fr das Neue Testament. Gerade so kann diese Begrndung eine
Vereinnahmung der" jdischen Bibel" vermeiden und der Eigenbedeutung
- da der Vater Jesu Christi kein anderer ist als "der Gott Abrahams, des Alten Testaments Rechnung tragen. Das hebt nicht auf, da die an
Isaaks und Jakobs"; Christus Glaubenden das Alte Testament gar nicht anders lesen und ver-
- da die im Alten Testament bezeugte Heilsverheiung Gottes fr stehen knnen als vom Glauben an die Gottesoffenbarung in Jesus Chri-
Israel nicht hinfllig geworden ist, sondern durch Christus in Geltung stus her. Sie entdecken von da aus die tiefreichenden Gemeinsamkeiten,
bleibt; die sie zu "Schuldnern" gegenber Israel machenP Aber sie entdecken
- da der im Dekalog und Liebesgebot bezeugte Gotteswille von der auch das Trennende, das sie sich nicht zu eigen machen knnen. So ist die
Gottesoffenbarung in Jesus Christus her bekrftigt und besttigt Autoritt des Alten Testaments (wie die des Neuen Testaments) fr den
worden ist; 'christlichen Glauben von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus
- da die Zusage und Inanspruchnahme "Ich will euer Gott sein und ihr her begrndet und begrenzt.
sollt mein Volk sein" in Kraft bleibt - aber nicht beschrnkt bleibt auf
das Volk Israel, sonderngeffnet istfr "die Welt" (Joh 3,16 f.; n Kor
5,19), also fr Juden und Heiden.
Es wre freilich eine verkrzte Darstellung, wenn man nicht she, da
schon im Alten Testament immer wieder die Grenzen des Volkes Israel
berschritten werden, so da "die Vlker" in Gottes Heilshandeln mit
einbezogen werden. 16 Aber diese Einbeziehung geschieht nur ansatzweise
17 Diesen Gedanken veranschaulicht Paulus in Rm 11,17-24 an dem Bild des
16 So etwa in der Abrahams-Verheiung Gen 12,3 b sowie Gen 18,18; 22,18; (edlen) lbaums, dem einige Zweige ausgebrochen wurden und dafr ein
26,4; 28,14; s. a. Jes 2,1-5; Jon 3 u. 4. wilder lzweig eingepfropft wurde.
128 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 129

4.3 Das Problem der sachgemen Schriftauslegung richtig interpretiert, also verstanden haben, wenngleich auch diese ber-
prfung nur durch (erneute) Interpretation mglich ist. Bei der Lektre
4.3.1 Das Verstehen der Bibel als Auslegungsgeschehen eines geschriebenen Textes ist eine solche Rckkoppelung aber inder
Regel nicht mglich. Und je weiter die Entstehung eines Textes zeitlich
Die Bibel ist vielerlei: Sie ist eine Sammlung religiser Texte aus mehr als entfernt ist, desto schwieriger wird die Auslegungsaufgabe - aber auch
einem Jahrtausend; sie ist eine historische Quelle fr den antiken vorde- desto dringlicher. Es ist eine groe Schwche, ja eine grundlegende Aporie
ren Orient; sie ist ein kulturgeschichtliches Dokument, das selbst den vieler Formen des Biblizismus, da dieses Auslegungsproblem ignoriert
Charakter eines Kunstwerkes hat, etc. Fr den christlichen Glauben ist oder jedenfalls erheblich unterschtzt wird. Auslegungsbedrftig sind
die Bibel auch und vor allem die grundlegende berlieferungsgestalt, nicht etwa nur die sog. "dunklen Stellen in der Bibel", sondern alle ihre
durch die die Offenbarung Gottes in JesusChristus fr die Nachgebore- Elemente. Wo dies nicht gesehen oder nicht anerkannt wird, besteht die
nen zugnglich wird. Aber gerade wenn die Bibel so verstanden wird, Gefahr, da in die Bibel vor allem das hineingelesen wird, was den
stellt sich unbersehbar das Problem, wie die Bibel selbst dem Verstehen mitgebrachten Vorstellungen der Leserinnen und Leser entspricht, was
(der Nachgeborenen) zugnglich wird. Darauf ist zunchst allgemein zu aber keineswegs mit Sinn, Bedeutung und Intention der Bibeltexte ber"
antworten: (nur) durch Auslegung. Das gilt nicht nur fr die Bibel, son- einstimmen mu. Deswegen ist die Position eines hermeneutisch unzurei-
dern fr jeden Text, ja fr jedes Zeichen. Aber eben deshalb gilt es auch chend reflektierten Biblizismus als kontraproduktiv oder selbstwider-
fr die Bibel. sprchlich zu bezeichnen: Er will nichts anderes, als die Bibel zu Wort
Gegen die These, nur durch Auslegung werde die Bibel zugnglich, und zur Geltung kommen zu lassen, aber er steht dabei in der akuten
wird gelegentlich der Einwand erhoben, jede Auslegung verflsche zumin- Gefahr, die Bibel von seinen eigenen Vorstellungen her unbewut zu
dest potentiell.den auszulegendenText, in diesem Fall also die Bibel, und (mi-)deuten.
deswegen komme es darauf an, die Worte der Bibel nicht auszulegen oder Die hermeneutische Problemlage ist im Blick auf die Bibel besonders
zu interpretieren, sondern" einfach so zu nehmen, wie sie dastehen". An komplex und diffizil. Die Bibel ist ja eine Sammlung von Schriften ganz
diesem Einwand ist richtig, da jeder Auslegungsakt das Risiko des unterschiedlicher Verfasser aus verschiedenen Jahrhunderten und nicht
Miverstehens oder der Verflschung in sich trgt, aber trotzdem gilt, da das Werk eines Autors. Und diese Sammlung ist in sich keineswegs ein-
ohne ihn gar kein Verstehen mglich wre, Im Blick auf die biblischen heitlich, sondern vielstimmig, ja teilweise widersprchlich. Das zeigt sich
Texte ist das schon insofern evident, als diese in Sprachen verfat worden freilich oft erst bei sehr genauem Lesen. Die in der Bibel enthaltenen
sind (hebrisch, aramisch, griechisch), die die allermeisten heutigen Men- Angaben, Darstellungen, vor allem aber Theologien ergnzen und best-
schen nicht verstehen, so da sich nur durch bersetzung, die selbst schon tigen sich nicht nur gegenseitig (das tun sie auch), sondern sie liegen
ein entscheidender Interpretationsakt ist, Sinn und Bedeutung dieser Tex- teilweise miteinander im Streit. Damit ergibt sich aber sowohl fr die
te erschlieen knnen. Exegese als auch fr die Dogmatik die Aufgabe zu klren, in welchen
Aber noch viel grundstzlicher gilt: Verstehen heit Auslegen.Da- biblischen Aussagen das Wesen des christlichen Glaubens angemessen zur
bei geht es sowohl um eine syntaktische Interpretation, aufgrundderer Erscheinung kommt und in welchen es verflscht oder unterbestimmt
die Elemente des Textes einander zugeordnet werden, als auch um eine wird.
semantische Interpretation, durch die den Elementen des Textes eine
Bedeutung zugeordnet wird, sowie schlielich um eine pragmatische In-
terpretation, anhand derer dem Text bestimmte Absichten oder Ziel-
setzungen entnommen werden. Diese drei Interpretationsvorgnge fin- 4.3.2 Schriftauslegung als Erfassung des Schriftsinnes
den - wenn auch hufig unbewut - gleichzeitig statt und durchdringen
sich gegenseitig. Bewut werden sie vor allem dann, wenn die zu verste- Je konsequenter die Autoritt der Bibel aus dem von ihr bezeugten
henden Texte fremdartig (z. B. fremdsprachig, kompliziert, unklar) sind Inhalt abgeleitet wird, um so grere Bedeutung bekommt der buchstb-
oder wenn bei dem Versuch, sie zu verstehen, offenkundige Widerspr- liche bzw. "historische" Sinn der biblischen Texte (sensus literalis sive
che auftreten. In der direkten Kommunikation lt sich hufig (durch historicus). Da die reformatorische Theologie sich von der Theorie des
Rckfrage, Korrektur oder Besttigung) berprfen, ob wir einander vierfachen Schriftsinnes lste, hat seinen entscheidenden Sachgrund im
130 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 131

Verstndnis der Bibel als" Christusbuch ~'18. Denn wenn die Autoritt der Handeln und Hoffen des Menschen auf methodisch verlliche Weise zur
Schrift aus ihrem Inhalt resultiert, mu dieser mglichst genau erfat Geltung bringen will. So gesehen vertritt die Lehre vom vierfachen Schrift-
werden. Umgekehrt ermglicht eine Orientierung an der Inspiration oder sinn nicht nur ein legitimes, sondern sogar ein unaufgebbares Anliegen,
an den Verfassern der Schrift die ffnung fr alte und neue Lehren vom geht es ihr doch offenbar darum, den uneingeschrnkt daseinsbestim-
mehrfachen Schriftsinn. Mit der in Abschn. 4.2 getroffenenEntscheidung menden Charakter der in der Bibel bezeugten Gottesoffenbarung bei der
fr die inhaltliche Begrndung der Bibelautoritt ist folglich die grund- Schriftauslegung zur Sprache kommen zu lassen.
stzliche Entscheidung dafr gefallen, da Schriftauslegung legitimer- Freilich, die Lehre vom vierfachen Schriftsinn bringt dieses legitime, ja
weise nichts anderes sein kann als das Bemhen, den Literalsinn der unaufgebbare Interesse mit ungeeigneten Mitteln zur Geltung, indem sie
biblischen Texte durch Auslegung zu erfassen. den allegorischen, moralischen und anagogischen Schriftsinn (also die
Trotzdem bleiben hier zwei Anfragen zu bedenken. Zunchst: Bedeu- funktionalenSinnaspekte) dem Literalsinn ergnzend nebenordnet. Da-
tet diese Konzentration auf den Literalsinn nicht eine unsachgeme Re- mit ffnet sie jedoch dem hermeneutischen Mibrauch Tor und Tr,
duktion, bei der das Anliegen und das mgliche Wahrheitsmoment der indem sie erlaubt, Auslegungsprobleme, die sich vom Literalsinn her er-
Lehre vom mehrfachen Schriftsinn verlorengeht (4.3.2.1) ?Sodann: Ist der geben, mittels Moralisierung oder Allegorisierung, also durch Wechsel
Literalsinn der biblischen Texte, und d. h. auch: der von den biblischen der Auslegungsart zu beheben oder zu umgehen. Noch problematischer
Autoren gemeinte Sinn berhaupt (mit Sicherheit) durch Auslegung zu ist jedoch, da auf diese Weise der Literalsinn und die drei funktionalen
erfassen (4.3.2.2)? Sinnaspekte gegeneinander isoliert werden, wodurch der Literalsinn ten-
denziell theologisch entleert wird und die funktionalen Sinnaspekte ihr
"fundamentum in re" verlieren.
4.3.2.1 Wahrheitsmomente der Mit dieser Kritik ist aber auch schon der Weg gewiesen, wie.dem
Lehre vom mehrfachen Schriftsinn Anliegen und dem Wahrheitsmoment der Lehre vom vierfachen Schrift-
sinn besser Rechnung getragen werden kann: Die drei funktionalen Sinn-
Sucht man nach einer inneren Begrndung fr die klassische Lehre vom aspekte sind dem Literalsinn nicht neben-, sondern unterzuordnen. Sie
vierfachen Schriftsinn, so kann man sich an dem bekannten mittelalterli- ergnzen nicht, sondern sie explizieren, d. h. sie entfalten den Literalsinn.
chen Merkvers orientieren: Recht verstanden sagt die Lehre vom vierfachen Schriftsinn Wesentliches
aus ber die innere Struktur des Schriftinhaltes, der das Glauben, Handeln
"Litera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas und Hoffen des Menschen neu orientieren und bestimmen will. Aber diese
anagogia. "19
"Funktionen" kommen nicht . zum Schriftinhalt hinzu,. sondern sie sind
An diesem Vers kann zweierlei auffallen: Erstens, da dem Literalsinn bereits in ihm enthalten, ja, sie konstituieren ihn. Und deshalb kommt das
keine (existentielle) Funktion (kein: "du ... sollst") zugeordnet wird; Wahrheitsmoment der Lehre vom vierfachen Schriftsinn erst dann zUr
zweitens, da bei den drei Funktionen des allegorischen, moralischen und Geltung, wenn man sie als Lehre vom dreifachen Sinn der Offenbarung
anagogischen Schriftsinnes offenbar eine Nhe zu den drei Kardinal- rekonstruiert.
tugenden Glaube, Liebe und Hoffung besteht. Das gebietet zwar nicht, Gilt dies auch fr die neueren Vorschlge zur Ergnzung des sensus
aber es erlaubt doch, die innere Begrndung der Lehre vom vierfachen literalis sive historicus etwa durch eine materialistische, psychoanalyti-'
Schriftsinn so zu rekonstruieren, da sie ausgehend von der Auslegung des sehe (bzw. tiefenpsychologische) oder feministische Hermeneutik? Diese
Schriftinhaltes (gesta) dessen umfassende Bedeutung fr das Glauben, Anstze sind untereinander zu verschieden, als da man das obige
Rekonstruktionsmodell unverndert und undifferenziert auf sie anwen-
den knnte. Aber in zwei entscheidendenHinsichten ist doch eine Gleich-
18 Diesen Begriff prgte - in historischer Absicht - R. Schfer (Der Evangelische
artigkeit festzustellen: Erstens wollen auch diese neueren Theorien die
Glaube, Tbingen 1973, S. 45 u. 48). Ich nehme ihn hier als systematisch-
theologischen Begriff auf.
umfassende Bedeutung der biblischen Botschaft fr das Glauben, Han-
19 "Der Buchstabe lehrt, was geschehen ist, die Allegorie, was du glauben sollst, deln und Hoffen des Menschen - in einer bestimmten Hinsicht - auf
der moralische Sinn, was du tun sollst, die Eschatologie, wohin du deine methodisch verlliche Weise zur Geltung bringen. Und das ist nicht nur
Hoffnung ausrichten sollst." ein grundstzlich. berechtigtes Anliegen, sondern eine hermeneutische
132 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 133

Bereicherung. Zweitens stehen auch diese neueren Theorien in der Ge- Zeitpunkt als definitiv erledigt hinter sich lassen knnte, sondern eine
fahr, dieses Anliegen mit ungeeigneten Mitteln zu vertreten, wenn sie die unabschliebare Aufgabe. Fr die Arbeit an dieser Aufgabe mu sich die
Ergebnisse der historisch-kritischen Schriftauslegung, die dem Literalsinn Theologie der (besten) allgemeinen exegetischen und hermeneutischen
verpflichtet ist, ignorieren oder nicht ernst nehmen. Die faktische (und Mittel bedienen, die vorhanden sind und (unter ihrer Beteiligung) weiter-
nicht nur grundstzliche) Berechtigung und hermeneutische Bedeutung entwickelt werden.
solcher Anstze mu sich daran prfen lassen, ob sie in der Lage sind, Kann aber unter dieser Bedingung die Bibel in ihrem Literalsinn ber-
das Offenbarungsgeschehen (zumindest in einer bestimmten Hinsicht) haupt ihre normative Funktion fr die Lehre und fr das Leben der Kirche
angemessen zu explizieren und sich dabei am Literalsinn des biblischen erfllen? Hat - unter dieser Voraussetzung - die Bibel faktisch eine
Offenbarungszeugnisses messen und gegebenenfalls von daher korrigie- auctoritas normativa? Die Antwort kann nur lauten:]a, als auszulegende,
ren zu lassen, und ob sie eine existentiell relevante Dimension des wobei die Auslegung sich an der Erfassung des Literalsinnes als einer
Offenbarungsgeschehens zur Geltung bringen. regulativen Idee zu orientieren hat. Daraus folgt, da die Handhabung der
Schriftautoritt nach evangelischem Verstndnis nur in einem durchSorg-
falt, Sachverstand und Lernbereitschaft qualifizierten Proze der Schrift-
4.3.2.2 Die Erfabarkeit des Literalsinnes auslegung erfolgen kann. D. h., eine mechanische Handhabung der
Schriftautoritt, die sich darauf beschrnken wrde festzustellen, ob ir-
Zur Vermeidung eines hermeneutischen Miverstndnisses sei noch ein- gendwelche Aussagen der Bibel zustimmend nachgesprochen oder aber
mal gesagt: Der Literalsinn eines (biblischen) Textes istnicht "einfach das, verneint werden, ist nach evangelischem Verstndnis ungeeignet, weil sie
was dasteht", sondern der Literalsinn wird nur zugnglich durch eine dem Charakter der Bibel nicht angemessen ist. 20 Wenn die Schrift-
verstehende Auslegung(in syntaktischer, semantischer und pragmatischer auslegung mit Sorgfalt, Sachverstand und Lernbereitschaft betrieben wird,
Hinsicht), in die das Vorverstndnis der auslegenden Person immer mit ist Fortschritt in der Auslegungsttigkeit und -kunst mglich und knnen
eingeht. Die am Literalsinn orientierte Auslegung versucht, die Botschaft begrndete Ergebnisse erzielt werden. Aber auch sie stehen unter dem
des Textes so zu erfassen,wie sie von dessen Autorin oder Autor gemeint Vorbehalt der Irrtumsfhigkeit.
ist. Diese Auslegung ist also nicht daran interessiert, mit oder aus dem
Text etwas zumachen, sondern sich vom Text etwas sagen zu lassen, und
zwar genau das, was der Text sagen will. Dahinter steckt die berzeu- 4.3.3 Die "Mitte der Schrift" als Auslegungsprinzip
gung, die Gewiheit oder auch nur die Vermutung, da dieser Text etwas
unersetzlich Wichtiges zu sagen hat, indem er die Gottesoffenbarung in Beim Nachdenken ber die perfectio sive sufficientia der Bibel (s. o.
Jesus Christus bezeugt, und da er zu respektieren ist in der Art und 4.1.3.2) habe ich mich gegen die Eigenschaft der perfectio im Sinne der
Weise, wie er das tut. Vollkommenheit und fr die Eigenschaft der sufficientia im Sinne der
Aber mit alledem ist noch keineswegs gesagt, da die Erfassung des Vollstndigkeit entschieden. Das besagt: In der Gesamtheit des biblischen
Literalsinnes eine einfache Angelegenheit sei. Vielmehr tritt hier all das in Zeugnisses ist (neben und mit anderem) das Wirklichkeitsverstndnis des
Kraft, was bereits frher ber die Kontextualitt, geschichtliche Bedingt- christlichen Glaubens so enthalten, da es vollstndig aus ihr gewonnen
heit und die daraus resultierende Unabschliebarkeit der theologischen werden kann. Die in Klammern gesetzten Worte "neben und mit ande-
Arbeit an den Quellentexten des Glaubens gesagt wurde. D. h. aber, auch rem" und die damit angesprochene Auslegungsproblematik verdienen
die Erfassung des Literalsinnes der biblischen Botschaft stellt eine unter noch eigene Beachtung.
endlichen Bedingungen nicht abschlieend erfllbare Aufgabe dar. Auch Mit der Entscheidung fr die Interpretation der sufficientia als Voll-
fr sie gilt also die von Schleiermacher aufgestellte Zweckbestimmung, stndigkeit habe ich mir implizit zwei reformatorische Grundber-
da sie "in jedem knftigen Augenblick reiner darzustellen" sei (s. o. zeugungen zu eigen gemacht, die nun expliziert und reflektiert werden
S.31f.). D. h. aber: Die Erfassung des Literalsinnes hat den Charakter sollen. Die eine lautet: Es gibt eine "Mitte", d. h. eine Leitperspektive der
einer regulativen Idee, und d. h. einer das Handeln bestimmenden, aber
durch das Handeln selber nicht zu erreichenden Zielangabe. Die Erfas- 20 Dies ist auch bei der Anwendung der Schriftautoritt im Rahmen von
sung des Literalsinnes ist also keine Ttigkeit, die man zu irgendeinem Lehrbeanstandungsverfahren unbedingt zu beachten.
134 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 135

Schrift (und es gibt dementsprechend auch Rnder und Nebenaspekte der ausreichend, zu zeigen, da es in der faktisch gegebenen Vielfalt und
Schrift). Die andere lautet: Die Schrift legt sich selbst aus, denn sie besitzt Disparatheit der biblischen Aussagen und Theologien eine Gemeinsam-
"perspicuitas", und darum gilt das Prinzip "sola scriptura". keit im Grundlegenden gibt, die man als die "Mitte" oder besser als die
Leitperspektive der Schrift bezeichnen kann und die auch dem Kanon
seine innere Einheit verleiht.
4.3.3.1 Die Frage nach der Einheit
des Kanons als Auslegungsaufgabe
4.3.3.2 Die Vielfalt der biblischen
In einem vielzitierten Aufsatz hat E. Ksemann 1951 die Frage gestellt: Schriften und die Mitte der Schrift
"Begrndet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?" Und er
kommt in diesem Aufsatz zu dem Ergebnis: "Der nt.liche Kanon begrn- Fragen wir zunchst, wie eine solche "Gemeinsamkeit im Grundlegen-
det als solcher nicht die Einheit der Kirche. Er begrndet als solcher, d. h. den" aufgesprt und aufgezeigt werden kann, bevor wir weiterfragen,
in seiner dem Historiker zugnglichen Vorfindlichkeit dagegen die Viel- worin sie besteht. Fr die Vermutung, da es eine solche Gemeinsamkeit
zahl der Konfessionen. "21 Diesem Urteil kann ich nur teilweise zustim- gebe, spricht vor allem die Tatsache der Kanonbildung selbst. Denn in ihr
men. Der Schlusatz des Zitats ist m. E. zutreffend und macht zu Recht findet ja die berzeugung des Frhjudentums und der frhen Christenheit
die Komplexitt und Uneinheitlichkeit schon des neutestamentlichen Ausdruck, da die im Kanon versammelten Schriften den Gehalt der
Textbestandes deutlich. Den ersten Teil von Ksemanns Urteil halte ich gttlichen Offenbarung so zur Sprache bringen, da dieses Zeugnis kau-
hingegen fr problematisch. Die komplexe Bedeutung des biblischen sative und normative Autoritt besitzt.
Kanons wird angemessener beschrieben, wenn man sagt, da er als sol- Aber man mu mit der Mglichkeit rechnen, da bei der Kanonbil-
cher in der Vielzahl der Konfessionen bzw. kirchlichen Richtungen die dung Fehldeutungen und Irrtmer vorgekommen sind. So knnten z. B.
Einheit der Kirche (sing.!) bewahrt. Wie ist das zu verstehen? Schriften anders verstanden worden sein, als sie - jedenfalls unserer Er-
Die Einheit der Kirche (s. dazu u. 14.3.1.3) ist ebensowenig eine kenntnis zufolge - ihrer eigenen Aussageabsicht nach verstanden werden
empirisch erfabare Gre wie die eine Kirche selbst. Die eine Kirche ist mssen. Oder es knnten Widersprche zwischen den Schriften oder in-
die fr uns nicht aufweisbare und abgrenzbare Gemeinschaft der Glau- nerhalb der Schriften unentdeckt geblieben sein, die sich erst im Laufe
benden, deren Einheit darin besteht, da Jesus Christus der eine gemein- spterer Auslegung herausgestellt haben. Solche Umdeutungen knnten
same Grund ihres Glaubens ist. Weil der Kanon das grundlegende, ur- freilich auch bei unserer Auslegung vermutet oder wahrgenommen wer-
sprngliche Zeugnis von diesem Glaubensgrund enthlt, darum und den. Das erinnert noch einmal an den notwendigerweise(!) fragmentari-
insofern bewahrt er die durch das Christusgeschehen begrndete Einheit schen Charakter (s. 0.2.3.2.3) jedes Versuchs, das Wesen des christlichen
der Kirche. Da der Kanon diesen Glaubensgrund aber auf vielfltige, Glaubens (z. B. durch Rckbesinnung auf die Ursprungszeugnisse) zu
spannungsvolle, teilweise sogar widersprchliche Weise bezeugt, begrn- bestimmen.
det er zugleich die Vielzahl der Konfessionen. "Einheit" und "Vielzahl" Unter dieser generellen Prmisse bleibt nun zu fragen, wie die Mitte
schlieen sich also ebensowenig gegenseitig aus wie "die Kirche" und "die der Schrift angesichts und anhand der Vielfalt der biblischen Schriften
Konfessionen". Wohl aber ist es bei beiden Begriffspaaren notwendig, aufgefunden werden kann. Zwei Abwege sind zunchst auszuscheiden:
ihre Vereinbarkeit erst mittels Differenzierung aufzuzeigen. a) Die Bestimmung der Schriftmitte kann nicht erfolgen durch das
Der Aufweis der begrifflichen Vereinbarkeit ersetzt aber noch nicht Aufspren eines Kernbestandes an bereinstimmenden Aussagen. Es ist
die exegetische berprfung des sowohl Einheit wahrenden als auch Viel- also unangemessen, die Aussagen, die in allen biblischen Schriften vor-
falt hervorbringenden Charakters des Kanons, der anzunehmen ist, wenn kommen (wenn es solche berhaupt gibt), allein deshalb fr die Mitte der
er sowohl die Einheit der Kirche als auch die Vielzahl der Konfessionen Schrift zu erklren. Ein solches mechanisches Verfahren wrde der ge-
erklren soll. Zur Erfllung dieser Aufgabe ist es notwendig, aber auch stellten Aufgabe nicht gerecht, weil durch nichts sichergestellt wre, da
die mglicherweise gefundenen gemeinsamen Aussagen tatschlich die
zentrale Aussageabsicht der Schrift zum Ausdruck bringen wrde. Die
21 Exegetische Versuche und Besinnungen. 1. Band, S. 221. Mitte der Schrift ist nicht in dem zu finden, was die biblischen Schriften
136 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 137

sagen, sondern in dem, was sie meinen; wobei sofort hinzuzufiigen ist, a) Sie reduziert die Mitte der Schrift auf einen Punkt. Das legt sich
da wir ber das Gemeinte nur aufgrund des Gesagten etwas in Erfah- nicht nur von den Metaphern "Mitte" und "Leitperspektive" her nahe,
rung bringen knnen. Aber nicht die bereinstimmung der sprachlichen sondern ergibt sich auch aus den bisherigen hermeneutischen berlegun-
Zeichen entscheidet ber das Gegebensein einer Mitte der Schrift, son- gen. Wenn es eine gemeinsame Aussageabsicht in der Bibel gibt, dann mu
dern die Gemeinsamkeit dessen, was von den Schriften bezeugt wird. dieses Gemeinsame auch letztlich als Eines formuliert werden knnen.
b) Diese Unterscheidung knnte den Anschein erwecken, als sei folg- Aber dieses Eine ist unterschiedlich interpretierbar und unbegrenzter Ent-
lich der biblische Text ungeeignet, jedenfalls aber unzureichend, um die faltung und Differenzierung fhig.
Mitte der Schrift zu bestimmen, und als liege diese Entscheidung deshalb b) Sie benennt die Mitte der Schrift mit dem als Name zu verstehenden
letztlich bei einer von der Bibel zu unterscheidenden, externen Auslegungs- Titel: "Christus". Wenn die Begrndung der Schriftautoritt aus dem
instanz. Gegen diese Auffassung haben die Reformatoren, allen voran Inhalt der Schrift und wenn die Identifizierung dieses Inhaltes als Gottes
Luther, das Prinzip "sola scriptura" alshermeneutische Regeleingeschrft Selbstffenbarung in Jesus Christus zutreffend ist, dann mu die Mitte der
und beharrlich verteidigt. Aus der Bibel selbst undnicht von anderswoher Schrift in dieser Person (Act 4,12; I Kor 3,11; Kol 2,2 f.)gesucht und
mu und kann die Bestimmung der Mitte der Schrift gewonnen werden. gefunden werden. Damit kommt die dem christlichen Glauben angemes-
Da sie von dorther gewonnen werden mu, ergibt sich daraus, da sene Verhltnisbestimmung von Schriftzeugnis und Offenbarungsereignis
andernfalls die Schrift ihre - aus der in ihr bezeugten Sache resultierende - treffend zum Ausdruck: In der Mitte der Schrift steht der Mensch, in dem
auctoritas normativa verlre und damit die theologische Urteilsbildung Gott sich zum Heil der Welt geoffenbart hat.
(in) der Kirche dem Belieben preisgegeben wrde. Ob sie aber auch von c) Sie charakterisiert die Mitte der Schrift als ein lebendiges Gesche-
dorther gewonnen werden kann, ob also die Schrift diejenige (uere) hen. Nicht eine Lehre oder ein Lehrsatz bildet die Mitte der Schrift,
Klarheit (claritas) und Durchsichtigkeit (perspicuitas) besitzt, die den sondern das, was in bezug auf die Person Christi geschieht: was Christum
Aufweis einer Mitte der Schrift erlaubt, kann nur durch den entsprechen- treibet, d. h.: was ihm dient. Das Geschehen, das in Luthers Sprache durch
den Versuch berprft werden. das Verbum "treiben" bezeichnet wird, enthlt mehrere Facetten. Es
Die damit bernommene These, die Schrift sei ihre eigene Auslegerin besagt,
("sacra scriptura sui ipsius interpres"), mu allerdings in einer Hinsicht - da Christus verkndigt werden mu, weil die Offenbarung sich nur
"eingeschrnkt", genauer: przisiert werden. Da die Schrift aus sich durch Worte und andere Zeichen vermitteln kann;
selbst ausgelegt werden mu, setzt allerdings voraus, da bei dieser Aus- - da Christus ausgelegt werden mu und da dies auf mehr als eine
legung der allgemeine hermeneutische Kontext (von Sprache, Kultur, Weise geschehen kann;
Gesellschaft etc.) der biblischen Schriften bercksichtigt werden mu. - da Christus zur Geltung kommen mu 23 , damit die Selbstoffenbarung
Auch die Bibel ist den allgemeinen Entstehungs- und Verstehensbedin- Gottes wirksam wird.
gungen von Texten nicht entnommen. Man kann sogar umgekehrt for-
Gegen Luthers Bestimmung der Schriftmitte ist immer wieder einge-
mulieren: Die hermeneutische Regel, die Schrift aus sich selbst auszule-
wandt worden, sie sei einerseits zu unbestimmt, andererseits willkrlich
gen, gilt darum fr die Bibel, weil sie grundstzlich gilt und dabei den
festgelegt. Der erste Einwand bezieht sich primr auf den Wortlaut der
Kontext stets einschliet. Sie schliet jedoch eine Auslegung gegen ihre
Formel, der zweite vor allem auf Luthers Interpretation dessen, was Christ-
eigene Aussageabsicht unter Berufung auf eine externe Instanz aus. Diese
um treibet, mittels der paulinischen Rechtfertigungslehre. Man knnte
allgemeine hermeneutische Regel hat freilich in Anwendung auf die Schrift
zwar darauf hinweisen, da sich diese beiden Einwnde gegenseitig auf-
besonderes Gewicht. Das resultiert aus der Bedeutung, die der in der
heben, damit sind die angesprochenen Probleme aber nicht erledigt. Tat~
Bibel bezeugte Inhalt fr das Wirklichkeitsverstndnis des christlichen
schlich gibt es bei Luther beides: die weite, relativ unbestimmte, funktio-
Glaubens und damit fr die Verkndigung und Lehre in den Kirchen hat.
nal klingende Formel und deren (implizite oder explizite) Interpretation
Luthers bekannte Beschreibung der Schriftmitte durch die Formel
"was Christum treibet"22 ist dabei m. E. in dreifacher Hinsicht berzeu- 23 Das insbesondere im Markusevangelium immer wieder auftauchende Schwei-
gend und deswegen zu bernehmen: gegebot (vgl. Mk 1,44; 7,36 u. 0.) kann freilich auch als Hinweis darauf
verstanden werden, da nicht nur das rechte Reden, sondern auch das rechte
22 WA DB 7,384,26 ff. Schweigen Christus "treiben", ihn also zur Geltung bringen kann.
138 Die Bibel als Quelle und Norm des Glaubens Das Problem der sachgemen Schriftauslegung 139

im Sinne der paulinischen Rechtfertigungslehre (oder auch des johan- und ihm eine gltige Formulierungverliehen hat: "Denn wenn die Gegner
neischen Christuszeugnisses). die Schrift gegen Christus ins Feld fhren, fhren wir Christus gegen die
Beide Elemente lassen sich insofern miteinander verbinden und fr- Schrift ins Feld. "24 Dieses Zitat belegt, da es (auch fr Luther) offenbar
einandedruchtbar machen, als die weite Formel"was Christum treibet" Aussagen der Schrift gibt, die nicht Christus treiben, sondern "gegen
die gemeinsame Aussageabsicht der neutestamentlichen (und damit im- Christus" gerichtet sind oder jedenfalls so verwendet werden knnen. 25
plizit der biblischen) Schriften angemessen erfat, whrend die Aufnah- Wichtiger ist jedoch, da gegen solche Aussagen Christus ins Feld gefhrt
me der paulinischen Rechtfertigungslehre als Interpretament jener For- werden kann, ja sogar mu. Weil die Schriftautoritt aus der Christus-
mel zur Geltung bringt, da diese Formel auslegungsbedrftig und -fhig offenbarung abgeleitet ist, darum ist das, was Christus treibt, zugleich der
ist. Und gerade in dieser letzteren Hinsicht zeigen sich die Unterschiede kritische Mastab, an dem sich die einzelnen Aussagen der Schrift und die
und die spannungsvolle Vielfalt der biblischen Schriften, die nicht neben einzelnen biblischen Schriften auf ihre Christusgemheit hin messen las-
oder abgesehen von der Schriftmitte bestehen, sondern in der Art und sen mssen.
Weise, wie diese Leitperspektive in den verschiedenen biblischen Schrif- Freilich ist es zur Vermeidung von Miverstndnissen wichtig, noch
ten zur Geltung gebracht wird. So zeigt sich auch an der Bestimmung der einmal zu betonen, da die Schriftmitte nicht von einer Instanz auerhalb
Mitte der Schrift deren Einheit und Vielfalt. oder oberhalb der Schrift bestimmt werden kann, sondern nur im Rahmen
eines hermeneutisch reflektierten und kontrollierten Auslegungsprozesses
der biblischen Schriften, der nicht durch dogmatische oder bekenntnism-
4.3.3.3 Die kritische Funktion der Mitte der Schrift ige Vorgaben prjudiziert werden darf. Wrde das kirchliche Christus-
dogma oder die theologische Christologie die Auslegung des biblischen
Von einer kritischen Funktion der Mitte der Schrift, also dessen, was Zeugnisses normieren, so wrde damit der von der Schrift bezeugten
Christus treibt, ist in zweierlei Hinsicht zu reden: "Sache" und damit der (Mitte der) Schrift selbst ihre normierende und
a) Zunchst ist zu erinnern an die auctoritas normativa der Schrift, kritische Funktion gegenber Kirche und Theologie genommen oder be-
die deren kritische Funktion gegenber den Hrern und Lesern benennt. stritten. Das aber darf nicht geschehen, damit der christliche Glaube nicht
In dieser grundlegenden Bedeutung hat der Begriff "Schriftkritik" den seinen Grund und seine Identitt verliert. Da die kritische Funktion der
Charakter eines Genitivus subiectivus oder auctoris, bezeichnet also die Schrift zugleich eine selbstkritische Funktion ist, hebt - wie bei aller ernst-
von der Schrift gebte und ausgehende Kritik gegenber aller anderen haften Selbstkritik - deren Autoritt nicht auf, sondern bekrftigt sie.
Lehre. Diese kritische Funktion eignet den biblischen Aussagen nicht Aus allem Gesagten ergibt sich, da und warum nach reformatori"
gleichmig und flchig, sondern nur soweit und sofern sie Ausdruck schem Verstndnis die Rechtfertigungsbotschaft als der Inhalt des Evan-
dessen sind, was Christus treibt. Die kritische Funktion der Schrift kul- geliums und die Rechtfertigungslehre als inhaltliche Bestimmung der Mitte
miniert also und konzentriert sich in der Mitte der Schrift. Sie eigentlich, der Schrift das Kriterium ist, an dem sich alle kirchliche und theologische
und letztlich sie allein, besitzt normative Autoritt, die als solche immer Lehre messen lassen mu. 26
auch Autoritt zur Kritik ist, der die Glaubenden sich zu stellen und an
der sie sich auszurichten haben.
b) Sodann aber ist die interne schriftkritische Funktion der Schrift-
mitte zu thematisieren, die in dem erstgenannten Aspekt schon implizit
enthalten war, aber als eigenstndiger Gedanke expliziert werden mu. 24 WA 39 I, 47,19 H.: "Quod si adversarii scripturam urserint contra Christum,
Der Begriff "Schriftkritik" bekommt hier (ohne den Charakter als Geniti- urgemus Christum contra scriptllram."
25 Dazu gehrten fr Luther nicht nur die Aussagen des Jakobusbriefs ber die
vus auctoris zu verlieren) auch den Charakter eines Genitivus obiectivus:
Rechtfertigung durch die Werke, sondern z. B. auch die Aussagen des Hebrer-
Die Schrift, genauer: die biblischen Schriften werden von der Mitte der briefs ber die Unmglichkeit einer zweiten Bue.
Schrift her zum Gegenstand und Adressaten der Kritik. Es war wiederum 26 Weil die Rechtfertigungsbotschaft und -lehre kein Teilstck, sondern der
Luther, der dieses Prinzip der Schriftkritik insbesondere in seinen Vorre- Grund und das Kriterium aller Lehre ist, darum taucht in der Soteriologie
den zu einzelnen biblischen Bchern (sowie durch die Anordnung der dieser Dogmatik (Kap. 14) kein gesonderter Abschnitt ber die Recht-
Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften) exemplarisch praktiziert fertigung(siehre) auf.
Konfessioneller und kumenischer Charakter der Dogmatik 141

5 Das kirchliche Bekenntnis als magebliche sionellen Interpretationen.! Und da diese Interpretationen untereinander
teilweise grundstzlich divergieren, ergibt sich die Notwendigkeit des
Interpretation des christlichen Glaubens Vergleichs und der auswhlenden Entscheidung.
Damit stellt sich unter den Bedingungen konfessioneller Pluralitt fr
die Bestimmung des Wesens des christlichen Glaubens eine dreifache
Aufgabe:
- Zunchst ist danachzu fragen, wie das Verhltnis von konfessioneller
Identitt und kumenischer Gemeinschaft im Blick auf die Kirchen
Christlicher Glaube lebt nur innerhalb einer Gemeinschaft von Men-
und von daher fr die Dogmatik zu bestimmen ist (5.1).
schen, in der die Botschaft von Jesus Christus verkndigt, gehrt und
- Sodann ist zu fragen, welche Bedeutung das kirchliche Bekenntnis
angenommen wird. Ihre sichtbare, institutionalisierte Gestalt findet diese
oder Dogma fr die Bestimmung der kirchlichen Identitt und von
Gemeinschaft in den christlichen Kirchen. Die Bestimmung des Wesens
daher fr die Dogmatik besitzt (5.2).
des christlichen Glaubens bliebe deshalb abstrakt, wenn man diese kirch~
- Schlielich ist zu fragen, wie die konfessionelle Identitt aufgrund des
liche Lebensform des Glaubens auer acht liee. Ebenfalls abstrakt bliebe
reformatorischen Bekenntnisses fr die evangelischen Kirchen zu be-
die Bestimmung, wenn dabei ignoriert wrde, da es die sichtbare, insti-
schreiben ist und von daher auch fr eine Dogmatik, die sich dem
tutionalisierte Gestalt dieser Gemeinschaft nur in der Pluralitt der Kon-
reformatorischen Bekenntnis und der evangelischen Kirche verpflich-
fessionen gibt.
tet wei (5.3).
Die Mglichkeit einer solchen Pluralitt ist insofern im Wesen des
christlichen Glaubens angelegt, als die Offenbarung Gottes in Jesus Chri- Damit sind Thematik und Aufbau dieses Kapitels vorgezeichnet.
stus keine einheitliche Auslegung erzwingt, sondern eine Mehrzahl von
Interpretationen zult. Das Faktum der Pluralitt resultiert jedoch nicht
mit Notwendigkeit aus dem Wesen des christlichen Glaubens, sondern 5.1 Der konfessionelle und
ist ihm gegenber kontingent. D. h.: Es mu nicht so sein, da unter- kumenische Charakter der Dogmatik
schiedliche (Gruppen von) Menschen die Offenbarung Gottes in Jesus
Christus auf unterschiedliche, miteinander unvereinbare Weise interpre- Stand im vorigenKapitel die ~ trotz aller Vielfalt - einheitstiftende Bedeu-
tieren. Aber angesichts der tatschlichen konfessionellen Pluralitt, die tung des biblischen Kanons im Vordergrund, so richtet sich nun der Blick
nicht erst unter neuzeitlichen Bedingungen entstanden, unter ihnen aber auf die- unbeschadet dieser Einheit - bestehende Vielfalt der Konfessio-
fr uns unbersehbar geworden ist, kann die Beantwortung der Frage nen. Versteht man die Kirchengeschichte (auch) als "Geschichte der Aus e
nachdem Wesen des christlichen Glaubens nicht an der konfessionel- legung der Heiligen Schrift" (G. Ebeling), so erweisen sich die unter-
len Vielfalt der Kirchen vorbei erfolgen. "Konfessionelle Vielfalt" meint schiedlichen, ja teilweise gegenstzlichen Interpretationen der Bibel, wie
dabei nicht nur die Vielfalt der Konfessionen, sondern auch die Viel- sie in kirchlichen Bekenntnissen oder Dogmen ihren Ausdruck gefunden
falt innerhalb der Konfessionen, die es im Bewutsein vieler Menschen haben, als Schlssel zum Verstndnis und zur Erklrung dieser Vielfalt.
zunehmend schwer macht, eindeutige konfessionelle Zuordnungen vor- Eine bekenntnismig fundierte konfessionelle Pluralitt gibt esnicht
zunehmen. In diesem Sinne kann man insbesondere heute von einer kon- erst seit der Trennung zwischen der Ost- und Westkirche im Jahre 1054
fessionellen Nivellierung sprechen, konfessionelle Mischformen konsta- oder gar erst seit der innerabendlndischen Trennung zwischen der r-
tieren und in vielen Fllen nur noch eine unbewute Konfessionalitt misch-katholischen Kirche und der reformatorischen Bewegung. Kon-
diagnostizieren. fessionsartige Sonderprgungen hat es im Christentum schon seit den
Trotzdem ist daran festzuhalten, da es keinen christlichen Glauben ersten Anfngen gegeben. Trotzdem kann man sagen, da fr unseren
jenseits konfessioneller Interpretationen gibt. Was als solche trans-
konfessionelle Christlichkeit erscheinen knnte, ist entweder bloes Kon- 1 Es knnte allerdings so sein, da ganz neue Formen der konfessionellen
strukt oder enthlt latent in sich konfessionelle Differenzen. Christlichen Bewutseinsbildung entstehen, die sich von den aus der Geschichte bekann-
Glauben gibt es unter unseren geschichtlichen Bedingungen nur in konfes- ten weitestgehend unterscheiden.
142 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Konfessioneller und kumenischer Charakter der Dogmatik 143

kulturellen Bereich der Augsburger Religionsfriede von 1555 und insbe- zeigen, da und auf welche Weise die damaligen Kontroversen in der
sondere der Westflische Friede von 1648 den Eintritt in das bis heute Zwischenzeit durch neue theologische Einsichten berwindbar geworden
bestehende konfessionelle Zeitalter des Christentums bedeutet haben. oder bereits berwunden worden sind.
Neu an dieser Situation ist die dauerhafte Koprsenz und Konkurrenz Wenden wir uns zunchst den innerevangelischen Differenzen zu3 :
mehrerer konfessioneller Ausprgungen des christlichen Glaubens inner- Was das Verhltnis zwischen Luthertum und Calvinismus anbelangt,
halb eines territorialen Bereichs. Diese Situation hat von Anfang an nicht wird zwar kaum ein Kundiger behaupten, die traditionellen Differenzen
nur die Reflexion auf die je eigene konfessionelle Identitt herausgefor- seien vllig verschwunden oder bedeutungslos geworden. Sie bestehen in
dert, sondern auch vielfltige Gesprche und Verstndigungsbemhungen der Bekenntnis- und Amtsfrage, in der Christologie und Abendmahlslehre
zwischen den Konfessionen hervorgebracht, die dem Ziel dienten, konfes- sowie in der politischen Ethik fort, auch wenn sie eher atmosphrischen
sionelle Gegenstze und Trennungen zu berwinden. Charakter haben und vor allem in unterschiedlichen Akzentsetzungen
Das konfessionelle und das kumenische Moment haben sich in wech- zum Ausdruck kommen. Der entscheidende kumenische Fortschritt wur-
selnden Anteilen und Akzentuierungen immer wieder in den christlichen de in diesem Bereich anknpfend an die Arnoldshainer Thesen (1957)
Kirchen und in ihren Theologien als prsent erwiesen. Im Gefolge der erzielt durch die Leuenberger Konkordie (1973), deren kirchengeschicht-
innerevangelischen Unionen in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts und liche Bedeutung darin besteht, da es gelang, zwischen lutherischen, re"
im Blick auf die kumenische Bewegung seit dem Beginn des 20. Jahrhun- formierten und unierten Kirchen ein gemeinsames Verstndnis des Evan-
derts stellt sich die Frage, ob sich nun das Ende des konfessionellen geliums zu formulieren. Dabei steht "Evangelium" fr den wesentlichen
Zeitalters abzeichnet, ja ob nicht heute schon Dogmatik als berkonfes- Gehalt der Gottesoffenbarung in Jesus Christus, der die Mitte der Schrift
sionelle, kumenische Disziplin betrieben werden kann und sollte. 2 Ein bildet. Die Formulierung "gemeinsames Verstndnis" bringt zum Aus-
solches Unternehmen steht jedoch unabweisbar vor der Frage, wie es die druck, da dieser Gehalt nur in Form einer bestimmten Interpretation
Differenzen beurteilt und bewertet, die in der Kirchengeschichte aufge- zugnglich und gegeben ist. Dieses gemeinsame Verstndnis des Evange-
brochen sind und zu Kirchenspaltungen gefhrt haben. Ein Rckgriff liums stellt den Fundamentalkonsens dar, der laut CA 7 fr die wahre
lediglich auf die Bekenntnisse und Dogmen, die vor der konfessionellen Einheit der Kirche notwendig, aber auch hinreichend ist. Auf der Basis
Trennung formuliert wurden, fhrt hier nicht weiter, weil er de facto auf dieses Fundamentalkonsenses war es mglich, zwischen allen Kirchen, die
eine Ausklammerung der Differenzen hinausluft, die zur konfessionellen der Leuenberger Konkordie beigetreten sind, volle, also uneingeschrnkte
Trennung gefhrt haben. Ebensowenig hilft eine Reduktion auf dasjenige, Kirchengemeinschaft zu erklren (was keineswegs mit organisatorischer
was von allen Konfessionen gemeinsam gesagt und bekannt werden kann, Kircheneinheit gleichzusetzen oder zu verwechseln ist). Fr diese Kirchen
weil damit die unterschiedliche geschichtliche Entwicklung bersprungen sind damit die Bekenntnisunterschiede der Reformationszeit zwar nicht
wrde und wesentliche Inhalte des christlichen Glaubens ausgespart blie- verschwunden, aber sie haben sich so gewandelt, da sie ihre kirchen-
ben. Zudem erweist sich das auf die Gemeinsamkeit Reduzierte bei nhe- trennende Bedeutung verloren haben. 4
rem Zusehen in der Regel von dem Strittigen (indirekt, aber wirksam) Das alles gilt jedoch nicht fr das Verhltnis zwischen den reformato-
mitbetroffen. rischen Kirchen und der rmisch-katholischen Kirche. 5 Noch ist umstrit-
kumenisch ist eine Dogmatik nicht dann, wenn sie die konfessionel-
len Differenzen ausklammert, sondern wenn sie diese wahrnimmt und 3 Auf die unterschiedlichen Entwicklungen zwischen den Reformationskirchen
mglichst beharrlich im Blick behlt. Das Bemhen um berwindung der und den evangelischen Freikirchen kann hier aus Raumgrnden leider nicht
konfessionellen Trennungen steht vor folgender Alternative: Entweder eingegangen werden (vgl. aber u. 14.3.4.4).
mssen die Kontroversen, die zur Kirchentrennung gefhrt haben, im 4 Genau dies besagt auch der erste Attikel der "Grundsatzerklrung der Arnolds-
nachhinein fr (de iure) nicht kirchentrennend erklrt und mu damit das hainer Konferenz" aus dem Jahri976, wenn es dort von den Mitgliedern
theologische Urteil der damals Lebenden bestritten werden. Oder es ist zu heit: "Sie sind der berzeugung, da die Bekenntnisse der Reformation,
unbeschadet ihrer Verbindlichkeit nach dem Verstndnis der einzelnen Glied-
kirchen, aufgrund der theologischen undgesamtkirchlichen Entwicklung ihre
2 Einen programmatischen Versuch in diese Richtung stellt die "kumenische kirchentrennende Bedeutung verloren haben."
Dogmatik" von E. Schlink aus dem Jahr 1983 (mit Geleitworten von H. Fries 5 Es gilt auch nicht fr das Verhltnis der reformatorischen Kirchen zu den
und N. A. Nissiotis) dar. orthodoxen und zu den anglikanischen Kirchen.
144 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Konfessioneller und kumenischer Charakter der Dogmatik 145

ten, ob (und gegebenenfalls wodurch) die Lehrverurteilungen aus der Positionen des Lehramtes innerhalb der rmisch-katholischen Kirche in
Reformationszeit ihre kirchentrennende Bedeutung verloren haben. Aber zunehmendem Mae zum Gegenstand einer freimtigen Diskussion wer-
selbst diejenigen, die diese Frage bejahen, sind sich dessen bewut, da den.
damit noch keine Konkordie im Sinn eines gemeinsamen Verstndnisses Ob und wie sich der rmisch-katholischen Kirche, den orthodoxen,
des Evangeliums erreicht ist. Das ist schon deswegen nicht der Fall, weil den anglikanischen und den reformatorischen Kirchen knftig Horizonte
es Elemente der rmisch"katholischen Lehre gibt (z. B. in der Amtsfrage), und Sichtweisen erschlieen werden, die ohne Verleugnung gewonneller
die zwar nach reformatorischem Verstndnis mit dem Evangelium unver- Wahrheitserkenntnis ein gemeinsames Verstndnis des Evangeliums er-
einbar sind, aber in keiner reformatorischen Bekenntnisschrift ausdrck- mglichen, ist weder absehbar noch machbar, sondernkann nur im Ver-
lich verurteilt wurden. Ferner ist an die Lehrgegenstze zu erinnern, die trauen auf eine lebendige Weiterentwicklung erhofft werden. Da dies
erst nach der Reformationszeit entstanden sind oder sich erst spter ver- durch eine Fortsetzung der Suche nach Kompromiformeln gelingen knn-
schrft haben, z. B. im Zusammenhang mit der Mariologie (1854 und te, erscheint im Rckblick auf die Bemhungen der sog. Konsenskumene
1950) oder dem ppstlichen Lehramt (1870). zumindest als unwahrscheinlich. Auf diesem Wegist es bisher hufig nur
Obwohl nicht zu verkennen, sondern wahrzunehmen und anzuerken- gelungen, fr strittige Themen Formeln oder Formulierungen zu finden,
nen ist, da seitdem Zweiten Weltkrieg (ausgelst auch durch gemeinsa- denen beide Seiten zustimmen knnen. Das ist aber nur deshalb mglich,
me Verfolgungs- und Unterdrckungserfahrungen) und vor allem im weil die Formeln bzw. Formulierungen selbst in der Regel 111!ehrdeutig
Gefolge des H. Vaticanum (1962-65) erhebliche Annherungen zwischen sind, so da in den unterschiedlichen Interpretationsmglichkeiten die
der rmisch-katholischen Kirche und den reformatorischen Kirchen statt- alten Kontroversen latent enthalten sind und deswegen schnell wieder
gefunden haben, bleibenFundamentalunterschiede bestehen, die am deut- zum Vorschein kommen. Ein wirklicher Fortschritt ist erst dann mglich,
lichsten in der Lehre von der Kirche und hier wiederum in der Lehre vom wenn sich (wie dies z. B. bei den lutherisch-reformierten Kontroversen um
Amt zum Ausdruck kommen. Da das Amtsverstndnis jedoch z. B. das das Abendmahl der Fall war) fr beide Seiten ein neuer Verstehenshorizont
Sakramentsverstndnis mitbestimmt und da durch das sog. Unfehlbar- erschliet, der die bisherigen Gegenstze einzuordnen und zu relativieren
keitsdogma von 1870 ("Pastor aeternus", DS 3065-75) alle vom unfehl- erlaubt (vgl. dazu o. 1.3.3.6 sowie u. 14.2.4). Das ist aber im Verhltnis
baren ("infallibili", berschriftzuDS 3065-3075) Lehramt "excathedra" zwischen der rmisch-katholischen Kirche und den reformatorischen Kir~
verkndeten Lehrentscheidungen fr nicht reformierbar ("irreformabi- chen bisher nur ansatzweise der Fall.
les", DS 3074) erklrt worden sind, betrifft die Lehre vom (Papst-)Amt Konstruktive kumene 6 besteht unter diesen Bedingungen zunchst
alle diese anderen kirchlichen Lehren mit. (negativ) im Verzicht auf die - ausgesprochene oder unausgesprochene-
Die eigentliche Schwierigkeit ergibt sich jedoch daraus, da durch die Erwartung an die Gegenseite, sie mge ihre konfessionelle Identitt und
Dogmatisierung der Lehre vom unfehlbaren Lehramt des Papstes die die in ihr enthaltene Wahrheitserkenntnis um der Einheit willen nicht zur
mglichen Wege zur Korrektur und Revision frherer Entscheidungen Geltung bringen oder gar verleugnen. Konstruktive kumene besteht
und zur Entdeckung neuer Gemeinsamkeiten entscheidend eingeschrnkt sodann (positiv) darin,
sind. Es ist eine noch offene Frage, wie unter diesen Voraussetzungen die
- so sorgf.ltig und genau wie mglich auf die Lehraussagen und die
wissenschaftliche Erforschung der Bibel und der Kirchengeschichte sowie
darin enthaltenen kritischen Anfragen der anderen Konfessionen zu
das systematisch-theologische Gesprch zu einem interkonfessionellen
hren und sich ihnen zu stellen;
Konsens ber die Themen fhren knnen, bei denen die Konfessionen sich
- so przise und verllich wie mglich ber die eigene Wahrheitser-
durch frhere Entscheidungen getrennt wissen.
kenntnis und die dadurch bestimmte konfessionelle Identitt im Ho-
Eine evangelische Dogmatik tut gut daran, wenn sie die in der r-
rizont der kritischen Anfragender anderen Konfessionen und als kri-
misch-katholischen Position zum Ausdruck kommende berzeugungs-
tische Anfrage an sie Rechenschaft abzulegen;
treue und Achtung vor der Geschichte ihrer Kirche nicht (nur) als Starr-
heit und Sturheit interpretiert, sondern ihrerseits respektiert und damit
anerkennt, da das rmisch-katholische Lehramt sich in dieser Hinsicht
gebunden hat und gebunden fhlt und darum nicht einfach "mit etwas 6 Vgl. dazu E. Herms, Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft,
gutem Willen" anders kann. Das gilt unbeschadet der Tatsache, da die passim.
146 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 147

- so umfassend und partnerschaftlich wie mglich ohne Verleugnung 5.2.1 "Dogma" und "Bekenntnis "
eigener Wahrheitserkenntnis kirchliche Gemeinschaft und Zusam-
menarbeit zu praktizieren und damit Felder fr mgliche neue Erfah- 5.2.1.1 Zur Klrung des Dogma-Begriffs
rungen und Einsichten zu erschlieen oder offenzuhalten.
Der aus dem griechischen Verbum ,,80KEiv" abgeleitete Begriff "Dogma"
Da das Verstndnis des christlichen Glaubens zwischen der rmisch-
hat von seinem Ursprung her eine Doppelbedeutung. Er bezeichnet einer-
katholischen Kirche und den reformatorischen Kirchen zwar einerseits in
seits das, was eine Person meint oder was ihr der Fall zu sein scheint, und
wesentlichen Punkten bereinstimmt, andererseits aber auch in wesentli-
er bezeichnet andererseits das, was einer Person gutdnkt oder was sie
chen Punkten differiert und darumkirchentrennende Bedeutung hat, kann
wnscht, fordert oder verlangt. Im ersten Fall ist ein Dogma eine (Lehr-)
eine Dogmatik nicht umhin, Position zu beziehen und ihr konfessions-
Meinung, im zweiten Fall ein Werturteil oder eine Willenskundgabe. Im
spezifisches (in diesem Fall: reformatorisches) Verstndnis des christli-
Neuen Testament dominiert der zweite Bedeutungsaspekt. "Dogma" be-
chen Glaubens kenntlich zu machen und offenzulegen. Dies geschieht
zeichnet dort in der Regel ein "Gebot" oder eine "Forderung" (so Lk 2,1
nicht in der Meinung, es gebe zwei oder mehrere gleichberechtigte Arten
u. Act 17,7; aber auch Act 16,4; Eph 2,15; KoI2,14). In der Kirchen- und
von christlichem Glauben, sondern als Ausdruck des Streites um das
Theologiegeschichte wird der Begriff "Dogma" hingegen bis in die Neu-
rechte Verstndnis des christlichen Glaubens, nach dem alle christlichen
zeit hinein meist zur Bezeichnung hretischer Sondermeinungen und Irr-
Kirchen suchen. In diesem Streit scheint die reformatorische Seite insofern
lehren gebraucht, also in Aufnahme und pejorativer Zuspitzung des ersten
im Nachteil zu sein, als sie mit der Irrtumsmglichkeit aller menschlichen
Bedeutungsaspekts.
Aussagen und Lehren, also auch aller kirchlichen Aussagen und Lehren
In der neuzeitlichen Theologie ist demgegenber der positive Bezug
rechnet, whrend die rmisch-katholische Seite dies fr sich an einer
des Dogmas zur Lehre der Kirche ein konstitutives Element des Dogmen-
entscheidenden Stelle bestreitet. Schon die beiden Formulierungen zeigen
begriffs geworden. "Dogma" ist demzufolge verbindliche kirchliche Leh-
jedoch, da es sich hier nicht um Vorteil oder Nachteil, sondern selbst um
re. Eine besondere Zuspitzung hat dieser Dogmenbegriff innerhalb der
eines der entscheidenden strittigen Themen handelt, denen genauer nach-
rmisch-katholischen Kirche und durch sie im allgemeinen Sprachge-
zugehen ist.
brauch erhalten aufgrund der (den Begriff "Dogma" allerdings nicht
verwendenden) "Definition" des I. Vaticanum (1870), wonach unter
"Dogma" das zu verstehen ist, was im geschriebenen oder berlieferten
5.2 Die Bedeutung von Dogma und Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche "als von Gott geoffenbart
Bekenntnis fr den christlichen Glauben zu glauben vorgelegt wird",7 Bemerkenswert daran ist einerseits die
Gleichsetzung des Dogmas mit gttlicher Offenbarung und andererseits
Fr die innerhalb einer kirchlichen Gemeinschaft magebliche Interpreta- die (daraus resultierende) Qualifizierung des Dogmas als "credendum".
tion des biblischen Offenbarungszeugnisses und damit des christlichen Daraus ergibt sich, da die Bestreitung oder Leugnung eines Dogmas eo
Glaubens stehen vor allem zwei Begriffe zur Verfgung: "Dogma" und ipso hretisch ist und dem Anathema verfllt. Von diesem Verstndnis des
"Bekenntnis". Sie lassen sich zwar nicht eindeutig, aber doch schwer- Dogmas her erschliet sich brigens auch unschwer ein Zugang zu dem -
punktmig dem Selbstverstndnis der rmisch-katholischen Kirche und pejorativ gemeinten - Begriff "Dogmatismus"8, und zugleich erklrt dies
der reformatorischen Kirchen zuordnen. Zunchst ist zu fragen, was auch die berwiegend negative Bedeutung des Adjektivs "dogmatisch" im
beide Begriffe bedeuten und wie sie sich zueinander verhalten (5.2.1), heutigen Sprachgebrauch. Beide Worte bezeichnen ein unkritisches oder
sodann soll anhand des Bekenntnisbegriffs in theologischer Hinsicht ge-
klrt werden, welches Gewicht und welcher Stellenwert solchen mageb- 7 DH 3011: "tamquam divinitus revelata credenda proponuntur"; deutsche
lichen kirchlichen Interpretationen des biblischen Zeugnisses zukommt Fassung nach NR11 NI. 34.
(5.2.2), weiter soll nach der Relevanz des kirchlichen Bekenntnisses fr 8 Der Begriff "Dogmatismus" ist im Franzsischen entstanden. Er kommt im
das christliche Leben gefragt werden (5.2.3), schlielich ist (in Analogie 16. Jahrhundert bei Montaigne und im 17. Jahrhundert bei Pascal vor und er-
zur Schriftauslegung) die Notwendigkeit der angemessenen Interpretati- hielt durch Kants "Kritik der reinen Vernunft" allgemeine philosophische Be-
on des kirchlichen Bekenntnisses zu thematisieren (5.2.4). deutung.
148 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 149

sich gegen Kritik immunisierendes Festhalten an vorgefaten Meinungen Aussagenaspekte von "Bekenntnis" (also der Credo-Charakter) ins Zen-
und berzeugungen. trum, ohne da deswegen das Moment des Bekenntnisaktesoder das
Soweit die neuere evangelische Theologie den Begriff "Dogma" zu- Gemeinschaftselement aus dem Blick gelassen werden drften; denn alle
stimmend aufgenommen hat (z. B. K. Barth, W. EIert, R. Slenczka), hat Bekenntnisinhalte und -aussagen haben ihren "Sitz im Leben" im Akt des
sie ihm eine vom rmisch-katholischen Dogmenbegriff unterschiedene (sei es erstmaligen, sei es wiederholten) Bekennens, und fr diesen Sitz im
Fassung gegeben. Wesentlich ist vor allem, da das kirchliche Dogma Leben ist - beim kirchlichen Bekenntnis - der Gemeinschaftsbezug unver-
nach evangelischem Verstndnis stets von der Offenbarung Gottes zu zichtbar,u Diese Bezge werden anschaulich in einer Typologie zum
unterscheiden, ihr unterzuordnen und an ihr kritisch zu messen ist. Mit Bekenntnisbegriff, die R. Schfer12 vorgeschlagen hat und an die ich mich
diesen (allerdings umgangssprachlich nicht selbstverstndlichen) Przisie- anschliee. Danach ist "Bekenntnis"
rungen ist der Dogma-Begriff auch fr die evangelische Kirche, Theologie - zunchst Gebet eines einzelnen Menschen, und zwar als Sndenbe-
und Dogmatik brauchbar, weil er den Geltungsanspruch erkannter Wahr- kenntnis und als bereignung an Christus, was beides miteinander im
heit zum Ausdruck bringt. Es wird zu fragen sein, ob dazu auch der Begriff urchristlichen Taufgeschehen seinen Ort hatte;
"Bekenntnis" inder Lage ist. - sodann Verstndigung der Gemeinde"ber ihren Gla.uben mit Hilfe
der Bekenntnisformulierungen", in die die Tuflinge einstimmen;
- weiter Abgrenzung der Getauften von ihrer areligisen oder anders-
5.2.1.2 Zur Klrung des Bekenntnis-Begriffs glubigen Umgebung;
- schlielich Lehrgesetz13 einer Kirchengemeinschaft zur "Unterschei-
Auch der Begriff "Bekenntnis" und sein lateinisches quivalent "con- dung des wahren vom irrenden Glauben" .
fessio" (griech.: ,,olJ,07\oyla.'') enthlt mehrere Bedeutungsnuancen. So
In dieser Typologie kommt gut zum Ausdruck, wie sich die verschie-
macht es einen Unterschied, ob jemandetwas bekennt (z. B. sein Versagen)
denen Bedeutungsvarianten des Bekenntnisbegriffs aus der Ursprungs-
oder sich zu jemandem oder etwas bekennt (z. B. zu einem Verdchtigten
situation des Taufbekenntnisses entwickeln und erklren lassen. Zugleich
oder zu einer bestimmten berzeugung). Im ersten Fall geht es darum,
wird daran deutlich, da und wie die im Bekenntnis intendierte (univer-
etwas aus dem eigenen Leben, das bislang verborgen war, vor anderen
selle) Gemeinschaft nicht erreicht wird und das Bekenntnis gewisserma-
einzugestehen oder bekanntzumachen. 9 Im zweiten Fall handelt es sich
en wider Willen eine nach auen ("Abgrenzung") und nach innen
dagegen um einen Akt der ffentlichen Solidarisierung mit anderen Perso-
("Lehrgesetz") unterscheidende, ja trennende Funktion bekommt. Das
nenoder um einen Akt der Identifizierung mit einer bestimmten berzeu-
resultiert - wie bereits angedeutet - nicht notwendigerweise aus dem
gung. Gemeinsam ist beiden Verwendungsweisen sowohl das Moment des
Bekenntnis als solchem, sondern daraus, da es keine erzwungene Zu-
persnlichen Stehens-zu-Jemand oder -Etwas, als auch das forensische
stimmung zum Bekenntnis gibt und geben darf. So kann das, was die
Element, also die Tatsache, da das Bekenntnis immer vor einem Gegen-
einen verbindet, zugleich zur Trennung von anderen fhren. Wegen der
ber (Gott, Mensch, ffentlichkeit) geschieht. Dabei kann der Begriff "Be-
Universalitt der gttlichen Heilszusage kann diese abgrenzende Wir-
kenntnis" sowohl den Akt des Bekennens (Bekenntnis als Confessio 10) als
kung des Konfessorischen und Konfessionellen immer nur mit Schmerz
auch den Inhalt bzw. die Aussage des Bekenntnisses (Bekenntnis als Cre-
und als etwas Vorlufiges wahrgenommen und angenommen werden.
do) bezeichnen sowie schlielich sogar die (institutionalisierte) Gemein-
Weil aber die Selbsterschlieung Gottes und das Zur-Wirkung-kommen-
schaft der Bekennenden (Bekenntnis als Konfession).
Lassen dieser Selbsterschlieung im lebensbestimmenden Glauben eines
Geht es um das kirchliche Bekenntnis (als eine magebliche Interpre-
Menschen nicht zu den Dingen gehrt, ber die wir verfgen knnten,
tation des christlichen Glaubens), so rcken naturgem die Inhalts- und
mu diese Situation und der mit ihr verbundene Schmerz auch tatschlich

9 Es ist zu beachten, da man nur Eigenes, niemals Fremdes bekennen kann. 11 Vgl. den Anfang von Art. 1 der CA: "Ecclesiae magno consensu apud nos
Andere kann man anklagen, blostellen oder denunzieren. Das ist eine wich- docent ... "
tige Unterscheidung, die z. B. bei der Formulierung liturgischer Texte Beach- 12 Der evangelische Glaube, S. 52 f.
tung verdient. 13 Die pejorativ klingende (und gemeinte) Formulierung "Lehrgesetz" lt sich
10 "Confessio" kann freilich auch den Bekenntnistext bzw. -inhalt bezeichnen. ersetzen durch den neutraleren Begriff "Lehrgrundlage".
150 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 151

angenommen werden. Durch das Bekenntnis sind Christen und Nicht- tischen Schlssels, der den Zugang zur biblischen Botschaft erschlieen
christen, sind aber auch katholische und evangelische Christen zumindest soll.
partiell. getrennt. Wird dieser anleitende, erschlieende Aspekt des kirchlichen Bekennt-
Das kirchliche Bekenntnis ist nach evangelischem Verstndnis jedoch nisses dominierend, oder wird er gar verabsolutiert, so droht jedoch die
in keiner seiner Formen mit der gttlichen Offenbarung identisch, son- Gefahr der berordnung des kirchlichen Bekenntnisses ber die Bibel und
dern es ist menschliche Interpretation von Gottes Offenbarung, genauer: ihre Botschaft. Das Bekenntnis wirkt dann wie eine "Brille", die nur noch
menschliche Interpretation des biblischen Zeugnisses von Gottes Offen- eine bestimmte Sichtweise der biblischen Botschaft zult und es gar nicht
barung. Diese Interpretation mu von der in der Schrift bezeugten Of- mehr mglich macht, anderes wahrzunehmen. Das ist deshalb eine groe
fenbarung her auf ihre Angemessenheit hin geprft und gegebenenfalls Gefahr, weil damit der Zugang zu dem ursprnglichen Glaubenszeugnis
kritisiert werden. D. h.: Das kirchliche Bekenntnis ist nach evangeli- und zu der in ihm bezeugten Gottesoffenbarung verengt, schlimmstenfalls
schem Verstndnis niemals "unfehlbar" oder "irreformabel". Es kann sogar verhindert werden knnte. Damit trte dann mglicherweise das
auch kein Credendum sein, sondern "nur" Hinweis auf das lebendige kirchliche Bekenntnis an die Stelle, an der fr den christlichen Glauben
Wort Gottes. Deswegen besteht schlielich die Verbindlichkeit des kirch- nur die Offenbarung Gottes selbst stehen kann.
lichen Bekenntnisses nicht in einem Zustimmungsanspruch an andere, Deswegen mu neben und mit der anleitenden Funktion immer der
sondern in der freien Anerkennung des Bekenntnisses als derjenigen In- abgeleitete Charakter des kirchlichen Bekenntnisses gesehen und zur Gel-
terpretation des christlichen Glaubens, die fr die Bekennenden selbst tung gebracht werden. Dabei reicht es nicht aus, beides durch ein "Einer-
verbindlich ist, an die sie sich also aus berzeugung gebunden wissen, seits - Andererseits" nebeneinander zu stellen, sondern es mu in seiner
und zu der sie stehen. inneren Zusammengehrigkeit bedacht werden. Die zum Verstehen der
Bibel anleitende Funktion kommt dem kirchlichen Bekenntnis nur inso-
weit zu, als es selbst aus der biblischen Botschaft abgeleitet ist. Es wird
5.2.2 Die theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses also nur dann richtig verstanden, wenn man es sieht als die aus der Bibel
selbst gewonnene Anleitung zum rechten Verstndnis der biblischen Bot-
Mit dem Ausdruck "kirchliches Bekenntnis" ist aufgrund der erreichten schaft, und zwar als diejenige Anleitung, die sich (in einer bestimmten
Klrung der Bestand derjenigen Texte (vom Apostolicum bis zur Leuen- geschichtlichen Situation oder angesichts einer bestimmten Herausforde-
berger Konkordie) gemeint, die in den reformatorischen Kirchen (in der rung) nach sorgfltiger Prfung fr eine kirchliche Gemeinschaft als eine
Regel durch die Grundartikel der jeweiligen Kirchenordnung) als Aus- der biblischen Botschaft angemessene Auslegung erschlossen hat. Deshalb
druck des gemeinsamen Verstndnisses des christlichen Glaubens in ist das kirchliche Bekenntnis der Bibel und der in ihr bezeugten Gottes-
Geltung gesetzt sind. Ihrem reformatorischen Selbstverstndnis nach offenbarung stets untergeordnet.
sind diese kirchlichen Bekenntnisse zusammenfassender sprachlicher Aus- Diesen Doppelcharakter des kirchlichen Bekenntnisses in seiner anlei-
druck des wesentlichen Inhalts (oder doch wesentlicher Inhalte) der tenden, und insofern normativen, und in seiner abgeleiteten, und insofern
christlichen Botschaft, wie sie in der Bibel ursprnglich bezeugt ist. D. h., normierten Funktion und Stellung hat die evangelische Theologie an der
das kirchliche Bekenntnis versteht sich als Anleitung zum rechten Ver- Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert auf die Formel "norma normata"
stndnis der Bibel, indem es das Wesentliche (gegenber Unwesentli- gebracht und damit von der Funktion und Stellung der Bibel, genauer: der
chem) hervorhebt und eine bestimmte Interpretation (gegenber einer Mitte der Schrift (s. 0.4.3.3.3 a) als der "norma riormans" unterschieden.
anderen) als die sachgeme proklamiert. Die darin enthaltene Intention, Die Bezeichnung des kirchlichen Bekenntnisses als "norma normata" lt
zum Verstehen des Wesentlichen anzuleiten, erklrt, warum kirchliche sich jedoch auf zweierlei Weise v~rstehen, und diese beiden Deutungen
Bekenntnisse als "der Laien Bibel" 14 bezeichnetwerden knnen. In dieser sind weder identisch noch ohne we'iteres miteinander zu verbinden. Da
Funktion hat das kirchliche Bekenntnis die Bedeutung eines hermeneu- das kirchliche Bekenntnis "norma normata" ist, kann heien,

14 BSLK 769,6 f. als Bezeichnung fr Luthers Groen und Kleinen Katechismus - da das kirchliche Bekenntnis deshalb Mastab der kirchlichen Lehre
in bernahme einer Formulierung, die Luther selbst gebraucht hat (vgl. BSLK ist, weil es aus der Bibel (als der norma normans) abgeleitet und in
769, Anm. 1). seiner bereinstimmung mit der Bibel erwiesen ist, so da seine An-
152 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 153

gemessenheit definitiv feststeht und deswegen nicht mehr legitimer- Gottes von den damals Lebenden vorstanden und ausgeleget, und dersel-
weise gegen das Bekenntnis an die Bibel appelliert werden kann, oder ben widerwrtige Lehr vorworfen und vordambt worden." (BSLK 767,14-
da das kirchliche Bekenntnis insofern Mastab der kirchlichen Lehre 769,35 in Auszgen)
ist, als es aus der Bibel (als der norma normans) abgeleitet ist und mit An diesem reformatorischen Grundtext ist in uriserem Zusammen-
ihr bereinstimmt, da aber diese bereinstimmung mit der Bibel hang zweierlei wichtig: Einerseits wird das Verhltnis zwischen den bi-
legitimerweise immer wieder in Frage gestellt und berprft werden blischen Schriften zu allen (anderen) Lehren und Lehrern mittels der
kann, so da auch mit der Mglichkeit einer nachtrglichen Kritik- Begriffe "Richter, Regel, Richtschnur" (lat.: iudex, norma, regula)15 recht
aufgrund besserer Einsicht und eines genaueren Verstndnisses des przise bestimmt: Beurteilende Instanz im Sinne des Beurteilungsma-
biblischen Zeugnisses - gerechnet werden mu. stabs fr alle christlichen Lehraussagel1 sind allein die alt-und neutesta-
Dem Wortlaut ("normata") nach legt sich eher die erste Deutung mentlichen Schriften. Zu diesen zu beurteilenden christlichen Lehraus':
nahe: Es ist normiert. Von der Intention der Unterscheidung her mu man sagen werden ausdrcklich die reformatorischen Bekenntnisse gezhlt,
aber der zweiten Interpretation den Vorzug geben. Denn die qualitative also auch die Konkordienformel selbst. Was hier theologisch geschieht,
Differenz zwischen norma normans und norma normata droht verloren- kann man als die Selbstrelativierung des reformatorischen Bekenntnisses
zugehen, wenn die norma normata als definitiv mit der norma normans bezeichnen, wobei "Relativierung" nicht heit: Abwertung oder Ver-
bereinstimmend erwiesen und folglich als gleichermaen gltig gedacht gleichgltigung, wohl aber Unterordnung und Anbindung. 16 Zu bedau-
wird. Um die prinzipielle (und darum auch dauerhafte) berordnung der ern ist freilich, da der "summarische Begriff" nur eine unzureichende
Bibel als norma normans ber das kirchliche Bekenntnis auszudrcken, Begrndung fr die Sonderstellung der biblischen Schriften gegenber
sollte mim letzteres genauer als "norma normata et normanda" bezeich- allen anderen Lehren enthlt. Das begrndende Zitat aus Ps 119: "Dein
nen. Wort ist meines Fues Leuchte und ein Licht auf meinem Wege" (BSLK
Da dies jedenfalls dem Selbstverstndnis der reformatorischen 767,20 f.) sowie die implizite Gleichsetzung von Bibel und Wort Gottes
Bekenntnisschriften entspricht, ergibt sich aus dem Artikel, in dem die in der ausfhrlichen Fassung des "summarischen Begriffs"17 erweckt den
Konkordienformel von 1577, als die abschlieende lutherische Bekennte Eindruck, da hier die biblischen Schriften mit dem Wort Gottes identi-
nisschrift der Reformationszeit, sich ber die Prinzipien der Lehr- und fiziert werden. Das wre zwar eine starke, aber - wie sich gezeigt hat -
damit auch der Bekenntnisbeurteilung uert. Dieser sog. "summarische problematische, ja inakzeptable Begrndung fr die normative Autoritt
Begriff, Regel und Richtschnur" enthlt folgende Aussagen: der Bibel.
Andererseits wird die Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses (zu-
"Wir glauben, lehren und bekennen, da die einige Regel und Richtschnur, sammen mit anderen Lehren) bestimmt, indem es gekennzeichnet wird
nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilet als "Zeugnis und Erklrung des Glaubens"18 sowie als Verstndnis und
werden sollen, seind allein die prophetischen und apostolischen Schriften Auslegung der Heiligen Schrift "in der Kirchen Gottes" (BSLK 769,32 ff.)
Altes und Neues Testamentes .... Andere Schriften aber der alten oder
neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der Heiligen Schrift nicht gleich 15 BSLK 769,23; hnlich 767,15 u. 769,29 sowie 834,20 u. 837,11 f.
gehalten, sondern alle zumal miteinander derselben unterworfen und an" 16 Der "summarische Begriff" ist insofern das genaue Gegenstck zu der Selbst-
ders oder weiter nicht angenommen werden, dann als Zeugen, welcherge- verabsolutierung des Dogmas, wie sie in der dogmatischen, also ihrerseits
stalt nach der Apostel Zeit und an welchen Orten solche Lehre der Prophe- "unfehlbaren" Konstitution "Pastor aeternus" von 1870 durch das ppstliche
ten und Apostel erhalten worden ... Lehramt erfolgt ist.
Solchergestalt wird der Unterschied zwischen der Heiligen Schrift Altes 17 Vgl. BSLK 834,28 u. 44; 835,10 f.; 836,32 f. u. 40 sowie vor allem 837,10 ff.,
und Neuen Testamentes und allen andern Schriften erhalten, und bleibt wo "Gottes Wort" als "die einige Richtschnur und Regel aller Lehr" bezeich-
allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur, nach net wird, in der lateinischen Fassung dasselbe jedoch von den Heiligen Schrif-
welcher als dem einigen Probierstein sollen und mssen alle Lehren erkannt ten gesagt wird. Die problematische Gleichsetzung von Bibel und Wort Gottes
und geurteilt werden, ob sie gut oder bs, recht oder unrecht sein. wird explizit vollzogen 840,1 f.
Die andere Symbola aber und angezogene Schriften sind nicht Richter 18 BSLK 769,30 f.; hnlich 768,4; 838,2 f. u. 39 ff. In den gegenwrtig gltigen
wie die Heilige Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklrung des Glau- Kirchenordnungen im Bereich der EKD wird die Funktion der kirchlichen
bens, wie j[e]derzeit die Heilige Schrift in streitigen Artikuln in der Kirchen Bekenntnisse in der Regel mit dem Verbum "bezeugen" wiedergegeben.
154 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 155

zu einer bestimmten Zeit angesichts einer damaligen Herausforderung. die Schriftgemheit und d. h. letztlich: die Christusgemheit des
Von daher stellt sich die Frage, ob dem kirchlichen Bekenntnis ledig- jeweiligen kirchlichen Bekenntnisses.
lich eine historische Bedeutung oder auch eine (aktuelle) theologische - Die theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses besteht
Bedeutung zukommt. Diese Frage erweist sich bei genauerem Nachden- schlielich darin, da es denunverzichtbaren Gemeinschaftsbezugdes
ken als zwar nicht falsch, wohl aber als miverstndlich und irrefhrend christlichen Glaubens bewutmacht. Glaube entsteht oder wird ge-
gestellt. Denn es geht nicht um eine zur historischen Bedeutung hin- weckt durch ein Kommunikationsgeschehen, in dem die christliche
zukommende theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses, Botschaft, wie sie in der Bibel auf ursprngliche Weise gegeben ist,
sondern um die theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses interpretiert und weitergegeben wird. Die Kirchen sind solche (aller-
als historische Gre und in seiner historischen Bedeutung. Es geht also dings nicht die einzigen) Kommunikationsgemeinschaften, und zwar
um die Frage nach der theologischen Bedeutung des kirchlichen Be- in ihrer konkreten, empirisch fabaren und beschreibbaren Gestalt.
kenntnisses, das seinerseits nichts anderes ist als eine Interpretation des Seine "konkreteste" Gestalt gewinnt der Gemeinschaftsbezug des
biblischen Offenbarungszeugnisses unter bestimmten geschichtlichen Be- Glaubens dort, wo Gemeinschaft den umfassenden Charakter von
dingungen. Lebensgemeinschaft hat, also z. B. in einer Familie, die sich selbst als
Teil der christlichen Kirche versteht. Angesichts der derzeitigen
- Die theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses besteht Erosionsprozesse, die gleichermaen die Institution Kirche wie die
zunchst darin, da es die Notwendigkeit der Interpretation der bibli- Institution Familie betreffen, stellt dies auf lngere Sicht vermutlich
schen Botschaft bewutmacht, wenn diese berhaupt verstehend wei- eher den Ausnahme- als den Normalfall dar. Ja, man mu mit der
tergegeben werden soll. Ist damit zunchst (im Anschlu an das oben Mglichkeit rechnen, da schon heute viele Eltern keine so ausgeprg-
4.3.1 Gesagte) auf den Auslegungs- und berlieferungsproze der te christliche und konfessionelle Identitt (mehr) besitzen, da sie
biblischen Botschaft im allgemeinen verwiesen, so kommt das Spezi- diese an ihre Kinder weitervermitteln knnten. Von der Orientierungs-
fikum des kirchlichen Bekenntnisses und seiner diesbezglichen theo- und Prgekraft der Religion im allgemeinen und des christlichen Glau-
logischen Bedeutung erst dort in den Blick, wo die Interpretation bens im besonderen her ist und bleibt es freilich wnschenswert, wenn
strittig wird. Dabei kann es sich um eine Bestreitung von auerhalb Eltern ihren Kindern in dieser grundlegenden Hinsicht etwas mitzuge-
oder um ein Umstrittensein innerhalb der christlichen Gemeinschaft ben haben. Dabei wre es eine verengte Sicht, zu meinen, Eltern wr-
handeln. Wesentlich ist, da in solchen Situationen der Strittigkeit das den nur oder primr durch ihr Reden ihr Verstndnis des Christlichen
Bedrfnis nach einer verbindlichen Interpretation, die zugleich den in einer bestimmten konfessionellen Interpretation an ihre Kinder
Charakter der Abgrenzung hat, unabweisbar werden kann. Den Rang vermitteln. Sie tun dies viel umfassender und vielfltiger durch ihr
eines kirchlichen Bekenntnisses wird eine solche verbindliche Inter- Verhalten und ihre Lebensfhrung. Diese sind selbst Ausdruck eines
pretation allerdings erst dann erhalten, wenn wesentliche Elemente bestimmten (zustimmenden oder ablehnenden) Verstndnisses des
des christlichen Glaubens strittig geworden sind oder als bedroht christlichen Glaubens und damit (hufigunbewut) auch Auslegung
erscheinen. eines Bekenntnisses und einer konfessionellen Identitt.
- Die theologische Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses besteht
sodann darin, da es die Herausforderung eigenverantwortlicher
berprfung und Entscheidung angesichts der geschichtlich vorgege- 5.2.3 Die Relevanz des kirchlichen Bekenntnisses
benen Interpretation der biblischen Botschaft zum Bewutsein bringt.
Das Bekenntnis ist ja selbst eine bestimmte Interpretation der bibli- Gegen die zuletzt gemachten Aussagen knnte eingewandt werden, fr
schen Botschaft, die (mglicherweise) anderen Interpretationen ge- das christliche Leben spiele das kirchliche Bekenntnis kaum eine Rolle.
genbersteht oder sogar widerspricht. Die zweifache Differenz zwi- Das bisher Gesagte sei vielleicht grundstzlich richtig, werde aber jeden-
schen biblischer Botschaft und kirchlichem Bekenntnis sowie zwischen falls der heutigen Situation nicht mehr gerecht. Und zur Begrndung
unvereinbaren kirchlichen Bekenntnissen erfordert eine auswhlende knnte man darauf verweisen, da nur ein geringer Bruchteil der kirch-
Entscheidung zwischen solchen geschichtlich vorgegebenen Interpre- lichen Bekenntnisse, wie sie etwa in den Bekenntnisschriften zusammen-
tationen aufgrund eigener Einsicht. Mastab dieser Entscheidung ist gefat sind, den Kirchengliedern, aber auch den Pfarrern und Pfarrerin-
156 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Die Bedeutung von Dogma und Bekenntnis 157

nen bekannt sein drfte und da schon deswegen die Bekenntnisse fr nisses strukturiert. In engem Zusammenhang damit mu auch das Kir-
deren Leben und Berufspraxis kaum eine Bedeutung besen. Betrachtet chenlied und die Kirchenmusik (z. B. Oratorien, Passionen, Kantaten)
man nur das alltgliche Leben, so scheint sich diese These zu besttigen. gesehen werden, deren thematische Schwerpunkte sich oftmals aus dem
Genaueres Zusehen lt freilich anderes wahrnehmen, und zwar sowohl kirchlichen Bekenntnis ableiten lassen. Und auf diesem Wege kommen
hinsichtlich des kirchlichen Lebens im allgemeinen als auch im Blick auf in unserer Zeit vermutlich sehr viel mehr Menschen mit der christlichen
das ordinierte Amt im besonderen. Botschaft in Berhrung als durch das Lesen der Bibel oder durch die
Teilnahme an Predigtgottesdiensten.

5.2.3.1 Die Relevanz des Bekenntnisses


fr das kirchliche Leben 5.2.3.2 Die Relevanz des Bekenntnisses fr das ordinierte Amt
Das kirchliche Bekenntnis, insbesondere das Apostolicum (gelegentlich Die besonders enge Beziehung zwischen Ordination und kirchlichem
auch das Nicaenum) hat seinen festen Ort und eine wichtige Funktion im Bekenntnis ergibt sich aus der Tatsache, da das kirchliche Bekenntnis
Gottesdienst der Kirche.l 9 Im gemeinsamen Sprechen des Credo artiku- eine der entscheidenden Grundlagen der Ordination ist. Ja, sofern das
liert und memoriert die versammelte Gemeinde den wesentlichen Inhalt Bekenntnis selbst den Verweis auf die Bibel als die norma normans und
des christlichen Glaubens. Vorausgesetzt ist dabei, da das Glaubensbe- auf sich selbst als die norma normata et normanda enthlt, kann man
kenntnis bereits sowohl bei der Taufe als Formulierung des Glaubens, auf sagen: Das kirchliche Bekenntnis ist die Grundlage der Ordination.
den die Tuflinge getauft werden, als auch im Konfirmandenunterricht in Dabei setzt die Ordination nicht nur voraus, da die Bekenntnis-
Form der Erluterung des Glaubensinhaltes eine wichtige Rolle gespielt grundlage in den entsprechenden kirchlichen Ordnungen deutlich be-
hat. 20 Diese expliziten, regelmigen Verwendungsweisen des Glaubens- zeichnet ist, sondern auch, da die Ordinanden fr sich das kirchliche
bekenntnisses darf man schon deswegen nicht unterschtzen, weil durch Bekenntnis auf seine Schrift- und Christusgemheit hin berprft haben
sie der Text zumindest eines kirchlichen Bekenntnisses auswendig ge- und von daher die Ordinationsverpflichtung ehrlichen Herzens berneh-
lernt wird, und zwar in der Regel schon in einer so frhen Lebenspha- men knnen. Nicht erst im Rahmen eines mglichen Lehrbeanstan-
se, da er zu dem Verfgungswissen gehrt, das bei den meisten Men- dungsverfahrens, sondern schon bei der bernahme der Ordinations-
schen bis ins hohe Alter erhalten bleibt und ihrer inneren Orientierung verpflichtung und vor allem in der theologisch verantworteten Fhrung
dient. des Pfarramtes (in Verkndigung, Seelsorge, Unterweisung, Gemeinde-
Trotzdem wird man sagen mssen, da die indirekten Formen, in leitung etc.) spielt die Einsicht in die Notwendigkeit der Interpretation
denen das kirchliche Bekenntnis das christliche Leben beeinflut, gestal- und die Frage nach der angemessenen Interpretation (auch) des kirchli-
tet und prgt, noch gewichtiger sind. Vor allem ist in diesem Zusam- chen Bekenntnisses eine entscheidende Rolle (s. dazu u. 5.2.4). Dabei gilt
menhangan das Kirchenjahr (samt der Ordnung der Schriftlesungen hinsichtlich der Interpretation des kirchlichen Bekenntnisses (wie von der
und der Perikopen) und an den kirchlichen Festkalender zu denken, der Interpretation der Bibel): Sie stellt eine Aufgabe dar, die unter geschicht-
heute in seiner Bedeutung zunehmend wiederentdeckt wird. Kirchenjahr lichen Bedingungen niemals definitiv abgeschlossen werden kann, bei der
und Festkalender stellen ja nicht einfach eine Umsetzung des Bibeltextes es aber gleichwohl mglich ist, zu einem so breiten, methodisch abgesi-
dar, sondern werden durch die Hauptthemen des kirchlichen Bekennt- cherten Konsens zu gelangen, da ihre Resultateals tragfhig angesehen
werden knnen. Und dies reicht aus, um auf dieser Basis verantwortlich
19 Das gilt wohl auch fr die - wenigen - Landeskirchen sowie fr die Freikir- zu verkndigen sowie die Gemeindearbeit zu planen und zu gestalten.
chen, bei denen das Glaubensbekenntnis nicht in jedem Sonntagsgottesdienst,
sondern nur an den hohen Feiertagen und bei besonderen Gelegenheiten
gesprochen wird. Damit soll das Glaubensbekenntnis ja aufgewertet werden.
20 Selbst dort, wo in der Konfirmandenarbeit die traditionellen Katechismen
keine oder allenfalls eine marginale Rolle spielen, bildet doch das Apostolicum ~
neben Dekalog und Vaterunser - einen unverzichtbaren Grundtext des christ-
lichen Glaubens.
158 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Reformatorisches Verstndnis des Glaubens 159

5.2.4 Die Notwendigkeit der angemessenen nen als "hermeneutische Gewiheit", in sozialer Hinsicht als "hermeneu-
Interpretation des kirchlichen Bekenntnisses tischen Konsens".
Solche Gewiheit und solcher Konsens kann sich auf das Verstehen
Wie das Offenbarungsgeschehen seine Interpretation durch die (von des Bekenntnisses und der Bibel je fr sich beziehen, aber auch auf das
Menschen verfaten) Texte der Bibel hervorruft, so ruft die Bibel ihre Verhltnis beider zueinander, also auf die berprfung der Schrift-
Interpretation durch die (von Menschen verfaten) kirchlichen Bekennt- gemheit des Bekenntnisses. Im letzteren Fall beziehen sie sich auf drei
nisse hervor. Damit ist die Kette der Interpretationen aber noch nicht zu Gren (Schrift, Bekenntnis, Verhltnis beider), und deswegen ist hier
Ende; denn auch das kirchliche Bekenntnis kann nur eine Funktion be- auch mit drei Fehlerquellen zu rechnen, die nach Mglichkeit zu vermei-
kommen, indem es (von Menschen) interpretiert wird. ber die allgemei- den sind. Ohne ein Hchstma an Sorgfalt und Sachverstand kann das
nen hermeneutischen und semiotischen Begrndungen hinaus ergibt sich schwerlich gelingen.
die Einsicht in die Auslegungsbedrftigkeit des kirchlichen Bekenntnisses Dabei gelten fr die Auslegung des Bekenntnisses grundstzlich diesel-
auch aus den Bekenntnisschriften der lutherischen und reformierten Kir- ben Regeln wie fr die Bibelauslegung und Bibelkritik. Insbesondere ist
chen selbst. Sowohl die Katechismen Luthers als auch der Heidelberger die Unterscheidung zwischen Intention und Wortlaut sowie zwischen
Katechismus enthalten nicht nur Bibelauslegung (in Gestalt der Ausle- Mitte und Rndern bzw. zwischen Leitperspektive und Nebenaspekten
gung des Dekalogs, des Vaterunser und der Einsetzungsworte zu den bei der Bekenntnisauslegung nicht weniger zu bercksichtigen als bei der
Sakramenten), sondern sie enthalten auch Bekenntnisauslegung, kon- Schriftauslegung. Es gibt auch eine "Mitte", d. h. eine Leitperspektive des
kret: Auslegung des Apostolicums. Dieses wird nicht nur zitiert (so BSLK Bekenntnisses, der sich die Auslegung annhern kann und von der her
510 f.; 647-653; HK Fr. 23), sondern durch Erklrungen oder in Frage- Einzelaussagen gegebenenfalls zu relativieren oder zu kritisieren sind.
und-Antwort-Form interpretiert und damit als interpretationsfhig und Weder die Bibel noch das kirchliche Bekenntnis hat nach evangelischem
-bedrftig erwiesen. Verstndnis den Charakter einer Sammlung von. Aussagen, denen in ei-
Diese Auslegungsaufgabe stellt sich nicht erst dann, wenn bestimmte nem Akt des" Glaubensgehorsams" zuzustimmen wre. Vielmehrverwei-
Bekenntnistexte fr eine Mehrheit nicht mehr verstndlich sind (dann sen die Aussagen des Bekenntnisses durch ihre Interpretation der Bibel-
wird sie allerdings unbersehbar), und sie dient nicht etwa der Uminter- aussagen auf die Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus als den Grund
pretation oder Weiterentwicklung des Bekenntnisses, sondern sie stellt des christlichen Glaubens. Die Frage nach der Schriftgemheit des kirch-
sich bei jedem Versuch des dem Text angemessenen Verstehens - selbst lichen Bekenntnisses und nach der Bekenntnisgemheit kirchlicher Ver-
wenn er ganz mhelos zu gelingen scheint. Denn jeder Versuch zu ver- kndigung kulminiert darum in der Frage, ob im Bekenntnis und in der
stehen ist ein Auslegungsvorgang, der von dem zu verstehenden Text Verkndigung diese von der Bibel bezeugte Selbsterschlieung Gottes in
ausgelst wird und der Intention des Textes mehr oder weniger gerecht Jesus Christus klar und deutlich zur Sprache kommt oder nicht.
werden oder sie mehr oder weniger verfehlen kann. 21 Da die Versuche
zu verstehen nicht vergeblich (weil beliebig) sind, sondern zu wirklichem
Verstehen fhren knnen, ist zwar nicht beweisbar, weil jeder Beweis
wiederum denselben hermeneutischen Bedingungen unterliegt wie dasje- 5.3 Das reformatorische Verstndnis des christlichen Glaubens
nige, was durch ihn bewiesen werden soll, wohl aber ist es in b~rzeu
gender Weise erlebbar. Man kann dies in individueller Hinsicht bezeich- Als magebliche Interpretation des christlichen Glaubens hat das kirch-
liche Bekenntnis auch fr die Dogmatik eine grundlegende und orientie-
rende Funktion. Um diese Aussage nicht im Allgemeinen und Grundstz-
lichen zu belassen, fge ich an dieset Stelle - gewissermaen als Exkurs -
21 Das gilt folglich auch fr das "Dogma" im engeren Sinne. Das wird in der
eine Skizze des Gehalts des reformatorischen Bekenntnisses ein, wie es fr
rmisch-katholischen Theologie und Kirche auch nicht bestritten, wie insbe-
sondere die Bemhungen um eine angemessene Dogmen-Hermeneutik zeigen. diese Dogmatik leitend. ist. Dabei ist es im Rahmen einer Dogmatik nicht
Wesentlich ist aber, wem die Kompetenz zur Dogmen-Interpretation zuge- mglich, eine Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften zu ent-
sprochen wird und ob einer dieser Instanzen das Recht zugestanden wird, den falten. Aber es soll wenigstens der Versuch unternommen werden, in
Streit um die angemessene Dogmen-Interpretation definitiv zu entscheiden. knappen Zgen zu skizzieren, worin nach reformatorischem Verstnd-
160 Kirchliches Bekenntnis als magebliche InterPretation Reformatorisches Verstndnis des Glaubens 161

nis22 das Wesen des christlichen Glaubens besteht. Dabei erfolgen die Wurzel der Erfllung aller Gebote ist. Gottes- und Nchstenliebe sind
Abgrenzungen zum rmisch-katholischen (orthodoxen und anglikani- demzufolge nicht Voraussetzung, sondern Konsequenz des Heils, an dem
schen) Verstndnis nicht explizit, sondern nur implizit. der Mensch um Christi willen allein aus Gnade und allein durch den
Glauben Anteil hat. Im Gegensatz zu der formalen und inhaltlichen Aporie,
in die das Gesetz hineinfhrt, gilt deshalb unter dem Evangelium:
5.3.1 Die Mitte des reformatorischen Bekenntnisses
- Der Mensch ist in Jesus Christus und von Jesus Christus her bereits der
Die reformatorische Theologie ist aus dem Erleben, genauer: aus dem neue Mensch, zu dem er sich selbst nicht machen konnte und nicht
Erleiden geboren. Das lt sich insbesondere an Luther zeigen. In einem machen kann.
verzweifelten existentiellen Ringen um "die Gerechtigkeit, die vor Gott - Die empfangene und geglaubte Zusage der Liebe Gottes, die dem
gilt", erschliet sich ihm die Einsicht in das Ungengende, ja das Todbrin- Menschen das Heil bedingungslos gewhrt, setzt die Gottes- und
gende des Gesetzes als Heilsweg. Dabei wird fr ihn ber das Neue Nchstenliebe frei, die das Gesetz (vergeblich) vom Menschen for-
Testament hinaus verstehbar, warum das Gesetz als Heilsweg untauglich derte.
ist. Ausgangspunkt ist die Einsicht, da das Gesetz einerseits in dem, was
es fordert, recht hat, andererseits dadurch, da es als Forderung begegnet, Diese - vor allem in den paulinischen Schriften wiederentdeckte-
nicht zum Heil, sondern zur Verzweiflung oder zur Hybris fhrt, weil es Rechtfertigungslehre ist fr das reformatorische Bekenntnis der Inbegriff
im Menschen den Irrglauben weckt, er knne durch sein Tun sein Heil des Evangeliums, mit dem nicht nur "die Kirche steht und fllt"23, sondern
bewirken. Das Gesetz, das nicht nur ein neues Tun, sondern letztlich ein von dem die Existenz der ganzen Schpfung abhngt (so Luther BSLK
neues Sein des Menschen fordert, verhindert also durch. seine Form als 415,21 f.); denn schon Gottes Schpfungswirken geschieht ja "aus lauter
Forderung die Verwirklichung seines Inhalts. vterlicher, gttlicher Gte und Barmherzigkeit ohn all mein Verdienst
und Wrdigkeit" (BSLK 511,3 ff.). In der Rechtfertigungslehre geht es um
- Das lt sich formal zeigen: Indem das Gesetz vom Menschen eine nichts weniger als um das Gottsein Gottes, die Geschpflichkeit der Welt
radikale Vernderung fordert, appelliert es an den alten Menschen, und das durch Christus verwirklichte und ermglichte Heil des Men-
der bereits ein neuer sein mte, um das Gebotene erfllen zu knnen. schen, je fr sich und in ihrer Beziehung zueinander. Gott wre nicht Gott,
Der alte Mensch kann sich aber nicht selbst zu einem neuen Menschen und der Mensch wre nicht Gottes Geschpf, wenn er sich Gottes Gnade
machen - jedenfalls nicht in einem radikalen Sinn. (die dann keine Gnade wre) verdienen knnte oder mte; denn dann
- Das lt sich aber auch inhaltlich zeigen: Das Gesetz gebietet Gottes- wrde Gott zum Schuldner des Menschen gemacht (BSLK 565,10). Aber
und Nchstenliebe, die von Herzen kommt. Solange aber das Tun des der eigentliche Gehalt der Rechtfertigungsbotschaft kommt erst zum Aus-
Gebotenen als Weg zum Heil verstanden wird, appelliert das Gesetz druck in der Erkenntnis, da Gott die Gerechtigkeit, die der Mensch sich
faktisch an die Selbstsucht. Es fixiert den Menschen also gerade auf nicht verdienen kann, ihm um Christi willen aus Gnaden zuteil werden
das, was durch die Forderung des Gesetzes berwunden werden soll. lt. Da Gott Sndern das Heil ohne Vorbedingung zuspricht und zueig-
An dieser Stelle ereignet sich das reformatorische Durchbruchserlebnis, net, das ist die zentrale Einsicht der paulinischen Rechtfertigungslehre, die
durch das Luther aus dem Teufelskreis von (unabweisbarer) Gesetzes- auch zur Mitte der reformatorischen Theologie und des reformatorischen
forderung und prinzipieller Unmglichkeit, das Gebotene zu erfllen, Bekenntnisses geworden ist.
befreit wird: Die Forderung des Gesetzes wird so erfllt, da Gott dem Diese Mitte ist aber noch unterbestimmt, wenn in ihr nur das "sola
Snder ohne jede Vorbedingung seine vergebende Liebe zuspricht und so gratia" und nicht auch das "sola fide" zur Geltung gebracht wird (CA 4).
in ihm den Glauben weckt, der die Erfllung des e.rsten Gebots und die Dabei wrde alles verdorben, wenn man "Gnade" und "Glauben" durch
ein "Zwar-Aber" miteinander verbnde, so als sei der Glaube das Mini-
22 Als Quellen hierfr werden vor allem die Bekenntnisschriften herangezogen, mum, das der Mensch wenigstens als Antwort auf die Gnade Gottes bei-
die nicht die Bearbeitung innerevangelischer Kontroversen zum Ziel haben, zusteuern habe. Das reformatorische "sola fide" richtet sich nicht ein-
sondern das Wesentliche des reformatorischen Verstndnisses herauszustel-
len versuchen, also neben der CA vor allem die Katechismen Luthers, seine 23 S. dazu Th. Mahlmann, Art. "Articulus stantis et (vel) cadentis ecclesiae":
Schmalkaldischen Artikel und der Heidelberger Katechismus. RGG4 I, 799f.
162 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Reformatorisches Verstndnis des Glaubens 163

schrnkend gegen das "sola gratia", sondern es steht einerseits gegen den nen Frchten besteht kein Sollens-, sondern ein Seinszusammenhang. Wie
Gedanken der Gerechtigkeit aus Werken, andererseits gegen die Vorstel- der Baum, so die Frchte, und d. h.: wie die Person ist, so sind auch ihre
lung einer eingegossenen Gnade ("gratia infusa"). Gnade und Glaube sind Taten. Nun ist aber der Glaube dasjenige, was die Person umwandelt, ja
durch ein "Weil-Darum" miteinander zu verbinden (so schon bei Paulus neu konstituiert. Insofern ist der Glaube "der Tter", und die Liebe ist
Rm 4,16). Weil das Heil dem Menschen allein aus Gottes Gnade zuteil "die Tat", an der der Tter (also der Glaube) erkannt werden kann.
wird, darum kann es ihm nur so zuteil werden, da in ihm der Glaube Zugleich zeigt sich von daher, da nur das ein gutes Werk genannt werden
geweckt wird, durch den ihm dasHeil zuteil wird. Indem die Reformato- kann, was "gerne", d. h. mit "Lust und Liebe" (BSLK 510,21; 661,36)
ren mit Paulus daran festhalten, da das Heil dem Menschen durch den getan wird bzw. Ausdruck der Dankbarkeit fr empfangene Liebe ist (HK
Glauben zuteil wird, kommt zur Geltung, da die Person des Menschen bei Fr. 86). Der Glaube ist also nach reformatorischem Verstndnis die not-
diesem Geschehen nicht ausgeschaltet, sondern verwandelt und insofern wendige und die hinreichende Bedingung der guten Werke.
neu konstituiert wird. Indem ein Mensch glaubt, hat er Anteil am Heil -
nicht weil er es verdient, sondern indem er es empfngt.
5.3.2.2 Gerechter und Snder zugleich

5.3.2 Die Entfaltung der reformatorischen Grundeinsicht Die reformatorischen Aussagen ber den Zusammenhang von Glauben
und guten Werken knnten so verstanden werden, als sei der Glaubende
5.3.2.1 Der Glaube als Tter der guten Werke vollkommen gerecht. Das ist - in gewisser Hinsicht - auch tatschlich der
Fall! Der Glaubende ist vollkommen gerecht, und zwar als Glaubender.
Der Glaube als das Vertrauen auf Gottes bedingungslose Liebe ist nach Solange der Mensch jedoch in dieser Welt lebt, wird er niemals nur durch
reformatorischem Verstndnis selbst die Erfllung des Ersten Gebotes das Evangelium zum Glauben bestimmt, sondern steht immer zugleich
und damit des Gebotes der Gottesliebe. So ist das Evangelium, das Glau- auch unter dem Einflu anderer Bestimmungsfaktoren. In dieser Hinsicht
ben weckt, selbst der Grund fr die Erfllung dessen, was das Gesetz hat das neue Leben fragmentarischen Charakter. Das bedeutet zweierlei:
gebietet. So kommt also das Gesetz nicht nur seiner Form nach (als For- Erstens: Wenn der Mensch in seinem vorfindlichen irdischen Leben
derung) in Jesus Christus an sein Ende, sondern durch ihn zugleich seinem niemals ausschlielich durch den Glauben an Gott bestimmt wird, dann
Inhalt nach an sein Ziel. Denn die Gottesliebe mu sich in der Nchsten- wird er immer auch durch die Macht der Snde mitbestimmt. Ein Mensch,
liebe konkretisieren. Dieses "Mu" meint - jedenfalls bei Luther - nicht der durch die Macht der Snde mitbestimmt wird, ist aber selbst ein
eine zu fordernde Folgerung oder Ergnzung, es hat also nicht deonto- Snder, ja er ist "totus peccator". Das ist so, weil ein einziges Moment des
logischen Charakter, sondern es meint eine innerlich notwendige Konse- Unglaubens, also des fehlenden Vertrauens auf Gott, alles verdirbt. In der
quenz,hat also ontologischen Charakter}4 In der reformatorischen Theo- ehrlichen, kritischen Selbstbetrachtung ergibt sich somit die Erkenntnis:
logie wird dafr hufig das biblische Bild vom Baum und seinen Frchten "totus peccator in re" bzw. "in se".
(Mt 3,10 par., 7,16 ff. par. u.12,33)verwendet und in zweifacher Hin- Aber das hebt nicht auf, da fr den Glaubenden zugleich gilt: "totus
sicht pointiert. Erstens: Ein Baum kann nicht gutgemacht werden, indem iustus in spe" bzw. "coram Deo". So wahr ein einziges Moment des
man seine Frchte verbessert, wohl aber knnen die Frchte gutgemacht Unglaubens den Menschen (in sich) ganz als sndig qualifiziert, so wahr
werden, indem man den Baum verbessert. Ohne Bild: Die Person kann qualifiziert ihn ein einziges Moment des Glaubens (vor Gott) ganz als
nicht durch ihre Taten, aber die Taten knnen durch die Vernderung der gerecht. Anders gesagt: Der Mensch, dem seine Untaten zugerechnet
Person (mit-)verndert werden. Zweitens: Zyvischen dem Baum und sei- werden, kann immer nur alsSnderzu stehen kommen. Der Mensch, dem
seine Untaten von Gott vergeben sind, also nicht angerechnet werden,
24 Wenn demgegenber die Konkordienformel (Art. VI) und der Heidelberger kann dagegen nur als Gerechter zu stehen kommen - und dies nicht etwa
Katechismus (Fr. 115) mit Calvin einen tertius usus legis, also eine anleitende wegen seiner brigen Liebestaten, sondern allein wegen der Zusage der
Funktion des Gesetzes auch fr die Glaubenden lehren, dann bestreiten sie Vergebung.
damit nicht, da diese durch den Heiligen Geist erneuert und zu guten Beide Betrachtungsweisen haben ihre Wahrheit. Darum gilt: "simul
Werken befhigt sind. S. dazu u.14.1.4.3. iustus et peccator", und zwar "simul totus iustus et totus peccator".
164 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Reformatorisches Verstndnis des Glaubens 165

Aber dieses "simul" beschreibt aus der Sicht des Glaubens kein Gleich- Theologie Ausdruck der die Welt erhaltenden Liebe Gottes. Sie ist der die
gewicht, sondern das unendliche bergewicht von Gottes Liebe ber Welt erlsenden Liebe Gottes, wie sie erst im Evangelium sichtbar und
allen menschlichen Unglauben. hrbar wird, zugeordnet und empfngt von dorther ihren tiefsten Sinn,
Zweitens: Ohne Aufhebung dieser Totalbetrachtung gilt aber auch aber sie ist demgegenber eine eigene Weise, wie Gott die Welt regiert.
eine Partialbetrachtung, durch die der fragmentarische Charakter des So kennt die reformatorische Theologie zwei Regierweisen (= Regi-
neuen Lebens zur Geltung kommt. 25 Da der Glaube notwendigerweise die mente) Gottes, durch die er die Welt einerseits erhalten, andererseits
Frucht des guten Werkes bringt, verndert sich auch das Leben des Men retten und erneuern will: das Regiment mit der "Linken", das insbeson-
schen ("in re"). Die Liebe Gottes gewinnt im Leben Raum und Gestalt. dere durch die politische Ordnung unter Androhung und Ausbung von
Und in dieser Hinsicht gibt es ein "Teils-Teils" ("partim iustus - partiIri Gewalt (so Barmen V) ausgebt wird, und das Regiment mit der "Rech-
peccator") und ein Wachstum im Glauben und in der Liebe. Dieses Wachs- ten", das durch die Evangeliumsverkndigung ohne jeden menschlichen
tum fhrt in diesem Leben nie zur Vollkommenheit, also nie zum "totus Zwang allein durch Wort und Sakrament ausgebt wird (CA 28). Beide
iustus in re" bzw. "in se", aber es ist das notwendige Zeichen dafr, da Regierweisen unterscheiden sich zwar durch ihre Ziele und ihre Mittel,
ein Mensch tatschlich (als der Snder, der er ist und bleibt) von Gottes aber sie werden dadurch innerlich zusammengehalten, da sie Regier-
Liebe ergriffen worden ist. weisen Gottes sind.
In diesem zweifachen Sinne gilt von den Gerechtfertigten: Sie sind Von hier aus lt sich nun auch zeigen, wie die Rede von den zwei
Gerechte und Snder zugleich. Regimenten oder Regierweisen Gottes mit der bekannteren Redeweise
von den zwei Reichen Gottes zusammenhngt. Die Menschen, bei denen
die Verkndigung des Evangeliums Glauben gefunden hat, gehren zum
5.3.2.3 Das weltliche und das geistliche Regiment Gottes Reich Christi, whrend die Nicht-Glaubenden (nur) zum Reich der Welt
gehren, das unter dem weltlichen Regiment Gottes steht. Aber auch die
Unter irdischen Bedingungen werden Menschen niemals ausschlielich Unglubigen sollen ja durch das geistliche Regiment Gottes erreicht und
und vollstndig vom Evangelium bestimmt; deshalb bleibt die (allerdings fr das Evangelium gewonnen werden, d. h., das geistliche Regiment
durch die Erfahrung von Vergebung und durch die Hoffnung auf ihre richtet sich auch auf die Menschen, die nur zum "Reich der Welt" geh-
endgltige berwindung gebrochene) Macht der Snde auch im Leben ren. Und auch die Glaubenden stehen - insofern als sie noch Snder und
der Glaubenden eine Realitt. Auerdem erreicht das Evangelium ane deshalb fr ihre Mitmenschen potentiell bedrohlich sind - unter dem
scheinend nicht alle Menschen so, da es in ihnen Glauben weckt. Wo weltlichen Regiment, d. h., das weltliche Regiment richtet sich auch auf
das Evangelium aber keinen Glauben findet, dort kann sich die Macht die Menschen, die zum "Reich Christi" gehren. Nur in dieser Komple-
der Snde ungebrochen auswirken und das Bse ungehemmt seine Eigen- xitt und Verschrnkung lt sich das reformatorische Verstndnis der
dynamik entfalten. Die Hauptfunktion des Gesetzes ist es nach reformato- zwei Reiche und Regimente Gottes angemessen beschreiben.
rischem Verstndnis, diese (sei es gebrochene, sei es ungebrochene) Macht
der Snde dem Menschen bewutzumachen und ihn so zum Evangelium
"hinzutreiben" (das ist der" usus elenchticus legis", d. h. der berfhren-
de Gebrauch des Gesetzes). Aber dies ist nicht die einzige Aufgabe und 5.3.2.4 Die Kirche als geistliche und leibliche Versammlung
Funktion des Gesetzes. Es dient nicht nur als "Spiegel", in dem der
Snder sich erkennen kann, sondern zugleich als "Riegel", den Gott dem Hinsichtlich der Kirche mu nach reformatorischem Verstndnis unter:'
Bsen vorschiebt, um es in seiner zerstrerischen Macht zu begrenzen schieden werden zwischen der im Glaubensbekenntnis angesprochenen
und einzudmmen (das ist der "usus politicus legis", also der politische Gemeinschaft der Heiligen, verstanden als diegeistliche Gemeinschaft der
Gebrauch des Gesetzes). Wohlgemerkt: Es geht dabei nur um Begren Glaubenden, und der leiblichen Versammlung derer, die sich um Wort
zung und Eindmmung, nicht um wirksame berwindung des Bsen und Sakrament scharen. Diese leibliche Versammlung ist eine notwendige
durch das Gute. Aber auch diese Begrenzung ist fr die reformatorische Bedingung dafr, da die geistliche Gemeinschaft entstehen kann, aber
beide sind nicht miteinander identisch, sondern sind als zwei Aspekte an
25 Vgl. dazu W. Joest, Gesetz und Freiheit, Gttingen 1961, bes. S. 65-82. der komplexen Realitt von Kirche zu unterscheiden.
166 Kirchliches Bekenntnis als magebliche Interpretation Reformatorisches Verstndnis des Glaubens 167

Da zu der leiblichen Versammlung aber auch Menschen gehren (kn- das Schriftzeugnis, durch das ein Mensch"berwunden" und in seinem
nen), die nicht glauben, ist die leibliche Versammlung nicht nur die sicht- Gewissen gebunden ist. Wo unterschiedliche Schriftauslegungen zu einem
bare Auenseite der Gemeinschaft der Heiligen, sondern tritt als ein Gegensatz im Verstndnis des Evangeliums fhren, mu anhand der all-
"corpus permixtum" in Erscheinung, zu dem neben den Glaubenden auch gemeinen hermeneutischen Regeln versucht werden, die Auslegungsunrer-
"falsche Christen, Heuchler und ffentliche Snder" (CA 8) gehren schiede auszurumen und zu einem Konsens zu kommen. Aber dieses
(knnen). Bemhen findet seine Grenze an dem unverfgbaren Gebundensein des
Aber ber diese Aussage ist noch hinauszugehen; denn von dem oben Menschen durch die Wahrheitsgewiheit, die sich ihm erschlossen hat.
(5.3.2.2) ber das "simul" Gesagte her ergibt sich, da alle Glaubenden Dieses Gebundensein anzuerkennen, heit, gerade die Freiheit des Gewis-
"in sich" sndig sind und bleiben. Deshalb gibt es in der Kirche unter sens zu respektieren. 26
irdischen Bedingungen immer auch Unglauben, Selbstsucht und Lieblo-
sigkeit, die zerstrerische Wirkungen hervorbringen knnen. Die Kirche
ist unter irdischen Bedingungen auerdem nicht gefeit vor der Gefahr, zur 5.3.2.1-5.3.2.5 Fazit
falschen "Kirche" zu werden, in der das Evangelium nicht "rein gepre-
digt" (CA 7) wird. Wo das geschieht, dient die "Kirche" nicht mehr dem Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner dieser verschiedenen Entfal-
geistlichen Regiment Gottes, sondern wird zur ",Kirche' des Teufels", die tungsaspekte des reformatorischen Rechtfertigungsglaubens, so zeigt sich
die Gewissen verwirrt und Menschen zum Unheil verfhrt. Darum mu bei genauerem Zusehen, da es jeweils die konsequente, und zwar kate-
auf die unverflschte Verkndigung und Lehre des Evangeliums grte gorial gedachte, Unterscheidung von Gotteswerk und Menschenwerk ist,
Sorgfalt verwandt werden. auf die es der reformatorischen Theologie im Rechtfertigungsartikel und
in seinen theologischen Explikationen ankommt. Diese Leitdifferenz be-
stimmt insofern das Rechtfertigungsverstndnis selbst, als dieses ja von
5.3.2.5 ueres Wort und Geistwirken der biblischen Einsicht bestimmt ist, da das Erlangen des Heils nicht von
menschlicher Leistung abhngig gemacht werden darf, sondern allein von
Mastab fr die reine Verkndigung ist allein das Evangelium von Jesus Gott her zu erhoffen, zu erbitten und zu empfangen ist. Aber gerade darin
Christus, wie es in der Bibel gegeben ist. An ihm ist alle Lehre zu messen besteht die menschliche Beteiligung. Und das so empfangene Heil setzt
und zu beurteilen. Das Recht und die Befhigung zu solcher Lehr- seinerseits das gute Werk des Menschen frei und in Gang, ja, in diesem
berprfung und -verantwortung ist nach reformatorischem Verstnd- Bewegtwerden besteht Gottes Werk am Menschen. Die Unterscheidung
nis nicht exklusiv oder letztinstanzlich an das Bischofsamt gebunden, zwischen Gotteswerk und Menschenwerk zielt nicht auf eine Trennung
sondern es kommt allen Glubigen zu; denn die Glubigen sind (nach zwischen beidem, geschweige denn auf eine Geringschtzung oder Ab"
Joh 10,14 u. 27) diejenigen, die die Stimme des guten Hirten kennen und wertung des Menschenwerks. Durch Gottes Werk wird des Menschen
darum von der Stimme der Diebe und Ruber unterscheiden knnen Werk ja freigesetzt und in Anspruch genommen, und das Werk des Men-
(Joh 10,8). schen hat keine andere Aufgabe, als dem Wirksamwerden des Gottes-
Voraussetzung hierfr ist allerdings, da das Evangelium als "ueres werkes Raum zu geben. Aber die Unterscheidung zwischen beidem schrft
Wort" (einschlielich des Sakraments) ergeht und da durch das. unver- ein, da kein Mensch fr sich oder fr andere das Heil schaffen oder
fgbare Wirken des Heiligen Geistes bei denen, die dieses uere Wort erwerben kann. Es kann nur von Gott her empfangen werden. "Der
hren, Glaube geweckt wird (CA 5). Dieses Geistwirken und damit die Seelen soll und kann niemand gebieten, er wisse denn ihr den Weg zu
Hinfhrung zur Wahrheit und die Erhaltung bei der Wahrheit ist der weisen gen Himmel. Das aber kann kein Mensch tun, sondern Gott al-
Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt verheien (loh lein." (WA 11, 263,3-5)
16,13), nicht aber an einzelne mter gebunden. Darum kann nach refor-
matorischem Verstndnis auch nicht die Schriftauslegung irgendeines 26 Das Bekenntnis des 11. Vaticanum zur Religions- und Gewissensfreiheit
Amtstrgers grundstzlich ber der Schriftauslegung anderer Glieder der ("Dignitatis humanae"), das vor allem von der Unerzwingbarkeit der
Kirche stehen. Fr konkrete Auseinandersetzungen um die unverflschte Wahrheitserkenntnis her begrndet wird, erweist sich von daher als ein fr
Evangeliumsverkndigung gelten darum folgende Kriterien: Mastab ist die interkonfessionelle Verstndigung kaum zu berschtzender Beitrag.
Die gegenwrtige Lebenswelt 169

6 Die gegenwrtige Lebenswe1t als Zunchst (6.1) ist zu klren, was mit dem Ausdruck "gegenwrtige
Kontext des christlichen Glaubens Lebenswelt" gemeint ist und wie das damit Gemeinte methodisch
erfat werden kann. Schon in diesem Zusammenhang stellt sich aber
die Frage, ob die Wahrnehmung der Lebenswelt unabhngig vom
Glauben geschehen kann und soll oder konstitutiv von ihm mitbe-
stimmt ist. Deshalb und insofern mu schon hier vom christlichen
Glauben die Rede sein.
- Sodann (6.2) wird zu fragen sein, wie das Verhltnis von christlichem
In den zurckliegenden Kapiteln richtete sich der Blick auf die Aspekte Glauben und gegenwrtiger Lebenswelt angemessen bestimmt wer-
am christlichen Glauben, die sein geschichtliches Vorgegebensein betref- den kann und was es bedeutet, wenn in diesem Zusammenhang die
fen, aufgrund dessen er nicht erst neu hervorzubringen ist, sondern nur Lebenswelt als Kontext des Glaubens bezeichnet wird.
empfangen und angeeignet werden kann. Im vor uns liegenden Kapitel Schlielich (6.3) soll der Versuch unternommen werden, in knappsten
geht es auf dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung und im Strichen ein Bild der gegenwrtigen Lebenswelt und des in ihr vor-
Horizont der Erwartung knftiger Entwicklungen um den Aspekt der kommenden christlichen Glaubens zu zeichnen.
gegenwrtigen Wirklichkeit des christlichen Glaubens, ohne die das Chri-
stentum eine abgestorbene, allenfalls noch erinnerte Religion wre. Erst
in dieser Sichtweise wird der christliche Glaube als etwas Lebendiges 6.1 Die gegenwrtige Lebenswelt
wahrgenommen, und erst damit erweist er sich als Gegenstand der Theo-
logie (s. o. 1.2.1). . 6.1.1 Zum Begriff " Lebenswelt"
Mit dem Stichwort "gegenwrtige Wirklichkeit" werden zwei Sach-
verhalte angesprochen, die nicht miteinander identisch, aber doch in mehr- Der Terminus "Lebenswelt"l enthlt mehrere Momente, die ihn als geeig-
facher Hinsicht miteinander verbunden sind: Einerseits geht es darum, net erscheinen lassen, den Zusammenhang zu bezeichnen, in dem der
da christlicher Glaube selbst gegenwrtige Realitt ist; andererseits dar- christliche Glaube seinen Ort hat. Ich ziehe ihn deswegen anderen Begrif-
um, da der christliche Glaube in der gegenwrtigen Lebenswelt seinen fen wie "Situation", "Gesellschaft" oder "Welt" vor. Die Bedeutung, in
Ort hat. Unterscheidbar und unterscheidungsbedrftig sind diese beiden der der Begriff "Lebenswelt" hier verwendet wird, ergibt sich aus den
Sachverhalte insofern, als die Lebenswelt zumindest als eine" gedacht folgenden Charakterisierungen.
werden kann, in der christlicher Glaube nicht (mehr) vorkme und darum
keinen Ort htte, whrend der Glaube nicht als gegenwrtige Realitt
gedacht werden kann, ohne Teil der gegenwrtigen Lebenswelt zu sein. 6.1.1.1 "Lebenswelt" als umfassende Wirklichkeit
Die Formel "gegenwrtige Wirklichkeit" bezeichnet also zweiunterscheid-
bare, aber aus der Sicht des christlichen Glaubens untrennbare Sachver- Mit dem Begriff "Lebenswelt" ist der umfassende Zusammenhang ge-
halte: den Gesamtzusammenhang, in dem wir leben und in dem darum meint, in dem sich alles menschliche Leben, Handeln und Denken voll-
auch der Glaube lebt, und das Lebendigsein des christlichen Glaubens. zieht. Zur Lebenswelt gehrt also nicht nur die Kultur (als die von Men-
Untrennbar sind beide Sachverhalte aus der Sicht des christlichen Glau- schen durch Gestaltung hervorgebrachteWelt), sondern ebenso die Natur
bens gerade wegen des zuletzt genannten Zusammenhangs, also deshalb, (als die ihrerseits lebendige und allem menschlichen Gestalten vorgegebe"
weil es den Glauben nicht unabhngig von der Lebenswelt (folglich gegen- ne Welt). Dabei bringt der Begriff>"Lebenswelt" deutlicher als etwa die
wrtigen Glauben nicht unabhngig von der gegenwrtigen Lebenswelt)
geben kann. Das ergibt sich schon aus seinem Charakter als daseins-
bestimmendes Vertrauen, das ohne den Bezug zum Dasein mit all seinen 1 Der Begriff "Lebenswelt" wurde von E. Husserl als Terminus in die Philoso-
phie des 20. Jahrhunderts eingefhrt. Die bernahme des Begriffs "Lebens-
Elementen gar nicht mglich wre. welt" impliziert freilich weder eine Festlegung auf Husserls Terminologie
Von diesen Vorberlegungen her stellen sich drei Aufgaben, die in noch auf seine Konzeption von Phnomenologie (s. dazu Husserliana VI,
diesem Kapitel in Angriff genommen werden sollen: 1954, bes. S. 105-193 u. 446-472).
170 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Die gegenwrtige Lebenswelt 171

Begriffe "Umwelt" oder "Mitwelt" zum Ausdruck, da der Mensch (als binden an die alltgliche Lebenswelt, in der und fr die wissenschaftliches
Naturwesen und als Kulturwesen) selbst Teil der Lebenswelt ist, und als Erkennen und Gestalten sich bewhren mu. Insofern eignet dem Begriff
solches an ihr partizipiert, ihr also nicht gegenbersteht. Freilich wird von "Lebenswelt" ein unaufgebbar wissenschaftskritisches Moment, aber
daher auch deutlich, da das empirische Individuum, das einen bestimm- gerade dies weist ihn als offen fr Wissenschaft aus, die sich anders als
ten Ort in der Lebenswelt einnimmt, diese nicht als Ganzheit und Einheit kritisch und selbstkritisch gar nicht verstehen kann,.
wahrnehmen kann, sondern immer nur bruchstckhaft, aus einer beson-
deren Perspektive und in bestimmten Ausschnitten. Deswegen scWiet
der Begriff "Lebenswelt" die Mglichkeit ein, da die Lebenswelt vom 6.1.1.3 "Lebenswelt" als subjektbezogene Wirklichkeit
Menschen wahrgenommen wird als Stufenbau, in dem es Grundlegendes
und Unwichtigeres gibt, oder als ein Gefge konzentrischer Kreise, in dem Ein weiteres ursprngliches (teils positivistisch, teils phnomenologisch
sich Nheres und Ferneres unterscheiden lt. Die Lebenswelt ist in sich orientiertes) Interesse, das im Begriff "Lebenswelt" seinen Ausdruck fin-
vielfltig differenziert, und gerade so bildet sie den umfassenden Zusam- det, wird knapp zum Ausdruck gebracht in der Formel: "Zu den Sachen
menhang, in dem sich menschliches Leben vollzieht mit allem, was zu ihm selbst!" Darin spricht sich die Suche nach einer Zugangsweise zur Wirk-
gehrt. lichkeit aus, die alle Theoriebildungen, die eine unmittelbare Wahrneh-
mung verstellen, durchstt und der Realitt sozusagen "von Angesicht
zu Angesicht" begegnet. Die Phnomenologie selbst ist sich jedoch dessen
6.1.1.2 "Lebenswelt" als alltgliche Wirklichkeit bewut, da das, was dem Menschen als "Lebenswelt" zugnglich wird,
gerade nicht eine"Welt an sich" ist, wie sie sich unabhngig vom mensch-
Ein wesentliches Anliegen, das im Begriff "Lebenswelt" zum Ausdruck lichen Erkennen darstellt, sondern die Welt, wie sie sich dem menschli-
kommt, ist es, hinter eine blo wissenschaftlich vermittelte Sichtweise der chen Erkennen zeigt, wie sie vom Menschen gedeutet und verstanden
Welt zurckzugehen zu einer elementaren, vorwissenschaftlichen Zu- wird. So gesehen wird der Begriff "Lebenswelt" nun gerade umgekehrt
gangsweise, wie sie den Menschen immer schon durch ihre Alltags- zur Erinnerung an die unaufhebbare Subjektbezogenheit jeder Welt-
erfahrung gegeben ist und als solche die (zeitliche und sachliche) Voraus- wahrnehmung. Und diese Subjektbezogenheit ist erst dann hinreichend
setzung aller wissenschaftlichen Welterkenntnis bildet. "Lebenswelt" konkret gedacht, wenn sie als eine durch Zeichen vermittelte Weise des
meint insofern die Welt, in der sich das alltgliche Leben abspielt und von Gegebenseins verstanden wird. D. h.: Auch die Lebenswelt (wie die Of-
dem es bestimmt und geprgt wird. Problematisch wrde der Begriff fenbarung, die Schrift und das Bekenntnis) gibt es nur und haben wir nur
"Lebenswelt" freilich dann, wenn er zu einem programmatischen Gegen- als interpretierte Wirklichkeit.
begriff gegen die wissenschaftlich gedeutete und gestaltete Welt wrde;
denn damit wrde er selbst einen wesentlichen Teil der Lebenswelt preis-
geben oder ausklammern. Diese problematische Verengung ist aber nicht 6.1.1.4 "Lebenswelt" als geschichtliche Wirklichkeit
notwendig mit dem Begriff "Lebenswelt" verbunden. Vielmehr ist die
Lebenswelt ganz zu Recht selbst Gegenstand der wissenschaftlichen Theo- Wird Welt als Lebenswelt verstanden und wahrgenommen, so kommt
rie, ja unterschiedlicher, miteinander konkurrierender Theorien gewor- damit schlielich das Moment der Dynamik, Entwicklung und Bewegung
den. 2 Das mit dem Begriff "Lebenswelt" verbundene charakteristische zur Geltung. Die Lebenswelt ist - per definitionem - im Flu. In der
Insistieren auf dem vorwissenschaftlichen Erfahrungsbezug mu daher Begriffsgeschichte von "Lebenswelt" findet das hufig seinen Ausdruck
nicht als Wissenschaftsfeindlichkeit interpretiert werden, sondern kann durch die Charakterisierung derLebenswelt als "strmend". Damit ist
die wichtige Funktion bekommen, alle wissenschaftliche Arbeit (in ihrem zweierlei ausgedrckt: einerseits das Moment der Bewegung, das eine
auf Erkenntnis oder Gestaltung der Welt gerichteten Impetus) rckzu- permanente Vernderung zur Folge hat, andererseits das Moment des
Zusammenhangs, das in der Bewegung und als Bewegung ein Kontinuum
2 Vgl. dazu H. Luther, Perspektiven der neueren Diskussion zu "Alltag" und bildet. Mit diesem bildhaften Ausdruck wird nicht bestritten, da es
"Lebenswelt": ein Literaturbericht, in: ders., Religion und Alltag, 1992, Phasen geben kann und gibt, in denen der Strom der Lebenswelt zum
S.184-211. reienden Strom wird. Aber auch in diesem Fall bleibt die Lebenswelt
172 Lebensweltals Kontext des Glaubens Die gegenwrtige Lebenswelt 173

sowohl durch das Moment der (rasanten) Vernderung, als auch durch Menschen je jetzt leben. Nur in diesem prinzipiellen und darum allgemei-
das Moment des kontinuierlichen Zusammenhanges bestimmt. Die nen Sinn kann die gegenwrtige Lebenswelt als Kontext des christlichen
Geschichtlichkeit der Lebenswelt ist insofern das zeitliche Pendant zu der Glaubens bezeichnet werden. Natrlich ist nicht unsere gegenwrtige
rumlichen Umfassendheit, von der in 6.1.1.1 die Rede war. Gerade Lebenswelt der Kontext des christlichen Glaubens. Wohl aber lt sich
darum gilt aber auch hier: Es gibt keinen (archimedischen) Standpunkt das von der jeweils gegenwrtigen Lebenswelt sagen. Sprechen die Fr-
auerhalb der geschichtlichen Welt, von dem aus sie betrachtet oder her- oder Sptergeborenen von ihrer - fr uns vergangenen oder auf uns
bewegt werden knnte. Als beobachtende und reflektierende Wesen be- zukommenden - Lebenswelt, dann sprechen sie zwar von einer fr sie
finden sich Menschen selbst in dem kontinuierlichen Strom der Lebens- erlebbar gegenwrtigen, aber von einer fr uns heute nur im Modus der
welt. Damit ist freilich nicht gesagt, da Menschen sich in diesem Strom Erinnerung oder Erwartung gegenwrtigen Lebenswelt. Die prinzipielle
nur wie Treibholz bewegen knnten. Wie in jedem Strom kann man sich Gegenwrtigkeit der Lebenswelt ist also eine relative Gegenwrtigkeit,
treiben lassen, aber man kann auch steuern oder aus eigener Kraft schwim- nmlich eine, die bezogen ist auf die (jeweils) in ihr Lebenden. Weil diese
men - unter Umstnden sogar gegen den Strom. Aber injedem dieser Flle relative Gegenwrtigkeit aber prinzipiellen Charakter hat, darum verbin-
bleibt man im Strom und wird von ihm bewegt und mitbestimmt. In einer det sie alle Menschen aller Zeiten miteinander: nicht durch die Suggestion
Hinsicht ist die Metapher "Strom" fr die Lebenswelt freilich irrefhrend. einer durch die Zeiten hin unvernderten Lebenswelt, wohl aber durch
Sie kann den Eindruck erwecken, als gebe es feste Ufer, zwischen denen die Einsicht in das unaufhebbare Eingebundensein in die je eigene Lebens-
sich der Strom der Lebenswelt bewegte und von denen aus oder gemessen welt. Wird dies gesehen, so kann sowohl die (positive oder negative)
an denen der Strom als solcher wahrgenommen werden knne. Aber Verabsolutierung der je eigenen Lebenswelt als auch das Messen anderer
demgegenber ist noch einmal an das Umfassende der Lebenswelt zu Menschen oder Zeitalter am Mastab der gegenwrtigen Lebenswelt
erinnern, das die Unterscheidung zwischen "Strom" und "Festland" ver- vermieden werden. Das ist ein Zugewinn an Bescheidenheit, Respekt und
bietet. Vielleicht ist es darum treffender, bei demBegriff "Strom" nicht an Solidaritt.
einen flu, sondern an so etwas wie den Golfstrom zu denken, der seiner- Aus der Einsicht in die prinzipielle Gegenwrtigkeit der Lebenswelt
seits nicht durch feste Ufer begrenzt ist. Es gibt fr uns keinen Ort auer- resultiert nun die aktuelle Herausforderung an die jetzt Lebenden, ihre
halb der strmenden Lebenswelt. Ihre Bewegung und Geschichtlichkeit (also unsere) gegenwrtige Lebenswelt als Kontext jedes zeitgenssischen
knnen nur aus ihr selbst heraus wahrgenommen werden. Die Lebenswelt religisen Glaubens, folglich auch des christlichen Glaubens wahrzuneh-
ist konstitutiv geschichtlich. men, ernstzunehmen und anzunehmen. Das ist deswegen nicht trivial oder
selbstverstndlich, weil es eine kirchlich-theologische Versuchung gibt,
vergangenen oder von der Zukunft erhofften Lebenswelten als Wunsch-
6.1.2 Die Gegenwrtigkeit der Lebenswelt kontexten nachzuhngen oder sie zu ertrumen und darber die Wahr-
nehmung der gegenwrtigen Lebenswelt zu versumen. Erinnerung und
In der berschrift und im Vorspann dieses Kapitels ist nicht nur von der Fantasie sind wesentlich, wenn Menschen ihre Lebenswelt nicht nur an
Lebenswelt (in dem nun in 6.1.1 explizierten Sinn) die Rede, sondern der alltglichen Oberflche wahrnehmen, sondern in der Tiefe begreifen
immer wieder von der gegenwrtigen Lebenswelt. WelchenSinn hat die- und verantwortlich gestalten wollen. Hierzu leisten Kunst, Literatur und
ser ausdrckliche Hinweis auf die Gegenwrtigkeit der Lebenswelt? Da- Musik, die die Alltagswelt schpferisch transzendieren, einen wesentli-
mit soll einerseits ein prinzipieller Sachverhalt, andererseits ein - daraus chen Beitrag. Erinnerung und Fantasie werden jedoch unfruchtbar, ja
resultierender - aktueller Sachverhalt in Erinnerung gebracht werden: gefhrlich, wenn sie den Kontakt zur gegenwrtigen Lebenswelt verlieren.
Prinzipiell gilt, da die Lebenswelt insofern immer "gegenwrtige Insofern ist der Verweis darauf, da die gegenwrtige Lebensweltunser
Lebenswelt" ist, als sie die Lebenswelt derer ist, die sie als solcheerken- Kontext des christlichen Glaubens ist, unerllich.
nen, bezeichnen, analysieren. "Unsere Lebenswelt" ist die Welt, in der
wir jetzt leben. Und das gilt natrlich nicht nur fr "uns", sondern fr
jeden Menschen, jeden Bereich, jedes Zeitalter. Um dies zum Ausdruck
zu bringen, ist die Einfgung eines "je" oder "jeweils" erforderlich: Die
Lebenswelt ist die jeweils gegenwrtige Welt. Sie ist die Welt, inder
174 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Die gegenwrtige Lebenswelt 175

6.1.3 Die Erkenntnis der gegenwrtigen Lebenswelt gen, die mit unserer Sprache und kulturellen Tradition, mit unserer Ge-
schlechterrolle und unserer sozialen Stellung gegeben sind.
Die (je) gegenwrtige Lebenswelt ist der umfassende Zusammenhang, in c) Das dritte Problem ergibt sich daraus, da wir die Lebenswelt nur
dem Menschen sich stets bewegen, von dem sie immer umgeben sind und erkennen knnen, indem wir sie interpretieren. Sie ist uns nicht einfach
(mit)bestimmt werden. Diese Tatsache knnte zu der irrigen Annahme unmittelbar gegeben oder zugnglich, sondern begegnet uns so, da sie
verleiten, die angemessene, realistische Erkenntnis dieser Lebenswelt sei uns veranlat, ja - um erkannt zu werden - sogar ntigt, Interpretationen
etwas Unproblematisches, geradezu Selbstverstndliches. Da die Er- zu versuchen. Diese knnen (mehr oder weniger) gelingen oder scheitern,
kenntnis der Lebenswelt ein Problem darstellt, kann man sich anhand d. h., der Lebenswelt angemessen oder unangemessen sein. So knnen
folgender drei Punkte klarmachen: Interpretationen, die sich in frheren Zeiten als zutreffend erwiesen ha-
a) Zunchst ist auf ein grundstzliches erkenntnistheoretisches Pro- ben, heute das Erkennen der Lebenswelt erschweren oder unmglich
blem zu verweisen, das aus der Gegenwrtigkeit der Lebenswelt resul- machen, weil diese sich in entscheidenden Punkten verndert hat. Auch
tiert. Zugnglich wird die gegenwrtige Lebenswelt fr das Erkennen hier zeigt sich wieder eine prinzipielle Schwierigkeit, die daraus resultiert,
durch Erfahrung und Reflexion. Da die Lebenswelt sich jedoch kontinu- da jede Interpretation einen Interpretationsrahmen voraussetzt, dessen
ierlich verndert, kann sie in keiner "Momentaufnahme" erfat, festge- Angemessenheit sich erst aus der Interpretation der Phnomene ergibt.
halten oder angemessen beschrieben werden. In dem Moment, in dem ein Damit stellt sich die Frage, welcher Interpretationsrahmen vorauszuset"
Bild von der Lebenswelt entsteht, ist es auch schon durch deren geschicht" zen ist, wenn die gegenwrtige Lebenswelt als Kontext des christlichen
liche Entwicklung berholt. Mag die Differenz im Einzelfall auch als Glaubens in den Blick genommen werden soll.
minimal erscheinen oder tatschlich unerheblich sein, so ndert sich doch
nichts daran, da die Erkenntnis stets der Lebenswelt gewissermaen a) - c) Fazit
"hinterherluft" und sie "nicht zu fassen bekommt". Zwar knnen wir
gerade abgelaufene Phasen der Lebenswelt retrospektiv betrachten und Die drei genannten Schwierigkeiten sind prinzipieller Art und lassen sich
auf ihre Bedeutung fr die gegenwrtige Lebenswelt hin analysieren, aber deswegen nicht eliminieren. Sie zeigen, da die Erkenntnis der gegen-
diese berschaubaren Phasen gehren eben schon nicht mehr im strengen wrtigen Lebenswelt nur annherungsweise, bruchstckhaft und bela-
Sinn zur gegenwrtigen Lebenswelt. Die permanente Vernderung der stet mit dem Risiko des Irrtums gelingen kann. Die Konsequenz, die
gegenwrtigen Lebenswelt macht deren angemessene Erkenntnis zum daraus zu ziehen ist, kann nicht lauten, diese Aufgabe zu unterlassen
Problem. oder geringzuschtzen, sondern sie mit einem Hchstma an Sorgfalt
b) Das zweite Problem resultiert daraus, da kein endliches Wesen die und Behutsamkeit in Angriff zu nehmen - und zwar eingedenk der dabei
Lebenswelt in ihrer Gesamtheit (gleichzeitig) wahrnehmen und erkennen bestehenden Schwierigkeiten. Diese Probleme ernst zu nehmen, heit,
kann. Diese Schwierigkeit ergibt sich nicht nur aus faktischen Begrenzun- die Aufgabe der Erkenntnis der Lebenswelt auf einer mglichst breiten
gen, sondern hat ebenfalls prinzipiellen Charakter. Selbst wenn es die Kommunikationsbasis in Angriff zu nehmen; denn nur durch eine multi-
Mglichkeit gbe, die gesamte Lebenswelt in einem Akt zu erfassen, so perspektivische Wahrnehmung und Deutung wird die Gefahr unge-
wre dieser Akt der Erkenntnis selbst auch ein Teil der Lebenswelt, er schichtlicher, selektiver oder ideologischer Fehldeutungen reduziert
mte also auch selbst wahrgenommen und erkannt werden, wenn die (nicht: ausgeschlossen!). Die Theologie ist an dieser Stelle ebenso wie die
Lebenswelt in ihrer Gesamtheit erkannt werden soll. Das glte aber auch kirchliche Praxis auf die Kooperation mit den gesellschaftlichen (inklu-
fr diesen Akt wieder usw. usw. Ein unendlicher Regre ist hier unver- sive der wissenschaftlichen) Institutionen angewiesen, zu deren Aufgabe
meidlich. Deswegen ist die Erkenntnis der Lebenswelt fr endliche Wesen es gehrt, die gegenwrtige Lebens}Velt angemessen zu deuten: Journa-
prinzipiell unabschliebar. Zu dieser prinzipiellen Unabschliebarkeit lismus, Publizistik, Kunst, Sozialwissenschaften sowie Praxis und Theo-
kommen aber noch zahlreiche faktische Begrenzungen hinzu, aufgrund rie des Politischen. Eine theologische Gegenwartsdeutung knnen Kir-
deren wir die Lebenswelt immer nur in Ausschnitten, also selektiv, und che und Theologie von dort nicht erwarten oder pauschal bernehmen,
von einem bestimmten Standpunkt aus, also perspektivisch, erfassen wohl aber im kommunikativen Austausch mit diesen Institutionen im-
knnen. Dabei spielen die Grenzen unserer Wahrnehmungs- und Re- mer wieder neu versuchen, und d. h., sie mssen dazu ihren eigenen
flexionsfhigkeit ebenso eine Rolle wie die Prgungen und Einschrnkun- Beitrag leisten.
176 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Der Kontext-Charakter der gegenwrtigen Lebenswelt 177

6.2 Der Kontext-Charakter der gegenwrtigen Lebenswelt die sonstigen uerungen und Ttigkeiten sowie die Lebensgeschichte
der Autoren;
Nachdem im vorigen Abschnitt (6.1) die "gegenwrtige Lebenswelt" im - die Zeitumstnde, unter denen der Text entstanden ist.
Mittelpunkt des Nachdenkens stand, geht es nun darum, die Beziehung
der (jeweils) gegenwrtigen Lebenswelt zum christlichen Glauben sowie Das alles ltsich mit gutem Grund als "Kontext" bezeichnen unter der
ihre Bedeutung fr den Glauben genauer zu beleuchten. Zur Beschrei- Voraussetzung; da "Kontext" den Zusammenhang meint, in den ein
bung dieser Beziehung und Bedeutung greife ich -trotz gewisser Beden- Text hineingehrt und dessen Bercksichtigung deshalb fr das Verstnd"
ken (s. u. 6.2.1.1) - den Begriff "Kontext" auf, der seit einigen Jahren nis des Textes unverzichtbar, jedenfalls aber frderlich ist. Dabei "ber-
sowohl als deskriptiver Begriff ("Kontextabhngigkeit oder -bedingtheit schreitet" der Begriff "Kontext" an einer bestimmten Stelle den Gattungs-
der Theologie") wie auch als normatives Konzept ("Kontextuelle Theo- begriff "Text" und bezeichnet im allgemeinen Sinn einen Verstehens-
logie") eine erhebliche Verbreitung erfahren hat. Ich gehe in drei Schrit- zusammenhang. Der Begriff "Kontext" wird dadurch zur Metapher. 3
ten vor, indem ich zunchst etwas sage zur Verstndigung ber den Der metaphorische Gebrauch von "Kontext" erlaubt dann seine An-
Begriff "Kontext" (6.2.1), sodann ber die Kontextfunktion der (jeweils wendung nicht nur auf Texte, sondern auch auf Ereignisse, Personen,
gegenwrtigen) Lebenswelt fr den christlichen Glauben (6.2.2), schlie- Institutionen, Theorien usw., ohne da diese (normalerweise) deswegen
lich ber Sinn und Problematik des Konzepts "Kontextuelle Dogmatik" als "Text" bezeichnet werden. Zufolge dieser bertragung(en) ist es ge-
(6.2.3). bruchlich geworden, z. B. von dem Kontext zu sprechen, in dem ein
Mensch lebt oder in dem eine bestimmte Anschauung in Geltung steht. In
diesem weiten, metaphorischen Sinn wird auch in dieser Dogmatik der
6.2.1 Der Begriff "Kontext" und die Kontexte Begriff "Kontext" gebraucht, um den jeweiligen Zusammenhang zu be-
zeichnen, in dem christlicher Glaube zu sehen und aus dem heraus er zu
6.2.1.1 Der Kontextbegriff verstehen ist. Dabei ist der Kontext nicht blo zu verstehen als die Urne
gebung des christlichen Glaubens, sondern zugleich als die Wirklichkeit,
Der Begriff "Kontext" verdankt sich einer schlichten Differenzierungs- an der er teilhat, von der er darum mitbestimmt wird.
leistung, nmlich der Unterscheidung zwischen einem Text und seiner
Umgebung, also dem'Textzusamrnenhang, in den er hineingehrt. Dabei
ist ursprnglich sowohl der Begriff "Text" als auch der Begriff "Kon-
text" wrtlich gemeint. D. h., in heiden Fllen handelt es sich um wirk- 6.2.1.2 Unterschiedliche Kontexte
liche Texte, also (schriftliche) literarische Produkte mit einer komplexen,
kohrenten semiotischen Struktur. Der Begriff "Text" bezeichnet dabei Die Kontexte, in denen Menschen leben, sind unaufhebbar verschieden.
den Teil des literarischen Gebildes, auf den sich das Interesse der Lesen- Zu einer bewuten und differenzierten Beachtung der Kontextfunktion
den richtet, whrend die diesem Teilstck vorangehenden und nachfol- der je gegenwrtigen Lebenswelt gehrt folglich auch die Wahrnehmung
genden Textpassagen als "Kontext" bezeichnet werden. In diesem przi- und Reflexion derjenigen spezifischen Unterschiede, die sich daraus erge-
sen, aber engen Sinn wird der Begriff im folgenden nicht verwendet, ben, da Menschen sich an ganz unterschiedlichen Orten innerhalb dieser
sondern in einem unbestimmteren, weiten Sinn. Lebenswelt befinden und sie darum auch perspektivisch ganz unterschied-
Die Mglichkeit, die Unterscheidung zwischen 'Text und Kontext auch lich erleben.
in einem weiteren, bertragenen Sinn zu verwenden, liegt im Begriff
"Kontext" selbst. Zum Verstndnis eines Textes ist ja nicht nur der
unmittelbar vorangehende und nachfolgende Text-Teil heranzuziehen, 3 In der obigen Aufzhlung erfolgt dieser bergang zwischen dem "sonstige~
sondern l.iterarischen .Werk eines Autors oder einer Autorin" und den "sonstigen
Auerungen und Ttigkeiten", wobei - je nach vorausgesetztem Textbegriff -
- die gesamte Schrift, in der der Text vorkommt; die Zsur zwischen "literarischem Werk" und "uerungen" oder zwischen
- das sonstige literarische Werk eines Autors oder einer Autorin; "uerungen" und "Ttigkeiten" liegt.
178 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Der Kontext-Charakter der gegenwrtigen Lebenswelt 179

Soll eine Dogmatik kommunikationsfhig sein, so kann sie sich nicht von daher die Lebenswelt in zweifacher Hinsicht eine Kontextfunktion
nur an dem eigenen spezifischen Kontext des Autors orientieren, sondern fr den Glauben:
mu einen weiteren Rahmen in den Blick fassen, ohne dabei die konkrete
Erfahrbarkeit der Lebenswelt zu berspringen. Als solcher spezifischer a) Die Funktion der Lebenswelt
Kontext fr eine Dogtnatik eignet sich der Kulturkreis, in dem sie ent-
fr das Verstehen des Glaubens
steht und rezipiert werden will. In unserem Fall ist dies die Bundes-
republik Deutschland im Ensemble der mittel- und westeuropischen Um den christlichen Glauben berhaupt verstehen zu knnen, mu er
Gesellschaften, die im Begriff sind, sich als Einheit zu formieren. D. h. dargestellt werden mit Worten, Bildern, Handlungen, Gesten etc., deren
jedoch nicht, da die restliche Lebenswelt auer Betracht bleiben drfte. Bedeutung aus der jeweiligen Lebenswelt vertraut sein oder sich von
Sie ist als Gegenber und als Verantwortungshorizont unseres Kultur- Vertrautem her erschlieen (lassen) mu.4 Zu einem Verstehen des Glau-
kreises stets mitzubedenken. Aber indem eine Dogmatik dies tut, wird sie bens kommt es aber erst dann, wenn die Bedeutung des Glaubens fr das
damit noch lngst nicht selbst zu einer Dogmatik z. B. fr den asiatischen Leben des Menschen sichtbar und nachvollziehbar wird. Und das ist nur
oder lateinamerikanischen Kulturkreis. Nur theologischer Protektionis- mglich, wenn sichtbar und nachvollziehbar wird, was es in der gegen-
mus knnte den Anspruch erheben, die mitteleuropische Theologie sei wrtigen Lebenswelt bedeutet, sein unbedingtes Vertrauen auf den Gott
in der Lage, eine Dogmatik fr andere Kontexte zu entwickeln. Geboten zu setzen, der sich in Jesus Christus erschlossen hat.
ist die theologische Verantwortung vor dem eigenen spezifischen Kon- Die (jeweilige) gegenwrtige Lebenswelt bildet dabei in mehrfacher
text und fr ihn sowie der Respekt davor, da andere Theologien unter Hinsicht den Verstehenskontext des christlichen Glaubens - entsprechend
anderen kontextuellen Bedingungen entstehen und dort auch bestehen den Faktoren, die fr das Verstehen konstitutiv sind. Insbesondere kommt
mssen. es darauf an, auf folgende drei Fragen eine Antwort zu finden:
"Die gegenwrtige Lebenswelt" ist insofern ein Abstraktum, das im
Blick auf die unterschiedlichen Vollzge kirchlichen Lebens und theolo- - Wie ist das, was Bibel und Bekenntnis als die christliche Botschaft
gischer Theoriebildung der Differenzierung und Konkretisierung bedarf. bezeugen, in der Sprache der gegenwrtigen Lebenswelt auszusagen?
Und nur in dieser konkreten Differenziertheit ist die Lebenswelt der Welche Modifikationen an den Aussagen von Bibel und Bekenntnis
Kontext des christlichen Glaubens. sind im Blick auf die Unterschiede zwischen dem damaligen und dem
gegenwrtigen Weltbild erforderlich?
- Welche Fragestellungen unserer Lebenswelt entsprechen denjenigen,
6.2.2 Die Funktion der Lebenswelt die von Bibel und Bekenntnis als Bezugspunkt der christlichen Bot-
als Kontext des christlichen Glaubens schaft vorausgesetzt werden?,
Das zeigt: Zum Verstehen des Glaubens gehrt nicht nur die aufmerk-
Welche Funktion die Lebenswelt als Kontext des christlichen Glaubens same Wahrnehmung seines Ursprungs und seiner berlieferung, sondern
spielen kann, ist schon aus den vorangegangenen Begriffsbestimmungen auch die sorgfltige Beachtung der gegenwrtigen Lebenswelt mit ihren
andeutungsweise erkennbar geworden: Sie dient dem Verstehen des Glau- Selbstverstndlichkeiten, Errungenschaften, Brchen und Abgrnden, in
bens in seiner jeweiligen geschichtlichen Besonderheit. Das gilt in gleicher der der Glaube wirksam werden soll. Dabei handelt es sich nicht um zwei
Weise fr die berlieferten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, selbstndige, voneinander unabhngige Erkenntnisprozesse, in denen ei-
wie wir sie exemplarisch in Bibel und Bekenntnis vor uns haben, wie fr nerseits der Glaube, andererseits die gegenwrtige Lebenswelt erkannt
seine gegenwrtigen Ausdrucksformen in Gestalt kirchlicher Praxis, reli- wrde. Vielmehr kann es - da sowohl der Glaube als auch die Lebenswelt
gisen Lebens und theologischer Konzeptionen. Dieser letztgenannte jeweils das Dasein in allen Aspekten mitbestimmen - nur so sein, da
Aspekt ist jetzt genauer zu betrachten. beides in seiner Zusammengehrigkeit und Wechselbeziehung erschloS-
Die gegenwrtige Lebenswelt ist insofern der Kontext des christli-
chen Glaubens, als die Menschen, fr die der Glaube Grundlage und 4 Die umgangssprachlichen Konnotationen zu den Worten "glauben" und
Bestimmung ihres Daseins ist oder sein soll, in dieser Lebenswelt ihren "Glaube" (s. o. 2.2.1) sind selbst ein Beleg fr die Unverzichtbarkeit solcher
Ort haben. Ist der Glaube daseinsbestimmendes Vertrauen, so gewinnt kontextueller Beobachtungen und Reflexionen.
180 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Der Kontext-Charakter der gegenwrtigen Lebenswelt 181

sen wird. Die Darstellung des Glaubens ist also nichts, was schon fest- Lebenswelt, an der sich der Glaube zu bewhren und als wahr zu erweisen
steht, bevor der Glaube in einen bestimmten Kontext eingeht, so da er hat, sondern der Glaube bringt erst die Lebenswelt zu ihrer Wahrheit im
nur noch unter vernderten Verhltnissen weitervermittelt werden m- Sinne ihrer eigentlichen Bestimmung. Der Anschein eines Gegensatzes
te, sondern der Inhalt des Glaubens erschliet sich je neu durch die Dar- entsteht dadurch, da "Wahrheit" und "Wahrheitserweis" in den beiden
stellung in seinem Kontext. Dabei kann die Lebenswelt - gem Tillichs genannten Hinsichten unterschiedliche Bedeutungen haben: Im ersten
Korrelationsmethode - als Frage verstanden werden,auf die die christli- Fall ist "Wahrheit" eine Beziehung zwischen Aussage und Wirklichkeit,
che Botschaft antwortet, aber ebenso kann der Glaube - ber Tillichs im zweiten Fall bezeichnet der Begriff eine Qualitt der Wirklichkeit.
explizite Aussagen hinaus - zum Spiegel der Lebenswelt werden, durch Diese beiden Deutungen von"Wahrheit" und"Wahrheitserweis" mssen
den ihre Fragwrdigkeiten und Beschdigungen allererst bewutgemacht nicht gegeneinander ausgespielt oder als Alternativen verstanden, son-
werden, so da durch ihn allererst die Fragen gestellt werden, die sonst dern knnen miteinander in Verbindung gebracht und so freinander und
unentdeckt oder verdrngt blieben. fr das Verstndnis der Sache fruchtbar gemacht werden: Wird der christ-
liche Glaube als Wirklichkeitsverstndnis bezeichnet, so ist damit beides
b) Die Funktion der Lebenswelt fr gesagt, da er die Bestimmung, das Wesen, das Geheimnis der Wirklich-
die Bewhrung des Glaubens keit auf-deckt und da das so Aufgedeckte und zur Sprache Gebrachte
sich in der Lebenswelt als gltig und tragfhig erweist. Der Glaube gibt
Wenn der Glaube Grundlage und Bestimmung des menschlichen Daseins Gott, Welt und Mensch auf eine neue Weise zu verstehen, er deckt eine
ist, dann beschrnkt sich die Funktion der Lebenswelt als Kontext des Tiefendimension auf, die der "normalen" Wahrnehmung verborgen
christlichen Glaubens nicht auf das Verstehen, sondern erstreckt sich auch bleibt. Aber er deutet und interpretiert damit nicht nur, sondern gibt
auf die Bewhrung des Glaubens. Die jeweils gegenwrtige Lebenswelt ist etwas zu sehen, zu fhlen und wahrzunehmen, was sonst nicht gesehen,
also der Ort, an dem sich die Tragfhigkeit des christlichen Glaubens gefWt und wahrgenommen wrde, obwohl es da ist (s. dazu u. 7.1.1.2).
erweisen mu. Damit werden zwei Aspekte angesprochen, die zueinander Auch wenn diese Wahrnehmung immer nur punktuell mglich ist und
in einem spannu'ngsvollen, fast widersprchlichen Verhltnis stehen. darum den Glauben nicht durch ein Schauen oder Wissen ersetzt, ist die
Glaubensgewiheit doch auf solche punktuelle Besttigungen angewie-
- Es geht einerseits darum, da der christliche Glaubeseine Wahrheit im sen. So wird auch in dieser Hinsicht die Lebenswelt zu dem Ort, an dem
menschlichen Leben erweist. Er begegnet ja mit der Zusage und dem sich der christliche Glaube zu bewhren hat.
Anspruch, Gott, Welt und Mensch so erkennen zu lassen, wie sie
wirklich sind. Damit wird die Lebenswelt zu dem Ort, an dem der
Glaube sich den - besttigenden oder widersprechenden - Erfahrun-
6.2.3 Kontextuelle Dogmatik?
gen der Menschen aussetzt und sich so bewhren mu.
- Es geht andererseits im christlichen Glauben nicht blo um eine Be-
Nach allem, was bisher ber die Funktion und Bedeutung der Lebenswelt
schreibung der Wirklichkeit, sondern um die Ent-deckung der tiefsten
als Kontext des christlichen Glaubens gesagt wurde, scheint es sich na-
Wahrheit, ja um das Zur-Geltung-Bringen der wahren Bestimmung
hezulegen, Dogmatik programmatisch als "kontextuelle Dogmatik" zu
des Menschen und der Welt (s. dazu u. 7.1.1.4). Demnach ist es so, da
betreiben und sich damit den vielerorts lautwerdenden Ruf nach einer
der Glaube erst die Welt und den Menschen zur Wahrheit bringt. Ja,
kontextuellen Theologie zu eigen zu machen. Ob diese Folgerung zu
sogar im Blick auf Gott kann man - mit Luther - sagen: Erst der
ziehen ist, hngt jedoch davon ab, was mit dem Programm "Kontextuelle
Glaube macht Gott - fr den Glaubenden - zu Gott. 5 Theologie" genau gemeint ist.
Mit diesem zweiten Aspekt wird das Verhltnis zwischen Glaube und Unter kontextueller Theologie kann eine Theologie verstanden wer-
Lebenswelt von der anderen Seite aus betrachtet: Nun ist es nicht die den, die sich ihres lebensweltlichen Kontextes ebenso bewut ist wie der
kontextuellen Bedingtheit aller Theologien und die darum ihre Themen
5 WA 40 I, 360,5 ff.: "Fides est creatrix divinitatis, non in persona, sed in stets im Verstehens- und Bewhrungshorizont dieser Kontexte reflektiert
nobis. Extra fidem amittit deus suam iustitlam, gloriam, opes etc., et nihil und verantwortet. Eine so verstandene kontextuelle Theologie bzw. Dog-
maiestatis, divinitatis, ubi non fides." matik ist ausdrcklich zu fordern.
182 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Glaube im Kontext der gegenwrtigen Lebenswelt 183

Unter kontextueller Theologie kann jedoch auch eine Theologie ver- quivalente ersetzt wird oder ob sie als die heilsame Botschaft fr die Welt
standen werden, in der der jeweilige lebensweltliche Kontext neben dem zur Sprache gebracht und wirksam wird.
"Text" von Bibel und Bekenntnis eine gleichartige Funktion erhlt. Eine Freilich gilt auch fr eine solche Prfung, da alle an ihr Beteiligten
so verstandene kontextuelle Theologie oder Dogmatik ist m. E. als pro- geprgt sind durch den Kontext ihrer Lebenswelt. Es gibt keine trans-
blematisch zu beurteilen. Das soll im folgenden kurz begrndet werden. kontextuellen Positionen. (Auch die hier vorgetragenen Analysen und
Wenn dem jeweiligen lebensweltlichen Kontext ber seine beschriebe- Reflexionen sind natrlich kontextuell bedingt.) Aber es gibt den beharr-
ne Verstndnis- und Bewhrungsfunktion hinaus die Funktion einer ei- lichen, in der Wissenschaft sogar methodisierten Versuch einer inter-
genstndigen "Quelle" zugesprochen wird, aus der neue Inhalte in den kontextuellen Verstndigung, die gelingen kann. Dazu mssen freilich
christlichen Glauben eingespeist werden, die dem Urimpuls widerspre- zwei Voraussetzungen erfllt sein: einerseits die Bewutmachung und
chen, dann wird der "Kontext" selbst zum "Text" des christlichen Glau- Anerkennung der kontextuellen Bedingtheit; andererseits die prinzipielle
bens, und damit wird der Urimpuls, der das Wesen des christlichen Glau- Unterscheidung zwischen der grundlegenden Funktion der christlichen
bens zu bestimmen hat, relativiert oder verliert sogar gnzlich seine Botschaft und der Verstndnis- und Bewhrungsfunktion der jeweiligen
grundlegende Funktion. Lebenswelt. Eine Dogmatik, die die erste Voraussetzung nicht erfllt,
steht in der Gefahr, den Bezug zu ihrer Zeit zu miachten oder zu verlie-
- Das kann in subtiler Weise schon dort geschehen, wo nur solche ren. Eine Dogmatik, die die zweite Voraussetzung nicht erfllt, steht in der
Aussagen des christlichen Glaubens zugelassen werden, die sich als Gefahr, den Bezug zu ihrer Sache zu miachten oder zu verlieren. Beide
Antworten auf Fragen ausweisen lassen, die im jeweiligen lebens- Gefahren fhren, wenn sie akut werden, dazu, da die Theologie unfhig
weltlichen Kontext tatschlich gestellt werden. wird, ihren Auftrag zu erfllen.
_ In deutlicherer Form geschieht das dort, wo die in der Lebenswelt
anerkannten berzeugungen und Standards den unhinterfragbaren
Rahmen abgeben, innerhalb dessen sich die christlichen Glaubensaus- 6.3 Christlicher Glaube im Kontext
sagen zu bewegen haben. der gegenwrtigen Lebenswelt
Unbersehbar ist das dort der Fall, wo nur einzelne Elemente des
christlichen Glaubens ausgewhlt und zugelassen werden, sofern sie In dem vor uns liegenden Schluabschnitt des ersten Hauptteils geht es um
sich als Versatzstcke mit einem anderswoher gewonnenen (z. B, eine doppelte AufgabensteIlung: Zunchst sollen einige wesentliche Merk-
faschistischen, marxistischen, humanistischen) Wirklichkeitsver- male der gegenwrtigen Lebenswelt herausgestellt und auf den christli-
stndnis verbinden lassen und dieses komplettieren, verstrken oder chen Glauben bezogen werden (6.3.1); sodann soll angedeutet werden,
ill ustrieren. wie christlicher Glaube in der gegenwrtigen Lebenswelt vorkommt
(6.3.2). Beides kann im Rahmen einer Dogmatik nur in knappsten Zgen
Das Problem liegt nun darin, da solche kontextuellen Theologien skizziert werden.
selten offen und programmatisch erkennen lassen, in welchem Mae sie
die christliche Botschaft als eine kontextabhngige Variable interpretieren
oder gebrauchen. Diese kontextuellen Theologien treten (sei es aus ber- 6.3.1 Grundzge der gegenwrtigen Lebenswelt
zeugung, sei es aus taktischen berlegungen) in der Regel mit dem An-
spruch auf, nichts anderes als sachgeme und zeitgeme Interpretation Aus dem geschichtlichen Charakter der Lebenswelt ergibt sich, da die
der christlichen Botschaft fr die gegenwrtige Lebenswelt zu sein. Ob sie wesentlichen Merkmale der gegemyiirtigen Lebenswelt sich nur erkennen
das tatschlich sind oder ob bei ihnen eine Vertauschung oder Gleich- und verstehen lassen, wenn diese Lebenswelt im Zusammenhang mit der
setzung von Text und Kontext stattfindet, kann niemand vorab und von Vorgeschichte gesehen wird, der sie entstammt, und die zugleich durch
auerhalb entscheiden. Das erfordert eine sorgfltige berprfung an- sie transformiert wird. Deshalb wird dem Blick auf die wesentlichen
hand der konkreten Ausprgungen und der geschichtlichen Konsequen- Bestimmungsfaktoren der gegenwrtigen Lebenswelt (6.3.1.2) ein Ab-
zen. Solche Sorgfalt ist erforderlich, weil es hierbei um nichts Geringeres schnitt vorangestellt, der nach allgemeinen Charakterzgen neuzeitlicher
geht als um die Frage, ob die christliche Botschaft durch funktionale Lebenswelten fragt (6.3.1.1).
184 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Glaube im Kontext der gegenwrtigen Lebenswelt 185

6.3.1.1 Allgemeine Charakteristika neuzeitlicher Lebenswelten b) Arbeitsteilung

Im Blick auf den fr uns berschaubaren gesellschaftlichen Entwicklungs- Der Mensch besitzt die Fhigkeit, seinen Lebensunterhalt kurz- und lang-
proze, insbesondere aber im Blick auf die neuzeitlichen Lebenswelten, fristig durch Arbeit zu sichern und sich darber hinausgehende Annehm-
drngt sich der Eindruck auf, da in ihnen ein Proze kontinuierlich lichkeiten zu verschaffen. Die in der Menschheitsgeschichte beobachtbare
zunehmender Ausdifferenzierung und einer daraus resultierenden Kom- Tendenz zur fortschreitenden Arbeitsteilung erweist sich dabei kono-
plexittssteigerung im Gange ist. Zwar kann dieser Proze durch kata- misch als ungeheuer effektiv und setzt sich schon frh in Gestalt berufli-
strophale Einbrche und Zusammenbrche (wie z. B. durch dramatische cher Spezialisierung durch. Zu einem Entwicklungssprung kam es hier
Klimavernderungen, Epidemien oder Kriege) aufgehalten werden, aber durch die industrielle Produktionsweise mit dem Ziel der Massenfertigung
unter neuen Lebensbedingungen setzte er sich bisher allem Anschein nach durch Anhufung von Kapital und Arbeitskrften sowie durch eine Zer-
immer wieder fort. Es gibt sogar Indizien dafr, da der Proze der legung der Arbeitsprozesse in Teilstcke, die mglichst mechanisch und
Ausdifferenzierung und Komplexittssteigerung nicht gleichfrmig,son- darum im Idealfall maschinell erledigt werden knnen. Ganzheitliche,
dern mit ansteigender Geschwindigkeit abluft. bergreifende und abwechslungsreiche Arbeits- und Berufsmglichkeiten
Aber wie ist es berhaupt zu erklren, da in der gesellschaftlichen wurden dadurch zur Ausnahme, sie stellen jedenfalls nicht (mehr) den
Entwicklung ein solcher Proze durchgngig zu beobachten ist? Das kann Normalfall des Arbeitslebensdar. Folgen der Arbeitsteilung sind einer-
wohl nur dadurch begrndet sein, da durch solche Differenzierungs- seits ein immenses Angebot an Waren und Dienstleistungen, andererseits
prozesse menschliche Bedrfnisse befriedigt oder Ziele verwirklicht wer- wachsende Freizeit sowie eine zunehmende Ersetzbarkeit der menschli-
den, die auf anderem Wege nicht (oder weniger gut) gestillt bzw. erreicht chen Arbeitskraft, also strukturell bedingte Arbeitslosigkeit, schlielich
werden knnen. Das lt sich exemplarisch an drei verschiedenen Phno- aber auch die Verlagerung der Suche nach Lebenssinn aus dem Bereich der
menen zeigen: Arbeit in den der Freizeit und der Privatsphre.

a) Informationsverarbeitung c) Versicherungssysteme
Der Mensch besitzt die Fhigkeit, Informationen in Form von Zeichen- Der Mensch kann durch vorausschauendes Planen die Auswirkungen von
systemen nicht nur zu produzieren und zu rezipieren, sondern auch zu Gefahren mindern, denen er seitens der Natur oder von anderen Men-
konservieren, zu verarbeiten und zu reaktivieren. Das versetzt die einzel- schen her ausgesetzt ist. Durch vielfltige Formen gesellschaftlicher Insti-
nen Individuen und die Gesellschaft im ganzen in die Lage, erworbenes tutionalisierung und Organisation lt sich der dadurch angestrebte
Wissen zu speichern und zu tradieren, aber auch neuesWissen zu erarbei- Sicherungs- und Entlastungseffekt erheblich erhhen. Eine breite Vertei-
ten, kompliziertere Zusammenhnge zu erfassen und damit auch diffizi- lung und vielfltige Absicherung von Gefahren und Risiken in der Gesell-
lere Probleme zu lsen. Die unaufhaltsame Durchsetzung immer neuer schaft setzt finanzielle Mittel und psychische Krfte zur Gestaltung der
Techniken der Informationsverarbeitung ist ein eindrucksvolles Indiz ih- Gegenwart frei, die ansonsten durch die Vorsorge fr die Zukunft gebun-
rer Effektivitt, die offenbar als wichtige gesellschaftliche Leistung emp- den wren. Auch hier ist ein immenses Anwachsen der (Ver-)Sicherungs"
funden wurde und wird. Eine Folge dieses Prozesses ist eine gewaltige systeme in der Neuzeit zu beobachten, das in der gegenwrtigen Lebens-
Komplexittssteigerung. Unter dem Stichwort "Information" ist aber welt einen (vorlufigen) Hhepunkt erreicht hat. Freilich werden durch
nicht nur die produktive Verarbeitung von Informationen zu erwhnen, die institutionelle Absicherung auch individuelle Entscheidungsrume en-
sondern auch der rezeptive Umgang mit den Informationen, die durch die ger und die Verantwortung fr das eigene wie fr fremdes Leben - vor
Massenmedien allen Menschen zugnglich sind, deren Freizeitgestaltung allem fr die Zukunftsperspektive des Lebens - wird zurckgedrngt und
und politische Meinungsbildung mitbestimmen und dabei zahlreiche Mg- verliert im Bewutsein der Menschen an Bedeutung. 6
lichkeiten der Manipulation erffnen.
6 Dazu ehr. Berg (Frsorgliche Belagerung, in: LM 34/1995, S.34): "Die
Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft - mglicherweise unbeabsichtigte
Folge entgrenzter Versicherungsmentalitt -lt nicht mehr mit einer mate-
186 Lebensweltals Kontext des Glaubens Glaube im Kontext der gegenwrtigen Lebenswelt 187

Die drei angesprochenen Bereiche zeigen exemplarisch, inwiefern die So ist es verstndlich, da im Gegenzug zur Differenzierung und
in der Menschheitsgeschichte, insbesondere aber in der Neuzeit beob- Komplexittssteigerung ein Bedrfnis nach Vereinfachung (Entdifferen-
achtbare Komplexittssteigerung einen Zuwachs an Wissen, Wohlstand zierung und Komplexittsreduktion) entsteht, durch die die immer un-
und Sicherheit erbringt und damit drei wesentliche menschliche Grund- bersichtlicher werdende Lebenswelt - tatschlich oder scheinbar - ver-
bedrfnisse befriedigt. stndlich und lebbar wird. Solche Reduktionsprozesse finden in der
Das ist freilich nur die eine - in sich schon ambivalente? - Seite der neuzeitlichen Lebenswelt am ehesten einen Spielraum durch Rckzug in
Lebenswelt. Die andere Seite wird sichtbar, wenn man sich bewutmacht, die Privatsphre sowie im Bereich der Unterhaltung und Freizeitgestal-
da zunehmende Differenzierung und Komplexitt wachsende Unber- tung. Das Bedrfnis nach eindeutiger Orientierung artikuliert sich freilich
sichtlichkeit schafft und folglich groe Orientierungsprobleme hervor- auch als religises Bedrfnis - sei es (was eher die Ausnahme ist) als
ruft. Immer weniger Menschen sind in der Lage, die komplexen Wissens- Anschlu an eine"verbindliche Gemeinschaft", sei es (was hufiger vor-
bestnde, Arbeits- und Wirtschaftsprozesse oder Institutionen- und kommt) als individuelle, selbst ausgewhlte und gestaltete, private Reli-
Organisationsgefge unserer Lebenswelt berhaupt noch zu berblicken giositt.
oder zu durchschauen. Darin drfte ein Grund fr die wachsende Distanz Besteht zwischen den Differenzierungs- und den Vereinfachungs-
und Kritik gegenber den Institutionen (besonders den groen, mchti- tendenzen eine produktive Balance oder fhrt der darin enthaltene Ant-
gen, undurchschaubaren, auch z. B. den Kirchen) liegen. Der Verlust an agonismus auf die Dauer in eine psychische und soziale Zerreiprobe? Die
Durchblick und eigenen Gestaltungsmglichkeiten ist aber nicht nur sub- Beantwortung dieser Frage ist fr mich offen. Sie wird nicht zuletzt davon
jektiv unbefriedigend, sondern schafft auch objektiv eine Situation der abhngen, ob die vereinfachenden Interpretationen und Angebote (in
Abhngigkeit und das daraus resultierende Gefhl der Fremdbestimmung. Medien, Freizeitgestaltung, Religion etc.) sich als simplifizierend erwei-
Man kann in dieser Hinsicht geradezu von einem Gefhl der Inkompetenz sen, d. h. unzulssige Vereinfachungen darstellen, die mit der Komplexi-
fr das eigene Leben sprechen. tt der neuzeitlichen Lebenswelt nicht mehr zu vermitteln sind, oder ob sie
Eine solche abhngige, fremdbestimmte Lebensform wird zunehmend elementarisierenden Charakter haben, d. h., ob sie die Vielfalt, ohne sie zu
vor allem von Frauen schmerzhaft empfunden und kritisiert. Die primr ignorieren oder zu bestreiten, auf das Wesentliche und Grundlegende
an Effizienz, Macht und Gewinn orientierte Lebenswelt erscheint ihnen reduzieren.
als eine reine Mnnerwelt, in der sie nicht viel zu bestimmen haben. Viele Schlielich resultiert aus der hohen Komplexitt der neuzeitlichen
Frauen verfolgen deshalb nicht mehr das Ziel, die Hlfte der Macht zu Lebenswelt, da sie einerangemessenen Darstellung nur schwer zugng-
erringen, sondern sie stellen diese mnnlich bestimmte Lebenswelt grund- lich ist. Deshalb steht auch jede Analyse dieser Lebenswelt in der Gefahr
stzlich in Frage und suchen nach Alternativen, in denen es sich fr sie zu simplifizieren, statt zu elementarisieren.
lohnt, eigenverantwortlich mitzuwirken.
Schlielich gehrt es auch zu den Merkmalen der neuzeitlichen Lebens-
welt, da sie dem einzelnen in seiner Lebensplanung ein Ma an Flexibi- 6.3.1.2 Grundlegende Bestimmungsfaktoren
litt und Anpassungsfhigkeit zumutet, das dem menschlichen, insbeson- der gegenwrtigen Lebenswelt
dere dem kindlichen Bedrfnis nach Vertrautheit, Verllichkeit und
Erwartungssicherheit widerspricht. Kein Teil einer Dogmatik veraltet naturgem schneller als der, in dem
auf die gegenwrtige Lebenswelt Bezug genommen wird. Daraus knnen
riellen Alterssicherung durch Kinder rechnen, auch nicht mehr auf deren unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden, die vom Verzicht auf die
Schutz vor Alterseinsamkeit hoffen ... " Thematisierung ber die Beschrnkung auf die grundstzliche Problema-
7 Diese Ambivalenz kommt pointiert zum Ausdruck in folgendem Text von
tik bis hin zur permanenten Aktualisierung reichen. Der gnzliche Ver-
H. Gerlach (Dein Wort sucht meine Antwort, Marburg 1988, S. 425): "Nie
zuvor waren wir so satt wie heute - dennoch: nie waren wir so unersttlich zicht ist m. E. aus theologischen Grnden kaum zu verantworten. Die
wie heute. Nie zuvor hatten wir so viel Freizeit wie heute - dennoch: nie waren permanente Aktualisierung ist zwar im Vorlesungsbetrieb (wenn auch mit
wir so gehetzt wie heute. Nie zuvor hatten wir so viele Versicherungen wie Einschrnkungen) mglich, aber bei einer gedruckten Dogmatik nicht
heute - dennoch: nie fhlten wir uns so unsicher wie heute. Wir leben in realisierbar. So bleibt nur die "mittlere" Lsung brig, die darin besteht,
Widersprchen! " nach einigen wesentlichen Bestimmungsfaktoren der gegenwrtigen
188 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Glaube im Korztext der gegenwrtigen Lebenswelt 189

Lebenswelt zu fragen, konkrete gesellschaftliche Phnomene und Tenden- Wohlstand steigert deswegen nicht schon das Lebensgliick, ja es ist hufig
zen hingegen nur in illustrativer Absicht zu erwhnen und in Erinnerung so, da auf diesem Wege die Lebensproblematik erst richtig aufbricht
zu rufen. Eine solche grundstzlichere Bezugnahme auf die Gegebenheiten und schmerzlich empfunden wird. Die Frage ist jedoch, ob dies als Chance
der Lebenswelt ist weniger anfllig fr rasche berholung durch einzelne wahrgenommen und angenommen wird oder ob sich die Versuche der
gesellschaftliche Vernderungen. Aber die prinzipielle Anflligkeit bleibt Verdrngung der Lebensprobleme auf andere Gebiete verlagern.
und mu bleiben, wenn das oben (6.1.1.4) ber die Geschichtlichkeit der
Lebenswelt Gesagte ernstgenommen werden soll. b) Verlustangst als Lebensangst
Fragen wir nun unter dieser Voraussetzung danach, welche Grundhal-
tungen in unserer Lebenswelt zum Ausdruck kommen, die so etwas wie Das Gefhl relativen Wohlstands ist so etwas wie die positiv wirkende
die innere Triebfeder fr die Merkmale, Prozesse und Tendenzen unserer Oberflche unserer Lebenswelt. Aber darunter lauert ein tiefersitzendes
Lebenswelt darstellen, so zeigen sich drei Phnomene, die untereinander Gefhl, das ich mit dem Stichwort" Verlustangst" bezeichnen mchte.
zusammenhngen und vielleicht so etwas wie Schichten oder Stufen dar- Diese Verlustangst bezieht sich allem Anschein nach vor allem auf das
stellen, die in die Tiefe des Lebensgefhls fhren, das unserer Lebenswelt was man besitzt, ist also auf den ersten Blick die Angst, zu verlieren, wa~
zugrunde liegt. Je tiefer wir dabei steigen, desto. mehr stoen wir auf man hat. Aber woher bezieht diese Angst ihre Kraft, wo doch erkennbar
Bestimmungsfaktoren, die. wahrscheinlich nicht nur fr unsere Lebens~ ist, da viele Menschen wesentlich mehr haben, als sie zum Leben brau-
welt gelten, sondern allgemein menschlichen Charakter haben. chen? Knnte es sein, da die Angst, zu verlieren, was man hat, nur eine
verschlsselte (sozusagen indirekte) Angst ist, hinter der eigentlich die
a) Das Gefhlrelativen Wohlstands Angst steckt, zu verlieren, was man ist, also selbst verlorenzugehen, das
Leben zu verfehlen oder nicht zu schaffen?8 Diese Codierung des Seins
Das Gefhl, eigentlich gehe es uns ~ in der Bundesrepublik Deutschland (bzw. der Daseinsangst) durch das Haben (bzw. die Angst vor Besitz-
und in Mitteleuropa - recht gut, ja so gut wie noch kaum einer Generation verlust) drfte entscheidend damit zusammenhngen, da in unserer
vor uns, und eigentlich htten wir auch so viele "Freiheiten", wie keine ~ebenswelt die Anerkennung von Menschen hufig durch materielle
Zeit vor uns sie gehabt hat, wird von vielen Menschen geteilt. Umfrage- Aquivalente (Belohnungen, Prmien, Gehlter) ausgedrckt wird, ja, da
ergebnisse weisen jedenfalls in diese Richtung. Andererseits zeigt sich nicht selten schon in frher Kindheit emotionale Zuwendung durch Ge-
nicht nur im Weltmastab, sondern auch mit Blick auf die breiter werden- schenke oder Geld unterstrichen oder sogar ersetzt wird und durch Lei-
den "Rnder" unserer Gesellschaft eine erschreckende "Schere" zwischen stung oder Wohlverhalten verdient werden mu. Wenn unsere Lebens-
Reichtum und Armut. welt immer wieder kritisch als eine "Warenwelt" bezeichnet wird, dann
Charakteristisch fr die gegenwrtige Lebenswelt (etwa im Unter- ist das zumindest mitgemeint.
schied zu den 70er Jahren) ist nicht so sehr der Wille zu verndern und
Neues zu wagen, sondern eine eher defensive, an Erhaltung und Verteidi- c) Sehnsucht nach erflltem Leben
gung von Besitzstnden orientierte Haltung. Das Bewutsein, da die
Wohlstandsentwicklung sich nicht ungebrochen fortsetzen kann, ist weit Man kann nicht bei der Diagnose der Verlustangst als grundlegendem
verbreitet, und der Hauptgrund dafr ist ein sowohl konomisch wie Bestimmungsfaktor stehenbleiben, weil diese Angst nichts Erstes, son-
kologisch begrndetes Bewutsein von den "Grenzen des Wachstums". dern selbst schon etwas Abgeleitetes ist. Hinter der - durchaus berechtig-
Aber das ist gewissermaen nur die Auenseite des Lebensgefhls. ten und als Warnung heilsamen - "Angst verlorenzugehen", das Leben
Die Wohlstandssteigerung einschlielich der erheblichen Vergrerung
der Freizeit (sei es als Urlaub, freies Wochenende, frhzeitiger Feierabend 8 Vgl. dazu E. Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen
oder vorzeitiger Ruhestand) ging hufig einher mit der Verheiung und Gesellschaft, Stuttgart 1976 u. NA. Einen nachdenklich machenden Beleg fr
Erwartung, dadurch das Lebensglck zu steigern, vielleicht sogar zu die oben ausgesprochene Vermutung bietet H.-ehr. Piper in seinem Buch
"Gesprche mit Sterbenden" (Gttingen 41990, S. 43 f.), in dem er zeigt, da
garantieren. Nun schafft zwar vermehrter Wohlstand bei gleichzeitig
die bei alten Menschen hufig anzutreffende (gelegentlich vllig irrationale)
sinkender Arbeitszeit den Freiraum, in dem Lebensprobleme wahrge- Angst, ihnen gehe das Geld aus, nur eine Verschlsselung fr die Angst vor
nommen und angegangen werden knnen, und das ist sehr viel. Aber der dem Zuendegehen des Lebens, also vor dem Tod ist.
190 Lebenswelt als Kontext des Glaubens Glaube im Kontext der gegenwrtigen Lebenswelt 191

zu verfehlen und damit natrlich auch hinter dem verzweifelt-absurden mitteleuropischen Kontext) das Ma an Pluralitt, in dem Religiositt
Versuch, das Leben durch das zu gewinnen und zu sichern, was wir selbst als inner- und vor allem als auerkirchliches Phnomen in Erscheinung
leisten oder was wir besitzen, steckt als letzte Triebfeder die dem Ge- tritt. Kirchliche berlieferung, Lehre und Sitte, die ber Jahrhunderte
schpf Mensch, das mit einem unbndigen Lebenshunger ausgestattet ist, hin das religise Leben geprgt haben, sind in ihrem Einflu zurckge-
mitgegebene Sehnsucht nach erflltem Leben. Diese Sehnsucht nach er- gangen, besitzen jedenfalls kein Monopol mehr. Das gilt naturgem
flltem Leben richtet sich auf etwas, das dem Menschen zuteil werden zunchst im Blick auf die auerchristliche Religiositt, wie sie in Gestalt
mu, also nicht gemacht, hergestellt, abgesichert werden kann. Deshalb von Weltreligionen (z. B. Islam und Buddhismus), Neureligionen (z. B.
erklrt diese Sehnsucht auch das Entstehen der Angst vor dem mgli- Scientology, Mun-Sekte, Transzendentale Meditation) oder in Phno-
chen - unabwendbaren? - Scheitern und Milingen des Lebens. Schlie- menen wie Okkultismus, Esoterik und New Age in unserer Lebenswelt
lich wird von daher sogar nachvollziehbar, da es neben den aufregenden Fu gefat hat. Es gilt aber auch in gewisser Hinsicht fr die christliche
und faszinierenden Erlebnissen ("Erlebnisgesellschaft") gerade die "Fl- Religiositt. Dabei geht es einerseits - vor allem bei Jugendlichen - um
le" der Waren und Besitztmer ist, die das verfhrerische Versprechen Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich zwar als christlich, zu-
erfllten Lebens geben kann, whrend sie in Wirklichkeit das Leben nur gleich aber als nicht- oder sogar antikirchlich verstehen; andererseits um
anfllt. Begreift man die eigene Lebenswelt sowohl von dem Gefhl rela- das Phnomen einer bewut aufrechterhaltenen Zugehrigkeit zu einer
tiver Zufriedenheit als auch von der Verlustangst, vor allem aber von christlichen Kirche bei gleichzeitiger Distanz gegenber deren Lehre und
dieser Sehnsucht her, dann kann es gelingen, einen verstehenden Zugang Leben. Dieses weit verbreitete Phnomen findet seinen augenflligen
zu den Menschen, die von dieser Lebenswelt geprgt sind, zu gewinnen. Ausdruck in der Differenz zwischen Kirchenmitgliedschaft und regelm-
Nur eine solche verstehende Haltung macht es den Kirchen mglich, ih- igem Gottesdienstbesuch. Zwar ist der christliche Gottesdienst die mit
ren Dienst in der Lebenswelt auszuben und den christlichen Glauben im Abstand am hufigsten besuchte ffentliche Veranstaltung in unserer
Kontext der gegenwrtigen Lebenswelt angemessen wahrzunehmen und Gesellschaftl l , aber gemessen an den Mitgliederzahlen und an dem
zur Geltung kommen zu lassen. Gottesdienstbesuch, wie er in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten
Weltkrieg blich war, fllt diese Differenz auf. Und angesichts der
groen Bedeutung des Gottesdienstes fr das kirchliche Leben (s. u.
6.3.2 Christlicher Glaube in der gegenwrtigen Lebenswelt9 14.3) hat dieser Tatbestand auch theologisches Gewicht. Freilich wird
er dadurch wieder relativiert, da vom weit berwiegenden Teil der
Da Bonhoeffers Prognose einer "vllig religionslosen Zeit"lO sich bis- Kirchenmitglieder die lebensbegleitenden Amtshandlungen (Taufe, Kon-
lang als irrig erwiesen hat, ist schon oft festgestellt worden. Die ge- firmation, Trauung und Beerdigung) nach wie vor - ja in steigendem
genwrtige Lebenswelt wird durchzogen von einer unbersehbaren Ma - in Anspruch genommen werden.
Vielfalt an religisen Elementen, Richtungen und Gruppierungen. Darin Was die Mehrzahl der Kirchenmitglieder sucht, ist offenbar nicht ein
kommt das auch und gerade in einer hochdifferenzierten Lebenswelt das alltgliche Leben strukturierender und bestimmender Dauerkontakt
bestehende Bedrfnis nach Orientierung und damit die "Sehnsucht nach zur biblischen berlieferung und zur kirchlichen Gemeinschaft, sondern
erflltem Leben" zum Ausdruck. Neu ist daran (jedenfalls in unserem Begegnung und Begleitung in Krisensituationen und an Knotenpunkten
des Lebens. So entspricht die allgemeine Praktizierung christlicher Reli-
9 Ich beschrnke mich in diesem Abschnitt darauf, christliche Religiositt und giositt in gewisser Hinsicht der Spannung, die in der Lebenswelt zwi-
kirchliche Wirklichkeit in der gegenwrtigen Lebenswelt zu skizzieren, und schen einem anscheinend zufriedenen Zurechtkommen mit dem Leben
verzichte darauf, die Inhalte christlicher Verkndigung und Lehre in der einerseits und dem immer wieder aufbrechenden Gefhl des Bedrohtseins
gegenwrtigen Lebenswelt zusammenzufassen. Wer sich von letzterem einen sowie der daraus resultierenden VerliIstangst andererseits zu beobachten
reprsentativen Eindruck verschaffen will, kann dies vielleicht am besten an
ist. Das schliet freilich nicht aus, da die in beidem zum Ausdruck
Hand der Ausarbeitung tun, die die Synode der EKD im Jahre 1988 mit
groer Mehrheit als gemeinsam verantwortete Interpretation dessen, was
heute im Bereich der Evangelischen Kirche als christlicher Glaube verstanden 11 Vgl. dazu Statistisches Jahrbuch 1990 fr die Bundesrepublik Deutschland,
wird, angenommen und unter dem Titel "Glauben heute" verffentlicht hat. Wiesbaden 1990, S. 86 f., und Jahrbuch fr die Evangelische Kirche 113/
10 Widerstand und Ergebung, Mnchen 19853, S. 305 (Brief vom 30.4.1944). 1986, S. 87 f.
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192 Lebenswelt als Kontext des Glaubens

kommende Sehnsucht nach erflltem Leben immer wieder auch in ande-


ren Formen aufbricht und sich Ausdruckverschafft.
Richtet man den Blick schlielich auf die Erscheinungsformen von
christlicher Religiositt, wie sie im Leben der sog. Kerngemeinde zum
Ausdruck kommt, so ist auch hier eine relativ groe Pluralitt zu konsta-
tieren. Diese Vielfalt begegnet im Verhltnis von Grostadt und lndli-
chem Bereich, im Sd-Nord-Geflle sowie in den ganz unterschiedlichen Hauptteil 11
Formen christlichen und kirchlichen Selbstverstndnisses. Insbesondere
in den Volkskirchen findet sich ein Nebeneinander (das auch ein Mitein-
ander oder ein Gegeneinander sein kann) von unterschiedlichen Prgun- Explikation des christlichen
gen, die sich teils aus Pietismus und Erweckungsbewegung, teils aus Auf-
klrung und Kulturprotestantismus, teils aus Religisem Sozialismus und Wirklichkeitsverstndnisses
social gospel herleiten lassen. Diese unterschiedlichen Richtungen kann
man auf verschiedenen Ebenen beobachten:
- bei der theologischen Prgung der Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich
auch auf die Gemeinden auswirkt;
- bei Schwerpunkten und favorisierten Veranstaltungsformen der kirch-
lichen Arbeit;
- bei den unterschiedlichen, teilweise vllig gegenstzlichen Gruppie~
rungen und "Fraktionen" in den Synoden.
Das pluralistische Konzept der offenen Volkskirche ist davon abhn-
gig, da auf all diesen Ebenen die Pluralitt selbst durch ein prinzipielles
Ja zum Pluralismus eine hinreichend breite Akzeptanz findet. Dem ist es
durchaus frderlich, da es in Gestalt der Freikirchen eine institutionelle
Alternative gibt, die geprgt ist durch ein greres Ma an Homogenitt
(in der Regel: pietistisch-erwecklicher Prgung), durch intensive Gemein-
schaftspflege und durch eine am Gedanken der Verbindlichkeit orientierte
Frmmigkeitspraxis. Demgegenber bieten die Volkskirchen nicht nur
nach innen einen weiten Raum fr unterschiedliche religise Gestaltung
und theologische Entfaltung, sondern auch in der Beziehung zur Gesell-
schaft zahlreiche Mglichkeiten der (seelsorgerlichen, pdagogischen, dia-
konischen) Prsenz, Erreichbarkeit, Ansprechbarkeit, Mitwirkung und
Mitverantwortung (dazu u. 14.3.4.4). Ob dieVolkskirche mit ihren spe-
zifischen Mglichkeiten und Grenzen auch in Zukunft eine dem Auftrag
der Kirche in der kommenden Lebenswelt angemessene Gestalt kirchli-
cher Wirklichkeit sein wird, drfte nicht zuletzt davon abhngen, ob sie
in der Lage ist, die christliche Botschaft so zur Sprache zu bringen, da
diese sich als befreiende, orientierende und ermutigende Antwort auf die
Herausforderungen der Lebenswelt erweist und so der Sehnsucht nach
erflltem Leben Raum gibt.
7 Die im Wirklichkeitsverstndnis des christlichen
Glaubens vorausgesetzte Gottes- und Welterkenntnis

Im zweiten Hauptteil dieser Dogmatik geht es -wie oben (1.4.2 u.1.5.3.3)


gesagt - um die Explikation des Wahrheitsgehaltes des christlichen Glau-
bens. Dasjenige, was dabei expliziert werden soll, lt sich als das
Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens bezeichnen und um-
fat einerseits das Gottesverstndnis (Teil A), andererseits das Welt-
verstndnis (Teil B) des christlichen Glaubens. Da und wie die Teile A
und B, also das Gottesverstndnis und das Weltverstndnis des christli-
chen Glaubens zusammenhngen, ja eine sachliche Einheit bilden und nur
aus methodischen Grnden als unterschiedliche Aspektegetrenntvonein~
ander dargestellt werden, wird hier als bereits geklrt (s. o. 1.5.3.4) vor-
ausgesetzt.
Was jedoch noch nicht vorausgesetzt werden kann, sondern erst noch
geklrt werden mu, sind die Bedingungen der Mglichkeit von Gottes-
und Welterkenntnis (7.1) sowie die Zugnge zur Gottes- und Welter-
kenn,tnis (7.2), die im Wirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens
vorausgesetzt werden.
Ein solches erkenntnistheoretisches Kapitel wird deshalb den.beiden
Teilen der Dogmatik (II A und B) vorangestellt, in denen das Gottes- und
Weltverstndnis des christlichen Glaubens jeweils inhaltlich expliziert
wird.

