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Fessler Klein Geschichte Von Ungarn 1

Das Dokument beschreibt die Neuauflage eines Geschichtswerks über Ungarn von Ignaz Aurelius Fessler. Es wurde überarbeitet, um aktuellen Forschungsergebnissen Rechnung zu tragen. Der Herausgeber Ernst Klein hat das Werk an den heutigen Stand der ungarischen Geschichtsforschung angepasst und in komprimierter Form neu aufgelegt.

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Fessler Klein Geschichte Von Ungarn 1

Das Dokument beschreibt die Neuauflage eines Geschichtswerks über Ungarn von Ignaz Aurelius Fessler. Es wurde überarbeitet, um aktuellen Forschungsergebnissen Rechnung zu tragen. Der Herausgeber Ernst Klein hat das Werk an den heutigen Stand der ungarischen Geschichtsforschung angepasst und in komprimierter Form neu aufgelegt.

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Prospect.

Im Verlage von F. A. Brockliaus in Leipzig erscheint:

Geschichte von Ungarn.


Von
Ignaz Aurelius Fessler.

Zweite vermehrte und verbesserte Auflage,


bearbeitet von

fcrnji Alein.

Mit einem Vorwort von Michael Horväth.

Gr. 8. In 16 — 20 Lieferungen. Preis jeder Lieferung 20 Ngr.

Das von Ignaz Aurelius Fessler in den Jahren 1812 — 25


erschienene Werk «Geschichten der Ungern und ihrer Land
sassen» zeichnete sich durch gründliche Forschung, geistvolle Auf
fassung der Thatsachen, treues und lebendiges Colorit der historischen
Zustände aus und ward allgemein als die beste in deutscher Sprache
geschriebene Geschichte Ungarns anerkannt. Dasselbe fand infolge
dieser unbestrittenen Vorzüge so große Verbreitung, daß es schon
seit längerer Zeit gänzlich vergriffen ist: für ein so umfangreiches
Werk gewiß ein sprechender Beweis seines hohen wissenschaftlichen
und praktischen Werthes. Um nun dem andauernden Begehr nach
Fessler's Geschichtswerk wieder genügen zu können, entschloß sich
die Verlagshandlung, eine neue Auflage desselben zu veranstalten.
Ein unveränderter Abdruck des Werks wäre jedoch aus viel
fachen Gründen nicht ratbsam gewesen. Seit Feßler dasselbe ge
schrieben, hat die vaterländische Geschichtschreibung Ungarns einen
außerordentlichen Aufschwung genommen. Dank dem Fleiß und der
Sorgfalt im Sammeln von Urkunden sowie den fortgesetzten müh
samen Studien , aus denen besonders die verdienstlichen, in ungarischer
T
/',:. r'lzh r
Sprache verfaßten Werke Michael Horväth's und Ladislaus
Szalay's hervorgegangen sind, ist nicht nur über einzelne Partien der
ungarischen Geschichte neues Licht verbreitet, sondern auch die Ge-
sammtanschauung der Dinge wesentlich geläutert und berichtigt worden.
Alle diese aus den neu entdeckten Quellen zu Tage geförderten
Resultate mussten in das Feßler'sche Werk verarbeitet, es mußte
seinem stofflichen Inhalt nach auf den gegenwärtigen Standpunkt der
ungarischen Geschichtsforschung erhoben werden. Namentlich erschien
es nöthig, die Entwickelung der Landesverfassung sowie die eigen-
thümliche Gestaltung des ungarischen Feudalismus eingehender zu
schildern, und der Geschichte der protestantischen Kirche, welche
mit den Kämpfen für Ungarns Freiheit und Selbständigkeit so innig
verflochten ist, mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als ihr Feßler
seiner persönlichen Beziehungen wegen zutheil werden liess.
Noch mehr erforderte die Form durchgreifende Veränderungen.
Feßler's Darstellung leidet stellenweise an unnöthiger Breite; mit Vor
liebe verweilt er bei episodischen Begebenheiten, während wichtigere,
für den Gang der Geschichte folgenreichere Momente nicht immer
in gehöriger Beleuchtung hervortreten. Hier galt es also, einen
straffern historischen Stil anzuwenden, der Erzählung mehr Gleich
förmigkeit zu geben die Thatsachen nach dem Verhältniß ihres
größern oder geringern Einflusses zu gruppiren.
• Ernst Klein, evangelischer Pfarrer zu Bartfeld in Oberungarn,
ein Gelehrter, der sich seit lange eingehend mit der Geschichte seines
Heimatlandes beschäftigt hat, unternahm die Umarbeitung des Feß-
ler'sehen Werks im angedeuteten Sinne. Ergänzung der Lücken
und Berichtigung der Irrthümer auf Grund kritisch beglaubigter
Documente, Ausscheidung des Ueberflüssigen oder Veralteten, Zu
sammenfassung der Schreibart und Durchdringung des Ganzen mit
dem Geiste einer vorgeschrittenen, freiem Weltanschauung — das
sind die Ziele, denen er bei Bearbeitung der neuen Auflage nach
gestrebt. Andererseits ward stets darauf Bedacht genommen, daß,
aller nothwendigen Veränderungen ungeachtet, die Originalität des
Autors unangetastet bleibe, das Werk also in derjenigen Gestalt
erscheine, die ihm Feßler selbst gegeben haben würde, wenn er
heute, ausgerüstet mit den modernen Hülfsmitteln und Ergebnissen
der Wissenschaft, die Geschichte Ungarns geschrieben hätte.
In welchem Grade dem Herausgeber die Lösung seiner Aufgabe
gelungen, dafür möge das competente Urtheil des ungarischen Geschicht
schreibers Michael Horväth sprechen, welcher sich eben deshalb
hat bereitfinden lassen, die neue Gestaltung des Feßler'schen Werks
beim Publikum einzuführen. Er sagt in seinem Vorwort: „Es ge
reicht mir zu großer Freude, dem Herrn Umarbeüer das Zeugniß zu
ertheüen, daß er die seit Feßler's Zeiten bekannt gewordenen Quellen
sammlungen mit Sorgfalt und Umsicht benutzt, die Besultate der von
seinen nächsten Vorgängern angestellten Geschichtsforschungen zur
Berichtigung dessen, was falsch, und zur Ergänzung dessen, was
mangel- und lückenhaft war, in reichlichem Maße verwendet habe.
Und so bekommt das deutsche Lesepublikum das Feßler'sche Geschichts
werk durch die Umarbeitung des Herrn Ernst Klein vielfältig ver
vollkommnet in die Hände; alle Vorzüge der ersten Auflage finden sich
darin nicht nur vollständig wieder, sondern sie werden durch gedrängtere
Darstellung , durch den modernen, echt freisinnigen Geist der Bear
beitung und durch unzählige Berichtigungen sehr wesentlich erhöht."
Das Feßler'sche Werk wird in dieser neuen, zeitgemäßen Um
arbeitung dem ungarischen wie dem deutschen Publikum gleich
willkommen sein. Die Geschichte Ungarns ist darin auf Grund der
neuesten Forschungen mit einer Vollständigkeit dargestellt, wie sie
noch von keinem andern Werke erreicht wurde, und bei dem er
höhten Interesse, welches seit den letzten Jahren die ungarischen
Verhältnisse in Anspruch nehmen, während dieselben im Auslande,
namentlich auch in Deutschland, zum Theil noch so wenig gekannt
sind, dürfte das Erscheinen der neuen Bearbeitung gerade im gegen
wärtigen Augenblicke mit um so lebhafterer Theilnahme begrüßt werden.

Feßler's „Geschichte von Ungarn" wird in der zweiten Auf


lage 4— 5 Bände in Großoctav- Format umfassen und, um die
Anschaffung zu erleichtern, in 16—20 Lieferungen zu 20 Ngr.
ausgegeben, deren 4 einen Band bilden. Durch die gedrängtere
Darstellung einerseits und durch zweckmäßigere Druckeinrichtung
andererseits ist es möglich geworden, auf diesem viel geringern
Räume mehr historischen Stoff zu bieten, als die erste Auflage
bei ihrem Umfang von 10 Bänden enthielt; ebenso wird infolge
dessen der Preis wesentlich billiger sein als früher und die all
gemeine Verbreitung des Werks ermöglichen.
Die erste Lieferung ist soeben 'erschienen und in allen
Buchhandlungen vorräthig, woselbst Unterzeichnungen auf das
Ganze angenommen werden.
Leipzig, im November 1866.

F. A. Brockhaus.
Geschichtswerke
aus dem Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig.

Horväth, Michael. Fünfundzwanzig Jahre aus der Geschichte Ungarns


von 1823 —1848. Aus dem Ungarischen übersetzt von Joseph Novelli.
Zwei Bände. 8. Geh. 5 Thlr.
Görgei, Arthur. Mein Leben und Wirken in Ungarn in den Jahren
1848 und 1849. Zwei Bände. 8. Geh. 6 Thlr.
Drei Jahre Verfassungsstreit. Beitrag" zur jüngsten Geschichte Oester-
reichs. Von einem Ungar. 8. Geh. 1 Thlr. 5 Ngr.
Siebenbürgen und die österreichische Regierung in den letzten vier
Jahren. 8. Geh. 1 Thlr.
Zur Krisis in Ungarn. Einziges Mittel zur Lösung .auf verfassungs
mässigem Wege. Von einem Unbefangenen. 8. Geh. 8 Ngr.
Paton, A. A. Researches on the Danube and the Adriatic; or, Contri-
butions to the modern history of Hungary and Transylvania, Dalmatia
and Croatia, Servia and Bulgaria. 2 vols. 8. Geh. 1 Thlr.
Carlyle, Thomas. Die Französische Revolution. Eine Geschichte. Aus
dem Englischen von P. Feddersen. Drei Bände. 12. Geh. 3 Thlr.
Diplomatische Geschichte der Jahre 1813, 1814, 1815. Zwei Theile.
8. Geh. 4 Thlr. 10 Ngr.
Gregorovius, Ferdinand. Die Grabmäler der römischen Päpste. Histo
rische Studie. 8. Geh. 1 Thlr. 6 Ngr. Geb. 1 Thlr. 15 Ngr.
Hormayr, Joseph Freiherr von. Das Land Tirol und der Tirolerkrieg
von 1809. Zweite Auflage. Zwei Theile. 8. 4 Thlr. 12 Ngr.
Das Heer von Inneröstreich unter den Befehlen des Erzherzogs
Johann im Kriege von 1809, in Italien, Tirol und Ungarn. Zweite
Auflage. 8. 3 Thlr.
Xaramsin, Nikolai Michailow. Geschichte des russischen Reichs. Nach
der zweiten Originalausgabe übersetzt. Elf Bände. 8. 21 Thlr. 25 Ngr.
Kaeuffer, Johann Ernst Rudolf. Geschichte von Ost-Asien. Für Freunde
der Geschichte der Menschheit dargestellt. Drei Theile. 8. 11 Thlr.
Neumann, Karl Friedrieh. Geschichte des Englischen Reiches in Asien.
Zwei Bände. 8. 7 Thlr*
Baumer, Friedrich von. Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit.
Dritte Auflage. Sechs Bände. 8. Geh. 6 Thlr. Geb. 7 Thlr.
(Ein dazu gehör1ger Atla3 von Kupfern und Karten 2 Thlr.)
Geschichte Europas seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Acht
Bände. 8. 24 Thlr. 13 Ngr.
Eecueil des traites et Conventions conclus par l'Autriche avec les
puissances etrangeres, depuis 1763 jusqu'ä nos jours. Par Leopold
Neumann. 6 vols. 8. 19 Thlr.
Soldan, Wilhelm Gottlieb. Geschichte des Protestantismus in Frank
reich bis zum Tode Karl's IX. Zwei Bände. 8. 6 Thlr.
Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedrich von
Raumer. Vierte Folge. 8. Jeder Jahrgang 2 Thlr. 15 Ngr.
Die Erste bis Dritte Folge (Jahrg. 1830 — 59) kosten 1m ermässigten Pre1se jede 10 Thlr.,
zusammen genommen (30 Jahrgänge) 25 Thlr. ; e1n einzelner Jahrgang 1 Thlr. 10 Ngr.

Druck von F. A. B»ockhaus 1n Le1pz1g.


Geschichte von Ungarn.

Erster Band/
(fadtkftte von Ungarn,
Von

Ignaz Aurelias Fessler.

Zweite vermehrte und verbesserte Auflage,

bearbeitet

von

Ernst Klein.

Mit einem Vorwort von Michael Horväth.

(Erftcr jßanü.
Die Urgeschichte und die Zeit der Herzoge und Könige
aus Ärpad's Stamme bis 1301.

Leipzig :
F. A. Brockhau 1

1867.
"BP, .MCA.

»I. .'.>.. '. ... Ij.


V... 7

Bayerische
Staatsbibliothek
München
Vorwort
von
Die ungarische Nation
Michael
hatHorväth.
seit der Eroberung des Lan

des , welches sie bewohnt , sowol durch ihren Verkehr mit den
Nachbarstämmen als vermöge ihrer eigenen Staatseinrichtungen
eine so wichtige Rolle unter den Völkern Europas gespielt, daß
eine eingehendere Kenntniß ihrer Geschichte allen Freunden der
historischen Literatur, insbesondere aber deutschen Lesern
interessant
Schon und
die Niederlassung
belehrend seinder
dürfte.
Ungarn in dem von den Kar

paten begrenzten, von der Donau und der Theiß bewässerten


Lande ist von entscheidendem Einfluß auf die Schicksale Deutsch
lands gewesen. Sie haben, indem sie sich in die Mitte des
eben in der Bildung begriffenen großen Slawenreichs einge
keilt , die Vereinigung der verschiedenen slawischen Stämme für
immer verhindert und dadurch die Begründung des Deutschen
Reichs erleichtert. Und hatte ihr Bündniß mit Arnulf gegen
den mächtigen Swatopluk wichtige Folgen für Deutschland, so
waren selbst ihre spätem, ein halbes Jahrhundert fortgesetzten
verheerenden Einfälle in das Deutsche Reich für dessen staat
liche Durch
Einigung
dieund
Annahme
Befestigung
des Christentums
von kaum geringerer
in denBedeutung.
Kreis der

europäischen Völkerfamilie eingereiht, bildete sich Ungarn rasch


zu einem angesehenen Staate im Osten Mitteleuropas aus.
Es unterwarf sich Kroatien, Dalmatien wie die übrigen nörd
lichen Provinzen des untergehenden Oströmischen Reichs und
'ward, indem es diese Länder wider die aus dem fernen
Osten heranstürmenden barbarischen Schwärme beschützte, ein
mächtiger Damm der christlichen Civilisation gegen die Fluten
der heidnischen Barbarei. Sodann wurde es in den großen Kampf
mit verflochten, welchen zur Zeit der sächsischen und hohen-
staufischen Kaiser das Deutsche Reich und die Kirche miteinander
VI Vorwort von Michael Horvath.

führten, und nachdem dieser lange Streit endlich ausgefochten


war, sicherte Ungarn dadurch, daß es Rudolf von Habsburg
gegen Ottokar auf den Thron verhalf, Deutschland wieder
eine ruhigere Zeit. Nicht lange hernach waren es Ungarns
Könige Karl Robert und Ludwig der Große, welche die lang
wierigen Streitigkeiten zwischen dem Reich, Polen und dem
mächtig emporstrebenden Deutschen Orden schiedsrichterlich
schlichteten und in Ludwig's Erben, König Sigismund, dem
Deutschen
Seit dieser
Reiche
Zeit
einen
wurden
Kaiserdiegaben.
Kräfte Ungarns von der an

stürmenden Macht des Halbmonds in Anspruch genommen;


über zwei Jahrhunderte diente es als Bollwerk der Christen
heit gegen den Islam, als Vormauer der aus mittelalterlicher
Roheit und Unwissenheit zur höhern Cultur emporstrebenden
europäischen Civilisation ; es beschützte vornehmlich Deutsch
land gegen die alles verheerenden Fluten der osmanischen Barbarei.
Mag Ungarn während dieser kriegerfüllten dritthalb Jahr
hunderte zum Ausbau der geistigen und moralischen Güter der
Menschheit auch nicht viel Positives beigetragen haben, ja selbst
in den meisten Beziehungen seines national - gesellschaftlichen
Lebens in Verkommenheit gerathen sein, so hat es doch jeden
falls der Civilisation einen wesentlichen Vorschub geleistet, in
dem es dieselbe mit seinem eigenen Leibe vor Verwüstung be
schützte,
Aber ihren
nicht friedlichen
minder wichtig
Fortschritt
und lehrreich
und ihr Gedeihen
ist die Geschichte
sicherte.

Ungarns, insofern sie die innern Verhältnisse des Landes, die


Entwickelung des nationalen, staatlichen und gesellschaftlichen
Lebens seiner Bewohner und deren Wirken auf diesen Gebie
ten schildert.
Das höchste Streben des ungarischen Volks während seines

tausendjährigen Lebens in der Mitte Europas war unausgesetzt


auf die Ausbildung und Bewahrung der Freiheit gerichtet. Selbst
freiheitliebend , zwang es auch den fremdzüngigen Stämmen , die
es sich in seinem neueroberten Vaterlande unterworfen hatte, nicht
das Joch der Knechtschaft auf, sondern nahm dieselben zu
Waffengefährten und Brüdern an. Nationale Unduldsamkeit
war nie die Untugend des Ungars, eben weil er nicht die Be
herrschung anderer, sondern nur die gemeinschaftliche Freiheit
erstrebte. Daher kam es, daß die übrigen im Lande mit ihm
zusammenwohnenden Stämme, obwol an Zahl überwiegend,
Vorwort von Michael Horvath. vn

sich nie, auch nicht in den kritischsten Momenten des Staats


gegen ihn erhoben. In dieser nationalen Duldsamkeit liegt
auch der Grund davon, daß sich das Magyarenthum mit den
übrigen Stämmen sehr wenig vermischte, und daß letztere
ebenfalls ihre Sprache wie ihre sonstigen nationalen Eigenheiten
bis auf den heutigen Tag ungehindert erhalten und entwickeln
konnten.
Und wie im nationalen , so war die Freiheit auch im reli

giösen und staatlich-politischen Leben fortwährend das höchste


Ziel , des Ungars. In seiner geistigen Thätigkeit besonders
praktisch, ließ er sich nach keiner Richtung hin so eng in die
Fesseln des Systems einzwängen, und verirrte er sich nie so
weit im unwegsamen Labyrinth der Schwärmereien , daß er
darüber
Im allgemeinen
die Interessen
religiös,
der Freiheit
hielt er vernachlässigt
sich gleich weit
hätte.
von den

Gegensätzen der Unkirchlichkeit und Ueberkirchlichkeit fern,


verlor er sich weder in das Leere eines gemüthlosen In
differentismus noch in das Wirrsal dogmatischer Grübe
leien. Religiöse Zerwürfnisse finden sich in seiner Geschichte
nicht häufig, wenigstens nicht anhaltend vor, und hierarchischer
Unduldsamkeit war seine freiheitliebende Natur stets abhold.
Konnte er sich selbständig, frei von fremden Einflüssen be
stimmen, so verfiel er nie auf Verfolgung Andersglaubender.
In Siebenbürgen z. B. haben unter den einheimischen Fürsten,
bald nach der Reformation, alle christliche Confessionen Auf
nahme gefunden, und die Gleichheit und Freiheit derselben
wurde schon 1557 und 1563 durch Landesgesetze gesichert.
Und wenn im Laufe des 17. Jahrhunderts die beiden prote
stantischen Confessionen im eigentlichen Ungarn schwere Ver
folgungen zu erleiden hatten , so waren diese immer . von
außen her aus politischen Gründen aufgedrungen, nie aber dem
Volksgeiste entsprossen. Sobald Franz Räköczy II. das Land
von diesen aus der Fremde stammenden Einflüssen befreit
hatte, vereinigten sich die verschiedenen Confessionen gleich
wieder brüderlich im Gefühl des Patriotismus und der natio
nalen Freiheit. Eine Denkmünze, die auf einem gemeinschaft
lichen Altar opfernden Diener der drei Confessionen darstellend,
mit der Inschrift: „Concummt ut alunt" und „Concordia
religionum animata libertate11, bewahrt das Andenken dieser
schönen Gesinnung.
VtH Vorwort von Michael Horväth.

Wenn man dem Grunde dieser Thatsache nachforschte,


so möchten die Meinungen wol verschieden lauten. Die einen
würden sagen: die religiöse Duldsamkeit, welche die Ungarn
schon in solchen Zeiten bethätigten, als viele andere Völker
noch um religiöser Meinungen willen in lange Zerwürfnisse und
heiße Kämpfe verwickelt waren, beruhe bei ihnen auf dem
Mangel an Sinn für das Uebersinnliche und Absolute; und
sie würden zum Belege dessen anführen, daß der Geist des
Ungars auch für die abstracten Wissenschaften, für tiefere
Forschungen der Philosophie nie glänzende Anlagen bekundet
habe. Andere würden den Grund vielleicht in der Gleich
gültigkeit des ungarischen Geistes gegen alles Ideale erblicken.
Ich meinerseits, ohne für oder gegen die angeführten Mei
nungen auftreten zu wollen, behaupte mit der Zuversicht,
zu welcher mich eine genaue und parteilose Beobachtung des
ungarischen Volksgeistes und meine vieljährigen Studien der
ungarischen Geschichte berechtigen dürften, daß die nationale
sowol wie die kirchliche Duldsamkeit des Ungars vorzüglich
seiner glühenden Liebe zur Freiheit zuzuschreiben ist. Diese
Leidenschaft, die den Grundzug des ungarischen Charakters
bildet, konnte sich mit keinem Zwange, weder im staatlichen
noch im gesellschaftlichen Leben, vertragen. Begeistert für
die Freiheit in seinen politischen Einrichtungen, könnte und
wollte das ungarische Volk auch den Zwang des Gewissens
weder selbst erdulden, noch andern gegenüber ausüben. Seine
nie erloschene Freiheitsliebe verlieh ihm auch, noch bevor
es zu einer höhern Geistesbildung gelangt war , einen gewissen
politischen Takt, eine staatsmännische Einsicht, welche es vor
Engherzigkeit, Unduldsamkeit und Unterdrückung anderer
Stämme
Wasbewahrt
auch diehaben.
Rivalität, der Uebermuth, der Haß unserer

Feinde uns nachsagen, wie sehr sie uns geringschätzen mögen,


eins können sie uns nicht streitig machen: daß der Ungar
zur praktischen Politik, zur Staatskunst vorzugsweise Anlage
und Befähigung besitzt. Beweis dessen ist seine tausendjährige
Geschichte. Klein an Zahl, konnten die Ungarn die ihnen
unterworfenen Völkerschaften nicht durch rohe Gewalt, son
dern nur durch eine weise Organisation, durch freiheitliche
Einrichtungen in Ruhe halten und zufrieden stellen. Umgeben
von weit zahlreichern Stämmen , vermochten sie ihren Staat und
Vorwort von Michael Horvath. , IX

ihre constitutionelle Freiheit in den Stürmen so vieler Jahr


hunderte nur dadurch zu erhalten, daß sie mit kriegerischem
Muth auch praktisch politischen Sinn und kluge Staatskunst
verbanden. •
Die Grundsätze eines freien constitutionellen Lebens, einer
festbegründeten Selbstregierung, deren erste Züge wir schon
im Leben und Wirken der rohen Schwärme, die sich an der
Donau niederließen, wahrnehmen, haben im ungarischen
Staatsleben unausgesetzt fortgewirkt. Selbst als der Einfluß
des feudalen Westens den Ungar zur Annahme mancher Ein
richtungen des Lehnswesens bestimmt hatte, ist letzteres niemals
in seiner ganzen Schroffheit in Ungarn eingeführt worden. Die
freie Selbstregierung, den freien Güterbesitz hat sich das Volk
nie entziehen lassen. Es entstanden wol manche Standesunter
schiede; aber der Adel, in seinen zahlreichen Abstufungen, be
wahrte sich gegenüber den Fürsten sowol das freie Eigenthum
als auch seinen gesetzlichen, in den nationalen Versammlungen
sehr oft mit großer Energie ausgeübten Einfluß auf die öffent
lichen Angelegenheiten ; er bewahrte ferner seine legislative Ge
walt vor der Willkür der Könige und nahm durch die municipale
Organisation der Comitate auch an der Executive immer
einen großen und thätigen Antheil. Andererseits wurde der
Adel gegenüber dem Bauernstande nie zum unumschränkten
Herrn über die Person und das Los seiner Unterthanen, der
Bauer selbst nie an die Scholle des Bodens gefesselt. In sei
nem Verhältniß zu den untern Klassen war der Adel keines
wegs eine "streng abgeschlossene Kaste; stets konnten Per
sonen aus allen Ständen, infolge ausgezeichneter Thaten im
Kriege und Frieden oder wissenschaftlicher und kirchlicher
Verdienste, zu den höchsten Würden gelangen. Um einige
Beispiele anzuführen, so ist unter andern die berühmte Magnaten
familie der Orszäg aus einem sehr niedern Stande hervorge
gangen, der mächtige Kinizsy vom Müllerburschen zum Feld
herrn und zur Würde eines obersten Reichsrichters empor
gestiegen, und selbst der Vater König Matthias' des Großen
aus dem Schose einer sehr armen Familie zum Reichs -Guber-
natorSelbst
erhoben
in neuern
worden.Zeiten, als in den meisten Ländern das

absolute Königthum die Staatsgewalt völlig absorbirte, die


Freiheit aller Stände in Fesseln schlug und die Grundsätze
X , Vorwort von Michael Horvath.

constitutioneller Regierung gänzlich unterdrückte, erhielt sich


die ungarische Nation ihre geschichtlich entwickelte ständische
Verfassung und das Recht der Selbstregierung stets in voller
Wirksamkeit. Wol mußte sie für die Wahrung ihrer Frei
heit so manchmal das Schwert ziehen und das Elend langer
innerer Kämpfe erdulden; aber nie ließ sie sich auf die Länge
ihrer Constitution berauben; ob auch von Blute triefend, hielt
sie stets das Recht legislativer Gewalt auf ihren Reichstagen
und das der municipalen Selbstregierung in ihren Comitaten
aufrecht.
Nach einem vollen Jahrhundert innerer Erhebungen und

blutiger Kämpfe wider das nach Willkürherrschaft strebende


Königthum schien letzteres von der Bekämpfung der nationalen
und constitutionellen Freiheit des Volks endlich abstehen zu wollen.
Der Szatmärer Friede im Jahre 1711 gab dein Lande die Ruhe
zurück. Aber das Königthum von Gottes Gnaden änderte nur
die Mittel, nicht das System. Unvermögend, durch rohe Ge
walt zum Zweck zu gelangen, versuchte es durch Errich
tung mehrerer Dicasterien die Nation in die Fesseln einer eng
herzigen, jeder Freiheit feindlichen Bureaukratie zu schlagen.
Hundert Jahre dauerte dieser neue Versuch ; er scheiterte aber
schließlich ebenso vollständig wie die frühem Gewaltmaßregeln
an der unbezwinglichen Beharrlichkeit, womit die Nation festhielt
an ihrer Verfassung und an den freien Comitatseinrichtungen,
welche ihr eine ausgedehnte Selbstregierung sicherten. Der
passive Widerstand des Volks siegte über die Bureaukratie,
wie früher die immer sich wiederholenden Volkserhebungen
über die gewaltsam angestrebte Willkürherrschaft den Sieg
davongetragen
Die umfassende,
hatten. in die Tiefen des Volkslebens dringende

Geschichte einer Nation , welche so zäh an ihrer Freiheit fest


hält und diese ebenso tapfer aus blutigen Kämpfen siegreich
rettete, wie klug den Chicanen und schlauen Künsten einer
macchiavellistischen Cabinetspolitik unverkürzt zu entwinden
wußte; einer Nation, die weder sich durch andere größere
Stämme absorbiren ließ, noch ihrerseits die kleinern Stämme
absorbirte; einer Nation, welche Kraft und Ausdauer in Wah
rung ihrer Rechte mit Achtung der Rechte anderer Nationali
täten, mit Duldung und Gewissensfreiheit so geschickt ver
bindet und die dabei stets so feinen politischen Takt, so
Vorwort von Michael Horvath. XI

verständige staatsmännische Einsicht an den Tag legte, — d1e


Geschichte dieser Nation muß jedermann sehr viel Lehr
reiches darbieten, vorausgesetzt daß sie den Volksgeist richt1g
auffaßt und unverzerrt widerspiegelt, die Einrichtungen des
öffentllchen und gesellschaftlichen Lebens klar und getreu dar
stellt,
War
die nun
Thatsächen
das Feßler'sche
parteilos und
Werk,
wahrhaftig
das jetztschildert.
in neuer Be

arbeitung erscheinen soll, eine solche Geschichte? Ich werde


zu
versuchen,
zeichnen.
Feßler'sdessen
„Geschichten
Vorzüge der
undUngern
Mängelund
mit ihrer
wenigen
Landsassen'
Strichen

sind ohne Zweifel das Erzeugniß eines talentvollen, genialen


Mannes, dessen Auffassung lichtvoll, dessen Erzählungswe1se
kunstgerecht und angenehm, dessen Urtheil, geistreich, scharf
sinnig und meistens richtig, dessen Wahrheitsliebe endlich über
allen Zweifel erhaben ist. Hätte Feßler eine umfassendere
politische Erziehung genossen und eine praktische Laufbahn
im nationalen Leben durchgemacht, welche ihm Gelegenheit
geboten, tiefer in den Geist unserer Staatsverfassung einzu
dringen; wäre zu seiner Zeit die Geschichtsforschung in Ungarn
auf der Stufe gewesen, auf welcher sie sich heutigentags be
findet: ^an Befähigung würde es ihm nicht gefehlt haben r sei
nem Werke einen hohen Grad der Vollkommenheit zu verleihen.
Die Mängel desselben sind größtenteils seiner Lebens
stellung entsprungen, deren engbegrenzter Kreis ihn die That
sachen und Begebenheiten nicht immer aus einem genugsam
hohen Standpunkte, nicht in ganz vorurtheilsfreiem Lichte auf
fassen und beurtheilen ließ. Seine Weltansicht ist bisweilen
beschränkt, mystisch, an die Klosterluft erinnernd. Es fehlt
ihm an der praktisch -politischen Schule, weshalb seine An
sichten dem unbefangenen, staatsmännisch gebildeten Leser,
dem Liberalen modernen Geistes nicht überall stichhaltig er
scheinen. Auch war, wie schon bemerkt, in seiner Zeit die
Geschichtsforschung noch zu lückenhaft, es lagen noch zuwenig
Urkundensammlungen, Staatsschriften und Memoiren zur Be
nutzung vor , als daß es möglich gewesen wäre , den Geist der
verschiedenen Epochen, die Offenbarungen des Volksgenius, die
Tragweite der Thatsachen immer richtig zu erfassen, die Be
gebenheiten in ihrer eigenthümlichen Färbung zu schildern.
Daher sind die Aeußerungen des Volkslebens, die auftretenden
XU Vorwort von Michael Horväth.

Persönlichkeiten und die Triebfedern der Begebenheiten, wie


solche von Feßler vorgeführt werden , zum Theil imaginäre Ge
staltungen , seiner noch nicht durch die seitdem aufgefundenen
Quellen geläuterten und berichtigten Anschauung; so anziehend
die Welt dargestellt ist, in welcher seine Helden sich bewegen
und die Begebenheiten sich vor uns abrollen, es ist doch nicht
immerIn die
Anbetracht
national-ungarische
seiner vorstehend
Welt, angedeuteten
die er uns schildert.
Mängel hätte

ich nie dazu rathen können , das sonst vielfach so ausgezeichnete


Feßler'sche Werk unverändert neu abzudrucken, besonders
da in den letzten Jahren schon vollkommenere Bearbeitungen
der ungarischen Geschichte in der Nationalsprache erschienen
sind, welche übersetzt und dem deutschen Lesepublikum dar
geboten
Für zu
umwerden
so berechtigter
verdienen. halte ich die Wiederherausgabe

des Werks in der Gestalt, die es unter der Hand seines neuen
Bearbeiters gewinnen wird: nur das Gerippe soll beibehalten,
Fleisch und Blutsollen verjüngt, der Geist in den früher mangel
haften Stellen gänzlich umgeformt werden. Liegt mir auch
noch zu wenig von der neuen Bearbeitung vor, um ein be
stimmtes Urtheil über das Ganze aussprechen zu können, so
vermag ich doch schon aus dem Wenigen mit ziemlicher Sicher
heit auf die weitere Ausführung zu schließen, und es gereicht
mir zu großer Freude, dem Herrn Umarbeiter das Zeugniß
zu ertheilen, daß er die seit Feßler's Zeiten bekannt gewor
denen Quellensammlungen mit Sorgfalt und Umsicht benutzt,
die Resultate der von seinen nächsten Vorgängern angestellten
Geschichtsforschungen zur Berichtigung dessen, was falsch, und
zur Ergänzung dessen, was mangel- und lückenhaft war, in reich
lichem Maße verwendet habe. Und so bekommt das deutsche
Lesepublikum das Feßler'sche Geschichtswerk durch die Um
arbeitung des Herrn Ernst Klein vielfältig vervollkommnet in
die Hände; alle Vorzüge der ersten Auflage finden sich darin
nicht nur vollständig wieder, sondern sie werden durch gedräng
tere Darstellung, durch den modernen, echt freisinnigen Geist
der Bearbeitung und durch unzählige Berichtigungen sehr we
sentlich erhöht. Dies ist meine aufrichtige und feste Ueber-
zeugung. Denn wiewol mir, wie gesagt, als Anhalt zu die
ser Ueberzeugung nur erst der Beginn der neuen Ausgabe
zur Einsicht vorliegt: so glaube ich mich doch berechtigt,
Vorwort von Michael Horvath. XID

dasselbe, was ich in dem Anfange des Werks erkannt, auch von
den übrigen Theilen zu erwarten. Es berechtigt mich dazu
die Kenntniß des Plans, den Herr Klein seiner Arbeit zu Grunde
gelegt hat und über welchen er mir unter anderm Folgendes
mittheilt:
„Seit Feßler seine Geschichte geschrieben, haben die For

schungen und Arbeiten so vieler Historiker ein neueö und helles


Licht über die Geschichte Ungarns verbreitet; nicht nur ein
zelne Thatsachen sind aufgeklärt worden, sondern die ganze
Anschauungsweise hat sich geändert, sodaß vieles, was Feßler
erzählt, als unrichtig oder doch in der Darstellung verfehlt er
scheint. Dazu wird unsere Zeit von andern politischen An
sichten beherrscht; Grundsätze, .wie sie Feßler zuweilen, im
Widerspruch mit seinen sonstigen freien Meinungen, äußert,
bekennt heutzutage kaum noch der starre Absolutist. Ferner
berichtet er Geringfügiges mit großer Ausführlichkeit und zieht
Dinge herbei, die streng genommen gar nicht zur Sache
gehören Die Irrthümer müssen berichtigt, die Ansich
ten untereinander und mit der Jetztzeit in Uebereinstimmung
gebracht, die wichtigern Partien mehr hervorgehoben, unnütze
Episoden Weggelassen, auch die Schreibart muß gedrängter
werden. Das erkannte ich als die unerlaßlichsten Erforder
nisse einer Umarbeitung für die neue Ausgabe. In dieser Weise
gedenke ich auch die übergroße Ausdehnung des Feßler'schen
Werks einzuschränken und bei geringerm Umfang dennoch mehr
historischen Stoff zu bieten. Aber während der Arbeit —
mochte ich mir auch noch so große Mühe geben, vom Ori
ginal möglichst viel beizubehalten — entstand unvermerkt ein
Werk, das von jenem ziemlich verschieden ist. Wird das
selbe„Ich
nochhabe
berechtigt
mir sodann
sein, erstens
Feßler'sdieNamen
Aufgabe
zu gestellt,
tragen ? im gan

zen Verlauf der Geschichte augenscheinlich darzuthun, wie


wenig die Magyaren die unter und neben ihnen im Lande leben
den Nationen unterdrückten, wie sie ihnen nicht nur gleiche
bürgerliche Stellung , sondern sogar gerade ihnen wichtige Vor
rechte
„Zweitens
gewährtenbemühe ich mich, die Entwickelung der Landes

verfassung und die eigenthümliche Gestaltung , welche der Feu


dalismus in Ungarn annahm, sowie beider Wesen und Form in
jedem Zeitalter zu schildern. Gerade dieser wichtige Theil des
XIV Vorwort von Michael Horvath.

Volkslebens wurde bisher, wegen Mangel an bestimmten Nach


richten, am lückenhaftesten dargestellt; ich muß mir hier durch
Combinationen aus den Gesetzen und Urkunden und durch
Folgerungen aus einzelnen Thatsachen zu helfen suchen.
4,Drittens halte ich es für nothwendig, die Geschichte des
Protestantismus in Ungarn und . dessen kirchliche Verfassung
mehr zu berücksichtigen, als es bisher geschehen ist und ge
schehen durfte, nicht nur weil der Protestantismus die Con-
fession eines großen Theils der Bevölkerung ist, sondern auch
weil er vermöge der demokratischen Richtung, die er hier
nahm, und des fortwährenden Kampfes, den er gegen seine
Unterdrücker führte, auf die Gestaltung der Dinge und auf die
Bewahrung der Freiheit und Selbständigkeit des Vaterlands einen
mächtigen, oft entscheidenden Einfluß übte.
„Viertens strebe ich danach, da dieses deutsch geschriebene
AVerk für Nichtmagyaren und für das Ausland bestimmt ist,
solche Zustände und Einrichtungen Ungarns, die dem Fremden
schwer„Aus
verständlich
derselben Ursache
sind, in will
erklärender
ich, fünftens,
Weiseden
darzustellen.
Geist unsers

Volks, seine Sprache, Gesittung, Lebensweise und bürgerlichen


Verhältnisse in der Vergangenheit und Gegenwart so eingehend
zu schildern suchen, daß die vielen aus Unkenntniß und durch
böswillige Verleumdung entstandenen Vorurtheile gründlich zer
störtIch
werden
habe dem" Vorstehenden kaum noch etwas anderes

beizufügen als den aufrichtigen Wunsch, es möge Herrn, Klein


sein schönes Vorhaben vollkommen gelingen. Dann wird das
von ihm umgearbeitete Feßler'sche Werk, indem es die Ge
schichte eines Volks, das gewiß kein unthätiges Mitglied der eu
ropäischen Völkerfamilie bildet, zu allgemeinerer Kenntniß bringt,
sicher viel dazu beitragen, daß richtige und wahrhaft liberale
Ideen über Volksfreiheit, daß Brüderlichkeit und Solidarität der
Völker sich fest und dauernd begründen, daß die schamlosen
Ränke derer zu Schanden werden , welche durch eine feile und
lügenhafte Tagespresse die Nationen zu entzweien und durch
Aufreizungen
Genf, imzum August 1866. Haß sieMichael
gegenseitigen Horväth.
zu beherrschen trachten.
Vorrede.

JJem ungarischen Volke fehlt es weder an interessanten Erschei


nungen in seinem bald tausendjährigen Staatsleben noch an welthisto
rischer Wichtigkeit. Die Magyaren, ein Zweig des altaischen Stammes,
eroberten gegen das Ende der großen Völkerwanderung ihr heutiges
Vaterland, vereinigten sich mit den verschiedenen Nationen, die sie
hier vorfanden, und mit später Eingewanderten zu einem politischen
Volke und nahmen die Religion, Gesittung und bürgerliche Ver
fassung des Abendlandes an, bewahrten jedoch trotz aller fremden
Einflüsse ihre Sprache und Eigenthümlichkeit. Energie, Freiheitsliebe
und Sinn für gesetzmäßige Ordnung zeichneten von jeher dieses Volk
aus. Es war jahrhundertelang eine Schutzwehr Europas gegen die
furchtbare Macht der Türken , gleichsam vom Schicksal bestimmt , zu
kämpfen und sein Blut zu vergießen, damit die weiter westlich woh
nenden Völker ungestört sich allseitig entwickeln , in Wissenschaft und
Kunst fortschreiten konnten. Während im Laufe der letzten Jahr
hunderte die meisten Länder Europas ihre ständischen Verfassungen
verlieren und der Absolutismus überall die Oberhand gewinnt, seilen
wir das von den Osmanen halb eroberte, in kirchliche, politische und
nationale Parteien zerrissene , von einem König , der zugleich unum
schränkter Monarch anderer Länder ist, regierte Ungarn für seine ver
fassungsmäßigen Rechte muthvoll und unablässig kämpfen, dieselben
immer wieder erringen, so oft sie ihm gewaltsam entrissen werden;
wir sehen es fortwährend bemüht, seine Constitution nach den eigenen
Bedürfnissen sowol wie nach den Forderungen der Zeit auszubilden.
Zwar läßt sich nicht leugnen, daß Ungarn in mancher Hinsicht hinter
den westlichen Nationen zurückblieb; aber die Schuld davon trägt
nicht die Nation selbst : die langen verwüstenden Kriege mit barba
rischen Völkern, die Kämpfe für ihre Selbständigkeit und Freiheit,
die gewaltigen Hindernisse, die ihrer Entwickelung entgegengestellt
XVI Vorrede.

wurden, haben ihre Fortschritte gehemmt; sie hat sich jedoch auf
gerafft, strebt unermüdet vorwärts, leistet in Wissenschaft, Kunst
und Industrie bereits mehr, als man noch vor wenig Jahren und unter
den obwaltenden Umständen auch nur für möglich halten durfte; die
Worte eines großen Ungars, Stephan Szechenyi's: „Ungarn war nicht,
aber Ungeachtet
es wird sein",
all fangen
dieser Eigenthümlichkeiten
an in Erfüllung zu gehen.
, Schicksale und Thaten

ist Ungarn, sein Volk und seine Geschichte, selbst den benachbarten
Nationen nicht so bekannt, als es zu sein verdiente. Oft ergriff
mich bittere Wehmuth, wenn ich mein Vaterland und mein Volk ver
kannt und von unwissenden, oder parteiischen oder bezahlten Menschen
hart verleumdet sah; dann regte sich in mir der Vorsatz, eine Ge
schichte Ungarns in deutscher Sprache zu schreiben, den Geist, das
Leben und die Schicksale des ungarischen Volks unparteiisch zu
schildern.
Es sind zwar ausser den ältern auch vorzügliche neuere Werke

über die Geschichte Ungarns vorhanden. Als die Begeisterung für das
Vaterland und für die Muttersprache zu Ende des vorigen und zu An
fang des jetzigen Jahrhunderts mächtig erwachte, nahm auch die
heimische Geschichtschreibung einen außerordentlichen Aufschwung.
Nur einige von den vielen Männern, die sich um dieselbe hervorragende
Verdienste erwarben, seien hier genannt: Fejer sammelte jahrelang
Urkunden für seinen bändereichen „Codex diplomaticus" ; Graf Joseph
Teleky beschrieb in acht Bänden das Zeitalter der Hunyady, eine der
merkwürdigsten und wechselvollsten Perioden im Leben des unga
rischen Volks; Franz Toldy verfaßte eine Geschichte der ungarischen
Literatur, von den ältesten Zeiten beginnend; Paul Hunfalvy vertiefte
sich in mühsame Forschungen über die Sprache und Herkunft der
Magyaren; selbst Dichter und Belletristen, wie, Michael Vörösmarty,
Johann Arany, die Barone Jözsika und Eötvös, Moritz Jökay,
weckten durch anziehende Behandlung vaterländischer Begebenheiten
und Zustände den Sinn für ungarische Geschichte. Aber das Be
deutendstein diesem Fache haben L ad is laus Szalay und Dr. Michael
Horväth geleistet. Des erstem vortreffliche, bei aller Tiefe der Ge
danken und Kürze, des Ausdrucks doch verständlich und anmuthig ge
schriebene „Geschichte Ungarns" (2. Ausg., Pesth 1861 — 66) reicht
nur bis 1711, da der Verfasser leider 1865 starb, ehe er sie vollen
den konnte. Horväth's grosses Werk umfaßt in .vier und in zweiter
Auflage in sechs Bänden die gesammte Geschichte Ungarns; derselbe
veröffentlichte außerdem „Fünfundzwanzig Jahre, 1823 — 1848,
aus der Geschichte Ungarns," (2 Bde., Genf 1864; deutsch in
zwei Bänden, Leipzig 1867), und „Der Unabhängigkeitskampf
Vorrede. XVII

Ungarns von 1848 und 1849" (3 Bde., Genf 1865), überall sorg
fältig in Erforschung der Quellen, unparteiisch und freisinnig in der
Auffassung, ausführlich und anziehend in der Darstellung; ferner zwei
kürzere Handbücher der ungarischen Geschichte, von denen die „Kurz
gefaßte Geschichte Ungarns" in deutscher Uebersetzung erschien (2 Bde.,
Pesth 1863). Aber alle die umfassenden neuern Werke sind in unga
rischer Sprache geschrieben, daher den des Ungarischen unkundigen
Lesern nicht zugänglich. Von Szalay's „Geschichte Ungarns" erscheint
zwar jetzt in Pesth eine deutsche Uebersetzung, allein dieses Werk ist,
abgesehen davon daß es sich nicht bis auf die neuern Zeiten erstreckt,
doch hauptsächlich für Ungarn berechnet, die mit den heimischen Zu
ständen vertraut sind, denn es gibt über letztere nicht die Aufklärungen,
welche der Ausländer zum rechten Verständniß oft nicht entbehren
kann. Die deutsch geschriebene „Geschichte der Magyaren" des
Grafen Johann Majläth (Wien 1828 — 31; 2. Aufl., Regensburg
1852 — 53) endlich ist ein oberflächliches , ohne Beruf und Vater
landsliebe im Sinne einer gewissen Partei verfaßtes, die Dinge oft
absichtlich zum Nachtheil Ungarns entstellendes Buch, das viele falsche
Vorstellungen und Ansichten in Umlauf gesetzt hat und nur in Er
mangelung
Um soeines
mehrandern
hatte Verbreitung
ich also Ursache,
finden konnte.
eine deutsch verfaßte Ge

schichte Ungarns für ein fortdauerndes Bedürfniß zu halten , und immer


lebhafter ward mein Wunsch, diesem Bedürfniß abzuhelfen. Aber die
Verhältnisse, in denen ich lebte, gestatteten mir nicht die nöthige
Muße, und die öffentlichen Zustände machten es beinahe unmöglich, ein
•Werk, wie ich es im Sinne hatte, erscheinen zu lassen. Endlich, am
Abend meines bewegten Lebens, kam die Zeit, wo ich an die Aus
führung des lang gehegten Vorsatzes ernstlich denken konnte, und
gleichzeitig auch eine willkommene Gelegenheit zu dessen Verwirklichung.
Die Verlagshandlung F., A. Brockhaus in Leipzig forderte mich nämlich
auf, das Werk Jgnaz Aurelius Feßler's: „Geschichten der
Ungern und ihrer Landsassen", das seit längerer Zeit ver
griffen war, behufs einer neuen Auflage derart zu ergänzen und umzu
arbeiten, daß es in Bezug auf den jetzigen Standpunkt der ungarischen
Geschichtschreibung den Anforderungen der Gegenwart entspreche, zu
gleich aber durch zweckmässige Kürzungen und Ausscheidung all es Ueber-
flüssigen oder Veralteten mehr als bisher dem größern Publikum zu
gänglich werde. Das Feßler'sche Werk besitzt neben manchen Mängeln
doch so überwiegend große Vorzüge, ich hielt es für so ehrenvoll, in
des Autors Fußstapfen zu treten, die Erfüllung meines heißen Wun
sches wurde mir durch den erhaltenen Auftrag so nahe gerückt, daß
ich mich sofort entschloß, denselben anzunehmen, obgleich ich recht
XVIII Vorrede.

gut fühlte , wie schwierig und gewagt es sei , das Werk eines Mannes
von so ausgebreiteter historischer Kenntniß und so eigenthümlichem
GeisteAlswie
ichFeßler
zur Arbeit
umarbeiten
schrittund
undverbessern
immer tiefer
zu wollen.
in die Geschichten

Feßler's eindrang, kam ich bald zu der Ueberzeugung, daß weit mehr
nothwendig sei, als der ursprüngliche Plan voraussetzte, damit nicht
ein unleidliches Flickwerk voll innerer Widersprüche, sondern ein har
monisches Ganzes entstehe; ich sah ein, daß ich mich yon allen Fesseln
der Scheu losmachen und dem Werke die Gestalt geben müsse,
die es etwa erhalten würde, wenn Feßler jetzt, ausge
rüstet mit den heute zu Gebote stehenden Hülfsmitteln,
und unter dem Einflusse der politischen und socialen
Ideen Dader
hiernach
Gegenwart
die neue Ausgabe
schriebe.von dem Original nicht unwesent

lich abweichen , mit demselben bisweilen in Widerspruch stehen und so


zusagen ein neues Werk bilden wird, halte ich mich für verpflichtet,
Rechenschaft von meinem Verfahren zu geben. Feßler schildert den
Geist des ungarischen Volks treu, gibt die Thatsachen und deren
Reihenfolge meist richtig, beschreibt die jedesmaligen Zustände treffend,
stellt die Katastrophen, welche Ungarn mehr als einmal auf den Gipfel
der Macht und an den Rand des Abgrunds führten, lebendig und er
greifend dar: hier tritt also in der Umarbeitung nur eine leichte Aende-
rung in den Worten oder in der Schreibart ein, während die Sache selbst
bleibt und nur Irriges berichtigt oder Fehlendes hinzugefügt wird, wie
es die neuen Forschungen an die Hand geben. Anders verhält es sich mit
der Auffassung und Beurtheilung der Dinge: Feßler stellt nicht selten
Behauptungen auf, die den Grundsätzen der ungarischen Verfassung und
den geschichtlichen Thatsachen widersprechen, und äußert Ansichten,
welche die Zeit, diese Lehrerin der Menschen, seitdem gerichtet hat;
ich erlaube mir daher in diesen Stücken mannichfache Abweichungen,
beruhend auf einer Anschauung der Dinge, wie sie aus dem Zusam
menhang der Begebenheiten, aus dem Geiste der alten ungarischen Con
stitution und aus den jetzigen Begriffen über Menschenrechte, Staat
und Kirche hervorgeht. Bisweilen geschieht es, daß Feßler einzelnen,
weniger bedeutenden Gegenständen zu viel Aufmerksamkeit und Raum
widmet, wodurch andere und zwar wichtigere gewissermaßen in den
Hintergrund gedrängt werden; ich strebe nun, der Erzählung mehr
Gleichformigkeit zu geben und das, was mir wichtiger scheint, auch
in der Behandlung hervortreten zu lassen. Von den häufigen Epi
soden und ausführlichen Erzählungen fremdartiger Begebenheiten, die
das Feßler'sche Werk so sehr ausdehnen, habe ,ich diejenigen ganz
weggelassen, die in keiner engern Beziehung zu der Geschichte Ungarns
Vorrede. ' XIX

stehen, diejenigen aber, die zum Verständniß derselben erforderlich sind,


nach Möglichkeit abgekürzt. Da Feßler in seinen Jüngern Jahren selbst
Kapuzinermönch war und sehr ausgebreitete Kenntnisse in Sachen der
katholischen Kirche Ungarns besaß, behandelt er diese mit besonderer
Vorliebe , indem er z. B. die Geschichte der Bisthümer und Klöster mit
großer Ausführlichkeit erzählt. Auch hiervon behalte ich nur dasjenige
bei, was in ein Werk, das nicht Kirchen-, sondern Staatsgeschichte
sein soll, gehört und Wichtigkeit für das Ganze hat. Dagegen hat
er und haben bisher auch die andern Geschichtschreiber die protestan
tische Kirche Ungarns viel zu wenig berücksichtigt, theils aus Un-
kenntniß, theils weil sie die Wahrheit nicht sagen durften; in der vor
liegenden Geschichte wird ihr der gebührende Platz eingeräumt, ihr
Schicksal in Ungarn, die allmähliche Gestaltung ihrer Verfassung und ihr
Einfluß auf das Volk dargestellt werden. Auch die Staatsform , welche
im westlichen Europa jahrhundertelang die herrschende war und zum
Theil noch heute fortbesteht, deren mächtige Einwirkung wenigstens noch
in allen Verhältnissen sichtbar ist, der Feudalismus, fordert eine ein
gehendere Behandlung, als ihm Feßler zutheil werden ließ; der Nach
weis, wie das Lehnswesen nach dem Muster und durch den Einfluß
der benachbarten Länder eingeführt wurde, wie es die ursprüngliche
Stammverfassung der Magyaren umgestaltete, sich mit derselben ver
mischte und eine eigenthümliche Ausbildung erhielt, gehört also mit zu
der Aufgabe,
Dies sinddie
die ich
Veränderungen,
mir stellte. welche ich mit der Feßler'schen Ge

schichte vornehmen zu müssen glaube, damit die neue Ausgabe dem In


halt und der Darstellungsweise nach den Anforderungen der Gegenwart
entspreche. Durch sie und in Verbindung mit einer zweckmäßigem
Druckeinrichtung wird es mir zugleich möglich sein, in vier, höchstens
fünf mäßigen Bänden weit mehr historischen Stoff zu liefern, als die
zehn Bände der ersten Auflage darbieten. Daß diese Veränderungen
sehr bedeutend sind, daß durch sie das ganze Werk eine von seiner
ersten wesentlich verschiedene Gestalt erhält und , wie schon gesagt, "
eigentlich ein neues wird, läßt sich nicht leugnen. Aber ich hoffe, des
halb nicht Tadel zu verdienen, daß ich Irriges berichtige, Unhaltbares
aufgebe, Ueberflüssiges wegschaffe und so das Werk auf den gegen
wärtigen Standpunkt der ungarischen Geschichtsforschung und Ge
schichtschreibung zu stellen strebe. Und wird dieses zugestanden, so
kann auch nicht verargt werden, daß ich nur selten die Worte Feßler's
beibehalte. Ich versuchte es anfangs, nahm Kürzungen des Stils vor,
schied hier etwas aus, versetzte dort etwas an eine andere Stelle und
fügte Neues hinzu; aber das machte mir so unsagliche Arbeit, legte den
Gedanken so unerträgliche Fesseln an und gab der Schreibart ein so
XX Vorrede.

buntscheckiges Ansehen, daß ich darauf verzichten und mich entschlie


ßen mußte, nur den Sinn und die Sache wiederzugeben. Demungeachtet
halte ich dafür, daß das vorliegende "Werk bei aller Verschiedenheit
der ursprünglichen Fassung den Namen Feßler's zu führen berechtigt
ist; denn es fußt auf seiner Geschichte, hält der Hauptsache nach die
allgemeine Anlage derselben fest und wird, soweit es möglich ist, sich
immerFeßler
eng anführte
seine die
Darstellung
„Geschichten
anschließen.
der Ungern" bis dahin, wo der

Druck seines Werks begann , bis 1812. Da dieses Jahr aber in der Ge
schichte Ungarns keine bedeutende, die Zeit von 1791 — 1812 hin
gegen eine sehr wichtige und entscheidende Epoche bildet, und da
gerade der Zeitraum zwischen den genannten Jahren aus leicht er
klärlichen Ursachen von Feßler oberflächlich und mit großer Zurück
haltung behandelt ist: so schien es zweckmässig, die neue Ausgabe
mit dem
Die Jahre
von da
1791
an abzuschließen.
beginnende Erstarkung des Nationalgeistes, die

Fortschritte der ungarischen Sprache und Literatur, das Entstehen


und die Ausbreitung neuer politischer Ideen, die Bewegungen und
Kämpfe zur Aufrechthaltung und zugleich zeitgemäßen Umbildung der
alten Constitution, die Plane und Unternehmungen zur Förderung der
Landeswohlfahrt, die traurigen und doch so merkwürdigen Auftritte der
Jahre 1848 und 1849, was hierauf folgte und was in nächster Zukunft
noch geschehen mag, das alles soll der Gegenstand eines besondern
WerksWenn
sein, esdas
mir
alsgelungen
Fortsetzung
ist, die
zu dem
Idee,gegenwärtigen
welche mir vorschwebte,
erscheinen wird.
eini

germaßen genügend zu verwirklichen, wenn das Werk in seiner neuen


Gestalt dazu beiträgt, die Kenntniß der ungarischen Geschichte zu
fördern : so werde ich mich glücklich fühlen, eine Schuld an mein Vater
land abgetragen
Bartfeld in und
Oberungarn,
nicht umsonst
im gelebt
Augustzu1866. Ernst Klein.
haben.
Anleitung zur richtigen Aussprache der ungarischen
Wörter und Namen.

ä e i 6 ü o ü sind lang,
aj
aai eoj
oii ej
oei u=ö ai

ü oi
o'i
sind
ei
ei kurz
sind , gesondert,
als Diphthonge jedoch' ej nicht nach

deutscher
y ist Art
nur wie
am Ende
ai, sondern
der Familiennamen
wie ei auszusprechen;
Vocal und = i, sonst dient

es als Zeichen daß der, voranstehende Mitlauter geschliffen werden


soll, gy
also:
= etwa dem deutschen dj, nicht dsch (magyar ist zu sprechen

Madjar,
ly
ny =
nicht
= etwa
etwa
Madschar);
dem
dem französischen
französischen1 gn
nachi,
oderwie
n nach
in bataillon;
einem Vocal am

Endety
zsz
scesder
zs oder
==Silbe,
dem
etwa
dem
cz deutschen
=deutschen
französischen
wie
dem
dem
indeutschen
deutschen
campagne;
seh
tsch
weichen
ss oder
j oder
oder
tj;z,sz
dem
s seh
tz;
ge,
in
in sagen
französischen
lassen,
nach
gi in ,njeu,
Segel
gießen;
in gens.
Mensch;
; ch ;

t nur in einigen Familiennamen, bei welchen die längst


< ,veraltete Orthographie beibehalten wird, gebräuchlich,
1 wie in Szechenyi = Szecsenyi, Tewrewk = Török.
*,
Inhalt des ersten Bandes.

se1te
Vorwort von Michael Horväth v
Vorrede von Ernst Klein xv
Anleitung zur richtigen Aussprache der ungarischen Wörter und Namen xxi

Erstes Buch.
Das Land Ungarn; die Völker, die es vormals bewohnten. Der
Ungarn Herkunft und "Wanderungen. Die Zeit der Herzoge aus
Ärpäd's Stamme bis 997.

Erster Abschnitt.
I. Das Land Ungarn . 3
II. Summarischer Ueberblick der Völker, die das Land vor dem
Einzuge der Magyaren bewohnten.
1. Alte Völker 7
2. Erste Strömungen der Völkerwanderung 9
3. Gothen und Hunnen 10
4. Gepiden und Longobarden IG
5. Slawische Völkerschaften 17
6. Bulgaren und Avaren 19
III. Zustand des Landes nach der Vernichtung des Avarenreichs . 23
Großmährisches Reich 25

Zweiter Abschnitt.
Das Volk der Ungarn.
1. Abstammung und früherer Wohnsitz 31
2. Schicksale der Ungarn vor ihrem Einzug in ihr heutiges
Vaterland 46
Ärpäd 880 — 894 . , 50

Dritter Abschnitt.
Des ungarischen Reichs 1. Jahrhundert. Ungarn unter Herzogen.
1. Thaten und Begebenheiten.
Ärpäd 894 — 907 57
Zoltän 907 — 947 66
Taksony 947 — 972 72
Geiza 972 — 997 78
2. Lebensweise, Sitten, gesellschaftliche Verfassung, Religion
der Ungarn; Grenzen des Landes untep den Herzogen. , 84
xx1v Inhalt des ersten Bandes.

Zweites Buch. 8e1te


Die Ungarn unter Königen aus Arpäd's Stamme, von Stephan I.
bis Koloman 997 — 1114.

Erster Abschnitt.
Begründung der Monarchie und Einführung des Christenthums.
Stephan I. oder Heilige 997 — 1038.
1. Thaten und Begebenheiten 101
2. Staatseinrichtungen, kirchliche Zustände und 'Volksleben. 122

Zweiter Abschnitt.
Innere Wirren; die Unabhängigkeit des Reichs von Deutschland be
droht, aber gerettet. 1038 — 1077.
Peter und Samuel Aba, Thronanmaßer. 1038 — 1046 ... 147
Andreas I. 1046 — 1061 154
Bela 1061 — 1063 161
Salon1on 1063 — 1074 164
Geiza 1074 — 1077 171

Dritter Abschnitt.
Wiederherstellung des innern Friedens und fortschreitende Ent-
wickelung.
Ladislaus der Heilige. 1077 — 1095.
, 1. Aeußere Begebenheiten 174
2. Innere Zustände, Gesetze, Kirche und Volksleben von
1038 — 1095 183
Koloman. 1095 — 1114.
1. Aeußere Begebenheiten 194
2. Innere Zustände 211

Drittes Buch.
Die Ungarn unter Königen aus Arpäd's Stamme, von Stephan II.
bis auf die Ausstellung der Goldenen Bulle Andreas' II.
1114 — 1222.

Erster Abschnitt.
Thaten despotischer Willkür schwächen das königliche Ansehen und,
des Reiches Macht. 1114 — 1141.
1. Aeußere Begebenheiten.
Stephan II. 1114 — 1131 ......... 225
Bela II. oder Blinde, 1131 — 1141 236
2. Innere Zustände. 1114—1141 241

Zweiter Abschnitt.
Byzantinischer Einfluß stiftet Verwirrung und gefährdet Ungarns
Unabhängigkeit. 1141 — 1196.
1. Aeußere Begebenheiten.
Geiza II. 1141 — 1161 247
Stephan III. — Ladislaus II. und Stephan IV. Gegen
könige. 1161 — 1172 260
Bela III. 1173 — 1196 ... 269
2. Innere Zustände. 1141 — 1196 277
Inhalt des ersten Bandes. zxv

seite
Dritter Abschnitt.
Vorherrschender Einfluß des Papstes; Uebermacht der Oligarchie;
endliche Erhebung des Volks gegen dieselbe. 1196 — 1222.
1. Aeußere Begebenheiten,
Emerich und Ladislaus III. 1196 — 1205 .... 292
Andreas II. 1205—1222 '. 306
2. Innere Zustände. 1196 — 1222 325

Viertes Buch.
Ungarn unter Königen aus Ärpäd's Stamme, von der Ausstellung
der Goldenen Bulle bis zum Erlöschen des ärpädischen Hauses,
von Andreas' II. bis Andreas' III. 1222 — 1301.

Erster Abschnitt.
Kampf mit der Oligarchie und mit wilden Völkern. 1222 — 1242.
1. Aeußere Begebenheiten.
Andreas II. 1222 — 1235 339
Bela IV. 1235 — 1242 ......... 351
2. Innere Zustände. Von der Abfassung der Goldenen Bulle
bis zum Einfall der Mongolen. 1222 — 1242 ... 378

Zweiter Abschnitt.
Wiederherstellung des Reichs; äußere Kriege und innere Unruhen;
Auflösung der bisherigen bürgerlichen Verhältnisse. 1242 — 1301.
1. Aeußere Begebenheiten. Vom Abzuge der Mongolen bis.
zum Tode Bela's IV. 1242 — 1270 386
Stephan V. 1270 — 1272 415
Ladislaus IV. oder der Kumane. 1272—1290 ... 422
Andreas III. 1290 — 1301 442
Ungarns Nebenländer und deren Verhältniß zum Reiche
unter den Arpäden 459
2. Innere Zustände unter den letzten Arpaden, theils von
1241, theils von 1222.-1301 470
Erstes
Das Land Ungarn ; die Völker, Buch.
die es vormals bewohnten.

Der Ungarn
Herzoge
Herkunft
aus Arpäd's
und
r Wanderungen.
Stamme bis 997.
Die Zeit der

Feßlu. I.
Erster Abschnitt.
I. DasUngarn
Das jetzige Königreich Land Ungarn.
liegt im Südosten Europas und brei

tet sich von 44° 9' bis 49° 38' nördl. Br., und von 32° 4' bis 44°
16' östl. L. von Ferro aus; doch so, daß es im Süden an Breite zu
nimmt und sein äußerster Südwesten als schmaler Küstenstrich sich
noch Es
umbesteht
2 ° tiefer
auserstreckt.
Ungarn im engern Sinn und aus dessen Nebenländern.

Nach den neuesten Messungen beträgt der Flächenraum, den es ein


nimmt: Ungarn in engerm Sinn 3896,3313, seine Militärgrenze 255,0400,
zusammen 4152,3713; Siebenbürgen 997,5094; Kroatien und Slawonien
350,1573, ihre Militärgrenze 354,3383, zusammen 704,4956; mithin das ganze
ungarische Gebiet 5853,3763; und rechnet man noch Dalmatien mit
232,3571 hinzu, 6085,7334 geogr. Q.-M., also über die Hälfte des 11762,0308
Q.-M.Dieses
messenden
ausgedehnte
österreichischen
Gebiet bildet
Gesammtstaats.
ein von natürlichen Grenzen ein

geschlossenes, nicht nur vermöge politischer Einrichtungen, sondern durch


die Natur selbst zusammengefügtes Ganzes. Im Norden und Osten wird
es in weitem Bogen von den Felsthürmen der Karpaten umgürtet, die
auch noch seinen östlichen Süden umspannen; worauf die gewaltige Do
nau und weiter westlich die Save die Grenze bilden, die nun zwischen
den sich hier ineinander verlierenden Ausläufern des Balkan und der
Alpen bis an das Adriatische Meer hinläuft, hierauf im Westen an und
zwischen den illyrischen und steirischen Alpen hinaufrückt und endlich
durchDas
die ungarische
Leitha und Gebiet
Marchist
bezeichnet
ein Becken,
wird.
welches im Norden und Osten

durch die Karpaten von der ungeheuern Fläche geschieden wird, die
den Osten Europas einnimmt und weithin nach Asien reicht; im Süden
aber und Westen umschließen es die Vorgebirge des Balkan und der
Alpen. Dieses Becken wird . im eigentlichen Ungarn durch hinein
ragende Gebirge in zwei ungleiche Hälften getheilt, in die kleinere
nordwestliche und in die größere östliche. Die erstere erstreckt sich auf
4 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

beidenhinein;
reich Seiten die
der zweite
hier gegen
aber Osten
von den
fließenden
östlichen Donau
Karpaten
bis über
nach die
Oester-
nun

mit der Theiß fast parallel südwärts strömende Donau hinüber, bis an
die serbischen Gebirge und an die westlichen Ausläufer der Alpen. Weil
sie von der Theiß durchschnitten wird, führt sie gewöhnlich den Namen
der Theißebeiie.
Ungarns größtes Gebirge sind die Karpaten. Ihre Hauptkette, au
dem Ufer der Donau bei Presburg beginnend und, wie schon gesagt, des
Landes nördliche Grenze bildend, zieht sich in wechselnder Höhe von
Westen nach Osten und wendet sich sodann nach Süden; die größte
Höhe erreicht sie in den Gespanschaften Liptau und Zipsen, wo sie
unter dem Namen der Tatra ihre kahlen, über 8000 Fuss hohen, furcht
bar zerrissenen Felsengipfel bis an die Schneelinie emporstreckt; die
größte
ImAusdehnung
engern Ungarn,
aber gewinnt
von diesem
sie Hauptstocke
in Siebenbürgen.
ausgehend, ihm bald

parallele und bald Seitenketten bildend, jedoch gegen Süden an Höhe


und Schroffheit abnehmend, rücken die Zweige der Karpaten hinab in
die Ebene bis Waitzen an die Donau und bis Tokay an die Theiß. Vor
züglich diese Neben- und Vorgebirge sind reich an Metallen und Stein
kohlen, an Salz besonders in der Gespanschaft Marmaros; auf den süd
lichen Ausläufern aber wächst der köstlichste Wein. Zwischen den Ge
birgsketten und selbst knapp am Fuße der höchsten finden sich fast
überall ebene Flächen und fruchtbares Hügelland, von Bächen und
Flüssen durchströmt. Das Gebirge selbst aber steigt um so schroffer
empor und nimmt sich um so höher aus, je plötzlicher es sich aus der
Fläche emporhebt und je niedriger das Tiefland und die Thäler sind.
Ist doch die gewöhnliche Wasserhöhe der Donau bei Presburg nur
416', Pesth 304', Orsova 136'; die der Theiß bei Tisza-Üjlak 3G0',
Szegedin 23^5', Titel, wo sie in die Donau mündet, 219, und die der
Ebene unter der Lomnitzer Spitze (8300' hoch) 2057 Fuß über der
Meeresfläche; die höchsten Wohnungen der Menschen liegen kaum
etwasDaher
mehr kommt
als 3000
es auch,
Fuß über
daß derselben.
die Flüsse, sobald sie die Bergregion

verlassen, sich nur mühsam und in zahllosen Krümmungen durch die


Ebene winden, und zwar fortwährend eine tiefe Humusschicht auf dieser
ablagern, aber sie auch im Frühling, wenn im Gebirge der Schnee
schmilzt, weit und breit überschwemmen und Sümpfe und Moräste ver
ursachen. Doch dieselben Gebirge, die im Frühling ihre Wassermassen
im Ueberfluß dem Tieflande zuwälzen, ziehen im Sommer die Wolken
mit ihren befruchtenden Regen an sich und machen dieses zu einer der
trockensten Gegenden Europas, sodaß es mit Ausnahme der wenigen
Flußufer von jeher fast baumlos ist, und seine fruchtbaren Weizen- und
Grasfluren in manchem Jahre gänzlich ausgebrannt und in öde Wüsten
verwandelt
Siebenbürgen
werden.ist ein Hochland, das von dem ausgedehntesten Theile

der Karpaten überdeckt wird. Rings um dasselbe lagern sich hohe Ge


birgsketten , die ihre Glieder nach allen Richtungen in das Innere, nach
Ungarn, nach der Bukowina, Moldau und Walachei ausstrecken und nur
Das Land Ungarn. 5

an wenigen Stellen durchbrochen sind. Die nördliche Grenzkette hängt


mit den ungarischen Karpaten zusammen ; ihre Durchschnitte und engen
Thäler münden in die obere Theißebene. Die östliche ist zwar bedeu
tend niedriger, hat aber nur einige schwer zu übersteigende Pässe in die
Bukowina und Moldau. Die südliche ist die größte und höchste Sieben
bürgens und eine der bedeutendsten der gesammten Karpaten ; ihre
Spitzen erheben sich auf 8000 Fuß; sie senkt sich jäh in die Tiefebene
der Moldau und dehnt ihre Arme über das südöstlichste Ungarn bis an
die Donau aus, sodaß sie, nur von dieser durchbrochen, mit den ser
bischen und Balkangebirgön zusammenhängt. Die westliche endlich er
streckt sich ebenfalls nach Ungarn hinein und bildet dort verschiedene
Berggruppen. Die Maros durchbricht diese Kette, um sich mit der
Theiß zu vereinigen, und ausserdem verbinden hier mehrere Thäler und
Einschnitte das Innere Siebenbürgens mit dem Tieflande Ungarns. Die
innern Gebirge, welche den Boden Siebenbürgens nach allen Richtungen
einnehmen, sind weniger hoch und bilden meistens abgerundete Kuppen,
die oft eine ziemliche Ausdehnung besitzen. Wald oder saftiges Gras
bedeckt, und enge tiefe Thäler durchfurchen die Berge, deren Reichthum
an Steinkohlen, Metallen und besonders Gold groß, an Salz aber un
ermeßlich ist. Ausgedehnte Ebenen, wie wir sie so häufig in der unga
rischen Karpatenregion finden, gibt es hier nirgends und noch viel weni
ger ein eigentliches Tiefland. Die niedrigste Lage hat das Thal der
Maros, welches sich in seinem untern Verlaufe bis zu 500 Fuss über
dem Meere senkt. Der größte Theil Siebenbürgens hängt nach Norden,
Westen und Südwesten, also gegen Ungarn ab und wird mit ihm schon
vermöge dieser Lage unzertrennlich verknüpft ; es ist die Felsenburg,
welche
Diedas
Gebirge,
Tieflandwelche
der Theiß
sich über
schirmt,
den aber
südwestlichen
auch beherrscht.
Theil des engern

Ungarns und über Kroatien und Slawonien ausbreiten, gehören alle zu


dem Alpensystem. Sie sind eigentlich Ausläufer einiger Hauptstöcke
der Alpen; weniger hoch als diese, übersteigen ihre Gipfel nur hin und
wieder die Waldregion. Sie zerfallen in mehrere Gruppen, die durch
Hügelreihen kaum bemerkbar oder fast gar nicht miteinander zusam
menhängen, und zwischen welchen sich das südliche Tiefland bis weit
gegen Westen hinein erstreckt. Eine solche Verlängerung des Tieflandes
ist besonders das Becken, in welchem sich der 20 Q. -M. große Platten
see (ungarisch Balaton) befindet, dessen Wasserspiegel 333 Fuß über
dem Meere
Dalmatien,
liegt. wie überhaupt die ganze Küstenstrecke der Adria, ist

voll großentheils kahler Felsengebirge, die, bis an das Meer rückend,


hohe und steile Ufer und nur wenige zu sichern Häfen geeignete Buch
ten bilden; dem Mangel derselben helfen jedoch die vielen Kanäle zwi
schen dem festen Lande und den zahlreichen benachbarten Inseln ab.
Auch lagern hier und in Kroatien mehrere Bergketten fast parallel mit
dem Meere, ohne von tiefem Einschnitten und Thälern durchbrochen
zu sein ; das Land senkt sich gegen Osten, und in dieser Richtung strö
men auch seine Gewässer , wodurch der Verkehr mit dem Meere außer
ordentlich erschwert wird.
6 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

Durch das von diesen Gebirgen umschlossene Becken strömt, gleich


einer großen, Leben schaffenden und ernährenden Ader, Europas größ
ter Fluß, die Donau; von der Natur zur höchsten Wichtigkeit, zur
Völker verbindenden Straße bestimmt, aber von den Menschen leider
vernachlässigt. Bis Waitzen setzt sie ihren südöstlichen Lauf fort, wen
det sich da in scharfer Krümmung nach Süden und an der Grenze Sla
woniens oberhalb Vukovär abermals nach Osten. Mit Ausnahme einiger,
in den Gebirgsgegenden entspringender, wenig bedeutender Flüsse er-
giessen sich in sie alle Gewässer des Landes entweder unmittelbar, oder
werden ihr von der Theiß zugeführt, die, aus den nordöstlichen Kar
paten kommend , sich in südwestlicher Richtung langsam durch das öst
liche Tiefland windet und den reichen Boden desselben durch ihre und
ihrer So
Nebenflüsse
hat die Natur,
Ablagerungen
nicht bloseigentlich
das erobernde
geschaffen
Schwert
hat. der
1 Magyaren,

dieses in bestimmte Grenzen eingeschlossene, aus einem Flußgebiet be


stehende Land zu einem Ganzen gebildet. Möge es immerhin von ver
schiedenen Nationen bewohnt werden, sie alle haben ein gemeinsames,
durch keine natürliche Scheidewand getrenntes Vaterland und können
nur miteinander vereinigt bestehen und gedeihen. Das beweist die Ge
schichte eines Jahrtausend. Denn so oft auch das Unglück oder die
Zwietracht für eine Zeit das eine oder das andere Glied .von dem gro
ßen Körper trennte, es kam wieder hinzu und verschmolz mit ihm von
neuem. Dagegen fiel alles oft schnell wieder ab, was das Schwert jen-
seit dieser Grenzen erobert und zur unnatürlichen Vereinigung ge
zwungen
Nothwendig
hatte. äußerte aber diese so mannichfaltige Bodenbeschaffen

heit des ungarischen Gebiets den mächtigsten Einfluß auf die Lebens
weise, Sitten und Schicksale aller der Völkerschaften, die es im Laufe
der Zeit bewohnten. Sobald sie sich der ersten Roheit entrissen hatten,
wies ihnen die Natur selbst die Beschäftigungen an, denen sie sich wid
meten. Die Gebirge luden ein, nach den Schätzen zu graben, die sie in
ihrem Schose bergen, das Hügelland mit seiner mäßigen Fruchtbarkeit
nöthigte, durch Gewerbe zu ersetzen, was es weniger gab; die der
Ueberschwemmung ausgesetzten Niederungen und sandigen Steppen em
pfahlen sich zur Viehzucht; der reiche Boden des trockenen Tieflandes
lohnte die Mühe des Landwirths zu sehr, als daß dieser sich andern
Beschäftigungen hätte hingeben sollen. Darum finden wir, abgesehen
von andern Ursachen, die hier zu erörtern zu weit führen würde, in
dem Berg- und Hügelland mehr Gewerb- und Kuastfleiß, in den Ebe
nen aber fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht. In den Thälern,
an rieselnden Bächen sammeln sich hier und da einige Familien und
gründen Dörfchen, um das kleine Feld zwischen und an den Bergen zu
bauen. Diese Berge trennen die Menschen, sodaß sich oft schon in
geringer Entfernung bedeutende Abweichungen in Sprache und Sitten
zeigen.
1 Hunfalvy,
In den Flächen
Beschreibung
des Tieflandes
der natürlichen
hingegen,
Bodenverhältnisse
wo das Augedes
in weite
unga

rischen Gebiets (in ungarischer Sprache, Pesth 1863), Bd. 1.


Alte Völker. 7

Fernen schweift und keine Scheidewand die Annäherung hindert, herr


schen in weiten Umkreisen dieselben Dialekte , Sitten und Gebräuche ;
alles ist gleichförmig, wie die Natur selbst. Wenn endlich Kriege aus
brachen und der Feind das Land überzog, bot das Gebirge mit seinen
Höhen, Schluchten und Wäldern der Bevölkerung natürliche Burgen,
wo sie sich vertheidigen, und Zufluchtsstätten , wo sie Sicherheit suchen
konnte, bis der Sturm vorüberbrauste. Ganz anders in dem offenen
Tieflande; da hing alles von dem Ausgange der Schlacht ab; war diese
verloren, so war auch das Land der Verwüstung, das Volk dem Unter
gange verfallen, und gerettet ward nur, wer die Berge erreichte oder
in unzugängliche Sümpfe floh. Daher kommt es, daß wir in den Ge
birgsgegenden auf die Ueberreste der Nationen stoßen, die nacheinander
im Lande hausten, und ungeachtet der oft geringen Fruchtbarkeit des
Bodens eine dichte Bevölkerung antreffen. In dem reichen Tieflande
aber, das so leicht gewonnen und von seinen Einwohnern entblößt wer
den konnte, ließ sich jedesmal das erobernde Volk nieder, bis es wieder
verdrängt wurde durch ein anderes, das herbeiströmte. Auf solche Weise
ward das Tiefland mehr als einmal zur menschenleeren Wüste und
blieb dünn bevölkert.

IL Summarischer Ueberblick der Völker, die das


Land
Von vor dem Einzüge
den Nationen, 1. Alte
welche der
das Magyaren
Völker.
heutige Ungarn inbewohnten.
der grauen Vor

zeit bewohnten, gibt uns die Geschichte nur wenig Nachrichten, und
auch kein Denkmal, das sie gestiftet, überlieferte das Gedächtniß ihres
Daseins und Wirkens den kommenden Geschlechtern. Denn sie verloren
durah der Römer Schwert ihre Freiheit und Nationalität, als sie eben
die ersten
Das Land
Schritte
östlich
auf der
vomBahn
Adriatischen
zu höherer
Meere
Civilisation
führte seit
thaten.
den ältesten

Zeiten den Namen Illyrien. Der südliche Theil der Küste (lllyriacum
graecum , das heutige Albanien) war von Thraziern bewohnt und gerieth
zu gleicher Zeit mit Macedonien, dem es schon früher einverleibt war,
unter römische Herrschaft. Der nördliche Theil (lllyricum barbarum)
erstreckte sich von dem Flusse Arsa bis an die Drina, hatte eine aus
Thraziern und Celten gemischte Bevölkerung, die Japyden, Liburner und
Dalmater, behauptete zwar seine Unabhängigkeit gegen Macedonien,
wurde aber in demselben Jahre, wie dieses, 167 v. Chr., von den Rö
mern bezwungen. 1 Das innere, von Thraziern bewohnte Illyrien er
oberte
1Das
Livius,
Augustus
Land,
Dec.welches
35
V, v.Lib.
Chr.
die
5. 2Donau
PlutarchiminNorden
Aemiliusund
Paullus,
Osten II.
, die
— Save
' Appia-
im

nus, II, 28.


g Erstes Buch. Erster Abschnitt.

Süden und die norischen Alpen im Westen begrenzen, hieß bei Griechen
und Römern Pannonien. Auch hier wohnten thrazische Völkerschaften,
mit Celten, besonders im Norden und Westen, vermischt. Als Augu-
stus die Illyrier bekriegte, machte er auch nach Pannonien Einfälle, doch
erst Tiberius, der nachmalige Kaiser, vollbrachte von 6 — 4 v. Chr. die
Eroberung desselben. 1 Was die Römer überall thaten, um die über
wundenen Völker im Zaume zu halten und mit dem Reiche zu verschmel
zen , das brachten sie auch hier in Anwendung; befestigte Lagerplätze
wurden errichtet, Colonien angelegt, römische Sitte und Sprache ver
breitet. Bald schmückten blühende Städte das Land , wie Singidunum
(Belgrad), Taurunum (Semlin), Mursa (Eszek), Sirmium (bei Mitrowitz),
Carnuntum (Petronell), Sabaria (Steinamanger), Sigambria und Aquin-
tum (Altofen) u. s. w. Doch die Kraft des Volks war mit dem Unter
gang Imseiner
Nordwesten
Selbständigkeit
der Donau
undsaßen,
Eigenthümlichkeit
seit einiges Licht
gebrochen.
aufdiese Gegenden

fällt, die celtischenBojer2 — von ihnen erhielt Böhmen seinen Namen — ,


bis sie von den Markomannen, unter Marobud 35 n. Chr. verdrängt wur
den.3 Nun nahmen Deutsche ihren Platz ein, von denen sich die Qua-
den am weitesten gegen Osten niederließen. 4 Als aber später die deut
schen Völker immer mehr nach Süden vorrückten, und besonders nach
den gewaltigen Erschütterungen, welche die Hunnen bewirkten, dran
gen in die verlassenen Sitze Slawen ein. 6
Im Osten und Norden der Donau bis an den Dniestr hin waren die
Dacier, ein thrazischer Volksstamm, ausgebreitet. Ihr Reich erhob sich
im ersten christlichen Jahrhundert zu großer Macht; Decebalus, dessen
letzter König, herrschte von der Donau bis an den Dniestr über einen
Theil Ungarns , über Siebenbürgen , die Moldau, Walachei und Bessara-
bien. Nachdem er die Römer in mehrern Kriegen geschlagen und zu
jährlichem Tribut gezwungen hatte, wurde er endlich von Trajan nach
hartem Kampfe von 101 — 103 und 104 — 106 n. Chr. gänzlich besiegt,
seine Hauptstadt Zarmizegethusa im'heutigen Siebenbürgen zerstört und
das Land zur römischen Provinz gemacht. 6 Nun wurden Standlager
für die Legionen errichtet, die Ausbeutung der reichen Erz- und Salz
lager eifrig betrieben, und eine große Zahl italienischer Colonisten
strömte herbei. Die dacischen, ohnehin stammverwandten Einwohner
vermischten sich bald mit diesen, nahmen deren Sitten, Sprache und
selbst Namen an. So entstand die rumänische oder walachische Nation 7,
derenZwischen
Heimat diese
der Donau
Länderendlich,
noch immer
dem sind.
Schwarzen Meere, dem Hämus

und Orbelus, dem Skardus und der Drina lag Mösien, von den Griechen
auch Mysien genannt; es wurde in zwei Hälften getheilt, von denen die
nstliche, Niedermösien, dem heutigen Bulgarien, die westliche, Ober-

■Dio Cassius, XLIX, 37. — 2 Caesar, De hello Gallico, I, 5. — 3 Ta-


citus Germania, c. 28. — 4 Vellejus Paterculus , II. — 5 Palaeky, Geschichte
der Böhmen (Prag 1864), I, 63 fg. — 6 Dio Cassius, LXVII, 6 fg. Xiphilinus,
LXVIII, 6. Plinius, Epp., VIII, 4. Eutropius, VIII, 2. — 7 Benkö, Tran-
silvania illustrata, Pars 1, Tom. 1, 2. Beide Namen bedeuten dasselbe; Rumänen
kommt von Romanen, Walachen von Wälschen, was eins ist mit Italienern.
Erste Strömungen der Vö lkerwanderung. 9

mösien, dem heutigen Serbien entspricht. Die Bevölkerung war thra-


zisch. Den Römern völlig unterworfen wurde Mösien 29 v. Chr. durch
M. Licinius Crassus.

2. Erste Strömungen der Völkerwanderung. 1

Pannoniens und Daciens Eroberung brachte die Römer auch von


der östlichen Seite mit germanischen und sarmatischen Völkerschaften in
unmittelbare Berührung, und schon begann die große Bewegung, welche
die barbarischen Bewohner des Nordostens gegen den civilisirten Süd
westen führte. Ein mächtiger Bund deutscher und slawischer, vielleicht
auch altaischer Völker, dem die Markomannen, als die mächtigsten,
oder den Römern am meisten bekannten, den Namen gaben, hatte sich
vereinigt, und drang Schrecken verbreitend aus den obern Donauländern
gegen Italien vor. Marc Aurel schloß zwar nach" schwerem achtjäh
rigen Kriege 166 — 174 n. Chr. rühmlichen und Commodus erkaufte
180 schimpflichen Frieden2, aber die Einfälle der Barbaren, wie sie
von den Römern genannt wurden, hörten von dieser Zeit nie mehr auf;
mühsam und mit sichtbar ermattender Kraft kämpfte das Weltreich ge
gen sie. Der tapfere Kaiser Aurelianus verlor endlich die Hoffnung,
das Gebiet jenseit der Donau noch länger vertheidigen zu können,
270 — 275, gab es auf und rief die Bevölkerung nach Mösien.3 Der eine,
vielleicht bessere Theil derselben folgte dem Rufe, der andere blieb und
verwilderte gänzlich unter dem Joche der Horden, die in das von den
römischen Besatzungen verlassene Land ungehindert eindrangen. Gegen
diese Horden, die fortwährend drohten, so oft sich eine günstige Gelegen
heit darbot, über die Donau setzten und greuliche Verwüstungen anrich
teten, ließ, wie man glaubt, Diocletian in dem Winkel, den die Theiß
und die Donau bei ihrem Zusammenflusse bilden, einen starken Wall
aufführen, dessen Ruinen unter dem Namen der Römerschanzen noch
vorhanden sind. Aber Wälle und Mauern helfen nichts, wenn der Muth,
die Vaterlandsliebe, der edle Sinn für Freiheit in der Brust erstorben
sind. Die feigen Sklaven, welche das römische Gebiet bewohnten, scheu
ten sich zu ihrer Vertheidigung die Waffen selbst zu ergreifen; mit ge-
mietheten Barbaren wollten sie Barbaren bekämpfen, und mußten also
trotz ihrer überlegenen Bildung, ihrer Bollwerke und Reichthümer der
Kühnen Beute werden und untergehen. Bisher hatten die Wogen der
großen Völkerströmung nur an die Grenzen des römischen Reichs ge
schlagen; jetzt kam die unermeßliche Flut, die alle Dämme brach und
sich unaufhaltsam, alles niederwerfend und Verderben bringend, in das
Innere ergoß. Ueber das heutige Ungarn und die zunächst angrenzen
den Länder nahm sie vorzüglich ihren verheerenden Weg.

1 In Gibbon, History of the deoline and fall of the Roman empire (Lon
don 1782), findet man eine erschöpfende und hochst geistreiche Darstellung
der Völkerwanderung. Vgl. auch v. Wietersheim , Geschichte der Völker
wanderung (Leipzig 1853—64). — 2 Capit. Aurel. , 17. Xiphilinus, LXXI, 3 fg.
— 3 Zozimns ,1,48 fg.
10 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

3. flothen und Hunuen.


Von den baltischen Gestaden herabziehend, hatte das deutsche ge
doppelte Volk der Ost- und Westgothen, der Greuthungen und Ther-
wiugen sich schon um 213 in den Ländern des ehemaligen Dacien fest
gesetzt und die Römer entweder im Kriege geplündert, oder ihnen für
hohe Jahrgelder kurze Waffenstillstände verkauft. Im Laufe des 4. Jahr
hunderts unterwarf der große König der Ostgothen, Hermanrich, in einer
langen und glücklichen Regierung viele germanische, slawische und sar-
matische Nationen seiner Herrschaft, sodaß er vom Don bis an die
untere Donau und vom Schwarzen bis zum Baltischen Meere gebot.
Vom Dniepr bis an die obere Donau herrschte, abhängig von ihm, der
Westgothe Athanarich. Auch hatten die Gothen schon Fortschritte in
der Cultur gemacht, sich zum Christenthume nach der Lehre des Arius
bekehrt und durch ihren Bischof Ulfilas eine eigene Schrift und eine
Bibelübersetzung, um 348, erhalten, deren Bruchstücke in Handschrif
ten aus dem 5. und 6. Jahrhundert noch vorhanden sind. 1 Da erging
aus dem Norden Asiens der gewaltige Stoß auf die ohnehin schon
wogenden barbarischen Völkerschaften , der sie alle in eine unaufhalt
same Die
verworrene
Hunnen Bewegung
waren weitbrachte.
vom östlichen Altai her in jahrhunderte

langer Wanderung an die Wolga um 360 gekommen, die Nationen, die


sie auf ihren Wegen trafen , vor sich hertreibend und aufeinander wer
fend, und ihre Trümmer mit sich vereinigend. Wer waren diese Hun
nen? Sie selbst haben keine Nachricht von sich hinterlassen, kein blei
bendes Werk gegründet, und selbst von ihrer Sprache sind nur einige,
noch dazu von Fremden, nach der eigenen Zunge umgewandelte Namen
auf uns gekommen; nichts ist vorhanden, woraus wir ihren Ursprung
näher bestimmen könnten. Die gleichzeitigen Jornandes, Ammianus und
Priscus ebenso, wie die byzantinischen Geschichtschreiber, geben wol
die Länder an, aus denen sie zunächst gegen das Römerreich herangezo
gen waren, und beschreiben ihre Sitten und Kriegsthatcn , schweigen
aber über ihre Ursitze und Abstammung und mußten darüber schweigen
oder Fabeln erzählen. Denn jene fernen Gegenden, wo wir mit Wahr
scheinlichkeit der Hunnen frühere Heimat suchen dürfen, sind selbst uns
noch wenig bekannt und waren damals in undurchdringliches Dunkel
gehülltj" e?gab höchstens fabelhafte Sagen über ihr Dasein und über die
Wunder , die sie enthalten sollen. Als aber diese Länder und ihre Völ
ker etwas bekannter wurden, waren Jahrhunderte verflossen und die
Hunnen längst untergegangen und der geschichtlichen Forschung ent
rückt.1 Jornandes,
Doch stellt
De rebus
de Guignes,
geticis. Ammianus
auf die Berichte
Marcellinus.
chinesischer
Procopius,Ann
De alien
bello

Gothico, im Corpus historiae byzantinae (Paris 1848), und bei Stritter, Me-
moriae populorum olim ad Danubium, Pontum Euxinum, mare Caspium et
inde magis ad septemtrionem iucolentium e scriptoribus historiae byzantinae
erutae et digostae (Petersburg 1771—79). Ein höchst gelehrtes, mit außer
ordentlichem Fleiße gesammeltes Werk.
Gothen und Hunnen. 11

gestützt, die Meinung auf, daß die Hunnen ein Zweig der einst im Nor
den Ostasiens so mächtigen Hiongnu sind, der, als diese von den Chi
nesen um 93 n. Chr. bezwungen wurden, freiheitsstolz gegen Westen
wanderte und erst nach beinahe zweihundert Jahren jenseit des Imaus
aus den Augen der Chinesen entschwand. 1 Auch Neumann erklärt die
Hiongnu geradezu für die Hunnen des Westens und gibt den Weg an,
den sie aus Mittelasien an die Wolga zurücklegten. 2 Sollte diese An
sicht die wahre sein, so hätten die Hunnen zu den mongolischen Völ
kern gehört, die den Nordosten Asiens einnahmen. Allein der Zusam
menhang der Hunnen mit diesen Hiongnu lässt sich geschichtlich nicht
erweisen. Amadeus Thierry lässt die Hunnen auch aus dem nördlichen
Ostasien gegen Südwesten vordringen und bestimmt ihre Nationalität,
indem er nicht hinauf zu den Vorfahren, sondern hinab zu den Nach
kommen steigt. Er nimmt nämlich an , daß die Ungarn von den Hun
nen abstammen. 3 Für diese Ansicht spricht die Ueberlieferung der
Ungarn selbst: sie hielten sich bis auf die neuern Zeiten mit fester
"Ueberzeugung für Nachkommen der Hunnen und wurden dafür auch
von andern Völkern gehalten. Wäre dem wirklich so, dann müsste
nothwendig auch die Frage über die Herkunft der Hunnen entschieden
sein, sobald wir jene der Ungarn entdeckt haben. Vielleicht wird uns
dieses weiter unten gelingen; vorläufig, um Wiederholungen zu ver
meiden, begnügen wir uns damit, daß auch die Hunnen unleugbar eine
der nomadischen Völkerschaften Hochasiens waren, welche von den
Griechen und Römern Scythen genannt werden und mit diesen Lebens
weise und Sitten gemein hatten. Ohne bleibende Wohnung, kannten
sie den Ackerbau fast gar nicht, zogen mit ihren Heerden von einem
Ort zum andern, und nährten sich hauptsächlich von Milch und Fleisch.
Abgehärtet zu jeder Anstrengung, Entbehrung und Mühsal, auf ihren
Rossen dahinjagend, mit Bogen, Lanze und Schwert bewaffnet, stürz
ten sie auf den Feind und überschwemmten mit wunderbarer Schnellig
keit weite Länder. Daß sie dabei wild und grausam waren, wer wollte
es leugnen? Aber so viel ist auch gewiss, daß Schreck und Haß ihnen
die Gestalt von teuflischen Unholden gegeben hat, in der sie die Zeit
genossen
Dieseerblickten.
Hunnen waren also an der Wolga angekommen und setzten

375 unter Balamir's Anführung hinüber. Hier stießen sie zuerst auf die
Alanen, ein weitgebietendes altaisches Nomadenvolk, das aber wahr
scheinlich mit deutschen und slawischen Stämmen sich vermischt hatte,
schlugen und zwangen sie zur Vereinigung. 4 So verstärkt, stürzen sie
auf die Ostgothen. Hermanrich, über hundert Jahre alt, dazu schwer
verwundet, verzweifelt an der Möglichkeit, dem hereinbrechenden Ver
derben
1 Guignes,
zu widerstehen,
Histoire und
gener.
gibtdes
sichHuns,
den Tod.
des Turcs,
Sein Nachfolger,
des Mogols et
Vithi-
des

autres Tatars occidentaux (Paris 1756 — 58), 4 Bde. — 2 Neumanu, Die


Völker des südlichen Rußland in ihrer geschichtlichen Entwickelung (Leipzig
1847). — 3 'Thierry, Histoire d'Attila et de ses successeurs jusqu'a l'eta-
blissement des Hongrois en Enrope (Paris 1856; 2. Aufl. Paris 1864). —
* Ammianus Marcellinus.
12 Erstes Buch. Erster Ab schnitt.

mer, fällt in der Entscheidungsschlacht. Die Ostgothen, durch den Ab


fall vieler unterworfener Nationen geschwächt, ergeben sich den Sie
gern, nur ein kleiner Theil flieht dem Dniestr zu. Jenseit dieses Flus
ses stehen die Westgothen unter ihrem König Athanarich, um den Hun
nen den Uebergang zu wehren ; aber Balamir geht an einer unverthei-
digten Stelle hinüber, fällt ihnen in den Rücken und überwindet sie.
Athanarich flüchtet mit seinen Getreuen in die Schluchten der Karpaten,
der größte Theil der Nation aber eilt an die Donau. Auf ihre Bitten
werden sie 376 von Kaiser Valens mit Eifer über den Strom geführt,
und bald erzwingen auch die der Hunnenschlacht entronnenen Ostgothen
den Uebergang.
So befanden sich also , nach den Berichten der Geschichtschreiber,

über zweimalhunderttausend Bewaffnete und über eine Million Menschen


jenseit der grossen Schutzwehr im Herzen des Landes, und zwar Men
schen, die nach Abstammung und Gesinnung dessen Feinde waren. l
Und doch waren die verworfenen römischen Befehlshaber unsinnig ge
nug, zuerst diesem furchtbaren Heere gegen Bestechung die Waffen zu
lassen, sodann es durch schnöde Behandlung zu kränken und endlich
durch den schändlichsten Verrath zur Wuth zu entflammen, und zur
Nothwehr zu zwingen. Die beleidigten Barbaren gVjf^en plötzlich zu
den Waffen, ihr Heerführer Fritigern rief noch Hunnen und Alanen zu,
Hülfe und zog gegen Konstantinopel. Valens wagte 378 am 9. August
bei Hadrianopel die Schlacht und verlor sie sammt dem Leben. Uner
fahren in der Belagerungskunst, konnten zwar die Gothen und ihre Ver
bündeten keine feste Stadt nehmen, verheerten aber desto gräßlicher,
von Rachsucht, Habgierde und Noth getrieben, das offene L|nd. Erst
dem Kaiser Theodosius gelang es nach einigen Vortheilen, die er über
sie errungen hatte, 382 Frieden zu schließen. Die Gothen; erhielten
Wohnsitze in Mösien und Uferdacien (der Landstrich am südlichen Do
nauufer), behielten ihre eigenen Sitten, Gesetze und Stammfürsten, und
wurdenDieblos
Hunnen
zu Gehorsam
ließen sich
undimKriegsdiensten
östlichen und obern
verpflichtet.
Daeien auf der lin

ken Seite der Donau nieder, besetzten noch einige benachbarte Gegen
den Pannoniens und bezogen von den Römern einen jährlichen Tribut
von funfzehn Pfund Gold, unter dem Namen eines Geschenks, der die
Schmach derer , die sich die Herren der Welt nannten, verdecken sollte.
Auch sie wurden von den Römern haufenweise in Sold genommen. So
saßen sie fast ein Menschenalter hindurch und vergeudeten ihre Kraft
in unrühmlichen Raubzügen oder im Dienste der Römer und selbst ihrer
besiegten
DochFeinde,
kaum warderTheodosius
Gothen. der Große 395 gestorben, so brachen zwi

schen den Römern und Gothen Feindseligkeiten und bald offener Krieg
von neuem aus. Die Gothen wählten 398 den Balthen Alarich zu ihrem
König, verließen das verwüstete Mösien und Thrazien, und zogen durch
Macedonien,
1 Ammianus
Griechenland
Marcellinus :und
„Ita
Ulyrien
turbidounter
instantium
furchtbaren
studio Verheerungen
orbis Romani

pernicies ducebatur."
Gothen und Hunnen. Alarich. 13

nach Italien, wo sie zwar 403 besiegt worden, aber dennoch hohe Jahr
gelder erpreßten. Sechs Jahre darauf, 409 , eroberte und plünderte
Alarich Kon1.
Zu derselben Zeit erwachten auch die Hunnen zu neuer Thätigkeit
und erhoben sich in wenigen Jahren zu einer furchtbaren Macht, welche
die Welt erschütterte. Ihre Häupter, die von den römischen Schrift
stellern genannt werden, scheinen bisher blos Anführer einzelner Ab
theilungen oder Stämme gewesen zu sein; jetzt vereinigte Rua oder Ru-
gilas die ganze Nation unter seiner Herrschaft. Doch beschränkten sich
seine Thaten auf die Erwerbung Pannoniens, auf die Plünderung römi
scher Provinzen und auf die Erpressung eines Jahrgeldes von 350 Pfund
Goldes, das ihm die römischen Reiche zahlen mussten. Nach seinem
Tode 433 kam die Herrschaft an Attila und Bleda, seine Neffen, Mund-
zuk's In
(andere
den Donauländern
nennen ihn Bendegdz)
und weit nach
Söhne.
Norden und Osten , in Europa

und Asien, wogte ein wunderbares verworrenes Gemisch von deutschen,


slawischen und altaischen Völkerschaften, die einander hin und her
drängten , sich bald vereinigten und bald bekriegten , ohne bleibende
Sitze und feste Staatseinrichtungen erringen zu können; alle gleichsam
harrend eines überlegenen Geistes, der sie sammeln, bändigen und ihre
Kräfte vereinigen sollte. Dieser Gewaltige war Attila — Etel und
Etzel klang sein Name in barbarischen Mundarten — , der mit seinem
Bruder Bleda — nach ungarischer Ueberlieferuug Buda — die Herr
schaft über die Hunnen angetreten hatte. Scharfsinnig und kühn, Men
schen und Umstände schnell durchschauend, streng und freigebig gegen
die Seinen, grausam, oft großmüthig gegen Feinde, die kleinlichen Maß
regeln schlauer und feiger Diplomatie mit durchgreifender Kraft ver
nichtend', Held, Heerführer und Despot, war er dazu geboren, der ent
arteten civilisirten Welt Bewunderung und Schrecken *einzuflössen und
die verworrene barbarische mit eiserner Hand zu lenken. Ihm mochte
es Ruhm und Freude sein , daß in ihm die Christen die Geisel Gottes und
die Heiden den mächtigen Zauberer mit Entsetzen erblickten. Doch war
sein Geist zu gewaltthätig und roh, sich auf ein edles, großes Ziel zu
richten; er konnte, wie alle blutbefleckten.Eroberer, nur zerstören, aber
nichts Bleibendes bauen. Ein aufgefundenes Schwert gab ihm den An
spruch auf Weltherrschaft, und der Brudermord verschaffte ihm die un-
getheilte Macht, sie zu erkämpfen. Bald waren die vielnamigen altai
schen Nationen Asiens, die deutschen und slawischen Europas besiegt
oder als Bundesgenossen unterworfen: und nun führte er seine zahl
losen, aus diesen gesammelten Horden bald gegen das westliche und
bald gegen das östliche Römerreich, die entgegengesandten Heere zer
malmend, Städte zerstörend und Länder verwüstend, bis vor Roms
und Konstantinopels Mauern. Nur durch Erlegung ungeheuerer Brand
schatzungen, durch das Versprechen eines jährlichen unerschwinglichen
Tributs und durch große Länderabtretungen, unter Bedingungen, die
blos der Trotz des mächtigen Siegers vorschreiben, und die feige Ohn
machtZwischen
annehmenderkann,
Donau
ließuud
er sich
Theiß
zumstand
Rückzug
sein bewegen.
hölzerner Palast, in
14 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

roher Pracht mit dem Raube der Nationen geschmückt, umgeben von
den Häusern seiner Großen und von den Zelten und Hütten seiner Krie
ger. 1 Dahin kamen die Abgesandten beider Kaiser über die Schutt
haufen und Trümmer ihrer Städte, durch die in menschenleere Einöden
verwandelten Länder, um durch Schmeicheleien, überreiche Geschenke
und Demüthigungen seinen Zorn zu besänftigen und trügerische Waffen
stillstände zu erbetteln. Selbst der Verlust der schrecklichen Völker
schlacht in den catalaunischen Feldern 451 konnte seinen Muth und
seine Macht nicht brechen. Die römischen Reiche, besonders das west
liche, standen am Untergange; die Weltherrschaft mußte bald errungen
sein : da starb er 454 im Brautgemach der schönen Ildiko, und nach sei
nem Tode ging das ungeheuere Reich in Trümmer; denn durch die
furchtbare Kraft eines einzigen, auf die Gewalt der Waffen, nicht auf
Weisheit und Recht gebaut', mußte es auseinanderfallen , sobald es die
Hand des Gewaltigen nicht mehr zusammenzwang. 2
Die vielen Söhne Attila's entzweiten sich , indem jeder nach der
Herrschaft strebte; die hunnischen Stämme zerfielen in Parteien und die
Auskunft, welche ihnen endlich beliebte, das Reich durch das Los zu
theilen, misfiel, als entehrend, den übrigen Völkern. Da ersahen die
Unterjochten den Augenblick der Freiheit und Rache. Arderich, der
Gepiden König, mit ihm die ostgothischen Brüder, Walamir, Theodomir
und Widemir, und andere Häupter griffen zu den Waffen. Ellak, At
tila's Erstgeborener, fiel mit 30000 Hunnen in der Schlacht 3; seine Brü
der Dengesik und Irnak flüchteten sich mit den Trümmern des Volks an
die Küsten des Schwarzen Meers. Der erstere wagte 455 vergebens
noch einen Feldzug gegen die Gothen ; er wurde abermals geschlagen. 4
Später 469 verlor er im Kampfe gegen die Römer das Leben und sein
Haupt wurde in Konstantinopel zur Schau umhergetragen. 6 Irnak
gründete mit den Ueberresten der Nation am Euxinischen Pontus und
an dem Mäotischen See ein Reich, das aber nie zu grösserer Macht
emporstieg. Später erscheinen die Hunnen unter dem Namen der Ku-
turguren oder Kutriguren westlich und der Uturguren oder Utriguren
östlich vom Don, die häufig Einfälle in das römische Gebiet thaten,
aber auch gegeneinander kriegten, bis sie von den Avaren unterjocht
wurden, worauf sie sich unter andere Völkerschaften spurlos verloren.6

1 Das Nibelungenlied und ungarische Ueberlieferungen lassen Attila in


der Etaelsburg, Budavar, dem heutigen Ofen, dessen Erbauung sie Buda zu
schreiben, wohnen. Vgl. Arany Janos, Buda halala, hunrege (Der Tod
Buda's, eine Hunnensage, Pesth 1864). Ein romantisches Heldengedicht voll
einfacher Schönheit. — 2 Priscus, Excerpta legationum ; im Corp. historiae
Byzant. (Paris 1648), I. Zeitgenosse Attila's und Augenzeuge seiner Lebens
weise. Jornandes, De rebus geticis. Juvencus Coelius Calanus bei Bei im
Adparatus ad historiam Hungariae (Presburg 1753). Kallimachus, De gestis
Attilae (Hagenau 1581). Olahus Hungaria et Attila; edidit Kollar ( Wien 1763).
Pray Annales Hunnorum etc. (Wien 1761), I, 100—176. Feßler, Attila,
König der Hunnen (2. Aufl., Breslau 1808). Thierry, Histoire d'Attila
et de ses successeurs. — 3 Jornandes, De rebus geticis, c. 50. — 4 Jornan
des, c. 52. — 5 Priscus und Chronicon paschale bei Stritter, Memoriac po-
pulorum etc., I, 535— 537. — ' 6 Stritter, Memoriae populorum, a. a. O., S. 646
Gothen und Hunnen. Attila's Tod. 15

Unterdessen theilten die Sieger das Land, aus welchem sie die Hun
ufer,
nen vertrieben
hinauf zu hatten,
beiden Seiten
unter sich.
der Theiß,
Das alte
behielten
Daciendieam
GepMen,
linken Douau-
die ihr

Gebiet auch jenseit der untern Donau nach Obermösien erweiterten.


Das eigentliche Pannonien nahmen die drei Fürsten der Ostgothen in
Besitz. Auf der Nordseite der obern Donau, wo früher Markomannen
und Quaden gewohnt hatten, setzten sich Rugier und neben ihnen He-
ruler und Scyrrer fest. Noch weiter westlich standen die Longobarden,
die erst jetzt der Donau näher kamen. 1 Zwischen diesen Völkern
wohnten noch immer eingeborene Pannonier, Illyrier, Dacier und Ueber-
bleibsel der römischen Colonien im offenen Lande und in den wenigen
Städten, die der Zerstörung entgangen waren, bedrückt von ihren
neuenDas
Gebietern
Reich der
undRugier,
von ihren
welches
ältern das
hülflos
heutige
verlassen.
Oesterreich und Pan

nonien auf der linken Seite der obern Donau umfaßte, nahm nach sei
nes ersten Königs Flacitheus Tode ein schnelles Ende. Auf seinem Sohn
und Nachfolger Feletheus haftete der Verdacht des Brudermordes. Odoa-
ker, vormals Anführer der barbarischen Hülfstruppen , der aber schon
476 dem weströmischen Reiche den Untergang bereitet und sich zum
Beherrscher Italiens und einiger von demselben noch nicht losgerissener
Gebiete aufgeworfen hatte, zog herbei, das Verbrechen zu bestrafen,
487, besiegte in der Schlacht den Feletheus und führte ihn nach Italien. Des
sen Sohn Friedrich ward nun König; da er aber, den Eingebungen der
Rachsucht mehr als der Klugheit gehorchend, Noricum feindlich ver
heerte, vertrieb Odoaker auch ihn. Hierauf wurden die Rugier zer
streut, Rugiland entvölkert, und auch die Bewohner römischer Abkunft,
die sich aus Noricum und Pannonien nach Lorch geflüchtet hatten, ihrem
Wunsche
Dagegen
gemäßerhob
nachsich
Italien
das Reich
versetzt.
der 2Ostgothen in Pannonien zu gro

ßer Macht, Theodorich, Theodomir's unehelicher Sohn, als Geisel des


Friedens nach Konstantinopel geschickt, erhielt dort jene Ausbildung
seiner großen natürlichen Anlagen, durch die er später seinen Lehrern
furchtbar wurde. Schon war auf seinen Vater die Alleinherrschaft über
das ganze Volk gekommen, als er heimkehrte, und durch glänzende
Kriegsthaten seinen Namen groß machte. Nach dem Tode Theodomir's,
475, bestieg er den Thron der Amaler und schritt sogleich zur Ausfüh
rung seiner hochfliegenden Entwürfe. Zuerst wandte er sich nach Osten.
Die byzantinischen Heere überall besiegend, zwang er den Kaiser Zeno
zu großen Länderabtretungen und erhöhten Subsidien, ja sogar, ihn zum
Consul und Patricius zu ernennen und als Sohn zu adoptiren. Doch
Theodorich's Sinn ging höher hinaus: er richtete seinen Blick auf Ita
lien und Odoaker's schlecht befestigte Macht, erbot sich und erhielt
vom Kaiser den Auftrag, gegen den Thronräuber zu ziehen und im
Namen des Reichs den befreiten Westen zu beherrschen. Die ganze
Nation
1 Jornandes,
folgte ihmDemuthig
rebus geticis,
und vertrauend,
e. 50, 51. — um
2 Vita
ein S.neues
Seyerini,
Vaterland
c. 45, bei
zu

Pertz, Scriptores rerum Austriae, I. Faullus Diacou. Lombard., I, 19.


1(5 Erstes Buch Erster Abschnitt.

suchen. Sie trotzten dem Hunger, 489, schlugen nieder, was sich ihnen
entgegenstellte, überwanden in langwierigem Kriege Odoakern und
gründeten das große ostgothische Reich, das sich auch über einen
Theil Pannoniens erstreckte. 1
1.
Das Reich der 4. Gepiden
Gepiden und Longobarden.
breitete sich nach Abzug der Ostgothen

bald auch über größere Theile Pannoniens aus urrd blühte 1 10 Jahre.
Sie lebten in Frieden mit dem östlichen Kaiserreiche und bezogen Jahr
gelder unter der Verpflichtung die Grenzen zu schützen. Doch be
kamen sie bald gefährliche Nachbaren. Die Longobarden waren näm
lich in das entvölkerte Rugilan.d eingerückt, zogen sich immer mehr ost
wärts in die weiten Ebenen zwischen der Donau und der Theiß, und
endlich räumte ihnen Kaiser Justinian, 548, auch noch einen beträchtlichen
Theil des ehemals gothischen Pannoniens ein. 2 Die Eifersucht der
beiden Völker wurde immer heftiger, bis sie endlich einander feindlich
gegenüberstanden. Allein beide hielten sich für zu schwach und gingen
549 einen Waffenstillstand auf zwei Jahre ein, um Bundesgenossen zu wer
ben. Nach Ablauf der Frist begannen sie den Krieg wieder, der noch
mals durch Justinian's Vermittelung beigelegt wurde. 3 Endlich kam
es zum Entscheidungskampf. Alboin, der Longobarden König, um sich
gegen Kunimund, König der Gepiden, dessen Tochter, Rosamunde, er
entführt hatte, zu verstärken, rief Bajan, de<^Avarenkhan, zu Hülfe,
versprach ihm dafür den zehnten Theil alles Viehes, das die Longobarden
besaßen, die Hälfte der zu gewinnenden Beute und das ganze Land der
Gepiden. Das Bündniß wurde geschlossen, der Krieg begann. In der
Schlacht siegten die Verbündeten vollständig. Alboin erschlug mit
eigener Hand den Kunimund, dessen Schädel er sodann bei Festgelagen
als Becher gebrauchte; der größte Theil des Volks unterwarf sich 567
Bajan's
Doch
barbarischer
schon dasHerrschaft.
Jahr darauf
4 wurden die Longobarden von dem

Feldherrn Narses, der sich von Kaiser Justinus II. schwer beleidigt
fühlte, zum Raube Italiens aufgefordert. Sie waren bereit , dieser Ein
ladung zu folgen; um sich aber für alle Fälle sicher zu stellen, räumten
sie ihr Land ihren alten Bundesgenossen, den Avaren, mit dem Vor
behalt ein, es friedlich wieder zurückzuerhalten, wenn ihnen die Erobe
rung Italiens mislingen, oder das neue Land nicht gefallen sollte. Hier
auf steckten sie ihre Wohnungen in Brand, 568, zogen ab, eroberten die
herrliche Gegend Italiens, die noch heute von ihnen Lombardei heißt,
und ließen
Auf diese
sich Avaren
dort bleibend
und andere
nieder. altaische
PannonienStämme,
behielten
welche
die Avaren.
bei den5

allgemeinen
1 Jemandes,
Hin-De
und
rebus
Herwogen
Geticis, c.
der57.Völker
59. Cassiodorus
in die dacischen
Variarum,
und
LXII,
panno-
und

Chronicon breve. — 2 Procopins, De belle, Goth., III, 33. — 3 Paullus Dia-


con. Longobard. , II, c. 25. — 4 Paullus Diacon. Longobard., II, c. 27. Me-
nander bei Stritter, I, 381 u. 653. — 5 Paullus Diacon. Longobard., II,
c. 7 u. 26.
Slawische Völkerschaf ten. Anten. 17

irischen Länder einrückten, wollen wir später unsere Blicke richten, um


den Zusammenhang dessen, was von ihnen zu sagen ist, nicht zu unter
brechen. Jetzt wenden wir uns zuvor zu den slawischen Nationen, die
gleichfalls in diese Länder vordrangen und sich zum Theil bleibend in
denselben niederließen.

. 5. Slawische
Die alten Griechen Völkerschaften.
und Römer hatten von 1 dem großen Völker

stamme der Slawen fast keine Kunde, oder wußten sie wenigstens nicht
von den Scythen und Sarmaten genauer zu unterscheiden. So be
fanden sich unter den vielen Völkerschaften im Norden des Schwarzen
Meers, des Kaukasus und am Kaspischen See, die Herodot 2 nennt und
deren Sitten er beschreibt, unstreitig auch slawische; Schafarik führt
geradezu den Beweis, daß die Neuren und Budinen 3 Slawen waren,
wie unter jenen, durch welche die „zehntausend Griechen" zogen.4
Auch mögen wir in den Venetern des Tacitus 6 die Wenden und in
andern Völkerschaften, von denen er zweifelt, ob sie zu den Germanen
oder Sarmaten zu zählen seien, slawische vermuthen, da sie die Ge
genden hewohnen, wo die Ursilze des Völkerstammes liegen. Aber
nirgend finden wir über denselben deutliche und bestimmte Nachrichten.
Denn diese alten Ursitze der Slawen, im Norden der Karpaten bis
an das Eismeer, von der Weichsel bis zum Don hin nach Osten, lagen
den Griechen und Römern zu ferne und waren durch andere, da-
zwischenstehende Nationen ihnen unzugänglich ; die Slawen selbst aber
blieben ruhig in ihren Wohnplätzen , ohne weite Wanderungen und
Kriegszüge zu unternehmen. Erst als die allgemeine Völkerströmung
begann, geriethen auch sie in Bewegung; getrieben und treibend rück
ten sie in die von den Deutschen verlassenen Länder ein; beson
ders der Zug der Gothen, zuvörderst an die Mündungen der Weichsel
und dann bis zu jenen des Dnieprs, nöthigte viele slawische Stämme
auszuweichen oder mitzuziehen, eine neue Heimat zu suchen oder sich zu
unterwerfen. So. gehorchte ein großer Theil der Slawenwelt dem ge
waltigen Ostgothenkönig Hermanrich, und als dessen weites Reich von
den Hunnen zertrümmert wurde, mußten auch sie dem furchtbaren
AttilaDiese
dienen,
bisher
bis sein
wenig
Todgekannten
sie aus dem
Slawen
Joche wurden
befreite.zu6 Anfang des C.

Jahrhunderts den Byzantinern schrecklich. Einer ihrer Hauptstämme,


die Anten, brachen in die römischen Donauländer 530 ein und dehnten
ihre verheerenden Raubzüge über Mösien, Thrazien und selbst i. rie-
chenland aus. Wiewol sie mehrmals geschlagen wurden, und Ju-
stinian als Sieger den Ehrennamen „Anticus" in seinen Titel aufnahm,
konnten
1 Diesieausführlichsten
doch nicht Untersuchungen
völlig besiegt und
über wieder
die Urgeschichte
vertrieben
derwerden.
Slawen

finden sich in Schafarik's Werke: Slawische Alterthnmer (in böhmischer


Sprache, Prag 1837; deutsch, Leipzig 1843). — 2 Herodot, IV.— 3 Hero
dot, IV, 108. — 4 Xenophon, Anabasis. — 5 Tacitus, Germania, c. 4ü. —
5 Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slawischen Staaten, Bd. 1.
FeMer. I. 3
lg Erstes Buch. Erster Abschnitt.

Daher überließ ihnen Justinian 540 das östliche Dacien von Sieben
bürgen bis zum Schwarzen Meere und bewilligte ihnen Jahrgclder unte1
der Bedingung, daß sie andere Barbaren von Einfallen in das Reich
abhalten und seine Oberhoheit anerkennen sollten. 1 Hier wohnten sie
nun unter thrazischen und hunnischen Völkerschaften, die ihnen theils
unterthänig , theils ihre Bundesgenossen oder Feinde waren , und
mit denen sie gemeinschaftlich fortfuhren, das byzantinische Gebiet zu
plündern.
Schon früher, um 450, waren Slawen aus den nördlich von den

Karpaten gelegenen Gegenden, aus Großchrowatien und Groszserblien,


in das Land der Quaden und Markomannen, das heutige Mähren und
Böhmen, eingerückt und schlugen da ihre bleibenden Wohnsitze auf. 2
Von hieraus besetzten sie nach dem Abzuge der Longobarden 568 auch
das nordwestliche
Andere slawische
Ungarn,
Horden
das sie
setzten
noch 549
jetzt über
innehaben.
die Donau — die Ge-

piden, welche durch die hinterlistige Politik Justinian's sich beleidigt


fühlten, ließen sie ungehindert durch ihr Land ziehen —, warfen sich auf
Illyrien, zerstörten mehrere Seestädte Dalmatiens, verwüsteten Grie
chenland und Thrazien und drangen bis zur langen Mauer vor. Hier
wurden sie zwar geschlagen , erlitten aber geringen Verlust und zogen,
mit Beute beladen, zu ihren Stammesgenossen jenseit der Donau
zurück.
Doch
3 bald traf alle die slawischen Völker, die gegen Westen und

Süden vorgerückt waren, ein großes Misgeschick. Die Avaren stürz


ten mit ihren Reitergeschwadern auf sie, vertilgten 560 die Anten fast
gänzlich, durchschritten in raschem Siegeslauf Dacien und Pannonien,
drangen über Mähren und Böhmen bis nach Thüringen vor und zwan
gen die Nationen dieser Länder zu Kriegs- und Knechtsdiensten. Doch
wurde von ihnen keine schnöder behandelt und härter gedrückt als die
slawischen Bewohner Weiß- oder Großchrowatiens. Die Gemis-
handelten ermannten sich endlich, standen um 6"23 unter Samo's An
führung gegen ihre Tyrannen auf, erkämpften sich die Freiheit und
gründeten ein Reich, zu dessen König sie 627 den Helden Samo er
hoben. Dieser beherrschte dasselbe durch 35 Jahre, machte Böhmen
zum Hauptsitze der Macht und brachte zuerst die westlichen, später
jedoch auch einen großen Theil der östlichen Slawenstämme unter seine
Botmäßigkeit.
Als Samo auch
Mit seinem
die Slawen
Todeanzerfiel
der Oder
das große
und Weichsel
Reich. 4seiner Herr

schaft unterwerfen wollte, verliessen 640 einige chrowatische und ser


bische Stämme, um sich derselben zu entziehen, ihre bisherigen Wohn
sitze und baten den Kaiser Heraklius, dass er sie in sein Gebiet auf
nehme.
1 Procopius
Das mittelländische
, Historia und Anecdota.
Dahnatien—und
2 Palacky,
das LandGeschichte
an beiden
vonSeiten
Böh

men (Prag 1864), I, 59 fg. — 3 Procopius, De hello Goth. — 4 Frede,


garius, Chronicon, c. 48, bei Ruinart, S. 627. Nestor bei Schlözer, Vor
geschichte, c. 10. Pray, Annales Hunnorum, Avarorum et Hungarorum (Wien
1761), und Dissertationes in Annales Hunnorum (Wien 1765). Palacky, Ge
schichte von Böhmen, I, 75 — 81.
Bulgaren und Avaren. 19

der Save bis gegen Vimiacum (Widdin) waren bereits verödet und nur
schwach von den Avaren besetzt, daher wies ihnen Heraklius diese
Wohnsitze an. Sie zogen hin und verjagten nach mehrern glücklichen
Gefechten die Avaren, worauf sich die Chrowaten im westlichen, die
Serbier aber im östlichen Theile des Landes niederließen, diesen die
Namen Kroatiens und Serbiens gaben 1 und sich nach und nach immer
weiterInausbreiteten.
solcher Weise erhielt das weite Gebiet im Norden des Hämus

vom Adriatischen bis zum Schwarzen Meere seine slawische Bevöl


kerung. Was von thrazischen Stämmen, römischen Colonisten und den
verschiedenen Nationen, die hier nacheinander gehaust hatten, noch
übrig war, verschmolz nach und nach mit den Slawen zu einem Volke
und nahm deren Sprache an.

6. Bulgaren
Kaum war der furchtbare und Avaren. verbraust, so ergossen
Hunnensturm

sich aus dem völkererzeugenden Hochasien nach dem städtebauenden


Buropa auf der großen Heerstraße wandernder Nationen, über die
Länder der untern Donau und des euxinischen Pontus, neue Horden.
An beiden Ufern der Wolga , in der Gegend, wo die Kama einmündet
und jetzt Kasan liegt, weideten die Bulgaren, von denen das Land selbst
Großbulgarien genannt wurde. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts trennte
sich ein ansehnlicher Zweig vom Hauptstamme derselben und zog süd
wärts. Aber von den Chazaren getrieben *, setzte er seine Wande
rungen fort und ließ sich an den Mündungen der Donau unter scy-
thischen und sarmatischen Völkern nieder, 493. Bald gingen diese Bul
garen über die Donau, schlugen wiederholt die Feldherren des oströmi
schen Reichs, plünderten und verwüsteten das so oft heimgesuchte un
glückliche Mösien und Thrazien jahrelang. Vergebens trug ihnen Kaiser
Anastasius Gold statt Eisen entgegen; sie ließen sich ihre Rückzüge
und Waffenstillstände mit reichen Geschenken und Tributen bezahlen
und erneuerten gleich wieder ihre Angriffe. Um wenigstens die Haupt
stadt zu sichern, baute er die lange Mauer vom Marmara- bis zum
Schwarzen Meere, und gestand dadurch die Schwäche und Ohnmacht
des Reichs. Diese kannten die Bulgaren nur zu gut; sie hielten nie
Frieden, dienten allen Aufrührern als Bundesgenossen, schreckten und
plünderten selbst unter Justinian's glänzender Regierung, waren bei
allen Streifzügen der Anten deren bereitwillige Gefährten, bis sie end
lich den herbeigekommenen Avaren sich unterwarfen und mit ihnen
vereint
Diese
nochAvaren
weit größere
, die eine
Schrecken
Zeit lang
verbreiteten.
auf dem Schauplatze
3 der Welt

geschichte
1 Constantin,
eine soPorphyrogen.
wichtige Rolle
de administrando
spielen, sind
Imperio,
abermals
c. 30—32.
ein Beispiel,
Theo-

phanes und Nicephorus bei Stritter, Tom. II, Part. I, 74. — 2 Nestor bei
Schlözer, II, 113. Thunmann, Geschichte der östlichen Völker, S. 35. Virien
St. Martin, Nouvelles annales de voyages, 1850, Aprilheft, S. 26. — 3 Theo-
phanes, Cedrenus, Zonaras, bei Stritter, Memoriae, Tom. II, Part. II, 496 sq.
20 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

wie schnell unbedeutende nomadische Horden sich in mächtige Völker


verwandeln, wie sie dem Gießbache gleich plötzlich anschwellen, immer
wachsen, je weiter sie strömen, was ihnen im Wege steht, mit sich fort
reißen und weit und breit alles mit ihren Fluten bedecken. An den
Ufern des Iaik, erzählen die byzantinischen Schriftsteller 1, wohnten die
Oguren, die sie auch Avaren nennen, jedoch von dem asiatischen Volke
dieses Namens unterscheiden; ihnen war ein anderer altaischer Volks
zweig, die Värchuniten, dienstbar geworden. Als nun diese Oguren
oder Avaren von den Türken um die Mitte des 6. Jahrhunderts besiegt
und unterjocht wurden, ergriffen die Värchuniten die Gelegenheit, sich
in Freiheit zu setzen; da ihnen jedoch das Waffenglück nicht gün
stig war, retteten sich einige Horden, 20000 Mann stark, durch
Flucht und ließen sich an der Wolga nieder. Allein auch dort gegen
die sich fort und fort ausbreitende Macht des türkischen Volksstamms
nicht gesichert, zogen sie weiter nordwärts, schlugen sich unter dem ge
fürchteten Namen der echten Avaren durch verschiedene Völker, ver
stärkten sich immer mehr durch freiwilligen und erzwungenen Beitritt
und fanden
Von hieraus
endlichschickte
bei denihr
Alanen
Khan am
Bajan
Kaukasus
557 Botschaft
freundliche
an Kaiser
Aufnahme.
Ju-

stinian und trug ihm die Kriegsdienste seines Volks an gegen angemes
sene Wohnsitze und Jahrgelder. Justinian schloß mit dem Unbekann
ten, der bald der Schrecken seines Reichs werden sollte, einen Vertrag,
kraft dessen sich dieser verpflichtete, die dem Reiche gefährlichen Na
tionen am Mäotis und Pontus sogleich zu bekriegen. Soeben waren
die Hunnenstämme der Katruguren und Utruguren, durch die arg
listige Politik des Kaisers entzweit, in einem Vertilgungskrieg miteinander
begriffen; Bajan schlug beide und zwang sie zur Unterwerfung. Hier
auf überwand er die Zaler und sabirischen Chazaren, brach die Macht
der Anten in zweimaligem Kriege für immer, nöthigte die Bulgaren zur
Vereinigung und gelangte kämpfend und siegend an die Donau. Jetzt,
562, erneuerte er die Ansprüche auf Land, Geschenke und Jahrgelder.
Der Kaiser konnte es nicht abwehren, daß die Avaren das Gebiet zwi
schen dem Dniestr und Pruth, das sie bereits erobert hatten, auch be
hielten
Hierauf
und alle
wandte
die überwundenen
sich Bajan aufVölker
uns unbekannten
beherrschten.Wegen 563 nach

Westen, zwang die slawischen Völkerschaften im Norden Ungarns und


die Czechen in Mähren und Böhmen unter seine Botmässigkeit und
rückte bis Thüringen vor, um das fränkische Reich anzugreifen, wurde
aber von Sigibert, dem Könige Austrasiens an der Elbe geschlagen
und zum Frieden genöthigt, der jedoch von kurzer Dauer war. Denn
schon 567 brach der Krieg von neuem aus; Sigibert erlitt eine völlige
Niederlage und wurde gefangen, mußte sich loskaufen und Bündniß mit
BajanWie
schließen.2
die gewaltig schwellende Macht der Avaren durch ihren

Kriegsbuud
1 Theophylaktus,
mit den Simocatta,
Longobarden
Theophanes,
neuen Zuwachs
Menander erhielt;
bei Stritter,
wieI, sie
643mit
fg.

— 2 Panllns Diacon., II, 10. Grego1ii Turot1. Hist. Francoru1u, IV, 23, 29.
Menander bei Stritter, I, 6C0 fg.
Bulgaren und Avaren. 21

diesen vereinigt 567 zuerst die Gepiden ihrer Herrschaft unterwarfen


und beim Abzug der Longobarden nach Italien, 568, auch deren Land
einnahmen, wurde oben berichtet. Auf diese Weise kamen sie mit
leichter Mühe in den Besitz des heutigen Ungarns und machten es zu
ihrer Hauptniederlassung. Hier im Sitze ihrer Macht, aber auch in den
eroberten Ländern 1 errichteten sie große befestigte Lager, Ringe, die
sie mit Wällen und tiefen Gräben umgaben. In diesen befanden sich
die Wohnungen des Khans und seiner Unterkhane; sie dienten als
Waffen- und Sicherheitsplätze ;_ hierher wurde der Raub der Nationen
geschleppt. Bajan unternahm Eroberungs- und Plünderungszüge nach
allen Richtungen ; schreckte und beraubte die Perser ; verheerte furcht
bar das Byzantinische Reich, höhnte die Kaiser mit launischem Ueber-
muth- und erpreßte unerschwingliche Geschenke und Jahrgelder 2;
führte mit den fränkischen Königen schwere und blutige Kriege und
hielt ein freundschaftliches Verhältniß nur mit den Longobarden auf
recht. 3 Auch nach dem Tode Bajan's, um 600, dauerten die Kriegs
züge und das Glück der Avaren noch eine Zeit lang fort, und ihr Reich
erreichte eine ungeheuere Ausdehnung. Das eigentliche Avarien um
faßte das alte Dacien und alles Land, das zwischen den Karpaten, den
Cetius und der Save liegt; ihre Oberherrlichkeit aber erstreckte sich von
der dalrf1atisehen Küste bis an den Don, nördlich an die Weichsel und
westwärts an die Grenzen des fränkischen Reichs, meist über slawische
Völker.
Aber schon 623 erhoben sich, wie wir gesehen haben, die gemis-

. handelten Czechen unter Samo's Anführung und erkämpften siegreich


ihre Freiheit. Demungeachtet wagte der Avarenkhan im Bündniß
mit dem König der Perser Kosrhoes 626 vor Konstantinopel zu rücken
und die Stadt zu stürmen; aber sein Heer wurde vernichtet und er
mußte geschlagen zurückziehen. 4 Und als vollends die Kunde von
Heraklius' Siegen über die Perser zu den unterdrückten Völkern drang,
da faßten
Hierzu
sie kam
Muth,noch,
das schwere
daß gerade
Joch in
abzuwerfen.
dieser gefährlichen Zeit innere

Zwietracht das Avarenreich zerrüttete. Die Bulgaren, bisher mit den


stammverwandten Avaren beinahe zu einem Volke verbunden und ihnen
an Zahl und Ansehen fast gleich, wollten 630 bei der Wahl eines neuen
Khans Einen aus ihrer Nation auf den Thron erheben, wogegen die
Avaren sich sträubten , sodaß endlieh zwei Khane gewählt wurden.
Diese bekriegten sich bald gegenseitig. Der bulgarische wurde besiegt,
wanderte mit 9000 Mann nebst Weibern und Kindern aus und begab
sich 1unter
Z.B. die
in Böhmen.
Schutzhoheit
Palacky
des , fränkischen
Geschichte von
Königs
Böhmen,
Dagobert,
I, 75. —
der 2 die
So

verlangte er vom Kaiser Mauritius einen Elefanten und schickte ihn wieder
zurück, dann ein goldenes Ruhebett und erklärte, als er ein prächtiges er
hielt, dieses sei zu schlecht; forderte ein Jahrgeld von 80000 Goldstücken und,
als sie ihn bewilligt wurden, noch 20000. Stritter, I, t)80—,687. — 3 Paul-
lus Diaeon., IV, 29. — * Theophanes, Nicephori Chronicon paschale, bei
Stritter, I, 745 fg.
22 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
*
Flüchtlinge einzeln in Baiern vertheilte und in einer Nacht ermorden
ließ. Nur Altitz mit 700 Personen entging der fränkischen Vesper und
rettete sich in die windische Mark. l Ungeachtet dieser Niederlage
kehrten die Bulgaren, nicht mehr zum Gehorsam zurück. Ihr Khan
Kuvrat riß sich 635 völlig von den Avaren los und begab sich unter
byzantinische Oberhoheit. * Von .nun an blieben beide Völker nicht
nur getrennt, sondern geriethen auch oft in Feindseligkeiten. Bios
einer von Kuvrat's Söhnen verließ nach des Vaters Tod mit einem
Theil der Bulgaren die Heimat an den Donaumündungen, zog zu den
Avaren und erhielt unter ihrer Oberhoheit von ihnen ' ein Gebiet zwi
schenEin
der anderer
Donau und
SohnTheiß.
Kuvrat's,
3 Asparuch, ließ sich zuerst am Ingul,

zwischen dem Dniestr und Dniepr, in einer von Bergen und Sümpfen
umschlossenen Gegend nieder. 4 Aber bedroht von den näher rücken
den Chazaren zog er 678 mit seinem Volke an die nördliche Küste des
Schwarzen Meers. Von hier machte er Streifzüge nach Thrazien, die
ihm reiche Beute gewährten, setzte sich endlich 679 nördlich vom Hämus
in Niedermösien fest 5 und gründete in dem Lande, das auch heute
noch Bulgarien heißt, ein selbständiges Reich, welches unter mancherlei
Wechsel von Macht und Schwäche bis auf die osmanische Zeit fort
bestand. Die Bulgaren vermischten sich aber nach und nach mit den
weit zahlreichern slawischen Bewohnern des Landes , nahmen deren
Sprache
So geschwächt
an und verloren
und ihre
eingeengt
Nationalität.
behaupteten sich die Avaren noch

länger als ein Jahrhundert in Pannonien und ließen nicht ab, so oft
sich Gelegenheit darbot, die benachbarten Länder zu plündern. Aber
die Tage ihres Reichs waren gezählt, als Karl d. Gr. 771 den frän
kischen Thron bestieg. Sie selbst brachen den Frieden, den sie durch
Abgesandte 782 mit Karl feierlich geschlossen hatten 6; denn sie
ließen sich in ein Bünduiß mit dem Herzog von Baiern Thassilo II. ein,
der sich gegen die fränkische Oberherrlichkeit auflehnte, und leisteten
ihm Hülfe. Auch als dieser bereits überwunden, auf dem Reichstage
zu Ingelheim 788 seines Herzogthums entsetzt und, zum Tode ver-
urtheilt, von Karl jedoch begnadigt und in ein Kloster gesperrt worden
war, wagten sie es, in die fränkischen Länder mit zwei Heeren ein
zufallen, und erlitten eine schwere Niederlage. 7 Zu diesen Feindselig
keiten kamen noch Grenzstreitigkeiten, welche die Erbitterung steiger
ten. 8 Karl, der zu jedem Kriege bereit war, sobald es darauf an
kam, das Christenthum und unter dessen Namen auch seine Herrschaft
auszubreiten, beschloß nun den Vertilgungskrieg gegen die Avaren zu
erheben. Große Rüstungen wurden in dem weiten Reiche gemacht,
Bundesgenossen
1 Fredegarn Chronicon,
geworben, c.der
68 Muth
u. 71. des
Regino
gewaltigen
ad annum
Heeres,
IX Dagoberti.
das sich

— 2 Nicephorus bei Stritter, I, 755. — 3 Theophanes und Nicephorns bei


Stritter, Tom. II, Part. II, 502 fg. — 4 Ebend. — 5 Ebend., S. 506 fg. —
11 Eginhardi Annales Franc, bei du Cbesne, II, 5, 15, 32. — 7 Regino ad
annnm 791. — 8 Eginhardi Vita Caroli M. ad annum 790.
Zustand nach der Avaren Untergang. 23

bei Regensburg gesammelt hatte, durch religiöse Feierlichkeiten er


höht 1 und der Feldzug 791 eröffnet. Die Franken, Schwaben und
Baieru führte Karl selbst am rechten Ufer der Donau; die Sachsen und
Friesen gingen über Böhmen auf das linke zu, und mit dem longobar-
dischen Heere rückte Karl's Sohn Pipin in das südliche Pannonien
ein. 2 So begann einer der schrecklichsten und blutigsten Kriege, der
in zehn großen Feldzügen geführt wurde und mit mancherlei Unter
brechungen zwölf Jahre dauerte. Ungeachtet der ungeheuern Zu-
rüstungen und der drei großen Heere, die zu gleicher Zeit den Angriff
machten, richtete Karl bei diesem ersten Feldzuge sehr wenig aus. Erst
796, als sich die Avaren in Parteien trennten, die sich gegenseitig be
kriegten, und Tudun, ein mächtiges Parteihaupt, mit seinem Anhange zu
den Franken überging, gelang es diesen, einen ihrer stärksten und größ
ten Ringe zu erobern und sie zur Unterwerfung zu nöthigen. 3 Aber
eben dieser Tudun griff 799 wieder zu den Waffen, als Karl mit den
Sachsen kriegte, und der blutige Kampf erneuerte sich, bis endlich
Tudun's Nachfolger Zodan 803 völlig besiegt und gezwungen wurde,
Karl zu huldigen, dessen Haupt damals bereits die abendländische
Kaiserkrone
Die Ringe
schmückte.
waren mit allen aufgehäuften Schätzen erobert und zer

stört, die Blüte der Nation gefallen; die Gefangenen wurden großen
theils nach Baiern geführt; viele, die dem Schwerte und der Gefangen
schaft entrinnen konnten, flüchteten zu den Bulgaren zwischen der Donau
und Theiß; die übrigen unterwarfen sich sanIInt ihren Häuptlingen der
fränkischen Herrschaft. So endete das avarische Reich im zweihundert-
III. DerZustand
einundvierzigsten
westliche des
Jahre
TheilLandes
Avarenreichs.
seiner
Avariens nach
Entstehung. der Vernichtung
erhielt 4wieder des
seinen alten Namen

Pannonien, wurde eine Provinz des großen fränkischen Reichs und unter
Markgrafen gestellt, denen auch die Fürsten der Slawen, die schon in
Pannonien wohnten oder sich später niederließen, untergeordnet wa
ren. 6 Ihnen gehorchten auch die Avarenkhane Zodan, Theodor u. A.,
denen zum Lohn dafür, daß sie sich unterworfen und die Taufe ge
nommen hatten, die Scheinherrschaft über einige Ländereien überlassen
wurde.
1 Regino ad annum
. , 791. Caroli M. epist. ad Fastradam bei du Chesne,

II, 287. — 2 Eginhardi Annales Franc, bei Pertz, I, 177. — 3 Annales Lau-
reshamcmses bei Pertz, I, 182. — * Eginhardi Vita Caroli M. u. Annales
Franc, a. a. O. Annales Laureshamenses ad annos cit. — 5 Anonymi histo-
ria conversionis Carantanorum , bei Salagius, IV, 14; auch bei du Chesne,
II, 280.
24 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

Aber Zerstören ist leichter als Gründen. Das Land war durch
die langwierigen und blutigen Kriege zur völligen men chenleeren Ein
öde geworden. Eginhard ruft aus: „Wie viel Blut im Avarenkriege
geflossen sei, davon zeugt Pannonien, das keine Einwohner mehrhat,
und der Sitz der Avarenfürsten, der so wüste geworden ist, daß da
nicht einmal eine Spur menschlicher Wohnungen angetroffen wird." 1
Aeußerst schwer hielt es Pflanzbjirger herbeizuziehen, und ehe Karl nur
einigermaßen herstellen konnte, was er zertrümmert hatte, starb er 814,
auf seine Nachkommen wol seine Länder, aber nicht seinen Geist ver
erbend. Neue Bewegungen, neue Kriege begannen auf dem schon seit
Jahrhunderten
Noch während
mit Blut
des getränkten
Kriegs drangen
Boden.die Südslawen aus Dalmatien

und Kroatien, die, zum Christenthum bekehrt, bereits ein geordnetes


Staatswesen bei sich errichtet und durch Seehandel einen gewissen
Wohlstand erworben hatten 2, bis an den Zusammenfluß der Donau und
Save vor und eroberten den Landstrich, der von ihnen den Namen
Slawonien erhielt. Da sie klug genug waren, die Oberhoheit Karl's
anzuerkennen , ließ er sie im ruhigen Besitze desselben und gestattete
ihnen,Kaum
sich einen
war der
eigenen
avarische
Zschupan,
KriegFürsten,
beendigt,
zu wählen.
so sah sich Karl schon

veranlaßt, einen zweiten gegen die Mährer zu führen. Der Avarenfürst


Theodor war nämlich von ihnen aus seinem an der March gelegenen
Gebiete 805 vertrieben worden ; der Kaiser glaubte, die seinem Vasallen
widerfahrene Unbill rächen zu müssen ; er zog mit großer Heeresmacht
nach Böhmen, schlug eine Schlacht, verwüstete das Land vierzig Tage
lang und kehrte dann wieder heim, ohne etwas Wichtiges ausgerichtet
zu haben. Theodor Erhielt zur Schadloshaltung ein Gebiet um Steinam-
anger, und als er bald darauf starb, wurde den Avaren gestattet, nach
ihren alten Gebräuchen einen Nachfolger zu wählen, der nachher in der
TaufeAls
dendas
Namen
westliche
Abraham
Avarien
erhielt.
bereits
3 bezwungen war und in der an

gegebenen Art geordnet wurde, machten nördlich der Donau und öst
lich der Theiß noch einige avarische Parteihäupter einander die Herr
schaft streitig. Die erstem wurden von den Marahnenslawen ihres
Gebiets beraubt und vertrieben, die andern von dem Bulgarenfürsten
Krumm oder Kremm überwältigt, der nun, von Karl ungehindert, sein
Gebiet diesseit und jenseit der Theiß ausbreitete und die Ueberreste
der Avaren durch schonende und freundliehe Behandlung für sich ge
wann. 4 Ungeachtet dieses Bulgarengebiet unter der Oberhoheit der
Avaren gestanden hatte, war es doch fortwährend mit dem Hauptreiche
südlich
1 Eginhavdi
der Donau
VitaimCaroli
altenM.Mösien
: „Quotin proelia
Verbindung
in bellogeblieben
Avarico ,gesta,
und beide
quan-

tum sanguinis effusum sit, testatur vacua omni habitatore Pannonia, et locus,
in quo regia kagani erat, ita desertus, ut nee vestigium quidem in eo humanae
babitationis appareat." — 2 Constantinus ,de administrando imperio bei Strit
ter, Tom. II, Part. I, 393 — 396. — 3 Eginhardi Annales ad annum 806 u.
Vita Caroli M. Annales Mettenses. Pray, Annales Hunnor., S. 288. — * Sui-
das, Eclog. histor. de rebus Byzantinis bei Stritter, Tom. II, Part. II, 562.
Großmährisches Reich. 25

schlossen sich nun, da die Herrschaft der Avaren ein Ende genommen
hatte, noch fester aneinander. Daher geschah es, daß die musischen
Bulgaren zu Anfang des 9. Jahrhunderts Krumm zu ihrem Beherrscher
wählten. Und er rechtfertigte die Wahl seines Volks als Regent und
Krieger; unter ihm erhob sich dasselbe zur höchsten Stufe der Macht;
keiner seiner Vorgänger und keiner seiner Nachfolger war den Byzan
tinern so furchtbar wie er. Das bulgarische Vasallenreich an der Theiß
bestand
Außer
fort diesem
bis auf begannen
den Einzug
sichdervermuthlich
Magyaren. schon um diese Zeit öst

lich von der Theiß noch andere kleine Herrschaften zu bilden, die wir
später dort finden; sie waren von Bulgaren, Avaren, Walachen und
Slawen bewohnt, und scheinen ebenfalls unter der Oberhoheit des süd
bulgarischen
Siebenbürgen
Khans hinter
gestanden
seinem
zu haben.
Felsengürtel entzog sich den Augen

der Welt; wir haben keine genaue Kunde von dem, was damals in sei
nem Innern vorging. 1 Doch läßt sich mit Gewissheit annehmen, daß
es, zum Reiche der Avaren gehörend, auch durch den Fall desselben
erschüttert wurde. Auf seinen bewaldeten Bergen und in seinen Eng
pässen behielt es mehr Ueberreste seiner alten Einwohner, als die Ebene
rings umher; und hier mochten auch jetzt viele von daher Flüch
tige Sicherheit gefunden haben. Wahrscheinlich wurde daher bereits
um diese Zeit der Westen meistens von Walachen bewohnt, die nun,
zur Freiheit gelangt , sich eigene Fürsten vorsetzten. Den Osten
hatten großentheils entweder schon damals inne oder besetzten doch
bald darauf die Szekler (Siculi lateinisch, Szekelyek ungarisch). Dieses
Volk hält sich nämlich nationalen Ueberlieferungen zufolge für Nach
kommen jener Hunnen, die nach Attila's Tod sich dorthin geflüchtet
hatten 2; doch fehlt dafür der historische Beweis und lassen sich auch
sonst Gründe dagegen beibringen. Ihre Sprache ist die ungarische mit
einigen unbedeutenden Eigenthümlichkeiten, daher ist wahrscheinlicher,
daß sie ein Zweig der Magyaren sind, der in die Gebirge zog, als diese
am Pruth in der Nähe derselben sich aufhielten. 3

Vrossmährisches Reich.

Von weit größerer welthistorischer Wichtigkeit waren die Dinge,


die sich
1 Ueber
im Nordwesten
die ältere Geschichte
gestalteten.
Siebenbürgens
Nachdem vgl.
es den
Benkö,
mährischen
Transilvania,
Sla-

olim Dacia mediterranea dicla (Wien 1778), und Milkovia, Sive explanatio
antiqui episcopatus Milkoviensis (Wien 1781). Kemeny, Magazin für Ge
schichte u. s. w. Siebenbürgens. — 2 Keza (Kezai), Gesta Hungarorum, c. I, 4,
bei Endlicher, Rerum Hungaric. Monumenta Arpadiana (St.-Gallen 1849).
Nobilis gentis Siculae chronicon (Csiker Chronik), deren Glaubwürdigkeit
jedoch mit Recht bezweifelt werden kann. — 3 Szalay, Magyarorszäg törte-
nete (Geschichte des ungarischen Reichs, Pesth 1861), I, 9, Anm. 4. Köväry,
Geschichte Siebenbürgens (ungarisch, Pesth 1859).
26 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

wen nördlich der Donau gelungen war, auch die letzten Ueberreste
avarischer Herrschaft aus ihrer Mitte zu verdrängen, bildeten sie mit
Mähren zusammen ein fränkisches Vasallengebiet, das unter mehrern
einheimischen Fürsten stand, und fielen, als Kaiser Ludwig der Fromme
817 das Reich vorläufig unter seine Söhne theilte 1, und im Vertrag
von Verdun 843 Ludwig dem Deutschen zu. Sie blieben im Gehorsam,
solange die Karolingische Monarchie noch keine Merkmale der Schwäche
und des Verfalls zeigte; weder die gefährliche Empörung des fränkischen
Dux von Slawonien, Liudewit, 818 — 823, der sich zum Beherrscher
der südlichen Slawen an der Adria aufwerfen wollte, noch der schwere
Krieg, in den Kaiser Ludwig mit dem Bulgarenkhan Mortag 827 —
829 Grenzstreitigkeiten halber verwickelt wurde, verlockten sie zum
Aufstand.
Um diese Zeit wurde Mojmir (Moymar) Herzog von Mähren. Er

bekannte sich mit einem Theil seines Volks zum Christenthum und
wirkte für die Förderung desselben; während seiner Regierung wurde
außer den Kirchen zu Olmütz und Brünn auch die zu Neitra gebaut
und 836 von dem salzburger Erzbischof Adalram geweiht. 2 Die Reli
gion schien also ein neues Band zwischen dem Monarchen und seinem
Vasallen zu weben; aber dieser strebte nach Unabhängigkeit, und die
Zwietracht, die im Karolingischen Hause 830 ausbrach, wo sich die
Söhne zuerst wider den Vater, bis zu dessen Tod 840, und dann wider
einander unaufhörlich empörten, begünstigte sein Vorhaben. Er stärkte
seine Macht besonders dadurch, daß er die kleinern Fürsten des Landes
sich unterwarf. Der noch heidnische Priwina, Herr des neitraer Ge
biets, widersetzte sich, wurde vertrieben und floh 830 zu Kaiser Lud
wig, der ihn zwar freundlich aufnahm, taufen ließ und mit großen Be
sitzungen am Plattensee beschenkte, aber zu ohnmächtig war, ihm sein
Gebiet wieder zu verschaffen. 3 Erst Ludwig, durch den Vertrag von
Verdun erster König der Deutschen, zog mit großer Heeresmacht nach
Mähren, entsetzte Mojmir und erhob dessen Neffen Rastislaw zum Her
zog, erlitt aber auf der Heimkehr von den Böhmen eine große Nieder
lage und wurde bei einem neuen Feldzuge, den er gegen sie unternahm,
849, Rastislaw
abermals empfindlich
täuschte dasgeschlagen.
Vertrauen4 des Königs; auch ihm war die

deutsche Oberherrlichkeit unerträglich, und die/Gelegenheit, sie abzu


werfen , schien ihm günstig. Er traf also Vorkehrungen , legte Be
festigungen an, schloß Freundschaft mit den Bulgaren und näherte sich
dem byzantinischen Hofe. Ludwig durchschaute seine Entwürfe, führte
ein Heer nach Mähren, scheute sich aber, den Feind in seinen starken
Verschanzungen
1 Charta divisionis
anzugreifen,
imperii, und
c. 2, kehrte,
bei Pertz,aufIII,
dem198.
Rückzuge
— 2 Anonymus,
heftig ver-
De

conversione Bojoarum et Carantorum , bei Salagius, De statu ecclesiae Pan-


noniae. — 3 Gebhardi, Geschichte aller wendischen und slawischen Staaten,
IV, 12. Dobrowsky, Cyrill u. Method. (Prag 1823), S. 87. — 4 Rudolfi Fuldens.
Annal. hei Portz, I, 364 fg. Prudentii Trecensis Annal. bei Pertz, I, 442 fg.
Großmährisches Reich. 27

folgt, unverrichteter Sache nach Hause. 1 Jetzt war Rastislaw der


That nach frei, regierte ganz unabhängig und vergrößerte seine Macht.
Neue Zerwürfnisse in der königlichen Familie kamen ihn trefflich zu
statten. Als sich Karlmann, Herzog in Kärnten, 861 —863, und Lud
wig der Jüngere 866 gegen ihren Vater, König Ludwig, empörten, fan
den beide bei ihm Zuflucht und Unterstützung. *
Rastislaw war dabei aber auch auf die Bildung und auf das Wohl
seines Volks bedacht; er erbat sich vom griechischen Kaiser Michael
christlich-slawische Glaubensboten, die dasselbe nicht nur taufen sollten,
sondern auch unterrichten könnten. ,Michael sandte die großen Heiden
apostel Cyrillus und Methodius, die schon unter den Chazaren und Bul
garen mit großem Erfolg das Evangelium verkündigt und besonders
durch die Erfindung einer slawischen Buchstabenschrift sich um die Na
tionen dreser Sprache ein unvergängliches Verdienst erworben hatten. 3
Sie kamen 863 nach Mähren, übersetzten die Bibel und die nöthigsten
Kirchenbücher und lehrten und hielten Gottesdienst in der Sprache des
Volks. Hierüber geriethen die deutschen Priester in Zorn und klagten
beim Papst Nikolaus I., der Cyrill und Methodius nach Rom citirte.
Hier fanden diese schon Hadrian II. auf dem päpstlichen Stuhle, der sich
bald von ihrem reinen Eifer und von ihren großen Verdiensten über
zeugte und sie zu Bischöfen ernannte. Cyrillus starb in Rom 868, Me
thodius aber kehrte als Erzbischof in Mähren und Pannonien zurück,
mit der päpstlichen Bewilligung des slawischen Gottesdienstes, der sich
von hier auch zu den pannonischen Südslawen verbreitete 4 und lange
nebenImdem
Jahre
lateinischen
868 entbrannte
erhielt. zwischen Ludwig und Rastislaw von

neuem der Krieg, an dem bald auch die Böhmen und Serben theil-
nahmen, und in dem Svatopluk, der Neffe Rastislaw 's, der unter des
Onkels Hoheit das neitraer Gebiet beherrschte r uns zum ersten mal vor
nigs
die Augen
und seiner
tritt.Söhne
DreiAnführung;
deutsche Heere
sie verwüsteten
kämpften zwar
869 unter
das Land
des weit
Kö-#

und breit, aber die Feste Welehrad wurde nicht genommen, Rastislaw's
Unterwerfung nicht erzwungen und Ludwig schloß am Ende Frieden 6,
da dieRastislaw,
Hoffnung den
zu siegen
die feindlichen
geschwunden
Waffen
war.nicht überwältigen konnten,

wurde durch häuslichen Verrath ins Verderben gestürzt. Svatopluk


setzte sich in geheimes Einverständniß mit dem Sohne Ludwig's , Karl
mann, der damals das Herzogthum Kärnten und Pannonien verwaltete,
bemächtigte sich hinterlistig seines Oheims und lieferte ihn an den Kö
nig aus,
1 Budolfi
der ihn
Fuldens.
blenden
Annales
ließ und
bei in
Pertz,
ein I,
Kloster
369. —
steckte,
2 Derselbe,
870. 6 ebend.,
Aus

S. 371, 379 fg. Hincmari Remens. Annales bei Pertz, I, 455, 459, 473. —
3 Nestor bei Schlözer, III, 153 — 154, 237. Lucius de regno Dalmatiae et
Croatiae u. Acta S. S. Mens. Martii, Tom. II ad 9. Martii. — 4 Anonymus, De
conversione Bojoarum et Carantorum beiSalagius. Dobrowsky, Cyrill n.Method.
(Prag 1823). Sam. Timon Imago antiquae Hungariae, I, II, c. 16. — 6 Hinc-
mar. Remens. bei Pertz, I, 482. Annal. Fuldens., ebend., S. 380. — 6 Hinc-
mar. u. Annal. Fuldens., a. a. O. Annal. Xantenses bei Pertz, II, 234.
28 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

leidiger Herrschsucht, nicht aus Neigung zu den Deutschen, hatte er den


schändlichen Verrath geübt; sobald er sich im Besitze der Gewalt sah,
strebte auch er nach Unabhängigkeit und mit desto größerm Erfolg,
da er vor keinem Mittel zurückscheute. Bald verriethen sich die Ent
würfe, an denen er arbeitete; der Untreue bei Karl mann angeklagt,
wurde er von diesem vorgeladen und in den Kerker geworfen. Die
Mährer griffen darüber zu den Waffen. Da wußte es Swatopluk, der
in Ränken Gewandte, dahin zu bringen, daß er von Karlmann nicht
nur seiner Haft entlassen, sondern auch an die Spitze des Heeres ge
stellt wurde, welches Mähren zum Gehorsam zwingen sollte. Er rückte
ohne Kampf bis vor die Veste Welehrad, ließ in deren Nähe das Heer
ein Lager beziehen und begab sich unter dem Verwande, friedliche
Unterhandlungen anknüpfen zu wollen, in dieselbe, wo er sich mit sei
nen Landsleuten schnell verständigte, das Heer durch die Aussicht auf
nahen Friedensschluß in Sicherheit wiegte, dann unvermuthet überfiel
und so gänzlich schlug, daß nur wenige dem Tode oder der Gefangen
schaft entrannen, 871. 1 Ein dreijähriger blutiger Krieg entspann sich
hieraus; die Böhmen und andere westslawische Nationen waren Svato-
pluk's Bundesgenossen, und er kämpfte so siegreich gegen Karlmann,
daß König Ludwig seinem Sohn zu Hülfe eilen mußte. Darauf kam es
873 zum Friedensschlusse, vermöge dessen Svatopluk dem Namen
nach wol Vasall des deutschen Reichs blieb, der That nach aber seine
Unabhängigkeit
Von nun anbehauptete.
stieg seine2 Macht immer höher; Böhmen ward von.

ihm abhängig, und die Slawen an der Elbe bis gegen Magdeburg ge
horchten ihm. 3 Auch mit Arnulf, Karlmann's Sohn und seit seines
Vaters Tod, 880, Herzog von Kärnten und Pannonien, stand er eine
Zeit lang in freundschaftlichen Verhältnissen, gerieth aber schon 882
mit ihm in Zerwürfniß, setzte 883 und 884 über die Donau, richtete
• grausame Verwüstungen an und schlug ihn und dessen Bundesgenossen,
die Bulgaren , in einer mörderischen Schlacht an der Raab. Auf diese
Kunde kam Kaiser Karl der Dicke, Ludwig's I. von Deutschland Jüngster
Sohn und jetzt, 884, der letzte Beherrscher des gesammten Karolingischen
Reichs, herbei, den Streit seiner Vasallen zu schlichten; argwöhnisch
gegen Arnulf, sprach er auf dem Tage zu Königsstätten in Oesterreich
Pannonien Svatopluk zu. 4 Als aber Arnulf den Plan faßte , den
schwachen Karl zu entthronen und sein Nachfolger zu werden, söhnte
er sich mit dem mächtigen Slawenfürsten aus, erhielt dessen Beistand A
und übertrug ihm, nachdem er die Absetzung Karl's zu Tribur 887 be
wirkt und den Kaiserthron bestiegen hatte, zum Lohne dafür die Lehns
herrlichkeit über Böhmen. 6

1 Anual. Fuldens., a. a. O. — 2 Hincmar. u. Annal. Fuldens., a. a. 0.


— 3 Tietmari (Ditmari) Merseburg. Chronic, bei Pertz, V, 835: Boemi
(Moravi) regnante Zuentepulco duce, nuondam fuere principes nostri. Huic a
nostris parentibus quotannis solvitur census. — * Annal. Fuldens. bei Pertz,
ad annum 884. Hayeci Annal. bei Dobner, III, 221. — 5 Annal. Fuldens.,
a. a. O. — 6 Regionis Chronicon bei Pertz, I, 112. Böhmen war wol schon
früher von Svatopluk abhängig und behielt auch jetzt seine eigenen Fürsten
Großmährisehes Reich. 29

"Jetzt stand Svatopluk auf dem Gipfel der Macht; sein weites Ge
biet erstreckte sich von der magdeburger bis in die krakauer Gegend,
über lauter slawische Länder, und von da hinab gegen Süden bis an die
Donau und hatte bereits in Pannonien auch diesen Strom überschritten.
Gelang es ihm oder seinen Nachfolgern, hier den schon leichten Schritt
weiter zu thun und die südlichen Slawen an der Adria und am Hämus
mit diesem Gebiete zu vereinigen, so mußten die schwachen zersplitter
ten Nationen zwischen der Donau und den Karpaten bald unterjocht
und die nördlichen Slawenstämme im heutigen Deutschland bis an die
Ostsee mit dem großen Körper verknüpft sein. Gewajtig und drohend
stand dann ein übermächtiges Slawenreich, im Rücken überall durch
Stammgenossen gedeckt, an Deutschlands östlicher Grenze und um
spannte und drängte es vom Adriatischen Meere bis zur Ostsee. Hät
ten dann wol die Ottone und Friedriche die Kaiserkrone getragen,
Kant in Königsberg und Hegel in Berlin die Lehren deutscher Philo
sophie verkündigt und deutsche Sprache und Bildung überhaupt so
weite Ausbreitung gewonnen? Daß Deutschland, welches sich eben zu
dieser Zeit erst zu einem Staat consolidirte und von innern Unruhen
zerrüttet wurde, dieser Gefahr glücklich entging und dem Slawenthum
obsiegte, bewirkten die Magyaren. Darum sagt Palacky: „Die Inva
sion der Magyaren und ihre Festsetzung in Ungarn ist eins der folgen
reichsten Ereignisse in der Geschichte Europas; sie ist das größte Un
glück, das die Slawenwelt im Ablaufe der Jahrtausende betroffen hat.
Die slawischen Völker breiteten sich im 9. Jahrhundert von Holsteins
Grenzen bis an die Küsten des Peloponnesus aus, vielgliederig und un-
verbunden, mannichfach in Sitten und Verhältnissen, aber doch überall
tüchtig, fleißig und bildsam. Im Mittelpunkte dieser ausgedehnten
Linie hatte sich durch Rastislaw und Svatopluk eben ein Kern ge
bildet, der die fruchtbarsten Keime einer zugleich nationalen und christ
lichen Bildung in sich schloß; von Rom und von Byzanz gleich be
günstigt und gepflegt, versprach er die großartigste Entwickelung. An
diesen Kern hätten nach und nach alle slawischen Völker, durch innern
Trieb, wie durch äußere Verhältnisse genöthigt, sich angereiht; von ihm
hätten sie, wo nicht politische Institutionen, doch das Christenthum
und mit ihm zugleich europäische und nationale Cultur, Kunst und In
dustrie, Einheit in Sprache und Schrift erhalten ; wie im Westen unter
romischem Einfluß die fränkische Monarchie großgezogen wurde, so
hätte im Osten, unter vorherrschendem Einfluß Konstantinopels, ein
ähnliches slawisches Reich sich herangebildet und Osteuropa hätte seit
einem Jahrtausend überhaupt eine andere Bedeutung gewonnen, als die
ihm geworden ist. Dadurch aber, daß die Magyaren gerade in das
Herz des sich erst bildenden Organismus eindrangen und dieses zer
störten,
aus Pfemysl's
wurden
Stammsolche
; aber daAussichten
die deutschen
fürKönige
immerAnsprüche
vernichtet.
auf Oberherrlich
Die noch

keit über dasselbe machten, mußte ihm diese Uebertragung höchst willkom
men sein.
30 Erstes Buch. Erster Abschnitt. Großmährisches Reich.

kaum verbundenen Glieder des großen Stammes vereinzelten sieh wie


der und wurden einander entfremdet, da ein mächtiger fremder Stoff sie
auch 1räumlich
Palacky,voneinander
Geschichte schied"
von Böhmen,
u. "s. w. 1I, 195, 196. Ein vortreff

liches, mit Scharfsinn, Fleiß und genügender Unparteilichkeit geschriebenes


Werk, das wir bei der obigen Erzählung benutzt haben und noch bei manch
andern Gelegenheiten dankbar benutzen werden. Ueber das großmährische
Reich sind noch zu vergleichen: Gebhardi, Geschichte aller wendisch-sla
wischen Staaten, IV, und Dudik, Mährens allgemeine Geschichte (Brunn 1860).
Zweiter Abschnitt.