7.1 Die Bedingungen der Mglichkeit


von Gottes- und Welterkenntnis
In diesem ersten Abschnitt geht es um die Erkenntnismglichkeit, d. h. um
die nur miteinander sinnvoll zu bearbeitenden Fragen, ob, inwiefern und
auf welche Weise Gott und die Welt nach christlichem Verstndnis er-
kennbar sind, also erkannt werden knnen. Damit geht es um die erkennt-
nistheoretische Basis alles folgendeIlRedens von Gott und Welt, also des
christlichen Wirklichkeitsverstndnisses.
Das Gewicht dieser Fragestellung leuchtet jedenfalls im Blick auf das
Problem der Gotteserkenntnis ohne weiteres ein; denn Gott kommt unter
den mglichen Gegenstnden unserer Erkenntnis nicht - jedenfalls nicht
unmittelbar und direkt - vor. Wir knnen Gott nicht wie ein in unserer
raum-zeitlichen Wirklichkeit existierendes Wesen wahrnehmen und er-
196 Gottes- und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes" und Welterkenntnis 197

kennen. Und deshalb ist der (religionskritische) Verdacht nicht ohne sondern deshalb, weil es Aspekte oder Dimensionen der Welt betrifft, die
weiteres von der Hand zu weisen, Gott sei keine Wirklichkeit, sondern sich erst von deren Beziehung zu Gott her erschlieen lassen. Und die Welt
blo etwas vom Menschen Erdachtes oder Erdichtetes. in Beziehung zu Gott zu erkennen, stellt natrlich keingeringeres erkennt-
Die Bedeutung des Problems der Gotteserkenntnis bedarf keiner aus- nistheoretisches Problem dar als die Erkenntnis Gottes selbst.
fhrlichen Begrndung, sie versteht sich gewissermaen von selbst. Was Freilich: Nicht erst in ihrer Beziehung zu Gott ist"Welt" ein erkennt"
jedoch einer genaueren Besinnung bedarf, ist die Frage, wie dieses ~ro nistheoretisches Problem, sondern schon in der in diesem Begriff impli-
blem methodisch sinnvoll angegangen werden kann. Mte man mcht zierten Totalitt. Zwar wird der Begriff "Welt" in der Umgangssprache
bereits ber eine inhaltlich entfaltete Gotteslehre verfgen, bevor man ziemlich unbefangen fr alle mglichen abgrenzbaren Sachverhalte ge-
berhaupt sinnvoll fragen kann, ob, inwiefern und aufwelche Weise Gott, braucht (s. u. 7.1.3), aber hinsichtlich des Weltverstndnisses und damit
nmlich der Gott, den der christliche Glaube bekennt, berhaupt erkannt auch hinsichtlich der Welterkenntnis des christlichen Glaubens wrde ein
werden kann? Dieser Einwand klingt im erSten Moment berzeugend, solcher unbefangener, gedaIlkenloser Sprachgebrauch in die Irre fhren.
lst aber bei genauerem Nachdenken sofort die weitere Frage aus: Woher Wie bei der Frage nach der Mglichkeit der Gotteserkenntnis stellt sich
ist eine solche inhaltlich entfaltete Gotteslehre zu gewinnen, und woher also auch im Blick auf die Welterkenntnis die Aufgabe, nicht nur zu
haben die Zeugen des christlichen Glaubens, auf die man sich dabei klren, was unter " Erkenntnis", sondern auch was unter"Welt" verstan"
beziehen kann, ihr Verstndnis von Gott gewonnen? Und auch hiergegen den werden kann und soll und wie beides sinnvoll miteinander zu ver-
liee sich wiederum sofort inhaltlich nach dem dabei schon vorausgesetz- binden ist.
ten Gottesverstridnis fragen usw. Es gibt offensichtlich keirien "archim.e- Die in diesem Abschnitt vor uns stehende Aufgabe hat demzufolge vier
dischen Punkt" und keinen "absoluten Anfangspunkt" , von dem aus sich Teile: Es ist zu klren, was unter"Erkenntnis" zu verstehen ist und wie
die Frage nach der Mglichkeit der Gotteserkenntnis beantworten liee, sie zustande kommt (7.1.1); sodannist zu klren, welche Bedeutung die
weil im Begriff der Erkenntnis immer schon der Bezug auf ein Erkanntes Begriffe "Gott" (7.1.2) und "Welt" (7.1.3) je fr sich haben. Schlielich
oder Zu-Erkennendes (also einen Erkenntnisinhalt) und auf Erkennbar- ist zu fragen, von welchen Ansatzpunkten aus die Wirklichkeitserkenntnis
keit (also auf dieMglichkeit des Erkennens) mitgedacht und mitenthalten des christlichen Glaubens, also seine Gottes- und Welterkenntnis als
sind. Nur im Sinne einer nachtrglichen Abstraktion kann darum nach mglich gedacht werden knnen (7.1.4).
den beiden Gren gefragt werden, die im Begriff und Phnomen der
Gotteserkenntnis immer schon als miteinander vermittelte Gren auf-
tauchen: Erkenntnis und Gott. 7.1.1 Erkenntnis
Da die Gotteserkenntnis ein Problem darstellt, ist unbestritten, aber
da auch die Welterkenntnis des christlichen Glaubens ein Problem dar- Nicht alles, was wir zum Bestand unseres Wissens, unserer berzeugun-
stellt ist nicht ebenso einleuchtend. Am ehesten wird dieses erkenntnis- gen, Meinungen oder Anschauungen zhlen, basier.t auf (eigener) Erkennt-
theo;etische Problem noch im Blick auf die Eschatologie empfunden, die nis. Vieles - und in der neuzeitlichen Lebenswelt immer mehr (s. o.
von der noch ausstehenden vollendeten Welt handelt. Hier tauchen in 6.3.1.1) - bernehmen wir von anderen, und zwar aus zweiter, dritter
vielen Dogmatiken erkenntnistheoretische berlegungen auf, die man in oder vierter Hand. Wir bernehmen es z. B., weil diese Personen oder
der Schpfungslehre, Sndenlehre, Soteriologie und Ekklesiologie meist Institutionen uns als vertrauenerweckend erscheinen oder weil das, was
vergeblich sucht. Der Grund fr dieses Defizit ist jedoch leicht zU finden: sie uns mitteilen, auf uns plausibel wirkt. Zwar kann man sagen, da
Die geschaffene, gefallene und selbst die vershnte Welt (und insbesonde- auch in jedem dieser Flle ein Erkenntnisakt (aus erster Hand) vorliegt,
re die Kirche) scheint ja - im Unterschied zur vollendeten Welt und zur nmlich das Erkennen dessen, was~in anderer Mensch gesagt oder ge-
Wirklichkeit Gottes - vor unser aller Augen zu liegen oder jedenfalls schrieben oder gezeigt hat - also Akte des Hrens, Lesens, Verstehens etc.
unserer Wahrnehmung und unserem Erkennen zugnglich zu sein. Aber Aber diese Erkenntnisakte sind zu unterscheiden von der indirekten Er-
der Schein trgt: Die Welt als Schpfung, das Bse in der Welt als Snde, kenntnis (Erkenntnis aus zweiter oder dritter Hand), die uns damit von
die Ermutigung zum Leben als Vershnung, die Kirche als Gemeinschaft einem (anderen) Erkenntnisgegenstand vermittelt werden soll. Nur die
der Glaubenden - das alles liegt keineswegs "vor aller Augen". Das ist (direkte) Erkenntnis aus erster Hand gibt uns Gewiheit: Sofern wir et-
nicht etwa deshalb so, weil es sich dabei um nichts Wirkliches handelte, was erkannt haben, sind wir dessen gewi, da es sich so verhlt, wie wir
198 Gottes- und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen IJonGottes- und Welterkenntnis 199

es erkannt haben. Im Unterschied zur Vermutung, Ahnung oder bloen tende, aber in jedem Erkenntnisakt vorhandene und nachweisbare Aspek-
Meinung steckt in aller Erkenntnis eine Gewiheit, und zwar eine Wahr- te von Erkenntnis. Sich dies bewutzumachen, ist fr die Theologie im
heitsgewiheit. Wir knnen zwar sagen, jemand habe vermutet, gemeint allgemeinen und fr das Problem der Gottes- und Welterkenntnis im
oder geglaubt, etwas verhalte sich so und so, in Wirklichkeit sei es aber besonderen von groer Wichtigkeit. Dieser Unterscheidung (und den in
ganz anders. Wir knnen aber nicht sagen, jemand habe erkannt, da sich ihr vorausgesetzten Gemeinsamkeiten) soll daher etwas genauer nachge-
etwas so und so verhalte, in Wirklichkeit sei es aber ganz anders. Wir gangen werden.
mssen dann sagen: Der~ oder diejenige habe zu erkennen geglaubt oder
gemeint, habe sich dabei aber getuscht. Die Behauptung von Erkenntnis
schliet natrlich die Mglichkeit des Irrtums nicht aus, aber wenn etwas 7.1.1.1 Der rezeptive Aspekt der Erkenntnis
tatschlich erkannt ist, dann kann es sich nicht um einen Irrtum handeln.
Und wenn behauptet wird, da etwas tatschlich erkannt sei, dann Beim rezeptiven Aspekt der Erkenntnis geht es um die oben angedeutete
schliet diese Behauptung zugleich den Anspruch ein, es handele sich Einsicht, da der dem Erkenntnisakt vorgegebene Erkenntnisgegenstand
nicht um einen Irrtum. Erkenntnis schliet Wahrheit ein. Das, was oben den Erkenntnisinhalt fr das Erkenntnissubjekt bestimmt. Fragt man,
(1.1) ber "Wissen" gesagt wurde, gilt also auch fr "Erkenntnis". wodurch diese Gren miteinander verbunden sind, auf welche Weise der
"Erkenntnis" bezeichnet aber nicht nur den Inhalt dessen, was sich so Erkenntnisakt also stattfindet, so erweist es sich als leistungsfhig (weil
erschlossen hat, da es als wahr gewi geworden ist, sondern zugleich den phnomengerecht), den Erkenntnisakt als einen durch Zeichen vermittel-
Vorgang, durch den eine Person oder Sache, ein Ereignis oder eine Theorie ten und stattfindenden Proze aufzufassen. Demzufolge lt sich der
etc., d. h.: der Erkenntnisgegenstand uns so zugnglich wird, da wir ihn rezeptive Aspekt der Erkenntnis wie folgt beschreiben: Er besteht darin,
erkennen. Und dasjenige, als was wir einen Erkenntnisgegenstand erken- da der Erkenntnisgegenstand - reprsentiert durch Zeichen - das Er-
nen, nenne ich den Erkenntnisinhalt. Die Instanz, die den Erkenntnisakt kenntnissubjekt so affiziert, da dieses in der Lage ist, auf regelgeleitete
vollzieht, nenne ich das Erkenntnissubjekt. (und nicht willkrliche)Weise interpretierende Zeichen ("Interpretanten")
Zwischen Akt, Subjekt, Gegenstand und Inhalt der Erkenntnis kann auszuwhlen, durch die der Erkenntnisgegenstand dem Erkenntnissubjekt
nicht getrennt werden, weil sie als solche immer nur miteinander vorkom- als Erkenntnisinhalt prsent ist. Aufgrund dieses Erkenntnisaktes kann
men knnen. Wohl aber ist es sinnvoll, ja notwendig, zwischen diesen sich das Erkenntnissubjekt dem Erkenntnisgegenstand gegenber in-
Gren (mittels Sprache) zu unterscheiden. Fragt man, in welchem Ver- tentional, d. h.: bewut whlend verhalten. Die Zeichen fungieren dabei
hltnis das so Unterschiedene zueinander steht, so zeigt sich, da die als Reprsentanten des Erkenntnisgegenstandes und des Erkenntnis-
Erkenntnisbeziehung zwei Aspekte hat, die ihrerseits voneinander unter- inhaltes fr das Erkenntnissubjekt.
schieden werden knnen: Wie kommt solche Erkenntnis zustande? Sie ist auf zweierlei angewie-
- Die Erkenntnisbeziehung kann betrachtet werden als das Geschehen, sen: einerseits auf (zeichenvermittelte) Wahrnehmung des Erkenntnis-
in dem der dem Erkenntnisakt vorgegebene Erkenntnisgegenstand gegenstandes durch das Erkenntnissubjekt, andererseits auf den Gebtauch
den Erkenntnisinhalt fr das Erkenntnissubjekt bestimmt. Dieser von Zeichen (Interpretanten) seitens des Erkenntnissubjekts, durch den
Aspekt des Erkenntnisaktes lt sich als rezeptiver Aspekt verstehen diese Wahrnehmung so interpretiert wird, da der Erkenntnisinhalt zu-
stande kommt.
und bezeichnen.
- Die Erkenntnisbeziehung kann betrachtet werden als das Geschehen, Um Wahrnehmungen machen zu knnen, bentigen wir unsere (fnf)
in dem der im Erkenntnisakt entstehende Erkenntnisinhalt den Er- Sinne, durch die uns die Wirklichkeit auf dem Weg der Reizbermittlung
kenntnisgegenstand fr das Erkenntnissubjekt allererst in einer be- zugnglich wird. Die Wahrnehmung selbst und als solche ist aber noch
stimmten Hinsicht erschliet. Dieser Aspekt des Erkenntnisaktes lt keine Erkenntnis. Dazu wird sie erst, wenn der durch sie hervorgerufene
sich als produktiver Aspekt verstehen und bezeichnen. Sinneseindruck im Erkenntnissubjekt ein passendes Zeichen (z. B. ein
Wort) hervorruft und dadurch interpretiert wird. Anschauliche Beispiele
Diese beiden Betrachtungsweisen beschreiben weder Alternativen hierfr sind die Vorgnge, in denen wir jemand oder etwas erkennen,
noch unterschiedliche Typen von Erkenntnis, sondern zwei grundstz- indem es uns gelingt, einen optischen oder akustischen Reiz mit dem
lich zu unterscheidende, von Fall zu Fall auch unterschiedlich zu gewich- richtigen Namen oder Begriff zu verbinden.
200 Gottes-und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes- und Welterkenntnis 201

Aberjeder Erkenntnisakt steht unter dem Risiko des Milingens, also chen geschlossen wird, die der zeichenvermittelten Wahrnehmung nicht
des Irrtums. Fr das Zustandekommen von (wahrer) Wirklichkeitser- zugnglich sind (z. B. bei dem Versuch, statistisch feststellbare Entwick-
kenntnis sind in rezeptiver Hinsicht drei Gruppen von Voraussetzungen lungen zu erklren). Aber das gilt auch dort, wo aus gegebenen Ursachen
erforderlich: deduktiv auf Wirkungen geschlossen wird, die der Wahrnehmung (noch)
- das Vorhandensein einer wahrnehmbaren und bezeichenbaren, also nicht zugnglich sind (z. B. bei Planungsentscheidungen, durch die zu-
erkennbaren Wirklichkeit, die dem Erkenntnisakt vorgegeben ist; knftige Entwicklungen gesteuert werden sollen).
- das Vorhandensein von Wesen, die sinnliche Wahrnehmungen ma- An dieser Stelle nhern wir uns der Grenze, an der es notwendig wird,
chen, Zeichen gebrauchen und beides regelgeleitet miteinander ver- neben dem rezeptiven Aspekt auch den produktiven Aspekt der Erkennt-
binden krmen, also erkenntnisfhige Subjekte 1 ; nis in den Blick zu fassen. Gleichwohl steht beim Fall der deduktiven
- das Vorhandensein von Zeichen, die aufWahrnehmungen anwendbar Prognose insofern noch der rezeptive Aspekt im Vordergrund, als behaup-
sind, also erkenntniserschlieende Zeichen. tet wird; da das Neue, das erschlossen wird, aus dem Gegebenen folge.
Was die Zukunft bringen wird, kann in diesen Fllen nur die Besttigung
Ob Wirklichkeitserkenntnis tatschlich gelingt, hngt aber in rezepti- dessen sein, was jetzt schon (rezeptiv) erkannt wird.
ver Hinsicht nicht nur davon ab, ob diese Voraussetzungen gegeben sind,
sondern auch davon, ob sie fehlerhaft oder fehlerfrei gebraucht werden.
Dabei sind - den Voraussetzungen entsprechend - drei Fehlerquellen zu 7.1.1.2 Der produktive Aspekt der Erkenntnis
beachten:
- die zeichenvermittelte Wahrnehmung, die - aus Grnden, die ill1Er- Die letzten Bemerkungen haben schon andeutungsweise gezeigt, inwie-
kenntnisgegenstand oder im Erkenntnissubjekt liegen knnen - deut- fern es unabdingbar ist, neben und mit dem rezeptiven auch den produk-
lich oder getrbt sein kann; tiven Aspekt der Erkenntnis zu betonen. Dieser Aspekt besteht darin, da
- das zur Verfgung stehende Zeichensystem, das hinreichend genau Erkenntnis nicht (nur) auf der Gegebenheit des Wahrgenommenen ba-
und differenziert oder unzureichend sein kann; siert, sondern (auch) das Gegebene beeinflut und so Wahrnehmung
- die Verbindung von zeichenvermittelter Wahrnehmung Und Inter- ermglicht.
pretanten, die gelingen oder milingen kann. Das gilt zunchst in einem ganz elementaren Sinn insofern, als jede
Erkenntnis selbst eingeht in den Zeichenbestand des Erkenntnissubjekts
Alles Gesagte gilt auch fr die Erkenntnisakte, die sich auf Er- und damit dessen Differenziertheit und Angemessenheit besttigt oder
kenntnisgegenstnde richten, die fr die Erkenntnissubjekte nur dadurch das Erkenntnissubjekt zu weiteren Ausdifferenzierungen oder Korrektu-
zugnglich werden, da sie aus anderen Erkenntnissen erschlossen wer- ren seines Zeichensystems stimuliert. Dadurch wird es dann mglich,
den. (Man denke z. B. an Indizienprozesse oder mikrophysikalische aufgrund gewonnener Erkenntnis knftig Irrtmer zu vermeiden oder
Theoriebildungen.) In diesen Fllen ist die Anwendung der ausgebildeten feinere Unterschiede wahrzunehmen und zu erkennen. So sieht z. B. der
Zeichensysteme wesentlich aufwendiger, weil hier mittels Zeichen- Botaniker wesentlich mehr beim Gang durch die Natur als der natur-
gebrauch (z. B. mittels logischer Ableitungen) aus gegebener Erkenntnis kundlichUngebildete. Und so hrt der Musikkenner ungleich mehr in
auf neue Erkenntnis geschlossen wird. Das ist etwa berall dort der Fall, einem Konzert als diejenigen, fr die das eine ihrer ganz seltenen Begegc
wo von bestimmten Wirkungen abduktiv (also hypothetisch) auf Ursa- nungen mit Musik ist. Generell gilt: Je mehr ein Erkenntnissubjekt bereits
erkannt hat, desto grer ist (ceteris paribus) sein Bezeichnungsrepertoire
und daraufhin auch seine Wahrnehmungsfhigkeit, desto mehr kann es
Es ist sinnvoll zwischen einem weiten und einem engeren Erkenntnisbegriff
also erkennen.
1
wie folgt zu ~nterscheiden: Erkenntnis im weiten Sinn des Wortes findet Aber der produktive Aspekt der Erkenntnis beschrnkt sich keines:'
berall dort statt, wo Wahrnehmungen regelgeleitet mit Interpretanten ver- wegs aufdiesen elementaren Sachverhalt~ Er zeigt sich auch an allen Er-
bunden werden; Erkenntnis im engeren Sinn des Wortes hingegen nur dort, fahrungen und Aussagen, sofern sie sich (und sei es auch nur implizit und
wo dieser Vorgang stattfindet und seinerseits (reflexiv) erkannt wird, wo dem unbewut) auf die Zukunft beziehen und damit die Zukunft fr das Er-
Erkenntnissubjekt diese Verbindung also bewut ist. kennen erschlieen. Eine Zusage, ein Versprechen, aber auch eine War-
202 Gottes- und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes- und Welterkenntnis 203

nung oder eine Drohung vermitteln eine Erkenntnis, die jetzt nicht hinrei- 2
wird. Der Hinweis auf die notwendige Bereitschaft, eine solche Zusage
chend durch Wahrnehmung berprft, besttigt oder korrigiert werden oder Verheiung zuzulassen, zeigt, da es von zwei (untereinander
kann, sondern unreduzierbar auf knftige Wahrnehmung angewiesen ist. zusammenhngenden) Bedingungen abhngt, ob der Erkenntnisakt in-
Der Erkenntnisgegenstand ist hier nmlich nicht ein Sachverhalt, der zu sofern produktiv ist, als er die Wirklichkeit verndert: Der Erkenntnis-
dem Zeitpunkt, an dem der Erkenntnisakt stattfindet, bereits hinreichend inhalt mu einem Erkenntnissubjekt zugesprochen werden, und er mu
bestimmt ist, sondern der Erkenntnisgegenstand ist die gegenwrtige Be- von diesem Erkenntnissubjekt geglaubt werden. 3
stimmtheit eines Ereignisses, das erst in der Zukunft (unter jetzt noch Von daher zeigt sich, da der produktive Aspekt der Erkenntnis sich
nicht eindeutig bestimmten und deshalb mglicherweise vernderten Be- stets auf die Erkenntnis des Mglichen bezieht. Aber es wre unzurei-
dingungen) eintreten wird. chend und irrefhrend, den produktiven Aspekt von Erkenntnis blo in
Die Zusage richtet die Erwartung und das Wahrnehmungsvermgen Verbindung zu bringen mit der (rezeptiven) Erkenntnis von bereits gege"
auf das, was noch aussteht. Und das zuknftig eintretende Ereignis knnte benen, aber noch nicht ausgeschpften Mglichkeiten. Richtig daran ist
gar nicht als Verwirklichung einer Zusage wahrgenommen werden, wenn zwar, da der produktive Aspekt sich stets auf die Kategorie der Mglich-
diese nicht stattgefunden htte. keit bezieht. Versteht man unter "Mglichkeit" jedoch nicht Denk-,
Aber das ist noch nicht alles und noch nicht einmal das Wesentliche mglichkeit, sondern nur reale Mglichkeit im Sinne dessen, was in einer
am produktiven Aspekt der Erkenntnis. Dieses Wesentliche kommt erst bestimmten Situation gewhlt und aktualisiert werden kann, dann greift
dort in den Blick, wo die Erkenntnis selbst als konstitutiver Faktor fr die Deutung an entscheidender Stelle zu kurz. Denn es kommt gerade
neue Wirklichkeitswahrnehmung verstanden wird, d. h. dort, wo berck- darauf an, da durch eine Zusage oder Verheiung solche reale Mglich-
sichtigt werden mu, da eine bestimmte neue Wahrnehmung ohne sol- keiten nicht nur aufgewiesen, sondern u. U. allererst geschaffen werden.
che produktive Erkenntnis gar nicht mglich wre. Das ist dann der Fall, Und diese realen Mglichkeiten stehen als realisierte Mglichkeiten erst
wenn es wichtig ist herauszustellen, da die wahrzunehmende Wirklich- der zuknftigen (das kann auch heien: eschatologischen) Verwirklichung
keit sich ohne den Akt der Erkenntnis gar nicht einstellen wrde. Aber und Wahrnehmung offen. D. h.: Ob es sie tatschlich (als Mglichkeiten)
wie kann man sich vorstellen, da Erkenntnis Wirklichkeit verndert, ja gibt, lt sich nicht jetzt hinreichend erkennen, wohl aber in der noch
hervorbringt? ausstehenden Zukunft.
Ein bekanntes Beispiel, bei dem der produktive, wirklichkeits-
verndernde Aspekt der Erkenntnis unbersehbar ist, ist die sog. self-
fulfilling prophecy, also die Ankndigung, die allein dadurch, da sie
gemacht und rezipiert wird, das bewirkt, was sie ankndigt (z. B. den
Konkurs eines Unternehmens oder einen Modetrend) - wobei verdeut-
lichend hinzuzufgen ist: und das ohne diese Ankndigung gar nicht 2 Die zugesagte und geglaubte Rechtfertigung des Snders, durch die die tat-
zustande gekommen wre. Die self-fulfilling prophecy ist freilich nicht schlich begangene und geschehene Snde nicht angerechnet wird, ist fr den
das einzige und sie ist wegen ihres in der Regel manipulativen Charak- christlichen Glauben eine solche Erkenntnis, durch die Wirklichkeit vern-
dert und folglich auch Wahrnehmung vllig neu erschlossen wird (s. dazu u.
ters sogar ein besonders problematisches Beispiel von Erkenntnis, bei
14.1). Welche immense Bedeutung das hat, wird erst dann ganz einsichtig,
der der produktive, wirklichkeitsverndernde Aspekt zu betonen ist. Ein wenn man erkennt, da es im Akt der Rechtfertigung um eine - kontra-
anderes Beispiel sind die personalen und besonders die religisen Begeg- faktische - Neukonstituierung der Person geht. Die Person wird' also nicht
nungen, durch die Menschen auf eine Hoffnung, eine Bestimmung oder nur auf etwas angesprochen, das es so (d. h. dem Akt der Rechtfertigung
eine Verheiung hin angesprochen werden, die durch die dieser Begeg- vorgegeben) noch nicht gibt, sondF!n sie wird als jemand angesprochen, der
nung vorgegebene (oder unabhngig von dieser Begegnung wahrnehm- sie so noch gar nicht ist. Wenn das keine Illusion sein soll, mu es als die
bare) Wirklichkeit (noch) nicht abgedeckt oder besttigt wird, sondern Konstituierung einer neuen Wirklichkeit gedacht werden.
sich zu ihr kontrafaktisch verhlt. Und nun das Entscheidende: Indem 3 Deshalb sind nach II Kor 5,19 u. Rm 3,28 sowohl das "Wort von der
die so Angesprochenen sich auf diese Verheiung einlassen, knnen sie Vershnung" als auch der Glaube notwendige Bedingungen fr das wirksame
Geschehen der Rechtfertigung, wobei der Glaube durch nichts anderes als
im Proze der Erkenntnis die Erfahrung machen, da sich die Wirklich- durch das Wort geweckt wird. Indem eine Person sich ansprechen lt auf ihr
keit im Sinne der Verheiung verndert und 'als solche wahrnehmbar Gerechtfertigtsein vor Gott, wird sie als gerechtfertigte neu konstituiert.
204 Gottes" und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes- und Welterkenntnis 205

7.1.1.3 Die Zusammengehrigkeit des rezeptiven dung) implizit die Erkenntnis ein: "Wenn dieser Stein auf meinen Fu
und des produktiven Aspektes der Erkenntnis fllt, wird mir das weh tun". Diese implizite Erkenntnis ber das, was
gegebenenfalls zu erwarten ist, bestimmt weitgehend unser Verhalten und
Stahd bisher der Unterschied zwischen dem rezeptiven und dem produk- unseren Umgang mit den Erkenntnisgegenstnden, es verndert also Ver-
tiven Aspekt der Erkenntnis im Vordergrund, so geht es nun darum, das haltensweisen und erschliet insofern einen neuen Zugang zur Wirklich-
Gemeinsame und Verbindende in den Blick zufassen, aufgrund dessen es keit, der durch knftige Erfahrungen seinerseits besttigt oder korrigiert
sich beide Male Um Aspekte von Erkenntnis handelt. wird. Auch hier zeigt sich also, da mit dem produktiven Aspekt der
Unserer Alltagserfahrung scheint es zu widersprechen, wenn behaup- Erkenntnis immer auch der rezeptive Aspekt verbunden ist - und umge-
tet wird, daes sich beimrezeptiveh und produktiven Moment um zwei kehrt.
Aspekte handelt, die in jedem Erkenntnisaktvorhanden und nachweisbar c) Da auch bei der Erkenntnis relativ stabiler raum-zeitlicher Gegen-
sind. Das hiee ja, da auch in solchen Erkenhtnisakten ein produktiver stnde Erkenntnis einen produktiven Aspekt hat, der als wirklich"
Aspekt aufzuweisen ist, die sich unter ausschlielicher Bercksichtigung keitsverndernd bezeichnet werden kann, d. h., da der Erkenntnis-
des rezeptiven Aspektes mit aller lebenspraktisch wnschenswerten Ge- gegenstand nicht vllig unbeeinflut vom Erkenntnissubjekt und Er-
nauigkeit beschreiben lassen. Doch lt sich tatschlich auch an den kenntnisakt bleibt, erschliet sich erst physikalischer Forschung, wird
Gegenstnden, mit denen wir es in unserer Alltagserfahrung vorwiegend von ihren Ergebnissen her allerdings unabweisbar. Es erffnet sich dann
zu tun haben, der produktive Aspekt der Erkenntnis in den drei Hih- die - fr die Alltagswahrnehmung berraschende und befremdliche~
sichten wahrnehmen und aufzeigen, die in 7.1.1.2 dargestellt wurden. Einsicht, da kein Erkenntnisgegenstand(auch nicht der oben genannte
a) Erkenntnis ermglicht neue Wahrnehmung und Erkenntnis. Ande- Stein) beim Versuch exakter Beobachtung von den Bezgen zu seiner
rerseits ist aber auch zu beachten, da jede Erkenntnis ihrerseits durch Umwelt einschlielich des Erkenntnissubjektes zu isolieren ist. Von da-
vorhergehende Erkenntnis und jede Wahrnehmung durch evolutionr her erweist sich unsere Alltagserkenntnis als eine Vereinfachung, die
ausdifferenzierte Wahrnehrnungsmuster ermglicht ist. Ein Rckgang auf davon abstrahiert, da die Wirklichkeit grundstzlich relationalen Cha-
einen Nullpunkt der Erkenntnis oder Wahrnehmung ist unsnicht.mg" rakter hat. Solche Vereinfachung ist dort unproblematisch und lebens-
lieh. Wird dabei weiter bercksichtigt, da Erkenntnis stets auf erkenntnis" praktisch erfolgreich,wo wir es mit Erkenntnisgegenstnden zu tun ha-
ermglichende Zeichen angewiesen ist, so wird deutlich, da diese Zei- ben, deren interne und externe Relationen in hohem Mae stabil sind.
chen die Wirklichkeit nicht einfach abbilden, sondern diese unserer Bei den oben genannten Beispielen fr den produktiven Aspekt der Er-
Erkenntnis nur mittels unseres kultur- und lebensgeschichtlich gewonne- kenntnis - eine Zusage oder eine self-fulfilling prophecy - wird jedoch
nen Zeichenbestandes - und damit perspektivisch - zugnglich ist. Diese die Unangemessenheit einer solchen abstrakten, reduktiven Betrachtung
unvermeidliche Perspektivitt stellt weder die Mglichkeit von Erkenntnis- augenscheinlich. Denn im Blick auf das Eintreffen und Zutreffen einer
fortschritten in Abrede noch macht sie den Streit um die Wahrheit sinnlos, solchen Vorhersage kann gerade nicht davon abgesehen werden, ob die-
weil durch die Widerstndigkeit der Erkenntnisgegenstnde (rezeptiver ser Zusage oder Ankndigung vertraut wird oder nicht. Durch eine
Aspekt) die Flle mglicher Deutungen begrenzt wird und der berpr- Zusage werden Menschen (mglicherweise) zu einem entsprechenden
fung ausgesetzt werden kann. Insofern zeigt sich an der notwendigen Verhalten motiviert, das ohne diese gar nicht zustande kme. Was in
Zeichenvermitteltheit aller Erkenntnis nicht nur der durchgngige pro- diesem Falle (wegen der Variabilitt der externen Relation) unberseh-
duktive Aspekt von Erkenntnis, sondern auch die notwendige Zusam- bar ist, ist aber auch in all den anderen Fllen vorhanden und nachweis-
mengehrigkeit von produktivem und rezeptivem Aspekt der Erkenntnis. bar, wo wir es nicht wahrnehmen und aus praktischen Grnden ver-
b) Auch die Ausrichtung der Erkenntnis auf Zukunft lt sich unter nachlssigen (knnen).
Bezugnahme auf die Alltagserfahrung verdeutlichen; denh injede11'l Er- . Die genauere Analyse dessen, was mit "Erkenntnis" gemeint ist, n-
kenntnisakt ist (implizit) ein Wissen darber enthalten, was von dem tlgtuns also zusammenzudenken, da Erkenntnis die Wirklichkeit auch
Erkenntnisgegenstand knftig erwartet oder mit ihm gemacht werden ihres Erkenntnisgegenstandes verndert und von diesem dennoch als
kann. So schliet die Erkenntnis: "Dieser Stein ist hart und schwer" in dem Erkenntnisakt vorgegebener Wirklichkeit bestimmt ist. Dies ist nur
Verbindung mit anderen Erkenntnissen (z. B. ber die Fallgesetze, ber dadurch mglich, da Erkenntnisakt und Erkenntnisgegenstand gedacht
die Beschaffenheit des menschlichen Fues und ber Schmerzempfin- werden als untrennbare, aber unterscheidbare Elemente der einen Wirk-
206 Gottes- und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes- und Welterkenntnis 207

lichkeit, die unhintergehbar relational verfat ist. Daraus ergeben sich dergrund steht, die hinreichende Verifikation oder Falsifikation des Er-
auch Konsequenzen fr den im Begriff "Erkenntnis" mitgesetzten Begriff kenntnisinhalts grundstzlich als schon mglich zu behaupten ist, gilt dies
"Wahrheit" . dort nicht, wo der produktive Aspekt dominiert, weil es wesentlich ist,
da der Erkenntnisakt die (noch ausstehende) Realitt in bestimmter
Hinsicht konstituiert und erst hervorbringt. In dieser Hinsicht ist der
7.1.1.4 Das Entsprechungsverhltnis Erkenntnisanspruch auf noch ausstehende Verifikation angewiesen.
von Wirklichkeit und Interpretation Der Begriff "Verifikation" gewinnt hier sogar eine neue, zustzliche
Bedeutung (vgl. dazu o. 6.2.2 b): Er bezeichnet nun nicht primr den
In der berschrift dieses Abschnitts ist unschwer ein Anklang an die tra- Wahrheitserweis aufgrund erkannter Entsprechung zwischen Erkenntnis-
ditionelle Definition von"Wahrheit" zu erkennen: "veritas est adaequatio gegenstand und Erkenntnisinhalt, also zwischen Wirklichkeit und Inter-
rei et intellectus" .4 Tatschlichist das Wesentliche am Akt der Erkenntnis, pretation, sondern primr die Vernderung der Wirklichkeit in Richtung
das beide Aspekte der Erkenntnis miteinander verbindet, da durch ihn auf die erkannte Wahrheit. "Verifikation" bekommt hier den wrtlichen
und in ihm die Wirklichkeit fr ein Erkenntnissubjekt so zugnglich wird, Sinn von "Wahrmachung".5Der Zielpunkt: "Entsprechungsverhltnis"
da Wirklichkeit und zeichenhafte Interpretation der Wirklichkeit (also bleibt gleich, aber in diesem Falle eilt die Interpretation der Wirklichkeit
Erkenntnisgegenstand und Erkenntnisinhalt) einander angemessen sind, gewissermaen voraus und kann erst durch die Entwicklung der Wirk-
d. h., da die Interpretation wahr ist. lichkeit eingeholt werden, so da es zur Entsprechung kommt. Es drfte
Ob das Bemhen um Gewinnung von Erkenntnis erfolgreich war, ob deutlich geworden sein, da dies kein defizienter oder defizitrer Modus,
also (wahre) Wirklichkeitserkenntnis tatschlich zustande gekommen ist, sondern ein besonders tief- und weitreichender Aspekt von Erkenntnis ist,
lt sich daher, strenggenommen, nur durch (erneute) Erkenntnisakte in der Wirklichkeit in ihrer Tiefe, ihrem Geheimnis, ihrem verborgenen
berprfen, korrigieren oder besttigen, die alle unter denselben grund- Wesen sich erschliet und erschlossen wird. 6
stzlichen Bedingungen und Vorbehalten stehen. Wir knnen zwar gele-
gentlich technische Hilfsmittel heranziehen oder uns intersubjektiv verge-
wissern. Aber im Prinzip bleibt es dabei, da jeder Erkenntnisakt auf 7.1.2 Der Begriff" Gott"
berprfung und Besttigung durch neue Erkenntnisakte angewiesen ist,
so da es sich bei Erkenntnis grundstzlich um einen offenen, un- In diesem Unterabschnitt geht es noch nicht um eine - und sei es auch
abschliebaren Proze handelt. Ob dieser Proze gelingt, also zur Wahr- nur ansatzweise - Entfaltung der Gotteslehre, sondern zunchst nur um
heit hinfhrt, lt sich nur daran erkennen, da seine Ergebnisse konver-
gieren. ..
Von den Voraussetzungen, die fr das Gelingen und die Uberprfung 5 Diesen Sinn von "Verifikation" betont besonders G. Ebeling - freilich nicht
immer deutlich als einen Aspekt von Verifikation, sondern als deren (einzi-
von Erkenntnis gegeben sein mssen, und von den damit verbundenen ge?) christlich-theologische Deutung. So z. B. in: "Das Verstndnis von Heil
Fehlerquellen und Irrtumsmglichkeiten war bereits im Zusammenhang in skularisierter Zeit" (1967), in: ders.: Wort und Glaube, Bd. 3, Tbingen
mit dem rezeptiven Aspekt der Erkenntnis die Rede. Aber das beschrnkt 1975, 5.358. Diese einseitige Interpretation erscheint mir als problematische
sich nicht auf den rezeptiven Aspekt, sondern gilt fr Erkenntnis ber- Engfhrung eines grundstzlich richtigen und wichtigen Gedankens. Ebelings
haupt, also auch fr den produktiven Aspekt. Hier ist freilich der Faktor Intention ist es freilich seinerseits, die "blichen Verengungen des Wahrheits-
"Zeit" mit in Anschlag zu bringen - jedenfalls was die Verifikation (oder und Verifikationsverstndnisses zu ffnen" (Dogmatik des christlichen Glau-
Falsifikation) der Erkenntnis anbelangt. Whrend bei Erkenntnisakten, bens, Bd. I, Tbingen 1979, S. 60).
bei denen der rezeptive Aspekt dominiert, weil die Tatsache, da der 6 Zwischen den beiden Aspekten det Erkenntnis und Luthers Unterscheidung
zwischen menschlicher und gttlicher Liebe, wie er sie in der Heidelberger
Erkenntnisakt durch den Erkenntnisgegenstand bestimmt wird, im Vor- Disputation macht, besteht eine bedenkenswerte Parallele, die gewi mehr ist
als eine Parallele. Whrend vom "amor hominis" gilt: "Er entsteht von dem
4 Thomas von Aquin zitiert diese klassische Definition der Wahrheit z. B. in her, was fr ihn liebenswert ist" (also rezeptiv), gilt vom "amor Dei": "Er
seinen Quaestiones disputatae, Vol. I De veritate (1256-1259), q. 1; a. 1 findet nicht vor, sondern erschafft das, was fr ihn liebenswert ist" (also
unter Verweis auf Isaac Israeli (845-940). produktiv) (WA 1,354,35 f. u. 365,2 f.).
208 Gottes" und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes" und Welterkenntnis 209

eine Verstndigung darber, was wir mit dem Begriff "Gott" meinen. wir nichts anderes denken knnen, das grer ist als dieses "Etwas" . D. h.,
Mit dem "wir" in dieser Frage sind nicht einfach alle Menschen gemeint, die Bedeutung und Leistungsfhigkeit von Anselms "Definition" besteht
sondern diejenigen, die an der christlichen Glaubenskommunikation An- darin, da sie dazu anleitet, unzureichende Gottesbegriffe auszusondern.
teil haben. Es geht hier also nicht um eine allgemeine religionsphno- Als eine solche "kritische Regel" erscheint sie angemessen, ja unverzicht-
menologische oder um eine grundstzliche religionsphilosophische Frage, bar; denn wenn wir etwas Gott berlegenes auch nur denken knnten,
sondern um die theologische Frage nach dem christlichen Gottesbegriff. dann htten wir ~ mit dem Unterlegenen - noch nicht Gott gedacht.
Deswegen mu hier weder das gesamte religionsgeschichtlich verfgbare Dagegen spricht auch nicht, da Gott sich nach christlichem Ver-
Material gesichtet werden, noch ist es ratsam, die Frage nach der Mg- stndnis in der Niedrigkeit des Kreuzes offenbart und damit "niedrig und
lichkeit von Gotteserkenntnis auf dem Weg ber einen vllig neuen, gering" (EG 27,3) wird. Man wird hier vielmehr (mit Karl Barth) sagen
eigenen "Definitions"-Vorschlag, eine sog. stipulative "Definition", zu mssen, da es gerade Gottes Gre ist, nicht nur unabhngig und
beantworten. 7 Als sinnvoll erscheint es hingegen, sich an solchen klassi- berlegen sein zu mssen, sondern auch ganz abhngig und gering wer-
schen "Definitionen" zu orientieren, die im Kontext des christlichen den zu knnen. 9 Ein Gott, der nicht so gering werden knnte, wre ein
Glaubens entwickelt und vorgetragen worden sind und prgende Bedeu- geringerer Gott und damit eben nicht Gott im Sinne der kritischen Regel
tung erlangt haben. Ich nenne und diskutiere kurz im folgenden vier Anselms.
(Gruppen solcher) Begriffsbestimmungen. Auch ein zweiter Einwand geht an Anselm vorbei: nmlich die Be-
hauptung, wir knnten Gott gar nicht denken, weil er grer sei als alles,
was wir denken knnen. Anselmmu keineswegs behaupten, wir knnten
7.1.2.1 "Etwas, ber das hinaus nichts Gott denken. Er vertritt im Gegenteil sogar selbst die These, Gott sei
Greres gedacht werden kann" grer als alles, was wir denken knnen. 1o Ausschlaggebend fr seinen
"Definitions"-Vorschlag ist nur die Einsicht, da Gott "etwas" sei, im
Einen der meistbeachteten und wichtigsten "Definitions"-Vorschlge hat Vergleich zu dem wir nichts Greres denken knnen.
Anselm von Canterbury im Zusammenhang mit seinem sog. "ontologi- Die eigentliche Schwche von Anselms Gottes-Begriff liegt auf ande-
sehen Argument" gemacht, wenn er schreibt: "Et quidem credimus te esse rem Gebiet, nmlich darin, da er weder etwas aussagt ber die Bedeu-
aliquid quo nihil maius cogitari possit. "8 Diese "Definition" hat nach An- tung Gottes fr den Menschen noch ber die Beziehung Gottes zur Welt.
seIms eigenem Verstndnis den Charakter einer Glaubensaussage ("cre- Beides leitet Anselm zwar im Fortgang seiner Argumentation aus seinem
dimus"). Sie besagt nicht: " Gott ist das Grte, das wir denken knnen" Gottes-Begrifftheologisch ab, aber der Begriff als solcher bringt das nicht
oder: "Gott ist grer als alles andere, das wir denken knnen", sondern zur Sprache, und das ist ein Defizit.
sie sagt "nur": Etwas kann nur dann als" Gott" bezeichnet werden, wenn

7 Von einer "Definition" ist in Anwendung auf den Begriff "Gott" nur in einem
7.1.2.2 "Worauf Du Dein Herz hngest und verlssest"
uneigentlichen Sinn zu sprechen - deshalb wird der Begriff "Definition" im bzw. "Was einen Menschen unbedingt angeht"
folgenden immer in Anfhrungszeichen gesetzt -, weil es fr den Begriff
"Gott" weder einen Oberbegriff noch ein begriffliches quivalent geben Mit den beiden Formeln, die nun zu bedenken sind, bekommen wir
kann, durch die er definiert werden knnte. Diese Einsicht kommt in dem gerade das zu Gesicht, was bei Anselm fehlt: die existentielle Relevanz
traditionellen theologisch-philosophischen Grundsatz zum Ausdruck: "Deus Gottes fr den Menschen. Luther bringt das im Groen Katechismus zum
definiri nequit". Vgl. dazu Thomas von Aquin, Summa contra gentiles I, cap. Ausdruck durch die Formel: "Worauf Du nu ... Dein Herz hngest und
25 (Bd. I, Darmstadt 19872 , S. 106 f.) sowie Johann Gerhard, Loci theologici
verlssest, das ist eigentlich Dein Gott" (BSLK 560,22-24). Bei Tillich
TI, cap. 5 (Bd. 1, Berlin 1863,S. 284 ff.).
8 Proslogion (= Anrede, Gebet), cap: TI. Zum Sinn und Status dieser Formel findet der entsprechende Gedanke seinen Ausdruck in der Formulierung:
sowie zur Analyse von Anse1ms Argumentation vgl. vor allem 1. U. Dalferths
scharfsinnige Studie: "Fides quaerens intellectum", ZThK 81/1984, S. 54-105, 9 S. dazu KD II11, S. 340-361.
jetzt in: ders., Gott. Philosophisch-theologische Denkversuche, Tbingen 1992, 10 "Quod maior sit quam cogitari possit" Proslogion, cap. XV (Kln 1966,
S.51-94. S.225).
210 Gottes" und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen VOn Gottes" und Welterkenntnis 211

"da das, was einen Menschen unbedingt angeht, fr ihn zum Gott (oder Freilich hat jede dieser beiden Formeln auch ihre spezifischen Schw-
Gtzen) wird" .11 Beide Formeln erinnern zu Recht daran, da der Begriff c~en: Im Blick auf Schleiermachers Formulierung ist einerseits zu fragen,
"Gott" eine Wirklichkeit bezeichnet, die das Leben bestimmt (bestimmen Wie das Wort" Woher?" genau zu verstehen ist. Es kann jedenfalls im
will, bestimmen soll oder tatschlich bestimmt) und in Anspruch nimmt, wrtlichen Sinn weder rumlich noch zeitlich gemeint sein, weil Gott
also eine existentielle Dimension hat. dann selbst raum-zeitlich gedacht wrde, also als ein endliches Wesen
Beide Formeln lassen aber auch erkennen, inwiefern sie nur ein not- (neben anderen). Wie aber ist das "Woher?" sonst zu verstehen? tran-
wendiges Moment des Gottesbegriffs zur Sprache bringen, aber fr sich szendental, also als Bedingung der Mglichkeit alles Seienden? oder
genommen noch nicht hinreichend sind: Beide Formeln gelten nicht nur modallogisch im Sinne eines Notwendigen im Unterschied zu allem Kon-
fr Gott, sondern auch fr einen "Abegott" (BSLK 560,17) bzw. fr tingenten? Andererseits mu man fragen, ob es ausreicht, wenn Schleier-
einen "Gtzen" (Tillich, a.a.O.), sie sind also fr die Bestimmung des macher nur von "unserem" Dasein (als Menschen) spricht, mte sich
christlichen Gottesbegriffs zu weit. Zwar knnte man zu Recht sagen, die Formel nicht auf alles Dasein beziehen?
da der Anspruch bzw. die "Verheiung" eines Abgotts oder Gtzen, Bei Tillich ist einerseits zu fragen: Was meint der Begriff "Grund",
vertrauenswrdig zu sein, eine blo angemate, sozusagen erlogene Zu- wenn er - wie Tillich hervorhebt - weder im wrtlichen Sinn als "Ursa-
sage ist, aber das lt sich anhand des Gottesbegriffs weder erkennen che" noch als "Substanz"14 und natrlich erst recht nicht als rumliches
noch entscheiden oder unterscheiden. Dazu mte man einerseits Anselms Fundament verstanden werden darf? Hat das Wort "Grund" hier den
Kriterium heranziehen, andererseits auf die daseinskonstitutive Beziehung Charakter eines Symbols oder einer Metapher, und wenn ja: wofr?
Gottes zur Welt verweisen, von der erst in den folgenden Gottesbegriffen Andererseits stellt sich die Frage, ob Tillich nicht exakter und konsequen-
die Rede sein wird. ter vom" Grund des Seienden" sprechen mte statt vom Grund des Seins,
oder ist tatschlich (in Anlehnung an Schelling) auch der Grund (und
Abgrund) gemeint, den das Sein in sich trgt?
7.1.2.3 "Das Woher unseres empfnglichen und
selbstttigen Daseins" bzw. "Der Grund des Seins"
7.1.2.4 "Der Allmchtige, d. h.
Das Gemeinsame dieser beiden Fotmeln, deren erste von Schleiermacher12 die Alles bestimmende Wirklichkeit"
stammt, whrend die zweite in unserem Jahrhundert vor allem durch
Tillich programmatisch verwendet wurde 13, besteht darin, da sie Gott Diese von Bultmann15 eingefhrte und u. a. von W. Pannenberg16 iiber-
als diejenige Wirklichkeit zur Sprache bringen, die zur Welt in einer fr nommene Formel ist m. E. der angemessenste "Definitions"-Vorschlag,
deren Dasein konstitutiven Beziehung steht. Damit wird Gott als Schp- den es zur Zeit fr den Begtiff"Gott" gibt. Zwar kann man an dieser
fer der Welt gedacht, auch wenn dieser Begriff so nicht auftaucht. Man Formel kritisieren, da das Wort" bestimmende " unprzise und mehrdeu-
wrde vermutlich einen Schritt zu weit gehen, wenn man aus diesen tig ist, weil es z. B. bedeuten kann: determinierend, beeinflussend, durch-
Formeln ableitete, da das Schpfersein zum Gottesbegriff gehrt, ob- dringend, in Anspruch nehmendY Wenn man sich dieser semantischen
wohl die beiden Formeln unverkennbar dahin tendieren. Wohl aber wird Unschrfe aber bewut ist und bestimmte Deutungen (wie z. B. "de-
mit diesen beiden "Definitions"-Vorschlgen - unter der Bedingung der terminierend") ausschliet, dann ist diese Formel nicht nur akzeptabel,
Existenz der Welt - behauptet, da der Begriff "Gott" dann am genaue- sondern bringt durch ihre Offenheit unterschiedliche Aspekte zum Aus-
sten erfat ist, wenn er in seiner das Dasein der Welt begrndenden druck, die unverzichtbar zum Gottesbegriff hinzugehren: die schlecht-
Beziehung gedacht wird.
14 So STh I, S. 275.
15 GuV I, S. 26.
11 STh I, S. 247. 16 Wissenschaftstheorie und Theologie (1973), Frankfurt 1977, S. 304.
12 Der christliche Glaube (2. Auflage 1830/31), hg. von M. Redeker, Berlin 1960, 17 Im strengen Sinne "Alles bestimmende Wirklichkeit" ist Gott erst im Eschaton.
S.28. Zu den theologischen Schwierigkeiten der Begriffe "Allmacht" und "der
13 STh I, S. 273 ff. Allmchtige" vgl. u. 8,1.3.2 a.
212 Gottes- und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes- und Welterkenntnis 213

hinnige berlegenheit, die ontologische Fundierung, die existentielle - So wird "Welt" gelegentlich gebraucht, um die Gesamtheit der Men-
Relevanz sowie - vor allem - den teleologischen Aspekt, der darin be- schen oder auch nur eine grere Menschenmenge zu bezeichnen. So
steht, da Gott die Wirklichkeit ist, die Allem ein letztes Ziel gibt. sagen z. B. die Phariser lt.]oh 12,19 ber Jesus: "Alle Welt luft ihm
Es wre wnschenswert, wenn es ein Wort oder eine Formel gbe, nach" (vgl. das franzsische" tout le monde"). Da dieser Begriff von
die ohne irrefhrende Nebenbedeutungen, also auf eindeutige Weise, die- "Welt" fr das Weltverstndnis des christlichen Glaubens nicht
se umfassende Bedeutung des Begriffs "Gott" zum Ausdruck brchten. brauchbar, weil viel zu eng ist, versteht sich von selbst.
Aber vielleicht hat es ja auch einen tiefen Sinn, wenn wir nicht in der Lage - Ein anderer (auch philosophiegeschichtlich belegter) Sprachgebrauch
sind, in unserer Sprache mit einer unmiverstndlichen Formel auszu- stellt in gewisser Hinsicht die Umkehrung dieser Verengung dar:
drcken, was der Begriff" Gott" meint. Bultmanns Formel hat jedenfalls "Welt" als Gegenber zu "Mensch" oder "lch", also als das Nicht-
nicht nur den Vorteil, da sie inzwischen weitgehend eingebrgert und Ich - so z. B. in der bekannten Trias der speziellen Metaphysik: Gott,
anerkannt ist, sondern auch und vor allem den, da sie relativ gut die Welt, Mensch. Man knnte sagen: Hier wird - in einem nicht kolo-
Wahrheitselemente der anderen Formeln verbindet und deren Schwchen gischen, sondern philosophischen Sinn - Welt als Umwelt des Men-
vermeidet. . schen verstanden, der Mensch also nicht als Teil der Welt. Auch dieser
Da keiner unserer Begriffe und keine unserer Formeln ganz "pat", Weltbegriff kann fr unsere Fragestellung keine Verwendung finden.
wenn sie auf "Gott" angewandt werden, zeigt noch einmal, da eine Der Mensch gehrt zur Welt; deswegen ist dieser Weltbegriff auch
Definition des Gottesbegriffsjm strengen Sinn nicht mglich ist, sondern theologisch inakzeptabel.
da es nur Umschreibungen gibt, die Annherungen darstellen. Entschei- - Sehr viel hufiger wird "Welt" freilich gebraucht, um die Erde (samt
dend ist aber, da jeder ,;Definitions"-Versuch drei Elemente enthlt und ihrer Atmosphre) zu bezeichnen. So sprechen wir z. B. von "Weltre-
zum Ausdruck bringt: korden" oder "Weltenbummlern" etc., wo wir (trotz der begrndeten
Vermutung, da es nur auf der Erde menschenartige Wesen gibt)
- die Nichttranszendierbarkeit Gottes;
eigentlich bescheidener von "Erdrekorden" oder "Erdenbummlern"
- die unbedingte Bedeutung (Relevanz) Gottes fr das menschliche
sprechen mten. Auch dieser Begriff ist also zu eng.
Dasein; - Prziser und einleuchtender ist es, wenn "Welt" im Sinne von" Uni-
- die daseinskonstitutive Beziehung Gottes zu allem welthaft Seienden.
versum" gebraucht wird. In der Regel wird damit freilich heute nur
Auf diese Elemente kommt es auch im Fortgang unserer erkenntnis- noch ein bestimmter Aspekt der Welt bezeichnet, nmlich ihre phy-
theoretischen berlegungen an, weil sie zeigen, da und warum Gott sikalische Sichtweise. Und insofern ist auch" Universum" ein vereng-
nicht als ein ~lement innerhalb der welthaftenWirklichkeit gedacht, ge- ter Begriff von "Welt", weil er in dieser Deutung weder die Weltge-
sucht und erkannt werden kann. Zugleich hlt Bultmanns Formulierung schichte noch die Weltdeutungen mit einbezieht, die aber zu einem
aber fest, da auch der von der welthaften Wirklichkeit so radikal unter- theologisch brauchbaren Begriff von "Welt" notwendig hinzugeh-
schiedene Gott gleichwohl als Wirklichkeit zu denken ist - also nicht blo ren.
als menschlicher Wunsch, Gedanke oder Begriff. Und diese Einsicht ist fr "Welt" kann freilich auch noch einmal ganz anders verwendet wer-
den christlichen Glauben mindestens ebenso wichtig wie die drei genann- den, nmlich als Bezeichnung fr einen in sich zusammenhngenden,
ten "definierenden" Elemente. nach auen einigermaen klar abgrenzbaren Bereich. So spricht man
z. B. von der Welt der Frau, der Musik, des Sports, der Technik, der
Mode oder von der Mnnerwelt, Tierwelt, Arbeitswelt etc. Und meint
7.1.3 Der Begriff" Welt" dabei stets den Inbegriff dessen, was zu einem bestimmten Lebens-
zusammenhang oder einer Personengruppe gehrt. Hier kann also
Das Wort "Welt" spielt sowohl in der Sprache der Bibel und der Kirche unschwer von "Welten" (im Plural) gesprochen werden -analog der
als auch in unserer Alltagssprache eine relativ groe Rolle. Betrachtet philosophischen Redeweise von "mglichen Welten". Auch dieser
man die Verwendungsweisen und Bedeutungen etwas genauer, so zeigt Begriff von Welt ist jedoch zu eingeschrnkt, um fr das Welte
sich eine groe Vielfalt und ein hufig ungenauer Sprachgebrauch, der verstndnis und die Welterkenntnis des christlichen Glaubens Ver-
bezogen auf unsere Themenstellung eher irritierend als klrend wirkt. wendung finden zu knnen.
214 Gottes~ und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes~ und Welterkenntnis 215

Alle diese Begriffsbestimmungen bzw. -verwendungen sind dadurch Einen solchen Weltbegriff hat m. E. Kant zu entwickeln versucht
charakterisiert, da sie "Welt" nicht umfassend genug denken, sondern wobei er zu dem Ergebnis kommt, da das Wort "Welt" "die absolut~
jeweils eingeschrnkt auf einen bestimmten Teil der Welt, auf einen spe- Totalitt des Inbegriffs existierender Dinge bedeutet".1 8 Dreierlei ist an
ziellen Aspekt oder auf einen abgegrenzten Bereich innerhalb der Welt, dieser Begriffsbestimmung wesentlich:
der dann metaphorisch als "Welt" bezeichnet wird. Deshalb scheint es
sich nahezulegen, den Weltbegriff mglichst zu entgrenzen, ihn also im "Welt" ist kein empirischer, aus der Flle vergleichender Beobachtun-
uneingeschrnkten Sinn des Wortes universal zu denken. Dabei fungiert gen abgeleiteter Begriff, sondern ein transzendentaler Begriff, der sich
der Begriff "Entgrenzung" gewissermaen als heuristische Regel fr den- als solcher auf die Bedingung der Mglichkeit von Erfahrung ber-
jenigen Proze, durch den ein solcher universaler Weltbegriff gewonnen haupt bezieht.
werden knnte. - Der Begriff "Welt" bezeichnet eine (absolute) "Totalitt", also eine
Das Ziel eines solchen universalen Weltbegriffs kann scheinbar leicht Ganzheit oder Gesamtheit. Diese Totalitt kommt auf begrifflicher
erreicht werden, indem "Welt" als die Gesamtheit alles Wirklichen oder Ebene zustande durch einen Akt der Synthetisierung, genauer: durch
als die Gesamtheit alles Bezeichenbaren gedacht wird. Indessen lassen "die Vollstndigkeit der Synthesis" (a.a.O.). Diese Vollstndigkeit der
sich gegen beide Deutungen gewichtige Bedenken geltend machen: Wre Synthesis wird freilich bei Kant selbst insofern in Frage gestellt, als er
"Welt" zu verstehen als die Gesamtheit alles Wirklichen, so ergbe sich sich auf die gegebene Welt beschrnkt und damit die Mglichkeit des
das Dilemma, entweder Gott als Teil der Welt zu denken oder Gott vom Noch-Ausstehenden als reale Mglichkeit nicht mit einbezieht. Diese
Wirklichen zu unterscheiden. Das erste ist mit dem Gottesbegriff (nach Beschrnkung des Weltbegriffs ist jedoch nicht notwendig, sondern
christlichem Verstndnis) unvereinbar. Das letztere wre auf zweifache kann zugunsten eines dynamisch-offenen Begriffs von "Welt" ber-
Weise mglich: entweder indem Gott als nicht-wirklich, also als unwirk- schritten werden.
lich gedacht wird, oder indem Gott als Wirklichkeit vom Wirklichen - Das, was in der Synthesis zur Einheit gebracht wird, ist der Inbegriff
unterschieden wird. Auch hier ergab sich bereits, da die erste Alternative existierender Dinge, die dem Erkenntnissubjekt als "Erscheinungen"
fr den christlichen Glauben inakzeptabel ist. Diskutabel ist nur die letzt- (Phnomene) zugnglich sind. Diese dritte und letzte Bestimmung
genannte Lsung. Sie hat freilich den groen Nachteil, da in ihr nicht begrenzt den Weltbegriff so, da weder der Gottesbegriff unter ihn
mehr die Wirklichkeit Gottes als selber wirklich gedacht werden kann. Sie fllt, noch der Begriff des Fiktionalen. Andererseits vermeidet die
tendiert also zu einem abstrakten und d. h. unterbestimmten Gottes- Formel "Inbegriff der existierenden Dinge" die oben kritisierten Ein-
verstndnis. schrnkungen - jedenfalls dann, wenn man unter "Dingen" nicht nur
Die Definition von "Welt" als Gesamtheit des Bezeichenbaren (also raum-zeitlich gegebene Gegenstnde, sondern umfassend "Phnome-
ein sozusagen semiotischer Weltbegriff) ist dagegen fr die christliche ne" versteht, also z. B. auch Relationen und Modalitten.
Glaubenslehre ganz ungeeignet, weil er keine benennbare Differen- "Welt" lt sich von daher beschreiben als die Totalitt dessen was
zierungsleistung erbringt. Bezeichenbar ist ja nicht nur welthaft Seiendes .
"es gibt" und was "vorkommt", und dazu gehren nicht nur Gegenstn-
'
im einzelnen und"Welt" im ganzen, sondern auch" Gott" . Bezeichenbar de, Lebewesen und Personen, sondern auch Ereignisse, Beziehungen,
sind aber auch Fiktionen, ja sogar unmgliche, logisch undenkbare Gebil- Mglichkeiten, Handlungen und ihre Resultate. Zu dem, was "es gibt"
de (wie z. B. "Rundquadrate"). Fat man "Welt" als semiotischen und was "vorkommt", gehrt aber nicht Gott; denn Gott als die Alles
Universalbegriff, so lt sich nichts mehr nennen (also bezeichnen), was bestimmende Wirklichkeit ist selbst nichts Existierendes oder Seiendes
durch ihn nicht umfat wrde. das welthaft Existierendem oder Seiendem gleich wre. 19 Zu dem, wa~
Die Begriffe "Wirkliches" und "Bezeichenbares" erweisen sich also "es gibt" und was "vorkommt",gehrt aber auch nicht das blo Er-
alszu weit, um den Begriff"Welt" sinnvoll zu bestimmen. Es kme fr den dachte, also das Fiktionale. Wohl aber sind die Gedanken, Fantasien,
christlichen Glauben bzw. fr die Theologie also darauf an, einen Welt-
begriff zu finden, der weder zu eng ist, weil er nur Teile, Bereiche oder
18 Kritik der reinen Vernunft, A 419; B 447.
Aspekte der Welt umfat, noch zu weit ist, weil er schlechterdings alles
19 Zur Begrndung dafr, da auf die Wirklichkeit Gottes der Begriff "Existenz"
dem Weltbegriff einverleibt.
sowie die Ausdrcke "es gibt" bzw. "es kommt vor" nicht angewandt werden
sollte, vgl. u. 8.2.2.
216 Gottes" und Welterkenntnis Die Mglichkeitsbedingungen von Gottes" und Welterkenntnis 217

Worte und Bilder, mit denen wir Fiktionen erdenken oder beschreiben, durch Sektionen). Ziel des beherrschenden Erkennens ist es, dem Er"
Teil der Welt; denn all das "gibt es" ja, und "es kommt vor". kenntnisgegenstand soweit wie mglich sein Geheimnis zu entlocken,
In dem so umschriebenen und przisierten Sinn sll knftig der Begriff damit es berechenbar, beherrschbar und fr menschliche Zwecke ein-
"Welt" verwendet werden als der dynamische Begriff, mittels dessen alles setzbar wird.
Existierende, also alles, was "es gibt" und was "vorkommt", als Einheit Das verbindende Erkennen22 ist demgegenber daran orientiert, den
und Gesamtheit gedacht und bezeichnet wird. 20 Erkenntnisgegenstand in seiner Ganzheit, Lebendigkeit und seinem We-
Konstit:utiv fr den Weltbegriff des christlichen Glaubens ist, da er sen in den Blick zu fassen, wobei das Erkenntnissubjekt sich im Erkenntnis-
gebildet ist im Gegenber zum Gottesbegriff, wobei "Gegenber" sowohl proze als Teil derselben Wirklichkeit wei, der auch der Erkenntnis-
Unterscheidung als auch Beziehung meint. "Welt" ist und umschliet gegenstand angehrt; Deswegen kann es ihn nicht zerst:ren wollen,
nicht "Gott", aber "Welt" ist auch nicht denkbar ohne "Gott", sondern sondern hat ein Interesse daran, ihn in seiner Integritt zu bewahren. Ziel
nur als von ihm bestimmt. des verbindenden Erkennens ist es, das Geheimnis des Erkenntnis-
gegenstandes zu erspren, um ihm Raum zu geben und an ihm Anteil zu
nehmen. 23
7.104 Das Erkenntnisinteresse des christlichen Glaubens Schon die Formulierungen, mit denen diese Unterscheidung einge-
fhrt wurde, lassen vermuten, welches Erkenntrtisinteresse das des christ~
Es gehtin diesem Unterabschnitt nicht um die Frage, ob auch von der lichen Glaubens ist: natrlich das der verbindenden Erkenntnis. Das
Wirklichkeitserkenntnis des christlichen Glaubens gilt, da sie von einem ergibt sich sowohl aus der Gott-Welt-Beziehung als auch aus dem darin
Interesse geleitet wird, das als solches den Erkenntnisproze anstt und enthaltenen Gottes- und Weltbegriff (s. o. 7.1.2u. 7.1.3). Und doch kann
in Gang hlt. Von der Wirklichkeitserkenntnis des christlichen Glaubens dies nicht das einzige sein, was hier zu sagen ist. Der christliche Glaube
als einer zielgerichteten theologischen Unternehmung ist das gar nicht zu hat auch ein Interesse daran, da bei der Wirklichkeitserkenntnis das
bestreiten (s. o. 1.2). Unter Voraussetzung dieser allgemeinen Feststellung Hchstma an Genauigkeit und berprfbarkeit erzielt wird, das mg-
geht es hier darum, zu bedenken, aus welchem Interesse heraus und darum lich ist. Zwar ist fr ihn jeder Versuch, Gott zu berechnen, zu beherr-
auch in welcher Erkenntnishaltung die Theologie sich darum bemht, die schen oder fr menschliche Zwecke einzusetzen, in jeder Hinsicht illegi-
Wirklichkeit zu erkennen und das Wirklichkeitsverstndnis des christli- tim und zum Scheitern verurteilt, aber das gilt nicht ebenso fr die
chen Glaubens zu entfalten. Welterkenntnis des christlichen Glaubens. Nicht das beherrschende Er-
Im Anschlu an Tillichs Unterscheidung zwischen beherrschendem kenntnisinteresse an sich und als solches ist mit dem christlichen Glauben
und einendem Erkennen21 kann man zwei Grundtypen von Erkenntnis- unvereinbar, wohl aber ein beherrschendes Erkenntnisinteresse, das sich
interesse unterscheiden, ohne damit behaupten zu mssen, dies sei eine auf Gott richtet oder das sich dem verbindenden Erkenntnisinteresse
vollstndige Disjunktion: Das beherrschende Erkennen ist ein distanzie- gegenber isoliert und verselbstndigt. Der christliche Beitrag zur Frage
rendes Erkennen, das daran interessiert ist, ein Hchstma an Genauig- des Erkenntnisinteresses besteht also weder darin, da das beherrschende
keit und berprfbarkeit zu erzielen. Es ist hufig nur dadurch mglich, Erkennen zugunsten des verbindenden Erkennens gechtet wird, noch
da der Erkenntnisgegenstand im Erkenntnisproze in seine Elemente darin, da beide als unabhngig voneinander und nebeneinander beste-
zerlegt oder zerstrt wird (z. B. durch sprachliche oder logische Analyse, hende Mglichkeiten akzeptiert werden, sondern darin, da das von der
durch chemische Analyse, durch Entnahme von Gewebeproben oder Gott-Welt-Beziehung her grundlegende verbindende Erkenntnisinteresse
noch einmal auf das Verhltnis von beherrschendem und verbindendem
20 Als einzelne Aspekte dieses Weltverstndnisses werden dann Aussagen eine Erkennen angewandt wird, so da beide miteinander verbunden wer-
Rolle spielen, die aus der biblischen und kirchlichen berlieferung gelufig
sind, z. B. "Welt" als Gegenmacht oder Gegengre zu Gott oder zum
Glauben, wie das etwa im johanneischen Schrifttum hufig der Fall ist. Als 22 Ich ersetze bewut den (tendenziell symbiotischen) Begriff "einend" durch
Elemente der Begriffsbestimmung von "Welt" kommen diese Aussagen nicht den m. E. angemesseneren Begriff "verbindend".
in Betracht; denn sie sagen nichts ber den Begriff "Welt", sondern nur etwas 23 Dabei macht es einen Unterschied, ob dieses Geheimnis gar nicht erkannt wird
ber deren Verfassung und Qualitt. und deshalb "Geheimnis" bleibt, oder ob es als erkanntes geschtzt und
21 5Th I, 5. 117-121. gewahrt wird.
218 Gottes- und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes-und Welterkenntnis 219

den. Im Hintergrund dieser berlegungen steht die Unterscheidung und Mit dieser Zuspitzung ist eine weitreichende Vorentscheidung ver-
Verbindung zwischen Gott und Welt, wie sie sich ansatzweise aus den bunden, auf die zunchst ausdrcklich aufmerksam gemacht werden mu:
vorangegangenen Abschnitten ber den Gottesbegriff und den Weltbe- In ihr ist die Absage an jede Form menschlicher Gotteserkenntnis enthal-
griff ergeben hat und in der Schpfungslehre (s. u. 12.1.1) wiederkehren ten, die sich auf Gott bezge, wie er unabhngig von seiner Beziehung zur
wird. Welt ist oderwre. Im Grunde genommen ergibt sich diese Absage bereits
aus der "Definition": "Gott ist die Alles bestimmende Wirklichkeit";
denn dann ist es fr Gott wesentlich, als Alles bestimmende Wirklichkeit
in Beziehung zur Welt zu sein. Von diesem Zugang her verbietet es sich
7.2 Zugnge zur Gottes-und Welterkenntnis sogar, Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit zu unterscheiden von
"Gott an sich", der unserer Erkenntnis nicht zugnglich wre und nicht
7.2.1 Ansatzpunkte in der Welterkenntnis in Beziehung zur Welt stnde; denn von hier aus gilt: Gott ist die Alles
bestimmende Wirklichkeit. Auf diesen Gott, und d. h., auf Gott-in-Bezie-
Aufgrund der erkenntnistheoretischen berlegungen und der versuchten hung-zur-Welt richtet sich die Frage nach der mglichen Gotteserkenntnis.
Klrungen zum Gottes- und Weltbegriff stellt sich das Problem der Ist dieser Gott erkennbar? Ist also das Bestimmtwerden und Bestimmtsein
Wirklichkeitserkenntnis des christlichen Glaubens wie folgt dar: Da der der Welt durch Gott und insofern Gott als die Alles bestimmende Wirk-
Begriff "Gott" die Alles bestimmende Wirklichkeit bezeichnet, mu es lichkeit erkennbar?
prinzipiell mglich sein, da Erkenntnis, die sich ja - interpretierend - auf Schien in den bisherigen berlegungen nur die Gotteserkenntnis ein
Wirklichkeit bezieht, sich auch auf Gott beziehen kann. Mehr noch: Problem zu sein, so haben die letzten Formulierungen gezeigt, da und
Schon die entscheidende Prmisse, "Gott" sei als Wirklichkeit zu verste- inwiefern die Welterkenntnis mit in diese Problematik involviert ist, Da-
hen, ist entweder eine willkrlich angenommene Hypothese oder hat bei ist es jedoch keinesfalls so, als sei Welterkenntnis (im Unterschied zur
ihrerseits den Charakter einer (sei es rezeptiven, sei es produktiven) Er- Gotteserkenntnis) eine in sich selbst vllig unproblematische Gre. Ist
kenntnis. Insofern scheint Gotteserkenntnis mit dem bisher Ausgefhrten "Welt" zu denken als die (gesuchte, nicht erreichte) Einheit und Gesamt-
nicht nur gut vermittelbar zu sein, sondern darin sogar vorausgesetzt zu heit alles Existierenden, so wird sofort deutlich, da und inwiefern Welt-
werden. Aber andererseits zeigten die berlegungen zum Erkenntnis- erkenntnis ein Problem darstellt: Diese Einheit und Gesamtheit ist unserer
begriff und zum Gottesbegriff deutlich, inwiefern Gotteserkenntnis ein Wahrnehmung in keiner Hinsicht zugnglich: weder zeitlich noch rum-
Problem darstellt: Die Alles bestimmende Wirklichkeit, ber die hinaus lich, noch als Erkenntnisgegenstand; denn dazu mten wir mit dem
Greres nicht gedacht werden kann, kann kein Element der Wirklichkeit Erkennen der Welt auch immer unser Erkennen der Welt miterkennen
neben anderen sein. Sie kann nicht - wie diese Elemente - dem erkennen- usw. (s. dazu o. 6.1.3 b). Wir knnen zwar Gegenstnde, Personen, Bezie-
den Subjekt als Erkenntnisgegenstandgegenberstehen. Und sie kann fr hungen, Ereignisse etc. erkennen, die in der Welt sind, aber wie sollten wir
das Erkenntnissubjekt darum auch nicht unmittelbar durch sinnliche die Welt erkennen knnen?
Wahrnehmung zugnglich werden. Damit fehlen aber im Blick auf" Gott" Im Sinne rezeptiver Erkenntnis knnen wir nur zu Aussagen ber
offenbar entscheidende Momente, die gegeben sein mten, wenn sinn- einzelne Elemente, Teile oder Ausschnitte der Welt gelangen. Im Sinne
voll von Gotteserkenntnis die Rede sein soll. produktiver Erkenntnis bleiben dagegen alle Aussagen prinzipiell knfti-
Nun besagt aber die Formel "Alles bestimmende Wirklichkeit" nicht ger Bewhrung oder Widerlegung ausgesetzt, erlauben also keine abschlie-
nur, da Gott eine von allen anderen Erkenntnisgegenstnden, also von ende Verifizierung. Im Sinne der produktiven Erkenntnis sind jedoch
"Welt", kategorial unterschiedene, sondern zugleich eine mit allen ande- Aussagen ber die Welt tatschlich mglich, die wissenschaftstheoretisch
ren Erkenntnisgegenstnden, also mit "Welt" untrennbar verbundene den Status von Hypothesen haben. Solche Hypothesenbildung ist auf
Wirklichkeit ist. Die Erkenntnisgegenstnde der Welt sind aber unserer zweierlei Weise denkbar: als induktiv verfahrende Verallgemeinerung,
Erkenntnis - jedenfalls prinzipiell- zugnglich. Damit spitzt sich das die vom Bekannten ausgeht und es (rumlich und zeitlich) generalisiert,
Problem der Gotteserkenntnis zu auf die Frage: Ist auch das Bestimmt oder als abduktiv verfahrende Deutung, die auf dem Weg ber Analogie-
werden bzw. Bestimmtsein der Welt und ist insofern auch die Alles be- bildungen auch qualitativ Neues zu denken, zu sagen und zu erwarten
stimmende Wirklichkeit selbst erkennbar? erlaubt.
220 Gottes" und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes- und Welterkenntnis 221

Die Welterkenntnis des christlichen Glaubens benutzt beide Wege, 7.2.1.1 Die Erkennbarkeit des Ursprungs der Welt
indem sie einerseits an das Erfahrbare und Erfahrene anknpft und es
voraussetzt, indem sie aber andererseits darber weit hinausgeht und Auch wenn wir den Ursprung der Existenz jedes einzelnen Erkenntnis-
berraschend neue, unerwartete Elemente erschliet. 24 Erst in dem zwei- gegenstandes aufweisen knnten, so gerieten wir damit doch in einen ~
ten, dem produktiven Aspekt der Erkenntnis, kommt jedoch das Spezifi- infiniten - Regre, der als solcher gedanklich unbefriedigend bleibt und
sche des christlichen Glaubens und seines Wirklichkeitsverstndnisses die Frage nach einem Ursprung der ganzen Reihe von Erkenntnis"
zum Ausdruck. Sein bevorzugtes sprachliches Ausdrucks- und Darstel- gegenstnden, also der Welt, aus sich heraus setzt. "Ex nihilo nihil fit" -
lungsmittel ist die Metapher, die durch bertragung eines Wortes oder wie bereits die traditionelle Logik axiomatisch postuliert -, und darum
eines komplexeren sprachlichen Gebildes in einen neuen Kontext die scheint schon die Tatsache, da eine Welt existiert die Annahme eines
Wirklichkeit auf neue Weise sehen lt, z. B. die Welt als Schpfung nicht-welthaften Ursprungs notwendig zu machen. Es erscheint als zu-
Gottes, den Kreuzestod Christi als Entmachtung des Bsen oder das mindest plausibeFs, anzunehmen, da die Welt (von Gott) ins Dasein
Sterben als Durchgang zum ewigen Leben. Diese neue, vertiefte Sicht der gerufen, also erschaffen ist. Wer die Reihe der Erkenntnisgegenstnde
Welt, die niemals blo rezeptiven, sondern immer auch produktiven Cha- statt auf Gott auf "die Natur" zurckfhrt, verschiebt das Problem le-
rakter hat, ergibt sich fr den christlichen Glauben daraus, da die Welt diglich; denn dann stellt sich die Alternative, ob die Natur selbst als etwas
in Beziehung zu Gott als der Alles bestimmenden Wirklichkeit gesehen Welthaftes, ihrerseits Erklrungsbedrftiges gedacht werden mu oder
und gedeutet wird. D. h. einerseits: Sie wird nicht in abstrakter Isolation als etwas Gttliches. Im letzteren Fall ist "Natur" nur ein anderes Wort
wahrgenommen und gedeutet, sondern von ihrer Beziehung zu Gott her. fr "Gott". Der Glaube an einen solchen gttlichen Ursprung der Welt
Dieses"von ... her" ist dabei ganz streng gemeint; denn fr den Glauben wird (auch heute noch) von vielen Menschen als unmittelbar einleuch-
ist es nicht so, da es zunchst eine Welt (oder ein Menschenleben) gbe, tend ernpflfnden.
zu der (bzw. zu dem) dann Gottin Beziehung trte, sondern diese Gottes- Aber ist das tatschlich an den welthaften Erkenntnisgegenstnden
beziehung hat fr das Sein und darum auch fr das Verstehen der Welt erkennbar? Was wir erkennen knnen, ist, da diese Gegenstnde nicht
(und des Menschenlebens) konstitutive Bedeutung, d. h. ohne diese Bezie- aus sich selbst (ase) sind, sondern jeweils in etwas anderem (als sie selbst)
hung gbe es gar keine Welt und kein Menschenleben. ihren Ursprung haben. Aber die Annahme, die ganze Reihe der Er~
Aber lt sich an dieser Welt, genauer: an den unserer Erkenntnis kenntnisgegenstnde, also die Welt, msse einen nicht-welthaften Ur-
zugnglichen Elementen oder Aspekten der Welt erkennen, da sie Welt- sprung haben, ergibt sich nicht aus dieser Erkenntnis, sondern ist eine mit
in-Beziehung-zu-Gott ist? Worauf mte sich unsere Aufmerksamkeit ihr zwar verbundene, aber nicht zwingend aus ihr resultierende Schlu-
richten, uman den welthaften ErkenntnisgegenstndenSpuren Gottes als folgerung. Und diese Schlufolgerung ist zudem in sich problematisch,
der Alles bestimmenden Wirklichkeit wahrnehmen und erkennen zu kn- weil sie einerseits bestreitet, was sie andererseits postuliert: die Annahme
nen? einer Wirklichkeit, die der Ursprung von anderem ist, selbst aber ihren
Wenn ich es recht sehe, sind darauf drei Antworten mglich: Die Ursprung in nichts anderem hat. Der hier drohende Widerspruch wird
Aufmerksamkeit mte sich richten (nur) dadurch vermieden, da grundstzlich zwischen der welthaften und
der nicht-welthaften Wirklichkeit unterschieden wird und da im Blick
- auf die Existenz der welthaften Erkenntnisgegenstnde und damit auf
auf die welthafte Wirklichkeit die Mglichkeit des Seins-aus-sich-selbst
den Ursprung der Welt;
prinzipiell bestritten wird, die im Blick auf die nicht-welthafte Wirklich-
- auf die Beschaffenheit der welthaften Erkenntnisgegenstnde und
keit Gottes behauptet wird. Das ist - aus der Sicht des Glaubens - ja auch
damit auf die Sinnhaftigkeit der Welt;
sinnvoll und notwendig. Aber gerade wenn man so unterscheidet, zeigt
- auf die Vollendung der welthaften Erkenntnisgegenstnde und damit
sich, da das, was Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit ausmacht,
auf das Bestimmungsziel der Welt.
nicht aus den Erkenntnisgegenstnden erkannt werden kann. Die Unter~
scheidung zwischen der welthaften und der gttlichen Wirklichkeit mu
24 Jesu Gleichnisse, die vom Typischen ausgehen, und seine Parabeln, die sich
am Einzigartigen orientieren, sind Beispiele fr diese beiden Aspekte der 25 Vgl. dazu H. G. Hubbeling, Einfhrung in die Religionsphilosophie, Gttin-
Erkenntnis. gen 1981, S. 87-95 u. 184-189.
222 Gottes- und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes-und Welterkenntnis 223

also schon mitgebracht werden, um der Folgerung Plausibilitt zu verlei- zeugung" vermehre. 27 Gleichwohl bestreitet Kant den (apodiktischen)
hen. Beweischarakter dieses Gedankenganges mit einem durchschlagenden
Dasselbe gilt brigens im Blick auf die anspruchsvollere Argumenta- Argument: Wir mten das Verhltnis zwischen der Beschaffenheit der
tion, in der aus der Kontingenz alles Welthaften auf das notwendige Sein Welt und der Vollkommenheit Gottes vollstndig erkennen28 , um vom.
Gottes als des Ursprungs der Welt geschlossen wird. 26 Auch diese Schlu- einen auf das andere schlieen zu knnen. Dazu mten wir aber, was
folgerung resultiert nicht aus der Erkenntnis der Welt, sondern aus einer unmglich ist, einen Standpunkt oberhalb von Gott und Welt einnehmen
gedanklichen Operation, die von dem (modallogischen) Gegensatz zwi- knnen.
schen der Welt (als kontingentem Sein) und Gott (als notwendigem Sein) Zu diesem fundamentalen erkenntnistheoretischen Einwand kommt
ausgeht, diesen Gegensatz also voraussetzt. aber noch die Tatsache hinzu, da wir in der Welt ja nicht nur Schnes
Die Erkenntnis der Existenz der welthaften Erkenntnisgegenstnde im und Staunenerregendes wahrnehmen, das auf einen weisen, allmchti-
einzelnen oder der Welt im ganzen fhrt also nicht von sich aus zur gen, gtigen Schpfer verweist, sondern auch Hliches, Erschrecken-
Erkenntnis des (oder eines) nicht-welthaften Ursprungs der Welt. Wohl des, Sinnlos-Erscheinendes, das ebenfalls nach einer Erklrung verlangt.
aber fhrt die Erkenntnis der Existenz der Welt zur Frage nach dem (oder Dies dualistisch auf eine andere (Gott gleichrangige) Wirklichkeit zu-
einem) nicht-welthaften Ursprung der Welt. Diese Frage ist unabweisbar, rckzufhren, liee sich nicht mit dem christlichen Glauben an Gott als
aber aus der Erkenntnis der Welt findet sie keine zwingende Antwort. die Alles bestimmende Wirklichkeit vereinbaren. Die Tatsache, da dem
bonum in der Welt das malum und dem sinnvoll Erscheinenden das
sinnlos Erscheinende gegenbersteht, macht die Erkennbarkeit Gottes
7.2.1.2 Die Erkennbarkeit der Sinnhaftigkeit der Welt aus der Beschaffenheit der Welt zum Problem, ja, von da aus kommt es
schlielich zur Infragestellung einer Alles bestimmenden Wirklichkeit
Mit der Frage, ob nicht die Beschaffenheit der Welt auf ihr Bestimmt- (s. u. 12.3). Die Ambivalenz der Beschaffenheit der Welt bringt die Frage
werden und Bestimmtsein und so auf Gott als die Alles bestimmende nach Gott zwar nicht zum Verstummen, macht sie aber selbst ambi-
Wirklichkeit verweise, treffen wir auf Aussagen, die sich auch in der Bibel, valent.
insbesondere in Schpfungstexten (wie z. B. Gen 1 f.; Ps 19; 104 u. 136
sowie Rm 1,19-25) finden: Die Zweckhaftigkeit, Erhabenheit und
Schnheit der Welt wird hier verstanden als ein sichtbares Zeichen fr die 7.2.1.3 Die Erkennbarkeit des Bestimmungszieles der Welt
Weisheit, Macht und Gte Gottes, ihres Schpfers. Die Welt, die im
einzelnen und im ganzen "gut", ja "sehr gut" (Gen 1) ist, verweist dem- Im Blick auf die Vollendung der Welt lt sich tatschlich sagen: Wenn
nach auf ihr Geschaffen- und Geordnetsein durch Gott und ermglicht so Gott die Alles bestimmende Wirklichkeit ist, dann mu sich von diesem
Erkenntnis Gottes (Rm 1,19 f.). Nicht schon die Tatsache, da es eine Endpunkt der Welt her erkennen lassen, zu welchem Ziel sie von Gott
Welt und in ihr welthafte Erkenntnisgegenstnde gibt, ist hier der Anla bestimmt worden ist. Das Erreichen dieses Telos ermglicht die Erkennt-
zur Gotteserkenntnis, sondern erst deren wohlgeordnete, wunderbare nis des Bestimmungszieles und insofern auch die Erkenntnis der Alles
Beschaffenheit, die den Rckschlu auf einen weisen Baumeister, der bestimmenden Wirklichkeit. (Von daher liee sich dann auch Gott als der
diese Welt so geschaffen hat, als zwingend, jedenfalls aber als plausibel Ursprung erkennen, der der Welt dieses Bestimmungsziel auf ihren Weg
erscheinen lt. mitgegeben hat.)
berraschenderweise hat Kant, der grundstzliche Kritiker der Gottes- Aber von diesem Bestimmungsziel kann - definitionsgem - von
beweise, gesagt, da der Beweis, der von der zweckmigen Beschaffen- uns nur im Futur gesprochen werden. Wir knnen dieses Telos der Welt
heit der Welt auf die Existenz Gottes schliet, nicht nur unsere Natur- nicht so wahrnehmen und darum auch nicht so erkennen, wie wir das
kenntnisse erweitere, sondern da diese Kenntnisse wiederum "den
Glauben an einen hchsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen ber-
27 Kritik der reinen Vernunft, B 651.
28 Kant spricht von dem - unmglichen - Versuch, dieses Verhltnis "einzuse-
26 So grundlegend bei Anse1m im Proslogion, cap. III. hen" (a.a.O., B 656).
224 Gottes- und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes-und Welterkenntnis 225

wahrnehmen und erkennen knnen, was bereits in der Welt verwirklicht von Gott und Welt nicht (blo) Elemente der sthetischen Ausgestaltung
ist. 29 und Verfeinerung der Sprache, sondern sie machen deren Substanz aus.
Der Gedanke der Erkennbarkeit Gottes vom Bestimmungsziel der Eine andere Sprache steht fr die Wirklichkeitserkenntnis des christlichen
Welt her verliert aber durch das bisher Gesagte nicht seine Wichtigkeit. Er Glaubens nicht zur Verfgung. Das kann freilich nicht heien; da belie-
hat seine unverzichtbare Bedeutung als Hinweis auf ein entscheidendes bige Metaphern auf Gott und die Welt anwendbar wren. Vielmehr stellt
Moment eschatologischer Hoffnung. Er verheit, da der Glaube, wenn sich nun allererst die Frage, auf welchen Wegen, aus welchen Quellen und
er an sein Ziel gekommen ist, sich nicht in nichts auflst, sondern zum anhand welcher Kriterien der christliche Glaube diejenigen Metaphern
Erkennen (zum "Schauen") wird. gewinnt, die demWirklichkeitsverstndnis des christlichen Glaubens
angemessen sind und tatschlich Gottes- undWelterkenntnis ermgli-
chen.
7.2.1.1-7.2.1.3 Fazit Whrend ich im zurckliegenden Abschnitt (7.2.1) nach Ansatzpunk-
ten fr das christliche Wirklichkeitsverstndnis vom Ursprung, von der
Das Ergebnis der drei Reflexionsgnge scheint negativ zu sein: Weder der Sinnhaftigkeit und vom Bestimmungsziel der Welt aus fragte und dabei zu
Ursprung, noch die Sinnhaftigkeit, noch das Ziel der Welt lt sich aus der dem Ergebnis kam, da aus der Welterkenntnis an sich die Gotteser-
Erkenntnis der Welt stringent ableiten. Zwar stieen wir auf eine unab- kenntnis und damit auch die Wirklichkeitserkenntnis des christlichen
weisbare Frage, eine ambivalente Einsicht und eine eschatologische Hoff- Glaubens nicht gewonnen werden kann, soll im folgenden Abschnitt
nung, aber aus ihnen lt sich weder einzeln noch zusammengenommen (7.2.2) im Blick auf die Gotteserkenntnis nach deren Ermglichungund
so etwas wie ein schlssiger Gottesbeweis gewinnen. Wirklichkeit gefragt werden.
Ein anderes Bild ergibt sich freilich, wenn wir diese drei Ansatzpunkte
nicht primr in ihrer rezeptiven, sondern primr in ihrer produktiven Be-
deutung in den Blick fassen. Sie werden dann zur Frage und Vermutung,
durch die die Aufmerksamkeit auf den mglichen Ursprung, die mgliche
7.2.2 Charakteristika der Gotteserkenntnis
Sinnhaftigkeit und das mgliche Bestimmungsziel der Welt gelenkt wird.
An den Gegenstnden unserer Erkenntnis knnen wir Spuren wahr-
nehmen, die auf Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit verweisen.
7.2.2.1 Gotteserkenntnis als Ziel menschlichen Suchens
Sie werden dadurch zu (solchen) Zeichen, die auf eine verborgene und
anders nicht zugngliche Dimension der Welt hinweisen: eben auf ihr Gibt es berhaupt eine menschliche Mglichkeit, Gotteserkenntnis zu
'suchen - und zu finden? Lt sich das prophetische Verheiungswort:
Bestimmtwerden durch die Alles bestimmende Wirklichkeit, Gott.
"Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von
Die Sprache, die der Gottes- und Welterkenntnis, also der Wirklich-
euch finden lassen" (Jer 29,13 f.; hnlich Dtn 4,29; Sach 1,3; Mt 7,7 f.;
keitserkenntnis des christlichen Glaubens allein angemessen ist, ist - wie
Lk 11,9 f.; Act 17,27 u. Jak 4,8) auch auf die Gotteserkenntnis anwen-
bereits angedeutet- die der Metaphern, also der Worte und anderer Zei-
den? Die Sachfrage, um die es dabei geht, lautet: Kann menschliches
chen in einer 'bertragenen Bedeutung, die ber ihre wrtliche Bedeutung
Fragen und Suchen nach Gott, also menschliches Streben nach Gotteser-
hinausreicht und gerade so neuen Erfahrungs- und Denkmglichkeiten
kenntnis tatschlich .eine positive - mglicherweise sogar ausschlagge-
Ausdruck verleiht. Metaphern sind im Zusammenhang mit dem Reden
bende - Bedeutung fr die Gewinnung von Gotteserkenntnis haben?
29 Pannenbergs These, in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten habe Das Problem hat einen erkenntnistheoretischen und einen theologi-
sich bereits das Ende vorweg ereignet, vermag dieses Problem nicht zu lsen, schen Aspekt:
weil die These selbst in zweifacher Hinsicht (und zwar christologisch wie
eschatologisch) eine Aussage des Glaubens ist, die sich auch dann nicht aus - Erkenntnistheoretisch stellt sich die Frage, ob es berhaupt sinnvoll
unserer welthaften Erkenntnis ableiten lt, wenn man, wie Pannenberg, die mglich ist, nach Gott zu fragen und zu suchen, wenn dabei nicht
Auferweckung Jesu Christi von den Toten als ein historisch nachweisbares bereits eine (und sei es rudimentre) Erkenntnis Gottes vorausgesetzt
Ereignis versteht. Aus ihrer historischen Nachweisbarkeit resultiert noch wird. Wie sollte ein Mensch Gott erkennen knnen, wenn er nicht
nicht ihre eschatologische Bedeutung. schon wte, wonach er sucht?
226 Gottes-und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes- und Welterkenntnis 227

Theologisch stellt sich die Frage, ob aus der Einsicht, da Gotteser- Frage nach dem Woher und Wohin, nach Ursprung, Sinn und Ziel nicht so
kenntnis nur aufgrund der Selbsterschlieung Gottes mglich ist (s. o. enthlt, da sie an ihm ablesbar wre.
3.1 u. u. 7.2.2.2), dem menschlichen Erkenntnisstreben im Blick auf Grundstzlich sind im Blick auf diese Situation verschiedene Haltun-
die Gotteserkenntnis berhaupt irgendeine positive Funktion zukom- gen mglich: das Vergessen(wollen), das Verdrngen (durch gezielte Ab-
men kann. lenkung), das resignative Sich-Abfinden oder das beharrliche Fragen und
Suchen. Aber noch einmal sei daran erinnert: Das Fragen und Suchen ist
In einer bestimmten Hinsicht mu die Frage nach der positiven Bedeu- keine methodische Anweisung zum Finden der Antwort; es ist jedoch
tung menschlichen Suchens fr das Erlangen von Gotteserkenntnis klar Ausdruck der Offenheit, in der die Antwort wahrgenommen und empfan"
verneint werden: Es gibt keinerlei Verfahren, Methode oder Technik, wie gen werden kann. Die Ernsthaftigkeit und das Gewicht der Frage nach
Menschen Gotteserkenntnis erreichen knnten. Durch Meditation kn- Gott kommt gerade in solcher Beharrlichkeit zum Ausdruck.
nen wir zwar (mglicherweise) in tiefere Schichten unserer Person und der Von da aus ist es nur ein relativ kleiner Schritt, das Gebet um Gewi-
uns umgebenden Wirklichkeit eindringen, der Alles bestimmenden Wirk- heit oder Glauben als Explikation dessen zu verstehen, was im Suchen und
lichkeit knnen wir auf diesem Wege aber nur dann begegnen, wenn die Fragen eines Menschen schon enthalten war. 30 Das Gebet hat dabei letzt-
Meditation ihrerseits von dieser Wirklichkeit in Dienst genommen wird. lich nicht die Funktion, Gott dazu zu bewegen, da er sich endlich zu
Das aber haben wir nicht in der Hand. Die Einsicht, da Gotteserkenntnis erkennen gibt, sondern das Gebet wird selbst zu dem Ort, an dem ein
stets auf - uns unverfgbare - Selbsterschlieung Gottes angewiesen ist, Mensch sich so auf Gott ausrichtet, da ihm zuteil werden kann, was Gott
bleibt gltig und wird auch durch nichts, was in diesem Abschnitt noch an Erkenntnis und Gewiheit schenken will. Das ist freilich eine Einsicht,
zu sagen ist, aufgehoben oder eingeschrnkt. die sich erst von der Erkenntnis Gottes her erschliet. Von dorther - also
Inwiefern kann dann aber davon die Rede sein, da Menschen Gott retrospektiv - zeigt sich, da es nicht unser Fragen und Suchen ist, durch
und die Erkenntnis Gottes suchen knnen und da es die Frage nach Gott das wir Gott veranlassen, sich uns. zu erkennen zu geben, sondern da
(sei es verborgen oder explizit) im Leben eines Menschen geben kann, Gott schon immer zum Menschen hin unterwegs ist, so da Menschen im
auch wenn er noch nichts von Gott vernommen hat? Im vorigen Abschnitt Gebet und im Glauben Empfangende sind. Ihren Hhepunkt erreicht
(7.2.1) hat sich gezeigt, da es - in mehrfacher Hinsicht - Grenzen des diese Einsicht dort, wo ein Mensch erkennt, da schon sein Suchen und
menschlichen Erkennens gibt, die selbst als solche erkannt werden knnen Fragen nach Gott und nach dem Glauben Gottes Wirken in ihm war. Von
und damit - gedanklich! ...: transzendiert werden. Die Fragen nach Ur- dieser Erkenntnis Gottes her zeigt sich: Wir knnten Gott nicht finden,
sprung, Sinn und Ziel der Welt oder des Menschenlebens fhren an solche wenn er nicht (durch uere Zeichen) in uns so wirken wrde, da wir ihn
Grenzen, die den Ort bezeichnen, an dem das angemessene Reden von suchen. Dieser "Wechsel des Subjekts"31 wirkt nur bei oberflchlicher
Gott seinen Platz finden kann. Freilich gibt es keine der menschlichen Betrachtung widersprchlich. Er bezeichnet genau das Geheimnis des
Erkenntnis innewohnende Notwendigkeit, sich diese Grenzen bewutzu- Glaubens, dem Paulus in Phi12,12 f. den paradoxen Ausdruck verliehen
machen oder ber sie hinauszufragen. hat: "Schaffet, da ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott
Gerade das Fragen ber diese Grenzen der Erkenntnis hinaus, und ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach
zwar nicht nach irgendeiner "Hinterwelt", sondern nach dem, "was die seinem Wohlgefallen." Die Art und Weise, wie menschliches Suchen und
Welt im Innersten zusammenhlt" (J. W. v. Goethe), lt sich mit gutem gttliches Wirken miteinander verbunden sind, ist begrifflich schwer zu
Grund als ein Suchen nach Gotteserkenntnis interpretieren. Mit dem Of- explizieren, kann aber existentiell eindrcklich erfahren werden. In die-
fenhalten der Frage nach dem transzendenten Welt- und Erkenntnisgrund sem Sinne ist wohl auch der zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Satz aus
ist nicht schon insgeheim die Antwort auf diese Frage gegeben, wohl aber Jer 29,13 f. zu verstehen.
steckt in dieser Offenheit die Chance, die Antwort auf diese Frage, wenn
sie erfolgt, tatschlich wahrzunehmen und aufzunehmen. Die Aufmerk-
samkeit eines Menschen bleibt so ausgerichtet auf den Ort der (erhofften) 30 Ich schliee mich (auch) hier der Sichtweise an, die T. Koch in seinem Buch:
Selbsterschlieung Gottes. In alledem geht es darum, wie Menschen mit Mit Gott leben, S. 38 entfaltet hat.
den Defiziten und Rtseln, aber auch mit den Selbstverstndlichkeiten und 31 So die Formel von T. Koch (a.a.O., S. 10 f. u. 0.), deren hermeneutische und
Erfolgen eines Lebens umgehen, das in sich selbst die Antwort auf die soteriologische Bedeutung er in seinem Buch durchgngig zur Geltung bringt.
228 Gottes- und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes-und Welterkenntnis 229

Dabei gewinnt nach dem zuletzt Gesagten nocheihmal die Einsicht an nis hat den Charakter eines Erschlieungsgeschehens, an dem die Emp-
Bedeutung, da es sich hierbei nicht um eine Methode zur Herbeifhrung fnger zunchst rein passiv beteiligt sind (ber das sie darum auch nicht
von Gotteserkenntnis, sondern um eine Verheiung Gottes handelt. Sich verfgen), das aber "ihre Welt" konstituiert, in der sie sich auswhlend zu
auf sie einzulassen heit negativ: die Frage nach Gott nicht durch anderes verhalten und aktiv zu bewegen haben. Insofern hat also jede Erkenntnis,
zu verdrngen oder auszufllen, sie also offenzuhalten, und es heit po- die Neues erschliet oder Bekanntes neu erschliet, den Charakter einer
sitiv: seine Aufmerksamkeit dorthin zu wenden, wo die Beantwortung Offenbarung, und das gilt darum auch fr die Erkenntnis Gottes. Sofern
dieser Frage mit Grnden erhofft werden darf, d. h., dorthin,. wo die sich an einem welthaften Erkenntnisgegenstand (z. B. an der Erfahrung
Selbsterschlieung Gottes bezeugt wird. einer Grenzsituation des Lebens oder in der Begegnung mit Elementen der
christlichen berlieferung) die Alles bestimmende Wirklichkeit erschliet,
ereignet sich Gotteserkenntnis als Offenbarungserkenntnis.
7.2.2.2 Gotteserkenntnis als Offenbarungserkenntnis32 Mit dem bisher Gesagten ist begrndet, warum Gotteserkenntnis
stets Offenbarungserkenntnis ist, wobei "Offenbarung" im weiten Sinn
Die als berschrift verwendete Formel "Gtteserkenntnis als Offel1.ba- des Wortes als Erschlieungsgeschehen verstanden wird (vgl. dazu und
rungserkenntnis" kann entweder verstanden werden als Bezeichnung ei- zum folgenden 0.3.1.1). Das Besondere der Gotteserkenntnis als religi-
ner bestimmten Art von Gotteserkenntnis, nmlich solcher, die durch ser Offenbarung liegt nicht darin, da durch sie eine bernatrliche
Offenbarung zustande kommt (im Unterschied zu anderer Gotteser- Erkenntnisquelle erschlossen wrde, die demjenigen, der aus ihr schpfen
kenntnis, die auf anderen Wegen gewonnen wird), oder als Beschreibung kann, eine Sonderstellung und eine privilegierte Position gegenber an-
eines notwendigen Elementsjeder Gotteserkenntnis. Im ersten Fall scheint de~en einrumen wrde. Das Besondere der religisen Offenbarung be-
es neben der Offenbarung, also neben der Selbsterschlieung Gottes, auch steht vielmehr darin, da in ihr die Alles und darum auch das Dasein des
noch andere Quellen der Gotteserkenntnis, wie z. B. Erfahrung und Ver- Erkenntnissubjekts bestimmende Wirklichkeit erschlossen wird. Religi-
nunft, Zu geben. Im zweiten Fall scheint hingegen. alles auf den Gegensatz se Offenbarung ist vorbehaltlose Inanspruchnahme des Erkenntnis-
zuzulaufen: Gotteserkenntnis als Offenbarungserkenntnis und darum subjekts zu unbedingtem Vertrauen auf Gott. Sie betrifft darum den
nicht als Vernunft- oder Erfahrungserkenntnis. Menschen in allen Aspekten oder Dimensionen seines Daseins. Die Inan-
Gegenber der zuletzt angedeuteten Alternative vertrete ich hier ..... mit spruchnahme durch die Selbsterschlieung Gottes bezieht sich also gewi
einem Groteil der gegenwrtigen Theologie - die Auffassung, da Of- nicht nur auf die menschliche Vernunft, sondern ebenso auf das Gefhl
fenbarung zwar eine notwendige Bedingung jeder Gotteserkenntnis bil- und den Willen des Menschen. Aber in unserem Zusammenhang, wo es
det, aber gleichwohl nichtim Gegensatz zur Vernunft- oder Erfahrungs- nicht allgemein um die Frage des Glaubens (wie oben in Kap. 2) geht,
erkenntl1.issteht:.Das gilt in einem sehr umfassenden Sinn.Jede Erkenntnis sondern um die Frage nach der Gotteserkenntnis, mu dieses Element
hat insofern den Cha.rakter einer Offenbarung, also eines Erschlieungs- hervorgehoben werden. Durch die Vernunft kann der Mensch die ihm
geschehens, als sich durch sie ein Teil der Lebenswelt berhaupt erst so erschlossene Wahrheit vernehmen und erkennen. Insofern gilt: Gotteser-
erschliet oder neu erschliet, da er dadurch zum Gegenstand mensch kenntnis erschliet sich als Offenbarungserkenntnis der menschlichen
licherIl1.terpretation undzielgerichteten Verhaltens wird. Erkenntnis kann Vernunft. Sie setzt die menschliche Vernunft nicht auer Kraft und stattet
man nicht durch Willensvorsatz, auf Beschlu oder Befehl hervorrufen sie nicht mit bernatrlichen Informationen aus, s<imdern nimmt sie - in
oder zustande bringen (whrend man bestimmte Ttigkeiten durchaus ihren Grenzen - in Anspruch, indem sie sie erleuchtet. 33
auf Beschlu oder Befehl vollziehen, einben der ausprobieren kann),
sondern Menschen machen Erfahrungen und gewinnen Erkenntnisse oder
Einsichten, indem sie ihnen zuteil werden, also widerfahren. Jede Erkennt- 33 Das ist wohl auch der tiefe Sinn von Anse1ms groartigem theologischen
Programm: "Fides quaerens intellectum", zu dessen wesentlichen Elementen
es gehrt, da sich der dem Glaubenden (passiv!) erschlossene Inhalt der
32 Vgl. zu diesem Abschnitt durchgngig Kap. 3 ber Gottesoffenbarung in Offenbarung allein mittels Vernunft (sola ratione - remoto Christo) auf seine
Jesus Christus als den Grund des christlichen Glaubens. Das dort Gesagte "ontische und noetische Rationalitt" (so K. Barth, Fides quaerens intellectum,
wird hier vorausgesetzt und im Blick auf die Frage nach der Gotteserkennmis 1958 2, S. 42 ff.) hin berprfen und nach-denken lt (Anseim von Canter-
akzentuiert. bury, Cur Deus homo, Praef. u. 1,20).
230 Gottes- und Welterkenntnis Zugnge zur Gottes und Welterkenntnis 231

7.2.2.3 Gotteserkenntnis als Glaubenserkenntnis im Blick auf die Gotteserkenntnis unbersehbar ist. Dabei geht es keines-
wegs nur um eine Ergnzung der aus der sinnlichen Wahrnehmung ge-
Da Gotteserkenntnis nach christlichem Verstndnis stets den Charakter speisten (rezeptiven) Erkenntnis, sondern u. U. sogar um deren Infra-
einer Glaubenserkenntnis habe, wird vermutlich in der Regel als eine gestellung - in jedem Fall aber um ihre radikale Vertiefung.
begrenzende, ja pejorative Aussage empfunden: also blo eine geglaubte
oder dem Glaubenden sich erschlieende Erkenntnis. Daran ist richtig, b) Glaube als Vollzug der Gotteserkenntnis
da die Charakterisierung der Gotteserkenntnis als Glaubenserkenntnis
auch eine Indirektheit zum Ausdruck bringt, die den Charakter einer Beim Nachdenken ber die Konstitutionsbedingungen des Glaubens (s. o.
Begrenzung hat. Aber darin geht die Charakterisierung nicht auf. Sie hat 2.2.3) zeigte sich, da es nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist, zwi-
vielmehr auch eine positive Bedeutung, die es wert ist, eigens bedacht und schen der Gewiheit, die einem Menschen durch Offenbarung zuteil wird,
zur Sprache gebracht zu werden. Von beidem soll im folgenden die Rede und dem Vertrauen, durch das er sich auf diese Gewiheit einlt zu
sein. unterscheiden. Zwar besteht zwischen beidem ein enger Zusammenh~ng:
Vertrauen setzt Gewiheit voraus und Gewiheit zieht Vertrauen mit
a) Glaube als Begrenzung der Gotteserkenntnis innerer Notwendigkeit nach sich, wenn und soweit sie nicht durch andere
Gewiheiten in Frage gestellt wird. Trotz dieses Zusammenhangs ist es
Gotteserkenntnis als Glaubenserkenntnis ist begrenzte Erkenntnis. Ihr sinnvoll, Gewiheit als Resultat eines Erkenntnisaktes vom Glauben als
Gegenstand hat den Charakter der Verheiung, aber noch nicht den der Vertrauensakt zu unterscheiden.
endgltigen Erfllung. Letztere ist dem durch Rtsel, Zweifel und Gegen- Diese Unterscheidung wird auch nicht aufgehoben durch die These,
erfahrungen angefochtenen Glauben des Menschen in dieser Zeit und erst der Glaube sei in Wahrheit der Vollzug der Gotteserkenntnis. Aber in
Welt nicht gegeben. Weder entnimmt die Selbsterschlieung Gottes den dieser These kommt die Zusammengehrigkeit von Gewiheit und Ver-
Menschen der Situation, inder andere, irrefhrende Stimmen seine Ohren trauen noch einmal neu in den Blick. Jedenfalls fr die Gotteserkenntnis
und sein Herz erreichen, noch kann er die sich einstellende Glaubens- ist es charakteristisch, da sie - als Erkenntnis der Alles (also auch den
gewiheit konservieren und gegen Zweifel immunisieren. Der Versuch Erkennenden selbst) bestimmenden Wirklichkeit - erst dann an ihr Ziel
einer solchen Abkapselung des Glaubens kann zwar unternommen wer- kommt, wenn sie im Menschen daseinsbestimmendes Vertrauen weckt
den (und er wird im Fundamentalismus unternommen), aber das hat nicht und findet. "Erkenntnis" meint hier notwendigerweise mehr als die Ein-
zur Folge, da der Glaube sich festigt und krftigt, sondern da er sich sicht, "da es sich so verhlt", nmlich ein Sehen mit den "erleuchteten
nicht entwickeln, nicht wachsen, nicht leben kann und darum allmhlich Augen des Herzens" (Eph 1,18), das ein umfassendes Vertrautsein und
erstarrt oder abstirbt. In der Gewiheit des Glaubens ist zwar der Zweifel vorbehaltloses Sich-Anvertrauen ist.
berwunden, aber diese berwindung geschieht nie ein fr allemal. Der Von daher lt sich im Umkehrschlu sagen: Wer Gott nicht vertraut
Zweifel (als Gegengewiheit) begleitet die Gewiheit des Glaubens wie und sich ihm nicht anvertraut, zeigt damit, da er ihn nicht wirklich
ein dunkler Schatten - jedenfalls, solange Menschen in dieser Welt leben. erkannt hat. Der Unglaube macht vor der Grenze halt, an der die Gottes-
So erweist sich.die Begrenztheit der Gotteserkenntnis als Wesensmerkmal erkenntnis (im Glauben) zu ihrem Ziel kommt. Ohne den Schritt ber
der theologia viatorum, also derer, die noch unterwegs sind und das auch diese Grenze bleibt die entscheidende existentielle Dimension der Gottes-
wissen und akzeptieren. erkenntnis verschlossen. Ob dieses Vertrauen trgt, weil es sich auf einen
Gegenber einer in sich verschlossenen Weltsicht hat freilich die dem tragfhigen Grund bezieht, lt sich nicht von auerhalb erkennen. Auf
Glauben erschlossene Gotteserkenntnis nicht den Charakter einer Begren- eine gewimachende Weise ist das nur erfahrbar, indem Menschen sich
zung, sondern vielmehr den einer Entgrenzung. Von der Gotteserkenntnis (auch gegen den Augenschein) daraufeinlassen. Das gilt (per definitionern)
her erweist sich vieles, was uns"vor Augen ist" - erweist sich vor allem fr alle daseinsbestimmenden Wahrheitsansprche, d. h. fr alle Aussa-
jede Verabsolutierung unserer Erkenntnismglichkeiten und unserer eige- gen, die den Anspruch erheben, wahr zu sein und fr das ganze Leben zu
nen Wirklichkeitserkenntnis - als irrefhrende Halbwahrheit (vgl. EG gelten. Zwar gibt es Wahrheitsansprche, die schon wegen ihrer inneren
482,3) und damit als Tuschung und Irrtum. Hier ist noch einmal an den Widersprchlichkeit oder wegen ihrer partikularistischen, menschen-
produktiven Aspekt von Erkenntnis zu erinnern (s. o. 7.1.1.2), der gerade verachtenden Konsequenzen als trgerisch oder diabolisch durchschaut
232 Gottes- und Welterkenntnis

werden knnen. Deshalb mu man sich keineswegs auf alle daseins-


bestimmenden Wahrheitsansprche erprobend einlassen. Aber die positi-
ve Vergewisserung, die zugleich die einzige Bewhrung der Gotteser-
kenntnis im irdischen Leben ist, kann sich nur im Vollzug des Vertrauens
einstellen. Dabei ist freilich noch einmal (s. 0.7.1.1.4) daran zu erinnern,
da die Erkenntnis der Alles bestimmenden Wirklichkeit sich nicht nur
(im rezeptiven Sinn von Verifikation) als wahr erweisen mu. Vielmehr Teil A
gilt hier auch die Umkehrung: Erst die Erkenntnis Gottes bringt die
menschliche Wirklichkeitserkenntnis zurecht und erweist sich als freima-
chende Wahrheit (Joh 8,32), die sich so bewahrheitet, da sie den Men- Das Gottesverstndnis
schen zur Wa.hrheit bringt, d.h. zum Wahrhaftigsein in der Liebe
(Eph 4,15) befreit, befhigt und erweckt. Das aber ist nicht Menschen-, des christlichen Glaubens
sondern Gotteswerk.
8 Gottes Sein (Theo-logie)l

Der Schritt von der Frage nach der Gotteserkenntnis zum Nachdenken
ber das Sein Gottes ist ein Schritt vom Methodischen zum Inhaltlichen.
Dieser Schritt ist gewichtig, weil es nun nicht mehr um den (christlichen)
Begriff " Gott" , sondern um das Sein Gottes als der Alles bestimmenden
Wirklichkeit geht und sich nun zeigen mu, wovon der christliche Glaube.
spricht, wenn er Gott bekennt.
In dem Ausdruck "Gottes Sein" sind implizit drei Fragestellungen
enthalten, die fr den christlichen Glauben von grundlegender Bedeutung
sind:
- Ist Gott berhaupt (wirklich), oder gibt es nur menschliche Wunsch-
bilder (oder auch Schreckensbilder), die wir "Gott" nennen?
Wer und wie ist Gott, wenn er ist; mit was fr einem Gott haben wir
es also zu tun?
- Gibt es zwischen Gott und Welt eine derartige Beziehung, da von
einem Wirken Gottes in der Welt geredet werden kann (und mu);
und - wenn ja - in welcher Weise wirkt Gott an und in der Welt?
Auf den ersten Blick erscheint es als sinnvoll, diese drei Grundfragen
nach der Wirklichkeit (oder der "Existenz"), nach dem Wesen (und den
Eigenschaften) und nach dem Wirken (oder dem "Handeln") Gottes auch
in dieser Reihenfolge anzusprechen und zu bedenken. Die Wirklichkeit
Gottes scheint die Voraussetzung zu sein, von der es abhngt, ob ber-
haupt sinnvoll vom Wesen und Wirken Gottes gesprochen werden kann.
Aber diese Vermutung tuscht. Wir knnen sehr wohl sinnvoll vom Wesen
und Wirken Gottes sprechen, ohne zu wissen, ob wir dabei von einer
Wirklichkeit (oder einem bloen Fantasiegebilde) reden. Es ist jedoch
nicht sinnvoll mglich, ber die Wirklichkeit Gottes nachzudenken, so-
lange nicht geklrt ist, von " wessen " oder von " was fr einer" Wirklich-
keit wir denn sprechen. Darum steht die Frage nach dem Wesen und den
Eigenschaften Gottes am Beginn (8.1) dieses Kapitels und die Fragen nach
der .Wirklichkeit (8.2) und dem Wirken Gottes (8.3) werden ihr nachge-
ordnet.

1 Zur Vermeidung eines mglichen Miverstndnisses dieser berschrift s.


5.399, Anm. 25.
236 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 237

8.1 Gottes Wesen und Eigenschaften zumAusdruck. Fr viele Christen ist sie - aus dieseminhaltlichen Grund _
die kostbarste Aussage des christlichen Glaubens.
Wenn wir nach dem Wesen und den Eigenschaften Gottes fragen, bewe- II1 wichtigen biblischen Texten (von denen nicht wenige auch in Lied~
gen wir uns auf das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens zu. form Eingang in das Gesangbuch und damit in die gottesdienstliche
Grte Behutsamkeit ist darum geboten, um sich mglichst nicht durch Glaubenskommunikation und in das Bewutsein der Menschen gefunden
unbedachtes, leichtfertiges Reden zu vergreifen, aber um auch nicht durch haben) wird genau diese Erkenntnis Gottes vermittelt. 3 Die altkirchlichen
Achtlosigkeit und Unaufmerksamkeit das zu bersehen oder zuverschwei- Bekenntnisse sowie die CA sprechen diese Einsicht nicht aus, setzen sie
gen, was verantwortlicherweise von Gott gesagt werden kann und soll. aber voraus und umschreiben sie teilweise (so z. B. CA 1-5). Wiederholt
Alles folgende basiert auf der Voraussetzung, da Gott sich in Jesus und eindrucksvoll thematisiert wird die Erkenntnis, da Gott bzw. Gottes
Christus zum Heil der Welt erschlossen hat (s. o. 7.2.2.2 und u. Kap. 9) Wesen Liebe ist, dagegen in Luthers Katechismen (BSLK 511,4; 512,24;
und gerade darin ein fr uns unerforschliches und unverfgbares Geheim- 660,28-32 u. 661,13) sowie in der Konkordienformel (BSLK 1088,35-
nis bleibt (s. o. 3.2.2.3). Auch die Aussagen ber das Wesen und die 1089,5).
Eigenschaften Gottes haben nicht den Charakter der Erfassung ("compre- Die breite Verankerung dieser Erkenntnis in der biblischen Botschaft
hensio"), sondern "nur" den der Erkenntnis ("cognitio") Gottes,und (s, dazu auch u. 9.2), in Teilen des kirchlichen Bekenntnisses und im
zwar - wie mit J. Gerhard hinzuzufgen ist - der "cognitio viatoris".2 Bewutsein vieler Christen verhindert jedoch keineswegs, da gerade
Alles, was im folgenden ber das Wesen (8.1.1), die Personalitt (8.1.2) dieser Satz sowie der Begriff "Liebe" (auch in Anwendung auf Gott) zu
und die Eigenschaften (8.1.3) Gottes gesagt wird, steht unter diesem den besonders hufig miverstandenen, mibrauchten und trivialisierten
Vorzeichen und Vorbehalt. Aussagen und Begriffen gehrt. Dem fast inflationren Reden von "Liebe
(Gottes)" stehen nur wenige brauchbare Begriffsklrungen gegenber. 4
Das Nachdenken ber den Sinn der Aussage: "Gottes Wesen ist Liebe"
8.1.1 Gottes Wesen als Liebe (8.1.1.2) wird darum hier umrahmt von einem Reflexionsgang ber den
Sinn des Wortes "Liebe" (8.1.1.1) und einigen Hinweisen zu den Grenzen
Die Erkenntnis des Wesen.s Gottes, die aus der Person und dem WerkJesu der Formel "Gott bzw. Gottes Wesen ist Liebe" (8.1.1.3).
Christi gewonnen ist, lt sich verdichten in dem Satz: " Gottes Wesen ist
Liebe".
Im Hintergrund dieses Satzes steht natrlich die biblische Al1ssage: 8.1.1.1 Was ist "Liebe"?
"Gott ist Liebe" (I Joh 4,811. 16). Aber die Tatsache, da es in der bibli-
schen berlieferung eine solche - geradezu definitorisch klingende- Die Worte "Liebe" und "lieben" weisen ebenso wie die Worte "Glaube"
Aussage gibt, rechtfertigt fr sich genommen noch nicht ihre bernahme und "glauben" (s. o. 2.2.1) eine groe Vielfalt an Bedeutungen auf. So
alsWesensbestimmung Gottes. Wenn man hier biblizistisch tr 'IJoh 4 etwas wie eine allgemein anerkannte Definition von "Liebe" gibt es nicht.
argumentieren wrde, mte man damit rechnen, da andere mit glei- Bei etwas genauerer Betrachtung zeigt sich, da es dafr mindestens zwei
chen Mitteln gegen die Verwendung dieser Stelle Bedenken anmelden unterschiedliche Grnde gibt:
knnten: Verbietet nicht die Tatsache, da dieser Satz nur im I Johannes- Einerseits werden mit dem deutschen Wort "Liebe" (bzw. "lieben")
brief vorkommt, aus ihm eine Wesensbestimrnung Gottes abzuleiten oder ganz unterschiedliche Phnomene bezeichnet (Zuneigung, Sympathie,
zu machen? Freundschaft, Erotik, Sexualitt, Leidenschaft, Passion, Hobby etc.), die
Aber in der Aussage: "Gott ist Liebe" verdichtet sich eine Flle bibli- zwar irgend etwas miteinander zu tun haben, aber offenbar nicht auf
scher, kirchlicher und theologischer Aussagen ber Gott. D. h., sie ist
trotz der Einzigartigkeit ihrer Formulierung keineswegs eine isolierte,
einmalige, sozusagen zufllige Aussage, sondern bringt - im Blick auf das
3 Zu denken ist dabei etwa an Ps 23 u. 103, an Hos11, Jon 4u. Thr 3,22 f.,
sodann an Mt 5,44 f.; 20,1-15; Lk 15; Joh 3,16; Rm 8,30-39; I Kor 13;
Wesen Gottes - das Wesentliche des christlichen Gottesverstndnisses II Kor 13,11-13; Eph 2,4 u. I Joh 3,1.
4 Zu ihnen zhlt m. E. der Aufsatz ber "Liebe" von G. Meckenstock, in: MJTh
2 Loci theologici II, Cap. 5, Nr. 90 (Bd. 1, Berlin 1863, S. 286). V, 1993, S. 63-93.
238 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 239

einen Nenner zu bringen sind. Andere Sprachen (z. B. das Griechische und wenn erkannt werden soll, was Liebe ist und worin sie sich als innere
Lateinische) differenzieren hier strker begrifflich. Insbesondere der Un- Zugewandtheit qualitativ von anderen, z. B. demtigenden oder zerstre-
terschied zwischen Agape und Eros spielt in diesem Zusammenhang be- rischen Weisen der Zuwendung unterscheidet.
kanntlich eine groe Rolle. 5 Handelt es sich bei diesen beiden Formen von Dieser qualitative Unterschied besteht darin, da Liebe als Agape sich
"Liebe"nicht geradezu um entgegengesetzte Phnomene, die nur mi- nicht an den eigenen Wnschen, Interessen und Vorteilen des Liebenden
verstndlicherweise in einem Wort, wie "Liebe", zusammengefat wer- orientiert, sondern um des geliebten Gegenbers willen geschieht. Sie will
den knnen? und bejaht das geliebte Gegenber als es selbst in seiner unverwechselba-
Andererseits ist Liebe offenbar etwas, das sich von seinem Wesen her ren Eigenart und Besonderheit - einschlielich des Unerfreulichen und
nicht begrifflich erfassen und definieren lt. Sie ist etwas Lebendiges und Unangenehmen. Liebe als Agape unterscheidet sich von symbiotischer
in die Tiefe des Gefhls Reichendes, das sich jedem Zugriff entzieht. Sie Verschmelzung dadurch, da sie die Einmaligkeit, das Anderssein und
ist frei und sie lt frei. Liebe kann nur von innen, also aus der Situation damit das Geheimnis des geliebten Gegenbers achtet und schtzt. Den
persnlicher Begegnung und Beteiligung erkannt werden. 6 Jeder Versuch Liebenden ist ihr Gegenber nicht um dessentwillen wichtig, was sie von
einer begrifflichen Definition geschieht aber von einer Auenperspektive ihm an Zuwendung oder anderen Vorteilen (zurck-)bekommen knnen,
her und kann darum nicht mehr leisten, als den Begriff "Liebe" abzugren- sondern um seinetwillen. ,,(D)ie Liebe ... will", wie Bonhoeffer8 formu-
zen. Letztlich gilt auch von der Liebe - wie von Gott -: "definiri nequit" liert hat, "nichts von dem anderen, sie will alles fr den anderen" .9 Des-
(s. o. 7.1.2). Die folgenden berlegungen knnen deshalb nur versuchen, halb lt die Agape sich auch dort, wo sie die schmerzliche Erfahrung
die Aufmerksamkeit in die Richtung zu lenken, in der sich die Liebe in macht, nicht erwidert zu werden, "nicht erbittern" (I Kor 13,5), sondern
ihren konkreten, leibhaften Erscheinungsformen zeigt. erweist sich als die Kraft, die in der Lage ist, Ha, Gleichgltigkeit und
Lieblosigkeit zu berwinden und so - vielleicht doch noch - Liebe zu
a) Liebe als Agape wecken. lo

Liebe als Agape ist eine bestimmte Weise der Zuwendung. Die Metapher b) Liebe als Eros
Zuwendung" verweist auf dasleibhafte Geschehen, indem ein Wesen Fr Liebe als Eros ist es charakteristisch, jakonstitutiv, da die mit diesem
;ich mit seinem Angesicht, das deutlicher als alle anderen Teile des Leibes Begriff bezeichnete Zuwendung von Herzen kommt. Deshalb gehrt zum
das erkennen lt, wovon ein Mensch innerlich bewegt wird, so auf ein Eros immer das Element des affektiven Ergriffenseins - im glcklichsten
Gegenber ausrichtet, da es dieses anschaut und von ihm angeschaut Fall das Element der Lust. Eros kann deswegen nicht befohlen oder ange-
werden kann. Das eigene "nackte Antlitz"? und das des Gegenbers und ordnet werden, sondern die erotische Liebe stellt sich ein, sie ergreift oder
in beiden noch einmal der "Augen-Blick" sind die ausgezeichneten leib- erfat einen Menschen, und zwar dadurch, da ihm ein liebenswertes
haften Orte der Zuwendung, die mit dem Begriff "Liebe" bezeichnet (oder auf andere Weise faszinierendes) Gegenber begegnet, von dem er
wird. sich angezogen und zu dem er sich hingezogen fhlt.
Aber das Angesicht und der Blick der Augen sowie die Krperhaltung Eros kann aber mehr sein als dieses Angezogenwerden: nmlich bren-
und Gestik knnen - im Modus der Zuwendung - auch ganz anderes nende Leidenschaft fr einen Menschen, fr eine Sache oder fr ein Le-
ausdrcken als Liebe: z. B. Mitleid oder Verachtung, Aggressivitt oder
Ha. Es kommt offenbar auf die "bestimmte Weise" der Zuwendung an, 8 Predigt zu I Kor 13,4-7, in: ders., Werke, 13. Bd., Gtersloh 1994, S. 389.
Den Hinweis auf diesen Fundort verdanke ich Herrn Dirk Schulz, Heidelberg.
9 Vgl. dazu auch E. Levinas a.a.O.,S. 134: "Liebe .. , ist immer nicht-reziprok;
5 Dazu hat vor allem das Werk "Eros und Agape" von A. Nygren, Gtersloh Liebe besteht ohne Sorge fr das Geliebt-Sein."
1930, beigetragen. 10 Vgl. dazu die eindrcklichen Formulierungen K. Rahners: "Es wird das durch-
6 In Bultmanns Terminologie gesagt: Man kann nicht ber die Liebe (ebenso- bohrte Herz beschworen, das gengstigte, das ausgeronnene, das gestorbene
wenig wie ber Gott!) reden, sondern nur von ihr, und d. h. aus ihr (GuV I, Herz. Es wird das genannt, was Liebe bedeutet, die unbegreiflich und selbstlos
S. 26 f.). ist, die Liebe, die in Vergeblichkeit siegt, die entmchtigt triumphiert, gettet
7 So die berhmte Schlsselformulierung von E. Levinas, z. B. in: Humanismus lebendig macht, die Liebe, die Gott ist" (Schriften zur Theologie, Bd. VII,
des anderen Menschen, Hamburg 1989, S. 40 H. Einsiedeln 1966, S. 485).
240 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 241

bensziel, das fasziniert und begeistert. Dieser leidenschaftliche Eros kann Der neutestamentliche Begriff fr "Liebe" ist nur "Agape" und nie
Menschen berwltigen und entflammen, ja ber sich selbst hinausreien "Eros". Aber das biblische Verstndnis von Agape wrde verzeichnet,
und zur Ekstase bringen. Der Eros, der die Sexualitt umfat oder zumin- wenn daraus ein Verstndnis der Liebe - und des Wesens Gottes als
dest an sie angrenzt, ist als Trieb in der leiblich-seelischen Verfassung des Liebe -' abgeleitet wrde, das sich aus dem Gegensatz zum Eros definiert.
Menschen angelegt und bedarf der Bildung, damit seine ungestme Kraft Zur biblischen Agape gehrt es unaufgebbar, da sie "von Herzen" ge-
nicht versklavt oder zerstrt, sondern dem Leben zugute kommt. schieht, ja, da sie - gerade als gttliche Liebe - ein leidenschaftliches
Aus sich heraus ist der Eros nicht davor gefeit, destruktive Abhngig- Brennen ist (Hos 11,8 f.; Lk 15,20). Damit ist der Agape selbst ein eroti-
keiten zu schaffen, Selbstsucht zu kultivieren, ja, zur Vergtzung zu fh- sches Element eingepflanzt. Die biblische' Agape ist die Zuwendung zu
ren. Aber das ndert nichts daran, da er als solcher eine unbndige, einem Gegenber, die von Herzen um des Gegenbers willen geschieht. 12
lustvolle Lebenskraft ist, ohne die das menschliche Dasein in Lethargie Agape und Eros kommen dort zur Einheit, wo das Glck des geliebten
und Langeweile verkmmern wrde. Gegenbers als gemeinsames Glck und darum auch als je eigenes Glck
der Liebenden erlebt wird. Da berhrt der Himmel die Erde.
c) Liebe als Agape und als Eros
Aus den knappen Andeutungen der beiden vorigen Unterabschnitte drfte 8.1.1.2 Die Zuordnung von Liebe zu Gottes Wesen
deutlich geworden sein, da Agape und Eros einerseits miteinander ver-
wandt, andererseits aber auch deutlich voneinander unterschieden sind. Lt sich der so um.schriebene Begriff "Liebe" auf Gott anwenden? Und
Beginnen wir mit der Unterscheidung, so lt sich sagen: Agape ist was ist gem.eint, wenn Gottes Wesen als Liebe bezeichnet wird? Um diese
diejenige Form von Zuwendung, die fr das geliebte Gegenber Gutes beiden Fragen, die offensichtlich eng zusammengehren, geht es in diesem
will. l1 Von der Agape gilt: Sie sucht nicht das eigene Wohl oder Glck, Abschnitt.
sondern sie sieht auf das, "was dem andern dient" (I Kor 10,24; PhiI2,4).
Demgegenber kann man vom Eros sagen: Er ist die Form der (leiden- a) Gott als Liebe und als Liebender
schaftlichen) Zuwendung, die mit dem geliebten Gegenber Glck oder
Erfllung sucht. Der Eros ist - wie die Agape - einem Gegenber zuge- Die Frage nach'der Anwendbarkeit des Liebesbegriffs .auf Gott scheint
wandt, aber der Eros ist nicht selbstlos - allenfalls selbstvergessen in der der biblischen, speziell von der neutestamentlichen berlieferungher
'VO!1
Sehnsucht oder im ekstatischen Erlebnis der Erfllung. Eros ist (jedenfalls schnell eine positive Antwort finden zu knnen, ist doch dort hufig
seinerIntention nach) immer auf Gegenseitigkeit hin angelegt. Von ihm davon die Rede, da Gott liebt - seien es bestimmte Menschen, alle Men-
gilt: "Mein Freund ist mein, und ich bin sein" (Cant 2,16; 6,3; vgl. auch
7,11).
So sind Agape und Eros deutlich voneinander unterschieden und nicht
zu verwechseln, aber gleichwohl wrden beide zerstrt, wenn sie in einen 12 Die Erinnerung' an den bei Luther durchgngig auftauchenden Dual: "mit
Gegensatz gerieten. Dann bestnde nmlich die Gefahr, da der Eros Lust und Liebe" (so z. B. BSLK 733,15 f.; vgl. auch 730 f.) ist geradezu
verkommt zur Instrumentalisierung des Gegenbers als Mittel zur Ver- unvermeidlich. (Das Register zu den lutherischen Bekenntnisschriften enthlt
wirklichung des eigenen Glcks - und dann htte er mit Liebe nichts mehr leider nur das Stichwort "Lust, bse".) Das erotische Element der Agape
bringt Luther sehr schn zum Ausdruck in einer Predigt ber das Doppel-
zu tun. Und umgekehrt bestnde die Gefahr, da die Agape verkommt zur
gebot der Liebe (Mt 22,34-46): "Fragt nun einer: Was ist doch dies hohe
lustlosen Wohlttigkeit, die auf ihre Weise das Gegenber ebenfalls Gebot der Liebe? Antwort: Es ist, da ich feine Lust hab, williglich und mit
instrumentalisiert als Mittel zur Verwirklichung der eigenen Sittlichkeit- Freuden zu tun, was Gott lieb ist. Welchen ich nun liebhabe, bei dem binund
und htte dann ebenfalls mit Liebe nichts mehr zu tun. wohne ich gern mit allem Wandel und Flei, auch ist alle meine Freude, da
man mir viel Gutes von ihm sagt." (WA 20,510,33-511,14) Das von Herzen
kommende "gerne" taucht hier nicht nur ausdrcklich auf, sondern es ist
11 Auf die Frage, was fr den Menschen gut bzw. das Gute sei, werde ich im auch so anschaulich umschrieben, da gut nachvollziehbar wird, warum ein
Rahmen der Soteriologie (s. u. 14.1.4.1) noch genauer eingehen. quivalent fr "lieben" "gernhaben" ist.
242 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 243

sehen oder die Welt.!3 Diese Formulierungen zeigenzwar, daGott als ein zwischen Eigenschaften und Wesen Gottes wird in dem Satz ,Gott ist
liebendes Wesen vorgestellt wird, aber gerade das steht in einer gewissen Liebe' aufgehoben. Allein die Liebe kann dem Wesen Gottes gleichgesetzt
Spannung zu der Aussage: "Gott ist Liebe". Wenn dies als schlichte werden. Sie ist die einzige Eigenschaft Gottes, welche an die Stelle des
Identittsaussage gemeint wre, dann knnte die Aussage "Gott liebt" Namens Gottes selbst gesetzt werden kann. "15 Wenn dies der Sinn des
offenbar nicht mehr gemacht, jedenfalls nicht mehr im wrtlichen Sinn Satzes"Gott ist Liebe" ist, dann wird mit ihm das Genaueste, Umfassend-
verstanden werden; denn Liebe liebt nicht. 14 ste und Tiefste von Gott gesagt, was wir berhaupt sagen knnen. Dann
Dieser Gedankengang scheint es umgekehrt nahezulegen, den Satz: ist Liebe das, was Gott zu Gott macht (s. 0.2.1.2) - und demzufolge auch
"Gott ist Liebe" als eine hyperbolische Formulierung aufzufassen, diebei von anderem unterscheidet. Alle kreatrlichen Verwirklichungsformen
genauer Interpretation zu reduzieren wre auf die Aussage: "Gott liebt" von Liebe werden dadurch im doppelten Sinn des Wortes relativiert, d. h.
oder: "Liebe ist eine Eigenschaft Gottes" oder" Gott ist der Liebende". von der Liebe selbst, also von Gottes Wesen, unterschieden, aber eben
Aber damit bliebe die Dogmatik nicht nur hinter dem zurck, was die damit auch zu dieser Liebe in Beziehung gesetzt. Wer liebt, ist nicht Gott,
paulinische Formel vom "Gott der Liebe" (11 Kor 13,11) und die aber er "bleibt in Gott und Gott in ihm"; denn er ist "von Gott geboren"
johanneischen Aussagen "Gott ist Liebe" (IJoh 4,7-21) offensichtlich (I Joh 4,16 u. 7), dessen Wesen Liebe ist.
sehr bedacht formulieren, sondern sie bliebe auch zurck hinter Zentral- Gegen diese uneingeschrnkte Gleichsetzung des Wesens Gottes mit
aussagen der reformatorischen Theologie, wie z. B. Luthers Aussagen Liebe knnte eingewandt werden, hier drohe eine gefhrliche Engfhrung
ber Gott bzw. die gttliche Natur als "glhender Backofen voller Liebe" und damit Verfehlung des Wesens Gottes, weil auf diese Weise Gott
(WA 10 III 56,2 f. u. 36, 425,2) oder ber Gottes Wesen als "Liebe zu gewissermaen auf Liebe "festgelegt" werde, also auer acht bleibe, da
den Leuten" (WA 36, 424,4). Sowohl bei Paulus und Johannes als auch Gott nicht lieben mu, sondern frei ist zu lieben. Auerdem knnte aus
bei Luther stehen unmittelbar neben diesen Wesens aussagen jedoch sol- einer solchen "Festlegung" mglicherweise menschliche Gleichgltigkeit
che, die von Gott als Liebendem sprechen (11 Kor 9,7; I Joh 4,10 f.; WA oder eine Anspruchshaltung gegenber Gott entstehen. 16 Trotz dieser
36, 423,32 u. 426,32). Wesen und Wirken bilden hier offensichtlich nachvollziehbaren Bedenken erscheint es mir theologisch nicht richtig, die
einen engen, unauflslichen Zusammenhang. Das ist auch nicht verwun- Wesensaussage "Gott ist Liebe" durch die Hinzufgung von "Freiheit"
derlich, weil Liebe als Zuwendung selbst ein Beziehungsgeschehen ist. einzuschrnken; denn Liebe ist wesensmig frei, aber sie ist nicht durch
Deshalb steht hier nicht ein statisches Wesen einem dynamischen Wirken Freiheit begrenzt oder eingeschrnkt. Was ist damit gemeint?
gegenber, sondern deshalb ist das Wesen Gottes, das Liebe ist, selbst Es gehrt zum Wesen der Liebe, frei zu sein, also in Freiheit geschenkt
zugleich sein Wirken. und zuteil zu werden. Unter Unfreiheit und Zwang kann Liebe nicht
entstehen und darum auch nicht gedeihenY Das "von Herzen", das fr
die Liebe charakteristisch ist, ist mit Forderung und Ntigung unverein-
b) Liebe als Gottes Wesen
bar, ja es wird durch sie erstickt und unmglich gemacht. Insofern ist
Mit dem Satz "Gott ist Liebe" ist mehr gesagt, als da Gott nur die Liebe wesensmig frei. Aber die Freiheit, von der hier die Rede ist, ist
Eigenschaft der Liebe oder des Liebens zukommt. Mit Ebeling lt sich eben nicht Freiheit von der Liebe, also eine Freiheit zum Ha oder gar
(im Anschlu an Schleiermacher) sagen: "Die strenge Unterscheidung
15 Ebeling, G., Schleiermachers Lehre von den gttlichen Eigenschaften (1968),
13 Ohne Anspruch auf Vollstndigkeit seien hier genannt: Dtn 4,37; 7,8 u. 13; in: WuG II, S. 340.
10,18; II Sam 12,24; II ehr 2,10; Ps 91,14; 146,8; Jes 48,14; 63,9; Jer 31,3; 16 Dieser letzte Gedanke ist offenbar ein Hauptmotiv fr K. Barth, in der
Dan 9,23; Joh 3,16; 10,17; 14,21 u. 23; 15,9; 16,27; 17,23-26; Rm 9,13; Gotteslehre dem Begriff "Liebe" fl~n der "Freiheit" an die Seite zu setzen (KD
II Kor 9,7; Eph 2,4; I Joh 4,10 f. 1II1, S. 288 ff.). Ich habe mich damit ausfhrlicher auseinandergesetzt in der
14 Das hierin liegende Problem wird - leider sehr knapp ~ angedeutet in Jllgels Arbeit "Sein und Gnade", Berlin 1975, S. 46-69.
Aussagen: "Liebe geschieht nicht ohne Liebende. Der Satz ,Gott ist Liebe' 17 Das schliet nicht aus, da um eines geliebten Gegenbers willen u. U.-
impliziert den anderen: Gott liebt" (Gott als Geheimnis der Welt, S.505, insbesondere dort, wo dies nicht erkennen kann, da ihm Gefahr droht - auf
hnlich S. 448 f.). Das Bedauern ber die Knappheit soll aber nicht verdecken, Zeit Zwang ausgebt und Freiheit beschrnkt werden kann. Das ist fr die
wie nahe meine eigenen berlegungen zum Gottesverstndnis denen von Liebe aber stets ein opus alienum, das im Dienste des opus proprium stehen
Jllgel sind und an wievielen Stellen ich von ihm gelernt habe. mu.
244 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 245

zur Gleichgltigkeit, sondern es ist die Freiheit (nur) zur Liebe. Von allen mit "Willfhrigkeit", "Freundlichkeit" oder "nett sein" wiedergeben.
endlichen Liebenden mssen wir zwar sagen: Sie sind "frei " auch zur Dementsprechend wird dann von einem lieben oder liebenden Gott oder
Lieblosigkeit. Von der Liebe selbst, die das Wesen Gottes ist, kann das von einem Gott, dessen Wesen Liebe ist, erwartet, da er unsere Wnsche
aber nicht gesagt werden. Sie ist ganz sie selbst - aber im Modus der erfllt, uns vor Unangenehmem bewahrt und unsere Schwchen und Feh-
Freiheit. Liebe braucht, ja sie vertrgt keine Einschrnkung. Sie ist in sich ler grozgig verzeiht. Ein theologisches und kirchliches Reden von Got-
frei. Als solche kann sie mideutet und mibraucht werden. Aber sie hrt tes Wesen als Liebe mu mit solchen Miverstndnissen rechnen und
deswegen nicht auf zu sein, was sie ist. sollte versuchen, sich gegen sie abzugrenzen. Aber inwieweit ist das ber-
haupt mglich?18

8.1.1.3 Die Grenzen des Redens von Gottes Wesen als Liebe b) Die Begrenzung durch andere Begriffe
Nach dem vorigen Abschnitt mag es berraschen, wenn nun doch noch in Es gehrt zu den berraschenden biblischen Befunden, da in den synop-
einem eigenen letzten Abschnitt (mit dem unvermeidlichen und gewollten tischen Evangelien niemals die Aussage "Gott liebt" oder der genitivus
Achtergewicht) Grenzen thematisiert werden. Freilich geht es nicht um subjectivus "Liebe Gottes"19, geschweige denn die Formel "Gott ist Lie-
Grenzen der Liebe Gottes, sondern um Grenzen des Redens von der Liebe be" vorkommt. Man wird daraus schlieen mssen, da die Rede von der
als Wesen Gottes. Und das Nachdenken ber diese Grenzen ist von gro- Liebe Gottes in der Verkndigung Jesu keine, jedenfalls keine bemerkens-
em Gewicht, weil sonst die Gefahr besteht, wesentliche biblische Ein- werte Rolle gespielt hat. Natrlich ist in zentralen Texten (wie Mt 5,43-
sichten fahrlssig zu verflschen und zu verderben. Vier Grenzen, deren 48; 7,11; 18,23-27; 20,1-16; Lk 6,36; 15,1-32; 18,7 f.) von nichts an-
Nichtbeachtung eine solche Gefahr darstellt, sollen hier genannt werden: derem die Rede als von Gottes Liebe, aber - und eben das ist das
Bemerkenswerte - ohne da dieser Begriff oder das Verbum "lieben"
a) Die Begrenzung durch ein auftaucht. Man kann durch diesen Befund freilich zunchst auch die
hermeneutische Vermutung bekrftigt sehen, da auf den Gebrauch eines
verharmlosendes Miverstndnis von "Liebe" Begriffs dann verzichtet werden kann, wenn das mit ihm Gemeinte ver-
standen ist und darum in anderen Begriffen und Bildern ausgesagt werden
Die Wrter einer Sprache haben aufgrund ihrer Geschichte einen "Hof" kann - whrend umgekehrt der hufige Gebrauch eines Wortes oder
oder "Kometenschweif" von Assoziationen und Konnotationen, die man Begriffs auch ein Indiz fr ein Verstndnis-Defizit sein kann. ber diese
weder abstreifen kann noch auer acht lassen. darf, wenn man diese hermeneutische Einsicht hinaus fhrt der synoptische Befund aber zu der
Wrter gebraucht. Das gilt wegen der eingangs genannten Bedeutungs- Frage, ob es andere Begriffe gibt, die geeignet sein knnten, das Wesen
breite, vor allem aber wegen der hohen affektiven Wertigkeit in besonde- Gottes zu bezeichnen. Tatschlich gibt es - wiederum vor allem im
rem Mae fr alle aus dem Wortstamm "lieb-" abgeleiteten Wrter. Vor johanneischenSchrifttum - mehrere Begriffe, die dafr in Frage kmen:
allem die Assoziation des Angenehmen, Wohltuenden und Freundlichen
"Leben" (Ps 36,10; Joh 1,4; 5,26), "Licht" (Ps 36,10; Joh 1,4), "Wort"
verbindet sich in der Regel mit "Liebe", "lieben" und mit allem, was (Joh 1,1) oder "Geist" (Joh 4,24; 11 Kor 3,17). Man sieht schnell, da
"lieb" ist. In diesem Zusammenhang verdient auch die merkwrdige keiner dieser Begriffe eine inhaltliche Alternative zu "Liebe" darstellt.
Tatsache Beachtung, da in der alltglichen, ffentlichen Kommunikati- Vielmehr bieten sie nur unterschiedliche Zugnge zum Reden von Gott
on - wenn berhaupt - meist nicht von" Gott", sondern fast ausschlie- und Gottes Wesen. Nicht in einer inhaltlichen Einschrnkung, sondern in
lich vom "lieben Gott" die Rede ist. Das mag eine Art Beschwrungs- der Unterschiedlichkeit der Zugangsweisen liegt also hier die Begrenzung
formelsein; es ist aber auch eine Verniedlichungs- und Verharmlosungs-
formel die mitzuhren und mitzubedenken ist, Wenn von Gottes Wesen
als Liebe gesprochen wird. Die Behauptung, da Liebe Widerstand lei- 18 Ein Beitrag hierzu soll der fr diese Dogmatik zentrale Gedanke sein, der
besagt: Die (gttliche) Liebe besteht darin, dem geliebten Geschpf so zu
sten, Schmerz zufgen, Leid verursachen, zum Gericht werden kann, wirkt
begegnen, da es selbst zu einem liebenden Geschpf wird (s. dazu u. 14.1.4.1).
demgegenber fremdartig, ja unglaubwrdig. Was im alltglichen Sprach- 19 Die einzige Stelle, an der in den Synoptikern die Formel "Liebe Gottes"
gebrauch als "Liebe" oder "lieben" bezeichnet wird, knnte man hufig vorkommt, nmlich Lk 11,42, meint eindeutig die Liebe zu Gott.
246 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 247

durch andere Begriffe. Diese Begrenzung hebt aber nicht die Tatsache auf, Das alles hebt aber nicht auf, da in der dritten Bedeutung des Wortes
da der Begriff "Liebe" in der christlichen berlieferung eine - verglichen die Angemessenheit von Begriffen nicht nur bejaht werden kann, sondern
mit den anderen Begriffen - einzigartige Wirkungsgeschichte gehabt hat, auch mu. Wenn die Theologie im allgemeinen und die Dogmatik im
weil er offenbar in besonderer Weise geeignet ist, von Gott, wie er sich in besonderen die Aufgabe hat, den Inhalt des christlichen Glaubens gedank-
Jesus Christus erschlossen hat, zu reden. lich zu klren und zu reflektieren, dann ist dafr die begriffliche Arbeit ein
unerlliches Hilfsmitte1.2 In dieser klrenden und reflektierenden Inten-
c) Die Begrenztheit aller Begriffe tion und Funktion bezieht sich die begriffliche Arbeit auch auf die Erzh-
lungen, Lieder und Bilder, die geeignetere Mittel der Beschreibung sind,
Die Beobachtung, da der Begriff "Liebe" in Anwendung auf Gottes aber nicht gefeit sind vor Irrtum und Mibrauch. Deshalb bedrfen auch
Wesen durch andere Begriffe, Worte und Bilder begrenzt ist, fhrt weiter sie der begrifflichen Reflexion und berprfung.
zu der grundstzlichen Frage, ob eine begriffliche Beschreibung dem
Wesen Gottes berhaupt angemessen sein kann. Die Beantwortung die" d) Die Begrenzung durch das Geheimnis des Wesens Gottes
ser Frage hngt vor allem davon ab, was in diesem Zusammenhang
unter "angemessen" zu verstehen ist. Damit knnte dreierlei gemeint Auch wenn die bisher genannten Begrenzungen vollstndig respektiert
sein: werden, gibt es doch noch eine tdliche Gefahr des Redens von Gottes
- Zwischen der begrifflichen Darstellung des Wesens Gottes und dem Wesen als Liebe. Sie besteht in der Meinung, mit dem (so begrenzten)
Wesen Gottes selbst besteht keine erkennbare Differenz. Reden von Gott sein Wesen (doch) erfat zu haben. Diese Gefahr ist
- Begriffe sind die am besten geeigneten Mittel zur Beschreibung des deswegen gro, weil mit dem Satz "Gott ist Liebe" ja nach christlichem
Wesens Gottes. Verstndnis tatschlich etwas ausgesagt wird, was an das Geheimnis
- Begriffe sind brauchbare Mittel zur Beschreibung des Wesens Gottes. rhrt, das Gott ist (s. o. 3.2.2.3). Aber gerade dieses Geheimnis bliebe
verschlossen und entzge sich der Berhrung, wenn man meinte, damit
In den beiden ersten Deutungen ist die Frage nach der Angemessen- entschlsselt oder durchschaut zu haben, wer oder was Gott ist. Man
heit von Begriffen fr die Beschreibung des Wesens Gottes eindeutig zu wrde dann "Gott" gewissermaen auflsen in das eigene Verstndnis
verneinen. Wer eine erkennbare Differenz zwischen den menschlichen von "Liebe" und knnte damit theologisch und pastoral vorzglich han-
Begriffen (und andere haben wir nicht) und dem Wesen Gottes bestritte, tieren. Aber das Wesen Gottes wrde man dabei aus dem Blick verlieren
wrde entweder die menschlichen Begriffe vergttlichen oder Gott zur oder verfehlen. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, durch die Rede von
Kreatur des Menschen machen. Beides ist gleichermaen indiskutabel. dem "Geheimnis, das Gott ist" einen generellen Vorbehalt zu formulie-
Aber auch die These von den Begriffen als den am besten geeigneten ren, der besagen wrde: "Es knnte vielleicht doch alles ganz anders
Mitteln zur Beschreibung des Wesens Gottes lt sich aus hermeneuti- sein". Sondern es geht darum, zu erkennen und anzuerkennen, da gera-
schen und aus theologischen Grnden nicht aufrechterhalten. Hermeneu- de die Erkenntnis des Wesens Gottes als Liebe dann verfehlt wrde, wenn
tisch ist einzuwenden, da gerade dann, wenn Gottes Wesen als "Liebe" man meinte, damit ber Gott Bescheid zu wissen. Von Gottes Wesen
zu beschreiben ist, Begriffe mit Sicherheit nicht die am besten geeigneten knnen Menschen immer nur bestimmte Aspekte und Dimensionen er-
Mittel zur Beschreibung sind. Fr das Beziehungsgeschehen der Zuwen- fassen, aber niemals das Ganze. Und insofern bleibt es ein Geheimnis.
dung, die von Herzen kommt, ist die gelebte Zuwendung selbst ein un- Dieses Geheimnis kann einer Person begegnen, sie anrhren, ihr Leben
gleich geeigneteres Ausdrucksmittel. Theologisch wird dies eingeholt erfassen und bestimmen - dem menschlichen Zugriff wird es sich immer
durch die Einsicht, da nicht der Begriff "Liebe", sondern der Mensch entziehen. Und nur im Wissen darum knnen wir von Gott reden, dessen
Jesus Christus "das Ebenbild seines (sc. Gottes) Wesens" (Hebr 1,3; vgl.
KaI 1,15) ist. Darber hinaus kann man mit guten Grnden die These
20 Dazu als unverdchtiger Zeuge Luther, 1521: "Die Vernunft erfat zwar
vertreten, da die Verbindung von Wort und Musik (z. B. in Chorlen,
nicht, was Gott ist, doch erfat sie ganz gewi, was nicht Gott ist ... Denn was
Motetten oder Kantaten) oder auch bildhafte oder szenische Darstellun- dieser Vernunft offensichtlich widerspricht, widerspricht gewi noch vielmehr
gen umfassendere und darum geeignetere Ausdrucks- und Beschreibungs- auch Gott. Denn wie sollte das der himmlischen Wahrheit nicht widerstreiten,
mittel sind als Begriffe. was der irdischen Wahrheit widerstreitet?" (WA 8,629,26-33).
248 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 249

Wesen Liebe ist. Unter diesem Vorbehalt ist alles zu sehen, was auch in nach, so zeigt sich, da sie letztlich alle einen relationalen Sinn haben und
dieser Dogmatik ber Gottes Wesen und Eigenschaften, ber seine Wirk- auf ein Beziehungsgefge verweisen. Was ist damit gemeint?
lichkeit und sein Wirken gesagt wird. Fragen wir zunchst, worin die vernnftige Natur besteht, die ein
Individuum zu einer Person macht, so knnen wir antworten: darin, da
dieses Individuum sich zu sich selbst verhlt oder sich jedenfalls zu sich
selbst verhalten kann. Es ist in der Lage, ber sich nachzudenken, seine
8.1.2 Die Personalitt Gottes Ziele zu prfen, seine Wnsche zu realisieren oder zu korrigieren etc.
Vorausgesetzt ist dabei jeweils, da das Individuum so verfat ist, da es
Die Frage nach der Personalitt, also dem Personsein Gottes gehrt zu den
sich zu sich verhalten kann. Das verweist auf einen zweischichtigen Vor-
drngendsten und schwierigsten Fragen einer Dogmatik. Drngend ist die
gang2 \ bei dem die eine, grundlegende Schicht vom Individuum als nicht
Frage, weil das biblische, kirchliche und religise Reden von Gott durch
erst hervorzubringen, sondern nur als gegeben angenommen und wahrge-
und durch personal ist, whrend es starke theologische Grnde dafr gibt, nommen werden kann.
Gott nicht als Person zu denken und zu bezeichnen. Was aber geschieht
Aber wie kommt jene grundlegende Schicht, auf der ein Individuum
mit den personalen Aussagen von Gott, vor allem mit den Aussagen ber
konstituiert ist, zustande? Gelegentlich wird die Auffassung vertreten,
sein Handeln, wenn ein personales Gottesverstndnis sich als theologisch
dies geschehe durch die Begegnung mit anderen Personen, genauer: da-
problematisch erweist?
durch, da andere Personen dem Individuum begegnen und es als ein Du
Besonders schwierig ist die Beantwortung dieser Fragen, weil nicht
anreden und nicht als oder wie ein Es behandeln. Bei genauerer Be-
nur das Gottesverstndnis und die Begriffe "Person", "personal" sowie trachtung erweist es sich jedoch als irrefhrend, zu sagen, durch die Ich-
"Personalitt" (vgl. dazu auch u. 12.2.2) je fr sich klrungsbedrftig
Du-Beziehungen werde die Personalitt eines Individuums als Person
sind, sondern weil von dieser Klrung zugleich die Anwendbarkeit
konstituiert. Richtig ist, da die Personalitt in Gestalt des personalen
personaler Kategorien auf Gott abhngt. Deswegen wenden wir uns zu-
Selbstbewutseins durch solche Beziehungen und Begegnungen geweckt
nchst (8.1.2.1) den Begriffen "Person" und "Personalitt" zu, prfen wird. Aber geweckt werden kann nur, was schon (latent) vorhanden ist.
dann ihre Anwendbarkeit auf Gott (8.1.2.2) und reflektieren abschlie-
Personalitt ist nicht durch das Verhalten von Personen konstituiert,
end die Frage nach den Konsequenzen personalen Redens fr ein mnn-
geht auch nicht in solchem personalen Verhalten auf, sondern setzt - als
lich und/oder weiblich geprgtes Gottesverstndnis (8.1.2.3).
Bedingung der Mglichkeit personalen Verhaltens - eine Beziehungs-
struktur voraus, die allem Verhalten vorgegeben ist. Personalitt erweist
sich so als ein allem Verhalten vorgegebenes komplexes Beziehungsgefge
8.1.2.1 Zur Klrung der Begriffe "Person" und "Personalitt" und der Begriff "Person" demzufolge als ein Relationsbegriff, an dem
wenigstens drei Aspekte zu unterscheiden sind:
Der Begriff "Person" ist verbunden mit Eigenschaften wie: wollend, han-
- die Beziehung der Person zu sich selbst;
delnd, frei, bewut, vernnftig, verantwortlich. Je mehr von diesen Eigen-
- die Beziehung der Person zu anderen Personen (und zu Gegenstn-
schaften an einem Wesen wahrgenommen werden knnen, um so weniger
den);
ist zu bezweifeln, da es sich dabei um eine Person handelt. Aber was ist
- die Beziehung der Person zum Ermglichungsgrund ihres Personseins.
das, was mit diesen Eigenschaften umschrieben wird? Ist es - wie die
klassische Definition des Boethius nahelegt - dievernn(tige Natur, die in Im Blick auf jeden dieser drei Aspekte ist es - wie sich zeigte - dann
Gestalt eines Individuums existiert ("rationalis naturae individua sub- noch einmal sinnvoll, zwei Ebenen zu unterscheiden: die ontologische
stantia")? Wichtig und tragfhig an dieser Definition ist jedenfalls die in Ebene, auf der die Person sich in ihrer Selbstbezogenheit, Weltbezogenheit
ihr enthaltene Unterscheidung zwischen der Personalitt, also dem, was und Ursprungsbezogenheit gegeben ist, und die dadurch ermglichte
eine Person zur Person macht, das mit der Formel "vernnftige Natur" Ebene der Selbstbestimmung, auf der eine Person sich zu sich selbst, zu
bezeichnet wird, und der Einzelperson, die "individuelles Wesen" ge-
nannt wird. Klrungsbedrftig ist jedoch das Verstndnis der einzelnen
Begriffe, die in dieser Definition vorkommen. Geht man ihnen genauer 21 Vgl. dazu E. Herms, in: W. HrlelE. Herms, Rechtfertigung, S. 175 H.
250 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 251

ihrer Mitwelt und zu ihrem Ursprung verhlt. Dieses komplexe Bezie- gegeniiberstehende Instanz, also als eine Person denkt, wird dem Wesen
hungsgefge als Ganzes bezeichnen wir als "Personalitt". Und alle Indi- Gottes nicht gerecht.
viduen, die aufgrund ihrer Gattungszugehrigkeit an diesem komplexen Und doch ist damit noch nicht alles und noch nicht einmal das Ent-
Beziehungsgefge partizipieren, bezeichnen wir als "Personen". scheidende gesagt. In dem Beziehungsgefge von "Personalitt" wird
vielmehr der Ort erkennbar, an dem das Reden Von Gott im Zusammen-
hang mit Personalitt unverzichtbar ist. Der Hinweis liegt in der Formel
8.1.2.2 Die Anwendbarkeit personaler Kategorien auf Gott "Ermglichungsgrund ihres Personseins". Er besagt, da die Person sich
nicht selbst setzen, sondern nur als gesetzt annehmen und wahrnehmen
Treten wir von diesen begrifflichen Vorklrungen her an die Frage nach kann. Das Gesetztsein kann aber letztlich auch nicht auf andere Personen
der Anwendbarkeit des Person-Begriffs auf Gott heran, so ergibt sich ein (geschweige denn auf Dinge) zurckgefhrt werden. Der (christliche)
ambivalenter Eindruck: Einerseits legt das christliche Reden von Gott es Glaube spricht im Blick auf diesen Ermglichungsgrund von Gott als der
nahe, von Gott personale Attribute wie Wille, Handeln, Freiheit, Selbst- Alles, also auch die Personalitt von Personen, bestimmenden Wirklich-
bewutsein auszusagen. 22 Gott ist jedenfalls keine Sache, kein Ding, kein keit. Von da aus ist Tillichs Aussage zuzustimmen: ",Persnlicher Gott'
Es, sondern im Kontext des christlichen Glaubens wird von und zu ihm bedeutet nicht, da Gott eine Person ist. Es bedeutet, da Gott der Grund
gesprochen, als sei er ein Du. Andererseits erweist sich das als "Persona- alles Personhaften ist und in sich die ontologische Macht des Personhaften
litt" identifizierte Beziehungsgefge in kaum einem seiner Elemente als trgt." (STh I, S. 283)
direkt anwendbar auf Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit, deren Was aber meint die Formel "Grund alles Personhaften" genauer? Es
Wesen Liebe ist. Zwar kann man von einer Selbstbeziehung Gottes sowie wre ein Miverstndnis, "Grund" hier als "Ursache" zu deuten; denn
von einer Gott-WeIt-Beziehung sprechen, und in der Denkfigur der "causa damit wrde Gott in die Reihe von Ursachen und Wirkungen eingeordnet
sui" lt sich sogar die Rede von der Ursprungsbeziehung sinnvoll auf und de facto doch mit den Wirkungen (in diesem Falle also: mit den
Gott anwenden, aber trotzdem pat all das Gesagte offenbar nicht auf Personen) auf dieselbe Ebene gestellt. "Grund" meint aber auch nicht
Gott. Das problematischste Element von "Personalitt" im Blick auf das "Begrndung"; denn es geht nicht um ein rationales Argument fr die
Wesen Gottes ist die Rede von der "Beziehung der Person zu anderen Existenz von Personen, sondern um die schpferische Wirklichkeit, der sie
Personen". Hier zeigt sich, da im Person-Begriff eine Nebenordnung sich verdanken. Diese schpferische Wirklichkeit ist aber als solche unse~
und Gleichordnung enthalten ist, die fr den Person-Begriff unverzicht- rer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung entzogen. Wir knnen nur
bar ist, ihn aber in seiner Anwendung auf Gott uerst problematisch geschaffene Wirklichkeit wahrnehmen und so erkennen. Freilich: Indem
macht. Daran ndert sich auch nichts, wenn dem Person-Begriff in An- wir geschaffene Wirklichkeit als geschaffene deuten, verstehen wir sie als
wendung auf Gott Adjektive wie "unendlich" oder "absolut" beigefgt Ausdruck der schpferischen Wirklichkeit Gottes und damit zugleich als
werden, um damit Gottes Personsein von der Personalitt aller anderen Hinweis auf ihn.
Personen zu unterscheiden. Die in der Nebenordnung enthaltene Begren- Diese Einsichten haben Konsequenzen fr das Reden von Gott als dem
zung Gottes bleibt auch in der berordnung erhalten; denn in jedem Fall Grund alles Personhaften: Was unserer unmittelbaren sinnlichen Wahr-
stehen der Person "Gott" andere Personengegenber. 23 Gott als die Alles nehmung und begrifflichen Deutung (und damit der berprfbaren Er-
bestimmende Wirklichkeit ist keine solche (begrenzte) Instanz. Ein (the- kenntnis) zugnglich ist, ist die Wirklichkeit von Personen, nicht aber der
istisches) Gottesverstndnis, das Gott als eine solche hchste, der Welt Grund alles Personhaften. Diese Wirklichkeit von Personen verweist aber
auf ihren schpferischen Grund. Von ihm kann deshalb auf zweierlei
22 In diesen Zusammenhang gehren auch die biblischen Aussagen vom "Ant- Weise geredet werden: einerseits tt;flnszendental, d. h. als Bedingung der
litz" und vom "Namen" Gottes.
23 Es ist deswegen kein Zufall, da die altkirchliche Theologie den Begriff
Mglichkeit der Existenz und Selbsterschlossenheit von Personen; ande-
"Person" (griech.: ,;rrp6crwTIov"; lat.: "persona") innerhalb der Trinitts/ehre rerseits metaphorisch als Schpfer der Existenz und Erschlossenheit von
aufgenommen hat. Die sich hier gegenberstehenden Personen sind die drei Personen. Beide Redeformen bilden keinen Gegensatz, sondern ergnzen
gttlichen Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist (s. u. 11). In der Trinitts- sich. Die metaphorische Rede, in der von Gottals von einer Person gespro-
lehre wird aber auch zu prfen sein, ob diese Verwendung des Person-Begriffs chen wird, konkretisiert und veranschaulicht das (fr sich genommen
sinnvoll und angemessen ist. abstrakte) transzendentale Reden. Dieses wiederum przisiert und inter-
252 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 253

pretiert das (fr sich genommen miverstndliche) metaphorische Reden Schlielich sei im Vorgriff auf die Christologie (9) und die Trinitts-
von Gott, und zwar genau dadurch, da es als metaphorisches Reden lehre (11) schon hier darauf hingewiesen, da noch in einem anderen,
bewutgemacht wird. Ja, man knnte sogar davon sprechen, da die Rede konkreten Sinn gilt, da die Aussagen ber Gott die Ebene der Persona-
von Gott als.Person so etwas wie eine potenzierte Metapher sei. 24 Denn litt umfassen: In Jesus Christus, der als inkarnierter Logos mit Gott
nicht nur die (geschpfliche) Kategorie der Personalitt wird hierbei auf wesenseins ist, nimmt Gott menschliche Natur und Gestalt an und wird
Gott bertragen, sondern zugleich der Personbegriff, der eine individuelle insofern zur irdischen Person. Von Jesus Christus kann gesagt werden: Er
Instanz bezeichnet. Aber Gott ist weder Geschpf noch Individuum, dar- ist die gttliche Liebe in Person. Damit ist Personalitt noch einmal in
um enthlt diese Metapher eine zweifache Brechung. neuer Weise in das Wesen und die Wirklichkeit Gottes einbezogen.
Da Gott, dessen Wesen Liebe ist, der Grund alles Personhaften ist, ist
jedoch eine metaphorische Aussage, die sich nicht in eine angemessenere
oder genauere begriffliche Aussage bersetzen lt, zu deren Verstndnis 8.1.2.3 Mnnliche und/oder weibliche
es aber unverzichtbar ist, da sie als metaphorische Aussage verstanden Ausdrucksformen im Reden von Gott
und gebraucht wird. Dabei erweist es sich nun auch in dieser Hinsicht als
erhellend, da Liebe als ein Beziehungsgeschehen zu verstehen ist. Nur von Das Problem, das in diesem Abschnitt angesprochen wird, ergibt sich
einer solchen relationalen und dynamischen Wirklichkeit kann sinnvoller- historisch daraus, da in der christlichen berlieferung von der Bibel bis
weise gesagt werden, sie sei der schpferische Grund alles Personhaften. zur Gegenwart von Gott ganz berwiegend in mnnlichen und nur selten
Zugleich zeigt sich von der inhaltlichen Charakterisierung der Liebe (als in weiblichen Metaphern gesprochen wird. Sachlich stellt sich das Pro-
Zuwendung zu einem Gegenber um dessentwillen) her, dader schpfe- blem aufgrund der Tatsache, da die uns bekannten, endlichen personalen
rische Grund alles Personhaften zugleich die Bestimmung und das Ziel Wesen durchgngig durch die Geschlechterdifferenz von weiblich oder
alles Personhaften in sich enthlt: Erst in der Liebe finden Personen ihre mnnlich geprgt sind. Was folgt daraus fr das metaphorische Reden
Erfllung (s. u. 12.2). Von daher kann gesagt werden, da die Aussage: von Gott als dem schpferischen Grund alles Personhaften? Spielt auch
Gottes Wesen ist Liebe" die beiden Bedingungen erfllt, die hinsichtlich hierfr der Unterschied der Geschlechter eine Rolle? Und wenn ja, in
der Anwendung personaler Kategorien auf Gott gelten: Sie spricht von welcher Weise? Verdienen mnnliche oder weibliche Metaphern den
Gott weder wie von einer Person neben anderen, noch spricht sie von Gott Vorzug? Sind geschlechtsspezifische Metaphern in Anwendung auf Gott
apersonal wie von einem Ding oder einer Sache. Deswegen kann man mglichst berhaupt zu vermeiden?
sagen: Die Aussage: "Gottes Wesen ist Liebe" ist eine die Ebene der Perso- Diese Fragen lassen sich nicht befriedigend beantworten durch den
nalitt umfassende aber zugleich bersteigende, also personale aber nicht (durchaus richtigen und beachtenswerten) Hinweis, Gott und das Wesen
individualistische Aussage25 und entspricht insofern dem Wesen Gottes. Gottes stehe jenseits der Geschlechterdifferenzierung. Denn das Problem
besteht darin, da wir ein solches Jenseits der Geschlechterdifferenzierung
sprachlich nicht mit personalen, sondern nur mit a-personalen bzw.
24 In diese Richtung weist auch die Aussage von Hans-Peter Mller: "insbeson- neutrischen Metaphern ausdrcken knnen, indem wir z. B. Gott als die
dere die personhafte Gottesvorstellung ist deshalb der Uneigentlichkeit einer Tiefe, den Ursprung, den Grund, das Umgreifende, das Sein-Selbst, das
mythischen Metaphernsprache zuzuordnen ... " (Bauen - Bewahren- Mit- Absolute etc. bezeichnen. Gerade das ist aber - wie sich zeigte - zwar
Sinn-Erfllen. Von der Bestimmung des Menschen, in: ZThK 90/1993, S. 246). nicht falsch, zumindest aber unzureichend und deswegen - wenn es als
In der Formulierung "mythische(n) Metaphernsprache" entdecke ich ein einzige Sprachform zugelassen wird - irrefhrend, weil es den Anschein
Analogon zu der Rede von der "potenzierten Metapher", die im brigen erweckt, als fehle dem Wesen Gottes das personale Element. Die sachlich
nicht zu verwechseln ist mit der sog. "khnen Metapher". Fr letztere ist gebotene Verwendung personaler Metaphern beim Reden von Gott bringt
charakteristisch, da ihre Elemente aus weit voneinander entfernten Berei-
chen genommen und miteinander verbunden werden (vgl. dazu H. Weinrich, also die Frage nach der Angemessenheit, mnnlicher oder weiblicher Be-
Semantik der khnen Metapher, in: Deutsche Vierteljahresschrift fr Litera- griffe und Bilder notwendig mit sich.
turwissenschaft und Geistesgeschichte 37/1963, S. 325-344).
25 Diese Formulierung hat den Sinn, die personalen Elemente der Zuwendung, Gottes zusammenzudenken, ohne damit die Beschrnkung und Begrenzung zu
des Whlens, Wollens, Redens, Hrens und Wirkens mit der Wirklichkeit verbinden, die mit den uns bekannten Formen des Personseins gegeben sind.
254 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 255

Aber auch von einer anderen berlegung her ergibt sich diese Frage- damit entsteht eine Nhe zwischen Gott und Mensch, die ber die allge-
stellung: Wird Gott als der schpferische Grund alles Personhaften ge- meinen mnnlichen Metaphern hinaus die spezifisch vterlichen und ins-
dacht, dann mu Gott auch als Grund der fr das Menschsein wesentli- besondere die mtterlichen Metaphern an sich zieht. Insofern besteht
chen geschlechtlichen Differenzierung gedacht werden. 26 Dabei setze ich zwischen den mnnlichen und den weiblichen Metaphern ein Steigerungs-
voraus, da die Unterschiede zwischen Frau und Mann sich nicht reduzie- verhltnis zwar nicht quantitativer, wohl aberqualitativer Art. Von daher
ren lassen auf solche, die biologischer Art oder gesellschaftlich bedingt ist es zu bedauern, da in der Bibel (und in der kirchlichen berlieferung)
sind, sondern da sie hineinreichen in die Anlage und seelische Prgung, die mnnliche Metaphorik so dominiert, da primr dieDistanz zwischen
also in ihr inneres Wesen. 27 Gott und Mensch zur Geltung kommt. Trotzdem wre es problematisch,
In der Bibel taucht dieser Unterschied auf in der hufig vorkommen- als Konsequenz dieser Einsicht die mnnliche Metaphorik generell durch
den metaphorischen Rede von Gott als dem Vater oder Herrn und in der die weibliche ersetzen zu wollen. 3! Durch eine solche Ersetzung ginge
gelegentlich auftauchenden von Gott als Gebrender, als Mutter oder als mglicherweise die lebendige Bewegung verloren, die darin besteht, da
Hausfrau. 28 Das weiblich-mtterliche Element kommt dabei zum Aus- Gott, der als Herr geehrt und gefrchtet wird, die natrliche Distanz
druck in Bildern und Aussagen, die krperliche und seelische Nhe, beh- zwischen sich als dem Schpfer und dem Geschpf aus Liebe und in Liebe
tende und nhrende Frsorge sowie Lebensbegleitung, Zrtlichkeit und berwindet. Auf diese berwindung hat das Geschpf keinen Anspruch.
Trost zum Ausdruck bringen. Das mnnlich-vterliche Element findet Sie versteht sich nicht von selbst. Die Mtterlichkeit Gottes erweist sich
Ausdruck in Bildern und Aussagen, die auf grozgige Gte, verllichen so als der gnzlich berraschende, nicht-selbstverstndliche Ausdruck der
Schutz, ermutigendes Zutrauen, aber auch auf Strenge verweisen. Der liebevollen Nhe Gottes. 32
weiblich-mtterlichen Nhe korrespondiert auf mnnlich-vterlicher Sei~
te ein Element der Distanz. Da die mnnlichen, distanzierenderen Me-
taphern beim biblischen und kirchlichen Reden von Gott berwiegen, hat 8.1.3 Die Eigenschaften Gottes
einen guten Grund: Durch sie wird der Unterschied zwischen Gott und
Geschpf strker betont. "Als weiblich ,gedachter' wrde Gott gerade als Auf dem Weg, der durch die Fragen "Wer ist Gott?" und "Wie ist Gott?"
Ursprung des Lebens als zu menschlich erscheinen. "29 Die mnnliche gewiesen ist, bildet die Beschftigung mit der Lehre von den Eigenschaf~
Metaphorik bringt deutlicher als die weibliche zum Ausdruck, da die ten Gottes einen weiteren Schritt. Dabei sei zu Beginn noch einmal an die
Geschpfe nicht von Natur aus mit Gott wesensgleich sind und auf keinen Einsicht erinnert, die Ebeling im Anschlu an Schleiermacher formuliert
Fall mit Gott gleichgesetzt oder verwechselt werden drfen. hat: "Die strenge Unterscheidung zwischen Eigenschaften und Wesen
Andererseits kann das Neue Testament ganz unbefangen, ja sogar Gottes wird in dem Satz ,Gott ist die Liebe' aufgehoben" (s. o. 8.1.1.2).
betont unter Aufnahme weiblicher Metaphorik davon sprechen, da die Dieser Satz bildet so etwas wie eine Richtungsangabe fr das folgende.
Glaubenden als Gottes Kinder aus Gott geboren sind. 3D Damit wird gera- Ging es in Abschn. 8.1.1 darum, Liebe nicht (nur) als Eigenschaft, son-
de das, was nicht von Natur aus gilt, durch den Glauben wirklich, und dern als das Wesen Gottes zu denken, so geht es nun darum, die Kon-
sequenzen dieser Erkenntnis fr die Lehre von den Eigenschaften Gottes
26 In diese Richtung ist K. Barth besonders weit gegangen mit seiner These, "das zu bedenken. Aber ist eine solche Eigenschaftslehre berhaupt ntig? Ist
gottebenbildliche Wesen des Menschen (bestehe) ... schlicht und geradezu in mit dem Satz "Gottes Wesen ist Liebe" nicht alles gesagt?
seiner Existenz als Mann und Frau" (KD IIIIl, S. 219).
27 Vgl. Helmut Barz, Mnnersache. Kritischer Beifall fr den Feminismus, Stutt- 31 Abzulehnen ist das Unterfangen, die berlieferten Texte (Bibel Bekenntnisse
gart (1984) 19873 , bes. S. 7-50. Gesangbuchlieder, Gebete) umzuschreiben, sofern dadurch das Glaubenszeug~
28 Neben dem bekannten Wort vom Trsten, "wie einen seine Mutter trstet" nis frherer Generationen, das deren Bewutseinsstand zum Ausdruck bringt,
(Jes 66,13), ist zu verweisen auf Hi 38,29; Ps 123,2; 131,2; Jes 42,14; Hos nachtrglich verflscht wird. Das darf jedoch nicht ausschlieen, da die
11,3 f.; 13,8; Mt 13,33; Lk 13,21 u. 15,8-10. berlieferten Texte in Interpretationen, die wir zu verantworten haben und die
29 So K. Berger, Die Mnnlichkeit Gottes, in: EK 21/1988, S. 713. Die Aussage sich auch als solche zu erkennen geben, in unsere Sprache bertragen werden.
Bergers wre noch prziser, wenn es statt "zu menschlich" hiee: "zu irdisch". 32 In einer Religion, die von einer natrlichen, symbiotischen Nhe zwischen
30 So Joh 1,13; 3,5 f.; Rm 8,15-17; GaI4,5-7; Eph 1,5; I Joh 3,9; 4,7; 5,1,4 u. Mutter-Gottheit und Geschpf ausgeht, mte die Botschaft vom Nahekom-
18; Jak 1,18. men der Gottesherrschaft entweder sinnlos oder geradezu bedrngend wirken.
256 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 257

Tatschlich ist mit diesem Satz implizit alles gesagt, und darum kann gewinnt man rasch den Eindruck, da es sich um (wenigstens) zwei Grup-
nichts, was ber die Eigenschaften Gottes zu sagen ist, dieser Aussage pen von Eigenschaften handelt, die deutlich zu unterscheiden sind. In die
widersprechen oder ihr auch nur etwas anderes hinzufgen. Aber mit ihr eine Gruppe lassen sich Eigenschaften wie Allmacht, Allgegenwart, All-
ist eben nur implizit alles gesagt. Und wenn die Sprache des Glaubens und wissenheit, Ewigkeit, Unvernderlichkeit zusammen()rdnen; in die andere
der Theologie nicht verarmen und verkmmern soll, dann ist es wichtig, Gruppe gehren hingegen Eigenschaften wie Gte, Barmherzigkeit, Ge-
ja notwendig, dieses implizit Gesagte zumindest ein Stck weit zu expli- rechtigkeit, Heiligkeit, Weisheit und natrlich vor allem Liebe. 33 So plau~
zieren. Damit wird etwas von dem inneren Reichtum des Wesens Gottes sibel diese Unterscheidung wirkt, so schwierig ist es - wie auch ein Blick
sichtbar, der sonst verborgen und unbedacht bliebe. Von der dabei vor- in die Theologiegeschichte zeigt3 C , Kriterien zu nennen, anhand deren
ausgesetzten Einheit und Unterscheidbarkeit der Eigenschaften Gottes diese Unterscheidung und Einteilung vorgenommen wird. Lassen sich aus
soll zunchst (8.1.3.1) die Rede sein, bevor in zwei weiteren Abschnitten der Einsicht, da es sich um Eigenschaften der gttlichen Liebe handelt,
(8.1.3.2 u. 3) die so differenzierten Eigenschaften selbst expliziert werden. solche Kriterien gewinnen?
Dieerste Gruppe umfat Eigenschaften Gottes, von denen man sagen
kann, da sie den Menschen (und allen anderen Geschpfen) jedenfalls in
8.1.3.1 Einheit und Unterscheidbarkeit dieser Zeit und Welt gndig vorenthalten sind, da sie auch den Lieben-
der Eigenschaften Gottes den nicht zuteil werden und darum von ihnen weder angestrebt werden
sollen noch knnen. Sie sind Gott vorbehalten. Nach ihnen zu streben,
Das bisherige Nachdenken ber das christliche Gottesverstndnis basierte stellt eine fr den Menschen gefhrliche Versuchung dar. Von diesen
auf der Erkenntnis, da Gottes Wesen Liebe ist. Schon von daher drngt Eigenschaften gilt: Weil sie fr Gott, dessen Wesen Liebe ist, gelten,
es sich geradezu auf, den Gedanken zu wagen, alle Eigenschaften Gottes darum nicht fr uns (auch nicht als Liebende).
seien Eigenschaften seines Wesens, also Eigenschaften seiner Liebe. Die- Die zweite Gruppe umfat hingegen Eigenschaften, die den Menschen
ser - im Vergleich mit der theologischen Tradition ungewohnte - Denk- in dieser Zeit und Welt gndig zugedacht sind, ihnen also zuteil werden
ansatz legt sich aber nicht nur von den Aussagen ber das Wesen Gottes knnen und darum auch erstrebt, besser: erbeten und erhofft werden
her nahe, sondern ebenfalls von den Aporien her, in die man sich unwei- knnen und sollen. Sie sind nicht Gott vorbehalten, sondern teilen sich
gerlich verstrickt, wenn man Eigenschaften wie z. B. Allmacht, Allwissen- mit. Von diesen Eigenschaften gilt: Weil sie fr Gott, dessen Wesen Liebe
heit und Allgegenwart abstrakt, d. h. ohne konstitutive Bezugnahme auf ist, gelten, darum auch fr uns (als Liebende).
das Wesen Gottes zu denken und zu bestimmen versucht. Demgegenber Von daher lt sich sagen: Die erste Gruppe umfat die Eigenschaften,
soll hier der Versuch unternommen werden, die Eigenschaften Gottes in denen der kategoriale Unterschied zwischen der Liebe und den Lieben-
konsequent als Eigenschaften seiner Liebe zu denken. D. h., sie sollen den (und damit zwischen Gott und Mensch) zum Ausdruck kommt. Die
verstanden werden als Konkretisierungen, Spezifizierungen und Qualifi- zweite Gruppe umfat dagegen die Eigenschaften, in denen die reale
zierungen der gttlichen Liebe. Verbundenheit zwischen Liebe und Liebenden (und damit zwischen Gott
Dieser Denkansatz erlaubt es auch, die Vielzahl mglicher gttlicher und Mensch) ihren Ausdruck findet. Diese Unterscheidung35 wird in den
Eigenschaften zusammenzudenken mit der Einheit seines Wesens. D. h. beiden folgenden Abschnitten vorausgesetzt.
aber auch: Die Unterscheidungen, die mittels der Eigenschaftenlehre ge-
troffen werden, haben den Charakter blo formaler, nicht materialer
Distinktionen; sie sind also bloe Unterscheidungen, keine Trennungen.
Dabei ist die Anzahl mglicher Eigenschaften Gottes grundstzlich unbe- 33 In einer mglichen dritten Gruppe knnten z. B. Einheit und Einzigkeit
zusammengefat werden.
grenzt. Deshalb gibt es keinen "abgeschlossenen Kanon" gttlicher Eigen-
34 S. z. B. O. Weber, Grundlagen der Dogmatik I, S. 464 f.
schaften. Im folgenden beziehe ich mich auf die Eigenschaften, die in 35 In ganz hnlicher Weise unterscheidet J. A. Quenstedt (Theologia didactico-
Bibel, Bekenntnis, Frmmigkeits- und Theologiegeschichte eine herausra- polemica, [1685] 16912 , Bd. I, Kap. 8, S. 293) zwischen den Attributen, die
gende Rolle gespielt haben und immer noch spielen. Gott allein zukommen, und denen, die von Gott und den vernnftigen Krea-
Wirft man auch nur einen oberflchlichen Blick auf die Eigenschaften, turen zugleich ausgesagt werden (knnen). Den Hinweis auf diesen Text
die in der christlichen berlieferung Gott zugesprochen worden sind, so verdauke ich meinem Kollegen Th. Mahlmann.
258 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 259

8.1.3.2 Die Eigenschaften, die den kategorialen Unterschied ten des Wesens Gottes, also seiner Liebe verstehen.J9 Dann stehen diese
zum Ausdruck bringen Begriffe fr die Macht und Wirksamkeit, durch die Personen ihr Dasein
als Personen erhalten, die sich ihnen als Personen zuwendet, damit sie _
a) Gottes Allmacht und Allwirksamkeit in Freiheit! - aus der Liebe leben knnen. 4o Der Glaube an Gott als den
Allmchtigen bzw. an die Allwirksamkeit Gottes besagt unter dieser Vor-
Die Rede von Gott als dem Allmchtigen ist nicht nur durch die biblischen aussetzung dreierlei:
Schriften vorgegeben 36 , sondern auch im kirchlichen Bekenntnis an her-
ausragender Stelle verankert. 37 Aber der Begriff "Allmac~t" wir.ft immen- - Der Grund nicht nur alles Personhaften, sondern alles Seienden ist
se denkerische Probleme auf. Versteht man - was nahelIegend Ist - unter seinem Wesen nach Liebe. D. h. Liebe ist die schpferische Macht, die
"Allmacht" unbegrenzte Macht, also ein Alles-Knnen, dann. stell~ sich alles ins Dasein ruft. Dieser Satz wird in der Schpfungslehre (s. u. 12)
unweigerlich die Frage, ob ein allmchtiges Wesen auch seme elg.ene noch zu entfalten und im Blick auf mgliche Miverstndnisse und
Macht einschrnken oder aufheben kann. Gleichgltig, ob man diese Einwnde zu bedenken sein. Wenn dieser Satz aberwahr ist, dann hat
Frage bejaht oder verneint - in jedem Fall lst sich der s~ verstandene jedes Geschpf einen Eigenwert. Geschaffen sein heit dann Bejaht-
und Gewolltsein.
Begriff "Allmacht" auf. Soll der Begriff berhaupt (the~log.lsch) ve~en
det werden knnen, so mu "Allmacht" offenbar als eme IrgendwIe be- - Es gibt letztlich keine Macht, die grer wre als die Liebe. In ihrer
grenzte Macht und Fhigkeit gedacht werden. Eine solche Gre~ze bildet ganzen Wehrlosigkeit und Gewaltlosigkeit ist Liebe die grte Macht,
z. B. die Wirklichkeit und das Wesen Gottes selber. Aber stellen nIcht auch weil nur sie die Macht der Lieblosigkeit, der Angst und des Todes zu
die Gesetze der Logik und die Naturgesetze solche Grenzen dar - auch berwinden vermag. Mit dieser Gewiheit steht und fllt der christli-
oder gerade dann, wenn sie als von Gott geschaffene Gesetze gedacht che Glaube. Deshalb kann er die Rede von Gottes Allmacht nicht
werden?38 Aber das Reden von Gott als dem Allmchtigen und All- preisgeben. Die Allmacht Gottes als die Allmacht seiner Liebe verbie-
wirksamen stt nicht nur auf solche denkerischen Schwierigkeiten, son- tet, nein: sie erspart es uns, im Blick auf uns selbst oder irgendeinen
dern es ist auch geeignet, gefhlsmige Reaktionen hervorzurufen, die anderen Menschen endgltig zu resignieren.
mit dem christlichen Glauben nur schwer oder gar nicht vereinbar sind: - Kein Mensch, auch kein Liebender hat diese Allmacht. Weil die Eigen-
das Gefhl, als Geschpf kleingemacht und niedergedrckt zu werden, schaft der Allmacht nur der Liebe selbst, aber nicht den Liebenden
einer geradezu gewaltttigen bermacht ausgeliefert zu sein. Fer~er wohnt zukommt, sind die Liebenden untereinander verbunden zur Gemein-
den Begriffen "Allmacht" und "Allwirksamkeit" eine bedenklIche Ten- schaft der fragmentarisch Liebenden, die auf dem Weg von der Liebe
denz in Richtung auf ein deterministisches Wirklichkeitsverstndnis inne. her und zur Liebe hin unterwegs sind. Diese Erkenntnis bewahrt die
Hierbei wird die bermacht Gottes dann nicht so sehr als gewaltttig, Liebenden vor Idealisierungen und (Selbst-)berforderungen, die fr
sondern eher als mechanisch empfunden. Gemeinsam ist diesen Reaktio- ihre Liebe tdlich wren.
nendas Gefhl, da neben (oder richtiger: unter) einem allmchtigen,
allwirksamen Gott kein Raum bleibt fr ein personales Geschpf, ge- b) Gottes Allwissenheit
schweige denn fr eines, das sich frei entfalten knnte. .., .
Ein ganz anderes gedankliches Bild und a~dere ge~hlsm~lge Em- Der (abstrakte) Begriff "Allwissenheit" scheint weniger spannungsvoll
drcke entstehen, wenn wir Allmacht und AllwIrksamkeit als Elgenschaf- und aporetisch zu sein als die Begriffe "Allmacht" und "Allwirksamkeit" .
Denn "Allwissenheit" enthlt in sich nicht den latenten Widerspruch, wie

36 Z. B. Gen 17,1; 28,3; 35,11; 49,25; Ex 6,3; Hi 5,17 u. 0.; Ps 68,15; 91,1; 39 In diese Richtung weist auch die Arissage ]ngels: "Gottes Allmacht ist ... als
II Kor 6,18; Apk 1,8 u. o. . , die Macht seiner Liebe zu verstehen. Nur die Liebe ist allmchtig" (Gott als
37 So z. B. zweimal im Apostolicum, im Nicaenum, Athanaslanum und m CA 19. Geheimnis der Welt, 5.26). Ebenso Pannenberg, 5Th I, 5.456. ]ngel und
38 Auch der in Schrift und Bekenntnis seltener vorkommende Begriff der "All- Pannenberg ziehen hieraus allerdings keine weitergehenden Konsequenzen
wirksamkeit" ist nur mit einer Begrenzung theologisch akzeptabel: Gott wirkt fr das Verstndnis der (brigen) Eigenschaften Gottes.
nicht die Snde (CA 19 in Verbindung mit Apo119; vgl. auch BSLK 770,35 f.; 40 Hier ist zu erinnern an die Einsicht (s. o. 8.1.1.2 a), da Zwang, Unfreiheit,
771,35-38; 856,48-52 u. 865,12-18). Ntigung mit dem Wesen der Liebe unvereinbar sind.
260 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 261

er in "Allmacht" steckt, d. h., "Allwissenheit" ist widerspruchsfrei denk- Allw~ssenheit erst dann, wenn sie als Eigenschaft des Wesens Gottes also
bar. Zwar gibt es Gegenstnde des Wissens, die nur als unendlichege c als EIgenschaft seiner Liebe verstanden wird. '
dacht werden knnen, und dazu gehrt z. B. das umfassende Wissen, das Auch hieraus lassen sich drei Einsichten gewinnen:
auch das Wissen um sich selbst usw. einschliet, aber im Blick auf ein
seinerseits unendliches Erkenntnissubjekt stellt auch ein solches unendli- - W~r~~ic~~s ~rken~en ist nur mglich als liebendes Erkennen. Das gilt
ches Wissen durchaus eine Denkmglichkeit dar. pnma~.fr .dIe Be~Iehung zwischen Menschen, aber in analoger Weise
Freilich erheben sich von dem in 8.1.2 Gesagten her Bedenken schon auc~ fur ~Ie BeZIehung zu Tieren und Pflanzen und vielleicht sogar
gegen die Anwendung des Begriffs "Erkenntnissubjekt" auf Gott, wenn darub~r hmaus..Da man nur mit dem Herzen gut sieht (Exupery), ist
dies nicht in (potenziert) metaphorischem Sinn verstanden wird. Sowohl zwar mcht beweIsbar, aber erfahrbar. 41 Dabei geht es nicht darum das
die dabei vorausgesetzte Gegenberstellung (und wechselseitige Begren- Sehen der Augen und die Erkenntnis des Verstandes geringzuachten
zung) von Erkenntnissubjekt und -gegenstand, als auch die im Erkenntnis- oder abzuwerten, sondern sie in den Gesamthorizont des liebenden
oder Wissensbegriff enthaltene Weise, wie der Gegenstand dem Subjekt E~kennens einzubeziehen und ihnen darin ihren Platz zuzuweisen.
gegeben und erschlossen ist (s. o. 7.1.1), lassen sich nicht im direkten, Liebe erkennt in der Tiefe. Entgegen der sprichwrtlichen Annahme
eigentlichen Sinn auf Gott anwenden. Gottes "Erkennen" und "Wissen" n:ac~t die Li~b~, die das Wesen Gottes ist, nicht blind, sondern hell-
ist von allem irdisch-menschlichen Erkennen und Wissen qualitativ (oder SIchtI~. I?am~t Ist freilich nicht die berwachende, ausspionierende
sogar kategorial?) unterschieden. Das kommt im Begriff "Allwissenheit" Hells~chtIg~~I~ gemeint, die das Gegenber unter Kontrolle bringen
nicht zum Ausdruck, ist aber in ihm enthalten, wenn mit ihm eine Eigen- u~d sIch gefugIg.machen will, sondern die zugewandte Hellsichtigkeit,
schaft Gottes bezeichnet werden soll. dIe me~ und TI~feres am Gegenber wahrnimmt, als dieses mgli-
Ein weiteres Problem wird sichtbar, wenn man den Begriff "Allwis- ch.~r~eIse .von sIch selbst wei. So erkennt Liebe Entwicklungs-
senheit" auf die zeitliche Dimension, insbesondere auf die Zukunft be- moghchkeIten, wo andere nur Zerstrung, Beschdigung oder Lh-
zieht. Wenn Gott als der Allwissende das Zuknftige jetzt (ja von Ewig- ~ung sehen (prod:rktiver ~spekt der Erkenntnis!). Freilich gehrt zu
keit her) schon wei, dann kann die Zukunft nicht anders sein bzw. dIesem Erkennen m der TIefe auch ein genaueres, abgrndigeres Er-
werden, als Gott sie wei. Die Zukunft erscheint dadurch als festgelegt, ~ennen der Angst, Lieblosigkeit oder gar Liebesunfhigkeit des Gegen-
wobei nicht notwendigerweise gelten mu, da sie durch Gottes Wissen ubers. Aber auch diese Erkenntnis wendet sich - als Erkenntnis der
festgelegt ist, wohl aber in Gottes Wissen. Doch auch damit wird eine Liebe - nicht gegen den andern, sondern steht im Dienst der Zuwen-
Tendenz zu einer deterministischen Sicht der Wirklichkeit erkennbar. Das d:r ng u~ sei~etwi1len. Darum - und letztlich nur darum - hat es guten
gilt freilich nur, wenn das auf die Zukunft bezogene Wissen so verstanden Smn,.dIe qualende Frage: "Wer bin ich (wirklich)?" mit Bonhoeffer42
wird wie das Wissen, das sich aufVergangenes oder Gegenwrtiges, also letztlIch dem Gott zu berlassen, dessen Wesen Liebe ist.
auf Geschehenes oder Geschehendes bezieht. Der gedankliche Ausweg, - Kein Mensch, auch kein Liebender ist allwissend. Selbst Liebende die
da die Zukunft (von Gott) nur als Zukunft, also als ein Inbegriff von einander i.n. der :riefe e~kennen, wissen voneinander nicht alles. J~, es
Mglichkeiten (als Geschehen-Knnendes) gewut wird, lst dieses Pro- ~haraktensIert SIe als Liebende, da sie bereit sind, das Geheimnis, das
blem und vermeidet den latenten Determinismus, rckt aber "Allwissen- Jeder Mensch (letztlich sogar jedes Geschpf) ist, zu achten zu hten
heit" in die Nhe der Art und Weise, wie auch Menschen um die Zukunft u~d zu schtzen. Whrend wir uns von der Liebe umfassend erkannt
wissen knnen. WIssen drfen, ist alles menschliche Erkennen notwendigerweise frag-
Auch beim Begriff "Allwissenheit" kommen zu den gedanklichen
Schwierigkeiten gravierende gefhlsmige Probleme. Der Gedanke, da
Gott alles wei, bt auf viele Menschen eher eine beunruhigende und 41 !"lier ist noch einmal zu erinnern an'das, was in 7.1.4 ber das Erkenntnis-
bedrckende als eine trstliche Wirkung aus. Vermutlich verbindet sich mter.esse des christlichen Glaubens und dessen grundlegende Ausrichtung am
damit in vielen Fllen seit der Kindheit ein Gefhl des berwacht- und verbmdenden Erkennen gesagt wurde.
Kontrolliertwerdens, des Ausgeliefert- und Entbltseins, mit dem sich 42 Widerstand und Ergebung, NA 1985, S. 381 f. Die Schluzeilen des dort
abgedruckten Gedichtes "Wer bin ich?" lauten: "Wer bin ich? Einsames
eher dmonische als gttliche Assoziationen verbinden. Zu einer Eigen-
Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich Dein bin ich
schaft des Gottes, der sich in Jesus Christus erschlossen hat, wird die o Gott!" (a.a.O., S. 382). "
Gottes Sein
Gottes Wesen und Eigenschaften 263
262

mentarisch. "Jetzt erkenne ich stckweise; dann aber werde ich erken- da sie ihren Ursprung in der Ewigkeit hat, von dieser durchglht wird
nen, wie ich erkannt bin" - heit es bemerkenswerterweise am Ende und in sie einmndet, Ewigkeit also selber Zeit umfngt.
Mit dieser Verhltnisbestimmung von Ewigkeit und Zeit lassen sich
des Hohenlieds der Liebe (I Kor 13,12).
die beiden oben zuerst genannten Deutungen von Ewigkeit so verbinden,
wie das in der klassischen Definition des Boethius der Fall ist: "Ewigkeit
c) Gottes Ewigkeit ist der ganze und zugleich vollkommene Besitz unbegrenzbaren Le-
bens. "43 Damit ist sowohl der Gedanke irgendeiner Begrenzung aus dem
Bei dem Versuch, zu verstehen, was "Ewigkeit" (als Eigenschaft Gottes
Begriff "Ewigkeit" ausgeschlossen, als auch das Auseinanderfallen der
und von daher auch als eschatologisches Hoffnungsziel) meint, begegnen
Ewigkeit in die Zeitmodi der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
wir in der Philosophie- und Theologiegeschichte einer Flle von Inter-
Dadurch, da Ewigkeit als "Besitz"44 des Lebens gedacht ist, ist bereits
pretationsangeboten, die sich nicht ohne weiteres miteinander vereinba-
eine erste inhaltliche Qualifizierung vorgenommen. 45 Aber als Eigen-
ren lassen. schaft des Gottes, der sich in Jesus Christus erschlossen hat, bedarf
Ewigkeit wird z. B. verstanden als Ewigkeit einer weiteren inhaltlichen Qualifizierung, um das unbe-
Unendlichkeit, d. h. als Anfangs- und Endlosigkeit der Zeit; grenzbare Leben Gottes eindeutig von der Ewigkeit des peinigenden Feu-
Gleichzeitigkeit, d. h. als Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und ers (Jud 7), der Prometheus-Qual oder des Sisyphus-Schicksals zu unter-
Zukunft; scheiden. Und diese Qualifizierung ergibt sich dadurch, da (auch)
_ Ursprung der Zeit, d. h. als die Quelle, der die Zeit "entspringt"; Ewigkeit verstanden wird als Eigenschaft des Wesens Gottes, also seiner
Zeitlosigkeit, d. h. als die Wirklichkeit, die von aller Zeitlichkeit frei Liebe. 46
ist. Was folgt daraus fr das Verstndnis der Ewigkeit Gottes?
Whrend bei den ersten drei Deutungen Ewigkeit in einem positiven - Das Wesen Gottes, das Liebe ist, unterliegt keinen Begrenzungen von
Verhltnis zu Zeit gedacht ist, indem sie diese urnfat oder aus sich auerhalb ihrer selbst. Es gibt kein mgliches Vorher, in dem die
heraussetzt, geht die vierte Deutung von einer Entgegensetzung zwischen gttliche Liebe noch nicht wre, noch gibt es ein mgliches Nachher,
Zeit und Ewigkeit aus. Diese Dualitt verweist auf zwei spannungsvolle in dem die gttliche Liebe nicht mehr wre. Aber diese quantifizieren-
Elemente im Zeitbegriff. Einerseits ist in "Zeit" das Element der Dauer den Bestimmungen mssen verstanden werden von der dabei mit-
enthalten, und damit bezeichnet "Zeit" einen Inbegriff von Mglichkei- gedachten qualifizierenden Bestimmung: Liebe istvollkommene Erfl-
ten' andererseits steht Zeit fr Endlichkeit und damit fr die Begrenztheit lung. Deshalb gilt von ihr, da sie nicht nur zu dem (wenigen) gehrt,
und Begrenzung eben dieser Mglichkeiten. Diese Ambivalenz im Ze~t das bleibt, sondern unter den Bleibenden" die grte" ist (I Kor 13,13),
begriff spiegelt sich gewissermaen in den unterschiedlichen Verstndms- weil sie ihren Sinn und Wert vollkommen in sich selbst trgt.
sen von Ewigkeit wider. Whrend das Element der Zeitdauer eine innere - Die gttliche Liebe realisiert sich, indem siezeitliche Gestalt annimmt,
Affinitt zu "Ewigkeit" besitzt, ist das Element der Zeitbegrenzung mit also unter zeitlichen Bedingungen, die sie selbst setzt. Liebe wird
Ewigkeit gnzlich unvereinbar. Gerade das ist es, was der Begriff "Ewig- erfahrbar als Beziehungsgeschehen, fr das es konstitutiv ist, dem
keit" in jeder seiner Deutungen ausschliet. Gegenber Zeit zu geben und Zeit zu gewhren. Geduld und Langmut
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, da die Verbindung von (I Kor 13,4-7) sind darum Weisen, wie sich die Ewigkeit der gttlichen
Zeit mit Begrenzung oder Begrenztheit nichts Ursprngliches, sondern
etwas Abgeleitetes ist. Zwar ist mebare Zeit begrenzte Zeit, und von 43 De consolatione philosophiae V, 6: "Aeternitas .,. est interminabilis vitae
allem, das eine bestimmte Zeit hat, gilt, da es begrenzt ist, aber sptestens tota simul et perfecta possessio."
seit Augustin ist erkannt, da das Wesen der Zeit nicht anhand i?rer 44 Zur Kritik an diesem Begriff s. u. 15.3.4.1.
Mebarkeit erfat werden kann. Diese ist vielmehr etwas Abknftlges. 45 Schon aufgrund dieser Qualifizierung kann die Rede vom "ewigen Tod" nur
Ursprngliche Zeiterfahrung ist die Erfahrung von gewhrter Mglich- mit grten Vorbehalten gebraucht werden.
keit und Dauer. Gerade dies aber verbindet Zeit und Ewigkeit miteinan- 46 Dieser Gedanke findet sich bei Barth: "Die Ewigkeit Gottes ... ist die Souve-
rnitt und Majestt seiner Liebe, sofern diese reine Dauer hat und selber reine
der. Deshalb ist es nicht angemessen, Ewigkeit aus dem Gegensatz zu Zeit,
Dauer ist" (KD 1111, S. 685; hnlich S. 687).
also als Zeitlosigkeit zu deuten, sondern Zeit ist viel eher so zu verstehen,
264 Gottes Sein Gottes Wesen undEigenschaften 265

Liebe konkretisiert. So wie Zwang und Forderung das Entstehen von bleibt, sondern Raum gegeben wirdYUm die Art dieser Gegenwart an-
Liebe verhindern, so ist alles Drngen und jeder planende Zugriff der zudeuten, spricht die christliche berlieferung hufig von Gott als Geist.
Liebe feind. Liebe lt Zeit. Mit seinem Geist und durch seinen Geist ist Gott seinen Geschpfen
- Nicht die Liebenden sind ewig, sondern nur die Liebe selbst ist es. gegenwrtig (s. u. 10.1). Auch hier lt sich sagen: Der Begriff "Geist"
Die Liebenden sind begrenzt und endlich, und sie spren den Schmerz bietet eine erste Nherbestimmung zum Verstndnis der Allgegenwart
der Endlichkeit an nichts so sehr wie am drohenden oder erlebten Gottes. Aber sie reicht fr sich genommen noch nicht aus, um die Allge-
Verlust des geliebten Gegenbers. Deswegen besteht unter den Be- genwart Gottes zu qualifizieren; denn Geist und Gegenwart des Geistes
dingungen der Zeitlichkeit ein unaufhebbarer Zusammenhang zwi- gibt es auch im Blick auf den" bsen Geist" oder"Ungeist" .
schen Liebe und Leiden. Dieser Zusammenhang wird noch einmal Der Verweis auf das Wesen Gottes, das Liebe ist, gibt auch hier erst
ganz anders dadurch sichtbar, da es kein deutlicheres Zeichen der die notwendige zustzliche Qualifizierung, die es erlaubt, "Allgegenwart"
Liebe gibt, als die Bereitschaft, fr einen anderen Menschen den Tod uneingeschrnkt als Eigenschaft Gottes zu denken. Was folgt daraus?
auf sich zu nehmen und damit die Endlichkeit in ihrer ganzen Hrte
zu erleiden, ohne dabei noch etwas fr sich wollen zu knnen (Joh - Allgegenwart Gottes als Allgegenwart der (gttlichen) Liebe besagt,
15,13; Rm 5,8; I Joh 3,16). Die Liebenden sind nicht ewig, aber da und wie Gott in der Welt gegenwrtig und wirksam ist: als das
im Erlebnis der Liebe wird die Transzendierung der zeitlichen Be- Beziehungsgeschehen der Zuwendung zur geschaffenen Welt um ihrer
grenztheit und damit die Anteilhabe an der Ewigkeit fr sie (punk- selbst willen. Liebe gibt Raum zum Leben, zur Entfaltung, zur Frei-
tuell) erlebbar. heit. Das besagt, da es in der Welt keinen von Gott verlassenen Ort
gibt, sondern da jeder Ort dazu bestimmt ist, zur Wohnung der Liebe
zu. werden. Und deswegen kann von Jesus Christus als der "mensch-
d) Gottes Allgegenwart gewordenen Liebe Gottes" tatschlich gesagt werden: "Die Welt ist
durch ihn gemacht" und "Er kam (sc. nicht in die Fremde, sondern)
Wird mit dem Begriff "Ewigkeit" die Beziehung Gottes zur Zeit angespro- in sein Eigentum" (Joh 1,10 f.). Die Welt kann zwar widergttlich,
chen, so wird mit dem Begriff "Allgegenwart" seine Beziehung zum Raum aber sie kann letztlich nicht gottlos werden.
thematisiert. Dabei enthlt der Begriff "Allgegenwart" bereits in sich - Aber da die Welt trotz der Allgegenwart Gottes widergttlich wer-
einen (zweifachen) positiven Bezug zum Raum: Die Beziehung wird be- den kann, ist nun eigens zu bedenken. Auf die beiden zitierten Aussa-
stimmt als Gegenwart, also nicht als Abwesenheit oder Unrumlichkeit; gen aus Joh 1,10 f. folgen die Halbstze: "aber die Welt erkannte ihn
und sie wird mit demAllquantor verbunden, d. h. die Gegenwart ist nicht nicht ... und die Seinen nahmen ihn nicht auf". Die Art des gttlichen
als begrenzt zudenken (s. Ps 139). Von daher legt es sich nahe, den Begriff "Machens" und "Kommens" schliet also das Verkennen und die
"Allgegenwart" als genaue rumliche Entsprechung zum Begriff "Ewig- Ablehnung nicht aus. Das unsichtbare (weil selbst nicht krperliche)
keit" zu interpretieren. Wesen Gottes wird erkennbar durch die sichtbaren (krperlichen)
Bei "Allgegenwart" stellt sich jedoch als zustzliches Problem die Werke der Schpfung (Rm 1,20); aber es kann wegen dieser Mittel-
Frage, wie das Verhltnis der Gegenwart Gottes zur Anwesenheit rum- barkeit auch verkannt werden, indem die Zeichen verwechselt werden
licher Gegenstnde und zum Universum (Weltraum) gedacht werden kn- mit dem, auf das sie verweisen (Rm 1,23). Und weil Liebe in Freiheit
ne. Das Denkmodell des Pantheismus, demzufolge Gottes Wesen als das bejaht werden will, darum kann sie auch zurckgewiesen werden.
Universum durchdringend gedacht wird, tendiert dazu, Gott selbst als Liebe lt Raum auch fr die Verweigerung.
rumliche, krperliche Wirklichkeit zu deuten, die nicht welttranszendent - Nicht die Liebenden sind allgegenwrtig, sondern nur die Liebe ist es.
ist und den Geschpfen keinen eigenen Entscheidungs- und Handlungs- Auch der Schmerz ber die rumliche Trennung gehrt zum Leiden
raum lt, sondern (ebenfalls) zum Determinismus tendiert. .
Gegen die Vorstellung sowohl der punktuellen Gegenwart (Clrcum- 47 Dazu sagt Pannenberg sehr schn: "Die biblischen Aussagen ber das Woh-
scriptive) als auch der im Raum ausgebreiteten Gegenwart (diffinitive~ ist nen Gottes im Himmel sind mir besonders auch darum aufschlureich, weil
sie mit der Unterscheidung des Himmels von der Erde implizieren, da Gott
mit der theologischen Tradition die alles erfllende Gegenwart (repletlve) seinen Geschpfen auf Erden Raum gibt fr ein eigenes Dasein, in seiner
Gottes zu lehren, und zwar so, da damit dem Geschpf nicht nur Raum Gegenwart, aber neben ihm" (STh I, S. 446).
266 Gottes Sein Gottes Wesen und Eigenschaften 267

der Liebenden unter endlichen Bedingungen. Nur im Durchgang durch dem Menschen im besonderen "etwas vorhat", ihn verndern, und zwar
den Tod kann diese Begrenzung definitiv berwunden werden. Darum auf dem Weg zu seiner Bestimmung hin heilsam verndern will. Die
hat nur der durch den Tod hindurchgegangene Christus teil an der Botschaft der Liebe lautet nicht: "Du bist okay", sondern: "Du bist mir
Allgegenwart Gottes. Und seine Gegenwart in Wort und Sakrament ist um Deiner selbst willen wichtig". Die Liebe will- als Gte, Gerechtig~
die Grundgestalt der heilsamen Gegenwart der Liebe Gottes in dieser keit und Treue - beharrlich und verllich das Beste fr das geliebte
Welt (s. u. 14.2.4.2). Die Zusage der Gegenwart Gottes in, mit und Gegenber.
unter diesen Zeichen hat den Charakter einer zuverlssigen Verhei-
ung. Als solche ist sie eine Anleitung dazu, Gottes Allgegenwart in
b) Gottes Barmherzigkeit und Gnade
der Welt zu entdecken und wahrzunehmen.
Die im vorigen Abschnitt angesprochenen Eigenschaften knnen als sym-
metrische oder wechselseitige Eigenschaften bezeichnet werden. Sie haben
8.1.3.3 Die Eigenschaften, die die reale kein einseitiges Geflle. Das kann aber auch miverstanden werden:
Verbundenheit zum Ausdruck bringen
- Einmal knnte es so scheinen, als bestnde zwischen der gttlichen
Whrend bei den Eigenschaften, die den kategorialen Unterschied zwi- Liebe und den fragmentarischen menschlichen Realisierungen von
schen Liebe und Liebenden zum Ausdruck bringen, relative Ausfhrlich- Liebe ein Verhltnis der Gleichrangigkeit (vgl. dagegen I Joh 4,10).
keit geboten war, weil es sich um einen unblichen Interpretationsvor- - Andererseits knnte der Eindruck entstehen, als handele es sich bei der
schlag handelte, kann ich mich hier wesentlich krzer fassen, weil hier Liebe um eine Beziehung auf Gegenseitigkeit (vgl. dagegen Mt
vertrautere Wege beschritten werden. Was bei den vier Eigenschaften 5,46 ff.).
Allmacht, Allwissenheit, Ewigkeit und Allgegenwart jeweils im letzten - Schlielich knnte sich gar der Gedanke einschleichen, Menschen
Absatz betont wurde: Es sind Eigenschaften der Liebe und (darum) nicht htten einen Anspruch auf Gottes Liebe (vgl. dagegen Rm 11,35).
der Liebenden, kann hier entfallen bzw. ersetzt werden durch den Satz: Es Dieses dreifache Miverstndnis wird als solches aufgedeckt und be-
sind solche Eigenschaften, die zugleich Eigenschaften der Liebe wie der wutgemacht durch die Erkenntnis, da Gottes Liebe den Charakter von
Liebenden sind. Und deswegen stehen sie fr die reale Verbundenheit Barmherzigkeit und Gnade hat. D. h.: Sie kann nur als unverdiente Gabe
zwischen Liebe und Liebenden. empfangen werden. Im Blick auf den Menschen als Snder mu sogar
Aus der Flle der Eigenschaften, die hier zu nennen wren, whle ich gesagt werden: Sie kann nur als verwirkte Gabe empfangen werden. Denn
drei Gruppen von jeweils zusammengehrigen Eigenschaften aus, die der Widerstand der Snde richtet sich letztlich gegen nichts anderes als
jede fr sich einen wichtigen Aspekt am Wesen Gottes zum Ausdruck gegen die gttliche Liebe (s. u. 13.1.3.3). Wrde diese Liebe als Reaktion
bringen. auf den menschlichen Widerstand in Gleichgltigkeit oder Ablehnung
umschlagen, so wre dies nicht verwunderlich, sondern "normal". Aber so
a) Gottes Gte, Gerechtigkeit und Treue ist es nicht (s. Thr 3,22 f.). Diese Unbeirrbarkeit und Verllichkeit kann
den Eindruck des Selbstverstndlichen machen, das dem Menschen zu-
Das Gemeinsame dieser Eigenschaften, aufgrund dessen sie hier zusam- steht. Aber dieser Eindruck wird sich nur dort breitmachen, wo ein Mensch
mengefat werden, liegt darin, da sie alle das Wesen der Liebe als noch nicht von der Liebe innerlich angerhrt worden ist. Wer der Liebe
Zuwendung umschreiben. Das wird fr "Gte" und "Treue" unmittel- begegnet, erkennt das Anspruchsdenken als groteskes Miverstndnis des-
bar einleuchten, fr "Gerechtigkeit" jedoch weniger. Tatschlich gilt es sen, was Liebe ist.
nur fr "Gerechtigkeit" im biblischen und reformatorischen Sinn, dem-
zufolge "Gerechtigkeit" als "Gemeinschaftstreue" zu verstehen ist, durch c) Gottes Heiligkeit und Zorn
die Gott den Menschen annimmt und gerecht macht (s. dazu o. 5.3.1).
Die so verstandene Eigenschaft der Gerechtigkeit bringt dabei vielleicht Hier scheint nun doch von dem die Rede zu sein, das eben noch negiert
noch deutlicher als "Gte" und "Treue" zum Ausdruck, da die Zuwen- wurde: vom Umschlagen der Liebe Gottes in "heiligen Zorn" . Die These,
dung der gttlichen Liebe mit dem Geschpf im allgemeinen und mit alle genannten Eigenschaften seien nur Nherbestimmungen der Liebe
268 Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 269

Gottes, ist an diesem Punkt vermutlich am wenigsten plausibel und zu" geliebten Menschen willen gegen alles, was ihm bzw. wodurch er sich
gleich aus sachlichen Grnden am wichtigsten. Denn wenn nicht verant" selbst schadet. "Liebe" ohne solchen heiligen Zorn wre keine echte
50
wortlich gesagt werden kann, Heiligkeit und Zorn seien Eigenschaften der Liebe. Sie wre im besten Fall Freundlichkeit, im schlimmsten Fall
Liebe Gottes, dann liegt ber dem Gottesbild ein Schatten, der geeignet ist, Gleichgltigkeit. Darum gehren die Eigenschaften der Heiligkeit und des
alles zu verdunkeln.. Deswegen mu diese Zusammengehrigkeit etwas Zornes zu dem Wesen Gottes, das Liebe ist.
ausfhrlicher begrndet werden.
Es knnte so scheinen, als sei es ratsam, das sich hier zeigende Problem
dadurch zu umgehen oder auszuschlieen, da man (im Anschlu an 8.2 Gottes Wirklichkeit
Schleiermacher und Ritschl) das Reden von Gottes Zorn ganz vermeidet.
Freilich, selbst wenn man dies - gegen den durchgngigen biblischen Der hinter uns liegende Abschnitt ber Gottes Wesen und Eigenschaften
Befund48 - tte, so bliebe doch das Sachproblem bestehen; denn auf das knnte an vielen Stellen den Eindruck erweckt haben, hier sei von Illusio-
Reden von Gottes Heiligkeit kann unter keiner Bedingung verzichtet nen die Rede, die mit der erlebten Realitt der Welt wenig oder nichts zu
werden. Die Eigenschaft der Heiligkeit ist untrennbar mit Gott verbun" tun haben. Existiert denn berhaupt ein solcher Gott, dessen Wesen Liebe
den. 49 ist? Mte, wenn es ihn gbe,.die Welt nicht ganz anders aussehen als wir
Wenn von Personen, Lebewesen, Dingen oder Ordnungen gesagt wird, sie erleben? In diesen schlichten, aber gerade in ihrer Schlichtheit ~nber
sie seien heilig oder geheiligt, dann heit das: Sie sind mit Gott in Berh" hrbaren Fragen bringen zahllose Menschen einen, vermutlich ihren
rung gekommen und gehren (zu) ihm. In Anwendung auf Gott bezeich- Haupteinwand gegen den christlichen Glauben, ja gegen jeden Glauben
net Heiligkeit seine ehrfurchtgebietende Hoheit. In der Begegnung mit an einen (guten, allmchtigen) Gott zum Ausdruck. Aber auch vielen, die
Gottes Heiligkeit wird der Mensch sich nicht nur seiner Vergnglichkeit, sich als Christen verstehen (mchten), sind diese Fragen und Zweifel
sondern auch seiner Snde bewut (Jes 6,5), die ihn von der Heiligkeit keineswegs fremd, sondern aus dem Herzen gesprochen, auch wenn sie
Gottes trennt. selbst vielleicht nicht wagen, dies so offen auszusprechen und (sich selbst)
Das Gemeinsame von Heiligkeit und Zorn ist dieser unvershnliche(!) einzugestehen. Diesen Einwnden und Anfragen mu sich die Kirche, die
Gegensatz zwischen Gottes Wesen und der Realitt der Snde, wobei T~e.ologie, die Dogmatik stellen, und darum stehen die (religions-
"Heiligkeit" eher die Unvereinbarkeit von beidem, "Zorn" eher die Ver- krItIschen) Infragestellungen der Wirklichkeit Gottes am Beginn dieses
neinung der Snde durch Gottes Wesen bezeichnet. Aber auch im Sinne Abschnitts (8.2.1).
einer solchen Verneinung darf Zorn nicht als - gelegentlich die Liebe Von diesen Infragestellungen her ist dann zu bedenken, was es heit,
durchbrechender - "Affekt" Gottes verstanden werden, sondern ist zu an Gott als Wirklichkeit zu glauben (8.2.2).51
denken als eine Eigenschaft seines Wesens, also seiner Liebe. Wie ist das
zu verstehen? Ich kann keine bessere Antwort geben, als O. Weber sie
formuliert hat: "Der Zorn Gottes kann nur als Gottes wirkliches und 8.2.1 Infragestellungen der Wirklichkeit Gottes
wirksames Nein gegen die Snde verstanden werden. Da aber die Snde
ihrerseits die Abweisung der Liebe Gottes ist ..., so ist der Zorn Gottes Es kann hier nicht darum gehen, die Geschichte der Religionskritik im
nichts anderes als Gottes Liebe, die sich gegen ihre eigene Abweisung Abri darzustellen oder ihre Hauptvertreter zu referieren. Vielmehr geht
kehrt" (Grundlagen der Dogmatik I, S. 483). es darum, einige wesentliche religionskritische Anfragen systematisch zu-
Der Zorn als Eigenschaft der Liebe unterscheidersich radikal von dem
selbstschtigen, gekrnkten Zorn, den wir aus zwischenmenschlichen 50 Das gilt im brigen auch fr zwischenmenschliche Liebe, zu deren Echtheit
Beziehungen kennen und der tatschlich dem Wesen der Liebe wider- es gehrt, zornig zu sein ber alles, was dem geliebten Gegenber schadet.
streitet. Der heilige Zorn bzw. die zornige Liebe Gottes richtet sich um des 51 Vllig illegitim wre es, aus der "Definitions "-Formel: "Gott als die Alles
bestimmende Wirklichkeit" (s. o. 7.1.2.4) abzuleiten, da Gott Wirklichkeit
sei. Eine solche "Ableitung" wrde den grundlegenden Unterschied zwischen
48 Vom "Zorn" bzw. "Zrnen" Gottes ist nicht nur im Alten Testament, sondern Zeichen und dem, worauf sie verweisen, miachten. Die oben genannte For-
auch im Neuen Testament und hier in allen Traditionsstrngen hufig die Rede. mel schliet (als "Definition") nicht aus, da eine solche "Alles bestimmende
49 Symbol hierfr ist das alt" und neutestamentliche Trishagion: Jes 6,3; Apk 4,8. Wirklichkeit" blo erdacht sein knnte, also keine Wirklichkeit wre.
Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 271
270

sammenzufassen die als Kontext des heutigen Redens von Gott wahrge- das Gebet, die Ergebung in Gottes Willen oder den Gehorsam gegen
nommen, ernstg~nommen und (selbst-)kritisch reflektiert wer~en ms- Gottes Gebote.
sen. Drei Argumente sind dabei m. E. von besonderem GewIcht: der Sie ermglicht das Wiedererkennen eigener und fremder Sehnschte,
Illusionsverdacht (8.2.1.1), die naturalistische Antithese (8.2.1.2) und das Hoffnungen und Wnsche, die sich hufig mit dem Glauben an Gott
Theodizeeproblem (8.2.1.3). Diese drei Infragestellungen sind scheinbar verbinden.
schwcher als der bewute Atheismus, der den Anspruch erhebt, den - Sie harmoniert mit der Tatsache, da individuelle und gesellschaftli-
Glauben an die Wirklichkeit Gottes zu widerlegen. Sie sind aber insofern che Leidenszeiten oft mit einem hheren Ma an religiser Praxis
tatschlich strker, als sie sich an Stelle des aussichtslosen Unterfangens verbunden sind als Zeiten des Wohlergehens und der Prosperitt.
eines "negativen Gottesbeweises"52 auf die Kritik der Beg.rndung des Aber was ist mit alledem gesagt? Nicht weniger, aber auch nicht mehr,
Glaubens an Gott richten und damit dem Glauben- und mcht dem Un- als da diese Defizite ein Motiv sein knn(t)en fr die Entstehung des
glauben - die Beweislast aufladen. Glaubens an Gott. Aber es sagt nichts ber die Wahrheit oder Falschheit
der berzeugung, da Gott wirklich ist.54
Auerdem lt sich die Argumentation auch umkehren, wie man
8.2.1.1 Der Illusionsverdacht sptestens aus der Religionskritik Nietzsches lernen kann. Er nimmt-
womglich unbewut - Luthers Gedanken auf, da der Mensch von Natur
Entgegen einer weitverbreiteten Interpretation besagt d~r, bes?nder~ ~on aus nicht wollen kann, da Gott Gott sei, sondern viel lieber wollte, er
S. Freud eindrucksvoll formulierte Illusionsverdacht nzcht, dIe Rehgl.o~ selbst wre Gott und Gott wre nicht Gott55 und gibt ihm die Gestalt:
bzw. der Glaube an Gott sei falsches Bewutsein und deswegen zu krltl~ "wenn es Gtter gbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also giebt
sieren bzw. preiszugeben, sondern er besagt nur, der Glaube an Gott seI es keine Gtter. "56 D. h. aber: Es gibt im Unabhngigkeitsverlangen oder
Wunschdenken. 53 Dabei knnen fr dieses Wunschdenken ganz unter- im Stolz des Menschen ein gutes Motiv, die Wirklichkeit Gotteszu bestrei-
schiedliche Motive geltend gemacht werden: das Leiden an der ~ensch ten. Aber auch dieses Motiv sagt nichts ber die Wahrheit oder Falschheit
lichen Begrenztheit und Unvollkommenheit, die gesellschaftlich pro- der Bestreitung. Freilich: Wenn die Religionskritik das mgliche Motiv
duzierte Verelendung, die infantile Sehnsucht auch des erwachsen~n des Glaubens als Argument gegen seine Wahrheit verwendet, dann schlgt
Menschen nach einer Vatergestalt etc. Gemeinsame Voraussetzung 1st dieses Argument unweigerlich auf sie selbst zurck: Ihr eigenes Motiv
hier immer der Gedanke, da der Mensch (sei es kollektiv, sei es indi'~7i wird dann - ihrer Logik zufolge - zum Argument gegen ihre Wahrheit.57
duell) sich Religion und damit Glauben an Gott schafft, um die SchWIe-
rigkeiten seines Lebens besser ertragen, mgli~hst sogar.berwinden zu
knnen' aber er tut das auf illusionre Weise, mdem er sIch an Wunsch- 8.2.1.2 Die naturalistische Antithese
bildern 'orientiert die er fr Wirklichkeit hlt oder erklrt und sich von
ihnen Hilfe und Rettung verspricht. Aber stimmt die Wirklichkeit tatsch- Die naturalistische Antithese zum Glauben an Gott kommt unter neuzeit-
lich mit diesen Wunschbildern berein? lichen Bedingungen in vielen Spielarten vor. Ihr gemeinsamer Nenner lt
Diese religionskritische Infragestellung der Wirklichkeit Gottes er- sich etwa folgendermaen formulieren: Zur Erklrung der Existenz des
scheint aus mehreren Grnden als plausibel: Universums und aller in ihm vorkommenden Ordnungen, Ereignisse und
_ Sie erklrt nicht nur die mgliche Entstehung des Gottesglaubens aus
einem bestimmten Leidensdruck heraus, sondern sie macht auch zahl-
reiche religise Verhaltensweisen und Praktiken verstndlich, so z. B. 54 Da ein Mensch ein Motiv hat, macht ihn zwar verdchtig, kann aber nicht
die Wahrheits- oder Schuldfrage beantworten.
52 Vgl. dazu meinen Aufsatz ber "Leiden als Fels des Atheismus?", in: FS E. 55 So WA 1,225,1 f., hnlich WA 39 1,48, Th 71.
Wlfel, Marburg 1992, S. 127-143, bes. S. 134-140. 56 Also sprach Zarathustra (1883-85), in: Smtliche Werke. Kritische Studien-
53 Vgl. zum Illusionsverdacht den instruktiven Aufsatz von Th: MaJ:1ma~: Was ausgabe, Bd. 4, Berlin/New York 1980, S. 110.
genau verstand Sigmund Freud unter "IIIusion" oder WIe welt reIcht dIe 57 Diesen Gedanken hat Th. Mahlmann herausgearbeitet in dem Aufsatz: Chri-
Religionskritik?, in: WzM 46/1994, S. 79-101. stentum - an die Wahrheit glauben, in: Solidaritt 43/1993, H. 6/7, S. 14-19.
272 Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 273

Prozesse ist die Hypothese "Gott" nicht erforderlich. All das lt sich Gegenargument ist auch das nicht - zumal wir nicht wissen knnen,
ebensogut (oder besser) durch natrliche Ursachen erklren. wieviele "Fehlversuche" es vor und neben unserem Universum gegeben
Fragen wir wieder zunchst, worin die Plausibilitt dieses Arguments hat, in denen tatschlich niemals Evolution mglich wurde. Auch auf
besteht: dieser Ebene wird es schwerlich zu einer eindeutigen argumentativen
- Die neuzeitlichen Naturwissenschaften haben an zahlreichen Punkten Entscheidung kommen knnen.
erwiesen, da Phnomene, die man sich frher nur als Werk Gottes Die Bedeutung der naturalistischen Antithese fr den Glauben an Gott
vorstellen oder "erklren" konnte, eine ganz natrliche Ursache ha- (und umgekehrt) liegt denn auch an einer ganz anderen Stelle: Die natu-
ben. Warum sollte das nicht fr das Universum generell gelten? ralistische Argumentation kann die Problematik des dabei vorausgesetz-
- Im alltglichen Leben, insbesondere beim Umgang mit der Technik, ten und durch sie in Frage gestellten Gottesverstndnisses sichtbar ma-
rechnen auch Christen offenbar in aller Regel nicht mit einem Eingrei- chen. Zwar knnen naturwissenschaftliche und theologische Aussagen
fen Gottes, sondern mit dem lckenlosen Funktionieren der Naturge- durchaus miteinander in Konflikt geraten, und diesen Konflikt kann die
setze. Auch sie bentigen (hierfr) offenbar die Hypothese "Gott" Theologie weder "auf sich beruhen" lassen noch durch Revierabgren-
nicht. zungen neutralisieren, sondern sie mu ihn.aufnehmen und austragen.
- Das sog. Rckzugsgefecht, bei dem Gott und sein Wirken in den Aber das heit nicht, da Gott die Funktion einer Hypothese haben
Wissenslcken angesiedelt wird, die durch die Forschung noch nicht knnte, die fr die Lsung naturwissenschaftlicher Probleme erforderlich
ausgefllt worden sind, hat offensichtlich etwas Wrdeloses, das mit ist. Tatschlich wre ein solches Gottesverstndnis wrdelos und mit dem
dem Glauben an Gott als die Alles bestimmende Wirklichkeit nicht christlichen Glauben unvereinbar.
oder nur schwer vereinbar ist. Wenn Gott der Grund alles Seienden ist und wenn sein Wesen Liebe
ist, dann sagt das Entscheidendes ber den Ursprung und das Ziel der
Man knnte nun im Gegenzugdarauf verweisen, da die Naturgeset- Welt und des Menschenlebens. Aber das, was es sagt, konkurriert nicht
ze selbst keine Letzterklrungen darstellen, sondern die Frage nach ihrem mit dem und ergnzt nicht das, was wir ber das Wie der Entstehung und
Ursprung wecken, also das Problem nur um eine Stufe verschieben. Frei- Entwicklung der Welt und des Menschen wissen (knnen).58
lich knnte ein Vertreter dieses religionskritischen Arguments denselben
Einwand gegen den Versuch geltend machen, die Naturgesetze aus Gott
abzuleiten und zu erklren. Wird nicht auch damit das Problem nur um 8.2.1.3 Das Theodizee-Problem 59
eine Stufe verschoben? Wenn dem entgegengehalten wrde, Gott sei die
Erstursache und damit auch causa sui, so mte begrndet werden, Die Aussagen des christlichen Glaubens ber die Liebe, Gte, Allmacht
warum das fr Gott behauptet werden kann, aber nicht fr die Natur- und Allwissenheit Gottes lassen das Theodizee-Problem in aller Schrfe
gesetze. Und dieselbe Argumentationskette ergibt sich stets, wenn der empfinden: Wie kann Gott, dem diese Eigenschaften zugesprochen wer-
Gottesglaube mit kausalen Argumenten bestritten oder verteidigt wird. den, die Begrenztheit, das Bse und das Leiden in einer Welt zulassen
Die "Partie" endet remis. Strker scheinen die Argumente gegen den deren Ursprung und Ziel seine Liebe ist? Kann es in diesem Theodizee:
Naturalismus zu sein, die darauf hinweisen, wie absolutunwahrschein- Proze gegen Gott einen anderen Freispruch Gottes geben als den"wegen
lich die Evolution bis hin zur Hervorbringung des Menschen war, so da der erwieseIisten jeder mglichen Unschuld: der Unschuld wegen Nicht-
es rein wissenschaftlich betrachtet als unvernnftig erscheint, die Ermg- existenz" ?60
lichung der Evolution auf "reinen Zufall" zurckzufhren. Paradebei- Durch die obigen Aussagen ber Gottes Wesen und Eigenschaften
spiel fr dieses anti-naturalistische Argument ist die beeindruckende sind jedenfalls alle Auswege zur Lsung des Theodizee-Problems abge-
Tatsache, da nur unter der Bedingung des im Universum tatschlich
herrschenden Verhltnisses zwischen der Gravitation und der starken
58 Dieser Gedanke wird aufgenommen und detaillierter weitergefhrt im Rah~
Kernkraft die Entstehung und Entwicklung des Universums berhaupt men der Schpfungslehre (s. u. 12.1.2).
mglich war. Bei einer auch nur minimalen Abweichung von dem gege- 59 Auch dieses Thema wird noch einmal im Rahmen der Schpfungslehre auf-
benen zahlenmigen Verhltnis - sei es nach oben oder nach unten- gegriffen und dort ausfhrlich behandelt: s. u. 12.3.
wre Evolution berhaupt nicht mglich gewesen. Aber ein zwingendes 60 So O. Marquard, Rechtfertigung, in: Gieener Universittsbltter 1980, S. 82.
274 GbttesSein Gottes Wirklichkeit 275

schnitten, die entweder Gottes Liebe oder deren Allmacht oder Allwis- Der Sinn dieser Frage wre klar und gut verstndlich, wenn in ihr statt
senheit als eingeschrnkt denken und aus dieser Einschrnkung das Vor- von Gott z. B. vom Einhorn oder vom Schneemenschen die Rede wre.
handensein des bels erklren. Aber wie knnte dann Gott und das bel Gefragt wre dann, ob in unserer raum-zeitlichen Welt an irgendeiner
zusammengedacht werden? Diese Frage wird uns noch mehrfach, insbe- Stelle und zu irgendeinem Zeitpunkt Wesen angetroffen, wahrgenommen
sondere in der Schpfungslehre, beschftigen mssen. Aber schon beim und erkannt werden knnen, die die Eigenschaften von Einhrnern oder
Reden von der Wirklichkeit Gottes ist neben dem Verdacht, die Glau- Schneemenschen haben. Wer so nach der Existenz oder Wirklichkeit fragt,
benden seien Opfer ihres Wunschdenkens, und neben der naturalisti- fragt nach etwas Gegenberstehendem, Widerstndigem, in der Welt
schen Antithese, die zur Przisierung des Redens von Gott ntigt, das Begegnendem. 61 In diesem Sinn ist die Frage nach der Existenz oder
Theodizee-Problem als Herausforderung fr den Gottesglauben stets im Wirklichkeit Gottes zu verneinen. Schon die allgemeine Begriffsbestim-
Blick zu behalten. Das ist auch deswegen unabweisbar, weil die religions- mung, derzufolge "Gott" als die Alles bestimmende Wirklichkeit zu ver-
kritischen Einwnde, und hier insbesondere das Theodizee-Argument, ja stehen ist, aber auch die inhaltliche Beschreibung, die besagt, Gottes
nicht nur Anfragen "von auerhalb des Glaubens" sind, sondern dem Wesen sei Liebe, zeigen, da Gott kein individuelles Wesen ist, das es in
Ausdruck verleihen, was immer wieder als Stimme des Zweifels und der unserer raum-zeitlichen Welt gibt - und sei es auch als "hchstes Wesen".
Anfechtung in den Glaubenden selbst laut wird und nach einer Antwort Aber auch die Vorstellung eines hchsten Wesens, das jenseits unserer
sucht. raum-zeitlichen Welt existiert, fhrt in die Irre. Einerseits mte dann
erneut gefragt werden, was in diesem Zusammenhang mit "Existenz"
gemeint ist, andererseits wrde ein solches hchstes Wesen (auch) als
8.2.2 Das christliche Verstndnis der Wirklichkeit Gottes begrenzt, nmlich durch die raum-zeitliche Welt begrenzt und als ihr
gegenberstehend gedacht.
8.2.2.1 " Existenz" und" Wirklichkeit" in Anwendung auf Gott Gleichwohl bleibt das Ausgangsproblem bestehen, nmlich die Frage,
ob wir nur von unserem Fantasieprodukt sprechen, wenn wir von Gott
Wenn Menschen die Existenz oder Wirklichkeit Gottes in Frage stellen sprechen. Soll diese Frage angemessen formuliert werden, so drfen wir
oder sich zu ihr bekennen, dann ist in einer ersten Nherung durchaus dabei nicht hinter die gewonnenen Einsichten ber das Wesen Gottes
verstndlich, was mit solchen Infragestellungen oder Bekenntnissen ge- zurckfallen oder von ihnen absehen. Die Frage lautet also, ob wir nur
meint ist: der Unterschied zu blo Gedachtem (oder blo Gesagtem). So von unserem Fantasieprodukt sprechen, wenn wir von dergttlichen (also
sagen wir von einer erfundenen Gestalt: Es gibt sie nicht; sie existiert nicht, allmchtigen, allwissenden, ewigen, allgegenwrtigen) Liebe sprechen.
oder: sie ist nicht wirklich. Natrlich knnte man auch sagen: Es gibt sie Positiv gefragt: Ist diese Liebe bloe Einbildung oder ist sie (die Alles
nur in der Fantasie (von Schreibenden und/oder Lesenden), oder: sie bestimmende) Wirklichkeit? Hier zeigt sich, da der Begriff "Wirklich-
existiert nur in der Einbildung, oder: sie ist eine blo erdachte Wirklich- keit" offenbar besser geeignet ist als der Begriff "Existenz", um das zu
keit. D. h., man kann die Welt der Gedanken und der Sprache (also der formulieren, was mit der Leitfrage dieses Abschnitts gemeint ist; denn
Zeichen) selbst als eine Welt betrachten, auf deren Elemente die Begriffe "wirklich" ist fr uns all das, was wir voraussetzen und von dem wir
"Existenz" oder "Wirklichkeit" angewandt werden knnen. Aber dann ausgehen, das wir also nicht bestreiten knnen, ohne in einen inneren
mu das ausdrcklich kenntlich gemacht werden: nur in der Fantasie; nur Widerspruch zu geraten. "Wirklich" kann also auch etwas sein, das nicht
in der Einbildung; blo erdacht. als ein Individuum oder Gegenstand existiert, sich uns aber gleichwohl so
Mit diesen weiten Verwendungsweisen von "Existenz" und "Wirk- erschlossen hat, da wir es nur um den Preis der Unwahrhaftigkeit bestrei-
lichkeit" scheint sich das Problem kaum noch beschreiben zu lassen, um ten knnten. So sind z. B. Eigenschaften oder Qualitten, Ereignisse oder
das es hier geht. D. h., das Problem verschiebt sich dann in die mit der Beziehungen, Regeln oder Gesetze wirklich, ohne da wir normalerweise
Partikel "nur" oder "blo" bezeichnete Differenz. Und wenn wir diese sagen wrden, sie existieren. Wenn Gottes Wesen Liebe ist und wenn
Differenz beschreiben wollen, dann mten wir etwa formulieren: Exi-
stiert Gott nur in unseren Gedanken und unserer Sprache oder auch 61 Eine anschauliche und przise Beschreibung dessen, was "Existenz" meint,
unabhngig von unseren Gedanken und unserer Sprache in der durch bietet m. E. Peirce mit seiner Beschreibung der Kategorie der Zweitheit
Gedanken und Sprache bezeichneten Wirklichkeit? (Phnomen und Logik der Zeichen, Frankfurt 1993 2, S. 55).
276 Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 277

Liebe den Charakter eines Beziehungsgeschehens hat, dann wird es von menschlicher Liebe. Aber es darf nicht vergessen werden: Wir reden von
daher plausibel, da die Rede von der "Existenz" dem Sein Gottes un- Gott als der Alles bestimmenden Wirklichkeit. So kostbar die Liebe zwi-
gleich weniger angemessen ist als die Rede von der "Wirklichkeit". 62 schen Menschen auch ist: die Alles bestimmende Wirklichkeit kann sie
Die Fragen: Gibt es Gott? oder: Existiert Gott? verfhren schon durch nicht sein, und wenn sie dazu "gemacht" (also: erklrt) wrde, so wrde
ihre sprachliche Formulierung leicht dazu, die Aufmerksamkeit in die sie mit Sicherheit als das, was sie ist und sein kann, zerstrt.
falsche Richtung zu lenken oder nach der verkehrten Art vonWirklichkeit Die Formulierung der berschrift dieses Abschnitts darf also nicht
Ausschau halten zu lassen. Damit ist eine zweifache Gefahr verbunden: einfach umgekehrt werden. Sie besagt, da die Alles bestimmende Wirk-
Einerseits besteht dann die Gefahr, die Existenz eines "Gottes" zu be- lichkeit Gottes als Wirklichkeit der Liebe gedacht werden mu, und sie
haupten oder zu postulieren, der ein (hchstes) Wesen neben anderen sagt nur von der Alles bestimmenden Wirklichkeit der Liebe, da sie
(endlichen) Wesen wre, und damit fr Gott zu erklren, was weder Gott Gottes Wesen sei. Die Vergttlichung endlicher Verwirklichungsformen
sein noch existieren kann; andererseits ergibt sich die Gefahr, die Wirk- von Liebe ist dagegen mit dieser Formel weder intendiert noch auch nur
lichkeit Gottes, und d. h. Gott als Wirklichkeit zu verkennen, zu berse- vereinbar. Was die Liebe als Wesen Gottes von jeder endlichen Realisie-
hen oder zu bestreiten. rung von Liebe unterscheidet, ist deren schlechthinnige Universalitt. Die
Der Begriff "Wirklichkeit" erweist sich schlielich auch dadurch dem gttliche Liebe grenzt kein Geschpf aus, ja sie richtet sich (positiv) auf
Existenzbegriff in Anwendung auf Gott berlegen, da er auf den Zusam- jedes Geschpf, indem sie ihm sein Dasein und seine Bestimmung verleiht.
menhang von Wirklichkeit und Wirken verweist, ja, die Rede von der Das kann - per definitionem - von keiner endlichen Verwirklichungs-
Wirklichkeit (Gottes) vom Wirken (Gottes) her zu beantworten erlaubt. form von Liebe gesagt werden.
Und von da aus stellt sich die Frage nach der Wirklichkeit Gottes erst in Es ist nun zu bedenken, was es fr das Verstndnis der Wirklichkeit
ihrer ganzen Schrfe. Die Entscheidungsfrage des christlichen Glaubens Gottes besagt, wenn sie als Wirklichkeit der Liebe gedacht wird. Dabei
ist nicht die Frage, ob irgendwo im Universum oder auerhalb desselben werden die im vorigen Unterabschnitt (8.2.1) vollzogenen Abgrenzungen
ein Wesen existiert, das wir "Gott" nennen knnen, sondern ob dieses vorausgesetzt und nicht wiederholt. Die Aufmerksamkeit richtet sich jetzt
Universum und damit auch alles, was in ihm existiert, bestimmt wird von auf die positive Entfaltung dieses Gedankens, und sie mu drei Aspekte
einer Wirklichkeit, deren Wesen Liebe ist. 63 zur Geltung bringen: Als Wirklichkeit der Liebe mu die Wirklichkeit
Gottes so gedacht werden, da von ihr gesagt werden kann: Sie hat den
Charakter eines Ereignisses (a), einer Beziehung (b) und der Verborgen-
8.2.2.2 Die Wirklichkeit Gottes als Wirklichkeit der Liebe heit (c).
Die Frage nach der Wirklichkeit Gottes ist also letztlich die Frage nach der
Wirklichkeit der Liebe. Diese Aussage ist freilich mideutbar und miver- a) Die Wirklichkeit Gottes als Ereignis
stndlich. Sie knnte wirken wie eine identifizierende Gleichsetzung zwi- Liebe geschieht. Das gilt unmittelbar vom leibhaften Vollzug der Zuwen-
schen jeder (fragmentarischen) Verwirklichung von Liebe, die sich zwi- dung zu einem Gegenber. Es gilt aber auch mittelbar und indirekt von
schen Geschpfen ereignet, mit Gott selbst. Damit wre die Frage nach der inneren Zugewandtheit, die die Fhigkeit und die Bereitschaft, also die
der Wirklichkeit Gottes scheinbar durchschlagend beantwortet: Wo Lie- Disposition zur leibhaften Zuwendungdarstellt. Das Moment der Bewe-
be ist, ist Gott, und weil Liebe wirklich ist, ist Gott wirklich. Der Preis gung und des Bewegtseins ist aus der Wirklichkeit der Liebe und damit aus
dieser "durchschlagenden" Antwort wre freilich eine faktische Erset- der Wirklichkeit Gottes gar nicht wegzudenken. Es darf darum auch im
zung des Glaubens an Gott durch den Glauben an das Ereignis zwischen- Kontext dieser "ontologischen" b~rlegungen nicht fehlen.
Im Gegensatz zu allensubstanzoritologischen Vorstellungen vom Sein
62 Zustzlich bleibt aber auch hier zu bedenken, da ein Begriff wie "Beziehungs- Gottes (und der Welt) ist von der biblischen berlieferung her derEreignis"
geschehen" in Anwendung auf Gott metaphorischen Charakter bekommt. charakter der Wirklichkeit Gottes hervorzuheben (Ex 3,14). D. h. zu-
Deshalb ist eine univoke Anwendung relationsontologischer Begriffe und gleich: Die Wirklichkeit Gottes ist nicht statisch, sondern dynamisch zu
Aussagen auf die Wirklichkeit Gottes ausgeschlossen.
63 Die Frage nach der Erkennbarkeit dieser Wirklichkeit hngt also daran, wie
denken, freilich nicht so, als wrde sie durch etwas anderes bewegt oder
sie wirksam wird. Davon soll in 8.3 die Rede sein. gar als wrde sie sich erst zu ihrer Bestimmung hin entwickeln. Gottes Sein
278 Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 279

wird nicht, und deshalb kann es leicht miverstanden werden, wenn von bewegte Beweger",dessen durch sich selbst bewegtes Sein zugleich
Gottes Sein "im Werden" gesprochen wird. 64 Gottes Wirklichkeit ist in sein Wirken ist. Und insofern gilt: Gottes Wirklichkeit ist sein Wirken.
sich selbst Bewegung, sein Sein ist "durch sich selbst bewegte(s) Sein".65 Von da aus wird auch verstndlich, warum das biblische Reden - auch
Dies wird sowohl im Blick auf das Wirken Gottes (s. u. 8.3) als auch im und gerade das Reden Jesu in Gleichnissen - von Gott eine unverkenn-
Blick auf die Trinittslehre (s. u. 11) noch weiter zu bedenken sein. Hier bare Tendenz zur Zukunft hat. Der Glaube redet so von der Wirklich-
sollen zunchst drei Einsichten bedacht werden, die sich aus dem Ereignis- keit Gottes, da er sie immer auch und immer wieder erhofft und nach
Charakter der Wirklichkeit Gottes ergeben. ihr Ausschau hlt.
- Die erste Einsicht bezieht sich auf die Ermglichung der Erkenntnis
der Wirklichkeit Gottes. In Kap. 3 u. 7 (insbesondere in 3.1.2.2 u. b) Die Wirklichkeit Gottes als Beziehung
7.2.2.2) stieen wir bereits auf die Einsicht, da Gotteserkenntnis nur
als mglich gedacht werden kann aufgrund der Selbsterschlieung Wenn Gottes Wesen Liebe ist, dann ist die Charakterisierung als "Ereig-
Gottes. Wird der Begriff der Selbsterschlieung ernstgenommen, so nis" noch zu allgemein und zu unspezifisch; dann mu der Charakter
schliet er das Element des Geschehens ein; Selbsterschlieung hat dieses Ereignisses als Beziehung, also die Wirklichkeit Gottes als Be-
also Ereignischarakter. Wenn es sich dabei aber umSelbsterschlieung ziehungsgeschehen bezeichnet und bedacht werden. Das ist besonders
handelt, dann kann dieser Ereignischarakter der Wirklichkeit Gottes wichtig, aber auch besonders schwierig; denn wir sind gewohnt, Gott als
nicht uerlich sein, so als wrde er nur ein gelegentliches "Handeln" ein hchstes Wesen, aber nicht als Beziehung zu denken. Fr das religise
Gottes beschreiben. Wird Gottes Wirklichkeit hingegen als Ereignis Leben scheint es sogar unverzichtbar zu sein, mit Gott als einem personalen
gedacht, so kann sie auch als sich-selbst-erschlieende :Vi~klichke.it Gegenber zu rechnen, das eine Beziehung zu Welt und Mensch hat, aber
gedacht werden. Gottes Sein ist die Bedingung und Ermoghchung, Ja nicht selbst eine Beziehung ist. Nun sahen wir (s. o. 8.1.2), da von Gott
der Vollzug seiner Offenbarung. nicht im wrtlichen, eigentlichen Sinn gesagt werden kann, er sei eine
- Die zweite Einsicht bezieht sich auf die Erkenntnis der Wirklichkeit Person, wohl aber, er sei "der Grund alles Personhaften".66 Das impliziert
Gottes. Als Ereignis entzieht sich die Wirklichkeit Gottes allen Versu- eine zweifache Relationalitt der Wirklichkeit Gottes: eine interne und
chen, sie zu be-greifen, zu er-fassen, sie also durch Begriffe oder Bilder externe:
fest-zu-halten. Greifen, fassen, halten lt sich hier gar nichts. Was
Gottes interne Relationalitt, von der im Rahmen der Trinittslehre
hingegen mglich ist, ist ein Ergriffen-, ein Erfat- und ein Gehalten-
(s. u. 11) noch genauer die Rede sein mu, ergibt sich aus der Einsicht,
werden durch die Wirklichkeit Gottes. Das will dann auch erkannt,
da Gottes Wesen Liebe ist; denn Liebe ist ihrem Wesen nach Bezie-
bedacht und bezeugt werden. Aber alles Denken und Reden ist gegen-
hung. Wird diese Beziehung als die Alles bestimmende Wirklichkeit
ber dem Ereignis der Wirklichkeit Gottes nachgngig und darum in
gedacht, dann mu der letzte Grund der Wirklichkeit selbst den Cha-
keinem Fall mit ihm gleichzusetzen oder zu verwechseln. Erkennt die
rakter einer Beziehung haben. Dagegen erhebt sich der Einwand, eine
Theologie den Ereignischarakter der Wirklichkeit Gottes, so mu sie
Beziehung sei nur mglich zwischen (wenigstens) zwei Bezugspunkten
sich selbst als theologia viatorum verstehen.
oder Beziehungspartnern. Aber was konstituiert diese Partner einer
Die dritte Einsicht betrifft den Zusammenhang von Gottes Wirklich-
Liebesbeziehung? Als Partner der Liebesbeziehung werden sie durch
keit und Gottes Wirken. Hat Gottes Wirklichkeit Ereignischarakter,
nichts anderes konstituiert als durch die Beziehung der Liebe selbst:
so verschwindet das grundstzliche und grundlegende Problem, wie
nmlich als Liebende und Geliebte. Whrend dabei aber von der
ohne Eintragung zeitlicher Elemente in das Sein Gottes gedacht wer-
menschlichen Liebe gilt: "Sie findet das Liebenswerte vor", d. h., die
den kann, da Gott wirkt. Der Gott, dessen Wesen Liebe ist, ist "der
Beziehung ist ihrerseits konstituiert durch Eigenschaften der Partner,
gilt von der gttlichen, schlechthin schpferischen Liebe: "Sie findet
64 Vgl. die eindrckliche Interpretation der Barthschen Rede von Gott durch E.
jngel unter dem Titel "Gottes Sein ist im Werden", Tbingen 19864 und
meine kritische Auseinandersetzung mit der dabei von jngel verwendeten 66 Hier sei noch einmal ausdrcklich daran erinnert, da dies nicht im Sinne
Terminologie in meiner Arbeit: Sein und Gnade, Berlin 1975, S. 46-52. apersonalen, sondern im Sinne berpersonalen Redens, das die Ebene der
65 So K. Barth, KD II/1, S. 301. Personalitt umfat und transzendiert, gemeint ist.
280 Gottes Sein Gottes Wirklichkeit 281

das Liebenswerte nicht vor, sondern erschafft es" .67 Diese abschlie- ~rfahrungen, die sich der direkten sinnlichen Wahrnehmung und begriff-
ende und krnende theologische These der Heidelberger Disputation hchen Erfassung entziehen (s. o. 8.1.1.1). Ob ein Wort, eine Geste, eine
erweist sich damit als Anweisung zur Ausarbeitung einer relationalen Handlung tatschlich eine Ausdrucksform von Liebe ist, das kann uns
Ontologie: Wirklichkeit mu von ihrem Grund her als Beziehung unter Um~tnden gefhlsmig unbezweifelbar gewi sein, aber wir kn-
gedacht werden. nen das mcht "sehen", nicht "zeigen" und darum auch nicht" beweisen" .
Gottes " externe "68 Relationalitt bezieht sich auf die geschaffene Welt, Da gibt es keine Sicherheit,70
d. h., Gott ist seinem Wesen nach nicht nur Gott-in-Beziehung-zu- Und das gilt auch im Blick auf die Liebe als die Alles bestimmende
sich-selbst, sondern er ist auch Gott-in-Beziehung-zur-Welt. Hier stellt Wirklichkeit, Sie kann nur indirekt wahrgenommen werden - selbst an
sich freilich das Problem: Wird damit nicht die Schpfung zu einer der Person und dem Geschick Jesu Christi. Denn gerade von ihm gilt: Die
Notwendigkeit fr Gott? Die Antwort, Gottes Liebe htte sich auch Selbsterschlieung Gottes (als Liebe) geschieht verborgen unter dem Ge-
anders realisieren knnen als durch die Erschaffung der Welt, .ist nicht genteil: unter Kreuz, Leiden, Schande, Schwachheit, Tod. 71 Dabei bemit
begrndbar, weil sie sich unserem Erkenntnisvermgen entzieht. Von sich das, was hier "Gegenteil" heit, nicht am Wesen Gottes, sondern an
unserem Erkennen aus kann tatschlich von einer Notwendigkeit ge- dem mens~hlichen Vorverstndnis und an der menschlichen Erwartungs-
sprochen werden, aber nicht von einer Notwendigkeit fr Gott, der er haltung, die entsteht, wenn von "Gott" oder von der "Alles bestimmen-
unterworfen wre, sondern nur von einer inneren Notwendigkeit den Wirklichkeit" die Rede ist. Zu diesen Begriffen passen Vorstellungen
Gottes selbst, dessen Wesen es ist, in Freiheit zu lieben. 69 von M~cht, Gr~, Ehre, Hoheit, Strke und Leben. Und das alles ist ja
auch mcht abwegig. Aber was fr eine Macht, Gre, Ehre etc. und vor
c) Die Verborgenheit der Wirklichkeit Gottes a~em was fr ein Leben es ist, und wo sie sich zeigen, das stellt alle
mitgebrachten Vorstellungen radikal in Frage.
Die Verborgenheit Gottes wird hufig als Abwesenheit Gottes gedeutet An der Oberflche seiner Wahrnehmung und ausgehend von seinem
oder jedenfalls mit dieser zusammengedacht. Aber das Gegenteil ist rich- Vorverstndnis von Gott wird der Mensch an der Person und dem Ge-
tig: Verborgenheit ist immer eine Weise der Anwesenheit und der Gegen- schick Jesu Christi nicht die Wirklichkeit Gottes entdecken sondern
wart. Nur was "da" ist, kann verborgen, d. h. unerkennbar oder uner~ bestenfalls einen "guten Menschen", der aber gescheitert ist.'Erst dem
kannt sein. Der deus absconditus ist nicht der" verreiste", "abwesende" Blick in die Tiefe erschliet sich die verborgene Gegenwart und so die
oder "tote" Gott wie er in Nietzsches Philosophie oder in Slles Theologie Wirklichkeit Gottes, wie das exemplarisch in biblischen Texten wie Mk
eine Rolle spielt, sondern der rtselhaft, vielleicht sogar bedrohlich nahe 15,39; Mt 11,25-27; 16,16 f.; Lk 24,1-12 zum Ausdruck kommt. Aber
Gott, der sich aber nicht zeigt oder den wir nicht sehen (knnen). dieser Blick in die Tiefe ist nicht methodisch zu bewerkstelligen oder zu
Inwiefern kann von der Liebe Gottes gesagt werden, sie sei "da", aber erlernen, sondern er mu dem Menschen in einem Akt der "Erleuchtung"
sie zeige sich nicht oder wir knnten sie nicht sehen? Liebe gehrt wesens- zuteil werden (Lk 24,31; Eph 1,18). Dann kann es dazu kommen da
mig zu den (sei es beglckenden, sei es rtselhaften, sei es bedrohlichen) die - verborgene - Wirklichkeit Gottes geschaut wird,72 Ob und i~wie
wei~ das i.n d.ies~m ~bschnitt Gesagte der Wirklichkeit Gottes angemes-
sen I~t, wie sl.e Sich m Jesus Christus erschlossen hat, liee sich berpr-
67 So die bereits in 7.1.1.4 (Anm. 6) zitierte Unterscheidung Luthers aus WA fen, mdem diese Aussagen von den Reich-Gattes-Gleichnissen Jesu her
1,354,35 f.
68 Die Anfhrungszeichen sind hier gesetzt, weil die Redevon etwas Externem 70 I Kor 13,1-3 nennt z. B. hchst beeindruckende Fhigkeiten und Handlun-
im Blick auf Gott noch miverstndlicher ist als die vom Internen. Gleichwohl gen, die wie Liebe aussehen, bei d~nen es aber immer mglich ist da sie
ist es nicht nur zulssig, sondern notwendig, zwischen Gott und der geschaf- nicht Verwirklichungen von Liebe, sondern irgend etwas anderes sind.
fenen Welt zu unterscheiden, und die Beziehung zwischen beiden kann man- 71 S~ beson.ders eindrcklich Paulus in I Kor 1 f. und Luther in der Heidelberger
metaphorisch - als externe Relation bezeichnen. DIsputatIOn WA 1,362; s. dazu die immer noch grundlegende Arbeit von W.
69 Ein eindrucksvoller biblischer Beleg fr die innere Notwendigkeit Gottes, in von Loewenich: Luthers theologia crucis (1929), Bielefeld 19826.
Freiheit zu lieben, ist Hos 11,8 f., wo in Form einer Gottesrede beschrieben 72 ~ie~,sei erinnert (s. o. 7.2.1) an die Bedeutung der Metapher, die etwas "sehen
wird, wie Gottes Barmherzigkeit seinem eigenen vernichtenden Zorn in den lat oder nach etwas "ausschauen lt", das sonst unserem Blick entzogen
Arm fllt mit der Begrndung: "Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch". bliebe.
Gottes Sein
Gottes Wirken 283
282

gegengelesen werden. In ihnen wird von der auf verborgene Weise nahe erhlt dieses Thema dadurch, da fr die religise Praxis, also den geleb-
kommenden Wirklichkeit Gottes geredet, und zwar so, da das Reden ten Glauben kaum eine Frage brennender ist als die, ob und wie Gott
selbst diese Wirklichkeit fr die Hrenden erschliet und sie einldt, sich "handelt" oder "wirkt"; in welchem Verhltnis dieses gttliche Handeln
ihr zu ffnen, um so an ihr teilzuhaben. Diese Gleichnisse sind Grund- o?er Wirken zu den natur~aften Prozessen, zu den geschichtlichen Ereig-
texte des christlichen Glaubens, an denen sich das dogmatische Reden nIssen und zu den menschlIchen Handlungs- und Verhaltensweisen steht
von der Wirklichkeit Gottes bewhren mu - und nicht umgekehrt. Dabei schlielich ob und inwiefern der Mensch seinerseits dieses Wirken (mit-)
ist die Form der Gleichnisse (und Parabeln) kein austauschbares Gewand bestimmen kann.
(s. dazu u. 9.2), sondern die der Wirklichkeit Gottes angemessenere Nachdenkenswert ist dabei wiederum zunchst (8.3.1) die Frage nach
Sprache - verglichen mit den begrifflichen Klrungsbemhungen der Dog- den geeigneten und ungeeigneten sprachlichen Mitteln: Soll vom "Han-
matik. Und so vermag unter Umstnden ein Gleichnis, eine Erzhlung deln" oder "Tun" Gottes oder soll von seinem "Wirken" gesprochen
oder ein Gedicht wie das folgende mehr ber die Wirklichkeit Gottes werden, und wie lt sich diese Entscheidung (fr "Wirken") begrnden
(8.3.1)? Sodann ist zu entwickeln, was von Gottes Wirken an und in der
auszusagen als ein ganzes Kapitel der Gotteslehre:
Welt gesagt werden kann. Dabei ist grundstzlich zu unterscheiden zwi-
Bevor ich sterbe schen den beiden Weisen des Wirkens Gottes: dem daseinskonstituieren
den (schpferischen und vollendenden) Wirken (8.3.2) und demgeschicht-
Noch einmal sprechen lichen Wirken Gottes (8.3.3), das in dem Raum stattfindet, in dem sich
von der Wrme des Lebens auch die menschlichen Handlungen sowie die naturhaften und geschicht-
damit doch einige wissen: lichen Prozesse abspielen. Dabei kennt die biblisch-christliche Tradition
Es ist nicht warm
aber es knnte warm sein
(wie auch andere Religionen) die Vorstellung, da Gottes Wirken vermit
telt ist durch Boten, die in der Regel als "Engel" bezeichnet werden. Mit
Bevor ich sterbe diesem durch Engel vermittelten Wirken Gottes wollen wir uns in Abschn.
noch einmal sprechen 8.3.4 beschftigen. Schlielich mu bedacht werden, ob und inwiefern
von Liebe das menschliche Gebet, insbesondere das Bittgebet, nach christlichem
damit doch einige sagen: Verstndnis den Sinn haben kann, auf Gotteinzuwirken, um ein bestimm-
Das gab es tes Wirken Gottes zu erwirken (8.3.5).
das mu es geben

Noch einmal sprechen


vom Glck der Hoffnung auf Glck 8.3.1 "Handeln" oder" Wirken" Gottes
damit doch einige fragen:
Was war das Das Thema dieses Abschnitts wird hufig mit der Formel "Handeln
wann kommt es wieder?73 Gottes" oder auch "Tun Gottes" benannt. Das ist auch sicher nicht un-
zulssig. R. Preul hat freilich in seiner przisen "Problemskizze zur Rede
vom Handeln Gottes"74 gezeigt, da der Handlungsbegriff als anthropo-
8.3 Gottes Wirken logischer Grundbegriff (hnlich wie die Begriffe "Tun" oder "Machen")
zumindest zwei Elemente enthlt, die es verbieten, ihn im wrtlichen Sinn
In diesem letzten Unterabschnitt der Lehre vom Sein Gottes nehmen wir auf Gott anzuwenden: die Krperlichkeit des Handlungssubjekts und das
ein Thema auf, das bereits im Zusammenhang mit der Wirklichkeit Got- Vorgegebensein von (subjektiven und objektiven) Handlungsmglich-
tes kurz angesprochen wurde, aber wegen seiner Wichtigkeit eigens be- keiten.
dacht werden mu: Gottes Wirken an und in der Welt. Seine Wichtigkeit

73 E. Fried, Vorbungen fr Wunder. Gedichte vom Zorn und von der Liebe, 74 MJTh I, 1987, S. 3-11. Der ganze Band steht unter dem Thema "Handeln
Gottes".
Berlin 1987, S. 28.
284 Gottes Sein . Gottes Wirken 285

Demgegenber hat ehr. Schwbel im selben Band (a.a.O., S. 56-81) Gott ges~gt w.ird: Er wirkt. Wird jedoch diese Einschrnkung beachtet,
einen weitergefaten Handlungsbegriff zur Diskussion gestellt, der nur so erschemt dIe Rede vom Wirken Gottes auf dem Hintergrund dessen
durch folgende drei Elemente definiert ist: was bisher ber das Wesen, die Eigenschaften und die Wirklichkeit Gotte~
- Das Subjekt einer Handlung verfolgt eine Absicht (Intention) und gesagt wurde, als durchaus angemessen. Jedenfalls ist die Rede vom
kann sein Handeln zur Realisierung dieser Absicht regulieren. "Wirken Gottes" dem gebruchlichen Begriff "Handeln Gottes" vor-
- Das Verfolgen der Absicht und ihre Realisierung durch bestimmte zuziehen.
Mittel sind das Ergebnis bewuter Wahl.
- Ein Ereignis ist nur dann das Ergebnis einer Handlung, wenn diese
Handlung eine notwendige Bedingung fr das Eintreten des Ereignis-
ses darstellt. 8.3.2 Gottes daseinskonstituierendes Wirken
Hier entfallen also die Elemente, die die wrtliche Anwendung des
Von Gottes daseinskonstituierendem Wirken wird die Schpfungslehre
Handlungsbegriffs auf Gott problematisch oder unmglich machen (wr- aber auch die Eschatologie, insgesamt ausfhrlich handeln. Hier geht e~
den) - insofern verdient diese Definition theo-logisch den Vorzug. Aber
nur darum, zu bedenken, in welchem Verhltnis dieses Wirken (wie im
der Handlungsbegriff ist ja ein in der Alltags- und Wissenschaftssprache folgenden Unterabschnitt das geschichtliche Wirken Gottes) zum Wesen
eingefhrter Begriff, der in seiner Bedeutung relativ festgelegt ist und
und zur Wirklichkeit Gottes steht. Wir fragen jetzt gewissermaen nach
deshalb auch mglichst nur in dem allgemein gebruchlichen Sinn ver-
der "Anschlustelle" fr die Schpfungslehre und Eschatologie in der
wendet werden sollte - und dazu gehren m. E. durchaus die von Preul Gtteslehre.
analysierten Elemente.
Da?ei versteht e~ sich nicht V:~m selbst, da neben der Schpfungslehre
Das Dilemma lt sich dadurch auflsen, da man auf den Handlungs-
auch dIe EschatologIe unter der Uberschrift "Gottes daseinskonstituieren-
begriff in Anwendung auf Gott verzichtet und statt dessen vom Wirken
des Wirken" in den Blick gefat wird. Dafr sind jedoch zwei Grnde
Gottes spricht. Hierfr sind die drei von Schwbel genannten Elemente m. mageblich:
E. ausreichend, ja die Einbeziehung des dritten Elements, nmlich der
Wirkung einer "Handlung" zeigt sogar, da die Verwendung dieses Be- - Wrde das daseinskonstituierende Wirken nicht auch in seiner escha-
griffs, wegen des Zusammenhangs zwischen Wirken und Wirkung, auch tologischen Dimension bedacht, so bliebe ungeklrt, wie die Endlich-
aus sprachlichen Grnden nherliegt. keit der Welt mit Gottes Wirken zusammengedacht werden kann. Die
Die grere Angemessenheit des Begriffs "Wirken" in Anwendung schon in der biblischen berlieferung und in der christlichen Lehre
auf Gott kann man sich aber auch an folgender berlegung verdeutlichen: immer wieder angesprochene Zusammengehrigkeit von Gottes Ge-
Je mehr es um eine umfassende Perspektive (im Unterschied zur Orientie- ben und Nehmen, von Ursprung und Telos der Welt bliebe theo-
rung an einer einzelnen Tat) geht, desto eher ist der Begriff "Wirken" logisch unreflektiert.
(gegenber "Handeln", "Tun" oder gar "Machen") geeignet. So sprechen - D~~ Eschatologie t.he~atisiert aber nicht nur (und nicht einmal pri-
wir im Blick auf das Lebenswerk oder einen Lebensabschnitt eines Men- mar) das Ende des IrdIschen Daseins der Geschpfe, sondern auch und
schen zu Recht davon, er habe in einer bestimmten Weise gewirkt - und vor allem die Neukonstituierung des Geschaffenen durch Gott wie sie
nichtetwa nur gehandelt. So knnen Ereignisse, Einsichten, Beziehungen, in den Bildern und Begriffen "Auferstehung", "Verwandlung:', "ewi-
Ordnungen etc. zwar wirken, aber sie knnen nicht handeln, tun oder ges Leben" oder "neuer Himmel und neue Erde" zum Ausdruck
machen. kommt. Das Eschaton ist als Ende des Alten zugleich die Konstituie-
Freilich zeigt sich von da aus auch schnell, wo der Begriff "Wir- rung des unvergnglich Neuen.Und dieses Neue hat keinen anderen
ke~" in Anwendung auf Gott problematisch wird und unangemessene Ursprung als das irdische Dasein. Auch die Vollendung des Daseins ist
Konnotationen mit sich bringt. Deutlich wird das etwa am Wirken eines als Gottes daseinskonstituierendes Wirken zu bedenken.
Medikaments oder einer Droge, die einem Menschen mglicherweise Aber wie kann dieses daseinskonstituierende Wirken Gottes ber-
wider Willen verabreicht wird und dann wirkt. Dieses Moment des Me- haupt gedacht werden? Drei gedankliche Schwierigkeiten stellen sich hier
chanischen oder Automatischen kann nicht mitgemeint sein, wenn von vor allem: .
286 Gottes Sein Gottes Wirken 287

- Wie kann vermieden werden, da das daseinskonstituierende Wirken abstrahierende Betrachtungsweise, die die Beziehungspartner (als Relate)
als kausales Wirken verstanden wird (s. dazu u. 12.1.2) und Gott je fr sich - also unabhngig von der Beziehung - in den Blick fat. Die
damit als ein (erstes) Element in den Weltproze eingeordnet wird? am verbindenden Erkennen orientierte relationale Sicht knnte darum
- Wie kann ein daseinskonstituierendes Wirken gedacht werden, das ~uch d~n Rahmen abgeben, in den die naturwissenschaftlichen Aussagen
nicht schon etwas voraussetzt, sondern strikt voraussetzungslos ist, uber dIe Entstehung und Entwicklung des Universums einzuzeichnen
also "ex nihilo" (s. dazu u. 12.1.2.3) geschieht? sind, sofern diese nicht sogar selbst eine solche relationsontologische
- Wie verhlt sich das, was theo-logisch zum schpferischen Wirken Betrachtungsweise nahelegen. 75
Gottes zu sagen ist, zu dem, was sich von naturwissenschaftlichen Wir sagten: Liebe ist ihrem Wesen nach schpferisch, und d. h. aus-
Weltentstehungstheorien her ber den Anfang und die Entstehungs- gerichtet auf ein Gegenber um seiner selbst willen. Liebe will und bejaht
bedingungen des Universums (s. dazu u. 12.1.2.1) sagen lt? das Gegenber, und darin eingeschlossen ist die Tendenz der Liebe fr
das geliebte Gegenber das Beste zu wollen. Der Liebe eignet insofer~ ein
Lassen diese Schwierigkeiten sich bewltigen oder jedenfalls verrin- teleologischer Zug. Sie ist ausgerichtet auf ein heilvolles Ziel fr das
gern, wenn wir das Wirken Gottes nicht abstrakt-allgemein bedenken, geliebte Gegenber. Insofern gehrt auch vom Wesen der Liebe her die
sondern konkret im Blick auf das Wesen Gottes, das sich in Jesus Christus (eschatologische) Vollendung zum daseinskonstituierenden Wirken Got-
als Liebe erschlossen hat? Die entscheidende Frage lautet: Lt Liebe sich tes. Da diese Vollendung - sei es als Auferstehung, als Verwandlung oder
in einer Weise als schpferisch denken, die weder kausalen Charakter hat, als Neuschpfung - den Abschied von den uns bekannten irdischen Da-
noch auf Voraussetzungen angewiesen ist, die ihr vorgegeben sind, noch s~insfo~'ffien,.d. h. Sterben und Tod im wrtlichen und im bertragenen
mit den naturwissenschaftlichen Theorien konkurriert? Das ist tatsch- Smn, emschlIet, gehrt unter den Bedingungen der Endlichkeit zu den
lich mglich; denn Liebe ist ihrem Wesen nach schpferisch, weil sie nicht schmer.zlichen, leidvollen Elementen der Liebe (unter irdischen Bedingun-
bei sich bleiben kann und will, sondern berfliet und berstrmt in gen), dIe entweder zum Anla werden, die Wirklichkeit und das Wirken
Richtung auf ein Gegenber. Dabei ist es das Charakteristikum der gtt- der gttlichen Liebe zu bestreiten oder uns dazu bewegen, von der Er-
lichen Liebe, nicht auf ein Gegenber angewiesen zu sein, das erst die kenntnis dieser Liebe her die mitgebrachten, herkmmlichen Vorstellun-
Liebe erweckt und entzndet, sondern - als Liebe! - selbst das Geliebte zu gen von Liebe korrigieren und vertiefen zu lassen.
schaffen. Aber diese Formulierungen wecken vermutlich die Vorstellung
von einem (hchsten) liebenden Wesen, das sich entscheidet, aus Liebe ein
Gegenber zu erschaffen, dem es sich in Liebe zuwendet. Aber &enau diese 8.3.3 Gottes geschichtliches Wirken (providentia)
substanzontologische Vorstellungsweise, derzufolge die Beziehung (der
Liebe) ihrerseits als erst durch die Beziehungspartner konstituiert gedacht Whrend im vorigen Unterabschnitt von dem Wirken Gottes die Rede
wird, fhrt zu Vorstellungen, die dem Wesen und der Wirklichkeit Gottes war, das die Bedingungen welthaften Daseins, Geschehens und Handeins
nicht angemessen sind. betrifft, geht es nun um die Frage, ob und wie angemessen von einem
Versuchen wir demgegenber den relationsontologischen Denkan- Wirken Gottes gesprochen werden kann, das sich auf das welthafte Da-
satz festzuhalten, der den Aussagen ber Gott als Alles bestimmende sein, Geschehen und Handeln selbst bezieht. Dabei gehrt es auch zum
Wirklichkeit der Liebe entspricht, dann lt sich diese Vorstellungsweise daseinskonstituierenden (und nicht nur zum geschichtlichen) Wirken, da
berwinden. Dann ist nmlich die Beziehung (der Liebe) als diejenige Gottes schpferisches Wirken im Sinne der creatio continua(ta) als erhal-
Wirklichkeit zu denken, die erst die Beziehungspartner konstituiert, und
zwar nicht auf kausale Weise, sondern durch Partizipation, also durch 75 Es gibt zu denken, da sowohl die philosophischen Konzeptionen von Peirce
Anteilgabe und Anteilhabe. Die Liebe eines Menschen zu einem anderen und Whitehead, die auf dem Hintergrund fundierter naturwissenschaftlicher
ist ja nicht die Ursache dafr, da Menschen zu liebenden und zu gelieb- Forschung~arbeit entstanden sind, relationsontologische Anstze implizieren,
als auch dIe neueren naturwissenschaftlichen Forschungen ber Entstehung
ten Menschen werden, sondern die Existenz als liebender und geliebter
und Aufbau des Universums immer strker auf Relationen und Ereignisse
Mensch ist die Weise, wie beide an der Liebe Anteil haben. Diese Denk- (statt auf Substanzen) als elementarste "Bausteine" stoen. Diese "Baustei-
weise mag ungewohnt erscheinen, aber sie ist - nicht nur aus theo- ne", nmlich die sog. Quarks, scheinen letztlich aus nichts anderem als aus
logischen Grnden - der Wirklichkeit angemessener als die vertrautere dynamischen Relationen zu bestehen.
288 Gottes Sein Gottes Wirken 289

tendes Wirken gedacht werden mu. Die Schpfung als Erhaltung bildet noch gedacht als die Alles uerlich ermglichende, aber nicht mehr als
gewissermaen die Klammer, die das daseinskonstituierende und das ge- die Alles bestimmende Wirklichkeit - jedenfalls nicht im Sinne einer
schichtliche Wirken Gottes miteinander verbindet und zusammenhlt. lebendigen Wirklichkeit, nicht als der " bewegte " Beweger. Daraus folgt
Wenden wir uns dem geschichtlichen Wirken. Gottes selbst zu, so fast unweigerlich die Tendenz, die Hoffnungen und Erwartungen von
knnte es berraschen, da die obige Ausgangsfrage lautete: ob und wie einem geschichtlichen Wirken Gottes weg auf das Wirken des Menschen
angemessen von einem Wirken Gottes gesprochen werden knne, das sich zu verlagern und damit den Menschen zu berlasten und zu berfordern.
auf das welthafte Dasein, Geschehen und Handeln selbst (also nicht blo Von dieser Kritik her empfiehlt es sich scheinbar, sich an einem Kon-
auf seine Konstitutionsbedingungen) bezieht. Kann dieses "ob" fr den zept zu orientieren, demzufolge das innerweltliche Geschehen vollstndig
christlichen Glauben - ja fr irgendeine Religion - ernsthaft in Frage als durch Gott bestimmt verstanden wird. Eine solche Konzeption wre
stehen? ein Determinismus, der besagt: Alles, was geschieht, geschieht so, wie es
Mit dem sog. deistischen Gottesverstndnis stoen wir tatschlich auf geschieht, allein deswegen, weil Gott es so gewollt und bewirkt hat. Und
ein theologisches Denkmodell, das Gottes Wirken strikt als auf den darum ist alles, was ist, so, wie es ist, weil Gott es so gewollt und bewirkt
daseinskonstituierenden Aspekt beschrnkt zu denken versucht. Gottes hat.
Wirken wird demzufolge gedacht als bloe Erschaffung einer Welt, deren Im Rckblick auf die zahlreichen gedanklichen Durchdringungs-
Entwicklung ausschlielich von ihren inneren Gesetzen und Krften ge- versuche dieser Theorie in der Philosophie- und Geistesgeschichte kann
staltet wird, ohne da Gott in sie einwirkt. Mit diesem deistischen Modell man mit gutem Grund sagen: Diese deterministische Auffassung ist ver-
verschwinden all die Probleme, die mit der Rede vom geschichtlichen mutlich theoretisch unwiderlegbar, sie ist allerdings auch unbeweisbar.
Wirken Gottes verbunden sind, insbesondere verschwinden die Probleme Ob sie als theologische Konzeption zu akzeptieren ist, lt sich deshalb
der Verhltnisbestimmung zwischen nur entscheiden, wenn man die Konsequenzen des Determinismus anhand
- der Geltung der Naturgesetze und Gottes Wirken (Wunder-Thema- der Aussagen der christlichen Glaubenslehre berprft.
tik); Was wrde es bedeuten, wenn der Determinismus mit seiner Sicht-
- menschlichem Handeln und Gottes Wirken (Freiheits-Thematik); weise recht htte? Dann wren alle Annahmen, Vermutungen oder
- menschlichem Beten und Gottes Wirken (Gebets-Thematik).?6 Gewiheiten, die besagen, da es so etwas wie menschliche (Handlungs-)
Freiheit oder Verantwortung gibt, Irrtmer. Das hiee aber: Es wre nur
Dem deistischen Denkmodell zufolge hat Gott die Welt durch die scheinbar sinnvoll, Motive gegeneinander abzuwgen, sich an Werten
Naturgesetze weise geordnet. Er kann und mu, nicht in deren Geltung oder Geboten zu orientieren, Bue zu tun, andere zur Rede zu stellen, nach
und den dadurch geregelten Ablauf der Ereignisse eingreifen. Das Dasein Grnden zu fragen, die Zukunft zu planen etc. D. h. nicht, da all das
der Welt sowie die Regelhaftigkeit und Verllichkeit des Weltlaufs, das unter den Bedingungen des Determinismus nicht mehr geschhe (es ge-
sind die - Staunen erregenden -" Wunder", im Vergleich zu denen irgend- schieht ja ohnedies durch Gott), und es heit auch nicht, da es dann
welche Durchbrechungen der Naturgesetze, wenn es sie gbe, bloe Mi- sinnvoll wre, all dies zu unterlassen (denn auch die Unterlassung gesch-
rakel wren, mit denen Gott im brigen seiner eigenen Weltordnung und he ja durch Gott), sondern es heit, da die Kategorie "Sinn" nicht mehr _
Weisheit widersprche. Fr eigenverantwortliches, menschliches Han- sinnvoll - auf menschliche Handlungen (sondern allenfalls auf das Ganze
deln bleibt daher - aus deistischer Sicht - ein weiter Raum, der in Verant- des Weltgeschehens) angewandt werden kann. Diese Konsequenz ist so
wortung vor Gott zu ntzen ist. unverantwortlich, da sie - wenn schon nicht theoretisch, so doch -prak-
Die betrchtliche Problemreduktion, die damit erzielt wird, ist frei- tisch widerlegt werden kann und ihr praktisch widersprochen werden
lich um einen hohen Preis erkauft: Gott wird hier im Grunde genommen mu.?? Konsequent deterministisch 2:11 leben, hiee: sich vollstndig trei-
"aus der Welt hinausgedrngt"; er hat keinen Raum als wirkende Macht ben zu lassen - noch genauer gesagt: sich als jemand zu verstehen, der
oder Kraft in der Geschichte und im menschlichen Leben. Gott ist so zwar vollstndig getrieben wird.

76 Dieser dritte Problemaspekt, also die Gebets-Thematik, soll erst im abschlie-


enden Unterabschnitt 8.3.5 bedacht werden. Hier beschrnke ich mich auf 77 Vermutlich hat es noch nie einen Menschen gegeben, der auch nur einiger-
die beiden ersten Aspekte. maen konsequent nach dieser Theorie gelebt hat.
290 Gottes Sein Gottes Wirken 291

Nun liegt diese Charakterisierung zum Verwechseln nahe bei dem, d~term.inistischer Abwege zu konkretisieren; deswegen orientieren sich
was "glauben" heit: sein Vertrauen ganz auf Gott setzen, und d. h.: sich die weiteren Ausfhrungen daran.
ganz von Gott bestimmen lassen. Dergrundlegende Unterschied zwischen
dem Sich-treiben-Lassen und dem Sich-von-Gott-bestimmen-Lassen liegt
aber gerade darin, da das Vertrauen auf Gott anleitet zum Unterschei-
8.3.3.1 Vorsehung als Mitwirkung
den, und zwar zum Unterscheiden zwischen Gott und den Ereignissen,
Mchten und Gewalten (Barmen I u. 11), denen Menschen sich nicht
Die Rede von Gottes (Vorsehung als) Mitwirkung erscheint in zweifacher
anvertrauen, berlassen und ausliefern sollen78 , whrend der Determinis- Hinsicht als problematisch:
mus gerade diese Unterscheidung nicht machen kann.
An dieser Stelle wird der zweite groe Defekt des Determinismus - Einerseits erweckt sie den Eindruck, als bedrfe Gottes Wirken der
deutlich: "Gott" wird hier faktisch zu einer Art Dublette zu "Weltgesche- menschlichen Ergnzung und als knne oder msse der Mensch einen
hen" . Da eine solche Dublette letztlich berflssig ist, ist die eine Kon- aktiven Beitrag zur Erlangung des Heils leisten.
sequenz; da das Gottesbild auf diesem Weg nicht mehr vom Bild der - Anderers~its ~irkt schon die vorausgesetzte Vorstellung von einer
(gefallenen) Welt unterschieden werden kann, ist die andere Konsequenz. coo~eratlO zWischen Gott und Mensch merkwrdig, weil sie den An-
In der Sicht des Determinismus ist die Sendung Jesu zur Rettung der Welt sc~eIn ~rweckt, Gott und Mensch seienzwei gleichrangige oder gleich-
ebenso Gottes Werk wie der Sndenfall, Kains Brudermord ebenso wie artige, Jedenfalls aber vergleichbare Gren,79
die Tat des barmherzigen Samariters, der Holocaust ebenso wie die ber- Beide Bedenken beruhen jedoch auf Miverstndnissen und gehen
windung der Apartheid etc. Man mu zumindest zugeben: Die christliche deswegen an der Intention der Lehre vom concursus divinus vorbei. Das
Botschaft ist in dieser deterministischen Auffassung nicht wiederzu- soll kurz begrndet werden:
erkennen.
Wie knnen diese Konsequenzen vermieden werden, ohne da man - Was den Eindruck der Ergnzungsbedrftigkeit von Gottes Wirken
nun wieder umgekehrt in die defizitre Position des Deismus gert? Auch anbelangt, so geht es in der concursus-Lehre genau um das Gegenteil:
im Blick auf das geschichtliche Wirken Gottes ist die Einsicht tragfhig, um das Angewiesensein des Menschen und der brigen Geschpfe auf
da Gott, dessen Wesen Liebe ist, dem Geschpf eigene Lebensmglich- Gottes Begleitung, Hilfe und Kraft. Nicht Gott braucht die menschli-
keiten und dem Geschpf Mensch eigene Mglichkeiten bewuten che ~ooperatio, sondern der Mensch die gttliche. Da das Geschpf
Whlens und Handelns einrumt. Alle diese eigenen Mglichkeiten ver- und Insbesondere der Mensch bei dem geschichtlichen Wirken selbst
danken sich einem Akt des Gesetzt- und Bejahtwerdens, den die Geschp- ei~~n.wese~tlic~en Beitrag leisten kann, ist eine von Gott gewhrte
fe nicht selbst hervorbringen, sondern nur in Anspruch nehmen knnen - Moghchkelt, die dem Geschpf Wrde verleiht. Freilich bleibt all
selbst wenn sie ihn dazu in Anspruch nehmen, dieses Vorgegebensein zu di~s - jedenfalls nach evangelischem Verstndnis - begrenzt auf das
bestreiten oder nicht wahrhaben zu wollen. Im Blick auf den geschichtli- Wirken des Menschen in Beziehung zu den anderen Kreaturen. Im
chen Vollzug geschpflichen Daseins gilt aber stets ein Miteinander von Blick auf die Beziehung zu Gott, und damit im Blick auf das Heil ist
Bestimmtwerden und Selbstbestimmung. der Mensch rein passiv, nur Empfangender. Hier ist jede cooperatio
In der theologischen berlieferung wurde hierfr die Lehre von der des Menschen ausgeschlossen. 8o
gttlichen Vorsehung (providentia) ausgebildet, die neben der Erhaltung - Was den Anschein einer unsachgemen Gleich- oder Nebenordnung
(conservatio; s.o.) die Mitwirkung (cooperatio oder concursus) und die von Gott und Mensch (bzw. Geschpf) betrifft so hat schon die
Lenkung (gubernatio) der Geschpfe durch Gott thematisiert. Die damit mittelalterliche Theologie dem zu wehren versu~ht, indem sie zwi-
gegebenen und darin enthaltenen Akzentsetzungen und Unterscheidun- sch~n?ottes ~irken als Erstursache (causa prima) und dem ge-
gen erweisen sich bei nherer Betrachtung als durchaus geeignet, die Rede schopfllchen WIrken als Zweitursache (causa secunda) unterschied.
vom geschichtlichen Wirken Gottes unter Vermeidung deistischer oder
79 Vgl. dazu ~. Wlfel, Welt als Schpfung (ThExh 212) 1981, S. 33.
80 ~a und WIe der Mensch auch in reiner Passivitt und als nur Empfangender
78 Vgl. dazu das unten (10.2) zur Notwendigkeit der Unterscheidung der Geister
eu: pers~~ale~ Wesen bleibt und als solches am Heilsgeschehen beteiligt ist,
Gesagte.
WIrd freilich m 14.1.3 noch eigens zu entfalten sein.
292 Gottes Sein Gottes Wirken 293

Freilich ist diese Unterscheidung so lange keine befriedigende Lsung, sich nicht einstellt, ja wo das geschichtliche Erleben im krassen Gegensatz
als nicht eine Verhltnisbestimmung von Erst- und Zweitursache ge- zum Gla~ben .an Gott steht, wird es zum Anla fr die Klage, die sogar
lingt, bei der weder die oben genannte Nebenordnung wiederkehrt, zum ZweIfel, Ja zur Absage an Gott werden kann. Dabei kann es so sein
noch eine Instrumentalisierung der Zweitursache die Folge ist. 81 Wie da ..durch den Fortgang der Ereignisse das Lob Gottes in Klage um:
ist dieses Verhltnis von Erst- und Zweitursache, also das Verhltnis sch~agt ~ oder.umgekehrt. Aus der Sicht des Menschen bleibt das ge-
von gttlichem und geschpflichem Wirken in der Geschichte zu den- schIchtlIche WIrken Gottes undurchschaubar. und rtselhaft. Auch das
ken? Die Pointe der Unterscheidung und Verbindung liegt darin, da was im folgenden ber die Vorsehung Gottes gesagt wird, steht unter de~
beide Wirkweisen zwar als eigenstndige Krfte gedacht werden, da Vorbehalt: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild ... "
aber die Fhigkeit der Zweitursache zum eigenstndigen Wirken aller- (I Kor 13,12),
erst begrndet, ermglicht und gegeben ist durch die Erstursache.
Insofern hat schon das daseinskonstituierende Wirken Gottes den
Charakter einer Erstursache. Aber darauf beschrnkt es sich nicht. 8.3.3.2 Vorsehung als Lenkung
Vielmehr fllt all dasjenige, was zur ueren und inneren Ermgli-
chung eigenverantwortlichen menschlichen Handeins gehrt, mit Wrde Vor~.eh~ng nur als E~halt~ng der Geschpfe und als Mitwirkung
unter diesen Begriff. und als ermoglIchende BegleItung Ihres Wirkens beschrieben so bliebe sie
Setzen wir diese beiden Erluterungen in Beziehung zu dem konkreten unterbestimmt, weil darin die Erkenntnis fehlte, da Gotte~ conservatio
Verstndnis des Wesens und der Wirklichkeit Gottes, wie es sich in Jesus und concursus zielgerichtet ist, also das Geschpf nicht nur im Dasein
Christus als Liebe erschlossen hat, dann folgt daraus, da das geschicht- erhlt und sein Wirken ermglicht und begleitet, sondern es auch in eine
liche Wirken Gottes weder zu bestreiten noch im Sinne eines Eingreifens bestimmte Richtung .lenken will. Hier erst kommt zum Ausdruck da
auf der Ebene des geschpflichen Wirkens zu denken ist, sondern als zwischen dem geschichtlichen Wirken Gottes und des Menschen' eine
diejenige Begleitung alles geschpflichen Wirkens, die es ermglicht. Lie- Spannung, ja ein Gegensatz bestehen kann. Es versteht sich nicht von
be befreit und inspiriert die Geschpfe, genauer: den Menschen zum se!bst, da menschliches Wirken dem Wirken Gottes entspricht. Die Ein-
verantwortlichen geschichtlichen Wirken. Aber diese Befreiung und Be- WIrkung Gottes auf das geschpflkhe Wirken hat die altprotestantische
anspruchung mu dem Menschen immer wieder zuteil werden. Darin, Theologie im Begriff der gubernatio (Lenkung) zusammengefat und hat
da dies "alle Morgen neu" (Thr 3,23) geschieht, erweist sich Gottes das damit Gemeinte dann noch einmal durch vier Begriffe differenziert
geschichtliches Wirken als Begleitung (concursus) und Mitwirkung von denen allerdings zwei so eng verwandt sind, da sie gut zusammen:
(cooperatio) im Blick auf das geschpfliche Wirken. gefat. werd~~ knnen: Zulassung (permissio), Hinderung und Begren-
Das geschichtliche Wirken Gottes, das so vom Gottesverstndnis aus zung (ImpeditlO und determinatio) sowie Leitung (directio).
gedacht wird, wird freilich vom Menschen nicht immer als Ausdruck der
Liebe erlebt. Im geschichtlichen Geschehen als solchem enthllt sich a) Gottes lenkendes Wirken als Zulassung
nicht, da und inwiefern es Ausdruck des Wirkens und Wesens Gottes
ist. Was hier erlebbar ist, kann immer nur mit dem verglichen und an dem ~ie sc~wchste Form von Gottes gubernatio ist die Zulassung. Sie ist der
gemessen werden, was sich von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus 1m v?ngen Unterabschnitt genannten Begleitung und Mitwirkung Gottes
Christus her einem Menschen erschlossen hat. Wo es zwischen dieser unmIttelbar benachbart. Sie besagt zunchst nur: Gott macht nicht un-
Gotteserkenntnis und dem geschichtlichen Erleben zum Einklang kommt, m?glich, ?a Geschpfe ihren eigenen Weg whlen und dabei auch gegen
da ist dies Anla fr das menschliche Gotteslob, durch das Gottes ge- semen WIllen handeln. Gerade die Zulassung ist immer wieder (bewut
schichtliches Wirken gepriesen wird. Dort jedoch, wo solcher Einklang oder unbewut) zum Anklagepunkt gegen Gott gemacht worden: Wie
kann Gott das zulassen?82
81 Den grundlegenden Unterschied zwischen causa secunda und causa instru-
mentalis hat R. Schulte klar herausgearbeitet in seinem insgesamt erhellenden 82 Aber mu die Liebe nicht Raum geben zum Gehen eigener, auch verkehrter
Aufsatz: Wie ist Gottes Wirken in Welt und Geschichte theologisch zu verste- Wege? Jeden.fall~ im Blick auf Personen kann man diese Frage nur bejahen.
hen?, in: Vorsehung und Handeln Gottes, 1988, S. 116-167, bes. S. 121-124. Das Beste fur eme Person zu wollen, heit zugleich, auf Gngelung und
294 Gottes Sein Gottes Wirken 295

Wenn wir Gottes zulassendes Wirken ernst nehmen, so folgt daraus, Bsen und so der Erhaltung der Welt dient84 und insbesondere durch die
da wir auch uns selbst - insbesondere im Rckblick auf verfehlte Ent- politischen I~stitutionen wahrgenommen wird, mit Nachdruck als Regi-
scheidungen und Handlungen - die Mglichkeit verkehrter Wege einru- ment Gottes m Anspruch genommen und bei diesem Anspruch behaftet
men mssen, sie nicht verleugnen oder verfluchen drfen, sondern unter hat (s. o. 5.3.2.3). Diese Erkenntnis kann auf ihre Weise vor einem sen-
Scham, Schmerz und Trauer als unsere Wege unter Gottes Vorsehung timentalen Liebesbegriff warnen und in Erinnerung rufen, da Liebe, die
annehmen, sie also auch selbst zulassen drfen und sollen. 83 Zur Lebens- das Beste fr das geliebte Gegenber will, auch den Mut und die Kraft zum
gestaltung des Glaubens gehrt darum die bernahme und Annahme ~ein., zun:- Widerstand und zur harten Grenzziehung haben mu, sofern
(also die Zulassung) auch der Elemente und Wegstrecken, die der Liebe dIes 1m DIenst der Liebe steht und geschieht.
nicht entsprechen, sondern von ihr nur toleriert, d. h., ertragen und erdul-
det werden knnen.
c) Gottes lenkendes Wirken als Leitung
b) Gottes lenkendes Wirken als Hinderung und Begrenzung Die Begriffe Lenkung (gubernatio) und Leitung (directio) liegen so nahe
b~iein.ander, da man sie fast gleichsetzen knnte. Das zeigt, da die
Da neben die permissio nun die impeditio und determinatio tritt, schrnkt directlOoffenbar das Wesentliche an der gubernatio zur Sprache bringt.
erstere ein Stck weit ein und hat die Funktion, die Zulassung von Belie- Was aber ist da~it gemeint? Man knnte dabei an den Vorgang denken,
bigkeit zu unterscheiden. Dabei wre es ein verfehlter Denkansatz, be- durch den z. B. em Fahrzeug oder eine Flssigkeit in eine bestimmte Rich-
stimmen zu wollen, wo die Grenzen liegen und welche menschlichen tung gelenkt oder geleitet wird. In diesem Fall ist das Gelenkte oder Geleite-
Untaten durch Gottes Wirken verhindert oder unmglich gemacht wer c te nur Objekt. Es wird an eine bestimmte Stelle befrdert - ob es will oder
den oder wurden. Im Blick auf individuelle und kollektive Handlungs- n.icht. Diese.s ~~chanische Verstndnis von Lenkung oder Vorsehung, das
zusammenhnge drngt sich freilich oft der Eindruck auf, da Schlimme- eme determInIstIsche oder fatalistische Weltsicht zur Folge hat ist auch im
res gndig verhindert wurde, da es nicht zum uersten gekommen ist, Christentum und in anderen Religionen immer wieder anzu~reffen. Aus
da ein (stummes aber wirksames) "Bis-hierher-und-nicht-Weiter" (Hi th.eolog~schen Grnden ist dieser Sichtweise aber zu widersprechen. Liebe
38,11) gesprochen wurde. Aber warum das im einen Fall geschehen ist, im wIr~t nIcht mechanisch oder zwanghaft, sondern sie ldt ein und bittet,
anderen nicht, das lt sich aus unserer Sicht nicht bestimmen oder be- spncht an und erhofft Antwort, und mit alledem wirbt sie um das geliebte
grnden. Nur soviel lt sich sagen, da es nicht zum zulassenden Wirken Gegenber, um es so fr sich (d. h.: fr die Liebe!) zu gewinnen.
der gttlichen Liebe gehren mu ,alles zuzulassen, sowenig es zu echter Darin spricht sich die Einsicht aus, da es zwar mit dem Wesen der
zwischenmenschlicher Liebe gehrt, niemals hindernd oder begrenzend Liebe vereinbar ist, Grenzen zu ziehen und Schranken zu setzen aber
einzugreifen. da ~~mit das Bse nur uerlich eingedmmt, an seinem Ausb:echen
Von hier aus ist auch zu verstehen, da und warum die reformatori- oder Uberhandnehmen gehindert werden kann, aber nicht innerlich ber-
sche Theologie das sog. weltliche Regiment, das der Eindmmung des w.~nden wird. Freilich, n:-it dem Zielpunkt der inneren berwindung des
Bosen durch das Gute 1st schon die Grenze berschritten innerhalb
d~ren sich die Vorsehungslehre herkmmlich bewegt, und :s ist damit
Bevormundung zu verzichten. Und darum mu Liebe - oft blutenden Her- dIe Selbsterschlieung Gottes zum Heil ins Auge gefat, von der in der
zens - zulassen, da auch das Verkehrte gewhlt werden kann. Eltern kennen
Christologie (s. u. 9) und in der Soteriologie (s. u. 14) die Rede sein soll.
diese schmerzliche Bewhrungsprobe echter Liebe, wobei in diesem Falle
zustzlich zu bedenken ist, da Eltern sich tuschen knnen in dem, was sie Da aber auch, ja gerade diese Selbsterschlieung als ein Wirken Gottes in
fr einen verkehrten Weg ihrer Kinder halten. der Geschichte zu verstehen ist, istes durchaus sachgem, am Ende der
83 Hier hat Luthers oft miverstandenes und mibrauchtes "pecca forriter" an Vorsehungslehre zumindest ber diese Grenze hinauszublicken. Sofern
den zaudernden Melanchthon seinen legitimen Platz. Durch die nicht zu die Vorsehungslehre innerhalb dieser Grenze verbleibt, erfat sie nicht
vergessende Ergnzung Luthers: "sed fortius fide et gaude in Christo, qui das ganze geschichtliche Wirken Gottes, ja sie nimmt das Herzstck
victor est peccati ... " (WA Br 2 [Nr. 424], 372,84 f.) unterscheidet es sich von
Gleichgltigkeit oder Laxheit und erweist sich als Ausdruck des christlichen 84 Ob darin eine Verengung des erhaltenden Wirkens liegt, wird noch in Abschn.
Vorsehungsglaubens. 14.1.4.2 zu bedenken sein.
296 Gottes Sein Gottes Wirken 297

dieses Wirkens, nmlich die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zum positiven, verharmlosenden (oder gar verniedlichenden) Betrachtungs-
Heil der Welt, noch gar nicht in den Blick. 85 Fr diese Selbstbegrenzung weise der Engel. Um diese Gefahr zu vermeiden, knnte es richtig sein,
kann es nur praktische Grnde geben. Grundstzlich gehrt alles, was in gewissermaen als negatives, bedrohliches Gegenelement sofort die D-
den folgenden Kapiteln an geschichtlichem Wirken Gottes zu entfalten monen und Teufel mit in den Blick zu fassen - zumal in der Bibel an vielen
ist, zum Gegenstandsbereich der Vorsehungslehre. Stellen vonbeidem die Rede ist. Trotzdem erscheint mir diese Erweiterung
oder Ergnzung nicht als richtig. Einerseits knnte gerade sie dazu beitra-
gen, das Erschreckende an den Engeln nicht mehr wahrzunehmen, son-
8.3.4 Engel als Boten Gottes dern den Dmonen zuzuweisen. Andererseits knnte durch diese Ergn-
zung der Eindruck einer Symmetrie entstehen, die aus theologischen
Gegen die Behandlung der Lehre von den Engeln (Angelologie) im Rah- Grnden nicht behauptet werden darf. Es gibt nicht zwei Arten von Boten
men der Lehre vom Wirken Gottes und damit innerhalb des Gottes- Gottes (gute und bse), sondern es gibt nur die von Gott gewollten und
verstndnisses lt sich ein gravierender Einwand erheben: Es besteht die bejahten Boten Gottes, nmlich die Engel, denen mit den Dmonen und
Gefahr, da Engel auf diese Weise mit Gott gleichgesetzt werden oder gar Teufeln die von Gott nicht gewollten, aber zugelassenen Wirkweisen des
an die Stelle Gottes treten. In diesem Fall wrde eine Wirkweise Gottes Bsen gegenberstehen. Von letzteren soll darum erst im Zusammenhang
oder etwas, das auf ihn verweist, unversehens mit Gott selbst vertauscht. mit der Lehre von der gefallenen Welt (s. u.. 13.4.2) die Rede sein.
Demgegenber betont der christliche Glaube die Unterscheidung zwi- . Aber ist es theologisch berhaupt sinnvoll und hinreichend begrndet,
schen Gott und den Engeln und lehnt eine religise Verehrung oder An- eme Lehre von den Engeln vorzutragen? Geraten wir hier nicht unweiger-
betung der Engel ab. 86 Gerade angesichts der Tatsache, da Engel heute lich auf ganz spekulatives Gebiet? Gibt es berhaupt Engel, oder sind
wieder - auch im evangelischen Bereich - an Beachtung und Bedeutung Engelsvorstellungen mythische Restbestnde, die in einem aufgeklrten
fr den Glauben gewinnen, ist es wichtig, Gott und Engel deutlich zu Denken und in einer auf der Hhe des neuzeitlichen Bewutseins sich
unterscheiden. befindenden Theologie keinen legitimen Ort haben?
Gegen die Beschftigung mit den Engeln im Rahmen der Gotteslehre " Wendet man sich mit diesen Fragestellungen zunchst an die biblische
knnte man aber auch einwenden: durch diese Plazierung komme es zu Uberlieferung, so sind zwei Befunde zu konstatieren, die in einer gewissen
einer Engfhrung, bei der die Dmonen und/oder (der) Teufel als "Gegen- Spannung zueinander stehen:
spieler" der Engel aus dem Blick gerieten. Beherzigenswert an diesem Einerseits gilt fr das (Judentum und) Christentum: Die Vorstellung
Einwand ist die darin implizit enthaltene Warnung vor einer einseitig ~nd das Reden von Engeln sind hier nicht marginal, sondern fest im
Uberlieferungsbestand verankert. In der Bibel spielen an zahlreichen Stel-
85 Auf den hier bestehenden Zusammenhang verweist aus exegetischer Sicht len diese ungreifbaren Boten Gottes eine entscheidende Rolle, indem sie
Gnter Klein mit seiner These: Bei Paulus bzw. von Paulus her "gert das als Verkndigende oder Beschtzende, als Begleitende oder Fhrende, als
Lehrstck de gubernatione mundi nun in den Sog einer unerhrten Konzen- Kmpfer oder Strafende, als Frsprecher oder Anklger begegnen. Und
tration, sofern Gottes herrscherliches Weltwalten hier im Modus von Christi zwar kommen Engelwesen in der Bibel an ganz entscheidenden Stellen
Weltwalten vor Augen tritt". Deshalb gilt fr Paulus, "da die Herrschaft vor: bei der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3,24); in den Abrahams-
Christi unter den Bedingungen von Zeit und Geschichte die einzige ~eise ist, Geschichten (Gen 16; 19; 22); sodann als Offenbarer des Gottesnamens
in der Gottes herrscherliches Walten zum Zuge kommen will" ("Uber das bei der Berufung Moses (Ex 3,2)87; bei der Berufung Jesajas (Jes 6,1-7); als
Weltregiment Gottes". Zum exegetischen Anhalt eines dogmatischen Lehr-
stcks, in: ZThK 90/1993, S. 262 u. 267). Da diesen paulinischen Aussagen
Verkndigungsenge1 und als Warner im Umfeld der Geburt Jesu (Mt 1,20
"alle sonstigen Aussagen des Neuen Testaments ... der Sache nach konform" u. 24; 2,13 u. 19; Lk 1,11-35; 2,9); vor der Gefangennahme Jesu in
sind, betont Klein a.a.O., S. 268. Gethsemane (Lk 22,43) und dann vor allem im Umfeld der Auferweckung
86 Vgl. dazu KaI 2,18; Apk 19,10 u. 22,8 f. Auch die rmisch-katholische
Theologie und Kirche kennt nur eine Anrufung der Engel (wie der Heiligen) 87 Hier zeigt sich freilich, da in der alttestamentlichen berlieferung Gott und
als Bitte um Frbitte, aber keine Anbetung der Engel (oder der Heiligen). Ob
der"Engel des Herrn" nicht immer deutlich voneinander unterschieden sind.
dieser Unterschied in der Praxis immer beachtet wird und inwieweit er den Deshalb ist es sicher auch berechtigt, Gen 32,23-38 mit in die Angelologie
Menschen berhaupt bewut ist, ist freilich eine andere Frage. einzubeziehen, obwohl dort nicht von Engeln die Rede ist.
Gottes Sein Gottes Wirken 299
298

Jesu (Mk 16; Mt 28; Lk 24; Joh 20) sowie bei der Himmelfahrt Jesu (Act die "Natur" und den "sittlichen Zustand" der Engel gesagt wird 89 , ist
1,10 f.). Diese erinnernde Aufzhlung mag gengen, um die eine Beobach- dermaen spekulativ und konstruiert, da dadurch das Wesentliche der
tung und These zu belegen: Engel werden in der Bibel an zahlreichen und Aussagen von Schrift und Bekenntnis gerade zugedeckt wird, ja verloren-
geht. Der grundlegende Fehler ist m. E. einerseits in der Prmisse zu
entscheidenden Stellen genannt.
Andererseits gibt es in der Bibel keinerlei Ansatzpunkt fr eine Lehre suchen: "ber das Dasein der Engel ... wissen wir, da sie von Gott
von den Engeln: weder in Form einer Wesensbeschreibung noch durch geschaffene Wesen sind"90; andererseits in dem deduktiven Verfahren,
irgendwelche Aussagen oder Andeutungen ber ihren Ursprung. Fr das durch das ihr Wesen aus der Differenz zu Gott und zum Menschen abge-
Alte wie fr das Neue Testament (im Unterschied zu den Apokryphen und leitet wird.
zur sonstigen Religionsgeschichte) gilt, da sie "wenig am Sein des Boten Der theologische Ansatz, der von der These ausgeht: "Es gibt Engel",
und ... ausschlielich an der geeigneten Ausrichtung der jeweiligen Bot- also mssen sie von Gott geschaffen sein, also mssen sie ein bestimmtes
Wesen und bestimmte Eigenschaften haben, fhrt m. E. in die Irre. Der-
schaft interessiert" sind. 88
Whrend in den altkirchlichen Bekenntnissen Engel gar nicht erwhnt tragfhige - biblische Ansatz der Engellehre liegt ganz bei ihrem Auftrag,
werden, spielen sie in den reformatorischen Bekenntnisschriften in drei- ihrem Wirken, ihrer Funktion: Enge/sind Boten Gottes. Eine berzeugen-
de Konsequenz daraus hat C. Westermann gezogen, wenn er schreibt:
erlei Hinsicht eine Rolle:
"Der Engel kommt ins Sein mit seinem Auftrag, er vergeht mit der Erfl-
_ In der Apologie zu CA 21 (BSLK 318,13-17) und in den SA II,2 (BSLK lung seines Auftrags, denn seine Existenz ist Botschaft. "91 Mit dieser
425,1-25) wird mit Verweis aufSach 1,12 zugestanden, da Engel fr Formulierung ist in nuce alles Wesentliche zur Angelologie gesagt. Das
uns im Himmel Frbitte leisten; die Anrufung, Anbetung und religise soll nun noch kurz entfaltet werden.
Verehrung der Engel wird jedoch abgelehnt; "denndas ist Abgtterei, Die Frage: "Gibt es Engel?" ist zwar verstndlich, fhrt das Denken
und solche Ehre gehret Gott alleine zu" (BSLK 425,10 f.). aber in eine falsche Richtung. Es gibt keinen Grund zu der Annahme,
_ In SA II 2 weist Luther- in deutlicher Anspielung auf Gall,8 - darauf unter der Vielzahl der Geschpfe Gottes gebe es eine Art von Geschpfen,
hin, da niemand, auch. kein Engel, das Recht hat, Glaubensartikel die als "Engel" zu bezeichnen seien (so wie es Pflanzen, Tiere, Menschen,
aufzustellen, als allein das Wort Gottes (BSLK 421,23-25). Gestirne, Land und Meer gibt). Aber: Es ereignet sich, es geschieht, da
_ Laut dem Kleinen Katechismus soll (oder kann jedenfalls) Gott um die Me~schen (und vielleicht sogar Tieren 92 ) eine Begegnung widerfhrt, in
beschtzende und bewahrende Sendung seines heiligen Engels gebeten der Ihnen die bedrohliche oder rettende Wirklichkeit Gottes auf sprbare
werden, wie dies im Morgen- und Abendsegen, die Teil des Katechis- Weise so nahe kommt, da sie dessen innewerden, da ihnen auf leibhaf-
mus sind, zum Ausdruck kommt (BSLK 521,33 u. 522,17 f.). tige Weise das Wirken Gottes zuteil geworden ist. Der Bote, durch den
Fat.man diese drei Beobachtungen zusammen, so lt sich sagen: dies geschieht, mag im Traum begegnen, in einem Bild, einem Musikstck
Engel knnen fr uns bitten und uns bewahren, deshalb drfen wir Gott oder in einem Menschen aus Fleisch und Blut (der u. U. davon selbst nichts
um seine(n) Engel bitten. Aber sie sind keine gttlichen Wesen, darum wei) oder in einer Gestalt, die in die alltgliche Erfahrung berhaupt
kommt ihnen keine eigenstndige Autoritt und keine religise Verehrung nicht einzuordnen ist. Entscheidend ist nicht die Gestalt und Erschei-
zu. Engel sind (nur) Gottes gute Boten. nungsweise des Boten, sondern sein Auftrag. Durch seinen Auftrag und
Vergleicht man den Befund aus Bibel und reformatorischen Bekennt- solange er ihn erfllt, wird der Bote zum Engel. Die Seinsweise eines
nisschriften mit der altprotestantischen Lehre von den Engeln, so gewinnt Engels ist der gttliche Auftrag, den er erfllt. Dadurch wird der Engel
man den Eindruck, da diese Lehre auf einenAbweg fhrt. Was dort ber zum Symbol, das auf Gott verweist.
89 VgI. dazu z. B. Heinrich Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen
88 So Horst Seeba, Art. "Engel", in: TRE 9,S. 585. hnlich resmiert O. Bcher Kirche (1843). Hg. H. G. Phlmann, Gtersloh 199011 , S. 134-149.
fr das Neue Testament (a.a.O., S. 599): "Im Bild von den Engeln veranschau- 90 A.a.O., S. 134.
licht sich der Fromme der Bibel das Geheimnis des gttlichen Wirkens. Vor 91 Gottes Engel brauchen keine Flgel, S. 7. Nicht recht einzusehen ist lediglich,
der Wrde ihres Auftraggebers und dem Gewicht ihres Auftrags treten im warum Westermann am Ende dieses Satzes den Begriff "Auftrag" durch
Neuen Testament die Engel vllig zurck; sie sind weder Gegenstand theolo- "Botschaft" ersetzt. Das ist eine unntige Verengung.
gischer Reflexion noch gar kultischer Verehrung." 92 S. Num 22,21-35: Bileams Eselin.
300 Gottes Sein Gottes Wirken 301

Der Versuch, das Wesen und die Eigenschaften von Engeln anstelle winkel wird noch weiter verengt, wenn man sich gar auf die Frage nach
ihres Auftrags und ihrer Wirkweise zu bestimmen, ist nicht nur ein ver- der mglichen Beeinflussung des Wirkens Gottes durch das Gebet be-
fehlter Denkansatz, sondern birgt die Gefahr in sich, Engel dort nicht schrnkt. Aber man kann kaum bestreiten, da mit diesen beiden Perspek-
wahrzunehmen, sie also dort zu bersehen, wo sie tatschlich in Erschei- tiven jedenfalls entscheidende Problempunkte der Lehre vom Gebet ange-
nung treten, auftauchen oder vorkommen. Und diese Gefahr ist noch sprochen sind. Deswegen mag es legitim sein, das Thema "Gebet" an
grer als die einer verfehlten oder ins Leere gehenden Konstruktion von dieser Stelle - zugleich als Abschlu der Gotteslehre - zu bedenken.
Wesen und Eigenschaften, weil es ja bei der Begegnung mit Engeln um die Das Gebet ist in der Vielfalt seiner Formen und Inhalte in erster Linie
Begegnung mit dem Wirken Gottes geht, das durch den Botendienst der menschliches Reden zu Gott. Im Gebet sammelt eine Person sich und
Engel erschlossen wird. 93 Die Gefahr, Engel (und damit die durch sie spricht in eigenen oder angeeigneten Worten (allein oder gemeinsam,
erschlossene Gottesbegegnung) nicht wahrzunehmen, ist ganz real. Engel begleitet von Gesten oder als bloe innere Gedankenbewegung) vor Gott
knnen verkannt, ihre Botschaft kann berhrt oder bersehen werden. aus, was sie zutiefst bewegt. Und indem sie dies tut, bleibt sie nicht lnger
Einer der Grnde dafr ist darin zu suchen, da Engel ganz in ihrem mit sich, ihren Erfahrungen, ngsten, Sorgen oder Freuden allein, son-
Auftrag aufgehen und- im Unterschied zu Dmonen ~ nicht die Auf- dern sucht die Nhe und Gegenwart Gottes. Das bedeutet einerseits, da
merksamkeit und Verehrung auf sich ziehen, sondern transparent sind fr sie durch die Ausrichtung auf Gott heilsamen Abstand gewinnen kann
Gottes Wirken. von sich selbst und VOn dem, was sie bewegt. Und es bedeutet anderer-
Eine Dogmatik kann und sollte ber Engel nicht viel sagen, sondern seits, da sie gerade so ganz zu sich selbst finden kann, indem sie ihr
nur versuchen, durch gedankliche KlrungeIldie Bereitschaft und Auf- Leben von Gott her in einem neuen Licht wahrnimmt, annimmt und
merksamkeit fr solche Erfahrungen zu wecken. Fr die symbolisierende gestalten lt.
Darstellung der Gestalten, die Engel sein knnen, und der Situationen, in In diesem Sinn ist das Gebet in allen seinen Grundformen: als Klage,
denen Engel begegnen knnen, ist die Kunst in allen ihren Zweigen eher Bitte und Frbitte, Dank und Lob primr Ausdruck und Aussprache
zustndig, weil besser geeignet als die Dogmatik. 94 Entscheidend ist, da dessen, was einen Menschen bewegt - vor Gott. Es trgt deshalb seinen
es um die Begegnung mit Boten Gottes und ihrem Auftrag geht, durch die Sirinund Wert in sich selbst, es ist Selbstzweck. Und die unersetzliche
es zu einer Erfahrung des Wirkens Gottes kommt, die immer heilsam, aber Bedeutung des Gebets liegt darin, da es der Ort vlliger Offenheit und
keineswegs immer angenehm ist, sondern schrecklich sein kann9S Aufrichtigkeit, letzter Ernsthaftigkeit und vorbehaltlosen Sich-Anver"
trauens ist. Deswegen ist es legitim, da das Gebet die Klage einschliet,
in der eigenes und fremdes Elend unverstellt zu Worte kommt, Gott seine
8.3.5 Gottes Wirken und das Gebet des Menschen Verheiungen vorgehalten werden und die Klage sogar zur Anklage gegen
Gott werden kann (vgl. Hi 16,7-17; 30,20 f.; Ps 22,2 f.; Jer 20,7).
Das Gebet als Element der Lebensgestalt des Glaubens (s. o. 2.2.3) wird Aber in dieser expressiven Bedeutung geht das Gebet nicht auf. Es ist
durch seine Verhltnisbestimmung zu Gottes Wirken nicht vollstndig ja in der Regel (und von seinem Begriff her) auch Bitte und Frbitte, in der
erfat, sondern nur unter einem bestimmten Blickwinkel. Dieser Blick- Gott angerufen und von ihm erbeten wird, die Not zu wenden und Hilfe
zu schaffen. Dabei geschehen diese Bitten in der christlichen Gemeinde
93 Dies kommt auch in der bekannten Liedstrophe Bonhoefferszum Ausdruck: "im Namen Jesu" (Joh 14,13 f.; 15,16; 16,23-26), d. h. nicht: unter for-
"Von guten Mchten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kom- melhafter Berufung auf Jesus Christus, sondern in der Gewiheit, da
men mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewi an Gott, an den sich die Betenden wenden, sich in Jesus Christus als Liebe
jedem neuen Tag." (EG 65,7, Hervorhebungen von W. H.).
geoffenbart hat. Das Gebet im NaIllen Jesu, also das Gebet nach christ-
94 In diesem knstlerisch zu gestaltenden Raum hat dann unter Umstnden vieles
Platz: nicht nur Paul Klees "Engel noch tastend", sondern vermutlich auch die lichem Verstndnis, geschieht unter der Voraussetzung: "euer Vater wei,
geflgelte Barockputte neben den "himmlischen Heerscharen" und dies alles was ihr bedrft, bevor ihr ihn bittet".96
unter oder am "Himmel ber Berlin".
95 Vgl. dazu die bekannte Zeile von R. M. Rilke: "Ein jeder Engel ist schrecklich" 96 Mt 6,8 unmittelbar vor dem Text des Vaterunser. Diese Voraussetzung ist
(Duineser Elegien, erste und zweite Elegie), in: Rilke, Gesammelte Gedichte, hier wie meist im Neuen Testament personal, also (potenziert) metaphorisch
Insel-Verlag, Frankfurt a. M. 1962, S. 441 u. 445. formuliert.
302 Gottes Sein

Aber gerade wenn das gilt, stellt sich die Frage nach dem Sinn des
Bittgebets verschrft. Wenn Gott"wei", was Menschen bedrfen, bevor
9 Gottes Selbsterschlieung in
sie ihn bitten, warum"will" Gott dann noch gebeten sein? An so etwas Jesus Christus (Christologie)
wie einen menschlichen Unterwerfungsakt als Bedingung fr Gottes Erh-
rung kann vom christlichen Gottesverstndnis her nicht gedacht werden.
Sinnvoll ist das Bittgebet aber dann, wenn es selbst als die Weise verstan-
den wird, wie ein Mensch sich vor Gott und fr Gottes Wirken ffnet, um
so ~ fr sich und fr andere - das zu empfangen, was er braucht: Mut, 9.1 Das Thema der Christologie
Glauben, Zuversicht und - als Inbegriff aller guten Gaben - den Heiligen
Geist (Lk 11,13).97 Durch dieses Gebet werden die Bitten um Brot, Ge- Alles, was im vorigen Kapitel ber das Sein Gottes, sein Wesen und seine
sundheit, Errettung etc. nicht verdrngt, aber sie werden dadurch umfan- Eigenschaften, seine Wirklichkeit und sein Wirken gesagt wurde, war
gen und unter den Vorbehalt des Willens Gottes gestellt (s. Mt 6,10 u. Lk letztlich hergeleitet von der Person und dem Werk Jesu Christi als.dem
22,42). So ist das Gebet nicht nur Ausdruck und Ausspr'!.che dessen, was geschichtlichen Urimpuls des christlichen Glaubens. Hier ist nun der
einen Menschen bewegt, sondern auch Akt des Sich-Offnens und des Ort; die Lehre von Jesus Christus, also die Christologie, zu entfalten.
Empfangens dessen, was Gott gibt - und insofern hat das Gebet rezepti- Dabei soll zunchst die Themenstellung der Christologie expliziert wer-
ven Charakter. 98 den, indem der christliche Glaube als Glaube an das Evangelium von
Von daher kann auch die falsche Alternative berwunden werden, vor Jesus Christus (9.1.1) interpretiert und von da aus die Zusammengeh-
die man leicht gert, wenn man die Frage stellt, ob das Gebet Gott veran- rigkeit, ja Einheit von Person und Werk Jesu Christi (9.1.2) angespro-
lassen kann, etwas zu tun, was er ohne das Gebet nicht getan htte. Es geht chen wird.
im Gebet weder um ein"Veranlassen" seitens des Menschen noch um ein
"Tun" Gottes, sondern es geht darum, da ein Mensch sich im Gebet in
seiner ganzen Bedrftigkeit so vor Gott und fr Gott ffnet, da er das,
was er zum Leben braucht, von Gott empfangen kann. Wo das geschieht, 9.1.1 Der christliche Glaube als Glaube
da ereignet sich etwas, das ohne das Gebet nicht geschehen wre: Da an das Evangelium von ]esus Christus
gewinnt ein Mensch Anteil an der Wirklichkeit Gottes.
Christlicher Glaube hat seinen Ursprung und bleibenden Grund in dem _
primr gelebten und gesprochenen, sekundr geschriebenen - Evangeli-
um, das verstanden sein will als Evangelium von ]esus Christus. Jedes der
vier Worte, aus denen diese Formel besteht, verdient eine (kurze) eigene
Besinnung.
97 Insofern kann man sagen, da das Gebet eine reale Vernderung in der Gott-
Mensch-Beziehung bewirkt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Ein-
schrnkung der gttlichen Selbstbestimmung und Souvernitt von Seiten des
Menschen, sondern um ein Sich-bestimmen-Lassen Gottes durch das mensch- 9.1.1.1 Die Botschaft von ]esus Christus als EvangeliuIIl
liche Gebet. Vgl. als Vorform des hier skizzierten Gebetsverstndnisses meine
ausfhrlichere Darstellung in dem Aufsatz: Den Mantel weit ausbreiten. Der Begriff "evaYYE7\1ov" bedeutet ursprnglich ,,(Lohn fr eine) gute
Theologische berlegungen zum Gebet, in: NZSTh 33/1991, S.231-247.
Nachricht, Siegesnachricht". DieseJ;Begriff hat bereits in vorchristlicher
Da ich nicht bei dieser Vorform stehen geblieben bin, verdanke ich vor allem
den weiterfhrenden berlegungen von M. Kauer zu Tillichs Gebetsver- Zeit im rmischen Kaiserkult religise Bedeutung erlangt, wo der Kaiser
stndnis. als ein Wesen gttlicher Art verstanden wird, das alles Heilvolle fr die
98 Fat man das expressive Moment und das rezeptive Moment zusammen, so Menschen in seiner Person vereinigt. Schon die Nachricht von seiner
kann man auch von einem dialogischen Charakter des Gebets sprechen, Geburt ist ein EvayyE7uov, ebenso die von seinem Mndigwerden und sei-
wenngleich diese Redeweise miverstndlich ist, weil sie den Eindruck eines ner Thronbesteigung. Desgleichen knnen alle seine Erlasse als EvayyE7ua
Gesprchs zwischen zwei gleichartigen Partnern erweckt. bezeichnet werden.
304 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Thema der Christologie 305

Das Neue Testament bernimmt diesen Begriff in seiner positiven, 9;1.1.3 Der Bezug des Evangeliums zu Jesus von Nazareth
heilvollen Bedeutung als zusammenfassende Bezeichnung der Botschaft
Jesu (Mk 1,14) und der christlichen Botschaft (Rm 1,1 u. 0.). Im Unter- Der christliche Glaube verdankt sich der Verkndigung, dem Wirken und
schied zum Kaiserkult gibt es im Neuen Testament aber nur ein Evange- Geschick Jesu von Nazareth. Dieser konstitutive Bezug zu einem konkre-
lium, nmlich das von Jesus Christus. Damit wird die Heilserwartung und ten Menschenleben versteht sich nicht von selbst. Es gibt Religionen, die
-verkndigung auf einen einzigen Punkt konzentriert. Auch wenn der sich auf Mythen, Riten, Normen, Ideen oder Lehren beziehen, ohne da
Inhalt des Evangeliums mit unterschiedlichen Begriffen beschrieben wer- es einen konstitutiven Bezug zu der Person oder zu den Personen gbe,
den kann, z. B. als Gottesherrschaft, Gerechtigkeit Gottes, Heil oder von denen sie herstammen oder auf die sie zurckzufhren sind. Anders
Vershnung, so ist doch immer ein und dasselbe Heilsgeschehen gemeint, ist es beim christlichen Glauben. Er richtet sich auf die Selbsterschlieung
das fr das Neue Testament untrennbar verbunden ist mit dem Namen Gottes, wie sie sich in einem bestimmten Menschen, Jesus von Nazareth,
Jesus Christus. in einem bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext er-
Von daher ergibt sich ein weiterer, wirklich gravierender Unterschied eignet hat. Dabei ist das Bild dieses Menschen durch die - notwendigen -
zum Kaiserkult. Dort sind die EvayyEAIa mit kaiserlichem Machterweis, Vermittlungen und Interpretationen der berlieferung ausgeschmckt
Herrlichkeit, Wohllebenetc. verbunden - hier mit Armut, Niedrigkeit, ja und verndert worden. Entscheidend ist, da der christliche Glaube sich
mit der Schande des Verbrechertodes. Das Evangelium von Jesus Christus von seinem Ursprung her der Begegnung mit einer Person verdankt, von
ist ein mgliches CJKavoaAov, dessen man sich schmen kann (Rm 1,16; der gesagt werden konnte und kann: In ihr hat Gott sich - als Liebe -
I Kor 1,18-2,5). Und dem entsprechen auch der Inhalt und die Adressaten erschlossen.
des Evangeliums. Es ist Heilszusage fr Verlorene, Erwhlung derer, die Wrde dieser Bezug zu einer konkreten Person preisgegeben oder fr
vor der Welt nichts gelten (Lk 15; I Kor 1,26-29). unwesentlich erklrt, indem z. B. der Ursprung des christlichen Glaubens
in eine erdachte "Christusmythe" (A. Drews) verlegt wrde, so wre der
christliche Glaube schon in struktureller Hinsicht als Illusion, d. h. als
9.1.1.2 Das Evangelium als Botschaft von Jesus Christus Wunschdenken zu bezeichnen (s. o. 8.2.1.1). Er wre dann nicht konsti-
tuiert durch die Begegnung mit einer Person, die unbedingtes Vertrauen
Das"von" kann sowohl fr einen genitivus auctoris wie fr einen genitivus auf Gott weckt, sondern er wre aus der Sehnsucht nach einer solchen
obiectivus stehen. Im ersten Fall bezeichnet es denjenigen, von dem das Begegnung heraus konstruiert. Ein solches Konstrukt taugte aber nicht als
Evangelium herstammt; im anderen Fall denjenigen, von dem es handelt. Fundament fr ein daseinsbestimmendes Vertrauen.
Diese Doppeldeutigkeit ist sachgem und nicht zu eliminieren. Man
kann zwar sagen: Im Blick auf die (synoptische) berlieferung der irdi-
schen Verkndigung Jesu berwiegt der genitivus auctoris, und im Blick
auf die nachsterliche Verkndigung von Jesus Christus berwiegt der 9.1.1.4 Das Evangelium von Jesus als dem Christus
genitivus obiectivus. Aber in beiden Fllen ist beides (zumindest implizit)
vorhanden. D. h., das Evangelium von Jesus Christus ist untrennbar mit Die Christologie - um deren Sinn und Bedeutung es hier geht - bezieht
seiner Person und seinem Wirken verknpft, weil das, was er verkndigt ihren Namen von dem Titel "Christus" (= "Messias"; = "Gesalbter")
und bringt, nicht unabhngig von seinem Reden und Wirken existiert, und nicht von dem Namen des irdischen Jesus. Dabei kann man durchaus
sondern sich darin ereignet und manifestiert. Im irdischen Wirken Jesu ist darber streiten, ob gerade der Christus-Titel das geeignete begriffliche
dieser Bezug dadurch unbersehbar, da er selbst ja der Verkndiger und Instrument ist oder ob es nicht viel eher der Titel "Herr" oder "Sohn"
der Heilende ist. Von Kreuz und Auferstehung her ergibt sich fr die ist, der die Heilsbedeutung Jesu angemessen zum Ausdruck bringt (s.
Urgemeinde die Ntigung, diesen Bezug zwischen der Verkndigung und dazu u. 9.4). Faktisch ist der Christus-Titel sehr schnell zu einer Art
dem Verkndiger christologisch zu explizieren, so da nun der Akzent Eigenname verblat. Aber gerade dieser Titel hat die wichtige Funktion,
ganz zu Recht auf das" von" im Sinne des genitivus obiectivus fllt. In ihm den jdischen Lebenszusammenhang im Bewutsein zu erhalten, aus dem
ist aber der genitivus auctoris nicht eliminiert, SOndern aufbewahrt, also Jesus stammt, in dem er gewirkt hat, und in dem er darum auch gesehen.
enthalten. werden mu.
306 Gottes Selbsterschlieung in Christus Verkndigung, Wirken und Geschick Jesu 307

Entscheidend ist, da mit diesem oder einem anderen Titel die einzig- und das Geschick Jesu erst seine auergewhnliche, ja einmalige Heils-
artige Bedeutung Jesu in Form eines Bekenntnisses zum Ausdruck kommt bedeutung erhlt.
(vgl. Mt 16,16). Die Christologie handelt von Jesus als dem Christus, Gegen das von daher sich ergebende Begrndungsgeflle von der Per-
d. h., von seiner Heilsbedeutung. Dabei wird in der theologischen ber- son zum Werk erhebt sich aber zumindest ein erkenntnistheoretisches
lieferung unterschieden zwischen der Heilsbedeutung seines Wirkens und Bedenken. Zwar ergibt sich fr diejenigen, die von Phil 2 oder Lk 1 her
Geschicks einerseits (de opere bzw. munere Christi) und der Heils- die Evangelien lesen, der Eindruck, das erste sei die Auszeichnung der
bedeutung seiner Person (de persona Christi) andererseits. Die alt- Person, dann und von daher ergebe sich die Bedeutung seines Werks, aber
protestantische Christologie hat auerdem hiervon noch unterschieden das ist nicht die Erkenntnisordnungder Menschen, die ihm als erste
die Lehre von den sog. Stnden Christi (de statibus Christi), nmlich nachfolgten. Sie wurden ja nicht mit einer Erzhlung oder Theorie ber
seiner Erniedrigung (exinanitio) und Erhhung (exaltatio). Genau bese- Jesu gttlichen Ursprung oder seine Herkunft konfrontiert.! Vielmehr
hen sind die "Stnde" jedoch kein Unterscheidungsmoment, das auf die- begegnen sie der Person Jesu, sie hren seine Verkndigung, sie sehen
selbe gedankliche Ebene gehrt wie die Unterscheidung zwischen Person seine Taten, sie werden Zeugen seines Leidens und Sterbens, und sie
und Werk, sondern sie sind ein Aspekt, der sich seinerseits primr auf die werden schlielich dessen gewi, da er von den Toten auferweckt und
Lehre von der Person, sekundr auf die vom Werk Christi bezieht. Des- erhht worden ist. Und aus alledem gewinnen sie die berzeugung: Er ist
wegen werden sie hier auch nicht als eigenstndiges Thema behandelt. der Kyrios, der Christus, der Sohn Gottes.
Wichtig ist jedoch, da ber der sinnvollen, ja in gewisser Hinsicht Wenn wir verstehend nachvollziehen wollen, wie es zu dem Bekennt-
notwendigen Unterscheidung zwischen Person und Werk Christi die un- nis zu Jesus als dem Christus kam und kommt, werden wir deshalb bei der
auflsliche innere Zusammengehrigkeit, ja deren Einheit nicht aus dem Betrachtung seiner Verkndigung, seines (geschichtlichen) Wirkens und
Blick gert. Erst von dieser Einheit her lt sich m. E. auch die Unterschei- seines Geschicks anzusetzen haben2, wie es durch die synoptische berlie-
dung sachgem begrnden, in eine sinnvolle Reihenfolge bringen und ferung zugnglich wird (9.2), um von da aus nach dem Heilswerk (9.3)
gegen die Gefahr einer abstrakten Trennung sichern. Deswegen soll nun und der Person Jesu Christi (9.4) zu fragen.
von dieser Einheit die Rede sein.

9.2 Verkndigung, Wirken und Geschick ]esu


9.1.2 Die Einheit von Person und Werk ]esu Christi
9.2.1 Die geschichtliche berlieferung von ]esus
Da auch die altprotestantische Christologie trotz dieser Unterscheidung
um die Einheit von Person und Werk Jesu Christi gewut hat, zeigt sich Alles Wesentliche, was wir ber Jesus von Nazareth wissen, ist den syn-
schon daran, da die beiden Hauptbestimmungen der Lehrstcke de optischen Evangelien entnommen. Diese sind freilich keine neutralen hi-
persona und de opere Christi genauestens harmonieren: Zentrum der storischen Quellen, sondern Glaubenszeugnisse, d. h., sie sind geschrie-
Lehre von der Person Christi ist der Gedanke der unio personalis, derzu-
folge von Jesus Christus gesagt werden kann und mu, da er wahrhaft 1 Laut der synoptischen Evangelienberlieferung ist dies nirgends Bestandteil
Gott und wahrhaft Mensch (vere Deus et vere homo) sei. Im Zentrum der der Verkndigung ]esu.
Lehre vom Werk Christi steht der Begriff des Mittleramtes (opus media- 2 Die Alternative: Einsatz bei der Person oder beim Werk ]esu Christi ist nicht
toris). D. h. aber doch: Weil in Jesus Christus Gottheit und Menschheit identisch mit der Alternative zwischen einer Christologie von oben und einer
(gttliche und menschliche Natur) sich in einer Person verbunden haben, Christologie von unten. Mit einer Christologie von unten ist der methodische
darum ist Jesus Christus der Mittler zwischen Gott und Mensch. Wre er Einsatz bei der Person und/oder beim Wirken des irdischen ]esus gemeint-
anstelle einer Deduktion der Christologie aus der Trinittslehre oder aus dem
nicht zugleich wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, dann knnte er auch
ewigen Ratschlu Gottes (Christologie von oben). Das Modell der Christolo-
nicht der Heilsmittler zwischen Gott und Mensch sein. Man sieht sofort: gie von unten mu gegen das verbreitete Miverstndnis in Schutz genommen
Die Begrndung erfolgt hier von der Person her zum Werk - nicht umge- werden, als solle hier eine " Christologie " entwickelt werden, in der nur die
kehrt. Die in der Inkarnation (und Kondeszendenz) grndende unio wahre Menschheit, nicht aber die wahre Gottheit ]esu Christi zur Geltung
personalis ist die Voraussetzung, durch die die Verkndigung, das Wirken kommt - also blo eine ]esulogie, statt einer Christologie.
Gottes Selbsterschlieung in Christus Verkndigung, Wirken und Geschick ]esu 309
308

ben aufgrund des. Glaubens an Jesus Christus, und sie wollen Glauben Tier wird Friede sein (Jes 11,6-8;65,25). Noch freilich ist diese Gottes-
wecken. Knnen solche Glaubenszeugnisse aber als Quellen fr die Er- herrschaft "im Jenseits des Himmels und im Scho einer geheimnisvollen
kenntnis des geschichtlichen Jesus in Anspruch genommen werden? Das Zukunft"3 verborgen und nur den Propheten oder Sehern offenbar.
mte nur dann grundstzlich verneint werden, wenn man von der- Schon inder Predigt Johannesdes Tufers wird der Anbruch der
abwegigen ~ Voraussetzung ausginge, da Menschen, die an jemand glau- Gottesherrschaft (soMt 3,2) bzw. das endzeitliche Gericht (so Lk 3,9) als
ben, sich also auf ihn verlassen, weil sie ihn als vertrauenswrdig erlebt unmittelbar bevorstehend verkndigt. Und dieses bevorstehende Ereignis
haben, schon deswegen keine verllichen Zeugen von dieser Person sein ist die Begrndung fr den dringlichen Ruf zur Umkehr und zur Taufe
knnen. Der Begriff " Glaubens-Zeugnis " enthlt - in seinen beiden Be- (Mk 1,4 parr.). Mglicherweise gehrteJesus eine Zeitlang zum Jnger-
standteilen - den Anspruch der Zuverlssigkeit und Vertrauenswrdig- kreis des Tufers und kannte dessen Botschaft; jedenfalls lie er sich von
keit. ihm taufen (Mk 1,9-11 parr. Mt 3,13-17;Lk 3,21 f.). Doch trotz dieser
Aber es handelt sich dabei zunchst nur um einen Anspruch, der im Verbundenheit unterscheidet sich die Verkndigung Jesu von der des
einzelnen kritisch geprft werden mu, wobei schon die Tatsache, da wir Tufers in zweierlei Hinsicht grundstzlich:
die Jesus-berlieferung in (drei) unterschiedlichen Evangelien haben, nicht - Whrend der Tufer das kommende Strafgericht Gottes ankndigt,
nur Grund, sondern auch Ansatzpunkt fr eine solche historisch-kritische das bald ber ganz Israel wegen seiner Snde ergehen wird (Mt 3,7 ff.;
Wrdigung und Handhabung dieser Quellen ist. Lk 3,9), bedeutet die von Jesus verkndigte Gottesherrschaft (ohne
da der Gerichtsgedanke preisgegeben wird) Heil und Rettung - und
zwar gerade fr die Verlorenen (Mt 5,3-12 par. Lk 6,20 ff.; Mt 20,1-
9.2.2 Verkndigung und Wirken ]esu 16; Lk 14,16-24; 15,1-32; 18,9-14; 19,1-10).
Charakteristisch ist, da fr Jesus die Gottesherrschaft nicht nur - wie
Die synoptischen Evangelien berichten Zuverlssiges nur ber die kurze fr den Tufer - eine zuknftige Gre ist, sondern in seinem Wirken
Zeit des ffentlichen Wirkens Jesu von seiner Taufe bis zu seiner Kreuzi- schon gegenwrtig wird. Dabei ist beides gleichermaen wichtig: die
gung. Sie schildern ihn als einen Wanderprediger und Wundertter. Gegenwrtigkeit der Gottesherrschaft und ihre Bindung an die Person
Umgeben von einer Schar von Menschen, die ihm auf seinen Ruf hin und das Wirken Jesu (Mk 3,22-27; Mt 11,5 f. par. Lk 7,22; Mt 12,28
nachfolgen, zieht er durch Palstina (insbesondere durch Galila). Dabei par. Lk 11,20; Lk 10,23 f.; 17,20 f.).4
verkndigt er, fhrt Gesprche, heilt Kranke und pflegt Tischgemein-
schaft. Im Mittelpunkt seiner Verkndigung und seines Wirkenssteht die Diese Gegenwart der Gottesherrschaft hebt freilich in der Ver-
Ansage der nahenden Gottesherrschaft (Mk 1,15; Mt 4,17; Lk 21,31). kndigung Jesu ihre Zuknftigkeit nicht auf. Beides besteht spannungs-
Mit der Rede von der Gottesherrschaft (acrlAEia TO 6EO) nimmt Jesus voll mit- und nebeneinander. Die Gottesherrschaft ist nicht schon ver-
eine Vorstellung auf, die bereits im Alten Testament vorgeprgt war und wirklicht, sondern sie bricht sich erst Bahn. Aber als solche ist sie schon
in Israel seit der Exilszeit immer strker an Bedeutung gewonnen hatte im Kommen, sie realisiert sich in Jesu Verkndigung und Wirken schon
(vgl.Jes 52,7; Mi 4,4-6; Sach 14,9). Dabei ist mit "Gottesherrschaft" nicht jetzt. Der Gedanke der Gottesherrschaft bekommt dadurch nicht nur
ein Herrschaftsgebiet gemeint, wie der Begriff "Reich Gottes" nahelegen einen eigenen Akzent, sondern einen gegenber der Tradition neuen Sinn.
knnte, sondern das - erhoffte - Geschehen, durch das und in dem Gott Denn wenn die Gottesherrschaft das ist, was in dem unscheinbaren
seine Herrschaft ber die Erde sichtbar antritt. Diese Hoffnung auf den Wirken Jesu bereits anbricht und sich verwirklicht, dann mu sie auf
Herrschaftsantritt Gottes steigerte sich in der nachexilischeil Zeit, und verborgene Weise gegenwrtigsein. Und davon sprechen tatschlich meh-
zwar gerade angesichts der trostlosen politischen Verhltnisse, in denen
3 G. Bornkamm, ]esus von Nazarerh, S. 61.
Israel sich befand. Die Hoffnung nimmt universale, kosmische, wunder- 4 Zu diesen beiden Unterschieden in der Verkndigung pat auch der grundle~
hafte Zge an. Jahwe wird sich als Knig erweisen nicht nur ber Israel, gende Unterschied im Lebensstil zwischen dem asketischen Tufer, der im
sondern ber die Vlker (z. B. Ps 47; 99,1 f.). Diese werden zum Zion und Bergewand am Rand der Wste von Heuschrecken und wildem Honig lebt,
nach Jerusalem kommen, um Jahwes Knigtum anzuerkennen und Wei- und ]esus, der unbekmmert mit den Menschen lebt, it, trinkt und feiert und
sung zu empfangen, so da ein Zustand ewigen Friedens eintritt (les 2,2- sich dadurch den Vorwurf zuzieht, ein "Fresser und Weinsufer" zu sein (vgl.
4; Mi 4,1-3; Jer 3,17). Ja, selbst im Tierreich und zwischen Mensch und dazu Mk 1,6 par.; Mt 11,18 f. par. sowie Mk 2,18-22 part.).
310 Gottes Selbsterschlieung in Christus Verkndigung, Wirken und Geschick ]esu 311

rere Gleichnisreden Jesu (Mk 4,26"32; Mt 13,31"35; Lk 17,21), ja die und auch die zu lieben, die als die" Ungerechten" und Gesetzesbertreter
Redeform des Gleichnisses erweist sich selbst als die der Wirklichkeit der seine "Feinde" sind (Mt 5,44 f.; Lk 15). Weil das so ist, darum kann Jesus
Gottesherrschaft angemessene Sprachform;5 Was hier zu zeigen und zu ihnen bedingungslos die heilsame Nhe und die Anteilhabe an der Gottes-
sagen ist, bedarf der indirekten Mitteilung, des erschlieenden Hinwei- herrschaft zusagen und durch gewhrte (Tisch-)Gemeinschaft zeichenhaft
ses, der bildhaften Andeutung. Es lt sich nicht in der sog. "Sprache der erlebbar machen.
Tatsachen" erfassen und vermitteln. Durch sie wrde es vielmehr zerstrt Neben dieser bedingungslosen Heilszusage wirken die Worte Jesu, die
(Mk 4,33 f.). vom Gericht, vom Ernst der Entscheidungssituation, ja von der Mglich-
In der Metaphorik der Bildworte und Gleichnisse wird die Gottes- keit der Verdammnis sprechen6, wie ein Fremdkrper. Und doch sind sie
herrschaft von Jesus zur Sprache gebracht als eine Wirklichkeit, die Men- nur die Kehrseite der Erkenntnis, da allein von Gottes bedingungsloser
schen finden knnen wie einen verborgenen Schatz oder eine kostbare Liebe her dem verlorenen Menschen Heil und Rettung zuteil werden
Perle, um derentwillen sie dann mit Freuden alles andere drangeben (Mt kann. Wer diese Liebe miachtet und sich nicht von ihr bestimmen lt,
13,44-46). Oder sie lt sich beschreiben als etwas, das auf geheimnisvol- stellt sich selbst auerhalb des Heils und liefert sich dem Gericht aus. Der
le Weise wchst und wirkt, bis die geringe Kraft des Anfangs zu einem Gerichtsgedanke schrnkt in der Verkndigung Jesu Gottes Liebe zu den
groen Ziel gelangt (Mk 4,1-9; Mt 13,31-33). Dieses Wirken und Wachs- Verlorenen nicht ein, sondern er qualifiziert diese Liebe als die einzige
tum geschieht einerseits"von selbst" (Mk 4,28), aber andererseits so, da Rettung fr den Menschen. Sich ihr zu verweigern und zu verschlieen
es an Menschen geschieht und diese einbezieht, sofern sie sich diesem bedeutet bleibende Verlorenheit.
Wirken ffnen und es an sich geschehen lassen (Mk 2,5; 5,34; 7,24-27; Mt Deshalb verkndigt Jesus die anbrechende Gottesherrschaft nicht als
15,28; Lk 7,50; 8,48; 17,20 u. 0.). Information ber ein Ereignis, das sich unabhngig vom Menschen voll-
Damit wird die Gottesherrschaft verstanden als ein Geschehen, das zieht, sondern alsEinladung und Aufrufzur Teilnahme an diesem Gesche-
sich in der Verkndigung und im Wirken Jesu dort ereignet, wo Snder hen, als Ruf zur Umkehr und zur Bue (Mk 1,15; 2,17; Mt 4,17; Lk 5,32;
wieder in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen werden (Mk 2,1-12; 13,3 ff.; 15,7 u. 10). Seine tiefste Begrndung empfngt dieser Buruf von
Lk 15,1-32; 18,9-14; 19,1-10) und wo die dmonischen Mchte der der Gre und Kostbarkeit der verheienen Gabe her. Um ihrer teilhaftig
Besessenheit der Lebensrnacht Gottes weichen mssen (Mk 3,22 ff.; 5,1 H.; zu werden, soll der Mensch sich in das Ereignis der gttlichen Liebe
9,14-29; Mt 12,28; 17,14 ff.; Lk 11,14 ff.). Ziel der Verkndigung und hineinnehmen, von seinen falschen, selbstschtigen Wegen zur Umkehr
des Wirkens Jesu ist es, den Verlorenen, den Gesetzesbrechern und den zu Gott als seinem "Vater" rufen lassen. Das Verbindungsglied zwischen
vom Kult Ausgeschlossenen, also allen, die an der Gemeinschaft mit Gott der anbrechenden Gottesherrschaft und der Inanspruchnahme des Men-
nicht teilhaben, die heilsame Nhe und die Anteilhabe an der Gottes- schen fr Gott und seinen Willen ist nichts anderes als die Liebe - bis hin
herrschaftohne Vorbedingungen zuzusprechen, und zwar in prsentischer zurFeindesliebe (Mt 5,38-48; vgl. auch Mt 18,21-35). Der Ernsthaftigkeit
und in futurischer Form. Das ist nicht zu verstehen als Ausdruck einer der Heilszusage entspringt und entspricht die - wrtlich zu verstehende -
Vergleichgltigung des im Gesetz geoffenbarten Gotteswillens (s. Mk Radikalitt der ethischen Inanspruchnahme des Menschen, wie sie exem"
10,19; Mt 5,17 H.; Lk 10,26 H.) oder einer Bagatellisierung der Snde (s. plarisch in der Bergpredigt zum Ausdruck kommt.
Mk 2,9 f.; Lk 19,7-10). Im Gegenteil: Weil die Verlorenen so unter der Wird dadurch die Rede von der bedingungslosen Heilszusage nicht
Macht des Bsen stehen, da sie sich selbst nicht helfen knnen, darum nachtrglich aufgehoben? Das knnte so scheinen. Tatschlich wird aber
brauchen sie Hilfe von auerhalb ihrer selbst, und zwar von Gott her (Mk nur ihr Sinn genauer bestimmt. Entscheidend ist, da die als Heil zuge-
2,7u.17;Mt 9,12; Lk5,21. Vgl. auchMk 15,31 bpar.). Undderentschei- sagte Gottesherrschaft an keine von Menschen zu erbringenden Vorbe-
dende Inhalt der Verkndigung und des Wirkens Jesu, der ihnen zugleich dingungen gebunden oder von diesen abhngig gemacht wird. Die Pointe
ihre unverwechselbare Eigenart verleiht, lt sich so ausdrcken: Es macht der Botschaft Jesu lautet nicht: "Naht euch zu Gott, so naht er sich zu
das Wesen, ja die Vollkommenheit Gottes aus, die Verlorenen zu suchen euch" (Jak 4,8; vgl. Sach 1,3), sondern: "Das Reich Gottes ist her"
beigekommen. Tut Bue und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15; vgl.
5 Vgl. dazu H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, Gttingen (1978)
1990\ bes. 5.58-69 u. 282 f. sowie W. Harnisch, Die Gleichniserzhlungen 6 So z. B. Mk 12,9 ff.; Mt 6,14 f.; 7,1 f. u. 21 ff.; 11,20 ff.; 18,6 ff. u. 23 ff.;
Jesu, Gttingen 1985, S. 158-176. 25,1 ff. u. 41 ff.; Lk 12,16 ff., 45 ff., 57 ff.; 16,19 ff.
312 Gottes Selbsterschlieung in Christus Verkndigung, Wirken und Geschick]esu 313

auch Mt18,32 f.). Das Tun des Gotteswillens rckt also an einen anderen gewaltsamen Tod in Jerusalem - nach Art der Propheten (Lk 13,33 f. par.
Ort und bekommt damit eine ganz andere Bedeutung: Es ist nicht Vor- Mt 23,37; vgl.Mt 5,12 par. Lk 6,23 sowie Act 7,52) - gerechnet. Da er
aussetzung, sondern Konsequenz der wiederhergestellten Gottesbezie" seine Auferstehung vorhergesagt habe, ist dagegen unwahrscheinlich. Das
hung. Zwar galt auch fr Israel stets, da das Gebot Ausdruck von Gottes wrde zwar die Entstehung des Auferstehungsglaubens sehr gut erklren,
Bundeswillen und deshalb eine Wohltat fr den Menschen ist?, aber die aber es wre dann vllig unverstndlich, warum seine Anhnger ~ mit
prinzipielle Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes gegenber den Sndern Ausnahme einiger Frauen - ihn kopflos verlieen, nachdem er gefangen-
ist etwas qualitativ Neues in der Verkndigung und im Wirken Jesu. Der genommenwurde. Die Evangelien betonen an den entsprechenden Stellen
im Gebot geoffenbarte Gotteswille wird dadurch nicht aufgehoben oder darum auch das Unverstndnis der Jnger (Mk 8,31 f.; 9,32). Es scheint
fr gleichgltig erklrt, sondern er wird der Heilszusage konsequent so, da die Anhnger Jesu erschreckt, enttuscht und verngstigt auf seine
nachgeordnet: Gott erweist dem sndigen Menschen seine Liebe, damit Gefangennahme und auf seinen Tod reagiert haben. Gott hatte ihn offen-
dieser umkehre und der Gottesherrschaft teilhaftig werde. Gottes Gnade bar "verlassen" (Mk 15,29-37 u. Lk 24,19-21).
ist also die Bedingung fr die menschliche Umkehr - und nicht durch
diese bedingt.
In dieser Bedingungslosigkeit ist auch bereits implizit die Durchbre- 9.2.4 Die Auferweckung ]esu
chung der Begrenzung des Heils auf Israel enthalten. Mag diese Konse-
quenz sich in der Verkndigung Jesu auch erst nach und nach Geltung Aber kurze Zeit spter treten dieselben Leute ganz unerschrocken. und
verschafft haben (Mk 7,24-30 par. Mt 15,21-28; VgLauchMt 8,5-13 par. gewi auf mit der Aussage: Gott hat den Gekreuzigten auferweckt und
Lk 7,1-10), so ist sie doch bereits in dem bisher dargestellten Verstndnis erhht (s. o. 3.2.2). Diese Aussage wird einerseits - und vermutlich ge-
Gottes und seiner Herrschaft in nuce enthalten. Die Bedingungslosigkeit schichtlich primr - mit Erscheinungen des Auferstandenen, andererseits _
der Heilszusage zieht ihre Universalitt mit innerer Notwendigkeit nach und vermutlich geschichtlich sekundr8 - mit der Entdeckung des leeren
sich. Grabes begrndet. Die Erfahrung, die die Gewiheit von der Auferwek-
kungJesu und das Bekenntnis zum Auferweckten ausgelst hat, wird
immer wieder beschrieben durch die Formeln: "Er wurde gesehen" und:
9.2.3 Der Tod ]esu "Er ist erschienen" (so z. B. I Kor 15,5-8; Mk 16,9-11; Lk 24,34; Act
9,17). In den Aussagen des Apostels Paulus, der sich selbst zu den Zeugen
Diese Bedingungslosigkeit der Heilszusage, die Jesu Verkndigung und des Auferstandenen zhlt, wird deutlich, da es sich bei dem Oster-
Wirken konsequent bestimmte, war wohl auch der Grund dafr, da er geschehen um einen Vorgang handelt, der offenbar sowohl als ein visio-
in Konflikt mit den religisen, sozialen und politischen Ordnungsrnchten nres bzw. auditionres wie als ein erkenntnisbegrndendes Ereignis be-
seiner Zeit geriet. Einer, der "Zllnern und Huren" (Mt 21,31 f.), Unrei- schrieben werden kann (GaI1,16; vgl. auch 11 Kor 4,1-6). Aber erst indem
nen und anderen "ffentlichen Sndern" ohne Vorbedingungen die Teil" das Sehen zum Erkennen wird, wird der Glaube an den Auferstandenen
habe an der Gottesherrschaftzusprach, untergrub die religise und gesell- geweckt.
schaftliche Ordnung. Fr die politische Obrigkeit war er damit ein Die Frage, ob es sich dabei um ein blo subjektives, inneres Gesche-
gefhrlicher Unruhestifter, fr die religise Obrigkeit ein Gotteslsterer. hen gehandelt habe, oder um ein objektives, ueres Geschehen, erweist
Auch wenn die ueren Grnde fr die Verhaftung, Verurteilung und sich bei nherem Zusehen als falsch gestellt, weil sie trennt, was nur als
Hinrichtung Jesu fr uns weitgehend im dunkeln liegen, so sind doch die Einheit begriffen werden kann. Die Auferweckung Jesu geschieht nicht
inneren Grnde fr seinen Kreuzestod an dieser Zentralstelle seines Wir- zunchst als ein "geschichtliches Faktum", das dann "geglaubt" werden
kens und seiner Verkndigung zu suchen. kann, sondern sie vollzieht sich so, da in bestimmten Menschen Glaube
Zwar knnen wir nicht sagen, Jesus habe diesen Tod gesucht oder
gewollt; aber er ist ihm nicht ausgewichen, sondern hat ihn als innere
8 Dies hat neuerdings zu Recht noch einmal G. Ldemann (Die Auferstehung
Notwendigkeit auf sich genommen. Mglicherweise hat Jesus mit seinem Jesu) herausgearbeitet. Unerfindlich ist es freilich, wie er - daraus? - zu dem
"Schlu" (a.a.O., S. 216) kommt, der Leichnam Jesu sei verwest. Dies kann
7 Dies gilt brigens grundstzlich auch fr den Islam. allenfalls eine physiologische Prmisse sein.
Gottes SelbsterschlIeung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 315
314

geweckt wird. Aber dieses glaubenerweckende Geschehen vollzieht sich gung der Gottesherrschaft (im Unterschied zu der des Tufers) die
als Wirken Gottes an bestimmten Menschen, zu einer bestimmten Zeit
9 Rede war. Sinn und Ziel des Wirkens Jesu ist weder die Verdammung,
und durch das Bild eines bestimmten, leibhaftigen Menschen, nmlich Vernichtung oder das Strafgericht ber die Menschen, noch eine Mi-
des gekreuzigten Jesus von Nazareth. schung oder ein Nebeneinander von Heil und Unheil, sondern nur das
Der Auferstehungsglaube basiert auf der Gewiheit, da Gott den Heil, d. h. die Rettung, Erlsung, Zurechtbringung der Menschen.
Gekreuzigten nicht der Macht des Todes berlassen hat. Gott hat ihn Das WirkenJesu Christi hat den Charakter der heilsamen Zuwendung
nicht verlassen, sondern sich zu ihm bekannt, seine Person und sein Wir- zu den Menschen um ihretwillen, also den Charakter der Liebe. Dies
ken besttigt, und d. h.: ihn "erhht" (Phil 2,9). "Auferweckung" und ist auch und gerade dort zu bedenken, wo vom Werk Jesu Christi als
"Erhhung" heben zwei unterscheidbare, aber sachlich zusammengeh- Richter oder als Gericht (s. dazu u. 15.3.3) die Rede ist und sein mu.
rige Aspekte 10 eines Geschehens hervor (s. o. 3.2.1): - Indem das Werk Jesu Christi als Heilswerk verstanden wird, erweist
sich jede Deutung als unzureichend, die in Jesus Christus nur oder vor
_ Jesus Christus hat Anteil an dem Leben Gottes, das die Macht des allem ein ethisches Vorbild, einen Wundertter, Sozialreformer oder
Todes berwindet, und zwar als der "Erstling unter denen, die ent- Gesetzgeber sieht. Weder die Beschrnkung auf das leiblich-irdische
schlafen sind" (I Kor 15,20). Wohlergehen noch die Isolierung der ethischen (oder politischen) For-
_ Jesus Christus ist von Gott selbst legitimiert und besttigt und hat derungen werden dem Werk Jesu Christi gerecht, das als Heilswerk zu
damit Anteil an der Hoheit und Herrlichkeit Gottes (Rm 1,4; Phil kennzeichnen ist.
2,9).
Dieser zweite Aspekt ist einerseits die definitive Antwort auf die Krise,
die durch den Kreuzestod Jesu hervorgerufen wurde, und er ist anderer- Worin aber besteht dieses Heilswerk, und wie ist es heute angemes-
seits die Begrndung fr den Sinn und die Notwendigkeit expliziter chri- sen zur Sprache zu bringen? Blickt man auf die th~ologische Literatur
stologischer Reflexion. D. h., vom Auferstehungsglauben her stellt sich in Vergangenheit und Gegenwart, dann kann es so scheinen, als sei
unabweisbar die Frage: Was bedeutet dieses Erhhtsein fr das Verstnd- "Vershnung" (vielleicht auch oder statt dessen "Erlsung") der Begriff,
nis Jesu Christi, und zwar fr das Verstndnis seines Werkes und seiner mit dem das Heilswerk Jesu Christi insgesamt am angemessensten zu-
Person? sammengefat wird. Tatschlich wird auch in dieser Dogmatik die
Vershnungslehre die sachliche und architektonische Mitte des Ab-
schnitts ber das Heilswerk Jesu Christi bilden (s. u. 9.3.2). Aber als
9.3 Das Heilswerk ]esu Christi alles zusammenfassender und umfassender Begriff ist "Vershnung" m.
E. doch nur bedingt geeignet. Weder die Ansage der anbrechenden
Da schon in der berschrift vom Heilswerk Jesu Christi die Rede ist, Gottesherrschaft, noch der damit verbundene Kampf gegen die Mchte
verdient in zweierlei Hinsicht Beachtung: des Verderbens, noch die vollrnchtige Verkndigung des Gotteswillens
_ Indem das Wirken und Geschick Jesu Christi generell als Heils~erk lassen sich zwanglos dem Begriff "Vershnung" unterordnen. Alle diese
verstanden wird, wird die eindeutig heilvolle Ausrichtung in den Blick Elemente haben wir aber als konstitutive Bestandteile der Verkndigung
genommen, von der schon im Zusammenhang mit Jesu Verkndi- und des Wirkens Jesu kennengelernt. Sie drfen nicht eliminiert oder
bergangen werden. Deshalb ist im Rckblick auf den biblischen und
9 Man beachte die von Anfang an mit dem Auferstehungsglauben verbundene dogmengeschichtlichen Befund zu fragen, ob es einen anderen Begriff
Zeitbestimmung: "am dritten Tage" (I Kor 15,4; Lk 24,21; Mt 16,21; 17,23; gibt, der das Heilswerk Jesu Chr;ti treffender zusammenfat und be-
20,19; Lk 9,22; 18,33; 24,7u. 46). schreibt.
10 Im lukanischen Geschichtswerk (Lk 24,50-53 u. Act 1,9-11) werden die In einer breiten bereinstimmung gebrauchen alle christlichen Kon-
beiden Aspekte als zwei unterscheidbare geschichtliche Ereignisse: Ostern und fessionen die im Neuen Testament nur schwach bezeugten und erst in
Himmelfahrt verstanden. Da diese Trennung (auch durch die Gestaltung des spten Schriften zur Bezeichnung Jesu Christi verwendeten Begriffe "Mitt-
Kirchenjahres) bewutseinsbildend geworden ist, ist die Einsicht in die Zu-
ler" und "Mittleramt" (opus mediatoris) zur Bezeichnung des Heils-
sammengehrigkeit von Auferweckung und Erhhung im allgemeinen nur
werkes Christi (vgl. die Stellenangaben in BSLK 1194 u. in DH E 4a sowie
schwach entwickelt.
Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk ]esu Christi 317
316

HK Fr. 36).H Dieses Mittleramtbesteht darin, da Jesus Christus die Diese Lehre ist unterschiedlich begrndet worden: von den drei altte-
durch die Snde gestrte, ja zerstrte Gemeinschaft zwischen Gott und stamentlichen Salbmtern, von groen (prophetischen, priesterlichen und
Mensch wiederherstellt. Damit wird zugleich die alttestamentliche Ver- kniglichen) Vorbildgestalten des Alten Testaments oder von bestimmten
heiung eines neuen Bundes (Jer 31,31-34) aufgenommen und als in Jesus alttestamentlichen Heilsweissagungen her (Dtn 18,15; 11 Sam 7,12 f.;
Christus erfllt gedeutet (Rm 11,25-32; Hebr 8,6-13; 10,15-17). Ps 110,5). Keine dieser Begrndungen ist sachlich ganz berzeugend. Vom
Der Begriff des Mittlers fat die verschiedenen Aspekte des Heils- Begriff"Mittleramt" her lassen sich aber drei Aspekte entwickeln, die sich
werkes Jesu Christi gut zusammen, weil es in ihnen allen um die Wieder- daraus ergeben, da Gott und Mensch durch Jesus Christus in eine neue,
herstellung von zerbrochener Gemeinschaft und d. h. auch um die Her- heilvolle Beziehung gesetzt werden. Dies scWiet ein,
stellung einer neuen Gemeinschaft und Beziehung geht. Zugleich hat der - da in Jesus Christus Gott sich dem Menschen zur Gemeinschaft
Mittler-Begriff - wie bereits oben (9.1.2) angedeutet - eine unmittelbare erschliet (Jesus Christus als Offenbarung Gottes),
Nhe zu den Aussagen ber die Person Jesu Christi. Er taugt also auch - da in Jesus Christus Gott die Gemeinschaft mit dem verlorenen
dazu, die Einheit von Person und Werk auszusagen oder doch anzu- Menschen wiederherstellt (Jesus Christus als Vershnung zwischen
deuten. Gott und Mensch) und
Trotzdem hat der Mittler-Begriff auch eine nicht geringzuachtende - da in Jesus Christus der Mensch zum Leben in der Gemeinschaft mit
Schwche. Er kann miverstanden werden im Sinne eines unabhngigen Gott befreit wird (Jesus Christus als Erlsung des Menschen).
Dritten, eines Vermittlers oder Schiedsrichters, der auerhalb des Kon-
fliktes steht und beide Parteien wieder zueinander bringt. Diese Interpre- Es ist unschwer zu erkennen, da zwischen diesen drei Aspekten und
tation ist deswegen auerordentlich gefhrlich, weil ihr zufolge Jesus der traditionellen Lehre vom dreifachen Amt jedenfalls eine gewisse Nhe
Christus weder wahrhaft Mensch noch wahrhaft Gott wre, sondern ein und Affinitt besteht: So nimmt der Offenbarungsgedanke zentrale Anlie-
Mittelwesen, das irgendwo zwischen Gott und Mensch stnde, und weil gen der Lehre vomprophetischen Amt auf, der Vershnungsgedanke steht
auf diese Weise Gott nicht mehr Subjekt des Heilswerkes wre, das in im Mittelpunkt der Lehre vomhohepriesterlichen Amt und derErlsungs"
Jesus Christus geschieht, sondern zu seinem Objekt wrde. Beide Gefah- gedanke korrespondiert dem kniglichen Amt Jesu Christi. Mit dieser
ren sind jedoch nicht notwendig mit dem Begriff "Mittler(amt)" verbun- Zuordnung ist nicht die Behauptung verbunden, es handele sich um eine
den, sondern ergeben sich nur bei bestimmten Interpretationen. Wird notwendige oder erschpfende Unterscheidung an dem Heilswerk Jesu
sowohl am vere Deus - vere homo als auchdaran festgehalten, da Jesus Christi,wohl aber soll damit gesagt werden, da diese Einteilung sinnvoll
Christus der von Gott gesandte Mittler ist, dann - aber auch nur dann - ist und da sie es erlaubt, wesentliche Aspekte der biblischen Botschaft
lassen sich diese Miverstndnisse vermeiden. Unter dieser Bedingung und der kirchlichen Lehre in einer auch heute verantwortbaren Weise
sind die Begriffe "Mittler" und "Mittleramt" gut zu gebrauchen. aufzunehmen und zur Sprache zu bringen.
Aus ihnen lassen sich auch die drei Aspekte des Heilswerkes Jesu
Christi entwickeln, die schon in der Alten Kirche gelegentlich als solche
unterschieden wurden, jedoch erst durch Calvin 12 die Gestalt der ausfor- 9.3.1 ]esus Christus als Offenbarung
mulierten Lehre vom dreifachen Amt (munus triplex) Jesu Christi erhiel- Gottes fr den Menschen 13
ten. Diese drei mter sind das prophetische, hohepriesterliche und knig-
liche Amt (munus propheticum, sacerdotale et regium) Jesu Christi. 9.3.1.1 ]esus Christus als Offenbarung in Person

Da Jesus als der Verkndiger der hahenden Gottesherrschaft und als der
gewaltsam Gettete den Titel des Propheten auf sich zieht, belegt schon
11 In der altprotestantischen Orthodoxie wird der Begriff "Mittleramt" zur
durchgngigen und verbindenden Bezeichnung fr alle Aspekte des Heils-
werkes Jesu Christi. So formuliert J. Gerhard in seinen Loci theologici von 13 Da dieser Aspekt des Heilswerkes Jesu Christi im Zusammenhang mit dem
1625: "Officium Christi consisrit in opere mediationis inter Deum et homines, Offenbarungsbegriff bereits im Hauptteil I (Kap. 3, insbesondere 3.2) aus-
quod est finis incarnationis" (IV; Cap. 15; Nr. 1, Berlin 1863, S. 60lf.). fhrlicher thematisiert wurde, knnen wir uns hier kurz fassen. Kap. 3 sollte
12 Institutio 2. Buch, 15. Kap. (bersetzung von Otto Weber, Bd. I, S. 551 ff.). zum Vergleich und zur Ergnzung herangezogen werden.
318 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 319

das Neue Testament (Mk 6,4 parr.; 6,15 parr.; Mt 23,37; Lk 13,33; 9.3.1.2 ]esus Christus als Selbstoffenbarung Gottes
24,19). Und da zwischen dem Amt des Propheten und dem Geschehen
der Offenbarung eine enge Verbindung besteht, bedarf allem Anschein Wenn es zutrifft, da wir es in den Worten, dem Wirken und dem Ge-
nach keiner besonderen Begrndung, sind doch die Propheten die Gestal- schick Jesu Christi tatschlich mit Gott zu tun bekommen, dann mu das
ten, die - in einer bestimmten geschichtlichen Situation - das Wort und bisher Gesagte noch prgnanter formuliert werden: In Jesus Christus
den Willen Gottes kundtun. Aber trotz dieser zweifellos bestehenden offenbart Gott sich selbst. Erst mit dieser Zuspitzung wird im Blick auf
Beziehungen lt sich das prophetische HeilswerkJesu Christi nicht allein das prophetische Amt Jesu Christi die oben (S. 316) angesprochene Schw-
von daher angemessen verstehen. ehe und Gefahr des Mittler-Begriffs vermieden, derzufolge Jesus Christus
Whrend es fr die alttestamentlichen Propheten weithin charakteri- wie eine dritte Gre zwischen Gott und Mensch erscheinen knnte.
stisch ist, da sie ihre Worte mit der sog. Botenformel: ,,(So) spricht der Diese irrefhrende Vorstellung wird berwunden durch die Einsicht, da
Herr" (Jes 7,7 u. o.;Jer 2,2 u. 0.; Ez 2,4 u. o. sowie Am 1,3) einleiten und es Gott selbst ist, der sich in Jesus Christus offenbart. Gott erweist und
damit auch legitimieren, findet sich eine solche Formel nirgends in der erschliet sich an dem Gekreuzigten, Gestorbenen und Begrabenen einer-
Verkndigung Jesu. Er erzhlt in Bildern und Gleichnissen, wie es sich mit seits als der aus Liebe leidende Gott, andererseits als der Gott der die
der Gottesherrschaft verhlt, und er verkndigt den Willen Gottes, aber Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, da es sei" (R; 4,17),
er beruft sich dabei nicht auf spezielle Eingebungen oder Offenbarungen. d. h. als die Macht, die den Tod berwindet.
Er spricht von Gott wie einer, der Gott in der Tiefe seines Wesens erkannt Nach dem, was in 8.1 ber Gottes Wesen und Eigenschaften ausge-
hat (Mt 11,27) und der aus einer nicht abreienden, innigen Beziehung zu fhrt wurde, kann dies aber nur heien: In Jesus Christus nimmt die Liebe
Gott heraus lebt und darum auch handelt und redet. Das prophetische selbst menschliche Gestalt an, d. h.: sie erscheint und erschliet sich in
Heilswerk Jesu Christi bezieht sich also nicht nur auf seine Verkndigung, diesem liebenden Menschen. So wie die (gttliche) Liebe schpferisch ist
sondern auf die Einheit und Ganzheit seiner Person. 14 Wer ihn sieht, sieht im Blick auf das Dasein der Kreaturen, so ist diese Liebe auch schpferisch
den Vater (Joh 14,9). im Blick auf die Erkenntnis des Ursprungs und Bestimmungsziels der
Dieses umfassende Verstndnis von Offenbarung kommt auch zum Kreaturen. Sie erschliet sich (in Jesus Christus) dem menschlichen Erken-
Ausdruck in der altprotestantischen Unterscheidung zwischen der unmit- nen. Das kann (und soll) zwar ein Mensch dem anderen bezeugen, aber
telbaren (immediate) Ausbung des prophetischen Werks Jesu Christi in die Glaubensgewiheit stammt nicht von "Fleisch und Blut", sondern hat
seiner irdisch-geschichtlichen Verkndigungsttigkeit und der mittelba- ihren Ursprung in Gott selbst (Mt 16,17).
ren (mediate) Ausbung durch die gegenwrtige - in der Kirche ge-
schehende - Wortverkndigung und Darreichung der Sakramente. Damit
kommt nicht nur der Zusammenhang zwischen Wortverkndigung und
sakramental-personaler Prsenz (s. u. 14.2.4.2) zum Ausdruck, sondern 9.3.1.3 Der Gehalt der Gottesoffenbarung in ]esus Christus
auch der Zusammenhang, der zwischen dem prophetischen Werk Christi
einerseits und seinem priesterlichen sowie kniglichen Werk andererseits Der Gehalt dessen, was in Jesus Christus von Gott her offenbart ist, wird
besteht: In Wortverkndigung und Sakrament vergegenwrtigt Jesus nirgends im Neuen Testament zum Ausdruck gebracht mit Formeln wie:
Christus sich in der Ganzheit und Einheit seines Heilswerkes. Als der " Gott existiert" oder "Es gibt Gott" oder "Gott ist Wirklichkeit". Alles
Prophet bezeugt Jesus Christus zugleich sich selbst als den Hohenpriester Interesse konzentriert sich demgegenber auf die Fragen: "Was bedeutet
und Knig.J5 es, da Gottes Herrschaft sich naht?", "Wie ist Gott?", "Was will und
wirkt Gott?"
Dieser Befund ist immer wieder damit erklrt worden, da fr die
vorneuzeitliche Welt die Wirklichkeit Gottes fraglos gewi gewesen sei, so
14 Hier zeigt sich erneut, wie eng die Lehre vom Werk und von der Person Jesu da sich alles Interesse auf die Frage nach dem Wesen und Wirken Gottes
Christi miteinander verbunden sind. konzentrieren konnte. Demgegenber bestehe die neuzeitliche Radikali-
15 Diesen Gedanken hat insbesondere K. Barth in KD IV, 1-3 entwickelt und ihm sierung der Gottesfrage darin, da die Wirklichkeit Gottes selbst zum
eine fr die ganze Vershnungslehre strukturgebende Funktion gegeben. Problem geworden sei.
320 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 321

Diesen berlegungenistjedoch inzwischen - mit guten.Grnden- ohne Gott leben will, offenbar, aber auch, ja viel mehr, ihre Bestimmung
von vielen Seiten widersprochen worden. Dabei besteht das Hauptargu- zum Leben in der heilsamen Nhe Gottes. Die Selbstoffenbarung Gottes
ment nicht in dem Hinweis auf die Tatsache, da sich auch in der vor- in Jesus Christus deckt zwar die Lieblosigkeit, die Unwahrhaftigkeit und
neuzeitlichen Welt (so z. B. in Ps 14,1) die Bestreitung der Wirklichkeit Todverfallenheit des Menschen auf, aber dies ist kein Selbstzweck und
Gottes nachweisen lasse, sondern in dem Verweis darauf, da die Frage kein Mittel zur Beschmung oder Erledigung des Menschen, sondern
nach dem Wesen und Wirken Gottes noch grundlegender ist als die ab- der - einzig mgliche - Weg zu seiner Vershnung und Befreiung.
strakte (weil vom Wesen und Wirken Gottes abstrahierte) Frage nach der
Wirklichkeit Gottes (vgl. dazu o. 8.2.2.1). Die Frage nach der Wirklich-
keit Gottes gewinnt nmlich erst dadurch Gewicht und existentielle Re- 9.3.2 Jesus Christus als Vershnung
levanz, da sie sich bezieht auf das Wesen und Wirken Gottes, das sich in zwischen Gott und Mensch
bestimmter Weise auf das Dasein des Menschen bezieht und darum vom
Selbstverstndnis des Menschen nicht zu trennen ist. Das Offenbarungs- Die Vershnungslehre gehrt zu den schwierigsten, wichtigsten und
wirken Jesu Christi ist ganz ausgerichtet auf dieses Wesen und Wirken klrungsbedrftigsten Stcken der Dogmatik. Insbesondere die fr den
Gottes. Er offenbart den Gott, der dem Menschen 16 auf verborgene Weise christlichen Glauben zentrale Aussage, die nicht nur in zahlreichen neu-
als Liebe nahekommt. testamentlichen Aussagen und kirchlichen Bekenntnissen vorkommt, son-
Wie durch ein Brennglas auf einen Punkt versammelt, kommt diese dern an die auch jedes Kruzifix, jedes Passionsbild und -lied erinnert, da
Selbsterschlieung des Wesens und Wirkens Gottes in der Verkndigung Jesus Christus "fr uns gestorben" sei, erscheint vielen Menschen als
und im Wirken Jesu Christi zum Ausdruck im biblischen Gebrauch eines unverstndlich, fremd oder sogar als abstoend. Deshalb erfordert das
Verbums: "Es jammerte ihn" ("ecrTIi\ayxvicr6T]"). Dieses Wort, das im theologische Nachdenken ber dieses zentrale Thema besondere Auf-
Neuen Testament nur von Jesus ausgesagt wird (Mk 1,41; 6,34; 8,2; 9,22; merksamkeit und Sorgfalt. Dabei ist ein Erkenntnisfortschritt an dieser
Mt 9,36; 14,14; 15,32; 20,34; Lk 7,13) und in den Gleichnisreden Jesu Stelle wohl nur dann zu erzielen, wenn man sich ber die Schwierigkeiten
vorkommt (Mt 18,27;Lk 10,33 u. 15,20), versammelt in sich das, was an (9.3.2.1), die Bedeutung (9.3.2.2) und die Denkmglichkeiten (9.3.2.3)
Jesus und in ihm von Gott erkennbar wurde: die bedingungslose Liebe, die dieser Lehre Rechenschaft gibt und dabei jeweils sowohl die intellektuel-
sich vom - verschuldeten oder unverschuldeten - Elend der Menschen in len als auch die emotionalen Gesichtspunkte bercksichtigt.
der Tiefe anrhren lt. I? Von daher wird aber erkennbar, da und inwie-
fern die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, indem sich in ihr das
liebende, heilvolle Wesen und Wirken Gottes erschliet, zugleich die 9.3.2.1 Die Schwierigkeiten der Vershnungslehre
Wahrheit ber die Welt und den Menschen ans Licht bringt. Im Lichte der
nahenden Gottesherrschaft wird die Heillosigkeit der Menschenwelt, die Lt man die Bilder und Begriffe, in denen die Vershnungslehre zum
Ausdruck kommt (z. B. Shnopfer, Stellvertretung, Vershnung), gefhls-
16 Das Offenbarungswirken Jesu Christi richtet sich nicht nur an seine Zeitge- mig und gedanklich auf sich wirken, so zeigen sich vor allem drei
nossen und - auf vermittelte Weise - an die Nachgeborenen, sondern an alle Schwierigkeiten, eine theo-Iogische (a), eine anthropologische (b) und
Menschen, also auch an die, die vor ihm gelebt haben. In einer uns fremden eine ethische (c) Schwierigkeit.
Vorstellungsweise kommt dieser inhaltlich wichtige Gedanke zum Ausdruck
in I Petr 3,19 f., wo gesagt wird: Jesus. Christus ist nach seinem Tode "hin-
gegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefngnis, die einst ungehorsam a) Die theo-logische Schwierigkeit
waren ... ". In der Formulierung: "hinabgestiegen in das Reich des Todes"
hat dieser Gedanke auch Aufnahme ins Apostolicum gefunden. Damit wird
Die m. E. grte, nmlich die Gotteslehre, genaller: das Gottesverstndnis
festgehalten, da die Menschen, die frher gelebt haben und gestorben sind, betreffende Schwierigkeit der Vershnungslehre lt sich folgenderma-
nicht vom Heil ausgeschlossen sind. en beschreiben: "Vershnung" bezeichnet (normalerweise) einen Vor-
17 Der griechische Wortstamm l"TIA<Xyxva), der in diesem Verbum steckt, bedeu- gang, durch den eine schuldhaft gestrte Beziehung zwischen Personen
tet "Eingeweide" und zeigt damit, in welche somatischen Tiefenschichten wiederhergestellt oder in Ordnung gebracht wird. Setzt man dabei voraus,
diese Berhrung reicht. da die Strung nur von einer Seite ausging, so kann man sich Vershnung
322 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk ]esu Christi 323

entweder so denken; da der Schuldige einen (akzeptierten)Akt der Shne sich eine erhebliche gedankliche Schwierigkeit, wenn man sich klarmacht,
oder der Wiedergutmachung leistet (sog. objektive Vershnung) oder da wie Gott dieser Weltordnung Genge tut: durch den Shnetod eines Un-
der Verletzte bzw. Geschdigte gromtig verzeiht (sog. subjektive Ver- schuldigen. Ist dies nicht eher eine erneute schreiende Ungerechtigkeit?
shnung).18 Das Resultat der Vershnung wre in beiden Fllen, da der Fordert denn die (moralische) Weltordnungirgendein Opfer, oder fordert
Verletzte nichts mehr gegen den Schuldigen hat.' Die Angelegenheit ist sie nicht vielmehr die Bestrafung des oder der Schuldigen? Schlielich:
bereinigt; die Beziehung wiederhergestellt. Was besagt es, da Gott diese Weltordnung zwar offenbar nicht aufhe-
Wenn nun mit dem einhelligen biblischen Zeugnis festgehalten wer- ben, wohl aber so "interpretieren" kann, da der stellvertretende Tod
den soll, da die Initiative zur Vershnung von Gott ausgeht, dann kann Jesu Christi dieser Shneforderung Genge tut?
eigentlich nur Gottes Vergebung der Grund der Vershnung sein. Wenn
das aber so ist, dann scheinen alle Aussagen, die von einem stellvertreten-
den oder shnenden (Opfer-)Tod Jesu Christi reden, funktionslos, ja
b) Die anthropologische Schwierigkeit
unangemessen zu werden, Insbesondere seit der Aufklrung ist - im Gefolge Kants - gegen die Aus-
Einen Ausweg scheinen hier die Denkmodelle (z. B. Anselm von Can- sage, Jesus Christus sei "fr uns" bzw. "fr unsere Snden" gestorben,
terbury: Cur Deus homo?) zu bieten, die davon ausgehen, da Gott zwar folgendes Argument geltend gemacht worden: Snde und Schuld und
das Subjekt des Vershnungsgeschehens sei, aber nicht "einfach verge- darum auch Shne gehren zu den Dingen, in denen ein Mensch prinzi-
ben" knne, weil durch die Snde eine objektive Verletzung der Majestt piell unvertretbar ist. Dies gehrt zur unaufgebbaren Wrde der Person.
Gottes geschehen sei, die. nur durch eine - ebenso objektive - Shne- Gemessen daran erscheint es weder gedanklich nachvollziehbar noch
leistung wettgemacht werden knne. Demzufolge mte - um der Welt- ethisch verantwortbar zu sein, Snde und Schuld so zu "verarbeiten", da
ordnung willen - ein der Snde entsprechendes Shnopfer dargebracht sie von einem anderen stellvertretend bernommen wird. Mssen nicht
werden, das jedoch nicht von den (schuldigen) Menschen, sondern (an Schuldanerkenntnis, Schuldverarbeitung, Reue und Umkehr, wenn sie
ihrer Stelle) von dem einzig Schuldlosen, nmlich dem Mensch geworde- wirksam sein sollen, in uns selbst geschehen?
nen Gott(essohn) dargebracht wird. Auf diese Weise wird der (morali-
schen) Weltordnung Genge getan: Der Shnetod des Sndlosen schafft
c) Die ethische Schwierigkeit
die Vershnung zwischen Gott und Mensch.
In dieser Vorstellung liegen gleich mehrere Schwierigkeiten: Einerseits Die ethische Schwierigkeit besteht schlielich darin, da das Neue Testa-
mu es so scheinen, als gebe es eine (moralische) Weltordnung, ber die ment durchgngig dazu einldt oder auffordert, zu vergeben, ohne auf
sich auch Gott in seiner Vershnungsbereitschaft nicht hinwegsetzen, Shne, Wiedergutmachung, Vergeltung oder Ausgleich zu bestehen (so
sondern die er nur respektieren kann. Ist dies mit der Erkenntnis verein- z. B. Mk 11,25; Mt 6,14; 18,21 ff.; Lk 6,37; 17,4; Eph 4,32; KoI3,13).
bar, da Gott die Alles bestimmende Wirklichkeit ist? Andererseits zeigt Zugleich wird unser Vergeben ganz eng verknpft mit Gottes Vergebung
(so etwa im Vaterunser: Mt 6,12 ff. par.). Wie sollte aber fr uns zumut-
18 Vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Versh- bar und mglich sein, was bei Gott allem Anschein nach nicht mglich
nung den klassischen Aufsatz von G. Aulen, Die drei Haupttypen des christ- ist: ohne Forderung einer Shneleistung zu vergeben? Oder umgekehrt
lichen Vershnungsgedankens, in: ZSTh 8/1931, S. 501-538. Aulen fgt die- formuliert: Wie sollte die (vergebende) Liebe, die das Wesen Gottes ist,
sen beiden Haupttypen einen dritten hinzu, den er fr theologiegeschichtlich das nicht einschlieen, was das Evangelium uns zutraut und zumutet?
und systematisch besonders wichtig hlt: Vershnung als Kampf- und Sieges- Tillich hat gegen diesen Einwand geltend gemacht: "Menschliche Verge-
tat. Dem - m. E. berechtigten - Einwand, dies sei kein Typus des Versh-
bung sollte immer wechselseitig seiIl' auch wenn es nicht ausgesprochen
nungs-, sondern des Erlsungsgedankens, setzt Aulen die These entgegen: "Es
handelt sich hier um eine Vershnung in dem eigentlichen Sinne des Wortes,
wird. Aber Gott steht fr die Weltordnung, die durch die Losreiung von
nicht um eine ,Erlsung' im Gegensatz zur Vershnung, sondern um eine Gott verletzt ist. Seine Vergebung liegt nicht auf der subjektiven Ebene
Erlsung, die zugleich und vOr allem Vershnung ist. Durch die berwindung menschlichen Vergebens" (STh 11, S. 187). Demgegenber kann freilich
der Mchte des Verderbens geschieht die Vershnung zwischen Gott und mit guten Grnden auf die Bergpredigt verwiesen werden, wo in Mt 5,43-
Welt: eine neue, durch die Vershnung bestimmte Lage wird geschaffen" 48 nicht nur Gottes (vergebende) Liebe gegenber Bsen und Ungerech-
(a.a.O., S. 502). ten die Begrndung fr die Forderung der Feindesliebe ist, sondern das
324 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 325

besondere Merkmal gerade seiner Vollkommenheit, also seiner Gtt- diese~ Falle) unschuldi~ sind, bewut und freiwillig so fr uns eintreten,
lichkeit. da Sie solche Folgen mit uns tragen oder sogar an unserer Stelle berneh-
men. Diese zweite Erfahrung gibt es auch dort, wo es nicht um Snde und
a) - c) Fazit Schuld, sondern um das Erleiden von Unglck und Not geht. Was darin
erfahrbar wird, lt sich mit Joh 15,13 formulieren: "Niemand hat gr-
Diese drei Schwierigkeiten, die sich unschwer durch andere ergnzen ere Liebe als die, da er sein Leben lt fr seine Freunde." Was im
lieen 19 , ergeben sich nicht nur aus einer Position auerhalb des christli- Selbstopfer des Lebens seinen hchsten Ausdruck findet, gilt aber in einem
chen Glaubens, sondern mit Grnden, die dem christlichen Glauben selbst viel umfassenderen Sinn: Liebe schliet die Bereitschaft ein, fr den gelieb-
entstammen. Von daher scheint es sich nahezulegen, jeder Form einer sog. ten Menschen dazusein, mit ihm zu leiden und damit in einem bestimmten
objektiven Vershnungslehre und auch den Begriffen "Shnopfer" und Sinn Stellvertretung zu praktizieren. Es drfte keinen Menschen geben,
"Stellvertretung" in der Dogmatik den Abschied zu geben. der nicht auf solche liebende - oder wenigstens solidarische - Stellvertre-
tung angewiesen ist. Und die Einsicht, wie notwendig, aber auch wie
wenig selbstverstndlich solche Stellvertretung in unserer Welt ist, ist m.
9.3.2.2 Die Bedeutung der Vershnungslehre K einer der Ansatzpunkte dafr, da Menschen sich von der (objektiven)
Vershnungslehre und ihren knstlerischen Ausdrucksformen unmittel-
Gibt es trotz dieser massiven Schwierigkeiten Grnde, die die Bedeutung bar angesprochen fhlen.
der Versohntlngslehre bewutmachen und damit gegen ihre Preisgabe
sprechen? M. E. lassen sich unter vier Gesichtspunkten solche Grnde b) Verarbeitung des Bsen
nennen.
Wir wissen, oder ahnen jedenfalls, da wir durch unser Versagen und
a) Das Angewiesensein auf Stellvertretung unsere Liebesunfhigkeit Folgewirkungen hervorbringen, die teils auf uns
selbst zurckfallen, teils aber auch andere Menschen"vllig unschuldig"
Viele Menschen machen angesichts von Passionsgeschichten, -liedern und treffen. Diese Folgewirkungen sind reale, oftmals irreparable und nicht
-bildern eine ambivalente Erfahrung: Einerseits haben sie groe gedank- wiedergutzumachende Verletzungen oder Beschdigungen menschlichen
liche Schwierigkeiten und gefhlsmige Vorbehalte gegenber der Vor- Lebens an Leib und Seele. Was geschieht eigentlich mit diesem Unheil und
stellung, da Jesus Christus "fr uns gestorben" sei; andererseits fhlen dem Bsen, das auf diese Weise angerichtet wird? Die Vorstellung, es
sie sich auf einer tiefen Schicht ihres Empfindens von Texten wie Jes erledige sich nach einiger Zeit gewissermaen von selbst (weil wir uns
53,4 f., von dem Kreuzigungs-Bild des Isenheimer Altars, von den daran gewhnen, es vergessen oder verdrngen), ist trgerisch. Auch in
Passionsliedern Paul Gerhardts oder von den Passionen Johann Sebastian dieser Hinsicht geht nichts verloren, sondern bleibt im Untergrund unse-
Bachs angesprochen. Was ist es in all dem, das Menschen trotz ihrer rer Seele und unserer Gesellschaft als schleichend wirkendes Gift erhalten
Vorbehalte und Widerstnde anrhrt? Ich vermute, es geht hier um die solange es nicht verarbeitet ist. Die (objektive) Vershnungslehre weis~
(partiell gemachte und immer wieder erhoffte und bentigte) Erfahrung, nicht nur auf die Notwendigkeit, sondern auch auf die Mglichkeit einer
da wir nicht (alles) selbst "auslffeln" und abben mssen, was wir uns solchen Verarbeitung hin und hat insofern eine klrende Kraft: In seinem
eingebrockt und was wir angerichtet haben. Diese Formulierung ist frei- Leiden und Sterben hat Jesus Christus "die Snde der Welt" (Joh 1,29)
lich noch selbst hchst ambivalent und enthlt zwei Mglichkeiten, die bewut und freiwillig auf sich genommen, getragen und damit definitiv
radikal unterschieden werden mssen: auf der einen Seite die Mglichkeit, erledigt.
da wir uns vor den Konsequenzen unserer Untaten drcken und andere
(unschuldig) fr uns leiden lassen, wodurch wir uns noch tiefer in Schuld c) Die Heiligkeitder Liebe Gottes
verstricken; auf der anderen Seite die Erfahrung, da Menschen, die (in
Die (objektive) Vershnungslehre versucht, die Heiligkeit und Gerechtig-
19 Vgl. dazu den Artikel "Opfer D", Abschn. 1, von LU. Dalferth, in: TRE, keit als Eigenschaften des Wesens Gottes, also der gttlichen Liebe, eben-
Bd.25 (1995), S. 286-289. so ernst zu nehmen wie die Barmherzigkeit und Gnade (s. o. 8.1.3.3). Sie
326 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 327

macht also damit Ernst, da Heiligkeit und Gerechtigkeit Wesens- 9.3.2.3 Denkmglichkeiten der Vershnungs/ehre
eigenschaften Gottes sind, die auch durch sein vergebendes und versh-
nendes Wirken nicht auer Kraft gesetzt oder bergangen werden. Die Hlt man das in 9.3.2.1 zu den Schwierigkeiten und in 9.3.2.2 zur Bedeu-
(objektive) Vershnungslehre trgt insofern dem verzweifelten Schmerz tung der (objektiven) Vershnungslehre Gesagte nebeneinander, so ist
Rechnung, der aus der Erkenntnis entsteht, da die Snde sich gegen die nicht ohne weiteres zu erkennen, welche der beiden Seiten das berge-
Liebe richtet, die dem Menschen bedingungslos begegnet. Das Furchtbare wicht hat oder wie die beiden Argumentationsreihen miteinander verein-
an der Snde ist ihr Charakter als Miachtung, Verleugnung oder Verrat bart werden knnten. Soll beides gleichermaen ernstgenommen werden,
der Liebe. Vergebung kann von daher jedenfalls nicht verstanden werden so mu der Versuch gemacht werden, den guten Grnden fr die Bedeu-
als ein - sei es grozgiges, sei es schwchliches, sei es verchtliches - tung der (objektiven) Vershnungslehre so Rechnung zu tragen, da da-
Hinweggehen ber die Snde, so als sei sie unerheblich. Die objektive bei die berechtigten theologischen Einwnde und Bedenken gegen diese
Vershnungslehre bringt zum Ausdruck, da es die menschliche - also Lehre voll zum Zuge kommen. Dabei empfiehlt es sich, dort anzusetzen,
auch die je eigene - Snde ist, die Jesus ans Kreuz gebracht hat, und da wo die gravierendsten Schwierigkeiten formuliert werden, also beim
es darum nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist zu sagen, da Jesus Gottesverstndnis, um zu sehen, ob es dort einen Ansatzpunkt fr eine
Christus am Kreuz die Snde erlitten hat und (auch) insofern "fr die "Lsung" gibt.
Snder" gestorben ist. Indem die Vershnungslehre die menschliche Sn- Den Begriff "Lsung" habe ich in Anfhrungszeichen gesetzt, um
de als Verletzung der gttlichen Liebe todernst nimmt, wird sie dem damit anzudeuten, da es sich bei diesem Thema nicht um so etwas wie
biblischen Gottes- und Menschenbild eher gerecht als eine Theologie, bei die Lsung eines mathematischen Problems handeln kann. Das wre nur
der die Vergebung als eine Selbstverstndlichkeit oder gar als ein An- dann mglich, wenn es bei der Deutung des Todes Jesu Christi "fr uns"
spruch des Menschen Gott gegenber zu stehen kommt. um ein Geschehen ginge, das unserer direkten sinnlichen Wahrnehmung
und begrifflichen Deutung zugnglich wre. Dieser direkten Wahrneh-
d) Das Todbringende der Snde mung und begrifflichen Deutung ist (und war) aber nur zugnglich, da
ein Mensch namens Jesus - wie viele vor, mit und nach ihm - zu der
Da wir durch unsere Snde den Tod verdient haben, den an unserer Stelle grausamen Todesstrafe der Kreuzigung verurteilt wurde und diese qual-
Jesus Christus stirbt, scheint eher zu den Elementen der Vershnungslehre volle Hinrichtungsart bis zum bitteren Ende erlitten hat. Was dieses Ge-
zu gehren, die den Menschen der Gegenwart Schwierigkeiten bereiten, schehen bedeutet, erschliet sich den damaligen Augenzeugen ansatzwei-
als da ausgerechnet daran die Bedeutung dieser Lehre anschaulich ge- se von seiner Art und seinen Begleitumstnden her (Mk 15,22-41 parr.),
macht werden knnte. Der in der biblischen berlieferung fest verankerte in seiner Tiefe wird es erst (und auch da immer nur bruchstckhaft)
Zusammenhang zwischen Snde und Tod (Gen 2,17; 3,3 f. u. 19; Rm verstehbar vom Zusammenhang mit der Verkndigung und dem Wirken
5,12-21; 6,23) leuchtet nicht ohne weiteres ein, wirkt vermutlich auf viele Jesu einerseits und dem Osterglauben andererseits.
Menschen dramatisierend und berzogen. 2o Dieser Zusammenhang wird Ein solcher Rckblick auf das Leben Jesu ist auch in unserem Zusam-
jedoch eher einsichtig, wenn man sich bewutmacht, da Snde ihrem menhang wichtig, um eine Beschrnkung des Vershnungswerkes Jesu
Wesen nach Absage an die schpferische Liebe ist, der wir als Menschen Christi auf seinen Kreuzestod zu vermeiden. Dabei reicht es nicht aus-
unser Dasein und Wesen verdanken. D. h. aber: Der Snder sagt sich wie in der altprotestantischen Christologie -, das Leben Jesu nur unter
durch sein Tun vom Grund und Ursprung seines Lebens los und bestreitet dem Gesichtspunkt der "oboedientia activa", also des vollkommenen
damit (wahrscheinlich unbewut) die Bedingungen seines eigenen Da- Gehorsams gegen Gott zu sehen, aufgrund dessen gesagt werden kann,
seins. Deswegen ist die Snde, wenn auch auf verkappte Weise, immer ein da sein im Gehorsam gegen Gott ("oboedientia passiva") erlittener Tod
Akt, der auf Selbstzerstrung angelegt ist. Sich von der gttlichen Liebe nicht zur Shne seiner eigenen Snden erforderlich war, sondern - als der
lossagen heit: den Tod whlen. Von daher kann verstndlich werden, Tod des vollkommenen Gerechten -allen anderen Menschen als den
warum es bei der menschlichen Snde um Leben und Tod geht. wirklichen Sndern zugute kommen konnte. Vielmehr ist unter das
Vershnungswerk Jesu Christi auch schon die Tatsache zu rechnen, da
20 Das ist auch nur ein Aspekt der Todesproblematik. Zum Zusammenhang er whrend seines irdischen Wirkens Menschen Sndenvergebung zuge-
zwischen Geschpflichkeit, Snde und Tod s. u. 13.4.1.2 u. 15.3.1. sprochen und diese Vergebung durch Praktizierung von (Tisch-)Gemein-
328 Gottes Selbsterschlieungin Christus Das Heilswerk Jesu Christi 329

schaft auchgelebt hat. Dabei wre es eine abwegige Vorstellung, anzuneh- a) Vergebung als objektive Vershnung
men, diese Vergebung sei, weil sie vor dem Kreuzestod Jesu Christi gesche-
hen ist - noch nicht voll gltig. Das ist so wenig der Fall wie Ps 1 03,3 oder Wenn es in der christlichen Vershnungslehre (jedenfalls in ihren bibli-
Jon 3,10 blo von einer knftigen Mglichkeit oder Hoffnung redeten. schen Ausdrucksformen)so etwas wie eine schlechterdings grundlegende
Wohl aber lt sich umgekehrt sagen: Der, der sich so mit Sndern ein- und unbeirrt festzuhaltende Einsicht gibt, dann ist es die, da Gott selbst
lt, sie annimmt und ihnen damit Vergebung zuteil werden lt, der wird das Subjekt des Vershnungsgeschehens ist. Gott wird nicht durch den
ans Kreuz gebracht und erleidet dort die Folgen und Auswirkungen der Tod Jesu Christi zu einem vershnten, liebenden Gott sondern die Sen-
Snde, die sich der in Jesus Christus offenbar gewordenen gttlichen dung" bzw. "Hingabe" seines Sohnes (und d. h.: die Selbsthingabe"Gotc
Liebe verschliet und verweigert. tes) ist schon das Werk und Wirken der gttlichen Liebe (Joh 3,16; Rm
Diese letzte Aussage ergibt sich aber nicht schon vom Kreuz, sondern 5,8; Gal 4,4 f.; I Joh 4,9 f. u. 0.). Und darum steht im Zentrum der
erst von der Auferstehung Jesu Christi her. Der Kreuzestod dessen, der christlichen Vershnungslehre der Gedanke, den Paulus in U Kor 5,19
anderen geholfen hat, aber sich selber nicht helfen kann (Mk 15,31), zum Ausdruck gebracht hat in dem Satz: "Gott war in Christus und
scheint ja zu beweisen, da er mit seiner Botschaft und seinem Wirken vershnte die Welt mit sich selber".
gescheitert ist und als ein von Gott Verlassener stirbt. Erst von Ostern her Aber gerade diese zentrale und unaufgebbare Einsicht scheint durch
tut sich fr die Menschen, die ihn whrend seines Erdenwirkens begleitet die objektive Vershnungslehre gefhrdet zu sein, weil in ihr der Eindruck
oder von ihm gehrt haben, die Einsicht in die Heilsbedeutung dieses entsteht, die Vergebung Gottes und die Vershnung der Welt mit Gott
Todes auf, und zwar nicht in einem momentanen Akt vollstndiger Klar- werde erst ermglicht durch das Leiden und Sterben Jesu Christi, durch
heit, sondern in einem allmhlichen Proze der Erleuchtung und Verste- das Gottes Zorn besnftigt, seiner verletzten Ehre genuggetan oder die
hens. gestrte Weltordnung wiederhergestellt werde. Mit all diesen Bildern und
Schon die Urgemeinde konnte nur mit einer Mehrzahl von Bildern und Formulierungen entsteht (mglicherweise wider Willen) das Bild eines
Begriffen (Shnopfer, Vershnung, Stellvertretung, Loskauf etc.) versu- Gottes, der nicht vergeben und sich vershnen lassen will oder kann, ohne
chen, die Bedeutung dieses Geschehens "fr uns" zur Sprache zu bringen. da (ihm) zuvor das Opfer eines unschuldigen Menschenlebens darge-
Alle in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe und Aussagen haben bracht wurde. Diese Gottesvorstellunghat viel mit einem grausamen
den Charakter von Metaphern, die mglicherweise einen entscheidenden Despoten, aber nichts mit dem in JesusChristus geoffenbarten Gott zu
Aspekt an diesem Geschehen erschlieen, die aber falsch werden, wenn sie tun, dessen Wesen Liebe ist.
als Begriffe oder Aussagen im direkten, wrtlichen Sinn genommen wer- Von den Aussagen ber das Wesen Gottes her spricht offenbar alles
den. Nur eine solche mehrdimensionale, metaphorische Zugangsweise ist fr die sog. subjektive Vershnungslehre, also fr die Konzentration und
dem angemessen, was mit der Formel "Heilsbedeutung des Kreuzestodes Reduktion des Vershnungsgedankens auf Vergebung ohne irgendwelche
Jesu Christi" bezeichnet wird. Dabei haben die biblischen Metaphern Vorbedingungen. Wenn das Neue Testament von "Vergebung" spricht,
(nur) insofern kanonische Bedeutung, als sich an ihnen (als dem Ur- so setzt es ja - ganz zu Recht - voraus, da der Vergebende damit auf jede
sprungszeugnis des christlichen Glaubens) spter entstandene Metaphern Form der Vergeltung verzichtet. Aber hat es unter dieser Voraussetzung
(wie z. B. "Genugtuung", "wunderbarer Wechsel" oder "Solidaritt mit berhaupt noch Sinn, von einer anderen Vershnung zu sprechen, als von
den Verlorenen") auf ihre Angemessenheit hin berprfen und messen der, zu der die Menschen eingeladen werden mit den Worten: "Lat euch
lassen mssen. Aber auch in dieser Hinsicht ist der Kanon nicht abge- vershnen mit Gott!" (U Kor 5,lO)?
schlossen, d. h., die Verwendung anderer, neuer Metaphern ist durchaus In dieser Beschrnkung auf die sog. subjektive Vershnungslehre (un-
legitim, ja kann sich in einem vernderten sprachlichen Kontext sogar als ter Zurckweisung aller objektiven Elemente) knnte jedoch eine Ver-
notwendig erweisen. krzung enthalten sein, die ihre Hauptwurzel darin hat, da das Wesen
Im folgenden sollen einige wesentliche Metaphern fr das Versh- von Vergebung (oder subjektiv verstandener Vershnung) nicht grnd-
nungsgeschehen daraufhin berprft werden, ob und inwiefern sie in der lich genug bedacht wird. Das kann deutlich werden, wenn man Verge-
Lage sind, sowohl der Bedeutung des Vershnungsgedankens als auch den bung vergleicht mit den anderen Formen, wie mit (schuldhafter) Ver-
mit ihm verbundenen Schwierigkeiten gerecht zu werden, d. h., ob und fehlung gegen eine Beziehung umgegangen werden kann. Es gibt neben
inwiefern sie Denkmglichkeiten der Vershnungslehre darstellen. der Vergebung noch drei andere Grundformen: das Ignorieren, die Ver-
330 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das HeilswerkJesu Christi 331

geltung und das Nachtragen. Jede dieser Mglichkeiten unterscheidet Beziehung zu der Verfehlung. Vergebung besteht also genaugenommen
sich von den drei anderen in spezifischer Weise: aus zwei Akten: einem Akt des Unterscheidens und einem Akt des Wer-
Wer die Verfehlung gegen eine Beziehung ignoriert, geht ber sie tens. In beiderlei Hinsicht bewirkt Vergebung weder, da die Verfehlung
hinweg, bagatellisiert sie und nimmt damit letztlich weder die Verfehlung "ungeschehen gemacht" wird, noch, da sie "vergessen" wird - wenn-
noch den Partner, noch die Beziehung ernst. Nur scheinbar ist solches gleich letzteres sich tatschlich einstellen kann. Wohl aber zeigt Verge-
Ignorieren eine Wohltat. Es erspart den Beziehungspartnern eine Ausein- bung, da eine (wahrgenommene und ernstgenommene) Verfehlung
andersetzung und ist insofern bequem, aber gerade das geht zu Lasten der insofern durch Liebe berwunden wird, als sie die Beziehung, gegen die
Substanz einer Beziehung. Es gibt sicherlich Menschen, die uns (uerlich die Verfehlung gerichtet ist, nicht zerstrt und auch nicht auf Dauer
oder innerlich) so fernstehen, da es angezeigt sein mag, Verfehlungen zu belastet. Insofern gilt tatschlich: "Liebe deckt alle bertretungen zu"
ignorieren, aber das ist eben nur dort und nur insofern angebracht, wo (Prov 10,12 u. I Petr 4,8) - freilich erst, nachdem sie (liebevoll) aufge-
bzw. als es nicht um eine echte und tiefe Beziehung geht. deckt wurden.
Vergeltung nimmt hingegen die Verfehlung ernst. Wer vergilt, zeigt, Aber mit alledem bleibt immer noch eine Frage unbeantwortet: Was
da er sich verletzt fhlt, den Schmerz sprt und darin weder die Bezie- geschieht mit der Verfehlung, die durch die Liebe zugedeckt oder als-
hung noch den Partner bagatellisiert. Das ist etwas Positives. Aber wer verglichen mit der Person - unwichtig bewertet wird? Sie wird ja im Akt
vergilt, versucht, erlittene Verletzungen dadurch auszugleichen, da er der Vergebung nur "zugedeckt" und "nicht angerechnet", aber nicht
dem anderen auch eine Verletzung zufgt. Das mag als momentane psy- eliminiert und beseitigt.
chische Entlastung empfunden werden (vielleicht sogar von dem, dem die Gerade das sagt aber der christliche Glaube von dem Kreuzestod Jesu
Vergeltung zuteil wird), aber die Verfehlung gegen die Beziehung ist damit Christi aus: Durch seinen Tod ist der "Schuldbrief getilgt ... und an das
nicht aus der Welt geschafft. Eine erlittene Verletzung verschwindet nicht Kreuz geheftet" (KoI2, 14); er ist das "Lamm Gottes, das der Welt Snde
dadurch, da der Verletzte sie vergilt, sondern sie wird dadurch nur um trgt" (Joh 1,29); ja, er ist "fr uns zur Snde gemacht" worden, "damit
eine neue vermehrt. wir in ihm die Gerechtigkeit wrden, die vor Gott gilt" (11 Kor 5,21). Mit
Wer nachtrgt, nimmt ebenfalls die Verfehlung ernst, vergrert sie diesen unterschiedlichen Bildern wird jeweils metaphorisch ausgesagt,
aber (scheinbar oder tatschlich) nicht durch neue Verletzung, sondern da durch das Leiden und Sterben Jesu Christi die Snde des Menschen
reagiert auf sie durch ein Verhalten, das an die Verfehlung und damit an nicht nur vorlufig zurckgestellt wird, sondern von Gott her endgltig
die gestrte Beziehung erinnert. Dieses zeichenhafte Erinnern signalisiert, berwunden, so da sie den Menschen nicht mehr von Gott zu trennen
da die Beziehung durch eine unverarbeitete Verfehlung dauerhaft gestrt vermag. D. h. aber: Im Leiden und Sterben Jesu Christi erweist sich die
ist. Und das Nachtragen als solches signalisiert noch nicht einmal die Liebe als diejenige Alles bestimmende Wirklichkeit, die auch noch ihr
Hoffnung oder Bereitschaft zu knftiger Verarbeitung der Beziehungs- eigenes Verleugnet- und Verratenwerden umfngt und es so, ohne es zu
strung. Insofern ist es (auf Dauer) wohl die belastendste Form der Reak- bagatellisieren, berwindet. Dabei ist es entscheidend, da der mit Ver-
tion, weil dadurch die durch die Verfehlung angerichtete Beziehungs- leugnung und Verrat verbundene Schmerz nicht durch einen Akt der
strung konserviert, perpetuiert und zugleich als stndige Anklage Vergeltung dem Snder "zurckgegeben" wird, sondern da Gott in Jesus
prsentiert wird. Christus diesen Schmerz in sich" verarbeitet"und erleidet. Und in diesem
Gegenber diesen drei destruktiven Formen des Umgangs mit Ver- Sinne kann gesagt werden, da Gott selbst, dessen Wesen Liebe ist, in
fehlungen gegen eine Beziehung ist Vergebung die einzig konstruktive, Jesus Christus die Snde der Welt (die letztlich immer Verfehlung gegen
weil von Liebe bestimmte Form des Umgangs und der Verarbeitung. Das die Liebe ist) auf sich nimmt, trgt, erduldet und so vergibt.
Spezifikum der Vergebung besteht - bildhaft gesprochen - darin, da
der Vergebende zwar die Verletzung sieht und sprt, aber zugleich durch
diese Tat hindurch den Menschen ansieht, der von seinen Verfehlungen b) Shnopfer als berwindung des Opfers
zu unterscheiden ist. Der Mensch, der vergibt, nimmt die Verfehlung
nicht weniger ernst als der, der vergilt oder nachtrgt, aber er unter- Whrend die Begriffe, Aussagen und Bilder, die von Vergebung und
scheidet zwischen der Verfehlung und dem, von dem sie ausging, und Vershnung handeln, dem Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen,
lt die Beziehung zu dem Menschen fr sich wichtiger sein als die also der Sozialitt, entnommen sind, gehrt die Vorstellung vom Shn-
332 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 333

opfer in den kultischen Bereich. 2l Beiden Anschauungsbereichen ist ge- des verlorenen Menschen geopfert habe. 22 Im Blick auf diesen paradoxen
meinsam, da es jeweils um eine durch die Snde gestrte oder sogar Rollentausch, durch den Gott selbst zum Opfer wird und damit zugleich
zerstrte Beziehung geht, aber das Anschauungsmaterial, durch das deut- der Opfergedanke in schlechthin unberbietbarer Weise erfllt wird , kann
lich gemacht werden soll, wie im Kreuzestod Jesu Christi diese Beziehung man sagen, da in dem Tod Jesu Christi die religise Institution des
von Gott her wieder zurechtgebracht wird, ist ganz unterschiedlichen Opfers an ihr Ende gebracht, also selbst "geopfert" wird.
Bereichen entnommen. Die darin enthaltene Vertiefung des Gottesverstndnisses besteht in
Das Verstndnis des Todes Jesu als Opfer (so vor allem im Hebrer- der Einsicht, da dort, wo Gottes Wesen als Liebe erkannt und verstanden
brief, Kap. 5-12) oder als Shnopfer (so I Joh 2,2 u. 4,10, aber auch Rm ist, die Rede vom "Opfer" im ursprnglichen Sinn keinen Platz mehr hat,
3,25) setzt das alttestamentliche und jdische Opferritual voraus, fr das weil die Liebe nicht Opfer verlangt, sondern auf Gegenliebe hofft, und
drei Elemente konstitutiv sind: weil die Selbsthingabe, die zum Wesen der Liebe gehrt, nicht den Cha-
- das Auflegen oder Aufstemmen der Hand auf den Kopf des Opfertiers, rakter eines Opfers hat, durch das etwas erwirkt werden soll, sondern
wodurch dieses symbolisch die Snde des Menschen aufgeladen be- ihren Sinn in sich selbst trgt. Dieses "Opfer" der leibhaften Hingabe ist
kommt und diesen als Opfer vertreten kann; darum im Kontext des christlichen Glaubens - wiederum paradox - nur
- den Opferakt selbst, in dem das Opfertier gettet und sein Blut in einer als ein lebendiges (also gerade nicht gettetes) "Opfer"denkbar (Rm
Schale aufgefangen wird; 12,1). In diesem Sinne: Als berwindung der religisen Institution des
- das Versprengen des Opferblutes im Allerheiligsten des Tempels durch Opfers behlt das Verstndnis des Kreuzestodes Jesu Christi als Shnop-
fer seine bleibende Bedeutung.
den Hohenpriester.
Dieser fr die. frhe christliche (vor allem die judenchristliche) .Ge- c) Stellvertretung als "wunderbarer Wechsel"
meinde vertraute Verstehenszusammenhang ist unserer Lebenswelt - nicht
zuletzt durch den Einflu und die Wirkungsgeschichte des christlichen Die zentralen neutestamentlichen Aussagen, da Jesus Christus "fr uns"
Glaubens - fremd geworden. Zwar gibt es noch die Rede vom "Opfer" (,,(rrrep ",.u:'0v", "pro nobis") bzw. "fr unsere Snden" gestorben sei,
(auch von menschlichen Lebensopfern), etwa im Zusammenhang von haben unterschiedliche Bedeutungen. Wenn das "fr" sich auf "die Sn-
Verkehrsopfern und anderen Unfallopfern, aber der kultische Inter- de" bezieht, bedeutet es soviel wie"wegen" oder" um der Snde willen".
pretationsrahmen ist entfallen. Gleichwohl hat das Verstndnis des Bezieht das "fr" sich hingegen auf "uns" oder "die Welt", so gewinnt es
Kreuzestodes Jesu Christi als (Shn-)Opfer insofern eine bleibende Bedeu- eine andere, positive Bedeutung, nmlich entweder: "zugunsten" oder
tung, als durch sie gerade die innere Auflsung des Opferkultes und "an Stelle". Dabei kann man von der Einsicht her, da Christi Werk ein
-gedankens als wesentliche Vertiefung des Gottesverstndnisses versteh~ Heilswerk ist, die Konsequenzziehen, da auch das, was an unserer Statt
bar wird. geschieht, immer zugleich zu unseren Gunsten geschieht. Das "fr" im
Die Opfervorstellung hat ihren Sinn ja nur im Zusammenhang mit Sinne von "zugunsten" ist also die umfassende Deutung. Das "fr" im
einem Verstndnis der Gottesbeziehung, das voraussetzt, da zur Wieder- Sinne von "anstatt" fat hingegen einen spezielleren Aspekt in den Blick,
herstellung dieser Beziehung der Tod des Schuldigen oder eines an seiner von dem nun die Rede sein soll.
Stelle gegebenen Lebens erforderlich ist. Diese in vielen Religionen anzu~ Da Jesus Christus an unserer Statt gestorben ist, wird in der Regel so
treffende Vorstellung wird im christlichen Glauben radikal berwunden, verstanden, da er durch seinen Tod die Strafe fr die Snde erlitten
und zwar nicht (nur) durch Aufklrung, sondern insbesondere durch die hat23 , die eigentlich wir als die Snder erleiden mten. Der Sinn der
Vorstellung, da im Kreuzestod Jesu Christi Gott selbst sich zugunsten Stellvertretung bestnde demnach darin, da Jesus Christus das (fr uns)

22 Eine Vorstufe dieser Erkenntnis ist bereits in aller Klarheit in Hebr 9,11-15
formuliert, wo Jesus Christus - als der Sohn Gottes (Hebr 1,1-5) - verstanden
21 Im Deutschen wirken "Shne" und "Vershnung" als nahe miteinander wird als der Hohepriester, der sich selbst ein fr allemal geopfert hat (Hebr
verwandte Worte. ImGriechischen, das zwischen "iAOO"Il0S" und "KCXTaAAayil" 9,11-15 u. 10,11-18).
unterscheidet, kann dieser irrige Eindruck nicht entstehen. Es ist milich, da 23 Rm 6,23: "Denn der Snde Sold ist der Tod ... ". Vgl. auch Jes 53,5: "Aber
Luther in IJoh 2,2 und 4,10 "iAOO"Il0S" mit "Vershnung" bersetzt hat. er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Snde willen
334 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk ]esu Christi 335

erleidet, was wir (aufgrund seiner Stellvertretung) nicht erleiden mssen. als verkiindigtes und durch das Wirken des Heiligen Geistes im Menschen
Gegen diese Deutung sind verschiedene Einwnde mglich: Zunchst ist zur Wirkung gekommenes Geschehen wird das Kreuz im vollen und
zu konstatieren, da auch den Menschen nach Christus das Sterben und umfassenden Sinn des Wortes zum Heilsereignis.
der Tod nicht erspart werden. Wrde man demgegenber so argumentie-
ren, da Jesus Christus an unserer Statt nur den Tod gestorben ist, der
ewig von Gott trennt, so wre gerade von Ostern (s. o. 9.2.4) her zu 9.3.3 Jesus Christus als die Erlsung des Menschen durch Gott
sagen, da Jesus Christus durch seinen Tod nicht ewig von Gott getrennt
wurde. Im Begriff "Erlsung" werden unterschiedliche sprachliche Ausdrcke
Sodann ist aber auch von verschiedenen neutestamentlichen Aussagen zusammengefat: Loskauf, Freikauf oder Befreiung (aus Gefangenschaft
her festzustellen, da die Stellvertretung nicht so verstanden werden mu, oder Sklaverei), Rettung oder Bewahrung (aus bzw. vor Gefahr und Not).
da uns dadurch etwas abgenommen wird, sondern so, da in diesem Tod Das Gemeinsame dieser unterschiedlichen Vorstellungen, das auch im
etwas mit uns geschieht: So artikuliert z.B. II Kor 5,14 die berzeugung, Begriff "Erlsung" zum Ausdruck kommt, ist einerseits die dabei voraus-
"da, wenn einer fr alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben". In ganz gesetzte Situation des Menschen, der gefhrdet, bedroht, unterdrckt ist
hnlicher Form deutet Paulus in Ga12,19 f. die Gewiheit, da Christus und sich selbst nicht helfen kann, andererseits das Widerfahrnis wirksa-
"sich selbst fr mich dahingegeben" hat, durch den Satz: "Ich bin mit mer Hilfe, durch die die Gefhrdung, Bedrohung oder Unterdrckung
Christus gekreuzigt" .24 Da Jesus Christus "an unserer Statt" stirbt, heit abgewendet wird. Erlsung kann deshalb - in einem weiten Sinn - immer
demnach, da wir an seinem Tod zeichenhaft, aber real Anteil haben, so verstanden werden als ein Befreiungsgeschehen, das konstitutiv bestimmt
da mit (der Verkndigung von) Christi Tod und Auferstehung etwas ist durch ein "Wovon?" und ein "Wozu?".
geschieht, das man als die Neukonstituierung der Person durch Gott Der Aspekt des Heilswerkes Jesu Christi, der mit der Formel "Erl-
bezeichnen kann: Der alte Mensch, der der Snde dient, wird in den Tod sung des Menschen durch Gott" bezeichnet wird, unterscheidet sich von
gegeben; der neue Mensch, der aus Gott lebt, ersteht. Was so von Gott her den beiden bisher betrachteten Aspekten dadurch, da hier der Mensch
fr jeden Menschen gltig ist, wird freilich im Leben des Menschen nur als Opfer unheilvoller Mchte gesehen und angesprochen wird. Zwar
wirksam durch die Selbstvergegenwrtigung Gottes, die an ihr Ziel kommt kann man auch die Verblendung, die durch das offenbarende Wirken Jesu
in dem Glauben, der in der Liebe Gestalt gewinnt. Christi aufgebrochen wird, und die Entfremdung, die durch das versh-
Was in der paulinischen Metapher vom Sterben mit Christus angelegt nende Wirken Jesu Christi berwunden wird, in gewisser Hinsicht als
ist, wird m. E. ganz angemessen aufgenommen von Luther mit einem Bild Gefangenschaft verstehen, aber dieser Gesichtspunkt tritt beim Erlsungs-
aus der mittelalterlichen Brautmystik, nmlich dem "admirabile com- gedanken ganz in den Vordergrund. Es ist darum auch nicht verwunder-
mercium" , dem "frhlichen Wechsel" oder"wunderbaren Tausch "25, der lich, da Menschen, die sich selbst primr als Opfer von Unterdrckung,
darin besteht, da Christus durch seinen Tod unsere Snden bernimmt Gewalt und Ungerechtigkeit erleben, eine starke Affinitt zu diesem (er-
und uns dafr seine Gerechtigkeit gibt. Und auch hier gilt wieder: Dieser lsenden, befreienden) Aspekt des Heilswerkes Christi haben. Problema-
von Gott her in Jesus Christus geschehene wunderbare Wechsel ereignet tisch wird dies jedoch dort, wo dieser Aspekt isoliert und verabsolutiert
sich im Glauben am Menschen. D. h. aber: Der Glaube ist selbst ein wird, so da Menschen sich nur noch als Opfer und nicht auch als verant-
konstitutives Element des Vershnungsgeschehens. Darum gehrt zum wortliche Subjekte wahrnehmen. Bedenkt man eine Aussage wie Joh 8,34:
Kreuz als Heilsereignis das Wort vom Kreuz notwendig hinzu (I Kor 1,18- "Wer Snde tut, der ist der Snde Knecht", so zeigt sich, da Tter- und
31 u. II Kor 5,16-21). Und darum gilt: Erst durch Wort und Glaube, d. h. Opfer-Sein auf unentwirrbare Weise ineinander verflochten sein knnen
(vgl. auch Rm 6,16-18).
Lt sich der Offenbarungsaspekt des Heilswerkes Jesu Christi schwer-
punktmig seiner Verkndigung und seinem Wirken zuordnen, der
zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf da wir Frieden htten, und durch
Vershnungsaspekt schwerpunktmig seinem Leiden und Sterben, so
seine Wunden sind wir geheilt."
24 Den Gedanken des Mit-Christus-gekreuzigt-Seins entwickelt Paulus ausfhr- lt sich der Erlsungsaspekt schwerpunktnnig seiner Auferweckung
licher in Rm 6,1-11 vom Taufverstndnis her. und Erhhung zuordnen. Mehr als eine solche schwerpunktmige Zu-
25 WA 5,608,6; 7,25,28; 7,54,31; 10 III,356,21; 3111,435,11. ordnung darf freilich nicht behauptet werden, weil andernfalls die Einheit
336 Gottes Selbsterschlieung in Christus Das Heilswerk Jesu Christi 337

des Heilswerkes Jesu Christi in Frage gestellt wrde. Tatschlich enthlt Inwiefern kann das Werk Jesu Christi als Befreiung von diesen Mch-
ja auch schon das irdische Wirken Jesu (etwa in Gestalt der Dtrionen- ten gedacht werden? Eine naheliegende Antwort wre: dadurch, da er
austreibungen und Krankenheilungen26 ) und der Tod Jesu Christi (ver- ihnen von vornherein so berlegen ist, da sie ihm nichts anhaben kn-
standen als Sieg ber die Mchte des Verderbens 27 ) den Erlsungsaspekt nen. Aber diese naheliegende Antwort erweist sich bei nherem Zusehen
in sich. Aber in der Auferweckung und Erhhung Jesu Christi rckt dieser als irrefhrend. Er bekommt mit all diesen Mchten zu tun, er wird von
Aspekt ins Zentrum: Er hat die Macht des Todes durchbrochen (so I Kor ihnen angegangen, versucht und mu ihre Gewalt erleiden (s. Mk 1,12 f.
15,20-28; Apk 1,17 f.) und ist ber alle Mchte und Gewalten erhht (so parr.; 15,37 parr.; GaI4,4) - mit der einen, entscheidenden Ausnahrpe,
PhiI2,9-11; Apk 11,15). Dieser letztgenannte Gesichtspunkt macht be- da die Macht der Snde ihn zwar versuchen, aber nicht fr sich gewinnen
reits deutlich, da Erlsung im christlichen Glauben nicht verstanden und unterwerfen kann (Mt 4,1-11 par.; Hebr 4,15). Indem Jesus Christus
wird als bergang von einer Situation der Gefangenschaft in einen Zu- die Macht des fordernden und anklagenden Gesetzes, die Macht der
stand der Herrenlosigkeit, sondern da sich mit dem christlichen Er- Snde und des Todes bis auf den Grund durchleidet, berwindet, ja
lsungsgedanken immer die Einsicht verbindet, da (wahre) Befreiung besiegt er diese Mchte, die den Menschen in ihrer Gefangenschaft hal-
nur verstanden werden kann als Herrschaftswechsel. Den beiden darin ten. 28 Die widergttlichen Mchte toben sich sozusagen an ihm aus, aber
enthaltenen Gedanken - Erlsung als Befreiung (a) und Erlsung als weil sie kein Recht an ihm gewinnen, darum erhalten sie auch keine Macht
Herrschaftswechsel (b) - soll nun nachgedacht werden. ber ihn. Und darum laufen ihre tdlichen Attacken in diesem einen Fall
ins Leere - ja sie kehren sich gegen sie selbst. Die Allmacht Gottes als die
a) Erlsung als Befreiung Allmacht der Liebe (s. o. 8.1.3.2 a) erweist sich auch und gerade an den
Mchten, die ihr feindlich entgegenstehen. Nicht sie sind die unbersteig-
Wird das HeilswerkJesu Christi hinsichtlich seines erlsenden Aspekts als bare Grenze der Liebe, sondern umgekehrt begrenzt die gttliche Liebe
Befreiung gedacht, so stellt sich zunchst die Frage, unter welche Mchte ihre Macht und erweist sich damit als - letztendlich - berlegen.
der Mensch versklavt ist, der sich nach Befreiung sehnt. Im Anschlu an Aber der christliche Glaube ist realistisch genug, zu wissen, da diese
die biblische berlieferung sind hier vor allem zu nennen: die Snde (und berwindung und damit die in Jesus Christus geschehene Erlsung noch
der Teufel) sowie der Tod. Aber auch das Gesetz kann im Neuen Testa- nicht vollendet, sondern nur im Anbruch verwirklicht ist. Deswegen hat
ment unter diese Mchte gezhlt werden (so z. B. Rm 7 u. Gal3 f.). Ja, der Begriff "Erlsung" immer auch eine eschatologische Bedeutung: Er
grundstzlich wird man sagen mssen, da die Aufzhlung solcher Mch- verweist auf ein Geschehen, das hier und jetzt nur fragmentarisch erlebbar
te nicht definitiv abgeschlossen werden kann. Denn alles, was einen Men- ist, dessen Vollendung aber noch aussteht. Freilich, damit, da an einer
schen daran hindert, sich fr Gott zu ffnen und von ihm her sein Leben Stelle, nmlich in Jesus Christus, die Macht des fordernden und anklagen-
bestimmen zu lassen, wird damit zu einer solchen Verderbensmacht. So den Gesetzes, der Snde und des Todes berwunden ist, ist der entschei-
kann das Gesetz - als Forderung und Anklage! - den Menschen daran dende Durchbruch schon geschehen.
hindern, der Liebe zu trauen. So ist die Snde (als die Verleugnung der Die Teilhabe des Menschen an der Erlsung in Jesus Christus wird
Liebe) eine Macht, die nur von auerhalb, nmlich durch zuteil werdende dabei wohl am angemessensten verstanden im Anschlu an die Interpre-
Liebe berwunden werden kann. Undso ist der Tod als die Infragestellung tation des Stellvertretungsgedankens, wie sie in 9.3.2.3 c begegnete.
aller Beziehungen die groe bedrohliche Macht, an der auch die Liebe D. h.: Auch fr die an Jesus Christus Glaubenden besteht Erlsung nicht
schlielich zu scheitern scheint. Dabei ist es aus der Sicht des christlichen darin, da ihnen das Erleiden der widergttlichen Mchte erspart bliebe,
Glaubens ganz entscheidend, diese Mchte nicht nur als Gren iu ver- sondern darin, da ihr alter Mensch mit Jesus Christus der Macht der
stehen, die den Menschen von auen unter Druck setzen oder in der
Gewalt haben, sondern die ihn von innen mit Beschlag belegen, indem sie
28 Das bringt Luther im Kleinen Katechismus (im Anschlu an I Petr 1,18f.)
im Herzen des Menschen Wohnung nehmen und von dort aus ihre dmo- zum Ausdruck in den Worten: " ...der mich verlorenen und verdammten
nische Angst verbreiten. Menschen erlset hat, erworben, gewonnen von allen Snden, vom Tode und
von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem
26 So z. B. Mk 1,21-28 parr.; 1,40-45 parr.; 3,22-30 parr. u. 5,1-20parr. heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben ... "
27 So z. B. Gal 3,13; Kol 2,15; I Petr 1,18 f. (BSLK 511,27-33).
338 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Jesu Christi 339

Snde stirbt und sie, indem sie sich von daher verstehen, durch den Tod neutrale Zone zwischen Lieblosigkeit und Liebe. Wre die Erlsung von
hindurch am neuen Leben Anteil erlangen. ~en widergttlichen Mchten nicht zugleich Befreiung zur Liebe, so wre
Sie nicht Erlsung und Befreiung.31
b) Erlsung als HerrschaftswechseF9 Man kann von dem her, was wir als Herrschaft kennen, gute Grnde
dafr geltend machen, fr diesen Vorgang nicht den Begriff "Herrschafts-
Der oben zitierte Abschnitt aus dem Kleinen Katechismus, in dem Luther wechsel" zu verwenden. Es gibt freilich auch gute Grnde dafr das
den Erlsungsgedanken auslegt, ist umgeben von Aussagen ber das Herr- ideologiekritische Potential dieses Geschehens gegen das bliche 'Ver-
Sein Jesu Christi. 30 Das knnte wie ein Widerspruch wirken. Wie kann ein stndnis u~~ die bliche Praxis von Herrschaft geltend zu machen. Dann
Mensch frei sein, wenn er einen Herrn hat? Mte man nicht sagen: Was knnte in Ubereinstimmung mit der biblischen Tradition deutlich wer-
im Erlsungswerk Jesu Christi stattfindet, ist Herrschaftswechsel statt den, da von derHerrschaft Gottes (als der Herrschaft der Liebe) her alle
Erlsung oder Befreiung? Dieser Einwand lt sich sogar dadurch noch weltliche, menschliche, politische Macht und Herrschaft relativiert wird.
verstrken, da der Anschein entsteht, dieser Herr (Jesus Christus) habe D. h.: Es wird ihr damit ihr willkrlicher und uneingeschrnkter Charak-
uns mit seinem Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben erwor- ter bestritten. Sie wird begrenzt und mu sich messen lassen an ihrer
ben, um damit einen unbertrefflichen und unwidersprechlichen Besitz- V~reinbarkeit mit der Herrschaft Jesu Christi, die er als der Schpfungs-
anspruch auf uns geltend machen zu knnen. mittler (s. KoI. 1,16) schon im Naturgeschehen ("regnum naturae"), als
Diese Deutungsmglichkeit ist solange nicht auszuschlieen, als man der Heilsmittler durch Wortverkndigung und Darreichung der Sakra-
nicht den Blick darauf richtet, um welchen Herrn und damit um welche mente ~us~bt ("regnum gratiae"), und deren eschatologischeVollendung
Herrschaft es sich hier handelt. Abstrahiert man bei diesen Aussagen von der chrIstlIche Glaube erhofft ("regnum gloriae").
der Einsicht des christlichen Glaubens, da Jesus Christus nichts anderes
ist als die menschgewordene Liebe Gottes, so werden solche Aussagen
nicht nur miverstndlich oder falsch, sondern sogar gefhrlich und be- 9.4 Die Person ]esu Christi
drohlich. Behalten wir jedoch im Blick, was berdas Wesen der wider-
gttlichen Mchte und ber das Wesen Gottes zu sagen war, dann ist es All das, was im vorigen Abschnitt ber das Heilswerk Jesu Christi gesagt
nicht nur akzeptabel, sondern notwendig, Erlsung und damit Befreiung wurde, schliet ein, da der Person, von der dies ausgesagt wird, eine
als Herrschaftswechsel zu denken; denn es gibt kein Niemandsland, keine ganz besondere, ja eine einmalige Bedeutung zukommen mu. Insbeson-
dere die Erkenntnis, da das Heilswerk Jesu Christi' unter jedem seiner
Aspekte als Wirken Gottes durch und in Jesus Christus verstanden wer-
29 Der Begriff "Herrschaft" begegnet heute starken Vorbehalten und vielfltiger den mu, ntigt dazu, die Beziehung Jesu Christi zu Gott, aber auch sein
Kritik. Vieles davon ist verstndlich und berechtigt. Der folgende Abschnitt
Verhltnis zu allen anderen Menschen genauer zu bestimmen und zu
versucht jedoch zu zeigen, da die damit angesprochenen Probleme sich nicht
damit eliminieren lassen, da auf den Herrschaftsbegriff verzichtet, sondern
da er vom Wesen Gottes her verstanden und interpretiert wird. 31 Vgl. dazu auch Luthers Auslegung des zweiten Artikels im Groen Katechis-
30 "lch glaube, da Jesus Christus sei mein Herr, der mich verlorenen und mus: "Denn zuvor habe ich keinen Herrn noch Knig gehabt, sondern bin
verdammten Menschen erlset hat , auf da ich sein eigen sei und in seinem unter des Teufels Gewalt gefangen, zum Tod verdammt, in der Snde und
Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Blindheit verstrickt gewesen.... da war kein Rat, Hilfe noch Trost bis da
Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewig- sich dieser einige und ewige Gottes Sohn unsers Jammers und El~nds aus
keit" (BSLK 511,23-37, Hervorhebungen von W. H.). In dieselbe Richtung grundloser Gte erbarmte und vom Himmel kam, uns zu helfen. Also sind
weist die grundlegende 1. Frage und Antwort des Heidelberger Katechismus: nun jene Tyrannen und StockmeIster alle vertrieben, und ist an ihre Statt
"Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Da ich mit Leib und getreten Jesus Christus, ein Herr des Lebens, der Gerechtigkeit, alles Guten
Seel, beide im Leben und im Sterben (Rm. 14,7.8), nicht mein (1. Kor. 6,19), und der Seligkeit, und hat uns arme, verlorene Menschen aus der Hlle
sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin (1. Kor. 3,23), der Rachen gerissen, gewonnen, freigemacht und wiedergebracht in des Vaters
mit seinem teuren Blut (1. Pt. 1,18.19) fr alle meine Snden vollkmmlich Huld und Gnade und als sein Eigentum unter seinen Schirm und Schutz
bezahlet (1. Joh. 1,7; 2,2) und mich aus aller Gewalt des Teufels erlset hat genommen, da er uns regiere durch seine Gerechtigkeit, Weisheit, Gewalt,
(1. Joh. 3,8) ... ". Leben und Seligkeit" (BSLK 651,36-652,12).
340 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Jesu Christi 341

explizieren. Das Nachdenken ber das geschichtliche Wirken und das anderes, als da der implizite Anspruch Jesu, der mit seiner Verkndi-
Heilswerk Jesu Christi setzt - gewissermaen von selbst - die Frage aus gung, seinem Wirken und seinem Geschick gegeben war, christologisch
sich heraus: "Wer ist der, von dem all dies gesagt werden kann?" (vgl. expliziert wird. So wird der Verkndiger zum Verkndigten. 34
Mk 4,41). Die christologische Explikation macht auch deutlich, inwiefern der
Zu der damit erkennbar werdenden auerordentlichen Bedeutung der christliche Glaube als "Glaube an Jesus Christus" verstanden werden
Person Jesu Christi steht es scheinbar im Kontrast, da die Verkndigung kann und mu. In der synoptischen Verkndigung Jesu kommt die For-
Jesu keine Lehre ber seine Person enthlt. Soweit wir aufgrund der mel: "an mich glauben" nur vereinzelt vor (Mk 9,42 par. Mt 18,6). Erst
Erforschung des Neuen Testaments wissen, hat der geschichtliche Jesus im Johannesevangelium spielt die Aufforderung: "glaubet an mich" oder
vermutlich keinen Hoheitstitel (ausdrcklich und exklusiv) fr sich in die Formel: "an Jesus (Christus) glauben" eine tragende Rolle (z. B. Joh
Anspruch genommen. Selbst im Blick auf den Hoheitstitel, der Jesus schon 2,11; 3,15-18; 6,35 u. 0.) - dort freilich bereits als Resultat christologi-
sehr frh beigelegt wurde: den Menschensohn-Titel 32, unterscheidet die scher Reflexion und Explikation. Trotzdem besteht schon von der Ver-
synoptische berlieferung (in einem Jesus-Wort) zwischen Jesus selbst kndigung Jesu her die Notwendigkeit, die Beziehung des Glaubens zu
und dem kommenden Menschensohn: "Wer mich bekennt vor den Men seiner Person zu bestimmen. Er ist es, der zum Glauben aufruft und der
schen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Got- durch sein Reden und Handeln Glauben ermglicht, und zwar Glauben
tes" (Lk 12,8). Diese Unterscheidung wre aber undenkbar, wenn Jesus an den Gott, dessen Vollkommenheit in grenzenloser Liebe besteht. Die
bereits die Identifikation vollzogen, also den Menschensohn-Titel fr sich Formel: "Glauben wie Jesus" ist darum zwar richtig, sagt aber noch zu
in Anspruch genommen htte. Freilich, gerade diese Stelle zeigt, da der wenig. Andererseits ist die Formel: "Glauben an Jesus Christus" miver-
Verzicht auf Hoheitstitel keineswegs den Verzicht auf einen Hoheitsan- stndlich, weil in ihr der konstitutive Bezug des Glaubens zu Gott nicht
spruch bedeutet. Im Gegenteil: Wenn das Urteil des kommenden Men- zu Worte kommt. Soll die in der Beziehung des Glaubens zur Person Jesu
schensohnes davon abhngen wird, ob die Menschen sich zu Jesus be- implizit enthaltene Ausrichtung auf Gott expliziert werden, so mte man
kannt oder ihn verleugnet haben, dann heit das ja nicht weniger, als da z. B. sprechen von dem "Glauben an Gott, wie er sich in Jesus Christus
an der Stellung zu der Person Jesu sich das ewige Schicksal der Menschen geoffenbart hat". Gerade von dieser letzten Formulierung her wird aber
entscheidet. In dieser Aussage ist also ein ganz auergewhnlicher Hoheits- auch deutlich, inwiefern die Formel "Glaube an Jesus Christus" eine
anspruch enthalten, der aber auch sonst in der Verkndigung und im theologisch legitime Formel ist.
Wirken Jesu zum Ausdruck kommt, insbesondere dort, wo er Verlorenen Bei der christologischen Explikation der Bedeutung Jesu Christi durch
die heilsame Nhe der Gottesherrschaft und d. h. zugleich: Sndern die Hoheitstitel stehen zunchst die Titel "Menschensohn", und "Messias"
bedingungslos vergebende Liebe Gottes zuspricht. bzw. "Christus" im Vordergrund. Letzterer verblat freilich bald zu einer
E. Jngep3 hat zu Recht darauf hingewiesen, da das irdisch-leibliche Art Eigenname. Neben diesen Titeln erhalten vor allem die Titel "Herr"
Entzogensein]esu aufgrund seines Todes die Begrndung fr die Entfal'- und "Sohn (Gottes)" grtes Gewicht. Beide bekommen zugleich eine
tung der Christologie, im Sinne der Lehre von der Person Jesu Christi, war neue Bedeutung: der Titel "Herr" dadurch, da das griechische quiva-
und ist. War im Wirken und in der Verkndigung des irdischen Jesus seine lent "KVPIOS" in der Septuaginta die Wiedergabe des Gottesnamens "Jah-
Glauben weckende "Vollmacht" erlebbar (s. z. B. Mk 1,27; Mt 7,29; Lk we" ist; der Titel "Sohn (Gottes)" dadurch, da seine hebrisch-rechtli-
4,32), so mute diese Vollmacht nach Ostern begrifflich, d. h. auch unter che Bedeutung (s. Ps 2,7, aber auch Rm 1,4 u. Hebr 1,5) zugunsten
Zuhilfenahme geeigneter Hoheitstitel expliziert werden. Die Christologie seiner griechisch-physischen Bedeutung (Lk 1,26-38; Mt 1,18-25) immer
dient so - im Medium der Lehre - der Vergegenwrtigung dessen, der mehr zurcktritt. Darin kommt zum Ausdruck, da die christliche Ver-
nicht mehr irdisch-leiblich anwesend ist. Damit geschieht aber nichts kndigung und Lehre im Vollzug der christologischen Reflexion sich
immer strker gentigt sieht, JesusChristus in seiner Einheit mit Gott
32 Und zwar in seiner ursprnglichen, aus Dan 7,13 abgeleiteten Bedeutung,
derzufolge der Menschensohn der am Ende der Tage "mit den Wolken des 34 Diese gngige Formel ist freilich insofern ungenau und miverstndlich, als
Himmels" kommende Richter ist. sie nicht zum Ausdruck bringt, da wir vom irdischen Jesus auch nur auf-
33 Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Przisierung der Frage nach dem grund der Verkndigung der Urgemeinde wissen, also den Verkndiger nur
Ursprung der Christologie, Tbingen 1979 5 , S. 279 H. als "verkndigten Verkndiger" keunen.
342 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person ]esu Christi 343

wahrzunehmen und auszusagen. Das hat zur Folge, da die Bestimmung gesagt werden, da uns in ihm das Heil begegnet. Aber steckt in dieser
des Verhltnisses Jesu Christi zu Gott (und zu den Menschen) zum theo- Doppelaussage: "wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch" nicht doch ein-
logischen Problem und zur denkerischen Herausforderung fr die Alte letztlich unauflsbarer - Widerspruch? Zerbricht dieses zentrale Geheim-
Kirche wird, dem sie sich in der trinittstheologischen und christologi- nis des christlichen Glaubens am Denken - oder scheitert das Denken an
schen Dogmenbildung der ersten Jahrhunderte stellt. diesem Geheimnis des Glaubens, so da schlielich nur die Zumutung
Im folgenden soll zunchst dargestellt werden, zu welchen - auch brigbleibt, das Undenkbare zu glauben? Wer hier allzu schnell bereit ist,
noch heute gltigen - Einsichten ber das Wesen Jesu Christi die christ- eines von beiden (das Geheimnis des Glaubens oder die Klarheit des
liche Lehrbildung dabei gelangt ist (9.4.1); von da aus sollen die - unter- Denkens) aufzugeben, sollte sich die Konsequenzen solcher Preisgabe
schiedlichen - Anstze bedacht werden, mit deren Hilfe das Geheimnis bewutmachen. Gerade wegen der zentralen Stellung dieser christologi-
des gttlichen Ursprungs Jesu Christi umschrieben worden ist und um- schen Aussagen ist von einem Verzicht - so oder so - das Ganze des
schriebenwerdenkann (9.4.2). In diesem Zusammenhang werden wir uns christlichen Glaubens mit betroffen.
auch in einem Exkurs mit dem Thema "Mariologie" beschftigen. Die altkirchliche und die altprotestantische Theologie hat an dieser
Stelle keineswegs einen Denkverzicht propagiert oder gefordert, sondern
im Gegenteil mit einem gedanklichen und argumentativen Aufwand um
9.4.1 Das Wesen ]esu Christi Klrungen gerungen, der bewundernswrdig ist, auch wenn wir uns die
dabei erzielten Lsungen nicht in jeder Hinsicht zu eigen machen knnen
Wenn es so etwas wie ein Zentrum der christologischen Lehrbildung gibt, oder sogar schon gegen den Denkansatz Bedenken anmelden.
das sich als Kriterium fr Aussagen ber die Person Jesu Christi eignet, Die Mglichkeit, die wahre Gottheit und wahre Menschheit Jesu
dann ist es die aus dem Chalcedonense stammende Doppelformel: "GEOV Christi zusammenzudenken, sieht die altkirchliche (und mit ihr die mittel-
CxAT)6wS, Kai v6pWTIOV CxAT)6wS" (lat.: "Deum vere et hominem vere"; in alterliche, reformatorische und altprotestantische) Christologie in der
der Formulierung des Kleinen Katechismus: "wahrhaftiger Gott ... und Unterscheidung zwischen der einen Person oder Seinsweise (" TIpocrWTIOV"
auch wahrhaftiger Mensch"). Die Bedeutung dieser Doppelformel wird oder "tlTIocrTacrIS") und den zwei Naturen ("q>VcrIS") Jesu Christi. Dabei
aber erst dann ganz klar, wenn man sie im Zusammenhang mit der im wird nicht nur gelehrt, da die eine Person aus zwei Naturen entsteht,
Chalcedonense vorkommenden Formel sieht: "Eva Kai TOV aVTov XpHJTOV sondern da sie in zwei Naturen existiert ("sv OVO q>VcrEO"IV"). Von diesen
VIOV" (lat.: "unum eundemque Christum Filium"), da von einem (mit beiden Naturen heit es im Chalcedonense, sie seien " unvermischt,
sich identischen) Subjekt, nmlich Jesus Christus, ausgesagt wird, er sei unverwandelt, ungetrennt (und) ungesondert" ("CxcrVYXVTWS, CxTpETITWS,
"wahrhaft Gott" und zugleich "wahrhaft Mensch", das erst macht das CxOlaipETWS, CxXWpicrTWS"). Mit diesen vier Negationen ist freilich nur ein
Gemeinte deutlich und zeigt zugleich die Gre und Komplexitt der hier denkerisch auszufllender Raum abgegrenzt, aber selbst noch keine kon-
bestehenden Denkaufgabe. Dabei schneidet das Chalcedonense insofern struktive Lsung gegeben. Nach einer solchen Lsung zu suchen, stellt
zahlreiche Mglichkeiten (besser: Abwege) einer "Lsung" ab, als es- sich fr Kirche und Theologie immer wieder neu als Aufgabe. Dabei mu
das Nicaenum und das Nicaeno-Constantinopolitanum aufnehmend und aber auch die Problemformulierung, wie sie durch die theologischeTra-
weiterentwickelnd - feststellt, da Jesus Christus seiner Gottheit nach dition vorgegeben ist, kritisch berprft werden. Bevor wir jedoch Schrit-
wesenseins ("OJ.lOOVcrIOS"; lat.: "consubstantialis") sei mit (Gott) dem Vater te in Richtung auf die Denkbarkeit der christologischen Zentralaussage(n)
und seiner Menschheit nach wesenseins mit uns (Menschen) - in allem, tun knnen, ist es zunchst sinnvoll, wenn nicht sogar notwendig, sich
auer der Snde (vgl. DH 301). genauer darber Rechenschaft zu geben, worin denn die Schwierigkeiten
Die Notwendigkeit, beides von Jesus Christus auszusagen, ergibt sich liegen, die den Eindruck einer ged,anklichen Aporie erwecken. Warum
(dogmengeschichtlich und sachlich) aus alledem, was ber das Heilswerk also ist es schwierig, wenn nicht sogar unmglich, von der einen Person
Jesu Christi zu sagen ist, ja, sie ergibt sich schon daraus, da die Verkn- Jesu Christi zu sagen, sie sei zugleich gttlich und menschlich, Jesus
digung, das Wirken und Geschick Jesu als Heilswerk verstanden wird. Christus sei also wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch?
Wenn wir es in Jesus Christus nicht mit Gott selber zu tun bekommen, und Diese Schwierigkeiten werden dann erkennbar, wenn man sich auf
zwar mit Gott in einem wirklichen Menschen, dann kann entweder nicht die Eigenschaften (des Wesens) Gottes und (des Wesens) des Menschen
gesagt werden, da wir in ihm dem Heil begegnen, oder es kann nicht besinnt. Mit ersteren haben wir uns bereits ausfhrlicher beschftigt
344 Gottes Selbsterschlieungin Christus Die Person Jesu Christi 345

(s. o. 8.1.3), so da wir darauf hier nun zurckgreifen knnen und am Wesen Gottes ist zugleich die vollkommene Verwirklichung der
mssen. Ohne Anspruch auf Vollstndigkeit haben wir dort genannt: menschlichen Bestimmung.
Gottes Allmacht und Allwirksamkeit, seine Allwissenheit, Ewigkeit und Was dabei sichtbar wird, hat eine seiner wesentlichen Voraussetzun-
Allgegenwart, Gottes Gte, Gerechtigkeit und Treue, seine Barmherzig~ gen im Gedanken der Gottebenbildlichkeit als Bestimmung des Menschen
keit und Gnade, seine Heiligkeit und seinen Zorn. Dabei zeigte sich, (s. dazu u. 12.2.2). Diesen Zusammenhang hat schon das Neue Testament
da es sinnvoll ist, zwei Gruppen von Eigenschaften zu unterscheiden, in verschiedenen berlieferungsschichten wahrgenommen und ausgespro-
deren erste den kategorialen Unterschied zwischen Gott und Mensch chen, indem es Jesus Christus als das Ebenbild Gottes bezeichnet (11 Kor
zum Ausdruck bringt, whrend in der zweiten Gruppe die reale Ver- 4,4; KaI 1,15; Hebr 1,3 35 ). Dabei ist es fr das rechte Verstndnis des
bundenheit zwischen Gott und Mensch ihren Ausdruck findet. Bei den Begriffs"Ebenbild" wesentlich, da es sich nicht um das Abbild einer
Eigenschaften des kategorialen Unterschieds (s. o. 8.1.3.2) war darum selbst schon sichtbaren Wirklichkeit handelt, sondern um das Sichtbar-
zu sagen: Kein Mensch, auch kein Liebender ist allmchtig, allwissend, werden "des urlsichtbaren Gottes" (Koll,15).36
ewig oder allgegenwrtig. Aber mu nicht genau diesem Satz wider- Von der lmago~Lehreher lt sich auch gut der entscheidende Unter-
sprochen werden, wenn gelten soll, da Jesus Christus wahrhaftig Gott schiedverdeutlichen, der zwischen Jesus Christus und allen anderen Men.
und wahrhaftig Mensch ist? schen besteht, den das Chalcedonense(im Anschlu an Hebr 4,15) in den
Diese Konsequenz legt sich jedenfalls dann nahe (oder ist sogar unver- Worten zusammenfat: "die Snde ausgenommen" (;,xwpis O:lJ a pTlas").
meidlich), wenn die Eigenschaften Gottes abstrakt als Eigenschaften einer Der dabei vorausgesetzte biblische Zusammenhang macht deutlich, da
gttlichen Natur oder einer gttlichen Person verstanden werden und das Nicht-Sndigen gesehen werden mu auf dem Hintergrund echter
nicht als Eigenschaften des Wesens Gottes, also der (gttlichen) Liebe. Versuchlichkeit und Versuchung (Mk 1,13 parr.; Hebr 2,18 und 4,15).
Fat man in Aufnahme des in der Gotteslehre gewhlten Denkansatzes die Deswegen stellt die Sndlosigkeit Jesu Christi seine echte Menschlichkeit
Eigenschaften Gottes hingegen als Eigenschaften seines Wesens, also sei- nicht in Frage. Zwar gehrt es zum Wesen des Menschen, durch die Snde
ner Liebe auf, so verschwinden keineswegs alle gedanklichen Probleme, versucht werden zu knnen, aber es gehrt nicht zum Wesen (sondern zur
wohl aber stellen sie sich teilweise in vernderter Gestalt; denn nun be- Verfehlung des Wesens) des Menschen zu sndigen. Auch in dieser Hin-
kommt der Begriff der Wesenseinheit ("olJoovcrla") - ganz im Sinne der sicht besttigt sich also noch einmal der Grundgedanke: Weil Jesus Chri-
altkirchlichen Christologie - eineSchlsselfunktion: Zwischen Jesus Chri~ stus wesenseins mit Gott ist, darum ist er wahrhaft und im vollen Sinne
stus und Gott besteht insofern Wesenseinheit, als Jesus Christus vollkom- des Wortes Mensch.
men bestimmt ist von dem Wesen Gottes, das Liebe ist. Deswegen kann Dieser christologische Denkansatz, der sich aus dem Gottesverstndnis
(und mu) gesagt werden: Er hat am Wesen Gottes teil; er ist eines Wesens ergibt, ist m. E. in der Lage, die entscheidenden christologischenAussagen
mit Gott. der altkirchlichen, reformatorischen und altprotestantischen Lehrent-
Diese Aussagen knnen alle gemacht werden, ohne da damit das wicklung aufzunehmen, mit den biblischen Aussagen zu verbinden und in
wahrhafte Menschsein Jesuaufgehoben oder in Frage gestellt wrde. einer gedanklich nachvollziehbaren Form zum Ausdruck zu bringen.
Auch der vollkommen durch Gottes Wesen bestimmte Mensch Jesus Dabei erweist sich ein Rckgang hinter die Terminologie der altkirchlichen
bleibt - als irdisch-geschichtlicher - begrenzt in seiner Macht, in seinem Dogmenentwicklung als hilfreich. Insbesondere die Verwendung des
Wissen, in seiner Zeit und in seiner rumlichen Gegenwart. Hier bewhrt Naturbegriffs hat im Zusammenhang der altkirchlichen Christologie nicht
sich erneut die These, da zwischen Gott und Mensch eine kategoriale
Differenz besteht, derzufolge es gerade mglich ist, Gott und Mensch aufs
engste miteinander verbunden zu denken. 35 In diesen Zusammenhang gehren auch die Aussagen ber Christus als den
Von diesem Denkansatz aus lt sich sogar noch sehr viel mehr zweiten Adam, wie sie sich Rm S}12 ff. finden.
sagen: Gottheit und Menschheit sind auf diese Weise nicht nur - wider- 36 In diese Richtung weist auch Luthers eindrckliche Aussage: "Si deus pingendus,
s?l ichs malen, quod in abgrund seiner Gottlichen natur nihil aliud est quam
spruchsfrei - als in Jesus Christus vereinigt zu denken, sondern Jesus em feur und brunst, quae dicitur lieb zun leuten" (WA 36,424,2-4). Das
Christus ist gerade dadurch der wahrhafte Mensch, da er am Wesen Besondere des Bildes der gttlichen Natur, das ]esus Christus ist, besteht
Gottes teilhat. Seine Gttlichkeit geht also nicht zu Lasten seiner freilich darin, da die "lieb zun leuten" in der Person Jesu Christi menschliche
Menschlichkeit (oder umgekehrt), sondern dievollkommene Anteilhabe Gestalt und ein menschliches Antlitz angenommen hat.
346 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Jesu Christi 347

nur klrend, sondern auch verwirrend gewirktY Die Rede von zwei 9.4.2 Das Geheimnis des gttlichen Ursprungs ]esu Christi
Naturen in einer Person ist es, die das gedankliche Erfassen des damit
Gemeinten erschwert, wenn nicht sogar unmglich macht. Diese Einheit Wie sich in diesem Abschnitt zeigen wird, hat die christliche Lehr-
lt sich aber unreduziert denken, wenn man damit Ernst macht, da die berlieferung von den neutestamentlichen Schriften an auf die Frage nach
Gttlichkeit Jesu nicht mit seiner Menschlichkeit konkurriert, sondern dem gttlichen Ursprung Jesu Christi mehrere unterschiedliche Antwor~
gerade in ihr Gestalt gewinnt und zum Ausdruck kommt. 38 Von der ten gegeben, die einander zwar nicht widersprechen, wohl aber auch
Erkenntnisordnung her gedacht heit dies: Gerade weil Jesus vollkommen nicht einfach miteinander zur Deckung zu bringen sind. 39 Bei aller Viel-
und authentisch Mensch ist, darum kann an ihm und in ihm Gott selbst falt ist jedoch stets eines festgehalten und einmtig gelehrt worden: Ur~
wahrgenommen werden. Jesus Christus ist - als Mensch - "ein Spiegel ... sprung der Gttlichkeit Jesu Christi ist nicht der Mensch Jesus von Na-
des vterlichen Herzens" Gottes (BSLK 660,41 f.). zareth, sondern Gott, der an ihm, in ihm und durch ihn wirkt. 40 Wie aber
Im Blick auf den auferstandenen und erhhten Jesus Christus ist frei- der gttliche Ursprung Jesu Christi gedacht werden kann, darauf gibt die
lich noch mehr zu sagen: Mit der Verwandlung und Verherrlichung seiner christliche Lehrberlieferung - zumindest vier - unterschiedliche Ant-
irdisch-geschichtlichen Existenzform hat er auch Anteil an den Wesens- worten.
eigenschaften Gottes, die den kategorialen Unterschied zwischen Gott
und Mensch bezeichnen.D. h.: Der erhhte Christus hat teil an der All-
macht und Allwirksamkeit, an der Allwissenheit, Ewigkeit und Allgegen- 9.4.2.1 Die Einsetzung in die
wart Gottes. Der auferweckte und erhhte Jesus Christus ist - als der Gottessohnschaft durch die Auferstehung
Menschgewordene - eingegangen in die Alles bestimmende Wirklichkeit
der Liebe, die zugleich sein Ursprung ist. Die sinnlich wahrnehmbaren Es spricht vieles fr die Annahme, da der Titel"Sohn (Gottes)" erst nach
Weisen, wie er - als der Menschgewordene - an der Alles bestimmenden der Ostererfahrung auf Jesus Christus angewandt wurde. Aber selbst
Wirklichkeit Gottes Anteil hat, sind Wortverkndigung und Darreichung wenn historisch die Verwendung des Sohnes-Titels fr Jesus schon vor
der Sakramente (s. u. 14.2). So bt er zugleich als der Erhhte sein Ostern nachweisbar wre, so bleibt doch das Osterereignis sachlich eine
prophetisches, sein hohepriesterliches und sein knigliches Amt aus (s. o. Bedingung fr den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu Christi. Erst im
9.3.1.1). Durchgang durch den (Fluch-)Tod am Kreuz ist Jesus tatschlich als Sohn
Was eben als Gedanke gestreift wurde, bedarf freilich jetzt noch einer Gottes erwiesen und damit "eingesetzt als Sohn Gottes in Kraft" wie
ausfhrlichen Besinnung: der Ursprung Jesu Christi in der Alles bestim- Paulus dies Rm 1,4 formuliert. Die Auferweckung Jesu Christi ist die
menden Wirklichkeit Gottes, dessen Wesen die Liebe ist. Besiegelung seiner Verkndigung und seines Wirkens und deswegen die

39 Wir haben es hier allem Anschein nach mit einer Analogie zu den unter-
schiedlichen Aussagen ber die Heilsbedeutung des Todes Jesu Christi zu tun.
37 Schleiermacher hat die Verwendung des Begriffs "Natur(en)" in der Christo- In beiden Fllen erinnert die unhintergehbare Vielfalt der Antwortmglich-
logie mit zwei durchschlagenden Argumenteri problematisiert: 1.) Gottheit keiten an den metaphorischen Charakter aller Aussagen, die, wie dort das
und Menschheit knnen und drfen nicht durch einen gemeinsamen Oberbe- Geheimnis seines Todes, so hier das Geheimnis seines Ursprungs hten,
griff bezeichnet werden. (Darin steckt die Einsicht in die kategoriale Differenz indem sie ihm nachzudenken versuchen.
zwischen Gott und Mensch.) 2.) Der Begriff "Natur" ist in Anwendung auf 40 Auch in dieser Hinsicht entspricht also der Ursprung Jesu Christi seinem Tod
Gott irrefhrend und unangemessen, weil darin eine mit dem Sein Gottes und seiner Auferweckung als Heilsereignis. Die Erkenntnis, da in Jesus
unvereinbare Beschrnkung enthalten ist (Der christliche Glaube, 1. Aufl., Christus Gott das schpferisch wifkende Subjekt ist, bringt die altkirchliche
117; 2. Aufl., 96). Christologie u. a. zum Ausdruck durch die (positive) Lehre von der Enhypostasie
38 Von da aus lt sich auch der insbesondere fr die lutherische Theologie sowie in der ihr entsprechenden (negativen) Lehre von der Anhypostasie der
wichtige Gedanke der communicatio idiomatum zur Geltung bringen, der menschlichen Natur Jesu Christi. Damit wird gesagt, da die menschliche
besagt, da es in Jesus Christus zwischen der gttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi keine eigenstndige, vom gttlichen Wesen unabhngige
Natur zu einer so engen Gemeinschaft kommt, da die beiden Naturen auch Seinsweise hat, sondern nur in der Bestimmtheit vom gttlichen Wesen her
an den Eigenschaften der jeweils anderen Natur Anteil haben. existiert.
348 GottesSelbsterschlieung in Christus
Die Person ]esu Christi 349

endgltige Besttigung seiner Sendung und Person. Dabei kann der Hin-
spruch genommen wird und sich vollkommen in Anspruch nehmen lt.
weis auf die Einsetzung als Sohn Gottes "in Kraft" in zweifacher Hinsicht
V?n ~a aus wird auch verstndlich, warum im Leben Jesu das Gebet eine
verstanden werden: einerseits als Hinweis auf die den Tod - als den letzten
WIchtige Rolle spielt (s. Mk 1,35; 6,46; 14,32 ff. parr.;Mt 14,23; Lk 3,21;
Feind (I Kor 15,26) - berwindende Kraft Gottes; andererseits als Hin-
5,~6; 6,12; 9,29; 1.1,1) .und ,,:arum er echten Versuchungen ausgesetzt
weis auf den Auferstehungsglauben, durch den die Offenbarung des Soh-
sem konnte. ErweIst SIch bel nherem Zusehen die Begrndung der
nes insofern in Kraft gesetzt wird, als sie ihre Adressaten erreicht, also
Gottessohnschaft Jesu durch einen Akt der "Adoption" als unzureichend
Glauben. findet. In beiderlei Hinsicht spiegelt Rm 1,4 keine christologi-
so ~~hlt do~h die Taufe Jesu ihre christologische Bedeutung als Ausdruck
sche Vorstufe wider, sondern enthlt eine bleibend gltige Antwort auf
daf~r, da sI~h d~m Menschen Jesus von Nazareth seine Berufung und
die Frage nach dem gttlichen Ursprung Jesu Christi - wenn es auch
BestImmung zn semer Lebensgeschichte erschlossen haben. mu. Die Tau-
gewi nicht die einzige ist und sein kann.
fe Jesu ~erweist also au~ die lebensgeschichtliche Erfahrung und Realisiec
rung semer Berufung, m vollkommener Einheit mit Gott zu leben zu
wirken und in Konsequenz dessen zu leiden und zu sterben.43 '
9.4.2.2 Die Berufung zur Gottessohnschaft durch die Taufe
Die neutestamentlichen Berichte von der Taufe Jesu am Beginn seines
ffentlichen Wirkens (Mk 1,9-13 parr.) enthalten alle den Hinweis auf 9.4.2.3 Die Geburt des Gottessohnes von der Jungfrau Maria
"eine Stimme vom Himmel", durch die Jesus als geliebter Sohn Gottes
angesprochen (so Mk 1,11 u. Lk 3,22) oder der ffentlichkeit vorgestellt Von den beiden bisherigen Antwortvetsuchen unterscheidet sich der n.un
wird (so Mt 3,17). Die ursprngliche Form ist zweifellos die der Anrede, zu be~enkende dadurch, da er nicht nur (wie jene) in der neutestamentli-
mit der die Adoptionsformel aus Ps 2,7: "Du bist mein Sohn, heute habe chen Uberlieferung verankert ist (Mt 1,18-25 u. Lk 1,26-38), sondern da
ich dich gezeugt" aufgenommen und auf Jesus angewandt wird. Die Tat~ er auch ~n die kirchliche Bekenntnisbildung ausdrcklich aufgenommen
sache, da in Hebr 1,5 und 5,5 die Adoptionsformel in ihrem ursprng- ,,:orde~.Ist. Nach ihren eigenen Angaben (s. Mt 1,22 f. u. Lk 1,35) wollen
lichen Wortlaut auf Jesus Christus angewandt wird, besttigt in exege- dIe Erzahlungen von der Jungfrauengeburt begrnden und erklren, war-
tischer Hinsicht diesen Zusammenhang. 41 Die Taufberichte erinnern an um.Jesus zu ~echt "Sohn Gottes" genannt wird. ltere berlieferungs-
die Notwendigkeit, die Entstehung des Sendungsbewutseins Jesu als eine schichten - WIe z. B. Paulus und das Markusevangelium - erwhnen nichts
geschichtliche, genauer: biographische Wirklichkeit zu denken. 42 Freilich von e~ner Jungfrauengeburt. Ja, Paulus kann sagen, der Sohn. Gottes sei
stoen wir hier ganz schnell an eine unberwindbare Grenze. Die bibli- von emer Frau geboren worden (Gal 4,4), und die bei Matthus und
schen Texte geben keine - jedenfalls keine eindeutige oder zuverlssige- Lukas berliefert~n Stammbume Jesu laufen auf]oseph, nicht auf Maria,
Antwort auf die Frage, wie das Sendungsbewutsein Jesu entstanden ist, zu ~~~ 1,16 SOWIe Lk 3,23), setzen also offensichtlich ursprnglich die
das sich dann in seinen Worten und Taten, in seinem Vollmachtsanspruch naturlI~he A~stammung Jesu von Joseph voraus. Das alles zeigt schon,
und in seiner Leidensbereitschaft ausdrckt. Die Erinnerung an ein"da" da WIr es hIer weder mit der ltesten noch mit einer unumstrittenen
der Entstehung dieses Sendungsbewutseins ist aber insofern wichtig, als An~ort auf die Frage nach dem gttlichen Ursprung Jesu zu tun haben.
dadurch deutlich wird, da Jesus Christus nicht als willenloses Objekt von . Em .genaueres Durchdenken zeigt, da wir es sogar mit einer gefhr-
Gott gebraucht oder benutzt, sondern als antwortfhiger Mensch in An- lIchen, Jedenfalls problematischen Antwort zu tun haben; denn wenn die
Jungf~.aue~geburt S? verstanden wird, da dabei der Zeugungsakt, also
41 Ps 2,7 wird in seinem ursprnglichen Wortlaut auch in Act 13,33 christolo- der mannlIche Anterl,durch das Wirken des Heiligen Geistes ersetzt wird
gisch interpretiert, dort allerdings nicht auf die Taufe, sondern auf die Auf- da~n e~sc~ei~t Jesus Christus als eine Art Halbgott, der vom Heilige~
erweckung Jesu Christi von den Toten angewandt. Insofern wre dieser GeIst dIe gottlIche, von der irdischen Mutter die menschliche Natur erhal-
biblische Beleg eher im Abschn. 9.4.2.1 mitzubedenken. ten. hat, der aber so weder wahrhaft Mensch noch wahrhaft Gott ist. Das
42 Eine hnliche Funktion knnte aus dem synoptischen berlieferungsbestand memen und wollen diese Erzhlungen natrlich nicht, aber diese Inter-
ursprnglich einmal der Verklrungsgeschichte (Mk 9,2-8 parr.), der Vision
vom Satanssturz (Lk 10,18) oder der ersten Predigt Jesu in Nazareth (Lk 4,16-
43 Auf den Bezug zwischen Taufe und Passion verweisen ausdrcklich Mk
21) zugekommen sein.
10,38 f. par. sowie Lk 12,50.