Da Die Ungarn.
1. Abstammung und früherer Wohnsitz.

'as ungeheuere Hoch- und Steppenland, welches sich zu beiden


Seiten des Mustag und Altai, von den Gestaden des Kaspischen Sees
bis an das Japanische Meer, und von der Wüste Gobi bis an das Nörd
liche Eismeer erstreckt, ist der Sitz eines Menschengeschlechts, das sich
durch seine Sprache von dem semitischen und noch mehr von dem ari
schen1 Als
oderBeweis
indogermanischen
dieser Verschiedenheit
gänzlich seien
unterscheidet.
hier die einfachen
1 Die Zahlwörter
natürliche

einiger arischen und einiger altaischert Sprachen zusammengestellt.


Arische Sprachen.
Sanskrit griechisch lateinisch deutsch slawisch

1 eka et; u,(a unus eins jeden


8uo
EM
2 dvi duo zwei dwa
3 tri Tpcii;, rp(a tres, tria drei tri
46 catur es
T^oaape; quatuor
sex sechs
vier 6tiri
(cschtiri)
5 pancan , TteVre quinque fünf p6t
(petj)
sas äest
(sehest)
sedm
7 saptan ereva septem sieben
(sedem)
8 astan äxT&S octo acht osem
9 navan £w£a novem neun dewSt
(dewetj)
desSt
10 dacan Sexa decem zehn
(desetj)
20 vincati et'xoai viginti zwanzig dwacSt
(dwacetj)
32 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Beschaffenheit dieses rauhen Berg- oder unfruchtbaren Steppenlandes


scheint aber auch zugleich für dessen Bewohner gebieterisch Lebens
weise, Verfassung und Charakter bestimmt zu haben: denn die ersten

Altai sehe Sprachen.

! magyarisch vogulisch finnisch türkisch

1 egy äk, äkve yhte bir


2 kettö, ket kiti, kit kahte iki
3 härom körom knln1e uS
4 negy r1ila neljä dort
5 öt ät viite bes
6 hat kat k^te,, «^^ alti
7 het sät seitse-miin jedi
8 nyöl-cz 1'1ala-lu kade-ksan se,kiz
9 kilen,cz antal-lu yhde-ksan do-kuz
10 tiz lau kymmenen 011
20 hüsz küs kaksi kymentä jigirmi
100 szäz sät sata jüz.
Die Verschiedenheit dieser beiden großen Sprachfamilien hinsichtlich ihrer
Wurzelwörter ist eine so gänzliche und allgemein bekannte, daß ich mich
auf die angeführten Zahlwörter beschränken darf. Dagegen will ich noch eini
ges über den grammatikalischen Bau der altaischen Sprachen hinzufügen,
durch den sie alle, im Ganzen und Großen genommen, einander verwandt und
von den arischen und semitischen verschieden sind, weil sich eben in diesem
Bau der Sprache ihr eigentümlicher Geist am deutlichsten enthüllt. Die unga
rische soll bei Anführung von Beispielen als Repräsentant der übrigen gelten,
a) Die Vocale sind tiefe: a ä, o 6, n u, hohe: e e, ö ö, ü ü, und mitt
lere: e, i i (das Zeichen ' gibt die Länge, nicht den Accent an, der in der
ungarischen Schrift nicht ausgedrückt wird). In einem Worte, mit Ausnahme
zusammengesetzter, können nur entweder lauter tiefe oder hohe Vocale vor
kommen, weshalb die angefügten Bildungs- und Abänderungssilben dieser Re
gel gemäß ihre Vocale ändern müssen, z. B. kez, Hand, kez-em, meine Hand,
lab, Fuß, läb-am, mein Fuß. Ist aber der Vocal des Stamms ein mittlerer,
so kann je nach Wohllaut und Gewohnheit ein hoher oder tiefer mit ihm ver
bunden werden, z. B. h1d, BrüAe, Accusativ hidat; hit, der Glaube, Aceu-
sativ hitet, den Glauben, b) Geschlechtslosigkeit der Hauptwörter, c) Post-
positionen' statt der Präpositionen; denn alle Verhältnisse des einen Haupt
worts zu dem andern werden durch beigefügte Buchstaben oder Silben be
zeichnet, die somit die Casus und die Präpositionen der arischen Sprachen
sind: z. B. asztal, Tisch, asztal-e, Tisches (diese Form kann wieder ganz so
abgeändert werden wie der Stamm selbst), asztaltol, vom Tisch, asztalra, auf
den Tisch, asztalt, den Tisch u. s. w., wodurch die Sprache ungemein an
Kürze und Bestimmtheit des Ausdrucks gewinnt; d) Suffixe statt des Ad-
jectiv-Pronomens mein, dein, sein, z. B. fej, Kopf, fejem, mein, fejed, dein,
feje, sein, fejünk, unser, fejetek, euer, fejök, ihr Kopf, e) Vorzüglich unter
scheiden sich die altaischen Sprachen durch Formenreichtum des Zeitwortes,
indem sie aus demselben Stamme durch Hinzufügen verschiedener Bildungs
silben und mannichfaltiger Coujugationsformen neue Wörter und erweiterte
Bedeutungen schaffen. Zuerst ein immanentes und transitives Verbum ; szabad,
frei; daraus szabadul, er wird frei, und szabadit, er befreiet. Das transitive
hat eine eigene Conjugation, wenn sein Gegenstand ein unbestimmter, und eine
andere, wenn er ein bestimmter ist: 1) szabaditok, 2) szabaditasz, 3) szaba
dit sok embert — viele Menschen; 1) szabaditom, 2) szabaditod, 3) szaba-
ditja azt a szolgät — diesen Knecht. Ferner gibt es außer dem Passlvnm noch
Abstammung der Ungarn. 33

Strahlen des Lichts, das die Geschichte auf diese Gegenden wirft, sowie
die Aufklärungen, welche die neuesten Forschungen über dieselben ver
breiten, zeigen beinahe das gleiche, seit Jahrtausenden unverändert ge
bliebene Bild. Dem Ackerbau fremd, den Boden und Klima erschweren,
zum Theil unmöglich machen, sind die da hausenden Menschen für Nah
rung und Kleidung auf Jagd, Fischfang und Viehzucht beschränkt.
Diese Beschäftigungen aber erfordern weite Räume, gestatten keine
dichte Bevölkerung und gebieten ein unstetes Wanderleben. Da kann
es kein Grundeigenthum und keine feste Wohnung geben, die Heerde
ist der alleinige Besitz, das Zelt oder die fahrbare Hütte das einzige
Haus des Hochasiaten. Keine Heimat kennend, gilt ihm die Ver
wandtschaft und der Stamm alles; ist er zu jeder Zeit fertig, jene zu
verlassen und mit diesem in die lockende Ferne zu ziehen. Mit Mangel
und Mühseligkeit vertraut, der Unbill des Wetters preisgegeben, von
thierischer Nahrung fast ausschließlich lebend, an fortwährende Wan
derungen gewöhnt, ist er geneigt und wie kein anderer geeignet zum
Kriege. Dazu vermehrt das Pferd, das dort von kräftigem Schlage, im
Ueberfluß vorhanden und wie sein Reiter abgehärtet ist, seine Furcht
barkeit, indem es ihn mit Weib und Kind schnell in ferne Länder trägt.
Seine Waffen sind das Schwert, die Lanze und vor allem der Bogen.
So schildern uns die Alten, so finden wir auch heutzutage die Völker
schaften
Diese
dieser
Völker
Länder.
fühlten von jeher einen unwiderstehlichen Drang, ihr

unwirthbares Geburtsland zu verlassen und in die glücklichern Zonen


des Südens und Westens zu ziehen. Dieser natürliche Wandertrieb
wurde noch geschärft durch Zunahme des Volks und daraus entstehen
den Mangel an Jagd- und Weideplätzen, durch innere Entzweiung und
Trennung, durch gegenseitiges Aufeinanderstoßen und Drängen, durch
die Herrschsucht und durch das überwiegende Talent einzelner Stam
meshäupter. Leicht war es einem kühnen unternehmenden Führer, sei
nen Stamm zu einem Wander- und Kriegszuge zu bewegen; rasch
stürzten sich die Aufgestandenen auf benachbarte Horden, beredeten
oder zwangen sie zur Vereinigung, drangen, wie eine Lavine sich ver

ein Medium: kin, Qual, daraus: kinoz , er quält, Passiv kinoztatik, wird ge
quält, Medium kinlödik, er quält, plagt sich. Außerdem wird das Lassen
und Können durch Einschieben gewisser Silben ausgedrückt; ir, er sahreibt,
irat, läßt schreiben, irhat, kann schreiben. Zuletzt werden auf ähnliche Weise
noch die Begriffe: oft, schnell, leichthin, ungewiß u. s. w. etwas thun dar
gestellt: irkäl, er kritzelt; felel, antwortet, felelget, antwortet häufig, wider
spricht; fut, läuft, fntkos, läuft hin und her; emel, hebt, emelint, hebt ein
wenig, f) Als Beispiel der eigenthümlichen Wortbildung und außerordent
lichen Biegsamkeit stehe hier die Entwickelung des Stammes ok, die Ursache,
der Grund; okos, vernünftig, klug; okosodik, wird klug; okosul, an Einsicht
zunehmen; okoskodik, vernünftelt, klügelt, okossäg, Klugheit; okoz, ver
ursacht, okozäs, das Verursachen, okozat, der Effect, Wirkung, okoztat, be
schuldigt, okoztatks, Beschuldigung; oktat, bslehrt, unterrichtet, oktatäs, der
Unterricht; mit dem Privativum lan, len, oktalan, unklug, oktalansäg, Un-
klugheit, oktalanodik, unklug werden, oktalankodik , sich nnklug betragen,
oktatanit, macht unklug, verdummt einen andern u. s. w.
Feßler. I. 3
34 Erstes Buch. Zweiter Abscly1itt.

größernd und alles mit sich fortreißend, vorwärts und überfluteten die
angebauten
In solcher
Länder.
Weise waren Völkerschaften des Altai tief nach Süden

und Westen schon in den ältesten Zeiten gedrungen und hatten auch
die Gegenden oberhalb Iran und am Kaspischeu und Schwarzen Meere
bis in die Nähe der Donau besetzt, die ihrem alten Heimatslande so
ähnlich sind, daß sie nicht einmal ihre gewohnte Lebensweise ändern
mußten oder konnten. Von hier aus bekriegten, durchplünderten und
eroberten sie zum Theil die benachbarten Länder. Griechen und Rö
mer faßten sie unter dem gemeinschaftlichen Namen der Scythen und
Sarmaten zusammen, kannten aber auch einzelne Stämme, wie die
Massageten , Saken , Issedonen . Agathyrsen u. s. w. 1 So oft ein Volk
weiter zog, drang ein anderes an seine Stelle vor; 60 oft eines bleibende
Wohnsitze nahm, einen Staat gründete und die Bahn der Civilisation
betrat, aber freilich meistens auch in üppige Weichlichkeit versank,
wurde es von neu herbeigekommenen zerstreut oder unterjocht und ging
unter. Darum ist es so schwer und fast unmöglich, der einzelnen Völ
ker Ursprung aufzufinden und den Faden ihrer Schicksale geschichtlich
zu verfolgen. Hier herrscht ein ewiges Wogen und Drängen, ein
schnelles Entstehen und Vergehen der Nationen und Reiche; ja, die
selben Völkerschaften erscheinen in verschiedenen Zeiten unter ver
schiedenen Namen, je nachdem der Führer wechselt und die Oberherr
schaft von der einen Horde auf die andere übergeht. Dazu kommt
noch, daß die gebildeten, Geschichte schreibenden Nationen nur von
dem Kunde erhielten und nur das überlieferten, was an ihren Grenzen
geschah, die Hochsteppen im Norden und fernen Osten aber, der eigent
liche Sitz und Ausgang dieses Völkergewühls, ihnen fast ganz unbekannt
blieben. Und sie selbst haben nur dunkele, vielfach entstellte, einander
widersprechende Sagen, aber kein bleibendes Denkmal der Nachwelt
hinterlassen. Denn vergänglich ist und der Vergessenheit anheim
gefallen auch das Größte, was menschliche Kraft wirkt, wenn es die
KunstZuunddiesen
Wissenschaft
einst amnicht
Altaiverewigt.
weidenden und von dort später herab

gekommenen Völkern gehören auch die Magyaren, wie sie sich selbst
nennen, oder die Ungarn, wie sie von andern genannt werden, vermöge
ihrer Sprache, einstiger Sitten und früherer Wohnorte. Deshalb haben
diejenigen wol nicht Unrecht, die sie Scythen nennen, inwiefern näm
lich alle Völker altaischen Ursprungs von den Alten mit dem Nameu
der Scythen bezeichnet wurden. Aber hiermit, haben wir gewiß nichts
weiter als einen höchst unbestimmten Namen gewonnen; wir befinden
uns noch immer auf einem Felde von unermeßlichem Umfang und müs
sen bemüht sein, den Gegenstand unserer Untersuchung in engere Gren
zen einzuschließen, wenn wir auch nur einigermaßen befriedigende Aus
kunft über den Ursprung der Magyaren geben wollen. Für den Frem
den mag die Lösung dieser Frage vielleicht nicht ganz ohne Interesse
»ein, 1 für
Herodot,
den Ungar
I, 110 ist
fg., sie
undvon
au vielen
der höchsten
andern Stellen.
Wichtigkeit; ihn drängt
Abstammung der Ungarn. 35

die Liebe zu seiner Nation und Sprache und das Gefuhl des Allein
stehens unter den Culturvölkern Europas, zu erfahren, wo die Wiege
seines Volks gewesen ist, und wer seine Stammverwandten sind. Viele
in- und ausländische Gelehrte haben mit rastloser Mühe in dieser Ab
sieht die Geschichte durchforscht und die Sprachen verglichen1; einige
begeisterte Söhne des Vaterlandes die weite, mühselige und gefahrvolle
Wanderung nach dem fernen Asien angetreten, um dort die Spuren oder
Ueberreste ihres Volks zu finden. 2 Die Resultate dieser Arbeiten und
Bestrebungen waren verschieden; allerhand, häufig genug höchst son
derbare
1 Anonymi
Hypothesen
B. R. wurden
Notar., Kezai
aufgestellt;
Gesta Hunnorum,
die Urgeschichte
bei Endlicher;
der Ungarn
Pray,

Annales vett. Hunnoruru, Avarorum et Hungarorum (Wien 1761), und Diss.


hist. crit. in Annales Hunnorum etc. (Wien 1775); Thierry, Histoire d'At-
tila et de ses successeurs, erklären sie für Abkömmlinge der Hunnen.
Guignes, Geschichte der Hunnen u. s. w.; Beregszäszy, Ueber die Aehnlichkeit
der hungarisehen Sprache mit den morgenländischen (Erlangen 1797), thun
dasselbe, doch mit dem Unterschiede, daß sie die Ungarn zugleich für Ver
wandte der Türken ansehen. Bei, De vera origine et epocha Hunnorum,
Avarorum et Hungarorum (Leipzig 1757); Thunmann, Untersuchungen über
die östlichen Völker Europas, leiten sie von den alten Oguren, Unoguren ab.
Für Stammverwandte der finnischen Völkerschaften werden sie gehalten:
Sajnovics, Demonstratio idioma Hungarorum et Lapporum idem esse (Tyrnau
1772); Gyarmathy, Affinitas linguae Hungaricae cum Unguis Fennicae ori- *
ginis (Göttingen 1799); Schlözer in seinem Nestor (Göttingen 1 802) : \ Hor- V**V* <*•**-'
vath, in verschiedenen Schriften, sucht in höchst seltsamer Weise deri Ur- '
sprang der Ungarn in Syrien, Aegypten und Aethiopien; Feßler, in der-
ersten Ausgabe des vorliegenden Werks, widerspricht mit Eifer der Ansicht,
daß die Magyaren zu den Finnen gehören, aus Gründen, die er theils der
Vergleichung der Sprachen nnd theils dem verkümmerten nnoT elenden Zu
stande der finnischen Völkerschaften entnimmt, und behauptet, sie seien von
türkischer Abkunft. Inwieweit ich von dieser Ansicht abweiche und was mich
dazu nöthigt, wird sich in der Folge zeigen. — 2 Die Mönche Julianus und
seine drei Gefährten, ungefähr von 1230— 37. In neuester Zeit der Szekler
Alexander Csoma von Körös, der 1821 seine Reise antrat und 1841 den
11. April, als er eben den Himalaja übersteigen wollte, um nach Lassa zu
gehen, in Dardschiling, im Lande Sikken starb. Johann Jerney besuchte 1844
und 1845 die Moldau, Bessarabien und die nördlichen Küsten des Schwarzen
Meers, und glaubte das Vaterland seines Volks unter den Parthern gefunden
zu haben. „Jerney Jänos kelcti utazäsa" (Reise im Morgenland), 1844 u. 1848
(2 Bde.). Vor allen andern aber verdient Anton Reguly erwähnt zu werden.
Er bereiste die weiten Länder des europäischen und asiatischen Nordrußlands,
erhielt Aufträge und Unterstützung von der ungarischen Akademie und
brachte die fragliche Aufgabe durch seine Forschungen um ein bedeutendes
derjenigen Lösung näher, deren sie fähig ist. Endlich kehrte er nach langer
Abwesenheit 1848 in das Vaterland zurück, aber leider von Anstrengung,
rauhem Klima und Entbehrungen aller Art gebrochen, und starb 1857, bevor
er seine werthvollen Samminngen veröffentlichen konnte. Seine (unterlassenen
Manuscripte übernahm Paul Hunfalvy und hat im Auftrage der ungarischen
Akademie bereits einen bedeutenden Theil derselben herausgegeben unter
dem Titel: „Reguly Antal hagyomänyai", 1 kötet, „vogul földis nep" (Hinter-
lassene Schriften Anton Regnly's, I, Das vogulische Land und Volk, Pesth
stischer
1864). Endlich
Studien wegen
müssen1862
wiru. noch
1863 Centralasien
Hermann Vimbery
und Samarkand
nennen, bereiste
der lingni-
und .'(

seine Erlebnisse und Entdeckungen bekannt machte in : Travels in Central-


Asia (London 1864).

36 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

blieb in Dunkel gehüllt. Erst in der neuesten Zeit sind auch in dieser
Hinsicht wichtige Entdeckungen gemacht worden. Forschungen in der
Völker- und Sprachkunde, in Geographie und Geschichte, welche in die
sem Maße erst jetzt recht möglich wurden, haben Aufklärungen ge
geben, die es außer Zweifel stellen, welche Völker den Magyaren am
nächsten verwandt sind und aus welchem Lande sie ihre letzten Wan
derungen angetreten haben. 1 Glücklicher und mit mehr überzeugender
Bestimmtheit hat aber bisjetzt wol niemand diese Frage gelöst, als Herr
Paul Hunfalvy, ordentliches Mitglied und Bibliothekar der ungarischen
Akademie der Wissenschaften, in seiner letzten hierauf bezüglichen Ab
handlung.
Wir wollen
2 zuerst sehen , zu welchen Resultaten die vergleichende

Sprachforschung führt. Denn Sprachen, die nicht blos durch den ähn
lichen Klang einzelner Wörter, sondern in ihren Wurzeln, Wortbil
dungen und Abwandelungsformen, überhaupt vermöge ihres ganzen Baues
und Geistes einander ähnlich sind, müssen einen gemeinschaftlichen Ur
sprung haben. Die Völker, deren Eigenthum sie sind, müssen vor Zei
ten Eins gewesen sein, beieinander gewohnt und gemeinschafllich den
Stamm der Sprache gepflanzt haben, aus dem später die Zweige der
selben hervorsproßten, sie müssen miteinander verwandt sein. Der Un
terschied der Zweige aber kann nicht anders entstanden sein , als daß
sich das eine Volk in Theile trennte, die entferntere Wohnplätze be
zogen, unabhängig von den übrigen ihren Dialekt ausbildeten und dabei
unter dem Einfluß neuer Gegenstände und Verhältnisse änderten. Je
ähnlicher und gleichförmiger dahe'r gewisse Sprachen einander sind,
desto näher müssen sich auch die Völker, die sie reden, gestanden
und desto später getrennt haben. Diesem Grundsatze zufolge werden
wir also den Ursprung der Ungarn nicht bei den Mongolen und Chine
sen suchen, wenngleich in beiden Sprachen nach Laut und Bedeutung
mit der ungarischen verwandte Wörter sich vorfinden, ja manches unga
rische Wort, dessen Wurzel verloren ist, sich aus dem Chinesischen
füglich ableiten lassen soll, wie unser Sprachforscher Podhorszky ver
sichert. 3 Denn die Sprachen weichen zu sehr voneinander ab; die
Trennung muß also in unvordenklichen Zeiten geschehen sein. Dagegen
finden
1 Müller,
wir in Der
Europa
ugrische
undVolksstamm
Vorderasien
(Berlin
Nationen,
1837). Neumann,
deren Sprache
Die Völker
ihre

des südliehen Rußlands (1847). Schafarik, Slawische Alterthümer ,(Leipzig


1843). Klaproth, Tableau historique de l'Asie (Paris 182G), und Memoire? rela-
t.ifs a l'Asie. Lönrot, Abkunft der Finnen, im neuen ungarischen Museum,
1851, Heft 11. Wenzel, Gedanken über die Herkunft der Magyaren,
ebend. , 1851, Hefte 6, 8, 9. Hunfalvy, Ueber die Abstammung der Ma
gyaren, ebend., 1851, Heft 12, u. 1855 in mehrern Heften. Die letztern Ab
handlungen sind, wie es sich von selbst versteht, ungarisch geschrieben; die
Titel wurden aber hier des Verständnisses wegen übersetzt. — 2 Hun
falvy, Die Herkunft der Magyaren, in der pesth-ofener Revue (Bndapesti szemle),
1864, XIX, 1 — 97. Diese geistreiche und gründliche Abhandlung ist das
Ergebniß ausgebreiteter Sprachkenntniß und vieljähriger mühsamer Forschungen.
— 3 Horvätb, Geschichte Ungarns (Magyarorszäg törtenete), (2. Ausg., Pesth
1860), I, 12 fg.
Abstammung der Ungarn. Sprache. 37
Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft mit den Magyaren unleugbar
beurkundet.
Sondern wir nun diese Nationen nach der größern oder geringem

Aehnlichkeit ihrer Sprachen, so erhalten wir drei Gruppen: 1) die


finnische: Lappen, Finnen, Esthländer, Liefländer, Karelier. u. s. w.;
2) die ugrische: Vogulen, Syrjänen, Mordwinen, Ostjaken, Votja-
ken u. s. w. ; 3) die türkische: Osmanen, Cschuwassen, Jakuten,
Kojbaien, Karagassen u. s. w. Die zu 3) gehörigen werden auch Ta
taren genannt. Vergleichen wir ferner jede dieser drei Gruppen von
Sprachen mit der magyarischen, so werden wir finden, daß diese mit
den ugrischen die größte Verwandtschaft hat, und daß folglich die Ma
gyaren zu den ugrischen Völkerschaften zu zählen sind. Nehmen wir
endlich die ugrischen Mundarten einzeln und vergleichen jede derselben
abermals mit der magyarischen, so stellt sich heraus, daß dieser die
vogulische am nächsten unter allen steht, daß mithin Magyaren und
Vogulen
Die vielleicht
Richtigkeit
bis zum
dieserAbzug
Ansicht
der dadurch
erstem eine
ausführlich
Nation waren.
zu beweisen,

daß wir jede dieser drei Sprachgruppen und deren Mundarten mit der
magyarischen verglichen, wäre viel zu weitläufig; wir müssen auf die
angeführten Werke, besonders auf das des Herrn Hunfalvy verweisen.
Um aber unsere Meinung wenigstens einigermaßen zu begründen, möge
das unten
1 Aus jeder
Gegebene
der drei hinreichen.
Gruppen wählen
1 wir eine Mundart, um sie mit dem Ma

gyarischen zu vergleichen, und zwar soll der ugrische Stamm durch die vogulische,
der finnische durch die finnische, der türkische durch die osmanische vertreten
sein. Die Zahlwörter sind bereits oben mitgetheilt worden; schon ein flüchtiger
Blick auf sie überzeugt, daß die magyarischen den vogulischen am meisten,
den türkischen am wenigsten ähnlich sind. Dasselbe würde sich heraus
stellen, wenn es der Raum vergönnte, den grammatikalischen Bau der magya
rischen Sprache mit dem der andern angeführten zu vergleichen Die leeren
Stellen deuten an, daß die Sprache für denselben Begriff ein anderes unähn
liches Wort hat. Noch ist zu bemerken, daß dem magyarischen ü das y;
dem sz das s; dem s = seh das §; dem ny das n'; dem ly das 1' im Ugri
schen und Türkischen entspricht. Manchem ungarischen Worte mit vocali-
stischem Anlaute entspricht ein Wort mit s oder t im Anlaute, z. B. ev (eszik),
ißt, vogulisch te, finnisch syö ,

magyarisch vogulisch finnisch türkisch

lel-ek lil
fö fejSeele
Geist,
pajg, pong päa bas
L yV Kopf
orr ur
Nase '
szem sem vilmä
Auge
köny sem-vi^ kyynä, kyyni
Thräno (Augenwasser)
iny egn, en ikene enek
Gaumen

:'>&
38 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Daß das Magyarische und Vogulische in vielfacher Hinsicht weit


auseinandergehen , kann die Stammverwandtschaft beider Völker nicht
im geringsten zweifelhaft machen ; denn vor tausend Jahren trat unser
Volk seine Wanderungen an. Tausend Jahre! Welch ein Zeitraum für

magyarisch vogulisch finnisch türkisch

nyelv n'elm kieli dil


Zunge
mäj majt makva
, Leber \
Ver ver, vur vere
Blut *
kez kat käte
Hand
köröm kerem kynsi
Nagel, Klaue
esz Us aisti
Verstand
sZO suj sana söz
Wort
viz vit vete
Wasser
tüz tole, taat tule
H Feuer
tel tal, tel talvi
Winter
ösz täkus syykse küs
Herbst
eg elm, Um ilma gök
Himmel, Firmament Himmel, Gott Himmel, Gott
arany varau' altun
Gold
'V vas vogi vaski
Eisen -
arpa ohra arpa
Gerste
fonal panel
Faden Hanf
alma omena alma
Apfel
16 lü
Pferd
ökör kar, kär kärkä öknz
Ochs
eb amp et
Hund
»gar agär zagar
Windhund
oroszlan arslan
Löwe
ös veraltet, ise inä isi
Vorfahre
atya, apa aze ata
Vater
anya ange »na
Abstammung der Ungarn. Sprache. 39

die Gestaltung einer Sprache, besonders wenn noch weite Entfernung,


das Aufhören jeder Verbindung und ga'nz andere Verhältnisse hinzukom
men; wie viel mußte da vergessen werden, wie viel Fremdes und Neue«
sich beimischen, wie viel Umwandelung stattfinden! Die alte ungarische
Sprache kennen wir nicht, und ebenso wenig läßt sich ihre allmähliche
Entwickelung zu der jetzigen Gestalt geschichtlich verfolgen, weil
außer einigen Zeilen eines Leichengebets aus den Zeiten der ersten

magyarisch vogulisch finnisch türkisch

ip, ipa up appi


Schwiegervater
nö ne nai
Weib
kan, bim kt1m
Männchen der Thiere , Gatte
nyil n'äl nuoli
Pfeil
sian sun eaani
Schlitten
kes kesäj kes-mak
Messer sehneiden
el al elf
lebt
(ev) cszik te syö i«
ißt
etetek tetem syötän
* ich füttere, speis»
(iv) tezik »j juo ic
trinkt
itatok äjtem juotan i6tür
ich. tränke
men min men
geht
kel kual k£y
erhebt sich
ül nnl
sitzt
ültet unt
setzet
nyel n'al niel
verschlingt '
hal kal kuol
stirbt
hall kül kuul
hört
j° j'
kömmt 1 .

magyarisch vogulisch lappisch türkisch

en , te , ö am, näng, tän mon, don, son ,. ben u. men, sin


ich, du, er ol
u1i , ti , 6k , man, nän, tän mi, di, si ; biz, viz, aular
wir, ihr, sie
40 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Könige keine Sprachdenkmäler auf uns gekommen sind, indem Ge


setze, Urkunden und Bücher lateinisch geschrieben wurden. Ebenso
wenig darf es befremden , daß in der ungarischen Sprache nicht nur
eine Menge türkischer Wörter gefunden werden, sondern daß dieselbe
sogar in mancher Hinsicht eine türkische Färbung erhalten hat. Denn
noch vor ihrer Auswanderung aus dem Stammlande standen die Ma
gyaren mit türkischen Völkerschaften in enger Verbindung; als sie aus
zogen, schlossen sich ihnen auch türkische Stämme an, die zwar nach
und nach die ungarische Sprache annahmen, aber dieselbe auch ihrer
seits beeinflußten ; endlich stand der größere Theil des eben von Ma
gyaren bewohnten Ungarns über 150 Jahre unter türkischer Herrschaft,
die der
Nachdem
Sprachenun
ihredieSpuren
nationale
eindrückte.
Abstammung der Magyaren festgestellt

ist, und alles dafür spricht, daß wir sie zu den ugrischen Völkern zu
zählen, und insbesondere die Vogulen als ihre nächsten Stammverwand
ten zu betrachten haben, wird es viel leichter sein, auch das Land zu
bestimmen, in Suffixe
welchem sie
in Verbindung
wohnten, ehe
mit sie
einem
die Wanderung
Substantiv. nach ihrem

magyarisch vogulisch lappisch türkisch

kez(e)m kät(e)m gietta-m el(i)m


meine
kez(e)d kät(e)n gietta-d el(i)n
deine
kez-e kät-ä gietta-s ei-i
seine Hand
kez - ünk kät-u gietta - mek el(i)miz
unsere
kez-e -tek kät-un gietta-dek el(i)niz
eure
kezök kat(a)nl gietta- sek eler-i
ihre Hand
keze-im kät-ä- nem gied'aid-am eler(i)ni
meine
keze-id kät-ä-nen gied'aid-ad eler(i)n
deine
keze-i kat-ä-nä gied'aid- es eler - i
seine Hände
keze-i-nk kät-ä-nu gied'aid-ämek eler(i)miz
unsere
keze-i -tek kät-ä-nen gied'aid -ädek eler(i)niz
eure
keze-i-k kät-ä-nl gied'aid- äsek eler-i
Hier ihre
stehtHände
das Lappische dem Magyarischen am nächsten. Schließlich muß

noch aus dem grammatikalischen Bau der Sprachen hervorgehoben werden,


daß die doppelte Conjugationsform, eine bestimmte und unbestimmte des
transitiven Verbums, welche die ungarische besitzt (s. Seite 32, Anm.), sich weder
in der f1nnischen noch türkischen vorfindet, sondern nur den ugrischen, vor
züglich der vogulischen und mordwinischen eigen ist, und mithin auch für die
nähere Verwandtschaft des Ungarischen mit diesen Sprachen zeugt.
Abstammung der Ungarn. 41

jetzigen Vaterlande antraten, vornehmlich auch darum, weil uns hierbei


geschichtliche Nachrichten zu Hülfe kommen. Es müssen dies die Ge
genden sein, wo und in deren Nähe auch jetzt die Heimat der ugrisehen
Nationen ist, zu beiden Seiten des Uralgebirgs, zwischen der Wolga,
der Kama, dem untern Irtisch und dem obern Jaik, von denen Klap-
roth ' sagt: „Dies ist die wahre Lage jenes berühmten Jugriens, wel
ches nach alten Nachrichten die Heimat der Ungarn und wahrschein
lich auch
Die Ursitze
der Hunnen
allerund
dieser
Avaren
Nationen
ist." lagen aller Wahrscheinlichkeit

nach weiter östlich am Altai, von wo sie, dem allgemeinen Strome der
Bewegung folgend, nach Westen bis an und über den Ural rückten.
Die vordersten scheinen die Finnen gewesen zu sein, denn schon um
Christi Geburt finden wir sie an den Gestaden des Baltischen Meers 2,
und schon damals mögen sie auch die andern Gegenden des nordwest
lichen Europas bewohnt haben, die sie jetzt einnehmen. Sie nennen
sich Suomalais, d. h. Bewohner des Suo1nilandes. In ihren rauhen, un
freundlichen Wohnplätzen lagen sie den Strömen der Völkerwanderung
außer Wegs, blieben verschont von den heftigen Erschütterungen, welche
diese über andere Völker brachten, und ihre Hauptsitze bilden daher
eine ununterbrochene
Hinter den Finnen
Länderreihe.
standen die ugrisehen Völkerschaften, auf

welche die nachfolgenden türkischen Nationen drückten. Sie mußten


entweder Widerstand leisten und sich behaupten, oder gegen Norden
ausweichen, oder vorwärts wandern, oder endlich mit ihren Drängern
sich vereinigen. Aber noch mehr bestürmt und vielfach durchbrochen
wurden sie, sobald sich im äußersten Hintergrunde die Mongolen in
Bewegung setzten, die Türken vor sich her trieben und auf die Ugrier
warfen. Auf diese Weise mögen nicht nur viele ihrer Nationen sich
unter den türkischen verloren haben, sondern auch ihre Wohnsitze wur
den eingeengt .und voneinander getrennt, sodaß sie unter den drei ver
wandten altaischen Stämmen den kleinsten Raum und keine zusammen
hängende Länderstrecke einnehmen. Jetzt dringen auch die Russen
vom Westen
Reguly her
setztimmer
die heutigen
weiter zwischen
Wohnsitze
sie ein.
der den Magyaren nächst
verwandten Vogulen zwischen 58° — 64° nördl. Br. und 70° — 86c
östl. L., sodaß sie ohngefähr einen Raum von 3800 Q.-M. einnehmen.
Sie nennen sich selbst Män-si, d. h. Anwohner des Man, eines Neben
flusses der Szoszwa, östlich vom Ural unter 61 ° nördl. Br. Dieser
Fluß heißt bei den Syrjänen Jögra, so auch das benachbarte Land, und
die Bewohner desselben Jögraland und -Volk. Die Russen aber nen
nen diesen Fluß Wogul, Wogulja; daher der Name Wogulen, der sich
auch durch Europa verbreitet und den erstem außer Gebrauch gesetzt hat.
Jögra ist dasselbe was Jugor und Jugra. Schon Jornandes im 5. Jahr
hundert kennt das Land und Volk Hunugar in derselben Gegend , und
die Byzantiner nennen beide Onogur, Unugur und Ogor. Auch führen die
russischen Czare, seit Iwan der Schreckliche, 1499, diese Länder seiner
Herrschaft
1 Memoires
unterworfen
relatifs a l'Asie,
hat, Jughra
S. 120. —
(Jughorskaja
2 Tacitus, Germania,
Zeifilja) c.in46.ihrem
42 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Titel. Dieses Ugrien erstreckte sich einst vom Nordmeer hinab diesseit
des Ural bis an die Kama, jenseit aber bis in die Gegend, wo sich der
Tobol und Irtisch vereinigen, sodaß es gegen 16000 Q.-M. umfaßte,
und war
Hiermit
weit haben
blühender
wir als
ebenjetzt.
auch1 den Ursprung des Namens Hungar,

Unger, Uhor gefunden, der den Magyaren von andern Nationen bei
gelegt wird; sie heißen so, weil sie aus Jugrien oder Ugrien herkamen.
Denn das Land südlich von diesem Ugrien und einstens, nach Ab
stammung und Sprache seiner Bewohner, ihm zugehörend, auf beiden
Seiten des Uralgebirgs, um den obern Jaik bis an den Tobol und Ir
tisch, wo die Baskiren hausen, war die Heimat der Magyaren; da wei
deten sie, kein gemeinschaftliches Oberhaupt kennend, sondern jeder
Stamm unter dem eigenen Stammfürsten stehend, jahrhundertelang. Im
Westen, an der Kama und Wolga, hatten sie Großbulgarien, das wir
oben erwähnten, zur Grenze, im Süden und Osten aber wurden sie von
dem großen Chazarenreiche umschlossen , mit dem sie auch in dem Ver-
hältniß des Bündnisses oder der Abhängigkeit standen. Sie waren
also der südlichste Zweig des ugrischen Stammes und, den Norden aus
genommen,
Aber die
aufSprache,
allen Seiten
welche
mit die
türkischen
Baskiren
Nationen
heute reden,
umgeben.
gehört zu den

türkischen Mundarten. Dieser Einwand läßt sich leicht beantworten.


In das dünn bevölkerte Land wanderten nach dem Abzug der Magyaren
türkische Stämme ein, die nach und nach die Mehrheit bildeten, und so
nahm endlich die ugrische Minderzahl deren, der ihrigen ohnehin ver
wandte Sprache an und verschmolz mit ihnen zu einer Nation. Daß
die Magyaren wirklich aus Baskirien kamen, und daß dort ihre oder
doch eine der ihrigen sehr nahe verwandte Sprache noch vor wenigen
Jahrhunderten
1 Der
Lehrberg,
anonyme
geredet
Untersuchungen
Notar
wurde,
oderdarüber
zur
Kanzler
Erläuterung
liegen
des historische
Königs
der altern
Bela
Geschichte
Beweise
2, Verfasser
vor.
Ruß

lands. Herausgegeben durch Ph. Krug (Petersburg 1816). Hunfalvy, Her


kunft der Magyaren. — 2 Anonymi Belae regis notarii de gestis Hunga-
xorum liber e codice membranaceo saeculi XIV bibliothecae palatinae Vindo-
bonensis, in Endlicher: Rerum Hungaricarum monumenta Arpadiana (St.-
Gallen 1849). In das Ungarische übersetzt und mit Anmerkungen ver
sehen von Karl Szabö (Pesth 1861). Jetzt, wo er oft die Hauptquelle un
serer Erzählung sein wird, ist es an geeigneter Stelle, einige Bemerkungen
über den Anonymus vorauszuschicken. Er kann Kanzler Bela's I., 1061 —63,
gewesen sein, was zuvörderst dadurch wahrscheinlich wird, daß er als christ
licher Geistlicher dennoch mit einer gewissen Zuneigung von der alten heid
nischen Nationalreligion spricht und sogar sein Buch mit der sie verherr
lichenden Erzählung schließt, wie der Heidenfurst Tonuzoba sich lebendig be
grub, um der Taufe zu entgehen. Er hatte den Glauben seiner Aeltern noch
nicht hassen gelernt. Sodann führt er seine Geschichte nur bis auf Stephan,
ohne die folgenden Könige zu erwähnen, was sich kaum erklären ließe, wenn
er der Kanzler eines spätern Bela wäre, was aber leicht begreiflich ist, wenn
er das Staatsamt unter dem Ersten dieses Namens führte, weil das Land nach
Stephan in Parteien zerrissen war und ein König schnell auf den andern
folgte. Doch halten ihn die meisten für den Kanzler Bela's II. oder III. und
setzen ihn daher in die Zeit um 1150 oder 1200. Seine Glaubwürdigkeit
wurde von vielen, besonders von Schlötzer hart angefochten, aber von Cor
Abstammung der Ungarn. 43

der ältesten einheimischen Chronik, läßt die Hetumoger, die sieben Für
sten der Magyaren, mit ihren Stämmen aus Dentumogrien, dem Magya
renlande Dent, ausziehen, gegen Westen die Wanderung antreten, viele
Tage durch ein wüstes, unangebautes Land gehen , sodann auf Schläu
chen über die Wolga setzen und in die Gegend Rußlands kommen,
welche zu seiner Zeit Susdal hieß, worunter das Fürstenthum Wladimir
zu verstehen ist. Dent aber ist der Name des Irtisch, den die Ostjaken
auch heutzutage Tangat nennen. Mithin wäre Dentumogrien das Land
nides,
am Irtisch.
Simon
EngellKezai2
tmtl andern
erzählt
glücklich
zwar nur
vertheidigt.
verworreneNeuerdings
Fabeln ohne
erklärt
geschicht-
ihn Pa-

lacky, Geschichte von Böhmen, I, 155, Anm. 124, für einen faden historischen
Romanschreiber, und sagt, es sei ein trauriges Zeichen der Zeit, daß es auch
jetzt noch Männer gebe, die aus falschem Nationalismus ihn und seinesglei
chen für die Geschichte zu retten, sich bemühen. Wir linden im Anonymus
weder mehr noch weniger Fehler, als in den meisten Chroniken des Mittel
alters, und geben gern zu, daß er seine Erzählung großentheils nicht aus ge
schriebenen Urkunden , sondern weil ihm diese fehlten , aus Volkssagen und
Ueberlieferungen schöpft; daß er auch Uebertreibungen und Fabeln aufnimmt,
die Ereignisse nicht immer mit dem besten Geschmack ausschmückt und die
Dinge der Vergangenheit nach den Ansichten und Einrichtungen der Zeit, in
der er lebte, und daher oft unrichtig darstellt. Aber welcher Chronist jener
Jahrhunderte ist frei von diesen Mängeln? Sollten wir sie um derselben wil
len für lügenhaft oder für untergeschoben halten, dann müßten wir darauf
verzichten, etwas über das Alterthum der Völker zu erfahren. Es ist eben
die Aufgabe der Kritik, den Kern der historischen Wahrheit, der unter die
ser Hülle verborgen liegt, herauszufinden. Bei weitem das meiste von dem,
was der Anonymus berichtet, mußte nothwendig geschehen sein, da es später
entweder selbst oder doch in seinen Folgen noch vorhanden ist; anderes wird
niemand unglaublich sein, der den Geist und die Bildungsstufe der Magyaren
und der Völker, mit denen sie in Berührung kamen, richtig auffaßt; noch
anderes endlich wird durch die Berichte gleichzeitiger Schriftsteller vielfach
bestätigt. Es ist also das meiste wirkliche Thatsache, wenn es auch nicht
gerade und genau in der Weise,, die er angibt, geschehen sein sollte. Viele
jener Sagen, die er niederschrieb, leben noch jetzt im Munde des ungarischen
Volks als Erzählungen, Lieder und Sprichwörter, sind mithin nicht von ihm
erdichtet. Selbst der Umstand, daß wir seinen Namen und die Zeit, in der
er lebte, nicht kennen, kann seiner Glaubwürdigkeit nicht Eintrag thnn, weil
er selbst seinen Namen angibt „P. dictns Magister", aber der Schreiber der
einzigen vorräthigen Handschrift, den Namen nicht hinschrieb, sondern für
denselben ein leeres Blatt ließ , auf welches er nach dem Gebrauch der Zeit
gemalt werden sollte. Vgl. die Uebersetzung von Karl Szabö, in welcher der
Verfasser in seinen Anmerkungen wichtige histerische und geographische Er
läuterungen gibt und dadurch treffende Beweise für die Glaubwürdigkeit der
erzählten
1 Hunfalvy
Ereignisse
in liefert.
der angeführten Abhandlung. — 2 Simonis de Keza

Gesta Hunnorum, L. I, bei Endlicher, Monumenta etc. In das Ungarische


übersetzt von Karl Szabö (Pesth 1862). Da er sein Buch Ladislaus III. wid
met, muß er dasselbe um 1282 geschrieben haben. Dunkele Volkssagen und
einzelne Nachrichten, aus Chroniken geschöpft, scheinen ihm den Stoff zu
jenen Fabeln gegeben zu haben, die sein erstes Buch füllen; hier theilt er in
Geographie und Geschichte die höchst verworrenen Begriffe seiner Zeit; so
bald er aber den historischen Boden betritt und im zweiten Buche zu dem
eigentlichen Gegenstand seiner Erzählung kommt, zeigt er unverkennbaren
44 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

liehen Werth über den Ursprung der Hunnen und Ungarn, die ihm ein
und dasselbe Volk sind, und über ihren zweimaligen Zug in ihr jetziges
Vaterland, gibt aber auch die Gegend am Ural als ihre Heimat an.
„Westlich von dem Jorianischen Reiche, wo die Flüsse Etui und Togora
entspringen, deren ersterer nach Süden in das Runde Meer strömt, der
zweite in die Yrcania mündet und sodann durch ein wüstes und finsteres
Land, wo die Sonne nur während der drei Sommermonate scheint, in
das Nordmeer fließt." Daß unter Etui nicht der Don, wie Kezai meint,
sondern die Wolga oder als deren Arm die Kama zu verstehen sei 1,
leuchtet aus dem Namen und den übrigen Angaben über den Fluß her-
.vor; in dem Runden Meere erkennt man sogleich dtis Kaspische, die
Togora ist der heutige J?obol, und Yrcania der Irtisch oder Obj. Fer
ner berichtet er, dieses Land zerfällt in drei Reiche: Barsacia (vielleicht
Bascardia zu lesen), Dencia und Mogoria; zuletzt läßt er die Ungarn
denselben
Zu Anfang
Weg ziehen,
der Regierung
den der Anonymus
König Bela's
angibt.
IV. 2 wurden zum zweiten

mal vier Predigermönche ausgeschickt , um die im Osten zurückgeblie


benen Stammgenossen der Magyaren aufzusuchen und zu bekehren.
Nur einer von ihnen, Julianus, erreichte das Ziel. Nachdem er näm
lich unter den größten Beschwerden und Gefahren und auf weiten Um
wegen in eine bedeutende Stadt Großbulgariens gekommen war, erhielt
er dort die Nachricht, daß er in zwei Tagen das Land seiner Stamm
genossen erreichen könne. Der gegebenen Weisung folgend, setzte er
über den großen Fluß Ethil und betrat den so lange und sehnlich ge
suchten Boden. Hier fand er wirklich ein Volk, das seine Sprache
redete, ihn als Verwandten gütig aufnahm , sich nach den in unbekannte
Gegenden ausgewanderten Brüdern erkundigte und ihn bei sich behalten
wollte. Aber da er hörte, daß die Tataren, Mongolen, sich zum Ein
bruch in die westlichen Länder rüsteten und dazu fürchtete, daß er ster
ben könnte und seine Entdeckung unbekannt bliebe, eilte er in die
Heimat zurück. Ueber den nächsten Weg •belehrt, brach er am 24. Juni
aus diesem Ungarn auf, schiffte auf der Wolga durch das Land der
Mordwinen, setzte sodann seine Reise zu Pferde über Ruthenien und
PolenPiano
fort, und
Carpini,
kam 1237
des Papstes
am 27. December
Innocenz wieder
IV. Gesandter
nach Ungarn.
an Batu-
3

Khan 1246, reiste über Polen nach Kiew und von dort in das Land der
Mongolen. Zuerst ging er durch das Gebiet der Polovzer, Kumanen,
welches er als eine große Ebene am Dniepr, Don , Wolga und Jaik
schildert; „im Norden", sagt er, „grenzt dasselbe an Rußland, an die
Mordwinen,
kritischen Sinn,an der
Bulgarien
alles Wunderbare
und an die
und Baskiren,
Märchenhafte
welches
verwirft
Großungarn
und seinen

Nachrichten
1 Atel, Glaubwürdigkeit
Etil, Itil heißt inverschafft.
den altaltaischen Sprachen jeder Fluß über

haupt und die Wolga insbesondere, als der größte, diesen Völkern bekannte
Strom. — 2 Hunfalvy in der augeführten Abhandlung. — 3 De facto Hun,
gariae Magnae a fratre Ricardo ardinis ff. praedicatorum invento tempore
Domini Grcgorü IX. E codice saeculi XÜI bibliothecae Vaticanae, bei End
licher, üebersetzt von Karl Szabo (Pesth 1862).
Abstammung der Ungarn. Wohnsitze. 45

ist (les Bastarques, qui est la Grande Hongrie), im Süden aber sind die
Alanen,
Hiermit
Tscherkessen
stimmt auch
und überein,
Chazarenwas
dessen
der Nachbarn."
Kapuziner Wilhelm Rubru-

quis, Gesandter Ludwig's IX. von Frankreich an die Mongolen 1252,


aussagt.
Bonfinius berichtet : 1 König Matthias habe durch Kaufleute er

fahren, daß an der Wolga und Kama ein die ungarische Sprache reden
des Volk lebe, und schickte deshalb Abgeordnete dahin, um diese Un
garn aufzusuchen und in das der vielen Kriege wegen entvölkerte Un
garn zu übersiedeln. Die Abgeordneten fanden sie wirklich, konnten
sie jedoch nicht hinüberführen , weil der russische Czar den Durchzug
verweigerte.
Sigmund Herberstein, Kaiser Maximilian's und Karl's V. oft

maliger Gesandte am ungarischen Hofe, der sich in eben derselben


Eigenschaft 1516 und 1529 zu Moskau aufhielt, berichtet gleichfalls
über das Land Juharia: daß einst von daher die Ungarn kamen, die so
viele Länder Europas unter ihrem König Attila bekriegten; daß die
Moskowiter stolz darauf seien, die Nachkommen jener Eroberer als ihre
Unterthanen zu beherrschen; daß die Jugorer auch jetzt, das heißt, als
er schrieb,
Von Resultaten
noch immer der
dieselbe
vergleichenden
Sprache reden
Sprachforschung
wie die Ungarn.
ausgehend
2

und auf historische Beweise uns stützend, haben wir also die entferntem
und nähern Stammverwandten der Magyaren und ihre frühere Heimat
zu erkunden gesucht und, wie wir wenigstens glauben, auch glück
lich gefunden; die erstem in den türkischen, sodann finnischen und zu
nächst ugrischen Völkerschaften, besonders den Vogulen; die andere
aber in den Gegenden des heutigen Baskirenlandes, und eben daher
auch den Namen, den unser Volk bei den Ausländern führt, Unger, Un
gar, Hungar, abgeleitet. Aber weit schwieriger ist die Erklärung des
jenigen Namens , den es sich selbst beilegt , des „ Magyar ". Paul
Hunfalvy, in der mehrmals angeführten Schrift, sucht dessen Ursprung
in dem allen finnischen und ugrischen Sprachen gemeinsamen ma, maa,
mä, mo, mu = terra, Erde, und in dem vogulischen kär, Mensch, also in
makär, mokär, in den alten ungarischen Chroniken: ma-ger, mo-ger =
Mensch des Landes, Landbewohner, um so mehr, da sich diese Völker
alle in solcher Weise selbst nennen, z. B. die Esthen maa-mies, die Vo
gulen ma-kum oder magum = Mensch des Landes. Nun ist zwar das
Wort ma in der ungarischen Sprache nicht mehr vorhanden und an
dessen Stelle föld getreten, aber das Wort kär, dessen Ableitung kärkve,
Kind, ungarisch gyerek, auch kärem, ungarisch gyerm-ek, kann noch
als daseiend gelten. Also mager, moger, magar, und mit geschliffenem
g = gy magyar, würde soviel heißen , als Mensch oder Bewohner des
Landes.
1 Szalay, Geschichte des ungarischen Reichs (2. Aufl., Pesth 1863),

III, 373. — 2 Herherstein, Rerum Moscovitarum Commentarii (2. Aufl.,


Basel 1556).
40 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Noch drängt sich uns zuletzt die Frage auf: waren die Hut1neii und
Avaren Vorfahren der Ungarn, sodaß diese, wie viele glauben und hin
sichtlich der Hunnen auch Anonymus und Kezai behaupten, zuerst unter
diesen beiden Namen, zum dritten mal aber unter dem der Magyaren
in das jetzige Ungarn zogen? Hierauf läßt sich keine Antwort geben;
wir kennen die Sprache dieser Völker nicht und haben auch sonst kein
Merkmal ihrer Abstammung, ja wir wissen nicht einmal, ob Attila und
seine Hunnen zu den vorderasiatischen oder zu den mongolischen Na
tionen gehört haben. Doch dürfen wir kaum bezweifeln, daß die
mächtige Flut der Völkerbewegung, welche die Hunnen bewirkten, auch
über die damalige Heimat der Magyaren sich ergossen hat, daß sich
auch Scharen ihrer Krieger und vielleicht ganze Stämme freiwillig oder
gezwungen dem gewaltigen, immer wachsenden Heere anschlossen , daß
sich Attila's weite Herrschaft auch über sie erstreckte, daß also Magya
ren schon mit den Hunnen in ihr späteres Vaterland gekommen sind.
Kaum glaublich ist dagegen, daß sich die Kunde von dem Lande, in das
ihre Krieger einst zogen, durch vier Jahrhunderte bei ihnen erhalten
habe, und daß sie ihre Heimat verließen, um dasselbe, als ein ihnen ge
bührendes Erbe, aufzusuchen. Alles, was der Anonymus und Kezai
hierüber berichten, ist, wenn auch nicht eigene Erfindung, doch nichts
weiter als eine Sage, die aus der Aehnlichkeit der Namen, Hunnen und
Hungarn, aus der Meinung der benachbarten Völker u. s. w. entstanden
sein mochte und zu ihrer Zeit bereits für wirkliche Thatsache ge
halten2.wurde.
Schicksale der Ungarn vor ihrem Einzug in ihr heutige«

Vaterland.
In den Gegenden der untern Wolga und nördlich vom Kaukasus

wohnten seit Jahrhunderten die Chazaren, ein türkisches Volk; in Sitten


und Lebensweise ihren Stammgenossen ähnlich, achteten auch sie Krieg
für die wichtigste und liebste Beschäftigung. Solange Attila's Welt
reich bestand, waren sie auch ein Theil desselben und erlangten erst
mit dessen Tode ihre Unabhängigkeit wieder. Schon 456 kämpften sie
mit den Uzen siegreich gegen die Georgier 1 und 462 verlustvoll gegen
die stammverwandten Sabirer2; später mehr als hundert Jahre lang
fast unaufhörlich gegen die Perser. 3 Doch höher zu steigen und wich
tig zu werden, begann ihre Macht erst dann, als die Bulgaren und Ava
ren von den Ufern des Schwarzen Meers westlich in die Donauländer
zogen; befreit von dieser drückenden und gefährlichen Nachbarschaft,
breiteten
1 Histoire
sie nun
de la
ungehindert
Georgie traduit
ihre du
Herrschaft
Georgien nach
par Brosses
Nordwesten
(Petersburg
aus.

1660), S. 150, 155. — 2 Vivien de St.-Martin, Nouvelles annales de voyages


1860, April, S. 26; Mai, S. 188. — 3 Dorn, Tabary's Nachrichten über die
Chazaren in den Memoires de l'aendenne de scienc. de St.,Petersbourg, IT""
serie, VI, 445 fg.
Schicksale der Ungarn vor ihrem Einzug u. s. w. 47

Der Gebieter des weiten Reichs fuhrte den Titel Chagan; sein Wohn
sitz lag auf einer Insel zwischen den Wolgamünduugen , die Feste Sar-
kel (der Name soll weiße Burg bedeuten) nahe an den Quellen deä
Donetz. 1 Die Chazaren waren die Bundesgenossen des Kaisers Hera-
klius in dem schweren Krieg, den er 622 — 628 gegen Kosrhoes II.
Parviz führte, und halfen die Macht der Perser brechen. 2 Als bald
darauf die Araber Persien eroberten, 636, und nun den Koran auch
jenseit des Kaukasus mit dem Schwerte ausbreiten wollten, vertheidigten
sie sich in zweihundert Jahrelangem wechselvollen Kampfe glücklich 3 und
drangen in derselben Zeit immer weiter gegen Westen und Norden vor.
Die höchste Stufe der Ausdehnung und Macht erreichte das Chazaren-
reich zu Anfang des 9. Jahrhunderts; es erstreckte sich von den Mün
dungen der Wolga bis an den Dniepr, vom Kaukasus bis an die Oka
und in die Nähe des Urals, altaische, slawische und selbst germa
nische Nationen bewohnten dasselbe ; Heiden , Mohammedaner, Christen
und Juden lebten friedlich nebeneinander und hatten ohne Unterschied
des Glaubens Zugang zu, allen Aemtern und Würden. 4 Ungeachtet
die Mehrzahl der Chazaren dem Heidenthum zugethan blieb, soll sich
dennoch um die Mitte des 9. Jahrhunderts der Chagan und seine Fa
milie Auch
zum Jüdischen
die Magyaren
Glauben
in Dentumogerien
bekannt haben. 6 waren ihre Nachbarn und

freiwillig oder gezwungen ihre Bundesgenossen geworden, ohne jedoch


ihre Freiheit und patriarchalischen gesellschaftlichen Einrichtungen ver
loren zu haben. Die Nation theilte sich in Stämme, jeder Stamm war
ein Verein freier Menschen, die sich als Verwandte ansahen, und ihre
Häuptlinge wahrscheinlich unter den Gliedern jener Familie wählten, in
der die fläuptlingsschaft mehr oder weniger erblich war. Einen ge
meinschaftlichen Fürsten hatten sie nicht und gehorchten auch keinem
fremden Oberherrn; die gemeinsame Abstammung und Sprache waren
das einzige Band, welches die Stämme zusammenhielt und zu einer
Nation verknüpfte. 6 Hieraus ist ersichtlich, daß ihr Verhältniß zu den
Chazaren seiner Natur nach nicht Unterwürfigkeit, sondern nur unter
geordnete Bundesgenossenschaft und Kriegsverpflichtung sein konnte;
muthmaßlich
Was die bestand
Geschichte
dasselbe
vergeblich
seit der
lehrt
Mitte
, daß
des Staaten
7. Jahrhunderts.
, die sich all zu

sehr ausgedehnt und zu viel fremde Elemente aufgenommen haben , den


Keim der Auflösung schon in sich tragen, gerade während sie äußerlich
am mächtigsten scheinen, traf auch bei den Chazaren ein; gegen das
Ende1 Elmacin,
des 9. Jahrhunderts
Historia Saracenica
begann (Leyden
ihre Macht
1625),
bereits
S. 84.
zu —
sinken.
2 Nicephorns
Schon

Patriarcba und Theophaues Conf. bei Stritter, Tom. III, Part. II, 549 fg. —
3 Vivien de St. -Martin, a. a. O. Dorn, Tabary's Nachrichten über die Cha
zaren, a. a. 0., und Elmacin, a. a. 0. — 4 Fraehn, Veteres memoriae Cbaza,
rorum exlbn Fozlano, in M^moires de l'acadimie imperiale de St.-Petersbourg,
VIII, 577 fg. — 5 Hasdi ben Ishak's (ein spanischer Jude) Brief an den
Chagan der Chazaren, in Cassel, Magyarische Alterthümer. — 6 Constau-
tinus Porphyrogenetus VII de administrando imperio, c. 38. Er nennt die
Magyaren überall Türken, Tcupxot.
48 Erstes -Buch. Zweiter Abschnitt.

jugendliche
Jaik
war
um 862
an
(Uralfluß),
ihrer
gegründet
Kraft
nordwestlichen
standen
fühlbar;
wordendrohend
im
und
Grenze
Nordosten,
machte
die Petschenegei
dasden
Reich
zwischen
benachbarten
der(sonst
der
russischen
Wolga
auch
Völkern
Kankeler
Waräger
und seine
dem 0A>

i J« und Kangli, ungarisch besenyok, lateinisch Pneinaeita^und griechisch


^C,Jfc," BigDun¥genannt) , die, voll wilden Muths, immer zu Kampf und Raub
./ *?> bereit waren; südlich von diesen trieben sich die Uzen umher, in denen
v CtA1'H^ . man n1it gutem Grunde die Vorfahren der, um zwei Jahrhunderte später
Ciiett auftauchenden
Nachbarn
ten sie alsoschienen
vernichten,
Kumanen
den verbanden
Chazaren
vermuthet.
sich
die Petschenegel,
mit
Dieden
gefährlichsten
Uzen,zufielen
sein : über
unter
diesesiewoll-
ihren
her Y*\s
,

und vertrieben sie aus ihren Sitzen, die nun von den Uzen eingenommen
'wurden. 1 Das heimatlose Volk warf sich aber mit dem nichtsachten
den Muthe, den Noth und Verzweiflung eingeben, auf seine Feinde und
ward ihnen fürchterlicher als zuvor. Die Magyaren, ihre Nachbarn,
waren ganz besonders ihren verzweifelten Angriffen ausgesetzt und
fühlten sich zu schwach, lange widerstehen zu können ; sie faßten daher
den Entschluß, der bei Nomaden so leicht entsteht, ihre bisherige Hei
mat zu
Imverlassen
Jahre 884,
und ein
als neues
Karl Vaterland
der Dickeaufzusuchen.
wieder Alleinherrscher des

fränkischen " Reichs war, in Konstautiuopel Leo der Weise regierte,


über Kiew und Nowgorod Oleg herrschte, und Iladna n III. auf
dem päpstlichen Stuhle saß , vereinigten sich in dieser Absicht sieben
Stämme des magyarischen Volks2: Nek, Meger, Kurtigermat, Tarjan,
Genakh, Kar und Kasz 3, die wieder zusammen aus 108 Geschlech
tern bestanden. 4 Zu ihrem Oberhaupt und Führer während der Wan
derung und in den bevorstehenden Kämpfen wählten sie den Stamm
fürsten Älmos, des Ügyek Sohn, und traten den Zug nach Südwesten
an. 6 Nicht das ganze Volk wanderte aus, sondern viele, und vielleicht
ganze Geschlechter und Stämme, blieben in den alten Wohnsitzen, denn
das Land behauptete den Namen Großungarn (Hungaria Magna) und
wird Nachdem
noch Jahrhunderte
sie mehrere
nachher
Tage von
durch
Magyaren
wüste, von
bewohnt.
menschlichen Woh

nungen entblößte Gegenden gegangen waren, setzten sie, nach Art der
Nomaden, auf Schläuchen über die Wolga (Atil), durchzogen das sus-
daler
Grenzen
undihrer
wladimirer
alten Bundesgenossen,
Gebiet und ließen
der sich
Chazaren,
endlichnieder.
an denHier
westlichen
kamen <•

sie zuerst mit den Byzantinern in Bekanntschaft, denen wir auch die
folgenden geschichtlichen Nachrichten zu verdanken haben. Kaiser
Konstantin der Purpurgeborene 6, der sie sonst Türken nennt, weiß,
daß sie um diese Zeit „aus irgendwelcher Ursache" sich selbst Sabar-
toiasphaloi nannten; ein Name, der die Spuren griechischer Umbildung
sichtbar an sich trägt und in dieser Gestalt weder aus dem Griechischen,
noch1 aus
Constant.
dem Porphyrogen.
Ungarischen degedeutet
administrando
werden imperio,
kann. c.Das
38. Land
— 2 ihres
Ano

nymus, c. 7. — 3 Constant. Porphyrogen. de administrando imperio, c. 38. —


4 Kezai, I, 1. — 5 Anonymus, c. 7. — 6 De administ. imp., c. 38.
Schicksale der Ungarn vor ihrem Eiuzug. 49

Aufenthalts nennt er Lebedia. Am obern Don, im Gouvernement Tani-


bow, liegt die Stadt Lebedjän; ließe sich darthun, daß einst die ganze
Gegend diesen Namen führte, so wäre die Lage Lebedias gefunden.
Als den angesehensten ihrer Stammfürsten bezeichnet er Lebedias, den
Eidam des chazarischen Chagans; daher ist es auch denkbar, daß er
dessen Namen auf das Land übertrug, weil er keinen andern wußte.
Da er endlich Lebedias und nicht Almos den vornehmsten Stammfürsten
nennt und ausdrücklich angibt, daß die Magyaren je weder einen ein
heimischen, noch fremden Herrscher (ap^ovca) hatten, so ist offenbar,
daß die Anführerschaft dem Älmos nur für die Wanderung übertragen
wurdeAber
und hier
nach sollten
erfolgter
dieNiederlassung
Vertriebenen wieder
noch keine
aufgehört
bleibende
habe. Heimat

finden ; nur drei Jahre war ihnen vergönnt, in diesem Lande sich auf
zuhalten ; die Petschenege«,, die sie aus Dentumogrien verdrängt hatten,
waren ihnen auch hierher gefolgt, überfielen, durchbrachen und trennten
sie in zwei Haufen, die nach entgegengesetzten Weltgegenden zogen
und sich nie wieder zusammenfanden. Der eine, wahrscheinlich klei
nere Theil, eilte ostwärts dem Kaukasus zu und verschwand spurlos. 1
Die andern aber gingen, von Lebedias geführt, über den Dniepr, be
setzten die weite Ebene am Bug, Dniestr, Pruth und Sered, das heutige
Bessarabien und die Moldau , und nannten die neue Heimat Atelkuzu
oder Etelköz,
Bald darauf
das wurde
Land zwischen
Lebediasdenoder
Flüssen.
Elod,* wie ihn der Anonymus

heißt, zu einer Berathung von dem Chazaren-Chagan berufen, der ihm


den Vorschlag machte, die Herrschaft über die Magyaren unter seiner
Oberhoheit zu übernehmen. Der kinderlose Lebedias dankte für die
Ehre und empfahl statt seiner Älmos oder dessen Sohn Arpäd. Die
Genannten gefielen dem Chagan; er entließ Lebedias und gab ihm Ge
sandte bei, mit dem Auftrag, die Magyaren für seinen Plan zu gewinnen.
Diese waren bereits durch so viele harte Schläge, die sie trafen, zu der
Einsicht gekommen , daß die lose Verbindung der Stämme die Ursache
ihrer Schwäche und ihres Unglücks sei, und daß sie ein gemeinschaft
liches Oberhaupt, einen Regenten im Frieden, einen Feldherrn im
Kriege unumgänglich bedürfen ; sie nahmen daher des Chagans und
Lebedias Vorschlag bereitwillig an , wählten Arpäd zu ihrem ersten ge
meinschaftlichen und erblichen Fürsten, hoben ihn auf dem Schilde
empor und setzten inn feierlich nach ihrer Sitte und Brauch in seine
Würde Damals,
ein. s 888, mochte geschehen sein, was der Anonymus, ausUeber-

lieferungen,
1 Einige glauben,
die sich diese
dem versprengten
GedächtnisseMagyaren
des Volks
haben
unauslöschlich
sich im Kaukasus
ein-

niedergelassen und dort die einst berühmte Stadt Madschar gebaut, die von
Timur zerstört wurde. Eine Meinung, für deren Richtigkeit sich, uulier der
scheinbaren Aehnlichkeit desNamens, wol kaum ein genügender Beweis anführen
läßt. — 2 Constant. Porphyrogen., a. a. 0. — ' Derselbe. Er nennt Almos
Salmutzes, indem er das z des Artikels az voraussetzt, das tiefe 6, in der
Aussprache fast ou, durch ot=S wiedergibt, das s in tz verwandelt und d1e
griechische Endung s? hinzufügt.
FalUar. I. 4
50 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

geprägt hatten, und aus Jahrbüchern, die in seinen Tagen noch vor
handen waren, schöpfend, erzählt, aber dabei Zeit und Personen ver
wechselt, indem er von der Wahl des Almos in Dentumogrien berichtet,
was viel wahrscheinlicher sich erst bei der Wahl Arpäd's in Atelkuzu
zutrug. Denn der beinahe gleichzeitige, von den Verhältnissen und
Begebenheiten der in Rede stehenden Nationen so genau unterrichtete
Konstantin sagt ja ausdrücklich, daß nicht Älmos, sondern Ärpäd zum
ersten obersten und erblichen Herzog der Magyaren in Atelkuzu ge
wähltDie
wurde.
sieben Stammfürsten : Älmos, Elod (Lebedias), Kund, Und,

Tas, Huba und Tuhutum schlossen im Namen ihrer Stämme, deren


Stelle sie vertraten, untereinander und mit Arpäd Bündniß und Vertrag
über folgende
1) Sie undPunkte:
ihre Nachkommen sollen immer einen Fürsten aus

dem Geschlechte Arpäd's haben.


2) Von dem Gute, das sie mit gemeinschaftlicher Mühe erwerben
würden,
3) soll
Da jeder
sie Arpäd
sein Theil
aus erhalten.
freiem Willen zu ihrem Fürsten erwählt

haben, so dürfen weder sie, noch ihre Nachkommen von dem Rathe des
Fürsten
4) und
Würde
von einer
der Mitregierung
ihrer Nachkommen
des Reichs
demausgeschlossen
Fürsten untreuwerden.
und stif

tete Zwietracht zwischen ihm und dessen Verwandten (den Nachkommen


der Stammfürsten, die sich als dessen Verwandte, Vettern nach dem
jetzigen Sprachgebrauch, betrachteten): so soll des Schuldbeladenen
Blut vergossen werden, wie ihr Blut bei dem Eide, den sie Ärpäd leiste
ten, vergossen
5) Solltewurde.
einer von den Nachkommen Arpäd's oder der andern

fürstlichen Häupter diese durch Eid bekräftigte Vertragspunkte brechen,


so seiNun
er auf
stellten
ewig Arpäd
verflucht
undund
sie gebannt.
sich um ein Gefäß, öffneten ihre Adern,

ließen ihr Blut sich in demselben mischen, zum Zeichen der Eintracht
und Treue, die sie verbinden soll, leisteten feierlichen Eid, diesen Ver
trag heilig halten und mit ihrem Blute vertheidigen zu wollen, und riefen
Arpäd zu: „Heute erküren wir dich zu uuserm Führer und Regenten,
und wollen
Eine große
dir folgen,
folgenreiche
wohin dein
That!
Glück
Durch
dichsieführt."
wurden
1 die bisher lose

verbundenen Stämme zu einem Volke verschmolzen, und der Grund ge


legt zu jener Verfassung, die seit tausend Jahren das theuerste Kleinod
unsers Volks ist, und für die jedes echt ungarische Herz noch immer in
treuer Liebe schlägt.

Arpäd 888—894.
Während
Aufenthalt
die magyarischen
in Atelköz
Stämme
und Auswanderung.
sich innig aneinander schlos

sen und
1 Anonymus,
ein Staatswesen
c. 5, 6. gründeten,
Vgl. Horväth,
brachen
Geschichte
unterdes
denungarischen
Chazaren Reichs,
Zwie-

I, 20—21.
Arpad. Atelköz. 51

tracbt und Parteiungen aus, welche die Vorboten von der Auflösung
und dem Untergang ihres Reichs waren. Der Stamm Kabar trennte
sich los und vereinigte sich mit den Magyaren unter der Bedingung,
daß er als achter Stamm mit gleichen Rechten aufgenommen werde. 1
Eine solche Verstärkung konnte diesen nur willkommen sein, mußte sie
aber auch den Chazaren entfremden, die Verbindung mit ihnen lockern
und ebendadurch ihre Unabhängigkeit fördern. Weiter unten werden
wir noch
NichtVeranlassung
lange darauf
finden,
erhielt
unsdas
mitneu
diesen
vereinigte
KabarernVolk
zu beschäftigen.
Gelegenheit,

seine kriegerische Tüchtigkeit zu bewähren, indem es von dem morgen


ländischen Kaiser Leo dem Weisen zu Hülfe gerufen wurde gegen den
Bulgarenfürsten Simeon, der, durch Bedrückung des bulgarischen Han
dels gereizt, Macedonien verwüstete, die byzantinischen und die mit
ihnen verbundenen chazarischen Heereshaufen überall schlug und die
Gefangenen mit abgeschnittenen Nasen zurückschickte. 2 Niketas
Skieros, der Gesandte des Kaisers, kam 890 mit großen Geschenken
nach Etelköz und schloß mit Arpäd ein Waffenbündniß, kraft dessen
Nicephorus Phokas, der griechische Heerführer, die Bulgaren in Mace
donien angreifen, Arpäd aber von der Donau her in ihr Land fallen
sollte. Dieser war um so geneigter zu dem Kriege, weil Simeon an
den gefangenen Chazaren große Grausamkeit geübt hatte. Er brach
also, von seinem Sohne Liutin und von dem Anführer Csörsz begleitet,
auf und setzte auf griechischen Schiffen über die Donau. Simeon, der
zur Vertheidigung seines Landes herbeieilte, ward von den Ungarn in
drei Schlachten geschlagen, der macedonischen Beute beraubt, genöthigt
in das befestigte Distra (jetzt Silistria) sich zu werfen, und endlich
gezwungen,
Kaum war
Frieden
dieser
zu schließen.
Kriegszug 3 beendigt, so erging an die Ungarn

schon1 Constantin.
die Einladung
Porphyrogen.,
zu einem zweiten.
c. 38. Unter
DiesohFreundschaft
wachen, in Ueppigkeit
zwischen Ar-
ver

sunkenen Chaganen, denen der oberste Reichsbeamte Bak, türk. Beg, alle Ge
walt entrissen hatte, bedrängt von feindseligen Nachbarn, sank das Cha-
zarenreich immer tiefer, bis sich endlich der byzantinische Kaiser Basilius II.
und russische Fürsten verbanden und dasselbe 1016 zerstörten. Die jüdische.
Sekte der Karaim oder Kenaiten im südlichen Rußland sollen Nachkommen
der Chazaren sein. — '' Da die Bulgaren die Donau beherrschten, wurde der
Handel Konstantinopels nach den nördlichen Ländern durch die Bulgaren
vermittelt , die dadurch große Reichthümer gewannen. Byzantinische Kauf
leute entwarfen daher den Plan, ihnen diese Vortheile dadurch zu entziehen,
daß der Waarenstapel von Konstantinopel nach Thessalonika verlegt und der
Handel auf den Landweg geleitet werde. Um ihre Absichten durchzusetzen,
erkauften sie den Verschnittenen Musikus; der war allvermögender Günstling
des Zautzas; dieser Vater der reizenden Zoe; sie die Geliebte des Kaisers;
der Kaiser konnte ihren Bitten nicht widerstehen; der Handel auf der Donau
ward unterdrückt, das Land den Gefahren und der Verwüstung des Kriegs
preisgegeben. Solche Wege sucht der schändliche Eigennutz; auf solche*
Weise spielt der Despotismus mit dem Wohl und Wehe der Völker. — 3 Leo-
nis Grammatici Chronographia (Bonn 1842), S. 26G. — Constantin. Porphy
rogen. de administr. imp. 40 u. 51. — Szabö, Der bulgarisch -ungarische
Krieg. Neues ungarisches Museum, Jahrg. 2, Heft 9, S. 515.
52 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

nulf und Swatopluk dauerte nicht lange; nachdem erslerer sich auf
dem Kaiserthron befestigt hatte, suchte er auch seine Oberherrlichkeit
geltend zu machen und den andern zur Lehnspflicht zu zwingen; dieser
aber widersetzte sich, fuhr fort, die Bande der Abhängigkeit zu lockern
und sein Gebiet zu erweitern. Darüber kam es schon 890 zu heftigem
Krieg, in welchem nicht allein die beiden Fürsten, sondern auch die
Nationen, Deutschthum und Slawenthum auf Tod und Leben miteinander
rangen. Zwei Jahre hindurch schwankte der Kampf zwar ohne Ent
scheidung, neigte sich im ganzen aber dennoch zum Vortheil des Sla
wenfürsten, der zu der physischen Macht auch geistige Kraft in die
Wagschale warf. Arnulf verzweifelte an dem Sieg und rief die Ungarn
zu Hülfe. Rasch eilten ihre Reiterscharen unter Arpäd's Führung von
Osten herbei, erschienen die ersten auf dem Kampfplatz, schlugen die
Mährer in den Ebenen Pannoniens 1, scheinen aber dann auf Hinder
nisse gestoßen zu sein, die ihre Fortschritte hemmten. 2 Der Kaiser
brach von Westen mit den Franken, Baiern und Schwaben, Braszlaw,
sein Gewaltträger in Pannonien, von Süden in das mährische Gebiet
ein, der kriegerische würzburger Bischof Amt machte mit den Thü
ringern einen Einfall in Böhmen. Swatopluk konnte wider so viele
Feinde das Feld nicht behaupten, zog sich in die befestigten Plätze
zurück und gab das offene Land den Feinden preis, die es furchtbar
verwüsteten. Aber sie konnten die Burgen nicht nehmen, fanden in
den verheerten Gegenden keinen hinreichenden Unterhalt und zogen
ab, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Im folgenden Jahre that Arnulf
wieder einen Feldzug nach Mähren , an welchem die Ungarn nicht mehr
theilnahmen, erlitt aber Niederlage und schweren Verlust. Der Krieg
dauerte 894 noch erfolglos fort, als der gewaltige Swatopluk starb, und
die Deutschen durch seinen Tod von ihrem gefährlichsten Feinde be
freit wurden.
Die Magyaren
3 hatten für den Beistand, den sie Arnulf geleistet,

keinen andern Vortheil gewonnen, als die Bekanntschaft mit dein schö
nen Lande, und die Einsicht, wie leicht dasselbe zu erobern wäre. Da
gegen traf sie zu Hause ein schwerer Unfall , während ihre Krieger im
Westen kämpften. Simeon, der Bulgarenfürst, benutzte 892 deren Ab
wesenheit, furchtbare Rache zu nehmen für die Niederlage, die er un
längst von ihnen erlitten hatte, schloß Bündniß mit ihren unversöhn
lichen Feinden, den Petschenegej,n , überfiel das von seinen Verthei-
digern entblößte Land und trug nach allen Seiten Verwüstung und

1 Kezai, I, 4: „Hungari ipsum Svatopluk irruptione subita prope Üu vi um


Racus juxta Banhida . . . cum tota milita peremerunt." Eine Uebertreibung, die
der Sage gebräuchlich ist. -r, 2 Annales Sangaliens, majores bei Pertz, T, 77.
— 3 Luitprandus bei Pertz, V, 279. — Widukind bei Pertz, V, 426. — Re-
gino bei Pertz, I, 605. Ditmar Merseb., V, 735. Constautin. Porphyrogen.
de administr. imp., c. 41. Der Sage nach verschwand Swatopluk, zog sich,
der Herrschaft müde, zu Einsiedlern auf dem Berge Zobor zurück, lebte dort
als Büßender und entdeckte erst in der Todesstunde, wer er sei. Cosmae
Pragens, ad ann. 894. Aeneas Sylvius Herum Bohemicarum, c. 13. Dub1a
vius, Hist. Bohemiae, IV.
Arpäd. Neue Wanderung. 53

Tod. Liutin und viele Tapfere blieben auf dem Schlachtfelde, die wehr
hafte Mannschaft wurde überall niedergemacht, Frauen und Kinder in
Gefangenschaft geschleppt. 1 Damals mochte ein Theil der Verspreng
ten, die Szekler. sich in die Gebirge Siebenbürgens zurückgezogen und
dort Sicherheit gefunden haben. Die sonst dem Verderben entrinnen
konnten, retteten sich mit ihren Heerden über den Pruth und eilten ge
gen Norden. Die Petecheneger ließen sich in Atelköz nieder; sie, die
vor kurzem aus ihren Sitzen am Jaik vertrieben, heimatlos umher
irrten, herrschten nun vom Dniepr bis an die Karpaten und vom Schwar
zen Meere gegen Norden bis an das russische Gebiet2 als ein mächtiges,
weit gefürchtetes
Als Ärpäd vonVolk.
dem3 Kriegszuge aus Großmähren , den Weg nörd

lich hinter den Karpaten nehmend, zurückkehrte, traf er jenseit des


Pruth mit seinem fliehenden, abermals heimatlosen Volke zusammen.
Ein trauriges Begegnen! Die Wahl dessen, was jetzt zu thun sei, konnte,
nicht schwer fallen; mit den geschwächten, entmuthigten Scharen den
Kampf gegen den mächtigen, zum dritten male siegreichen Feind auf
zunehmen,' um die verlorene Heimat wiederzuerobern, war kaum mög
lich, noch viel weniger rathsam; denn selbst in dem glücklichen Fall,
daß die Rückeroberung gelänge, wären sie nichtsdestoweniger den feind
lichen Angriffen fortwährend ausgesetzt, in jeder freien Bewegung ge
hindert und gezwungen gewesen, gleichsam die Hand am Schwerte zu
leben. Weit leichter und sicherer war es, ein neues Vaterland zu
suchen, und hatten sie doch eben beim letzten Feldzuge das Land ken
nen gelernt, von dem die Sage ging, die nun auch zu ihren Ohren ge
kommen war, daß hier einst Attila und ihre Vorfahren, die Hunnen, ge
herrscht haben. Sie entschlossen sich also zu der neuen Wanderung
und traten sie an. Um sich von dem Feinde, der sie überall hin ver
folgte, zu entfernen, und vielleicht auch, um sich durch stammverwandte
Horden zu verstärken, richteten sie ihren Zug ostwärts nach Norden
und kamen jn die Nähe von Kiew4, dessen Großfürst damals Oleg war.

1 Constant. Porphyrogen. de administr. imp. , c. 40. Thuroczy (er


schrieb in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts), Chronieon, II, c. 3, läßt,
der herrschenden Sage zuwider, den greisen Almos auch hier umkommen. —
2 Constant. Porphyrogen. de administr. imp., c. 38. — 3 Cedrenus, bei Strit
ter, 'sagt von ihnen: „ Patzinacitarum gens Scythica est, eorum Scytharum,
qui regii dicnntur, magna et populosa et cui nulla alia gens scythica resi-
stere sola possit." Und die Ungarn, als sie bereits im jetzigen Vaterlande
wohnten,
scheneger antworteten
aufforderte: dem
„WirKaiser
wollenLeo,
mit der
den Petschenegern
sie zum Kriegszug
nichtgegen
kriegen,
die denn
Pet,

wir vermögen nicht, mit ihnen zu kämpfen, weil sie ein großes Land und
viel Mannschaft haben und tapfer sind. Constant. Porphyrogen. de administr.
mp., c. 8. — 4 Anonymus, c. 8. Nestor's Chronik. In der französischen
1Uebersetzung von Louis Paris (Paris 1834 — 30) lautet die hierhergehörige
Stelle: „Durant les annees 6396—6406 (de 886—896) les Ongres traverserent
la cbaine de montagnes encore appelees de nos jours les montagnes des
Ongres, ils s'approcherent de rives du Dniepr et camperent avec leurs kibitks
non loin de Kiew etc." Schlözer in seinem Nestor (Göttingen 1805) über
setzt dieselbe Stelle : „Im Jahre 898 zogen die Ungarn vor Kiew vorbei über
einen Berg, der nun der Ungarische genannt wird. Sie kamen an den Dnepr
54 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Die Fürsten der Russen, erzählt der Anonymus 1 , erschraken über


die Ankunft der Ungarn, riefen die in der Nähe hausenden Kumanen
oder Polowzer, wie sie von den Slawen genannt wurden, zu Hülfe und
zogen den gefährlichen Ankömmlingen entgegen, wurden aber in blutiger
Schlacht geschlagen und gezwungen, sich in die Stadt zu werfen. Als
nun die siegenden Magyaren diese zu stürmen anfingen, baten und er
hielten sie Frieden gegen Zahlung eines bedeutenden Lösegeldes, Liefe
rung an 'Lebensmitteln und Kleidern und Stellung von Geiseln. Von
den Kumanen traten hierauf sieben Häuptlinge: Ed, Edömer, Ete, Bön-
ger, Ösad, Bojta und Ketel mit ihren Stämmen zu den Ungarn über und
wurden als Stammverwandte mit Freuden in den Nationalverband auf
genommen. Außerdem schlossen sich noch viele Russen an, die unter
dem fremden
KumanenVolke
konnten
und in
es der
nichtFerne
gewesen
ihr Glück
sein, die
machen
sich wollten.
den Magyaren

entweder etwas früher in Atelköz oder jetzt vor Kiew anschlossen, denn
stantin
damals gab
der Purpurgeborene
es in diesen Gegenden
zählt dienoch
Völker
gar im
keine
Norden
Kumanen.
des Byzan
Kon-

tinischen Reichs auf und gibt die Lage ihrer Wohnsitze an. „Die Tur-
cia, Ungarn, grenzt nordwestlich an GrcJßmähren, südlich von derselben
liegt Krowatien und Bulgarien (an der Donau); östlich von den Kar
zum
patenKaspischen
bis an denMeere,
Dnieprvonwohnen
da gegen
die Norden,
Petscheneger;
bis wo/
vomderDniepr
Don der?**/
bis •,

Wolga am meisten nähert, die Chazaren; sodann folgen weiter hinauf


an der Wolga und dem Jaik die Uzen, und wo die Kama in jene
mündet (in der Gegend des heutigen Kasan), die Bulgaren; östlich hin
ter hinter ihnen stehen die Alanen und Mordwinen; die nördlichen
Nachbarn der Petscheneger sind die Russen." 2 Konstat1tin ' der über
alle diese Völker so gut unterrichtet ist und seinen Sohn lehren will,
wie man das eine durch das andere bändigen, im Nothfall verderben
und dem Byzantinischen Reiche unschädlich machen könne, würde ge
wiß auch die Kumanen gekannt und erwähnt haben, wenn sie zu seiner
Zeit in der Nähe von Riew sich aufgehalten oder überhaupt unter die
sem Namen schon existirt hätten. Was wir aus dem Schweigen Kon-
stantin's schliessen, wird durch die Worte Nestor's bestätigt: „Im Jahre
6569 (nach byzantinischer oder 1060 — 61 nach unserer Zeitrechnung)
kamen zum ersten mal die Polowzen über das Land der Russen, es zu
bekriegen. Wsewlad zog ihnen am 2. Februar entgegen, schlug" sich
mit ihnen, wurde aber besiegt. Danach zogen sich die Polowzen zu
rück. Das war das erste Unheil, das die Russen von diesem heid
nischen und gottlosen Feinde erlitten.",3 Die Kumanen also, die erst
um 1060 den Schauplatz der Geschichte als Feinde der Russen be
treten, konnten nicht bereits um 893 deren Verbündete sein und sich
und
den standen
Ungarn
Unstreitig
hier
anschließen.
ist
in Weschen
es endlich,
(Zelten)
daß ,diedenn
Palöczen,
sie marschirten
die um wie
das die
Mätra-
Ku

tanen"
1 Anonymus,
u. s. w. c. 8, 9. 10. — 2 Constant. Porphyrogen., c. 40. — 3 Ne
stor, c. 59.
Ärpäd. Neue Wanderung. 55

gebirge wohnen, die Nachkommen jenes Volksstamms sind, von dem


Anonymus berichtet, daß er sich mit den Magyaren vereinigt und in
diesen Gegenden niedergelassen habe. 1 Diese Palöczen haben aber
in ihrer Sprache und in ihrem ganzen Wesen so viel Eigenthümliches,
das den später eingewanderten und zum Theil neben ihnen lebenden
Kumanen in Jazygien, Klein- und Großkumanien völlig fremd ist, daß
die ursprüngliche Verschiedenheit beider sogleich in die Augen fällt.
Da nun Konstantin den Anschluß der Kabarer berichtet und von den
Kumanen oder Polowzen schweigt, Anonymus hingegen von den Ka-
barern nichts weiß und die Polowzen sich mit den Magyaren vereinigen
läßt, die Zeit aber, in welche beide das von ihnen erzählte Ereigniß
setzen, beinahe zusammenfällt : so ist man berechtigt anzunehmen , daß
sie von einer und derselben Begebenheit sprechen und blos hinsichtlich
des Namens voneinander abweichen. Und auch diese Verschiedenheit
des Namens ist leicht erklärlich. Die Kabarer, wie sie bei Konstantin
heißen, nannten sich selbst vielleicht schon damals Palöcz, oder wurden
von den Magyaren so genannt, wie ein und dasselbe Volk so häufig in
verschiedenen Sprachen verschiedene Namen führt, und die Aehnlichkeit
des Klanges verleitete den Anonymus und seine Zeitgenossen diese
Palöczen für die Polowzer oder Kumanen zu halten, was um so leichter
geschehen konnte, da sich bei dem Mangel geschriebener Nachrichten
die Ueberlieferungen
Verstärkt an Mannschaft
aus der Vorzeit
und Rüstung,
trübten setzte
und verwirrten.
das Heer der Magya

ren seine Wanderung von Kiew fort und zog durch Lodomerien und
Galizien. Die Fürsten und Völker dieser Länder eilten, durch Ge
schenke und Geiseln Frieden und Schonung zu erkaufen, und um der
ungebetenen Gäste um so eher los zu werden, gaben sie ihnen nicht nur
Wegweiser, sondern auch Bogenschützen, und schickten Arbeiter vor
aus, um die Pfade über die Karpaten zu bahnen. Mühsam, aber von kei
nem Feinde angegriffen, überstieg das wandernde Volk das Gebirge,
kam in den nordöstlichen Theil der Bereger Gespanschaft hinab
und lagerte in der Gegend zwischen dem Fluß Latorcza und dem Ször-
nyer Moor, wo jetzt auf hohem Felsen das Schloß Munkäcs steht.
Hier wurde gerastet, theils um von der beschwerlichen Wanderung
auszuruhen, theils um das Heer für die bevorstehenden Feldzüge zu
ordnen.
Nach
2 alten einheimischen Ueberlieferungen bestand das unga

rische Volk bei seinem Auszug aus Dentumogrien aus sieben Stäm
men, die wieder in 108 Geschlechter zerfielen. Jeder Stamm hatte
30857 Mann unter Waffen, folglich alle zusammen 216000 3, woraus
sich auf eine Gesammtzahl von mehr als einer Million schließen ließe.
Hiervon mag wol ein großer Theil den Beschwerden des Wegs erlegen
und unter dem Schwerte der Feinde umgekommen sein, aber diesen
Verlust mochten die Kabarer und Russen durch ihren Beitritt wieder
ersetzt
1 Anonymus,
haben. Wir
c. 32.wollen
— 2 Derselbe,
darüber c.
nicht
8 — 13.
rechten,
— 3 Kezai,
ob eine
II, so1. große
Thü-

röczy, Chronica Hungariae, II, 2.


56 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Menge so weit zu wandern und anf der Wanderung sich zu nähren ver
mag: aber wir irrten, wenn wir dieses für unmöglich hielten, weil die
Verpflegung einer zahlreichen europäischen Armee mit so vielen Schwie
rigkeiten verknüpft ist. Ein Nomadenheer ist mit wenig Gepäck be
lastet, an Entbehrung und Mühsal gewöhnt, breitet sich weit aus und
führt die nährende Heerde mit sich. Dagegen ließe sich weit weniger
begreifen, wie die Magyaren das weite Ungarn erobern und mit ihrem
Stamme bevölkern, so viele Heere in andere Länder aussenden, so
schwere Niederlagen überstehen und mitten unter fremden Völkern ihre
Sprache und Nationalität behaupten konnten, wenn ihre Zahl viel
geringer als die angegebene gewesen wäre.

.*5
. ...
Dritter
Des ungarischen Reichs Abschnitt,
1. Jahrhundert. Ungarn

unter Herzogen.
I. Thaten und894
Ärpad Begebenheiten.
— 907.

Ai1
Üs die Ungarn in ihr künftiges Vaterland einzogen, herrschte
über das bulgarische Vasallenreich zwischen der Donau und Theiß bis
an die nördlichen Karpaten Zalän, Kremms oder Keans, wie ihn der
Anonymus nennt, Enkel. Jenseit der Theiß, zwischen den Flüssen
Szamos und Maros bis an Siebenbürgens Grenze, gebot der Chazare
Menmaröt über eine Bevölkerung, die aus Chazaren, Bulgaren, Avaren
und Walachen gemischt war. Von der Maros im Norden, von der
Donau im Westen und Süden, und von der Aluta im Osten begrenzt,
erstreckte sich die Herrschaft Gläds über ein größtentheils von Wa
lachen und Bulgaren bewohntes Gebiet, das wahrscheinlich von dem
angrenzenden Bulgarenreiche abhängig war. Ueber den größten Theil
Siebenbürgens, der vornehmlich von Walachen bewohnt war, herrschte
Gelö ; den andern hatten die Szekler wahrscheinlich bereits inne. Ober-
pannonien, welches im Süden an die Donau, im Osten an Zalän's Ge
biet grenzte, gehörte zum großmährischen Reiche. Mit Niederpannonien,
zwischen der Donau und Drau, war Braszlaw vom Kaiser Arnulf be
lehnt. x Die griechisch -italienischen Städte am Adriatischen Meere,
sowie die slawische Bevölkerung zu beiden Seiten der Save, im heutigen
Dalmatien, ungarischen und türkischen Kroatien, waren bald vom öst
lichen und bald vom westlichen Kaiser abhängig und ebendeshalb ziem
lich frei.
Die Gegend, welche die Ungarn zuerst betraten, gehörte zu Za

lan's Gebiet. Die Slawen und Walachen, die da wohnten, fühlten kei
nen Beruf, für ihre bulgarischen Zwingherren zu kämpfen, und unter
warfen sich sogleich freiwillig. Nur die Burg Ungvär, auf der Laborcz,
Gewaltträger Zalän's in dieser Gegend, saß, schien Widerstand leisten

1 Gebhardi, Geschichte der slawischen Staaten, IV, 15.


58 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

zu wollen. Ärpäd führte seine Scharen .gegen sie; Laborcz, an der


Möglichkeit der Vertheidigung verzweifelnd, floh nach dem festern Zem-
plin, wurde von nachsetzenden Ungarn eingeholt und an den Ufern
eines Flusses aufgehängt, der von ihm den Namen Laborcz führt. So
kamen die Ungarn in Besitz des ersten festen Platzes und feierten den
glücklichen
Hier, an
Erfolg
der nordwestlichen
drei Tage lang Seite
mit Opfern
des entstehenden
und Freudenmahlen.
Reichs, unter
1

sprachverwandter Bevölkerung, siedelte Ärpäd die aus Kiew mitgekom


menen Rufhenen an, weil sie die alten Einwohner am leichtesten ge
winnen
Von
konnten
hier ergossen
und hiersich
kein die
mächtiger
bewaffneten
Feind Scharen
abzuwehren
über war.
die Ebene

zwischen der Theiß und dem Bodrog, ohne irgendwo auf heftigen Wi
derstand zu stoßen; das übrige Volk breitete sich hinter ihnen mit sei
nen Heerden aus; die ganze Gegend bis an das heutige Ugocsa wurde
eingenommen. Flüchtlinge brachten zu Zalän die Kunde von dem,
was im Norden seines Reichs vorging. Nicht gerüstet zum Kampf,
schickte er blos Gesandte und ließ Ärpäd, mit seiner und Simeon's
Macht drohend, gebieten, nicht weiter zu schreiten. Arpäd, zu klug,
um die ganze Macht der Bulgaren herauszufordern, ehe er sich fest
gesetzt hatte, nahm die Gesandten freundlich auf, beschenkte sie und
schickte mit ihnen als Botschafter die Stammfürsten Und, Ketel und
Tarczal, den Palöezen, die seine Anträge Zalän überbrachten. Diese
lauteten : der Herzog hätte wol als Attila's Nachkomme Rechte auf das
ganze Land, wolle sie aber nicht geltend machen, sondern verlange nur
bis an den Sajo vorzurücken, und erbitte sich ein Büschel Gras von der
Heide Alpär und einen Schlauch Donau wasser, um beide mit dem scy-
thischen zu vergleichen. Als Geschenke übergaben sie zwölf weiße
Pferde, ebenso viele Kamele, kabarische Knaben, ruthenische Mädchen
und kostbare Kleider. Zalän war froh, daß nur so wenig gefordert
werde,
Nunundverlegte
gewährte
Ärpäd
die Bitte,
sein Lager
die er nicht
weiterabzuschlagen
gegen Südenwagte.
in die2 herr

liche Gegend von Szerencs, auf deren Gebirgen der kostbare, Tokayer
genannte Wein wächst; wo das Auge von den Höhen in fruchtbare
Thäler hinabschaut; in der Ferne. auf der einen Seite die Schneegipfel
der Karpaten schimmern, auf der andern die unendliche Ebene des Nie
derlandes wogt. Von hier zog Bors, Böngör's Sohn, mit seinen Ka-
barern aus, unterwarf und. besetzte die Gegend am Sajö, erbaute die
Burg Borsod, ging sodann bis an das hohe Tätragebirge, sicherte dort
die Grenzen gegen Polen und brachte die Söhne der vornehmsten Ein
wohner
1 Anonymus,
als Geiseln
c. 12,
in des
13. Herzogs
— 2 Derselbe,
Lager c.zurück
15 — 17.
, woDieer Uebergabe
mit Freuden
des

Grases und Wassers sollte sinnbildlich die Uebergabe des Landes, und die Ge
schenke den Kaufpreis vorstellen, um welchen die Ungarn dasselbe an sich
brachten. Die Ausschmückungen der Sage, an denen der Anonymus so reich
ist, fallen hier sogleich in die Augen. Diese eine Erzählung mag als Muster
der andern dienen , zugleich aber auch zeigen , wie wenig dergleichen Aus
schmückungen der historischen Wahrheit schaden, iudem die einfache That-
sache in der sagenhaften Umhüllung sogleich erkannt wird.
Ungarn unter Herzogen. Ärpäd. 59

empfangen und für die glücklich vollendete Unternehmung reichlich be


lohnt Zu
wurde.
derselben
1 Zeit ging eine Gesandtschaft an Menmaröt, um ihn

zu ersuchen, er möge die Gegend am Szamos und das Nyir-er Land bis
an das Gebirge Meszes gutwillig abtreten. Als er jedoch die dreiste
Forderung abschlug, rückten Tas, Szabolcs und Tuhutum in diese Ge
genden ein, um sie mit Waffengewalt zu nehmen, eroberten die Burg
Szatmär, drangen bis an die genannten Berge und den Fluß Korös vor.
Die beiden erstem siedelten ihre Stämme zwischen den alten Ein
wohnern des Landes an und brachten, wie gewöhnlich, vornehme Jüng
linge zum Herzog als Geiseln. Das Gebiet jenseit der Korös bis an die
Maros blieb im Besitze Menmaröt's, den man als Chazaren schonte. Die
neuerbaute
Tuhutum,
Burgder
Sabolcs
Schlaue,
sicherte
strebte
den nach
Besitzgrößern
der Eroberung.
Dingen. 2 Nachdem

er Siebenbürgen erkundschaftet hatte, ging er schnell durch die Eng


pässe, überwand am Flusse Almas die Walachen, deren Fürst Gelö
auf der Flucht umkam, ließ sich mit seinem Stamme dort nieder nnd
gründete ein Vasallenreich, das er und seine Nachkommen unter der
Oberhoheit der ungarischen Herzoge beherrschten. s
Durch diese Siege und Eroberungen wuchs die Macht und das
Selbstvertrauen der Magyaren. Ärpäd schickte abermals Botschaft an
Zalän und forderte das Gebiet bis an die Zagyva. Zalän sah sich ge-
nöthigt, auch diese Abtretung zu bewilligen, worauf das Land an der
Matra, zwischen der Theiß und Zagyva, wie schon früher die benach
barte Gegend am Sajö und an den Bük-er Bergen von Kabarern oder
Palöczen unter den Geschlechtshäuptlingen Ede und Edömer besetzt
wurde.
Um 4 diese Zeit war Swatopluk gestorben. Konstantin der Pur- 894

purgeborene6 berichtet, daß er drei Söhne hinterlassen habe, die


das väterliche Reich theilten; die deutschen Annalisten kennen nur
Mojmar und Swatopluk. Es ist daher sehr zweifelhaft, ob Zobor, der
Gebieter des neitraer Landes, dieser dritte Sohn Swatopluk's gewesen
sei, wie einige glauben 6; dagegen mag der Anonymus recht haben,
wenn er ihn einen Vasallen nennt, irrt aber darin, daß er den Herzog
von Böhmen, anstatt des Herzogs von Mähren, zu seinem Oberherrn
macht. 7 Die Söhne Swatopluk's geriethen bald in Streit, ein blutiger
Bürgerkrieg
1 Anonymus,
entstand
c. 18. und
— 3 Kaiser
Derselbe,
Arnulf
c. 19 —
war
23. eifrig
—"Derselbe,
bemüht, c.die24Zwie-
— 27.

Kezai, II, 1, und Tharoczy , Chron., II, 5, nennen den Eroberer Sieben
bürgens Gyula, setzen aber die Eroberung auch in dieselbe Zeit, in welcher
Ungarn eingenommen wurde. Vgl. Köväry, Geschichte Siebenbürgens (un
garisch, Pesth 1859), I, 37 — 41. Büdinger, Oesterreichische Geschichte, I,
392, Anm., leugnet, daß Siebenbürgen damals erobert worden sei, aus Grün
den, die wol niemand überzeugen können und durch geschichtliche That-
sachen widerlegt werden. — 4 Anonymus, c. 30 u. 32. — 5 De administr.
imp., c. 41. — 6 Szalay, Geschichte des ungarischen Reichs, I, 15. — 7 Ano
nymus, c. 35. Ein verzeihlicher Fehler, da zu seiner Zeit Mähren zu Böh
men gehörte und so wenig schriftliche Nachrichten vorhanden waren, die
ihn über das längst untergegangene Mährenreich hätten belehren können.
60 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

tracht unter den Brüdern zn nähren. 1 Ärpäd machte sich die daraus
entstandene Zerrüttung des mährischen Reichs zu Nutze. Aus der Ge
gend an der Mätra , wo et damals mit dem Hauptheere stand , schickte
er Zuärd, Kadösa und Huba zur Eroberung Oberpannoniens aus. Wäh
rend sie durch das Gebiet Zalän's, du1'cb die heutigen Gespanschaften
Gömör, Neogräd', Sohl und Bars zogen, fanden sie wenig oder keinen
Widerstand, sodaß sie sich des offenen Landes und selbst der festen
Plätze mit leichter Mühe bemächtigen und die Einwohner in Pflicht
nehmen konnten; ja, diese schlossen sich, durch freundliche Worte und
Behandlung gewonnen, dem Kriegszuge an. Aber bei Neitra stellte
sich ihnen Zobor mit dem mährischen Heere muthig entgegen. Drei
Tage dauerte der Kampf, erst am vierten gelang es den Ungarn über
den Fluß Neitra zu setzen und die mährischen Schlachtreihen zu durch
brechen. Zobor selbst wurde von Kadosa verwundet und gefangen,
die Burg Neitra zwei Tage später erstürmt und Zobor aus Erbitterung
über den hartnäckigen Widerstand auf dem benachbarten Berg gehenkt,
der von ihm seinen Namen erhielt. Bald ergaben sich auch die andern
festen Plätze, Szempte, Beczkö, Galgöcz, Trencsin, Bänvära; das ganze
Gebiet von der Waag bis an die March wurde eingenommen und durch
Besatzungen gesichert. Die Anführer kehrten zu Ärpäd zurück und
brachten die vornehmsten Einwohner gefesselt mit sich. Ärpäd aber
löste mit Zustimmung der Volkshäupter ihre Bande, ließ sie Treue ge
loben und wies ihnen in andern Gegenden Besitzungen an, um sich
ihrer zu versichern. 2 Um das Jahr 896 war das mährische Reich
gänzlich verschwunden; den östlichen Thei] des heutigen Mährens nah
men die
Aufgeschreckt
Ungarn, dendurch
westlichen
diese Siege
die Böhmen
und mit
in Recht
Besitz.zürnend
3 über die

neuerdings wiederholte Wegnahme eines bedeutenden Theils von seinem


Reiche, entschloß sich endlich Zalän zum Entseheidungskampfe. Eine
Hülfaschar , die ihm der Bulgarenfürst Simeon , sein Oberherr, schickte,
war eingetroffen, die Macht der Ungarn durch den oben beschriebenen
Feldzug getheilt; jetzt, glaubte er, sei der Zeitpunkt gekommen, wo er
den Krieg beginnen und entweder siegen oder untergehen müsse. Er
•schickte also den trotzigen Befehl an Ärpäd. das Land, dessen er sich
bemächtigt habe, sogleich zu räumen, und als darauf eine ebenso trotzige
Antwort zurückkam4, brachen beide mit ihren Scharen auf; Zalän von
Titel und Ärpäd von den Ufern der Zagyva. Die Sonne neigte sich
zum Untergange, als die Heere auf der Heide Alpär (in der Gegend um
Kecskemet) sich begegneten. Beide rüsteten sich für den künftigen Tag
zu dem blutigen Entscheidungskampfe. Am Morgen stieß Lehel. Sohri
des Stammfürsten Tas, ins Horn und gab das Zeichen zum Angriff. Er
und Bulcs führten den Vortrab und trugen die Nationalfahne; Ärpäd

1 Annales Fuldens. bei Pertz, I, 413. — ' Anonymus, c. 33—37. —


3 Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 155 — 157. Palacky erklärt freilich
die Erzählung des Anonymus von diesem Kriege für Erdichtungen, aber die
Thatsachen sprechen für die Wahrheit derselben ; der Kampf mit den kriegs
geübten Scharen der Mähren mußte schwer und blutig sein, und Oberpanno-
nien wurde unstreitig um diese Zeit erobert. — • Anonymus, c. 38.
Ungarn unter Herzogen. Ärpad. Gl

selbst befehligte das Hauptheer. Der Kampf dauerte nicht lange; die
Bulgaren geriethen in Unordnung und flohen; die meisten fanden in den
Wellen der Theiß oder unter den Waffen der Ungarn den Tod; Zalau
entkam zu Simeou, sein Reich war für immer vernichtet. Die Sieger
erstürmten die Burgen Titel und Zaläukemeny , gingen über die Theiß
und eroberten das herrliche fruchtbare Land bis Belgrad. 1 Dieser Tag.
an welchem der mächtigste und gefährlichste Feind nicht nur geschlagen,
sondern gänzlich besiegt wurde, war entscheidend; ein weites Reich
war gewonnen
Ärpäd undund seine
dessen
Mitfürsten
Besitz nun
erkannten
erst gesichert.
die Wichtigkeit des Zeit

punkts. Jene glücklichen Ereignisse hatten eine gänzliche Veränderung


in dem Zustande des Volks herbeigeführt; die Einrichtungen, die einem
wandernden Heere angemessen waren, konnten ihm nicht mehr ge
nügen, sobald es in den Besitz eines weiten Landes gekommen war;
es mußten Vorkehrungen zur Behauptung desselben getroffen und eine
Art Staatswesen gegründet werden. Daher wurden in der großen
Ebene, wo jetzt Szegedin liegt, die Stamm- und Geschlechtshäupter
und die freien Männer der Nation zu einer feierlichen Berathung be
rufen. Leider besitzen wir über diese Versammlung, deren Zusammen
setzung, Berathuugsweise und Beschlüsse soviel Licht über die ursprüng
lichen Gebräuche und gesellschaftlichen Einrichtungen unserer Vor
fahren geben würden, keine Nachrichten außer den dürftigen Andeu
tungen des Anonymus, die das Verlangen, etwas zu erfahren, nur
anregen, aber nicht befriedigen. Es wurden abermals einigen noch
nicht angesiedelten Stämmen Wohnsitze in den neugewonnenen Be
zirken angewiesen; die Verhältnisse der Häuptlinge zueinander und zu
dem Herzog und des Volks zu beiden geordnet; die alten Sitten und
Gebräuche bestätigt und neue Einrichtungen, besonders hinsichtlich der
Gerichtspflege getroffen. Mehr wissen wir nicht von de1n, was hier be
schlossen wurde, da selbstverständlich nichts geschrieben und für die
Zukunft aufbewahrt worden ist. Daß es aber eine höchst wichtige, eine
t'onstituirende Versammlung war, läßt sich schon aus dem Namen
bchließen, den der Ort, wo sie abgehalten w1rd, erhielt; er heißt näm
lich Szer, Puszta-szer, = Heide der Einrichtung oder Orgauisiruug;
daher kann man diese Versammlung gewissermaßen als den ersten
Reichstag
Nachdem
der Ungarn
die innern
in ihrem
Angelegenheiten
jetzigen Vaterlande
geordnetbetrachten.
waren, mnßte
2 vor

.allem andern der Sieg über die Bulgaren vervollständigt werden. Darum
gingen Lehel, Bulcs und Botond über die Donau, schlugen den herbei
ziehenden Simeon in blutiger Schlacht und zwangen ihn, sich nach Bel
grad zu werfen, das sie nun umlagerten. Zwei Tage darauf kam es
zum Friedensschluß, durch den sich Simeou verpflichtete, Zalän nie
mehr zu unterstützen, jährlich Tribut zu zahlen und seinen Sohn als
Geisel zu übergeben. Hierauf zogen die siegreichen Scharen über Ser
bien bis an das Adriatische Meer, wandten sich da um, setzten über die
Kulpa1 Anonymus,
und Save,c. nahmen
39. — 2 die
Derselbe,
Burgenc. 40.
Agram, Posega und Vukovär,
62 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

nöthigten die Einwohner zur Unterwerfung und führten die Söhne der
Vornehmen als Geiseln mit sich. 1 Doch war dies keine bleibende Er
oberung; Kroatien setzte sich bald wieder in Freiheit und wurde erst
später, mehr durch Staatsverträge als Waffengewalt, mit Ungarn ver
einigt.Zu derselben Zeit brachen Zuärd, Kadösa und Bojta aus der

Bäcska gegen Gläd, de/1 Beherrscher des Gebiets zwischen der Maros,
Donau und Aluta und Vasallen der Bulgaren, auf. Erst an der Temes,
welche die Ungarn im Angesicht des feindlichen Heeres überschritten,
kam es zur Schlacht; Gläd wurde besiegt, floh in die Burg Keve und
suchte, als diese berannt wurde, in Unterwerfung sein Heil, huldigte und
behielt sein Land unter ungarischer Oberhoheit. Nachdem auch Ür-
sova erobert war, kehrten Kadösa und Bojta zurück; Zuärd aber zog
nach Serbien, nahm eine Tochter des Landes zur Frau und blieb dort
mit seiner
Das Reich
Mannschaft.
war also
2 auch im Südosten bis an natürliche Grenzen

ausgedehnt und geordnet. Nun zog Arpäd an der Donau hinauf; die
Insel Csepel, unterhalb Pesth, gefiel ihm ausserordentlich; ihre Aus
dehnung bot Baum genug dar; ihre Lage zwischen dem mächtigen
Strom gewährte Sicherheit gegen plötzliche Ueberfälle und machte sie
zu einem geeigneten Ausgangspunkt neuer Unternehmungen; hier schlug
er also seinen Sitz auf und wartete, bis die günstige Zeit zu solchen
kommenSolange
würde.
Arnulf,
3 ihr vormaliger Bundesgenosse, lebte, unternahmen

die Ungarn keine Feindseligkeiten gegen das Gebiet jenseit der Donau,
900 welches unter deutscher Oberhoheit stand. Aber Arnulf starb; sein
sechsjähriger Sohn , Ludwig das Kind, folgte nach ; dessen Vormünder
Hatto, Erzbischof von Mainz, und Otto, Herzog in Sachsen, herrschten
nach Willkür und misbrauchten ihre Gewalt zur Erweiterung der eige
nen Macht und Besitzungen. Die übrigen Großen folgten ihrem Bei
spiele; überall war Kampf der Mächtigen, Unterdrückung der Schwa
chen, Verwirrung und Noth. Die Gelegenheit winkte; Arpäd zog
seine Scharen zusammen, ging über die Donau und erschien vor Sigam-
bria, dem heutigen Alt-Ofen. Die Besatzung floh, die Ungarn zogen In
die alte Ezelsburg ein, bewunderten die Ruinen und die noch stehenden
Gebäude und feierten ein Siegesfest. Hierauf wurde der weitere Feld
zug geordnet. Eine Abtheilung unter Etc und Bojta ging hinab nach
Baranya und trug ihre siegreichen Waffen bis jenseit der Drau. Die
andere unfer Usub und Ös zog über Paskod längs dem bakonyner
Forste gegen Weßprim. Die Besatzung vertheidigte zehn Tage lang
die Festung, endlich gelang es ihr durchzubrechen und sich nach dem
heutigen Steiermark zurückzuziehen. Eisenburg ergab sich bald und
hiermit war die ganze Umgegend des Plattensees gewonnen. Arpäd
selbst1 Anonymus,
aber rücktec. mit
41 —42.
dem Annales
dritten Heere
Fuldens.in bei
dasPertz,
ThalI, des
ad Raabflusses
ann. 894. —

'* Anonymus, c. 44. — 3 Derselbe, c. 44. Vgl. die Uebersetznng von Szabo,
S. 64.
Ungarn unter Herzogen. Arpäd. 63

und der Räbcza, schlug sein Lager am Pannon- oder Martinsberge auf
und betrachtete von dessen Höhe mit frohem Selbstgefühl das wunder
schöne Land, welches sein Volk unter seiner Führung erobert hatte.
Von hieraus verbreiteten sich seine Scharen siegreich noch über die
Grenzen des heutigen Ungarns und nöthigten alles zur Unterwerfung.
Als Besatzung
Während wurde
die Ungarn
hier der
aufStamm
diese Elod's
wichtigen
oderUnternehmungen
Lebed's angesiedelt.
Auf1

merksamkeit und Kraft gerichtet hatten, suchte Menmaröt die verlorene


Herrschaft über sein einstiges Gebiet wiederherzustellen. Uebrigens,
hätte er sich auch mit dem ihm gebliebenen Lande begnügen wol
len, konnten doch die Ungarn keine fremde selbständige Herrschaft
iunerhalb der Reichsgrenzen dulden. Usub und Velek wurden daher
ausgeschickt, ihn zur völligen Unterwerfung zu uöthigen. Als sie jen-
seit der Theiß vorrückten, kamen ihnen die Szekler entgegen, um sich
ihren Brüdern, von denen sie getrennt worden waren, wieder anzu
schließen. Mit ihnen vereinigt, setzte das Heer über den Korös; Men
maröt zog sich in die waldigen Gebirge an Siebenbürgens Grenze
zurück. Nachdem aber seine Feste Bihar gefallen war, kam er wieder
und machte Friedensanträge. Er erklärte sich bereit, seine Tochter
und Erbin dem Sohne Ärpäd's, Zoltän, zu vermählen, nur. möge er bis
an seinen Tod in ruhigem Besitz seines Gebiets gelassen werden. Der
Antrag wurde angenommen, die Verlobung der beiden unmündigen
Kinder gefeiert und die Burg Bihar an Menmaröt zurückgegeben. SOG
EinigeSoJahre
ward darauf
also instarb
der Zeit
er und
vonsein
ungefähr
Land fiel
sechs
an bis
Ungarn.
sieben2Jahren das

große herrliche Land nicht nur ganz erobert, sondern es hatten auch so
die eigenen Stämme, wie die Bundesgenossen ihre Sitze erhalten; die
Eingeborenen, besonders diejenigen, die sich freiwillig unterwarfen,
waren großentheils schon in den Nationalverband aufgenommen und
das Reich durch mancherlei bürgerliche Einrichtungen auf dauernde
WeiseAber
gegründet.
das seit Jahren unaufhörlich wandernde und kämpfende Volk

konnte die Ruhe mit einem mal nicht liebgewinnen; Krieg und Plün
derung war seine tägliche Beschäftigung, seine Freude und sein Be-
dürfniß geworden. 3 Da nun in dem neugewonnenen Lande nichts
mehr zu thun war, überschritten größere und kleinere Haufen die ohne
hin noch unbestimmten Grenzen. Ein solcher Haufe brach schon wäh
rend des Feldzugs in Niederpannonien nach Kärnten ein, und zwar auf- 900
gefordert und begleitet von dem neu unterworfenen großmährischen
Adel, dem die Deutschen verhaßt waren. Die Baiern, also Deutsche,
schickten sogar Geschenke an die Führer solcher Horden, um sie zum
Einfall in die südliche Ostmark (Steiermark, Kärnten und Krain) zu be
wegen,
1Um
Anonymus,
damit
dieselbe
sie c.nur
Zeit
46-
selbst
setzte
50. —
verschont
eine
z Derselbe,
Abtheilung,
blieben.
c. 504— die
52. —
über
3 Derselbe,
die Drauc. ge-
40.

'— 4 Horvath, Geschichte des ungarischen Reichs (2. Aufl., Pesth 1860),
I, 58. Brief der bairischen Bischöfe an Papst Johann IX., in Hansiz, Germ,
sacra, I, 177.
64 Erstes Buch. Dritter A bs chnitt.

gangen war, ihren Zug immer weiter fort, ging über die Brenta und
gelangte bis in die Umgegend Pavias, vom Frühling bis zum Herbst das
offene Land verheerend und plündernd. Endlieh setzte Berengar, der
König von Italien, mit großer Heeresmacht über den Po. Die Ungarn
halten jeden Widerstand gegen solche Uebermacht für unmöglich, zie
hen sich über die Adda zurück, werden aber eingeholt, weil ihre er
schöpften Rosse sie nicht weiter tragen können, und sehen sich von
allen Seiten eingeschlossen. Da schicken sie Boten an den König,
tragen die Rückgabe aller Gefangenen und der ganzen Beute an, und
wollen heilig geloben, nie mehr nach Italien einzufallen. Berengar
weist jedes Anerbieten zurück und bleibt bei dem Vorsatz, sie zu ver
nichten. Ihnen aber gibt die Verzweiflung neue Kräfte; plötzlich fallen
sie über das in Siegeszuversicht rastende und gemüthlich speisende Heer,
überschütten es mit einem Pfeilregen, greifen dann mit Lanze und
Schwert an und durchbrechen seine Reihen; es löst sich in wilde
Flucht auf und läßt 20000 Todte auf dem Platz. Vom Glück be
rauscht, trennen sich nun die Sieger in mehrere Haufen; Verona, Pavia,
Mailand und andere Städte werden geplündert , das offene Land gänz
lich verheert. Ein Haufe dringt sogar bis nach Turin und an die
schweizer Alpen; ein anderer geht über den Po, verwüstet das par
maische Gebiet, verbrennt das reiche Kloster Nolantula, vollzieht
gleichsam ein Strafgericht Gottes, indem er Luitwarden, jetzt Bischof
von Vercelli, vormals Kaiser Karl des Dicken übermächtiger Günst
ling, Leben und Schätze raubt. Ihre Verwegenheit geht noch weiter;
sie setzen sich auf Flöße nnd Kähne, aus Thierhäuten bereitet, greifen
die benachbarten Inseln und selbst Venedig an, werden aber von der
Flotte der Venetianer unter dem Dogen Peter zurückgeschlagen. Erst
in der Mitte des künftigen Jahres brachte es Berengar durch große
902 Geldsummen
Noch eindahin,
anderer
daßHaufe
sie dasdurchstreifte
verwüstete die
Land
nördliche
verließen.
Ostmark,
1 das

900 heutige Oesterreich, zerstörte den kremser Münster, das dortige Klo
ster des heiligen Florian , verheerte weit nach Baiern hinein und plün
derte selbst die Reichsstadt Regensburg. Der größte Theil kam, mit
Beute beladen glücklich nach Hause; blos eine Abtheilung, die sich
verspätet, wurde vom passauer Bischof Richard und vom östlichen
Markgrafen Luitpold erreicht, als sie über die Donau setzen wollte;
, 1200 von ihnen fielen unter dem Schwert oder ertranken in der
901 der
Donau.
Reiz
Doch
2 der
einBeute
solcher
warUnfall
zu groß,
konnte
der verworrene
die Magyaren
Zustand
nicht Deutschlands
abschrecken;

zu einladend, als daß sie hätten widerstehen können. Schon im Jahre


daraufmachte eine plündernde Schar Kärnten zum Schauplatz des Rau
bes und
1 Luitprandi
der Verwüstung.
Antapodosis,Aber
II, 9kaum
— 15. Chronicum
war diese Venetum,
über Laibach
omnium,
hinaus-
quae

oircumferuntur, vetustissimum et Johanni Sagomino vulgo tri In: tum etc. in


lucem profert H. Fr. Zonetti (Venedig 1765). Chronicon Nonantulanum , in
Muratori S«ript. rerum Italicar., L. 1. — 2 A1males Fuldens. ap. Pertz, ad
aun. 900.
Ungarn unter Herzogen. Ärpäd. 65

gegangen, als Markgraf Eberhard, der meraner Herzog Gottfried und


der Patriarch von Aquileja ihre Kriegsvölker vereinigten und sich
den Plünderern entgegenstellten. Eine blutige Schlacht wurde gelie
fert; die Ungarn erlitten schweren Verlust, aber auch Eberhard und
Gottfried fielen; den Patriarchen rettete nur die Schnelligkeit seines
Pferdes.
Es wäre
1 jedoch ermüdend, alle Streifzüge aufzuzählen, welche nach

Bulgarien, in das griechische Reich und in die westlichen Länder um


diese Zeit unternommen wurden. Nur einen wollen wir noch erwähnen,
der für die Freibeuter einen höchst unglücklichen Ausgang nahm.
Csörsz war 902 in Mähren eingefallen. Die Baiern, welche kurz zuvor 902
heftige Fehde mit den Mährern hatten, kamen den Bedrängten nun t\x
Hülfe, gaben sich aber das Ansehen, als wollten sie sich mit den Un
garn gegen ihre gemeinschaftlichen Feinde vereinigen, luden Csörsz und
seine Unteranführer zu einem Mahle, überfielen und tödteten die Gäste,
die vertrauensvoll gekommen waren, und schlugen sodann das führer
lose Heer.2
Jetzt scheint ein Stillstand eingetreten zu sein; keine größern

Streifzüge werden aus dieser Zeit berichtet, wenn auch kleinere Horden
die Nachbarländer bisweilen beunruhigen mochten. Wahrscheinlich hat
Ärpäd das Verderbliche derselben für sein Volk eingesehen und sie zu
hindern gesucht. Denn an allen diesen, hlos auf Verwüstung und
Beute ausgehenden Einfällen nahm er keinen Antheil; auch wurde kei
ner derselben im Käthe der Nation beschlossen und mit ihrer Gesammt-
kraft ausgeführt, wie die Eroberung des Landes, das sie sich zur Hei
mat ausersehen hatte. Aber bei der so losen Stammverfassung, bei der
geringen Macht, die sie dem Herzog, und bei der Unabhängigkeit, die
sie den Häuptlingen gewährte, stand es jedem von diesen frei, auf
eigene Faust Unternehmungen zu wagen und mit seinen Scharen auf
BeuteÄrpäd
auszugehen.
selbst beschäftigte sich nach vollendeter Eroberung damit,

das Land zu organisiren , die eigene Macht zu befestigen und die Herr
schaft bei seinem Hause zu erhalten. Darum strebte er, nicht nur die
Liebe des eigenen Volks und seiner Häupter zu gewinnen, sondern
suchte auch die Jüngst unterworfenen Eingeborenen und Fremde, die
seinem Hoflager zuströmten, durch Wohlwollen und Gaben immer
mehr an seine Nation und an sich selbst zu fesseln. s Er erlangte, wo
nach er strebte. Außer Liutin, dessen Tod wir bereits kennen, er
wähnen ausländische Berichte 4 noch seine drei Söhne : Tarkos, Jeles
und Jutöcz, die aber bereits todt waren, und vielleicht auch unter den

1 Annales Fnldenses bei Pertz, Script., I, 415. Hermann. Contract.


bei Pertz, Script., V, 111. Thuroczy, Chron., II, 23. Chron. Budense. Dan-
dulo bei Mun1tori, XII, 198. — 2 Annales Sangallenses majores bei Pertz.
Script., I, zum Jahre 902. Annal. Einsiedlenses bei Pertz, Script., III. —
3 Anonymus an vielen Stellen. — * Leonis imper. Tactica, in Meursii operibus,
edidit Lami (Florenz 1741); juxta manuscripta examinavit A. F. Kollär in
Historiae jurisqne publici amoenitates (Wien 1783). Constant. Porphyrogen.
de administr. imp.
Peßler. I. S
66 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

Tausenden starben und der Vergessenheit anheimfielen, mit deren Blut


das Vaterland erkauft wurde. Nur der Jüngste, Zoltän, lebte; ihm
wollte der Vater die Nachfolge und durch diese den Bestand des Reichs
905 schlechtshäupter
sichern. In feierlicher
den noch
Versammlung
Unmündigen gelobten
als seinendie
Nachfolger
Stamm- und
undihren
Ge-

künftigen Herzog anzuerkennen. x


907 Schon zwei Jahre darauf starb Ärpäd, ein großer Krieger und Re
gent. Er hat das Vertrauen des Volks nicht getäuscht, das ihn an seine
Spitze stellte; durch überlegene Kraft bändigte er dessen wilden Geist
und gewöhnte die stolzen Häupter, die einst seinesgleichen waren, an
Abhängigkeit; das Unglück machte ihn nicht verzagt und das Glück
nicht übermüthig; seine Tapferkeit wurde durch Klugheit und die
Eroberungssucht durch. Mäßigung in Schranken gehalten; die Ge
schichte kennt endlich kaum einen Eroberer, um so weniger einen bar
barischen, an dessen Namen so wenig Blut der Wehrlosen klebte, der
die Ueberwundenen mit gleicher Schonung und Milde behandelte. „Er
wurde bei Altofen an der Quelle eines Bachs begraben, der in steinig-
tem Bette fließt", sagt der Anonymus, „wo nach der Bekehrung der Un
garn die sogenannte Weiße Kirche zur Ehre der Jungfrau Maria ge
baut wurde."2 Zeit und Kriegsverwüstung haben diese spurlos zerstört;
kein Denkmal bezeichnet mehr die Stelle, wo seine Asche mit dem Bo
den des Vaterlandes sich gemischt hat: aber das Reich, das er ge
gründet, besteht fort, und nach fast tausend Jahren denkt die dankbare
Nation
Er seiner
war zehn
noch bis
immer
elf Jahre
Zoltan
mit frommer
alt,
907—947.
alsEhrfurcht.
er den herzoglichen Stuhl be

stieg, aber keine Unordnung und Verwirrung brach in dem Lande aus,
wo doch noch so viele ungeordnete und widerstrebende Elemente gär
ten. Das Volk hing mit Liebe an dem jungen Fürsten , und die Gro
ßen ehrten seine Würde; alles zeugt von dem Geiste des Gehorsams
und der Treue gegen gesetzmäßige Einrichtungen, der diese Nation
schon damals beseelte. Die Häupter traten zusammen und setzten für
die Dauer der Minderjährigkeit eine Regentschaft ein, deren Mitglieder
nicht genannt werden; zu Feldherren aber bestellten sie Lehel, Bulcs
und Botond.
Nachdem 3 das Gerücht von Ärpäd's Tode und Zoltän's unmündiger

Jugend nach Deutschland gekommen war, frohlockte man in dem Wahne,


daß mit dem alten Herzoge auch der Ungarn Kraft, Kriegslust und
Tapferkeit erloschen sei. Staatskluge gewöhnlicher Art glaubten
sogar, ebenjetzt sei der günstigste, nicht sobald wiederkehrende Zeit
punkt da, die Ungarn zu überfallen, zu schlagen, zu vernichten. Dieses
blos von ihren Wünschen erzeugten Glaubens war auch der vielver
mögende Reichsverweser Hatto von Mainz ; auf seinen Betrieb versam-
907 melte1 Anonymus,
sich zwischen
c. 52.Anesburg
— s Derselbe,
und ebend.
dem Stifte
— 3 Derselbe,
St. -Florian
c. 53.
die ganze
Ungarn unter Herzogen. Zoltan. 67

Heermacht der Baiern, angeführt von vielen Bischöfen, Aebten und


Herren und verstärkt durch die Scharen benachbarter Fürsten. Die
Ungarn, immer rasch in Entschlüssen und schnell inBewegungen, kamen
dem Angriffe zuvor. In der Gegend um Preßburg kam es zu der
größten und entscheidendsten Schlacht, welche sie bisher mit den Deut
schen schlugen. Sie kämpften, nicht nach deutscher Weise, in förm
licher Schlachtordnung, sondern in stürmenden Haufen, wüthenden An
griffen, verstellten Rückzügen und erneuerten Ueberfällen, jedesmal,
gleich gewaltigen Hagelschlägen, ihre Pfeile und Wurfspieße aus
sendend, die geschlossenen Reihen der Feinde durchbrechend und alles,
was ihnen widerstand, im Reiten zu Boden tretend. So dauerte der
Kampf duröh drei Tage; es war eine schreckliche Ernte des Todes;
unter den Erschlagenen waren auch der salzburger Erzbischof Dittmar,
die Bischöfe Otto und Zacharias, Herzog Luitpold, Eysengrin, des Kö
nigs Truchseß, und funfzehn deutsche Grafen. König Ludwig rettete
nur durch eilige Flucht sein Leben. Der gewaltige Angriff, der das
kaum entstandene Reich vernichten sollte, war siegreich zurückgeschla
gen, der mächtigste Feind zu Boden geworfen , Ungarns Bestehen ge
sichert, und seine Grenzen wurden überdies bis tief in das heutige
Oesterreich erweitert. x
Dieser Sieg der Ungarn war aber auch der Anfang des Elends,
welches sie nun hintereinander, an Muth gestärkt, an Beute be
reichert, von Habsucht fortgetrieben, über Deutschland verbreiteten.
Im folgenden Jahre erschlugen sie den Thüringer -Herzog Burkhardt 908
und verheerten Thüringen und Obersachsen 2; bald darauf ward Fran- 909
ken, Baiern und Schwaben von ihnen verwüstet. 3 Ludwig, an die letzte
Aufreibung seines auserlesenen Heerbannes nie ohne Wehmuth den
kend, wollte jetzt in seinem achtzehnten Jahre zeigen, daß in ,ihm, dem
letzten Sprößling Karl's, noch einige Funken von dem Geiste seines
großen Ahnherrn lebten. Er schrieb daher eine ungemein zahlreiche 910
Heerfahrt aus und bedrohte die Herren, welche sich derselben entziehen
würden, mit der Strafe des Stranges. Der Ruf von seinen Zurüstungen
weckte die Ungarn , schnell zogen sie ihr Heer zusammen und eilten,
den Feind
Vor Augsburg
aufzusuchen.
fanden sie Ludwig und seine Scharen gelagert
' und

überfielen sie mit Tagesanbruch. Ihre von den Deutschen noch nicht
begriffene Art zu kämpfen verschaffte ihnen wieder den entscheidend
sten Sieg. Als es stiller ward auf dem Schlachtfelde, begann das Jagen
hinter den fliehenden Deutschen, worauf Plünderung und Verheerung
im Lande folgte. Endlich bewog Ludwig die Anführer durch ansehn
liche Geldsummen zum Rückzuge, wobei er noch sich und seine Nach
folger1 zu
Reginon.
einem jährlichen
Continuat. Tribut
ad ann.verpflichten
907. HermanD.
mußte.Contract.
4 et Chronic.

Salzburgens, ad eund. ann. Chronic. Admontens. ad ann. 906. — Hansiz, Germ.


sacra, I, 184 sq. — 2 Marian. Scotus ad ann. 908, bei Pistor., I. Hennann.
Contr. ad eund. ann. — 3 Dieselben und Chronic. S. Galli ad ann. 909. — * Luit-
prand., II, 1. 2. Hhegin. Continuat. ad ann. 910. Sigebert ad ann. 905, bei
Pistor., I. Mutius, Germ, chron., XII , bei Pistor, II.
5*
ßg Erstes Bach. Dritter Abschnitt.

911 Im folgenden Jahre starb er und Konrad, Herzog der Franken,


wurde einhellig von säinmtlichen deutschen Völkern zum König von
Deutschland erwählt und ausgerufen. 1 Aber auch Konrad war unver
mögend, sein Reich gegen Ueberfall und Verwüstung zu schützen. In
Stämme getheilt , die sich nie recht zu einer Nation vereinigen wollten,
durch seine Großen zerrissen, die fortwährend nach Unabhängigkeit
strebten, und von Wahlkönigen beherrscht, die immer mehr ein
geschränkt wurden, war damals das große deutsche Volk nicht im
Stande, den an Zahl geringen, aber einträchtigen Ungarn zu wider
912 stehen.
wie der
DerBaiern-Herzog
geringste Vortheil,
Arnulf,
den des
jetzterschlagenen
irgendwo ein
Luitpold
deutscher
Sohn,
Fürst,
an

dem Innflusse3 über die Ungarn erlangt hatte, täuschte die übrigen
mit dem Wahne von ein.er gänzlichen Aufreibung dieser furchtbaren
Feinde; und nun fuhren sie mit kindischer Zuversicht fort, Konrad's
Ansehen zu gefährden und wider ihn zu meutern, als hätten sie ihn nur
zu ihrem Gegner, nicht zu ihrem König gewählt. 3 Dadurch noth-
gedrungen gegen die, nach völliger Unabhängigkeit strebenden Fürsten
913— sich
Anfälle
zu behaupten,
auswärtiger war
beherzter
KonradFeinde
ausserzuStande,
schützen.
das Ungehindert
Reich wider und
die

916 ungestraft unternahmen die Ungarn ihre jährlichen Streifzüge durch


Baiern, Schwaben, Sachsen und Thüringen. 4 Durch glückliche Erfolge
immer verwegene? gemacht, zerstörten sie Basel, drangen in Elsaß und
Lothringen ein und holten überall die Schätze, welche die deutschen
917— Völker früher von Römern und Avaren erbeutet und die Normänner
918 übriggelassen hatten. 5 Unterdessen hatte sich Herzog Arnulf, von
welchem vor sechs Jahren die Ungarn am Inn waren geschlagen wor
den, bei dem zweifelhaften Ausgang seiner Empörung wider Konrad,
918 mit Gemahlin und Kindern zu den Ungarn geflüchtet und bei diesen
gastfreundlichen Schutz gefunden. 6 Als er sodann nach Konrad's Tode
in sein Land zurückgekehrt war, blieb bei ihren fernem Streifereien
Baiern von ihnen stets verschont; denn unedel schien es ihnen, den
Mann, dem sie die Wohlthat der Gastfreundschaft erzeigt hatten, auf
RaubDesto
heimzusuchen.
verderblicher ward ihre ausschweifende Kriegslust, bald

nach Heinrich's I. Erhebung zur deutschen Königswürde, für Italien.


Dort schwebte König Berengar, seinem Volke verhaßt, in Gefahr,
Rudolf, dem König von Burgund, weichen zu müssen. Seine Feinde
waren soeben auf einem Berge bei Brescia zu Berathschlagungen ver
sammelt, als die Ungarn unter Bugat's und Tas's Anführung bei Verona
921 sich lagerten. 7 Berengar, von ihrer Ankunft unterrichtet, forderte sie
1 Luitprand., II, 7. Ditmar. Merseburg., I, bei Leibnitz, I. — 2 Ehegin.
Continuat. ad ann. 913. Hermann. Contr. ad ann. 912. Marian. Scot. ad ann.
913. Hepidanus ad ann. 913, bei Goldast, I. — 3 Hansiz Germ, sacra, I,
187. — 4 Rhegin. Continuat. ad ann. 915 u. 916. Chronic. Corbejense ad ann.
918, bei Meibom, I. — 5 Hermann. Contract. ad ann. 917. Rhegin. Continuat.
ad ann. 917. Sigebert. ad ann. 918. — 6 Sigebert. ad ann. 914. Rhegin.
Continuat. ad ann. 917. Luitprand, II, ?. — 7 Lupus Protospata beiMuratori,
Rer. Ital. S. V. Frodoard. bei du Chesne, II.
Ungarn unter Herzogen. Zoltan. 69

auf, die Verschworenen zu überfallen. Nichts konnte ihnen 'will


kommener sein; des Königs Wunsch ward erfüllt; die überrumpelten
Anführer hatten nicht mehr Zeit, sich zur Vertheidigung zu rüsten; nur
Markgraf Adalbert von Ivrea entrann durch Flucht, als Waffenknecht
verkleidet, dem Tode; die übrigen wurden theils niedergehauen, theils
gefangen genommen; unter diesen Graf Gilbert, gegeiselt, gefesselt und
halbnackt dem Berengar überliefert. Da wollte dieser gnädig sein, wo
er gerecht sein sollte, und schenkte, zum eigenen Verderben, dem Gra
fen die Freiheit; denn eben dieser Gilbert führte hernach den König 922
von Burgund wider seinen Wohlthäter nach Italien, und Berengar wurde
von veroneser Verschworenen, unter Anführung Flambert's, den er mit
Wohlthaten überhäuft hatte, in der Nacht unter vielen Dolchstichen 924
ermordet.
Dieser1 Mord, der Rache forderte, gab den Ungarn schicklichen

Vorwand, unter Anführung ihres Herzogs Zoltan, Pavia, des italie


nischen Reichs IIauptstadt, zu belagern. Die Einwohner vertheidigten
sie schlecht, und waren doch zu stolz, sie auf Bedingungen zu übergeben.
Die Ungarn nahmen sie im Sturme , steckten sie in Brand und ermor
deten die Bürger; nur einige hundert erkauften ihr elendes Leben mit
acht Scheffel Silber, welches sie aus den rauchenden Trümmern ihrer
eingeäscherten Stadt hervorgegraben hatten. 2 Allein damit war der
Ungarn Anhänglichkeit an Berengar noch nicht befriedigt; auch den
burgunder König , seinen Feind und Nachfolger, wollten sie verderben;
darum zogen sie über die Alpen , um ihn aufzusuchen. Der Pässe un
kundig , sahen sie sich plötzlich von ihm und Hugo, Grafen von Vienne,
umzingelt und eingeschlossen; doch schlugen sie sich glücklich durchj
worauf sie in Gothien, dem heutigen Languedoc, durch die Pest be
trächtlichen
Unterdessen
Verlust
waren
erlitten
zwei
undandere
zur Heimkehr
ungarische
genöthigt
Haufenwurden.
wider König
3

Heinrich den dalemincier Wenden zwischen der Elbe und Mulde zu


Hülfe ausgezogen, der eine von ihnen eingeladen, der andere von
Raubgierde getrieben. Beide durchstreiften Sachsen, ohne Widerstand
zu finden, und kehrten mit schwerer Beute beladen zurück zu ihren
Schutzgenossen, welche gleichfalls so unbarmherzig von ihnen aus
gesogen wurden, daß viele nicht länger mehr als freie Leute bestehen
konnten, daher ihre Wohnplätze verlassen und in andern Gauen sich zu
Frohndiensten
Jetzt ließ verdingen
der Ungarn-Herzog
mußten. 4 den lange rückständigen Tribut von 925

König Heinrich fordern, und als dieser die Zahlung verweigerte, führte
er seine Scharen nachSachsen. 6 Heinrich ging ihm mit einem Kriegs
heer entgegen. Vor Peuchen , unweit Wurzen, kam es zum Gefecht;
die Ungarn kämpften so tapfer, daß Heinrich nach schwerer Niederlage
sich in die Pfalzfestung Werla, bei Goslar, flüchten mußte. Das Land
war 1 nun
Luitprand.,
den erbitterten
II, 17. 18. —
Siegern
2 Ders.,preisgegeben;
III, 1. — ° Frodoard.
doch zumChron.
Glück
ad ann.
für

924. — Frodoard., a. a. 0. — * Witichind. Chron. L. I, bei Meibom, I. —


5 Luitprand., III, 1.
70 Erstes Buch. Dritter Abschnitt

dasselbe, gerieth einer ihrer vornehmsten Heerführer, wahrscheinlich


Zoltän selbst 1, in der Sachsen Gewalt. Weislich verschmähte Hein
rich das hohe Lösegeld, welches die Ungarn für den Gefangenen an
boten, und bedingte seine Loslassung auf neunjährige Waffenruhe, zu
welcher sie auch feierlich sich verpflichteten, 2
Schwer fiel es den, des Rauhens undVerheerens schon Gewohnten,
durch neun lange Jahre den Frieden mit den Deutschen unverletzt zu
halten; doch Achtung für Treue und Glauben, tief in ihrem Gemüthe
liegend , gebot ihnen , jeden auch noch so schicklichen Vorwand zu
dessen Bruche zu verschmähen. Heinrich's kräftige Vorkehrungen, die
Herstellung alter und Aufführung neuer festen Burgen, die Aushebung
jedes neunten Mannes zum Waffendienste in Städten, die Vereinigung
begnadigter Straßenräuber zu kriegerischen Rotten, ihre anhaltenden
Uebungen in schwerer Rüstung, die dem Kriegsdienste zuerkannten
Vorrechte, die häufigen Kampfspiele und Turnierfeste unter den Edeln,
endlich die Unterjochung aller wendischen Völkerschaften im Havel
lande, im meißener Gebiet und in der Lausitz3, alles nur Vorbereitungen
zu nachdrücklichem Unternehmungen wider die Ungarn, konnten diesen
unmöglich unbekannt bleiben; aber unbekannt war ihnen noch das
neuere Weltrecht, die Anstalten des Nachbars zu seiner Sicherheit für
versteckte Angriffe zu erklären, und den offenbaren, durch. Einfälle in
sein Gebiet,
Durch neun
zuvorzukommen.
Jahre also blieb Deutschland von den redlichen Bar

baren unangefochten; doch der langen Ruhe endlich überdrüßig, rüste


ten sie drei Heere aus, deren eines nach Thraziens Verheerung vor
334 Konstantinopel erschien, aber durch des Patriciers Theophanes Bered
samkeit, durch Geschenke und theure Loskaufung der Gefangenen be
sänftigt, nichts weiter unternahm. 4 Das zweite ging nach Italien und
ließ sich vom König Hugo mit vielem Gelde nicht nur zu friedlicher
Begegnung, sondern sogar zu einem Zuge nach Spanien wider die Ara
ber erkaufen; da ihm indessen der Weg durch einige Sandwüsten zu
beschwerlich ward, argwohnte es Betrug und kehrte nach Pannonien
zurück. 6 Das dritte und stärkste erwartete den Bescheid des deut
schen Königs, welchen Zoltän kurz vor Ablauf des Waffenstillstandes
durch Abgeordnete zur Bezahlung des rückständigen Tributs aufgefor
dert hatte.
Anstatt des Tributs drohte Heinrich den Gesandten der Ungarn

mit Waffen und Schlachten. Nun brach Zoltän mit seiner Heermacht
durch Böhmen in das meißener Land ein und forderte die Dalemincier
auf zur Waffengesellschaft gegen den König, der sie kurz vorher be
zwungen hatte; allein so schwer diesen auch das Joch deutscher Herr
schaft dünkte, so schien es ihnen doch erträglicher, als der Ungarn
Freundschaft, welche sie vor zehn Jahren mit Zerstörung ihres Wohl
standes
1 Pray,
hatten
Dissertat.,
bezahlenV, müssen.
103. — 2 Gewaltthaten,
Witichind. et Sigebert.
unter demad Deckmantel
ann. 925. —

3 Witichind., a. a. O. Annalista Saxo ad ann. 927, bei Eccard., I. — 1 Leo


Grammat. Cedrenus bei Stritter, Tom. III, Pars II, 617. — 5 Luitprand.,
IV, 8.
Ungarn unter Herzogen. Zoltin. 71

der Freundschaft oder des Schutzes von Völkern an Völkern verübt,


sind unvergeßlich und bleiben höchst selten ungerächt. Doch zur Rache
waren jetzt die Dalemincier zu schwach; was ihnen widerfahren war,
vergalten sie durch Spott, indem sie den Ungarn zum Kriegsgefährten
einen feisten Bullenbeißer in das Lager sandten. Zoltän hatte sogleich
nicht Zeit, ihren Muthwillen zu züchtigen, denn er wollte den König der
Deutschen unvorbereitet überfallen. 1 In Thüringen theilte er seine
Macht,
Eiligst
um diebotSachsen
Heinrich,
vonobgleich
östlicher
vonund
Krankheit
westlicher
ermattet,
Seite anzugreifen.
seinen Heer

bann auf; in vier Tagen war derselbe versammelt. Der fromme Kö


nig befahl den Seinigen, unter dem Schlachtgeschrei K/rie eleison,
in dicht geschlossenen Reihen gegen die Feinde anzurücken, den ersten
Pfeilwurf mit ihren Schildern aufzufangen und dem zweiten Wurf
durch schnelles und gleichmäßiges Andringen mit ihren Lanzen zuvor
zukommen. Heinrich's Streitmänner vollzogen diese Vorschrift pünkt- 934
lieh und siegten. Nach dem hitzigsten, doch von den Deutschen stand
haft ausgehaltenen Gefechte nahmen die Ungarn so eilig die Flucht,
daß
das ganze
nur wenige
reicheden
Lager
nachsetzenden
wurde vonDeutschen
den Siegern
in die
erbeutet
Händeund
fielen;
eineaber
be v

trächtliche
Unterdessen
Anzahlwar
gefangener
das östliche
Deutschen
Heer der
in Freiheit
Ungarn gesetzt.
vor Merseburg
2 ge

rückt, um nach der Einnahme der Stadt der in Verwahrung dahin ge


brachten Schätze sich zu bemächtigen. Die tapfere Gegenwehr der
Bürger trotzte der stürmenden Gewalt bis zum Einbruche der Nacht.
Da erhielten die Ungarn Kunde von der Niederlage ihres westlichen
Heeres und von dem Eilmarsche des Königs zum Entsatz der Stadt.
Sogleich riefen sie die. auf Plünderung ausgesandten Rotten durch bren
nende Holzstöße zurück; und als sie nur den Vortrab der deutschen
Scharen erblickten, zogen sie, das Lager preisgebend, in größter Un
ordnung ab. Der Sieg kostete die Deutschen viele tapfere Herren, und
unterUngeachtet
diesen auch den
diesesedeln
unglücklichen
Albrecht von
Feldzugs
Babenberg.
behielten
3 die Ungar«

noch immer Kraft und Muth genug übrig zu neuen Unternehmungen.


Nach Heinrich's Tode ward sein Sohn Otto I. König der Deutschen. 936
Im Jahre darauf starb der Baiern-Herzog Arnulf. Die Verwaltung des
Landes ward seinen Söhnen von Otto entzogen und Berthold, dem Bru
der Arnulfs, bisher Markgrafen an der Etsch und im Vinstgau, über
tragen. Nun überfielen die Ungarn das so lange verschonte Baiern,
plünderten durch Schwaben und Franken, gingen sodann bei Worms 937
über den Rhein, verheerten Elsaß, Lothringen und Frankreich, und
rahmen hernach durch Burgund und Italien, nach mancherlei widrigen
Begegnissen, doch reich an Beute, ihren Rückzug nach Pannonien. 4
Zu gleicher Zeit fiel ein anderes ungarisches Heer in Sachsen ein, um
die Kraft
1 Witichind.,
und dena. a.
Muth
0. —des2 Luitprand.,
neuen Königs
II, 8—9.
der —
Deutschen
3 Witichind.,
zu prüfen.
a. a. 0.

Sigeber ad ann. 934. Frodoard ad ann. 933. Aloldus ad ann. 933 in Han
haie i Fasti Campililiens., I. — * Witichind., a. a. O. Hermann. Contract.
ad ann. 937. Leo Ostiens. Chronic, I, 55. Lupus Protospat. ad ann. 936.
72 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

Ein Theil desselben belagerte Stederburg im braunschweigiscben Ge


biet, ward aber von der ausfallenden Besatzung geschlagen und auf dem
938 Rückzuge allmählich aufgerieben. Was davon übrig blieb, bestürmte
das Nonnenkloster Obernkirchen und ermordete die Gott geweihten
Jungfrauen, ohne ihrer Tugend, welche die Ungarn von jeher selbst in
der grausamsten Wuth in Ehren hielten, nachzustellen. Der andere
Theil ließ sich von einem listigen "Wenden in den großen Drömlinger
Wald führen, wo er theils unter den Ueberfällen der Sachsen und Wen
den, theils in den Sümpfen des Forstes seinen Untergang fand; der
Heerführer ward gefangen genommen und nur gegen ein sehr ansehn
942 lichesNach
Lösegeld
vier wieder
Jahrenfreigelassen.
wurde Baiernl mit einem Streifzuge von den

Ungarn heimgesucht; aber an dem Ufer des Trauns forderte sie Her
943 sie
zoginBerthold
blutiger zur
Niederlage
Schlacht, ihre
der sie
Raubsucht.
nicht entrinnen
2 Im konnten;
folgenden dort
Jahrebüßten
trieb

sie die Unruhe mit einem ungemein zahlreichen Heere gegen das byzan
tinische Kaiserthum, das zu schwach war, den Kampf mit ihnen zu be
stehen. Zum Glücke lebte der wortmächtige Patricier Theophanes
noch; ihn sandte Romanus Lakapenus mit reichlichen Geschenken.
Mit vieler Geschicklichkeit erhandelte dieser auf fünf Jahre Frieden,
944 welcher
darauf wagten
gegenseitig
sie einen
durchRaubzug
ansehnliche
nachGeiseln
Kärnten,
verbürgt
wo siewurde
aber 3.vonBald
den

Eingeborenen
Vermöge und
des erwähnten
von den Baiern
Friedens
fast gänzlich
konnten aufgerieben
die Ungarn wurden.
in die grie
4

chischen Länder jetzt nicht einfallen, und in die deutschen zu ziehen,


war ihnen nach so bedeutenden Niederlagen die Lust vergangen; sie
blieben also ruhig und erholten sich von den erlittenen Verlusten. Diese
Zeit der Muße benutzte Zoltan, die Grenzen des Landes zu befestigen
und besonders gegen die Deutschen, deren Rache er fürchtete, zu
sichern. Daher ließ er durch die noch von Arpäd zum Theil auch
dort angesiedelten Ruthenen die Burg Güns bauen und verstärkte die
Grenzwache am Neusiedler See durch eine Colonie neu eingewanderter
Petscheneger,
Vielleicht auf
durch
deren
die Tapferkeit
Anstrengungen
er sich
so verlassen
vieler Kriege
konnte.
ermüdet, viel

leicht um seinem Sohne die Nachfolge zu sichern, legte Zoltan die Herr
schaft nieder und übergab sie seinem siebzehnjährigen Sohne Taksony,
dem er eine Paloczin zur Gemahlin gegeben hatte. Die Volkshäupter
ertheilten ihre Zustimmung und huldigten. Zoltan aber starb drei Jahre
darauf. ö

Taksony 947 — 972. «

Der Wunsch , so schnell als möglich durch Thaten sieh der Herr
schaft
1 Hermann.
würdig zu
Contract.
beweisen
ad ann.
, trieb
938. den
Witichind,
siebzehnjährigen
L. II, a. a. O.
Gebieter
'— 2 Chron,
mit

nic. Salzburg, ad ann. 942, in Hahn. Collectio Monumentorum etc., II. Wi


tichind, a. a. O. — 3 Leo Graramat. Cedrenus bei Stritter, a. a. O., S. 619. —
4 Ehegin. Continuat. ad ann. 944. Chronic. Salzburg, ad eund. ann. — 5 Ano
nym. B. Notar., c. 57. — 6 Constant. Porphyrogen. de admist. imperio, c. 40
Ungarn unter Herzogen. Taksony. 73

seinem kriegerischen Volke nach Italien, wo Lothar, Hugo's Sohn, und 947
Berengar der Jüngere sich gegenseitig befehdeten. Doch kamen dort
die Ungarn zn keinem Kampfe, weil Berengar es leichter fand, von
Bürgern, Kirchen, Klöstern zehn Scheffel Silbers zu erpressen und
damitDer
denfünfjährige
Frieden vonWaffenstillstand
dem Herzog zumiterkaufen.
dem oströmischen
1 Reiche war 948

abgelaufen. Der Krieg wurde nicht erneuert; vielmehr ging, wahr


scheinlich um neue Verträge zu schließen, Bulcs nach Konstantinopel,
wo er die Taufe nahm, reiche Geschenke erhielt und zum Patricier er
hoben wurde. Bald darauf kam auch der siebenbürger Stammfürst
Gyula nach Konstantinopel und trat nicht nur selbst zum Christenthum
über, sondern brachte auch den Mönch Hierotheus mit sich, den ihm der
Kaiser beigesellte, damit er die Ungarn bekehre und von Einfallen in
das kaiserliche Gebiet abhalte. Gyula blieb dem Christenthum treu,
BulcsNach
aber Herzog
fiel bald Berthold's
nach seiner Tode
Heimkehr
gab ab.
Otto2 Baiern seinem Bruder 950

Heinrich; sein anderer Bruder Ulrich war Bischof von Augsburg. Ar


nulf, Berthold's älterer Neffe, war Pfalzgräf und verwaltete das Land,
wenn Heinrich den bairischen Heerbann führte. Wider diesen zog
Taksony jetzt aus, um die Niederlage zu rächen, welche die Ungarn
von Heinrich's Vorfahren erlitten hatten. Allein der neue Herzog war
nicht minder kriegserfahren und tapfer als Berthold, und der Ungarn
alte Weise zu kämpfen wußten die deutschen Krieger nun schon un
wirksam zu machen. Taksony verlor die Schlacht und mußte sich mit
großemUmVerluste
diese Zeit
unter
empörte
mancherlei
sich Ludolf,
Gefahren
Herzog
zurückziehen.
Von Schwaben,
3 gegen 952

seinen Vater, König Otto; Konrad, Herzog von Lothringen, Otto's


Eidam; Arnulf, Pfalzgraf von Baiern, und dessen Vetter Herold, Erz
bischof von Salzburg, traten mit ihm in Bund. Um ihrer Unternehmung
Gewicht zu geben, bewarben sie sich um Hülfsvölker bei den Ungarn
und gaben den ausgerüsteten Haufen streitgeübte deutsche Herren zu
Anführern. Konrad selbst fuhrte sie durch Franken und durch die
Rheingegenden, nicht zum ritterlichen Kampfe, sondern zur schrecklich
sten Verheerung mit Feuer und Schwert. Bei Trier ergriff ihn die
Reue, indem ihn sein Gewissen als den Urheber unzähliger Gewalt-
und Mordthaten anklagte. Er verließ das wilde Volk, das aber auch 954
sagt:
ohne „Der
ihn fortfuhr,
dritte Sohnzu.Arpäd's,
rauben,Jutotzas,
zu verwüsten,
hatte einen
zuSohn
zerstören
Falitzin,
und
derendlich
jetzt

Herzog ist, des vierten, Zalta's, Sohn war Taxis." Nach ihm würde also
zu Ende der vierziger und Anfang der funfziger Jahre dieser Falitzin regiert
haben, von dem sonst keine Nachrichten vorhanden sind; auch reden die
abendländischen Chronisten von Geiza, als dem vierten Herzog, sodaß für
Falitzin kein Platz bleibt, und doch muß man voraussetzen, daß der Kaiser
den Namen des Fürsten kannte, mit dem er zu dieser Zeit Verträge schloß.
Eine Schwierigkeit, die nicht zu lösen ist. — Szalay, Geschichte des unga
rischen
1 Lupus
Reichs,
Protospata
2. Aufl., I,
ad 35.
ann. 947. Luitprand., V, 15. — 2 Scylitza und
Cedrenus bei Stritter. — 3 Witichind, II, a. a. O. Annales Hildesheimenses
bei Pertz, Script., III.
74 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

auf wohlbekannten Wegen über Frankreich und Italien ungestraft


heimzog. 1
955warenUngeachtet
und Erzbischof
LudolfHerold
und seine
durch
Partei
seinemit
Blendung
Otto bereits
für alle
ausgesöhnt
gebüßt

hatte, daher auch niemand mehr ihren Beistand begehrte, war doch die
vorjährige Beute so groß, daß der Herzog und sein Volk durch sie zu
neuen Unternehmungen unwiderstehlich gereizt wurden. Taksony sandte
Abgeordnete an Otto unter dem Vorwande des Friedens, eigentlich aber
um die deutschen Zustände zu erforschen. Kaum war die Gesandtschaft
mit eiuigen Geschenken zurückgekehrt, als auch schon ein großes Heer
nach Deutschland aufbrach und mit der gewohnten Schnelligkeit über
Baiern gegen Augsburg vorrückte. 2 Hier schlug der größere Theil
sein Lager auf, der andere trennte sich und zog unter Botond's Führung
gegen den Main. Otto befand sich gerade auf einem Kriegszug gegen
die slawischen Völkerschaften jenseit der Elbe. Da ward ihm durch
seinen Bruder, den bairischen Herzog Heinrich, eilig der Einbruch der
Ungarn berichtet; er kehrte schnell um, vereinigte sich mit dem frän
kischen, bairischen und alemannischen Heerbann, zog noch eine böh
mische Hülfsschar an sich und führte die vereinigte Armee gegen Augs
burg, das die Ungarn bereits belagerten und stürmten. Als diese das
Herannahen des feindlichen Heers erfuhren, hoben sie schnell die Be
lagerung auf und rüsteten sich zum Kampf. Otto theilte seine Kriegs
völker in acht Haufen und stellte sich selbst an die Spitze seiner Sach
sen. Die Sünden der Krieger wurden durch eine allgemeine Fasten
versöhnt, das Lager ward durch die strengste Zucht und Reliquien der
Heiligen geweiht, der König und die Fürsten empfingen aus Bischof
Ulrich's Händen das geheiligte Abendmahl, gaben sich gegenseitig den
Friedenskuß und schworen einander treuen Beistand und gleiche An
strengung
Am Morgen
im Kampfe.
des 310. August setzen die Ungarn über den Lech,

umgehen das deutsche Heer, fallen es im Rücken an, vernichten die


böhmische Hülfsschar, zerstreuen die beiden Schlachthaufen der Ale
mannen und der Sieg scheint sich schon auf ihre Seite zu neigen. Da
betet Konrad, Gott möge ihn, der diesen Jammer über sein Vaterland
gebracht, durch die Hand der Ungarn sterben und sein Verbrechen süh
nen lassen, und wirft sich mit den zwei fränkischen Schlachthaufen den
Ungarn entgegen, ordnet die aufgelösten Reihen der Alemannen von
neuem und verschafft Otto Zeit, die Feinde mit dem sächsischen und
drei bairischen Schlachthaufen in der Flanke anzugreifen. Die Un
garn wenden sich zur Flucht, aber der angeschwollene Lech verschließt
ihnen den Weg; Tausende sterben in seinen Fluten, Tausende fallen
unter1 Rhegin.
den Waffen
Continuat.
der Sieger
ad arm.oder
952 werden
et 954. —gefangen,
Marian. Scot.
nur wenigen
et Hermann.
ge-

Contract. ad eund. ann. Witichind, II, a. a. O. Annalista Saxo ad ann. 954.


Sigebert. in vita S. Guiberti, §. 13. — 2 „Tanta multitudo Ungarorum
erupit, quantam tunc temporis viventium hominum nemo se antea vidisse in
nna regione profitebatur." Gerardi vita S. Udalrici, c. 12, bei Baron, ad ann.
955. Frodoard. ad eund. ann. — 3 Ditmar. Merseb., II.
Ungarn unter Herzogen. Toksony. 75

lingt es zu entrinnen. Am folgenden Tage gingen die Deutschen über


den Lech, um das verlassene Lager der Ungarn mit seinen Schätzen in
Besitz zu nehmen. Die Beute, die sie hier machten und die sie bei den
Gefangenen und Todten an kostbaren Schmucksachen fanden , war un
ermeßlich. Aber leider schändeten sie ihren Sieg durch unmenschliche
Grausamkeiten; die Gefangenen warfen sie in Löcher aufeinander und
begruben sie lebendig, oder ließen sie unter Martern grausam sterben;
drei gefangene Anführer Lehel, Bulcs und Usur wurden gehängt. Auch
die aus der Schlacht Entkommenen, die gen Böhmen flohen, fielen
dort dem böhmischen Herzog in die Hände und wurden nieder
gehauen. '1
Aber auch die Deutschen erlitten in der blutigen Schlacht schwere
Verluste* Konrad's Gebet wurde erhört, er starb von einem Pfeil ge
troffen; zwei Grafen von Kyburg und Dietpold, des Bischof von Augs
burg Bruder, nebst einer Menge Adelicher und Gemeiner blieben auf
dem Schlachtfelde.
Als die schreckliche Nachricht von dem Ausgang der Schlacht zu

dem andern Haufen des ungarischen Heeres kam, machte die erste Be
stürzung bald dem Zorne und Durst nach Rache wegen der an ihren
Brüdern verübten Grausamkeiten Platz. Zuerst machten sie die deut
schen Gefangenen, die sie in großer Anzahl mit sich führten, nieder und
legten sich sodann im Schwarz wald in einen Hinterhalt, wo sie dem in
Unordnung heimkehrenden fränkischen und alemannischen Heerbann
auflauerten, ihn überfielen, viele tödteten und fingen und einen großen
Theil der augsburger Beute ihnen wieder abnahmen. Hierauf kehrten
sie unangefochten
1Der
Die Eindruck,
Sage berichtet,
undwelchen
glücklich
von der
dem
heim.
schreckliche
einen
2 Heere St.
seien
-Lorenztag
nur siebenam
übrigge
Lech

blieben; denen haben die Deutschen die Ohren abgeschnitten und sie heim
geschickt, die Niederlage zu verkündigen; dort aber wurden sie ihres Ver
mögens, ihrer Weiber und Kinder beraubt, zum Bettelstab verurtheilt und
gyasz magyarkäk gescholten. Erst König Stephan habe ihre Nachkommen
von der Schmach befreit, indem er sie dem graner Stifte unter dem Namen
der Armen des heiligen Lazarus schenkte. Heinrich's von Muglen Chronik
der Hunnen bei Kovachich. Thuroczy, II, 9. Eine offenbare Fabel, denn
eine Armee von Reitern kann unmöglich so gänzlich vernichtet werden. —
2 Den ganzen Hergang der Schlacht auf dem Lechfelde erzählen: Witichind,
III, a. a. O. Sigebert ad ann. 955. Ditmar. Merseb., II. Gerard. vita S.
Udalrici, a.a.O. Hermann. Contract. u. Hepidan. ad hunc ann. Rhegin. Con-
tinuat. u. Otto Frising, VI, 20. Ueber die Verschiedenheit und Widersprüche
in ihren Nachrichten: Pray, Annal. Hunnor. 365, und Dissert., X. Katona,
Hist. prim. Ducum., S. 442 — 469. Dem aufmerksamen Leser kann es nicht
entgangen sein, daß nach des Anonymus Bericht Lehel und Bulcs als Führer
des Vortrabes in der Schlacht gegen Zalän 896 genannt waren; vor Augsburg
aber, also 59 Jahre später, erscheinen sie, und zwar nach dem einstimmigen
Zeugniß aller einheimischen und auswärtigen Quellen als Anführer des Heeres.
Mithin muß entweder der Anonymus bei der ersten Begebenheit die Namen
irrig angegeben haben oder diese Männer waren damals sehr jung und das
zweite mal sehr alt, oder die letztern waren andere, die aber den Namen
der erstem, vielleicht als ihre Söhne und Enkel, führten. Anonymus, c. 55,
Kezai, II, 1. .
76 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

in den Gemüthern der Uebriggebliebenen zurückgelassen hatte, ward


durch ihre Raubsucht und Kriegslust bald geschwächt; zwar scheueten
sie sich lange, das Innere Deutschlands wieder heimzusuchen, aber von
Mölk aus, dem Grenzplatze ihres Landes, trieben sie ihre Streifereien
) 958 in Baiern fort. l Auch mochte es an mancherlei Aufreizungen hierzu
nicht fehlen. So wurden 963 in Capua zwei Gesandte Papst Jo-
hann's XII. aufgefangen, die er an die Ungarn unter dem Vorwande der
Bekehrung schickte, um sie zum Krieg gegen Deutschland aufzuwiegeln.3
Dafür wandten sie jetzt ihre heftigsten Angriffe gegen das byzan
tinische Reich, sie verheerten ganz Thrazien und bedrohten Konstanti
nopel, wo sie jedoch von dem Patricier Pothus Argyrus geschlagen und
961
963 der
Streifzügen
Beute sowol
kleinerer
als der
Haufen
Gefangenen
4 durch beraubt
der Griechen
wurden.
Gebiet
3 Nach
wurden
einigen
die

Bulgaren jenseit der Donau nachdrücklicher von ihnen angegriffen.