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350 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Jesu Christi 351

pretationsmglichkeit ist von den Texten her nicht ohne weiteres auszu- Gottes, nicht in seiner Eigenstndigkeit, nicht mitverfgend ber das, was
schlieen. werden soll, sondern gerade nur - und auch das nur, weil Gott sich ihm
Hinzu kommt ein zweites gravierendes Problem: Der Vorstellung von schon geschenkt hat - in seiner Bereitschaft fr Gott. "46 Die spezifisch
der ]ungfrauengeburt knnte entnommen werden, da die menschliche mnnliche Art der Beteiligung (die freilich keineswegs auf Mnner be-
Sexualitt ausgeschlossen werden msse, um den gttlichen (und damit schrnkt ist) wird also durch die Rede von der ]ungfrauengeburt als fr
sndlosen) Ursprung ]esu Christi beschreiben zu knnen. Damit wrde das Geheimnis des gttlichen Ursprungs ]esu Christi ungeeignet ausge~
aber (und ist in der Wirkungsgeschichte der Lehre von der ]ungfrauen- schlossen, womit keineswegs die menschliche Beteiligung berhaupt aus-
geburt) die menschliche Sexualitt in einem solch gefhrlichen Ma in die geschlossen istY
Nhe der Snde gerckt, da ihre Kreatrlichkeit und damit gegebene Die beiden Teilaussagen: "empfangen durch den Heiligen Geist" und
Natrlichkeit kaum noch unbefangen wahrgenommen werden kann. 44 In "geboren von der Jungfrau Maria" bilden ein christologisches Pendant zu
der Lehre von der immerwhrenden (also ber die Geburt ]esu hinaus- den beiden Grundbestimmungen der Rechtfertigung: "sola gratia" und
reichenden) ]ungfrauschaft Marias, die bedauerlicherweise auch in die "sola fide". Als - bezogen auf ]esus Christus erste - Reprsentantin des
reformatorischen Bekenntnisschriften Eingang gefunden hat (s. BSLK "sola fide" und dadurch als die leibliche Mutter ]esu hat Maria eine
414,40), wird diese Tendenz unbersehbar. Diese Lehre drfte nicht besondere Beziehung zum Gttlichen und verdient deshalb Beachtung in
unerheblich zur Entstehung eines " idealisierten", d. h. de facto asexuellen der Dogmatik. Von daher stellt sich das Thema der Mariologie. 48
Frauenbildes beigetragen haben, dessen Problematik fr Frauen und Mn-
ner vermutlich in vergleichbarer Weise wirksam und sprbar wurde.
Diese theologischen Grnde (und nicht etwa die ebenfalls zu beden- Exkurs zur Mariologie
kenden naturwissenschaftlich-medizinischen Einwnde) sind die Haupt-
grnde, warum die Lehre von der ]ungfrauengeburt als problematisch, ja Die dogmatische Beschftigung mit Maria erscheint sinnvoll, ja geboten
als gefhrlich zu beurteilen ist. Aber trotz dieser Gefhrlichkeit scheint es um ihrer - einzigartigen - Beziehung zu ]esus Christus willen: als seine
mir nicht richtig, die Bekenntnisformulierung: "empfangen durch den leibliche Mutter. Die Tatsache, da es insbesondere in der rmisch-katho-
Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria" fr " erledigt" zu erkl- lischen Kirche und Theologie eine Hypertrophie der Marienfrmmigkeit
ren. Sie weist nmlich auf ein theologisch zu bedenkendes Problem hin und der Mariologie gibt, ist kein Grund zur dogmatischen Enthaltsamkeit
und enthlt zur Lsung dieses Problems einen bedenkenswerten Hinweis. von diesem Thema, wohl aber zur dogmatischen Behutsamkeit.
Das gilt freilich nur dann, wenn man die Rede von der ]ungfrauengeburt,
wie alle anderen Aussagen, die die Wirklichkeit und das Wesen Gottes
betreffen, als metaphorische Rede erkennt und anerkennt.
46 So K. Barth, KD IJ2, S. 210.
Das Problem, um das es geht, ist die menschliche Beteiligung an der
47 Es verdient Beachtung und weist auf die grundlegende Bedeutung dieses
InkarnationY In der ]ungfrauengeburt ist die menschliche Beteiligung Gedankens hin, da nachJoh 1,12 f. dies fr alle Kinder Gottes gilt: "Wie viele
nicht ausgeschaltet oder ausgeschlossen, aber auf das Einwilligen und ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen,
Empfangen beschrnkt (s. Lk 1,38: "mir geschehe, wie du gesagt hast"). die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen
" (D)er wollende, vollbringende, schpferische, souverne Mensch als sol- des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren
cher kommt hier nicht in Betracht, ist fr dieses Werk nicht zu gebrau- sind." In diesem Sinne lt sich sagen: Der Ursprung jedes Menschen, der
chen. Der Mensch ist hier wohl im Spiel, aber nicht als Werkgenosse Gottes Kind ist, hat den Charakter einer "Jungfrauengeburt".
48 Der aus der Rolle des mnnlichen I!.rzeugers ausgeschlossene Joseph, der nicht
44 Zwischen dieser Abwertung der Sexualitt und der in 8.1.1.1 angesproche- nur das Kind, sondern damit zugleich sein eigenes "Ausgeschlossensein"
nen Ausklammerung des Eros aus dem Liebesbegriff in der christlichen Tra- anzunehmen hat, verdiente freilich nicht weniger Beachtung. Die hier beste-
dition besteht zweifellos ein Zusammenhang. Beide Tendenzen haben oft hende Lcke in der Lehrberlieferung kann freilich nicht im Rahmen einer
genug in der Geschichte in unheilvoller Weise zusammengewirkt und zu einer Dogmatik geschlossen werden. Das Defizit relativiert sich jedoch insofern, als
gefhrlichen Abspaltung von Eros und Sexualitt vom Glauben beigetragen. Maria und Joseph in dem - gesprochenen oder getanen - "fiat" (Lk 1,38 u.
45 Ich folge hier weitgehend den Gedanken, die M. Luther (WA 11,318), beson- Mt 1,24) verbunden sind, das ihnen als ihre Form der Beteiligung am Heils-
ders aber K. Barth (KD IJ2, S. 202-214) entfaltet haben. geschehen zugemutet wird.
352 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Iesu Christi 353

Was wir historisch zuverlssig aus dem Neuen Testament ber Maria sagt, sie sei in dem Augenblick, als sie von ihrer Mutter (Anna) empfangen
wissen knnen, ist wenig und in dogmatischer Hinsicht nicht sonderlich wurde, durch einen einmaligen gttlichen Gnadenerweis von der Erbsn-
ergiebig. Einhellig bezeugt ist, da sie die leibliche Mutter Jesu und seiner de unbefleckt erhalten geblieben, sowie das Dogma von der leiblichen
(ebenfalls leiblichen) Geschwister war (Mk 6,3 par. Mt 13,55; vgl. auch Aufnahme Marias in den Himmel (1950: DH 3900-3904). Schlielich
I Kor 9,5; Gal1,19 u. Joh 7,3 H.). Historisch zuverlssig ist wohl auch zeichnet sich in mehreren neueren lehramtlichen Verlautbarungen eine
die Aussage, da die Familie, genauer: die Mutter und die Geschwister Tendenz ab, Maria den Titel der "Miterlserin" ("corredemptrix") zu
Jesu ihm, zumindest anfangs, ablehnend oder jedenfalls zurckhaltend verleihen. 50 Dabei nimmt die rmisch-katholische Mariologie fr sich in
gegenberstanden (s. Mk 3,21 u. 31-35 parr.: Mt 12,46-50 u. Lk 8,19- Anspruch, die Ehre Marias nicht auf Kosten Christi, sondern um seinet-
21; hnlich, bezogen auf die Brder Jesu: Joh 7,3-10). Da Maria und willen zu erhhen. Im Ergebnis tritt jedoch - insbesondere in der prakti-
die Brder Jesuspter der Urgemeinde angehrt haben, ist Act 1,14 zu zierten Marienfrmmigkeit - eine immer strkere Gleichrangigkeit zwi-
entnehmen. Zu den nicht historisch begrndeten, sondern aus theologi- schen Maria und Christus und eine dem entsprechende Verquickung
schem Interesse gestalteten Aussagen, die sich nur in spteren ber- zwischen Mariologie und Christologie zutage. Die christologische Inten-
lieferungsschichten finden, gehren die Erzhlungen von der Jungfrauen- tion kann de facto in der Mariologie nicht die Tendenzen verhindern die
geburt (bei Matthus und Lukas), dazu auch die vom Stehen unter dem zu einer Infragestellung des "solus Christus" fhren. '
Kreuz (Joh 19,25-27).49 Fragt man nach den Ursachen hierfr, so ergibt sich ein bemerkens.
Im Zentrum der dogmengeschichtlichen Lehrentwicklung steht zu- werter ~efund: Gerade die enge Verknpfung Mariasmit Christus, ihre
nchst die (gemeinchristliche) Glaubensaussage von Maria als der jung- ausschheliche Wrdigung als "Mutter des Herrn" fhrt unweigerlich
frulichen Mutter Jesu Christi. Diese Aussage wird durch das Konzil von dazu, da sie einerseits an seiner Hoheit und Wrde partizipiert (und
Ephesus (431) przisiert und zugespitzt in dem Titel der" Gottesgebrerin" daraus resultiert eine Tendenz zur Vergttlichung Marias) und da sie
(DH 251: ,,6eoToKos"). Damit wird zugleich die in der rmisch-katholi- andererseits gewissermaen funktionalisiert, nmlich durch ihre Rolle als
schen Tradition gelufige Bezeichnung Marias als "Mutter Gottes" vor- Mutter (Jesu Christi) definiert wird. Fat man beides zusammen so kann
bereitet. Der Titel der Gottesgebrerin ist insofern berechtigt und ver- man sagen: Inder traditionellen Mariologie kommt Maria zu adsschlie-
wendbar, als damit die Meinung abgewehrt wird, Maria habe lediglich die lich in ihrer Verknpfung mit Jesus Christus und zu wenig als eigenstn-
"menschliche Natur" Jesu geboren, Jesu Menschsein sei also nicht von dige, den Willen Gottes fr ihr Leben akzeptierende Frau zur Geltung,
vornherein und vollkommen von der Wirklichkeit Gottes bestimmt gewe- Der reformatorische Ansatz zur Marienverehrung beim "mir geschec
sen. Freilich kommt in diesem Titel nicht mehr zum Ausdruck, da der so ~e, wie du gesagt hast" (Lk 1,38) weist in gewisser Hinsicht einen Weg zur
Geborene wahrhaft Mensch ist, und bei der Bezeichnung Marias als Uberwindung dieser Gefahr. Er lenkt den Blick auf Maria als eine Frau
"Mutter Gottes" kann dies ganz aus dem Blick geraten. Zugleich deutet die in exemplarischer Weise als Empfangende und Annehmende am Heils~
sich hierin - schon sprachlich - eine Verbindung zwischen Maria und geschehen beteiligt ist. Die Gefahr dieses reformatorischen Ansatzes liegt
dem dreieinigen Gott an, die die Frage nach der angemessenen Verhltnis- jedoch darin, Maria damit auf die Rolle der "dienenden Magd" oder
bestimmung und nach einem mglichen Konkurrenzverhltnis aufkom- "demtigen Frau" zu reduzieren. Als Pendant zu ihrer Demut und Emp-
men lt. Dem soll noch etwas genauer nachgegangen werden. fnglichkeit mu ihr Erhhtwerden und ihre Strke beachtet werden wie
Die Tendenz zu einer berbetonung der Mariologie zeigt sich mit dies im Magnificat (Lk 1,46-55) zum Ausdruck kommt und dabei ~icht
besonderer Deutlichkeit in den rmisch-katholischen Mariendogmen des auf sie als Einzelperson beschrnkt bleibt, sondern soziale und politische
19. und 20. Jahrhunderts und in den Tendenzen der neueren mario- Relevanz bekommt.
logischen Lehrentwicklung. Zu erinnern ist dabei an das Dogma von der Dieses Bild deutlich zu machen, ist der gute theologische Sinn mario-
unbefleckten Empfngnis Mariens (1854: DH 2803), das von Maria aus- logischer Aussagen und einer theologisch verantworteten Marienvereh-

49 Gegenber der naheliegenden Vermutung, hier werde eine historisch zuver-


lssige Erinnerung wiedergegeben, ist darauf hinzuweisen, da in dem lte-
sten uns erhaltenen Bericht (Mk 15,40 f.) die Mutter Jesu nicht erwhnt wird
als eine der Frauen, die unter dem Kreuz Jesu standen. 50 Vgl. hierzu H. Grass, Traktat ber Mariologie, Marburg 1991, S. 79-102.
354 Gottes Selbsterschlieung in Christus Die Person Jesu Christi 355

rung. 51 Wenn daraus jedoch unter der Hand eine menschliche Eigenlei- Herzens" Gottes (BSLK 660,41 f.), und was in diesem Spiegel erkenn-
stung und Herrschaftsstellung Marias wird, dann wird an dieser Stelle bar wird, ist die gttliche Liebe.
alles verdorben. Da eine Frau, wie Maria, sich so fr das Wirken Gottes Der ewige Logos, der sich in Jesus Christus als Liebe offenbart, ist
ffnen kann, da in ihr das Leben entsteht, das zum Heil der Welt wird, auch schon der Schpfungsmittler. "Denn in ihm ist alles geschaffen,
und da sie gerade dadurch erhhtwird, das verleiht Maria ihre Sonder- was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare,
stellung. 52 ... es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen" (Koll,16). Damit wird
die geschaffene Welt von vornherein als "gut" ausgezeichnet.
Wenn der Logos selbst zum Wesen Gottes gehrt und wenn Gott sich
9.4.2.4 Die Prexistenz des Gottessohnes in ihm und durch ihn der Welt erschliet, dann gehrt die Zuwendung
Gottes zu seinem Wesen. Auch insofern hlt der Prexistenzgedanke
Der Prexistenzgedanke ist diejenige Antwort auf die Frage nach dem die Einsicht fest, da "Liebe" nicht nur ein Wirken, sondern das
gttlichen Ursprung Jesu Christi, die diesen Ursprung am engsten mit dem Wesen Gottes bezeichnet.
Wesen Gottes verbindet. Um dieser Verbindung willen sind freilich zwei Trotz dieser wichtigen, mit der Logos-Christologie verbundenen Ein-
Unterscheidungen notwendig:einerseits die innergttliche Unterscheidung sichten ist die Wahl des Logos-Begriffs (schon im johanneischen Schrift-
zwischen dem (ewigen) Vater und dem (ewigen) Sohn, die gleichwohl tum, dann aber auch in der altkirchlichen Christologie) nicht frei von
eines Wesens und gleich ewig sind; andererseits die Unterscheidung inner- Problemen. Nach allgemeiner exegetischer berzeugung53 steht im Hin-
halb der Person Jesu Christi zwischen der gttlichen Hypostase und der tergrund des Johannesprologs Quellenmaterial, das dem jdisch-helleni-
von ihr angenommenen menschlichen Natur. Die Prexistenz Jesu Christi stischen Weisheitsdenken zuzuordnen ist. D. h., all das, was inJoh 1 vom
wird freilich erst dann gedacht, wenn der ewige Sohn als mit der gttlichen Logos gesagt wird (seine Prexistenz als ewiges Sein-bei-Gott, seine
Hypostase identisch gedacht und verstanden wird. Um diese Identitt zu Schpfungsmittlerschaft, sein Kommen in die Welt und sein Abgelehnt-
formulieren, verwendet die altkirchliche Christologie schon sehr frh den werden durch die Welt), sind ursprnglich Aussagen ber die Weisheit
im johanneischen Schrifttum gebrauchten Logos-Begriff (Joh 1,1-14 so- (cyo<pio; vgl. dazu Prov 8,22-36 sowie Hi 28,20-28 54 ). Die Ersetzung der
wie I Joh 1,1; s. ferner: Apk 19,13). Insbesondere der Prolog des Johan- ("weiblichen") Sophia durch den ("mnnlichen") Logos ist vermutlich
nesevangeliums gibt (Joh 1,1-5 u. 14) die entscheidenden Aussagen vor, bereits auf einer vorchristlichen berlieferungsstufe erfolgt und entsprang
die es erlauben, den in Jesus Christus inkarnierten Logos als wesenseins wohl dem Empfinden, es sei unpassend, Jahwe ein weibliches gottgleiches
mit Gott und damit das Wesen Gottes selbst als den ewigen Ursprung Jesu Wesen zur Seite zu stellen.
Christi zu denken.
Diese zunchst rein spekulativ wirkenden Aussagen haben in dreierlei
53 Vgl. dazu E.Haenchen, Gott und Mensch. Gesammelte Aufstze, Tbingen
Hinsicht groe theologische Bedeutung: 1965, S. 122 f. sowie J. Becker, Das Evangelium nach ]ohannes, GterslohJ
Was sich in Jesus Christus erschliet, ist nicht nur ein Wort oder eine Wrzburg (1979) 19913, S. 87 ff. Vgl. zur Bedeutung der Sophia-Lehre im
Willenskundgabe Gottes, sondern das ewige .Wesen Gottes selbst. Der Bereich der stlich-orthodoxen Kirche E. Benz, Geist und Leben der Ostkir-
fleischgewordene Logos ist also wirklich "ein Spiegel des vterlichen che, Mnchen 197P, S. 56 f.
54 Aus dem auerkanonischen, apokryphen Schrifttum sind besonders wichtig.
und ertragreich die Aussagen aus Weish 7-11 ber die Weisheit, in denen die
Weisheit als "Schpferin" (7,12), als ein "Hauch der gttlichen Kraft und ein
51 In diese Richtung weist auch der fr die Mariologie grundlegende Aufsatz reiner Strahl der Herrlichkeit des Al!mchtigen" sowie als "ein Abglanz des
von E. Wlfel: Erwgungen zu Struktur und Anliegen der Mariologie, in: ewigen Lichts und ein fleckenloser Spiegel des gttlichen Wirkens und ein Bild
Mariologie und Feminismus, 1985, S. 71-102. seiner Gte" (7,25 f.) bezeichnet wird. Von "ihrer edlen Herkunft" (aus Gott)
52 Abwegig und gefhrlich sind jedoch die Versuche, durch Einbeziehung Marias spricht 8,3. In 9,1 f. wird die croq>ia dem Myos parallelisiert, in 9,17 dem
in die Gotteslehre, d. h. durch Erweiterung der Trinitt zur Quaternitt, das Heiligen Geist. Vgl. auch Sir 24,3-6. In der abendlndischen Theologie-
weibliche Element im Gottesverstndnis zu verankern. Dieser Denkansatz geschichte wird diese Weisheitstradition aufgenommen bei Hildegard von
weist in eine falsche Richtung, weil er voraussetzt, da das Gottesverstndnis Bingen (De operatione Dei III,7) sowie bei Heinrich Seuse (Bchlein der
eine menschliche Projektion darstellt, die beliebig modifiziert werden kann. ewigen Weisheit).
356 Gottes Selbsterschlieung in Christus

Fragt man jedoch - ausgehend vom Werkund der Person JesuChri- 10 Die Gegenwart Gottes als
sti -, welcher Begriff und welche Vorstellung passender wre (,,(j~<pla" Heiliger Geist (Pneumatologie)
oder "A6yos"), so gibt es gute Grnde, die Weisheit dem Logos zummdest
gleichzusetzen; denn Weisheit enthlt nicht nur das Element der W:~hr
heitserkenntnis .sondern auch das Element des rechten, menschengemaen
Umgangsrnitder erkannten Wahrheit. Die "Verdrngung" der Sop~ia
durch den Logos ist von daher als ein Verlust zu werten, und deswegen 1st Die Beschftigung mit dem Heiligen Geist oder mit der Lehre vom Heili-
die Wiederbelebung der Sophia-Vorstellung grundstzlich zu bejahen. gen Geist, also der Pneumatologie, liegt fr die meisten (westlichen) Chri-
Andererseits enthlt der Logos-Begriff, der ja nicht nur "Vernunft", son- sten, sofern sie nicht einer Pfingstkirche angehren oder der charis-
dern auch "Wort" bedeutet, den Hinweis auf die Notwendigkeit der matischen Bewegung nahestehen, eher am Rande als im Zentrum ihres
sprachlichen (zeichenhaften) Vermittlung des Wesens Gottes, der im Interesses. Der Heilige Geist scheint ein spezielles Thema fr besonders
Weisheits-Begriff zumindest nicht explizit wird. interessierte Gruppen und fr spekulative Denker zu sein. Das ist tatsch-
Die (nicht nur grammatische) "Weiblichkeit" der Sophia (vgl. Prov 7- lich hufig so gewesen. Deshalb versteht es sich nicht von selbst, sondern
i 9) ist weder ein theo-Iogisches noch ein christo-logisches Argument gegen bedarf einer Begrndung, da und inwiefern die Beschftigung mit dem
;11 eine solche Wiederbelebung. Im Gegenteil: Gerade die Aussage, in (dem Heiligen Geist zu den zentralen Themen einer Dogmatik auch im Kontext
Mann) Jesus Christus sei die Weisheit Gottes (oder die Einheit von Sophia der gegenwrtigen Lebenswelt gehrt.
'"I" und Logos) Mensch geworden, knntegeeignet sein, problematische "ge- Man knnte vermuten, das Nachdenken ber den Geist im allgemei-
schlechtliche" Miverstndnisse christologischer Aussagen, die sich teil- nen und den Heiligen Geist im besonderen verstehe sich deswegen nicht
weise bis in die Lehre von den mtern der Kirche hin auswirken, zu von selbst, weil es sich dabei um eine nicht greifbare, nur schwer zugng-
durchbrechen. Gravierender ist jedoch ein anderes Bedenken, nmlich die liche, unerreichbar ferne Wirklichkeit handele. Nun ist es zweifellos rich-
Nhe der Weisheitsvorstellung zu einem rein philo-sophischen Zugang zu tig, da Geist - sogar in mehrfacher Bedeutung des Wortes - "nicht greif-
Gott, nmlich ber die "Weisheit dieser Welt" (I Kor 1,18-31). Diese bar" ist. Ob er deswegen schwer zugnglich sei, ist erst noch zu fragen.
Gefahr drfte jedoch am wirksamsten durch das gebannt sein, was von Aber da die Wahrnehmungsschwierigkeiten jedenfalls nichts mit einer
I Kor 1 und 2 her ber die Weisheit Gottes (im Gegensatz zur Weisheit der unerreichbaren Ferne zu tun haben, lt sich mit Gewiheit sagen. Denn
Welt) zu sagen ist, nmlich, da sie die Weisheit des Kreuzes, also der sich (Heiliger) Geist ist nicht das Ferne, Unerreichbare, sondern das Nahe, das
hingebenden Liebe ist, die der Welt als Torheit erscheint. Von dah~r Gegenwrtige. Aber gerade diese unmittelbare Nhe knnte einer der
bekommt all das, was die alttestamentliche Weisheitsliteratur ber dIe Grnde dafr sein, warum es fr viele Menschen schwierig ist, zum (Hei-
Weisheit als Schpfungsmittlerin und Liebling Gottes sagt, die Tiefen- ligen) Geist ein Verhltnis zu gewinnen.!
dimension, die es sowohl vonmenschlicher Hybris als auch von unernster Fr die Hinfhrung zur Bedeutung der Pneumatologie bieten sich
Spielerei unterscheidet. Die Sophia Gottes, also die Weisheit des Kreuzes, verschiedene Themen der christlichen Glaubenslehre als Einstiegspunkt
ist die vollkommene Einheit von Wahrheit und Liebe. Von ihr, aber auch an: der Glaubensbegriff, das Offenbarungsverstndnis, die Theo-Iogie,
nur von ihr, ist zu sagen: "Christus Jesus ist uns von Gott gemacht zur die Christologie oder die Soteriologie. Vom Aufbau und Duktus dieser
Weisheit" (I Kor 1,30).55 Dogmatik her legt sich die Anknpfung an die Christologie nahe, in der
wesentliche Elemente des Offenbarungs-, des Glaubens- und des Gttes-
verstndnisses mit enthalten sind.
Die Christologie als die Lehre von der Selbsterschlieung Gottes in
Jesus Christus expliziert, da und inwiefern christlicher Glaube Glaube an
Jesus Christus ist, genauer: Glaube an Gott, wie er sich in Jesus Christus
55 Die anderen Elemente: Gerechtigkeit, Heiligung und Erlsung knnen deswe-
gen hier ungenannt bleiben, weil sie im Zusammenhang.mit der Lehre vom 1 Wahrnehmungsschwierigkeiten knnen wir ja nicht nur mit dem haben, was
Heilswerk Jesu Christi, jedenfalls der Sache nach, bereIts bedacht wurden zu weit von uns entfernt ist, sondern auch mit dem, was uns zu nahe ist oder
und weil sie in Abschn. 14.1.1.1 noch einmal explizit aufgenommen werden. kommt - und auch das gilt in mehr als einer Bedeutung des Wortes.
358 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist 359

geoffenbart hat. Diese Selbsterschlieung Gottes ist ausgerichtet auf das Rede vom Heiligen Geist zu den zentralen, also unaufgebbaren Themen
Ziel, im Menschen Gewiheit zu schaffen und so Glauben zu wecken. Und der christlichen Glaubenslehre gehrt: Nur durch sie erlangt der christli-
erst dort, wo solcher Glaube geweckt worden ist, ist die Selbstoffenbarung che Glaube ein hinreichendes Bewutsein von seinen eigenen Kon-
Gottes in Jesus Christus an ihr Ziel gelangt. Aber wie und wodurch stitutionsbedingungen, die dem Inhalt des christlichen Glaubens genau
geschieht dies? Die eine notwendige, aber fr sich genommen noch nicht entsprechen. Dieser Inhalt besagt, da dem Menschen das, was er zu
hinreichende Antwort lautet: dadurch, da die Selbsterschlieung Gottes seinem Heil bentigt, nicht durch eigene Leistung, sondern als Geschenk
einem Menschen in leibhafter Gestalt begegnet - sei es damals in der Gottes zuteil wird. Die Pneumatologie bringt zum Ausdruck, da auch die
unmittelbaren persnlichen Begegnung mit Jesus von Nazareth, sei es Gewiheit des Heils, die diesen Glauben erst ermglicht, eine Wirkung
spter in der mittelbaren Begegnung durch Zeichen, die auf ihn verweisen. des Heiligen Geistes ist. Das besagt, da der Mensch sie nicht als Resultat
Diese Antwort ist deswegen nicht hinreichend, weil die leibhafte Begeg- eigener Anstrengung hervorbringen, sondern sie nur als Gabe empfangen
nung als solche nicht notwendigerweise Glaubensgewiheit schafft. Das oder erhoffen kann. Insofern entsprechen Inhalt und Vollzug des christ-
Evangelium kann an einem Menschen uerlich abprallen, ihm gleichgl- lichen Glaubens einander genau, und dies kann nur dadurch zum Bewut-
tig, rgerlich oder verachtenswert sein; es kann ihn aber auch im Innersten sein gebracht werden, da die Konstitutionsbedingungen des Glaubens
anrhren oder treffen und in ihm die Gewiheit wecken: "So ist es. Das pneumatologisch reflektiert und expliziert werden. Unterbliebe diese Re-
ist die Wahrheit." flexion und Explikation, so bestnde die groe Gefahr (die in der Ge-
Warum wird der eine Mensch vom Evangelium innerlich erreicht und schichte des Christentums immer wieder manifest geworden ist), da der
der andere nicht? Warum gibt es auch im Leben des einzelnen Menschen Glaube als menschliche Leistung miverstanden wird und dadurch ein
heide Erfahrungen? Der Hinweis auf das rhetorische Geschick oder Un- heilloser Widerspruch zwischen dem Verstndnis des Glaubensinhalts
geschick dessen, der das Evangelium bezeugt, reicht als Antwort ebenso- und des Glaubensvollzuges entsteht. Dieser heillose Widerspruch bestn-
wenig aus wie der Verweis auf das vorhandene oder nicht vorhandene de darin, da ein Mensch aufgefordert wird, im Leben und im Sterben
Interesse, die Bereitschaft oder den guten Willen der Person, die die Bot- nicht auf seine eigenen Leistungen, sondern auf Gottes Wirken zu vertrau-
schaft hrt. Weder durch Geschick noch durch guten Willen ist das mach- en, da aber dieses Vertrauen von ihm als eigene Leistung erwartet oder
bar, was sich nur ereignen und einstellen kann: da die Botschaft einen verlangt wird.
Menschen so erreicht, da sie in ihm Gewiheit schafft. Da sich solche Da die Pneumatologie fr das angemessene Verstndnis der Kon-
Gewiheit mit unwiderstehlicher Gewalt, ja wider Willen einstellen kann, stitutionsbedingungen des Glaubens unerllich ist, zeigt, da die Lehre
belegen ungezhlte Erfahrungen; aber ebenso das andere: da ein Mensch vom Heiligen Geist zu den zentralen Themen der Dogmatik gehrt. Es
trotz allen Wollens und Suchens diese Gewiheit nicht findet. wre jedoch ein Miverstndnis, daraus abzuleiten, da die Pneumatolo-
Dieses unverfgbare Geschehen, durch das das Evangelium einen gie sichnur auf die Konstitutionsbedingungen des Glaubensaktes bezieht.
Menschenso erreicht, da es in ihm die Gewiheit schafft, die die Voraus- Das Wesen und die Wirkungen des Heiligen Geistes reichen weiter, als
setzung und Bedingung des Glaubens ist, bezeichnet die christliche Glau- dies in der Begrndung der Glaubensgewiheit zum Ausdruck kommt. Sie
benslehre als Wirken des Heiligen Geistes. Die beiden klassischen Texte schlieen diese ein, gehen aber nicht in ihr auf. Bevor dies jedoch entfaltet
des reformatorischen Bekenntnisses, in denen dies ausgedrckt ist, sind werden kann, ist zunchst zu fragen, was mit dem Begriff "Geist"
einerseits CA 52, andererseits die Auslegung des dritten Artikels im Klei- (,,1TVVlJ a ") in Anwendung auf Gott gemeint ist (10.1). Sodann ist zu
nen Katechismus 3 Von beiden Texten her wird deutlich, inwiefern die bedenken, was es besagt, da Gott nicht nur als" Geist", sondern genauer:
als "Heiliger Geist" bezeichnet und damit implizit von anderen Geistern
2 "Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evange- unterschieden wird (10.2). Von da ?~s knnen dann schlielich die Wir-
lium und Sakrament geben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist
kungen des Heiligen Geistes in den Blick genommen werden, von denen
gibt, welcher den Glauben, wo und wenn er will, in denen, so das Evangelium
hren, wirket ... " (BSLK 58,2-7). schon andeutungsweise (und im Blick auf die Glaubensgewiheit ausfhr"
3 "Ich glube, da ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, licher) die Rede war (10.3).
meinen Herrn, gluben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist
hat mich durchs Evangelion berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten
Glauben geheiliget und erhalten ..." (BSLK 511,46-512,5).
360 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Rede vom "Geist" in Verbindungmit Gott 361

10.1 Die Rede vom "Geist" in Verbindung mit Gott Insbesondere in den Worten "Atem" und "Lebensodem" steckt das
Moment des Lebendigen, genauer: des Belebenden und Lebenschaf-
Schon in den ersten Versen der Bibel ist im Zusammenhang mit Gott vom fenden, ja man kann im Blick darauf geradezu vom Geist als Lebens-
"Geist" die Rede, nmlich vom "Geist Gottes" (Gen 1,2), und diese prinzip sprechen.
Formulierung taucht in der biblischen und christlichen berlieferung Ein weiteres, fr das Verstndnis des Geistbegriffes wichtiges Moment
durchgngig auf. An einer Stelle erfolgt im Neuen Testament sogar eine ist seine Fhigkeit, anderes zu durchdringen, zu erfllen und so beim
Gleichsetzung von Gott und Geist, die geradezu "definitorischen" Cha- anderen zu sein. Von daher kann man" Geist" verstehen und beschrei-
rakter hat: "Gott ist Geist" (Joh 4,24: ,,1Tve~a 6 6e6s"). Andererseits kann ben als (nicht-gegenstndliche) Weise der Gegenwart.
" Geist" aber auch die Benennung einer Gabe sein, die Gott Menschengibt
oder durch die er die Kreaturen am Leben erhlt. Wir haben zunchst zu Insbesondere von dem zuletzt genannten Moment her ergibt sich ein
fragen, was dabei unter "Geist" zu verstehen ist (10.1.1); sodann ist zu guter Zugang zum Verstndnis des Geistbegriffs. Geist ist eine spezifische
bedenken, ob und inwiefern Geist als eine Gott und Mensch miteinander Weise der Gegenwart im Sinne des Seins-bei-anderem. Whrend es une
verbindende Wirklichkeit verstanden werden kann (10.1.2); schlielich mglich ist, da mehrere materielle Gegenstnde denselben Raum erfl-
ist zu fragen, wie die Aussagen ber Gott als Heiligen Geist und ber den len knnten, kann Geist sowohl Materie als auch anderen Geist (gedank-
Heiligen Geist als Gabe Gottes miteinander zusammenstimmen (10.1.3). lich oder atmosphrisch) durchdringen6 und so wirklich ganz bei einem
anderen sein. Da der Geist auch (anderen) Geist durchdringen kann, ist er
auch in der Lage, sich selbst zu durchdringen. Ja, es ist eine Besonderheit
10.1.1 Beobachtungen und berlegungen zum Geistbegriff4 des Geistes, da er seiner selbst bewut und so bei sich selbst sein kann;
Dabei stellt das Sein-bei-anderemkeinen Gegensatz zum Sein-bei-sichc
Es kann als allgemeine berzeugung gelten, da der Begriff "Geist" zu selbst dar, sondern beides kann durchaus eine Einheit bilden.
den Begriffen zhlt, die sich - wenn berhaupt - nur mit Mhe und einem Die angedeuteten Beobachtungen und berlegungen zum Geistbegriff
erheblichen Ma an Unschrfe und Offenheit nher bestimmen und von lassen sich nicht ohne Verkrzungen auf einen Nenner bringen. Zwar
verwandten Begriffen wie "Vernunft" oder "Seele" abgrenzen lassen. Es dominiert in unserem Sprachgebrauch das Verstndnis des Geistes als
ist freilich nicht auszuschlieen, da gerade diese Unschrfe und Offen- Erkenntnisprinzip, durch das in der Bewegung zum anderen hin und in
heit der Wirklichkeit angemessen ist, die mit diesem Begriff bezeichnet der Rckkehr zu sich selbst das andere dem erkennenden Geist (und dieser
werden soll. sich selbst) erschlossen und gegeben ist, aber in dieser Erkenntnisbeziehung
Dabei bezeichnet die Wurzel des hebrischen, griechischen und latei- geht das mit dem Begriff"Geist" Beschriebene nicht auf. Von seinem
nischen Wortes fr "Geist", nmlich "ruach" (fem.), ,,1Tve~a" (neutr.) Ursprung im hebrischen Denken her ist "Geist" immer auch - und ver-
und "spiritus" (masc.) durchaus etwas Konkretes, das gesprt und be- mutlich ursprnglicher - zu verstehen als Lebensprinzip7, hat also schp-
schrieben werden kann: den Lufthauch, Wind, Atem oder Lebensodem. In ferischen Charakter. 8
diesen anschaulichen Grundbedeutungen sind zumindest drei Elemente
enthalten, die auch fr das Verstndnis dessen, was "Geist" meint, aus-
sagekrftig sind:
oder im Ergriffenwerden von einem Geist (vgl. Jdc 14,19) zum Ausdruck
- Von seinen Wurzeln her bezeichnet "Geist" demnach etwas Dynami- kommen.
sches, das selbst in Bewegung ist und anderes zu bewegen vermag, und 6 Dies komm.t zum Ausdruck in Formulierungen, die vom " Geist eines Hauses"
zwar eher auf sanfte als auf gewaltsame Art und Weise. 5 sprechen oder von dem "Geist, derin einer Gruppe herrscht". Ein anschau-
liches Beispiel hierfr bringt T. Koch, Mit GOtt leben, 19932, S. 150.
4 Vgl. hierzu neben den einschlgigen Artikeln in theologischen und philoso- 7 Dies kommt auch zum Ausdruck in der Aussage des Nicaeno-Constantino-
phischen Nachschlagewerken das III. Kap. in T. Koch, Mit Gott leben (1989) politanum, in der der Heilige Geist gekennzeichnet wird als "der da lebendig
19932, S. 149-160. macht" (BSLK 27,2; lat.: "vivificantem").
5 Zu den Wortwurzeln von "Geist" kann freilich auch "Sturm" gehren; und 8 In der Sprache unserer Zeit gesagt: "Geist" ist von seiner ursprnglichen
auch dazu gibt es Entsprechungen, wie sie z. B. im Phnomen der Begeisterung Bedeutung her sowohl "Information" als auch "Energie".
--'--;:Oijji

362 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Rede vom " Geist" in Verbindung mit Gott 363

10.1.2 Geist als Gott und Mensch verbindende Wirklichkeit 11 Tim 1,14), ja von einer Anteilhabe an der "gttlichen Natur" (11 Petr
1,4) gesprochen werden kann. lo
Die bisherigen Andeutungen zum Verstndnis des Geistbegriffs knnen so - ~eil die Anteilhabe des Menschen am Geist Gottes auf geisthafte (und
verstanden werden, als sei Geist etwas, das sowohl Gott als auch dem mcht etwa auf magische) Weise erfolgt, darum ist sie verbunden mit
Menschen (als Person) zukommt, also Gott und Mensch miteinander einem Erkennen und Wissen, wie es zur "Weisheit Gottes" gehrt
verbindet. Auch wenn dies noch ungenau und miverstndlich formuliert (I Kor 2,6-16).
ist, kann dieser Konsequenz durchaus grundstzlich zugestimmt werden.
Eine solche Vorstellung steht offenbar auch im Hintergrund von Rm Dieser dritte und letzte Aspekt zeigt einerseits, da es zwischen dem
8,16, wo es heit: "Sein Geist (TIVevl.w) gibt Zeugnis unserem Geist biblischen Begriff und Verstndnis von "Geist" als "TIvevlJo" und dem
(TIVeVlJaTI), da wir Gottes Kinder sind". Der Geist knnte hier wie ein neuzeitlich-philosophischen Geistbegriff, wie er insbesondere in der Phi-
"Sender" und "Empfnger" erscheinen, mittels deren zwei geistige Wesen losop~ie des deutschen Idealismus zu einer beherrschenden Stellung ge-
(nmlich Gott und Mensch) miteinander kommunizieren. langt 1st, durchaus Berhrungspunkte gibt. Geist ist immer auch (reflexi-
Aber schon in der Lehre vom Sein Gottes zeigt es sich, wie irrefhrend ves) Erkennen. Aber es ist eine spezifische Weise des Erkennens nmlich
ein solches Denkmodell ist, und das besttigt sich nun auch in der Lehre des verbindenden Erkennens, das als solches schon Ausdruck ei~er _ von
vom Heiligen Geist. Zwar ist es richtig, da etwa im Neuen Testament der Gott her - bestehenden Verbindung und Gemeinschaft ist.
Begriff" TIvevlJo" im Blick auf den Menschen den Inbegriff seiner psychi- Aber wir mssen noch einen Schritt weiter gehen. Es mu nicht nur die
schen Funktionen, besser: seiner Seelenvermgen, also: Fhlen, Erkennen menschliche Geisthaftigkeit als von Gott verliehene Anteilhabe an seinem
und Wollen und damit den Menschen als Person bezeichnet. Aber dies Geist verstanden werden, sondern nun doch auch ausdrcklich der Anteil
kann so nicht von Gott gesagt werden, und es kann - was jetzt noch gebende und damit dem Menschen gegenwrtig werdende Gott als Geist
wichtiger ist - vom Menschen nicht gesagt werden unabhngig von seiner (Joh 4,24; 11 Kor 3,17 f.).
Gottesbeziehung. Da der Mensch das Leben und geistige Fhigkeiten Was damit zu denken aufgegeben ist, ist der Gedanke einer Wirklich-
hat wird ihm allererst von Gott verliehen. Und das, woran der Mensch keit, d~e nicht den Charakter einer Substanz oder eines Gegenstandes hat,
dabei Anteil bekommt und wodurch er zum lebendigen, geisthaften We- also mcht zu den Dingen gehrt, die in Raum und Zeit existieren. Zu-
sen wird, ist selber nichts anderes als der "Lebensodem" oder "Geist" gle!ch aber mu diese Wirklichkeit so gedacht werden, da sie derschp-
Gottes (so schon Gen 2,7; aber auch Gen 6,3 u. Ps 104,29 f.). Aber eben fensche Grund aller Substanzen, Gegenstnde und Dinge ist, die inR.aum
deswegen geht es bei der Geistmitteilung Gottes an den Menschen nicht ~nd Ze.it exist.ieren. Beim Nachdenken ber das Sein Gottes (s. o. Kap. 8)
blo um die - sozusagen neutrale - Ausstattung mit geistig-seelischen smd WIr ber~Its von anderen Fragestellungen und berlegungen her zu
Fhigkeiten, sondern um ein Bestimmtwerden des Menschen durch Got- dem Ergebms gekommen, da das Wesen und die Wirklichkeit Gottes
tes Geist, aufgrund dessen der Mensch geheiligt, gerecht gemacht, ja zu nicht in .den Kategorien "Substanz", "Gegenstand" oder "Existenz",
Gottes Kind wird (I Kor 6,11; Rm 8,14 9 ). Dabei gilt von dieser An- sondern m den Kategorien "Beziehung" und" Geschehen" ("Beziehungs-
teilhabe des Menschen am Geist Gottes dreierlei: geschehen") gedacht werden msse. Zugleich zeigte sich, da die Bestim-
- Sie geht ganz und ausschlielich von Gott aus, auch wenn Gott dabei mu~g des Wesens Gottes als "Liebe" eine inhaltliche Beschreibung dieses
uere Zeichen (z. B. menschliche Handlungen) als Mittel der Geist- BezIehungsgeschehens ist, die dem entspricht, was die biblische, die
verleihung in Dienst nimmt. Aber es gibt keine menschliche Mglich- dogmen- und theologiegeschichtliche berlieferung des christlichen Glau-
keit, sich den Geist zu beschaffen oder ber ihn zu verfgen (vgl. Act
8,14-24). 10 Von daher ist auch der fr die orthodoxen Kirchen wichtige Begriff der
"Ve~gttlichung" des Menschen, dem die evangelische Theologie mit einer
- Durch die Geistverleihung kommt es zu einer wirksamen Vernde-
gewissen Zurckhaltung gegenbersteht, nicht grundstzlich zu kritisieren (s.
rung im Menschen, die ihn so mit Gott verbindet, da von einem dazu u.14.1.1.1 cl. In welchem Mae (und in welchem Sinn) Luther diesen
"Wohnen" des Geistes Gottes im Menschen (I Kor 3,16; Rm 8,9-11; ~egriff aufnehmen konnte, belegt der Aufsatz von Simo Peura, Die Vergtt-
hchung des Menschen als Sein in Gott, in: Lu] 6011993, S. 39-71. Das Fazit
9 Gilt dies von allen Kindern Gottes, so gilt es erst recht von dem Sohn Gottes: dieses Aufsatzes lautet: "Die wahre Vergttlichung des Menschen kommt ...
]esus Christus (Mk 1,10 par.; Lk 4,18). als die gttliche Liebe, die in ihm lebt, zum Vorschein" (a.a.O., S. 68).
Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist
Die Rede vom" Geist" in Verbindung mit Gott 365
364

dem Menschen wirklich gegeben und so zuteil wird, kann fr ihn im


bens an tragfhigen Aussagen ber das Wesen und die Wu:klich~ei~,Got
umfassenden Sinne heilvoll sein.
tes enthlt. Die pneumatologische Zentralaussage: "Go.tt Ist <?e~st .har-
moniert mit der Aussage: "Gott ist Liebe", ist jedoch mcht mit Ihr Iden- Mu es also bei dieser Doppelung und der dadurch bedingten Doppel-
deutigkeit bleiben? Ja, sofern keines der beiden genannten Elemente auf
tisch. das andere reduziert werden kann. Aber nein, sofern die Doppelung
_ Die Harmonie zwischen beidem besteht darin, da Liebe stets - in selbst als Einheit gedacht und zur Sprache gebracht werden kann. Diese
struktureller Hinsicht - als Sein-beil-einem-anderen) verstanden wer- Einheit kommt zum Ausdruck in der Erkenntnis, da, wenn beides richtig
den kann, also wesensmig etwas Verbindendes ist. Deshalb kann und unaufgebbar ist, der Geber selbst die Gabe und folglich die Gabe
gesagt werden: Liebe hat Geist-Struktur.. ... selbst der Geber ist. Diesen wichtigen Gedanken hat W. Kasper so for-
Die Nicht-Identitt zwischen beidem besteht Jedoch dann, da mcht muliert: "Eine Theologie des Heiligen Geistes als Geber und Gabe in
alles, was Geist-Struktur hat, deswegen schon inhaltlich (d. h. se~ner einem, also eine Theologie des Heiligen Geistes als Selbstgabe, ist der
inneren Ausrichtung und Zielsetzung nach) den Charakter von LIe~e letzte Grund ... der Wirklichkeit und Verwirklichung des Heils, das uns
hat. Es gibt ja auch den Geist des Hasses oder der Herrschsucht. Die durch ]esus Christus geschenkt iS[."12 Der Begriff "Selbstgabe", den man
Geist-Struktur ist ambivalent. l l als die genaue pneumatologische Entsprechung zum christologischen Be"
griff der "Selbsthingabe" bezeichnen kann, ist bereits die sprachliche
Integration von Gabe und Geber. Der Begriff "Selbstgabe" zeigt (gerade
10.1.3 Geist als Gabe und Geber durch seine Nhe zu "Selbsthingabe") zugleich, welche Wirklichkeit da-
mit inhaltlich nur gemeint sein kann: die Liebe als diejenige Selbstgabe,
Im vorigen Abschnitt blieb insofern eine Doppeldeutigkeit bestehen, als in der die eine Person so bei der anderen ist, da sie sich ganz selbst gibt
mit Geist" einerseits etwas bezeichnet wurde, was den Menschen (von und dabei doch ganz sie selbst ist und bleibt - ja recht eigentlich dadurch
Go~) gegeben wird und woran sie daher Anteil haben: anderers~its aber erst sie selbst wird. Diese letzte Bestimmung - da die Person erst durch
auch Gott selbst in seinem Sein-beim-Menschen. WIr fragen Jetzt, ob die Selbstgabe eigentlich sie selbst wird - knnte wie eine bertreibung
diese Doppeldeutigkeit aufhebbar ist, wie die Aufhebung ge~ebenen.~alls wirken. Das wre dann tatschlich der Fall, wenn die Selbstgabe etwas
mglich ist und welche Konsequenzen sich daraus fr das Gelstverstand- zum Personsein nur uerlich Hinzukommendes wre. Ist die Selbstgabe
nis ergeben. . . hingegen ein wesentliches Moment, durch das die Person erst unverwech-
Eine Aufhebung der Doppelung im Sinne einer Red~tlOn auf e!nes selbar als sie selbst konstituiert wird, dann ist tatschlich zu sagen, da
der beiden Elemente wre dann mglich, wenn sich emer der belden sie erst durch den Akt der Selbstgabe ganz sie selbst wird. 13 Mit diesen
Aspekte als blo abgeleitete, also uneigentliche Redeweise erk~ren und letzten berlegungen sind wir - genaugenommen - durch die Interpreta-
aufweisen liee. Das htte zur Folge, da wir entweder sagen mten, der tion der "Selbstgabe" im Sinne der "Selbsthingabe", also durch die chri-
Geist werde dem Menschen nicht wirklich gegeben, bleibe ihm also uer- stologische Deutung dessen, was "Geist" ist, ber den Rahmen dieses
lich oder es sei nicht wirklich Gott selbst, der sich dem Menschen als ersten Unterabschnitts hinausgegangen. Anders gesagt: Wir haben bereits
Gei;t zueigne, sondern es handele sich nur um eine von Gott zu u~terschei von Gott als Heiligem Geist - und nicht nur allgemein: als Geist - ge-
dende Gabe oder Befhigung, die dabei dem Menschen zuteIl werde. sprochen. Die Differenz, die zwischen beidem besteht, und die damit
Beide Mglichkeiten mssen aber zurckgewiesen werden, weil sie m~t gegebene Notwendigkeit der Unterscheidung soll nun in den Blick ge-
dem christlichen Glauben nicht vereinbar sind: Nur Gott selbst kann die nommen werden.
Wirklichkeit sein, die dem Menschen Anteil am Heil gibt; und nur was

11 Es ist freilich noch eigens zu bedenken, ob diese Ambivalenz d~n Chara~ter


12 W. Kasper, Der Gott ]esu Christi, Mainz 1983 2, S. 279.
der Gleichwertigkeit hat, oder ob nicht eine bestimmte inhaltlIche A~snch
13 Sofern mit alledem von der Wirklichkeit Gottes die Rede ist, gilt freilich auch
tung, wie sie z. B. mit den Begriffen "Ha" oder "Herrschsucht" ~eze~chnet
wird , de facta die Struktur des Seins-bei zerstrt, also selbstzerstorerzschen hier, da das personale Reden unverzichtbar, weil unbertroffen ist, gleich"
wohl aber seinen - potenziert - metaphorischen Charakter behlt (s. o. 8.1.2.2).
Charakter hat.
Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Gott als Heiliger Geist 367
366

10.2 Gott als Heiliger Geist drei Kriterien benannt und einsichtig gemacht werden: Wahrheit, Liebe
und Leben.
Die vor uns liegende Fragestellung und Aufgabe lt sich gut anhand eines
neutestamentlichen Zitats verdeutlichen: "Ihr Lieben, glaubet nicht jedem
Geist (1TvEv~aTI), sondern prfet die Geister (1TVEv~aTa), ob sie aus Gort 10.2.1 Der Heilige Geist als Geist der Wahrheit
sind" (I Joh 4,1). Damit ist zunchst gesagt, da es unterschiedliche Gei~
ster gibt, die sich zueinander nicht (nur) verhalten wie das Gute zum Insbesondere im johanneischen Schrifttum (Joh 15,26; 16,13; I Joh 5,6;
Schnen oder wie das Bessere zum Guten, sondern wie das Heilige zum vgl. aber auch schon Joh 4,23 f.) wird der Heilige Geist bzw. der
14 verheiene Paraklet als" Geist der Wahrheit", und d. h.: als Geist, der in
Unheiligen, das Gute zum Bsen, das Reine zum Unreinen.
Die Aufforderung zum Prfen und Unterscheiden der Geister ist des- die Wahrheit, also zur Erkenntnis leitet, beschrieben. Aber auch schon
wegen ntig, weil sich die unheiligen Geister (z. B. durch die Worte der in den paulinischen Briefen (vgl. I Kor 2,10-13) ist der unlsbare Bezug
"falschen Propheten"15) nicht als solche zu erkennen geben, sondern sich zwischen Geist und Erkenntnis (und damit implizit zur Wahrheit)
den Anschein des Guten und Gttlichen geben. So gehrt es zum Wesen thematisiert. Die mit dem Begriff "Wahrheit" gemeinte Entsprechung
der Lge, mit dem Anspruch der Wahrheit zu begegnen. Aber gerade um oder Konvergenz zwischen Aussage und Wirklichkeit kann nicht anders
diese - nicht leicht zu vollziehende - Unterscheidung zwischen Wahrheit als geisthaft erfat und zur Geltung gebracht werden. Die Wahrheit zu
und Lge, Gott und Teufel geht es, wenn zur Unterscheidung und zum erkennen, setzt die Fhigkeit voraus, auf geisthafte Weise bei dem zu sein,
Prfen der Geister aufgefordert wird. was erkannt werden soll. Nur durch Geist ist Erkenntnis mglich. Und
Wo die neutestamentliche berlieferung vom Geist Gottes oder von darum ist auch Wahrheit nur dem Geist erschlossen.
Gott als Geist spricht, da ist stets der Heilige Geist gemeint, der im Aber nicht alles, was mit dem Anspruch der Erkenntnis auftritt, was
Gegensatz zu den unreinen, bsen Geistern steht. Das schliet nicht aus, also wahr zu sein behauptet, wird diesem Anspruch gerecht. Es gibt auch
da diese widergttlichen Geister unter Gottes Zulassung ihre Wirksam- den "Lgengeist" (I Reg 22,22 f. par. II ehr 18,21 f.). Und dementspre-
keit entfalten, aber sie entsprechen dabei nicht, sondern widersprechen chend gilt vom Teufel: "er ist ein Lgner und der Vater der Lge".
dem Willen Gottes. 16 Freilich, was jeweils Wahrheit und Lge ist, das erkennen wir oft erst im
Aber anhand welcher Kriterien kann und soll unterschieden werden, nachhinein, weil die Lge davon zehrt, da sie sich den Schein der Wahr-
welcher Geist der Heilige Geist Gottes (also Gott selbst) ist und welcher heit gibt. Die - oftmals schmerzvolle - (liebevolle) Aufdeckung der Wahr-
ein widergttlicher, dmonischer Geist? Ohne Anspruch auf Vollstndig- heit ber das Leben eines Menschen (einschlielich all seiner Verirrungen,
keit17 knnen von der christlichen Glaubensberlieferung her jedenfalls Abgrnde und Trostlosigkeiten) ist das untrgliche Erkennungszeichen
des Geistes, der der Heilige Geist ist.
Diese Verbindung von Heiligem Geist und Wahrheit ist fr das per-
14 Vgl. dazu die Kennzeichnung der "anderen", widergttlichen Geister im snliche wie das gesellschaftliche Leben, aber auch fr die theologische
Neuen Testament als "bse" (Mt 12,45 par.; Lk 8,2; Act 19,12-16) oder als
Arbeit eine wichtige Ermutigung, der Wahrheitsfrage vorbehaltlos Raum
"unrein" (Mk 1,23-27 par.; 3,11 u. 30; 5,2-13 par.; 6,7 par.; 9,25 par.; Mt
12,43 par.; Act 5,16; 8,7; Apk 16,13 u. 18,2). Die Parallelisierung von
zu geben und zu folgen. Wenn der Heilige Geist "in alle Wahrheit leitet"
"rein"/"unrein" mit "heilig"/"unheilig" wird im Alten Testament mehrfach (Joh 16,13), dann ist Erkenntnis im Heiligen Geist stets Wahrheitser-
vollzogen (Lev 10,10; Ez 22,26 u. 44,23). kenntnis. Folglich gehrt es zu den Wesensmerkmalen des Heiligen Gei-
15 Vgl. Jes 9,14; Jer 14,14; 23,32; Mk 13,22 par.; Mt 7,15; Lk 6,26; II Pett 2,1; stes, da er die rationale Struktur des menschlichen Geistes weder zerstrt
I Joh 4,1; Apk 16,13; 19,20 u. 20,10. Die Beziehung zwischen falschen Prophe- noch auer Kraft setzt, sondern ausdrcklich besttigt und in Anspruch
ten und unheiligen Geistern wird ausdrcklich hergestellt in I Joh 4,1-6. nimmt. Man kann -und mu - zwar vom Heiligen Geist sagen, was der
16 Das Alte Testament kennt sogar die Vorstellung, da Gott selbst einen bsen Philipperbrief vom Frieden Gottes sagt: da er hher sei als alle Vernunft,
Geist senden kann (s. z. B. Jdc 9,23; I Sam 16,14-23; 18,10 u. 19,9), ohne da aber eben hher und nicht niedriger oder gegen die Vernunft.18 Von da aus
deswegen Gott mit dem bsen Geist gleichgesetzt wrde. Der bse Geist ist
in diesem Fall so etwas wie ein Straf- oder Gerichtswerkzeug Gottes.
17 Als weitere Kriterien lieen sich etwa nennen "Gemeinschaft" (vgl. I Kor 18 Von daher ist der altprotestantischen Orthodoxie zuzustimmen, wenn sie die
von Fausto Sozzini formulietten Einsichten bernahm: "Das philosophisch Wahre
12,1-13) oder "Freiheit" (II Kor 3,17).
Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Gott als Heiliger Geist 369
368

drngt sich geradezu die Metapher der (von oben kommenden) "Erleuch- gebend ist jedoch die Einsicht, da Liebe das Wesen Gottes selbst ist und
tung" auf, die durch das Geistwirken zustande kommt und in einem da der Heilige Geist als Selbstgabe Gottes darum Anteilgabe an der
Menschen Wahrheitserkenntnis und Wahrheitsgewiheit schafft. Von da- Liebe sein mu. Jeder Geist, der zum Ha oder zur Gleichgltigkeit
her kann man sagen, da der Heilige Geist jedenfalls keine irrationale anderen Menschen gegenber bewegt, ist jedenfalls nicht der Heilige
oder antirationale Wirklichkeit ist, sondern die Vernunft erhellt, bettigt Geist, sondern irgendein unguter, widergttlicher Geist. Dabei ist der
und insofern auch besttigt. In diesem Einwirken auf die Vernunft geht Zusammenhang zwischen Gottes Wesen als Liebe und der Befhigung
das Wirken des Heiligen Geistes gewi nicht auf - es affiziert ebenso das des Menschen zur Liebe, den Paulus in Rm 5,5 mit dem Bild des "Aus-
Gefhl, den Willen und den Leib -, aber ein antirationaler Geist ist der gieens" beschreibt, als ein geisthaftes Geschehen zu denken. Indem die
Heilige Geist, der in die Wahrheit leitet, gewi nicht. gttliche Liebe verkndigt, erkannt und vertrauensvoll angenommen
Wirkt der Heilige Geist so, da er in ihm Erkenntnis und damit zu- wird, erwchst als innere Konsequenz dieses Glaubens (als "Frucht") die
gleich Wahrheitsgewiheit schafft, so macht er den einzelnen Menschen Liebe, die anderen an dem teilgibt, woran wir selbst teilhaben und wovon
dadurch innerlich unabhngig(er) gegenber der Beeinflussung durch wir leben. Dabei ist es ein Wesensmerkmal und Erkennungszeichen der
fremde Meinungen - auch wenn sie von der groen Masse geteilt werden. gttlichen Liebe, also des Heiligen Geistes, da sie grundstzlich keinen
Eben damit kann der Heilige Geist aber den einzelnen Menschen auch Menschen, ja keine Kreatur ausschliet.
einsam machen. Dabei ist die Einsamkeit nicht nur dadurch belastend, Wie beim Kriterium der Wahrheit, so mssen wir aber auch beim
da in ihr der Verzicht auf Zustimmung und Beifall ertragen werden mu, Kriterium der Liebe noch einen - entscheidenden - Schritt weitergehen.
sondern auch dadurch, da die subjektive Gewiheit nicht zu haben ist Im Blick auf die (gttliche) Liebe, wie sie in Jesus Christus Mensch gewor-
ohne die Infragestellung durch den Zweifel, der seine Nahrung aus der den ist und wie sie etwa in I Kor 13 beschrieben wird, ist nicht nur zu
Frage zieht, ob wir tatschlich durch den Heiligen Geist oder nicht viel- sagen: Wo solche Liebe nicht ist, da ist und wirkt nicht der Heilige Geist,
mehr durch einen Lgengeist bestimmt werden. Keine uere Autoritt, sondern es ist auch zu sagen: Wo solche Liebe sich ereignet, da ist dies
keine Institution, kein Konsens-Verfahren kann es uns abnehmen, fr uns stets eine Frucht des Heiligen Geistes, also ein Wirken Gottes. Es gibt
selbst die Geister zu prfen anhand des Kriteriums der Wahrheit. Und nicht nur biblische Aussagen, die eindeutig in diese Richtung weisen2,
ber die persnliche Gewiheit knnen wir dabei nicht hinauskommen. 19 sondern es gibt auch gute theologische Grnde, das Kriterium der Liebe
so zu verstehen. Wenn im Liebesgebot der Wille Gottes an den Menschen
seinen zusammenfassenden Ausdruck findet (s. Mk 12,28-34 part.; Rm
10.2.2 Der Heilige Geist als Geist der Liebe 13,8-10) und wenn das, was vor Gott gilt und Bestand hat, nur als Gabe
Gottes empfangen werden kann, dann ist der Schlu zwingend, da alle
Ob ein Mensch am Heiligen Geist, also am Geist Gottes, teilhat, entschei- (wahrhafte) Liebe als Gabe und Werk Gottes, d. h. als Gabe und Werk
det sich dem christlichen Glauben zufolge daran, ob dieser Geist ein Geist des Heiligen Geistes zu verstehen ist.
der Liebe ist und darum den Menschen zur Liebe befreit und befhigt. Freilich, auch hier haben wir es mit einem Kriterium zu tun, das zwar
Darauf weisen schon biblische Aussagen wie Rm 5,5 hin: "denn die in sich klar und deutlich ist, dessen Anwendung auf andere (aber auch auf
Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, uns selbst) weder leicht noch zweifelsfrei ist. Gerade I Kor 13,3 nennt
der uns gegeben ist". Damit stimmt auch berein, da in Gal 5,22 die eindrucksvolle Beispiele fr Taten, die wie Taten der Liebe aussehen und
Liebe als erste Frucht des Geistes genannt wird. Theologisch ausschlag- es mglicherweise doch nicht sind. Wir werden - jedenfalls im Blick auf
andere, aber auch im Blick auf uns selbst - gut daran tun, Taten, die aus-
widerspricht dem theologisch Wahren nicht" und: "Wenn auch in der Schrift sehen wie Taten der Liebe und auf uns.so wirken, auch fr solche zu halten
vieles bervernnftig (supra rationem) ist, so ist doch nichts widervernnftig und uns ihrer zu freuen. Aber das ist - wie Luther (WA 18,652) einge-
(contra rationem)" (vgl. dazu den Art. "Sozzini, Fausto" von Th. Mahlmann, schrft hat - immer selbst ein Urteil nach dem Mastab der Liebe, das der
2
in: Theologenlexikon [Hg. W. Hrle und H. Wagner], Mnchen 1994 , S. 251 f.) Tuschung unterliegen kann, nicht das endgltige Urteil Gottes selbst.
u. Art. "suprarationaVkontrarational", in: HWP 10 (1999), 677-681.
19 Vgl. dazuRm 14,5: "Ein jeder sei in seiner Meinung gewi." WasPaulus hier
im Blick auf das Halten von Feiertagen formuliert, findet sich bei Luther ganz 20 So z. B. I Joh 4,7: "Die Liebe ist von Gott, und wer liebhat, der ist von Gott
grundstzlich am Beginn der sog. ersten Invokavit-Predigt (WA 10 III,l, 7-2,3). geboren und kennt Gott."
Gott als Heiliger Geist 371
370 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist

Joh3,1-21). Von diesem Geist gilt: "wer ... auf den Geist st, der wirdvon
10.2.3 Der Heilige Geist als Geist des Lebens
dem Geist das ewige Leben ernten" (Gal 6,8).
Von der Beziehung, die nach biblisch-christlichem Verstndnis zwischen
Geist und Leben besteht, war bereits kurz (s. o. 10.1.2) die Rede. Gottes 10.2.1-10.2.3 Fazit
Geist verleiht Leben, und umgekehrt bewirkt der Entzug seines Geistes
den Tod. Das gilt insbesondere fr die alttestamentliche ruach, die auf das Die Nennung der drei Kriterien - Wahrheit, Liebe und Leben - hat, wie
organische, biologische Leben des Menschen und der anderen Geschpfe bereits gesagt, nicht den Sinn einer vollstndigen Aufzhlung, sondern ist
bezogen ist. Von daher lt sich schon sagen, da der Heilige Geist als exemplarisch gemeint. Lt sich das so Differenzierte zusammenfassen
Geist Gottes ein die Schpfung belebender Geist ist, ein "spiritus vivifi- undals Einheit verstehen?
An der Bibelstelle, von der wir in diesem Abschnitt unseren Ausgang
cans" (BSLK 27,2).
Noch auf dieser Linie liegend, aber einen Schritt weitergehend ist das nahmen, nmlich I J oh 4,1, wo zum Prfen der Geister aufgefordert wird,
biblische Verstndnis krperlicher und seelischer Erkrankungen als Aus- nennt der Verfasser des I Johannesbriefs selbst ein einziges Kriterium, das
druck des Wirkens lebensbedrohlicher, widergttlicher Geister (so z. B. mit keinem der bisher genannten identisch ist, durch das sie aber alle
I Sam 16,14-23; Mk 1,32-34 par.; Mt 9,32 f.; Lk 7,21 u. 0. 21 ). Diesen zusammengefat und zur Einheit gebracht werden: "Daran sollt ihr den
bsen Geistern tritt Jesus entgegen, indem er sie "durch Gottes Finger" Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, da Jesus Christus in
(Lk 11,20) hinausweist, mehr noch, indem er sie "durch den Geist Gottes" das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; und ein jeder Geist, der Jesus
austreibt (Mt 12,28). Und dieses Geschehen, an dem Jesus auch seinen nicht bekennt, der ist nicht von Gott. " Man knnte dies das Inkarnations-
Jngern Anteil gibt (Mk 6,7 parr.), ist selbst ein Anzeichen dafr, da die Kriterium nennen, und es ist leicht einzusehen, da dieses Kriterium nicht
Gottesherrschaft herbeigekommen ist (Mt 12,28 par.). Da auch dieses auf dieselbe gedankliche Ebene gehrt wie die Kriterien Wahrheit, Liebe
Kriterium bestreitbar und umstritten ist, belegt schon Mk 3,22-30, wo die und Leben. Wohl aber ist es sinnvoll, von Jesus Christus als Wahrheit,
Austreibung der bsen Geister ihrerseits auf einen bsen Geist (Jesu) Liebe und Leben in Person zu sprechen (Joh 14,6 u. I Joh 4,9 f.).
zurckgefhrt wird. Dies belegt aber auch die ganze Geschichte der sog. Von der engen - christologischen - Verbindung zwischen J esus Chri-
Wunderheilungen, von denen nicht automatisch und mit Sicherheit gesagt stus und dem Heiligen Geist war bereits (s. o. 9.3) die Rede. Hier geht es
werden kann, da sie auf das Wirken des Heiligen Geistes zurckzufhren nun darum, diese Verbindung auch noch in pneumatologischer Hinsicht
sind. Dies mu nach dem bisher Gesagten wie ein Widerspruch wirken, zu bedenken: Der Geist erweist sich als Heiliger Geist, also als Geist
weil konstatierbare Heilerfolge als Ausdruck der Lebensbejahung allem Gottes dadurch, da er Jesus Christus als den Sohn, d. h. als den Offen-
Anschein nach das Kriterium des Lebens erfllen. barer Gottes zu sehen, zu verstehen und anzuerkennen lehrt. 22 Daraus
Aber "Leben" meint nach christlichem Verstndnis mehr und etwas folgt zweierlei:
anderes, als die Abwesenheit von krperlicher und seelischer Krankheit. - Die Bestreitung der Gottesoffenbarung in Jesus Christus ist unverein-
Um dieses Mehr und damit das dem christlichen Glauben entsprechende bar mit dem Wirken des Geistes Gottes; deshalb ist diese Bestreitung
Verstndnis von Leben in den Blick zu bekommen, mu ein weiterer fr die christliche Gemeinde ein Negativ-Kriterium, an dem andere
Schritt getan werden: Leben im vollen Sinne ist ewiges Leben (s. dazu u. Geister, die nicht mit dem Geist Gottes identisch sind, erkennbar
15.3.4), d. h. ein Leben, das durch die Macht der Snde und des Todes werden.
nicht zerstrt werden kann, sondern seinerseits diese Verderbensmchte - Das aufrichtige Bekenntnis zur Gottesoffenbarung in Jesus Christus
berwindet. Das Leben, durch das sich der Geist als Heiliger Geist erweist, ist selbst nur mglich aufgrund des Wirkens des Geistes Gottes, weil
ist also im wrtlichen und im metaphorischen Sinn durch den Tod hin- es sich dem Bekennenden nur voh Gott her, also durch den Heiligen
durchgegangen (Rm 8,10) und hat darum den Charakter einer Neu- Geist erschlieen kann.
geburt "aus Wasser und Geist" (Joh 3,5; vgl. aber den ganzen Abschnitt:
22 Auer in der zitierten Stelle aus I Joh 4,2 f. kommt dies auch in I Kor 12,3
deutlich zum Ausdruck: "Darum tue ich euch kund, da niemand Jesus
21 Dem entspricht es, da der Teufel in Joh 8,44 nicht nur als "ein Lgner und
der Vater der Lge" bezeichnet wird (s. o. 10.2.1), sondern auch als "ein verflucht, der durch den Geist Gottes redet; und niemand kann Jesus den
Herrn nennen auer durch den heiligen Geist".
Mrder von Anfang an".
372 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 373

Der Heilige Geist ist nach christlichem Verstndnis keine zustzliche, Entfaltung dessen, was "Heiligung" oder "heiligende Wirkung" meint.
ber die Gottesoffenbarung in Christus hinausreichende Quelle der Damit ist ein umfassenderes Verstndnis des Begriffs "Heiligung" gege-
Offenbarung, sondern diejenige Weise des Seins Gottes bei den Men- ben, als dies dort der Fall ist, wo Heiligung -vom Gedanken des "ordo
schen, durch die die Christusoffenbarung beglaubigt (Joh 14,26) und so salutis" her - als ein Element oder eine Stufe des Heilsgeschehens (neben
Jesus Christus als der Offenbarer Gottes bezeugt und verherrlicht wird Berufung, Erleuchtung, Rechtfertigung etc.) verstanden wird. 23
(Joh 15,26; 16,14). Eben dadurch werden Menschen in dieses Heils- Zu den drei genannten Themen "Kirche", "Vergebung" und "Hoff-
geschehen einbezogen und haben an ihm - als Gottes Kinder - Anteil nung", die unter der berschrift "heiligende Wirkung des Heiligen Gei-
(Rm 8,14-17). Das Wirken des Heiligen Geistes ist dasjenige innere stes" zu verhandeln sind, kommt im Kleinen Katechismus noch der Glau-
Erschlieungsgeschehen, aufgrund dessen Jesus Christus als die Mensch be hinzu. Es wre jedoch miverstndlich, das Thema "Glaube" auf
gewordene Liebe Gottes erkannt und anerkannt werden kann, das also derselben Ebene wie Kirche, Sndenvergebung, Auferstehung und ewiges
den Glauben ermglicht, "der durch die Liebe ttig ist" (Gal 5,6). Leben (also diesen Themen nebengeordnet) zu verhandeln, weil Glaube ja
diese Elemente umfat und sich auf sie bezieht. Andererseits ist die Erin-
nerung wichtig, da die Glaubensgewiheit zu den Wirkungen des Heili-
10.3 Die Wirkungen des Heiligen Geistes gen Geistes gehrt. Davon war bereits am Beginn von Kap. 10 (sowie in
2.2.3) die Rede. Es mag deshalb hier gengen, auf diese Ausfhrungen zu
Schon im vorigen Abschnitt (10.2), in dem es um die Kriterien ging, verweisen, um die Einsicht nicht aus dem Blick zu verlieren, da der
anhand deren der Heilige Geist, als der Geist Gottes, sich von anderen, christliche Glaube selbst das Wirken des Heiligen Geistes zu seiner Vor-
widergttlichen Geistern unterscheiden lt, war - unvermeidlich - im- aussetzung hat.
mer auch schon vom Wirken oder von den Wirkungen des Heiligen Gei-
stes die Rede. Es sind ja solche Wirkungen (Wahrheit, Liebe, Leben),
durch die sich der Heilige Geist von den anderen Geistern unterscheidet 10.3.1.1 Gemeinschaft der Heiligen 24
und aufgrund deren er deshalb von ihnen unterschieden werden kann.
Whrend es im zurckliegenden Abschnitt jedoch nur um Wirkungen des Es ist kein Zufall, da von der biblischen berlieferung her die Aus-
Heiligen Geistes unter dem Aspekt des Prfens und Unterscheidens ging, gieung des Heiligen Geistes und die Entstehung der christlichen Kirche
sollen sie nun als solche Gegenstand des Nachdenkens sein. aufs engste zusammengehren. Der biblische Grundtext hierfr ist die
Von der christlichen Glaubensberlieferung her drngt es sich dabei Pfingstgeschichte aus Act 2. Insofern ist es auch ganz sachgem, da im
auf, zwei Gruppen von Wirkungen zu unterscheiden, deren erste unter dritten Glaubensartikel unmittelbar im Anschlu an die Nennung des
dem Stichwort "Heiligung" oder "heiligende Wirkungen" zusammenge- Heiligen Geistes - sozusagen als dessen erste Wirkung - die "heilige,
fat werden kann, die diejenigen Elemente umfat, die integrale Bestand- christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen" genannt wird. Damit ist
teile des Heilsgeschehens sind (10.3.1; vgl. dazu auch u. 14.1), whrend
die zweite Gruppe mit dem Stichwort "Charismen" oder "begabende 23 Da ,;HeiIigung" von Luther in diesem umfassenden Sinn verstanden wird,
Wirkung" charakterisiert werden kann und diejenigen Elemente enthlt, ergibt sich nicht nur von den Themen her, die unter dieser berschrift
die den einzelnen in individuell-unterschiedlichen Formen zuteil werden verhandelt werden (Kirche, Sndenvergebung, eschatologische Hoffnung),
sondern auch von der. - zweimaligen - Aufzhlung der Wirkungen des Hei-
(10.3.2).
ligen Geistes durch die Worte "berufen, (gesammelt), erleuchtet, geheiligt
und erhalten" (BSLK 512,3-5 u. 6 f). Die in der spteren Lehre vom "ordo
salutis" ausdifferenzierten Aspekte bilden hier also eine Einheit und werden
10.3.1 Die heiligende Wirkung des Heiligen Geistes insgesamt mit den Begriffen "Heiligung" bzw. "Heiligmachen" bezeichnet.
Zugleich bereitet sich in der Aufzhlung, in der "geheiligt" auch als ein
Im Kleinen und Groen Katechismus hat Luther den Inhalt des dritten Element vorkommt, die Ausdifferenzierung vor.
Glaubensartikels im Begriff "Heiligung" zusammengefat (BSLK 511,39 24 Vgl. hierzu durchgngig den - unter dem Aspekt des christlichen Welt-
u. 653,33). Diese Anregung nehme ich hier auf und beziehe mich dem- verstndnisses - korrespondierenden Abschn. 14.3, der die ausgefhrte Lehre
entsprechend auf den dritten Artikel des Apostolicums als inhaltliche von der Kirche, also die Ekklesiologie enthlt.
374 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 375

zweierlei zu denken aufgegeben: einerseits die Heiligkeit der geglaubten, b) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen
verborgenen (s. dazu u. 14.3.1.2) Kirche, andererseits die gemeinschafts-
bildende Wirkung des Heiligen Geistes. . Aus den bisherigen Ausfhrungen ist noch nicht deutlich geworden, in-
wiefern das Wirken des Heiligen Geistes nicht nur heiligenden, sondern
a) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen auch - zugleich - gemeinschaftsstiftenden Charakter hat. Alles bisher Ge-
sagte knnte grundstzlich auch von lauter isoliert existierenden Einzel-
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung "Heilige(r)" verbun- nen gesagt werden. Demgegenber ist es jedoch auerordentlich wichtig
den mit der Vorstellung, da es sich dabei um Menschen handeln msse, festzuhalten, da nach christlichem Verstndnis der Heilige Geist so zur
die in besonders eindrucksvoller Weise ihren christlichen Glauben leben, Wirkung kommt, da er Menschen, indem er sie mit Gott verbindet,
wobei das Besondere sowohl ethischer als auch asketischer Art sein kann. zugleich untereinander verbindet. Diese Verknpfung wirkt nur solange
Heilige werden von daher hufig verstanden als Menschen, die sich in als willkrliche Behauptung oder Forderung, als sie nicht bezogen wird
religiser Hinsicht mehr abverlangen und zumuten (lassen), als dies von auf das in Jesus Christus geoffenbarte Wesen Gottes. Wird jedoch er-
Christen eigentlich und im allgemeinen erwartet oder verlangt werden kannt, da der Heilige Geist die Gegenwart des Gottes in uns ist, dessen
kann. Nun soll gar nicht bestritten werden, da es tatschlich Christen Wesen Liebe ist, dann wird verstndlich, warum es gar nicht anders sein
gibt, deren Leben (oder Sterben) besonders beeindruckend wirkt und kann, als da die Verbindung mit Gott eo ipso die Menschen miteinander
"I
11 darum eine orientierende Bedeutung fr andere Menschen bekommen verbindet. D. h. aber auch, da dort, wo es nicht zu solcher Verbindung
kann. Es ist auch richtig und wichtig, das Andenken an solche eindrucks- der Menschen untereinander kommt, der Heilige Geist (noch) nicht zur
vollen Gestalten (insbesondere an die Mrtyrer) wachzuhalten und zu Wirkung gekommen ist.
pflegen, damit sie nicht vergessen werden. Eine Anrufung der Heiligen Wrde man sagen, die Entstehung oder Bildung der Gemeinschaft der
(also die Bitte um ihre Frbitte) ber deren Tod hinaus hat jedoch im Heiligen sei eine aus der Gemeinschaft mit Gott notwendig zu ziehende
Rahmen reformatorisch verantworteter Frmmigkeit keinen legitimen Folgerung, so wre dies eine irrefhrende Formulierung des hier beste-
Ort; denn dadurch wrden die Heiligen zu Mittlergestalten in Ergnzung henden Zusammenhangs. Der Zusammenhang zwischen Gottesbeziehung
zu dem einen von Gott gesandten Mittler: Jesus Christus (s. I Tim 2,5 f.). und Gemeinschaft der Heiligen ist nicht deontologischer, sondern
Der reformatorische Einspruch' richtet. sich aber nicht erst gegen diese ontologischer Art. 25
Form der Heiligen-"Verehrung", sondern schon gegen den dabei voraus- Der spezifische Gemeinschaftscharakter der christlichen Kirche
gesetzten Begriff des oder der "Heiligen". kommt sprachlich angemessen dadurch zum Ausdruck, da die Glieder
Nach einhelligem neutestamentlichem Sprachgebrauch sind alle Glie- der Kirche als "Schwestern" und "Brder" bezeichnet werden und nicht
der der (verborgenen) Kirche Heilige, und zwar nicht wegen ihrer ein- etwa als "Freunde", "Kollegen" oder "Gesinnungsgenossen". Was Br-
drucksvollen christlichen Lebensfhrung, sondern weil sie von Gott durch der und Schwestern miteinander verbindet, ist nichts anderes als die
Christus angenommen, in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen und gemeinsame Abstammungsbeziehung. Durch diese sind und bleiben sie
d. h.: geheiligt sind. "Heilig" ist nach christlichem Verstndnis alles, was aber - unweigerlich - miteinander verbunden. Insofern gilt: Die "Selbst-
zu Gott gehrt, weil es dadurch an der Heiligkeit Gottes selbst Anteil hat. gabe" des Heiligen Geistes verbindet die Glaubenden mit innerer Not-
Von da aus wird auch verstndlich, warum Menschen durch die "Selbst- wendigkeit untereinander zur Gemeinschaft der Heiligen.
gabe" (s. o. 10.1.3) des Heiligen Geistes zu Heiligen werden: Gott gibt Die zeichenhafte Aufnahme in diese Gemeinschaft erfolgt durch die
ihnen durch seinen Heiligen Geist Anteil an sich selbst und macht sie Taufe (s. dazu u. 14.2.3), durch die das Menschenleben in die Perspektive
damit zu Heiligen. Gegenber der oberflchlichen Wahrnehmung, die nur
sieht, "was vor Augen ist" (I Sam 16,7), wird dadurch eine in die Tiefe
25 Dies kommt sehr genau zum Ausdruck in I loh 4,20, wo derjenige, der
reichende Sicht des Menschen erffnet, die sich an dem ausrichtet, wozu
behauptet, Gott zu lieben, aber seinen Bruder hat, als "Lgner" bezeichnet
der Mensch von Gott her bestimmt ist und was von daher in ihm als wird mit der Begrndung, da es nicht mglich sei, den (unsichtbaren) Gott
Mglichkeit angelegt ist (s. dazu o. 7.1.1.2). zu lieben, whrend man den (sichtbaren) Bruder nicht liebt. Weniger klar ist
dieser innere Zusammenhang freilich in dem folgenden Vers (I loh 4,21)
erfat, wo die Liebe zum Bruder als Folgegebot zur Gottesliebe erscheint.
376 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 377

der heilsamen Gegenwart Gottes gerckt und von daher angenommen 10.3.1.3 Auferstehung der Toten und das ewige Leben 26
wird. Insofern stellt die Taufe sowohl die gemeinschaftsstiftende als auch
die heiligende Wirkung des Heiligen Geistes dar. Mit diesem dritten Element, der eschatologischen Hoffnung des christli-
chen Glaubens, wird ausdrcklich der Gedanke aufgenommen, der im
Zusammenhang mit dem Kriterium "Leben" (s. o. 10.2.3) bereits anzu-
10.3.1.2 Vergebung der Snden sprechen war: Das geistgewirkte Leben enthlt als ewiges Leben die ber-
windung desTodes in sich. Da es sich um eine echte berwindung des
Man kann fragen, ob es richtig ist, sich der Reihenfolge anzuschlieen, Todes (und weder um eine Vermeidung noch um eine Verdrngung)
wie sie durch das Apostolicum vorgegeben ist, also die Vergebung der handelt, zeigt die Rede von der "Auferstehung der Toten". Die vollendete
Snden der christlichen Kirche als der Gemeinschaft der Heiligen nach- Anteilhabe am Geist Gottes und damit die vollkommene Gegenwart
zuordnen. Gehrt unter sachlichen Gesichtspunkten die Sndenverge- G~ttes erschliet sich nur im Durchgang durch die Bitterkeit und Traurig-
bung nicht vor die Gemeinschaft der Heiligen - gewissermaen als deren keIt des Sterbens und des Todes. Was es heit, loszulassen und sich allein
Eingangspforte? Daran ist richtig, da dieAnteilhabe an Gottes Geist die auf Gott zu verlassen, das verdichtet sich im Sterben und im Tod aufs
Vergebung (und d. h. auch: die Durchbrechung der Macht) der Snde uerste. Hier mu auch noch das Liebste, das man hat, losgelassen
einschliet. Aber es wre eine irrefhrende Vorstellung, daraus zu fol- werden. Und der Mensch mu sich selbst, seinen Leib und seinen Geist
gern, Vergebung der Snden sei so etwas wie ein einmaliger Akt, auf den a.ufgebe~. Das kann entweder so geschehen, da es uns vom Tod wegge-
diejenigen, die der Gemeinschaft der Heiligen angehren, zurckblicken. rIssen WIrd oder so, da wir unseren Geist (und unseren Leib) in Gottes
Unter endlichen Bedingungen bleibt die Liebe bedroht, ist die Gefahr, sie Hnde befehlen (Lk 23,46).27
zu verachten, zu verleugnen oder zu verraten, stets gegenwrtig und Welche entscheidende Bedeutung die Rede vom Heiligen Geist fr
bleibt der Mensch darum fortgesetzt angewiesen auf Vergebung, also auf die Formulierung der christlichen Hoffnung ber den Tod hinaus hat
Beziehungen, die trotz Verfehlungen und Enttuschungen gewhrt wer- zeigt schon die Tatsache, da der zentrale biblische Text ber die Aufer:
den. Dabei zeigte sich (s. o. 9.32), da Vergebung nicht verwechselt stehung der Toten (I Kor 15) die Auferstehungswirklichkeit nur unter
werden darf mit einem Ignorieren oder Bagatellisieren der Snde. Im Akt konstitutiver Einbeziehung des Geistbegriffs formulieren kann: Die Leib-
der Vergebung wird Snde ernstgenommen. Und Vergebung kann nur da lichkeit der Auferstehung ist zu denken als geisthafte Leiblichkeit (,,(J&~<X
stattfinden, wo Snde - und zwar von beiden Seiten - als solche wahr- TIVeV~<XTIK6v"; I Kor 15,44). Dabei bezeichnen die Begriffe "Geist" und
genommen und ernstgenommen wird. Wer eine Tat oder Lebenseinstele "geisthaft" nicht nur die Art und Weise des Auferstehungsleibes im Un-
lung nicht als Verfehlung empfindet, kann sie sich auch nicht vergeben terschied zum irdischen Leib, sondern auch die Kraft, aus der das ewige
lassen. Deshalb gehrt es zu den Wirkungen des Heiligen Geistes, Men- Leben hervorgeht. Es ist der Geist Jesu Christi, "der lebendig macht"
schen zur Erkenntnis (und zum Bekennen) ihrerLieblosigkeit oder Liebes- (I Kor 15,45.; vgl. auch Rm 8,11). Damit ist die Aussage geprgt, die
unfhigkeit zu fhren. Auch hierin erweist sich der Heilige Geist als Geist d~s ~ch~ferIsche Wirken des Heiligen Geistes - in seiner protologischen
der Wahrheit (s. o. 10.2.1). Das Geschehen, in dem ein Mensch so seiner WIe m semer eschatologischen Dimension - umfassend beschreibt und
inneren Verkehrtheit berfhrt wird, da er sie vor Gott und vor sich die vom Nicaeno-Constantinopolitanum aufgenommen wurde: Ich glau-
selbst - und mglicherweise auch vor anderen Menschen - eingestehen be "an den Herrn, den heiligen Geist, der da lebendig macht" (BSLK
und bekennen mu, wird dabei erlebt als ein Zunichte-gemacht-Werden, 27,1 f.).
das scheinbar die letzte Lebensmglichkeit nimmt. Tatschlich ist diese
Erkenntnis der Wahrheit des eigenen Lebens jedoch der Durchbruch zur
Rettung, nmlich die Befreiung aus der Verstrickung in die eigene Lebens-
26 Vgl. hierzu u. die Abschn. 15.3.2 u. 15.3.4.
lge. Das gilt freilich nur, wenn und weil der Geist, der die Wahrheit der
27 Im Rahmen der Eschatologie wird zu bedenken sein, ob und inwiefern die
Verlorenheit aufdeckt, zugleich der Geist der Liebe ist, der zurechtbringt
Rede vom Heiligen Geist einen Beitrag leisten kann zur gedanklichen Klrung
und so Leben erffnet. des Problems, wie Auferstehung der Toten so gedacht werden kann da
sowohl die Radikalitt des Todes als auch die Identitt der aufersteh~nden
Toten ernstgenommen und zur Geltung gebracht werden.
378 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 379

10.3.2 Die begabende Wirkung des Heiligen Geistes Da diese Gaben je individuell-unterschiedlich sind, ist ihre Flle po-
tentiell unendlich. Die folgende Nennung dreier(Gruppen von) Charis-
In diesem abschlieenden Abschnitt soll von den Charismen oder Gnaden- men, die sich an I Kor 12 orientiert und an dem, was in der Kirchen- und
gaben die Rede sein, wie sie im Neuen Testament vor allem in I Kor 12 Theologiegeschichte unter dem Begriff "Charismenlehre" verhandelt
(und Rm 12,3-8) beschrieben werden. 28 Charakteristisch fr die Charis~ worden ist, hat darum nur illustrativen, allenfalls exemplarischen Cha-
men in diesem Sinn ist die Bestimmung, die Paulus I Kor 7,7 gibt: "jeder rakter, beansprucht jedoch in keiner Weise, eine umfassende Typologie
hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so". Dieses der Charismen zu geben.
je individuell Unterschiedliche ist das Spezifikum, durch das die Charismen
von den Gnadenwirkungen unterschieden sind, die allen in gleicher Weise
gelten, von denen im vorigen Abschnitt (10.3.1) die Rede war. 10.3.2.1 Theologische Begabungen
Dabei kann man fi"agen, ob es richtig ist, im Blick auf diese Charismen
von Gaben des Heiligen Geistes oder von einer "begabenden Wirkung Der Begriff "theologische Begabungen" ist kein fester Terminus, der bec
des Heiligen Geistes" zu sprechen. Handelt es sich hierbei nicht vielmehr reits geprgt wre, sondern ein sprachlicher Versuch, unterschiedliche
um natrliche Veranlagungen und Begabungen, die Menschen von ihren Gaben zusammenzufassen, die im Neuen Testament etwa unter den Be-
Eltern ererbt, im Laufe der Sozialisation erworben oder durch Bildungs- griffen "Lehre" und "Ermahnung" (Rm 12,7 f.), "Weisheit" und "Er-
prozesse entwickelt haben? In gewisser Hinsicht scheint es mir tatschlich kenntnis" (I Kor 12,8) oder "prophetische Rede" (Rm 12,6; I Kor 12,10;
richtig zu sein, wenn gesagt wird, die Wirkung des Heiligen Geistes 13,2) aufgefhrt werden. Dabei geht es jeweils um ein besonderes Ma an
bestehe darin, da sie die Gaben und Fhigkeiten eines Menschen in Einsicht und Urteilsfhigkeit in Fragen des Glaubens. Da diese Fhigkei-
Dienst nimmt, damit diese zur Ehre Gottes und zum Besten der Menschen ten als Charismen eingeordnet werden, belegt zunchst noch einmal, da
gebraucht werden. Aber bei genauerem Nachdenken erweisen sich solche der Geist Gottes keine widervernnftige Gre ist, sondern sich auch
Formulierungen doch als zu vordergrndig. Es gibt ja nicht solche dem Denken und Verstehen des Menschen erschliet, dieses in Anspruch
menschlichen Gaben und Fhigkeiten an sich, d. h. ohne Indienstnahme nimmt und so zur Erkenntnis der Wahrheit fhrt.
durch irgendeinen Geist. Man kann zwar sagen, da eine Fhigkeit durch Da diese Fhigkeiten als Charismen verstanden werden, zeigt aber
einen Geist - so oder so - bestimmt werde, aber man mu, um nicht weiter, da sie nicht zu den Wirkungen des Heiligen Geistes gehren, die
abstrakt zu reden, sofort hinzufgen, da jede Fhigkeit immer schon allen an Christus Glaubenden (in gleicher Weise) zuteil werden, sondern
durch einen Geist - so oder so - bestimmt wird. Was durch das Wirksam- den verschiedenen Menschen in je unterschiedlicher Weise gegeben sind.
werden des Heiligen Geistes geschieht, kann als Inanspruchnahme be- Von daher lt sich ausdrcklich begrnden, da und warum theologi-
stimmter Fhigkeiten und Begabungen beschrieben werden, aber dem ist sche Bildung keinen hheren geistlichen Stand verleiht, sondern eine von
hinzuzufgen, da die Gaben und Fhigkeiten dadurch eine neue Funk- vielen speziellen Gaben ist, die nur in ihrer Mannigfaltigkeit und in ihrem
tion und Bedeutung erhalten. Und insofern gilt: Sie werden durch das Zusammenwirken dem Wesen des "Leibes Christi" entsprechen (s.
Wirken des Heiligen Geistes etwas anderes, als sie vorher waren. Deswe- I Kor 12,12-30).
gen ist die Redeweise, da durch den Heiligen Geist Gaben verliehen Schlielich ergibt sich von dieser Sichtweise her auch ein dem Wesen
werden, durchaus treffend und bringt einen wichtigen Aspekt zur Gel- des christlichen Glaubens entsprechender Zugang zu dem, was sinnvoller-
tung. In diesem Sinne ist hier von der "begabenden Wirkung" des Hei- weise "Berufung zum Pfarramt" heien kann. Im Unterschied zum Allge-
ligen Geistes die Rede. meinen Priestertum (s. u. 14.3.3.1), zu dem alle Christen durch die Taufe
berufen sind, hngt die Berufung zllm ordinierten Amt, also zum Pfarr-
28 Dieser - heute gebruchliche - Begriff "Charisma" stellt freilich gemessen am
amt, ausschlielich davon ab, ob ein Mensch die fr die Fhrung des
neutestamentlichen Sprachgebrauch eine Verengung dar. Insbesondere im Pfarramtes notwendigen Fhigkeiten hat, sie in hinreichendem Mae aus-
Rmerbrief kann Paulus den Begriff "XapwiJo" auch gleichbedeutend mit bildet und mit Freude einsetzt. Ein "Berufungserlebnis" mag die Form
"Gnade" verwenden (so z. B. Rm 5;15 f.; 6,23 oder 11,29). In diesem Sinn sein, wie einem Menschen bewut wird, da er fr diese Aufgabe begabt
des Wortes gilt dann: "die Gnadengabe Gottes aber ist das ewige Leben in und geeignet ist - aber nur die Form, nie das tragende Fundament. Weil
Christus Jesus, unserm Herrn" (Rm 6,23). dies so ist, darum ist es auch ganz legitim, da die Entscheidung ber die
380 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 381

Eignung zur Wahrnehmung des ordinierten Amtes niemals nur von dem sen, da dort Scharlatanerie und Betrug tatschlich ihr Unwesen treiben
Betreffenden selbst gefllt wird, sondern da in diese Entscheidung immer konnten. '
auch die Urteile anderer Personen und Gremien mit eingehen. Die Im Blick auf das Phnomen sog. "Geistheilungen" oder"Glaubens-
Berufungsgewiheit des einzelnen mu ihre Besttigung finden in der heilungen" kann daraus nicht gefolgert werden, da solche Phnomene zu
Urteilsbildung der christlichen Kirche, die diese theologischen Begabun- bestreiten wren, bevor wir sie nicht wissenschaftlich erklren knnen.
gen erkennt, anerkennt und ihnen durch die Ordination im Leben der , Was fr ein armseliges Weltbild entstnde, wenn wir es auf das reduzier-
Kirche Raum gibt. ten, was wir wissenschaftlich erklren knnen! Die christliche Glaubens-
Das bisher Gesagte wre freilich vllig miverstanden, wenn man lehre hat von ihrer berlieferung her keinen Grund, die Mglichkeit von
daraus folgerte, nur bei den ordinierten Inhabern des pfarramts gebe es Heilungen durch das Wirken des Heiligen Geistes zu bestreiten, und wo
anerkannte theologische Begabungen oder alle solche Begabungen m- einem Menschen dieses Charisma gegeben ist, da sollte dies dankbar
ten zum ordinierten Amt hindrngen. Die christliche Kirche braucht auch anerkannt und verantwortlich gebraucht werden. Wie wir aber bereits
die theologischen Begabungen, die in Verbindung mit einer anderen be- oben (10.2.3) sahen, mu nicht jede Heilung und jede Begabung, gesund
ruflichen Kompetenz oder in einem anderen lebensgeschichtlichen Kon- zu machen, Wirkung des Heiligen Geistes sein. Ob sie das sind, ist oft
text zur Geltung kommen. Sog. Laientheologie gehrt zu den theologi" nicht leicht zu entscheiden und bedarf eines sorgfltigen Urteils, das die
schen Begabungen, in denen die christliche Kirche das Wirken des Heiligen Heilungsphnomene nicht isoliert, sondern in ihrem Gesamtzusammen-
Geistes erkennt und mit denen sie entsprechend aufmerksam und pfleglich hang betrachtet. Dabei ist vom Wesen des Heiligen Geistes her zu fragen,
umgehen sollte. - ob die Heilung mit dem Anspruch verbunden ist, aus einer fr den
Menschen verfgbaren Methode zu resultieren;
- ob sie einhergeht mit suggestiven Praktiken, durch die Menschen
10.3 .2.2 Die Gabe der Krankenheilung manipuliert oder in Abhngigkeit gebracht werden;
- ob sie eingesetzt wird fr den materiellen Gewinn oder den Ruhm
Das Charisma, gesundzumachen, spielt in der neutestamentlichen ber- derer, die die Heilungsgabe fr sich in Anspruch nehmen;
lieferung eine groe Rolle (s. Mk 6,7-13 parr.; I Kor 12,9 u. 28;jak 5,13- - ob dabei Krankheit und Behinderung als unvereinbar mit dem christ-
16). Eine der entscheidenden Wurzeln dafr liegt zweifellos im Wirken lichen Glauben und deshalb als unannehmbar dargestellt werden.
Jesu, dessen Krankenheilungen ein integraler Bestandteil seines - geist-
gewirkten ~ Auftretens waren. Da das Wirken des Heiligen Geistes nicht Ist auch nur eine dieser vier Fragen zu bejahen, so ist aus der Sicht des
nur den Geist oder die Seele des Menschen bestimmt, sondern ~ von da christlichen Glaubens grte Zurckhaltung geboten, hier von einer Wir-
aus - auch seinen Leib, und da diese Auswirkungen heilenden Charak- kung des Heiligen Geistes zu sprechen. Damit wird die Mglichkeit sol-
ter haben knnen, erschliet sich in unserer Zeit allmhlich wieder (wenn cher Heilungen nicht in Frage gestellt, wohl aber zur Wachsamkeit bei
auch gegen Widerstand) als eine Einsicht, die lange belchelt, ignoriert ihrer Beurteilung aufgerufen. Insbesondere ist zu widersprechen, wenn
oder in den Hintergrund gedrngt wurde. Die Zusammenhnge zwischen zwischen christlichem Glauben und Krankenheilung ein notwendiger Zu-
geistigen und leiblichen Vorgngen (und damit auch die Bedeutung gei- sammenhang behauptet wird. Bestnde ein solcher Zusammenhang, dann
stigerProzesse fr Krankheit und Heilung) sind seit Urzeiten bekannt, wre Krankheit ein Indiz fr fehlenden Glauben, und der unheilbar Kran-
aber nur wenig erforscht und exakter Erforschung auch nur schwer zu- ke (der wir alle mglicherweise einmal kurz vor unserem Tod sein werden)
gnglich. Das liegt nicht zuletzt daran, da der Mensch aus ethischen , mte verzweifeln. Der trotz seines Gebetes nicht geheilte Apostel (s.
Grnden nur in ganz engen Grenzen als Objekt fr Experimente in Frage n Kor 12,7-10) ist die bleibende Erinnerung daran, da Krankenheilung
kommt. Diese schwere Zugnglichkeit fr die sog. exakte empirische eine mgliche, aber keineswegs eine notwendige Wirkung des Heiligen
Forschung hat wohl vor allem dazu gefhrt, da in der Neuzeit diese Geistes ist.
Zusammenhnge weithin ignoriert oder bestritten wurden und da
auerwissenschaftliche Methoden zu ihrer Wahrnehmung (wie z. B. Le-
benserfahrung oder Intuition) mit Skepsis beurteilt oder abgelehnt wur-
den. Damit wurde dieses Feld freilich in einem Mae sich selbst berlas-
382 Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist Die Wirkungen des Heiligen Geistes 383

10.3.2.3 Die Gabe der Zungenrede Gegenber dem Eindruck, beim Charisma der Zungenrede handele es
sich um so etwas wie eine christliche "Spitzenbegabung", ist mit Paulus
Mit dem Charisma der Glossolalie beschftigt sich Paulus ausfhrlich im daran zu erinnern, da sie den theologischen Begabungen - aber auch der
1 Korintherbrief (insbesondere in Kap. 14). Aber auch die Pfingstge- Gabe der Krankenheilung - nachzuordnen ist, weil sie nur der eigenen
schichte berichtet von einem Sprachenwunder, das teilweise (Act 2,4 u. Erbauung dient, aber nicht der Erbauung, der Ermahnung oder Trstung
13) im Sinne der Zungenrede gedeutet werden kann. Beide Befunde wren anderer Menschen (so 1 Kor 14,3 f.). Obwohl Paulus selbst das Charisma
aber keine hinreichende Begrndung fr die Thematisierung dieses Ph- der Zungenrede zuteil geworden war (I Kor 14,18), zeigt gerade seine
nomens in einer Dogmatik, wenn nicht in einem groen (und wachsen- durchschlagende Argumentation, da diesem Charisma wegen seiner feh-
den) Teil der Christenheit die Zungenrede eine zentrale Rolle spielte. lenden Bedeutung fr das geistliche Leben der christlichen Gemeinde nur
Gemeint sind die sog. pfingstlerischen und charismatischen Bewegungen, eine marginale Rolle zukommen kann.
die weltweit einen beachtlichen Zuwachs verzeichnen. Da ekstatische Phnomene im volkskirchlichen Gemeindeleben so
Mit den Begriffen "Zungenrede" oder "Glossolalie" bezeichnet man gut wie gar keine Rolle spielen, mag man als einen Mangel beklagen. Aber
das Phnomen ekstatischen Redens, Singens oder Lallens, das fr den dieser Mangel ist weit eher zu ertragen, als wenn die theologischen Bega-
Betreffenden eine intensive religise Erfahrung darstellen kann, die sich bungen nicht mehr ausreichend zu Worte und zur Geltung kmen; denn
aber an die Umgebung nicht in verstndlicher Sprache vermittelt. Es ist sie dienen dem Aufbau und der lebendigen Entwicklung der christlichen
gut nachvollziehbar; da ein solcher ekstatischer Zustand als ein zugleich Kirche.
erschreckendes und faszinierendes Mysterium wirkt, das groe Ausstrah- Was in der Auseinandersetzung mit dem Charisma der Zungenrede
lung und Anziehungskraft besitzt und als besonders intensive Gottes- ansatzweise deutlich wurde, verdient freilich - mit Paulus ~ gegenber
erfahrung verstanden werden kann. allen individuell-unterschiedlichen Charismen in Erinnerung gerufen zu
Die christliche Glaubensberlieferung bestreitet von ihren Ursprngen ,:,erden: Alle diese Charismen gehren zu dem Fragmentarischen, das
her nicht die Mglichkeit solcher Zungenrede, und sie bestreitet auch emmal aufhren wird (I Kor 13,8-10). Sie bleiben nicht, sondern sind
nicht, da solche ekstatischen Erfahrungen Wirkungen des Heiligen Gei- vergnglich. Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe (I Kor 13,13), also
stes sein knnen. Von daher erscheint es nicht nur als verstndlich, son- die Gaben, die durch das heiligende Wirken des Heiligen Geistes verliehen
dern auch als berechtigt, da von charismatischen Gruppierungen her die werden. Diese Gaben zu erlangen, ist der "bessere Weg" (I Kor 12,31),
Frage gestellt wird, ob ein Christentum, in dem solche ekstatischen Phno- verglichen mit dem Streben selbst nach den hchsten Charismen. Deren
mene nicht mehr vorkommen, nicht "geistlos" oder "geistvergessen" ge- Wert hngt vollstndig von dem ab, was durch sie an Glaube, Hoffnung
worden sei und sowohl hinter den in der christlichen berlieferung gege- und Liebe wirksam wird; denn nur dadurch sind sie Zeichen der Gegen-
benen, als auch hinter den aktuell wichtigen Ausdrucksmglichkeiten des wart Gottes, also des Heiligen Geistes.
Glaubens zurckbleibe. Wenn aus dieser kritischen Anfrage in der charis-
matischen Bewegung die Folgerung gezogen wird, der Glaube an das Evan-
gelium von Jesus Christus genge nicht, sondern bedrfe der Ergnzung
durch den sog. "zweiten Segen", nmlich die Gabe des Heiligen Geistes,
dann wird hier Richtiges und Falsches in problematischer Weise vermischt.
Nach reformatorischem Verstndnis wird der Heilige Geist mit Wort und
Sakrament gegeben und durch den Glauben an das Evangelium empfan-
gen. Die Gabe des Heiligen Geistes (im Sinne der heiligenden Wirkung) ist
keine Ergnzung zum Evangelium, sondern dessen Beglaubigung und Ver-
gewisserung. Wird hingegen die Gabe der Zungenrede zum Ausweis wah-
ren Christseins erklrt, so wird ein Moment, das zur begabenden Wirkung
des Heiligen Geistes gehrt, die je individuell-unterschiedlich ist, in unzu-
lssiger Weise verallgemeinert und zum Mastab erhoben, an dem das
Christsein anderer Menschen gemessen wird.
Begrndung und Status der Trinittslehre 385

11 Die Dreieinigkeit Gottes (Trinittslehre) 11.1 Begrndung und Status der Trinittslehre

Nicht nur im interreligisen Dialog (z. B. mit dem Judentum und dem
Islam) bereitet die Trinittslehre groe Ve.rstehens- und Verstndigungs-
schwierigkeiten, sondern fr viele Christen auch in der internen Kommu-
nikation. Dafr sind mehrere Grnde magebend:
Nachdem in den drei zurckliegenden Kapiteln (8-10) vom Sein Gottes,
von der Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus und von der Gegen- - Der Kern dieser Schwierigkeiten drfte darin bestehen, da diese Leh-
wart Gottes als Heiliger Geist die Rede war, folgt nun - als Abschlu des re von drei gttlichen Personen spricht, jedoch zugleich behauptet, es
Teiles der Dogmatik, der das Gottesverstndnis des christlichen Glaubens handele sich dabei nicht um drei Gtter oder Gottheiten, sondern nur
zum Thema hat - die Trinittslehre. Sie trgt bewut nicht die berschrift um einen einzigen Gott. Damit wird dem menschlichen Denken schein-
"Der dreieinige Gott", sondern "Die Dreieinigkeit Gottes". Damit soll bar zugemutet, zu akzeptieren, da in diesem Fall 3 = 1 ist. Da das
dem Miverstndnis gewehrt werden, als sei in den vorangegangenen offensichtlich widervernnftig ist, mu diese Lehre allem Anschein
Kapiteln von einem anderen als dem dreieinigen Gott die Rede gewesen. nach gegen eigenes Erkennen und Verstehen - im pejorativen Sinn des
Vom dreieinigen Gott und nur von ihm war die Rede - aber noch nicht Wortes - "geglaubt", also fr wahr gehalten werden. Wenn aber an
von der Dreieinigkeit, also der Trinitt. Sie mu nun thematisiert werden. einer solch zentralen Stelle die Regeln des Denkens verletzt oder mic
Schon mit dieser ersten Erluterung zur berschrift wird sichtbar, da achtet werden, wie soll es dann mglich sein, ber den Inhalt des
die Trinittslehre nicht die bisherige Themenreihe auf gleicher Ebene christlichen Glaubens berhaupt verstndlich und nachprfbar zu
fortsetzt, sondern sich (reflektierend) zurckwendet und das bisher zum kommunizieren?
Gottesverstndnis Gesagte noch einmal unter einem besonderen Aspekt Ein zweites Argument kommt hinzu: Die Trin.ittslehre ist nicht durch
beleuchtet und betrachtet. Die - kategoriale - Andersartigkeit der Tri- die biblischen Texte vorgegeben, sondern erst von der Alten Kirche in
nittslehre gegenber den vorangegangenen Teilstcken der Gotteslehre den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entwickelt worden. Zwar
wird auch dadurch deutlich, da "Sein", "Selbsterschlieung" und "Ge- gibt es in der BibeP die beiden bekannten triadischen Formeln in
genwart" offensichtlich einer anderen begrifflichen Ebene angehren als denen "Jesus Christus, Gott und Heiliger Geist" bzw. "Vater, S~hn
"Dreieinigkeit" . Letztere handelt davon, wie sich die drei Erstgenannten und Heiliger Geist" neben- und miteinander genannt werden (II Kor
zueinander verhalten, bezieht sich also auf diese, fgt sich aber nicht als 13,13 u. Mt 28,19), aber auch diese Formeln enthalten noch keine
ein gleichartiges Glied dieser Reihe an. Trinittslehre; denn sie sagen nichts darber aus, in welchem Verhlt-
Der damit gegebene besondere Status der Trinittslehre soll in einem nis Vater, Sohn und Heiliger Geist zueinander stehen. 2 Ist es aber
ersten Abschnitt bedacht werden (11.1). Dabei mu es zugleich um die tatschlich notwendig, an diesem Punkt ber die biblische Botschaft
Frage gehen, welche Grnde dafr magebend sind, da in einer christ- hinauszugehen und eine solche Lehre zu entwickeln?
lichen Dogmatik eine solche - als kompliziert und spekulativ geltende - Ein dritter Einwand sei noch genannt: Mssen wir uns nicht schon
Lehre berhaupt verhandelt wird. Der weitere Aufbau wird sich dann deshalb eine Trinittslehre verboten sein lassen, weil diese den Ver-
insofern aus dem ersten Abschnitt ergeben, als darin gezeigt werden soll, such darstellt (oder jedenfallsdarstellen knnte), in das innere Ge-
da und warum die Trinittslehre im Blick auf das differenzierte (aber heimnis Gottes einzudringen und es mittels menschlicher (aus der
einheitliche) Wirken Gottes als Lehre von der sog. konomischen Trini- antiken Philosophie bernommener) Begriffe zu entschlsseln und
tt (11.2) und im Blick auf das eine (aber differenzierte) Sein Gottes als lehrhaft darzustellen? Wenn ein Lehrstck der christlichen Dogmatik
Lehre von der sog. immanenten Trinitt (11.3) nicht nur sinnvoll, son-
dern letztlich unverzichtbar ist und wie beide Aspekte miteinander zu- 1 Neben den zahlreichen dyadischen (Gru-)Formeln, in denen Gott (der Va-
sammenhngen. ter) und Jesus Christus genannt werden: z. B. I Thess 1,1; I Kor 1,3; II Kor
1,2; Gall,3; Phill,2; Rm 1,7; Eph 1,2; ITim 1,2; IIJoh 3.
2 Anstze zu einer solchen Verhltnisbestimmungfinden sich jedoch z. B. Joh
15,26, wo vom "Geist der Wahrheit" gesagt wird, er gehe vom Vater aus,
werde vom Sohn gesandt und gebe von ihm Zeugnis.
386 Die Dreieinigkeit Gottes
Begrndung und Status der Trinitts/ehre 387

nicht nur als lebensfern, abstrakt und kompliziert, sondern berdies


"ouala") legt diese Frage nahe, sondern schon die Bezeichnung Gottes als
noch als hybrid erscheint, dann ist es die Trinittslehre.
" Vater" (des ewigen Sohnes) und die Bezeichnung Jesu Christi als "Sohn"
Lt sich angesichts so massiver Einwnde noch die Legitimitt oder (des ewigen Vaters}.4 Durch die Erkenntnis der Gttlichkeit (auch) des
gar die Notwendigkeit der Trinittslehre begrnden? Inwiefern kann die H~iligen Geistes verndert sich diese Problemstellung nicht qualitativ,
Trinittslehre den genannten Bedenken Rechnung tragen, und was folgt wird aber komplexer. Denn nun stellt sich (auch) im Blick auf den Hei-
daraus fr ihre inhaltliche und begriffliche Gestaltung? Darum soll es im ligen Geist die Frage, ob er wesenseins mit dem Vater (und dem Sohn) ist,
folgenden gehen. und was dies fr die Frage nach der Einzigkeit Gottes bedeutet.
Die Trinittslehre wird dadurch, aber auch nur dadurch fr den christ-
lichen Glauben notwendig, da sowohl die Behauptung der Gttlichkeit
11.1.1 Die Begrndung der geschichtlichen Jesu Christi und des Heiligen Geistes, als auch das Festhalten an der
Notwendigkeit der Trinittslehre Einzigkeit Gottes fr den christlichen Glauben notwendig ist. Beides er-
gab sich bereits (implizit und explizit) in den hinter uns liegenden Errte-
Ich spreche hier bewut nur von einer geschichtlichen Notwendigkeit, rungen der Theo-Iogie, Christologie und Pneumatologie. Wir knnen uns
nicht von einer absoluten Notwendigkeit. Das geschieht nicht nur, um den deshalb hier relativ kurz fassen:
Eindruck zu vermeiden, die christliche Theologie in den ersten drei bis vier Htte die Person Jesu Christi nicht am Wesen Gottes teil wre sie also
Jahrhunderten, die noch keine vollstndige Trinittslehre ausgebildet nicht eines Wesens mit Gott, '
hatte, sei deswegen defizitr gewesen; die Behauptung einer bloen ge-
schichtlichen Notwendigkeit erfolgt auch aus sachlichen Grnden, die - dann wre in Jesus Christus nicht die Gottesherrschaft nahe gekom-
men;
sich bereits aus dem bisher Gesagten ergeben: Die Trinittslehre ist ein
nachtrgliches Reflexionsprodukt, das die Rede von Gott (und zwar vom - dann wre er nicht der Mittler (Offenbarer, Vershner und Erlser)
zwischen Gott und Mensch;
dreieinigen Gott) schon voraussetzt und sich auf sie bezieht. Sie expliziert
- dann htte er keine konstitutive Heilsbedeutung.
etwas, das implizit im rechten Reden von Gott bereits enthalten ist. Die
Notwendigkeit zu dieser Explikation ergibt sich innerhalb des geschicht- Ebenso gilt: Htte der Heilige Geist nicht am Wesen Gottes teil wre
lichen Kommunikations- und Reflexionsprozesses angesichts neu auftau- er also nicht eines Wesens mit Gott, '
chender Fragestellungen und mglicher Miverstndnisse. 3
- dann wre in ihm nicht Gott beim Menschen gegenwrtig;
Fragt man genauer, warum sich die Notwendigkeit zu solcher Expli-
dann wre er nicht die Selbstgabe Gottes;
kation ergibt, so lt sich '- historisch wie sachlich - sagen: Sie ergibt sich
- dann htte auch er keine konstitutive Heilsbedeutung.
aus der Erkenntnis, da in Jesus Christus Gott selbst dem Menschen nahe
kommt; anders gesagt: da der Mensch es in Jesus Christus mit dem A.ber wenn durch diese Aussagen die Einzigkeit Gottes aufgehoben
Wesen Gottes selbst zu tun bekommt. Die Wesenseinheit Jesu Christi mit oder m Frage gestellt wrde, dann hrte nicht nur Gott auf, Gott zu sein:
Gott, die christologisch durch den Sohnestitel (aber auch durch den Titel das,. "quo maius cogitari nequit" (s. o. 7.1.2.1), sondern dann wreJesus
"KUpIOS") zum Ausdruck kommt, weckt aufgrund ihrer christologischen ChriStuS gleichfalls nicht Mittler zwischen Gott und Mensch und der
Explikation die Frage, ob damit nicht die (monotheistische) Grundein- Heil~ge Geist w~e gleich(alls nicht Gottes Selbstgabe, denn da~n begeg-
sicht von der Einzigkeit Gottes preisgegeben ist oder zumindest zweifel- nete mJesus Chnstus und 1m Heiligen Geist ja nicht Gott, sondern nur ein
haft wird. Gott, also gerade nicht der "Vater", sondern "nur" der Sohn oder der
Nicht erst die Bezeichnung des Vaters und des Sohnes als unterschied- Heilige Geist.
liche "Seinsweisen" (griech.: ,,\/TIOCJT6:aEIS") gleichen" Wesens" (griech.:
4 An den Anfngen der Christologie kann man anschaulich studieren wie die
3 Insofern stellt die Trinittslehre ein Analogon Zur Christologie dar, die-
Alte Kirche mit dem Problem ringt, die Gttlichkeit Jesu Christi als des
geschichtlich - notwendig wurde, als Jesus nicht mehr irdisch-leibhaft gegen-
Sohnes .festzuhalten, ohne damit die Einzigkeit Gottes preiszugeben. Sie ver-
wrtig war, und die die Aufgabe hatte, die in Verkndigung, Wirken und
s~cht ~les vor allem durch Ausbildung der sog. Logos-Christologie, die der
Geschick Jesu implizit vorhandene Christologie zu explizieren.
Uberwmdung des adoptianischen und des modalistischen Irrwegs dient.
388 Die Dreieinigkeit Gottes Begrndung und Status der Trinitts/ehre 389

Aus diesen knappen berlegungen, die sich unschwer erheblich aus- stin und Ambrosius geprgten sog. Athanasianum mit seiner refrainartig
weiten lieen, ergibt sich fr den christlichen Glauben fraglos die Not- wiederholten Formel: "et tarnen non tres ..., sed unus ... " (BSLK 28 30-
wendigkeit, sowohl die Gttlichkeit Jesu Christi und des Heiligen Geistes 29,9). Freilich, auch das Athanasianum fhrt nicht hinaus ber ein' Ei-
zu behaupten, als auch an der Einzigkeit Gottes festzuhalten. Folglich ne:seits --: ~ndererseits".6 Es zeigt nicht (jedenfalls nicht explizit), ':.vie
ergibt sich hieraus auch irt einer geschichtlichen Situation, in der dies in beldes mitemander gedanklich vereinbart und darum gleichzeitig gesagt
Frage gestellt oder bestritten wird, die Notwendigkeit, die Dreieinigkeit werden kann.
Gottes theologisch zu reflektieren und lehrhaft darzulegen, also die Not- Es ist lngst erkannt und von vielen ausgesprochen worden warum
wendigkeit der Trinittslehre. d.ie.altkirchliche Trinittstheologie sich schwertat, die Einzigkeit des drei-
emigen Gottes gedanklich klar zum Ausdruck zu bringen. Zumindest ein
wesentlicher Grund dafr liegt in der verwendeten Terminologie. Insbe-
11.1.2 Die' Trinitts lehre als Theorie sondere die Benutzung des Personbegriffs (griech.: "TIpoO"WTIOV"; lat.:
reflektierten Redens von Gott "persona") fr "Vater, Sohn und Heiligen Geist"? erschwert es aueror-
dentlich, die Einheit und Einzigkeit Gottes festzuhalten. Das gilt auch
Aus den berlegungen des vorigen Unterabschnitts (11.1.1) ergibt sich dann, wenn man den antiken Personbegriff vom neuzeitlichen Begriff der
nun auch, welchem Zweck die Trinittslehre dient, und welche Funktion Person oder Persnlichkeit deutlich unterscheidet und wenn man den
sie erfllt: Sie soll die Gtt:lichkeit Jesu Christi und des Heiligen Geistes Personbegriff grundstzlich als relationalen Begriff denkt. 8 Der Begriff
mit der Einzigkeit Gottes zusammendenken. Damit schliet sie von vorn- "Person" ist fr uns stets mit Subjektivitt, Bewutsein, Wille verbunden
herein alle Theorien aus, die Jesus Christus oder den Heiligen Geist als und bezeichnet damit eine eigenstndige, selbstbewute Instanz (s. o.
lediglich gotthnlich (und nicht als wesenseins mit Gott) denken. Ebenso 8.1.2). Wird der Personbegriff in der Gotteslehre ausschlielich auf "Va-
schliet sie alle Theorien aus, die Jesus Christus oder den Heiligen Geist ter, Sohn und Heiligen Geist" in ihrem Miteinander und Gegenber an-
als eigenstndige gttliche Subjekte neben Gott denken. Zur Abwehr des g~wandt (und nicht auf Gott im Gegenber zur Welt9 ), so entfallen zwar
erstgenannten Irrtums, der sich kirchen- und dogmengeschichtlich mit dIe Argumente, die in der Theo-Iogie gegen eine Verwendung des Person-
dem Namen des Arius verbindet, hat die Alte Kirche sich in Nicaea (325) b~griffs in seiner wrtlichen, direkten Bedeutung sprechen, aber es bleiben
auf den Begriff "ol-\ooveY!os" verstndigt und festgelegt, der sich zunchst dIe Argumente in Kraft, die darin eine Infragestellung der Einheit und
nur auf den "Vater" und den "Sohn" bezieht, spterS auch den Heiligen Einzigkeit Gottes sehen (vgl. dazu u. 11.3).
Geist mit einbezieht.
Nicht so eindeutig ist es hingegen gelungen, die Einzigkeit Gottes in
einer Formel auszudrcken und gegen tritheistische Tendenzen festzu-
6 "Quia sicut singillatim unamquamque personam et Deum et Dominum
halten. Gerade dort, wo das Nicaenum (und das Nicaeno-Constan-
confiteri christiana veritate compellimur, ita tres Deos aut Dominos dicere
tinopolitanum) von dem einen Gott spricht (;,Dl<JTevol-\ev eis Eva 8eov") catholica religione prohibemur." Dt.: "Denn gleichwie wir mssen nach
wird die Einzigkeit Gottes eher verdunkelt als herausgestellt, weil dem christlicher Wahrheit eine jegliche Person fr sich Gott und HERrn beken-
einen Gott der eine Herr Jesus Christus, als der Sohn Gottes, an die Seite nen: Also knnen wir im christlichen Glauben nicht drei Gtter oder drei
gestellt wird ("Kai eis Eva KVplOV 'ITlO"ovv XPIO"TOV, TCV V1CVTOV 6eov"). In HERRN nennen" (BSLK 29,10-14).
hnlicher Form wird der Heilige Geist als dritte Gre additiv hinzugefgt 7 Ich verw~nde diese gngige Formel hier und im folgenden in Anfhrungszei-
("Kai eis TC &ylOV TIveVl-\a" bzw. "Kai eis TC TIVeVl-\aTO &ylOV, TC KVplOV Kai ~he~, weIl e.rst noch zu prfen ist, was mit dieser Formel genau gemeint ist und
l;WOTIOIOV"), ohne da es (jedenfalls im Nicaenum oder im Nicaeno- InWIefern sie als angemessen bezeichnet werden kann.
Constantinopolitanum) darber hinausgehende Aussagen ber die Ein- 8 So z. B. programmatisch]. MoltmanIi.,Trinitt und Reich Gottes, S. 162-168
u. 187-193. '
heit und Einzigkeit Gottes gbe. Diese finden sich erst in dem von Augu- 9 Tillich macht..;. freilich in einer kuriosen Formulierung (" Gott wurde erst im
19. ]a~rhundert eine Person ... ") - darauf aufmerksam, da der Personbegriff
5 Im Gefolge derpneumatologischen Erweiterung des Nicaenum durch das erst seit ~em 19. Jahrhundert auf Gott (in seiner Beziehung zur Welt) ange-
Konzil von Konstantinopel (381); explizit im sog. Athanasianum (BSLK wandt WIrd, whrend er frher in der Gotteslehre nur als innertrinitarischer
28,10 ff.). Begriff eine Rolle spielte (STh I, S.283).
390 Die Dreieinigkeit Gottes Begrndung und Status der Trinitts/ehre 391

Nun verwendet die altkirchliche Theologie neben dem Begriff Wesen des Gottes, der als Schpfer der Welt der Grund alles Daseins ist
"TIpoCYWTIOV" auch den Begriff ,,\J1ToCYTaCYIS" (dt.: "Hypostase" oder den darum alle Kreaturen mit ihrem Dasein bezeugen. '
"Seinsweise"; so z. B. DH 112,421) als quivalent fr "persona", um Der hier erkennbar werdende Verweisungszusammenhang, der sich
"Vater, Sohn und Heiligen Geist" in ihrer Unterschiedenheit und jewei- vom Akt des Glaubens her erschliet, kann nun aber auch mit gutem
ligen Besonderheit (bei identischem Wesen) zu bezeichnen. Der Begriff Grund --' gewissermaen in umgekehrter Reihenfolge - in Gestalt der
"Seinsweise" ist weniger festgelegt und nicht so mit der Vorstellung einer Seinsordnung (so, wie wir sie erkennen!) dargestellt werden. Dann ist das
selbstbewuten Instanz verbunden wie der Personbegriff. Er eignet sich schpferische Wirken Gottes das erste in der Reihe seiner Werke dem die
deshalb weitaus besser, um die Unterschiedenheit zwischen "Vater, Sohn Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus folgt und das in der 'Glauben
und Heiligem Geist" auszusagen, ohne damit schon terminologisch die erweckenden Selbstgabe Gottes als Heiliger Geist zu seinem (inner-
Einheit und Einzigkeit Gottes in Frage zu stellen. lo geschichtlichen) Ziel kommt. Fr diese Folgeordnung des gttlichen Wir-
Die Trinittslehre hat also die Funktion, dazu anzuleiten, da von den kens im Sinne einer Heilsgeschichte hat die Alte Kirche l l den Begriff der
drei Seinsweisen Gottes, von denen in den letzten drei Kapiteln die Rede "oIKovoj..da" (dt.: "konomie") gewhlt.J2 Darin spricht sich die Einsicht
war, so gesprochen wird, da dabei weder deren gttliches Wesen noch au~, da die Trinittslehre - zumindest auch - das heilsgeschichtliche
die Einheit und Einzigkeit Gottes in Frage gestellt werden. Die Trinitts- WIrken Gottes zum Ausdruck bringen mu, und zwar unter den fr die
lehre erfllt diese Funktion jedoch solange nur in unzureichender Form, Trinittslehre generell gltigen beiden Aspekten, da alle Werke Gottes
als sie lediglich diese Grenzziehungen markiert und einschrft, ohne zu- i~ ~ollen und unei?-geschrnkten Sinn an seinem gttlichen Wesen parti-
gleich zu klren, wie beides gedanklich miteinander vereinbart und so zIpIeren und da die Vielfalt der Werke die Einheit und Einzigkeit Gottes
auch verstanden werden kann. Diese Aufgabe steht noch vor uns. nicht aufhebt. Dabei steht gerade die konomische Trinittslehre die von
der Vielfalt der Werke Gottes ausgeht, vor der Aufgabe, zu zei~en, da
durch diese Vielfalt die Einheit und Einzigkeit Gottes nicht aufgehoben
11.1.3 Die Unterscheidung zwischen wird. Die Vielfalt mu folglich als Vielfalt innerhalb der Einheit und
konomischer und immanenter Trinittslehre Einzigkeit Gottes gedacht werden.
Von da aus stellt sich aber weiter die Aufgabe, zu klren, wie unter
Geschichtlich und sachlich nimmt die Trinittslehre - als menschliche Voraussetzung der Einheit und Einzigkeit Gottes eine Vielfalt oder Diffe-
Denkbemhung - zu Recht ihren Ausgang bei dem Wirken Gottes, durch renzierung in Gott berhaupt gedacht werden knnte. Das ist das Thema
das er dem Menschen begegnet. Der Zugang zu dieser Lehre erschliet der sog. immanenten Trinittslehre, die die inneren trinitarischen Relatio-
sich dort am leichtesten, wo Menschen die Erfahrung machen, da sich nen von "Vater, Sohn und Geist" reflektiert.
das Vertrauen auf Gott, das ihr Leben bestimmt, nicht ihrem eigenen Schon aus den bisherigen Formulierungen ist deutlich geworden, da
Entschlu oder ihrer eigenen Leistung verdankt, sondern in ihnen durch die sog. konomische und die sog. immanente Trinittslehre in einer ganz
das Wirksamwerden einer Kraft geweckt wurde und immer wieder ge- e~g~n Beziehung zueinander stehen. Sie ergnzen sich nicht nur gegen-
weckt wird, die sie unter Inanspruchnahme christlicher Symbole als" Geist seItig und mssen deswegen untereinander konsistent sein, sondern sie
Gottes" oder "Heiligen Geist" deuten und verstehen knnen. Die Ent- behandeln ein und dasselbe Thema nur unter verschiedenen Aspekten.
stehung des Glaubens wird auf diese Weise verstehbar als ein Geschehen, Von daher erscheint es nicht nur als zulssig, sondern als wichtig, die
das allein von Gott her ermglicht ist, und zwar dadurch, da in einem
Menschen Gewiheit entsteht. Diese Gewiheit bezieht sich auf etwas 11 In Anknpfung an den biblischen Sprachgebrauch, wie er sich Eph 1,10 u.
Bestimmtes, nmlich darauf, da Gott sich in Jesus Christus zum Heil des 3,9 sowie I Tim 1,4 findet.
Menschen erschlossen hat. Inhalt dieser Gewiheit ist also das Evange- 12 Neuerdin~s hat F. Mildenberger inseinem Werk "Biblische Dogmatik" den
lium von Jesus Christus. Dieser Inhalt verweist aber seinerseits auf das Begriff "Okonomie" wieder programmatisch verwendet und ihm (als Ersatz-
begriff fr "Offenbarungstheologie") eine fr seine ganze Dogmatik struktur-
gebende Fun~tion zugetraut. Ob dies angesichts der allgemeinen Gleichset-
10 Der Begriff "Seinsweise" als quivalent fr "Hypostase" und als Ersatz fr zung von "Okonomie" mit "Wirtschaft(swissenschaft)" zur intendierten
"Person" ist insbesondere durch die Trinittslehre K. Barths zu breiter Wir- greren begrifflichen Genauigkeit in der theologischen Diskussion (so Bd. 1,
kung gebracht worden. Vgl. KD 1/1, S. 374-388. S. 231) beitragen kann, mu erst abgewartet werden.
392 Die Dreieinigkeit Gottes Die konomische Trinitt als immanente Trinitt 393

inhaltliche Gleichsetzung von konomischer und immanenter Trinitt zu - Gott redet durch die Propheten,
vertreten, wie K. Rahner dies in seiner bekannten These getan hat: "Die - Gott offenbart sich in Jesus Christus,
konomische' Trinitt ist die immanente Trinitt und umgekehrt. "13 Die - Gott sendet seinen Geist,
in diesem Satz enthaltene Doppelaussage soll in den beiden folgenden - Gott schafft Glaubensgewiheit,
Abschnitten unter den theologischen Voraussetzungen dieserDogmatik - Gott sammelt und erhlt die Kirche,
expliziert werden. - Gott vollendet seine Schpfung.
Diese Aufzhlung liee sich ohne Mhe ergnzen und wrde dadurch
noch reichhaltiger und unbersichtlicher. Aber schon in der vorliegenden
11.2 Die konomische Trinitt als immanente Trinitt einfachen Form ist nicht zu erkennen, wie man hier strukturieren und
ordnen knnte und wie sich dabei eine Dreiteilung ergeben sollte.
Wenn wir zu zeigen versuchen, inwiefern die konomische Trinitt als Eine klassische Mglichkeit der Unterscheidung und Zuordnung bil-
immanente Trinitt gedacht werden kann, so mssen wir drei gedankliche det die reformatorische Lehre von den zwei Regimenten, d. h. Regier-
Schritte vollziehen: Zunchst ist zu zeigen, da und wie die verschiedenen weisen Gottes. 15 Demnach wre zu unterscheiden zwischen dem Wirken
Werke Gottes verschiedenen Wirkweisen Gottes zuzuordnen sind (11.2.1); Gottes, das auf die Erlsung der Welt gerichtet ist, und dem Wirken
sodann ist zu bedenken, inwiefern von den verschiedenen Werken Gottes Gottes, das (nur) der Erhaltung der Welt dient. Diese wichtige und lei-
gesagt werden kann, sie bildeten eine Einheit (11.2.2); schlieli~h ist zu stungsfhige Unterscheidung ist fr unsere Fragestellung jedoch unzurei-
reflektieren, wie diese Deutung der Trinitt mit den Aussagen uber das chend, da sie begrenzt ist auf das (inner-)geschichtliche Wirken Gottes,
Sein, die Selbsterschlieung und die Gegenwart Gottes (Kap. 8-10) ge- also weder die Schpfung noch die eschatologische Neuschpfung der
danklich verbunden werden kann (11.2.3). Welt umfat. Auerdem ist in ihr das Wirken des Heiligen Geistes nur
schwer unterzubringen. Gehrt es als ein Element zum erlsenden Wirken
(z. B. neben der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus), oder bezieht
11.2.1 Die Zuordnung des gttlichen es sich insgesamt auf das erlsende Wirken (indem es dieses fr das
Wirkens zu verschiedenen Wirkweisen Gottes menschliche Erkennen erschliet), oder bezieht es sich auch auf das erhal-
tende Wirken Gottes, wie dies z. B. viele alttestamentliche Aussagen ber
In dem Abschnitt, der vom Wirken Gottes handelte (s. o. 8.3), wurde den Geist Gottes nahelegen?
nicht erkennbar da es angemessen sein knnte, dieses Wirken in genau Ein anderes Einteilungsschema besteht in der Unterscheidung zwi-
drei Gruppen oder Teile zusammenzuordnen.l 4 Zhlen wir ~ie W~rke schen dem schpferischen Wirken ("als Existenzbegrndung"), dem of-
Gottes auf die von der Bibel bezeugt werden, so kommen WIr zu emer fenbarenden Wirken ("als Erschlieung der Wahrheit ber das Verhlt-
(heilsgeschichtlichen) Reihung, die zumindest folgende Elemente enthlt: nis Gottes des Schpfers zu seiner begnadigten Schpfung") und dem
Gott erschafft und erhlt die Welt, inspirierenden oder erleuchtenden Wirken Gottes ("als Ermglichung
- Gott lenkt die Geschichte, von Gewiheit in bezug auf die Wahrheit der Konstitution der Wirklich-
keit")16. Das Leistungsfhige dieser Unterscheidung besteht darin, da
hier zwischen drei Formen des gttlichen Wirkens de facto kategorial
13 Bemerkungen zum dogmatischen Traktat ,De Trinitate', .in: ders., Schriften
zur Theologie, Bd. IV, 1964\ S. 115. Die Berufung auf ~Iese These Rahn.ers
besagt nicht, da die folgende Interpretation der These mIt der Interpretation 15 Vgl. zu dieser Lehre und zu dem Eegriff "Regierweisen" die beiden Bnde
Rahners identisch ist. "Gottes Wirken in seiner Welt" (=Zur Sache, Heft 19 u. 20). Hg. N.
14 Aus den abschlieenden Bemerkungen in Abschn. 8.3.3 wurde jedoch schon Hasselmann, Hamburg 1980, bes. Bd. II, S. 162-172 sowie meinen Aufsatz
deutlich da unter der berschrift "Gottes Wirken" (8.3) dort faktisch nur "Die Zwei-Regimenten-Lehre als Lehre vom Handeln Gottes", in: MJTh I,
ein Aus;chnitt behandelt wurde, der zu ergnzen ist durch "Das Heilswerk 1987, S. 12-32.
Jesu Christi" (9.3) und "Die Wirkungen des Heili~en Geist~s" .(10.3). Erst in 16 So Chr. Schwbel, Die Rede vom Handeln Gottes im christlichen Glauben, in:
dieser Trias von "Wirken", "Heilswerk" und "Wlrkungen wIrd das erfat, MJTh I, 1987,S. 56-81. Die in den Klammern wiedergegebenen Zitatestam-
was hier mit "gttlichem Wirken" gemeint ist. men aus diesem Aufsatz S. 70.
Die Dreieinigkeit Gottes Die konomische Trinitt als immanente Trinitt 395
394

unterschieden wird. Fat man "Existenzbegrridung" nicht zu eng, son- Dabei erkennt das Subjekt reflektierend, da alle drei Aspekte dieses
dern im Sinne von Wirklichkeitsbegrndung", so erscheint mir die hier Prozesses nicht von ihm und (letztlich) auch von keinem anderen endli-
vorgeschlagene Tri;s als ein leistungsfhiges, umfassen~es Modell. ~ine chen Subjekt hervorgebracht sind, sondern als ("dreifaltiges") Wirken
Schwche dieses Vorschlags scheint mir nur darin zu hegen, da mcht Gottes verstanden werden mssen.
deutlich genug der kategoriale Charakter dieser Unterscheidung zur Gel- Gegen diesen Deutungsansatz lassen sich zwei Einwnde erheben:
tung gebracht wird, indem immer wieder von "drei.Typen:'!? de~ Ha~ Man knnte einerseits sagen, es gebe (von Gott geschaffene) Wirklichkeit,
delns oder Wirkens Gottes die Rede ist, denen ledIghch eme "emheIt- die als solche noch nicht die Wahrheit ihres gttlichen Ursprungs offen-
liche Intentionalittsstruktur"18 zuerkannt wird, aber keine reale Ein- bare und das erkennende Subjekt noch nicht dessen gewi mache. Zumin-
dest in dieser Hinsicht mten also doch drei Typen von Handlungen
heit. 19
Gottes unterschieden werden:
- nur schpferische,
11.2.2 Die Einheit des gttlichen Wirkens
- schpferische und zugleich offenbarende,
- schpferische, offenbarende und zugleich erleuchtende.
Was besagt es, wenn schpferisches, offenbarendes und erleuchtendes
Wirken Gottes als reale Einheit verstanden wird, an der (nur) in katego- Aber wir sahen bereits: Dieser Einwand basiert seinerseits auf einem
rialer Hinsicht Unterscheidungen vorzunehmen sind? Es besagt, da nicht abstrakten, unterbestimmten Verstndnis des Wirkens Gottes, bei dem
drei Arten oder Typen gttlichen Wirkens zu unterscheiden sind, sondern das erkennende Subjekt ausgeblendet ist. Bezieht man es ein, so kann zwar
drei Aspekte oder Dimensionen oder Facetten an jedem Wirken Go~es. im Blick auf andere Subjekte u. U. gesagt werden, da sich ihnen ein
Das wird freilich erst dann plausibel, wenn man das erkennende SubJekt, bestimmtes Element der Wirklichkeit (noch) nicht als Wirken Gottes
das vom Wirken Gottes spricht, nicht auer acht lt, sondern konsti- erschlossen habe - aber dann eben auch nicht als (blo) schpferisches
tutiv mit einbezieht. Das ist nicht nur generell zu fordern, um einer Wirken. D. h.: Entweder hat sich ein Geschehen einem Subjekt als Wirken
abstrakten Betrachtungsweise vorzubeugen, sondern auch speziell in ei- Gottes erschlossen, dann als schpferisches, offenbarendes und er-
ner Trinittslehre zu bercksichtigen, die nur theologisch verantwortet leuchtendes Wirken; oder ein Geschehen hat sich einem erkennenden
werden kann wenn sie als Theorie reflektierten Redens von Gott (s. o. Subjekt (noch) nicht als Wirken Gottes erschlossen, dann nicht als er-
11.1.2) verst~nden wird~ Aus der Sicht des erkennenden Subjekt~ stellt leuchtendes, dann aber auch nicht als offenbarendes und schpferisches
sich alles also auch das Wirken Gottes als einZeichenproze dar, m dem Wirken. Deshalb bleibt es dabei: Wo sich Gottes Wirken einem Subjekt
ein Elem~nt der Wirklichkeit (z. B. eine Eigenschaft, eine Person oder ein erschliet, da eignen diesem Wirken alle drei genannten Aspekte.
Ereignis) als (durch sein Dasein und Sosein) auf Gott weisen~ (von einem Der andere mgliche Einwand bestnde in der Bestreitung der Not-
Subjekt) erkannt und gedeutet wird. An jedem solchem ZeIchenproze wendigkeit eines Elementes der Wirklichkeit als ueres Zeichen (s. dazu
lassen sich folgende drei Aspekte unterscheiden: 0.3.1.2.3). Wre dieser Einwand stichhaltig, so entfiele damit die Dimen-
sion des schpferischen Wirkens, konsequenterweise dann freilich auch
_ schpferisches (= wirklichkeitsbegrndendes) Wirken,
des offenbarenden Wirkens, das sich ja (wirklichkeitserschlieend) auf
offenbarendes (= wirklichkeitserschlieendes) Wirken und
das schpferische Wirken bezieht. Was brigbliebe, wre allem Anschein
_ erleuchtendes (= gewiheitschaffendes) Wirken.
nach lediglich das erleuchtende, gewiheitschaffende Wirken Gottes als
Dieser Proze den wir mit dem Begriff "Wirken Gottes" benennen, solches. Aber was fr eine Gewiheit knnte es schaffen? Gewiheit
kommt zum Ziel i~ der Gewiheit eines Subjekts: "Das hat Gott gewirkt." bezieht sich doch immer auf Wahrh~it und diese auf Wirklichkeit. So
wrde sich eine isolierte Gewiheit als leere Gewiheit erweisen. Auch
eine solche Abstraktion erweist sich also als inkonsistent.
17 A.a.O., S. 70 f. u. 78. So bleibt es dabei, da jedes Wirken Gottes, von dem sinnvoll gespro-
18 A.a.O., S. 78. . chen werden kann, drei Aspekte aufweist, die mit den Begriffen schp-
19 Erst wenn letzteres gelingt, kOrnnIt aber ffi. E. Schwbels Intention voll zur ferisches, offenbarendes und erleuchtendes Wirken bezeichnet werden
Geltung, "Gott als einheitliches Handlungssubjekt zu identifizieren" (a.a.O.,
knnen.
S.78).
396 Die Dreieinigkeit Gottes Die immanente Trinitt als "konomische" Trinitt 397

11.2.3 Das Wirken des dreieinigen Gottes tizipiert uneingeschrnkt an seiner Gttlichkeit und an seiner Einheit. Das
ab~r kann wohl nur dann ohne Abstriche festgehalten werden wenn
Zwischen den drei aufgezeigten Aspekten des Wirkens Gottes (als schp- ZWIschen denWir~weisen Gottes nicht quantitativ oder qualitativ, son-
ferisches, offenbarendes und erleuchtendes Wirken) und der "heils- dern \nur) k~tegorzal (s. 0.2.3.2.1) unterschieden wird. D. h.: Die gttli-
geschichtlichen" ("konomischen") Abfolge der Werke Gottes, wie sie c?e bebe wIrkt schpferisch (d. h. Leben schaffend), offenbarend (d. h.
etwa in den drei Artikeln des Apostolischen und Nicaenischen Glaubens- s~ch selbst erschlie~end) und erleuchtend (d;h. gewimachend und inspi-
bekenntnisses angedeutet wird, scheint eine Affinitt zu bestehen. Ja, im rIerend), undzwa~ zmmer. und berall, wo sie wirkt, so da gesagt werden
Bewutsein vieler Christen ist vermutlich die Unterscheidung zwischen kann und mu: DIese dreI Aspekte sind stets am Wirken Gottes zu unter-
Gottes Wirken in der Schpfung, seinem Vershnungswerk in Jesus Chri- scheiden, .aber nie voneinander zu trennen. In diesem Sinne geschieht
stus und seinem (erleuchtenden und inspirierenden) Wirken als Heiliger Gottes WIrken auf dreieinige, also trinitarische Weise.
Geist das plausibelste Erklrungsmodell fr die Trinittslehre~ Und doch
fhrt dieser Zugang eher in die Irre.
Bereits die altkirchliche und mittelalterliche Theologie hat im Blick 11.3 Die immanente Trinitt als " konomische " Trinitt
auf die Beziehung zwischen dem dreifachen Wirken und dem dreieinigen
Sein Gottes den Grundsatz formullert, es knne sich dabei nur um Mit dieser berschrift greife ich noch einmal die programmatische For-
Appropriationen (= Zueignungen oder Zuordnungen) handeln, die nach mel von K. Rahner in ihrer vollstndigen Form auf: Die konomische'
dem Prinzip der hnlichkeit oder Affinitt erfolgen, aber niemals den Trinitt ist die immanente Trinitt und umgekehrt: ,;' Dabei geht es nun
Charakter von exklusiven Gleichsetzungen, oder Identittsaussagen ha- um das (gelegentlich bersehene) "und umgekehrt". Zugleich schliee
ben. 20 Das besagt: Zwischen den Aussagen ber Gott als den "Vater" (s. ic~ mich jetzt noch enger an den Wortlaut der Formel an, indem ich nun _
23
u. 11.3.1) und denen ber das schpferische Wirken Gottes besteht eine WIe Rahne.r - d~s Adjektiv "konomisch(e)" in Anfhrungszeichen
Affinitt, die es erlaubt, den Aspekt der Vterlichkeit und Mtterlichkeit setze. DamIt trage Ich der im vorigen Abschnitt entfalteten Einsicht Rech-
Gottes vorrangig mit dem schpferischen Wirken Gottes in Beziehung zu nung, da auf das differenzierte (aber einheitliche) Wirken des dreieini-
setzen. Dasselbe gilt fr die Aussagen ber Gott als den "Sohn" (s. u. ?en .Gottes A~sdr~ke wie "konomisch"oder "heilsgeschichtlich" nur
11.3.2) in bezug auf das offenbarende Wirken Gottes und fr die Aussa- I~ emem ~neigentlIchen Sinn angewandt werden knnen, weil es sich
gen ber Gott als den Geist(s. u. 11.3.3) im Blick auf das erleuchtende nicht um. em~ (geschichtliche) Abfolge von Werken handelt, sondern um
Wirken Gottes. unterschIedlIche Aspekte an dem einen, unteilbaren Wirken Gottes (nach
Aber all dies wird falsch und gefhrlich, wenn es im Sinne einer auen).
exklusiven Verbindung verstanden wird, die dazu fhren wrde, da die War~m is~ e~ dann aber berhaupt noch sinnvoll oder gar theologisch
unterschiedlichen Aspekte des Wirkens Gottes ausschlielich je einer notwendIg, dIe Immanente Trinitt als "konomische" Trinitt zu den-
Wirk- oder Seinsweise Gottes zugeordnet wrden. Auf dem Umweg ber ken und zur Sprache zu bringen? Reicht es nicht aus, die Einheit des
eine solche exklusive Zuordnung bestnde die Gefahr, da die Einheit des
Seins undWirkensGottesund damit dieunreduzierte Gttlichkeit seiner
Werke aus dem Blick geriete oder in Frage gestellt wrde. Dem hat die Alte
Kirche durch den im Anschlu an Augustin21 entwickelten trinitts- ~ache nach auf dem Konzil von Toledo (675): "lnseparabiles enim inveniuntur
theologischen Fundamentalsatz gewehrt: "Opera trinitatis adextra sunt m eo ... quod faciunt" (DH 531).
indivisa"22. Damit ist nicht nur gesagt, da das Wirken des dreieinigen 23 In der zitierten Fassung und auch an anderen Stellen seines Aufsatzes setzt
Gottes ungeteilt, sondern da es unteilbar ist: Jedes Wirken Gottes par- Rahner das Wort "konomisch" in Anfhrungszeichen. Das knnte so wir"
ken, als gebrauche (auch) er dieses Wort nur in einem uneigentlichen Sinn.
Rahne~ begr~det ~edoch nicht den Gebrauch der Anfhrungszeichen, ja er
20 S. dazu die knappe, informative bersicht bei K. Barth, KD I/1, S. 393-395. kann sie auch m semem Aufsatz gelegentlich weglassen (so a.a.O., S. 123 u.
21 De trinitate 1,4: "Sicut inseparabiles sunt, ita inseparabiliter operantur". 1.28), und er vertritt pointiert die Auffassung: "Je weniger eine Trinittslehre
22 Wann und wo diese Formel erstmals in diesem Wortlaut auftaucht, konnte ich ~Ich scheut, heilskonomisch zu sein, um so mehr hat sie Aussicht von der
nicht eruieren. Als kirchliche Lehrentscheidung findet sie sich jedenfalls der Immanenten Trinitt das Eigentliche zu sagen ... " (a.a.O., S. 129).
398 Die Dreieinigkeit Gottes
Die immanente Trinitt als " konomische " Trinitt 399
gttlichen Wirkens auszusagen? Das reicht deshalb nicht au~, weil ~o d~e
dem im zweiten (und dritten) Artikel die Rede ist. Es handelt sich also um
Einheit des gttlichen Wirkens nicht als in sich differenz/~rte Emheit
eine Bekenntnisaussage ber die immanente Trinitt. 24 Welche denkeri-
gedacht wrde. Aber gerade dies ist im Blick auf die unterscheidende Rede
schen Probleme damit verbunden sind, wird schon dadurch deutlich, da
vom Sein, von der Selbsterschlieung und von der Gegenwart Gottes
(nur) der "Vater" in diesen Bekenntnissen zugleich als "Gott" bezeichnet
notwendig; denn damit wird zwar von dem einen Wirken ~otte~ gespro- 25
wird. Dadurch kann der Eindruck entstehen: Der "Vater" ist Gott, und
chen aber es wird von ihm nicht dreimal dasselbe gesagt. Die drei Aspekte
Gott ist der "Vater", whrend]esus Christus "nur" der "Sohn Gottes" _
des einen Wirkens Gottes mssen der Wirklichkeit Gottes so zugeordnet
freilich der einzige bzw. eingeborene Sohn Gottes - ist, und der Heilige
werden, da deutlich wird, inwiefern sie zwar unteilbar, aber gleichwohl
Geist"vom Vater (und vom Sohn) ausgeht" und "mit dem Vater und dem
unterscheidbar sind.
Sohn zugleich angebetet und zugleich geehrt wird" (BSLK 27,2-4).
Als sprachliches Mittel zur Formulierung dieser Unterscheidung (bei
Wir richten nun zunchst die Aufmerksamkeit ganz auf die Beziehung
gleichzeitiger unteilbarer Einheit) hat die theologische Tradition vor allem
des "Vaters" zum "Sohn" undzum "Geist" und auf dasjenige, was damit
den Begriff "Person" verwendet, indem sie zwischen Vat~r, So~n und
ber die Seinsweise des "Vaters" gesagt wird. In diesem Zusammenhang
Heiligem Geist als den drei "Personen" unterschied und di~s~ emander
ist noch einmal (s. o. 8.1.2.3) - nun in innertrinitarischer Perspektive _
zuordnete wobei das Zuordnungsverhltnis als "wechselseltlge Durch-
die Frage aufzunehmen, ob der Gebrauch der mnnlichen Metapher
dringung': ("Perichorese") bezeichnet wurde. Wir sahen bereits .(s.. o.
"Vater" dem Gemeinten angemessen ist oder ob darin eine theologische
11.1.2), da die terminologische Entscheidung fr den Personb~gnff i~
Verengung zum Ausdruck kommt. Alle diese Fragen lassen sich sinnvoll
sofern problematisch war, als sich mit ihm die Vorstellung emes. mit
nur in engem Zusammenhang miteinander bearbeiten.
Selbstbewutsein ausgestatteten Individuums verbindet. Von den hmter
Durch die Wahl der Begriffe "Vater" und "Sohn" ist - wie bereits am
uns liegenden berlegungen her ist auerdem gegen die Verwendung ~es
Personbegriffs innerhalb der Trinittslehre einzuwenden, da durch ihn
B~ginn dieses Abschnitts angedeutet - eme besondere Beziehung gemeint,
dIe von der Beziehung zwischen Gott und Mensch im allgemeinen unter-
die drei gttlichen Wirk- oder Seinsweisen als (kategorial) glei~~artige
schieden werden mu. Der "Sohn", d. h. der Logos oder die Sophia, ist
Gren erscheinen knnten, deren innere Einheit als bloe AddItIon ge-
nach bereinstimmender christlicher Lehre nicht geschaffen, also kein
dacht wrde. Auch von daher legt es sich nahe, an Stelle des Personbegriffs
Geschpf Gottes, sondern "vom Vater geboren" (lat.: "ex patre natum")
den Begriff der "Seinsweisen" zu verwenden, der offen genug ist, da an und "gezeugt" (lat.: "genitum")26.
ihm kategoriale Differenzierungen vorgenommen werden knnen... .
Es ist wichtig, hier schon zu notieren, da durch diese Aussagen die
Es ist nun zu prfen, ob und inwiefern die grundlegen?en ~erhaltm~
Vater-Metapher gesprengt, d. h. transzendiert wird in Richtung auf eine
bestimmungen, die in der altkirchlic~en Lehrentwicklung 1m Bhc~ a,~f die
quasi "androgyne" Vorstellung: Der "Sohn" wird vom "Vater" nicht nur
innertrinitarischen Beziehungen zWischen "Vater, Sohn und Geist ent-
wickelt wurden, in dem hier vorgetragenen Modell der Trinittslehre so
reformuliert und zur Geltung gebracht werden knnen, da sie dem an-
gemessen sind, was ber das Wesen Gottes als Liebe gesagt wurde.
24 Diese trinittstheologische Aussage ist aber insofern fr das Verhltnis Gott _
Mensch relevant, als sie daran erinnert, da wir nur vermittelt durch Jesus
Christus zu Gott "Vater" sagen knnen.
11.3.1 Der" Vater" als die innertrinitarisch
25 1?iese Schwche taucht auch in dieser Dogmatik insofern auf, als Kap. 8 die
ermglichende Seinsweise Gottes Uberschrift trgt "Gottes Sein". Das knnte so miverstanden werden, als
seien damit Jesus Christus und der Heilige Geist vom Sein Gottes ausgeschlos-
Wenn das Apostolicum und das Nicaenum mit dem Bekenntnis zu Gott sen. Trinittstheologisch betrachtet ist die berschrift von Kap. 8 deshalb nur
als dem Vater beginnen, dann scheinen sie damit eine grundlegende Aus- ein terminologischer Notbehelf.
sage ber das Verhltnis Gottes zur geschaffenen Welt, insbesondere zu 26 Im griechischen Text des Nicaenum heit es zweimal "YEvvT)6ev'ra", was
dem Geschpf Mensch zu machen. Seinem ursprnglichen Sinn nach sowohl "geboren" wie "gezeugt" heien kann. Entscheidend ist der Gegen-
bezieht sich der Begriff "Vater" hier - im Unterschied z. B. zum Vaterun- satz: "yEvvT)6eVTa OU TfolT)6evTa", aufgrund dessen gesagt werden kann, der
ser - jedoch auf das Gegenber zum "Sohn" (und "Heiligen Geist"), von Sohn sei ,,01100110"10, Tep TfaTpi" (lat.: "consubstantialis patri "). S. BSLK 26,7 ff.;
DH 125 u. NR 155.
400 Die Dreieinigkeit Gottes Die immanente Trinitt als "konomische" Trinitt 401

gezeugt, sondern - wie von einer "Mutter" - geboren27 Ja, hier mu nun begriff anwendbar. 3D Von Jesus Christus als dem Mensch gewordenen
festgestellt werden, da gerade die Argumentation, die im Blick auf das "Sohn" kann gesagt werden: Er existiert, d. h. "es gibt ihn" in Raum und
Verhltnis Gott - Mensch fr die Bevorzugung der distanzierteren Meta- Zeit. Im Unterschied dazu kann von der Seinsweise des "Vaters" "nur"
pher "Vater" (gegenber "Mutter") spricht, im Blick auf das Verhltnis gesagt werden: "Sie ist wirklich"31; und von der Seinsweise des "Geistes":
"Vater" - "Sohn" die Bevorzugung der weniger distanzierten Metapher "Sie ereignet sich". Aber was besagen diese Unterscheidungen?
"Mutter" nahelegt. 28 Wenden wir uns zunchst der ersten Seinsweise Gottes zu, so ergeben
Ferner gilt: Nicht einmal im Blick auf die trinittstheologische Grund- sich aus dem bisher Gesagten zwei Bestimmungen, eine negative und eine
unterscheidung zwischen "yevv110evTCl" und "TroI110eVTCl" ist von einem positive: Die negative Bestimmung besagt, da die erste Seinsweise nicht
absoluten Gegensatz zu sprechen. Nicht nur, weil der Logos bzw. die "existiert", da es sie nicht in Raum und Zeit gibt. Die positive Bestim-
Sophia menschliche, also geschaffene Natur angenommen hat und dam~t mung. besagt, da diese erste Seinsweise der Ursprung ist, aus dem die
Mensch, also Geschpf geworden ist, sondern vor allem deswegen, weil zweite (zur welthaften Existenz fhige) Seinsweise berhaupt nur sein und
die (geschaffenen) Menschen dazu bestimmt sind, durch den Glauben existieren kann. Beides lt sich gedanklich dadurch miteinander verbin-
(und die damit verliehene Gabe des Heiligen Geistes) zu Kindern Gottes den, da die erste Seinsweise als dasjenige Ermglichungsgeschehen ge-
zu werden (Mt 5,9; Rm 8,14-21; GaI3,26; lJoh 3,1 f.), die - ebenfalls- dacht wird, das aus sich selbst heraus ein anderes da sein lt und ihm
29
von Gottgeboren sind (Joh 1,12 f.; I Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1-4; Jak 1,18 ) Raum gibt, das seinem Wesen nach vollkommen mit dieser Ermglichung
und damit am Wesen Gottes Anteil haben. bereinstimmt und ihr konkrete Gestalt verleiht. Es leuchtet unmittelbar
Was lt sich von daher ber den Sinn und die Bedeutung der Aussa- ein, da zumindest nicht jedes Ermglichungsgeschehen diesen Kriterien
gen ber die trinitarische "Vater-Sohn"-Beziehung als Ge?urts- o~er gengt. Aber es lt sich sehr wohl zeigen, da Liebe als dasjenige
Zeugungsrelation sagen? Zunchst ist zu bedenken, da es sich um eme Ermglichungsgeschehen gedacht werden kann, das aus sich selbst heraus
ewige Geburt oder Zeugung handelt, der Gedanke eines zeitlichen An- anderes da sein lt und ihm Raum gibt, das seinem Wesen nach vollkom-
fangs also ausgeschlossen ist. Gott wird nicht durch Geburt oder Zeugung men mit dieser Ermglichung, also mit der Liebe, bereinstimmt und ihr
des "Sohnes" zum "Vater" oder zur "Mutter", sondern er ist es von konkrete Gestalt verleiht. Schon als Ermglichungsgeschehen bleibt Liebe
Ewigkeit her, er ist es seinem Wesen nach. nicht bei sich, sondern ist offen auf anderes hin, und insofern ist Liebe
Es ist also zu fragen, was damit gesagt wird, wenn vom Wesen Gottes ihrem Wesen nach schpferisch und zugewandt. Als Ermglichungs-
her die Beziehung zwischen der Seinsweise des "Vaters" und der des geschehen ist sie - innertrinitarisch - der Ursprung des "Sohnes" (des
"Sohnes" mit den Metaphern der Zeugung und Geburt beschrieben wird. "Logos"/der "Sophia"), und in der Einheit des trinitarischen Wirkens "ad
Wichtig zum Verstndnis dessen scheint mir die Erinnerung dar~n zu se~n, extra" ist sie der Ursprung der geschaffenen Welt, die ihrerseits zur Liebe
da die zweite Seinsweise der Trinitt (der "Sohn", der Logos, die Sophla) bestimmt ist.
nicht als unterschiedslos identisch mit der ersten Seinsweise (dem "Va-
ter", der "Mutter"), also nicht als ihre Verdoppelung gedacht wird, son-
dern als die Seinsweise, die zum Eingehen in die Welt bestimmt ist. D. h. 11.3.2 Der "Sohn" als die innertrinitarisch zur
aber (s. o. 7.1.3): Auf die (inkarnierte!) zweite Seinsweise der Trinitt ist welthaften Existenz bestimmte Seinsweise Gottes
(im Unterschied zur ersten - und zur dritten - Seinsweise) der Existenz-
Zur Nherbestimmung der ersten Seinsweise Gottes (als "Vater", "Mut-
27 In der Parallelisierung des Kleinen Katechismus kommt dies unbersehbar ter", "Ursprung") war es bereits erforderlich, entscheidende Aussagen
zum Ausdruck: "Ich glaube, da Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater "

in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria 30 Dieser Unterschied zwischen den tiinitarischen "Personen" spielt bei K.
geboren, sei mein Herr ... " (BSLK 511,23-26). Rahner eine entscheidende Rolle, indem er immer wieder einschrft: "die
28 Diese Einsicht hat sich freilich nicht gegen die Dominanz mnnlicher Begriffe zweite gttliche Person, der Logos Gottes ist Mensch, er und nur er" (a.a.O.,
und Bilder fr Gott in Bibel und Bekenntnis durchsetzen knnen. S. 116). Dementsprechend verwirft Rahner die These, "da jede gttliche
29 Es fllt auf, da im Neuen Testament - im Unterschied zur spteren Bekenntnis- Person Mensch werden knne", als "unbewiesen und falsch" (a.a.O., S. 119).
bildung - nie gesagt wird, der Sohn oder Logos sei von Gott geboren, sondern 31 Zu der Unterscheidung zwischen "Existenz" und "Wirklichkeit" in Anwen-
da dies nur von den an Christus Glaubenden gesagt wird. dung auf Gott s. o. 8.2.2.1.
402 Die Dreieinigkeit Gottes Die immanente Trinitt als "konomische" Trinitt 403

ber die zweite Seinsweise (als "Sohn", "Logos", "Sophia") heranzu- zu unterscheiden, aber nicht von ihnen zu trennen. Worin besteht der
ziehen. Wir knnen uns deshalb in diesem Abschnitt wesentlich krzer Unterschied, und wie ist die untrennbare Einheit zu denken?
fassen. . Zun~hst d~r Unterschied: Das Besondere des Heiligen Geistes als der
Die bisherigen Aussagen ber die zweite Seinsweise der Trinitt knn- dntten Semswelse Gottes besteht darin, da er sich auf das Verhltnis der
ten so wirken, als seien sie zu weit und zu unspezifisch, weil sie zu sehr mit ersten und zweiten Seinsweise, also auf das Verhltnis des "Vaters" und
dem allgemeinen Existenz- und Weltbegriff und zu wenig mit dem przi- des "Sohnes" zueinander, bezieht. In der theologischen Tradition ist der
seren Offenbarungsbegriff verbunden sind. Aber diese Weite ist dem christ- Heil~ge .~~ist ~eswegen hufig als das "Band der Liebe" ("vinculum
lichen Glauben durchaus angemessen, und sie darf darum auch dort nicht chantatIs ) ZWIschen Vater und Sohn bezeichnet worden. Diese Bestim-
preisgegeben werden, wo sachlich ganz zu Recht die Aussage ber die mung ist insofern sehr prgnant, als sie das Wesen Gottes insgesamt und
zweite Seinsweise Gottes durch das Reden von Inkarnation, Selbster- darum auch die Wesenseinheit zwischen "Vater" und "Sohn" bezeichnet.
schlieung und Heil christologisch przisiert und pointiert wird. Damit Aber gerade indem dies durch die Rede vom "Heiligen Geist" so bezeich-
wird die biblische Einsicht, da durch die Sophia bzw. den Logos nicht net. wi.rd, wi~d ~as Neue der dritten Seinsweise erkennbar: Der Heilige
nur das Heil vermittelt, sondern schon die Schpfung gestaltet und ge- G~ISt IS~ dasJemge Geschehen, in dem die Gestalrwerdung der zweiten
prgt wird (so KoI1,15-20; vgl. aber auch Hi 28,25-28; Prov 8,22-31; Sir Semswelse als Konkretisierung des Ermglichungsgeschehens der ersten
24,1-14; Joh 1,1-3; Hebr 1,2), zur Geltung gebracht. Indem sich das Seinsweise (sich) durchsichtig wird. Insofern kann die dritte Seinsweise als
Ermglichungsgeschehen der gttlichen Liebe (ihrem Wesen gem) in diejenige bezeichnet werden, in der die erste und die zweite Seinsweise
der zweiten Seinsweise konkretisiert, nimmt Liebe Gestalt an, wird sie aus miteinander vermittelt und als vermittelte (sich selbst) erschlossen sind.
der (wirklichen) Ermglichung zur (existierenden) welthaften Realitt. Aber diese ~ermittlung und Erschlieung erfolgt nicht von auerhalb,
Damit gewinnt aber auch allererst die an sichunsichtbare Mglichkeit des sondern hat Ihren Ursprung auch im Sein Gottes.
Seins Gottes anschaubare Gestalt. Als das durch die zweite Seinsweise Fr die Art dieser Ursprungsbeziehung hat die altkirchliche Trinitts-
Gottes vermittelte Werk Gottes ist die Welt im allgemeinen und ist die lehre nicht ~och ei~mal die Begriffe "Zeugung" und" Geburt" verwendet,
Person Jesu Christi im besonderen das Bild oder Zeichen, in dem Gott sich sondern dIe Begnffe "Hervorgehen" (griech.: "EKlTOpevw6a1", lat.:
anschaulich macht (Ps 19,1-7; 104; Weish 7,26;Joh 14,8 f.; Rm 1,19 L; "procedere"; s. BSLK 26 f. u. 29,20 f.) sowie "Hauchung" (griech.:
II Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3; BSLK 660,41 f.). Von daher lt sich "lTvoi)", ~at.: "spiratio"; s. PG 28,1193A; PL 33,1043 sowie DH 85033).
sagen: Der christliche Glaube kennt keinen weltlosen und keinen men- Der Begnff "Hervorgehen" (oder "Hauchung") ist auch durchaus ange-
schenlosen Gott, sondern nur den Gott, der sich in der Schpfung und in messen, um den besonderen Charakter dieses Geschehens zum Ausdruck
Jesus Christus konkretisiert hat. 32 Und das hat auch zur Folge, da der zu bringen. Ein Vermittlungs- und Erschlieungsgeschehen kann nicht
christliche Glaube keinen Myos Cxo-opKOs, sondern nur einen Myos gezeugt oder geboren werden, wohl aber hervorgehen oder sich wie ein
EVo-OpKOs kennt. Die erste Seinsweise der Trinitt ist wohl von der zweiten Windhauch ereignen. 34
zu unterscheiden, aber nicht von ihr zu trennen. Aber woraus geht der Heilige Geist als die dritte Seinsweise der Tri-
nitt hervor: nur aus der ersten Seinsweise oder auch aus der zweiten?
Geht der Heilige Geist nur aus dem "Vater" oder auch aus dem "Sohn"
11.3.3 Der Heilige Geist als die hervor? Damit stehen wir vor dem Streit um das "Filioque"35, der im
innertrinitarisch vermittelnde Seinsweise Gottes
33 Den Hinweis auf die altkirchlichen Belegstellen aus Pseudo-Athanasius und
Auch vom Heiligen Geist als der dritten Seinsweise des dreieinigen Gottes Augus.tin verdanke ich meiner Kolle~in D. Wendebourg.
34 Im Hmtergrund des Begriffs "spiratio" stehen zweifellos drei zentrale
mu nach allem Gesagten gelten: Er ist wohl von den anderen Seinsweisen
pneumatologische Texte des Neuen Testaments: Joh 20,22 f. sowie Joh 3 5-
8 und ~ct 2,1-4, in denen jeweils der Zusammenhang zwischen Geistverleih;ng
und Wmdhauch anschaulich wird.
32 Dies formuliert Luther unzweideutig in seinem bekannten - gegen Zwingli 35 Zur Entstehungsgeschichte dieses folgenreichen Streites vgl. W.-D. Hauschild
gerichteten - Diktum: "Nein geselle, wodu mir Gott hinsetzest, da mustu mir Art. "Geist etc. IV", in: TRE, Bd. 12, S. 203 f. sowie A. M. Ritter, Dogma und
die menscheit mit hin setzen ... " (WA 26,333,6 f.). Lehre m der Alten Kirche, in: HDThG, Bd. 1, S. 211 f., Anm. 260.
404 Die Dreieinigkeit Gottes Die immanente Trinitt als "konomische" Trinitt 405

11. Jahrhundert zum Anla fr die Trennung zwischen Ostkirche und Im Blic~ auf den ~usammenhangvon Christologie und Pneumatologie
Westkirche wurde, die bis heute nicht berwunden ist. Wie ist zu diesem darf aber mcht bestrItten werden, da die zweite Seinsweise der Trinitt
Streit Stellung zu beziehen? Mir scheint, da es wichtig ist, zwei Problem- mittels des Geistgeschehens menschliche Natur annimmt und zu der vom
ebenen zu unterscheiden: Geist Gottes bestimmten Realitt wird. Die unbersehbaren Hinweise auf
In dogmenhermeneutischer Hinsicht ist zu konstatieren, da das das Wirke~ des Geistes bei der Schpfung, bei der Menschwerdung, Beru-
"Filioque" einen nachtrglichen, ergnzenden Zusatz zu dem ur- fung und EmsetzungJesu Christi zum Sohn Gottes (Gen 1,2; Mt 1,18-20;
sprnglichen Text desNicaeno-Constantinopolitanum von 381 dar- Lk 1,35; Mk 1,:'-11 par~.; Rm 1,1-4) drfen vom "Filioque" her weder
stellt. Dort folgt auf die Formel: "der vom Vater ausgeht" unmittelbar geleugnet noch m den Hmtergrund gedrngt werden. In ihnen meldet sich
die Formel "der mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und die .Einsicht zu Wo~, ~a d~s konkrete Ereignis der Liebe erst da ge-
geehrt wird".Aus diesem Nebeneinanderrnu geschlossen werden, schI~ht, wo alle cI:eI ~ems:weIsen ~es dreieinigen Gottes in ungeteilter, ja
da das Konzil von Konstantinopel hier bewut unterschieden hat unteilbarer, aber m SIch dIfferenZIerter Einheit zur Wirkung kommen.
zwischeneinem Ausgehen (nur) vom :,Vater" und einer Anbetungund
Verehrung zusammen mit"Vater" und "Sohn" . Insofern ist die nach-
trgliche Ergnzungkeine Explikation "im Sinne" der Konzilsvter, 11.3.1-11.3.3 Fazit
sondern stellt eine Korrektur dar. Vom evangelischen Verstndnis von
Dogma und Bekenntnis her (s. o. 5.2.2) ist eine solche Korrektur als Die "konomische" Trinitt ist insofern als immanente Trinitt zu den-
grundstzlich mglich zu bezeichnen, wenn sie theologisch hinrei- ~en, al~ die "~onomische" Trinitt verstanden wird als diejenige katego-
chend begrndet ist. Wichtig ist jedoch, da sie als Korrektur und rIale DIfferenzIerung des Wirkens Gottes, die dessen innere Einheit nicht
nicht als Interpretation des Dogmas dargestellt wird. preisgibt, sondern ausdrcklich festhlt. Umgekehrt ist die immanente
Auf inhaltlicher Ebene ist zu priifen, 0 b eine hinreichende theologische Trinitt insofern als " konomische" Trinitt zu denken als die innere
Begrndung fr das "Filioque" gegeben werden kann. Das ist m. E. Ein~eit des Seins Gottes dessen kategoriale Differenzie:ung nicht aus-
tatschlich der Fall. Die Bestreitung des "Filioque" wrde besagen, schhet, sondern sie in Gestalt dreier Aspekte oder Facetten zu denken
da der Heilige Geist ausschlielich vom"Vater" und nicht auch vom erlaubt. F~r diese drei. ~acetten haben wir die Begriffe "Ermglichungs-
"Sohn" ausgeht. Das Geistgeschehen wre dann nicht mehr gebunden geschehen ,,,KonkretIsIerungsgeschehen" und"Vermittlungsgeschehen"
an die zur welthaften Existenz bestimmte Seinsweise des Logos bzw. v.erwendet. Da und wie sie zusammengehren, wird deutlich, wenn man
der Sophia. Damit wre aber zumindest eine Differenz, mglicherwei- SIeht, d~ " Ermglichung", "Konkretisierung" und "Vermittlung" in
se sogar ein Gegensatz zwischen. dem denkbar, was vom "Vater" und dem BezIeh.ungsgeschehen der Liebe, das die Wirklichkeit Gottes ist (s. o.
was vom "Sohn" ausgeht. Die innere Einheit des dreieinigen Gottes 8.2.2.2), mcht nur miteinander verbunden sein knnen sondern eine
wre damit in Frage gestellt. Wenn man hiergegen anfhrt, der Geist unaufl~sbare Ein~eit bilden. Diese Einheit und damit zugl;ich die Einheit
gehe javom "Vater des Sohnes" aus 36, so ist dies en.tweder eine bloe von Sem und WIrken Gottes kategorial differenziert zu denken, ist die
Explikation des "Vater"-Begriffs, bleibt also bei der ostkirchlichen Bedeutung der Lehre von der "konomischen" und immanenten Trinitt
Auffassung, oder eine implizite bernahme des "Filioque", vertritt die ihrerseits ebenfalls nur zu unterscheiden, aber nicht zu trennen sind'
also die westkirchliche Auffassung, die dann auch als solche zu expli- sondern eine differenzierte Einheit bilden. '
zieren wre. Von der hier vorgelegten Interpretation der Trinittslehre
her gibt es jedenfalls gute inhaltliche Grnde, das exklusiv gemeinte
"quiex Patre procedit" korrigierend zu ergnzen durch den Zusatz:
"filioque" .

36 Dies ist die neuere "Kompromi"-Formel,z. B. bei Moltmann, Trinitt und


Reich Gottes, S. 199 H., die das Problem aber eher verschleiert als klrt.
Teil B
Das Weltverstndnis
des christlichen Glaubens
12 Die geschaffene Welt (Schpfungslehre)

Die erste Bestimmung der Welt, die gem dem Verstndnis des christli-
chen (wie des jdischen und islamischen) Glaubens zu bedenken ist, lau-
tet: Die Welt ist geschaffene Welt,genauer: Sie ist Gottes Schpfung.
Damit wird eine zentrale Aussage aus der christlichen (und wiederum
auch aus der jdischen und islamischen) Gotteslehre aufgenommen: " Gott
ist der Sc~.pfer der Welt" (s.o. 8.3.2) und nun daraufhin reflektiert, was
sie ber die Welt besagt. Es geht jetzt also nicht noch einmal darum, zu
erlutern, .was unterdell1. schpferischen,. daseinskonstituierenden Wir-
ken Gottes zu verstehen ist. Die Aufgabe, die in diesem Kapitel vor uns
lie~, besteht vielmehr darin, zu explizieren, welchen Sinn der Ausdruck
"von Gott geschaffene Welt" bzw.<"Welt als Schpfung Gottes" hat
(12.1) und was mit ihm ber das Wesen und die Bestimmung der in der
Welt existierenden Geschpfe gesagt wird (12.2). Ferner ist zu prfen,
inwiefern diese Aussagen des christlichen Glaubens angesichts kritischer
Anfragen, Einwnde, ja massiver Bestreitungen aufrechterhalten werden
knnen (12.3).

12.1 Der Sinn der Bezeichnung der Welt


als "Schpfung" oder als "geschaffen"

Auf die Frage, welchen Sinn die Bezeichnung der Welt als "Schpfung"
oder als "geschaffen" habe, scheint die Antwort nicht schwierig zu sein.
Was knnte damit anderes gemeint sein, als da Gott die Welt, also. die
Einheit und Gesamtheitalles Existierenden (s. o. 7.1.3) aus nichts hervor-
gebracht, also erschaffen habe. Gott wre demnach so Schpfer der Welt,
wie ein Bildhauer der Schpfer einer. Statue oder ein Komponist der
Schpfer einer Sinfonie ist - mit dem einen entscheidenden Unterschied,
da Gott fr seine Schpfung kein ihm vorgegebenes Material (weder
Stein noch Noten) brauchte. Sein~chaffen ist - als creatio exnihilo-
einzigartig.! Dementsprechend hiee "Welt als Schpfung" oder "ge-
schaffene Welt": Sie ist das von Gott (aus nichts) hervorgebrachte Werk,
also die Wirkung und das Resultat seines Schaffens.

1 Die hebrische Sprache hat fr dieses gttliche Schaffen ein eigenes Wort, das
auch Gen 1,1 verwendet wird: "bara".
410 Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 411

Wenn diese Antwort theologisch zutreffend und befriedigend wre, dieses letztere richtet sich hier, wo es um das Weltverstndnis des christ-
dann wre die Schpfungslehre jedenfalls eine Alternative zu naturwis- lichen Glaubens geht, vorrangig das Interesse. Es geht also um das eine
senschaftlichen Weltentstehungstheorien - mglicherweise auch zu natur- Element der Beziehung, die mit dem Begriff "Schpfung" bezeichnet
wissenschaftlichen Weltentwicklungstheorien. Sie wre also selbst (jeden- wird, nmlich: die geschaffene Welt. Freilich zeigte sich schon bei den
falls auch) eine naturwissenschaftliche Theorie, die sowohl unvereinbar ersten Vorberlegungen, da das, was mit "geschaffen" gemeint ist, nur
wre mit der Annahme, die Welt sei "aus sich selbst" entstanden, als auch hinreichend klar verstanden werden kann, wenn die Art der Beziehung,
mit der Theorie, die Welt habe gar keinen Anfang, sei also anfangslos und die mit dem Begriff "Schpfung" bezeichnet werden kann, zutreffend
in diesem Sinne "ewig". beschrieben wird. 4 Damit ist dreierlei zu denken aufgegeben:
Als eine solche mit naturwissenschaftlichenWelterklrungstheorien
konkurrierende Aussage ist die Bezeichnung der Welt als "Schpfung - zunchst die wesensmige Verschiedenheit zwischen Welt und Gott,
Gottes" ber lange Zeit hin verstanden worden - teilweise bis heute. die mit der Kennzeichnung "geschaffene Welt" (und "Gott als Schp-
Dabei macht es keinen grundlegenden Unterschied, ob jemand bei der fer der Welt") ausgesagt wird (12.1.1.1);
Deutung der Welt als Gottes Schpfung an der biblischen Vorstellung von - sodann die Verbundenheit der Welt mit Gott, die in dem Ausdruck
einem Sechs-Tage- Werk 2 festhlt oder sie zurcknimmt auf das In- "geschaffene Welt" (und "Gott als Schpfer der Welt") gesetzt ist
(12.1.1.2);
gangsetzen der Evolution oder sie blo als Auslsung des " Urknalls"
versteht. Das Gemeinsame aller dieser Interpretationen besteht darin, da - schlielich die Einheit von Wesensverschiedenheit und Verbunden-
die geschaffene Welt als Resultat einer Kausalbez~ehung versta~den Wird, heit zwischen Welt und Gott, die in diesen Aussagen enthalten ist
(12.1.1.3).
deren Ursache Gott ist. Damit wird Gottes WIrken (und Sem) aber-
wider Willen - selbst zu einem Element welthafter Wirklichkeit erklrt,
und demzufolge wird die Schpfungsaussage zu einer Lehre, die mit na-
turwissenschaftlichen Theorien auf prinzipiell gleicher Ebene steht und 12.1.1.1 Die Wesensverschiedenheit zwischen Welt und Gott
darum konkurriert. 3
Aber wie ist statt dessen die Beziehung zwischen Gott und Welt, Welt Vergleicht man Schpfungsmythen und Schpfungsvorstellungen ande-
und Gott zu beschreiben, die dem angemessen ist, was die Begriffe "Schp- rer Religionen und Kulturen mit denen des (Judentums und) Christen-
fung" oder "geschaffen" meinen? tums, dann zeigt sich, da die grundlegende Unterscheidung zwischen
Gott und Welt, wie sie in der biblisch-christlichen berlieferung durch-
gngig vorausgesetzt wird, in gewisser Hinsicht nicht selbstverstndlich
12.1.1 Geschaffensein als In-Beziehung-Sein der Welt zu Gott ist. Zwar setzt der Schpfungsgedanke stets eine Unterscheidung zwi-
schen Schaffendem und Geschaffenem, Schpfer und Geschpf voraus,
Der Begriff "Schpfung" kann sowohl den Akt des Erschaffens als auch aber diese Unterscheidung hat keineswegs immer den Charakter eines
dessen Resultat, also das Geschaffene als Geschaffenes bezeichnen. Auf Wesensunterschiedes. "Schpfung" ist in der Religions- und Philosophie-
geschichte immer wieder so gedacht worden, da aus der Gottheit (oder
2 Wobei das, was hier "Tag" heit, u. U. im Sinne von Ps 90,4 und II Petr 3,8 aus den Gttern) die Welt hervorgeht. Dabei kann ganz konkret-materiell
interpretiert werden kann. .. . die Rede sein vom Zeugen der Gottheit oder vom Scho der Gottheit, aus
3 Gegenber diesen Denkanstzen ist mit T. Koch. (Das gottllche Gesetz d~r dem die Welt geboren wird, oder es kann davon gesprochen werden, da
Natur, S. 48) zu sagen: "Die Theologie trgt ... keme Weltentstehungsth~one die Welt aus dem Blut oder Leib der Gottheit(en) - u. U. nach einem
in Konkurrenz mit der naturwissenschaftlichen Astronomie und EvolutIons- Gtterkampf - hervorgegangen ist.5
lehre, oder gar als deren ,Lcken'-Ergnzung, vor. Gott ist in bezug auf die
Natur als seine Schpfung nicht vorzustellen als Architekt oder ,Program-
mierer' oder Baumeister der Welt, der die Welt ,fabriziert' oder wie ein ueres 4 Auch "Kausalitt" beschreibt ja eine Beziehung, aber eine, die dem Verhlt-
Produkt verfertigt, hergestellt oder sie als erste oder letzte Ursache verursacht nis zwischen Gott und Welt unangemessen ist.
habe. Auf die Kategorie der Kausalitt hat die Theologie grndlich zu ver- 5 Vgl. dazu C. Westermann, Genesis Kap. 1-11, Neukirchen 1974, S.26-85;
zichten." U. Mann, Schpfungsmythen, StuttgartlBerlin 1982, bes. S.79-104 sowie
Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 413
412

Philosophisch reflektiert findet diese Vorstellung ihren Ausdruck im ls-ausbeuterischer Umgang mit der Welt vorbereitet, erleichtert oder gar
neuplatonischen Gedanken der Emanation (= Ausflu, Ausstrmen) aus in Gang gesetzt wurde, wird noch (s. u. 12.2.2.3) zu prfen sein. Hier ist
dem einen gttlichen Urprinzipi durch das - vermittelt ber mehrere Stu- zunchst festzuhalten: Der christliche Glaube denkt Gott und Welt, Schp-
fen - Welt entsteht. fer und Schpfung als voneinander unterschieden, und zwar - wie frher
Charakteristisch fr alle diese Vorstellungen ist, da Gott und Welt (s. o. 2.3.2.1) gezeigt - weder quantitativ noch qualitativ, sondern kate-
wesensgleich, ja wesenseins sind - wenn auch nicht in jedem Fall total, so gorial. Aber gerade weil der Unterschied kategorial zu denken ist, darum
doch partiell. Unter dieser Denkvoraussetzung ist es darum auch prinzi- schliet er Verbundenheit, Beziehung und Gemeinschaftnicht aus. Davon
piell mglich, "Schpfung" oder "Erschaffung" in umgekehrter Richtung ist nun zu reden.
zu denken als ein Hervorgehen der Gottheit(en) aus der Welt, also als
Theogonie.
Die Grundvorstellung einer Wesenseinheit zwischen Gott und Welt ist 12.1.1.2 Die Verbundenheit von Welt und Gott
dem jdisch-christlichen Glauben(ebenso dem Islam) fremd. 6 Und deswe-
gen ist auch der Gedanke, Gott knne ein Geschpf der Welt sein;. fr Lie sich im vorigen Abschnitt das Besondere des biblisch-christlichen
Judentum, Christentum und Islam eine Absurditt. Und wo e.twas Ahn- Schpfungsverstndnisses am Unterschied zu emanatistischen Vorstel-
liches in der Bibel als Gedanke auftaucht (z. B. Jes 44,9-20 u. Act 17,29[!]), lungen deutlich machen, so lt sich in diesem Abschnitt das Besondere
ist es Anla und Gegenstand des Spottes. des biblisch-christlichen Schpfungsverstndnisses durch die Gegenber-
Entscheidend ist dabei die Bestreitung der Grundvoraussetzung, zwi- stellung zu dualistischen Denkformen .herausstellen. Dabei umfat das
schen Gott und Welt bestehe eine (zumindest partielle) Wesenseinheit. Wort "dualistisch" eine erhebliche Spannweite von Konzeptionen und
Demgegenber unterscheidet der christliche Glaube zwischen der Welt, hat in diesem Zusammenhang einen spezifischen Sinn. Gemeint sind alle
die geschaffen und deshalb nicht von Gott gezeugt oder aus Gott geboren die Deutungen, die die geschaffene Welt nicht aus Gott (oder jedenfalls
ist, und dem ewigen "Sohn" oder Logos Gottes, von dem gesagt wird: Er nicht aus dem eigentlichen, wahren, guten Gott) ableiten, sondern aus
ist von Gott "gezeugt" und "geboren", aber eben deshalb nicht geschaffen einer minderen oder gar aus einer gegengttlichen Macht. Hierzu ist z. B.
(s. o. 11.3.1). die platonische und gnostische Vorstellungzu rechnen, nach der die Welt
Gegenber vielen Schpfungsmythen und anderen Schpfungslehren nicht das Werk Gottes, sondern des Demiurgen ist, der als eine Art Welt-
ist dies eine "Skularisierung". oder -wie Max Weber in Aufnahme einer baumeister an der Spitze der Engel steht. 8
Formulierung von Friedrich Schiller formuliert hat - "Entzauberung der Entscheidend ist in unserem Zusammenhang die daraus resultierende
Welt"? Diese Entzauberung ist mit Hnden zu greifen an der Kennzeich- negative Sicht und Bewertung der Welt. Sie ist nicht gut, sondern minde-
nung von Sonne, Mond und Sternen, die in der antiken - und gegenwr- ren Werts, ja mglicherweise so schlecht und widergttlich, da man sie
tigen! - Religiositt hufig als Gottheiten verehrt wurden und werden, als nur als das bezeichnen kann, wovon der Mensch erlst werden mu.9
bloe Lampen oder Lichter, die der Orientierung der anderen Geschpfe Demgegenber ist es eine fundamentale berzeugung des christlichen.
dienen (Gen 1,14-19). Ob diese Entzauberung der Welt nicht auch etwas Glaubens, da die Welt trotz alles Leidvollen, Bsen und bels, das es in
Gefhrliches und Problematisches ist, weil damit zugleich ein rcksichts- ihr gibt, als Gottes Schpfung gut ist: etwas Wertvolles, Erhaltenswertes,

W. Thiel, Bekenntnis zum Schpfer, in: Funkkolleg Religion, Studientexte, 8 So wird bei Marcion Jahwe als Demiurg verstanden, der gegenber dem
Weinheim u.a. 1985, S. 276-291. wahren Gott und Vater Jesu Christi nicht nur von minderer Macht und
6 Dies gilt auch im Blick auf die in diese Richtung wohl weitestgehende A~ss~ge Weisheit, sondern auch von minde~er Gte ist. Seine Haupteigenschaft ist
aus Act 17,28 f.: "wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir smd vergeltende Gerechtigkeit.
seines Geschlechts". Lukas zitiert zwar diese Auffassung und knpft an sie an, 9 Zu einer solchen negativen Sicht der Welt tendiert - mehr kann man freilich
um die Nhe Gottes zu betonen, aber er zieht gerade nicht die logische nicht sagen - der Buddhismus aufgrund seiner ersten "Heiligen Wahrheit":
Konsequenz, am Menschen knne das Gttliche abgelesen werden. "Alles ist Leiden". Im Hinduismus sind dagegen emanatistische und dualisti-
7 M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1905), sche Weltdeutungen nebeneinander ausgeprgt worden. Vgl. dazu H. Kng/
7 J. von EsslH. von StietencronIH. Bechert, Christentum und Weltreligionen,
in: ders., Die protestantische Ethik I. Hg. J. Winckelmann (GTB 53), 1984 ,
Mnchen/Zrich 1984, S. 278 ff. u. 423 ff.
S.123.
414 Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als " Schpfung " 415

zu Bejahendes. Das kommt nicht erst darin zum Ausdruck, da laut Gen 1 sich aus die Beziehung zu Gott ignoriert, aufkndigt oder zu zerstren
Gott sein Werk im einzelnen (Gen 1,4.10.12.18.21.25) als "gut", ja ins- versucht, damit doch nicht die daseinskonstitutive Beziehung Gottes zur
gesamt (Gen 1,31) als "sehr gut" befindet, sondern schon darin, da die Welt aufheben, vernichten oder rckgngig machen kann.
Welt als Werk Gottes verstanden wird. Derselbe Gott, der sich in Jesus Wie aber ist diese konstitutive Beziehung Gottes zur Welt zu denken?
Christus zum Heil der Welt erschlossen hat, ist auch ihr Schpfer. Das ~nd in w~lchem Verhltnis steht sie zu dem, was wir ber den Anfang und
zeichnet die Welt aus als von Gott gewollt und bejaht. Es ist ein Ausdruck dIe EntwIcklungsgeschichte des Universums wissen (knnen)?
des Wesens Gottes, also der gttlichen Liebe, da er die Welt ins Dasein
ruft. Und diese Liebe ist - das werden wir noch zu bedenken haben - nicht
so etwas wie eine Initialzndung, die die Welt entstehen lt und sich 12.1.2 Schpfung und Weltentstehung
dann allmhlich verflchtigtlO, sondern sie ist der kontinuierliche, verl-
liche Grund und das Bestimmungsziel der Welt im ganzen und jeder Zu Beginn von 12.1 war die Rede von der scheinbar einfachen Beantwort-
Kreatur im einzelnen. Und darum ist die Liebe Gottes, die in der Schp- barkeit der Frage nach dem Sinn der Begriffe "Schpfung" und "geschaf-
fung Gestalt annimmt, das, was Gott und die geschaffene Welt miteinan- fen". Es zeigte sich jedoch schnell, da die einfache Antwort, Schpfung
der verbindet. sei das Hervorbringen oder Entstehenlassen der Welt durch Gott, theolo-
gisch nicht hinreichend reflektiert ist und erhebliche Probleme aufwirft.
Als weiterfhrender erweist es sich, das Geschaffensein der Welt als ihr
12.1.1.3 Die Einheit von (daseins-)konstitutives In-Beziehung-sein-zu-Gott zu verstehen, das die
Wesensverschiedenheit und Verbundenheit Wesensverschiedenheit und Verbundenheit von Welt und Gott im Gedan-
ken der Partizipation als Einheit zu denken versucht. Damit ist aber noch
Wie ist aufgrund des Gesagten die Wesensverschiedenheit zwischen Gott nicht hinreichend geklrt, was mit dem Adjektiv ("daseins-")konstitutiv
und Welt mit der Verbundenheit von Gott und Welt als Einheit zusam- genauer gemeint ist und wie sich das damit Gemeinte zu dem verhlt was
menzudenken? Die Theologie bietet als Antworten auf diese Frage zwei wir naturwissenschaftlich ber die Entstehung des Universums wissen
Metaphern an, die diese Einheit nicht nur aus unterschiedlicher Perspek- (knnen). Dem wollen wir uns nun zuwenden.
tive, sondern auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung beschreiben: "Die
Welt ist Werk Gottes" und "Gott ist der Grund der Welt". In beiden
Metaphern ist sowohl die Wesensverschiedenheit als auch die Verbun- 12.1.2.1 Schpfung und zeitlicher Anfang des Universums
denheit implizit enthalten und ausgedrckt, aber die Metapher "Werk"
tendiert zu einer strkeren Betonung der Wesensverschiedenheit, die Die berschrift dieses Abschnittes lautet bewut nicht "Schpfung als
Metapher "Grund" zu einer strkeren Betonung der Verbundenheit. So zeitlicher Anfang des Universums", sondern "Schpfung und zeitlicher
korrigieren sie sich gegenseitig und bewahren einander vor dem Abgleiten Anfang des Universums". Damit soll eine vorschnelle (wenn auch gelu-
in eine dualistische Entwertung oder in eine emanatistische Vergtt- fi~e) G.!e!chsetzung der Begriffe (und Vorstellungen) von "Schpfung"
lichung der Welt. mIt (zeItlIchem) "Anfang des Universums" vermieden werden. Man knn-
Was mit den Metaphern "Werk (Gottes)" und "Grund (der Welt)" te natrlich definitorisch festsetzen: Unter "Schpfung" verstehen wir den
theologisch zu denken aufgegeben ist, ist die fr die Existenz der Welt (zeitlichen) Anfang des Universums; aber diese Festsetzung htte zwei
konstitutive Beziehung zu Gott, ohne die sie keinen Bestand haben wr- problematische Konsequenzen: Erstens wrde damit die Frage nach der
de. Diese konstitutive Beziehung ist zwar nicht zu verstehen als Emana- Schpfung zu einer naturwissenschaftlichen, d. h. von den Naturwissen-
tion des Wesens Gottes, wohl aber als Partizipation der Welt am Wesen schaften zu beantwortenden Frage; und zweitens wrde als Folge dieser
Gottes, und zwar als eine Partizipation, die von Gottes Seite aus unver- Festsetzung die Einsicht, das Universum habe keinen (zeitlichen) Anfang,
brchlich gilt. Das bedeutet, da das Geschpf selbst dann, wenn es von besagen, das Universum sei folglich auch nicht geschaffen, also keine
Schpfung Gottes.
10 Wie das bei Menschen im Blick auf ihre "Schpfungen", ja sogar im Blick auf Aber wre ein Universum ohne (zeitlichen) Anfang (und ohne zeitli-
ihre Kinder gelegentlich der Fall ist. ches Ende) denn tatschlich nicht Gottes Schpfung? Wrde durch den
Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 417
416

Wegfall einer solchen zeitlichen Begrenzung tatschlich die Begriffe den, und zwar dann, wenn sie verbunden wird mit dem traditionellen
logischen Axiom: "ex nihilo nihil fit". Und da fr das Entstehen des
"Schpfung" oder "geschaffen" sinnlos? .
Man knnte versuchen, sich diesen Fragen durch den VerweIs darauf Universums offenbar nichts als Ursache in Frage kommt, was selbst ein
zu entziehen da nach der heute - im Unterschied zu der Situation noch Teil oder Element des Universums wre, scheint nur brigzubleiben, Gott
vor sechzig Jahren 11 - berwiegenden Auffassung das Universum endlich als die schpferische Ursache des Universums, also der Welt zu denken.
ist, jedenfalls einen zeitlichen Anfang hat. Ausschlaggebend dafr, da Dieser Gedankengang basiert jedoch einerseits auf der - problemati-
sich diese Auffassung in den Naturwissenschaften durchgesetzt hat, war schen (s. 0;) - Anwendung des Kausalittsgedankens auf Gott,anderer-
die Beobachtung E. P. Hubbles (in den zwanziger Jahren unseres Jahr- seits auf der Annahme, das Kausalittsprinzip sei im Blick auf die Welt
hunderts), da die meisten Galaxien in der Spektralanalyse eine .Rot- lckenlos und ausnahmslos anwendbar. Aber diese letztere Annahme ist
verschiebung aufweisen, sich also von uns fortbewegen, und zwa~ mIt u~ durch die Quantentheorie fragwrdig geworden~ Zwar gelten gem der
so grerer Geschwindigkeit, je weiter sie von uns entfernt sm~. D~e Quantentheorie auch im atomaren und subatomaren Bereich die Gesetze
daraus abgeleitete Theorie, da das Universum sich ausdehnt (wleem der Wahrscheinlichkeit, die so etwas wie einen "lockeren Kausalittszu"
Luftballon, der aufgeblasen wird) ,ist heute weitgehend anerkanntY Die- sammenhang" darstellen, aber das Auftreten eines subatomaren Teil-
se Ausdehnungsbewegung erlaubt aber nun den gedanklichen Umkehr- chens an einer bestimmten Stelle ist "seinem Wesen nach unvorhersagbar"
schlu: Also mu die Ausdehnung irgendwann begonnen haben; es mu und hat in diesem Sinne "keine Ursache" 14. Man kann freilich fragen, ob
also. einen (zeitlichen) Anfang des Universums geben
13 es nicht ein reichlich khner Schlu sei, aus der Unvorhersagbarkeit auf
Die These vom (zeitlichen) Anfang des Universums scheint den die Ursachlosigkeit zu schlieen. Aber demgegenber ist zu fragen, woher
Schpfungsgedanken zumindest zu sttzen, wenn nicht sogar zu begrn- denn das Axiom von der ausnahmslosen Gltigkeit des Kausalittsprinzips
seine Plausibilitt erlangt: doch aus der Vorhersagbarkeit oder Erklrbar-
keit von Phnomenen anhand von Ursache-Wirkungs-Zusammenhngen.
Diese Zusammenhnge knnen wir im makrophysikalischen Bereich ja
11 Vgl. dazu C. F. von Weizscker, Die Tragweite der Wissenschaft, S. 166 H. auch durchgngig beobachten. Was bedeutet es aber, wenn wir sie im
12 Neuerdings wird diese Theorie (und damit auch die Annahme ~ines ~fang~ des subatomaren Bereich durchgngig und prinzipiell nicht beobachten kn-
Universums) allerdings wieder in Frage gestellt, und zwar emerseIts, weIl es nen? Was rechtfertigt dann eigentlich die Annahme, da sie auch dort
starke Abweichungen einzelner Galaxien von der von Hubble konstatierten
Geltung haben?
gleichfrmigen Bewegung gibt, andererseits, weil die unglei~he~ komplizi~rte
Verteilung der Materie im Universum aus der Urknall-Theone rucht abgeleItet Paul Davies vertritt als Fazit seiner Untersuchung I5 folgende These:
werden kann. Vgl. dazu H. ]. Fahr, Der Urknall kommt zu Fall, Stuttgart 1992. "Bei diese~. bemerkenswerten Szenarium entsteht der ganze Kosmos voll-
13 Daraus folgt brigens nicht, da es auch ein Ende des Universums geben stndig in Ubereinstimmung mit den Gesetzen der Quantenphysik ,ein-
msse. Diesbezglich sind drei Flle denkbar: fach aus dem Nichts' und erzeugt dabei alle Materie und Energie, die ntig
a) Die Expansionsenergie wird allmhlich durch die Gravitation so abge- ist, um das Universum zu errichten, das wir jetzt vor uns sehen. Dazu
bremst, da irgendwann die Schwerkraft grer ist als die Expan~io~s gehrt die Schaffung aller physikalischen Dinge einschlielich Raum und
kraft. Das Universum zge sich dann wieder (mit steigender Geschwmdig- Zeit.... Wir sind an die Vorstellung gewhnt, da man ,etwas hergibt und
keit) zusammen und kollabierte schlielich in einem "schwarzen .Lo~h".
etwas anderes dafr herausbekommt', aber die Vorstellung, etwas fr
b) Die Expansionsenergie ist und bleibt stets grer als. die GravIta~lOn.
Folglich kommt es nie zu einer Utnkehrung der ExpanSIon und zu emem nichts oder aus nichts zu erhalten, ist uns fremd. Doch erzeugt die Welt
Kollaps des Universums, sondern es dehnt sich unendlich aus. der Quantenphysik durchweg etwas aus nichts. Die Quantentheorie der
c) Die Expansionsenergie wird allmhlich durch die Gravitation abgebremst, Gravitation lt sogar die Annahme zu, da wir alles fr nichts bekom-
aber nur so schwach, da die Expansion zwar gegen ,,0" geht, aber men."
niemals ,,0" wird (geschweige denn sich umkehrt und zum Kollaps fhrt). Ich kann nicht beurteilen, ob Davies mit diesen Aussagen recht hat. Ich
Nur im Falle a htte das Universum ein zeitliches Ende, im Falle b htte es kein kann jedoch feststell~n, da andere Forscher (wie z. B. Atkins und
Ende, im Falle c wrde es sich "grenzwertig" einem stabilen Zustand ann-
hern. Alle drei Flle gehen jedoch von der Annahme aus, da das Universum
14 So P. Davies, Gott und die moderne Physik, S. 57 f.
einen Anfang hat. Das zeigt, da aus der Annahme eines Anfangs die Annahme
15 A.a.O., S. 278.
eines Endes nicht notwendig folgt.
418 Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 419

Hawking) zu ganz hnlichen Ergebnissen kommen. Vor allem aber: .lch Wenn Luther den Glauben an Gott als den Schpfer des Himmels und
sehe nicht, welche theologischen Argumente es geben knnte, m:n
diese der Erde und folglich an das Geschaffensein der Welt zum Ausdruck
Theorien zu widerlegen oder zu besttigen. Aufgrundder nachgewiesenen bringt durch den Satz: "Ich glaube, da mich Gott geschaffen hat samt
Existenz" von Antimaterie neben der Materie knnte es mglich sein, allen Kreaturen", dann ist ihm dabei natrlich bewut, da er - wie jeder
da aus nichts -spontan - etwas wird. Im Blick auf diese sich abzeichnen" andere Mensch - durch Zeugung und Empfngnis seiner Eltern entstan-
de theoretische Mglichkeit sollte die Schpfungslehre wedervereinnah- den ist, und natrlich wei er auch, wie "alle Kreaturen" und wie "Kleider
mend behaupten, dies sei die naturwissenschaftliche Besttigung der Leh- und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof" etc., die alle als Gaben des
re von der creatio ex nihilo, noch sollte sie diese Anschauung als mit dem Schpfers erwhnt werden, zustande kommen. Da besteht kein Er-
Schpfungsglauben unvereinbar zurckweisen. klrungsbedarf. Gottes Schpferwirken kommt hier weder als ein Faktor
Inwiefern knnte aber eine "ursachlose" Entstehung des Universums auf der Ebene der natrlichen Entstehungsursachen in Betracht noch als
mit dem Verstndnis der Welt als "Schpfung", d. h. als "geschaffen" eine erste oder letzte Ursache hinter diesen Ursachen. Die Tatsache, da
vereinbar sein? Das wre dann - aber auch nur dann - mglich, wenn der jemand in der Lage ist, die Entstehung eines Menschen oder einer anderen
Sinn der Begriffe "Schpfung" oder "geschaffen" nicht gleichzusetzen Kreatur restlos zu erklren, ndert aus der Sicht des im Kleinen Katechis-
wre mit "Hervorbringung", "Verursachung" oder "Setzung eines raum- mus zu Worte kommenden Schpfungsverstndnissesnichts an der Wahr-
zeitlichen Anfangs", sondern wenn der Schpfungsgedanke von alledem heit des Satzes: "Ich glaube, da mich Gott geschaffen hat samt allen
unterschieden werden knnte und dabei auch die Anwendung des Kausal- Kreaturen". Was ist dann aber in diesem Satz mit der Formulierung
gedankens auf Gott unterbliebe. Wie ist das mglich? "geschaffen hat" gemeint?
Unter Aufnahme und Uminterpretation einer Formel aus der Schp-
fungslehre Karl Barthsl7 mchte ich diese Frage beantworten mit der
12.1.2.2 Schpfung als innerer Grund der Weltentstehung These, die die berschrift dieses Abschnitts (12.1.2.2) bildet: Die Schp-
fung ist der innere Grund der Weltentstehung. Dabei verstehe ich - mit
Einen weitreichenden und tragfhigen Ansatz zu einem Schpfungs- Barth - unter einem inneren Grundl8 das Motiv, also den Beweggrund,
verstndnis, das "Schpfung", d. h. "geschaffen sein" von "Weltentste- der zugleich das Ziel und die Absicht angibt. Demgegenber umfat der
hung" und "Verursachung der raum-zeitlichen Existenz" unterscheidet, "uere Grund" das, was zur Verwirklichung des inneren Grundes erfor-
bietet die vermutlich bekannteste Interpretation des Schpfungsglaubens, derlich ist,19
die es in der reformatorischen Christenheit (deutscher Sprache) berhaupt Whrend Barth mittels der Termini "innerer" und "uerer Grund"
gibt: der berhmte Anfang von Luthers Auslegung des ersten Glaubens- den Bund und die Schpfung einander zuordnet20 , versuche ich, mittels
artikels im Kleinen Katechismus: "Ich glaube, da mich Gott geschaffen dieser Termini Schpfung und Weltentstehung einander zuzuordnen. Das
hat samt allen Kreaturen" (BSLK 510,33 f.). Gegenber der traditionellen
Gleichsetzung von "Schpfung" mit "Weltentstehung" oder "Welt-
verursachung" stellt diese Interpretation der Schpfungsaussage in zwei- 17 KD III/1, S. 258-377. Zur Interpretation dieser Formel und der darin zum
erlei Hinsicht einen revolutionierenden Neuansatz dar l6 : Ausdruck kommenden Konzeption Barths siehe meine Arbeit "Sein und
Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik", Berlin 1975,
erstens dadurch, da die Schpfung als ein auch in der Gegenwart
S. 70-98, bes. S. 73 f.
(noch) stattfindendes Geschehen verstanden wird; 18 Man mu freilich sehen, da der Begriff "Grund" an sich auch im kausal-
zweitens darin, da der Begriff "Schpfung" angewandt wird auf mechanischen Sinn verstanden und)nterpretiert werden kann. Durch die
etwas, das einen "natrlichen" Anfang in der Zeit hat und dessen folgenden Erluterungen soll diese kausal-mechanische Interpretation jedoch
Entstehungsbedingungen bekannt oder naturwissenschaftlich erklr- fr die Formel "innerer Grund" definitiv ausgeschlossen werden, whrend sie
bar sind. mit der Formel "uerer Grund" durchaus verbunden werden kann.
19 Barth nennt den ueren Grund auch "technische Ermglichung" und "for-
16 Dabei sollte allerdings nicht bersehen werden, da dieser Neuansatz im bibli- male Voraussetzung" (so KD III/1, S. 107 u. 262).
schen Denken - insbesondere bei Paulus und Johannes - schon vorbereitet ist. 20 "Der Bund ist der innere Grund der Schpfung". Die "Schpfung ist der
Einschlgig dafr sind Stellen wie II Kor 5,17; Rm 4,17 und Joh 3,3-5. uere Grund dieses Bundes" (a.a.O., S. 261 u. 105).
420 Die geschaffene Welt Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 421

besagt: Die - naturwissenschaftlich mehr oderweniger vollstndig erklr- den Akt der Schpfung das Verbum "bara" verwendet wird, das "aus-
bare - Weltentstehung ist der uere Grund der Schpfung; die Schp- schlielich zur Bezeichnung des gttlichen Schaffens aufbehalten" ist und
fung hingegen ist der innere Grund der Weltentstehung. Was ist damit das "einerseits die vollendete Mhelosigkeit, andererseits, da es nie mit
gewonnen? einer Angabe des Stoffes verbunden wird, den Gedanken der creatio ex
Der Gewinn einer solchen Verhltnisbestimmung bestnde darin, da nihilo" enthlt21
die Schpfungslehre weder mit der naturwissenschaftlichen Welterklrung Macht man sich bewut, da es sich bei den biblischen Schpfungs-
auf eine Ebene oder unter eine Kategorie gebracht wrde (seies als Best- erzhlungen um theologisch grndlich reflektierte, in langen Zeitrumen
tigung, als Ergnzung oder als Widerspruch), noch da beides als bezie- entstandene und verdichtete Texte handelt, dann ist es jedenfalls bemer-
hungsloses Nebeneinander gedacht wrde. Dabei weist Luthers Ausle- kenswert, da diese Erzhlungen die Frage nach dem Ursprung der Ma-
gung des ersten Artikels im Kleinen Katechismus insofern die Spur, als er terie und in diesem Sinne nach einem Anfang der Welt recht unbefangen
von naturwissenschaftlich erklrbaren Sachverhalten sagt: Sie sind von offenlassen konnten. Sieht man von der Verwendung des Verbums
Gott geschaffen, und d. h.: sie sind Ausdruck von"vterlicher, gttlicher "bara" ab, so wre mit diesen Erzhlungen durchaus die Vorstellung
Gte und Barmherzigkeit", die dem Menschen ohne all sein "Verdienst vereinbar, die Materie sei zeitlich unbegrenzt (anfangslos) oder spontan
und Wrdigkeit" zuteil werden (BSLK 511,3-5). So verstanden steht die entstanden. Die Ablehnung solcher Vorstellungen kann demzufolge je-
Schpfungsaussage weder neben der naturwissenschaftlichen Erklrung ~e~falls nicht die eigentliche Pointe der Schpfungserzhlungen und des
noch gegen sie, sondern bezieht sich auf sie, indem sie diese in einer m Ihnen zum Ausdruck kommenden Schpfungsglaubens sein. Diese
bestimmten Weise interpretiert. Wenn das Geschaffensein des naturwis- Pointe liegt vielmehr darin, da es der in der Geschichte Israels sich
senschaftlich Erforschbaren und Erklrbaren dessen inneren Grund be- erweisende Gott ist, der auch die Welt geschaffen, und d. h. vor allem:
zeichnet, dann bezieht sich die Schpfungsaussage immer auch, ja ent- geordnet und gestaltet hat.
scheidend, auf die Bestimmung des Geschaffenen, also auf das, als was es Diesem Bestimmtsein der Welt durch Gottes (schpferischen) Willen
von Gott gewollt und gemeint ist, und damit auf das Ziel, auf das hin es versucht auch die Lehre von der creatio ex nihilo Geltung zu verschaffen
unterwegs ist. indem sie ausschliet, da Gott bei seinem Erschaffen der Welt irgend
etwas ihm Vorgegebenes in Anspruch nimmt oder gar bentigt. Die Lehre
von der creatio ex nihilo will die schlechthinnige Voraussetzungslosigkeit
von Gottes Schpferwirken aussagen und sicherstellen. Dabei tendiert sie
12.1.2.3 Schpfung als creatio ex nihilo freilich zu einem kausalen Verstndnis des Schpfungsaktes, versteht
"Schpfung" also als Hervorbringung der Welt "aus nichts". Dement-
In den biblischen Schpfungserzhlungen ist der Gedanke einer Schp- s~rechend knnte es so scheinen, als wrde mit der Distanzierung von
fung aus nichts offenbar noch nicht vorausgesetzt. Die jahwistische Schp- emem solchen Schpfungsverstndnis auch die Lehre von der creatio ex
fungsgeschichte (Gen 2,4b-25) geht von einem wstenartigen Anfangs- nihilo hinfllig, nmlich gegenstandslos. Sofern die Lehrevon der creatio
zustand aus, in dem es weder Strucher noch Kraut gibt, weil es noch ex nihilo mit einem solchen kausalen Verstndnis der Schpfung verbun-
nicht geregnet hatte. In diese Situation hinein bildet Jahwe aus der Erde den ist, ist das tatschlich der Fall. Aber von einer vollstndigen Festle-
des Ackerbodens als erstes Werk den Menschen und pflanzt dann - ge- gung kannman hier nicht sprechen. Die Lehre von der creatio ex nihilo
wissermaen um den Menschen herum - einen Garten. In der priester- tendiert lediglich in diese Richtung. Sie ist damit weder identisch noch
schriftlichen Schpfungsgeschichte (Gen 1,1-2,4a) ist der Anfangszustand
Chaos, das von einem Tagewerk zum anderen allmhlich zum Kosmos
umgestaltet wird. Das Werk der Schpfung beginnt hier nicht mit dem
Menschen, sondern endet bei ihm und klingt im Sabbat als der Ruhe 21 G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis, Gttingen (1949) 1961 6, S. 37.
Gottes und seiner Geschpfe aus. Im Anschluan James Barr warnt C. Westermann (Genesis 1-11, Neukirchen
Als theologische Lehre oder auch nur als klar entwickelte Vorstellung 1974, S. 138) freilich vor "einer berhhung der Vokabel ... , so als knne
sie als .solche die Einzigartigkeit des Schaffens Gottes zum Ausdruck bringen.
ist die Schpfung aus nichts in Gen 2 und 1 also (noch) nicht vorauszu- ... Es 1st dann auch falsch, aus der Vokabel als solcher die creatioex nihilo
setzen. Sie ist aber in Gen 1 insofern angelegt und vorbereitet, als dort fr abzulesen ... "
Der Sinn der Bezeichnung der Welt als "Schpfung" 423
422 Die geschaffene Welt

Liebe ist, die nicht erst durch das Liebenswerte, das ihr begegnet,
ausschlielich daran gebunden. Und deshalb gibt es unaufgebbare Wahr-
geweckt wird und entsteht, sondern die aus sich selbst das Geliebte
heitsmomente der "creatio ex nihilo", die auch fr das Verstndnis der
(nmlich die Welt) erst liebenswert macht. 22
Schpfung als innerer Grund der Weltentstehung gelten. Creatio ex nihilo
besagt demnach:
_ Gottes Schpferwirken setzt nicht die Existenz der raum-zeitlichen 12.1.3 Schpfung als creatio continua{ta}
Realitt voraus, sondern ist voraussetzungslos. Es wre ein Miver-
stndnis wenn man das Verhltnis von uerem und innerem Grund Der Begriff der creatio continua(ta) hat ursprnglich seinen Ort in der
im Sinn:einer zeitlichen Abfolge interpretieren wrde: zunchst Welt- Vorsehungslehre (s. o. 8.3.2 u. 8.3.3) und bringt dort den Zusammen-
entstehung, dann (als deren Bejahung und sinnhafte Ausrichtung) hang zwischen Schpfung (creatio) und Erhaltung (conservatio) zum Aus-
Schpfung. Nein: uerer und innerer Grund drfen weder so noch druck23 Indem die Erhaltung der Welt als creatio continuata verstanden
anders als zeitliche Abfolge, sondern mssen als streng gleich-"zeitig" wird, rcken Schpfung und Erhaltung so eng zusammen, da Erhaltung
gedacht werden. D. h.: Gottes Schpferwirken ereignet sich an der nichts anderes ist als die kontinuierliche Fortsetzung des Schpfungs-
Weltentstehung und durch sie. Es "bedarf" ihrer nur als Verwirk- geschehens 24 Dieser Gedanke ist in zweierlei Hinsicht beachtenswert:
lichungsform, nicht als vorgegebenes Material. Einmal macht er deutlich, da die Welt einer gttlichen Erhaltung bedarf,
_ Wenn Schpfung als innerer Grund der Weltentstehung zu denken ist, ohne die sie nicht bestehen knnte. Sodann aber macht er - gewisserma-
dann ist sie zwar nicht die (kausale) Ursache der Weltentstehung, aber en in der Umkehrung - deutlich, da Schpfung selbst als Erhaltung
dann ist sie der Weltentstehung als dem ueren Grund sachlich vor- gedacht werden kann. Das Spezifische am Schpfungsgedanken ist nicht
geordnet; denn der Beweggrund und das Telos eines Ereignisses hat das Element des Anfangs, sondern der Daseins-Gewhrung und des Da-
den sachlichen Primat gegenber der kausalen Ermglichung seiner sein-Lassens. Dabei richtet der Begriff "creatio continua" die Aufmerk-
Realisierung, da die Realisierung selbst zwar nicht eine Wirkung, samkeit auf den kontinuierlichen Proze des Schpfungsgeschehens, der
wohl aber eine Folge des inneren Grundes ist. Der innere Grund ist Begriff "creatio continuata" hingegen auf dessen Resultat, die erschaffene
insofern die ursprnglichere Wirklichkeit und die tiefere Wahrheit und erhaltene Welt.
Aber wie soll man sich eine creatio continua oder continuata denken?
gegenber dem ueren Grund.
_ Der Gedanke, den Paul Davies an der ursachlosen Entstehung des Je nachdem, ob dabei das Substantiv "creatio" oder das Adjektiv "con-
Universums verdeutlicht, da hier nmlich im Gegensatz zum bekann- tinua(ta)" betont wird, entstehen unterschiedliche Vorstellungen. Im er-
ten Denkmuster etwas, jaalles "fr nichts", also gratis, gegeben werde sten Fall tendiert die creatio continua zu einer stndigen Neuschpfung,
(s. o. S.417), lt sich gut mit Luthers Aussage aus dem Kleinen derzufolge die Welt in jedem Augenblick neu von Gott bejaht, gewollt
Katechismus verbinden, da "das alles aus lauter vterlicher, gttli- und geliebt wird 25 Was wir als Kontinuitt und Identitt der Welt erle-
cher Gte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Wrdig- ben, wre demzufolge letztlich nur eine Kontinuitt und Identitt von
keit" und also auch in diesem Sinne "ex nihilo" gegeben ist. Wenn
damit der innere Grund der Weltentstehung (also "Schpfung") theo- 22 So Luthers schon mehrfach zitierte Aussage aus der Heidelberger Disputati-
logisch zutreffend beschrieben ist, und wenn die naturwissenschaftli- on, in der er vom amor Dei sagt: "non invenit, sed creat suum diligibile" (WA
che These von der Entstehung des Universums, also des ueren Grun- 1,354,35 f. u. 365,2 f.).
23 Im Kleinen Katechismus ist dieser Zusammenhang ausgedrckt durch die
des der Schpfung aus nichts zutrifft, dann ist die Entstehung des
Formulierung: "geschaffen hat "'ll!1d noch erhlt" (BSLK 510,33 u. 36).
Universums aus nichts die genaue Entsprechung des ueren Grundes 24 S. dazu ]. A. Quenstedt, Theologiadidactico-polemica, Wittenberg (1685)
zum inneren Grund; denn dann bestnde der innere Zusammenhang 169F, Bd. I, S. 531: "Deus res omnes conservat continuatione actionis, qua
zwischen innerem und uerem Grund gerade in der Voraussetzungs- res primum produxit".
losigkeit, also im "gratis". Aber selbst wenn sich die naturwissen- 25 Die Kosmologie, die A. N. Whitehead in seinem Hauptwerk "Proze und
schaftliche These als nicht zutreffend und nicht tragfhig erweisen Realitt" (1929), dt. Frankfurt a. M. (1979) 19842, entwickelt und vorgetra-
sollte, gilt von der Schpfung als dem inneren Grund der Welt- gen hat, lt sich als Veranschaulichung dieses Gedankens einer stndigen
entstehung: Sie ist insofern creatio ex nihilo, als sie Realisierung der Neuschpfung lesen.
424 Die geschaffene Welt Die Geschpfe 425

Gottes schpferischer Weltbejahung. Die Welt htte aber in sich keine Anthropomonismus hat es insbesondere in den siebziger und achtziger
Kontinuitt. Jahren eine (kologisch, philosophisch und religis motivierte) Gegenbe-
Im zweiten Fall (d. h. bei der Betonung von continua bzw. continuata) wegung gegeben,aufgrund deren die Verbundenheit des Menschen mit
entsteht hingegen das Bild eines kontinuierlichen Ereigniszusammenhangs, den anderen Geschpfen, sein Eingebettetsein in die Natur und seine
das weniger an eine Serie von Momentaufnahmen als vielmehr an einen Teilhabe an ihr ins allgemeine Bewutsein gerckt wurden. Gelegentlich
flieenden Strom erinnert. So wie der menschliche Organismus nur da- kommt es dabei sogar zu einer berbetonung dieses Aspekts, so da eine
durch lebt, da ihm kontinuierlich Sauerstoff zugefhrt wird, so wrde Nivellierung droht, derzufolge die Wrde des Menschen nicht mehr in den
bei diesem Vorstellungsmodell die Schpfung nur dadurch.im Dasein Blick kommt oder jedenfalls nicht mehr ausgesagt wird. Wer eine Sonder-
erhalten, da sie kontinuierlich von Gott bejaht und gewollt wird. Da die stellung des Menschen im Kosmos ablehnt, mu sich darber klarwerden,
creatio continua dabei als creatio verstanden werden kann. oder mu, welche immensen Konsequenzen dies bis hin zum Verbot der Vernichtung
bezge sich hier vor allem darauf, da ohne diese Erhaltung die Welt von Krankheitserregern htte. Wer dagegen der Auffassung ist, es sei
verginge und da die Gewhrung dieser Erhaltung aus der Sicht der Welt ethisch vertretbar, das Leben von Pflanzen und Tieren notfalls zu zerstc
unverdient, aus der Sicht Gottes ungeschuldet erfolgt. ren, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden kann, mu das auch
Vergleicht man beide Vorstellungsmodelle miteinander, so zeigt sich, theologisch und ethisch begrnden knnen. Gibt es eine solche Sonder-
da sie beide Wahrheitselementeenthalten, die verlorengingen, wenn stellung des Menschen, durch die gleichwohl der Eigenwert aller brigen
man sich nur fr eines der beiden Modelle. (und damit gegen das andere) Geschpfe nicht in Frage gestellt, sondern respektiert wird?
entschiede. Es handelt sich.bei diesen beiden Modellen nur um einen
relativen Gegensatz, heidem einerseits - aus der Perspektive Gottes - das
je Neue, fr die Welt Unverfgbare der Daseinsgewhrung, andererseits-
aus der Perspektive der Welt - das Kontinuierliche und von Gott her 12.2.1 Vielfalt und Einheit der Geschpfe
Verlliche der Welterhaltung.zum Ausdruck kommt. Wichtig ist dabei
freilich, da der zweite Aspekt vom ersten her gedacht und verstanden Die geschaffene Welt ist als geordnete, strukturierte Welt in sich viel-
wird weil nur so die (wesenhafte!) Freiheit der gttlichen Liebe gewahrt fltig. Daran erinnert schon der Dual "Himmel und Erde", mit dem in
wird' whrend bei der Umkehrung der Betrachtung die gttliche Liebe als der Bibel (Gen 1,1) und im Bekenntnis (Apostolicum und Nicaenum) das
Geg:nstand eines welthaften Anspruches verstanden und damit verkannt Schpfungswerk zusammenfassend beschrieben wird. Daran erinnern
und zerstrt werden knnte. Die Treue Gottes als Verllichkeit der abervr allem die erfahrbaren Differenzierungen, in denen uns die ge-
gttlichen Liebe und diese als den inneren Grund der Entstehung und d~s schaffene Welt begegnet. Die Lehre vom Geschpf (sing.) hat damit
Bestehens der Welt zu denken, das ist es, was der Gedanke der creatlO zweierlei zu bedenken: einerseits die Vielfalt und Unterschiedenheit der
continua(ta) als wichtiges Element des christlichen Glaubens zum Aus- Geschpfe und andererseits das sie Verbindende, das sie alle zu Geschp-
druck bringt. fen macht.

12.2 Die Geschpfe

In vielen Dogmatiken war es bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhun-


derts blich, in der Lehre von den Geschpfen ausschlielich die Anthro-
pologie zu behandeln 26 Gegenber diesem Anthropozentrismus, ja

26 Exemplarisch hierfr K. Barth, KD IIJ/2. Dieser Teilbau? der Kirchliche~


Dogmatik, der die Lehre vom Geschpf enthlt, beginnt mIt dem Satz: "Weil stand der theologischen Lehre vom Geschpf berhaupt" (a.a.O., S. 1).
der Mensch - unter dem Himmel, auf der Erde - das Geschpf ist, dessen hnlich o. Weber, Grundlagen der Dogmatik, 1. Bd., Neukirchen (1954)
Verhltnis zu Gott uns in Gottes Wort offenbar ist, darum ist er der Gegen- 19775, S. 582 ff. u. 615 ff.
426 Die geschaffene Welt Die Geschpfe 427

12.2.1.1 Die Vielfalt der Geschpfe Nahrung gegeben (Gen 9,3). D. h. aber: Zu ihrer (schpfungsgemen
bzw. durch die Snde bedingten) Bestimmung gehrt es, um der Erhal-
Nicht nur die summarischen Formeln "Himmel und Erde"27 sowie "Sicht- tung des Daseins von anderen willen ihr Leben herzugeben. Eine
bares und Unsichtbares"28 erinnern an die Vielfalt der Geschpfe, son- solche funktionale Bestimmung gibt es fr den Menschen nicht. An
dern mehr noch die differenzierte Beschreibung des Schpfungswirkens ihre Stelle tritt die Bestimmung des Menschen zum Ebenbild Gottes
Gottes in den Schpfungserzhlungen und -psalmen. In ihnen wird ge- (Gen1,26 f.; s. dazu u. 12.2.2.2). Da das (schon) im Alten Testament
sprochen von der Erschaffung von Himmel, Erde und Meer, Gras, Kraut so gemeint ist, zeigt die Tatsache, da das Verbot der Ttung des
und Bumen, Sonne, Mond und Sternen, Wasser-, Luft- und Landtieren Menschen mit dessen Gottebenbildlichkeit begrndet wird (Gen
sowie (schlielich) der Menschen. Dabei kann das gttliche Schaffen 9,5 f.), wobei dieses Verbot sich unmittelbar anschliet an die Erlaub-
sowohl als ein unmittelbares Hervorbringen (durch das Wort oder eine nis fr den Menschen, Tiere (allerdings ohne ihr Blut) zu essen
Handlung) verstanden werden (so z. B. Gen 1,3.6.14 u. 27; 2,7), also als (Gen 9,3 f.). Einen Menschen zu tten, kann nach biblischer Vorstel-
creatio immediata, oder als ein Hervorgehenlassen (so z. B. Gen 1,11 u. lung nur gerechtfertigt werden als Shne fr die Ttung eines anderen
24; 2,9 f.), also als creatio mediata. Die creatio mediata ist insofern fr Menschen sowie als letztes Mittel zur Rettung oder Bewahrung ande-
unsere Thematik besonders interessant, als daranerkennbar wird, da ren menschlichen Lebens.
das schpferische Wirken Gottes (sei es als verursachendes oder bejahen- - Von unserem naturwissenschaftlichen Kenntnisstand her lt sich
des Wirken verstanden) sehr wohl als vermitteltes Wirken gedacht wer- ergnzen, da es im anorganischen Bereich nicht nur fr die Gestirne
den kann, bei dem die Erschaffung des einen Geschpfs bereits die Exi- eine funktionale Bestimmung gibt (s. Gen 1,14-18), sondern ebenso
stenz eines anderen voraussetzt und aus ihm hervorgeht. fr Licht, Erde und Meer. Die Photosynthese als Grundvorgang des
Von der Vielfalt der Geschpfe lt sich im Blick auf ihre gttliche pflanzlichen Lebens ist der anschauliche Koinzidenzpunkt, an dem
Bestimmung dreierlei sagen: diese Elemente (Licht, Wasser, Mineralien) von den Pflanzen fr ihr
- Jede der - exemplarisch aufgezhlten - Gruppen oder Typen von Wachstum "verwendet" und "verbraucht" und damit den Pflanzen
Geschpfen ist "gut" - allein durch ihr Dasein, das der Absicht und anverwandelt werden. Bei oberflchlicher Betrachtung handelt es sich
Bestimmung des Schpfers entspricht. Sie sind nicht nur gut, weil sie dabei um einen Funktionszusammenhang mit einem einsinnigen
zu etwas gut sind, sondern es ist ein Reichtum, da es sie gibt. Das Richtungspfeil vom "Niederen" zum "Hherentwickelten". Dabei
kommt mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck bei den Pflanzen, kommt aber nicht ausreichend zur Geltung, da es auch einen (in
Tieren und Menschen, die alle dazu bestimmt sind, fruchtbar zu sein, seiner Bedeutung vielleicht geringeren und deshalb bersehbaren) ent-
d. h.: ihr Leben weiterzugeben. Durch ihre Lebendigkeit, ihr Wachs- gegengesetzten Richtungspfeil gibt. Zwar geht menschlicher Geist
tum und ihre Fruchtbarkeit bringen sie selbst die Freude am Dasein nicht (jedenfalls nicht fr uns erkennbar) in Mineralien, Pflanzen oder
sinnlich zum Ausdruck. Tiere ein, aber die mineralischen Anteile, die die hherentwickelten
- Ohne das bisher Gesagte einzuschrnken, gilt nun aber zustzlich: Das Geschpfe haben, gehen nicht erst nach deren Tod, sondern schon
Anorganische und die Pflanzen haben nach biblischem Verstndnis durch Atmung und Stoffwechsel wieder in die anderen Arten von
von Haus aus eine Funktion: Sie sind nicht nur in sich gut, sondern Geschpfen ber. Trotz des bekannten, einleuchtenden Satzes: "Die
auch "gut zu etwas". Fr die Tiere gilt das nicht ursprnglich, sondern Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur", gibt es eine
erst (nach der Sintflut) aufgrund der "menschlichen Bosheit" (Gen 6,5 solche Wechselwirkung, die darauf hinweist, da schon die Entgegen-
u. 8,21). Aufgrund dieser Funktionsbestimmung sind Pflanzen den setzung von "wir" und "Natur" schief ist. Denn wir sind und bleiben
Tieren und Menschen (Gen 1,29 f.) und Tiere den Menschen zur ein Teil der Natur. Und sofern wir das sind, gibt es auch ein Abgeben,
ja ein Zerstrt- und Aufgelstwerden des menschlichen Krpers (wie
27 Diese summarische Formel findet sich von Gen 1,1 bis Apk 21,1 in zahlrei- der tierischen Krper und der Pflanzen), durch das er eine funktionale
chen biblischen Aussagen. Bestimmung gegenber dem Anorganischen und den niedrigeren For-
28 Diese Formel taucht bereits einmal in der Bibel auf, und zwar in Verbindung men des Lebens erfllt.
mit "Himmel und Erde", nmlich Koll,16, und hat Eingang ins Nicaenum
gefunden.
Die Geschpfe 429
428 Die geschaffene Welt

besondere Aktivitten, Anstrengungen oder Leistungen der Geschp"


12.2.1.2 Die Einheit der Geschpfe fe, sondern allein durch ihr Dasein, wobei dies angesichts der Grau-
samkeiten, die es in der Natur gibt, fr uns oft unerkennbar und
Das ber die Vielfalt und Unterschiedenheit der Geschpfe Gesagte wird rtselhaft bleibt. Dies ndert jedoch nichts daran, da es nach christ-
nun nicht aufgehoben, sondern vorausgesetzt. Aber da es eine Vielfalt lichem Verstndnis die eigentliche und hchste Bestimmung der ge-
der Geschpfe gibt, ist nicht alles, was ber sie gesagt werde~ ka~n. Es schaffenen Welt ist, ein Lob Gottes zu sein. 3l
gibt auch eine Einheit - zumindest eine so!che, di~ uns be~ec~tlgt, ~le al.le - Gerade in dieser Einheit wird nun die besondere Stellung und Bestim-
als "Geschpfe" zu bezeichnen. Aber das 1st nur eme be~rl(fllch.e El~helt. mung des Menschen erkennbar: Er ist nicht nur mit seinem Dasein
Darber hinaus lt sich auch eine konkrete, lebensmal!1i~ Emhelt der ein Lob Gottes (Ps 8,6), sondern er kann erkennen, da es bei ihm
Geschpfe ausmachen. Genau besehen haben schon die Uberlegung~n selbst und bei allen anderen Geschpfen so sein soll. Und deswegen
zur Vielfalt der Geschpfe wesentliche Hinweise darauf enthalten, worm kann auch der Mensch - soweit wir erkennen knnen - als einziges
diese Einheit zu suchen ist - zeigte sich doch, da die Vielfalt zu verst.ehe~ unter den Geschpfen dieser Bestimmung in seinem Verhalten ent-
ist als die Vielfalt eines geordneten Zusammenhanges, fr den dreIerleI sprechen oder ihr widersprechen. Und er kann dies so wirksam tun,
charakteristisch ist: da davon die anderen Geschpfe auf eine Weise betroffen werden,
_ Die geschaffene Welt stellt sich dar als ein stufenfrmiger Au~au, in da an ihnen das Lob Gottes nicht mehr (oder nur mit groer Mhe)
dem die frheren Stufen nicht eliminiert, sondern aufbewahrt.sm.d, so wahrgenommen werden kann. Das Lob Gottes oder die Verweige-
da ein kohrenter evolutionrer Zusammenhang besteht mIt eme.m rung des Lobes Gottes (und damit die Verachtung Gottes) geschehen
dominierenden Richtungssinn, dem jedoch eine pa~tiel~e ~ech~e~wlr in einem Gesamtzusammenhang, an dem alle Geschpfe partizipie-
kung korrespondiert. 29 D. h.: Die geschaffene Welt Ist.~m emhelthcher ren. Und darum hat Paulus wohl recht, wenn er behauptet, da die
Proze in dem letztlich alles mit allem zusammenhangt und darum Kreatur ngstlich darauf wartet, da die Kinder Gottes offenbar
auch altes voneinander abhngt. Die Einheit der Geschpfe. b~steht werden: "Denn wir wissen, da die ganze Schpfung bis zu diesem
n icht nur darin, da sie in einem groen Zusammenhang eXIstIeren, Augenblick mit uns seufzt und sich ngstet" (Rm 8,19 u. 22). Was
h" 30
ist das fr ein Geschpf, dem so viel anvertraut und zugetraut ist, und
sondern da sie als dieser Proze und Zusammen ang eXIstIeren.
Dabei gehrt zu diesem Zusammenhang auch die Tatsache, da es das so schrecklich versagen kann? Was ist der Mensch inmitten der
funktionale Zuordnungen gibt, aufgrund deren gesagt werden mu: anderen Geschpfe?
Die Existenz des einen ist von der Preisgabe (dem Ende, Tod) der
Existenz des anderen abhngig. .
Die geschaffene Welt stellt sich dar als eine in sich differenzler~e 12.2.2 Der Mensch als Geschpf Gottes
Einheit, in der sowohl die differenzierenden El~mente und Typen !,e
fur sIch als auch die Einheit des GeschaffeIien 1m ganzen als. "gut , Die theologische Lehre vom Menschen, also die theologische Anthropo-
und d. h. auch: als erhaltenswert .beurteilt und bezeichnet werd~n. logie, bezieht sich auf die philosophische Anthropologie sowie auf die
Vordergrndig betrachtet knnte man aufgr~nd.d~~ priesterschrlft- Ergebnisse der biologischen, soziologischen, psychologischen, pda-
lichen Schpfungserzhlung sagen: Gott lobt dIe Sc~opfung .. ~ber d~s gogischen etc. Anthropologie. Sie hat ihr Spezifikum aber nicht darin, da
ist nur an der Oberflche richtig; denn Gott lobt dIe Welt, WIe er SIe sie diesen philosophischen und humanwissenschaftlichen Ergebnissen
(als ihr innerer Grund) erschaffen hat. Genau betrac~tet i~t es.daher weitere Aussagen ber den Menschen auf gleicher Ebene hinzufgt (etwa
so, da die Schpfung den Schpfer lobt. Das geschIeht mcht durch ber den Menschen als religises Wesen), sondern sie reflektiert den
Menschen einschlielich alles dessen, was die Philosophie und die Human-
29 Es spricht vieles fr die Annahme, da genau dieses Mode~l auch g~t~g ist fr
die (gelingende) psycho-soziale Entwicklung des .menschhchen. IndlVl~uu~s. 31 Biblische Belege hierfrfinden sich Gen 1; Hi 38 f.; Ps 19,1-7; 29; 104 u. 147;
Neuere psychologische uI1d pdagogische EntwlCklungstheonen welsen Je- les. 55,12; aber auch Mt 6,26-29. Die formelhafte Zusammenfassung in dem
denfalls in diese Richtung. Vgl. dazu u. 14.1.3.1. Satz: "Gott loben, das ist unser Amt" findet sich freilich erst im Gesangbuch
30 Dies ist einer der Punkte, an dem die Bedeutung des "verbindenden Erken- (EG 288,5).
nens" (s. o. 7.1.4) deutlich sichtbar wird.
430 Die geschaffene Welt
Die Geschpfe 431

wissenschaften ber ihn ermitteln knnen, in seiner von Gott gegebenen


~~t (~ielen! Tieren gemeinsam hat, was also zu seiner "Animalitt" ge-
Bestimmung. Im Zentrum der theologischen Anthropologie steht deswe-
hort, ist seme Empfindungsfhigkeit (anima sensitiva) fr Sinnesreize (z.
gen die Frage nach der gttlichen Bestimmung des Menschen (12.2.2.2).
B. Wahrnehmungen und Schmerzempfindungen). Was ihn dagegen von
Ihr ist jedoch vorgeordnet die Beschftigung mit dem Begriff "Mensch"
allen anderen Lebewesen (als differentia specifica) unterscheidet ist seine
und damit zugleich mit der Unterscheidbarkeit dieses Geschpfs von den
~ationa~itt (anima rationalis). Dabei ist zu beachten: Nicht di;se spezi-
anderen Geschpfen (12.2.2.1). Der Beschftigung mit der gttlichen
fische Differenz, sondern nur die Verbindung und Einheit von Ani-
Bestimmung des Menschen nachgeordnet ist die Verhltnisbestimmung
malitt" und Rationalitt macht das Menschsein aus. Die Krperli~hkeit
des Menschen zu den brigen Geschpfen, die sich aus seiner Bestimmung
des Menschen und seine Zugehrigkeit zu den Lebewesen drfen nicht als
ergibt (12.2.2.3).
unerheblich beiseite oder auer acht gelassen werden. 35 Die Seele existiert
(in jeder ihrer Bedeutungen) nicht unabhngig von der Krperlichkeit der
12.2.2.1 Der Begriff "Mensch" Lebewesen, sondern durchdringt und bestimmt diese. Damit erhlt die
K?rperlichkeit der lebendigen Wesen einen spezifischen Charakter: Sie
Wenn die Gefahr vermieden werden soll, in der theologischen Anthropo- Wird zur Leiblichkeit. 36
logie zu Aussagen zu kommen, die den Menschen gegenber den anderen .. .Der Mensch ist also zu verstehen als - krperliches, empfindungs-
Geschpfen isolieren oder verabsolutieren, dann empfiehlt es sich, schon fahiges - L~bewesen, das vernunftbegabt ist. Zur Nherbestimmung des-
bei der Definition des Begriffs "Mensch" den Zusammenhang und die sen, was ~it "Vernunftbegabtheit" oder "Rationalitt" gemeint ist, ist in
Zusammengehrigkeit des Menschen mit den anderen Geschpfen im der Ges~h~cht~ der Anthropologie immer wieder auf die Sprache oder
Blick zu behalten. Das leistet bereits die klassische - der Sache nach Sprachfahlgkelt des Menschen rekurriert worden. Da Rationalitt mit
vermutlich auf Alkmaion 32 zurckgehende - "Definition "33 des Menschen Sprache, genauer: mit der Verwendung von Zeichen zu tun hat ist sicher
. h . 37 b I b '
als ,,~0ov ?loyov exov"34, als "animal rationale", als"vernunftbegabtes r~.c .tlg .' a er er a~ t nicht die Gleichsetzung von Rationalitt mit Sprach-
Lebewesen". Wird der Mensch dabei als ,,~0ov" bzw. als "animai" ver- fahigkeit oder Zeichengebrauch. Auch Tiere, Pflanzen, ja sogar (chemi-
standen, so wird er damit jedenfalls eingeordnet in die Klasse der Lebewe- sche) Elemente kommunizieren mittels Zeichen und knnen dabei be-
sen, zu denen (nach traditioneller Auffassung) neben den Menschen nicht achtliche Verstndigungsleistungen erbringen. Wrde man hingegen
nur die Tiere, sondern auch die Pflanzen zu zhlen sind. Was den Men- "S~rache" a~f die Sprache der Wrter begrenzen, so wre zu sagen, da
schen darber hinaus mit allen anderen geschaffenen Dingen verbindet, Worter an Sich weder Rationalitt garantieren, noch ein ausschlielich
ist seine Krperlichkeit. Was ihn mit allen anderen Lebewesen verbindet, menschliches Kommunikationsmittel darstellen.
ist seine Lebendigkeit, und d. h. nach traditioneller Auffassung: der Besitz ~ls "rational" kann ein Umgang mit Zeichen bzw. Sprache nur dann
einer vegetativen Seele (anima vegetativa). Was der Mensch dagegen nur bezeichnet werden (s. o. 1.1.3), wenn er die Fhigkeit einschliet,

32 S. Die Vorsokratiker, Hg. W. Nestle, DsseldorflKln (1956) ND 1978, Begriffe zu bilden und voneinander zu unterscheiden'
S.97. Aussagen, d. h. sinnvolle sprachliche Gebilde, die w~hr oder falsch
33 hnlich wie beim Begriff "Gott" kann auch beim Begriff "Mensch" gefragt sein knnen, zu formulieren;
werden, ob eine Definition im strengen Sinn berhaupt mglich sei. E. Jngel
(Wertlose Wahrheit, 1990, S. 199) weist darauf hin, da sich in der Neuzeit
35 Hier zeigt sich erneut (s. o. 2.1.2), wie irrefhrend es sein kann wenn das
immer strker die Einsicht durchsetzt oder jedenfalls der Eindruck verbreitet,
Wesen einer Sache mit dem Unterscheidenden und Unverwechselbaren iden-
es gelte nicht nur der Satz: "Deus definiri nequit", sondern auch der neue Satz: tifiziert und von ihm her bestimmt wird.
"Homo definiri nequit".
36 Vgl. hierzu E. Herms, Der Leib als Sybol menschlicher Freiheit und Abhn-
34 Auch die auf Aristoteles zurckgehende Definition des Menschen als "l;if>ov
gigkeit, in: ders., Sport. Partner der Kirche und Thema der Theologie, Han-
1TOAlTIKOV", d. h. als (von Natur) nach Gemeinschaft strebendes Lebewesen,
nover 1993, S. 13-24, bes. S. 17-19.
enthlt diesen Bezug zu den anderen Geschpfen. Sie unterscheidet den Men-
37 Vgl. die treffend~ Bemerkung von J. G. Herder (Smmtliche Werke, Bd. 5, Hg.
schen jedoch nicht hinreichend deutlich von anderen Lebewesen, die gleich-
B. Suphan, Berlm 1891, S.47), da die Sprache der "wrkliche Unter-
falls von Natur aus gemeinschaftsbezogen sind (z. B. Insekten oder Herden-
~cheid~ngscharakter unsrer Gattung von auen ..., wie es die Vernunft von
tiere) und eignet sich deswegen weniger gut. Innen Ist".
432 Die geschaffene Welt Die Geschpfe 433

Schlufolgerungen zu ziehen, d. h. aus gegebenen Aussagen andere 39


chend , aber d. h. auch bei Luther nicht, sie sei gnzlich unbrauchbar.
Aussagen abzuleiten. Zur Abgrenzung des Menschen von anorganischen Substanzen von Pflan-
Wo sich aufgrund von uerungen oder Verhaltensweisen eines Le- zen und Tie~en kann sie etwas leisten - aber nur wenig zur B:schreibung
bewesens erschlieen lt, da auch nur eine dieser drei Fhigkeiten des menschhchen Wesens, also der Humanitt.
gegeben ist, da knnen wir davon ausgehen, da Rationalitt vorliegt. b) Ein anderes Bedenken, das in der ethischen Diskussion wieder an
Und wenn es sich tatschlich um ein Lebewesen handelt, das diese Fhig- Gewicht gewonnen hat, artikuliert sich in der Frage, ob die Definition des
keit besitzt (also nicht etwa um einen Computer), dann wre - dieser ~enschen als a.nimal rationale nicht zu eng sei, weil durch sie alle dieje-
Definition zufolge - davon auszugehen, da dieses Lebewesen ein Mensch m~en (men~chhchen) Wesen aus dem Begriff "Mensch" ausgeschlossen
ist. Diese "Definition" des Begriffs "Mensch" enthlt freilich zwei Proble- wurden, bel denen aufgrund ihres Entwicklungsstandes oder ihres Ge-
me, die in anthropologischer und ethischer Hinsicht von erheblicher Be- su~dheits.zusta~des Rationalitt nicht vorhanden (jedenfalls nicht nach-
deutung sind: weIsbar) ~~t. DIe ~this~he Problematik besteht darin, da mit dem Begriff
a) Die Definition "homo est animal rationale" kann den Eindruck "Mensch zugleIch dIe Anwendbarkeit der Begriffe "Menschenrecht"
erwecken, das, was den Menschen nicht nur von anderen Lebewesen und "Menschenwrde" zur Diskussion steht. Insbesondere im Blick auf
unterscheidet, sondern was auch das Spezifische des Menschseins aus- menschliche Embryonen, schwerbehinderte Suglinge, krankheits- oder
macht, also die Humanitt, sei gleichzusetzen mit der Rationalitt. Dar- altersbedingte I?emente .o~er sog. Hirntote wird immer wieder die Frage
aus wrde folgen: je rationaler, desto menschlicher. Das kann so nicht gestellt, ob es sIch dabeI eIgentlich "schon" oder "noch" um Menschen
stimmen, weil Rationalitt in jeder ihrer Formen in den Dienst der Inhu- h~ndele, ob de~~n Le~en d~rum unbedingt schutz- und erhaltungswrdig
manitt treten kann und weil eine einseitige Entwicklung der rationalen seI oder ob daruber mcht vIelmehr aus anderen ethischen oder konomi-
Fhigkeiten das Menschsein nicht erblhen, sondern eher verkmmern schen Grnden verfgt, und d. h.: ob es nicht unter bestimmten Umstn-
lt. Das zeigt, da Rationalitt nicht mit Humanitt gleichgesetzt wer- den get~tet werden knne. Wie lt sich unter Anerkennung der partiellen
den kann. Be~echtIg~ng der Defi~ition des Menschen als animal rationale argumen-
Bei der Fragenach dem Spezifischen des Menschseins, also nach der tatIv begrunden, ?a dIe Ausklammerung einzelner Individuen oder Grup-
Humanitt, sind deshalb Formeln, wie wir sie bei E. Levinas oder K. E. pen aus den Begnffen "Mensch", "Menschenrecht" und "Menschenwr-
L0gstrup finden, viel angemessener: die Fhigkeit, einander von Ange- de" ~us der Sicht des christlichen Glaubens inakzeptabel ist?
sicht zu Angesicht zu begegnen, im Angesicht des anderen die (unausge- Emen gangbaren Weg dazu hat m. E. D. Bonhoeffer gewiesen wenn
sprochene) Bitte um Schutz, Vertrauen und Zuwendung wahrzunehmen, er in sei~e~ ,,~thik"40 schreibt: "Die Frage, ob es sich bei Fllen a~gebo
angeredet zu werden und darauf in Freiheit zu antworten. 38 Aber solche rener IdIOtIe uberhaupt um menschliches Leben handelt ist so naiv da
Formeln eignen sich nach traditionellen Kriterien nicht zur Definition des sie kaum ei~er~ntwort bedrfte. Es ist von Menschen geborenes, kr;nkes
Menschen; denn sie sprechen eher das Einfhlungsvermgen als das ra- Leben, das Ja mchts anderes sein kann als, freilich hchst unglckliches
tionale, begriffliche Denken an. Andererseits hat eine Definitionsformel mens.chliches Leben." Die entscheidende Prmisse, von der Bonhoeffe;
wie "animal rationale" durchaus einen Bezug zu solchen personalen dabeI Gebrauch macht, lautet: "Von Menschen geborenes Leben ist
Beschreibungen, ohne mit ihnen identisch zu sein: In der personalen, menschliches Leben." Diese Prmisse hat nicht den Charakter einer De-
dialogischen Begegnung mit dem anderen ist die Fhigkeit nicht nur zur finition des Begriffs "menschliches Leben", sondern ist zu verstehen als
Wahrnehmung und Empfindung, sondern auch zum Bewutsein und zur Hinweis darauf, da bei der Entscheidung, ob ein Wesen ein Mensch"
Reflexion vorausgesetzt und mit enthalten. Deshalb kann man - mit ist,. nicht isoliert das Einzelwesen betrachtet werden darf, so~dern es in
Luther - sagen, die Definition "Homo est animal rationale" sei unzurei- semem Zusammenhang, und zwar primr in seinem Abstammungs-
zusammenhang gesehen werden mu. Alles, was (durch Geburt) von

38 Vgl. dazu E. Levinas, Humanismus des anderen Menschen (1972), dt. Ham-
39 Lut~er nenn~ si~ in seiner "Disputatio de Homine" (WA 39 1,176,4) "exigua,
burg 1989, bes. S. 37-47,68-74 u. 91-102 sowie K. E. L0gstrup, Die ethische lubnca et lllmiO materialis", d. h. "drftig, schlpfrig und allzusehr am
Forderung (1956), dt. Tbingen (1959) 19893, bes. S. 7-30; vgl. auch ders., Materiellen orientiert".
Norm und Spontaneitt (1972), dt. Tbingen 1989, bes. S. 6-36. 40 Werke, Bd. 6, Mnchen 1992, S. 190.
434 Die geschaffene Welt Die Geschpfe 435

Menschen abstammt, ist selbst Mensch - vom ersten bis zum letzten Geschpf ausgesagt wurde. Und d. h.: Der Mensch wird von seiner
Augenblick seines Daseins -, und niemand hat das Recht, ihm -dies abzu- schpf~ngsmigen Bestimmung her in einer bestimmten, ausgezeichne-
sprechen. Das Recht, ein Mensch zu sein, wird einem Kind auch nicht erst t~n Be~tehung zu Gott gesehen. Diese Beziehung wird ausgedrckt durch
durch seine Akzeptanz seitens der Eltern verliehen (und knnte dement- dIe belden hebrischen Begriffe "zelem" und "d'mut" ("elKc.0v" und
sprechend u. U. auch wieder entzogen werden). Nein: Es handelt sich um ,,6~oiO)~a"; "imago" und"similitudo"). Seit Irenus von Lyon hat man
ein Recht und eine Auszeichnung, die schon mit seinem Dasein, also mit immer wieder gemeint, damit wrden zwei unterscheidbare Sachverhalte
seiner physischen Existenz gegeben ist. ausgesagt, nmlich einerseits die (bleibende) geschpfliche Ausstattung
Von daher lt sich sagen: Der Begriff "Mensch" bezeichnet das des Menschen mit Vernunft und Willen, andererseits die (durch die Snde
Gattungswesen, das als "vernunftbegabtes Lebewesen" definiert werden verlorene) Entsprechung des Menschen zu Gottes Willen im Zustand der
kann. D. h.: Jedes vernunftbegabte Lebewesen und jeder Abkmmling urspr.nglich~~ Vollkommenheit ("status integritatis"). Nach einhelliger
eines vernunftbegabten Lebewesens ist "Mensch". Damit ist zwar nur exegetIscher Uberzeugung ist eine solche Unterscheidung aber von den
etwas vergleichsweise uerliches ber den Menschen gesagt, aber das ist Begriffen her nicht gerechtfertigt. Zwar bezeichnet "zelem" eher das
als solches nicht unwichtig. Wohl aber ist es im Blick auf das theologische Standbild oder die Statue mit Bildcharakter, whrend "d'mut" eher das
Nachdenken ber den Menschen, sein Wesen und seine Bestimmung zu Bild im Sinne des Vergleichbaren und hnlichen meint, aber dabei handelt
drftig und unzureichend. es sich eben nicht um zwei selbstndige Teile oder Elemente sondern um
wechselseitige Nherbestimmungen. Luthers bersetzung: ,:ein Bild das
uns gleich sei" (Gen 1,26), bringt das gut zum Ausdruck. '
12.2.2.2 Die Bestimmung des Menschen zum Ebenbild Gottes Entscheidend ist nun: Es ist nicht etwas am Menschen das ihn zu
einem Bild Gottes macht - sei es die krperliche Gestalt der aufrechte
Erst dieser zweite Unterabschnitt fhrt in das Zentrum der theologischen Gang, die Geistnatur, die Ansprechbarkeit, die Zweige;chlechtlichkeit
Anthropologie, indem darber nachgedacht werden soll, was aus der ?der der H~rrsch~ftsauftrag -, sondern gemeint ist die Existenz im Gegen-
Sicht des christlichen Glaubens das Wesen des Menschen ausmacht. Die ube~ und m Bezle~ung zu Gott insgesamt, die seine Erschaffung und
biblischen Aussagen, die hierfr magebend sind, konzentrieren sich auf BestI~mung zum BIld Gottes ausmacht. Diese Bestimmung ist mit dem
einige wenige alttestamentliche Stellen, die freilich eine beachtliche ?asem des Menschen gegeben, und der Mensch entspricht ihr, indem er
Wirkungsgeschichte schon im Neuen Testament, erst recht aber in der m Bundestreue, d. h. in Gerechtigkeit, Gott gegenber lebt. Er kann diese
Geschichte der christlichen Theologie gehabt haben. Neben Ps 8 sind es Bestimmung zwar verleugnen und ihr widersprechen, aber er hat sie auch
besonders die Aussagen von Gen 1,26 f., auf die dann Gen 5,1 ff.; 9,6; nach dem " Sndenfall" nicht verloren (s. Gen 5,1 u. 3 sowie 9,6). Was
I Kor 11,7; Ko13,10 u. Jak 3,9 Bezug nehmen, die hier zu bedenken sind: folgt aus diesen knappen biblischen Aussagen ber die Bestimmung des
"Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich Menschen fr die theologische Anthropologie?
sei, die da herrschen ber die Fische im Meer und ber die Vgel unter ~ine unmitt~lbare bernahme des biblischen Befundes in die syste-
dem Himmel und ber das Vieh und ber alle Tiere des Feldes und ber matIsch-theologIsche Anthropologie ist aus hermeneutischen Grnden
alles Gewrm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu grundstzlich nicht mglich. Im Blick auf unsere jetzige Fragestellung ist
seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und a?e~ auerdem zu bedenken, da die Sprache und Vorstellungsart der
Weib." Die darin ausgesprochene Erschaffung und Bestimmung des Men- bIblIschen Aussagen ber die Erschaffung des Menschen zum Bild Gottes
schen zum Bild Gottes gilt - zu Recht - in der gesamten christlichen geprgt sind von einem Gottesverstndnis, demzufolge Gott von den
berlieferung als die entscheidende theologische Aussage ber den Men- Geschpfen zwar qualitativ verschi;den ist, aber mit ihnen kategorial
schen, die ihn einerseits von allen anderen Geschpfen unterscheidet (da- durchaus als gleich gedacht wird. Da so von Gott geredet wird, kann
von soll in diesem Unterabschnitt die Rede sein), ihn andererseits aber man durchaus als bildhafte, metaphorische Anschauungs- und Aus~
auch zu allen anderen Geschpfen in Beziehung setzt (dies ist das Thema drucksform akzeptieren, ja sogar fr unverzichtbar erklren. Aber dies
des folgenden Unterabschnitts). b.eko~~ hie:, ~o es ~m die Gottebenbildlichkeit des Menschen geht,
Die Erschaffung des Menschen zum Bild Gottes ist in der priester- eme tIef m dIe mhaltlIchen Fragen hineinreichende Bedeutung. Davon
schriftlichen Schpfungserzhlung das Neue, das von keinem anderen hngt nicht nur ab, inwiefern der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet
Die geschaffene Welt Die Geschpfe 437
436

werden kann, sondern auch, welche Bedeutung der Begriff "Ebenbild" Bestimmung zur Liebe ist, die freilich als solche unverbrchlich fr ihn
in diesem Zusammenhang haben kann. Worin besteht das Problem? gilt. Und weil sie unverbrchlich gilt, darum besteht im Blick auf jeden
Wenn Gott als ein hchstes Wesen zu denken wre, dem andere (nied~ Menschen die Hoffnung, da sie sich ihm (wieder) erschlieen und er sie
rigere) Wesen gegenberstehen, dann wre es durchaus sinnvoll, vo~ (wieder) finden kann. Aber diese Aussage gehrtbereits in die Soteriologie
einem anderen (laut Ps 8,6 nur wenig niedrigeren) Wesen zu sagen, es sel (s. u. 14.1.4.1).
ein Abbild, ein Ebenbild oder ein Gegenber Gottes, und zwischen beiden
bestehe eine gewisse Gleichheit oder hnlichkeit. Aber welchen Sinn
haben solche Aussagen, wenn zwar der Mensch als ein solches Wesen zu 12.2.2.3 Das Verhltnis des Menschen
denken ist, aber Gott den Charakter einer (dynamischen, relationalen) zu den anderen Geschpfen
Wirklichkeit hat? Wenn Gott also seinem Wesen nach als "Geist" (Joh
4,24) oder als "Liebe" (I Joh 4,8 u.16) zu denken ist - was heit es dann, Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Auszeichnung und Bestim-
da der Mensch zu Gottes Ebenbild geschaffen ist? mung des Menschen zum Ebenbild Gottes ist immer wieder von seinem
Unter Beachtung des kategorialen Unterschiedes zwischen Gott und Herrschaftsauftrag ber die anderen Geschpfe, insbesondere ber die
Mensch kann das heien, da der Mensch als geistbegabtes oder als Tiere die Rede (so z. B. Gen 1,26 u. 28; 9,2; Ps 8,7). Diese Verbindung von
liebendes Wesen ein Ebenbild Gottes ist. "Ebenbild" heit dabei: eine "imago" und "dominium terrae" hat die Meinung aufkommen lassen, die
gelebte Veranschaulichung, eine Darstellung, ja eine Verwirklichungs- Gottebenbildlichkeit werde durch den Herrschaftsauftrag definiert, sei
form des Wesens GottesY Diese Interpretation versucht die exegetische also mit ihm identisch. 43 Aber die genaue Beachtung des Textzusammen-
Einsicht ernst zu nehmen, da es nicht etwas am Menschen ist, das ihn hanges und das theologische Durchdenken der Thematik zeigen gleicher-
zum Ebenbild Gottes macht, sondern da der Mensch darin Ebenbild maen, da der Herrschaftsauftrag zwar eine Konsequenz aus der
Gottes ist, da er in seiner leib-seelischen Ganzheit in einer Beziehung zu Gottebenbildlichkeit ist - aber eben deshalb nicht mit ihr identisch.
Gott und zu seinem Mitmenschen existiert, die ihrerseits dem Wesen Freilich werden auch gegenber einem aus der Gottebenbildlichkeit
42 abgeleiteten Herrschaftsauftrag an den Menschen insbesondere in den
Gottes entspricht, also den Charakter der Liebe hat.
Aus dem Gesagten wird deutlich, da der Mensch die Gotteben" letzten Jahren und Jahrzehnten massive Bedenken vorgebracht. Als For-
bildlichkeit nicht hat wie eine Eigenschaft oder einen Teil seines Wesens, mel findet die darin enthaltene Kritik ihren Ausdruck in der Rede von den
sondern da sie die dem Menschen zugesagte, zugedachte und zugemutete "gnadenlosen Folgen des Christentums"44. In Reaktion auf diese Kritik
wird dem von christlicher Seite hufig als positives Motto entgegenge-
41 Als Querverbindung zur Christologie (s. o. 9.4.1) sei noch ~inmal auf die stellt: "nicht ,herrschen', sondern ,bauen und bewahren'!" Damit wird
neutestamentliche Rede von Jesus Christus als dem Ebenbild Gottes verwie- bekanntlich die Aufgabenstellung zitiert, die im jahwistischen Schp-
sen (II Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3). Damit kommt zum Ausdruck, da in fungsbericht dem Menschen gegeben wird: "Und Gott der Herr nahm den
Jesus Christus die Bestimmung des Menschen vollkommen realisiert ist, und Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, da er ihn bebaute und
gerade so ist er zugleich das Ebenbild Gottes: "ein Spiegel des vterlichen bewahrte" (Gen 2,15). Aber schon die Tatsache, da die beiden Texte
Herzens" (BSLK 660,41 f.). Gen 1,26-28 und Gen 2,15 nebeneinanderstehen und miteinander ber-
42 Zumindest als ein Hinweis in diese Richtung ist - im Anschlu an K. Barth
(KD IIII2, S. 344-360) - die Tatsache zu werten, da sowohl in Gen 1,27 als
liefert werden, mu hier vor einer Entgegensetzung warnenY
auch in Gen 5,1 f. die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes in
Verbindung gebracht wird mit der Unterscheidung und Zuordnung von Mann 43 "zelem" wre dann zu verstehen als Bezeichnung fr den Reprsentanten
und Frau in ihrem Bezogensein aufeinander. Von daher lt sich die Aussage oder Statthalter, der im Auftrag Gottes die Herrschaft ber die Erde ausbt.
wagen, da die ganzheitliche Liebesbeziehung von Mann und Frau ~ine 44 So im Untertitel des Buches von earl Amery, Das Ende der Vorsehung,
unberbietbare Form erlebter Veranschaulichung des Wesens Gottes 1st- Reinbek 1972.
ohne da damit andere Liebesbeziehungen herabgesetzt werden. Wenn die 45 Wrde man unterstellen, da es sich hierbei im Sinne der biblischen Autoren
Liebe zwischen den Geschlechtern freilich mit dem Wesen Gottes identifiziert oder Redaktoren um eine Entgegensetzung handelt, so mte man im brigen
und damit zur Religion oder zum Religionsersatz gemacht wird, leiden Glaube annehmen, da die ltere Aussage, in der vom Bebauen und Bewahren die
und Liebe schweren Schaden (vgl. dazu U. BecklE. Beck-Gernsheim, Das ganz Rede ist, durch die jngere Aussage, die vom Herrschen spricht, korrigiert
normale Chaos der Liebe, Frankfurt 1990, bes. S. 222-266). wird.
Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 439
438

Besondere Schwierigkeiten macht uns die Rede vom "Herrschen" als herrschen49 . Bewahrt werden mu der Gesamtzusammenhang und der
Auftrag des Menschen ber die Tierwelt, zumal in der alttestamentlichen gemeinsame Lebensraum des Geschaffenen. Aber um dieser Bewahrungs-
Wissenschaft bis vor kurzem die Auffassung dominierte, das Verbum aufgabe willen kann es ntig sein (und ist dann gefordert), energisch und
"radah" aus Gen 1,26 u. 28 sei mit "niedertrampeln, unter die Fe konsequent einzugreifen, um z. B. Seuchen und Epidemien zu stoppen
treten" zu bersetzen. 46 Heute ist weithin anerkannt, da der Herrschafts- oder drohende Gefahren zu vermeiden. Gerade an dieser Stelle ist deut-
auftrag in Gen 1,26 u. 28 anders zu verstehen ist: "Herrschaft ist auch im lich, welcher Gewinn es wre, wenn es gelnge, das beherrschende und
Alten Testament ambivalent und kann nicht von vornherein und auf je- das verbindende Erkenntnis- und Handlungsinteresse tatschlich (s. o.
den Fall mit Gewaltausbung verbunden werden. In Gen 1,26.28 kon- 7.1.4) miteinander zu verbinden. so
kretisiert das Verb die mit den Bildaussagen 1,26f ausgedrckte ,knig-
liche' Funktion des Menschen, fr die Integritt und das Lebensrecht der
Schpfung (speziell der Tierwelt) zu sorgen"47. Das Herrschen, das nach 12.3 Das Theodizeeproblem
biblischer Aussage dem Menschen neben dem Bebauen und Bewahren
eingerumt und angewiesen ist, ist zu verstehen als das Handeln, durch Die Behauptung, der innere, schpferische Grund der Welt sei der Gott,
das der Mensch den Lebensraum fr sich und die brigen Geschpfe dessen Wesen Liebe ist, weckt Fragen, Zweifel, ja Widerspruch - auer-
bewahrt.48 So gesehen thematisieren Gen 1,26 u. 28 und 2,15 nur unter- halb und innerhalb der Christenheit. Kann das wahr sein? Mte eine
schiedliche Aspekte des Schpfungsauftrags, aber keine zwei gegenstzli- Welt, deren innerer Grund die Liebe ist, nicht anders aussehen? Fllt
chen Auftrge. unter solchen Anfragen und Anklagen nicht der Glaube an Gott als
Das rcksichtslose Ausbeuten und Benutzen der brigen Geschpfe ist Schpfer der Welt in sich zusammen? Das ist das Feld, auf das sich die
eine Folge davon, da das Wissen um den Gesamtzusammenhang alles Schpfungslehre einlassen mu. Und dieses Problemfeld trgt seit der
Geschaffenen und vor allem das Gefh1fr diesen Gesamtzusammenhang Wende des 17. und 18. Jahrhunderts die von G. W. Leibniz - in Anleh-
verlorengegangen oder aus dem Blick geraten ist. Gerade wenn man das nung an Rm 3,4 f. u. Ps 51,6 - geprgte Bezeichnung "Theodizee"sl.
dominium terrae als eine Befugnis und einen Auftrag versteht, die aus der Genauer gesagt bezeichnet er damit den Versuch der Rechtfertigung Got-
Gottebenbildlichkeit des Menschen abgeleitet sind und eine Konsequenz tes angesichts der Anklagen, die gegen ihn erhoben werden wegen des
des Menschseins-in-Beziehung-zu-Gott darstellen, kann der Herrschafts- Zustandes der Welt, deren Schpfer und Erhalter er gem der Aussage
auftrag nur im Geist der Liebe verstanden und wahrgenommen werden. des Glaubens ist. Dabei stellt sich aus theologischer Sicht sofort die Frage,
Festigkeit, die mit Behutsamkeit verbunden ist, knnte darum eine Be-
schreibung der Haltung sein, die dem zur Gottebenbildlichkeit bestimm- 49 Kernenergienutzung und Gentechnologie sind einleuchtende Beispiele fr die
Gefahren, die drohen, wenn der Gedanke des Beherrschens preisgegeben oder
ten Menschen im Verhltnis zu den anderen Geschpfen angemessen ist.
vernachlssigt wird.
Menschen drfen nur bauen, in Gang setzen und freilassen, was sie be- 50 Einen Beitrag dazu bilden m. E. die drei Kriterien, die O. H. Steck (Welt und
Umwelt, 1978, S. 148) aus den biblischen Texten fr das Verstndnis und die
Wahrnehmung des dominium terrae ableitet: "Dem Menschen ist im Umgang
mit seiner natrlichen Welt und Umwelt alles erffnet zur Fristung und Freude
46 Dazu pate offenbar, da es Gen 9,2 geradezu kriegerisch heit: "Furcht und seines Lebens, was erstens auch anderen und knftigen Menschen die vorge-
Schrecken vor euch sei ber allen Tieren auf Erden ...; in eure Hnde seien gebene Schpfungsqualitt ihrer Lebenswelt bis hin zur unbelebten Natur
sie gegeben." Aber das ist eine Aussage, die nach dem "Sndenfall" und der nicht zerstrt, was zweitens auch allem anderen Lebendigen jetzt und knftig
"Sintflut" gemacht wird und die zeigt, wie sich (auch) das Verhltnis zwi- sein von Jahwe geschaffenes Lebenurd Lebensmglichkeit in ihrem eigenstn-
schen Mensch und Tier durch die Snde zum Negativen hin verndert hat. digen Daseinsrecht wahrt, und was drittens die Ttung des auermenschlichen
47 So B. Janowski, Herrschaft ber die Tiere, in: Biblische Theologie und gesell- Lebens auf den elementaren Lebensbedarf, auf die Abwehr von jedweder
schaftlicher Wandel, hg. von G. Braulik, W. Gro, S. McEvenue, Freiburg/ Gefahr fr Leib und Leben des Menschen beschrnkt."
BasellWien 1993, S. 192 f. 51 Den Begriff "Theodizee" prgte Leibniz bereits Ende des 17. Jahrhunderts.
48 So auch Chr. Link (Schpfung, 1991, S. 392): "Nicht um des Menschen und Die Grundform einer Theodizee legte er im Jahre 1710 mit seinen "Essais de
seiner besonders gefhrdeten Existenz willen, sondern um der Schpfung im Theodicee" vor. Auf sie bezieht sich - in Anknpfung und Widerspruch - die
ganzen und ihres Fortbestehens willen ist ,Herrschaft' notwendig." gesamte folgende Theodizee-Diskussion.
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440 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 441

ob es fr den Menschen berhaupt zulssig undmgli.ch sein kann, Gott der Glaube, da Gott der Schpfer der Welt und folglich die Welt Gottes
anzuklagen und gegen ihn ein solches Gerichtsverfahren durchzufhren Schpfung ist. Dieser Infragestellung kann sich niemand unter Berufung
(12.3.1). Sodann ist zu fragen, welche Anklagepunkte in diesem Verfah- auf Rm 9 entziehen, und insofern ist der Rechtsstreit, der unter dem
ren eine Rolle spielen (12.3.2) und welche Mglichkeiten es gibt, sie zu Begriff "Theodizee" gefhrt wird, zulssig.
entkrften (12.3.3). Abschlieend werden wir zu fragen haben, wie dieses
Theodizeeverfahren endet und was daraus fr die Beschftigung mit dem
Theodizeeproblem folgt (12.3.4). 12.3.1.2 Theodizee als Akt des Unglaubens?

Ging es im ersten Unterabschnitt um die Frage, ob es dem Menschen


12.3.1 Bedingungen fr die be~hau~t zustehe, die Theodizeefrage zu stellen, so steht nun in Frage, ob
Bearbeitung des Theodizeeproblems es SIch mIt dem Wesen des Glaubens vertrage, sich an diesem Theodizee~
proze zu beteiligen, um Gott oder genauer: den Glauben an Gott gegen
12.3.1.1 Theodizee als Gerichtsverfahren v?rgebrachte Ein~nde und Anklagen zu verteidigen. Im Hintergrund
des Menschen gegen Gott? dIeser Anfrage, dIe besonders von H. Lbbe 53 mit Nachdruck vertreten
wird, steht die berlegung, da der Versuch der Theodizee gerade dann
Kann es dem Menschen berhaupt zustehen, Gott anzuklagen und ihn wenn er gelingt (oder gelingen wrde), den religisen Glauben seine~
zur Rechenschaft zu ziehen? Wrde damit nicht das Verhltnis zwischen Wesen nachzerstren wrde. Liee sich, so lautet die Argumentation kurz
Gott und Mensch in geradezu grotesker Weise verkehrt, indem sich der zusammengefat, der Glaube an Gott als den Schpfer und damit an die
Mensch zum Richter ber Gott aufschwingt? Es scheint so, als htte Welt als Schpfung Gottes anhand unserer Mastbe von Gte und Ge-
Paulus in Rm 9,20 f. alles Erforderliche hierzu gesagt: "Ja, lieber r~chtigkeit rechtfertigen, dann wre damit das Kontingente (und d. h.
Mensch, wer bist du denn, da du mit Gott rechten willst? Spricht auch nIcht nur das Unableitbare, sondern das letztlich Unbegreifliche) des Le-
ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht ein bens sozusagen"wegerklrt", und es bliebe fr Religion die nach Lbbes
Tpfer Macht ber den Ton, aus demselben Klumpen ein Gef zu ehren- Ansicht im wesentlichen "Kontingenzbewltigung" ist' kein Bedarf und
vollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?" Und keine Funktion mehr. '
diese Aussagen beziehen sich auf einen zentralen Aspekt des Theodizee- . Diese Argumentation erscheint mir aus zwei Grnden als probierna"
problems, nmlich auf die Frage, wie Gott den Menschen beschuldigen tIsch: Weder geht Religion in Kontingenzbewltigung auf; noch wird der
oder bestrafen knne, wenn es doch allein an Gott liege, wessen er sich Glaube durch Einsicht oder Erkenntnis berflssig. Dennoch hat die Ar-
erbarmt und wen er verstockt (so Rm 9,18 f.). gu~~ntation v?n Lbbe einen berechtigten Kern, den O. Marquard m. E.
Aber obwohl hier alles so klar zu sein scheint, ist es doch nicht prazlse. formulIert hat: "Die Antworten der Theodizee sind ... durchweg
vertretbar, unter Berufung auf diese Aussagen 52 die inhaltliche Beschf- unzureIchend ... Darum haben wohl diejenigen recht, die dem Vertrauen
tigung mit dem Theodizeeproblem zu unterlassen, zu verweigern oder gar auf Gott, also dem Glauben das letzte Wort geben, und das nicht zu
zu verbieten. Das ist deswegen nicht zulssig, weil die Theodizeefrage knne~ ist dann das eigentliche Unglck. "54 Mit den Formulierungen, die
oder -anklage sich letztlich gar nicht gegen Gott, sondern gegen den Theodizeeantworten seien "unzureichend" und der Glaube habe das
Glauben an Gott und das menschliche Reden von Gott richtet. Nicht letzte Wort", konstruiert Marquard (im Unterschied zu Lbbe) k:inen
Gott steht vor Gericht, sondern der menschliche Gottesglaube, genauer: Gegensatz zwischen Glauben und Theodizee, sondern ein berbietungs-
verhltnis. Und das ist auch ganz al)gemessen. Der Glaube mu mit der
52 Die paulinische Argumentation hat in sich zwei Schwchen: Einerseits er-
weckt sie den Anschein, als sei der Mensch ein Gegenstand, den man mit Ton 53 Religion nach der Aufklrung, GrazlDarmstadt 1986, S. 195-206 sowie ders.
vergleichen kann, also ohne personale Verantwortlichkeit; andererseits nimmt Theodizee als Hresie, in: Leiden. Hg. W. Oelmller, Paderborn u. a. 1986:
sie den entscheidenden Einwand des fiktiven Gesprchspartners gar nicht auf, S.167-176.
der ja nicht dagegen protestiert, da Gott ihn verworfen oder verstockt hat, 54 Schwierigkeiten beim Ja-Sagen, in: Theodizee - Gott vor Gericht?, Hg. W.
sondern nur dagegen, da Gott ihn dafr auch noch beschuldigt. Oelmller, Mnchen 1990, S. 101 f.
442 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 443

Unbegreiflichkeit Gottes leben, aber er kann nicht von ihr leben. Und 12.3.1.1-12.3.1.3 Fazit
deswegen ist die Suche nach Antworten auf die Theodizeefrage nicht als
solche schon ein Akt des Unglaubens. Ich sehe keine durchschlagenden theologischen Argumente, die Anla
geben knnten, sich gar nicht auf das Theodizeeproblem einzulassen.
Weder ist die Anklage als solche ein Akt der Hybris, noch ist die Vertei-
12.3.1.3 Theodizee als Widerlegung aller Anklagen? digung als solche ein Akt des Unglaubens, noch mu die Beweislast so
verteilt werden, da die Verteidigung gar nicht gelingen kann. Und weil
Was sich hinter der Formulierung der berschrift verbirgt, ist ein Aspekt a~l das so ist, darum kann und mu eine Dogmatik sich auf die Anfragen,
des Theodizeeproblems, der fr den Ausgang dieses "Rechtsstreits" von EInwnde und Anklagen einlassen, die mit dem Stichwort "Theodizee-
Bedeutung ist und doch kaum irgendwo in der Literatur diskutiert wird. problem" zusammenfassend bezeichnet werden.
Die Frage, um die es geht, lt sich juristisch so formulieren: Wer trgt in
diesem Verfahren eigentlich die Beweislast? Mssen die Anklagen gegen
(den Glauben an) Gott bewiesen oder mssen sie widerlegt werden? Diese
Frage ist vor allem dann von erheblicher Bedeutung, wenn weder der 12.3.2 Die konstituierenden Elemente des Theodizeeproblems
Beweis noch die Widerlegung vollstndig gelingt. Wer hat dann eigentlich
den Rechtsstreit gewonnen?55 Die meisten Abhandlungen zur Theodizee In mehreren berschriften dieses Abschnitts ist im Singular von dem
gehen m. E. implizit und unbewut davon aus, die Beweislast liege beim Theodizeeproblem die Rede. Das ist in gewisser Hinsicht irrefhrend, weil
Angeklagten, er msse also, um den Rechtsstreit zu gewinnen, die Ankla- es den Eindruck erwecken knnte, als handle es sich jeweils um ein und
gen widerlegen. Gemessen an rechtsstaatlichen Grundstzen wirkt das als dasselbe Problem, das allenfalls unterschiedlich formuliert werde. Tat-
eine kuriose, geradezu absurde Forderung. Freilich: Unter bestimmten schlich ist aber das Wort "Theodizeeproblem" ein Sammelbegriff, der
Voraussetzungen und in bestimmter Hinsicht ist diese Forderung jedoch sehr unterschiedliche, ja unvereinbare Arten der Wahrnehmung und Ar-
durchaus berechtigt; jedenfalls dann, wenn der Anwalt vorgibt, beweisen tikulation einer Spannung oder eines Konflikts zwischen der Erfahrung
zu knnen, da diese Welt die Schpfung Gottes und da sie darum "die der Welt und dem Glauben an Gott zusammenfat. Die vermutlich
beste aller mglichen Welten" ist. 56 D. h., dort, wo die Schpfungsaussage ursprnglichste Gestalt, in der dieser Konflikt artikuliert wird, ist die
mit Beweisanspruch auftritt, da ist von ihrem Verteidiger zu Recht zu Klage vor Gott oder die klagende Frage an Gott, wie sie z. B. in den
fordern, da er alle Einwnde frmlich widerlege. Aber auch dort, wo die Klagepsalmen, bei Hiob oder in der Passionsgeschichte zum Ausdruck
Schpfungsaussage - wissenschaftstheoretisch betrachtet - nur als Hypo- kommen: "Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange
these vertreten wird, mssen doch auch fr diese Hypothese gute Grnde verbirgst du dein Antlitz vor mir?" (Ps 13,2) oder: ,,0 htte ich einen, der
beigebracht und ihr widersprechende Einwnde nach Mglichkeit ent- mich anhrt - hier meine Unterschrift! der Allmchtige antworte mir!"
krftet werden. Insofern ist es sachlich richtig, dem Angeklagten bzw. der (Hi 31,35) oder: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Verteidigung grundstzlich die Beweislast aufzubrden. (Ps 22,2; Mk 15,34 par.). Was hier zu Worte kommt, ist die Erfahrung
schwersten Leidens und abgrundtiefer Hilflosigkeit, die im schneidenden
55 In Kants Schrift "ber das Milingen aller philosophischen Versuche in der Gegensatz zu dem steht, was Menschen von Gott gehrt oder erfahren,
Theodizee" (1791), in: ders., Werke in zehn Bnden. Hg. W. Weischedel, Bd. was sie selbst geglaubt und verkndigt haben. Vorausgesetzt ist dabei stets
9, Darmstadt 1968 2, S. 103-124, wird diese Frage zwar nicht diskutiert, wohl die Wirklichkeit Gottes und der Glaube an Gott. Aber dem klagenden
aber als entschieden vorausgesetzt, indem er schreibt: "Der Verfasser einer
Menschen ist nicht erkennbar, wie (;?ttes Verheiung und die gegenwr-
Theodizee ... macht sich anheischig, den angeklagten Teil, als Sachwalter,
durch frmliche Widerlegung aller Beschwerden des Gegners zu vertreten ... " tige Situation zusammenstimmen knnten. Die Wirklichkeit Gottes wird
(a.a.O., S. 105). Die Beweislast trgt demnach eindeutig der Angeklagte, hier nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt. Aber der klagende
genauer: sein Anwalt. Er mu alle Beschwerden frmlich widerlegen. Mensch ruft um Hilfe, bittet um Einsicht, Kraft oder Geduld.
56 Genau das hatte Leibniz mit seiner Theodizee behauptet (Essais de Theodicee, Jedoch, diese klagende Frage und Bitte kann sich verndern wenn
in: ders., Philosophische Schriften, Bd. II11. Hg. H. Herring, Darmstadt 1985, keine Hilfe zuteil wird, Einsicht ausbleibt und die Kraft und Geduld
S. 220 f.). nicht zuwchst. Die Klage vor Gott kann dabei umschlagen in die An-
444 Die geschaffene Welt
Das Theodizeeproblem 445
klage gegen Gott und schlielich sogar in die Absage an Gott (Hi 2,9)
und in die Bestreitung Gottes (Ps 14,1). a) - c) Fazit
In diesen sehr unterschiedlichen, ja letztlich miteinander unvereinba- Diese drei Grundformen des bels sind zwar nicht das einzige, was ber
ren Formen kann sich der Konflikt zwischen Gottesglauben und Welt- die Weltaus der Sicht des Glaubens zu sagen ist, aber sie sind Realitten
erfahrung artikulieren, der zusammenfassend als "das Theodizeepro- die in der Welt durchgngig vorkommen und die jeder Mensch aus eigene;
blem" bezeichnet wird. Dieses Problem kann sich jedoch nur dort stellen, Erfahrung kennt. Das bel ist also nach christlichem Verstndnis kein
wo zwei Erkenntnisse miteinander in Konflikt geraten: eine bestimmte Schein und kein bloer Mangel, sondern etwas Reales und Wirksames.
Welterkenntnis und eine bestimmte Gotteserkenntnis. Diese sollen zu- Diese negativen Erfahrungen58 rufen als solche Schmerz, Trauer, Wut,
nchst je fr sich betrachtet werden, bevor genauer bedacht werden kann, Entsetzen, Ha oder Resignation hervor, aber an sich (noch) nicht das
wodurch der Konflikt zwischen beidem entsteht und wodurch folglich 'Theodizeeproblem. Das ist erst dort der Fall, wo diese Erfahrungen des
das Theodizeeproblem konstituiert wird. Ubels mit einem bestimmten Gottesbild konfrontiert werden.

12.3.2.1 Das bel in der Welt 12.3.2.2 Ein gtiger Gott als Schpfer und Herr der Welt
Leibniz hat dasjenige, wodurch dasTheodizeeproblem hervorgerufen oder Nicht jedes Gottesverstndnis lt das Theodizeeproblem entstehen, son-
ausgelst wird, zusammengefat in dem (durch die Tradition vorgegebe dern nur ein Gottesverstndnis, in dem Gott in Beziehung zur Welt und
nen) Begriff" bel" (malum). Und Leibniz hat m. E. ganz zu Recht drei die Welt in Beziehung zu Gott gesehen wird, das also Gott als Schpfer
Grundformen unterschieden, in denen das bel erlebt wird: (und Erhalter) der Welt versteht. Aber das ist noch zu unbestimmt gesagt.
a) Das metaphysische bel (malum metaphysicum) ist der Inbegriff der Wie man aus der Theodizee Leibniz' sehen kann, stellt sich das Theodizee-
bel, die damit gegeben sind oder daraus resultieren, da Menschen problem nur dann, wenn von Gott folgende drei Eigenschaften ausgesagt
(wie die brigen Kreaturen) endliche, irdische Wesen sind, also zeitlich werden:
begrenzt, rumlich begrenzt, in ihrem Wissen und in ihrer Macht - Allmacht, d. h. eine Macht, die durch nichts anderes eingeschrnkt ist;
begrenzt, d. h.: Geschpfe und nicht selbst Gott oder Gt~.er. Allwissenheit, d. h. eine uneingeschrnkte Erkenntnis der Wirklich-
b) Das physische bel (malum physicum) ist der Inbegriff der Ubel, die - keit;
vor allem in Gestalt krperlichen und/oder seelischen Leidens- von Gte, d. h. eine grundlegend bejahende, wohlwollende, ja liebende
Menschen (aber nicht nur von ihnen) erlebt und erlitten werden, sei es Form der Zuwendung zur Welt.
als Schmerz, Krankheit, Behinderung, qualvolles Sterben oder als
Widerfahrnis von Naturkatastrophen. Dabei werden meist unter das Entfllt auch nur eine dieser Eigenschaften oder wird sie substantiell
physische bel nicht nur die Formen des Leidens gezhlt, die uns eingeschrnkt, so lst sich das Theodizeeproblem auf. Aus der Sicht des
durch sog. "hhere Gewalt", also schicksalhaft zuteil werden, son- christlichen Glaubens erscheinen jedoch alle Versuche als verfehlt, die das
dern auch solche, die durch fremde oder eigene Handlungen herbeige- Theodizeeproblem dadurch zum Verschwinden bringen oder lsen wol-
fhrt werden (z. B. Kriegsfolgen, Unflle). .. len, da sie an einer der Vollkommenheiten Gottes Abstriche machen'
c) Das moralische bel (malum morale) istder Inbegriff der Ubel, die denn d. h. faktisch: den Glauben an Gott preisgeben. '
von Menschen verbt werden und zu verantworten sind, also das
ethische Fehlverhalten, die "Snde"57 und Schuld, das Unrecht, das
Menschen einander und oftmals auch sich selber antun.
58 Nur beilufig sei angemerkt, da die Erfahrung von Gutem, das Menschen
widerfhrt, sie in der Regel nicht an Gottes Gerechtigkeit zweifeln lt,
obwohl dies an sich ja durchaus der Fall sein knnte. Das Gute wird aber u. U.
57 Im folgenden Kapitel wird sich zeigen, da die Gleichsetzungvon "Snde"
dann zum Anla der Theodizeefrage, wenn es anderen (z. B. den sog. Gott-
mit "ethischem Fehlverhalten" entscheidende Aspekte des christlichen Snden-
losen) zuteil wird. Das bel besteht in diesem Fall in der ungerechten Vertei-
verStndnisses verfehlt. lung des Guten.
446 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 447

12.3.2.3 Das Theodizeeproblem als Konflikt zwischen der lichkeiten, d~e der Autor in Auseinandersetzung mit der philosophischen
Erfahrung des bels und dem Glauben an Gott und theologIschen Tradition gefunden und geprft hat und nun selbst
verantworten mu. Ich folge dabei der Einteilung der drei bel (s. o.
Das Theodizeeproblem entsteht nur dort, wo die Erfahrung, da es wirk- 12..3.2.1), stelle aber aus darstellungstechnischen Grnden die Abfolge
liches bel in der Welt gibt, mit der Glaubensaussage zusammenstt, ZWIschen malum physicum und malum morale um.
da die Welt von einem gtigen, allmchtigen und allwissenden Gott
erschaffen ist. Da bei diesem Zusammentreffen das Theodizeeproblem
entstehen kann, basiert auf einem Analogieschlu, der wie folgt rekon- 12.3.3.1 Das metaphysische bel als Konsequenz
struiert werden kann: Wenn Menschen es miteinander gut meinen, dann des Unterschiedes zwischen Gott und Geschpf
fgen sie sich, jedenfalls ohne Not, kein Leid zu. Die Einschrnkung
ohne Not" verweist auf die Begrenztheit menschlicher Macht und I?as ~etaphysisc.he bel, d. ~. die Begrenztheit, die mit der Geschpf-
~enschlichenWissens. Da diese Begrenztheit bei Gott entfllt, scheint der hchkelt gegeben 1st oder aus Ihr resultiert, wirft allem Anschein nach die
Schlu berechtigt: Wenn Gott seine Geschpfe lieben wrde, dann wrde geringsten Probleme auf. 60 Es ist ja leicht einsichtig, da Geschpfe, die
er ihnen keine bel zufgen, ja nicht einmal zulassen, da ihnen ein Leid v?n Gott ~nte:.schieden sind, nicht selbst vollkommen, also gttlich sein
geschieht. Dieser Analogieschlu ist auch schon implizit vorausgesetzt in k?nnen. SIe waren sonst Dubletten zu Gott, und damit hrten nicht nur
dem ltesten erhaltenen philosophischen Text, der das Theodizeeproblem dIe Geschpfe auf, Geschpfe zu sein, sondern auch Gott hrte selbst auf
formuliert, nmlich in einem Fragment Epikurs 59 : Gott zu sein: die Alles bestimmende Wirklichkeit. '
"Entweder will Gott die bel beseitigen und kann es nicht, oder er kann Zu der geschaffenen Welt gehrt ihre rumliche und zeitliche Begren-
es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann zung. Ja, es leuchtet auch unmittelbar ein, da nicht nur die Macht,
es und will es. s?ndern auch das .~isse~ der Geschpfe, auch des Menschen, begrenzt
Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht smd. Das .~ebt frelhch mcht auf, da diese Begrenzung vom Menschen
zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er mignstig, was ebenfalls auch als Ubel (malum) erlebt wird. Diese Begrenztheit menschlichen
Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl
Wissens ist brigens ein Grund dafr, warum alle Theodizeeversuche die
mignstig als auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er es aber
will und kann, was allein sich fr Gott ziemt, woher kommen dann die
em,en. Beweisans?ruch erheben, notwendig scheitern 6I Die Unmglich-
bel, und warum nimmt er sie nicht weg?" keIt emer TheodIzee mit Beweischarakter ist selbst ein Element oder eine
Konsequenz der Endlichkeit menschlichen Wissens die ein malum
Die entscheidende Prmisse, die hier zum Theodizeeproblem fhrt, metaphysicum darstellt. '
nmlich da ein Gott, der bel zult, mignstig sei, oder da ein Auch wenn hi~r theoretisch kein (groes) Problem liegt, so knnte sich
liebender Gott kein bel wollen oder zulassen knne, wird im folgenden doch gerade an dIeser Stelle existentiell das entscheidende Problem ver-
noch zu prfen sein. bergen. Ist es vielleicht gerade die Unvollkommenheit, das Nicht-sein-
kn~en-wie-G?tt, das vom Menschen als Stachel empfunden wird und
1m TheodlZeeproblem artikuliert?62
12.3.3 Lsungsmglichkeiten fr das Theodizeeproblem

. Im Rahmen einer Dogmatik kann es nicht darum gehen, die verschiedenen Vielleicht i~t Ka~t deshalb in seiner Kritik an Leibniz auf das metaphysische
philosophischen und theologischen Antworten vorzustellen, die das gar mcht emgegangen. Er hatd.as Problem des metaphysischen bels
Theodizeeproblem seit Platon und dem Hiob-Buch gefunden hat - und sei ersetzt durch das Problem des angemessenen Verhltnisses zwischen Morali-
t~ und Ergehen, also durch das Problem der Gerechtigkeit.
es auch nur in typisierender Auswahl. Es geht nur um die Lsungsmg-
DIes hat Kant ~ seiner Abhandlung "ber das Milingen aller philosophi-
schen Versuche m der Theodizee" (s. o. Anm. 55) gezeigt. S. dazu a.a.O. bes.
S.115.
59 Fragmente ber die Gtter, in: ders., Von der berwindung der Furcht. Hg. Al.s zwei - ganz unterschiedliche - Zeugen fr diese Vermutung wurden be-
O. Gigon, Zrich 1949, S. 80. reits o.S. 271 Luther und Nietzsche genannt. Eine anrhrende Variante dieses
448 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 449

12.3.3.2 Die Mglichkeit des moralischen Gegen diese Argumentation wird gelegentlich folgender Einwand er-
bels als Preis personaler Freiheit hoben: Htte ein gtiger Gott nicht wenigstens die Spannweite mensch-
licher Bosheit einschrnken knnen, so da zumindest nicht solche Greuel-
In seiner Systematischen Theologie schreibt P. Tillich: "Das moralische taten wie Kreuzzge, Hexenverbrennungen, Judenvernichtung, Christen-
bel ist die tragische Folge kreatrlicher Freiheit."63 Dieser Satz wre verfolgungen oder Hiroshima und Nagasaki mglich gewesen wren?
berzeugender, wenn Tillich nicht vom moralischen Obel sprche, son- ~edenkt.man de~ Einwand nher, so zeigt sich zweierlei: a) Es gibt keine
dern von der Mglichkeit des moralischen bels oder von seiner Zu- I.~gendwle plausIbel zu machende Grenze, diesseits derer das moralische
lassung. Ybel akzeptabel wre. b) Eine Einschrnkung der Mglichkeit zumBsen
Wenn man verstanden hat, was der Ausdruck "moralisches bel" 1St nur denkbar als gleichzeitige Einschrnkung der Freiheit zum Guten.
meint, nmlich die Verletzung oder gar Zerstrung der Beziehungen der Deswegen fhrt der Gedanke der quantitativen Reduktion von Hand-
Menschen untereinander, zu sich selbst und zu Gott, und wenn man wei, lu~gsmglichk~itenni~ht weiter. Es mu also dabei bleiben: Die Mglich-
wie schrecklich solche Verletzungen und Zerstrungen sein knnen, dann keIt des moralischen Ubelsist der Preis personaler Freiheit. Dieser Satz
wird man nicht sagen wollen oder knnen, die Welt wrde dadurch besagt nicht, ~a .das.moralische bel leicht wiege, sondern er besagt, da
reicher, interessanter oder gar besser, da in ihr moralisches bel vor- personale FreIheIt em kostbares Gut ist. Eine Schpfung ohne dieses
kommt. Moralisches bel ist ein bel, das - per definitionem - nicht sein "Gut" knnten wir nicht als "bessere Schpfung" bewerten. Aber auch
soll. Und doch wre aus der Sicht des christlichen Glaubens jeder Versuch, hier bleibt zweifellos ein schmerzlicher Stachel.
das moralische bel durch gentechnische oder psychische Manipulation,
auf neurochirurgischem oder medikamentsem Weg aus der Welt zu
schaffen, kompromilos abzulehnen; denn alle solchen Eingriffe wrden 12.3.3.3 Das physische bel und die Reifung des Menschen
die Personalitt des Menschen und damit seine personale Identitt zerst-
ren. Ein wesentliches Element dieser Personalitt ist die Freiheit, die darin Eine (.theoretisch befriedigende) Anwort auf die Frage nach der Verein-
besteht, auf das Angeredetwerden durch den Mitmenschen, auf Erwar- barkelt von Schpfungsglauben und physischem bel zu finden, ist zwei-
tungen und Forderungen nicht gezwungen oder reflexhaft, sondern spon- ~~llos wesentlich schwieriger als beim metaphysischen und moralischen
tan zu antworten, d. h. aber: ja oder nein zu sagen. Der Mensch wird Ubel. ~an sieht nicht (jedenfalls nicht ohne weiteres), wofr das physi-
gewi nicht dadurch zum Menschen, da er Bses tut, aber er ist nur so sche LeId der unvermeidliche Preis sein sollte oder knnte. Hier tritt vor
Mensch, da er Bses tun kann. Wer einem Menschen diese Fhigkeit allem ?er genannte (s..0. 12.3.2.3) "Analogieschlu" in Kraft, der besagt,
nimmt, zerstrt dessen Personalitt. Wenn man dies kategorisch ablehnt, da LIebende den Geliebten doch ohne Not kein Leid und keine Schmer-
so geht man bewut oder unbewut davon aus, da personale Freiheit ein en zufgen. Inwiefern sollte aber fr Gott eine "Not" dazu bestehen?
so hoher Wert ist, da als Preis fr sie die Mglichkeit des moralischen Auch hier scheint mir noch einmal der Blick auf ein (damals) fiktives
bels in Kauf zu nehmen ist. heute nicht mehr utopisches) Szenario hilfreich zu sein: In seinem be-
". mten R~man "Brave New World"64 hat A. Huxley die Fiktion einer
Gedankens findet sich bei G. Bchner (Dantons Tod, Philosophengesprch), I~- und leidensfreien Welt durchgespielt, in der die Abwesenheit von
wo Payne sagt: "aber ... kann er (sc. Gott) nur was Unvollkommnes schaffen, d d~rchgehend genetisch, pdagogisch und medikaments herbeige-
so lt er es gescheuter ganz bleiben.... Ich nehme mit einem geringem Vater
t, SIchergestellt und berwacht wird. Huxley kommt zu dem m. E.
vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen knnen, da er mich unter
seinem Stande in Schweinestllen oder auf den Galeeren habe erziehen lassen. b.erzeugende~ Ergebnis: Eine solche Welt ohne Leiden (und Bses) wre
... Man kann das Bse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand .eme men~~hlIche~e 'Yelt, ~ondern ein,e Form der Entmenschlichung, ja
kann Gott beweisen, das Gefhl emprt sich dagegen." Auf den Schlusatz e Art Holle, weIl hIer keme menschliche Reifung und kein wirkliches
werde ich nochmals (s. u. S.452) zurckkommen. Hier sollte er nur die hlen mehr mglich wre. Menschen, die ber ihr Leben nachdenken
Vermutung untermauern, da das metaphysische bel zwar relativ leicht ommen hufig zu dem Ergebnis, da Zeiten hoher Gefhlsintensit;
verstandesmig zu bewltigen ist, aber emotional und existentiell ein tiefsit- . schlielich des Leidens fr die persnliche Entwicklung und Reifung
zendes Problem berhrt.
63 Bd. I, S. 309. 4 Eng!. 1932; dt.: Schne neue Welt, 1953.
450 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 451

besonders wichtige Zeiten waren. Von daher scheint sich eint; berzeu- Erst rechtda.rf aus einer solchen Einsicht nicht abgeleitet werden,
gende Rechtfertigung fr das physische bel zu ergeben: Es ist notwendig Menschen drften gleichgltig zusehen, wenn andere Menschen leiden.
als Preis personaler Entwicklung und menschlicher Reifung und insofern Und schon gar nicht lt sich daraus ableiten, da Menschen oder Tieren
generell gerechtfertigt. Aber man merkt sofort: Wenn man .das so gener~ ohne Not Leiden zugefgt werden drfte. Wohl aber folgt daraus, da
lisiert, wird es falsch, weil dann eine Teilwahrheit unzulssig verallgemei- Leiden als mgliches Element einer guten Schpfung angenommen und
nert wird. Am Leiden kann man auch verzweifeln und zerbrechen, verhr.; bejaht werden kann. D. h.: Das Vorhandensein von physischem bel
ten oder abstumpfen. widerlegtals solches nicht den Glauben an Gott als den Schpfer der Welt.
Diese anthropologischen berlegungen zeigen zwar einen Ansat~. fr Aber gegen diesen Ansatz kann folgendes Argument geltend gemacht
die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern (auch) physisches Ubel werden: Die eschatologische Hoffnung des christlichen Glaubens richtet
Element einer guten Schpfung sein knne. Aber dieser Ansatz bleibt sich auf einen "Zustand", in dem das bel berwunden, ja abgetan ist.
ambivalent. Er wre erst dann berzeugend, wenn sich zeigen liee, da Wenn dies aber der Zustand verheiener und erhoffter Seligkeit ist, dann
allen Menschen, ja allen Kreaturen "alle Dinge zum Besten dienen ms- ergibt sich daraus doch, da der neue Himmel und die neue Erde (Jes
sen" (Rm 8,28). Aber diese Aussage ist nicht (im rezeptiven Sinn) veri- 65,17; 66,22; 11 Petr 3,13; Apk 21,1) dieser irdischen Welt qualitativ
fizierbar. Sie ist eine Hoffnungsaussage, die neue Erkenntnis ermglichen berlegen sind.
will. Aber wodurch ist diese Hoffnung theologisch begrndet? Dieses Argument lt sich zuspitzen zu der Frage: Wenn Gott der
Nach biblischem und reformatorischem Verstndnis ist die Person Schpfer des Himmels und der Erde ist und wenn es die Bestimmung der
Jesu Christi, genauer: Jesus Christus als der "fr uns" Gekreuzigte der Schpfung ist, eschatologisch zum neuen Himmel und zur neuen Erde zu
Grund dieser Hoffnung. Dabei wird der Kreuzestod Jesu Christi verstan- werden, warum hat Gott dann nicht gleich diesen neuen Himmel und die
den als das Ereignis der Selbstoffenbarung der gttlichen Liebe zum Heil neue Erde erschaffen? Diese Frage klingt reichlich spekulativ, und es wre
der Welt (Joh 15,13; Rm5,10). In diesen Aussagen ist vorausgesetzt, da daher leicht, sie als unstatthaft oder als unbeantwortbar zurckzuweisen.
Liebe die Bereitschaft zum Leiden um des Geliebten willen einschliet. Ja, Aber es steckt in ihr ein berechtigtes Anliegen, und deshalb ist sie auf-
es gilt wohl sogar die Umkehrung, da man letztlich nur an dem leiden zunehmen. In den bisherigen Ausfhrungen dieser Dogmatik zum Wesen
kann, was man liebt. Der Zusammenhang von Liebe und Leiden, der sich des christlichen Glaubens, zum Wesen Gottes und zum Sinn des Schp-
vom Kreuz Christi her auftut, knnte das Tragfhigste sein, was vom fungsglaubens ergab sich durchgngig ein dynamischer, teleologischer
christlichen Glauben her zur Realitt des (physischen) bels in der Schp- Zug, der dem christlichen Glauben zu eigen ist. Dabei ist die Kernfrage,
fung zu sagen ist. Jedenfalls liegt hier der Grund fr die christliche Hoff~ ob es fr den christlichen Glauben letztlich nur darauf ankommt, da das
nung im Blick auf das Leiden dieser Welt und Zeit. Hier hat auch der von Bestimmungsziel der Welt und des Menschen erreicht wird, oder auch
EIert Bonhoeffer und Moltmann betonte Gedanke der mitleidenden darauf, wie, d. h. auf welchem Wege dieses Ziel erreicht wird. Von den
Geg:nwart Gottes in der Welt seine Bedeut.t!ng und seinen Ort. Ausfhrungen ber Gottes Wesen als Liebe und ber die Bestimmung des
Aber weder von den anthropologischen Uberlegungen noch vom Ver- Menschen zur Gottebenbildlichkeit her ergibt sich, da der Weg zu die-
weis auf das Kreuz Christi her lt sich behaupten, damit wre Kants sem Ziel ein essentielles Element und da die Zielangemessenheitdes
Forderung Genge getan, "durch frmliche Widerlegung aller Beschwer- Weges ein ausschlaggebendes Kriterium ist. Liebe braucht Zeit und lt
den des Gegners" (s. o. S. 442) zu zeigen, da alles Leiden einen guten Zeit. Sie zwingt nicht, und sie berrumpelt nicht. Sie lockt und zieht65
Sinn und eine positive Bedeutung htte. Zwar knnen wir darauf hoffen, Man kann zwar nicht sagen: "Der Weg ist das Ziel", wohl aber: "Der
da sich fr uns und fr andere immer wieder der Sinn von Leiden er- Weg gehrt zum Ziel".
schliet. Aber die Erkenntnis, da auch in schwerem Leiden ein positiver Das hebt nicht auf, da auch dieG}aubenden (mit anderen Menschen
Sinn steckte, mu sich den vom Leiden Betroffenen selbst erschlieen und und anderen Kreaturen) auf diesem Weg seufzen und sich nach dem
kann in der Regel erst im Rckblick so ausgesprochen werden. Von Hoffnungsziel sehnen, an dem das bel (auch das physische bel) abge-
solchen Erfahrungen her lt sich dann mit Gewiheit sagen, da ..das tan und das Alte definitiv vergangen ist (Rm 8,22 f.). Der christliche
eigene Leben (und insofern auch diese Welt) ohne alles physische Ubel Glaube sehnt sich auch deshalb nach diesem Ziel, weil sich damit die -
keine menschlichere oder bessere, sondern eine rmere Welt wre. Aber
das lt sich nicht im Blick auf alles mgliche Leiden generalisieren. 65 So Luther sehr anschaulich in WA 33,130,39-132,25.
452 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 453

begrndete--Hoffnung verbindet, im "Licht der Herrlichkeit"66 zu er- ber das .bel keinen Raum mehr hat. Die Erffnung der Mglichkeit der
kennen, was wir jetzt ahnen, vermuten, bezweifeln oder glauben: da der Klage (dte auf Erhrung hoffen kann) ist das theologische Kriterium des
Gott, dessen Wesen sich in Jesus Christus zum Heilder Welt erschlossen angemessenen Umgangs mit dem Theodizeeproblem. 67
hat, der schpferische Grund dieser Welt ist, in der es so unbegreifliches
bel gibt.
12.3.4.2 Der Sinn der Beschftigung
mit dem Theodizeeproblem
12.3.4 Ergebnis und Folgerungen
~~fgrund ~es zuletzt Gesagten knnte es so scheinen, als sei die Be-
12.3.4.1 Der Ausgang des Theodizeeprozesses s.chafttg~nf! mit dem Th~odizeeproblem als solche irrelevant, ja gefhr-
lich, ~el1 Sie das .~he?logische Interesse in die falsche Richtung lenkt und
Welcher Urteilsspruch ist nun eigentlich mit dem bisher Gesagten faktisch a~f ~.ie falsche (namlich gedankliche) Ebene bringt. Von daher knnte sich
ergangen oder aufgrund der Anklage und Verteidigung zu erwarten? die Uberleg~ng.nahelegen, das Theodizeeproblem auf sich beruhen zu
Wrdigt man die Argumente pro und contra, so ergibt sich bei den drei lassen od~r m eme~ weiteren Schritt d.~n Menschen recht zu geben, die
Anklagepunkten ein unterschiedliches Bild: Die strksten Argumente fr s~g~n: "Eme ..wel.t, m der es (solche) Ubel gibt, kann nicht von einem
die "Anklage" knnen wohl beim dritten Punkt (malum physicum) vor- gutig~n, allma~htigen Gott erschaffen sein. Zwar kann unsere Vernunft
gebracht werden; die strksten theoretischen Argumente zur "Verteidi- das mcht bewetsen, aber unser Gefhl sagt uns das, und dem folgen wir. "
gung" ergeben sich dagegen beim ersten Punkt (malum metaphysicum). Welche .Konseque~z htte. es, wenn der Theodizeeproze so ausginge und
Wie bereits eingangs vermutet, konnte bei keinem der drei Punkte eine der wenn die Theologie so ffilt dem Theodizeeproblem umginge?68
Seiten einen frmlichen, unwiderleglichen Beweis liefern - und schon gar
nicht fr alle drei Punkte zusammen. Insofern ist der Prozeausgang allem a) Theodizee oder Anthropodizee
Anschein nach offen. Ka.nn sich der (christliche) Glaube damit nicht eini-
germaen "trsten"? Zwar gelingt es ihm nicht, alle Einwnde zu wider- In eine~ Text .mit dem Titel "Rechtfertigung"69 hat O. Marquard das
legen; aber es gelingt auch der Anklage nicht, den Glauben an Gott und ~rgebms .und die Konsequenzen des Theodizeeprozesses wie folgt formu-
an das Geschaffensein der Welt zu widerlegen. Ist das fr den Glauben liert: ".Die moderne Geschichtsphilosophie ist die Radikalisierung der
nicht ein ganz akzeptabler Ausgang des Theodizeeprozesses? T~eo~izee durch den Freispruch Gottes wegen der erwiesensten jeder
Und doch bleibt dabei ein ungutes GefhL Es handelt sich allem mogl!chen Unsch.uld: der Unschuld wegen Nichtexistenz. Durch diesen
Anschein nach, wenn berhaupt um einen Freispruch, dann nicht um ~theismus ad malOrem Dei gloriam wird der Mensch der Erbe der Funk-
einen Freispruch "aus erwiesener Unschuld", sondern um einen frher so tionen Gottes: nic~t nur seiner Funktion als Schpfer, sondern - eben
genannten Freispruch "mangels Beweises". Der Schpfungsglaube ist darum - auch ... ~emer Funktion als Angeklagter der Theodizee. "70 Die-
zwar argumentativ nicht zu widerlegen, aber: "Das Gefhl emprt sich s~n Vorgang b~zeich~et Marquard als die Verwandlung der Theodizee in
dagegen" (s. o. Anm. 62). Mit diesem Hinweis ist das Theodizeeproblem di~ Anthropodi~ee. Sie fat scheinbar (wieder) genau den Zustand in den
auf die Ebene gebracht, auf der es am intensivsten wahrgenommen, erlebt Blick, auf den die Rechtfertigungslehre geantwortet hatte: der Mensch als
und erlitten wird: auf die Ebene des Gefhls. Und alle philosophischen Angeklagter vor Gott. Aber diese Gerichtssituation hat sich im Durch-
oder theologischen Argumentationen zum Theodizeeproblem (ob pro gang durch die Theodizee an einem entscheidenden Punkt verndert. Weil
oder contra) werden dannptoblematisch, wenn sie diese Ebene grund-
stzlich ausklammern oder verdecken. Das geschieht dann, wenn eine 67 Vgl. dazu ~. Bayer, Erhrte Klage, NZSTh 2511983, S. 259-272. Die
Theodizee-Position so mit dem bel umgeht, da von ihr her die Klage Bedeutung dies~s Aufsatzes reicht erheblich ber sein Thema "Gebet" hinaus
und erstreckt Sich auch auf das Thema "Theodizee".
68 Im fol~enden beziehe ich mich vor allem auf Gedanken von O. Marquard zum
Theodizeeproblem.
66 Vgl. dazu den Schluabschnitt von "De servo arbitrio" (WA 18,784 f.), in 69 In: Gieener Universittsbltter 1980, Heft 1, S. 78-87.
dem Luther aus seiner Sicht zum Theodizeeproblem Stellung nimmt. 70 A.a.O., S. 82.
454 Die geschaffene Welt Das Theodizeeproblem 455

es dem Menschen nicht zusteht, Gott (im Theodizeeproze) zu begnadi- Theodizeefrage keine definitive Antwort hat, sie aber im Vertrauen auf
gen, kommt es bei der Verwandlung der Rechtfertigung des Snders in die Gott eschatologisch erhofft.
Theodizee Gottes zum "Verlust der Gnade"71. Die Anklage wird gnaden-
los, und das bleibt sie auch dort, wo der Mensch (an Stelle Gottes) zum
Angeklagten wird. Damit befindet sich der Mensch in der Anthropodizee
c) Der Widerstreit von Glaube und Erfahrung
in einem Zustand gnadenlosen Angeklagtseins. Er und niemand sonst soll Das Theodizeeproblem ist darum unabweisbar, weil an ihm die Span-
die bel der Welt verantworten. Aber das kann der Mensch nicht. Und nung zwischen Glauben und Erfahrung ausgehalten und ausgetragen
darum ist das eine berforderung. wird, die fr den christlichen Glauben unter irdischen Bedingungen kon-
stitutiv ist. Sie lt sich auch beschreiben als die Spannung zwischen dem
b) Das Theodizeeproblem als Artikulation des bels rezeptiven und dem produktiven Aspekt der Wirklichkeitserkenntnis des
christlichen Glaubens (s. o. 7.1.1). In rezeptiver Hinsicht setzt der Glaube
In dem Mae, in dem sich zeigt, da der Mensch nicht dazu in der Lage Erfahrung voraus, nimmt sie wahr und interpretiert sie. In produktiver
ist, die Verantwortung fr den Zustand der Welt zu tragen, gewinnt eine Hinsicht lt der Glaube nach neuer Erfahrung Ausschau halten und ist
andere mgliche Konsequenz an Bedeutung: der Nihilismus als definitiver auf sie hoffend ausgerichtet. Htte der Glaube es nur mit dem produkti-
Verzicht auf die Annahme eines hchsten Bestimmungszieles der Welt ven Aspekt der Erkenntnis zu tun, so wre seine Hoffnung faktisch ohne
und des Menschen. In einer nicht von Gott erschaffenen und darum auch Begrndung. Lebte der Glaube dagegen nur aus dem rezeptiven Aspekt
nicht zur Vollendung bestimmten Welt verliert das bel seinen Charakter der Erkenntnis, so verlre er die Dimension der Verheiung und der
als Rtsel oder Skandal und wird zur erwartbaren Normalitt. Es wre Hoffnung aus dem Blick. Was so wie ein harmonisches Ergnzungs-
geradezu erstaunlich, wenn es in der Welt als einem evolutio?-ren Zu- verhltnis klingt, ist freilich oft ein innerer Kampf auf Leben und Tod: der
fallsprodukt kein metaphysisches, physisches und moralisches Ubel gbe. Kampf zwischen der Bestimmung der Welt und des Menschen zum Heil
Das schliet zwar nicht aus, daalle Menschen versuchen werden, fr sich und der Erfahrung der Realitt der Welt und des Menschen, die immer
ein Maximum an Glck zu erreichen und dabei nur ein Minimum an auch gekennzeichnet sind durch Endlichkeit, Leiden und Snde. Die theo-
Schmerz und Leiden zuzulassen, aber einen Erklrungsbedarf fr die logische Arbeit am Theodizeeproblem lst diesen Widerstreit nicht auf,
Existenz des bels gibt es unter nihilistischen Bedingungen ebensowenig aber sie hlt ihn offen, und darum ist sie unverzichtbar.
wie eine begrndete Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Dem mu auch - im Reden wie im Schweigen - der seelsorgerliche
Erde, in denen das bel berwunden und abgetan ist. Fr den nihilisti- Umgang mit dem Theodizeeproblem dadurch entsprechen, da
schen Atheismus wird das bel zu etwas Normalem, mit dem man sich
abfinden mu. - Leiden und Angst wahrgenommen und zugelassen, also weder baga-
tellisiert noch wegerklrt werden;
Demgegenber findet sich der Glaube an Gott als Schpfer der Welt
nicht mit dem bel ab, er protestiert im Namen der gttlichen Bestim- der Raum fr die unzensierte Klage vor Gott und Anklage gegen Gott
erffnet und nicht verstellt wird;
mung und Verheiung gegen das bel in der Welt, auch wenn er selbst
keine zufriedenstellende Antwort auf das Warum des malum in der Hand - die eigene Antwort- und Hilflosigkeit (von Seelsorgern) ausgehalten
und ertragen wird;
hat. O. Marquard hat gelegentlich72 darauf hingewiesen, da auch unzu-
reichende Antworten eine wichtige Funktion haben, nmlich Fragen zu - mit alledem der Horizont offengehalten wird, in dem sich fr die
bewahren und offenzuhalten. So hat das christliche Reden von der Welt Betroffenen selbst eine Antwort oder eine Perspektive der Hoffnung
einstellen kann.
als Schpfung - auch - die Funktion, das bel in der Welt als solches
wahrzunehmen und sich nicht einfach mit ihm abzufinden. Das gilt frei-
lich nur dann, wenn der christliche Glaube es aushlt, da er auf die

71 A.a.O., S. 83.
72 S. o. Anrn. 54.
Zur Klrung des Begriffs " Snde " 457

13 Die gefallene Weh (Hamartiologie) meldet sich vermutlich nicht nur ein vernachlssigtes oder verdrngtes
Thema wieder zu Wort, sondern das ist auch Ausdruck spezifischer Ne-
gativ-Erfahrungen unserer Zeit, die nach Mglichkeiten des Verstehens
und der berwindung von Gewalt und Faszination durch das Bse fragen
lassen. Fruchtbar wird dieses Interesse aber sicher' nur, wenn es sich
Die heilsame rettende Botschaft des Evangeliums setzt eine Situation der verbindet mit dem Bemhen um gedankliche Klrung, theologische
Heillosigkeit' und Verlorenheit voraus, die in der Bibel und in den kir~h Durchdringung und empirische Bewhrung. Deswegen soll auch hier
lichen Bekenntnissen in der Regel mit dem Begriff "Snde" (gelegenthch nach einem ersten Abschnitt, der dem Versuch der Begriffsklrung gewid-
auch "Schuld") bezeichnet wird. Dieser Begriff ist jedoch in unserer met ist (13.1), die Beschftigung mit der Frage nach der Wurzel (13.2),
Lebenswelt besonderen Miverstndnissen ausgesetzt. Das Reden von den Erscheinungsformen (13.3) und den Auswirkungen der Snde (13.4)
"Snde" begegnet in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche nicht selten folgen.
einer Haltung, die man als Mischung aus Desinteresse und Argwohn
bezeichnen kann:
- Desinteresse, weil ein so unklares, hufig blo formelhaft gebraucht~$ 13.1 Zur Klrung des Begriffs "Snde" (und "Schuld")
Wort wie "Snde" keine orientierende oder erhellende Kraft zu besit-
zen scheint; 13.1.1 Zum biblischen Sprachgebrauch
- Argwohn, weil das kirchliche Reden von "Snde" - soweit esvo~
kommt - erlebt oder empfunden wird als ein Versuch, Menschen em Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament werden mehrere Begriffe
schlechtes Gewissen zu machen, sie kleinzuhalten und zu berwachen, verwendet, um "Snde" (und "Schuld") zu benennen. Diese Begriffe ent-
um sie (besser) beherrschen zu knnen. i halten wesentliche Gemeinsamkeiten, aber auch jeweils wichtige unter-
In den Vorbehalten gegen das Thema "Snde" kann sich aber auch schiedliche Nuancen, die beide zum Verstndnis des Gemeinten eine gro-
e Hilfe sein knnen.
eine andere Haltung ausdrcken, die ihrerseits aus theologischer Sicht
gedeutet und verstanden werden kann: Es ist schwer, vielleicht sogar
unmglich, die Heillosigkeit und Verlorenheit d~~ eigenen Lebens a~zu
schauen wenn dies nicht schon im Horizont ihrer Uberwindung geschieht. 13.1.1.1 Hauptbegriffe fr "Snde" im Alten Testament
Ohne ei~e solche Perspektive kann die innere Zerrissenheit, das Selbst-
zerwrfnis, das mit dem Begriff "Snde" bezeichnet wird, als eine totale Im Alten Testament gibt es drei Hauptbegriffe fr "Snde": l;1at't, 'won
und pres'.
Infragestellung der eigenen Person erlebt werden. Erst die Erfahrung ~on
Vergebung, also der Zuspruch der Rechtfertigung des Snders ermgl~cht
die Unterscheidung zwischen Person und Snde, aufgrund deren diese a) ~atii't
Zerrissenheit tatschlich angeschaut werden kann, ohne da dies einen
Das Verbum l;1at' und das Substantiv l;1at't sind im Alten Testament die
Menschen in eine Situation trostloser Verzweiflung treiben mu. Der von
hufigsten Bezeichnungen fr "sndigen" und "Snde". Die Grundbedeu-
O. Marquard diagnostizierte neuzeitliche "Verlust der Gnade" (s:. o.
tung von l;1at't, ist: ein Ziel verfehlenI. Entsprechend bedeutet l;1at't,
S. 454) knnte demzufolge verstndlich machen, warum das Thema "Sun-
wenn es auf das Verhltnis zum Mitmenschen oder zu Gott bertragen
de" in unserer Lebenswelt auf Ablehnung und Widerspruch stt.
wird: Verfehlung, d. h. das Nicht'-Erreichen des eigentlich Intendierten
Andererseits ist zu konstatieren, da in den letzten Jahren auch ein
und der Bestimmung, nmlich des Gemeinschaftsverhltnisses. Zwar
neues, bislang primr innertheologisches Interesse an dem The~a "S~
kann gelegentlich auch ein einzelnes Gebot genannt werden, das durch
de" im allgemeinen und "Erbsnde" im besonderen erwacht iSt. Darm
"sndiges" Verhalten verfehlt wird, aber ausschlaggebend ist die Bezie-

1 Auf diesen Aspekt weist insbesondere die feministische Kritik am kirchlichen 2 So heit es in ]dc 20,16, da von 700 linkshndigen Steinschleuderern jeder
und theologischen Reden von "Snde" hin. aufs Haar traf und keiner "verfehlte".
458 Die gefallene Welt Zur Klrung des Begriffs "Snde" 459

hung zur Gemeinschaft, und zwar letztlich das Gemeinschaftsverhltnis a) - c) Fazit


zu Gott. Mageblich ist dabei nicht, ob es sich um eine absichtliche oder
um eine unwissentliche Verfehlung handelt. Beide fallen unter das Urteil: Die wichtigste Gemeinsamkeit der drei alttestamentlichen Hauptbegriffe
,,1).a!'t", und was damit gemeint ist, lt sich am besten wiedergeben mit fr "Snde" besteht darin, da in allen Fllen ein Gemeinschaftsverhltnis
der Formel: "Verfehlung des Ziels, der Gemeinschaft (mit Gott) gerecht (insbesondere zwischen Gott und Mensch) - sei es als Gegebenheit oder
zu werden". als Ziel- vorausgesetzt ist, das der Mensch durch die Snde verletzt.
Wenn "Gerechtigkeit" im Alten Testament als "gemeinschaftsgemes
b) '(iwan Verhalten" zu verstehen ist5, so ist "Snde" das Gegenteil: gemeinschafts-
~idriges Verhalten. Dieses Moment steht im Vordergrund, nicht die
Die Grundbedeutung des (seltenen) Verbums 'wah und des (hufigen) Ubertretung einer vorgegebenen Norm oder eines Gebotes, auch nicht die
Substantivs 'won lautet "abweichen", "abkehren" , aber auch "verkeh- Schuldhaftigkeit. Die Verletzung der Gemeinschaft ist dabei eher Anla
ren", "verdrehen", "beugen", "krmmen", "sich vergehen". Vorausge- zur Klage als zur Anklage oder zum Vorwurf.
setzt ist dabei entweder ein Weg, von dem abgegangen wird, oder das
Verbiegen von etwas Geradem. Hufig knnen dabei die Folgen mitge-
meint sein, die sich aus dem Abweichen oder Verbiegen ergeben - Folgen, 13.1.1.2 Das Reden von "Snde" im Neuen Testament
die sich in aller Regel unerwartet, ja ungewollt einstellen. So kann 'won
nicht nur "Vergehen", sondern auch "Schuld" und "Strafe" bedeuten. ~ Neuen Testament dominiert ein Begriff fr Snde, und zwar in allen
Auch 'won setzt in seiner religisen Bedeutung stets ein zwischen Gott Uberlieferungsschichten: "O:lJcxpTicx". Daneben kommen noch - ebenfalls
und dem Volk oder dem einzelnen bestehendes Gemeinschaftsverhltnis in allen berlieferungsschichten - vor: "OIKicx" und" lTCXpalTTWlJcx" .6
voraus, von dem die. "Krmmung" bzw. das "Ver-gehen" abweicht. 3
Auch bei 'won ist das Kriterium aber nicht die Absichtlichkeit oder a) ,,6:~cxpTicx"
Schuldhaftigkeit, sondern hier das Abweichen vom (geraden) Weg der
Gottesbeziehung samt seinen schlimmen Folgen. Das griechische "O:IJCXPTCxvW" hat dieselbe profane Grundbedeutung wie
das hebrische Verbum 1).a!': ein Ziel verfehlen, es also nicht treffen oder
c) pces' nicht erreichen. Zugleich hat die Wurzel "O:IJCXpTavw" im bertragenen
Sinn eine hnliche Bedeutung wie das hebrische Verbum 'wah: vom
Die Grundbedeutung dieser dritthufigsten Bezeichnung fr "Snde" ist Weg abkommen, sich verlaufen oder verirren. Schlielich kommt in der
nicht leicht zu ermitteln. Das Wort hat zu tun mit "wegnehmen", "rau- profanen Bedeutung von "O:IJCXPTCxvW" noch eine dritte Bedeutung hinzu:
ben", aber auch mit "sich entziehen", "abfallen" . Das Gemeinsame dieser ein gestecktes Ziel nicht erreichen oder nicht verwirklichen knnen weil
vier Bedeutungen knnte man wiedergeben mit dem Wort "heraus- man einen Fehler macht. Seiner Grundbedeutung nach ist "O:IJCXPT~VEIV"
brechen", wobei sowohl daran zu denken ist, da etwas aus dem Lebens- also immer ein Verhalten, bei dem ein angestrebtes Ziel nicht erreicht,
bereich eines anderen herausgebrochen (d. h. gestohlen) wird, als auch sondern verfehlt wird.
daran, da jemand sich herausbricht (d. h. eine Gemeinschaft verlt). "O:lJ cx pTicx" als Snde ist ein Abweichen von dem durch Gottes Willen
Diese letztere Bedeutung ist dort anzusetzen, wo pres' "Snde" bedeutet. gewiesenen Weg zum Leben. Deswegen wird das angestrebte Ziel, nm-
Vorausgesetzt ist auch hier wieder ein bestehendes Gemeinschafts-
verhltnis dem ein Mensch sich - nun aber stets wissentlich und willent- 5 Dies hat K. Koch in seiner grundleg~nden Arbeit: sdq im Alten Testament,
lich - ent~ieht. "Snde" ist hier gesehen als "der Grundvorgang einer Diss. theol. Heidelberg 1953, herausgearbeitet.
bewuten, gemeinschaftsschdigenden Entzweiung"4. 6 Nur einmal kommt im Neuen Testament der Begriff "<pEG\rn1CX" vor, um
Snde als "Schuld" vor Gott zu bezeichnen. Dieser eine Beleg ist freilich in
einem Text enthalten, dessen Wirkungsgeschichte gar nicht hoch genug ver-
3 Vgl. dazu R. Knierim, Die Hauptbegriffe fr Snde im Alten Testament, anschlagt werden kann: im Vaterunser (Mt 6,12). Von daher lt sich erkl-
S.255. ren, da der Begriff "Schuld" in der Christentumsgeschichte eine so groe
4 So Knierim, a.a.O., S. 178. Rolle spielen konnte.
460 Die gefallene Welt Zur Klrung desBegriffs "Snde" 461

lich das Leben, durch die Snde verfehlt. Auffllig am neutestamentlichen a) ~ c) Fazit
Sprachgebrauch ist dabei zweierlei: Erstens wird "O:llapTia" insbesondere
bei Paulus als Macht verstanden, und zwar als eine dmonische Macht, Wie im Alten Testament steht auch im Zentrum.der neutestamentlichen
die "durch einen Menschen" (Adam) in die Welt gekommen ist und von S~ndenbegriffe die Vorstellung eines menschlichen Verhaltens durch das
da an (bis Christus) ber die Menschen herrscht (Rm 5,12-21). Zweitens em angestrebtes Ziel, ein Weg, eine Beziehung verfehlt wird.' Auch hier
besteht das berwiegende Interesse des Neuen Testaments nicht an der k~nn es sic~ um ein bewutes und sogar willentliches Abweichen und
Snde selbst, sondern an ihrer Aufhebung und berwindung. ~lch-Verwe~gern handeln oder um ein unabsichtliches, ungewolltes Ab-
Irren und Sich-Verlaufen. Die Pointe liegt jedenfalls nicht im schuldhaf-
b) ,,6:51Kio" ten Vorsatz (wiewohl dieser in der Regel mitgedacht wird), sondern in
dem beklagenswerten Verfehlen dessen, was dem Menschen zum Leben
Das Substantiv "aolKia" und das Verbum "aolKEw",die vor allem bei gegeben ?der zugedacht ist. Ein gegenber dem Alten Testament neues
Paulus und Lukas vorkommen, zeigen schon von der Sprachstruktur her, Element 1st das Verstndnis der O:llapTia und der 6:o1Kia als Macht die
da sie durch einen Gegensatz bestimmt sind, nmlich gegen das Recht. den Menschen zwar nicht gegen seinen Willen in Besitz nimmt der'sich
Grundbedeutung von "O:OlKEW" ist "Unrecht tun". Aber als Begriff fr der ~e~sch aber ausliefert und so ihr Sklave wird. Bemerke~swert ist
"Snde" meint "aolKia" nicht irgendein Unrecht, sondern den Gegensatz s~.hhehch, w~lche geringe Rolle der Schuldbegriff im Kontext der
zur olKalocruvll, also zur Gemeinschaftstreue Gottes. aOlKia ist (jedenfalls Sundenthemattk (auch) im Neuen Testament spielt.
bei Paulus) die Weigerung des Menschen, Gott, der seinerseits dem Men-
schen die Treue hlt Und dessen Leben und Heil will,die Ehre zu geben.
Aber auch von der aOIKia gilt: Sie ist nicht nur Tat oder Eigenschaft des 13.1.2 "Snde" (und "Schuld") in den Bekenntnisschriften
Menschen, sondern zugleich eine transpersonale Wirklichkeit, eineMacht,
die den Menschen versklavt. . Im Apostolicum und Nicaenum kommt der Begriff Snden" ( O:ll a p"
Tl&~"; "peccatorum"). nur als Element der Formel "Vergebung d~r Sn-
c) "TIOpCrITTWIlO" ?en v:?r. Das entspncht der neutestamentlichen Tendenz, Snde von
ihrer Uberwindung her in den Blick zu fassen. In den lutherischen
Das aus "TIapaTIhnw" (d. h.: "danebenfallen", "abirren") abgeleitete ~ekenntnisschriften spielt das Thema "Snde" besonders in CA 2 u. 19
Substantiv" TIapO:TITWlla" bezeichnet in der Profangrzitt das Versehen, eme ze~tral~ Rolle sowie - unter einer speziellen Fragestellung - in FC I.
den Irrtum. Schon in der Septuaginta, in der"TIapO:TITwlla" bersetzung CA 2 gIbt eme frmliche Definition von "Snde"8. Dabei wird die Snde
fr pres' ist, bezeichnet es nicht eine Gesamthaltung oder Grundeinstel- als " Seuche" bzw. "Krankheit " verstanden 9, also (auch hier) nicht primr
lung des Menschen, sondern die einzelne Verfehlung, den Fehltritt, den als Schul? oder Tat des Menschen. Das Thema "Schuld" (allerdings nicht
Fall oder Absturz? Anders als "TIapo:aO"lS" (d. h.:"bertretung") be- der Begrzff) taucht aber dort auf, wo die CA lehrt da es nicht Gott sei
zieht sich" TIapO:TITWlla" nicht notwendig auf ein Gesetz oder Gebot, das der die Snde wirkt, sondern "der verkehrte Will:' des Teufels und alle;
bertreten und damit verletzt wird, sondern auf die Beziehung .zu Gott, Gottlosen (CA 19; BSLK 75,4 f.). Die damit verbundenen sachlichen
die durch den Fall des Menschen gestrt oder zerstrt wird, aus der der Fragen werden uns spter (s. u. 13.2) beschftigen. Hier geht es zunchst
Mensch also herausfllt. Im Unterschied zu O:llapTia und 6:o1Kia wird nu~ um.den Sprachgebrauch. Dazu lt sich sagen: Was "Snde" meint,
TIapO:TITWlla im Neuen Testament jedoch nur als menschliche Tat, nicht ergIbt sI~h vom Ersten Gebot her, in dem das zusammengefat ist, was
als den Menschen beherrschende Macht. verstanden. zum HeIl und Leben des Menschen. dient, nmlich ungebrochene Ge"

8 " ... cu.rn pe~c:to, ho~ est, sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum
concuplscenna ; " ... In Sunden ... , das ist, da sie alle von Mutterleib an
voll boser Lust und Neigung seind und kein wahre Gottesfurcht, keinen
7 Es ist kein Zufall, da Paulus in Rm 5,15-20, wo er von Adams Fall spricht, wahren Glauben an Gott von Natur haben knnen" (BSLK 53,3-9).
sechsmal den Begriff ,,1Tapa1TTw~a" verwendet. 9 " ... angeborne Seuch"; "morbus" (BSLK 53,10 u. 8).
462 Diegefallene Welt Zur Klrung des Begriffs "Snde" 463

meinschaft mit Gott. Da dies dem Menschen fehlt und da der Mensch Geflle von einem ernsthaften zu einem ironisierenden Sprachgebrauch
statt dessen von Selbstsucht und Gier getrieben wird, das ist die Snde gibt. Man kann durchaus von einer Tendenz zur Skularisierung und zur
des Menschen, die zugleich sein Elend ausmacht. Entscheidend ist dabei: Verharmlosung des Sndenbegriffs reden, wobei darin (vielleicht sogar
Es handelt sich um einen so tiefreichenden Schaden, da ihn der Mensch gleichzeitig) zwei ganz entgegengesetzte Phnomene zum Ausdruck kom-
aus eigenen Krften nicht heilen kann. men knnten: einerseits ein Nicht-mehr-ernst-nehmen-Wollen verfehlter
So sieht es auch der Heidelberger Katechismus (Fr. 5-9), der vom Existenzweisen und Handlungsformen; andererseits eine religise ber-
Menschen sagt, er sei "von Natur geneigt, Gott und (s)einen Nchsten zu hhung individueller oder kollektiver Normabweichungen, die zeigen,
hassen" (Fr. 5). Gegen das naheliegende Miverstndnis, "von Natur" wo die eigentlichen "Gtter" unserer Zeit zu suchen sind (z. B. bei gesell-
heie "so erschaffen", wird gelehrt, die verderbte Art des Menschen schaftlichen Normen, Konventionen oder Idealen). Auffallend ist eine
komme "aus dem Fall und Ungehorsam unserer ersten Eltern", wodurch hufig zu beobachtende Affinitt des Redens von "Snde" zur Sexualitt.
unsere Natur also vergiftet worden (sei), da wir alle in Snden empfan- Auch dies ist ein ambivalenter Befund, der (zugleich) zeigen knnte, wie
;en und geboren werden" (Fr. 7). Das Stichwort "Ungehorsam" wird Snde ins Zwielicht des Verbotenen und gerade darum Verlockenden
dann in Frage 9 noch einmal aufgenommen und verstrkt durch das gert oder wie Sexualitt tendenziell dmonisiert oder als dmonisch
Adjektiv "mutwillig", wenn es heit: "Der Mensch aber hat sich und alle empfunden wird.
seine Nachkommen aus Anstiftung des Teufels durch mutwilligen Unge" Was im auerkirchlichen Reden von "Snde" durchgehend (im kirch-
horsam derselbigen (sc. von Gott als Befhigung zum Tun des Guten lichen Reden aber zumindest teilweise) zu beobachten ist, ist der Verlust
verliehenen) Gaben beraubt." Hier wird die Tendenz erkennbar, Snde der Kategorie "Macht" im Zusammenhang mit "Snde'" die doch eines
primr als Ausdruck der Hybris, des grundlosen Hochmuts zu verstehen, der Charakteristika des neutestamentlichen Sprachgebrauchs darstellt
dem man eigentlich nur mit Abscheu und in anklagender Haltung begeg- (s. o. 13.1.1.2). Freilich mu man sehen, da es ein (meist unernsthaftes,
nen kann. Aber das ist eher ein Nebenton im Sprachgebrauch von Bibel gelegentlich aber doch auch hintergrndiges) Reden vom" Teufel" und
und Bekenntnis, keinesfalls dercantus firmus. vom "Bsen" gibt, die durchaus als Mchte verstanden werden knnen.
Aber dies verbindet sich nur selten mit dem Begriff "Snde".
Die darin sich andeutenden sprachlichen und gedanklichen Vernde"
13.1.3 "Snde" und "Schuld " in unserer Sprache rungen knnten mit der "Sache" zu tun haben, um die es hier geht. D.. h.:
Auf unbewute Weise knnte in den Tendenzen der Ethisierung, sthe-
Mit"unserer" Sprache meine ich hier zweierlei: einerseits den allgemein~n tisierung und Ironisierung des Redens von "Snde" und vom"Teufel" ein
deutschen Sprachgebrauch (insbesondere in der Gegenwart), andererseIts Versuch der Verdrngung der zerstrerischen, dmonischen Krfte statt-
das theologisch verantwortliche Reden von "Snde" und "Schuld". finden, die - individuell und gesellschaftlich - im Menschen hausen, de-
ren Anblick aber nur schwer zu ertragen ist.

13.1.3.1 "Snde und "Schuld b) " Schuld


im allgemeinen Sprachgebrauch
Sprachgeschichtlich ist die Grundbedeutung von "Schuld" das Gesollte
a) "Snde im Sinne der Verpflichtung zu einer Leistung oder Zahlung. Im religisen
Sinn bezeichnet "Schuld" einerseits das Zurckbleiben hinter einer For-
Grimms Wrterbuch10 ist zu entnehmen, wie der religise Begriff der derung (Gottes), andererseits die Verantwortlichkeit im Sinne der Zu-
Snde (als Verfehlung vor und gegen Gott) unter neuzeitlichen Bedingun- rechnung.
gen zunchst eine berwiegend oder ausschlielich ethische Bedeutung Im Unterschied zum Begriff "Snde" spielt der Begriff "Schuld" im
bekam und schlielich auch bewut auerreligis und auerethisch (z. B. heutigen Sprachgebrauch eine groe und durchweg ernsthafte Rolle, ins-
sthetisierend) gebraucht wurde und wird, wobei es ein unverkennbares besondere im Bereich der Politik und des Strafrechts, aber auch in der
Ethik. Dabei ist auch hier ein durchaus ambivalenter Befund zu kon-
10 Deutsches Wrterbuch, Bd. 101IV, Sp. 1111-1128. statieren: Je genauer die Sozialisationsbedingungen, die Einflsse von
464 Die gefallene Welt Zur Klrung des Begriffs "Snde" 465

Herkunft, Milieu und Gesellschaft erkannt werden und je deutlicher die "VerantWortung" noch keineswegs geleistet sind. Es kommt nicht darauf
unbewuten und gerade deshalb besonders wirksamen Beeinflussungen an, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen, sondern das Problemfeld
durch Eltern, gesellschaftliche Normen und Strukturen wahrgenommen mglichst genau und anschaulich zu beschreiben.
werden, desto strker entsteht die Tendenz, andere und sich selbst nicht Die bisherigen berlegungen zum Sprachgebrauch haben aber auch
als Schuldige (ja letztlich nicht einmal als Schuldfhige) zu sehen, sondern eine wichtige Einsicht ergeben, die die Art und Weise des Zugangs zu
als Opfer, als Traumatisierte, als Produkte der Umwelt. Das hat auf der diesem Themenbereich betrifft und darum die Haltung und Grundeinstel-
einen Seite eine entlastende Wirkung und fhrt u. U. zum Abbau von lung, aus der heraus die Beschftigung mit dem Themenbereich "Snde"
unrealistischen Schuldgefhlen. Aber es hat auf der anderen Seite auch (und "Schuld") geschieht. Diese GrundeinsteIlung ist so etwas wie ein
einen entpersonalisierenden, verdinglichenden Effekt. Es gehrt zur Vorzeichen, das die Tonart bestimmt und darum vorweg angesprochen
Wahrheit und Wrde des Menschen, unter "normalen" Umstnden fr und benannt werden sollte.
sein Tun und Lassen verantwortlich zu sein und diese Verantwortung Von den Grundbedeutungen der biblischen Hauptbegriffe fr Snde
auch - dort, wo sie tatschlich besteht - zu bernehmen, in anderen ergab sich in einem beeindruckend bereinstimmenden Ma, da "Sn-
Fllen aber zurckzuweisen. de" nicht primr gesehen wird als mutwilliges, hybrides Aufbegehren
Dem kommt allem Anschein nach der andere, in unserer Gesellschaft gegen Gott und seinen Willen, sondern als ein Verfehlen des Zieles und
ebenfalls zu beobachtende Trend entgegen: die permanente Ausweitung Weges, den Gott dem Menschen zugedacht hat. "Snde" ist demzufolge
der Rechtfertigungsforderung im Sinne der von O. Marquard diagnosti- primr Verlorenheit, Scheitern, Milingen und nicht primr Rebellion,
zierten Anthropodizee (s. o. 12.3.4.2 a). In dieser Hinsicht ist die gegen- Ungehorsam, Absage an Gott.
wrtige Lebenswelt viel weniger als frhere Generationen bereit, etwas Hier droht freilich ein naheliegendes Miverstndnis: Mit dem bisher
(seien es Kriege, soziale Konflikte, Klimavernderungen, Epidemien etc.) Gesagten verbindet sich nicht die Meinung, die Rede von "Snde" msse
einfach hinzunehmen (als "hhere Gewalt" oder als etwas,,,das immer so eher oder ausschlielich als Verhngnis statt als Schuld verstanden wer-
war"), sondern es wird nach den Schuldigen und VerantWortlichen ge- den. Diese Unterscheidung zwischen Verhngnis und Schuld bleibt an der
fragt, und d. h., sowohl nach denen, die dafr zur Rechenschaft gezogen Oberflche und weist in eine ganz andere Richtung als das, was hier
und ggf. bestraft werden mssen, als auch nach denen, die dafr zustndig gemeint ist. Das spezifisch biblische Reden von "Snde" zeigt sich darin,
sind, den Schaden zu beheben und es knftig besser zu machen. da ber Snde - als Schuld und Verhngnis - im Ton der Klage (statt der
Mglicherweise ist auch diese Ambivalenz zwischen Schuld-Negie- Anklage) gesprochen wird. Was damit gemeint ist, bringt das Neue Testa-
rung und Schuld-Ausweitung Ausdruck einer komplexen Grundhaltung. ment - wie bereits angedeutet (s. o. 9.3.1.3) - zum Ausdruck durch das
Dort, wo sich die Schuld-Ausweitung auf andere, die Schuld-Negierung Verbum: "es jammerte ihn". Dieser Jammer wird nicht dadurch geringer,
auf die eigene Person oder Gruppe richtet, wird diese Zusammengehrig- da jemand willentlich schuldig geworden ist, sondern er wird dadurch
keit deutlich sichtbar; aber dieses einfache Muster ist zu oberflchlich und eher noch grer, weil hier erkennbar wird, da der Schaden bis in den
zu grob, als da es diese Ambivalenz ganz und zufriedenstellend erklren Willen hineinreicht und wie verzweifelt darum die Situation des Men-
knnte. schen ist, der sich der Macht der Snde ausgeliefert hat.

13.1.3.2 Theologisch verantwortliches 13.1.3.3 Das Wesen der Snde


Reden von "Snde" und "Schuld"
Die hinter uns liegenden Beobachtungen und berlegungen ergaben, da
Angesichts des skizzierten Befundes ist es eine ernsthafte Frage, ob insbe- (jedenfalls im biblischen und reformatorischen Sinn) dann am angemes-
sondere der Begriff "Snde", aber doch auch der Begriff "Schuld" ber- sensten von der Snde gesprochen wird, wenn sie als (sei es schuldhafte,
haupt noch theologisch verwendbar ist. Jedenfalls liegen hier groe sei es tragische) Verfehlung der Lebensbestimmung, als Verlorenheit,
Interpretationsaufgaben, die durch eine Ersetzung von "Snde" durch Scheitern oder Milingen des Lebens verstanden und ausgesagt wird. In
ein anderes Wort wie z. B. "Verfehlung" oder "Entfremdung" oder "Exi- all diesen Formulierungen ist Snde negativ auf das menschliche Leben
stenz im Widerspruch" sowie durch eine Ersetzung von "Schuld" durch in seiner (von Gott gegebenen) Bestimmung bezogen. Diese Bestimmung
466 Die gefallene Welt Die Wurzel der Snde 467

haben wir im Rahmen der Schpfungslehre (s. o. 12.2.2.2) kennengelernt ist die Frage nach der Wurzel der Snde noch nicht beantwortet. Manche
als die Bestimmung zur Liebe. Wenn dies die Bestimmung des mensch- Theologen 13 vertreten die Auffassung, diese Frage lasse sich nicht beant-
lichen Lebens ist und wenn Snde Verfehlung der Bestimmung des worten, msse also offen bleiben, ja, es sei illegitim und gefhrlich, ihre
menschlichen Lebens ist, dann ist Snde ihrem Wesen nach stets Verfeh- Beantwortung auch nur zu versuchen. Diesem Einwand mchte ich mich
lung der Liebe. zunchst zuwenden.
Die Bedingungen dieser Verfehlung knnen freilich ganz unterschied-
licher Art sein. So ist es denkbar, da einem Menschen in seinem Leben
keine Liebe so zuteil wird, da sie in ihm Liebe weckt und hervorruft. 13.2.1 Die Legitimitt der Frage nach der Wurzel der Snde
Liebe kann erdrckt und erstickt werden durch Leistungsdenken und den
Hunger nach gesellschaftlicher Anerkennung. Liebe kann vertrieben, ver- Die Legitimitt der Frage nach der Wurzel der Snde kann in zweierlei
leugnet oder verraten werden durch Angst oder aus Angst. Liebe kann Hinsicht bezweifelt werden: Einerseits knnte man sagen, diese Frage sei
versumt oder verspielt werden durch Trgheit und Gleichgltigkeit. spekulativ und knne nicht beantwortet werden, da es dafr keine Quelle
An dieser Aufzhlung, die sich unschwer fortsetzen und ergnzen lt, gebe. Andererseits knnte man einwenden, eine mgliche Beantwortung
wird noch einmal deutlich, da und warum der angemessene Grundton dieser Frage liefe auf eine Erklrung im Sinne einer Entschuldigung hin-
des Redens von Snde der der Klage ist - auch dort, wo es sich als Anklage aus. Das aber sei der falsche, illegitime Umgang mit dem Thema "Snde"
artikuliert. All die expliziten oder impliziten Bedingungen lassen sich ja und deswegen msse schon diese Frage unterbleiben.
ihrerseits"verstehen" und "erklren". Sie entstammen selbst nicht einem Der Einwand, der auf das Fehlen einer mglichen Erkenntnisquelle
"bsen Willen" - jedenfalls keinem, den der Mensch beliebig ndern verweist, ist deswegen nicht stichhaltig, weil es durchaus mglich ist,
knnte -, sondern sind Ausdruck des Machtcharakters, mit dem die Sn- sowohl der biblischen berlieferung als auch dem kirchlichen Bekenntnis,
de ber den Menschen hereinbricht und ihn beherrscht, so da er die als auch der persnlichen Lebenserfahrung Hinweise zu entnehmen, die
Bestimmung des Lebens zur Liebe verfehlt. zur Beantwortung dieser Frage beitragen. Dabei zeigt sich, da die Frage
nach der Wurzel der Snde zwei Aspekte hat: Einerseits geht es um die
Frage, wie es berhaupt mglich ist, da es in der von Gott (gut) geschaf-
13.2 Die Wurzel der Snde ll fenen Welt (s. o. 12.1.1.2) Snde gibt; andererseits geht es um die Frage,
wie es mglich ist, da dieser Einbruch des Bsen sich immer wieder in
Die Snde ist kein Schpfungswerk, also keines der Geschpfe Gottes, jedem Menschenleben, ereignet, sich sozusagen wiederholt. '
deren Dasein dem Willen Gottes entspricht. Diese Aussage ist keine un- Ich mchte beide Aspekte dieser Frage offenhalten und bedenken, weil
zulssige Einschrnkung der Allmacht oder Schpfermacht Gottes, son- sie zwar eng zusammenhngen, sich aber auch in gewisser Hinsicht unter-
dern wahrt (im Gegenteil) das Gottsein Gottes. Da auch die Snde unter scheiden. Problematisch wre es jedenfalls, die zweite Frage faktisch in
(und nicht auerhalb von) Gottes Macht steht, ist wohl wahr, aber das der ersten aufgehen zu lassen, weil damit aus unserer Perspektive die
heit nicht, da sie Gottes Willen entstammte. 12 Aber mit dieser Negation "Snde" nur noch als tragisches Verhngnis in den Blick genommen
wrde, whrend die ganze Schuld bei den" ersten Eltern" lge14 Soll dies
11 Ich verwende bewut die metaphorische Formel "Wurzel der Snde" an Stelle vermieden werden, so mu die Frage nach der Wurzel der Snde so
der blichen Formel "Ursprung der Snde", weil der Begriff "Ursprung" zu
dem Miverstndnis verleiten kann, es gehe um die Frage nach dem zeitlichen ettribuere ei, quod sit autor peccati" (WA 42,134,8-10). Der Sache nach deckt
Anfang der Snde (in der Schpfung, in der Menschheitsgeschichte oder im sich das mit den Aussagen der Apologie zu CA 19 (BSLK 313,11-15) und des
individuellen Menschenleben), ber den wir jedoch nichts wissen und aussa- Heidelberger Katechismus (Fr. 6).
gen knnen. Die Rede von der "Wurzel der Snde" verweist demgegenber 13 In unserer Zeit besonders nachdrcklich W. Joest, Dogmatik II, S. 429.
deutlicher darauf, da es um die Frage nach dem sachlichen Grund geht, kraft 14 S. Kierkegaard hat m. E. recht, wenn er die Auffassung vertritt, zwischen der
dessen es in dieser Welt und im Leben des Menschen Snde gibt. Situation der "ersten Eltern" und unserer Situation bestehe nur ein quantita-
12 Luther hat im Zusammenhang mit der Auslegung der Sndenfallgeschichte die tiver Unterschied (so in: Der Begriff Angst; S. 45, 51 u. .), zwischen Schp-
These vertreten, es sei der hchste Grad an Snde, Gott fr den Urheber der fung und Snde bestehe dagegen ein qualitativer Unterschied. Im Blick auf ihn
Snde zu erklren: "Hic ultimus gradus peccati est Deum afficere contumelia gelte: "Wie die Snde in die Welt gekommen ist, das versteht ein jeder Mensch
468 Die gefallene Welt Die Wurzel der Sunde 469

verstanden, aufgenommen und bearbeitet werden, da sie zum Finden der nisschriften die konstitutiven Merkmale dessen herauszuarbeiten, was in
eigenen Antwort anregt und zur Frage nach dem sachlichen Grund des der christlichen berlieferung als "Fall" oder "Sndenfall" bezeichnet
Bsen (auch) im eigenen Leben wird. wird. Dabei lt sich die systematisch-theologische Leitfrage wie folgt
Auch der zweite Einwand stellt kein durchschlagendes Argument ge- formulieren: Welche Verhltnisbestimmung zwischen der Geschpf-
gen die Beschftigung mit der Frage nach der Wurzel der Snde, wohl lichkeit des Menschen und seiner Snde wird in der christlichen berlie-
aber eine berechtigte Warnung dar, wobei sich die Warnung in diesem ferung erkennbar, die einerseits beides so miteinander verbindet, da der
Fall nicht so sehr auf ein mgliches Miverstndnis als vielmehr auf einen Fall zumindest als mglich gedacht werden kann, und die andererseits
mglichen Mibrauch dieser Frage bezieht. Tatschlich kann die Frage beide so voneinander unterscheidet, da der Fall nicht notwendig aus der
nach der Wurzel der Snde (im Gesamtzusammenhang der Menschen Geschpflichkeit des Menschen resultiert.
und im persnlichen Leben) so gestellt, aufgenommen und bearbeitet
werden, da sie de facto der Entschuldigung, u. U. damit sogar der
Bagatellisierung der Snde dient. Eine solche entschuldigende Erklrung 13.2.2.1 Die Mglichkeit des Sndenfalls
der Snde (des "Sndenfalls") wrde aber die notwendige schmerzhafte
Auseinandersetzung mit (eigener und fremder) Snde vermeiden und Der Begriff "Mglichkeit" hat hier - wie in anderen Fllen - zwei Bedeu-
umgehen. Wird dieser Mibrauch jedoch bewutgemacht und vermie- tungen: Er bezeichnet einerseits die Fhigkeit zum Sndigen, die im Wesen
den, dann ist die Frage nach der Wurzel der Snde durchaus legitim, weil des Geschpfs Mensch liegt, andererseits die Gelegenheit oder den Anla,
sie dann dazu beitragen kann, die Snde in ihrer ganzen Unbegreiflichkeil' die den Sndenfall auslsen. Beides ist hier zu bedenken.
und Rtselhaftigkeit anzuschauen und zu bernehmen. So gesehen dient
die Frage nach der Wurzel der Snde gerade nicht derVerdrngung oder a) Die Fhigkeit zur Snde
Verharmlosung, sondern der ernsthaften Begegnung und Auseinander-
setzung mit der Realitt der Snde. In diesem Sinne soll die Frage nach Da der Mensch fhig ist zur Snde, d. h., da er seine Bestimmung
der Wurzel der Snde hier aufgenommen und - soweit wie mglich - verfehlen kann, lt sich insofern schon aus der biblischen (jahwistischen)
beantwortet werden. Schpfungsgeschichte erschlieen, als ihm (und ihm allein von allen Ge-
schpfen) von Gott ein Gebot, genauer: ein Verbot gegeben wird: "von
dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bsen sollst du nicht essen"
13.2.2 Die Wurzel der Snde und der "SndenfaW (Gen 2,17). Vordergrndig bezieht sich das Verbot auf das Essen von
Frchten eines Baumes; aber es handelt sich dabei eben nicht um einen
Die Bibel selbst stellt sich der Frage nach der Wurzel der Snde und Baum wie andere 15, sondern um den Baum der Erkenntnis des Guten und
versucht sie zu beantworten durch die Erzhlung vom Sndenfall (Gen 3), Bsen. "Erkenlltnis" bedeutet dabei (wie auch sonst im Alten Testament)
die auch im Neuen Testament als gltige Antwort. vorausgesetzt wird nicht primr theoretisches Wissen und Unterscheidenknnen, sondern
(insbesondere in Rm 5,12-21; I Kor 15,21 f.; 11 Kor 11,3 u. I Tim 2,14). praktisches Kennenlernen, Erfahrenhaben, Aus-eigenem-Erleben-Kennen.
Zwar mu man konstatieren, da diese Herleitung der Snde in den Und da die Erkenntnis sich auf "gut und bse" bezieht, ist offenbar
biblischen Texten nicht breit bezeugt ist, aber sie ist von den wenigen wichtig. 16
Stellen aus so tief in die christliche berlieferung eingedrungen, da sie
einen fest verankerten Bestandteil in ihr bildet.
Im Rahmen einer Dogmatik kann es nicht darum gehen, die Snden- 15 Er ist allenfalls dem "Baum des Lebens" (Gen 3,22) vergleichbar, von dem
(vorbereitet nur Gen 2,9) am Ende der Sndenfallgeschichte die Rede ist.
fallerzhlung und ihre neutestamentlichen Deutungen zu exegesieren,
16 Es stellt sich freilich ein schwieriges Interpretationsproblem im Blick auf die
wohl aber ist es notwendig, unter Bezugnahme auf die Auslegung dieser Frage, worin eigentlich das verbotene Bse besteht: im Essen der Frucht, die
biblischen Grundtexte und der entsprechenden Aussagen in den Bekennt- zur Erkenntnis von gut und bse fhrt, oder im bertreten des Verbotes als
solchem? Bedenkt man den Zusammenhang von Verbot und Frucht genauer,
einzig und allein aus sich selbst; will er es von einem andern lernen, so wird so gewinnt man den Eindruck, da zwischen beidem ein zirkulres Verhltnis
er es eben damit miverstehen" (a.a.O., S. 49). besteht; denn verboten wird das Essen der Frucht des Baumes, der bzw. die
470 Die gefallene Welt Die Wurzel der Snde 471

Fragt man, warum in der Schpfungsgeschichte dieses Verbot ergeht, die Warnung als Gebot bzw. Verbot gegebenwird, zeigt, da und wie das
ohne das es gar nichts Bses (nmlich keine bertretung) gbe, dann mu Leben des Menschen durch ihn selbst gefhrdet ist. Die Tatsache, da der
man entweder auf eine willkrlich ersonnene Gehorsamsprobe Gottes Mensch eine personale Bestimmung hat, nmlich die Bestimmung zum
verweisen oder man mu annehmen, da sich hinter diesem merkwrdig Ebenbild Gottes, schliet als unvermeidliche Kehrseite der Personalitt
zirkulren Verbot ein tieferer, existentieller Sinn verbirgt. Letzterem ver- seine Fhigkeit ein, diese Bestimmung zu verfehlen. Darin liegt die
suche ich mit den folgenden berlegungen (in Anlehnung an Kierkegaard) menschliche Fhigkeit zur Snde. ".
auf die Spur zu kommen.
Der Mensch ist das Geschpf, das um sich selbst, um seine gttliche b) Der Anla zur Snde
Bestimmung, darum aber auch um seine Gefhrdung wei. Er ist das
Geschpf, das unter einer Bestimmung steht, nmlich der Bestimmung Gegenber der Fhigkeit des Menschen zur Snde, die in ihm als dem zur
zur Gottebenbildlichkeit, die es erreichen oder verfehlen kann. Anders Gottebenbildlichkeit bestimmten Geschpf liegt, kommt der Anla zur
gesagt: Dem Menschen ist sein Dasein nicht nur gegeben, sondern so Snde offenbar von auerhalb des Menschen, und zwar von einer gott-
gegeben, da es gelingen oder scheitern kann und da er das auch wei widrigen Macht: der Schlange (Gen 3,1-5 u. 14 f.). In dieser Schlange hat
oder es doch ahnt. Deshalb mu der Mensch sein Leben stndig neu so die christliche Frmmigkeit und Theologie ber Jahrhunderte hin eine
gestalten, da er aus einer Flle von Mglichkeiten der Selbstbestimmung Verkrperung des Teufels gesehen. Aber diese Deutung ist sowohl aus
auswhlt. Jeder dieser Wahlakte und darum auch das menschliche Leben exegetischen wie aus systematischen Grnden fragwrdig.
im ganzen steht unter der Alternative von Scheitern und Gelingen. In dem Exegetisch ist festzustellen, da die Schlange zu den Tieren des Feldes
Verbot vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bsen zu essen, ist das gezhlt wird, "die Gott der Herr gemachthatte" (Gen 3,1). Sie unterschei-
Wissen'enthalten und angedeutet, da es diese beidenMglichkeiten gibt. det sich aber von den anderen'Tieren dadurch, da sie listiger, klger oder
Dabei bedeutet das Sich-Einlassen auf das Bse einerseits, da das schlauer ist als diese. Das hebrische Eigenschaftswort ('arum), das an
Erfahrungsspektrum des Menschen ungeheuer ausgeweitet wird, da aber dieser Stelle verwendet wird, hat im Alten Testament gelegentlich (so Hi
andererseits eben damit auch ein lebensbedrohlicher Ri durch sein Da- 5,12 u. 15,5) negative, in aller Regel jedoch positive Bedeutung. Das
sein geht. spricht zumindest gegen eine Identifizierung der Schlange mit einer teuf-
Dabei wird in der jahwistischen Schpfungsgeschichte zweifellos sehr lischen GestaltY
bewut und betont dem Verbot in bezug auf einen Baum eine unbegrenz- Bereits im Frhjudentum und im Neuen Testament wird freilich die
te Erlaubnis vorangestellt: "Du darfst essen von allen Bumen im Gar- Identifikation der Schlange mit dem Teufel vorausgesetzt. 18 Die in der
ten" (Gen 2,16). Das folgende Verbot bezglich des (einen) Baumes der jdischen und christlichen Auslegungsgeschichte vollzogene Identifikati-
Erkenntnis wirkt zwar oberflchlich betrachtet wie eine willkrliche Be- on der Schlange mit dem Teufel, also mit der Inkarnation des Bsen, hat
schrnkung dieser Erlaubnis (im Sinne einer Gehorsamsprobe), erweist an Gen 3 insofern einen Anhalt, als die Schlange aufgrund ihres verfh-
sich aber insbesondere durch den Nachsatz: "an dem Tage, da du von rerischen Wirkens von Gott"verflucht" und" verstoen" wird (Gen 3,14).
ihm issest mut du des Todes sterben" als derselben lebensdienlichen Insofern wird man sagen knnen, da die Schlange schon in der altte-
Frsorge ~ntspringend wie die (fast) uneingeschrnkte Erlaubnis zum
Essen. Das Verbot hat also - genau besehen - den Charakter einer heil- 17 Von daher mu man auch sagen: Die grere Ansprechbarkeit Evas ist eher
samen Warnung vor einer todbringenden Gefahr, nicht den Charakter ihre Strke als eine Schwche. In der Sndenfallerzhlung ist Eva fr Klugheit
einer willkrlichen Einschrnkung, Prfung oder gar Drohung. Schon und Schnheit zu interessieren, whrend Adam einen schlichten, willens-
von diesem ersten Verbot kann man sagen, was Paulus dem Gesetz ins- schwachen Eindruck hinterlt. Eva gibt ihm, und er it. Im Gegensatz zu I
Tim 2,14 mu man sagen: Adam istoffenbar leichter zu verfhren, nmlich
gesamt attestiert: Es war "zum Leberi gegeben" (Rm 7,10). Aber da
diskussionslos.
18 So Apk 12,9: "die alte Schlange, die da heit: Teufel und Satan, der die ganze
Erkenntnis (des Guten und Bsen) bringt, wobei aber das Kennenlernen des Welt verfhrt", Vgl. auch Apk20,2. Auch die Erzhlungen von der Versu-
Bsen offensichtlich (bereits) im bertreten des Verbotes besteht. Mu man chung Jesu am Beginn seines ffentlichen Wirkens, die eine offenkundige
also sagen: Nicht die Frucht oder der Baum vermitteln Erkenntnis (des Guten Parallele und Antithese zur Sndenfallerzhlung bilden, lassen in der Rolle des
und Bsen), sondern der Akt des Essens als bertretung des Verbots? Verfhrers den Teufel auftreten (Mk 1,13 ff. parr.).
472 Diegefallene Welt Die Wurzel der Snde 473

stamentlichen Erzhlung eine ambivalente Gestalt ist. Ihre rein negative scher Ebene ein Element des Sndenfalls. Versuchung und Verfhrung
Interpretation, nmlich die Identifikation mit dem Teufel, ist hingegen heben die Verantwortung des Menschen nicht auf, und sie entschul-
erst in der Auslegungsgeschichte erfolgt. Systematisch-theologisch stellt digen auch nicht den Sndenfall. Bei genauem Zusehen bietet die
sich die Frage, welche der beiden Auffassungen dem Wesen des christli- Deutung der Schlange als Teufel dem Menschen also auch keine (je-
chen Glaubens eher angemessen ist. denfalls keine theologisch vertretbare) Entlastung.
Fr die Deutung der verfhrerischen Schlange als Teufel spricht zwei-
erlei: Einerseits erklrt dies allem Anschein nach den Ursprung der Snde Beide Argumente sind also in sich nicht tragfhig; deshalb ist nun zu
auf einleuchtende Weise; andererseits vermindert es die menschliche prfen, ob die Deutung der Schlange als eines ambivalenten Wesens, das
Schuld und macht sie damit eher tragbar. Was ist zu diesen beiden Argu- sowohl Geschpfliches wie Dmonisches reprsentiert, theologisch bes-
menten zu sagen? ser begrndet werden kann.
Was in der Verfhrung durch die ScWange zum Ausdruck kommt
- Die Identifikation der Schlange mit dem Teufel leistet fr die Erkl- (und zum Anla fr die Snde wird), ist in einer Hinsicht die Erinnerung
rung des Ursprungs der Snde so gut wie nichts. Sie erklrt zwar, wie an das dem Menschen gegebene Verbot und damit an die Gefhrdung der
es zur Snde der (ersten) Menschen kam, aber sie setzt dabei die menschlichen Existenz durch sein eigenes Whlen und Wollen. 19 D. h.
Existenz der Snde oder des Bsen bereits voraus. D. h.: Diese Deu- aber: Es ist nicht irgendeine von auen an den Menschen herantretende
tung lst das Problem nicht, sondern verschiebt es nur an eine andere Versuchung oder Verfhrung, sondern das Bewutwerden einer im Men-
Stelle und auf eine andere Ebene. Denn nun stellt sich die Frage: Wo schen liegenden gefhrlichen und darum "ngstigenden Mglichkeit".
liegt der Ursprung des Teufels? Ihn als eine gleichrangige Gegenmacht Insofern ist die Schlange Ausdruck der "kreatrlichen Angst", die zum
Gott gegenber im Sinne einer dualistischen Konzeption zu denken, ist geschpflichen Sein des Menschen gehrt und dem sensiblen Gespr fr
fr den christlichen Glauben ausgeschlossen; denn dann wre Gott die eigene Gefhrdung entspringt.
nicht mehr Gott, d. h. die Alles bestimmende Wirklichkeit. Eine ande- Aber die Worte der Schlange in der Sndenfallerzhlung sind schon
re Mglichkeit bestnde darin, den Teufel als einen gefallenen Engel Ausdruck desMitrauens gegen Gott. Die Schlange verschiebt die kreatr-
(s. Jud 6) zu denken. Entgegen der hier vertretenen Auffassung (s. o. liche Angst vom Menschen weg auf Gott, den sie als neidisch und mign"
8.3.4) mte also angenommen werden, da es Engel als Geschpfe stig darstellt und vor dem man sich darum in acht zu nehmen hat (Gen
hherer Art gibt und da unter ihnen ein (erster) Sndenfall stattge- 3,4 f.). Dieses Mitrauen, das die Angst des Menschen, sein Leben zu
funden hat. Dieser Fall ist dann aber ebensosehr erklrungsbedrftig verfehlen, vergiftet, erweist sich so als die Wurzel der Snde. Von der
wie der Sndenfall der (ersten) Menschen; deshalb leistet die Gleich- kreatrlichen Angst, die geweckt wird durch das Gewahrwerden der ei-
setzung von Schlange und Teufel fr die Erklrung des Ursprungs der genen Mglichkeit, das Leben zu verfehlen, kann und darf man das nicht
Snde so gut wie nichts. Unter diesem Aspekt besteht kein theologi- sagen. Sie ist als solche weder sndig noch die Wurzel der Snde, sondern
sches Interesse an einer Satanologie oder Dmonologie (vgl. aber u. resultiert aus der sensiblen, aufmerksamen Wahrnehmung des menschli-
13.4.2). chen Daseins, das nicht nur gegeben, sondern zugleich aufgegeben ist, das
- Die Entlastungsfunktion fr den Menschen ist dagegen gegeben, aber deshalb gewonnen oder verfehlt werden kann. Diese kreatrliche Angst
einerseits hngt sie nicht an der Gleichsetzung von Schlange und Teu- ist etwas Gesundes und Lebensdienliches, das nicht diffamiert oder fr
fel, sondern lediglich daran, da dem Menschen eine Versuchung oder krank erklrt werden darf. Von dieser Angst kann man zwar mit Kier-
Verlockung von auerhalb begegnet, aufgrund deren der Fall (eher)
verstehbar wird, als wenn es sich um einen Aufstand des Menschen 19 Vielleicht knnen wir sagen: Es gehturn das aus dem Unbewuten aufsteigen-
ohne jede Veranlassung handeln wrde. Andererseits ist genau dieser de Gewahrwerden dieser Gefhrdung und der Warnung, die ihn davor be-
wahren will, sich durch das Tun des Bsen in sich selbst zu entzweien und so
Versuch, sich durch Verweis auf die Schlange Entlastung zu verschaf-
seine Bestimmung zu verfehlen. Dazu sagt Kierkegaard: "Das Verbot ngstet
fen, ein wesentliches Element der Sndenfallerzhlung (Gen 3,13), ihn, weil das Verbot die Mglichkeit der Freiheit in ihm weckt. Was an der
das - wie wir noch sehen werden - selbst zum Sndenfall gehrt. Wer Unschuld vorbergestreift ist als das Nichts der Angst, das ist nun in ihn
die Snde aus der Versuchung durch die Schlange erklrt und den selbst hineingetreten, und ist hier wiederum ein Nichts, die ngstigende
Menschen dadurch entlastet, reproduziert damit also auf theologi- Mglichkeit zu knnen" (Der Begriff Angst, S. 43).
474 Die gefallene Welt Die Wurzel der Snde 475

kegaard sagen, sie sei eine Voraussetzung der Snde und insofern das die Mit der Formel "qualitativer Sprung" werden - genaugenommen _
Snde "nach rckwrts auf ihren Ursprung zu Erklrende "20, aber sie ist zwei Differenzen bezeichnet: zunchst die Differenz zwischen kreatrli-
nicht selbst Snde, sondern "Angst der Unschuld"21. cher und dmonischer Angst, sodann die Differenz zwischen der Mglich-
Aber diese Angst wird - wie jede Angst - schmerzlich erlitten. Und keit und Wirklichkeit des Sndenfalls. Um diese zweite Differenz geht es
deshalb kann die Stimme des Mitrauens, die dazu einldt, die eigene jetzt vor allem. Durch sie wird festgehalten, da das Auftauchen der
Angst auf andere - in diesem Fall auf Gott- zu verschieben und so "los- verfhrerischen Mglichkeit, die kreatrliche Angst "loszuwerden", noch
zuwerden", Gehr finden. Aufgrund dieser Verschiebung kann die Angst nicht gleichzusetzen ist mit der Verwirklichung dieser Mglichkeit. Zwar
jedoch nicht mehr verarbeitet werden, sondern wird zur dmonischen leben wir in einer Situation, die immer schon mitbestimmt und mitgeprgt
Angst, und auf diese Weise wird die Angst zum Einfallstor der Snde. ist durch die Verwirklichung dieser Mglichkeit (s. u. 13.2.3), und das gilt
Dieser "qualitative Sprung"22 zwischen kreatrlicher Angst und dmoni- nicht blo fr die uns umgebende Lebenswelt, sondern immer zugleich
scher Angst, also Snde, ist in der Ambivalenz der Gestalt der Schlange auch fr die eigene Lebensgeschichte; aber trotzdem ist zwischen der
reprsentiert, und darum darf sie weder als Anwltin von Klugheit und verfhrerischen Mglichkeit ("Gelegenheit") und ihrer Verwirklichung
Freiheit idealisiert noch als Stimme des Bsen dmonisiert werden. Gera- zu unterscheiden, weil nur aufgrund dieser Unterscheidung die Mglich-
de in ihrem schillernd-ambivalenten Charakter wird deutlich, inwiefern keit der Durchbrechung der Macht der Snde berhaupt gedacht werden
die Snde als Mglichkeit in der Schpfung angelegt ist und inwiefern kann.
doch die Verwirklichung dieser Mglichkeit den Charakter eines Falles Von dieser Unterscheidung her lt sich sogar sagen, da der "ber-
oder Absturzes, also der Verfehlung der Lebensbestimmung, hat. gang" von der Mglichkeit zur Wirklichkeit der Snde, also der Fall, den
Charakter des Unverstndlichen, Fremden, ja Absurden hat. In der bibli-
schen Erzhlung wird dies deutlich in dem an die menschliche Hybris
13.2.2.2 Die Wirklichkeit des Sndenfalls appellierenden Versprechen der Schlange: "ihr werdet sein wie Gott"
(Gen 3,5), durch das Adam und Eva sich tatschlich zur Snde verfhren
Im vorigen Abschnitt zeigte sich: Der Sndenfall ist gegenber der krea- lassen. Entscheidend ist dabei: Durch das Mitrauen und den Ungehor-
trlichen Angst des Menschen ein qualitativer Sprung, der darin besteht, sam gegen Gott, durch die die Menschen versuchen, ihre Angst vor dem
da der Mensch seine Angst nicht annimmt und ertrgt, sondern auf Scheitern zu bannen, tritt genau das ein, worauf sich die menschliche
irgendeine Weise loszuwerden versucht. D. h. aber: Nicht die Angst als Angst richtet und was der Mensch durch sein Handeln vermeiden will: das
solche ist Snde oder Ausdruck der Snde, sondern der Umgang des Verfehlen der Bestimmung seines Lebens. Und in dieser Hinsicht ist und
Menschen mit der kreatrlichen Angst, durch den aus der kreatrlichen bleibt die Snde tatschlich scWechterdings "unverstndlich" und" uner-
Angst dmonische Angst wird. 23 Und weil es sich dabei um einen quali- klrlich".
tativen Sprung handelt, darum hat der Verweis auf die Angst als Wurzel
der Snde weder den Charakter einer hinreichenden Erklrung fr die
Entstehung der Snde, noch resultiert daraus die Annahme, die Snde 13.2.3 Snde als Erbsnde
stelle eine unvermeidliche Notwendigkeit fr das Geschpf Mensch dar.
Die Lehre von der Erbsnde wurde im Anschlu an biblische Aussagen
20 Der Begriff Angst, S. 44. wie Gen 3,7; Ps 51,7; Rm 5,12-21 u. 7,7-25 vor allem von Tertullian
21 A.a.O., S. 55. und Augustin ausgebildet und durch die reformatorische Theologie er-
22 So auch Kierkegaard, Der Begriff Angst, S. 46.
neuert. 24 Dabei ist diese Lehre belasteF worden und in Mikredit geraten
23 Insofern unterscheide ich mich von der Auffassung Drewermauns, der zwar
auch sagen kann: "Allein am Umgang mit der Angst entscheidet sich, ob das durch zwei auerordentlich problematische Zusatzannahmen: einerseits
Dasein sich verzweifelt in sich selbst verschliet oder sich zu seinem Schpfer durch die primre Deutung der Snde als Schuld, aufgrund deren es sich
hin ffnet" (Strukturen des Bsen, Bd. III, S. 578). Aber die Zielsetzung der um eine Lehre von der Vererbung von Schuld zu handeln scheint; ande-
Angstberwindung und die fehlende Differenzierung zwischen kreatrlicher rerseits durch den Gedanken, da der Geschlechtsakt ausgerechnet durch
und dmonischer Angst hat bei Drewermann eine tendenzielle Gleichsetzung
von Angst und Bsem zur Folge. 24 Vgl. dazu vor allem CA 2 sowie HK Fr. 5.
476 Die gefallene Welt Die Wurzel der Snde 477

die dabei empfundene Lust sndig und zum Mittel der Weitergabe von den Menschen (und die brigen Geschpfe) gemacht zu haben und er sie
Snde werde, wodurch eine verheerend negative Einstellung zur Sexua- bis auf wenige Ausnahmen in der Sintflut vertilgt (Gen 6,5-8). Deren
litt in weiten Teilen der Christenheit und der Christentumsgeschichte Ende wird freilich markiert durch die Zusage Gottes: "Ich will hinfort
Platz gegriffen hat. Erst wenn man diese beiden Zusatzannahmen zurck- nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn(!) daS
weist und beiseite lt, werden die berechtigten Anliegen sichtbar, die in Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist bse von Jugend
dieser Lehre enthalten sind und nach einer langen Zeit der Zurckhal- auf" (Gen 8,21). Diese Begrndung ist selbst ein Beleg fr eine theolo-
tung heute wieder vermehrt als realistische Deutung von gesellschaftli- gischeAuffassung, die in der Lehre vom peccatum originale ihren Aus-
chen und individuellen Prozessen ernstgenommen und beachtet werden. druck findet: Die Snde affiziert den Menschen vom Beginn seines Lebens
Der Begriff "Erbsnde" gibt zwei zusammengehrige, aber auch zu an - eben: "von Jugend auf". Wie kommt es dazu?
unterscheidende Sachverhalte zu denken, die teilweise schon in der theo- So weit man auch in der Lebensgeschichte oder in der Menschheits-
logischen Tradition mit zwei lateinischen Begriffen bezeichnet wurden, geschichte zurckgeht, stt man nicht auf einen sndlosen Urzustand,
ohne da diese Unterscheidung programmatischen Charakter bekam: sondern stets auf Situationen, die schon die Signatur gestrter Beziehun-
"Erbsnde" als "peccatum originale" (oder auch "peccatum naturae") gen, verfehlten Lebens, verlorenen Glaubens oder beschdigter Liebe
und "peccatum personale" (oder auch "peccatum radicale"). Diese bei- tragen. Die Erbsnde ist als peccatum originale, und d. h. auch: als
den Aspekte des Erbsndenbegriffs und der Erbsndenlehre sollen in den Menschheitssnde schon da, bevor die einzelnen sie tun. Dabei wre es
folgenden Unterabschnitten bedacht werdenY zu schwach, das peccatum originale auf das schlechte Vorbild zu redu-
zieren. Das ist es auch, aber es ist mehr, nmlich ein Erfahren und Erleben
von (individueller und struktureller) Snde, das einen Menschen bis ins
13.2.3.1 Erbsnde als peccatumoriginale Innerste beeinflut und prgt. Was als Versuchung erlebt wird, ist nicht
nur die kreatrliche Angst, sondern darber hinaus dmonische Angst,
Da auf die Schpfungsgeschichten in der Bibel unmittelbar die Erzh- die erlittene Lieblosigkeit und das begangene Bse. Insofern mssen wir
lung vom Sndenfall folgt, zeigt, da jedenfalls die Bibel kein Interesse sagen: In der gefallenen Welt bekommt es der Mensch mit der Snde
an der Schilderung einer paradiesischen Urzeit oder eines sog. unschul- immer auch (und zuerst27 ) in der Form zu tun, da er sie erleidet und sie
digen Urstandes ("status integritatis") hat. Vielleicht liegt ein solcher ihm angetan wird. Und indem er sie erleidet, wird sein Leben von Snde
Urstand sogar auerhalb biblischer Denk- und Vorstellungsmglich- bestimmt - selbst dort, wo er sie nicht schuldhaft bernimmt und sich zu
keiten.26 Die Menschheitsgeschichte ist nach biblischem Verstndnis von eigen macht. Wrde Snde mit Schuld identifiziert, so wre es unsinnig
Anfang an eine Geschichte, die von der Realitt der Snde entscheidend und unzulssig, im Blick auf dieses erlittene Bse den Begriff "Snde"
mitbestimmt ist. Und auf die Erzhlung vom Sndenfall folgt unmittelbar zu verwenden. Weil es im Begriff "Snde" nach christlichem Verstnd-
die vom ersten Brudermord (Gen 4). Das zeigt, da die Auswirkungen des nis jedoch primr um den Aspekt der Verfehlung der Bestimmung des
Sndenfalls nicht auf die begrenzt sind, die in ihn eingewilligt haben, Lebens geht, ist das peccatum originale mit einzubeziehen und ernst zu
sondern in der Generationenfolge weiterwirken. Ja, die Abfolge von nehmen.
Genesis 3-7 erweckt den Eindruck einer anschwellenden Flut von Bos-
heit. Das von den Voreltern Vererbte wird offensichtlich noch um das
Eigene vermehrt, bis die Bosheit so gro geworden ist, da es Gott reut, 13.2.3.2 Erbsnde als peccatum personale
25 Der Erbsnde in diesen heiden Aspekten stehen gegenber die sog. Tatsnden Betont der Begriff "peccatum originale" eher den menschheitsgeschicht-
("peccata actualia"), von denen im Abschn. 13.3 unter der berschrift "Er- lichen Gesamtzusammenhang, so richtet der Begriff "peccatum personale"
scheinungsformen der Snde" die Rede sein soll. die Aufmerksamkeit auf das (gesamte) Sein des Individuums. Der Grund-
26 Dies wre ein Indiz dafr, da mglicherweise schon die Bibel das Verhltnis
gedanke, der dabei zur Geltung kommt, lt sich so formulieren: Das
von Schpfung und Fall nicht als zeitliche Abfolge versteht, sondern im Sinne
der Unterscheidung zwischen dem, was der Mensch nach Gottes Willen sein
soll und kann, und dem, was er aufgrund menschlicher Verfehlung faktisch
ist. 27 Das gilt auch in biographischer Hinsicht.
478 Die gefallene Welt Die Wurzel der Snde 479

Snde- Tun des Menschen ist Ausdruck seines Snder-Seins, und dies ist Von da aus wird auch nachvollziehbar, warum in der christlichen
der Grundschaden des Menschen. Tradition - sptestens seit Augustin -'- die Auffassung vertreten wird,
Dieses Snder-Sein ist in der reformatorischen Theologie unterschied- unter der Macht der Snde habe der Mensch in seiner Beziehung zu Gott
lich interpretiert und verstanden worden: entweder so, da die Snde keinen freien, sondern einen versklavten, geknechteten Willen ("servum
selbst "des Menschen verderbte Natur, Substanz und Wesen" (BSLK arbitrium"). Diese Einsicht ist weder zu verwechseln mit der These von
770,7 f.) geworden sei, oder so, da die Snde zwar den Menschen ganz der Unvermeidlichkeit der Snde noch mit der Auffassung des Determi-
bestimmt, aber von seinem Wesen und seiner Natur zu unterscheiden nismus, derzufolge alle Ereignisse und Handlungen vorherbestimmt sind
bleibt. Die Konkordienformel hat sich in ihrem I. Artikel ("Von der und kein Spielraum fr geschpfliche Freiheit besteht. Der theologische
Erbsnde", BSLK 770-776 u. 843-866) fr die zweite Auffassung ent- Anknpfungspunkt fr die Lehre vom servum arbitrium liegt vielmehr in
schieden. Dem ist vor allem aus zwei Grnden zuzustimmen: der Einsicht, die Joh 8,34 formuliert ist: "Wer Snde tut, der ist der
Snde Knecht." Diese versklavende Wirkung der Snde kann gerade
- Wrde die Snde durch den Fall zur Natur des Menschen, so wrde dann einsichtig werden, wenn man Snde als Verfehlung der Lebens-
damit dem Sndenfall eine Macht und Bedeutung zugesprochen, die bestimmung denkt, von der das gesamte Wirklichkeitsverstndnis des
der Schpfung Gottes nicht nur gleichrangig, sondern faktisch ber- Menschen, also sein Gottesverstndnis, sein Weltverstndnis und sein
legen wre. Eine solche gttlich-schpferische Macht darf der Snde Selbstverstndnis, betroffen ist. Weil das Personzentrum des Menschen
aber nicht zugesprochen werden. von dieser Verfehlung mitbestimmt ist, darum bleibt in ihm nicht irgend-
- Wre die Snde die Natur des gefallenen Menschen, so wre die ein Seelenvermgen als intakte Instanz brig, von der aus der Mensch
berwindung ihrer Macht ber den Menschen nicht mglich - jeden- seine eigene Rettung und Befreiung ins Werk setzen knnte. Ja, schon
falls nicht anders als durch Beseitigung des Menschen selbst. Die im der Versuch, die Bestimmung des Lebens so aus eigener Kraft und An-
Evangelium begrndete Hoffnung auf Durchbrechung der Macht der strengung zu verwirklichen, als wrde sie nicht als unverfgbares
Snde setzt voraus, da zwischen der Snde und der Natur des Men- Widerfahrnis empfangen, besttigt und verfestigt nur die grundlegende
schen unterschieden werden kann. Situation der Verfehlung. Und diese Knechtschaft kann darum nur von
auerhalb aufgebrochen werden, nmlich dadurch, da einem Menschen
Das Snder-Sein ist demzufolge nicht (substanzontologisch) zu den- die zurechtbringende, rettende und befreiende Wahrheit begegnet und er
ken als eine negative Verwandlung der menschlichen Natur, sondern sich von ihr bestimmen lt.
(relationsontologisch) als ein Bestimmtwerden des menschlichen Person- All das Gesagte hebt nicht auf, da der Mensch auch unter der Herr-
zentrums durch die Macht der Snde. Dieses Personzentrum haben wir schaft des peccatum personale sowohl die Freiheit behlt, Handlungen zu
(s. o. 2.2.4) kennengelernt als das Beziehungsgefge von Gefhl, Vernunft whlen und zu vollziehen, als auch den Wunsch oder die Sehnsucht haben
und Wille des Menschen in ihrer wechselseitigen Abhngigkeit. Die Macht kann, dem Willen Gottes entsprechend zu leben. Aber beides befreit als
der Snde als peccatum personale besteht darin, da sie in dieses Zentrum solches noch nicht das Fhlen, Denken und Wollen des Menschen aus
eingedrungen ist und von ihm aus ihre Wirkung entfaltet. Deswegen seiner Verkehrtheit.
kommen, von innen her, aus dem Herzen des Menschen bse Gedanken Um sich die Pointe der Lehre vom peccatum personale und dem damit
(Mk 7,21 ff.; Mt 15,19); deswegen ist auch schon die Neigung zu Lieblo- gegebenen servum arbitrium deutlich zu machen, ist es hilfreich, drei
sigkeit, Ha, Verachtung und Gleichgltigkeit Snde, selbst wenn sie Ebenen oder Aspekte zu unterscheiden:
nicht zur Tat werden; und deswegen kann der Mensch sich weder selber
helfen, noch ntzt ihm ein Gesetz etwas, das an seinen Willen appelliert - Jeder Mensch, auch der Mensch unter der Herrschaft der Snde hat
und ihm sagt, was er tun soll. Der Wille, an den da appelliert wird, mte (begrenzte) Handlungsfreiheit, d.h.: Er kann sich zu leibhaften Voll"
erst befreit werden, um das tun zu knnen, was das Gesetz fordert, nm- zgen bestimmen, die er will. Dabei sind seinem Knnen mehr oder
lich Gott zu lieben von ganzem Herzen und seinen Nchsten wie sich weniger enge Grenzen gesetzt, aber in ihnen kann er aus eigenem
selbst. In Rm 7,7-24 hat Paulus eindrcklich die verzweifelte Situation, Antrieb whlen und handeln.
die Ohnmacht und Hilflosigkeit beschrieben, die der Mensch erlebt, der - Kein Mensch, auch nicht der Mensch unter der Gnade, ist frei gegen-
der Herrschaft des peccatum personale ausgeliefert ist. ber seinem Willen, so da er seinen Willen verndern knnte. Der
480 Die gefallene Welt Erscheinungsformen der Snde 481

Wille ist als ein Element desPersonzentrums frden Menschen selbst gangs mit Angst sind primr Individuen zu denken, aber sekundr auch
unhintergehbar. Zwar ist er vernderbar, aber nur von auerhalb, Kollektive von Menschen sowie schlielich tertir auch gesellschaftliche
indem er durch ein neues Ziel affiziert und indem ihm neue Kraft zuteil Strukturen 29
wird.
- Der Mensch unter der Herrschaft der Snde lebt (bewut oder unbe-
wut) in einem radikalen Widerspruch, der darin besteht, da seine 13.3.1 Der Umschlag der kreatrlichen
Willenskraft besetzt und er darum unfhig ist, das zu tun, was seiner Angst in dmonische Angst
Bestimmung zum Ebenbild Gottes und seiner Sehnsucht nach erfll-
tem Leben entspricht. Diese innere Besetztheit, derzufolge der Wille Kreatrliche Angst ist das Gefhl der existentiellen Bedrohung, das vor
des Menschen der Bestimmung des Menschen zuwiderluft, meint der allem ausgelst wird durch das Gewahrwerden der Mglichkeit des Schei-
Begriff "geknechteter Wille". terns der eigenen Existenz. Aber diese kreatrliche Angst kann - wie
gezeigt ~ zum Einfallstor fr eine ganz andere Angst werden: eine Angst,
die aus dem Mitrauen gegen Gott resultiert, also selber schon Ausdruck
13.3 Erscheinungsformen der Snde von Unglauben und damit von Snde ist. Indem die kreatrliche Angst
vom Mitrauen gegen Gott infiziert und dadurch vergiftet wird, wird sie
In der berschrift dieses Abschnitts fehlt bewut der bestimmte Artikel. zu einer dmonischen Angst, die vom Menschen Besitz ergreift und die er
Die Erscheinungsformen der Snde sind so vielfltig wie das menschliche nicht annehmen und gelassen ertragen kann. Aus der heilsamen Warnung
Leben. Es soll auch nicht darum gehen, in Form von "Lasterkatalogen", (vor dem mglichen eigenen Versagen) wird durch das Mitrauen gegen
wie wir sie z. B. auch in der Bibel finden, hauptschliche oder besonders Gott eine heillose, ja unheilvolle Drohung. Denn - um ein bekanntes
schwere Formen von Snde zusammenzustellen. Das wrde einem mora- Wort aus dem Rmerbrief umzukehren - wenn Gott wider uns ist, wer
listischen Miverstndnis von Snde Vorschub leisten und die Wahrneh- kann dann fr uns sein? Und wenn wir Gott nicht trauen knnen, wie
mung der Snde als Macht ber den Menschen und als Ausdruck seines knnte dann unser Leben berhaupt gelingen?
Elends in den Hintergrund drngen. Aber es wre auch nicht richtig, auf Nicht im Sinn einer Gleichsetzung, wohl aber als genau entsprechende
die Betrachtung der sog. Tatsnden ("peccata actualia") berhaupt zu psychologische Veranschaulichung von Unglauben ist hier das Mitrauen
verzichten. Es ist - heute vermutlich sogar in besonderem Ma - ntig, bzw. die Urangst als Widerpart lebensnotwendigen Urvertrauens zu nen-
das Reden von Snde so zu konkretisieren und zu veranschaulichen, da nen. 30 Es ist kaum zu berschtzen, wie tief der Schaden reicht, wenn die
deutlich und nachvollziehbar wird, von welcher erfahrbaren Wirklichkeit Umwelt, insbesondere die Eltern, einem Kind von klein auf das Gefhl
da die Rede ist. 28 Auch dies dient dem Ziel, Snde (nur) dort zuerkennen, vermitteln, da auf das Leben kein Verla ist, weil es - auf eine fr die
wo sie tatschlich ist. Das aber setzt voraus: sie als das zu erkennen, was Kinder berdies ganz undurchschaubare Weise - nicht fr sie, sondern
sie tatschlich ist. gegen sie ist. Das ist eine psychologische Veranschaulichung dessen, was
Abweichend von den zahllosen traditionellen Einteilungsschemata CA 2 nennt: "sine fiducia erga Deum" (BSLK 53,5 f.). Da in diesem
der Tatsnden (z. B. in"lliche Snden" und "Todsnden") mchte Zusammenhang neben dem Vertrauen auf Gott auch die"wahre Gottes-
ich hier anknpfen an die These aus dem vorigen Abschnitt, der Ur- furcht" genannt wird, ist insofern wichtig, als das daseinsbestimmende
sprung der Snde liege im Umgang des Menschen mit seiner Angst, Vertrauen sich nur auf etwas richten kann, fr das Achtung und Ehrfurcht
genauer gesagt: in dem qualitativen Sprung, in dem sich kreatrliche empfunden wird. Insofern ist die mit dem Begriff" Gottesfurcht." gemein-
in dmonische Angst verwandelt. Dieser Ansatzpunkt hat den Cha-
rakter eines mglichen Deutungsversuchs, durch den das religise und
29 An dieser Stelle hat der Begriff "strukturelle Snde" seinen Platz und Sinn zur
theologische Reden von "Snde" in Bezug gesetzt wird zur individuel-
Bezeichnung gesellschaftlicher Strukturen (etwa im politischen, wirtschaftli-
len und gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit. Als Subjekte dieses Um- chen oder kulturellen, aber auch im religisen bzw. kirchlichen Bereich), die
als solche das Verfehlen menschlicher Lebensbestimmung (mit)bewirken.
28 Vgl. dazu auch u. 14.1.1.1, wo Erfahrungen des Unheils als Kontrastfolie zu 30 S. dazu E. H. Erikson, Identitt und Lebenszyklus (stw 16), Frankfurt 1966,
den Erscheinungsformen des Heils zur Sprache kommen. S.150.
482 Die gefallene Welt
Erscheinungsformen der Snde 483

te Ehrfurcht im Vertrauen auf Gott stets vorausgesetzt. D. h. aber nicht, bekannt. Ihr innerer Hhepunkt ist dort erreicht, wo die einen sich an der
da aus Gottesfurcht notwendig Vertrauen auf Gott folgt. Ein Mensch Angst der anderen weiden, also daran noch Lust empfinden. Ihr uerer
kann auf ein Bild von Gott fixiert sein, das lebensbedrohliche Zge hat, Hhepunkt ist dort erreicht, wo das Gegenber gettet wird, so wie es
dem er zwar den Respekt nicht verweigern kann und das er darum nicht Gen 4 schildert. Dabei wird die Schrecklichkeit von Kains Untat noch
los wird, sondern auf das er mglicherweise sogar fixiert ist, dem er aber dadurch potenziert, da es sich um den Mord am leiblichen Bruder han-
kein Vertrauen entgegenbringen kann. Die Gottesfurcht (timor filialis) 32
delt. Zahllose bedrckende Erfahrungen aus der Geschichte (auch der
wird hier zur Gottesangst (timor servilis) und fllt damit nicht mehr unter Religionen) und aus der gegenwrtigen Lebenswelt, insbesondere im Zu-
das, was die CA "wahre Gottesfurcht" nennt. Gott erscheint hier dem sammenhang mit Kriegen und anderen Gewalttaten, aber auch mit sub-
Menschen als eine verfolgende, strafende, qulende Instanz. Dmonisch tileren Formen der Unterdrckung und Zerstrung anderer Menschen,
ist diese Angstnicht nur, weil in ihr Gott als Dmon oder Teufel erscheint, Vlker oder Kulturen lassen sich von daher unschwer als Erscheinungs-
sondern weil sie eine Angst ist, die nicht zum kreatrlichen Sein des formen von Snde wiedererkennen.
Menschen gehrt. Sieist ein Gift, das fast unbemerkt in ihn eindringt, das
Zentrum seiner Person vergiftet und dem er darum, wenn es in ihn einge-
b) Angstverdrngung durch eigene
drungen ist, wehrlos ausgeliefert ist. Das Reden von" Gottesvergiftung"
und von "dmonischen Gottesbildern "31 ist hier keine bertreibung, son- Anpassung und Unterwerfung
dern eine angemessene Beschreibung. Das, wovon nun die Rede sein soll, ist so etwas wie das Gegenstck oder
Gegenbild zu der eben angesprochenen Form der Snde. Dabei ist nicht
an Menschen gedacht, die zu Opfern werden, weil sie im Machtkampf
13.3.2 bertragung und Verdrngung eigener Angst unterliegen, sondern an Menschen, die sich selbst anpassen oder unter-
werfen, um auf diese Weise die eigene Angst zum Verschwinden zu
Eine andere Erscheinungsform der Snde besteht darin, die eigene (krea- bringen. Von dieser Anpassung oder Unterwerfung scheinen auf den
trliche und dmonische) Angst auf andere zu bertragen, um selber ersten Blick nur die zu profitieren, die sich in der dominierenden Position
angstfrei(er) zu werden. Zwei hufig auftretende Versuche, eigene Angst befinden. Aber davon kann auch die sich anpassende oder unterwerfende
auf andere Menschen zu bertragen, sollen im folgenden kurz je fr sich Person unbemerkt Gewinn ziehen, wenn damit ihre Angst vor der Ver-
und dann in ihrer Verstricktheit ineinander dargestellt werden. antwortung. fr das eigene Leben beruhigt wird. 33 Auch hier zeigt der
Blick in Geschichte und Gegenwart, da es sich um eine Erscheinungs-
a) Angstbertragung durch Unterwerfung von Mitmenschen
32 In der feministischen Theologie wird mit gutem Grund die Frage gestellt, ob
Der naheliegendste und "wirksamste" Versuch, eigene Angst auf andere Mnner und Frauen nicht in unterschiedlicher Weise mit Snde zu tun
Menschen zu bertragen, besteht darin, sich selbst als so berlegen und bekommen. Problematisch wird diese Fragestellung m. E. nur, wenn aus dem
"unterschiedlich" ein "unterschiedlich schwer" wird oder wenn daraus ver-
damit als bedrohlich fr andere darzustellen, da sie Angst bekommen. allgemeinernde Aussagen ber Geschlechterunterschiede abgeleitet werden.
Wenn einzelne Menschen, ganze Gruppen oder Vlker fr andere bedroh- Die bertragung und Abschiebung (und die dadurch bedingte Dmonisierung)
lich werden, fhlen sie sich selbst weniger bedroht und gefhrdet. Da- von Angst durch Unterwerfung von Mitmenschen scheint eine "spezifisch
durch, da sie anderen angst machen und sie einschchtern knnen, wird mnnliche" Form der Snde zu sein. Dabei ist bei "mnnlich" berwiegend
ihre eigene Angst geringer und die Situation ertrglicher. Es ist jedoch an Mnner, aber auch an die mnnlichen Anteile in Mnnern und Frauen zu
naheliegend, da dieser Mechanismus von den Bedrohten so schnell wie denken. Eine noch weiter zu erforschende Frage ist es, inwiefern und aus
mglich umgekehrt wird, um den bis dahin berlegenen angst zu machen. welchen Grnden Frauen als Mtter ;In ihre Shne Ziele und Mechanismen
Die Eskalation der Spirale der Gewalt, die dadurch ausgelst wird, ist weitergeben, die diese "spezifisch mnnliche" Form der Snde begnstigen.
33 Dies scheint eine "spezifisch weibliche" Form der Snde zu sein, durch die
Frauen hufig in entwrdigende Lebenssituationen geraten. Hier setzt der
31 T. Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt 1976 sowie K. Fr.ielingsdorf, Dmoni- Feminismus mit seiner Kritik und Ermutigung an, damit Frauen sich aus
sche Gottesbilder. Ihre Entstehung, Entlarvung und Uberwindung, Mainz solchen Abhngigkeiten befreien. Auch diese "spezifisch weibliche" Form
1993 2 betrifft freilich nicht nur Frauen, sondern auch. die weiblichen Anteile in
484 Die gefallene Welt Auswirkungen der Snde 485

form von Snde handelt, die nicht nur individuell, sondern hufig auch 13.4 Auswirkungen der Snde
gesellschaftlich wirksam wird. Ein Beleg hierfr ist ebenso Israels Sehn-
sucht nach den "Fleischtpfen gyptens" (Ex 16,3) wie das bereitwillige Schon in Abschn. 13.2.3 war unter dem Stichwort "Erbsnde" von der
Anpassungsverhalten an totalitre Systeme aus Angst vor der Freiheit. S~nde .als einer Macht die Rede, die sich darin zeigt, da die Snde
eI~erseIts den Menschheitszusammenhang in der Generationenfolge be-
c) Die Verquickung von Herrschaft und Selbstunterwerfung stImmt und andererseits das Personzentrum des Menschen so mit Be-
s~hlag belegt, da von da her alle seine Taten mitbestimmt werden. In
Es gibt zahlreiche Flle von Herrschaftsausbung, bei denen Tter und dIe~em .Schluabschnitt geht es nun nicht noch einmal um diese Allge-
Opfer eindeutig zu unterscheiden sind. In anderen Fllen zeigt sich bei memhelt und Radikalitt der Snde als peccatum originale und peccatum
nherem Zusehen eine Verquickung von Herrschaft und Selbstunter- personale, sondern einerseits um die Folgen (13.4.1), die aus der Snde
werfung, bei der es schwerfllt, berhaupt noch Tter und Opfer zu re~ultieren, selbst aber nicht Snde sind; andererseits um die Eigendyna-
unterscheiden. Das ist bei der Selbstunterwerfung insofern implizit ent- mtk des Bsen (13.4.2), durch die erst die Allgemeinheit, Radikalitt und
halten, als diese nur dann "funktioniert" (d. h. den erhofften Gewinn Folgetrchtigkeit der Snde verstehbar wird.
einbringt), wenn das Gegenber den Anpassungs- oder Unterwerfungsakt
akzeptiert und mit entsprechenden (angst-beschwichtigenden) Gegenlei-
stungen honoriert. 34 Dies wird noch deutlicher, wenn man gena.uer nach- 13.4.1 Folgen der Snde
fragt, welchen Gewinn beide Seiten aus solchen verhngnisvollen Mecha-
nismen ziehen knnen. Dann zeigt sich nmlich, da die Absolutsetzung In de~.theologischen Tradition wurde an dieser Stelle oft statt von Folgen
des Gegenbers, die im Akt der Selbstunterwerfung zum Ausdruck kommt, der Sunde von Strafen fr die Snde gesprochen. Der Begriff Strafe
auch die Lebensangst dessen beschwichtigen kann, dem sie "dargebracht" ("poena") ist in diesem Zusammenhang nicht vllig verfehlt aber doch in
wird. Damit entsteht (oder zeigt sich) aber eine faktische Abhngigkeit des zweierlei Hinsicht als problematisch zu bezeichnen. Eine;seits entsteht
Dominierenden von dieser Form der Anerkennung und Besttigung, wie dadu~ch .der ~indruck einer relativ willkrlichen, sozusagen zuflligen
sie aus der Geschichte als Abhngigkeit der Mchtigen von ihren Dienern, VerhaltmsbestImmung von Snde und Sndenfolge; andererseits erschei-
Ratgebern und von der jubelnden Menge bekannt ist. Das zeigt, da die nen die Sndenfolgen auf diese Weise leicht als von Gott verhngte
Selbstunterwerfung auf eine subtile, aber hchst wirksame Weise der Vergeltungs- oder Rachemanahmen, mit denen er den Menschen ihre
Ausbung von Macht unH Herrschaft gerade ber den dienen kann, dem Snde vergilt. Beides widerspricht aber dem christlichen Gottes- und
scheinbar nur Unterwrfigkeit entgegengebracht wird. Die sichunterwer- Menschenverstndnis. Die Sndenfolgen und -wirkungen resultieren mit
fende Person oder Gruppe kann auf diese Weise Herrschaft ausben, e~~er inn~ren - freilich von Gott so geordneten - Notwendigkeit aus dem
wenn sie die Schwchen, nmlich die Angst ihres Gegenbers kennt und Sunders.~m und S~detun. Und dieser unaufhebbare Zusammenhang zwi-
es damit "in der Hand" hat. Solche Verquickungen und Vermischungen schen Sunde und Ihren Folgen richtet sich - letztlich - nicht gegen den
neutralisieren sich nicht gegenseitig und beseitigen nicht die Heillosigkeit Menschen. Teilweise dient er sogar dem Weiterlebenknnen unter den
der beiderseitigen Versuche, Angst loszuwerden, sondern sie potenzieren Bedingungen der Snde einschlielich der Hoffnung auf die endgltige
sie und schaffen damit verzweifelte Konstellationen. Erlsung von ihr.
. Bei der Auswahl und Strukturierung der Sndenfolgen orientiere ich
mIch wieder am biblischen Befund, wie er sich vor allem aus der
jahwistischen Urgeschichte ergibt, Wie er aber auch im Neuen Testament
Frauen und Mnnern. Bei letzteren findet sich diese Form der Snde hufig (besonders bei Paulus und Johannes) Aufnahme gefunden hat. Daraus
in Gestalt des Bemhens, sich mglichst berall beliebt zu machen. erge~en sich die beiden Gliederungspunkte: Snde und Scham (13.4.1.1)
34 Es ist zumindest eine berlegung wert, ob die Aussagen aus Gen 3,16, die von SOWIe Snde und Tod (13.4.1.2).
dem (ungestillten) Verlangen der Frau nach dem Mann und von der Herr-
schaft des Mannes ber die Frau sprechen (die aus biblischer Sicht zu den
Sndenfolgen zhlen), nicht auch in diesen Zusammenhang einzuordnen sind.
Die gefallene Welt Auswirkungen der Snde 487
486

13.4.1.1 Snde und Scham entwicklungspsychologische} Grnde fr die Annahme, da das Gefhl
der Scham noch tiefer reicht als das Schuldgefhl. 37 Wie das Schuldgefhl,
Es fllt auf, welch groes Gewicht das Phnomen des Sich-Schmens in so erhlt auch das Gefhl der Scham die Hoffnung auf berwindung der
der biblischen Urgeschichte (insbesondere in Gen 2,25-3,21) hat. Wird als Snde lebendig. Schon deshalb verdient das Sich-Schmen immer Ach-
Abschlu der Schpfungsgeschichte vor der Erzhlung vom Fall aus- tung und verbietet jeden Spott. 38
drcklich konstatiert, da die ersten Menschen nackt waren und sich
nicht schmten (Gen 2,25), so erweist sich das Sich-Schmen und der
damit verbundene Wunsch, sich zu verbergen und zu verhllen, als die 13.4.1.2 Snde und Tod
erste Folge des Falles (Gen 3,7 u. 10). Bemerkenswerterweise ist fr die
Bibel also das Scham- und nicht das Schuldgefhl die erste Folge der Bei der VerhltnisbestimmungvonSnde und Tod (s. dazu auch o. 9.3.2.2
Snde. Das besttigt von einer anderen Seite aus die Beobachtung, da d sowie 15.3.1) stellt sich folgende Alternative: Entweder ist der Tod
Snde nicht primr als Schuld, sondern primr als Milingen, als Ri, als (erst) durch die Snde in die Welt gekommen (so die Formulierung aus
Scheitern verstanden wird. Im Unterschied zum Schuldgefhl kann Scham Rm 5,12), d. h., es gibt den Tod nur, weil und seit es Snde gibt; oder
sich auch auf die Beschdigungen des Lebens beziehen, die Menschen der Mensch ist schon als sterbliches Geschpf erschaffen, und der Tod
35 erhlt durch die Snde "nur" eine andere Gestalt und Bedeutung fr den
ohne ihre verantwortliche Beteiligung angetan wurden.
Scham ist eine unwillkrliche Reaktion, und zwar eine Reaktion Menschen. 39 Nur bei Annahme der ersten Interpretationsalternative kann
psycho-somatischer Art, die sich bei Menschen (und allem Anschein nach man im strengen, wrtlichen Sinn sagen: Der Tod ist eine Folge der Sn-
nur bei Menschen) dann einstellt, wenn sie das Gefhl haben, da in de. Im Falle der zweiten Deutung knnen wir nur sagen: Der Tod ist
ihrem Leben etwas ist, das sie nicht akzeptieren und zu dem sie nicht durch die Snde (entscheidend) mitbestimmt.
stehen knnen, weil sie das Gefhl haben: Es soll nicht sein; es gehrt Die Aussagen der biblischen Urgeschichte in Gen 2 u. 3 belegen kei-
nicht zur eigenen Natur und Bestimmung, sondern ist ein Fremdkrper. neswegs eindeutig die erste Auffassung. Als Folge der bertretung des
Scham ist insofern der Indikator einer inneren Entzweiung. Wie ist damit gttlichen Verbotes wird ja nicht angekndigt, da der Mensch dann
umzugehen? sterblich werde, sondern da er sterben msse - und zwar "an dem Tage,
Ein besonders liebenswrdiger, anrhrender Zug der biblischen Urge- da du issest" (Gen 2,17). Dem entspricht es, da auch nach dem Snden-
schichte besteht darin, da es am Ende der Sndenfallerzhlung heit: fall der Tod des Menschen nicht angekndigt wird als Folge der Snde,
Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Rcke von Fellen sondern er wird begrndet damit, da der Mensch von der Erde genom-
~nd zog sie ihnen an" (Gen 3,21}.36 Die (gefallenen) Menschen werden men ist (Gen 3,19). Ja, der Tod erscheint hier nicht selbst als Strafe oder
also nicht blogestellt. Die selbstgefertigten Schurze aus Feigenblttern Fluch fr die Snde, sondern als Begrenzung eines mhevollen, oft genug
werden ihnen also nicht heruntergerissen, sondern durch dauerhafte Klei- um die Frchte des Erfolgs betrogenen Lebens und damit in gewisser
dung ersetzt. Gott selbst bedeckt also die Ble der Menschen und gibt Hinsicht auch als Begrenzung des Fluchs, der auf diesem Leben liegt.
ihnen damit die Mglichkeit, mit der Snde und trotz der Snde weiter- Die Annahme, da es erst durch die Snde Tod und Sterben in der
zuleben. Das ist - neutestamentlich gesprochen - noch nicht Vergebung Welt gebe, ist also schon exegetisch zweifelhaft. Sie ist aber auch in
(a<pEo-IS), wohl aber Langmut und Geduld (mxpEo-IS) Gottes. systematisch-theologischer Hinsicht nicht zu halten. Dafr spricht vor
Scham als Folge der Snde ist ein ursprngliches Zeichen, durch das
Snde sich als Snde anmeldet und bewutmacht. Es gibt gute (auch 37 Daher kann es ganz angemessen sein, da Menschen sich - etwa im politischen
Bereich - fr etwas schmen, wofr sie sich nicht schuldig fhlen (knnen),
weil sie keinerlei Verantwortung difr tragen. Dies gilt z. B. fr jngere
35 Ein bedrckendes Beispiel hierfr ist die Scham vergewaltigter Frauen oder
Deutsche im Blick auf die Verbrechen der Nazizeit.
sexuell mibrauchter Kinder, die es nicht wagen, sich zu offenbaren.
36 Von diesem Endpunkt der SndenfaiIerzhlung her ist es vielleicht auch 38 ber die wichtige, positive Bedeutung der Scham hat sich in unserem Jahrhun-
mglich, das bekannte "Adam, wo bist du?" (Gen 3,9) nicht im Sinne des dert vor allem D. Bonhoeffer in seiner Ethik (NA, Mnchen 1992, S. 304-308)
geuert.
aufsprenden, zur Rechenschaft ziehenden Appells zu hren, sondern als
nachgehenden, suchenden Lockruf der Liebe an das verlorengegangene Ge- 39 Dabei knnte man an die Aussage von I Kor 15,56 denken: "Der Stachel des
Todes aber ist die Snde, die Kraft aber der Snde ist das Gesetz."
genber. (Diese Deutungsmglichkeit verdanke ich Pfr. H.-W. Reeh).
488 Die gefallene Welt Auswirkungen der Snde 489

allem folgendes Argument: Die Schpfung hat in allen ihren Elementen im direkten und eigentlichen Sinn: Er ist nichts anderes als eine Folge der
die Signatur der Endlichkeit und des Vergehens. 40 Snde. Vom kreatrlichen Sterben und Tod an sich lt sich das hingegen
Gegen diese These spricht auch nicht die christliche Hoffnung auf die so nicht sagen.
Auferstehung der Toten und das ewige Leben41 ; denn mit dieser Hoffnung
verbindet sich ja nicht die Erwartung der Rckkehr zu einem paradiesi-
schen Urzustand (mit der Mglichkeit ewiger zyklischer Wiederholun- 13.4.2 Snde und Teufel
gen), sondern die Hoffnung auf eine Anteilhabe an der Wirklichkeit Gottes
selbst, die alle irdischen, endlichen Bedingungen bersteigt. Beim Nachdenken ber Engel (s. o. 8.3.4) habe ich die These vertreten:
Sterblichkeit und Tod an sich gehren zum irdischen, geschpflichen "Es gibt keinen Grund zu der Annahme, unter der Vielzahl der Geschpfe
Dasein des Menschen (wie der anderen Lebewesen) und sind als solche zu Gottes gebe es eine Art von Geschpfen, die als ,Engel' zu bezeichnen seien
bejahen, anzunehmen und ins Leben zu integrieren 42 Deswegen kann ein (so wie es Pflanzen, Tiere, Menschen, Gestirne, Land und Meer gibt)." Als
Mensch sich auch legitimerweise danach sehnen zu sterben (s. PhiI1,23), positive These wurde dem gegenbergestellt: "Die Seinsweise eines Engels
und es kann ihm das Geschenk zuteil werden, "alt und lebenssatt" zu ist der gttliche Auftrag, den er erfllt. " Was ergibt sich von daher fr eine
sterben (s. Gen 25,8; 35,29; II ehr 24,15; Hi 42,17). Lehre vom Teufel ~ und den Dmonen -, die in der Tradition hufig als
Aber die Snde verndert den Tod: Sie gibt ihm einen Stachel, den er "bse Engel" ("angeli mali") bezeichnet wurden?
ohne sie nicht htte. Solange die Snde ber den Menschen herrscht, Zunchst ist festzustellen, da von dem Ansatz in der Angelologie her
verbindet sich mit dem Sterben und dem Tod die Drohung definitiven sich jedenfalls ein Zugang zur Satanologie oder Dmonologie verbietet,
Scheiterns, endgltiger Verlorenheit. Durch die Angst vor dem ewigen der (im Anschlu an Jud 6, in dessen Hintergrund mglicherweise Gen
Scheitern des Daseins wird der schon an sich "bittere" (I Sam 15,32; Koh 6,2-4 steht) von der Annahme eines Engelfalles ausgeht, Teufel und D-
7,26; Sir 41,1) kreatrliche Tod vergiftet und zur Drohung ewiger Ver- monen also als "gefallene Engel" versteht. Wenn von den Engeln, so ist
dammnis. Aber damit wird der (kreatrliche) Tod zu etwas anderem: zum auch, ja erst recht von den bsen Geistern zu sagen: Es gibt keinen Grund
" zweiten" , vernichtenden Tod (Apk 2,11; 20,6 u. 14; 21,8). Von ihm gilt zu der Annahme, da sie als oder wie Geschpfe Gottes existieren. Auch
die Seinsweise der Engel, also ihr Auftrag, bietet keinen geeigneten An-
40 Entwicklungsgeschichtlich betrachtet wrde aus der These, da der Tod erst satzpunkt fr eine Dmonologie; denn wenn Engel ihren Auftrag verges-
durch die Snde in die Welt kam, die absurde und nachweislich falsche sen, verleugnen oder verkehren wrden, dann wrden sie sich damit nicht
Folgerung resultieren, da es im Universum keinen Tod gab, bevor es Men- in Teufel verwandeln, sondern ihre Seinsweise als Engel verlieren. Von
schen gab. Diese Konsequenz liee sich nur vermeiden, indem man den Begriff
daher ergibt sich die Vermutung, da der Denkansatz, demzufolge Teufel
Snde" auf Tiere und Pflanzen ausdehnte. Aber was soll er dann bedeuten?
41 nders W. Pannenberg (Systematische Theologie, Bd. 2, S. 310 f.): "Gegen die und Dmonen entartete oder pervertierte gute Geister seien, in die Irre
Behauptung der Natrlichkeit des Todes wegen der Endlichkeit menschlichen fhrt.
Lebens gibt es jedoch ein durchschlagendes theologisches Argument: Die Aber gibt es dann berhaupt ernst zu nehmende Grnde, sich - nach
christliche Zukunftshoffnung erwartet ein Leben ohne Tod ... Die zum der Aufklrung43 - noch mit dieser Thematik zu beschftigen? Gehren
geschpflichen Leben gehrige Endlichkeit wird durch die Teilnahme .am Teufels- und Dmonenvorstellungen nicht zu den Formen von Aberglau-
ewigen Leben Gottes nicht beseitigt werden. Daraus folgt aber, da Endhch- ben, die als obsolet zu betrachten und am besten schweigend zu bergehen
keit nicht immer Sterblichkeit einschlieen kann. Die eschatologische Hoff- sind? Und ist nicht durch Teufels- und Dmonenvorstellungen in der
nung der Christen kennt eine Endlichkeit geschpflichen Daseins ohne T~d.
Geschichte der christlichen Kirche und durch sie so viel Schaden und
Darum kann der Tod nicht notwendig zur Endlichkeit geschpflichen Dasems
gehren. " Pannenberg fhrt freilich fort: "Nur fr das Dasein in der Zeit bleibt
bestehen, da Endlichkeit und Sterblichkeit des Lebens zusammengehren."
Mit diesem Nachsatz wird aber die Sterblichkeit nicht von der Snde her
begrndet, sondern vom "Dasein in der Zeit", und insofern kann durchaus 43 Zu dem dialektischen Verhltnis von Aufklrung und Teufel vgl. vor allem
von einer "Natrlichkeit des Todes" gesprochen werden. Erhart Kstner, Aufstand der Dinge, Frankfurt 1973, S.241-248 sowie C.
42 Das ist der entscheidende Unterschied zur Snde, die nicht zu bejahen und ins S. Lewis, Dienstanweisung fr einen Unterteufel (1944), dt. Freiburg (1958)
Leben zu integrieren ist. 19943
490 Die gefallene Welt Auswirkungen der Snde 491

Unglck angerichtet worden, da es am besten ist, sich von alledem litt der Snde und des Bsen unbenannt und unbedacht bliebe, wenn
deutlich zu distanzieren? solche Aussagen entfielen. Dieser Aspekt mu zu tun haben mit dem
Fest steht jedenfalls, da es aus christlicher Sicht weder so etwas wie Machtcharakter der Snde und des Bsen, von dem bereits mehrfach die
einen Glauben an Teufel und Dmonen im Sinne religiser Verehrung Rede war. Die entscheidenden Momente, die das Reden vom Teufel und
oder daseinsbestimmenden Vertrauens 44 geben kann, noch eine Gleich- den Dmonen zumindest nahelegen, sind m. E. die folgenden:
rangigkeit von Gott und Teufel im Sinne des Dualis~us. Ausge~~h!ossen
ist aus der Sicht des christlichen Glaubens aber auch Jede IdenuflZlerung Die bereits bedachte biblische Aussage: "Wer Snde tut, der ist der
eines Menschen (oder einer Gruppe von Menschen) mit dem Teufel oder Snde Knecht" (Joh 8,34) verweist darauf, da der Mensch sich im
den Dmonen. Selbst dort, wo von einer "Besessenheit" von Menschen Tun der Snde auf eine Macht einlt, die ihn in Besitz nimmt und
die Rede ist, mu doch immer die Unterscheidung zwischen der besitzer- beherrscht. Ihr Ziel ist es, den Menschen mit seiner Snde so zu
greifenden Macht des Bsen und dem in Besitz genommenen Menschen identifizieren, da die Unterscheidung zwischen Snder und Snde
als dem Opfer mitgedacht werden. nicht gemacht und wahrgenommen werden kann. Dieser fr das neu-
Im Neuen Testament ist hufig von bsen Geistern ~nd Dmonen, testamentliche Sndenverstndnis wesentliche, in unserem Sprachge-
vom Teufel und vom Satan45 die Rede - und zwar in allen Uberlieferungs- brauch weithin verlorengegangene Aspekt der Macht (s. o. 13.1.1.2 u.
schichten. Teufel und Dmonen treten auf als Gegenmchte und Gegen- 13.1.3.1) kommt durch das Reden vom "Teufel" oder den "Dmo-
krfte zu der Selbsterschlieung Gottes in Jesus Christus. Dabei betont nen" unberhrbar zum Ausdruck. Dadurch lt sich mglicherweise
das Neue Testament sowohl deren Gefhrlichkeit und Bedrohlichkeit als deutlich machen, da von einer auch heute noch gltigen Erfahrung
auch - und vor allem - die berlegenheit Jesu Christi gegenber diesen die Rede ist, wenn Paulus in Rm 7,19 f. schreibt: "Denn das Gute,
Mchten des Bsen46 Die Ankndigung und das darin geschehende An- das ich will, das tue ich nicht; sondern das Bse, das ich nicht will, das
brechen der Gottesherrschaft geschieht im Wirken Jesu auch in Form tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es,
eines fortgesetzten Kampfes mit den Dmonen u~d unre~nen.~eistern,die sondern die Snde, die in mir wohnt. " Diese Aussagen zeigen, da es
von Menschen Besitz ergriffen haben. Insofern reIchen dIe Damonen- und zu kurz greift, wenn Snde nur unter ethischen Kategorien (als verfehl-
Teufelsvorstellungen im Neuen Testament bis tief hinein ins Zentrum des tes menschliches Tun) bedacht wirdY Sie zeigen allerdings auch, da
Wirkens Jesu und knnen schon deshalb nicht einfach ignoriert oder vom Machtcharakter der Snde (oder des Bsen) gesprochen werden
bergangen werden. kann, ohne da dafr Begriffe wie "Teufel", "Satan" oder "Dmo-
nen" verwendet werden mssen.
Die systematisch-theologische Entscheidung darber, ~b un~ ggf: was
vom Teufel und den Dmonen gesagt werden mu, 1st mIt dIesen Das Bse wird immer wieder als eine Macht erlebt, die gegen den
exegetischen Feststellungen aber noch nicht gefallen oder prjudiziert. menschlichen Willen Widerstandskraft entfaltet, die sich wehrt, sich
Diese Entscheidung hngt davon ab, ob ein wesentlicher Aspekt der Rea- "in den Boden krallt", um sich nicht vertreiben zu lassen - genau wie
dies gelegentlich von den Dmonen im Neuen Testament berichtet
wird (z. B. Mk 5,6-13 parr.) oder wie dies von Suchtphnomenen her
44 Teufel und Dmonen kommen deswegen in Glaubensbekenntnissen nicht als bekannt ist. Je intensiver Menschen sich darauf konzentrieren, diese
das vor, woran Christen glauben, sondern wovon sie erlst werden (z. B.
destruktiven Krfte in den Blick zu fassen und sie zu vertreiben, um so
BSLK 511,30). .. .
45 Auf die internen Differenzierungen, die mit diesen unterschIedlichen Begn~en tobender erleben sie diesen Abwehrkampf. In dieser Widerstandskraft
verbunden sind, gehe ich hier und im folgenden nicht ein. Ich verwende ~lese uert sich eine Eigendynamik des Bsen, die man als dessen "Selbst-
Ausdrcke als weitgehend austauschbare Bezeichnungen fr einen "Berelch" behauptungswillen" bezeichnen knnte.
oder fr ein Phnomen. Noch strker wiegt die dritte Wahrnehmung: die Verstellungskunst
46 So schon in den Erzhlungen von der Versuchung Jesu durch den Teufel a~ des Bsen, aus der ein Groteil seiner Verfhrungskraft resultiert. Es
Beginn seines ffentlichen Wirkens, aber auch in den Warnungen an ~le gehrt geradezu zum Wesen des Bsen, da es auftritt mit dem Ver-
christliche Gemeinde zur Wachsamkeit sowie im eschatologIschen Ausbhck
auf die endgltige Entmachtung des Teufels. Diese Entmachtung - jedenfalls 47 Terminologisch findet der Machtcharakter der Snde hufig darin seinen
im Himmel- ist laut Lk 10,18 ("Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie Ausdruck, da in diesem Zusammenhang von "dem Bsen" (neutr. und/oder
einen Blitz") bereits die Voraussetzung des Wirkens Jesu. masc.) die Rede ist. So auch in dieser Dogmatik.
492 Diegefallene Welt

sprechen; Glck und Erfllung zu schenkeu; un~ da e~ Surro?ate 14 Die vershnte Welt (Soteriologie!)
dessen oft tatschlich gewhrt. Daraus zieht es semen ReIZ und emen
Teil seiner Macht. Da das Bse sich - wie in der Versuchung Jesu-'-
sogar auf biblische Aussagen berufen und an das Vertrauen auf ?ott
appellieren kann (Mt 4,6 par.) und da es sich als Engel des Lichts
verstellt (II Kor 11,14), das macht es so gefhrlich und lt Menschen Mit der Soteriologie, also der Lehre vom Heil, betreten wir das Zentrum
noch leichter seiner Verfhrung erliegen. Dieses Sich-Verstellende mu des christlichen Weltverstndnisses, ja man kann sogar sagen: der christ-
so zur Sprache gebracht werden, da man vom Bsen als einer aktiven, lichen Glaubenslehre im ganzen. Denn nun ist der Gehalt des Evangeli-
initiativen Macht redet. ums von Jesus Christus zu explizieren. Whrend die Schpfungslehre und
Von diesen Beobachtungen urid berlegungen her erscheint es nicht die Hamartiologie die (positiven und negativen) Voraussetzungen der
nur als mglich, sondern als durchaus sachgem, vom Teufel, S~ta~ und Heilsbotschaft thematisieren und die Eschatologie ihre Konsequenzen
von Dmonen zu reden. Es gibt im christlichen und im auerchrlsthchen zum Gegenstand hat, richtet die Soteriologie die Aufmerksamkeit auf den
Bereich jedoch auch ein Reden von solchen dunklen Mchten, das selbst Gehalt dieser Botschaft selbst.
in Gefahr ist, ihrer Faszination zu erliegen. Dem kann wohl nur dadurch Da dies unter der berschrift "Die vershnte Welt" geschieht, ist
wirksam begegnet werden, da die Begrenztheit dieser Mchte ernstge- zwar nicht ungebruchlich, bedarf aber doch der Begrndung; denn in
nommen wird, d. h. dadurch, da von ihrer berwindung gesprochen der Verkndigung Jesu - soweit wir sie aus den synoptischen Evangelien
kennen - kommen die Worte"Vershnung" oder"vershnen "2 nie vor,
wird.
um das Heilsgeschehen zu beschreiben, das mit seiner Person verbunden
ist. Von da aus ist zu fragen, ob es nicht andere, besser geeignete Wrter
gibt, um das Heilsgeschehen zu bezeichnen, z. B. "erlste", "befreite",
"unter Gottes Herrschaft lebende" oder "erneuerte Welt". Tatschlich
bringen alle diese Wrter wichtige Elemente des Heilsgeschehens zum
Ausdruck, aber sie tendieren alle zu mehr, als hier und jetzt ber die Welt
aus der Sicht des Glaubens gesagt werden kann: Erlsung, Befreiung,
Gottesherrschaft, Erneuerung stehen alle in gewisser Hinsicht noch aus.
Sie sind im Anbrechen und Geschehen, aber noch nicht da. Anders ist
dies bei der Vershnung. Dieser Begriff bringt zum Ausdruck, da es bei
dem Heilsgeschehen um den Proze geht, in dem jetzt schon die vorhan-
dene Entzweiung berwunden und dadurch die Macht der Snde und
des Bsen durchbrochen (aber noch nicht beseitigt) wird. Gerade da-
durch, da die Rede von der vershnten Welt diese bleibende Wider-
stndigkeit ernst nimmt und die Differenz zu der noch ausstehenden

1 Der Begriff "Soteriologie" ist hier in einem sehr weiten Sinn aufzufassen. In
ihm sind auch die Sakramentenlehre und die Ekklesiologie enthalten.
2 "KaTallllayi1" und"KaTall6:crcrElv" kommen nur bei Paulus und in den
Deuteropaulinen (Eph und Kol) vor, sind dort aber so wichtige Begriffe, da
Paulus die christliche Verkndigung zusammenfassen kann in den Worten:
"KCXTaAMYTjTE Ti;> 6Ei;>" (II Kor 5,20).
494 Die vershnte Welt Das Heil in ]esus Christus 495

Vollendung bewuthlt, ist sie dem angemessen, was in dieser Welt als in diesen Erscheinungsformen Gestalt gewinnt (14.1.1.2) 6, in ihrer Be-
Heil erfahrbar ist. 3 zogenheit auf Erfahrungen des Unheils zu thematisieren.
Damit ist eine dreifache Explikations- und Reflexionsaufgabe gestellt,
die sich in folgenden Fragen formulieren lt:
_ Worin besteht das Heil, von dem hier die Rede ist? Was ist also mit 14.1.1.1 Die vielfltigen Erscheinungsformen des Heils
"Heil" gemeint, und in welchen Verwirklichungsformen wird es im
Leben konkret erfahrbar? (14.1) Die Vielfalt der Erscheinungsformen, in denen Unheil und Heil Gestalt
Auf welche Weise wird dieses Heil Menschen zugnglich und zuteil? g~winnen, ist.grundstzlich unbegrenzt. Die folgenden Konkretisierungen
Wie und wodurch vermittelt es sich also? (14.2) smd dahe.r nIcht als erschpfende Aufzhlung gedacht, sondern haben
- Wo ist der Raum oder Ort, an dem dieses Heil zugnglich und erfahr- exemplarIschen Charakter. Die Einteilung orientiert sich an dem grund-
bar wird und an dem es kommuniziert und gefeiert wird? (14.3) leg~nde.n Satz aus I Kor 1,30: " Christus Jesus ist uns von Gott gemacht zur
WeIsheIt und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlsung."