Der tapfere, von benachbarten Völkern gefürchtete Symeon war nicht
mehr; das von außen gepriesene, im Innern zerrüttete und erschöpfte
Reich verwaltete jetzt sein Sohn Petrus, durch seine Vermählung mit
Maria, des Titel-Kaisers Flavius Christophorus Tochter, dem byzan
tinischen Hofe verwandt. Als er nun, zu schwach, der Ungarn Ueber-
macht zu widerstehen, von dem Kaiser Nicephorus vergeblich Hülfe ge-
966 fordert hatte, schloß er mit ihnen Frieden unter der Bedingung, daß im
967 Kriege
Beistanddes
leiste.
einen Im
Volks
folgenden
mit denJahre
Byzantern
sah Nicephorus
diesen das auf
andere
einer keinen
Reise

durch Thrazien an den zerstörten und ausgeplünderten Städten mit Ent


setzen die schrecklichen Folgen dieses Bündnisses und forderte von
dem König der Bulgaren, den Ungarn mit seiner ganzen Macht den
Uebergang über die Donau zu verwehren. Allein Petrus lehnte den
kaiserlichen Auftrag mit dem Vorwurfe der ihm früher verweigerten
Hülfe, ab 6, worauf der erzürnte Kaiser den Großfürsten der Russen
zum Feldzuge wider die Bulgaren für 1500 Dukaten erkaufte. In
969 zwei
aber Jahren
nach deshatte
Nicephorus
Swätoslaw
Ermordung
die Bulgaren
Joannes
fastTzimisces
ganz unterjocht;
den Thron
als

bestiegen hatte, ward von ihm verlangt, seine Eroberung dem Kaiser
zu überlassen und sich mit dem von Nicephorus bezahlten Gelde zu be
gnügen. Das ließ Swätoslaw auf das Waffenlos ankommen, wozu er
nun einige Haufen Ungarn und Petscheneger in Sold nahm. Seine
ganze Macht war 38000 Mann stark, in drei Rotten getheilt, wovon
die eine aus Russen und Bulgaren, die andere aus Ungarn, die dritte
970 aus
MannPetschenegern
unter Anführung
bestand.
des Bardas
Joannes
Sklerus
Tzimisces
entgegenstellen.
konnte ihm nur
Die12000
Grie

chen schlossen sich in Hadrianopel ein und heuchelten Zaghaftigkeit,


jede Aufforderung zur Schlacht in offenem Felde zurückweisend. Dies
machte
1 Notulae
die Feinde
Aloldianfänglich
bei Hanthaler
beherzt,
ad dann
ann. 955,
zuversichtlich,
I, 1278. —endlich
2 Luitprandl
sorg-

Gesta Ottonis, c. 6. — 3 Constantini Continuat. Symeon Logothet. bei Stritter,


a. a. O., S. 626. — 4 Continuat. Theophanis bei Stritter, a. a. O. Lnitprand.
Hist. Legation. ad Nieephor. — i Cedrenus. Zonaras bei Stritter, a. a. O.,
S. 627.
Ungarn unter Herzogen. Taksony. 77

los; Zucht und Ordnung invLager wurden vernachlässigt. Unterdessen


traf Bardas die zweckmäßigsten Maßregeln zu einem Ausfall , bei wel
chem der Patricier Joannes zuerst auf das Lager der Petscheneger
stieß. Kaum hatte das Gefecht begonnen, so nahm er verstellte Flucht,
wodurch er die verfolgenden Petscheneger in den ausgestellten Hinter
halt lockte. Dort wurden sie umringt und von den hinzueilenden Scha
ren des Bardas fast gänzlich aufgerieben. Sogleich warf sich Bardas
auf die übrigen zwei Rotten. Die ungarische Reiterei, bei dem ersten
Anfalle zurückgeworfen, sammelte sich wieder und hielt das gewaltige
Andringen der Byzanter aus. Der Kampf war heftig, der Sieg lange
zweifelhaft, bis zwei ungarische Hauptleute, auf Bardas und seinen Bru
der Constantinus losstürmend , die Streiche verfehlten und von den be
sonnern Patriciern getödtet wurden. Mit dem Sturze der Führer sank
auch der Ungarn Muth, ihre Rosse brachten sie in Sicherheit. Der
Widerstand des bulgarischen und russischen Fußvolks war zu schwach,
wenige entkamen in unordentlicher Flucht, viele wurden getödtet, meh
rere gefangen
Dies war genommen,
der letzte Plünderungszug,
die meisten verwundet.
den die 1Ungarn unternahmen.

Sie waren nicht nur geschwächt durch die gehäuften Kämpfe und Nie
derlagen, sondern auch der Schrecken, der vor ihnen herging und die
Kraft zum Widerstande lähmte, war geschwunden. Mit Recht besorgten
• Taksony und die andern Führer, daß die gemishandelten Völker end
lich sich erheben und Rache nehmen könnten, darum hielten und ge
boten sie Frieden. Sehr gelegen kamen jetzt neue, stammverwandte
Ansiedler in das Land. Zuerst Petscheneger unter ihrem Häuptling
Thonuzoba, die sich an der Theiß oberhalb des jetzigen Szolnok nieder
ließen. Sodann Bulgaren von der Wolga her, geführt von Bila und
Bocsu, denen an mehreren Orten Wohnungen angewiesen wurden, be
sonders aber am Unken Donauufer Ofen gegenüber, wo sie Pesth bau
ten. Diesen folgte noch ein zweiter Schwarm mit seinem Stammfürsten
Heteny, der gleichfalls freundliche Aufnahme fand. Diese Bulgaren
werden in den einheimischen Chroniken und Urkunden Ismaeliten ge
nannt, weil sie sich schon zur Zeit ihrer Einwanderung zum Islam be
kannten
Taksony
und noch
starbJahrhunderte
972 und ward
hindurch
an der
dabei
Stelle
beharrten.
begraben,
2 wo unter

halb Pesth die Ortschaft Taksony liegt, wie die Sage berichtet. Durch
seinen Tod ward das von Parteien zerrissene Deutschland, sowie das
sinkende Reich der Griechen vor gefährlichen Erschütterungen von sei
ten der Ungarn auf lange Zeit gesichert. Kühner in Entwürfen, als
sein Vater und Großvater, aber unglücklicher als beide auf dem Schlacht
felde, hatte er einen großen Theil der Kräfte seines Volks aufgerieben,
und seinem Sohne Geiza (Gyozö, Sieger, Victor) mit der Herrschaft
zugleich
1 Cedrenus.
die Nothwendigkeit,
Zonaras bei Stritter,
die Waffen
Tom.niederzulegen,
II, Pars II, 618hinterlassen.
sq. et 988 sq.;

vgl. Pray, Annal. vet. Hunnor., S. 369. — 2 Anonymus, c. 57. Horväth,


Geschichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 98 — 100.
78 Erstes Bach. Dritter Abschnitt.

Geiza 972 — 997.

Geiza war zwanzig und etliche Jahr alt, als er der! herzoglichen
Stuhl einnahm. Beim Antritt seiner Regierung fand er nicht nur die
Kraft des Reichs erschöpft, sondern auch Denkungsart und Sitten des
Volks hatten sich bedeutend verändert. Siebzig Jahre waren unter be
ständigen wechselvollen Kämpfen verflossen, zwei Generationen hin
gestorben; die kühne Siegeszuversicht, die Arpäd's HeldengeüSt. den Un
garn eingeflößt hatte, fing an schwächer zu werden, der Umgang mit
den Ueberwundenen zu Hause, die Berührung mit weniger oder mehr
civilisirten Nationen in der Nachbarschaft äußerten ihren Einfluß; das
Verlangen, das reiche Land und die gewonnene Beute auch zu genießen,
erwachte; schon vertauschte der Vornehme das Zelt mit der Burg; der
Herrschersitz ward in einer Stadt aufgeschlagen, und auch den Gerin
gern zog bereits die Heimat an, wo er geboren war, seine Familie lebte,
und seine Heerde weidete; die wilde Aufregung der Eroberung war
verrauscht und die Ruhe kehrte allmählich ein. Dem natürlichen
Gange der Dinge und den Bedürfnissen des Reichs folgten also Geiza
und sein hoher Rath, indem sie einen Zustand des Friedens herbei
zuführen, mit den Nachbarländern freundschaftliche Verhältnisse anzu
knüpfen und die eigene Nation auf die Bahn der Civilisation zu leiten
suchten.
Eine1 wichtige Maßregel war es, wie Kezai 2 berichtet, daß das

Recht, den Herzog vor sein Gericht zu fordern und auch zu entsetzen,
welches das Volk bisjetzt besessen hatte, nun aufgehoben wurde.
Gewiß fielen auch andere Schranken , welche die herzogliche Macht be
engten, und wurde den Veränderungen, die eingeführt werden sollten,
selbst gewaltsamerweise Bahn gebrochen. Es wird uns daher be
richtet, Geiza sei strenge, hart, sogar grausam gegen sein Volk gewesen,
habe aber Ausländer begünstigt. 3 Denn bedeutende Veränderungen
finden überall heftigen Widerstand und können nur durch Kampf
durchgesetzt werden. Auch unter den Ungarn gab es gewiß viele, die
am Alten hingen und dem Neuen hartnäckig widerstrebten, die Geiza's
harter Sinn nur durch rohe Gewalt zu zwingen und zu beseitigen wußte.
Die Fremden hingegen waren nicht nur Rathgeber, die man brauchte,
sondern auch Werkzeuge, durch welche man den Widerstand brechen
konnte. Dies alles dient aber zugleich als Zeugniß, wie sehr die her
zogliche Macht, die anfangs so gering war, durch hundertjährige Ver
erbung von Vater auf Sohn in derselben Familie jetzt schon gewachsen
und erstarkt
1 Notulae sein
ex Aloldo
mußte.: Admisit
Leider (Geiza)
besitzenconsüium
wir gerade
sibi aaus
Deodieser
inspiratum,
wich-

et proposuit formare Pannoniam suam in rempublicam , et illam ditare non


amplins injustis praedis, sed Ileitis lucris. — 2 Kezai, I, 2. — 3 Ditmar. oder
Tietmar. Merseb. ad ann. 973 bei Pertz, Stephani pater erat Dewix (Geiza),
homo crudelis multos subito furore oeeidens. Hartvicus, Vita S. Stephani, c. 2 :
Geiza severus quidem et crudelis , veluti potentialiter agens in suos, miseri-
cors autem et überaus in alios et praeeipue Christianos.
Ungarn unter Herzogen. Geiza. 79

tigen Epoche der ersten staatlichen Entwickelung unsers Volks nur sehr
spärliche
Die erste
Nachrichten.
Gemahlin Geiza's war Sarolta, des siebenbürger Stamm-

fiirsten Gyula Tochter1, die ihm 969 einen Sohn, den nachmaligen Kö- 969
nig Stephan gebar, aber bald darauf starb. Hiermit widerlegt sich von
selbst, was gewöhnlich ohne historische Zeugnisse behauptet wird, daß
Sarolta, selbst Christin, ihren Gemahl zu den neuen Einrichtungen im
Reiche und besonders zur Einführung des Christenthums ermuntert und
dabeiUmgeleitet
friedliche
habe. Verhältnisse mit benachbarten Staaten anzubahnen,

ging eine Gesandtschaft an Kaiser Otto, die ihn in Quedlinburg traf, 973
wo er das Osterfest feierte, und freundlichen Gruß nebst Geschenken
vom Herzog überbrachte. 2 Die Gesandten wurden gütig aufgenommen
und erhielten reiche Gegengeschenke. Sie begegneten hier, neben den
Abgeordneten mehrerer Völker, auch dem Polen -Herzog Micziszlaw
(Miesko), der eben erst zum Christenthum übergetreten war und sich
dem Kaiser, der damals als das weltliche Haupt der Christenheit ge
ehrt wurde, vorzustellen kam. Bei dieser Gelegenheit wurde wahr
scheinlich auch die Vermählung Geiza's mit Micziszlaw's Schwester,
Adelheid, verabredet, welche bald darauf wirklich zu Stande kam. 3
Adelheid war es, die wegen ihrer Schönheit Beleknigini, polnisch die
schöne Fürstin , genannt wird 4 und über ihren Gemahl große Gewalt
hatte. Sich in seine Gewohnheiten und Sitten fügend, mit ihm reitend,
jagend
daß sie und
ihn ganz
selbstnach
bis ihrem
zur Unmäßigkeit
Gefallen leitete
trinkend,
und auf
brachte
die Regierung
sie es dahin,
des ,

Landes den größten Einfluß übte; sie brachte es dahin, daß Geiza, der
sonst eben nicht gütiger Gemüthsart war, Ausländer und Christen
freundlich
Kaiseraufnahm
Otto erwiderte
und endlichdie
selbst
ihmzum
so Christenthum
angenehme hinneigte.
Gesandtschaft
6

Geiza's noch in demselben Jahre und wählte dazu den Bischof Bruno
von Verdun, der den Auftrag erhielt, den Herzog in seinen friedlichen
Gesinnungen zu bestärken und für das Christenthum zu stimmen. Er
fand ihn zu Gran, seiner gewöhnlichen Residenzstadt 6, und .scheint sich
seinesUm
Auftrags
diese Zeit,
mit Erfolg
oder entledigt
vielleicht zu
noch
haben.
früher, kam Wolfgang, der

eifrige Mönch des Klosters Schwäbisch-Einsiedeln , aus eigenem Antrieb

1 Anonymus, c. 27. Thuroczy, Anna). Hildesheimenses ad ann. 1003.


Kezai; beide letztern nennen den Jüngern siebenbürger Gyula den Onkel
Stephan's. — 2 Annal. Hildesheimens. Quedlinburg. Tietmari Chron., Lib. II,
c. 20, bei Pertz, III. — 3 Chronica Hungarorum e codice Warsaviensi sae-
culi XIII. ap. Endlicher. Chronicon breve Silesiae saeculi XIV, bei Sten-
czel, Scriptores rerum Silesiacarum (Breslau 1834). — 4 Tietmar, a. a. O.
Crommer, Historia Poloniae, Lib. III, c. 2. — 5 Bruno, Vita S. Adalberti.
Acta S. S. ad "mens. April. 23t1am, Tom. III, c. 5. Totum regnum viri manu
tenuit, et quae erant viri ipsa regebat; qua duce erat Christianitas coepta. —
Ueber Sarolta und Adelheid: Szalay, Geschichte des ungarischen Reichs, I,
42 fg., Anm. — 6 Kaiser Ottp's Brief an Piligrin, den Bischof von Pas
sau, in Fejer, Codex diplomat. Hungariae, I, 257. Hansiz, Germania sacra,
J, 207. _
-<.t •
80 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

in das Land, das Evangelium zu verkündigen, wurde aber von dem pas
sauer Bischof Piligrin aus Eifersucht abgerufen. Denn nach der Zer
störung des Erzstiftes Lorch rechnete Passau auch Pannonien zu seinem
Sprengel; Piligrin wollte daher nicht gestatten, daß dort jemand das
Christenthum ausbreite, ohne von ihm bevollmächtigt zu sein, besonders
auch darum, weil er sein Stift zum Erzbisthum erheben, sich Verdienste
sammeln und seinen Sprengel so ausdehnen wollte, daß er dessen wür
dig gefunden werde. x Hierauf nahm Piligrin die Sache selbst in die
Hand und schickte Mönche als Glaubensboten nach Ungarn, die dort
nach seiner, des eben Gesagten wegen zwar etwas verdächtigen Ver-
974 sicherung sehr viel ausgerichtet haben. Als er nämlich den Papst Bene
dict VH. bat, ihm das erzbischöfliche Pallium zu verleihen, berichtet
er: „Da ich von dem ungarischen Volke mit vielen Bitten angegangen
wurde, entweder selbst zu kommen oder ihnen von mir abgeordnete
Boten des Evangeliums zu schicken, sandte ich zu ihnen geeignete
Mönche und Priester .... und die Gnade Gottes gewährte eine solche
Frucht, daß fünftausend Vornehme beider Geschlechter zum katho
lischen Glauben aufgenommen wurden. Die Christen aber, welche die
Mehrheit des Volks bilden, aus allen Weltgegenden als Gefangene dahin
geschleppt waren und bisher ihre Kinder nur heimlich taufen konnten,
bringen nun diese ungescheut zur Taufe .... und lösen ihre Zungen
zum Lobe des Heilandes mit Freuden. Denn die Barbaren selbst ....
wehren es keinem ihrer Untergebenen sich taufen zu lassen, und hindern
t die Priester nicht, wohin immer zu gehen; die Heiden leben vielmehr
in solcher Eintracht mit den Christen und sind mit ihnen so in Freund
schaft verbunden, daß die Weissagung des Jesaias hier in Erfüllung ge
gangen zu sein scheint: «Der Wolf und das Lamm Werden miteinander
weiden, und der Löwe und Ochse Spreu essen." Die Sachen stehen
mithin so, daß beinahe die ganze ungarische Nation geneigt ist, den
heiligen Glauben anzunehmen." 2
Bald wurde Geiza selbst für das Christenthum insoweit gewonnen,
daß er neben seinen Nationalgottheiten auch den Christengott verehrte,
heidnische Opfer darbrachte und christliche Religionsgebräuche ver
richtete. Als ihn ein christlicher Priester auf das Unerlaubte jener Re
ligionsvermischung aufmerksam machte, gab er zur Antwort: „Ich bin
reich genug, den Göttern zu opfern und dem Christengott zu dienen,
973 und
Todewill
Doch
Otto's
es das
thun."
I. stand
Werk
3 gegen
der Bekehrung
seinen Sohnwurde
Otto unterbrochen.
II., der ihm aufNach
dem Kai
dem

serthrone nachgefolgt war, ein naher Verwandter, Heinrich der Jün


gere, Herzog in Baiern, als Kronprätendent auf. Für diesen erklärte
sich der Polenfürst Micziszlaw, der durch seine vielvermögende Schwe
ster 1auch
Horvath,
Geiza
Geschichte
zu der des
bairischen
ungarischen
Partei
Reichs,
hinüberzog.
I, 104 fg., nach
Piligrin
: Ochloni,
aber

Vita S. Wolfgangi, bei Pertz, Script, IV, 530. Dümmler, Piligrin von Pas
sau und das Erzbisthum Lorch (Leipzig 1854). — 2 Piligrinus Laureacensis
ad Benedictum VII. bei Endlicher. — 3 Tietmar, VIII, c. 3, bei Pertz,
Script., III, 862.
Ungarn unter Herzogen. Geiza. 81

kämpfte für Otto und kam dadurch in ein feindseliges Verhältniß mit
Ungarn. Seine hier wirkenden Glaubensboten verließen nun , entweder
aus Besorgniß oder gewaltsam vertrieben , das Land. Heinrich wurde
zwar besiegt, gefangen und des Kaisers Neffe Otto mit dem Herzog- 977
thume Baiern belehnt, aber die Feindseligkeiten dauerten fort und wur
den noch heftiger, als es Heinrich gelang, aus der Gefangenschaft zu
entkommen. Aus ihrer Grenzfestung Mölk brachen die Ungarn häufig
hervor und verwüsteten Baiern und die Besitzungen Piligrin's. Nun
trennte der Kaiser mit der Reichsstände Einwilligung die nordöstliche
Markgrafschaft, das heutige Oesterreich, von dem Herzogthum Baiern
und verlieh sie dem Babenberger Leopold zum Lohne für die Ver
dienste, die er sich in diesem Kriege» schon erworben hatte. Leopold 984
zog nun mit Piligrin und andern Verbündeten vor Mölk, belagerte und
eroberte es und drängte die Ungarn bis an den Kahlenberg zurück.
Unterdessen war Otto II. gestorben; seine Witwe Theophania ver
waltete im Namen des unmündigen Otto's III. mit Klugheit das Reich ;
Heinrich hatte nach dem Unglück der Ungarn im Kriege die Hoffnung,
zu siegen, aufgegeben, entsagte seinen Ansprüchen auf den Thron und
erhielt sein, freilich stark geschmälertes Herzogthum zurück. Für Un
garn aber blieb das Gebiet jenseit des Kahlenbergs auf immer verloren.
So wurde
Das unterbrochene
der Friede hergestellt.
Werk der1 Bekehrung scheint jedoch nicht frü 985

her recht in Gang gekommen zu sein, als bis Adalbert, von den Böhmen
Woitech genannt, nach Gran kam. 2 Dieser fromme, eifrige Mann hatte
schon als Bischof von Prag mit großem Erfolg in Böhmen für die Aus- 994
breitung und Befestigung des Christenthums gewirkt, ging später, von
dort vertrieben, nach Italien, wo er zuerst auf dem Berge Cassino, so
dann zu Rom im Kloster des heiligen Alexius als Mönch lebte, und
wurde jetzt von den Böhmen dringend zurückgerufen. Seine Rückreise
führte ihn nach Gran. Hier fand er ein großes, einladendes Feld für
seinen heiligen Eifer , dem er. sich nicht entziehen durfte. Die fromme
Begeisterung, mit der er lehrte und ermahnte, ging Geiza und seiner
Umgebung zu Herzen und gewann sie vollends für das Christenthum.
Der einzige Sohn Geiza's, erzogen durch den Apulier Adeodat von San- 995
severino 3, hatte bereits das zwanzigste Jahr erreicht; ihn taufte Adal
bert und gab ihm den Namen Stephan.4 Der Umstand, daß Stephan erst
damals getauft wurde, macht es glaublich, was Kezai freilich allein be
richtet 6, daß Geiza selbst und seine Brüder Michael, mit seinem Sohne
Vazul (Wenzel), und Ladislaus der Kahle, auch damals von Adalbert
die Taufe nahmen; denn es läßt sich kaum denken, daß Geiza selbst
Christ und getauft gewesen, der Sohn aber ungetauft bis zum fünfund
zwanzigsten
1 Monumenta
Lebensjahre
"Boica IX,geblieben
in Hieron.
sein
Pertzii
sollte.Scriptores
6 rerum Austr. vett.

et genuini L. 1721 — 45. Meiller, Regesten aus der Zeit der Babenberger
(Wien 1850). — 2 Canaparius, Vita S. Alberti bei Pertz, VI, 574, und Bruno,
Vita S. Alberti, Acta S. S., Tom. III, c. 5. — 3 Thuröczy, II, 10. — * Hart-
'vicu&,_Vita S. Stephani bei Endlicher. Dlugoss. Hist. Polon., II, 116. —
5 Kezai, De nobilibus advenis, c. 2. — • Palacky, Geschichte von Böhmen,
Feßler. I. 6
82 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

Nach dem unglücklichen Ausgang des Kriegs gegen die Ottonen


lebtenwar
thum die ein
Ungarn
neuesmit
Band,
allen das
Nachbarländern
sie mit den andern
in Frieden
Staaten
; dasverknüpfte.
Christen-

Fromme Glaubensboten und tapfere Kämpen, wahrscheinlich auch


Abenteurer und Glücksritter, waren schon früher aus den westlichen
"Ländern in das sich ihnen gastlich öffnende Ungarn in großer Anzahl
gekommen , jetzt nahm die Menge dieser Gäste zu. Viele durch Stand
und Tapferkeit angesehene Leute und besonders deutsche Ritter zogen
herbei, wie Graf Tibold von Fanberg, die Brüder Hunt und Pazman
aus Schwaben, Wenzel von "Wasserburg, Wolfger und Hedrik, die Böh
men, ßodoan, Bagat und Lodan u. a. m., deren Nachkommen reich an
Verdienst und Gütern und nach Sprache und Gesinnung wahre Ungarn
wurden.
DiexVerbindung mit dem Herzog Heinrich von Baiern wurde noch

995 inniger , als sich Stephan mit dessen Töchter Gisela vermählte 2, die spä
ter die Stifterin der Zwietracht und vielen Unglücks im Herrscherhause
und imAußer
LandeStephan
wurde.hatte Geiza noch drei Töchter, Juditha, mit Boles-

law dem Tapfern, Herzog von Polen, Sarolta, mit Samuel Aba, einem
kabarischen Stammfürsten, und Gisela mit Otto Urseoli, venetianischem
Herzoge 3, vermählt. Die Namen der letztern beiden sind jedoch unbe
kannt, und die angegebenen ihnen nur von neuern Schriftstellern bei
gelegt worden, von solchen nämlich, die alles wissen wollen.
997 Geiza starb 997. Mehrere Geschichtschreiber, in- und aus
ländische, wissen auch viel von Kaiser Otto III. zu reden, machen ihn
zum Rathgeber und Helfer Geiza's. Aber wahrlich, sie bedenken nicht,
daß Geiza gerade der treue Bundesgenosse von Otto's Gegnern war
und mit dessen Vormündern in fortwährendem Zerwürfniß stand, daß
Otto kaum anfing, selbst zu regieren, als Geiza nicht mehr lebte; so
gleich darauf mehrere Kriegszüge nach Italien that und auch dort, erst
1002 zweiundzwanzig Jahre alt , starb. Wenn auswärtiger Einfluß und Rath
auf Geiza gewirkt hat, so konnte dieser nur von Heinrich dem Baiern
kommen, seinem vieljährigen Bundesgenossen und später Schwieger
vater seines Sohnes. Aber, wie schon gesagt, nicht die Niederlagen,
welche sein Vater erlitten, nicht fremder Einfluß, nicht die Ueberredung
einer Gattin waren die eigentliche Ursache dessen, was unter Geiza's
Regierung geschah; dies alles konnte nur fördernd einwirken. Die
Macht
I, 236, läßt
der Umstände,
Albert schondie
984unwiderstehlich
nach Gran gehenwurde,
und Stephan
und dertaufen.
eigene
Undver-
in

der That würde manche Bedenklichkeit verschwinden, wenn man dieses Jahr
annimmt; schade daß Palacky hier nur eine willkürliche Meinung vorträgt,
ohne 1 die
Hartvicus
Quelle und
anzugeben,
Kezai, Deaus
nobilibus
der er advenis,
sie geschöpft
bei Endlicher.
hat. Thuroczy, II,
10—12. — 2 Hermannus Angiens. (Contractus) ad ann. 995, bei Pertz, V,
117. „Henricus Dux Bavariae obiit, et ejus ülius itidem Henricus .... ducatum
obtinuit. Hujus Soror Gisela, Stephano regi Ungariorum, cum se ad fidem
christianam converteret . . . . in conjugium data." Auch ein Zeugniß, daß
die Familie des Geiza erst um diese Zeit christlich wurde. — 3 Muratori,
Scriptores rerum Italicar. (Mailand 1728), XII, 235.
Ungarn unter Herzogen. Geiza. 83

änderte Geist nöthigten das ungarische Volk, dem asiatischen Nomaden


leben zu entsagen und die Bahn der Civilisation zu betreten ; Geiza er
kannte, was noththat, erweiterte die herzogliche Gewalt, suchte ein
geordnetes Gemeinwesen und das Christenthum einzuführen, und be
reitete so vor und machte möglich das große Werk , das Stephan voll
brachte.
Uebersicht von der Nachkommenschaft Ärpäd's:

Ärpäd

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6*
84 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

2. Lebensweise, Sitten, gesellschaftliehe Verfassung, Religion der


Ungarn; Grenzen des Landes unter den Herzogen.
Leider fehlt unserer Nation ein Gesehichtschreiber , der uns ein
Bild ihrer Altvordern, ehe sie die Bahn europäischer Civilisation be
traten, gezeichnet und sie verherrlicht hätte, wie Tacitus die Germanen.
Aus spärlichen Nachrichten, aus zerstreuten Andeutungen und aus der
Vergleichung mit andern, unter ähnlichen Zuständen lebenden Völkern
müssen wir die einzelnen Züge sammeln, wenn wir eine Vorstellung von
den oben
In ihrer
genannten
alten Heimat
Gegenständen
am Uralgewinnen
waren die
wollen.
Ungarn Nomaden; als

solche lebten sie hauptsächlich von dem Erträgniß ihrer Heerden und
thier
von der
war
Beute,
das welche
Pferd, Jagd
das kostbarste
und Fischfang
"Wild,
gewährten.
welches 1 sieIhrjagten,
Lieblings-
der

Zobel, die fahrbare Hütte oder das Zelt ihr Haus, das Land ein Ge
meingut aller. Doch mochten sie auch, wie die alten Deutschen, den
Boden, wo sie sich gerade aufhielten, bauen, wofür die Namen der Ge
thum
treidearten
des Landes
zeugen,andieallen
ihrerGattungen
Sprache eigenthümlich
von Metallen sind.
lud sieDer
gleichsam
Reich-

ein, auch nach diesen zu suchen; ferner müßten sie die nothwendigsten
Gewerbe treiben, um sich Geräthschaften, Kleidung, Waffen und
Schmucksachen zu bereiten; endlich konnte ihnen selbst der Handel
nicht ganz fremd sein, da ihr Boden manche gesuchte Artikel desselben
lande
lieferte.
Diese
während
Lebensweise
des ersten
behielten
Jahrhunderts
sie auch ihres
in demAufenthalts
neuerrungenen
in demsel
Vater-&

ben größtentheils bei; denn plötzlich ändern sich die Sitten und Ge
wohnheiten eines Volks nicht ; ja die langen und weiten Wanderungen
und die vielen Kriege, die sie führten, mußten nicht nur den Geschmack
an einem unsteten Leben bei ihnen nähren, sondern auch die Fortschritte
in der Gesittung und Bildung überhaupt hindern. Aus Hirten , die von
Zeit zu Zeit mit ihren Nachbarn gekämpft hatten, waren kühne Krieger
geworden, die in die Welt hineinstürmten, um Kampf zu suchen und
Beute zu machen , und darin ihre Hauptbeschäftigung und ihren Ruhm
erblickten.
Die ungarische
2 Nation war in Geschlechter getheilt, deren meh

rere einen Stamm bildeten. Alle, die zu einem Geschlecht und Stamm
gehörten, ja die ganze Gesammtheit des Volks, betrachteten sich als
Verwandte. Ebendarum waren auch alle Mitglieder eines Stammes
gleich frei und einander ebenbürtig, alle adelich = nemes, von nem, das
Geschlecht,
1 So" auch
also
diezum
altenGeschlecht
Germanen. gehörend.
Caesar, DeNur
bellowegen
Gallieo,
Verbrechen
VI, 22:

„Agriculturae non student, majorque pars victus eorum in lacte, caseo, carne
consistit." — 2 Anonymus, c. 1. '
Der Ungarn Lebensweise. 85

konnte jemand dieser adelichen Freiheit unwürdig und zur Sklaverei


verdammt werden. x Bei einem Stamme der Ungarn, bei den Szeklern
in Siebenbürgen,, die zwischen ihren Bergen unberührt blieben von frem
den Einflüssen, hat diese allgemeine Freiheit fortwährend bestanden,
sie hielten sich alle [für adelich. "Wie die Familie unter dem Vater, so
stand das Geschlecht unter einem Häuptling und der Stamm unter einem
Fürsten. Beide waren , vielleicht schon seit lange , gewiß aber um die
Zeit der Einwanderung nach Ungarn, erblich, doch, nach der Sitte der
meisten nomadischen Völker, nicht vom Vater auf den Sohn, und noch
weniger nach dem Rechte der Erstgeburt, sondern nur in der Familie,
aus der gewählt wurde, wer für den Würdigsten galt. Wir begegnen
also hier jener gesellschaftlichen Verfassung, die man die patriarchalische
nennt; bei der das Oberhaupt seine Gewalt nur unter Zustimmung und
Mitwirkung der Stammesgenossen ausüben kann; bei der daher jeder
freie Mann theilnimmt an den Berathungen und Beschlüssen über die
öffentlichen Angelegenheiten , bei der aber dessenungeachtet der durch
Geist, Verdienst und Geburt Ueberlegene einen alles hinreißenden
und beherrschenden
Solange die Ungarn
Einfluß in
zu ihren
gewinnen
alten
vermag.
Wohnsitzen sich befanden,

waren die einzelnen Stämme durch kein gemeinschaftliches Oberhaupt


verbunden; „sie hatten", sagt der im Purpur geborene Konstantin2,
„weder einen einheimischen noch einen fremden Herrscher." Wenn
sich einige oder alle Stämme zu größern Unternehmungen vereinigten,
mochten sie wol einen gemeinschaftlichen Führer wählen, dessen Macht
jedoch nach geendigtem Kriegszuge wieder aufhörte. So war Älmos
beim Auszuge aus Baskirien ihr Oberhaupt, hörte es aber auf zu sein,
sobald sie in Lebedia und Etelköz sich niedergelassen hatten. Ärpäd
war der erste
wendigkeit dazu
fürbestimmt,
immer bestellte
erwählten.
Herzog,Wir
denhaben
sie sich,
die durch
fünf Punkte
die Noth-
des

damals geschlossenen und feierlich beschworenen Grundgesetzes oben


angeführt. Unglaublich kommt es vielen vor, daß barbarische Nomaden
sich in dieser Weise zu einem Volke vereinigt und eine Monarchie mit
aristokratischer Verfassung gegründet haben sollen. Aber wahrlich
nur darum, weil sie erstens die damaligen Ungarn für Wilde halten und
sich von dem natürlichen politischen Sinn eines Volks, das seit lange
seine Angelegenheiten selbst und öffentlich verwaltet , keinen Begriff zu
machen im Stande sind ; sodann weil sie darin mehr suchen und finden,
als wirklich enthalten ist, und ihre eigenen, nach jetzigen Zuständen ge
bildeten Vorstellungen hineintragen. Zum Herzog im ursprünglichen
Sinne des Worts, zum obersten Heerführer, nicht aber zum Monarchen,
wie wir uns einen solchen zu denken gewohnt sind, wurde Ärpäd ge
wählt; nicht eine constitutionelle Monarchie nach unsern Begriffen wurde
gestiftet, sondern eben die alten Gewohnheiten und Rechte, wie sie den
Stämmen
1 Kezai,
oder
I, 2Clanen
: „ . . . . von
cum jeher
unus pater
eigen
et waren,
una materwerden
omnes Hungaros
auch für procrea-
die Zu-

verit, quomodo unus nobilis, alter ignobilis diceretur, nisi victus per tales
casus communis haberetur." — 2 De administrando imperio, c. 38.
86 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

kunft gesichert. Die Herzogswürde ist erblich in der Familie Arpäd's,


nicht aber auf den Erstgeborenen, weil solche Erblichkeit bei ihnen von
jeher unter den einzelnen Stämmen bestanden hatte. 1 — Was gemein
schaftlich erobert wird, soll auch unter alle vertheilt werden ; mithin ist
das Land nicht ein Patrimonium des Herzogs, mit dem er nach Willkür
schaltet, sondern das Eigenthum des ganzen Volks, an dem jeder An-
theil hat. — Weder die jetzt lebenden Häupter, nämlich als Repräsen
tanten, ihrer Stämme, noch deren Nachkommen dürfen von der Regie
rung ausgeschlossen werden, denn solche Theilnahme war uralte Sitte,
und nur der Misverstand kann hier aristokratische Stände erblicken, wo
eigentlich gar keine Aristokratie war. — Wer dem Herzog untreu wird,
oder Zwietracht stiftet zwischen ihm und den Häuptern des Volks, soll
sterben. Dieser Punkt ist eine Sanction des im Kriege über alles
nöthigen Gehorsams und der Eintracht zwischen den Befehlshabern, und
gewiß kein Majestätsgesetz , was der folgende Punkt beweist. — Würde
einer unter dem Nachkommen Arpäd's oder der andern Häupter diese
beschworenen Punkte brechen, so soll er verdammt sein. Hier wird
der Herzog mit den übrigen Paciscirenden auf gleiche Stufe gestellt und
so gut,
Dieser
wie jeder
Staatsvertrag
andere, demwurde
Gesetzenatürlich
und Gericht
nichtunterworfen.
niedergeschrieben

und am wenigsten in lateinischer Sprache; die Worte, in welche ge


kleidet, wir ihn lesen, sind also des Anonymus Werk,, und sie, wie auch
überhaupt die Form, in der er die Begebenheiten erzählt, deuten frei
lich auf wirklich monarchisch -aristokratische Zustände hin. Aber er
begeht hier den Fehler der meisten Chronisten, alles im Lichte ihrer
Zeit zu sehen; er redet von Ärpäd so, als hätte dieser bereits die Rechte
und die Vollgewalt besessen, welche die Herzoge, besonders Geiza,
zum Theil errangen, Stephan aber schon übte. Uebrigens kann aber
dieser Widerspruch der Darstellung mit der Begebenheit selbst als ein
BeweisEs für
wurde
die Glaubwürdigkeit
weder ein absoluter
seiner
noch
Berichte
ein constitutioneller
gelten. Monarch

im heutigen Verstande an die Spitze des Reichs gestellt; die sieben


Stämme bildeten eigentlich einen Bundesstaat mit einem gemeinschaft
lichen obersten Heerführer aus Ärpäd's Hause. Nachdem die Ungarn
schon 50 Jahre im Lande wohnten, und als der dritte Herzog Taksony
lebte, sagte Constantinus Porphyrogenetus 2 noch immer: „Die türkischen
— wir wissen , daß er die Magyaren immer Türken nennt — Stämme
sind keinem Regenten (Archonten) unterworfen, sondern jeder Stamm
wohnt an den Ufern eines andern Flusses ; sie sind jedoch durch gegen
seitiges Bündniß verpflichtet, dem etwa feindlich angegriffenen Theil
mit der Gesammtkraft aller Hülfe zu leisten; ihr oberster Feldherr ist
der von
1 Wäre
Arpäddas abstammende
Recht der Erstgeburt
Fürst."festgesetzt
Und die worden,
Aufschrift
so hätte
in den
auf Arpäd
Brie-

ein gewiß noch lebender Nachkomme seiner verstorbenen altern Söhne und
nicht Zoltän folgen müssen. Diese Zeit kannte überhaupt das Recht der Erst
geburt noch nicht; so folgte z. B. auf KarlAdaffEll nicht Berengar , seines Erst
geborenen, Pipin, Sohn, sondern der jüngere Ludwig. — 2 De administrando"
imperio, c. 40. "
Der Ungarn Lebensweise. 87

fen des Kaisers an die Ungarn soll nach seiner Anweisung lauten:
„An die Archonten der Türken." 1 Wie beschränkt die Macht des
Herzogs ursprünglich war, geht auch aus der Stelle Kezai's 2 hervor,
wo er die Wahl des obersten Heerführers berichtet und hinzusetzt:
„Sie wählten sich auch einen obersten Richter (rectorem), damit er
das vereinigte Heer richte, die Streitigkeiten der Veruneinigten beilege,
die Uebelthäter züchtige .... doch so, daß wenn jener Richter
ein ungerechtes Urtheil sprechen würde, die Volksgemeinde
dieses ungültig mache, und den schuldigen Herzog und den
Richter nach Gefallen entsetze. Diese gesetzliche Gewohnheit ist
unter den Hunnen oder Ungarn bis auf die Zeiten Geiza's, des Sohnes
Taksony's, unverletzt beobachtet worden." Der Herzog war also nicht
zugleich oberster Richter, noch bestellte er einen solchen; ein anderer
verwaltete unabhängig von ihm das wichtige Amt; beide waren der Ge-
sammtheit
Was hierKezai
verantwortlich
sagt, und
wirdkonnten
auch durch
von das
ihr entsetzt
Zeugniß werden.
des Constantinus

bestätigt. „Mit diesem Fürsten", fährt er fort, „verwalten noch zwei


das Richteramt, Gylas und Karchan, Gylas und Karchan sind aber
nicht Eigennamen, sondern Aemter, jedoch ist der erstere höher als
der Karchan." 3 Es fällt sogleich in die Augen, daß unter Gylas
gyüies=: Volksversammlung, die communitas des Kezai, und nicht ein
Amt zu verstehen ist; der zweite Name läßt sich am füglichsten aus
dem Worte kar = Zustand , ferner Mitglied der Volksversammlung (in
letzterer Bedeutung noch immer gebräuchlich in der solennen Formel:
karok es rendek — status et ordines) erklären, würde also den Khan
bezeichnen, der entweder den Zustand überwacht, oder in der zweiten
Bedeutung, der der Vorstand der Volksgemeinde ist. Dieser Karchan
ist vielleicht der Anfang jenes hohen, zwischen dem Königthume und
dem Volke stehenden Würdenträgers, der ungarisch nädor-ispän, latei
nisch Palatinus genannt wird, und etwas ganz anderes war, als die
Pfalzgrafen
Doch beianderer
einem Länder.
kriegerischen, fortwährend kämpfenden, um seine

Existenz ringenden Volke ist ein bleibender, sogar erblicher Heerführer


eine zu wichtige Person, als, daß seine Gewalt sich nicht fortwährend
vergrößern sollte. Die ihm als Krieger gehorchen, gewöhnen sich, auch
als Bürger seinen Willen zu befolgen. Und die Geschichte lehrt über
all, welche Macht über die Gemüther vollends ein siegreicher Feldherr
erwirbt, wie leicht er sich zum Herrscher aufschwingt. Constantinus4
bezeugt, Ärpäd sei ausgezeichnet durch Anstand, Einsicht und Kraft,
zum Herrscher geboren gewesen; noch lauter verkündigen die Thaten,
die er verrichtet, seine Größe. Schon er übte also gewiß durch diese
geistige Ueberlegenheit größern Einfluß, als ihm ursprünglich über
tragen war, und bahnte seinen Nachfolgern den Weg zur monarchischen
Herrschaft und zum Königsthron. Hierbei fand er aber auch in den
fremden
1 De Stämmen
administrando
, die sich
imperio,
den c.Ungarn
40. — angeschlossen,
1 Gesta Hunnorun1,
und I,in2.den
— Ein-
* De

administrando imperio, o. 40. — 4 a. a. O.


88 Erstes Buch. Dritter Abschnitt

geborenen, die in den Reichsverband aufgenommen wurden, eine mäch


tige Stütze, und seine Nachfolger fanden sie noch außerdem in den ein
gewanderten Fremden. Wie sehr schon unter ihm die herzogliche Macht
zugenommen habe und erstarkt sei, beweist nichts anschaulicher als die
Thatsache, daß sein unmündiger Sohn ihm nachfolgen und sich be
haupten konnte, daß die für die Zeit seiner Unmündigkeit ernannten
Heerführer und Regenten wilhg zurücktraten, da er volljährig geworden
war. Auf der durch Ärpäd betretenen Bahn schritten seine Nachfolger
immer weiter fort; kaum verfloß ein Jahrhundert, und Geiza ist nicht
mehr blos oberster Heerführer, er ist schon Beherrscher des Reichs, der
es wagen darf, an den alten Sitten und Gebräuchen zu rütteln, sich der
Verantwortlichkeit der Volksgemeinde gegenüber zu entziehen, Fremde
zu
tralgewalt
thums
begünstigen
schmückte,
war gebildet,
unddas
strenge,
Band
die sogar
sich
der bald
Einigkeit
hartauch
zu verfahren.
mit
fester
demumGlanze
Eine
die Stämme
starke
des König-
Cen-
zog

und mehr Macht nach innen besaß, als die meisten Fürsten der dama
ligen Ueber
Zeit. die Religion der alten Magyaren haben wir keine bestimm

ten Nachrichten, keine Volkssage hat sich erhalten, kein Denkmal des
alten Glaubens ist geblieben. Aber aus den Andeutungen fremder
Schriftsteller, aus Gesetzen gegen das Heidenthum, aus einigen Worten
in der Sprache und aus Ueberbleibseln in den Sitten läßt sich doch
einiges mit gutem Grund zusammenstellen. Die Ungarn konnten nur
dieselbe oder eine ähnliche Religion haben, wie die ihnen stamm-
verwf ndten Völker. Von diesen sagt nun Theophylaktus Samokata 1 :
„Sie verehren vorzüglich das Feuer, die Luft und das Wasser, und sin
gen der Erde Loblieder, aber beten an und nennen Gott nur ihn, der
die Welt geschaffen hat." Dieses höchste Wesen nannten und nennen
sie auch jetzt Isten, wahrscheinlich von dem längst veralteten isc =
Vater, Ahne, abzuleiten. Daß sie auch an böse Wesen glaubten, kann
man schließen aus den Worten ördög und manö, die echt ungarisch
sind und in der Sprache vorhanden waren, ehe sie noch den christlichen
Teufel, sätän, kannten. Ob sie Götzenbilder hatten, ist zweifelhaft;
Tempel konnten sie als Nomaden keine haben. Unter freiem Himmel,
an Flüssen und Quellen, auf Höhen und in Hainen brachten sie der Gott
heit ihre Opfer dar, die in Rindern und Schafen, besonders aber in
makellosen weißen Pferden bestanden; denn das Thier, welches ihnen
das liebste war, mußte auch für die Gottheit das angenehmste Opfer
sein. Mit den Opfern verbanden sie fröhliche Feste. Ihre Priester
und Priesterinnen, tältosok, waren zugleich Sänger und Wahrsager,
jösok, bildeten aber keine erbliche Kaste, vielleicht auch keinen be
sondern Stand, und besaßen keine Vorrechte. Nirgends zeigt sich in
ihrer Religion eine Spur jener finstern Ansichten und geheimnißvollen
Schrecken, die bei Galliern und Deutschen herrschten und sie zu
grauenvollen
1 Bei Stritter
Ceremonien
unrichtig, aber
und im
grausamen
Corpus script.
Menschenopfern
Byzaut, bonnernöthigten.
Ausgabe,

S. 286, richtig übersetzt.


Der Ungarn Lebensweise. g9

Und wer es zu erfahren Gelegenheit hatte, wie wenig unter den echten
Magyaren selbst der gemeine Mann zum Aberglauben hinneigt, wird es
wahrscheinlich finden , daß auch ihre Vorfahren ziemlich frei von reli
giöser Schwärmerei gewesen seien, Für ihren Glauben an Unsterb
lichkeit zeugt schon das Wort lelek, welches ausschließlich die mensch
liche Seele bezeichnet und von jeher in ihrer Sprache heimisch sein
mußte, da es auch die verwandten Mundarten besitzen; darauf deuten
auch die Gebräuche hin, mit denen sie ihre Todten an Quellen zu be
graben, Hügel als Denkmäler auf ihren Gräbern aufzurichten und
Todtenmahle zu begehen pflegten. Feierliche Eidschwüre waren ge
bräuchlich und wurden heilig gehalten, selbst wenn sie zu dem ver
pflichteten, was gegen den eigenen Vortheil war, so der Staatsvertrag,
den sie unter sich, und die Friedensschlüsse, die sie mit andern Nationen
eingingen und alle treu beobachteten; einen Verrath, wie ihn Csörcz
unter den Baiern erfuhr, ließen sie sich nie zu Schulden kommen. So
viel aus den Nachrichten über die Familie der Herzoge sich schließen
läßt, lebten sie in Monogamie und wurden ihre Ehen unter religiöseu
Ceremonien
Doch außer
geschlossen.
ihrem alten
1 Glauben waren den Magyaren auch andere

Religionen und das Christenthum selbst bekannt und mögen unter


ihnen sogar Bekenner gehabt haben, noch vor dem Einzuge nach Pan-
nonien. Denn, wie wir bereits wissen, berichtet der Araber Ebn Hau
kai im 10. Jahrhundert, daß im Chazarenreiche Mohammedaner, Juden,
Christen und Heiden lebten und Staatsämter führen konnten. 2 Auch
ist uns bekannt, daß Cyrill , ehe er mit seinem Bruder Methodius zu den
Mährern ging, einige Jahre unter den Chazaren als christlicher Glau
bensbote mit Erfolg wirkte. Bei der innigen Verbindung, in welcher
die Ungarn mit diesem Volke standen, und da sich ihnen sogar ein
ganzer Stamm desselben anschloß, ist es daher fast unglaublich, daß sie
nicht damals schon mit dem Christenthume bekannt gewesen sein und
daß nicht wenigstens einige es sollten angenommen haben. Endlich
wurden sie durch die Eingeborenen Pannoniens und durch ihre Sklaven,
die beide zum Theil bereits Christen waren, zur Annahme des Evan
geliums vorbereitet. Fanatismus und Verfolgungssucht gegen Anders
glaubende lag nie in dem Charakter des Magyaren, davon werden wir
uns im ganzen Verlaufe der Geschichte überzeugen. Wie sie moham
medanische Ankömmlinge bereitwillig unter sich aufnahmen, so thaten
sie es auch mit christlichen; nirgends verfolgten sie die Christen als
solche. Lehren doch schriftl1che Urkunden, daß sie in dem Theile des
heutigen Oesterreichs, der damals zu ihrem Gebiete gehörte und schon
christlich war, Städte, Klöster und Kirchen unbeschädigt ließen und die
Priester,
1 Csengeri,
die nicht
Diefeige
alte Religion
ihre Heerde
der verlassen
altaischen hatten,
Völker mit
in der
Rücksicht
Ausübung
auf

die Ungarn (Ofen 1857). Ipolyi, Ungarische Mythologie (1855). Beide in unga
rischer Sprache. Cornides,' Commentatio de religione veterum Hungarorum,
edidit Engel (Wien .1791). — 2 Szalay, Geschichte Ungarns (2. Ausg.), I, 57,
nach sin
Ebnenc.
Hankai,
VII1eme,
Morgenländische
anec. 6. Geographie, im Auszuge von S. Sacy,
90 Erstes Bach. Dritter Abschnitt.

ihres Amts nicht im geringsten hinderten. Wie laut rühmt endlich


Piligrin in seinem, oben angeführten Briefe an den Papst ihre Duldsam
keit und
Die Verträglichkeit
Ungarn waren gegen
ein Reitervolk,
die Christen.
wie alle ihre Stammgenossen,

und kämpften fast ausschließlich zu Pferde. Ihre Waffen waren


Schwert, Lanze und Bogen; zu ihrem Schutze trugen sie einen Harnisch
von Metall, die Aermern auch nur von Filz oder Leder, und selbst die
Vordertheile ihrer Rosse waren mit einer solchen Wehr bedeckt. Von
Kindheit an gewöhnt an jegliche Beschwerde und Entbehrung, waren
sie fähig, alle Mühseligkeiten eines unsteten Wander- und Kriegerlebens
zu ertragen; und von Jugend an geübt im Reiten und im Gebrauch
des Bogens, erreichten sie in beiden eine furchtbare Gewandtheit. Hier
nach war auch ihre Art der Kriegführung und des Kampfes eingerichtet;
auf ihren Rossen dahinfliegend, brachen sie unerwartet in die Länder
ein, ergossen sich wie eine Flut über dieselben und verschwanden wie
der, ehe an Widerstand gedachlf werden konnte. Gefechte, in denen
sie handgemein werden mußten, liebten sie weniger, aber den Feind zu
beunruhigen, ihn entweder plötzlich zu überfallen oder fortwährend zu
umschwärmen oder zu überflügeln, war die Kunst, die sie verstanden.
Auf förmliche Schlachten bereiteten sie sich während der Nacht. Ihr
Heer stand nicht in Schlachtreihen, wie bei den Römern und Griechen,
sondern war in Haufen von tausend Reitern getheilt, die voneinander
durch kleine Zwischenräume geschieden wurden, wodurch sie eine tiefe
und gedrängte Schlachtordnung bildeten. Einen Theil des Heeres stell
ten sie als Reserve auf, um damit im Nothfall die Kämpfenden zu
unterstützen oder dem Feinde in die Flanken und in den Rücken zu
fallen. Hinter dem Treffen standen unter geringer Bedeckung die
überflüssigen Pferde und das andere Vieh, wovon sie große Mengen mit
sich führten, und das übrige Heergeräth. So vorbereitet und geordnet
stürzten sie auf den Feind, schossen ihre Bogen ab und drangen mit den
Lanzen ein. Gelang es nicht, rasch seine Reihen zu durchbrechen, so
wandten sie sich zur verstellten Flucht, verlockten ihn dadurch, seine
Reihen zu lösen, überschütteten, auf ihren dahingalopirenden Pferden
sich rückwärts biegend, den verfolgenden mit einem Pfeilregen und
schwenkten plötzlich zu neuem Angriff wieder um. Schlugen sie ein
Heer, so ließen sie von der Verfolgung nicht ab, bis sie es nicht gänz
lich vernichtet hatten. Feste Plätze, die sie nicht sogleich erstürmen
konnten, zwangen sie zur Uebergabe oder nöthigten sie zur Erlegung
großer Brandschatzungen, indem sie siqfumlagerten und durch fort
währende Angriffe ängstigten. Ihre Kriegszucht war strenge, der Ge
horsam gegen die Obern pünktlich, und wurde durch schwere Strafen
gegen1 Als
Leonis
Feige
wirund
imperatoris
dieWiderspenstige
Eroberung
Tacticorum
desgehandhabt.
Landes
, c. 18, erzählten,
in1 Kollär, Historiae
wurde auch,
jurisque
in-

pablici regni Hungariae amoenitates (Wien 1783), Fase. 1. Ins Ungarische


übersetzt von Szabo, im Ungarischen Museum, 1851 u. 1852, Heft 5. Re-
gino bei Pertz, Monum. Germ, hist., I, 599.
Der Ungarn Lebensweise. 91

wieweit wir Nachrichten darüber besitzen, gesagt, in welchen Gegenden


dieser oder jener Stamm der Magyaren und der Bundesgenossen sich
niederließ. Nicht der Herzog verlieh aus Gunst oder Verdienstes we
gen solche Schenkungen von Ländereien; auch geschahen sie anfangs
nicht an einzelne, wer diese auch sein mochten, wie der Anonymus es
darstellt, geblendet von den Verhältnissen seiner Zeit. Noch hatten
sich die Stämme nicht vermischt; jeder machte für sich ein abgeschlos
senes Ganze aus. Daher wurden auch gewiß nicht durch den Herzog,
der die Befugniß dazu nicht hatte, und deß Eigenthum das Land nicht
war, sondern durch die Volksgemeinde oder den hohen Rath der ge-
sammten Häuptlinge jedem Stamme gesonderte und zusammenhängende
Wohnsitze angewiesen. 1 Hierher führte nun der Stammfürst sein
Volk, und ließ sich mit ihm neben und unter den alten Landesbewohnern
nieder, wo es solche gab, und diese wurden bald in die Gemeinschaft
des Stammes aufgenommen und verschmolzen mit ihm oder dieser mit
ihnen, wenn sie die zahlreichere Partei waren. Der Boden blieb das
Eigenthum der Gesammtheit, und wurde wol unter die Geschlechter,
aber nicht unter einzelne vertheilt. In diesen weiten Grenzen schlugen
die Familien ihre Hütten auf, ließ jeder seine größere oder kleinere.
Heerde weiden und wurden, vielleicht gemeinschaftlich, geeignete
Strecken nach Bedürfniß angebaut. Die Fürsten, Häuptlinge und Vor
nehmen hatten so wenig eigenen und gesonderten Bodenbesitz , wie die
übrigen Freien, nur brauchten sie mehr Raum, weil ihre Heerden zahl
reicher und ihre Bedürfnisse größer waren, weil sie wahrscheinlich auch
zu Hause und im Frieden für den Unterhalt und die Bewaffnung ihrer
Kriegsmannen sorgten. Erst nach Ablauf der ersten Periode, als sich
das Volk mehr dem Ackerbau zuwendete und an feste Wohnplätze ge
wöhnte, wurde es nöthig, eine Theilung des Bodens vorzunehmen und
jedem das Seine nach Bedürfniß zuzumessen; erst dann entstand nach
und nach der abgesonderte Bodenbesitz, und noch später durch Aus
artung und Aufhebung der Geschlechts- und Stammverhältnisse, durch
Unterdrückung und Beraubung der Gemeinfreien wurden die Häupt
linge oder die an ihre Stelle traten, die mittelbaren und unmittelbaren
Herren des einst allen gehörenden Bodens. 2
Wie die übrigen Stämme, so erhielt auch der Stamm, dessen be
sonderer Fürst Arpäd war,, seinen Landantheil, wahrscheinlich in der
Gegend um Stuhlweißenburg und Pesth bis hinauf nach Gran , denn da
war die Residenz der Herzoge, und dieselben Verhältnisse fanden
auch bei ihm statt. Dieser Stamm mochte aber zahlreicher und mäch
tiger sein, als die andern, und deshalb auch Sitze von weiterer Aus
dehnung, als sie erhalten haben, die dann dem Herzog zur Verstärkung
seiner Macht dienten. Aber ihm waren natürlich auch jene weiten Ge-

1 Constant. Porphyrogen. de administr. imp., o. 40. „Jeder Stamm wohnt


an den Ufern eines andern Flusses." — 2 Aehnliches fand auch bei den alten
Germanen statt nach dem Zeugniß Cäsar's (De bello gallico, VI, 22) : „ . . . neque
quisquam agri modum certum aut fines habet proprios, sed magistratus ac
prineipes in annos singulos gentibus cognationibusque hominum , qui una
coieiint, quantum eis et quo loco visum est, agri attribuunt."
92 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

genden untergeordnet, die den Eingeborenen überlassen blieben und


wohin kein magyarischer oder kabarischer Stamm angesiedelt, sondern
nur Besatzungen eingelegt wurden; von ihm hingen ab und an ihn
schlossen sich die miteingewanderten und die später angekommenen
Fremden, denen ebenfalls Wohnplätze hin und wieder im Lande an
gewiesen wurden. So vermehrten sich die Hülfsquellen und die Macht
des obersten Fürsten, bis endlich aus ihm ein Feudalkönig wurde, den
man sich als den Herrn und Eigenthümer des ganzen Landes dachte,
von dem jeder Besitz ausgehe und zu dem er wieder zurückkehre. Das
hier Gesagte läßt sich zwar nicht durch historische Urkunden buch
stäblich belegen; es ist aber, was eigentlich noch mehr gilt, begründet
durch die Natur der Sache; denn so geschieht es von jeher und kann
gar nicht anders, geschehen , nicht nur bei ,eigentlichen Nomaden, son
dern bei allen Völkern, die mit den alten Magyaren auf ähnlicher Stufe
der Cultur stehen; so war es der Hauptsache nach z. B. in Hoch
schottland,
Da diesolange
Magyarendie an
Clane
festen
mitWohnsitzen
ihren Verhältnissen
keinen Geschmack
bestanden. fanden,

überließen sie die wenigen Städte , die sie in dem Lande vorfanden , un-
zerstört ihren alten Bewohnern oder neuen Ankömmlingen, was schon
durch ihr Vorhandensein unter den Herzogen bewiesen wird, wenn wir
auch sonst keine Nachrichten darüber besäßen. Ebenso wenig ver
trieben sie aus dem Berg- und Hügelland die Bevölkerung, die sich da
hin seit den Schrecken der Völkerwanderung zurückgezogen hatte. Sie
ließen sich hauptsächlich in der seit Jahrhunderten jeder Verwüstung
schutzlos preisgegebenen und darum beinahe menschenleeren Ebene
nieder, die zwar vor ihnen bereits die Bulgaren nebst einigen Ueber-
resten der Avaren besetzt, aber, nachdem sie besiegt waren, auch wie
der größtentheils verlassen hatten. Hier fanden sie, was sie vor allem
suchten, treffliche Weiden für ihre Heerden, fischreiche Flüsse und viele
Arten von Wild in großer Menge, und konnten die geeigneten Stellen
durch ihre Sklaven auch pflügen und säen lassen, wenn sie es nicht
selbst thun wollten. Eine falsche Vorstellung ist es, wenn man wähnt,
sie hätten bei der Eroberung des Landes dessen Bevölkerung aus ihren
Sitzen vertrieben und in die Berge zurückgedrängt, oder theils zu Skla
ven gemacht und theils ausgerottet. Sicher geschahen in der Hitze der
Schlacht und im Sturme der Eroberung viele Thaten der Gewalt; Tau
sende wurden getödtet und Gegenden verwüstet, aber auf eine absicht
liche und allgemeine Vertreibung und Ausrottung der Bevölkerung war
es nicht angelegt; es waren dies nur die gewöhnlichen Auftritte einer
barbarischen Kriegführung. Wir haben nach geschichtlichen Urkunden
bereits angedeutet, wie sie bei der Einnahme des Landes verfahren sind.
Die keinen Widerstand leisteten, blieben ungekränkt, die Ueberwundenen
wurden geschont, sobald sie sich unterwarfen und Geiseln stellten,
ganze Völkerschaften behielten ihr Land und ihre Einrichtungen, wenn
sie die Oberhoheit anerkannten, die sich den Ungarn aber freiwillig an
schlossen, wurden sogleich in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Die
einzelnen Colonien, die sie an den geeigneten Plätzen unter die alten
Landbewohner legten, fanden zwischen der dünnen Bevölkerung gewiß
Der Ungarn Lebensweise. 93

Baum genug, ohne diese berauben zu müssen. Nur die Kriegsgefan


genen wurden Sklaven , und auch sie konnten durch die Gunst des Herrn
oder durch tapfere Kriegsdienste zur Freiheit gelangen. 1 Der Magyare
fing schon damals an, die Grundsätze der Gerechtigkeit und des Wohlwol
lens zuüben,nach denen er alle spätem Jahrhunderte hindurch dieNationen
behandelte, die mit ihm das Vaterland bewohnen; er ließ ihnen unan
gefochten Heimat, Sprache, Sitten und Religion, sodaß sie im ganzen noch
heute dieselben Gegenden bewohnen, dieselbe Zunge sprechen, zu derselben
Kirche sich bekennen; ja, er gewährte ihnen häutig Vorzüge und Privi
legien, welche die eigenen Stammgenossen nie erhielten.2 Daher ist
es auch erklärlich, daß diese selbst in den ersten Zeiten ihrer Unter
werfung sich nie auflehnten, nie die Gelegenheit benutzten, sich in Frei
heit zu setzen, wenn die Kriegsscharen in fremde Länder zogen, wenn
große Niederlagen die Kraft der Magyaren schwächten; sie fühlten
sich frei und waren mit ihnen bald zu einem Volke verschmolzen, wenn
auch nicht zu einer dieselbe Sprache redenden Nation. Erst dann, als
fremde Ankömmlinge das Lehnwesen nach Ungarn brachten, ver
schwand die allgemeine Freiheit : aber alte Einwohner und neue An
kömmlinge ebenso gut als Magyaren erhoben sich zu Lehnsherren, und
die gemeinfreien Magyaren wurden ebenso, wie Slawen, Walachen und
Deutsche in den Zustand der Unfreiheit hinabgestossen. Doch darf
sich der Ungar wenigstens rühmen, sie nie zu Leibeigenen gemacht
zu haben; die Person blieb frei und war nur pflichtig, solange sie auf
Pflichtigem Grund saß; das Recht der Freizügigkeit bestand immer
gesetzlich.
Die zu Hause so verfuhren, konnten gewiß in andern Ländern die

ungestalteten, wüthenden Unholde nicht sein, zu denen sie das Schrecken


der Völker und die Uebertreibungen der Chronisten machen s und als
welche sie von manchen , besonders deutschen Schriftstellern, auch jetzt
noch geschildert werden. Sie haben in ihren Kriegs- und Streifzügen
geplündert, verwüstet, Gefangene weggeschleppt; aber welches barba
rische Volk führt seine Kriege anders? Haben die Germanen, als sie in
die Länder des römischen Reichs einfielen, nicht ebenso oder vielleicht
noch 1 weit
Kezai,
ärger
De gehaust?
ndvornicis. Und
— z doch
Wennreden
Büdinger,
dieselben
Oesterreichische
Schriftsteller
Geschichte
davon

(Leipzig 1858), von den Slawen, welche die westlichen Gegenden Ungarns in
den Karpaten bewohnen, sagt: „Ein größtenteils in langer Knechtschaft tief
herabgekommenes Volk, dessen Fesseln erst fast nach einem Jahr
tausend gelöst werden sollten", so ist dies nur ein Beweis, daß er die
ungarischen Zustände mit großer Befangenheit betrachtet, denn diese Slawen
waren, wie die Magyaren, Kdelleute, Bürger und Bauern, und die letztern
wenigstens nicht Leibeigene, wie in den meisten rein slawischen Ländern. —
3 Otto Freising.: „Sunt Hungari facie tetri, profundis oculis, statura humiles ....
ut divina patientia sit admiranda, quae ne dicam hominibus, sed talibus homi-
num monstris tarn delectabilem exposuit terram." Zur richtigen Würdigung
dieser Schilderungen muß aber bemerkt werden, daß die italienischen und
griechischen Geschichtschreiber ein weit freundlicheres Bild der Magyaren
entwarfen und sogar manch Lobenswürdiges an ihnen finden; sie, deren
Kationen die damaligen Deutschen unleugbar an Bildung weit übertrafen und
diese noch als Barbaren betrachteten.
94 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

mit einem gewissen Stolze, wie von großen Heldenthaten, und rühmen
es, daß ein verdorbenes und gesunkenes Geschlecht durch germanische
Kraft wieder erneuert und gehoben wurde. Welche Verwüstungen
wurden angerichtet, wie viele Grausamkeiten begangen, wie viele tau
send Gefangene hingemordet in den Kriegen des gepriesenen Helden
Karl des Großen? Wie wurden weit später von den Deutschen die
slawischen Völkerschaften an der Elbe, Saale, Oder und Ostsee fast
ausgerottet und die Ueberreste derselben zu Sklaven gemacht — wovon
selbst der Name Sklave zeugt — und gewaltsam germanisirt! 1 Solche
Dinge haben sich die Ungarn kaum zu Schulden kommen lassen. Jetzt
lesen wir in den Chroniken, daß sie dieses Kloster zerstört, diese Stadt
niedergebrannt, dieses Land gänzlich verwüstet, die Bevölkerung theils
ausgemordet und theils gefangen weggeführt haben, und kurz darauf
hat schon dasselbe Kloster wieder seine reichen Vorräthe und Mönche,
die Stadt und das Land stehen in ziemlicher Blüte, sodaß die Ueber-
treibung in der Schilderung jener Greuelscenen unverkennbar ist. Ja,
viele Einfälle der Ungarn in die westlichen Länder waren nicht blos
Plünderungs- und Raubzüge, sie waren rühmliche Kriegszüge, die sie
unternehmen mußten, um das neu gewonnene Vaterland zu vertheidigen
und dessen Besitz zu sichern gegen die Angriffe ihrer mächtigen Nach
barn, des deutsch -römischen und des byzantinischen Kaiserreichs.
Grausamkeit und Blutdurst waren nie Laster des ungarischen Cha
rakters; unsere Vorfahren waren nicht häßlicher, wilder und unmensch
licher als die anderer, vormals barbarischer, jetzt gebildeter Nationen;
vielmehr zeichneten sie sich durch rühmliche Eigenschaften aus, die
unserm Volke noch immer zur Zierde gereichen. Sie besaßen freilich
nicht die Bildung der Griechen und Römer oder der heutigen Völker
Europas, aber sie hatten sich bereits der Roheit entrissen und be
deutende Anfänge zu einer eigenthümlichen Civilisation gemacht, als sie
in ihr heutiges Vaterland einrückten, sie waren fähig, europäische Ge
sittung aufzunehmen und unter dem Einflusse des Christenthums sich zu
derselben zu erheben. Man darf nur hinweisen auf unsere Sprache,
die noch immer dieselbe ist und in ihrer Urgestalt vielleicht noch reicher
an Formen war; sie vereinigt in ihrem Klang Anmuth und Kraft, sie
ist so reich an Wurzelwörtern und so biegsam, daß sie jeden, auch den
abstractesten Begriff genau ausdrücken kann, ohne ein fremdes Wort
zu entlehnen; sie ist so regelmäßig, daß sie fast keine Ausnahme kennt
und von dem gemeinen Manne ebenso richtig, wie von dem Gelehrten
gesprochen wird ; sie ist so mannichfaltig in ihren Formen , daß sie den
feinsten Unterschied der Gedanken und Empfindungen deutlich dar
stellt; ein Volk, das sich eine solche Sprache geschaffen hat, muß
natürliche
1 Büdiuger,
Anlagen
Oesterreichische
und geistige
Geschichte
Kraft (Leipzig
besitzen.1858),
UndI, 301.
werfen
„Gegen
wir

die Ungarn, wie gegen die Slawen kannte man kein Erbarmen." .... „Wir
wollen", schrieb Otto I. am 18. Jannar 968, „daß die Redarier keinen Frie
den mit Euch haben. Veranstaltet das Nötlüge mit dem Herzog Hermann,
und gehet mit allen Kräften daran, daß Ihr dnrch die völlige Vernichtung
derselben der Sache ein Ende nacht." Widukind, III, 70.
Der Ungarn Lebensweise. 95

vollends einen Blick auf die Thaten und Schicksale dieses Volks. Oft
kommt es vor, daß Hirtenvölker, durch irgendeinen Anstoß in Bewegung
gesetzt, oder durch das überwiegende Genie eines Mannes, der unter
ihnen auftaucht, hingerissen, sich plötzlich erheben, ihre lose Stamm
verfassung aufgeben, sich zu einer Masse vereinigen, eine monarchische
oder theokratische Staatsform gründen und sich dann über die Länder
verheerend und erobernd stürzen. Aber der siegreiche Führer wird
bald zum unumschränkten Despoten, die freien Krieger verwandeln
sich in unterwürfige Knechte; die Einwohner des bezwungenen Landes
werden in den Stand schmählicher Sklaverei herabgedrückt. Das Feuer
der Begeisterung erlischt, die Hand, welche einst das Schwert mit
Kraft führte, erschlafft am Pfluge; innere Zwietracht, der erwachende
Muth der Unterjochten, der Angriff äußerer Feinde zerstören die plan
los aufgethürmte Masse; was ein Volk geschienen hatte, löst sich wie
der in einzelne Horden auf oder verliert sich spurlos unter den bezwun
genen Nationen ; es verschwindet wie ein Meteor , das eine Zeit lang
Glanz und Schrecken verbreitet hatte, und nichts bleibt von ihnen, die
nur zu erobern, aber keinen Staat zu gründen wußten, als das Andenken
an die Auftritte des Greuels und der Verwüstung, welche die Geschichte
aufgezeichnet hat. Nicht so das ungarische Volk. Es erhebt sich, be
drängt von mächtigen Feinden, aus seiner Heimat, macht sich auf zur
Wanderung und wählt einen Führer. Aber die Freiheit wird durch
Uebereinkunft und Vertrag gesichert und der Grund zu einer Ver
fassung gelegt, die sich nach und nach ausbildet, bereits ein Jahrtausend
dauert und noch immer mit unerschütterlicher Treue bewahrt wird.
Dieses Volk erkämpft sich ein Vaterland, vertilgt aber nicht die Völ
kerschaften, welche dasselbe bewohnen, sondern läßt sich unter ihnen
nieder, nimmt sie in die Gemeinschaft des Staats auf und gibt ihnen
gleiche Rechte. Es nimmt die Religion und vieles von den Staats
einrichtungen und Sitten der einheimischen und benachbarten Nationen
an, aber bewahrt dessenungeachtet seine Sprache und Eigenthümlichkeit.
Schreckliche Stürme brechen über Land und Volk herein, lange kämpft
es gegen die furchtbare Macht der Türken mit wechselndem Glück, mit
ungebrochenem Muth, bis es endlich, zerrissen von innerer Zwietracht,
zur Hälfte erobert wird; es erhält zur selben Zeit Herrscher, die über
andere weite Länder gebieten; man arbeitet fortwährend daran, ihm
seine Selbständigkeit zu nehmen und es mit diesen zu verschmelzen :
aber es bleibt sich selbst, seiner Verfassung und Freiheit treu, erhebt
sich jedes mal wieder aus seinem Verfall und sieht und strebt, auf sein
gutes Recht und auf seine Kraft vertrauend, einer schönern Zukunft
entgegen.
Die Grenzen des ungarischen Reichs unter den Herzogen geben

der Zeitgenosse, Kaiser Constantinus Porphyrogenetus und der Anony


mus ziemlich genau an, und ihre Angabe wird noch außerdem durch
andere Denkmäler bestätigt. Im Osten wurde es durch die Karpaten
und durch die Alt von dem Lande der Petscheneger getrennt, das bei
läufig die heutige Bukowina, Moldau und einen Theil der "Walachei
umfaßte. Gegen Süden, von der Alt angefangen, wurde die Grenze
96 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.

bis zu dem heutigen Belgrad durch die Donau hauptsächlich den Bul
garen gegenüber, von da gegen Serbien und Kroatien durch die Save
gebildet, zog sich aber westlich gegen die Drau hinauf und erreichte das
Adriatische Meer. Im Westen waren zuerst die julischen und kärntener
Alpen des Landes Grenze, das sich sodann an der Save über Agram
und Olli hinaus, an der Donau bis Fetau und von da bis an die Raab
und den Sömmering erstreckte, hier eine schiefe Richtung nahm und
in das heutige Oesterreich am linken Ufer der Donau sich unter Zoltän
bis Molk und an den Erlafluß, später nur bis an den Kahlenberg er
streckte. Gegen Böhmen diente die March mit Einschluß der Gegend
von Banow zur Grenze l; im Norden endlich gegen Polen bildeten die
Karpaten
1 Palaoky,
die Scheidewand.
Geschichte von2 Böhmen, I, 226 fg. sagt: „Die Grenzen Böh

mens umfaßten (zu dieser Zeit) im Südosten nicht aHein Mähren, sondern auch
die ganze sogenannte (von wem?) Slowakei in Ungarn, zwischen der Donau
und den Karpaten östlich bis an das Mätragebirge hin" u. s. w., und beweist
seine Behauptung aus einer „vom Kaiser Otto I. und dem Papst Benedict VII.
bestätigten Stiftungsurkunde des prager Bisthums, dessen Grenzbeschreibung
in das Confirmationsdiplom Kaiser Heinrich's IV. vom Jahre 1086 wörtlich
uberging,
weise
additis auch
usque
bei schon
Cosmas,
ad montes,
unverständlich
II, 168
quibus
— 171.
nomen
Sie est
istInde
freilich
Tatri, Ungarorum
dilatata
nicht geordnet
procedit.
limitibus
und
Deinde
theil,

in ea parte, quae meridiem respicit, addita regione moravia, usque ad flu-


vium, cui nomen est Wag, et ad mediam sylvam, cui nomen est Mudre (Mä-
tra?) et ejusdem montis, eadem provincia tendit, qua Bavaria limitatur." Wir
lassen die Echtheit dieser Urkunde dahingestellt sein, f1nden aber in der
selben gerade das Gegentheil von dem, was Herr Palacky behauptet. Denn
es werden ausdrücklich die Grenzgegenden Ungarns, nicht böhmisches Gebiet,
dem Sprengel zugegeben, und zwar in östlicher Richtung bis an die Tätra-
berge, in südlicher, mit Einschluß der mährischen Landschaft, bis an den
Wagfluß und den mittlem Wald Mudre, in westlicher bis an die Grenzen
Baierns. Wie kann man nun den mittlem, also innerhalb des von der Wag
umflossenen Landes liegenden Wald Mudre mit dem weit gegen Südost von
diesem Fluß liegenden und durch mächtige Gebirgszüge getrennten Mätra
gebirge 'für eines und dasselbe halten? Dagegen ist man berechtigt anzu
nehmen, weil mährisches Land mit den „Grenzgegenden der Ungarn" am
rechten Ufer der Wag, die sich bis in das bairische Herzogthum erstreckten,
zusammengefaßt wird, daß hiermit eben die zu Ungarn gehörende banower
Gegend gemeint sei. Jeder Unbefangene findet also in dieser verwirrten Aus
sage den Sinn, daß auch die genannten Gegenden Ungarns, in denen Chri
sten wohnten, dem prager Bisthum einverleibt werden. Wenn jedoch
Palacky sagt: „Für Kenner des Alterthums ist die Bemerkung wol über
flüssig, daß diese Grenzen der Kirche auch die des Staats waren", so wider
spricht er geradezu dem damaligen Gebrauche und sich selbst. Zählten doch
die Erzbischöfe von Salzburg Pannonien, die von Hamburg, später von Bre
men, die skandinavischen Reiche zu ihren Diöcesen, ohne daß diese Länder
zu den Staaten gehörten, in denen sich die Bischofssitze befanden. Er selbst
berichtet auf der unmittelbar folgenden Seite, Böhmen, das nach seiner eigenen
Behauptung kein Vasallenstaat Deutschlands war, habe zu dem Sprengel des
regensburger Bisthums gehört, und eben wegen des Widerspruchs, den das
dortige Kapitel erhob, erst 973 ein eigenes Bistbum erhalten können. —
2 Hören wir noch vollends was Büdinger, Oesterreichische Geschichte, I,
394 fg., über den Zustand des ungarischen Reichs zu dieser Zeit sagt: „Der
Nation drohte bereits Zersplitterung und Untergang; die Macht des Großherrn
Der Ungarn Lebensweise. 97

war geschwunden, nur die nordwestlichen und westlichen Theile des Lan
des waren ihm noch unmittelbar untergeben." Da Büdinger sicher das
Wesen der Stammverfassung kennt, so weiß er auch, daß der Großherr
unmittelbar nur das Gebiet seines Stammes und die zerstreuten Staatslände-
reien beherrschte, folglich will er mit diesen Worten eigentlich sagen, daß
nur diese westlichen Theile dem Großherrn noch gehorchten. Und wahrlich,
wenn wir seine Angaben zusammenstellen, so bleibt eigentlich für den Groß
herrn nichts mehr übrig. Denn Siebenbürgen ist von den Magyaren noch
nicht besetzt, sondern Gyula, den er Devix nennt, gebietet irgendwo im Osten
Ungarns; jenseit der Drau haben die Ungarn keinen Fuß breit Land; setzen
wir nun noch hinzu im Südwesten die sümegher Besitzungen des gewaltigen
Kupäny, von dem später die Rede sein wird, und im Nordwesten die Slo
wakei Palaeky's, so sehen wir hier schon ein Gebiet, das dem der spätem
deutschen Kaiser gleicht, einen leeren Namen. Herabgesunken zu dieser Ohn
macht, hätte weder Geiza so strenge und hart herrschen, nooh Stephan in einem
Lande, das ihm gar nicht gehorchte, gleich beim Antritt seiner Regierung so
Großes wirken können, besonders da keiner von beiden ein ausgezeichneter
Krieger war. Aber die Ungarn müssen nun einmal vernunftlose Barbaren
sein, denen nur „ein rettender Glücksfall" helfen konnte, obgleich Ge
schichte und Thatsaehen einstimmig und laut ihre Einsicht, Bildsamkeit und Kraft
verkündigen. Merkwürdig sind besonders die Gründe, durch die Büdinger, aber
mals den Thatsaehen zum Trotze, beweisen will, daß sich Siebenbürgen da
mals noch nicht im Besitze der Ungarn befunden habe (a. a. 0., S. 392). Auf
ihrer damaligen Culturstufe, sagt er, hatte das siebenbürger Bergland für die
Ungarn keinen Werth; .... wegen der Nachbarschaft der gefürchteten Petsche-
negen hätten sie es nicht behaupten können; .... Constantinus Porphyroge-
netus gibt an, daß die Provinz Gyla der Petschenegen an das Reich der Un
garn grenze, aber vier Tagereisen davon entfernt sei, folglich mußte Sieben
bürgen eine menschenleere Wüste sein, die nach echter Nomadenweise beide
Völker voneinander trennte. Aber gerade für Nomaden mußte das zur Vieh
zucht so sehr geeignete Siebenbürgen einen großen Werth haben; .... von hohen
Gebirgen umschlossen, ist es leicht zu vertheidigen, und wären die Petsche
negen den Ungarn so überlegen und im Besitze desselben oder auch nur
des freien Durchzugs gewesen, so hätten sich die Ungarn' nie in den Theiß
gegenden, die so wehrlos sind, behaupten können; .... geben wir endlich zu,
weder Szekler noch' sonstige Magyaren seien in dieser Zeit in Siebenbürgen
gewesen, mußte es darum eine menschenleere Wüste sein? Wo blieben denn
indessen die Rumänen, die es von jeher bewohnten und auch jetzt den größ
ten Theil der Bevölkerung bilden? Wüsten zwischen sich zur Grenze zu
machen, war übrigens nicht Sitte der berittenen asiatischen Völker, die das
flüchtige Roß leicht über ein solches Hinderniß hinwegtrug, sondern der ger
manischen Nationen, die ihre Kriegszüge zu Fuß machten. Caesar, De bello
Gallico, VI, 23. Doch alle diese Behauptungen lassen sich geschichtlich
widerlegen. Den Theil Oesterreichs von Molk bis zum Kahlenberg verloren
die, Ungarn 985 (vgl. S. 81); den vom Kahlenberg bis an die Leitha erst
1053 (vgl. S. 158). Gerade bei Cosmas von Prag, auf dessen Bericht Palacky
seine Annahme gründet, lesen wir (bei Pertz, IX, 100), daß die banower Ge
gend bis 1091 zu Ungarn gehört habe, was auch Dudik, Geschichte von Mäh
ren, I, 355, zugibt. Und die Worte des Constantinus Porphyrogenetus (De
administrando imperio, c. 40), welche Büdinger anführt, beweisen nicht im
geringsten, daß jener Raum von vier" Tagereisen, der Ungarn von dem Lande
der Petschenegen trennte, innerhalb Siebenbürgens lag und wüste war. Daß
aber diese Gienzen nicht so bestimmt und durch Staatsverträge geregelt
waren, wie Landesgrenzen es heutzutage sind, leuchtet von selbst ein. Waren
doch in derselben Periode die Marken des schon ungleich mehr civilisirten
Deutschland noch sehr unbestimmt, besonders im Osten gegen die slawischen
Völker und im Norden gegen Dänemark. Dazumal entschied das Schwert
alles; die Grenzen eines Landes gingen so weit, als jenes reichte; und

[BlMIö'TO' ]
mm "i
98 Erstes Buch. Dritter Abschnitt. Der Ungarn Lebensweise.

vollends konnten die Ungarn, die sich ein Vaterland erst erkämpfen mußten,
sich weder selbst im voraus planmäßig bestimmte Grenzen wählen, noch
bei ihrem überwiegenden Kriegsglück von den benachbarten Nationen in
solche eingeschlossen werden; Vordringen und Zurückweichen wechselten
nach der Entscheidung der Schlachten ; sie nahmen soviel in Besitz, als sie
jedesmal zu erobern und zu behaupten im Stande waren. Innerhalb solcher
wechselnden Grenzen lag aber bereits das neue Vaterland der Magyaren, das
sie liebten, dessen Boden, dessen Freiheit und Unabhängigkeit sie mit ihrem
Herzblut vertheidigten ; sie waren keine wandernde, heimatlose Horde mehr.
Zweites
Die Ungarn unter Königen ausBuch.
Ärpäd's Stamme, von

Stephan I. bis Koloman 997 — 1114.


Begründung Erster Abschnitt.
der Monarchie und Einführung des

Christenthums.
Stephan I. oder Heilige 997 — 1038.

1. Thaten und Begebenheiten.

L Ln der vollen Kraft der männlichen Jahre, von der Natur an


Geist und Herz reich begabt, bestieg Stephan den herzoglichen Thron,
997, zu einer Zeit, wo sich große Dinge vorbereitet hatten und die 99?
formlosen Zustände, in denen sich Land und Volk befand, gleichsam der
Hand harrten, die ihnen eine neue und feste Gestalt geben sollte. Mit
klarer Einsicht begriff er, sein Reich, wie es jetzt ist, könne nicht be
stehen, es müsse sich entweder von selbst auflösen und zerfallen, oder
Angriffen von außen unterliegen, und faßte den großen Entschluß, die
noch wirre, unausgebildete Verfassung so zu ordnen und in der ganzen
Denkungsart und Lebensweise der Nation eine solche Veränderung
herbeizuführen, daß Ungarn den europäischen Staaten, die es umgaben,
ähnlich werde, sich mit ihnen befreunden und in ihren Kreis als will
kommenes Mitglied eintreten könne. Nicht nur äußerlich zum Christen-
thume bekehrt, sondern auch innerlich von dessen Wahrheit und Kraft
überzeugt, erkannte er in demselben das mächtigste Mittel, wodurch
diese Umgestaltung, diese neue Schöpfung bewirkt und gesichert wer
den müsse. Und mit ebenso richtigem Blick sah er auch ein, daß sein
Volk sich nicht an den überbildeten , altersschwachen , dahinsiechenden
Osten, sondern an den Westen Europas anschließen müsse, wo überall
junge Völker mit zwar noch roher , aber frischer Lebenskraft empor
strebten.
Die Lage, in welcher sich damals die benachbarten Länder be

fanden, war der Ausführung seines rühmlichen Vorhabens günstig. Der


jugendliche Kaiser Otto III. war mit der Unterwerfung der slawischen
Nationen an der Elbe und Ostsee beschäftigt, und die Idee, Rom zum
Mittelpunkt des abendländischen Kaiserthums zu machen, die er mit
}02 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

aller Kraft zu verwirklichen strebte, ließ ihn vollends an andere Unter


nehmungen kaum denken; der Böhmenherzog Boleslaus II. war von
Natur friedliebend und durch seine Abhängigkeit von Deutschland ge
bunden ; der gewaltige Boleslaw I. von Polen aber hatte die Schwester
Stephan's zur Gemahlin und richtete seine Kraft auf Vereinigung der
Slawen nördlich von den Karpaten; der russische Großfürst Wladimir,
erst vor kurzem zum Christenthum der morgenländischen Kirche be
kehrt, kämpfte noch zu Hause mit Schwierigkeiten und hatte Raum
genug, sein schon ausgedehntes Reich nach allen Seiten mit weniger
Mühe zu erweitern; der östliche Kaiser Basilius. endlich, thatkräftig und
kriegerisch , hatte kaum den gefährlichen Aufruhr seiner Feldherren
Bardas Sklerus und Bardas Phokas gedämpft und war jetzt mit Sa
muel, dem Bulgarenkönig, in Krieg verwickelt. Von außen hatte also
Stephan keinen Angriff , keine Störung zu fürchten , ja die benachbarten
Völker und Fürsten mußten schon um des eigenen Vortheils willen und
aus Eifer für die Ausbreitung des Christenthums seine Bestrebungen
billigen
Aber
unddesto
unterstützen.
bedeutender waren die Schwierigkeiten, die sich im

Innern entgegenstellten. Noch immer hielt des Volkes größter Theil an


seiner fueien, ungebundenen Lebensweise, an dem Glauben und den Ein
richtungen, die es von den Vätern ererbt hatte; die Macht der Stamm-
fürsteh und Geschlechtshäuptlinge, obgleich schon merklich geschwächt,
war doch noch groß genug, unüberwindliche Hindernisse zu bereiten
und das ganze Werk der Umgestaltung zu vereiteln. Aber Stephan, stark
im Bewußtsein der edelsten Absichten, ließ sich dadurch nicht ab
schrecken, und begann sein großes Werk mit ebenso viel Kraft als Ein
sicht. Nachdem er Sorge getragen hatte, eine hinreichende Anzahl von
Lehrern des Christenthums herbeizuziehen, erging der strenge Befehl,
daß jedermann den heidnischen Gebräuchen entsage und die Taufe
nehme. Ferner verordnete er, daß sich alle christlichen Sklaven um
einen festgesetzten Preis loskaufen könnten, und schenkte denen, die
sich auf
Dieseinen
Unzufriedenheit,
Besitzungen schon
befanden,
unterunentgeltlich
Geiza groß,diewurde
Freiheit.
täglich
1 hef

tiger, besonders in den westlichen, Deutschland und Italien nähern Ge


genden, die vorzüglich der Schauplatz waren, auf dem die christlichen
Glaubensboten wirkten; jetzt brach sie in helle Flammen aus. Koppäny,
Zirind des Kahlen Sohn, Oberhaupt des in dem Sümegher (Somogy)
Lande angesiedelten Stammes, dem herzoglichen Hause verwandt und
übermächtig, erhob die Fahne des Aufruhrs, der die Misvergnügten von
998 allen1 Seiten
Kezai de
zuströmten,
udvornicis. 998.
— 2 2Stiftungsurkunde
Stephan, durch
der Abtei
den plötzlichen
auf dem Pannon-
Auf-

berge, bei Fejer, Cod. dipl., I, 281. Wol nicht das von Stephan ausgestellte
Original, sondern später, aber aus vorhandenen begründeten Angaben und
Docnmenten zusammengestellt. Vgl. Szalay, Geschichte des ungarischen
Reichs, I, "0, Anm. 1. Horvath, Geschichte Ungarns, I, 113, Anm. 1.
Kezai, 2, 2. Thur6czy, Chronica Hungar., II, 28. Hier wird in Uebereinstim-
mung mit polnischen Chronographen angegeben, Kuppäny habe mit Adel
heid, der Witwe Geiza's, sich vermählen wollen, um Stephan zu stürzen und
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. 103

stand überrascht, verließ seine Hauptstadt Gran und ging auf das linke
Donauufer über, um, geschützt durch den mächtigen Strom, sich rüsten
zu können. Hierher entbot er die Krieger seines Stammes und anderer
ihm treu gebliebenen Geschlechter, die eingewanderten Ritter mit ihrem
Gefolge, die christlichen Eingeborenen und alle, die Muth hatten, die
Sklavenkette zu brechen durch Annahme der christlichen Religion und
durch Waffendienst. Wenzel von Wasserburg, mit ihm Hunt und Paz-
män bestellte er zu Feldherren und ließ sich durch sie im Granfluß zum
Ritter schlagen. Dominicus aber, den Stephan schon für die höchste
Kirchenwürde, die er stiften wollte, ausersehen hatte, begeisterte durch
Predigt und religiöse Feierlichkeiten das Heer zum muthigen Kampf. l .
Unterdessen verwüsteten die Rotten der Aufständischen die größten-
theils in diesen Gegenden gelegenen herzoglichen Besitzungen, behan
delten als Feind jeden, der es nicht mit ihnen hielt, mishandelten be
sonders die Christen, die ihnen in die Hände fielen, tmd zogen endlich
vor Weszprim und belagerten die Stadt, nach deren Eroberung sie die
andern Burgen des Herzogs leichter bezwingen zu können meinten. *
Endlich ging Stephan über die Donau dem Feinde entgegen; unweit Pa-
lota stießen beide Heere aufeinander. Die Gefahr war groß , der Aus
gang zweifelhaft: da gelobte Stephan im Geiste seiner Zeit, wenn er sie
gen würde, dem Kloster auf dem Pannonischen oder Martinsberge, das
noch sein Vater zu bauen begonnen hatte, die Besitzungen Koppany's
und den Zehnten der sümegher Gegend zu verleihen.»3 Die Schlacht
war blutig und wechselvoll, bis Koppäny im Zweikampfe von Wenzelin
getödtet wurde und sein auf eine Lanze gespießtes Haupt die Seinen in
Schrecken
Nach und
diesem
Flucht
Sieg,
jagte.
der 4ein Sieg des Christenthums und der Civi-

lisation war, wurde die Bekehrung mit verdoppeltem Eifer und ge


schärfter Strenge betrieben; neue Glaubensboten kamen herbei und
durchzogen das Land in allen Richtungen ; Stephan selbst lehrte , er
mahnte, nöthigte und theilte das Feuer der Begeisterung, das ihn be
seelte, auch andern mit. Durch seine rastlosen Bemühungen, durch
zweckmäßige Vorkehrungen, durch Belohnung und Strafe ward in der
kurzen Zeit von kaum zwei Jahren ein großer Theil des Volks getauft
und wenigstens zum äußern Bekenntniß des Evangeliums und zur Beob
achtung christlicher Gebräuche geführt. Doch scheint in dem Lande
jenseit der Theiß der Widerstand hartnäckiger gewesen zu sein, wo
der noch unter Taksony eingewanderte greise Petschenegenfürst Thonu-
zoba und seine Gemahlin einen grauenvollen Tod dem Christenthum
vorzogen.
sich auf denDoch
Thronauch
zu setzen,
dieser Widerstand
da aber seine
wurde
Werbung
gebrochen,
abgewiesen
und selbst
wurde

kühn1 den
Thuröczy,
offenen II,
Aufstand
13, 28.begonnen.
Stiftungsbrief der Pannon- oder Martinsberger

Abtei. — 2 Hartvicus, 6, bei Endlicher, 169. Legenda S. Stephani minor,


c. 5. E codice mcmbranaceo seculi XII monasterii S. Crucis in Austria, bei
Endlicher, 156. — 3 Stiftungsbrief der Pannonberger Abtei. Hartvici Vita
S. Stephani, bei Endlicher, 170. — 4 Thuröczi, II, 28.
104 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Urkund, der Sohn jenes heidnischen Märtyrers, trat zum Christen-


thum Wer
über.aber
1 dächte, willkürlich, nach dem „car tel est notre plaisir"

der absoluten Herrschergewalt, habe Stephan dies alles anbefohlen und


durchgeführt, müßte keinen rechten Begriff haben weder von der Natur
der Stammverfassung, die Stephan abschaffen, noch von den bürgerlichen
Zuständen des damaligen Westeuropas, die er einführen wollte. Sein
war der Gedanke, aber ohne Beistimmung, ohne Mitwirkung wenigstens
der Mehrzahl von den Häuptern und Mächtigen des Landes konnte er
nichts unternehmen und ausführen. Und es zeugt eben von den weit
gehenden Fortschritten, welche die ungarische Nation auf der Bahn der
Civilisation bereits gemacht hatte, daß so viele das Bessere erkannten
und die Nothwendigkeit dieser Reformen und ganz neuen Schöpfungen
einsahen. Es zeugt aber auch für die geistige Kraft Stephan's, daß er
die stolzen Häuptlinge unter seinen Willen zu beugen und ihrer Macht
andere Gewalten entgegenzusetzen wußte, daß er es verstand, ver
schiedene Elemente ins Gleichgewicht zu bringen und in Eintracht wir
ken zu lassen. Dadurch, daß er Eingeborene ohne Unterschied ihrer
Nationalität und Ankömmlinge von auswärts mit Landbesitz begabte,
viele zu hohen Staatsämtern erhob und sie den Stammes- und Ge
schlechtshäuptern gleichstellte, verminderte er nicht nur der letztern ge
fährliche Macht schon durch die Theilung derselben unter viele, erwarb
er sich nicht blos persönliche Anhänger, auf deren Treue er rechnen
konnte, sondern knüpfte er auch jene, die mehr oder weniger fremd ge
wesen waren, fest an sein Reich und verwandelte sie in Magyaren. 2.
weise
Durch und
die Befreiung
in beschränktem
der christlichen
Maße durchgeführt
Sklaven, wenn
werden
sie auch
konnte
nur3, theil-
ver

mehrte er die Menge derer, die durch die neue Ordnung der Dinge be
glückt wurden und für sie, wie für ihre theuerste Angelegenheit, zu
wirken und zu kämpfen bereit waren. Die Zurücksetzung endlich,
harrten,
welche alle
underfuhren,
die Gunst,
die welche
hartnäckig
er denen
bei der
ohne
alten
Rücksicht
Religionauf
undStand
Sitte und
be-

Herkunft bewies, die sich für das Christenthum erklärten, verschaffte


diesem und allem, was damit zusammenhing, Anhänger, die zwar vor
derhand nur äußerlich ihm angehörten, aber mit der Zeit auch wahre
innereAls
Zuneigung
Pflanzstätten
und Liebe
des Christenthums
fassen konnten.
und4 der Bildung, was sie da

mals überall waren, stiftete Stephan mehrere Klöster. Zuerst 1001 die
Benedictinerabtei des heiligen Martin . auf dem pannonischen Berge, die
er mit Besitzungen Küppäny's und dem sümegher Zehnten beschenkte,
wie wir bereits berichtet haben , und ernannte Astricus zum Abte. 6
Dieser hieß vormals Radla, war zuerst Lehrer, dann Hausgeistlicher
des heiligen
1 Anonymus,
Albert,
c. 57.
wurde
— 2 von
Thuröezy,
diesemII,993
13. als
— 3Abt
Kezai
demde neugestifteten
udvornicis. —

4 Thuröezy, II, 13: „In illis namqne rebus gerendis judicatus erat nobilior,
qui fidei Christi citius adhaesisset." — 5 Stiftungsbrief bei Fejer, Cod. dipl.
I, 281.
Stephan I. Thaten und Begebenheiten, 105

Kloster Braunau in Böhmen vorgesetzt und erhielt nun den Kloster


namen Anastasius oder Astricus, wie er gewöhnlich in Ungarn genannt
wird. Bei der Verfolgung, welche die Familie Adalbert's 996 traf 1,
flüchtete er nebst mehrern Mönchen nach Ungarn, wo er von Geiza
freundlich aufgenommen und von Stephan zuerst zum martinsberger Abt
und bald darauf zum Bischof von Kalocsa ernannt wurde. 2 Wahr
scheinlich entwarf Stephan schon damals auch den Plan zur Gründung
der andern Abteien desselben Ordens, die er später stiftete: die pecs-
värader unweit Fünfkirchen 1015, die szalavarer 1019, die zoborer
bei Neitra und die bakonybelyer 1037. Außerdem gründete er im
weßprimer Thal ein Kloster für griechische Nonnen. Sein Erzieher,
Deodatus,
Aber Graf
Stephan
vonmußte
Sanseverin,
eine selbständige
errichtete eine
Nationalkirche
Abtei in Tata.
gründen,
3 um

fremde Einflüsse abzuwehren und die Unabhängigkeit des Reichs auch


in kirchlicher Hinsicht zu sichern. In frühem Zeiten stand Pannonien
unter den Erzbischöfen zu Salzburg und Lorch. Als Piligrin, Bischof
in Passau, das eingegangene lorcher Erzstift auf sein Bisthum übertragen
wollte, suchte er auch dessen Rechte auf Pannonien wiederherzu
stellen 4 und wurde von Benedict VII. wirklich mit der Vollmacht be
kleidet, in Ungarn Bischöfe einzusetzen. 6 Von dieser Vollmacht konn
ten zwar weder er noch seine Nachfolger Gebrauch machen, und nicht
einmal auf die Bekehrung Ungarns Einfluß nehmen; aber die Ansprüche
dieser Bischofssitze drohten dennoch das Reich in Abhängigkeit von
ausländischen Oberpriestern zu bringen. Durch rasche That wandte
Stephan diese Gefahr ab ; ohne hier und da anzufragen und sich in Unter
handlungen einzulassen, stiftete er das Erzbisthum zu Gran und mit
diesem gleichzeitig das Bisthum zu Kalocsa, und setzte auf den Stuhl
des erstem Dominicus, auf den des zweiten Astricus, wie schon erwähnt
worden. Zu diesen beiden Bisthümem kamen später hinzu : 1001 oder
1008 das weßprimer; 1009 das fünfkirchner; das csanäder um 1030;
die Stiftungsjahre des bäcser' (nachmals mit dem kalocsaer vereinigt),
raaber, erlauer und weißenburger in Siebenbürgen sind unbekannt; un
gewiß ist es, ob schon Stephan das großwardeiner und waitzner ge
gründet und das neitraer hergestellt habe. Noch errichtete er Dom
stifter in Stuhlweißenburg 1004 und Altofen 1022. 6 An den Bischofs
sitzen, Abteien und Domstiftern bestanden auch größere oder kleinere
Schulen,
1 Palacky,
unter Geschichte
denen dievon
vorzüglichsten
Böhmen, I, 234—246.
waren: die
— 2auf
Hartvicus,
dem Martins-
Vita S.

Stephani, c. 7, 8, gibt an, daß Astricus zuerst Abt des Klosters Pecsvarad
'war, ehe er Bischof wurde; Katona, Hist. ecclesiae colocensis, Colocae 1800,
unterscheidet ihn von dem pannonberger Abte Anastasius. — 3 Dam. Fuxhofer,
Monasteriologia; neu herausgegeben von Moritz Crinar. Fejer, Cod. dipl. —
4 Piligrini Lauracensis epist. ad Benedictum P. P. — 5 Benedictii VII. et
Ottonis epistolae, bei Fejer, Cod. dipl., I, 266 u. 272. — 6 Fejer, Cod. dipl.,
Pray Specimen hierarchiae Hung. ; Szvorenyi Amoenitates historiae eccl. regni
Hung. Ag. Theiner, Vetera monumenta historica Hungariam sacram illustran-
tia (Rom 1859 u. 1860).
10(5 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

berg ', zu Weszprim2, Stuhlweißenburg3 und Csanäd 4. Stephan baute


zwei Kirchen in Gran, eine im siebenbürger Weißenburg, eine in Alt
ofen und die besonders prächtige in Stuhlweißenburg, die unter die
großartigsten Gebäude des 11. Jahrhunderts gehörte. Die weßprimer
Kirche wurde von Gisela erbaut. Die Baumeister und Künstler waren
Byzantiner
Aber noch
6 undgalt
Italiener.
es, auch
6 dafür zu sorgen, daß Ungarn den gebüh

renden Rang unter den selbständigen Staaten einnehme, und dazu war
nöthig, daß Stephan die Königskrone auf sein Haupt setze. Dadurch
wurden zwar weder seine Rechte erweitert, die er schon alsHerzog aus
übte, noch seine Macht nach außen vergrößert; aber die königliche
Würde erhob ihn über die Stammfürsten , die immer geneigt waren, ihn
als ihresgleichen zu betrachten, sie erhöhte sein Ansehen bei dem gan
zen Volke, sie machte seinen Thron so hoch, als den der übrigen Für
sten. Uns scheint, hierzu sei nichts weiter erforderlich gewesen, als die
Einwilligung seines Volks und zum Ueberfluß die Anerkennung der an
dern Staaten. Aber andere Begriffe hatte die damalige Zeit. Die
abendländische Christenheit, an welche sich Stephan anschloß, verehrte
zwei Häupter, den römischen Kaiser und den römischen Bischof; ihnen
allein schrieb sie das Recht zu, Königskronen zu verleihen; an einen
von beiden mußte sich also auch Stephan wenden, wenn er sich nicht nur
selbst für einen König ausgeben, sondern auch als solcher anerkannt
werden wollte. Die Wahl war nicht schwer. Der römische Kaiser
verlangte als Entgelt für Krone und Königstitel den Lehnseid. Schon
trachteten
war Böhmen dieumKaiser
seine staatliche
ebenjetzt Selbständigkeit
durch alle Mittel
gekommen,
in Polendasselbe
zu er

reichen, darauf arbeitete vielleicht auch in Ungarn Otto in. bereits hin,
wenn wahr ist, was Ditmar berichtet7, daß er nämlich Stephan einredete,
die königliche Würde nachzusuchen und Bischöfe einzusetzen. Stephan
entschloß sich also, beim Papst um die Krone anzuhalten, der zwar
auch Unterwerfung unter seine Autorität forderte, die aber kein Lehns-
verhältniß mit sich brachte und von der ganzen abendländischen Chri
stenheit geleistet wurde. Ueberdies umgab die päpstliche Verleihung
die Krone noch mit einem Schimmer der Heiligkeit, der den Werth der
selben in den Augen des frommen Fürsten erhöhen mußte und von
der schlauen, ungläubigen Staatsklugheit selbst in unsern Tagen gesucht
wird. Zu seinem Gesandten wählte er Astricus, dem er noch einige
Begleiter beigab, und trug ihm auf, die königliche Würde nebst Be
stätigung der getroffenen kirchlichen Einrichtungen und Ernennungen
zu erbitten.
1 Der
Mehrere
gelehrte
8 Nachrichten
Gerbertlassen
hatte insoeben,
ihr die 999,
Mutterernannt
der übrigen
von seinem
erkennen.
vor-

2 Wird sehr gerühmt im Schenkungsbrief Ladislaus' IV. vom Jahre 1275.


Fejer, Cod. dipl. — 3 Vita S. Gerhardi, bei Endlicher, 12. — * Ebend. —
57 Chronicon
Thuroczy, 11,31.
zum Jahre
— 6 999,
Gattula,
bei Hist.
Perte,abbatiae
III, 784.
Cassinen
8 Hartvicus,
(Venedig
Vita1733).
S. Ste

phan], c. 9.
Stephau I. Thaten und Begebenheiten. 107

maligen Zöglinge, Otto III. , unter dem Namen Sylvester II. , den päpst
lichen Stuhl bestiegen, der zwar in Italien und besonders in Rom durch
die Schlechtigkeit und die Verbrechen seiner damaligen Inhaber x sehr
wenig geachtet, aber dagegen in der Entfernung von den noch wenig
aufgeklärten Nat1onen, den Deutschen, Engländern, Franzosen u. s. w.
von Tag
Als Astricus
zu Tag mehr
in Rom
undankam,
fast abgöttisch
fand er verehrt
hier schon
wurde.
die Gesandtschaft

Herrn
des Polenherzogs
die königlicheBoleslaw's
Krone nachsuchte.
II. (Chr^bry),
Der die
Papst,
ebenfalls
wie diefür
Chronik
ihren $

erzählt, hatte den Polen bereits ihre Bitte gewährt; die Krone war
fertig, die das Haupt Boleslaw's schmücken sollte; aber Otto erhob
Einsprache dagegen, weil er, freilich ohne rechtlichen Grund, Polen
für ein Reichslehn erklärte und einen Eingriff in seine Hoheitsrechte
darin sah, daß Ser Fürst dieses Landes die Krone aus der Hand des
Papstes empfange. Dagegen war er den "Wünschen Stephan's, der ohne
hin sein Verwandter war, günstig gestimmt; denn noch waren die Deut
schen nicht auf den Einfall gerathen, gleiche Ansprüche der Lehnsherr
lichkeit über Ungarn zu erheben. Sylvester mußte sich in den Willen
seines mächtigen und unbiegsamen Gönners fügen. Um aber den
Bruch seines bereits gegebenen Versprechens zu beschönigen, gab er
vor, in der Nacht sei ihm ein Engel erschienen und habe ihn befohlen:
„Morgen werden die Abgesandten eines unbekannten Volkes zu dir
kommen und für ihren Fürsten die königliche Krone und apostolische
Weihe bitten; ihm sollst du die Krone ohne Aufschub verleihen, denn
wisse, diesem Fürsten gebührt sie seiner Verdienste wegen." Am Mor
gen erschien Astricus vor dem Papste, schilderte die Verdienste Ste
phan's um die Bekehrung der Magyaren und die Freigebigkeit, mit wel
cher er Kirchen, Klöster und Bischofssitze gegründet habe, übergab
reiche Geschenke und trug sein Anliegen vor. Da rief Sylvester: „Ich
bin der Apostolische', dieser aber ist ein wahrer Apostel, durch welchen
Christus ein so großes Volk zu sich bekehrt hat", und gewährte die
Bitte.Bald
2 darauf kehrten die Gesandten, nachdem sie ihren Auftrag so

glücklich
1 Baronius,
vollendet
Annales
hatten,
eccles.
zurück
(Rom und
1588brachten
—,1607) und
die vielmal
Krone3,abgedruckt.
welche

Schröckh, Kirchengeschichte und jede andere Kirchen- oder politische Ge


schichte. Llorente, Portraits politiqnes des papes (Paris 1821). — 2 Hart-
vicus, Vita S. Stephani, c. 9, bei Endlicher. Desselben Chronica Hungar. mit
polnischen Geschichten vermischt, aus einer warschauer Handschrift des
12. Jahrhunderts, c. 5, 6, bei Endlicher. Martini Galli Chronica (geschrieben
1109; Danzig, edidit Gedani, 1749), S. 76. Muglen,FChron., c. 18, bei Kova-
chieb, S. 34. Dlugoss, Hist. Polon., II, 21. Die Bulle selbst, von der gleich
die Rede sein wird. — s Ueber den Ursprung dieser Krone wurde viel ge
stritten und geschrieben; im vorigen Jahrhundert neigte sich bereits die Mei
nung dahin, weil sie griechische Inschrift und Bilder trage, könne sie nicht
eine Gabe des Papstes, sondern nur des byzantinischen Kaisers sein. Aber
diese Ansicht widersprach dem seit Jahrhunderten bestehenden Glauben, und
wer die Krone betrachtet , erkennt sogleich , daß sie aus zwei Stücken von
verschiedener Arbeit bestehe. Deshalb wird jetzt allgemein angenommen
J08 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

noch jetzt als ein heiliges Kleinod verehrt wird; ein Doppelkreuz, das
dem Könige bei feierlichen Gelegenheiten als Zeichen seiner aposto
lischen Würde vorgetragen wurde, aber verloren gegangen ist; und die
Vollmacht, die gegenwärtigen und künftigen Kirchen des ungarischen
Reichs einzurichten, zu ordnen, mit Rechten und Vorzügen auszu
zeichnen.
Alle x diese Verleihungen konnten nicht mündlich, sondern nur

schriftlich, durch eine päpstliche Bulle geschehen. Der Umstand, daß


dieselbe
(was auchin Koller,
keiner glaubwürdigen
De sacra regni Urkunde
Hungariae
2 vorhanden
corona [Fünfkirchen
ist , kann 1801]
kein

und andere hinreichend erwiesen haben), der obere Theil sei die vom Papste
geschickte Krone, an den als unterer Reif jene Krone gefügt wurde, die Kai
ser Dukas
1 Hartvicus,
dem Herzog
c. 9: Geiza
„. . . . als
prout
Ehrengeschenk
divina gratia1078
ipsum
übersandte.
instruit, Ecclesias

Dei una cum populis ei ordinandas relinquimus." — 2 Der Jesuit Melchior


Inhoffer, in seinem Werke „Annales ecclesiasticr regni Hungariae" (Rom 1644)
machte zuerst diese Bulle Sylvester's, Romae VI kal. apr. indictione XIII
(27. Marz 1000), bekannt. Er hatte sie von dem Franciscanermönch Rafael
Levakovich, Corrector der illyrischen Bücher in. Rom, dieser von Athanasius
Georgier in Wien erhalten. An Georgier soll sie 1573 mit dem literarischen
Kachlasse des graner Erzbischofs, Anton Verantius, gekommen sein, und Ve-
rantius soll die Abschrift genommen haben 1550 von einem im Archiv zu
Traw in Dalmaticn befindlichen Originale. Vorher hat kein Sterblicher irgend
etwas von dieser Bulle gewußt und nachher niemand das Original oder eine
beglaubigte Abschrift irgendwo auffinden können. Die Zweifel an der Echt
heit, die schon bei der sonderbaren Geschichte ihrer Auffindung entstehen,
werden noch dadurch vermehrt, daß Kerchelich, agramer Domherr, einen
Brief des Levakovich an Cardinal Alobrandini mittheilt, in welchem es heißt:
„Die Ungarn wollen dem Papste auf ihr Land gar kein Recht zugestehen ;
um sie auf eine vernünftigere Meinung zu bringen, lege ich bei? gab? ver
faßte? (dedi) ich einen Brief Papst Sylvester's II., und werde dafür sorgen, den
selben bekannt zu machen. Meiner Meinung nach wäre am besten, ihn der
Oeffentlichkeit so zu übergeben, als wäre er in Rom aufgefunden worden, doch
wagte ich es nicht, ohne Erlaubniß Euer Eminenz." Diese Aeußerlichkeiten
machen die Copie der Bulle sehr verdächtig; der Inhalt derselben aber stimmt
mit den Berichten der Chronisten, besonders des Hartvicus fast wörtlich über
ein und ist den damaligen Sitten und Gebräuchen in Kirche und Staat völlig
angemessen. Dagegen entspricht er nicht der Absicht, die Levakovich in
dem angeführten Briefe ausdrückt, denn diese Bulle verleiht ausdrücklich und
für immer den ungarischen Königen die großen Vorrechte in kirchlichen
Dingen, die sie übten und die der Papst gerade um die Zeit von 1644 ein
schränken wollte. Der Inhalt entspricht aber auch nicht den damaligen Wün
schen des königlichen Hauses und der mit ihm eng verbundenen katholischen
Priesterpartei, die auf unbedingte Vererbung der Krone auf den Erstgeborenen
drangen, während die Stände Ungarns das Wahlrecht unter den Gliedern des
königlichen Hauses zu besitzen behaupteten; denn die Bulle erwähnt zweimal
als rechtmäßige Nachfolger die gesetzmäßig durch die Optimaten gewählten
Könige. Ist also diese Bulle untergeschoben , so ist sie mit der genauesten
Kenntniß der Zeit und Berücksichtigung aller der Rechte abgefaßt, die der
ungarische König in Ecclesiasticis übte, und konnte ihrer Verfertigung die
einzige Absicht vorliegen, durch das Document eine Lücke der Geschichte
auszufüllen. Die Bulle ist abgedruckt in Fejer, Cod. dipl., I, 274; ins Unga
rische übersetzt in Szalay ,' Geschichte, des ungarischen Reichs, I, 75 — 78.
Szalay vertheidigt ihre Echtheit und Horväth, Geschichte des ungarischenReichs,
2. Ausg., I, 116, stimmt ihm bei.
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. 109

Grund sein, zu leugnen oder auch nur zu bezweifeln, daß eine solche
erlassen worden ist. Auch über den Inhalt derselben können kaum
Zweifel obwalten. Daß in derselben Ausdrücke vorgekommen seien,
die das Versprechen der Obedienz so deuteten, als hätte Stephan dem
Papste sein Reich zum Lehn aufgetragen und von diesem als solches
wieder zurückempfangen, wird zuvörderst höchst wahrscheinlich, wenn
man bedenkt, welche Rechte sich die Päpste bereits um diese Zeit über
Länder und Fürsten anmaßten; ferner gründeten Gregor VII. in sei
nen Briefen, die er 1074 und 1075 an die Könige Geiza I. und Salomon
schrieb, wie auch andere Päpste, besonders nach dem Aussterben des
Ärpädischen Hauses ihre Ansprüche auf Lehnsherrlichkeit über Ungarn
darauf, daß Stephan dasselbe dem päpstlichen Stuhle übergeben und von '
diesem wiedererhalten habe. Aber eitel war die Besorgniß , daß hier
durch die Würde und Unabhängigkeit Ungarns gefährdet werde, und
vergeblich die Mühe, die sich so viele gaben, die Bulle und die An
sprüche, die ,sie enthält, wegzuleugnen. Die Päpste nahmen als die
Stellvertreter
biet in Anspruch,
Gottes
unddie
griffen
Erde,überall
den Himmel
hastig und
zu, wo
die Hölle
ihnen nur
als ihr
der Ge-.
ge

ringste Raum gelassen wurde. Stephan hatte weder den Willen noch
das Recht, über sein freies Land und Volk zu verfügen; und die Ungarn
selbst haben diese Ansprüche immer energisch zurückgewiesen und ihre
Unabhängigkeit zu jeder Zeit siegreich behauptet. Gewiß ist sodann,
daß Sylvester dem Stephan und seinen Nachfolgern das Recht einräumte,
Bisthümer, Kapitel und Klöster zu gründen und mit Privilegien zu be
gaben, kirchliche Würdenträger zu ernennen, in ihr Amt einzusetzen
und über sie Gericht zu halten, auch andere kirchliche Angelegenheiten
zu ordnen und zu schlichten. Denn Stephan selbst übte alle diese Rechte
und beruft sich ausdrücklich auf die Vollmacht, die ihm der Papst er-
theilt habe 1; auch die nachfolgenden Könige Ungarns behaupteten die
meisten und wichtigsten derselben bis auf die Jüngste Zeit, indem sie
sich auf die dazumal geschehene päpstliche Verleihung stützten. 2 Doch
dürfen wir deshalb die Freigebigkeit des Papstes gerade nicht be-

1 „Kadem authoritate apostolica mediante decrevimus, ut praefati coe-


nobii Äbbas generali tarnen et solenni synodo duntaxat Strigoniensis Archi-
episcopi interesse teneatur. " S. Stephanus in diplom. Abbatiae in Pecs-Va-
rad 1015, bei Kollar, Hist. Episcop. Quinque eccles. , I, 76: „Contülinius
etiam eidem, authoritate apostolica nobis annuente, ut in praescriptis solem-
nitatibus ornamentis pontificalibus uteretur." S. Stephanus in diplom. Abbatiae
de Szala 1019, bei Kollar, Hist. Episcop. Quinque eccles., I, 82: „Et sicut
habui potestatem, ut ubicunque, vel in quocunque vellem loco, Ecclesias aut
monasteria construerem, ita nihilominus a Romanae sedis Supremo Pontifice
habui authoritatem , ut quibus vellem Ecclesiis scu monasteriis libertates et
dignitates conferrem." S. Stephanus in diplom. Abbatiae in Bakonybely 1037,
bei Kollar, Hist. Juris Patronat., S. 88. — 2 Belae IV. epist. ad Gregorium,
IX, 1238, bei Raynald ad ann. 1238: „Petimus, ut officium Legationis nöu
a!ii, sed nobis in terra Asani committatur, ut habeamus potestatem limitandi
Dioeceses, distinguendi parochias, et in hac prima institutione potestatem habea
mus, ibi ponendo Episcopos de consilio praelatorum et virorum religioso-
rum, quia haec omnia beatae memoriae Antecessori nostri S. Stephano sunt
eoncessa."
110 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

.wundern. Wer die kirchlichen Zustände des 10. Jahrhunderts kennt,


der weiß auch, daß damals noch die Staaten diese Rechte ausübten und
die Päpste erst anfingen , sie für sich zu beanspruchen. Hat doch auch
Stephan schon früher Kirchen, Klöster und Bisthümer gestiftet, ihre
Sprengel und Rechte bestimmt und sie vergeben, bevor er den Papst
befragt hatte; wurden doch die Päpste selbst von der Geistlichkeit und
dem Volke Roms gewählt und von dem Kaiser bestätigt, gerade da
mals aber sogar von diesem ernannt, wie Gregor V. und Sylvester II.,
und abgesetzt wie Johann XVII. Der Papst verlieh also den unga
rischen Königen Rechte, die schon ursprünglich ihre waren und noch
beinahe von allen damaligen Fürsten geübt wurden; er verlieh sie viel
leicht darum, damit er durch die Uebertragung derselben zeige, daß sie
eigentlich ihm gebühren. Bewundernswürdig und ehrenvoll ist aber
hierbei, daß sich Ungarn im Besitze dieser Rechte zu behaupten wußte,
während andere Staaten sie leichtsinnig oder furchtsam vergaben.
1000 KönigImausgerufen
Jahre 1000und
amgekrönt,
15. August
unter
wurdeStephan
dem Jubel „der
in Gran
Prälaten
feierlich
und zum
der

Geistlichkeit, der Großen des Reichs und des Volks". 1 Daß hier nicht
von einer zufällig aus Neugierde herbeigeströmten, oder blos zum Pomp
versammelten Menge die Rede sein könne, leuchtet von selbst ein. Die
Annahme der königlichen Würde und die Krönung mußte mit Zustim
mung des versammelten Volks auf dem, wie schon immer zusammen
gesetzten Reichstage geschehen. a Und gewiß wurde schon bei dieser
feierlichen Gelegenheit ein Theil jener Anordnungen und Gesetze er
lassen, die während der Regierung Stephan's auf mehrern Reichstagen
zu Stande kamen und deren Bruchstücke wir noch besitzen 3, ohne die
bestimmte Zeit ihrer Entstehung erfahren zu können. 4 Denn obwol
thums,
die alte die
Grundlage
Erhebung
blieb,
dessoFürsten
forderten
zumdoch
König,
die Einführung
und die Annahme
des Christen-
vieler

neuen Dinge so gebieterisch eine entsprechende Anordnung und Um


gestaltung der Verfassung und Staatseinrichtungen, daß diese sogleich
vorgenommen werden mußte. Doch ehe wir diese besprechen, wollen
wir zuvor die Begebenheiten, Thaten und äußern Schicksale der Ungarn
unter Obgleich
ihrem ersten
Tuhutum,
König kennen
der Eroberer
lernen. Siebenbürgens , und seine erb

lichen Nachfolger unter der Oberhoheit der ungarischen Herzoge stan


den, scheinen sie doch das Land ziemlich unabhängig beherrscht zu
haben. Auf Gyula den Aeltern, der in Konstantinopel die Taufe nahm
laus
und 1Stephan's
IV.
Hartvicus,
im Jahre
Großvater
Vita
1274S.bezeichnet
Stephani,
war, folgte
Gran
c. als
9. alsFürst
Auch
den sein
Ort,
eine Bruder
wo
Urkunde
Stephan
Zombor
von gekrönt
Ladis-
und

wurde. Szalay, I, 83, Anm. 1. — 2 Hartvicus, c. 10: „ . . . . subscripeione fede-


ris non pereuntis posteris suis reliquit stabilitum." — 3 Decretorum S. Ste
phani Libri II, im Corpus Juris Hungarici, und bei Endlicher richtiger nach
Handschriften, S. 311—339. — * Hartvicus, Vita S. Stephani, c. 10: „Post
acceptum regalis excellentie signum, qualis vite vir et discretionis fuerit, cum
episcopis et primatibus Hungarie statutnm a se decretum manifestum faeit."
Kovachich, Vestigia comitiorum, S. 12 fg.
Stephan I. Thaten und B egebenheiten. 111

auf diesen dessen Sohn Gyula der Jüngere. Ein hartnäckiger Anhänger
des Heidenthums, der alten Sitten und Staatseinrichtungen, unterdrückte
er das Christenthum, welches nach morgenländischem Ritus unter den
Walachen schon heimisch war und unter den Magyaren Siebenbürgens
sich zu verbreiten angefangen hatte, betrachtete mit Unwillen die Neue
rungen, die im Hauptlande vor sich gingen, sperrte ihnen den Eingang
in sein Gebiet und öffnete dasselbe allen Unzufriedenen, schloß sogar
Bündniß mit Kean, dem Fürsten der Petschenegen, die in der heutigen
Moldau hausten, und fiel endlich feindlich in Ungarn ein. Die Gefahr
war groß, daß Siebenbürgen, diese natürliche Feste des Theißgebiets,
von dem Reiche losgerissen und in ein feindseliges Verhältniß zu dem
selben gesetzt werde. Stephan zog also 1002 mit Heeresmacht gegen 1002
seinen treulosen Verwandten, und die Szekler unter ihrem Rovobän
Alexander Upor vereinigten sich mit ihm. 1 Er besiegte Gyula und
führte ihn gefangen nebst seiner Gemahlin und seinen Söhnen Bua und
Bukna nach Ungarn. Um aber Siebenbürgen mit dem Hauptlande
fester zu verbinden, es mehr zu bevölkern und aas Christenthum zu
fördern, gab er ihm einen Voivod^ vom ärpädischen Stamm — Zsolt
nennen ihn einige —, siedelte einen Theil jener Baiern, die unter eines
Hermann Führung mit Gisela nach Ungarn gekommen waren, in der
Gegend an, wo, jetzt Hermannstadt steht, und stiftete das Bisthum zu
"Weißenburg, Alba Julia, jetzt Karlstadt. 2 Auch scheint er gleich da
mals die reichen Salzgruben in königlichen Besitz genommen zu haben. 3
Von Siebenbürgen aus führte Stephan sein Heer über die südlichen
Karpaten gegen die Petschenegen. Nach langwierigen und schweren
Kämpfen in den Gebirgsgegenden gelang es ihm endlich, sie in einer
großen Schlacht zu besiegen; ihr Fürst Kean wurde getödtet, und ihr
Lager mit reichen Schätzen, die sie auf ihren Streifzügen erbeutet hat
ten, fiel in die Hände der Sieger, 1003. Mit diesen Schätzen baute der 1003
fromme König eine Kirche in Ofen und eine überaus prächtige in
Stuhlweißenburg. Die letztere, mehreremal vom Feuer verwüstet, aber
immer wiederhergestellt, war durch fünfhundert Jahre die Krönungs
stätte aller Könige und der Begräbnißplatz der meisten, bis sie in den '
Türkenkriegen gänzlich zerstört wurde. An beiden gründete er Dom
herrnstifter,
Der großedie er
Sieg
mithat
großen
aber Gütern
die Kraft
undder
Vorrechten
Petschenegen
ausstattete.
keineswegs
4

gebrochen; nicht zu erobern und ihre Herrschaft zu erweitern, sondern


zu plündern
1 Chronikund
der zu
Szekler.
zerstören,
Rovoban
fielen
wirdsie
in derselben
noch einigemal
ihr Häuptling
während
oder Fürst
Ste-

genannt. — 2 Anon. Belae r. not., c. 24, 27. Kezai, II, 2. Chronik der
Szekler, I, 278. Thuröczy, II, 29. Annales Hildesheimens. ad ann. 1003.
I,
Allen
404,diesen
der Chronik
Zeugnissen
Ditmar's,
entgegenbeifolgt
Pertz,
Büdinger,
III, 862,
Oesterreichische
nennt die beiden
Geschichte,
Gyula
Devix und Procui, Namen, die nicht den leisesten ungarischen Anklang haben,
läßt diesen Procui nach Polen fliehen und macht ihn, S. 392, zum Besitzer
irgendeiner Gegend im Osten Ungarns. — 3 Wie wir weiter unten erzählen
werden, fing Othnn die Schiffe auf, die königliches Salz auf der Maros
hinabführten. — 4 Thuröczy, 11,(30. Hartvicus, Vita S. Stephani, e. 12.
112 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

phan's Regierung ins Land und nöthigten ihn, seine schaffende und ord
nende Wirksamkeit zu unterbrechen, zum Schwerte zu greifen und den
unversöhnlichen,
Otto III. starb
wilden
1002,
Feind
der Sage
zu vertreiben.
nach vergiftet
1 durch die schöne Ste-

phania, Witwe des Römers Crescentius, den er hatte hinrichten lassen.


Die Deutschen wählten den Herzog von Baiern, Heinrich II., den
Schwager Stephan's, zu seinem Nachfolger, einen Frömmler, der sich
besser für das Kloster als für den Kaiserthron schickte. Er brachte
seine meiste Zeit mit Bußübungen zu und rechnete es sich zum höchsten
Verdienst an, die Jungfräulichkeit seiner angetrauten Gemahlin nie ver
letzt zu haben. Aber für Ungarn war die Wahl Heinrich's ein sehr
günstiges Ereigniß; ein friedlicher Mann, ein Verwandter und Freund
des Königs, wurde sein Nachbar an der weitgedehnten Westgrenze.
Ohne Besorgniß, auf der schwächsten, durch keine natürliche Hinder
nisse vertheidigten Seite angegriffen zu werden, konnte es seine ganze
Aufmerksamkeit und Kraft nach Osten richten, wo heidnische und
wilde Nationen fortwährend drohten. Gegen Heinrich erhoben sich
indeß nach der in Deutschland von jeher herrschenden verderblichen
Gewohnheit mehrere Große, unter diesen sein eigener Bruder Bruno.
Doch gelang es Heinrich, seine Widersacher zu besiegen. Bruno flüch
tete sich zuerst nach Polen und von da zu seinem Schwager Stephan
1004 nach Ungarn, 1004, wo er freundliche Aufnahme fand. Stephan trat
auch bald als Vermittler auf, besänftigte den Kaiser und schickte den
reuigen Bruder, begleitet von ungarischen Gesandten,, zu ihm nach
Schonau. Die Brüder söhnten sich aus und Bruno wurde Bischof von
Passau.
Auch
2 im Süden und Osten gingen von 1005 — 20 wichtige, aber

für Ungarn weniger günstige Veränderungen vor. Der griechische Kai


ser Basilius II. führte mit großer Grausamkeit langwierigen und glück
1018 lichen
störungKrieg
und gegen
Unterjochung
die Bulgaren,
ihresden
Reichs
er zuletzt
1018mitendigte.
der gänzlichen
Hierdurch
Zer-

wurde er der unmittelbare, gefährliche Nachbar Ungarns und die Fol


gen hiervon
Othun, zeigten
ein Nachkomme
sich bald. jenes
3 Bulgarenfürsten Gläd, welchen die

Ungarn bei der Eroberung des Landes im Besitz seines Gebiets zwischen
Siebenbürgen, der Maros, Theiß und Donau, also des sogenannten Ba-
nats, gelassen hatten, reich und mächtig durch die außerordentliche
Fruchtbarkeit des herrlichen Landes, strebte lange nach Unabhängig
keit und mochte nun entweder das Schicksal des siebenbürger Gyula
fürchten, oder überhaupt die Abhängigkeit vom morgenländischen Kai
ser für lockerer und weniger drückend halten als jene von dem that-
kräftigen König. Er sagte sich also von Ungarn los, begab sich unter
griechischen
1 Andeutungen,
Schutz,wenn
und auch
wie nicht
abgefallene
bestimmte
Ueberläufer
Nachrichten
pflegen,
hiervoneilte
geben
er,

Hartvicus, c. 15, und Vita S. Gerhardi, c. 10, bei Endlicher. — 2 Ditmar.


Chronik ad ann. 1004. — 3 Cedrenus, Constant. Porphyrogen., Basilius Ma-
cedo se1l de vita et rebus gestis ejus in Corp. Byzantinae historiae und
bei Pertz.
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. H3

seine Treulosigkeit durch feindselige Handlungen zu zeigen, belegte die


Schiffahrt auf den Flüssen mit schweren Zöllen, hielt das königliche
Salz an, welches auf der Maros hinabgebracht wurde, und erlaubte
sich noch sonst allerhand Gewaltthätigkeiten. Längere Zeit glückte
es ihm, sich gegen Stephan zu behaupten, bis er durch Undank und Treu
losigkeit gegen einen Freund sich selbst den Untergang bereitete.
Csanäd, Doboka's Sohn, ein Verwandter des Königs, der sich bei ihm
aufgehalten und wichtige Dienste geleistet hatte, wurde ihm verdächtig
und sollte auf seinen Befehl ermordet werden, rettete sich aber durch
Flucht, kam an 'das königliche Hoflager und bot sich zum Anführer
eines Heeres wider Othun an. Sein Antrag wurde angenommen. So
bald das Heer gerüstet war, führte er es gegen Othun, schlug ihn in
einem nächtlichen Ueberfall, tödtete ihn mit eigener Hand und eroberte
dessen feste Stadt Maros. Stephan belohnte den glücklichen Feldherrn
damit, daß er ihm die Verwaltung des zurückeroberten Gebiets über
trug und die Stadt Maros ihm zu Ehren Csanäd nannte. Daß Stephan
hier um das Jahr 1030 ein Bisthum stiftete, haben wir bereits gesagt
und erwähnen nur noch, daß das griechische Kloster, welches seit län
gerer Zeit in dieser Stadt bestanden hatte, nach Oroszlänos verlegt und
an dessen
Nach Stelle
den Siegen
eine Benedictinerabtei
über Gyula underrichtet
Othun gab
wurde.
es keine
1 mittelbare

Provinzen mehr, Siebenbürgen wurde zwar immer durch Voivoden


regiert, die aber nichts weiter als Staatsdiener waren und vom König
nach Gutdünken ernannt und entfernt wurden. Das Gebiet Othun's
wurde völlig mit dem Hauptlande verschmolzen. Ein großer unbe
rechenbarer Gewinn für diese beiden Länder und für das ganze Reich.
Allein während dieser Unruhen erlitt Ungarn dennoch einen Nachtheil.
Syrmien, die südliche Landstrecke an der Donau zwischen der Drau
und Save, ein The1l des heutigen Slawoniens, war nach der augsburger
Niederlage unter kroatische Herrschaft gekommen und wurde jetzt, da
Basilius Serbien und Kroatien tributpflichtig machte, mit diesen Ländern
dem griechischen Reiche unterworfen, sodaß dieses von der Donau bis
zum Adriatischen Meere unmittelbar an die Grenzen Ungarns stieß und
die Gefahr
Kaiserfür
Heinrich
letzteresII.sich
starb
noch
1024
vergrößerte.
und sein 2Nachfolger wurde Kon

rad II., der Salier. Das Band war hiermit zerrissen, welches Deutsch
land und Ungarn durch zweiundzwanzig Jahre verknüpfte; bald entstanden
Zerwürfnisse und zuletzt brach der Krieg aus. Als die Ungarn Swatopluk's
Reich von einer, die Deutschen und Böhmen von der andern Seite an
griffen und zerstörten, 894—907, nahmen sie den größern gegen Osten
gelegenen Theil desselben in Besitz, verloren ihn aber bis auf die Ge
gend um Banow wieder, als sich ihr Kriegsglück verminderte, an 'Böh
men. 1 Als
Anonymus
Böhmen Belae
unter
r. Boleslaw
not., c. 11,
III.44,
in Vita
Verfall
S. Gerhardi
gerieth, eroberte
10, bei End
der

licher (E breviario Strigoniensi saeculi XIII). Die einzelnen Theile dieser


Schrift scheinen viel älter zu sein und ruhen auf historischen Gründen, die
Zusammenstellung und Ausschmückung wurde später vorgenommen. — 2 Ce-
drenus, Constantini Porphyrogen. Basilius Macedo.
Feßlet. I. 8
114 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Polenfürst Boleslaw II., Chrabry, der Tapfere, Stephan's Schwager und


Mitbewerber um die Krone, die er sich selbst aufsetzte, als er sie vom
Papste nicht erhielt, um 1000, mit andern böhmischen Ländern noch
Mähren. J Nach dem Tode dieses gewaltigen Kriegers, 1025, erhoben
sich gegen seinen Sohn Miesko oder Miczislaw II. dessen Bruder Be-
sprem, der auch einen Theil der reichen Erbschaft an Land forderte,
der deutsche Kaiser Konrad, der diesen unterstützte, und der Her
zog von Böhmen Ulrich, der vielfache Unbill rächen und die durch
Boleslaw den Böhmen abgenommenen Länder zurückerobern wollte.
Da glaubte Stephan, das einst zu Ungarn gehörende Mähren wie
dergewinnen zu können , und bemächtigte sich desselben auch wirk-
102G lieh 1026. 2 Schon hierdurch mochte sich Konrad, der Böhmen und
Mähren als Vasallenländer des deutschen Reichs ansah, beleidigt
fühlen. Hierzu kamen noch andere Verwickelungen. Mit dem Tode
Kaiser Heinrich's war auch das Herzogthum Baiern erledigt und
der männliche Stamm der Herzoge bis auf dessen Bruder, den passauer
Bischof Bruno, erloschen; Konrad aber vergabte 1027 das Herzogthum
an seinen Sohn Heinrich. Mochte sich nun Bruno zurückgesetzt und in
seinem Rechte zur Nachfolge gekränkt glauben und Stephan zum
Schutz desselben aufgerufen haben, oder mochte Stephan selbst meinen,
daß Bruno als Bischof wol übergangen werden durfte, daß aber dann
seinem Sohne Emerich, als Kaiser Heinrich's Schwestersohn, das Her
zogthum rechtmäßig gebühre, und dessen Recht haben geltend machen
wollen: hier, scheint es, müsse man die Hauptursache des Kriegs
suchen. 3 Denn aller Wahrscheinlichkeit entbehrt, was einige als Ver
anlassung dazu angeben. 4 Konrad und Bruno hätten nämlich den An
schlag gefaßt, das reiche Bisthum Bamberg untereinander zu theilen
und die Bruno zufallende Hälfte zum einstigen Erbe für Stephan's Sohn
Emerich zu bestimmen, der fromme König habe aber diesen kirchen-
ränberischen Plan gehindert und dadurch des Kaisers Unwillen erregt.
Ferner habe Stephan dem strasburger Bischof Werinhard, der mit glän
zendem Gefolge nach Konstantinopcl ging, da um die Kaisertochter
Agnes für Konrad's Sohn Heinrich zu werben, den Durchzug durch
Ungarn verweigert. Aber dies geschah gerade wegen des Zerwürf
nisses, das zwischen beiden Fürsten schon in offenen Krieg über
gegangen war, und weil Stephan verhindern wollte, daß nicht ein Bünd-
1028 niß
angegriffen
der beiden
werde.
Kaiserhöfe
a Genug, zu
Stephan
Stande
fielkomme
1028 feindlich
und er invon
Baiern
zwei ein
Seiten
und

bekämpfte den neueingesetzten Herzog anfangs mit glücklichem Er


folg, da Kaiser Konrad zu derselben Zeit in Polen kriegte und seinen

1 Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 249. — 2 Anton. Bocek Codex


dipl. epistolaris Moraviae (Olmütz 1836). — 3 Aloldus, Bavariae causa hacri-
taudae Chunradus Romanorum et Stephanus Ungarorum rex dissidentes arma
in alterutrum parabant. — * Feßler (1. Ausg.), gestützt auf die Vita S. Hen-
rici, bei Canisius, edidit Basnag., Tom. III, P. II, p. 32. Sollte dieser, da
mals kaum mögliche Plan wirklich da gewesen sein, so konnte er denkbarer
Weise eben nur gefaßt werden, um die erwähnten Streitigkeiten über die
bairische Nachfolge auszugleichen. — 5 Wippo, Vita Chunradi.
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. H5

Sohn nicht kräftig unterstützen konnte. 1 Aber nachdem Konrad dort be


deutende Siege erfochten hatte, kam er selbst 1029 oder 1030 (die
Nachrichten schwanken zwischen den beiden Zahlen) mit einem Heere
und drang ohne Widerstand bis an die Fischa vor. Hier erst fand er die
Ungarn in einer starken Stellung zwischen Flüssen und Sümpfen, sodaß
er nicht wagte, sie anzugreifen, sondern sich zurückzog, um Verstär
kung herbeizurufen. Ein zweites Heer brach unter dem tapfern Bretis-
law , des böhmischen Herzogs Ulrich Sohn , auf, vertrieb die Ungarn,
deren Hauptmacht dem Kaiser entgegenstand, aus Mähren und drang ver
heerend nach Ungarn ein. Stephan sah, wie gefährlich dieser Krieg zu
werden drohe, und machte dem Sohn des Kaisers, Herzog Heinrich von
Baiern, Friedensvorschläge, die dieser bereitwillig aufnahm und auf
Grundlage derselben den Friedensschluß zwischen seinem Vater und
dem König rasch vermittelte. 2 War der Krieg über die bairische Erb
folge entstanden, so entsagte Stephan, wie sich von selbst versteht, allen
Ansprüchen auf dieselbe; aber außerdem mußte er auch ganz Mähren
an Bretislaw abtreten und die March als Grenze Ungarns annehmen,
die es auch bis auf den heutigen Tag geblieben ist. 3 Wir verwundern
uns mit Recht, daß sich Stephan im vorgerückten Alter von Eroberungs
sucht blenden ließ, seine Hand nach Ländern auszustrecken, die zu. sei
nem Reiche nicht paßten und in deren ruhigen Besitz, wie voraus
zusehen war, ihn Deutschland nicht lassen würde, nachdem er in den
blühenden Jahren der Kraft nie die Waffen über die Grenzen getragen
hatte, außer wenn es galt, das Vaterland zu vertheidigen. Wie mußte
ihn der Miserfolg kränken. Dies war aber "auch sein letzter Kriegszug.
Es war damals die Zeit der Wallfahrten, nach Rom an die Gräber
der Apostel und Märtyrer, und nach Palästina an die Stätten, wo der
Erlöser gelebt und gelitten hatte. Solche Pilgerfahrten waren für
fromme Gemüther der Weg zum Himmel und für schuldbeladene Ge
wissen die gültigste Sühne. Auch aus dem neubekehrten Ungarn zogen
viele Pilger hin an die heiligen Orte, und Stephan förderte den Hang
zum Wallfahrten bei seinem Volke, theils aus frommer Gesinnung,
theils weil er einsah, daß durch sie Bekanntschaft mit fremden Län
dern, Bildung und Verkehr gehoben werden. Darum stiftete er zu
Rom ein Kloster und zu Jerusalem das andere, mit der Verpflichtung
ungarische Pilger aufzunehmen , andere aber als Reisestationen zu Ra-
venna1 Wippo,
und Konstantinopel.
Vita Chunradi, c.4 1:Und
Eodem
weiltempore
der nächste
multae dissensiones
Landweg nachinter

gentem Pannonicam et Bojarios .... factae sunt, ita ut Stephanus rex Unga-
rovum multas incursiones et praedas in regno Noricorum, id est, Bojariorum
Pertz,
faceret.S.—S. 2VI.
Annales
Hermannus
Laubienses
Contr.beibeiPertz,
Pertz, S.S.S.S.V.V. Annalista
Cosmas Pragensis.
Saxo bei •
— 3 Palaeky, Geschichte von Böhmen, I, 271 fg. Doch sind die Gründe,
aus denen er einen doppelten Feldzug Bretislaw's, 1028 und 1030, annimmt,
sehr schwach; und die Nachricht bei Cosmas, Bretislaw sei bis Gran vor
gedrungen, erklärt er selbst für eine Interpolation, die auch in den Annalista
Saxo von dort übergegangen sei. — * Hartvicus, Vita S. Steph. Inchofer Annal.
eccles. (Wien), III, 348. Thuröczy, II, 31. Rubens, Hist. Ravennac. —
4 Rodulfi Hist., III, 1 ; VII, 62. Ademari Hist., III, C5; IV, 142.
\]Q Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Palästina durch Ungarn führte, zog auch eine Menge fremder Wall
fahrer durch, die hier freundliche Aufnahme und Verpflegung fanden.
So kam der Venetianer Gerhard auf seiner Pilgerfahrt nach Palästina
1021 nach Ungarn. Stephan fand großes Wohlgefallen an ihm, bewog
ihn zu bleiben, der Lehrer seines Sohnes Emerich zu werden, und er
nannte ihn später zum Bischof von Csanäd. ' Eine unglückliche Wahl,
denn Gerhard erzog den Thronerben, der vielleicht schon von Natur
krankhaft
Von den
schwärmerischen
Kindern Stephan's
Geistes
lebte
war,
nurzum
nochMönchsheiligen.
dieser Emerich allein 2 ;

auf ihm ruhte die Hoffnung des Vaters und der Nation , aber sie wurde
schmerzlich getäuscht, da auch er noch vor dem Vater starb. Doch
selbst, wenn er länger gelebt hätte, würde er sie bei seiner Geistes
richtung schwerlich erfüllt haben. Schon die Aussicht, daß er durch
Fortpflanzung des königlichen Geschlechts die Ruhe und das Gedeihen
des Reichs sichern werde, vereitelte er durch abergläubiges Streben
nach Heiligkeit. Denn wiewol er 1026 heirathete, wie man glaubt, die
Tochter des Kroatenfürsten Crescimir 3, so hatte er doch schon das
Gelübde der Keuschheit abgelegt. * Sein Vorbild war nicht der that-
kräftige Vater, der durch verdienstvolles Wirken, wie Karl der Große,
den Heiligenkranz gewann, sondern sein mütterlicher Oheim Heinrich,
der diesen Kranz auf dem Wege der Entsagung und müßigen Frömmig
keit fand.
Stephan,ermüdet von den Sorgen und Arbeiten einer dreiunddreißig-
jährigen mühevollen Regierung und gebrochen von Krankheit, viel
leicht auch in der Absicht, seinem Sohn eine ruhige Thronfolge zu
sichern, faßte den Entschluß, die Krone diesem aufs Haupt zu setzen,
um sich entweder ganz in die Stille des Privatlebens zurückzuziehen,
oder, was wahrscheinlicher ist, ihn zum Mitregenten anzunehmen. 6
Er richtete daher an seinen Sohn eine Ermahnung voll Ernst und Liebe,
in welcher er seine Grundsätze einer weisen Regierung entwickelt. Diese
Ermahnung war vielleicht bestimmt, bei der feierlichen Uebergabe der
Krone dem versammelten Reichstag vorgetragen zu werden. Ein
günstiges
1 Vita Schicksal
S. Gerhardihat
bei Endlicher.
sie uns vollständig
— 2 Hartvicus,
erhalten
Vita Stephani.
6, und sieEnglische
gibt so-

Schriftsteller berichten zwar, daß die Söhne König Edmund's, Edwin und
Eduard, vor dem Dänenkönig und Eroberer Englands Kanut fliehend, an
den Hof Stephan's kamen , und daß Edwin dessen Tochter geheirathet habe.
Die Legendenschreiber geben ihm noch eine andere Tochter Hedwig, die mit
einem schwäbischen Grafen Eppo vermählt gewesen sein soll. Aber wenn
Stephan auch wirklich diese Töchter hatte, so müssen sie und ihre Kinder ge
storben sein, weil er sonst diesen, und nicht Peterri, die Thronfolge zuge
dacht hätte. — 8 Johannes Tomcus Marnavitius bei Katona, Hist. critica, I, 323 ;
uxorem S. Emerici, filiam Crescimiri, regis Dalmatiae fuisse, Dalmatica mo,
numenta testantur. Kein anderes Zeugniß ist vorhanden. — * Vita S. Emerici
Ducis, bei Endlicher, c. 6. Pray, Legenda S. Margarethae (Tyrnau 1774). Hier
wird die Gemahlin Emerich's eine Tochter des griechischen Kaisers ge
nannt. — 5 Kezai, II, 2. Dandulus, bei Muratori, Scriptores rerum Italicarum
(Mailand 1728), XII. — 6 Corpus juris Hungarici, S. Stephani Decretorum,
Lib. 1 ad S. Emericum Dncem. und S. Steph. reg. de morum institutione
ad E1ucricum D. Liber, bei Endlicher. Nur übertriebene Zweifelsucht kann
Stephan I. Th,aten und Begebenheiten. H7

viel Licht über die Regierung Stephan's und über die damaligen Zu
stände Ungarns, daß wir ihren Hauptinhalt dem Leser nicht vorent
haltenWol
dürfen.
mochte Stephan fühlen, daß seinem geliebten Sohne manche

Eigenschaft eines weisen und kraftvollen Regenten abgehe, und sagt


darum in der Einleitung: „Du bist bisher in Bequemlichkeit und Muße,
unter Genüssen und Ergötzlichkeiten aller Art aufgewachsen, und kennst
die Arbeiten und Feldzüge nicht, unter denen ich beinahe mein ganzes
Leben hinbrachte: jetzt ist die Zeit da, wo du der Weichlichkeit ent
sagen,Vor
dich
allem
ermannen
legt erund
seinem
zur Sohne
Thätigkeit
1), 2)
aufraffen
und 3) sollst."
ans Herz, ein treuer

Bekenner des katholischen Glaubens zu sein, diesen in seinem Reiche


zu schützen und rein zu erhalten, das Wohl der Kirche zu fördern, die
Geistlichkeit zu ehren , selbst wenn ein Priester sich vergehe, ihn erst im
stillen zu ermahnen, und nur wenn er hartnäckig der Ermahnung wider
steht, ihn öffentlieh zur Verantwortung zu ziehen. Wer hierin ein Ge
setz erblickt, daß der ungarische König römisch-katholisch sein müsse,
oder wol gar, daß nur Römisch -Katholische bürgerliche Rechte be
sitzen dürfen, vergißt, daß diese Anrede Stephan's an seinen Sohn kein
Gesetz ist; daß es damals außer der römisch- und griechisch-katho
lischen keine andere Kirche gab, und daß den Bekennern der letztern
nirgends der Genuß dieser Rechte entzogen wird, ja daß die ungarische
Kirche zu dieser und noch viel späterer Zeit zwischen dem griechischen
welches
und lateinischen
nicht durch
Ritus
ein schwankte;
späteres aufgehoben
daß es werden
endlich könnte.
kein Gesetz
Dagegen
gibt,

stellt sich aus den Worten Stephan's deutlich heraus, daß die Geistlich
keit unter
Sodanndesgeht
Königs
Stephan
Gerichtsbarkeit
4) zu den weltlichen
stand. Großen, Würdenträgern

und Kriegern über. „Diese", sagte er, „sind die Schutzwehr des Lan
des, die Vertheidiger der Schwachen, die Bekämpfer der Feinde, die
stolz
streiten,
Mehrer
sind und
und
des
nicht
nur
zornmüthig
Reichs;
aber
die dir
sie
Demuth
sind
dienen
behandeln
deine
allein
Väter
und
Bedenke,
Werth
dein
und Brüder;
gibt
Haupt
daß allesie
über
Menschen
sollen
Wenn
sie für
erheben
du
gleich
dich
sie

solltest, würde ihre Tapferkeit deine königliche Macht schwächen, sie


würden dein Reich Fremden übergeben; .... aber durch Güte wirst
du ihre
Hierauf
Liebe ist
gewinnen
5) „vonund
derdie
Verwaltung
Ruhe deiner
derRegierung
Gerechtigkeit
befestigen."
die Rede.

„Sei nachsichtig und mild. So oft eine Rechtssache oder ein todes-

ln dieser Schrift ein Machwerk späterer Zeiten erblicken; ihr ganzer Inhalt,
die Darstellung der Staatseinrichtungen und die einstimmige uralte Tradition
bürgen für ihre Echtheit. Auch hat sie mit des byzantinischen Kaisers Ba-
silus „Exhortationes ad Leonem iilium et imperii collegam" viel zu wenig
Aehnlichkeit, als daß sie für eine Copie derselben gehalten werden könnte.
Aber wol mag sie nicht Stephan selbst verfaßt, sondern die Gedanken und den
Entwurf gegeben Laben , dfe dann von seinem Kanzler (nach dem Gebrauch
der Zeit war es ein Priester) ausgeführt wurden; denn die salbungsvollen
Ausdrücke, die angeführten Bibelstelle1v und der Nachdruck, mit dem die
Geistlichkeit empfohlen wird, läßt uns die Hand eines Priesters erkennen.
Hg Zweites Buch. Erster Abschnitt.

würdiger Vergehung Beschuldigter vor dich gebracht wird, sage,


schwöre nicht: der soll büßen; denn thörichte Eide müssen* gebrochen
werden; auch richte nicht selbst, damit deine königliche Würde nicht
durch Entscheidung kleinlicher Angelegenheiten herabgesetzt werde,
sondern weise die Sache an die Richter, damit sie nach dem Gesetz
urtheilen. Fürchte ein Richter, freue dich aber ein König genannt zu
werden. Wenn jedoch eine Angelegenheit vorkommt, die vor deinen
königlichen Richterstuhl gehört, urtheile mit Schonung und Erbarmen;
denn 6)
nur„Die
die Eingewanderten
Milden regieren, (hospites)
die Hartengleich
aber wie
tyrannisiren."
sie aus verschiedenen

Ländern kommen, bringen auch verschiedene Sprachen, Sitten, Kennt


nisse und Waffen mit sich, wodurch sie den Glanz des königlichen
Hofes und die Stärke des Reichs vermehren. Ein Reich von
einerlei Sprache und Sitte ist kraftlos und gebrechlich,
darum sollst du sie gütig aufnehmen und halten , damit du nicht ver
derbest, was ich gebaut, und zerstreuest, was ich gesammelt habe."
Die in diesem Ausspruche Stephan's eine Vorliebe für Ausländer und eine
Zurücksetzung der Magyaren erblicken, suchen etwas darin, was er
nicht enthält. Wie hätte der weise König in einem öffentlichen Docu-
ment, das noch dazu eine Empfehlung seines Sohnes sein sollte, die Ab
sicht haben können, etwas zu sagen, was sein Volk tief beleidigen
mußte? Aber sie ist eine schlagende Widerlegung jener Verleumdung,
die viele den Panslawen und andern Feinden der Magyaren so leicht
sinnig nachsprechen, daß die Ungarn fremde Nationalitäten in ihrem
Lande unterdrückt und ausgerottet hallen. Und wenn irgendeine Wei
sung ihres edeln Königs, so wurde diese von den Ungarn bis auf den
heutigen Tag treu befolgt. Millionen Nichtmagyaren wohnen fort
während unter ihnen, tausend 'und tausend Fremde haben hier die
freundlichste Aufnahme und ein Vaterland gefunden, behielten ungestört
ihre Sprache und Sitten und lebten sogar nach ihren eigenen mit
gebrachten
Besonders
Gesetzen
merkwürdig
und bürgerlichen
ist PunktEinrichtungen.
7, der vom königlichen Rathe

handelt. „Der Rath muß von den Bessern, Weisesten und Angesehen
sten (a majoribus et melioribus, sapientioribusque ac honestissimis
senioribus) kommen. Darum, mein Sohn, berathschlage nicht mit den
Jungen und weniger Weisen (junioribus ac minus sapientibus), sondern
mit. den Senatoren (senatoribus), denen dieses Geschäft des
Alters und der Weisheit wegen gebührt. Die Jungen sollen
kämpfen, die Senatoren rathschlagen. Doch schließe auch jene
von deinen Berathungen nicht aus, sondern, so oft du mit ihnen
etwas Gutes beschlossen hast, lege es den Aeltern zur Prüfung vor."
Dieser Punkt ist dunkel und leidet an einer gewissen Verworrenheit,
weil die Angelegenheit, von der geredet wird, sich erst ausbildete und
noch keine feste Gestalt gewonnen hatte, und ebendarum auch nicht
deutlich und bestimmt dargestellt werden konnte. Wer die Sprache
des Mittelalters kennt, weiß, daß die Worte majores, meliores,
seniores, nicht blos die' Aeltern, und minores, juniores, die Jün
gern an Jahren bedeuten, sondern, daß weit häutiger unter den erstem
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. 119

die Hohen und Großen, unter den letztern aber die Niedern und Ge
ringern verstanden werden; und nicht ohne Sinn, denn wenn auch poli
tische Vorrechte an Geburt, Grundbesitz und Aemter geknüpft waren,
so konnte der Sohn doch gewöhnlich nur nach dem Tode des Vaters
zur Ausübung derselben gelangen, und um sich durch Verdienste zn
hohen Aemtern aufzuschwingen, brauchte es auch Zeit. Stephan redet
also hier, meiner Ansicht nach, nicht sowol von Räthen, die sich der
Regent nach Gutdünken wählt, sondern von dem hohen Rath der Na
tion, von den Häuptern und Würdenträgern, denen die Führung der
Reichsangelegenheiten rechtmäßig gebührte, und die den König um
gaben ; sodann aber auch von der Nationalversammlung oder dem
Reichstage, wie immer dieser zu der Zeit gestaltet sein mochte. Denn
beide, der Staatsrath und der Reichstag, waren schon in dem arpädischen
Urvertrag gesetzlich begründet, mußten auch jetzt entscheidenden Ein
fluß üben; beide mußten durch d1e Einwirkung der zugewanderten Aus
länder, wenngleich verändert, doch neu befestigt werden, da wir diese
Körperschaften um diese Zeit in allen westlichen Ländern mit großen
Befugnissen ausgerüstet antreffen. Diese Ansicht wird noch dadurch
bestätigt, daß 8) der Vater den Sohn ermahnt, das Beispiel der Vor
fahren, besonders seines, treu nachzuahmen, und das ungarische Volk
nach seinen von den Vorältern ererbten Gebräuchen und Gesetzen zu
regieren.
Nun bittet er noch 9), Emerich möge fleißig dem Gebet und from

men Uebungen obliegen, und beschwört ihn zuletzt 10) mit rührender
Zärtlichkeit „als die Freude seines Herzens, als die Hoffnung künftiger
Nachkommenschaft", mild, erbarmungsvoll und liebreich gegen jeder
mann, den Hohen wie den Geringen, den Einheimischen wie den Frem
den zu
Dies
sein,
sind
damit
wahrlich
seine Regierung
Grundsätze,eine
dieglückliche
Frömmigkeit
und und
gesegnete
Wohlwollen,
werde.

Sinn für Gerechtigkeit und Achtung gegen gesetzmäßige Freiheit


athmen, und wo sie zur Ausführung kommen, (Jas Glück eines Volks
gründen müssen. Aber ehrwürdig muß uns auch ein Fürst erscheinen,
der sich zu ihnen laut bekennt, sie durch liebevolle feierliche Ermahnung
seinem Sohne einflößen will und sich dabei, ohne zu erröthen, auf sein
eigenes
Schon
Beispiel
war der
berufen
8. September
darf. 1031 als der Tag bestimmt, an wel- 1031

ehem in feierlicher Reichsversammlung Stephan seinem Sohn die Krone


übergeben wollte, da starb dieser sechs Tage zuvor am 2. September.
Aus der Krönungsfeier wurde ein Leichenzug, der den Entseelten zu
der Gruft
Der gebeugte
in dem stuhlweißenburger
Greis sah nun seine
Domletzte
geleitete.
Hoffnung
1 und Freude ver

schwunden,
1 Dandulus
und bei
warMuratori,
gezwungen,
XII, die
234.Bürde
Kezai,
der II,
Regierung,
2. Chron.diePosoniense
er abzu-

ad ann. 1031 bei Endlicher. Die Annales Hildesheimenses ad ann. 1031,


nennen Emerich einen Herzog der Russen, und lassen ihn von einem wilden
Eber zerrissen werden. Wenn dies auch nicht unmöglich ist, so stimmt doch
Jagdlust wenig mitEmerich's Gemüthsart, und wird vollends durch das Schwei
gen der andern Chronographen über diese Todesart widerlegt.
120 Zweites Bach. Erster Abschnitt.

legen sich sehnte, noch weiter zu tragen. 1 Aber mit banger Sorge mußte
er auch daran denken, wem er dieKrone hinterlassen, wessenHänden das
Werk, an dem er das ganze Leben hindurch rastlos gearbeitet, zur Fort
setzung vertrauen sollte. Noch lebten männliche Sprößlinge des Arpäd'-
schen Hauses, die ein unbestreitbares Recht auf die Thronfolge hatten.
Zuerst Vazul (Basilius), Sohn Michael's, der ein Bruder des Herzogs Geiza
war ; ihn hielt aber Stephan seit längerer Zeit in der Burg Neitra gefangen ,
entweder weil er wirklieh ungesittet und ausschweifend bis zurTollheit war,
oder weil böswillige Verleumder, was glaublicher ist, ihn angeschwärzt
hatten. Sodann die Söhne Ladislaus des Kahlen , eines noch Jüngern
Bruders von Geiza, Andreas, Bela und Levente; Männer, die das Volk
liebte und die der Krone würdig waren. 2 Außer diesen Prinzen lebte
am königlichen Hofe noch Peter, der Schwestersohn Stephan's. Diese
Schwester, deren Name unbekannt ist, vermählte sich 1011 mit dem
venetianischen Dogen Otto Urseoli, der 1026 durch einen Volksaufstand
nach Konstantinopel zu flüchten gezwungen war und dort 1032 starb,
gerade als er, zurückberufen, sich anschickte, den herzoglichen Stuhl
wieder einzunehmen. 3 Aus dieser Ehe war Peter entsprossen und kam,
ungefähr 15 Jahr alt, sogleich als sein Vater flüchtete, zu seinem
Oheim. Ob seine Mutter ihn begleitete und später als Witwe am unga
rischen Hofe lebte, ist ungewiß. 4 Er hatte zur Thronfolge kein Recht,
und am wenigsten so lange noch Nachkommen Arpäd's in männlicher
Linie vorhanden waren. Aber Gisela hatte auf ihren Gemahl, als er
noch in voller Mannskraft wirkte, schon großen Einfluß; sie war zu sei
ner Mitregentin gesalbt und gekrönt worden 5 und beherrschte den von
Alter, Krankheit und Kummer Gebeugten und den königlichen Hof
gänzlich. Bei aller äußern Andacht und übergroßen Freigebigkeit an
Kirchen und Klöster 6 war sie ein ränkevolles, herrschsüchtiges und
grausames Weib. 7 Ihr war der Gedanke unerträglich, daß ihre Macht
einst aufhören sollte; auch empfand sie einen nur wtenig verhüllten Wi
derwillen gegen die Ungarn, und ihr Gewissen mußte ihr deshalb sagen,
daß sie auch von ihnen nicht geliebt werde. Sie bot also alle Künste
der Ueberredung, List und Gewalt auf, die ungarischen Prinzen, die sie
haßte und vielleicht auch fürchtete, vom Throne zu verdrängen und
Peter auf denselben zu erheben, der sie durch feines Betragen und
Schmeichelei zu gewinnen wußte, und von dem sie hoffte, er werde
schon1 Hartvicus,
aus Dankbarkeit
18. — 2ihrem
Kezai,Willen
II, 2. gehorchen.
Thuröczy, 8II. Besonders
Chronicon mochte
Hung.,

III, 33. 38. Diese beiden verdienen weit mehr Glauben, als der unbekannte
Verfasser von des heiligen Gerhard's Leben, der sie c. 19 für Söhne Vazul's
ausgibt, — 3 Kezai, II, 2. Johannes, Chron. Venet., S. 31. Dandulus bei
Muratori, XII, 225. — 4 Spätere nennen die Mutter Peter's Gisela und lassen
sie am ungarischen Hofe leben, tbeils um zu zeigen, daß sie alles wissen,
wälzen
theils aber
zu können.
auch, um— manche
5 Hartvicus,
schwerec. Schuld
10 vonGislam
der Königin
nomine,
Gisela
....auf
quam
sie
nnetione erismali perunetam, gestamine corone regni sociam esse constituit. —
6 Hermann. Augiens. oder Contr. ad ann. 995 bei Pertz, V, 117. Legenda
S.Steph. major, c. 10. — " Albericus bei Leibniz, Accusationes historieae, II,
44 : „Gisela regina, dieuut, multas mälitias in terra illa fecit." — 8 Kezai, II, 2.
Stephan I. Tbaten und Begebenheiten. 121

sie Zweifel und Mistrauen in die Seele des Königs streuen , die erstern
seien dem Heidenthume gewogen, der christlichen Religion und Ge
sittung abgeneigt, und würden das große Werk seines Lebens zer
trümmern, dagegen aber fortwährend auf Peter hinweisen, der sich den
Schein der Frömmigkeit und des Eifers für das Christenthum zu geben
wußte; baute er doch an einer prachtvollen Kirche in Fünfkirchen. x
Schon war es durch ihre und ihrer Verbündeten Ränke, vielleicht noch
als Emerich lebte, dahin gekommen, daß Peter den Oberbefehl über die
königlichen Truppen und dadurch auch die Mittel erhielt, wenn es sein
müßte, mit Gewalt durchzusetzen, wornach er strebte2; doch den Kö
nig seinem eigenen Hause zu entfremden und zu gesetzwidrigen Ver
fügungen über den Thron zu bestimmen, war noch nicht gelungen.
Er fühlte, daß seine Kräfte schwanden und vielleicht schnell erlöschen
, könnten, und gab 1031 —32 den Befehl, Vazul seiner Haft zu entlassen und
an den königlichen Hof zu bringen, sei es aus Erbarmen, oder weil er
die Ueberzeugung von dessen Unschuld gewann und ihn zum Nachfolger
erklären wollte, wie Kezai berichtet. 3 Da geschah eine furchtbare
That. Gisela mit ihrem Vertrauten Buda und den übrigen Parteigängern
Peter's beschlossen, dem Könige zuvorzukommen und sein Vorhaben,
das alle ihre Plane zu vereiteln drohte, zunichte zu machen. Eilends
schickten sie den zu jeder Unthat bereiten Höfling Sebos nach Neitra,
der dort früher als der Bote des Königs ankam, Vazul blendete, Blei in
seine Ohren goß und ins Ausland flüchtete. In diesem jammervollen
Zustande brachte man den Unglücklichen vor den König, der, von
Schmerz und Schauder ergriffen, fühlte, wie ohnmächtig er geworden
sei, und nun die drei andern Prinzen selbst zur Flucht aus dem Vater
lande trieb, damit ihnen Aehnliches nicht widerfahre. 4 Sie gin
gen zuerst nach Böhmen, wo sie bei Herzog Ulrich die freundlichste
Aufnahme fanden 6, und begleiteten sodann den vertriebenen Herzog
von Polen, Miczislaw, als er heimkehrte, den Thron wieder einzunehmen.
Bela leistete diesem wichtige Dienste und erhielt dessen Tochter
Richeza zur Gemahlin, nachdem er einen pommerschen Fürsten im
Zweikampf getödtet hatte. 6 Andreas und Levente aber nahmen ihren
Aufenthalt bei dem kiewer Großfürsten Jaroslaw, der der Prinzen
Verwandter war und auf dessen Schutz sie rechnen konnten. Hier
heirathete
Wie einst
Andreas
die arglistige
dessen Tochter
Livia die
Anastasia.
Familie7 des Augustus Glied nach

Glied hinwegräumte, um ihrem Tiberius Platz zu machen, so war es


auch1 Kezai,
der scheinheiligen
II, 3. Thuroczy,
Gisela
II, 41.
gelungen,
— 2 Hartvieus,
das königliche
Vita S. Stephani,
Haus der
15.