14.1 Das Heil in ]esus Christus


a) Heil als Erleuchtung und Erkenntnis (" Weisheit")
14.1.1 Vielfalt und Einheit des Heils Wo das Heil als Erleuchtung und Erkenntnis beschrieben wird, ist vor-
ausgesetzt, da das Unheil, in dem der Mensch durch die Macht der
Das deutsche Wort "Heil" ist eine bersetzung des griechischen Begriffs Snde befangen ist, den Charakter der Verblendung, des Irrtums der
,,<JUlT l1pia", der in allen berlieferungsschichten des Neuen Testaments
Selbsttuschung oder des Selbstbetrugs hat. Der Mensch erkennt' sich
vorkommt4. " LUlTl1pia" (von ,,<Jei'SEIV" = retten, heilen, helfen) bedeutet selbst nicht, sieht die Welt in einem verkehrten Licht die Wahrheit Gottes
in erster Linie " Rettung" aus Gefahr, vor drohendem Unheil. In der is~ ihm verschlossen. Das kann sich dadurch uern: da Menschen ihren
positiven Umkehrung bedeutet ,,<JUlTl1pia" Heil im Sinne erfllten, be- LIebeshunger mit Liebesfhigkeit verwechseln, da sie nicht zwischen
glckenden, ewigen Lebens. Die beim deutschen Wort "Heil" naheliegen- Brauchen und Lieben oder zwischen Beliebtsein und Geliebtsein unter-
de Assoziation "Heilung" ist zwar auch im Verbum" <Jei'SEIV" enthalten (z. scheiden knnen.
B. Mk 5,28: die Heilung der blutflssigen Frau), tritt aber im Substantiv Dabei ist es sinnvoll, zwei Formen solcher Verblendung zu unterschei-
,,<JUlTl1pia" ganz zurck. 5 den: die eine Form, in der ein Mensch nicht einmal merkt, da er in der
Die Tatsache, da das Wort "Heil" recht allgemein und unspezifisch Unwahrheit existiert, in der ihm also seine Verblendung selbst noch ver-
ist, ntigt dazu, inhaltlich nher zu bestimmen, worin das Heil besteht, schlossen ist und er glaubt, das Leben richtig zu sehen und die andere
das dem Menschen zuteil wird, und worin das Unheil, von dem bzw. vor Form, in der einer Person bewutgeworden ist, da il~r Wirklichkeits-
dem er gerettet wird. Nur so kommt auch die konkret erfahrbare Vielfalt verstn~nis in entscheidenden Punkten nicht stimmt, sie aber gleichwohl
des Heils und die grere Macht der Gnade gegenber der Snde in den noch nIcht erkennen kann, was genau "nicht stimmt" und worin statt
Blick. Damit stellt sich die Doppelaufgabe, die vielfltigen Erscheinungs- dessen die rettende Wahrheit besteht. Whrend die erste Form der Ver-
formen des Heils (14.1.1.1) und das einheitliche Wesen des Heils, wie es blendung subjektiv gut zu ertragen, aber objektiv schlechthin heillos ist
weil ein Mensch nicht einmal seinen Schaden erkennt (vgl. Joh 9,40 f.), is~
3 Trotzdem ist (auch) die Rede von der vershnten Welt als zusammenfassende
Beschreibung des Heilsgeschehens insofern unbefriedigend, als in ihr die Ele- 6 In Anknp~ngan die in Kap. 2 vollzogene Verhltnisbestimmung von Wesen
mente der Befreiung, Heilung und Vernderung nicht zumAusdruck kommen. u?d Erschemung (s. o. 2.1 u. 2.3.2) ist daran zu erinnern: Das Wesen (in
4 Im johanneischen Schrifttum taucht der Begriff allerdings nur einmal auf: in dIesem Fall: des Heils) wird nicht anders zugnglich als in den konkreten
der Glosse Joh 4,22: "Das Heil kommt von den Juden." Erscheinungsformen und durch sie, aber es steht eben deshalb nicht auf
5 Da gleichwohl der Sache nach das Heil den Aspekt der Heilung mit umfat, derselben Ebene wie die Erscheinungsformen. Es wird nicht selbst zur Erschei-
soll in 14.1.1.1 d dargestellt werden. nung.
496 Die vershnte Welt Das Hell in]esus Christus 497

die zweite Form subjektiv belastend und qulend; aber objektiv ver- Vorbedingung Vershnung, Vergebung, Rechtfertigung zugesprochen
heiungsvoll, weil der Mensch hier jedenfalls dessen gewahr wird, da er wird. Die Beziehung ist wiederhergestellt, die Entzweiung berwunden,
in die Irre geht. ohne da der Mensch dazu etwas getan htte - ja auch nur htte tun
Schon diese Unterscheidung zweier Formen des Nicht-Erkennens oder knnen. Wer die Erfahrung kennt, eine fr das Leben wichtige Beziehung
der Verblendung zeigt, da die Erfahrung, in der sich die Wahrheit (z. B. eine Freundschaft) durch das eigene Sein oder Tun verletzt zu haben
erschliet, zwar immer etwas Befreiendes ist (s. Joh 8,32 u. 36), aber und zugleich zu wissen, da das durch nichts wiedergutzumachen ist,
gleichwohl als etwas Erschreckendes und Erschtterndes erlebt werden wei auch, was es bedeutet, wenn von der anderen Seite her ohne Vorbe-
kann. Beides schliet sich gegenseitig nicht aus, sondern verbindet sich dingung die Beziehung wiederhergestellt, die Hand gereicht, Vergebung
hufig eng miteinander (vgl. dazu z. B. 11 Sam 12,1-15). (mit oder ohne Worte) erteilt wird.?
Die Ma.cht der Snde zeigt sich immer auch darin, da sie dem Men e
schen ein verfehltes Wirklichkeitsverstndnis vorspiegelt und ihn damit c) Heil als Wiedergeburt und Vergttlichung ("Heiligung")
orientierungslos macht. Die "erleuchteten Augen des Herzens" (Eph 1,18)
und damit "die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in Die Vorstellung und der Begriff vom Heil als" Wiedergeburt" ist biblisch
dem Angesicht Jesu Christi" (11 Kor 4,6) sind demgegenber die Erfah- belegt (Joh 3,3-8; Tit 3,5; I Petr 1,3 u. 23). Der Begriff" Vergttlichung"
rungen von Heil, in denen diese Verblendung und Tuschung durchbro- kommt hingegen in der Bibel so nicht vor (vgl. aber 11 Petr 1,4: " damit ihr
chen wird. ... Anteil bekommt an der gttlichen Natur"), spielt jedoch vor allem in
der ostkirchlichen Tradition eine groe Rolle. Zu diesem Vorstellungs e
und Begriffsfeld gehren aber auch die Aussagen vom "Sein in Christus"
b) Heil als Vershnung und Rechtfertigung ("Gerechtigkeit") (Rm 6,11; 8,1; 16,7 u. 0.) und vom "Leben Christi in den Glubigen"
(Rm 8,10; Gal 2,20). Das Gemeinsame dieser Vorstellungen lt sich
Die Begriffe "Vershnung" und "Rechtfertigung" samt der ihnen jeweils insofern mit dem Begriff "Heiligung" beschreiben, als "heilig" (s. o.
zugehrigen Vorstellungswelt liegen weiter auseinander, als dies norma- 8.1.3.3 c) bedeutet: ,,(zu) Gott gehrend". Diese Formeln und Begriffe
lerweise in der kirchlich-theologischen Sprache zum Ausdruck kommt. bringen zum Ausdruck, da durch das Heil die Entfremdung und Tren-
"Vershnung" setzt die Erfahrung eines tiefgreifenden Konflikts, einer nung des Menschen von Gott berwunden wird und er am Wesen Gottes
Entzweiung voraus, die dadurch berwunden wird, da die "Entzweiten" Anteil erhlt. Obwohl es fr die reformatorische Theologie ein zentrales
eine neue Basis fr ihre Beziehung finden. Die Initiative dafr kann von Anliegen ist, da die (kategoriale) Unterscheidung zwischen Gott und
einer Seite oder von beiden ausgehen, wichtig ist aber, da an der Ver- Mensch nicht aus dem Blick gert, darf dies nicht dazu fhren, da das
shnung immer beide Seiten beteiligt sein mssen (vgl. dazu exempla- Wahrheitsmoment, das in der Vorstellung von der Vergttlichung des
risch 11 Kor 5,19 f., s. o. 9.3.2). "Rechtfertigung" setzt demgegenber Menschen oder seiner Vereinigung mit Christus enthalten ist, verloren-
eine forensische Situation voraus, d. h. eine Situation, in der eine Person geht. 8 Gerade wenn man den biblischen Gedanken ernst nimmt, da Gott
vor ein Forum geladen wird, um dort beurteilt oder gerichtet zu werden. seinem Wesen nach Liebe ist, kann deutlich werden, wie heillos die Le-
Hier geht es also um die Frage, ob und wodurch ein Mensch " bestehen"
kann, wenn an sein Leben der Mastab Gottes. angelegt wird. Das 7 Diese befreiende Erfahrung kann ein Mensch auch in Gestalt einer grundstz-
Gemeinsame zwischen beiden Begriffen und Vorstellungsbereichen be- lichen (z. B. exegetischen) Einsicht machen und dabei emotional ebenso
steht darin, da es beide Male um eine gestrte Beziehung (zu Gott) geht, bewegt werden, wie dies bei der Erfahrung zwischenmenschlicher Vergebung
eine Beziehung, die aufgrund des menschlichen Verhaltens nicht in Ord- mglich ist. Ein eindrucksvoller Beleg hierfr ist Luthers Rckerinnerung an
nung ist. Der nicht vershnte oder nicht gerechtfertigte Mensch hat die seinen reformatorischen DurchbruCh (WA 54,179-187), der in dem Satz
Gemeinschaft mit Gott zerstrt oder verlassen, und er hat damit die gipfelt: "Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von neuem geboren
heilsame Beziehung zu seinem Schpfer verwirkt, die doch der Grund und durch geffnete Tore in das Paradies selbst eingetreten" (WA 54,186,8 f.:
"Hic me prorsus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum
seines Daseins ist. intrasse").
Die Erfahrung des Heils besteht darin, da dem Menschen, der sich 8 S. dazu den S. 363, Anm. 10 zitierten Aufsatz von S. Peura, Die Vergttlichung
gegen diese grundlegende Beziehung verfehlt hat, von Gott her ohne des Menschen als Sein in Gott, in: Lu] 60/1993, S. 39-71.
498 Die vershnte Welt Das Heil in ]esus Christus 499

benssituation eines Menschen ist, der von Gott abgeschnitten ist, und da werden kann. So, wie die Snde das geistige, seelische und leibliche Sein
das Heilwerden in nicht weniger bestehen kann als in einer Vereinigung des Menschen erfat und mit ihrer desintegrierenden Macht bestimmen
mit Gott, die zu verstehen ist als Teilhabe an der gttlichen Liebe. Eine kann, so kann sich auch die zurechtbringende Macht der Gnade auf alle
andere sprachliche Form, in der diese heilvolle Anteilhabe des Menschen Dimensionen der menschlichen Existenz beziehen. Von daher erweist sich
an Gott zum Ausdruck kommt, ist das pneumatologisch bestimmte Reden das neutestamentliche Neben- und Miteinander von Verkndigung und
von dem Geist Gottes, der -wie die Liebe Gottes und als die Liebe Gottes Krankenheilung keineswegs als uerlich und zufllig. Daraus darf aber
(Rm 5,5) - "ausgegossen" ist auf bzw. in die Menschen des neuen Bun- zweierlei nicht gefolgert werden: Weder ist Krankheit Ausdruck oder
des (Act 2,33; 10,45; Tit 3,6). Erinnert man sich daran, da der Heilige Folge von Snde, noch bewirkt die Erfahrung von Heil in jedem Fall
Geist nicht weniger ist als die Selbstgabe Gottes (s. o. 10.1.3), so wird Heilung. Das kann so sein (s. dazu o. 10.3.2.2), aber es kann einem
nachvollziehbar, da mit der Formel "Heil als Vergttlichung" - recht Kranken oder Behinderten auch bewut werden, da er sich in seiner
verstanden - nicht zuviel gesagt wird. Gemeint ist damit ja nicht eine "Schwachheit" an Gottes Gnade gengen lassen soll (s. 11 Kor 12,7-10)
Identifikation des Menschen mit Gott, sondern eine Anteilhabe des Men- und da ihm von daher die Kraft zuwchst, seine Krankheit oder Behin-
schen an Gott, durch die der Mensch aufgerichtet und erhht wird. 9 derung anzunehmen, und er in diesem Sinne Heilung erfhrt.

d) Heil als Befreiung und Heilung ("Erlsung")


14.1.1.2 Das einheitliche Wesen des Heils
Der Bedeutung von "Heil" als "Rettung" nahe verwandt ist die Vorstel~
lung vom Heil als Befreiung. Setzt Rettung die Situation einer tdlichen Die im vorigen Abschnitt aus I Kor 1,30 bernommene Einteilung an.
Bedrohung (z. B. bei einem Schiffbruch) voraus, so bezieht sich "Befrei- hand der vier soterilogischen Grundbegriffe "Weisheit", "Gerechtig-
ung" dem Wortsinn nach auf eine Situation der Gefangenschaft oder keit", "Heiligung" und "Erlsung" ist nicht im Sinne einer Klimax oder
Sklaverei. Hierin kommt der Machtcharakter der Snde besonders deut- einer zeitlichen Abfolge zu verstehen, sondern soll unterschiedliche Er-
lich zum Ausdruck, wie ihn z. B. Menschen in Gestalt uerer oder innerer scheinungsformen des Heils beschreiben. Was lt sich von daher ber
Abhngigkeit von destruktiven Krften erleben und erleiden. Im Wider- das - einheitliche - Wesen des Heils sagen? Dreierlei scheint entscheidend
streit zu dieser Erfahrung der Snde als einer Macht, die den Menschen zu sein:
(als einzelnen oder als Gemeinschaft) unterdrckt und tyrannisiert, wird
das Evangelium von der in Jesus Christus anbrechenden Gottesherrschaft a) Die Erscheinungsformen des Heils als verschiedene Aspekte
erlebt als Durchbrechung dieser Macht und damit als Akt der Befreiung. lo
Das Entscheidende ist geschehen, wenn diese tyrannisierenden Mchte Den Begriff Aspekte gebrauche ich als Alternative zu Begriffen wie "Tei-
einmal durchbrachen worden sind, wenn ein Mensch sprt: Die Macht le" oder "Stcke" oder "Elemente". Damit meine ich: Weisheit, Gerech-
der Snde ist verwundbar; die Kraft der Liebe ist grer als der Terror des tigkeit, Heiligung und Erlsung sind keine je fr sich isoliert vorkommen-
Bsen (vgl. Apk 12,7-12). Ein Mensch, dem diese Erfahrung zuteil wird, den Erscheinungsweisen von Heil, sondern sie verhalten sich zueinander
sprt, was das Wort "Heil" meint. wie die unterschiedlichen Ansichten, die sich zeigen, wenn ein plastisches
Von hier aus ergibt sich auch ein Zugang zu der im Neuen Testament Kunstwerk umschritten und betrachtet wird. Das besagt aber: Auf eine
(insbesondere in den Evangelien) wichtigen Verbindung zwischen Ver- nicht offenkundige, sondern eher verborgene Weise kommen die Erschei-
kndigung und Heilung, durch die das Heil selbst als Heilung erfahren nungsformen ineinander vor oder - vorsichtiger formuliert - hngen sie
untereinander zusammen und verwei~~n aufeinander. Das soll an einigen
Punkten exemplarisch verdeutlicht werden:
9 Der Begriff "Vergttlichung" oder "Vergottung"ist mehrdeutig. Er kann
entweder bedeuten "Zu-Gatt-Werden" oder "Ganz-von-Gott-bestimmt-Wer- - Erleuchtung und Erkenntnis sind zugleich Befreiung und Erlsung.
den". Nur in der letzteren Bedeutung ist er theologisch akzeptabel. Das ist so, weil die Verblendung selbst den Charakter einer Macht hat,
10 Was spter (s. u. 14.1.1.2 b) noch zu bedenken ist, sei jetzt schon angemerkt:
der ein Mensch ausgeliefert ist, ohne sie von sich aus abschtteln oder
Es geht um die Durchbrechung der Macht der Snde - noch nicht um ihre
durchbrechen zu knnen.
Aufhebung oder Beseitigung.
Die vershnte Welt Das Heil in ]esus Christus 501
500

_ Vershnung und Rechtfertigung haben zugleich den Charakter von der zwar gefarund zum Tode verurteilt, aber noch nicht hingerichtet
Erleuchtung und Erkenntnis. Das Wort von der Vershnung: "Lat ist und darum gefhrlich bleibt und alle Wachsamkeit erfordertY
euch vershnen mit Gott" verndert als solches entscheidend das Bild Das bisher Gesagte wre miverstanden, wenn man es nur oder vor
des Menschen von Gott, also seine Gotteserkenntnis. allem im Sinne einer einmaligen Durchbruchserfahrungverstehen wrde.
_ Befreiung und Heilung haben zugleich den Charakter der Wiederge- Solche einmaligen Erfahrungen gibt es zwar, und sie knnen genau das
burt und Vergttlichung oder Heiligung, weil die Durchbrechung der zum Inhalt haben, was das Neue Testament "Heil" nennt. Aber alles wird
Macht der Snde nur dadurch mglich ist, da Menschen Anteil schief und gefhrlich, wenn solche Durchbruchserfahrungen als Endsta-
bekommen ander Macht Gottes. tion und nicht als der Anfang eines beschwerlichen, mhevollen, schmerz-
lichen Weges verstanden und wahrgenommen werden, auf dem es immer
Eine subtile Analyse knnte mglicherweise zeigen,.da und wie tat- wieder zur Entdeckung der Macht der Snde und zur Erfahrung ihrer
schlich jede Erscheinungsform des Heils zugleich alle anderen in sich Durchbrechung kommt. Und es wre noch einmal ein Miverstndnis,
enthlt, weil Heil letztlich nicht aufteilbar ist, sondern eine Ganzheit wenn man meinte, die Macht der Snde wrde auf diesem Wege immer
darstellt - wenngleich in unterschiedlichen Lebenssituationen und ange- leichter, schwcher und harmloser. Das Gegenteil ist der Fall: Je tiefer ein
sichts unterschiedlicher Unheilserfahrungen das Heil unterschiedlich er- Mensch von der gttlichen Liebe angerhrt wird, desto schmerzlicher
lebt wird. empfindet er seine tiefsitzende Unfhigkeit und Unwilligkeit zur Liebe,
also die Macht der Snde und des Bsen. Aber um so beglckender und
b) Das Heil als Durchbrechung der Macht der Snde befreiender ist auch die immer neue Erfahrung der berwindung dieser
Fragen wir von dem bisher nur exemplarischen Aufweis der Zusammenc Macht, also die Erfahrung von Heil. 13
gehrigkeit, die zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen besteht, Beide Erfahrungen (die der Macht der Snde und ihrer Durchbre-
weiter nach dem Wesen des Heils, so zeigt sich, da das Heil in allen chung) finden ihren Widerhall in der reformatorischen Formel "simul
Erscheinungsformen - auch - den Charakter der berwindung von Un- iustus et peccator"14. In ihr kommt zum Ausdruck, da der Mensch in
heil hat. Das weckt die Frage, ob Heil nur erlebt und erfahren werden diesem Leben in sich stets Snder bleibt, aber gleichwohl vOr Gott und
kann im Proze der berwindung von Unheil, ob es also den Kontrast des von Gott her bejaht und angenommen und insofern gerecht ist. D. h. aber
Unheils braucht, um als solches erlebt werden zu knnen. Fr das christ- auch: Das Heil besteht nicht darin, da die dmonische Angst (s. o.
liche Verstndnis von Heil ist offenbar tatschlich dieser Kontrast- und 13.2.2) durch die Begegnung mit dem Evangelium aus dem Leben eines
berwindungscharakter wesentlich. Heil ist folglich nicht das, was man Menschen getilgt wird, wohl aber besteht es darin, da diese dmonische
etwa beim Begriff "heile Welt"assoziiert, sondern Heil meint eine "ge- Angst aufgedeckt, beim Namen genannt und ihr der Kampf angesagt
heilte", "befreite", "vershnte" Welt, also eine, die durch Unheils- wird. Durch die Erfahrung des Heils kehrt sich der "Richtungspfeil"
erfahrungen, durch die Begegnung mit der Macht der Snde und des zwischen kreatrlicher und dmonischer Angst um, ohne da eine voll-
Bsen hindurchgegangen ist. stndige Eliminierung dmonischer Angst in diesem Leben je erreicht
Dabei zeigte sich bereits, da Worte wie "geheilt", "befreit" oder werden knnte.
"erlst" miverstndlich sind, weil sie den Anschein erwecken knnen,
als wrden sie zuviel sagen. Das Unheil, die Snde, das Bsesind ja nicht
beseitigt, nicht erledigt, nicht vernichtet, sondern es ist "nur" ihre Macht
durchbrachen. Luther hat diesen Unterschied durch die Formeln "herr- 12 In Mrchen gibt es etwas hnliches in Gestalt der bsen, neidischen, gefhr-
lichen Brder oder Schwestern, die, nachdem sie entlarvt und besiegt worden
sehende Snde" ("peccatum regnans") und"beherrschte Snde" ("pecca-
sind, um Mitleid betteln und, sobald sie dies bekommen, dem Mrchenhelden
tum regnatum") zum Ausdruck gebrachtl l . Er gebraucht zur Veranschau- oder der -heidin ans Leben wollen und sie um alles bringen, was sie errungen
lichung des damit Gemeinten das Bild eines gefhrlichen Raubmrders, hatten.
13 In diesem Sinn des Wortes ist jede christliche Theologie notwendigerweise
"Theologie der Befreiung".
11 Erstmals wohl in seiner Schrift "Wider den Lwener Theologen Latomus" 14 Vgl. dazu W. Joest, Gesetz und Freiheit, Gttingen (1951) 1961 3, bes. S. 55-
aus dem Jahre 1521 (WA 8,94,9 f.). 82 sowie K. O. Nilsson, Simul, Gttingen 1966.
Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 503
502

c) Das Heil als Neukonstituierung der Person "Rechtfertigung allein aus Glauben" bedeutet: sich selbst verstehen
und bestimmen lassen von dem Bild Jesu Christi her, der als Ebenbild
Mit der Rede vom Heil als Neukonstituierung der Person wird wohl das Gottes die Bestimmung jedes Menschen zum Ausdruck bringt. Vom Evan-
Schwierigste, aber auch das am tiefsten reichende ausgesagt, w~s im Blick gelium her fllt so auf jedes Menschenleben ein neues Licht, das den
auf das Wesen des Heils zu bedenken und zu sagen ist. ZuglelC~ beste~t Menschen nicht nur in dem wahrnehmen lt, was an ihm in Erscheinung
allem Anschein nach gerade hier die Gefahr, in soteriologische Ubertrei- tritt, sondern wozu er von Gott bestimmt ist. Wenn eine Person es fr sich
bungen zu verfallen, die das Fragmentarische des Christseins zu verdr~ gelten lt, da sie zu demselben Bild Gottes bestimmt ist, das in Jesus
gen oder zu vergessen scheinen. Andererseits droht hier ab~r a~ch die Christus erschienen ist, und wenn sie sich von da aus selbst versteht, dann
Gefahr, zu wenig zu sagen, also das Heilsgeschehen zu oberflachhch und ist ihr Personsein neu konstituiert. 15
zu uerlich zu verstehen, so als verndere sich dadurch nur etwas am Aber wie kann eine solche Neukonstituierung als mglich gedacht
Menschen nicht aber dieser selbst. Und eine solche radikale Vernde- werden? Wie kann ein Mensch diese heilvolle Bestimmung fr sich wahr
rung, also Neukonstituierung der Person ist doch offenbar gemeint, wenn werden lassen, wo doch die Snde ihre Macht im Zentrum der Person
Metaphern und Begriffe wie "Wiedergeburt", "neue Kreatur", "Ver- etabliert hat? Wo liegt ein mglicher Ansatzpunkt zur Durchbrechung
gttlichung" oder "Vereinigung mit Christu~" gebrauc~t we~den. dieser Macht?
Aber darf soviel behauptet werden? Bleibt denn mcht em Men~ch, Die reformatorische Theologie bestreitet jedenfalls, da es irgendei-
auch wenn er dem Evangelium begegnet und dadurch verwandelt Wird, nen intakten Teil im Menschen gibt, der dieser Macht nicht unterstnde
mit sich identisch? Ja, mu er nicht mit sich identisch bleiben, um ber- und an den appelliert werden knnte. Weder Leib noch Seele, weder
haupt eine solche Durchbrechung der Macht der Snde und eine solche Gefhl noch Wille noch Vernunft kommen als solche intakten Instanzen
Wende an sich erleben zu knnen? Auch "Wiedergeburt" setzt doch in Frage. Und deshalb kann das Heil einem Menschen nur von auerhalb
voraus da es der identische Mensch ist, dem diese Wiedergeburt wider- begegnen und zugesprochen werden. Aber wie kann diese Zusage durch
fhrt. Es wird ja nicht eine neue Person erschaffen, sondern ~ie. alte, den Panzer der Snde dringen und den Menschen im Inneren erreichen?
bekannte Person wird umgewandelt, erneuert und so neu konstitUiert. Das ist wohl nur mglich in Gestalt einer - zweifachen - Kontrast-
Richtig daran ist, da das Heil die Kontinuitt zwischen altem und und Differenzerfahrung. Die eine Weise, wie eine solche aufsprengende
neuem Menschen nicht aufhebt oder zerstrt, sondern bewahrt. Und Erfahrung gemacht werden kann, ist die Begegnung mit einer Forderung
deshalb knnen (und sollen) Glaubende sich erinnern an das, was sie oder Norm, an der gemessen ein Mensch erkennt: So sollte, ja so mchte
waren und welche Schritte sie durch die Begegnung mit dem Evangelium ich sein, aber so bin ich gerade nicht. Die andere Weise ist die Erfahrung,
tun konnten. Aber die Erneuerung, die in dieser Kontinuitt stattfindet, unbedingt (also ohne Vorleistungen) angenommen, akzeptiert, ja geliebt
hat nicht (nur) den Charakter einer Entwicklung, sondern (auch) den zu werden, obwohl das liebende Gegenber erkennt, wie es um den gelieb-
eines radikalen Neuwerdens, das als "Sterben" und "Auferstehen" erlebt ten Menschen bestellt ist - also nicht im Zustand der Tuschung -, aber
werden kann. weil es zugleich erkennt, da etwas in ihm sich nach Erlsung und erfll-
Dieses Zugleich von Kontinuitt und Diskontinuitt lt sich nur tem Leben sehnt.
denken wenn man den Menschen als Beziehungswesen versteht. Dann Beide Differenzerfahrungen setzen also realistisch voraus, da der
wird d~s Wesen des Menschen definiert durch die Beziehungen, in denen Mensch, dem sie zuteil werden, unter der Herrschaft der Snde steht. Sie
er (von anderen und von sich selbst) durch Gefhle, Gedanken und Han~ appellieren nicht an den guten Willen oder an ungenutzte Krfte, aber sie
lungen interpretiert wird und sich interpretieren lt. Und wenn da~ Heil schaffen einen Kontrast und damit eine Differenz zu der bisherigen unheil-
(ebenso wie das Unheil) die grundlegende Beziehung des menschhchen
Lebens betrifft, nmlich sein daseinsbestimmendes Vertrauen (zu Gott), 15 Erst durch diesen Verweis auf Christlis wird die soteriologische Aussage aus
I Kor 1,30 auch in ihrem Anfangsteil aufgenommen und zur Geltung ge-
dann bedeutet Heilwerden zugleich: ein anderer Mensch werden. Das bracht: "Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht
Heilsgeschehen konstituiert dabei schon insofern die P~rson neu, als .sie ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlsung."
nun ihre Identitt nicht ableiten kann von dem, was Sie selbst aus Sich Damit wird ernstgenommen, da die soteriologischen Bestimmungen nicht
gemacht hat und macht, sondern aus dem, was ihr widerfhrt, was an ihr gelten abgesehen von dem Lebenszusammenhang mit Jesus Christus, sondern
geschieht und was sie an sich geschehen lt. nur in ihm.
504 Die vershnte Welt DasHeil in ]esus Christus 505

vollen Lebenssituation. Sie tun dies freilich in ganz unterschiedlicher Das Gesetz als Forderung und Anklage deckt diese Situation des
Weise: anklagend, die Snde beim Namen nennend im ersten Fall; frei- Menschen auf und dient insofern seinem Heilwerden. Aber das Gesetz
sprechend, die Snde nicht anrechnend im zweiten.!6 Aber beide Erfah- ist - als Forderung urid Anklage - selbst nicht der Ausweg aus dieser
rungen knnen einen Menschen nur innerlich erreichen, wenn er sich die Situation. Eskann dazu antreiben, einen solchen Weg zu suchen; es kann
in ihnen liegende Zumutung gefallen lt, die in der Erkenntnis liegt: "Du die Entwicklung neuer Lebensmglichkeiten offenhalten; aber es kann
lebst unter der Macht der Snde." Dieser Satz, der scheinbar alles fest- auch in Resignation und Verzweiflung strzen. Das Evangelium als
schreibt und zementiert, ist in Wirklichkeit die ffnung der Tre, die ins Zusage und Verheiung ist der Weg zum Heil, weil es dem Menschen ein
Freie fhrt, wenn ein Mensch ihn sich sagen lt, also sich dazu bereit Fundament und ein Ziel fr sein Leben gibt. Indem es durch die Zusage
machen lt, den Schmerz, die Scham und die Reue zu empfinden, die sich der Vergebung zwischen der Person und ihrer Snde unterscheidet, erff-
damit verbinden. net es die Mglichkeit zu einem Neubeginn ohne Vorbedingungen. Das
Es gibt naheliegende Strategien, um sich darauf nicht einzulassen: Evangelium legt den Menschen nicht auf das fest, was er von seiner
Lebensgeschichte her ist, sondern spricht ihn auf das hin an, wozu er von
- den Versuch, das Bse zu kompensieren durch Verweis auf das Gute,
Jesus Christus her bestimmt ist. Und erst so, so allerdings tatschlich,
das es im eigenen Leben doch auch gibt;
kommt es zur Neukonstituierung der Person, die als Teilhabe am erfll-
- die Entschuldigung durch Verweis auf die Verhltnisse oder die Per-
ten Leben verstanden werden kann - und zwar als lebenslanger, tglicher
sonen, die daran (zumindest auch) schuld sind;
Proze des Neuwerdens.
- die Bagatellisierung durch den Vergleich mit anderen, bei dem man
noch relativ gut abschneidet;
- schlielich sogar die malose bertreibung, durch die die Anklage
scheinbar aufgenommen und verstrkt, in Wirklichkeit ins Monstrse 14.1.2 Erwhlung als Grund des Heils
gesteigert wird ("ich bin an allem schuld"), so da man sich gerade
Die Beschftigung mit der Erwhlungs- oder Prdestinationslehre!7 ergibt
deswegen letztlich doch nicht mit ihr identifizieren mu.
sich insofern aus dem Nachdenken ber das Heil (14.1.1), als sich dabei
Aber gerade auf diese Identifikation kommt es an, nicht im Sinne einer zeigte, da nach christlichem Verstndnis das Heil nicht vom Menschen
Selbstfestlegung, sondern als bernahme der eigenen Anteile, die erst die selbst bewirkt werden kann, sondern von auerhalb seiner selbst auf ihn
entscheidende ffnung und Befreiung ermglicht. Es erscheint als para- zukommt':'" und zwar von Gott her. Das Heil wird dem Menschen folglich
dox, da man von der Macht der Snde nur frei werden kann, indem man aus Gnade, und Zwar allein aus (Gottes) Gnade zuteil. Es geschieht "sola
seinen Anteil an ihr bernimmt. Aber das ist deswegen nicht widersinnig, gratia". Das Angewiesensein des Menschen auf ein Heilshandeln, das von
weil die Snde ihre Macht zu einem guten Teil aus dem Dunkel, der Gott her auf ihn zukommt und zukommen mu, wenn es ihn retten,
Verstecktheit und Anonymitt bezieht, in der sie wirkt. Das Aussprechen befreien und erneuern soll, wird allem Anschein nach durch nichts deut-
der Snde als Realitt des eigenen Lebens nimmt ihr etwas von dem Bann, licher ausgedrckt als dadurch, da ein ewiger Akt gttlicher Erwhlung
den sie ausbt. als Grund des Heils gedacht wird.
Hinzu kommt noch etwas anderes: Ein Mensch kann sich nur etwas Aber das Problem der Prdestination stellt sich umfassender dar, als
vergeben lassen, das er als das Seinige anerkennt. Vergebung ohne Schuld es bislang hier erschien, wo nur das Heil des Menschen auf Gottes Erwh-
anerkennung ist ebenso unmglich wie innere Befreiung ohne Anerken- lung zurckgefhrt wurde. Mte nichtkonsequenterweise auch das
nung der Knechtschaft. Aber weil solche Anerkennung mit Scham, Reue Unheil im Sinne der Verdammnis auf Gottes Verwerfung zurckgefhrt
und Schmerz verbunden ist, darum versteht sie sich nicht von selbst. Und
doch gibt es keinen Weg zur Neukonstituierung der Person, der daran
vorbeifhrt.
17 Terminologisch unterscheiden sich Erwhlungs- und Prdestinationslehre (nur)
insofern, als die Erwhlungslehre die gttliche Vorherbestimmung des Men-
schen zum Heil thematisiert, whrend die Prdestinationslehre die gttliche
16 Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, von Vorherbestimmung des Menschen zum Heil oder zum Unheil thematisiert. Es
dem in 14.1.4.3 noch einmal die Rede sein soll. gibt keine "Erwhlung zum Unheil".
506 Die vershnte Welt Das Heil in ]esus Christus 507

werden? Gibt es also nur eine "einfache" oder eine "doppelte" Prdesti- brechenden Gottesherrschaft, wie sollte es mit der in ihm erschienenen
nation? "Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes" (Tit 3,4) zusammengedacht
Ferner ist zu fragen, ob Gottes Erwhlung (und Verwerfung) unwider- werden knnen, da Gott einige seiner Geschpfe einer von Ewigkeit her
stehlich wirkt, so da sie unfehlbar zu ihrem Ziel kommt, gleichgltig, wie beschlossenen - ihrerseits ewigen - Verdammnis und Qual, also dem Aus-
ein Mensch sich zu ihr verhlt, oder ob ein Mensch seine Erwhlung auch schlu von der Gottesgemeinschaft, preisgibt? Schlielich wird man sogar
zurckweisen oder verspielen kann. sagen mssen, da schon die Vorstellung eines gttlichen Subjekts, das
Damit sind die beiden Themenkomplexe genannt, um die es in diesem einen Teil seiner Geschpfe erwhlt, einen anderen Teil verwirft und
Abschnitt geht: Erwhlung und doppelte Prdestination (14.1.2.1) sowie verdammt, nur unter Voraussetzung einer personalistischen Sichtweise
die Unwiderstehlichkeit der Erwhlung Gottes (14.1.2.2). mglich ist, die deren - potenziert - metaphorischen Charakter (s. o.
8.1.2.2) nicht in Rechnung stellt oder sogar bestreitet.
Mit der hier vorgetragenen Auffassung schliee ich mich der Lehr-
14.1.2.1 Erwhlung und doppelte Prdestination entscheidung an, die die Konkordienformel (gegen verschiedene Aussa-
gen Luthers) getroffen hat und die sie begrndet unter Bezugnahme auf
Wenn es angemessen ist, einen ewigen Akt gttlicher Erwhlung als
den neutestamentlichen Text, der hufig als Belegstelle fr die Lehre von
Grund des Heils zu denken, dann scheint es nicht nur konsequent, son-
der doppelten Prdestination herangezogen wurde: Rm 9,22 po Diesen
dern im strengen Sinn notwendig zu sein, von einer gttlichen Entschei-
Bibeltext interpretiert die Konkordienformel wie folgt: "Da dann der
dung auszugehen, die den Charakter der Auswahl zwischen zwei Mg-
Apostel deutlich sagt, Gott habe ,die Gef des Zorns mit groer Geduld
lichkeiten hat, also doppelte Prdestination (" praedestinatio gemina")
getragen', und saget nicht, er habe sie zu Gef des Zorns gemacht; dann
ist: zum Heil oder zur Verdammnis l8 Aber dieser Schein trgt; denn die
da es sein Wille gewesen wre, htte er keiner groen Geduld darzu
darin enthaltene Folgerung beruht auf einem abstrakten Verstndnis der
bedorfet. Da sie aber bereitet sein zur Verdammnus, daran seind der
Erwhlung, bei dem nicht bedacht ist, da das Wesen des erwhlenden
Teufel und die Menschen selbst, und nicht Gott schuldig" (BSLK
Gottes Liebe ist.
1086, 17-25). Diese Interpretation von Rm 9,22 f. ist m. E. nicht nur
Fr das Wesen der Liebe im Sinne der Agape l9 ist es charakteristisch,
dogmatisch, sondern auch exegetisch berzeugend. ll
da sie niemanden grundstzlich ausschliet. Jeder Ausschlu eines an-
Das heit aber: Die christliche Theologie hat keine (ewige) doppelte
deren wre eine Minderung und Beschdigung der Liebe. Und das ist so,
Prdestination zu lehren, sondern nur eine ewige Erwhlung zum Heil.
weil Liebe ihrem Wesen nach nicht Abgrenzung, Ausschlu oder Ver-
Diese grndet allein (und allein sie grndet) im Wesen Gottes als Liebe.
weigerung, sondern im Gegenteil Hinwendung, Zuneigung und Hingabe
Sie ergibt sich nicht als Forderung oder Anspruch anhand menschlicher
ist.
Die Vorstellung von einer (ewigen) doppelten Prdestination, auf-
grund deren Gott einen Teil der Menschen erwhlt, einen anderen Teil fr 20 "Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit
die Verdammnis vorherbestimmt htte, kann von der Selbsterschlieung groer Geduld ertragen die Gefe des Zorns, die zum Verderben bestimmt
Gottes in Jesus Christus her nur als ein Miverstndnis bezeichnet wer- waren, damit er den Reichtuin seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefen
den das zwar aus einem abstrakten Verstndnis der Allmacht Gottes, der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit."
nie~als aber aus dem Wesen Gottes als Liebe abgeleitet werden kann. 21 Eine andere Ansicht vertritt U. Wilckens in seinem Kommentar ber den
Rmerbrief (Der Brief an die Rmer, 2. Teilband, Zrich u. a. 1980, S. 204),
Wie sollte es mit der in Jesus Christus zum Heil der Menschen an- indem er die paulinische Formel "ev lTOAAij IJCXKpo6vlJia" - gegen den sonstigen
paulinischen Sprachgebrauch (Rrn).,4; n Kor 6,6; Gal 5,22) - interpretiert
18 Aus dem, was oben ber "Heil" - auch in seinem fragmentarischen Charak- als ein Gewhrenlassen in unheilvoller Absicht. Gegen diese schon philolo-
ter - gesagt wurde, ergibt sich, da"Unheil" oder"Verdammnis" nur verstan- gisch schwierige Deutung spricht im brigen die Tatsache, da der ganze
den werden kann als ungebrochene Herrschaft der Snde, als Abgeschnittens- Abschnitt Rm 9-11 auf Rm 11,25-36 zuluft. Dort wird gesagt, da "ganz
ein vom Heil in jeder seiner Verwirklichungsformen, und d. h.: als Gottesferne. Israel gerettet werden" wird (11,26) und da Gott alle eingeschlossen habe in
19 Je strker das erotische Element in einer Liebesbeziehung ist, desto weniger den Ungehorsam, "damit er sich aller erbarme" (11,32). Und darum endet der
lt sich die Liebe - jedenfalls ohne Schaden - vervielfltigen, sondern ver- Abschnitt mit dem hymnischen Satz: "Denn von ihm und durch ihn und zu
langt eine auswhlende Entscheidung. ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit" (11,36).
508 Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 509

Verdienste oder gemessen an menschlichen Mastben von Gerechtig- wenige sind auserwhlt" (Mt 20,16; 22,14). Das weckt die Frage, ob aus
keit. Sie ist unverdient, ja unverdienbar, sie geschieht sola gratia. Und es der Erwhlung aller Menschen auch die schlieliche und endliche Erl-
gehrt zu ihrem Wesen, niemanden (also kein Geschpf) auszuschlieen. sung, also die Apokatastasis panton folgt. Oder knnen Menschen, indem
Nur so kann den biblischen Aussagen Rechnung getragen werden, die sie sich mit der Snde dauerhaft identifizieren, ihrer Erwhlung widerste-
bezeugen, da Gottes Liebe der Welt gilt (loh 3,16), da Gott die Welt in hen und damit sich selbst nicht nur zeitlich, sondern ewig die Verdammnis
Christus mit sich vershnt hat (11 Kor 5,19) und da er "will, da allen bereiten? Ist die Erwhlung also nichts anderes als eine Bestimmung zum
Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" Heil, der ein Mensch sich jedoch widersetzen und verweigern kann? Da-
(I Tim 2,4). mit sind wir beim Thema des zweiten Unterabschnitts.
Und dennoch gibt es ein (von Ewigkeit her) verwerfendes Wirken
Gottes. Gott verwirft von Ewigkeit .her und in Ewigkeit alles, was mit
seinem Wesen unvereinbar ist: Er verwirft die Snde und das Bse. Es 14.1.2.2 Die Unwiderstehlichkeit der Erwhlung
gehrt zum Wesen der Liebe, niemanden auszuschlieen; aber es gehrt
auch zum Wesen der Liebe, alles auszuschlieen, was mit der Liebeunver- Es geht nun um die Frage, ob die Erwhlung so zu denken ist, da ein
einbar ist. Deshalb mu das Bse wahrgenommen, erkannt, bernommen Mensch sich ihr widersetzen kann (und sie dadurch unwirksam wrde),
werden, aber es darf nicht angenommen oder in die Person integriert oder ob solcher menschlicher Widerstand ausgeschlossen ist, so da die
werden. 22 Von der Snde als dem gottlosen Wesen der Menschen (Rm menschliche Personalitt und Selbstbestimmung an diesem entscheiden-
1,18) gilt: Sie ist verworfen und damit zum Vergehen bestimmt. Aber von den Punkt gewissermaen suspendiert oder bergangen wird. Man gert
dieser Verwerfung und Verdammnis knnten Menschen nur getroffen hier in ein Dilemma, aus dem anscheinend nur herauszukommen ist,
werden, wenn und sofern sie sich mit diesem gottlosen Wesen vollstndig indem man an der Wirksamkeit der Macht der gttlichen Erwhlung oder
identifizierten, sich also von ihm nicht unterscheiden und trennen lieen. an der Mglichkeit menschlicher Selbstbestimmung entscheidende Ab-
Dieses Neben- und Miteinander von Erwhlung, die dem Geschpf, striche macht. Aber beides wre ein (zu) hoher Preis.
und Verwerfung, die der Snde gilt, sollte man zur Vermeidung von Fragt man genauer nach, wodurch dieses Dilemma zustande kommt,
Miverstndnissen besser nicht als "doppelte Prdestination" bezeich- so zeigt sich, da es sich an der Vorstellung vom Verhltnis zwischen
nen; denn es handelt sich dabei ja nicht um zwei Wahlakte, die sich auf gttlichem Erwhlen und (mglichem) menschlichem Widerstand gegen
verschiedene Personengruppen beziehen, sondern um die eine Erwhlung die Erwhlung entzndet. Nehmen wir an, der Mensch knne der Erwh-
des Snders, die als solche die Verwerfung der Snde einschliet. Die lung widerstehen, so erscheint diese als kraftlos, also Gott nicht angemes-
Benennung dieser Kehrseite ist freilich ntig, damit die Erwhlung des sen. Nehmen wir dagegen an, der Mensch knne ihr nicht widerstehen, so
Snders, richtiger: die Erwhlung des Menschen, der unter die Macht der erscheint die Erwhlung als zwanghaft oder gewaltttig, also der mensch-
Snde geraten ist, nicht verwechselt wird mit einer Erwhlung (oder lichen Personalitt nicht angemessen. Aber eine solche zwanghaft oder
Vergleichgltigung) der Snde. 23 gewaltttig wirkende Erwhlung wre auch dem Wesen Gottes nicht an-
Aber auch in der Konkordienformel findet sich die Aussage, es gebe gemessen. Und d. h.: Sie wrde beidem nicht gerecht. Offensichtlich liegt
Menschen, die "bereitet sein zur Verdammnus", selbst wenn dann gesagt das Problem in der dabei vorausgesetzten Vorstellung von "Erwhlung",
wird da daran sie selbst schuld seien und nicht Gott. Und im Matthus- die mglicherweise aus einem abstrakten Allmachtsbegriff abgeleitet ist.
evan~elium kommt zweimal die Aussage vor: "Viele sind berufen, aber Deshalb mu geprft werden, ob das Dilemma sich nicht auflst oder
vermeiden lt, wenn man sich statt dessen an dem konkreten Verstndnis
22 An dieser Stelle besteht theologischer Abgrenzungsbedarf gegenber Auffas- der Allmacht Gottes als Allmacht derLiebe (s. 0.8.1.3.2 a) orientiert.
sungen, die im Anschlu an C. G. Jung zwar zu Recht die Integration des Einerseits ist dann zu sagen: Liebe ist ihrem Wesen nach nicht gewalt-
"Schattens" fordern, aber diesen nicht hinreichend vom Bsen abgrenzen, ttig oder ntigend. 24 Wo die Liebe ihrem Wesen nach zur Geltung kommt
das nicht integriert werden darf.
23 Zufolge der hier (s. 0; 13.4.2) vertretenen Auffassung gehren der Teufel und
die Dmonen nicht zu den Geschpfen, sondern sind Formen (der Macht) des 24 Wo die Liebe zwingt, da tut sie ihr opus alienum, das als solches nicht der
Bsen, das nicht erwhlt, sondern verworfen und damit zum Vergehen be- Erlsung, sondern nur der Erhaltung und Bewahrung vor dem Bsen dienen
stimmt ist. kann.
510 Die vershnte Welt Das Heil in]esus Christus 511

(also ihr opus proprium tut), da lt sie Raum - sogar fr den schmerz- ihn empfangen werden. 26 Von daher stellen sich vor allem zwei Fragen,
lichen Widerstand, fr die Verweigerung und Abkehr. Andererseits gibt die in diesem Abschnitt reflektiert werden sollen: Ist der Glaube demzu-
es gar nichts Gewinnenderes als Liebe. Reine Liebe, d. h.gttliche Liebe- folge (nur) ein Mittel zur Erlangung des Heils (also ein "Heilsmittel"),
als Zuwendung zum geliebten Gegenber um seines Besten willen - ist oder ist der Glaube selbst das Heil - unter einem bestimmten Aspekt?
letztendlich fr das geliebte Gegenber unwiderstehlich. Aber sie ist das (14.1.3.1) Sodann: Auf welche Weise wird der Glaube - sei es als Heils-
nicht, weil sie zwingt oder unterwirft, sondern weil sie das Gegenber mittel oder als Heil- dem Menschen zuteil? (14.1.3.2)
gewinnt. Aber dies gilt nur "letztendlich" - nicht automatisch und sofort.
Man kann dieses "letztendlich" in einem futurischen Sinn verstehen, und
dann besagt es, da schlielich und endlich jeder Mensch sich von der 14.1.3.1 Der Glaube als Heilsmittel oder als Heil
gttlichen Erwhlung erreichen, gewinnen und aus seiner Selbstver-
schlossenheit herauslieben lassen wird. Man kann das "letztendlich" aber Die altprotestantische Theologie hat in der Lehre von den Heilsmitteln
auch in einem fundamentalen oder axiologischen Sinn verstehen, und das (s. u. 14.2) unterschieden zwischen den austeilenden Heilsmitteln ("media
wrde heien, da in der Tiefe seines Wesens jeder Mensch in irgendeiner salutis exhibitiva") und dem aneignenden Heilsmittel ("medium salutis
Form von der gttlichen Erwhlung erreicht, angerhrt und bewegt wird, apprehensivum"): dem Glauben. Diese Unterscheidung hat etwas unmit-
auch wenn das mglicherweise fr niemanden erkennbar, geschweige telbar Einleuchtendes: Gott bietet dem Menschen das Heil durch sein
denn nachweisbar wird. Wir werden uns mit dieser Frage im folgenden, Wort an, und der Mensch ergreift das Angebotene im Glauben und
eschatologischen Kapitel (s. u. 15.2) noch ausfhrlicher zu beschftigen empfngt so das Heil. Aber dabei bleibt eine entscheidende Frage unbe-
haben. Was hier festgehalten werden soll, ist die Gewiheit von der Un- antwortet: Wie, wodurch und woher empfngt der Mensch den Glau-
widerstehlichkeit der gttlichen Erwhlung, die nicht zu verwechseln ist ben? Die von der Tradition vorgegebene (und theologisch durchaus stim-
mit Zwang, Ntigung oder Fremdbestimmung, sondern die zu denken ist mige) Antwort lautet: durch die Verkndigung des Wortes Gottes, aus
als die innere Kraft und Ausstrahlung der gttlichen Liebe, die ihr Ziel deren Hren der Glaube "kommt" (so Rm 10,17; vgl. auch CA 5). Aber
erreicht, indem sie Menschen fr die Liebe gewinnt. wie knnen diese austeilenden Heilsmittel Glauben wecken, wenn sie
nicht im Glauben empfangen werden? Wie sollen sie aber im Glauben
empfangen werden, wenn Glaube nicht durch sie geweckt wurde und
14.1.3 Die Aneignung des Heils durch den Glauben geweckt wird? Das klingt wie eine rein gedankliche Paradoxie, ist aber
zugleich und als solche die Beschreibung einer existentiellen Situation, die
Da das Heil dem Menschen durch den Glauben, also durch das daseins- sich immer wieder dort einstellt, wo Menschen aus Glauben leben wollen
bestimmende Vertrauen auf Gott (s. o. 2.2) zuteil wird, knnte als eine und zugleich dessen innewerden, da sie Zweifel oder Unglauben nicht
Engfhrung wirken. Zwar ist es weithin unbestritten, da der Glaube die abschtteln oder loswerden knnen.
Weise ist, wie die Rechtfertigung empfangen wird25 , aber damit scheint Das Problem hat aber noch eine andere Seite: Es betrifft nmlich auch
eben nur ein Teilaspekt des Heils in den Blick genommen zu sein. Ent- den Zusammenhang von Glauben und Erfahrung. Dort, wo der Glaube
gegen dieser Vermutung ist jedoch auf zweierlei hinzuweisen: Erstens ist als Heilsmittel verstanden wird, erscheint das Heil als etwas vom Glau-
"Rechtfertigung" in der paulinischen und in der reformatorischen Theo- ben Unterschiedenes, ber ihn Hinausgehendes, als ein Heilserlebnis oder
logie die Bezeichnung nicht eines Elements, sondern des ganzen Heils - eine Heilserfahrung, die etwas anderes und "mehr" ist als der Glaube
unter einem bestimmten Aspekt (analog dem hier gebrauchten Begriff selbst. Diese Sichtweise legt sich auch von dem her nahe, was ber "Viel-
"vershnte Welt"); zweitens lt sich anhand des biblischen Sprachge- falt und Einheit des Heils" (s. o. 14.L~! zu sagen war. Der Glaube scheint
brauchs zeigen, da auch die anderen Aspekte des Heils (Erkenntnis, dann nur so etwas wie eine ausgestreckte Hand zu sein, mit der er das
Erlsung, Wiedergeburt etc.) auf den Glauben bezogen sind und durch Heil ergreift. Aber diese Vorstellung bleibt unter dem (oder liegt neben

25 Vgl. dazu vor allem die paulinischen Belege: Rm 1,17; 3,22-30; 4,5-16; 5,1; 26 Vgl. dazu etwa Mk 5,34 parr.; 10,52 patr.; loh 3,16; 8,31 f.; 17,20-23;
9,30-10,17; Gal 2,16; 3,8 u. 24; Phi! 3,9. 20,31; Rlll 3,24; II Kor 5,17; GaI2,20; 5,1-5; Eph 1,13 f.; KoI2,12; Tit 1,1.
Die vershnte Welt . Das Heil in ]esus Christus 513
512

dem), was die biblische und reformatorische Theologie vom rettenden ben zu unterscheiden, wird aber durch den Glauben empfangen. Und
und heilsamen Wesen des Glaubens sagt. dasselbe kann im Blick auf Heilung, Befreiung etc. gesagt werden.
Der entscheidende Fehler in dieser Konstruktion liegt m. E. in der Daher gilt: Durch den Glauben wird Heil empfangen; er ist insofern
substantiellen, quasi-dinglichen Vorstellung vom Heil, das dem Men- Heilsmittel.
schen wie eine Gabe von Gott zugeteilt, bergeben und von diesem in
Empfang genommen wird. Lst man sich hingegen von dieser irrefhren- b) Interpretationsmodell
den Vorstellung und macht damit Ernst, da das Heil in einer (neuen)
Beziehung zwischen Gott und Mensch besteht, also selbst relationalen Von diesen beiden Grenzziehungen her drngt sich die Frage auf, wie
Charakter hat, so ergeben sich Mglichkeiten, dieses Problem zu lsen beides gedanklich und in der Lebenserfahrung miteinander verbunden
und die verschiedenen Wahrheitselemente miteinander zu verbinden. Das werden oder als verbunden gedacht werden kann. M. E. bietet dazu das
soll im folgenden zunchst anhand von zwei Grenzziehungen verdeut~ von E. H. Erikson herausgearbeitete "Schema" der psychischen Entwick-
licht, sodann unter Bezugnahme auf ein bekanntes entwicklungspsycho- lung des Menschen eine wertvolle Hilfe. 27
logisches Modell veranschaulicht werden. Die Anlehnung an ein solches psychoanalytisches Theoriemodell ist
nicht unproblematisch und kann leicht Miverstndnisse wecken. Das
Hauptrniverstndnis besteht darin, da die psychologischen Leitbegriffe
a) Grenzziehungen Eriksons (insbesondere "Urvertrauen", "Scham", "Zweifel", "Schuldge-
fhl", "Identitt" und "Integritt") als religise Begriffe genommen oder
Die beiden Grenzziehungen, um die es in diesem Unterabschnitt geht,
gedeutet werden. Eine solche Gleichsetzung ist deswegen eine groe Ge-
dienen einer positiven Intention, d. h. sie wollen bestimmte Bestreitungen
fahr, weil auf diese Weise die Unterscheidung zwischen der Gottes-
abwehren, durch die entweder der Charakter des Glaubens als Heil oder
beziehung und der Beziehung zu Menschen (z. B. Mutter, Vater, Freunde)
als Heilsmittelin Frage gestellt wrde.
ignoriert oder unterschlagen wird. Deswegen mu deutlich zwischen
_ Es darf nicht bestritten werden, da der Glaube selbst Heil ist. Das "Urvertrauen" einerseits und "Glaube" andererseits, zwischen "Schulde
Ereignis, das darin besteht, da ein Mensch Gott vertrauen kann und gefhl" einerseits und "Snde oder Schuld" andererseits unterschieden
tatschlich vertraut (wie rudimentr und wankelmtig solches Ver- werden. Aber beides darf nicht getrennt oder beziehungslos nebeneinan-
trauen auch sei), hat selbst den Charakter eines Heilsereignisses. Mehr dergestellt werden. Die Stufen der psychischen Entwicklung sind Konkre-
noch: Dies ist dasfundamentale, grundlegende Heilsereignis im Leben tisierungen (auch) fr die religisen Erfahrungen des Menschen, und
eines Menschen. Das kann schon deswegen gesagt werden, weil der darum wird von ihnen das Gottesbild und das Gottesverhltnis unweiger-
Unglaube, also das fehlende Vertrauen auf Gott die grundlegende lich mitgeprgt.
Strung der Gottesbeziehung, also die Grundsnde ist (s. CA 2), und Dabei lt sich von Eriksons Theoriemodell her sehr gut die Einsicht
weil dementsprechend das Erste Gebot (als die Quelle und Wurzel vermitteln, da das Vertrauen auf Gott - als das "Urvertrauen" im reli~
aller Gebote) darauf zielt, da wir "Gott ber alle Dinge frchten,
lieben und vertrauen" (BSLK 507,42 f.). Wo das Erste Gebot (im
Glauben) erfllt wird, da ist die Gottesbeziehung in Ordnung gekom-' 27 S. E. H. Erikson, Identitt und Lebenszyklus (1959, dt. 1966), S.55-122,
men, also heil geworden. Deswegen darf nicht bestritten werden, da 150 f. u. 214 f. Dieses entwicklungspsychologische Schema ist inzwischen von
der Glaube selbst - und zwar in grundlegender Weise - Heil ist. zahlreichen Autoren aufgenommen und weiterentwickelt worden (insbesonde-
Es darf nicht bestritten werden, da durch den Glauben Heil.~mPfan re von]. W. Fowler, Stufen des Glaubens [1981], dt. Gtersloh 1991) und hat
dadurch vielfltige Besttigung gefunden. Es wird hier herangezogen als ein
gen wird, er also Heilsmittel ist. Nach allgemein-christlicher Uberzeu-
Versuch, entscheidende Wahrheitsmomente der Lehre vom "ordo salutis" (s.
gung ist Vergebung eine ganz wesentliche Form, in der Heil erfahr~n dazu E. Herms, Die Wirklichkeit des Glaubens [1982], in: ders., Offenbarung
wird. Von der Vergebung gilt aber: Sie wird nur wirksam, wenn em und Glaube, 1992, S. 138-167; M. Marquardt, Die Vorstellung des "ordo
Mensch sich auf sie einlt, ihr vertraut, also glaubt. Aber Vergebung salutis" in ihrer Funktion fr die Lebensfhrung der Glaubenden, in:MJTh
selbst ist etwas anderes als Glaube (an die Vergebung). Sie ist als das III, Marburg 1990, S. 29-53 sowie J.A. Steiger, Art. "Ordo salutis" in: TRE
Freiwerden von Anklage, Schuld und drohender Vergeltung vom Glau- 2511995, S. 371-376) zu rekonstruieren.
514 Die vershnte Welt
Das Heil in ]esus Christus 515

gisen Sinn des Wortes - die grundlegende Erfahrung ist, auf der alles Fr die Fragestellung nach dem Glauben als Heil oder Heilsmittel
andere aufbaut, ohne da es deswegen mit dem Urvertrauen identisch kann dieses Modell folgendes leisten:
wre. Auf der grundlegenden Entwicklungsstufe ist und bleibt das Ver-
trauen auf Gott, also der Glaube, selbst eine Heilserfahrung. Dabei ist es Esmacht anschaulich, da das Vertrauen auf Gott (also der Glaube)
aus christlicher Sicht wichtig, zweierlei zu betonen: die grundlegende Heilserfahrung und als solche Heil ist.
Es verdeutlicht, da diese Heilserfahrung im Blick auf neu auftauchen-
Kein Mensch "hat" diesen Glauben (etwa von seiner Kindheit her) als de Herausforderungen und Krisen den Charakter eines Heilsmittels
verfgbaren Besitz, sondern dieser Glaube mu jedem Menschen bekommt.
immer wieder in vernderten Lebenssituationen zuteil werden. Es zeigt, da die grundlegende Heilserfahrung der stetigen Bewhrung
Kein Mensch, der in seiner frhen Kindheit in seiner Mglichkeit, und damit auch der Wandlung angesichts neuer Herausforderungen
Vertrauen zu gewinnen, schwer geschdigt wurde, ist deswegen von bedarf.
der Mglichkeit des Glaubens ausgeschlossen, sondern in jedem Le- Es weist darauf hin, da in der grundlegenden Frage des Lebens,
bensalter kann sich einem Menschen diese Mglichkeit erschlieen.
nmlich: "Worauf vertraust du letztlich; was ist also dein Gott?", alle
Aber diese Heilserfahrung, glauben zu knnen, mu auf jeder neuen anderen Lebensprobleme implizit enthalten sind oder sich jedenfalls
Entwicklungsstufe angesichts neuer Herausforderungen und Infragestel- darin schon anmelden.
lungen eine Konkretisierung finden, und darin mu sich auch das Grund- Es macht bewut, da Versumtes oft nur unter Mhen und Schmer-
vertrauen auf Gott erneut bewhren und so reifen. Mit den Begriffen zen "nachgeholt" werden kann, da es aber tatschlich mglich ist,
"Konkretisierung" und "Bewhrung" sind also zwei unterscheidbare Wei- solche frheren Defizite spter noch zu verarbeiten.
sen benannt, wie das Vertrauen auf Gott im Lebensvollzug wirksam und Schlielich zeigt es, da das Wirksamwerden des Heils im Leben eines
erfahrbar wird. Dabei scheint mir die Bewhrung gegenber dem Finden Menschen den Charakter eines Bildungsgeschehens hat; denn es geht
von Konkretisierungen sogar das Grundlegende zu sein: Nur wenn immer dabei um die Reifung und Entwicklung der Persnlichkeit in der Be-
wieder das Vertrauen auf Gott in einem Menschen geweckt wird, kann er ziehung zum christlichen Glauben. Und dieser Proze kann in einer
sich auch den neuen.Krisen und Herausforderungen so stellen, da er christlichen Bildungstheorie entfaltet werden. 29
dabei fr sich heilsame Perspektiven gewinnt, also z. B. imBlick auf seine
Um dieser Leistungen willen verdient die Theorie Eriksons m. E. als
Gestaltungsmglichkeiten, sein Selbstbewutsein, seine Beziehungs- Interpretationsmodell Beachtung. Mit ihrer Hilfe kann der Raum zwi-
fhigkeit oder sein Loslassenknnen Konkretisierungen seines Vertrauens schen den unter.a genannten Grenzziehungen sinnvoll ausgefllt werden
auf Gott findet. und lt sich gedanklich nachvollziehen, da und inwiefern der Glaube in
Gegen Eriksons Modell wird gelegentlich eingewandt, es erwecke grundlegender Weise selbst Heil ist und inwiefern er in abgeleiteter Weise
leicht die Vorstellung von einem Stufenbau oder einer Leiter, auf denen zugleich auch Heilsmittel sein kann.
man sich Schritt fr Schritt vorwrts oder aufwrts bewegt, dabei frhere
Stufen hinter sich lt und neue betritt. Das ist ein Miverstndnis dessen,
was Erikson meint, und in dieser miverstandenen Form wre es auch als 14.1.3.2 Das Zustandekommen des Glaubens
Interpretationsmodell fr den christlichen Glauben ganz ungeeignet.
Erikson betont vielmehr, da nicht nur alle frheren Stufen "mitgenom- Es ist vor allem in der reformatorischen Tradition gelufig, vom Glauben
men" werden, also in den spteren Phasen prsent sind, sondern auch, als einer Gabe, einem Geschenk, einem Werk oder einer Tat Gottes zu
da schon die kommenden Herau.sforderungen sich auf den frheren sprechen. Daran ist, wie sich zeigte (s. o. 2.2.3), richtig, da die Mglich-
Stufen anmelden, also implizit vorhanden sind. 28 keit zu glauben Menschen zuteil werden mu, und zwar dadurch, da
ihnen Gott - vermittelt durch die geschpfliche Welt - so begegnet, da
28 Seiner eigenen Aussage nach soll das bekannte entwicklungspsychologische
jedes Problem in irgendeiner Form schon existiert, bevor es normalerweise in
Diagramm andeuten, "da erstens jedes zu diskutierende Problem der gesun- seine entscheidende, kritische Zeit eintritt" (a.a.O., S. 59).
den Persnlichkeit systematisch mit allen anderen verbunden ist und da alle
29 Vgl. dazu E. Herms, Bildung und Ausbildung als Grundthemen der Theologie,
von der richtigen Entwicklung zur rechten Zeit abhngen, und da zweitens in: ders., Erfahrbare Kirche, Tbingen 1990, S. 209-221.
516 Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 517

er ihr Vertrauen weckt, es ihnen gewissermaen abgewinnt. Aber unrich- zen. Ihre Behandlung in einer sachlichen und zeitlichen Abfolge hat daher
tig wre es, daraus zu folgern, da Gott das Subjekt des Glaubens sei. den Charakter eines Notbehelfs. Die gewhlte Reihenfolge der Bearbei-
Nicht Gott glaubt, sondern der Mensch. Und selbst die Formulierung: tung ist dementsprechend nicht zwingend:
Gott erschafft oder wirkt im Menschen den Glauben" ist ungenau und
;her irrefhrend, weil sie den Eindruck erweckt, als sei der Glaube so - Was bedeutet es, wenn die Lebenspraxis des christlichen Glaubens
etwas wie eine Anlage oder Eigenschaft des Menschen, whrend er doch zusammenfassend mit dem Wort " Liebe " beschrieben wird?
eine Lebensbewegung ist, in die auch sein Innerstes einbezogen ist. - Inwiefern hat Liebe tatschlich den Charakter einer Lebenspraxis,
Was es zu beschreiben gilt, ist der Vorgang, durch den ein Mensch fr bezieht sich also gestaltend auch auf das gemeinsame, gesellschaftliche
Leben?
das Vertrauen auf Gott gewonnen wird. Dieses Gewonnenwerden kennen
wir bereits von der Unwiderstehlichkeit der Liebe her (s. o. 14.1.2.2), die - Inwiefern kann man sagen, da Liebe die Lebenspraxis, und d. h.
nicht zwingt oder besiegt, sondern lockt und gewinnt. 3D Gbe es im Inne- auch: die innere Konsequenz des christlichen Glaubens ist?
ren des Menschen nur eine Instanz und wrde auf diese Instanz nur Gott
einwirken, um das Vertrauen des Menschen zu gewinnen, dann knnte
man sich gar nicht vorstellen, wie Glaube umstritten und unsicher sein
14.1.4.1 Liebe als Lebenspraxis des Glaubens
oder sogar verlorengehen knnte. Aber keine dieser beiden Bedingungen Es leuchtet nicht sofort und ohne weiteres ein, da ausgerechnet die Liebe,
ist gegeben: Weder ist das Personzentrum des Menschen monolithisch- in der eine Person auf eine andere ausgerichtet und ihr zugewandt ist (s. o.
es ist vielmehr ein (somatisch beeinflutes) psychisches Beziehungsgefge, 8.1.1.1), die Lebenspraxis und Lebensbewegung sein soll, die dem Glau-
in dem zumindest Gefhl, Wille und Vernunft miteinander interagieren ben entspricht und durch die Heil erfahren und erlebt wird. Das Natr-
(s. 0.2.2.4), ggf. auch miteinander ringen und sich bekmpfen -, noch ist liche ist doch eher die Vorstellung, da die menschliche Sehnsucht nach
die menschliche Lebenssituation so, da es in ihr nur die eine "Stimme" erflltem Leben (also nach Heil) dadurch gestillt wird, da einem Men-
Gottes gbe, die auf ihn einwirkt. schen Liebe zuteil wird, anstatt da er sich auf ein Gegenber hin ausrich-
In diesem dynamischen Interaktionszusammenhang entsteht und be- tet und sich ihm zuwendet. Das knnte den Eindruck erwecken, als gehe
steht christlicher Glaube dadurch, da Menschen das Evangelium in ir- es im christlichen Glauben eher um Selbstaufopferung, Verzicht und
gendeiner Form so begegnet, da es sie anrhrt und sie sich davon bewe- Selbstverleugnung als um die Erfahrung von Heil. Es gehrt jedoch zu
gen und bestimmen lassen. Die aktive Passivitt des Sich-bestimmen- dem nicht aufhebbaren Geheimnis der Liebe, da Menschen gerade in
Lassens (im Unterschied zu der reinen Passivitt des Getrieben-Werdens der - nicht-berechnenden - Zuwendung zu einem anderen Erfllung fin-
und der reinen Aktivitt des Sich-selbst-Bestimmens) ist die Weise, in der den und so zugleich zu sich selbst kommen. Der Mensch erreicht seine
ein Mensch am Entstehen, Bestehen, Wachsen des Glaubens beteiligt ist. Bestimmung zum Ebenbild des Gottes, dessen Wesen die Liebe ist, indem
Er tut dabei - genaugenommen - nichts, sondern lt etwas an sich und er von der Fixierung auf sich selbst loskommt und gerade so sich selbst
mit sich geschehen. Aber da er nichts tut, sondern dies geschehen lt, findet. Nie ist ein Mensch mehr bei sich selbst, als wenn er selbstvergessen
ist seine persnliche, verantwortliche Beteiligung an dem Geschehen des fr einen anderen da ist. Aber dieses Geheimnis wrde zerstrt, wenn es
Glaubens. zu einer Methode gemacht wrde, bei der die Selbstfindung das Motiv
und Ziel der liebenden Zuwendung ist; denn dann wre die Zuwendung
zum anderen nur eine scheinbare, nmlich nur Mittel zum Zweck der
14.1.4 Die Lebenspraxis des Glaubens eigenen Befriedigung.
Zu solcher selbstvergessenen Zuwendung mu ein Mensch aber da-
In diesem Abschnitt sind drei Fragen zu bedenken, die so eng miteinander durch erst befhigt werden, da ihm Liebe zuteil wird, die er sich nicht
verbunden sind, da sie sich bei der Beantwortung gegenseitig vorausset- verdienen kann und nicht verdient hat31 Wer sich geliebt wei, wer also
aus empfangener Liebe lebt, dem ist die Sorge um sich und um sein Heil
30 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Der Glaube als Gottes- und/oder Menschenwerk
in der Theologie Martin Luthers, in: MJTh IV, Marburg 1992, S. 37-77, bes. 31 Damit ist aber nicht ausgeschlossen, da ein Mensch, dem echte Liebe weit-
S. 71 f. hin vorenthalten wird, den Schmerz dieses Mangels so verarbeitet, da er sich
518 Die vershnte Welt Das Heil in ]esus Christus 519

abgenommen, und er kann sich darum anderen selbstvergessen zuwene begleitet aber nicht vereinnahmt, die ihn freilt aber nicht fallenlt die
den, ihnen die Erfahrung des Geliebtwerdens vermitteln und darin zu- mit ihm auf der Suche ist nach dem, was fr ihn gut ist - und das alles ,:von
gleich Erfllung finden. Herzen". Aber was ist gut fr das Gegenber? Es scheint so als liee sich
Da in der Liebe die gesamte christliche Lebenspraxis zusammenge- dies nicht allgemeingltig beantworten, weil fr jedes Geschpf und dar c
fat ist, bringt das Neue Testament - teilweise unter Rckgriff auf das um auch fr jeden Menschen etwas anderes gut sein knnte. In einem
Alte Testament - durchgngig zum Ausdruck, indem es nicht nur das allgemeinen und umfassenden Sinn lt sich - aus der Sicht des christli-
Gebot der Gottesliebe (aus Dtn 6,5) und der Nchstenliebe (aus Lev chen Glaubens - die Frage, was fr einen Menschen gut sei, jedoch durch-
19,18) aufnimmt und miteinander verbindet (s. Mk 12,29-31 parr.), son- aus beantworten: Gut ist die Verwirklichung seiner von Gott gegebenen
dern dieses Doppelgebot der Liebe als das hchste, entscheidende, alle Bestimmung. Mit dieser Formulierung sind zwei Sachverhalte angespro-
anderen Gebote zusammenfassende Gebot bezeichnet. 32 Dabei wird im c~en: einerseits die Verwirklichung der individuellen Bestimmung jedes
Doppelgebot einerseits unterschieden (aber nie getrennt, sondern eng emzelnen Menschen, wie sie ihm durch Anlagen, Begabungen, Aufgaben
verbunden) zwischen Gottesliebe und Liebe zum Mitmenschen sowie und Herausforderungen gegeben ist; andererseits die Verwirklichung der
schlielich auch zur Selbstliebe, die zwar nirgends geboten, wohl aber als gem~insamenBestimmung aller Menschen zur Gottebenbildlichkeit, d. h.
Mastab der Nchstenliebe vorausgesetzt wird. Andererseits wird inner- zu emem Leben aus der Liebe und in der Liebe (s. o. 12.2.2.2).
halb der Liebe zum Mitmenschen unterschieden zwischen der Nchsten- Die Verwirklichung der individuellen Bestimmung kann man insofern
liebe (Mk 12,31 parr.; Rm 13,9 f.; GaI5,14), der Feindesliebe (Mt 5,43- nicht verallgemeinern, als die Anlagen, Begabungen etc. der Individuen
48; Lk 6,27 f.; Rm 12,14 u. 20) und der Geschwisterliebe (Joh 13,34 f.; unterschiedlich sind und von uns auch immer nur begrenzt erkannt wer-
15,12 f.; Rm 13,8; IJoh 4,11 f. u. 21). den knnen. Verallgemeinerungsfhig ist hier nur das Da des Zieles die
individuelle Bestimmung zu verwirklichen. Anders ist es bei der gen:ein-
a) Die Liebe zum Mitmenschen samen Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit, die fr jedeneinzelnen Men-
sc~en. besteht und untrennbar mit der besonderen Bestimmung zur Ver-
Bevor wir auf die Unterscheidung zwischen Nchstenliebe, Feindesliebe wIr~hc~~ng seiner Ind~vidualitt verbunden ist. D. h., die Verwirklichung
und Geschwisterliebe eingehen, soll zunchst noch einmal genauer dar- der mdlVlduellen BestImmung mu gelebt werden als individuelle Kon-
ber nachgedacht werden, worin Liebe im allgemeinen und Liebe zum kretisierung der gemeinsamen Bestimmung.
Mitmenschen im besonderen besteht. Damit soll die schon in der Gottes- Das Ziel dieser gemeinsamen Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit
lehre (s. o. 8.1.1.1) ansatzweise vollzogene Konkretisierung der Liebe lt sich aufgrund des Gesagten klar angeben: Wenn es fr einen Men-
aufgenommen und weitergefhrt werden. Dort zeigte sich, da "Liebe" schen gut ist, da er seine Bestimmung zum Ebenbild Gottes verwirklicht
im Sinne von Agape stets zu verstehen ist als ein Akt der Zuwendung, in und d. h., selbst ein liebender Mensch Wird, dann folgt daraus: Eine~
dem ein Mensch, der durch die Liebe zu einem liebenden Menschen wird, Menschen zu lieben heit, von Herzen so fr ihn und mit ihm dasein, da
fr ein Gegenber, der durch die Liebe zu einem geliebten Gegenber
wird, da ist. Liebe ist Zuwendung zu einem Gegenber um dessentwil-
len 33 Anders gesagt: Agape ist die Form der Zuwendung, die den anderen ge~sc.~aftsabbruch und Schwangerschaftskonfliktberatung, in: Theologische
Beitrage 2~/1991.' S. 74) zu Recht: Es "wird verkannt, da Ttung niemals ein
gerade nicht verhrtet und verschliet, sondern die Sehnsucht nach Liebe in Akt der Liebe sem kann, da Liebe Leben ermglicht und nicht zerstrt, da
sich wachhlt und sich so fr die Liebe offenhlt. ~ls,? das T~ungs:erbot die sachgeme Konkretisierung des Liebesgebots
32 So Mk 12,28-33 parr. Vgl. auch Mt 5,43-48; Joh 13,34 f.; 15,12; Rm 13,8- Ist . Indem Ich diesen Aussagen zustimme, widerrufe ich ausdrcklich die
10; I Kor 13; Gal 5,14; I Tim 1,5; I Joh 2,7-11; 3,13-18; 4,11-21. Ganz in These, die ich in meinem Aufsatz "nverfgbarkeit des Lebens oder Freiheit
diesem Sinne gilt auch Augustins khnes, leicht mibrauchbares Wort: "Dilige, zum Tode" (ZEE 19/1975) aufgestellt habe, wonach es eine "tatschlich an
et quod vis fac" (MPL 35,2033). Dieser Satz ist nur die Konsequenz aus der der Liebe orientierte Entscheidung" sein knne, sich "fr die freiwillige direkte
paulinischen Einsicht, da alles, was in den Einzelgeboten gesagt ist, im Euthanasie" zu entscheiden (a.a.O., S. 158). Ich danke T. Koch, der mich
Liebesgebot seine Zusammenfassung und Mitte findet. durch seinen scharfen Protest in dem Aufsatz ",Sterbehilfe' oder ,Euthanasie'
33 Eine Konsequenz dieser - m. E. weitreichenden - Einsicht ist es, da man als Thema der Ethik" (ZThK 84/1987, S. 86-117, bes. S. 92 f. u. 99-102) zum
Menschen nicht "aus Liebe" tten kann. Hierzu schreibt U. Eibach (Schwan- Umdenken in dieser Frage veranlat hat.
520 Die vershnte Welt Das Heil inJesus Christus 521

er selbst ein liebender Mensch wird oder jedenfalls werden kann 34 Der von Liebe berhaupt. Denn das Gebot der Feindesliebe leitet zu zwei
Nachsatz: "oder jedenfalls werden kann" weist einerseits darauf hin, da grundlegenden Einsichten an:
nicht der liebende Mensch, sondern letztlich nur die Liebe dazu in der - Liebe (als Agape) ist ihrem Wesen nach nicht abhngig von Gegenlie-
Lage ist, einen Menschen so zu verndern, da er ein liebender Mensch be, obwohl sie diese erhofft, weil erst dann, wenn aus dem Gegenber
wird. Diese Unterscheidung ist wichtig, um Gott und Mensch (auch) an ein Liebender geworden ist, die Liebe ihr Ziel fr dieses Gegenber
dieser Stelle nicht zu verwechseln. Damit ist nicht bestritten, da der erreicht hat.
liebende Mensch an der Liebe partizipiert und sie in ihm und durch ihn - Liebe ist nicht zu verwechseln mit Sympathie und nicht gleichzusetzen
wirkt, aber das hebt die Unterscheidung nicht auf, sondern besttigt sie. mit Freundschaft. Das Gebot der Feindesliebe schreibt nicht das Vor-
Der Nachsatz weist andererseits darauf hin, da die Liebe einen Men- handensein oder gar die Vorspiegelung freundschaftlicher Gefhle
schen nicht automatisch oder wider Willen zu einem liebenden Menschen vor, wohl aber mutet es zu, auch den Feind als Menschen wahrzuneh-
macht, sondern da sie Raum lt zur Antwort, die auch darin bestehen men und anzunehmen, seine ngste, Sicherheitsbedrfnisse und Le-
kann, da ein Mensch sich ihr (bis auf weiteres) verschliet. bensinteressen ebenso gelten zu lassen und ernst zu nehmen wie die
Wrde man den obigen Satz als Definition von "Liebe" verstehen, so eigenen. Es liegt freilich in der Logik der Liebe, da dadurch die
wre es eine unbefriedigende, weil zirkulre Definition, in der dasjenige Feindschaft selbst in Frage gestellt und berwunden wird. Aber dies ist
schon vorausgesetzt wird, was definiert werden soll. Aber dieser Satz ist nicht die Voraussetzung oder die Bedingung der Liebe.
keine Definition, sondern die Beschreibung eines unendlichen, offenen
Prozesses, in dem Liebe sich dadurch verwirklicht, da sie in der Begeg- Das Gebot der Nchstenliebe (unter Einschlu der Feindesliebe) ist die
nung mit Menschen entsteht und weitergegeben wird. In diesen PrOze unbertroffene Beschreibung der christlichen Lebenspraxis. Es meint keine
sind jedoch nicht nur menschliche Subjekte einbezogen, die selbst zur Lie- erfllbare "Pflicht", auf die irgend jemand irgendwann als "erledigt" oder
be fhig sind, sondern auch alle anderen Geschpfe, die durch ihre Exi- "getan" zurckblicken knnte, sondern es meint eine Seinsweise in der
stenz und ihr Wesen Liebe wecken knnen oder selbst der Liebe bedrfen. Begegnung, die in jedem Augenblick das Dasein des Menschen immer neu
Anthropologisch betrachtet ist dieser unendliche, offene Proze die Ver- in Anspruch nimmt - aber eben damit auch erfllt. 35
wirklichung der menschlichen Bestimmung - geschichtstheologisch be-
trachtet ist er das Kommen der Gottesherrschaft, d. h. des Reiches Gottes. b) Die Liebe zu Gott
Die Tatsache, da in der christlichen berlieferung innerhalb der
Liebe zum Mitmenschen unterschieden wird zwischen Nchstenliebe, Diese Unendlichkeit der Liebe verweist von sich selbst her auf Gott.
Feindesliebe und Geschwisterliebe, deutet an, da "Liebe zum Mitmen- Damit nehme ich die Unterscheidung zwischen Gottesliebe und Nch-
schen" nicht einfach meint: alle Menschen zu lieben. Es geht weder um stenliebe auf, um sie zu bedenken. Da diese Unterscheidung nicht als
"den Menschen" noch um die Gesamtheit aller Menschen, sondern je- Trennung miverstanden werden darf, schrft besonders der
weils um einen bestimmten Menschen mit seinem Gesicht, seinem Cha- I Johannesbrief ein (3,17 u. 4,20; vgl. hierzu auch EG 412, 1-8). Gegen
rakter und seiner Geschichte. Dieser nahe Mitmensch, der Nchste, ist das dieses Miverstndnis scheint es das beste Gegenmittel zu sein, schon die
Gegenber, das gemeint ist: sei es als Mitchrist, sei es als der oder die Unterscheidung zwischen beidem nicht zu machen oder, wo sie gemacht
Fremde, denen ein Mensch begegnet und die seine Liebe brauchen, sei es wird, wieder aufzuheben, also beides miteinander zu identifizieren. 36
gar als der Feind, der ihn verflucht, verfolgt oder ihm nach dem Leben
trachtet. Selbst die Feindschaft ist also keine Grenze der Liebe - wohl aber 35 S. dazu S. Kierkegaard: "alles, was lebendig gehalten werden soll, mu in
seinem Element gehalten werden; aber das Element der Liebe ist Unendlich-
ist die Liebe die wirksame Begrenzung aller Feindschaft.
keit, Unerschpflichkeit, Unermelichkeit" (Der Liebe Tun, Bd. 1, S. 199).
Die Feindesliebe ist so etwas wie die Echtheitsprobe der Nchstenlie-
Und darum gibt es in der Liebe auch kein "Mehr" oder "Weniger", ja schon
be - nicht als ethische Hchstforderung, sondern als Erkennungs7:eichen das Messen und Vergleichen ist dem Wesen der Liebe zuwider. Dazu noch
einmal Kierkegaard (a.a.O., S. 202): "Mit dem Vergleich ist alles verloren, ist
34 Dieser Gedanke findet sich in hnlicher Form schon - wie ich leider erst die Liebe verendlicht, die Schuld abzahlbar. "
nachtrglich bemerkt habe - bei D. Lange, Ethik in evangelischer Perspektive, 36 In diese Richtung weisen die Aussagen H. Brauns, wenn er in seinem ]esus-
Gttingen 1992, S. 488 f. Buch schreibt: "Das in MARK. 12,28-34 par. verkndigte Nebeneinander der
Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 523
522

Durchdenkt man diese Identifikation genauer, so zeigt sich jedoch, da deshalb ist es unmglich, zwischen Gottes- und Nchstenliebe zu trennen,
dabei die Trennung zwischen Gottesliebe und Nchstenliebe nicht ver- weil keines von beiden ohne das andere bestehen kann. Wer sich nicht an
mieden wird, sondern da die Gottesliebe in der Nchstenliebe aufgeht die Liebe hingibt, liebt seinen Nchsten nicht. Und wer seinen Nchsten
und so faktisch entfllt. Dadurch kommt es aber - wider Willen - doch nicht liebt, gibt sich nicht an die Liebe hin, liebt also Gott nicht. Keines
von beiden geht im anderen auf - darum ist es zu unterscheiden' aber
zu einer Trennung.
Da das Alte und das Neue Testament beide Gebote und ihre Er- keines von beiden kann ohne das andere bestehen - darum kann e; nicht
fllung nicht identifizieren, ergibt sich schon aus einer scheinbar kleinen, getrennt werden.
tatschlich folgenschweren sprachlichen Beobachtung: Das Gebot der
Gottesliebe zielt stets auf eine Liebe "von ganzem Herzen, von ganzer c) Liebe zu sich selbst
Seele, mit all deiner Kraft" (Dtn 6,5; 10,12; 11 Reg 23,25; Mt 22,37; Mk
12,30; Lk 10,27). Diese Formeln werden aber nie verwendet, wenn es Die Auslegung des" wie dich selbst" schwankt zwischen dem in der Tra-
sich um die Liebe zum Nchsten handelt. Sie ist nicht mit einem solchen dition oft anzutreffenden Verstndnis: "statt deiner" und dem neueren
Totalittsanspruch verbunden, sondern findet ihr Ma in dem: "wie Auslegungsversuch: "sowohl, als auch" oder gar: "zunchst dich, dann
dich selbst" (Lev 19,18; Mt 22,39; Mk 12,31; Lk 10,27; Rm 13,9; Gal und daraufhin auch den Nchsten". Im ersten Fall wre Selbstliebe das
5,14; Jak 2,8). Das kann kein Zufall sein - es hat jedenfalls guten Sinn was durch Nchstenliebe berwunden und abgelst werden soll, im zwei:
und eine tiefe Berechtigung. Eine (absolute und totale) Hingabe an einen ten Fall ist sie etwas, was mit Nchstenliebe koexistiert oder sogar die
anderen Menschen wrde aus ihm eine Gottheit machen. Gott zu lieben Voraussetzung fr Nchstenliebe bildetY Dieser Auslegungsstreit ist m.
wie uns selbst, wrde hingegen aus Gott ein Geschpf machen. Des~e" E. nicht durch eine Interpretation des Wrtchens "wie" beizulegen, son-
gen ist die Unterscheidung zwischen Gottesliebe und Nchstenliebe rIch- dern nur durch eine Klrung dessen, was es heit zu lieben und was es
tig und wichtig. . deshalb heit, sich selbst zu lieben. Von daher mu sich ergeben, ob das
Aber ihre Pointe wre ungenau bestimmt, wenn man den UnterschIed Liebesgebot die Selbstliebe einschliet oder ausschliet.
auf die Qualitt oder gar auf die Quantitt der Liebe bezge. Der Unter- Bei "Selbstliebe" wird in der Regel "Selbstsucht" oder "Egoismus"
schied mu vom Gegenber her gedacht werden, auf das sich die Liebe assoziiert, d. h. eine Haltung, in der ein Mensch so auf sich bezogen ist,
richtet. Und da gilt: Nur Gott ist das Absolute, das als solches geliebt da er primr sein eigenes Wohl befrdert, ohne dabei auf das Wohl
werden soll. In diese Position darf kein Geschpf einrcken, weil es da- anderer Menschen (in vergleichbarer Weise) Rcksicht zu nehmen. Das
durch zum Abgott gemacht wrde. Aber nun das Entscheidende: Diese hat jedoch mit Liebe letztlich nichts zu tun. Zwar taucht auch hier das
Ausschlielichkeit der Liebe zu Gott schliet gerade kein Geschpf aus, Moment der Zuwendung auf, und man kann auch sagen, da die eigene
sondern bezieht alle mit ein, weil Gott seinem Wesen nach Liebe ist. Und Person hier zu dem geliebten "Gegenber" wird, um dessentwillen die
darum ist "Liebe zu Gott" nichts anderes als "Hingabe an die Liebe", und Zuwendung geschieht. Insofern erfllt der Egoismus formal diese Merk-
zwar nicht an diese oder jene geschpfliche Verwirklichungsform der male von Liebe. Aber inhaltlich tut sich hier schon insofern ein unber-
Liebe sondern an die Liebe als die Alles bestimmende Wirklichkeit. Ihr brckbarer Graben auf, als es fr das Wesen der Liebe konstitutiv ist,
kann ~in Mensch sich gar nicht vorbehaltlos und umfassend genug hinge- niemanden auszuschlieen. Der Egoismus oder die Selbstsucht ist aber der
ben weil sie (ihr~m Wesen nach) nicht vom Mitmenschen und Mit- Fall, in dem (wahrscheinlich aus Mangel an Liebesfhigkeit) nicht nur
ges~hpf abzieht oder mit ihnen konkurriert, sondern an sie verweist. Und einige, sondernalle anderen von der Liebe ausgeschlossen sind, so da nur
die Einsamkeit der "incurvatio in seipsum" brigbleibt.

beiden Hauptgebote der Gottesliebe und der Nchstenliebe ist also nur ein 37 Exegetisch lt sich zu dieser Streitfrage offenbar nur sagen, da Selbstliebe
scheinbares Nebeneinander. .,. Jesus und die Jesustradition legen die Liebe zu im biblischen Liebesgebot - ohne Wertung - als etwas jedem Menschen im
Gott aus als die Liebe zum Nchsten" (Jesus der Mann aus Nazareth und seine Grunde unmittelbar Zugngliches und Vertrautes vorausgesetzt wird und als
Zeit, Gtersloh 19892, S. 164). Ich vermute freilich, da Braun genaugenom- solches das "Ma fr das Verhalten gegenber den anderen" bildet (so M.
men das Verhltnis nicht als Identitt im strengen Sinn, sondern als Konkre- Noth, Das dritte Buch Mose, Gttingen 1962, S. 122; hnlich M. Ebersohn,
Das Nchstenliebegebot in der synoptischen Tradition, Marburg 1993, S. 47).
tion verstanden wissen will, und dem ist zuzustimmen.
524 Die vershnte Welt Das Heil in]esus Christus 525

Was von der Gottes- und Nchstenliebe zu sagen war, gilt auch hier: selbst. Da es Grnde gbe, sich selbst zu verachten oder zu hassen
Sobald die Selbstliebe sich trennt oder getrennt wird von der Gottes- und ist den meisten Menschen nicht fremd, '
Nchstenliebe, hrt sie auf, Liebe zu sein. Und von jeder solchen Selbst- - Wenn "lieben" heit, mit einem Menschen nach dem suchen was fr
"Liebe" (richtig: Selbstsucht) mte gesagt werden: Sie ist weder die ihn gut .ist,. und wenn dieses Gute darin hesteht, da das G~genber
Voraussetzung noch das Ma noch eine gleichberechtigte Mglichkeit selbst eIn hebender Mensch wird, dann bedeutet Selbstliebe die Zu-
neben der Nchstenliebe, sondern sie ist das, was durch die Liebe ber- wendung zu sich selbst, die mit der Hoffnung verbunden ist selbst ein
wunden und so geheilt werden soll. liebender Mensch zu werden und sich den damit verbunde~en Leiden
Aber es gibt auch echte Selbstliebe, also eine Zuwendung des Men- und Kmpfen zu stellen. Aber gerade von daher zeigt sich, da recht
schen zu sich selbst um seines eigenen Guten willen, die selbst Ausdruck ver~tandene Selbstliebe untrennbar zu der Lebenspraxis gehrt, in der
und Konsequenz der Gottesliebe ist und darum als Liebe die Offenheit !feIl empfangen und gelebt wird - nicht ohne oder gegen, sondern nur
und Zuwendung zu den anderen Menschen nicht aus-, sondern einschliet. In. unaufhebbarer Einheit mit der Gottes- und Nchstenliebe, genau
Mehr noch: Was wre eine Liebe, von der ausgerechnet das Selbst ausge- Wie es das Doppelgebot der Liebe sagt. Solche Selbstliebe ist das
nommen wre? Wer sich selbst aus seiner Liebe ausschliet, weil er sich heilvolle Gegenteil der heillosen Selbstsucht.
fr nicht wichtig, nicht wertvoll, nicht liebenswert hlt, vollzieht an einer
entscheidenden Stelle einen Ausschlu, eine Ausgrenzung, die mit dem
Wesen der Liebe unvereinbar ist. Und wie ernst nimmt eigentlich ein 14.1.4.2 Die gesellschaftliche Lebenspraxis des Glaubens
Mensch die ihm zugesagte Liebe Gottes und die ihm mglicherweise zuteil
werdende Liebe seiner Mitmenschen, wenn er sich trotzdem fr nicht Wenn es im vorigen Unterabschnitt um einige Grundfragen der Indi-
liebenswert erklrt? Ist dies nicht eine subtile Art der Gottesverachtung, vidualethik ging, dann geht es nun in ganz knapper Form um einige
die sich noch dazu leicht als Ausdruck tiefer Demut darstellen kann? Grundfragen der Sozialethik. Dabei wre es eine irrefhrende Vorstel-
Dabei mu und soll gar nicht unterstellt werden, da es sich dabei um lung, als gbe es Lebensbereiche des Menschen, in denen er nur Individu-
unechte, geheuchelte Demut handelt. Menschen, die diese Haltung ver- ~m ohne gesellscha~lichen Bezug wre, und als gbe es Lebensbereiche,
krpern, sind viel eher als Opfer einer letztlich liebesfeindlichen Religio- m .dene~ es nur soz~ale Strukturen ohne menschliche Individuen gbe.
sitt oder Ethik zu beklagen, als wegen ihrer Unfhigkeit zur Selbstliebe Beldes smd AbstraktiOnen, und im Sinne von Lebensbereichen lassen sich
anzuklagen. Aber das mindert den Schaden nicht. Individual- und Sozialethik nicht einmal sinnvoll voneinander unterschei-
In seinem Traktat "De diligendo Deo" kommt Bernhard von Clair- den oder einander zuordnen - geschweige denn voneinander trennen.
vaux, nachdem er drei Stufen der Liebe 38 gedanklich durchschritten hat, Wohl aber ist es sinnvoll, die Aufmerksamkeit im einen Fall auf die in
zu dem Ergebnis, die hchste Form der Liebe sei es, sich selbst (nur) um sozialen Strukturen lebenden und handelnden Individuen und im ande-
Gottes willen zu lieben. 39 Das ist eine berraschende, aber sehr nach- ren Fall auf die sozialen Strukturen, in denen die Individuen leben und
denkenswerte Einsicht, weil sie durch ihre Zuordnung von Selbstliebe und handeln, zu richten.
Gottesliebe sicherstellt, da Selbstliebe wirklich Liebe ist und darum auch Diese Vorbemerkung zeigt schon, da auch das bisher Gesagte formu-
die Nchstenliebe einschliet. Fr die These, Selbstliebe um Gottes willen liert wurde im Blick auf Menschen, die permanent und lckenlos in sozia-
sei die hchste und schwerste Form der Liebe, knnte zweierlei sprechen: len Strukturen existieren: als Staatsbrgerinnen, als Teilnehmer am Wirt-
- Die negativen Seiten und die bedrohlichen Abgrnde kennen (oder schaftsleben, als Teile eines Familienverbandes, als Mitglieder einer
erahnen) Menschen vermutlich bei niemandem so genau wie bei sich Landeskirche, als Verkehrsteilnehmer, als Medienbenutzer, als Mieterin-
nen und Mieter etc. In jeder dieser sqfialen Strukturen, diezusammenge-
nommen das Abstraktum "Gesellschaft" bilden, werden Menschen kon-
38 L) Die Selbstliebe um des Selbst willen; 2.) die Gottesliebe um des Selbst frontiert mit Rechten, Pflichten, Erwartungen, Rollen(-zuweisungen)
willen; 3.) die Gottesliebe um Gottes willen. Ordnungen etc., die ihre Erlebnis- und Handlungsspielrume prgen und
39 A.a.O., S. 142 ff. u. 153, wobei er hinzufgt: "Ich wei nicht, ob von irgend- gestalten - aber auch begrenzen und einengen.
einem der Menschen diese vierte Stufe in diesem Leben vollkommen erreicht Die entscheidende Frage, vor der wir nun stehen, lautet: Inwieweit gilt
wird."
das zur Gottes-, Nchsten- und Selbstliebe Gesagte auch fr diese sozialen
526 Die vershnte Welt
Das Heil in ]esus Christus 527

Strukturen? Gibt es nur die hufig erwhnten "Strukturen d~s Bsen"


selbst ein Element dieser Lebenspraxis. Ein besonderes Augenmerk ist
oder gibt es auch "Strukturen der Liebe": Und inwief~rn wird ~~rch dabei auf die sozialen Institutionen zu richten, die der Bildung des
solche strukturellen Rahmenbedingungen die LebenspraxIs der Ind1Vld~
Menschen zugute kommen, also an der Verwirklichung seiner Bestim-
en beeinflut? Kann das Heil in einer gesellschaftlichen LebenspraxIs
mung zum Ebenbild Gottes mitwirken knnen und der Entfaltung und
erfahrbar und erlebbar werden? . . Reifung der Persnlichkeit dienen. Auch von ihnen gilt freilich, da sie
Das Dilemma, vor das uns diese Fragen stellen, l~ sich ':ie folgt in ihren Mglichkeiten, Ambivalenzen und Bedrohungen nchtern
beschreiben: Wir knnen menschliche Liebe nur als em . Beztehungs- einzuschtzen und immer wieder kritisch zu berprfen sind.
geschehen denken, dessen initiatives Su?jekt (m~ndesten.s) em personales
Wesen ist. Wie aber sollte es mglich sem, von emer soziale~ Struktu~ zu Bei alledem wre es ein gefhrliches Miverstndnis, wenn man annh-
sagen da sie liebt oder da Liebe von ihr ausgeht? Wenn dies aber nt~ht me, soziale Strukturen, die sich an der Lebenspraxis des Glaubens ori-
mgli~h ist, ist dann Li~be berhaupt eine ~~glichkeit der gesellschafthch entieren, wrden sich etwa durch die Abwesenheit von Forderungen und
bestimmten und vermittelten LebenspraxIs. .. Sanktionen oder gar durch programmatischen Verzicht auf solche "ne-
Die folgenden Gedanken sollen einige elementare Onentierungspunkte gativen" Elemente auszeichnen. Weil soziale Strukturen auch im besten
beim Umgang mit diesen Fragen markieren: Fall nur einen Rahmen bilden und einen Raum zur Verfgung stellen
knnen, darum sind sie dem Glauben nur auf indirekte Weise zugeord-
- Menschliche Lebenspraxis ist als dauerhafte, gemein~chaftsbezog~ne net - auf diese indirekte Weise gehren sie freilich legitim zu ihm. Dort,
Praxis ohne soziale Strukturen nicht mglich. Diese smd erfo~derhch wo sie nur der Begrenzung oder Abwehr des Bsen dienen, sind sie
als Entlastung von permanenten Reflexions- und Entsc~~idungs Ausdruck des opus alienum der Liebe Gottes, aber nichtsdestoweniger
zwngen, und sie knnen so einen Beitrag zur gegenseiti?en. Er- der Liebe Gottes.
wartungsstabilitt leisten, die - im besten Fall. - so etwas Wie ei~en Es ist freilich als eine Einseitigkeit zu bezeichnen, wenn primr oder
Rahmen oder ein Gehuse darstellen kann, mnerhalb dessen Sich ausschlielich die prohibitiven und defensiven Funktionen sozialer Struk-
gedeihliche Beziehungen bis hin zur Liebe en~ickeln ~nnen. Wegen turen zur Geltung gebracht werden. Gegenber dieser Tendenz, die teil-
dieser Notwendigkeiten und Mglichkeiten smd soziale Strukturen weise im Luthertum wahrzunehmen ist, gilt es, strker die positive, fr-
als solche positiv einzuschtzen und zu fr~ern. . . dernde Funktion sozialer Strukturen wahrzunehmen und anzuerkennen.
Soziale Strukturen als solche knnen aber Liebe nicht erbrmgen od~r Freilich darf auch dabei nicht vergessen werden, da selbst die besten
ersetzen. Sie haben weder ein "Antlitz" noch ein "Herz", also kem Strukturen als solche nicht das Heil schaffen (oder gar sind), sondern nur
personales Zentrum, das zur Zuw~nd~ng od~r ~ingabe fhig ~re. dem Heil dienen, indem sie ihm einen ueren Raum geben, in dem es sich
Die Leistungsfhigkeit sozialer InStitutlOnen .fu~ die ~bensp~axis des ereignen, in dem es wachsen und leben kann. Aber das ist ihr Sinn, ihre
Glaubens mu deswegen nchtern und reahstisch emgesc~atzt wer- Bedeutung und ihre Wrde.
den. Das gilt auch fr so "positive" Strukturelemente Wie Freund-
schaft Partnerschaft, Familie, Ehe, Bildungswesen, Rechtsordnung
etc. Wer von ihnen zuviel erwartet oder verspricht, trgt fast u~ver 14.1.4.3 Liebe als innere Konsequenz des Glaubens
meidlich zur Enttuschung und so zur langfristigen Zerstrung dieser
Strukturen bei. . Hinsichtlich der Frage, wie sich Glaube und gute Werke zueinander
- Soziale Strukturen sind stets ambivalent: Sie befrdern oder ~e~ndern verhalten, stehen sich in der reformatorischen Theologie von Anfang an
Lebensmglichkeiten. Sie knnen in den Dienst unte~schiedhchster zumindest zwei Positionen gegenber. Die eine kommt zum Ausdruck in
Intentionen und Interessen gestellt werden. Deswegen iSt es notwen- CA 6: "Auch wird gelehrt, da solcher Glaube gute Frucht und gute
dig, soziale Strukturen immer wieder daraufhin kri~isch ~u berpr- Werk bringen so1l40 und da man musse gute Werk tun, allerlei, so Gott
fen, ob durch sie eine dem Leben dienende PraXiS befordert oder geboten hat, um Gottes willen, doch nicht auf solche Werk zu vertrauen,
behindert wird. . dadurch Gnad fur Gott zu verdienen" (BSLK 60,2-7). Diese Position
- Die Entwicklung, Frderung und Pflege sozialer Strukturen, die ~er
Lebenspraxis des Glaubens Raum geben und zugute kommen, iSt 40 Lat. Fassung: "Quod fides illa debeat bonos fructus parere" (BSLK 60,2 f.).
Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 529
528

klingt nchtern und realistisch. Sie rechnet mit der Schwche des Glau- Vorausgesetzt ist in dieser Argumentation zu Recht, da das Evange-
bens und will ihr mit dem Gebot Gottes (tertius usus legis) zu Hilfe lium nicht das aufhebt, was im Gesetz als Gottes Wille geboten ist und es
darum nicht auer Kraft setzt, sondern - im Gegenteil - in seiner Tiefe
kommen,
Demgegenber vertritt Luther die Auffassung, der Glaube bringe mit erfat und den Menschen zum Tun des Gotteswillens befhigt. Vorausge-
innerer Notwendigkeit gute Werke hervor, so wie ein guter Baum gute setzt ist weiter, da auch die Glaubenden als Menschen in dieser Welt
Frchte bringt - und nicht nur bringen sol1. 41 Diese Position wirkt gera- Snder bleiben und darum das der Bosheit wehrende und die Snde
dezu enthusiastisch. Sie setzt ganz auf die innere Kraft des Glaubens. aufdeckende Gesetz brauchen.
Die Konkordienformel hat sich angesichts des Streites der Schler fr Diese beiden Voraussetzungen werden aber von den Kritikern des
die Mglichkeit eines tertius usus legis ausgesprochen42 - wie im brigen tertius .usus legis nicht bestritten, sondern geteilt. Der wirkliche Streit
auch (noch eindeutiger) Calvin und die reformierte Tradition. Luther entbrennt vielmehr bei der Frage, ob die Glaubenden als Glaubende das
steht in dieser Sache ziemlich allein.43 Trotzdem folge ich hier (anders als Gesetz bentigen, um den Willen Gottes erkennen und tun zu knnen.
bei der Prdestinationslehre) nicht der Konkordienformel, sondern Lu- Und diese Frage ist- mit Luther und gegen die Konkordienformel - zu
ther, der m. E. die besseren theologischen Grnde auf seiner Seite hat. verneinen, weil sie dem Evangelium und dem Glauben zuwenig zutraut
Doch betrachten wir zunchst die Gegenposition! Sie besagt: Das und dem Gesetz und dem Gehorsam zuviel.
Gesetz hat nicht nur im politischen Bereich eine prohibitive Funktion als Da dies so ist, zeigt sich, wenn man genauer ber das Gesetz und ber
Riegel" der dem berhandnehmen des Bsen vorgeschoben ist (usus das Verhltnis von Gesetz und Evangelium nachdenkt. Dabei ist - mit
" , . h Paulus - davon auszugehen, da das Gesetz "zum Leben gegeben" und
politicus legis), und es hat nicht nur im geistlichen Bereich eine berf -
rende Funktion als "Spiegel", in dem der Mensch seine Snde erkennt darum "heilig, gerecht und gut" ist (Rm 7,10-12). Aber durch seinen
(usus elenchticus legis), sondern es hat auch im ethischen Bereich eine Charakter als Forderung (d. h. als Gesetz oder Gebot) ist es unfhig, den
orientierende Funktion als "Regel" fr die Lebensfhrung der Glauben- Menschen aus der Knechtschaft der Snde zu befreien, ja es weckt durch
den (tertius usus legis bzw. usus paedagogicus legis). Das Hauptargument seinen appellativen, fordernden Charak~er noch den Wahn, der Mensch
fr diesen dritten Gebrauch des Gesetzes lautet: Die Erneuerung der knne durch sein Tun das Heil erlangen, whrend es doch darauf an-
Christen durch den Glauben ist in dieser Welt nicht vollkommen, sondern kommt, das Heil von Gott zu empfangen.
erst im Werden. Sie sind zugleich Gerechte und Snder ("simul"), und Die Lehre vom tertius usus legis bringt das Moment des Gesetzes und
deswegen bedrfen sie zustzlich zu der erneuernden Kraft des Evangeli- damit der Forderung dort wieder ins Spiel, wo es nichts zu suchen hat,
ums auch noch der Wegweisung und Hilfe des Gesetzes. Dabei gesteht die sondern nur alles verderben kann, und zwar auf zweifache Weise: Einer-
Konkordienformel durchaus zu, da aus dem Fordern und Drohen des seits kann so der Eindruck einer nachtrglichen Bedingung entstehen, bei
Gesetzes allein niemals die Frchte des Geistes entstehen, sondern nur die deren Nicht-Erfllung das Heil verlorengeht, also sozusagen von Gott
(uerlichen) Werke des Gesetzes (s. BSLK 794,35 ff. u. 966,47-967,24). zurckgenommen wird; andererseits rckt die Forderung an eine Stelle,
Aber auch dort, wo der Heilige Geist durch das Evangelium einem Men- an der vom Wesen des Heils (als Teilhabe an der gttlichen Liebe) her
schen gegeben ist und Frucht bringt, bedarf es doch nach Meinung d~r nur von einer inneren Konsequenz die Rede sein darf. Es stimmt ja, da
Konkordienformel der ueren Anleitung durch das Gesetz - auch dam1t es ein Zeichen von Heillosigkeit ist, wenn ein Mensch, der von der
die Glaubenden nicht selbstgewhlte Werke an die Stelle der von Gott gttlichen Liebe erreicht und bewegt wurde, in seinem Denken, Reden
und Tun der Gleichgltigkeit oder Selbstsucht Raum gibt. Aber an dieser
gebotenen Werke setzen.
Heillosigkeitwird nichts gebessert, wenn er sich durch Gebote oder
Gesetze ntigen lt, diesen Krften keinen Raum zu geben. Damit
knnen zwar deren verheerende Auswirkungen gegenber anderen Men-
41 50 z. B. WA 7,32,9-18 u. WA 39 1,46,28-34. schen (u. U. auch gegenber sich selbst) eingedmmt werden, aber die
42 5. dazu Art. 6 der FC (B5LK 793-795 u. 962-969). zugrundeliegende Heillosigkeit wird auf diese Weise nur verdeckt und
43 Im 20. Jahrhundert hat vor allem W. Eiert sich die Ablehnung des tertius usus
verborgen - jedoch nicht berwunden. Die Funktion des Gesetzes, die
legis zu eigen gemacht. Vgl. seinen Aufsatz: "Eine theolo?ische Flsch~ng zur
Lehre vom tertius usus legis", in: Zeitschrift fr ReliglOns- und GeIstesge- hier auch den Glaubenden (als Sndern) gegenber wirksam wird und
schichte, 1/1948, 5. 168-170. werden mu, ist die des usus elenchticuslegis, der ihnen den Schmerz und
530 Die vershnte Welt Das Heil in Jesus Christus 531

die Trauer ber ihre Heillosigkeit zumutet, indem er sie ihnen wie in steht man unter "Gesetz" hingegen den Inbegriff dessen, was der Wille
einem Spiegel zeigt. Und dort, wo die Heillosigkeit die ueren Bedingun- Gottes ist, dann ist der Satz: "Das Gesetz sagt, was Gott gebietet und was
gen des Zusammenlebens gefhrdet, da ist es der usus politicus legis, der darum gut ist" zwar analytisch wahr, aber er sagt dann nichts, was ber
auch den Glaubenden (als Sndern) gegenber wirksam werden und sie den Sprachgebrauch hinausginge. Er sagt vor allem nicht, wo dieser Wille
in die Schranken weisen mu. Aber ein tertius usus legis fr die Glauben- Gottes zu finden und abzulesen ist.
den als Glaubende ist berflssig, ja gefhrlich. berflssig ist er, weil . Und genau ~n dieser Stelle greift die Bestreitung des tertius usus legis
der Glaube selbst als Vertrauen auf die gttliche Liebe notwendigerweise mIt der These em: Der Wille Gottes ergibt sich fr die Glaubenden aus
in der Liebe ttig wird. Gefhrlich ist er, weil er das Vertrauen auf die dem Evangelium, und zwar als dessen innere Konsequenz. Wer Gottes
heilsame Kraft des Evangeliums untergrbt und eine "zweite Sttze" Wesen in ]esus Christus erkannt hat und wer darauf sein daseins-
einfhrt, die konsequent zu Ende gedacht das Evangelium verdrngt. 44 bestimmendes Vertrauen richtet, der wei von daher auch worin der
Aber behlt das Gesetz nicht doch fr die Glaubenden (als Glaubende) Wille .Gottes besteht, der fr die Lebenspraxis der Glaubenden grundle-
insofern eine positive Bedeutung, als es ihnen sagt, was sie an Gutem tun gend 1st. Der Glaube, der durch die Liebe ttig ist (Gal 5,6), ist die
sollen? Das wrde bedeuten: Das Evangelium verleiht durch den Glauben Erfllung dieses Willens Gottes. Und darum kann mit Luther gesagt
zwar die Kraft und den inneren Beweggrund, das Gute zu tun, aber erst werden: "Wenn wir Christus haben ... knnen wir neue Dekaloge ma"
das Gesetz sagt, worin dieses Gute besteht, was also zu tun ist. So argu- chen, so wie Paulus in allen Briefen und Petrus und am meisten Christus
mentiert die Konkordienformel tatschlich, wenn es dort heit: "So ist im Evangelium. Und diese Dekaloge sind klarer als der Dekalog des Mose
auch solche Lehre des Gesetzes den Glubigen darumb ntig, auf da sie so wie Christi Angesicht klarer ist als das Angesicht Moses; "45 '
nicht auf eigene Heiligkeit und Andacht fallen und unter dem Schein des Das alles wird freilich miverstndlich und gefhrlich, wenn es undif-
Geistes Gottes eigen erwhlten Gottesdienst ohn Gottes Wort und Befehl ferenziert von "den Glaubenden" oder" Christen" gesagt wird und dabei
anrichten, wie geschrieben stehet Deuter. 12: ,Ihr sollet deren keines tuen, das "simul" in Vergessenheit gert. Es gilt nur von den Glaubenden als
ein jeder was ihm recht dnket', sondern ,hret die Gebot und Rechte, die 4c
Glaubende von ihnen mu es aber gesagt werden drfen, weil sonst die
ich euch gebiete', und ,sollet auch nichts darzutuen, noch darvontuen'" G~fahr droht, da der Glaube blo als kognitiver, intellektueller Akt
(BSLK 968,5-15). Mit dieser Argumentation wird ein fr die reformato- mIverstanden wird, der nicht eo ipso das Dasein wandelt und neu be-
rische Theologie wesentlicher Gedanke aufgenommen: Wahrhaft gute stimmt. 47
Werke sind die von Gott gebotenen Werke, nicht selbst gewhlte Opfer, Die von Luther gelehrte notwendige Zusammengehrigkeit von Glau-
Verzichtleistungen, Leiden oder Taten. Und es scheint so, als bedrfe es ben und guten Werken kann eingesehen und argumentativ begrndet
dazu eines tertius usus legis; denn das Gesetz sagt, was Gott gebietet und werden, wenn man sich bewutmacht, da der Glaube (als daseins-
was darum gut ist. bestimmendes Vertrauen) sich auf den Gott richtet, dessen Wesen Liebe
Aber diese Argumentation ist nur bei oberflchlicher Betrachtung ist. Sich mit seinem ganzen Dasein (also auch im Handeln) vom Vertrauen
berzeugend; genaugenommen ist sie doppeldeutig. Versteht man unter auf die Liebe (als die Alles bestimmende Wirklichkeit) bestimmen zu
Gesetz" die Gesamtheit der biblischen Gebote und Vorschriften, so ist lassen, heit: mit innerer Notwendigkeit den Willen Gottes tun nmlich
die Aussage, das Gesetz sage, was Gott gebietet, sogar falsch. Diese Ge- Liebe ben. Wo dies nicht geschieht, zeigt es nur, da Menschen ~ich nicht
bote und Vorschriften sind geschichtlich bedingte Konkretisierungen des von Gott bestimmen lassen. Aber dem ist nicht durch das Gesetz abzuhel-
Gotteswillens, die aber als solche immer wieder daraufhin berprft wer-
den mssen, ob sie den Willen Gottes (in einer vernderten geschichtli-
chen Situation) tatschlich zum Ausdruck bringen (vgl. Rm 12,2). Ver- So die deutsche bersetzung von WA 39 1,47,25-30: "Habito enim Christo
... novos Decalogos faciemus, sicut Paulus facit per omnes Epistolas, et
Petr~s, maxime Christus in Euangelio. Et hi Decalogi clariores sunt, quam
44 Insofern ist der tertius usus legis eine Entsprechung zu der Beschneidungs- Mosl decalogus, sicut facies Christi cIarior est, quam facies Mosi."
forderung in den Gemeinden Galatiens, gegen die Paulus sich Gal 5,1-15 mit Man beachte die drei ersten Worte in dem obigen Lutherzitat: "Habito enim
Nachdruck ausspricht. Sein entscheidendes Argument lautet: Wer sich (zu- Christo ... "
stzlich und sicherheitshalber) auf die Beschneidung verlt, vertraut nicht ,Was dazu kritisch und konstruktiv zu sagen ist, lt sich im wesentlichen
wirklich auf Christus und hat ihn damit "verloren" (Gal 5,4). Luthers Vorrede zum Rmerbrief entnehmen (s. WA DB 7,8-10).
Die vershnte Welt Die Heilsmittel 533
532

fen sondern nur durch das Evangelium, zu dem freilich das Gesetz in 14.2.1 Die Notwendigkeit uerer Heilsmittel
sei~em usus elenchticus den Menschen hintreiben kann und soll.
CA 5 schliet mit der Verwerfung: "Und werden verdammt die Wieder-
taufer und andere, so lehren, da wir ohn das leiblich Wort des Evangelii
CC den heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werk erlangen"
14.2 Die Heilsmittel ("media salutis )
(BSLK 58,11-15).49 Damit wird bestritten, da ein Mensch den Geist
Gottes ohne Vermittlung durch uere Zeichen aus sich oder durch sich
Heilsmittel" ist kein gngiger, sondern ein eher ungebruchlich gewor-
selbst erlange. Im Hintergrund dieser Verwerfung stehen folgende drei
dener theologischer Begriff48 Aber die damit gemeinte Sache ist so wi~h
berzeugungen:
tig, da sie benannt und bedacht werd~n m~. Und d~ es~och .keme
begriffliche Alternative gibt, verwende Ich dIesen Begnff welterhm. als - Die erste berzeugung beziehtsich darauf, da der (gefallene) Mensch
zusammenfassende Bezeichnung fr .diejenigen Vermittlungsgestalten, zwar die Sehnsucht nach Heil, nach erflltem Leben hat oder haben
durch die Menschen des Heiles teilhaftig werden knnen. kann, da er aber das Heil nicht in sich selbst trgt. Es mu ihm zuteil
Dabei beschrnke ich mich hier (nach dem in Abschn. 14.1.3.1 Gesag- werden. Die gestrte, ja zerstrte Beziehung zu Gott kann der Mensch
ten) auf die media salutis exhibitiva, also auf die austeilenden Heilsmittel. nicht aus sich selbst wiederherstellen. Das mu von Gott her gesche-
Diese werden hufig in dem Dual "Wort und Sakrament(e) " zusammen- hen. Jede Berufung auf die eigenen Mglichkeiten und Fhigkeiten
gefat. Das ist insofern eine miverstndliche Formel, als es~eine Sakr~ unterliegt deshalb dem Verdacht, da es sich um einen (bewuten oder
mente gibt, in denen nicht auch "Wort" vorkme und sogar emeentschel- unbewuten) Versuch der Selbsterlsung handelt.
dende Rolle spielte. Das Gemeinte kommt genauer zum Ausdruck durch Gewichtiger ist die zweite berzeugung, die besagt, da Gott nicht als
die Formel "Predigt und Sakrament(e)" . Freilich ist auch diese Formel eine Gre auerhalb und getrennt von der Welt gedacht werden darf,
mideutbar, weil "Predigt" begrenzt zu sein scheint auf die Wort- sondern als ihr allgegenwrtiger schpferischer Grund und ihre lebens"
verkndigung im Gottesdienst. "Wort" ist also tendenziell zu weit, "Pre- spendende Kraft. In seiner Auseinandersetzung mit Zwingli hat Lu-
digt" tendenziell zu eng. Als Hilfsbegriff, der zwischen"Wort" und "Pre- ther dieses Gottesverstndnis als den Kern der Differenzen in der
digt" liegt, whle ich vorerst den Begriff "Wortverkndigu~~". .. Abendmahlsfrage herausgearbeitet. 50 Gott wirkt in den Kreaturen
Bevor ich auf die Verhltnisbestimmung der beiden Groen, dIe m und durch die Kreaturen. 51 Deshalb will er sich auch dort finden
solchen Formeln unterschieden und zusammengeordnet werden, genauer lassen.
eingehe, verdient zunchst die Tatsache Beachtung, da die re~ormato~i - Der dritte und gewichtigste Grund ist die Gewiheit, da Gott sich
sche Theologie (allerdings in Abgrenzung von den sog. Schwarmern) m zum Heil der Menschen in Jesus von Nazareth (also in einer mensch-
grundstzlicher bereinstimmung mit der rmisch-katholischen, ortho- lichen Kreatur) geoffenbart hat. Gilt dies, so ist alle Heilsvermittlung
doxen und anglikanischen Theologie die Notwendigkeit der (uere~) Bezeugung der in Jesus Christus geschehenen Gottesoffenbarung, und
Heilsmittel betont. Das versteht sich nicht von selbst und war - WIe diese ist der bleibende Mastab fr alle Offenbarungsansprche. Hat
angedeutet - innerhalb der reformatorischen Bewegung umstritten. Des- Gott sich (in der Schpfung und) in Jesus Christus selbst uerlich
halb soll mit diesem Thema eingesetzt werden (14.2.1), bevor das Verhlt- gemacht, dann ist alles Gott-Suchen an uere Zeichen gebunden. 52
nis von Wortverkndigung und Sakrament und damit zugleich der
Sakramentsbegriff versuchsweise nher bestimmt werden sollen (14.2.2). Der entscheidende Teil der Formel heit im Lateinischen: "qui sentiunt
Danach werden je fr sich die Taufe (14.2.3), das Abendmahl (14.2.4) spirirum sanctum contingere hominibus sine verbo externo .,. "
Vgl. dazu WA 23, bes. 130-155.;
und die Beichte (14.2.5) bedacht. Nach einer eindrucksvollen Formulierung J. G. Hamanns gilt: "Rede, da ich
Dich sehe! -- Dieser Wunsch wurde durch die Schpfung erfllt, die eine Rede
an die Kreatur durch die Kreatur ist ... " (Aesthetica in nuce [1762], Stuttgart
1983, S. 87).
48 Ein Indiz dafr ist die Tatsache, da der Begriff in keinem der groen theo- Noch einmal Luther: "Unsers Gotts ehre aber ist die, so er sich umb unser
logischen Nachschlagewerke unseres Jahrhunderts als Artikelstichwort auf- willen auffs aller tieffest erunter gibt, yns fleisch, yns brod, ynn unsern mund,
taucht. hertz und schos" (WA 23,157,30-32).
Die vershnte Welt Die Heilsmittel 535
534

ber diese drei gltigen reformatorischen Argumente hinaus ist noch - Was meinen die Begriffe "Wortverkndigung" und "Sakrament"?
erkenntnistheoretisch und ideologiekritisch zu fragen, ob sich nicht ein Welche konkreten Vollzge kirchlichen Handelns werden mit diesen
Mangel an Reflexion darin ausspricht, wenn Menschen behau~ten, sie beiden Begriffen erfat und bezeichnet, und welche Vollzge fallen
htten unvermittelte gttliche Eingebungen empfangen. Schon die Spra- mglicherweise nicht unter sie?
che in der solche Eingebungen ergehen, aber auch die dabei vermittelten
Inh~lte lassen in aller Regel unschwer entdecken, da nichts in unsere
Vernunft hineinkommt, was uns nicht (direkt oder indirekt) durch unsere 14.2.2.1 Sinn und Begrndung der Unterscheidung
Sinne also durch die Aufnahme und Verarbeitung (uerer) Zeichen zwischen Wortverkndigung und Sakrament
vermittelt und gegeben wird. Insofern erweist sich die Theorie von der
unvermittelten gttlichen Eingebung auch in erkenntn~skriti~cher Hi~ Die Unterscheidung, die bisher behelfsweise mit der Formel "Wort-
sicht als problematisch. Aber gerade dadurch wird der eig~~thc~e ~achh verkndigung und Sakrament" zum Ausdruck gebracht wird, wurde von
che Gegensatz zwischen der reformatorischen und der spmtuahstlsc~en Augustin durch das Begriffspaar "verbum audibile" und"verbum visibile"
Position deutlich: Nicht Unmittelbares und Mittelbares stehen letzthch zum Ausdruck gebracht. 53 Demnach wre der Wortcharakter das generel-
einander gegenber, sondern ein angeblich Unvermitteltes, das sich s:lbst le Merkmal aller Heilsmittel, und durch die Unterscheidung zwischen
verabsolutiert, als Norm setzt und der Kritik entzieht, gegenber emem "hrbar" und "sichtbar" wrde die entscheidende Differenzierung be-
Vermittelten, das um seine Vermitteltheit wei, sich insofern selbst rela- nannt. Das ist nicht falsch, aber in mehrfacher Hinsicht ergnzungs- und
tiviert und sich darum auch der kritischen Prfung stellt. przisierungsbedrftig.
Mit alledem ist aber in keiner Weise bestritten, da die ueren Zei-
chen, die Menschen brauchen, um rettende und heilende Erfahrungen a) Wortverkndigung und Sakrament(e) als "verbum"
machen zu knnen ihre wichtige innere Wirkungsgeschichte haben. Und
sie umfat nicht n~ das bewute Nachdenken, die konzentrierte Medi- Auch im nicht-metaphorischen Sinn kann man sehr wohl zwischen einem
tation, das gelste Warten auf Einsichten, sondern auch da~ ~nbewute hrbaren und sichtbaren Wort unterscheiden, wenn man im ersten Fall an
und seine Kommunikationsmittel, also z. B. Trume, ViSiOnen, Au- ein gesprochenes, im zweiten an ein geschriebenes (gedrucktes, eingemei-
ditionen Bilder und Symbole. Aber all das fllt entweder selbst unter die eltes) Wort denkt. Da Augustin (und mit ihm die ganze theologische
verba ex'terna oder ist darauf bezogen und daraus abgeleitet. Und sofern Tradition, die dieses Begriffspaar gebraucht) nicht diesen Unterschied
es das ist, gibt es keinen Grund, irgend etwas von alledem aus der christ- meint, wird schon durch sein "tanquam" deutlich. "Visibile verbum" ist
lich-religisen Kommunikation auszuschlieen, sondern viele Grnde, es von ihm metaphorisch gemeint. Wobei das Metaphorische sich nicht auf
einzubeziehen und aufmerksam damit umzugehen. die Sichtbarkeit, sondern auf den Wortcharakter bezieht. Obwohl im
Vollzug der Sakramente Worte vorkommen und sogar eine konstitutive
Rolle spielen, sind ihre sog. Elemente, d. h. das, was an ihnen sichtbar
14.2.2 Wortverkndigung und Sakrament wird (Wasser, Brot, Wein/Kelch), kein Wort (als Bestandteil einer natr-
lichen Sprache). Wohl aber hat all dies Sichtbare den Charakter von
Wurde bisher die Notwendigkeit uerer Heilsmittel bedacht, so geht es Zeichen, die auf etwas verweisen, das verstanden (also gedeutet) werden
nun darum deren Pluralitt in den Blick zu fassen, wie sie in dem Dual will und das als solches eine Bedeutung fr diejenigen hat, die das Zeichen
"Wortverkftndigung und Sakrament(e)" zum Ausdruck kommt. Dabei empfangen. D. h., man kann nun genauer sagen: Das, woran die Unter-
ergeben sich zwei Komplexe von Fragen: scheidung (zwischen "hrbar" und""sichtbar") zu machen ist, ist das

_ Was ist mit dieser Unterscheidung genau gemeint, inwiefern und


wodurch unterscheiden sich also W ortverkndigung und Sakrament(e)
voneinander? Und wie lt sich diese Unterscheidung begrnden, von 53 So in: In Joh. Ev. tract. 80,3 (MPL 35, Sp. 1840), wobei Augustin die Formel
woher lt sich also ableiten, da und wie zwischen diesen beiden "visibile verbum" freilich mit einem "tanquam" versieht. Vgl. auerdem
ders., De Doctrina Christiana 11,3,4 (MPL 34, Sp. 37).
Grundgestalten der media salutis zu unterscheiden ist?
536 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 537

Zeichen ("signum"), das seinerseits den Charakter der notwendigen u- dung ~st der zwischen deutendem Wort im strengen Sinn, das den Intellekt
eren Bedingung fr die Vermittlung des Heils, also des Heilsmittelshat. ansprIcht, und nicht-worthaften Zeichen, die die leiblichen Sinne des
Menschen ansprechen.
b) Die Unterscheidung zwischen "audibile" und ,;visibile" De~ mit der Formel "Wortverkndigung und Sakrament(e)" hilfswei-
se bezeIchnete Unterschied wre demzufolge genauer zu fassen durch den
Mit den Adjektiven "audibile" und "visibile" werden offenbar zwei un- Dual: "worthafte Deutung und sinnenhaftes Zeichen". Zwischen den
serer fnf Sinne angesprochen: das Gehr und der Gesichtssinn. Aber beiden Bestandteilen dieses Duals existiert nun - wie man leicht sehen
warum ist es wichtig, diese beiden Sinne zu unterscheiden, und warum nur kann - weder ein Gegensatz noch eine Trennung, wohl aber ein relativer
diese beiden? Warum hat die theologische berlieferung des christlichen Unterschied. Jede worthafte Deutung bedarf eines sinnenhaften Zeichens
Glaubens (jedenfalls reformatorischer Prgung) keine Lehre von denriech- ~,z. B. einer Stimme, einer Handschrift oder eines Druckbildes), damit sie
baren, schmeckbaren und berhrbaren Zeichen ausgebildet? Zwei Be- uberhaupt wahrgenommen werden kann. Und jedes sinnenhafte Zeichen
grndungen knnen hierfr jedenfalls nicht gegeben werden: Weder wre b~d~rf einer wort~aft~n Deutung, damit es berhaupt mittels allgemein-
es richtig zu sagen, die Heilsmittel wrden diese Sinne nicht ansprechen gultlger KommumkatlOnsregein als Zeichen verstanden werden kann.
(Brot und Wein lassen sich riechen, schmecken und berhren; Wasser lt Und t~otzdem besteht hier ein relativer und als solcher gewichtiger Un-
sich jedenfalls berhren); noch wre es richtig zu sagen: Diese drei ande- te~schled, der auch darin deutlich wird, da es Vermittlungsformen gibt,
ren Sinne seien fr die Heilserfahrung nicht wichtig. Das kann schon be~ denen das Moment der worthaften Deutung und damit die Mglich-
deshalb nicht der Fall sein, weil der Geruchssinn, der in die tiefsten Schich- keIt der Ve~allgemeinerung im Vordergrund steht und primr wahrge-
ten des menschlichen Erlebens hineinreicht, in der biblischen Metaphorik nommen WIrd, und solche, bei denen das Moment des sinnenhaften
durchaus vorkommt (s. 11 Kor 2,15 f.) und weil die Berhrung, die eine Zeichens und damit die Mglichkeit des individuellen Erlebens im Vor-
intensive Form der Nhe darstellt, ebenfalls in der biblischen berliefe- dergrund steht und die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. So tritt in
rung eine groe Rolle spielt (s. Mk 5,27 ff. u. 41; 8,23; 10,16 u. .). de,r Wortverkndigung in der Regel das sinnenhafte Zeichen (z. B. die
Aufgrund dieses Befundes empfiehlt es sich, die Unterscheidung zwi- StI~me o~er der geschriebene Buchstabe) hinterder worthaften Deutung
schen verbum audibile und verbum visibile so zu interpretieren, da das zuruck. DIe (gehaltvolle) Wortverkndigung gibt deshalb mehr zu ver-
sichtbare Zeichen die Momente des Riechens, Schmeckens und Berhrens stehen, als sinnlich zu erleben. Umgekehrt tritt im Sakrament das sinnen-
mit umfat. Dann wre es aber weniger miverstndlich, vom sinnlichen hafte Zeichen gegenber derworthaften Deutung (z. B. Taufbefehl, Ein-
oder sinnenhaften Zeichen statt vom sichtbaren Zeichen zu sprechen. setzungsworte, Spendeworte) in den Vordergrund. Das Sakrament gibt
Nur: Welchen Sinn hat es dann berhaupt, zwischen verschiedenen Zei- deshalb mehr zu erleben, als zu verstehen.
chen grundstzlich zu unterscheiden, zumal doch auch das Wort ein Dabei lt sich innerhalb dieser so unterschiedenen Bereiche noch
sinnlich-sinnenhaftes Zeichen ist? Mit dieser Frage nhern wir uns all- einmal differenzieren. So tritt bei einem theologischen Begriff (noch dazu
mhlich dem eigentlichen Grund der Differenzierung zwischen (zwei) wenn er gedruckt in einem Buch begegnet) das Moment des sinnenhafte~
verschiedenen Arten uerer Zeichen. Es ist freilich nicht leicht, diesen Zeichens noch weniger in Erscheinung als bei einem Bild, einer Erzh-
Grund przise zu formulieren. Die eigentliche Pointe der Unterscheidung lung oder bei ei,nem gesungenen Lied. Entsprechende Abstufungen gibt
liegt nicht darin, da das Gehr den anderen Sinnen gegenbergestellt e~ aber auch beIm Sakrament, und sie werden erlebbar, wenn man z. B.
wird, sondern darin, da die (im wrtlichen Sinn) sprachlichen Zeichen, dIe Abendmahlsgottesdienste bzw. Eucharistiefeiern in den verschiede-
die alle an etwas lebensgeschichtlich Erlerntes, nmlich an das Verstehen n.en christlichen Kirchen miteinander vergleicht.
von Sprache und damit an den Intellekt appellieren, zu unterscheiden sind Zwischen den Grenzwerten, an.denen einerseits ganz berwiegend
von den Zeichen, die unmittelbar an die sinnliche Wahrnehmung appel- das Verstehen (also der Intellekt) angesprochen wird und an denen an-
lieren, die darum auch jedem Menschen (ja u. U. jedem fhlenden, emp- dererseits ganz berwiegend die Sinne (und damit die Erlebnisfhigkeit)
findenden Lebewesen) zugnglich sind. S4 D. h., der Sinn der Unterschei- angesprochen werden, gibt es einen stufenlosen bergang mit wechseln-
de~ Anteilen, wobei an keiner Stelle (auch nicht an den Endpunkten, also
54 Wenn dies richtig ist, dann gehren also Gerusche, Klnge, Tne als solche bel den Grenzwerten) das jeweils andere Element ganz ausgeschlossen
zum verbum visibile - nicht zum verbum audibile. werden kann.
Die vershnte Welt Die Heilsmittel 539
538

Aus alledem folgt aber: Die Unterscheidung zwischen verbum Ausnahme (z. B. in der Beichte: "Dir sind deine Snden vergeben").
audibile und verbum visibile hat letztlich anthropologischen Sinn. Sie Die Wortverkndigung richtet sich im Normalfall analle Anwesenden
verweist auf die beiden Aspekte des Menschen, seine Leibhaftigkeit und und ist dabei nicht einmal auf die Glieder der Kirche begrenzt. Dem-
seine Geisthaftigkeit, und bringt zum Ausdruck, da die heilsamen u- gegenber setzt das Sakrament beim Individuum an und wird ihm
eren Zeichen, durch die das Evangelium vermittelt wird, beide Aspekte persnlich zuteil. Aber mit dieser unimfhebbaren Individualitt ist
ansprechen und einbeziehen. Von da aus - und vermutlich nur von da keineswegs alles gesagt; denn es fehlt ein ganz entscheidender weiterer
aus -lt sich auch verstehen und begrnden, warum die Unterscheidung Schritt. Das Sakrament, das dem einzelnen Menschen leibhaft zuteil
zwischen diesen zwei Arten von Heilsmitteln ausreichend ist und warum wird, gliedert ihn (durch die Taufe) ein in den "Leib Christi"56 bzw.
sie zugleich nie zu einer Trennung werden darf. Das konkrete Ereignis, vergewissert ihn (im Abendmahl) der Teilhabe an diesem "Leib".
in dem beides miteinander verbunden ist, ist der jeweilige Handlungszu- D. h. aber: Das Sakrament spricht den einzelnen nicht nur an als
sammenhang der Wortverkndigung einerseits und der Sakramentsfeier (eigenen) Leib, sondern zugleich als Glied eines umfassenderen Lei-
bes, nmlich des CiWI.IO XPICiTOV (Rm 6,1-11; 12,4 f.; I Kor 10,16 f.;
andererseits.
12,12 f. u. Eph 4,1-6). Auf diese Weise bleibt das Individuum im
c) Konsequenzen fr das Verstndnis des Sakraments Sakrament nicht isoliert und vereinzelt, sondern wird zum Glied am
"Leib Christi". Schon von daher wird erkennbar, inwiefern der
Der hinter uns liegende Gedankengang hatte den Charakter einer Reduk- Sakramentsempfang Zugehrigkeit zur Kirche schafft oder voraus-
tion auf den einen, entscheidenden Punkt, an dem sich Wortverkndigung setzt.
und Sakrament voneinander unterscheiden und sich zugleich als die bei- Die zweite Konsequenz, die sich aus dem sinnenhaft-Ieibhaften Bezug
den Grundgestalten heilsvermittelnder Zeichen einander zuordnen lassen. des Sakraments ergibt, ist das Moment der unmittelbar leibhaften
Diese Reduktion war um der Klrung willen notwendig, aber sie darf Anwesenheit in dem Raum, in dem das Sakrament gespendet und
nicht das letzte Wort bleiben, weil sonst die Gefahr einer abstrakten gefeiert wird. Wortverkndigung ist z. B. durch elektronische Medien,
Darstellung besteht. Deshalb soll nun gefragt werden, welche Konsequen- durch Zeitschriften oder Bcher und damit ber (groe) - rumliche
zen sich von da aus fr das Verstndnis des Sakraments ergeben. Dabei und zeitliche - Abstnde hinweg mglich. Demgegenber setzt der
mu auch verstehbar werden, warum die Teilnahme am Sakrament nach Sakramentsempfang die leibliche Prsenz des Sakramentsempfngers
gemeinchristlicher Auffassung die Zugehrigkeit zur Kirche begrndet, im selben Raum und zur selben Zeit voraus. Nur im Hier und Jetzt
voraussetzt oder zumindest vorbereitet, whrend das von der Teilnahme desselben Raumes und derselben Zeit, also in einer Situation der
an der Wortverkndigung (so) nicht gilt. Koprsenz kann das Sakrament gespendet und empfangen werden.
Die erste Konsequenz, die sich aus dem sinnenhaften und damit leib- Damit wird aber zugleich auch die Gemeinschaft derer, die sich um
haften Bezug des Sakraments ergibt, ist die Betonung der Individua- das Sakrament scharen, leibhaft erlebbar.
litt des Sakramentsempfangs. Leibhaftigkeit (im direkten, eigentli-
chen Sinn des Wortes) ist ja immer individuelle Leibhaftigkeit. Was 56 Die neutestamentliche Metapher "Leib Christi" bezeichnet die christliche
dem Menschen leibhaft zugnglich ist, ist ihm durch seinen je eigenen Gemeinde bzw. Kirche. Durch diese Metapher kommt einerseits zum Aus-
Leib zugnglich, und menschliche Identittsgewiheit ist deshalb pri- druck, da die christliche Kirche konstituiert wird und ihren inneren Zusam-
menhalt empfngt durch ihre Beziehung zu der Person Jesu Christi. Er ist das
mr und fundamental "Eigenleibgewiheit"55. Im Sakramentsempfang
Daseins- und Lebensprinzip der Kirche. Andererseits weist diese Metapher
kommt dies zum Ausdruck einerseits durch die Taufformel: "Ich taufe darauf hin, da das durch Wortverkndigung und Sakrament geschehende
dich ... ", andererseits in den Spendeformeln des Abendmahls: "Chri- Wirken Jesu Christi in der Gemeinschaft der christlichen Kirche sichtbare
sti Leib, fr dich gegeben; Christi Blut, fr dich vergossen". Demge- und greifbare, also leibhafte Gestalt annimmt. Die Rede vom "Leib Christi"
genber ist fr die Wortverkndigung die Anrede an die einzelne wrde jedoch miverstanden, wenn man daraus ableitete, die Kirche sei eine
Person nicht konstitutiv, ja nicht einmal der Normalfall, sondern die "Fortsetzung" oder "Verlngerung" der Inkarnation oder des Heilswerkes
Jesu Christi. Wegen dieser Miverstndlichkeitundwegen der beobachtbaren
55 Diesen aussagekrftigen Begriff hat E. Herms in seinem Aufsatz "Glaube" , in: Verkennung des metaphorischen Charakters dieser Formel setze ich den
MJTh IV, Marburg 1992, S. 83, geprgt. Ausdruck "Leib Christi" grundstzlich in Anfhrungszeichen.
Die vershnte Welt Die Heilsmittel 541
540

_ Die dritte Konsequenz der Leibhaftigkeit des Sakraments ist darin zu 14.2.2.2 Begrndung und Abgrenzung der Sakramente
sehen da sein Empfang - in aller Regel- einen Akt des Begehrens
vora;ssetzt, der z. B. durch die Bitte um die Taufe, durch das Hinzu- Im vorigen Abschnitt ist entfaltet worden, da und warum die christliche
treten und durch das Empfangen des Sakraments zum Ausdruck Kirche und Theologie das Moment des sinnenhaften Zeichens als ein
kommt. Dem Sakramentsempfang wohnt damit selbst ein Moment konstituierendes Merkmal der Heilsmittel und als dominierendes Merk-
des Bekenntnisses inne, das ber das Bekenntnis, das schon im mal des Sakraments lehrt. Aber den Charakter eines sinnenhaften Zei-
Gottesdienstbesuch liegt, noch hinausgeht. Auch von diesem Bekennt- chens hat alles, was man wahrnehmen kann, ohne da deswegen alles ein
nischarakter her wird noch einmal deutlich, da und warum Sakra- Sakrament wre. Soll das Sakra.ment sinnvoll aus der unendlichen Flle
ment und Kirchenzugehrigkeit in einem engen Zusammenhang ste- mglicher Handlungsvollzge, in denen sinnenhafte Zeichen eine Rolle
hen. Sakramentsempfang ist individuelle, leibhafte Annahme eines spielen, herausgehoben und von anderen Handlungsvollzgen mit sinnen-
Heilsmittels und insofern selbst ein Ausdruck der Zustimmung, die fr haften Zeichen abgegrenzt werden, so ist noch genauer nach dem Spe-
die Kirchenmitgliedschaft konstitutiv ist. 57 zifikum des Sakraments zu fragen. Dieses Spezifikum besteht offenbar
darin, da das Sakrament Heilsmittel ist. Wir knnen also sagen: Sakra-
Trotz des bisher Gesagten ist jedoch festzuhalten, daWortverkn- mente sind diejenigen Handlungsvollzge, in denen die Kommunikation
digung und Sakrament nichts Verschiedenes bringen, sondern dasselbe primr mittels sinnenhafter Zeichen geschieht und die den Charakter von
nur auf verschiedene Weise: nmlich entweder so, da das deutende Wort Heilsmitteln haben.
und damit das Verstehen, oder so, da das sinnenhafte Zeichen und damit Auf die Frage, wodurch etwas zu einem Heilsmittel wird, sind in der
das Erleben im Vordergrund steht. Weil Wortverkndigung und Sakra- Theologiegeschichte zwei Antworten gegeben worden:
ment dasselbe bringen, darum kann von keinem einzelnen Heilsmittel eine
necessitas medii, d. h. eine Unersetzlichkeit und Unverzichtbarkeit als - dadurch, da es von Gott bzw. von Jesus Christus eingesetzt, angeord-
Heilsmittel ausgesagt werden. 58 D. h. aber: Wer an einem bestimmten net oder befohlen ist oder
Heilsmittel nicht teilhat, ist damit nicht automatisch vom Heil ausge- - dadurch, da es mit einer gttlichen Heilsverheiung verbunden und
schlossen. ausgestattet ist.
Weil aber Wortverkndigung und Sakrament dasselbe Heil auf ver-
schiedene Weise bringen und erst in dieser Verschiedenheit den Menschen Die erste Antwort wurde hufig zugespitzt zu dem Kriterium gttli-
in seiner ganzen Existenz ansprechen, darum wre es gefhrlicher Hoch- cher Stiftung aufgrund der Einsetzung durch Jesus Christus, wobei dies
mut und Verachtung der Heilsmittel, wenn ein Mensch willkrlich auf nicht im Sinne eines historisch nachweisbaren Aktes gemeint sein mu,
eines von ihnen verzichtete. Den Heilsmitteln eignet zwar keine necessitas sondern (von Mt 28,16-20 her) als Stiftung durch den auferstandenen und
medii wohl aber eine necessitas praecepti, d. h. sie sind als von Gott erhhten Christus gedacht werden kann. Aber auch unabhngig von
, . h 59
gegebene und gebotene Mittel zu achten und anzune men. mglichen exegetischen Einwnden gegen eine so oder so verstandene
Einsetzung durch Jesus Christus mu man hier grundstzlich fragen, ob
die Einsetzung als eigenstndiges Kriterium (neben der Betonung des
57 Vgl. dazu u. 14.3.1.2, wo die sichtbare Kirchedefiniert wird a!s d!e Gemein- sinnenhaften Zeichens und zustzlich zudem Verbundensein mit einer
schaft derer, die sich wenigstens uerlich zu Wortverkundlgung und Heilsverheiung) berhaupt sinnvoll ist.
Sakramentsfeier halten und sich wenigstens uerlich zum Glauben beken- Hierzu ist festzustellen: Wenn ein Handlungsvollzug nicht mit einer
nen. Der Sakramentsempfang ist ein solches uerliches Bekenntnis. gttlichen Heilsverheiung verbunden ist, dann ist er kein Heilsmittel
58 Auch das "necessarius ad salutem" aus CA 9 (bezogen auf die Taufe) darf (also in diesem Fall: kein Sakrament), und er wird auch nicht dadurch
nicht im Sinne einer solchen necessitas medii gedeutet werden. ein Heilsmittel, da er von Gott bzw. von Jesus Christus eingesetzt,
59 Vgl. dazu K. Barrh, Die kirchliche Lehre von der Taufe (1943!, Mnc~en angeordnet oder geboten ist. Das gilt z. B. fr das Recht, fr das Almosen,
1947, S. 14 f. hnlich unterscheidet z. B. schon J. Gerhard ZWIschen emer
aber nach evangelischem Verstndnis auch fr die Ehe oder die Ordina-
(nicht bestehenden) necessitas absoluta und der (tatschlich bestehenden)
necessitas ordinata (vgl. dazu Loci theologici XX, Nr. 236; Bd. 4, Berlin 1866, tion. Umgekehrt ist zu sagen: Ist ein Handlungsvollzug mit einer gttli-
S.381). chen Heilsverheiung verbunden, so ist er - aus diesem Grund - ein
542 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 543

Heilsmittel, selbst wenn es keine Einsetzung, Anordnung oder kein Gebot Konzil von Trient (in Anknpfung an das Konzil von Florenz [DH 1310-
Gottes gbe. 1313]) definitiv auf die Siebenzahl der Sakramente festgelegt und jede
Diese schlichte berlegung zeigt aber bereits, da eine gttliche Ein- Abweichung nach oben oder unten anathematisiert61 Die reformatori-
setzung, die in etwas anderem als in der Heilsverheiung ("promissio") sche Bewegung und die spteren evangelischen Kirchen haben daran von
besteht offenbar weder ein hinreichendes noch ein notwendiges Kriteri- Anfang an Kritik gebt. 62 Nach ihrem Verstndnis kann nur von zwei
um fr das Heilsmittel im allgemeinen und das Sakrament im besonderen oder drei dieser "Sakramente" gesagt werden, da sie sowohl mit einem
ist. Sie scheidet also als zustzliches Kriterium aus. Anders gesagt: Genau sinnenhaften Zeichen ("elementum") als auch mit einer Heilsverheiung
betrachtet ist die gttliche Stiftung oder Einsetzung mit der Heils" ("verbum") verbunden sind und (darum) als von Gott bzw. Jesus Christus
verheiung gegeben und in ihr enthalten. Der Gedanke der Stiftung un- eingesetzt oder gestiftet bezeichnet werden knnen. Das Schwanken, das
terstreicht also nur einen Aspekt der Verheiung: Sie soll ernstgenom- in dem Ausdruck "zwei oder drei" zum Ausdruck kommt, bezieht sich auf
men, in Anspruch genommen, gebraucht werden. Die necessitas praecepti die Bue, die fraglos mit einer gttlichen Heilsverheiung, aber nicht mit
ist ein Implikat der promissio. einem bestimmten sinnenhaften Zeichen verbunden ist. Aufgrund dieses
Das Nachdenken ber den Begriff und die Bedeutung der Sakramente Defizits haben sich die reformatorischen Kirchen schlielich auf die Zwei-
kann sich also auf das dominierende Element des sinnenhaften Zeichens zahl der Sakramente: Taufe und Abendmahl festgelegt. Von dem hier
und auf die damit verbundene Heilsverheiung konzentrieren. "Heils- entwickelten Denkansatz aus, der sich nicht am Kriterium der Sicht-
verheiung" meint dabei, da dieser Handlungsvollzug mit der Zusage barkeit, sondern im umfassenderen Sinn am Kriterium der (dominieren-
Gottes verbunden ist, da in ihm die Vielfalt und Einheit des Heils so zur den) Sinnenhaftigkeit orientiert, mu diese reformatorische Entscheidung
Darstellung kommt, da es wirksam erlebt werden kann. Um diesen n:.icht revidiert werden, gleichwohl ist von da aus (wieder) eine strkere
Gedanken einsichtig zu machen, ist es freilich erforderlich, auf den Zu- Offnung des Sakramentsbegriffs auch fr die Bue denkbar und mglich.
sammenhang zwischen dem sinnenhaften Zeichen und der Heilsver- Dies gilt jedoch nicht fr diejenigen Handlungsvollzge, bei denen keine
heiung zu achten. Dieser Zusammenhang besteht darin, da der Hand- gttliche Heilsverheiung erkennbar ist, also - nach reformatorischem
lungsvollzug des Sakraments samt den in ihm dominierenden sinnenhaften Verstndnis - weder fr die Ehe noch fr die Ordination bzw. die Prie-
Zeichen eine angemessene sinnenfllige Darstellung dessen ist, was das sterweihe:
Evangelium von Jesus Christus fr das Heilwerden des Menschen bedeu-
tet. Auf die Bedeutung der einzelnen Elemente und Handlungsvollzge Die Ehe ist zwar Gottes Ordnung, aber ein "weltlich Ding". D. h., sie
wird in den folgenden Abschnitten (14.2.3.1 u. 14.2.4.2) einzugehen sein, gehrt zu Gottes Regierweise "mit der Linken". Sie dient also der
wo diese Sakramente im einzelnen bedacht werden. Hier ist es jedoch Erhaltung, aber nicht der Erlsung der Welt. Die Ehe wird sogar in
wichtig, auf die Tatsache eines solchen Zusammenhanges zu,verweisen, hohem Mae gefhrdet, und die Partner werden mit schwer ertrgli-
um den Eindruck zu vermeiden, sinnenhaftes Zeichen und Heilsver- chen Erwartungen beladen, wenn sich - was vermutlich hufig der
heiung stnden unverbunden nebeneinander, wrden also nur willkr- Fall ist - mit der Eheschlieung Erlsungs- und Heilserwartungen
verbinden. 63
lich in einen Zusammenhang gebracht. 60
Aber von welchen Handlungsvollzgen gilt nun, da sie sowohl ein
sinnenhaftes Zeichen enthalten als auch mit einer - entsprechenden- DH 1601: "Si quis dixerit, sacramenta novae Legis non fuisse omnia a Iesu
gttlichen Heilsverheiung verbunden sind und darum den Charakter Christo Domino nostro instituta, aut esse plura vel pauciora, quam septem
eines Sakraments haben? Die rmisch-katholische Kirche hat sich im videlicet baptismum, confirmationem, Eucharistiam, paenitentiam, extremam
unctionem, ordinem et matrimoniu~; aut etiam aliquod horum septem non
60 Um die Autoritt des gttlichen Gebietens ber allen Zweifel deutlich zu esse vere et proprie sacramentum: anathema sit." In dieser Festlegung auf die
machen, hat Luther sich gelegentlich so geuert, als gbe es keinen solchen Zahl von sieben Sakramenten stimmt die rmisch-katholische Kirche mit den
inneren Zusammenhang zwischen Zeichen und Verheiung und als handele orthodoxen Kirchen berein.
es sich lediglich um ein willkrliches "gttliches" Gebot. Dieser Auffassung, Vgl. dazu exemplarisch den entsprechenden Passus in Luthers Schrift: "De
die sich als Konsequenz aus Luthers nominalistischem Zeichenverstndnis captivitate Babylonica" (1520) WA 6,501.
ergibt, und dem darin zum Ausdruck kommenden Gottesverstndnis kann Selbst dort, wo sich einer alten agendarischen Formel entsprechend mit der
ich nicht folgen. Ehe die Hoffnung verbindet, "da eins das andere mit sich in den Himmel
544 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 545

- Die Ordination hat ebenfalls (wie schon ihr Name sagt) den Charakter Heil bringen, sondern es auch auf dieselbe Weise, nmlich auf sinnen-
einer (gottgewollten) Ordnung, die der verllichen und verantwort- hafte Weise vermitteln - warum sollte dann nicht die Reduktion auf ein
lichen ffentlichen Wortverkndigung und Sakramentsfeier dient, aber Sakrament mglich und angemessen sein?
nicht selbst ein Heilsmittel ist. Durch die Ordination wird keine Be- Eine solche Reduktion wre deshalb ein schwerer Verlust weil diese
fhigung (im Sinne einer Weihe oder Amtsgnade) vermittelt, sondern beiden Sakramente je unterschiedliche Aspekte des Heilsgeschehens zum
eine Befugnis und eine Verpflichtung erteilt (s. dazu u.14.3.3.2). Auch Ausdruck bringen, auf die der christliche Glaube nicht verzichten kann.
die Ordination gehrt also zu Gottes Regierweise "mit der Linken", Das Proprium des Taufsakraments besteht darin, da es die von Gott her
Sie dient der Erhaltung der sichtbaren Kirche, die ihrerseits durch die geschehende zeichenhafte Inkorporation des Menschen in den Leib
Darreichung der Heilsmittel dem Heil der Welt (und insofern der Christi" zusagt und ihm zuteil werden lt; Damit rckt das ei~~elne
Erlsung) dient; menschliche Leben in die heilvolle Perspektive Gottes wie sie durch das
Es ist zu befrchten, da ber diese zwischen den Konfessionen strit- Christusgeschehen erschlossen ist. D. h.: Die menschliche Person wird
tigen Aussagen bezglich der Sakramente noch auf lngere Sicht keine wahrgenommen im Lichte des Ebenbildes Gottes, das in Jesus Christus
Verstndigung erzielt werden kann. ber diesem Dissens sollte aber nicht me~schliche Gestalt angenommen hat. Es geht also um den Beginn des
der Konsens vergessen oder geringgeachtetwerden, der darin besteht, ChrIstenlebens, um seine Begrndung, die von Gott her geschieht und
da alle groen Konfessionen in der Anerkennung von Taufe und Abend- d~n Charakter einer Neukonstituierung der Person (s. o. 14.1.1.2 c) hat. 64
mahl als (den beiden grundlegenden) Sakramenten bereinstimmen- DIese ~on Gott h~r geschehene Annahme und Eingliederung eines Men-
auch wenn es im Blick auf das Taufverstndnis und das Abendmahls- schen. In den "Lelb Christi" ist und bleibt fr ihn dauerhaft gltig. Sie
verstndnis im einzelnen noch erhebliche Differenzen gibt. Die Tatsache geschIeht ohne menschliche Vorleistung und kann durch kein menschli-
eines grundstzlichen Konsensus ber Taufe und AbendmaW als Sakra- ches Verhalten auer Kraft gesetzt werden. Darum ist sie einmalig und
menteenthebt uns jedoch nicht der Rckfrage nach seiner Begrndung unwiederholbar.
und Tragfhigkeit. Aber was damit begonnen hat, ist das christliche Leben unter den
Das Kriterium, da wir es mit einem Handlungsvollzug zu tun haben, Bedingungen von Anfechtung, Zweifel, Snde, das immer wieder neu der
in dem vorrangig mittels sinnenhafter Zeichen kommuniziert wird, ist in Vergewisserung und Besttigung bedarf. Das neue Leben braucht die
beiden Fllen zweifelsfrei erfllt: durch den Handlungsvollzug des ~egzehrun~ ~es S~kraments. Entgegen allen Gefahren von Ideologien,
Untertauchens oder bergieens mit Wasser sowie durch den Handlungs- dIe GanzheIthchkeIt oder Vollkommenheit versprechen verweist das
vollzug des Austeilens und Empfangens von Brot und Kelch. Auch die Abendmahl auf die eschatische Vollendung. Es erinnert a~ die christliche
Heilsverheiung ist gegeben, nmlich die Zueignung des Heilswerkes Existenz unterwegs, die von der Taufe herkommt aber noch nicht am Ziel
Christi durch Vergebung der Snden und Teilhabe am "Leib Christi". ist. Auf diesem Weg brauchen Christen die sin~enhafte Vergewisserung
Schlielich wird auch bei beiden Sakramenten der Zusammenhang er- und Strkung durch das Abendmahl.
kennbar, der zwischen der Heilsverheiung und den sinnenhaften Zei- Deshalb braucht der christliche Glaube beide Sakramente: die Taufe
chen besteht: Das Abwaschen mit Wasser oder das Untertauchen im und. das Abendmahl. Er kann also ohne Substanzverlust auf keines von
Wasser veranschaulicht die Vergebung der Snden und das Neuwerden ihnen verzichten.
des menschlichen Lebens; das Gespeist- und Getrnktwerden mit Brot Die Beurteilung der Konfirmation bzw. Firmung und der Kranken-
und Wein veranschaulicht die Tischgemeinschaft und die Wegzehrung, salbung (" unctio extrema") ist nicht ganz einfach:
die den Glaubenden zuteil wird. - Die rmisch-katholische Lehre versteht die Firmung (unter Berufung
Mit alledem ist jedoch noch nicht beantwortet, warum es zwei solche auf Act 8,17 f.; 19,6 u. Hebr 6,2) als Geistmitteilung durch Hand-
Sakramente geben msse, von denen eines strikt unwiederholbar ist, auflegung. Damit sind aus ihrer Sicht die beiden sakramentalen Kri-
whrend das andere immer wieder gefeiert werden kann und soll. Wenn
doch beide Sakramente allen Kriterien gengen und nicht nur dasselbe Das wird freilich durch das Untertauchen als symbolisches Sterben und
Auferstehen viel deutlicher ausgedrckt, als durch das bergieen mit Was-
bringe", darf dies doch nur als verlliches, verantwortliches Weggeleit ver- ser. Durch letztere kommt aber immerhin der Aspekt des Abwaschens der
standen werden, aber nicht als Heilsmittlerschaft. Snde zur Geltung.
546 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 547

terien (sinnenhaftes Zeichen und Heilsverheiung) erfllt. Aber nach Schaden darstellt. Da die reformatorischen Kirchen sich nach lngerem
neutestamentlichem Verstndnis gehrt die Gabe des Heiligen Geistes Schwanken auf zwei Sakramente - Taufe und Abendrnahl- verstndigt
zum Taufgeschehen hinzu - selbst wenn sie gelegentlich als zeitlich und festgelegt haben, ist jedoch eine gut begrndbare Entscheidung, und
davon abgerckt vorgestellt wird (so Act 8,15 f.). Wird nun grund- es besteht keine theologische Notwendigkeit, sie zu revidieren. Von dem
stzlich die Geistmitteilung sakramental von der Taufe unterschieden, hier gewhlten Denkansatz aus besteht berhaupt kein spezifisches Inter-
so fhrt dies ~ ungewollt - zu einer pneumatologischen, und d. h. eSSe an einer mglichst scharfen Grenzziehung zwischen Wortverkndi-
zugleich soteriologischen Entleerung der Taufe. Die sakramentale Auf- gung und Sakramentsfeier - im Gegenteil. Das theologische Interesse
wertung der Firmung bzw. Konfirmation geht also zu Lasten der konzentriert sich an dieser Stelle vielmehr auf eine deutliche Beschreibung
Taufe. Damit verliert aber die Taufe ihre Eindeutigkeit als Beginn des der Heilsmittel insgesamt - und auf die Frage nach ihrer angemessenen,
christlichen Lebens. Deswegen ist dieser Weg nicht zu empfehlen und einladenden Gestaltung.
sollte nicht beschritten werden.
- Der sakramentale Charakter der Krankensalbung wird mit dem Ver-
weis auf die Heilungswunder Jesu und der Apostel sowie auf die 14.2.3 Die Taufe
Aufforderung von Jak 5,14 f. begrndet. In beiden Fllen geht es
tatschlich um Heil im umfassenden Sinn und nicht nur um krperli- Da die Taufe kein genuin christlicher Ritus ist, bringt das Neue Testa-
che Genesung von Krankheit. Insofern wird man der Krankensalbung ment selbst auf zweierlei Weise zum Ausdruck: Einerseits fhrt es die
eine Heilsverheiung nicht absprechen knnen. Freilich mu man Taufe auf]ohannes (den Tufer) zurck (Mk 1,4 ff. parr.), der seinerseits
sehen, da das sinnenhafte Zeichen des Salbls nur in Jak 5,14 f. mit vielleicht so etwas wie der Lehrer Jesu war, jedenfalls nicht zu seinem
diesem Handlungsvollzug verbunden ist. Viel hufiger ist es eine (seg- Jngerkreis gehrte, und zum Alten Bund gezhlt wird (Mt 11,11). An-
nende) Geste der Berhrung, vor allem aber das Gebet ber dem dererseits berichtet das Neue Testament (auer Joh 3,22) nichts davon,
kranken Menschen oder fr ihn. Von diesen Beobachtungen her er- da Jesusselbst getauft habe; ja an einer Stelle (Joh 4,2) wird dies aus-
scheint mir das Kranken- oder Sterbendenabendmahl, in dem das drcklich verneint, wohl aber von den Jngern Jesu behauptet. Beides
Gebet und der Segen ihren Ort haben, als die angemessenere sakra- knnte wie eine Distanzierung gegenber der Taufe wirken, gbe es nicht
mentale Form gegenber der eigenstndigen Krankensalbung, wenn- drei andere berlieferungselemente, durch die die Taufe von Anfang an
gleich sie in bestimmten Situationen die einzige Mglichkeit sein kann, fest mit dem christlichen Glauben verbunden wird:
einen Menschen noch durch ein sinnenhaftes Zeichen zu berhren. In
jedem Fall sollte aber (auch hier) vermieden werden, da das Abend- - die Taufe ]esu im Jordan durch Johannes (Mk 1,9 parr.), die zu den
mahl durch ein sakramentales Verstndnis der Krankensalbung ent- bestbelegten Ereignissen seiner Lebensgeschichte gehrt, was schon
wertet wird. Der m. E. gewiesene Weg ist darum nicht die Einfhrung daran erkennbar wird, da die Evangelisten mit ihr offenbar theolo-
eines eigenstndigen Sakraments der Krankensalbung im evangeli- gische Probleme haben (s. Mt 3,14 f.; Joh 1,19-34);
schen Bereich, sondern die Einbeziehung von Elementen der Kranken- - der Taufbefehl des Auferstandenen (Mt 28,19 f.) als eine Art Ver-
salbung (Frbitte, persnlicher Segen, u. U. Salbung) in das Abend- mchtnis an seine Jnger und als Beauftragung zum Weiterwirken und
mahl mit Kranken und Sterbenden. Weitergeben des Evangeliums;
- die Tatsache, da in der Geschichte des Christentums offenbar von
Das "Nein" zu den fnf "Sakramenten", die von den reformatori- Anfang an und in allen Regionen getauft wurde und dieser rituelle
schen Kirchen nicht als solche anerkannt werden, hat also ganz unter- Handlungsvollzug der Verbreitung des christlichen Glaubens und da-
schiedliche Qualitt und Schrfe. Die reformatorische Theologie hat kei- mit dem Aufbau der Kirche diente 65
nen Grund, den Satz zu vertreten: "Si quis dixerit, sacramenta esse plura
vel pauciora quam duo: anathema sit." Die Grenzen, die hier zu ziehen
sind, sind fr ein solches definitives Urteil (auch abgesehen von dem Das setzt schon Paulus voraus (I Kor 1,13 ff.; Gal 3,27; Rm 6,3), in dessen
Wirken das Taufen jedoch keine herausragende Rolle spielte (vgl. I Kor 1,17).
Vorbehalt gegenber jeder Formeines Anathema) nicht scharf genug, und Auch durch andere Schriften des Neuen Testaments, insbesondere durch die
es drfte deutlich geworden sein, warum das so ist und da dies keinen Apostelgeschichte, ist die Praxis der Taufe belegt.
548 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 549

Von diesem '- distanzierenden und identifizierenden - Doppelbefund durch die sie zeichenhaft eine neue Daseinsgestalt erhlt, nmlich als
her ist zunchst zu fragen, welche Bedeutung die Taufe fr das Selbstver- Glied am "Leib Christi", und damit zur Existenz EV XplO"T0 wird.
stndnis der christlichen Kirche hat (14.2.3.1). Sodann wird zu fragen Damit erhlt die rituelle Waschung eine bedeutende Vertiefung und
sein, wie sich die Taufe (als die zeichenhafte Eingliederung in den "Leib Radikalisierung.
Christi") zum Glauben verhlt, durch den ein Mensch zur (verborgenen) - Wie bei den meisten rituellen Waschungen in anderen Religionen
Kirche gehrt (14.2.3.2). Die daraus weiter resultierende Frage ist die handelt es sich bei der Taufe um eine kultische Zeichenhandlung, die
nach der Legitimitt der Kinder-, genauer: der Suglingstaufe sowie nach ein Begehren voraussetzt, sei es als Bitte um die eigene Taufe oder als
dem Verhltnis von Erwachsenen- und Suglingstaufe (14.2.3.3). Den Bitte um die Taufe der eigenen Kinder. Charakteristisch fr die Taufe
Abschlu bildet die sich wiederum hieraus ergebende Frage nach der ist aber, da man zwar selbst die Taufe begehren, aber sich nicht selbst
Taufverantwortung (14.2.3.4). taufen kann. Zwar wre es technisch ohne weiteres mglich, sich
selbst zu taufen, aber das widerspricht demSinnderTaufe. Man kann
sich nur taufen lassen. Gerade diese mediale Form, d. h. dieses aktive
14.2.3.1 Die Taufe als zeichenhafte Passiv entspricht genau dem Geschehen, in dem der Glaube an das
Eingliederung in den "Leib Christi CC66 Evangelium entsteht und besteht (s. o. 14.1.3.2).67Von den meisten
rituellen Waschungen unterscheidet sich das Sakrament der Taufe
Das Sakrament der Taufe gehrt von seinem Ursprung und seinem Voll-
also dadurch, da man sie nicht selbst an sich vollziehen, sondern nur
zug her in den groen religionsgeschichtlichen Zusammenhang kultischer an sich geschehen lassen kann. 68
Waschungen, wie sie in fast allen Religionen vorkommen. Zugleich unter-
- Wiederum im Unterschied zu den meistenrituellen Waschungen ist
scheidet sich die Taufe in mehrfacher Hinsicht von diesen kultischen
das christliche Sakrament der Taufe einmalig und unwiederholbar.
Waschungen, und gerade diese Unterschiede qualifizieren die Taufe zum
Das ergibt sich daraus, da die Taufe das neukonstituierende Handeln
Sakrament, also zu einer Zeichenhandlung, die den Charakter eines Heils-
Gottes symbolisiert, das die gesamte Existenz des Menschen betrifft.
mittels hat.
Als "Bad der Wiedergeburt" (Tit 3,5; vgl. auchJoh 3,3 ff.) bedarf die
- Die Taufe teilt mit den rituellen Waschungen die symbolische Bedeu- Taufe keiner Wiederholung, ja ist sie keiner Wiederholung fhig-
tung der Reinigung. Dabei ist vorausgesetzt, da die Snde den Cha- sowenig die erste, natrliche Geburt eines Menschen einer Wiederho-
rakter einer (inneren) Verunreinigung hat, die beseitigt werden mu, lung bedarf oder fhig ist. Die von Gott her vollzogene Neukonstitu-
wenn ein Mensch wieder mit Gott, seiner Umwelt und sich selbst "ins ierung der Person wird auch durch deren Unglauben nicht aufgehoben
reine kommen" soll- wie man das .anschaulich ausdrcken kann. oder ungltig gemacht. 69
Aber dieser Gedanke und dieses Bild sind genau besehen doch - im
Zusammenfassend lt sich also sagen: Der spezifische Charakter des
wrtlichen Sinn - zu oberflchlich. Es geht bei der Snde nicht um
Taufsakraments als Zeichenhandlung, die der Heilsverheiung des Evan-
etwas von auen Anhaftendes, das abgewaschen werden knnte, weil
geliums entspricht und die darum durch sie sinnenhaft vermittelt wird,
es nicht "unter die Haut geht", sondern der Schaden reicht bis ins
liegt in drei Elementen, die in der religionsgeschichtlich vertrauten Praxis
Zentrum der Person, betrifft die menschliche Identitt. Und darum ist
ritueller Waschungen allenfalls angelegt sind, aber dort nicht (durch-
das Taufsakrament erst dann angemessen verstanden und es ist erst
dann als sinnenhaftes Zeichen verstanden, das der Botschaft des Evan-
geliums entspricht, wenn es als symbolischer Durchgang durch den 67 Dieses wichtige Element wird verdunkelt durch Barths These von der Taufe
Tod, als ein Sterben und Auferstehen mit Christus verstanden wird mit Wasser als erster "Tat" des ch~istlichen Lebens (KD IV/4, S. 45), wobei
(Rm 6,1-11). Erst in dieser Zuspitzung, die liturgisch durch den Ritus Barth natrlich wei (s. a.a.O.,S. 1); da die "Tat" genaugenommen nur in
der Bitte um die Taufe bestehen kann.
des Untertauchens ("Submersion") dargestellt wird, kommt zur Gel- 68 Dasselbe gilt brigens fr das Abendmahl und fr die Absolution in der
tung, da das Erreichtwerden durch die heilbringende Botschaft des Beichte.
Evangeliums den Charakter einer Neukonstituierung der Person hat, 69 Das ist - wenn es nicht substanzontologisch, sondern relationsontologisch
verstanden wird - der gute Sinn der rmisch-katholischen Lehre vom "character
66 Zur Bedeutung dieser Metapher s. o. Anm. 56 auf S. 539. indelebilis", der durch die Taufe jedem Christen verliehen wird.
550 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 551

gngig) zur Geltung kommen: Die Taufe ist ein ~ einmaliges, unwieder- deutlich, welchen Sinn die necessitas praecepti der Taufe hat: Sie bietet
holbares - symbolisches Sterben und Auferstehen mit Christus, das ein dem Menschen ein sinnenhaftes Zeichen als Erinnerung an den verlli-
Mensch nur an sich geschehen lassen kann. chen Grund seines Glaubens - auch in der Situation der Anfechtung.
Deswegen ist das sakramentale Verstndnis der Taufe festzuhalten.