3 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 23. — 4 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 33. —
5 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 38. Martinus Polonus, der sie aber fälschlich
mehrere Jahre in Böhmen verweilen läßt. Diese Begebenheiten müssen sich
zwischen 1031 — 37 zugetragen haben; denn 1031 stirbt Emerich, und nun
konnte die Partei Peter's mächtig werden. In demselben Jahre flieht Miczis
law nach Böhmen, kehrt 1032 nach Polen und auf den Thron zurück und
stirbt 1034. Der Böhmen-Herzog Ulrich geräth 1033 in Kaiser Konrad's Ge
fangenschaft, wird 1034 entlassen und stirbt im Herbst 1037. — 6 Thuroczy,
II, 38. Cromer. Hist. rerum Polonic, L. III. — 7 Thuroczy, II; 39.
122 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Arpäden zu vertreiben , damit Peter an dessen Stelle trete. Aber der


Greis athmete zulange, von Gicht geplagt, auf seinem Krankenlager ; es
konnte noch ein Augenblick kommen, wo die hinsterbende Kraft sich
neu belebt, diese Ränke vernichtet und Verderben bringt über die Ur
heberVier
derselben.
dieser durch Schlechtigkeit Mächtigen am Hofe verschworen

sich also, den ehrwürdigen König zu morden. Schon war die Abend
dämmerung eingebrochen; der Greis liegt in der Dunkelheit auf seinem
Krankenbette; einer der Verschworenen schleicht in das Gemach und
tritt mit gezücktem Schwert vor ihn hin; aber seine Hand bebt, das
Schwert fällt klirrend zu Boden und der König erhebt sich auf seinem
Lager. Da sinkt der Mörder, von der Gewalt des Gewissens ergriffen,
auf seine Knie, bekennt reumüthig sein Verbrechen und gibt die Mit
schuldigen an. Er wird begnadigt, diese büßen mit dem Leben. x Die Ge
schichte verschweigt die Namen der Elenden; sie sagt uns nicht einmal, ob
sie der Partei Peter's angehörten. Aber diese Partei beherrschte den
Hof, von dem die patriotisch Gesinnten und dem königlichen Hause
treu Anhängenden verdrängt waren; sie hatte schon Gewaltthat geübt
und sich mit Blut befleckt ; sie allein konnte endlich aus dem Tode des
Königs Vortheil ziehen: darum ist es erlaubt, den Verdacht des schänd
lichen Anschlags auf sie zu wälzen und auch Petern wenigstens des
Mitwissens anzuklagen. Dagegen spricht alles dafür, Gisela unschuldig
^Jr zu erklären an diesem Mordversuche; sie hätte ein Ungeheuer sein müs-
l, ,^ sen, um daran theilzunehmen, und dasJ1ft^lingen desselben würde sie
von dem Gipfel der Ehre und Macht, auf dem sie stand, solange ihr
1038 chenbegängniß
GatteBald
lebte,darauf,
hinabgestürzt
versammelte
1038 am haben.
sich
15, eine
Aug.,unzählbare
starb Stephan.
Menge in
ZuStuhlweißen
seinem Lei-

burg; hier wurde er in der Kirche der heiligen Maria, die er selbst er
baut hatte, neben seinem Sohne beigesetzt. Das Volk, dessen Bildner
und Wohlthäter er im Leben gewesen, beklagte ihn schmerzlich im
Tode, und die Kirche nahm ihn fünfundfunfzig Jahre später unter
2.
die Staats
Heiligen
Bei der
einrichtungen,
Einführung
auf. der neuen
kirchliche
Staatseinrichtungen
Zustände und in Ungarn
Volksleben.
diente

der Westen Europas und besonders das nächst benachbarte Deutschland


zum Muster. Dort aber war das Lehnwesen, wie es sich in der frän
kischen Monarchie entwickelt hatte, schon in voller Herrschaft, und so
nahmen denn auch Verfassung, bürgerliche und kirchliche Zustände in
Ungarn ähnliche Formen an. Dies konnte um so leichter geschehen,
da in der patriarchalischen Verfassung der Magyaren alle Keime des
Leimwesens bereits fertig lagen und sich nur in dieser Richtung zu ent
wickeln brauchten, um in dasselbe auszuarten. Sobald die ursprüng
liche 1 Vorstellung,
Hartvicus, Vita
daß
S. alle
Steph.,
Glieder
c. 15. der Stämme und Geschlechter, in

*
Stephan I. Staatseinrich tungen u. s. w. 123

welche die Nation zerfiel, einander verwandt sind, sich abschwächte


und die erblichen Häuptlinge sich nicht mehr als Familienväter, sondern
als Gebieter betrachteten; sobald sie den Boden, der einst für ein Ge
meingut aller galt und dessen Vertheilung ihnen blos oblag, als ihr
Eigenthum nach und nach an sich rissen, welches sie gegen gewisse Lei
stungen zu verleihen anfingen: so war schon der entscheidende Schritt
zum Lehnwesen geschehen. Und wie schnell mußte diese Umwand
lung besonders in einem eroberten Lande vor sich gehen, wo die ein
gedrungene Nation gezwungen war, gleichsam ein schlagfertiges Heer
zu bilden, sich über dasselbe auszubreiten und eine abgestufte mili
tärische Gliederung anzunehmen; wo man die Krieger nicht anders zu
unterhalten wußte, als daß man den Häuptlingen und Führern Lände
reien zur Nutznießung anwies, von denen sie und ihre Mannen den
Unterhalt bezogen. Da die Führerschaft meist in der Familie sich ver
erbte, verwandelte sich nach und nach auch die Nutznießung in erb
lichen Besitz; der Anführer wurde Herr des Bodens, der Krieger und
Landmann, der auf demselben wohnte, sein unterthäniger Grundholde
und bald Leibeigener. 1 In solcher Weise war unter den germanischen
Nationen das Lehnwesen entstanden und wurde von da auch nach Un
garn verpflanzt. Wenn aber dasselbe hier nur allmählich, und voll
ständiger erst unter den Königen aus fremden Häusern zur Geltung
kam, wenn es dabei von dem fränkisch -deutschen in vielen Stücken
'immer merklich verschieden blieb: so ist dieses außer manchen örtlichen
Verhältnissen hauptsächlich der Festigkeit zuzuschreiben, mit der die
Magyaren
In der
in Einleitung
jeder Hinsicht
zu ihre
den Gesetzen
Eigenthümlichkeit
Stephan'sbewahrten.
wird Ungarn eine

Monarchie genannt, die er nach Gottes Rathschluß regiere, und gesagt,


daß er nach seinem entscheidenden Wohlmeinen, kraft königlicher
Machtvollkommenheit die Gesetze gebe. 2 Es sind dies Redensarten
des Kanzleistils, geschöpft aus der Erinnerung an die römischen Kaiser,
die uns nicht täuschen dürfen. Ein absolutes Königthum war nach den
Zuständen Ungarns nicht möglich und, mit Ausnahme des byzantinischen
Reichs, im christlichen Europa damals nirgends zu finden. Wir würden
aber auch auf der, andern Seite zu weit gehen, wenn wir hier eine fer
tige constitutionelle Monarchie mit geordneter Volksvertretung oder
auch nur mit Ständen, wie sie spätere Zeiten hatten, sehen wollten.
Politische Begriffe und Zustände waren dazumal noch in chaotischer
Bewegung und strebten erst, eine bestimmte Form und Gestalt zu ge
winnen. Ohne Beirath und Zustimmung der Nation oder ihrer Häupter
konnte
1 Unter
der Landesfürst
den vielen überall
Werken wenig
über das
thunLehnwesen
; die Macht,
seien
die hier
er übte,
erwähnt:
war

Montesquieu, Esprit des lois. Robertson, Einleitung zur Geschichte Karl's V.


Rotteck, Allgemeine Geschichte, 7. Aufl., IV, 347 fg. Pütter, Historische
Entwickelung der deutschen Reichsverfassung. — 2 Sancti Stephani Regis
Decretorum Libri II, in Corpus "Juris Hung., und richtiger bei Endlicher,
Rerum Hungaricarum Memoria, 311 — 324. Praefatio. ,,....nos quoque
Dei nutu nostram guberhantes monarchiam , antiquos et modernos imitantes
augustos, decretali mcditatione nostrae statuimus genti" etc.
124 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

schwankend, das Maß derselben hing von seiner Persönlichkeit und von
den Umständen ab, keineswegs aber von festen Einrichtungen und Ge
setzen. Wenn also Stephan Macht genug hatte, jeden Widerstand zu be
siegen und mit schöpferischer Kraft zu wirken, so verdankte er diese
Macht der geistigen Ueberlegenheit , durch die er die Gemüther be
herrschte, mehr, als der physischen Macht, die er besaß. Es liegt uns
keine fertige Verfassung vor, aber wir erblicken die Elemente und
Keime,Das
ausGesetz
denenkennt
sich dieselbe
schon damals
im Laufe
keinen
der Zeit
Unterschied
entwickelte.
der Nationen,

die das Land bewohnen; Magyaren und ihre Bundesgenossen, bei der
Eroberung vorgefundene und später Eingewanderte (mit einigen Aus
nahmen bei den letztern) werden als ein Volk betrachtet, das unter
demselben Gesetze steht; alle theilen, je nach dem Stande, dem sie an
gehören, gleiche Berechtigung oder Rechtlosigkeit. Darum haben wir
hier nicht nach den Nationalitäten, sondern nach den Klassen zu fragen,
theil
in welche
Durch
zu den
dasdie
vorigen
Volk
Einführung
zerfällt.
hinzugekommen,
des Christenthums
die Geistlichkeit.
war ein neuer
DennBestand-
wie in

den übrigen Ländern der Christenheit, bildete sie auch hier einen eige
nen, von den andern abgesonderten Stand, den Klerus, der, mit dem
Schimmer der Heiligkeit umgeben und im beinahe alleinigen Besitze
von einiger wissenschaftlichen Bildung, den ersten Rang einnahm und
gleich anfangs mit großen Vorrechten, reichen Einkünften und weitem,'
Grundbesitz ausgestattet wurde. Das Oberhaupt desselben, der graner
Erzbischof, war erster Reichsstand (primas regni); die andern Bischöfe
und Aebte wurden als die ersten Würdenträger (praelati) geehrt; seine
Mitglieder bekleideten die wichtigsten Staatsämter, besonders solche, die
mehr Kenntnisse forderten. x In dem neubekehrten Lande mußten die
meisten
WieGeistlichen
oben bereits
nocherwähnt
Ausländer
wurde,
sein. standen die einzelnen Stämme

der Magyaren und ihrer Bundesgenossen unter Häuptlingen , die sie sich
aus den Mitgliedern jener Familien wählten, in denen diese Würde erb
lich war. Aber ihre Anzahl und Macht war in den Tagen Stephan's
bereits sehr gesunken ; neben ihnen und zum Theil an ihrer Stelle kamen
andere empor, die Führer größerer Einwanderungen, die herzoglichen
Gewaltträger, die den Eingeborenen vorstanden , verdiente oder begün
stigte Einheimische oder Ankömmlinge, denen oft bedeutende Lahd-
strecken untergeben wurden. 2 Schon diese Theilung ihrer Rechte
unter viele mußte ihr Ansehen vermindern und ihrer Macht ein Gegen
gewicht entgegensetzen. Außerdem mochten erbberechtigte Familien
ausgestorben, andere in den Kriegen umgekommen, noch andere, wie
die Kupäny und Gyula ihrer Würde entsetzt worden sein, und die
noch übrigen immer schwächer werden, der wachsenden Macht des
Staatsoberhaupts zu widerstehen. Der gewaltige Einfluß dieser erb
lichen Volksobersten erlosch endlich vollends, als Stephan die Stamm-
1 Steph. r. decret. Lib. I, c. 1 — 6. Steph. r. ad Emerieum D. de insti-
tutione morum Liber, o. 2, 3. — 2 Anonymus, e. 57. Kezai, De nobilibus
advenis. Thuröczy, II, 10 — 21.
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 125

bezirke aufhob, sie in Gespanschaften verwandelte und diesen verant


wortliche Reichsbeamte vorsetzte. Die Nachkommen der Häuptlings
familien, die Inhaber größerer Ländereien und die hohen Reichsbeamten
werden in den Gesetzen unter dem Namen der comites, Grafen, zusam
mengefaßt. Dieses Wort ist jedoch nicht in seiner heutigen, sondern
in seiner ursprünglichen Bedeutung zu nehmen, und bezeichnet einen
höhern Staatsbeamten oder vornehmern Herrn im weitesten Sinn ; Gra
fen, wie die jetzigen, kannte die damalige Zeit nicht, und in Ungarn
wurde dieser Titel erst unter den Königen aus dem österreichischen
Hause eingeführt. Diese insgesammt nahmen den zweiten Rang im
Staate ein; sie waren die domini, principes, comites, seniores, az urak,
a nemzet fobbjei, die Herren , Volksobersten 1 ; die vornehmsten unter
ihnen hießen später Reichsbarone; aus ihnen hat sich allmählich der
hohe Adel, fonemesseg, und die Magnatentafel, das Oberhaus bei den
Reichstagen,
Den dritten
entwickelt.
Rang nehmen die milites, juniores, viri alicujus uber-

tatis, die Erieger, Jüngern, Wohlhabenden, vitezek, ein.2 Die viel


fachen Abstufungen, in welche der Stamm bis auf die einzelne Familie
.zerfiel, mußten ebenso viele Stufen des Ranges und des Einfiußes derer
bilden, die ihnen vorstanden. Jene Krieger oder milites waren also
ursprünglich die Mitglieder jener Familien, aus denen die Häupter dieser
Unterabtheilungen gewählt wurden. Ihre Zahl hatte sich in derselben
Weise, wie jene der Stamm - und Geschlechtsobersten vervielfältigt , ihr
Zustand aber jetzt nach der Auflösung des Stammverbandes insoweit
verändert, daß sie in unmittelbare Berührung mit dem Staate und dem
König traten und ebendadurch unabhängiger wurden. Wenn ihr
Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten des Staats auch geringer
war als der, den die Großen des Reichs übten 3, so hatten sie dennoch
gleiche persönliche Rechte mit jenen; auch waren die beiden Rang
ordnungen nicht strenge voneinander geschieden, jeder konnte durch
Verdienste, Aemter und Wohlstand aus der zweiten in die erste auf
steigen, oder durch Vergehen, Misgeschick oder Verarmung aus der
ersten in die zweite hinabsinken, und jedem freien Menschen stand der
Zugang zu beiden offen, wie dieses aus dem bisher Gesagten von selbst
verständlich ist. Der Stand dieser Krieger gestaltete sich nach und
nach Diein den
große
niedern
Masse
Adel
desum.
Volks bestand aus Gemeinfreien, vulgares,

die früher den Geschlechtshäuptlingen, jetzt nach Aufhebung der Stamm


verfassung der vom König bestellten Obrigkeit, dem Burg- und Hof
grafen untergeben waren. Ihre Person war frei, kein Herr gebot
rechtmäßig über sie, wenn sie sich nicht freiwillig in Dienste begaben.4)
Diejenigen unter ihnen, die im Vaterlande mit ihrem Stamm und Ge
schlecht geblieben waren, also gewiß die weit überwiegende Mehrheit,
hatten den gebührenden Antheil an dem Gemeingut und eigenes, beweg-
1 Steph. r. de morum institutione Lib., c. 4, 7. Steph. reg. decret.
Lib. I, c. 15. — 2 Steph. r. de morum institutione Lib., c. 4, 7. Steph. reg.
decret. Lib. I, c. 15. — 3 Hartvicus , „ Convocatis Hungariae prineipibus cum
ordine sequenti". — 4 Kezai, I, 1.
126 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

liches Vermögen; und als der gesonderte Grundbesitz und Eigenthums


recht eingeführt wurde , mußte auch ihnen ihr Theil erbeigenthümlich
zufallen. Ihre Rechte wurden aber bald sehr geschmälert; schon unter
Stephan war das Gesetz nöthig, daß kein Mächtiger in Zukunft einen
Freien zum Sklaven machen dürfe 1, und als das Lehnwesen nach und
nach überhandnahm, wurden sie erst zu Grundholden und sodann zu
Hörigen
und endlich
hinabgedrückt;
auch die Freiheit
sie verloren
der Person.
zuerst
Zu den
Stephan's
eigenen
Zeiten
Grundbesitz
besaßen ,

sie noch beides. Die Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten und


die Wahl ihrer Ortsobrigkeit stand ihnen damals um so gewisser zu, da
sie dieses Recht auch dann noch übten , als sie ihre Freiheit längst ein
gebüßt hatten, und sieh in Genuß desselben bis heute behauptet haben.
Aber auch von aller Theilnahme an den Landesangelegenheiten, an den
Gerichtssitzungen und an der Gesetzgebung waren sie nicht aus
geschlossen, wie wir sehen werden, wenn sich auch der Einfluß, den sie
dabei übten, nicht genau angeben läßt, •
Gleich ursprünglich theilte sich also die freie Bevölkerung Ungarns
in Klassen, gab es erblich bevorzugte Stände; aber einen Feudaladel
mit Unterthanen und Hörigen , der sich im ausschließlichen Besitz von
Grundeigenthum und staatsbürgerlichen Rechten befand, und sich allein
Volk, populus, nannte2 gab es damals ebenso wenig, als einen Feudal
könig, der diese Edelleute schuf und in einer Art Wechselwirkung durch
sie wieder gewählt wurde. 3 Außer der höhern Stellung und dem
größern Einfluß im Staat, findet sich in den Gesetzen Stephan's noch
keine Spur von andern Vorrechten, die sie besessen hätten, und wenn
sie, dem Gebrauch nach, welche besaßen, so waren diese doch weit
geringer und beschränkter als jene, die sie in spätern Jahrhunderten
gewannen. Noch steht es zu erweisen, ob sie überhaupt oder inwie
weit sie nebst der Geistlichkeit schon damals Steuerfreiheit genossen,
und blos Waffen- und andere persönliche Dienste statt aller Abgaben
leisteten4, und ob sie diese Immunität' nicht mit den andern freien
Grundbesitzern theilten. Denn zu dieser Zeit war noch jeder freie
Mann zum Waffendienst verpflichtet, und den Zehnten an die Bischöfe
entrichteten auch sie gleich den übrigen freien Leuten. Adelsbriefe gab
es noch keine, nur Urkunden über Güterverleihungen wurden aus
gestellt; wer von den Häuptlingsfamilien abstammte, ein ansehnlicheres
Amt verwaltete, sich im Krieg auszeichnete, einen größern Landbesitz
hatte, galt als miles oder comes, als Krieger und Herr, ohne vom
König geadelt worden zu sein; erst später kommen die brieflichen
Adelsverleihungen in Gebrauch6; selbst das Wort nobilis, in der Be
deutung adelich, ist damals noch nicht üblich. 6 Auch Familiennamen
hatte man keine. Die Geschlechter leiteten wol ihre Abstammung von
dem 1oder
S. Stephani
jenem Vorfahren
Decretorum,
her,
I, 22.
führten
— 2 aber
Verböczy,
keinenOpus
gemeinschaftlichen
tripartitum juris

consuetudinarii inelyti regni Hungariae, Pars II, Tit. 4. — 3 Ebend., Pars I,


Tit. 3, §. 6, 7. — * Ebcnd., Pars II, Tit. 14, §. 11. — 5 Ebend., Pars I,
Tit. 3, §.6. — 6 Wo es in den Gesetzen vorkommt, ' ist es in späterer Zeit
statt „miles" hingesetzt worden.
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s.w. 127

Namen, sondern jeder fügte dem eigenen Taufnamen den des Vaters,
oder des Wohnorts und Besitzthums bei. Wappen endlich waren damals
überall noch wenig und bei den Ungarnnochkaum gebräuchlich; siebildeten
sich erst in den Kreuzzügen aus; ihre Wahl hing anfangs von der Willkür
eines jeden ab ; die Familienwappen kamen erst nachher 'auf, und noch
viel später
Einen wurden
eigenen Stand
sie durch
freier
denLeute
König
bildeten
vorgeschrieben
noch die Städtebewohner.
und verliehen.

So verheerend der Strom der Völkerwanderung über unser Land dahin-


brauste, waren dennoch einige Städte römischer Colonisten geblieben,
in denen sich die Reste alter Bildung, Gesetze und Sitten erhielten.
Auch die Ungarn verschonten dieselben, ließen ihnen ihre Festungs
werke, den Bewohnern ihre Freiheit und ihre bürgerliehen Einrichtungen,
und legten mit Vorliebe in ihrer Mitte oder Nähe die Burgen an, die
den Bezirken zum Mittelpunkt dienten. Bald sammelten sich auch an
den Bischofssitzen, um die Abteien und Burgen neue Ansiedler, meist
aus fremden Ländern, die Städte nach dem Muster der eben jetzt in
Deutschland häufig entstehenden gründeten (Stuhlweißenburg, Szathmär-
Nemethi, und Hermannstadt in Siebenbürgen). Welche Rechte und Ein
richtungen die Städte unter der Regierung Stephan's hatten, läßt sich aus
Mangel an urkundlichen Nachrichten nicht bestimmt angeben ; da aber
die Freibriefe, welche die nachfolgenden Könige Städten ertheilen , sich
häufig auf den Freibrief berufen, den Stuhlweißenburg von Stephan er
halten hatte , können wir beiläufig auf den Rechtszustand schließen, in
dem sie sich befanden. Sie sind ausgenommen von der Gerichtsbar
keit der Bischöfe und Grafen, und dem Könige unmittelbar unter
geben; sie setzen sich selbst Obrigkeiten, ordnen ihre innern Angelegen
heiten und halten Gericht über die Ihrigen nach den Gewohnheiten und
Gesetzen, die sie aus ihrer ehemaligen Heimat mitbrachten; sie wählen
selbst und besolden ihre Pfarrer. Dafür sind sie verpflichtet, einige
Bewaffnete zu dem königlichen Heere zu stellen, jährlich am Martins
tage eine kleine Abgabe zu zahlen, den König auf der Durchreise zu
bewirthen,und ihm bei seiner Vermählung ein Geschenk an Silberzeug
zu machen. Da die Städtebewohner größtentheils" Fremde und Aus
länder waren , eine von dem ungarischen Volk gesonderte Stellung ein
nahmen und Sprache, Gewohnheiten und Gesetze ihrer vorigen Heimat
beibehielten,
Groß war wurden
endlich
sie die
Gäste,
Menge
hospites,
der Sklaven,
genannt, servi. Die Sklaverei,

herrschte damals noch unter allen Völkern, unter den civilisirten ebenso
gut, wie unter den barbarischen; dem Christenthum, das die Gleich
heit und Freiheit dem Menschen so laut verkündigt, war es kaum ge
lungen, sie etwas zu mildern, aber nicht, sie abzuschaffen. Schon aus
ihren Ursitzen brachten die Ungarn viele Sklaven mit sich, viele fanden
sie gewiss auch bei ihrer Ankunft im Lande vor, sie vermehrten ihre
Zahl noch beträchtlich durch Kriegsgefangene; endlich wurden auch
Freie, die größere Verbrechen begangen hatten, zu zeitweiliger oder
immerwährender Sklaverei, oft mit allen ihren Kindern, verdammt.1 Die

1 Kezai, I, 1.
128 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Sklaven waren sächliches Eigenthum ihres Herrn , gegen dessen Willkür


sie kein Gesetz schützte, der sie kaufte und verkaufte. Darum ist auch
der Herr verpflichtet, wenn der Sklave ein Verbrechen begeht, diesen
entweder auszuliefern oder auszulösen; tödtet ein Sklave einen fremden
Sklaven, so ist der IIerr des erstem schuldig, den Schaden zu ersetzen
oder Sklaven für Sklaven zu geben; der Freie, der einen Sklaven tödtet
hat, außer dem Schadenersatz, den er dessen Herren leistet, und von
der Kirche vorgeschriebenen Fasten , keine Strafe zu erleiden. 1 Doch
durfte der Herr den Sklaven freilassen, was als ein verdienstliches
Werk angesehen wurde. Die Sklaverei hörte erst viel später auf; aber
in dem Maß, wie sie verschwindet verschlimmert sich das Los der
Gemeinfreien, bis endlich beide, Sklaven und Freie, durch dieselbe
drückende
Zwischen
Hörigkeit
der völligen
einander
Freiheit
gleichgemacht
und gänzlichen
werden. Sklaverei gab es

mannichfaltige Abstufungen, welche gleichsam den Raum ausfüllten,


und hauptsächlich aus dem Titel entstanden, unter welchem jemand den
Boden bewohnte und anbauete. Aufklärung über dieselben kann uns
nur die Kenntniß der verschiedenen Arten des Grundbesitzes in jener
Zeit geben.
Aller Grund und Boden war entweder Privateigenthum oder

Staatsgut, und letzteres vielleicht größer an Umfang als das erstere.


Jeder Stamm der Magyaren und ihrer Bundesgenossen erhielt, wie wir
wissen, eine seinen Bedürfnissen angemessene Landstrecke zum Wohn
sitz; den Eingeborenen, die man sogleich oder später in den Volks
verband aufnahm, blieben ihre Ländereien, nur mußten sie wahr
scheinlich einen Theil derselben, was ihnen bei der dünnen Bevölkerung
gar nicht schwer fiel, an die magyarischen Niederlassungen abtreten,
die gleichsam als Besatzungen unter sie verlegt wurden ; auch die ver
schiedenen zahlreichen eingewanderten Colonien und ihre Führer er
hielten, gleich den Stämmen und deren Fürsten, Land, auf welchem sie
sich ansiedelten, und da es in dem durch so häufigen Wechsel der
Herren und Bewohner und durch so viele Kriege verödeten Ungarn
noch immer viele gar nicht oder nur schwach bevölkerte Gegenden
gab, wurde viel Land von den Herzogen und noch weit mehr von König
Stephan auch an angesehene Einheimische und Ausländer und an ihre
Gelejtsmannen
Diese Ländereien
vergabt. waren
2 ursprünglich Gemeingut aller, die darauf

wohnten; als aber das Nomadenleben immer mehr aufhörte, und das
Volk feste Wohnsitze wählte und auf Ackerbau sich verlegte, mußte
nach der naturgemäßen Entwickelung der Dinge erst jedes Geschlecht
des Stammes, dann jede Abtheilung des Geschlechts, und endlich jede
Familie in gewisse Grenzen eingeschlossen werden, innerhalb welcher
sie den Boden benutzte. Daß diese Theile nach Rang, Ansehen und
Bedürfniß des Inhabers von sehr verschiedener Ausdehnung waren,
versteht sich von selbst. Hiermit war das Grundeigenthum thathsächlich,
wenn auch noch nicht gesetzlich eingeführt. Die gesetzliche Sanction
1 Deeret. S. Steph., I, 14; II? 3. 4. — 2 Anonymus, c. 15, 46, 57. Kezai,
De nobilibus advenia. Thuröczy, II, 10—13.
Stephan I. Staatseinrichtungen u.a. w. 129

erhielt es allem Anschein nach gleich auf jenem Reichstage, den Stephan
zu seiner Krönung berufen hatte, durch ein ausdrückliches Staatsgesetz:
„Wir beschließen kraft unserer königlichen Macht, daß jedermann das
Recht habe, das Seine zu vertheilen, es der Gattin, den Söhnen, Töch
tern und Aeltern oder den Kirchen zu geben, und daß sich nach seinem
Tod niemand unterstehen solle, seine Verfügungen zu vernichten."1
Auf einem spätem Reichstage wurde dasselbe Gesetz erneuert und auf
königliche Schenkungen (von des Königs Privatbesitzungen, oder con-
fiscirtem Gut, oder noch herrenlosem Land gegeben) ausgedehnt: „Wir
thum
stimmen
undder
überBitte
die des
Schenkungen
ganzen Senatsdes
bei,
Königs
daß jeder
Herrüber
sei, sein
so lange
Eigen-
er

lebt, mit Ausnahme dessen, was dem Bisthum und der Ge


spanschaft gehört; und nach seinem Tode sollen die Nachkommen
mit gleichem Besitzrecht nachfolgen." 2 Der freie Verkauf und Kauf
wird zwar in diesen Gesetzen nicht erwähnt, muß aber schon damals
gestattet worden oder doch bald in Gebrauch gekommen sein, da in
den Gesetzen Koloman's (regiert 1095 — 1114), Kap. 21, bereits von
erblich gekauften Besitzungen die Rede ist. Den Grund, der seinem
Herrn als freies und vollständiges Eigenthum gehörte, nannte das
Mittelalter haereditas, proprium, Allodium. Solche Allodien waren, wie
bereits gesagt, nicht blos die Ländereien der Großen und Adelichen,
der comites und milites, sondern auch die kleinen Antheile , welche den
Gemeinfreien, vulgares, zugefallen waren. Der Besitz eines solchen
Allodes gab erst die vollständige, durch keine Dienstverhältnisse be
schränkte
AberFreiheit.
kaum die Hälfte von allem Grund und Boden kam in dieser

Weise zur Vertheilung und in Privatbesitz. 3 In den Gebieten der


Stämme, wie in den übrigen Gegenden des Reichs, besonders rings
um die Burgen und an den Grenzen, waren bedeutende Ländereien als
Staatsgut vorbehalten worden. Die Bewohner dieser Ländereien waren
zwar persönlich frei, aber der Boden, auf dem sie saßen, war nicht ihr
Eigenthum, obwol sich derselbe auf ihre Nachkommen vererbte; sie
waren nur Nutznießer desselben , konnten darüber nicht frei verfügen
und waren, so lange sie ihn innehatten, dem Staat zu verschiedenen
Dienstleistungen verpflichtet. Während die patriarchalische Stamm
verfassung in voller Kraft bestand , mußten naturgemäß die öffentlichen
Ländereien, die in »den Gebieten der Stämme lagen, von den Stamm-
fürsten und Geschlechtshäuptlingen, die andern vom Herzog beaufsichtigt
und verwaltet werden; später aber, als die herzogliche Macht das
Uebergewicht
1 S. Steph.erhalten,
Reg. Decretornm
gebot derI,oberste
6. — Landesfürst
2 Ebend., II,über
2. Das
das gesammte
Wort filii,

welches Im lateinischen Texte steht, glaubte ich mit Nachkommen übersetzen


zu müssen, da die Schenkungsbriefe Stephan's, die noch vorhanden sind, be
kanntlich auf die Nachkommen beiderlei Geschlechts lauten. — 3 Das Staats
gut muß in der That so groß gewesen sein, denn wie hätten sonst die Kö
nige dem Klerus so ungeheuere Besitzungen schenken, soviel Lehen, daß diese
endlich die Allodien überwogen, vergeben und noeh immer so große Do
mänen behalten können.
Feßler. I. 9
130 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Staatsgut, wie sich aus Nachrichten, Gesetzen und Urkunden mit


Sicherheit schließen läßt. Dieses Staatsgut war unveräußerlich, und
kein Theil desselben durfte erbeigenthümlich vergabt werden. „Wie
wir den andern das Eigenthumsrecht über ihre Besitzungen ertheilt
haben, sagt das Gesetz, so wollen wir auch, daß die Besitzungen, Krieger,
Knechte und was sonst zu unserer königlichen Würde gehört, unan
getastet bleiben; daß durch niemand hiervon etwas geraubt werde;
auch soll es niemand wagen, hinsichtlieh der bemeldeten
Dinge eine Begünstigung für sich zu erstreben."1 Aber zu
zeitweiliger und lebenslänglicher Nutznießung gegen Kriegsdienste, als
Sold für Staatsämter und Lohn für Dienstle1stungen mancherlei Art
wurden diese Güter an Einzelne oder an ganze Gemeinwesen vom König
verliehen. Ein solches Besitzthum hieß, im Gegensatz zu dem erb-
eigenthümlichen Allodium, Feudum, possessio, Lehn und durfte damals
von dem Inhaber nicht vererbt, und nie (selbst dann nicht, als die Lehen
erblich wurden) verkauft werden, sondern fiel, so oft es erledigt wurde
an den Staat, oder, nach damaligem Sprachgebrauch, an den König
zurück, der es wieder, wem er wollte, verlieh. Darum nimmt das
Gesetz 2 welches die Privatbesitzungen und königlichen Schenkungen
zum vollen Erbeigenthum erklärt, den dem Bisthum und der Gespan
schaft gehörenden Grund und Boden' aus, weil dieser als Staatsgut nur
lehnweise besessen werden konnte. Wer ein solches Lehn empfing,
opferte dadurch einen Theil seiner Freiheit, er war dem Lehnsherren zur
Treue, zu Dienstleistungen und Gehorsam verpflichtet, wurde ein homo-
liguus und verlor ganz folgerecht das Lehn, sobald er die Lehnspflicht
brach. Dagegen traten aber auch die Bewohner des Lehns, gleichviel ob
sie ursprünglich daraufsaßen, oder sich später dort niederließen, zu dem
Lehnsträger in das Verhältniß der Abhängigkeit; sie mußten ihm die
Dienste leisten, die sie ursprünglich dem Staat schuldeten, und standen
auf verschiedenen Stufen der persönlichen Freiheit, aber immer niederer,
als die
Die
Besitzer
Ländereien,
von Allodien.
welche Stephan den Bisthümern, Kapiteln und

Abteien verlieh, waren wol größtentheils ursprünglich Staatsgut und


wurden als solches betrachtet. Aber auch die erbeigenthümlichen Be
sitzungen, die jemand der Kirche schenkte, verloren dadurch diese
Eigenschaft und wurden unveräußerlich und lehnspflichtig. Darum
mußte jeder Inhaber geistlicher Pfründen, wie dfcs auch im übrigen
Abendlande gebräuchlich war, die königliche Belehnung empfangen,
den Lehnseid schwören, Mannschaft zum königlichen Heere stellen,
und vielleicht schon damals auch persönliche Heeresfolge leisten.
Später wurde die Kirche an Lehnsleuten immer reicher, da viele aus
Frömmigkeit oder, um sich gegen die Gewalt mächtiger Unterdrücker
zu schützen, nicht nur ihr Gut Bischöfen und Klöstern zum Leim auf
trugen,
Dersondern
König auch
auf sich
seinen
selbst
Privatländereien
ihnen dienstpflichtig
und diemachten.
großen Grund

besitzer
1 S. konnten
Steph. Reg.
nicht
Decret.
allenI, Boden
7. — 2 selbst
Ebend., bebauen,
II, 2. oder durch ihre
Stephan I. Staatseinrichtungen u.s.w. 131

Sklaven bebauen lassen; auch bedurften sie zu edlern Diensten, be


sonders für ihr kriegerisches Gefolge, auch freier Männer: sie ver-
gabten also einen Theil ihrer Allodialbesitzungen. Und es gab Gemein
oder auch Adelichfreie genug, die entweder keinen eigenen Grund
besaßen, oder außer dem eigenen noch fremden zu Lehen nahmen.
Denn viele hatten sich längst von dem Verband mit ihrem Stamm los
gesagt, sich an die Kriegsleute der Herzoge und Stammfürsten oder an
Abenteurer, die auf Plünderung auszogen, angeschlossen und von diesen
ihren Unterhalt empfangen; auf sie konnte in den meisten Fällen bei
der Grundvertheilung keine Rücksicht genommen werden, sodaß sie
leer ausgingen. Andere mochten lieber in die angesehenen und ein
träglichen Dienste des Königs und der Vornehmen treten, als auf einem
kleinen Gute unter Mühe und Arbeit leben, und wurden deren Lehns
leute, servientes. Von ihnen sagt das Gesetz: „Wir wollen, daß jeder
Senior, Große, seine eigenen Krieger habe, und daß kein anderer diese
überrede, jenen zu verlassen und zu ihm zu kommen; denn dieses ver
ursacht Streitigkeiten." Sie führen also den ehrenvollen Titel miles,
und Außer
dürfen ihren
diesenLehnsherrn
angesehenen
verlassen,
Dienstmannen
sobald es und
ihnenAfterlehnsträgern
gefällt.

begegnen wir noch an den Höfen und auf den Ländereien des Königs
und der Großen, der Bischöfe und der Klöster einer äußerst zahlreichen
Klasse von 'Dienstleuten, die zwischen Freiheit und Knechtschaft schweb
ten. Sie hießen in andern Ländern Ministerialen l, bei uns Udvorniker
(von udvar, Hof, also Hofleute) und waren zu den verschiedenartigsten
Diensten verpflichtet, als Leibwächter, Kriegsknechte, Winzler, Bäcker,
Hundewärter, Falkoniere, Jäger, Müller, u. s. w. Sie mochten ent
standen sein aus verarmten oder unterdrückten Freien, welche die
Noth oder Gewalt in Abhängigkeit gebracht, und aus freigelassenen
Sklaven, welche die Gunst des Herrn in eine bessere Lage versetzte. 2
Ihre Dienstverhältnisse waren unauflösbar, und vererbten sich auf ihre
Nachkommen; zum Theil an den Boden gebunden, und gingen bei
Schenkung und Verkauf auf den neuen Besitzer über. 3 In den Ge
setzen Stephan's werden sie nur einmal erwähnt: „Wenn einer von
denen, die insgemein Udvorniker heißen, einen Diebstahl begeht, soll er
nach den Gesetzen der Freien gerichtet werden; ihr Zeugniß aber ist
nicht unter das der Freien aufzunehmen."4 Dieses Gesetz stellt den ,
zwischen
1 DerFreiheit
Name derundMinisterialen
Knechtschaft
warzchwebenden
aber viel umfassender
Zustand der
undUdvor-
begriff

auch die vornehmen Hof beamten des Königs und der andern Großen in sich,
die bei uns gewöhnlich servientes hießen und von denen wir soeben ge
sprochen haben. — 2 Kezai, De udvornicis. Seine Aussage über die Udvor
niker ist vielleicht deshalb so unklar, weil sich deren Zustand zu seiner Zeit
bereits sehr verändert hatte und das Ursprüngliche in demselben von der
spätem Entwickelung sich nicht recht unterscheiden ließ. — s S. Steph. reg.
Decret. II, 21. — 4 Die Stiftungsbriefe der ßisthümer und Abteien liefern
hierzu Beispiele in Menge, z. B. der Stiftungsbrief des fünfkirchener Bisthums
bei Koller, Histor. Episcopatns Quinqueeccles., I, 74; der Abtei Tihany, Kol
ler, a. a. O., S. 145; der Pecs-Värader von Stephan. Kollär, Amoenitates
jnr. publ. Ung., II, 171 fg.
9*
132 Zweites Buch. Erster Abschnitt.'

niker
ordentlich,
recht besonders
lebhaft dar.
auf Ihre
den ausgedehnten
Zahl vermehrte
koniglichen
sich mit der
undZeit
geistlichen
außer-

Besitzungen. Später als das Feudalwesen sich mehr und mehr aus
bildete, und die allgemeine Freiheit de^ Immunitäten, das Recht den
Privilegien weichen mußten, sanken sie größtentheils in Knechtschaft
herab und verloren sich spurlos unter den übrigen Hörigen. Doch
gelang es vielen, vorzüglich solchen, die im Dienste des Königs oder der
Bischöfe standen, adeliche Rechte zu erringen; und noch beute gibt es
ganze Dörfer und Bezirke, deren sämmtliche Grundbesitzer adelich
sind, und deren Vorfahren einst Udvorniker waren. x
Sobald das ungarische Volk sich in dem weiten Lande nieder
gelassen und durch die Aufnahme der übrigen Einwohner in den Staats
verband sich so sehr vermehrt hatte, konnten an der Berathung und
Entscheidung der öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr alle freien
Männer theilnehmen, wie sie es früher thaten, so lange das Volk im
Heer versammelt war. Und da man zu dieser Zeit das Repräsentativ
system noch nirgends kannte, mußte die Gesetzgebung und die Führung
der Staatsangelegenheiten nothwendig in größerm Maße dem König
und den
DenVornehmsten
beständigen anheimfallen.
Rath des Königs, gleichsam sein Ministerium,

bildeten die höchsten Würdenträger des Reichs, geistlichen und welt


lichen Standes; durch sie führte er die Regierungsgeschäfte, mit ihnen
berieth und erließ er seine Befehle und Gnadenbriefe, wie ihre Unter
schriften bezeugen, die wir in den Urkunden Stephan's und der ersten
Könige finden. Sie waren auch unter dem Vorsitz des Königs oder
Palatins der oberste Gerichtshof. Welche Reichswürdenträger zu
diesem Rath gehört, und welche Geschäfte jedem derselben oblagen,
läßt sich nicht bestimmt angeben und hing gewiß auch davon ab, wer
gerade am Hoflager anwesend war, oder wen der König berufen, und
womit er ihn betrauen wollte. Dem Range nach war der graner Erz
bischof, der That nach aber der Palatin, nädor-ispän, unter ihnen der
erste. Stephan hatte dieses höchste Reichsamt (vielleicht anstatt des
ehemaligen Karchan, oben S. 87) nach dem Muster der deutschen
Pfalzgrafen eingesetzt und ihm einen ähnlichen ausgedehnten Wirkungs
kreis1 Der
angewiesen.
Bezirk der
2 Zehn
AuchLanzenträger
die Erzhofämter
in Zipsen
3, so; die
vieleEdelleute
deren Stephan
des Vaj-

ker Stuhls der Insel Schutt, der zum graner Erzbisthum gehört. — 2 Hinc-
mari archiepiscopi Eemensis opera (Paris 1645), II, 21. „Comitis autem pa-
latii inter cetera pene innumerabilia, in hoc maxime sollicitudo erat, ut om-
nes contentiones legales , quae alibi ortae propter aequitatis Judicium palatium
aggrediebantur, juste ac rationabiliter determinaret: seu perverse judicata ad
aequitatis tramitem reduceret." Jetzt war der Palatin auch in Ungarn der
erste Reichsbeamte und Oberrichter, den der König gleich den übrigen Wür
denträgern ernannte; zwei bis drei Jahrhunderte später, während denen die
Pfalzgrafschaft in Deutschland fast zum bloßen Titel herabsank, erhob er sich
zum obersten Heerführer, zum Regenten, wenn der König minderjährig oder
der Thron erledigt war, zum Vermittler zwischen Volk nnd König, und wurde
zuletzt nicht mehr durch den König ernannt, sondern vom Reichstage ge
wählt. — 3 Diese sind: der Obersthofrichter (judex curiae), Schatzmeister, Oberst
hofmeister, Truchseß, Mundschenk, Marschall, Kämmerer und Thürhüter ; doch
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 133

eingeführt hatte, vermehrten gewiß nicht blos den Pomp des Hofes,
sondern ihre Inhaber zählten auch zu den beständigen Räthen des
Königs.
Bei wichtigern
Das Kanzleramt
Veranlassungen
verwaltete
versammelte
ein Bischof.der König außer diesen

beständigen Räthen. die ihn umgaben, noch die Bischöfe und Aebte, die
Großen, principes, Obergespane und andere hohe Staatsbeamte. Sie
insgesammt sind die senatores, seniores, majores, honestissimi, auf deren
Rath immer zu achten, Stephan seinem Sohn empfiehlt 1 ; sie sind der
große Staatsrath; das regale concilium, der primatum und optimatum
conventus, der über die wichtigsten Staatsangelegenheiten mit dem
König rathschlagte, beschloß und zuweilen Verordnungen erließ, die
Gesetzeskraft
Zu festgesetzten
hatten. 2Zeiten, oder so oft es nöthig war, hierüber fehlen

bestimmte Nachrichten, wurde endlich die Nationalversammlung ein


berufen, das commune concilium, der vollständige senatus regni.3 Zu
ihren Mitgliedern gehörten , außer jenen höchsten Reichswürdenträgern
und den andern Optimaten, die juniores, milites, Krieger, welche wir
die Edelfreien nennen dürfen und als die dritten in der Rangordnung
der Volksklassen anführten, und damals auch noch die Gemeinfreien,
vulgares, was sich kaum bezweifeln läßt, denn Bela I. berief Abgeord
nete der Ortschaften zu seinem Krönungsreichstage, und von einem
andern, den Ladislaus abhielt, heißt es ausdrücklich, das ganze Volk
sei gegenwärtig gewesen.4 Es ist selbstverständlich, daß von den
letztern und auch von den Adelichfreien nicht die Gesammtheit, und
nicht gewählte Repräsentanten, die man zu dieser Zeit noch nicht kannte,
sondern nur, die wollten und konnten, die mehr Bemittelten und zu dem
Ort der Versammlung näher Wohnenden, oder von größerm Eifer für
ihr Recht und für die öffentlichen Angelegenheiten Beseelten, erschienen.
Auch war die Stimme beider nicht von gleichem Gewicht mit jener der
Großen ; diese mit dem König hatten das letzte Wort und beschlossen. 6
Denn 1n solchen noch ungeregelten Versammlungen, wo keiner bestimmte
und festbegrenzte Rechte übt, werden die Stimmen nicht gezählt, son
bestand
dern gewogen.
das Obersthofmeisteramt
Diese Versammlungen
wahrscheinlich
sind also
unter
noch
Stephan
nicht vollständig
noch nicht.

Später kamen noch hinzu der Ban von Kroatien und in der neuern Zeit die
beiden Kronhüter und der Kapitän der adelichen Garde. Bei, De archiofficiis
regni Hungariae (Leipzig 1740). Georgius Bartal, Commentariorum ad historiam
status1 jurisque
S. Stephani
publici
reg. Hungariae
de morum aevi
institutione.
medii libri
— 2XV
S. Ladislai
(Presburgreg.
1847).
Decret.
II, 1 : „Temporibus piissimi regis Ladislai omnes nos regni Panonici opti-
mates in Monte Sancto fecimus conventus .... primo constituimus." — s S. Ste
phani reg. Decret. I, 14, 15; II, 2. Hartvicus: „Convocatis Hungariae prin-
cipibus cum ordine sequenti." — 4 S. Ladislai reg. Decret. I, prologus ....
„MXCII, XII. Kalend. Junii in civitate Zabolcz Sancta synodus habita est,
praesidente christianissimo Ungarorum rege Ladislao cum universis regni pon-
tificibus et abatibus, nee non cum eunetis optimatibus, cum testimonio
totius cleri et populi." — 5 S. Stephani de morum institutione etc. Liber
c. 7: „Omnino tarnen juvenes non sunt depellendi a consiliis, quocies vero
cum Ulis consilium inibis, eciam si sit habile, tamen semper ad majores de-
feras, ut omnes actus tuos norma sapientie mensures."
134 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

geordnete Reichtage, sondern die ersten Anfänge derselben. Aber hier


wurde schon auf dem Grunde der ursprünglichen Staatsverträge der Aus
bau unserer Verfassung 'begonnen, die sich, als ein lebendiges Werk
immer nach den Forderungen der Zeit gestaltet hat. Spätere Gesetze
über staatsrechtliche Angelegenheiten, über das Verhältniß zwischen
König und Volk, über Steuern und Militärwesen u. s. w. berufen sich
häufig auf die Gesetze Stephan's und bezeugen hierdurch das einstige
Dasein derselben. Aber gerade diese sind in den furchtbaren Stürmen,
die Ungarn, wie kaum ein zweites Land, verwüsteten, verloren ge
gangen; nur Bruchstücke der minder wichtigen, größtentheils das Privat-
und Criminalrecht
Eine der wichtigsten
betreffenden,
Unternehmungen,
sind uns geblieben.
die unter der Regierung

Stephan's zu Stande kamen, war die Organisirung der Gespanschaften.


Es dienten zwar gleich bei und nach der Eroberung schon vorhandene
oder neu erbaute Burgen, vär, als Mittelpunkte der Niederlassungen,
und in Gegenden, wohin nur Besatzungen gelegt wurden, als Festungen
für dieselben, woraus sich bald von selbst eine Einthejlung des Landes
in politischer und militärischer Hinsicht in Burgbezirke, varmegye, ergab,
wenngleich nicht in jedem Bezirk sich wirklich eine Burg befand, oder
auch eine befestigte Stadt die Stelle derselben vertrat. 1 Denn sobald
der Staat gegründet war und die Regierung begonnen hatte, trat auch
die Nothwendigkeit ein , das Land abzutheilen. Aber diese mehr zu
fällig entstandenen, als absichtlich errichteten Burgbezirke erhielten nun
eine bestimmte Begrenzung und gesetzlich geordnete Verfassung. Jedem
derselben stand ein vom König ernannter ispän2, comes castrensis,
parochialis, provincialis , Gespan, vor, der zu den hohen Würden
trägern des Reich gehörte, und im Namen des Königs die bürgerlichen,
gerichtlichen und militärischen Angelegenheiten verwaltete. In Rechts
sachen war sein Gehülfe der comes curialis, Hofgraf; unter ihm standen
noch der dux, princeps exercitus, Befehlshaber der Kriegsleute, der
castellanus, Schloßvogt, die centuriones ' und decuriones, Führer von
hundert und von zehn Mann. Die Steuern ließ der Obergespan durch
die centuriones und archipraecones, königlichen Herolde, erheben; seine
Befehle und Urtheilssprüche vollstreckten die Fristalden , die auch iu
kleinern Angelegenheiten richteten. Doch läßt sich der Wirkungskreis
aller dieser Beamten nicht mit Genauigkeit angeben. Des Burggrafen
Amtsgewalt erstreckte sich über sämmtliche Bewohner des Bezirks, mit
Ausnahme der Großen des Reichs , die unmittelbar unter dem König,
der Geistlichkeit, die unter ihren kirchlichen Obern, und vielleicht
schon damals auch der Städtebürger, die .unter ihren selbst gewählten
Magistraten
1 Daher haben
standen.
auch
3 die meisten Gespanschaften ihren Namen von diesen

Burgen oder befestigten Ortschaften erhalten. — 2 Ispän heißt jeder Verwalter,


jetzt besonders ein Gutsverwalter. Später nannte man die Burggrafen Fösipan,
Obergespan, zum Unterschied vom Alispan, Unter-, gewöhnlich Vicegespan.
Von comes und ispän kommt auch die Benennung comitatus, Comitat und
Gespanschaft, wogegen der Ungar immer varmegye, Burgbezirk, sagt. —
3 Kollär, Historiae jurisque publici regni Hungariae amoenitates II. Pray,
Stephan I. Staatseinrichtungen u.s. w. 135

Auf den zur Burg gehörenden Staatsländereien saßen zuerst die


Burgtruppen, jobbagyones castri; persönlich freie Männer 1, die unter
der Verpflichtung, Kriegsdienste zu leisten, Antheile von denselben
lehnweise empfangen hatten , im Frieden die Burgbesatzung bildeten,
im Krieg im königlichen Heere kämpften. Ihrer geschieht zwar in den
vorhandenen Gesetzen Stephan's keine Erwähnung, aber schon das
Dasein der Burgen an sich forderte auch das ihrige, und spätere Ur
kunden räumen den Nachkommen „der Jobbagyonen des heiligen Königs"
vor den
Eine
spätem
zweiteJobbagyonen
Klasse bildeten
Vorrechte
die Bewohner
ein. 2 der Ortschaften, die um

die Burgen entstanden, cives castrenses ; sie beschäftigten sich haupt


sächlich mit Gewerben und Handel, und zahlten an den König eine
Steuer, liberorum denarii. Es ist aber fraglich, ob diese schon zu
Stephan's
Diese,Zeiten
das Burgvolk,
von der folgenden
värnep, mußten
Klasse für
gesondert
das Land,
waren.
das siebaueten,

Abgaben in Naturalien und Geld liefern, von denen der Obergespan zu


seinem und seiner Beamten und Truppen Unterhalt ein , der König aber
zwei Drittheile erhielt; außerdem leisteten sie noch Dienste auf den
nicht vergabten Burgfeldern, beim Bau der Festungswerke, Brücken
und Wege, bei der Beförderung von Menschen und Gütern für Staats
zwecke u. s. w. Sie waren, wie die Udvoniker den Privaten, dem
Staat gegenüber eine Art von Halbfreien, die Kezai conditionarios
nennt. 3 '
Durch die Organisirung der Gespanschaften war eine Einrichtung
von weitgehenden heilsame Folgen geschaffen. Bisher waren die erb
lichen Häuptlinge auch die geborenen Burgherren, Nutznießer der
Staatsländereien, Befehlshaber der Kriegsmacht, Regenten und Richter
in den Bezirken gewesen, und da sie von ihren Untergebenen nicht
blos als Vorgesetzte betrachtet, sondern als Patriarchen des Geschlechts,
dem alle Mitglieder desselben entsprossen zu sein glaubten, verehrt
wurden, war ihr Einfluß um so größer und gefährlicher. Diese gefähr
liche Macht wurde nun ihren Händen entwunden. Denn obgleich die
Historia
Häuptlinge
regni
noch
Hungariae;
immer fortbestanden,
notitiae praeliminariae.
und die Obergespane,
Bei, Apparatus besonders
ad histor.

Hung., §. 10, 24, 110 u. s. w. Georgius Bartal, Commentariorum ad historiam


status1 jurisque
Das zeigtpublici
schonHungariae
ihr Nameaevi
jobbägy,
medii soviel
libri XV.
als wohlgeboren, an, und
wie sie jobbagyones castri, so hießen die Reichsgroßen jobbagyones regni.
Kezai de udvornicis sagt: „Jobagiones castri sunt pauperes nobiles, qui ad
regem venientes, terram eis tribuit de castri terris, ut pheuda castri et castrum
guerre tempore custodirent." — 2 Goldene Bulle Andreas' II., 19. Jobagiones
castrorum teneantur secundum libertatem a S. Stephano institutam. Als aber
später die Burgländereien als Lehn in Privatbesitz kamen, verschwanden auch
die Burgtruppen , indem ein Theil siel, zum Adel aufschwang und der Rest
zur Hörigkeit hinabsank. Diese letztern gaben vermuthlich die Veranlassung,
daß später diejenigen herrschaftlichen Unterthanen, die einen Bauerngrund
innehatten, jobbägy genannt wurden. — 3 Horväth, Geschichte des unga
rischen Heerwesens, in den Jahrbüchern der ungarischen Akademie von 1841.
Derselbe, Geschichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 121 fg. S. Steph.
R. Decret., II, 8; vgl. Colomani R. Decret., c. 25. Kezai de udvornicis.
« w >uW* tt»»«h. Erster Abschnitt.

mo1u» uutor ihnen gewählt werden mochten, so wurde


\. ,mi «wiat'hou ihnen und ihren Geschlechtern gelockert und
,, »u>ico Uowalt uufgehoben. An die Stelle der erblichen, selb-
,,vn k l>>>u>llu1>'tt traten Staatsdiener, die der König ernannte und
> 1 1hul UU> »chon deshalb pünktlicher gehorchten. Hiermit war die
>,,i;tKi doi' Zersplitterung in kleine, mehr oder weniger unabhängige
U> 1 1.nlmlluit von Ungarn abgewendet, alle Theile erhielten mehr und
It'.ilc1i1 Zusammenhang mit dem Ganzen, und die Centralgewalt gewann
11l» 1.>ll dun nöthigen Einfluß. Aber was mehr Werth hat als die best-
u1mi'dituto Heumtenhierarchie, auch die Theilnahme des Volks an den
ölU'Ut liehen Angelegenheiten wurde durch die Comitatseinrichtung nicht
uiil'gehobeu, sondern noch mehr gesichert und gestärkt, indem sie das
»xhu1inäßige Ansehen verminderte, welches die Häuptlinge besessen
hatten. Wie früher die Mitglieder der Geschlechter und Stämme, so
kamen auch jetzt, als berechtigte Körperschaft, die freien Männer des
Bezirks zusammen, beriethen und entschieden über alles, was diesen
betraf, und besprachen auch frei, was dem Staat frommte. Und dies
waren die Anfänge der Comitatsmunicipien und Versammlungen in un-
serm Vaterlande, die so unendlich viel zur Erhaltung der Nationalität,
Verfassung und Freiheit, zur Entwicklung eines kräftigen Volkslebens
beitrugen , deren Verdienste nur Verblendung und Parteilichkeit ver
kennen kann, die blos einer zeitgemäßen Umgestaltung bedürfen, um
auch künftighin eine Schutzwehr der Freiheit und eine Quelle der Vater
landsliebe
Die Anzahl
und öffentlichen
der Gespanschaften
Wohlfahrt zuzusein.
Stephan's Zeit kennen wir

nicht. Daß ihrer im 12. Jahrhundert mehr als siebzig waren, sagt
Otto von Freisingen • ; eine Urkunde aus den Tagen Bela's III. 2 und
Rogerius unter Bela IV. 3 geben zweiundsiebzig an. Da Ungarn unter
den beiden letztern Königen eine größere Ausdehnung als unter Stephan
hatte, mußten schon damals mehrere Gespanschaften vereinigt
wordenDiesein,
Anstalten,
weil die Zahl
die Stephan
zu beiden
zurZeiten
Bekehrung
ziemlichdesgleich
Volks
ist. traf, die

Stiftung der Bisthümer und Klöster, und die überreiche Ausstattung


derselben mit liegenden Gütern, Zehnten und andern Einkünften haben
wir bereits berichtet; jetzt bleibt uns nur noch einiges über die kirch
lichen Zustände nachzuholen. Die kirchlichen Angelegenheiten wurden
nicht auf geistlichen Synoden, sondern wie die bürgerlichen, auf den
Reichsversammlungen verhandelt, und die Gesetze über dieselben, wie
andere, im Namen des Königs gegeben. Unter den Reichsgesetzen4
also stehen gleich obenan diejenigen, welche die Kirche und Geistlich
keit betreifen. Zuerst wird der Bann ausgesprochen über alle, die das
Haus Gottes verachten oder sich an Kirchengut vergreifen, und der
König verpflichtet,, dasselbe mehr als sein Eigenthum zu bewahren;
„denn1 Ottonis
um wiePhrising.
viel Gott
episcopi
über den
de gestis
Menschen
Friderici
erhaben
Aenobarbi
ist, um
Caes.so Aug.
viel

Libri duo (Strasburg 1551), I, 31. — 2Fejer, Cod. dipl., III, 217. — ' 3 Rogeri
Canonici carmen miserabile, bei Endlicher. — * S. Steph. r. Decret. Lib. duo.
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 137

steht das Kirchengut über dem eigenen". Sodann erhalten die Bischöfe
das riecht, alle kirchlichen Angelegenheiten zu ordnen und einzurichten,
die Laien sind schuldig diesen Anordnungen zu gehorchen. Die Kleri
niemand
ker stehendarfausschließlich
das Zeugniß unter
eines der
Laien
geistlichen
gegen sieGerichtsbarkeit,
annehmen (I, 1 —und
5).

Wer an Sonntagen arbeitet, verliert Werkzeuge, Vieh und Kleider, kann


sie jedoch einlösen. Die Priester und Grafen sollen allen Ortsrichtern
(vilicis) einschärfen, daß sie alle, Große und Kleine, Männer und Frauen
zum Kirchenbesuch anhalten, und nur die zur Bewahrung des Feuers
Nöthigen zu Hause lassen; wenn jemand wegen ihrer Nachlässigkeit
zu Hause bleibt, sollen sie geschoren und gezüchtigt werden. Wer die
vorgeschriebenen Feste nicht beachtet, soll acht Tage eingeschlossen
fasten. Wer durch eigene Schuld ohne Beichte stirbt, erhält kein ehr
liches Begräbniß. Wer das Christenthum nicht beobachtet (also christ
liche Gebräuche nicht mitmacht und bei den heidnischen beharrt), soll
mit Rücksicht auf die Größe seines Vergehens siebenmal vom Bischof
nach dem Kanonischen Recht bestraft, und wenn er auch dann noch
hartnäckig bleibt, dem königlichen Gericht übergeben werden (I, 8 —13).
Zehn Dörfer sollen eine Kirche bauen, und diese mit zwei Ansässig
keiten (mansio), ebenso viel Knechten, einem Pferde und Wagen, sechs
Ochsen, zwei Kühen, und zwanzig Stück Kleinvieh dotiren; der König
sorge für die Kirchenkleidung und heiligen Gefäße, der Bischof aber
für die
Durch
Priester
dieseund
Anstalten
für die Bücher
und Gesetze
(II, 1). war für die Ausbreitung und

Befestigung des Kirchenwesens hinlänglich gesorgt. Aber die Be


kehrung des Volks konnte in diesen Tagen des Anfangs nur eine äußere,
die Religion nur ein Beobachten, oft erzwungenes Mitmachen christ
licher Gebräuche sein. Denn plötzlich lassen sich die Gesinnungen
und Sitten einer ganzen Nation nicht umschaffen; überdies waren die
ersten Glaubensboten, die Mönche, Priester und Bischöfe Fremde, welche,
der Landessprache oft ganz unkundig, auch wenn sie wollten, nicht
lehren konnten; man mußte sich überhaupt bei so massenhaften Be
kehrungen mit dem äußern Bekenntniß begnügen, und überließ der
Zukunft die Ausbildung des christlichen Lebens. Den Eingang des
Christenthums in die Herzen hinderte aber ganz besonders der Zehnt,
den jeder Freie, weß Standes immer, dem Bischof von allen Boden
erträgnissen und von allem Vieh entrichten mußte (II, 18). Diese un
gewohnte Abgabe war zu drückend, als daß sie nicht Widerwillen gegen
die Religion hätte wecken sollen, die man für die Ursache derselben
hielt, und die ohnehin so reich dotirten Bischöfe dachten nicht wie der
Apostel Paulus, 1 Kor. 9, 12: „Wir haben solcher Macht nicht gebraucht,
sondern wir vertragen allerlei, daß wir nicht dem Evangelium Christi
ein Hinderniß
Die römisch
machen."
-katholiche
1 Kirche besaß aber schon damals keines

wegs1 die
AuchAlleinherrschaft
Aleuin klagt, wie
in Ungarn;
sehr die Zehnten
auch diedie
orientalische
Bekehrung der
zählte
Sachsen
viele

zum Christenthume erschwert haben : „Decimae Saxorium subverterunt fldem."


138 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

ßekenner besonders in den nord- und südöstlichen Gegenden und in


Siebenbürgen, die ihr größtentheils schon vor dem Einzuge der Magya
ren zugethan waren und treu blieben. Kein Gesetz ist vorhanden, das
sich mit ihren Angelegenheiten beschäftigte; nirgends werden ihre
Bischöfe oder sonstigen kirchlichen Vorstände erwähnt ; wir kennen nur
das Kloster des heiligen Basilius zu Oroszlänos, und jenes, das Stephan
im veßprimer Thal für Nonnen stiftete. l Sie standen also unter ein
heimischen oder ausländischen Kirchenobern, von denen die Staats
gewalt keine Kenntniß nahm. Anfechtungen scheinen sie keine er
duldet zu haben. Solange man mit dem Heidenthum zu kämpfen
hatte, konnte man an die geringen Unterschiede nicht denken, welche
die beiden christlichen Kirchen trennten, und da sich die katholische
Ungarns,' wie wir später oft sehen werden, damals in vielen Stücken
an die Gebräuche der griechischen anschloß, durften sich die Anhänger
beiderAußer
hier um
denso Christen
mehr als gab
Glaubensbrüder
es noch einevertragen.
nicht unbedeutende Anzahl

Mohammedaner oder Isnlaeliten, theils Magyaren , theils Bulgaren , wie


bereits gesagt wurde. Auch von ihnen schweigen während Stephan'«
Regierung die Gesetze und Nachrichten. Die gegen das Heidenthum
getroffenen Verordnungen sind wahrscheinlich auch gegen sie gerichtet;
doch muß das Christenthum unter ihnen, wie überall unter den Moham
medanern, diesen strengen Monotheisten, wenig Fortschritte gemacht
haben, da wir sie in den spätem Zeiten so zahlreich und mächtig finden
werden, daß sie die Gesetzgebung sehr lebhaft beschäftigen. Endlich
fehlteDie
es gewiß
Reihe der
auchRichter
damalseröffnen
schon nicht
die Burggrafen
an Juden. mit ihren Gehülfen ;

sie sprachen Recht über die Burgangehörigen und über die Gemein
freien, und entschiedun auch manche nicht persönliche Rechtssachen der
Adelicnen und Geistlichen. Neben ihnen bestanden die bischöflichen
Gerichtsstühle, wo der Bischof oder sein Archidiakonus (damals nach
dem Gebrauch der griechischen Kirche Archipresbyter genannt) nicht
nur die Geistlichen seines Sprengels richtete, sondern auch über Zehnt
fragen, Ehesachen, Eide, Testamente und viele andere Angelegenheiten
urtheilte, welche nach damaligen Begriffen vor dieses Gericht gehörten.
Außerdem besaßen Bischöfe und Abteien vielleicht schon damals das
Privilegium der Gerichtsbarkeit auf ihren Gütern und in gewissen Be
zirken,,
Dasundhöchste
übten dieselbe
Gericht durch
war der
Beamte,
königliche
die denHof,
Grafentitel
curia regia,
führten.2
an

dessen Spitze der Palatin stand; er urtheilte über die Person und
Streitigkeiten der Adelichen und Reichsgroßen, und an ihn gingen die
Berufungen von den niedern Gerichten. 3 Doch deutet der fünfte Ab
schnitt der Rathschläge, die Stephan seinem Sohn gibt, daraufhin, daß
der König alle Rechtssachen selbst entscheiden konnte, und daß es
Fälle1 gab,
Szerdahelyi,
die seinem
Dipl.Spruche
graecumvorbehalten
S. Stephaniwaren.
(Ofen 1804),
Auch war
S. 30erfg.nach

s Auf der Donauinsel Schutt erhielt sich bis in die jüngste Zeit der vajker
Gerichtsstuhl des Keichsprin1as. — 3 S. Stephani r. Decret. II, 9.
Stephan I. S taatseinrichtungen u. s. w. 139

dem dritten derselben der oberste Richter des gesammten Klerus. Doch
nicht blos am königlichen Hoflager hielten der König und Palatin
Gericht; auch wenn sie im Lande umherreisten, sprachen sie .Recht,
wohinBei
sieder
kamen.
Einfachheit der Zustände und bei der Neuheit alles Grund

besitzes mußten die vorkommenden Rechtsfälle einfach sein und meistens


in Criminalsachen bestehen. Oeffentlich vor allem Volk, meist unter
freiem Himmel, wurde die Gerichtssitzung abgehalten; die Vorladung
geschah durch den Herold, der das Gerich^ssiegel vorzeigte. Kläger
und Beklagter führten ihre Sache mündlich und meistens in eigener
Person ; der Richter sprach das Urtheil an Ort und Stelle. Geschriebene
Urkunden waren nicht vorhanden, nur der Eid der Betheiligten und
Zeugen galten als Rechtsbeweise, doch durften Laien nicht gegen
Kleriker1, Sklaven nicht gegen ihren Herrn2 zeugen; der 'Meineidige
verwirkte seine rechte Hand, die aber der Vornehme mit funfzig, der
Geringere mit zwölf Ochsen lösen durfte.3 Als Hülfsmittel, die Wahr
heit zu entdecken, gebrauchte man die Ordalien des glühenden Eisens
und heißen Wassers, sowie den Zweikampf, den für Frauen, Kinder,
Geistliche und sonst Unfähige Stellvertreter bestanden.4 Eideshelfer
waren zu dieser Zeit noch unbekannt. 6 Jeder Richter hatte Pristalden,
die das
Da Urtheil
sich in vollstreckten.
den Gesetzen die Zustände und Sitten eines Volks ab

spiegeln, wollen wir noch einige Jvon denen, die uns aus Stephan's
Zeiten erhalten worden sind, hervorheben. Von jeher hat der Ungar
die Frauen nicht nur äußerlich geehrt, sondern ihnen auch die natür
lichen, persönlichen und bürgerlichen Rechte ertheilt, welche ihnen so
viele, selbst neue Gesetzgebungen noch immer verweigern. Merkmale
dieser Gerechtigkeit gegen das schwächere Geschlecht entdecken wir
schon in den Gesetzen Stephan's. Die Töchter erben mit den Söhnen
(1 , 6 ; II , 2). Erst später als das Lehnsystem überhandnahm, erlitt
dieses Recht Beschränkungen; aber die freie, unabhängige Verfügung
über ererbtes und erworbenes Vermögen blieb den Frauen ungeschmälert.
Die Witwe ist die Vormünderin ihrer Kinder und verwaltet auch deren
Vermögen; die kinderlose bleibt im lebenslänglichen Besitz von dem
Gute ihres verstorbenen Gatten , solange sie nämlich keine zweite Ehe
eingeht (I, 16). Wer eine Jungfrau entführt, um sich mit ihr gegen
den Willen der Aeltern zu vermählen, muß sie denen zurückgeben, und
auch dann noch, wenn er sich mit ihnen ausgesöhnt hat, ein Adelicher
mit zehn, ein Gemeinfreier mit fünf Ochsen den Raub büßen (I, 27).
Wenn ein Treuloser aus Widerwillen gegen seine Gattin aus seiner
Heimat flieht, bleibe diese im Besitze seines sämmtllchen Vermögens;
will sie aber sich wieder verheirathen , lasse sie das Vermögen des
Mannes1 S. fahren,
Steph. Decret.,
nehme I,ihre
4. —
Mitgift
2 I, 20.
und—trete
3 I, in
17. die
— neue
* Fejer,
Ehe.Cod.Kehrt
dipl.,

I, 305 verpflichtet Stephan sich und seine Nachfolger für die szalavärer Abtei
einen Kämpfer zu stellen. — 5 Sie erklärten eidlich, daß sie die Aussage
des vor Gericht Stehenden für wahr halten; ihre Zahl ging oft bis in die
Hunderte.
140 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

der Gatte nach der Zeit zurück, so darf er nur mit des' Bischofs Er-
laubniß eine andere heirathen (I, 30). Merkwürdig ist dies Gesetz
auch als Beweis, daß der Lehrsatz der römisch-katholischen Kirche
von der Unauflöslichkeit der Ehe damals in unserm Vaterlande noch
nicht Strenge
galt. 1 und entehrende Strafen stehen auf Diebstahl und Raub;

furtum nennt das Gesetz beide. Der Sklave, der dieses Verbrechen be
geht, verliert die Nase, wenn er sie nicht mit fünf Ochsen lösen kann,
und wenn er sich desselben nochmals schuldig macht, die Ohren, die
er gleichfalls mit fünf Ochsen loskaufen darf. Der Freie, der gestohlen
oder geraubt hat, wird das erste mal verkauft; wenn er sich nicht
zu lösen vermag, verfallt er das zweite mal dem Gesetz der Sklaven,
und erleidet das dritte mal den Tod (II, 6, 7). Die verheirathete Diebin
soll zweimal von ihrem Gatten losgekauft, beim dritten Diebstahl aber
verkauft
Aberwerden
auch der
(I, 31).
Aberglaube forderte schon seine Opfer. Wird eine

Hexe gefunden, so führe man sie in die Kirche und übergebe sie dem
Geistlichen, damit er sie fasten lasse und unterrichte; wird sie rück
fällig, so soll sie abermals fasten und sodann auf der Brust und Stirne
und zwischen den Schultern mit dem Kirchenschlüssel in Kreuzesform
gebrandmarkt, beim dritten mal aber dem Richter übergeben werden.
(I, 33). Giftmischer liefere man den Aeltern oder Verwandten der
Vergifteten aus, damit sie mit ihnen nach Willkür verfahren; die aber
durch Zaubermittel andern schaden, sollen von den Bischöfen durch
Geißelung
Der vorsätzliche
gezüchtigt werden
Mörder,
(I, 34).
der aus Zorn oder Uebewnuth einen

Todtschlag begeht, zahlt 110 Goldpensen2, wovon 50 dem könig


lichen Schatze, 50 den Verwandten des Getödteten und 10 den
Schiedsrichtern und Vermittlern zufallen. Wer zufällig jemand tödtet,
zahlt zehn Pensen. Der Mörder eines Sklaven aber hat nur den Werth
desselben seinem Herrn zu entrichten, und fastet nach den kanonischen
Gesetzen (I, 14),. „Sollte jemand so verhärteten und verworfenen Ge-
müths sein, die eigene Gattin zu morden", so soll für diese« Ver
brechen ein Comes funfzig, ein Adelicher oder Wohlhabender zehn, ein
Gemeinfreier fünf Ochsen den Verwandten der Getödteten zur Sühne
(Composition)
Da die Ungarn
zahlen (I,
gewöhnlich
15). und selbst bei den öffentlichen Ver

sammlungen Waffen trugen, war es nöthig, durch strenge Gesetze das


Schwert in der Scheide zu halten. Wer einen Menschen mit dem
Schwert tödtet, sterbe durch das Schwert; wer einen andern mit dem
Schwert verstümmelt, erleide damit die gleiche Verstümmelung am
eigenen
1 Dieser
Körper;
Lehrsatzwer
kam jemand
überhauptmit
nur dem
allmählich
Schwert
zu allgemeiner
verwundet,
Geltung.
hat Karl
die

der Große, den die Kirche als Heiligen verehrt, schied sich von seiner ersten
Gemahlin, und wahrscheinlich auch von einer oder der andern unter den
vieren, die er nachher heirathete und neben denen er noch eine Menge Kebs
weiber hatte. — 2 Die Pense ist gleich einem Solidus oder byzantinischen
Dukaten. S. unten über die Münzen.
Stephan I. Staatseinrichtungen n. s.w. 141

für Mord festgesetzte Composition zu leisten, selbst wenn der Ver


wundete ganz hergestellt wird ; ja wer nur das Schwert zieht, ohne
jemand
Auch
zu verwunden,
den wilden Ausbrüchen
zahlt die Hälfte
des Zornes
dieser Composition
und der Rachsucht
(II, 12 —
wollte
15).

das Gesetz Einhalt thun. Wer aus Feindschaft die Gebäude eines andern
anzündet, muß den verursachten Schaden ersetzen, und noch überdies
sechzehn Ochsen im Werth von 50 Soliden zahlen (I, 32). Der
Comes, der gewaltsam in ein Haus einbricht, und mit dem Hausherrn
kämpft oder ihn tödtet, leiste die Composition, die auf die Entblößung
des Schwerts festgesetzt ist; fällt er aber dabei, so bleibe er ohne
Composition liegen; schickt er in dieser Absicht seine Leute, ohne
selbst zugegen zu sein, gleiche er die Frevelthat mit hundert Ochsen
aus. Der Adeliche (miles), der das Haus eines andern Adelichen an
greift zahle zehn, der Gemeinfreie, der die Hütte eines von seines
gleichen
Doch
überfällt,
die höchste
fünf Ochsen
Strafe trifft
(I, 35).
den Hochverräther und Störer der

öffentlichen Eintracht. Wer sich gegen den König oder gegen das
Vaterland verschwört, finde in der Kirche keine Zuflucht (Asyl), sei
verflucht, und aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen
(II, 17). Sein Leben ist verwirkt, und nur wenn er sich nicht flüchtet,
sondern der Strafe unterwirft, bleiben seine Besitzungen den un
schuldigen Kindern (II, 2). Wer hinterlistigerweise einem Comes
oder andern Getreuen sagt: der König sinnt auf dein Verderben, der
sterbe. Wer mit teuflischer List durch Verleumdungen Zwietracht aus
zustreuen sucht, soll die Zunge verlieren, und sie nur durch doppelte
Composition lösen können, wenn er zwei oder mehrere belogen hat
(II, 19,
Noch
20).ist schließlich zu bemerken, daß in den meisten Fällen, wo

die Composition statt der Strafe an Leib und Leben eintritt, zu der
selben das Fasten nach dem kanonischen Gesetz hinzukommt; den
Gesetzgebern schwebte nämlich die Idee vor, daß der Verbrecher das
bürgerliche und göttliche Gesetz übertreten habe, und durch die Com
position die Verletzung des erstem, durch das Fasten die Sünde wider
das zweite
Vergleichen
büßen müsse.
wir nun diese Gesetze mit denen der germanischen

Völker, so finden wir eine so große Aehnlichkeit, daß sie ganz nach
dem Muster derselben gebildet zu sein scheinen. Hier wie dort erblicken
wir beinahe dasselbe gerichtliche Verfahren, dieselben Beweis- und
Rechtsmittel, besonders aber fast bei allen privatrechtlichen Ver
gehungen, selbst bei Gewaltthat und Mord die Composition, als Aus
gleichung mit dem Geschädigten und Ablösung der Strafe an Leib und
Leben. Wir sehen hier wie dort Asyle geöffnet, in denen der Geklagte
Sicherheit findet, bis er entweder seine Unschuld erwiesen oder die
Composition zu Stande gebracht hat. Aber bei genauerer Betrachtung
werden wir dennoch Unterschiede entdecken, die nicht nur von der
Selbständigkeit der ungarischen Gesetzgebung zeugen , sondern meistens
auch unleugbare Vorzüge sind. Die germariischen Gesetze stellen bei
Verletzung der Person und Todtschlag statt der Composition das
142 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

Wehrgeld und bestimmen die Höhe desselben nach dem Stande des
Geschädigten oder Getödteten. So ist in den Gesetzen der salischen
Franken das Wehrgeld des Anstrution auf 600, das der freien
Franken auf 200, das des Litus (Halbfreien) auf 100, das des
zinsbaren Römers auf 45 Solide festgesetzt, und bezeichnet hiermit
den Werth des Menschen, nach dem Rang, den er einnimmt; die un
garischen Gesetze kennen dieses Wehrgeld nicht, und machen ganz
umgekehrt die Höhe der Composition von dem Stande des Missethäters
abhängig, sodaß der Gemeinfreie (vulgaris) die einfache, der Adelich
freie (miles) die doppelte, der Graf (comes) die zehnfache Strafe zahlt;
sie fragen also nicht , an wem, sondern von wem gefrevelt wurde, und
erklären den Vornehmen für weit strafbarer. Das Salische Gesetz setzt
auf die Tödtung eines Hirsches, Hasen , Jagdhundes u. s. w. dasselbe
Wehrgeld , wie auf den Mord eines zinsbaren Römers ; die Ungarn ver
fügen hierüber gar nichts, ihnen waren und blieben .überhaupt die
grausamen Jagdgesetze fremd. Die germanischen Gesetze echten be
waffnete Angriffe gegen Person und Eigenthum nicht, sie gestatten
Selbsthülfe und veranlassen dadurch blutige Kämpfe und verwüstungs
volle Privatfehden; die ungarischen erklären solche Angriffe für die
schwersten Verbrechen, sprechen darüber das Todesurtheil aus, und
sichern die Person, das Besitzthum uud den Landfrieden. Freilich
wurde auch in Ungarn später vieles anders, nachdem die Rechts
dichtungen des Lehnwesens das natürliche Rechtsgefühl abgestumpft
hatten.
Die damalige Zeit kannte noch keinen Unterschied zwischen Staats

einkommen und den Einkünften des Königs; beide werden ungetrennt


unter dem Namen der königlichen Kammer oder des königlichen Fiscus
zusammengefaßt, und flossen hauptsächlich aus folgenden Quellen:
1) Den Erträgnisssen der königlichen Domänen an Naturproducten
und den Steuern der auf denselben ansässigen Freien und Udvarniker.
Diese Domänen befanden sich wahrscheinlich jenseit der Donau in den
Gespanschaften Gran, Weißenburg, Veßprim, Somogy; östlich der
Theiß in Szathmär, Bereg und in den Gefilden des heutigen Banats;
in Siebenbürgen, wo jetzt die Sachsen wohnen; sie waren, ungeachtet
der Vergabungen an weltliche Herren und der unermeßlichen
Schenkungen an die Geistlichkeit, noch immer sehr groß. 2) Zwei
Drittheilen der Erträgnisse von den Burgländereien in den Gespan
schaften, wovon bereits die Rede war. 3) Den Salzgruben, deren Aus
beutung dem König allein zustand. 1 4) Bergbau, von dessen Be
treibung zu dieser Zeit Spuren vorhanden sind.2 5) Dem Münzrecht,
dieses übte der König ausschließlich gegen den Gebrauch anderer
Länder, wo auch die Großen und namentlich die Bischöfe Geld
prägten. 3 6) Zöllen , die an den Grenzen von der Ein- und Ausfuhr,

1 Stiftungsbrief der Abtei Pecsvärad, bei Fejer, Cod. Dipl., I, 300. Auch
vielfache Hindeutungen aus späterer Zeit lassen keinen Zweifel übrig, daß
das Salz schon unter Stephan ein Regale war. — 2 Balbia, Epitome rerum
Bohemicarum, III, 1, berichtet von polnischen Gefangenen, die nach Ungarn
zum Bergbau verkauft wurden. — 3 Die Münzstätte war in Gran; Goldmünzen
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 143

auf den Märkten für verkaufte Gegenstände, und auf Wegen und
Flüssen erhoben wurden. 7) Geschenken, die dem König und seiner
Familie bei bestimmten Veranlassungen dargebracht, und deren manche
später als eine Art Steuer gesetzlich angeordnet wurden. 8) Den
schon erwähnten Abgaben der . königlichen Städte. 9) Der Ver
pflichtung, daß die Gemeinde in deren Mitte, oder der Einzelne, in
dessen Haus der König unterwegs einkehrte, ihn und sein Gefolge auf
nehme und bewirthe. 10) Den Denaren der Freien, vielleicht auch der
Adelichen, und die außerordentlichen Abgaben an Naturalien und Geld,
die im Nothfall von allen Freien erhoben wurden. 11) Den Theilen,
welche dem königlichen Fiscus von den Compositionen und andern
Geldstrafen zufielen. 12) Den wegen Staatsvergehen des Besitzers
durch gerichtlichen Spruch eingezogene Besitzungen. 13) Dem Heimfall
des Vermögens,
Das Heer.zuNochdem kein
besteht
Erbe
in vorhanden
voller Kraft
ist.die
1 alte Ordnung, ver

möge deren jeder freie Mann verpflichtet, wir können sagen, berechtigt
ist, die Waffen zu' führen. Und wiewol die Eintheilung des Volks
nach Stämmen und Geschlechtern in politischer Hinsicht durch die Or
ganisation der Gespanschaften beseitigt war, dauerte sie noch immer
fort im Heere, wenn auch nicht mehr die Gesammtheit der Waffen
fähigen aufgeboten wurde. War der Krieg im hohen Rath oder in der
Versammlung der Nation beschlossen , so erließ der König den Auf
ruf, indem er ein blutiges Schwert umhersandte. Nun scharten sich die
Kriegsmannen um die Fahnen ihrer Geschlechter und zogen, gewaffnet
und geordnet nach hergebrachter magyarischer Weise und geführt von
ihren Häuptlingen, nach dem königlichen Lager. Hierher kamen auch
die Allodienbesitzer und kriegspflichtigen Lehnsträger, die Reichs
beamten, Bischöfe und Aebte mit ihren Scharen, die sie unter ihren
Hintersassen aushoben und auf ihre Kosten im Felde unterhielten.
Dieser Heerestheil mochte mehr nach Art der Deutschen bewaffnet und
geordnet sein. Weil es selbstverständlich ist, brauchen wir kaum zu
erwähnen, daß der König selbst sein gleichsam unmittelbares Heer
hatte, das aus den Mannen seines Stammes, den Lehnsträgern und
Dienstleuten auf seinen Gütern, und aus Freiwilligen, die er in Sold
nahm, bestand, und von dem, je nach den Umständen, ein größerer oder
kleinerer Theil als Leib- und Sicherheitswache fortwährend unter den
Waffen blieb. Außer diesem Nationalheer, das gelegentlich aufgeboten
wurde, bildeten die Burgtruppen, jobbagyones castri, unter dem Befehl
wurden
ihres Obergespans
nicht geprägt,eine
manArt
begnügte
stehender
sich mit
königlicher
dem byzantinischen
Miliz, die und
in diesen
italie

nischen Solidus. Wir kennen nur eine Silbermünze, Stephan's Denare, deren
45 einer Goldpense oder dem Solidus gleichkamen. Sie zeigt auf der Vor
derseite in geperltem Kreise ein Kreuz, in dessen Winkeln vier dreieckige
Sterne, und unterhalb desselben die Aufschrift: Stephanus Rex; auf der Rück
seite dasselbe Kreuz und darunter Civitas regia. Schönwisner, Notitia rei
nurnmariäe in Hungaria (Ofen 1801). Rupp (und Erdi), Arpadisches Zeit
alter 1 (Pesth
Vita S.1841).
Gerhardi, S. 10.
144 Zweites Buch. Erster Abschnitt.

frühen Zeiten mehr zur Besetzung der festen Plätze und zur Aufrecht
haltung
Derder
geborene
innern Ordnung,
Feldherr war
als im
derFelde
König,
gedient
aber noch
zu haben
kannte
scheint.
man 1den

spätem Gebrauch nicht, daß das aufgebotene Nationalheer nur unter


seiner persönlichen Führung ins Feld zu ziehen verpflichtet sei ; denn wir
wissen, daß Stephan mit Zustimmung seines Senats2 den Oberbefehl,
selbst in den schweren Kriegen gegen Kupany und Ochtan, andern über
geben hat. Ebenso wenig galt auch die Einschränkung, daß dieses Heer
nur zur Vertheidigung des Landes bestimmt sei, und daß der König
keinen der Aufgebotenen zwingen dürfe, ihm auf eigene Kosten in einen
Angriffskrieg über die Grenzen zu folgen. Dem kriegerischen Volke,
das noch vor kurzem höchst mühsam von eigenmächtigen Auszügen
abgehalten wurde, mußte die Aufforderung zu einem Feldzug in fremdes
Gebiet viel zu willkommen sein, als daß es sich demselben zu entziehen
gesucht hätte. Endlich hatten erst nach Jahrhunderten eigennützige
Dynasten, die jeden Vortheil an sich rissen und jede Last von sich ab
wälzen wollten, den Grundsatz aufgestellt: nur wenn das Heer, welches
der König auf seine Kosten zu unterhalten verpflichtet ist, und die Trup
pen, welche die hohe Geistlichkeit in Bereitschaft halten und stellen
muß, nicht hinreichen, dürfe das Aufgebot ergehen. Damals würde
sich der noch unverdorbene Sinn dagegen empört haben, nicht mit der
eigenen Brust das Vaterland zu decken und die Kriegspflicht überhaupt
gerade
Zudensolch
Männern
einer des
wohlgeordneten
Friedens, der Geistlichkeit,
und festbegründeten
aufzubürden.
Verfassung
3

erhob sich Ungarn unter der Regierung Stephan's. Der ursprünglich


lockere Bund selbständiger Stämme und mit ihnen ein Gemisch ver
schiedener Nationen hat die vereinigenden Formen der Monarchie an
genommen; das Evangelium, die Religion der Bildung und des Friedens,
hat gesiegt über das Heidenthum; die Verhältnisse der Bürger zu ein
ander und ihr Eigenthum sind durch Gesetze geregelt; der König besitzt
hinreichende Macht, im Innern die Herrschaft des Gesetzes und den
Frieden, und nach außen die Sicherheit und das Ansehn des Reichs zu
bewahren; dabei ist die Freiheit des Volks und seine Theilnahme an
öffentlichen Angelegenheiten durch heilsame Einrichtungen gesichert.
Wir sehen ein Staatswesen, das ein Gegenstück bildet zu den zerklüfteten
Zuständen damals schon längst bestehender Reiche mit ihrer Theilung
in eifersüchtige Stämme, mit ihren ohnmächtigen Königen und trotzigen
Vasallen; ein Staatswesen, das alle Bedingungen der Wohlfahrt und des
Fortschritts in sich trägt. Selbst parteiische Gegner der Ungarn drücken
hierüber
1 Kezai,
Verwunderung
De udvornicis.und
— Staunen
2 Vita S.aus.4
Gerhardi,
Sie würden
c. 10. — weit
3 Geschichte
weniger

des ungarischen Heerwesens (A honvedelmi rendszer törtenete), in den J.ahr-


büchern der ungarischen Akademie, 1841. — 4 Büdinger, Oesterreichische
Geschichte, I, 405: ,,.... Man kann wol sagen, daß nie ein Volk von jenem
Zustande des Jäger- und Fischerlebens, ein Zustand, der für Germanen und
Slawen in vorgeschichtliche Zeiten gehört, in welchen diese Stämme vielleicht
noch gar nicht getrennt waren, plötzlicher und mit Ueberspringung von mehr
Mittelgliedern in ein ausgebildetes Culturleben eingeführt worden ist. Uebrigens
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 145

erstaunen, wenn sie nicht, bethört von Abneigung und irregeführt durch
die Declamationen befangener Chronikenschreiber, die Ungarn der
damaligen Zeit für halbe Wilde hielten, die von Stephan wie mit einem
Zauberschlag plötzlich civilisirt und umgewandelt wurden. Nein, in dem
Leben der Völker gibt es keinen Sprung, da ist alles Entwickelung aus
bereits vorhandenen Anfängen, und die größten Geister, die wohlthätig
sten Verbesserer können nur ins Dasein rufen und gestalten, was die
Zeit allmählich vorbereitet hat. Weil die Magyaren einst Nomaden
waren, daraus folgt noch nicht, daß sie jeder Cultur entbehrten; auch
die Israeliten unter Moses, die Perser des Cyrus, die Araber vor
Mohammed waren Nomaden und haben Staaten gegründet, sich Gesetze
gegeben und ihre eigenthümliche blühende Cultur besessen. Wir haben
nachgewiesen, wie die Magyaren schon in ihren Ursitzen nicht ohne jede
Civilisation und Cultur waren, und wie bereits im Lauf der Zeit allmäh
lich unter den Herzogen der Grund zu dem gelegt wurde, was Stephan
allerdings mit hoher Weisheit und Kraft ausführte, und wie ihm der bild
same Aber
und fortschreitende
es ist auch ein Geist
sonderbarer,
seines Volks
man dabei
möchtezu sagen
Hülfe absichtlicher
kam.

Irrthum, die Ungarn bis auf Stephan's Zeiten für wandernde Nomaden,
Jäger und Fischer zu halten, die keine andere Beschäftigung kannten.
Schon hatte sich die Bevölkerung in Ortschaften gesammelt und betrieb
den Anbau aller Sorten von Getreide, von Hanf, Obst und Wein. Denn
wie könnte sonst in den Gesetzen von Ortsrichtern (villicis), vom
gemeinschaftlichen Bau der Kirchen, vom Zehnten der Bodenerzeugnisse
die Rede sein? Und nun, nachdem der Boden, den der Landmann baute,
entweder sein völliges Eigenthum geworden, oder ihm doch zur bleiben
den Nutznießung übergeben war, mußte seine Thätigkeit um so mehr
wachsen und die Güte seiner Erzeugnisse zunehmen. Auch jene Fertig
keiten und Gewerbe, welche die Ungarn in ihr neues Vaterland mit
brachten, und in denen sich die asiatischen Völker von jeher auszeich
neten, wie die Bearbeitung der Thierwolle zu Geweben und Filzen, der
Häute zu verschiedenen Gattungen Leder, der Metalle zu Waffen und
Schmucksachen, sind unterdessen nicht nur naturgemäß fortgeschritten,
sondern haben sich auch nach und nach durch neue vermehrt, die sie
von ihren heimischen Landsassen und von Fremden erlernten. Wir
staunen über die Menge von Schmieden, Tischlern, Bauleuten, Webern,
Gold- und Silberarbeitern, und überhaupt Handwerkern jeder Art, die
in den Stiftungsbriefen den Kirchen und Klöstern übergeben werden,
mithin unter den Udvornikern, Hof leuten und Sklaven der Stifter vor
handen sein mußten. 1 Und wie viel mehr und besseres mußte die
Thätigkeit der freien Stadtbewohner schaffen? DieBedürfnisse,für welche
alle diese Menschen sorgen, wurden also schon allgemein empfunden
und befriedigt und lassen auf Zustände schließen, die sich schon
weit
erinnern
vonwir
derimursprünglichen
Hinblick auf diese
nomadischen
vorgeschichtlichen
Lebensweise
Zeitenentfernt
an Caesar,
hatten.
De

bello Gallico, "VT, 21 u. 22 : . . . . „Vita omnis in venationibus ac studiis rei


militaris
1 Dieconsistit
Stiftungsbrtefe
und „Agriculturae
bei Katona, non
Hist.student".
crit., I, und in Fejer, Cod. dipl. I.

Fcßlei. I. 10
146 Zwettes Buch. Erster Abschnitt.

Die Mannichfaltigkeit dieser Erzeugnisse und die Nothwendigkeit,


sich zu verschaffen, was man bereits dringend bedurfte, rief auch Verkehr
und Handel im Innern und mit dem Auslande hervor, der bei der
Seltenheit des geprägten Geldes wol größtentheils Tauschhandel war.
Zur Beförderung desselben wurden Wochen- und Jahrmärkte in den
Städten und in der Nähe der Burgen, Klöster und Kirchen eingeführt.
Lebendes Vieh, das noch immer der Hauptreichthum des Landes war,
Felle, Pelzwerk, Salz und andere Naturproducte mochten die Haupt
gegenstände der Ausfuhr sein und dagegen kostbare Gewänder, Gewürze
und höhere Kunsterzeugnisse aus Konstantinopel und Italien herein
gebracht werden. Leider bildeten, wie damals noch in allen Ländern
des christlichen Europas, auch hier Sklaven einen bedeutenden Handels
artikel, für welchen besonders die Kriege der Deutschen und Slawen
immerDieneue
unterrichteten
Waare lieferten.
und frommen Männer, die Stephan von allen

Seiten herbeirief, förderten wol die geistige und sittliche Bildung durch
Lehre und Beispiel in jeder Weise, aber am wohlthätigsten und bleibend
wirkten sie an den Schulen, welche in den Bischofssitzen und Klöstern
bestanden und an denen sie lehrten. So beschränkt auch der Unterricht
fast nothwendig war, der hier ertheilt wurde, so war er es doch vor
nehmlich, wodurch sich ein besseres Licht verbreitete. Denn durch sie
wurden Einheimische zu den einzigen Volkslehrern der damaligen Zeit,
zu Geistlichen und Mönchen, herangebildet, die die Sprache des Volks
redeten, seine Sitten und Bedürfnisse kannten und sich Eins mit ihm
fühlten, die ebendeshalb größern Einfluß auf dasselbe äußern und ihm
eine eigene
In jeder
nationale
HinsichtBildung
war also
geben
einkonnten.
so entschiedener Anfang gemacht

und ein so sicherer Weg betreten, daß ungestörtes Fortschreiten auf


demselben nothwendig zu immer bessern Zuständen führen mußte.
Leider traten sogleich nach Stephan's Tod Ereignisse ein, die den Staat
mächtig erschütterten, manches Gute, das sich schon entwickelt hatte,
zerstörten, alles in Verwirrung stürzten und den Fortschritt aufhielten.
Innere
vonWirren;
Peter und Zweiter
Deutschland
die
Samuel 1038
Aba, Abschnitt.
Unabhängigkeit
bedroht,
— 1077. aber 1038
Thronanmasser, gerettet.
des Reichs
— 1046.

Ji,ein männlicher Sprößling des ärpädischen Hauses weilte im Lande,


als Stephan starb. Dagegen nahm Peter am königlichen Hof schon
lange die erste Stelle ein, stand an der Spitze der bewaffneten Macht
und schien schon hierdurch zum Nachfolger erkoren. Für ihn arbeitete
Gisela mit allen Mitteln der List und Ueberredung1; auf ihn setzte die
Hofpartei, großentheils Ausländer und einheimische Günstlinge der
Königin-Witwe, ihre Hoffnung; in ihm erblickte die hohe Geistlichkeit,
auch aus Fremden bestehend, eine Stütze des noch unbefestigten
Christenthums und der eigenen Macht. Durch alle diese Umstände
gehoben, bestieg Peter ohne Widerstand den Thron, der ihm nicht
gebührte, und das Volk, noch voll Ehrfurcht gegen den gekrönten König,
die ihm Stephan eingeflößt hatte, huldigte dem Fremdling. Doch bald
sahen sich alle Guten in ihren Erwartungen getäuscht, und die Bösen
erhoben kühn das Haupt. Denn Peter wußte, was er durch List, Unrecht
und Gewaltthat gewonnen, auch nur zu schändlichen Dingen zu ge
brauchen und mit gleichen Mitteln zu behaupten, Die prächtige Kathe
drale zu Fünfkirchen, deren Bau er schon früher begonnen hatte,
vollendete er zwar, aber christliche Gesinnung fehlte ihm gänzlich.
Sebos, der auf seinen und Gisela's Befehl den Prinzen Vazul so schreck
lich verstümmelt hatte und ins Ausland geflohen war, rief er zurück und
überhäufte ihn und Buda, einen andern Gehülfen seiner Ränke, mit
Gnaden und Gütern; er umgab sich mit unwürdigen Günstlingen, die
Unrecht übten, das Mark des Landes verzehrten, Frauen und Mädchen

1 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 34.


10*
148 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

schändeten. Sein > Gewissen sagte ihm, daß die Ungarn ihn hassen
müssen, und daß er Ursache habe, sich gegen ihre Angriffe sicherzu
stellen; daher nahm er ihnen den Befehl über die Burgen, entsetzte sie
ihrer Aemter und Würden, und gab diese Deutschen und Italienern.
Alle Klagen , Vorstellungen und Bitten wies er mit höhnenden Ueber-
muth zurück. l Selbst Gisela, der er den Thron verdankte, erfuhr seinen
schreienden Undank. Gekränkt durch Zurücksetzung und durch seinen
unsittlichen Lebenswandel beleidigt, mochte sie oft ermahnt, getadelt,
vielleicht gedroht haben, und ihm dadurch lästig und gefährlich geworden
sein; um sich ihrer zu entledigen, setzte er sie gefangen und zog ihre
Besitzungen ein. Da ward die Geduld erschöpft; mehrere Große ver
einigten sich und befreiten die Witwe ihres verehrten Königs. Peter
konnte es weder hindern, noch sogleich Rache nehmen, und verwies erst
späterZueinige
Hausederein
Unzufriedenen
Wüstling und
aus Tyrann,
dem Vaterlande.2
war Peter in seinen aus

wärtigen Unternehmungen unüberlegt und thöricht. Heinrich III. erhielt


1039 die Kaiserkrone des Abendlandes: ein großer Fürst, der sein
weites Reich und das kaiserliche Ansehn zu einer Stufe der Größe erhob,
auf der es nie vor ihm gestanden und die es nie wieder nach ihm erreicht
hat. Kaum hatte er die Regierung angetreten, so forderte er den
Böhmenherzog Bretislaw auf, Huldigung zu leisten, den rückständigen
Tribut zu zahlen, den Leichnam des heiligen Adalbert und die Schätze
herauszugeben, die dieser aus Gnesen geraubt hatte. 3 Bretislaw gehorchte
nicht, und es kam zum Krieg. Peter, dem deutschen Kaiser als Italiener
abgeneigt, vielleicht auch in der Meinung, das Anwachsen von dessen
drohender Macht aufhalten zu können, schloß mit dem Böhmen ein
Bündniß, schickte ihm ein Hülfsheer und fiel selbst feindlich in Baiern
1040 ein.4 Der Krieg hatte 1040 für Bretislaw einen glücklichen Fortgang;
er schlug das Heer, welches Heinrich persönlich führte, worauf sich das
zweite unter dem Markgrafen Eccard von Meißen zurückzog. Allein
das Jahr darauf kehrte Heinrich mit zwei weit größern Heeren zurück,
ging selbst, von dem Einsiedler Günther geleitet, mit der Hauptmacht
über den Böhmerwald und stand bald siegreich im Innern des Landes;
dem zweiten Heer unter Eccard setzte Prkos, der über die Mährer und
die ungarischen Hülfstruppen den Befehl führte, wahrscheinlich durch
sächsisches Gold bestochen, nur scheinbaren Widerstand entgegen^ So
wurdeAuch
Bretislaw
für Peter
überwunden
war der Krieg
un'd zur
geendigt.
Unterwerfung
Leichtsinnig
genöthigt.
hatte
6 er ihn

unternommen, ruhmlos geführt, unnütz das Blut der Krieger ver


schwendet und noch dazu den Zorn des mächtigen Kaisers auf sich
geladen, der bald Rache fordernd an den Grenzen des Landes stehen
konnte.
1 Kfeai,
Solche
II, 2.verunglückte
Thuroczy, II,
Feldzüge
35. — sind
2 Chronicon
für Tyrannen,
Altahense,
die bei
sichBrun
den

ner Annales Boici. Johannes Archidiaconus de Guercse, bei Kerchelich, No-


titiae praeliminariae 101. — 3 Cosmas Prag, I, 2. — * Hermannus Contract.
oder Augiens. bei Pertz, ad ann. 1040. — 5 Cosmus, I, 3. Hermannus Con
tract., Annales Sangallenses majores und Hildesheim, bei Pertz. Palacky,
Geschichte von Böhmen, I, 277 fg.
Feter und Samuel Aba, Thronanmaßer. 149

Thron anmaßen und ihn durch Laster und Unrecht beflecken, höchst
gefährlich. Auch Peter beschleunigte dadurch sein Verderben. Das
Volk, aufgebracht durch soviel Mishandlung und Thorheit, erhob sich
plötzlich
An die
mit Spitze
Macht der
gegen
Ungarn
ihn. stellte sich Samuel Aba, ein Nachkomme

des kabarischen Fürstengeschlechts Ed und Edömer \ Herr weiter Län


dereien in den Gespanschaften Borsod, Heves und Abaüj, der die
Schwester König Stephan's zur Gemahlin hatte2, bereits in höherm Alter
stand und sich durch die Stiftung der Abtei Sär, am Fuße der Mätra,
unweit Gyöngyös, den Ruf großer Frömmigkeit erworben hatte. Er
sammelte ein Heer und zog gegen Feter, der, geschreckt durch den
allgemeinen Abfall, zu seinem Schwager Adalbert, Markgrafen in Oester-
reich, floh. Seine schändlichen Günstlinge verfielen nun der Rache des
Volks; Sebös und Buda erlitten einen martervollen Tod, und auch
andere, denen es nicht gelungen war, sich durch die Flucht zu retten,
wurden hingerichtet. Da die einzigen noch übrigen Nachkommen des
ärpädischen Hauses, aus dem Vaterlande vertrieben, in der Ferne lebten
und Aba die Macht bereits in den Händen hatte, wurde er 1041 zum 1041
KönigDieausgerufen
erste Handlung
und gekrönt.
des neuen
3 Königs war, alle Verordnungen und

Einrichtungen, alle Schenkungen und Confiscationen Peter's für ungültig


zu erklären und alles, soviel möglich, auf den Stand' zurückzuführen,
den es bei Stephan's Tod hatte. * Auch sonst war er bemüht, sich beim
Volk durch Freundlichkeit und Güte beliebt zu machen, und er soll
sich ebendadurch den ehrenvollen Namen Aba, Vater, erworben haben. 6
Aber viele Magyaren mochten ihm schon seiner kabarischen Abstammung
wegen abgeneigt sein ; die treuen Anhänger des arpädischen Hauses
hielten ihn für einen Usurpator; die übrigen Großen blickten mit Neid
auf ihn; ihm selbst fehlte die geistige Ueberlegenheit, durch welche er
diese Mängel hätte gut machen und sich Ehrfurcht verschaffen können.
Diese Stimmung der Gemüther mußte ihm bald bemerklich werden, sie
machte ihn argwöhnisch, hart und endlich grausam gegen die Vornehmen,
deren Macht und Uebelwollen er scheute.
.Peter nahm indessen seine Zuflucht zu Kaiser Heinrich, wobei ihm
Markgraf Adalbert als Vermittler diente, warf sich ihnx zu Füßen, bat
um Verzeihung für frühere Beleidigungen und flehte um Hülfe. Heinrich
vergab und sicherte ihm mit scheinbarer Großmuth seinen Beistand zu,
den verlorenen Thron wiederzugewinnen. 6 Doch sein späteres Ver
fahren beweist nur allzu deutlich, daß ihm das Schicksal des unwürdigen
Peter1 wenig
Anonymus
am Herzen
Belae reg.
lag not.,
, daßc.er32.
vielmehr
'— 2 Kezai,
durchII,dessen
2. Thuroezy,
Unterstützung
II, 36'

Vita S. Gerhardi, c. 17: „Aba comes palatii." Alberieue bei Leibniz, II, 73:
„Unus de magnis prineipibus." Annales Sangall. ad ann. 1041. „Comes
quidam." — 3 Annales Augustani und Hermannus Contract. ad ann. 1041 bei
Pertz. Kezai, II, 2. Thuroezy, II, 36. Chronicon Posoniense. — 4 Kezai,
II, 2. Thuroezy, II, 36. — 5 Anonymus Belae reg. not., e. 32. — 6 Herman
er
us Annales
Contract.Boici.
bei Pertz, V, 123 ad ann. 1041. Chronic. Athahense, bei Brun-
J50 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

Ungarn unter seine Botmaßigkeit bringen wollte. Auf die Kunde hier
von schickte Aba eine Gesandtschaft an Heinrich mit Friedensanträgen,
1042 und
zukommen,
als dieseund
nichts
ließ,ausrichtete,
während Heinrich
entschloß am
er sich
Rhein
demverweilte,
Angriff zuvor-
drei

Heersäulen gegen Deutschland aufbrechen. Er selbst zog am rechten


i L, Donauufer hin, nahm Tuh{, das er überfiel, als die Bewohner und die
Besatzung sorglos den Carneval feierten , drang bis an den Fluß Trasen
vor und kehrte mit großer Beute und vielen Gefangenen heim. Der
zweite Haufe zerstreute sich plündernd am linken Ufer der Donau und
wurde von dem Markgrafen Adalbert aufgerieben; den Anführer des
selben, der sich schwimmend über die March gerettet hatte, ließ Aba,
wahrscheinlich weil er ihn für einen Verräther hielt, blenden. Dem
dritten, der in Steiermark einfiel, bereitete Markgraf Gottfried ein
gleiches
Jetzt
Schicksal.
wurde auf
1 dem Reichstage zu Köln der Krieg wider Ungarn

beschlossen, und gegen Ende des Sommers 1042 brach Heinrich am


linken Ufer der Donau mit einem mächtigen Heer ein, zerstörte Haim-
burg, eroberte Presburg, schlug Aba erst an der Wag und sodann an
der Gran ; aber die reichen Geschenke, welche ihm dieser schickte, und
wahrscheinlich noch mehr die große Abneigung der Ungarn gegen
Peter, die er bemerkte, sowie der zeitig einbrechende und strenge Winter
bewogen ihn zum Rückzug. 3 Zu Weihnachten befand er sich schon in
Goslar, wo ihn eine Gesandtschaft Samuefs aufsuchte, die um Frieden
zu bitten kam und dafür versprach, daß die im Frühling aus Oesterreich
weggeschleppten Gefangenen ohne Lösegeld heimkehren sollten. Ihr
Ansuchen wurde jedoch abgewiesen, und ebenso fruchtlos war eine zweite
Gesandtschaft, die Aba nach Paderborn an Heinrich schickte; denn
Adalbert von Oesterreich und Bretislaw von Böhmen drangen auf
1043 Erneuerung
Schon imdes Frühling
Kriegs, und
1043
gewannen
stand Heinrich
den Kaiser
mit für
seinen
ihreKriegsscharen
Meinung. 3

an Ungarns Grenze, und Aba, der sich auf die Treue des Volks nicht
verlassen konnte und sich doch um jeden Preis auf dem Thron erhalten
wollte, eilte, durch reiche Geschenke4 und große Versprechungen ihn
zu versöhnen. Er gelobte neuerdings, die Gefangenen in die Heimat
zu entlassen, nie mehr feindlich in Deutschland .einzufallen, den Land
strich zwischen dem Kahlenberg und der Leitha für immer abzutreten,
und stellte Geiseln. Diese für Aba so harten und schimpflichen

1 Herma1mus Contract. ad ann. 1042, und Annales Wirziburgenses ad


ann. 1042, bei Pertz. — 2 Thuroczy, II, 36. Annales Sangallenses. Andere
Chronisten: Hermannus Contract., Annales Wirziburgenses, Boici u. a. be-
• richten: Da Heinrich den unbezwingbaren Widerwillen der Ungarn gegen
Peter sah, gab "er ihnen einen Verwandten Stephan's, der sich im böhmischen
Heere befand, zum König und ließ zu seinem Schutze 2000 Baiern und Böh
men zurück; doch wurde dieser von Aba schnell wieder vertrieben. Weil
aber alle einheimischen Quellen hierüber schweigen und bei dem beharr
lichen Charakter Heinrich's kaum zu glauben ist, daß er diesen Schützling
so leicht aufgegeben haben würde, dürfen wir mit Recht an der Wahrheit
dieses Berichts zweifeln. — 8 Hermannus Contract. Lambertus Schaffnabur-
gens. — * Annales Boici, II, 218: Auri talenta 400, totidemque vestes.
Peter und Samuel Ab», Thronanmaßer. ./ 151

Bedingungen genügten dem Kaiser; er schloß Frieden und führte sein


Heer Ein
zurück.
zweckwidrigeres
1 Mittel, sich zu behaupten, hätte Aba nicht

wählen können, als diesen schmachvollen Frieden. Wer Vater


landsliebe und Ehrgefühl hatte, mußte sich mit Verachtung von ihm
wenden ; die Unzufriedenheit watd allgemein und die Sehnsucht nach
den verbannten Prinzen immer heftiger. Aber im Gefühl eigener Un-
würdigkeit und Schwäche liegt auch die Quelle des Argwohns und der
Grausamkeit. Jeder, der sich durch Abkunft, Reichthum und Verdienst
auszeichnete, war Aba verdächtig; nur durch Schrecken glaubte er sich
halten zu können. Viele wurden aus dem Vaterlande verbannt, Güter
eingezogen, Hinrichtungen, selbst ohne Verhör und Urtheil , verhängt.
Dagegen schmeichelte er den Leidenschaften des Pöbels, ließ es geschehen,
daß sich die Bande der Zucht und Ordnung lösten, die Ausübung des
Christenthums vernachlässigt wurde und die kirchlichen Anstalten in
Verfall geriethen, und bereicherte mit dem Raube der Verurtheilten die
feilen Werkzeuge der Tyrannei, die er aus dem Staube hervorzog.
Hierdurch wurde das Uebel noch größer, die Zahl der Misvergnügten
wuchs mit jedem Tage, es fanden sich sogar viele, die Peter zurück
wünschten. Da vereinigten sich viele der Vornehmsten und Besten,
den Tyrannen zu stürzen; aber ihr Vorhaben wurde vor der Zeit ver-
rathen. Aba rief sie unter dem Vorwand einer Berathung nach Csanäd
und ließ funfzig der Versammelten in demselben Hause ohne Verhör und
Urtheil auf einmal enthaupten, auch die er sonst in seine Gewalt bekam,
grausam
Besudelt
des Martertodes
mit diesem Blut,
sterben,
wollte
1043—
er das44.
Osterfest
2 zu Csanäd in könig

licher Weise feiern. Die deutschen Könige und Kaiser hatten nämlich
den Gebrauch, den auch Stephan beobachtete, daß sie sich an hohen
Festtagen von einem Bischof die Krone aufsetzen ließen und mit
ihr geschmückt dem Gottesdienst beiwohnten. Samuel forderte Ger
hard, den angesehensten Bischof Ungarns, auf, ihm diesen Ehrendienst
zu leisten; aber der fromme Mann weigerte sich dessen, und er war
genöthigt, sich von einem andern Bischof krönen zulassen.3 »Gerhard
that noch mehr ; er bestieg die Kanzel, hielt dem gekrönten Usurpator
seine Verbrechen vor und verkündigte ihm den nahe bevorstehenden
Untergang. Geschlagen von seinem Gewissen und aus Furcht vor
plötzlichem Aufruhr nahm dieser die schwere Beleidigung hin und ließ
den ehrwürdigen Greis unangefochten.^ Wahrlich, man fühlt sich oft
versucht, die Zeit glücklich zu preisen, wo so etwas geschehen konnte,
wo eine Macht bestand, vor der sich auch der blutbefleckte Tyrann
beugen
1Dies
Kezai,
mußte!
alles
II, erfuhr
2, ziehtHeinrich
beide Kriege
bald;inneue
einenFlüchtlinge
zusammen. kamen
Thuröczy,
an seinen
II, 37.

— * Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 37. Vita S. Gerhardi, 17. — 3 Horvath,


Geschichte des ungarischen Reichs (2. Aufl.), I, 158, faßt das Ereiguiß so
auf, nicht als wäre Aba erst damals zum König gekrönt worden, und hat ge
wiß recht. — * Vita S. Gerhardi, 17. Kezai, II, 2. Thuröczy, II, 37.
152 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

Hof und vergrößerten die Zahl der Anhänger Peter's, der ihn mit Bit
ten bestürmte, ihn in sein Reich zurückzuführen, und gelobte, dasselbe
ihm zum Lehn aufzutragen. Jetzt, glaubte Heinrich, sei die Zeit
gekommen, seine Absichten auf Ungarn leicht und sicher auszuführen.
An Ursachen, den Krieg zu erneuern, fehlte es nicht. Noch immer
standen die ungarischen Besatzungen in dem abgetretenen Gebiet, und
die Gefangenen waren auch nicht ausgeliefert. Denn beides konnte
Aba leichter versprechen, als erfüllen, weil weder die Besitzer ihre
Güter und die Obergespane ihre Burgen räumen, noch die Herren ihre
Sklaven freilassen wollten. Auf die zerrütteten Zustände Ungarns und
auf den Abfall der vielen Misvergnügten rechnend, nahm Heinrich sich
gar nicht Zeit, ein großes Heer zu rüsten , sondern stand schon zu Ende
1044 Juni 1044 mit nur 6000 Mann in Oesterreich, zu denen noch die
Scharen des dortigen Markgrafen und des böhmischen Herzogs stießen.
Aba schickte eilends Gesandte, um Friedensverhandlungen anzuknüpfen.
Der Kaiser wies sie ab und ließ durch Papst Benedict IX. gegen alle
Anhänger Aba's den Bann aussprechen. Diesmal nahm er d«n Weg
am rechten Donauufer über Oedenburg und rückte vor, auf die Ein
verständnisse trauend, die er schon mit einigen Befehlshabern im
ungarischen Heer angeknüpft hatte. Aba,^an der Spitze eines weit
überlegenen Heers, faßte Muth und Siegeszuversicht; um aber den
schwächern Feind desto sicherer und gänzlich zu vernichten, zog er sich
in eine feste Stellung hinter den Raabnuß zurück. Die Deutschen
folgten ihm, setzten, von ungarischen Wegweisern geführt, ungehindert
über die Raab und Rabnitz und verwickelten sich zwischen Flüsse,
Sümpfe,;Gestrüpp und Waldungen. Nun schritt Aba zum Angriff vor
und traf sie bei Menfö oberhalb Raab. Am 5. Juli, als der Morgen
anbrach, erblickte Heinrich Aba's Scharen und sah bestürzt die misliche
Lage der Seinen, die den überlegenen Feind vor sich, um sich keinen
Raum, sich auszubreiten, und hinter sich keinen Ausweg hatten; nur
Muth konnte retten, und er feuerte sie an, rühmlichen Tod schimpflicher
Knechtschaft vorzuziehen. Noch gab ein Sturmwind, der sich plötzlich
erhob und alles in Staubwolken hüllte, die Hoffnung, daß er den Ungarn
die freie Aussicht rauben und ihre Pfeile aus der Richtung schleudern
werde, aber die geübten Schützen wußten das Wehen des Sturmes in
Anschlag zu bringen und die Pfeile flogen nach dem Ziel, das die
zusammengedrängten Haufen darboten. Bald war das Schlachtfeld mit
Verwundeten undTodten bedeckt, und es hieß noch im 13. Jahrhundert,
als Kezai schrieb, vesznemet, Grab der Deutschen. Schon durfte Aba
hoffen, den vollständigsten Sieg errungen zu haben, da ersahen die Mis
vergnügten im Heer die Gelegenheit, auf die sie harrten; ein Theil ging
zum Feinde über, andere senkten die Fahnen und kehrten sich zur
Flucht; der Anblick des Verraths erfüllt auch die siegreich Kämpfenden
mit Schrecken, auch sie fliehen und Aba mit ihnen. Nach ungarischen
Nachrichten wurde er von seinen Feinden an der Theiß getödtet, nach
deutschen gerieth er in Peter's Gefangenschaft, der ihn enthaupten ließ.
Seinen Leichnam empfing das von ihm gestiftete Kloster in Sär. Raab
Peter und Samuel Aba, Thronanmaßer. 153

mit Aba's Gemahlin, Kindern und Schätzen ergab sich ohne Wider
stand. x Das Geschlecht Aba dauerte noch lange unter den Großen
Ungarns fort, und bis heute wollen einige Familien ihren Ursprung von
ihm ableiten.
Kaiser Heinrich willigte nicht eher in den Frieden, als bis

Peter wieder eingesetzt war. Nothgedrungen unterwarf sich die


Nation dem kaiserlichen Willen; allein Zwang ist nimmer fähig, Ver
trauen oder Liebe zu erwecken, und Peter that von allem, was auch nur
den Haß oder die Verachtung hätte vermindern können, das Gegentheil.
Seine Weise, das Reich zu verwalten, blieb dieselbe wie früher. In der
Absicht, die Ungarn in der Furcht vor der ihn schützenden Macht des
Kaisers zu erhalten , rief er diesen noch einmal in das Land . Heinrich 1045
folgte seiner Einladung unter bösen Vorzeichen. Am nördlichen Ufer
der Donau, der österreichischen Stadt Ips schräg gegenüber, steht das
von
Schloß
Ebersberg
Pösenburg;
Witwe,
dort den
empfing
Kaiserund
mitbewirthete
seinem Gefolge.
Richlinds,
Während
des Grafen
des -

Mahls fiel des Saales Boden ein, und die ganze Gesellschaft stürzte in
das darunter angebrachte Badehaus hinab. Der Kaiser ward nur am
Arm verwundet; die Gräfin, der würzburger Bischof Bruno und der
ebersberger Abt Altmann aber mußten an den erlittenen Quetschungen
sterben.
Von2 dem Könige der Ungarn wurde Heinrich mit auffallenden

Aeußerungen der Ehrfurcht und Unterwürfigkeit empfangen. Am


Pflngstfeste führte ihn Peter in die Versammlung der ihm ergebenen
Herren und erklärte dort feierlich: daß er ihm das Reich zu verdanken
habe, es von ihm zu Lehen empfangen wolle, und ihm dafür unverletz
liche Treue und Ergebenheit gelobe. Denselben Huldigungseid leisteten
dem Kaiser und seinen Nachfolgern auch die Anwesenden, ihrer un
würdig und völlig widerrechtlich, und um die Anerkennung der kaiser
lichen Oberlehnsherrlichkeit durch ein besonderes Zeichen zu bestätigen,
überreichte ihm Peter aus der Schatzkammer eine Krone und eine ver
goldete Lanze, welche Heinrich hernach, als Dankopfer für seine
Errettung aus der Gefahr zu Pösenburg, dem heiligen Petrus nach
Rom übersandte. 3

1 Kezai, II, 2. Thuröczy, II, 37. Bei Pertz: RodulB, Hist., III. Her-
mannus Contract., V, 124. Annales Sangallenses, I, 84. Muglen, Kap. 24.
Chronicon Posoniense. — 2 Hermannus Contract. ad ann. 1045. Adelzreiter
P. I. , I, 7. — 3 Hermannus Contract. ad ann. 1045. Sigebertus Gemblac.
ad ann. 1043. Marian. Scotus ad ann. 1045. Arnulph. Mediolan, bei Mu-
ratori, IV. Wjppo, Vita Chunrad. Mnglen, Kap. 25. Wenn nach diesen
einstimmigen Zeugnissen Pray, Cornides, Kollar und Benczur behaupten wol
len, daß diese Hingebung des Reichs an den Kaiser und die Huldigung nicht
geschehen sei : 1) weil die vaterländischen Chronographen, das ist, Kezai und
Thuröczy, davon schweigen; 2) weil die ganze Handlung null und nichtig
gewesen wäre; 3) weil sie in der Versammlung aller Stände durch Stimmen
einhelligkeit und mit Einwilligung der Cognaten, Andreas und Bela, hätte
geschehen müssen : so können sie keinem Geschichtsforscher genügen. Als
Geschichtschreiber maßten sie sich lediglich an die Frage halten, was ge
schehen sei; und gleichwie aus dem, was geschehen ist, noch nicht folgt,
154 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

Den schlecht berechneten Schritt des Königs schilderte das schnell


verbreitete Gerücht im ganzen Lande als den schändlichsten Verrath
des Vaterlands. Vizke, einer der Haupturheber von Peter's früherer
Vertreibung, Bua und Bukna, die Söhne des . siebenbürger Gyula,
wirkten für die Zurückberufung der landesflüchtigen Prinzen. Ver
sammlungen wurden gehalten, über den nochmaligen Sturz Peter's be-
rathen. Aber dessen geheime Anhänger, die sich als Spione in diese
Versammlungen einschlichen, verriethen sie, und wer von den Theil-
nehmern ergriffen wurde, verlor das Leben oder die Augen. Wie
überall, half auch hier die Grausamkeit nichts. Neuerdings kam eine
große Zahl der Vornehmsten und Besten des Landes in Csanäd zu
sammen und beschloß die Absetzung Peter's und die Erhebung des
ältesten königlichen Prinzen Andreas auf den Thron. Eiligst wurde
Andreas aus Rußland zurückberufen und zur Wiederherstellung sowol
der alten Rechte des ärpädischen Stammes, als der Freiheit und Un
abhängigkeit Ungarns aufgefordert.

Das Volk fühlte Andrea«


tief und schmerzlich
I. 1046—1061.
die Drangsale und Ernie

drigungen, die es erduldete, und fand die Ursache davon hauptsäch


lich in den Ausländern, die als Günstlinge so abscheulich schalteten,
aber auch, durch unglückselige Verwirrung, in dem Christenthum , das
es mit jenen für Eins hielt; sein Haß warf sich also auf beide. Ein
wild aufgeregter Haufe unter Vata's Anführung ging Andreas bis zur
Burg Aba-Ujvär entgegen und forderte trotzig die Wiederherstellung
des Heidenthums und die Ausrottung der Fremden. Andreas, schwach
an Geist und Körper, von äußern Hülfsmitteln entblößt und in der
eigenen innern Kraft keine findend, ließ geschehen, was er nicht zu hin
dern wußte,
Sogleichund
ward
zog der
gegenAufruhr
Pesth. öffentlich ausgerufen. An Peter

wurden drei Herolde abgesandt, ihm zu verkündigen, daß nach dem


Willen der Götter und auf Befehl des Fürsten Andreas die Bischöfe
mit der ganzen Klerisei getödtet, Kirchen und Altäre niedergerissen,
das
daß Heidenthum
es rechtmäßig wiederhergestellt,
geschehen sei und Peter
daraus und
ein Recht
seine entstehe,
Deutschenebenso
und

wenig durften die genannten Gelehrten aus der Rechtswidrigkeit der That-
sache folgern, daß sie gar nicht geschehen sei. Uebrigens was immer auch
Peter und die ihm Ergebenen dem Kaiser versprochen und gelobt haben moch
ten, eine Unterwerfung des ungarischen Reichs unter das deutsche konnte
ihr Act nicht begründen: denn dazu hatten sie kein Recht. Die Könige aus
dem Ärpädischen Hause haben Peter nie als ihren Vorgänger, sondern als
Usurpator erkannt. Fejer, Cod. dipl. , IV, B. 1 , Nr. 393, sagt Bela IV. aus
drücklich: „qui (Peter) nomen regis sibi potenter adscripserat". Dasselbe
thaten auch die Reichstage, denn die Gesetze, die während seiner Regierung
gegeben wurden, seine Schenkungen, Privilegien und Verordnungen sind für
ungültig erklärt worden, wie die Regierungsacte Aba's und anderer, die sich die
Herrschaft anmaßten. Verböczi, Decret. tripart., Pars DT, Tit. 14, §. 9.
Andreas I. 155

Italiener vertilgt .werden sollten. Zu spät dachte diesmal der Un


glückliche an seine Flucht; alle Auswege waren ihm verschlossen; nach
tapferm, doch vergeblichem Widerstand mußte er der Uebermacht in der
Gegend von Wieselburg unterliegen, ward gefangen genommen, ge
blendet und eingeschlossen zu Stuhlweißenburg, wo Gram und Schmerz
ihn tödteten. x So rächte die Nemesis das Verbrechen , welches er an
Basil Zu
begangen
spät bereuete
hatte. auch Andreas jetzt seine sträfliche Nachgiebig

keit aus feiger Staatsklugheit. Auf sein fürstliches Wort sich berufend,
zogen
aufhaltsam
zahlreiche
in demRotten
LandeMörder,
umher;
Kirchenräuber
jedem Widerstande
und Mordbrenner
wurde Trotz
un- .

geboten, kein Ansehen geachtet, auf keine Drohung gehört, keine


Richtergewalt gefürchtet, Unter diesen Stürmen des heidnischen Fana
tismus erlangte auch Gerard auf seiner Reise zu dem König die Märtyrer
krone, indem ihn Vata, der Rasenden Hauptanführer, bei Alt-Ofen mit
Steinwürfen verfolgen, fangen, von einem steilen Felsen hinabstürzen und
mit einer Lanze durchbohren ließ.2 Ebenso gewaltsam wurden die
Bischöfe Buld und Vestritz getödtet. Den Bischof Benedict rettete
Andreas aus den Klauen der Mörder; dieser verrichtete bald darauf
an ihm die Krönung zu Stuhlweißenburg. Sie war nicht sehr feier- 1047
lieh, denn nur noch drei Bischöfe waren im ganzen Reiche übrig
geblieben.
Schwer mußte Andreas die Last aufgehäufter Blutschuld fühlen,

und gern hätte er nach mancher Fürsten Weise dem Verhängniß, dem
Unglück, oder dem Zeitgeist zugerechnet, was lediglich seiner Schlaff
heit und Geistesohnmacht Folge war; allein schon der Umstand, daß
die Verfechter des Heidenthums ihn jetzt ruhig in Gottes Tempel und
von Priestern hatten salben lassen, und mehr noch der Erfolg seiner
nachmaligen Verfügungen, vertrieb ihn aus jenem Schlupfwinkel hoher
Sünder und drängte ihn zur Einsicht, wie leicht es ihm schon früher
gewesen wäre , durch Muth und Entschlossenheit die Volkswuth zu be
zwingen. Denn nur den Sturz Peter's, die Befreiung von der Tyrannei
wollte
thum und
einstimmig
das Verlangen,
die ganzezum
Nation;
Heidenthum
den Haßzurückzukehren,
aber gegen das Christen-
empfand

nur ein kleiner Theil, sonst wäre es unmöglich gewesen, die brausenden
WogenDies
so war
schnell
auch
zu seine
stillen erste
und die
Sorge;
Ruhesobald
herzustellen.
sich die Macht in seiner

Hand befand, erließ er den Befehl, daß bei Todesstrafe keine heidnischen
Gebräuche mehr ausgeübt, alle Spuren des Heidenthums vertilgt, die
zerstörten Kirchen wieder aufgebaut, und die Gesetze König Stephan's
in voller Kraft wiederhergestellt werden sollten. Einige Beispiele der
Strenge gaben den Gesetzen Nachdruck; freundliche Worte und Ge
schenke gewannen und beschwichtigten die Freunde des Heidenthums;
die christlich
1 Kezai, II,
Gesinnten,
3. Hermann.
selbst
Augiens.
die Anhänger
ad ann. 1046.
der vorigen
Haselbach
Herrschaft
bei Pez,

Script. Austriac, S, 700. Vita S. Gerardi, bei Endlicher. Muglen, c. 25, 26.
— 2 Vita S. Gerardi. Thuroczy, H, 42. Muglen, a. a. O.
156 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

schlossen sich an den König an, dessen Schutz sie bedurften, Friede
und Ordnung befestigten sich im Innern. l
Aber von außen drohte Gefahr; es ließ sich voraussehen, Kaiser
Heinrich werde die Entsetzung und Ermordung Peter's nicht ungerächt
Andreas
lassen undsuchte
seine Ansprüche
ihn durch eine
auf die
Gesandtschaft
Oberherrschaft
zu besänftigen,
nicht aufgeben
schob
wollen.
die

Schuld des Geschehenen auf einige Rebellen , die schon ihre Strafe
empfangen hätten, zeigte, wie Ordnung und Christenthum wiederher
gestellt seien, und bat um Frieden. Dabei erbot er sich, die Uebel-
thäter auszuliefern, welche sich noch finden würden; auch Lehnspflicht
wollte er leisten, die kaiserliche Oberherrlichkeit anerkennen, jährlichen
Tribut bezahlen, nur sollte ihm der Kaiser des Reichs ruhigen Besitz
zusichern.
Doch es ist kaum glaublich, daß Andreas dasselbe gethan habe,

weshalb Peter den Thron verlor, auch erzählt es nur der einzige Herr-
mannus, Augiens, oder Contract. Aber wozu immer sich Andreas
bereit erklärt haben mochte, Heinrich rechnete auf dessen Bedrängniß
und wies seine Anträge zurück mit der Drohung, daß er zu rechter
Zeit als Rächer seines Schutzgenossen und Lehnsmannes erscheinen
würde.2
In dieser bedenklichen Lage, hülflos in sich selbst und zu un

erfahren, um die außer ihm vorhandenen Kräfte zu einem Ziele zu ver


einigen, hatte er doch die Klugheit, sich in die Arme eines andern zu
werfen. Seines kraftvollen tapfern Bruders Bela gedenkend, lud er
ihn ein zur Rükkehr in das Vaterland, das seines Beistandes so sehr
bedurfte. „Wir waren einst", so schrieb er an ihn, „Gefährten in Noth
und Mühseligkeiten; laß uns nun auch des Glückes Freuden und des
Thrones Glanz miteinander theilen. Außer dir habe ich weder Erben
noch Brüder; du sollst mein Erbe, mein Nachfolger in der Herrschaft
sein." 3 Andreas hatte bisjetzt von seiner Gemahlin Anastasia nur
eine Tochter, sodaß Bela ohnehin das unstreitige Recht der Nach
folge besaß.
1048 und eilte
Belafreudig
hielt den
mitRuf
den der
Seinigen
Angst inund
dieNoth
Armefür
desEinladung
Bruders und
der in
Liebe,
den

Schos des Vaterlandes. Die Freude über die an ihm erlangte Stütze
seiner Herrschaft verleitete den König zu dem in seinen Folgen höchst
verderblichen Schritt, das Reich zu theilen und seinen Bruder über ein
Drittel desselben mit unumschränkter Gewalt und Einräumung des
Münzregals in seinem Gebiet als Herzog einzusetzen.4 Dadurch ent
fernte er den treuen Beistand, den heilsamen Rathgeber von seiner
Seite, machte ihn von sich unabhängig, legte zu unzähligen Ränken der
Eifersucht zwischen beiden Höfen und zu lange fortdauernder Zwie
tracht in der königlichen Familie den Grund. Das Beispiel, welches
er in dieser Theilung aufgestellt hatte, ward seinen Nachfolgern gleich-
1 Thuröczy, II, 42. VitaS. Gerard., S. 36. Annales Boici ad ann. 1046.—
2 Hermann. Contract. ad ann. 1047 bei Pertz. — 3 Thuröczy, a. a. O. — 4 Thu
roczy, a. a. 0. Cornides , Genealog. Reg. Hnng. , S. 91. Kerchelich, De reg-
nis Dalmat. etc. notitiae praelimin., S. 102.
Andreas I. J57

sam gesetzliche Richtschnur und die Quelle heilloser Verwirrung und


Zwietracht
Die Sonveränetät
und trauriger
darf
Bürgerkriege.
weder durch Familienliebe sich beschränken

lassen, noch ihre Einheit vervielfältigen wollen.


Znm Glück für Andreas und Ungarn konnte Heinrich drei Jahre
hindurch seine Drohungen nicht vollstrecken , weil einheimische heftige
Unruhen ihn zurückhielten; nur die Grenzgegenden ließ er durch Streif
züge verwüsten. So gewann Ungarn Zeit, Ruhe und Ordnung im
InnernIn herzustellen
jenen Zeitenund
zogen
sich auch
zum Krieg
deutsche
zu rüsten.
Bischöfe mit ihren Dienst

mannen bisweilen auf Raubzüge aus; so jetzt der regensburger Bischof


Gebhard, welcher die ungarischen Grenzörter überfiel und Beute weg- 1050
führte.1 Das ließen die Ungarn nicht ungerächt, sie drangen in das
Gebiet an der Leitha ein, welches Markgraf Adalbert in Besitz ge
nommen hatte, und verheerten Ostbaiern bis an den Kaienberg mit
Feuer und Schwert. So mußten die armen schuldlosen Einwohner wegen
der Fürsten Feindschaft und Herrschsucht unsagliches Elend leiden.
Nun hielt Heinrich einen Reichstag zu Nürnberg; da ward beschlossen,
die vor acht Jahren beschädigte Stadt Haimburg wieder in wehrhaften
Stand zu setzen. Den Auftrag zur Vollziehung erhielt Gebhard, er
nahm Haimburg im ersten Anfall weg, der Baiernherzog Konrad mit
dem Markgrafen Adalbert schützte den Bau und schlug die Ungarn,
die ihn
Imhindern
folgenden
wollten,
Jahrezurück.
zog der
2 Kaiser mit ansehnlicher Macht durch 1051

Steiermark nach Ungarn. Bela, an die Spitze der ungarischen Mann


schaft gesetzt, vermied jedes entscheidende Treffen, zog sich langsam
zurück, führte Menschen und Vieh mit sich, vernichtete alles Getreide
und Futter, verwandelte das am Wege gelegene Land in eine nahrungs
lose Wüste, und ließ das feindliche Heer durch seine leichte Reiterei
fortwährend umschwärmen. Hierdurch bewirkte er, daß Heinrich mit
jedem Schritt vorwärts gegen die Raab mit unsaglichen Schwierigkeiten
kämpfen und, ohne daß er die Ungarn zu einer Schlacht zwingen konnte,
vom Mangel an Lebensmitteln genöthigt, den Rückweg antreten
mußte. Aber nun wandten sich die Ungarn zum Angriff des durch
Hunger und Anstrengung ermatteten Heeres; rastlos verfolgt, Tag und
Nacht mit einem Pfeilregen überschüttet, eilte dieses in aufgelöster
Flucht
Brücke über
der Grenze
die Rabnitz,
zu. Heinrich
die ihm den
gelang
Rückweg
es, diesperrten,
Befestigungen
zu erstürmen
an der

und den Uebergang zu öffnen, doch sein Nachtrab wurde zwischen den
voreilig angezündeten Festungswerken und der Brücke vernichtet. Unter
fortwährenden Gefechten und schweren Verlusten erreichte er endlich
die Grenze und warf sich um Mitte October nach Haimburg. s
Andreas und Markgraf Adalbert zeigten sich beide zum Frieden
geneigt;
1 Hermann.
aber die
Contract.
Unterhandlungen
ad ann. 1050.
mußten
— 2 abgebrochen
Ebend. — 3 werden,
Kezai, II,weil
3.

Thuröczy, II, 43. Hermann. Contract. ad ann. 1051. Otto Freising., VI, 33.
Annalista Saxo ad ann. 1052.
158 Zweites Buch Zweiter Abschnitt.

der schlechte Ausgang des ersten Feldzugs den Kaiser zu einem zweiten
1052 reizte,
aufgebenund
wollte.
er seineJetzt
Ansprüche
that er auf
denLehnsherrlichkeit
Einfall durch Oesterreich
über Ungarn
längsnicht
der

Donau. In seinem Gefolge waren Bruno , ehemals Bischof von Toul,


jetzt Papst unter dem Namen Leo IX., und Hugo, Abt von Clugny;
beide im Leben geistreiche, einsichtsvolle, rechtschaffene Männer, nach
dem Tode Heilige. Heinrich legte sich vor Presburg und betrieb
die Belagerung dieses festen Platzes mit möglichster Anstrengung.
Allein die Burg wurde so kunstmäßig und tapfer vertheidigt, daß die
Deutschen sich genöthigt sahen, die Belagerung aufzuheben und nur
daran zu denken, wie sie den erlittenen Verlust an Mannschaft und
Kriegsbedürfnissen durch gute Friedensbedingungen ersetzen könnten.1
Heinrich's Forderungen waren zu hoch gespannt, und der Vortheil,
in welchem die Ungarn sich befanden, machte sie auch bil
ligern abgeneigt. Andreas verweigerte geradezu die Anerkennung
irgendeiner Lehnspflicht und auch die Leistung eines jährlichen Tributs,
zu welcher er sich vor Anfang der Belagerung, durch des Papstes und
des Abtes Vermittelung, entschlossen hatte. Leo bat, ermahnte, drohte2;
Hugo unterhandelte mit Geistesmacht und Beredsamkeit 3 ; doch
der harte Sinn der Fürsten war nicht zu wenden. Endlich mochte
es wol beiden Männern gelungen sein, den König der Ungarn
1053 zu
Tribur
einiger
bestätigte
Nachgiebigkeit
dieser durch
zu bewegen;
ungarischedenn
Gesandte
auf dem
die Abtretung
Reichstag des
zu

Landes am linken Leithaufer, welche von Samuel und Peter geschehen


war.4 Der Friede wurde geschlossen; die durch keinen gültigen
Rechtstitel erlangte Oberherrlichkeit des Kaisers über Ungarn ward für
immer aufgehoben. 5 Und das war die Frucht so vieler ungerechter
Angriffe auf die Freiheit eines Volks, so viel zertretenen Menschen
glücks, so viel vergossenen Bluts! Ja die Fürsten, die sich so un
versöhnlich
Seit zwei
bekämpft
Jahrenhatten,
war Andreas
wurden Vater
Freunde.
eines Sohnes; seine Freude

wurde getrübt durch den Kummer über die seinem Brüder verheißene
Erbfolge. Sehnlich wünschte er den Vertrag rückgängig zu machen. Um
seinem Sohne Salomo an dem Kaiser der Deutschen eine mächtige
Stütze zu bereiten, verlobte er das unmündige Kind mit. Heinrich's III.
Tochter, die gleichfalls Kind war. Und um auch die Gunst des noch immer
mistrauischen Klerus zu gewinnen, gründete er 1055 auf einer Land
zunge1 Hermann.
am Plattensee
Contract.
in herrlicher
ad ann. Lage
1052. die
Hilderic.
Benedictinerabtei
Mutii Chron. Tihany,
Germ., XIV,
und

bei Pistor. , II. Sigebert. Gemblac. ad ann. 1052. — 2 Wibertus, Vita S.


Leonis, II, 4. Acta SS. April, II, 661. — 3 Hildebert. Cenomanens.
Opera (Paris 1708) Vita S. Hugonis, c. 2. — 4 „IM etiam legati An-
dreae regis Hungarorum pro pace pactoque, cum suffragante Ratisponensi
Episcopo immensam pecuniam, suaeque provinciae partem, et ad expeditiones
omnes, praeter Italicam, suos itnros promitterent, Imperator ea se accepturum,
flde data spondens, eos remisit." Hermann. Contract. ad ann. 1053. Aber
die Heerfolge ist von keinem Kaiser gefordert, von Ungarn nie geleistet wor
den. — 5 „Romana respublica subjectionem regni Hungarici perdidit." Wi
bertus, Vita S. Leon., a. a. O.
Andreas I. 159

stattete sie überreich mit Gütern und Gefällen aus; „damit sie nicht
nachlässig im Dienste Gottes seien , und von demselben nicht abgezogen
würden". J Wahrscheinlich hat er auch zu Szentendre das griechische
Kloster gestiftet, welches Papst Honorius III. 1221 in ein lateinisches
verwandelte. Auch das Nonnenkloster zu Tormova in Bihar verdankte
ihm oder seiner Gemahlin Anastasia seinen Ursprung. 2 Um diese Zeit
ließ sich eine Colonie Lütticher im Sprengel des erlauer Bisthums nie
der, welche ihre Sprache beibehielten und deshalb noch 1347 die fran
zösischen Ortschaften genannt wurden. 3 Kaiser Heinrich III. starb 1056;
sein schon gekrönter Sohn und Nachfolger war der sechsjährige Hein
rich IV., und in Deutscland brachen bald große Unruhen aus; Ungarn
hatte Als
für Ungarn
seine Freiheit
, von Parteien
von dieser
zerrissen
Seite nichts
und verrathen
mehr zu fürchten.
von seinen Be

herrschern, gegen die ganze Macht des deutschen Reichs seine Freiheit
und
Kroatien
Selbständigkeit
Krezimir II. vertheidigte,
desjenigen Theils
bemächtigte
von Kroatien,
sich der sich
Fürstbis von
an ,

den Fluß Zettina erstreckt und unter Stephan zu Ungarn gehört hatte.
Jetzt eroberten Bela und der Palatin Radö diese Landstrecke zurück,
und brachten auch Sirmien, dessen sich die Griechen bemächtigt hatten,
wieder unter ungarische Herrschaft. Endlich fielen sie noch in Dalmatien
ein und belagerten Arbe. 4 So schnell erhebt sich ein Volk aus der Ohn
machtAls
undSalomon
dem Verfall
seinunter
siebentes
der Herrschaft
Jahr begonnen
des Rechts
hatte,
und versammelte
der Freiheit. 1057

Andreas die Stände zu Stuhlweißenburg und verlangte, daß sie, nach


dem damals in den meisten Ländern herrschenden Gebrauch, ihm
huldigen und durch feierliche Krönung seine Nachfolge sichern mö
gen, weil, wie er behauptete, der unlängst verstorbene Kaiser nur
unter dieser Bedingung Salomon's Verlobung mit seiner Tochter ge
nehmigt habe, und die Wichtigkeit dieser innigen Verbindung mit dem
mächtigsten Monarchen der Welt für die Sicherheit und Wohlfahrt
Ungarns von allen, die das Vaterland aufrichtig liebten, anerkannt
werden müßte, Niemand widersprach, und Herzog Bela sowol als
seine Söhne Geiza und Ladislaw gaben auch ihre Zustimmung. Wahr
scheinlich war es so gemeint, daß der nächste Thronerbe Bela sein,
und erst auf diesen Salomon folgen sollte ; denn nur durch diese An
nahme lassen sich die Auftritte im königlichen Hause und die Ereignisse,
die daraus folgten, begreifen. ö 1058
Im folgenden Jahre ward die Feierlichkeit der Krönung mit
großem Prunk in Stuhlweißenburg begangen, der auch der Herzog und
seine Söhne beiwohnten, indem sie sich hierdurch damit einverstanden er
klärten. Als aber der Chor sang : „Sei Herr über Deine Brüder, und
Deiner Mutter Kinder müssen Dir zu Füßen fallen", und sich jemand
fand,1 Fejer,
der Bela
Cod.
aufdipl.,
dieseI,Worte
288. aufmerksam
Fuxhoffer Monasteriologia
machte und ,sieherausgegeben
arg deutete,

von Maurus Czinär (Pesth 1858), I, 166. — 2 Szalay, Geschichte Ungarns,


2. Ausg., B. 150. — 3 Zantfliot, Scriptores veteres, Chronicon Martene, IV,
1216 ; V, 455. — * Dandulus bei Muratori, XII. Joannes archid. de Guercse
bei Kerchelich, Notitiae praeliminares, S. 102. — 5 Kezai, II, 3. Thuröczy,
II, 44. Dandulus bei Muratori, XII, 241.
160 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

da wurde dieser von Unwillen und Mistrauen gegen seinen Bruder


ergriffen. 1 Bela hatte Freunde, denn er war ein Mann voll Kraft und
edeln Sinnes; um Andreas hingegen, wie immer um sehwache Für
sten, sammelten sich nur Schmeichler, Heuchler und Ränkemacher.
Dem Glanz des Krönungstages folgten Erscheinungen der Unzufrieden
heit, für deren Urheber der König seinen Bruder hielt. Er ließ ihn
beobachten, und bald fanden sich niedrige Knechte genug, die sein
Mistrauen gegen ihn verstärkten. Um sich und Salomon von dem Ge
fürchteten zu befreien, faßte er auf der Burg Värkony mit seinen dienst
1059 Verderben.
fertigen Höflingen
Bela Vid
wardund
freundlich
Ernyei einen
auf die
Anschlag
Burg geladen.
zu seines Andreas
Bruders

erwartete ihn auf einem Ruhebett. Zu seinen Füßen lag auf einem
Teppich eine Krone und ein bloßes Schwert. Er wollte seinem Bruder
freie Wahl zwischen beiden anbieten; griff er nach der Krone, so
" sollten die Vertrauten ihn überfallen und ermorden. Nikolaus, der
Herolde Vorsteher und Bela's Verehrer, hatte von dem Geheimniß der
Bosheit Kunde, und als der Herzog nun zum König eingeführt wurde,
sagte er dem Arglosen eiligst in das Ohr : „Wollt Ihr leben, so wählt
das Schwert." Der König empfing ihn mit dem blendendsten Schein
der Huld und des Wohlwollens. „Herzog", sprach er, „nicht Eigen
liebe, sondern Sorge für des Reiches Wohlfahrt bestimmte mich, die
Krone jetzt schon meinem Sohne aufzusetzen. Von Rechts wegen
gebührt nach meinem Tode die Herrschaft Dir; darum wähle hter frei:
willst Du das Reich, so nimm die Krone; genügt Dir aber des Herzogs
Rang,Bela
so greif
nahmnach
das dem
Schwert
Schwert."
und ging, um es an sicherer Zufluchtsstätte

wider den Urheber des Mordanschlags zu schärfen.2 Man errieth zwar seine
rachedrohenden Entwürfe, und es geschahen wiederholte Versuche, ihn
zu verderben; aber seine Klugheit vereitelte alle Nachstellungen seiner
Verfolger. Glücklich entkam er mit seinen Söhnen nach Polen, wo
seit kurzem Boleslaw, Kasimir's Sohn, herrschte und jetzt, von Bela
um Hülfe angerufen, dem Rufe zum Kriege mit Freuden folgte.
1060 Mit drei Heerhaufen kehrte der Herzog nach Ungarn zurück,
wo sich die Bewohner der nördlichen Gegenden sogleich für ihn
erklärten. Andreas, von den feindlichen Schritten seines Bruders unter
richtet, sandte seinen Sohn und seine Schätze eiligst nach Mölk, unter
des Markgrafen Ernst Schutz und Schirm. Von den Vormündern
des sechsjährigen Königs der Deutschen, Heinrich's IV., und von seinem
1061 Eidam
dem deutschen
Wratislaw,
Reiche
der Böhmen
kamen ihm
Herzog,
Wilhelm,
verlangte
Markgraf
er Hülfsvölker.
von Thüringen,
3 Aus

und Eppo, Bischof von Zeitz, mit dem bairischen Heerbann zu Hülfe.
Den 1 böhmischen
„Ee gestarb Herzog
der Kunig
hielten
Andreas
einheimische
do liess er Angelegenheiten
kumen sein Son Salomon
zurück.

und salbte yn tzu Kunig. do sang man zu latein: Du solt sein ein Herr dei
ner Pruder, alz man pflegt zu singen, wenn man die Konig kront. Do biess
der Hertzog Bela ym den Gesang auslegen. Daz geschab. Do begunt der
Hertzog Bela tzurnen sere." Muglen, c. 30. — 2 Thuroczy, Chron., II, 44. —
8 Lambert. Heresfeld. ad ann. 1059 bei Pertz.
Bin. 161
Das Glück der ersten Gefechte, in welchen die Ungarn unterlagen,
lockte Andreas und seine Bundesgenossen tiefer in das Land; sie setzten
über die Theiß , um Bela's Hauptmacht anzugreifen. Da kam es zur
entscheidenden Schlacht, nach langem, mörderischem Gefecht entschied
sich für Bela der Sieg; er ließ das feindliche Heer umgehen und ihm den
Weg zur Flucht abschneiden; der größte Theil der Deutschen fiel; der
Bischof und der tapfere Markgraf wurden gefangen genommen ; An
dreas stürzte vom Rosse und wurde sterbend nach Zircz gebracht und
in derBela,
Ton sogleich
ihm gestifteten
auf demtihanyer
Bela
Schlachtfelde
1061—1063.
Abtei begraben,
zum König1061.
ausgerufen,
1 ergrifi

die Zügel der Regierung. Das Land befand sich in trauriger Lage;
schlechte Regierung, Parteiungen, äußere und innere Kriege, häufiger
Thronwechsel hatten alle Ordnung aufgelöst, die Macht des Gesetzes
gebrochen und den Wohlstand zerrüttet; schnell und gründlich mußte
geholfen werden. Da faßte Bela einen großen Entschluß, der von
Edelmuth und Weisheit zeugt, wenn auch die Folgen desselben traurig
waren. Aus dem Munde des Volks, durch dessen Abgeordnete, wollte
er hören, welche Üebel es drücken und durch welche Mittel seine Wohl
fahrt befördert werden könnte; mit dem Beirath und der Zustimmung
derselben sollten die Gesetze gegeben und ebendarum auch williger
angenommen und freudiger befolgt werden. Er berief also zu dem
Krönungsreichstage nicht allein die Prälaten, Herren und Vornehmen,
sondern auch aus jeder Gemeinde zwei Abgeordnete. — Daß der König
dieses thun konnte, ist der gültigste Beweis, daß es dazumal in unscrm
Vaterlande noch keinen Feudaladel, keine zur Berathung und Führung
der öffentlichen Angelegenheiten bevorrechteten Stände gab. — Die
Einberufung solcher Abgeordneten wäre in ruhigem Zeiten und in be
schränkterer Anzahl gewiß heilsam für Freiheit, Ordnung und Wohl
fahrt gewesen; aber die Drangsale der letzten Zeit waren zu groß, die
Aufregung der Gemüther zu heftig, die Last des Zehntens und anderer
Abgaben an die Kirche zu drückend, als daß sie jetzt nicht Unordnung
und Tumult hätte hervorrufen sollen. Statt der zwei Abgeordneten aus
jeder Gemeinde strömte von allen Seiten eine ungeheuere Menge herbei
und lagerte sich um Stuhlweißenburg. Der König mit seiner bewaffneten
Macht und die Großen des Landes zogen sich in die Mauern der Stadt
zurück. Den wilden Volkshaufen wuchs der Muth mit der Zahl; Jo
hann, den Sohn Vata's, wählten sie zu ihrem Anführer; Tribünen wur
den errichtet, von denen der Ruhm des alten Glaubens, Klagen über
der Bischöfe Stolz und Geiz, über der Zehntnehmer erbarmungslose
Härte, Aufforderungen, die Kirchen niederzureißen, die Geistlichen zu
erschlagen, ertönten und mit lautem Beifall gehört wurden. Eine
Botschaft erging an den König, ihm den Willen des Volks kundzu-
thun,1 Lambertus
daß das Christenthum
Heresfeld. beiabgeschafft
Pertz, S. 159.
und die
Contin.
alte Religion
Hermani Aug.
wieder-
ad

ann. 1060. Thuröczy, II, 44.


E«fil«r. I. U
162 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

hergestellt, wahrscheinlich, daß auch andere, die Geringern drückende


Lasten aufgehoben werden sollten. Da verlangte Bela in ruhigster Fas
sung drei Tage Frist und ließ hoffen, daß die Entscheidung, nach reif
licher Ueberlegung gefaßt, befriedigend ausfallen dürfte. Die Frist
ward gewährt; unterdessen zogen des Königs vertraute Männer aus, um
aus den nächsten Burgen und Gespanschaften die Dienstmannen in
nächtlichen Stunden herbeizuführen und in der Nähe der Empörer zu
verbergen. Die Zeit des Aufschubs war verflossen, die Abgeordneten
wiederholen ihre Forderung mit größerm Ungestüm, der König sucht
durch sanftes Zureden und ernsthaftere Vorstellungen sie zu belehren ;
doch alles ist vergeblich, sie stellen sich an , Gewalt zu brauchen. Nun
gibt der König das Zeichen, und plötzlich sehen sich die Verwegenen
von Kriegern umringt. Die Anführer der heidnischen Rotten, die den
Kampf für ihre Verblendung wagen, werden niedergemetzelt, die Ge
fangenen, nach Stephan's Gesetzen, zur Knechtschaft verurtheilt und der
gefahrdrohende Aufstand erstickt. Doch das ganze Land war zu sehr
aufgeregt, als daß mit einem mal die Ruhe und das Christenthum gänz
lich hätten hergestellt werden können; nur allmählich durch weise An
ordnungen und dadurch, daß er umherreiste und persönlich auf das
Volk wirkte, gelang dieses dem König. J Dies war der letzte 'offene
Ausbruch des Heidenthums, aber noch zählte es viele geheime Anhänger,
und heidnische Gebräuche, Opfer an Flüssen und in Hainen dauerten
fort, bis sie endlich durch die strengen Gesetze der folgenden Könige
unterdrückt
In den letzten
wurden.Tagen des Jahres 1061 fand die feierliche Krönung

statt. 2 Nur kurze .zwei Jahr dauerte Bela's Regierung, aber sie war
reich an Thaten des Edelmuths und. der Herrscherweisheit. Drückende
Dienste, Zölle und Steuern wurden aufgehoben; das Münzwesen so ge
ordnet, daß 40 Silberstücke den Werth eines byzantinischen Goldstücks
erhielten, Maß und Gewicht genauer bestimmt; der Preis, den jede Sache
bei richterlichen Urtheilssprüchen, xiicht im gemeinen Leben, wie man
fälschlich annimmt s, haben sollte, festgesetzt; die Jahrmärkte geordnet
und die Wochenmärkte, die bisher gewissermaßen ein Anhängsel des
Gottesdienstes waren, vom Sonntag auf den Sonnabend verlegt, über
haupt für das Wohl des Landes mit Einsicht und Eifer gesorgt. Dabei
handelte Bela nicht als das Haupt einer Partei, sondern als König des
Landes. Er verfuhr mit Gerechtigkeit und Milde , gegen seine vor
maligen Gegner, und selbst die, welche in ihrer Feindseligkeit beharrten
und zu Salomon nach Oesterreich gingen, mußten seine Schonung rüh
men, indem er ihre Güter nicht einzog und ihre Frauen und Kinder
unangefochten
Ebenso edel
ließ. und
4 klug benahm er sich auch in den auswärtigen

Angelegenheiten. Er konnte voraussehen, daß die Vormünder Hein-


rich's1 Muglen,
IV. gewiß
Kap.darauf
32. Thuroczy,
denken II,
würden,
46. Kezai,
Salomon
II, 4. —
auf2 den
Thuroczy,
väterlichen
II, 45,

46. — 8 Szalay, Geschichte Ungarns, I, 158. — * Kezai, II, 4. Thuroczy,


II, 45. Bartal, Commentariorum ad hist. status jurisque publici Hungariae
aevi medii libri XV (Presburg 1847), II, 25.
Bela. 163

Thron zu setzen, und suchte sich daher durch Bundesgenossen und


Freunde zu stärken. Auf Fürbitte seines Sohnes Geiza entließ er den
thüringer Herzog Wilhelm und Bischof Eppo ohne Lösegeld aus der Ge
fangenschaft und verlobte dem erstem seine Tochter Jojada. Da dieser
aber noch vor der Vermählung starb, gab er sie dessen Verwandten
Ulrich zur Gattin und ernannte ihn zum Markgrafen des ungarischen
Kärnten, das sich im heutigen marburger Kreise von Petau bis Leipnitz
erstreckte. Die zweite Tochter vermählte er mit Zuoinimir, Fürsten
von Kroatien, die dritte Euphemia aber mit dem mährischen Herzog
Otto. >
Ruhe und Ordnung waren im Lande hergestellt, aber von Deutsch
land her ward die Kriegsdrohung immer ernstlicher. Bela beschloß
daher, dem Angriff zuvorzukommen und den österreichischen Mark
grafen Ernst, bei dem sich Salomon mit seinen Anhängern aufhielt, zu'
dessen Herausgabe oder Entfernung zu zwingen. Allein seine Zu-
rüstungen wurden plötzlich durch den Tod unterbrochen. Wenn man
von Gran auf dem Donaustrome, die Mündungen der Eipel vorbei, ge
gen den alten Königssitz Visegräd fährt , so sieht man auf dem rechten
Ufer, am Abhange der verteser Berge, in freundlicher Gegend bemooste
Ruinen eines Prachtgebäudes; dort stand das königliche Lustschloß
Dömös. Hierher berief Bela die Großen des Reichs zu einer Berathung
und fiel während derselben vom Thron, wie die meisten berichten;
nach andern stürzte das Haus über ihm zusammen; genug, der ohnehin
schon bejahrte Mann starb bald darauf an erhaltenen Verletzungen.
Sein Leichnam wurde in der von ihm gestifteten Benedictinerabtei zu
Szekszärd
Die edeln
beigesetzt.
und frommen
2 Söhne Bela's, Geiza, Ladislaus und Lam

bert, die beiden erstem noch in Polen, der letzte schon in Ungarn ge
boren, wurden nun aufgefordert, daß einer von ihnen den Thron be
steige. Aber sie ließen sich dazu nicht bewegen, entweder weil sie in
dem tragischen Ende ihres Vaters ein Gottesgericht erblickten, oder,
was wahrscheinlicher ist, weil sie überzeugt waren von dem Näher
rechte Salomon's, zu dessen Krönung sie selbst ihre Zustimmung ge
geben hatten, und auch von dem Vaterlande die Schrecken des Bürger
kriegs abwenden wollten. Ernstlich bestanden sie darauf, daß sowol an
des deutschen Königs Hoflager als an den Markgrafen von Oosterreich
Abgeordnete gesandt würden, welche beiden Fürsten ihre Verzicht
leistung auf die ungarische Krone versichern und ihre Bereitwilligkeit,
des Andreas Sohn als rechtmäßigen König anzuerkennen, verbürgen
sollten; nur müßte auch ihnen der ihrer Geburt und ihren Verdiensten
angemessene
1 JohannesRang
de Guercse
von Salomon
bei Kerchelich.
unverletzt Thuröczy,
erhalten werden.
II, 47. 3 Lambertus

Schaffnaburg. ad ann. 1063. Balbini, Miscell. hist. r. Bohemiae, I, 103. —


2 Notitiae ex Aloldo ad ann. 1062. Lambertus, a. a. 0. Muglen, Kap. 32.
Thuröczy, II, 46' — 8 Lambertus, a. a. O., glaubwürdiger als Thuröczy, II, 47,
und Muglen.

11«
164 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

Salomon 1063—1074.