14.2.3.2 Das Verhltnis von Taufe und Glaube


14.2.3.3 Erwachsenen- und Suglingstaufe
Das Problem, um das es nun geht, ist nicht das der zeitlichen Reihenfolge
zwischen Taufe und Glaube, sondern das ihres sachlichen Verhltnisses: Angesichts der im letzten Abschnitt vollzogenen Entscheidung fr das
Begrndet und "trgt" die Taufe den Glauben, hat also die Taufe fr den sakramentale Verstndnis der Taufe ergibt sich fr die Frage nach der
Glauben kausative Bedeutung, oder wird der Glaube durch die Taufe Legitimitt der Erwachsenen- und/oder Suglingstaufe von vornherein
symbolisch dargestellt, hat die Taufe fr den Glauben also kognitive eine Einschrnkung und Zuspitzung. Der Begriff "Erwachsenentaufe"
Bedeutung? Hier besteht eine echte Alternative, die auch im Verhltnis (oder "Mndigentaufe") hat nun jedenfalls nicht (mehr) die Bedeutung
zwischen den tuferischen bzw. baptistischen Gemeinden und dem Gro- von "Glaubenstaufe" oder "Glubigentaufe" im Sinne einer Taufe, fr
teil der brigen christlichen Kirchen die Gestalt eines konfessionellen deren Gltigkeit der Glaube des Tuflings die sachliche Voraussetzung
Gegensatzes angenommen hat: bildet. Wrde man dies so interpretieren, also "Erwachsene" als "Glau-
- Entweder hat die Taufe den Glauben zur sachlichen Voraussetzung, bende" verstehen, dann wrde ja wieder die Gltigkeit der Taufe vom
ist also nur gltig, wenn sie im Glauben begehrt und empfangen wird, Glauben abhngig gemacht, also das sakramentale Taufverstndnis preis-
dann ist sie kein Sakrament; denn sie ist dann ihrem Wesen nach kein gegeben.7 Natrlich ist nicht ausgeschlossen, da Erwachsene, die sich
Heilsmittel, durch das Glaube geweckt wird, sondern "nur" Bekennt- taufen lassen, auch Glaubende sind, aber es geht nicht um den Glauben,
nisakt oder symbolische Darstellung des Glaubens, der sich auf einem sondern um die Mndigkeit71 bzw. das Erwachsensein als das Spezifikum,
auf das es in diesem Falle ankommt.
anderen Weg vermittelt und erschlossen haben mu.
- Oder die Taufe hat nicht den Glauben zur sachlichen Voraussetzung, Die theologische Streitfrage lautet natrlich nicht: Ist es theologisch
ist aber wesensmig darauf ausgerichtet, da sie Glauben weckt und legitim, (noch nicht getaufte) Erwachsene zu taufen, die dies begehren,
so wirksam wird; dann ist sie ein Sakrament, das zugleich als Bekennt- sondern nur umgekehrt: Ist es theologisch legitim, (noch nicht getaufte)
nisakt und als symbolische Darstellung des Heilsgeschehens verstan- Unmndige, insbesondere Suglinge und Kleinkinder zu taufen? Es gibt
den werden kann, das darin aber nicht aufgeht. eine ganze Reihe von Bedenken, die immer wieder - auch von theologi-
scher Seite - gegen die Suglingstaufegeltend gemacht werden. Diese
Aus dieser Gegenberstellung mu man jedoch nicht folgern, da mssen zur Kenntnis genommen (a) und erwogen (b) werden. Schlielich
jeder, der den Glauben zur sachlichenVoraussetzung fr die Taufe erklrt ist aber auch zu fragen, ob es theologisch tragfhige Argumente fr die
und damit (bewut oder unbewut) den sakramentalen Charakter der Suglingstaufe gibt (c).
Taufe bestreitet oder aufgibt, deswegen notwendigerweise den Glauben
als Werk oder Leistung des Menschen mideuten msse. Es wre ja in
diesem Falle immer noch mglich, auf das verkndigte Wort als notwen-
diges Heilsmittel zu verweisen, durch das Glaube geweckt wird. Wohl
aber lt sich sagen: Mit der Entscheidung fr die erste der beiden
Deutungsmglichkeiten verzichtet eine Person oder eine Kirche auf das 70 Zudem wrde mit einer solchen Gleichsetzung implizit die These vertreten,
sinnenhafte Zeichen, an das sich ein Mensch auch und gerade dann halten nur Erwachsene knnten glauben, Kinder dagegen nicht. Das wre eine nicht
nur unbegrndete, sondern angesichts von Mk 10,15 parr. theologisch hchst
kann, wenn sein Glaube ihm fragwrdig wird und zu entschwinden droht. problematische Annahme.
Sie verzichtet auf das "baptizatus sum" als mglichen Halt fr den Glau- 71 Dabei kann man fr die Definition von "Mndigkeit" von dem jeweils gesell-
ben. Wenn der Glaube die Taufe erst gltig macht, dann entschwindet schaftlich festgesetzten Alter der Religionsmndigkeit, in unserem Fall also
auch mit dem Glauben die Taufe. An diesem Punkt wird noch einmal vom vollendeten 14. Lebensjahr ausgehen.
552 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 553

a) Bedenken gegen die Suglingstaufe b) Auseinandersetzung mit den


systematisch-theologisch relevanten Bedenken
Gegen die Suglingstaufe werden vor allem folgende vier theologisch
relevante Bedenken erhoben: Betrachtet man die vier genannten Bedenken, die als systematisch-theolo-
gisch relevant zu bezeichnen sind, so zeigt sich schnell, da sie einen
Suglinge (und Kleinstkinder) sind noch nicht in der Lage, die Taufe
gemeinsamen Kern oder Nenner haben: die (partielle) Vertretbarkeit VOll
fr sich zu begehren. Bei mndigen Menschen ist aber dieses Begehren
Suglingen und Kleinstkindern im Gesamtzusammenhang des Tauf-
eine notwendige Voraussetzung fr die Taufe. Ohne ein solches Be-
geschehens durch Eltern und Paten. Diese Vertretung erscheint als eine
gehren (oder gar gegen den eigenen Wunsch und Willen) darf niemand
Art Notbehelf gegenber der eigenen Entscheidung, Erinnerung und dem
getauft werden. Mit welchem Recht kann diese Bedingung bei Sug-
eigenen Glauben. Insofern ist zunchst grundstzlich zu fragen, was ber--
lingen und Kleinstkindern entfallen, oder genauer gesagt: auf die El-
~~~pt d~fr spricht, da eine solche Stellvertretungssituation herbeige-
tern bergehen?
fuhrt WIrd. Darauf lt sich eine einfache Antwort geben: Es ist der
Indem Eltern ihre unmndigen Kinder taufen lassen, verfgen sie in
Wunsch der Eltern, ihre Kinder an dem teilhaben zu lassen, was fr ihr
einem entscheidenden Bereich ber die Kinder, ohne da sie deren
eigen~s Leben wichtig ist. Es handelt sich also nur um eine spezifische,
Zustimmung oder Einwilligung einholen (knnen). Sie lassen an ihren
allerdmgs besonders gewichtige Form, in der die Weitergabe und Bezeu~
Kindern eine Handlung vollziehen, deren Gltigkeit unaufhebbar ist
gung des eigenen Glaubens erfolgt. Dieses Weitergeben und -sagen des
("character indelebilis"). Hinzu kommt, da in den meisten Kirchen
Evangeliums hat natrlicherweise als erste und nchste Adressaten die
die Taufe zugleich der rechtliche Akt der Aufnahme in die Kirche ist.
eigenen Familienangehrigen und Hausgenossen.?3 Von daher erweist
Auch damit wird ohne Einwilligung der Kinder ber sie verfgt, und
sich die zunchst paradox klingende These Ratschows als plausibel, da
sie erhalten ungefragt eine Mitgliedschaft, die sie nur durch einen
aus dem Wesen der Taufe als Missionssakrament unter geschichtlichen
Austrittsakt wieder aufkndigen knnen.
Bedingungen mit innerer Notwendigkeit die Praxis der Kindertaufe resul-
Wird die Taufe im Suglings- oder Kleinkindalter vollzogen, so nimmt
tiert.?4 Dabei korrespondiert dem Vermittlungswunsch der Eltern das
das Kind zwar an der Handlung teil, hat aber daran in der Regel keine
Angewiesensein des Suglings und des heranwachsenden Kindes auf die
eigene Erinnerung. Es wei um das "baptizatus sum" nur von Erzh-
lungen, Bildern, Filmaufnahmen, Urkunden, aber nicht aus eigenem
Erleben. Damit tritt aber das gerade fr das Sakrament wesentliche Die Art, wie die Suglingstaufe wahllos gewhrt und gespendet werde, sei
Moment des sinnenhaften Affiziertwerdens in den Hintergrund. unverantwortbar und fhre zu einer Entwertung des Christseins.
Wenn der Glaube zwarnicht die Taufe macht, wohl aber empfngt Der erste dieser drei Einwnde ist ein exegetischer Einwand. Er wre nur dann
(BSLK 701,41 f.), dann besteht insofern ein konstitutiver Zusammen- systematisch-theologisch relevant, wenn sich zeigen liee, da die Suglings-
hang zwischen Taufe und Glaube. Da ein Sugling aber (allem An- taufe vom Wesen der Taufe her (notwendigerweise) auszuschlieen ist. Diese
schein nach) noch nicht fhig ist zu glauben, kommt dieser Zusam- Frage ist aber in den oben genannten relevanten Bedenken enthalten. Der
menhang zwischen Taufe und Glauben in der Suglingstaufe nicht zweite Einwand wre nur dann relevant, wenn es aus theologischen Grnden
zum Ausdruck. zu beanstanden wre, da der Bestand der (Volks-)Kirche erhalten oder
vergrert wird. Wenn es sich dabei berhaupt um einen ernsthaften theolo-
In diesen vier Punkten sind m. E. alle systematisch-theologisch rele- gischen Einwand handelt, dann trifft er das Verstndnis von Kirche, aber nicht
vanten Fragen72 an die Suglingstaufe zusammengefat und enthalten. das der Suglingstaufe. Der dritte Einwand richtet sich nicht gegen die Suglings-
taufe an sich, sondern gegen eine b~stimmte Art des Umgangs mit ihr. Dieser
Einwand soll in Abschn. 14.2.3.4, Wo es um Taufverantwortung geht, aufge-
72 Zu ihnen zhle ich nicht folgende drei immer wieder erhobene Einwnde: nommen werden.
73 Insofern sind die sog. oiKos-Formeln des Neuen Testaments (Act 16,15 u. 33 f.;
Das Neue Testament kenne keine Kindertaufe; deswegen sei sie nicht zu IKorl,16), gleichgltig ob dabei schon Kleinkinder inbegriffen waren (so
begrnden. Joachirll Jeremias) oder nicht (so Kurt Aland), ein theologisch wichtiger
Die Kindertaufe diene primr der Erhaltung des kirchlichen Bestandes Ansatzpunkt.
insbesondere der Volkskirche; deshalb sei sie abzulehnen. 74 c.H. Ratschow, Die eine christliche Taufe, S. 221-247.
554 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 555

Vorgaben und Entscheidungen der Eltern. Es ist eine irrige Annahme, sogar die Geburt des Suglings den Eltern erst (wieder) einen Zugang zu
durch Unterlassung der. Kindertaufe oder durch Verzicht auf religise religisen Fragen und zum Glauben.
Kindererziehung werde weniger (oder gar nicht) ber Kinder verfgt. Es Andererseits ist zu fragen, wie man eine Grenze angeben will, durch
gehrt zum Wesen der Eltern-Kind-Beziehung und zur Verantwortung die Kinder von religisen Erfahrungen ausgeschlossen sind. In mancher
der Eltern fr ihre Kinder, da Eltern (freilich in abnehmendem Ma) fr Hinsicht sind Kinder dem Religisen nher als Erwachsene, und von
ihre Kinder entscheiden und insofern ber sie verfgen mssen. Eltern daher kann sich ihnen auch schon frh ein Zugang zu den Inhalten des
knnen dabei nur versuchen,. ihren Kindern das zu vermitteln, was das christlichen Glaubens erffnen, der von auerhalb weder konstatiert noch
Beste ist, und ihnen so eine eigenstndige Lebensentscheidung zu ermg- ausgeschlossen werden kann. Wer wre in der Lage oder berechtigt, hier
lichen. Deswegen ist es vllig legitim, wenn Eltern fr ihre Kinder die eine Grenze zu ziehen? Die neutestamentlichen Aussagen, in denen Kinder
Taufe begehren. Das darin stattfindende "Verfgen" entspricht der Wahr- als Vorbild des Glaubens genannt werden (Mk 10,13 ff. parr.), stellen im
nehmung der Elternverantwortung - auch darin, da den Kindern zeichen- Widerspruch zum Verhalten der Jnger eine deutliche Warnung vor einer
haft etwas fr sie schlechthin Gltiges vermittelt wird, das sie spter selbst solchen Ausgrenzung dar.
annehmen oder ablehnen knnen.
Schwerer wiegt jedoch der Einwand, da die Suglingstaufe keine c) Grnde fr die Suglingstaufe
eigene, bewute Erinnerung an das Taufgeschehen beinhalte. Das stellt in
der Tat einen (relativen) Mangel dar. Ein Mangel istes gerade wegen der Abgesehen von dem, was bereits im Zusammenhang mit der Widerlegung
intendierten leibhaften, sinnenhaften Wirkung des Sakraments. Aber es der Bedenken an guten Grnden fr die Suglingstaufe angesprochen
ist-doch nur ein relativer Mangel; denn auch die Erinnerungen aus spte- wurde, gibt es einen m. E. tragfhigen theologischen Grund fr die
ren Lebensjahren verblassen u. U. schnell, vermischen sich mit den Erzh- Suglingstaufe, der ihr sogar einen Vorrang vor der Erwachsenentaufe
lungen anderer, mit Bildern und mit anderen Erfahrungen. Entscheidend einrumt: Die Suglingstaufe bringt auf eine unberbietbare Weise die
ist, da ein berlieferungsgewebe existiert, das einen Menschen vergewis- Bedingungslosigkeit der gttlichen Heilszusage zum Ausdruck. In einer
sert, da die Taufe stattgefunden hat und was das bedeutet. Trotzdem Lebenssituation, in der von einer eigenen Leistung oder zu erfllenden
bleibt hier ein Mangel bestehen, der nur zu ertragen ist, wenn es gute Bedingung des Tuflings noch nicht die Rede sein kann, wird einem
theologische Grnde fr die Suglingstaufe gibt. neugeborenen Menschen die heilsame Bestimmung seines Lebens auf
Bevor wir danach fragen, soll jedoch noch das vierte Bedenken auf- sinnenfllige Weise zugesprochen.
genommen werden, das sich darauf bezieht, da der Zusammenhang Diese theologische Bedeutung berwiegt den Mangel, der im Fehlen
zwischen Taufe und Glauben in der Suglingstaufe nicht zum Ausdruck eigenen Erinnerungsvermgens liegt, so weit, da die Entscheidung fr die
komme. Dazu ist zu sagen, da der Glaube seinem Wesen nach bei theologische Legitimitt und Vorzglichkeit der Suglingstaufe fr mich
keinem Menschen und darum auch bei keiner Form der Taufe so zum auer Frage steht. Dabei ist es keine gleichwertige oder theologisch befrie-
Ausdruck kommt, da er festgestellt werden knnte. Die Forderung nach digende Lsung, die Kindertaufe wegen der gegen sie vorgebrachten Be-
einem solchen konstatierbaren Zusammenhang ist aus einer Auen- denken durch eine Kindersegnung zu ersetzen, weil die Segnung als Zu-
perspektive formuliert, die dem Geschehen von Taufe und Glauben spruch von Gedeihen und Bewahrung unter Gottes Frsorge etwas anderes
unangemessen ist. bedeutet als die Taufe, die die bedingungslose Annahme des Menschen
Von daher erweist es sich auch als abwegig, den Glauben der Eltern von Gott her zum Ausdruck bringt. Eine Segnung der Kinder (und Eltern)
und Paten ersatzweise in Anspruch nehmen zu wollen. Schon die Rede kann und sollte die Taufe ergnzen, aber nicht ersetzen.?5
vom "Glauben der Eltern und Paten" wird in vielen Fllen dem nicht
gerecht, was im Taufwunsch der Eltern zum Ausdruck kommt, nmlich 75 Fr das Verstndnis des Segens sind aus biblisch-christlicher Sicht die Momen-
ein - vielleicht sehr vages - religises Bewegtsein durch die Geburt eines te der Bewahrung und des Wachstums wesentlich, wobei sich beides nicht nur
Kindes und durch das Gewahrwerden der Verletzlichkeit und Gefhrdung auf Gesundheit, Fruchtbarkeit und Wohlergehen, sondern auch auf Verge-
des neuen Lebens. Angesichts dieser Erfahrung suchen Eltern (und Paten) bung, Liebe und die Gabe des Heiligen Geistes beziehen kann. Dabei setzt die
nach einem daseinsbestimmenden Vertrauen, das ihr Leben und das ihres Segnung im Zusammenhang mit der Taufe die gttliche Heilszusage voraus
Kindes umfangen und tragen kann. Insofern erschliet mglicherweise und stellt die damit begonnene Lebensbewegung unter Gottes Schutz. Wrde
556 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 557

14.2.3.4 Taufverantwortung lichen Teil ihrer Taufverantwortung wahr - wie das entsprechend auch
fr den Kindergottesdienst und andere Formen kirchlicher Arbeit mit
Der Mangel, der in der fehlenden Erinnerung ah die leibhafte Zeichen- Kindern gilt.
handlung des eigenen Getauftseins im Falle der Suglingstaufe besteht,
darf trotz seiner Relativitt nicht einfach bergangen werden. Das Stich..
wort "Taufverantwortung" mu auch diesen Punkt aufnehmen. In die- b) Die Taufverantwortung der Gemeinden und Pfarrer
sem Zusammenhang ist die Bedeutung der Paten als Taufzeugen und des
Versprechens der Erziehung im christlichen Glauben zu bedenken. Das Angebot kirchlicher Arbeit mit Kindern und insbesondere mit Kon-
firmanden ist selbst eine der wichtigen Formen der Wahrnehmung
a) Die Taufverantwortung der Eltern und Paten gemeindlicher und pfarramtlicher Taufverantwortung. Aber diese relativ
sp.t wirksam werdende Form darf nicht die erste oder gar die einzige
Die sakramental verstandene (Suglings-)Taufe ist der Beginn eines le- S~lll. Abgesehe~ davon, da die Taufe ein Thema der Wortverkndigung
benslangen Prozesses. Dabei ist beides wichtig: der Beginn und der Pro- (msbesondere m Taufgottesdiensten) ist und so das Verstndnis der Tau-
ze. Es kann sich als schwerwiegendes Defizit und dauerhafte Strung fe gefrdert wird, ist das ausfhrliche Taufgesprch die erste, unverzicht-
erweisen, wenn der Beginn dieses Prozesses, nmlich die Taufe und damit bare persnliche Form, wie Pfarrerinnen und Pfarrer ihre Taufverant-
zugleich die symbolische Integration des kleinen Kindes in die (christli- wortung wahrnehmen. Dabei geht es nicht darum, in diesem Gesprch
che) Familie und Gemeinde unterlassen, versumt oder nur nachlssig herauszubekommen, ob die Eltern wissen, warum sie ihr Kind taufen
begangen wird. Aber ebenso stellt es ein schwerwiegendes Defizit dar, lassen wollen und ob diese Grnde akzeptabel sind, sondern es geht dar-
wenn dieser Beginn keine Aufnahme und Fortsetzung findet. Damit der um, auf die Sprache der Eltern zu achten und mit ihnen zusammen zu
"reditus ad baptismum" aber fr den Menschen, der als Sugling getauft bedenken, was aus kirchlicher Sicht die Taufe bedeutet und welche Er-
wurde, berhaupt mglich wird, bedarf es des Taufzeugnisses nicht nur wartungen damit an Eltern und Paten verbunden sind, aber auch, welche
in Gestalt einer Urkunde, sondern insbesondere in Gestalt lebendiger Angebote und Hilfestellungen die Gemeinde bereithlt. In diesem Zu-
Menschen, die dem Kind von seiner Taufe und dem, was sie bedeutet, sammenhang mu gemeinsam bedacht werden, was es heien kann, das
erzhlen - es also an die Taufe erinnern. Dabei knnen Gedenkzeichen eigene Kind "im christlichen Glauben zu erziehen und ihm durch Wort
und Gedenktage eine Hilfe sein. Entscheidend ist das Bemhen der Eltern und Beispiel zu helfen, Gott und die Menschen zu lieben"77. Ein mgli-
(und Paten), durch eine Erziehung in Liebe und Zur Liebe etwas von der ches - wenn auch nicht wnschenswertes - Ergebnis eines solchen Ge-
Annahme sprbar werden zu lassen, die in der Taufe zeichenhaft zuge- sprchs knnte es sein, da Eltern und Paten nicht bereit sind, diese
eignet wurde. Daneben findet ein wichtiger Teil der christlichen Erzie- Aufgabe und Verpflichtung zu bernehmen. In diesem Fall wre ein Tauf-
hung in der Konfirmandenarbeit statt, in der die Kirche das Ziel verfolgt, aufschub zu vereinbaren, der der Hoffnung Ausdruck gibt, da die (noch)
"der nachwachsenden Generation zu vermitteln, was es bedeutet, an nicht vorhandene Bereitschaft zur bernahme von Taufverantwortung
Jesus Christus zu glauben, zur Kirche zu gehren und als Christ verant- noch entsteht oder wchst. Wo Eltern die Taufe ihres Kindes begehren
wortlich zu leben"76. Indem Eltern (und Paten) ihre Kinder zum Konfir- und ffentlich ihre Bereitschaft zur Erziehung im christlichen Glauben
mandenunterricht "schicken" oder "anhalten", nehmen sie einen wesent- bekunden, da ist diese Taufe zu vollziehen. Eventuelle Bedenken im Blick
auf die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit sind keine Grnde fr Tauf-
die Suglingstaufe durch die Segnung ersetzt, so fehlte ihr diese heilsame, verweigerung oder Taufaufschub, sondern mglicherweise Anlsse fr
rettende Neukonstituierung der Person als der Ausgangspunkt, der ihr voraus- vertiefende, weiterfhrende Gespr<;he.
geht und zugrunde liegt. Umgekehrt kommt in der (Suglings-)Taufe die
bewahrende Dimension nicht zum Ausdruck, wenn sie nicht mit der Segnung
verbunden wird.
76 Diese Zielangabe ist - exemplarisch fr andere Landeskirchen L diejenige, die
zur Zeit in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Geltungsteht
(vgl. Konfirmandenarbeit und Konfirmation, Kassel 1990, S. 19, hnlich S. 23 77 So - wiederum exemplarisch - die Formulierung aus Agende III der Evange-
u.26). lischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel 1975, S. 8.
558 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 559

14.2.4 Das Abendmahl Leiden hindurchgegangenen Christus, d. h. Teilhabe am "Leib Christi".78


Der ursprngliche Sinn der Zeichenhandlung des Abendmahls wird durch
Ich verwende den Begriff "Abendmahl", weil er - indirekt - auf die Nacht die liturgische bermalung der neutestamentlichen Texte hindurch be-
des Verrats und der Gefangennahme verweist, also auf den Ursprung sonders in I Kor 11 und Mk 14 noch in Umrissen erkennbar und erlaubt
dieses Sakraments in der Passion Jesu (I Kor 11,23; vgl. auch Lk 24,29 f.). folgende Rekonstruktion79 : Beim letzten festlichen Mahl mit den Men-
Ich verwende dagegen bewut nicht die im 2. Jahrhundert (Didache 9,1 schen, die ihm nachgefolgt waren, spricht Jesus das Dankgebet zu Beginn
u. 5; Ign Eph 13,1) aufgekommene Bezeichnung "Eucharistie" (= "Dank- des Mahls, nimmt Brot, bricht es, sagt dabei: "Das ist mein Leib" (Mk
sagung"), die sich anlehnt an den liturgischen Ort des Brotwortes im 14,22) und gibt das Brot den Seinen. Nach dem Abendessen nimmt er den
Abendmahl (I Kor 11,24). Der Begriff "Eucharistie" hat sich zwar in der Becher (mit Wein), mit dem die Mahlzeit beendet wird, segnet ihn und
kumene weitgehend durchgesetzt, hat aber als Begriff nur einen unspe- sagt: "Dieser Becher ist mein Blut fr viele" (Mk 14,24).80
zifischen Bezug zum Ursprung und Sinn des Abendmahls. Durch seine Im Hintergrund dieses letzten Mahles stehen dabei die Mahlzeiten, die
Verwendung kann der Eindruck entstehen, die Danksagung der Gemein" Jesus whrend seines Wirkens mit seinen Jngerinnen und Jngern sowie
de sei das Wesentliche (das Namengebende) am "Sakrament des Altars". mit "Zllnern und Sndern", also Verlorenen und Ausgestoenen, gefei"
Am geeignetsten wre wohl die paulinische Bezeichnung "KVplaKOV ert hat. Schon in dieser Tischgemeinschaft "gibt er sich" ihnen, indem er
CEITTVOV" (I Kor 11,20), aber sie lt sich nur unter Inkaufnahme falscher, sich mit ihnen solidarisiert und an einen Tisch setzt. Aber nun gibt er sich
nmlich sexistischer Assoziationen im Deutschen wiedergeben mit: "Her- noch einmal ganz anders, indem er sich in der Passion hingibt: seinen Leib
renmahl". Die ebenfalls mgliche Bezeichnung "Mahlfeier" (als ber- und sein Blut. Und sie erhalten Anteil an diesem Selbstopfer, indem er in,
setzung von "CEITTVOV") wre mglich, enthlt aber keinen Bezug zur mit und unter dem gebrochenen Brot und dem Becher sich selbst durch
Passionssituation, die fr das Abendmahl konstitutiv ist. Der ebenfalls diese sinnenhaften Zeichen gibt. Zum "Leib Christi" werden die Kommu-
gebruchliche Ausdruck "Altarsakrament" lt diesen Bezug zur Passion nikanten dadurch, da sie auf zeichenhaft-sinnenhafte Weise an seinem
ebenfalls nicht (oder nur auf problematische Weise) erkennen und verbin- Leib Anteil bekommen. Indem das Abendmahl denen, die daran teilneh-
det sich berdies mit Opfervorstellungen, die als miverstndlich zu be- men, durch das eine Brot und den einen Becher Anteil an dem einen
zeichnen sind. Christus gibt, verbindet es sie untereinander zu einem "Leib", also zur
Die terminologische Situation ist unbefriedigend und sachlich nicht Gemeinschaft der Liebe. Und dies alles geschieht in der Perspektive der
leicht entscheidbar; deshalb hat das Argument der Vertrautheit fr mich kommenden Gottesherrschaft, also des Reiches Gottes.
groe Bedeutung. Und im Blick darauf mu man konstatieren, da Das Abendmahl geht insofern ebenfalls ber die religionsphno-
"Abendmahl" der in der evangelischen Christenheit deutscher Sprache menologisch bekannten kultischen Mahle hinaus, als es nicht nur ein
eingefhrte und gngige Begriff ist. Essen (und Trinken) vor der Gottheit oder mit ihr ist, sondern ein Ge-
Wendenwir uns dem Sakrament des Abendmahls zu, so sind auch hier speist- und Getrnktwerden, in dem Christus sich selbst gibt und an die
vier Problembereiche zu bedenken: zunchst der Sinn und die Bedeutung
des Abendmahls (14.2.4.1), sodann die Gegenwart Christi im Abendmahl
und in Verbindung damit die Frage nach der Wandlung der Elemente 78 Mglicherweise hat Paulus den Leib-Christi-Gedanken vom Abendmahl aus
(14.2.4.2), weiter der wrdige oder unwrdige Empfang des Abendmahls (als Vergegenwrtigung seiner leibhaften Selbsthingabe fr die Seinen) ent-
(14.2.4.3) sowie schlielich die Teilnahme am Abendmahl (14.2.4.4). wickelt und von daher auf die Kirche angewandt, um damit sowohl die
Beziehung der Glaubenden zu Christus als auch die neue "Gemeinschaft der
Glaubenden" untereinander auszu~rcken. Vgl. dazu]. Roloff, Die Kirche im
14.2.4.1 Das Abendmahl als zeichenhafte Neuen Testament, Gttingen 1993;S. 100-110, bes. S. 107-109.
Anteilhabe am "Leib Christi" 79 Vgl. dazu den knappen, przisen Artikel "Abendmahl II" von G. Delling in
TRE Bd. 1, S. 47-58.
80 Wenn der Becher als Symbol des Blutes gilt, dann ist wohl sein Inhalt, also der
Ist die Taufe ein symbolisches Sterben und Auferstehen mit Christus und Wein (mit-)gemeint. Das rechtfertigt es, von den Elementen "Brot und Wein"
in diesem Sinne eine Eingliederung in den "Leib Christi", so ist das Abend- zu sprechen, obwohl in der biblischen Abendmahlsberlieferung das Wort
mahl die symbolische Anteilhabe an dem Mensch gewordenen und durchs "Wein" nicht vorkommt.
560 Die vershnte Welt Die Heilsmittel

Seinen hingibt 81 Aber wie ist diese Gegenwart (Prsenz) Christi imAbend- Abendmahls sind sinnenhafte Zeichen -' also nicht die Sache selbst; sie
mahl zu deuten und zu verstehen? verweisen auf Christus, aber in ihnen ist Christus nicht gegenwrtig?
Tatschlich gilt die (jeweils) erste Satzhlfte, aber daraus folgt nicht
ohne weiteres die Negation, die in der (jeweils) zweiten Satzhlfte ausge-
14.2.4.2 Die Realprsenz Christi in den sinnenhaften Zeichen sagt ist: D. h., die Elemente des Abendmahls sind sinnenhafte Zeichen,
und sie verweisen auf Christus, gleichwohl ist die Sache durch siegegeben,
In der Formel "Realprsenz in den sinnenhaften Zeichen" (von Brot und in ihnen ist Christus gegenwrtig. Da dies so ist und da deswegen diese
Wein) scheint ein Widerspruch enthalten zu sein. Wenn es sich um Real- Formel sowohl der lutherischen 82 als auch der calvinistischen Intention
prsenz, also um wirkliche Gegenwart Christi handelt, dann sind doch gerecht wird, soll im folgenden gezeigt werden.
Brot und Wein offensichtlich mehr als Zeichen, nmlich die Sache selbst: Zunchst gilt von den Elementen Brot und Wein (wie vom Wasser in
Leib und Blut Christi. Wenn jedoch Brot und Wein "nur" sinnenhafte der Taufe), da sie ihre Identitt im Vollzug des Abendmahls behalten,
Zeichen sind, dann verweisen diese Zeichen zwar auf Christus, aber sie aber durch den Handlungszusammenhang und die dabei gesprochenen
sind doch nicht selbst Christus. An der Kontroverse ber die Frage, ob das Worte eine neue, zustzliche Bedeutung erhalten: Sie werden zu sinnen-
Brot Christi Leib ist ("est") oder nur bedeutet ("significat"), ist bekannt- haften Zeichen, die auf das HeilsgescheheninJesus Christus verweisen.
lich 1529 im Marburger Religionsgesprch der Einigungsversuch zwi- Das bisher Gesagte ist jedoch noch so mideutbar, als handle es sich dabei
schen Luther und Zwingli gescheitert. Daraus folgte innerhalb der evan- um Zeichen, die auf den abwesenden (erhhten) Christus verweisen, von
gelischen Christenheit eine Spaltung, die erst in unserem Jahrhundert dem man allenfalls sagen knnte, da er in den Glaubenden auf geistige
durch die Arnoldshainer Thesen (1957/62) und durch ihre kirchenrecht- Weise gegenwrtig sei. Damit wre aber die Prsenz Christi im Abend-
liche bernahme in der Leuenberger Konkordie (1973) berwunden mahl abhngig vom Glauben der feiernden Gemeinde. Wiederum (wie bei
werden konnte. Fragt man, wodurch dies mglich wurde, so kann man der Taufe) wrde so der Glaube das Sakrament machen, statt es zu emp-
sagen: einerseits dadurch, da Calvins Abendmahlslehre (anders als die fangen.
Zwinglis) eine reale Gegenwart Christi im Abendmahl zu denken erlaub- Soll die Realprsenz Christi, an die sich der Glaube auch in der Situa-
te; andererseits dadurch, da (auch durch neue exegetische Einsichten) die tion der Anfechtung halten kann, zum Ausdruck gebracht werden, dann
Fixierung der Diskussion auf die Elemente des Abendmahls aufgebrochen scheint der Weg der sicherste zu sein, den die rmisch-katholische Kirche
wurde. Realprsenz wurde denkbar als Personalprsenz, wie es im mit der Ausbildung der Lehre von der Transsubstantiation beschritten
Schlsseltext der Leuenberger Konkordie deutlich wird: "Im Abendmahl hat 83 Obwohl damit die Gegenwart Christi unabhngig vom Glauben
schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem fr alle dahin- der Kommunikanten auf deutliche Weise zum Ausdruck gebracht wird,
gegebenen Leib und Blut durch sein verheiendes Wort mit Brot und ist diese Lehre aus reformatorischer Sicht trotzdem als berflssig und
Wein" (LK 11,2 b u. III,l). Subjekt dieses Geschehens sind hier weder die gefhrlich zu bezeichnen. Die Transstibstantiationslehre setzt nmlich
Kommunikanten, die an Christus gedenken, noch Leib und Blut Christi, voraus, da Christus in den sinnenhaften Zeichen von Brot und Wein an
die in Brot und Wein prsent sind, sondern der auferstandene]esus Chri- sich nicht gegenwrtig ist, sondern sich erst im Akt der Wandlung mit
stus in Leib und Blut. Von ihm wird gesagt, er schenke sich durch sein . ihnen verbindet. Nimmt man jedoch ernst, da der gekreuzigte und auf-
verheiendes Wort mit Brot und Wein. erstandene Christus (als der Mensch gewordene) an der Allgegenwart
Worin besteht der entscheidende Fortschritt in diesen Formulierun-
gen? Bleibt nicht auch hier letztlich die Alternative von Zeichen oder 82 Einen Schritt zu weit geht jedoch das Urteil von O. Bayer (Theologie, S. 443):
Sache (signum oder res), von "significat" oder "est"? Und mu man nicht "Da das signum selbst schon die res ist: das war Luthers groe hermeneu-
gerade von dem hier gewhlten Ansatz aus sagen: Die Elemente des tische, seine im strengen Sinne reformatorische Entdeckung."
83 Die endgltige Dogmatisierung dieser Lehre erfolgte im Konzil von Trient (DH
1642 u. 1652). Sie besagt, da durch den Akt der Konsekration eine vollstn-
dige Wandlung der Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi und
81 Darin liegt das Besondere des Abendmahls gegenber dem Liebesmahl ("Aga- der Substanz des Weines in die Substanz des Blutes Christi erfolgt, whrend
pe"). Dieses Besondere findet liturgisch seinen Ausdruck in den Einsetzungs- die ueren Erscheinungsmerkmale ("species" oder "Akzidentien") von Brot
worten und in dem darin enthaltenen Bezug zur Passion Jesu. und Wein unverndert bleiben.
562 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 563

Gottes teilhat, dann mu auch gesagt werden, da Christus in allen Ele- Von da aus wird deutlich, warum die Konzentration der Arnoldshainer
menten der Schpfung (verborgen) gegenwrtig ist, weil und indem Gott Thesen und der Leuenberger Konkordie auf die Personalprsenz und
als ihr Schpfer (verborgen) in ihnen gegenwrtig ist. Das Natrliche damit die Einordnung der Frage der Prsenz von Leib und Blut Christi in
mu nicht erst gewandelt und berhht werden, damit Christus in ihm den Elementen in den greren Zusammenhang der Christusgegenwart
gegenwrtig sein und begegnen kann. So ist es gerade der Charakter der die Kontroverse lsen konnte, die in der Reformationszeit unlsbar blieb.
sinnenhaften Zeichen als von Gott geschaffene Wirklichkeit, aufgrund Von "Leib" und "Blut" Christi an sich ist es nicht mglich, Allgegenwart
deren die Alternative zwischen "bedeuten" und "sein", zwischen "Zei- auszusagen, wohl aber von Christus "in seinem fr alle dahingegebenen
chen" und "Sache" berwunden werden kann. Leib und Blut", und zur heilsamen Gegenwart wird sie "durch sein
Aber von da aus droht offenbar ein Pansakramentalismus, bei dem verheiendes Wort mit Brot und Wein". Darum ist auch die sakramentale
alles zum Sakrament oder Heilsmittel wird. Als Mglichkeit mu daran Gegenwart Christi an die Feier des Mahles gebunden. Eine Verehrung der
auch festgehalten werden: Jede Kreatur und damit jedes uere Zeichen Elemente auerhalb der Zeichenhandlung, auf die sich das verheiende
kann zum Ort oder Mittel der Gottesbegegnung werden. Aber nicht jede Wort bezieht, wre ein Rckfall hinter diese Einsicht. Das sollte freilich
solche Gottesbegegnung ist fr den Menschen heilsam, und nicht jede einen respektvollen Umgang mit den beim Abendmahl briggebliebenen
Kreatur ist dem Heilsgeschehen angemessen. Elementen nicht ausschlieen.
Fr Luther tritt an dieser Stelle die besondere Bedeutung des Ver-
heiungswortes in Kraft, das aus der Flle der sinnenhaften Zeichen die
Elemente von Brot und Wein auswhlt und mit der heilsamen Verheiung 14.2.4.3 Wrdiger und unwrdiger Empfang des Abendmahls
verbindet: "Hier sollst du mich finden"84. Will man diesen Bezug zwi-
schen Zeichen und Sache nicht nur als durch das Verheiungswort uer- Die biblischen Aussagen, auf die sich dieses Teilthema der Abendmahls-
lich hergestellten verstehen, sondern von innen her, so empfiehlt es sich, lehre bezieht, stehen in I Kor 11,27-34. Die Kernaussage findet sich in
den Gedanken der"Wandlung" noch einmal aufzunehmen und zu beden- V. 29: "Wer so it und trinkt, da er den Leib des Herrn nicht achtet, der
ken. Dabei geht es nun nicht um eine Transsubstantiation durch Konse- it und trinkt sich selbst zum Gericht." Dieser Text und die in ihm ent-
kration, sondern um diejenige Wandlung, die das Brot und der Wein haltenen Gedanken sind (zumindest auch) gefhrlich und haben (zumin-
bereits hinter sich haben, wenn sie als sinnenhafte Zeichen im Zusammen- dest auch) eine verheerende Wirkungsgeschichte gehabt. Insbesondere
hang mit dem Abendmahl in Dienst genommen werden. Beide sind keine wurde (und wird?) dadurch bei manchen Menschen Angst und Unsicher-
naturbelassenen Elemente der Schpfung, sondern haben einen Vorgang heit ausgelst, ob sie in einer bestimmten Situation das Abendmahl wr-
der Auflsung (Gemahlenwerden und Gekeltertwerden) und einen Vor- dig (genug) empfangen haben. Und immer wieder haben diese Aussagen
gang der Verwandlung (Mehl zu Brot und Traubensaft zu Wein) hinter dazu gefhrt, da Menschen aus Scheu, unwrdig zu sein, vom Abend-
sich, die beide als Symbole fr den Akt des Sterbens und Auferstehens mahl in einer Situation fernblieben, in der vielleicht gerade die Teilnahme
verstanden werden knnen. Und diese sinnenhaften Zeichen erhalten nun fr sie wichtig und hilfreich gewesen wre. Die problematischen Wirkun-
durch den Akt des Brechens, Austeilens, Nehmens und Essens und durch gen dieses Textes mahnen zu groer Vorsicht, aber sie rechtfertigen es
das gemeinsame Trinken aus dem Kelch in Verbindung mit den Worten nicht, diese Gedanken einfach zu ignorieren oder fr berholt zu erkl-
Jesu am Vorabend seiner Passion noch einmal eine neue, vertiefte Bedeu- ren. Damit wrden weder dieser Text noch seine Wirkungsgeschichte
tung: In der Nacht des Verrats, der Verleugnung und Flucht und im angemessen verarbeitet.
Wissen (oder Vorahnen) um das Versagen der Jnger gibt Jesus ihnen
dieses Zeichen der Vergebung mit auf den Weg, an das sie sich erinnern a) Wrdiges oder unwrdiges Essen und Trinken
und halten sollen, wenn sie zu Fall gekommen sind. So ist in den sinnen-
haften Zeichen Jesus Christus selber mit seiner vergebenden Liebe real Zunchst ist es wichtig, festzuhalten, da Paulus nicht von unwrdigen
prsent. Menschen spricht, sondern von einem unwrdigen Verhalten beim
Abendmahl. Es geht um eine Weise des Essens und Trinkens, bei der der
"Leib Christi" verachtet wird. Was Paulus dabei unter unwrdigem
84 WA 23,151; vgl. auch WA 19,492. Abendmahlsempfang versteht, wird aus dem Kontext deutlich: Es ist ein
564 Die vershnte Welt Die Heilsmittel 565

Mahl, bei dem jeder it und trinkt, wann er will und was er (mitgebracht) einleuchten als die Folgerung: " ... der it und trinkt sich selber zum
hat, ohne Rcksicht auf die anderen und ohne Rcksicht auf die gemein- Gericht". Paulus versucht, die Begrndung hierfr in V. 32 durch den
same Mahlfeier, so da manche hungrig bleiben, andere betrunken sind Erziehungsgedanken zu geben, aber dadurch bekommt das Gericht den
(V. 21). Das nenntPaulussehr prgnant: "den Leib des Herrn nicht Charakter einer von Gott (zum Besten des Menschen) verhngten Strafe,
achten" (V. 29). Miachtet wird dabei sowohl der im Abendmahl ge- deren innerer Zusammenhang mit dem unwrdigen Essen nicht deutlich
genwrtige Christus, weil das Abendmahl nicht von einer normalen wird. Vom Gesamtzeugnis der Bibel her ist es eher zu empfehlen, einen
Sttigungsmahlzeit unterschieden wird, als auch der "Leib Christi", den etwas anderen Weg zu gehen, der sich z. B. an Aussagen wie Ps 95,7 f.;
die Gemeinde darstellt, weil jeder fr sich feiert (oder darbt), je nach dem Hebr3,8 u. 15 oder 4,7 anschliet: "Verstockt eure Herzen nicht, wenn
eigenen Vermgen. ihr Gottes Stimme hrt"85. Die Zeichen, die Gott zum Leben gibt, sollen,
Wrdig ist demgegenber ein Abendmahlsempfang, der geprgt ist wenn sie einen Menschen erreichen, gehrt, empfangen und angenom-
von dem Verlangen, an Christus und an seiner Gemeinde teilzuhaben. Mit men werden, indem er sich fr sie ffnen lt. Da ein Mensch tatsch-
dem Begriff"Verlangen" nehme ich in etwas distanzierterer Form das auf, lich von dieser Botschaft erreicht und innerlich angerhrt wird, geschieht
was in den Bekenntnisschriften mit den Worten "Glauben" oder "Ver- nicht beliebig oft. Und jede Mglichkeit, die er nicht zult, kann eine
trauen" bezeichnet wird (BSLK 521,4-11; HK Fr. 81; vgl. auch LK m,I). innere Verhrtung zur Folge haben, die wie eine allmhliche Immunisie-
Die Distanz zum Begriff "Glauben" ist m. E. an dieser Stelle angezeigt, rung wirkt. 86 Wer die Wahrheit erkannt hat, sich ihr aber verschliet, fr
damit sich niemand vom Abendmahl ausgeschlossen fhlt, der von sich den wird es von Mal zu Mal schwerer, sich fr die Wahrheit ffnen zu
sagen mu: Ich kann zwar (noch) nicht (oder nicht mehr) glauben, aber lassen. Insofern wird man tatschlich sagen mssen, da es ein verachten-
ich mchte (wieder) glauben knnen. Nimmt man die Einsicht ernst, da des Empfangen der Heilsmittel gibt, durch das ein Mensch innerlich ab-
kein Mensch den Glauben "hat", sondern da er immer wieder neu zuteil stumPft, und da so seine innere Verhrtung fr ihn selbst zum Gericht
werden mu, dann wird deutlich, da die beschriebene Haltung in der wird. Das gilt nicht nur, aber auch fr das Abendmahl.
Abendmahlsfeier der christlichen Gemeinde ihren legitimen Ort hat. Ge-
rade in einer solchen Situation darf ein Mensch sich nicht vom Abendmahl
ausgeschlossen fhlen, sondern mu wissen, da er dazugehrt und will- 14.2.4.4 Teilnahme am Abendmahl
kommen ist. Das bringt der Begriff "Verlangen" zum Ausdruck. Er weist
auerdem darauf hin, da es - als die eigentliche Gefahr - ein saturiertes Es geht in diesem Abschnitt nicht um die Frage, ob aus evangelischer
Verachten des "Leibes Christi" geben kann, das daraus resultiert, da ein Sicht eine (zeitliche oder dauerhafte) Exkommunikation, also ein Aus-
Mensch seine eigene Bedrftigkeit nicht empfindet, das Gefhl hat, ei- schlu vom Abendmahl zulssig ist. 87 Die Frage, um die es hier geht, ist
gentlich nichts zu brauchen (vgl. Apk 3,17), und ohne Verlangen am vielmehr die nach den Zulassungsvoraussetzungen und damit implizit
Abendmahl teilnimmt. nach dem Zulassungsalter zum Abendmahl. Wenn ich recht sehe, gibt es
Mit Sicherheit wird man sagen knnen: Wer am Abendmahl teil-
nimmt oder teilnehmen mchte, aber Sorge oder Angst hat, unwrdig
teilzunehmen, nimmt jedenfalls wrdig daran teil. Schon in der Sorge oder 85 Durch den Verweis auf Gottes Stimme, also sein Wort, wird im brigen
Angst kommt das Begehren und die Achtung des "Leibes Christi" zum deutlich, da es nicht um etwas geht, das nur beim Abendmahl eine Rolle
Ausdruck; denn das Abendmahl ist ja Wegzehrung fr Hungernde und spielt, sondern sich ebenso auf die anderen Heilsmittel bezieht.
Bedrftige, die sich nach Kraft und Leben sehnen. 86 Diese innere Verhrtung kommt anschaulich zum Ausdruck im biblischen
Begriff der "Verstockung".
87 Von dem hier vertretenen Ansatz inder Lehre der Heilsmittel her ergibt sich
b) Sich selber zum Gericht essen und trinken auf diese Frage ein grundstzliches "Nein", weil weder abweichende Lehrauf-
fassungen noch schwere Snde ein hinreichender Grund sein knnen einen
Es leuchtet nicht ohne weiteres ein, da ein unwrdiger Empfang des Menschen vom Abendmahl auszuschlieen, der ernsthaft verlangt,' daran
Abendmahls, bei dem auf die eine oder andere Weise der "Leib Christi" teilzunehmen. Das schliet nicht aus, da es konkrete, in der Pastoraltheologie
verachtet wird, eine negative Wirkung haben knnte. Wenn die pauli- zu bedenkende Situationen geben knnte, in denen in einem bestimmten Fall
nische These hiee: " ...der it und trinkt vergeblich", so wrde das eher die Nicht-Darreichung des Abendmahls angezeigt sein kann.
566 Dievershnte Welt Die Heilsmittel 567

r
hierbei in der Christenheit vier Positionen: Die Zulassung (admissio zum Konfirmationsalter der Fall sein kann und ihr Interesse am Dazugehren
Abendmahl erfolgt zum Ausdruck bringt.
Wenn es das Spezifikum des Sakraments ist, da hier das Lebensan-
- mit der Taufe; gebot Gottes so zuteil wird, da dabei die sinnenhaften Zeichen im Vor-
_ nach einer Unterweisung im Kindesalter (Erstkommunion); dergrund stehen gegenber der worthaften Deutung, dann ist es nicht
- mit der Konfirmation; konsequent, wenn das (berprfbare) Verstehen der worthaften Deutung
_ wenn ausreichendes Verstndnis vorhanden ist. zur Teilnahmebedingung fr das Abendmahl gemacht wird. Es ist jeden-
Wenn die Taufe die zeichenhafte Eingliederung in den "Leib Christi", falls inkonsequent, Kleinkinder zum Familiengottesdienst und zum Kin-
also in die Gemeinde ist, zu der alle Menschen berufen sind, und wenn das dergottesdienst einzuladen, ihnen aber die Teilnahme am Abendmahl zu
Abendmahl die zeichenhafte Anteilhabe an dieser Gemeinschaft ist, dann versagen, wenn sie und ihre Eltern dies wnschen.
hat die erste Position die strksten Argumente auf ihrer Seite: Taufe ist Aber bleibt nicht trotzdem die Gefahr des Miverstehens, also auch
Zulassung zum Abendmahl. des Nicht-unterscheiden-Knnens? Diese Gefahr besteht und bleibt be-
Aber ist das theologisch zu verantworten, wenn es sich bei den Getauf- stehen - brigens nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen.
ten um Kinder, ja um Suglinge handelt? Das Hauptbedenken richtet sich Sie erfordert das Ernstnehmen dessen, was der Begriff Abendmahlsverant-
darauf, da sie noch nichtverstehen (knnen), was hier geschieht. 88 Dieses wortung meint, d. h. einerseits die Heranfhrung an den Sinn des Abend-
Verstehen erscheint besonders deshalb als wichtig, damit das Abendmahl maWs durch Erzhlung und Deutung, andererseits - und primr - eine
in seiner Unterschiedenheit und Besonderheit gegenber anderem Essen liturgische Gestaltung, die aus sich heraus den Sinn dieses Mahles deut-
und Trinken wahrgenommen, also nicht verkannt wird. lich werden lt.
Demgegenber kann eingewandt werden, da Suglinge und Kleinst- Als Konsequenz der Entscheidung fr die Suglingstaufe ergibt sich
kinder auch nicht (oder jedenfalls nicht besser) verstehen, was in der eine weitgehende ffnung des Abendmahls auch fr Kinder. Im Sinne von
Taufe an ihnen geschieht. Es mu ihnen durch Erzhlung, Erklrung und Mk 10,14 wird damit aus der - defensiven - "Zulassung" die Einladung
Deutung erst nach und nach erschlossen werden. Das Verstehen folgt also zum Abendmahl, die mglichst niemanden ausschliet und deren Inten-
in diesem Fall dem Sakramentsempfang erst nach. Warum sollte das nicht tion es ist, da mglichst viele kommen.
auch fr das Abendmahl gelten?
Das Problem spitzt sich zu auf die Frage, ob es in dieser Hinsicht einen
relevanten Unterschied zwischen Taufe und Abendmahl gibt. Einen sol"
chen Unterschied kann. ich nicht sehen. Es gibt eine der Taufver-
antwortung korrespondierende Abendmahlsverantwortung der Gemein- 14.2.5 Die Beichte
de (und der Eltern sowie der Paten gegenber ihren Kindern), aber (auch)
sie wird nicht angemessen wahrgenommen durch Ausschlu und Verwei- Es gibt kaum ein Lehrstck der Dogmatik, an dem das Charakteristi-
gerung, sondern durch Hinfhrung und Erschlieung dessen, was da sche, das Befreiende und das Tragische der Reformation so deutlich
geschieht. erkannt und gezeigt werden kann, wie die Lehre von der Beichte. Dabei
Es ist sicher individuell verschieden, wann Eltern den Eindruck haben, braucht von der Frage der Sakramentalitt der Beichte und vom Schwan-
da die Teilnahme am Abendmahl fr ihre Kinder eine positive, lebens- ken der reformatorischen Bewegung in dieser Frage hier nicht noch ein-
dienliche Bedeutung haben knnte. Und es ist auch individuell verschie- mal (s. o. 14.2.2.2) ausfhrlich gesprochen zu werden. Da die Beichte,
den wann Kinder von sich aus diesen Wunsch uern. Viele Beobachtun- in der Snde bekannt (d. h. mit deIlJ. Gefhl der Reue ausgesprochen)
gen' sprechen jedoch fr die Vermutung, da dies bei Kindern, die in und Vergebung zugesagt und empfangen wird, ein Heilsmittel ist, stand
Begleitung ihrer Eltern am Gottesdienst teilnehmen, schon lange vor dem fr die Reformatoren auer Frage, ja man kann sagen: Ihr ganzes Bem-
hen an diesem Punkt zielte darauf, die Beichte wieder als Heilsmittel,
also als Leben schaffendes Geschehen zur Geltung zu bringen (vgl. BSLK
88 Dasselbe Argument gilt brigens auch fr schwer geistig behinderte Men- 725-733). Das Tragische ist jedoch, da durch die Aufhebung des
schen und u. U. fr demente alte Menschen. "Beichtzwanges" zugleich Wirkungen freigesetzt wurden, die zu einer
568 Die vershnte Welt Die Kirche 569

weitgehenden Zerstrung der Beichte im evallgelischenBereich gefhrt scheidende Schritt zur Entmachtung der Snde. Da dieser Schritt mg-
haben. 89 lich wird (und zwar nicht als Akt verzweifelter Selbstjustiz), ist nur denk-
Die reformatorische Kritik an der mittelalterlichen Theorie und Praxis bar im Horizont mglicher oder bereits erfahrener Vergebung.
der Beichte hat Luther im Groen Katechismus zusammengefat in dem Dabei ist die sog. Ohrenbeichte der ernste Schritt, durch den ein
Satz: "Und das das rgste ist gewest, niemand gelehret noch gewut hat, Mensch seine Snde (und Schuld) nicht nur denkt und darum im nchsten
was die Beichte wre oder wie nutz und trstlich, sondern haben eitel Moment wieder zurcknehmen, vergessen oder verdrngen kann, son-
Angst und Hellemarter draus gemacht" (BSLK 726,5-9). Mit der Angst dern ausspricht: ihr also vor einem Zeugen Ausdruck verleiht und damit
und Hllenqual,.zu der die Beichte geworden ist, meint Luther einerseits zu seiner Snde steht. Es wre jedoch keine Intensivierung, sondern eine
die seit dem IV. Laterankonzil (1215) bestehende Pflicht, mindestens Verletzung der Beichte, wenn dieses Aussprechen "vor aller Welt" (z. B.
einmal jhrlich vor einem Priester zu beichten (DH 812). Andererseits- im Fernsehen), also vor einer beliebig gren ffentlichkeit geschhe.
und viel mehr noch - die Bestimmung, die Absolution, also der Zuspruch Da die Snde ein "pudendum" (s. 0.13.4.1.1) ist, kommt von seiten des
der Sndenvergebung, sei nur dann gltig, wenn der Beichtende alle und Beichtenden darin zum Ausdruck, da er nicht die ffentlichkeit, sondern
jede einzelne Todsnde(n) in der Beichte genannt habe, deren er sich nach ein vertrauenswrdiges Gegenber sucht. Von seiten des Beichtigers
sorgfltiger Selbsterforschung bewut ist (DH 1707). kommt es in der unverbrchlichen Wahrung des Beichtgeheimnisses zum
Damit lag ber jeder Beichte und Absolution die Drohung der voll- Ausdruck. Dieses "pudendum" anzuschauen und (vor einem Menschen)
stndigen Unwirksamkeit der Vergebung fr alle Snden, wenn auch nur auszusprechen ist das, was die Beichte ausmacht.
eine gewichtige bersehen oder verschwiegen worden wre. Das Ziel der Beichte liegt freilich jenseits dieses Aussprechens, es
Demgegenber betont die reformatorische Theologie den befreienden besteht im Hren oder zeichenhaften Empfangen der Zusage: "Dir sind
Charakter der Beichte in allen ihren Formen: als sog. Herzensbeichte im deine Snden vergeben." Weil und sofern das von einem Menschen nicht
Gebet des einzelnen, als Gemeindebeichte im Gottesdienst oder als Oh- nur in seinem Namen, sondern im Namen Gottes zugesagt wird, kann der
renbeichte, sei es vor einem ordinierten Amtstrger oder einem anderen Beichtende dann auch - was vielleicht das schwerste ist - sich selbst gec
vertrauenswrdigen Christen. Diese unterschiedlichen Formen der Beich- genber Vergebung gelten lassen und praktizieren, also von dem Satz
te werden dringend empfohlen, aber sie werden nicht zu einer Pflicht "Das verzeihe ich mir nie" Abschied nehmen. Dann wrde sich punktuell
gemacht, weil die Reformatoren frchten, da die Beichte dadurch erneut ereignen, was Bernhard von Clairvaux als die hchste Stufe des Heil-
ihren Charakter als befreiende Mglichkeit verliert. Freilich mu man werdens bezeichnet hat: sich selbst um Gottes willen zu lieben (s. o.
konstatieren, da diese befreiende Mglichkeit - jedenfalls was die 14.1.4.1 cl. Das ist der Anbruch erfllten Lebens, also Heil.
Gemeindebeichte und Ohrenbeichte anbelangt - in der evangelischen
Kirche (scheinbar oder tatschlich) wenig genutzt wird. Vielleicht fehlt
aber manchmal auch nur das Wahrnehmungsvermgen dafr, in welchen
Formen heute Beichten abgelegt werden. 14.3 Die Kirche (Ekklesiologie)
Der Ausfall der Beichte wre ein unersetzlicher Verlust, weil die Beich-
te das Geschehen ist, in dem sich die heilsame ffnung vollzieht, die Im Unterschied zu einer soziologisch orientierten Kirchentheorie, die bei
sich - paradoxerweise - gerade dadurch ereignet, da ein Mensch seine den institutionell verfaten Kirchen als gesellschaftlichen Teilsystemen
Liebesunfhigkeit und Verschlossenheit ansieht und anerkennt mit dem ansetzt und diese zum Gegenstand ihrer Analysen und Reflexionen macht,
Schmerz und der Scham, die damit verbunden sind, wenn es ernst ist. Das nimmt die Ekklesiologie, als dogmatische Lehre von der Kirche, ihren
ausgesprochene Sndenbekenntnis ("confessio oris") ist der erste, ent- Ausgangspunkt bei dem HeilshandeJn Gottes in Jesus Christus und ver-
sucht von da aus, das Wesen (14.3.1), den Auftrag (14.3.2), die mter
89 Man mu zwar anerkennen, da ein erheblicher Teil des Beichtgeschehens (14.3.3) und die Struktur (14.3.4) der Kirche in den Blick zu fassen und
nicht einfach ersatzlos entfallen, sondern in die Psychotherapie und Bera- zu bedenken. Die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Kirchentheorie
tungspraxis bergegangen ist, aber dies ist kein vollstndiger Ersatz, weil die und der Ekklesiologie drfen jedoch nicht dazu fhren, da beide bezie-
"Vergebung im Namen Gottes" nicht aus dem Gesamtzusammenhang der hungslos nebeneinander- oder gar gegeneinanderstehen. Wrde es dazu
Beichte herausgelst werden kann. kommen, so verlre die Ekklesiologie mglicherweise die konkreten, in-
570 Die vershnte Welt Die Kirche 571

stitutionell verfaten Kirchen aus dem Blick, und die Kirchentheorie mte also daseinsbestimmendes Vertrauen auf Gott, zu wecken. Aber weil dies
auf theologische Kategorien und Kriterien bei der Beschreibung und Be- ein Geschehen ist, das von Gott her den Menschen zuteil wird, darum
urteilung der Kirchen verzichten. Fr die dogmatische Beschftigung mit kann weder der Glaube wie ein Besitz oder eine Eigenschaft betrachtet
dem Thema "Kirche" folgt daraus, da sie zwar nicht bei der institutionell werden, noch kann die Kirche verstanden werden als die Gemeinschaft
verfaten Kirche ansetzen kann, da sie aber zu ihr hinfhren mu, und derer, die den Glauben "haben" oder die "glubig" sind. Ein solches
zwar nicht erst dort, wo von den mtern und der Struktur, sondern schon statisches Glaubens- und Kirchenverstndnis wird weder der lebendigen
dort, wo vom Wesen und Auftrag der Kirche die Rede ist. Wirklichkeit Gottes noch der des Menschen gerecht. Deshalb mu in der
Formel "Gemeinschaft der Glaubenden" stets das prozehafte, dynami-
sche Element mitgedacht werden, das dem Glauben als einer Lebens-
14.3.1 Das Wesen der Kirche bewegung zu eigen ist. 91 " Glaubende" in diesem Sinne sind Menschen, die
bewegt werden von der Sehnsucht nach erflltem Leben (s. 0.6.3.1.2 C)92,
Die Frage nach dem Wesen der Kirche richtet sich auf das, was Kirche Menschen, die nach Gott suchen und fragen. In dieser Lebensbewegung
zur Kirche macht (s. o. 2.1.2). Dieseidentittsbeschreibung kann die des Suchens und Fragens kommt - bewut oder unbewut - das Vertrau-
Kirche (oder die Theologie) nicht willkrlich vornehmen, sondern mu en zum Ausdruck, das von Gott alles erwartet, also der Glaube.
sich dabei an dem orientieren, was sich vom Heilshandeln Gottes in Jesus Dieser Glaube ist es, der die Menschen, die durch das Evangelium
Christus her ber die Kirche sagen lt (14.3.1.1). Von da aus stellt sich erreicht, angerhrt und bewegt werden, untereinander verbindet. Es sind
aber die Aufgabe, das Verhltnis zwischen der so bestimmten Kirche und nicht die wechselseitige Sympathie oder die Verbundenheit durch gemein-
den als institutionell verfate gesellschaftliche Gren erfahrbaren Kir- same Interessen, die aus den Christen, die verschiedenen Geschlechtern,
chen genauer zu bestimmen (14.3.1.2). Schlielich ergibt sich die Aufga- Klassen, Lndern, Konfessionen und Zeiten angehren, eine Kirche ma-
be, diesen beiden unterscheidbaren Gren die Eigenschaften und Kenn- chen, sondern das Verbindende ist der gemeinsame Glaube, richtiger: Die
zeichen zuzuordnen, die traditionell von"der Kirche" oder"den Kirchen" hoffende Ausrichtung auf den einen Gott verbindet die Christen mitein-
ausgesagt werden (14.3.1.3). anderund konstituiert so Kirche. Dabei kommt das Verbindende nicht
nachtrglich und blo uerlich zum Glauben hinzu, so als knnte im
Prinzip auch jeder Glaubende als isoliertes Individuum existieren, son-
14.3.1.1 Kirche als "Gemeinschaft der Glaubenden" dern diese Verbindung ergibt sich aus dem Wesen Gottes als Liebe, auf
den die Glaubenden ihre Hoffnung setzen.
Ihrem Ursprung nach verdankt sich die Kirche nicht dem Entschlu der
Menschen, die ihr angehren, sondern dem Evangelium von Jesus Chri-
stus, das durch die Wortverkndigung und die Feier der Sakramente be- 14.3.1.2 Die verborgene und die sichtbare Kirche
zeugt wird und - durch das Wirken des Heiligen Geistes - Menschen
beruft, erleuchtet und versammelt (vgl. BSLK 512,5-8). Die Kirche ist Wenn die Kirche in diesem Sinne ihrem Wesen nach "Gemeinschaft der
also ein " Geschpf des Evangeliums"90. Deshalb verfgt die Kirche nicht Glaubenden" ist, und zwar eine Gemeinschaft, 'die Menschen aus allen
ber das Evangelium, sondern lebt davon, da es ihr zuteil wird. Die Epochen, Erdteilen und Konfessionen umfat, dann wird diese Gemein-
Kirche ist also die Gemeinschaft der Menschen, die durch das Evangeli- schaft offensichtlich durch etwas konstituiert, was sich nicht sehen, ein-
um von Jesus Christus erreicht und bewegt werden. Die daraus resultie-
rende Wesensbestimmung der Kirche wird in CA 7 u. 8 in der Formel zum 91 Als permanente Erinnerung daranetze ich die Formel "Gemeinschaft der
Ausdruck gebracht: Die Kirche "ist die Versammlung aller Glaubigen Glaubenden" jeweils in Anfhrungs;teichen.
(und Heiligen)" (BSLK 61,4 f. u. 62,3 f.; in der lat. Fassung: "congregatio 92 Vgl. dazu die knappe, eindrucksvolle Aussage von Ch. S. Peirce ber das
Wesen der Kirche: "Die raison d'etre einer Kirche ist, da die Menschen mit
sanctorum [et vere credentium]"). Hier zeigt sich erneut, da die christ-
einem Leben beschenkt werden, das weiter greift als ihre enge Persnlichkeit,
1iche Botschaft auf nichts anderes zielt als darauf, in Menschen Glauben, einem Leben, das in der Wahrheit allen Seins wurzelt" (Religion und Politik,
1895, zitiert nach: Ch. S. Peirce, Religionsphilosophische Schriften, Hg. H.
90 So Luther WA 2,430,6 f.: "Ecclesia enim creatura est Euangelii." Deuser, PhB 478, Hamburg 1995, Nr. H, 12), .
570 Die vershnte Welt Die Kirche 571

stitutionell verfaten Kirchen aus dem Blick, und die Kirchentheorie mte also daseinsbestimmendes Vertrauen auf Gott, zu wecken. Aber weil dies
auf theologische Kategorien und Kriterien bei der Beschreibung und Be- ein Geschehen ist, das von Gott her den Menschen zuteil wird, darum
urteilung der Kirchen verzichten. Fr die dogmatische Beschftigung mit kann weder der Glaube wie ein Besitz oder eine Eigenschaft betrachtet
dem Thema "Kirche" folgt daraus, da sie zwar nicht bei der institutionell werden, noch kann die Kirche verstanden werden als die Gemeinschaft
verfaten Kirche ansetzen kann, da sie aber zu ihr hinfhren mu, und derer, die den Glauben "haben" oder die "glubig." sind. Ein solches
zwar nicht erst dort, wo von den mtern und der Struktur, sondern schon statisches Glaubens- und Kirchenverstndnis wird weder der lebendigen
dort, wo vom Wesen und Auftrag der Kirche die Rede ist. Wirklichkeit Gottes noch der des Menschen gerecht. Deshalb mu in der
Formel "Gemeinschaft der Glaubenden" stets das prozehafte, dynami-
sche Element mitgedacht werden, das dem Glauben als einer Lebens-
14.3.1 Das Wesen der Kirche bewegung zu eigen ist. 91 "Glaubende" in diesem Sinne sind Menschen, die
bewegt werden von der Sehnsucht nach erflltem Leben (s. o. 6.3.1.2 c)92,
Die Frage nach dem Wesen der Kirche richtet sich auf das, was Kirche Menschen, die nach Gott suchen und fragen. In dieser Lebensbewegung
zur Kirche macht (s. o. 2.1.2). Dieseidentittsbeschreibung kann die des Suchens und Fragens kommt - bewut oder unbewut - das Vertrau-
Kirche (oder die Theologie) nicht willkrlich vornehmen, sondern mu en zum Ausdruck, das von Gott alles erwartet, also der Glaube.
sich dabei an dem orientieren, was sich vom Heilshandeln Gottes in Jesus Dieser Glaube ist es, der die Menschen, die durch das Evangelium
Christus her ber die Kirche sagen lt (14.3.1.1). Von da aus stellt sich erreicht, angerhrt und bewegt werden, untereinander verbindet. Es sind
aber die Aufgabe, das Verhltnis zwischen der so bestimmten Kirche und nicht die wechselseitige Sympathie oder die Verbundenheit durch gemein-
den als institutionell verfate gesellschaftliche Gren erfahrbaren Kir- same Interessen, die aus den Christen, die verschiedenen Geschlechtern,
chen genauer zu bestimmen (14.3.1.2). Schlielich ergibt sich die Aufga- Klassen, Lndern, Konfessionen und Zeiten angehren, eine Kirche ma-
be, diesen beiden unterscheidbaren Gren die Eigenschaften und Kenn- chen, sondern das Verbindende ist der gemeinsame Glaube, richtiger: Die
zeichen zuzuordnen, die traditionell von" der Kirche" oder" den Kirchen" hoffende Ausrichtung auf den einen Gott verbindet die Christen mitein-
ausgesagt werden (14.3.1.3). anderund konstituiert so Kirche. Dabei kommt das Verbindende nicht
nachtrglich und blo uerlich zum Glauben hinzu, so als knnte im
Prinzip auch jeder Glaubende als isoliertes Individuum existieren, son-
14.3.1.1 Kirche als " Gemeinschaft der Glaubenden" dern diese Verbindung ergibt sich aus dem Wesen Gottes als Liebe, auf
den die Glaubenden ihre Hoffnung setzen.
Ihrem Ursprung nach verdankt sich die Kirche nicht dem Entschlu der
Menschen, die ihr angehren, sondern dem Evangelium von Jesus Chri-
stus, das durch die Wortverkndigung und die Feier der Sakramente be- 14.3.1.2 Die verborgene und die sichtbare Kirche
zeugt wird und - durch das Wirken des Heiligen Geistes - Menschen
beruft, erleuchtet und versammelt (vgl. BSLK 512,5-8). Die Kirche ist Wenn die Kirche in diesem Sinne ihrem Wesen nach "Gemeinschaft der
also ein "Geschpf des Evangeliums"9o. Deshalb verfgt die Kirche nicht Glaubenden" ist, und zwar eine Gemeinschaft, 'die Menschen aus allen
ber das Evangelium, sondern lebt davon, da es ihr zuteil wird. Die Epochen, Erdteilen und Konfessionen umfat, dann wird diese Gemein-
Kirche ist also die Gemeinschaft der Menschen, die durch das Evangeli- schaft offensichtlich durch etwas konstituiert, was sich nicht sehen, ein-
um von Jesus Christus erreicht und bewegt werden. Die daraus resultie-
91 Als permanente Erinnerung daransetze ich die Formel "Gemeinschaft der
rende Wesensbestimmung der Kirche wird in CA 7 u. 8 in der Formel zum Glaubenden" jeweils in Anfhrungszeichen.
Ausdruck gebracht: Die Kirche "ist die Versammlung aller Glaubigen 92 Vgl. dazu die knappe, eindrucksvolle Aussage von Ch. S. Peirce ber das
(und Heiligen)" (BSLK 61,4 f. u. 62,3 f.; in der lat. Fassung: "congregatio Wesen der Kirche: "Die raison d'etre einer Kirche ist, da die Menschen mit
sanctorum let vere credentium)"). Hier zeigt sich erneut, da die christ- einem Leben beschenkt werden, das weiter greift als ihre enge Persnlichkeit,
liche Botschaft auf nichts anderes zielt als darauf, in Menschen Glauben, einem Leben, das in der Wahrheit allen Seins wurzelt" (Religion und Politik,
1895, zitiert nach: Ch. S. Peirce, Religionsphilosophische Schriften, Hg. H.
90 So Luther WA 2,430,6 f.: "Ecclesia enim creatura est Euangelii." Deuser, PhB 478, Hamburg 1995, Nr. H, 12). .
572 Die vershnte Welt Die Kirche 573

deutig feststellen oder uerlich wahrnehmen lt. Es gibt zwar Anzei- nichts anderes als die Existenz der sog. "Nichtglaubenden" oder "Heuch-
chen dafr, ob ein Mensch von der Sehnsucht nach erflltem Leben be- ler", die zwar zur sichtbaren, nicht aber zur verborgenen Kirche gehren.
wegt wird, ob er von Gott alles Gute erhofft, aber es gibt hierfr keine Dann kann man zwar noch verstehen, da diese unechten Elemente
Beweise. Bei dem Versuch, sich darber klarzuwerden, ob ein Mensch auf gem dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,25-30) bis
Gott vertraut, kann man sich tuschen und getuscht werden. Daraus zum Jngsten Gericht ertragen werden mssen, also nicht "herausgeris-
resultiert, da sich nicht feststellen lt, wer zu dieser "Gemeinschaft der sen" werden sollen, aber es wird dann gar nicht deutlich, welche positive
Glaubenden", also zur Kirche gehrt. Bedeutung die sichtbare Kirche fr die verborgene Kirche haben knnte.
Wohl aber kann man feststellen, ob ein Mensch getauft wurde, Mit- Diese positive Bedeutung wird sehr viel deutlicher in einem Bild, das
glied in einer christlichen Kirche ist oder ob er aus einer solchen Kirche Luther verwendet, indem er das Wesen der Kirche und ihre uere Struk-
ausgetreten ist und darum nicht mehr zu ihr gehrt. Mit der "Kirche" oder tur zueinander wie Seele und Leib in Beziehung setzt95 Nach dieser
den Kirchen" von denen ich nun spreche, meine ich offensichtlich nicht Verhltnisbestimmung ist die verborgene Kirche das innere Lebensprin-
gen;~ dasselbe: was ich bisher seinem Wesen nach als "Gemeinschaft der zip, die sichtbare Kirche dagegen die uere, leibhafte Gestalt, wobei eines
Glaubenden" beschrieben habe. Nun geht es um die Kirche als Institution nicht ohne das andere sein kann. Diese Verhltnisbestimmung ist viel
und Organisation, die (hnlich) verfat ist wie andere gesellschaftliche angemessener und leistungsfhiger als die oben skizzierte zwischen Gan-
Institutionen auch, in der es GesetZe und Ordnungen, Mitglieder und zem und Teil.
Amtsinhaber, Finanzen und Besitztmer gibt. Freilich mssen von da aus die Aussagen des vorigen Abschnitts
Mit einer auf Zwingli93 zurckgehenden Formel wird an dieser Stelle (143.1.1) insofern ergnzt werden, als die Tatsache der leibhaften Ge-
hufig unterschieden zwischen "unsichtbarer und sichtbarer Kirche" stalt, also das Faktum einer ueren Struktur zum Wesen der Kirche als
(ecclesia invisibilis und ecclesia visibilis). Das ist insofern miverstnd- "Gemeinschaft der Glaubenden" hinzugehrt. 96 So wie der Glaube das
lich als weder die Glaubenden noch ihre Gemeinschaft im strengen Sinn Dasein notwendigerweise leibhaft gestaltet und bestimmt, so gilt dies
des Wortes unsichtbar sind. Unsichtbar ist allenfalls die suchende, fragen- auch fr die "Gemeinschaft der Glaubenden". Zwar ist es richtig, diese
de, vertrauende Offenheit fr Gott, also der Glaube, der die Menschen zur Gemeinschaft von innen her zu denken, also von der Gemeinsamkeit der
Kirche verbindet. Treffender ist es deshalb, von der nicht-abgrenzbaren Ausrichtung auf Gott, aber diese innere Gemeinschaft kann nicht so
Kirche oder, mit Luther 94, von der "verborgenen Kirche" zu sprechen. gedacht werden, als sei sie auf ein "Innen" beschrnkt und begrenzt,
Wichtiger als diese terminologische Frage ist jedoch, wie diese Unter- sondern das "Innen" mu verstanden werden als die Innenseite der leib-
scheidung inhaltlich verstanden und angewandt wird. Und hier zeigt sich haften Vollzge, die wir als sichtbare Kirche bezeichnen. Das heit nicht,
in der evangelischen Kirche von Anfang an eine Tendenz, das Verhltnis da an bestimmten ueren Strukturen zweifelsfrei abgelesen werden
von sichtbarer und verborgener Kirche so zu verstehen, als handele es sich knnte, da sie Ausdrucksformen des Glaubens sind, aber es heit, da
dabei um das Verhltnis zwischen einem Ganzen und seinem Teil. Dem- die verborgene Kirche nicht losgelst von ueren Strukturen existiert
nach wre die verborgene Kirche ein Teil der sichtbaren Kirche: nmlich sondern nur in ihnen: Das schliet nicht aus, da zur sichtbaren Kirch;
die Gesamtheit derjenigen Menschen in der sichtbaren Kirche, die tat- auch Menschen gehren, die nicht von der Sehnsucht nach erflltem
schlich an Jesus Christus glauben, also die "wahrhaft Glaubenden". Leben bewegt sind. Aber das macht nicht das Wesen der sichtbaren Kirche
Wenn das Verhltnis aber so verstanden wird, dann bekommt unter der aus, sondern gehrt nur zu ihren kontingenten Erscheinungsmerkmalen
Hand die sichtbare Kirche (verglichen mit der verborgenen Kirche) eine unter irdischen Bedingungen. Das Wesen der sichtbaren Kirche lt sich
rein negative Bedeutung. Das, was sie von der verborgenen Kirche un- vielmehr wie folgt beschreiben: "Kirche in diesem Sinne ist leibliche Ge-
terscheidet, worin sie gewissermaen ber diese hinausreicht, ist dann meinschaft (einschlielich aller institl.l.tionellen Rahmenbedingungen) von
Menschen, die sich (jedenfalls uerlich) zu Wortverkndigung und
93 Expositio christianae fidei (1531), in: ders., Auswahl seiner Schriften,Ziirichf
Stuttgart 1962, S. 304 f. Vgl. hierzu auch A. Ritschl, Ueber die Begriffe:
sichtbare und unsichtbare Kirche (1859), in: ders., Ges. Aufs., Freiburgl 95 WA 6,296 f.
Leipzig 1893, S. 68 f. 96 Den Ansto zu dieser Einsicht habe ich erhalten durch die Dissertation von
94 WA 18,652,23. G. Neebe, Apostolische Kirche, Marburg 1994.
574 Die vershnte Welt Die Kirche 575

Sakramentsfeier halten und sich (jedenfalls uerlich) zum Glauben be~ zeichnen, und den Kennzeichen (notae externae), die nach reformatori-
kennen. Seinen Schnittpunkt findet dies alles in der Taufe. Insofern lt scher Lehre fr das Erkennen der rechten christlichen Kirche und "zur
sich die sichtbare Kirche auch zusammenfassend definieren als die Ge- wahren Einigkeit der christlichen Kirche" (BSLK 61,13 f.) notwendig und
meinschaft der Getauften" .97 Von da aus wird erkennbar, welche positive hinreichend sind und die in CA 7 mit den Stichworten reine Predigt des
Bedeutung die sichtbare Kirche hat: Sie ist so etwas wie ein Rahmen oder Evangeliums und evangeliumsgeme Darreichung der Sakramente (BSLK
Raum, in dem Menschen von Wortverkndigung und Sakramentsfeier so 61,5-7) bezeichnet werden. 99 Wie verhalten sich jene zuerst genannten
erreicht werden knnen, da in ihnen Glaube geweckt wird. Die sichtbare "klassischen" notae zu diesen notae externae?
Kirche ist also das unverzichtbare Mittel dafr, da das Evangelium von Die Eigenschaften Einheit, Heiligkeit, Katholizitt und Apostolizitt
Jesus Christus tradiert und kommuniziert wird und so immer neu Glaube beziehen sich nicht auf irgendeine institutionell verfate Kirche,auch
entsteht und die" Gemeinschaft der Glaubenden" erhalten wird, die selbst nicht auf den sichtbaren Aspekt der Kirche, sondern auf die Kirche als
nicht sichtbare Kirche ist oder werden kann, der aber die sichtbare Kirche (verborgene) " Gemeinschaft der Glaubenden ". Als solche ist die Kirche
dient. Als die leibliche Auenseite und Gestaltwerdung ist die sichtbare
Kirche folglich zugleich ein Mittel, durch das die verborgene Kirche erhal- - eine (einzige), weil sie durch das eine Evangelium von Jesus Christus
ten wird. Sie ist dabei nicht selbst Heilsmittel oder Sakrament, wohl aber begrndet und erhalten wird und darum einen Herrn, einen Glauben
und eine Taufe hat (Eph 4,5);
ist sie der Raum und die uere Gemeinschaft, in denen Wortverkn-
digung und Sakramentsfeier sich ereignen und erlebbar werden. - heilig, weil die Menschen, die zur "Gemeinschaft der Glaubenden"
Weil Glaube nicht entstehen kann ohne die Heilsmittel als uere gehren, dadurch zu Gott gehren und also geheiligt sind;
Zeichen (und ohne das Wirken des Heiligen Geistes, durch das diese katholisch, also allumfassend, weil das die Kirche begrndende Evan-
Zeichen beglaubigt und gewigemacht werden), darum gehrt die sicht- gelium von Jesus Christus ohne Unterschied Menschen aus allen Vl-
kern, Rassen und Regionen beruft und versammelt;
bare Kirche als uere, leibliche Gemeinschaft zum Wesen der Kirche. 98
Da dies so ist, ergibt sich gerade dann, wenn man zu Recht ansetzt bei - apostolisch, d. h. gegrndet auf die apostolische Verkndigung und
der inneren Wesensbestimmung der Kirche als "Gemeinschaft der Glau- damit konstituiert durch das von den Aposteln ursprnglich bezeugte
Evangelium von Jesus Christus.
benden". Verborgene und sichtbare Kirche sind so zwei Aspekte am
Wesen der Kirche, die zu unterscheiden sind, aber nicht getrennt werden Diese Eigenschaften drfen nicht normativ verstanden werden son-
knnen, sondern eine unaufhebbare Einheit bilden. dern sie haben deskriptiven Sinn: Die "Gemeinschaft der Glaube~den"
soll nicht eine, heilige, katholische und apostolische Kirche sein, sondern
sie ist es, sofern sie die Gemeinschaft der Menschen ist, die durch das
14.3.1.3 Die Eigenschaften und Kennzeichen der Kirche Evangelium von Jesus Christus bewegt werden. In diesem Sinn haben die
altkirchlichen Eigenschaften der Kirche auch aus reformatorischer Sicht
In der berschrift wird unterschieden zwischen den Eigenschaften (notae), ihre unverzichtbare Bedeutung.
die die altkirchlichen Bekenntnisse der Kirche zusprechen, wenn sie sie als Weil diese Eigenschaften solche der verborgenen Kirche sind, darum
"eine einige, heilige, christliche, apostolische Kirche" (BSLK 27,7 f.) be- eignen sie sich nicht als uere Kennzeichen, anhand deren die institu-
tionell verfaten "Kirchen" daraufhin befragt und geprft werden kn-
nen, ob sie diese Bezeichnung fr sich zu Recht in Anspruch nehmen. Die
97 So in meinem Art. "Kirche VII", in: TRE Bd. 18, S. 288. Noch genauer wre dabei vorausgesetzte Unterscheidung zwischen wahrer (rechter) und fal-
folgende Definition: Die sichtbare Kirche ist - theologisch gesehen - die
Gemeinschaft der nicht aus der Kirche ausgetretenen Getauften. In dieser 99 In hnlicher Weise nennt Luther in: seiner Schrift "Von Konziliis und Kir-
Definition sind freilich nur die zur sichtbaren Kirche gehrenden Menschen chen" (1539) das gepredigte Wort Gottes, die Taufe und das Abendmahl als
erfat, nicht ausdrcklich auch die Strukturen und Ordnungen, in denen sie die wichtigsten Kennzeichen der Kirche, denen er noch vier weitere Kennzei-
kommunizieren. chen a~fgt: das Amt der Schlssel (also Beichte und Absolution), die kirch-
98 Wie bereits oben (2.1.2) angedeutet, erweisen sich gerade im Blick auf das lichen Amter, das Gebet, die Kreuzes- und Leidensnachfolge (WA 50,628 ff.):
Wesen der Kirche die dort eingefhrten Differenzierungen am Begriff "We- Den Begriff "notae externae" verwendet Melanchthon in der Apologie zu CA
sen" als klrend und hilfreich. 7 (s. BSLK 234,30 f.).
576 Die vershnte Welt Die Kirche 577

scher (unrechter) Kirche ist eine Unterscheidung, die nur im Blick auf die 14.3.2 Der Auftrag der Kirche
sichtbaren Kirchen getroffen werden kann. Im Blick auf sie mu sie aber
auch getroffen werden, weil die Kirchen die Aufgabe haben, das zu Wenn es richtig ist, da die Kirche ihrem Wesen nach die "Gemeinschaft
verkndigen, was dem Leben dient und heilsam ist. Aber faktisch steht der Glaubenden" ist, die durch das Evangelium von Jesus Christus beru-
jede Kirche in der Gefahr, sich selbst zu verabsolutieren, aus dem Evan- fen, gesammelt, erleuchtet, geheiligt und im rechten Glauben erhalten
gelium eine Ideologie zu machen und Menschen falsche Sicherheiten wird (BSLK 512,6-8), dann kann sich die Kirche ihren Auftrag nicht
anzubieten. Daher mu sich jede Kirche immer wieder selbst prfen und selbstndig oder gar willkrlich whlen, sondern mu seine grundstzli-
von anderen prfen lassen, ob und inwieweit sie noch dem lebendigen, che Bestimmung (14.3.2.1), die Beschreibung seiner Verwirklichungs-
befreienden Evangelium von Jesus Christus Raum gibt. Deswegen sind formen (14.3.2.2) und seiner Grenzen (14.3.2.3) von dem ableiten, wo-
die dem Urimpuls entsprechende Verkndigung des Evangeliums und die durch sie konstituiert wird.
Feier der Sakramente im Geist des Evangeliums die fundamentalen (d. h.
sowohl notwendigen als auch. hinreichenden) Kennzeichen der rechten
(sichtbaren) Kirche. Zu ihnen knnen andere Kennzeichen hinzukommen
(s. o. Anm. 99), die jedoch nicht denselben Rang haben knnen, weil sie 14.3.2.1 Die Bestimmung des kirchlichen Auftrags
nicht konstitutiv sind fr das Wesen und den Auftrag der sichtbaren
Kirche. Notae externae im strengen Sinn des Wortes sind nur diejenigen Aus dem bisher Gesagten ergibt sich die grundlegende Aufgabenbestim-
Heilsmittel, durch die die Kirche als die " Gemeinschaft der Glaubenden" mung fr die Kirche, nmlich die ihrem Ursprung entsprechende Verkn-
begrndet, belebt und erhalten wird. Und nur sofern sie dem dienen, sind digu1;lg des Evangeliums und die evangeliumsgeme Darreichung der
sie Kennzeichen der rechten Kirche. Sakramente. Dabei sind Evangeliumsverkndigung und Sakramentsfeier
Von hier aus ist auch eine Frage zu bedenken, die sich unter neuzeitli- keine zwei unterschiedlichen Aufgaben, sondern zwei Weisen, wie die
chen Lebensbedingungen immer hufiger stellt: die Frage, ob Menschen, eine Aufgabe der Kirche wahrgenommen wird, das Evangelium von Jesus
die keiner der (institutionell verfaten) christlichen Kirchen angehren, Christus als das Heil der Welt zu bezeugen. Damit bezeugt die Kirche das,
dennoch zur" Gemeinschaft der Glaubenden", also zur verborgenen Kir- wodurch sie selbst konstituiert wird. Der Hinweis darauf ist in dreifacher
Hinsicht wichtig:
che gehren knnen, und wie dies theologisch zu begrnden ist.IOOVoraus-
zusetzen ist dabei, da ein Mensch auerhalb der institutionell verfaten - Der Auftrag, das gehrte und geglaubte Evangelium von Jesus Chri-
Kirche in irgendeiner Form der Verkndigung des Evangeliums begegnet, stus zu bezeugen, und d. h.: als Beteiligte und Betroffene weiterzusa-
durch sie angerhrt und in die Lebensbewegung des Glaubens an Jesus gen, ergibt sich fr die Kirche aus der Gewiheit, da dieses Evange-
Christus gebracht wird. Hier ist das Wort Jesu zu beachten: "Wehrt ihm lium heilsame Botschaft fr alle Menschen ist. Diese Gewiheit mu
nicht! Denn wer nicht gegen euch ist, der ist fr euch" (Lk 9,50, hnlich der innere Beweggrund sein, um dessentwillen das Evangelium ver-
Mk 9,40). Wichtig ist, da die Kirchen und ihre Reprsentanten nicht kndigt wird (Act 4,20). Der sog. evangelistische oder missionarische
ausgrenzend, sondern offen und anknpfend reagieren. Denn zum Inhalt Auftrag der Kirche ist dagegen immer miverstanden und verfehlt
des christlichen Glaubens gehrt auch die Gewiheit, da der gttliche worden, wenn im Namen des christlichen Glaubens der Versuch un-
Heilswille universal ist, sich also nicht auf die Glieder der sichtbaren Kir- ternommen wurde, Menschen gegen ihre berzeugung oder mit un-
che beschrnkt. Die Prfung und Pflege der Kennzeichen der rechten Kir- lauteren Mitteln zu Gliedern der christlichen Kirche zu machen. Evan-
che wird jedoch dadurch schon deswegen nicht berflssig, weil diese gelisation und Mission drfen nichts anderes sein als die der Kirche
Gewiheit sich aus der unverflschten Verkndigung des Evangeliums er- aufgetragene Bezeugung des Evangeliums von Jesus Christus. Diese
gibt, die selbst das zentrale Kennzeichen der rechten Kirche ist. Bezeugung schliet den Dialog mit anderen religisen berzeugungen
und das sorgfltige Hren auf sienotwendigerweise ein.
- Da die Kirche das "sie selbst" konstituierende Evangelium zu bezeu-
100 In den letzten Jahrzehnten ist dieses Problem vor allem unter drei Formeln gen hat, zeigt, da dieses Geschehen nicht nur etwas ist, das von der
diskutiert worden: "Latente Kirche" (P. Tillich, D. Slle), "Anonymes Chri- Kirche ausgeht, sondern auch der Kirche und ihren Gliedern gilt. Die
stentum" (K. Rahner) und "Christentum auerhalb der Kirche" (T. Rendtorff). Kirche ist niemals eine Gemeinschaft von Menschen, die das Evan-
578 Die vershnte Welt Die Kirche 579

gelium besitzen und es nun nur noch anderen zu bezeugen htten, a) Die Entsprechung zwischen Inhalt und Form
sondern die Kirche wird durch das Evangelium immer neu konstitu-
iert. Sie ist also selbst darauf angewiesen, da ihr das EvangeliuIIl Es gibt keine formlose Wahrnehmung und Verwirklichung des kirch-
immer wieder zuteil wird. Nur unter Einbeziehung dieser Erkenntnis lichen Auftrags - auch dort nicht, wo sie "informell", also nicht im Rah-
kann legitimerweise gesagt werden, da die Kirche "fr andere" da men einer geprgten Form geschieht. Die Bezeugung des Evangeliums
seP01. durch Worte und Taten, Veranstaltungen und Einrichtungen unter-
Die Erfllung des Auftrags der Kirche dient selbst der Sammlung und scheidet sich seiner Struktur nach nicht prinzipiell von anderen Kommuni-
Erhaltung der "Gemeinschaft der Glaubenden", also der "Auf- kationsvorgngen. Deswegen gilt auch fr die Wahrnehmung des kirch-
erbauung" der Kirche und gerade so dem Heil der Welt. Insofern lichen Auftrags das Erfordernis der syntaktischen Stimmigkeit, der
besteht kein Gegensatz zwischen dem Dienst an der Kirche und dem semantischen Deutlichkeit und der pragmatischen Situationsangemessen-
Dienst an der Welt. Der Einsatz fr die Erhaltung und Frderung der heit. D. h.: Die bermittelte Botschaft mu in sich, im Blick auf ihren
sichtbaren (institutionell verfaten) Kirche ist nicht nur theologisch Gehalt und in ihrem Kontext nachvollziehbar sein. D. h. aber auch: Die
legitim, sondern sogar geboten, sofern er diesem Ziel dient. Nur wenn Form der Mitteilung darf dem Inhalt nicht widersprechen, sondern mu
die kirchliche Institution zumSelbstzweck wird, behindert sie dadurch ihm angemessen sein, andernfalls kommt es zu einer Dissonanz in der
ihren Auftrag; denn sie manifestiert dann jene incurvatio, die das Vermittlung und Wahrnehmung, die verflschend wirken kann. Dabei
Wesen der Snde ist, deren Macht durch das Evangelium durchbra- mssen mglichst alle Faktoren bercksichtigt werden, die dieses Kom-
chen wird. Um ihrer Aufgabenbestimmung willen kann oder mu eine munikationsgeschehen mitbestimmen: z. B. der Habitus (das Erschei-
Kirche u. U. in bestimmten Situationen auf Vorteile, Machtpositio- nungsbild, die Gestik und Mimik) der Menschen, die das Evangelium
nen, Einflu und finanzielle Mittel verzichten. Aber auch das kann nur bezeugen; die sthetische Beschaffenheit der Rume und Veranstaltun-
vom kirchlichen Auftrag her entschieden werden, ist also seinerseits gen; die Atmosphre in Gruppen und Versammlungen; der geschichtliche
kein Selbstzweck. Es ist nicht der Sinn und Zweck der sichtbaren und gesellschaftliche Zusammenhang, in dem der kirchliche Auftrag er-
Kirche, sich selbst aufzuheben oder berflssig zu machen, sondern fllt wird. All dies "spricht" insofern mit, als es dem zu bezeugenden
dem Evangelium von Jesus Christus Raum zu geben. Evangelium entspricht oder widerspricht und darum sein Verstehen fr-
dert oder behindert. 102 Bei alledem besteht zwischen Inhalt und Form
insofern ein inneres Geflle, als die Form dem Inhalt zu dienen hat, an
14.3.2.2 Verwirklichungsformen des kirchlichen Auftrags ihm zu messen und ggf. von ihm her zu korrigieren ist - whrend das
Umgekehrte nicht gilt.
Es geht hier nicht darum, die tatschliche, wnschbare oder gar denkbare
Vielfalt kirchlicher Veranstaltungenund Einrichtungen aufzuzhlen oder b) Die Erfordernisse der Kontinuitt und der Konzentration
zu analysieren. Vielmehr geht es darum, die grundstzlichen Gesichts-
punkte zu benennen, an denen sich die Verwirklichung des kirchlichen Der Auftrag der Kirche, das Evangelium von Jesus Christus als das Heil
Auftrags zu orientieren hat, wenn sie seinem Sinn gerecht werden soll. der Welt zu bezeugen, macht es erforderlich, da dieser Auftrag - soweit
dies mglich ist - in kontinuierlicher Form wahrgenommen wird und da
er grundstzlich in einer fr alle Menschen zugnglichen Form wahrgec
nommen wird. Diese kontinuierliche, ffentliche Wahrnehmung des
kirchlichen Auftrags erfolgt (bewutoger unbewut) durch das Lebens-
zeugnis der Christen, durch die Arbeit kirchlicher Werke und Einrichtun-
101 Diese als Definition oder umfassende Auftragsbeschreibung gngige, aber
gen (Diakonie) sowie durch den regelmigen Gottesdienst und andere
miverstndliche Formel ist abgeleitet aus dem Satz D. Bonhoeffers: "Die
Kirche ist nur Kirche, wenn sie fr andere da ist." (Widerstand und Erge-
bung, NA Mnchen 1985 3 , S. 415). Bei Bonhoeffer ist das Dasein fr andere 102 Im Bewutsein dieser Tatsache und im verantwortungsvollen Umgang mit
ein Element des Wesens und Auftrags der Kirche. Insofern ist die Formel ihr hat die evangelische Kirche gegenber der rmisch-katholischen Kirche
nicht zu beanstanden, wohl aber, wenn sie isoliert und verabsolutiert wird. einen erheblichen Rckstand und Nachholbedarf.
580 Die vershnte Welt Die Kirche 581

Veranstaltungen der christlichen Gemeinde an bestimmten Orten und zu berall tatschlich Glaubenfindet. Es gibt die Mglichkeit der bleibenden
bestimmten Zeiten. Als die gemeinsame, ffentliche Feier und Bezeugung Verblendung, der Verstockung und des Unwillens. berall dort bleibt
des Evangeliums ist dabei der Gottesdienst das Zentrum des regulren aber die Macht der Snde ungebrochen bestimmend (peccatum regnans)
kirchlichen Lebens. Das Kirchenjahr und die ihm zugeordneten Peri- und kann sogar die Sehnsucht nach erflltem Leben ersticken. Auch an-
kopenreihen stellen zustzliche innere Kontinuittselemente dar, die dazu gesichts dieser Erfolglosigkeit besteht der kirchliche Auftrag in nichts
dienen, den Reichtum und die vielfltigen Lebensbezge des Evangeliums anderem als darin, das Evangelium zu bezeugen "sine vi humana, sed
mglichstunverkrzt zur Geltung kommen zu lassen. verbo" (BSLK 124,9). Damit aber das Bse seine zerstrerische Macht
Neben diesen kontinuierlichen Elementen sind jedoch auch solche gegen Mensch und Natur nicht ungehindert zur Wirkung bringen kann,
Arbeitsformen notwendig, die die Konzentration auf bestimmte Heraus- entwickelt die menschliche Gesellschaft Institutionen des Rechts und der
forderungen, Situationen und Anlsse ermglichen. Diese Notwendigkeit Politik. Aus der Sicht des christlichenGlaubens stehen auch diese Institu-
ergibt sich daraus, da die menschliche Existenz nicht nur kontinuierlich- tionen unter Gott. D. h.: Auch die Tatsache, da es rechtliche und poli-
gleichfrmig verluft, sondern durch Phasen unterschiedlicher Inte~~itt, tische Ordnungen gibt, ereignet sich unter Gottes Vorsehung (s. o. 8.3.3).
Problematik und Bedeutung geprgt ist. Dabei ist an Einschnitte, Uber- Darum sind sie am Willen und Auftrag Gottes zu messen. Aber Recht und
gnge und Herausforderungen zu denken, die alters-, geschlechts- oder Politik (wie auch Wissenschaft und Wirtschaft) haben einen "anderen"
berufsspezifisch sind oderdurch besondere Lebensumstnde hervorgeru- Auftrag als die Kirche. Demzufolge gibt es aus der Sicht des christlichen
fen werden. Der berwiegende Teil der Amtshandlungen und seelsorger- Glaubens sehr wohl eine Eigengesetzlichkeit des politischen Bereic;hs ge-
lichen Kontakte sowie der kirchlichen Bildungsarbeit (einschlielich genber der Kirche, aber keine Eigengesetzlichkeit des politischen Be-
Akademiearbeit und Kirchentage) gehrt hierher. In all diesen Fllen reichs gegenber dem Willen Gottes. Das politische Mandat dient zwar
erfordert die Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags eine Ausrichtung nicht (unmittelbar) dem Heil, sondern nur der Erhaltung der Welt durch
auf die spezifische Lebenssituation, in der Menschen sich befinden, damit die Schaffung von Strukturen, in denen Leben geschtzt wird und sich
das rettende und segnende Wirken Gottes fr sie erfahrbar werden kann. entwickeln kann. Mit der Erfllung dieser staatlichen Aufgabe ist die
Mit der hinzugewonnenen arbeitsfreien (Tages-, Wochen-, Jahres- und Androhung und Ausbung von Gewalt vereinbar, ja fr sie ist das Verf-
Lebens-)Zeit ist das Bedrfnis nach solchen konzentrierten Formen kirch- gen ber Sanktionsmglichkeiten sogarunverzichtbar (staatliches Gewalt-
licher Arbeit gewachsen, wobei die "Arbeit" u. U. "nur" darin besteht, monopol). Solche Mittel darf die Kirche bei der Erfllung ihres Auftrags
"Oasen" zu schaffen, die ihrerseits nicht durch Programme ausgefllt und (im Unterschied zur Errichtung und Erhaltung der Institution mit ihren
verplant sind, sondern der Selbstbesinnung und geistlichen Erneuerung Gesetzen und Ordnungen l03 ) nicht verwenden. Damit ist der kirchliche
dienen. Auftrag auch hinsichtlich der Wahlder Mittel begrenzt.
Achtet der Staat seine Begrenzung nicht, so wird er tendenziell zur
totalitren Institution, die mit Mitteln der Gewalt ber die Gewissen
14.3.2.3 Die Grenzen des kirchlichen Auftrags regieren will. Achtet die Kirche ihre Begrenzung nicht, so wird sie ten-
denziell zu einer schwrmerischen Institution, die den politischen Auftrag
Die Begrenzung des kirchlichen Auftrags kann sich nicht darauf beziehen, der Bewahrung der Welt zerstrt oder verchtlich macht. Deswegen ist
da Gruppen oder einzelne Menschen als mgliche Adressaten ausge- mit der Zwei-Regimenten-Lehre, wie sie auch in Barmen V formuliert ist
schlossen wren. Die Bezeugung des Evangeliums als Heil der Welt er- an der klaren Unterscheidung des staatlichen und kirchlichen Auftrag~
laubt keine solche Begrenzung. Wohl aber ergibt sich eine Begrenzung (und der damit jeweils gegebenen Begrenzung) festzuhalten.
aus dem Auftrag der Kirche, das Evangelium von Jesus Christus als das Gerade von dieser Unterscheidung her ergeben sich nun aber auch
Heil der Welt zu bezeugen. Diese Begrenzung gehrt in Gestalt der Zwei- ~~hrere Verbindungen, die diese Begrenzungen nicht aufheben, aber pr-
Regimenten-Lehre (von CA 28 bis zum Art. V der Barmer Theologischen zIsIeren:
Erklrung) zum festen Lehrbestand der evangelischen Kirche (s. o. - Wenn der staatliche Auftrag als Mandat Gottes zu verstehen ist, so
5.3.2.3). hat die Kirche Anla, diesen Auftrag, der nicht der ihrige ist, zu
Der Auftrag der Kirche ist die Bezeugung des Evangeliums, das durch
das Wirken des Heiligen Geistes Glauben weckt, aber nicht immer und 103 Zur Rolle des Rechts innerhalb des Lebens der Kirche s. u. S. 582.
582 Die vershnte Welt Die Kirche 583

respektieren und seine Wahrnehmung zu bejahen. Sie tut dies am Predigt- oder Pfarramtes als kirchliches Amt. 104 Bei genauerem Zusehen
angemessensten durch das Gebet fr die Inhaber politischer Macht. wird freilich erkennbar, da ein solches kirchliches Amt nicht unmittel-
Ist der staatliche Auftrag als Mandat Gottes zu verstehen, so ist seine bar, sondern nur mittelbar aus diesen Kriterien folgt. Unmittelbar ergibt
Erfllung nicht beliebig, sondern daran zu messen, ob und inwieweit sich aus Wesen und Auftrag der Kirche "nur" das Priestertum aller Glu-
sie der Schaffung von Recht und Frieden und so der Eindmmung des bigen (I Petr 2,9; Apk 5,10). Der Auftrag, das Evangelium von Jesus
Bsen und der Entfaltung des Lebens dient. In der Wahrnehmung Christus zu bezeugen, ist nicht eingeschrnkt auf einzelne Amtstrger,
dieser kritischen Funktion besteht das ethische Mandat der Kirche sondern gilt allen Gliedern der Kirche. Von daher sind die grundlegenden
gegenber der Politik - ein eigenes politisches Mandat hat die Kirche Aussagen ber die christlichen und kirchlichen mter und ihr Verhltnis
jedoch nicht. zueinander abzuleiten.
Die Respektierung der politischen Machtinstanzen findet dort ihre
Grenze, wo diese Instanzen sich selbst in den Dienst des Bsen stellen,
statt ihmin den Weg zu treten. Wo die Inhaber politischer Macht zur 14.3.3.1 Das Allgemeine Priestertum
Snde auffordern, darf ihnen nicht Folge geleistet werden (Act 5,29).
Das schliet die Verweigerung des Gehorsams bis hin zur Mglichkeit Durch die Taufe und den Glauben bekommt jeder Christ Anteil an dem
des gewaltlosen Widerstands (einschlielich der Bereitschaft, dafr zu ganzen Heilswerk Jesu Christi, also auch an seinem priesterlichen Amt.
leiden) ein. . Damit ist innerhalb der christlichen Kirche im Blick auf die Beziehung zu
Die Kirche hat das Recht, fr sich und die Erfllung ihres Auftrags den Gott der Unterschied zwischen Priestern und Laien aufgehoben und das
Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, sofern sie dadurch weder Priesteramt als ein besonderes Mittleramt an sein Ende gekommen. Da-
dem Staat ein Mitspracherecht ber die Wahrnehmung ihres Auftrags mit hat jeder Christ grundstzlich einen freien und direkten Zugang zu
einrumt noch sich seiner Sanktionsmglichkeiten fr die Verwirkli- Gott und bekommt zugleich teil an der Aufgabe, anderen Menschen eine
chung ihres kirchlichen Auftrags bedient. solche Beziehung zu Gott zu vermitteln. Wenn aber diese Rechte und
Die Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment Aufgaben allen Christen durch die Taufe bereignet sind, dann kann es
ist nicht nur eine Unterscheidung zwischen kirchlichem und staatli- im Sinne direkter gttlicher Einsetzung keine anderen mter geben, die
chem Auftrag, sondern ist noch einmal auf die Kirche selbst anzu- notwendig zum Wesen der Kirche gehren.
wenden. Die sichtbare Kirche bedarf auch einer Rechtsordnung (Kir- Das Allgemeine Priestertum ist vom Gemeinsamen Priestertum wie
chenrecht), durch die sie die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder es die rmisch-katholische Kirche lehrt, grundstzlich zu unterscheiden.
(einschlielich der Amtstrger) fr die Flle regelt, in denen Konflikte
entstehen knnen. Das Kirchenrecht ist insofern die unbersehbare
Erinnerung daran, da das "simul" auch fr die Kirche gilt. Aber auch 104 In diesem Sinne wird CA 5 hufig verstanden: "Solchen Glauben zu erlan-
das Kirchenrecht darf nicht die Gewissen der Menschen regieren oder gen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben,
dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt, welcher den Glauben ...
bestimmen wollen. Das ist seine Grenze. wirket ... " (lat.: "Ut hanc fidem consequamur institutum est ministerium
docendi evangelii et porrigendi sacramenta. Nam per verbum et sacramenta
tamquam per instrumenta donatur spiritus sanctus, qui fidem efficit ... ";
BSLK 58,1-7). Die Begriffe "Predigtamt" bzw. "ministerium docendi
evangelii et porrigendi sacramenta" scheinen eindeutig auf das durch Ordi-
14.3.3 Die Amter in der Kirche nation verliehene Pfarramt zu verweisen. Indessen ist von dem durch Ordi-
nation verliehenen kirchlichen Arrit, erst in CA 14 unter der berschrift
Aus dem Auftrag der Kirche, das Evangelium von Jesus Christus zu bezeu- "Vom Kirchenregiment" bzw. "De ordine ecclesiastico" (BSLK 69,1) die
Rede. Entweder handelt es sich dabei um eine Dublette mit verschiedenen
gen, folgt einerseits, da es Menschen geben mu, die diesen Auftrag
Begriffen oder in CA 5 ist von dem umfassenden Dienst der Evangeliums-
wahrnehmen, und da andererseits mter (nur) insoweit legitim sind, als verkndigung die Rede, der allen Glubigen aufgrund des Allgemeinen
sie der Erfllung dieses Auftrags direkt oder indirekt dienen. Es scheint so, Priestertums zukommt. Vom Gesamtaufbau der CA her und aus sachlichen
als folgte aus diesen beiden Kriterien unmittelbar die Notwendigkeit des Grnden verdient diese zweite Interpretation den Vorzug.
584 Die vershnte Welt Die Kirche 585

Die Lehre vom Gemeinsamen Priestertum setzt sowohl die Fortdauer des 14.3.3.2 Das ordinierteAmt 107
kirchlichen Priesteramtes als auch den qualitativen Unterschied zwischen
Priester und Laie voraus. lOS Es besagt aber, da alle Laien, sofern sie an Es knnte so scheinen, da es aufgrund dessen, was im vorigen Unter-
der Verbindung zum sog. hierarchischen Priestertum festhalten, am kirch- abschnitt ber das Allgemeine Priestertum zu sagen war, gar kein ordi-
lichen Priesteramt teilhaben - und dies auf vielfltige Weise. Demgegen- niertes Amt mit besonderen Befugnissen, Rechten oder Aufgaben geben
ber besagt die reformatorische Lehre vom Allgemeinen Priestertum (un- knne. Bemerkenswerterweise ergibt sich aber gerade aus einer konse-
ter Rckgriff auf die Bibel), da alle Christen gleichermaen berechtigt quent durchdachten Lehre vom Allgemeinen Priestertum eine berzeu-
mit dem Dienst am Evangelium betraut sind. gende Begrndung fr das ordinierte Amt108 Das zeigt, da Allgemeines
Whrend sich im Blick auf das gottesdienstliche Leben der Gemeinde Priestertum und ordiniertes Amt einander weder aufheben noch ein-
zeigen wird (s. u. 14.3.3.2), da es nicht nur mglich und sinnvoll, son- schrnken, sondern bedingen und ergnzen.
dern in gewisser Hinsicht notwendig ist, das Recht zur ffentlichen Wort- Das ordinierte Amt ergibt sich aufgrund folgender Gedankenschritte
verkndigung und zur Leitung der Sakramentsfeier auf kirchliche Amts- aus dem Allgemeinen Priestertum: In seiner alltglichen Lebenswelt ist
inhaber zu bertragen, ist eine solche bertragung in zwei anderen jeder Christ nicht nur berechtigt, sondern auch beauftragt, seinen Glau-
Hinsichten nicht mglich: ben zu bezeugen und fr das Evangelium einzustehen. Dort jedoch, wo
In der allgemeinen Lebenswelt, vor allem in der Familie, im Beruf und Christen als Gemeinde zusammenkommen, wo also christliche Kirche
in der Nachbarschaft, kommt die Beauftragung zum Dienst am Evan- gelebt wird, da stellt sich die Frage: Wer darf (kann und soll) in dieser
gelium voll und uneingeschrnkt zur Geltung. Insbesondere im Blick Gemeinschaft predigen, taufen, das Abendmahl austeilen, die Gemeinde
auf die eigenen Kinder knnen Eltern sich bei der religisen Erziehung leiten etc.? Vom Gedanken des Allgemeinen Priestertums her ist zunchst
zwar helfen und untersttzen, nicht aber vertreten lassen. zu sagen, da alle Christen die geistliche Befhigung dazu durch die Taufe
Auch im Blick auf das Recht und die Verpflichtung, sich selbst ein und den Glauben empfangen haben. D. h. aber nicht, da alle in gleicher
Urteil ber die christliche Verkndigung zu bilden ("Urteilen ber die Weise dazu geeignet wren, diese Aufgaben der ffentlichen Evangeliums-
Lehre"), ist jeder Christ und ist die christliche Gemeinde insgesamt verkndigung und Darreichung der Sakramente wahrzunehmen. Die Ent-
letztlich unvertretbar verantwortlich. Zwar kann ein Teil dieser Auf- scheidung darber, wer fr die Wahrnehmung dieser Aufgaben geeignet
gabe an bischfliche mter oder synodale Gremien delegiert werden, ist, und damit die bertragung des kirchlichen Amtes durch Ordination
aber damit erlischt nicht die Mitverantwortung der Gemeinde und der obliegt letztlich der ganzen Gemeinde, die sich ein geistlich fundiertes
einzelnen Christen dafr, da und wie der Auftrag der Kirche wahr- Urteil darber bilden mu, welche Menschen dazu geeignet sind, diese
genommen wird. Whrend in der rmisch-katholischen Kirche die verantwortungsvolle Aufgabe zu bernehmen. In dieser Amtsbertragung
Letztverantwortung fr die Lehre beim Bischofsamt liegt, ist und verleiht die Gemeinde einzelnen Menschen die Berechtigung und die
bleibt sie nach evangelischem Verstndnis an das Allgemeine Priester- Verpflichtung zur ffentlichen Ausbung des Dienstes am Evangelium
tum gebunden. 106 innerhalb der Kirche. Damit ist nicht nur die bertragung bestimmter
Funktionen gemeint, sondern mit dieser bertra.gung verbindet sich zu
Recht die Hoffnung, da Menschen, die so fr den Dienst am Evangelium
105 "Das gemeinsame Priestertum der Glubigen aber und das Priestertum des freigestellt werden, eher in der Lage sind, ein geistliches Leben zu fhren,
Dienstes, das heit das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar alsdiejenigen Gemeindeglieder, die sich zeitlich und krftemig anderen
dem Wesen und nicht blo dem Grade nach. Dennoch sind sie einander
zugeordnet: das eine wie das andere nmlich nimmt je auf besondere Weise
am Priestertum Christi teil." (LG 10: "Sacerdotium autem commune fidelium 107 Wie bereits oben (5. 31, Anm. 13) vermerkt, ist der Ausdruck "ordiniertes
et sacerdotium ministeriale seu hierarchicum, licet essentia et non gradu Amt" als zwar ungenaue, aber inzwischen allgemein bliche Kurzformel fr
tantum differant, ad invicem tarnen ordinantur; unum enim et alterum suo das kirchliche, durch Ordination bertragene Amt zu verstehen. Zum Be-
peculiari modo de uno Christisacerdotio participant.") griff"Ordination" s. u. 5.586.
106 Die entscheidende Begrndung dafr ist nach Luthers Auffassung der Bild- 108 Eine solche hat Luther u. a. in seiner Schrift "De instituendis ministris
rede vom guten Hirten (Joh 10) zu entnehmen, insbesondere den Anfangs- Ecclesiae" aus dem Jahre 1523 in ausfhrlicher Form vorgelegt (WA 12,169-
und Schlustzen in V. 1-5 u. 27-29. 196).
586 Die vershnte Welt Die Kirche 587

beruflichen Aufgaben widmen mssen und sich darin als Christen zu ordinierten Amt, die sich nicht auf ein "Berufungserlebnis" bezieht, son-
bewhren versuchen. dern auf die .Begabung und Eignung zu diesem Amt. 111 Die. Eignung hat
Weil die Vollmacht zum Dienst am Evangelium allen Christen von andererseits den Charakter einer (aufgrund dieser Begabung durch ein
Gott gegeben ist, darum darf kein Christ die ffentliche Ausbung dieses theologisches Studium) erworbenen theologischen Qualifikation (theolo-
Dienstes an sich reien, wohl aber darf (und soll) die Gemeinde (um der gische Kompetenz).
Erfllung des Auftrags willen) diese Berechtigung auf einen oder einige Aus den Aussagen ber den Auftrag der Kirche und aus der Ableitung
andere bertragen und in diesem Sinne delegieren.I 9 D. h., aus theologi- des ordinierten Amtes aus dem Allgemeinen Priestertum ergibt sich einer-
schen Grnden, nmlich um der sachgemen Erfllung des kirchlichen . seits, da es in der evangelischen Kirche nur ein ordiniertes Amt geben
Auftrags willen, ist es notwendig, da es dort, wo christliche Gemeinde kann, nmlich dasjenige, das der ffentlichen Wahrnehmung dieses kirch-
existiert, auch ordinierte mter gibt. Deswegen (und in dieser Indirekt- lichen Auftrags verpflichtet ist, und da die entscheidende erworbene
heit) gehren die mter zu den Kennzeichen rechter sichtbarer Kirche,uo Qualifikation hierfr eine theologische zu sein hat, also eine, aufgrund
bertragen wird das ordinierte Amt von der Gemeinde in ihrer Ge- deren der kirchliche Auftrag auf reflektierte, berprfbare, verantwort-
samtheit. Der Ordinator (Bischof) handelt nach evangelischem Verstnd- bare Weise wahrgenommen wird. Diese theologische Qualifikation oder
nis nicht als ein Glied in der mter-Sukzession, das mit besonderer Amts- Kompetenz mu die pastorale und damit auch die rituelle Kompetenz
Gnade begabt ist und diese weitergibt, sondern als erwhlter Reprsentant einschlieen, ohne die die ffentliche Wahrnehmung des kirchlichen
der Gemeinde. Das ordinierte Amt ist folglich ein von der Gemeinde Auftrags (fr alle Beteiligten) nur unbefriedigend gelingen knnte.
verliehenes Amt. Dementsprechend hat die Ordination primr den Cha-
rakter einer bertragung von Befugnissen und entsprechenden Pflichten.
Sie ist nach evangelischem Verstndnis nicht der Akt, durch den die 14.3.3.3 Mitarbeiter in der Kirche
Befhigung zur Amtsausbung zugeeignet wird (so das rmisch-katholi-
sche Verstndnis der Priesterweihe), sondern mit der Ordination erkennt Das Allgemeine Priestertum ist der fundamentale Dienst, zu dem alle
die Gemeinde (freilich auf irrtumsfhige Weise) die vorhandene geistliche Christen befhigt, berechtigt und verpflichtet sind. Ohne die Ausbung
und theologische Eignung zur ffentlichen Amtsbung an, verleiht dar- dieses Dienstes durch die Gesamtheit der Christen in ihrer Lebenswelt
aufhin Befugnisse, bertrgt Verpflichtungen und erbittet fr die Ordi- und durch die Inhaber des ordinierten kirchlichen Amtes in der Form der
nierten (unter Handauflegung) Gottes Segen. ffentlichen Wortverkndigung und Sakramentsdarreichung wrde die
Die in der Ordination vorausgesetzte (nicht verliehene!) Eignung hat Bezeugung des Evangeliums verstummen. Dabei ist das ordinierte Amt
einerseits den Charakter von Gott verliehener Gaben (Charismen). Im diejenige fundamentale institutionelle Konkretion des Dienstes am Evan-
Hinweis darauf liegt der gute Sinn der Rede von der "Berufung" zum gelium, ohne die die ffentliche Verkndigung des Evangeliums und die
Darreichung der Sakramente nicht auf verlliche Weise geschhe. Aber
109 S. dazu Luther: "Das erfordert wahrlich das Recht der Gemeinschaft, da wenn es daneben in der Kirche nicht die Vielzahl der haupt-, neben- und
einer oder wieviele der Gemeinde gefallen,. erwhlt und angenommen wer-
den, welche anstatt und im Namen aller derer, die dasselbe Recht haben, ehrenamtlichen Mitarbeiter gbe, die eine Flle von Aufgaben und Funk-
diese mter ffentlich ausben, damit nicht eine scheuliche Unordnung im tionen in allen Bereichen wahrnehmen, wrde das kirchliche Leben schwe-
Volk Gottes geschehe.... Es ist nmlich zweierlei, ein Recht ffentlich ren Schaden leiden.
auszuben oder dieses Recht in der Not zu gebrauchen: ffentliches Aus- Es ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben fr Inhaber
ben soll nicht geschehen auer mit Zustimmung der Gesamtheit bzw. der des Pfarramtes, Mitarbeiter zu gewinnen, sie soweit wie ntig anzuleiten,
Gemeinde. Aber in der Not gebrauche es ein jeder, der will." (WA ihnen Aufgaben zu bertragen und sie eigenverantwortlich arbeiten zu
12,189,21 ff., nach der bersetzung von Paul Speratus aus dem Jahre 1524, lassen. Dabei ist es eine Gefahr, wenn Inhaber des ordinierten Amtes
in: W2, Bd. X, Sp. 1589).
110 Vgl. dazu Luthers Schrift "Von den Konziliis und Kirchen" (WA 50,632 ff.). soviel wie mglich von dem, was sie gerne tun, selbst erledigen und fr
Insofern gibt es in der evangelischen Ekklesiologie einen Anknpfungspunkt
fr das Gesprch mit der rmisch-katholischen Kirche und Theologie ber 111 Diese (innere) Berufung zum ordinierten Amt ist nicht zu verwechseln mit
die Unverzichtbarkeit des kirchlichen Amtes als einer nota externa ecclesiae, der Ordination bzw. (ueren) Berufung in ein kirchliches Amt als kirchen-
durch die CA 7 nicht ergnzt, wohl aber expliziert wird. rechtlich geregelter Akt, von dem auf S. 586 und auf S. 589 die Rede ist.
588 Die vershnte Welt Die Kirche 589

den Rest Mitarbeiter suchen. 1l2 Eine theologisch verantwortete Praxis a) Reprsentative Gremien (das synodale Element)
des Pfarramts besteht in. dieser Hinsicht darin, die in einer Gemeinde
(oder Region) vorhandenen Charismen aufzuspren, zur Entfaltung kom- Die Grundform der Synode ist die Gemeindeversammlung zum Zweck der
men zu lassen und zum Wohl der Gemeinde zusammenzufhren. Dazu Beratung und Entscheidung. In ihr kommt die gemeinsame Verantwor-
gehrt Sensibilitt und die Bereitschaft aller Beteiligten, sich ggf. selbst tung und die umfassende Beteiligung aller Christen an der Aufgabe der
zurckzunehmen. Nur so kann das vorhandene Potential an Begabungen Kirchenleitung am unmittelbarsten zum Ausdruck. Aus Grnden der
und an Bereitschaft zur Zusammenarbeit tatschlich genutzt werden. Zweckmigkeit mu es jedoch neben der Gemeindeversammlung noch
Indem die Inhaber des ordinierten Amtes ihre Kompetenz, die immer a~?~re synodale G:emien geben, die kirchenleitende Aufgaben in regel-
auch ein Stck Macht ist, nutzen, um andere zu ermutigen und zu bef- malger, konzentnerter Form auf den verschiedenen Ebenen berneh-
higen, eigenstndig Aufgaben in der Kirche und in anderen Lebensberei- men: Kirchenvorstnde oder Presbyterien, Kirchenkreis- oder Dekanats-
chen wahrzunehmen, tragen sie einerseits zur Verwirklichung und Bele- synoden, landeskirchliche und gesamtkirchliche Synoden etc. Diese
bung des Allgemeinen Priestertums bei und nehmen andererseits ihren synodalen Gremien mssen von der Gemeinde, und d. h.: vom Allgemei-
Teil an der Aufgabe der Leitung der Kirche sachgem wahr. nen Priestertum her legitimiert und konstituiert sein und deswegen auch
(z. B. durch zeitliche Befristung der Amtsperioden und durch Rechen-
schaftsablegung)an diese zurckgebunden werden. Dabei ist ein Wahl-
14.3.3.4 Die kirchenleitenden mter v~rfahren in Analogie zu einem demokratischen Wahlverfahren jedenfalls
nIcht als unsachgem zu bezeichnen. Allerdings handelt es sich nur um
Die kirchenleitenden mter sind - im strengen (und nicht abflligen) Sinn eine Analogie; denn das dem Wesen der Kirche angemessene Verstndnis
des Wortes -zweitrangige kirchliche mter. D. h. nicht, da sie unwich- des Zustandekommens solcher reprsentativer Gremien ist das der (kir-
tig wren, aber es heit, da sie in der Rangfolge den mtern der Kirche, chenrechtlich geregelten) "Berufung" und "Amtsbertragung" durch die
die der Verkndigung unmittelbar dienen, zu- und nachgeordnet sind. Gemeinde. Dies ist von der politischen Praxis und Theorie der Bewerbung
Im Begriff "Kirchenleitung" sind dabei verschiedene Funktionen zu- oder des Kampfes um ein Amt oder Mandat (Wahlkampf) zu unterschei-
sammengefat: den. Aufgrund solcher Berufung und Amtsbertragung besitzen die syn-
odalen Gremien jeweils auf ihrer Leitungs- und Verantwortungsebene die
- die Aufsicht (durch Ordination und Visitation) ber die Personen, die
Entscheidungskompetenz - auch in Fragen der kirchlichenLehre 113
kirchliche mter bekleiden, wobei Aufsicht die Ausbildung, die Amts-
einsetzung, das Wachen ber Amtsfhrung und Lehre sowie ggf. die
Amtsenthebung umfat; b) Berufene Personen (das bischfliche Element)
- die Verantwortung fr das ordnungsgeme Stattfinden kirchlicher
Veranstaltungen in allen Bereichen; Das bischfliche Amt, wie es durch Bischfe, Prsides, Kirchenprsiden-
- die Verfgung ber die (finanziellen, rumlichen und sachlichen) ten etc. und in Teilfunktionen von Prpsten, Dekanen, Superintendenten
Mittel, die zur Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags erforderlich et~. wahrgenommen wird, ist die personale Verkrperung kirchen-
sind; leitender Aufgaben. Als solche ist das bischfliche Amt nicht blo die
- die Befugnis, diejenigen Ordnungen und Gesetze zu beschlieen, die "Exeku~i:e" der synodalen Gremien, sondern bildet ein selbstndiges,
in all diesen Bereichen erforderlich sind. auch kntisches Gegenber zu den Synoden. Das kommt einerseits zum
Ausdruck in dem Einspruchsrecht (oder der Einspruchspflicht) von Bi-
Soweit diese kirchenleitenden Aufgaben nicht vOn der Gesamtheit der schfen gegenber Synodalbeschlssen, die dem Evangelium widerspre-
Gemeinde wahrgenommen werden knnen, sind sie zu delegieren einer- chen, andererseits darin, da es bischfliche Rechte und Pflichten gibt,
seitsan reprsentative Gremien, andererseits an berufene Personen.
113 Letzteres gilt freilich nur unter Bercksichtigung des in Abschn. 14.3.3.1
112 Allerdings entspricht auch die Umkehrung nicht dem Wesen des kirchlichen genannten Vorbehaltes der Letztverantwortung der christlichen Gemeinde
Amtes. D. h.: Es geht nicht an, da Pfarrerinnen und Pfarrer lediglich den wie er z. B. in der Barmer Bekenntnissynode von 1934 praktisch und
Rest zu erledigen haben, fr den sich in der Gemeinde sonst niemand findet. kirchenpolitisch wirksam geworden ist.
590 Die vershnte Welt Die Kirche 591

die nicht von Synoden beeinflut oder korrigiert werden knnen (z. B. schaftlichen Bedingungen ergeben, unter denen die Kirchen existieren.
Ordinationsrecht). Ebenso wie bei den mtern der Kirche ist auch bei den berlegungen zur
Auch das Charisma der Kirchenleitung kann nur dadurch in einem Struktur der Kirche zu unterscheiden zwischen dem, was aus Wesen und
kirchlichen Amt sichtbare Gestalt annehmen, da es von der Gemeinde Auftrag der Kirche resultiert und darum nicht beliebig ist, und anderen
oder ihrer reprsentativen Vertretung als solches erkannt und anerkannt Elementen, die nach den Zeitumstnden und besonderen situativen Erfor-
wird. Deshalb erfolgt die Berufung in ein bischfliches Amt zu Recht dernissen geregelt werden knnen.
nicht durch die Wahl eines Bischofskollegiums, sondern durch die dazu
von der Gemeinde her legitimierten synodalen Gremien, denen auch das
Wachen ber die Amtsfhrung und Lehre der bischflichen Amtstrger 14.3.4.1 Die Gemeinde im Verbund mit anderen Gemeinden
obliegt. In der Wahl von Bischfen durch Synoden findet das Allgemeine
Priestertum im Blick auf das personale Leitungselement seinen angemes- In ursprnglicher Weise gewinnt Kirche dort soziale Gestalt und - sofern
senen Ausdruck. Weil mit dieser Wahl jedoch die personale Leitungs- diese Gestalt nicht auf einen einmaligen Akt beschrnkt bleibt, sondern
verantwortung fr eine Gesamtkirche (z. B. Landeskirche) bertragen dauerhaft wird - soziale Struktur, wo Menschen zusammenkommen, um
wird, darum ist es weder theologisch begrndet noch kirchlich ratsam, das Evangelium zu hren, zu feiern und zu bezeugen. Die Gemeinde, die
wenn andere kirchenleitende mter (z. B. Prpste und Dekane) von ei- sich dazu versammelt, kann man deshalb als die Elementarstruktur der
genstndigen synodalen Gremien unabhngig vom bischflichen Amt Kirche bezeichnen. Dabei darf jedoch nicht auer acht gelassen werden,
vergeben und besetzt werden. Gerade wenn man die Begrndung aller da die Gemeinde - von einer Ausnahme abgesehen - nicht als isolierte
kirchlichen (einschlielich der kirchenleitenden) mter vom Allgemeinen Gre existiert, sondern verbunden ist mit den anderen Gemeinden, die
Priestertum her ernst nimmt, kann nur ein Wahlsystem als befriedigend sich vor ihr, aber auchmit denen, die sich neben ihr und nach ihr um das
bezeichnet werden, das sicherstellt, da die zu whlenden Amtsinhaber Evangelium versammeln. Die eine Ausnahme ist - vom geschichtlichen
sowohl das Vertrauen des bischflichen Amtsinhabersals auch das Ver- Ursprung des christlichen Glaubens her - die Jerusalemer Urgemeinde als
trauen des zustndigen synodalen Gremiums besitzen. Damit ist die Frage die Gemeinschaft der ersten Jngerinnen und Jnger, die als einzige das
noch nicht entschieden, ob solche mter auf befristete Zeit oder auf Le- Evangelium nicht von einer anderen Gemeinde empfangen hat, sondern
benszeit (genauer: bis zum Eintritt in den Ruhestand) bertragen werden der es sich in der Begegnung mit Jesus Christus erschlossen hat. Alle
sollten. Fr eine zeitliche Befristung spricht der Delegationscharakter, fr spteren Gemeinden (also auch die von Rom, Wittenberg und Genf) sind
eine lebenszeitliche bertragung spricht hingegen die Einsicht, da die konstitutiv auf das angewiesen, was ihnen von den frheren Gemeinden
Delegation (hnlich wie bei der Ordination) in der Anerkennung eines her berliefert und bezeugt ist. Darum ist die Gemeinde nur im Verbund
gegebenen Charismas sowie der entsprechenden Qualifikation begrndet mit anderen Gemeinden die Elementarstruktur der Kirche. Was ber die
ist, die ihrerseits (normalerweise) nicht einer zeitlichen Befristung unter- elementaren ueren und inneren Strukturbedingungen, die fr die Kir-
liegen. Insofern ist von einem evangelischen Amtsverstndnis her beides che konstitutiv sind, zu sagen ist, mu sich von dem Grundvorgang her
begrndbar, und die Entscheidung hngt von unterschiedlichen Akzent- ergeben, durch den die Kirche entsteht und besteht.
setzungen der Verhltnisbestimmung zwischen synodalem und bischfli-
chem Amt sowie von Gesichtspunkten der Praktikabilitt ab, d. h., sie ist a) uere Strukturbedingungen
nicht aufgrund ekklesiologischer Einsichten allein zu fllen.
Als uere Strukturbedingungen kommen all diejenigen Faktoren in Fra-
ge, die gegeben sein mssen, damit,,~ine Gemeinschaft, die sich um das
Evangelium versammelt, berhaupt mglich ist. Zwei solche uere
14.3.4 Zur Struktur der Kirche Strukturbedingungen lassen sich benennen: Menschen mssen einander
leibhaft begegnen und miteinander kommunizieren knnen. Von diesen
ber die Struktur der (sichtbaren) Kirche ist hier nur insoweit zu spre- beiden Bedingungen her ist die Versammlung derer, die kulturell (z. B.
chen, als diese Aussagen aus dem Wesen und Auftrag der Kirche abgeleitet durch Sprache) untereinander verbunden sind und nahe beieinander woh-
werden und sich nicht nur aus den zuflligen geschichtlichen und gesell- nen, der naheliegendste Fall einer gelingenden kirchlichen Strukturbil-
592 Die vershnte Welt Die Kirche 593

dung. Dieser Fall ist verwirklicht in der sog. Parochialgemeinde, d. h. in 14.3.4.2 Binnendifferenzierungen der Gemeindestruktur
der Gemeinde, die um ein kirchliches Versammlungsgebude herum
wohnt und lebt. Mit dem Begriff "Binnendifferenzierung" sind diejenigen Gliederungs-
Die Parochialgemeinde ist freilich nicht der einzige legitime Fall einer und Spezialisierungsmglichkeiten (und -erfordernisse) gemeint, die fr
solchen elementaren Strukturbildung; denn die Bedingungen der Begeg- die christliche Kirche in ihrer Elementarform als Gemeinde (im Verbund
nungsmglichkeit und der Kommunikationsmglichkeit knnen durch- mit anderen Gemeinden) bestehen. Dabei kann es in einer Dogmatik'nur
aus miteinander konkurrieren und tun dies faktisch in unserer unber- darum gehen, Kriterien zu formulieren, die im Blick auf solche Binnen-
sichtlicher werdenden Lebenswelt immer hufiger. Und da es keine differenzierungen von Wesen und Auftrag der Kirche her Beachtung
Mglichkeit gibt, diese Doppelung zu reduzieren, lassen sich Spannun- verdienen.
gen, die sich dadurch ergeben, auch nicht grundstzlich vermeiden. Ihnen Das Erfordernis theologischer Kriterienbildung wird schon erkenn-
mu ggf. durch strukturelle Alternativen, wie sie z. B. Personalgemeinden bar an der ersten, grundstzlichen Frage, ob nmlich eine Gemeinde un-
oder Hochschulgemeinden darstellen, Rechnung getragen werden. terhalb der Ebene der gottesdienstlichen Versammlung um das Evangeli"
um berhaupt eine solche Binnendifferenzierung besitzen msse, um
b) Innere Strukturbedingungen rechte christliche Kirche zu sein. Diese Frage wird man in dieser Form
verneinen mssen, weil man andernfalls zu den aus Wesen und Auftrag
Dadurch, da Menschen einander begegnen knnen und miteinander der Kirche abgeleiteten Bestimmungen neue, zustzliche Forderungen
kommunizieren knnen, entsteht noch keine Kirche, sondern erst dann, aufstellen wrde. Prinzipiell ist es denkbar, da eine Gemeinde keinerlei
wenn es zur tatschlichen Versammlung und Kommunikation kommt. Binnendifferenzierungen besitzt, sondern alle Funktionen gemeinsam und
Dabei hat das Gegenber von Hrenden und Redenden, Gebenden und einheitlich wahrnimmt, so da Gottesdienst, Unterweisung, Seelsorge,
Empfangenden den Charakter eines (inneren) Strukturmoments, das in Diakonie und Wahrnehmung der gesellschafts-politischen Verantwortung
allen kirchlichen Handlungsvollzgen wiederkehrt. Das Spezifikum der in der Versammlung der Gemeinde ebenso ihren Ort haben wie die Fra-
Kirche kommt jedoch erst darin zum Ausdruck, da sie die Gemeinschaft gen der Verwaltung und ueren Ordnung. Es ist freilich bereits eine sehr
der Menschen ist, die sich um die Verkndigung des Evangeliums und zur frhe Erfahrung der christlichen Kirche gewesen (Act 6,1-7), da das
Feier der Sakramente versammeln. Deshalb mu das ursprngliche Zeug- Wachsen der Gemeinden Differenzierungen personeller und dann auch
nis des Glaubens, an dem sich die Verkndigung des Evangeliums und die struktureller Art erforderlich macht. Und es gibt keinen ernsthaften theo-
Feier der Sakramente orientieren (mssen), in der kirchlichen Struktur logischen Grund, solche Binnendifferenzierungen (in Kindergottesdienst,
seinen festen Ort haben. Das wird symbolisiert durch die aufgeschlagene Jugend-, Alten- und Bildungsarbeit, Kirchenmusik, Seelsorge, Verwal-
Bibel im Kirchenraum (in der Regel: auf dem Altar); es kommt aber auch tung, Diakonie usw.) aufzuheben oder grundstzlich in Frage zu stellen.
zum Ausdruck durch das Lesen, Auslegen, Hren und Bedenken bibli- Eine Kirchengemeinde ist ganz frei, sie ist aber auch verpflichtet, ihre
scher Texte, wie es im Gottesdienst und anderen kirchlichen Veranstal- Struktur so zu differenzieren, wie das den rtlichen Erfordernissen und
tungen fest verankert ist. Dem tragen alle Agenden dadurch Rechnung, Mglichkeiten entspricht.
da zahlreiche wichtige Stcke des Gottesdienstes unmittelbar der Bibel Grundlegend ist dabei jedoch, da solche Binnendifferenzierungen
entnommen sind. Das mu aber auch in anderen Zweigen und Formen der tatschlich als Binnendifferenzierungen der Gemeinde im Bewutsein blei-
Gemeindearbeit in jeweils angemessener Form zur Geltung kommen. Das ben und entsprechend gehandhabt werden. Auch im Blick hierauf gilt das
von der Bibel in ursprnglicher Weise bezeugte Evangelium von Jesus paulinische Bild von der Gemeinde als Leib (I Kor 12). D. h.: Problema-
Christus mu in der Struktur der Kirche seinen festen Platz, und zwar tisch werden solche Binnendifferenzierungen immer dann, wenn sie zu
einen zentralen Platz haben. Das ergibt sich aus dem Wesen und Auftrag Rivalitten innerhalb der Gemeinde oder gar zu einem gegenseitigen Hin-
der Kirche und gehrt deshalb zu deren unaufgebbaren inneren Struktur- ausdrngen aus der Gemeinde fhren. Die Gemeinde (im Verbund mit
bedingungen. anderen Gemeinden) ist die unterste "selbstndige", d. h. in sich voll
funktionsfhige Einheit in der christlichen Kirche. Wer diese Ebene un-
terschreitet und dabei den Zusammenhang zur Gemeinde verlt, gibt
wesentliche Funktionen der christlichen Kirche auf und schneidet sich
594 Die vershnte Welt Die Kirche 595

damit selbst von ihnen ab. Solange dies nicht geschieht, d. h. solange jede Wenden wir uns den Erfordernissen innerkonfessioneller berge-
Gruppe, Veranstaltung, Aktion sich als Teil der Gemeinde im An- meindlicher Strukturbildung zu, so ergeben sich hier analoge Kriterien
gewiesensein auf die Ergnzung durch andere Teile wei und versteht, wie im Blick auf die Binnendifferenzierung:
knnen Binnendifferenzierungen, wie sie den rtlichen Erfordernissen und . Das Wissen um die Einheit der Kirche in Jesus Christus und um das
Mglichkeiten bei der Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags entspre- Fragmentarische der eigenen Verwirklichung von Kirche verbietet es jeder
chen, ungehemmt vollzogen werden. Gemeinde, sich die Existenz anderer Gemeinden gleichgltig sein zu las-
sen. In der Ausbildung bergemeindlicher Strukturelemente (Kirchen-
kreise, Landeskirchen, konfessionelle Bnde etc.) wird bewut die
14.3.4.3 bergemeindliche Strukturen Kommunikationsgemeinschaft um Wort und Sakrament erweitert in Rich-
tung auf andere Gemeinden, ihre Erfahrungen, Einsichten und ihr Ver-
Schon im zurckliegenden Text wurde immer wieder darauf hingewiesen, stndnis des Evangeliums. Die bergemeindliche Strukturbildung, die
da die Gemeinde nur dann und insofern die Elementarstruktur der Kir" dem Wissen um den eigenen Mangel entspricht, kommt exemplarisch zum
che darstellt, als sie im Verbund mit anderen Gemeinden gesehen und Ausdruck
verstanden wird. Dieser gesamtkirchlichen Sicht ist nun nachzugehen. - in der synodalen Praxis, d. h. im geordneten Zusammenkommen zur
Dabei geht es um die Erkenntnis, da die Einzelgemeinde sich weder geschwisterlichen Beratung und Entscheidung;
isolieren noch verabsolutieren darf, so als sei sie die einzige oder die - in der Visitation, d. h. im (gegenseitigen) Besuch zum Zweck der
vollstndige Manifestation der Kirche. Seit es mehr als eine christliche Anregung, Entlastung und Kritik;
Gemeinde gibt, mu auch die Beziehung dieser Gemeinden untereinander - in der Bereitschaft zum Lastenausgleich, d. h. zum Geben und Anneh-
geklrt und geordnet werden, und es besteht demzufolge das Erfordernis men von Hilfen personeller, ideeller und finanzieller Art;
einer bergemeindlichen Strukturbildung. Dabei ist - unter konfessionel- - in der ffentlichen Frbitte fr die anderen Gemeinden sowie fr die
len Lebensbedingungen - zunchst an die Gemeinden derselben Konfes- bergemeindlichen Gremien, Organe und Amtsinhaber.
sion zu denken, aber grundstzlich gilt dies auch fr Gemeinden anderer
Konfessionen, sofern in ihnen Kennzeichen rechter christlicher Kirche
erkennbar sind. Wenn ich mich hier auf das Problem der innerkon-
fessionellen Strukturbildungen konzentriere und das der kumenischen 14.3.4.4 Volkskirche und Freikirche
Strukturbildungen ausklammere l1 4, so deswegen, weil letzteres unter drei
komplexen, bislang ungeklrten Bedingungen steht: Die bisherigen Ausfhrungen zur Struktur der Kirche implizieren zwar
- Welche Kirchen knnen sich gegenseitig als rechte christliche Kirchen eine Kritik an Strukturmodellen, die die Ausbildung bergemeindlicher
anerkennen? Strukturen ablehnen, d. h., die die Realitt der (eigenen) Gemeinde ten-
- Welche theologischen Kriterien fr bergemeindliche kumenische denziell verabsolutieren. Aber sie sind noch indifferent gegenber den
Strukturbildungen existieren in den verschiedenen Kirchen? Unterschieden bergemeindlicher Strukturbildungen, wie sie mit den Be-
- Wie ist damit umzugehen, wenn zwischen den Partnerkirchen hin- griffen "Volkskirche" und "Freikirche" beschrieben werden. Da diese
sichtlich der zuerst genannten Fragen keine Einmtigkeit besteht und Modelle nicht nur Denkmglichkeiten bezeichnen, sondern die kirchliche
zu erzielen ist? Realitt des evangelischen Christentums (zumal im deutschsprachigen
Bereich) beschreiben, mche ich mich ihnen abschlieend zuwenden.

114 Mit der Ausklammerung dieser Thematik ist nicht gesagt, dieses Problem sei
unwichtig, sondern es sei wegen seiner Komplexitt (noch) nicht lsbar. a) Zu den Begriffen" Volkskirche" und "Freikirche"
Allerdings gibt es auch angesichts dieser Unlsbarkeit einige durchaus wirk-
same Formen, Kirchengemeinschaft ber Konfessionsgrenzen hinweg zu Sowohl der - vermutlich von Schleiermacher geprgte - Begriff"Volks-
praktizieren. Zu ihnen gehrt die gegenseitige Information, die punktuelle kirche" als auch der Begriff "Freikirche", dessen englische Fassung "Free
Kooperation und die wechselseitige Frbitte im Gottesdienst. Church" ebenfalls Anfang des 19. Jahrhunderts entstand, zeichnen sich
596 Die vershnte Welt Die Kirche 597

durch Unschrfe und Bedeutungsvielfalt aus. So lassen sich im Blick auf Unter "Freikirche" sei demgegenber der Kirchentypus verstanden
"Volkskirche" etwa unterscheiden: fr den folgende Kennzeichen charakteristisch sind: '
- Volkskirche als Volkstumskirche; - Kirchenzugehrigkeit nur aufgrund persnlicher Entscheidung;
- Volkskirche als Kirche des "Kirchenvolks", also der Laien; Kirchengliedschaft als Verpflichtung zu aktiver Beteiligung und Mit-
- Volkskirche als volksmissionarische Kirche; wirkung;
- Volkskirche als Kirche des (ganzen) Volkes; - Distanz gegenber staatlicher Einflunahme auf die Kirche;
- Volkskirche als gesellschaftlich-politisch anerkannte und gefrderte - Zurckhaltung im Blick auf die Inanspruchnahme gesellschaftlicher
Kirche. Privilegien seitens der Kirche.
In hnlicher Weise lassen sich unterschiedliche Grundbedeutungen
des Begriffs "Freikirche" ausmachen. So z. B. b) Volkskirche oder Freikirche
- Freikirche als staatsfreie Kirche;
Vergleicht man die eben aufgefhrten Charakteristika miteinander so
- Freikirche als Freiwilligkeitskirche;
zeigt sich, da die entscheidenden Differenzen einerseits in den Zuga~gs
- Freikirche als bekenntnisfreie (unmittelbar bibelorientierte) Kirche.
oder Zugehrigkeitsbedingungen, andererseits in der Verhltnisbestim-
Aus theologischen Grnden ist von den Volkskirchen-Begriffen ledig- mung zwischen Kirche und Staat bzw. Gesellschaft liegen. Aber auch in
lich der erste als grundstzlich kritikwrdig zurckzuweisen, weil er die diesen beiden Hinsichten gibt es nicht nur Unterschiede, sondern auch
Tatsache verdunkelt, da das Evangelium nicht nur Menschen aller Vl- Gemeinsamkeiten, die ihrerseits die Voraussetzung fr mgliche gegensei-
ker anspricht, sondern da es die Menschen ber alle Volkstumsgrenzen tige Anerkennung und Kirchengemeinschaft bilden.
hinweg zu dem einen Volk Gottes (aus allen Nationen, Vlkern und Was die Zugangs- und Zugehrigkeitsbedingungen anbelangt, be-
Rassen) verbindet. Unter den Freikirchen-Begriffen ist hingegen der letzt- steht zwischen den Volkskirchen und Freikirchen grundstzliche ber-
genannte zu problematisieren, sofern sich damit eine grundstzliche Ab- einstimmung darber, da das Evangelium die Voraussetzung und Grund-
lehnung kirchlicher Bekenntnisse und der hermeneutisch unreflektierte lage fr den menschlichen Glauben ist (und nicht umgekehrt) und da das
Anspruch eines direkten, d. h. ungeschichtlichen Verstehenknnens der Evangelium erst dort zu seinem Ziel kommt, wo es im Glauben angenom-
Bibel verbindet. men wird. Aus diesen beiden Einsichten folgt fr die Struktur der Kirche
Andererseits mu konstatiert werden, da der Anspruch und das Ziel, da sie Raum bieten mu dafr, da das Evangelium so verkndi~
volksmissionarische Kirche zu sein oder dem Laienelement Raum zu werden kann, da durch den Inhalt und die Art der Verkndigung deut-
geben, Volkskirche und Freikirche nicht voneinander trennt, sondern eher lich wird, da es an keine menschlichen Vorbedingungen gebunden ist;
miteinander verbindet. andererseits folgt daraus, da die Kirche Raum bieten mu fr das
Fat man die verbleibenden Begriffsbestimmungen zusammen, so zeigt menschliche Bekenntnis zum Glauben, mit dem Menschen in Wort und
sich, da mit den Begriffen "Volkskirche" und "Freikirche" folgender Tat auf das Evangelium antworten. Sofern Volks- und Freikirchen bei-
Unterschied (oder Gegensatz) beschrieben wird: dem Rechnung tragen, knnen sie sich in struktureller Hinsicht gegen-
"Volkskirche" meint einen Kirchentypus, der durch folgende Merk-
male gekennzeichnet ist:
- Praxis der Kindertaufe als (Normalfall der) Aufnahme in die Kirche; schaftlicher Normalfall". Entscheidend fr das Konzept einer Volkskirche
- innerkirchlicher Pluralismus im Sinne einer offenen Kirche; ist, wie mir zwischenzeitlich bewut wurde, nicht die Tatsache, da die
Mehrheit der Gesellschaft der Kirche angehrt, sondern einerseits: wie die
- Anerkennung und Frderung der Kirche durch Staat und Gesellschaft;
Kirche sich selbst versteht und darstellt, andererseits: wie sie in Staat und
- breite Einflu- und Mitgestaltungsmglichkeiten der Kirche in der Gesellschaft gesehen und angenommen wird. Ein solches volkskirchliches
Gesellschaft. 115 Selbstverstndnis und eine ihm entsprechende gesellschaftliche Anerken-
nung kann sehr wohl auch in einer Minderheitensituation gegeben sein.
115 Im Unterschied zu meinem Art. "Kirche VII", in: TRE Bd. 18, S. 307, habe Man kann allenfalls sagen, aus der Sicht der Volkskirche ist es erwnscht
ich bewut weggelassen das Kennzeichen: "Kirchenzugehrigkeit als gesell- da die Kirchenzugehrigkeit gesellschaftlicher Normalfall ist. '
598 Die vershnte Welt Die Kirche 599

seitig als rechte sichtbare Kirchen akzeptieren und grundstzlich Kirchen- nicht unter Einflsse zu begeben, die sie an der Wahrnehmung des kirch-
gemeinschaft miteinander aufnehmen und praktizieren.H 6 Das schliet lichen Auftrags hindern knnten. Die Volkskirchen sind hingegen nicht
freilich nicht aus, da die beiden Kirchentypen je ihr eigenes Profil haben, nur bereit, sondern ausdrcklich daran interessiert, in mglichst vielen
das sich aus unterschiedlichen Akzentsetzungen ergibt und teilweise sogar Bereichen der Gesellschaft so prsent zu sein, da sie auch die Menschen
sehr bewut herausgearbeitet wird. So ist es das Proprium der Volkskir- erreichen knnen, die von sich aus nicht mehr den Weg in die Kirche
che, durch ihre Struktur die Bedingungslosigkeit des Evangeliums darzu- suchen. Beides enthlt freilich auch Gefahrenmomente: So wie es bei den
stellen und zum Ausdruck zu bringen. Umgekehrt ist es das Proprium der Freikirchen die Gefahr der Abschottung und Isolierung gibt, so gibt es bei
Freikirchen, die Verbindlichkeit des Glaubens und des christlichen Le- den Volkskirchen die Gefahr der Verzettelung und Profillosigkeit.
bens darzustellen und so dem menschlichen Bekenntnis Raum zu geben. In beiden Hinsichten knnten und sollten Freikirche und Volkskirche
Auch im Blick auf die Verhltnisbestimmung zwischen Kirche und einander zur heilsamen kritischen Anfrage werden, ohne deswegen das
Staat bzw. Gesellschaft lassen sich zwei theologische Einsichten formulie- Ziel zu verfolgen, sich mglichst auf einer mittleren Linie zu verstndigen
ren, die fr Volkskirchen und Freikirchen gemeinsam gltig sind oder oder sich institutionell zu vereinigen. Was zwischen Volkskirche und
gltig sein mten: Die Kirche darf sich nicht unter Einflsse begeben, die Freikirche mglich ist an Kirchengemeinschaft, Kritik, Zusammenarbeit
sie an der Wahrnehmung ihres Auftrags hindern, aber sie ist zugleich und gegenseitiger Freigabe, macht exemplarisch sichtbar, was mit "ku-
beauftragt, das Evangelium so "auszurichten an alles Volk" (Barmen Vi), mene" theologisch sinnvoll gemeint ist und praktiziert werden kann. Es
da es in der jeweiligen Umwelt mglichst umfassend aufgenommen gibt jedenfalls gute theologische und (sozial-)psychologische Grnde, da
werden und Geltung gewinnen kann. Aus diesen beiden Einsichten folgt es in der ecclesia peregrinans (auch) diese strukturelle Alternative gibt und
fr die Struktur der Kirche, da sie auerkirchlichen, gesellschaftlichen sie darum nach Mglichkeit erhalten bleiben sollte.
Instanzen keine Mitsprache- oder Entscheidungsrechte hinsichtlich der
Wahrnehmung dieses Auftrags einrumen darf. Werden solche Einflsse
von staatlichen Organen bermchtig ausgebt, also zwangsweise gegen
die Kirchen durchgesetzt, so kann eine Kirche dies nur - unter Protest -
erleiden. Zugleich folgt aber aus den genannten Einsichten auch, da die
Kirchen durch ihre Struktur versuchen mssen, ihren Auftrag so umfas-
send wie mglich wahrzunehmen. D. h., wenn und sofern die Eigenstn-
digkeit der Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags nicht bedroht ist, ist
es aus theologischen Grnden geboten, bestehende Mglichkeiten der
Evangeliumsverkndigung in Anspruch zu nehmen. Auch in dieser Hin-
sicht kann man sagen: Sofern Frei- und Volkskirchen beidem Rechnung
tragen, knnen sie sich in struktureller Hinsicht gegenseitig als rechte
sichtbare Kirchen akzeptieren und (volle) Kirchengemeinschaft miteinan-
der praktizieren. Aber auch hier ist feststellbar, da die beiden unter-
schiedlichen Typen von Kirche jeweils unterschiedliche Akzentsetzungen
vornehmen. Die Freikirchen verzichten (zumindest teilweise) auf Fr-
derungs- und Mitwirkungsmglichkeiten in der Gesellschaft, um sich

116 Diese Gemeinsamkeit ist dort aufgegeben, wo die Kindertaufe nicht als
rechte christliche Taufe anerkannt wird, weil ihr die Voraussetzung des
Glaubens fehlt. Diese Gemeinsamkeit ist aber auch dort aufgegeben, wo
einzelnen oder Gruppen innerhalb der Kirche kein Raum gegeben wird,
ihrem verbindlichen Bekenntnis gem ihr Christsein zu gestalten.
Vollendete Welt als Gegenstand theologischer Aussagen 601

mss~n d.ie Aussagen der Eschatologie sorgfltig auf ihre Implikatio-


15 Die vollendete Welt 1 (Eschatologie)
nen fur dIe anderen Lehrstcke der Dogmatik hin berprft werden. 4
Insbesondere darf die Eschatologie inhaltlich nicht von der Soteriologie
abgekoppelt werden. Diese Gefahr droht sowohl dort wo der Ge-
r!chtsgedanke innerlich unverbunden neben die Botschaft des Evange-
Die Eschatologie als die Lehre der ~ von Gott her - vollendeten Welt lIums tritt und diese in Frage stellt, als auch dort, wo die eschato-
erfordert unter allen Teilstcken der Dogmatik die grte Behutsamkeit. logische Hoffnung auf universales Heil ohne jede Vermittlung mit
Dafr sind erkenntnistheoretische, inhaltlich-dogmatische und seelsor- ?em "sola fide" vertreten wird. Dabei mu die Konsistenz keineswegs
gerliehe Grnde magebend: Immer dadurch hergestellt werden, da man die eschatologischen
Aussagen den anderen Aussagen der Dogmatik angleicht. Es kann
In erkenntnistheoretischer Hinsicht ist zu bedenken, da wir uns mit ebenso angezeigt sein, von bestimmten eschatologischen Konsequen-
den Aussagen ber die vollendete Welt (mehr noch als mit denen ber zen oder Einsichten her die brigen Aussagen in Frage zu stellen und
die geschaffene, gefallene und vershnte Welt) auf einem Gebiet bewe- zu korrigieren.
gen, das die irdisch-geschichtlichen Erfahrungsmglichkeiten tran- In seelsorgerlicher Hinsicht darf nicht auer acht gelassen werden
szendiert. Die erkenntnistheoretischen Probleme der Theologie begin- da~ wir es in der Eschatologie mit den letztgltigen Erwartunge~
nen zwar nicht in der Eschatologie (s. 0.7.1), aber sie potenzieren sich (selen es Hoffnungen oder Befrchtungen) zu tun haben, von denen
hier, weil der Aspekt der Welt, auf den sich die eschatologischen Menschen im Blick auf eigenes und fremdes Sterben bestimmt, getra-
Aussagen beziehen, nicht nur verborgen, sondern darber hinaus gen oder geqult werden. Das, was eine Dogmatik in der Eschatologie
"noch nicht erschienen" (I Joh 3,2), also noch ausstehend ist. Um der lehrt, mu die Grundlage fr das sein, was an Sterbebetten an Gr-
Redlichkeit willen mu die Dogmatik der Versuchung widerstehen, bern und in der seelsorgerlichen Begleitung von Trauernde~ verant-
die damit gegebene erkenntnistheoretische Ungesichertheit durch be- wortlich gesagt (und getan) werden kann. Auch hieraus ergeben sich
sonders forsche Gewiheitsbehauptungen zu kompensieren. 2 Positiv ~onsequenzen in zweifacher Hinsicht: Einerseits sind die seelsorger-
formuliert: Die Dogmatik hat mglichst genau Rechenschaft zu ge- lIchen Aussagen, die im Umfeld von Sterben, Tod und Trauer gemacht
ben, von woher sie ihre eschatologischen Aussagen gewinnt und wel- werden, daraufhin zu prfen, ob sie theologisch verantwortet werden
chen Status diese haben. knnen. Andererseits ist diese seelsorgerliehe Situation (wie das auch
In inhaltlich-dogmatischer Hinsicht ist zu konstatieren, da die fr andere Themen gilt) als theologische Bewhrungsprobe fr
Eschatologie mit den meisten anderen Teilstcken der Dogmatik zu- eschatologische Aussagen der Dogmatik ernst zu nehmen und in die
sammenhngt, so da sich hier die Frage nach der Konsistenz der dogmatische Reflexion einzubeziehen.
dogmatischen Aussagen mit besonderer Dringlichkeit stellt. 3 Deshalb

1 Man kann fragen, ob der Begriff "Welt" nicht so sehr mit "Endlichkeit" (und
"Entfremdung") verbunden ist, da er sich fr die Eschatologie nicht eignet.
Es wre u. U. angemessener, von "vollendeter Schpfung" zu sprechen. Um
der inneren Systematik des Aufbaus der Kap. 12 bis 15 willen halte ich am zusammen. Der Eschatologe mu fast alle seine theologischen Geheimnisse
Begriff "Welt" fest, konzediere aber, da dieser Begriff hier an eine Grenze ver~aten: se~~ Verstndnis der Geschichte, sein Schriftprinzip, seine Christo-
stt. logie, den Sunden- und Rechtfertigl\flgsgedanken, die Lehre von Gesetz und
2 Wohltuend bescheiden ist (auch) in dieser Hinsicht Schleiermachers Glaubens- Ev~ngelium, j~ den ~.egriff von Theolgie als Glaubenserkennen berhaupt"
lehre mit ihrem Eingestndnis, da"unser christliches Selbstbewutsein gradezu (Die letzten Dmge, Gutersloh 19263 , S. X und nochmals zitiert im Vorwort der
nichts ber diesen uns ganz unbekannten Zustand aussagen kann" (Der 4. Auf!. von 1933, S. VllI). Die Formulierung "theologische(n) Geheinmisse
christliche Glaube, 2. Auf!. 1830131, Hg. M. Redeker, Berlin 1960, Bd.2, v~rrate~" .verrt. freilich ihrerseits ein merkwrdiges Theologieverstndnis.
S.409). 4 Diese Emslcht Wird durch die scharfsinnige Untersuchung von J. Chr. Janowski
3 P. Althaus hat dies auf seine Weise ausgedrckt in dem berhmten Diktum: ber "Ap~kat.astasis panton - Allerlsung" eindrucksvoll herausgearbeitet
"In der Eschatologie laufen die Fden der ganzen systematischen Theologie und als drInglIch anstehende Aufgabe formuliert.
602 Die vollendete Welt Vollendete Welt als Gegenstand theologischer Aussagen 603

15.1 Die vollendete Welt als 5


geht. Der Heilswille Gottes kann nicht endgltig nur fragmentarisch
Gegenstand theologischer Aussagen und bruchstckhaft verwirklicht werden, sondern es ist Bestandteil christ-
licher Hoffnung, da die Begrenzungen, die aus der Endlichkeit der
Aussagen ber die - noch ausstehende - vollendete Welt, also escha- Welt, aus der Freiheit des Menschen und aus der Realitt des Leidens
tologische Aussagen, verstehen sich nicht von selbst. Ihr Sinn und ihre resultieren (s. o. 12.3.2.1), schlielich und endlich durch Gott berwun-
Notwendigkeit mssen reflektiert (15.1.1), ihre Problematik mu analy- den werden.
siert (15.1.2) und die Mglichkeit ihrer Begrndung mu expliziert Diese Hoffnung steht freilich ihrerseits selbst ganz unter den Bedin-
(15.1.3) werden. Darum geht es in dem vor uns liegenden Abschnitt. gungen des Fragmentarischen, und daran mssen wir uns in dieser Zeit
und Welt auch gengen lassen. 6 Aber schon die Erkenntnis, da diese
Bedingungen bruchstckhaft sind, setzt ein Wissen oder doch ein Ahnen
davon voraus, da Vollendung und Erfllung jedenfalls denkbar sind.
Das Wissen um das Fragment als Fragment hlt die Sehnsucht nach
15.1.1 Sinn und Notwendigkeit eschatologischer Aussagen Vollendung offen. Erst gemessen am erfllten Leben wird der Mangel
bewut; nur im Vergleich mit dem Vollendeten erweist sich das Fragment
Das Zentrum der Verkndigung und des Wirkens Jesu bildet die Gottes- als solches. 7 Insofern ist auch schon in der Wahrnehmung des Vorlufigen
herrschaft, die als das Heil der Welt anbricht (s. 0.9.2). Demzufolge kann (als Vorlufiges) das Endgltige - also das Eschaton - als Gedanke, Sehn-
das Werk Jesu Christi insgesamt als "Heilswerk" (s. o. 9.3) bezeichnet sucht und Hoffnung, ja als punktuelle Erfahrung gegenwrtig.
werden. Aber dieses heilvolle Wirken, durch das die gefallene, irregehende So ergibt sich auf die Frage nach dem Sinn und der Notwendigkeit
Welt gerettet wird und erflltes Leben empfngt (s. o. 14.1), erreicht sein eschatologischer Aussagen eine doppelte Antwort:
Ziel in der irdisch-geschichtlichen Lebenswelt nur fragmentarisch - und
dies in mehrfacher Hinsicht: - Sie sind unverzichtbar, um das endgltige Ziel der durch das Evange-
- Es erreicht nur eine begrenzte Zahl von Menschen, und auch von den lium zugesagten Heilsbotschaft zur Sprache zu bringen.
wenigen, die uerlich mit diesem Wirken in Berhrung kommen, Sie sind unverzichtbar, um die gegenwrtige Heilserfahrung als frag-
gewinnt es allem Anschein nach nur einige dafr, sich auf den durch mentarische wahrzunehmen und anzuerkennen.
Jesus erffneten Weg einzulassen.
- Es durchbricht die Macht der Snde, aber es beseitigt sie nicht, und
darum bleibt die Wirklichkeit des Heils angefochten, ja bedroht durch
die Macht der Snde.
- Es stt auf erbitterten Widerstand, ja es weckt, indem es die Macht
des Bsen angreift, den Widerstand, der sich dem Kommen der Gottes- 5 ~iese Argumentation zeigt, da es in gewisser Hinsicht zulssig und richtig
herrschaft entgegenstellt und den Bringer der Gottesherrschaft aus der 1st zu sagen, da Gott erst in der Vollendung der Welt im vollen Sinn des
Welt hinausdrngt. Wortes die Alles bestimmende Wirklichkeit ist. Vgl. o. S. 211, Anm. 17.
6 Den in Bonhoeffers Gefngnisbriefen auftauchenden Gedanken des Lebens als
In jeder dieser Hinsichten wird das Heil nur bruchstckhaft wirklich, (bedeutsames) Fragment (Widerstand und Ergebung, NA 1985, S.242 u.
und d. h. zugleich: Es bleibt bedroht durch sein Gegenteil. Deshalb er- 245 f.) hat H. Luther starkgemacht, indem er den Identittsbegriff vom Begriff
scheint es unter irdisch-geschichtlichen Bedingungen als offen, wie der des Fragmentarischen her neu interpretiert und dem Gedanken der Ganz-
Kampf zwischen Gott und der Macht des Bsen um den Menschen und hei~lichkeit gegenberstellt (vgl. Identitt und Fragment (1985), jetzt in: ders.,
die Welt schlielich enden wird. ~ehg10n und Alltag, Stuttgart 1992, S. 160-182 sowie: Leben als Fragment,
Diese Offenheit des Ausgangs wre nicht befremdlich, wenn es sich m: WzM 43/1991, S.262-273). Dabei droht allerdings gelegentlich die-
paradoxe - Gefahr der Verabsolutierung des Fragmentarischen.
um den Kampf handelte, den der Mensch gegen die Macht des Bsen
7 Auf diesen Zusammenhang verweist auch H. Luther: "Im Fragment ist die
zu fhren hat. Aber sie ist befremdlich, wo es um den Anbruch und Ganzheit gerade als abwesende zugleich auch anwesend. Darum ist es immer
Sieg der Herrschaft Gottes als der Alles bestimmenden Wirklichkeit auch Verkrperung von Hoffnung" (Leben als Fragment, a.a.O., S. 273).
604 Die vollendete Welt Vollendete Welt als Gegenstand theologischer Aussagen 605

15.1.2 Erkenntnistheoretische und wohl die biblischen Aussagen als auch die Auferstehung Jesu Christi als
ontologische Probleme der Eschatologie auch die innergeschichtlichen Heilserfahrungen fr die Gewinnung
eschatologischer Aussagen relevant, ja grundlegend. Dies lt sich am
Mit der Einsicht, da eschatologische Aussagen aus der Sicht des christ- besten verdeutlichen, wenn man seinen Ausgangspunkt beim dritten Ele-
lichen Glaubens sinnvoll, ja notwendig sind, ist noch nicht darber ent- ment, also bei den innergeschichtlichen Heilserfahrungen nimmt. Die im
schieden, ob und inwiefern sie auch (jedenfalls als begrndete Aussagen) Anschlu an das johanneische Schrifttum (z. B. Joh 3,18; 5,24; I Joh
tatschlich mglich sind. Diese Frage kann nur beantwortet werden, 5,12 f.) entwickelte sog. prsentische Eschatologie hebt diesen Gedanken
indem man sich den erkenntnistheoretischen (15.1.2.1) und ontologischen in besonderem Mae hervor und betont, da im Glauben bereits hier und
(15.1.2.2) Problemen stellt, die in diesem Zusammenhang zu bedenken jetzt das eschatische8 Heil erfahrbar ist - freilich unter den Bedingungen
sind. der Anfechtung und Bedrohung. Deshalb hebt die prsentische Heils-
erfahrung die Hoffnung auf die definitiv heilvolle Zukunft nicht auf,
sondern gibt ihr Nahrung. Freilich, auch solche Heilserfahrungen bewei-
15.1.2.1 Erkenntnistheoretische Probleme der Eschatologie sen nicht die Wirklichkeit des vollendenden Wirkens Gottes, aber sie
knnen Menschen dessen gewi werden lassen.
Das erkenntnistheoretische Hauptproblem jeder Eschatologie besteht Dabei besteht das Spezifikum der eschatologischen Aussagen einer-
darin, wie ein Mensch zu begrndeten Aussagen ber eine (noch ausste- seits in ihrem produktiven Aspekt (s. o. 7.1.1.2), nmlich in ihrer
hende) vollendete Welt gelangen kann, whrend er doch vollstndig in die Verheiungsfunktion, die nach erflltem Leben in Vollendung ausschau-
unvollendete, fragmentarische irdisch-geschichtliche Welt eingebunden en und von daher dessen Vorboten entdecken und erkennen lt. Aber um
ist. Drei denkbare "Lsungen" dieses Problems mssen ausscheiden: begrndet zu sein, sind die eschatologischen Aussagen andererseits auch
- Die unmittelbare Ableitung eschatologischer Aussagen aus denen der auf den rezeptiven Aspekt (s. o. 7.1.1.1) angewiesen, nmlich auf die
Bibel ist deswegen nicht tragfhig, weil fr die biblischen Aussagen Erfahrung von Heil in der Gegenwart. Ohne einen solchen Haftpunkt in
keine grundstzlich anderen erkenntnistheoretischen Bedingungen gel- der gegenwrtigen Glaubenserfahrung wrden die eschatologischen Aus-
ten als fr unsere Aussagen. Die Begrndungsfrage lt sich deshalb sagen zu beliebigen Spekulationen ber ein (zeitlich und rumlich) fernes
nicht durch Rekurs auf die Autoritt der Bibel beantworten, sondern Jenseits. Gebunden an die gegenwrtige Glaubenserfahrung lassen sie
nur auf sie verschieben. diese nicht nur als fragmentarische erkennen, sondern begrnden allererst
- Die unmittelbare Ableitung eschatologischer Aussagen aus der Aufer- die Hoffnung auf deren eschatische Vollendung. Dieses Angewiesensein
stehungJesu Christi von den Toten ist deswegen nicht tragfhig, weil eschatologischer Aussagen auf den rezeptiven Aspekt innerweltlicher
der Auferstandene zwar an der vollendeten Wirklichkeit Anteil hat, Heilserfahrungen sowie deren produktive Funktion macht Martin Lu-
aber eben deshalb nur der Erkenntnis des Glaubens, nicht aber einer thers berhmtes Diktum aus der Genesis-Vorlesung exemplarisch deut-
davon abstrahierenden, distanzierten Erkenntnis zugnglich ist. Die lich: "Wo also und mit wem Gott redet, sei es im Zorn oder in der Gnade,
Erkenntnis des Auferstandenen begrndet nur insofern eschatolo- der ist gewi unsterblich. Die Person des redenden Gottes und das Wort
gische Erkenntnis, als sie selbst eschatologische Erkenntnis ist. Auch zeigen an, da wir solche Kreaturen sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit
hier wird also das Begrndungsproblem nur verschoben. und auf unsterbliche Weise reden Will"9.
- Die unmittelbare Ableitung eschatologischer Aussagen aus inner-
geschichtlichen Heilserfahrungen ist deswegen nicht tragfhig, weil
das Eschaton nicht die Verabsolutierung innergeschichtlicher (Heils-)
8 Das noch wenig gebruchliche Adjekiiv"eschatisch" bezeichnet das, was zur
Erfahrungen, sondern deren Vollendung ist. Solche Heilserfahrungen vollendeten Welt gehrt, whrend "eschatologisch" das bezeichnet, was zur
rufen zwar die Frage nach der vollendeten Welt hervor, aber diese Lehre von der vollendeten Welt zu rechnen ist.
Frage ist oder enthlt nicht selbst die Antwort. 9 WA 43,481,32-35: "Ubi igitur et cum quocunque loquitur Deus, sive in ira,
sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum
In allen drei Fllen ist freilich nur der Anspruch einer unmittelbaren significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in
Ableitung eschatologischer Aussagen zurckzuweisen. Mittelbar sind so- aeternum et immortaliter."
Die vollendete Welt Vollendete Welt als Gegenstand theologischer Aussagen 607
606

15.1.2.2 Ontologische Probleme der Eschatologie durch nichts mehr getrennte, an seiner Herrlichkeit Anteil habende Welt.
Damit ist zweierlei ausgesagt: die durch nichts gestrte Beziehung zwi-
Die ontologischen Probleme, die sich bei dem Versuch ergeben, begrn- schen Gott und Welt sowie die Unmglichkeit einer (erneuten) Strung
dete eschatologische Aussagen zu formulieren, lassen sich zusammenfas- der Beziehung zwischen Gott und Welt.
sen in der Frage: Welche Art von Wirklichkeit ist gemeint, wenn von Der erste Gedanke besagt, da dort, wo aller Widerstand gegen die
vollendeter Welt" die Rede ist, und wie verhlt sie sich einerseits zu der gttliche Liebe an sein Ende gekommen ist, nichts Strendes, Aufhalten-
Wirklichkeit der irdisch-geschichtlichen Welt und andererseits zu der des, Begrenzendes mehr dem Wirken und Wirksamwerden der Liebe Got-
Wirklichkeit Gottes? tes entgegensteht und darum Gott ganz und gar die Welt durchdringt und
Die Rede von der "vollendeten" Welt kann leicht so miverstanden bestimmt, wie es seinem Heilswillen und der menschlichen Sehnsucht
werden, als sei damit eine "vollkommene" Welt gemeint, also eine Welt nach erflltem Leben entsprichtY In der Beschreibung oder Ausschmk-
ohne Mngel, Begrenzungen oder Beeintrchtigungen. In einem weiteren kung dieses Zustandes bt die Bibel groe Zurckhaltung. Sie spricht vom
Gedankenschritt legt sich dann die Vermutung nahe, da alles Vollkom- "Schauen", "Sehen" und "Erkennen" Gottes und des erhhten Christus
mene letztlich etwas Gttliches sei und da darum im Blick auf das (Mt 5,8; I Kor 13,12; 11 Kor 5,7; I Joh 3,2; Hebr 12,14; Apk 1,7) oder
Eschaton der Unterschied zwischen Welt und Gott als aufgehoben und davon, da Gott herrscht und regiert (Mk 10,35-45 par.; Mt 19,28; I Kor
berwunden gedacht werden msse. IO 15,20-28), und gebraucht das Bild des Festmahles oder der Hochzeit (Jes
Was die sprachliche Verwandtschaft von "vollendet" mit "vollkom- 25,6-8; Mt 8,11 par.; 14,15-24; 22,1-14 par.; 25,1-13; Apk 3,20), um das
men" anbelangt, so ist bei aller Nhe doch auch auf einen wichtigen anzudeuten, was unsagbar bleibt, weil es weder der Erfahrung noch dem
Unterschied hinzuweisen: Das Vollendete ist (auch) das, was an sein- Denken unmittelbar zugnglich ist.
angezieltes, intendiertes - Ende gekommen ist. Es hat (s)einen Abschlu Der zweite Gedanke geht darber noch einen entscheidenden Schritt
gefunden. Insofern trgt das Vollendete durchaus noch die Spuren des hinaus. Er sagt nicht nur, da die Beziehung zwischen Gott und Welt
Endlichen, mglicherweise sogar des Defekten oder Mangelhaften an durch nichts unterbrochen und getrbt ist 12 , sondern er besagt darber
sich. Das gilt fr das Vollkommene nicht: Es ist weder defekt noch man- hinaus, da sie durch nichts (mehr) unterbrochen oder getrbt werden
gelhaft und unterliegt insofern keinen (quantitativen oder qualitativen) kann. Das ist nur denkbar, wenn in der vollendeten Welt die Macht des
Einschrnkungen. D. h.: Auch das Zerstrte und Fragmentarische kann Bsen an ihr definitives Ende gekommen ist. Gegenber allen zyklischen
vollendet werden oder vollendet sein, aber es ist nicht vollkommen. Theorien, die mit immer neuen "Sndenfllen" und "Erlsungen" rech-
Vor allem aber mu festgehalten werden, da der - kategoriale- nen, sowie gegenber allen Seelenwanderungs- und Reinkarnations-
Unterschied zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit der vorstellungen hlt der christliche Glaube an der Einmaligkeit und Einzig-
Welt nicht dadurch verschwindet, da die Welt vollendet wird. Sie bleibt artigkeit der geschaffenen Welt und jedes einzelnen Menschen als
ja auch in ihrer Vollendung Gottes Schpfungswerk. Sie bleibt Kreatur leib-seelischer Einheit fest (Hebr 9,27 f. u. 12,27).13 Mit der Vollendung
und wird nicht selbst zur Schpferin.
Aber die Bestreitung der Identitt zwischen der vollendeten Welt und 11 In kaum berbietbarer Schlichtheit und Eindrcklichkeit bringt die lteste
der Wirklichkeit Gottes ist nur die eine Seite, und zwar die negative Seite Schrift des Neuen Testaments, der I Thessalonicherbrief, diese christliche
der hier anstehenden Verhltnisbestimmung. Die andere Seite klang be- Hoffnung zum Ausdruck in den Worten: "Wir werden bei dem Herrn sein
reits an in den Aussagen aus I Kor 15,28 u. I Joh 3,2: Die vollendete Welt allezeit" (I Thess 4,17).
ist die ganz und gar von Gott bestimmte und durchdrungene, von Gott 12 Das gilt auch fr die Erfahrung des erfllten Augenblicks in der Gegenwart,
auf den die prsentische Eschatologie verweist.
10 Als biblische Belege fr diese Auffassung knnte man I Kor 15,28: "damit 13 Reinkarnations- und Seelenwanderungsvorstellungen, die neuerdings wieder
Gott sei alles in allem" oder IJoh 3,2: "wir werden ihm gleich sein" heran- auf viele Menschen eine groe Anziehungskraft ausben, sind aus der Sicht des
ziehen. In beiden Fllen ergibt sich jedoch aus dem Kontext, da keine christlichen Glaubens vor allem deswegen abzulehnen, weil sie einerseits die
Identitt zwischen Gott und vollendeter Welt vorausgesetzt wird oder ge- Einmaligkeit des Lebens mit seinen Glckserfahrungen und Herausforderun-
meint ist, sondern eine Beziehung, die man als uneingeschrnkte Partizipati- gen nicht ernst genug nehmen, andererseits die Zusammengehrigkeit von
on bezeichnen kann und die als solche die Unterschiedenheit zwischen Gott Leib und Seele abschwchen, indem sie das Wesen des Menschen als etwas
und vollendeter Welt voraussetzt. Geistiges oder Seelisches auffassen, demgegenber der Leib wie eine - aus-
608 Die vollendete Welt Vollendete Welt als Gegenstand theologischer Aussagen 609

der Welt und des Menschen ist dementsprechend das definitive Ende in die Unmglichkeit, eschatologische Aussagenunmittelbar aus der Bibel,
ihrer irdisch-geschichtlichen Existenzform verbunden (Apk 21,1-4).14 aus der Auferstehung Jesu Christi oder aus gegenwrtigen Heilserfah-
Damit ist freilich zugleich allen eschatologischen Vorstellungen ein Rie- rungen abzuleiten. Angesichts dieser Unmglichkeit ist es angemessen,
gel vorgeschoben, die das Eschaton im Sinne eines" Weiterlebens nach wenn eschatologische Aussagen etwas Tastendes, Offenes, auch Unsiche-
dem Tode" oder als paradiesische Fortsetzung des irdischen Lebens res haben. Und angesichts dieser Unmglichkeit ist es ferner notwendig,
auffassen. Der Eingang in die Vollendung ist zu denken als radikale mglichst genau anzugeben, von woher, aufgrund welcher berlegungen
Verwandlung durch den Tod hindurch (I Kor 15,35-57, bes. 51, u. Phil und in welchen Schritten solche Aussagen dennoch gewagt werden.
3,21). Der Tod wird durch die Auferweckung nicht rckgngig gemacht, Damit sind wir bei der anderen, der positiven Seite: Eschatologische
sondern berwunden, ja selbst gettetl5 Aber diese Welt jenseits des Aussagen sind - als mittelbar gewonnene,abduktiv-abgeleitete Aussa-
Todes und jenseits (auch nur der Mglichkeit) der Snde entzieht sich gen - notwendig fr das Verstehen der christlichen Heilsbotschaft sowie
vollstndig dem menschlichen Vorstellungsvermgen. fr das Erkennen und Anerkennen ihrer fragmentarischen Verwirk-
So erweist es sich vom christlichen Glauben her als notwendig, die lichungsformen in der irdisch-geschichtlichen Welt. Daraus ergibt sich
vollendete Welt sowohl kategorial von der Wirklichkeit Gottes 16 als auch die Konsequenz, da die christliche Eschatologie gut beraten ist, wenn sie
qualitativ von der uns bekannten, irdisch-geschichtlichen Welt zu unter- ihren Anknpfungspunkt nicht primr in der Gotteslehre oder in der
scheiden. Sie wird dadurch kein Mittleres zwischen Gott und irdisch-ge- Anthropologie sucht, sondern in der Soteriologie. Sowohl die Gotteslehre
schichtlicher Welt, sondern sie gehrt ontologisch auf die Seite des Ge- als auch die Anthropologie erlauben zwar mglicherweise weitreichende
schaffenen, also der Welt, und zwar der Welt, die vollkommen von Gott eschatologische Schlufolgerungen (z. B. im Blick auf das Verhltnis von
bestimmt ist und die darum "ganz anders" ist als die uns bekannte Welt. Liebe und Zorn Gottes oder hinsichtlich der Unsterblichkeit der mensch-
lichen Seele), aber Gotteslehre wie Anthropologie stehen selbst noch un-
ter der Alternative, entweder allgemein (z. B. philosophisch oder religions-
15.1.3 Konsequenzen fr die wissenschaftlich) zu argumentieren oder spezifisch (nmlich ausgehend
Gewinnung eschatologischer Aussagen von dem Evangelium von Jesus Christus). Nur wenn die Entscheidung im
letzteren Sinn fllt, haben wir es mit Aussagen des christlichen Glaubens
Fragt man nach den Konsequenzen, die sich auS den hinter uns liegenden zu tun. D. h. aber: Nur wenn Gott und Mensch vom Zentrum der christ-
berlegungen zu Sinn, Notwendigkeit und Problematik eschatologischer lichen Botschaft, wie es in der Soteriologie entfaltet wurde (s. o. 14.1),
Aussagen ergeben, so ist zunchst noch einmal zu erinnern an die Einsicht verstanden werden, eignen sich die aus der Theo-Iogie und Anthropologie
gewonnenen Aussagen zur Bestimmung der christlichen Hoffnung ber
den Tod hinaus.
wechselbare - Hlle wirkt. Auerdem verbindet sich hufig mit dem Rein-
karnationsgedanken die Auffassung, der Mensch msse sich durch seine guten Dieser Ansatz hat weiter den Vorteil, da er an die Aussagen und
Taten oder durch die Erlangung hherer Erkenntnisse selbst aus dem "Rad der Erfahrungen anknpft, die sich unmittelbar auf das Leben des Men-
Wiedergeburten" erlsen. schen - seine Rettung, Heilung, Befreiung und Erneuerung - beziehen.
14 Deshalb gehrt der Tod (und das Weitende) zum Themenbestand der christ- Die hufig beschworene Gefahr, die Eschatologie knnte zu einem unwe-
lichen Eschatologie (s. u. 15.3.1). sentlichen, letztlich berflssigen Anhang der Dogmatik verkommen,
15 So I Kor 15,26 u. 54 sowie Apk 20,14. Die eindrucksvolle Vorstellung vom kann so mglicherweise vermieden werden.
"Tod des Todes" hat auch in das Liedgut der christlichen Kirche Eingang Vor allem aber: Die Eschatologie wird auf diese Weise mit dem Zen-
gefunden, z. B. EG 86,1: "Jesu, meines Todes Tod" und EG 101,4: "Wie ein trum der christlichen Botschaft verbunden. Es geht in ihr nicht um die
Tod den andern fra".
16 Die vollendete Welt ist darum auch zu unterscheiden von der Wirklichkeit des
Befriedigung intellektueller Neugier, auch nicht um die "Erkenntnis h-
erhhten, also verherrlichten Christus: Sie ist kategorial zu unterscheiden von herer Welten", sondern (angelehnt an Kants Formulierung, w~nn auch
dem in ihm Mensch gewordenen Logos (Sophia), und sie ist - darum - nicht in seiner Intention) um die existentiell bedrngende Frage: "Was
qualitativ zu unterscheiden von ihm als dem Mensch gewordenen Logos drfen wir hoffen - fr uns und fr andere?" Als deren Kehrseite ist
(Sophia), d. h. als der einzigen uneingeschrnkten Verwirklichung des Wesens freilich stets mitzuhren: "Und was mssen wir (be-)frchten - wiederum
Gottes unter den Bedingungen der Geschpflichkeit. fr uns und fr andere?" Diese Fragen, die unmittelbar in die Seelsorge-
610 Die vollendete Welt Vollendung als paftikularesoder universales Heil 611

und Verkndigungssituation hineinreichen, sollen im Mittelpunkt dieses "zu nichts werden "20 oder: "ewige Qual erleiden "21. Durch diese interpre-
Kapitels ber Eschatologie stehenY tierenden Wiedergaben wird deutlich, da der negative Ausgang in der
Die Leitfrage fr alles Folgende lautet also: Welche eschatologischen zweiten und dritten Mglichkeit entweder darin besteht, da diejenigen,
Konsequenzen knnen verantwortlicherweise aus dem Evangelium von die nicht selig werden, zu nichts vergehen, oder darin, da sie eine ewige
]esus Christus gezogen werden? Bei der Beantwortung dieser Frage gehe Strafe und Qual erleiden.
ich in zwei Schritten vor: Zunchst soll analysiert und reflektiert werden, Die Reduktion betrifft die dritte Mglichkeit, die in der christlichen
welche Spannungen oder gar Aporien sich in den unterschiedlichen Kon- Theologie und Kirche vermutlich noch nie ernsthaft vertreten worden ist,
zeptionen ergeben, die die eschatische Vollendung entweder als partiku- weil sie allem widersprechen wrde, was der christliche Glaube ber
lares oder als universales Heil denken (15.2). Sodann soll abschlieend Gottes Erwhlung, Christi Heilswerk und ber den Glauben als Heilsgabe
gefragt werden, welche eschatologischen Konsequenzen - in Gestalt und Heilsmittel sagt. 22 Diese dritte Mglichkeit soll deswegen im Fort-
lehrmiger "Aspekte der Vollendung" - aus der christlichen Botschaft gang nicht mehr bercksichtigt werden.
gezogen werden knnen, die mit deren soteriologischen Zentralaussagen - Von dieser Differenzierung und Reduktion her lt sich nun also
und darum auch mit deren Gottes- und Weltverstndnis - bereinstim" zwischen folgenden drei Konzeptionen unterscheiden:
men (15.3). Nur einige Menschen werden gerettet, die anderen erleiden ewige
Strafen und Qualen ("doppelter Ausgang").
Nur einige Menschen werden gerettet, die anderen vergehen zu nichts
15.2 Vollendung als partikulares oder universales Heil ("annihilatio").
Alle Menschen werden gerettet ("Apokatastasis panton").
Bedenkt man die Vollendung der Welt in soteriologischer Hinsicht l8 , so
ergeben sich theoretisch drei alternative Mglichkeiten: Es soll nun gefragt werden, ob und inwiefern diese Konzeptionen mit
dem Evangelium von Jesus Christus vereinbar sind.
Es knnten alle Menschen gerettet, also selig werden.
Es knnten nur einige Menschen gerettet werden, andere dagegen
verlorengehen oder verdammt werden. 19
15.2.1 Der "doppelte Ausgang"
Es knnten alle Menschen verlorengehen oder verdammt werden.
Dieses einfache Schema erfordert einerseits eine Ausweitung aufgrund Die eschatologische Konzeption des sog. doppelten Ausgangs entspricht
einer in ihm latent enthaltenen Differenzierung, aber es erlaubt anderer- nicht nur den Vorstellungen, die in der Volksfrmmigkeit unter den Stich-
seits auch eine Reduktion, also eine noch weitergehende Vereinfachung. worten "in den Himmel" oder "in die Hlle kommen" bekannt sind,
Die Ausweitung betrifft die zweite und dritte Mglichkeit, bei der sondern sie ist.auch die in der kirchlichen Lehr- und Bekenntnisbildung
sprachlich unterschieden wird zwischen"verlorengehen" und" verdammt eindeutig dominierende Konzeption. 23 Sie kann sich auch auf zahlreiche
werden". Mit diesen beiden Verben kann dasselbe gemeint sein, knnte
aber u. U. auch Unterschiedliches bezeichnet werden, nmlich entweder: 20 Dahinter steckt der traditionelle Begriff der "annihilatio". Vgl. dazu die
immer noch grundlegende Untersuchung von K. Stock: Annihilatio mundi,
Mnchen 1971; ferner RGG4 1,508 (Th. Mahlmann).
21 Besonders drastisch wird letzteres formuliert in CA 17, wo es im lateinischen
Text von Christus als dem Weltenrichter heit: "impios autem homines ac
17 Damit sollen andere Fragen, die sich immer wieder stellen, wenn Menschen diabolos condemnabit, ut sine fine cnlCientur"; dt.: "die gottlosen Menschen
ber den Tod hinausdenken, nicht bagatellisiert, wohl aber den soterio- aber und die Teufel in die Helle und ewige Straf verdammen" (BSLK 72,7-9;
logischen Zentralfragen der Eschatologie zu- und nachgeordnet werden. ebs. in der Apol zu CA 17: BSLK 310,50-52).
18 Die auermenschliche Kreatur lasse ich hierbei vorerst auer acht. Sie wird in 22 Hier wird erstmals sichtbar, da und in welchem Mae eschatologische
Abschn. 15.3.4 in die eschatologischen berlegungen einbezogen. Aussagen von soteriologischen Aussagen abhngen.
19 ber das zahlenmige Verhltnis beider Gruppen zueinander ist damit nichts 23 Vgl. dazu das Athanasianum, das - im Unterschied zum Apostolicum und
gesagt. Nicaenum - explizit die Lehre vom doppelten Ausgang vertritt (BSLK 30,24-
612 Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 613

biblische Aussagen sttzen, die von einem Jngsten, d. h. letzten Gericht den Werken einen Gegensatz zu behaupten (s. dazu u. 15.3.3). Das wrde
sprechen, aufgrund dessen die einen am ewigen Leben Anteil haben, die auch dem widersprechen, was oben (14.1.4.3) ber das innere Verhltnis
anderen eine ewige Strafe (das "ewige Feuer") erleiden. Der deutlichste von Glauben und Werken gesagt wurde. Die guten Werke (als Taten der
biblische Beleg in diese Richtung ist die Rede vom Weltgericht aus Mt Liebe) sind die notwendige Konsequenz, sozusagen nur die sprbar und
25,31-46 mit dem Schluvers: "Und sie werden hingehen: diese zur ewi~ sichtbar werdende Auenseite des Glaubens (als Vertrauen auf Gott,
gen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben."24 Entscheidend ist dessen Wesen Liebe ist). Wenn das Neue Testament und die reformatori-
dabei, da mit der Qualifizierung der Strafe als "ewig" eine nicht nur sche Theologie eine Rechtfertigung und darum (auch) ein Bestehen im
vorbergehende, sondern definitive Scheidung und Bestrafung ausgesagt Gericht Gottes aufgrund der "Werke (des Gesetzes)" ablehnen26 , so be-
wird. streiten sie damit die Mglichkeit (und die Notwendigkeit), vor Gott
Es soll nun geprft werden, ob und inwiefern diese Konzeption mit durch das zu bestehen, was der Mensch als Resultat eigener Anstrengung
dem Evangelium von Jesus Christus vereinbar ist. Dabei gehe ich so vor, vorweisen und dessen er sich folglich rhmen knnte (s. Rm 3,27 u. 4,2;
da ich zunchst nach dem Mastab (oder Kriterium) der Gerichtsent- I Kor 1,29; Eph 2,9). Die notwendige Zusammengehrigkeit zwischen
scheidung Gottes frage (15.2.1.1), sodann die Konsequenzen fr das Men- Glauben und guten Werken wird damit aber keineswegs geleugnet, son~
schenbild (15.2.1.2) und fr das Gottesverstndnis (15.2.1.3) bedenke. dern immer wieder ausdrcklich hervorgehoben. 2? Deshalb mu auch im
Blick auf Mt 25,31-46 kein Gegensatz zwischen Glauben und Werken
konstatiert oder konstruiert werden. D. h., es ist durchaus zulssig, die
15.2.1.1 Der Mastab der Entscheidung dort als Mastab der Gerichtsentscheidung vorausgesetzten Taten als
Konsequenzen des Glaubens zu verstehen.
Auf die Frage nach dem Mastab, anhand dessen die definitive Entschei- Aber auch wenn man dies tut, bleibt hier (wie bei den anderen Gerichts-
dung ber ewiges Leben oder ewige Verdammnis fllt, enthlt die Bibel aussagen) ein groes Problem bestehen, das bislang noch kaum theolo-
unterschiedliche Antworten: Einerseits wird auf den Glauben (an Jesus gisch bedacht worden ist: In welchem Sinn ist dieser Mastab eigentlich
Christus) verwiesen, d. h., da an der Alternative "glauben" oder "nicht anzuwenden? Das hier bestehende Problem kann jedem Bibelleser dann
glauben" die eschatologische Entscheidung fllt (so Joh 3,16-18 u. 5,2425 ). deutlich werden, wenn er Mt 25,31-46 auf sich selbst anwendet und sich
Andererseits werden die (guten oder bsen) Taten (einschlielich der fragt: Was folgt eigentlich daraus, wenn dieser Mastab auf mein eigenes
Worte) als dasjenige genannt, anhand dessen sich das ewige Schicksal eines Leben angewandt wird? Welches Urteil ergeht dann? Einerseits wird man
Menschen entscheidet (so z. B. Mt 7,21-23 par.Lk 13,23-30; Mt 12,36; realistisch annehmen drfen, da es wohl keine (handlungsfhigen) Men-
16,27; 25,31-46; Joh 5,29; Rm 2,5-10; I Kor 3,13-15; 11 Kor 5,10). schen gibt, die noch niemals irgendeine der in Mt 25,35 H. exemplarisch
Die Tatsache, da die unterschiedlichen Antworten sich nicht auf aufgezhlten guten Taten getan haben. Andererseits darf man ebenso
biblische Schriften oder Theologien verteilen lassen, sondern teilweise in realistisch annehmen, da es keine Menschen gibt, die stets alle diese
denselben berlieferungsschichten nebeneinander nachweisbar sind, mu Taten getan haben. Und nun stellt sich die Frage: Was folgt daraus?
schon davor warnen, zwischen dem Gericht nach dem Glauben und nach

26); ferner die altkirchlichen Lehrentscheidungen gegen Origenes und den 26 So insbesondere Rm 3,20 u. 28; GaI2,16; 3,2 u. 10 f.; Eph 2,9; II Tim 1,9;
Origenismus aus den Jahren 543 und 553 (s. DH 411 u. 433) sowie die Tit3,5. Dagegen Jak 2,14-26. Zu Luthers Verhltnisbestimmung von Glauben
reformatorischen Lehrentscheidungen gegen die Wiedertufer in CA 17 u. und Werken s. meinen Aufsatz "Der Glaube als Gottes- und/oder Menschen-
Apol 17 (BSLK 72,1-18 u. 310,45-52). werk in der Theologie Martin Luthers"} in: MJTh IV, Marburg 1992, S. 37-77.
24 Vgl. hierzu und zu den brigen einschlgigen Bibelstellen (neben den Kom- 27 Vgl. Ga15,6 u. 13 f.; Rm 12,8-10; CA 6; FC 4 u. 6. Besonders eng mitein-
mentaren) die zusammenfassenden exegetischen Erwgungen bei H. Rosenau, ander verbunden ist die Ablehnung der Rechtfertigung durch die Werke und
Allvershnung, Berlin 1993, S. 46-103. die Bejahung der Werke als Konsequenz des Glaubens in Eph 2,8-10: "Denn
25 In diesem Sinne lassen sich wohl auch die paulinischen Aussagen ber die aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch:
Rechtfertigung allein durch den Glauben verstehen (Rm 3,28 u. GaI2,16), Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken (OVK E~ EPYOOV), damit sich nicht jemand
ferner seine These, da das, was nicht aus Glauben geschieht, dem Gericht rhme. Denn wir sind sein Werk (1fol1wa), geschaffen in Christus Jesus zu
verfllt (Rm 14,23). guten Werken (E1fl EPYOlS ayaeols) ... "
614 Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 615

Der naheliegendste Versuch, dieses Problem zu lsen, ist in der Ge- Ist es mit dem Wesen des Glaubens (als Vertrauen) und der Liebe (als
schichte und berlieferung der Religionen immer wieder gemacht worden Hingabe) vereinbar, sie als Kriterien fr eine Gerichtsentscheidung zu
mit Hilfe der Vorstellung vom Wgen der guten und der bsen Taten. Aber denken, so da Glaube und Liebe belohnt, ihr Fehlen hingegen be-
diese Vorstellung von einem abwgenden Gericht ist dem christlichen straft wird?
Glauben unangemessen, weil sie in problematischer Weise Gutes und B- Wenn man mit der Mglichkeit rechnen mu, da das Evangelium
ses gegeneinander aufrechnet. Scheidet aber diese abwgende, bilanzieren- von Jesus Christus sich bestimmten Menschen nicht so erschliet, da
de Lsung aus, so bleibt nur entweder die Mglichkeit, zu sagen: "Wer es sie zum Vertrauen auf Gott ermutigt, dann stellt sich die Frage, ob
nicht immer aus Liebe gehandelt hat, ist ewig verloren" oder: "Wer auch diese Menschen fr etwas bestraft werden, was sie gar nicht zu verant-
nur einmal aus Liebe gehandelt hat, hat teil am ewigen Leben "28. Es ist worten haben. 3D
unschwer zu sehen, da vllig unterschiedliche Ergebnisse daraus resultie- Der Glaube ist im Menschenleben immer angefochtener Glaube, weil
ren je nachdem, in welchem Sinn man diesen Mastab anlegt. er begleitet, in Frage gestellt und bedroht ist durch die Stimme des
Es knnte freilich auch der Eindruck entstehen, diese Fragen seien Zweifels und des Unglaubens. Kann dann aber die Alternative zwi-
lediglich aus den bildhaften Elementen der Rede vom Weltgericht abgelei- schen Glauben und Unglauben das Kriterium sein das ber das ewi-
tet und drften darum nicht ohne weiteres verallgemeinert werden. Aber ge Schicksal" des Menschen entscheidet?' "
auch wenn man sich ganz von den Bildern aus Mt 25 lst, ja, wenn man im Der Glaube ist seinem Wesen nach Vertrauen auf den Gott, dessen
strengen theologischen Sinn nur das Kriterium des Glaubens anlegt und Wesen Liebe ist. Mu diese Liebe nicht konsequenterweise auch die-
gelten lt, stellt sich das Problem - nun nicht bezogen auf die Taten eines jenigen umfassen, die zu solchem Vertrauen nicht fhig oder willens
Menschen, sondern im Blick auf den Glauben - in hnlicher Weise, nm- sind? Droht nicht andernfalls die Gefahr, da das Vertrauen sich nicht
lich als das Problem der Perseveranz, d. h. des Beharrens im Glauben bis auf Gottes Liebe, sondern auf das (eigene) Vertrauen auf Gott richtet
ans Ende. Die Frage nach dem Mastab, der im Gericht Gottes angelegt und da damit die eigene "Glubigkeit" des Menschen zum Funda-
wird, ist im Blick darauf durch folgende Alternative zu formulieren: Ent- ment und Bezugspunkt des Vertrauens wird?
weder gilt:"Wer nicht bis zum Ende seines Lebens am Glauben festgehal-
ten und ihn bewahrt hat, ist ewig verloren" oder: "Wer auch nur einmal in Keiner dieser Einwnde kann m. E. als unsachgem zurckgewiesen
oder leicht im Sinne des doppelten Ausgangs. beantwortet werden. Es
seinem Leben auf Gott vertraut hat, hat teil am ewigen Leben". Wiederum
drfte auch nicht mglich sein, sie als unwesentlich oder marginal einzu-
ist leicht zu erkennen, wie unterschiedlich diese Mastbe sind und zu
stufen. Sie liegen als Hypothek auf der Konzeption des doppelten Aus-
welch unterschiedlichen Ergebnissen sie wohl fhren mten.
gangs und mten erst noch abgelst werden.
Aber lassen sich diese Alternativen entscheiden? Ja, sind sie berhaupt
richtig gestellt? Begrndete Zweife12 9 an der Angemessenheit solcher Al-
ternativen lassen sich von verschiedenen Seiten aus erheben:
15.2.1.2 Anthropologische Implikationen

War bisher im engeren Sinne von den soteriologischen Problemen der


28 Diese letztere Antwort liegt wohl in der Konsequenz von Mt 10,42: "Und wer
Konzeption des doppelten Ausgangs die Rede, so geht es nun darum,
einem dieser Geringen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt,
weil es ein Jnger ist, wahrlich ich sage euch: es wird ihm nicht unbelohnt wenigstens einen kurzen Blick darauf zu werfen, was aus dieser Konzep-
bleiben" (ebs. Mk 9,41). Sie ist auch vorausgesetzt in der berhmten Erzh- tion fr das Verstndnis des Menschen folgt. Hier ist zunchst ein Aspekt
lung: "Die Zwiebel", die F. Dostojewskij in seinen Roman "Die Brder
Karamasoff" (III. Teil, 7. Buch, Abschn. 3) eingebaut hat - freilich mit dem 30 Die in der mittelalterlichen Theoldgie entwickelte Vorstellung, da diese
wichtigen Zusatz, da diese eine Tat der Liebe noch einer letzten Bewh- Personengruppen an einen besonderen Ort im Totenreich (den "limbus
rungsprobe ausgesetzt wird, die in dieser Erzhlung nicht bestanden wird. infantium" oder "limbus patrum") kommen, an dem sie mglicherweise noch
29 Insbesondere die verbreitete Vorstellung, der letzte Augenblick entscheide einmal mit dem Evangelium konfrontiert werden oder eine andere Entschei-
definitiv ber das ganze Leben, mu im Blick auf die schrecklichen Umstnde, dungsgelegenheit erhalten, zeigt, da dieses Problem zumindest wahrgenom-
von denen das Sterben eines Menschen begleitet sein kann, massive Bedenken men wurde, auch wenn die dafr angebotene Lsung in hchstem Mae
hervorrufen. zeitgebunden ist.
616 Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 617

zu bedenken, der eine ausgesprochene Strke dieser Konzeption darstellt: Deo" von CA 5 als immer und berall bereits realisiert angenommen
Sie nimmt den Menschen als Wesen, das zu personaler Verantwortung werden mte. Demzufolge wre jede Form von Unglauben als ein
fhig ist, ernst. Das Heil wird - auch in eschatologischer Perspektive - schuldhaftes Nicht-glauben-Wollen trotz vorhandener Glaubens-
nicht verstanden als etwas, das dem Menschen ungefragt oder gar wider gewiheit zu verstehen. 33 Dies mte dann wohl als "Snde wider den
Willen zuteil wird, sondern das ihm so zugesprochen wird, da er sich Heiligen Geist" (Mk 3,29 u. Hebr 6,4-6) bezeichnet werden.
dieser Zusage und Verheiung auch verweigern kann. Die Lehre vom Die drei skizzierten Interpretationsmglichkeiten weisen ebenfalls auf
doppelten Ausgang trgt also der Sonderstellung des Menschen als ein Dilemma hin, das man wie folgt beschreiben kann: Je strker die
antwortfhiges Wesen, das. zu Gottes Ebenbild bestimmt ist, Rechnung. Verantwortlichkeit des Menschen als Erklrungsmglichkeit fr die Leh-
Sie darf dabei aber nicht auer acht lassen, da auch dieses Geschpf re vom doppelten Ausgang in Anspruch genommen wird, desto eher wird
darauf angewiesen ist, da ihm alles Heilsnotwendige von Gott her zuteil die soteriologisch zentrale Einsicht des Evangeliums verdunkelt, da das
wird. Auf diesen wesentlichen Gesichtspunkt nimmt die Lehre vom dop- Heil dem Menschen von Gott her bedingungslos zuteil wird. Und je
pelten Ausgang jedoch explizit keinen Bezug. Diese Tatsache lt mehrere strker diese Einsicht festgehalten wird, desto weniger kann die Lehre
Deutungen zu: vom doppelten Ausgang begrndet werden. 34 Trotzdem kommt in ihr ein
Es knnte - fatalerweise - bedeuten, da sie diesen Gesichtspunkt fr Wahrheitsmoment zur Geltung, das Beachtung verdient. Dieses Wahr-
unwesentlich hlt und damit hinter entscheidende Einsichten des heitsmoment, das bisher mit dem Stichwort "personale Verantwortung"
Neuen Testaments und der Reformation zurckfllt in ein Denken, bezeichnet wurde, erhlt noch eine Erweiterung und Vertiefung, wenn der
das im pejorativen Sinn des Wortes als "gesetzlich" oder "synergi- Gedanke an die Opfer des Bsen mit einbezogen wird. Hier geht es um die
stisch" bezeichnet werden mu und das den Gedanken der Glaubens- in der Lehre vom doppelten Ausgang festgehaltene (oder darin jedenfalls
gerechtigkeit zugunsten der Werkgerechtigkeit preisgibt. 31 aussagbare) Einsicht, da die Opfer des Bsen nicht vergessen werden
Es knnte aber auch besagen, da die Mglichkeit ewiger Verdamm- drfen, und zwar gerade dann nicht, wenn ihnen keine Genugtuung wi-
nis nur im Blick auf solche Menschen fr denkbar gehalten wird, die derfahren ist und wenn ihnen oder ihren Hinterbliebenen zugemutet wird,
in voller, klarer, durch nichts beeintrchtigter Erkenntnis der Selbst- auf Rache und Vergeltung zu verzichten (s. Rm 12,19 unter Rckbezug
erschlieung Gottes gleichwohl Gott ihr Vertrauen willentlich verwei- auf Dtn 32,35). Wo und wie sonst sollte der "Rache Gottes" Raum
gern. Eine solche Form des Unglaubens stellt unter irdischen Bedin- gegeben werden? .
gungen eine reine Denkmglichkeit dar, von der nicht angenommen Freilich zeigt sich hierin auch schon die Problematik dieses Gedan-
werden mu, da sie in irgendeinem Fall tatschlich realisiert ist oder kens; denn die ewige Verdammnis (als ein Gequltwerden ohne Ende) ist
sein wird. 32 Aber ist dies dann noch ein doppelter Ausgang? ja eine Vergeltung, die jede Grausamkeit, die ein Mensch begehen kann,
Es knnte schlielich besagen, da die Lehre vom doppelten Ausgang nicht nur quantitativ, sondern qualitativ bersteigt. Deshalb ist ernsthaft
das glaubenermglichende Wirken Gottes als in jedem Fall immer zu fragen, ob die Annahme einer ewigen Verdammnis die angemessene
schon geschehen(d) voraussetzt, so da das" ubi et quando visum est Weise sein kann, in der den Opfern ihr Recht zuteil wird. Mte eine
eschatologisch berzeugende Antwort auf das namenlose Unrecht, das

31 Damit ist nicht gesagt, da dies ein "alttestamentliches" oder "jdisches"


Denken wre. Das Verhltnis von Glaubensgerechtigkeit und Werkgerechtig-
keit entspricht nicht dem vom Neuen Testament zum Alten Testament oder
von Christentum zu Judentum - wofr Gen 15,6 u. Rm 4,3-5 eindrucksvolle
Belege sind. . 33 Eine Konsequenz dessen wre es, da dils Gebet um Glauhensgewiheit keine
32 Mit dieser Interpretation liee sich gut der von Bruce Marshall (Alle Herrlich- theologische Berechtigung htte, weil es als immer schon erfllt vorauszuset-
keit ist innerlich [1944, dt. 1947] 19625, S. 11) formulierte Gedanke verbin- zen wre.
den, da zur christlichen Lehre zwar die berzeugung gehrt, da es eine 34 Diese Alternative hat vor allem H. Rosenau (Allvershnung, Berlin 1993)
Hlle gibt, aber da wir "nicht verpflichtet (sind) zu glauben, da jemand unter der Leitdifferenz "soteriologische Macht" oder "soteriologische Ohn-
darin ist". Zur Erluterung fgt Marshall an: "Sogar dem Judas Ischariot mag macht" des Menschen herausgearbeitet und in den Mittelpunkt seiner ber-
Gott die Gnade letzter Reue gewhrt haben ... " legungen gestellt.
618 Die vollendete Welt Vollendung als panikulares oder universales Heil 619

Menschen anderen Menschen angetan haben, nicht ganz anders aussehen macht der gttlichen Liebe und darum die - erwhlende - gttliche
als so, da die Tter nun ihrerseits ewig geqult werden?35 Liebe als allmchtig zu denken. Dabei zeigte sich als Spezifikum der
An dieser Stelle mu man 36 weiterfragen, ob unter der Voraussetzung gttlichen Allmacht gerade ihr gewinnender Charakter, der ohne
eines doppelten Ausganges ewige Seligkeit berhaupt gedacht werden Zwang und Gewalt zum Ziel kommt. Die unbeirrbare und grenzenlo-
knne. Wird dabei vorausgesetzt, da die Seligen so etwas wie ein"Wis- se Zuversicht, die sich von daher mit dem christlichen Gottesglauben
sen" um das Schicksal der Verdammten haben, so kann Seligkeit im Sinne verbindet, wird aber durch die Lehre vom doppelten Ausgang massiv
des christlichen Glaubens gar nicht gedacht werden. Aber auch die Vor- in Frage gestellt. Selbst wenn man ihr nicht die traditionelle Fassung
stellung, da den Seligen dieses "Wissen" vorenthalten ist, wre eine gibt, derzufolge derweit berwiegende Teil der Menschheit verdammt
Beeintrchtigung der vollendeten Welt, die mit diesem Begriff nur schwer wird ("massa perditionis"), bleibt doch auch in ihren eingeschrnkte-
zu verbinden ist und berdies nicht ausschliet, da die "Glubigen" sten Formen die Tatsache bestehen, da die gttliche Liebe offenbar
jedenfalls in diesem Leben dieses Wissen haben (knnen). Aus dem "Wis- nicht mit und bei allen Menschen zu ihrem Ziel kommt. Von da aus
sen" Gottes knnte die mgliche Existenz ewig verlorener Geschpfe in wre es notwendig, die Rede von der Allmacht (der Liebe) Gottes
keinem Fall ausgeschlossen werden. Die Einwnde, die von daher gegen zurckzunehmen. Dies erscheint freilich als ein Substanzverlust fr
die Lehre vom doppelten Ausgang zu erheben sind, resultieren nicht aus das christliche Gottesverstndnis, von dem es sich schwerlich wieder
der Unfhigkeit oder Unwilligkeit, den Ruf zur Umkehr ernst zu nehmen erholen kann.
und Grenzen der Umkehrmglichkeit anzuerkennen, sondern aus der Aus dieser eschatischen Begrenzung der Macht und Reichweite der
Einsicht, da die gttliche Liebe ihrem Wesen nach (auch als zornige gttlichen Liebe resultiert aber - wider Willen - auch, da ihre Einzig-
Liebe) niemanden ausschliet. Aber mit diesem Gedanken sind wir bereits keit eschatologisch bestritten wird. 37 Denn die Lehre vom doppelten
von den anthropologischen zu den theo-logischenImplikationen ber- Ausgang impliziert eine Verewigung der Snde und des Bsen, die mit
gegangen. der Ewigkeit Gottes konkurriert38 und damit auch die Anschauung
von der unumstrittenen und uneingeschrnkten eschatischen Souver-
nitt Gottes (wie sie z. B. Rm 11,25-36; I Kor 15,20-28; Eph 1,18-
15.2.1.3 Theo-logische Implikationen 23 sowie Kol 1,15-20 zum Ausdruck kommt) in Frage stellt. Hier
werden - nicht im Blick auf den Ursprung, wohl aber im Blick auf das
Die Lehre vom doppelten Ausgang zwingt dazu, die gttliche Liebe als Telos - dualistische Tendenzen sichtbar, die mit dem christlichen
begrenzt zu denken - begrenzt in ihrer Macht und in ihrer Reichweite, Gottesverstndnis nur schwer zu vereinbaren sind. Ja, die Vorstellung,
darum aber auch schlielich in Frage gestellt in ihrer Einzigkeit. da es Geschpfe Gottes(!) geben knnte, die Gott ihres Unglaubens
In der Gotteslehre (s. o. 8.1.3.2) und in der Erwhlungslehre (s. o. wegen ewiger Pein berantwortet, ist mit der Einsicht, da Gottes
14.1.2.2) erwies es sich als angemessen, die Allmacht Gottes als All- Wesen Liebe ist, jedenfalls dann nicht zu vereinbaren, wenn der aus
dem Evangelium von Jesus Christus gewonnene Begriff von Liebe
zugrunde gelegt wird. Wenn man sich an Aussagen wie Mt 5,43-48;
Joh 15,9-17; I Kor 13,4-7 oder IJoh 4,7-21 und durch diese Texte
35 Auch dieses Thema hat F. Dostojewskij in "Die Brder Karamasoff" (II. Teil, hindurch an der Gestalt Jesu Christi als der Mensch gewordenen
5. Buch, Abschn.4) aufgegriffen und in eindrucksvoller Weise bearbeiter, gttlichen Liebe orientiert, drfte es sich als unmglich erweisen, den
indem er Iwan auf einen Himmel, in dem Opfer und Tter einander ohne
weiteres vershnt und Gott preisend in die Arme sinken, verzichten lt ("Ich
gebe mein Eintrittsbillett zurck"). Stimmig an Iwans Protest ist m. E. die 36 Mit Schleiermacher, Der christliche Glaube, 1830/312, Bd. 2, S. 437 ff.
Zurckweisung einer "billigen Vershnung", die die Scham und Reue ber 37 Darauf hat neuerdings J. Chr. Janowski in ihrer Arbeit "Allerlsung", Neu-
die begangenen Greuel und den Schmerz ber das ungelebte oder beschdigte kirchen-Vluyn 2000, S. 399ff. aufmerksam gemacht.
Leben der Opfer nicht als integralen Bestandteil einschliet. Man mu, wenn 38 Die FC verwirft die Auffassung, "da auch die Snde auferstehen und im
man seinen Protest anerkennt, nicht notwendig zur Forderung einer ewigen ewigen Leben in den Auserwhlten sein und bleiben wrde" (BSLK 859,25-
Bestrafung kommen (dies lehnt auch Iwan ab), sondern knnte viel eher an 27). Diese Verwerfung mte aber konsequenrerweise auch fr jede andere
eine radikale, in die Tiefe gehende Form der Reue und Vershnung denken. Form der Verewigung der Snde gelten.
Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 621
620

Gedanken ewiger, von Gott als Strafe verhngter Hllenqualen mit annihilatio interpretiert wird 40 , lt sie sich entweder in die Konzeption
des doppelten Ausgangs oder in die der Apokatastasis panton einbeziehen
dem Wesen Gottes in Einklang zu bringen.
und bildet darin eine wichtige Facette oder Variante. 41
Gleichwohl gibt es auch hier ein schon frher (s. o. 8.1:3.3 c) b~dach Der Begriff "annihilatio" kann in einem weiteren und in einem stren-
tes Wahrheitsmoment, das festgehalten zu werden verdient: Es ist der geren Sinn gebraucht werden. Im weiteren Sinn wird damit der Vorgang
Gedanke da es zum Wesen der Liebe gehrt, zornig zu sein ber alles, bezeichnet, durch den etwas seine bisherige Daseinsform verliert, sich also
womit d~m Geliebten Schaden zugefgt wird oder womit es sich selbst radikal wandelt und insofern vergeht. In diesem Sinne wre das Verbren-
schadet. Dieser "heilige Zorn", der keine Einschrnkung, sondern ~ine nen, die Zersetzung oder die Verwesung ein Vorgang der annihilatio. Im
Qualifizierung echter, brennender Liebe ist, mu auch eschatologisch strengen Sinn ist "annihilatio" dagegen zu verstehen als" Vernichtung"
bedacht und ernstgenommen werden. Wrde der Zorn Gottes eschato- und bezeichnet den Vorgang der restlosen Aufhebung und Beseitigung,
logisch suspendiert, so wre er auchsoteriologisch .~icht ~rnst zu nehme~, also einer Auflsung in nichts. Die annihilatio in diesem Sinne ist das
sondern ein bloes "Als-ob". Hier stellt sich freihch die Frage, ob em genaue Gegenstck zur traditionell verstandenen Lehre von der "creatio
eschatologisches Ernstnehmen des Zornes Gottes anders g~dacht werd~n ex nihilo". Wird in ihr von der Welt gesagt, sie sei "aus nichts" (durch
kann als so da dieser Zorn mit verdammender oder vermchtender Wir- Gottes Schpferwort) entstanden, so wird mit der streng verstandenen
kung den Snder trifft, der sich Gottes vergebender Liebe gegenber annihilatio von der Welt gesagt, sie vergehe am Ende der Tage" in nichts".
beharrlich verschliet. Auch hier tut sich also ein Dilemma auf, das un- Es ist theologisch durchaus sinnvoll, mit beiden Bedeutungen von
lsbar zu sein scheint denn ein Zorn, der mit verdammender Wirkung "annihilatio" zu arbeiten und den Begriff differenziert zu verwenden, je
nicht nur die Snde, :ondern auch den Snder trifft, steht zumindest in nachdem, worauf er angewandt werden soll. Dabei ist es sinnvoll, mit
einer erheblichen Spannung zum Wesen der Liebe, die das Beste fr das einer Grenzziehung zu beginnen: In keiner der beiden Bedeutungen kann
geliebte Gegenber will. . . der Begriff "annihilatio" auf Gott, auf sein Wort und auf seinen im Gesetz
So ist. die eschatologische. Konzeption des doppelten Ausgangs m geoffenbarten Willen angewandt werden (vgl. Ps 102,27 f. par. Hebr
mehrfacher Hinsicht mit - scheinbaren oder tatschlichen - Aporien be- 1,10-12; Mk 13,31 parr.; Mt 5,18 par. Lk 16,17). Die Wirklichkeit Got-
lastet, die es unmglich machen, diese Konzeption, so wie sie ist: zu ber- tes vergeht nicht, sondern sie "bleibt" (s. Ps 9,8; 92,9; 102,13; I Kor
nehmen. Gleichwohl sind in ihr Wahrheitsanliegen enthalten, die es auch 13,13). Dieses eschatische Bleiben ist der Gegensatz zum Vergehen und
unmglich machen, jedenfalls aber nicht empfehlen, sie so, wie sie ist, zu zur Vernichtung. Es ist ewiges Leben (s. u. 15.3.4) und fllt als solches
verabschieden. Im Schluabschnitt (15.3.3.3) wird es deshalb darauf an- "des Lebens Mangel aus" (EG 324,12).
kommen, eine kritische Rekonstruktion der wichtigen und tragfhigen War zunchst zu sagen, da nach christlichem Verstndnis nicht alles
Elemente dieser Lehre zu versuchen. vergeht oder vernichtet wird, also der annihilatio anheimfllt, so ist nun
umgekehrt zu bedenken, da nach christlichem Verstndnis aber auch
nicht alles bleibt. Im Unterschied zu der problematischen Konsequenz der
15.2.2 Die Einbeziehung des annihilatio-Gedankens Lehre vom doppelten Ausgang, derzufolge die Snde und das Bse in der
Hlle als dem Ort der Qual verewigt wird (also "bleibt"), erlaubt der
Im Unterschied zu den im vorigen und im folgenden Unterabschnitt annihilatio-Gedanke, die wirksame Verneinungder Snde bzw. des Bsen
thematisierten eschatologischen Konzeptionen des doppelten Ausgangs durch Gott zu denken, ohne diese damit zu verewigen. Diese Verneinung
und der Apokatastasis panton handelt es sich beim annihilatio-.Gedanken ist, wie sich andeutete, auf zweifache Weise zu denken: als ein Vergehen,
nicht um eine eschatologische Konzeption 39 , sondern nur um em Element
innerhalb einer eschatologischen Konzeption. Je nachdem, wie die
40 Als Absage an die Vorstellung ewiger Hllenstrafen gehrt sie eher der
Apokatastasis panton zu; als Verneinung der Vorstellung, da alle (und alles)
39 Das ist auch dort nicht der Fall, wo die "annihilatio mundi" (s. o. Anm. 20)
an der ewigen Seligkeit Anteil hat, eher der Konzeption des doppelten Aus-
gelehrt wird. Wrde sie als eine eschatologische Konzeptio~ verstanden, dann
gangs.
wre sie eine rein destruktive, welt- und menschenvernemende Konzeption
41 Diese prinzipielle Offenheit gegenber beiden Konzeptionen erklrt auch die
und htte mit dem christlichen Gottes- und Weltverstndnis, insbesondere
Placierung dieses Abschnitts an dieser Stelle - zwischen beiden Konzeptionen.
mit dem Schpfungs- und Heilsgedanken, nichts zu tun.
622 Dievollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 623

das faktisch den Charakter einer radikalen Verwandlung hat, oder als eine Eine solche Vernichtung im strengen Sinn ist aber denkbar (wenn auch
Vernichtung, die nichts brig lt. nicht anschaulich vorstellbar), ja sie mu aus theologischen Grnden
Man knnte einwenden, eine Vernichtung, also eine annihilatio im gelehrt werden im Blick auf die Snde und das Bse44 , die ihrerseits
strengen Sinn sei gar nicht denkbar. Das ist jedoch nicht richtig. Zumin- nicht als Geschpfe Gottes existieren, sondern nur als Verneinung des
dest an den Rndern heutiger physikalischer Theoriebildung taucht die Schpfers und der Geschpfe (mit vernichtender Intention) eine Rea-
(Denk-)Mglichkeit der strengen annihilatio auf: Einerseits gibt es das litt darstellen. 45 Die Snde und das Bse sind die Negation dessen,
Modell von Materie und Antimaterie, deren Zusammentreffen (bei glei- was "bleibt", darum knnen sie selbst nicht bleiben, sondern sind
cher "Masse") zu einer wechselseitigen Auslschung fhrt; andererseits (nur) dazu bestimmt zu vergehen, und zwar im Sinne der radikalen
erlaubt die gedankliche Umkehrung des Zeitpfeils, denselben Effekt in annihilatio. 46
zeitlicher Hinsicht zu denken: Positive Zeit (im Sinne der Entropie) und
negative Zeit (im Sinne ihrer Umkehrung) heben sich gegenseitig vollstn- Der Gedanke der annihilatio ermglicht es47 , das wirksame Nein
dig auf. Gottes gegen die Snde und das Bse zu denken, ohne die problematische
So instruktiv (und in ihrer Weise anschaulich) solche Modelle sind, in Konsequenz einer Verewigung der Snde und des Bsen in Kauf nehmen
theologischer (eschatologischer) Perspektive erweisen sie sich als so nicht zu mssen; und er erlaubt es, das radikale, vernichtende Nein Gottes
anwendbar. Das Wesentliche am physikalischen annihilatio-Gedanken gegen die Snde und das Bse festzuhalten, ohne damit ein radikales,
besteht m. E. darin, da hier nicht nur das Negative vergeht, indem es dem vernichtendes Nein Gottes gegen irgendeines seiner Geschpfe zu ver-
Positiven begegnet42 , sondern es vergeht nur, indem das Positive mit ver- knpfen. Beides ist freilich nur mglich, wenn die Unterscheidung zwi-
geht, also auch vernichtet wird. Das ist aber - wie wir oben sahen - fr schen Snder und Snde festgehalten und theologisch zur Geltung ge-
den christlichen Glauben nicht zustimmungsfhig. So bleibt insofern die bracht wird. Aber diese Unterscheidung ist ja schon soteriologisch
Frage nach einem theologisch akzeptablen Denkmodell strenger annihi- grundlegend (s. 0.9.3.2.3 a u. 14.1.1.2 cl. Insofern ist es nur konsequent,
latio offen. Vom christlichen Glauben her lt sich jedoch zweierlei po- wenn sie auch eschatologisch eine wesentliche Rolle spielt.
stulieren:
Alles Geschaffene ist endlich. Es trgt die Signatur der Vergnglichkeit
und damit der annihilatio im weiteren Sinn des Wortes. Seine Bestim- 44 Insofern haben die "Dmonen" durchaus recht, wenn sie (laut Mk 1,24 par.
mung ist es nicht, ewig zu bleiben, sondern zu vergehen (so Gen 3,19; Lk 4,34) befrchten, von Jesus vernichtet zu werden. In diesem Sinn kann
Ps 90,3-10; 102,27; 146,4; Mt 24,35; I Kor 7,31; 11 Petr 3,10; Apk man auch die paulinischen Aussagen interpretieren, die von der Vernichtung
21,1). Aber dieses Vergehen kann, wenn man die Geschpflichkeit des des Leibes der Snde (Rm 6,6) sowie von der Vernichtung aller wider-
gttlichen Herrschaft und des Todes sprechen (I Kor 15,24 u. 26). In diesem
Geschaffenen, also sein Bejahtsein von Gott ernst nimmt, nicht im
Sinn ist wohl auch das Vergehen des Weges der Gottlosen zu verstehen, von
Sinne einer spurlosen und restlosen Vernichtung verstanden werden, dem in Ps 1,6 die Rede ist.
sondern nur als radikale Verwandlung durch den Tod und d. h. durch 45 In diesen Zusammenhang gehrt die Aussage aus Fe Ep I: "Dann der
das Ende der geschpflichen Existenzform hindurch. 43 Wenn jedes Unterscheid zwischen Gottes und des Teufels Werk auf das deutlichts dar-
Geschpf den Grund seines Daseins in der gttlichen Liebe hat, also durch angezeiget, weil der Teufel kein Substanz schaffen, sondern allein
ein Geschpf der Liebe Gottes ist, dann kann kein Geschpf im stren- zuflligerweise aus Gottes Verhngnis die von Gott erschaffene Substanz
gen Sinn des Wortes eschatisch vernichtet, wohl aber durch den Tod vorderben kann" (BSLK 776,1-6).
hindurch radikal (zu Gott hin) verwandelt werden. 46 Wenn das Wesen des Bsen Verneinung und Vernichtung ist, dann ist zumin-
destdie Frage erlaubt, ob das Bse. letztendlich (also eschatisch) sogar als
selbstverneinend und selbstvernichtend gedacht werden kann. Dies wre eine
42 Das wre ein schner und theologisch gut zu akzeptierender Gedanke. berzeugende Form der annihilatio des Bsen. Dieser Gedanke findet sich
43 Dafr sprechen nicht nur direkt Ps 102,27 und die paulinischen Aussagen ber schon bei P. Tillich (STh II, S. 187), der von "den selbstzerstrerischen Folgen
die eschatische Verwandlung (I Kor 15,51 f. u. Phil 3,21), sondern auch existentieller Entfremdung" spricht, denen Gott "ihren Lauf lt". hnlich
indirekt die Aussagen, die davon sprechen, da an die Stelle des ersten STh I, S. 325 f.
Himmels und der ersten Erde ein neuer Himmel und eine neue Erde treten (les 47 Mehr sollte man nicht sagen. Von einer Notwendigkeit oder etwas Zwingen-
65,17; II Petr 3,10-13; Apk 21,1). dem kann hier m. E. nicht die Rede sein.
624 Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 625

15.2.3 Die Apokatastasis panton als Allerlsung Seelen erfolgen werde"49. Es ist keine Frage, da diese eschatologische
Konzeption eine groe Affinitt zu der Botschaft von der in Jesus Christus
Die Alternative zu der eschatologischen Konzeption des doppelten Aus- anbrechenden Gottesherrschaft hat, die als Heil offen ist fr alle - gerade
gangs ist die mit einem (unklaren) Begriff aus Act 3,21 bezeichnete Lehre fr die Verlorenen, die in religiser Hinsicht nichts vorzuweisen haben
von der Apokatastasis (d. h.: Wiederaufrichtung, Wiederherstellung, und sich selbst nicht helfen knnen. So wie insoteriologischer Hinsicht zu
Wiederbringung) panton (d. h.: aller, oder: von allem). Das Gemeinte sagen war, da die Suglingstaufe die Bedingungslosigkeit der gttlichen
wird durch den Begriff "Apokatastasis" nur miverstndlich und unge- Heilszusage unbertrefflich klar zum Ausdruck bringt (s. o. 14.2.3.3 cl,
nau wiedergegeben. Von der christlichen Botschaft her besteht Gottes so ist dies in eschatologischer Hinsicht von der Allerlsung zu sagen. Aber
eschatisches Heilswirken nicht in einer (zyklischen) Wiederherstellung dort wie hier stellt sich damit die Frage nach dem Gewicht, der Notwen-
eines paradiesischen Urzustandes, in dem es mglicherweise erneut zum digkeit und der Bedeutung des Glaubens, durch den die gttliche Heils-
"Sndenfall" kme, sondern in der Herauffhrung einer qualitativ neuen, zusage zwar nicht gltig, wohl aber fr den einzelnen wirksam wird. Eines
heilvollen Wirklichkeit, in der Snde und Bses definitiv (auch als Mg- der Grundprobleme der Apokatastasis panton ist es daher, ob und wie in
lichkeit) berwunden sind. dieser Lehre nicht nur das "sola gratia", sondern auch das "sola fide" zur
Das Gemeinte kommt aber auch durch den Begriff "Allvershnung" Geltung kommt. Dabei kann als allgemein anerkannt gelten, da das eine
nicht deutlich zum Ausdruck. Er sagt als solcher noch nicht notwendig, nicht unter Einschrnkung des anderen zur Geltung gebracht werden
da es keine ewig verlorenen Geschpfe gebe, weil das eschatische Wirk- darf, weil sonst das "sola" in Frage gestellt wre.
samwerden der Vershnung fr alle (im Sinne von 11 Kor 5,19 f.) an das Wenn ich es recht sehe, gibt es fr die Lsung dieses Problems zwei
"Wort von der Vershnung" und das dadurch erbetene "Sich-vershnen- konkurrierende Denkmodelle: Das erste Modell geht mit den Formulie-
lassen-mit-Gott" gebunden sein knnte. rungen, die Luther z. B. in der Vorrede zum Rmerbrief gebraucht hat50,
Demgegenber verdient der neuerdings von J. Chr. Janowski48 vorge- davon aus, da nicht nur die Gewiheit, die den Glauben ermglicht,
schlagene Begriff "Allerlsung" den Vorzug, weil er die eschatisch wirk- sondern der Glaube selbst ein Werk Gottes im Menschen sei. Von da aus
same berwindung der widergttlichen Mchte deutlicher zum Ausdruck lt sich dann sagen: Da ein Mensch glaubt, ist selbst eine Wirkung der
bringt. Der neutestamentliche Hauptbeleg fr den Allerlsungs-Gedan- Gnade Gottes. Wenn aber Gott allein aus Gnade im Menschen den Glau-
ken (KoI1,15-20) spricht freilich vom "Vershnen" Gottes (V. 20). Inso- ben, durch den allein er gerettet wird, schafft, dann gilt beides: das "sola
fern hat die terminologische Entscheidung nur relativen Charakter. gratia" ebenso wie das "sola fide".sl
Die Lehre von der Allerlsung ist in der Geschichte der christlichen Das andere Modell lt sich gut an Rm 4,16 verdeutlichen: "Deshalb
Kirche und Theologie in unterschiedlichen Formen vertreten worden: mu die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, damit sie aus Gnaden
als eindeutige Lehre oder nur als "begrndete Hoffnung"; sei;"s2 Hier gilt der Glaube (d. h.: das die Gnade annehmende und emp-
- durch ausschlielichen Rekurs auf Gottes Gnade oder durch Einbezie- fangende Vertrauen) als die der Gnade angemessene Weise des Heils-
hung des (allen Geschpfen irgendwann und irgendwie zuteil werden- empfangs - im Gegensatz zu den Werken, die einen Anspruch auf Lohn
den) Glaubens; vor Gott erheben (Rm 4,4 f.). Das "sola fide" korrespondiert hier (an-
- als Ergebnis eines barmherzigen gttlichen Urteils oder als Resultat
eines geschpflichen Entwicklungsprozesses vor oder im oder nach
dem Tode. 49 50 5chleiermacher, Der christliche Glaube, 1830/312, Bd. 2, S. 439. Die For-
mulierung "allgemeine Wiederherstellung aller menschlichen Seelen" wre
Diese Unterschiede knnen hier nicht ausfhrlich reflektiert werden; von .der Konzeption dieser Dogmatikher zu ersetzen durch die Formulierung
ausschlaggebend ist der gemeinsame Gedanke, da "durch die Kraft der "TeJlhabe aller Menschen am ewigen. Leben".
Erlsung dereinst eine allgemeine Wiederherstellung aller menschlichen 50 WA DB 7,11,6: "Aber Glaube ist ein gttlich werck in uns, das uns wandelt
und new gebirt aus Gott ... "
51 So argumentiert z. B. H. Rosenau, Allvershnung, S. 409-415, bes. S. 412.
52 Diese Argumentation findet sich etwa bei W. Klaiber, Aus Glauben, damit aus
48 Allerlsung. Annherungen an eine entdualisierte Eschatologie, Neukirchen- Gnaden, in: ZThK 88/1991, S.313-338. Vgl. dazu auch W. Klaiber/M.
Vluyn 2000. Marquardt, Gelebte Gnade, Stuttgart 1993, S. 244-250.
626 Die vollendete Welt Vollendung als partikulares oder universales Heil 627

ders als im ersten Modell) nicht als Werk der Gnade dem "sola gratia", - So erweist sich in eschatologischer Hinsicht das Verhltnis von "sola
sondern als die dem "sola gratia" entsprechende und angemessene Weise, gratia" und "sola fide" als spannungsvoll, und das knnte ein Indiz
wie der Mensch Gnade empfngt: Gnade kann man sich durch nichts dafr sein, da dieses Verhltnis schon in soteriologischer Hinsicht
verdienen, man kann sie nur (als Geschenk) annehmen - oder zurckwei- nicht hinreichend geklrt ist oder da die qualitative Differenz zwi-
sen. Und weil diese letztgenannte Mglichkeit nicht auszuschlieen ist schen der irdisch-geschichtlichen Welt und dem Eschaton nicht kon-
(und auch durch die Gnade nicht ausgeschlossen wird), sondern zu den sequent genug zur Geltung gebracht wird.
freien Antwortmglichkeiten des Menschen gehrt, darum kann von die- - Ferner bricht in eschatologischer Hinsicht die Spannung zwischen
sem Denkmodell her die Apokatastasis panton zwar erhofft, aber nicht Liebe und Zorn Gottes nochmals auf, und d. h.: das Verhltnis zwi-
mit Gewiheit gelehrt werden. schen beiden mu erneut durchdacht werden. In der Soteriologie kann
An diesen beiden Modellen zeigt sich noch einmal: Wird Glaube als (und mu) zwar gesagt werden, da der Zorn Gottes als Eigenschaft
eine durch die Gnade Gottes zwar ermglichte, aber ihr gegenber eigen- seiner Liebe sich nicht auf die Geschpfe, sondern auf "alles gottlose
stndige Gre verstanden, so ist er in der Konzeption der Apokatastasis Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen" (Rm 1,18) richtet,
panton - konsequent gedacht - nicht unterzubringen. Deshalb ist aus der aber was besagt diese (wichtige) Unterscheidung im Blick auf Ge-
Allerlsungslehre jeder Rest an personaler Beteiligung und Verantwor- schpfe, die sich nicht von ihrer Snde durch Gottes Liebe unterschei-
tung ausgeschlossen. Dem Menschen wird die Erlsung von Gott her den lassen wollen, sondern sich mit ihr identifizieren? Kann oder mu
zuteil wie den anderen Kreaturen. in eschatologischer Hinsicht gesagt werden, da dann der Zorn Gottes
Hier zeigt sich, da die Elemente, die oben (15.2.1.2) als Wahrheits- mit seiner vernichtenden Kraft und Wirkung diese Geschpfe mit-
momente der Lehre vom doppelten Ausgang genannt wurden, nmlich trifft? Oder darf gesagt werden, da die Mglichkeit der Identifikati-
das Ernstnehmen personaler Verantwortung und der Schmerz ber das on eines Menschen mit der Snde in Jesus Christus (metaphorisch) ein
ungelebte Leben der Opfer, mit der eschatologischen Konzeption der fr allemal vollzogen wurde, so da sie von daher keine menschliche
Allerlsung kaum zu vereinbaren sind - und insofern wirkt diese Lehre in Mglichkeit (mehr) darstellt?53
unzulssiger Weise vereinfachend und defizitr, obwohl sie das groe - Schlielich ist insbesondere im Umfeld der Apokatastasis panton die
Verdienst hat, die Grenzenlosigkeit und Bedingungslosigkeit der Liebe Unterscheidung zwischen "Hoffnung" und "Lehre" aufgetaucht, die
Gottes eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. Sie macht das Herz und den die ltere Unterscheidung zwischen "glauben" und "lehren" berla-
Geist weit. Und sie schliet vor allem aus dem eschatologischen Denken gert und entscheidend modifiziert hat. 54 Jene ltere Unterscheidung
jeden Bestrafungs- und Vergeltungswunsch aus, weil er im christlichen differenziert zwischen denen, die um die Grenzenlosigkeit der Liebe
Glauben nichts zu suchen hat. Aber sie gibt - jedenfalls in ihrer Normal- Gottes wissen, und der Masse, vor der dieses "gefhrliche" Wissen als
form - dem Schmerz ber die verschmhte oder verratene Liebe und ber Geheimnis gehtet werden mu, um nicht Gleichgltigkeit, Leichtle-
das zerstrte oder beschdigte Leben keinen (angemessenen) Raum. Und bigkeit und Sittenverfall zu riskieren. Diese Differenzierung ist in jeder
damit kann sie wider Willen den Eindruck erwecken, als sei diese Liebe Hinsicht bodenlos und darum ihrerseits gefhrlicher als alle - ver-
doch nichts unendlich Kostbares, sondern eher eine Selbstverstndlich- meintlichen oder realen - Gefahren, die aus dem Wissen um die Aller-
keit - eben "son metier". Dieses Defizit der Allerlsungslehre kann nicht lsung folgen knnen. Aber auch die Unterscheidung zwischen einer
ignoriert und bergangen werden, auch wenn anzuerkennen ist, da sie Hoffnung auf Allerlsung und der Ablehnung einer entsprechenden
dem Geist des Evangeliums von Jesus Christus nhersteht als die Lehre Lehre ist nicht vllig unproblematisch. Sie ist akzeptabel, wenn in ihr
vom doppelten Ausgang.

53 Vgl. dazu meinen Aufsatz: "Christusfactus est peccatum metaphorice", in:


NZSTh 36/1994, S. 302-315. Vgl. o. S. 331.
15.2.1-15.2.3 Fazit 54 Mit der lteren Unterscheidung ist z. B. das berhmt-berchtigte Chr. G.Barth
zugeschriebene Diktum gemeint: "Wer an die Wiederbringung nicht glaubt,
Analysiert man die verschiedenen eschatologischen Konzeptionen (und ist ein Ochs; wer sie aber lehrt, der ist ein Esel" (zitiert nach E. Sthelin, Die
Elemente) in soteriologischer Hinsicht, so zeigt sich, da in jedem Fall Verkndigung des Reiches Gottes in der Verkndigung der Kirche Jesu Chri-
Probleme oder Defizite bleiben, die gewichtig sind: sti, Bd. VI, Basel 1963, S. 277).
628 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 629

zum Ausdruck kommt, da es zwar so etwas wie eine"Affinitt" der werden mssen. Das schliet nicht aus, da es zwischen diesen Be-
christlichen Botschaft zur Apokatastasis panton gibt und da, wer trachtungsweisen zu einer fruchtbaren interpersonalen Kommunika-
selbst Vergebung erfahren hat, nur hoffen und wnschen kann, da sie tion kommen kann (in der z. B. die unterschiedlichen lebensgeschicht-
auch allen anderen Menschen zuteil werde, da aber trotzdem von der lichen und gesellschaftlichen Kontexte als Einflufaktoren erkennbar
christlichen Botschaft her unerledigte Anfragen bestehen bleiben, die werden), aber damit wird die Perspektivitt weder eliminiert noch
mit dem lehrhaften Bekenntnis zur Apokatastasis panton weder be- neutralisiert.
antwortet noch abgetan sind. Anders gesagt: Die bloe Hoffnung auf - Der Hinweis darauf, da es sich um "Ausblicke" handelt, soll schlie-
die Apokatastasis panton ist theologisch angemessen, wenn und so- lich das naheliegende Miverstndnis vermeiden, als wrden die fol-
fern sie Ausdruck theologischer Zurckhaltung angesichts nicht aus- genden vier Themen: Tod, Auferstehung, Gericht, Ewiges Leben so
gerumter Bedenken ist. Die Ablehnung der Lehre und die Beschrn- etwas wie eine zeitliche Abfolge oder einen heilsgeschichtlichen Plan
kung auf die bloe Hoffnung wird aber dann problematisch, wenn sie wiedergeben. Sie wollen verstanden werden als Teilansichten unter
begrndet wird mit der Respektierung der Souvernitt und Freiheit einer bestimmten thematischen Leitfrage. Sie werden nur deshalb in
Gottes. Abgesehen von dem kuriosen Kategorienfehler, der in der dieser Reihenfolge angeordnet, weil so der sachliche Zusammenhang,
Vermutung zum Ausdruck kommt, ein (irriges) theologisches Urteil der zwischen diesen vier Themen besteht, am besten zum Ausdruck
(nmlich die Lehre von der Allerlsung) knnte der Souvernitt und kommt.
Freiheit Gottes zu nahe treten oder diese gar einschrnken, wre die
so .begrndete Selbstrcknahme wohl eher Zeichen eines Klein-
glaubens, der hinter dem zurckbleibt, was das Evangelium von Jesus 15.3.1 Tod ss
Christus zu sagen erlaubt.
An mehreren Stellen war bereits in dieser Dogmatik vom Tod die Rede:
Einerseits wurde innerhalb der Hamartiologie (s. o. 13.4.1.2) die These
15.3 Ausblicke auf die vollendete Welt
vertreten, der Tod gehre zur kreatrlichen Welt, sei also nicht als solcher
In diesem letzten Abschnitt der Dogmatik sollen auf der Basis der im eine Folge der Snde; wohl aber bekomme er durch die Snde einen
Stachel (s. dazu auch 9.3.2.2 d), nmlich die Drohung des ewigen Todes.
vorigen Abschnitt diskutierten soteriologischen Grundfrage nach parti-
kularem oder universalem eschatischem Heil einige grundlegende inhalt- Andererseits wurde im vorigen Abschnitt (s. o. 15.2.2) der Tod (der Krea-
tur) als radikale, die Daseinsgestalt zum Vergehen bestimmende und auf-
liche Gesichtspunkte zur Eschatologie entwickelt werden. Eine systema-
lsende Verwandlung unterschieden von der annihilatio im strengen Sinn,
tisch geschlossene Lehre kann im Blick auf die vollendete Welt noch
also von der Vernichtung. Diese Gedanken werden im folgenden voraus-
weniger vorgetragen werden als im Blick auf andere Teilthemen der Dog-
gesetzt und weitergefhrt.
matik. Das Fragmentarische, das der Theologie - als theologia viatorum -
ebenso eignet wie jeder anderen Lebensuerung des Glaubens, mu In der eschatologischen Theoriebildung stehen einander zwei Grund-
typen von Todesverstndnissen antagonistisch gegenber, die zunchst
gerade dort zum Ausdruck kommen, wo sie sich der noch ausstehenden
vollendeten Welt zuwendet, um ber sie abduktiv gewonnene, hypothe- kurz betrachtet und gegeneinander abgewogen werden sollen. Daraus
werden sich dann weiterfhrende berlegungen ergeben.
tische Aussagen zu wagen. Die Kennzeichnung dieser Aussagen als "Aus-
blicke" soll dabei dreierlei ins Bewutsein rufen:
- Das Noch-Ausstehende der vollendeten Welt kommt in der Eschato- 55 Mit der Konzentration auf das Thema "Tod" ist eine gewisse Engfhrung
logie dadurch angemessen zum Ausdruck, da nur einige sich erff- verbunden, die aufgebrochen wrde, wenn zustzlich vom "Weltende" die
Rede wre. Errterungen ber ein von der menschlichen Erfahrung unabhn-
nende Ausblicke ohne jeden Anspruch auf Vollstndigkeit vorgetra-
giges Weitende erscheinen mir jedoch - im Rahmen einer solchen Dogmatik _
gen werden. Auf diese Weise soll der anfangs genannten Forderung nicht als sinnvoll. Zum mglichen Ende des Universums vgl. o. S.416,
nach Behutsamkeit Rechnung getragen werden. Anm. 13. Die Ausblendung dieses Aspekts bildet in gewisser Hinsicht eine
- Der Begriff "Ausblicke" erinnert ferner an die subjektiv-perspektivi- Analogie zu der Behandlung der Weltentstehung in der Schpfungslehre (s. o.
sche Betrachtungsweise, in der alle eschatologischen Aussagen gewagt 12.1.2).
630 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 631

15.3.1.1 Der Tod als Trennung der Seele vom Leib 15.3.1.2 Der Tod als definitives Ende des Menschen

In der Definition des Todes als Trennung von Leib und Seele, genauer: als Diese Zusammengehrigkeit von Leib und Seele als untrennbare Einheit
Trennung der Seele vom Leib, ist vorausgesetzt, da die Seele nicht nur das hat dagegen die These vom "Ganztod" im Blick. Sie macht damit Ernst,
Geist- und Gefhls-, sondern auch das Lebensprinzip des Menschen ist, da kein Teil des Menschen im Tod brigbleibt und berlebt, sondern
das im Tod den Leib verlt, der (daraufhin) seinerseits verwest oder sich da der ganze Mensch stirbtP Wo dieses Todesverstndnis sich mit der
in anderer Weise auflst. Diesem Todesverstndnis zufolge verliert also christlichen Hoffnung verbindet, da wird in der Regel der Auferstehungs-
der Leib durch die Trennung von der Seele dasjenige, was ihn belebt und gedanke (als Gegenbild zur Unsterblichkeit der Seele) starkgemacht.
zusammenhlt, und darum stirbt der Leib und zerfllt in seine Bestandtei- Dabei zeigt sich, da dieses Todesverstndnis dazu tendiert, den Tod im
le. Die Seele als das Lebensprinzip kann aber per definitionem nicht strengen Sinn als annihilatio, also als Vernichtung der leiblich-seelischen
sterben (auch nicht durch ihre Trennung vom Leib), sondern mu als Einheit zu denken, die das Geschpf war, und dementsprechend die
unsterblich gedacht werden. Auferstehung als eine Neuschpfung analog zur creatio ex nihilo.
Wo dieses Todesverstndnis (aus der platonischen Tradition) in die Das groe Problem, das hierbei auftaucht, ist das der Identitt oder
christliche Theologie bernommen wurde (was auf weite Strecken - nicht Kontinuitt zwischen dem gestorbenen und dem auferweckten Geschpf.
nur in der rmisch-katholischen Kirche und Theologie - der Fall war), da Inwiefern kann die eschatologische Neuschpfung als Auferstehung der
richtet sich die Auferstehungshoffnung darauf, da die Seele (u. U. nach Toten gedacht und damit von einer eschatischen Erschaffung neuer, an-
einer Phase des "Seelenschlafs") durch die Auferstehung wieder einen derer Geschpfe unterschieden werden? Das ist nur mglich, wenn es in
Leib, und zwar den ihr zugehrigen Leib in verwandelter, verklrter, itgendeiner Hinsicht eine Identitt zwischen dem gestorbenen und dem
verherrlichter Gestalt erhlt. auferweckten Geschpf gibt. Aber was kme als solches identitts-
Fr ein abwertendes Urteil ber dieses Todesverstndnis gibt es m. E. stiftendes Element in Frage? Die (unsterbliche) Seele jedenfalls nicht, da
keinen Grund - nicht nur, weil es zumindest am Rande des Kanons belegt sie dieser Auffassung nach nicht existiert. Der (sterbliche) Leib auch nicht,
ist (vgl. Koh 12,7; Weish 9,15; 15,8; Tob 4,3; im Blick auf andere Aus- da er zerfllt und in andere leibhafte Gestalten bergeht. Hier scheint nur
sagen, wie z. B. Gen 2,7 u. I Thess 5,23, ist die Interpretation umstritten56), so etwas weiterzuhelfen wie die Vorstellung, da Gottes Gedenken die
sondern weil es in mehrfacher Hinsicht als ein einfhlsames, am Phno- "Identitt" der Verstorbenen aufbewahrt und zum "Kern" ihrer escha-
men des Sterbens und des Todes orientiertes Verstndnis zu bezeichnen tischen Neuschpfung werden lt. Will man den bildhaften Ausdruck
ist. Seine (einzige, aber entscheidende) Schwachstelle liegt darin, daes " Gedenken Gottes" mit anderen Worten umschreiben, dann liee sich das
die Seele als ein unabhngig vom Leib existierendes Prinzip oder als damit Gemeinte so ausdrcken: Was den Tod des Menschen berdauert
eigenstndige Substanz denkt und damit zwischen Leib und Seele nicht und die Identitt des gestorbenen mit dem auferweckten Menschen bildet,
nur unterscheidet, sondern trennt. Diese Annahme ist aber nicht nur ist das, und nur das, was er mit seinem irdisch-geschichtlichen Dasein an
unbegrndet, sondern auch gefhrlich, weil ihr eine Tendenz zur Abwer- gttlicher Liebe empfangen hat. Damit wird aber der These vom "Ganz-
tung des (sterblichen) Leibes und zur Hochwertung der (unsterblichen) tod" an einer entscheidenden Stelle widersprochen; denn an der von Gott
Seele innewohnt, durch die die notwendige Zusammengehrigkeit beider empfangenen Liebe, die die Identitt des verstorbenen mit dem auferste-
leicht aus dem Blick geraten kann. henden Geschpf konstituiert, ist der Verstorbene mit seinem gelebten
Leben beteiligt. Die Frage der Identitt und Kontinuitt bleibt also auch
hier gestellt und ist weiter zu bedenken.

56 Vgl. hierzu F. Heidler, Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, 57 Vgl. dazu exemplarisch E. Jngel, Tod, Gtersloh 1979, fr den eine "Kon"
Gttingen 1983, und H. Schwarz, Jenseits von Utopie und Resignation, tinuitt des menschlichen Lebens ber den Tod hinaus" ein "utopische(s)
Wuppertal/Zrich 1991, S. 225-238. Postulat" ist; denn: "eine Unsterblichkeit der Seele gibt es nicht" (5. 151 f.).
632 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 633

15.3.1.3 Tod als Verhltnislosigkeit Verhltnislosigkeit"59, sondern er ist das definitive Ende aller aktiven
Mglichkeiten. 60 Das besagt zunchst: Sterben kann nur, was aktive Mg-
Im Anschlu an K. Barth hat E. Jngel die Ganztodthese aufgenommen, lichkeiten hat, die an ein Ende kommen knnen. Sodann: Nicht die Mg-
przisiert und modifiziert, indem er einerseits den Tod als "Verhlt- lichkeiten (einschlielich der Beziehungen) berhaupt kommen mit dem
nislosigkeit", andererseits als "Verewigung des gelebten Lebens" deutet. 58 Tod an ein Ende, sondern nur die aktiven, d. h. solche, die auf das Ver-
Ich konzentriere mich hier auf die Definition des Todes als "Verhlt- halten, Whlen oder die Ttigkeit eines Geschpfs zurckgehen. 61 Schlie-
nislosigkeit" und frage, ob mit dieser Definition die Aporien der beiden lich: Erst das definitive Ende dieser aktiven Mglichkeiten ist der Tod-
bisher genannten Todesbegriffe vermieden oder berwunden werden kn im Unterschied etwa zu einer Situation der Bewutlosigkeit im Koma oder
nen. Die Strke von Jngels Definition liegt m. E. darin, da sie (mensch- durch Narkose 62
liches) Leben und darum auch den Tod nicht substantiell, sondern rela- Tod ist also der Eintritt und die zeitlich unbegrenzte Dauer des Zu-
tional auffat. "Leben" heit demnach: "Sein in Beziehung", und zwar zu standes reiner Passivitt. Dementsprechend ist das Sterben der (ngstigen-
Gott, zur Welt, zum Mitmenschen und zu sich selbst. Und von daher kann de, schmerzhafte) Proze, in dem ein Mensch alle seine aktiven Mglich-
man sagen: Die Aushhlung oder der Verlust von Beziehungen ist eine keiten loslt oder sie ihm entrissen werden. Dieses konstitutive Element
Aushhlung oder ein Verlust des Lebens. Aber "Tod" - und hier erweist der "passio" verweist auf eine Nhe zwischen Tod und Glauben (s. o.
sich Jngels Definition als zu undifferenziert - ist nicht einfach Beziehungs- 2.2.3 u. 14.1.3.2), die weder zufllig noch theologisch unerheblich ist.
oder Verhltnislosigkeit. Vielmehr mu hier unterschieden werden zwi- Von daher lassen sich nmlich der Glaube als Einbung ins Sterben
schen den (Aspekten von) Beziehungen, die von anderen ausgehen und auf (angesichts noch bestehender aktiver Mglichkeiten) und das Sterben als
die betreffende Person zukommen, indem andere sich ihr gegenber in Ratifizierung des Glaubens (angesichts der ans Ende gekommenen akti-
bestimmter Weise verhalten, und den (Aspekten von) Beziehungen, die ven Mglichkeiten) bezeichnen.
von der Person ausgehen und auf andere zukommen, indem sie sich ihnen Entscheidend ist, da die "passio" des Todes zwar das Ende der akti-
gegenber in bestimmter Weise verhlt. Unterscheidet man so, dann zeigt ven Mglichkeiten des Menschen ist, aber gerade nicht eine Beziehungslo-
sich, da im Tod und durch den Tod keineswegs alle Beziehungen abge- sigkeit Gott gegenber oder ein Ausgeschlossensein vom ewigen Leben
brochen werden. Z. B. behalten Menschen, die eine Person geliebt haben, bedeutet, sondern die fr das Geschpf hchstmgliche, weil durch das
eine Beziehung zu ihr, die darin zum Ausdruck kommt, da sie an sie eigenmchtige Wollen und Whlen nicht mehr gestrte (ja nicht einmal
denken, ber sie sprechen, sie bestatten, ihr Grab pflegen etc. Entspre- mehr strbare) Teilnahme (Partizipation) am gttlichen Leben. Die Be-
chend mu auch im Blick auf die Gottesbeziehung differenziert werden schreibung der Liebe als (selbstvergessene) Hingabe (s. o. 14.1.4.1) ver-
zwischen dem, was fr den Gestorbenen nicht mehr mglich ist, und dem, liert im Blick auf den Tod nicht ihre Gltigkeit, sondern wird hier radika-
was von Gott her auch im Blick auf den Verstorbenen nicht nur mglich, lisiert und vertieft; denn der Tod ist die Herausforderung,alles loszulassen,
sondern wirklich ist. was ein Mensch liebt, (ohne Sicherheit, aber) im Vertrauen darauf, da
gerade darin sich das als tragfhig erweist, was Menschen nicht festhalten
15.3.1.4 Tod als reine Passivitt
59 So ]ngels "Definition des Todes", a.a.O., S. 145.
60 Deswegen ist auch die Definition des Todes als Trennung der Seele vom Leib
Diese Differenzierung kann zu einem genaueren Verstehen des Todes
insofern zurckzuweisen, als in ihr solche den Tod berdauernde aktive
anleiten: Der Tod ist weder "Vernichtung" noch "Eintritt von totaler Mglichkeiten gedacht werden.
61 Dazu zhlen auch unbewute, spontane Vorgnge, wie z. B. Atmung und
58 E. ]ngel, Tod, Gtersloh 1979, S. 145. Er knpft damit an Gedanken an, die Stoffwechsel, sofern sie von einem Geschpf ausgehen.
K. Barth im Rahmen seiner Anthropologie (im Vorgriff auf die Eschatologie) 62 Von daher ist m. E. Zurckhaltung gegenber allen Versuchen geboten, die
skizziert hat (KD III/2, S. 770 ff.). Charakteristisch (und bedenklich) ist, da Feststellung des Todes bei Menschen auf einen mglichst frhen Zeitpunkt
]ngel dabei sowohl den Tod als auch die Auferstehung als "Verewigung festzulegen, also z. B. auf den sog. Hirntod. Von daher wird auch verstndlich,
gelebten Lebens" (a.a.O., S. 145 u. 153) bezeichnen kann. Der Unterschied warum es sinnvoll ist, mit dem Begriff des "biologischen Todes" der Tatsache
zwischen Tod und Auferstehung geht also durch diese Formel tendenziell Rechnung zu tragen, da bestimmte krpereigene Funktionen sogar noch ber
verloren. den "klinischen Tod" hinaus nachweisbar sind und erst allmhlich erlschen.
634 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 635

(knnen). Dieses Loslassen des eigenen Lebens und des geliebten Gegen- vom Samenkorn, das "stirbt". Wrde das Samenkorn im wrtlichen Sinn
bers ist die grte Forderung und Herausforderung des Todes an die tatschlich sterben, so knnte es keine Frucht mehr bringen. Da es
Liebe. Da darin die Liebe den Tod berwindet, ist die eschatologische Frucht bringt (und einen neuen "Leib" erhlt), ist nur mglich, weil es in
Antithese zu der Vermutung des Unglaubens, da der Tod das letzte Wort aller Auflsung und Verwandlung, die ihm widerfhrt, lebendig und
behalte - auch gegenber der Liebe. lebenskrftig bleibt.
Diese Einsicht wird von Paulus mit Hilfe der Rede vom "geistlichen
Leib" (V. 44: o-wlla TIVEVllaTIKov) auf das Geheimnis der Auferstehung
15.3.2 Auferstehung der Toten 63 bertragen. Der Schlssel zum Verstndnis dieser wichtigen und fr die
Lehre von der Auferstehung der Toten grundlegenden Formel liegt m. E.
15.3.2.1 Diskontinuitt und Kontinuitt in Rm 8,11: "Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten
auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten
Das Dilemma des Auferstehungsglaubens wurde bereits beim Nachden- auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch sei-
ken ber die unterschiedlichen Todesverstndnisse andeutungsweise sicht- nen Geist, der in euch wohnt." Von dem Bild des Samenkorns her stellte
bar: Entweder wird die Radikalitt des Todes und dementsprechend die sich die Frage, inwiefern es in aller Auflsung und Verwandlung des
vllige Neuartigkeit der Auferstehungswirklichkeit gegenber der irdisch- ~~erblichen Leibes etwas gibt, das lebendig und lebenskrftig bleibt. In
geschichtlichen Existenzform betont, dann ist es schwierig, die Identitt Ubereinstimmung mit den Aussagen ber den Tod zeigt sich nun: Leben-
des Auferweckten mit dem Gestorbenen festzuhalten; oder diese Identitt dig und lebenskrftig bleibt jedenfalls kein Teil des Menschen, kein Ele-
(und damit ein Moment der Kontinuitt) wird betont, dann erscheint die ment seiner leiblich-seelischen Einheit und schon gar nicht diese Einheit
Auferstehung als eine Art Fortsetzung der irdisch-geschichtlichen Exi- als ganze. Der Bibeltext spricht an dieser Stelle davon, da Gott den
stenz im Jenseits, aber nicht als deren eschatische Vollendung. sterblichen Leib des Menschen durch seinen (sc. Gottes) Geist, der im
Man kann sich dieses Dilemma schon an dem neutesta.mentlichen Menschen wohnt, lebendig macht. Wie lt sich das verstehen?
Text klarmachen, der fr das christliche Auferstehungsverstndnis grund- Hier zeigt sich erneut (s. 0.2.2.4 u. 12.2.2.2), da nur einerelationale
legend ist: I Kor 15, insbesondere V. 35-57. Anhand des Bildes vom Ontologie und Anthropologie in der Lage ist, die Aussagen des christli-
Samenkorn betont Paulus zunchst energisch die Diskontinuitt zwischen chen Glaubens ber den Menschen angemessen aufzunehmen und zur
dem Sterbenden und Auferstehenden: "Du Narr: Was du sst, wird nicht Geltung zu bringen. Das macht es erforderlich, die Vorstellung von einem
lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du sst, ist ja nicht der Leib, der substanzhaft gedachten Wesen des Menschen preiszugeben, durch das die
werden soll, sondern ein bloes Korn ... Gott aber gibt ihm einen Leib, Beziehung zu Gott, zur Welt, zu sich selbst erst (mit-)konstituiert wrde.
wieerwill ... " (V. 36-38). Trotzdem ist auch in diesem Bild die Kontinui- Vielmehr ist ernst zu nehmen, da das Wesen des Menschen selbst nichts
tt zwischen Sterbendem und Auferstehendem festgehalten, indem Paulus anderes ist als ein Beziehungsgefge oder Beziehungsgeschehen, das kon-
sagt, da Gott "ihm" einen Leib gibt, nachdem "es" gestorben ist. Damit stituiert ist durch die (schpferische) Beziehung Gottes zum Menschen
stellt sich die gedankliche Aufgabe, die Verwandlung (im Tod) so zu (auf die sich der Mensch im Glauben - oder Unglauben - bezieht) und das
denken, da in ihr Kontinuitt und Diskontinuitt, Identitt und Neuheit besteht als die externe Beziehung zur Welt (einschlielich der Mitmen-
gleichermaen zur Geltung kommen. Im paulinischen Bild wird dies ge- schen) und als die (diese externe Beziehung mit einschlieende) interne
leistet durch die miverstndliche (genaugenommen sogar falsche) Rede Beziehung der Identitt zu sich selbst.
Dieser relationsontologische Ansatz erlaubt es zu denken, da auch
dann, wenn die Beziehungen, in denen,. das Menschsein besteht, durch den
63 Wie beim Thema "Tod" aufgrund des Verzichtes auf die Thematisierung des
Weitendes eine gewisse (anthropologische) Engfhrung einzurumen war, so
Tod auf die reine Passivitt reduziert werden, gleichwohl die konstitutive,
giIt dies auch im Blick auf das Thema "Auferstehung" wegen des Verzichts schpferische Beziehung Gottes zum Menschen sich durchhlt und im
auf die Thematisierung dessen, was die Bibel "neuen Himmel und neue Erde" Durchgang durch das Dunkel des Todes der Grund fr die eschatologische
nennt. Auch diese Aspekte kommen hier nur insofern vor, als sie im Element Hoffnung auf Auferstehung und neues Leben bleibt. Versteht man die
der Leibhaftigkeit der Auferstehung impliziert sind, sie werden aber am Ende Rede vom" Geist, der in euch wohnt", als Aussage ber diese konstitutive
dieses Kapitels (15.3.4.3) noch einmal thematisiert. Beziehung Gottes zum Menschen (was von Kap. 10 her sachgem ist),
636 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 637

dann erschliet sich von da her eine Verstndnismglichkeit der Rede Die Positionen, die dabei einander gegenberstehen lassen sich wie
von der Auferweckung der Toten, die mit dem Ernstnehmen der Wirk- folgt skizzieren: '
lichkeit des Todes durchaus vereinbar ist. Ihr zufolge ist die Teilhabe am - Die eine - im allgemeinen Bewutsein auch durch die Werke der
Geist Gottes dasjenige Lebensprinzip, das sich im Tod durchhlt, den darstellenden Kunst breit verankerte - Vorstellung geht davon aus,
sterblichen Menschen dauerhaft (also ber die Schwelle des Todes hin- da alle Menschen auferweckt werden zum Gericht und da sich im
weg) mit Gott verbindet und so den Keim der Auferstehung bildet. Dieser Durchgang durch das Gericht entscheidet, ob sie am ewigen Leben
Geist ist als der schpferische Geist Gottes schon die Konstitutions- oder an der ewigen Verdammnis Anteil haben. Die allgemeine Toten-
bedingung fr das Dasein des Menschen als Geschpf Gottes. Er ist als auferstehung dient gewissermaen der Vorbereitung auf eine blo
der vershnende Geist Gottes die Konstitutionsbedingung fr die Neu- partikulare Teilhabe an der ewigen Seligkeit. 65
schpfung des Menschen zum Kind und Erben Gottes (Ga!. 4,1-7; Rm - Die andere Auffassung besagt, da die Menschen durch die Auferste-
8,12-17). Und er ist als der erlsende Geist Gottes die Konstitutions- hung von den Toten von aller Snde gereinigt in die Gemeinschaft mit
bedingung fr die Vollendung des Menschen in der Herrlichkeit Gottes. Christus eingehen und so an der ewigen Seligkeit Anteil haben. Die
So lt sich durch den Rekurs auf die Gegenwart des Geistes - und Totenauferstehung bzw. -auferweckung ist hier verstanden als die
zwar des Geistes Gottes - im Menschen das eschatologische Dilemma Weise, wie Menschen in das ewige Leben eingehen. 66
zwischen Kontinuitt und Diskontinuitt insofern berwinden, als der
Geist Gottes beides ist: die dem irdisch-geschichtlichen Menschen zuteil .. Wg.~ m~n die beiden ~u~fassungen gegeneinander ab, so spricht zu-
werdende Gabe, die im Tode nicht vergeht, und die eschatisch neu- nachst fur dIe erste, da SIe emdeutig alle Menschen umfat whrend in
schaffende Kraft, durch die Gott seinen Geschpfen Anteil an seinem der zweiten undeutlich (oder unausgesprochen) bleibt wa; damit ber
ewigen Leben gibt. diejenigen gesagt ist, die nicht am ewigen Leben Anteil haben. Denkbar
wren hierauf drei Antworten:
- Die Toten, die nicht am ewigen Leben Anteil haben, gehen ohne
15.3.2.2 Auferstehung zum Gericht oder zum Heil Auferstehung an einen Ort ewiger Qual, kommen also in die Hlle
(doppelter Ausgang).
Von diesem pneumatologisch-eschatologischen Denkansatz aus kann und
mu ein weiteres theologisches Problem in den Blick gefat werden, das
in Verbindung mit der Rede von der Auferstehung der Toten entsteht: die
Frage nach ihrer Universalitt oder Partikularitt. Damit tauchen zwei
65 Belege aus Bibel und Bekenntnis fr diese Auffassung finden sich Dan 12 2
Begriffe wieder auf, die in Abschn. 15.2 bereits im Zusammenhang mit
64 Joh 5,29; Act 24,15. Hierher gehrt auch die Unterscheidung zwischen ei~e;
der soteriologischen Fragestellung eine entscheidende Rolle spielten. ersten und einer zweiten Auferstehung, wie sie in Apk 20,5 f. vorkommt. Sie
Freilich taucht das Begriffspaar dort und hier in einer merkwrdigen besagt, da diejenigen, die bis zum (Mrtyrer-)Tod am Glauben festhalten
Verschrnkung auf. Whrend es bei der Frage: "doppelter Ausgang" oder Anteil an der ersten Auferstehung (zum Leben) haben, whrend die andere~
"Apokatastasis panton" darum ging, ob einige Menschen vom ewigen Toten alle (nach dem tausendjhrigen Reich) auferstehen zum Gericht nach
Heil ausgeschlossen sind, geht es nun um die Frage, ob nur diejenigen ihren.We~ken, das einen doppelten Ausgang hat (vgl. Apk 20,11-15). Von
Menschen von den Toten auferstehen, die am ewigen Heil Anteil haben den kIrc~hchen Bekenntnissen vertreten das Athanasianum 38f. (BSLK 30,20-
(oder auch diejenigen, die "ewig verloren" sind). Dort gehrte die univer- 26) SOWIe CA 17 (BSLK 72,1-9) die Lehre von der allgemeinen Auferstehung
der Toten zum Gericht.
sale Antwort zur Apokatastasis panton, hier tendiert sie in die Richtung
66 Diese der gngigen Auffassung widersprechende Lehre ist in Schrift und
des doppelten Ausgangs. Bekenntnis vielfach belegt: I Thess 4,13-18; I Kor 15,21 u. 42-44; Phil3,10 f.;
~oI2,12 u. 3,11. (Auch II Makk 7,14; Mk 12,25 ff. u. Joh 11,23 f.lassen sich
hIerzu zhlen.) Sodann der Kleine Katechismus (BSLK 51210-13)' der Groe
Katechismus (BSLK 653,1-3 u. 659,1-31); FC I (BSLK 7'72,24-29 u. 859,7-
64 Zugleich leitet diese Frage ber zu der Gerichtsthematik des folgenden Ab- 12); FC VI (BSLK 969,22-25) sowie HK Fr. 57 (vgl. andererseits aber auch
schnitts. HK Fr. 52).
638 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 639

- Die Menschen, die nicht auferstehen, weil sie nicht zur Teilhabe am Wirklichkeit ~icht generell gilt. Dann stellt sich aber die Frage, wie eine
ewigen Leben bestimmt sind, bleiben im Tode und vergehen damit solche eschatische Daseinsformgedacht (nicht: vorgestellt)werden sollte:
definitiv (annihilatio). als neutrale, als dmonische?
- Es gibt keine Menschen, die nicht am ewigen Leben Anteil haben, Lt man diese berlegungen auf sich wirken, so zeigt sich, da die
sondern es gibt nur eine allgemeine Totenauferstehung zum ewigen Argumente, die fr das Verstndnis der Auferstehung als quasi-neutrale
Leben (Apokatastasis panton). Vo~bedingung fr das Gericht (mit doppeltem Ausgang) sprechen, theo-
logIsch sehr schwach und da umgekehrt die Argumente fr die Auferste-
Die erste Antwortmglichkeit kann ausgeschieden werden, weil sie hung nur zum Heil theologisch sehr stark sind. Bliebe da nicht der Hin-
sowohl den inneren Widerspruch enthlt, da Tote, die nicht auferstehen, weis auf die mgliche Vergleichgltigung des irdisch-geschichtlichen
gleichwohl in der Lage sein sollten, Qualen zu empfinden, als auch den Lebens, so wre die Entscheidung eindeutig. Ob sich diesem Hinweis in
ueren Widerspruch (zur christlichen Lehre), da Menschen ohne den berzeugender Weise Rechnung tragen lt, ist vor allem eine Frage nach
Durchgang durch Gottes gerechtes Gericht in die Hlle verdammt werden der eschatologischen Deutung und Bedeutung des Gerichts.
sollten. Dieser zweite (uere) Widerspruch verschwindet freilich dann,
wenn man annimmt, da das jngste Gericht nicht nach dem Tod, son-
dern im Tod (also im Augenblick des Sterbens oder des Eintrittes des 15.3.3 Christi Kommen zum Gericht
Todes) stattfindet (s. dazu u. 15.3.3).
Die zweite Antwortmglichkeit leidet nicht an dem zuerst genannten Sc~on in Ab~c.hn. 15.2, wo die soteriologische Grundfrage der Eschato-
(inneren) Widerspruch, wohl aber ebenfalls an dem - auflsbaren - ue- logIe thematISIert wurde, ging es immer wieder um das Gericht Gottes.
ren. Gravierender ist jedoch ein anderer Einwand: Wenn es richtig ist, da Auch das Nachdenken ber Tod und Auferstehung (15.3.1 u. 15.3.2) hat
der schpferische Geist Gottes die Konstitutionsbedingung fr das Dasein mehrfach zum Gerichtsgedanken hingefhrt. Aber auch schon die Rck-
jedes Menschen als Geschpf Gottes ist (s. o. 10.1 u. 12.1.1) -kann dann frage nach der Verkndigungjesu (s. 0.9.2) zeigte, da trotz ihres eindeu-
irgendein Mensch in nichts vergehen? tigen Heilscharakters der Gerichtsgedanke aus ihr nicht eliminiert werden
Die dritte Antwortmglichkeit impliziert keinen der beiden Wider- kann. Die Rede vom Jngsten, also letzten, endgltigen Gericht (Mt
sprche und verdient insofern den Vorzug. Sie provoziert allerdings die 12,41 f. par. Lk 11,31 f.) kann aus der christlichen Botschaft nicht ohne
Frage, welche Relevanz dann das irdisch-geschichtliche Leben des Men- Substanzverlust herausgenommen werden. Sie gehrt zum Wesen des
schen (der in ihm gewagte Glaube, die in ihm durchgehaltene Hoffnung, christlichen Glaubens. 67 Vor uns liegt nun die Aufgabe, ihren Sinn - im
die in ihm gelebte Liebe) fr die Anteilhabe am ewigen Heil hat. Besteht Gesamtzusammenhang der christlichen Botschaft - zu verstehen und zu-
hier nicht die Gefahr, da die irdisch-geschichtliche Lebensfhrung gleich zu bedenken, ob und inwiefern aufgrund der Lehre vom Gericht
eschatologisch gleichgltig wird? eine Entscheidung zwischen doppeltem Ausgang und Apokatastasis
Wgt man die konkurrierenden Auffassungen der (allgemeinen) Auf- panton gefllt werden kann und das Bedenken im Blick auf die Ver-
erstehung zum Gericht oder der Auferstehung (nur) zum Heil weiter gleichgltigung des irdisch-geschichtlichen Lebens innerhalb der Lehre
gegeneinander ab, so spricht fr die zweite Auffassung, da nur sie damit von der Apokatastasis panton sich ausrumen lt.
Ernst macht, da die Auferstehungswirklichkeit eine pneumatische, also . Gegenber diesen soteriologisch-theologischen Grundfragen treten
geistliche Wirklichkeit ist. Wer dies bestreitet, mte behaupten, da dIe dur~h das Weltbild und seine Vernderungen bedingten Fragen, wie
auch die Menschen, die zum Gericht (im Sinne der ewigen Verdammung das Gencht vorzustellen sei, wann und in welcher Form es stattfinde etc.
oder Vernichtung) auferstehen, in einem geistlichen Leib auferstehen. zurck. Ich lasse es bewut offen, ob das "jngste Gericht", von dem di~
D. h. aber doch: Sie haben eine von Gottes Geist vollstndig bestimmte
Daseinsform. Wie soll dann aber gedacht werden knnen, da sie in und 67 Das belegen auch die zahlreichen Hinweise in Bibel und Bekenntnis von
mit dieser vollstndig von Gottes Geist bestimmten Daseinsform ewig i
denen hier nur einige wenige exemplarisch genannt seien: I Sam 2,10; Chr
16,14; Ps 105,7; Jes 2,4; Mt 12,36; Joh 5,22; Rm 2,5; I Kor 3,12-15; II Tim
verlorengehen? Oder ihre eschatische Daseinsform (ihr "Auferstehungs- 4,1; I Petr 4,5; Hebr 9,27; Apk 20,12 f. Sodann: Apostolicum Nicaenum und
leib") wre ein (qualitativ) anderer als das O"ool-la TIVEVl-laTIKoV; dann hiee Athanasianum (BSLK 21,16-18; 26,20-24; 30,17-19); CA'3 u. 17 (BSLK
das, da die These von der Auferstehungswirklichkeit als pneumatischer 54,21-26 u. 70,1-5); HK Fr. 52.
640 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 641

christliche berlieferung spricht, als ein universaler Gerichtsakt am Ende richt Gottes offenbar - und zwar im Blick auf das definitiv zu Ende
der Zeiten gedacht werden mu oder als ein je individuelles Geschehen, gegangene Leben. Sofern die Rede vom Gericht warnend (und d. h.:
das sich im Leben, im Sterben oder beim Eintritt des Todes vollzieht. Zum mit dem Ziel, diese Gefahr abzuwenden) auf diese Mglichkeit hin-
Ernstnehmen der Todesgrenze gehrt das Eingestndnis, da wir das weist und zur Wachsamkeit auffordert, entspricht sie dem Geist des
nicht wissen und darum auch nicht entscheiden knnen. Wem selbst die Evangeliums.
hierbei vorausgesetzte Alternative mit ihrer Orientierung am individuel- - Ganz anders ist es zu beurteilen, wenn die Rede vom Gerichtdrohende
len Tod oder am universalen Weltende nicht nachvollziehbar ist, kann Funktion bekommt, also dazu dient, einen Menschen zu ngstigen,
dieselben Grundfragen beziehen auf die letzte Wahrheit ber einen Men- einzuschchtern und durch die Ankndigung ewiger Hllenstrafen
schen, wie sie zwar kein Geschpf kennt, wie sie aber von jedem Men- zur Erfllung der Gebote Gottes zu veranlassen. Dies ist mit dem Geist
schen fr jeden Augenblick seines Daseins und auch fr das Ganze seines des Evangeliums unvereinbar, weil auf diesem Weg niemals Liebe
Lebens gedacht (und geahnt) werden kann. 68 geweckt werden kann, sondern allenfalls Gehorsam oder Fgsamkeit
aus Furcht vor Strafe.?o Damit soll nicht bestritten werden, da solche
Drohungen (unter bestimmten Denk- und Lebensvoraussetzungen)
15.3.3.1 Das Gericht als Aufdeckung der wirken, wohl aber wird damit bestritten, da das, was sie bewirken,
Wahrheit des irdisch~geschichtlichen Lebens etwas mit dem Evangelium zu tun hat.
Diese ersten berlegungen zu der mglichen (ambivalenten) Funktion
Vor Gericht zitiert zu werden, als Angeklagter vor Gericht zu stehen und des Redens vom Gericht Gottes enthalten bereits weiterfhrende Hinwei-
einem - letztinstanzlichen - Urteil entgegenzusehen, lst ein Gefhl der se zum Verstndnis des Gerichts. Wenn die warnende Rede (im Unter-
Beunruhigung, wenn nicht sogar der Beklommenheit oder Angst aus. Das schied zur drohenden Rede) als dem Geist des Evangeliums entsprechend
ist zumal dann der Fall, wenn der angeklagte Mensch sich nicht (vllig) bezeichnet wurde, dann zeigte der Kontext dieser Aussage, worauf sich
unschuldig fhlt und wenn er fest damit rechnen mu, seiner Schuld diese Warnung bezieht: nicht eigentlich auf das Gericht selbst, sondern
berfhrt zu werden. Es ist darum kein Zufall, sondern in der Natur der auf die im Gericht offenbar werdende Verfehlung der Bestimmung des
Sache begrndet, wenn (auch) in der Bibel die Rede vom Gericht - jeden- Lebens. Das ist in mehrfacher Hinsicht fr das Verstndnis des Gerichts
falls fr die Angeklagten - hufig warnenden oder drohenden Charakter wesentlich:
hat 69 In dieser drohenden oder warnenden Funktion wurde hufig auch
im Christentum die unersetzliche Bedeutung des Gerichtsgedankens gesec - Zunchst wird damit der verbreiteten Vorstellung widersprochen, das
hen. Aber das ist eine zumindest ambivalente Begrndung: Gericht Gottes diene dazu, Strafen zu verhngen ber die Untaten der
Menschen, die diese in ihrem Leben begangen htten. Demgegenber
- Mit dem Evangelium von Jesus Christus ist der Gedanke verbunden, wird hier deutlich: Das Gericht Gottes dient der Erkenntnis der Wahr-
da ein Mensch, der achtlos an Gottes Liebe vorbeigeht, sie nicht heit, indem es z. B. das Elend verfehlten menschlichen Lebens auf-
annehmen kann oder sie bewut ablehnt, damit die Bestimmung sei- deckt. Ein Leben, in dem die gttliche Liebe keinen Raum gewinnen
nes Lebens verfehlt. Und diese Verfehlung eines Lebens wird im Ge- kann, ist kein strafwrdiges, sondern ein verlorenes Leben - auch
wenn das ber lange Zeit hin unter allen mglichen Surrogaten ver-
68 Der Gerichtsgedanke als solcher steht und fllt also nicht mit der Entschei- borgen bleiben kann.
dung fr dieses oder jenes eschatologische Vorstellungsmodell, wie sie etwa - Sodann kann und mu von daher aber auch die einseitige oder ber-
unter den Begriffen "prsentische" oder"futurische" Eschatologie, "axio- wiegend negative Sichtweise des .Gerichtes Gottes korrigiert werden.
logische" oder "teleologische" Eschatologie diskutiert werden (vgl. dazu die Wenn es die Wahrheit des irdisch-geschichtlichen Lebens aufdeckt,
bersicht ber "Die Interpretationsbreite der Eschatologie" bei H. Schwarz, dann nicht nur die Wahrheit verfehlten Lebens, sondern auch die
Jenseits von Utopie und Resignation, WuppertallZrich 1991, S. 78-178).
69 "Trstlichen" Charakter hat die Ankndigung des Gerichtes in der Regel nur
dann, wenn andere, und zwar "Feinde", das Gericht zu gewrtigen haben und 70 In dieser Hinsicht gilt uneingeschrnkt I Joh 4,17 f.: "Furcht ist nicht in der
wenn deshalb die bisher ungerecht Behandelten vom Gericht erhoffen drfen, Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht
da ihnen "ihr Recht" oder gar "Erlsung" zuteil wird. rechnet mit Strafe."
642 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 643

Wahrheit vergebener Snde, empfangener und gelebter Liebe und


insofern erfllten Lebens. Weil diese Sichtweise in der christlichen - Zur Verzweiflung treibt die Rede von Christus, der zum Gericht
berlieferung (zumal in der evangelischen Kirche und Theologie) eher kommt, dann, wenn das Gericht verstanden wird als der schlieliehe
an den Rand gedrngt wurde, ist es wichtig, sie zur Geltung zu brin- und endliche Triumph der Gerechtigkeit ber die Gnade. Dient das
gen. Ein schner Beleg fr sie sind die Aussagen, die Paulus in I Kor Jngste Gericht dazu, der richterlichen Gerechtigkeit zum Sieg zu
4,1-5 zum Gericht macht, in denen er das Richten Gottes als ein "Ans- verhelfen, und ist Christus in diesem Gericht der Richter, dann gibt es
Licht-Bringen" des Verborgenen beschreibt, und die berraschender- keine Begnadigungsinstanz, an die der angeklagte und verurteilte
weise mit dem Satz enden: "Dann wird einem jeden von Gott seinLob Mensch appellieren, kein Asyl, zu dem er fliehen knnte. Dabei kann
zuteil werden" (V. 5). Im Gericht Gottes geht es also auch um die das Wissen darum, da in Jesus Christus Gott dem Menschen auf
Erkenntnis dessen, was nicht verkehrt gemacht wurde, sondern was menschliche Weise nahe gekommen ist, sogar noch verschrfend wir-
gelungen ist.?l ken. Wer angesichts dieser erwiesenen Menschenfreundlichkeit Got-
- Schlielich kann von dem bisher Gesagten her noch ein weiterer Schritt tes in der Snde verharrt, hat sich nicht nur gegen Gottes Heiligkeit,
zum Verstndnis des Gerichts getan werden. Auch die Aufdeckung der sondern auch noch gegen seine Barmherzigkeit vergangen und hat
schrecklichen Wahrheit ist insofern ein Akt der Befreiung, als sie im damit offenbar ewige Gottesferne verdient und zu erwarten.
Rckblick auf ein abgeschlossenes menschliches Leben das vollzieht, Unsicherheit verbreitet der Gedanke, da Christus der endzeitliche
was fr dieses Leben der Ausbruch aus dem Gefngnis der Snde Richter ist, dann, wenn die bedingungslose Heilszusage des Evangeli-
gewesen wre: die Durchbrechung der Macht der Snde, indem sie ums unverbunden neben der Ankndigung des Endgerichtes steht.
beim Namen genannt wird. D. h., da das Gericht, das die Wahrheit Was heit es, da die Heilszusage Gottes zwar unverbrchlich gilt,
des irdisch-geschichtlichen Lebens aufdeckt, als Befreiung und damit aber nur im Glauben wirksam wird? Was heit das fr den Menschen,
als - und sei es: schmerzhafte - Wohltat zu verstehen isez, weil die der meint, ehrlicherweise von sich sagen zu mssen: "Ich glaube nicht",
Erkenntnis der Wahrheit die Voraussetzung dafr ist, da verfehltes oder was heit es fr den Menschen, bei dem Glaube, Zweifel und
Leben zurechtkommen kann. Unglaube in einem dauernden Kampf miteinander liegen, der nicht zur
Entscheidung kommt? Was heit es schlielich fr den Menschen, der
sich in oberflchlich wirkender Weise auf sein Getauftsein oder seine
15.3.3.2 Christus als der Richter Mitgliedschaft in der Kirche verlt? Ist dies zwar soteriologisch ak-
zeptabel, weil daraus noch mehr werden kann, aber eschatologisch
In der berschrift des Abschn. 15.3.3 ist - im Anschlu an zahlreiche inakzeptabel, weil daraus nicht mehr geworden ist?
Aussagen aus Bibel und Bekenntnis - vom Kommen (" TIapovO"la") Chri- - Zuversicht weckt die Erkenntnis, da das Gericht ganz von der bedin-
sti zum Gericht die Rede. Damit wird die Rede vom Gericht Gottes gungslosen Heilszusage des Evangeliums her zu verstehen ist. Das
christologisch przisiert: ]esus Christus ist der zum Gericht kommende Entscheidende am Parusie-Gedanken ist dann, da kein anderer als
Richter. Ja, dies ist in den altkirchlichen Bekenntnissen das einzige, was der zum Heil der Menschen gekommene Retter ihr Richter ist und da
ber die eschatische Funktion Jesu Christi gesagt wird: Er kommt als der deswegen nichts anderes als die Liebe Gottes Grund, Mastab und
zur Rechten Gottes Erhhte, zu richten die Lebenden und die Toten. Ziel dieses Gerichtes sein kann. Dann ist das: "Dir sind deine Snden
Dieser Gedanke kann - je nach dem dabei vorausgesetzten Gerichts- vergeben" (Mk 2,5 parr.) oder das: "So verdamme ich dich auch
verstndnis - zur Verzweiflung treiben, Unsicherheit verbreiten oder Zu- nicht" (loh 8,11) der Urteilsspruch, der in dem Gericht zu erhoffen ist,
versieht wecken: in dem von Jesus Christus her dit:Wahrheit ber das Leben des Men-
schen aufgedeckt wird. Und doch nat diese Hoffnungnichts von einem
Rechtsanspruch; ja der Freispruch (wegen erwiesener, aber vergebe-
71 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Hoffnung ber den Tod hinaus, in: DtpfrBl 87/ ner Schuld) kann nur als das Unverdiente und insofern Unerwartete
1987, Heft 11, S. 447-450. entgegengenommen werden.
72 Diesen Gedanken hat vor allem E. Jngel, Gericht und Gnade, S. 55-57 zur
Geltung gebracht.
644 Die vollendete Welt Ausblicke aufdie vollendete Welt 645

15.3.3.3 Gericht ber die Person und ber die Werke gehe in I Kor 3,11-15 um die Unterscheidung zwischen Glauben und
Werken, philologisch betrachtet am Text keinen Anhalt.
Insbesondere im Zusammenhang mit dem Nachdenken ber die Apoka- Zustzlich ist einzuwenden, da damit tendenziell auseinandergenom:
tastasis panton tauchte immer wieder die Frage auf, ob damit nicht das men wird, was doch nach christlichem Verstndnis eine untrennbare
irdisch-geschichtliche Leben vergleichgltigt und das Leiden sowie das Einheit bildet: Glaube und Werke. 75 Dementsprechend findet sich im
ungelebte Leben der Opfer vergessen werde. Beides wre dann nicht der Neuen Testament nirgends die Unterscheidung zwischen einem Gericht
Fall, wenn sich die Lehre von der Apokatastasis panton so mit dem nach dem Glauben und einem Gericht nach den Werken. Im Gericht geht
Gerichtsgedanken verbinden liee, da das Erschtternde verfehlten Le- es um die Werke, die aus Glauben geschehen, und um den Glauben, der
bens darin ebenso zur Geltung kme wie die Bedingungslosigkeit der in der Liebe ttig wird. Diese Wahrheit wird im Gericht aufgedeckt. D. h.
rettenden Liebe Gottes. Das Neue Testament enthlt eschatologische aber auch, da der Unglaube und die Lieblosigkeit, die dabei offenbar
Aussagen, die eine solche Verbindung zumindest ermglichen. werden, in der Begegnung mit Gottes Zorn"verbrennen", also vergehen.
In I Kor 3,11-15 verbindet Paulus seine Aussagen ber das Wirken der Und dennoch darf mit Paulus (und dem Verfasser des I Petrusbriefs)
Mitarbeiter beim Aufbau der Gemeinde mit den Aussagen ber den Tag daraufgehofft werden, da auch der Mensch, dessen Werk "verbrennt",
des Gerichts durch das Bild vom "Bau Gottes". Was oder womit die dochselbst (durch dieses "Feuer" hindurch) gerettet wird, so da er "nach
einzelnen (Mitarbeiter) aufdem Grund, derJesus Christus allein ist, bau- Gottes Weise das Leben hat im Geist" (I Petr 4,6). Dieser Hinweis darauf,
en, das wird im Gericht - durch eine Feuerprobe - offenbar werden. da es sich um ein Leben "im Geist" (1TVEV~C(TI) handelt, erinnert nicht nur
Dabei rechnet Paulus sowohl mit der Mglichkeit, da das Werk eines an das O"w~a 1TvEv~aTIK6v als die eschatische Seinsweise, sondern verweist
Menschen "bleibt" und dieser Mensch Lohn empfngt (V. 14), als auch auch auf den "Schpfergeist" als die Konstitutionsbedingung des ge-
mit der Mglichkeit, da das Werk verbrennt und der Mensch (nicht schpflichen Daseins, der mit Grund darauf hoffen lt, da keines der
bestraft wird, sondern) "Schaden leidet" (V. 15). Und auf diese Aussage Geschpfe Gottes durch das Gericht hindurch ewig verlorengeht.
folgt der berraschende, aber ausschlaggebende Nachsatz: "Er selbst aber
wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch" (V. 15).73
blicherweise werden diese paulinischen Aussagen interpretiert im 15.3.4 Ewiges Leben
Sinne der Unterscheidung zwischen einem Gericht nach den Werken (in
dem es umLohn und Schaden geht) und einem Gericht nach dem Glauben 15.3.4.1 Der Begriff "ewiges Leben"
(in dem es um Rettung und ewige Verlorenheit geht).74 Diese Interpreta-
tion scheint mir an einem entscheidenden Punkt anfechtbar zu sein, nm- Mit der Rede vom ewigen Leben, mit der das Apostolicllmausklingt, wird
lich im Blick auf die Annahme, es gehe hier um die Unterscheidung zwi- das Ziel christlicher Hoffnung formuliert. Es ist kein Zufall, da damit ein
schen (Gericht nach dem) Glauben und (Gericht nach den) Werken. Der Begriff aufgenommen wird, der bereits in der Gotteslehre, genauer: in der
tragende Grund, von dem die Rede ist, ist nicht etwa der Glaube, sondern Lehre von den Eigenschaften Gottes eine wesentliche Rolle spielte (s. o.
]esus Christus; Und von "Werken" ist keinmal die Rede, wohl aber vier- 8.1.3.2 cl. An die Begriffsbestimmungen und inhaltlichen Aussagen, die
mal hintereinander vom "Werk" ("epyov"). Insofern hat die These, es dort gemacht wurden, kann und soll deshalb hier angeknpft werden.
Als angemessen erwies sich dort die Definition des Boethius: "Ewig-
keit ist der ganze und zugleich vollkommene Besitz unbegrenzbaren Le-
73 Eine hnliche Unterscheidung im Blick auf das Gericht findet sich I Petr 4,6.
bens." Die Tatsache, da Ewigkeit damit als Besitz unbegrenzbaren Le-
In diesem Sinne ist auch fr eine evangelische Dogmatik der Gedanke eines
"Fegfeuers" {purgatorium} nachvollziehbar - aber nicht als Ort nachtrgli-
cher Bue fr zeitliche Sndenstrafen.
74 So z. B. H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, Gttingen 1969, 75 Zwar kann der Jakobusbrief - und das ist seine theologische Schwche - die
5.96: "Der Verlust des Glaubens ist Verlust des Heils. Dagegen strzen Trennung zwischen Glauben und Werken denken {s. Jak 2,14-26}, weil er
untaugliche Werke, die der Christ als Christ leistet, nicht in die Verdammnis. Glauben als berzeugtsein von der Wirklichkeit des einen Gottes versteht
Das ist die Kehrseite davon, da die Werke das Heil nicht beschaffen. Es bleibt {Jak 2,19}, aber gerade er polemisiert gegen diese Trennung und kmpft fr
aber die Verantwortung fr die Werke vor Gott ... " die Zusammengehrigkeit.
646 Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 647

bens beschrieben wird, macht diesen Begriff besonders geeignet, das zu 15.3.4.2 Ewiges Leben und die Realitt des Todes
erfassen, was nicht nur mit "Ewigkeit" allgemein, sondern mit "ewigem
Leben" im besonderen gemeint ist. Zu beanstanden ist allenfalls der Be- Die Formulierung "im Tod und durch den Tod hindurch", die ich am
griff "Besitz" ("possessio"), wenn es um die Weise geht, in der Ewigkeit Ende des vorigen Absatzes gebraucht habe, weist darauf hin, da die
fr den Menschen wirklich ist. Die Rede vom "Besitz" knnte die Asso- Hoffnung auf ewiges Leben die oft grausame Realitt des Sterbens und
ziation von "Besitzanspruch" oder von"Verfgungsgewalt" wecken und des Todes weder umgeht noch neutralisiert, sondern einbezieht, aber
brchte damit ganz fremde Elemente in die Vorstellung vom ewigen Leben zugleich ber sie hinausfhrt. Whrend alles Leben unter irdisch-ge-
hinein. Genauer wre es deshalb, Ewigkeit zu definieren als ganze und schichtlichen Bedingungen dadurch charakterisiert ist und mitbestimmt
vollkommene Anteilhabe am unbegrenzbaren Leben. wird, da es den Tod noch vor sich hat und auf ihn zutreibt, hat das ewige
Dieser Begriff ist aber in einer Hinsicht fr unsere Fragestellung zu Leben den Tod - wie eine zweite Geburt - hinter sich. Es ist durch ihn
formal, d. h. er bedarf noch einer weiteren Konkretisierung: Was ist hier hindurchgegangen.
mit "Leben" gemeint und von welchem Leben ist hier die Rede? Von der Im Blick auf das biologische Leben bildet der Tod zwar eine defini-
Beantwortung dieser Frage hngt es entscheidend ab, ob "ewiges Leben" tive, unbersteigbare Grenze. Deshalb gilt der paulinische Satz: "Fleisch
ein Bild der Hoffnung oder eine Vision des Schreckens ist. In losem und Blut knnen das Reich Gottes nicht ererben; auch wird das Ver-
Anschlu an die im Griechischen gebruchliche Unterscheidung zwischen wesliche nicht erben die Unverweslichkeit" (I Kor 15,50). D. h. jedoch
[3ios und ~(.()11?6 kann unterschieden werden zwischen einem Leben, das nicht, da nur das Geistige am Menschen Anteil am ewigen Leben er-
biologisch definiert ist durch Stoffwechsel, Fortpflanzung etc., und einem langt. Der christliche Glaube kennt nur eine Hoffnung fr den konkreten
Leben, das existentiellen Charakter hat und fr das Sinn, Glck, Erfllung Menschen, und d. h.: fr den leibhaften Menschen. Aber der natrlich-
etc. ausschlaggebend sind. fleischliche Leib mu im Tod und durch den Tod hindurch radikal ge-
Die biblische, und d. h. vor allem: die neutestamentliche Hoffnung auf wandelt werden (s. I Kor 15,35-54), damit er Anteil am ewigen Leben
ewiges Leben?? hat weder etwas mit dem Wunschtraum von ewiger Ju- erlangt.
gend und Schnheit noch mit der Schreckensvision einer sinnentleerten Diese Wandlung wre oberflchlich und uerlich verstanden, wenn
Erhaltung von Stoffwechsel- und Kreislauffunktionen zu tun, die man es in ihr um eine Transformation sterblicher in unsterbliche Krper-
eher als ein Nicht-sterben-Knnen oder -Drfen bezeichnen mte. Ewi- substanz ginge. Die Wandlung, um die es geht, besteht vielmehr darin, da
ges Leben im neutestamentlichen Sinn ist erflltes Leben, das schon unter der irdische Leib als die menschliche Daseinsgestalt, die sich dem Willen
irdisch-geschichtlichen Bedingungen fragmentarisch mglich ist (Joh Gottes verweigern kann und verweigert, durch den Tod hindurch radikal
3,15 f.; 5,24; Rm 6,10 f.; I Joh 3,14). Die Hoffnung auf ewiges Leben gewandelt wird zum "geistlichen Leib", der ganz von der Beziehung, die
richtet sich darauf, da dieses erfllte Leben im Tod und durch den Tod Gott zu ihm hat, durchdrungen und bestimmt wird. Dabei mu es m. E.
hindurch bleibt, durch nichts mehr bedroht und in Frage gestellt werden auch eschatologisch ausgehalten werden, da das Fragment des irdisch-
kann und insofern vollendet wird. geschichtlichen Lebensnicht komplettiertwird78 , sondern da dieses Frag-
ment eingefgt wird in die vollendete Wirklichkeit der Liebe und da es
damit Anteil bekommt an deren Vollkommenheit.

15.3.4.3 Die kosmische Dimension des ewigen Lebens


76 Von mehr als einem losen Anschlu kann man nicht sprechen, weil ,,1'105"
Zu der Behutsamkeit, die der Eschatologie insgesamt angemessen ist,
nicht mit "Leben" im biologischen Sinne identisch ist, sondern im Neuen
Testament in der Regel die Sphre der materiellen Existenz bezeichnet und
gehrt auch ihre Konzentration auf den Menschen und die Zurckhaltung
deswegen auch "Lebensunterhalt" oder "Wohlstand" bedeuten kann (so z. B. gegenber (spekulativen) Aussagen oder Theorien, die die Vollendung der
Mk 12,44 par.; Lk 15,12 u. 30; IJoh 3,17).
77 S. rur das AT Dan 12,2; rur das NT z. B. Mk 10,30 parr.; Joh 3,15 f. u. 36; 78 Andernfalls wrde sie das irdisch-geschichtliche Leben in seiner Einzigartig-
10,28; Rm 6,22 f.; Gal 6,8; I Joh 2,25; Jud 21. keit und Unwiderruflichkeit entwerten, ja in Frage stellen.
Die vollendete Welt Ausblicke auf die vollendete Welt 649

anderen Geschpfe, ja des ganzen Universums zum Gegenstand haben. der Vollendung, in der der Inbegriffder Vergnglichkeit, der Tod, als der
Wird diese Konzentration und Zurckhaltung jedoch zur exklusiven Be- letzte Feind, vernichtet wird und Gott, dessen Wesen Liebe ist, sein wird
schrnkung auf den Menschen, .dann besteht die Gefahr einer anthropo- "alles in allem" (I Kor 15,28).
logischen Selbstverabsolutierung, bei der die Flle der Kreaturen aus dem
Blick gert.
Zu den wenigen, aber orientierungskrftigen biblischen Texten, die
etwas zur kosmischen Dimension der christlichen Hoffnung sagen, gehrt
Rm 8,18-25.79 Danach leiden die brigen Geschpfe(wie die Menschen)
unter der Vergnglichkeit und warten voller Angst darauf, da die Kinder
Gottes offenbar werden (Rm 8,19-21). Hinter diesen Aussagen steckt die
theologisch nachvollziehbare Einsicht, da zwar alle Geschpfe der End-
lichkeit unterworfen sind und darunter - je auf ihre Weise -leiden, da
aber nur im Blick auf den Menschen von einer Verfehlung der Bestim-
mungdes Lebens durch Einwilligung in die Snde die Rede sein kann. Die
eschatologische Hoffnung ist insofern im Blick auf den Menschen eine
potenzierte Hoffnung. Sie richtet sich auf die berwindung derVergng-
lichkeit und auf die berwindung der Snde.
Aber es gehrt zur realistischen Wahrnehmung der Wirklichkeit, an"
zuerkennen, da die anderen Kreaturen zwar nicht als Mittter, wohl
aber als Opfer von der menschlichen Verfehlung mitbetroffen sind und
unter ihr mit zu leiden haben. Bo Insofern sind auch die brigen Geschpfe
von der (potenzierten) eschatologischen Hoffnung des Menschen mit-
betroffen. Wenn dies aber zu sagen ist, dann mu daraus gefolgert wer-
den, da die brigen Kreaturen, da also "Himmel und Erde" auch im
Blick auf die berwindung der Snde an der eschatologischen Hoffnung
partizipieren. Dies ist eine theologische Konsequenz sowohl der bibli-
schen Schpfungsaussagen, die den Menschen als Teil des von Gott ge-
schaffenen Universums sehen, als auch der biblischen Hinweise darauf,
da das Heilsgeschehen in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi eine
kosmische Dimension hat, wie sie in Gestalt von Sonnenfinsternis und
Erdbeben zum Ausdruck kommt (Mk 15,33 parr.; Mt 27,52 u. 28,2).
Hat die Gesamtheit der Kreaturen aber Anteil an Gottes Schpfungswerk
und am Heilswerk Christi, dann kann sie nicht ausgeschlossen sein von

79 Weitere biblische Aussagen finden sich in den alttestamentlichen Visionen, in


denen das Tierreich in den endzeitlichen Frieden einbezogen ist (les 11,6-9 u.
65,25), sowie im Jona-Buch, wodie Tiere nicht nur an der menschlichen Bue
betejligt werden, sondern ausdrcklich als Adressaten des gttlichen Erbar-
mens genannt werden (lon 3,7 f. u. 4,10 f.). Von daher mu. der paulinischen
Argumentation in I Kor 9,9 ("Sorgt sich Gott etwa um die Ochsen?") wider-
sprochen werden.
80 Dies ist heute so unbersehbar geworden, da es keinerlei Illustration und
keines Beleges bedarf.
Literaturhinweise 651

Literaturhinweise Literaturhinweise zu den einzelnen Kapiteln


bzw. Abschnitten dieser Dogmatik

In die folgenden Literaturhinweise sind normalerweise nicht aufgenommen worden


die einschlgigen Abschnitte aus den oben genallllten Gesamtdarstellungen der
Dogmatik sowie die jeweils einschlgigen Artikel aus den groen theologischen
Gesamtdarstellungen der evangelischen Dogmatik NachscWagewerken wie TRE, RGG, EKL oder LThK. Eine Ausnahme davon wird
(Eine Auswahl in chronologischer Reihenfolge) nur dort gemacht, wo ein Kapitel oder Abschnitt dieser Dogmatik sich explizit auf
einen Text aus einer anderen Dogmatik oder aus einem der Nachschlagewerke
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Bibelstellenregister 671

Bibelstellenregister 26,4 126 I Sam


28,3 258 2,10 639
28,14 126 3,1 83
32,23-38 297 15,32 488
35,11 258 16,7 374
Parallelstellen aus den synoptischen Evangelien, die im Textteil der Dogmatik 35,29 488 16,14-23 366; 370
nicht eigens ausgedruckt worden sind, werden in diesem Register aufgefhrt und 46,2 83 18,10 366
mit gekennzeichnet. 49,25 258 19,9 366

Gen 3,3f. 326 Ex llSam


1f. 222;420;429 3,4f. 473 3,2 297 7,12f. 317
1,1 409; 425 3,5 475 3,14 83; 277 12,1-15 496
1,1-2,4a 420 3,7 475;486 6,3 258 12,24 242
1,2 360;405 3,9f. 486 16,3 484
1,3 426 3,13 472 20,2f. 125 IReg
1,4 414 3,14 471 20,2-6 108 22,22f. 367
1,6 426 3,16 484
1,10 414 3,19 326; 487; 622 Lev llReg
1,11 426 3,21 486 10,10 366 23,25 522
1,12 414 3,22 469 19,18 518;522
1,14 426 3,24 297 26,12 125 IChr
1,14-18 427 4 476;483 16,14 639
1,14-19 412 5,1 435 Num
1,18 414 5,1ff. 434; 436 22-24 98 llChr
1,21 414 5,3 435 22,21-35 . 299 2,10 242
1,24 426 6,2-4 489 18,21 367
1,25 414 6,3 362 Dtn 24,15 488
1,26 435; 437f. 6,5 426 4,29 225
1,26f. 427;434 6,5-8 477 4,37 242 Hi
1,26-28 437 8,21 426;477 5,6f. 125 2,9 444
1,27 426;436 9,2 437f. 5,6-10 108 5,12 471
1,28 437f. 9,3f. 427 6,4f. 108; 125 5,17 258
1,29f. 426 9,5f. 427 6,5 518; 522 15,5 471
1,31 414 9,6 434f. 7,8 242 16,7-17 301
2f. 487 12,3b 126 7,13 242 28,20-28 355
2,4b-25 420 15,1 83; 101 10,12 522 28,25-28 402
2,7 362;426;630 15,6 101; 616 10,18 242 30,20f. 301
2,9f. 426;469 16 297 18,15 317 31,35 443
2,15 437f. 17,1 258 32,35 617 38f. 429
2,16 470 17,1f. 101 38,11 294
2,17 326;469;487 18,18 126 Jdc 38,29 254
2,25-3,21 486 19 297 9,23 366 42,17 488
3-7 476 22 297 14,19 361
3,1 471 22,18 126 20,16 457 Ps
3,1-5 471 25,8 488 1,6 623
2,7 341;348
672 Bibelstellenregister Bibelstellenregister 673

8,6 429;436 7-9 356 7,23 125 4 237


8,7 437 10,12 331 11,4 125 4,1Of. 648
9,8 621 14,14 366
13,2 443 Koh 20,7 301 Mi
14,1 320;444 7,26 488 23,32 366 4,1-3 308
19 222 12,7 630 29,13f. 225;227 4,4-6 308
19,1-7 402;429 31,1 125
19,29 429 Cant 31,3 242 Sach
22,2 443 2,16 240 31,31-34 316 1,3 225
22,2f. 301 6,3 240 31,33 125 8,8 125
23 237 7,11 240 14,9 308
29 429 Thr
36,10 245 Jes 3,22f. 237;267 Weish
47 308 1,1 83 3,23 292 7,25f. 355
51,6 439 2,1-5 126 7,26 402
51,7 475 2,2-4 308 Ez 8,3 355
68,15 258 2,4 639 2,4 318 9,H. 355
68,22-24 127 6,1-7 297 7,26 83 9,15 630
90,4 410 6,3 268 11,20 125 9,17 355
90,3-10 622 6,5 268 18,23 94 7-11 355
91,1 258 7,7 318 22,26 366 15,8 630
91,14 242 9,14 366 37,23 125
92,9 621 11,6-8 309 37,27 125 Tob
95,7f. 565 11,6-9 648 44,23 366 4,3 630
99,H. 308 13,15f. 127
102,13 621 21,2 83 Dan Sir
102,27f. 62H. 25,6-8 607 2,19 83 24,1-14 402
103 237 40,5 83 7,13 340 24,3-6 355
103,3 328 42,14 254 9,23 242 41,1 488
104 222;429 44,9-20 412 12,2 637; 646
105,7 639 45,5f. 108 IIMakk
110,5 317 48,14 242 Hos 7,14 637
119,105 153 52,7 308 2,25 125
123,2 254 53,4f. 324 11 237 Mt
131,2 254 53,5 333f. 11,3f. 254 1,4 309par
136 222 55,12 429 11,8f 241;280 1,16 349
137,7-9 127 63,9 242 13,8 254 1,18-20 405
139 264 65,17 451;622 1,18-25 341; 349
146,4 622 65,25 309 Am 1,20 297
146,8 242 66,13 254 1,3 318 1,24 297;351
147 429 66,22 451 2,13 297
Jon 2,19 297
Prov Jer 3f. 126 3,2 309
8,22-31 402 2,2 318 3,7f 648 3,3-17 309
8,22-36 355 3,17 308 3,10 328 3,4ff. 547par
674 Bibelstellenregister
Bibelstellenregister 675

3,7ff. 309 8,16f. 370par 13,57 318par 22,39 518par; 522par


3,10 162 8,26. 60par 14,14 320 23,23 245par
3,13 547par 8,27 340par 14,15-21 607 23,37 313; 318
3,13-17 309; 348-350par; 8,28ff. 310par; 336par 14,23 349 24,4f. 87
405par 8,28-32 366par 15,19 478 24,23f. 87
3,14f. 547 8,29-32 491par 15,21-26 310par 24,24 366par
3,16 362par 9,1-8 310par 15,21-28 312 24,35 62lf.
3,17 348 9,2 310par; 643par 15,28 310 24,36 94
4,1 337par 9,3 310par 15,32 320 24,48ff. 311par
4,lf. 345par 9,5f 310par 16,16 23;306 25 614
4,1-11 337 9,12 310 16,16f. 281 25,lff. 311; 607
4,2ff. 471par 9,13 310f.par 16,17 92;319 25,31-46 612f.; 62lf.
4,6 492 9,14-17 309par 16,21 314 25,4lff. 311
4,12 304par 9,20ff. 536par 16,25 59par 26,26 559par
4,17 308; 311 9,21 494par 16,27 612 26,28 559par
4,28f. 340par 9,22 310par; 511par 17,1-8 348par 26,36ff. 349par
5,3-12 309 9,32f. 370 17,14ff. 310 27,33-56 327par
5,8 607 9,36 320 17,20 60 27,39-43 93par
5,9 400 10,1 366par; 370par 17,23 314 27,39-49 313par
5,12 313 10,5-15 380par 18,3 551 27,4lf. 328par
5,17ff. 310 10,32 340par 18,6 341 27,42 310par
5,18 621 10,42 614 18,6ff. 311 27,45 648par
5,38-48 311 11,4-6 309 18,21-35 311; 323 27,46 443par
5,43-48 245; 323; 518; 619 11,11 547 18,23-27 245; 311 27,50 337par
5,44f. 237; 311 11,18f. 309 18,27 320 27,52 648
5,46ff. 267 11,20ff 311 18,32f. 312 27,54 281par
6,10 302 11,25-27 281 19,13ff. 555par 27,55f. 352
6,12 459 11,27 83; 90; 94; 97f; 318 19,14 567par 28 298
6,12ff. 323 12, 22f. 310par; 370par 19,18 310par 28,1-10 281par
6,14 323 12,24-29 309f.par 19,28 607 28,2 648
6,14f. 311 12,24-37 336par; 370par 19,29 646par 28,5 91par
6,26-29 429 12,28 309f.; 370 20,16 509 28,6f. 23;91
6,30 60 12,32 616par 20,1-16 237;245;309 28,16-20 541
7,lf 311 12,33 162 20,19 314 28,19 385
7,7f. 225 12,36 612;639 20,20-28 607par 28,19f. 547
7,11 245 12,4lf. 639 20,22f. 349par
7,15 87;366 12,43 366 20,3lf.
7,16ff.
312 Mk
162 12,45 366 20,34 320 1,1-11 309par
7,2lff. 311; 612 12,46-50 352 21,40ff. 311par 1,4ff. 547par
7,29 340 13,1-9 310par 22,1-14 607 1,6 309
8,2-4 336par 13,25-30 573 22,14 509 1,9 547
8,4 137par 13,31-35 310 22,30ff. 637par 1,9-11 309; 349f.; 405
8,5-13 312 13,33 254 22,34-40 360par; 518par 1,9-13 348
8,11 101;607 13,44-66 310 22,34-46 241 1,10 362
8,14-17 336par 13,55 352 22,37 522 1,11 348
676 Bibelstellenregistlir Bibelstellenregister 677

1;12 337 6,7-13 380 13,21 87par 4,18 362


1,13 345 6,15 318 13,22 366 4,24 318par
1,13ff. 471 6,34 320 13,31 621 4,31-44 336par
1,14 304 6,35-44 607par 13,32 94 4,32 340
1,15 308; 311 6,46 349 14 559 4,33-36 366par
1,21-28 336 7,20-22 478par 14,22 559 4,34 623
1,22 340par 7,2Hf. 478 14,24 559 4,36 340par
1,23-27 366 7,24-27 310 14,32ff. 349 4,40f. 370par
1,24 623 7,24-30 312 15,22-41 327 4,41 366par
1,27 340 7,36 137 15,29-32 93 4,42 349par
1,32-34 370 8,H. 320par 15,29-37 313 5,12-16 336par
1,35 349 8,2 320 15,31 310; 328 5,14 137par
1,40-45 336 8,23 536 15,33 648 5,16 349
1,41 320 8,31 314par 15,34 443 5,20 310par; 643par
1,44 137 8,35 59 15,37 337 5,21 310
2,1-12 310 8,38 340par 15,39 23;281 5,23 313par
2,5 310;643 9,2-8 348 15,40f. 352 5,23f 310par
2,7 310 9,14-29 310 16 298 5,27-32. 310f.par
2,9f. 310 9,22 320 16,1-8 281par 5,31 310par
2,17 310f. 9,24 60 16,6 91 5,32 311
2,18-22 309 9,25 366 16,9-11 313 5,33-39 309par
2,34 310par 9,31 314 16,10 536 5,48 310par; S11par
3,11 366 9,40 576 5,54 536par
3,20-22 370par 9,41 614 Lk 6,12 349
3,21 352 9,42 341 1 307 6,20ff. 309
3,22ff. 309f.; 336; 370 9,42ff. 311par 1,11-35 297 6,23 313
3,29 617 10,13ff. 555 1,26-38 341; 349 6,26 366
3,30 366 10,14 567 1,35 405 6,27f. 518
3,31-35 352 10,15 551 1,38 350ff. 6,32ff. 267par
4,1-9 310 10,16 536 1,46-55 353 6,36 245
4,26-32 310 10,19 310 1,55 101 6,37 311par; 323
4,30-34 310par 10,30 646 2,1 147 6,43ff. 162par;311par;612par
4,33f. 310 10,34 314par 2,9 297 7,1-10 312
4,38f. 60par 10,35-45 607 3,1-22 309par 7,13 320
4,41 340 10,38f. 349 3,7ff. 309par 7,21 370
5,Hf. 310;336 10,52 511 3,9 162par; 309 7,22f. 309
5,2-13 366 11,25 311par; 323 3,2H. 309; 348par; 349; 7,28 547par
5,6-13 491 12,9ff 311 405par 7,33f. 309par
5,27ff. 536 12,25ff. 637 3,22 348; 362par 7,50 310
5,28 494 12,28-34 369;518 3,23 349 8,2 366
5,34 310; 511 12,28-37 241par 4,H. 345par 8,4-8 310par
5,41 536 12,30 522 4,1-13 337par 8,19-21 352
6,3 352 12,31 518;522 4,2ff. 471par 8,24 60par
6,4 318 12,44 646 4,9 492par 8,25 340par
6,7 366;370 13,5f. 87par 4,16-21 348 8,26ff. 310par; 336par
678 Bibelstellenregister Bibelstellenregister 679

8,27-33 366par 13,3ff. 311 23,33-49 327par 3,16-18 612


8,28-33 491par 13,18-21 310par 23,35-38 93par 3,18 97; 605
8,44ff. 536par 13,20f. 254par 23,35-46 313par 3,21 107
8,48 310 13,23-30 612 23,44 648par 3,22 547
9,1 366par; 370par 13,28 101 23,46 337par; 377 3,36 646
9,1-6 380par 13,29 101par; 607par 23,47 281par 4,2 547
9,8 318par 13,33 318 24 298 4,22 494
9,12-17 607par 13,33f. 313 24,1-12 281 4,23f. 367
9,22 314 13,34 313par; 318par 24,6ff. 23;91 4,24 245;360;363;436
9,24 59par 14,16-24 309; 607par 24,7 314 5,22 639
9,28-36 348par 15 237; 304; 311 24,19 318 5,24 605;612;646
9,29 349 15,1-32 245;309f. 24,19-21 313 5,26 245
9,37-43 310par 15,7 311 24,21 314 5,29 612;637
9,50 576 15,8-10 254 24,29f. 558 6,35 341
10,13ff. 311par 15,10 311 24,31 281 7,3ff. 352
10,18 348;490 15,12 646 24,34 23; 91; 313 8,11 643
10,21f 90par; 281par 15,20 241;320 24,46 314 8,31f. 511
10,22 83; 94par; 97f; 318 15,30 646 24,50-53 314 8,32 107;323;496
10,23f. 309 16,17 621 8,34 335;491
10,25-28 369par; 518par 16,19ff. 311 Joh 8,36 496
10,26ff. 310 16,22-31 101 1 355 8,44 370
10,27 518; 522par 17,4 323 1,1 245 9,40f. 495
10,33 320 17,6 60 1,1-3 402 10 584
11,1 349 17,20f. 309ff. 1,1-14 354 10,1-5 584
11,3f. 323par 18,7f. 245 1,4 245 10,8 166
11,4 459par 18,9-14 309f. 1,10f. 265 10,14 166
11,9f. 225;302 18,15ff. 555par 1,12f. 400 10,17 242
11,13 302 18,16 567par 1,13 254 10,27 166
11,14ff. 310 18,17 551par 1,14 97;354 10,27-29 584
11,15-22 309f.par 18,20 310par 1,18 97 10,28 646
11,15-23 336par; 370par 18,30 646par 1,19-34 547 11,23f. 637
11,20 309;370 18,33 314 1,29 325;331 11,27 23
11,24 366par 18,42f. 511par 2,11 341 12,19 213
11,26 366par 19,1-10 310 3,1-21 371 13,34f. 518
11,31f. 639 20,34ff. 637par 3,3ff. 549 14,3 94
11,32f. 639par 21,4 646par 3,3-5 418 14,6 97f.; 371
11,42 245 21,8f. 87par 3,3-8 497 14,8f. 402
12,8 340 21,31 308 3,5 370 14,9 94;318
12,10 616par 21,33 621f.par 3,5f. 254 14,13f. 301
12,16ff. 311 22,19f. 559par 3,5-8 403 14,21 242
12,24-27 429par 22,28 607par 3,15f. 646 14,23 242
12,28 60 22,40ff. 349par 3,15-18 341 14,26 372
12,45ff. 311 22,42 302 3,16 97; 237; 242; 329; 15,9 242
12,50 349 22,43 297 508; 511 15,9-17 619
12,57ff. 311 23,26f. 328 3,16f. 126 15,12f. 518
680 Bibelstellenregister Bibelstellenregister 681

15,13 264;325;450 16,15 553 5,8 264; 329 11,17-24 127


15,16 301 16,33f. 553 5,10 450 11,25-32 316
15,26 367; 372; 385 17,7 147 5,12 487 11,25-36 507;619
16,13 166;367 17,27 225 5,12ff. 345 11,29 378
16,14 372 17,28f. 412 5,12-21 326;460;468;475 11,32 507
16,23-26 301 19,6 545 5,15f. 378 11,35 267
16,27 242 19,12-16 366 5,15-20 460 11,36 507
17,6 90 24,15 637 6,l c 11 334;539;548 12,2 530
17,20-23 511 6,3 547 12,3-8 378
17,23-26 242 Rm 6,4 91 12,4f. 539
19,25-27 352 H. 99 6,6 623 12,6 379
20 298 1 100 6,10f. 646 12,7f. 379
20,20 93 1,1 304 6,11 497 12,8-10 613
20,22f. 403 1,1-4 341;405 6,16-18 335 12,14 518
20,27 93 1,4 91; 314; 6,22f. 646 12,20 518; 617
20,31 511 1,7 385 6,23 326; 333;378 13,8-10 369;518
1,16 304 7 336 13,9 522
Aet 1,17 90;510 7,7-25 475; 478 13,9f. 518
1,7 94 1,17f. 83 7,10 470 14,5 368
1,9-11 314 1,18 508;627 7,10-12 529 14,7f. 338
1,10f. 298 1,19f. 222;402 7,19f. 491 14,23 612
1,14 352 1,20 265 8,1 497 16,7 497
2 373 1,21 99 8,9-11 362
2,1-4 403 1,23 265 8,10 370;497 I Kor
2,4 382 2,5 639 8,11 91;377;635 H. 27;281;356
2,13 382 2,5-10 612 8,12-17 636 1,3 385
2,20 94 3,4f. 439 8,14 362 1,7 94
2,32 91 3,20 613 8,14-17 372 1,13ff. 547
2,33 498 3,21 83 8,14-21 400 1,16 553
3,15 91 3,2H. 90 8,15-17 254 1,17 547
3,21 624 3,22-30 510 8,18-25 648 1,18-31 334;356
4,12 97f.; 137 3,24 511 8,19 429 1,18-2,5 304
4,20 577 3,25 332 8,22 429 1,18-2,16 63
5,16 366 3,27 613 8,22f. 451 1,26-29 304
6,1-7 593 3,28 203; 612f. 8,28 450 1,26-31 93
7,1 101 4,2 613 8,30-39 237 1,29 613
7,52 313 4,3-5 616 8,34 91 1,30 356;495;499;503
8,7 366 4,4f. 625 9-11 507 2,6-16 363
8,14-24 362 4,5-16 510 9 441 2,10-13 367
8,15f. 546 4,9-25 101 9,13 242 3,11 32; 90; 137
8,17f. 545 4,16 162;625 9,18-21 440 3,11-15 639; 644f.
9,17 313 4,17 91;319;418 9,22f. 507 3,13-15 612
10,45 498 4,24f. 91 9,30-10,17 510 3,16 362
13,33 348 5,1 510 10,9 23 3,23 338
16,4 147 5,5 368f.; 498 10,17 511 4,1-5 642
682 Bibelstellenregister Bibelstellenregister 683

6,11 362 15,20-28 336; 607; 619 13,11-13 237 2,15 147
6,14 91 15,21 637 13,13 385 3,9 391
6,19 338 15,21f. 468 4,1-6 539
7,7 378 15,24 623 Gal 4,5 575
7,31 622 15,26 348; 608; 623 1,3 385 4,15 232
9,5 352 15,28 606; 649 1,16 83; 313 4,32 323
9,9 648 15,35-54 647 1,19 352
10,16f. 539 15,35-57 608; 634f. 2,2 83 Phi!
10,24 240 15,42-44 637 2,16 510; 612f. 1,2 385
11 559 15,44f. 377 2,19f. 334 1,23 488
11,7 434 15,50 647 2,20 497; 511 2 307
11,20 558 15,51f. 608;622 3f. 336 2,4 240
11,23f. 558 15,54ff. 91; 608 3,2 613 2,9 314
11,27-34 563ff. 15,56 487 3,6 101 2,9ff. 91
12 378f.; 593 3,8 510 2,9-11 336
12,1-13 366 llKor 3,10f. 613 2,11 23
12,3 23; 371 1,2 385 3,13 336 2,12f. 227
12,3b 92 2,14 83 3,24 510 3,9 510
12,8 379 2,15f. 536 3,26 400 3,10f. 637
12,9 380 3,17 245;366 3,27 547 3,12-16 96
12,10 379 3,17f. 363 4,1-7 636 3,21 608,622
12,12f. 539 4,1-6 313 4,4 337;349
12,12-30 379 4,4 345;402;436 4,4f. 329 Kol
12,28 380 4,6 93;496 4,5-7 254 1,15-20 402; 619; 624
12,31 383 4,7 122 5,1-5 511 1,15 246;345;402;436
13 237; 369; 518 5,7 607 5,1-15 530 1,16 339;426
13,1-3 281 5,10 612 5,4 530 2,2f. 137
13,2 28;379 5,14 334 5,6 372; 531; 613 2,12 511; 637
13,3 369 5,16-21 334 5,13f. 613 2,14 147; 331
13,4-7 239;263;619 5,17 418; 511 5,14 518;522 2,15 336
13,5 239 5,19 126;203;493;508 5,22 368 2,18 296
13,8-10 383 5,19f. 329;496;624 6,8 371; 646 3,10 434
13,12 262;293;607 5,21 331 3,11 637
13,13 57;263; 383;518; 621 5,26 329 Eph 3,13 323
14 382 6,16 125 1,2 385
14,3f. 383 6,18 258 1,5 254 I Thess
14,4 23;91;314 9,7 242 1,10 391 1,1 385
14,18 383 10,15 60 1,13f. 511 1,10 91
14,26-30 83 11,3 468 1,18 231;281 4,13-18 637
15 377 11,14 492 1,18-23 619 4,14 91
15,4 23; 91; 314 11,13-15 87 1,20 91 4,17 607
15,5-8 313 12,1 83 2,4 237;242 5,23 630
15,12 91 12,7-10 381;499 2,6 91
15,15 91 13,8 110 2,8-10 613 llThess
15,20 91;314 13,11 242 2,9 613 1,3 60
684 Bibelstellenregister Bibelstellenregister 685

ITim 2,7-11 518 1,3 246;345;402;436 Jud


1,2 385 2,25 646 1,5 341;348 6 472
1,4 391 2,29 400 1,10-12 621 7 263
1,5 518 3,1 237 2,18 345 21 646
2,4 508 3,H. 400 3,8 565
2,5f. 374 3,2 600;606f. 3,15 Apk
565
2,14 468;471 3,8 338 4,7 565 1,7 607
3,9 254;400 4,15 337;345 1,8 93;258
II Tim 3,13-18 518 5-12 332 1,17f. 336
1,9 613 3,14 646 5,5 348 2,11 488
1,14 363 3,16 264 6,2 545 3,17 564
2,8 91 3,17 521;646 6,4-6 617 3,20 607
3,16 119 4 236 8,6-13 316 4,8 268
4,1 639 4,1 87; 366; 371 8,10 125 5,10 583
4,1-6 366 9,11-15 333 11,15 336
Tit 4,2f. 92; 371 9,27 639 12,7-12 498
1,1 511 4,7 243;254;369;400 9,27f. 607 12,9 471
3,4 507 4,7-21 242;619 10,11-18 333 16,13 366
3,5 497; 549; 613 4,8 236;436 10,15-17 316 18,2 366
3,6 498 4,9 97 12,14 607 19,10 296
4,9f. 329;371 12,27 607 19,13 354
I Petr 4,10 267;332 19,20 366
1,3 497 4,10f. 242 20,2 471
1,18f. 336-338 Jak 20,6 488
4,lH. 518
1,18 254;400 20,10
1,21 91 4,11-21 518 366
1,23f. 89 20,1~-15
1,23 497 4,16 236;243;436 637
2,8 522 20,12f.
2,9 583 4,17f. 641 639
2,14-26 64; 613; 645 20,14 488; 608
3,19f. 320 4,19 87 2,23 101 21,1 451;622
4,5 639 4,20 521
4,6 3,9 434 21,1-4 608
644f. 4,20f. 375
4,8 4,8 225 21,3 125
331 4,21 518
5,13-16 380 21,8 488
4,13 94 5,1 254
5,14f. 546 22,8f. 296
5,1-4 400
II Petr 5,4 254
1,4 363;497 5,6 367
1,21 119; 122 5,12f. 605
2,1 366 5,18 254
3,8 410
3,10-13 622 IIJoh
3,13 451 3 385

IJoh Hehr
1,1 354 1,H. 98
1,7 338 1,1-5 333
2,2 332;338 1,2 402
Personenregister (ohne biblische Namen) 687

Personenregister (ohne bibliSche Namen) Harnack, A. v. 14 Leibniz, G. W. 439,442, 444f., 447


Harnisch, W. 310 Levinas, E. 238f., 432
Hase, K; 115 Lewis, C. S. 489
Hauschild, W.-D. 403 Link, Chr. 438
Hawking, St. 418 L0gstrup, K. E. 432
Aland, K. 553 Bultmann, R. 83, 211f., 238 Hegel, G. W. F. 103 Loewenich, W. v. 281
Buntfu, M. 224 Heidler, F. 630 Lbbe, H. 441
Alkmaion 430
Althaus, P. 600f. Herder, J. G. 431 Ldemann, G. 313
Calvin, J. 115, 162, 528, 560 Herms, E. 84,249,431,513,515,538 Luther, H. 170,603
Ambrosius 389
Conzelmann, H. 644 Hick, J. 27 Luther, M. 52, 56, 61f., 64, 66,
Amery, C. 437
Anselm v. Canterbury 12, 208-210, Dalferth,1. U. 324 Hildegard v. Bingen 355 68f., 92, 94, 100f., 112, 136-
222,229,322 Davies, P. 417, 422 Hollaz, D. 115 139, 150, 158, 160-162, 180,
Delling, G. 559 Hubbeling, H. G. 169, 221 207,209, 237,241f., 247, 271,
Aristoteles 8, 430
Arius 388 Dorner, 1. A. 103 Hubble, E. P. 416 28Of., 294, 298, 332, 334, 337,
Athanasius 403 Dostojewskij, F. 614, 618 Husserl, E. 169 339,345,350,363, 368f., 372,
Atkins, P. W. 417 Drewermann, E. 474 Huxley, A. 449 402,418-420, 422f., 432f., 435,
Augustin 30, 262, 388f., 396, 403, Drews, A. 305 437,447, 451f., 466, 497, 500,
Irenus v. Lyon 435 507,516, 528f., 531, 533,
475,478,518,535
Ebeling, G. 110, 141,207, 242f., 255 Israeli, 1. 206 542f., 560f., 568, 570, 572f.,
Aulen, G. 322
Ebersohn, M. 523 575, 584-586, 605, 613, 625
Bach, J. S. 324 Eibach, U. 519 Janowski, B. 438
Barr, J. 421 Eiert, W. 148, 450, 528 Janowski, J. Chr. 601, 619, 624 Mahlmann, Th. 161, 257, 270f.,
Barth, Chr. 627 Epikur 446 Jeremias, Joachim 553 368,611
Barth, K. 11, 16, 114, 148,209, Erasmus v. Rotterdam 94 Joest, W. 164, 467, 501 Mann, U. 411
229,243,254,263,278,318, Erikson, E. H. 481, 513-515 Jngel, E. 224, 242, 259, 278, 340, Marcion 413
350f., 390, 396, 419, 424, 436, Ess, J. v. 413 430, 631-633, 642 Marquard, O. 273, 441, 453f., 456,
540,549,632 Jung, c. G. 508 464
Barz, H. 254 Fahr, H. J. 416 Marquardt, M. 513, 625
Ksemann, E. 134
Bayer, O. 453, 561 Fowler, J. W. 513 MarshalI, B. 616
Kstner, E. 489
Bechert, H. 413 Freud, S. 270 Meckenstock, G. 237
Kant,1. 9, 56, 66, 147,215,222,
Beck, U. 436 Fried, E. 282 Melanchthon, Ph. 294, 575
323,442,447,450,609
Beck-Gernsheim, E. 436 Frielingsdorf, K. 482 Michel, P. 224
Kasper, W. 365
Becker, J. 355 Fries, H. 142 Mildenberger, F. 391
Kauer, M. 302
Benz, E. 355 Fritzsche, H.-G. 13 Mohammed 124
Kierkegaard, S. 467,470, 473f., 521
Berg, Chr. 185 Fromm, E. 189 Moltmann, J. 389, 404, 450
Klaiber, W. 625
Berger, K. 254 Montaigne, M. 147
Klee, P. 300
Bernhard v. Clairvaux 524, 569 Gerhard, J. 208, 236, 316, 540 Moser, T. 482
Klein, G. 296
Boethius, A. M. S. 248, 263, 645 Gerhardt, P. 324 Mller, H.-P. 252
Knierim, R. 458
Bcher, O. 298 Gerlach, H. 186
Koch, K. 459 Neebe, G. 573
Bonhoeffer, D. 190,239,261,300, Goethe, J. W. v. 226
Koch, T. 227, 360f., 410, 519 Nietzsche, F. 271, 280, 447
433,450,487,578,603 Grass, H. 353
Kng, H. 413 Nilsson, K. O. 501
Bornkamm, G. 309 Grimm, J. u. W. 56, 462
Braun, H. 521f. Nissiotis, N. A. 142
Haenchen, E. 355 Lange, D. 520 Noth, M. 523
Buber, M. 55
Hamann, J. G. 533 Leggett, A. J. 26 Nygren, A. 238
Bchner, G. 448, 452
688 Personenregister (ohne biblische Namen)

Origenes 612 Schulz, D. 239 Begriffsregister


Schwarz, H. 630, 640
Pannenberg, ~. 16,211,259,265, Schwbel, Chr. 81,284, 393f.
488 Seeba, H. 298
Pascal, B. 147 Seuse, H. 355
Peirce, Ch. S. 8,275,287,571 Slenczka, R. 148 (Gl"llndstzlich wird hier die substantivische Grundform der Begriffe aufgefhrt.
Petrus Lombardus 41 Slle, D. 280, 576 Adjektive, Verben und nicht eigens genannte Komposita sind unter dieser
Peura, S. 363, 497 Sozzini, F. 367f.. Grundform zu suchen.)
Piper, H. Chr. 189 Sthelin, E. 627
Platon 66, 446, 630 Steck, K. G. 73 Abduktion 8, 23, 29, 76f., 200, Allgegenwart (s. auch Gegenwart
Preul, R. 283f. Steck, O. H. 439 219,609,628 Gottes) 25M., 264, 266, 275,
Steiger, J. A. 513 Abendmahl(slehre) 143, 145, 532f., 344,346,561,563
Quenstedt, r A. 100,257,423 Stietencron, H. v. 413 537-540,543-546,549,558- Allgemeines Priestertum s. Priester-
Stock, K. 611 567,575,585 tum, Allgemeines
Rad, G. v. 421 Abendmahlsverantwortung 566f. Allmacht 63, 93, 211, 223, 256-
Rahner, K. 63, 239, 392, 397, 401, Tertullian 475 Aberglaube 61, 86, 489 259,266,269,273-275,337,
576 Tetens, J. N. 66 ab extra 62, 70 344, 346, 355, 445f., 453,466,
Ratschow, C. H. 14, 108, 553 Thiel, ~. 411 Abgott (s. auch Gtze) 62, 210, 522 506, 509, 618f.
Reeh,H.~: 486 Thomas v. Aquin 206, 208 Abgrund 63, 95,179,211 Alltag 170f., 173, 191, 204f., 212,
Rendtorff, T. 576 Tillich, P. 11,59,61,76, 101, 180, Abhngigkeit 88, 103, 119, 123, 284,299
Ricoeur, P. 224 209-211,216,251,302,323, 169-171,176,179,182,186, Allvershnung s. Apokastasis
Rilke, R. M. 300 389,448,576 203,304,311 panton
Ritschl, A. 268, 572 Troeltsch, E. 49, 104 Absolutheit(sanspruch) 102-110, Allwirksamkeit 344, 346
Ritter, A. M. 403 250,253,386,400 Allwissenheit 256f., 259-262, 266,
Roloff, J. 559 Vinzenz v. Lerinum 76 Absolution 549, 575 273-275,344,346,445f., 618
Rosenau, H. 612, 617, 625 Abstraktion 15, 121, 140, 178, 196, Alter 566
~agenhammer, H. 49 205, 251, 256, 306, 378, 386, Altarsakrament 558
Saint-Exupery, A. de 261 ~eber, M. 412 Alte Kirche 33, 298, 316, 342-345,
395
Schfer, R. 49, 130, 149 ~eber, O. 257, 268, 425
Abwesenheit (Gottes) 264, 280 347,355,385, 387-391; 396,
Schelling, F. ~. J. 211 ~eder, H. 69, 310
ad extra 396 398,403,575,612,642
Schiller, F. 412 ~einrich, H. 224, 252
admirabile commercium (s. auch Altes Testament 35f., 90, 98, 108,
Schleiermacher, F. 29, 31f., 39, ~eizscker, C. F. v. 416
~echsel, wunderbarer) 334 119,124-127, 152f., 298, 308,
65f., 132, 21Of., 242f., 255, ~endebourg, D. 403
admissio s. Zulassung zum 316-318,332,356,366,370,
268,346,595,600,619,625 ~estermann, C. 411, 421
Abendmahl 393,427,434,438,457-459,
Schlink, E. 142 ~hitehead, A. N. 287, 423
Adoptianismus 387 461,469,471,518,522,616,
Schmid, H. 299 ~ilckens, U. 507
Adoption 348f. 648
Schneemelcher, ~. 73 ~lfel, E. 24, 291, 354
mter.Christi s. Jesus Christus Amt, kirchliches/ordiniertes 13, 31,
Scholz, H. 16, 26 Affekt s.Gefhl 105, 143f., 15M., 166,318,
Schssler Fiorenza, E. 114 Zenger, E. 124 Agape (s. auch Liebe) 238f., 241, 356,380, 569f., 575, 582-591
Schulte, R. 292 Zwingli, H. 402, 533, 560, 572 506, 518, 521 Amtsgnade 544, 586
Agende 543, 557, 592 Amtshandlungen 191, 580
Akademie 580 Amtsbertragung 585f., 589
Akt s.Ereignis Analogie(schlu) 90, 146,219, 386,
Akzidens 561 446,449,589
Allerlsung 624-626 Anathema 147, 543, 546
690 Begriffsregister Begriffsregister 691

Anbetung 296,399,404 Aporie (s. auch Dilemma) 129, 161, 135, 139, 146, 148f., 159,179, Bejahung/Bejahtsein 414, 422-424,
Anfechtung/Angefochtenheit 59, 61- 256,259,343,610,620,632 201,208,224,254,367,377, 426,445,541,488,501,582,622
63,230,274,545,551,561, Apostel 96, 118, 152, 381, 546, 396,402, 431f., 604,609, 647 Bekehrung (5. auch Bue; Umkehr)
602, 605, 615 575 Autoritt (s. auch auctoritas, 115
Angelologie s. Engel Apostolicum 41, 97, 150, 156, 158, Bibelautoritt) 56, 114, 117, Bekenntnis (s. auch Glaubens-
Anglikanische Kirche 143, 145, 258, 320, 372, 376, 396, 398, 119, 127, 139,298, 368, 542 bekenntnis) 22, 33, 41, 79, 91,
160,532 425,461,611,639,645 Axiom 8, 22, 24, 221, 417 97,139-143,146-161,171,
Angst (s. auch Verlustangst) 58, 64, Apostolizitt 574f. 178f., 182,255f~258,29~
68, 189f., 259, 261, 301, 455, Appropriation 396 Baptistische Gemeinden 550 306f., 313, 358, 370f.,376,
466,473-475,480-484,488, Arbeitsteilung 185 Barmer Bekenntnissynode 589 398-400, 404, 540, 550,567,
521, 563f., 568f., 640f., 648 arbitrium s. servum arbitrium Barmer Theologische Erklrung 574, 596f., 611, 628, 637, 639,
Angst, dmonische474f., 477, 480- Archimedischer Punkt 85, 172, 196 97f., 165, 580f., 598 642
482,501 Arnoldshainer Thesen 143, 560, Barmherzigkeit 161,257,267,280, Bekenntnisauslegung 146, 148, 159
Angst, kreatrliche 473-475, 477, 563 290,325,344,507,643,648 Bekenntnisgemheit 159
480-482, 501 Aseitt 221 Bedingungslosigkeit (s. auch Bekenntnisschriften 113f., 144, 152,
Anhypostasie 347 Askese 374 Voraussetzungslosigkeit) 161f., 155, 158-160, 163, 209f., 237,
anima s. Seele assensus 60, 67 311f., 340, 496f., 555, 598, 241,258,298,315,321,337-
anima rationalis 431 Athanasianum 258, 388f., 403, 611, 617, 625f., 643f. 339,346,349f.,354f.,35~
anima sensitiva 431 637,639 Befhigung 232, 364, 462, 517, 361, 370, 372f., 377, 388f.,
anima vegetativa 430 Atheismus 270, 453f. 529, 544, 585-587 399f., 402f., 418, 420, 423,
animal rationale (s. auch Mensch) auctoritas causativa 114f., 117, Befreiung 192, 232, 292, 317, 321, 425, 436, 461f., 467-469, 478,
430, 432f. 124f.,135 335-339, 368, 376, 493f., 496- 481,490, 507,512, 527f., 530,
Anklage 293, 301, 330, 336, 439- auctoritas normativa 114-118, 500,504,513, 567f., 642 533, 552, 564f., 567f., 570,
445, 452-455, 459, 462, 465f., 124f., 133, 135f., 138, 153 Befugnis 438, 544, 585f. 574f., 577, 581, 583
504f.,512 Audition 81, 313, 534 Begabung 378-383, 519, 587f. Bergpredigt 311, 323
annihilatio 611, 620-624, 627, 629, Aufbau der Dogmatik s. Gliederung Begleitung 191, 292f., 297, 519 Berufung 348f., 373, 379, 405, 508,
631f.,638 der Dogmatik BegrenztheitlBegrenzung 90, 94-96, 570,586-590
annihilatio mundi 611, 620 Auferbauung 578 230f., 243-248, 250, 253, 262f., Besessenheit 310, 490
Anorganisches 426f., 433, 439 Auferstehung/Auferweckung 23,90- 275,293-295, 312, 327, 339, Bestimmung 58-60, 63, 66-68, 72,
Anrufung 296, 374 93, 285, 287, 297, 304, 307, 344, 446f., 519 83, 85,91, 178, 180f., 202,
Anteilhabe s. Partizipation 313f., 328, 334-336, 338, 346" Begriff 7, 51f., 57f., 71, 89, 103, 210-212,349,363,365,374,
Anthropodizee 453f., 464 348,373,377,488,502,545, 106,134, 169f., 176, 178, 199, 403, 409, 420f., 426f., 429f.,
Anthropologie s. Mensch 548,550,558,560, 604f., 608, 20M., 209, 217, 235, 238, 245- 434-437, 451, 454f., 465f.,
Anthropomonismus 425 629-632, 634-639, 648 247,253, 275,278,285, 303f., 469-471, 473-475, 477, 479f.,
Anthropozentrismus 424 Aufklrung 192, 297, 323, 332, 489 328,331,346,356,360-362, 486, 503, 505, 509, 517, 519f.,
Antimaterie 418,622 Aufsicht 588 374,385,390,395,403,428, 527,531, 555, 603, 608, 622f.,
Antlitz 238, 250, 345 Auftrag (s. auch Herrschaftsauftrag; 430-434,436,456-467,496, 640f.,648
Antwort 161, 192, 348, 354, 358, Schpfungsauftrag) 183, 299f., 498, 532, 558, 595f. Bestimmungsziel 59, 72, 220, 223f.,
432,448,455,520,598 438,489 Begrndung 8-10,19,23,117-127, 414,451,454
Apokatastasis panton 509, 611f., Auftrag der Kirche s. Kirche 385, 602, 604f. Bewahrung 335, 437-439, 509, 555f.
620f., 636, 638f., 644 Ausgang, doppelter 611-621, 624, BehindertseinIBehinderung 433, Bewhrung 180-183, 457, 514f.,
Apokryphen 298, 355 636f.,639 444, 498f., 566 586,601
Apologetik 40 Auslegung s. Interpretation; Exegese Beichte 532, 539, 549, 567-569, Beweis (s. auch Gottesbeweis) 62,
Apologie der CA 258, 298, 467, Aussage 7, 12,21, 23f., 27,30, 56, 575 120, 158,222,261,442,447,
575,612 80,90,97, 107, 109,120, 133, Beichtzwang 567f. 452f., 572, 605
692 Begriffsregister Begriffsregister 693

Beweislast 270, 442f. 299,310,314,318,324,328- Charisma 378~383, 586, 588 creatio immediata 426
Bewutsein (s. auch Selbstbewutsein) 331,334,353,355,402,435, Charismatische Bewegung 357, 382 creatio mediata 426
27,68,109, HOf., 183,425,432, 500, 503, 534, 548, 573, 584, Christ 13, 74, 107, 126f., 150, 155, Credendum 147, 150
593 614,631,634,646 237,269,272, 374, 382, 385, Credo 148f., 156
Bezeugung s. Zeugnis BildungIBildungsgeschehen 13, 123, 396, 490, 520, 556, 568, 571,
Beziehung 43,63, 83, 103, 181, 240, 378f., 515, 526f. 582, 585, 587, 589 Dmon (s. auch Angst, dmonische;
197, 209f., 215-217, 219f., 235, Bildungsarbeit 580, 593 Christenheit/Christentum 10, 18, Teufel) 86, 108, 296f., 300,
243, 261, 264, 279f., 284, 286, Bildungstheorie, christliche 515 49,79,101-108,111-113,118, 310,336,366,370,460,463,
291,302,316-318,321,329- Binnendifferenzierung 32-36, 593- 124-126,135, 14lf., 168,295, 472-474, 482f., 489-492, 508,
332, 336,339,341,362f., 370, 595 297,332,359,382,476,595 623, 639
376,391,393, 396, 399f., 403, Biographie (s. auchordo salutis) Christologie s. Jesus Christus Dankbarkeit 65, 163, 381
435,438,448,458, 460f., 477, 348,477 Christologie von oben 307 Dank(-gebet) 65, 301, 559
496f., 502, 512514, 594, 606f., BischoflBischofsamt 166, 584, 586, Christologie von unten 307 Darstellung 31, 112, 129;180, 246,
632, 635, 647 589f. Christus s. Jesus Christus; Messias 300,436,542,550
Beziehungsgeschehen 71, 242, 246, Bittgebet 65, 283, 296, 30lf., 374 Christusbuch 130 Dasein s. Existenz; Leben
252,263,265,276,279,363, bonum s. Gutes Christusgeschehen 545 Deduktion 7f., 23, 29, 76,201,
526, 635 Bses 25, 87, 122, 164,220,223, Christusgemheit 139, 155, 157 299,307
Beziehungslosigkeit s. Verhltnis- 295,310,323,325,366,370, Christusoffenbarung s. Offenbarung Definition 7f., 5lf., 58, 71, 115,
losigkeit 413, 448f., 457, 463, 467-477, claritas 136 147,208,212,236-238,269,
Bibel (s. auch Kanon; Mitte der 485, 490-493, 498, 500, 504, cognitio 236 284, 353, 360,430, 432f., 520,
Schrift) 33,41,59,65,79,94, 508f., 527f., 58lf., 602, 607; communicatio idiomatum 346 620, 630, 632
100,111-139,144,150-155, 614, 617, 619, 621, 623f. comprehensio 236 Deismus 288, 290
157-159,166, 178f., 182, 191, Bote Gottes 283, 296-300 concupiscentia 461 Dekalog 108, 125f., 156, 531
212, 236f., 241, 254-256, 258, Botschaft, christliche 12f., 18, 30f., concursus 290-293 Dekan 589f.
266,268,283, 285, 297-299, 108, 131, 140, 150f., 154f., confessio (s. auch Bekenntnis) 148 Dekanat (s. auch Kirchenkreis) 589
315, 322, 328f., 336,345, 348, 157,179, 182f., 192, 298f., Confessio Augustana 13,87, 143, Demut 353, 524
360, 363, 368, 373, 377,385, 303f.,309,311, 317, 328, 358, 149, 160f., 165f., 237, 258, Demiurg 413
39lf., 400,412,418,425-427, 456,493,570, 609,625, 628, 358,461,475, 48lf., 51lf., Denken 14,16,25,38,65,82,122,
429, 434f., 439, 450, 456-462, 639 527, 533, 540, 570, 575, 580f., 169,209,212,214,219,230,
465,467-469, 475f., 480, 484- Brudermord 290 583,586,611-613,617,637, 265,278,297,299,321, 327,
487,491, 497,507f., 510f., Buch112,124,227 639 342-347,354,357,361-363,
523, 530, 536, 563-565, 584, Buddhismus 55,191,413 confessio oris 568 372, 378f., 385, 390, 397, 399,
592, 596, 604f.,612, 635, 637, Bund 125, 312, 316, 419, 435, 498 conscientia s. Gewissen 405,432,607
639f., 642, 646,648 Bundestteue s. Gerechtigkeit conservatio s. Erhaltung Deontologie 162, 375
Bibel, hebrische bzw. jdische 124- Bue 139, 289, 311, 324, 543, 648 consubstantialis s. Wesenseinheit descensus ad inferos s. Reich des
127 cooperatio 290-292 Todes
Bibelauslegung s. Exegese; Inter- Calvinismus (s. auch reformierte cor s. Herz desperatio s. Verzweiflung
pretation; Schriftauslegung Kirche) 143,528,560 coram Deo 163 determinatio s. Begrenzung
Bibelautoritt 111, 114-120, 124- ca.usa instrumentalis 292 corpus permixtum 166 Determinismus 95, 211, 258, 260,
126, 130, 133, 137, 139 causa prima 291 corredemptrix s. Miterlserin 264, 289f., 295, 479
Bibelkritik 120, 138f., 159 causa secunda 29lf. creatio (s. auch Schpfung) 287, Deus absconditus (s. auch Verborgen-
Bibellesung 65, 592 causa sui 250, 272 423 heit Gottes) 280
Biblizismus 129 certitudo s. Gewiheit, creatio ex nihilo 409, 420-423, 621, Deus revelatus s. Offenbarung;
Bild 50, 93, 127, 162, 179,216, Chalcedonense 342f., 345 631 Selbstoffenbarung Gottes
245-247, 253f., 278, 285, 293, character indelebilis 549,552 creatio continua(ta) 287, 423f. Deutschland 17, 178, 188, 487, 595
694 Begriffsregister Begriffsregister 695

Deutung (s. auch Interpretation) 14, Ebenbild Gottes 246,345,427, EmpfnglichkeitlEmpfngnis 59, 65, Erfahrungsrnglichkeit 600
38, 50f., 54, 64, 72, 78, 84-86, 434-438,451, 470f., 480, 503; 69, 81, 83f., 86-88, 112, 161- Erfllung (s. auch Leben, erflltes)
175, 181,204,251,327, 537, 51~519,527,545,616 163, 167f., 210, 227, 229, 267, 59, 63, 12M., 160, 162, 230,
540, 566f. ecclesia invisibilis (s. auch Kirche, 291, 302, 350-353, 359, 369, 263, 316, 333, 361, 492, 517f.,
Diakonie 30, 192, 579, 593 verborgene) 572 382,479,510-513,517,529, 521,603,641,646
Dialektische Theologie 55 ecclesia peregrinans 599 534,540,552,561,565,569, Ergebung 271
Dialog 109, 302, 385, 432, 461, 577 ecclesia semper reformanda 73 592 Erhabenheit 222
Differenz(ierung) (s. auch Unter- ecclesia visibilis (s. auch Kirche, Empirie 24, 29,134,170,215; 380, Erhaltung (s. auch conservatio;
scheidung; Unterschied) 7, 15, sichtbare) 572 457 creatio continua[ta]) 165, 288,
32,49-51, 53f., 74, 111, 134, effitacia 115 Endlichkeit 262, 264, 266, 285, 290, 293, 295, 373, 392f.,
137, 142f., 170, 174, 176, 178, Egoismus s. Selbstsucht 415f., 447, 455, 488, 521, 600, 423f., 427, 509, 543f., 581
184,187,201,204,246,254, Ehe 526, 541, 543 603,606,622,633,641,648 Erhaltungsinteresse 10, 19, 34, 54
274,299,344,346,365,391, Ehre Gottes 21, 281,329,378,460, Energie 361; 417 Erhhung 91, 306, 313f., 335f.,
398, 404f., 503, 610, 627, 632 533 Engel 283, 296-300,340,413,472, 346, 353, 541, 642
Dilemma (s.auch Aporie) 214, 284, Eigenleibgewiheit 538 489,492 Erhrung 453
509,526,617,620,634,636 Eigenschaften der Kirche s. Kirche Enhypostasie 347 Erinnerung (s. auch Gedenken) 173,
directio s. Leitung Eigenschaften des Menschen 248, Entfremdung 464, 600 231f., 330,473, 502,552-556
Dissens 37f., 110, 144, 544 346,436 Entscheidung 16, 89, 154, 185,273, Erkenntnis 25f., 38, 40, 50, 56, 63,
Distanz 254f., 400 Eigenschaften Gottes s. Gott 286, 311,553f.,597, 612, 643 67, 71-73, 75f., 82, 89, 91f.,
Disziplinen der Theologie 28-37 Eigensucht s. Selbstsucht Entwicklungspsychologie 428, 487, 99,123,170-172, 174f., 180,
Dogma 22,33,79, 141f., 146-148, Eingebung s. Inspiration 512-515 195-207,216-225, 228f., 231,
158,352,404 Einheit der Kirche s. Kirche Enzyklopdie, theologische 29 236, 26Of., 275, 278, 287, 319,
Dogmatik 3f., 12, 28, 36-44, 63, Einheit der Theologie 29-32 Ephesus s. Konzil von Ephesus 326, 339, 362f., 365, 367-369,
95f., 125, 129, 139, 141f., 144, Einheit des gttlichen Wirkens Epiphanie 108, 125 372, 375f., 379, 385, 387, 392-
146, 148, 159, 177f., 181, 183, 394f.,403 Erbarmen 320, 648 394,428,441,450,455,467,
187,196,207,247,269,282, Einheit des Kanons 134f., 138 Erbauung 383 469f., 480, 495f., 499f., 508,
300,315,321,324,351,357, Einheit Gottes s. Gott Erbsnde 53, 353, 456, 475-480, 485 510, 534, 607, 641f.
359,382, 384f., 391f., 399, Einsamkeit 368, 523 Erde 213, 241, 265,308,355,419, Erkenntnis, produktive s. produktiver
424, 443, 446, 468, 507, 567, Einsetzung 347f., 405, 541-543, 425-427,477,487,622,648 Aspekt der Erkenntnis
569f., 593, 600f., 609 583 Erde, neue 285, 451, 454, 622, 634 Erkenntnis, rezeptive s. rezeptiver
Dogmatisierung 144, 561 Einsetzungsworte 537, 599f. Ereignis (s. auch Geschehen) 56, 91, Aspekt der Erkenntnis
Dogmatismus 147 Einzigkeit 236,239,306, 339, 385- 112, 118, 121, 177,202,219, Erkenntnisakt 197-200,202-207,231
Dogmenbildung 315, 342, 345 391, 618f. 277-279, 283f., 287f., 290, 311, Erkenntnisgegenstand 197f., 200,
Dogmengeschichte 35, 342, 352, Ekklesiologie s. Kirche 313,358,394,401,403,405, 202,204-207,216-221,229,260
363,388 Ekstase 240, 382f. 512,538 Erkenntnisinhalt 198f., 203, 20M.
Dogmenhermeneutik 404 Element 170, 274, 284, 294, 332, Erfahrung 60, 62, 71, 110, 146, Erkenntnisinteresse 10, 54, 216-
dominium terrae s. Herrschaftsauf- 334,356,360,365,373,392- 164,170,174,178,180,201, 218,261,439
.trag; Schpfungsauftrag 395,431,535,542, 560f., 563 205,220, 228f., 239, 261, 281, Erkenntnismglichkeit 450, 467
Dreieinigkeit Gottes (s. auch Elementarisierung 187 299,301,313,324,349,358, Erkenntnisordnung 41,307
immanente Trinitt; ko- Elementarstruktur 591f., 594 382, 390,443-446,450,455, Erkenntnisprinzip 361
nomische Trinitt) 41-43, 250, Eltern 155, 294, 378, 419, 434, 457,467,470,477,480,491, Erkenntnisproze 82f., 179, 198,
253, 278f., 307, 342, 352, 354, 462,464,467,476,481,513, 494, 496-499, 500f., 503, 511, 206, 21M.
384-405 549,552-557, 566f., 584 513-515,518,526,534, 554f., Erkenntnissubjekt 198-201, 203,
Du 210, 249f. Emanation 411-414 593,595, 603, 605, 607, 617, 205f., 215, 217f., 229, 260,
Dualismus 223, 413f., 472, 490,619 Embryo 433 629 600,604f.
696 Begriffsregister Begriffsregister 697

Erkenntnistheorie 174, 193, 196f., Eucha.ristie 537, 558 Fantasie 215, 235, 274f. Fundamentaltheologie 40, 43
212,218,223,225,307,534 Europa 178, 188, 191 Fegefeuer 644 Funktion 10f., 28-30, 32, 36, 38, 118,
Erkenntnisweg 40f. Euthanasie 519 Feier 112,563,570,574, 576f., 273,299,353,388,426-428,453,
Erleuchtung 115, 229, 281, 328, Evangelisation 78, 577 580,59lf. 527,529,585,587,593
368, 373, 393-397, 495f., 499f. Evangelische Kirche (s. auch Feindesliebe 311, 323, 518, 520f. Furcht s. Angst
Erlsung 42,165,315,317,322, ReformatoriSche Kirchen) 74, Feminismus 131,456,483
335-339, 356, 387, 393, 490, 105,141,190,543,568,572, Festkalender 156 Gabe 66, 267, 302, 358-360, 364f.,
607,624,626,636,640 579;642 fides infantium s. Sl1glingsglaube 369,378-383,400,419,586
Ermglichungsgeschehen.278,398- Evangelium 59, 101, 112, 143-145, fides qua creditur 30f. Ganzheitlichkeit 27,436,545,603
403, 405, 485, 493, 495, 498f., 161-167,303-306,313; 358, fides quae creditur 30f. Ganztod 63lf.
503, 509f., 543f. 382,390,456,478,493,498, fides quaerens intellectum 12, 208, Gebet 65, 112,149,227,255,257,
Ermglichungsgrund 67, 249, 251 501-503, 505, 516, 528-532, 229 271, 283, 288, 300-302, 349,
Erniedrigung (Christi) 306 538,542, 547f., 570f., 574-579, fiducia s. Vertrauen 374,381,453,546,568,575,
Eros 238-241,350,506 587-589, 591f., 595-598, 609 c Fiktion 215f.,449 582
Erscheinung(sform) (s. auch 612, 615, 619, 626, 628, 640f., Filioque 403-405 Gebot 100, 147, 160, 162,271,
Phnomen) 49-54, 73-79; 123, 643 Finanzen 572, 578, 588, 595 289, 312,457,459-461,469,
192,215,299,313,457,480- Evidenz 22 Firmung 545f. 471,512, 518f., 521-523, 525,
485, 494f., 499f., 503, 561, 573 Evolution 204, 272, 410,428,454 Florenz s. Konzil von Florenz 528-531,542,641
Erschlieungsgeschehen 60, 63, 68, Ewigkeit 257, 262-264, 266, 275, Fluch 371, 487 Geburt 254, 349-351, 399f., 403,
71, 81-89, 107, 122, 180, 228f., 334,338, 340, 344,346, 354, Frage(stellung) 179f., 182, 226-228, 433, 462, 549, 554f.
292,317,361,372,403,414, 400,507-509,605,612,617, 348f., 386-388, 399,404,415, Gedenken (s. auch Erinnerung) 556,
432,437, 450, 452, 496, 514, 619-621, 623, 632, 638, 643, 454,467f., 604, 609 631
545,550,554,566,591 645-648 Fragment/Fragmentarisches 64, 103, Gedicht 282
Erstkommunion 566 exaltatio s. Erhhung 135,163f., 175, 259, 26lf., Geduld 263, 443, 486, 507
Erwachsene 70, 551, 567 Exegese 129, 133f., 296, 348, 355, 267,276, 337, 383, 502, 506, Gefhl 57, 64, 66-68, 70, 122, 188-
Erwachsenentaufe 548, 551-555 435f., 438, 468, 471, 487, 490, 595,602-605,609,628,646f. 191,229,238,258,260,321,
Erwhlung (s. auch Prdestination; 497; 507, 523,541 Frau 186, 213, 253-255, 313, 349f., 362, 368, 438, 448f., 452f.,
Wahl) 25, 125, 304, 505-510, exinanitio s. Erniedrigung 355f.,436,483f.~486 478f., 481, 486, 497, 502f.,
611,618 Existenz 24f., 64f., 68, 212; 215, Freiheit 89, 167, 188,238,243, 516,567
Erweckungsbewegung 192 220,222,227,231,235,251, 248, 250,259, 265, 280, 288, Gegenwart 3lf., 34,79, 168f., 172-
Erzhlung 112, 247, 537, 567 269,271,274-276,286,299, 366,424, 432,448f., 473f., 174, 176, 178f., 182f., 185,
Erziehung 39, 556f., 565, 584 319, 346f., 393f., 400f., 404, 479,484,519,603,628 188,190,262,280,361,418,
Es 249f. 414,418,428, 434f., 438, Freikirche 143, 595"599 462,483
EschatologielEschaton s. Vollendung 447f., 463f., 470, 473, 481, Freispruch 273, 452f., 504 Gegenwart Gottes (s.auch Allgegen-
der Welt 499,511,521,540,545,549, Freizeit 184-188 wart) 264-266, 301, 309f., 344,
Eschatologie, axiologische 640 580,634,636, 638f., 647 Freude 68, 102,426,439 363,375,377, 383f., 392, 398,
Eschatologie, futurische 510, 640 Existenz, theologische 22, 65, 320 Freundschaft 497,521,526 450,558
Eschatologie, prsentische 605, 607, Exklusivitt 97-99, 10lf., 118 Friede 308f., 582, 648 Gehalt 4,7,10,12-14,18,21,28,
640 Exkommunikation 565 Frmmigkeit 34, 192, 256, 351, 30f., 38, 81, 83-85, 88, 93,
Eschatologie, teleologische 640 Exodus 125 374,471 96f.,10lf., 105f., 112, 116f.,
Ethik (s. auch Wissenschaftsethik) Frucht 162f., 368f., 635 119, 121, 123-125, 129f., 135-
36, 38-40,57, 63, 106, 130, FalsifikationlFalsifizierbarkeit 9, Frbitte 65,296, 298, 30lf., 374, 137, 142, 148-150, 156, 159f.,
143,311,315,323,374,380, 23f.,206f. 546,594f. 162, 180, 190, 196, 198f., 203,
425, 432f., 462f., 491, 519f., Familie 155, 352, 525f., 553,556, Fundamentalismus 230 20M., 304, 319, 359, 390,493,
524,528,582 584 Fundamentalkonsens 110, 143 579
698 Begriffsregister Begriffsregister 699

Geheimnis 15, 95f., 181,207, 217, Geschehen (s. auch Ereignis) 100, 137, Geste/Gestik 179, 238, 281, 301, Glaubensbekenntnis (s. auch
227, 236, 239, 247, 261, 309f., 308, 363, 419, 423, 493, 502, 546,579 Bekenntnis) 30f., 41,113,156,
343,347,385,517,601,627,635 516, 549, 560, 567f., 571, 577 Gesundheit (s. auch Krankenheilung; 165,396
Gehorsam 122, 159,271,470,529, Geschichte/Geschichtlichkeit 29,31, Krankheit) 302, 433, 473, 555 Glaubenserkenntnis 230-232
582, 641 34,37,41,49, 52f., 69, 72-74, Gewalt 259, 290, 336-339, 358, Glaubensgewiheit s. Gewiheit
Geist (s. auch Heiliger Geist) 87, 77-80, 86, 94f., 103, 105, 111- 457, 482, 581 Glaubensheilung (s. auch Geisthei-
124,245,265,290,357,359, 113, 118, 129, 132, 140, 144, Gewiheit 19, 22f., 60-63, 68, 70, lung; Wunderheilung) 381
360-366, 370-372, 377f., 380, 154, 168, 171f., 174f., 178, 86, 89, 91, 107, 109, 115, 117, Glaubensinhalt 28, 30-32, 105, 115,
390, 393, 396, 401, 404, 489f., 183, 188,283,285,287-296, 120-122, 124, 159, 181, 197, 359
499,538, 635f., 638, 645, 647 303, 307f., 313, 318, 340, 346, 227, 230f., 259, 289, 301, Glaubenstaufe 551
Geistbegabung 118f., 436 348, 370, 386-388, 390, 392f., 313f., 319, 334, 357-359, 368, Glaubensvollzug 359
Geistheilung (s. auch Glaubenshei- 397, 421, 476f., 483f., 520, 373, 380, 390, 393-395, 397, Glaubenszeugnis s. Zeugnis
lung; Wunderheilung) 381 601,606,608,627,631,634, 510, 574, 577, 600, 605, 625f. Gleichnisse Jesu (s. auch Parabeln
Geistmitteilung 122, 362, 545f. 638,640,644,647 Gewissen 66, 107, 166f., 456, 581f. Jesu) 279, 281f., 310, 318, 320,
Geistverleihung 362 Geschick Jesu Christi s. Jesus Glubigkeit 615 573
Geistwirken s. Heiliger Geist Christus Glaube (s. auch sola fidel 10,20, Gleichzeitigkeit 220, 262
Geltung(sanspruch) 11, 26, 73, 78, GeschlechtiGeschlechtlichkeit 123 32,49,54-71, 82, 84, 89, 101, Gliederung der Dogmatik 4, 40-45
102, 106, 126, 137, 148, 181 Geschlechterdifferenz 253, 435f., 107, 109,112, 115, 117, 119, Glossolalie s. Zungenrede
Gemeinde 156, 192, 332, 371, 383, 483f.,571 130,134,149, 153, 160~165, Gnade (s. auch sola gratial 25, 94,
490,539, 556f., 561, 564, 566, Geschlechterrolle 175, 435 178-181, 195,203,216,221, 161f., 267, 312, 325, 339, 344,
580, 585f., 588-595 Geschpf/Geschpflichkeit 65f., 75, 224,227,237,259,270,283, 353,393,454,456,479,494,
Gemeindearbeit 157, 592 161, 190, 254f., 258, 261, 265, 290, 293,296, 302-306, 308, 499,505,624-626,643
Gemeindebeichte 568 277,291,299, 370, 398-400, 313,321,334, 340f., 348, 350, Gnosis 413
Gemeindetheologie s. Laientheologie 409,414,424-439,444,447, 357f., 372-374, 379, 381-383, Gtze (s. auch Abgott) 210, 240, 522
Gemeindeversammlung 589 466, 469f., 472-474, 477, 489, 385, 390f., 400, 440f., 443-446, Gott (s. auch Dreieinigkeit Gottes)
Gemeinschaft 11, 32-34, 52, 65, 507f., 519f., 618f., 622f., 627, 455,461,477,490,510-516, 13,21,24f.,30f.,42,5~61,
118, 134, 140f., 146, 148f., 631, 636, 638, 640, 645, 648 527, 529, 531, 548-552, 554f., 63-65, 68, 70, 83, 86, 88, 90f.,
151, 154f.,165[, 191f.,311, Geschwisterliebe 518, 520 561,564,570-575,583,585, 97-99, 104f., 108, 116, 159-
316f., 327f., 346, 363, 366, Gesellschaft 3, 12, 17, 37, 136, 169, 597f., 605, 611-615, 624-626, 167, 180, 195-197,207-213,
373-376,430,457-461,539, 175, 178,185,188,191f.,254, 633, 635, 637f., 643-645 216f., 235-302, 308, 310, 316-
544,559,566, 570-578, 586, 270,325,367,456, 463f., 476, Glaube, christlicher (s. auch Wesen 323, 329, 332, 335-339, 342,
637 480,484, 525f., 569, 572, 579, des christlichen Glaubens) 10- 344, 346f., 356f., 360-366, 377,
Gentechnologie 448[ 581,593,596-599 15, 18, 23f., 29-36, 38, 44, 59, 385, 387, 389f., 399f., 405,
Genugtuung 328f. Gesellschaftsstruktur (s. auch Struk- 63,71-80,90,97,105-108, 409-415,417,419,421,424,
Gerechtigkeit 93, 101, 160-164, tur, soziale) 114,464,481, 525[ 110, 113, 117, 124, 128, 137, 426-430, 434-455, 460, 466,
257, 266f., 304, 325f., 331, Gesetz 112, 160-162, 164, 310, 140, 146, 150, 155f., 159, 469-474,481,486, 488, 497f.,
334, 338f., 344, 356, 435, 441, 336f., 460, 470, 478, 487, 505, 168f., 173, 176f., 181-183, 190, 500, 506f., 515, 521f., 531,
445,447,459, 495f., 499, 503, 528-532, 613, 616 341,363f~368,37~373f~ 533,545,562,571,581, 602f.,
508,643 Gesetz und Evangelium 127, 504, 377, 379, 381f., 385, 402, 409, 605f., 609, 616, 621, 626, 628,
Gericht (s. auch Richter) 94, 244, 528-532 411-413,424, 433f., 445, 448, 632, 635, 647-649
309,311,315, 366, 563-565, Gestalt 64, 87, 90, 93, 100-102, 450-452,454[,472,490,514, - Eigenschaften 235f., 243, 255-
573, 601, 612-615, 624, 629, 105, lllf~ 115f., 120, 155, 516f., 536, 545, 547, 555-557, 269, 285, 303, 325, 343, 445f.,
636-645 170f., 345, 401-403, 414, 493, 576, 581, 591, 611, 614, 635, 627,645
Gesangbuch 209, 231, 237, 255, 495,532,534,539, 549, 573f., 647 - Einheit 256f., 388-391, 396-398,
300,429,521, 608, 621 590f., 630 Glaubensakt 30-32,60,105,359,391 401,404f.
700 Begriffsregister Begriffsregister 701

- Geist s. Heiliger Geist Gotteslehre (s. auch Dreieinigkeit) Handlungsvollzug 541-544, 546f., Heilsuniversalismuss. Universalismus
- Handeln 248, 278, 283-285, 549 43, 196, 235-302, 321, 344, 592 Heilsverheiung 126, 541-546, 549
- Mtterlichkeit 253-255 354,384,389,409,518, 609, Handlungszusammenhang 294,538, Heilsweg 160
- Personalitt 236, 248-255, 385, 398 618, 645 561 Heilswerk Jesu Christi 314-326,
- Sein 235, 363, 372,384, 392, Gottesliebe 100, 160-162, 376, 518, Hauchung 403 333, 335, 339f., 342, 356, 392,
396, 398f., 403, 410 521-525 Heidelberger Disputation 100, 207, 539,583,602,611,648
- Vterlichkeit 253-255, 420 Gottesoffenbarung s. Offenbarung 280f., 423 Heilszusage (s. auch Verheiung; Zu-
- Verborgenheit s. Verborgenheit Gottessohnschaft (s. auch Sohn Heidelberger Katechismus 158, 160, sage) 149, 31lf., 555, 625, 643
Gottes Gottes) 347"349 162f.,316,338,461f.,46~ Heilung s. Krankenheilung
- Werk s. Werk Gottes Gottesverstndnis 43f., 83, 86, 106, 475,564,637,639 Hermeneutik 33, 79f., 114, 12lf.,
- Wesen 25,83,86,91,93,99, 195,256;273,296,312,321, Heiden(christen) 99, 126 12~ 131-133, 136f., 13~ 150f.,
108,235-248, 258f., 261, 268, 327,332,354,384,435,533, Heil 58f., 61, 65, 94f., 97-102, 108, 158f., 167, 248, 435, 561, 596
285f., 310,320, 325, 329, 333, 542, 610, 612, 619f. 115, 126, 137, 160-162, 167, Herr 9lf., 108, 254f., 305, 338f:,
343-345, 350, 354f., 359, 363f., Gotteswerks. Werk Gottes 183, 196,236,266,291,295, 341, 353, 358, 371, 377, 386,
375, 386f., 391, 398,400,403, Gottvertrauen s. Vertrauen 300,303f.,306,309-311,31~ 388f.,400
414,436,439, 45lf., 466,472, gratia infusa 162 317, 320, 340, 342f., 354, 357, Herrlichkeit 93,101,304,314,
497,507,509,522,533,571, Gravitation 416f. 359, 364f., 370, 390, 402, 437, 452,507,607,630,636
608, 613, 615, 619f., 649 Grenze/Grenzsituation 226, 229, 450,461,480,493-507,510- Herrschaftsauftrag (s. auch dominium
- Wille 92, 108, 125f., 271, 293, 237, 244-248, 258,294, 348, 515, 517, 526f., 529, 532f., terrae; Schpfungsauftrag) 435,
310,312~318f.,338,353,366, 380,390,449 540, 546, 569f., 60lf., 609-611, 437-439
369,421,446, 465f., 476, 507, Grund (des Seienden) 85, 210f., 616, 620, 625-628, 636, 628f., Herrschaftswechsel 336, 338f.
529-531,581, 621, 647 251-254,259,273,279,289, 643f. Hervorgehen 403
- Wirken 18, 25, 39, 42, 227, 235, 322,326,337,350,357,365, Heilige 165f., 296, 373-376, 570 Herz 57, 62, 66, 95, 160, 209f.,
242,265,272,276,278,282- 381,386, 389, 391, 414, 418- Heiliger Geist 18, 4lf., 115, 12lf., 225,230,239,241,243,246,
303,314, 319f., 329, 339, 424,439,452,496,533 162, 166,250,302,335, 349, 261, 269, 294f., 336, 346; 355,
354f., 359, 390, 392-398, 405, gubernatio 290 351,355,357-385,388-391, 368, 477f., 518, 522, 526
410,419, 42lf., 426, 508, 539, Gltigkeit s. Geltung(sanspruch) 393, 396, 398-400, 403-405, Herzensbeichte 568
580,616 Gte 222f., 254, 257, 266f., 269, 498, 528, 530, 533, 546, 555, Himrnel167, 241, 265, 309, 339f.,
- Wirklichkeit 252f., 269-282, 302 273,339,344,355,441,445f., 570, 574, 580, 635f. 348,353,355,419, 425f., 490,
Gottebenbildlichkeit s. Ebenbild 453 Heiligkeit 257, 267-269, 325f., 344, 543, 611, 622, 648
Gottes GutlGutes/Gutheit 56, 58f., 63, 366,374,497,643 Himmel, neuer 285, 451, 454, 622,
Gottesangst 482 223, 240f., 366, 426, 428, 445, Heiligung 356, 358, 362, 372-377, 634
Gottesbeweis 67, 208, 222, 224, 270 449,470,491,504,519,524, 382,497-500,503 Himmelfahrt 298,314
Gottesbild 290,326,445,482,500, 530,614 Heillosigkeit 320, 456, 484, 495, Hinderung 293-295
513 497,529f. Hinduismus 55, 413
Gottesdienst 65, 156, 191, 532, Hades s. Reich des Todes Heilsbedeutung 90, 305-307, 328, Hingabe (s.a. Selbsteingabe) 57f.,
540, 566, 568, 579f., 592-594 Hresie 147 347,387 333,506,522,526,633
Gotteserkenntnis 99f., 195-197, Hamartiologie s. Snde Heilserfahrung 511, 536, 604f. Hirntod 433, 633
207-212,217-232,235,500 Handauflegung 545, 586 Heilsgeschehen 304, 351, 353, 372f., Historie s. Geschichte
Gottesfurcht 461, 48lf. HandelnIHandlung 38f., 58f., 64, 492,502,545, 550, 56lf., 648 Historisch-Kritische Forschung 132,
Gottesgebrerin 352 132,160,169,179,248,250, Heilsgeschichte 42f., 95, 39lf., 396 308
Gottesherrschaft 92, 101,304, 287f., 292, 294, 341, 362, 438, Heilgewiheit s. Gewiheit Hochschulgemeinde 592
308f., 31lf., 315, 317f., 320, 475,479,497,502,525,597, Heilsmittel111, 494, 511-515, 532- Hlle 263, 339,449, 568, 611, 616,
340, 370, 387,490, 493, 498, 612-614, 633 547, 549f., 562, 565, 567, 574, 620f., 637f.
507,520,559,602,625 Handlungsdisposition 58, 64 576,611 Hllenstrafe 620f., 641
702 Begriffsregister Begriffsregister 703

Hoffnung 41, 57f., 63, 66, 71, 94, 382f., 398, 428, 433, 463, 466, 79,88-102,105, 107f., 111-113, Kanonbildung 33, 113f., 118f., 135
110,130,164,173,202,224, 476f., 480f., 484, 519f., 525f., 115f., 119-121, 124-128, 132, Katechismus (s. auch Heidelberger
228,257,262,271,282,289, 538f., 571, 640 134, 136-140, 143, 159, 161f., Katechismus) 156
308, 328, 330, 359, 373, 377, Induktion 7-9, 29, 76, 219 166, 213, 224, 228, 236, 246, Katechismus, Groer 61, 150, 158,
383,450-455,478,485,487f., Information 184, 229, 311, 361 253, 260, 263, 265f., 281, 286, 160, 209f., 237, 241, 339, 346,
490, 525, 543, 605,607, 609, Inhalt s. Gehalt 290,292,295,297,301,303-358, 354f.,372,402,436,552,
624,626-628,631,635,638, Inkarnation 306, 350, 354, 370, 370-372, 374f., 382, 384-393, 567f., 637
642f., 645f., 648 400,402,405,471,539 396, 401, 405, 414, 436, 450, Katechismus, Kleiner 150, 158, 160,
Hoheitstitel, christologische(r) 340f. Inkorporation 545 490,493-497,503,531,539,545, 237, 298, 337f., 342, 358,
Hoherpriester 346, 583 InspirationlInspirationslehre 81, 548, 558-563, 575,591, 619, 372f., 400, 418-420, 422f., 512,
Homousie s. Wesenseinheit 117-124,130,292,318,393, 625f., 635, 637, 640, 642-644, 564,570,577,637
Humanitt 432f. 39M., 534 648 Kategorie/kategorial (s. auch
Humanwissenschaften 429f. Institution 11f., 14f., 17, 30, 34, - mter 306, 314-326, 583 Unterschied, kategorialer) 75,
Humor 64 105, 140, 155, 175, 177, 185f., - Geschick 72, 92f., 305f., 314, 106,250,252,363,420
Hybris 160, 356, 386,443,462, 197,295,333,368,52M., 319, 341f., 386 Kategorienfehler 75
465,475 569f., 572,578,581,587 - Leben 79, 91f., 96, 471,547, 558f. Katholizismus s. Rmisch-
Hypostase s. Seinsweise Integritt 217, 438, 499, 513 - Person 72, 90, 92f., 111, 137, katholische Kirche
HypotheselHypothesenbildung (s. Intellekt 536f. 236,281, 303, 30M., 314, 316, Katholizitt 575
auch Abduktion) 22f., 29f., 76, Interpretation 31, 33f., 50f., 64, 72, 339-356,371,387,436,450, KausalbeziehunglKausalitt 200,
218f., 272f., 628 78,84-86,90,111,114,128- 493,503,533 353, 410f., 417-419, 421
138, 140f~ 143, 145f., 148, - Stnde 306 kausative Bedeutung 550
Ich 249, 463 lSOf., 153-155, 157-159, 167, - Ursprung 347-356,412 Kernenergienutzung 439
Ideal 27, 56 171, 175, 182, 190, 199f., - Verkndigung 79, 90f., 245, 304- Kerygma s. Botschaft, christliche
Idealismus, Deutscher 363 20M., 228, 242, 251f., 255, 312,315,318,327,335,340- Kind 65, 155, 186, 189,254,351,
Idee 28f., 72,104 305, 323, 349f., 365, 392, 394, 342,347,386,493,522,639 362,372,400,414, 433f., 481,
Idee, regulative 9, 132f. 404,455,502 - Werk 236, 303, 30M., 314-326, 486,514,549,551-557,566f.,
Identitt 19, 31, 33, 44, 53-55,74, Interpretationsrahmen 145, 332 337,356,602 584
78,90, 102, 112f., 116, 140- Irrtum 20f., 97, 106, 110, 116, 122, - Wirken 72, 90f., 304-312, 315, Kindererziehung s. Erziehung
142,145,155,242,354,364, 135, 198, 200f., 230, 247, 289, 319, 327f., 335f., 340-342, Kinderglaube 68, 551f.
371,377,396,400,423,448, 299,337,375,388,396,495 347f., 380,386, 471, 490, 541, Kindergottesdienst 557,567,593
502,513,538,548,561,603, Irrtumsfhigkeit 9, 105, 123, 133 546,559 Kindersegnung 555
606, 631, 634f. Irrtumslosigkeit (s. auch Unfehlbar- Journalismus 175 Kindertaufe s. Suglingstaufe
Ideologie 17,27, 86, 175, 545, 576 keit) 116, 120, 122 Judentum 10, 52, 55, 101, 108, Kirche(n) 3, 11, 13, 24, 30, 33,
Ideologiekritik 339, 534, 545 Irrtumsmglichkeit 146, 175, 198, 112f., 118, 124-126, 135, 297, 41f., 52, 65, 73, 76, 90f., 105,
IllusionlIllusionsverdacht 61, 203, 206 305,332,355,385,409,411, 113f., 134, 136, 139-157, 161,
269-271, 305 Islam 10, 52, 55, 101, 124, 191, 471,616 165f., 175, 186, 190f., 196,
imago 345, 435, 437 312,385,409,412 Jnger 93, 309, 313, 370, 547, 555, 212,269,373,380,393,456,
imago Dei s. Ebenbild Gottes Israel 94, 108,125-127,308,312,507 559,562,591 493, 547f., 559, 569-599
impeditio s. Hinderung Jugendarbeit 593 - Auftrag 192, 556, 569f., 576-582,
impulsus ad scribendum (s. auch Jahwe s. Gott Jugend(liche) 70, 191,477,593, 586-588,590-594,598f.
Inspiration) 121f. Jesus Christus (s. auch Auferstehung! 646 - Eigenschaften 570, 574-576
incurvatio in seipsum 523, 578 Auferweckung; Erhhung; Ernie- Jungfrauengeburt 349f., 352, 400 - Einheit 134,141,143,145, 574f.,
Individualethik 525 drigung; Heilswerk; KreuzIKreu- 595
IndividualittlIndividuum 51, 71, zigung; Kreuzestod; Wesen Jesu Kanon 33,111-118,124, 134f., - falsche 166, 575f.
85, 170,248f~252,368,378f., Christi) 23f., 27, 32, 42, 59, 72, 141,630 - Kennzeichen 570,574-576,586,594
704 Begriffsregistei Begriffsregistei 705

- Leitung 30, 588-590 Kompetenz, rituelle 587 Konzil von Cha1cedon342f. Laie 583f., 596
- rechte 586, 594, 598 Kompetenz, theologische 13, 31, Konzil von Ephesus 352 Laientheologie (s.auch Gemein-
- sichtbare 540, 544, 571-576, 582, 380,587 Konzil von Florenz 543 detheologie) 13, 65, 380
586,590,598 Komplexitt 184, 186f., 250, 342 Konzil von Konstantinopel (s. auch Landeskirche 156, 525, 556, 589f.,
- Struktur 569f., 573f., 590-599 Komplexittsreduktion 187 Nicaenum) 388, 404 595
- Theorie 569f. Komplexittssteigerung 184-187, Konzil von Nicaea (s. auch Nicae- Langmut s. Geduld
- verborgene 374, 548, 571-576 387 num) 388 Lastenausgleich 595
- wahre 575f. Kondeszendenz 306 Konzil von Toledo 397 Laterankonzil 568
- Wesen 52, 494, 539, 569-578, KonfessionIKonfessionalitt 19, 33, Konzil von Trient 114, 543, 561 Leben 33f., 57-61, 63-65, 68, 70,
583, 590-593 37, 134, 140-142, 144f., 149, Koprsenz 142, 539 78, 89, 98 c101, 112, 133, 140,
Kirchengemeinschaft 143, 146, 594, 315,544,550,571,594f. Koran 124 146,155f., 164,16~ 17~ 188-
597"599 KonfirmandenarbeitIKonfirmanden- Korrelation(smethode) 180 191,201, 231f., 245, 247, 263,
Kirchengeschichte 35f., 90, 142- unterricht 12, 156, 556f. Kosmos (s. auch Universum) 308, 281f.,288,302,314,31~
144, 147,379,388,459,476, Konfirmation 191, 545f. 566f. 417,420,423,425,647f. 325f., 332f., 336, 338f., 353f.,
489,547 Konkordienformel 53, 99, 113, 116, Krankenheilung308, 336, 370, 359,362, 366f., 370-372, 374,
Kirchenjahr 156,314, 580 152f., 162, 237, 258, 461, 478, 380f., 383, 494, 499f., 513, 546 376f., 380, 390, 397, 433, 459-
Kirchenkreis (s.auch Dekanat) 589, 507f., 528-530, 613, 619, 623, Krankensalbung 545f. 461,465,468, 470f., 477, 481,
595 637 Krankheit 15, 370, 380f., 433, 444, 487, 494, 496f., 501, 505, 515,
Kirchenleitung s. Kirche Konsekration 561f. 461,473,499,546 519, 544f., 554, 564, 567, 582,
Kirchenlied 157, 321, 324, 537 Konsens 13, 33, 37,110, 144, 157, Krankheitserreger 425 609, 632, 634,638-648
Kirchenmitgliedschaft 155, 191, 159,167,368,544 Kreatur 106,246,291,319,350, Leben, erflltes 59, 190, 192,494,
540, 552, 572, 643 Konsenskumene 145 360,369,391,414, 418f., 429, 503,517,521,533,571-573,
Kirchenmusik 30, 157, 593 Konsistenz s. Widerspruchsfreiheit 450f. 502, 533, 606, 610, 626, 581, 602f., 607, 642, 646
Kirchenordnung 150, 153, 157, KonstitutionIKonstitutionsbedin- 629,648 Leben, ewiges 220, 263, 285, 370f.,
572,574,582,588,593 gung 69-71, 88, 131, 202f., KreuzIKreuzigung 27, 63, 91-93, 373,376,488,494,612,614,
Kirchenraum 592 210,220,229,249,279,283, 96,209,281,304,308,324, 621, 625, 629, 633, 635, 637f.,
Kirchenrecht 19, 582, 587 285-288,292,305,315, 334f., 326-328,331,352,356,648 645-648
KirchenspaltunglKirchentrennung 341,359,365,377,387,393f., Kreuzestod Jesu Christi 63, 90,220, Lebensbewegung 64f., 70,516f.,
141-144,146 443,469,591, 635f., 638, 645 312-314, 322f., 331-334, 336, 555,571,576
Kirchentag 580 Kontext 34, 70, 80, 99,132, 136, 347,450 Lebensgefhl 68f., 188-190
Kirchenvorstand 589 168f., 173, 175-183, 191,220, Kriterium 16-20,40,42,77, 116, Lebensgemeinschaft 155
Kirchenzugehrigkeit 538-540, 597 250,270,305,333,357,380, 118,225, 366f., 369"372, 377, Lebensglck 188f., 240, 494
Klage 65, 293, 301, 443, 452f., 579,629 401, 432, 453, 542, 545f., 570, Lebensprinzip 630
455, 459, 465f. Kontextuelle Dogmatik 176, 181f. 593-595, 612-615,643 Lebenssituation 483, 497f., 500,
Kleinglaube 60, 628 Kontextuelle Theologie 176, 181f. Kritik 11,29, 37f., 119f. 123, 127, 504,514,516,555,580
KrperlKrperlichkeit (s. auch Leib/ Kontingenz 29, 82, 140,211,222, 138f., 148, 152, 171, 222, 270, Lebensbergnge 191
Leibhaftigkeit) 254, 283, 370, 441, 573 338,534 Lebenswelt 85, 168-192, 197,228,
427,430f.,516,647 Kontingenzbewltigung 441 Kritischer Rationalismus 26 357,456,464,475,483,584f.,
kognitive Bedeutung 550 KontinuittIKontinuum 33, 53, 127, Kultur 123,136, 169f., 175,483,591 587,592
KommunikationIKommunikations- 171f., 423f., 502, 579f., 631, Kulturkreis 73, 109, 178 Lehramt 105, 144, 589
zusammenhang 5, 31f., 34-38, 634-636 Kulturprotestantismus 192 LehrbeanstandunglLehrbeanstan-
54, 85, 109, 128, 155, 175, Konvergenz 206 Kultus 90, 298, 303f., 310, 332, dungsverfahren 133, 157
178,244,362, 385f., 431, 534, Konzil (s. auer dem folgenden auch 548f., 559 Lehre 12-14, 33, 40, 90, 105, 112f.,
537, 574, 579, 591f., 595, 629 Laterankonzil; Vaticanum I und Kunst 173, 175,300,637 115, 117, 133, 136-138, 144,
Kompetenz, pastorale 380, 587 II) Kyrios (s. auch Herr) 307, 341, 386 146f., 149, 151-153, 166, 190f.,
706 Begriffsregister Begriffsregister 707

305, 316f., 340f., 345, 350, Liebesunfhigkeit 261,501, 523f. 568 Materie 361, 416-418, 421, 622 Missionssakrament 553
356E,362,373,379,381,385, Lieblosigkeit 166,259,261, 477f. Mathematik 22, 24 Mitrauen 473f.
390, 398f., 405, 428, 588-590, Lied 112,247,537 media salutis s. Heilsmittel Mitarbeiter 587f.
611, 624, 627f., 635 limbus infantium 615 Meditation 226, 534 Miterlserin 353
Lehrgesetz 149 limbus patrum 615 MenschJMenschsein (s. auch Wesen Mitmensch s. Mensch; Nchstenliebe
LeiblLeibhaftigkeitlLeiblichkeit 67f., Literalsinn (s. auch sensus literalis) des Menschen) 14,32,53, 64- Mitwirkung 290-293, 597
111, 165f., 238, 277, 287, 299, 130-133 69, 71f., 75, 88, 90f., 99, 106, Mitte der Schrift 133-139, 143, 151
314f~325,338,340,351E, Literatur 173 110,124,137,160-162,165, Mitte des Bekenntnisses 159-161
358,368,377,380,386,431, Liturgie 30, 148,548, 559f., 567 167, 169, 174, 180, 185f., 190, Mittelalter 15, 291, 343, 396
436,479,499,503,538-540, Lob Gottes 65, 301, 428f. 209f., 254f., 27Of., 276f., 280f., MittleriMittleramt 306, 315E, 374,
554, 556, 559, 573f., 591, 607, Logik 22, 25E, 89, 221, 258, 271, 290-292, 300-302, 305, 307f., 387,583
623, 630f., 633-635,638, 645, 417,521 311f., 314, 316f., 321-328, Modalismus 387
647 Logos 354-356, 399f., 402, 404, 334-339,342-345,348, 356f., Modalitt 215
Leib Christi 379, 539, 544f., 548f., 608 359E, 362-364, 367-369, 372, Modallogik 211, 222
558f., 564, 566 Logos-Christologie 354, 387 374-377, 385f., 400-402, 424- Mglichkeit 13f., 39, 70f., 88, 96,
LeidILeiden 96, 110, 160, 244, Loskauf 335 439,448-451,467-471,473f., 98f., 104, 108, 140, 145, 152,
264f., 270, 281, 307, 319, Lge 20f., 86, 110, 366f., 370, 375 476,478-480,488,502-504f., 174, 176, 190,196, 201, 203,
324f., 329, 331, 335, 337f., Lust 68,163,239-241,476,483 520,536-538,563-567,582- 215,225,249,260,262,283,
348f., 413, 443-445, 455, 477, Luthertum 143, 346, 527, 560 590, 602, 609, 615f., 626, 631, 289-294,311,321, 324E, 327E,
530,559,575,582,598, 603, 634-636, 638, 643, 646f. 342,362,364,371, 374f., 379,
644, 648 Macht/Mchte 60, 163f., 186, 222, Mensch, alterlneuer 160E, 163 381f., 402, 404, 448f., 469-477,
Leitperspektive (s. auch Mitte der 258,281,288,290,304,310, Menschenbild 326, 612 514E,528,602,608,61~
Schrift; Mitte des Bekenntnisses) 314f., 335-338, 344, 351, 376, Menschenrecht 433 623f., 627, 632f., 641
133, 135, 137f~ 159 446E, 460f., 463, 465f., 471f., Menschensohn 94, 34Of. Monotheismus 108
Leitung 293, 295f. 475,478-480, 484f., 490-496, Menschenwerk s; Werk des Moral/Moralitt (s. auch Ethik)
Lenkung 290, 293-296 498-504, 508f., 569, 578, 581f., Menschen 322E,447
Leuenberger Konkordie 143, 150, 588, 602, 618f., 624, 642 Menschenwrde 425, 433, 464 Motiv 271, 289, 419
560,563f. Mrchen 501 Menschwerdung 90, 124, 137, 559, Mndigentaufe s. Erwachsenentaufe
Liebe (s. auch Agape; Eros) 28,57, Magie 363 561 Mndigkeit 303, 551f.
63, 75, 130, 160-165,207,232, Mrtyrer 374, 637 meritum s. Verdienst munus Christi 316
236-248,255-257,259,261- malum (s. auch bel; Bses) 444 Messias 125f., 341 munus propheticum 316
269, 273-282, 286f., 292, 294f., malum metaphysicum 444, 447 c Meta-Aussage 21 munus regium 316
301,305,311E,315,319E, 449,452,454 Metapher 137, 172, 177, 211, 214, munus sacerdotale 316
323, 325-331, 333E, 336-340, malum morale 444, 447, 449,454 220, 224f., 238, 247, 251-255, munus triplex 316
344-346, 350, 355f., 363-365, malumphysicum 444, 447, 449- 260,276,301,310,328,331, Musik (s. auch Kirchenmusik) 173,
367-372, 375f., 383, 398, 401- 452,454 334,347, 350, 365, 368, 370, 246,299,537
403,405, 423E, 436-439, 450f., Mandat 582 399f., 414, 435, 466, 502, 507, MutterlMtterlichkeit (s. auch Gott)
466,477,486,495, 497f., 501, Mangel 445 535-537,539, 627 254E, 349, 352f., 396, 400f., 483
503, 506-510, 516-532, 555f., Mann 186, 253-255, 349-351, Methode 5-7,15-19,27,34,40, Mutter Gottes 352
559, 562, 571, 607, 609, 613- 355f., 399, 436, 483f. 42f., 77, 82, 131, 169~ 183, Mysterium (s. auch Geheimnis) 18,
615,618-620,622, 626f., 631, Mariendogma 352f. 196, 226, 228, 235, 281, 307, 382
633f., 638, 640-645, 647, 649 Marienfrmmigkeit 351, 353 380f., 517 Mythos/Mythen 252, 297, 305
Liebesgebot 126, 369, 375, 517, Mariologie 144,342, 351-356 Millenium 637
519,523 massa perditionis 619 Mineral(ien} 427 Nchstenliebe 100, 160-162,518,
Liebesmahl 560 Mastab s. Norm Mission 78, 107, 109, 577, 596 520-525
708 Begriffsregister Begriffsregister 709

Nhe 254f., 280, 301, 310f., 340, norma normans 11M., 151f., 157 Opfer (s.a. Shnopfer) 274, 322- Patriarchat 114
350,357,365,387,536 norma normanda 152, 157 324,329,331-333,335,464, peccatum s. Snde
Name 97, 137, 243, 250, 301, 351, norma normata 117, 151, 157 483f., 490, 524, 530, 558f., peccatum actuale 480-484
388, 642 notae ecclesiae s. Kirche 617f., 626, 644, 648 peccatum naturae 476
Natur 169f., 185,221,254,306, notae externae s. Kirche opus alienum 243,509,527 peccatum originale 476f., 485
343, 345f., 378, 400, 425-429, notitia 60, 67 opus Christi 314-326 peccatum personale 476-480, 485
444,486,581 Notwendigkeit 13f., 20, 24, 39, 60, opus mediatoris 306, 315 peccatum radicale 476
Natur, gttliche 306, 345f., 363 88f., 109, 112f., 119, 135, opus proprium 243,510 peccatum regnans 500, 581
Natur, menschliche 248f., 306, 345- 140f., 143, 154, 157f., 175, Ordination 157, 380, 541, 543f., peccatum regnatum 500
347,349,352,354,405 211,221,231,280,284,290, 585f., 588, 590 perfectio (s. auch Vollkommenheit)
Naturalismus 270-274 312,314,317, 325f., 328, 338, Ordnung (s. auch Kirchenordnung) 116,133
Naturgesetz 258, 272, 288 341-343,348, 356, 358, 365, 95,105,268,284,312,321f., Perikopen 156, 580
Naturwissenschaften 15, 272f., 286f., 375,379,381,385-388,395, 329, 393, 525,. 543f., 572, 582 permissio s. Zulassung
350,410,415-418,422,427 397f., 474, 485, 528, 531, ordo salutis 373, 513 PersonIPersonalitt 42, 56, 66, 70,
necessitas absoluta 540 533f., 602f., 609,613, 623, 625 Orientierung 33, 49,88,91,131, 81, 84, 87f., 90, 122, 162f.,
necessitas medii 540 155f., 374, 496, 528, 648 177, 197f., 203, 215, 226, 247-
necessitas ordinata 540 Objekt 50, 77,295,319, 348, 380 Orthodoxie/Orthodoxe Kirchen (s. 255, 258f., 268, 279, 293, 301,
necessitas praecepti 540, 542, 551 oboedientia activa 327 auch Ostkirche) 74, 143, 145, 305, 318, 323, 343, 358, 362,
Neues Testament 35f., 90, 94, 97f., oboedientia passiva 327 160,355,363,532,542 365,367,371, 389f., 394, 398,
100f., 125-127, 134, 138, 147, kologie 188,413,425,437-439 Orthodoxie, altprotestantische 20, 432,440,448-450,456,464,
152f., 241, 254, 298, 304, 315, konomie (s. auch Trinitt,kono- 60, 99f., 114, 122,293,298, 471,478-480,482,485, 502-
318-321,323,329,333f~33~ mische) 42, 185, 188, 433 306,318,327,343,345,367, 505, 507, 509, 516, 525f., 545,
340, 345, 347, 349, 352, 360, kumene/kumenizitt37,40,141f., 511 548,632,644
362,366,374, 378-380, 434, 145,544,550,558,594,599 Ostergeschehen s. Auferstehung Person Jesu Christi s. Jesus Christus
459-461,465,468,471,490, Offenbarer 90-92, 94, 297, 335, Ostkirche (s. auch Orthodoxie/Ortho- persona Christi s. Jesus Christus
494, 498f., 501, 518, 522, 371f., 387, 39M. doxe Kirchen) 141,404,497 Personalgemeinde 592
546f., 552, 555, 559, 613, 616, Offenbarung (s. auch Erschlieungs- Personalinspiration 121f.
624, 644-646 geschehen; Selbsterschlieung; Pdagogik 192, 428f., 449 Personalprsenz 560, 562
Neukonstituierung der Person 203, Selbstoffenbarung) 24f., 27, 39, Pansakramentalismus 562 Personzentrum 66f., 478-480, 482,
334, 502-505, 545, 548f., 556 41,52,72,76,79,81-102,105- Pantheismus 264 485, 503, 516, 548
Neuschpfung 287, 393, 423, 451, 109, 111f., 115f., 118-128, PapstIPapstamt 105, 144 PerspektivelPerspektivitt 10, 51,
631 131f., 135, 139f., 143, 147f., Parabeln Jesu (s. auch Gleichnisse 84,109,125,170, 174f., 178,
Neuzeit 15, 90, 140, 147, 183-187, 150f., 171, 228f., 231, 278, Jesu) 220, 282 204,238,284,375,455,555,
271f., 297, 319, 363, 380,389, 310,317-321,329,348,355, Paradies 297, 476, 488, 497,608,624 628
430,462,576 357f., 371f., 375, 393f., 396f., Paraklet 367 perspicuitas 134, 136
Nicaeno-Constantinopolitanum s. 402,533 Parochialgemeinde 592 PfarrerIPfarrerin 155, 192, 557,
Nicaenum Offenbarungsereignis 118, 137, 158 PartikularismuslPartikularitt 103, 568,588
Nicaenum 41,97,156,258,342,361, Offenbarungserkenntnis 109, 228f. 2~1, 610, 628, 636f. Pfarramt 157, 379f., 583,587
370,377,388,396, 398f., 403f., Offenbarungsurkunde 114 Partizipation 104, 170, 286, 396ff., Pfingsten 373, 382
425f., 461, 474f., 611, 639 Offenbarungszeugnis 113-116, 414,633,646f. Pfingstkirche 357, 382
Nihilismus 61, 454 118f., 125f., 132, 146,154 Parusie 94, 639, 642f. Pflanzen 261, 299, 425f., 430f.,
Nominalismus 542 Ohrenbeichte 568 Passion 237, 321, 324, 349, 558f., 562 433,488f.
Norm 44,74,79,101,111,115, Ontologie (s. auch Relationsontologie; Passivitt 291,516, 549, 632f., 635 Phnomen (s. auch Erscheinung) 50,
133,139,151,176,305,459, Substanzontologie) 72, 162,212, Pastoraltheologie 565 175, 184, 191,215, 237f., 272,
463f., 503, 534 249,277,375,604,606-608 Paten 553f., 556f., 566 360, 381f., 417, 463,630
710 Begriffsregister Begriffsregister 711

Phnomenologie 169, 171 Propst 589f. Reformatorische Kirchen (s. auch Reue (s. auch Bue) 616, 618
Philosophie 17, 24, 37, 103, 169, providentia s. Vorsehung Evangelische Kirche) 141, 143, revelatio s. Offenbarung
213,262,287,363,385,412, Proze 112-114, 133, 139, 184, 145f., 150,543, 546f. revelatio generalis 97, 99-102
425,429, 446f., 452f., 609 273,283,286,328,380, 386, Regimente Gottes (s. auch Zwei- revelatio naturalis 99
Physik 25f., 205, 213, 622 395,423,428,476,493,500, Regimenten-Lehre) 164-166, revelatio specialis 97, 99-102
Pietismus 20, 192 505,515,520,556,571,624 294f., 543f. revelatio supernaturalis 99
Platonismus 413 Proze, offener 520 regnum gloriae 339 rezeptiver Aspekt der Erkenntnis 86,
Plausibilitt 22, 222, 272 Proze, unabschliebarer 520 regnum gratiae 339 198-201, 204-206, 220, 232,
PluralittIPluralismus 85, 98, 140f., Psychologie 428f., 448, 481, 512- Reich des Todes 320 455,605
191f., 534, 596 515,599 Reich Gottes s. Gottesherrschaft Richter (s. auch Gericht) 340, 611,
Pneumatologie s Heiliger Geist Psychotherapie 568 Reifung (s. auch Wachstum) 123, 642f.
poena s. Strafe purgatorium s. Fegfeuer 449-452, 514f., 527 Ritus 14, 105f., 112, 305, 547-549
Politik 73, 143, 164f., 175, 184, Reinkarnation 607f. Rmisch-katholische Kirche 74,
463,481,487,528, 581f.,589, Quantenmechanik/Quantentheorie Relation/Re1ationalitt (s. auch 105,141,143-148,158,160,
593, 596 417 Beziehung) 57, 81, 205f.;215, 296, 351-353, 532, 542, 545,
Positivismus 24, 171 Quelle (des christlichen Glaubens) 31, 249,252, 279f., 287, 389, 391, 549,561,57~583f~58~630
Prdestination/Prdestinationslehre 44,73,77,79, 111, 115f., 132, 512, 632, 635
(s. auch Erwhlung) 505-510, 528 182,225, 228f., 307f., 355, 372 Relationsontologie 276, 280, 286f., Sache/Sachgemheit 16, 19f., 36,
Prexistenz (des Gottessohnes) 354- 478,549,635 106, 139, 171, 182f., 239, 250,
356 Rache 485 Relativierung/Relativismus 27f., 252
Prses 589 Rationalitt (s. auch Vernunft) 7f., 103,109,173,339 Skularisierung 412, 463
Pragmatik 128, 132, 579 229, 367, 430-433 Religiser Sozialismus 192 Suglingsglaube 68, 551f., 554
Praktische Theologie 35f. RaumIRumlichkeit 73,172,195, ReligionlReligionen 10, 14,38,55, Suglingstaufe 548, 551-557, 567,
Praxis, kirchliche 34,175,178 205,210,219, 264f., 275, 344, 61, 71, 76, 82-84, 88, 92, 97, 596, 598, 625
Predigt 348, 532, 575, 585 361,363,401, 417f., 422 103-109,155, 167f., 173, 178, Sakrament 41f., 144, 165f., 266,
Predigtami: 583 Realinspiration 121f., 124 187, 190, 255, 270, 283, 295f., 382, 493, 532, 534-567, 574,
Predigtgottesdienst 157 Realitt 26,32, 89, 168, 171,269, 303,305,332,385,411,441, 595
Presbyterium 589 302,422,445,450,455,468, 483, 548f., 577, 614 Sakramentsbegriff 532, 534-540,
Priester 568, 583f. 476,491,504,623,647 Religionsgeschichte 90, 103f., 208, 543, 574
Priestertum, Allgemeines 379, 583- Realprsenz Christi 560-563 298,411, 548f.,559 Sakramentsdarreichung 318, 339,
585,587-590 Rechtfertigung(sIehre) 137-139, Religionskritik20, 196,269-272,274 346,575,577,585,587
Priestertum, Gemeinsames 583f. 161,167,203,351,362,373, Religionsmndigkeit 551 Sakramentsempfang 538-540, 561,
Priestertum, hierarchisches 584 453f., 456, 496f., 500, 503, Religionsphilosophie 10, 103-105, 563-565
Priesterweihe 543f., 586 510, 612f. 208 Sakramentsfeier 538, 544, 547, 570,
Prinzipienlehre 40, 42, 44 Reflexion 12-15, 35, 63, 142, 174, Religionspsychologie 10 574, 576f., 584, 592
procedere s. Hervorgehen 177,247,249,270,285,298, Religionsunterricht 12, 39 Sanktion 527
produktiver Aspekt der Erkenntnis 314,341,359,363,384,386, Religionswissenschaft 10, 19,609 Satan s. Teufel
86, 198,201-206,220,230, 394,534 ~eligiositt 3, 15, 32, 34, 187, 190- satisfactio s. Genugtuung
261,455,605 Reformation 87, 141, 143f., 152, 192,202,279,283,312,382,524 Scham 485-487,504,514, 568f., 618
Prolegomena 42 159-167,298,343,345,353, remoto Christo 229 Schamgefhl 486f.
promissio s. Heilsverheiung; 358,363,374,382,393,450, res 121,560-562 Schein 445
Verheiung 465,475,478,497,501,503, Respekt 109f., 132, 144, 173, 178, Schlufolgerung 7, 23, 200, 221f.,
Prophet(en) 87,90,98, 118, 124, 510,512,515,527,530,532, 582 432
152,225,309,313, 317f., 346, 534, 536, 543, 546f., 561, 563, Rettung 230,270, 299, 302, 309, 311, Schmalkaldische Artikel 160, 298,
366,379,393 567f., 575, 584, 613, 616 315,335,376,427,494,498 346
712 Begriffsregister Begriffsregister 713

Schnheit 222, 646 Seelsorge 30, 157,192,455, 580, Selbstzerstrung 326, 623 sola gratia 161f., 351, 505, 508,
Schpfer 210, 222f., 251-255,279, 593, 600f., 609 Seligkeit 100, 338f., 610, 618, 621, 625-627
283,319,326, 347,350, 363, Segen/Segnung 382, 546, 555f., 637 sola ratione 229
377,391, 396f., 401, 409, 411, 559,586 Semantik 128, 132, 579 sola scriptura 113, 120, 134, 136,601
414,419,426,428,439,441, Sehnsucht 101, 189f., 192,270, Semiotik 111, 158, 176,214 solus Christus 108, 113, 120,353
445,451, 453f., 562,623,645 479f.,483,517f.,533,603,607 Sendung 329, 348 Sophia 355f., 399-402, 404, 608
Schpfung(slehre} 24, 27, 42, 44, Sein 59, 61, 66, 160, 189, 210f., Sendungsbewutsein 348 Soteriologie s. Heil
87, 99f., 161, 196,218,220- 405,497,499,632 sensus allegoricus 130f. Souvernitt (Gottes) 302, 350,
222,259,265,274,285-288, Seinsordnung 40, 391 sensus anagogicus 130f. 619,628
370,392-396, 400A02, 405, Seinsweise 343, 347, 354, 386, 390, sensus historicus 129, 131 Sozialethik 315, 525
409A24, 428f., 438, 441f., 398f., 405, 489 sensus literalis (s. auch Literalsinn) Sozialwissenschaften/Soziologie s.
450A52, 454, 466f., 474, 476, Selbstbestimmung 302, 470, 509f., 129,131 Gesellschaft
478,488,533,562, 600, 620, 580 sensus moralis 130f. Spirale (s. auch Zirkel) 6, 8, 41, 482
629,636,648 Selbstbewutsein (s. auch Bewut- Septuaginta 341 spiratio s. Hauchung
Schpfungsauftrag 437-439 sein) 250, 389, 398, 514 servum arbitrium (s. auch Wille) spiritus sanctus s. Heiliger. Geist
Schpfungsgeschichte 420, 469f., Selbsterlsung 533 479f. spiritus vivificans s. Heiliger Geist
476,485 Selbsterschlieung (s. auch Selbst- Sexualitt 350, 463, 475f., 486 Sprache 6, 62, 112, 123, 136, 147,
Schpfungsmittler 339, 355f. offenbarung) 27, 63, 83, 86, 89, Sicherheit 62f., 120, 185f., 281, 175, 179, 198,225,255,274,
Schpfungsmythen 411f. 93f., 96f., 99, 101, 105, 109, 370, 521, 576, 633 282f., 303, 310, 317, 356,365,
Scholastik s. Mittelalter 111f., 115, 119, 121,125,149, signum 560-562 382,391,397,431,.462-464,
Schrift, Heilige (s. auch Bibel) 111- 159,226, 228f., 278, 281, 295, similitudo 435 534,536,557
139, 141, 150, 152f., 156, 159, 303, 305, 320, 357f., 384, simul iustus et peccator 163f., 166, Sprachfhigkeit 431
171,303 391f., 397f., 402, 490, 506, 616 501, 528, 530f., 582 Spuren Gottes 220
Schriftauslegung 119, 128-139,146, Selbstfindung 301, 517 Sinn/Sinnhaftigkeit 21, 24, 59, 61, Staat 581f., 596-598
166f. Selbstgabe 365, 369, 37M., 387, 85,113,129"133,176,220- Stnde Christi s. Jesus Christus
Schriftautoritt s. Bibelautoritt 391 227,289,302,305,309,311, status Christi s. Jesus Christus
Schriftgemheit 155, 157, 159 Selbsthingabe 329, 333, 365, 498, 314f., 326, 329, 333, 343, status integritatis (s. auch Urstand)
Schriftkritik s. Bibelkritik 559f. 353f., 363, 369, 371, 379, 384, 435,476
Schriftprinzip s. sola scriptura Selbstkritik 26, 28, 139, 171 395-398, 602f., 613f., 639, 646 Stellvertretung 321-326, 328, 333f.,
Schriftsinn 129-133 Selbstliebe 518, 522-525 SinnelSinnenhaftigkeitiSinnlichkeit 337
Schuld 271,322-325, 329, 332, Selbstmitteilung 86 199f., 426, 534, 536f., 539-546, Sterbehilfe s. Euthanasie
444,456-465,467,472,475, Selbstoffenbarung (s. auch Selbst- 548"552, 554f., 559-562, 567 Sterben 220, 224, 282, 287, 307,
477, 486f., 504, 508, 512f., erschlieung) 83, 92, 95; 98, Sinnlosigkeit 59, 223, 289, 646 325,329,331, 334f., 337f.,
521, 569, 640, 643 101,105, 107, 111, 119, 127, Sintflut 426,438,477 349,359,374,377,444,487-
Schuldgefhl 464, 486f., 513 137,292, 319f., 393, 450 Situation 15, 83, 87, 169,238,443, 489, 502, 545, 548, 550, 558,
Schwrmer 532, 581 Selbstrechtfertigung 100 465,467,505,530,579f. 562, 601, 630f., 633, 635,<638,
Schweigen 26, 137, 455 Selbstrelativierung 26-28, 153 Sitz im Leben 149 640,647
securitas s. Sicherheit Selbstsucht 100, 160, 166,462, Skandalon 454 Strafe 309, 333, 366, 458,485, 487,
Seele 66, 68, 167,254,325,338,360, 523-525, 529 Skepsis 62 565, 611f., 615, 620, 626, 641
370, 380, 430f., 436, 499, 503, Selbstverabsolutierung 153,648 social gospel 192 Strukturen, innergemeindliche 591"
522, 607, 624f., 630f., 633, 635 Selbstvergessenheit 240, 517f. Sohn (Gottes) 23, 41f., 90, 92, 94, 594
Seelenschlaf 630 Selbstverleugnung 517 97f.,250,305,307,341,347- Strukturen, soziale (s. auch Geselle
Seelenvermgen 66-68, 362, 479 Selbstverstndnis 14, 83, 88, 192, 351, 354-356, 362, 371, 385f., schaftsstrukturen) 525-527, 591
Seelenwanderung (s. auch Reinkar- 479,548 388-391, 396-405 Strukturen, bergemeindliche 594-
nation) 607 Selbstvertrauen 58 sola fide 161, 351, 601, 625, 627 599
714 Begriffsregister Begriffsregister 715

Subjekt/Subjektivitt 50f., 67, 70, Synergismus 616 404, 472f., 507, 601, 612, 630, Trinitt, konomische 384, 390-
75, 109, 171,227, 283f., 313, Synode 192, 584, 588-590, 595 639,642 392,397,405
316,322,329,335,342,347, Syntaktik 128, 132, 579 Theologie, altprotestantische s. Tritheismus 385, 388
388f., 394f., 480, 495f., 516, Synthesis 27, 215 Orthodoxie, altprotestantische Tun s. Handeln
520,526 Systematische Theologie 3, 28, 35- Theologie der Befreiung 501
Submersion 545, 548 40,144,322 Theologie, reformatorische s. bel 274, 413, 444-455
Substanz 211, 225, 287, 330, 363, Reformation berlieferung/berlieferungs-
433,512,561,623,630,635,647 Tat s. HandelnIHandlung Theologiegeschichte 90, 147,256, geschichte 32f., 78, 91, 112-
Substanzontologie 277, 286, 478, Taufaufschub 557 262,322,363,379,434 114,119,128,178f.,191,241,
512,549 Taufbegehren 539, 549-552, 557 Theologiestudium 65 246, 285, 297, 305-308, 336,
Shne 323f., 327f., 427 Taufbekenntnis 149 Theopneustie s. Inspiration 345, 348f., 351f., 355, 360,
Shnopfer 321f., 324, 329, 331-333 Taufe 149, 156, 191, 308f., 334, Theorem 8, 22 363, 366, 373, 380-382, 459,
Snde (s. auch Erbsnde; peccatum; 348, 375f., 379, 532, 537-540, Tier(e) 261, 299, 308f., 425-427, 547,554,612,640,642
Tatsnde; Wesen der Snde) 543-557, 561, 566, 572, 574f., 430f., 433, 437f., 451, 471, berprfbarkeitlberprfung 5,10,
24f., 42, 149, 163f., 196,203, 583, 585, 598, 643 488f., 648 19,22,24,30,35,81,128f~154,
267f., 309f., 316, 322f., 325- Tauferinnerung 552-556 Tod (s. auch Ganztod; Hirntod) 59, 204,206, 216f., 247, 366, 371f.
327, 331-339, 342, 345, 350, Taufgedenken 556 91, 93f., 189, 259, 264, 266, Umkehr 309, 311f., 323, 618
370,376,427,435,438,444, Taufverantwortung 548, 556f. 281,287,314,319,326,332, Umwelt 170,205,213,439,464,
455-494, 496, 498f., 500-504, Tausendjhriges Reich s. Millenium 334, 336-340, 348, 370, 374, 481,549,598
508f., 512f., 529, 545, 549, Technik 184,272 377,381, 398, 427f., 485, 487- Unabgeschlossenheit 73f., 256
565,567-569,578, 581f., 602, Telos 212, 222-224, 273, 285, 287, 489, 519, 548, 601, 608, 610, Unabschliebarkeit 13, 32, 73,
608,619-621, 623f., 627, 629, 422,619 622f., 629-640, 646f., 649 132f., 157, 174
637, 642f., 648 tertius usus legis 162, 528-531 Tod, biologischer 633 UnbedingteslUnbedingtheit 58-60,
Snde, lliche 480 testimonium ... internum 115, 124 Tod, ewiger 629 62, 66, 103, 209f., 229, 433
Snde, strukturelle 477, 481 Teufel (s. auch Dmon) 166, 232, Tod, klinischer 633 Unbewutes 473, 534
Snde wider den Heiligen Geist 617 296f., 336, 338f., 366f., 461- Tod, zweiter 488 unctio extrema s. Krankensalbung
Sndenfall 43f., 290, 297, 435, 438, 463,471-473,482,489-492, Tod Jesu s. Kreuzestod Unendlichkeit 250,260,262,521
462,466,468-476,478,486, 507f., 611, 623 Todsnde 480, 568 Unfehlbarkeit 105, 116, 120, 123,
607,624 Text 33,122,127-130,132,136, Ttung 427, 433, 439, 483, 519 144, 150
Sndenfolge 485-489, 629 156,158, 176f., 182,648 Toledo s. Konzil von Toledo Unglaube 21, 59, 61, 70, 163f.,
Sndenvergebung s. Vergebung Theismus 250 Toleranz 110, 294 \ 166,220,231,441-443,481,
Snder 94, 160f., 163-165,203, Theo-Iogie s. Gott; Gotteslehre Totalitt 197, 522 511f., 549, 615-617, 619, 634f.,
310,312,327,340,454,456, Theodizeerrheodizeeproblem 270, Totenreich s. Reich des Todes 643
478-480,485,501,528-530, 273f., 429, 439-455 Transsubstantiation 561f. Unheil (s. auch Verdammnis) 100,
620,623 Theogonie 412 Transzendentalitt 211f., 215, 226, 315, 325, 335, 480f., 494f., 500
Sndhaftigkeit 345 theologia crucis 281 251,264,279 unio personalis 306
sufficientia (s. auch Vollstndigkeit) theologia (ir-)regenitorum 20 Transzendenz 173 Union 142f.
116, 133 theologia viatorum 230, 278, 628 Trauer 294, 445 Universalismus 601, 610, 628
suggestio rerum s. Realinspiration Theologie 3f., 8f., 10-36,44,54, Traum 81f., 299, 534 Universalitt 18, 73, 78, 102, 106,
suggestio verborum s. Verbalinspi- 63, 65, 79, 129, 139, 142f., Treue (Gottes) 266f., 344, 424, 460 149,308,312,576,636,640
ration 146,148,150,154,159,161, Trient s. Konzil von Trient Universum 213, 264, 271f., 286f.,
Sukzession, apostolische 586 167f~ 175f~ 178, 181,183, TrinittlTrinittslehre s. Dreieinig- 415-418,422,629,648
Superintendent 589 225,247,269,273,278,297, keit Gottes Unsichtbarkeit 345, 402
Symbol 92, 211, 299f., 332, 390, 534, 342f., 350, 352-354, 365, 367f., Trinitt, immanente 384, 389-392, Unsterblichkeit (der Seele) 605, 609,
548-550,556, 558, 562, 592 379,389f.,394,396f.,399, 397,405 630f.
716 Begriffsregister Begriffsregister 717

Unterscheidung (s.auch Unter- Urvertrauen 481 Verfehlung?3, 330f., 376,457-466, Versicherung(ssysteme) 125f.
schied) 38f., 51f., 87, 167f., Urzeit 476 470t, 473-477, 479, 640-642, Vershnung 42, 44, 196, 203, 304,
183,216,243,254"258,269, usus elenchticus 164, 528f., 532 648 315,317,321-335,387,396,
277,290,292,296,306,324, usus paedagogicus s. tertius usus legis Vergnglichkeit 268, 488, 508, 622, 493, 496f., 500, 508,618, 624,
330,340, 343, 365f., 372, usus politicus 164, 528, 530 648f. 636
377f., 382f., 390-393, 396, usus theologicus 528 Vergebung 41,160, 163f., 322f., Vershnungslehre, objektive 322,
398-403,405, 430f., 456, 475, 326-331,373,376,456,461, 324-327,329-331
491,520,606,627,630,645 VaterNterlichkeit (s. auch Gott) 486, 497, 504f., 512, 544, 555, Vershnungslehre, subjektive 322,
Unterschied, kategorialer 74-76, 41f., 90, 94, 97, 126,250,254, 562,567-569, 628, 642f. 329
106, 167,212,218,221,254, 270,301,311,318,339,342, Vergegenwrtigung 50,111,334, Verstehen 12, 20, 25f., 35, 77f., 97,
257-266,344,346,384, 393f., 346, 354, 367, 370, 385-391, 340,559 128,151, 158f., 177-181, 197,
397f., 401, 405, 435f., 497, 396,398-401,403f.,513 Vergeltung 329t, 485, 512, 617, 626 328,332,379,385,390,536f.,
606,608 Vaterunser 156, 398, 459 Vergewisserung (s. auch Gewiheit; 540,566t,609,639
Unterschied, qualitativer 74f., 106, Vaticanum I 147 berprfbarkeit/berprfung) Verstockung 440,565,581
239,255,304,312,387, 397, Vaticanum II 144, 167 24,67,112,232,382t,545,554 Versuchung 257,345, 349,471-
435,467,608 Vernderung 52-54, 64, 73f., 160, VergttlichunglVergottung 246, 474,477,490,493
Unterschied, quantitativer 74f., 106, 162, 164, 171f., 174,302 277,353,363 Vertrauen 13,31,56-71,82,89,96,
255,397,467 Verantwortung 39, 65, 85, 107, Verhltnislosigkeit 632f. 110,112,162,168,178,229,
Unterschied, transzendentaler 251f. 154, 178, 181, 185,248,288, Verhngnis465,467 231f., 290, 305, 369, 390, 432,
Unterweisung 12, 30, 78, 112, 157, 292, 381, 440, 463-465, 473, Verheiung (s. auch Heilszusage; 441,455, 481f., 490, 492, 502,
566,593 483,487,554,593,615-617, Zusage) 85, 125f., 161, 163, 510,512-516, 530f., 554, 564,
Unverfgbarkeit 62, 69, 87,92,96, 626,644 180, 188, 202f., 210, 225, 228, 571, 590, 613, 615f., 625, 633
110, 149, 166, 646 Verbalinspiration 121-123 230,266, 316, 443,454f., 496, Verwaltung 593
Unwrdigkeit 563f. Verbindlichkeit 150, 192, 598 505,560, 562f., 605, 616 Verwandlung (s. auch Wandlung)
Urgemeinde 90, 304, 328, 341, 352, Verborgenheit Gottes 25, 92-96, Verherrlichung 91, 346, 372 285,287,346, 608, 621f.,
491 280-282, 309f., 320 Verifikation 8f., 27, 20M., 219, 629f., 634f., 647
Urgeschichte 485-487 verbum s. Wort; Wort Gottes 232,450 Verwerfung 72, 505-508
Urimpuls 72f., 79, 182, 303, 576 verbum audibile 535-538 Verkndigung 12f., 30-32, 39, 85, Verzweiflung 62, 64, 160, 381,450,
Urknall 410 verbuIIl externums. Wort, ueres 98, 107, 113, 13M., 157, 166, 456,478,484,505,642f.
Ursache s. Kausalbeziehung/ verbum internum s. Wort, inneres 190,297,304,335,341,369, Vielfalt (s. auch Pluralitt) 103,
Kausalitt verbum visibile 535-538 443, 493, 498f., 511, 532, 553, 134f., 138, 140f., 187, 190-192,
Ursprung 33, 223, 249f., 253, Verbund (von Gemeinden) 591-594 576f., 585, 588, 592, 597f., 425-428,494,511,542
272f., 285, 298, 305, 319, 326, Verbundenheit 218,257,266-269, 609f. Vision 81, 313, 348, 534, 646, 648
342,346,350,382,395,401- 344, 363f., 375, 396, 571 Verkndigung Jesu Christi (gen. Visitation 588, 595
403, 619 Verdammnis (s. auch Unheil) 25, subj.) s. Jesus Christus Volk 126, 308, 482f., 596, 598
Ursprung der Snde s. Wurzel (der 311,315,338,488,505-509, VerlorenheitlVerlorensein 189, 304, Volk Gottes 125
Snde) 610, 612, 616-618, 620, 637f., 309f., 312f., 333, 337-340,376, Volk Israel 125f., 308
Ursprung der Welt 221f., 224-227, 644 456,465,486,488,55~61~ Volksfrmmigkeit 611
409A24 Verderbensmchte 370 614, 624f.,636,641 Volkskirche 192,383, 552,595-599
Ursprung der Zeit 262f., 415-418 Verdienst 161, 420, 422, 508, 626 Verlustangst 189-191,264 Volkstum 596
Ursprung des Glaubens 32f., 72, 80, vere Deus 25, 306, 316, 342-344, Vernichtung s. annihilatio Vollendung (der Welt) 41f., 44,
89f., 179, 591 349 Vernunft (s.auch Rationalitt) 7, 196,203,211,220,224,262,
Ursprung Jesu Christi s. Jesus vere homo 25, 306, 316, 342-344, 66-68,70, 82, 115, 228f., 283,285-287, 337, 377, 393,
Christus 349,352 248f., 356, 358, 360, 367f., 454,494,510, 545, 600-610,
Urstand 435, 476f., 488 Verfasser 117-119, 123, 129f. 379,435,478t, 503,516,534 628-649
718 Begtiffsregister Begriffsregister 719

Vollkommenheit 59, 72f., 103f., Wahrnehmung 50f., 82, 85, 91, Wesen 49-54, 71, 74-77, 84, 120, Wirklichkeit (s. auch Gott) 24, 39,
116,120,133,164,310,324, 109,169,171-174,177,179, 123, 181,217,219,254, 275f., 51, 63, 70, 72, 83, 106, 168-
341, 345f., 435, 445, 447, 545, 181, 199-204, 218f., 266, 275, 298,300,303,326,345,362, 171, 177, 180, 190, 196,200-
606,645,647 281,300,327,357, 374, 380, 365,390, 40lf., 431, 491, 207,210,212,214,218,220"
Vollmacht 340, 348, 586 432,455,503,536,568,579, 494f., 499, 521, 570 224,229,232,235,250-252,
Vollstndigkeit 72f., 103, 116, 133, 648 Wesen des Christentums 31, 49, 55, 258,262,310,319,331,346,
215 Wandlung 73, 558, 56lf. 92 350, 352, 357-368, 393-395,
voluntas s. Wille Waschung 548f. Wesen des christlichen Glaubens 12, 401,405,422,436, 460, 474f.,
Voraussetzungslosigkeit (s. auch Wechsel, wunderbarerlfrhlicher 14,17,31,34-37,41,44,49- 480,562, 606, 624, 632, 636,
Bedingungslosigkeit) 6,27,286, 328, 333f. 55, 71-80, 90, 120, 129, 135, 638f., 645, 648
312,42lf. Wechselwirkung 179, 427f. 140,160,182,451,472,639 Wirklichkeitserkenntnis 15,27,
Vorbehalt, eschatologischer 27,78 Weihe 544 Wesen Gottes s. Gott 195, 198f., 205, 21M., 224f.,
Vorbild 315, 317, 353, 477, 555, Weisheit 27, 67, 93, 222, 257, 288, Wesen Jesu Christi 342-346 230,232,455
557 339, 355f., 363, 379, 495f., Wesen der Kirche s. Kirche Wirklichkeitsverstndnis 17, 31,
Vorgegebensein 67, 168,554 499,503 Wesen des Menschen 53, 71, 84, 44f., 83-89, 96f., 102, 105f.,
Vorsehung 287-296, 423, 582 Weissagung 12M. 345,430-439,462,478,508, 108, 112, 115-117, 123, 133,
Vorurteilslosigkeit 6, 19f. Welt 25, 43, 83, 91, 94, 104, 106, 635 135f., 181f., 19~ 195,21~
Vorverstndnis 6, 132,281 126,165,169-172,180,195- Wesen der Snde 465f. 220,225,258,479, 495f.
197,210,212-217, 22lf., 236, Wesenseinheit 254, 342, 344, 354, Wirkung (s. auch Heiliger Geist)
Wachstum 60, 123, 164, 188, 310, 249,257, 265f., 269, 273f., 386-388,403,412 107, 114, 121, 20lf., 302, 372-
426f., 555, 593 282,290,304,325,329,354- Westkirche 141,404 383,405
Wahl (s. auch Erwhlung) 70, 85, 356,389, 392f., 398, 40lf., Widerspruch 24-26, 61, 63, 93, Wirkweise 297
114,470,506,508,633 404, 409-425, 428, 442-446, 109, 116, 128f., 135, 180, 186, Wirtschaft 481, 525, 581
Wahrhaftigkeit 20, 107 450-452, 455, 467, 500, 508, 221,231,259,275, 343f., 347, Wissen 4-9, 15,21,25,30,38,56,
Wahrheit 4, 10-12, 19,21-24,32, 533,600,635 366,370,381,480,638 67, 95, 100, 104, 107, 181,
35-37, 68, 84-86, 89, 91, 96, Weltbild 179, 381, 639 Widerspruchsfreiheit 7, 24-26, 77, 184, 186, 197f., 260, 363,
104, 106-110, 120f., 130f., 148, Weitende 608, 629, 634, 640 97, 256, 260, 344, 600f. 446f., 618, 627
163, 166, 180f., 198,204, Weltentstehung 286, 409f., 415- Widerstand 204, 244, 267, 275, WissenschaftlWissenschaften 3-30,
20M., 23lf., 271, 320, 356, 423,629 295,324,380 32,37,44, 65, 170f., 175, 183,
358,366,369, 37lf., 376, 379, Welterkenntnis 170, 195-197,212- Widerstand, gewaltloser 582 284,381,581
389,393,395,422,464,478, 216,218-225 Wiederbringung s. Apokatastasis Wissenschaftsethik 20f.
496, 508, 565, 617, 620, 640- Weltgeschehen 63, 94, 289 panton Wissenschaftskritik 15, 171
643,645 Weltordnung 288 Wiedergeburt 351, 370, 400, 497f., Wissenschaftstheorie 6, 9, 17, 20,
Wahrheitsanspruch 4-9, 35, 38, 61, Weltverstndnis 43f., 83, 195, 213, 500,502,510,549 22f., 27-29, 118, 442
107, 23lf. 411,479,610,620 Wiederkehr, ewige 488, 607f. Wohl 58, 65
Wahrheitserkenntnis 8f., 27, 123, Werk/Werke 64, 162, 528, 625, 644f. Wiedertufer 612 Wohlstand 186, 188f., 646
145f., 167, 356, 368, 495, 641 Werk Christi s. Jesus Christus Wille 60, 64, 66-68, 70, 122, 228f., Wort 70f., 12lf., 125, 137, 165,
Wahrheitserweis 181 Werk des Menschen 18, 39, 100, 248,252,284,348, 350f., 358, 179,203,210, 245f., 266, 281,
Wahrheitsfhigkeit 7, 2lf. 167,232,350,550, 612f., 644 362,368, 389, 435, 461, 465f., 301, 318f., 334, 348, 356, 366,
Wahrheitsfrage 11, 271 Werk Gottes 18, 39, 69f., 99f., 167, 478-480,491, 503, 516, 520, 370, 382f., 385, 397, 426,
Wahrheitsgehalt 10, 20, 23, 36f., 232,272,329,369,392,396, 648 464f., 500, 532, 535f., 540,
39,44,195 402,414, 515f., 625 Wille Gottes s. Gott 550, 557, 560, 563, 595, 597,
Wahrheitsgewiheit 4,12,20-22, Werke, gute 162f., 167, 527, 530f., Wirken Gottes s. Gott 624
32, 35, 107, 109f., 167, 198, 613 Wirken Jesu Christi s. Jesus Wort, ueres 87, 124, 166,534
368 Wert 103, 289 Christus Wort, inneres 124
720 Begriffsregister
Theologische Lehr- Un
Wort Gottes 30f., 42, 83, 90, 94, Zeugnis (s. auch testimonium ...
97f., 100, 105, 115, 147, 150, internum) 33, 60, 107, 112[,
Studienbcher bei de Gruyter
153,298,318,511,565,621 115,118-120, 122, 133-137,
Wortverkndigung 318,339, 346, 139, 146, 150-153, 167, 179,
532,534-540,544,547,557, 196,228,255,278,307[,313, Friedrich Schleiermacher sFr 105,-/approx. US$ 74.00
570, 573f., 584, 587 327f., 358, 362, 372, 385, 391, ber die Religion ISBN 3-11-012674-5
Wrde (s. auch Menschenwrde) 533,553,556,570,575,577- Broschiert. DM 78,-/EUR 39,881
R~den an die Gebildeten
210,273, 323, 353, 527 583, 585, 587, 591f. S 569,-lsFr 71,-/
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Wrdigkeit 558, 563f. Zeugung 349, 399f., 403, 411f., 419 approx. US$ 49.00
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Wunder 288, 308, 315, 370, 382 Ziel s. Bestimmungsziel ISBN 3-11 c014896-X
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Wunderheilung 380f. Zirkel 6, 68, 74, 76, 120, 46%,
Wurzel (der Snde) 457, 466-480 520 1999.20,5 x 13,5 cm.
Zirkel, hermeneutischer 76f. IV, 194 Seiten. 2 Abb. Broschiert. TRE - Theologische
Zeichen 7, 50, 87, 93,111,128, Zorn (Gottes) 25, 267-269, 280, DM 24.80/EUR 12;68/S ~81,-1 Realenzyklopdie
136f~164, 171,184,199[, 329,344,507, 609, 618, 620, sFr 23,-/approx. US$J5.00
204,214,222,224,227,263, 627, 645 ISBN 3-11-016355-1 Studienausgabe Teil 1
265f., 311, 334, 356, 358, 362, Zufall 454 (de Gruyrer Srudienbuch) Bnde 1 (Aaron) - 17
375,383,395,402,431,520, Zukunft 125, 173, 185, 192,201- (Katechismuspredigt) und
533-538, 540-546, 548-551, 204, 260, 262,279,289, 309[ Werner H. Schmidt Registerband
554, 556, 558-562, 566f., 574 Zulassung 293f., 366, 446, 448, Einfhrung in das . 1993.20,5 x 13,5crn.17Bande,
Zeichengebrauch 199-201,206,431 455 Alte Testament 1 Registerband.13.610 Seiten.
Zeichenhandlung 90, 548[, 556, Zulassung zum Abendmahl 565-567 Broschiert. DM 1.200,-1
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559,563 Zungenrede 382f. EUR 613,55/S 8760,-1
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Zeichensysteme 200f. 205,477,503,505, 542, 569 X, 468 Seiten. Gebunden. ISBN 3':11-013898-0
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264,275,278,344,363,400[, 401,432,445,510,517[,523- ISBN 3-11-014102-7 Katechumenen) - 27 (Publizi-
417f., 422, 451, 488, 580, 622, 526 (de"Gruyrer Lehrbuch) stik/Presse) und Registerband
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Zeitgemheit 182 580-582 Georg Strecker
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Zeuge 60, 92, 112, 118, 123, 196, 274,293, 368f., 445, 511-513,
Testaments EUR 409,03/S 5840,-1
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