Um der Einsetzung Salomon's mehr Sicherheit und Glanz zu geben,


beschlossen die deutschen Reichsverweser, ihren König selbst, der das
Jünglingsalter noch nicht erreicht hatte, in Begleitung seines ihn ver
derbenden Erziehers, des hochmüthigen und berüchtigten bremer Erz
bischofs Adalbert, mit dem noch Jüngern König der Ungarn und einem
ansehnlichen Heere nach Pannonien ziehen zu lassen. Das geschah
also , und die Ungarn sahen in Stuhlweißenburg, gewiß nicht ohne ban
ges Gefühl, wie der eine Knabe von dem andern auf Stephan's Thron
gesetzt wurde. Heinrich brachte zugleich seine zwölfjährige Schwester
Sophie, die Verlobte Salomon's, mit sich und ließ sie als dessen Gattin
hier zurück. l
Mit Salomon waren seine redliche Mutter Anastasia, zugleich aber
auch alle, die mit ihm in der Verbannung gelebt hatten und mit bitterm
Haß gegen Bela und dessen Söhne erfüllt waren, unter ihnen der bos
hafte, verschmitzte Graf Vid, der den königlichen Knaben ganz be
herrschte, und Graf Ernyei zurückgekehrt. Willkürlich misbrauchte
besonders ersterer die königliche Gewalt zu seinen Zwecken. Nach des
Andreas Reichstheilung, welche wahrscheinlich nicht ohne Bewilligung
der Stände geschehen war'2, gebührte Bela's Söhnen mit der herzog
lichen Macht der dritte Theil des Reichs; diesen ihnen einzuräumen,
oder sie im Besitze zu bestätigen, war die erste Bedingung, welche Sa
lomon zu erfüllen hatte, die aber auf Graf Vid's verderbliche Ein
gebungen
Die drei
unerfüllt
Brüderblieb.
konnten schon hieraus entnehmen, was ihnen be

vorstand, und flüchteten sich zu Herzog Boleslaw nach Krakau, der


dort seine Heermarht soeben wider die Russen versammelt hatte. Mit
1064 mann
einem die
Theile
ungarischen
derselbenFürsten
führte ohne
in ihrZögerung
Land zurück.
der immer
Grafen,
rasche
Ritter
Waffen-
und

Freie, die den nördlichen Theil des Reichs bewohnten, nahmen ihre
Partei, und Salomon mit seinen Günstlingen, an der Treue der übrigen
Großen zweifelnd, war nothgedrungen , sich in die feste Burg Mosony
(Wieselburg) einzuschließen. Zu seinem Glücke traten die Bischöfe
als Mittler auf, um dem Vaterlande den Frieden zu erhalten und den
Beleidigten durch gelindere Maßregeln zu ihrem Rechte zu verhelfen.
Es gelang dem raaber Bischof Desiderius, den übermüthigen Grafen
Vid zur Leistung dessen, was Bela's Söhnen war versichert worden, zu
1065 überreden
wurde mit und
Dankauch
unddieGeschenken
erbitterten entlassen
Herzoge zuundbesänftigen.
der Friede Boleslaw
zwischen

dem König und den Herzogen zu Raab von beiden Seiten eidlich be
stätigt. s Wie aufrichtig dies von den letztern geschehen war, bewiesen
sie den Großen und dem Volke am nächsten Osterfeste zu Fünfkirchen,
wo Salomon
1 Lambertus
vonSchaffnaburg.
ihnen feierlich
ad ann.
in den
1063. Dom
Thuröczy,
geführt
II, und
47. —
von2 Geiza
Kova-

chich vestigia com1torum, S. 47. — » Thuröczy, 11,47. Cromer, Eer. Polon., Lib. V.
Salomon. Jß5

zum dritten mal gekrönt wurde. Acht Jahre lang dauerte der Friede
zum Heile
Zwonimir,
des Vaterlandes.
Fürst ton Kroatien, der die Tochter Bela's zur Ge

mahlin hatte, in Krieg mit dem kärntner Herzog Leopold verwickelt


und geschlagen, rief Salomon und Geiza zu Hülfe, 1066. Sie kamen, 1066
besiegten die Kärntner und setzten ihren Bundesgenossen in Besitz der
bereits
Böhmische
verloren Rotten
gewesenen
— sie
Landstrecken.
pflegten in Deutschland
1 zusammengeraffte

Gefangene nach Ungarn zum Verkauf zu bringen und die hier erbeu
teten wieder dorthin zu schleppen — waren 1069 abermals in die trencsiner
Gegend eingefallen und trieben eine Menge Vieh und Menschen weg.
Die Ungarn setzten ihnen nach und nahmen ihnen nicht nur die Beute
ab, sondern ubten auch Rache durch Plünderung und Verwüstung ihres
Landes. Die vaterländische Ueberlieferuug berichtet, daß bei dieser
Gelegenheit Bätor (der Kühne) Opos, Sohn des Helden Martin, der
sich bei der Vertheidigung Presburgs auszeichnete, einen riesenhaften Böh
men im Zweikampf überwand und großen Ruhm gewann. Von diesem
OposEinleitete
weitdas
gefährlicherer
Geschlecht der
Feind
Bäthory
drang seine
im folgenden
Abstammung
Jahr her.
von 2Osten

her in das Land. Ein Zweig jener Kumanen, die unter dem Namen
der Polowzer eine so wichtige Rolle in der altrussischen Geschichte
spielen, war 1067 von dem tscherhigower Fürsten Swäloslaw am Flusse
Sanow schwer geschlagen worden und irrte flüchtig umher. 3 Im dritten 1070
Jahre nach dieser Niederlage zogen sie vom rechten Donauufer längs
der Aluta nördlich hinauf nach Siebenbürgen und, weil sie dort nur
schlechte Beute fanden, durch den meszeser Paß nach Ungarn. Da.
verheerten und plünderten sie das ganze nyirer Gebiet, bis an die Burg
Bihar, führten, nebst zahlreichen Viehheerden, eine große Menge Ge
fangener mit sich und eilten, über die Sümpfe (lapos) dieser Gegend
und den Fluß Szamos setzend, zurück über Siebenbürgen nach der
Moldau. Aber schon waren ihnen Salomon und die beiden Herzoge
zuvorgekommen und lagerten bei Doboka, fünf Meilen ober Klausenburg,
um die Abziehenden zu empfangen. Sobald sie Kunde hatten, daß die Hor
den heranrücken, brachen sie auf,ihnen entgegen. Osul, der kumanische An
führer, in stolzem Wahn den Feind verachtend, sandte nur einige Rotten
zum Kampfe. Doch als diese d'e unabsehbaren und dicht geschlossenen
Geschwader der Ungarn erblickten, flohen sie mit Entsetzen zurück und
verkündigten ihrem Volke die Noth wendigkeit, den Kampf zu vermeiden.
Um sich zu retten, erklomm Osul mit seiner Horde in größter Eile und
Unordnung den hohen Berg Kerles, wähnend, die Ungarn würden ihm
dabin nicht folgen. Schnell aber stiegen diese von den Rossen ab, den
Berg hinan, der König mit seiner Schar gerade an der beschwerlichsten
Stelle voraus, Geiza und Ladislaus von andern Seiten. Der mittlere Berg
rücken ist mit Pfeilschützen besetzt, unzählige Pfeile fliegen über die
ungeübten
1 Thuröczy,
Kletterer
II, 47.herab,
Johannes
die wenigsten
de Guercsetreffen,
bei Kerchelich.
die Schützen
Dandulus
werden
bei

Muratori. — 2 Thuroczy, II, 84. — * Nestor zum Jahre 1067.


166 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt

niedergemacht. Ladislaus, mit Riesenstärke begabt, erschlägt allein


vier, der fünfte verwundet ihn und muß dennoch fallen. Jetzt stehen
die Ungarn auf dem Gipfel, ihre Säbel bewähren ihre Härte und Schärfe
an den kahl geschorenen Köpfen der Kumanen, nur wenige entfliehen,
aber auch diese werden verfolgt und die meisten getödtet. Ladislaus
sieht, wie ein Kumane mit einer geraubten ungarischen Jungfrau, vor
nehm gekleidet, schön von Gestalt, eiligst davonjagt. Er setzt ihm
nach, doch des Kumanen Roß ist rascher. Ladislaus ruft der Jungfrau
zu, daß sie den Räuber am Gürtel fasse und ihn mit sich vom Pferde
reiße. Sie gehorcht, beide fallen, der Kumane richtet sich auf, die
Jungfrau, für ihren Retter besorgt, ergreift seine Streitaxt und
tödtet ihn. 1
Wenige Jahre zuvor hatten die Byzantiner das Bulgarenreich ihrer
Herrschaft vollends unterworfen.2 Unter Kaiser Michael Dukas war
sein Liebling Nicephqrus Bryennius Statthalter von Bulgarien, Niketas
Befehlshaber in Belgrad. Mit des letztern Begünstigung waren mehrmals
petschenegische Haufen über die Save in das ungarische Gebiet ein
gefallen und mit Beute an Menschen und Vieh zurückgekehrt. Im Jahre
1078 1078 erging an die Ungarn des Königs Aufgebot zur Rache an den
Byzantinern. Szalankemen, dem Zusammenfluß der Theiß und Donau
gegenüber, war der Sammelplatz. Graf Vid mit dem bäcser, Graf
Joannes mit dem ödenburger Heerbann, gingen, trotz des griechischen
Feuers, voraus über die Save und lagerten sich vor Belgrad. Niketas
rief Petschenegen zum Entsatz; nur die Aussicht auf Beute, nicht auch
die Gefahr ward ihnen eröffnet. Wüthend fielen sie über die Oeden-
burger her, wurden aber von diesen so geschlagen, daß nur ihr Fürst
Kazar mit kleiner Zahl der Seinigen der Gefangenschaft entrann. So
eben setzten auch Salomon, Geiza und Ladislaus mit ihren Dienstmannen
über den Strom, und die Belagerten mußten von den Stadtmauern sehen,
wie die Grafen mit den Köpfen der Erschlagenen, mit Waffen, Gefan
genen und Rossen der Petschenegen vom frühesten Morgen bis späten
Abend vor dem Könige aufzogen. Doch an die Uebergabe der Stadt
war noch lange nicht zu denken. Die Belagerung ward mit angestrengter
Thätigkeit zwei Monate lang fortgesetzt, wobei die beherzten Waffen
männer Opos, Georg und Bors durch manche kühne That sich aus
zeichneten. Im dritten Monat legte eine ungarische Jungfrau, vor
einiger Zeit gefangen weggeführt, an mehrern Orten der Stadt Feuer an;
es brach aus und griff bei starkem Winde schnell um sich; Verwirrung
entstand, die Ungarn drangen über die schon sehr beschädigten Mauern
in die Stadt und schlugen Griechen, Sarazenen und Bulgaren todt; was
dem Gemetzel entging, flüchtete sich mit Niketas hinauf in die Burg;

i ] So erzählt Muglen. Nach Thuröczy, II, 49, der mehr Glauben ver
dient, meinte Ladislaus in der Jungfrau des groß wardeiner Bischofs
Tochter zu erkennen, und tödtete den Räuber, ungeachtet sie um dessen
Leben flehte. Zu dieser Zeit waren also in unserm Vaterlande nicht nur
die Geistlichen , sondern selbst die Bisehöfe beweibt. Das Werk Thuröczy's
ist selbst alt und aus weit altern Chroniken geschöpft. — * Cedrenus. Zo-
naras. bei Stritter, II, 631—659, u. III, 812—835.
Salomon. 167

die Ungarn fanden in Kellern und Gruben reiche Beute an Gold, Silber
und Edelsteinen.
Niketas, mit dem wenigen Volk in der Burg zu schwach, sich zu

vertheidigen, erklärte sich bereit zur Uebergabe, wenn ihm und der.
Besatzung Sicherheit des Lebens und freier Abzug gewährt würde.
Der König und die Herzoge versprachen beides. Nun zog Niketas, ein
Marienbild, aus Silber gegossen, voraustragend', von der Burg herab,
ihm folgte die Besatzung, die sich mit ihrem Anführer nicht dem König,
sondern dem Herzog Geiza ergab, denn letzterer hatte Synadene, eine
nahe Verwandte ihres Kaisers, zur Gemahlin, sie hofften deshalb von
ihm Schutz
Das vorzügliche
und Begünstigung.
Vertrauen1 der Besiegten zu seinen Vettern kränkte

den König, und Graf Vid säumte nicht, die Keime des Mistrauens und der
Unzufriedenheit in dessen Herzen zu nähren. Die Wirkungen seiner
schändlichen Kunst zeigten sich gleich bei der Theilung der Gefangenen
und der erbeuteten Schätze. Von jenen sollten die Herzoge dem König
die Hälfte ausliefern; aber standhaft widersetzten sie sich dieser For
derung, und ohne Lösegeld ließen sie diejenigen abziehen, die sich ihnen
auf Treue und Glauben ergeben hatten. Salomo strafte sie damit, daß
er die erbeuteten Schätze in vier Haufen theilte, den einen für sich
behielt, den andern seinem Günstlinge, den dritten dessen Schwiegersohn
Elias,Sein
den Groll
letztenwurde
seinen bald
drei Vettern
durch ein
zuerkannte.
neues Ereigniß genährt. Der

byzantische Kaiser Michael Dukas belohnte den Edelmuth, womit Geiza


und Ladislaus die Griechen und Bulgaren in Belgrad behandelt hatten,
er schickte an Geiza Gesandte, die ihm seinen Dank und reiche Geschenke
überbrachten, worunter sich auch die Krone befand, die später als
unterer Reif an jene gesetzt würde, die Papst Sylvester geschickt hatte,
und mit ihr vereinigt die Reichskrone bildet. Da drang Graf Vid
offener und ernstlicher in Salomon, die Vettern zu verderben, weil seine
Herrschaft mit ihrer Macht und ihrem Ansehen ebenso wenig wie zwei
Schwerter
Die Wirkungen
in Einer Scheide
dieses bestehen
Anschlags
könne.
auf 2des Königs Gemüth blieben

den scharfsichtigen Brüdern nicht verborgen, so künstlich auch dieser


sie hinter Mummerei der Freundschaft und Liebe zu verstecken wußte.
Nach einiger Zeit wurden sie wieder zu dem König berufen, unter dem
Vorwand eines gemeinschaftlichen Feldzugs gegen Nissa; allein sie
bemerkten die Schlinge: Geiza erschien zwar beim König, Ladislaus
blieb aber mit ansehnlicher Heeresmacht in der Nyirseg stehen, und
man mußte auch Geiza ungekränkt entlassen. Nun sahen die Brüder
sich genöthigt, ernstlich auf ihre Sicherheit bedacht zu sein. Ladislaus und
Lambert gingen also zu ihren beiden Schwägern 1073, zu Boleslaw von 1073
Polen und zu dem olmützer Herzog Otto, um bei ihnen Hülfe zu suchen. '
Schon1 Muglen
theilte , sich
Kap. das
36. Volk
Thuröczy,
in Parteien,
II, 50. Chronic.
schon rüsteten
Posoniense
sich
beidie
Endlicher
Heere

zum Jahre 1072, statt 1073, wie es heißen sollte. — 2 Thuröczy, II, 52.
Nicephorus Bryennius, 68, 1.
168 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

zum Kampf, da gelang es einigen friedlich gesinnten, das Vaterland


liebenden Großen und den Bischöfen eine Aussöhnung anzubahnen.
Jeder von acht Begleitern umgeben, kamen Salomon und Geiza auf
einer Insel unterhalb Gran zusammen und schlossen nach vielfachen
gegenseitigen Anklagen und Entschuldigungen endlich doch Frieden,
der auch durch Austausch von Geiseln aufrecht erhalten werden sollte. '
Geiza stellte dem König als solche Vata und den Bischof von Groß-
Wardein , der König ihm Vid und Ernyei. Die erste und größte Sorge
Vid's war es, diese Gelegenheit zu benutzen, um Verräther zu gewinnen.
Und als ihm der Herzog auf die Spur kam und ihn gefangen setzte,
geschah dasselbe auch mit seinen Geiseln am Hof des Königs, bis es
beide Abermals
am bestenwurde
fanden,
dersich
Friede
die Geiseln
von Salomon
zurückzugeben.
gebrochen, indem er seine

Mannschaft bei Szalavar versammelte, während Geiza, nichts Arges


vermuthend, seinen Bruder erwartete und bisweilen an dem ingovänyer
Wald und See, in der stuhlweißenburger Gespanschaft, mit seinen
Freunden der Jagdlust genoß. Zum Weihnachtsfest ging Salomon in
die Abtei des Welterlösers zu Szekszärd, um das, was ein solcher Mann
seine Andacht nennt, zu verrichten. Nach beendigter Vesper verweilte
er noch betend in dem Chor. Abt Willerm beobachtete ihn im ver
borgenen und hörte, wie Graf Vid, dem Meuchelmord bequemer dünkte
als Krieg, dem König rieth, den Herzog Geiza in der Nacht überfallen
und blenden zu lassen. Nicht gleich bereit dazu bezeigte sich Salomon;
nach dem mitternächtlichen Gottesdienst beschied er den mordgierigen
Günstling, seine Willensentschließung zu vernehmen. Eiligst berichtete
Abt Willerm dem Herzog, was er gehört hatte. Geiza theilte die Kunde
den Seinigen mit, von welchen sie jedoch mit Spott über den Abt empfangen
wurde, denn sie standen in des Grafen Sold. Vor Tages Anbruch
erschien nun Willerm selbst, als Ritter verkleidet, vor Geiza, der noch
der Ruhe pflegte; er bat ihn zu fliehen,, um der nahen Gefahr für seine
Freiheit
Schnell
und sein
ruchbar
Leben
ward
zu entrinnen.
in dem Kloster des Abtes Abwesenheit, und

der Verrath des Mordanschlags war außer Zweifel. Um der Rache des
Beleidigten zuvorzukommen, ließ der König seine dreißig Haufen von
Szalavar aufbrechen und gegen die Donau vorrücken. Geiza war bereits
über den Strom gegangen und hatte sich mit seinen eiligst zusammen
gerafften vier Haufen auch über die Theiß zurückgezogen. Drei seiner
Heerführer, Petrud, Zonuk undBikas, verriethen ihn an Salomon. Ihrer
1074 Treulosigkeit unkundig, wagte er die Schlacht, 1074 am 26. Febr., in
deren Beginn die drei Verräther, zum Zeichen ihres Vorhabens, die
Schilder erhoben und mit ihren Scharen zu dem Heer des Königs hin
überliefen. Dort hatte man aber vergessen, die Mannschaft mit dem ver
abredeten Zeichen des Verraths .bekannt zu machen; sie wurden als
Feinde empfangen und büßten ihr Verbrechen mit dem Tode. Das
Gemetzel unter den Treulosen gab dem Herzog Frist zur Flucht, welche
sein vierter Haufe . mit ausgezeichneter Geschicklichkeit deckte. Von
Tokaj sandte er seine Vertrauten, den Hauskaplan Georg Fekete und
den Geheimschreiber Ivänka, zu seinen Brüdern. Der eine sollte
Salomon. 169

Ladislaus mit den mährischen Hülfsvölkern nach Waitzen führen, der


andere mit Lambert nach Rom ziehen, um den Schutz des apostolischen
StuhlsSehr
anzuflehen.
betrübt 1begegnete Geiza seinem Bruder Ladislaus und Otto's

Soharen bei Waitzen. Am Abhang der anmuthigen Hügel, in der


Gegend, wo jetzt Vörös-Egyhaza und Gödöllö liegen, traten die Heer
führer zusammen, um Rath zu pflegen. Als die Einheit im Entwurf und
in der Ausführung festgesetzt war, begab sich jeder zu den Seinigen;
nur Ladislaus hielt seinen Bruder bedeutungsvoll zurück und entdeckte
ihm: unter der Berathschlagung sei ihm gewesen, als sähe er zwei himm
lische Gestalten herabschweben mit einer Krone, welche sie auf Geiza's
Haupt legten. Diesen Augenblick sei es wunderbar licht geworden in
seinem Innern, indem sich ihm die Gewißheit des Sieges, Salomon's
Flucht aus dem Reich und Geiza's Wahl zum König in voller Klarheit
ankündigte. Da gelobte Geiza, für seine Errettung von den Feinden
Gott dem Herrn, zu Ehren der auserwählten Jungfrau eine Kirche zu
erbauen.2 Unterdessen hatte sich das Heer der Herzoge sehr ver
größert, überall, wo es durchzog, strömte ihm das Landvolk, mit Sensen
und Heugabeln bewaffnet, in großer Menge zu. Im Glauben und in der
Hoffnung auf den allmächtigen Lenker der Schlachten führten sie die
Scharen hinunter nach Czinkota; dort hatten sie im Rücken die Donau,
vor sich die mogyoröder Hügel, welche sie von den feindlichen Haufen
trennten. Unter diesen war das bäcser Panier das zahlreichste; dabei
waren noch des Königs Heerbann, einige Scharen Kärntner mit ihrem
Herzog Marqnard und etliche Haufen Böhmen, vom Herzog Wratislaw II.
zu Hülfe gesandt. Die Brüder wollten den Angriff machen, aber ein
dichter Nebel hielt sie zurück. Als dieser verschwunden war, sahen sie
auf den mogyoröder Höhen den Troß des königlichen Heers aufgestellt;
so wollte es Graf Vid, wähnend, die Herzoglichen würden denselben für
schlagfertigen
Die Bewegungen
Vortrab jenseit
halten und
der fliehend
Hügel ließen
ihren Standpunkt
am folgenden
räumen.
Morgen

ernstlichen Angriff erwarten. Mit Tagesgrauen rüsteten sich die


Streitmänner der Brüder, den Feind zu empfangen. Im Angesicht aller
warfen sich Geiza, Ladislaus und Otto auf ihre Knie und beteten zu
Gott um Beistand und Sieg; dann stellte sich der erste in des Heeres
Mittelpunkt, welchen die Paniere der Neitraer und der übrigen nörd
lichen Gespanschaften ausmachten. Ladislaus mit den Scharen der
Theißgegenden nahm den linken, Otto mit den Mährern den rechten
FlügelJetzt
ein; ziehen
neun Geschwader,
die königlichen
ins Geviert
Scharengestellt,
die Höhen
bildetenherab.
die Reserve.
Graf

Ernyei, der selbst hier noch zum Frieden gerathen hatte, sieht die wohl
geordneten Reihen der Herzoge und spricht zu Vid: „Die Männer, die
dort unten wie in die Erde eingewurzelt stehen, scheinen weder Furcht
noch Flucht zu kennen; die Donau in ihrem Rücken, verkündigt uns
ihren Vorsatz, zu siegen oder zu sterben." Die letzte Warnung ver
achtend,
1 Thuröc.zy,
machte II,
Vid52.mit—dem
2 Muglen,
bäcser Kap.
Panier
39.denThuröczy,
Angriff II,
auf 52.
den mährer
170 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.

Fürsten und ward von diesem geworfen, sein Volk beinahe ganz auf
gerieben, ihm selbst die Brust durchbohrt, das Haupt gespalten. Ernyei
stellt an seinem Platz das Treffen wieder her; aber die Standhaftigkeit
der Mährer ist unbezwinglich, auch er wird auf die Leichen der Seinigen
hingestreckt. Seiner vorzüglichsten Stärke beraubt, wirft sich der König
verzweiflungsvoll auf Geiza. Ladislaus bemerkt es, umgeht schnell das
noch kämpfende königliche Heer und faßt es im Rücken. Bald sieht
sich Salomon von allen Seiten umringt; mühsam öffnet ihm des tapfern
Opos Arm einen Ausweg zur Flucht, auf der ihn die Sieger bis an die
Donau verfolgen. In der Gegend von Visegräd gelingt es ihm, hinüber
zusetzen und an die österreichische Grenze zu gelangen. Die Städte
Wieselburg und Presburg waren schon im voraus befestigt worden und
gewährten ihm Sicherheit. In der erstem traf er Mutter und Gattin.
Herzog Marquard und der Anführer der Böhmen wurden, schwer ver
wundet, gefangen. x
Als Ladislaus gegen Abend über das leichenvolle Schlachtfeld ritt,
wurde er von schmerzlicher Rührung ergriffen und beweinte das Schick
sal der Todten und des Vaterlandes, das sie verloren hatte. Unter den
Todten erkannte er auch Ernyei, stieg vom Pferde, umarmte ihn und
rief: „Ich beklage dich wie meinen Bruder, denn dein Herz und dein
Rath strebten nach Frieden." Hierauf ließ er ihn ehrenvoll begraben.
Weiter stieß er auch auf den Leichnam Vid's und sprach : „Wol warst
du unser unversöhnlicher Feind, aber möchtest du doch leben und dich
bessern und, wie du bisher Zwietracht gestiftet, künftig Eintracht zwi
schen uns stiften ; dein Herz, das nach Herrschaft dürstete, hat die Lanze
durchbohrt, deinen Kopf, der die Krone tragen wollte, das Schwert
gespalten!" Auch ihn befahl er zu begraben, aber die erbitterten
Krieger füllten ihm Brust und Augen mit Erde. „ Solange du lebtest",
sagten sie, „haben deine Augen Glanz und Güter nie sättigen können,
jetzt soll sie Staub füllen!"2 (1074 Ende März.) ?
Vom Schlachtfelde führten Geiza und Ladislaus die siegreichen
Scharen gegen Stuhlweißenburg, wo sie einen Theil derselben in des
Reiches feste Plätze vertheilten, die übrigen zu ihren friedlichen Herden
heimkehren
Unterdessen
ließen. versammelten sich die Prälaten und Magnaten in der

Königsstadt, um zu verfügen, was des Landes Wohlfahrt jetzt forderte.


Da wurde bekannt und erwiesen, daß Salomon sich neuerdings dem
deutschen Kaiser, unter Bürgschaft von zwölf Geiseln, zum Tribut, zur
Lehnspflicht und zur Abtretung sechs fester Städte erboten habe, um
ihn zu feindlichem Einfall in Ungarn zu bewegen. 3 Darüber wurde
Salomon für des Vaterlandes Feind und Verräther, zur Regierung un
fähig, des Thrones verlustig erklärt, und Geiza's Einsetzung zum König
beschlossen.
1 Megiser. Annales Carinth. (Leipzig 1612), S. 735. — % Muglen, Kap. 40.

Thuroczy, II, 7. — 3 Lambertns Schaffnaburgens. ad ann. 1074.


Geiza. 171

Eine ansehnliche Gesandtschaft


Geiza 1074 zog
— 1077.
ab, um Geiza zur feierlichen

Krönung 1074 am 20. April abzuholen.1 Willig übernahm er die Ver


waltung des Reichs; allein die Krönung bat er aufzuschieben, bis alle
Versuche zur Aussöhnung des Vaterlandes mit seinem Vetter fruchtlos
geblieben
Nicht wären.
Versöhnung, sondern Rache war Salomon's einziger Wunsch.

Seine Anträge setzten Heinrich IV. in Thätigkeit, und als der größte
Theil der deutschen Fürsten dem Kaiser die Heerfolge nach Ungarn ver
weigerte, warb er auf eigene Kosten Kriegsvolk und drang damit an der
Donau nördlicher Seite in das Land ein. Nach Bela's früherm Beispiel
ließ Geiza aus den Gegenden, durch welche der Kaiser ziehen mußte,
Menschen, Vieh und Feldfrüchte wegführen, das südliche Ufer der Donau
stark besetzen und durch auserlesene Scharen auf der befestigten Sanct-
Andreas-Insel bei Waitzen alles weitere Fortschreiten ihm verwehren.
Bis dahin waren die Deutschen, ohne einen Feind zu sehen, nur gegen
Hungersnoth und Seuchen kämpfend, vorgedrungen. Ein Aufruhr unter
ihnen vermehrte für Heinrich die Gefahr, und er sah sich genöthigt,
so wie er gekommen war, ohne Ruhm zurückzukehren. Er führte seine
Schwester Sophie mit sich nach Deutschland. 2
Schon früher hatte Geiza dem Papst Gregor VII. von den neuen
Ereignissen in Ungarn, von seiner Uebernahme der Reichsverwaltung
und von den vereitelten Entwürfen des deutschen Kaisers ausführlichen
Bericht erstattet. Am 23. März 1075 erhielt er von diesem unerschütter- 1075
liehen Verfechter der Hierarchie eine Gesandtschaft mit den kräftigsten
Versicherungen des apostolischen Schutzes und mit der Anerkennung:
„daß ihn der Herr nach seinem gerechten Urtheil zur Herrschaft erhoben
habe, weil sein Vetter, den würdigern Schutz des heiligen Petrus ver
achtend, sich selbst zum Lehnsfürsten des deutschen Königs herabgesetzt
hätte". Nachdrücklich wurde dabei dem neuen Beherrscher der Ungarn
eingeschärft: „daß, sowie die übrigen selbständigen Reiche der Welt,
auch das Königreich Ungarn in seinem Zustande der Unabhängigkeit
erhalten werden müsse, keines andern Fürsten Oberlehnsherrlichkeit
anerkennen dürfe, und nur der römischen Kirche, der allgemeinenMutter,
die von den Ihrigen kindliche Folgsamkeit, nicht knechtische Unter
werfung
So wenig
verlange,
auchzum
die Gehorsam
ungarischen
verpflichtet
Stände geneigt
sei". 3 waren, in zeitlichen

und weltlichen Angelegenheiten des Reichs irgend ein Recht des päpst
lichen Stuhls anzuerkennen, und so gewiß sie mit möglichstem Nach
druck sich widersetzt hätten, wäre Gregor, auf dem Grunde einer
vorgegebenen
1 Geiza führte
Schenkung
auch den
des Namen
Reichs Magnus.
an den heiligen
Thuröczy,
Petrus
II, durch
53. Katona,
König

Hist. Reg., II, 366. — 2 Im September. Lambert. Schaffnaburgens. ad ann.


1074. Thuroczy, II, 54. — 3 „Notum tibi esse credimus, Regnum Hungariae
sicut et alia nobilissima in propriae libertatis statu debere esse, et nulli regi
alterius regni subjici, nisi sanetae et universali matri Rom. Ecclesiae" etc.
Gregor VII. Epist. Lib. II, Ep. 70, bei Katona, Hist. Reg., II, 362.
172 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt,

Stephan, jemals mit einer Forderung von Lehenspfiicht, Huldigung oder


irgendeines andern Zeichens weltlicher Unterthänigkeit hervorgetreten:
so lieb war es ihnen doch, daß Salomon auch von ihm für schuldig und
mit Recht des Throns verlustig erkannt1, folglich ihr Verfahren wider
ihn selbst von dem Verweser des göttlichen Rechts als gerechtes Urtheil
Gottes verehrt wurde. Darum drangen sie jetzt ernstlicher in Geiza,
den Königstitel mit der Krone anzunehmen und dadurch die Ruhe des
Vaterlandes gegen Salomon's verderbliche Anschläge noch mehr zu
sichern. Geiza's Zartgefühl sträubte sich noch dagegen; endlich aber
ließ er mit sich geschehen, was die Stände wünschten: denn als im klein-
tapolesäner Bezirk der barser Gespanschaft, zwei Meilen östlich von Ara-
nyos-Maröth, im Granthaie, die von ihm aufgeführte Abtei und Kirche
Sanct- Benedict vollendet war und er die Stiftungsurkunde am 14. April
1075 ausfertigte, nennt er sich schon „obersten Herzog der Ungarn, her
nach Erst
aber durch
nach vollbrachter
Gottes GnadeKrönung
gesalbten
3 König"
mochte und
Geiza
Ungarn
ein zweites
sein Reich.2
päpst

liches Schreiben erhalten haben, worin zwar Gregor noch immer die
Schuld des entsetzten Königs eingestand, aber auch nicht undeutlich den
Wunsch einer Versöhnung desselben mit Geiza und seiner Wiederein
setzung zu verstehen gab. Wahrscheinlich hatte ihn seine Achtung für
die in Rom gottselig lebende verwitwete Kaiserin Agnes, Mutter der
Gemahlin Salomon's, zu dieser Vermittelung bewogen, welche ganz ver
schieden auf Geiza und auf Salomon wirkte. <
Unangefochten von jenem, saß dieser in Presburg, des erstem
Versöhnungsboten mit überspannten Forderungen zurückweisend und
den mit seinen Reichsvasallen in Fehdschaft verflochtenen Kaiser zu
neuem1 In
feindlichen
einem zweiten
Ueberfalle
BriefUngarns
an Geiza
anreizend.
schrieb Gregor
Ladislaus,
von der
Salomon
in der:

„Sufficiat unicnique quod suum est, .... sicque fiat in pace nobilissimum
regnum Hungariae quod hactenus per se principaliter viguit, ut rex ibi non
regulus fiat. Verum ubi .... Rex (Salomo) subdidit se Teutonico Regi et
reguli nomen obtinuit, Dominus autem .... potestatem regni suo ad te ju-
dicio transtulit", bei Katona, Hist. Reg., II, 363. — 2 Literae fundationis,
bei Katona, a.a.O., S. 366: „Ego Magnus, qui et Geisa supremus Hungaro-
rum Dux, postea vero gratia Dei Rex consecratus .... Principibus Regni
nostri notnm tieri volui . . . . ceterisque Regni mei principibus, qnorum con-
sensu et consilio statutum etc." Der Theolng Palma (Notitia Rer. Hung.)
meint, Geiza hätte sich krönen lassen, nachdem sein Gewissen durch des
Papstes Urtheil beruhigt war; Hofrath von Lakics (de haeredit. jure, S. 63)
scheint behaupten zu wollen, daß Geiza weder rechtmäßig gekrönt worden,
noch rechtmäßiger König gewesen sei. Dann muß man aber auch behaupten :
daß Salomon an den ursprünglichen Grnndvertrag nicht gebunden war; daß
er mit der Freiheit, Selbständigkeit und Unveräußerlichkeit des Reichs nach
Willkür schalten und walten und zur Unterstützung dieser Willkür auch
fremde feindliche Kriegsmacht in das Land rufen konnte; daß die in Stuhl-
weißenbnrg zum Landtage versammelten Stände, die ihn des Reichs verlustig
erklärt hatten, nicht seine rechtmäßigen Richter, sondern Rebellen waren;
endlich, daß Salomon das ungarische Reich als wahres und eigentliches Pa
trimonium mit dem unbeschränktesten Eigentumsrecht besessen habe. —
a „MLXXV. Magnus (Geisa) Rex coronatur. " Chronic. Posoniensc, bei
Endlicher.
Geiza. 173

Fülle seiner Kraft keine halben Maßregeln faßte und mit sich selbst zu
einig war, um zwischen der Erkenntniß des Rechts und den Rücksichten
der Verwandtschaft ängstlich zu schwanken , zog mit seinem Heerbann 1076
vor Presburg und hielt Salomon so fest eingeschlossen, daß es diesem
unmöglich ward, die Entwürfe seines bösen Willens auszuführen. l Doch
ohne Widerstreben hob er die Belagerung auf, als Geiza, von über
triebener Gutmüthigkeit verleitet, neue Unterhandlungen mit Salomon
eröffnete. Bei der Weihnachtsfeier in der szekszärder Abtei, vor dem
Grabe Bela's, mochte Geiza's Gewissen, mehr von Gefühlen als von
Einsichten geleitet, sich mächtiger geregt haben. In vertrauter Unter
redung mit den anwesenden Bischöfen und Aebten eröffnete er seine
nie zu besänftigende Unruhe über des Thrones widerrechtlichen Besitz
und erklärte sich entschlossen, mit Vorbehalt des einmal angenommenen
Königstitels und seines herzoglichen Antheils, zwei Drittel des Reichs
mit der Krone seinem Vetter zurückzugeben. Gern unterstützten die
Bischöfe das ihnen heilsam scheinende Werk der Eintracht und des
Friedens; aber dem Gedeihen desselben legte der Haß, der Weltlichen
gegen den verstoßenen Fürsten, und wahrscheinlich auch dessen un
gestüme, mistrauische, wankelmüthige Sinnesart unüberwindliche Hinder
nisse in den Weg. Der bald darauf, 15. April 1077, erfolgte Tod des 1077
zu gewissenhaften Königs endigte die Sache, deren weiterer Fortgang
nur neues Unheil herbeigeführt hätte.2 Geiza hinterließ zwei Söhne,
Koloman und Älmos 3, und eine Tochter Sophie, die zuerst des schon er
wähnten Ulrich, Markgrafen von Ungarisch-Kärnten, zweite Gattin war
und nach dessen Tod den Herzog von Sachsen, Magnus, den unver
söhnlichen
1 Katona,
Gegner
Hist. Reg.,
Heinrich's
II, 372.
IV.,
— heirathete.
2 Muglen, Kap.
4 43. Thuröczy, II, 55

3 Kezai, II, 4. Thuroczy, II, 59. 60. Dandulus bei Muratori,_ 12. Das
Chronic. Posoniense, Cosmas Pragensis, ein Zeitgenosse, nennen Älmos den
Bruder Kolomann's. Dessenungeachtet wollen einige, gestützt auf sehr zwei
felhafte Daten, behaupten, Kolomann sei der Sohn des Ladislaus, denn als
Geiza's Sohn hätte er, nicht aber dessen Bruder Ladislaus auf dem Throne
folgen müssen. Sie vergessen, daß damals das Recht der Erstgeburt noch
nicht bestand. — 4 Monachus Weingartensis bei Leibniz.
Dritter
Wiederherstellung Abschnitt.
des innern Friedens und fort

schreitende Entwickelung.
Ladislaus der Heilige. 1077—1095.
1. Aeußere Begebenheiten.

Als des Königs Geiza Tod, so berichten alte Erzählungen ,1, im Lande
vernommen wurde, da kamen Ungarns freie Männer zusammen und
erwählten mit allgemeinem Rathschluß den Herzog Ladislaus und krön
ten ihn zum König, weil sie wohl wußten, daß er ein christlicher Herr
war und mild und tugendhaft zu allen Zeiten. Er war der schönste
Mann in seinem Volke, ungewöhnlich groß, edel von Wuchs, maje
stätisch in Blick und Geberden, seinen angeborenen Beruf zur Herrschaft
verkündigend.2 Seinem Bruder Lambert überließ er einen Theil des
jenseit der Theiß gelegenen Landes als Herzogthum und lebte mit ihm
fortwährend in brüderlicher Eintracht, sodaß die Geschichte, die ge
wöhnlich nur Kämpfe und traurige Auftritte aufzeichnet, diese Theilung
des Landes gar nicht ausdrücklich berichtet, ja den anspruchslosen,
seinenSoköniglichen
oft unter den
Bruder
Fürsten
ehrenden
der Welt
Lambert
einer,
kaum
an Geistesmacht,
erwähnt. 3 Ideen

licht und Willenskraft hoch über Zeit und Zeitgenossen emporragend,


nach freier Weltumbildung und unumschränkter Weltbeherrschung
strebte, ward es dem übrigen Fürstenvolk schwer, dem Joch des Einzig
gewaltigen sich zu entziehen. So war es, als Alexander ganz Asien und
Afrika zur griechischen Cultur erheben; so, als Mohammed die ganze
Welt zur Anbetung eines einzigen Gottes bekehren ; so , als Karl der
Große ganz Europa zur Taufe und zum Fasten zwingen; und so jetzt,
als Gregor VII. die ganze Priester- und Fürstenwelt unter die päpstliche
Gewalt
1 Thuröczy,
beugen II,
wollte.
ö. 6. Kezai,II,4.
Daher auch Muglen,
des letztern
Kap. 44.Hochachtung
— 2 Legendafür
S.

Ladislai bei Endlicher. — 3 Ladislai reg. Decret., III, 3, handelt von den
Grafen des Herzogs. Chronic. Posoniense ad ann. 97 berichtet seinen Tod.
Ladislaus der Heilige. 175

echte Könige, in welchen er Macht und Kraft erkannte. Doch der


gleichen fand er nur zwei in seiner Zeit. Wilhelm , Englands Eroberer,
und Ladislaus, der Ungarn König, waren unter den damaligen Beherr
schern Europas wirklich die einzigen, gegen welche er sich scheute,
etwas mehr als seine oberhirtliche Sorgfalt in den Grenzen alter
Kirchensatzungen geltend zu machen. Darum durften auch beide un
angefochten wagen, was jeden andern seine Krone oder wenigstens
seine Ruhe gekostet hätte. Wilhelm bezahlte zwar den jährlichen
Petersgroschen, aber beherzt versagte er dem Papste die Lehenspflicht.
Kühner noch stieß Ladislaus, königlich handelnd, mit dem Ansehen des
großen
Ladislaus
Hierarchen
schickte
zusammen.
eine Gesandtschaft an den Papst, ihm seine

Thronbesteigung anzuzeigen und zu melden, daß er dem Heiligen Stuhl,


als der obersten kirchlichen Gewalt, und dem Papst, als seinem geist
lichen Vater, von ganzem Herzen zu gehorchen bereit sei. Aber hiermit
begnügte sich Gregor nicht , sondern verlangte Anerkennung der päpst
lichen Oberhoheit über Ungarn. Deshalb schrieb er am 9. Juni 1078
an den graner Erzbischof Nehemias: „Uebrigens ermahnen wir dich,
daß du den unter euch gewählten König sammt deinen Mitbischöfen und
den Großen des Reichs aufforderst und ihm rathest, er möge durch
schickliche Gesandte seine Gesinuung und schuldige Ergebenheit gegen
den apostolischen Stuhl deutlicher äußern, dann werden wir zu Ehren
des allmächtigen Gottes und des heiligen Apostelfürsten Petrus ihm
gütig antworten und ihn zu seinem und des ganzen Reichs Nutzen durch
das Ansehen des Heiligen Stuhls mit Liebe und Wohlwollen unter
stützen." Als diese indirecte Aufforderung nichts wirkte, schrieb der
Papst im Frühling 1079 an Ladislaus selbst und drang neuerdings auf
genauere Erklärung, eigentlich Anerkennung der Lehnsherrlichkeit des
römischen Stuhls. Aber Ladislaus schickte weder Gesandtschaft noch
Aeußerung, und Gregor, an der Möglichkeit, seine Ansprüche durch
zusetzen, zweifelnd, schwieg endlich still. l
Das Recht, Bischöfe und Aebte zu ernennen und mit Ring und Stab
zu investiren , den Landesfürsten , die es bisher geübt hatten , zu ent
reißen und dem Papst zuzuwenden, kämpfte Gregor mit unbiegsamer
Beharrlichkeit; deshalb führte er unversöhnlichen Krieg gegen Kaiser
Heinrich IV. Doch unangefochten von ihm fuhr Ladislaus fort, dasselbe
auszuüben. Ebenso heftig drang Gregor darauf, das Cölibat der Geist
lichkeit überall aufzuzwingen ; allein in Ungarn fanden seine Macht
sprüche während der Regierung des kräftigen Königs wenig Gehorsam,
wie wir
Boleslaw
weiter sehen
II., Herzog
werden. von Polen, des Ladislaus Vetter mütter

licherseits, eben der, welchar Bela mit einem Heer wider Andreas
unterstützt und Bela's Söhne mit bewaffneter Mannschaft nach Ungarn
zurückgeführt hatte, war Laster und Gewaltthaten wegen in seinem
Lande verabscheut. Stanislaus, Bishchof zu Krakau, sprach den Bann
über 1 ihn
Katona,
aus und
Hist.verwehrte
Reg., II, 395
ihm fg.,
den theilt
Eingang
dieseinBriefe
die Kirche.
Gregor's mit.
Der Her-
176 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

zog, von Zorn ergriffen, geht mit bewaffneter Mannschaft in die Kirche,
wo der Bischof gerade Messe liest, befiehlt seinen Begleitern diesen zu
tödten, und als sie vor der furchtbaren That zurückschrecken, stürzt er
selbst auf ihn und ermordet ihn vor dem Altar, 1078— 1079. Nun
verhängte Gregor über das ganze Land das kirchliche Interdict, und
sprach das Volk vom Gehorsam und von dem Eid der Treue gegen den
Herzog los. Boleslaw war des Lebens nicht mehr sicher unter seinem
Volke, mit seinem einzigen Sohn Mjesko floh er aus dem Lande nach
Ungarn, und Ladislaus nahm ihn freundlich auf. Mochten auch die
ungarischen Bischöfe den mit Priesterblut befleckten und mit dem
Bann belasteten Flüchtling von aller Theilnahme an den kirchlichen
Wohlthaten ausschließen, der König ließ sich dadurch in der Be
schützung des Menschen und des flüchtigen Fürsten nicht irremachen.
Boleslaw hatte ihm, seinem Bruder und Vater Wohlthaten erzeigt; kein
Verhängniß, keine kirchliche Macht konnte ihn hindern , die Pflicht der
Dankbarkeit auszuüben. Und als sich Boleslaw bald nach seiner An
kunft im Wahnsinn selbst entleibte, unternahm Ladislaus einen Feldzug,
um dessen
Obgleich
SohnderMjesko
Papstwieder
von Salomon
auf dendurch
ThronGesandtschaften
zu setzen. 1 und Bitten

bestürmt wurde, sich für ihn zu verwenden, und so gern ersieh sonst
in alle Angelegenheiten der Staaten als oberster Schiedsrichter mischte,
so blieb er doch in dem Kampfe zwischen Ladislaus und Salomon un-
thätig. Desto thätiger bewiesen sich die ungarischen Bischöfe, um
irgendein friedliches oder freundschaftliches Verhältniß zwischen dem
König und seinem Vetter zu vermitteln. Niemand war bereitwilliger
als jener, nicht nur sich mit Salomon auszusöhnen, sondern ihm auch
das Reich abzutreten , oder es mit ihm zu theilen. Allein sowol der
1080 ganzen
Theilung Gewicht
als derihres
Abtretung
Ansehens.
widersetzten
Nichts wurde
sich gestattet,
die Großenals daß
mit beide
dem

Könige sich feierlich versöhnten, daß dem Sohne des Andreas im ganzen
Lande mit Ehrenbezeigungen, die der Königswürde zukamen, begeg
net und zur Behauptung seines Ranges ihm hinreichende Einkünfte
angewiesen
Kaum werden
war Salomon
sollten.2in Stand gesetzt, sich wieder öffentlich im

königlichen Glanze zu zeigen, so säumte er auch nicht, seine Un-


würdigkeit zur Ehre und Macht durch neue Anschläge der Bosheit zu
beurkunden. Ladislaus War zu groß und zu streng, als daß ihn nicht
alle Bösen und Verworfenen hätten hassen sollen. Diese Rotte hatte sich
um Salomon «gesammelt, und in ihrem Rath ward die Gefangennehmung
und Ermordung des Königs beschlossen. Der Anschlag ward ver-
1082 rathen,
das Bergschloß
in der Ausführung
Visegräd, unweit
selbst Salomon
Waitzen gefangen
am rechten
genommen
Donauufer,
und auf
in

des Landes anmuthigster Gegend, in Verhaft gesetzt. 3 Noch trägt ein

1 Martinus Gallus, S. 72—76. Cromer, IV, Kap. 3, S. 54—62. Chronic.


Posoniense bei Pertz: Script. IX, 1, 28. Dlugoss , Hist. Polon., III, 284.
Thuröczy, II, 58. — 2 Thuröczy, II, 56. — s Ebend. Nach Muglen, Kap. 45,
ließ ihn der König auf die Neitraburg setzen. Bonfinius erzählt Salomon'»
Ladislaus der Heilige. Aeußere Begeb enheiten. 177

Thurm der Schloßruinen den Namen Salomon's. Doch gelang es der


Geistlichkeit,
In zahlreicher
seine Freilassung
Versammlungschon
vonimBischöfen
folgendenund
Jahre
Aebten
auszuwirken.
zu Rom

sprach Gregor den König Stephan, dessen Sohn Emerich und den
csanäder Bischof Gerhard heilig, 1081. 1 Ein päpstlicher Gesandter 1081
überbrachte die Bulle nach Ungarn, und am 20. August sollten die Leich
name feierlich aus der Gruft gehoben und zur Verehrung aus
gestellt werden. Aber, wie die Legende berichtet, war keine mensch
liche Gewalt im Stande, den Deckel von Stephan's Sarg zu heben. End
lich verkündigte die fromme Einsiedlerin Charitas: bis Salomon nicht
in Freiheit gesetzt wird, werde der Deckel nicht nachgeben. Und
siehe da, Salomon erhielt die Freiheit, und der Sarg wurde mit der
größten Leichtigkeit geöffnet.2 Wahrscheinlich ließ sich Ladislaus
durch die hohe Geistlichkeit erbitten, daß er dem unglücklichen Nach
kommen Stephan's an dem großen Nationalfest theilzunehmen ge
stattete, und ihm am Sarge des großen Ahnen die Hand der Ver
söhnung
Nochreichte.
ein zweites Wunder trug sich bei der Oeffnung des Sarges

zu. Vergebens suchte man den Fingerring, mit dem Stephan beigesetzt
worden sein sollte; man fand nur die voneinander abgelösten Glieder.
Aber einige Zeit darauf brachte der Abt des Klosters Berekesz in der
biharer Gespanschaft, Mercurius, der die Nacht vor der Oeffnung des
Sarges Wache gehalten hatte, dem König eine unverweste Hand mit
einem kostbaren Ringe und gab vor, daß ihm dieselbe von einem Engel
als die Hand Stephan's überreicht worden sei; zugleich flehte er um
Gottes willen, diesen Schatz seinem Kloster nicht zu entziehen. Der
König bewilligte diese Bitte, die Hand ward daselbst in der Kirche zur
öffentlichen Verehrung ausgestellt, und die Abtei hinfort Szent-jobb, oder
Szent-jobb-kez (heilige rechte Hand) genannt.3 Zur Zeit der Refor
mation kam die Hand in die Kirche der Dominicaner zu Ragusa; von
dorther erhielt sie die Königin Maria Theresia 1771 und ließ sie unter
vielen Feierlichkeiten in die Schloßkirche zu Ofen bringen , wo sie auch
jetzt
burg,von
Seit
damit
den
Salomon's
sie
Gläubigen
jedesAbsetzung
günstige
als heilige
Ereigniß
lebte
Reliquie
seine
wahrnehme,
Gemahlin
verehrt wird.
Judith
durch welches
in Regens-
sie "

ihm von den deutschen Fürsten Hülfe wider Ladislaus verschaffen


könnte. Im Jahre 1084 reiste er zu ihr, um zu erfahren, was sie fur ihn
und für sich selbst gethan, und welche Aussichten für die Zukunft ihm durch
sie eröffnetausführlich,
Anschlag worden wären
aber ; als
aberverunglückter
ihr Herz warNachahmer
von ihm abgewandt
des Livius und
hat

er bei Erzählung der ihm nicht gleichzeitigen Begebenheiten den Glauben


verwirkt.
1 Hartvicus, Vita S. Steph., c. 22. Vita S. Gerardi, c." 22, bei Endlicher.

Hansizius Germ, sacra, I, 275. Das Jahr des Conciliums und des Beschlus
ses kritisch ausgemittelt von Katona, Hist. Reg., II, 430 fg. — 2 Hartvicus,
a. a. O. — 3 Hartvicus, a. a. 0. Katona, Hist. Reg., II,' 443—468. Pray,
Dissert. de S. Stephano, S. 13 fg. Derselbe, Dissert. de dextra S.
Stephani.
Feder. I. 13
178 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

hatte für sein Unglück nur Verachtung. 1 In der Wuth der Verzweiflung
beschloß er, den König so lange zu verfolgen, bis es ihm gelänge, ent
weder ihn zu besiegen oder im Kampfe mit ihm, eines Königs würdig,
den Heldentod
Durch beschwerliche
zu sterben. Umwege kam er in die Moldau zu den

Kumanen, deren Khan Kutesk durch einige glückliche Feldzüge wider


die Bulgaren und Griechen mit beträchtlichen Schätzen sich auch den
Ruf der Tapferkeit erfochten hatte. Salomon verlangte seinen Beistand,
wofür er versprach , des Barbaren Tochter zu ehelichen und Sieben
bürgen ihm abzutreten. Durch diese Verheißungen geblendet, folgte
1086 ihm
Schonderhatten
Kumane
sie die
mit nördliche
den Waffenfähigen
Gegend desseines
Landes
Volks
bis gegen
nach Munkäcs
Ungarn.

ausgeplündert und verheert , als sich ihnen Ladislaus mit seiner Heeres
1087 macht
der Petschenegen
An
beidem
Ungvär
UferKhan,
entgegenstellte
des Pruth
verband
entwarf
sich
und er
mit
siemit
ihnen,
ausKutesk
dem
undLande
neue
im Frühjahr
Pläne.
schlug.2
Tzelgu,
gingen

sie mit 80000 Mann Kumanen, Walachen und Petschenegen über die
Donau, um die Bulgarei und die angrenzenden Gegenden des byzan
tinischen Reichs zu verheeren. Bis Skotinos und Chariopolis wurde
das Land verwüstet und ausgeraubt. Bei Kule trafen sie das Heer der
Griechen, dessen Befehlshaber Nikolaus Maurokatakalus das Treffen
mit den an Zahl ihm überlegenen Barbaren vermeiden wollte; aber
die Rottenführer entschieden für die Schlacht, die auch Salomon
und seine Verbündeten wünschten. Beim ersten Angriff durchbrach
Tzelgu die Reihen der Bizanter, doch im Getümmel der Schlacht ward
er getödtet und mit seinem Fall sank auch der Muth seiner Scharen.
Der erneuerte Angriff der Griechen zwang sie zu weichen ; als sie die
Flucht ergreifen wollten, wurden sie eingeschlossen, und nun kämpften
sie mit den erbitterten Siegern nur um den Tod, ihn der Gefangenschaft
vorziehend. Wahrscheinlich fiel hier auch Salomon, denn er wurde nie
. wieder gesehen, und seine Gemahlin Sophia heirathete schon 1088 den
polnischen Herzog Wladislaus. 3 Nach der märchenhaften Erzählung
anderer schlug Salomon sich mit wenigen durch und kam glücklich über
die Donau.4 Die mannichfaltigen Wendungen seines Schicksals, als
dreimal gekrönter, jetzt von aller Welt verlassener, ohne Reich, ohne
Land, ohne Macht umherirrender König, betrachtend, ward er, erst
36 Jahre alt, seines mühseligen Lebens überdrüßig; vor dem Eingang
in einen dichten Wald hieß er sein Gefolge halten und ihn erwarten,
bis er, der sichersten Wege kundig, wiederkehren würde. Allein er
verschwand in dem Gehölze und kam nie wieder.6 Fromme Ungarn,
die den Sünder nicht gern verloren gaben, wollten ihn nach einiger
Zeit im Pilgerkleide zu Stuhlweißenburg gesehen haben, und die
frommen Bürger von Pola, in deren Nähe er seine Tage als Einsiedler
in strenger
1 Berthold.
Buße
CQnstant.
beschlossen
ad ann.haben
1084 sollte,
bei Urstis.
wallfahrteten
I. — 2 Muglen,
noch Kap.
bis zur
45.

Thuröczy, II, 56. — 3 Annalist» Saxo.ad ann. 1087 bei Pertz. — * Anna
Comnena bei Stritter, Tom. III, Pars II, S. 852 fg. Das Jahr nach Katona,
Hist. Reg., II, 499. — 5 Thuröczy, II, 56. Berthold. Constant. ad ann. 1087.
Ladislaus der Heilige. Aeußere Begebenheiten. 179

neuen Ordnung der Dinge in Europa zu seinem vermeintlichen Grabe


und verehrten
Wetteifernd
ihn suchten
als Heiligen.
noch1 vor kurzem bald der Kaiser, bald der

Papst die Unabhängigkeit Ungarns zu vernichten; jetzt standen beide


als unversöhnliche Feinde einander gegenüber. Gregor sprach den
Bann über Heinrich IV. aus, 1076, und auf sein Anstiften wurde zuerst
Kudolfvon Reinfelden, Herzog von Schwaben, und nachdem dieser in der
Schlacht bei Wolfsheim fiel, 1078, Hermann, Graf von Luxemburg, zum
Gegenkönig gewählt. Der Kaiser hingegen setzte Gregor ab und ließ
Wilibert Erzbischof von Ravenna Clemens III. als Gegenpapst auf
stellen. Der Streit ging schnell in blutigen Krieg über. Gregor, in
der Engelsburg von Heinrich belagert, wurde zwar durch seinen Lehns
mann Robert Guiscard, den normannischen Herzog von Calabrien,
befreit und nach Salerno geführt, starb aber dort bald, 1085. Seine
Partei
Victor wählte
III. annahm.
Desiderius
ZweiAbtKaiser
von Cassino
und zwei
zumPäpste
Papst,standen
der denalso
Namen
ein .

ander gegenüber. Auf dem Reichstag zu Speier 1087 sollte der Streit
beigelegt werden. Auch Ladislaus schickte Gesandte dahin. Er, der
Salomon, den Schwager Heinrich's, vom Throne verdrängt hatte, gehörte
nothwendig zu dessen Gegnern, und als eifriger Christ mußte ihm alles
daran liegen, die anstößige Spaltung der Kirche aufzuheben und Hein
rich zur Anerkennung Victor's zu zwingen. Er bot also zu diesem
Zweck 20000 Krieger an, doch wurde das Anerbieten von den Reichs
ständen abgelehnt.2 Außerdem berichtet Thuröczy3, daß ihm Her-
mann's Partei nach dessen Tode 1088 zum Nachfolger erkoren, er aber
ihren Antrag nicht angenommen habe. Die deutschen Chronisten
wissen von der letztern Nachricht nichts, die schon an siclx höchst un
wahrscheinlich
Der westliche
ist. Theil des Landes zwischen der Drave und Save, das

heutige ungarische Kroatien, vormals Pannonia Savia, schon unter Ärpäd


erobert, gehörte in der Folge bald zu Ungarn, bald zu dem Kroatien
südlich der Save, das selbst zwischen Unabhängigkeit und griechischer
und venetianischer Oberhoheit schwankte. Das erstere Gebiet wurde
unter Andreas wieder genommen, aber von Bela, als er dem Kroaten
fürsten Zwonimir seine Tochter Helena vermählte, dieser als Mitgift
verliehen.4 Hierdurch und durch die Verwandtschaft mit den un
garischen Königen mächtiger geworden, nahm Zwonimir 1076 mit Be
willigung Papst Gregor's VII. den Königstitel an6, und regierte ruhig
bis zu seinem Tode 1089. Sein einziger Sohn Radowan war schon
früher gestorben. Nun stritten um den herrenlosen Thron mehrere,
unter denen ein Stephan, von dem noch Urkunden vorhanden sind,
der mächtigste war ; das Land ward ein Schauplatz arger Verwirrung
und blutiger
1 Katona,Fehden.
Hist. Reg.,
Die II,
Witwe
505 Helene
fg. Pray,
beriefDissertat.
endlich im
de Verein
SS. Salo-
mit

mone Rege et Emerico (Presburg 1774), 4. — 2 Berthold. Constant. ad


ann. 1087. — 3 Thuröczy, II, 59. — 4 Johannes de Guercse bei Kerchelich,
102, 1. — 5 Derselbe, a. a. O.
18*
180 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

einigen Großen des Landes ihren Bruder Ladislaus, daß er komme und
1091 Ruhe und Frieden herstelle. Ohne Widerstand führte dieser 1091 die
ungarische Schar über die Drave und das kalniker Gebirge, schlug
darauf die Widerspenstigen in mehrern Treffen, eroberte ihre Burgen
und unterwarf seiner Herrschaft das ganze Kroatien bis auf die Meeres
küste Dalmatien, die theils unter venetianischer, theils unter griechischer
Hoheit blieb. Das Land erhielt die ungarische Verfassung; die
Zschupanate wurden aufgehoben und die Eintheilung in Gespanschaften
eingeführt. Um das hier noch schwache Christen thum zu kräftigen,
gründete Ladislaus das Bisthum zu Agram und setzte den Böhmen Duh
zum' Bischof. Die Verwaltung des Landes aber übertrug er seinem
Neffen
DerÄlmos.
Einfall
1 der vereinigten Kumanen und Petschenegen nach

Siebenbürgen nöthigte Ladislaus, wieder zum Schwert zu greifen. Am


Temesstrom erreichte er die Barbaren, welche unter Kopulch's An
führung bereits Siebenbürgen und die angrenzenden Gespanschaften bis
an das linke Theißufer mit Feuer und Schwert verwüstet hatten. Ihre
ganze Macht stand dort vereinigt, mit ungeheuerer Beute an Menschen
und Vieh zum Rückzuge bereit, an Zahl und an Kriegsvorrath den Un
garn überlegen. Da fand es Ladislaus nicht rathsam, die angeordnete
Zufuhr der Lebensmittel für die Seinigen abzuwarten , und diese des Fein
des Stärke erst lange erwägen und berechnen zu lassen. „Wir müssen
schlagen", sprach er, „der Sieg ist unser. Ihr wisset, mein Wort ist
wahr; wer auf den Herrn vertrauet, folge mir!" Hiermit ergriff er die
rothe Fahne und drang in die Kumanenhaufen ein, bevor sie noch
zum Treffen sich ordnen konnten. Auf so raschen kühnen Angriff
waren sie nicht gefaßt. Der größte Theil wurde gefangen. Die
übrigen mit Kopulch starben unter dem Schwerte der Ungarn; nur ein
Einziger, heißt es, entkam, der seinem Volke die Botschalt des Ver
derbens
Denüberbrachte.
Gefangenen ließ der König die Wahl zwischen der Knechtschaft

oder Annahme des Christenthums und Freiheit. Die meisten wählten


die letztere und wurden unter mancherlei Begünstigungen in die Gegend
s erpflanzt, welche, von den heveser, szolnoker und pesther Gespan
schaften umgeben, reich ist an fruchtbaren Feldern und vortrefflichen
Weiden. Da sie Bogenschützen waren und als-solche später auch im
königlichen Heere dienten, erhielten sie den Namen Jäsz, und das
Land Jäszsag, Jazygien.2 Von diesem Feldzug erzählt die Legende
viele Wunder, die Ladislaus bewirkt haben soll, die wir aber nach
zuerzählen für überflüssig halten. ?
Ehe noch Ladislaus die Gegend verließ, kamen von dem Oberr

1 Thuroczy, II, 56. Lujus, bei Schwandtner, III. Felicianus, Erz


bischof von Gran, in Kerchelich, Hist. Episcop. Zagrab., I, 18. Thomas, Ar-
chidiac. von Spalato, bei Schwandtner , III. Eejer, Cod. dipl., I, 210. —
2 Thuroczy, II, 57. Thomas, Archidiac. Spalatensis, 17. Petri Horvath , Com-
mentatio de initiis ac Majoribus Jazygum et Kumanorum (Pesth 1801), S. 54,
87 fg. — 3 Legenda S. Ladislai Regis bei Endlicher, Kap. 6.
Ladislaus der Heilige. Aeußere Begebenheiten. 181

Khan der Kumanen, Akos, Abgeordnete , welche die Auslieferung der


Gefangenen unter verwegenen Drohungen forderten. Als ,sie ab
gewiesen wurden, bestimmten sie den Tag, an welchem ihre Volks
macht zur Rache ihrer letzten Niederlage Ungarn zum zweiten mal ver
heeren würde. Ladislaus kam ihnen zuvor; in Eilmärschen folgte er
den Gesandten bis an die Donau, wo Akos zahlreiche Rotten Kumanen
versammelt hatte. Dort schlug er das Volk gänzlich, erlegte den
Heerführer und sicherte das Reich auf lange Zeit vor kumamschen
Einfällen. J
Die Angelegenheiten Kaiser Heinrich's IV. nahmen für diesen wieder
eine schlimme Wendung; Papst Urban II. setzte den traurigen Kampf
gegen ihn fort; der junge Welf hatte sich mit Mathildis, der mächtigen
Gräfin von Tuscien, vermählt, sein eigener ältester Sohn Konrad,
schon gekrönter deutscher König, vom Papst und den Welfen aufgehetzt,
sich gegen ihn empört. In dieser Bedrängniß gedachte Heinrich des
rechtschaffenen Königs der Ungarn, dessen mächtige Vermittelung ihm
in Deutschland und Italien von dem größten Nutzen sein konnte.
Durch Gesandte wurde verabredet, daß sich die beiden Fürsten um
Weihnachten 1092 treffen sollten, und wahrscheinlich als Ort der Zu
sammenkunft der Martinsberg erwählt, denn da hielt sich Ladislaus
einen Theil des Jahres auf. Daß dieser jetzt geneigt war, in ein Freund-
schaftsbündniß mit Heinrich zu treten, dessen erklärter Gegner er früher
gewesen, darf nicht befremden. Die Drangsale des unglücklichen
Fürsten konnten sein Herz rühren, und sein biederer frommer Sinn
mußte einen Papst verabscheuen, der fähig war, die heiligsten Bande
der Natur zu zerreißen und den Sohn zur Empörung wider den Vater zu
treiben. Aber die Zusammenkunft wurde durch deu alten Welf von .
Baiern vereitelt, der die Wege besetzte und Heinrich zur Rückkehr
nöthigte.
Um2 diese Zeit ergriff ein mächtiger Sturm der Begeisterung die

Völker Europas; sie erhoben sich in Massen, um sich auf Vorder


asien zu stürzen und das heilige Land, wo der ,Erlöser wandelte und
starb, den Ungläubigen zu entreißen.. Solange die gebildeten Araber
dort herrschten, hatten sowol die einheimischen Christen als auch die
Pilger wenig Ursache über Bedrückung zu klagen; als aber die seld-
schukischen Türken^ Herren dieser Länder wurden, waren Ein
wohner und Wallfahrer den größten Mishandlungen ausgesetzt Da
faßte schon Gregor VII. den Plan, die Rückeroberung dieser Länder
für die christliche Welt zu bewirken, aber die Kämpfe um Hoheit und
Macht, in die er fortwährend verwickelt war, machten die Ausführung
unmöglich. Auch das schwer bedrohte byzantische Reich, das schon
einen so großen Theil seiner schönsten asiatischen Länder verloren
hatte, bot die christlichen Fürsten zur Hülfe auf. Und überall hatte die
Gemüther
1 Thuroczy,
tiefe Scham,
II, 57. —
die 2heiligen
Berthold.Stätten
Constant.
im Besitz
bei Urstia,
der I,
Mohammedaner
366: „Welpho,

Dux Bojariae, eundem Henricum ante proximam nativitatem Domini mirabi-


liter confudit, quem ad colloquium pervenire prohibuit, quod idem Henrieus
et rex Ungarorum condixerant, ad quod etiam paene jam convenerant."
182 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

zu sehen, schmerzliches Bedauern der dortigen Christen und Pilger,


Zorn gegen die Türken und das Verlangen, sie von dort zu vertreiben,
ergriffen. Jetzt kehrte der Einsiedler Peter von Amiens von seiner
Wallfahrt aus Palästina zurück. Er hatte da die Drangsale der
Christen selbst erfahren und in der Aufregung seines Gemüths erkannt,
daß er vom Himmel berufen sei, den heiligen Krieg zu verkündigen.
Er zog also von Land zu Land, schilderte mit glühenden Farben die
Entweihung der heiligen Orte, die Leiden der Christen, das Verdienst
und den Lohn des heiligen Kampfes und erfüllte überall Tausende mit
dem Feuer, das in seiner Brust flammte. Hierauf hielt Urban II. ein
Concilium zu Pisa im März 1095, um die große Angelegenheit zu be-
rathen, dem auch die Gesandten des griechischen Kaisers Alexius
Comnenus beiwohnten. Die Sache wurde mit Begeisterung ergriffen,
Frankreich, England, ein großer Theil Italiens erklärten sich sogleich
bereit, den Kriegszug zu unternehmen. 1 Die Fürsten und Herren, die
" sich zu diesem Zug anschickten , gedachten des frommen und helden-
müthigen Ladislaus, durch dessen Reich sie ihr Weg führte und dessen
Weisheit, Tapferkeit und Macht einen glücklichen Erfolg sichern konnte;
ihn ersuchten sie also, die Anführung zu übernehmen. Ihre Gesandt
schaft traf ihn auf dem Schloß Bodrog am linken Donauufer, wo er
Ostern feierte, und der für alles Große sich so leicht begeisternde König
nahm das Anerbieten freudig an und erklärte sich bereit , an die Spitze
des Heeres
Aber anders
zu treten,
warsobald
es im dieses
Rath des
durch
Schicksals
sein Reich
beschlossen,
ziehen würde.2
der Tod

raffte ihn dahin, noch ehe der Kreuzzug begann. Zwischen dem pol
nischen König Wladislaw und dem Herzog von Böhmen Bretislaw II.
bestand seit längerer Zeit heftiger Streit, der mehr als einmal in offenen
Krieg überging. In diesen wurde ein mährischer Herzog, wahr
scheinlich Swatoplukvon Olmütz, verwickelt und rief Ladislaus, seinen
1095 mütterlichen Oheim, zu Hülfe.3 Im Sommer 1095 führte Ladislaus
auch wirklich ein Heer gegen Bretislaw, aber unterwegs ereilte ihm am
29. Juli der Tod. 4 Sein Leichnam wurde zu Großwardein in der von
ihm erbauten Marienkirche beigesetzt.6 Dahin wallfahrteten jahr
hundertelang die Frommen, und die Legende berichtet von großen
Wundern die hier geschahen. 6 Ihm wiederfuhr die Ehre, 1192 unter
dem Papst
Ladislaus
Cölestinus
war einIII.
weiser,
heiligkraftvoller
gesprochenRegent,
zu werden.
der Wiederhersteller

des durch Bürgerkriege zerrütteten Reichs, der Ordnung, Ruhe und


Wohlfahrt zurückführte, die Grenzen beträchtlich erweiterte, fremden
Einfluß, von welcher Seite dieser auch kommen mochte, mit Ent
schiedenheit
1 Wilken, abwehrte.
Geschichte der
Dabei
Kreuzzüge,
war nach
seine morgenländischen
Persönlichkeit und
undabend
sein

ländischen .Berichten (Leipzig 1807). — 2 Thuroczy, II, 59. Legenda S. La-


dislai bei Endlicher, Kap. 7, S. 240. Colet, Collect, conciliorum XII, 826.
— 3 Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 340 — 342. Sigebertus Gemblacen-
sis und Annales Hildesheimenses ad ann. 1095. — 4 Thuroczy, II, 59. Chron.
Posoniense setzt seinen Tod ins Jahr 1097, aber irrig. — 5 Legenda S. La-
dislai bei Endlicher. — 6 Ebend.
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u. s. w. 183

Charakter ganz volksthümlich , er war ein magyarischer Fürst und


Held, darum blieb sein Andenken unvergeßlich , und noch jetzt redet
der ungarische Landmann mit Bewunderung von dem gewaltigen König,»
der alle seine Krieger um einen Kopf überragte und dessen Streitroß,
wenn er über Berg und Thal dem Feinde nachsetzte, tiefe Spuren in den
Felsen
Ergrub.
hinterließ keinen Sohn, und sichere Nachrichten haben wir auch

nur von einer Tochter, Piroska ist ihr ungarischer, Irene ihr grie
chischer Name. Sie war vermählt an den besten der Comnenen, an
den byzantischen Kaiser Kalojohannes. Ihre Bescheidenheit, Wohl-
thätigkeit und Tugend wird gepriesen x, aber ihr Sohn Manuel brachte
viel Unheil
2. Innere
über Ungarn,
Zustände,
wie Gesetze,
wir sehen werden.
Kirche und Volksleben

von 1038 — 1095.

Seit dem Tode Stephan's, durch beinahe vierzig Jahre, erschüt


terten Zwietracht, innere Unruhen und Bürgerkriege das Land. Es
war dies die Zeit des Uebergangs vom Alten zum Neuen, die fast noth-
wendig solche Erscheinungen hervorbringt, in dem Leben der meisten
Völker durch noch 'weit furchtbarere Auftritte bezeichnet ist und oft noch
viel länger dauert. Das Alte war noch nicht gänzlich unterlegen, das
Neue hatte noch nicht vollständig gesiegt, beide rangen noch in hef
tigem Kampfe um die Herrschaft. Denn wol hatte Stephan wunderbar
schnell und glücklich alle Zustände umgestaltet und gleichsam ein an
deres Volk und Reich geschaffen ; aber ein großer Theil dieses Volks,
das so gelehrig und bildsam die schönen und edeln Formen christlicher
Civilisation annahm, hatte sich dennoch nur widerstrebend und ge
zwungen in die neue Ordnung der Dinge gefügt, und hielt im Herzen
noch fest am Glauben und an der Sitte der Väter. Das alte, darin auf
gewachsene Geschlecht war noch nicht ausgestorben, ein neues, unter
rein christlichen Einflüssen gebildetes noch nicht gekommen. Nur ein
an Geist und Gemüth gleich reich begabter König hätte das glücklich
begonnene und weit gediehene Werk ohne bedeutende Kämpfe fort
führen und friedlich und ruhig vollenden können. Aber ein solcher
König war den Ungarn gerade in dieser so gefährlichen und wichtigen
Zeit von der Vorsehung nicht beschieden. Rasch folgte ein Herrscher
auf den andern ; keiner hatte Zeit und Macht genug, Bleibendes zu wir
ken; den meisten fehlte es hierzu auch an Kraft und gutem Willen;
einige waren sogar Verräther, die des Reichs Freiheit und Unabhän
gigkeit hinopfern wollten, um dasselbe unterdrücken zu können. Das
königliche Ansehen sank, die Bande der Ordnung lösten sich auf, das
Christenthum gerieth in Verfall, die Sitten verschlimmerten sich, zu den
alten Fehlern kamen neue Laster. Das große Werk der religiösen,
bürgerlichen und sittlichen Gestaltung wurde nicht nur aufgehalten in
seiner Entwiekelung, sondern die Verwilderung nahm zu, und der Staat

* Cinnamus, I, 4.
184 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

stand am Rande des Untergangs. Doch die sittliche Kraft des Volks
und seine Vaterlandsliebe waren nicht erloschen unter diesen Stürmen,
•sie lebten fort und harrten nur der Anregung, um mächtig zu wirken.
Es duldete keinen Despoten, der ihm mit Hohn begegnete und die Ge
setze des Rechts mit Füßen trat; es stürzte jeden bald vom Throne, der
sich denselben anmaßte und ihn befleckte. Schon glaubte der gewal
tige Heinrich III. auch Ungarn seinem Scepter unterworfen zu haben,
weil treulose Herrscher mit ihren verächtlichen Knechten und elende
Verräther ohne Ehrgefühl huldigend zu seinen Füßen sanken. Aber
sobald die Ehre, die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes be
droht war, sobald es galt, den angestammten, selbsterkorenen König
zu vertheidigen , da erhob sich die ganze Nation mit unbezwinglicher
Kraft zum Kampf. ' Vergebens schreckte der Kaiser durch seine Ho
heit, vergebens rief er das Ansehn des Papstes und der Kirche zu Hülfe,
vergebens bot er die Macht seiner weiten Reiche auf — das für sein gutes
Recht kämpfende Ungarn war stärker, er mußte sich mit einigen Ab
tretungen an Land begnügen und dessen Freiheit anerkennen. Aus dem
innern Verfall erhob sich endlich dieses Volk mit wunderbarer Schnellig
keit, sobald ein König den Thron bestieg , der von der Natur die echte
Weihe des Herrschers empfangen hatte. Eintracht und Friede kehren
wieder, Gesetz und Religion üben neuerdings ihre wohlthätige Macht,
Sittlichkeit und Bildung schreiten fort, Ordnung und Thätigkeit heilen
die Wunden, welche Tyrannei und Zwietracht geschlagen hatten ; ja, blü
hender und stärker wird das Reich, als es vordem gewesen war, unter
der Regierung des edeln Ladislaus. Wie gewaltige Stürme die Atmo
sphäre reinigen und die Fruchtbarkeit der Erde fördern, sodaß die Natur,
durch sie geweckt, gleichsam mit doppelter Kraft wirkt, so wird in dem
Zustande der Völker durch heftige innere Erschütterungen krankhafter
Stoff Seit
entfernt
dem und
Sturze
dasPeter's
Leben hört
zu erhöhter
die Feindseligkeit
Thätigkeit und
angeregt.
der Kampf auf

zwischen den ausländischen Günstlingen und den einheimischen Vor


nehmen, der eine Quelle vielfacher Uebel war. Die nichtswürdigen
ränkevollen Höflinge, die blos in der Absicht, zu rauben und zu schwel
gen, in das Land gedrungen waren, mochten in den bürgerlichen
Unruhen umgekommen oder geflohen sein, und andere fühlten keine
Lust oder strebten vergeblich, ihr Glück zu machen an dem Hof von
Königen, die von nationaler Gesinnung erfüllt waren. Die Nachkommen
der früher eingewanderten Herren aber hatten aufgehört, Ausländer zu
sein, sie waren bereits Magyaren geworden und liebten ihr Volk und
Vaterland. Auch die Mitglieder der hohen und niedern Geistlichkeit'
waren nicht mehr lauter Fremde , sondern größtentheils Eingeboreue,
die ebendarum auch dem Volk näher standen, fähiger waren, das
Christenthum in die Herzen zu pflanzen, und an dem Wohl und Weh
des Landes
Auf der
aufrichtigen
andern Seite
Antheil
brach
nahmen.
während dieser Bürgerkriege , die

Macht der Geschlechts- und Stammeshäupter noch, mehr zusammen; sie


verschwinden als solche gänzlich aus der Geschichte. Manche mordete
die Tyrannei, die immer die Höchsten zuerst trifft, andere fielen in den
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u.s.w. 185

Schlachten, viele büßten beim fortwährenden Wechsel der Herrscher


ihre Stellung und ihre Güter ein. Also verlor der Stammadel immer
mehr an Zahl, Reichthum und Macht, und an seiner Stelle erhob
sich ein Adel, der durch königliche Gunst Aemter, Vorrechte und
Besitzthümer erhielt und mit dem sich die Sprößlinge des erstem
vermischten
Aber in Zeiten, wo der Besitz des Throns unsicher ist und

Prätendenten um denselben kämpfen, sind diese genöthigt, durch Frei


gebigkeit sich Freunde zu erkaufen, und wissen eigennützige Partei
gänger aus ihrer Bedräugniß ungemessene Vortheile zu ziehen. Ver
gebens hatte das Gesetz Stephan's die königlichen und Staatsdomänen
und Einkünfte auf immer für unveräußerlich erklärt und verboten, sie
zu verschenken 1 , in dem vierzigjährigen Zeitraum fortwährender
Thronstreitigkeiten und Bürgerkriege mußte eine weitgehende Ver
schleuderung derselben stattgefunden haben, da schon unter Koloman,
dem auf Ladislaus folgenden König, an Reichstagen von einer gewissen
Armuth des königlichen Hofs und von der Zurücknahme des verschenk
ten Guts die Rede ist. Und so erhielt die königliche Gewalt dadurch,
daß die einst drohende Macht der Stammhäupter immer mehr schwand,
beiweitem nicht den Zuwachs, den man vermuthen sollte. Denn schon
hatte die freiwillige oder erzwungene Freigebigkeit der Könige an
gefangen, nicht minder mächtige und gefährliche Dynasten zu schaffen,
die bald
Auchihrirren
stolzes
wirHaupt
gewißerheben
nicht, werden.
wenn wir annehmen, daß in diesen

gesetzlosen Zeiten nicht nur die Zahl der größem Allodialbesitzungen


.sich vermindert hat, indem sie durch den Untergang und den Wechsel
ihrer Herren diese Beschaffenheit verloren und sich in Lehen ver
wandelten, sondern daß auch jene Gattung des Besitzthums überhaupt
und mit ihr die Freiheit und Selbständigkeit der Geringern immer mehr
verschwand. Denn der Schwache, den in der allgemeinen Verwirrung
kein Gesetz und keine Obrigkeit schützte, war genöthigt bei dem Starken
Schutz zu suchen, indem er sich an ihn anschloß, und wurde gewiß in
vielen Fällen, wenn er es nicht freiwillig that, gezwungen, sich zu unter
werfen und in eine damals vielleicht noch wenig drückende Hörigkeit
zu treten.
Von 2 den Gesetzen, die unter Ladislaus gegeben wurden, besitzen

wir drei Bücher, die zwar nur aus dem 15. Jahrhundert stammenden
Abschriften entnommen sind, aber den Stempel der Zeit so unverkennbar
tragen, daß man an ihrer Echtheit gar nicht zweifeln kann. Das erste
Buch enthält Beschlüsse eines am 21. Mai 1092 zu Szabolcs abgehaltenen
Reichstages3;
1 S. Steph. diese
Decret.,betreffen
I, 7. — lauter
2 S. Ladislai
kirchliche
Decret.,
Angelegenheiten
I, 31, erwähnt und
be-

neits Freie, die sich einem Bischof oder Grafen zu gewisser Hörigkeit
übergeben und vertragsmäßig behandelt werden sollen, unbeschadet ihrer
Freiheit. — 3 Corpus Juris Hungarici und bei Endlicher. Ladislai regis
Decretum I. Begname creatore et salvatore nostro D. Jesu Christo anno in-
carnationis ejus MXCII, XII. kalend. junii in civitate Zabolcz sancta syno-
dus habita est praesidente christianissimo Ungarorum rege Ladislao cum uni
186 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

solche Dinge , die nach damaligen Begriffen vor das kirchliche Forum
gehörten. Daß sich ein Reichstag hiermit beschäftigt, darf uns nicht
Wunder nehmen; denn noch waren Staat und Kirche nicht voneinander-
geschieden; der Kampf, der ihre Trennung herbeiführte, hatte erst
begonnen; und besonders in neubekehrten Ländern durchdrangen sie
einander so sehr, daß sie sich gegenseitig ergänzten und beider Angelegen
heitenGleich
gemeinschaftliche
die ersten Gesetze
waren. dieses Reichstags zeugen davon, wie

sehr sich auch Ungarn gegen den Cölibat der Priester sträubte. Wie-
wol schon Gregor VII. auf einer 1074 gehaltenen Synode befahl, 'daß
kein Priester heirathen dürfe, daß jeder Verheirathete sich von seiner
Gattin trennen oder dem Priesterthum entsagen müsse, und daß der
Laie, der von einem verheiratheten Priester das Abendmahl nimmt, in
den Bann verfalle, wurde dennoch verordnet: 1) Priester, die nach dem
Tode ihrer Gattin eine zweite Ehe eingehen (bigami), und die eine Witwe
oder Geschiedene heirathen, sollen von diesen getrennt und nach über-
standener Buße wieder in ihr Amt eingesetzt werden; die Frau aber,
da ihre Ehe ungültig war, darf sich wieder vermählen. 2) Der Priester,
der sich seine Magd als Gattin zugesellt, soll diese verkaufen , und will
er es nicht, so werde sie verkauft und der Erlös dem Bischof übergeben.
3) Den Priestern aber, die in erster und gesetzmäßiger Ehe leben, wird,
um das Band des Friedens und die Einheit im heiligen Geiste zu er
halten, zeitweilig dieErlaubniß gegeben (ihre Gattinnen zu behalten), bis
uns der Papst mit väterlichem Sinn eines andern belehret. 4) Der
Bischof oder Erzbischof, der die 1) und 2) erwähnten Ehen der Priester
gestattet, werde von dem König und den Bischöfen , wie ihnen recht
scheint, abgeurtheilt. Der Reichstag verwirft also hiemit die Ent
scheidung des Papstes und des Conciliums in der That, kleidet aber die
Verwerfung mit diplomatischer Feinheit in artige Worte. Wie in manch
andern Dingen , folgte die ungarische Nationalkirche auch hinsichtlich
der Priesterehe nicht den Satzungen der römischen, sondern denen der
griechischen Kirche. Endlich richtet der König über die .Bischöfe auch
in Dingen,
Fernerdiewird
ihr Amt
verordnet,
betreffen.
die Aebte sollen den Bischöfen, zu deren

Sprengel sie gehören, ehrerbietig gehorchen, und die Bischöfe die Klöster
mehreremal des Jahrs visitiren. Der Bischof oder Abt darf Mönche
oder Nonnen nur für ein bestimmtes Kloster weihen (21). Der Kleriker,
der sich in die Dienste eines Bischofs oder Grafen begeben hat, darf
diesen nur verlassen, nachdem er vor dem König nachgewiesen, daß er
vertragswidrig und ungerecht behandelt worden ist (18). Der Priester,
der sich eine der Kirche gehörende Sache aneignet, hat das Dreifache
zu ersetzen (6). Im Aufruhr zerstörte Kirchen bauen auf Befehl des
versis
Königsregni
die Parochianen,
sni pontlficibus durch
et abbatibus,
Alter verfallene
nee non cum
diecunctis
Bischöfe
optimatibus,
(7—8).

cum testimonio totius cleri et populi, in qua sancta synodo canonice et lauda-
biliter decreta haec inventa sunt. Die Ausdrücke „sancta synodus" und „cano
nice" dürfen uns nicht verleiten, hier eine Kirehensynode zu erblicken, da
alle Bestandtheile eines Reichstags aufgezählt werden.
Ladislaus der H«ilige. Innere Zustände u.s.w. 187

Die an Sonn- und Festtagen den Gottesdienst versäumen, unterliegen


körperlicher Strafe. Wenn indessen Ortschaften sehr weit von der
Kirche entfernt sind," oder die Ortsbewohner zur Barche nicht kommen
können, soll wenigstens einer hingehen und drei Brote nebst einer Kerze
als Altaropfer überbringen (11). Wer den Sonntag nicht feiert, die
Quatemberfasten nicht hält, seine Todten ohne kirchliche Ceremonien
begräbt, muß zehn Tage bei Wasser und Brot an den Pfahl gebunden
büßen (25 — 26). Weltliche, die an Sonn- und Feiertagen jagen, ver
lieren die Hunde und das Pferd, Geistliche bleiben so lange ihres Amts
enthoben, bis sie Genugthuung geleistet (12).
Es war gebräuchlich, daß der König und die Bischöfe, wenn sie in
ein Kloster kamen, den Abt und die Mönche mit einem Kuß beehrten.1
Hochmuth mochte sie treiben, diese Auszeichnung vor den Augen des
Volks zu empfangen, tlaher wird ihnen eingeschärft, sich nicht in der
Kirche zum Kuß zu drängen, sondern denselben im Kloster in der Reihe
stehend abzuwarten (36).' Auch dürfen sie, wenn sie an den königlichen
Hof kommen, den König nicht in der Kirche, sondern sollen ihn in
seinerFür
Wohnung
Zucht und
oder
Sittlichkeit
im Zelt begrüßen
wollten folgende
(37). Gesetze sorgen: Tödtet

der Mann seine im Ehebruch ergriffene Gattin, so möge er Gott davon


Rechenschaft geben und darf eine andere heirathen. Doch steht es den
Verwandten der Gemordeten frei, deren Unschuld zu beweisen und den
Mörder vor Gericht zu fordern (13). Stellt der Gatte die auf der That
ergriffene treulose Gattin vor Gericht, soll diese nach dem kanonischen
Recht büßen; nach überstandener Buße darf sie der Mann zurücknehmen,
will er es aber nicht thun, so dürfen sie, solange beide leben, keine
zweite Ehe eingehen (20). t Der einer Frau oder Jungfrau Gewalt
anthut, soll dafür die Strafe des Todtschlags erleiden (33). Unzüchtige
und Hexen
Schon mochten
verurtheile
Versuche
der Bischof,
gemachtwie
wordensein,
es ihm recht
die mohammedanischen
scheint (35).

Bulgaren zu bekehren, die noch unter den ersten Herzogen eingewandert


waren und jetzt in dreißig Ortschaften wohnten ä, ohne daß dadurch
viel ausgerichtet wurde. Denn es wird befohlen: die Ismaeliten, die,
nachdem sie die Taufe empfangen haben, zu ihrem alten Glauben zurück
kehren und dessen Ceremonien beobachten, sollen in andere Dörfer ver
setzt werden (9). Auch das Heidenthum zählte noch Anhänger. Wer
nach heidnischer Weise in Hainen und an Flüssen opfert, büße sein Ver
gehen mit einem Ochsen (22). Wenn Juden christliche Personen
heirathen oder christliche Sklaven besitzen, sollen diese ihnen genommen
werden und frei sein (10). Der Jude, der an Sonn- oder Feiertagen
arbeitet, verliert seine Werkzeuge (27). Wenn wir auf die grausamen
Verfolgungen hinblicken, welche die Juden in andern Ländern erlitten,
und wenn wir vollends an die Greuel der Inquisition denken, müssen
wir den Geist der Mäßigung und Duldung anerkennen, der in diesen
Gesetzen
1 Legenda.
weht,S.aber
Emerici
auchDucis,
um so
c. 4,mehr
bei uns
Endlicher.
wundern— über
2 Horväth,
das nach-
Ge-

hichte des ungarischen Reichs, 2. Ausg., I, 214.


188 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

stehende: Die Lateiner (Italiener, die des Handels wegen nach Ungarn
kamen), die nicht nach der gesetzmäßigen ungarischen Weise (das war
die griechische) fasten, sondern nachdem die Ungarn dem Fleische ent
sagt haben, in der zweiten und dritten Ferie (nach der römischen Ord
nung) wieder Fleisch essen, sollen, wenn sie sich weigern, unsere besser.e
Gewohnheit anzunehmen, gehen, wohin sie wollen, aber das hier erwor
bene Geld zurücklassen. Die Härte dieses Gesetzes wäre unerklärlich,
wenn wir nicht wüßten, daß sich die Menschen in Sachen der Religion
über Kleinigkeiten oft am heftigsten entzweien. Uebrigens war dieser
Unterschied im Fasten mit eine Ursache, daß sich die griechische und
römische Kirche trennten, und wurde für etwas Hochwichtiges gehalten.
Die Ungarn aber hingen an der griechischen Fastenordnung und drangen
daherHinsichtlich
darauf, daßdes
diese
bischöflichen
in ihrem Lande
Zehntens
durchgängig
wird verfügt:
beobachtet
Der Bischof
werde.

nimmt den Zehnten von allem (Gewächsen und Vieh); sein Pristalde
frage den Eigenthümer nach der Menge, glaubt er dessen eidlicher Aus
sage nicht, so werden die zehntbaren Gegenstände in seiner und des
Grafen Gegenwart gezählt, und der des Unterschleifs Schuldige gebe
neun Theile und behalte den zehnten. Weigert sich aber jemand, den
Zehnten anzugeben, so nehme der Pristalde, was ihm recht scheint.
Der Sohn, der mit dem Vater, der Knecht, der mit dem Herrn in einem
Hause wohnt, geben gemeinschaftlich den Zehnten. Die Gegenstände
des Zehntens sollen nicht vermischt, sondern besonders gezählt werden.
Wer weniger als zwanzig Hydrien erdrischt, gibt keinen Zehnten. Die
Einsammlung des Zehntens ist bis zur Weihnacht zu beendigen (41). Die
Aebte sind verpflichtet, von den freien Leuten, die auf ihren Besitzungen
wohnen, den Zehnten zu leisten (28). ,Wer darf sich Wundern, daß
diese drückende und mit so vielen Plackereien verknüpfte Abgabe den
Unwillen des Volks erregte? Und doch ist es offenbar, daß diese An
ordnungen zum Schutz der Zehntpflichtigen gegen noch schwerere und
willkürliche
Das zweite
Bedrückungen,
Buch gibt die
zwar
stattfanden,
ausdrücklich
gegeben
den heiligen
wurden.Pannonberg

als den Ort an, wo die Gesetze gegeben wurden1, enthält ab'er unver
kennbar nur Bruchstücke von Beschlüssen mehrerer Reichstage und
vielleicht auch Entscheidungen des königlichen Gerichtshofe, der jährlich
zu Stuhlweißenburg eine öffentliche und feierliche Sitzung hielt. Wir
wollen aus denselben herausheben, was uns über die damaligen Zustände
LichtWer
gebenimmer
kann.den Gesetzen nicht gehorcht, soll, wenn er ein Bischof

ist, nach dem Gutbefinden des Königs abgeurtheilt, wenn ein Graf,
seiner Würde entsetzt, wenn ein Centurio, seines Amts enthohen werden
und überdies 55 Pensen zahlen. Ein Edelfreier (miles) verfällt in die
selbe Geldbuße (III, 15). Die Bischöfe werden also dem weltlichen
Gesetze und der Gerichtsbarkeit des Königs auch hier wie I, 4* unter-

1 Temporibus piissimi regis Ladislai omnes nos regni Pannonici optima-


tes in Monte saneto fecimus conventus .... — 2 S. Ladislai Decret., I, 4.
Si quis autem episoopus aut archiepiscopus ab illicitis conjugiis separari
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u.s.w. 189 '

geordnet, und alle Würdenträger des Reichs sind absetzbare Beamte;


die Erblichkeit
Der Richterfindet
(dernirgends
Obergespan
statt. oder sein Stellvertreter) darf jeder

mann durch Zuschickung des Siegels vor sich fordern, mit Ausnahme
der Kleriker und der Grafen; denn die erstem gehörten vor das geist
liche, die letztern vor das königliche Gericht (III, 26). Aber kein
Richter ist-befugt, außerhalb seines Sprengels Recht zu sprechen (III, 16).
Wenn der Palatin seine Heimat besucht, übergebe er das Siegel des
Königs und des Hofs seinem Stellvertreter; solange er dort verweilt,
fordere er niemand, die Udvorniker ausgenommen, vor sein Gericht und
urtbeile nur über diejenigen, die freiwillig zu ihm kommen, bei Strafe
von 55 Goldgulden. Derselben Strafe unterliegen die Gerichtsgrafen
des Herzogs, wenn sie über solche Urtheil sprechen, die nicht vor ihr
Gericht gehören (III, 4). Wer vor dem königlichen Gerichtshof nicht
erscheint, oder denselben, bevor das Urtheil gefällt ist, ohne Erlaubniß
verläßt, zahlt jedesmal 5 Goldgulden; wer sich des gleichen Vergehens
vor einem anderen Gericht schuldig macht, 100 Denare, und verliert in
beiden Fällen seine Sache (I, 43). Der Richter, der die Verhandlung
30 Tage hinausschiebt, soll gestraft werden (III, 25). Wer den Richter
einer Ungerechtigkeit beschuldigt und diese nicht erweisen kann, zahlt
6 Goldgulden. Der ungerechte Richter aber soll den Schaden doppelt
ersetzen und obendrein 10 Goldgulden als Strafe erlegen (III, 26).
Von allen Geld- und Werthstrafen erhält der Richter immer einen
gewissen Antheil, was sicher eine große Versuchung zum Schuldig- ,
vor
sprechen
drei glaubwürdigen
war. Die Ordahin
Zeugen,der
und,
Feuer-
der Priester
und Wasserprobe
erhalte (für die
geschehen
Weihe 4H.

derselben) eine Pensa (1, 29). Der Angeklagte findet in den Kirchen,
am königlichen Hof und zu den Füßen des Bischofs ein Asyl, das ihn
aber, wenn er schuldig ist, vor dem Arm der Gerechtigkeit nicht
schützt, sondern nur die Begünstigung einer mildern Strafe verschafft
(11,2,4,10).
Die Gesetze gegen Diebstahl und Raub sind furchtbar streng und
grausam. Während der langwierigen Bürgerkriege, die alle Zucht
und Ordnung auflösten, mußten diese Verbrechen mächtig überhand
genommen haben. Der König und mit ihm die Besten und Edelsten
verabscheuten sie und erkannten die Nofhwendigkeit, sie auszurotten,
wußten aber hierzu, nach der überall herrschenden Ansicht der Zeit,
kein anderes Mittel als grausame Strafen, Verstümmelung, Knechtschaft
und Tod, die durch ihre Furchtbarkeit Schrecken verbreiten sollten; sie
bedachten nicht, daß dadurch das sittliche Gefühl abgestumpft, Ver
wilderung und mit ihr auch die Neigung zu Verbrechen herbeigeführt
wird. — Zu der Zeit des sehr frommen Königs Ladislaus (lautet II.),
haben wir, alle Optimaten des panuonischen Reichs, auf dem heiligen
Berge (Martinsberg) eine Zusammenkunft abgehalten und geforscht,
wie wir dieautVerbrechen
nolentibus, consensum prebuerit,
böser Menschen
. . . . a rege
hindern
et episcopis
und dassecundum
Wohl unsers
quod

racionabile videtur eis, dijudicetur.


190 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

Volks fördern könnten. Zuerst haben wir mit einem Eide beschlossen,
daß kein Großer welchen immer seiner Angehörigen, der mehr als den
Werth einer Henne gestohlen oder geraubt hat, verberge oder schütze.
Ein solcher Dieb soll gehenkt werden und sein ganzes Vermögen ver
lieren. Wenn er sich in ein Asyl flüchtet, so werde er zwar vom Galgen
frei, aber sammt dem Bürgen, der ihn entweichen ließ, in das Ausland
verkauft, und beider Hab und Gut falle dem königlichen Fiscus zu (1).
Einem des Diebstahls schuldigen Sklaven, wenn er sich nicht in ein Asyl
rettet, werde die Nase abgeschnitten; wenn er aber das Verbrechen
wieder begeht, werde er gehenkt (4). Ein Gemeinfreier, der geraubt
oder gestohlen hat, werde gehenkt, flüchtet er aber in ein Asyl, von
dort herausgeführt und geblendet; seine Kinder von zehn Jahren und
darunter seien frei , die ältern werden verkauft und das Vermögen ein
gezogen. Ja, wer auch nur eine Gans oder Henne stiehlt, verliere ein
Auge und ersetze das Gestohlene (II, 10). Der Kleriker, der eine Gans,
Henne, Obst oder dergleichen stiehlt, werde blos von seinem Vorgesetzten
mit Ruthen gestäupt; macht er sich aber eines größern Diebstahls schul
dig, so soll er vom Bischof aus dem Priesterstand gestoßen und 'dem
weltlichen Richter übergeben werden (II, 11). Ein anderes mal wird
befohlen: Der Freie, der einen Werth von 10 Denaren gestohlen hat,
soll den Diebstahl zwölffach ersetzen und einen Ochsen zur Strafe zahlen.
Ein flüchtiger Sklave, der auf einem Diebstahl betroffen wird, werde
geblendet, doch soll er weder gehenkt noch seine Zunge abgeschnitten
werden, damit sein Herr, wenn er ihn wiederfindet, von ihm erfahre, wo
etwa verlorene Sachen zu suchen seien (II, 12). Wenn ein Adelicher
(miles) in das Haus eines andern Adelichen einbricht, dort kämpft und
dessen Gattin schlägt , sollen zwei Theile seines Vermögens zur Sühne
genommen, der dritte seiner Gattin und seinen Kindern gelassen werden.
Hat er aber kein Vermögen, so werde er mit geschorenem Kopf und
gefesselt auf dem Marktplatz umhergeführt, gegeiselt und verkauft.
Seine Spießgesellen sollen ihre Schuld mit 55 Byzantinern büßen, die
Sklaven, die mit halfen, dieselbe Strafe wie ihr Herr erleiden, fremde
Sklaven aber, die ohne Vorwissen ihres Herrn an dem Verbrechen theil-
nahmen, verkauft und die Hälfte des Erlöses zur Sühne genommen, die
andere ihren Herren gegeben werden (II, 10). Wer einen Menschen
mit dem Schwert tödtet, werde durch das königliche Gericht eingekerkert
und sein ganzes Besitzthum in drei Theile getheilt, wovon zwei die Ver
wandten des Getödteten , den dritten die Kinder des Mörders erhalten
(II, 8). Welcher Richter über den Dieb und Räuber die festgesetzte
Strafe nicht verhängt, werde verkauft und sein Vermögen eingezogen.
Hat er aber einen Unschuldigen gestraft, so soll er alle Kosten und das
Vermögen desselben zurückerstatten. Kann er jedoch durch zwei schick
liche Zeugen seine Schuldlosigkeit erweisen, so erhebe er von dem
falschen Kläger 55 Pensen, und dieser erleide die Strafe, die ihn ge
troffen hätte (II, 6). Ueberhaupt gilt überall der Grundsatz, daß der
falsche Kläger in die Strafe verfalle, die der fälschlich Beschuldigte zu
erwarten hatte. Um endlich dem Diebstahl und Raub gründlich zu
steuern, wurde (III, 1) angeordnet: Königliche Bevollmächtigte sollen
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u. s. w. 191

sich in die Gespanschaften verfügen, dort die Hauptleute der Sicherheits


wächter versammeln und sie auffordern, die des Diebstahls Beschul
digten anzuzeigen. Im Fall diese sich durch ein Gottesurtheil reinigen
wollen, hat, sie der königliche Bevollmächtige in Haufen von zehn zu
theilen und einen für je zehn die Ordalienprobe bestehen zu lassen; geht
dieser aus derselben unbeschädigt hervor, so sind die übrigen neun auch
schuldfrei, besteht er aber die Probe nicht, so muß jeder von ihnen und
auch jener noch besonders sich der Probe unterwerfen. Ferner sollen
die Bevollmächtigten alle Optimaten und das Volk fragen, ob sie eine
wegen Dieberei verschriene Ortschaft kennen, und wenn eine solche
angegeben wird, die Einwohner auffordern, die Schuldigen auszuliefern,
denen es jedoch, wenn sie nicht notorische Diebe sind, gestattet ist, sich
durch Ordalien zu reinigen. Werden keine Schuldige ausgeliefert, so
sind alle Einwohner ebenfalls in Haufen von zehn zu theilen und nach
der oben angegebenen Weise zu prüfen. Endlich sollen die Bevoll
mächtigten von Ort zu Ort gehen und überall verkündigen, daß die
Großen des Reichs geschworen haben, keinen Dieb und keinen Räuber
zu verbergen und zu schützen ; die Einwohner sollen also denselben Eid
leisten, und wenn sie ihn brechen, ihre Zunge mit 10 Pensen loskaufen
und nach den kirchlichen Vorschriften büßen. Derjenige, der bei einem
Heereszug plündert, soll mit allem, was er besitzt, ausgerottet werden

Wir sehen schon bei flüchtiger Vergleichung, um wie viel mensch


licher und milder die Strafgesetze sind, welche Stephan mehr als ein
halbes Jahrhundert früher seinem die Bahn der christlich- europäischen
Civilisation erst betretenden Volke gegeben hat , als diese mit Blut ge
schriebenen und gleichsam Rache schnaubenden; wir mögen auch hierin
einen sprechenden Beweis finden, daß die heidnischen Ungarn nicht jene
unmenschlichen Barbaren Waren, zu de"nen sie manche Schriftsteller mit
Gewalt machen wollen. Aber wenn auch eine sichtbare Verschlimme
rung der Sitten unter den langwierigen bürgerlichen Unruhen eingetreten
sein mußte, um solche drakonische Gesetze als nöthig erscheinen zu
lassen, so sind diese doch nicht ein Ausfluß des magyarischen Geistes,
sondern eine kaum verschärfte Nachahmung ausländischer, und besonders
der bairischen Gesetze. Auch die Ordalien sind eine den Ungarn ur
sprünglich ganz fremde Einrichtung, die mit andern Gebräuchen aus der
Nachbarschaft unter sie verpflanzt wurde und mit dem religiösen Glau
ben jener Zeit auf das innigste zusammenhing. Ueberall erwartete und
erblickte man die unmittelbare Dazwischenkunft Gottes, man war über
zeugt, Gott müsse und werde den Unschuldigen aus Feuer, Wasser und
Kampf erretten, den Schuldigen aber darin umkommen lassen und da
durchNoch
der gerechten
finden wirSache
in deneinGesetzen
untrügliches
die Spuren
Zeugniß
einiger
geben.
Einrichtungen,

die Erwähnung verdienen. Der König und die Obergespane bestellten


Sammler, welche flüchtige Sklaven und verlaufenes Vieh einfingen, und
verpflichtet waren, beide zu bewahren und vom Feste des heiligen
Georgius bis zum Feste Johannes des Täufers öffentlich auszustellen.
Fand sich der Eigenthümer, so hatte er einen Sklaven mit 90, ein Pferd
192 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

mit 12, ein Rind mit 5 Denaren zu lösen, wovon zwei Theile dem Kö
nige und der dritte dem Grafen zufielen. Meldete sich niemand zur
Auslösung bis Michaelis, so wurden Sklaven und Vieh nach obigem Ver-
hältniß getheilt, durften aber nie verkauft oder verborgen werden. Der
Sammler oder der Graf, der sich hierbei eines Unterschleifs schuldig
machte,
Es unterlag
gab fernerschwerer
Sicherheitswächter
Strafe (III, 13
in u.den
21).Gespanschaften und an

den Grenzen. Sie wurden Or und Uzbeg genannt, sie mochten zu


den Halbfreien gehört haben und an ihren Dienst gebunden gewesen
sein. Diese hatten sich während der bürgerlichen Unruhen im Lande
zerstreut und waren, freiwillig oder gezwungen, in die Dienste von Pri
vatleuten gekommen. Schon unter Bela und Andreas wurde durch eine
Gerichtsperson, die den Titel Sarczos (sicher von sarcz, Schätzung)
führte, ein Verzeichniß von ihnen zusammengestellt und ihre Ein
berufung verfügt. Sie mochten sich aber nicht vollständig auf ihren
Posten eingestellt haben, daher wird nun jedem, bei dem sich ein sol
cher Or.oder Uzbeg aufhält, geboten, diesen bis zum Tage der Him
melfahrt Maria's an den königlichen Hof zu bringen; wer es nicht
thut, hat den doppelten Werth der Person und noch 55 Pensen oder
Goldgulden
Endlichalsschickte
Strafe zu
derzahlen
König(II,
mit2).seinen Befehlen und erhielt von

den Grenz- und Burggrafen, wenn sie wichtige Dinge zu melden hatten,
Eilboten. Diese waren berechtigt, wo sie hinkamen, das Pferd eines
jeden zu requiriren , bis in die dritte Ortschaft mit sich zu nehmen und
da stehen zu lassen. Bios die Pferde der Kleriker und derer, die in die
Kirche, auf den Markt und an den Hof des Bischofs oder des Ober
gespans gehen, sind von der Requisition ausgenommen. Wer das
Pferd, welches der Eilbote freiläßt, sich aneignet, wird als Dieb ge
straft; wer ihn schlägt, zahlt 50, wer ihm in den Zügel fällt, 10 Pen
sen (III, 14). •
Den Verkehr und Handel regelten mehrere gesetzliche Vorschriften,
die ihn aber nicht förderten , sondern äußerst hemmend wirken mußten.
Nur auf den öffentlichen Märkten darf verkauft und gekauft werden.
Wird mit einer gestohlenen Sache dawider gehandelt, so verwirken
Verkäufer, Käufer und Zeugen das Leben; ist aber die Sache recht
mäßiges Eigenthum, so verlieren sie dieselbe und zahlen noch über-
dieß den Betrag ihres Werths. Der Kaufhandel auf öffentlichem
Markte muß in Gegenwart des Richters, Zolleinnehmers und der
Zeugen geschlossen werden (II, 7). Der Handel mit Pferden und
Rindvieh über die Grenzen des Landes ohne des Königs Erlaubniß
ist bei der auf Diebstahl und Raub gesetzten Strafe verboten; nur
ein Pferd zur Reise und Ochsen zum Pflügen ist zu kaufen gestattet
(II, 13, 14). Die Grenzgrafen, die solchen Handel ohne des Königs
Bewilligung erlauben, werden ihres Amts entsetzt; die Grenzwächter,
die denselben heimlich zulassen, verlieren die Freiheit, und ihre
Vorgesetzten, wenn sie mitschuldig sind, Leben und Vermögen, doch
bleiben ihre Kinder frei (II, 15). Der Ausländer, der Pferde kau
fen oder sonst Handel treiben will, soll von einem Boten des Grenz
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u.s.w. 193

grafen zum König geleitet werden und mit dessen Erlaubniß, so viel
ihm gestattet wurde, in Gegenwart des königlichen Pristaldes kaufen.
Daß diese Gesetze nicht blos gegeben wurden, um Diebstahl und Raub
zu hindern, fällt sogleich in die Augen; man wollte gewiß auch die
königlichen Einkünfte, zu denen die Marktgefälle gehörten, vermehren
reichthum,
und wahrscheinlich,
der damals
irregeleitet
in Vieh bestand,
von falschen
erhöhen,
Ansichten,
indem man
dendessen
National-
Ab

flusse nach außen wehrte. Wer darf sich darüber wundern, daß so
etwas in dieser Zeit geschah? Gibt es doch auch heutzutage noch
Staatskünstler, die Aehnlichos und weit Schlimmeres zum größten
Nachtheil der Länder thun und auf keine Vorstellungen und Klagen
hören.Unterziehen wir nun die Einrichtungen und Gesetze, die unter

Ladislaus zu Stande kamen, der Beurtheilung, so müssen wir das Eine


an ihnen rühmen, daß sie fast kein Ansehen der Person kennen und den
Vornehmen wie den Geringen, den Geistlichen wie den Laien treffen.
Diese annähernd gleiche Gerechtigkeit finden wir damals in wenigen
Reichen des Abendlandes; in den meisten war der Vornehme straflos,
nicht nur durch seine Macht, sondern durch das Gesetz selbst, und leider
riß solche Verderbniß des Rechtszustandes mit der zunehmenden Ueber-
macht der Großen bald auch in unserm Vaterlaude ein. Dessenunge
achtet spricht aus diesen Gesetzen der beschränkte und abergläubische,
der rohe und gewaltthätige Geist des Zeitalters. Immerhin mögen sie
demselben angemessen und weniger drückend und nachtheilig ge
wesen sein, als es uns auf dem Standpunkte der Gegenwart scheint; aber
soviel ist/ wenigstens gewiß, daß sie die glücklichen Erfolge nicht be
wirkten, mit denen des Ladislaus Regierung verknüpft war. Denn
nicht die Schrecklichkeit der Strafen und die Menge blutiger Richt
stätten gründen und sichern die Ordnung, den Frieden und die Wohl
fahrt der Staaten. Ladislaus war ein besserer und größerer Regent als
Gesetzgeber; er herrschte mit Kraft und Weisheit; er begriff mit tiefer
Einsicht den Geist der Nation und war selbst von ihm ganz durch
drungen ; er verbesserte die Fehler der Gesetze durch unparteiische Ge
rechtigkeit und milderte ihre Strenge durch Güte; er überwand die Hin
dernisse, die in den mangelhaften Staatseinrichtungen lagen und be
wirkte viel Gutes. 1 Darum kehrten unter seiner Regierung Ordnung,
Ruhe und Wohlfahrt zurück, geschahen glückliche Fortschritte auf der
Bahn der Gesittung, und ward er ein geliebter und hochgepriesener
König, dessen Gedächtniß die Zeiten nicht verwischten. Aber wir
müssen auch den sänftigenden und erhebenden Einfluß des Christen-
thumsin Anschlag bringen, das bereits in den Gesinnungen und Sitten
des Volks Wurzel schlug, und dürfen vor allem die dem menschlichen
Geiste inwohnende Kraft nicht vergessen, die ihn vorwärts treibt,
sodaß er, einmal angeregt, selbst ohne sich dessen bewußt zu werden,
Hindernisse
1 Legendaüberwindet
S. Ladislai.und die Gelegenheit zum Fortschreiten ergreift.

Fe&Ur, I, 13
194 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

Koloman 1095—1114.
Ladislaus hatte 1.vonAeußere
den beiden
Begebenheiten.
Söhnen seines Bruders Geiza den

Jüngern Almos zum Thronfolger, den altern Koloman zum erlauer Bi


schof bestimmt, weil er wußte, sagt Thuröczy, daß dieser harten und
grausamen Gemüths sei und als König schuldloses Blut vergießen
würde; auch war er häßlich von Gestalt, schieläugig, strupphaarig,
bucklicht, lahm und ein Stammler. 1 Diese Schilderung Koloman's
rührt von Mönchen her, die ihm seiner Freisinnigkeit wegen nicht ge
wogen waren, und wurde geschrieben, während Bela II. und dessen
Nachkommen herrschten, die allerdings Ursache hatten, ihn zu hassen.
Der gleichzeitige Albericus rühmt dagegen, daß er, taubenartig sanft
und mit allen Tugenden geschmückt, die strengen Gesetze gemildert
habe.2 Koloman mag also unansehnlich^ vielleicht unschön von Kör
per gewesen sein, war aber gewiß das Ungethüm nicht, zu welchem ihn
der Haß umschuf, und die äußern Mängel wurden reichlich aufgewogen
durch innere Vorzüge des Geistes. Weil er für den geistlichen Stand
erzogen wurde, erhielt er wissenschaftliche Ausbildung, faßte eine blei
bende Liebe für geistige Studien, die ihm den Zunamen „könyves" (der
bücherliebende) Kaiman erwarb, und zeichnete sich vor allen Fürsten
seiner Zeit durch Kenntnisse aus. 3 Für den geistlichen Stand fühlte
er keinen Beruf und floh, als er die Weihen erhalten sollte, mit seinen
Vertrauten Marcus und Ugra nach Polen. Als Ladislaus erkrankte
und sah, daß sein Ende nahe, rief er den Flüchtigen zurück; dieser kam
und wurde entweder von Ladislaus auf dem Sterbebette zum Thron
folger ernannt oder nach dessen Tode vom Volke zum König gewählt.
Älmos mußte dem ältern Bruder weichen und sich begnügen, Regent
von Kroatien (ob mit dem Titel eines Königs oder Herzogs, ist unent
schieden) unter ungarischer Hoheit zu sein.4 Die Wahl war für
Ungarn
Sobald
eine höchst
das Gerücht,
glückliche.
König , Ladislaus sei todt, nach Kroatien
, ge

kommen war, steckte Peter, reich, mächtig und kühn, die Fahne der
Empörung auf. Älmos fühlte sich zu schwach, den Aufstand besiegen
zu können, und rief seinen königlichen Bruder zu Hülfe. Koloman sam
melte zwischen der Drave und der Save zahlreiche Mannschaft und
führte sie dem Rebellen entgegen, der auf den modruscher Bergen in
einem befestigten Lager stand. Der König vertrieb ihn daraus und
zwang ihn bei Guozdanzko zur Schlacht, in welcher Peter seinen Auf
stand mit dem Leben büßte; seine Verbündeten, gefangen und geplündert,
mußten dem Ueberwinder als ihrem Oberherrn huldigen.6

1 Thuröczy, II, 59, 60. — s Albericus, Decretum Keg. Colomanni,


praefatio, bei Endlicher, Monumenta, S. 359. — 3 Thuröczy, II, 62. Colo-
manus super reges universos sno tempore degentes Iiterali scientia eruditus.
Chron. Polon. ad ann. 1107 bei Pertz, IX, 456. Papst Urban II. bei Fejer,
Cod. dipl., II, 13. — * Thuröczy, II, 59. — 5 Kezai, II, 4. Thuröczy, II,
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 195

Durch die Umstände begünstigt, setzte er nun thätig fort, was


Ladislaus angefangen hatte. Da die byzantinischen Kaiser das dalma
tische Küstenland ebenso wenig als Kroatien und Slawonien in Unter
thänigkeit zu erhalten vermochten, und das erstere von den Normannen
aus Apulien unablässig angefochten wurde, so Überheß Alexius dem
Herzog von Venedig, Vitale Phaledro, über dasselbe eine Art von Statt
halterschaft. Allein auch die Venetianer waren zu schwach, ihr An
sehen und ihre Vortheile gegen die Waffen der Normannen zu behaup
ten. Ebenjetzt hatten diese die Seestädte Dalmatiens wieder über
fallen, ohne daß der byzantinische Kaiser oder der venetianische
Herzog den Bedrängten wirksame Hülfe zusenden konnte. Koloman
zog mit seinen siegreichen Scharen hin , schlug die Normannen zurück,
eroberte Belgrad an der Küste (später Biograd und Zara Vechia ge
nannt), und zwang noch einige Seestädte, seine Oberherrlichkeit an
zuerkennen. Um diese zu sichern und den Titel eines Königs von Dal-
matien sich vorzubereiten, fertigteer Gesandte an Venedigs Herzog ab, um
wider die Normannen , welche die adriatischen Küsten nicht minder als
die dalmatischen beunruhigten, Waffenbund mit ihm zu schließen. Vitale 1096
Michieli rüstete eine Flotte aus und Koloman bemannte sie mit Kriegern,
die in Apulien landeten, Brindisi und Monopoli gleich im ersten Anfall
wegnahmen, das Land durch drei Monate verheerten und mit wechseln
dem Glück kämpften. Da war der König genöthigt, seine Truppen
zurück nach Dalmatien zu rufen, nur ein kleiner Theil derselben blieb
unter einem ungarischen Führer dort zurück, um die Venetianer bei der
Behauptung des Gewonnenen zu unterstützen, die es aber bald wieder
verloren. Hierauf löste sich das Bündniß vollständig auf. Der König
strebte alle dalmatischen Städte mit seinem Reiche zu vereinigen; die
Venetianer hinderten ihn daran und wollten sich selbst ihrer be
mächtigen. x Von nun an betrachtete Koloman sie als Gegner, suchte
das Bündniß des vor kurzem noch gemeinschaftlichen Feindes Roger,
und hielt
Unterdessen
um dessenwarTochter
in demBusilla
Concilan.
zu Clermont der heilige Krieg im

höchsten Aufschwung der Begeisterung beschlossen worden, im Novem


ber 1095 ; Reiche und Arme, Herren und Knechte ließen ihre Kleider,
und die Eifrigsten ihren Leib mit dem Kreuze zeichnen und traten den
weiten Kriegszug an , von dem nur wenige zurückkehren sollten. Ihr
Weg Der
führte
erste,
sie über
der mit
Ungarn.
seiner Mannschaft den König um freien Durch

zug ersuchte, war Walther, mit dem Beinamen „ohne Habe". Sein Heer 1096
bestand aus 15000 Mann Fußvolk und 8000 Reitern, größtentheilslmMai
Franzosen, von seinen drei Brüdern angeführt. Koloman nahm ihn
mit diesen treuherzig auf und entließ sie beschenkt zu ihren Scharen,
welche
62. Kerchelich,
sie unter
Notit.
königlichem
praeliminar.
Geleit
, S. 135.
den geradesten
Lucius, De Weg
Regn. durch
Dalmat.das
et

Croat.,
1 Kezai,
III, 3,II,bei4.Schwandtner,
Dandnlus, bei
III.Muratori,
Katona,XII,
Hist.259.
Reg.,Gaufredus
III, 12 fg.Malaterra,

IV, 25, bei Muratori, VII. Laurentius de Monachis, V, 93.


IS*
196 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Land und bei Semlin (Mala Villa) über die Save fuhren sollten. l Kaum
hatte das ungarische Geleit die Rückreise angetreten und Walther mit
den Seinigen über den Strom gesetzt, so kehrten 16 seiner Krieger unter
dem Vorwande, Waffen einzukaufen, in die ungarische Grenzstadt
zurück und begingen allerlei Ausschweifungen, bei welchen sie von
den Einwohnern überfallen, alles Goldes und Silbers, ihrer Waffen und
Kleider beraubt, beinahe nackend zu den Ihrigen zurückgetrieben
wurden. Das ganze Heer, vor Belgrads Mauern gelagert, gerieth bei
ihrem Anblick in Aufruhr; Alles griff zu den Waffen und wollte über
den Fluß, um den Schimpf ihrer Gefährten in dem Blut der Ungarn zu
rächen. Doch gelang es noch den klügern Führern, sie in Ordnung
zu erhalten und mit der. Aussicht auf künftige Genugthuung zu be
sänftigen.2
Bald darauf erhielt der König Nachricht, daß ein anderes Kreuz

heer 40000 Mann stark, mit ungeheuerm Troß unter Anführung Peter des
Einsiedlers und vier ehrenfester Ritter sich bei Oedenburg (Soprony,
Cyperon) eingestellt habe und freien Durchzug verlange. Koloman
erlaubte auch diesem, durch das Land zu ziehen, und was es bedurfte,
ohne Zank und Betrug gegen baare Bezahlung einzukaufen. Peter
führte seine Scharen und den Troß von 3000 Wagen in ziemlicher
Zucht und Ordnung bis Semlin. Dort sah er auf den Mauern die
Trophäe, welche die Einwohner zum Schreck für ausschweifende Kreuz
ritter von den Rüstungen und Wagen der sechzehn Leute Walther's errichtet
hatten. Der beleidigende Anblick eines Denkmals, das seines Werkes
Heiligkeit so sehr entehrte, brachte ihn aus aller Fassung und er be
schloß in seinem Grimm, die verwegene Stadt die ganze Wuth seiner
Scharen empfinden zu lassen. Sie ward mit Sturm eingenommen und
die fliehenden Einwohner wurden verfolgt. . Siebentausend glaubten
sich auf einem steilen Berg am Donauufer in Sicherheit; aber die
Kreuzfahrer folgten ihnen auf dem Fuße nach und erreichten die Höhe
des Berges, ungeachtet des rauhen Pfades, des tapfern Widerstandes
und der Ungeheuern Steinmassen , welche auf sie herabgewälzt wurden.
Das schrecklichste Gemetzel begann und endigte mit dem Tode von
4000 Ungarn. Die Würger kehrten, ihres Sieges froh, in die Stadt
zurück, wo sie sich allem Ungestüm ihrer viehischen Triebe ergaben,
und hier eowol als in der umliegenden Gegend die greulichsten Schand-
thaten verübten, bis sie die Nachricht erschreckte, daß der König mit
seiner ganzen Heeresmacht wider sie anrücke. Eiligst setzten sie über
die Save, doch der Rache, der sie hier entgingen, unterlagen sie bei
Naissus, wo sie in dem Versuch ähnlicher Gewaltthätigkeiten von
Bulgaren, Kumanen und Ungarn angegriffen, gegen 20000 Mann und
über Auf
2000seiner
WagenWanderschaft
verloren. 3 durch Deutschland hatte Peter in den

Rheingegenden
1 Albert. Aquens.
mit dem
Chron.
Priester
Hierosolym.,
Gottschalk
bei Bongars,
sich verbunden,
I, 6. — der
2 Ber
mit

nard. Thesanrar., bei Mnrator. Script. Ital., VII. Chron. Hierosolym., I, 7.


— s Albert. Aquens. Cbron. Hierosolym. bei Bongars, I, 8 u. 9. Bernard.
Thesaurar., X, a. a. 0. Annalista Sazo ad ann. 1096 bei Pertz.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 197

ihm wetteifernd, sich in Lothringen und Deutschland Kreuzfahrer warb


und eine Rotte von 15000 Mann aus dem niedrigsten Pöbel zusammen
brachte. Zuversichtlich folgte er seines Vorläufers Fußstapfen und
erschien mit seinem Volke an Ungarns Grenzen, über welche der lang-
müthige König den Zug auch ihm noch nicht verwehren wollte. Zwischen
Wieselburg und dem heiligen Berge wurden der Herde Lagerplätze an
gewiesen und Erlaubniß ertheilt, ihren Bedarf im Lande einzukaufen.
Aber bald erlaubten sie sich die wildesten Ausschweifungen, raubten,
plünderten, mordeten, wer ihnen widerstand, und steckten unbedeutenden
Streites wegen einen ungarischen Jüngling vor den Augen des Volks
auf den
Koloman
Pfahl. ließ das Kriegsvolk einiger Gespanschaften wider sie

aufsitzen. In den obern Theil der Raabau getrieben und eingeschlossen,


rüsteten sie sich zum Widerstand.. Da schickte ihnen der König, wenn
es wahr ist, was die deutschen Chronisten berichten, die Botschaft, wenn
sie in der Schlacht nicht alle, Schuldige und Unschuldige, umkommen
wollten, so sollten sie die Waffen strecken, und gestatten, daß er dieUebel-
thäter unter ihnen heraussuche und die übrigen friedlich ziehen lasse.
Die Kreuzzügler, vorn von dem königlichen Heere, im Rücken und an
den Seiten von Morästen eingeschlossen, gehorchten dem Befehl
erschrocken und lieferten die Waffen aus. Hierauf befahl Koloman,
kaltblütig lächelnd, sie alle niederzuhauen, sodaß kaum 3000 dem
Tode entrannen und zurück nach Deutschland flohen. l
Ein ähnliches Schicksal hatte der zügellose Haufe, welcher, von
dem Abenteurer Folkmar geführt, sich aus Sachsen auf Böhmen gestürzt,
die prager Juden gewaltsam getauft oder gemordet hatte und, durch Böh
men und Mähren verstärkt, sich um Neitra lagerte und die Gegend ver
heerte. Auch sie wurden von Koloman angegriffen und geschlagen.
Die dem Tode entflohen, schrieben ihre Rettung einem rothen Kreuze
zu, das drohend am Himmel erschien und die Ungarn von der Ver
folgung
Kaum
zurückschreckte.
waren diese2 Rotten vertilgt, so meldete um die Mitte Juni

sich ein neuer Schwarm von 200000 Mann, nach andern nur 17000,
was wahrscheinlicher ist, Fußvolk und 3000 Reitern, untermengt mit
Weibern, Nonnen und Buhldirnen in männlicher Tracht. Das Gerücht
seiner Gewaltthätigkeiten ging ihm allenthalben vorher. Viele tausend
Juden hatten schon zu Köln, Trier, Mainz und Worms unter dieser
Kreuzfübrer Unmenschlickeit geblutet, und es galt unter ihnen als aus
gemacht, die Ungarn seien um nichts besser als die zerstreuten Kinder
Israels und die Heiden. Ihr oberster Anführer war Rheingraf Emico,
ein Betrüger in dem Vorgeben, Gott habe ihn, wie Paulus, durch ein
Gesicht zum Werkzeug auserwählt, die heilige Unternehmung mit der
Judenermordung anzufangen. In seinem Gefolge waren die Ritter
Wilhelm Charpentier, Thomas von Feik, Clarembald von Vandeuil
und Graf
Albert.
Hermann
Aquens., die
I, 24.
weniger
Chron.Schlechten.
Hierosolym., I,Ihre
8. Bernard.
WegweiserThesaurar.,
waren

I, 672.. —
— 2a Annalista Saxo ad
Annalista Saxn ad ann.
ann. 1096
1096.
198 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

eine Gans und eine Ziege, denen nach dem Wahne des abergläubischen
Haufens der Geist Gottes eingab, wohin sie gehen sollten. Der Zug
durch Ungarn wurde ihnen geradezu verwehrt. Sie fanden Wieselburg,
Altenburg und die benachbarfen Thürme außerordentlich befestigt und
alle Zugänge mit Kriegsvolk besetzt. Den ersten Widerstand erfuhren
sie bei dem Uebergang über die Leitha vor Altenburg; eine zahlreiche
Mannschaft unter den Befehlen des Palatins Jula, eines ehrwürdigen
Greises, hütete denselben. Aber es gelang ihnen, eine Brücke zu schla
gen, und die Ungarn mußten der Uehermacht weichen, nachdem Char-
pentier
Diedem
Sieger
Palatin
warenden
nunKopf
zwargespalten
Meister der
hatte.
Brücke
1 ; allein von Altenburg

bis Wieselburg mußten sie über einen schmalen Damm, der auf der
einen Seite vom Fluß, auf der andern von tiefen Sümpfen eingeschlossen
war. Auf diesem Wege, von den Pfeilen der Ungarn unaufhörlich ver
folgt, kehrten sie um , vertheilten sich in den Wald und schlugen eine
Menge Bäume nieder, um einen Theil des Sumpfes damit auszufüllen.
Vergebens arbeiten die Ungarn in der Burg, die Feinde zu entfernen:
diese werfen Stämme von Bäumen, Balken, Zweige, Reisbündel in den
Sumpf, bedecken ihn mit Buschwerk und Dielen, nähern sich trotz alles
Widerstandes den Mauern und machen sich fertig, auf langen Leitern,
die sie im Walde gezimmert hatten, sie zu ersteigen. Während einige
mit gewaltigen Mauerbrechern unablässig daran stoßen, die andern kühn
und beherzt Sturm laufen, lassen die Ungarn einen Stein- und Pfeil
hagel und Fluten siedenden Oels und Fettes auf sie hinabfallen.
Schon ist ihr Vorrath verbraucht, schon zeigen die Mauern den Ent
schlossensten der Feinde zwei Lücken, schon gibt der König den Be
lagerten den Befehl, in der Nacht den Platz zu verlassen und gegen die
Karpaten sich zu flüchten, als die Kreuzfahrer, von der Hitze des Zornes
und der Rachbegierde hingerissen, durch ihr Ungestüm die Geängstigten
zur letzten und höchsten Anstrengung ihrer Kraft beleben. Uebereilt,
ohne Vorsicht und Ordnung drängen sich jene, einer vor dem andern
auf die Leitern. Diese zerbrechen hier mit fürchterlichem Krachen,
dort stürzen sie mit den aufsteigenden Stürmern auf die Belagerer
zurück. Unter dem Falle von Tausenden, unter dem dumpfen Getöse
eiserner Rüstungen, unter dem Geprassel herabgeschleuderter Steine und
dem Jammergeschrei der Sterbenden oder Verwundeten entsteht zwischen
den Anführern heftiger Streit über die Theilung des gewiß zu erobern
den Reichs. Da öffnen die Ungarn plötzlich die Thore und stürzen
auf den verworrenen, zwischen den Sümpfen zusammengedrängten, von
Schreck ergriffenen, zum Widerstand unfähigen Feind, „der wie Schafe
vor den Wölfen floh". Was dem rächenden Schwert entging, ward von
dem Sumpf oder von dem Strom verschlungen. Nur wenige fanden
ihr Heil in der Schnelligkeit ihrer Rosse; unter diesen war Emico, der
mit einigen,
1 Horväth,
die Geschichte
ihm folgendeskonnten,
ungarischen
Deutschland
Reichs, I,erreichte.
221, und Szalay,
Die Ritter
Ge

schichte des ungarischen Reichs, I, 250, halten den gefallenen Greis für den
Herzog Lambert, weil die Chronik sagt: „Collateralem regis".
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 199

Feik, Clarembald und Charpentilr mit einigen Franzosen retteten sich


durch Kärnten und langten nach vielen Fährlichkeiten endlich in
Apulien
Nach
an, diesen
wo sieAuswürfen
sich nach Konstantinopel
des Westen sollten
einschifften.
die Ungarn
1 nun auch

die Edeln kennen lernen, die den verklärten Ladisläus geehrt und ihm
vor einigen Monaten den Oberbefehl über sich angeboten hatten. Es
waren Gottfried von Bouillon, Herzog von Lothringen, mit seinen zwei
Brüdern Balduin und Eustach, die Grafen von Namur, von Grez und
von Rhetel,, der Bischof Conon von Montagu, die Ritter Heinrich und
Gottfried von Hache, mit großer Anzahl edler Franken, Lothringer,
Frisen, Sachsen und Deutschen. Ihr Heer bestand aus 90000 Mann
Fußvolk und 10000 Reitern, auserlesene Menschen, die keinen Wüstling
ohne Sitten, ohne Glauben und ohne Zucht unter sich duldeten. Mit
diesen bezog der Herzog in der Mitte des September bei Bruck an der
Leitha, an Ungarns Grenze, ein Lager, weil ihm die ungarische Grenz
besatzung den weitern Zug verweigerte. Nach reiflicher Ueberlegung,
ob man sich den Weg durch Waffengewalt oder durch das anständigere
Mittel der Unterhandlung bahnen sollte, ward allgemein für das letztere
entschieden. Die Ritter Balderich, Stabelo und Gottfried von Hache
mit zehn vornehmen Waffenmännern erschienen vor dem König und
Gottfried sprach: „Der Herzog von Lothringen und die fränkischen
Fürsten entbieten dem König der Ungarn Gruß', und wünschen ihm
alles Gute von dem Herrn. Sie können ihre Verwunderung Euch nicht
verbergen, wie Ihr als Bekenner des Christenthums, dem Heere des
lebendigen Gottes, das vor uns an Euern Grenzen stand, den Durchzug
versagen und dasselbe in Euerm Lande auf das grausamste ermorden
lassen konntet. Sie stehen mit einer ehrbaren Ritterschaft und mit
tapfern Kriegsscharen bei Bruck, Aufschluß von Euch erwartend, warum
Christen der Brüder ihres Glaubens Verfolger und Mörder geworden
seien. Ist es mit Recht geschehen, so wollen sie es dulden; war aber
Treulosigkeit die Triebfeder der That, so haben sie beschlossen, als
Rächer der Schmach Jesu Christi vorzudringen, wozu sie aus ihrem
Vaterlande
Koloman
ausgezogen
erzählte sind."
ihnen alle Gewaltthaten und Verbrechen, welche

Peter's, Gottschalk's und Emico's Rotten in dem Lande begangen hatten.


Dabei erklärte er seine Bereitwilligkeit, dem neuen Kreuzheere, von
dem er ähnliehe Ausschweifungen nicht befürchte, in Eintracht und
Freundschaft alles zu leisten, was es von ihm verlangen würde. Nach
eingeholtem Gutachten der Großen des Reichs entließ er die Ritter mit
folgendem
„KönigBescheid
Koloman: dem Herzog Gottfried und allen Christen, die

mit ihm sind, Gruß und Liebe ohne Heuchelei! Der gute Ruf von Dir,
Herzog, hat mir längst gesagt, Du seiest in Deinem Lande ein mächtiger
und gerechter
1 Albert. Aqnens.,
Mann, fromm,
XXVIIIrechtschaffen
— XXIX. Guibert
und treu;
Abb.geachtet
(bei Bongars.,
von allen,
I),

IV, 7 Bernard. Thesaurar., XII. Annal. Saxo und Berthold Constant. ad


ann. 1096.
200 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

die Dich kennen. Darum habe ich* Bich immer geliebt und 'wünsche
jetzt, Dich auch zu sehen und persönliche Kunde von Dir zu erlangen.
Sodann schlage ich Dir vor , daß du .ohne Verdacht und Argwohn Dich
auf unsere Oedenburg (Cyperon,, Soprony) zu uns verfügst, wo wir uns
an des neuen 1 Sees Ufer friedlich besprechen wollen über alles , was
Du vonDieser
uns forderst
Einladungund
zufolge
wessenzog
DuGottfried
uns beschuldigest."
von Bouillon mit 300 Rit

tern gegen Oedenburg. Auf einer prächtigen, in den See hineingebauten


Estrade empfing ihn der König. Ihr erstes Zusammentreffen und gegen
seitiges Erkennen hob alle Bedenklichkeiten, und der König führte seinen
Gast in seinen Palast auf dem Pannonberg, um dort den Vertrag
über Nach
den Durchzug
einigen Tagen
abzuschließen.
ward dem Herzog eröffnet, daß ihm mit den

Seinigen, unter Bedingung strengster Zucht, Treue und Redlichkeit im


Handel und Wandel, der Durchzug bewilligt sei; doch müßte diese
Bedingung auch durch Geiseln, welche der König verlangen würde, zu
des Volkes Beruhigung verbürgt werden. Der rechtschaffene, edle
Mann verweigert keine Sicherheitsleistung, die mit seiner Ehre besteht;
Gottfried erkannte die Billigkeit der Forderung an. Der Vertrag wurde
von beiden Theilen auf das Evangelium beschworen. Zu Geiseln
forderte der König des Herzogs ältern Bruder Balduin mit seiner Ge
mahlin Gundehild; und auch dies zu versprechen, trug jener kein Be
denken. Das Kreuzheer zog nun in Ungarn ein und lagerte sich in
mebrern Abtheilungen zwischen dem See, der Leitha, der Donau und
dem bakonyer Wald. Koloman begleitete den Herzog dahin, um die
Geiseln zu übernehmen. Da weigerte sich Balduin, seines Bruders
Zusage zu erfüllen, und dieser konnte den Widerstand desselben nicht
anders besiegen, als durch den Entschluß, sich selbst für seiner Kriegs
gefährten Zucht und Treue hinzugeben. Dagegen widersetzte sich das
ganze Heer. Balduin erkannte die Nothwendigkeit , sich mit seiner
Gundehild dem König zu überliefern, der Sinn und Mittel genug besaß,
ihn für
Eindie
königliches
EntfernungAufgebot
von seinen
im ganzen
TapfernLande
zu entschädigen.
schaffte Lebensbedürf

nisse im Ueberfluß herbei, und die Androhung schwerer Strafe hielt die
Gewinnsucht der Verkäufer im Zaume und schützte die Fremdlinge
gegen Betrug an Güte, Mass, Gewicht und Preis der Waaren. Staaten
sind ebenso wenig als der einzelne Mann über das Bedürfniß guten Rufs
und über die Nachtheile des schlechten erhaben; böse Meinung ent
kräftet die Macht. In Ländern, wo der Fremde in der Regel ungestraft
betrogen wird, mag auch der Einheimische sich mit Gott trösten, wenn
er des Armes der Gerechtigkeit bedarf. Schlechte Regierungen und
schlechte Haushaltungen sind sich darin am ähnlichsten, daß in beiden
viel betrogen
1InNeusiedler
schönster
undSee,
viel
Ordnung
Fertö.
gestohlen
führte
Er wird.
entstand
Gottfried
erst imseine
10. oder
Heerscharen
11. Jahrhundert
durch

durch verminderten, endlich ganz gehemmten Fall des Flusses Fertg Bre-
detsky, Beiträge zur Topographie des Königreichs Ungarn, III, 79 fg.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 201

die veszprimer, stuhlweißenburger, tolnaer und baranyaer Gespanschaften


bei Darda über die Drave. Längs dem linken Ufer der Donau durch
die pesther und bäcser Gespanschaften zog Koloman mit den Geiseln
und zahlreicher Reiterei neben den Kreuzfahrern, unbemerkt von ihnen,
her. Bei Semlin ging Gottfried über die Save, und als beinahe das ganze
Heer über den Fluß gesetzt hatte, zeigte sich der König mit den Geiseln
und übergab
Unterdessen
sie dem
waren
Herzog.
der x raaber Bischof Harduin und der stuhl

weißenburger Graf Thomas aus Sicilien zurückgekommen, wohin sie


Koloman gesandt hatte, um für ihn bei dem Grafen Roger um dessen
Tochter Busilla zu werben; denn zuträglich schien ihm diese Familien
verbindung für seine Absicht, das ungarische Reich. mit Dalmatien an
der Küste zu runden. Ihre Unterhandlungen waren nach seinen
Wünschen ausgefallen, und Herzog Älmos reiste hin, um den norman
nischen Grafen die. Erfüllung der von ihm gemachten Bedingungen
Namens des Königs zu versichern und das Fräulein nach Ungarn zu
begleiten. Im Mai des folgenden Jahres landete sie vor Belgrad an
Dalmatiens Küste. Dort empfing sie Graf Vinkur und geleitete sie mit
5000 Reitern zu dem König nach Stuhlweißenburg, wo die Vermählung
mit großer Pracht unter Zelten und Lauben mitten unter dem fröhlichen
Volke gefeiert wurde. 2 Unter den Begleitern Busillas , die in Ungarn
blieben, waren auch Oliver und Ratold die Stammväter blühender
Geschlechter.
Das Jahr 1098 verfloß in Ruhe und Frieden, das folgende aber ist 1099

durch einen für Ungarn unglücklichen Feldzug bezeichnet. Der rus


sische Großfürst von Kiew, Swetopolk, in Krieg mit den andern rus
sischen Fürsten, vorzüglich mit dem przemisler, Wolodar, verwickelt
und geschlagen3, sandte seinen Sohn Jaroslaw nach Ungarn, bewaff
neten Beistand zu erflehen. Koloman war ohnehin gegen Wolodar
erbittert, denn die Kumanen wagten es zwar nach den schweren Nieder
lagen, die sie erlitten, nicht mehr, Kriegszüge in das Innere Ungarns zu
unternehmen, fielen aber häufig plündernd und verheerend in die Grenz
gegenden ein, und durften durch das przemisler Gebiet nicht nur un
gehindert durchziehen, sondern es schlossen sich ihnen auch Russen an
und halfen ihnen rauben. Er bewilligte daher gern die erbetene Hülfe
und ging mit einem Heer von 8000 Mann über die Karpaten. Wolodar
wich der Schlacht aus und zog sich in das befestigte Przemisl zurück,
das Koloman umlagerte. Koloman's Bundesgenosse Swetopolk sollte
indessen die Kumaner angreifen und abhalten, den Belagerten zu Hülfe
zu kommen ; er that es nicht, und sie konnten ungehindert gen Przemisl
eilen. Ihr Fürst Mirkod, nach andern Bonyak, theilte sein Volk in
drei Haufen; wovon er zwei in Hinterhalt legte, mit dem dritten die
Ungarn1 Albert.
angriff
Aquens.
und ,bald
II, in
1 —verstellter
7. Bernard.Flucht
Thesaurar.
dem ,Walde
a. a. O.
zueilte,
Wilhelm
der

Tyr., bei Bongars, IX, 2 — 8. Thuröczy, II, 60. — 2 Gaufred. Malaterra,


Hist. Sicul., IV, 25, bei Murator. Sciipt. Rer. Ital., V, 599. — 3 Nestor zum
Jahre 1097—98. Dlngoss, Hist. Polon., IV, 326 fg.
202 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

die beiden Haufen verbarg und wohin ihn die Ungarn heftig verfolgten,
Jetzt erhoben sich die im Hinterhalt Liegenden plötzlich, auch die
Fliehenden kehrten zum Angriff zurück, und die Ungarn waren von allen
Seiten umzingelt. Einige Tausend von ihnen fielen auf dem Schlacht
feld, darunter Graf,Oezem und die Bischöfe Koppäny und Laurentius,
oder ertranken in den Fluten der San; den König rettete eine Schar
Tapferer, die ihn wie eine Mauer umgaben; die Fliehenden wurden
weit verfolgt, und viele erlagen noch auf dem ungeordneten Rückzug
dem Schwert der Feinde, oder dem Hunger und der Ermattung; kaum
die Hälfte
Der Chronist,
kehrte in das
aus Vaterland
dem Thuröczy
zurück.1
seine Nachrichten schöpfte, er

zählt, die Gemahlin Wolodars sei Frieden bittend vor Koloman erschie
nen und habe sich flehend ihm zu Füßen geworfen; er aber sei unbewegt
bei ihren Thränen geblieben , habe sie sogar verächtlich mit dem Fuße
von sich gestoßen und durch seine Härte die Verzweifelnden gezwungen,
die Schlacht zu wagen. Da aber die russischen und polnischen Jahr
bücher hierüber schweigen, mag wol diese Erzählung entweder ganz
erdichtet,
Die erste
oder doch
Sorgesehr
Koloman's
übertrieben
nachsein.2
seiner Rückehr war, das Land

gegen die nun zu befürchtenden Angriffe der Russen und Kumanen zu


sichern. Der Herzog von Böhmen, Bretislaw, war an Ungarn durch
Bande der Dankbarkeit geknüpft, denn hier hatte er freundliche Auf
nahme gefunden, als er 1091 mit seinem Vater Wratislaw zerfallen,
das Vaterland verließ , und nach dessen und seines Nachfolgers Konrad
1092 schnell nacheinander erfolgtem Tode war ihm Ladislaus abermals
behülflich gewesen, den herzoglichen Stuhl einzunehmen. Jetzt aber
wünschte er, daß ihm nicht Ulrich , Konrad's Sohn , sondern sein Bruder
Boriwoi nachfolge. Beide Fürsten kamen also an der Grenze zusammen
und schlossen einen Vertrag, kraft dessen Bretislaw sich verpflichtete
Ungarn im Fall eines Krieges mit seinen nördlichen Nachbaren bei,
zustehen, Koloman aber Boriwoi bei der Behauptung der Nachfolge
zu unterstützen. 3 Die Russen und Kumanen griffen Ungarn nicht an,
und soHierauf
kam derwandte
Vertrag
Koloman
auch nicht
seine
zur Aufmerksamkeit
Ausführung. und Thätigkeit

den innern Angelegenheiten zu, bereiste das Land, um persönlich Recht


zu sprechen, Uebeln abzuhelfen und zweckmäßige Einrichtungen zu
treffen, und hielt mehrere Reichsversammlungen4, deren Gesetze ur
sprünglich in ungarischer Sprache abgefaßt waren , aber leider verloren
gingen und nur in einem dürftigen lateinischen Auszuge vorhanden sind,
den ein Kleriker, Alberich, für den graner Erzbischof Seraphin verfaßt
hat. 6 Von
Doch
demhierüber
heiligenwerden
Kriegewir
in weiter
Osten hatte
unten Koloman
an seinem so
Orte
vielsprechen.
Erfreu

liches1 erfahren,
Nestor, a. daß
a. O.er kein
Dlngoss,
Bedenken
a. a. trug,
O. Karamsin,
einem neuen
Geschichte
Schwarm
des von
rus

sischen Reichs; übersetzt (Riga 1820), II, 106. — 2 Thuröczy, II, 60. —
3 Cosmas Pragensis ad ann. 1099. — * Kovachich, Vestigia coroitiornm, S. 65.
— 5 Decretum Colomanni Regis ab Alberico compilatum. E codice char
Koloman. Aenß ere Begebenheiten. 203

160000 Kreuzrittern aus Frankreich und Deutschland in Ungarn Ruhe 1102


und freien Durchzug zu gestatten. 1 Die Häupter desselhen waren
Albrecht, Graf von Blandras, "Wigbert, Graf von Parma, Hugo der
Große, Stephan, Graf von Blois, Wilhelm, Graf von Poitou, der
Baiern Herzog, Welf IV., Ida, Markgräfin von Oesterreich, Thuno,
Erzbischof von Salzburg, und der Bischof von Mailand. Dabei ganze
Scharen junger Matronen und schöner Jungfrauen, viele groß in der
Sünde, wie in der Andacht. Die ungarischen Märkte brachten beträcht
liche Summen Geldes in Umlauf, dessen war der König froh. Aber mit
der Sorge für das Aufblühen seines Reichs beschäftigt, und besonders
ganz erfüllt von dem großen Entwurf, ihm eine Meeresküste zu erwer
ben, hatte er keine Lust, das Beispiel dieser vornehmen Kreuzfahrer
nachzuahmen, sondern rüstete sich, sobald sie die Grenzen überschritten
hatten, die schon errungenen Vortheile in Kroatien und Dalmatien zu
verfolgen,
In Kroatien
wozu sich
brach
ihm
1102
ebenein
jetzt
Aufstand
eine günstige
aus, wahrscheinlich
Gelegenheit darbot.'
durch die"

Misregierung des schwachen Älmos hervorgerufen, und von Venedig


angefacht, das mit Ungarn um den Besitz der dalmatinischen Küsten
und Inseln wetteiferte. Älmos war unfähig, den Aufstand zu unter
drücken, oder förderte denselben wol gar in der Hoffnung, die Unab
hängigkeit zu erlangen, nach der sich seine Eitelkeit sehnen mochte.
Auf die Kunde hiervon eilte Koloman schnell mit Heeresmacht über die
Donau den Aufständischen entgegen, die schon die Save überschritten
hatten. Seiner Klugheit und Milde gemäß, wollte er nicht mit roher
Gewalt die Kroaten unter das Joch der Knechtschaft beugen, sondern
beide Nationen durch das Band des Rechts und der Freiheit fest mit
einander verknüpfen. Darum ließ er den Aufständischen Vergebung
des Geschehenen und vollständige Erhaltung ihres Eigenthums, ihrer
Rechte und Freiheiten versprechen, wenn sie sich gutwillig unterwerfen
würden. Sie kannten bereits Ungarns weit überlegene Macht, aber
auch dessen Gerechtigkeit, von der sie für ihr Vaterland nichts zu
fürchten hatten, und mistrauten dem ungewissen Lose der Schlacht;
sie ergriffen also das huldvolle Anerbieten des Königs und kehrten unter
die schützende Hoheit der ungarischen Krone zurück, was sie und ihre
Nachkommen
Jetzt glaubte
nie zuKoloman
bedauernden
Ursache
Zeitpunkt
hatten.
gekommen,
2 das ganze, für

Ungarn
taceo saeculi
so unschätzbare
XV. bibliothecae
Dalmatien
palatinae Vindobonensis,
zu erwerben, bei
undEndlicher,
begann die
S. 350
Aus-
fg.

In der Vorrede an den Erzbischof bittet Alberich, ihm etwaige Fehler der
Uebersetzung zu verzeihen, weil er der ungarischen Sprache nicht vollkom
men mächtig
1 Albert. sei.
Aquens., VIII, 34. Conradus Urspergensis ad ann. 1101. —
2 Thomas Archid., c. 17. Freibrief Koloman's von 1102 in Lucius, III, 3;
beide bei Schwandtner. So mag der Aufstand durch die menschenfreund
liche Staatsweisheit des Königs ohne Blutvergießen gedämpft und die Hoheit
Ungarns über Kroatien wiederhergestellt worden sein. Aber der Vertrag
zwischen Koloman und den aufständischen Großen, dessen Abschrift der
Historia salonitana des Thomas angehängt ist and von dessen Dasein sich
weder in einer Urkunde noch im Staatsleben eine Spur zeigt, verräth sich
204 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

fiihrung des großen Entwurfs mit jugendlichem Feuer. Rasch zog er


vor SpalatJ,o und forderte die Bürger zur Unterwerfung auf. Da ver
schlossen sie die Stadtthore und zeigten bewaffnet auf den Mauern ihre
schloß
Abneigung
sich Koloman,
vor der Herrschaft
ihren Widerstand
eines fremden
mit Gewalt
Volks.zu bezwingen;
Nicht gern doch
ent-'

da alle seine Anträge und Drohungen verachtet wurden, ließ er anfäng


lich ihr Gebiet verheeren, und als sie in ihrer Widerspenstigkeit beharrten,
traf er die ernstlichsten Anstalten, die Stadt zu stürmen. Den Zorn des
Siegers, dem sie endlich doch unterliegen mußten, fürchtend, sandten
sie jetzt ihren Erzbischof Crescentius zu ihm hinaus, um Gnade und
Frieden zu erbitten. Der König bestätigte ihnen ihre Verfassung, ihre
Rechtspflege und ihre Befreiung von Steuern und Zöllen, wofür sie
sowol der Oberherrschaft des byzantinischen Kaisers, als auch dem
Schutze der Venetianer entsagten, ihm und seinen Nachfolgern treue
Ergebenheit schworen, den Antheil an Zöllen, welchen der Kaiser bis
her gezogen hatte, ihm zuerkannten und zum Zeichen ihrer Unter
würfigkeit ein Festungswerk der Stadt einer ungarischen Besatzung
einräumten. Dem Beispiel der Unterwerfung, welches Dalmatiens
Hauptstadt gegeben hatte, folgten bald auch die minder mächtigen
Seestädte, Traw und Jadra. Ueberall bestätigte Koloman dem Volk
seine Freiheiten, den Kirchen und Klöstern ihre Besitzungen, und machte
dadurch
Koloman
seine Oberherrschaft
erkannte die unumgängliche
beliebt. Nothwendigkeit, den schwa

chen unzuverlässigen Älmos zu entfernen, wenn er Kroatien und Dal-


matien und durch sie die Verbindung mit dem Meere für Ungarn erhalten
wollte. War dieser doch bisher nicht fähig gewesen, durch weise Re
gierung des Landes Zufriedenheit zu gewinnen und die Herrschsucht
einiger Großen in Schranken zu halten ; um wie viel weniger stand zu
erwarten, daß er den schweren Kampf mit Venedig, den man voraus
sehen mußte, zu einem glücklichen Ende führen und die Zuneigung der
freiheitliebenden Seestädte gewinnen würde. Auch forderte die Staats
klugheit gebieterisch, in diesen Ländern nicht eine Regierungsform
bestehen zu lassen, die vermöge der großen und dauernden Gewalt,
welche sie dem Oberhaupt einräumte, früher oder später von selbst und
nothweudig zur Trennung vom Hauptlande führen mußte. Koloman
entzog also seinem Bruder die Regentschaft über Kroatien und verlieh
ihm das Herzogthum jenseit der Theiß, welches die gewöhnliche
Apanage der königlichen Prinzen war. Hierauf versammelte er die
Großen Kroatiens und Dalmatiens und die Abgeordneten der Städte in
Bielograd, Zara (Jadra), und ließ sich durch den Erzbischof Crescentius
feierlich zum König von Kroatien und Dalmatien krönen. x
schon Daß beiseine
durch dieserUebertreibungen
Gelegenheit ein Staatsvertrag
und abgeschlossen
andere Kennzeichen als einwurde,
unter

geschobenes Werk späterer Zeiten. Dasselbe gilt auch von dem Freibrief,
den Koloman 1105 erlassen haben soll, bei Kerchelich, Not. prael. 114, und
Fejer,1 Thomas
Cod. dipl.Archidiac. Historia salonit. bei Schwandtner, III, 180 u. 634.

Kerchelich, Not. prael., S. 134.


Koloman. Aeußere Begebenheiten. 205

daß Koloman für sich und seine Nachfolger die Rechte und Freiheiten
der Nation heilig zu halten gelobt , und diese durch ihre Stellvertreter
ihm gehuldigt und der ungarischen Krone den Eid der Treue geleistet
habe, ist mehr als wahrscheinlich, und wird zur Gewißheit, wenn wir
erwägen, was einzelnen Städten gewährt wurde, und um so weniger dem
ganzen Lande verweigert werden konnte. Auch spricht dafür die
Gewohnheit der Ungarn, allen Nationen, die in ihren Reichsverband
kamen, alle billigen Rechte zu gewähren; und endlich zeugt dafür auch
die bevorzugte, wirklich beneidenswerthe Stellung, die Kroatien jederzeit
im ungarischen
Koloman verweilte
Staatskörper
den größten
einnahm.Theil des folgenden Jahres, 1103,
«

in Kroatien und Dalmatien und war bemüht, diese Länder zu heben


und ihre Neigung durch Wohlthaten zu gewinnen, wie mehrere damals
von ihm ausgestellte Urkunden beweisen, Seinen erprobten Diener und
Freund Ugra, der die ungarischen Waffen bis an die Narenta getragen
hatte, ernannte er zum Bän von Kroatien und Dalmatien. Von Jadra
aus erließ er an diesen Befehl, gegen die Insel Arbe zu segeln und sie
zu nehmen. Aber ein heftiger Nordwind vereitelte diesmal die Unter
nehmung, und Ugra mußte, von drei Schiffen der Arbenser verfolgt,
nach beträchtlichem Verlust an Schiffen und Mannschaft wieder in
Segnia
Beieinlaufen.1
seiner Rückkehr nach Ungarn fand Koloman die Königin

Busilla todt. Sie hatte im Jahre 1101 Zwillingssöhne geboren, Ladislaus,


der schon als Kind starb, und Stephan, den nachmaligen König.*
Er vermählte sich zum zweiten mal mit Predslawa, des kiewer Groß
fürsten, Swetopolk's Tochter. Sei es, daß der König sein Misfallen über 1104
den zu großen Abstand zwischen der feinen, gebildeten Sicilianerin und ,11,
der natürlichem Russin nicht bezwingen konnte, oder daß sie selbst durch u^,
zweideutige Schritte ihre eheliche Treue in Verdacht setzte, nach einigen
Monaten erklärte sich Koloman schändlich von ihr betrogen und stellte
sie zur Untersuchung vor das Hofgericht. Sie ward schuldig befunden ;
aber der König entzog sie der gesetzlichen Strafe dadurch, daß er sie
zu ihrem Vater heimsandte. Dort gebar sie bald nach ihrer Verweisung 1105
einen Ein
Sohn,
Aufstand
genannt
derBoris.
BürgerSie
vonstarb
Zarahernach
oder Jadra,
als Nonne.
durch die
3 Venetianer 1105

erregt, rief den König wieder nach Dalmatien. Auf die versprochene
Hülfe der Aufwiegler rechnend, wiesen die Empörten alle Anträge der
Güte zurück. Koloman schloß die Stadt ein und begann die Belagerung.
Aber Johannes Ursini, Bischof von Traw, drang in die Stadt und ver
mittelte den Frieden. Der König hielt feierlichen Einzug, empfing die
Huldigung der Bürger, bestätigte und vermehrte noch ihre alten Frei
heiten. Hierauf ging er, von dem Bischof, der schon im Leben als Hei
liger verehrt wurde, begleitet, auch in die übrigen Städte des Küsten
landes, die ihm freiwillig abermals huldigten. 4 Indessen gelang es dem

1 Farlatus Dlyricum sacrum (Venedig 1769), IV, 313. Thuroczy, II,


60. — 2 Thuroczy, II, 61. — 3 Nestor ad ann. 1104. — 4 Vita S. Johannis
Targariens. vulgata a Treguano archidiacono Targuriens., Kap. 4 fg., in Farlati
Ulyric. sacr., IV, 313. Dandulus, XII, 261.
206 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

Grafen Sergius, zuerst die kleinern dalmatinischen Inseln und zuletzt


auch Jetzt,
Arbe der
nachdem
ungarischen
er HerrHerrschaft
ganz Dalmatiens
zu unterwerfen.
war, berief
1 Koloman auf

des ErzbischoßCrescentius Rath den Adel des Landes und die Abgeord
neten der Städte zu einer feierlichen Berathung. „König Koloman", sagt
die gleichzeitige Urkunde 2, „kam nach Zara und hielt vor der Stadt eine
Versammlung. Dort wurde berathschlagt, wie die Freiheiten Dalmatiens
für alle Zeiten unversehrt zu erhalten seien. (Zu diesen gehörte auch,
daß der König die von ihnen frei erwählten Bischöfe anerkenne.)
Zuerst bestätigte der König dieselben, indem er in Gegenwart des Vaters
Crescentius auf die Evangelien schwor." Nach ihm schworen und
unterschrieben die ungarischen Herren, geistlichen und weltlichen Standes,
Laurentius , Erzbischef von Gran ; Marcellus , waitzner u. s. w. Bischof
Johannes, Palatin, Cledin, Marcus u. s. w. Zum Gedächtniß gab der
König goldene Kreuze an die Kirchen zu Zara, Spalatro und Arbe.
Später, 1108, schenkte er der Stadt Traw das freie Wahlrecht ihres
Bischofs und ihres Grafen, blos die Bestätigung und Einsetzung der
Gewählten sich vorbehaltend. Sie sollte ihre hergebrachte Verfassung
behalten und weder ihm noch seinen Nachfolgern zinsbar sein. Nur
von den Zöllen sollten zwei Drittel, dem König, eines dem Statthalter,
und das Zehntel dem Bischof entrichtet werden. Er versprach ihr, nie
zu gestatten, daß wider ihren Willen ein Ungar oder Ausländer in
ihrem Gebiete sich häuslich niederlasse. Wenn der König zur Krönung
oder zur Verwaltung der Landesangelegenheiten sich in Dalmatien
aufhält, sollen die Häuser der Bürger durch Aufnahme der Hofdiener
keineswegs belästigt werden, sondern alle Bezeigungen der Gastfreund
schaft lediglich von ihrem guten Willen abhängen. Wer bei allen diesen
Rechten und Freiheiten unter seiner Herrschaft sich dennoch beschwert
fühlen dürfte, dem soll es frei stehen, mit seiner Habschaft und mit
den Seinigen hinzuziehen, wohin es ihm beliebt. Auch hier heißt es
zum Schluß : „Diese Handfeste ist vom König, vom Erzbischof und von
den Grafen Ungarns bestätigt worden." Hierauf folgen die Unter
schriften des Palatin Johannes und von fünf Obergespanen.3 Aehnliche
Handfesten gab er auch den übrigen Städten und den Inseln Veglia,
Cherso, Arbe, die sich ihm gleichfalls friedlich unterworfen hatten.
Den Bischöfen und der gesammten Geistlichkeit verlieh er dieselben
Rechte, welche die ungarischen besaßen, und erneuerte diejenigen, die
ihnen frühere Herrscher verliehen hatten. 4 Nachdem er sich dergestalt
ihre Treue
1 Farlatus,
und V,
den53.Ungarn
Luciusbedeutende
, III , 4. An
Handelsvortheile
einem Thurm ingesichert
Zara stand
hatte,
die

Inschrift: Anno. Inear. Dni. Nri. jhu. XPI. Mil. CV. Post. Victoriam. Et.
Pacis. Praemia. Jaderae. Introitus. A. Deo. Concessa. Proprio. Sumptu. Hanc.
Turrim. Scae Mariae. Ungariae. Dalmatiae Croatiae. Construi. Et Erigi.
Jussit. Rex Colomanus. Farlatus, IV, 234. — 2 Libri Pactorum, ,1, 238; eine
Staatsschrift, die aus Venedig in die kaiserliche Hofbibliothek in Wien kam.
Laurentius de Monachis Chron. de rebus Venet., VI, 102. Lueina, III, 4,
bei Schwandtner, III, 186. Vgl. Horvath, Geschichte des ungarischen Reichs,
2. Aufl., S. 233—235. — 3 Lucius, III, 4, bei Endlicher, S. 37C. — 4 Lu
cius, Constitutio pro clero Arbensi, anno MCXI, bei Endlicher, S. 377.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 207

kehrte er jetzt nicht nur als König Kroatiens und Dalmatiens , sondern
auch als Beherrscher des Adriatischen Meeres nach Ungarn zurück, wo
ein langer
NichtsKampf
ist gewöhnlicher,
gegen Ränke der
als Bosheit
daß Geistesschwäche
seiner harrte. mit großem

Selbstvertrauen und übertriebenen Ansprüchen gepaart ist. So fühlte


sich auch Almos tief verletzt, daß ihm Koloman das jetzt durch Dal-
matien so bedeutend vergrößerte Kroatien entzogen habe, ungeachtet
er, wie er selbst fühlen mußte, sich zu dessen Behauptung und Regierung
unfähig erwiesen und zu den neuen Erwerbungen nicht das Geringste
beigetragen hatte. Die gefahrlose Verwaltung, der ruhige Genuß seines
Herzogthums und königliche Ehren genügten ihm nicht, er fing an nach
weit
Flammehöhern
des Ehrgeizes
Dingen zuundstreben;
der Herrschsucht,
selbstsüchtigeverrätherische
Günstlinge nährten
Zwischen
die ,

träger streuten den verderblichen Samen der Zwietracht, und er faßte


den abenteuerlichen und verrätherischen Plan, seinen großen Bruder
vom Thron zu stürzen und sich auf denselben zu schwingen. Diesen
Plan verfolgte er von nun an hartnäckig und rastlos, bis er sich zuletzt
selbst ins Verderben stürzte. 1 Indem Koloman mit Dalmatiens Ein
richtung beschäftigt war, reiste Almos zu Kaiser HeinrichV., zuversicht- 1106
lieh auf den Beistand des Mannes rechnend, der seinem eigenen Vater
die Krone geraubt und ihn bis zum Tode verfolgt hatte. Allein unge
achtet der Verheißungen, durch welche er sein Vaterland verrathen und
verderben wollte, ward er für diesmal von dem Kaiser abgewiesen.
Die Absicht seiner Reise ward an den König verrathen, nichtsdesto
weniger empfing ihn dieser bei seiner Rückkunft aus Deutschland zu
traulich und gab ihm nur die sanfte Weisung, sein gutes Volk in seinem
GebietDes
nicht
edlern
ganzMannes
der Willkür
schonendes
seinesBetragen
Grafen zuhielt
überlassen.
Almos für
2 tückische

Zurückhaltung des Grolles, dessen Ausbrüchen er zuvorkommen müßte.


Er bot die Krieger seines Herzogthums auf, sammelte um sich eine
Partei und bezog Verstärkungen aus Polen; denn wie alle hervor
ragende, über die Vorurtheile ihrer Zeit erhabene Männer war auch
Koloman reichlich mit Feinden gesegnet. Auch er sammelte nun seine
Scharen und stellte sich bei Värkony, am rechten Ufer der Theiß, zwei
Meilen unter Szolnok, den Kampf mehr drohend als wünschend. Jen-
seit des Stromes stand Almos. Aber die Besten beider Parteien, von
Vaterlandsliebe beseelt, hielten einen Rath und beschlossen, jene blutigen
Auftritte, in welchen einst ihre Väter und Verwandten der Eifersucht
zwischen Andreas und Bela, zwischen Salomon und Geiz'a zum Opfer
fielen, nicht zu erneuern. Die Fürsten möchten ihre Sache durch Gottes-
urtheil im Zweikampfe ausmachen. Gyäräk, des Almos Vezer (Feld
herr), machte den Beschluß dem König bekannt, der zu allem bereit war;
aber Älmos hielt es für sicherer, ohne Wagniß des Zweikampfs, mit dem
Bruder sich auszusöhnen. 3
1 Kraftgefühl
Thurüczy, II,und
«0. --,
Mistrauen
2 Ebencl. sind
— 3 unvereinbar;
Ebend. jenes machte den
208 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

König über seines Bruders weitere Schritte unbesorgt, dieses jagte den
1107 Herzog nach Polen zu Boleslaw III., der ihm die Anwerbung einiger
Haufen im Lande gestattete. Mit diesen fiel er in Ungarn ein, bemäch
tigte sich der nördlichen Gespanschaften und erklärte den König für
abgesetzt, sobald ihm die Bergfestung Aba-Ujvär ihre Thore geöffnet
hatte. Weiter konnte er nicht fortschreiten; denn der immer schlag
fertige Koloman stand vor der Burg und bereitete sich, dieselbe zu
stürmen. Almos sah die Unmöglichkeit, sich zu behaupten; eilends
bestieg er sein Roß und sprengte ohne Gefolge in das Lager der Ungarn,
dort warf er sich dem König zu Füßen und bekannte seine Schuld.
Ihm und
Gemeine
den wenigen
Seelen hassen
ungarischen
denjenigen
Parteigängern
unversöhnlich,
wardden
verziehen.
sie muthwillig
1

beleidigt haben ; also auch Älmos. Was er im Haße gebar, beschloß er


dort auszuführen, wo nur Liebe und Andacht sein ganzes Wesen hätte
durchdringen sollen. Zu Dömös, dort, wo seinen Großvater Bela unter
den Trümmern des einstürzenden Hauses die Nemesis ereilt hatte, war
vor einiger Zeit von ihm der Grund zu einer prächtigen Propstei und
Kirche gelegt worden; jetzt war das Gebäude vollendet und sollte ein
geweiht werden. Zu gleicher Zeit schenkte ihm seine Gemahlin.
Ingelburge, Ingo I., Königs der Schweden, Tochter, einen Sohn; um
so eifriger strebte er nun nach der Krone, dem künftigen Erbe des Neu
geborenen. Er bat den König, der feierlichen Einweihung der Kirche
beizuwohnen. Der König kam. Da erfuhren die Hofherren, die ihn
begleiteten, daß der Herzog ihn ermorden lassen wolle, und unterrich
teten ihn von der drohenden Gefahr. Durch die treue Wachsamkeit
seiner Freunde entging er glücklich dem lauernden tückischen Morde
von der Hand des Bruders, den er, mit Recht empört über solchen Frevel,
gefangen nehmen wollte. Aber die anwesenden Bischöfe und andere
Herren, denen er sein Vorhaben entdeckt hatte, bewogen ihn, den Ver
brecher blos in ihrer Gegenwart zu entlarven und ihm noch einmal zu
verzeihen. Ein neuer Vertrag ward gestiftet und beide Fürsten be
schworen
NachihndemaufFeste
das Evangelium.2
zog Älmos in den bakonyer Wald auf die Jagd,

begleitet von des Königs zwei bewährten Hofbedienten, welche für des
Herzogs Bequemlichkeiten sorgen, wie auch auf seine Aeußerungen genau
merken sollten. Bei Csoor erblickte er einen Reiher, er ließ seinen
Falken auffliegen und auf den ersten Stoß war der Raubvogel sein. Da
sprach er zu seinen Begleitern: „Glaubt ihr wol, der kluge Falke würde
den Reiher friedlich haben fliehen lassen, wenn dieser ihm geschworen
hätte, nicht mehr zu schreien." Die Hofbedienten erwiderten: „Der
wilde Falk würde ebenso wenig auf den Schwur des Reihers geachtet,
als dieser zu einem Eide sich verstanden haben." Älmos fürchtete von
seiner1 Thuroczy,
unbesonnenen
II, 60.Rede
— 2die
Dasschrecklichsten
erzählt der Chronist,
Folgendessen
und wirklicher
beschloß,

oder erkünstelter Haß gegen Koloman sonst überall hervorleuchtet. Thu


roczy, II, 61.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 209

durch neuen Hochverrath sie von sich abzuwenden. In der Nacht


nahm er die Flucht, ohne daß sein Gefolge eine Spur von ihm ent
decken
Erkonnte.
war bei1 Kaiser Heinrich V., der sich endlich von ihm bewegen

ließ, das Reichsheer aufzubieten und einen Feldzug nach Ungarn zu


unternehmen.2 Um seine Macht zu verstärken, erließ Heinrich dem
Herzog von Böhmen und Mähren, Swatopluk, den er unlängst gegen
Boriwoi auf den herzoglichen Stuhl erhoben hatte, eine beträchtliche
Geldschuld, unter der Bedingung, daß er zu gleicher Zeit mit seinem
Heerbann
Heinrich
Ungarn
und überfalle.
Älmos führten
3 ihr Kriegsvolk vor Presburg. Die 1108

Stadt war gut besetzt und wurde von den Ungarn so kräftig vertheidigt,
daß der Kaiser nach vier Wochen langer Belagerung an ihrer Einnahme
verzweifelte. Am rechten Donauufer stand Köloman mit starker Heer
macht, um den Feinden den Uebergang zu verwehren; ein anderes
Heer hielt das linke Waagufer besetzt; blos die presburger, neitraer und
trencsiner Gespanschaften waren dem Kaiser und seinem Lehnsmann
Swatopluk preisgegeben. In diesem kleinen, bergigen und rauhen
Bezirk konnten sich die Feinde nicht lange halten, und Heinrich sah sich
nothgedrungen, durch Unterhandlung zu erreichen, was er durch Waffen
gewalt nicht erzwingen konnte. Mit geringer Mühe bewirkte er die
Aussöhnung, wozu den König Großmuth, den Herzog Erbärmlichkeit
stets bereit machte. Der Kaiser war mit einigen Geschenken und mit
der Zusicherung freien Rückzugs zufrieden.4 Älmos gelobte in seines
Bruders Lager eine Wallfahrt nach Jerusalem, vielleicht weil er sich 1110
zu schwach
Der Unglückliche
fühlte, seineBeschämung
kam jedoch aus
vordem
demheiligen
ganzen Lande
Volke zu
nicht
ertragen.
besser 1112

zurück, als er hingegangen war; er blieb überall selbst sein ärgster Feind
und weder die Zeichen des Heils zu Jerusalem, noch der zutrauliche
Empfang des Königs bei seiner Rückkunft konnten ihn versöhnen;
bald fing er an , in Verbindung mit den drei Grafen Uros , Vatha und
Paulus neue Entwürfe der Empörung zu spinnen. Koloman erfuhr das
Geheimniß der Verschworenen beizeiten, ein Verhaftsbefehl wider 1113
den Herzog und die drei Grafen kam der Vollziehung des Verbrechens
zuvor. Des Landes Verfassung, der Stand der Verbrecher und des
Königs Charakter verbieten zu glauben, daß dieser willkürlich an ihnen
Rache nahm; wahrscheinlich hatte er sie dem Hofgerichte überliefert,
welches den Gesetzen gemäß nicht anders als auf Todesstrafe erkennen
konnte. In einem unglücklichen Anfall menschenfreundlicher Schwäche
steigerte Koloman den Ausspruch des Rechts, indem er ihn mildern
wollte, zu einem Machtspruch der Tyrannei, nach welchem Älmos, sein
fünfjähriger Sohn Bela und die drei Grafen das Leben behalten, aber
geblendet werden sollten. 6 Obgleich Blendung in den Herrscherfamilien

1 Thuröczy, a. a. 0., S. 61. — 2 Chronicon Urspergense ad ann. 1108.


8 Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 357 fg. — 4 Annalista Saxo ad ann.
1108. Otto Frisingens., Historiar., VII, 13, bei Urstisius, I. Thuröczy,
II, 62. — 5 Chronicon Admontense ad ann. 1113. Magien, Kap. 48.
Thuröczy, II, 62 ; aber die Greuel, welche letzterer hierbei dem Könige noch
FeMer. I. 14
210 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

der damaligen Zeit etwas Gewöhnliches war und Älmos schwere Strafe
verdient hatte, mochte doch die Gestalt des blinden Bruders und noch
mehr das Jammerbild des unschuldigen Kindes vorwurfsvoll vor die
Augen seines Geistes treten und ihn um so mehr beunruhigen, je weniger
sein Herz unempfindlich und grausam war. Seine Lebenskraft schwand
merklich, unerträgliche Schmerzen im Kopf quälten ihn; er fühlte das
Herannahen des Todes und dachte mit . ängstlicher Besorgniß an das
Schicksal seines unmündigen Sohnes, dessen Leben und Thron er sichern
wollte. Da berathschlagte er mit seinen Vertrauten Marcus und Achilles,
und es wurde beschlossen, Älmos zu tödten. Ein Bote, Benedict, wurde
eilends nach Dömös zur Vollstreckung des Mordbefehls abgeschickt.
Der blinde Herzog saß vor dem Kloster an der Wintersonne und hörte
den Hufschlag des Pferdes, das seinen Henker trug; Böses ahnend, ließ
er sich zum Altar führen, und die Mönche, deren Kloster er gestiftet
und reich begabt hatte, erlaubten nicht, ihn von der heiligen Freistätte
wegzureißen. Unverrichteter Sache und drohend eilte Benedict zurück
an den königlichen Hof, stürzte unterwegs vom Pferde und brach das
Genick. Älmos floh an den nah verwandten konstantinopolitanischenHof.
1114 Koloman starb am 4. Februar 1114. l Achtzehn Jahre, sechs Mo
nate und fünf Tage hatte er weise, kraftvoll und glücklich regiert und
besonders durch die Erwerbung der Meeresküste dem Vaterlande ein
kostbares Vermächtniß hinterlassen, das zu erhalten seine Nachfolger
leider weder Klugheit noch Kraft genug hatten. Aber vielen misfallen
und gottlos erscheinen mußte der Mann, der, dem Geiste seines Zeitalters
ganz zuwider, kein einziges Kloster gestiftet, nicht eine Kirche erbaut,
die ausschweifenden Kreuzritter nach Verdienst gezüchtigt, übermäßige
Schenkungen seiner Vorfahren an Klöster und Kirchen eingezogen, die
Klerisei zur Zucht und Pflicht angehalten, die Gerechtigkeit mit Strenge
verwaltet und endlich seinem treulosen, aber freigebigen Bruder nicht
auch den sechsten Hochverrath am Vaterlande ungestraft hingehen ließ.
Neuere vertheidigten diesen König gegen ältere Lästerungen durch viele
Zeugnisse2; aber seine bündigste Vertheidigung sind seine Thaten,
der Geist seiner Gesetze, der geordnete blühende Zustand, in dem er
das
aufbürdet
Reichund
zurückließ.
von welchen Muglen nichts wußte, werden billiger bezweifelt

als nacherzählt. Wol mögen sie noch zu Koloman's Zeit erzählt worden
sein; denn die Menschen hatten von jeher weder des Glücks noch des Un
glücks genug und waren immer fertig, durch greuliche Dichtungen zu er
setzen, was der mäßigen Wirklichkeit mangelte. Einige pflegten dergleichen
zu thun, weil sie in dem Schose ihrer trägen Jämmerlichkeit durch schreck
liche Dinge erschüttern und erschüttert werden wollten; andere, weil sie von
ihren bessern Zeitgenossen den Vorwurf eigener Schlechtigkeit nicht ertragen
konnten und durch das leichte „criminari audacter", welches, gegen große
Männer1 Thur6czy,
ausgeübt, DI,
niemals
62. —mislingt,
2 Cornides,
sich zu
Genealog.
rächen Regum
suchten.Hung., S. 102 fg.,
nach ihm Katona, Pray, Klein, Handbuch der Geschichte von Ungarn (Ka-
schau u. Leipzig 1833). Szalay u. Horväth in ihrer Geschichte des unga
rischen Reichs.
Koloman. Innere Zustände. 211

Ungarn hatte das seltene


2. Innere
Glück,
Zustände.
daß zwei große Könige aufein

ander folgten; ihre Regierung dauerte 37 Jahr und übte den wohl
tätigsten Einfluß. Was unter Ladislaus zur Befestigung geordneter
Staatseinrichtungen und zur allseitigen Entwickelung eines edlern Volks
lebens geschehen war, wurde von Koloman nicht nur fortgesetzt, son
dern auch Neues und Größeres bewirkt; aber freilich alles im Geiste
der damaligen Zeit, das Gute wie das Fehlerhafte, das dieser brachte,
auffassend und das Vorhandene nach den herrschenden Begriffen und
Bedürfnissen umgestaltend. Denn ein Kind seiner Zeit ist der Mensch,
und weder der Einzelne noch ganze Völker können sich ihrem mäch-
tigenr das Leben gestaltenden Einfluß entziehen. Die Kirche mit ihrem
geordneten Priesterthum und der Feudalismus mit seinem bevorrechteten
Adel beherrschten damals das christliche Europa: je mehr also in Un
garn das Christenthum Wurzel faßte, und europäische Gesittung sich
befestigte, desto größer und entscheidender mußte auch der Einfluß die
ser beiden Mächte werden; nur auf dem Wege, den sie bezeichneten,
konnte der Fortschritt geschehen. Von diesem Standpunkt müssen
wir die Zustände betrachten, die sich unter Koloman's Regierung ent
wickelt und gestaltet haben, wenn wir sie richtig beurtheilen wollen.
Die Gesetzsammlung, welche uns der Mönch Albericus überliefert hat,
muß uns beim Mangel anderer und reicherer Quellen großentheils als
Führer
Bisher
dienen.
war 1der königliche Hof allein die Gerichtsstelle der Großen und

Vornehmen und zugleich das höchste Appellationsgericht gewesen. Da es


aber beschwerlich war, wegen jeder Streitsache aus allen Theüen des weiten
Reichs den königlichen Hof aufzusuchen, und mit der zunehmenden Ent
wickelung des Verkehrs und aller Verhältnisse auch die Rechtssachen zahl
reicher und ihre Entscheidung schwieriger wurden, ward nun dusch ein
Gesetz des Reichstags in jedem Bisthum ein Gerichtshof errichtet. Zwei
mal im Jahre, zu Anfang Mai und October, sollen sich die Obergespane,
die Grafen (die Hofgrafen und andere höhere Beamte und Herren) und
die Behörden bei ihrem Bischof versammeln, um Recht zu sprechen (2).
Diesem Gericht sind auch die Grafen und Aebte, die Hofherren (mini-
stri) und Hofgeistlichen (capellani) des Königs und Herzogs unter
worfen. Der Kleriker wird durch das Siegel des Bischofs oder Archi-
presbyters, der Laie durch das des Richters vorgefordert. 2 Jeder Be
rufene ist verpflichtet zu erscheinen (5—13). Daß hierdurch die Wirk
samkeit der andern Gerichte und die Appellation an den königlichen
Hof nicht aufgehoben wurde, versteht sich von selbst. Der König
bleibt1 Deeretum
immer derColomani
höchsteregia
Richter,
ab Alberico
der jede
compilatum,
Streitsache
bei Endlicher,
aufnimmt siehe
und

S. 528. — 2 Präsident dieses Gerichtshofs scheint der Bischof gewesen zu


sein, und die Archipresbyteri — nach römischem Sprachgebrauch Archidiakone
— waren wahrscheinlich Beisitzer desselben, darum waren ihm auch die Kle
riker unterworfen.
H*
212 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

persönlich entscheidet. „Wenn der König umherreist, sollen ihn im


mer zwei Richter des Bezirks, in dem er sich gerade befindet , begleiten,
damit sie ihm die Streitigkeiten des Volks entscheiden helfen, oder wenn
gegen die Richter selbst Klage erhoben würde, der Palatin über sie ab-
urtheile" (37). Den Misbräuchen, die mit den Feuer- und Wasser
proben getrieben wurden, sollte dadurch gesteuert werden, daß diese
von nun an nur an den Bischofssitzen und größern Propsteien vor
genommen werden dürfen (23). Um den Zeugen mehr Glaubwürdig
keit zu geben, mußten sie, bevor sie ihre Aussage abgaben, beichten
und für die Wahrheit derselben mit ihrem Vermögen einstehen (26 —
27). Der nüchterne Verstand des Magyaren sträubte sich gegen den
Glauben an Zauberkünste, und wir lesen mit gerechter Bewunderung
das Gesetz dieser Zeit : „Gegen Hexen, die es nicht gibt, soll gar keine
gerichtliche Untersuchung vorgenommen werden" (57). Die Straf
bestimmungen der frühern Gesetze wurden gemildert, und wo sie bei
behalten
Daßwurden
die Könige
, auf in
schwerere
den lange
Verbrechen
dauerndeneingeschränkt.
innern Unruhen und Krie

gen genöthigt waren, ihren Thron durch übermäßige Freigebigkeit zu


stützen und sich Anhänger zu erkaufen, daß sie deshalb viele königliche
Besitzungen und viel Staatsgut an Kirchen , Klöster und weltliche Her
ren verschenkten und dadurch das Staatseinkommen, welches von dem
des Königs nicht getrennt war, außerordentlich schmälerten, haben wir
bereits oben berichtet. Aber auch gewaltsam hatten in diesen Zeiten
der Verwirrung viele Mächtige das Eigenthum der Schwachen und des
Staats an sich gerissen. Diesem Uebel sollte abgeholfen und den An
maßern das gesetzwidrig Gewonnene oder Geraubte wieder abgenom
men werden. Ein verwickeltes und schweres Geschäft, das alle Lei
denschaften wach rief und dem der Eigennutz unüberwindliche Hinder
nisse entgegensetzte. Hier erblicken wir aber erst die Anfänge jenes
Uebels, das später durch erneuerte Thronstreite immer größer wurde,
langwierige erbitterte Kämpfe der Könige mit den Großen erzeugte,
schreckliche Zerrüttungen herbeiführte und nie mehr gehoben wurde.
Jetzt suchte man noch friedlich auf dem Wege des Gesetzes Abhülfe
zu schaffen. „Dem König und der Reichsversammlung beliebte,
daß Besitzungen welcher Art immer, die Stephan der Heilige den
Kirchen und Klöstern verliehen hat, unversehrt bleiben u. s. w." (1).
Soll das hier unvollständig wiedergegebene Gesetz einen Sinn haben,
so mußten die Kirchen und Klöster entweder Beraubungen erlitten
haben, die nun aufhören sollen, oder es gestattet, daß Schenkungen
späterer Könige wieder eingezogen werden dürfen. Die Mitglieder des
Reichstags verpflichten sich, alle Fischereien (das Recht des Fischfangs
an gewissen Stellen der Flüsse, Seen und Teiche), mit Ausnahme der
von Stephan verliehenen, zurückzugeben, weil es unwürdig ist, daß sie
Ueberfluß haben und der königliche Hof Mangel leide (15). Des
gleichen sollen die Fischereien der Kirchen und Klöster, welche den
täglichen Bedarf übersteigen, an den König zurückfallen (16). Den
mächtigen Großen war aber schwer abzunehmen, was sie einmal in ihren
Händen hatten ; von Rückgabe desselben ist keine Rede. „Weingärten,
Koloman. Innere Zustände. 213

Ansäßigkeiten (mansiones) und Ländereien, von welchen Königen immer


sie verliehen sein mögen, bleiben denen, denen sie verliehen worden sind"
(17). Nur die alten vertriebenen Colonen sollen auf ihren Grund zu
rückkehren; ist dieser jedoch an Klöster und Kirchen gekommen, oder
. haben sie einen andern erhalten, so bleibe alles, wie es ist (19). Um
aber dem Staat nicht alle Hoffnung zu nehmen, daß er das Vergabte
wiedererlangen könne, wurde eine Anordnung getroffen, die den gegen
wärtigen Besitzer wenig oder nichts kostete. „Von Stephan dem Hei
ligen verliehene Besitzungen fallen auf die Nachfolger oder Erben von
jeder Art menschlicher Nachfolge." Sie sind also völliges Eigenthum,
über welches der Besitzer frei verfügen kann. „Von andern Königen
verliehene Besitzungen aber gehen blos auf die natürlichen Erben, von
Vater auf Sohn , auf den Bruder und dessen Sohn , über und fallen in
Ermangelung solcher an den König." Sie sind also ein unveräußer
liches Gut des Staats, welches einer Familie zur bleibenden Nutz
nießung übergeben ist und mit deren Aussterben wieder heimfällt (20).
Ein gekauftes Erbe (haereditas = Allodium) darf keinem Erben, ent
zogen werden, nur ist diese Eigenschaft desselben durch Beweise zu
erhärten
In diesen
(21). Gesetzen zeigen sich bereits die unverkennbaren Spu

ren des überhandnehmenden Lehnwesens. Noch gibt es zwar freies


unbeschränktes Grundeigenthum , das theils von der ursprünglichen
Theilung des Landes herrührte \ theils ,aus den Vergabungen des ersten
Königs entstanden war. 2 Allein neben demselben macht sich hier zum
ersten mal im Gesetz ein Besitzthum geltend, das mit beschränktem
Eigenthumsrecht für gewisse Leistungen empfangen wurde; dasselbe
mußte also bereits häufig und ausgedehnt sein. Es lag dies in dem
Geist und in den Einrichtungen der Zeit. In jenen Tagen, wo Könige
selbst ihr Reich unter die Söhne theilten, kannte man keine Majorate,
die Allodien wurden mithin durch Erbtheilungeu zersplittert und die
hierdurch verarmten Besitzer derselben genöthigt, im Dienst des Kö
nigs neuen Wohlstand zu suchen. Und weil man auch von Besoldungen'
wenig wußte, konnte der König solche Dienste nur vergelten durch
zeitweilige oder bleibende und sogar erbliche Verleihungen von Grund
und Boden. Hierzu kam noch, daß in den wechselvollen Bürgerkriegen
das Eigenthum vieler Anhänger der unterliegenden Partei gewaltsam
confiscirt und von den Siegern an ihre Kampfgenossen verschenkt
wurde. Durch solche wiederholte Schenkung verlor es aber seine
ursprünglichen Rechte zugleich mit dem ersten Besitzer und kam in
die Reihe der von Stephan's Nachfolgern verliehenen Schenkungen; es
wurde ein unveräußerliches Erbe der männlichen Nachkommenschaft
und nahm die Natur der Lehen an. So entwickelte und verbreitete
sich auch in Ungarn mehr und mehr das Feudalwesen, und die Mäch
tigen mögen, bewußt oder unbewußt, diese Umwandlung des freien
unbeschränkten
1 S. StephaniEigenthums
Decret., I, 6.in— ein
2 Ebend.,
bedingtes
II, 2.sogar befördert haben.
214 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Denn ihr Besitzthum, unter •welchem Titel immer sie es innehatten, war
gesichert; wer hätte es den Gewaltigen nehmen sollen? Dagegen gab
ihnen das Lehnsystem Vorwände und Mittel an die Hand, das Gut der
Schwächern
Auch im
undNationalheer
des Staats umbeginnt
so leichter
sich an
dersich
Einfluß
zu bringen.
des überhand

nehmenden Lehnwesens zu äußern. „Die Grafen (die Großen) die auf


ihrem eigenen Besitzthum (villa) freie Leute haben, von denen sie Pferde
nehmen und 100 Pensen sammeln können, sollen dem König einen
gepanzerten Reiter stellen, die nur 40 Pensen zusammenbringen, ihm
einen ungepanzerten Reiter zuführen, die weniger erheben, sollen dieses
zu ihrer eigenen Ausrüstung verwenden" (40). Es ist also nicht mehr
jeder freie Mann berechtigt, wenn der König ruft, die Waffen zu er
greifen; dieses Recht ist von der Person auf den Grundbesitz über
gegangen, wer nicht auf eigenem ganz unabhängigem Boden wohnt,
trägt nur die Kosten, einen Höhern auszurüsten, der sein Verhältniß
zum König und Staat vermittelt. Abgesehen hiervon war diese An
ordnung gewiß zweckmäßig, da der Aermere von der schweren Last
unbezahlter Kriegsdienste befreit wurde, andererseits die etwa ver
ringerte Zahl der Streiter durch Rüstung und Kriegsübung reichlich
ersetzte,
Daswas
Losander
Menge
Sklaven
abging.
ward wenigstens insoweit erleichtert, daß

verboten wurde, in Ungarn geborne, welcher Nation immer sie an


gehören mögen, über die Grenzen des Landes zu verkaufen (76). Auch
durften sie nach Synodalbeschlüssen mit Bewilligung ihres Herrn in
den geistlichen Stand treten, wodurch sie selbst und ihre Kinder frei
wurden. Es war aber verboten, einen Sklaven oder sonst Hörigen in
Wissenschaften zu unterrichten oder zum Priester zu weihen, ohne
hierzu die Einwilligung des Herrn erhalten zu haben. Wer dawider
handelte , war verurtheilt den Sklaven loszukaufen und jeine Strafe von
50 Pensen zu erlegen. l
Gegen die Ismaeliten, diese mohammedanischen Stammgenossen
der Ungarn, die mit ihnen dieselbe Sprache redeten, richtete sich jetzt mit
zunehmender Heftigkeit der unduldsame Glaubenseifer. Zogen doch
Tausende in ferne Länder um die Feinde des Kreuzes zu bekämpfen;
wie sollte man unter sich die Glaubensgenossen dieser Feinde dulden.
„Ismaeliten, die man bei der Beobachtung ihrer Religionsgebräuche
betrifft, sollen vor des Königs Gericht gestellt und der Kläger mit einem
Theil ihres Vermögens belohnt werden. Die ismaelitischen Ortschaften
müssen in ihrer Mitte eine Kirche bauen und dotiren, sodann muß die
Hälfte der Einwohner. Christen Platz machen und in christliche Dörfer
auswandern, damit sie in dieser Weise vermischt und bekehrt werden.
Ismaeliten dürfen ihre Töchter nur an Christen verheirathen; wenn sie
Gäste bewirthen, mit diesen nichts anderes als Schweinefleisch essen"
(46 —49). Und doch wurden sie nicht bekehrt; sie blieben ihrem
Glauben
1 Synodus
treu unter
Strigoniensis
allen prior,
Drangsalen,
S. 29, 30.erlebten noch Zeiten, wo sie
Koloraan. Innere, Zustände. 215

mächtig wurden und ihren unduldsamen Mitbürgern die erlittenen Be


drückungen vergelten konnten, und verschwinden erst nach Jahr
hunderten
Weit gänzlich.
weniger Mühe gab man sich mit der Bekehrung der Juden,

die außerhalb des Nationalverbandes standen. Sie dürfen künftig keine


christlichen Sklaven kaufen, verkaufen und halten — sie mochten den
Handel mit dieser Menschenwaare stark betreiben —, und verlieren die
jenigen, die sie jetzt haben, wenn sie dieselben nicht bis zu einer von
den Gerichten ihnen gestellten Frist verkaufen (74). Grundbesitz ist
ihnen gestattet, doch dürfen sie ihr Feld nur mit heidnischen Sklaven
bebauen, und selbst blos dort wohnen, wo sich ein Bischofssitz befindet
(75). Außer diesen Gesetzen erließ Koloman in Betreff der Juden noch
eine besondere Verordnung, die zu merkwürdig ist, als daß wir sie der
Hauptsache nach nicht mittheilen sollten. Zuerst wird ihnen abermals
verboten, christliche Sklaven zu halten. Sodann wird befohlen; wenn
zwischen Christen und Juden ein Anlehen geschlossen wird, das zwei
oder drei Pensen beträgt, soll dieses in Gegenwart christlicher und
Jüdischer Zeugen geschehen, damit die Schuld, wenn sie einer ableugnete,
durch die Zeugen erwiesen werde. Beträgt aber das Anlehen mehr
als drei Pensen, so müssen die Summen des Geldes und die Namen der
Zeugen auf einen Zettel geschrieben und das Siegel des Gläubigers und
Schuldners beigedruckt werden. Dieselben Formalitäten sind beim
Kauf und Verkauf zwischen Juden und Christen zu beobachten; sodann
werde der Zettel dem Käufer eingehändigt, damit er sich rechtfertigen
und den Verkäufer angeben könne , falls die gekaufte Sache als ge
stohlen erkannt würde u. s. w. 1 Die Juden müssen also bedeutende
Handels- und Geldgeschäfte gemacht haben, und es mag dabei nicht
immer ganz redlich zugegangen sein. Uebrigens genoßen sie damals
kaum in einem Lande soviel Ruhe und Freiheit wie in Ungarn, daher
hatte sich auch ihre Zahl; besonders seit den schrecklichen Verfolgungen,
mit denen sie in Böhmen und Deutschland heimgesucht wurden, hier
außerordentlich
Jeder freievermehrt.
Ungar, der eigenen Grund besaß, zahlte jährlich vier

Denare Kopfsteuer und ebenso viel als Ablösung für öffentliche Ar


beiten, wenn er diese nicht leistete, wie aus dem dunkeln Gesetzartikel
40 sich entnehmen läßt. Die Freien und Eingewanderten (hospites)
aber, wie [Slawen und andere Ausländer, die den Boden eines andern
bebauen (also nicht auf eigenen Grund wohnen) , sind von der letztern
Abgabe frei (80). Ferner wird verordnet, die Obergespane sollen
künftighin den ganzen Betrag der Steuern nebst den Ausweisen, wie
viel jeder Einnehmer gesammelt habe, bis zum Feste des Erzengels
Michael nach Gran abliefern und dort das ihnen gebührende Drittel
empfangen, welches sie früher zurückzuhalten pflegten (79). Von den
Steuern und Zöllen sollen die Bischöfe den zehnten Theil erhalten,
„weil1 jedes
Colomani
Blatt regis
des Alten
lex data
und Judaeis
Neuen Testaments
in suo regnolaut
commorantibus,
verkündigt, daß
bei

Endlicher.
216 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

man den Bischöfen den Zehnt gebe" (25). Dieses Gesetz zeugt wieder
von der Unersättlichkeit der damaligen Bischöfe und von ihrer über
wiegenden Macht. Denn nur durch diese konnte ein solches Gesetz
gerade unter Koloman zu Stande kommen; wahrscheinlich benuzten
sie einen Augenblick der Bedrängniß, um ihm dasselbe abzupressen.
Die Kroaten fuhren fort, wie ehemals ihren eingeborenen Fürsten, auch
den ungarischen Königen die Steuern in Marderfellen zu entrichten.
Die Dalmatier genossen nach den vorhandenen Urkunden beinahe
gänzliche Steuerfreiheit. Dem König und Herzog wurde in jeder Ge
spanschaft, durch die sie reisten, ein Kriegspferd zur Benutzung gestellt;
starb dieses zufällig, so erhielt der Eigenthümer 15 Pensen, erlitt es
Schaden , die Hälfte dieses Betrages als Schadenersatz (36). Die freien
Leute lieferten als Staatsleistung bei dieser Gelegenheit Pferde, Wagen
und Dienerschaft
"Wie sehr sich(45).
die Landwirthschaft bereits gehoben und ihre Er

zeugnisse sich vermehrt haben mußten, lehrt schon die eine Thatsache,
• daß alle Bedürfnisse so vieler Tausende von durchziehenden Kreuz
fahrern befriedigt werden konnten, ohne das Land zu erschöpfen und
Mangel und Hungersnoth zu verursachen. Diese Durchzüge brachten
neben großen Beschwerden auch bedeutende Vortheile; Ungarn ward
durch sie zur großen Heerstraße zwischen Europa und Asien und ein
vielbesuchter Markt. Von nicht geringerer Wichtigkeit war die un
mittelbare Verbindung mit dem Meere, welche Koloman durch die Er
werbung der dalmatinischen Küste eröffnete. Auf beiden Wegen
strömten Käufer und Geld -herbei; der Fleiß des Landwirths und des
Gewerbsmannes ward durch höhern Absatz geweckt, das Volk kam
in vielfache Berührung mit andern Nationen, sein Gesichtskreis erweiterte,
ein allseitiger Verkehr belebte sich, Wohlstand und Bildung stiegen.
Leider griff die Gesetzgebung nicht fördernd, sondern hindernd ein im
Geiste einer unaufgeklärten Zeit. Noch wurden von jeder verkauften
Waare Marktzölle für den königlichen Schatz erhoben, ein Gesetz ver
fügt sogar, daß der kleine Handelsmann, der sich von seinem Geschäft
nährt, die übliche Taxe einfach, der große Kaufmann aber, „der sich
bereichern will", doppelt zahle (33, 34). Ebenso" blieb der Handel mit
. Rindvieh und Pferden über die Grenze den bekannten Beschränkungen
und Hindernissen unterworfen, welche ihm die Gesetze des Königs
Ladislaus
Auchentgegenstellten.
auf dem Gebiet der Kirche fanden während der Regierung

Koloman's lebhafte Bewegungen statt. Papst Paschalis II. trat mit


neuen Ansprüchen auf und wollte auch in Ungarn durchsetzen, was
schon seine Vorgänger in andern Ländern erzwungen hatten; aber er
traf hier auf einen kräftigen und staatsklugen König, fand keine
knechtisch gesinnte Prälaten, keine verrätherische Großen, die bereit
gewesen wären, ihn auf Kosten des Vaterlandes und der königlichen
1103 Vaterland
Als
Gewalt
Koloman
Noch
zu und
kannten
unterstützen,
1103
König,
die
gerade
aber
ungarischen
undkeinen,
in
konnte
Dalmatien
den
Bischöfe
deshalb
sie verweilte,
dem
sehr
nurPapst
wenig
den brachte
Eid,
zuausrichten.
leisten
denCardinal
sie
hatten.
dem
Koloman. Innere Zustände. 217

Augustin vom Papst Paschalis II. das Pallium fur den neuerwählten
Erzbischof von Spalatro, Crescentius, und forderte von diesem zugleich,
daß er den Eid leiste, den Gregor VII. den Bischöfen vorgeschrieben
hatte. Er sollte unter anderm schwören, „die Anschläge, welche ihm
der Papst mittheilen würde, niemand zu offenbaren; das römische
Papstthum und die Religion des heiligen Petrus wider jedermann zu
vertheidigen; die Rechte, die Ehre, die Privilegien und das Ansehen
sowol der römischen Barche als auch seines Herrn, des Papstes, und
seiner Nachfolger aufrecht zu erhalten, zu vermehren, zu befördern; die
apostolischen Befehle unterthänig aufzunehmen und sie mit allem Fleiß
zu vollziehen; endlich, wenn er aufgefordert würde, der römischen
Kirche auch weltliche Heerfolge zu leisten." Die ungarischen Bischöfe
im Gefolge des Königs erstaunten über die Zumuthung eines solchen
Eides, der König aber verbot dem Erzbischof, denselben abzulegen.
Als der Papst dieses erfuhr, gab er Crescentius einen sehr nachdrück
lichen Verweis, der im Grunde weniger ihm als dem Könige galt. So
entspann sich ein Streit; Paschalis suchte zu beweisen, daß schon
Christus von Petrus, ehe er ihm das Weiden seiner Schafe übertrug,
den Eid der Liebe gefordert habe; er klagte, daß in Ungarn ohne
Mitwirkung des Papstes nach des Königs bloßem Gutdünken Bischöfe
ernannt und von einer Kirche zur andern versetzt würden, daß diesem
Misbrauch aber durch den Eid abgeholfen werden solle u. s. w. Doch
den König rührte und störte dies nicht in der Behauptung seiner Rechte;
er beharrte auf dem Verbot, und der Erzbischof erhielt das Pallium
ohne Bisher
Eid. 1 hatten die ungarischen Könige Bischöfe, Aebte und Pröpste

ernannt und sie mit Ring und Stab investirt, ohne daß den Päpsten ein
fiel, sie in der Ausübung dieser Rechte zu hindern. Jetzt verlangte
Paschalis , daß der graner Erzbischof einen Theil seiner bisher geübten
Metropolitanrechte über die ungarischen Bischöfe an den päpstlichen
Stuhl abtrete, der König aber dem Rechte der Ernennung und Investitur
entsage. Koloman verweigerte standhaft jede Schmälerung der erz
bischöflichen Gewalt und damit der ungarischen Kirche, und beharrte
unerschütterlich auf dem königlichen Recht«der Ernennung. Weil er
aber sah, daß er allein nicht weiter zu behaupten vermöge, was die
meisten Fürsten aufzugeben bereits gezwungen waren, und daß bei
heftigem Widerstand auch das weit wichtigere Ernennungsrecht ver
loren gehen könnte, wie es in Deutschland bald darauf 1112 durch den
Calixtinischen Vergleich wirklich geschah, entschloß er sich, die In
vestitur dem Papst abzutreten. Durch eine Gesandtschaft ließ er den
zeigen
22. October
und versprechen,
1106 dem Concil
auch zu
andern
Guastalla
etwaigen
seineUebelständen
Verzichtleistung
bei an-
der hog

Besetzung
1 Fejer,der
Cod.
Bisthümer
dipl., II, abzuhelfen.
32, 37. Kollär,
2 DerHist.Papst
dipl. juris
begnügte
patronatus
sich regnm
damit

Hung., S. 54, 107. Vgl.Katona, Hist. regum Hung., III, 146. — 2 Endlicher, Mo-
Dumenta, S.375: „Denunciamus vobis, pater venerande, nos legi divinae sub-
ditos, ac secundum eam vobis servire paratos. Unde et investituram epis
218 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

und verordnete kurz darauf in der Bestätigungsbulle für die Abtei


St.-Egidius im sümegher Walde vom 10. November 1106 ausdrück
lich : alle Angelegenheiten des Klosters und der Kirche sollen lediglich
nach Auch
dem Wohlmeinen
die dalmatinische
des Königs
Kirche
entschieden
ordnete werden.
Koloman1 ohne Einfluß-

1111 nahme des' Papstes 1111 in einer Versammlung der Großen und
Bischöfe 2, doch sind die Beschlüsse derselben verloren. Die südlichen
Slawen in Dalmatien und Kroatien bedienten sich beim Gottesdienst
ihrer Muttersprache. Papst Innocenz IV. bestätigte den Gebrauch der
selben 1252 für die Dalmatier und besonders für die Benedictiner auf
der Insel Veglia. Die Uebersetzung des römischen Meßbuchs, Bre-
viariums und der Psalmen, welche Nikolaus von Arbe 1122 verfertigte,
mit glagolitischen
Die Angelegenheiten
Buchstaben
dergeschrieben,
Kirche wurden
ist nochnoch
vorhanden.
immer 3auf den

Reichstagen verhandelt und entschieden, wie die erneuerten Gesetze


über Heilighaltung der Festtage, Besuch des Gottesdienstes, Priesterehe
u. s. w. bezeugen. Aber es waren auch bereits die geistlichen Synoden
mehr und mehr in Gebrauch gekommen. Daß jeder Bischof die ge-
sammte Geistlichkeit seines Sprengels versammelte, beweist das
Gesetz: „Jeder Kleriker, der die Synode seines Bischofs nicht besucht,
werde zum Laien degradirt (usque ad laicum deponatur)."4 Aber
auch allgemeine Synoden des ungarischen Klerus wurden gehalten, die
der graner Erzbischof, wie sich dies von selbst versteht, berief und denen
er präsidirte. Von zwei derartigen Synoden, deren Jahr jedoch nicht
angegeben ist, sind die Beschlüsse, von der ersten6 vollständig, von der
zweiten6, wie es scheint, nur zum Theil uns erhalten worden. Die
Worte, mit denen die Beschlüsse der erstem eingeleitet werden: „Der
König werde vor allem ersucht" (Imprimis iinterpellandus est rex), thun
dar, daß diese Synoden nicht gesetzgebende Körperschaften waren,
sondern bloß beriethen und Vorschläge machten, die dem Könige und
gewiß auch dem Reichstage unterbreitet wurden, und erst, wenn diese
sie annahmen, Gesetzeskraft erhielten. Folgende sind die wichtigern
Vorschläge:
An jedem Sonntage seilen in größern Kirchen das vorgeschriebene

Evangelium, die Epistel und der Glaube, in kleinern der Glaube und
das Vaterunser dem Volke erklärt werden (2). Nichts werde in der
Kirche vorgelesen und gesungen, als was die Synode empfohlen hat
(46).
coporumUnwissende
hactenus a majoribus
dürfen nicht
habitam,
zu Priestern
et si quem
geweiht
in electione
werden,hujus
und wenn
modi

minus canonice retroactnm est, de cetera, deo volente cavebimus." Statt


quem1 ist
Farlati,
sicherIllyria
quandosacra,
zu lesen.
III, 165.
Kollär,Gallia
Hist. sacra,
dipl., c."VI,
1. 189.
Eatona,
— 2I, Ebend.,
216 fg.

III, 156. — 8 Toldy, Geschichte der ungarischen Literatur (in ungarischer


Sprache, Pesth 1851), I, 69. — 4 Synodus Strigoniensis prior, S. 65. —
5 Synodus Strigoniensis prior habita sub Colomanno rege. E codice saeculi
XII ecclesiae collegiatae ad S. Martinum Posonii. — 6 Synodus altera habita
sub Colomanno rege, e codice membranaceo saeculi XIII ecclesiae collegiatae
S. Martini Posonii. Beide bei Endlicher, Monumenta.
Koloman. Innere Zustände. 219

sie bereits geweiht sind, sollen sie entweder lernen oder abgesetzt
werden (6). Kein Priester oder Mönch werde ohne kanonisches Urtheil
seines Amts oder seiner Würde entsetzt; aber keiner darf auch seinen
Posten verlassen, er werde denn zu einem höhern Range befördert.
Niemand wage es, ein Kirchenamt zu kaufen oder zu verkaufen (23).
Der Kleriker oder Abt, der in kirchlichen Angelegenheiten das
bischöfliche Gericht übergeht und sich an den königlichen Hof oder
irgendein weltliches Gericht wendet, soll seine Sache verlieren und
Buße thun (25). Des Diebstahls schuldige Kleriker sollen Würde und
Vermögen verlieren , und wenn sie nichts besitzen, verkauft werden (57).
Kleriker sollen weder Gastwirthe noch Wucherer sein (58). Die
Bischöfe sind verpflichtet, in jeder Stadt zwei Zuchthäuser für die zur
BußeHinsichtlich
Verurtheiltender
zu bauen
Priesterehe
(49). wurde beschlossen, die noch un-

verheirathet die geistlichen Weihen empfangen, dürfen später sich nicht


mehr vermählen (31). Den verheiratheten Geistlichen werden ihre
Frauen gelassen (32). Für Bischöfe galt bereits das Gebot der Ehe
losigkeit. Gesetzmäßig Verehelichte dürfen nur mit Einwilligung ihrer
Gattin (weil sie sich von ihr scheiden mußten) zu Bischöfen erhoben
werden (11); diese darf auch nicht auf den bischöflichen Gütern
wohnenDem (33).Nepotismus sollten die Verordnungen entgegenwirken:

Bischöfe müssen drei Theile ihres Erworbenen der Kirche geben und
können nur über den vierten frei verfügen (12). Wenn Bischöfe bei
ihren Lebzeiten nicht für die Kirche, sondern nur für ihre Kinder
gesorgt haben, soll man nach ihrem Tode diesen die Hälfte der Ver
lassenschaft nehmen (13). Aebte dürfen ihren Aeltern nicht mehr Al
mosenWahrscheinlich
als andern Armen
fingen
geben
die (38).
Aebte überreicher Klöster bereits an,

Eingriffe in die bischöflichen Rechte zu machen und ein sehr welt


liches Leben zu führen, daher wurde in Vorschlag gebracht, zu gebieten :
Aebte dürfen keine bischöfliche Kleidung und Insignien tragen, weder
taufen, noch Beichte hören, noch predigen. Ohne Erlaubniß des
Bischofs dürfen sie weder an den königlichen Hof gehen, noch sonst
eine weitere Reise unternehmen; sie sollen überhaupt das Kloster
selten verlassen. Ein Abt, der das Klostergut verschwendet, soll ab
gesetzt
Wenn
und der
das Bischof
Gut demjemand
Kloster
in zurückgegeben
den Bann thut,werden.
soll er es dem König

und seinen Mitbischöfen anzeigen. Diese Anordnung wurde wahr


scheinlich getroffen, um der Willkür und dem Misbrauch der einzelnen
Bischöfe
Die beim
zweite
Bannspruch
Synode, deren
vorzubeugen.
Beschlüsse wir besitzen, wurde augen

scheinlich mehrere Jahre nach der ersten abgehalten. Sie ordnet


tägliche Gebete für den König an (1) ; spricht den Bann aus über alle,
die sich wider den König verschwören und die davon wissen und es
nicht anzeigen (2—3). Ferner wird in Fällen der böswilligen Verlassung
und des Ehebruchs gegen den bisherigen Gebrauch, der dem unschuldigen
Theil eine neue Ehe gestattete, die Untrennbarkeit der Ehe festgesetzt
220 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.

(4— 7). Auch der Cölibat der Priester ist bereits vorherrschend ge
worden. Denn es heißt : „Kein Bischof befördere einen Kleriker zum
Diakonat oder zu einer höhern Stelle, wenn er nicht Enthaltsamkeit
gelobt, und, falls er eine Gattin hat, diese eingewilligt und dasselbe ver
sprochen hat" (9). „Kein verheiratheter Priester oder Diakon diene
de1n Altar, bevor er nicht mit Zustimmung seiner Gattin Enthaltsamkeit
gelobt, sie mit einem abgesonderten Wohnort und Lebensunterhalt ver
sehen und den Ausspruch des Apostels begriffen hat: „daß er zwar eine
Gattin habe, aber sein müsse, als habe er keine" (10). Die Verordnung :
„Eine Ortsgemeinde, in deren Mitte sich eine Kirche befindet, soll sich
von derselben nicht allzu weit entfernen, und wenn sie sich entfernte,
zehn Pensen zahlen und zurückkehren" (13), zeigt, wie viel Raum noch in
dem dünn bevölkerten Lande war, und daß noch immer viel Neigung
herrschte, die leicht gebaute Hütte ganz zu verlassen, oder doch sich auf
längere Zeit zu zerstreuen und besonders neue Weideplätze aufzusuchen.
Endlich wird noch auf die kirchliche Einsegnung der Ehen gedrungen.
„Jede eheliche Vermählung geschehe in der Kirche in Gegenwart des
Geistlichen, vor geeigneten Zeugen, und mit irgendeinem Zeichen der
Unterschrift nach der Zustimmung beider Brautleute, ansonsten werde
sie nicht
Die für
häufig
eineabgehaltenen
Ehe, sondernSynoden
für ein Concubinat
sind schon an
angesehen"
sich selbst
(16).
ein laut

sprechendes Zeugniß, wie die damalige ungarische Kirche noch nicht


unter dem absoluten Machtgebote des Papstes und der Bischöfe schmach
tete, welch ein reger und freier Geist noch in ihr herrschte, und wie sehr
die Sache des Christenthums, nicht blos das Standesinteresse, der Geist
lichkeit am Herzen lag. Denn das Recht, theilzunehmen an der Be-
rathung gemeinschaftlicher Angelegenheiten und an der Gesetzgebung,
ist eben die Grundlage aller Freiheit und die unversiegbare Quelle alles
lebendigen uneigennützigen Eifers. Aber auch die meisten der auf diesen
Synoden gefaßten Beschlüsse konnten nicht anders als wohlthätig wirken.
Denn sie gingen darauf aus, nach den Bedürfnissen und Ansichten der
Zeit die geistige und sittliche Bildung des Klerus zu fördern, ihn gegen
Willkür von oben zu schützen und seinen Einfluß auf das Volk zu
stärken; dabei waren sie aber auch darauf berechnet, dieses Volk selbst
thum
durchdesselben
die Machtgrößtentheils
der Religionin zu
Ceremonien,
heben. Mag
im Hersagen
immerhinunverstandener
das Christen-

Gebete, in Fasten u. s. w. bestanden haben: so richteten doch schon


diese Aeußerlichkeiten den Geist auf Gott, legten den Leidenschaften
Zügel an, gewöhnten an Zucht und Ordnung und milderten die Sitten.
Und wer dürfte behaupten, daß nicht auch gelehrt und durch Beispiel
gewirkt, daß nicht die Tugenden der Gottesfurcht, Enthaltsamkeit und
Wohlthätigkeit mit Eifer genährt worden seien!
An Volksschulen und öffentliche Bildungsanstalten, wie sie jetzt so
allgemein verbreitet sind, wurde damals in unserm Vaterlande ebenso
wenig wie in den übrigen westlichen Ländern gedacht. Nur an den
Bischofssitzen und in den Klöstern gab es, hauptsächlich zur Heran
bildung der Geistlichen und Mönche, Schulen, deren Unterricht be
schränkt und dürftig genug war. Dessenungeachtet wirkten sie wohlthätig
Koloman. Innere Zustände. 221

auf die Cultur; sie standen jedem offen, der sie besuchen wollte, aus
ihnen gingen die Lehrer und Staatsmänner der damaligen Zeit hervor,
sie verbreiteten wenigstens mittelbar einiges Licht über die ganze Be
völkerung. Das größte Hinderniß aber, mit dem man damals zu kämpfen
hatte, war der außerordentliche Mangel an Büchern. Es ist ein unleug
barer Beweis der zunehmenden Geistesbildung, daß die Roichsgesetze
unter Koloman schon in ungarischer Sprache abgefaßt werden konnten;
die Volkssprache besaß also schon die Worte und Ausdrücke, die dazu
erforderlich waren, es mußte in ihr schon auch sonst über höhere Gegen
stände gedacht und geschrieben worden sein. Und gewiß gab es in den
stillen Klosterzellen auch in unserm Vaterlande Männer, die ihr Leben
dem Nachdenken und der "Wissenschaft, wie sie damals war, widmeten,
die ihre Gedanken niederschrieben, manche Nachrichten aufzeichneten und
besonders die Begebenheiten ihrer Nation der Vergessenheit zu entreißen
suchten. Aber ihre Schriften sind untergegangen in den schrecklichen
Verheerungen, dieJJngarn wie kein anderes Land trafen. Nur einige
wenige, nur Bruchstücke, deren Verfasser wir oft nicht einmal kennen,
sind meistens im Auslande entdeckt worden, wo sie Rettung gefunden
hatten. Wenn wir nicht irren, so hatte der Anonymus schon ein halbes Jahr
hundert früher „die Thaten der Ungarn" verfaßt; die Lebensbeschreibung
des heiligen Gerhard war vermuthlich der Hauptsache nach auch schon
vorhanden; und Bischof Hartvicus schrieb im Auftrag von König
Koloman das Leben Stephan's des Heiligen. Zu dieser Zeit oder.wenig
später müssen auch die Legenden der Heiligen Stephan und Emerich
entstanden sein, da die Handschriften, die wir von ihnen haben, aus dem
12. Jahrhundert herrühren. Die Gesetzsammlung des Albericus. und
die Acten der Synoden endlich kennen wir bereits. Leider sind alle
diese Schriften lateinisch; kein Blatt ist uns erhalten worden, das uns
die Klänge der Muttersprache, wie sie damals lauteten, wiedergeben
könnte.
Werfen wir nun noch einen Blick auf das Bild, welches uns die

Zustände Ungarns darbieten, wie sie sich im Laufe eines Jahrhun


derts gestaltet haben. Findet auch der denkende Menschenfreund vie
les mangelhaft und tadelnswürdig, so kann er demselben dennoch
seinen Beifall nicht versagen. Alle Theile des Landes, alle Stämme und
Nationen haben ein gleiches Los und sind durch dasselbe Gesetz zu
einem untrennbaren Ganzen verbunden. Wol fangen die Stände an,
sich voneinander zu scheiden:; aber noch ist der größte Theil des Volks
frei. Nach gehöriger Stufenfolge geordnete Gerichte sprechen öffentlich
Recht und haften für die Gerechtigkeit ihres Urtheils. Verantwortliche,
absetzbare Beamte verwalten vor den Augen des Volks und unter seiner
Mitwirkung die öffentlichen Angelegenheiten. An der Spitze steht ein
König, dessen Willkür durch hohe Würdenträger, die seinen immer
währenden Rath bilden, und durch den Reichstag beschränkt ist, der aber
Macht genug hat, den Gesetzen Gehorsam zu verschaffen und Frieden zu
erhalten. Die fast ohne Blutvergießen eroberten Nebenländer werden
nicht gewaltsam beherrscht, ihre Sprache und Nationalität nicht unter
drückt; ihre Bewohner leben zu Hause nach ihren Sitten und Gesetzen; sie
222 Zweites Buch. Dritter Abschni tt.

stehen zum Hauptlande in dem Verhältniß freier Bundesgenossen. Nicht


Söldner, nicht gezwungene Knechte führen die Waffen, sondern freie
Bürger schützen die Freiheit im Innern und vertheidigen das Vaterland
gegen den äußern Feind. Die Macht endlich, vor der sich damals die
größten Herrscher beugen mußten und die über die Völker im Namen
Gottes gebot, der Papst selbst, achtet die Selbständigkeit, die Rechte und
Freiheiten des wohlgeordneten einträchtigen Reichs. Wer sollte nicht
wünschen, daß dieser Zustand fortdauere, sich weiter ausbilde, sich zu
einer vollendeten Verfassung gestalte und Glück und Segen über Land
und Volk bringe!
Drittes Buch.

Die
Stephan
Ungarn
IL bis
unter
auf Königen
die Ausstellung
aus Ärpäd's
der Goldenen
Stamme,Bulle
von

Andreas' II. 1114—1222.


Erster
Thaten despotischer Abschnitt.
Willkür schwächen das könig

liche Ansehen1. und des II.


Aeussere
Stephan Reiches Macht. 1114—1141.
Begebenheiten.
1114— 1131.

AlsJs Koloman starb, war sein Sohn Stephan erst 13 Jahre alt.
Während seiner Minderjährigkeit führten der Palatin Johann Uros und
der graner Erzbischof Laurentius die Regierung. Sie ließen es ihre erste
Sorge sein, den jungen König feierlich zu krönen.1 Aber die meist
unvermeidliche Schwäche einer vormundschaftlichen Regierung, der es
an dem nöthigen Ansehen gebricht und die mit Eifersucht zu kämpfen
hat, trat
Der gleich
Besitzanfangs
Dalmatiens
zu Tage.
und seiner Inseln war für Venedigs Handel

und Kriegsmacht von der größten Wichtigkeit; dessen Verbindung


mit dem ungarischen Reich hingegen brachte der Republik empfind
liche Nachtheile und drohte ihr einen gefährlichen Nebenbuhler zu ge
ben; sie strebte daher unablässig, diese Verbindung aufzulösen und die
Herrschaft über das unentbehrliche Gebiet zu erringen. So lange
Koloman lebte, vereitelte seine Staatsklugheit und Macht alle Ent
würfe und Anstrengungen, die sie hierzu machte. Doch hörte die Re
gierung Venedigs nie auf, im stillen zu wirken und die Dalmatiner,
besonders die Bewohner der Insel- und Küstenstädte, die ohnehin schon
damals größtentheils Italiener waren, für sich zu gewinnen. Denn so viele
Freiheiten und Begünstigungen diesen der König gewährte, konnte er doch
bei dem Mangel einer hinreichenden Seemacht, die sich immer nur all
mählich schaffen läßt, weder ihre Handelsinteressen genügend fördern,
noch sie gegen Bedrückungen von seiten Venedigs schützen; dagegen
bot ihnen
1 Thuröczy,
die Republik
II, 63. in dieser Hinsicht weit größere und augenblick-

Foßlor. I. 16
226 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

1114 liehe
auch schon
Vortheile
ihr Herzog
dar. Kaum
Ordelaf
warFalieri
also Koloman
im August
gestorben,
1114 eine
so Flotte
führte

gegen Dalmatien. Die Insel und Stadt Arbe ergab sich sogleich frei
willig, indem der Herzog ihnen alle Freiheiten und Rechte, die sie von
Koloman erhalten hatten, zusicherte. x Hierauf steuerte die Flotte nach
Zara (Jadra) und eröffnete dessen Belagerung. Noch während
derselben folgten die andern Inseln dem Beispiel von Arbe; auch
die Küstenstädte öffneten den Venetianern ihre Thore, nur die
Castelle derselben, in denen ungarische Besatzungen lagen, leisteten
Widerstand.
Als Falieri im Herbst die Flotte nach Venedig zurückführte, hielt

die Besatzung der Citadelle von Spalatro, dessen Bürger sich auch zu
Venedig hinneigten, daselbst noch einen Schatten der ungarischen
Herrschaft kümmerlich aufrecht. Der Befehlshaber derselben wollte
diese wichtige Stadt für Ungarn sichern; Erzbischof Manasses, des
vorigen Königs Günstling, von der Bürgerschaft und dem Kapitel aus
Gefälligkeit gegen diesen nach des Crescentius Tod erwählt, bot seinen
Beistand an, und eine kirchliche Feierlichkeit sollte Gelegenheit geben,
die Bürger zu entwaffnen und die Stadt in die Gewalt der Besatzung
zu liefern. Man verabredete, die außer der Stadt auf dem Berge
Kyrieeleyson neuerbaute Kirche mit großem Pomp zu weihen, die Be
völkerung zur Feier des Festes hinauszuführen und unterdessen die
menschenleere Stadt zu überrumpeln. Allein der hinterlistige Anschlag
ward verrathen; der wachsame Prätor Adorian berief heimlich eine
Schar bewaffneter Trawer in die Stadt; größtentheils nur Kinder,
Frauen und Greise zogen mit dem Erzbischof und der Klerisei auf den
Berg ; die streitbare Mannschaft verbarg sich in den Häusern. Als die
Volksmenge bei der Kirche angelangt war, und die Feierlichkeit be
gonnen hatte, ertönte plötzlich vom Schloß herab Trompetenschall;
die Besatzung fiel aus, überstieg die Mauern und warf sich in die Stadt.
Da brachen die Spalatroer und Trawer aus ihren Verstecken hervor,
erschlugen die ihnen in die Hände fielen, zerstreuten die andern nach allen
Seiten hin und drängten die noch Standhaltenden in das Schloß zurück,
das sie nun umringten und anzündeten. Die meisten von denen, die sich
dahin zurückgezogen hatten, kamen in den Flammen um oder fielen
unter den Waffen der erbitterten Bürger, nur der kleinere Theil rettete
sich durch die Flucht. Auch der Erzbischof verließ Spalatro und kehrte
nie wieder zurück. 2 So beschleunigte der hinterlistige Anschlag das
Unheil, das er abwenden sollte, befleckte die Ehre Ungarns und ver
1115 mehrteVenedig
die Abneigung
rüstete sich,
der Dalmatier
den Kampfgegenim dessen
folgenden
Oberhoheit.
Jahre 1115 mit

größerm Nachdruck zu führen, suchte ein Waffenbündniß mit den


Kaisern Heinrich V., der im Monat März sein Gast war, und Alexius
truppen
Comnenus
1 Lucius,
vonzu m,
beiden
schließen
4', bei
erhalten
und
Schwandtner,
soll,
haben.
wieIII.
Dandulus
Im
— 2 Frühling
Thomas
berichtet,
Archiadiac.
landete
auchHerzog
Hülfs-
Spalat.

Histor. Salonit., c. 18.


Aeußere Begebenheiten. Stephan II. 227

Falieri mit starker Macht bei Zara. Das kleine Heer, welches der
Ban von Kroatien herbeiführte, ward unter den Mauern Zaras ge
schlagen und zerstreut, die ungarische Besatzung der Burg, jeder Aus
eicht auf Hülfe beraubt, übergab diese unter der Bedingung des freien
.Abzugs, und die Venetianer dehnten bei dem schwachen Widerstand den
sie fanden, bis zum Winter ihre Eroberungen auch an den Küsten Dal-
matiensWenn
immer
die weiter
Regentschaft
aus. 1 die unberechenbare Wichtigkeit, welche

Dalmatien für Ungarn hatte, auch nicht begriff und die großen Ent
würfe Koloman's nicht faßte, was ihre Nachlässigkeit in der Ver-
theidigung des Landes vermuthen läßt: mußten doch endlich so viele
Verluste und demüthigende Niederlagen sie zu größerer Anstrengung
und Thätigkeit spornen. Sobald der Frühling 1116 anbrach, sandte 1116
sie, unter wessen Führung ist nicht bekannt, ein starkes Heer nach
Dalmatien, das bis Zara vordrang und die Stadt belagerte. Bald
erschien auch Falieri zur Vertheidigung derselben und setzte seine
Truppen ans Land. Die Schlacht begann, die Venetianer wichen dem
stürmenden Angriff der Ungarn, der Herzog selbst fiel tapfer kämpfend,
und seine geschlagene Armee warf sich nach Zara. Jetzt ergaben sich
das flache Land und auch die Städte nacheinander, sodaß mit Ausnahme
Zaras und der Inseln ganz Dalmatien wieder unter die Herrschaft
Ungarns
In Venedig
zurückkehrte.2
brachten die Niederlage, der Tod des Dogen, der Ver

lust zweijähriger kostbarer Eroberungen heftige Bestürzung hervor.


Der greise Dominico Michieli wurde zum Herzog gewählt; er und sein
staatskluger Rath beschlossen, den Krieg, der keine Vortheile versprach,
vorderhand aufzugeben, und schickten Vitale Falieri, des gefallenen
Herzogs Sohn, Ursus Justiniani und Marius Morosini an das königliche
Hotlager. Dieser Gesandtschaft gelang es, einen Waffenstillstand auf
fünf Jahre zu Stande zu bringen, der später noch auf fünf Jahre ver
längert wurde. Venedig behielt die Inseln und Zara, Ungarn die
übrigen Städte und das ganze innere Land. 3 Diese Bedingungen waren
nur scheinbar günstig für Ungarn; hätte dessen Regierung die großen
Entwürfe Koloman's, dem Vaterland den Weg zum Meer zu öffnen, ver
ständen, so würde sie nach einem siegreichen Feldzug solche Bedingungen
nimmer angenommen , sondern den Kampf mit Aufbietung der ganzen
Macht bis zur gänzlichen Vertreibung der Venetianer fortgesetzt haben.
Denn von den Inseln aus beherrschte Venedig das Meer und den ganzen
Handel Dalmatiens, machte das Entstehen einer ungarischen Seemacht
unmöglich, und besaß an dem starken Zara einen festen Punkt, von
dem es die Eroberung des Landes bei jeder günstigen Gelegenheit
vollenden
1 Ueberhaupt
Dandulus
konnte.
beihatte
Muratori,
die Regentschaft
XII, 266. Seine
das Misgeschick,
Angabe, der Krieg
daß selbst
habe das
von

1115—17 gedauert, ist jedoch irrig, da derselbe mit der Niederlage und dem
Tode Falieri's bei Zara 1116 aufhörte. — 2 Dandulus, a. a. 0,, S. 267.
Farlatus, Illyricum saerum, I, 225. Codex Ambrosianus, bei Muratori. —
3 Dandulus, a. a. O., S. 267. Farlatus, a. a. 0., S. 225.
15*
228 Drittes Bach. Erster Abschnitt.

Nachtheil brachte, was sie in der besten Absicht übernahm. Um das


freundschaftliche Verhältniß, das Koloman mit dem böhmischen Herzog
Bretislaw verknüpfte, auch um die Nachfolger zu schlingen, wurde eine
1116 persönliche
welche am 16,Zusammenkunft
Mai 1116 am ungarisch-mährischen
Stephan's und "Wladislaw's
Grenzbache
I. verabredet,
O^sava, ' C

auf dem Felde Lucko stattfand. Beide Fürsten kamen in Begleitung


der Vornehmsten des Landes und brachten nach dem Gebrauch jener
Zeit ein großes bewaffnetes Gefolge mit sich. Schon beim Aufschlagen
der Lager entstanden Streitigkeiten, die durch tägliche Beibungen
immer heftiger und feindseliger wurden; ein ungarischer Flüchtling,
Solt, im Gefolge "Wladislaw's, vermehrte hinterlistig die Aufregung,
indem er jeden Theil vor den geheimen Anschlägen des andern warnte
und beide mit gegenseitigem Argwohn erfüllte. Um sich gegen die ver
meintliche Gefahr zu sichern, ließen die Ungarn ihre szekler und
petscheneger Bogenschützen zwischen die beiden Lager rücken; die
Böhmen sahen hierin das Beginnen des gefürchteten Ueberfalls und
griffen zu den Waffen; schnell entbrannte der Kampf, der nach un
garischen Berichten x mit der Niederlage der Böhmen, nach böhmischen2
mit der Niederlage der Ungarn endete. Beide Fürsten kehrten erbittert
heim , und die Zusammenkunft, welche ein Bündniß stiften sollte, ward
die Ursache eines Kriegs, dessen alleinige Thaten und Erfolge in
gegenseitigen
Um dieseVerwüstungen
Zeit mochte bestanden,
Stephan für volljährig erklärt worden sein

und angefangen haben, Einfluß auf die Regierung des Reichs zu nehmen.
Es scheint ihm nicht an natürlichen Anlagen, an Regsamkeit des Geistes,
an Muth und selbst an Herzensgüte gefehlt zu haben; aber schon in
zarter Jugend König und Herr, jeder Zucht entnommen und mit allen
Schmeicheleien und Genüssen des Hofs umgeben, wurde er leicht
sinnig und ausschweifend, leidenschaftlich und sogar, grausam. Zu
ernster Ueberlegung und beharrlicher Anstrengung unfähig, folgte er
das ganze Leben hindurch den Eingebungen plötzlicher Launen, handelte
ohne Nachdruck, überließ sich rücksichtslos dem Vergnügen und dem
Zorn, und verminderte hierdurch sein königliches Ansehen, das in, da
maliger Zeit weit mehr als jetzt von der Achtung abhing, die der
Herrscher durch persönliche Vorzüge einflößte. Sein launenhaftes un
stetes Wesen zeigte sich besonders in den unnützen Kriegen, die er
ohne Ursache unternahm und ohne Nachdruck führte, und in der Sorg
losigkeit, mit der er gerade die wichtigsten Angelegenheiten ver
1117 nachlässigte.
verständigen, sondern
So suchte
schickte
er nicht,
im sich
Jahremit1117
demund
Herzog
1118von
Kriegsscharen
Böhmen zu

1118
u. reich
aus, die
trugen,
Mähren
wahrscheinlich
verwüsteten weil
und ihre
Markgraf
Verheerungen
Leopoldauch
in freundschaft
nach Oester-

lichen
1 Thuröczy,
Beziehungen
II, 63.
zu Wladislaw
— 2 Cosmasstand,
Pragens,
bis beide
ad ann.angegriffene
1116. Pulkuwa
Fürsten
bei

Dobner, Monumenta hist. Bob.., III, 153. Annalista Saxo bei Pertz. Dubra-
vius, Hist. Boh., XI, 94, besehreibt die schreckliche Strafe, die Stephan an
Solt vollziehen ließ; Thuröczy aber berichtet, der König habe schmerzlich
bedauert, daß der Verräther dem Tode entronnen sei.
Aeußere Begebenheiten. Stephan n. 229

im Jahre 1119 ihre Streitmacht vereinigten, in das jenseit der Donau 1119
gelegene Ungarn verheerend einfielen und Eisenburg zerstörten. Nun
wurde wieder Friede, nachdem die einander zürnenden Herrscher ihre
Rachsucht
Die Feindseligkeiten,
an den unschuldigen
die Einwohnern
zwischen Stephan
gekühltund
hatten.
Wladislaw
1 ob

walteten, mochten vorzüglich die Ursache sein, daß vertriebene böhmische


Prinzen sich an den ungarischen Hof flüchteten. Boriwoj, der ältere
Bruder Wladislaw's, den dieser 1109 vom Thron verdrängt, 1117 wieder
zum Mitbesitz desselben erhoben und endlich 1120 gänzlich aus Böhmen
verjagt hatte, kam zuerst und fand hier Gastfreundschaft bis zu seinem
Tod am 2. Februar 1124. 2 Drei Jahre später vertrieb Wladislaw auch
seinen Jüngern Bruder Sobeslaw aus Mähren, über welches dieser als
Unterherzog
nach Polen; herrschte.
seine GattinSobeslaw
Adelheid,selbst
eine floh
Tochter
zu Boleslaw
des blinden
Schiefmund
Älmos, ,

schickte er nach Ungarn, wo sie unter dem Schutz ihrer Verwandten


blieb, bis ihr Gatte nach Wladislaw's Tod 1125 den böhmischen
Herzogstuhl
Die Ausschweifungen
bestieg.3 des jungen Königs gaben der Nation viel

Aergerniß, und überdies erwachte die Besorgniß, das arpädische Haus


könnte mit ihm erlöschen ; darum bewogen ihn die Großen des Reichs,
sich 1122 mit Adelheid, des Landgrafen von Steffaning und Burg-. 1122
grafen von Regensburg Tochter, einer Nichte Leopold's von Oesterreich,
zu vermählen.4 Doch scheint sie des wankelmüthigen Mannes Liebe
nie reeht
Ein gewonnen
Haufe Kumanen
und nur und
geringen
Petschenegen
Einfluß auf
war
ihnunter
erlangt
Tatar's
zu haben.
An

führung in das byzantinische Reich eingefallen und vom Kaiser Kalo'v


Johannes besiegt worden. 6 Die der Niederlage Entronnenen flehten um
Aufnahme in Ungarn; ihre Bitte wurde gewährt, Tatar am königlichen 1123
Hof behalten, das Volk hie und da in verschiedenen Gegenden an
gesiedelt. So wurden wüste Strecken, die noch so häufig waren, mit
stammverwandten Colonisten bevölkert und der ungarischen Nation.
Zahl und Kraft vermehrt. Aber die ersten Folgen des in künftigen
Zeiten wohlthätigen Ereignisses waren nichts weniger als erfreulich;
der noch heidnischen Ansiedler rohe Sitten und Räubereien, die Vorliebe
des Königs für sie (er soll sich besonders zügellosen Ausschweifungen
mit ihren Frauen überlassen haben) erregten Haß und Neid bei den
Ungarn, woraus lang dauernder Unfriede zwischen beiden verwandten
Nationen und schwere Gewaltthaten entstanden. 6

1 Paltramus bei Pez, I, 707. Chronicon Zwetlicense bei Pez, I, 521.


Eicardus in fastis Campil. , I, 180. Otto Frisingens., Lib. VII, c. 45. —
2 Cosmas Pragens, ad ann. 1120 u. 1124. — 3 Cosmas Pragens, ad ann. 1123.
Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 382 — 383. — * Schier, Reginae
Hung. primae stirpis., S. 100. Thuröczy nennt sie unrichtig eine Tochter
Robert Guiscard's von Apulien. ' — 5 Nicetas Choniates und Cinnamus bei
Stritter, Tom. EU, Pars II, p. 922 fg. — 6 Thuroczy, II, 63. Muglen,
Kap. 59. Horväth, Geschichte von Ungarn, I, 252, hält sie für die Gründer
jener Ortschaften in verschiedenen Gegenden Ungarns, die den Namen Besenyö
(Petschenege) führen.
230 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

1124 Im Jahre 1124 bereiste Stephan Dalmatien und bestätigte neuer


dings die Freiheiten und Vorrechte, welche sein Vater den Bürgern
1125 fesseln.1
von Spalatro
Leider
und wurde
Traw verliehen
Dalmatienhatte,
1125um
schwer
sie fester
heimgesucht
an Ungarn
durch
zu

maurische Seeräuber, die wahrscheinlich von Venedig aufgereizt her


beikamen, das Land plünderten und Traw gänzlich niederbrannten,
sodaß die Obdachlosen, die der Sklaverei entgangen waren, nach
Spalatro auswandern mußten, bis sie ihre Stadt wiederaufbauen
konnten.
Die 2Feindschaft zwischen Ungarn und Böhmen hatte mit Wladis-

law's Tod, 1125, ein Ende; schon im folgenden Jahre kam Stephan mit
, 1126 dessen Nachfolger Sobeslaw in Ungarisch-Brod zusammen und schloß
mit ihm
Doch
einließ
Bündniß.
sich Stephan
3 nochmals in einen Krieg ein, der die Ver

anlassung zu bedauernswürdigen Ereignissen wurde. Wolodar, der Be


herrscher von Pfzemisl , wider den Koloman den unglücklichen Feldzug
1099 geführt hatte, hinterließ zwei Söhne, Rostislaw und Wladimir, die
das väterliche Reich also unter sich theilten, daß dem ersten Pfzemisl,
dem andern Swenigorod zufiel. Herrschsucht entzweite die Brüder;
Rostislaw wollte mit Hülfe des kiewer Großfürsten Wladimir II. auch
das swenigoroder G ebiet an sich reißen ; Wladimir , sich zu schwach zum
Widerstand fühlend, ging nach Ungarn und bat den König, ihn im
Kampf um sein Reich zu unterstützen, und Stephan war die Aufforderung
zum Kriege willkommen. Weil er aber den Widerspruch des eigenen
Volks befürchtete, gab er vor, der Vater habe ihn auf dem Sterbebett
^verpflichtet, seine schmähliche Niederlage in Rothrußland zu rächen,
und die günstige Gelegenheit hierzu sei nun gekommen. Eilig schickte
er Wladimir mit 3000 Mann voraus, die Swenigorod besetzten und alle
Angriffe der Feinde tapfer zurückschlugen, sodaß diese sich zurückziehen
1127 mußten. Unterdessen bot Stephan 1127 die Kriegsmannschaft Un
garns auf; die Heeresfolge wurde ihm zwar mit Widerwillen, aber
dennoch geleistet; er führte eine zahlreiche Armee auf den Kampf
platz, siegte und eroberte Pfzemisl. Als er jedoch, mit diesem Erfolg
noch nicht zufrieden, gegen Kiew zog und die Stadt zu erstürmen befahl,
wenn auch das ganze Heer dabei umkommen sollte, da brach die im
geheimen gärende Unzufriedenheit offen aus; die Anführer der
Heeresabtheilungen traten zusammen und beschlossen, nicht länger
Blut und Leben in einem Kriege zu opfern, der Ungarn nichts angehe
und den der König willkürlich unternommen. Kozma, aus dem Ge
schlecht Päzman, trug dem König den Beschluß der Kriegshäupter vor.
Stephan sah sieh genöthigt nachzugeben, verschloß den Zorn in seiner
Brust und führte das Heer in die Heimat; aber als es sich hier auf
gelöst hatte, übte er an den Urhebern furchtbare Rache, ließ sie grau
sam 1martern
Lucius, und
m, hinrichten.4
4, bei Schwandtner,
Wehe dem,
III. der
— einen
2 Farlatus,
leidenschaftlichen
IV, 329. —

3 Continuatio Cosmae Pragens, ad ann. 1126, bei Pertz, IX, 133. Marignol
bei Dobner, Monumenta, II, 22. — 4 Thuröczy, II, 63. Die verworrenen An
Aeußere Begebenheiten. Stephan IL 231

Schwächling, dessen menschliches Gefühl durch Ausschweifungen ab


gestumpft
Verhängnißvoll
ist, beleidigt!
war dieser russische Krieg auch darum, weil er

Stephan und den Ungarn Gelegenheit gab, mit Boris, dem Sohne der
verstoßenen Gattin Koloman's Pfdslawa, bekannt zu werden. Zweifel,
ob dessen Mutter wirklich die Schuld der Treulosigkeit auf sich geladen,
und Mitleid mit seinem traurigen Schicksal mochten den König für den
Jüngling erst freundlicher gestimmt, sein gefälliges Betragen ihn sodann
ganz für denselben gewonnen haben. Er schenkte ihm seine Gunst, be
wirkte, daß ihm Boleslaw von Polen seine Tochter zur Gemahlin gab,
und stattete ihn mit dem Fürstenthum Halitsch aus. 1 Manche von den
Herren aber, die den Feldzug mitmachten und dem einzigen ivrpadischen
Prinzen, dem blinden Bela, abgeneigt waren, ersahen Boris vielleicht
schon damals zum Nachfolger des bisjetzt kinderlosen Königs und
blieben ihm treu ergeben. Wie viel Zwietracht und Jammer hieraus
für Ungarn entsprang, werden wir bald, sehen.
Während Stephan in Rothrußland kriegte, unternahmen einige Her
ren aus den westlichen Grenzgegenden eigenmächtig Streifzüge nach Steier
mark,
gaben plünderten
der alten Chronisten,
dasLand unddes schleppten
Dlugoss, Hist.
eineMenge
Poloniae,
Gefangener
VI, 425 —429,
mit sich*
des

Fortsetzers von Nestor's Chronik, und Bognphal, Chronic. Poloniae haben


Feßler, 1. Ausg., II, 16 — 24, und andere Geschichtschreiber Ungarns ver
anlaßt, zwei Kriege Stephan's gegen russische Fürsten anzunehmen. Er zog,
erzählen sie, 1123 aus, um Jaroslaw, dem wladimirer Fürsten, den der kiewer
Großfürst Wladimir II. vertrieben hatte, wieder zur Herrschaft zu helfen.
Jaroslaw fiel in einem Treffen vor der Stadt Wladimir am Bug, worauf
Stephan die augenblickliche Stürmung der Stadt befahl, seine Kriegshäupter
aber den Gehorsam verweigerten und ihn zur Heimkehr nöthigten. Auf die
sem Feldzug habe Stephan seinen achtzehnjährigen Stiefbruder kennen gelernt,
ihn liebgewonnen und ihm das zipser Gebiet verliehen. Den zweiten Krieg
führte er 1127 für den swenigoroder Wladimir gegen Rastislaw von PJzemisl
und den kiewer Großfürsten Wladimir II., eroberte Pfzemisl, setzte Boris
zum Fürsten über dasselbe und bestimmte ihn, da er selbst kinderlos war,
zu seinem Nachfolger auf dem ungarischen Thron. Erst nachdem er den
zweiten Feldzug siegreich beendet hatte und heimgekehrt war, strafte er grau
sam die im ersten bewiesene Widersetzlichkeit seiner Großen. Aber Kolo>,
man hatte die schwere Niederlage eben im Bündnisse mit den Kiewern durch
die Pfzemisler erlitten, mithin konnte Stephan dieselbe nur an diesen rächen
wollen; Jaroslaw, der Bruder der verstossenen Pfdslawa, durfte am wenig
sten von dem Sohne Koloman's Hülfe bitten und erhalten; unwahrscheinlich
ist es ferner, daß der leidenschaftliche Stephan den frühern Ungehorsam erst
nach drei Jahren, erst nachdem derselbe durch Beweise der Ergebenheit und
Tapferkeit gut gemacht war, so grausam züchtigte; noch unglaublicher ist
es endlich, daß Stephan, der 1127 erst 26 Jahre alt und kaum vier Jahre ver
ehelicht war, Boris schon zu seinem Nachfolger bestimmt habe. . Wir mei
nen daher nicht zu irreu, wenn wir mit Katona, Hist. Regum, HI, Horväth,
Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., I, 249, und Szalay, Geschichte von Un
garn, I, 243, annehmen, daß Stephan nur einen Krieg gegen die verbündeten
Fürsten von Kiew und Pfzemisl führte; und wenn er in demselben zwei
Feldzüge unternahm, so mußte der erste später als 1123 stattf1nden, und
die erzählten
1 Boguphal.,
Ereignisse
a. a. O.konnten
Vgl. Engel,
nur im Geschichte
zweiten vorvon
sichHalitsch
gegangen
undsein.
Wladi

mir (Halle 1796), S. 457.


232 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
Sie mochten durch Räubereien der dort wohnenden Slawen aufgereizt
worden sein. Markgraf Ottokar von Steiermark drohte, mit bewaffnetem
Einfall in Ungarn die Plünderung seines Gebiets zu rächen. Der Erz
bischof von Salzburg Konrad aber, zu dessen Sprengel Steiermark
gehörte und dessen Besitzungen auch Plünderung erlitten hatten, kam
in Begleitung der Bischöfe Chuno von Regensburg, Ekbert von Münster
und Hildebrand von Gurk persönlich nach Ungarn, um die Angelegen
heit beizulegen. Da sie den König nicht im Lande fanden, schlossen
sie mit dem graner Erzbischof Felician eine Uebereinkunft zur Auf
rechthaltung des Friedens und schickten dieselbe an den König, der sie
nicht nur bestätigte, sondern auch die strengsten Befehle gab, daß die
Friedensstörer alle Beute zurückgeben, die Gefangenen sogleich aus
liefern
Die
und
ausschweifende
den ganzen Schaden
Lebensweise,
ersetzen
diesollten.
Vernachlässigung
1' der Staats

angelegenheiten und die Kriegslust Stephan's hatten bereits allgemeines


Misvergnügen erregt und endlich den Widerstand hervorgerufen, der
beim russischen Feldzug im Kriegsheer ausbrach; die Grausamkeit, mit
welcher er dafür Rache nahm, weckte Haß und Abscheu, der sich nun
in drohenden Bewegungen und Aufständen offenbarte. Thuröczy
erwähnt gleichsam im Vorübergehen, Saul, ein Sohn des Markgrafen
Ulrich von Kärnten und Sophiens, der Tochter Geiza's I. , sei von Mis-
vergnügten zum König erkoren worden.2 Ob auch der geblendete
Almos in dergleichen Anschläge verwickelt war , läßt sich nicht nach
weisen ; aber er glaubte im Vaterland nicht länger sicher zu sein, floh
mit seinen Anhängern nach Konstantinopel und ließ seinen blinden
Sohn Bela unter der Obhut der Benedictiner zurück, die ihn in der
Abtei Pecsvärad heimlich erzogen. 3 Johannes Comnenus und seine
Gemahlin Irene, Ladislaus' I. Tochter, nahmen den unglücklichen Ver
wandten liebreich auf und wiesen ihm und den Seinen die Stadt Con-
stantia in Macedonien zum Aufenthalt an. Bald folgten ihm noch
mehrere Große, die den Zorn des leidenschaftlichen Königs zu fürchten
hatten.4 Stephan fühlte sich durch die Aufnahme der Flüchtlinge be
leidigt und bedroht, forderte, daß der Kaiser sie aus seinen Staaten ver
weise, und weil die unbillige Forderung abgeschlagen wurde, führte er
1128 1128 ein mächtiges Heer über die Donau, eroberte Branizowa (unter
halb Belgrad), ließ die Festungswerke schleifen und die Steine nach
dem diesseitigen Semlin schaffen, um damit die Mauern dieser Stadt zu
bauen. Indessen verheerten andere Scharen ungehindert das byzan
tinische Gebiet; erst bei Pbilippopolis stießen sie auf Widerstand und
wurden zurückgeworfen. Durch den glücklichen Anfang des Kriegs
verblendet, schickte Stephan eine Botschaft an den Kaiser, und schalt ihn
ein altes
1 VitaWeib,
Conradiweil er sich
Arehiep. nicht zum
Salisburg. KampfGermania
bei Hansiz, gestellt habe; dieser
sacra, II, 223 er-
fg.

— 2 Thuroczy, II, 63. Sonst findet sich nirgends eine Spur von diesem
Saul und dem Vorhaben , ihn auf den Thron zu erheben. — 3 Die Urkunde
Geiza's II. vom Jahre 1158, bei Fejer, Codex dipL. II, 151. — * Thuröczy,
D, 63.
Aeußere Begebenheiten. Stephan II. 233

widerte den Schimpf mit noch ärgern Schmähungen; beide rüsteten sich
für das künftige Jahr zu wichtigem Unternehmungen. x
Stephan forderte auch seinen Bundesgenossen, Sobeslaw von Böhmen,
auf, die vertragsmäßige Hülfe zu leisten; dieser erfüllte, wiewol er Schwie
gersohn des verfolgten Älmos war, die Bundespflicht und schickte
seinen Neffen Wenzeslaw mit auserlesener Mannschaft nach Ungarn.
Als die vereinigte Heeresmacht der Ungarn und Böhmen ins Feld ziehen
sollte, erkrankte der König in Erlau; baldige Genesung war nicht zu
hoffen, und er sah sich genöthigt, den Grafen Steffaning, der Königin
Bruder oder Verwandten, zum Oberbefehlshaber zu ernennen, 1129. 1129
Unterdessen führte der Kaiser ein großes Heer, in welchem sich auch
persische und genuesische Hülfstruppen befanden, an die Save; die Un
garn eilten an die Donau. Zuerst lieferten sich die Flotillen beider
Theile auf dem Strome ein Treffen, in welchem die Byzantiner durch
Uebermacht und ihr griechisches Feuer siegten ; hierauf machte Johan
nes Scheinangriffe, als wollte er den Uebergang über die Donau der
Burg Haram (jetzt Neu-Palanka) gegenüber erzwingen, schickte aber,
während er den Feind hier beschäftigte, einen Theil seines Heeres
weiter hinauf, der dort plötzlich über den Strom setzte und den Un
garn, die längs des Flusses Krassö standen, unvermuthet in den Rücken
fiel. Die ungarische Hauptmacht kämpfte noch auf den Inseln und Sand
bänken , welche die Donau hier bildet, um den Griechen den Uebergang
zu wehren; da sehen sie die Ihrigen plötzlich angegriffen und hart be
drängt und eilen ihnen zu Hülfe; aber die Schiffbrücke über den linken
Donauarm reißt entzwei, viele finden in den Fluten ihr Grab, die Ver
bindung ist abgebrochen, die Verwirrung wird allgemein ; niemand macht
dem Feind den Uebergang weiter streitig; das Heer wird von zwei
Seiten gefaßt; es rettet sich wer kann; die Tapfersten bedecken todt
das Schlachtfeld, unter ihnen die Grafen Ciz und Kladian. Gleich
nach der Schlacht erstürmen die Griechen Haram, dessen Besatzung
sich jedoch durchschlägt, und bald darauf nehmen sie auch Semlin und Bel
grad. Hierauf zog der Kaiser vom Kriegsschauplatz hinweg und ließ
nur einen Theil seiner Kriegsvölker unter des Curtitius Oberbefehl
zurück.
Zu 2dem unglücklichen Verlauf des Krieges trug gewiß ein Ereigniß

viel bei, das Verwirrung, Mistrauen und Zwietracht in das ungarische


Heer brachte. Während nämlich Stephan in Erlau krank lag, ver
breitete sich im Lager am Krassö das Gerücht von seinem nahe bevor
stehenden oder schon erfolgten Tod, und wurde von Misvergnügten und
Ehrsüchtigen gern geglaubt. Da ließen sich die Grafen Johannes und
Bors von ihren Anhängern zu Königen ausrufen. Aber Stephan genas
wider Vermuthen , eilte in das Feldlager, stillte den Aufruhr und hielt
strenges Gericht über beide. Johannes ward enthauptet, Bors aus dem
Lande und seine Nachkommenschaft für immer vom königlichen Hof
verbannt. 3
1 Nieetas Choniates und Ci1mamus bei Stritter, Tom. III, Pars II, p. 633 fg.
röczy,
Thuröczy,
II, 63.
II, 63. — 2 Nieetas Choniates und Cinnamus, a. a. O. — 3 Thu-
234 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

Jetzt nahm auch der Krieg eine andere Wendung. Stephan hatte
ein frisches Heer herbeigeführt, das er mit dem geschlagenen vereinigte,
nahm Haram und Semlin, verjagte den Feind aus ganz Sirmien, setzte
über die Donau, eroberte und zerstörte Branizowa neuerdings. Die
Serben im Einverständniß mit den Ungarn bemächtigten sich Racznafenrgs
(Rasum). Durch diese schnellen und großen Verluste bewogen, kehrte
auch der Kaiser noch im Herbst mit einer Armee an die Donau zurück.
Er beschuldigte seinen Feldherrn Curtitius des Verraths und ließ ihn
geiseln; den Befehlshaber von Rasum aber klagte er der Feigheit an,
ließ ihn in weiblicher Kleidung auf einen Esel setzen und zur Schau im
Lager umherführen. So wollte der Despot, was er durch seinen vor
eiligen Abzug vom Kriegsschauplatz und durch Verminderung des
Heeres selbst verschuldet hatte, auf andere wälzen, und die feigen
Sklaven ertrugen geduldig solche Schmach. Hierauf befahl er, in Eile
und mit höchster Kraftanstrengung die Festungswerke Branizowas her
zustellen; allein der einbrechende Winter, Mangel an Mundvorrath und
überhandnehmende Krankheiten, die das Lager mit Leichen füllten, rich
teten sein Heer zu Grunde. Schon rüstete sich Stephan, dasselbe plötzlich
zu überfallen und zu vernichten, da brachte eine vornehme italienische
Frau Rettung, die dem Kaiser noch zu rechter Zeit den Anschlag des
Königs verrieth. Zu schwach, den Kampf aufzunehmen, zog sich Kalo
johannes über die Karadagher Bergkette zurück, wo ihn die nach
setzenden Ungarn zwar zu keiner Schlacht zwingen konnten, aber seinem
Nachtrab große Verluste zufügten und das ganze Gepäck der Armee
erbeuteten.
Älmos,1 der die Veranlassung zum Kriege gegeben, hatte schon im

1128 ersten Jahre desselben, 1128, sein mühseliges Leben beschlossen; der
wechselvolle und erfolglose Kampf kühlte den Zorn der Herrscher,
und warnende Zeichen des zunehmenden Misvergnügens über das nutzlos
verschwendete Gut und Blut mochten besonders Stephan zum Frieden
stimmen. Er sandte den kalocsaer Bischof Fulbert an den Kaiser und
ließ ihn zu einer persönlichen Zusammenkunft einladen. Sie fand auf
einer Insel der untern Donau statt, und die Fürsten schlossen dort nach
vielfachen gegenseitigen Vorwürfen und Entschuldigungen endlich
Frieden.2 Der Tod versöhnte Stephan auch dem hingeschiedenen
Älmos; vielleicht gerührt durch dessen trauriges Schicksal, vielleicht
auch bewogen durch die Rücksicht auf seinen Bundesgenossen Sobeslaw,
gab er dem Bischof Fulbert außer /lern obenerwähnten auch den Auf
trag, den Leichnam des Verstorbenen nach Ungarn zu bringen, den er
mit allen Ehren im stuhlweißenburger Dom beisetzen ließ. 3
Uebcrhaupt ging um diese Zeit in dem Gemüthszustand Stephan's
eine große Veränderung vor sich. Das steigende Misvergnügen des
Volks, das sich in mancherlei Erscheinungen unverkennbar enthüllte,
nebst den wiederholten Versuchen einiger, sich auf den Thron zu

1 Cinnamus und Nicetas, a. a. O. Chronicon Zwetlicense, Claustro-Neo-


burgense und Australe bei Pez, S. S. rerum Austriacar. I, ad ann. 1129. —
2 Dieselben. — 3 Thuröczy, II, 63.
Aeußere Begebenheiten. Stephan II. 235

schwingen, ließen ihn das Unsichere der Lage wahrnehmen, in welcher


er sich als einziger Sprößling des königlichen Hauses, als das einzige
Hinderniß des aufstrebenden Ehrgeizes befand. Zugleich weckte das bange
Gefühl der dahinschwindenden Lebenskraft in ihm die Ahnung des ihm
nahe bevorstehenden Todes. Dies alles bewog den noch jungen König,
ernstlich an die Erwählung eines Nachfolgers zu denken, der seine
eigene schwankende Stellung befestigen, die Reihe der ärpädischen
Könige fortsetzen, das Vaterland vor den traurigen Zerrüttungen einer
Königswahl bewahren sollte. Die Sorge, die deshalb, auf seinem Herzen
lastete, trug er einst dem alten Grafen Öthmar und dem Bischof Paulus,
den Vertrauten seines Vaters, vor; sie erfaßten den günstigen Augen
blick und offenbarten ihm: der seit der Flucht seines Vaters Älmos
verschollene und todt geglaubte Bela lebe im Kloster Pecsvärad 1 und
sei zum achtbaren jungen Mann herangereift; er sei der einzige aner
kannte arpädische Prinz, ihm gebühre die Krone. Wahrscheinlich
wurde ihre Empfehlung auch durch Sobeslaw von Böhmen kräftig unter
stützt. Nicht für Boris, dessen rechtmäßige Geburt und Abstammung
zweifelhaft war und dessen Erklärung zum Thronfolger das Andenken
Koloman's befleckt hätte, sondern für Bela sprachen sich m1nder König * '
und die Mehrheit der Großen aus, obgleich sie die Uebelstände voraus
sehen mußten, die dessen Blindheit nothwendig mit sich brachte. Als
bald wurde Bela aus der Verborgenheit hervorgezogen und als Kron
erbe dem Volke vorgestellt. Dem Hülfe- und Rath-Bedürftigen glaubte
man eine Stütze und Führerin geben zu müssen; man wählte daher die
schöne, mit Geisteskraft und Entschlossenheit begabte Tochter des
serbischen Fürsten Uros, Helene, zu seiner Gemahlin. Leider die
schlimmste Wahl die man treffen konnte, denn Herrschbegierde, Haß
und Rachsucht verdunkelten ihre sonstigen Vorzüge. Die Vermählung
ward sogleich vollzogen, und die Hofhaltung des jungen Paares in Tolna
eingerichtet; bald wurden König und Volk durch die Geburt eines Prin
zen, des nachmaligen Geiza II., erfreut, 2
Der kränkelnde, von seinem Gewissen beunruhigte König zog sich
immer mehr von Genüssen und Geschäften zurück und widmete sich
Andachtsübungen und Werken der Frömmigkeit. Den Orden der
Prämonstratenser, den der Chorherr Norbert in Frankreich 1120
gestiftet hatte, verpflanzte er 1130 nach Ungarn, indem er für den- xl30
selben ein Kloster bei Großwardein gründete.3 Allein die Vorliebe
und Parteilichkeit für die Kumanen ließ er noch immer nicht fahren.
Seine zunehmende Schwäche ermunterte manche Ungarn, die sich von
den Kumanen beleidigt fühlten, an diesen verhaßten Lieblingen des
Königs sich zu rächen; die Häuptlinge derselben beklagten sich daher
bitter1 Urkunde
bei ihm, Geiza's
und er II.
gelobte
vom ihnen,
Jahre 1158,
schwere
bei Rache
Fejer, und
CodexStrafe
dipl. ,dafür
II, 151.
zu

— 2 Thuröczy, II, 63. Was Schier (Reginae Hungariae etc., S. 103 fg.) da
gegen
genealogische
sagt, istKenntnisse
Künstelei; zuer großen
legt aufWerth.
des unkritischen
— 3 Die Urkunde
Cinnamus
Uladislaus
ungarisch-
II.
von 1494, bei Pray, Annales, I. Katona, Hist. Regum, III, 452.
236 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

nehmen. 1 Doch der Tod vereitelte diesen Vorsatz. Als Stephan das
Herannahen seines Endes fühlte, ließ er , nach der andächtigen Hofsitte
jener Zeit, alle Zeichen irdischer Hoheit von sich entfernen, sich in ein
Mönchsgewand kleiden und zum Mönche einsegnen. So starb er im
1131 April 1131 im dreißigsten Jahre seines Lebens; seinem Willen gemäß
ward er in Großwardein zu den Füßen seines damals schon hochgeehr
1131 ten und
Amspäter
28. April
heilig
Bela
gesprochenen
1131
II. oder
wardBlinde,
Großoheims,
Bela zu1131—1141.
Stuhlweißenburg
Ladislaus I., beigesetzt.2
gekrönt*

Den Blinden konnte zwar der Krone Glanz nicht blenden, aber die
Nacht, welche das Auge des Körpers umhüllte, verdunkelte auch den
Blick des Geistes ; nie konnte er sich zur klaren Erkenntniß der Dinge
und zur Selbständigkeit des Handelns erheben, nie seinen Leiden
schaften gebieten und fremder Leitung entbehren. Als er den Thron
bestieg, bestanden zwei Parteien in Ungarn. Viele zweifelten, daß ein
Mann, der von seiner Kindheit an blind gewesen und abgeschieden von
der Welt in heimlicher Verborgenheit gelebt habe, fähig sei, ein großes
Land mit Weisheit und Kraft zu regieren; andere erblickten in Boris
das Opfer des ungegründeten Verdachts und des Hasses , dem seine Mutter
unterlegen war, und betrachteten ihn als den rechtmäßigen Thronerben;
die endlich, die einst auf Koloman's und Stephan's Seite" gestanden und
zu harten Maßregeln gerathen hatten, sahen mit banger Besorgniß die
Krone auf dem Haupte dessen, der ihnen, als den Urhebern der eigenen
und seines Vaters Leiden, zürnen mußte; sie alle würden weit lieber
Boris zu ihrem König erwählt haben. Diesen gegenüber standen alle,
die aus welchen Ursachen immer mit der vorigen Regierung unzu
frieden waren, alle,^ die selbst oder deren Väter und Verwandte ihrer
Anhänglichkeit an Almos wegen gelitten, alle, die im Exil gelebt hatten
und nun zurückkehrten: sie freuten sich des neuen Herrschers, in
dessen Erhebung sie den Sieg der eigenen Sache erblickten, von dem sie
Lohn für ihre Treue und Bache für die erduldete Unbill hofften. Auf
dieser Seite befand sich auch die Geistlichkeit; konnte sie doch von
einem König, den sie gerettet und erzogen, zu dessen Erhebung sie
viel beigetragen hatte, nur Gunst und Vortheil erwarten. Diese
Parteien unterschieden sich bisjetzt blos durch ihre Gesinnung; zu
offener Spaltung, zu Thaten der Feindseligkeit war es noch nirgends
gekommen. Ein weiser und kräftiger Regent würde sich über beide
erhoben, die Misvergnügten durch unparteiische Gerechtigkeit versöhnt,
die eigenen Anhänger in den Schranken der Mäßigung erhalten, all
mählich Eintracht und Frieden gestiftet haben und ein Wohlthäter des
Vaterlandes geworden sein. Diesen erhabenen, heilbringenden Stand
punkt1 Thuröczy,
einzunehmen,
II, 63.warMuglen,
Bela viel
Kap.zu49.arm
— an
2 Xhuröczy,
Einsicht, II,
Kraft
64. —
und» Edel-
Chro-

nicon Budense bei Katoua, Hist. Key., III, 461.


Aeußere Begebenheiten. Bela II. 237

muth; in seinem Herzen kochte das Gefühl des Hasses, welches noch
genährt wurde durch die Rathschläga derer, die er für seine treuesten
Freunde hielt ; er erniedrigte sich zum Haupt und Werkzeug einer Par
tei, die nach Rache dürstete. Verrath, Mord, Elend und Schande
folgten
Unablässig
daraus. durch den jammervollen Anblick des blinden Gemahls

empört, auch von Verdacht und Furcht getrieben, trat die leidenschaft
liche Königin an die Spitze eines geheimen Complots, um alle Gegner mit
einem Schlage zu vernichten. Angeklagt und gerichtet konnten diese
nicht werden, denn sie hatten als treue Diener ihres Königs und auf
dessen Befehl gegen wirkliche oder vermeintliche Empörer gehandelt ;
offene Gewalt wollte man gegen sie nicht anwenden, weil viele unter
ihnen zu mächtig waren und andere durch Flucht sich der Rache ent
zogen hätten; man schritt also zu arglistigem Verrath, der sie in
die Hände ihrer Feinde liefern und unrettbar verderben sollte.
Kaum denkbar ist es, daß Bela von dem finstern Plan nichts gewußt
habenEinsollte.
allgemeiner Reichstag wurde 1132 nach Arad zusammen

berufen, vielleicht absichtlich hierher an des Reiches Grenze, um im


Fall des Misüngens leichter Hülfe aus Serbien erhalten oder dahin
flüchten zu können. Die Gegenpartei, entweder durch freundliche Zu
sicherungen getäuscht, oder im Bewußtsein, nichts Arges im Sinne zu
haben, oder um sich durch ihre Menge gegen Anfälle und ihnen ver
derbliche Gesetze zu schützen, erschien zahlreich; aber die Königin
und ihre Mitverschworenen hatten dafür Sorge getragen, daß die Ihrigen
dennoch die überwiegende Mehrheit bildeten und durch eine leicht
erregbare wilde Menge unterstützt wurden. Auf dem Felde unter freiem
Himmel wurde im Herbst 1131 oder im Frühling 1132 der Reichstag H31
eröffnet. An der Hand seiner Gemahlin bestieg der blinde König den oder
Thron; schon der traurige Anblick des Hülflosen, durch menschliche 11^2
Grausamkeit des köstlichsten Sinnes Beraubten, dessen Schritte man
leiten mußte, machte einen peinlichen Eindruck. Da trat die Königin
vor und sprach: „Ihr Getreuen, Herren und Edle, Alte und Junge,
Reiche und Arme, hört! Jedem unter Euch hat Gott das Augenlicht
verliehen ; warum ist unser Herr und König seiner Augen beraubt, und
wer sind die Urheber dieser That? Saget es, rächt uns und macht
mit ihnen ein Ende." Plötzlich erhob sich der Aufruhr, die Hofleute
und mit ihnen die wuthentbrannte Menge stürzten sich auf die, welche
man ihnen bezeichnete. Achtundsechzig wurden erbarmungslos ge
mordet, andere in Fesseln gelegt, die Abwesenden verzeichnet und
sammt ihren ganzen Geschlechtern des Landes verwiesen, die Güter
aller1 eingezogen.
Thuröczy, II,
1 64.
WieAnton.
viele mochten
Bonfinius, unschuldig
Reram Hangar.
als Opfer
Decades,
des Dec.
Hasses
II,

Lib. VI. Katona, Hist. Regum, und andere setzen den berüchtigten Reichstag
in das Jahr 1136. Doch Thuröczy berichtet ausdrücklich, von den Flücht
lingen aufgefordert, habe Boris seine Ansprüche auf den ungarischen Thron
mit Waffengewalt geltend zu machen versucht, und von jenen sei auch Bo-
leslaw, ihn zu unterstützen, bewogen worden. Die Kriege, die hieraus ent-
238 Drittes Buch. Erster Abschnitt
t

und der Habsucht, die nach ihrem Vermögen dürstete, gefallen sein!
So wurde der heilige Sitz der Gesetzgebung durch blutigen Frevel und
Raub entweiht; der König, der natürliche Hüter des Gesetzes, that
keinen Einspruch; die Geistlichkeit, die Botin des Friedens, erhob
sich nicht, dem Blutvergießen zu wehren, sie ließ es sich vielmehr
gefallen, da ein großer Theil der eingezogenen Güter der Kirche ge
schenkt und namentlich auch zur Dotirung des neitraer Bisthums ver
wendet
Vonwurde1;
diesem die
Tage
schreckliche
an wankteThat
derfand
Thron
sogar
Bela's;
Lobredner.2
die verdächtige

Partei, welche vernichtet werden sollte, wurde jetzt erst furchtbar und
konnte nur nach langem Kampf und neuen Frevelthaten besiegt werden.
Der Hof erkannte die drohende Gefahr und suchte sich durch äußere
Bündnisse gegen Aufstände im Innern zu stärken. Auf Sobeslaw von
Böhmen konnte man zuversichtlich rechnen; er war des Königs
Schwager und hatte unlängst auf ähnliche, wenn auch minder empörende
Weise seine Gegner vernichtet. 3 Ein neuer Bundesgenosse wurde an
dem Markgrafen von Oesterreich Leopold III. oder Heiligen erworben,
dessen Sohn Albert sich mit einer zweiten Schwester Bela's, Adelheid,
vermählte.4
Haß, Rachsucht und Verzweiflung im Herzen, sammelten sich in

dessen die Flüchtigen und Verwiesenen, die Verwandten und Freunde


der Geschlachteten in Polen am Hofe Boleslaw III. Schiefmunds und
riefen Boris auf, sich mit ihnen zu vereinigen und sein Recht auf den
ungarischen Thron geltend zu machen. Auch in der Heimat, war die
Zahl derer nicht gering, welche die blutige That verabscheuten und
bereit waren, ihn als Retter und König zu empfangen. Der kriegerische
Boleslaw verhieß seinen mächtigen Beistand und trat als Hauptkämpfer
an die Spitze des Unternehmens. Nachdem Boris mit seinen russischen
Kriegsvölkern in Polen angekommen war, führte Boleslaw das ver-
1132 einigte Heer im Herbst 1132 nach Ungarn, durchzog die Gespanschaft
Zips Jenseit
und rückte
des bis
Flusses
an denlagerte
Sajö vor.
Bela mit seiner Armee. Allein hier

gab es viele Misvergnügte und Zweideutige, von denen zu befürchten


stand, daß sie in der Schlacht zu dem Feinde übergehen würden. Die
Hofpartei, die sich schon einmal mit dem Blut ihrer Mitbürger befleckt
hatte, schrak auch jetzt nicht zurück, ihre Hände neuerdings in das
selbe zu tauchen; auf ihren Vorschlag berief also der König unter dem
Vorwand einer Berathung die im Lager anwesenden Herren zu sich und
legte ihnen die Frage vor, ob sie Boris für den rechtmäßigen Sohn
Köloman's halten. Die Mehrheit — aus Vorsicht oder Ueberzeugung? —
verneinte
standen, währten
es laut,voneinige
1132—34,
aber zögerten
hörten thatsächlich
und antworteten
schon 1134
zweideutig;
auf, und 1137
da

schlossen Bela und Boleslaw den förmlichen Friedenstractat : folglich mußte


*,. f ' der v^4pfp
1 Szalay,
Reichstag
Geschichte
spätestens
des ungarischen
im Frühling
Reichs,
1132 gehalten
I, 249. —worden
2 Thuroczy
sein. u.
• Bonfinius, a. a. O. — 3 Palacky, Geschichte von Böhmen, I, 403 fg. —
4 Excerptum Ricardianum beiPray, Annales Reg. Hung. , I, 124. Otto Fri-
singens., VII, 21.
Aeußere Begebenheiten. Belall. 239

stürzten die Höflinge und deren Schergen auf sie, der Obergespan
Lambert flüchtete zu den Füßen des Königs und wurde dort von der
verruchten Hand des eigenen Bruders erschlagen; sein Sohn Nikolaus,
Majnold, aus demjGreschlechtÄkos, und noch mehrere wurden gleichfalls
hingemordet; Andere, wie Theodor, aus dem Geschlecht Simad, Folkus,
Titus und Sämson retteten sich in das Lager der Polen. Der letzt
genannte Sämson unternahm einige Tage darauf ein merkwürdiges
Wagstück; er trat plötzlich in das Zelt des Königs, forderte ihn mit
heftigen Schmähworten auf, den Thron zu räumen, der ihm nicht
gebühre und in ein Kloster zu gehen, für das er geschaffen sei, und war
wieder fort, ehe die durch solche Kühnheit verblüfften Höflinge zur Be
sinnung kamen. Aber der Waffenträger des Grafen Bod schwang sich
auf ein Pferd, verfolgte und durchstach ihn, als er über den Sajo
setzenUngeachtet
wollte. 1 die feindlichen Heere blos durch den Fluß, der leicht

überschritten werden kann, voneinander getrennt waren, und die gegen


seitige Erbitterung durch solche Auftritte gesteigert werden mußte,
kam es doch zu keiner entscheidenden Schlacht. Die Ungarn schickten,
berichtet Thuröczy, eine Botschaft an die Polen und baten sie, sich in
ihre Angelegenheiten nicht zu mischen, ihnen nicht einen Bastard zum
König aufzwingen zu wollen, sie selbst müßten am besten wissen,
wer ihr rechtmäßiger Herrscher sei; durch diese Vorstellungen ließen
sich die Polen zur Heimkehr bewegen. Die Unwahrscheinlichkeit dieser
Erzählung leuchtet sogleich in die Augen. Das polnische Heer zog
sich ohne Kampf zurück, weil Sobeslaw von Böhmen, der Bundesgenosse
Bela's, am 18. Oct. in Schlesien, das um diese Zeit noch zu Polen ge
hörte, eingefallen war und es gräßlich mit Feuer und Schwert ver
wüstete; die Böhmen besaßen in solchen Dingen eine furchtbare Meister
schaft. Boleslaw mußte daher eilig zur Vertheidigung des eigenen
Landes heimkehren2, gab aber deshalb den Plan nicht auf, Boris auf
den ungarischen Thron zu erheben und die Flüchtlinge in ihr Vater
land zurückzuführen.
Um Boleslaw von dem neuen Kriegszug nach Ungarn, zu dem er sich

rüstete, abzuhalten, fiel Sobeslaw am 16. Juni des folgenden Jahres 1133
abermals in Schlesien ein und zerstörte gegen 300 Dörfer. Aber
Boleslaw hielt seine Unternehmung mit solcher Beharrlichkeit fest, daß
er diese Verheerungen vorderhand ungestraft ließ , und sobald Boris mit
größerer Streitmacht als im vorigen Jahre aus Rußland angekommen
war, trat er den Feldzug an und drang tief nach Ungarn ein. Drei
verwüstende Einfälle, die während seiner Abwesenheit Sobeslaw nach
einander in die polnischen Länder machte, konnten ihn nicht zur Um
kehr bewegen. 3 Bela wartete jenseit der Donau in der Gegend um
Visegrad auf die Ankunft der Hülfstruppeu, welche ihm Leopold von
Oesterreich
1 Thuröczy,
versprochen
II, 64. —hatte;
2 Continuatio
Sobeslaw Cosmae
schlug Pragens,
sein Lager
bei am
Pertz,
Waag-
IX,

138. Otto Frisingens., VIII, 21. Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen,
I, 409. — 3 Continuatio Cosmae Pragens., a. a. 0.
240 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

fluß auf1; Boleslaw konnte also ungehindert immer weiter in das Innere
Ungarns vorrücken und ungeheuere Beute machen. Um die Mitte Juli
trafen endlich die Oesterreicher ein, geführt von des Königs Schwager
Albert; die vereinigten Armeen gingen nun über die Qonau und griffen
den Feind an; die Gegend, wo der Kampf stattfand, wird nicht näher
bezeichnet, am 22. Juni entbrannte die heftige Schlacht; die Ungarn
auf dem einen , die Oesterreicher auf dem andern Flügel siegten, ver
1134 folgten
meinschaftlich
das geschlagene
mit den Böhmen
Heer nach
im folgenden
Schlesien und
Jahrerieben
fast gänzlich
es dort auf.
ge-

Unter den Ungarn thaten sich auf königlicher Seite Maximilian, Gab,
Vasas und Bätor besonders hervor; von den Häuptern der Gegen
partei wurden Vitalis, Andreas und Theodor, der heftigste Anstifter des
Kriegs,
So gefangen.'2
hatte die eine Partei, die den willenlosen Bela beherrschte,

auch im offenen Kampf gesiegt und ihre blutigen Gewaltthaten zu Ehren


gebracht. Aber Boleslaw konnte neuerdings zu den Waffen greifen
und ihr den Sieg entreißen; nur ein förmlicher Friedensvertrag mit
ihm gewährte völlige Sicherheit. Peter, Bischof von Zara-Vechia, ging
1135 also
tage als
zu Magdeburg
Gesandter zu
amKaiser
26. Mai
Lothar
1135II.dieAls
Huldigung
Boleslawfür
aufPommern
dem Fürsten-
und

Rügen leistete, übergab der Bischof dem Kaiser reiche Geschenke,


unter anderm zwei kostbar aufgezäumte weiße Rosse, und ersuchte ihn,
Frieden zu stiften zwischen seinem Lehnsmann, dem Herzog von Polen,
1137 und
Friede
demkam
König
zu von
Stande,
Ungarn.
doch Sobeslaw
wurde der
tratförmliche
als Vermittler
Vertrag
auf,erst
und1137
der

geschlossen. 8 ^
Unterdessen nahm auch das Schicksal des unglücklichen Boris
eino ungünstige Wendung. Er wurde durch einige verbündete russische
Fürsten aus Halitsch 1135 vertrieben und genöthigt, nach Polen zu
fliehen; als er 1137 einen Versuch machte, sein Fürstenthum wieder
einzunehmen, wurde er vor der Stadt Halitsch gänzlich geschlagen4;
endlich verlor er auch am 28. Oct. 1138 durch den Tod seinen Be
schützer Boleslaw. Von nun an war er ein heimatloser Flüchtling,
ein Prätendent, der von einem Fürstenhof zum andern wandernd, wenn
man ihn als Werkzeug gegen Ungarn brauchte, aufgenommen, wenn er
abgenutzt
Seit dieser
war, weggewiesen
Zeit lebte Bela
wurde.
in Ruhe, die weder durch innere noch

äußere Feinde gestört wurde. Aber für des Landes Fortschritt und
Wohlfahrt geschah nichts, was auffallend und wichtig genug ge
wesen wäre, durch die Geschichte überliefert zu werden und uns mit
den Greuelscenen, durch die seine und seines Hauses Herrschaft befestigt
wurde, versöhnen könnte. Für die Kirche oder eigentlich für die
Geistlichkeit
1 Pulkawabewies
bei Dobner,
Bela Monumenta.
viel wohlwollenden
Vgl. Palacky,
Eifer; a. era. gründete
0. — J oder
Thu-

röczy, II, 64. Otto Frisingens., VII, 21. Excerpta Richardi bei Pray, An
nales Begni Hung., I, 126. — ' Continuatio Cosmae Pragens, ad ann. 1135
u. Otto Frisingens., a. a. O. — * Chronic. Austrate, Claustro -Neoburgense,
Zwetlense bei Pez.
Innere Zustände. 1114 — 1141. 241

beschenkte doch wenigstens mit reichen Gütern das neitraer Bisthum,


ertheilte Gunstbezeigungen den Abteien auf dem Martinsberge und zu
Dömös 1, auch der vom Grafen Lambert und seiner Gemahlin Sophie,
einer Schwester Ladislaus' I., gestifteten Prämonstratenserpropstei
zu Bozök. 2 Papst Innocentius II. zürnte dem neuerwählten Erz
bischof von Spalatro, Gaudius, und verweigerte ihm das Pallium, weil er
sich durch den graner Erzbischof zum Bischof hatte weihen lassen;
Bela hörte nicht auf, den Papst mit Bitten zu bestürmen, bis dieser
Gaudius
Die verzieh
Freundschaft
und das
, welche
PalliumBela
schickte.
und Sobeslaw
3 verknüpfte , dauerte

ununterbrochen und ungeschwächt fort. Ein Verwandter des letztern,


Konrad von Znaim, heirathete 1134 eine Schwester der Königin
Helene.4 Bela ließ einen 1134 geborenen Sohn Sobeslaw's durch den
Bischof Meinhard von Prag nach Ungarn bringen, um ihn aus der Taufe
zu heben.6 Beide Fürsten kamen zu Ostern 1137 in Olmütz zu- 1137
sammen 6, von wo die Herzogin Adelheid ihrem Bruder nach Ungarn
folgte, um der Todtenfeier beizuwohnen, die er dem Vater Almos
zu Ehren veranstaltete. 7 Durch Sobeslaw's Zuthun warb Kaiser Kon
rad für seinen unmündigen Sohn Heinrich um die ebenfalls unmündige
Tochter Bela's, Sophie, 1139, Eine übergroße Ausstattung von Reli- 1139
quien, Schmucksachen, Gold, Silber und Seide wurde an den kaiser
lichen Hof geschickt und die Braut dem Kloster Admont in Steiermark
zur Erziehung anvertraut. 8 Heinrich starb jedoch in früher Jugend, und
Sophie blieb für immer im Kloster.
Hinsichtlich der Erbfolge seiner Söhne traf Bela die Anordnung,
daß der älteste, Geiza, auf dem Thron folgen, der zweite, Ladislaus, Bos
nien, damals Bama genannt, der dritte, Stephan, Sirmien erhalten sollte ;
ein vierter, Älmos, war bereits gestorben; die zweite Tochter, Gertrud,
ward Sospäter
sehr die
dieGemahlin
Chronisten9
des polnischen
die Frömmigkeit
Herzogs
undMstislaw.
Milde Bela's loben,

berichten sie doch auch, daß er dem Trunk ergeben war, im Rausche
allesMögliche andieHöflinge verschenkte, eines Tages die Hinrichtung der
Mönche Pöcs und Saul befohlen und sich endlich die Wassersucht zuge
zogen habe. Er starb am 13. Februar 1141, etwas über dreissig Jahr 1141
alt, und wurde seinem Vater zur Seite in Stuhlweißenburg begraben.

2. Innere Zustände.

Aeußerst wenig ist es, was


1114 wir
— 1141.
über das innere Staatsleben des
ungarischen
1 Pray, Specimen
Volks ausHierarchiae,
diesem Zeitabschnitte
I, 362 fg. Fejer,
von Codex
27 Jähren
dipl., zu
II, be-
86,

110, und 94. — 2 Ebend., S. 82. Katona, Hist. Reg. Hung., III, 528. —
3 Thomas Archidiac. Spalat. , Hist. Salonit., c. 19. Fejer, Codex dipl., II,
113. — 4 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1134. — 5 Ebend. und Pulkawa,
bei Dobner, Monumenta, III, 158. — 6 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1137.
— 7 Continuat. Cosmae Pragens, u. Marignol, bei Dobner, Monumenta. —
8 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1139. Vita S. Ottonis Episc. Bambergensis,
bei Katona, Hist. Reg. Hung., III, 531. — 9 Thuroczy, Muglen, Bonfinius.
Fettler. I. 16
242 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

richten haben; keine Gesetze, keine bedeutenden Veränderungen,


keine neuen Schöpfungen, die in demselben zu Stande gekommen wären,
sind uns bekannt. Unter Regierungen wie die Stephan's II. und
Bela's II. konnte kein Fortschritt, keine Entwickelung deT Staats
einrichtungen, keine Zunahme der Bildung und Wohlfahrt stattfinden;
es mußte vielmehr eine Verschlimmerung der öffentlichen Zustände ein
treten. Die Verfassung erlitt zwar ihrer äußern Form nach keine in
die Augen fallende Umgestaltung, aber ihr inneres Wesen änderte sich,
und sie
Daß,
fingwie
an, früher,
auffallend
Reichstage
an Kraftgehalten
und Wirksamkeit
und die wichtigsten
zu verlieren.
öffent

lichen Angelegenheiten auf denselben verhandelt wurden, unterliegt


keinem Zweifel ; einige , wie der berüchtigte ärader , werden in Jahr
büchern und Urkunden ausdrücklich erwähnt, von andern finden sich
wenigstens deutliche Spuren. 1 Aber nicht allein dem Einflusse der
Zeit, die so viele Denkmäler des Alterthums vernichtet, mögen wir es
zuschreiben, daß keine Kunde von dem, was da geschah, auf uns gekom
men ist, sondern auch, und vielleicht noch mehr, dem Umstand, daß wenig
oder nichts Heilsames und Merkwürdiges geschaffen wurde, nichts, das
der Aufzeichnung und Auf bewahrung werth gewesen wäre. Das Volk war
in Parteien zerrissen , der König stand selbst an der Spitze der einen, der
Einfluß eigennütziger Dynasten überwog: darum herrschte auf den
Reichstagen das Tagesinteresse; nicht was dem Lande frommte, son
dern was Einzelnen Vortheil brachte, wurde beschlossen. Der könig
liche Rath, in welchem die weltlichen und geistlichen Großen saßen
und ohne dessen Zustimmung nichts Wichtiges geschah 2, erweiterte
ungebührlich seine Macht, indem er die Rechte des Volks schmälerte und
die königliche Gewalt herabsetzte. Zwar ernannte der König die
Reichswürdenträger, mithin auch die Mitglieder dieses Staatsraths und
konnte, da deren Zahl nicht gesetzlich bestimmt war, dazu berufen,
wen und wie viele er wollte, sodaß derselbe fast nothwendig die am
Hofe herrschende Partei vertrat und ein bereitwilliges Werkzeug der
Willkür wurde. Da aber auch die königlichen Rechte und Befugnisse
durch die Verfassung nicht fest geregelt und genau abgemessen waren,
da sich die schwachen Könige oft genöthigt sahen, die Mächtigsten und
Einflußreichsten, um sie für sich zu gewinnen, zu den höchsten Staats
ämtern zu berufen, und da es nicht so leicht war, sie wieder zu ent
lassen, wurden diese immer gewaltiger und trotziger; der König mußte
sich immer häufiger ihrem Willen und ihrer Anmaßung fügen. Dagegen
konnten sie es auch nicht hindern, daß er sich von Zeit zu Zeit erhob
und vernichtete, die ihm widerstrebten. So entstand ein Kampf, der die
Grundfeste des Staats, den Rechtszustand, erschütterte, die öffentliche
Moralität
1 Kovachich,
verderbte
Vestigia
, das Vaterland
comitiorum. zerfleischte
Bela II. erhält
und endlich
die allgemeine
zum Nach-
Zu

stimmung des Reichs, seinem Sohne Ladislaus das Herzogthum Bosnien zu


verleihen, anf dem Tage zu Gran 1136. Kovachich, Supplementa ad Vesti
gia comitiorum, I, 1 — 6. — 2 Sie bekräftigen die königl. Urkunden durch
ihre Unterschrift und leisten oft auch gemeinschaftlich mit dem König den
Eid, daß die königlichen Freibriefe für immer gültig sein und beobachtet
werden sollen. •
Innere Zustände. 1114 — 1141. 243

theil des Königs ausschlug. Niemand kann wol in den Grausamkeiten,


durch die Stephan II. die Auflehnung seiner Feldobersten vor Kiew
rächte, noch in dem raschen Erfolg, mit dorn er die Gegenkönige ver
nichtete, am wenigsten aber in den schrecklichen Auftritten des ärader
Reichstags Acte der königl1chen Machtvollkommenheit erkennen. Unter
einer gerechten und kräftigen Regierung erheben sich keine Parteiungen
und Aufstände; sie braucht nicht zu Comploten und Ränken ihre Zu
flucht zu nehmen, nicht durch Handlungen der Tyrannei sich Ansehen
zu verschaffen ; sie fußt auf dem Boden des Gesetzes und des Rechts, und
ist stark
Unter
durch
diesen
die Königen,
Liebe unddenen
das Vertrauen
es so sehrdes
an Volks.
Regententugend fehlte,

traten auch sichtbarer die traurigen Folgen zu Tage, die aus der über
handnehmenden Verschleuderung der königlichen Güter und Gefälle
und der zu den Gespanschaften gehörenden Staatsländereien ent
sprangen. Schon war durch königliche Schenkungen der größere Theil
derselben in den Besitz der Bischöfe, Aebte, Pröpste und weltlichen Herren
gekommen, wie sich allein aus noch vorhandenen Urkunden leicht be
rechnen läßt; und wie viel mochten noch außerdem einzelne Mächtige,
besonders in den Tagen innerer Wirren, durch List und Gewalt an sich
gebracht haben! Hierdurch erlitten die königlichen Einkünfte, die von
denen des Staats nicht geschieden waren, eine höchst nachtheilige Ver
minderung, die sich bei allen öffentlichen Angelegenheiten fühlbar machen
mußte. Die Jobbagyones castri, jene freien Leute, die auf diesen Barglän-
1 dereien saßen und die schlagfertige Miliz bildeten, waren meistentheils zu
Hörigen des hohen Adels ' herabgedrückt, und was von ihnen noch
übrig blieb, reichte nicht mehr hin zur Vertheidigung des Vaterlandes.
Ueberhaupt verschwindet um diese Zeit der wahre Kern des Volks, die
Gemeinfreien; ihrer geschieht in Gesetzen und Urkunden kaum mehr
Erwähnung. Die durch übermäßige Vermehrung ihres Grundbesitzes
übermächtig gewordenen Großen verschlangen das kleine Besitzthum
ihrer schwachen Nachbarn und machten auch deren Person sich unter-
than. ' Ungeachtet also die eigentliche Sklaverei sich gemildert hatte
und bereits im Verschwinden begriffen war, theilte sich dennoch das
Volk immer auffallender in zwei Klassen, in die der Herren und der
Knechte. Welche Verwirrung vollends der grauenvolle Reichstag zu
Ärad und die Auftritte, die ihm folgten, in alle Verhältnisse und beson
ders in den Besitzstand bringen mußten, läßt sieb? kaum vorstellen. Viele
der angesehensten und reichsten Herren fanden den Tod oder mußten
das Vaterland verlassen, ihre Güter wurden eingezogen, ihre Familien
ausgerottet oder ins Elend gestossen, ein großer Theil des noch übrigen
alten Stammadels wurde vernichtet; was man ihnen geraubt, ward
wol größtentheils der Lohn derer, die sich zu Werkzeugen der Rache
hergegeben hatten ; auf letztere ergossen sich die königlichen Gunstbezei
gungen, in ihren Händen häufte sich übermäßiger Reichthum an, ein
neuer Grund wurde gelegt zu jener Oligarchie, unter deren Druck schon
in den nächsten Zeiten das Volk seufzte. So ward der König entblößt
von den nöthigen Hülfsmitteln und abhängig von dem guten Willen der
Großen, die Mittel und Wege genug fanden, sich den Staatslasten zu
244 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

entziehen und selbst den pflichtmäßigen Gehorsam zu verweigern. Be


saß er nicht jene Vorzüge des Geistes und Herzens, die sie zur Ehr
furcht und Unterwerfung nöthigten, so sah er sich gezwungen, durch
Begünstigungen und neue Schenkungen ihre Dienste und ihre Anhäng
lichkeit zu erkaufen und das drückende Uebel noch zu vergrößern, sich
und den
AuchStaat
die kirchlichen
noch ärmer,Zustände
sie noch zeigen
reicherwol
zu machen.
äußerlich dasselbe Bild,

in welchem wir sie zu Ende der Regierung Koloman's erblickten; sobald


wir sie aber genauer betrachten, können uns die Anfänge bedeutender
Umgestaltungen nicht verborgen bleiben. Die Niederlassung der heid
nischen Kumanen und Petschenegen gab dem Bekehrungseifer der Geist
lichkeit Veranlassung zu erfolgreicher Thätigkeit; die Ankömmlinge
ließen sich zur Annahme des Christenthums leicht genug bewegen. Frei
lich bestand auch ihre Bekehrung vorderhand nur darin, daß sie getauft
wurden und einige Gebräuche des christlichen Gottesdienstes nach
machten; sie zu christlicher Gesinnung und Sitte zu bilden, hielt weit
schwerer; dennoch verlor sich allmählich der feindselige Widerwille,
der zwischen ihnen und den Ungarn herrschte; schon während der Re
gierung Bela's hören wir nichts mehr von heftigen Ausbrüchen dessel
ben, Die
und bald
Zahl begann
der reichen
die völlige
Klöster
Verschmelzung
und der Reizbeider
zu neuen
Nationen.
Stiftungen

1135 und
neuerSchenkungen
Orden. Wiefür
Stephan
Mönche
diewurde
Prämonstratenser;
vermehrt durch
so berief
die Einführung
Bela 1135

die Cistercienser aus Clairvaux, gründete für sie das erste Kloster bei '
der Burg Toplicza im varasdiner Comitate Kroatiens, und gab dem
Orden das Privilegium, daß dessen ungarische Klöster fortwährend
unter der Aufsicht des Abtes von Citeaux stehen sollten; ein Privilegium,
das die bischöflichen wie die Rechte des Staats beeinträchtigte und den
Orden dem Vaterlande entfremden mußte. x Auch das neitraer Bis-
thum wurde um diese Zeit erneuert. Seit Bischof Viching beim Einfall
der Magyaren in Großmähren die Flucht ergriffen hatte, war zu Neitra
kein Bischof mehr; Stephan der Heilige fand nur noch Priester, die er zu
' einer Propstei vereinigte und der Gerichtsbarkeit des graner Erzbischofs
unterordnete. So blieb es bis auf Bela II.; dieser, wenn nicht schon
Stephan II., erhob die Propstei zum Bisthum, dotirte dasselbe, wie
1133 schon
tags conflscirt
berichtet worden
wurde, »waren,
mit Besitzungen,
und ernannte
die infolge
1133 den
des ersten
araderBischof;
Reichs-

doch blieb Neitra längere Zeit das ärmste Bisthum Ungarns. 2 Zum Heil
mittel für seine und seiner Nachfolger Seele schenkte Bela ferner dem
Erzbisthum von Spalatro die Marienkirche von Salona sammt allen ihr
angehörenden Gütern und Einkünften. 3 Mit den Königen wetteiferten
fromme Große in der Freigebigkeit gegen Stifter, besonders gegen Klö
ster; Geringe opferten ihnen ihre kleine Habe und gaben ihnen sogar
ihre Person
1 Heimb.in Notitia
Dienstbarkeit.
historicaDie
Abbatiae
Geistlichen
S. Gotthardi,
selbst mehrten
S. 31 u.
überdies
150. Mauri-
durch

ques, Annales Cistercienses, Tom. III, Kap. 7, Note 5. — 2 Pray, Specimen


Hierarchiae, I, 362 fg. — 3 Urkunde bei Farlatus, Illyricum sacr., III, 173.
> Innere Zustände. 1114 — 1141. 245

gute Wirthschaft ihr Vermögen, wurden die mächtigsten Geldleute ihrer


Zeit, und brachten durch Pfandnahme und Kauf große Besitzungen an
sich. Die Reichthümer, die sich bei ihnen anhäuften, hatten bereits
auch in Ungarn unter den altern Mönchsorden die Fesseln der Zucht
und Ordnung gelöst, und wurden schnell auch den neuern verderblich;
sie machten die Prälaten, die Bischöfe, Aebte und Pröpste üppig
und stolz, anmaßend und herrschsüchtig. Doch war der hohe Klerus
noch immer zu abhängig von den Königen, als daß er schon offen gegen
die Staatsgewalt aufzutreten gewagt hätte. Denn obgleich Koloman
dem Investiturrechte entsagt und Stephan diese Entsagung erneuert
hatte, übte der König noch immer das Recht der Ernennung zu geist
lichen Pfründen, der Versetzung von einer auf die andere, und der Ab
setzung; nur er konnte die geistlichen Stifter gegen die Gewaltthätig-
keiten unfrommer weltlicher Herren schützen, die sich ihrer reichen
Güter oft zu bemächtigen suchten. Auch hatten die Satzungen des kano
nischen Rechts, welches Gratianus ebenjetzt auf die Decretalen des
Pseudo-Isidorus baute 1 und nach ihm die Doctoren der hohen Schule
zu Bologna dem Abendlande einprägten, bei der ungarischen Geistlich
keit noch nicht feste Wurzeln geschlagen und allen Sinn für ihr Volk
und Vaterland erstickt; ihre Mitglieder fühlten noch, daß sie Ungarn
und Bürger
Seit dendes
Versuchen,
Landes sind.
die Gregor VII. machte, Ungarn seiner Hoheit

zu unterwerfen, mischten sich die Päpste nicht in die Staatsangelegen


heiten Ungarns und ließen auch die Landeskirche unangefochten bei
der Ausübung ihrer Rechte; die ungarischen Bischöfe leisteten ihnen noch
nicht den Eid des Gehorsams. Innoeentius II. that den ersten Schritt,
die Bande der Abhängigkeit der ungarischen Kirche vom päpstlichen
Stuhl fester zu ziehen, als 1138 der graner Erzbischof Felicianüs den
Erzbischof von Spalatro Gaudius weihte; Gaudius hätte, behauptete
er, den alten Kirchensatzungen gemäß, die Weihe in Rom nachsuchen
müssen, er verweigerte ihm das Pallium und schickte es endlich nur aus
Rücksicht auf die inständigen Bitten König Bela's 2, wie schon erwähnt
wurde. Er brachte hierdurch den Grundsatz zur Anerkennung, daß
die Erzbischöfe ihre Befugnisse vom römischen Stuhl erhielten, be
schränkte die Primatialrechte, die der graner Erzbischof übte, hinderte
die Ausdehnung derselben über Dalmatien und machte überhaupt der
ungarischen Kirche seine Machtvollkommenheit fühlbar; der Anfang zu
fernern
1 ZuMaßregelungen
Anfang des 9. Jahrhunderts
und Machtsprüchen
wurde von
warMainz
hiermit
ausgeschehen.
eine Sammlung

angeblicher Decretalen der Päpste unter dem Namen des berühmten Bischofs
von Sevilla (um 600), Isidorus, bekannt, durch welche nachgewiesen werden
sollte,
thums daß
die Rechte
die Päpste
geübtund
haben,
Bischöfe
die sie
seit jetzt
den beanspruchten.
frühesten ZeitenHeutzutage
des Christen-
be
streitet kein Mensch mehr, daß diese Decretalen ein untergeschobenes Mach
werk sind, damals aber wurden sie für echt gehalten und von den Päpsten
und Lehrern des kanonischen Rechts als glaubwürdige Urkunden gebraucht;
sie waren eins der wirksamsten Mittel, durch welches sich die Anmaßungen
des römischen Stuhls in anerkannte Rechte verwandelten. — 2 Thomas Ar-
chidiac. Spalat., Historia Salonitana, c. 19. Fejer, Cod. dipl., II, 113.
246 Drittes Buch. Erster Abschnitt.

Doch die Grundursachen dieser meist bedauernswürdigen Erschei


nungen im innern Staatsleben des ungarischen Volks lagen im Geiste
der Zeit, in den mangelhaften Einrichtungen der bürgerlichen Gesell
schaft, in den abenteuerlichen Schöpfungen des Feudalismus, in der
steigenden Macht des Papstthums. In den meisten Ländern Europas
geschah damals ähnliches; die Bande der Ordnung lösten sich, Päpste,
Prälaten und Dynasten erhoben sich zum Kampf gegen die oberste
Staatsgewalt; Gesetz und Recht, die Freiheit und Wohlfahrt der Völker
wurden vernichtet, und auf deren Kosten erhoben sich einzelne Große
zur Uebermacht. Ungarn konnte von den nachtheiligen Einwirkungen
dieser Ursachen nicht verschont bleiben; sie mußten ihre Einflüsse um
so mächtiger äußern, sobald Könige die Regierung führten, die weder
hinreichende Klugheit noch Kraft zum Widerstande besaßen.
Zweiter
Byzantinischer EinflussAbschnitt.
stiftet Verwirrung und

gefährdet Ungarns Unabhängigkeit. 1141—1196.


1. Aenssere Begebenheiten.
Gteiza H. 1141—1161.

Geleiza war beiläufig zehn Jahre alt, als er am dritten Tage nach
dem Begräbniß seines Vaters zu Stuhlweißenburg gekrönt wurde. x
An der Spitze der Regentschaft, die während seiner Minderjährigkeit
die Regierung führte, stand Belus, Serbe von Geburt, Schwestermann
der Königin Helene2, ein Mann voll Einsicht und Kraft; die andern
Mitglieder derselben waren: der Erzbischof von Gran, die Grafen
Kalän,
Eine
Gerkon,
feierliche
Paul Gesandtschaft,
und Värnold. von dem Ungarn treu ergebenen

Erzbischof Gaudius geführt, überbrachte dem jungen Könige die Hul


digung Spalatros; sie wurde sehr freundlich aufgenommen, erhielt die
Zusicherung, daß die Freiheiten der Stadt nicht nur unversehrt blei
ben, sondern noch vermehrt werden sollten, und schon am 3. Mai
1142 erfloß eine Urkunde, welche die von Koloman ihr verliehenen 1142
Rechte neuerdings bestätigte und ihren Handel innerhalb des ganzen
Reichs
Ein
vonunvergängliches
jeder Abgabe befreite.
Verdienst3 erwarb sich die Regentschaft um

das Vaterland dadurch, daß sie neue Colonisten herbeirief. Die emsigen
Bewohner der flachen Küsten Flanderns zwischen Grevelingen und den
Rheinmündungen hatten sich lange Zeit durch mächtige Dämme gegen
die Wogen des Meers geschützt, aber 1129 — 35 durchbrachen diese die
Dämme1 Thuröczy,
und verschlangen
II, 66. — ihre
2 Wahrscheinlich
Felder und Wohnungen.
ist es, daß er Ungarns
So wurden
Palatin
sie

war, denn diesen machte schon damals der Gebrauch und später das Gesetz,
das aus jenem entstand, zum jedesmaligen Stellvertreter des Königs, zum
Vormund und Regenten während dessen Minderjährigkeit. In Urkunden
heißt er bald Bän, bald Herzog. — 3 Farlatus, Illyric. sacr., III, 172.
248 Drittes Bnch. Zweiter Abschnitt.

gezwungen, eine neue Heimat zu suchen. Sie zogen an die Ostsee und
in andere Gegenden des weiten Herzogthums Sachsen — ja nicht zu
verwechseln mit dem heutigen Königreich Sachsen und den sächsischen
Herzogthümern — ; aber die Hungersnoth, die um diese Zeit beinahe in
ganz Europa herrschte, und das Elend, welches innere Unruhen und
Fehden über Deutschland verbreiteten, nöthigten sie neuerdings, auch
von dort in großen Scharen auszuwandern. Ungarn nahm die Menge
der Heimatlosen und alle, die aus verschiedenen Gegenden Deutsch
lands sich ihnen anschlossen und folgten, gastlich auf und ward ihr
Vaterland. Ungeachtet diese Einwanderer ihrem Hauptbestandtheil
nach Flanderer waren 1, wurden sie dennoch alle Sachsen genannt, weil
sie zunächst aus dem Sachsenlande kamen und viele Sachsen sich ihnen
anschlossen. Sie ließen sich in verschiedenen Gegenden nieder, grün
deten Städte und Dörfer und widmeten sich dem Land- und Bergbau,
dem Gewerbe und Handel ; besonders wichtig sind ihre Niederlassungen
. in Siebenbürgen
Durch die Häufigen
und in derund
Gespanschaft
verwüstenden
Zips.
Einfälle der Petschenegen

und Kumanen war ein großer Theil Siebenbürgens verödet; dahin


1143 wandte sich der Hauptstrom der Einwanderung; um 1143 2 besetzten
sie die Umgegend der Maros, der beiden Kokelflüsse und der Aluta,
den sogenannten Königsboden und das bistritzer Gebiet, und bildeten
eine eigene staatliche Körperschaft, die noch in Kraft und Blüte be
steht. Die köstlichen Immunitäten und Vorrechte, die sie gleich an
fangs unter Geiza erhielten, wurden von den nachfolgenden Königen
und später von den Fürsten Siebenbürgens noch vermehrt und er
weitert. Der Boden, den sie bewohnten, war ihr freies, ausschließliches
Eigenthum; ohne ihre Bewilligung durfte sich kein Magyare oder Frem
der unter ihnen niederlassen; die Walachen, die schon bei ihrer An
kunft dort lebten oder später hinkamen, wurden ihre Unterthanen; der
Gerichtsbarkeit der Landesbehörden entnommen, standen sie unmittel
bar unter dem König und dessen Wojwoden; sie wählten unabhängig ihre
Obrigkeiten und Pfarrer, lebten nach ihren eigenen Gesetzen und Ge
wohnheiten, zahlten, außer einer festgesetzten mäßigen Summe, keine
Steuern und Zölle, ordneten ihre Angelegenheiten in der eigenen Natio
nalversammlung (Universitas nationis Saxoniae) und nahmen als gleich
berechtigte dritte Nation mit den Magyaren und Szeklern an den Land
tagen Siebenbürgens theil. Ueberdies erfreuten sie sich in den spätem
Jahrhunderten, als die Protestanten Ungarns schwer bedrückt wurden,
der in Siebenbürgen herrschenden unbeschränkten Religions- und Ge
wissensfreiheit. Es gibt wol kaum ein anderes Beispiel in der Ge
schichte, daß irgendein Volk Einwanderern so außerordentliche Vor
rechte1 Daß
eingeräumt
sie aus und
Flandern
diese jahrhundertelang
stammten und anfangs
nicht nur
auchungeschmälert
Flanderer hießen,
ge-

bezeugt eine Urkunde des päpstlichen Legaten, Cardinal Georgius, vom Jahre
1189,. bei Fejer, Cod. dipl., II, 250. — 3 Im Dom zu Kronstadt befindet sich
die Inschrift: „1143 Geiza IL, avus Andreae regis Saxones evocavit in
Transsylvaniam." Auch der Freibrief, in welchem Andreas IL ihre Rechte
bestätigt, setzt ihre Einwanderung in die Zeit Geiza's IL Fejer, Cod. dipl.,
II, 250, und Endlicher, Monumenta, S. 420 fg.
Aeußere Begebenheiten. Geiza II. 249

lassen, sondern noch vermehrt hätte. Erst seit Siebenbürgen 1688


unter Leopold I. wieder unter die Herrschaft der ungarischen Könige
aus dem Hause Oesterreich kam, erlitten die Rechte des ganzen Landes
und auch die der Sachsen namhafte Schmälerung. Kein Wunder also,
daß, durch so kostbare Freiheiten begünstigt, ihre Kraft erstarkte und
ihr Fleiß sie zu blühendem Wohlstand erhob, daß sie eine Schutzwehr
gegenEin
wilde
großer
Völker
Theil
undder
eineZips
Zierde
am des
FußeReichs
und wurden.
in der Nähe
1 des hohen

Tätragebirges war noch öder Urwald, aber als schönes, fruchtbares


Hügelland lud es die Menschen ein, hier Wohnung aufzuschlagen. Auch
dort ließen sich um dieselbeZeit einige tausend Deutsche nieder, und grün
deten die Körperschaft der vierundzwanzig königlichen Städte, die ihre
selbstgewählten Grafen, Richter und Pfarrer hatten, nach ihren mit
gebrachten Statuten und Gewohnheiten ihre Angelegenheiten verwalteten,
„als einfache, der Rechte unkundige Leute" unmittelbar unter des Kö
nigs Gerichtsbarkeit standen, einen gewissen Jahreszins entrichteten und
eine bestimmte Anzahl Bewaffneter zu dem königlichen Heere stellten. 2
An Zahl geringer, konnten sie keine so ausgedehnten politischen Rechte
üben wie ihre siebenbürger Stammgenossen, sie erfreuten sich aber
vollständiger Freiheit. Sie bauten nach dem Abzug der Mongolen,
1245, Leutschau, das ihnen als Festung und Hauptstadt dienen sollte,
und legten auch
Ortschaften an, denen
auf den
gewisse
benachbarten
Immunitäten
Besitzungen
von deradelicher
grundherrlichen
Herren

Gewalt zugesichert wurden. Leider ward diese schöne Körperschaft


zerrissen ; Leutschau erhob sich zur königlichen Freistadt ; gerade der
König deutscher Abstammung und zugleich Deutschlands Kaiser, Sig
mund, verpfändete 13 der Städte an Polen; die übrigen 11 kamen in den
Besitz adelicher Familien, verloren in den Zeiten der Bürgerkriege ihre
Freiheit, wechselten in den schweren Religionsverfolgungen des 17. Jahr
hunderts ihre Bevölkerung, sanken zu Dörfern, zum Theil zu sehr elen
den Dörfern herab und sind jetzt, mit Ausnahme dreier, von Slawen
bewohnt. Doch die einst verpfändeten 13 retteten die hauptsächlichsten
ihrer Rechte und freuen sich nun, seit 1771, wieder mit dem ungarischen
Vaterlande vereinigt zu sein, dem sie mit treuer Liebe ergeben sind.
Andere Einwanderer gründeten die sieben Bergstädte im zipser Comitat.
Die Mundarten, die in diesen Niederlassungen gesprochen werden, zei
benbürger
gen eine große
lautet
ursprüngliche
die Volkssprache
Verschiedenheit;
der zipser ganz
Sachsen
anders
, und als
anders
die sie-
als

beide1 Schlötzer,
die der Deutschen
Geschichteinder
denDeutschen
zipser Bergstädten,
in Siebenbürgen
woraus
(Göttingen).
sich mit

Eder, De initiis juribusque primaevis Saxonum Transsilvanorum (Wien 1792).


Schuller, Umrisse und kritische Studien zur Geschichte von Siebenbürgen.
Köväry, Geschichte Siebenbürgens (ungarisch, Pesth 1859). Teutsch, Ge
schichte der siebenbürger Sachsen (Kronstadt 1852). In dem letztgenannten
Werk äußert sich eine Feindseligkeit gegen die Magyaren, die man sich
nicht erklären könnte, wenn man nicht wüßte, woher sie kommt und wohin
sie zielt. — 2 Gesetzbuch der zipser Sachsen von 1370, neuerdings heraus
gegeben von Michnay und Lichner, im Anhange zum Gesetzbuche der Stadt
Ofen (Presburg 1845).
250 Drittes Bush. Zweiter Abschnitt.

Sicherheit schließen läßt, daß sie von verschiedenen deutschen Volker


schaften
Derabstammen.
Reichsverweser war auch darauf bedacht, durch Bündnisse

sich zu stärken, um seinem Mündel des Thron zu sichern. Sobeslaw,


der treue Bundesgenosse Bela's, war am 14. Februar 1140 gestor
ben, und die Stände Böhmens, ungeachtet sie seinem Sohn Wladis-
law schon 1138 die Nachfolge zugesichert hatten, wählten bereits drei
Tage nach seinem Tode den Sohn Wladislaw's I., Wladislaw IL, zum
Großherzog. Die Söhne Sobeslaw's flohen zu ihrem Oheim Bela nach
Ungarn, machten im Frühling 1142 mit andern Prinzen des przemys-
litischen Hauses und unzufriedenen böhmischen Großen einen Versuch,
Wladislaw zu entthronen, und wurden besiegt. l Von jetzt an war
Feindseligkeit zwischen den Beherrschern Ungarns und Böhmens. Das
böhmische Bündniß sollte durch ein russisches ersetzt werden, der kaum
1142 elfjährige König verlobte sich 1142 mit Euphrosyne, der Tochter des
Großfürsten Mstislaw und Schwester Isaslaw's Mstislawitsch, der zwei
JahreBoris,
daraufderGroßfürst
noch immer
vonnach
Kiewderwurde.
ungarischen
2 Krone strebte, verlor

hierdurch alle Hoffnung auf russischen Beistand und ging zuerst nach
Konstantinopel, nachdem er aber dort nichts ausrichtete, zu dem deutschen
Kaiser Konrad. Hier fand er eine ihm günstigere Stimmung, unge
achtet Konrad's Sohn Heinrich mit Geiza's Schwester Adelheid verlobt
war. Denn der Böhmenherzog und seine Gemahlin Gertrud, eine
Halbschwester des Kaisers, verwendeten sich eifrig für ihn, ebenso der
Markgraf von Oesterreich, damals zugleich Herzog von Baiern, Hein
rich Jasomirgott; und Konrad selbst, wiewol Arnold von Brescia, der
' schwärmerische Apostel religiöser und bürgerlicher Freiheit, Italien
mächtig aufregte, und Welf VI. in Deutschland seines Hauses Ansprüche
auf das Herzogthum Baiern mit den Waffen geltend machte, konnte
doch der für die meisten Beherrscher Deutschlands so verlockenden
Aussicht, Einfluß auf Ungarn zu üben, es vielleicht ihrer Hoheit zu un
terwerfen, nicht widerstehen und zeigte sich bereit, Boris in seinen Un
ternehmungen
Hieraus entstanden
zu unterstützen.
Verwickelungen, versteckte Angriffe und offene

Fehden, in denen man die Vorboten des ernsten Kriegs erblicken


konnte. Denn als Belus erfuhr, daß Konrad die Partei des Präten
denten ergriffen habe, verband er sich mit Welf und seinen Genossen
und zahlte ihnen beträchtliche Hülfsgelder, wodurch sie in den Stand
gesetzt wurden, den Krieg wider den Kaiser und Heinrich von Oesterreich
kräftig zu führen. Beide mußten inBaiern, Franken undSchwaben für die
eigene Herrschaft und Sicherheit kämpfen und konnten jetzt gegen Ungarn
nichts unternehmen. 3 Nur Boris warb mit ihrer Hülfe Söldlinge, be-
wog 1den
Palacky,
Burggrafen
Geschichte
Ratbold,
von Böhmen,
Befehlshaber
I, 416der
fg.österreichischen
— 2 Thuröczy, Grenz-
II, 66.

Schier, Reginae Hung., S. 114. Nach der Sitte der damaligen Zeit kam sie
wahrscheinlich nach ihrer Verlobung nach Ungarn, um hier erzogen zu wer
den. — 8 Otto Frisingens., Lib. VII, c. 34. Arenpeck, beiLeibnitz, Scriptores
rerum Brunsvic., III, 665. Hanthaler, Fasci Campil., Tom. I, Elog. VIII, 293.
A eußere Begebenheiten. Geizall. 251

festnngen, zur Theilnahme und eroberte 1146 mit dessen Hülfe durch 1146
plötzlichen Ueberfall Presburg. Der Verlust der wichtigen Stadt
schmerzte die Ungarn tief; zu ihrer Rückeroberung wurde die Kriegs
mannschaft einiger benachbarter Gespanschaften aufgeboten, welche
jedoch die Besatzung, die von einem Theil der Einwohner unterstützt
wurde, nicht überwältigen konnte. Da zog der König selbst herbei; die
Besatzung verzweifelte nun daran , sich vertheidigen zu können, und er
bot sich, die Stadt für 3000 Goldstücke (tria millia librarum) nebst
freiem Abzug zu übergeben. Geiza nahm diese Bedingungen um so
lieber an, da der Krieg mit Deutschland bereits unvermeidlich geworden
war und ihm viel daran lag, noch vor dem Beginn desselben in den
Besitz des festen Platzes zu gelangen. l
Auf dem Leerfelde (deserta Bojorum), zwischen Wieselburg und
der Leitha, sammelte sich die ungarische Kriegsmacht, die von den
deutschen Chronisten auf 70000 Mann angegeben wird; auf der linken
Seite der Leitha zog Heinrich Jasomirgott den österreichischen, bai-
rischen und sächsischen Heerbann in das Lager an der Fischa zu
sammen. Am Morgen des Schlachttags, den 11. September 1146, begab 1146
sich der König mit großem Gefolge in die damals aus Holz, jetzt aus
Stein erbaute, auf einem mäßigen Hügel zwischen Zorndorf und Gatten
dorf stehende Kapelle der heiligen Anna, wo er feierlich unter religiösen
Ceremonien wehrhaft erklärt und mit dem Schwert umgürtet wurde.
Hierauf stellte der kriegserfahrene Belus das Heer in Schlachtordnung ;
den Vortrab bildeten szekler und petschenegische Bogenschützen, auf
den Flügeln standen die Milizen der Gespanschaften, im Mitteltreffen
der König und Belus mit ungefähr 12000 Mann erlesener Truppen.
Gut bezahlte Kundschafter brachten die Nachricht, daß die deutsche
Macht noch nicht ganz versammelt sei; diesen Vortheil durfte man
nicht entschlüpfen lassen. Das Heer setzte über die Leitha; der Bauch
brennender Ortschaften verkündigte dessen Anmarsch; aber die Führer
des deutschen Heers wähnten, die Ungarn hätten ihr eigenes Lager an
gezündet, um ihren Bückzug zu verbergen, und brachen eilig zur Ver
folgung der vermeintlich Fliehenden auf. Die Bogenschützen, auf die
sie zuerst stießen, wurden bald in die Flucht gejagt und rissen auch
einige Abtheilungen der Comitatsmilizen mit sich fort; das Mitteltreffen
aber hielt standhaft ihre stürmenden Angriffe aus und hemmte ihren
Fortschritt. Unterdessen stellt Belus die Ordnung in den Schlacht
reihen wieder her; Graf Uros sammelt die Flüchtigen, führt sie zu
neuem Angriff vor und fängt den österreichischen Feldobersten Rat
bold ; ein zweiter feindlicher Anführer, Otto, wird des Grafen Gabriel
Gefangener; die deutsche Armee geräth in Unordnung und löst sich
endlich in wilde Flucht auf. „In dieser Schlacht", sagt Otto v. Frei
singen, „fielen die besten der deutschen Ritter und eine unzählbare
Menge gemeiner Krieger"; ungarische Nachrichten geben den Verlust
der Feinde auf 7000, den eigenen auf 3000 Mann an. Nachdem die
Ungarn1 Thuroczy,
ungehindert
II, 66.dasOtto
LandFrisingens.,
auf beidena. a.Seiten
0. der Donau verheert
252 Drittes Buch. Zw eiter Abschnitt.

hatten, wie es damals im Kriege gebräuchlich war, kehrten sie heim.


Es ward thatsächlich Friede, ohne Abschluß irgendeines Vertrags, und
Ungarn blieb lange Zeit von feindlichen Angriffen Deutschlands ver
schont.
Aber
1 dafür erlitt Ungarn gleich darauf durch Erneuerung der

Kreuzzüge vielfaches Ungemach. Das schwache Königreich Jerusalem


war von der größten Gefahr bedroht und mußte untergehen, wenn ihm
nicht schleunige Hülfe durch das Abendland gebracht wurde. Der
Atabek von Syrien Zenghi eroberte im Herbst 1144 dessen stärkste
Vormauer, Edessa; sie wurde zwar nach seiner Ermordung 1145 wieder
genommen, aber sein Sohn Nureddin erstürmte sie 1146 neuerdings,
schlug die Christen in mehrern Schlachten, nahm ihre Städte ein und
richtete seine Angriffe bereits gegen Jerusalem selbst. 2 Da rief Papst
Eugenius III. die Christenheit dringend zu neuen Kreuzzügen auf, und
wie ein halbes Jahrhundert zuvor Peter von Amiens setzte jetzt Bern
hard, Abt des cistercienser Klosters Clairvaux, der Volksheilige jener
Zeit, halb Europa in mächtige Bewegung. In der großen Versammlung
des französischen Adels zu Vezelai in Burgund, 1146, weckte seine
Rede so große Begeisterung, daß alle Anwesende mit [Ungestüm das
Kreuz verlangten und König Ludwig VII. seinen Rock ausziehen mußte,
damitAuch
man Kreuze
Deutschland
darausward
schneide.
von dieser
s Bewegung ergriffen. Zuerst

riefen einige Mönche, vor allen Bruder Rudolf, das Volk zu den Waffen
wider die Feinde Christi und forderten es auf, den heiligen Krieg schon
im Vaterlande mit Plünderung und Ermordung der Juden zu beginnen,
deren Tausende Opfer der fanatischen Wuth wurden. Als aber Bern
hard selbst kam und zu Speier am 27. December 1146 vor dem kaiser
lichen Hof predigte, ergriff solche Begeisterung die Zuhörer, daß der
1 Kaiser selbst, Fürsten, Bischöfe und Herren sogleich das Kreuz nahmen
und der Kreuzzug auf dem Reichstage zu Regensburg am 6. Februar
1147 Das
beschlossen
Heer sammelte
wurde. 4sich in Oesterreich; hierher führten die Her-

1147 zoge Friedrich von Schwaben (nachmals Kaiser Friedrich I., Barbarossa),
Heinrich Jasomirgott von Baiern, zugleich Markgraf von Oesterreich,
und Wladislaw von Böhmen, die Markgrafen von Kärnten und Steier
mark, die Bischöfe von Bremen, Zeitz, Regensburg, Passau und Otto
von Freisingen (Sohn des Markgrafen von Oesterreich Leopold IV. und
Agnes,
1 Thuroczy,
derTochterII, Kaiser
65. Otto
Heinrich's
Frisingens.
IV.,Chron.,
der oftVII,
angeführte
25. De rebus
Geschicht-
gestis

Friderici Imperat., I, 30 — 32. Chron. Zwetlense, Anstriacum und Claustro-


Neoburgense, bei Pez, Scriptores, I, und bei Pertz, Scriptores, IX. Die
letzten drei setzen die Schlacht irrthümlich in das Jahr 1147, in welchem
Kaiser Konrad mit seinem Kreuzheere den Weg durch Ungarn nahm , folg
lich schon Friede sein mußte. — 2 Guilhelmus Tyrius, XVI, 889 fg., in Gesta
Dei per Francos, I. Desguignes, II, 406 fg. Wilken, Geschichte der Kreuz
züge. — 3 Odo de Deogilo, De Ludovici VII. profectione in Orientem, Lib. I,
in Chiffleti Comment. de S. Bernardi genere. — 4 Gaufridi vita S. Bern-
hardi, VI, 4. Opera S. Bernhardi, VI, edit. Mabillon (Paris 1696 u. 1719).
Aeu.ßere Begebenheiten. Geiza II. 253

schreiber), dem Kaiser ihre wohlgerüsteten Scharen zu; hierher ström


ten aber auch Büßende, Diebe und Räuber, und Weiber in Männerklei
dung. „ Die Menge war so groß", sagt der Augenzeuge Otto von Frei
singen, „daß die Flüsse für die Schiffe, die Ebenen für den Durchmarsch
zu enge waren." 1 Ende Mai erreichten sie Ungarns Grenze; der
friedliche Durchzug ward ihnen gestattet; aber es waren böse ver
heerende Gäste. Noch mochte der Groll über die im vorigen Jahre
erlittene Niederlage im Herzen der Führer kochen und sie zu Gewalt
thätigkeiten treiben. Was sie bedurften, nahmen sie ohne Bezahlung;
was ihnen gefiel, erpreßten sie mit Gewalt und durch Mishandlung; Konrad
selbst trieb Brandschatzungen ein, zwang Kirchen und Klöster zu
schweren Steuern und hauste wie im Feindesland. 2 Noch ärgere
Greuel verübte das Kreuzheer dann im Orient; und das vermindert um
vieles die Schuld lies byzantinischen Kaisers Manuel, der zum Ver
derben dieser gottlos -frommen Scharen heimlich mit dem Sultan von
Ikonium Masud Bündniß schloß, ihnen seine Städte nicht öffnete, den
Ankauf der Lebensmittel erschwerte, Kalk unter das Mehl mischen und
sie durch
Den falsche
Deutschen
Wegweiser
folgten irreführen
die Franzosen,
ließ. 3 die zu keinen Klagen An- 1147

laß gaben, wie sie überhaupt mehr Zucht und Ordnung hielten 4; binnen
funfzehn Tagen zogen sie friedlich durch das Land und fanden ebendeshalb
freundliche Aufnahme. Ludwig VII. hob den Erstgeborenen Geiza's
aus der Taufe, und beide Fürsten schlossen Freundschaft. Noch wäh
rend das französische Kreuzheer innerhalb der Reichsgrenzen weilte,
entdeckte ein ungarischer Krieger, Gurk, daß sich Boris unter demselben
befinde. Geiza forderte dessen Auslieferung; Ludwig verweigerte sie
als unverträglich mit seiner Ehre, und Boris entfloh in derselben Nacht
nach Konstantinopel, wodurch die verdrießliche Angelegenheit bei
gelegt war. 6 Der Durchzug der Hunderttausende steigerte in Un
garn die Noth, welche damals beinahe in ganz Europa herrschte; doch
einige Friedensjahre, die darauf folgten, halfen auch diesem Uebel ab
und gestatteten dem Volke, Kräfte zu sammeln für die neuen Kämpfe,
die ihm bevorstanden.
Durch die russische Verwandtschaft des Königs wurde nämlich
Ungarn abermals in Kriege, die ihm fremd und nutzlos waren, ver
wickelt. Geiza's Schwager, Großfürst Isaslaw von Kiew, stand seit
1149 in schweren Zerwürfnissen mit den Fürsten Georg Dolgorukoi
von Susdal (Erbauer Moskaus) und Wladimirko von Swenigrod und
theil
Przemisl.
gerade Der
mit sich
Letztgenannte
brachte, war
wechselte
aber unablässig
die Partei,
darauf
wie bedacht,
es sein Vor-
die

beiden erstem widereinander zu hetzen und Nutzen zu ziehen aus ihren


Feindseligkeiten.
1 De gestis Friderici
Isaslaw
Imper.,
wurde
I,. 34.
endlich
— 2 Thuroczy,
von GeorgII, 66.
aus —Kiew
3 Nicetas
ver-

Choniates, De gestis Manuelis Comneni, bei Stritter, Tom. III, Pars II.
Guilhelmns Tyr., I, 29. Vgl. Wilken, Geschichte der Kreuzzüge. — 4 Cin-
namus, De rebus gestis a Johanne et Manuele Comn., II, bei Stritter,
Tom. HI, Pars II. Guilhelmns Tyr., XVI, 21. — 5 Thuroczy, II, 66. Otto
Frisingens., De rebus gestis Friderici Imper., c. 44.
254 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

1161 trieben und erbat 1151 Hülfe von Geiza. Zehntausend Ungarn zogen
nach Rußland, gingen an Przemisl vorüber, vereinigten sich mit Isas-
law's aus Eingeborenen und polnischen und böhmischen Hülfstruppen
bestehenden Kriegsvölkern, führten ihn siegreich nach Kiew zurück und
kehrten heim. Kaum waren sie aber abgezogen, so gerieth der Groß
fürst abermals in Bedrängniß. Sein Sohn Mstislaw holte neuerdings
6000 Mann aus Ungarn, ließ sich aber bei Sopagin von Wladimirko
überfallen und schlagen. Die Ungarn, die bei dieser Niederlage in
Gefangenschaft geriethen, wurden nach Halitsch geführt, wo Wla
dimirko einem ihrer Anführer Nase und Ohren abschneiden ließ. Jetzt
1152 stand
seine Brüder
die Ehreführten
der ungarischen
im folgenden
Nation
Jahre,
auf 1152,
dem Spiel
70 Fahnen
; Geiza nach
selbstRuß
und

land, besiegten Wladimirko und zwangen ihn zur Anerkennung des Groß
fürsten sowie zur Zahlung von 2000 Griwen 1 in Gold und Silber. Es
ward Geiza
Friede,
eilte
danach
der ränkevolle
Hause, dennWladimirko
ein gefährlicher
bald darauf
Feind starb.
hatte die
2 Süd

grenze Ungarns bereits überschritten. Seit 1143 saß Manuel Com-


nenus, der Enkelsohn Ladislaus' I., auf dem Kaiserthron zu Konstan
tinopel. Herkulisch von Gestalt und voll Unternehmungsgeist, am Hofe
der üppigsten Schwelgerei ergeben, im Kriegslager abgehärtet zu jeder
Mühsal, der echten Staatsweisheit fremd, alles von Ränken der Arglist
erwartend, mehr tapferer Krieger als genialischer Feldherr, war er
zwar der letzte merkwürdige Beherrscher des hinsiechenden Reichs,
aber kein wahrhaft großer Fürst. Was in Asien und Afrika an die
Mohammedaner verloren war, wollte er in Europa gewinnen und da
durch die Macht und den Glanz des Kaiserthums wiederherstellen ;
besonders sollte auch Ungarn unter seine Botmäßigkeit gebracht wer
den. 3 Als Werkzeug zur Ausführung seiner Anschläge gedachte er
Boris zu gebrauchen; er nahm ihn nicht nur freundlich an seinem Hofe
auf, sondern vermählte ihn, dessen 'erste polnische Gemahlin entweder
gestorben sein oder sich von ihm getrennt haben mußte, sogar mit einer
Verwandten des .Kaiserhauses. 4
Beius mochte die Absichten Manuel's durchschauen und suchte bei
zeiten dessen Macht zu schwächen. Er bewog daher seinen und der
königlichen Familie Verwandten , Serbiens Fürsten Tschudomil , den
die Griechen Blachin nannten, durch das Versprechen kräftigen Bei
standes, sich von der byzantinischen Oberhoheit, die ihm ohnehin
1150 Manuel
drückendwider
war,Roger
loszusagen
II. von Sicilien
und unter1150ungarische
rüstete, kündigte
zu begeben.
ihm Tschu
Als

domil den Gehorsam auf. Aber Manuel eilte schnell herbei, zwang
ihn, 1 sich
Metallstangen
in die Gebirge
von einer zurückzuziehen,
gewissen Größe, deren
eroberte
man einige
sich in Burgen,
Rußland

damals statt des Geldes bediente. — ' Thuröczy, II, 66. Nestor's Fort
setzung, bei Müller, Sammlung russischer Geschichten, I, 464. Karamsin,
Geschichte des russischen Reichs, II, 174. — 3 Cinnamus, bei Stritter, Tom. II,
Pars II, p. 643 : Hungariam , in medio occidentalium nationum positam (Ma
nuel), sibi comparare totis ,viribus satagebat. — ' Otto Frieingens. Chronic.
Lib. VII, c. 20.
Aeu&ere Begebenheiten. Geiza II.

verwüstete Serbien, noch ehe ungarische Hülfe kommen konnte, und


kehrte heim. Im folgenden Jahre kam er mit weit größerer Macht
wieder, und auch Belus führte ein Heer, das er größtentheils unter den
mohammedanischen Bulgaren der untern Donau, den Petschenegen und
Kumanen Ungarns ausgehoben hatte, nach Serbien. Nach mehrern
kleinen Gefechten kam es zur entscheidenden Schlacht, in welcher Ma
nuel auf Tschudomil stieß, ihn im Zweikampf überwand, gefangen
nahm und Unterthänigkeit zu geloben zwang. Hierauf mußten auch 1151
die Ungarn
Als aber
vonGeiza
fernerm
1152
Krieg
seine
ablassen.
Kriegsscharen
1 nach Kußland führte, 1152

erhob Manuel bittere Klage, daß der König früher den Aufstand der
Serben unterstützt habe und jetzt seinen Bundesgenossen, den halitscher
Fürsten Wladimirko bekriege 2, und brach sogleich mit einem zahl
lung
reichen
bei Heer
Branizowa
gegen über
Ungarn
die Donau,
auf. Boris
die temeser
schickteGegend
er mit zu
einer
verwüsten
Abthei-;

er selbst ging über die Save, eroberte Semlin, nahm die Besatzung ge
fangen und bemächtigte sich des sirmier Landes, wo sich eine frän
kische Colonie niedergelassen hatte und das deshalb von den Byzan
tinern auch Frankochorium genannt wird. Indessen war Geiza sieg
reich aus Rußland zurückgekehrt und führte seine Scharen sogleich zur
Vertheidigung der Südgrenzen. Belus eilte mit einer schwachen Armee
an den Temesfluß gegen Boris, und da dieser, sobald er Nachricht von
seinem Anzuge erhielt, schnell mit großer Beute über die Donau ging,
setzte auch er hinüber und belagerte Branizowa. Geiza marschirte mit
der Hauptmacht gerade auf Semlin; Manuel aber wich ihm aus, über
schritt rasch die Save, warf sich unvermuthet auf das kleine Corps
unter Belus, besiegte es und trat den Rückmarsch in die Winterquar
tiere an. Auch der König konnte das Feld nicht länger halten und
entließ sein durch zwei Kriegszüge in einem Jahre ermüdetes Heer nach
Hause.Sobald
3 der Frühling 1153 begonnen hatte, befahl Geiza seinen 1153

Kriegsvölkern , nach den untern Gegenden aufzubrechen, entschlos


sen, ihnen bald selbst zu folgen. Da bewog ihn die Einsprache der
Bischöfe und anderer einsichtsvoller Räthe, den Krieg aufzugeben, der
die Hülfsquellen des Reichs unnütz erschöpfe und unter den gegen
wärtigen Umständen sehr gefährlich werden könne4; denn ein neuer
Feind im Westen bedrohte Ungarns Unabhängigkeit. Friedrich I.,
Barbarossa, nach dem Tode seines Oheims Konrad III. 1152 zum Kai
ser erkoren, eröffnete gleich beim Antritt seiner Regierung auf dem
Hoflager zu Regensburg den Reichsfürsten, daß er entschlossen sei,
eine Heerfahrt nach Ungarn zu unternehmen, um dieses schöne Land
dem deutschen Reiche einzuverleiben. Nur der ernstliche Widerspruch
der Fürstep, die noch die letzte auf dem Leerfelde erlittene Niederlage
nicht1 vergessen
Cinnamus hatten
und Nicetas
und sich
Choniat.
in ein
, a. so
a. O.
gewagtes
— 2 Cinnamus,
Unternehmen
a. a. O.
nicht

' Cinnamus und Nicetas Choniat., a. a. O. — * Gerohus Reichenspergensis,


bei Baluzius, Miscellanea, V, 118.
256 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
einlassen wollten, nöthigte ihn, sein Vorhaben diesmal aufzugeben. x
Später aber wurde er durch beständige Kämpfe mit den Päpsten, mit
den Städten Italiens und mit den Welfen gezwungen, demselben gänz
lich zu entsagen. Geiza schloß also auf Bedingungen, die wir nicht
kennen,
Die mit
Veranlassung
Manuel Frieden,
zum Bruche
der jedoch
des Friedens
nur ein Jahr
gaben
dauerte.
verrätherische

Anschläge, die von Verwandten wider beide Fürsten gesponnen wur


den. Noch weilte am griechischen Hofe der Prätendent Boris, den
sich Manuel gleichsam als Werkzeug aufbewahrte, das er bei schick
1154 licher
1154 Gelegenheit
auch Geiza'sgegen
Bruder
Ungarn
Stephan
gebrauchen
freundliche
wollte
Aufnahme,
; und dortalsfand
er

aus dem Vaterlande floh, weil er sich des Strebens nach der Krone
verdächtig gemacht hatte; auch ihn suchte Manuel dadurch an sich
zu fesseln, daß er ihm seine Nichte Maria zur Gemahlin gab. 2
Manuel hinwieder hatte seinen Verwandten Andronicus Comnenus,
der sich ebenso durch Schönheit und abenteuerliche Tapferkeit aus
zeichnete, wie durch Ausschweifungen und Ränke berüchtigt machte,
zum Fürsten der Gebiete von Branizowa, Nissa und Belgrad ernannt.
In dem Undankbaren und unersättlich Herrschsüchtigen aber weckte die
Gabe nur den Durst nach Größerem; er richtete seine Wünsche und Be
strebungen auf den Kaiserthron selbst. Während Manuel in Sicilien
gegen Roger II. mit wenig Glück kämpfte, spann er eine Verschwörung
an, rief Geiza zu Hülfe und versprach, zum Lohne dafür das Gebiet von
Branizowa und Nissa abzutreten. Geiza und sein Staatsrath waren
unredlich und schwach genug, sich verblenden zu lassen durch die
lockende Aussicht, dem gefährlichsten Feinde des Vaterlandes den Unter
1155 gang
verrätherischen
zu bereitenVertrag
und einein.
wichtiges
Der König
Gebiet selbst
zu erwerben;
führte 1155
sie gingen
ein mäch
den

tiges Heer, zu dessen Verstärkung er auch böhmische Söldlinge ge-


miethet
1 Otto
undFrisingens.,
die Jüngst De
eingewanderten
rebus gestis Sachsen
Friderici aufgeboten
Imp. , Lib. II,
hatte,
c. 6:gegen
„Un-

garis bellum indicere, ipsosque ad monarchiae apicem reducere volebat. Sed


cum assensum super hoc principum quibusdam de causis latentibus habere
non posset, ad effectum ea, quae volebat mente, tunc perducere non valens,
ad opportuniora tempora distulit." Mit welchem Rechte wollte Friedrich ein
freies Volk seiner Selbständigkeit berauben und Deutschland unterthan ma
chen? Es war eben das Unglück der deutschen Nation, daß ihre Bestrebungen
fortwährend nach außen und auf Eroberungen gerichtet waren. Indem ihre
thatkräftigsten Könige andere Länder unterwerfen und besonders den Ita
lienern ihre Herrschaft aufzwingen wollten, vernachlässigten sie Deutschland,
vergeudeten in fruchtlosen Anstrengungen die Kräfte des Volks, und gaben die
wichtigsten königlichen und Staatsrechte an eigennützige Große hin, um ihre
Heeresfolge zu erkaufen. — 2 Radevicus Canonicus (Continuatio Hist. Otto-
nis Frisingens., bei Urstisius, Tom. I, bei Muratori, VI, 751) berichtet,
Belus habe den Prinzen zu sehr begünstigt und dadurch zu Anmaßungen ver
leitet, welche wieder den Argwohn des Königs weckten. Sollte dies auch
wirklich die Ursache von Stephan's Flucht gewesen sein, so verlor doch
Belus dadurch nichts an seinem Ansehen. Aber das nachherige Betragen
Stephan's macht es höchst wahrscheinlich, daß er wirklich nach dem Throne
gestrebt habe, und als seine Anschläge entdeckt wurden, sich durch Flucht
rettete. Guntherus Ligarinus, De gestis Friderici Imp., Lib. VI, beuReuber.
Aeußere Begebenheiten. Geizall. 257

Branizowa. Aber schon war die Verschwörung entdeckt, Andronicus


im Gefängniß, Branizowa mit treuen Truppen besetzt; die Ungarn
fanden, als sie ankamen, statt freundlicher Aufnahme entschiedenen
Widerstand und mußten die Belagerung des Platzes beginnen. Bald
erfuhren sie, daß der Feldherr Basilius zum Entsatz heranziehe, in
dessen Heere sich auch Stephan mit seinem Anhang befand und Boris
kumanische Hülfstruppen führte, die er an der untern Donau geworben
hatte. Da die ungarischen Heerführer die Stärke des Feindes nicht
kannten, hoben sie die Belagerung auf und wandten sich gegen Westen,
um sich über die Save, die ihnen leichtern Uebergang als die Donau
gewährte, zurückzuziehen. Basilius, hiervon unterrichtet, schnitt ihnen
den Weg ab und überfiel sie plötzlich. Durch den unerwarteten An
griff" in Verwirrung gebracht, fingen die Ungarn an zu weichen. Bald jedoch
stellten sie ihre Schlachtordnung wieder her und erfochten nun einen glän
zenden Sieg. Unter den Todten des Feindes, die das Schlachtfeld bedeck
ten, befanden sich beinahe alle, die mit Stephan das Vaterland verlassen
und die Waffen gegen dasselbe gekehrt hatten; er selbst und Basilius
retteten sich durch die Flucht. Auch Boris, Ungarns rechtmäßiger Kö
nig, wenn der Verdacht ungegründet war, der seine Mutter traf, jeden
falls aber durch die Macht der Umstände und durch eigene Schuld der
Urheber unendlich viel Unheils, fand hier das Ende seines stürmischen
Lebens Diese
; er Niederlage
fiel, durchbohrt
zu rächen,
von seinen
führte
eigenen
ManuelKumanen.
im folgenden
1 Jahr ein 1156

großes Heer an die Donau. Doch war er auch dem Frieden nicht
abgeneigt, wenn er ihn mit Ehren schließen könnte; und da Geiza,
gleichfalls des Krieges müde , eine Gesandtschaft mit Friedensanträgen
an ihn schickte, kam bald ein Vertrag zu Stande, vermöge dessen sich
die Herrscher gegenseitig verpflichteten, alle Eroberungen zurückzu
geben, die Gefangenen freizulassen und künftig keinen Prätendenten
oder Der
Unzufriedenen
Widerstand,
zuauf
unterstützen.
den Manuel2 stieß, war viel entschiedener und

kräftiger als er erwartet hatte. Er entsagte daher den gewaltsamen


Maßregeln, die keinen Erfolg versprachen, gab aber den Plan, Ungarn
unter seine Botmäßigkeit zu bringen, nicht auf, sondern arbeitete fort
während mit zäher Ausdauer und emsiger Benutzung der Umstände an
der Ausführung desselben. Vorzüglich rechnete er dabei auf Stephan,
der bereit war, des Vaterlandes Freiheit schimpflich aufzuopfern und
als Vasall des griechischen Kaisers den entehrten Thron Ungarns zu
besteigen. Aus derselben Ursache war ihm auch Herzog Ladislaus,
der ältere Bruder Stephan's, ein willkommener Gast, als er um diese
Zeit, mit Geiza zerfallen, gleichfalls nach Konstantinopel kam. Ladis
laus scheint zwar weniger bereitwillig in Manuel's Plane eingegangen zu
sein, denn er wollte sich unter anderm von seiner Gemahlin Judith,
einer1 Tochter
Nicetas Choniat.
Boleslaw's
beiIV.
Stritter,
von Polen,
Tom. III,
nicht
Pars
trennen
II, p. 929.
und schlug
Cinnamus,
die

ebend., S. 549 fg. Otto Frisingens., De rebus gestis Friderici Imp., Lib. II,
c. 32. — 2 Die vorigen, a. a. O.
Fefller. I. 17
258 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Hand einer Verwandten des Kaisers aus, auch wurde er bei jeder Ge
legenheit hinter den Jüngem Bruder zurückgesetzt: aber er war immer
hin ein Gegner seines königlichen Bruders und konnte als Kronpräten
dent aufgestellt und jedenfalls gebraucht werden, Wirren, Unruhe und
1157 Aufstände
Manuelin schickte
Ungarn zu1157
erregen.
Gesandte
1 an Kaiser Friedrich, gestattete

Stephan, sie zu begleiten, um des angesehenen und mächtigen Fürsten


Beistand für sich zu erflehen, und gab den Gesandten wahrscheinlich
auch den geheimen Auftrag, seine Bitte nach Möglichkeit zu unter
stützen. Friedrich dachte wol kaum mehr daran, Ungarn mit Waffen
gewalt zu unterwerfen, ergriff jedoch mit Freuden die Veranlas
sung, sich in dessen innere Angelegenheiten zu mischen und sein An
sehen geltend zu machen. Er ordnete daher eine Gesandtschaft an
Geiza ab und legte für Stephan kräftige Fürsprache ein. Aber der
1158 König
curiae) lehnte
Heinrich
dieselbe
nebst ab
dem
und
raaber
schickte
Bischof
den königlichen
Gervasius Hofrichter
1158 an den
(Judex
Kai

ser, um ihn über den wirklichen Verhalt der Dinge aufzuklären. „Der
König", berichteten sie, „hat seinen Bruder bis auf den königlichen
Titel an Macht und Ehre sich gleich gemacht und nur wegen offenbarer
Empörung aus dem Lande verwiesen ; dieser aber beklage sich blos des
halb, weil er seine hochverrätherischen Entwürfe nicht ausführen könne.
Darum möge der Kaiser aufhören , sich für einen Unwürdigen zu ver
wenden." Allein nicht sowol die angeführten Gründe, auch nicht die
überbrachten Geschenke, sondern das Bündniß, welches die Gesandten im
Namen ihres Königs ihm anboten, mochte Friedrich bewogen haben,
sich von Stephan gänzlich loszusagen und ihn über Venedig nach Kon
stantinopel zurückzuschicken. 2 Denn in seinem Auftrage ging sofort
1157 der
vorgeschlagene
prager Bischof
Bündniß
Daniel
ab. an Diesem
das ungarische
zufolge schickte
HoflagerGeiza
und zum
schloß
Heere
das

des Kaisers nach Italien 600 auserlesene Bogenschützen zu Pferd nebst


einer Anzahl anderer Reiter, die in dem Corps des österreichischen
1158 Herzogs3 bei der Eroberung Mailands, 1158, kämpften. Als die Mai
länder im folgenden Jahr neuerdings aufstanden, bot er eine größere
Menge Hülfstruppen an. 4 Doch dieser bedurfte Friedrich nicht; ihm
lag viel mehr daran , daß sich Geiza und mit ihm Ungarn für den der
kaiserlichen
1 NicetasPartei
Choniat.günstigen
bei Stritter,
Papst
Tom.
erkläre.
III, Pars II, p. 653. — 2 Radevicus,

Contin. Ottonis Frisingens., Lib. I, c. 12. Guntheri Ligurini, Lib., VI, e. 11.
— 3 Kaiser Konrad III. hatte dem Weifen Heinrich dem Stolzen das Her-
zogthum Baiern genommen und dem österreichischen Markgrafen Leopold IV.
1141 verliehen; Friedrich I. gab nun auf dem Reichstage zu Regensburg 1156
an Heinrich's Sohn, Heinrich den Löwen, das Herzogthum zurück, aber als
Ersatz für die Abtretung desselben erhielt Heinrich Jasomirgott die Mark
Ober der Enns, die von Baiern getrennt wurde, und die beiden Marken Ober
und Unter der Enns wurden zum Herzogthum Oesterreich erhoben und mit
den wichtigsten Vorrechten ausgestattet, die ihm beinahe völlige Souveränetät
zum großen Nachtheil des deutschen Reichs gaben. — * Radevicus, Contin.
Ottonis Frisingens., Lib. I, c. 36. Vincentii Chronic, bei Dobner, Monu-
menta, Tom. I.
Aeußere Begebenheiten. Geizall. 259

Nach dem Tode Hadrian's IV. wählte am 7. September 1159 die


Mehrheit der Cardinäle den Cardinal Roland, Alexander III., Friedrich's
geschworenen Feind, die Minderheit nach des Kaisers Wunsch seinen
Freund den Cardinal Octavian, Victor IV. Die abendländische Christen
heit hatte nun zwei Päpste und genoß das erbauliche Schauspiel, wie die
beiden heiligen Väter einander sammt den gegenseitigen Anhängern ver
fluchten. Unter dem Vorwande, diesen Streit zu schlichten, eigentlich aber in
der Absicht, Alexander III. absetzen zu lassen, berief Friedrich auf den
13. Januar 1160 eine Kirchenversammlung nach Pavia. Auch die Ab- 1160
geordneten der ungarischen Kirche erschienen dort und erkannten
Victor IV. als den rechtmäßigen Papst an ; dasselbe that Geiza in einem
Sendschreiben an die Synode. • Aber die Legaten Alexander's, Cardinal
Peter und Julius Bischof von Präneste, kamen nach Ungarn und ge
wannen die Bischöfe, besonders den einflußreichen, römisch-hierarchisch
gesinnten graner Erzbischof Lucas Banfy für Alexander, worauf nun auch
Geiza ganz entschieden dessen Partei ergriff.2 Ja sein Eifer für diesen
Papst ging so weit, daß er dem König von Frankreich Ludwig VII.
schrieb : „Ich thue Eurer brüderlichen Freundschaft (vestrae fraternitatis
amicitiae) entschlossen kund, wenn der vorgenannte Kaiser Euch oder
Eurem Reiche irgendein Uebel zufügen wollte, werde ich sein Reich mit
starker Macht verwüstend angreifen." 3 Ueberhaupt zeigte sich Geiza
jetzt über die maßen nachgiebig, ja schwach gegen die Geistlichkeit und
den päpstlichen Stuhl. Vom Erzbischof Lucas bewogen, entsagte er
schon 1159 dem Rechte, Bischöfe zu versetzen und abzusetzen, das seine 1159
Vorgänger immer geübt hatten 4; er ließ es 1161 geschehen, daß Alex
ander III. den Erzbischof von Spalatro, Gaudius, entsetzte und an dessen
Stelle den Bischof von Narni, Petrus Lombardus, eigenmächtig zum
Erzbischof ernannte. 6
Das Schwanken und die Misgriffe, welche wir um diese Zeit in
erklären,
der Regierung
daß Geiza's
ihm sein
wahrnehmen5#lift*
bisheriger treuer
sichFührer
am wahrscheinlichsten
und Rathgeberdaraus
Belus '(({j»> >,

nicht mehr zur Seite stand. Manuel hatte denselben statt des entsetzten
und nach Konstantinopel abgeführten Uros zum Groß-Zschupan Serbiens
ernannt.6
1 Die Acten
Er that
der Synode
es vielleicht
bei Pertz,
gerade
Leges
in der
II (im
Absicht,
Gesammtwerke,
diesen tüchtigen
Lib. IV)

und Baronius, Annales ecclesiastici (12 Bde., Eom 1588 — 1607, vielmal ab
gedruckt), ad ann. 1160, Nota 24: „Rex Hungarorum per literas et legatos
suos consensit." Baronius behauptet freilich, diese Angabe der Acten sei
erlogen, keine Abgeordneten Ungarns haben dem Conciliabulum beigewohnt,
der König kein Sendschreiben überschickt. Dieses sacht auch Katona, Hist.
critica, III, 710—736, zu erweisen, und selbst Feßler glaubt es, weil Prie
ster, die einen Afterpapst huldigen und so einer Versammlung beiwohnen,
zu allem fähig sind. Aber solche Gründe können das Ansehen glaubwür
diger Documente nicht einmal schwächen , um so weniger sie ungültig ma
chen. — s Das Sendschreiben Lucas Bänfy's an Eberhard, Erzbischof von
Salzburg, bei Endlicher, Cod. dipl. , II, 160 fg. ' — 3 Szalay, Geschichte des
ungarischen Reichs, I, 275, Note 4, ohne nähere Angabe der Quelle. —
4 Codex ms. membr. tab. Vaticani, Nr. 2040 , bei Pray, Hist. reg. Hung.,
Tom. I. — 5 Farlati Illyric. sacr., III, 183. — 6 Cinnamus, bei Stritter,
Tom. II, Pars I, p. 184.
17*
260 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt

Staatsmann dem König zu entziehen und für sich zu gewinnen; aber Belua
blieb auch auf dem Fürstenstuhl des königlichen Hauses und Ungarns
treuerUm
Freund.
diese Zeit wanderten einige Herren vom hohen Adel Deutsch

lands nach Ungarn ein und wurden von Geiza mit ausgebreiteten und
einträglichen Ländereien begabt; Samberg, der Stammvater derer von
Babocsa, und drei Brüder Keled, Stephan, Ladislaus und Georg, Schwe
stersöhne des meißner Markgrafen und Enkel des Grafen von Herford.
Stephan hatte auf einem Hoftage zu Frankfurt einen Landgrafen von
Thüringen getödtet, ward deshalb geächtet und kam mit seinem ganzen
Geschlecht, von sechzig Rittern begleitet, nach Ungarn. l
Ehe Geiza die zahlreichen Verwickelungen, die ihn selbst und sein
Reich umschlangen, lösen konnte, starb er im kräftigsten Mannesalter
1161 den 31. Mai 1161 und ward zu Stuhlweißenburg begraben.2 Das Lob
kann man ihm nicht versagen, daß er mit Entschlossenheit und Erfolg
die Unabhängigkeit und Ehre des Vaterlandes gegen die beiden mächtigen
Fürsten, welche die Kaiserthrone des Osten und Westen einnahmen, ver-
theidigt hat. Er hinterließ drei unmündige Söhne, Stephan, Bela und
Geiza, und drei Töchter: Elisabeth, die den Herzog von Böhmen
Friedrich, schon seit 1159 ihm verlobt, Helene, die den Herzog von
Oesterreich Leopold, und Odola, die den böhmischen Prinzen Swato-
pluk heiratheten. 3

Stephan III. — Ladislaus II. und Stephan IV. Gegenkönige.


1161—1172.

Sogleich nach dem Tode Geiza's wurde sein funfzehnjähriger Sohn


Stephan III. gekrönt.4 In dieser schweren Zeit, wo treulose Prinzen
den Thron um jeden Preis zu erkaufen bereit waren und, mit ihnen ver
schworen, ein mächtiger und schlauer Feind drohend und lauernd an der
Grenze stand, war ein unmündiger König das größte Unglück, welches
das Reich treffen konnte. Häupter der Regentschaft waren der graner
Erzbischof Lucas Bänfy und der Palatin Dionysius; nächst ihnen übte
auch die Königin-Mutter Euphrosyne Einfluß auf die Regierung. 5 Aber
die letztere war, ohne tiefere Einsicht und Entschlossenheit, zu Intriguen
geneigt, der Erzbischof, durch seine hohe Stellung und persönliche Kraft
der wichtigste Mann, zu sehr von Planen der Hierarchie erfüllt, zu eigen
sinnig und herrschsüchtig, als daß er einträchtig mit andern hätte wirken
und das volle Vertrauen der Nation besitzen können, und Dionysius,
dessen
1 Thuröczy,
Amt damals
II, noch
66. —nicht
2 Chronic.
die Bedeutung
Neoburgense,
hattebei
, zuPez,
der I,es 446.
späterThu
ge-

röczy, II, 66. — 3 Muglen erwähnt noch einen Sohn Arpäd, und eine vom
Papst Innocentius III. erlassene Urkunde eine Tochter, die Gemahlin des
schümegher Grafen Andrea's, —' 4 Thuroezy, II, 67. — 5 In Urkunden und
Gesetzen wird ausdrücklich gesagt „nach dem Gutachten der Königin-Mutter,
der Prälaten und Magnaten". Kovachich, Supplementa ad vestigia comi-
tiorum, I, 5, 6.
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 261'

langte, besaß nicht Kraft und Ansehen genug, um das Volk unter seiner Füh
rung zu vereinigen. Belus, der Großoheim des Königs, entsagte zwar dem
serbischen Fürstenstuhl und kam nach Ungarn, seinem Enkelneffen bei
zustehen 1; allein entweder befolgte dieser seine Rathschläge nicht, oder
die Nation leistete ihm diesmal nicht Gehorsam, weil er als gewesener
Vasall Manuel's verdächtig und nicht gesetzlich zum Regenten bestellt
war; auch er konnte also das Verderben nicht abwenden. Ohne hervor
ragendes Haupt, ohne entschlossenen Führer sah sich mithin das ungarische
Volk allen Ränken einheimischer Verräther und fremder Feinde preis
gegeben; dazu kam der Angriff so schnell und unerwartet, daß ihn keine
Zeit blieb , sich zu sammeln und zu rüsten. Dasselbe Volk, welches unter
Geiza seine Ehre und Freiheit so standhaft und im ganzen* siegreich ver-
theidigt hatte, duldete es, daß schon sechs Wochen nach dessen Tode ein
Auswärtiger als Gebieter über den Thron verfügte, ein Aufgezwungener
denselben einnahm und sein König an des Landes äußerster Grenze
Sicherheit suchen mußte. — Noch immer war die Thronfolge durch
kein ausdrückliches Gesetz geordnet, wenn auch gewöhnlich der erst
geborene Sohn dem Vater nachfolgte. Dagegen war es mehrmals und
vor nicht langer Zeit erst geschehen, daß der Sohn übergangen und ein
Bruder des letzten Königs durch Wahl auf den Thron erhoben wurde.
Kaum hatte daher Manuel erfahren, daß Geiza gestorben und Stephan III.
gekrönt sei: so wollte er diesen Umstand benutzen, um seinen Günstling,
den aus dem Vaterland flüchtigen Prinzen Stephan, auf den Thron zu
setzen und durch ihn Ungarn zu einem byzantinischen Vasallenreiche zu
machen. Seinen Worten Nachdruck zu geben, ging er sogleich mit einer
Armee bis Nissa; von da schickte er Botschaft an die Ungarn: es sei bei
ihnen von jeher Gebrauch und Gesetz, daß nicht der Sohn, sondern der
Bruder dem verstorbenen König nachfolge, deshalb fordere er sie auf,
den Prinzen Stephan zum König zu nehmen. Die Ungarn wiesen die
Zumuthung zurück, worauf er bis an die Donau vorrückte und Stephan
mit einem Theil des Heeres, unter Anführung seines Neffen Alexius
Kontostephanus, bei Haramvär über die Donau setzen ließ. Die Flucht
der Königin-Mutter mit dem jungen König und ihren andern Kindern
nach Presburg entmuthigte viele; um so leichter gelang es Stephan, vor
zudringen und sich durch Geschenke, Versprechungen und Drohungen
Anhang zu gewinnen. Aber der Widerwille der meisten gegen den
Verräther des Vaterlandes war unüberwindlich ; mit Recht fürchteten sie,
der König von des Kaisers Gnaden, dessen Günstling und Schwager,
werde von diesem immer abhängig sein, mit seiner Hülfe die Freiheit
unterdrücken und zuletzt sich und das Reich ihm überliefern. Der ältere
Bruder Stephan's, Ladislaus, war zwar auch zu Manuel geflohen, wurde
aber weniger verdächtigt und gehaßt; es begannen Unterhandlungen,
und ein Vergleich kam zu Stande, laut dessen Ladislauszum König und H61
Stephan
1Nur
Cinnamus,
zukurze
seinem
bei
ZeitNachfolger
Stritter,
trug Ladislaus
Tom.erklärt
II, Pars
die
wurde.2
I,gewaltsam
p. 185. — geraubte
2 Chronicon
Krone,
Claustro-
er

Neoburgense ad ann. 1161, bei Pez, I, 446. Nicetas Choniat. und Cinnamus,
bei Stritter, Tom. III, Pars II, p. 655.
262 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

1162 starb schon ein halbes Jahr darauf, am 14. Januar 1162. Zufolge jenes Ver
trags sollte nun Stephan den Thron besteigen, nach dem er schon so lange
verrätherisch gestrebt hatte. Allein viele, die, durch G eschenke oder Dro
hungen gewonnen, sich Ladislaus hatten gefallen lassen, widersetzten sich
der Nachfolge Stephan's und kehrten zu ihrem rechtmäßigen König zurück ;
kein Graf der obern Gegend , nur einige Bischöfe und wenige Große der
untern, die am meisten bedroht und wahrscheinlich zum Theil erst von
Ladislaus und ihm erhoben worden waren, erklärten sich für ihn; er
mußte vier Wochen lang alle Mittel der Bestechung und Ueberredung
anwenden, bis er endlich «inen hinreichenden Anhang gewann, um sich
krönen zu lassen. Da sich der graner Erzbischof Lucas jetzt ebenso
entschlossen ihn, wie früher Ladislaus, zu krönen weigerte, vollzog auch
diesmal der kalocsaer Michael die Krönung, wodurch sie in den Augen
des Volks viel von ihrer Heiligkeit und Gültigkeit verlor. Durch Hoch-
muth dachte er das Ansehen, das ihm fehlte, zu ersetzen und durch Strenge
den Widerstand zu brechen; er umgab sich mit dem Gepränge des
byzantinischen Hofes und verfolgte die Treuen Stephan's III., vermehrte
aber dadurch nur die Verachtung und den Haß gegen sich. Da fühlte
er sich nicht länger sicher und rief Manuel um Hülfe an, der auch sogleich
ein Heer unter Alexius Kontostephanus in Ungarn einrücken ließ.
Durch die Anwesenheit der fremden Truppen wurde das Volk nieder
gehalten, sein Unwille verstummte, und weil die Ausbrüche desselben auf
hörten, riethen einige Stephan, er möge Zuversicht zu der eigenen Kraft
und Vertrauen zu dem Volke beweisen und das griechische Heer ent
lassen. Er ließ sich überreden und that es; ja seine Verblendung ging
so weit, daß er zu derselben Zeit, wo er sich seiner einzigen Stütze be
raubte, Semlin und das sirmier Land an Manuel als Entgelt für die
geleistete
Nun Hülfe
war das
abtrat.
Maß seiner Sünden voll; einen ohnehin durch den

Reichsfeind aufgezwungenen Herrscher, der den Gesetzen Hohn sprach,


fremde Kriegsvölker ins Land rief und durch Abtretung wichtiger Pro
vinzen den geschändeten Thron erkaufte, konnten die Ehre und Vaterland
liebenden Ungarn nicht länger dulden. Der junge König, der Palatin
Dionysius, der Erzbischof Lucas und andere edle Häupter riefen das
Volk zu den Waffen; von allen Seiten strömten muthige Kämpfer herbei;
1162 der
wurde
Afterkönig,
am 16. Juni
nachdem
in blutiger
seine Schlacht
Herrschaft
überwunden,
fünf Monateund
gedauert
Stephanhatte,
III.

bestieg
Derneuerdings
überwundene
unterStephan
freudigem
flohZuruf
zu seinem
den Thron
Beschützer
seiner Manuel
Ahnen. 1nach

Sardika (Triaditza), der ihn nochmals mit einem Heere an die Donau
schickte und selbst mit einem zweiten nach Nissa vorrückte. Dort ließ
der Kaiser den Fürsten der Serben Neeman gefangen nehmen und nach
Konstantinopel abführen und ernannte dessen Jüngsten Sohn Neeman
zum Zschupan. Dahin kamen auch die Gesandten der Ungarn mit der
Bitte, er möge aufhören, ihnen einen König aufzudringen, den sie nimmer
annehmen
1 Cinnamus,
würden.
a. a. Manuel
O., und Kezai,
wies sie
II, stolz
67. von sich und verlegte sein
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 263

Lager nach Belgrad. Hier mochte er sich durch eigene Anschauung


überzeugt haben, wie groß die Abneigung des ungarischen Volks gegen
seinen Schützling und wie wenig Aussicht vorhanden sei, seine Plane
auf Ungarn mit offener Gewalt durchzusetzen. Unerschöpflich an Ent
würfen, dachte er also auf ein anderes und sanfteres Mittel, zum Ziele zu
gelangen. Er ging nach Konstantinopel zurück und sandte an Stephan III.
Georg Paleologus ab, der mit der Botschaft des Friedens und freundlichen
Wohlwollens den Antrag überbrachte: da Manuel keinen männlichen
Erben habe, so wünsche er, daß des Königs Bruder Bela seine Tochter
und Erbin Maria eheliche, einst nach ihm den Kaiserthron besteige und
jetzt schon an den byzantinischen Hof komme, um dort erzogen zu wer
den. Der König und die Ungarn ließen sich blenden durch das glänzende
Anerbieten und übergaben den jungen Prinzen dem Gesandten. Manuel,
der es damals ernstlich meinte, stellte Bela dem Hofe als seinen Eidam
und Thronfolger vor, und gab ihm den Namen Alexius sowie den üblichen
Titel der kaiserlichen Prinzen, Despotes. So hoffte er, schon vorläufig
einige Provinzen Ungarns an sich reißen, später Bela auch den unga
rischen Thron verschaffen und dadurch das ganze Land mit dem byzan
tinischen
SeineReiche
Anschläge
vereinigen
enthüllten
zu können.
sich gleich
1 darauf, indem er Dalmatien

als Erbtheil forderte, welches Bela laut der Anordnung seines Vaters
Geiza gebühre. Die Ungarn lehnten das sonderbare Ansinnen ab; denn
die königlichen Prinzen wurden zwar gewöhnlich durch Landestheile
oder Provinzen apanagirt, aber diese blieben immer in Verbindung mit
dem Reiche und waren keineswegs ein Erbe, das von demselben getrennt
werden durfte. Als Manuel die abschlägige Antwort erhielt, gab er dem
Prätendenten
gend Ungarns Stephan
einfalle und
Geld seine
und Ansprüche
Truppen, damit
auf die
er Krone
in die untere
neuerdings
Ge- .

geltend mache, 1162. 2 Da die Ungarn im Vertrauen auf den Jüngst 1162
geschlossenen Freundschaftsbund nicht gerüstet waren, auch keine Be
satzung in den untern Gegenden stand, gelang es ihm, dort festen Fuß
zu fassen und sogar im Innern des Landes hin und wieder Anhänger zu
gewinnen 3 ; denn zu keiner Zeit und unter keinem Volke fehlt es an
Unzufriedenen
In dieser Noth
und an
sahfeilen
sich Parteigängern.
König Stephan nach auswärtigem Beistand

um. Zuerst sandte er dem deutschen Kaiser Friedrich I. Barbarossa ein


Geschenk von 5000 Mark Silber und bat ihn um Hülfe; Friedrich nahm
das Geschenk an, aber Hülfe leistete er keine. 4 Hierauf wandte er sich an
Wladislaw II., König von Böhmen (der Kaiser hatte ihm unlängst den
königlichen
1 Cinnamus,
Titelbei
fürStritter,
seine Person
Tom. III,verliehen),
Pars II, p.dessen
656 fg.Söhne
— 2 mit
Cinnamus,
seinen

a.a.O. — 3 Das bezeugt die Urkunde, durch welche' er zu Anfang des Jahres
1163 den agramer Bischof im Besitze des Gutes Dobra bestätigt, bei Katona,
Hist. crit., IV, 42, und Fejer, Cod. dipl., II, 165, wie auch der Schenkungs
brief, den Stephan III. einem gewissen Farkas verlieh, weil er die Ueber-
gabe Kapuvars in der wieselburger Gespanschaft an den Prätendenten ver
eitelte. — 4 Chronic. Austriae, bei Pez, I, 559. Appendix ad Radevicum, bei
Urstisius.
264 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Schwestern verlobt waren, und erhielt die Zusage kräftigen Beistandes.


Die böhmischen Stände verweigerten Wladislaw zwar das Aufgebot der
Landesmacht, weil die Böhmen ebenso wenig das Recht hätten, Könige
in Ungarn einzusetzen, als die Ungarn, sich in die böhmischen Thron
streitigkeiten zu mischen ; aber eine große Anzahl Freiwilliger sammelte
sich um die Fahne des Königs zum Zuge nach Ungarn. 1 Unterdessen
dauerte der Kampf an der Südgrenze fort. Manuel schickte zuerst den
Feldherrn Andronicus, des Kontostephanus Sohn, dem Prätendenten zu
Hülfe und kam bald auch selbst mit großer Heeresmacht herbei, worauf
sich die Ungarn über die Donau zurückzogen, um die Ankunft der
Böhmen abzuwarten, und er ungehindert bis vor Peterwardein rückte. Von
hier schrieb er an König Stephan : „Lieber Sohn, wir sind nicht gekommen,
um die Ungarn zu bekriegen, sondern um deinen Bruder Bela in sein
Eigenthum einzusetzen, welches wir gar nicht gesonnen sind dir zu rau
ben, sondern welches du selbst und euer gemeinschaftlicher Vater ihm
verliehen habet ; wir sind auch darum gekommen , damit wir den Ver
wandten unserer Hoheit, deinen Onkel Stephan, dem Verderben ent
reißen. Wenn also Bela mit deiner Einwilligung unser Eidam geworden
ist, warum gibst du ihm sein Eigenthum nicht zurück, um mit uns in
Frieden zu leben ? Wenn du aber, die Freundschaft und Verwandtschaft
zurückstoßend , nach andern Dingen strebst, so wisse, daß wir diejenigen
sind, die keine Gewaltthat dulden." Aber schon waren die Böhmen,
leider nach ihrer Gewohnheit, Freund und Feind zu plündern, auf dem
Durchmarsch das Land furchtbar verwüstend, angekommen ; beide Heere
vereinigten sich, setzten über die Donau und gingen auf Manuel los, der
in der Bäcska lagerte und nun zu diplomatischen Künsten griff, um sich
den Wechselfällen des Kriegs zu entziehen und seine Absichten mit
weniger Gefahr zu erreichen. In seinem Lager befand sich ein Mähre,
Bogota, der von einem Kreuzzuge vor mehrern Jahren in Konstantinopel
zurückgeblieben war; diesem gab er den Auftrag, Wladislaw von dem
Bündnisse mit den Ungarn abzuziehen und für sich zu gewinnen. Aber
statt aller Antwort rückten die Könige so nahe an das griechische Lager,
daß die Schlacht am künftigen Tage unvermeidlich war. Der Kaiser
wollte dieselbe um jeden Preis vermeiden; er selbst ging mit einem Theil
seiner Mannschaft über die Donau und ließ den andern unter Stephan
und Andronicus als Besatzung zurück, die aber noch in der Nacht floh.
Die Böhmen merkten die Bewegung im feindlichen Lager, fürchteten,
daß ihnen die reiche Beute entschlüpfe, und stürzten sich, sobald der
Morgen anbrach, auf dasselbe; die große Heeresfahne, die prächtigen
Zelte, viele Reichthümer und mehrere vornehme Griechen, die sich ver
spätet hatten, fielen in ihre Hände. Manuel ließ sich indessen hierdurch
nicht irre machen, sondern fuhr fort in dem Bestreben durch wieder
holte Botschaften Unterhandlungen mit Wladislaw anzuknüpfen, gab
vor, er sei blos deshalb nach Ungarn gekommen, um die seinem Schwie
gersohne gebührende Erbschaft zu fordern, brachte ein Ehebündniß
zwischen
1 Palacky,
seinem
Geschichte
Neffen von
und Böhmen,
des Böhmen
2. Ausg.,
Nichte
I, 449
in fg.
Vorschlag, fügte

^
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 265

reiche Geschenke hinzu und hat ihn, den Frieden zu vermitteln, den er
sehnlich wünsche. Diesen Lockungen konnte Wladislaw nicht wider
stehen; der Bundesgenosse der Ungarn verwandelte sich in einen par
teiischen Vermittler, und ein Friedensschluß kam zu Stande; Bela erhielt
das sinnier Gebiet unter dem Titel seines Erbtheils, wogegen Manuel sich
verpflichtete, Stephan IV. nicht weiter zu unterstützen. Wladislaw
empfing am ungarischen Königshofe zum Dank für seinen Beistand Ge
schenke, deren Menge und Pracht die böhmischen Chronisten zu schildern
kaum Worte finden, und auch seine freiwilligen Krieger kehrten heim, 1163
beladen
Vormit
seinem
Beute,Abzuge
die sie dem
ermahnte
Freund
Manuel,
wie demwie
Feind
Cinnamus
abgenommen
berichtet,
hatten.1
den

Prätendenten Stephan öffentlich, Ungarn nicht weiter zu beunruhigen;


von ihm habe er keinen Beistand zu erwarten; er sehe, wie sehr ihn die
Ungarn haßten; würde er es dennoch wagen, so werde er dafür schwer
büßen. Seine wahreHerzensmeinungaberverrieth sich, indem er denFeld-
herrn Nicephorus Chaluphes mit einem beträchtlichen Heere zu seiner
Unterstützung zurückließ. Stephan verstand den geheimen Wink, der
ihm hiermit gegeben war, forderte Nicephorus zur Hülfeleistung auf, fiel
in die bäcser und bodroger Gespanschaften ein, eroberte einen großen
Theil derselben, vereinigte sich dort mit seinen alten Anhängern und zwang
auch, die ihm abgeneigt waren, zu Kriegsdiensten. Dieser treulose
Bruch des kaum geschlossenen Friedens erfüllte den König und die Un
garn mit gerechtem Unwillen; sie griffen zu den Waffen und eilten
auf den Kampfplatz, Rache zu nehmen und das Vaterland zu verthei-
digen. Die Griechen, vermuthlich um den Schein zu retten, warteten
den Angriff nicht ab , sondern zogen sich über die Donau nach Sirmien
zurück; Stephan aber leistete trotzigen Widerstand, bis er, geschlagen,
mit Noth der Gefangenschaft entging. Nachdem der König die Bäcska
vom Feinde gesäubert hatte, setzte auch er über die Donau, nöthigte den
Feind , sich nach Semlin zu werfen, und umschloß die Stadt. Während
der Belagerung erhielt er ein Schreiben Manuel's voll bitterer Vorwürfe
und Drohungen; bald erschienen auch Michael Gabras und Joseph
Briennius mit einem Heere und einer Flotille auf der Donau , welche
letztere einige Vortheile über die ungarische davontrug. Aber der Kö
nigließ sich nicht einschüchtern, sondern setzte beharrlich dfeBelagerung
fort. Da starb der Prätendent Stephan plötzlich 1164 am 11. April, 1164
die griechischen Geschichtschreiber sagen an Gift, das ihm sein Diener
Thomas beibrachte; seine Anhänger, Ungarn und Griechen, übergaben
die Stadt,
SemlinssichVerlust,
freien ungefährdeten
der bald auchAbzug
den ganz
ausbedingend.
Sirmiens 2 herbeiführte,

regte Manuel gewaltig auf; er unternahm großartige Kriegsrüstungen,


die den Erfolg sichern sollten, bot die Serben auf, nahm eine Schar
Petschenegen
1 Cinnamus,
in Sold
a. a. und
O. bewog
Chron. seinen
Vincentii
Bundesgenossen
ad ann. 1164, 3,beiden
Dobner,
russischen
Mo

numents, I, 73. Contin. Cosmae Pragensis ad ann. 1164, bei Pertz, IX.
— * Cinnamus und Nicetas Choniat., a. a. O., S,. 656. Thuroczy, II, 68.
Kezai, bei Endlicher, Kap. 4, S. 119. — 3 Rußland stand schon damals
durch die Gemeinschaft der Religion in inniger Verbindung mit dem morgen-
266 Drittes Bucb. Zweiter Abschnitt.

Fürsten Jaroslaw, Hülfstruppen zu schicken und seine Tochter, die als


1164 verlobte
fand, zurückzufordern.
Braut König Stephan's
So gerüstet
sicherschien
bereits er
zurnoch
Erziehung
1164mit
in einem
Ungarn
mäch
be-

tigen Heere Haramvär gegenüber an der Donau. Als sich jenseit die
ungarische Kriegsmacht aufstellte, wandte er sich schnell abwärts, ging
bei Belgrad über den Strom und zog vor Semlin, das er nach lang
wieriger Belagerung erstürmte und, erbittert durch den hartnäckigen
Widerstand, einer grausamen Plünderung preisgab. Zu gleicher Zeit
griffen auch Johann Dukas und Nicephorus Chaluphes Dalmatien an
und
theidigung,
fanden daß
es so
sie entblößt
beinahe ohne
von Widerstand
allen Mittelndas
und
ganze
Anstalten
Küstenland
der Ver-
und

den benachbarten Theil Kroatiens eroberten. Manuel ließ noch die


Mauern Semlins ausbessern, Belgrad und Branizowa neu befestigen,
die Besatzung des letztern Orts durch eine Colonie mohammedanischer
Bulgaren verstärken, kehrte sodann heim, und hielt einen prächtigen
Triumphzug in Konstantinopel. 1
1165 zu größern
Scham Anstrengungen
und Schmerz über auf. so Palatin
große Verluste
Dionysius
rüttelte
führtedie1165
Ungarn
ein

starkes Heer gegen den griechischen Befehlshaber in Sirmien, Michael


Branas, schlug ihn, ließ die gefallenen Feinde aufeinander schichten und
über ihnen als Siegeszeichen einen Hügel aufschütten. 2 Diese Nieder
lage zu rächen, gebot Manuel dem Johann Dukas, aus der Walachei
einen Raubzug nach Siebenbürgen zu unternehmen. Der unerwartete
Ueberfall glückte; auf dem Schauplatz der Verwüstung ließ Dukas ein
ehernes Kreuz aufrichten, dessen Inschrift den Sieg der Griechen, die
Niederlage der Ungarn und das Lob Manuel's verkündigte, und kehrte
mit großer Beute beladen zurück. 3 An der Save, berichten die Grie
chen , geschah nichts Wichtiges, weil der Heerführer Andronicus Cas-
sinus das Blutvergießen scheute; wahrscheinlich war er feige oder
wurde geschlagen, denn Manuel ließ ihn scheren und ins Kloster
1166 stecken.
Im 4folgenden Jahre 1166 nahm der Krieg eine für Ungarn noch

günstigere Wendung. Manuel hetzte durch seine Agenten, die er in


allen westlichen Ländern besoldete 6, die italienischen Städte gegen
Kaiser Friedrich auf und trat mit Papst Alexander III. in Unterhand
lungen über die Vereinigung der griechischen mit der lateinischen
Kirche; alles in der Hoffnung, Italien mit dem morgenländischen Reiche
wieder zu vereinigen. 6 Aber er weckte dadurch nur Unzufriedenheit
im eigenen Lande und zog sich die Feindschaft Friedrich's zu. Stephan
dagegen
ländischen vermählte
Kaiserthum;sich
seine
zu Kirche
Wien erkannte
in Gegenwart
den Patriarchen
dieses Kaisers
von Konstan
mit

tinopel als ihr Oberhaupt, und Kiew erhielt von daher seine Metropoliten.
Cinnamus
1 Cinnamus
und Nestor.
u. Nicetas, a. a. O. — 2 Cinnamus. — 3 Ebend. — 4 Cin

namus u. Nicetas Choniat. — 5 Nicetas Choniat. in Corp. Scr. Hist. Byz.


(Paris 1647), XIV, 130. — 6 Acta Alexandri Papae, bei Baronius ad ann.
1160, XIV. Gibbon, History of the decline and fall of the Roman em-
pire, Manuel.
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 267
Agnes , des österreichischen Herzogs Heinrich Jasomirgott Tochter x,
wodurch er einen eifrigen Bundesgenossen gewann. Dalmatien end
lich, das von den ungarischen Königen so mild und freisinnig regiert
wurde, sehnte sich von der drückenden griechischen Herrschaft befreit
zu werden; der Erzbischof von Spalatro, Peter Lombard, kam selbst
nach Ungarn, um einen Feldzug zur Vertreibung der Griechen zu be
wirken. 2 Ein Heer brach also nach Dalmatien auf, schlug in der
Nähe von Spalatro die Byzantiner, nahm ihren Befehlshaber Nicephorus
Chaluphes gefangen und bemächtigte sich schnell Dalmatiens und der
im vorigen Jahre verlorenen Theile von Kroatien. 3 Diese Gelegenheit
benutzte auch die Stadt Zara, wieder unter ungarische Hoheit zurück
zukehren; sie fühlte sich von den Venetianern in ihren Rechten schwer
gekränkt, vertrieb den Podesta Dominigo Maurocero und nahm unga
rische Besatzung auf. Bald darauf erschien zwar der Doge Michael
Vitalis mit 30 Galeeren im Hafen und belagerte die Stadt, mußte aber,
da sie durch die Besatzung und Bürgerschaft tapfer vertheidigt wurde,
wiederDoch
abziehen.4
diese errungenen Vortheile waren von kurzer Dauer. Ma

nuel sammelte bei Sardika ein mächtiges Heer, in dem sich russische,
persische, türkische, deutsche und italienische Söldner befanden, er
nannte Andronicus Kontostephanus zum obersten Feldherrn und ließ ihn
gegen Ungarn aufbrechen. Als die Griechen über die Save setzten
und an den Leichenhügel kamen, den die Ungarn vor zwei Jahren er
richtet hatten, stiegen sie von ihren Rossen und schwuren, die gefallenen
Brüder zu rächen. Bald stießen sie auf das ungarische Heer, welches,
wie Cinnamus berichtet, 15000 Mann stark, aus gepanzerten Reitern,
Bogenschützen und Schleuderern bestand und abermals vom Palatin
Dionysius geführt wurde. Dieser wußte, daß die Byzantiner das Cen
trum aus leichten Truppen und schwach zu bilden, die Hauptmacht
aber in die Flügel zu stellen pflegten , deshalb that er das Entgegen
gesetzte, stellte seine Schwerbewaffneten in dichtgedrängten Haufen in
die Mitte, um die feindliche Schlachtordnung zu zerreißen. Der ge
waltige Angriff war unwiderstehlich; vergeblich versucht Andronicus,
die Ungarn zu umzingeln und in den Flanken zu fassen; sein Heer
wendet sich zur Flucht, nur einige Abtheilungen halten noch Stand.
Da bemerkt er in den ungarischen Reihen Verwirrung, die wahrschein
lich dadurch entstand, daß sie sich lösten, um die Fliehenden zu ver
folgen, läßt schnell seine Reserven zum Angriff vorrücken und ge
winnt endlich gegen Abend des blutigen Tags, 8. Juli 1167, den Sieg. 1167
800 Gefangene, darunter fünf Grafen (Obergespane), und die große
Heeresfahne sind die Zeichen desselben. Doch mochte der Sieg nicht
groß und entscheidend gewesen sein, denn schon in der darauffolgen
den Nacht
1 Chronic.
tratAustriae.
AndronicusAdmont.
den Rückzug
Clanstroneob.
über diebeiSave
Pez, an,
I u.weil
II. —
er hörte,
2 Far-

latus, Illyria sacra, III , 186. — 3 Cinnamus, bei Stritter , a. a. O. , S. 682.


Thomas Arehidiac. bei Schwandtner, III, 560. — * Dandulus, bei Muratori,
XII, 292. Farlatus, V, 29. Bonfinius, Rerum Hung., Dec. X, Lib. VI.
268 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

daß die Ungarn Verstärkung erhalten hatten. 1 Auch in Dalmatien


1167 war
Doge das
kehrte
Kriegsglüpk
mit einerden
stärkern
letztern
Flotte
nicht
nach
günstig.
Jadra zurück,
Der venetianische
1167, und

zwang es zur Unterwerfung. Die andern Städte und das ganze Küsten-
' land Wegen
fielen wieder
Erschöpfung
in Manuel's
der Gewalt.
Kriegführenden,
2 oder weil sie bereits

sahen, daß sich Ereignisse vorbereiteten, welche den Dingen eine andere
Gestalt geben würden, trat nun Waffenruhe ein, ohne daß Stillstand
1170 oder
Antiochien
Die
Friede
zweite
Raimund
geschlossen
Gemahlin
vonwurde.
Poitiers
Kaiser Tochter,
Manuel's,gebar
Maria,
unverhofft
des Fürsten
1170 von
am

10. September einen Sohn, der den Namen Alexius erhielt. Manuel
hatte nun einen natürlichen Thronerben; sobald er sibh von dessen
Lebensfähigkeit überzeugt hatte, traf er Vorkehrungen, ihm die Nach
1172 folge
Bela zu
als sichern.
ihrem künftigen
Er entband
Gebieter
die Staatsdiener
bereits geleistet
von hatten;
dem Eide,
undden
damit
sie

dieser nicht einst als Gemahl der kaiserlichen Prinzessin ein gefähr
licher Nebenbuhler seines Sohnes werde, besann er sich jetzt , daß die
Verlobten einander in einem Grade (im vierten und fünften) verwandt
seien, der ihre Ehe verhindere, ließ ihr Verlöbniß feierlich auflösen
und vermählte Bela mit Agnes, der Schwester seiner Gemahlin (die
Griechen nannten sie Anna). 3 Sirmien und Dalmatien aber, die er als
das rechtmäßige Erbe dieses Prinzen gefordert und von Ungarn los
1173 gerissen
Im hatte,
Frühling
vereinigte
1173 zoger der
mit Herzog
dem byzantinischen
von SachsenReiche.
und Baiern,
4 Hein

rich der Löwe, in das gelobte Land und bat um Bewilligung, seinen
Weg durch Ungarn zu nehmen; des Königs Schwiegervater Heinrich
von Oesterreich begleitete ihn. Stephan sandte ihnen Herrn Florentius
bis Wieselburg entgegen, sie zu begrüßen und nach Gran an den könig
lichen Hof zu geleiten. Als die hohen Gäste am 4, Mai in die Stadt
einzogen, fanden sie da Bestürzung und Trauer; der siebenundzwanzig-
jährige König war in der vorhergehenden Nacht plötzlich gestorben. 6
An Gift, berichtet ein Chronist 6; aber wer darf das Schändliche, Böse
glauben auf das Zeugniß eines Gerüchts, welches ein einziger mittheilt?
Der Tod kennt kein Vorrecht der Könige und rafft auch sie jung und
plötzlich
1 Cinnamus,
dahin. 7 a. a. 0.; weniger ruhmredig und deshalb auch glaubwür

diger berichtet über diesen Feldzug Nicetas Choniat, a. a. O. ,— 2 Dandulus,


Lib. IX, c. 15, bei Muratori, Tom. XII. Farlati, Illyria sacra, III, 4. Lu
cius, Lib. II, c. 9. — 3 Nicetas Choniat., a. a. O., S. 110. — 4 Cinnamus
u. Nicetas, a. a. O. — 5 Thnröczy, II, 68, und Chronic Budense, weichen
in
6 Arnoldus
der Angabe
Lubecensis,
des Tags
bei voneinander
Leibnitz, II, ab.
631. Horväth
— 7 Zumnennt
Schluß
denfügen
4. Mai.
wir die

Bemerkung hinau, daß wir gerade über diesen wichtigen. Zeitraum, voll' Ver
wirrungen im Innern und voll schwerer Kämpfe mit äußeren Feinden, bei
nahe gar keine einheimische Nachrichten besitzen, über deren Mangel schon
Bonlin. Dec. II, Lib, VI, klagt, und nur soviel wissen, als die griechischen
Geschichtschreiber erzählen, die selbstverständlich höchst parteiisch für ihr
~" 1lk und ihren Kaiser sind, welcher Vorwurf besonders Cinnamus trifft.

■£&!.£'.,.' '
Aeußere
Bela
Begebenheiten.
in. 1173-1196.Bela III. 269

Da Stephan keinen Sohn hinterließ, war Bela, sein in Konstan


tinopel weilender Bruder, der nächstberechtigte Thronerbe; aber die
Abneigung gegen diesen war groß und weit verbreitet. Die Königin-
Witwe gab vor, daß sie guter Hoffnung sei, und mit ihr meinten viele,
man müsse abwarten, ob sie nicht einen Sohn gebären werde. Die
weltlichen Großen argwöhnten: Bela, im Auslande, am Hofe eines un
umschränkten Monarchen und überdies des geschworenen Feindes von
Ungarn erzogen, sei der Nation entfremdet, der Freiheit nicht gewogen
und werde sich zum Nachtheil des Landes durch griechische Einflüsse
leiten lassen. Die Geistlichkeit fürchtete, daß er, in der griechischen
Kirche aufgewachsen, nie ein treuer Anhänger der lateinischen sein
könne. Sein heftigster Gegner war der mächtige graner Erzbischof
Lucas Bänfy. Es bildete sich daher auch eine zweite zahlreiche Partei,
welche ihm seinen Jüngem Bruder Geiza vorziehen und auf den Thron
erheben wollte. An diese schloß sich sogar seine eigene Mutter Euphro-
syne an, die den Sohn, den sie selbst erzogen hatte, mehr liebte als
den, der ihr durch lange Trennnng gleichsam fremd geworden war.
Doch alle, die frei von Leidenschaft und Parteisucht die Lage der
Dinge richtiger erkannten, erklärten sich für Bela, weil er das nächste
Recht auf die Krone hatte, weil sie hofften, die dem Vaterlande ent
rissenen Gebiete würden mit seiner Thronbesteigung von selbst wieder
an dasselbe zurückfallen, weil sie voraussahen, Manuel würde es nicht
dulden, daß man ihn zurücksetze, und Krieg anfangen, ihm das Reich
zu verschaffen. Sie siegten endlich, und eine Gesandtschaft ging ab,
Bela Die
auf den
Gesandten
Thron zu
begegneten
berufen. ihm schon zu Sardika auf dem Wege

nach Ungarn. Denn sobald man in Konstantinopel Stephan's plötzlichen


Tod erfahren hatte, war Manuel mit ihm, begleitet von einem statt
lichen Heere, aufgebrochen, um ihn selbst auf den ungarischen Thron
zu führen. Da er nun vernahm, daß die überwiegende Mehrheit der
Nation freiwillig Bela die Krone anbot, hielt er es nicht mehr für
nöthig und auch nicht für rathsam, persönlich und mit gewaffneter Hand
für ihn einzuschreiten, und gab ihm blos ein glänzendes Gefolge zur
Begleitung. Doch ehe er Bela entließ, mußte dieser eidlich geloben,
daß
theileerimmer
jedemfördern
Anspruch
werde.
auf x das Kaiserreich entsage und dessen Vor-

Als Bela nach Ungarn gekommen war, fand er neue Schwierig


keiten und Hindernisse. Wol hatte s1ch die Schwangerschaft der Kö
nigin als leeres Vorgeben erwiesen, oder das Kind war, wie andere
meinen, bald nach der Geburt gestorben, und hiermit sah er sein Erb
folgerecht außer Zweifel gestellt. Aber der Eid, welchen er Manuel
geleistet, und das Verbleiben Dalmatiens und Sirmiens beim griechischen
Reiche
1 Cinnamus
entfremdeten
u. Nicetas
ihm Choniat.
neuerdings
bei Stritter,
viele patriotisch
a. a. 0., S. 690.
Gesinnte und


/
270 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

verstärkten den Anhang des Jüngem Bruders. Doch das einnehmende


Wesen des fünfundzwanzigjährigen Mannes, seine Bildung, Einsicht und
Thatkraft, durch die er sich für den Thron geschaffen zeigte, vermehrte
die Anhänglichkeit der Seinen und gewann ihm immer mehr Freunde;
auch die Geistlichkeit wußte er von seiner Treue gegen die römische
Kirche zu überzeugen. Und so stand denn bald der größte Theil des
Volks auf seiner Seite. Nur der graner Erzbischof beharrte bei seiner
feindseligen Gesinnung und ließ sich durch kein Zureden und Bitten
bewegen, ihn zu krönen. Bela wandte sich deshalb an den Papst
Alexander III.; aber selbst dessen Vorstellungen blieben bei dem eigen
sinnigen Greise fruchtlos, und der Papst ertheilte schließlich, nach des
Königs und der Großen Wunsch, dem Erzbischof von Kalocsa für
dieses eine mal die Befugniß, die Krönung zu vollziehen. x So wurde
Bela endlich 1174 am 13, Januar durch diesen gekrönt.2
1174 Nun hörte der offene Widerstand auf; Ordnung und Friede kehr
ten zurück in das zerrüttete Land; das Ansehen des jungen Königs
stieg zusehends nach innen und außen; seine Freundschaft schien den
benachbarten Fürsten wünschenswerth ; und jetzt endlich vermählte
sich Leopold, der Sohn Heinrich's von Oesterreich, mit seiner Schwe
ster Helene, mit der er seit funfzehn Jahren verlobt war. 3 Allein die Um
triebe Geiza's und seines Anhangs dauerten im geheimen fort und konn
1174 ten
stifter
früher
verhaften
oder und
später-
in anständige
gefährlich Verwahrung
werden: da bringen,
ließ Bela1174.
den Unruh-
Einige

Zeit darauf gelang es Geiza zu entkommen; er floh, begleitet von dem


Grafen Laurentius, zuerst nach Oesterreich und von da nach Böhmen,
um sich zu Kaiser Friedrich zu begeben und ihn um Hülfe anzurufen.
Hier war aber sein Schwager Friedrich bereits vom Herzogsstuhle ver
trieben und herrschte Sobeslaw II., der den Flüchtling gefangen nahm
und gefesselt nach Ungarn schickte. Es ergab sich , daß die Königin-
Mutter, Graf Vata und der Erzbischof von Kalocsa Stephan an der
Spitze seiner Partei standen und ihm zur Flucht behülflich gewesen
1176 bracht
waren; und
die erstere
später nach
wurdeGriechenland
auf die Burgverwiesen,
Bronz (vielleicht
Vata geblendet,
Baranya) der
ge-

Erzbischof durch königlichen Spruch seines Amts entsetzt, Geiza aber


ins Gefängniß
Dankbarer,
geworfen,
ergebener
in welchem
als gegenerdie
jahrelang
eigene Mutter,
schmachtete.4
benahm sich

1176 Bela
von Ikonium
gegen Manuel.
unternahm,
Als dieser
schickte
einen
ihmgroßen
Bela 1176
Feldzug
ein gegen
Heer den
unterSultan
dem

Vajda von Siebenbürgen, Leustatius, und demBän vonKroatien, Opudin,


zu Hülfe. In einem Engpaß des Taurus, der damals Zybrika hieß,
wurde
1 Papst
das byzantinische
Innocentius' III.Heer
Briefvon
an den graner
Seldschuken
Erzbischof
beinahe
Johannes
gänzlich
vom

Jahre 1209. Fejer, Cod. dipl., III, i, 91. — 2 Thuroczy, II, 69. — 3 Vitus
Arenpeckius ad ann. 1174, bei Pez, 1, 1204. Hanthaler, Fast. Campil., Tom. I,
Elog. IX, 395. — * Pulkava, bei Dobner, Monumenta III, 194, und Chronic.
Siloense, ebend., I, 89. Chronic. Poson. u. Arnoldus Lubecens, bei Leibnitz,
S. Brunsw. , II, 677, setzen unrichtig das Jahr 1187 statt 1176. Chronic.
M. S. Saec. XII, bei Koller, Hist. Episc Quinque eccl., I, 413.
Aeußere Begebenheiten. Bela III. 271

vernichtet; ein Haufe Tapferer nahm den Kaiser, dessen Wunden blu
teten, in seine Mitte, schlug sich durch, brachte ihn in das verschanzte
Lager des Vortrabs, der den Paß glücklich durchschritten hatte, und
rettete ihn von Tod oder Gefangenschaft. x Zu diesen Tapfern schei
nen auch die Ungarn gehört, und besonders die Brüder Lobi und Tho
mas, aus Doböka in Siebenbürgen, viel zur Rettung des Kaisers bei
getragen zu haben, weil Bela die letztern aus diesem Grunde nach ihrer
Heimkehr mit bedeutenden Besitzungen belohnte. 2 Manuel schloß
zwar nach der Niederlage einen unerwartet günstigen Frieden mit dem
Sultan und erfüllte auch die ihm nachtheiligen Bedingungen desselben
nicht; seine Wunden heilten zu Philadelphia in Lydien; aber die Macht
des Reichs war geschwächt, die großen Entwürfe, an deren Ausführung
er sein Leben hindurch gearbeitet hatte, gescheitert; die Kraft seines
Körpers und Geistes schwand, und düsterer Trübsinn bemächtigte sich
seiner. 3 Jetzt hätte Bela Sirmien und Dalmatien leicht wiedererobern
können; doch seines Versprechens eingedenk versuchte er es nicht;
erst nach dem Tode Manuel's, 1180, 24. September, vereinigte er diese 1180
Gebiete ohne Krieg durch den freiwilligen Uebertritt der Einwohner
wiederAlsmitBela
demhierauf
ungarischen
den Palatin
Reiche.Farkas
4 mit einer wenig zahlreichen

Armee nach Dalmatien schickte , die Landesangelegenheiten zu ordnen


und die Städte mit Besatzungen zu versehen, standen die Jadraer auf,
denen die drückende Herrschaft Venedigs unerträglich war, und schlos
sen sich wieder an Ungarn an, das die Rechte und Freiheiten der ihm un
tergebenen Länder immer achtete.6 Der Verlust des wichtigen Seeplatzes
konnte den Venetianern nicht gleichgültig sein; ihre Flotte kam,
ihn wiederzuerobern , aber alle Angriffe derselben wurden zurück
geschlagen. 8 Der Krieg, der nun entbrannte, dauerte mit wechselndem
Glück acht Jahre; die Ungarn behaupteten das feste Land, die Vene-
tianer die Inseln Dalmatiens. Unter diesen Umständen traf der König
eine Einrichtung, die zwar dem strengen Rechte widersprach, aber
nothwendig schien zur öffentlichen Sicherheit. Von Koloman war den
dalmatinischen Städten schon um 1108 das Recht bewilligt worden,
ihre Grafen und Bischöfe selbst zu wählen und nur die Wahl dem König
zurBestätigung vorzulegen. Dieses Recht beschränkte Bela, indem er fest
setzte, daß sie nur geborene Ungarn zu Bischöfen wählen dürften, damit
diese einflußreichen Aemter von Männern bekleidet würden, auf deren
Treue sich der König bei den fortwährenden Umtrieben der Venetianer ver
lassen könne. Als nun der erzbischöfliche Stuhl zu Spalatro erledigt wurde,
sträubten sich die Bürger, dieser Anordnung bei der Wiederbesetzung
desselben zu gehorchen, und selbst Papst Lucius III. ermahnte den Kö
nig, von seiner Forderung abzulassen; aber dieser beharrte bei seinem
Willen,
1 Cinnamus
und dieu. Spalatroer
Nicetas Choniat.
erkoren
bei Stritter,
endlich Tom.
zu ihrem
III, Pars
Erzbischof
I, 359—369.
den 1185

— 2 Eine Urkunde Bela'e IV, bei Pray, Annal. Reg. Hung., I, 167. — 3 Guil-
helmus Tyrius, Lib. XXI, c. 12, bei Bongars, Gesta Dei per Francos. —
* Lucius, Lib. III, c. 12. Farlat. Illyr. sacra, IV, 11. — 5 Dieselben. —
* Dandulus, bei Muratori, VII, 311.
272 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Ungar Peter Chitileni, der sich dieser Erhebung höchst würdig zeigte,
indem er einen Theil der erzbischöf liehen Einkünfte hergab, um das von
einer Landessynode neugestiftete corbavier Bisthum zu dotiren. x So
wußten Ungarns Könige ihre Rechte in kirchlichen Angelegenheiten zu
behaupten.
Bald nach Manuel's Tode fanden in Konstantinopel Auftritte statt,

denen Bela, als Verwandter des kaiserlichen Hofes, nicht müßig zusehen
zu dürfen glaubte. Des zehnjährigen Alexius II. Mutter Maria von
Poitiers, seine Vormünderin und Reichsverweserin, überließ die Regie
rung Günstlingen und besonders dem Protosebastus Alexius Comnenus.
1182 Seine
nischenStiefschwester
Grafen RainerMaria,
von Montferrat
Bela's ehemalige
vermählt,
Braut,
erregte
jetzteinen
an den
Aufstand.
italie-

Als nun im Reiche überall Verwirrung herrschte und der Aufruhr in der
Hauptstadt tobte, trat Andronicus Comnenus — wie oben (S. 256—257)
berichtet wurde, strebte er schon 1154 nach dem Throne, wurde deshalb
von Manuel ins Gefängniß geworfen, entfloh aber _und erhielt zehn Jahr
später Begnadigung — aus der Dunkelheit hervor; er wußte durch heuch
lerische Reden diePatricier und das Volk zu täuschen, wurde zum Vormund
des unmündigen Kaisers ausgerufen und ließ die Kaiserin und ihre Günst
linge, ebenso Maria und ihren Gemahl verhaften. Von der Kaiserin
aufgefordert, unternahm Bela einen Kriegszug in die Gegend, von Bra-
nizowa und Belgrad, um Andronicus einzuschüchtern, wodurch er aber
nur den Untergang derer beschleunigte, denen er helfen wollte; denn
Andronicus hatte nun einen Vorwand, die Kaiserin des Landesverraths
anzuklagen, ließ sie erdrosseln, Maria sammt ihrem Gemahl vergiften,
1183 ausrufen,
zuletzt denim
jungen
September
Alexius1183.
auch erdrosseln
Auf die Kunde
und sichdieser
selbstschrecklichen
zum Kaiser

Blutthaten schickte Bela wieder ein Heer über die Donau, welches das
Land bis nach Nissa verheerte und in bedauernswürdiger Verblendung
1184 an den
Umschuldlosen
diese ZeitEinwohnern
verlor Bela die
seine
Sünden
Gemahlin
des Tyrannen
Agnes durch
rächte.
den2Tod.

Ein Jahr später warb er um Margaretha, des französischen Königs


Philipp II. August Tochter und Witwe des gekrönten englischen Prin
1186 zen
die Länge,
Heinrichsodaß
(gestorben
die Braut
1183).
erst 1186
Die nach
Unterhandlungen
Ungarn kam. 3zogen
Unterdessen
sich in

war Bela darauf bedacht, allen Irrungen und Streitigkeiten vorzubeugen,


die mit der Zeit aus seiner zweiten Ehe entspringen konnten : seinen
ältesten Sohn Emerich ließ er krönen und bestellte ihn zum Regenten
von Kroatien und Dalmatien4, den zweiten ernannte er zum Fürsten
von Galizien oder Halitsch, welches Landes er sich eben nicht auf die
ehrenvollste
1 Galizien
ThomasArt
Archidiac,
war
bemächtigt
nämlich
Hist.hatte.
dem
Salonit,
Könige
c. 23. von
Farlatus,
PolenIII,Boleslaw
212, wo IV.
des

Papstes Brief an den König mitgetheilt wird, und IV, 92. — 2 Nicetas Cho-
niat., a. a. O. Chronic. Austr. bei Pez, Tom. I. Vgl. Gibbon's oft angeführ
tes Geschichtswerk, und Ritter zu Guthrie, Geschichte des oströmischen Reichs.
— 3 Jacohus Bossius, bei Schier, Reginae Hung., S. 154. — * Die Urkunde
von 1185, in Fejer, Cod. dipl., II, 226. Farlatus, Illyr. sacra, III, 113.
Aeußere Begebenh eit en. Bela III. 273

als Erbe seiner Gemahlin zugefallen und von diesem wieder seiner
Tochter Judith zur Mitgift gegeben worden, als sie den Sohn Bela's II.,
Ladislaus, heirathete. Noch ehe Ladislaus nach Konstantinopel floh
und später für kurze Zeit den ungarischen Thron bestieg und starb,
hatte sie ihm einen Sohn, Mstislaw, geboren. Nach dem Tode ihres ersten
Gatten vermählte sie sich mit einem russischen Herrn, aus welcher Ehe
zwei Söhne, Wladimir und Roman, entsproßten. Mstislaw, dem als
ältestem die Nachfolge gebührte, ward vergiftet; Wladimir setzte sich
auf den Fürstenstuhl , ward aber von Roman vertrieben. Der Vertriebene
kam nach Ungarn und suehte Hülfe bei Bela. Allein Bela beschuldigte
ihn, daß er der Giftmischer sei, ergriff die Gelegenheit, sich Galiziens
zu bemächtigen, erhob seinen Sohn Andreas zum Beherrscher desselben
und sandte, da dieser noch unmündig war, .einen ungarischen Statthalter
mit einer Armee dahin. Doch diese Herrschaft dauerte nur kurze Zeit;
Wladimir entfloh naclf zwei Jahren aus der Gefangenschaft , ging zu
dem König von Polen, Kasimir II., und nahm mit dessen Hülfe
Galizien wieder in Besitz. Bela ließ zwar ein Heer in Polen ein
rücken, aber nach kurzen Feindseligkeiten hatten beide Könige eine
Zusammenkunft und einigten sich dahin, daß Wladimir auf dem Für- 1189
stensfuhl bleibe, und wahrscheinlich auch, daß er die Oberhoheit Un
garns anerkenne, denn Bela nahm Galizien in den Titel der ungarischen
Könige auf. x Dies war der Anfang zu jenen Ansprüchen auf dieses Land,
welche von Ungarns Beherrschern von Zeit zu Zeit erneuert, mehrmals
auch geltend gemacht wurden und zuletzt als Vorwand zu der Theilung
PolensSchon
dienen
dauerte
mußten.
der2Krieg mit Venedig Dalmatiens wegen ins achte

Jahr: da wurde das abendländische Europa in Bewegung gesetzt durch


die Schreckensbotschaft, der Sultan von Aegypten und Syrien, Saladin,
habe die vereinigten Streitkräfte der christlichen Fürsten Palästinas bei
Tiberias am 5. Juli 1187 vernichtet, nacheinander die wichtigsten
Städte und Jerusalem selbst am 2. Oct. erobert. Papst Gregor VIII.
ermahnte die Beherrscher des Abendlandes, ihre gottlosen Streitigkeiten
und Kämpfe aufhören zu lassen und sich zur Wiedereroberung des Hei
ligen Landes zu vereinigen.3 Auch Ungarn und Venedig schlossen 1188
also einen Waffenstillstand auf zwei Jahre, damit letzteres seine ganze
Kraft nach Syrien wende. 4 Der greise Kaiser Friedrich I. und die
Könige Philipp II. August von Frankreich und Heinrich II. von Eng
land nahmen das Kreuz; letzterer starb jedoch während den Zu-
rüstungen, und sein Sohn, Richard Löwenherz, führte den englischen
Kreuzzug. Zur Bestreitung der unermeßlichen Kosten ward in den
Ländern
1 Boguphal,
der abendländischen
bei Sommersberg,
Kirche
II , 48.
von Inallen
der Gütern
oben angegebenen
der Geistlichen
Weise

deutet Horväth, Geschichte von Ungarn, I, 297 u. 298, die verworrene Er


zählung dieses Chronisten, der hier die einzige Quelle ist, und anders läßt
sie sich kaum verstehen. Vgl. Kadlubeck, bei Dlugloss, Hist. Poloniae,
Lib. IV, c. 15. — 2 Engel, Geschichte von Halitsch, S. 496 fg. — 3 Die
Bulle des Papstes, beiFejer, Cod. dipl., 11,234. — * Dandulus, bei Muratori,
XII, 234.
Feßler. I, 18
274 Drittes Buch. Z w eiter A bs chnitt.

und Laien ein Zehntheil, der Zehnt Saladin's, erhoben. Ein Botschafter
des Kaisers, der mainzer Erzbischof und Cardinal Konrad, erschien am
Hofe Bela's, die Bewilligung des Durchzugs nachzusuchen , die Herrich
tung der Brücken und Wege zu bewirken und den Preis der Lebens
mittel festzusetzen. x Auch dem Könige lag die Sache der Christenheit
am Herzen; zuvorkommend bewilligte und that er alles, sie zu fordern;
am Wege, den die Kreuzfahrer nehmen sollten, wurden Magazine er
richtet; der Preis vier wohlgenährter Ochsen und des Futters für hun
dert Pferde wurde auf eine Gira (Mark) Silber festgestellt. 2
1189 besoldeten
Im Frühling
Kriegernbrach
und der
nochKaiser
weit mehr
mit seinem
Freiwilligen,
Heere, der
dasübertreiben
aus 50000

den Sage nach aus 600000 Mann, bestand, zu Schiff von Regensburg
auf und traf zu Pfingsten, 28. Mai, in Presburg ein. Hier hielt er
Musterung, entfernte schlechtes Gesindel und strafte mit Strenge, die
gegen die Kriegszucht gesündigt hatten. Vor Gran begegnete ihm der
König mit einem Gefolge von 1000 Reitern und geleitete ihn in die
Residenz. Hier hielt sich Friedrich vier Tage lang auf, die unter glän
zenden Festlichkeiten verflossen, verlobte seinen Sohn Friedrich, Her
zog von Schwaben , mit Bela's Tochter Constantia 3 ; auch bewog
er den König, von dessen Gemahlin unterstützt, den Prinzen Geiza
aus funfzehnjähriger Gefangenschaft zu entlassen und. ihm zu erlauben,
daß er an dem Kreuzzug theilnehme. Von Gran begaben sich die Für
sten nach Ofen und jagten noch vier Tage in den benachbarten Wäl
dern. Beim Abschied verehrte die Königin dem Kaiser ein prachtvolles
Purpurzelt mit köstlicher Einrichtung; 2000 Ungarn unter Bischof
Ugrin schlossen sich dem Kreuzheer als Wegweiser an; der König be
gleitete seinen hohen Gast bis zu der Morawa an Serbiens Grenze, wo
er ihm noch Wagen mit Mundvorrath und vier mit werthvollen Ge
schenken belastete Kamele übergab und zum Gegengeschenk die
Schiffe
Noch
erhielt,
hatte
welche
der Kaiser
das Heer
dienach
Grenzen
Presburg
Serbiens
gebracht
nichthatten.
überschritten,

als ein königlicher Befehl die ungarischen Krieger zurückrief, entweder


weil Bela den Krieg bereits voraussah, der kurz darauf zwischen den
Kreuzfahrern und Griechen ausbrach, und er, der Bundesgenosse und
Schwiegervater des Kaisers Isak Alexius, nicht wollen konnte, daß seine
Ungarn an demselben theilnahmen, oder weil der Waffenstillstand, mit
Venedig seinem Ende nahte und alle Anzeichen auf Erneuerung der
Feindseligkeiten deuteten. Geiza mit weniger Mannschaft blieb beim
Kreuzheere
Auf demund
byzantinischen
kehrte nie wieder.
Thron4hatte nämlich der zweiundsiebzigjäh-

rige 1Andronicus
Der Brief Friedrich's
als Tyrannangewüthet.
Bela und des
Aufstände
letztern brachen
Antwort anbeiverschie-
Katona,

Hist. critica, IV, 334 fg. — 2 Godofredus Coloniens., bei Freher, I, 349.—
3 Der Bräutigam starb im Morgenlande und Constantia heirathete später den
böhmischen König Ottokar. — * Friderici I expeditio Asiatica, bei Canisius,
Tom. III, Pars II, p. 506. Arnoldus Lubecens., beiLeibnitz, SS. Brunsv., II,
677. Godofred. Coloniens., a. a. O. Sicardus, Chron., bei Muratori, VII.
Chron. Austr. ad ann. 1189, bei Pertz, IX.
Aeußere Begebenheiten. Bela III. 275

denen Orten des Reichs aus, endlich erhob sich der Aufruhr in der un
geheuern Hauptstadt. Da sendet Andronicus einen Meuchelmörder
gegen Isak Angelus, den er besonders haßte; diesem gelingt es, den
Mörder zu tödten und in eine Kirche zu flüchten; von da zieht ihn das
Volk hervor und ruft ihn wider seinen Willen zum Kaiser aus. Andro
nicus wird erst grausam verstümmelt, dann dem Pöbel übergeben, der
ihn zu Tode martert, am 11. Sept. 1185. Isak verlobte sich nach
dem Tode seiner Gemahlin mit der neunjährigen Tochter Bela's, Mar-
garetha. 1 Er war ein Mann ohne Einsicht und Kraft ; von dem Mönch
Dositheus bethört, glaubte er, Friedrich werde ihn entthronen, hielt die
kaiserlichen Gesandten in Konstantinopel zurück und. entzog den Kreuz
fahrern die Lebensmittel; der Patriarch predigte sogar Mord gegen sie;
sie hingegen beschuldigten die Griechen, Mehl und Wein vergiftet zu
haben. Endlich kam es zum wirklichen Krieg; die Kreuzfahrer erober
ten Philippopel, Adrianopel und andere Städte, überwinterten in Thra
zien und zwangen den byzantinischen Hof, ihnen im März Schiffe zur
Ueberfahrt
Währendzu liefern.
dieser 2Vorgänge ging der Waffenstillstand mit Venedig 1190

zu Ende. Schon im Frühling 1190 landete eine venetianische Flotte


an dem Vorgebirge bei Traw, wurde aber von der ungarisch -dalma
tischen besiegt, worauf die kriegführenden Mächte abermals auf zwei
Jahre Waffenstillstand schlossen. 3 Bela richtete nun seine Sorge
darauf, die Zustände Dalmatiens zu ordnen und dessen treue Zuneigung
zu gewinnen; deshalb betraute er mit der Regierung dieses Landes und
Kroatiens den vortrefflichen Calanus, Bischof von Fünfkirchen. 4 Und
diese Fürsorge war höchst nöthig, denn kaum waren die zwei Jahre
des erneuerten Waffenstillstandes abgelaufen, so versuchte eine venetia
nische Flotte Zara zu überrumpeln, segelte jedoch ab, als sie die Stärke 1193
der Besatzung und den Muth der Bürger wahrnahm. 5 Um Dalmatien
gegen plötzliche Ueberfälle Venedigs noch mehr zu sichern, verlieh
Bela den modruscher Bezirk an Bartholomäus Grafen von Veglia, aus
dem römischen Geschlecht der Frangepani, der außer der Vertheidigung
Dalmatiens auch verpflichtet war, so oft der Heerbann Dalmatiens auf
geboten wurde, innerhalb der Reichsgrenzen zehn, außerhalb derselben
vier geharnischte
Die Bulgaren,
Reiter
Walachen
zu stellen.
und Kumanen
6 sahen die Zerrüttung und

Ohnmacht, in der sich das byzantinische Reich unter der Regierung des
schwachen Isak befand, und standen auf, um sich unabhängig zu machen n93
und zu plündern. Der Kaiser führte den Krieg gegen sie unglücklich
und 1erlitt
Nach inIsak's
den Tode
Pässen1204
vonwurde
Berrhöa
sie die
eineGemahlin
Niederlage;
des Bonifacius
Achialus und
von

Montferrat, Fürsten von Thessalonica. — 2 Nieetas Choniat., Vita Isaci An-


geli Imp. (drei Bücher), bei Stritter, a. a. 0. Wilken, Geschichte der
Kreuzzüge (Leipzig 1807). Raumer, Geschichte der Hohenstaufen und ihrer
Zeit (in mehrern Auflagen erschienen). — 3 Lucius, II, 12. Dandulus, X,
2, a. a. O. — 4 Libertas populorum ecclesiae Quinqueecclesiens. (Freibrief von
1191), bei Endlicher. — 5 Dandulus, a. a. 0., X, 3. — 6 Die Schenkungs
urkunde bei Katona, Hist. critica, IV, 419, und Fejer, Cod. dipl., II, 292.
16*
276 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Nissa wurden geplündert, Varna erobert, Sardika zerstört; die Bulgaren


setzten sich wieder einen eigenen König; die Serben traten dem Bündnisse
bei. In dieser gefahrlichen Lage traf Isak mit seinem Schwiegervater Bela
zusammen, der ihm ein Hülfscorps für den Feldzug des kommenden
1195 Jahres
Macedonien,
zu senden
um dort
versprach.
sein Heer Im
zu Frühling
sammeln. bezog
Als erIsak
eineseinTags
Lager
jagte,
in

empörten sich die Truppen plötzlich während seiner Abwesenheit und


riefen seinen Bruder Alexius zum Kaiser aus. Er wurde geblendet und
in ein Kloster zu Pera eingeschlossen. Die ungarischen Hülfstruppen,
die noch
Trotz
nicht
der aufgebrochen
unermeßlichenwaren,
Anstrengungen
blieben zuund
Hause.
Opferx der vereinigten

Kräfte von halb Europa nahm der große Kreuzzug ein trauriges Ende.
Kaiser Friedrich starb 1191 am Schlage, der ihn beim Baden im Flusse
£aleph (Kalykadnus) im heutigen Karamanien traf; seinen Sohn Fried
rich raffte die Pest vor Ptolomais (St.-Jean d'Acre) dahin; die Fürsten
geriethen in bittere Streitigkeiten; Philipp August von Frankreich und
Leopold VI. von Oesterreich kehrten heim; der einzige Vortheil, der
errungen wurde, war ein Waffenstillstand, den Richard Löwenherz mit
Sultan Saladin auf drei Jahre am 20. Aug. 1192 schloß.2 All die
ses Ungemach und Fehlschlagen schreckte Bela nicht ab, es war ihm
vielmehr eine dringende Aufforderung, auch hinzuziehen und für die
1196 Rettung
wagen. Abereiner damals
er starbsounter
heiligden
geachteten
Zurüstungen
Sacheam
Gut23.und
April
Leben
1196.
zu

Auf dem Todtbette trug er die Erfüllung des Gelübdes seinem Jün
gern Sohn Andreas auf und übergab ihm die Schätze und Rüstungen,
die erBela
für das
machte
Unternehmen
von den Erfahrungen
gesammelt und
und bereitet
Kenntnissen,
hatte.die
3 er in Kon

stantinopel gesammelt hatte, ohne sich von dem dort herrschenden Geiste
des Despotismus anstecken zu lassen, weisen Gebrauch zum Nutzen sei
nes Reichs. Die einheimischen Chronisten berichten über seine Regie
rung freilich nichts weiter, als „daß er Diebe und Räuber strenge ver
folgt und schriftliche Verhandlung der Streitsachen, wie sie am päpst
lichen und kaiserlichen Hof gebräuchlich war, einführte." Aber die
Ruhe und Ordnung, die er in dem durch Parteien und Kriege zerrüt
teten Lande herstellte, der glückliche Erfolg, mit dem er verlorene
Provinzen wiedergewann und das Reich schützte, die gefüllte Schatz
kammer, die er hinterließ, das Ansehen, welches er im Auslande genoß,
zeugen
1 Nicetas
unwidersprechlich
Choniat., bei Stritter,
von seiner
Tom. II,
Weisheit
Pars II,und
p. 683—686.
Kraft. Auch
— 2 Wil-
die

ken, Geschichte der Kreuzzüge. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen.


Abulfeda, Bd. 4, herausgegeben von Reiske, Annales moslemici (Kopen
hagen 1789 —94). Daß Richard auf seiner Heimkehr, nachdem er Schiffbruch
gelitten und als Pilger verkleidet durch Oesterreich reiste, von Herzog
Leopold gefangen, von diesem an den deutschen Kaiser Heinrich VI, um
60000 Mark Silber verkauft und von dem letztern in schwerer Gefangen
schaft gehalten und erst gegen Erlegung ,von 150000 Mark Silber freigelas
sen wurde, sei hier erwähnt, weil es den von so vielen hochgepriesenen
romantischen Geist und frommen Edelmuth des Ritterthums im Mittelalter
kennzeichnet. — 3 Thuroczy, II, 69. Katona, Hist. critica, IV, 449 fg.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 277

Geistlichkeit, deren Gunst kein Herrscher jener Zeit entbehren konnte,


wußte er durch Klugheit und Freigebigkeit zu gewinnen. Schon 1175
vermehrte er die Einkünfte des agramer Bisthums, schenkte 1182 den
Kreuzherren die Herrschaft Sinye und bereicherte später das Kloster
derselben, welches seine Mutter Euphrosyne zu Stuhlweißenburg gestiftet
hatte; auch dem neitraer Bisthum verlieh er bedeutende Besitzungen 1;
die Gründung der herrmannstädter und zipser Propstei wird ihm zuge
sehrieben; er begünstigte den Orden der Cistercienser, übergab ihm
das bakonyer, piliser und gottharder Kloster und stattete ihn mit den
selben Rechten aus, die er in Frankreich besaß; endlich bewirkte er
die Heiligsprechung König Ladislaus' I. 2

2. Innere Zustände.

Zwei Dinge, die von jeher 1141


gemeinschädlich
— 1196. wirkten, wurden durch
unglückliche Verkettung der Umstände in diesem Zeitraum für Ungarn
besonders nachtheilig und die Hauptursachen aller jener innern Un
ruhen und äußern Angriffe, welche den Staat so heftig erschütterten.
Zuvörderst war der Thron — wie auch in den übrigen Ländern Europas,
wo eine Erbmonarchie bestand — noch immer blos in der Familie erb
lich, aus deren männlichen Sprößlingen die Nation ihren Herrscher
eigentlich zu wählen berechtigt war, wenngleich in den meisten Fällen
der Erstgeborene dem Vater nachfolgte. Daher kam es, sobald meh
rere, besonders ältere Prinzen da waren, daß diese auf den Thron An
sprüche zu machen sich berechtigt glaubten und leicht Anhänger fan
den, die gleichfalls nur ihr gutes Recht zu üben meinten oder vorgaben,
indem sie sich für die Prätendenten erklärten. Der zweite Uebelstand
lag darin, daß die Mitglieder der königlichen Familie mit Landestheilen
oder Nebenläridern ausgestattet wurden. Hätte man ihnen blos die
Einkünfte derselben zum Unterhalt angewiesen, so wäre dieses ganz
unschädlich gewesen ; aber sie erhielten die Gebiete mit allen Hoheitsrechten
und wurden dadurch gefährliche Vasallen, welche die Eifersucht des
Königs weckten und, von diesem bedroht oder unzufrieden mit ihrer
untergeordneten Stellung, nach der höchsten Macht strebten. Unglück
licherweise saßen gerade zu dieser Zeit auf den benachbarten Kaiser
thronen Fürsten, die Ungarn unter ihre Botmäßigkeit zu bringen streb
ten. Friedrich I. wollte es zum deutschen Lehen , etwa wie Böhmen, Ma
nuel zum griechischen Vasallenland, wie Serbien, machen; beide waren
thatkräftig und glaubten sich auch mächtig genug, ihr Vorhaben aus
zuführen. Manuel insonderheit benutzte die unzufriedenen, empöre
rischen Mitglieder des königlichen Hauses als Werkzeuge seiner An
schläge, unterstützte deren Ansprüche und fachte die Glut der Zwie
tracht
1 Katona,
an, um Hist.
das zerrissene,
critica, S. 289.
geschwächte
Schmitt, Land
Episcopatus
leichter
Agriens.,
zu besiegen.
I, 55.

Fejer Cod. dipl., II, 202. — 2 Acta Sanctorum, mensis Jul. Lectio 5. Ka
tona, Hist. critica, IV, 390 fg.
278 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

In Ungarn dagegen saßen nacheinander zwei Unmündige auf dem


Thron, die beide starben, als sie das kräftige Mannesalter, kaum er
reicht und selbst zu herrschen begonnen hatten ; die Uebel, welche mit
einer vormundschaftlichen Regierung gewöhnlich verknüpft sind, konn
ten nicht ausbleiben. Kein Wunder also, daß wir in diesem Zeit
abschnitt so viele Verwirrung erblicken, daß in den Tagen vielfacher
Bedrängniß von innen und außen jene Misbräuche und Uebel, deren
Anfänge wir schon im vorigen Abschnitt geschildert haben , sich mehr
und mehr entwickelten und zunahmen. Der König, zuerst um den
Thron besteigen, sodann um sich gegen die Prätendenten behaupten zu
können, sah sich genöthigt, die mächtigen Dynasten durch Nachsicht
bei ihren Anmaßungen und durch, Gunstbezeigungen aller Art zu ge
winnen; die Reichsverweser vollends waren zu ohnmächtig, den vor
herrschenden Einfluß derselben auf die Staatsangelegenheiten zurück
zuweisen und ihren Gewaltthaten Einhalt zu thun; in dem Maße also,
in welchem das Ansehen der Großen stieg, mußten die Rechte des Kö
nigs , die Freiheit des Volks und die Macht des Staats Abbruch erleiden.
Bei alledem zeigt sich gerade in diesen Zeiten der Unordnung der
Geist des ungarischen Volks im schönsten Lichte. Es gab zwar Ab
trünnige und Verräther, an denen es nie und nirgends fehlt, aber des
Volkes Liebe zum Vaterlande, seine Treue gegen den rechtmäßigen
König wankte nie \ und selbst die stolzen Großen beugten vor ihm ihr
Haupt in Ehrfurcht. Otto von Freisingen , der zu Anfang dieses Zeit
raums, bei dem Kreuzzug von 1147, Gelegenheit hatte, durch eigene
Anschauung mit den Zuständen Ungarns bekannt zu werden , berichtet :
„Die Ungarn schreiten ohne vorhergehende öftere und langeBerathung zu
keinem wichtigern Unternehmen Wenn die Großen an den Hof kom
men, bringen sie ihre Stühle mit und besprechen bedächtig die Staatsange
legenheiten; dasselbe thun sie auch in ihren Wohnungen Dem Kö
nig gehorchen sie dermaßen, daß sie es für unerlaubt halten, ihn durch
Widerspruch zu reizen, oder ihn auch nur hinter seinem Rücken zu
tadeln Wenn der König einen Kriegszug unternimmt, versam
meln sie (die Ungarn) sich ohne Widerrede; von den Dorfbewohnern
rüsten neun den zehnten, oder sieben den achten, und wenn es die Noth
erfordert, auch noch wenigere einen Mann mit allen Kriegsbedürfnissen
aus; die zum Wehrstand Gehörigen (die Adelichen und Burgmilizen)
laus
aber 1II.
wagen
Die
undPrätendenten,
es
Stephan
nur aus
IV.den
welche
vonwichtigsten
dergekrönt
Geschichte
Gründen,
wurden,
in der
zu
werden
Reihe
Hausezwar
der
zu Könige
bleiben."
als Ladis-
ge2

zählt, wurden aber nie als solche von der Nation anerkannt. Verböczy, Tri-
partitum, Pars II, Tit. 14, §.9. — 2 De rebus gestis Friderici I. Imp., I,
31. Der Bischof ist ganz durchdrungen von dem Plane Friedrich's I., das
schöne Land, das ihn so sehr gefiel, mit dem deutschen Reiche zu vereinigen ;
die schwere Niederlage, welche sein Volk ein Jahr vor dem Kreuzzuge auf
dem Leerfelde erlitten hatte, schmerzte ihn noch; Bitterkeit und Haß spricht
aus seinen Worten; er tadelt alles und sucht selbst das Gute, das er nicht
ableugnen kann, in das möglichst nachtheilige Licht zu setzen. Dabei be
trachtet er alles nach deutscher Anschauungsweise und weiß in seiner Be
fangenheit das Eigenthümliche, aus dem magyarischen Geiste Hervorgegan
gene nicht zu würdigen.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 279

Otto von Freisingen sah freilich Ungarn, bevor es die nachfolgenden Wir
ren erschüttert hatten, zu der Zeit, als es von dem kräftigen Geiza
und seinem trefflichen Rathgeber Belus regiert wurde; aber wenn man
bedenkt, daß er nicht loben, sondern tadeln wollte, und daß die billi
genden Zugeständnisse ihm durch die Macht unleugbarer Thatsachen
abgenöthigt wurden, so wird man zu der Ansicht gelangen, daß er eher
zu wenig als zu viel sagt, und daß sich nie ganz verlieren konnte, was
tief in der Sinnesart des Volks wurzelte. Das Vaterland und die öffent
lichen Angelegenheiten lagen dem Ungar am Herzen, sie waren ihm da
mals, wie jederzeit, der wichtigste Gegenstand, mit dem er sich
vor allen übrigen eifrig beschäftigte. Da ferner alle Staatssachen, Ge
setze, Maßregeln und Unternehmungen frei besprochen und öffentlich
berathen wurden und nur nach allgemeiner Zustimmung zur Ausfüh
rung kamen, mußten sie Angelegenheit eines jeden werden, für die er
den lebendigsten Eifer fühlte. Und in der That, wir sehen die Un
garn auch in den Tagen, wo das Ansehen und die Macht der obersten
Staatsgewalt immer tiefer sank, willig in fremden Ländern und für
fremde Angelegenheiten Kriegsdienste leisten, wenn aber die Ehre,
Freiheit und Integrität des Vaterlandes bedroht wurde, sich einmüth1g
und mit ganzer Kraft erheben und alle Anschläge der List und Gewalt
vereiteln. Wir sehen Gehorsam gegen das Gesetz, Ruhe und Ord
nung schnell zurückkehren, sobald das Staatsruder mit Kraft und Weis
heit geführt wurde. Was Otto noch hinzusetzt : „ Der König verfährt
mit Herren, die sich irgendwie vergangen haben , nach Gutdünken und
straft sie willkürlich auch ohne Verhör", widerspricht der Verfassung
und den ausdrücklichen Gesetzen, die damals bestanden; er kann nur
jene Thaten der Willkür, die unlängst unter Bela II. geschehen waren,
und vielleicht einige Gewaltstreiche, die in den Tagen der äußersten
. Verwirrung und bei völliger Ohnmacht der Gesetze verübt wurden, vor
Augen gehabt haben. Völlig sonderbar klingt endlich sein absprechen
des Urtheil über die kriegerische Tüchtigkeit der Ungarn: daß sie von
der Kriegskunst wenig wüßten und, was sie wissen, von Fremden ge
lernt hätten. Ihre Kampfart und Kriegskunst war freilich von jener
der Deutschen verschieden, die er für die einzig rechte hielt, aber sie
bewährte sich in schweren Kriegen und durch glänzende Siege; und
gerade viele Einrichtungen des ungarischen Heerwesens wurden von
andernSchon
Völkern
wardangenommen.
die feierliche Krönung als unerlaßliche Bedingung

rechtmäßiger Herrschaft und als unauslöschlicher Rechtstitel auf die


selbe angesehen. Zugleich war es durch Gewohnheit zum Gesetz ge
worden, daß nur mit der Krone des Heiligen Stephan und allein durch
den graner Erzbischof die Krönung gültig vollzogen werden könne.
Denn alle Betheiligte fanden es vortheilhaft, dieser Feierlichkeit die
höchste Wichtigkeit und Heiligkeit beizulegen. Die Könige selbst er
blickten in derselben eine himmlische Weihe ihrer Herrscher würde; sie
wurden durch sie Gesalbte Gottes, und die Macht, die sie von Gott
erhielten, sollten ihnen Menschen nicht* nehmen können. Darum kam
280 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

es jetzt in Gebrauch, daß sie ihren Erstgeborenen noch bei ihren Leb
zeiten krönen ließen, um ihm die! unbestrittene Nachfolge zu sichern.
Abgesehen davon, daß jede Krönung die Einkünfte und den Kirchen
schatz des graner Erzbischofs ansehnlich vermehrte, gefiel sich das
Priesterthum überhaupt darin, bei derselben als Mittler aufzutreten, durch
dessen Hand der König sein Herrscherrecht von Gott empfing, und
erhob bald den Anspruch, dieses Recht verleihen und vorenthalten
zu können. So verweigerte Lucas Bänfy nicht nur den Anmaßern
Stephan IV. und Ladislaus II., sondern auch dem durch Geburt und
Wahl des Volks rechtmäßigen König Bela III. die Krönung. Die Laien
endlich sahen in der Unerläßlichkeit der Krönung die Bestätigung des
sen, daß nicht allein die Abstammung, sondern auch ihre Zustimmung
und Wahl den König mache; sie galt ihnen als eine Bürgschaft für die
Rechte und Freiheiten der Großen und des gesammten Volks. Denn
der krönende Bischof fragte ausdrücklich die versammelte Menge, ob
sie den König wolle, worauf diese ihre Zustimmung durch lauten Zuruf
kundgab; und obgleich nirgends ein Krönungseid erwähnt wird, so
ist es doch kaum' denkbar, daß der König bei diesem feierlichen Antritt
seiner Regierung nicht geschworen haben sollte, die Reichsgesetze
zu beobachten und jedermann bei seinem Rechte zu belassen und zu
schützen.
Die Reichstage
1 wurden noch immer in herkömmlicher Weise ge

halten; nicht Abgeordnete der staatlichen Körperschaften, wie später,


auch nicht gewählte Volksvertreter, die erst die wichtige Errungenschaft
der Neuzeit sind, sondern alle Adeliche und Freie waren berechtigt, zu
erscheinen, und von ihnen kam, wer konnte und wollte.2 Aber bei
der Uebermacht, welche die Großen an sich gerissen hatten, werden
diese Nationalversammlungen seltener; mit Ausnahme außerordent
licher Fälle, berief der König gewöhnlich die Bischöfe, Reichsbarone,
Obergespane und großen Grundbesitzer zu Berathungen und entschied
mit ihnen die öffentlichen Angelegenheiten, ohne nach der Meinung und
Zustimmung des Volks zu fragen. 3 Besonders Bela III., der in Kon
stantinopel die absolute Herrschaft des Hofs und den stummen Gehor
sam des Volks — ein für Herrseher so verführerisches Beispiel — gesehen
hatte, scheint eine gewisse Abneigung gegen die Reichstage, auf denen
es oft stürmisch herging, gehegt und die Berathung mit den Großen
allein vorgezogen zu haben. Noch ertrug das Volk ziemlich geduldig
diese Verkürzung seines Rechts; erst als dieses immer kühner verletzt
und seine
1 Schon
Lage
der Anonymus,
unerträglichder,
wurde,
wo nicht
erhob
früher,
es sich
doch zum
in den
Widerstand.
Tagen Bela's III.

lebte und schrieb, erzählt die Erhebung Arpäd's zum Herzog in einer Weise,
die dafür zeugt, daß die Herrscher Ungarns von" jeher beim Antritt ihrer Re
gierung einen ähnlichen Eid leisteten. Vgl. oben S. 50 u. 86 — 2 Vgl. oben
S. 133. — 3 Urkunden aus diesem Zeitabschnitt handeln über Dinge, die
eigentlich vor den Reichstag gehörten, erwähnen aber nicht, wie jene aus
früherer Zeit, das gesammte Volk, sondern nur die geistlichen und weltlichen
Großen. Kovachich, Vestigia comitiorum und Supplementa ad Vestigia
comitiorum.
Innere Zustände. 1141 — 1186. 281

Das Privat- und Crinainalrecht , die Gerichtsbehörden und der


Rechtsgang blieben, soweit sich aus den vorhandenen Urkunden schließen
läßt, unverändert, wie sie unter Koloman bestanden. Das Gerichts
verfahren war mündlich und öffentlich; Klage und Vertheidigung wur
den meist persönlich von den Betheiligten geführt; befugte Rechts
beistände und Sachwalter gab es keine; Zeugen, Eidleistung (jedoch
ohne Eideshelfer), Feuer- und Wasserprobe, Zweikampf, aber auch
schon schriftliche Urkunden galten als Beweismittel; doch kamen einige
Satzungen des römischen Rechts nach und nach in Gebrauch. Die Ein
gewanderten, welche Städte und geschlossene Niederlassungen gegrün
det hatten, standen, wie bereits gesagt wurde, nicht unter den unga
rischen Gerichten und Gesetzen, sondern besaßen ihre eigenen Richter
und Gewohnheitsrechte, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hat
ten. Die geistlichen Gerichte verfuhren von jeher nach dem kano
nischen Rechte. Der König selbst war der höchste Richter, sein Hof
das höchste Gericht unter seinem Vorsitz. Er zog noch immer, be
gleitet von Kanzlern und Notaren, und mit einem Gefolge von Reichs
baronen, Grafen und Bischöfen, im Lande umher, ordnete die öffent
lichen Angelegenheiten, traf zweckdienlich scheinende Einrichtungen
und entschied Rechtsstreitigkeiten, die vor ihn gebracht wurden, an
Ort und Stelle. l Wo er einkehrte, war die Stadt, der Graf oder Bi
schof verpflichtet, ihm und dem ganzen Gefolge Unterhalt zu geben.
Zwar vergütete er die oft bedeutenden Kosten häufig durch Schen
kungen und Privilegien, wie so viele Urkunden lehren, sie blieben aber
dennoch eine drückende Last, der man sich durch Freibriefe soviel
wie möglich zu entziehen suchte. 2 Erst Bela III. führte schriftliche
Verhandlung
theilssprüche, der
Gnadenverleihungen,
Angelegenheiten bei
mit Hofe
einemein;
Wort
Verordnungen,
alle Regierungs-
Ur-

acte sollten aufgezeichnet werden, „damit Sachen, die in Gegenwart


des Königs entschieden wurden, nicht 'zum Nachtheil der königlichen
Majestät unausgeführt blieben". 3 Er bestellte ferner in den Gespan
schaften neben den schon vorhandenen Burggrafen (Obergespane) und
Bezirksgrafen (comes parochialis, der bereits auch Vice-comes genannt
wird)
kirchen,
1 In
noch
Veßprim
einem
gewisse
solchen
und Richter
Kaab,
Gerichte,
der
undPalatin
dessen
Vorsteher
Thomas,
Beisitzer
unterder
diedem
königliche
Bischöfe
Namenvon
Hofrichter
Bilotus
Fiinf-

Mok und die Obergespane Dionysius von Bacs und Esau von Bihar waren,
bestätigte Bela III., als er in die Gegend ihres Wohnorts kam, den Prädia
listen Marcus und Peter ihre adelichen Rechte, die von dem graner Erzbischof
Job angefochten wurden, nach der Aussage von zwölf Zeugen. Bei, Notitia
Hang., II, 285. — 2 Sacramentum pro eivibus Tragurinis vom Jahre 1108, §. 7,
bei Endlicher, S. 377, und Sacramentum pro eivibus Spalatinensibus vom Jahre
1111, §, 7, a. a. 0., S. 379. Sacramentum pro eivibus Sibiniens. vom Jahre 1167,
§. 7, a. a. O. Libertas populorum ecclesiae Quinqueecclesiens., vom Jahre
1191, §. 17. — 3 Petitionibus loqui traxit originem, ut Romana habet curia
et imperii. Thuröczy, II, 69. Kezai, II, 4. Bela selbst sagt in einer Ur
kunde: Ego Bela. . . . considerans, et in futurum meae regiae majestati prae-
cavens, ne aliqua causa in mei praesentia ventilata in irritum redigatur, neces-
sarium duxi, ut negotium quodlibet in andientia Celsitndinis meae discussun1,
scripti testimonio confirmetur. Fejer, Cod. dipl., II, 198.
282 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
oder Bilochus regius x , deren Wirkungskreis sich nicht mehr genau an
geben läßt; wahrscheinlich waren sie es, aus denen sich mit der Zeit
die Stuhlrichter
Die Verschleuderung
entwickelten.
des Staatsvermögens durch Güterschenkungen

und Ertheilung von Privilegien dauerte fort. Die Fürsten der dama
ligen Zeit suchten darin Glanz und Ruhm, alles ohne Unterschied zu
vergeben, bis sie selbst nichts mehr hatten; natürlich konnten die Kö
nige Ungarns hinter den übrigen nicht zurückbleiben. Die Prälaten
und Aebte der königlichen Klöster erhielten das Recht, auf ihren Herr
schaften, wem sie wollten, adeliche Freiheiten und Landgüter zu ver
leihen; die so Geadelten hießen Prädialisten, waren ihre Unter
lehnsleute und wurden bald den übrigen Edelleuten gleichgeachtet. 2
Bela III. verlieh dem Bisthum zu Fünfkirchen einen Freibrief, der als
Beispiel der Vergeudung von Geld und Rechten dienen kann, und dessen
auffallendste Punkte im Auszug hier stehen mögen. „So oft im Reiche
eine Steuer (collecta vel talia) gesammelt wird, soll diese im fünfkirch-
Stiftsländereien
ner 'Sprengel für dürfen
den Bischof
im ganzen
erhoben
Lande
werden
zollfrei handeln
Die Einwohner
Alle ge
der

genwärtige und künftige Besitzungen des Bisthums sind befreit von der
Hörigkeit (auditorio) des Königs, von der Gewalt und Gerichtsbarkeit
des Palatins, Obergespans und anderer Richter und ausschließlich dem
bischöflichen Gerichte unterworfen; auch darf gegen die Bewohner der
selben nur ein Einheimischer zeugen Der Bischof erhält den Zehn
ten
des von
Sprengels,
allen in weß
seinem
Ranges
Sprengel
immer
erhobenen
sie seinZöllen
mögen, entrichten
Alle Bewohner
an ihn

den Zehnten aller möglichen Erzeugnisse, von dem weder das Zwan
zigstel
des
an andern
Bischofs
für Orten
dendarf
König,
geschieht,
in Fünfkirchen
noch erhoben
das Hundertstel
und
werden
im Gebiete
soll
für dendes
Obergespan,
Ohne
Sprengels
Einwilligung
wie
keine
es

Veröffentlichung geschehen, kein Reichstag, keine Comitats- und Ge


richtssitzung gehalten werden. .... Mit Ausnahme des Königs und, der
ungültig,
Königin
auf den Gütern
darf
undkein
wer
desReiehsbaron,
Bischofs
dawider einkehren
handelt,
auch wenn
verfällt
er
Wasin
vomdawider
schwere
König geschieht,
Geldbuße."
gesendet ist,
ist3

Wie viel wird 'in diesem Freibriefe an Staatseinkünften und Hoheits


rechten aufgegeben ! Und doch stoßen wir überall auf ähnliche Schen
kungen und Privilegien, die Kirchen und Klöstern, einzelnen Großen,
Städten und ganzen Bezirken ertheilt werden. Freilich ward den so
reichlich Begabten immer zur Pflicht gemacht, auf ihre Kosten Bewaff
nete zu stellen, aber die Zahl derselben blieb entweder unbestimmt oder
wurde1 Von
äußerst
dem gering
griechischen
angesetzt,
bajuloswie
(Vorsteher,
z. B. bei Richter);
der Vergabung
französisch
der: Graf-
bailli ;

englisch : bailiff. — 2 Der graner Erzbischof übte dieses Recht gewissermaßen


bis auf die neueste Zeit; seine Edelleute waren in die Gerichtsstühle, Vere-
bely, in der Gespanschaft Bars und Vajka auf der Insel Schutt vertheilt ;
beide hatten ihre eigenen Palatine, Hofrichter und Behörden, die vom Erz
bischof eingesetzt wurden. — 3 Belae regis libertas populorum ecclesiae
Quinqueecclesiens. 1191. Endlicher, Monumenta, S. 192.
Innere Zustände. 1141 — 1196.' 283

schaft Modrusch an Bartholomäus Frangepani; was waren von einem


Gebiete innerhalb des Landes zehn, außerhalb desselben vier gehar
nischte Männer? Bei solchem Gebaren mußten die königlichen Rechte
immer beschränkter, die Schatzkammer leerer, die Wehrkraft schwä
cher, die Last der Nichtprivilegirten unerträglicher werden. Die Kö
nige sahen sich genöthigt, da die ordentlichen Einkünfte nicht mehr
ausreichten, zu allerhand Mitteln zu greifen, um sich Geld zu ver
schaffen; erhöhte Steuern, Strafgelder, Zölle, Verschlechterung der
Münze sollten helfen und machten doch das Uebel meist noch größer.
Bei der zunehmenden Verringerung des Nationalheers mußte man Bun
desgenossen suchen, deren Treue oft im entscheidenden Augenblick
wankteUeber
undmancherlei
deren Truppen
Einrichtungen
das Land und
verwüsteten.
Zustände Ungarns, besonders

über die Staats- und königlichen Einkünfte gibt uns ein Document aus
der Zeit Bela's III. wichtige Aufschlüsse. Es ist dies ein Verzeichniß,
welches er an den französischen Hof schickte, als er um die Hand Mar-
garethen3 anhielt, welches noch im Original vorhanden ist und also
lautet: „Das Reich König Bela's besteht aus folgenden Gebieten:
Ungarn, des Reiches Haupt, Kroatien, Dalmatien und Rama. In Un
garn sind zwei erzbischöfliche Sitze, der graner und kalocsaer. Der
graner bezieht aus der königlichen Münze 6000 Mark Silber und außer
dem den Zehnten von dem Gelde; die Stadt ist die Hauptstadt des
Landes. Das kalocsaer Erzstift hat das bäcser Bisthum mit sich ver
einigt, und seine Einkünfte betragen 2500 Mark. Suffragane des gra
ner Erzbischofs: der erlauer mit 3000, der fünfkirchner mit 1500, der
raaber mit 1000, der veßprimer mit 1700, der neitraer mit 1100 Mark
Einkünften. Suffragane des kalocsaer Erzbischofs: der csanäder oder
maroser mit 2000, der biharer, dessen Sitz Wardein ist, mit 1000, der
siebenbürger mit 2000, der agramer an der Save mit 1500 Mark Ein
künften. In Dalmatien sind zwei Erzbischöfe, der zaraer mit 500, der
spalatroer mit 4.00 Mark; beide zusammen haben zehn Suffragane. Dem
Könige Ungarns trägt das Geldwesen (die Münze) jährlich 60000 Mark,
das Salz 16000, die Zölle, Wege und Märkte, die ihm ausschließlich
gehören, 30000. Die siebenbürger Gäste (hospites, worunter die ein
gewanderten Sachsen zu verstehen sind) zahlen 15000 Mark. Von
72 Obergespanen bezieht er als königliches Drittel (der Einkünfte von
Burgländereien und von den Steuern der Freien) jährlich 25000 Mark.
Der Herzog von Slawonien zahlt ihm jährlich 10000 Mark. Jeder der
72 Obergespane bewirthet den König einmal im Jahre und gibt ihm,
bevor er vom Tisch aufsteht, ein Ehrengeschenk von 100 und, mancher
von 200 Mark, sodaß sich das hieraus fließende Einkommen des
Königs beiläufig auf 10000 Mark setzen läßt. Außerdem sind noch zu
erwähnen die bedeutenden Geschenke, welche der Königin und den
Kindern des Königs an Silber, Seide und Pferden zukommen, und
überdies die Grenzzölle. Das Volk (terrae populus) versieht den
König vollständig mit Lebensmitteln." x
1 Regni Hungariae fines et dominatus amplitudo; in der kaiserlichen Bi
bliothek zu Paris, Cod. 6230, S. 20, bei Feher, Cod. dipl. II, 217.
284 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Aus diesem Schriftstücke ist zuvörderst ersichtlich, daß Sieben


bürgen bereits dazumal, mithin von jeher, mit Ungarn vereinigt und
nicht ein Nebenland war, wie Kroatien, Dalmatien und Rama (Theile
des heutigen Serbien, Bosnien und der Herzegowina), die zwar zur
ungarischen Krone gehörten , aber ihre eigenen Landtage, Gesetze und
Regierung
Fernerhatten,
fand auch
da Siebenbürgen
schon der jährliche
gar nicht
Umtausch
erwähnt ist.
der Münzen, das

lucrum camerae statt. x Es mußte nämlich das alte Geld jedes Jahr
gegen neues eingewechselt und ein Gewisses als Prägekosten darauf
gezahlt werden, wobei es nicht selten geschah, daß die neue Münze
weniger Feingehalt als die alte hatte; denn dieses Mittel, sich für
den Augenblick Geld zu verschaffen, war durch seine Leichtigkeit eben
so verlockend, wie es in unserer Zeit Staatsanlehen und Papiergeld
sind. So wurden die Münzen zum Verderben der Bürger und der
Staatskasse immer schlechter und werthloser. Aber selbst abgesehen
von solchem Misbrauche war diese Steuer , welche den größten Betrag
zu dem Staatseinkommen lieferte, höchst drückend, sie gab von einer Seite
zu Unterschleifen und von der andern zu vexatorischen Maßregeln Ver
anlassung. Obermünzwardein des Reichs (pisetarius regni), unter dessen
Aufsicht die Ausprägung des Geldes stand, mußte bereits zu dieser Zeit
der jedesmalige graner Erzbischof sein, denn nur unter diesem Titel
konnte er ein so großes Einkommen von der königlichen Münze be
ziehen. Geprägt wurden meistens silberne Dick- und Hohlpfennige,
die vier bis neun Gran Silber halten sollten ; außer diesen lief viel frem
des Geld um, besonders ausländische Goldstücke. Größere Summen
wurden nach Giren, eine Gira gleich einer Mark Silber, kleinere
nach Pensen, 4 eine Mark, und Groschen, 48 eine Mark, ge-
. rechnet; 4 Silberpfennige galten einen Groschen (pondus, ungarisch
i7 neherek). 2
£L mit 5,
AufeindemCentner
graner Markte
(mazsa)wurden
Kupferummit
diese2, Zeit
Blei1000
mit Hasenbälge
1, Wachs

mit 5 Groschen versteuert. Schmiede, Schuster und andere Hand


werker hatten für ein Fenster wöchentlich einen halben, der Käufer
eines Ochsen von der Weide einen, der Metzger für jeden Fleischtag
einen halben und die Sklavenhändler für jeden Kopf 40 gewöhn
liche Silberpfennige zu zahlen. Bei dem Zollamte zu Ujfalu in der
abaujvärer Gespanschaft mußte für einen Wagen und für jeden Pack
ein prager Groschen oder 5 Pfennige entrichtet werden. Hieraus
läßt sich ungefähr auf das Steuer- nnd Zollwesen dieses Zeitraums im
Ganzen
Dieschließen.
Zahl der 3 eigentlichen Sklaven, die der Willkür ihres Herrn

völlig preisgegeben waren und gekauft und verkauft wurden, hatte sich
beträchtlich vermindert. Dagegen vermehrte sich täglich die Menge
der Hörigen
1 Eiu solcher
theilsUmtausch
durch Freigelassene,
des Geldes war
theils
in den
durch
meisten
unterdrückte
Ländern Freie.
schon

weit früher unter dem Namen Monetagium , Cambium üblich. — 2 Schön-


wisner, Notitia Hungaricae rei numariae, S. 163 fg. — 3 Schönwisner, a. a. 0.
Innere Zustände. IUI — 1196. 285

Die Dienstbarkeit, in der sie sich befanden, mochte mancherlei Ab


stufungen von vertragsmäßiger Gebundenheit bis hinab zu einer Art
Leibeigenschaft haben; doch durften selbst die am tiefsten Stehenden
nicht verkauft oder verschenkt werden, sondern gingen nur mit dem
Gute, auf welchem sie saßen, in den Besitz eines andern über; der
Mehrheit nach waren sie frei, sobald sie den Boden des Herrn verließen.
Nach Angabe einiger Urkunden mußten bedingt Freigelassene aller
hand Frondienste leisten, in der Erntezeit wöchentlich drei bis vier
Tage auf den Feldern ihres Herrn arbeiten, am Martinstage, 11. No
vember, ihm einen Zuber (Csöbör, cubulus) Honig, ein Schaf, sechs
Zuber Weizen (annona), sechs Zuber Malz (brasium), sechs Fuder Heu
liefern, von diesem Tage bis zum Sonnabend vor Ostern mit der Axt auf
dem Herrnhof Dienste thun und außerdem Fuhren leisten , wohin sie
der Herr schickte. Um diese bedeutenden Abgaben entrichten zu kön
nen, mußten sie ziemlich ausgedehnte Grundstücke zur Nutznießung
innehaben; aber demungeachtet war ihre Dienstbarkeit drückend, be
sonders da sie noch überdies den Zehnten von allen Erträgnissen des
Bodens
Slawonien,
Besitzungen
und für
der 700,
Viehzucht
mit solchen
Hon,anvermuthlich
Hörigen
die Kirche
wurden,
gaben,
in derwie
Lsz^lader
Netey,Gespanschaft,
vielleicht in i,1 (/C

für 90 Pensen, sechzehn Ochsen und zwei Pferde verkauft. 2 Zolonta


mit Marktgerechtigkeit, Land und Hörigen, ein Viertel der Herrschaft
Mikus mit Palast, Aeekern, Wiesen, fünf Weinbergen, Mühlen,
Knechten und Mägden kosteten das erstere 82, das andere 400 Mark
Silber.Noch
3 erzählt Otto von Freisingen 4 , daß die Ungarn den Sommer

und Herbst über größtentheils unter Zelten wohnen; daß die Häuser in
Dörfern und Städten armselig, meistens aus Rohr, selten aus Holz und
nur wenige aus Stein gebaut sind. Auch hierin mögen wir zum Theil
eine Uebertreibung jener Feindseligkeit erkennen, mit. der er alles
tadelt und sogar sagt: „Man muß sich über die göttliche Vorsehung ver
wundern, daß sie solchen Menschen, nein nicht Menschen, sondern Un
geheuern von Menschen, ein so schönes Land wie Pannonien eingeräumt
hat." Doch mochte noch immer ein gewisser Hang zur nomadischen
Lebensweise in dem dünn bevölkerten Lande, und da die Viehzucht mit
Vorliebe betrieben wurde, sich äußern; der Aufenthalt in der Nähe der
Ackerfelder und Weidestrecken war überdies bequemer als in dem von
ihnen entfernten Hause, und das Zelt gewährte den Abgehärteten in der
milden Jahreszeit hinlänglichen Schutz, darum kehrten sie erst mit dem
Eintritte der rauhen Witterung wieder in ihre Ortschaften zurück. In
Gegenden aber, wo es damals ebenso wenig Holz und Steine gab als
heutzutage , konnte und kann auch jetzt der Aermere sein Haus nur aus
Lehm und Rohr bauen. Uebrigens würden gerade um diese Zeit in
allen1 Gegenden
Kollar, Amoenit.
Ungarns
, II,Dörfer
139 fg. und
— Städte
2 Die Urkunden
angelegt,beibesonders
Katona, Hist.
von

Reg., III, 493 u. 503. — > Urkunde Andreas' III. für die Propstei Lelesz,
bei Katona, Hist'. Reg., V, 180. — 4 De reb. gestis Friderici I., a. a. O.
286 Drittes Buch.' Zweiter Abschnitt.

Einwanderern, die natürlich nicht sogleich aus festen Materialien schöne


Häuser errichten konnten. Die Begüterten und Großen hatten ihre
ausgedehnten Wohnungen und Burgen; von manchen derselben haben
sich Ruinen,
Ungeachtet
von der
andern
vielen
dieKriege
Namenund
erhalten.
innern Händel sowie der man

cherlei Hindernisse, welche aus verschiedenen mangelhaften Staats


einrichtungen entsprangen, machte dennoch die Cultur in diesem Zeit
raum Fortschritte. Viele bisher wüste Ländereien wurden urbar ge
macht; in den neuangelegten Städten, die so wichtige Privilegien er
hielten, entwickelte sich der Gewerbfleiß; die Gründung derselben, die
Errichtung von Klöstern, Kirchen und Burgen beförderte die Baukunst;
der Aufwand und die Prachtliebe der Großen gaben den Werkstätten
Beschäftigung. Besonders kam der Bergbau erst jetzt recht in Auf
nahme, und die eingewanderten Deutschen waren es vornehmlich, die
ihn emsig betrieben; darum erhielten auch viele von den Ortschaften,
die sie um diese Zeit anlegten, im Ungarischen den Namen Bänya
(Erzgrube), wie Selmecz-Bänya, Schemnitz, Körmöcz-Bänya, Kremnitz.
Aber auch die geistige Bildung nahm zu; an den Bischofssitzen und in
den größern der ältern Klöster befanden sich seit längerer Zeit Schulen,
wie wir bereits erwähnt haben, und an den neugestifteten wurden ge
wöhnlich auch Unterrichtsanstalten errichtet. Die nach höherer Bil
dung Verlangen trugen, besuchten die Hochschulen des Auslandes, be
sonders die damals berühmtesten, die zu Bologna und Paris. Paul-
lus Hungarus war eine Zeit lang öffentlicher Lehrer der Rechte an
der erstem; die Kleriker Jakob, Michael und Adrian und der vor
nehme Jüngling Bethleem studirten an der letztern 1 ; und sie waren
gewiß nicht die einzigen, welche die Liebe zur Wissenschaft hinführte,
wennZumauch zweiten
die Namen
mal der
erhoben
übrigensich
unsinunbekannt
diesem Zeitraum
sind. die Nationen

Europas, Palästina den Ungläubigen zu entreißen; aber auch diesmal


fand diese Idee bei dem ungarischen Volke wenig Anklang. Unge
achtet es dem Schauplatz dieser heiligen Kriege näher lag und so
viele Kreuzheere durch das Land zogen, sammelte sich doch kein
solches in Ungarn selbst; kein König, kein Bischof oder Großer
fühlte Neigung, was er in der Heimat besaß, zu verlassen, um im
fernen Morgenlande irdische und himmlische Güter zu erwerben. Erst
Bela III. traf Vorkehrungen zu einem Kreuzzuge, und auch ihn
unterstützte dabei keineswegs die Begeisterung der Nation, Daß die
vielen Kriege und innern Unruhen, in welche Ungarn damals ver
wickelt war, einem solchen Unternehmen große Hindernisse ent
gegen setzten, läßt sich nicht leugnen; auch mochten die Ausschwei
fungen
1 Epistolae
und Gewaltthaten
Stephani Tornacensis,
, welche die
bei Kreuzfahrer
Katona, Hist. sich
Reg.,erlaubten,
IV, 241. Der
die

obenerwähnte Jüngling Bethleem war in Paris gestorben; seine Aeltern frag


ten bei Stephan, dem berühmten Lehrer der Hochschule, nach, ob ihr Sohn
nicht etwa Schulden hinterlassen habe, die sie bezahlen wollten, und Stephan
berichtet, daß derselbe durchaus keine Schulden gemacht habe, was auch die
ungarischen Kleriker Jakob, Michael und Adrian bezeugen könnten.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 287

Sache selbst den Ungarn verächtlich und verhaßt gemacht haben. Aber
gewiß lag die Hauptursache, warum sie sich für den heiligen Krieg
nicht begeisterten, in ihrer Sinnesart, die so wenig zu religiöser
Schwärmerei and Glaubenshaß hinneigt. Sie, die im Vaterlande mit
ihren mohammedanischen Mitbürgern in Frieden lebten, konnten sich
nicht veranlaßt fühlen, in die Ferne wider deren Glaubensgenossen zu
ziehen und einen Vertilgungskrieg zu führen; die Vertheidigung des
Vaterlandes, die Bewahrung ihrer Freiheit lag ihnen näher am Her
zen. Indessen darf man nicht glauben, daß es ihnen an Religiosität
fehlte; sie waren fromm im Geiste der Zeit, beobachteten die gottes
dienstlichen Gebräuche eifrig, hielten die vorgeschriebenen Satzungen
strenge und übten gegen Kirchen undKlöster verschwenderischeFreigebig-
keit, zu der sie in der Entstehung neuer Mönchsorden immer neuen
Reiz und beständige Aufforderung fanden. Neben den Benedictiner-
abteien vermehrte sich unablässig die Zahl reicher Cistercienser- und
Prämonstratenserklöster, und jetzt kamen noch die Häuser der
Kreuz-, Johanniter- und Tempelritter hinzu, die ebenfalls mit aus
gedehnten Ländereien und Privilegien ausgestattet wurden. Und alle
die Klöster für Männer und Frauen erhielten ihre zahlreiche Bevöl
kerung größtentheils aus den vornehmen Ständen. Freilich mochten
viele nicht durch das Verlangen, der Welt zu entsagen, hingetrieben,
sondern im Gegentheil von dem Glanz des Reichthums, von der Aus
sicht auf Wohlleben und von der Hoffnung auf hohe kirchliche Würden
gelockt
Wasworden
in dem
sein,
allgemeinen
welche ihnen
Zustande
das Kloster
der Dinge
reichlich
seinen
darbot.
Grund hat,

was in der jeweiligen Denkungsart liegt und durch die öffentliche Mei
nung geheiligt ist, v dagegen vermag niemand zu kämpfen; auch der Ein
sichtsvolle, Mächtige und Entschlossene ist dem Zeitgeiste gegenüber
ohnmächtig. Das Papalsystem war bereits vollständig ausgebildet; zu
nehmend hatten die Könige den Einfluß auf die kirchlichen Angelegen
heiten und die Metropoliten die Gerichtsbarkeit über die Bischöfe ihres
Sprengels verloren ; der Papst wurde bereits mit frommem Glauben als
das von Gott bestellte Haupt der Christenheit verehrt, von dem jede
Gewalt ausgehe. Schwache Könige hatten nicht Ruhe, bis sie Gele
genheit fanden, Beweise seiner heiligen Machtfülle zu fordern und zu
empfangen; die Bischöfe und Aebte zogen es vor, unter seiner, nicht unter
des Königs oder des Metropoliten Obmacht zu stehen; die politischen
Parteien der christlichen Reiche buhlten wetteifernd um seinen Bei
stand; die Völker bedurften einer Macht, die sie gegen die Gewalt-
thaten ihrer Dränger schütze. Dagegen behauptete das Papstthum
durch sein wohlberechnetes Verfahren große Ueberlegenheit über die
weltlichen Gebieter; diese faßten immer nur die Gegenwart und das
Bedürfniß derselben ins Auge, die Päpste aber, auf die Zukunft den
Blick richtend, wählten meistens das, was ihnen bleibenden Vortheil
verhieß; und was sie einmal geübt hatten, das wußten sie zum gött
lichen, allgemein und für alle Zeiten gültigen Rechte zu erweitern.
Dieser bereits so fest begründeten Macht mußte sich auch Ungarn unter
ordnen. Aber nicht gewaltsam und unter heftigen Kämpfen, wie in
288 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

den meisten Ländern, brauchten in Ungarn die Päpste die Anerkennung


ihrer Herrschaft zu erringen; die anderwärts erkämpften Siege, der all
gemein verbreitete Glaube an die Heiligkeit ihres Rechts wirkten hier
für sie, und die öffentlichen Zustände boten ihnen Gelegenheiten dar,
die sie
Es nur
gehörte
ergreifen
mit zu
durften,
den Einrichtungen,
um ihre Ansprüche
welche
geltend
die Herrschaft
zu machen.der

Päpste förderten, daß in jedem Lande wenigstens zwei Erzbischöfe


seien, damit durch Theilung der Gewalt und gegenseitige Eifersucht
die Macht der Metropoliten geschwächt und die Landeskirchen desto
leichter in Abhängigkeit von dem römischen Stuhl gebracht würden.
So geschah es auch in Ungarn; schon Ladislaus I. vereinigte um 1090,
vermuthlich durch päpstliche Einflüsterungen bewogen, die Bisthümer
Kalocsa und Bacs, erhob sie zum Erzstifte und unterordnete diesem
einen Theil der ungarischen Bisthümer und Abteien. Bisher hatte Ein
tracht zwischen den beiden Erzbischöfen gewaltet und der kalocsaer
sein Amt so friedlich und still geführt, daß die Geschichte von ihm
nichts zu berichten wußte; jetzt aber erwachten schon Eifersucht und
Streit zwischen ihnen und gaben dem Papste Veranlassung, sich in die
innern Angelegenheiten der ungarischen Kirche zu mischen und als
höchster Richter aufzutreten. Lukas Bänfy weigerte sich, Stephan IV.
und Ladislaus II. zu krönen, und verhängte über den letztern den Kir
chenbann; der kalocsaer Erzbischof Cosmas vollzog die Krönung und
wandte sich mit andern Parteigängern des Thronanmaßers wegen Lösung
des Banns an Papst Alexander III., der, unbekümmert um Recht oder
Unrecht, den Bann gegen eine jährliche Schatzung von 100 Mark Sil
ber, die der König fortan zahlen sollte, aufhob. 1 Hiermit war die Be-
fugniß des graner Erzbischofs, den Bann zu verhängen, von der Ein
willigung des Papstes abhängig gemacht, thatsächlich das Recht, den Kö
nig anzuerkennen, vom letztern ausgeübt und der erste Versuch geschehen,
auch Ungarn eine jährliche Steuer an die päpstliche Schatzkammer auf
zulegen. Derselbe Lukas wollte auch Bela nicht krönen; der König
und die Großen des Reichs, statt den Halsstarrigen ihre Macht fuhlen
zu lassen, glaubten den Papst bitten zu müssen, daß er den zweiten
Erzbischof zu der feierlichen Handlung ermächtige. Er that es und
entschied hiermit, wer den König rechtmäßig krönen dürfe, woraus sich
leicht das Recht, auf die Krönung und Besetzung des Throns Einfluß
zu nehmen, folgern ließ, welches die Päpste schon wenige Jahre später
wirklich
Desbeanspruchten.
kräftigsten Mittels, die mächtige hohe Geistlichkeit im Gehor-

1159 sam zu erhalten, beraubte sich Geiza II., als er 1159 auf Anrathen des
hierarchisch gesinnten Bänfy dem Rechte entsagte, das seine Vorgänger
bisher geübt hatten, Bischöfe und Aebte von einer Pfründe auf die an
dere zu versetzen. 2 Einen noch weit größern Fehler beging er, indem
er geschehen
1 Johannesließ,
Bodinus,
daß De
seinrepublica,
Liebling,Lib.der1. ihm
Er beruft
so ergebene
sich auf vaticanische
Erzbischof

Acten. — 2 Codex ms. membr. tab. Vaticani Zahl 2040, bei Pray, Hist. Reg.
Hung., I.
Innere Zustände. IUI — 1196. 289

von Spalatro, Gaudius, wegen eines geringen Vergehens gegen die Kir- 1150
chensatzungen nicht vor ihm, sondern vor dem Papst angeklagt und
von diesem abgesetzt wurde 1, da doch nach altem Brauch der König
im Verein mit den Bischöfen die höchste Gerichtsbarkeit über die geist
lichen Würdenträger übte. Muthiger betrug sich die Bürgerschaft von
Spalatro. Des Gaudius Nachfolger Absalon erlaubte sich mancherlei
Uebergriffe und gerieth dadurch in Streitigkeiten mit der Stadt, worauf
eine Verordnung erlassen wurde, welche den Bürgern unter eidlicher
Verpflichtung verbot, unbewegliches Gut und Ländereien an Kirchen zu
schenken, zu vermachen oder zu verkaufen. Der Papst sprach des
halb den Bann über Spalatro aus2; es ist aber ungewiß, ob der römische
Bannstrahl
Ein Verstoß
die Verordnung
gegen alle
unwirksam
Staatsklugheit
gemachtwarhabe.
es schon, daß Ste

phan III., wahrscheinlich auch auf Betreiben Lucas Bänfy's 1169 den 1169
Cardinal-Legaten Albert Mora annahm, „damit durch dessen Bemühen
die römische Kirche (das Papstthum) freudiges Wachsthum gewinne";
daß man aber auf dieses Legaten Vermittelung die Freiheit der unga
rischen Kirche durch ein königliches Edict festsetzen ließ, war gefähr
liche Hingabe dieser Freiheit selbst nebst der Freiheit des Reichs an eine
auswärtige Macht. In diesem Edict bestätigte der König „aus eigenem
Antriebe, den heilsamen und dringenden Ermahnungen des Cardinals
Mora gemäß, in Verehrung der römischen Kirche und des Papstes, sei
nen Vater Geiza ehrwürdigen Andenkens nachahmend, dessen Verord
nung, kraft welcher er, wie bekannt, das Recht, Bischöfe abzusetzen
oder zu versetzen, auch für seine Nachkommen verbindlich dem Herrn
Papst Alexander III. und dessen Nachfolgern übertragen hat". Ferner
versprach er für sich und seine Nachkommen, von der Gewohnheit sei
ner Vorfahren abzustehen und bei Erledigung der Bisthümer zur Ver
waltung der Einkünfte nie wieder Laien, sondern ehrbare Geistliche zu
bestellen, damit diese, nach Abzug ihres nothwendigen Unterhalts, das
übrige zur Erhaltung der Kirchen und bischöflichen Wohngebäude und
zum Besten der Armen, der Witwen und Waisen verwenden; auch sei
es ihm und seinen Nachfolgern verboten, sich von diesen Einkünften je
etwas anzueignen, ausgenommen in Fällen der äußersten Noth mit Ein
willigung der Bischöfe. Mit gleich verbindender Kraft entsagte er dem
Rechte, Pröpste und Aebte der königlichen Stifter ihres Amtes zu ent
setzen, es sei denn, sie wären eines groben Verbrechens in kanonischer
Rechtsform überwiesen. 3 Dieses Edict wurde jedoch von kräftigen
Königen nicht beobachtet; schon Bela III. entsetzte 1174 den
kalocsaer Erzbischof Stephan, weil er ein Anhänger seines Bruders
Geiza war4, und 1182 den Abt Desiderius 5, ohne Widerspruch von
selten Roms.
1Die
Thomas
graner
Archidiac.
Erzbischöfe
Hist. Salonit.,
mochtene. 19.
^,fühlen
Farlatus
, ihre
Illyric.
Reichthümer
s., III, 179und
fg.

— 2 Thomas Archidiac, a a. O. Farlatus Illyric, IV, 330. — s Die Urkunde


bei Kollär, Hist. juris patronatus regum Hung., S. 120. — 4 Chronicon Po-
son., bei Endlicher, S. 57; vgl. oben S. 1. — • Chronicon ms., bei Kol
ler, Hist. episcop. Quinqueeccles., I, 413.
Feßler. I. 19
290 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.

Vorrechte seien zu groß , als daß sie nicht den Neid aufregen und zu
Angriffen reizen sollten. Denn nur daraus läßt es sich erklären, warum
sie, die Mächtigen, die es ungestraft wagen durften, einem durch Ge
burt und Wahl rechtmäßigen Könige die Krönung zu Verweigern, so
ängstlich und so häufig päpstliche Schutzbriefe für ihre Kirche nach
suchten und dadurch ihre Abhängigkeit von Rom immer mehr begrün
deten. Mit solchen Schutzbriefen versahen sich der Erzbischof Niko
laus von Lucius III., und sein Nachfolger Job 1188 von Clemens III.
Die Bulle des letztern bestätigt der graner Kirche den unverletzbaren
Besitz aller rechtmäßig erlangten und in Zukunft zu erlangenden Güter,
Befreiungen und Vorzüge , doch unbeschadet dem Ansehen des
apostolischen Stuhls. Wer dieselben verletzt und nach dreimaliger
Mahnung nicht Genugthuung leistet, verfällt dem Bann und ist auch
seiner zeitlichen Ehre, Macht und Würde verlustig (also auch über diese
will der Papst verfügen). Drei Jahre später erhielt derselbe Job auf
sein Ansuchen von Cölestin III. ein Breve, worin ihm das ausschließliche
Recht, die ungarischen Könige zu krönen, bestätigt und zugleich die
Vollmacht ertheilt wird, ohne Einflußnahme eines andern Bischofs über
die Reichsbarone in geistlichen Angelegenheiten Recht zu sprechen
und sie
Alexander
nötigenfalls
III. entzog
mit dem
1175
Bann
die zu
Martinsabtei
belegen. 1 auf dem Pannonberge

der bischöflichen Gerichtsbarkeit und stellte sie unmittelbar unter den


päpstlichen Stuhl. Dasselbe that Lucius III. mit der Cistercienserabtei
St.-Gotthard in der eisenburger Gespanschaft. Beide untersagten den
Metropoliten und Bischöfen strenge alle Einmischung in die Angelegen
heiten dieser Klöster; den Aebten aber gaben sie die Befugniß, in
allem, was wider die Freiheiten ihrer Klöster unternommen würde, den
Gehorsam zu verweigern; außerdem ertheilten sie ihnen das Recht,
wenn Ungarn je mit dem Interdicte belegt werden sollte, bei verschlos
senen Thüren stillen Gottesdienst zu halten. 2 Die Klöster freuten
sich, von der oft drückenden, nicht selten gemisbrauchten bischöflichen
Aufsicht befreit zu sein; die Bischöfe, die das Einschreiten des Papstes
sich erbeten hatten, wo es ihnen vortheilhaft war, mußten nun auch zu
dieser Schmälerung ihrer Rechte schweigen; auch König Bela ' erhob
keinen Widerspruch gegen solche Anmaßungen einer fremden Macht,
ja er ordnete selbst die Propsteien, des heiligen Martin in der Gespan
schaft Zips und zum Heiligen Kreuz zu Hermannstadt in Sieben
bürgen, welche er 1189 gründete, unmittelbar dem päpstlichen Stuhle
unter.Die
s Formel „umsonst" und um Gottes willen" (gratis et pro Deo)

litt bei den fortwährend steigenden Bedürfnissen der Päpste keine An


wendung mehr; die Abteien mußten daher ihre Befreiungen dem päpst
lichen Stuhle theuer bezahlen. Ueberhaupt zeigen sich um diese Zeit
die ersten
1 Die Urkunde
Spuren von
bei Katona,
Steuerpflichtigkeit
Hist. reg., IV,
der 326
ungarischen
u. 356. —Kirche
s Die Urkun
an die

den bei Katona, a. a. O., S. 244, und bei Heirab. Notitia Abbat, ad S. Got-
hard. S. 41. — * Wagner, Annalecta Scepusii, III, 5 fg.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 291

päpstliche Schatzkammer. Die Abgaben , welche mehrere Klöster und


Kirchen an dieselbe zu leisten hatten, wurden durch den päpstlichen
Kämmerer Cencius eingesammelt und finden sich in seinem Schatzungs
buche verzeichnet. x
Nach solchen Vorgängen kann es uns nicht wundernehmen, wenn
wir von nun an lange Zeit hindurch die Päpste in Ungarn auf Staat und
Kirche einen Einfluß üben sehen , der noch vor kurzem für sie kaum
erreichbar
1 Liber geschienen
censuum Ecelesiae
hatte. Romanae, bei Muratori, Antiquitates Italiae,

V, 281.
der Oligarchie;Dritter
Vorherrschender Einfluss Abschnitt.
dieselbe.
endliche Erhebung
1196—1223.
des Papstes
des ; Volks
Uebermacht
gegen

1. Aensseie Begebenheiten.

Emerich und Ladislaus III. 1196 — 1205.

KaLnun1 Latte Emerich den Thron bestiegen, so gerieth er schon


mit seinem Bruder Andreas in Zwietracht, die während seiner ganzen
Regierung fortdauerte, das bereits schwankende königliche Ansehen
vollends untergrub und das Land zerrüttete. Emerich war leidenschaft
lich ohne Kraft und Beharrlichkeit, und körperliche Kränklichkeit
scheint die Reizbarkeit seines Gemüths noch gesteigert zu haben; plötz
liche Aufwallungen des Muths wechselten bei ihm mit geistiger Er
schlaffung ab; in der Aufregung that er sehr kühne, oft unüberlegte
Schritte, aber planmäßig und mit fester Entschlossenheit zu handeln,
war er nicht fähig. Andreas, ein schwacher, eitler Mann, schmachtete
vor Begierde nach Herrschaft, so lange er sie nicht besaß, und zeigte
sich unfähig, sie zu führen, sobald er sie erlangte; leichtsinnig und ver
schwenderisch, weder auf die Gebote der Gerechtigkeit, noch auf die
Rathschläge der Klugheit achtend, gehorchte er ohne Ueberlegung den
eigenen augenblicklichen Einfällen und den Einflüsterungen eigennütziger
Höflinge;
Der Kreuzzug,
so ward er den
der Urheber
ihm der sterbende
unzähligerVater
Uebel.aufgetragen, und die

Schätze, die er ihm zu diesem Zwecke hinterlassen hatte, gaben ihm


den Vorwand und die Mittel, ein Heer zu sammeln und sich Freunde zu
erkaufen. Nachdem er hinreichend gerüstet war, berief er sich auf
die in der ärpädischen Familie herrschende Gewohnheit, die Jüngern
Prinzen mit Provinzen des Reichs auszustatten, forderte von seinem
Bruder , daß er ihm Kroatien und Dalmatien abtrete , und griff zu den
Aenßere Begebenheiten. Emerich. 293

Waffen, als dieser die Forderung abschlug. Der Bürgerkrieg begann,


1197; mehrere Treffen wurden geliefert und Andreas gewann bald die 1197
Oberhand. Denn sein mit dem Kreuz bezeichnetes Heer war zahlreich,
und viele, die er durch Schmeichelei und Freigebigkeit zu bestechen
wußte, traten auf seine Seite; dagegen hatte der König nicht Zeit, sich
zu rüsten, und mehrere Große, die gelobt hatten, mit Bela nach Palä
stina zu ziehen, verweigerten die Heeresfolge in einem weltlichen
Kriege. Vergebens war es, daß sich Papst Cölestin III. ins Mittel
legte und Andreas nebst seinen Anhängern mit dem Bann bedrohte,
wenn sie nicht sogleich Frieden machen und zum Kreuzzuge aufbrechen
würden; Andreas fürchtete diese geistliche Waffe nicht; er setzte seine
Unternehmungen fort, bemächtigte sich Kroatiens und Dalmatiens,
unterwarf noch dazu Rama und das Gebiet Chulm , zwischen den Flüs
sen Cettina und Narenta, Länder, über welche Ungarn bisher die Ober
hoheit zwar beansprucht, aber nur unter günstigen Umständen geübt
hatte, seiner Herrschaft und nannte sich von nun an Herzog von
Kroatien, Dalmatien, Eama und Chulm. l
,Unterdessen hatte der gewaltige Innocentius III. 1198 am 8. Jan.
den päpstlichen Stuhl bestiegen ; er dehnte wie keiner seiner Vorgänger
die Macht desselben aus, mischte sich in alle Angelegenheiten, trat
überall als Schiedsrichter auf und beherrschte mit despotischer Willkür
die abendländische Christenheit. Die Klagen und Bitten Emerich's
waren schon vor seinen Vorgänger gebracht worden, und schon dieser
hatte versucht, Andreas zum Gehorsam zu nöthigen und die Wirren
beizulegen ; Innocentius schritt nun gleich beim Antritt seiner Regie
rung in die ungarischen Angelegenheiten mit großer Entschiedenheit
ein. Den Erzbischof von Kalocsa Saul Hederväry, den Palatin Niko
laus Mögh und noch zwanzig andere Herren , die sich mit Bela III. zur
Fahrt nach Palästina verpflichtet hatten, sprach er von ihrem Gelübde
los bis zur gänzlichen Herstellung der Ordnung und des Friedens im
Vaterlande.2 Andreas ermahnte er ernstlich, sich mit seinem Bruder
auszusöhnen und das väterliche Gelübde zu erfüllen, indem er drohte,
wenn er noch länger zögern würde, ihn in den Bann zu thun und des
Nachfolgerechts auf den ungarischen Thron verlustig zu erklären. 3
Zugleich erhielten die Erzbischöfe von Gran und Kalocsa den gemessen
sten Auftrag, im Falle Andreas sich widerspenstig bezeigte, über ihn
und seine Anhänger den Bann zu verkündigen und das Land, weil es
die Aufrührer in seiner Mitte duldete, mit dem Inteidict zu belegen.
Auch Johannes, Abt von St.-Martin auf dem Pannonberge, des Andreas
gefordert.
eifrigster Parteigänger,
4 Endlich erging
ward an
nach
denRom
Erzbischof
vor des Saul
Papstes
undRichterstuhl
an die Bi

schöfe
1 Farlatus,
Ugrin vonIllyrie'.
Raabs.,und
V, Dominicus
66. Chronic.von
Admontense,
Agram derbeipäpstliche
Pez, II, 193.
Be-

Der Brief Emerich's, bei Fejer, Cod. dipl., II, 324. — 2 Innocentii III. Epist.
ad Andream D., bei Katona, Hist. reg., IV, 474 fg., und bei Fejer, Cod.
dipl., II, 313 fg. — s Innocentii III. Epist. ad Emeric. Reg., bei Katona, a. a.
0., S. 477, u. Fejer, a. a. O., S. 311. — * Innocentii III. Epist, ad Archiep.
Strigon., bei Katona, a. a. O., S. 484, u. Fejer, a. a. O", S. 311.
294 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

fehl, die von Andreas eingesetzten Erzbischöfe zu Jadra und Spalatro


abzusetzen
Andreas
undhatte
zu bannen.
sich durch'
1 Freigebigkeit Freunde und Anhänger er

worben, Emerich folgte seinem Beispiele und vergeudete Staatslände-


reien und königliche Besitzungen. Er verlieh, um nur einiges anzu
führen, den Templern neue Güter und Privilegien und schenkte sogar
dem graner Erzbischof das graner Schloß sammt dem noch nicht vollen
deten königlichen Palast. 2 Doch alle Bemühungen des Königs und
1198 alle
1198Drohungen
ein Vergleich
des zuPapstes
Stande konnten
kam, vermöge
nichts weiter
dessen bewirken,
Andreas Kroatien
als daß

und Dalmatien nebst dem Herzogstitel erhielt und dagegen die Ober
1199 herrlichkeit
Als nundes
Friede
Königs
im anerkannte.
Lande war, 3feierte Emerich 1199 zu Gran seine

Vermählung mit Constantia, des Königs von Aragonien Alfons' II.


Tochter, der er zum Leibgedinge die Gespanschaften Oe'denburg und
Eisenburg verschrieb. 4 Aber der Friede war nur scheinbar und von
kurzer Dauer; wenn auch keine Schlachten geliefert wurden, standen
doch fortwährend zwei feindliche Lager, das königliche und herzog
liche, gleichsam die Hand am Schwerte einander gegenüber; die welt
lichen Großen stritten mit den Waffen, die Bischöfe und Aebte kämpften
mit Bannflüchen. Der König verstand es nicht, den Wogen der Zwie
tracht Ruhe zu gebieten; niemand gehorchte ihm; gegen wen er
Strenge gebrauchen wollte, der ging zur herzoglichen Partei über, und
wer die schuldigen Dienste leistete, rechnete ihm diese als Wohlthat
an, für die er reiche Belohnung forderte. Emerich konnte nicht einmal
seine Freunde gegen. Verfolgung und Gewaltthat schützen ; er mußte
beim Papst für den Bischof Ugrin und andere Getreue die Befugniß
nachsuchen, sich durch welchen Bischof immer lossprechen zu lassen,
wenn sie von Bischöfen der feindlichen Partei in den Bann gethan
würden. 5 Der Propst des stuhlweißenburger Kapitels, der die Krone
aufbewahrte , glaubte sogar diese unter seiner Obhut nicht mehr sicher,
und auch er bat den Papst um Erlaubniß, sie einem andern hohen
Geistlichen anvertrauen zu dürfen. 6 „
Der Papst war es also, zu dem Emerich, unvermögend, sich selbst
zu rathen und zu helfen, in jeder Verlegenheit und Noth die Zuflucht
nahm, und doch ließ er sich von unbedachter Hitze zu einer Gewaltthat
hinreißen, die seinen Beschützer schwer beleidigen mußte und ihm selbst
sehr verderblich werden konnte. Einige Priester des waitzner Sprengels
klagten nämlich vor ihm ihren Bischof Boleslaus an und beschuldigten
denselben auch einer verdächtigen Verbindung mit dem Herzog An
dreas; er glaubte ihren Worten und eilte zur Rache. Am 17. März
1199 1199 stürzte er mit seinem Gefolge in die Kathedrale, wo der Bischof
eben die Vesper hielt, forderte die Schlüssel der Sakristei und befahl

1 Epist. Innocentii III, bei Katona, a. a. O., S. 486. — 2 Fejer, Cod.


dipl., II, 324. — 3 Die Urkunde bei Lucius, Lib. III, c. 13; Lib. IV, c.,3.
— 4 Thuröezy, II, 70. Dubravius, I, 14. Schier, Reg. Hung. Chronic. Clau-
stro-Neoburgense ad ann. 1199, bei Pez, I, 449. — 8 Fejer, Cod. dipl., II,
333. — 6 Fejer, ebend., II, 350 u. Katona, Hist. reg., IV, 500.
Aeußere Begebenheiten. Emerieh. 295

ihm, die Kirche zu verlassen. Dieser verweigerte den Gehorsam und


flüchtete zum Altar; da riß ihn der König mit eigener Hand von den
Stufen hinab, ließ ihn von seinem Gefolge schwer mishandeln und aus
der Kirche schleppen, erbrach die Sakristei und nahm den Kirchenschatz
und das Geld, welches der Bischof dort aufbewahrte. Als hernach Bo-
leslaus die Feier des Gottesdienstes in der Kirche untersagte, weil sie
durch solche Gewaltthat entweiht sei, legte der König Beschlag auf die
bischöflichen Zehnten und verbot bei Strafe der Blendung, die Sache
an den Papst zu berichten. Aber der Papst erhielt dennoch Kunde von
dem anstößigen Vorgang und verfuhr gegen Emerieh mit einer Scho
nung, die uns in Verwunderung setzt, wenn wir sie mit der über-
müthigen Härte vergleichen , mit der Innocentius andere Fürsten behan
delte. Er verwies dem König sein Vergehen, ermahnte ihn, dasselbe
gut zu machen, und gab dem kalocsaer Erzbischof den Auftrag, ihn
dazu Indessen
anzuhaltenwar
und die
die Feindseligkeit
Sache aufs beste
derbeizulegen.
beiden königlichen
x Brüder

immer bitterer geworden, sodaß sie noch in demselben Jahre abermals


zu den Waffen griffen. Diesmal siegte der König. Andreas suchte zuerst 1199
Zuflucht bei einem ungarischen Herrn Ladislaus und, als Emerieh dessen
Haus niederbrannte und seine Besitzungen einzog, bei dem Herzog
Leopold von Oesterreich. Aber auch hier wollte ihn sein leidenschaft
licher Bruder nicht dulden und fiel verheerend in Oesterreich ein,
um Leopold zu zwingen, H1n zu entfernen oder auszuliefern. 2 Zu glei
cher Zeit wurden auf des Papstes Antrieb allenthalben gewaltige
Rüstungen zu einem Kreuzzug gemacht. Die verbündeten Fürsten
wollten den Weg durch Ungarn nehmen; dazu mußte Friede und Ord
nung im Lande wiederhergestellt werden. Konrad, Erzbischof von
Mainz, erschien 1200 als Friedensvermittler und soll nach deutschen 1200
Berichten die Aussöhnung der Brüder bewirkt und einen Vergleich zu
Stande gebracht haben, kraft dessen sich beide verpflichteten, das Kreuz
zu nehmen, während ihrer Abwesenheit die Verwaltung des Reichs dem
Herzog Leopold zu übertragen und nach der Heimkehr gemeinschaft
lich zu regieren; wenn aber einer sterben würde, sollte der Ueber-
lebende König sein. 3 Diese Punkte tragen die Spuren der Unwahr-
scheinlichkeit an sich und werden auch durch die nächstfolgenden Be
gebenheiten widerlegt. Konrad mochte zu der Aussöhnung mitgewirkt
haben, dieselbe war jedoch hauptsächlich das Werk des päpstlichen
Legaten Georg Crescentius 4, der Emerieh bewog, Kroatien und Dal-
matien
1 Epist.
seinemInnocentii,
Bruder zubeiüberlassen
Katona, Hist.
6 undreg.,
einenIV,
Kreuzzug
556; beizu Fejer,
geloben.
Cod.

dipl., II, 358 fg. — 2 Chronic. Claustro-Neoburg., bei Pez, IX; Chronic.
Austr. , bei Freher, I, 336. — 3 Godefridus Coloniens., bei Freher, I, 366.
— * Die Urkunde des Papstes Innocentius, bei Dobner, Monumenta, II, 340.
— 5 Gegen Ende des Jahres 1200 gab Andreas wieder mehrere Urkunden
heraus, in denen er sich Herzog von Kioatien, Dalmatien und Chulm von
Gottes Gnaden nennt, z. B. bei Kerchelich, Hist. Epp. Zagenb., S. 324; bei
Farlatus, Illyric. s. , IV, 8. Daß Friede zwischen den Brüdern geschlossen
wurde^ berichten auch Chron. Austr. und Claustro-Neoburgense, und Aren-
peck., bei Pez, I, 710, 449, I20G.
296 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

Das gute Vernehmen unter den Brüdern blieb zwei Jahre lang
ungestört, aber keiner von beiden dachte an die Erfüllung seines Ge
lübdes. Eraerich unternahm vielmehr einen Feldzug nach Serbien.
Die Fürsten dieses Landes waren durch Bela's II. Gattin Helena mit dem
ungarischen Königshause vefwandt geworden und erkannten seit dieser
Zeit bald des ungarischen Königs, bald des byzantinischen Kaisers
Oberherrlichkeit, je nachdem die Macht des einen oder des andern über
wog. Jetzt herrschte Stephan Neemanovitsch im Hauptlande; sein
Bruder Wolkan war Unterzschupan von Zenta und Chulm (Herzego
wina) und ihr Oheim Kulin Ban von Rama (Bosnien). Sie lebten
immerwährend in Hader und Zwietracht, und Stephan hatte noch über
dies den Kaiser Alexius Angelus durch die schimpfliche Verstoßung
•einer Gemahlin Eudoxia, die dessen Nichte war, schwer beleidigt.
Wolkan suchte zuerst sich die Gunst und Unterstützung des Papstes zu
gewinnen; er meldete ihm 1198 seinen Entschluß, mit seinem Volke
von der griechischen zur römischen Kirche überzutreten, und bat, Lega
ten zu schicken, damit das gute Werk glücklich vollbracht werde.
Nichts konnte Innocentius angenehmer sein als diese Botschaft, denn er
£ hoffte nicht nur, mit Hülfe Wälkan's dem römischen Stuhl neue Unter-
thanen zu gewinnen, sondern auch die verhaßte Sekte der schwär
merisch-frommen Patarener l, die sich in den südslawischen Ländern
immer weiter verbreitete, auszurotten. Seine Legaten erschienen und
führten 1199 auf einer Synode zu Antivari das lateinische "Kirchen
wesen ein. Jetzt ward die Lage Stephan's bedenklich, und auch er
wandte sich an Innocentius, versprach, in Serbien die lateinische Kirche
zur Herrschaft zu erheben, bat um Gesandte, zugleich aber auch um
Königstitel und Krone. Innocentius ertheilte hierauf dem Bischof von
Antivari den Befehl, Stephan zu krönen. Da trat Emerich dazwischen,
. ö" den Wmlkan schon für sich. gewonnen hatte, und ersuchte den Papst,
weder Gesandte noch Krone an Stephan zu schicken, weil dieses den
Hoheitsrechten Ungarns über Serbien zuwider sei, welche wiederher
zustellen er gerade jetzt im Begriffe stehe; gelinge ihm das Unter
nehmen , so werde er auch das Land zur römischen Kirche zu bekehren
wissen. Innocentius, dem Personen und Recht gleichgültig waren,
wenn nur der Vortheil des päpstlichen Stuhls gefördert wurde, war
auch hiermit um so mehr einverstanden, da er hoffen durfte, die
römische Kirche werde jedenfalls leichter und sicherer in Serbien siegen,
1202 wenn
1202 das
ein Heer,
Land unter
dem sich
ungarische
auch die
Hoheit
Kriegsmannschaft
gelangte. Emerich
des Herzogs
führte An
nun

dreas anschloß, gegen Stephan, überwand ihn und machte Wolkan zum
Beherrscher Serbiens unter ungarischer Oberherrlichkeit. Der Papst
aber ermahnte ihn dringend, den Fürsten und das Volk strenge zum
Gehorsam gegen die römische Kirche anzuhalten, und ordnete Serbien
dem Erzbischof von Kalocsa unter.2
1 Von ihnen wird weiter unten die Rede sein. — 2 Nicetas Choniat. und
Acropolita bei Stritter, Tom. II, Pars 1, p. 191. Du Fresne, Illyr. vetus et
nov., S. 55. Steph. Epist. ad Innocentium III., bei Fejer, Cod. dipl., II, 390.
Innocentii III. Epist. ad Emericum, bei Katona, Hist. Reg., IV, 625 fg.
Aeußere Begebenheiten. Emerich. 297

Nachdem Emerich die Angelegenheiten Serbiens einigermaßen ge


ordnet hatte, unternahm er sogleich von da aus einen Feldzug nach
Bulgarien, dessen Fürst Joannitz, von den Griechen Kalo-Joannes ge
nannt, 1201 die in Serbien herrschenden Unruhen benutzt, das Land
geplündert und eine Menge Menschen gefangen weggeschleppt hatte.
Der König drang siegreich vor und eroberte in kurzer Zeit ein Gebiet,
welches fünf Bisthümer in sich faßte. 1 Aber auch Joannitz stand mit
Innocentius in Unterhandlung wegen Verleihung der Krone zum Lohn
für den Uebertritt zur römischen Kirche. Der Legat Johannes de Ca- '
semarino erschien daher vor Emerich und ermahnte ihn, das Werk der
Bekehrung nicht durch Fortsetzung des Kriegs zu hindern, verschwieg
jedoch geflissentlich, daß sein Gegner die Königskrone verlangt habe,
und der Papst geneigt sei, ihm dieselbe zu ertheilen. Einer Mahnung
aus Rom konnte Emerich nicht widerstehen ; er hielt inne im Laufe
seiner Eroberungen und kehrte heim. Doch behielt er, was durch das
Schwert bereits gewonnen war, und führte seitdem auch Bulgarien in
seinem
Jetzt
Titel.
drang
2 der Papst ernstlich darauf, daß Emerich den ange

lobten Kreuzzug endlich antrete; allein Kreuzfahrer selbst gaben ihm


den triftigsten Grund, denselben aufzuschieben. Ein französisches
Kreuzheer, 33000 Mann Reiterei und Fußvolk, von Innocentius
durch des fanatischen Priesters Fulko Predigten zusammengetrieben,
schloß mit den Venetianern 1202 Vertrag, daß diese das Heer auf hun- 1202
dert Transportschiffen nach Palästina führen und mit funfzig Galeeren
im Kampfe gegen die Ungläubigen unterstützen, dafür 80000 Mark
Silber und die Hälfte aller Eroberungen, auch des sonstigen Gewinns er
halten sollten; beide Theile schworen auf das Evangelium die strengste
Erfüllung des Vertrags. Allein bei der Einschiffung fehlten dem Heere
noch 34000 Mark an der ausbedungenen Summe; da lockten die Vene-
tianer den bedrängten französischen Anführern das Versprechen ab,
gegen alle Feinde Venedigs, auf welche sie unterwegs stoßen würden,
zu kämpfen. Unter Anführung des achtzigjährigen Dogen Heinrich
Dandulus stach die Flotte am 8. Oct. in See, und die Kreuzritter
mußten gleich helfen, alle Städte an Istriens Küste der venetianischen
Herrschaft zu unterwerfen. Am 10. Nov. erschienen die Schiffe
vor Jadra, sprengten die Kette, welche den Eingang in den Hafen
schloß, und fingen die Belagerung der Stadt an. Vergebens beriefen
sich die Einwohner auf den Papst und behingen die Mauern mit Kreu
zen; vergebens weigerten sich die französischen Ritter, gegen Christen
zu kämpfen; vergebens drohte Cardinal Peter mit Bann und Interdict;
am dritten Tage mußte sich die Stadt ergeben. Ein großer Theil der
Bürger wanderte aus; ihre Wohnungen dienten den Kreuzfahrern zu
Winterquartieren. Bald kam ein päpstliches Sendschreiben an, das in
schwülstigen Redensarten die räuberische That verdammte, die Rück
gabe 1 Zaras
Epist. Kalo-Joannis
an Ungarn gebot
ad Innoeentium,
und den Ungehorsamen
bei Katona, Hist.mitreg.,
demIV,Bann-
627.

— 2 Epist. Innocentii ad Emerioum, bei Dobner, Monumenta, II, 428.


298 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

fluche drohte. Die Kreuzfahrer entschuldigten sich durch Abgesandte


beim Papst, Dandulus aber trotzte dessen Befehlen und dem Banne.
1203 Bevor die Flotte im Frühling 1203 die Anker lichtete, ließ er die
Stadt ausplündern, Gold und Silber aus den Kirchen rauben und die
Festungswerke auf der Meeresseite zerstören, auf der Landseite da
gegenWie
neueDandulus
auffuhren,dieumFlotte
Venedig
von den
hierBesitz
nicht Zaras
nach Aegypten,
zu sichern. 1wie be

dungen war, sondern nach Konstantinopel führte, um dem Alexius


Angelus den geraubten Thron zu entreißeu und den geblendeten Isaak
Angelus mit seinem Sohne Alexius wieder einzusetzen; wie Konstan
tinopel endlich erstürmt, unbeschreibliches Blutvergießen angerichtet,
unermeßliche Beute gewonnen und den Byzantinern ein lateinisches Feu-
dalkaiserthum von siebenundfunfzigjähriger Dauer aufgezwungen wurde,
ist bekannt und braucht hier nicht erzählt zu werden. Das byzantinische
Kaiserthum konnte sich von diesem furchtbaren Schlage nie mehr er
holen. So haben die Kreuzfahrer selbst in thörichter Verblendung die
Vormauer der Christenheit untergraben und den Mohammedanern, die
sie zuNach
bekämpfen
dem Abzug
ausgezogen
des waren,
Kreuzheers
den Sieg
versuchten
erleichtert.
die geflüchteten

Bürger Zaras, von einem kleinen Heere, das ihnen Herzog Andreas zu
Hülfe schickte, unterstützt, ihre Vaterstadt wieder einzunehmen, und als
ihnen dieses mislang, eroberten sie die venetianische Burg Kesse,
rüsteten Kaperschiffe aus und belästigten Venedigs Handel, bis sie durch
eine Flotte, mit welcher Rainer Dandulus, des Herzogs Sohn, auf dem
Adriatischen Meere kreuzte, eingeschüchtert wurden. Zufällig kamen
zehn gaetanische (neapolitanische) Schiffe an die Küste Dalmatiens, die
Emerich sogleich miethete und den Flüchtlingen zur Verfügung stellte.
Mit Hülfe derselben eroberten diese zwar Zara und hieben die feind
liche Besatzung nieder; als sie aber erfuhren, daß Venedig eine neue
Flotte gegen sie rüste, entsank ihnen der Muth, sie flehten um Gnade
und unterwarfen sich auf sehr harte Bedingungen der venetianischen
Herrschaft; sie mußten Geiseln stellen, einen Podesta annehmen, ihren
Erzbischof dem venetianischen Patriarchen unterordnen und sich ver
pflichten , jährlich 3000 Marderbälge zu steuern und Kriegsdienste zu
leisten.
Als2 die Kreuzfahrer sich Zaras bemächtigt hatten, sandte Andreas

sogleich den Abt von Pilis nach Rom, um dem Papst vorzustellen, daß
er unter den gegenwärtigen Umständen, wo das Kreuzheer selbst die
Hauptstadt Dalmatiens verrätherischerweise überfallen habe und die
au der untern Donau hausenden Kumanen das Reich bedrohen, die an
gelobte Fahrt nach Palästina unmöglich unternehmen könne. 3 Aber
Innocentius fand die Gründe nicht hinreichend, um Aufschub zu ge
statten,
1 Guntherus,
und drängte
Hist. Constantinopolitana,
den König zum Aufbruch.
bei CanisiusDoch
, IV, dieser
8. Thomas
hatte

Archid., Hist. Salonit., c. 25. Lucius, Lib. IV, c. I, p. 247. Innocentii III.
Kpistolae, bei Katona, Hist. reg., IV, 646; bei Fejer, Cod. dipl., II,
396 fg. — 2 Dandulus und Thomas Archidiac. , a. a. O. — 3 Fejer, Cod.
dipl., II, 393.
Aeußere Begebenheiten. En1 er ich. 299

sogleich neue Ausreden bei der Hand, die Vollziehung seines Gelübdes,
zu der er nicht die mindeste Lust spürte, weiter hinauszuschieben. Un
möglich sei es ihm, erklärte er, in das Heilige Land zu ziehen, bevor
sein unmündiger Sohn Ladislaus gekrönt und dessen Nachfolge ge
sichert sei; er bitte den Papst, diese Angelegenheit auf jede Weise zu
fördern. Innocentius erließ daher am 25. Febr. 1203 an die Erz- 1203
bischöfe und Bischöfe Ungarns ein Sendschreiben, welches sie ver
pflichtete, vor dem Auszuge des Königs seinem Sohne den Eid der
Treue zu leisten und dazu auch die Klerisei und die Laien anzuhalten ;
alle sollen den vom Könige eingesetzten Reichsverwesern ehrerbietig
gehorchen und, wenn der König, was Christus verhüten wolle, auf der
Heerfahrt der Natur die Schuld bezahlen müßte, seinen Sohn im Be
sitze des väterlicheil Throns schutzen, die dawider Handelnden aber
mit dem Kirchenbann verfolgt werden. 1 Nachdem dieses Hinderniß
beseitigt war, kam Emerich mit einem andern Anliegen: Innocentius
sollte nicht gestatten, daß die Erzbischöfe von Gran und Kalocsa,
während er in fernen Landen gegen die Ungläubigen kämpfen werde,
über die Gerechtsame ihrer Kirchen Streit anfingen, wodurch Parteiungen
im Reiche entstehen könnten. Der Papst beruhigte ihn auch hierüber,
indem er versprach, dafür zu sorgen, daß der Friede des Landes durch
die Prälaten
Mit demselben
nicht gestört
Eifer werde.
wie den
2 König hielt Innocentius auch den

Herzog Andreas an, daß er der letzten Anordnung seines Vaters gemäß
nach Palästina ziehe. Als sich dieser damit entschuldigte, daß ihm die
Mittel hierzu fehlen, forderte er den erstem auf, die Kosten seiner Aus
rüstung zu tragen. 3 Zugleich gab er Andreas das Versprechen, daß
er während seiner Abwesenheit sein Gebiet unter den Schutz des hei
ligen Stuhls nehmen und, wenn ihm ein Sohn geboren würde, auch die
sen im Besitze desselben erhalten werde. 4 Aber auch der Herzog
fühlte keine Neigung, in den Kampf um das Heilige Land zu ziehen,
den Planen der Herrschaft, die er im Herzen nährte, zu entsagen und
seinem beneideten und gefürchteten Bruder freies Feld zu lassen. Und
so blieben
Doch beide
die Hoheit
Brüder,
undeinander
Macht des
eifersüchtig
römischenbewachend,
Stuhls lagzuInnocentius
Hause.

weit mehr am Herzen als die Eroberung Palästinas; er selbst war es,
der noch im Sommer desselben Jahrs die Waffen des Königs vom 1203
Kreuzzuge auf ein ganz anderes Unternehmen lenkte. Nach Kaiser
Heinrich's VI. Tod, 1196, wurde sein Bruder Philipp von Schwaben
zuerst Reichsverweser für den unmündigen Friedrich II. und bald darauf
deutscher König. Innocentius aber, bewog einen Theil der Reichs
stände, Otto von Braunschweig zu wählen. Der Herzog von Böhmen
Ottokar
1 Epist.
wirkte
Innocentii,
und kämpfte
bei Katona,
für Philipp
Hist. reg.,
und erhielt
IV, 658;
vonbeidiesem
Fejer, 1198
Cod.

dipl., II, 401, und bei Dobner, Monumenta, II, 331. — 2 Epist. Innocentii,
bei Dobner, Monumenta, S. 332 fg.; bei Katona, Hist. reg., IV, 661 fg.
— 3 Epist. Innocentii, bei Dobner, Monumenta, II, 3c9: bei Fejer, Cod.
dipl., II, 412. — * Epist. Innocentii ad Andream, bei Dohner, a. a. 0.,
S. 340; bei Fejer, a. a. 0., S. 415.
300 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

zum Lohne dafür die Königskrone. Als er jedoch noch in demselben Jahre
sich von seiner Gemahlin Adele trennte und Constantia, Emerich's
Schwester, heirathete, erkaufte er das Stillschweigen des Papstes zu
dieser That und dessen Anerkennung seiner neuen Königswürde durch
den Uebertritt zu Otto's Partei, und bekriegte fortan Philipp. Der
Papst, der nichts sehnlicher wünschte, als die ihm so verhaßte Macht
der Hohenstaufen in Deutschland zu brechen, forderte auch Emerich
auf, seinem Schwager in" diesem Kriege Hülfe zu leisten; Emerich, froh,
die Erfüllung seines Gelübdes aufschieben, sich vielleicht von demselben
gänzlich losmachen zu können, ließ sogleich ein ansehnliches Heer nach
Deutschland aufbrechen, in welchem sich auch eine beträchtliche Zahl
Kumanen befanden. Mit diesem und dem eigenen Heere stürmte
Ottokar Erfurt, verwüstete die Güter des magdeburger Bischofs und
kehrte im Spätherbst, nachdem er noch das meißner Land geplündert
hatte,Esnach
fehlte
Böhmen
wenig,
zurück.
daß Emerich
1 den kleinen Gewinn, die Einwilli

gung des Papstes zum Aufschub des versprochenen Kreuzzuges zu er


halten, deren er bei mehr Willensstärke nicht einmal bedurft hätte, mit
dem Verlust der Krone bezahlte. Dem eiteln Andreas genügte näm
lich der ruhige Besitz eines weiten Gebiets, das ihm durch Verträge zu
gesichert war, nicht; er trug sich noch fortwährend mit Planen der
Größe, und seine herrschsüchtige Gemahlin Gertrud, des Herzogs Ber
thold von Meran 2 Tochter, die um jeden Preis Königin sein wollte,
hörte nicht auf, ihn zu kühnen Unternehmungen zu spornen; durch
Künste der Verführung war es ihm gelungen, die Zahl seiner Anhänger
zu vermehren, und er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um
Aufruhr zu erheben. Jetzt schien ihm eine solche gekommen zu sein.
Die unwürdige, die Freiheit des Reichs bedrohende Unterwürfigkeit,
welche Emerich dem Papst gegenüber bewies, beleidigte den Stolz der
Ungarn und erfüllte weiter sehende Patrioten mit Besorgnissen; die
königliche Streitmacht befand sich außer Landes. Andreas sammelte
1203 zahlreiche Kriegsscharen; der König bot den Heerbann des Landes
auf, aber nur wenige weltliche Große und die Bischöfe gehorchten dem
Aufgebote. An der Drau begegneten sich die Heere; das herzogliche
war augenscheinlich überlegen an Zahl und Muth der Krieger, zögerte
aber, den brudermörderischen Kampf zu beginnen; im königlichen Lager
herrschte
1 Innocentii
Mistrauen,
Epist., Entmuthigung
Lib. VII, epist. und
127, ßathlosigkeit.
bei Brequigny u. Da
Du entschloß
Theil, II,

515. Nee defuit ibi illud perditissimum hominum genus, qui Valve dieuntur
(Valvae, Falben, wurden die Kumanen von den damaligen Deutschen ge
nannt). Arnoldus Lubecensis, Chronicon, ad ann. 1203. Vgl. Palacky, Ge
schichte von Böhmen, Bd. 11, Thl. 1, S. 64 fg. — 2 Die Grafen Andechs, deren
Besitzungen au der Etsch und am Inn in Tirol, Istrien und Dalmatien lagen,
wurden durch Kaiser Friedrich I. 1180 unabhängig von den bairischen Her
zogen gemacht und selbst zu Herzogen erhoben, erweiterten in kurzer Zeit
ihr Gebiet beträchtlich, starben jedoch schon 1248 aus, worauf ihre Län
dereien größtentheils an die Grafen von Tirol fielen. Hormayr, Die großen
Geschlechter im tirolischen Hochgebirge, II, im dritten Bande seiner sämmt-
liehen Werke.
Aeußere Beg ebenheiten. Emerich. 301

sich Emerich zu einer That, die, von einem Cäsar gewagt, zur Be
wunderung hinreißen würde , von ihm, dem wir sie nimmer zutrauten,
unternommen, uns bis zum Staunen überraschen muß. Er läßt die
Seinen in Schlachtordnung treten und gebietet ihnen: „Keiner folge
mir; bleibt ruhig am Platze!" legt sodann Waffen und Rüstung ab,
nimmt einen Stab in die Hand und schreitet feierlich langsam auf das
Lager seines Bruders zu. Dort angekommen, blickt er voll Majestät
um sich her und spricht: „Ich sehe Ungarn; "ihr seht euern König!
Wer wagt es, seine Hand in königliches Blut zu tauchen?" Ueber-
rascht, von ehrfurchtsvoller Scheu ergriffen, trennen sich die Reihen,
jede Hand ist wie gelähmt zum Widerstand, ungehindert gelangt er in
das Zelt seines Bruders, ergreift und führt ihn gefangen mitten durch
die erstarrten Scharen. Der Krieg war geendigt, der Sieg des Königs
allein; reumüthig legten die Empörer die Waffen nieder, fielen ihm zu
Füßen, flehten um Verzeihung und erhielten Gnade; nur Andreas
wurde auf die Burg Kheene (Kneginetz), unweit Warasdin, gefangen
gesetzt
Der
undFürst
seinevon
Gattin
Bulgarien,
zu ihrenJoannitz,
Aeltern heimgesandt.
hatte den König
1 bereits zu

wiederholten malen durch Gesandte um die Rückgabe des 1202 ihm


abgenommenen Gebiets ersucht und auch den Papst gebeten , das Amt
des Schiedsrichters in dieser Angelegenheit zu übernehmen,, aber bisjetzt
trotz aller Bemühungen nichts ausgerichtet. Er benutzte daher die
günstige Gelegenheit, welche ihm die Abwesenheit der königlichen
Truppen im deutschen Kriege und der innere Aufstand darboten, und
nahm nicht nur das verlorene Gebiet mit Waffengewalt wieder zurück, son
dern eroberte auch jene zur ungarischen Krone gehörenden Landstrecken,
welche einst Bela III. seiner Tochter Margaretha, als sie dem grie
chischen Kaiser Isaak Angelus vermählt wurde, als Mitgift überlassen
und später abermals mit seinem Reiche vereinigt hatte; er verwüstete
überdies einen Theil Serbiens. Emerich stand eben im Begriff, den
Rachezug wider ihn zu unternehmen: da waren die Unterhandlungen,
die Joannitz mit Innocentius gepflogen hatte, beendigt und der Car
dinal -Priester Leo zog 1204 als päpstlicher Legat durch Ungarn, um 1204
diesem Fürsten die Krone und die Bulle , die ihm den königlichen
Titel ertheilte, zu überbringen. Durch ein eigenes Sendschreiben empfahl
der Papst seinen Legaten dem Könige, den Bischöfen und dem Volke
Ungarns zur freundlichen Aufnahme. In diesem Schreiben ward zu
gleich berichtet, wie die Bulgaren und Walachen als verirrte Schafe
zur glücklichen Heerde zurückgekehrt wären, wie der Cardinal hinzöge,
sie im Glauben zu stärken und in der Ergebenheit gegen die römische
Kirche zu befestigen, und wie er Vollmacht hätte, in allen Ländern,
durch1 Thomas
welche Archidiac.
er reiste,Spal.,
die Hist.
ihm vorgetragenen
Salon., Kap. 24,Rechtssachen
S. 569. Dandulus,
zu ent-
bei

Muratori, XII. Chron. Claustro-Neoburg., bei Pez, I, 449. Oefele, Scriptores


rer. boic, II, 335, gibt Gran als den Ort der Gefangenschaft an; aber An
dreas selbst sagt in einer Urkunde von 1209: „...dum in carcere in castro
Kheene detineremur." Fejer, Cod. dipl., III, 1, 86.
N

302
scheiden; aber der
Drittes
eigentliche
Buch.Zweck
Dritter
seiner
Abschnitt.
Sendung, Joannitz dxe

Krone zu überbringen und ihn feierlich zu krönen, war wohlweislich


auch nicht durch den leisesten Wink angedeutet. Emerich gab also
nugthuung
den Feldzugvon
aufJoannitz
und übertrug
zu verschaffen.
es dem Legaten
Dochvertrauensvoll,
bald erfuhr er ihm
das Ge-

heimniß, welches seinen Glauben an die Ehrlichkeit des Papstes ge


waltig erschütterte. Er ließ dem Cardinal eiligst nachsetzen; noch
am linken Donauufer ward dieser eingeholt, wie der König befohlen
hatte, in Verhaft genommen und auf die Burg Keve gesetzt. Er sollte
Joannitz auf die Donauinsel bei Haram berufen, die Grenzstreitigkeiten
zwischen ihm und dem König beilegen, jenen zur Räumung des Gebiets
und zur Ersatzleistung für allen Schaden anhalten; erst dann würde
der König in die Krönung willigen und ihn frei ziehen lassen. Diese
Zumuthung lehnte der Cardinal ab, weil er hierzu vom Papst keine
Weisung habe. Ueber die Weigerung erbittert, forderte der König,
daß er von der Grenze zurückkehre und seinen Aufenthalt an einem
andern Orte im Innern des Landes, den man ihm anweisen würde,
nehme; und da er auch dieser Aufforderung sich nicht fügen wollte,
erhielt der Burggraf Achilles den strengsten Befehl, ihn durch 300 Be
waffnete bewachen zu lassen und solange die Herbeiscbaffung von
Lebensmitteln zu hindern, bis er sich entschließen würde, sich von Keve
nach Den
dem Gesandten
angewiesenen
desOrte
Papstes
zu begeben.
gefangen nehmen, welche Kühnheit !

Wie strenge mußte solche Beleidigung des heiligen Stuhls gestraft wer
den! Aber Emerich erhielt von Innocentius, dem furchtbaren Verfolger
der Könige, ein Sendschreiben voll wehmüthiger und bescheidener Kla
gen; nur der Schluß enthält ernste Drohungen. „Gelinder und freund
licher als die Sache es forderte", heißt es da, „haben wir an Dich ge
schrieben, damit, wenn unser Brief vielleicht zur Einsicht anderer
käme, man nicht glaube, die Huld des apostolischen Stuhls sei Dir ent
zogen , was Dir weder zum Wohle noch zur Ehre gereichen würde.
Nicht unbekannt ist uns, daß in Deinem Reiche vieles geschehen sei und
noch geschehe, was, an die Feile gebracht, mit durchdringender Schärfe
angegriffen werden müßte. Hiermit deuten wir nicht blos auf Dein
Gelübde zur heiligen Heerfahrt, nicht auf Deines Bruders Verhaftung,
noch auf Deine Einwirkung in die Wahlen der Prälaten, sondern auf
so manches andere noch, das wir vorderhand verschweigen, damit es
Dich nicht mächt1g erschüttere. Sieh Dich also weislich vor und
laufe nicht selbst in Verlegenheiten, aus welchen Du schwerlich mit
Glück Dich herauswinden würflest." J
Dieses Papstes Drohungen blieben nie unerfüllt, sobald sie mit
kühnem Trotz erwidert wurden. Beispiele, wie er mit andern Fürsten
verfuhr, dienten Emerich zur Warnung. Nicht minder gefährlich war
andererseits furchtsame Nachgiebigkeit, denn diese machte den Papst im
mer dreister in seinen Anmaßungen. Emerich schlug den Mittelweg ein,
indem1 Epist.
er inInnocentii,
anständiger
bei Katona,
Zuschrift
Histsein
reg. Verfahren
, IV, 714. rechtfertigte und
Aeußere Begebenheiten. Emerich. 303

dabei auch zu dem Gewissen des Papstes sprach. Je mehr, hob er an,
er sich der innigsten Ergebenheit gegen den römischen Stuhl bewußt
sei, um desto schmerzlicher falle ihm die feindliche Begegnung von
dessen Seite; denn nur als solche könne er die Verleihung der "Königs
würde an seinen ärgsten Feind betrachten. . Während die ungarische
Kriegsmannschaft dem Papste zu Gefallen in Deutschland kämpfte,
habe Joannitz sein Reich mit einem Haufen heidnischer Kumanen über
fallen, Gebietstheile an sich gerissen, Serbien geplündert, Gläubige den
Ungläubigen zur Knechtschaft preisgegeben; dafür würden ihm nun
Krone und Königstitel verliehen. Ueberdies besitze Joannitz gar kein
rechtmäßiges Eigenthum und hätte als Räuber eine andere Erhöhung
würdigen
als die zumvor
Könige
dem König
verdient;
geheimgehalten
dennoch sei worden,
diese Begünstigung
den sie alsdes
Nach
Un- •

bar am meisten beunruhigen müsse. Darum habe man von dem


Legaten verlangt, daß er zuvor Genugthuung verschaffe, ehe er diesen
feindseligen Mann kröne, und nachdem er diesem gerechten Verlangen
unter nichtigem Vorwande ausgewichen war , ihn in sicherer Ver
wahrung gehalten , bis der apostolische Stuhl dem Könige Gerechtigkeit
widerfahren ließe. Und darauf müßte dieser um so mehr bestehen,
das um so dringender bitten, da er, auf zwei Seiten von raubsüchtigen
Feinden angegriffen, bereits durch zwei Jahre Recht und Ersatz von
Venedig für Jadras Raub durch ernstliche und wirksame Vermittelung
SeinerMit
Heiligkeit
Verwunderung
umsonstmochte
erwarte.
Innocentius
x den Ungehorsam des sonst

so unterwürfigen Königs wahrnehmen; er kannte jedoch dessen auf


brausenden, aber keiner Beharrlichkeit fähigen Charakter und sah
voraus, daß Emerich nachgeben und zum gewohnten Gehorsam zurück
kehren werde, wenn Tnan der Aufwallung seines Unwillens sich zu
legen Zeit lasse, dagegen noch kühnere Schritte wagen würde, so
bald man ihn durch Maßregeln der Strenge mehr aufreizte. Gegen
seine Gewohnheit, alles durch Machtsprüche durchzusetzen und der
Drohung sogleich die That folgen zu lassen, sandte Innocentius eine
Antwort voll künstlicher Wendungen und Schmeicheleien, in welcher
er sein Verfahren rechtfertigt, den Beschwerden des Königs Abhülfe
verheißt und die Hoffnung ausspricht, daß dieser das Waehsthum des
christlichen Glaubens und des apostolischen Stuhls nicht hindern
werde. 2 Und er täuschte sich nicht in seiner Erwartung; noch ehe
die ungarischen Gesandten mit der Antwort des Papstes zurückgekehrt
waren, hatte Emerich bereits den Legaten in Freiheit gesetzt und nach
Bulgarien abgehen lassen , wofür ihn sodann Innocentius in einem spä
tem Schreiben
Zu dieser mit
Nachgiebigkeit
Lobsprüchenmußte
überhäufte.
sich Emerich
3 bei ruhiger Ueber-

legung um so leichter entschließen , weil der Einfluß des Papstes in Un


garn größtentheils durch eigene Schuld der Könige schon so hoch ge
stiegen
1 Raynald.,
war, daßAnnal.
ihm eccles.
dessenad Gunst
ann. 1204.
unentbehrlich
— 2 Epist.schien,
Innocentii,
um den
bei

Katona, a. a. O., S. 720 fg. — 3 Ebend., S. 731.


304 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

innigsten Wunsch des Herzens, die Krönung seines unmündigen Soh


nes, durchsetzen zu können. Gleich nachdem er den Aufstand sei
nes Bruders so glücklich durch großherzige Entschlossenheit besiegt
hatte, berichtete er nach Rom, es sei sein fester Vorsatz, in naher Zeit
seinen Kreuzzug anzutreten, und bat zugleich den Papst, dem graner
Erzbischof zu befehlen, daß er seinen Sohn Ladislaus kröne. Nichts
,konnte Innocentius willkommener sein als diese Bitte, die seinen herr
schsüchtigen Bestrebungen entgegenkam und ihm das Recht einräumte,
in einer Angelegenheit zu entscheiden, die ausschließlich vor den un
garischen Reichstag gehörte. Er beeilte sich daher, dieselbe zu ge
währen, und erließ schon am 24. April 1204 an den Erzbischof Job
'die Weisung, das Kind zu krönen, sobald er vom König darum er
sucht würde; doch müsse der Vater im Namen des Sohnes eidlich ge
loben, daß dieser dem römischen Stuhl Gehorsam leisten und die Frei
heit der ungarischen Kirche (das heißt .ihre Unabhängigkeit von den
Landesgesetzen und von dem Könige) ungekränkt lassen werde. 1 Aber
Erzbischof Job starb, bevor er die Krönung vollzogen hatte; der an
stößige Vorfall mit 'dem Cardinal Leo kam hinzu, und Emerich durfte
befürchten, daß der Papst jene Anordnung zurücknehmen und die
Krönung gänzlich hindern werde: das mochte ihn hauptsächlich bewogen
haben, sich eilig mit diesem auszusöhnen, besonders da seine Kränk
lichkeit zunahm, und mit dieser die Sehnsucht, seinen Sohn gekrönt zu
sehen, wuchs. Allein ein neues Hinderniß stand der Erfüllung seines
Wunsches im Wege; die Suffraganbischöfe und das Kapitel geriethen
wegen der Wahl eines neuen Erzbischofs 2 in Streit, und der graner
Stuhl blieb längere Zeit unbesetzt. Des langen Wartens müde, und
durch die mit jedem Tage fortschreitende Abnahme seiner Kräfte
geängstigt, ließ endlich Emerich seinen kaum vierjährigen Sohn mit
1204 Bewilligung des Papstes am 26. Aug. 1204 durch den kalocsaer Erz
bischof
Derkrönen.
kränkelnde
3 Vater sah ein, daß diese Feierlichkeit nach seinem

Tode, dessen Herannahen er fühlte, das unmündige Kind gegen die


Ränke seines Bruders Andreas nicht schützen werde; er wollte also
diesen durch Großmuth gewinnen, setzte ihn in Freiheit und bestellte
ihn zum Vormund seines Sohnes und zum Reichsverweser während dessen
Minderjährigkeit.4 Bald darauf starb er in Erlau am 30. Nov. 1204. 6
Innocentius traute dem Reichsverweser, der ihm Emerich's Hin
tritt sogleich gemeldet hatte, nicht viel Gutes zu; und dessen sonderbare
Entschuldigung wegen des Gebrauchs des königlichen Siegels, den der
Papst1 Epist.
nur seiner
Innocentii,
Neuheit,
bei Fejer,
nicht Cod.
etwa dipl.,
treulosen
VII, Absichten
430. — i zurechnen
Durch die

Schwäche Emerich's und seiner nächsten Vorgänger war das königliche


Recht, die Bischöfe zu ernennen, nach und nach fast ganz außer Uebung ge
kommen. — 3 Thuröczy, II, 71, gibt den Tag richtig, das Jahr aber un
richtig an. Epist. Innocentii, bei Katona, a. a. O., S. 739; bei Fejer, Cod.
dipl., II, 453, und bei Dobner, Monumenta, II, 349. — 4 Thomas Archidiac.
Spal., Hist. Salonit., c. 24. — 5 Ortilo, bei Hanthaler, ad ann. 1204. Thu
roczy, II, 70, gibt das Jahr unrichtig an. Vgl. Katona, Hist. reg,, IV, 751.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 305

sollte, verstärkte den Verdacht. Innocentius ermahnte ihn daher in der


Antwort vom 25. April 1205 sehr ernstlich zu treuer und gewissen
hafter Führung der Vormundschaft; in zwei andern Sendschreiben
machte er es ihm zur heiligsten Pflicht, den Schatz, welchen der ver
storbene König hinterlassen hatte, nicht anders als nach dessen letzt
williger Anordnung zu verwenden, die Einkünfte der Königin - Witwe
nicht zu schmälern und die königlichen Besitzungen und Gefälle nicht
zu veräußern. In andern Briefen ermahnte er die Geistlichkeit und
das ganze Volk, dem unmündigen, aber rechtmäßigen König treu zu
bleiben, niemand, der sich gegen denselben auflehnte, beizustehen
und in allem, was sein Wohl betreffe, sich an den kalocsaer Erzbischof
Saul zu wenden und dessen Anordnungen zu befolgen. Diesem und
dem großwardeiner Bischof Simon , die er als Emerich's ergebene
Freunde kannte, ertheilte er den Auftrag, jedermann, der es wagte, den
König, seine Mutter und seine Angehörigen in ihren Rechten, Be
sitzungen und Einkünften zu kränken, ohne Ansehen der Person und
ohne Zulassung einer Appellation an den apostolischen Stuhl mit dem
Kirchenbann
Aber Andreas
zu verfolgen.
hielt das1 Versprechen nicht, das er dem sterbenden

Bruder und gleich darauf dem Papste gegeben hatte. Sein eitles Gemüth
wurde durch den Glanz der Krone viel zu stark gereizt, als daß er der
lockenden Versuchung, welche die Reichsverweserschaft für ihn enthielt,
lange hätte widerstehen können. Dazu kamen noch die Einflüsterungen
seiner herrschsüchtigen Gemahlin, die er sogleich nach Emerich's Tode
zu sich berufen hatte; sie trieb ihn unablässig, sich in den bleibenden
Besitz der Macht zu setzen , die ihm zeitweilig übertragen war, und den
Thron zu besteigen, zu dem nur ein wehrloses Kind den Zugang sperrte.
Zuerst entstanden Reibungen zwischen Constantia und Gertrud. Die
erstere wollte ihre Rechte als Witwe des verstorbenen und Mutter des
jetzigen Königs behaupten; die andere strebte weit hinaus über den
zweiten Platz, der ihr gebührte, und Andreas, von ihr gänzlich beherrscht,
unterstützte ihren grenzenlosen Hochmuth. Bald erlitt Constantia
Kränkungen und Beeinträchtigungen , in denen sie die Vorboten künf
tiger Gewaltthätigkeiten erblickte; sie glaubte sich und ihren Sohn in
Ungarn nicht länger sicher und floh mit ihm nach Oesterreich, ihre
Schätze, die Krone und die andern Reichskleinodien mit sich füh
rend, begleitet von geistlichen und weltlichen Herren. Erzherzog Leo
pold nahm sie in Wien gastfreundlich auf und war bereit, ihr und dem
königlichen Kinde thätigen Beistand zu leisten. Andreas forderte drohend
die Auslieferung beider und der Reichsinsignien; seine Forderung wurde
zurückgewiesen, auf seine Drohungen mit Kriegserklärung geantwortet.
Schon stand ein österreichisches Heer an der Grenze, schon war die
Kriegsmannschaft Ungarns aufgeboten: da starb der junge König am
7. Mai 1205 und die Ursache des Kriegs war gehoben. Der raaber 1205
Bischof
1 Epist.
UgrinInnocentii,
setzte den
bei Dobner,
Leichnam
Monumenta,
in der stuhlweißenburger
II, 342, 352, 353, Königs-
354, bei

Katona, Hist. reg., S. 752 fg., und bei Fejer, Cod. dipl., II, 455 fg.
Feßler. I. 20
306 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

gruft bei; die Krone wurde dem jetüt rechtmäßigen Thronerben An


dreas friedlich überliefert, Constantia aber kehrte in ihr Vaterland
zurück und ward drei Jahre später von Papst Innocentius seinem Mün
del Friedrich, König von Sicilien, nachher Kaiser Friedrich II., der
damals
Andreas
erst 15hatte
Jahreendlich
alt
Andreas
war,das
zur
II.Ziel
Gemahlin
1205—1222.
seiner gegeben.
heißen Wünsche
1 erreicht

1205 und ward am 29. Mai 1205 gekrönt.2 Er ist der erste unter den
ungarischen Königen, von dem die Geschichte berichtet, daß er einen
Krönungseid geleistet habe. 3 Der eitle und schwache Mann, der weder
zu gehorchen noch zu regieren wußte, war wol bereit, alles zu ver
sprechen; aber zu halten, was er gelobte, dazu fehlte es ihm an Ein
sicht, Kraft und sittlichem Ernst. Er blieb der willenlose Sklave seiner
^ Gemahlin Gertrud, die ihn und das Reich ganz unverhohlen beherrschte4,
sich um Ai1nlmr1rl Recht und Sitte wenig kümmerte und ihre angemaßte
Gewalt insonderheit zur Erhebung ihrer ausländischen, meist unwür
digenKurz
Verwandten
bev,or Andreas
und Günstlinge
den Thron
arg misbrauchte.
bestieg, hatten sich die graner

Suffraganbischöfe und das Kapitel nach langem Streit endlich geeinigt


und den kalocsaer Erzbischof Johannes für den graner Primatialstuhl
gewählt. Von Gertrud bewogen, setzte es der König gleich zu Anfang
seiner Regierung durch, daß ihr Bruder Berthold, bamberger Propst,
zum Erzbischof von Kalocsa gewählt wurde, und bat den Papst in
ständig, die Wahl zu bestätigen. Innocentius gab dem salzburger Erz
bischof den Auftrag, die Befähigung Berthold's zu der hohen Kirchen
würde zu prüfen: und da zeigte sich denn, „daß dieser die lateinische
Bibel ohne Anstoß lesen und in^der Muttersprache erklären könne,
auch aus der Grammatik richtig antworte, vom Kirchenrechte aber
und von der Kanzelberedtsamkeit nichts verstehe und das gesetzliche
Alter (das 30. Jahr) nicht nur nicht erreicht habe, sondern sich dem
selben noch gar nicht nähere". 6 Innocentius verweigerte ihm daher
zuerst die Bestätigung; von den Bitten des königlichen Paars bestürmt,
übertrug er ihm später, zum Aergernisse der Gläubigen , die Verwaltung
des Erzbisthums
1 Thuröczy, II,
und 70schickte
u. 71. ihm
Chron.
zuletzt
Admontense,
1212 auch
bei das
Pez,Pallium.
II, 195,6 gibt

das Jahr unrichtig an. Chron. Claustro-Neoburg., bei Pez, I, 450. Vitus
Arenp., bei Leibnitz, Script. Brunsvic, III. Hauthaler, Fase. Campilit. ad
ann. 1204 u. 1205. — 2 Thuroczy, II, 72. — 3 Epist. Honorii, III. Pontificis
ad Belam Reg. 1225, bei Fejer, Cod. dipl., III, 294. — * „Erat autem An
dreas Kex vir quietus et bonus, regina vero mulier virtuosa et fortis, qnae
femineae cogitationi 'virilem animum inserens, regni traetabat negotia. "
Theodorici Thuringi Vita S. Elisabethae bei Canisius, Tom. IV, Pars I, p. 119.
— 5 Epist. Innocentii ad Andream Reg. 1206. bei Fejer, Cod. dipl., III, i,
29. — 6 Epistolae Innocentii ad Andream Reg., 1207. Fejer, Cod. dipl.,
III, I, 49, und III, I, 78.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 307

Im folgenden Jahre bot sich Andreas eine willkommene Gelegen- 1206


heit dar, Halitsch (Galizien), dessen Fürst er in seiner Jugend kurze
Zeit, zwischen 1186 und 1188, gewesen war 1, nebst Wladimir (Lodo-
merien) wieder unter ungarische Hoheit zu bringen. Der Fürst dieser
Länder, Roman Mstislawitsch, war am 19. Juni in der Schlacht bei
Zawichost am linken Weichselufer von den Polen geschlagen und auf
der Flucht getödtet worden. Sein Sohn und Nachfolger, Daniel, von
den verbündeten Polen, Russen und Polowzern hart bedrängt, rief mit
Einwilligung der Bojaren den König von Ungarn zur Rettung herbei.
Als Andreas mit' seinen Scharen den nördlichen Abhang der Karpaten
hinabzog, war Daniel schon nach Wladimir geflohen j die Polen dran
gen gegen diese Stadt vor, die Russen und Polowzer standen in Ha
litsch. Durch das Gerücht von dem'Anrücken des Königs bewogen,
zogen sich die Verbündeten zurück, ohne eine Schlacht zu wagen, und
die Halitscher sowol als auch die Wladimirer erkannten seine Ober
herrlichkeit an. Aber wankelmüthig in allem, was er that, und ge
wohnt, von einem Unternehmen zum andern zu eilen, ehe das erstere
vollendet war, begnügte sich Andreas damit, die Feinde verscheucht zu
haben, setzte Daniel zum Fürsten von Wladimir ein und bot die Herr
schaft über Halitsch Jaroslaw, dem Sohne des susdaler Großfürsten
Wsewolod, an; beide sollten die Oberhoheit Ungarns anerkennen und
zur römischen Kirche übertreten; sich selbst legte er den Titel eines
KönigsHierauf
von Galizien
kehrte und
er eilig
Lodomerien
nach Ungarn
bei. 2 zurück, weil ihm berichtet 1206

wurde, seine Gemahlin habe einen Sohn geboren. Er hatte nämlich,


sobald sich die Königin guter Hoffnung fühlte, den Papst gebeten, den
weltlichen und geistlichen Reichsständen zu befehlen, daß sie dem
Kinde, falls es ein Sohn wäre, gleich nach der Geburt den Eid der
Treue leisteten, und Innocentius hatte die Bitte erfüllt3; er eilte also
jetzt
digungnach
zu Hause,
betreiben.
um die
Der im
Neugeborene
Grunde werthlose
war derCeremonie
nachmaligederKönig
Hui- •

Bela IV. Ob er der Anordnung des Papstes gemäß schon 1208 4, oder,
wie andere meinen6, erst 1216 gekrönt wurde, läßt sich mit Gewißheit
nicht Gertrudens
entscheiden.älterer Bruder Eckbert, Bischof von Babenberg, über

brachte die Glückwünsche des Papstes zu diesem Sohn und erhielt


dafür sogleich reiche Besitzungen, besonders in der zipser Gespan
schaft. 6 Diesmal nöthigte ihn noch sein Amt zur Rückkehr nach
Deutschland; als er aber nebst seinem Bruder Heinrich, Markgrafen
von Istrien , der Theilnahme an dem Meuchelmord , den Otto von Wi-
telsbach
1 Oben
1208
S. 273.
an dem
— 2 deutschen
Dlugoss, Hist.
Könige
Pol., Philipp
I, 6. Engel,
zu Bamberg
Geschichte
verübt
von

Halitsch,
3 Breve Innocentii
S. 207 fg.de Karamsin,
7. Junii, beiGeschichte
Dobner, Monumenta,
des russischen
II, Reichs,
362. — III.
* Hor-

väth, Geschichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 330. — 5 Szalay, Ge
schichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 299. — 6 Raynaldus, Annales
eccles. ad ann. 1206, Nr. 26. Fejer, Cod. dipl., III, 1, 76.
20*
308 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

hatte, beschuldigt, von seinem Bischofssitze vertrieben und durch den


päpstlichen Legaten entsetzt ward, nahmen beide ihre Zuflucht nach
Ungarn, wo sie bis 1211 blieben, den verdienstvollsten Männern vor
gezogen und mit Gunstbezeigungen überhäuft wurden. Ueberdies
mußte sich Andreas fur sie in Deutschland und Rom verwenden, sich
ihretwegen Verdrießlichkeiten zuziehen und vom Papst, der auf dem
Rechtsweg bestand, abschlägige Antwort und Vorwürfe gefallen lassen. 1
Denn schon hatte sich Erzbischof Berthold durch unwürdiges Betragen
Verachtung und Haß zugezogen und sein hohes Kirchenamt entehrt.
Innocentius drückte daher sein Bedauern darüber aus, daß er sich durch
die zudringlichen Bitten des Königs habe bewegen lassen, ihn zu be
stätigen, und drohte ihn zu entsetzen, wenn er sein Verhalten nicht
änderte. 2 Doch selbst des Papstes ernste Vorwürfe vermochten bei
Andreas nichts gegen das ungestüme Drängen Gertrudens, die ihren
1209 verdienstlosen,
und höhere Würdenschuldbefleckten
verschaffen wollte;
Brüdernerimmer
machteneue
Berthold
Auszeichnungen
1209 zum

Ban von Slawonien 3 und verlieh auch Eckbert neue Güter und Ehren.
Außerdem wurden noch andere Günstlinge der Königin hervorgezogen
und reichlich mit Schenkungen begabt. Ihr Jugendlehrer Adolf er
hielt die Propstei zu St.-Martin in Zipsen und sammt seiner Schwe
ster, einem Hoffräulein der Königin, noch eine beträchtliche Herr
schaft. 4 Der Eingewanderte Lendeger und Dominicus Raskay, Ober
mundschenk der Königin, wurden auf deren Fürsprache mit ausgedehn
ten Besitzungen belohnt, weil sie ihr selbst und ihren Brüdern wichtige
Dienste geleistet hatten. 6
Die unverzeihliche Nachgiebigkeit des Königs gegen die Gelüste
einer herrschsüchtigen und eigensinnigen Frau, die parteiische Be
günstigung unwürdiger Ausländer, die verschwenderische Belohnung
solcher Dienste , die dem Vaterlande keinen Vortheil brachten , der un
erträgliche Hochmuth und die unersättliche Habgier dieser Günstlinge,
dies alles mußte gerechten Unwillen erregen und den Wunsch wecken,
dem ebenso schimpflichen als verderblichen Treiben ein Ende zu
machen. Mehrere Große des Reichs schlossen einen geheimen Bund,
Andreas abzusetzen und einen Mann, der. für des Vaterlandes Wohl
besser sorgen würde, auf den Thron zu erheben. Wir haben berichtet,
daß Bela's III. Bruder, Geiza, sich 1192 dem Kreuzheer Kaiser Fried-
rich's I. anschloß. Nach seiner Rückkehr aus dem Gelobten Lande
1210 blieb
Söhne. er An
in diese
Konstantinopel,
sandten die vermählte
Verschworenen
sich und
1210hinterließ
Abgeordnete,
mehrere
um

sie auf den Thron ihrer Ahnen zu berufen. Ohne Verdacht und Ver-
rath kamen die Gesandten nach Spalatro; aber als sie dort im

1* Chron. Montis Sereni, bei Menken, Scriptores rer. germ., Tom. II ad


ann. 1208. Otto de S. Blasio, Kap. 50, bei Urstisius, I. Raynaldus ad
ann. 1209, Nr. 5. Balusius, II, 252, 719, ep. 220, 225. — 2 Epist. Innocentii
ad Andream, bei Katona, V, 87, und Fejer, III, i, 74. — 3 Er wird als sol
cher in mehrern Urkunden genannt. — * Fejer, III, I, 76. Wagner, Anna-
lecta Scepus., I, 104. — 5 Fejer, III, I, 78 u. 108.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 3QQ

Begriffe standen, das Schiff zur Weiterreise zu besteigen, ließ sie der
Graf der Stadt, Domaldus, der das Geheimniß erfahren hatte, an
halten , nahm ihnen ihre Briefschaften ab und schickte sie gefesselt an
den König.
Die große
l Gefahr, welcher Andreas nur durch einen glücklichen

Zufall entronnen war, machte ihn nicht weiser, die Königin und ihre
hochmüthige Familie nicht behutsamer. Der noch immer nicht völlig
bestätigte kolocsaer Erzbischof Berthold .wollte sich, auf die Gunst des
Königs pochend, dem Reichsprimas Johannes gleichstellen, wo nicht
über denselben erheben und forderte für sich und sein Stift das Recht,
den König zu krönen, den Zehnten von den Münzstätten zu beziehen,
die königliche Familie mit den Sacramenten zu versehen u.s.w. 2 Dar
über entstand zwischen den zwei Erzbischöfen heftiger Streit, dessen
Beilegung der Papst dem Könige 1211 nachdrücklich empfahl.3 Auch 1211
gelang es diesem zu bewirken, daß die beiden Prälaten für sich und
ihre Stühle einen feierlichen Vertrag abschlossen, der aber den kalocsaer
übermäßig begünstigte und ebendeshalb von dem graner Kapitel ver
worfen und vom Papst für nichtig erklärt wurde. 4 Für die erlittene
Abweisung mußte Berthold mehr als hinreichenden Ersatz erhalten;
er und seine Schwester ruhten nicht, bis ihn Andreas 1212 zum Woj- 1212
woden von Siebenbürgen und bald darauf zum Grafen der Gespan
schaften Bodrog und Bäcs ernannte. Von nun an kannte der Ueber-
muth des aufgeblasenen jungen Mannes keine Grenzen mehr; er begeg
nete selbst den vornehmsten Ungarn mit grober Anmaßung und empö
rendemVerschwenderischer,
Stolze. als alle seine Vorfahren verschenkte Andreas

Güter und Gefälle des Staats, wodurch die ohnehin schon sehr ge
schmälerten königlichen Einkünfte sich noch mehr und mehr verrin
gerten. Demungeachtet sammelte Gertrud mit leidenschaftlicher Hab
gier große Schätze für ihre Kinder. Die vierjährige Prinzessin Elisa
beth wurde 1212 Ludwig, dem Sohn des thüringer Landgrafen Her- 1212
mann, anverlobt. Eine glänzende Gesandtschaft kam nach Ungarn,
um die Braut nach der damaligen Sitte zur Erziehung an den thüringer
Hof abzuholen. Die Verlobung ging mit großer Pracht in Presbnrg
vor sich. Der ungemein kostbare Brautschatz, aus einer Menge gol
dener und silberner Geräthschaften, Seidenstoffen und Edelsteinen und
1000 Mark an Geld bestehend, ferner eine Badewanne von massivem
Silber und das silberne Ruhebett, worin das Kind , in Gold- und Silber
stoffe gehüllt, den Gesandten übergeben wurde, erregten deren Staunen;
da richtete die Königin an sie die Worte: „Saget eurem Herrn, er möge
sich vorläufig hiermit begnügen und gesund bleiben ; schenkt mir Gott
das Leben,
1 Die Schenkungsurkunde,
so soll er in der Folge
die Andreas
noch mit
demdenDomaldus
größten Reichthümern
zum Lohn für

dieses Verdienst 1210 ausstellte, Eejer, Cod. dipl., III, i, 101. — 2 In meh
rern Urkunden aus dieser Zeit steht der Name Berthold's vor dem des gra
ner Erzbischofs. — 3 Epist. Innocentii, bei Katona, V, 150, und Baluzius,
II, 544, ep. 84. — 4 Baluzius, II, 583, ep. 156. Der Vertrag und die Ent
scheidung des Papstes, bei Endlicher , Monumenta, S. 406 —408.
310 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
von mir überhäuft werden." l Aber die Ungarn sahen und hörten die
ses mit bitterm Unmuth. Hätte eine beliebte Königin ihre Tochter mit
solch verschwenderischer Pracht ausgestattet, so würde dies vielleicht
ihrem Stolz geschmeichelt haben; aber daß diese verhaßte Frau un
umschränkt über die Schätze des so sehr erschöpften Landes verfüge
und, was sie erpreßte und zusammenraffte, ihren Verwandten ins Aus
land schicke, das kränkte sie tief. Dazu fuhr Andreas fort, ungeachtet
1211 der
länder
schon
Güter
hereinbrechenden
und EhrenstellenNoth,
zu vergeben.
an Günstlinge
So schenkte
und besonders
er 1211Aus-
den

deutschen Rittern weite Besitzungen, unter andern das ganze Burzen-


;,£ land, Bärczaläg (die Gegend um Kronstadt), das fruchtbarste Gefilde
Siebenbürgens, mit großen Vorrechten2, und ernannte den Prior der
Tempelherren in Ungarn, Pontius de Cruce, zum Ban von Kroatien
und Dalmatien. 3 Die Patrioten klagten mit Recht über den unver
antwortlichen Leichtsinn , mit welchem das Staatsgut und was man
vom Volk mit List und Gewalt erpreßte, an Unwürdige verschwendet
und die wichtigsten Aemter mit Fremden besetzt wurden , die ihre Stel
lung nur zum eigenen Vortheil ausbeuteten. Die Aufwärtsstrebenden
und Ehrgeizigen aber zürnten mit bitterm Unmuth über die Zurück-
' setzung, die ihnen widerfuhr. Hierzu kam noch, daß die schon an sich
gesetzwidrige und anstößige Einmischung der Königin in alle öffent
liche Angelegenheiten um so schmerzlicher empfunden wurde, da sie,
jedes Gebot der Klugheit und des Anstandes verachtend und alle
Schranken des Gesetzes überschreitend, ihre angemaßte Gewalt ab
sichtlich zur Schau trug, nach Laune und Willkür herrschte, viel Un
recht gegen einzelne übte, alle durch Stolz beleidigte und durch ver.
1213 kehrte
einen Tiefgehende
neuen
Maßregeln
Feldzug
dasnach
Verstimmung
ganze
Galizien
Staatswesen
herrschte
und Lodomerien
in
im Verwirrung
Lande, unternahm.
als brachte.
AndreasDaniel,
1213

cden
hischen
er z.um
Kirche
Fürsten
zugethanen
des erstem
Volke
bestellt,
durch Anhänglichkeit
halte sich bei seinem
an die römische
der grie-

schnell verhaßt gemacht und war 1207 vertrieben und zur Flucht
nach Ungarn genöthigt worden. Nach ihm bestiegen Wladimir und
Roman die Fürstenstühle der beiden Länder, wurden aber 1212 in der
Stadt Halitsch bei einem nächtlichen Volksaufstande sammt ihren Frauen
und Kindern auf gräßliche Weise ermordet. Hierauf baten die Ha-
litscher Andreas, daß er ihnen seinen Jüngem, kaum fünfjährigen Sohn
Koloman zum König gebe. Er, der das eigene Land nicht zu be
herrschen wußte, streckte gierig seine Hand auch nach dem fremden
aus; denn nach der Art kurzsichtiger und eitler Menschen dachte er
nur an den Zuwachs an Macht und Ehre, vergaß aber die großen Schwie
rigkeiten und Gefahren, die damit verknüpft waren, in Rechnung zu
bringen. Vor seiner Abreise übertrug er die Reichsverwaltung der
Königin
1 Theodorieus,
und ihremVita
Bruder,
B. Elisabethae,
dem kalocsaer
Lib. I,Erzbischof
c. 2 , bei Canisius,
Berthold.
Tom.
4 IV",
Er

ParsI, p. 119. — 2 Fejer, Cod. dipl., III, I, 106, 110, 116, 118 u. s. w. —
3 Farlatus, Illyr. s., IV, 217. — * In einer Urkunde, bei Katona, V, 207,
und Fejer, III, i, 149, lesen wir: D. Andreas rex . . . profecturus . . . in
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 311

ernannte zwar den verdienstvollen Bank (Benedict), aus dem Ge


schlechte Bör, zum Palatin; aber dieser und der graner Erzbischof Jo
hannes zogen sich entweder selbst zurück oder wurden durch die er
stem
die sich
ihres
ausgesetzmäßigen
dieser Zeit erhalten
Einflusses
haben,
beraubt;
werden
dennneben
in denGertrud
Urkunden,
und ,

ihrem Bruder blos Nikolaus, Oberhofmeister der Königin, zugleich


raaber Obergespan, und die Obergespane Tiburz von Wieselburg, Bagö
von Weißenburg und Peter von Csanäd als Räthe genannt. Im Spät
herbst trat Andreas den Feldzug an, das zum König eines fremden
VolksDie
erkorene
hohe Würde
Kind mit
undsich
Macht,
nehmend.
die Berthold nun besaß, machte ihn

noch hochmüthiger und verwegener, steigerte aber auch den Haß der
zurückgesetzten und von ihm beleidigten Großen. Einige derselben
brachen in sein Haus ein, prügelten ihn und die zu seinem Beistand her
beieilenden Geistlichen und Mönche erbärmlich ab und flohen dann, um
seiner Rache zu entgehen, nach Polen. Innocentius glaubte, er dürfe die
Mishandlung eines wenngleich unwürdigen Bischofs nicht ungestraft
lassen und sprach am 6. Jan. 1214. den Bann über sie aus, um den
sie sich freilich wenig kümmerten. 1 Nicht gewarnt durch diesen Vor
fall, beging Berthold ein ruchloses Verbrechen. Entbrannt von wol
lüstiger Liebe, suchte er die schöne Gemahlin des Palatin Bank zu
verführen. Da aber die tugendhafte Frau seine Anträge mit Ver
achtung zurückwies, erlauerte er eine schickliche Gelegenheit und
schändete sie gewaltsam in den Zimmern der Königin mit deren Wissen
und Hülfe. 2 Die Schandthat schrie laut um Rache. Berthold selbst
raubte die Schätze, welche die Königin für ihre Kinder zusammen
gescharrt und bei einem graner Bürger niedergelegt hatte, verbarg sich
in einem Schlosse und entkam von da glücklich ins Ausland. Allein der
Königin sprachen die Freunde Bank's das Todesurtheil , und selbst der
graner Erzbischof Johannes , dessen Meinung sie einholten , ermunterte
sie zur Vollstreckung desselben durch eine zweideutige Antwort. 3 1214

exereitum contra Gubatos nobilissimae Gertrudi reginae Hung. et Venerabili


Bertholdo eolocensi archiepiscopo et universis prineipibus communiter in curia
circa ipsam reginam tunc temporis commorantibus pleno jure . . . dimisit
definiendam." Hier wird neben der Königin nur Berthold genannt, und am
Schlusse der Urkunde steht sein Name vor dem des graner Erzbischofs, wo
durch man berechtigt wird, zu schließen , daß er mit der Königin die einst
I,
weilige
336,
1 Katona,
Nr.
Keichsverwaltung
3. V, 178. — theilte.
2 Chron. Horväth,
metrorhythmicum
Geschichte
, beiUngarns,
Schier, 2.Reginae
Aufl.,

Hung., S. 187, Chron. Bavariae", bei Oefele, I, 361, beschuldigen ihn der
Unthat; Joannes Staindel, bei Oefele, I, 500, und Anonymus Leobiensis, bei
II,
Pez,72,I, berichtet
802, nennen
einfach:
zwar dessen
„UxoremBruder
BankEckbert
bani domina
als Thäter,
memorata
und Thuroczy,
(Gertrud)
vi tradidit cuidam suo fratri hospiti deludendam"; aber seine schnelle Flucht
nebst andern Umständen zeugen dafür, daß er der Thäter war. — 3 Er
schrieb: Reginam oeeidere nolite timere bonum est; si omnes consentiunt,
ego non contradico." Diese orakelmäßige Antwort erhält durch verschiedene
Stellung der fehlenden Interpunctionszeiehen einen entgegengesetzten Sinn,
nämlich: „Reginam oeeidere, nolite timere: bonum est; si omnes consentiunt,
312 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

Geführt von dem binarer Obergespan Peter und dem Ban Simon, über
fielen sie die schuldbeladene Frau in ihren Gemäehern oder, wie andere
berichten 3, während sie unter einem Zelt im Freien weilte, und hieben
sie in Stücke. 2 Ihre anwesenden Kinder, den bereits gekrönten Bela,
den Jüngsten Sohn Andreas und die Tochter Maria, brachte ihr Erzieher,
Meister Salomon , Sohn des Grafen Michael , in Sicherheit, 3 Herzog
Leopold von Oesterreich, der sich als Gast am königlichen Hofe be
fand , rettete sich durch die Flucht. * In der darauf folgenden Nacht
wurde Peter mit mehrern Verbündeten von Anhängern der Königin
ermordet 6; die übrigen Verschworenen wußten sich der Rache und
wahrscheinlich auch der Strafe zu entziehen. Bank selbst scheint an
der Ermordung Gertrudens, wenn er auch das Vorhaben seiner Freunde
kannte und insgeheim förderte, wenigstens nicht thätlichen Antheil
genommen zu haben, da er auch später die höchsten Staatsämter
bekleidete.
Als Andreas
6 von dem gräßlichen Ereignisse Kunde erhielt, kehrte

er schnell nach Ungarn zurück. Hier fand er die Dinge im schlimmsten


und drohendsten Zustande. Der geheime Schatz seiner todten Ge
mahlin, auf den er wahrscheinlich gerechnet hatte, war geraubt, das
königliche Siegel verloren, im ganzen Lande gärte heftige Unzufrieden
heit, und schon bildete sich eine Partei, die den unfähigen König ab
setzen und seinen Sohn Bela auf den Thron erheben wollte, um dann
im Namen des Kindes selbst zu herrschen. Unter solchen Umständen
wagte es Andreas nicht, die Mörder Gertrudens zur Strafe zu ziehen;
über den Ban Simon allein erfahren wir, daß er seine That, aber erst
vierzehn Jahre später, mit dem Verlust seiner Besitzungen büßte. 7
Gegen die Verlegenheiten und Gefahren, die ihn ängstigten, wußte der
schwache rathlose König nirgends Hülfe zu suchen als beim Papst; ihn
bat er, diejenigen, die seinen Sohn Bela zum König machen wollten, mit
dem Kirchenbann zu bedrohen; ihm klagte er: „Dieser kalocsaer Erz
bischof, der Mann meines Friedens und meiner Hoffnung, den ich aus
inniger Zuneigung über alle andern erhoben, wodurch ich mir den Haß
meines ganzen Reichs, der Hohen wie der Geringen, zugezogen, ....
hat
ego non
das contradico";
von meineroder:
Gemahlin
„Reginam
für occidere
unsere nolite,
Kindertimere
gesammelte
bonum est:
Geld,
si

omnes consentiunt, ego non: contradico." Annales Stero1ds ad ann. 1213,


bei Canisius, Tom. IV, Pars I, p. 179. Hermann. Abbas und Chron. com-
pil. rer.
1 Chron.
boicar.,
metrorhythmic.
bei Oefele, II,—3352 Daß
u. 666.
der Leichnam zerstiickt wurde, läßt

sich wenigstens vermuthen, weil der eine Theil desselben in der Cistercien-
serabtei zu Pilis , der andere in der Prämonstratenserpropstei zu Lelesz be
stattet wurde ; Thuroczy , II , 72 ; Urkunde des Andreas für die leleszer
Propstei, bei Katona, V, 135. — s Fejer, Cod. dipl.x III, I, 151. — * Hasel
bach,
— 5 Hermann.
bei Schier,Abbas
Reginae
und Hung.,
Chron.S.compil.
191. Timon,
rer. boicar.,
Epitome
bei chronglog.,
Oefele, a. S.
a. 53.
0.
— 6 Thuroczy und Muglen machen Bank zum Vollzieher der Mürdthat und
erzählen , daß er und sein ganzes Geschlecht dafür mit dem Tode büßten;
offenbar verflochten sie die gegenwärtige Begebenheit mit einer ähnlichen, die
sich 116 Jahre später zutrug. — 7 Katona, Hist. reg., V, 204.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 313

Gold und Silber .... auf 7000 Mark geschätzt, .... davongetragen.
Ich bitte daher Eure Heiligkeit, ihn durch apostolische Ermahnung zur
Wiedergabe des mir ungerecht entwendeten Gutes anzuhalten; widrigen
falls möge Eure Heiligkeit es mir nicht verargen , wenn ich mich eigen
mächtig durch die Einkünfte seiner Kirche entschädige." Aber auch
jetzt, wo sein eigener Thron unter ihm wankte, dachte er noch daran, für
seinen Sohn Koloman Galizien und Lodomerien zu behaupten. Er
bittet daher zuerst, Innocentius möge erlauben, daß die Bewohner der
beiden Länder, die sich fortan zur römischen Kirche bekennen würden,
die griechischen Gebräuche beibehalten dürften, und sodann, daß er
dem graner Erzbischof die Vollmacht gebe, Koloman zu krönen.1
Der Papst gewährte bereitwillig beides. Hierauf schickte Andreas
seinen Sohn und den Erzbischof Johannes mit einem Heere nach Ha-
litsch, wo die Krönung 1215 unter Assistenz des krakauer Bischofs, 1215
Vincenz Kadlubek, feierlich vollzogen wurde. Um den Thron des un
mündigen Königs gegen die Angriffe der russischen Fürsten, die Gali
zien und Lodomerien längere Zeit besessen hatten, mehr zu sichern' und
das polnische Interesse mit dem ungarischen zu verknüpfen, ver
lobte man ihn mit des polnischen Herzogs Lesko dreijähriger Tochter
Salome. 2 Wahrscheinlich zur Belohnung für diese Dienste schenkte
der König um diese Zeit dem graner Erzbischof den königlichen Zoll
von Kakacs bei Gran, der von ausländischen auf der Donau fahrenden
Schiffen
Nachdem
erhobensich
wurde.
die Aufregung
3 im Lande gelegt hatte, und Andreas 1216

die halitscher Angelegenheiten in befriedigender Weise geordnet zu


haben glaubte, vermählte er sich mit Jolantha, der Tochter Peter's von
Courtenai, Grafen von Auxerre, und Jolantha's, einer Schwester der
beiden
Jetzt
lateinischen
endlich erinnerte
Kaiser von
er sich
Konstantinopel
ernstlich an, das
Balduin
Gelübde
und des
Heinrich.
Kreuz4

zugs, zu dessen Erfüllung ihn außer den unablässigen Mahnungen des


Papstes auch die eigenen schmerzlichen Erlebnisse treiben mochten.
Denn gewiß erhob er sich nicht über die Vorurtheile seiner Zeit, und
so mußte er in jenen Ereignissen eine Strafe erblicken, mit der ihn Gott
heimsuchte, weil er sein heiliges Versprechen noch nicht gelöst habe.
Verschwenderische Vergabungen an Kirchen und allerhand fromme
Uebungen sollten ihm selbst als würdige Vorbereitung für das große
Unternehmen dienen; unter anderm gelobte er wöchentlich am Frei
tag bei Wasser und Brot zu fasten, wovon ihn hernach Honorius III.
durch seinen Legaten lossprach und statt des Fastens ihm Werke
der Barmherzigkeit zur Pflicht machte. Da starb plötzlich und ohne
Erben am 11. Juni 1216 Heinrich, der zweite lateinische Kaiser
zu Konstantinopel. Bei der Wahl des Nachfolgers kamen Peter
von Courtenai
1 Epist. Andreae
und ad
Andreas,
Innocent.,dessen
bei Katona,
Schwiegersohn,
V, 212. — in2 Honorii
Vorschlag;
III,

epist. 1222. Fejer, Cod. dipl., III, i, 355. Dlugoss., Hist. Polon., VI, 604.
Vgl. Naruszevicz, Geschichte von Polen, V, 205. Breviarium Roman. Fran-
ciscan. ad 17. Nov., Lectio 4. — 3 Katona, V, 217. — 4 Schier, Reginae
Hang., S. 197.
314 Brittes Buch. Dritter Abschnitt.

die Wähler vereinigten sich zu Gunsten des letztern, weil sie hofften,
er werde das hinfällige Reich mit Ungarns Macht vertheidigen, und
ließen ihn durch eine Gesandtschaft zur Uebernahme der kaiserlichen
Würde einladen. Hocherfreut über den glänzenden Antrag, berichtete
Andreas seiner Gewohnheit gemäß die Sache sogleich an den Papst
und bat um die Bestätigung der Wahl und der Vorkehrungen, die er
für die Regierung Ungarns während seiner Abwesenheit getroffen habe.
Allein der staatskluge Innocentius III. war bereits todt (nach einer Vi
sion der heiligen Cisterciensernonne Lutgarde bis an den Jüngsten Tag
zum Fegfeuer verurtheilt x) und Cencius Savelli hatte als Honorius III.
den päpstlichen Stuhl bestiegen. Dieser fürchtete des ungarischen Kö
nigs Wachsthum an Macht mehr als den Untergang der lateinischen
1217 Herrschaft in Konstantinopel, und antwortete am 30, Jan. 1217: es
gereiche ihm zwar zur Freude, daß dem Könige die Kaiserwürde an
getragen worden sei, jedoch seine Willensmeinung, ob dieser sie an
nehmen solle, könne er noch nicht eröffnen. Den angelobten Kreuz
zug dürfe Andreas ohne Beleidigung Gottes, ohne des apostolischen
Stuhls Verletzung und ohne eigene Schande nicht länger hinausschieben;
vielmehr müsse er spätestens gegen Ostern den Weg antreten. Uebrigens
würde der Legat, Bischof von Ostia, mit dem Könige überlegen, ob die
Annahme der Kaiserkrone der Ehre des apostolischen Stuhls und sei
nem eigenen
Für denSeelenheil
möglichen
zuträglich
Fall, daß
sei.Andreas
2 die Wahl ablehnte, hat

ten die lateinischen Herren Konstantinopels gleichzeitig an Peter von


Courtenai eine bedingte Einladung gesandt. Dieser, ohne seines
Eidams Antwort abzuwarten oder den Papst zu fragen, verkaufte
eiligst seine Güter, warb 5000 Mann, ging nach Rom und wurde dort
am 9. April vom Papst .zum Kaiser gekrönt. 3 Allein als er an der
Spitze des kleinen Heers durch Epirus zog, täuschte ihn Theodor Com-
nenus, der Fürst des Landes, durch treulose Unterhandlungen, nahm
ihn gefangen, zerstreute einen Theil des Heeres, machte den andern
nieder und warf ihn selbst in den Kerker, in welchem er auch im fol
genden Jahre starb. Sein jugendlicher Sohn Robert ward Kaiser von
•Konstantinopel.4 Nachdem der Papst die Gefangennehmung Peter's
erfahren hatte, forderte er Andreas wehmüthig klagend auf, seinen
Schwiegervater
Das Sendschreiben
zu befreien.
traf 6den König bereits in Spalatro, denn die An

gelegenheiten Konstantinopels hatten ihn bewogen, den Aufbruch zum


Kreuzzug zu beschleunigen. Vor seiner Abreise bestimmte er seine
drei Söhne, Bela, Koloman und Andreas, der Reihe nach zu seinen
Nachfolgern und bestellte den graner Erzbischof Johannes in Ungarn,
den Prior der Tempelritter Pontius de Cruce in 'Kroatien und Dal-
matien
1 Fleury,
zu Statthaltern.
Histoire eccles.,
6 Ungeachtet
Liv. 74,
ihnNr.
der62,
empfindlichste
XVI, 400. Geldmangel
— 2 Epist.

Honorii ad Andream, bei Katona, V, 231. — 3 Epist. Honorii ad Patriarch.


Constantin., bei Katona, V, 234. — 4 Exe. Chron. Jordani , bei Raynald ad
ann. 1217. Chron. Fossae Novae, bei Muratori, VII. — 5 Epist. Honorii ad
Andream, bei Katona, V, 235. — G Pray, Hist. reg. Hung., I, 204.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 315

drückte, verschenkte er noch, statt es zu verkaufen, ein beträchtliches,


früher von Petschenegen bewohntes Gebiet in der ödenburger Gespan
schaft an die Cistercienserabtei zum heiligen Kreuz im Wiener Walde. 1
Das zur Heerfahrt nöthige Geld suchte er lieber durch Anleihen,
Steuern, Finanzoperationen und selbst durch Beraubung der Kirchen
herbeizuschaffen. So nahm er z. B. aus der weßprimer Domkirche
nebst mehrern heiligen^ Gefäßen von Werth die kostbare, zwölf Mark
Gold wiegende Krone der.ersten Königin Gisela und verkaufte die
Edelsteine aus derselben für 140? Mark Silber '2; aus der Abtei zu
Tihany entführte er einen mit Perlen und Edelsteinen besetzten Kelch,
für den er nach seiner, Heimkehr der Abtei eine Schenkung von jähr
lich 1000 Steinen Salz machte. 3 In ähnlicher leichtsinniger Weise verfuhr
er bei Besorgung der Schiffe zur Ueberfahrt nach Asien. Der Prior Pontius
de Cruce und der siebenbürger Propst Alexander gingen nach Venedig,
um wegen Lieferung derselben zu unterhandeln. In ihrem unter dem
goldenen Siegel ausgestellten Vollmachtsschreiben verpflichtete sich der
König ausdrücklich, alles zu genehmigen, was sie mit den Venetianern
abschließen würden. Der Doge Peter Ziani wußte die hiermit dar
gebotene Gelegenheit trefflich zu benutzen und brachte einen Vertrag
zu Stande, der seiner Republik die größten Vortheile gewährte. „Der
König von Ungarn", dies sind Punkte desselben, „tritt die Stadt Zara
auf ewige Zeiten an Venedig ab ; er wird hierüber eine Urkunde unter
dem goldenen Siegel ausstellen , welche auch vom Papste bestätigt wer
Beobachtung
Venetianer
den soll; bisinzur
dieses
Ungarn,
Herausgabe
Punktes
wenn derselben
sie anDie
denUngarn
beschwören
Grenzen
dürfen
dasdieAchtzigstel
inGesandten
Venedig, ent
die

richtet haben , überall freien Handel treiben ; aus Gold , Perlen und
Edelsteinen verfertigte Schmucksachen, Seidenstoffe und Musterzeuge
sind zollfrei." Auch hier ist der Vortheil ganz auf selten des gewerbe-
und handeltreibenden Venedigs, das diese Artikel verfertigte und
ausführte. „Venedig verpflichtet sich dagegen, zehn Schiffe von 5000
Centner Tragfähigkeit zu stellen, für deren jedes der König 550 Giren
Miethe zahlt; die übrigen Schiffe dürfen keines weniger als 3000 Cent
ner tragen, und der Preis derselben richtet sich im angegebenen Ver
hältnisse
entrichtet nach
der König
ihrer bis
Größe
zu den nächsten
Das erste
Pfingstfeiertagen
Viertheil des ,Miethgeldes
das zweite

zu
Bevor
zum
demEnde
Hafen
Tage
der
Mai,
König
des
Rialto
die
heiligen
letzten
sich einschifft,
Jakob
Die
beiden
Schiffe
im
acht
gewährleisten
Hafen
müssen
Tagevon
vor
vollkommen
Spalatro
Abfahrt
er und eintreffen
der
ausgerüstet
die Schiffe
Venetianer
aus
bis

einander
Nachdem
durch diese
einen Vorkehrungen
Eidschwur Sicherheit."
getroffen 4waren , übergab er seinen

ältesten
1 Urkunde,
Sohn Bela
bei der
Katona
Obhut
, V, seines
241. —Oheims,
2 Pray,des
Dissertatio
berüchtigten
de S.Berthold,
Ladislao,

S. 109. — 3 Urkunde, bei Fejer, Cod. dipl., III, n, 352. — 4 Die aus Vene
dig in die kais. Hofbibliothek übertragenen, jetzt dorthin zurückgestellten Libri
Pactorum , IV, 335. Dandulus, bei Murajori, XII, 339.
giß Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

der ungeachtet seiner Unwürdigkeit unterdessen Patriarch von Aquileja ge


worden war 1, ließ dann das Gepäck und die Hauptmacht der Kreuzarmee,
bei 10000 Reiter, nach Spalatro abgehen und brach bald nachher selbst
dahin auf. In seinem Gefolge waren: Otto, Herzog von Meran; Eck
bert, Bischof von Babenberg; die ungarischen Bischöfe Peter von
Raab und Thomas von Erlau; Meister Ugrin, Unterkanzler; Dionysius,
Schatzmeister;
dislaus, Stallmeister;
Laurentius,
Nikolaus,
Mundschenk;
ödenburger,
Dominicus,
und Smaragdus,
Truchseß; pres-
La-

burger Obergespan; Gyula, des Palatin Moses Bruder; Sixtns, Herr


von Lipolth, aus dem Geschlechte Aba. 2 In Slawonien führte Graf
Stephan von Vodizze, der Sohn des Grafen Stephan von Gorizia, aus
dem römischen Geschlechte der Ursini , 250 auf eigene Kosten ge
rüstete Krieger dem Könige zu, der dafür ihn und seinen Bruder Ba-
bonek zu freien Reichsgrafen erhob. 3 Unterwegs vereinigte sich mit
dem König auch Leopold VII., der Glorreiche, Herzog von Oesterreich,
an der Spitze seines Kriegsvolks und stattlichen Geleites. 4 Außerdem
erwarteten ihn bereits zu Spalatro sächsische Kriegsscharen aus Sieben
bürgen und eine große Menge anderer Kreuzfahrer.
1217 Am 23. Aug. hielt Andreas seinen Einzug in die Stadt, wo er
' von den Bischöfen, der Geistlichkeit und der Bürgerschaft in feierlicher
Procession empfangen und in die Kirche des heiligen Dominicus ge
führt wurde. Zum Danke für den glänzenden Empfang wollte er der
Stadt die Burg Clissa schenken; da aber ihre Häupter lieber Be
lohnungen für sich selbst und mehrere unter ihnen gerade dieses Schloß
begehrten, vergabte er dasselbe an den Prior Pontius6; denn er hatte
nun einmal beschlossen, es zu verschenken, und konnte seiner ver
schwenderischen
Da die venetianischen
Laune nicht Schiffe
widerstehen.
die Menge der Kreuzfahrer nicht

fassen konnten, waren noch anconaer und spalatroer Fahrzeuge


gemiethet worden. Nach einer Rast von drei Tagen ging Andreas zu
Schiffe ; nach glücklicher Fahrt landete er am 8. Sept. an der In
sel Cypern. Hier wurde er auf des Papstes Anordnung von dem
cyprischen König, von dem König und Patriarchen von Jerusalem und
von den Großmeistern der Ritterorden glänzend empfangen. Nach
langer Berathung einigte man sich endlich über den Kriegsplan und
segelte nach Ptolomais (Akka, St.-Jean d'Acre), dem Sitz des Johan-
niterordens, dessen Großmeister jetzt Guarin von Montaigu war. Als
die Kreuzfahrer dort ankamen , trug man ihnen einen Theil des Kreu
zes Christi entgegen; Andreas und Leopold gingen barfuß hin, um
dasselbe ehrfurchtsvoll zu küssen. Das Heer lagerte außerhalb der
Stadt,
1 Fejer,
am Bache
Cod. dipl.,
Kison.IV, I, 21. — 2 Aus mehrern Urkunden zusammen

getragen. — 3 Facimus atque creamus .... tituli veri, illibati et eximii con1i-
tes liberos . . . . ut possint gaudere praerogativis atque gratiis , quibus ceteri
quipiam veri eximii ac liberi comites regni nostri. Katona, V, 294. Nach
dieser Urkunde zu schließen, gab es schon damals auch in Ungarn freie
Grafen, wie in andern Ländern. — 4 Calles, Annales Austr. , II, 201—202.
— 5 Thomas Archiad. Spal. Hist. Salonit., Kap. 26.

*xV
*Qs^,,
Aeußere Begebenheiten., Andreas II. 317

Der Waffenstillstand, den die Christen und Türken geschlossen


hatten, lief mit Anfang November ab, und der Feldzug begann am
3. unter Anführung des ungarischen und jerusalemitanischen Königs
und des österreichischen Herzogs. Koraddin, des ayubitischen Sultans
Sefadin Sohn, stand mit einem Heere am Brunnen Jisreels (Fons Tu-
baniae, bei Guilelmus Tyr. ; Trebaniae, bei Jacobus Vitrianus). Gegen
ihn marschirten die Kreuzfahrer. Er fürchtete ihre gegenwärtige Ueber-
legenheit und wußte nur zu gut, daß Klima, Mühsal und Uneinigkeit
ihre Macht bald brechen würden ; daher wich er der Schlacht aus und
zog sich nach Bethsaida zurück. Hier kam es zu einem Scharmützel,
in welchem der königliche Schatzmeister Peter einen türkischen An
führer — man glaubte den Bruder des Sultans selbst — erschlug und
dessen Kopf den Königen überbrachte. x Koraddin warf sodann Ver
stärkung in die Feste auf dem Berge Tabor und entwich vom Schau
platze des Kriegs. Weil nun die Kreuzfahrer keinen Feind vor sich
hatten, besuchten sie die heiligen Stätten und sammelten Reliquien.
Doch das fromme Gefühl der Andacht ward bald durch Hunger, Hab
gier und Fanatismus erstickt; sie fingen an zu plündern, schleppten
die mohammedanischen Bewohner der Städte und Dörfer in Gefangen
schaft, entrissen den Aeltern ihre Kinder und kehrten mit beträcht
licherDie
Beute
christlichen
nach Ptolomais
Heerführer
zurück.
dachten
2 nun einen Augenblick daran,

den fliehenden Feind, der ihnen die. Gelegenheit zum Sieg entzog, an
dem Sitze seiner Macht, in Aegypten, aufzusuchen, gaben aber dieses
Vorhaben vorderhand auf und beschlossen, die nur vier Meilen von
Ptolomais entfernte Burg auf dem Berge Tabor zu erobern. Sie war
stark befestigt,' siebzig Thürme erhoben sich über ihre Mauern und eine
Besatzung von 2000 erlesenen Kriegern vertheidigte sie. Vergeblich
bemühte sich Graf Raimund von Tripolis darzuthun , daß es unmöglich
sei, die Burg zu erstürmen, und daß zur Belagerung derselben die
nöthigen Werkzeuge und Lebensmittel fehlen; die Häupter beharrten
bei ihrem Entschluß und führten das Heer über Nazareth gegen die
Feste. Am 3. Dec. machten Andreas, Leopold und die Tempel
ritter auf der einen Seite des Berges den Angriff, auf der andern Jo
hann von Brienne, Titularkönig von Jerusalem, und Hugo von Lusignan,
König von Cypern, denen der Patriarch von Jerusalem Rudolf das
heilige Kreuzholz vortrug. Die Moslim, welche die Zugänge der Burg
vertheidigten , werden geworfen; die Christen erklimmen den Gipfel
des Berges; Johann von Brienne tödtet zwei vornehme feindliche Be
fehlshaber, auch ein ungarischer Krieger zeichnet sich durch tapfere
That aus 3: da gerathen der Großmeister Guarin von Montaigu und
der Graf
1 Einevon
Urkunde
Tripolis,
Bela's
dieIV.
imvon
Hintertreffen
1246, bei Fejer,
standen,
Cod. indipl.
heftigen
, IV, i,Zank
417.

— 2 Der Augenzeuge Oliverius Soholast. Hist. Damiatiana, bei Eckhard, II,


1397, und bei Menken, II. Godefrid. Colon. Annal. ad ann. 1217, bei Fre-
her,
— 3 I.DerJacob,
K5nigdebelohnte
Vitriaco, ihn
Lib.später
3, beidurch
Bongars,
Verleihung
Gesta Dei
einesper
Gutes
Francos,
in der
I.
honter Gespanschaft. Verböczy, Tripa*tit., Pars *II, Tit. 14, c. 13.
318 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.'

und verlassen mit ihren Scharen den Kampfplatz; die Vorgedrungenen


erhalten nunmehr keine Unterstützung, werden von den Mauern
der Burg zurückgeschlagen und erleiden beim Rückzug empfindlichen
Verlust.
Ein drittes Unternehmen sollte Ersatz geben für das Mislingen der

beiden ersten. In den letzten Tagen des December brach das Kreuzheer
wieder von Ptolon1ais auf und zog in das phönicische Gebiet, fand aber
jenseit des Leontes alle Pässe des Libanon vom Feinde besetzt und
mußte einen nach dem andern erstürmen. Fortwährende Kämpfe,
heftige Kälte auf den Bergeshöhen und Mangel an Lebensmitteln
rafften Menschen und Vieh dahin ; die immer wachsende Zwietracht der
Feldherren vereitelte jede heilsame Maßregel; ein furchtbares Un-
gewitter, das in der Christnacht sich erhob, erfüllte die Gemüther
vollends mit abergläubischem Schrecken; so trieb endlich Verzweiflung
das Heer nach Ptolomais zurück , wo es Gefahr lief, durch Hunger und
Pest unterzugehen. 1
1218 trennen.
Noth Johann
und Uneinigkeit
von Brienne,
zwangen
Leopold
hierauf
von die
Oesterreich
Kreuzfahrer,
und sich
Guarin
zu

von Montaigu führten ihre Mannschaft aus dem erschöpften Ptolomais


hinauf nach Cäsarea. Wilhelm von Chartres, der Templer, und Her
mann von Salza, der Deutschen Ordensritter Großmeister, begaben sich
auf den Berg Karmel, befestigten eine verfallene Burg und fanden unter
deren Trümmern einen beträchtlichen Schatz. Die dritte Abtheilung
blieb in Ptolomais als Besatzung zurück. Andreas und König Hugo
von Cypern gingen nach Tripolis, wo sie um' das Fest der Erscheinung
Christi, 6. Jan., anlangten. Hier wurden sie aber von schweren
Uebeln getroffen, Hungersnoth und aus derselben entstehende Seuchen
verminderten das Heer; der junge König Hugo starb, und Andreas
ward von einer Krankheit befallen, von der er sich Die mehr ganz er
holte Der
und schon
die man
durch
deshalb
soviel
einer
Misgeschick
Vergiftungund
zuschrieb.
körperliche
2 Leiden ent-

muthigte König empfing jetzt aus der Heimat die schlimmsten Nach
richten : Papst Honorius habe den Fürsten von Serbien Stephan, weil
er zur römischen Kirche übertrat, durch seinen Legaten Gregor zum
König von Rascien krönen lassen und dadurch die Hoheitsrechte der
ungarischen Könige über Serbien empfindlich gekränkt; Ungarn selbst
werde durch Parteiungen, Gewaltthat und Raub in die äußerste Ver
wirrung gebracht. 3 Er faßte daher den Entschluß, heimzukehren, und
führte denselben aus, ohne auf den Widerspruch der andern Kreuzfahrer,
auf die Drohungen des päpstlichen Legaten und auf den Bannspruch zu
achten, den der Patriarch von Jerusalem wirklich auf ihn und alle, die
ihm folgen würden, schleuderte. Vor seinem Abzuge bezeigte er noch
den Hospitalrittern des heiligen Johannes seine Dankbarkeit für die
freundliche
1 Oliverius
Anfnahme,
Scholast., die
Godefrid.
sie ihm
Colon.
zu Ptolomais
Jacobus deund
Vitriaco,
auf den
a. a. Berg-
O. —

2 Die zuvor Genannten. Thomas Archidiac. Spalat., Hist. Salonit., c. 26. —


a Epist. Andreae ad Honorium, 1218, bei Pray, Annales, I, 214.
Aeußere Begebenheiten. Andreas'II. 319

schlössern Krat und Margath erwiesen hatten, und sein Wohlgefallen


an den Werken der Barmherzigkeit und den tapfern Thaten , die sie
verrichteten. Mit Genehmigung der Reichsbeamten in seinem Ge
folge verlieh er dem Orden von den Einkünften der königlichen Salz
werke zu Szaloch jährlich 500 Mark Silber, zu Ostern zahlbar, den
. Zoll von dem ödenburger Grenzpasse, ein Stück Land zwischen der
Drave und der Ordensbesitzung Ohergon, die Freiheit, sein Salz (aus
den Gruben, die der Orden in Siebenbürgen schon besaß) im ganzen
Lande mit Ausnahme der Grenzen zu verkaufen, endlich den Hörigen
des Ordens Enthebung von der Gerichtsbarkeit ordentlicher Richter
und Befreiung von allen Landesabgaben, Steuern und Diensten. An
jedes der Ordenshäuser Krat und Margath vergabte er aus dem ge
nannten
Nachdem
Salz werke
also jährlich
Andreas100
nurMark.
drei 1 Monate an den Grenzen Palä

stinas zugebracht und nichts Bemerkens werthes ausgerichtet hatte, trat er


im Februar die Rückreise zu Landean und schloß unterwegs Ehebünd
nisse. In Antiochien verlobte er seinen Jüngsten Sohn Andreas mit
der Tochter des Königs von Armenien Leo unter der Bedingung der
Erbfolge für ihn und seine Nachkommen. Daß er in Bithynien eine
Gesandtschaft des Sultans von Ikonium empfangen , der Christ zu wer
den versprochen habe, wenn ihm der König seine Tochter oder eine
Verwandte zur Gemahlin gäbe, ist wol nichts weiter als ein Märchen.
In Nicäa dagegen verlobte er seinen erstgeborenen Sohn Bela mit der
Tochter des dortigen Kaisers Theodorus Laskaris, Maria, und nahm
die Braut sogleich mit sich nach Ungarn; und beim Zug durch Bul
garien versprach er dem Könige Asan (Joannitz war schon vor zehn
Jahren getödtet worden) seine älteste Tochter Maria zur Gemahlin. 2
NachEndlich
zwei Jahren
gelangte
wurdeAndreas
die Vermählung
mit seinem
gefeiert.
durch Noth und Stra-

patzen entsetzlich verminderten Heere nach Ungarn zurück, reich an Re


liquien, arm an Geld, ohne Ehre, ohne andern Gewinn als den Namen
des Jerusalemitaners, der ihm beigelegt wurde, obgleich er Jerusalem
nie gesehen hatte. Und in welch traurigem Zustand fand er das Reich !
„Als wir nach Ungarn zurückkehrten", klagte er dem Papst Honorius,
„sahen wir, daß sowol Laien wie Geistliche Verbrechen begingen,
welche alle Vorstellung überschreiten; wir fanden sämmtliche Ein
künfte des Staats in solchem Maße geraubt und verschwendet, daß wir
nicht einmal jene Schulden zu zahlen vermögen, die wir auf unserer
Heerfahrt zu machen gezwungen waren, und daß funfzehn Jahre nicht
hinreichen werden, unser Reich wieder in den vorigen Stand zu setzen ;
daher möge Eure Heiligkeit verzeihen, wenn Ihre Gesandten keine Ge
schenke bringen." 3 Und in einem andern Schreiben, von 1219, sagt
er: „Viele unter den Edelleuten haben wie Diener des Satans sich nicht
gescheut,
1 Die Urkunden,
unsere königliche
bei Katona,
Hoheit
V, 276,
zu verletzen,
280, 283 n. unsere
287. —Anordnungen
2 Epist. An-

dreae ad Honorium, bei Pray, Annal., I, 214. — 3 Epist. Andreae ad Hono-


rium, bei Katona, V, 310.
320 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

zu verachten und den Landfrieden zu brechen. Als der Erzbischof


Johann ihrer Bosheit Schranken setzen wollte, wurde er all seines
Vermögens und Einkommens beraubt, gefangen und schmachvoll aus
dem Lande geworfen." 1 So war es wirklich geschehen : der kraftlose
Mann, dem Andreas während seiner Abwesenheit die Reichsverwaltung
übertragen hatte, wurde vertrieben und mußte bis zu dessen Rückkunft
im Auslande bleiben , damit die zügellosen Herren ganz ungehindert
ihre Gewaltthätigkeiten üben könnten. Doch diese Uebel hatte der
König größtentheils selbst verursacht durch seinen Leichtsinn, durch
seine Verschwendung, durch seine gänzliche Unfähigkeit, sich Ge
horsam zu verschaffen; sie waren schon da, noch bevor er die Heer
fahrt nach Palästina antrat, seine Abwesenheit öffnete ihnen nun den
Raum zum Ausbruch. Deshalb war er auch nicht im Stande, nach
seiner Heimkehr denselben zu steuern und die Herrschaft des Gesetzes
und der Ordnung wiederherzustellen. Denn eben die, durch welche
diese Wiederherstellung hätte bewirkt werden müssen, die höchsten
Staatsbeamten, die Bischöfe und Obergespane stifteten das Unheil und
fanden darin ihre Lust und ihren Vortheil; sie aber ihrer Aemter zu
entsetzen und zum Gehorsam zu zwingen, war Andreas viel zu ohn
mächtig. Er wendete sich also* abermals an den Papst und bat ihn,
gegen die Urheber so großer Verbrechen und gegen ihre Mitschuldige
mit solcher Strenge zu verfahren , daß sie in keinem christlichen Lande
Aufnahme
Sein Kummer
und Schutz
wurde
fänden.
noch2 dadurch vermehrt, daß die Halitscher,

während er im Orient abwesend war, seinen Sohn Koloman verjagt


und Roman's Enkel, Mstislaw Mstislawitsch , sich zum Fürsten erkoren
hatten, weil die ungarischen Stellvertreter des neunjährigen Königs mit
fanatischem Eifer die Einführung des lateinischen Kirchenwesens be
trieben. 3 Es ließ sich wol leicht voraussehen, daß man das Kind
gegen den "Willen des erbitterten Volks und gegen die Angriffe der
feindlich gesinnten russischen Fürsten unmöglich werde auf dem Throne
erhalten können; aber Andreas war zu unbedacht und eitel, als daß er
dieses begriffen und auf eine Sache verzichtet hätte, die ihn durch ihren
Glanz blendete. Sobald sich also der Aufruhr im eigenen Lande
einigermaßen gelegt hatte, war es seine erste Sorge, Koloman mit
Heeresmacht wieder in den Besitz des verlorenen Galiziens zu setzen.
Aber hierzu fehlte es an Geld, und doch war um desto mehr Geld
dazu nöthig, da sich die Zahl der Landesmiliz durch Vergabung derStaats-
ländereien außerordentlich vermindert hatte, und Krieger für Sold ge
worben werden mußten. Andreas verpachtete und verpfändete deshalb
die königlichen Gefälle und Steuern an Juden und Ismaeliten (die schon
oft erwähnten mohammedanischen Bulgaren); zahlte der Witwe König
Emerich's, jetzt Gemahlin Kaiser Friedrich's II., Constantia, das ihr
zugesicherte Leibgedinge von 12000 Mark nicht aus und bemäch
tigte 1 sich
Fejer,
noch
Cod.überdies
dipl. , III,
des1, Geldes
282. — und
2 Epist.
Geschmeides
Andreae adimHonorium,
Betrag von
bei

Pray, Annal., I, 214. — 3 Karamsin, Geschichte des russischen Reichs, III, 150.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 321

30000 Mark, welches sie im grauer Hause der Johanniter niedergelegt


hatte. 1 Doch das Verderblichste von allem, wozu er in der selbst
verschuldeten Noth griff, war, daß er sich von einigen Großen bereden
ließ, „die von den Altvordern unverletzt erhaltene Verfassung des
Reichs ändernd, Burgen, Gespanschaften, Ländereien und andere Ein
künfte des reichen Ungarns an seine Barone und Krieger als bleibendes
Erbe zu vergaben".2 So wurde dem Bedürfnisse des Augenblicks, das
thörichte Ehrsucht und Herrschbegierde geschaffen hatten, das noch
übrige Vermögen und mit ihm die Macht und das Wohl des Staats
geopfert
Nunund
sammelte
der ohnedies
Andreasschon
einübermächtigen
kleines Heer, Oligarchie
das der Palatin
preisgegeben.
Gyula

1219 über die Karpaten führte. Jenseit der Gebirge stieß ein 1219
polnisches Hülfscorps zu ihm, von Herzog Lesko seinem künftigen
Schwiegersohne zugeschickt. Als sich die vereinigte ungarisch-polnische
Armee Halitsch näherte, verließ Mstislaw die Stadt und Koloman zog
wieder als König in dieselbe ein. Aber nach kurzer Zeit kehrte
Mstislaw an der Spitze eines starken, aus Bussen und Kumanen be
stehenden Heeres wieder. Gyula befestigte in der Eile Halitsch, ließ
den jungen König dort zurück und ging dem Feinde entgegen, wurde
jedoch geschlagen und konnte nur mit schwerer Mühe die Ueberreste
seiner Armee in die Stadt zurückführen. Die Sieger folgten ihm auf dem
Fuße und begannen die Belagerung derselben. So tapfer sich auch die
Ungarn und Polen eine Zeit lang vertheidigten, mußten sie doch, als die
äußern Mauern, von den Russen untergraben, zusammenstürzten, sich
in die innere Burg zurückziehen und zuletzt, von Hunger und Durst
bezwungen, auch diese und sich selbst übergeben, 1220. Die Ge- 1220
fangenen wurden unter die Kumanen als Sklaven vertheilt, Koloman,
seine Braut Salome und der Palatin Gyula aber auf die Burg Torsk in
Verhaft
Dagesetzt.
Andreas3 außer Stande war, die Gefangenen mit Waffengewalt

zu befreien, mußte er es durch Unterhandlungen versuchen. Nach


einigen vergeblichen Gesandtschaften kam es endlich durch Vermitte-
lung Herzog Lesko's dahin, daß Andreas 1221 persönlich mit Mstislaw 1221
an der ungarischen Grenze zusammentraf und Frieden schloß. Nach
den festgesetzten und von beiden Theilen beschworenen Bedingungen
wurden Koloman und Salome dem Könige ausgeliefert; dessen Jüngster
Sohn Andreas sollte nach drei Jahren mit Mstislaw's Tochter Maria
vermählt
1 Epist.
werden,
Honorii,Mstislaw
bei Schier,
bis Reginae
dahin Halitsch
Hung., S.unter
177; ungarischer
bei Katona, Hoheit
V, 432.

— 2 Die von Andreas für die graner Kirche über das Gut Turdos aus
gestellte Schenkungsurkunde: „Dum quorundam nostrorum principum consilio
terrae nostrae statum, ab antiquis illibate conservatum alterantes, castra,
comitatus, terras et ceteros opulentis Hungariae proventus in perpetuas haere-
ditates nostris baronibus et militibus distribuimus." Fejer, Cod. dipl., III, i,
255. Dagegen sagt Bela IV. in einer Urkunde vom Jahre 1267: „Inter alias
immensas donationes, quas (pater noster) quibusdam persouis passim et in
differenter in praejudicium coronae regiae facere consueverat. Fejer, Cod.
dipl., III, 1n, 388. — 3 Cromer, Hist. Polon., VII, 185.
Feßler. I. 21
322 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

regieren und dann seinem Eidam übergeben. 1 Allein von dem allen
1222 geschah nichts; der König verlangte schon im folgenden Jahre, 1222,
daß ihn der Papst von dem beschworenen Vertrag entbinde. Der
Papst erklärte denselben insoweit für nichtig, als er Andreas statt des
kraft päpstlicher Gewalt gekrönten Koloman zum Herrscher Galiziens
und Lodomeriens bestimmte, hielt jedoch die Verlobung des erstem mit
Maria aufrecht. 2 Allein weder Andreas noch Koloman, ungeachtet
die päpstliche Entscheidung das Herrscherrecht des letztern für unver
letzlich erklärte, gelangten je auf den halitscher Thron. Die Aussicht
auf das ferne Armenien hatte Prinz Andreas bereits vor seiner zweiten
Verlobung mit Mstislaw's Tochter verloren. Denn als König Leo
starb, traten sogleich mehrere Prätendenten für Armenien auf; da
wurde dessen Tochter, Andreas' erste Braut , schnell mit Philipp, Bo-
hemund's von Antiochien Sohn, vermählt, der mit ihrer Hand auch das
Königreich erwarb.3 Alle Hoffnungen und Plane, die Andreas zur Er
hebung seines Hauses gefaßt hatte, waren also in kurzer Zeit vereitelt;
ihm blieb davon nichts weiter übrig als der leere Titel eines Königs von
Galizien
Dagegen
und Lodomerien.
brachen die nachtheiligen Folgen seiner Charakter

schwäche und Regierungssünden unaufhaltsam herein. Seine vormalige


1220 Schwägerin, die Kaiserin Constantia, klagte ihn 1220 wegen der
Vorenthaltung ihres Leibgedinges und der gewaltsamen Wegnahme
ihres Schatzes beim Papste an. Hierauf ertheilte dieser dem Erz
bischof von Salzburg, Eberhard II., und dem Bischof von Veszprim, Ro
bert, den Auftrag, die Sache zu untersuchen und den König zum Er
satz anzuhalten.4 Andreas that Einspruch gegen die Bevollmächtigten,
weil der veszprimer Bischof sein Vasall sei, und verlangte den Papst
selbst zum Richter in dieser Angelegenheit. Hiermit war auch die
Kaiserin zufrieden6; sie starb aber, noch ehe der Urtheilsspruch er
folgte, und mit ihr ward zwar auch die Schuld des Königs begraben,
doch die Demüthigung, einer solchen Sache wegen vor Gericht gestellt
worden zu sein, dürfte er nie vergessen haben, wenn nur ein Funke
königlichen
Das Geld,
Sinnswelches
in seiner
er Brust
durchglimmte.
Veräußerung der Staatsgüter , durch

Verpachtung
1 Russischeund
Jahrbücher,
Verpfändung
bei Katona,
der Gefälle
V, 364.und
Dlugoss,
SteuernVI,zusammen-
610. Ka-

ramsin, a. a. O. — 2 Epist. Honorii ad Andream, bei Katona, V, 366. —


3 Bernhardus Thesaurarius, bei Muratorius, VII, 843. Die fernem Schick
sale dieses Prinzen sind in Dunkel gehüllt. Einige glauben, er müsse kurz
nach den erzählten Begebenheiten gestorben sein, weil seiner nirgends mehr
gedacht wird; andere setzen seinen Tod in das Jahr 1234; noch andere end
lich halten ihn für den Stammvater der gräflichen Familie Croy in Frank
reich. Sie geben an, Andreas wanderte nach Venedig aus, ehelichte dort des
reichen Kaufherrn Petrus Cumarius Tochter Sibylla; sein Sohn Marcus kam
nach Frankreich, heirathete dort die Tochter des Herrn v. Arain und Croy
und ward der Ahn der Grafen Croy, die deshalb Nachkommen Arpäd's in
männlicher Linie zu sein behaupten. Vgl. das am Schlusse des Bandes über
diesen Gegenstand Gesagte. — * Epist. Honorii, bei Schier, Reginae Hung.,
S. 177. — 5 Epist. Honorii ad Andream, Katona, V, 308.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 323

gebracht hatte, war schnell verthan, und nun waren alle Quellen
des Einkommens für längere Zeit gänzlich erschöpft. In dieser Noth
griff er abermals zu einem Mittel, das ihm wenig Gewinn, dem Volke
jedoch unberechenbaren Schaden brachte. Bei dem schon zur gesetz
lichen Gewohnheit gewordenen Umtausch neuer Münzen gegen die
alten verminderte er nämlich den Feingehalt derselben immer mehr,
bis sie am Ende fast werthlos waren. Da aber dasselbe Geld, das aus
der Münzstätte das Land überschwemmte, auch wieder in die öffent
lichen Kassen zurückfloß, wurde dadurch dem Mangel nicht abgeholfen,
und der König schritt nun zu neuen Veräußerungen von Staatsgütern in
solchem Maße, daß Honorius sich berechtigt glaubte, Einsprache da
gegen zu erheben. Er schrieb daher 1220 an den Erzbischof von 1220
Kalocia, Ugrin: „Seit lange hören wir, daß unser geliebter Sohn in
Christo, der glanzvolle (splendidus) König Ungarns, zum Schaden des
Reichs und zur Erniedrigung der königlichen Würde, Veräußerungen
macht; wir haben dem König geschrieben, daß er dieselben zurück
nehme, auch wenn er den Verkauf mit einem Eide bestätigt hätte; denn
indem er bei der Krönung geschworen hat, die Rechte des Landes und
die Ehre der Krone unverletzt zu bewahren, war es ihm nicht erlaubt,
durch einen Eid zu versprechen , daß er die verkauften Güter nicht zu
rücknehmen werde; deshalb darf er denselben schlechterdings nicht
halten."1
Um dieselbe Zeit schritt der Papst sogar handelnd in die Reichs
angelegenheiten ein. Andreas hatte noch als Herzog 1202 die an der
nördlichen Seite des Flusses Zettina knapp am Meer, auf einem steilen
Felsen gelegene Stadt Amissa befestigen lassen und ihr 1207 alle
Rechte der übrigen Städte Dalmatiens verliehen. Die Einwohner
derselben trieben zuerst Kaperei gegen venetianische Handelsschiffe,
gewöhnten sich dadurch an Seeraub und wurden in ihren Unter
nehmungen immer kühner, seit sich die verfolgten Patarener in die feste
Stadt geflüchtet hatten und sich an ihren Drängern zu rächen suchten.
Von allen Seiten liefen Klagen gegen sie ein ; Andreas drohte
ihnen, er werde mit der ganzen Reichsmacht kommen und sie züchtigen,
wenn sie nicht sogleich die Seeräuberei aufgeben und die Patarener ver
treiben würden. Aber die Amissaer wußten zu gut, welche Kluft zwi
schen dem Wort und der That dieses Königs liege, und achteten seine
Befehle und Drohungen nicht. Da versammelte der Legat Aconcius
auf Befehl des Papstes die Streitkräfte der dalmatinischen Städte, griff
Amissa zu Wasser und zu Lande an und zwang die unruhigen Ein
wohner auf den Knien Verzeihung zu erflehen und ihre Schiffe zu ver
brennen ; selbstverständlich mußten auch die Patarener versprechen,
künftighin gut ,römisch-katholisch zu sein. *
Zu den bereits vorhandenen Uebeln gesellte sich ein neues, Zwie
tracht im königlichen Hause. Der kaum sechzehnjährige gekrönte
König1 Bei
Bela
Katona,
hatte V,
seine
338.eigene
— 2 Lucius,
Hofhaltung,
Lib. IV, inc. der
4, p.sich
160.mitFarlatus,
AusnahmeIII,

249. Thomas archid. Hist. Salon., Kap. 27.


21*
324 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

eines Palatins alle übrigen Reichswürdenträger befanden, und übte, wie


es scheint, bei der Unbestimmtheit und Verwirrung aller öffentlichen
Zustände auch königliche Befugnisse aus. Da Andreas die Zügel der
Regierung so kraftlos führte, ließ er sich um so leichter durch seine
Umgebung bewegen, mehr und mehr nach denselben zu greifen. Un
verkennbar ging sein Streben darauf hinaus, die geraubten Kron
güter wieder einzuziehen, den Uebermuth der Mächtigen zu brechen
und das königliche Ansehen herzustellen. Die Großen am Hofe des
ältern Königs, namentlich der Palatin Nikolaus und der Schatzmeister
Dionysius erschraken über das Beginnen des thatkräftigen Jünglings,
reizten den Vater gegen den Sohn auf und wagten es sogar , letzterm mit
Geringschätzung und Hohn zu begegnen. x Besonders mochten sie die
junge Königin Maria beargwohnen, daß sie ihren Gemahl zu den Schrit
ten, die er that, anrege; sie wußten es in Verbindung mit der Königin
Jolantha, die ihrer Stiefschwiegertochter übel wollte, dahin zu bringen,
daß Andreas seinem Sohne befahl, sich von der Gattin, die er liebte,
zu trennen , und daß dieser sogar in die Ehescheidung willigte, ja beim
Papst dieselbe nachsuchte, der aber das Ansuchen abschlug und den
Bischöfen
Unterdessen
auftrug,
war
dasdiegetrennte
Finanznoth
Ehepaar
immerwieder
höher gestiegen.
zu vereinigen.2
Nichts half

es, daß Steuern und Zölle, der Salzverkauf und die Münze an Juden und Is-
maeliten verpachtet wurden ; diese bereicherten sich durch furchtbare Be
drückungen und Unterschleife, aber die Schatzkammer blieb leer und
1221 das Volk gerieth in Elend und Verzweiflung. Jetzt endlich 1221 er
ließ Andreas den Befehl, die zerstreuten, von übermächtigen Herren ge
waltsam unterdrückten Burgleute in Freiheit zu setzen und wieder zu
sammeln, desgleichen alle ohne königliche Vergabung eigenmächtig
von den Burgen der Gespanschaften abgerissenen Ländereien wieder mit
denselben zu vereinigen. 3 Dieser Befehl setzte die räuberischen Dy
nasten in Besorgniß; sie sahen in demselben den Anfang, ihnen die
Staatsgüter, deren sie sich auf jegliche Weise bemächtigt hatten, wieder
abzunehmen, und suchten dessen Ausführung zu vereiteln, überhaupt
jede Verbesserung zu hintertreiben. Desto eifriger wirkten Bela und
seine Anhänger für die zum Heile des Vaterlandes unumgänglich
nöthigen Reformen. War die Partei, welche den ältern König umgab,
überwiegend an Reichthum und Macht, so hatten'sie dagegen die Ueberzahl
und die öffentliche Meinung für sich. Sie erkannten nur Bela für ihren
König, suchten ausschließlich bei ihm Recht 4 und gingen schon damit
um, Andreas mit bewaffneter Hand zu entthronen. Bald standen sich
die Parteien feindlich gegenüber; Fehden und Verheerungen der Land
güter fanden statt; und da jeder nur die Sache seines Königs zu ver-
theidigen vorgab, häuften sich Anklagen wegen Treulosigkeit und Meu
terei , Confiscationen und sogar Hinrichtungen ohne gesetzliche Formen.
Schon 1 Rogerii
war die Canonici
Gesammtheit
Varadiensis
der Freien
Carmen
und miserabile,
Adelichen bereit,
Kap. 9,diebei
Waffen
End

licher. — 2 Epist. Honorii 28. Maji 1222, bei Fejer, III, i, 384. — 3 Fejer,
Cod. dipl., III, i, 353. Katona, Hist. crit., V, 338. Bei, Apparat. Dec. 1,
269. — * Bulla aurea, 14, bei Endlicher.
Innere Zustände. 1196—1222. 325

wider ihre Dränger, die Herren, zu erheben; der Bürgerkrieg schien


unvermeidlich. 1 Vergebens trug Honorius III. Ungarns Bischöfen auf,
die Urheber der Zwietracht zwischen Vater und Sohn, ebenso alle, welche
dem rechtmäßigen König Gehorsam und treue Dienste verweigerten,
mit dem Kirchenbann zu verfolgen 2; das Uebel lag tiefer , als daß die
Streiche der kirchlichen Gewalt es treffen konnten. Da trat die Geist
lichkeit ins Mittel und bewog in Verbindung mit einigen besser gesinn
ten Hofherren den König 1222 einen großen Reichstag zu berufen, einen 1222
der wichtigsten, die in unserm Vaterlande abgehalten worden sind. Wie
sieben Jahre früher, 1215, die Magna Charta Englands unter ähnlichen
Umständen, kam hier der große Freibrief der ungarischen Nation zu
Stande, welcher von dem daran hängenden goldenen Siegel die „Gol
dene Bulle" genannt wird. Er war gegen die Willkür der Könige und
dieGewaltthaten der Großen gerichtet, sollte die eingerissenen Misbräuche
aufheben und die Rechte des Adels — weniger des Volks, das seine
ursprüngliche Freiheit schon größtentheils verloren hatte, —, feststellen
und für immer sichern; er gilt als die Grundlage der Nationalfreiheit
und Constitution und ward von jedem König bei der Krönung feierlich
beschworen.3 Weiter unten, wo von den innern Zuständen die Rede sein
wird, theilen wir den Inhalt derselben mit. Noch in dem nämlichen
Jahre bestätigte Andreas durch einen königlichen Freibrief — nicht
durchDie
ein Gesetz —2.auch
auffallende Innere Zustände.
Verschlimmerung,
die Rechte
1196—1222.
und Immunitäten
welche die bürgerlichen1
der Geistlichkeit.
und

kirchl1chen Verhältnisse , die Verfassung und der ganze Zustand Ungarns


in dem kurzen Zeitraum von sechsundzwanzig Jahren erlitten, tritt aus
den bisher erzählten Begebenheiten so deutlich zu Tage, daß es nicht
nöthig ist, dieselbe ausführlicher darzulegen. Alles, was Bela III. zur
Wiederherstellung der königlichen Macht, zur Begründung gesetz
mäßiger Ordnung und zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt gethan
hatte, verschwand schnell und fast spurlos nach seinem Tode. Dagegen
gewannen die nachtheiligen Veränderungen, welche schon unter seinen
Vorgängern sich allmählich vorbereitet hatten, während Emerich's Re
gierung immer mehr Bestand, und kamen unter Andreas zur Vollendung.
Kräftige Regenten hätten zwar ihren Fortschritt aufhalten und sie weni
ger verderblich machen, nicht aber — das muß man zugeben — sie
ganz verhindern können; denn sie lagen in dem damaligen politischen
Zustande der Völker und traten um diese Zeit hier etwas früher, dort
später in den meisten Ländern Europas ein. Da es nun den beiden
Königen
1 Rogerius,
an Kraft
Carmen
desmiserabile,
Geistes Kap.
und 9,Staatsklugheit
bei Endlicher, Monumenta,
fehlte, waren
S. 201.
sie

— 2 Epist. Horiorii ad Episcopos, 4. Julii 1222, bei Fejer, Cod. dipl. , III,
I, 388. — 3 Verböczy, Decretum tripartitum, Pars I, Tit. 9, §. 6.
326 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

nicht im Stande, dem hereinbrechenden Strom einen Damm zu setzen,


sie öffneten ihm vielmehr selbst den Weg, und so mußte der Umschwung
der Dinge
Die wiederholten
um so plötzlicher,
Aufstände,
allgemeiner
die Andreas
und verderblicher
gegen seinen
werden.
Bruder

erhob, mußten schon an sich selbst die königliche Macht schwächen,


das Ansehen des Gesetzes verringern, Thaten der Gewalt erzeugen
und das Land in Verwirrung bringen. Sein Streben, durch übertriebene
Nachsicht und verschwenderische Freigebigkeit die gewaltigen Großen
auf seine* Seite zu ziehen, nöthigte auch Emerich, ihre Treue unablässig
mit neuen Gütern und Privilegien zu erkaufen und ihnen alles zu erlauben,
was sie begehrten. So ward der König immer ärmer und ohnmächtiger,
die Dynasten aber erstiegen eine Höhe des Reichthums und der Macht,
auf der sie weder der Arm des Gesetzes noch des Königs erreichen
konnte. Die Straflosigkeit, auf die sie rechneten, entfesselte ihre Leiden
schaften und steigerte ihre Kühnheit; verwalteten sie hohe Staatsämter,
so übten sie die größte Willkür und benutzten dieselben ungescheut,
sich durch Erpressungen und Raub zu bereichern; lebten sie im Privat
stande, so verweigerten sie den schuldigen Gehorsam, trotzten den
Entscheidungen der Gerichte, und erweiterten mit List und Gewalt ihre
Besitzungen
Der Leichtsinn,
und angemaßten
mit welchem
Vorrechte.
Andreas
1 das Staatsgut an Günst

linge und auf unnütze Kriege verschwendete, die Schwäche, mit der er
seiner Gemahlin Gertrud und ihren Verwandten die königliche Gewalt
schändlich zu misbrauchen gestattete, die gesetzwidrigen und verkehrten
Mittel, durch die er sich Geld zu verschaffen suchte, erstickten im
Volke die ehrfurchtsvolle Scheu vor dem König, lockerten alle Bande
der Ordnung, erzeugten Armuth und Noth und untergruben die öffent
liche Sittlichkeit. Denn eine Regierung, die selbst Gesetz und Recht
nicht achtet, fordert ihre Untergebenen gleichsam auf, dieselben zu ver
letzen; räuberische Finanzmaßregeln zwingen zu Unterschleifcn; ein
gedrücktes hungerndes Volk ist stets zu Aufständen bereit; auf seinen
Beifall
Nichts
kann zeugt
sicherlauter
jeder von
zählen,
der traurigen
der sich dessen
Zerrüttung
Drängern
des widersetzt.
Landes und

von der verzweiflungsvollen Rathlosigkeit seiner Regenten in diesem


Zeitraum, als daß der Papst so häufig zum Einschreiten angerufen
wurde. Weil die weltliche Macht in Verachtung gesunken und von
allen Mitteln, Ordnung zu schaffen, entblößt war, wandte man sich
an ihn , daß er mit geistlichen Waffen die Widerspenstigen bekämpfe.
Aber die Hülfe, die er gewährte, wurde theuer erkauft und war nur
eine scheinbare; die eigene Ohnmacht ward eingestanden, die Freiheit
des Reichs preisgegeben und der König zum Vasallen des römischen
Stuhls erniedrigt. Durch allzu häufige Anwendung und Misbrauch ver
loren die Bannflüche ihre Wirksamkeit; die Bischöfe, denen der Papst
die Vollmacht, sie auszusprechen, ertheilte, schleuderten dieselben wider
ihre 1persönlichen
Rogerius, Carmen
Gegner miserabile,
und widerKap.
einander
10. selbst;
Die bereits
wer oben
den Muth
ange

führten Briefe , in denen Andreas über das eingerissene Verderben vor dem
Papste klagt.
Innere Zustände. 1196 — 1222. 327

besaß, ihre Verwünschungen nicht zu fürchten, erkannte bald , daß sie


nicht schaden, und ward um so trotziger. Wie fast überall, stiftete die
Einmischung
Die Gemeinfreien
des Papstes
bildeten
auch hier
einstmehr
die Unheil
Masse des
als Segen.
Volks, in ihnen lag

die Kraft des Staats. Durch Einflüsse, die wir bereits angaben, hatte
sich ihre Zahl unablässig vermindert, indem sie größtentheils zur Hörig
keit herabgesunken waren; jetzt, wo die habgierigen und herrsch
süchtigen Großen den Schwachen ungestraft unterdrücken durften, ver
schwanden sie beinahe gänzlich; nur einige Ueberreste dieses Standes
waren noch vorhanden in den Burgmilizen, Jobbagyones castri, die auf
den wenigen Gespanschaftsländereien saßen, welche der Verschleuderung
der Könige und dem Raube der Mächtigen bisher entgangen waren.
So näherte sich die ungarische Nation in diesem Zeitabschnitte voll
Wirren um einen bedeutenden Schritt jenem jahrhundertelang dauern
den Zustande, wo nur der Adel Freiheit genoß, ausschließlich politische
Rechte übte und allein das Volk , den Populus , bildete. 1 Da aber
nur freie Leute steuer- und kriegspflichtig waren, und die Adelichen
bereits für sich selbst und für ihre Hörigen die Befreiung von allen Ab
gaben als unbestrittenes Recht erlangt hatten, auch zur Heeresfolge
blos dann verpflichtet zu sein glaubten, wenn das Vaterland von einem
Feinde angegriffen wurde: welchen gewaltigen Abbruch mußten die
Staatseinkünfte und die Wehrkraft durch die fortschreitende Abnah'me
der Gemeinfreien erleiden! Der Adel selbst schied sich, wenn. auch
nicht nach Gesetz und Erblichkeit, doch thatsächlich in zwei Klassen. Die
erste umfaßte die hohen Würdenträger des Reichs, Barones, Jobbagyones
Regni oder einfach Jobbagyones genannt, und die Eigenthümer größerer
Herrschaften (zu ihnen gehörten auch die Freigrafen, wenn es deren
mehrere außer den oben erwähnten von Gorizia gab). In der zweiten
stand der übrige zahlreiche Adel, die Nobiles, die im Gegensatz zu den
erstem
besitz gab
Servientes
es nicht.regiiAlle,
genannt
die der
werden.
König adelte,
Einen Briefadel
erhielten zugleich
ohne Landein

Geschenk an Land, donatio, oder besser, sie wurden durch dieses Ge


schenk adelich. Das adeliche Besitzthum war auch jetzt noch doppelter
Art: entweder aus der ursprünglichen Vertheilung herrührendes, er
erbtes oder erkauftes vollständiges Eigenthum oder lehnweise gegen
Dienstleistungen verliehenes Staatsgut. Indem sich Andreas von sei
nen habsüchtigen Räthen bereden ließ, weite Staatsländereien, Bur
gen und ganze Gespanschaften erbeigenthümlich zu verkaufen, handelte
er also wider Recht und Befugniß und „änderte die ganze von den
Altvordern unverletzt erhaltene Verfassung des Reichs", wie er sich
selbst ausdrückt. Ungarn gerieth dadurch in die Gefahr, wie Deutsch
land in eine Menge größerer und kleinerer Herrschaften zerstückelt
und in ein Königthum mit leerem Titel, ohne Einkommen und Macht
verwandelt
1 Werfen
Verböczy,
zuwir
werden.
Decretum
jetzt noch
2 tripartitum,
einen Blick
ParsaufII,dieTit.kirchlichen
4. — 2 Rogerius,
ZuständeCar
im

men miserabile, Kap. 9.


328 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

ungarischen Reichsgebiete. Hier fallen uns zuerst die Patarener als


merkwürdige Vorboten künftiger großer Veränderungen, die sich im
Schose der abendländischen Christenheit entwickelten, in die Augen.
Die Glaubenslehre war ein Gewebe scholastischer Spitzfindigkeiten, der
Gottesdienst ein todtes Ceremonienwerk und die ganze Religion ein
Mittel der Priesterherrschaft geworden; der Unterricht und die Er
bauung des Volks blieben Vernachlässigt; der weltliche Sinn und die
Ueppigkeit des Klerus und besonders der anstößige Misbrauch, der mit
dem Ablaß getrieben wurde, gaben allenthalben großes Aergerniß.
Viele fromme, vom Geiste des Evangeliums ergriffene Christen zogen
sich daher im stillen von der herrschenden Kirche zurück, stifteten
Brüderschaften und Gemeinden und suchten in denselben Befriedigung
für ihre religiösen Bedürfnisse. Daß sie in Lehren und Gebräuchen
weit voneinander abwichen und von Schwärmerei und Uebertreibungen
nicht frei blieben , läßt sich nicht leugnen , aber auch leicht erklären.
In Frankreich nannte man sie Waldenser und Albigenser, in Italien
Patarener, entweder weil sie ihre geheimen Versammlungen in dem
mailänder Stadtbezirke Pataria hielten, oder weil sie viel dulden mußten,'
oder weil sich der gemeinsame Name religiöser Sekten, Katharer, in der
Sprache des Volks so gestaltete. In Italien, Spanien und Frankreich
mit Feuer und Schwert verfolgt, flüchteten viele dieser Frommen über
Venedig nach Dalmatien und Bosnien. Im letztern Lande war Kulin
der griechisch-unirten (mit der römischen vereinten) Kirche zugethan, Bän
unter ungarischer Oberherrlichkeit. Er nahm die gebildeten, religiösen
und arbeitsamen Einwanderer gern auf, und diesen gelang es bald,
zuerstseine Gemahlin, sodann den Bischof von Bosnien, Daniel, und endlich
ihn selbst für ihre Sache zu gewinnen und hierdurch derselben Bestand
11,99 und Wachsthum zu verschaffen. Bereits 1199 sagte sich Bischof
Daniel von der römischen Kirche los und kündigte den Erzbischöfen
' Dalmatiens den Gehorsam auf. Das wollte Bernhard, vormals Domi
nicanermönch, jetzt Erzbischof von Spalatro, nicht dulden; er berich
tete die bedrohlichen Vorgänge an den gewaltigen Ketzerfeind Inno-
centius III. Allein dieser konnte hier nicht wie in Frankreich durch
Inquisition und Kreuzheere die Abgefallenen mit Feuer und Schwert
vertilgen. Er befahl zwar dem Erzbischof, den Bann über sie aus
zusprechen, und forderte den König Emerich auf, den Arm der welt
lichen Macht gegen sie zu erheben; aber blutige Religionsverfolgungen
waren der duldsamen Gesinnung des ungarischen Volks zuwider, und
. Emerich mußte noch überdies fürchten, durch gewaltsame Maßregeln
Bosnien zur Empörung zu reizen; er that also nichts weiter, als daß er
Kulin befahl, nach Rom zu gehen, um sich dort zu verantworten.
Kulin gehorchte und rechtfertigte sich so geschickt, daß ihn der
Papst, der vielleicht auch die Sache nicht auf die Spitze treiben
wollte, für rechtgläubig erklärte und mit seinem Segen entließ. Un
terdessen hatte Erzbischof Bernhard die Patarener hart verfolgt und
viele zur Flucht in die bosnischen Berge genöthigt, wo sie neue An
siedelungen gründeten und schnell zu einigem Wohlstand gelangten.
Und da Kulin nach seiner Rückkehr aus Rom überall versicherte, der
Innere Zustände. 1196 — 1222. 329

Papst habe sein Glaubensbekenntniß gebilligt, gewann die Sekte immer


weitere Ausbreitung. Als Innocentius durch den serbischen Fürsten
CL- Wolken, den es nach dem Besitze Bosniens gelüstete, Kunde hiervon er
hielt 1, forderte er den König auf, alle Patarener sammt dem Bän
Kulin zu vertreiben, und befahl dem Erzbischof, Bannflüche unter den
schauerlichsten Feierlichkeiten auf sie zu schleudern. 2 Doch weder der
eine, noch der andere gehorchte; beide ließen es bei friedlichen Er
mahnungen bewenden. Kulin gab denselben Gehör und handelte von
nun an behutsamer, und auch Daniel wußte sich bis an sein Ende,
1201, auf seinem Bischofssitze zu behaupten. Erst nach des letztern
Tode kam der päpstliche Legat Johannes von Casemaria nach Bosnien,
berief eine Synode nachPoili an derBosnal203, aufder die Abgeordneten 1203
Kulin's, der Archidiakonus von Ragusa Marinus und die Vorsteher der
Patarener eidlich gelobten, hinfort den Anordnungen der römischen
Kirche gehorsam und treu nachzuleben. 3 Doch die Gesinnung des Her
zens blieb unverändert; die Sekte schlug in Bosnien und den umliegenden
Ländern tiefe Wurzeln, und noch in spätem Zeiten, als unter Roms
wachsendem Einfluß Ketzerhaß und Verfolgungssucht heftiger geworden
waren, beschäftigte deren Ausrottung viel und lange die ungarischen
Bischöfe
Bestände
und Könige.
das Wohl der Kirche in. Reichthum und weltlicher Macht,

so dürfte man den damaligen Zustand derselben im ungarischen Reiche


einen höchst blühenden nennen; denn Emerich und Andreas vermehr
ten die schon so großen Besitzungen, Einkünfte und Vorrechte des
Klerus beträchtlich. So schenkte der erstere z. B. dem agramer Bis-
thunj 1198^—99 Liegenschaften und Privilegien, durch welche die
Rechte und der Schatz des Staats nicht wenig verkürzt wurden; er
wendete auch andern Stiftern, besonders dem graner ähnliche Gaben
zu, gründete neue und bereicherte die alten Klöster.4 Andreas war noch
weit freigebiger; Bischöfe, Aebte und Pröpste empfingen einen großen
Theil der Staatsgüter, die er so leichtsinnig verschwendete, und als er
wenig Kronländereien mehr zu verschenken hatte, wies er ihnen Ge
fälle, Salzlieferungen und Jahresrenten aus den königlichen Einkünften
zu. 6 Doch dies alles konnte die Habgier vieler Priester noch nicht
stillen ; mehrere Bischöfe stritten in anstößiger Weise miteinander
über Rechte und Besitzungen, schmälerten das Einkommen ihrer
Domherren, bedrückten die niedere Geistlichkeit und zwangen das
Volk, den Zehnten mit Geld abzulösen. Um Serbien sicher in den
Schos der römischen Kirche zu führen, wurde es zur kalocsaer Diöcese
geschlagen; allein der Erzbischof Saul Hederväry, ein vielgerühmter
Mann, kannte keine angelegentlichere Sorge, als den Neubekehrten die

,'Ct, 2 Epist.
1 Wolkj1n's
InnocentiiSendschreiben
ad Emericum,anbeiInnocentius,
Dobner, Monumenta,
Bei Katona,
II, 326.
IV, Farlatns,
577. —
Illyric. s. III, 232, IV, 45. — s Christianorum in Bosna promissio etc. und
Epist. Emerici ad Innocent. , bei Farlatus, Illyric. s. IV, 46. — 4 Urkunde
bei Koller, Hist. Episc. Q.-Eccles. , I, 293 fg. Urkunde bei Farlatus, Illyric.
s. V, 355. — ä So dem graner Domkapitel. Urkunde bei Kalona, V, 33
und 217.
330 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

verhaßte Abgabe des Zehnten an sein Bisthum aufzuzwingen. 1 Die


Zahl der Klöster war bereits groß, die Benedictiner hatten wenigstens
22, die Prämonstratenser 41, die Cistercienser 15, also zusammen 78
Abteien, unter denen die meisten überreich dotirt waren. Hierzu
kamen die Johanniter- und Tempelritter, deren Aufnahme in Ungarn
wir bereits berichtet haben, und die Chorherren vom Heiligen Grabe,
gewöhnlich Kreuzherren genannt, für die Andreas noch als Herzog
1307 zu Glogonitz in Dalmatien 2 und 1212 zu Kereszt-Komlös in
der säroser Gespanschaft 3 Niederlassungen stiftete. Endlich wan
derten um diese Zeit auch noch die neugestifteten Bettelmönche, die
Franciscaner und Dominicaner, in das ungarische Reichsgebiet ein , fan
den großen
Aber diesem
Beifall und
äußern
verbreiteten
Glanze entsprach
sich schnell.der
4 innere Zustand, in

welchen die Kirche in dem damaligen Zeitraume gerieth, keines


wegs. Wie hätten Könige, die den Papst in weltlichen Dingen unauf
hörlich um Beistand anriefen und ohne sein Vorwissen keinen Schritt
thaten, die Rechte der Landeskirche wahren können? Schon standen
die meisten Klöster, der bischöflichen Aufsicht entrückt, unmittelbar
unter dem römischen Stuhl; jetzt stellte Emerich sogar den Grundsatz
auf, daß die königlichen Propsteien , wie sie in weltlichen Dingen allein
vom König abhingen, gleichermaßen in geistlichen unmittelbar dem
Papste untergeordnet sein müßten; er befahl, daß jeder neuerwählte
Propst entweder persönlich oder durch Abgeordnete seine Bestätigung
in Rom nachsuche, und daß kein Bischof sich in die Angelegenheiten
der exempten Propsteien mischen dürfe. Bereitwillig erfüllte Inno-
centius die Bitte des Königs, diese Anordnung zu bestätigen und die
nöthigen Verfügungen darüber an die Bischöfe und Erzbischöfe zu er
lassen. 6 Doch diesmal erhob der Primas Job so kräftige Einsprache
gegen die Schmälerung seiner wohlbegründeten Rechte, daß der Papst in
einem andern Breve erklärte , diejenigen königlichen Stifter und Kirchen,
welche von jeher unter der Obmacht des graner Stuhls gestanden, seien
in dem frühern nicht einbegriffen. 6 Sonst ließen sich die Bischöfe alle
Eingriffe Roms gefallen, weil sie überzeugt waren, sie hätten vom Papst
weit weniger als vom König zu befürchten und könnten lediglich durch
des Papstthums erweiterte Herrschaft zu gänzlicher Unabhängigkeit von
der weltlichen Macht gelangen. Der Staat sollte ihnen und dem ge-
sammten Klerus blos Schutz und Reichthümer gewähren, aber ja kei
nen Gehorsam und keine Gegendienste fordern. Die Folgen dieser
unpatriotischen Nachgiebigkeit gegen einen fremden Oberherrn, dieses
Strebens nach Unabhängigkeit von jeder einheimischen Gewalt waren
der Kirche
1 Epist. selbst
Innocentii
höchst
ad Emericum,
nachtheilig.
bei Katona,
Indem V,
die509.
Gerichtsbarkeit
— 2 Urkunde des
bei

Farlatus, Illyric. s. V, 357. — 3 Wagner, Analecta Scepusii, I, 389. — * Ur-


bani Friedrich Hist. Provinc. Hung. Ord. Min. Cassoviae. Fol. Kaprinai Hun-
garia diplom., II, 262. Paulus Hungarus, Lehrer der Rechte zu Bologna,
führte die Dominicaner in Ungarn ein; das erste Kloster ihres Ordens wurde
1221 in Raab gegründet. — 5 Epist. Innocentii, bei Dobner, Monumenta,
II, 329. — 6 Ebend., a. a. O., S. 330—338.
Innere Zustände. 1196—1222. 331

Königs über den Klerus aufhörte, die Abhängigkeit der Suffragane


von den Erzbischöfen sich verringerte, die Exemptionen jeder Art sich
mehrten und alle Angelegenheiten und Streitsachen dem natürlichen
Richter entzogen und vor den Papst gebracht werden durften, lockerten
sich nothwendig auch alle Bande der Ordnung und der Zucht. Die
Kämpfe der beiden Erzbischöfe um den Vorrang sind uns schon be
kannt. Auch andere Bischöfe hatten bald untereinander, bald mit ihren
Kapiteln 1, bald mit der untergebenen Geistlichkeit 2 Streitigkeiten, die
um so heftiger und langwieriger wurden, je weniger die entfernten
Päpste ein richtiges schnelles Urtheil zu fällen vermochten. Und wie sehr
mußte der Mangel an Aufsicht und der verzögerte Rechtsgang die Sit
tenverderbniß unter der Geistlichkeit fördern! Die Schandthaten des
Erzbischofs Berthold wollen wir hier nicht anführen; aber auch der
sonst ausgezeichnete Bischof von Fünfkirchen Calanus ward wieder
holt der Blutschande mit seiner Nichte angeklagt; der Papst suchte die
Sache mehr zu unterdrücken als zu entscheiden, und empfahl dem Be
schuldigten größere Vorsicht im Umgange mit seiner Nichte. 3 Der
waitzner Bischof Jakob, obgleich der Schwelgerei, des Raubes, der
Nothzucht, des Handels mit Pfründen und der Gottlosigkeit vor Hono-
rius III. überwiesen, wußte sich dennoch vier Jahre lang von 1218 — 22
in seinem Bisthume zu erhalten. 4 Der Erzbischof von Spalatro Gun-
cell, 1220, trieb die Nachlässigkeit in seinem Amte und seine Aus
schweifungen so weit, daß der päpstliche Legat Aconcius dessen Bei
schläferinnen mit Hülfe der bürgerlichen Gewalt aus der Stadt jagen,
ihm alle erzbischöfliche Verrichtungen verbieten und ihn nach Rom
schicken mußte. 6 Dennoch blieb der Unwürdige zweiundzwanzig Jahre
Erzbischof. Mehrere Abteien waren in solchen Verfall gerathen, daß die
Päpste selbst Bischöfe zum Einschreiten aufzufordern sich genöthigt
sahen. 6 Die üppigen Mönche des Klosters Vituhu in der csanäder. Ge-
spansehaft, die schon andere große Frevelthaten begangen hatten, präg
ten endlich aus den Kreuzen, Kelchen und andern heiligen Gefäßen
ihrer Kirche falsches Geld und flohen aus dem Kloster, als sie verrathen
wurden und büßen sollten. 7 Nicht einmal die Beobachtung des
Cölibats, an welcher doch den Päpsten selbst soviel lag, konnte er
zwungen werden; der Widerwille gegen denselben regte sich immer
von neuem ; besonders in der csanäder Diöcese verehelichten sich Dia-
kone und Subdiakone und wußten sich sodann die Priesterweihe zu er
schleichen.
Daß alle
8 diese Uebel im Staat und in der Kirche entstehen und

immer
1 So
zunehmen
der großwardeiner
konnten , ohne
Ellvin.Abhülfe
Katona,
zu V,
finden
200, hatte
u. 206seine
fg. —Ursache
2 Der

waitzner Boleslaw. Peterfy, ConeiliaHung., I, 83, und der fünfkirchner Ca


lanus. Koller, Hist. Episcopat. Q.-Eccles., I, 252 fg. — 3 Koller, Hist. Epis-
copat. Q.-Eccles., I, 255 fg. u. 312 fg. — * Epist. Honorii III., bei Pray,
Specimen hierar., I, 340, und Katona, V, 310. — 5 Epist. Honorii ad Spalat.
Capit., bei Farlatus, Illyric. s. III, 247. — 6 Epist. Innocentii III, bei Ka
tona, V, 500. — 7 Epist. Honorii III., bei Fejer, Cod. dipl., III, 1, 282. —
8 Epist. Innocentii III., bei Pray, Specimen hierar., II, 292.
332 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

vornehmlich auch darin, daß die Reichstage immer seltener und zuletzt
nur in außerordentlichen Fällen, z. B. bei Krönungen, abgehalten wur
den. Die eigennützigen Höflinge und Großen waren es vornehmlich,
welche die Abhaltung derselben hintertrieben; sie hatten diese traurigen
Zustände geschaffen, sie zogen aus denselben schändlichen Gewinn , sie
mußten die Stimme, den Einfluß und die Macht des Volks fürchten, das,
zum Reichstage versammelt, sich gegen sie erheben und ihrer Herr
lichkeit ein Ende machen würde. Darum beredeten sie die schwachen
Könige, unbeschränkte Herrschergewalt zu üben, und flößten ihnen ge
gen die Reichstage Abscheu ein, damit sie unter dem königlichen Namen
gebieten und ungestört ihre Gelüste befriedigen konnten. Aber endlich
erschraken sie selbst oder wenigstens die bessern unter ihnen vor der
Größe des Verderbens, das sie angerichtet hatten, vor der Verantwort
lichkeit, die sie drückte, vor der Rache des Volks, das sich unter des
kräftigen Jüngem Königs Bela Führung gegen sie zu erheben anfing:
der Reichstag wurde einberufen, und die Goldene Bulle kam 1222 zu
Stande, die wörtlich übersetzt also lautet:
„Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit und untheilbaren Einheit.
Andreas, von Gottes Gnaden erblicher König von Ungarn, Dalmatien,
Kroatien, Rama, Servien, Galizien. und Lodomerien. Weil die von
Stephan dem Heiligen begründete Freiheit sowol der Edelleute als auch
anderer (Bewohner) unseres Reichs durch die Willkür einiger Kö
nige, die bisweilen im Zorn Rache übten, bisweilen auf die falschen
Rathschläge böser oder eigennütziger Menschen hörten, in ihren meisten
Stücken verringert worden war, bestürmten unsere Edelleute häufig
unserer Hoheit und unserer Vorfahren , ihrer Könige, Ohren mit vielen
Bitten und Gesuchen um eine Reformation unsers Reichs. Indem Wir
also ihrer Bitte in allem genügen wollen, wie wir verpflichtet sind, be
sonders weil es zwischen uns und ihnen dieser Sache wegen, schon oft
zu nicht geringen Bitterkeiten gekommen ist, was zur vollkommenen
Aufrechthaltung der königlichen Würde vermieden werden muß — die
ses kann jedoch durch niemand andern besser als durch sie geschehen — :
gewähren wir sowol ihnen als auch den andern Bewohnern unsers Lan
des die von dem Heiligen König verliehene Freiheit und verordnen heil
sam auch anderes, was den Zustand unsers Reichs verbessern soll, in
folgender
1) WirWeise:
setzen fest, daß Wir verpflichtet sind, jährlich am Feste

des Heiligen Königs (20. Aug.), ausgenommen Wir würden durch ein
wichtiges Geschäft oder durch schwere Krankheit verhindert, in Stuhl
weißenburg feierliche Sitzung zu halten ; und wenn Wir nicht erscheinen
könnten, wird der Palatin gewiß da sein und für Uns und statt Unserer
Streitfälle hören, und alle Edelleute, denen es beliebt, dürfen sich dort
frei versammeln.
2) Wir wollen auch, daß weder Wir noch Unsere Nachfolger zu

irgendeiner Zeit Edelleute gefänglich einziehen oder zu Gunsten eines


Mächtigen zur Strafe verfällen, bevor sie vorgefordert und ordnungs
mäßig3)abgeurtheilt
Ferner werden
sind. Wir von den Gründen der Edelleute keine
Innere Zustände. 1196 — 1222. 333

Steuern und keine Denare der Freien 1 erheben lassen, in ihre Häuser
und Dörfer nur gerufen einkehren. Auch von den Leuten (super popu-
los) der
4) Wenn
Kirche ein
werden
Edelmann
wir keine
ohneArt
Sohn
vonstirbt,
Abgaben
erhalte
sammeln.
die Tochter den

vierten Theil seines Guts ; über das übrige verfüge er nach seinem Wil
len, und wenn er, vom Tode überrascht, darüber nicht verfügen könnte,
falle es den nächsten Verwandten, und wenn er gar keine Verwandte
hätte,5)dem
DieKönig
Obergespane
anheim. sind nicht befugt, über die Besitzungen der

Edelleute Urtheil zu sprechen, ausgenommen in Geld- und Zehntsachen.


Die Gerichtsgrafen des Obergespans (die nachherigen Vicegespane)
dürfen außer den Leuten ihrer Burg sonst niemand richten. Ueber Diebe
und Räuber sollen die königlichen Bilochen (später Stuhlrichter ge
nannt)
6) Gericht
Der Gesammtheit
halten, dochder
zu den
Ortseinwohner
Füßen (im Beisein)
ist nichtdes
mehr
Obergespans.
gestattet,

wie sie
7) pflegten,
Wenn derunter
König
Eid einen
Diebe Feldzug
anzugeben.
außer
2 Land unternimmt, sind

die Edelleute nicht verpflichtet, mit ihm zu gehen, ausgenommen auf


seine Kosten, und dürfen nach seiner Heimkehr vor kein Kriegsgericht
gestellt werden (diejenigen nämlich, die seinem Aufgebot nicht ge
horchten). Wenn aber ein Feind das Land überfällt, sind alle ins-
gesammt auszuziehen verpflichtet. Ebenso, wenn Wir ein Heer außer
Land führen wollen, sind alle, die eine Grafschaft (Lehn) innehaben,
verbunden,
8) Derauf
Palatin
Unsererichte
KostenalleHeeresfolge
Bewohner zu
Unsers
leisten.
Reichs ohne Unter

schied, doch darf er einen Proceß der Edelleute , in welchem es sich um


Kopf und Güter handelt, ohne Unser Mitwissen nicht zu Ende führen.
Als Richter darf er keine andere Stellvertreter haben außer dem einen
an Unserm
9) Unser
Hofe.
Hofgraf (nachmals judex curiae, orszägbirö) darf, wenn

er am Hofe verweilt, jedermann richten und den angefangenen Rechts


streit an welchem Ort immer beendigen; aber sobald er sich auf seinem
Gute aufhält, keinen Prestalden bewilligen (d. h. das Urtheil nicht voll
strecken
10) lassen)
Wenn noch
ein Reichsbaron
Parteien vorfordern.
(jobbagio, jobbägy), der ein Amt be

kleidet, im Kriege fällt, werde seinem Sohne oder Bruder ein ähnliches
Amt verliehen; wenn ein Edelmann auf solche Art stirbt, werde sein
Sohn 11)
belohnt,
Gäste
wie
(Ausländer),
es dem Könige
nämlich
gut ehrbare
dünkt. Männer, die in das Land

einwandern, sollen ohne Zustimmung des Reichsraths zu keinen Wür


den befördert
12) Die werden.
Gattinnen der Verstorbenen oder durch Rechtsspruch

zum 1 Tode
Im Corpus
Verurtheilten
juris und bei
oderEndlicher
im Zweikampf
steht libras
Unterlegenen
denariorum, oder
was kei
auf

nen Sinn gibt; ich lese mit andern liberorum denarios, Denare, welche von
freien Leuten gesteuert werden. Vgl. Colomani Decretum, lab. I, c. 45
u. 80. Oben S. 215. — 2 Hiermit wird das Gesetz S. Ladislai Decret., III, 1,
aufgehoben. Vgl. oben S. 190 u. 191.
334 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

welche Art immer Umgekommenen dürfen ihrer Morgengabe nicht be


raubt 13)
werden.
Die Großen sollen den (königlichen) Hof so begleiten oder

auch sonst so reisen, daß die Armen von ihnen nicht gedrückt und ge
plündert
14) werden.
Ein Obergespan, der sich nicht so ehrbar beträgt, wie es sein

Amt erheischt, oder das Volk seiner Gespanschaft zu Grunde richtet,


soll, wenn er dessen überwiesen wird, vor dem ganzen Lande schimpf
lich seiner Würde entsetzt und zur Vergütung des Geraubten ange
halten15)
werden.
Die (königlichen) Stallmeister, Hundewärter und Falkeniere

dürfen16)
sichWir
nichtwerden
erkühnen,
forthin
in die
ganze
Dörfer
Gespanschaften
der Edelleuteund
einzukehren.
Aemter nicht

erbeigenthümlich
17) Auch soll
verleihen.
niemand seiner Besitzungen, die er durch redliche

Dienste
18)erworben
Ferner erlauben
hat, je beraubt
Wir denwerden.
Edelleuten, ungehindert zu Unserm

Sohn, gleichsam von dem Größern zu dem Kleinern, zu gehen; auch


sollen sie deshalb an ihren Besitzungen keinen Schaden leiden. Jemand,
den Unser Sohn rechtskräftig verurtheilt hat, wollen Wir nicht auf
nehmen, ebenso wenig einen Rechtsstreit, der vor ihm angefangen
wurde, bevor derselbe vor ihm beendet worden ist; und auch Unser
Sohn 19)
wirdDie
seinerseits
Burgmilizen
dasselbe
(jobbagyones
thun. castri) sollen nach der Frei

heit, welche ihnen der Heilige König Stephan verliehen hat, desgleichen
die Gäste (Einwanderer), von welcher Nation immer, nach der Freiheit,
die ihnen
20) anfangs
Die Zehnten
ertheilt
dürfen
wurde,
nicht
gehalten
in Geld
werden.
erhoben, sondern was die

Erde trägt, Wein und Getreide soll angenommen werden; wenn aber
die Bischöfe
21) Diedawider
Bischöfe
wären,
seien wollen
nicht Wir
gehalten,
ihnen den
nichtZehnt
beistehen.
von den Be

sitzungen der Edelleute für Unsere Pferde abzuliefern, noch deren


Leute,22)
ihren
Ferner
Zehntdürfen
auf die
Unsere
königlichen
Schweine
Besitzungen
in den Wäldern
zu bringen.
und auf den

Wiesen
23)derFerner
Edelleute
soll wider
Unser deren
neues Willen
Geld jedes
nicht Jahr
weiden.
von Ostern bis zu

Ostern gelten, und die Denare sollen der Art sein (den Feingehalt
'1aben),
24)wie
Die
sieMünzkammergrafen,
zur Zeit König Bela'sdie
waren.
Salz- und Steuerbeamten seien

Edelleute Unsers Reichs ; Ismaeliten und Juden dürfen hierzu nicht be


stellt jWerden.
25) Salz darf im Innern des Landes nicht gehalten werden, nur in
Szabolcs
1 Wahrscheinlich
und Regecz wurde
und andas
denSalz
Grenzen.
als ein1 Regale von den königlichen

Salzämtern theuerer verkauft, als es sonst zu haben war; es sollten mithin


solehe Aemter nur an den genannten Orten zum Verschleiß nach dem Aus
lande bestehen, und das Volk nicht gezwungen werden, das Salz von dem
selben zu beziehen.
Innere Zustände. 1196 — 1222. 335

26) Nach dem Auslande dürfen Grundbesitzungen nicht vergabt


werden, sollten aber welche vergabt oder verkauft worden sein, so
sollen27)
sie dem
Die Volke
AbgabedesanLandes
Marderfellen
zur Auslösung
(in Kroatien)
zurückgegeben
werde nach
werden.
der

vom König
28) Einen,
Koloman
der bestimmten
auf gesetzlichem
Art erhoben.
Rechtswege verurtheilt wurde,

darf kein
29) Mächtiger
Die Obergespane
schützen. sollen ihr rechtmäßiges Amtseinkommen

genießen; das übrige, welches dem König gebührt: die Zuber (von
Getreide und Wein), Abgaben und Rinder, und zwei Drittheile der
Burg (von den Erträgnissen der zur Gespanschaft gehörigen Ländereien)
erhalte
30)derFerner,
König.die vier Reichsbarone, nämlich den Palatin, den Bän

und die Hofgrafen des Königs und der Königin ausgenommen, darf
niemand
31) zwei
UndStaatsämter
damit diesebekleiden.
Unsere Verleihung und Anordnung zu Un-

sern und Unserer Nachfolger Zeiten immerwährend gültig sei, ließen


Wir dieselbe in sieben gleichlautenden Urkunden schreiben und mit
Unserm goldenen Siegel bekräftigen, sodaß die eine dem Herrn Papst
überschickt werde und er sie in seine Regesten eintragen lasse , die an
dere im Hospital (bei den Johannitern), die dritte im Tempel (bei den
Templern), die vierte beim König, die fünfte im graner, die sechste im
kalocsaer Kapitel und die siebente bei dem jedesmaligen Palatin auf
bewahrt werde. Denn er (der Palatin) soll, die Urkunde be
ständig vor Augen habend, in keinem der gedachten Dinge
selbst abweichen, noch zugeben, daß der König oder die
Edelleute oder sonst jemand abweichen, damit diese sowol
selbst ihre Freiheit genießen, als auch Uns und Unseren Nachfolgern
immer treu seien und der königlichen Krone der schuldige Gehorsam
nie verweigert werde. Sollten aber Wir oder einer Unserer
Nachfolger je dieser Unserer Anordnung zuwider handeln
wollen: erhalten kraft dieses die Bischöfe, die andern
Großen und Edelleute Unsers Reichs insgesammt und ein
zeln, die gegenw ärtigen, künftigen und ihre Nachkommen,
das freieRecht, Uns und Unsern Nachfolgern sich zu wider
setzen und zu widersprechen, ohne dadurch eines Hoch-
verraths schuldig zu werden (sine nota alicujus infidelitatis).
Herausgegeben durch die Hand unseres Hofkanzlers Cletus, der
erlauer Kirche Propst, im tausendzweihundertzweiundzwanzigsten Jahre
des menschgewordenen Wortes; da der Hochwürdige (venerabiüs) Jo
hannes graner, der Ehrwürdige (reverendus) Ugrinus kalocsaer Erz
bischof, Desiderius csanäder, Rubertus veszprimer, Thomas erlauer,
Stephanus agramer, Alexander wardeiner, Bartholomeus fünfkirchner,
Kosmas raaber, Briccius waitzner, Vincentius neitraer Bischof ist;
im siebzehnten Jahre Unserer Regierung." 1

1 Andreae II. Regis Decretum, I, 1222. E membrana tabularii Strigo-


niensis, bei Endlicher, Monumenta, S. 412 fg. Von den sieben gleichlautenden
336 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

1222 verlieh,
Dererstreckt
Freibrief,sich
denauf
Andreas
„Alle, indiedemselben
durch die Jahre
Tonsurder
alsGeistlichkeit
dem Herrn

Angehörige bezeichnet sind". Er enthält folgende Bestimmungen: 1) Der


Laie, der einen Kleriker unter welchem Rechtstitel immer vor einem
weltlichen Richter belangt, verliert seine Sache; kein Kleriker ist ver
pflichtet, sich vor einem weltlichen Gericht zu verantworten. 2) Wie
der Laie sein Recht gegen einen Kleriker blos vor dem geistlichen Ge
richt suchen darf, so soll der Kleriker den Laien vor das weltliche Ge
richt fordern. 3) Die Geistlichen sind frei von jeder Abgabe und Steuer
an denFiscus; wenn daher ein Steuereinnehmer und selbst ein Reichs
baron, welch hohen Ranges er sein mag, Steuern von ihnen eintreiben
oder eigenmächtig bei ihnen einkehren wollte, so werde er wie ein Dieb
und Räuber schimpflich fortgejagt. 4) Kein königlicher Udvarniker,
Dienstpflichtiger oder dem Joche irgendeiner Knechtschaft Unterworfener
darf zur
NochTonsur
mußtezugelassen
der Palatin
werden.
Gyula 1 auch die Rechte der Petschenegen

urkundlich bestätigen und ihnen Folgendes gewährleisten: 1) Sie sind


verpflichtet, jedes dritte Jahr ihrem Grafen (die Einleitung der Urkunde
lehrt, daß es der jedesmalige Palatin war) von jedem Paar Pferde sechs
Pensen Denare zu entrichten. 2) Diejenigen, die nicht zum Heere ein
rücken können, zahlen von jedem Pferde sechs Pensen. 3) Ihr Graf soll
nur einmal, wenn er es wird, sie besuchen. 4) Der Vicegraf soll öfter
im Jahr unter ihnen umherreisen und die Rechtsstreite, die ihm vor
getragen werden, entscheiden. 5) Sie dürfen mit ihrem Grafen nicht
ausrücken, i bevor ein Dienstmann (jobbägy) sie besucht und dessen
(königliche) Vollmacht (sie aufzubieten) vorgezeigt hat. 6) Bei ihren
Kriegsleuten, die auf eigene Kosten ins Feld rücken, darf der Vicegraf
nicht
Urkunden
derselben
einkehren.
der
in der
Goldenen
ungarischen
2 Bulle Gesetzsammlung
ist keine einzige und
mehrdie
vorhanden.
Handschriften,
Der Abdruck
die wir ,

besitzen, sind fehlerhaft, manche von gleichzeitiger Hand interpolirt, sodaß


. es bisjetzt noch nicht gelungen ist, den Text richtig herzustellen. Ihre Be
stätigung und beste Erklärung finden die einzelnen Gesetze der Öulle in dem
zweiten Decrete des Königs Andreas von 1231 und in vielen spätem Gesetzen.
• 1 Andreae II. Regis Libertas Clericorum, 1222. E regesto Vaticano, bei
Endlicher, Monumenta, S. 417 fg. — 2 Julae Palatini Libertas firmata Bisse-
nis in Arpas 1222. E chartula Palatini in tabulario Montis Pannpniae, bei
Endlicher, Monumenta, S. 419 fg.
Ungarn unter
Ausstellung
ärpädischen Viertes
der
Hauses,
Königen
Goldenen
vonaus Buch.
Andreas'
Bulle
Ärpäd's
bisII.zum
Stamme,
bis Erlöschen
Andreas'
von III.,
der
des

1222 — 1301.

Fehler. I.
Kampf mit der Erster Abschnitt.
Oligarchie und mit wilden Völkern.

1222—1242.
1. Aeussere Begebenheiten.
Andreas II. 1222—1235.

Di'ie Goldene Bulle bezeichnet den Anfang einer neuen Epoche in der
Geschichte Ungarns. Die Verhältnisse hatten sich geändert, die be
stehenden Einrichtungen ihre Kraft verloren, die bürgerliche Gesellschaft
war auf dem Punkte angelangt, wo sie sich entweder auflösen oder neu
gestalten mußte: da wurde der feierliche Vertrag zwischen dem Volk
und König als bleibendes Gesetz für beide geschlossen und durch ihn
der Fortbestand des Staats und die weitere Ausbildung der Constitution
gesichert. Der Umstand , daß wir anfangs beinahe gar keine Wirkung
der Bulle wahrnehmen, darf uns über die Wichtigkeit derselben nicht
täuschen. Alle Gesetze und Einrichtungen des Staats erlangen erst mit
der Zeit Leben und Kraft, nachdem sie die Abneigung und den Wider
stand gegen das Neue besiegt, sich durch längern Gebrauch bewährt und
mit der Denkart und Gesinnung des Volks innig verschmolzen haben,
ihm gleichsam
Andreas bewilligte
zur Nothwendigkeit
die Goldene
geworden
Bulle nur
sind.gezwungen durch die

äußerste Noth; er erblickte in derselben blos eine drückende Beschrän


kung seiner königlichen Macht, die er doch nie zu gebrauchen wußte, und
übersah die Mittel, welche sie andererseits zur Behauptung der Autorität
darbot; Oligarchen und Günstlinge, denen alle Volksrechte ein Greuel
sind, beherrschten ihn nach wie vor, und bald gab es keinen Punkt der
feierlich beschworenen Gesetze, den er nicht übertreten hätte. Besonders
scheinen ihm und der Hofpartei die jährlichen Reichstage verhaßt ge
wesen zu sein; denn der Papst wurde schon in demselben Jahre be
wogen, ein Breve an mehrere Bischöfe zu erlassen, worin er ihnen auf
trug, darüber zu wachen, daß der König von der am Reichstage ver
sammelten Menge nicht genöthigt werde, etwas wider die Rechte de
340 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Krone oder wider die Person und die Güter der Herren zu unter
nehmen.
Bela1 übernahm jetzt die Regierung Kroatiens und Dalmatiens 2 ; auch

vereinigte er sich wieder mit seiner Gemahlin. Allein die beiden gekrönten
1223 und
tere regierenden
Mishelligkeiten
Könige
, daßgeriethen
der Sohnnach
1223
kurzer
vor Zeit
dem abermals
Zorne des
in so
Vaters
bit-

nach Oest erreich zu Herzog Leopold VII. floh, der ihn mit offenen
Armen aufnahm, weil er sich der Zwietracht, die Ungarn zerrüttete,
freute und Vortheile aus derselben zu ziehen hoffte. Andreas gebot
Bela, heimzukehren, und als dieser, auf Leopold's Schutz rechnend, nicht
gehorchte, ließ er Oesterreichs Grenzen verheeren, was der Herzog mit
Verwüstung der benachbarten Gespanschaften „Ungarns erwiderte.
Durch Vermittelung des Papstes, der Vater und Sohn ernstlich zur Aus
söhnung ermahnte 3 und den König von Böhmen sowie die Herzoge von
1224 es,
Oesterreich
endlich 1224
und zum
Kärnten
Frieden,
zur Mitwirkung
der aber erst
dringend
im folgenden
aufforderte
Jahre4, förm
kam

lich zwischen allen Parteien geschlossen wurde. Bela übernahm gleich


nach seiner Rückkehr neuerdings die Regierung Dalmatiens und Kroa
tiens; Leopold verpflichtete sich als Entschädigung für die angerich
teten Verwüstungen 2000 Mark zu zahlen und stellte den Juden Tekan
als Bürgen. 6
Nun endlich begriff Andreas, daß die Absichten und Bestrebungen
seines Sohnes auf das Wohl des Landes und des Königs gerichtet seien,
und versöhnte sich mit ihm aufrichtig. Von nun an arbeiteten beide
mit vereinten Kräften daran, die übermäßigen, ohne Verdienst er
schlichenen Schenkungen und besonders die dem Staate entwendeten
Burgländereien wieder einzuziehen. Der Anfang wurde mit dem Bur-
zenland oder dem kronstädter Gebiet in Siebenbürgen gemacht, welches
Andreas 1211 dem Deutschen Orden mit der Verpflichtung, die süd
östlichen Grenzen gegen die Kumanen zu yertheidigen , verliehen hatte.
Die hochmüthigen Ritter gaben selbst durch treulosen Undank die
Veranlassung hierzu, indem sie mit dem Plan umgingen, dort einen
unabhängigen Ordensstaat zu gründen. Zuerst erwirkten sie einen
päpstlichen Freibrief, kraft dessen ihr Gebiet der Gerichtsbarkeit des
siebenbürger Bischofs entzogen und dem römischen Stuhl unmittelbar
untergeben wurde. 6 Hierauf thaten sie einen Schritt weiter : sie trugen
sich und ihre Ländereien dem Papst zum Lehn auf, und Honorius war
unklug genug, in eingebildeter Machtvollkommenheit „sie und ihr Land
in das Recht und in den Besitz des heiligen Petrus aufzunehmen"! 7
1224 Empört über diese unerhörte Anmaßung, widerrief Andreas 1224 die
Schenkung
1 Epist.und
Honorii
gebot III,
den 15.
Rittern,
Dee. 1222,
das kronstädter
bei Fejer, Land
Cod. dipl.,
zu räumen.
III, l,8

390. — 2 Das bezeugen die Schenkungsurkunden bei Fejer, III, i, 403, und
Kerchelich, Notitiae praeliminariae, S. 190. — 3 Epist. Honorii ad Archiep.
Colocens., bei Katona, Hist. eccles. Colocens. , I, 265, und bei Eaynaldus ad
ann. 1224. — 4 Epist. Honorii, bei Fejer, Cod. dipl., III, i, 430 fg. — 5 Die
Urkunde bei Fejer, Cod. dipl., III, II, 9. — 6 Fejer, Cod. dipl., III, i, 420.
— 7 Ebend.. HI, i, 453, 460. — 8 Ebend., III, II, 53.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 341

Sie wollten jedoch nicht weichen und drohten sogar, daß sie ent
schlossen seien , sich mit Waffengewalt in dessen Besitze zu behaupten.
Zu spät sah der Papst ein, wie sehr er sich verrechnet habe, indem er
glaubte, der sonst so nachgiebige König werde auch diese schmähliche
Beraubung seiner Krone geduldig hinnehmen. Das Unrecht war zu
offenbar auf seiner Seite, als daß er zu den gewöhnlichen Mitteln des
römischen Stuhls , zu Drohungen und Bannflüchen, hätte greifen dürfen ;
er schickte also einen Gesandten mit einem Schreiben nach Ungarn,
worin er versicherte, das Breve, welches er für den Deutschen Orden
erlassen habe, beziehe sich blos auf die geistliche Gerichtsbarkeit, und
den König dringend bat, die Bitter wieder in den Besitz des eingezogenen
Gebiets zu setzen. 1 Gleichzeitig aber belobte er die Ritter wegen der
standhaften Entschlossenheit, mit der sie dem König entgegengetreten2,
und ermuthigte sie dadurch, zu den Waffen zu greifen. Doch Andreas
beharrte diesmal bei seinem Entschluß, brach mit Gewalt den Trotz der
Bitter, zog nun auch ihre andern Besitzungen ein und vertrieb sie für
immer aus Ungarn. Hierauf vereinigte er das kronstädter Gebiet mit
dem Lande der siebenbürger Sachsen, deren Privilegien er bei dieser
Gelegenheit
Papst Honorius
bestätigtehatte
und vermehrte.
zwei verschiedene
3 Regeln, nach denen er die

Rechtmäßigkeit des Besitzes in Ungarn beurtheilte. Die Güter, deren


sich weltliche Herren gesetzwidrig bemächtigt hatten, sollten allerdings
eingezogen werden ; was aber die Kirche eilrmal besaß, sie mochte es
wie immer gewonnen haben, das durfte sie nie wieder verlieren. Zu
derselben Zeit, wo er sich so eifrig bemühte, dem Deutschen Orden seine
Besitzungen zu erhalten, ermahnte er Andreas und besonders den Jün
gern König Bela sehr nachdrücklich, die Ländereien und Gefälle, welche
wider Gesetz und Recht der Krone entrissen worden seien, unnachsicht-
lich wieder mit derselben zu vereinigen. „Da der König verpflichtet
ist", schreibt abermals er 14. Juli 1225, „die Rechte seines Reichs und 1225
den Glanz der Krone ungetrübt zu wahren, und da er sich hierzu bei
der Krönung durch einen Eid verbindlich gemacht hat, darf, ja muß er
die veräußerten Güter zurücknehmen , selbst wenn er geschworen hätte,
seine Vergabungen nie rückgängig zu machen." Darum forderte er Bela
auf, in jenem Theile des ungarischen Reichs, den der Vater ihm zur
Verwaltung übergeben habe, solche Güter einzuziehen, wenngleich er
oder sein Vater angelobt hätten, dieses nie zu thun; beide müßten sich
sogar Büßungen auferlegen, weil sie so leichtsinnig gewesen, dergleichen
Dinge zu beschwören. 4 Doch wirksamer als des Papstes Ermahnung
mochte die Noth Andreas drängen , die begonnene Maßregel mit Ent
schiedenheit durchzuführen. Sonach übertrug er die Verwaltung Kroa
tiens und Dalmatiens seinem Jüngern Sohn Koloman, 1226 6, Bela 1226

1 Fejer, Cod. dipl. , III, II, 43, 47. — 2 Ebend., III, n, 41. — * An-
dreae II. regis Libertas Saxonum in Transilvanis, 1224. E transumto Caroli
I., 1317, bei Endlicher, Monumenta, S. 420. — * Fejer, Cod. dipl., III, h,
47. — 5 Colomanus Ruthenorum rex et largitate gloriosi patris nostri An-
dreae Hnngariae regis dux Dalmatiae atque Croatiae, so nennt sich Koloman
342 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

aber, dessen Kraft und Entschlossenheit er vertraute, berief er zu sich,


damit ihn dieser bei dem ebenso schwierigen als gehässigen Unternehmen
mit Rath und That unterstützte, und wies ihm noch das Land j'enseit der
Theiß und Siebenbürgen zum besondern Wirkungskreis an.
1227 günstiges
Im folgenden
Ereigniß Jahre
neuen 1227
Zuwachs.
erhielt Der
das ungarische
NachfolgerReich
Honorius'
durch III.,
ein

Gregor IX., forderte gleich nach seiner Erwählung Andreas und die
ungarischen, Herren zu einem Zuge nach Palästina auf. Der König
selbst glaubte seines Vaters und dem eigenen Gelübde bereits hinläng
lich genügt zu haben; auch der kalocsaer Erzbischof Ugrin entschuldigte
sich, daß er die Bekehrung der Patarener in Bosnien nicht unter
brechen dürfe; aber der graner Erzbischof Robert, ein geborener
Lütticher, der vor einigen Jahren ins Land gekommen, zu höhern Kir
chenwürden emporgestiegen und jetzt durch päpstlichen Einfluß zu der
höchsten erhoben worden war, nahm mit einigen andern das Kreuz.
Schon hatte er die Heerfahrt angetreten, da suchte ihn Borics, der Sohn
eines Fürsten der Kumanen, auf, berichtete, wie sein Volk durch unga
rische Dominicanermönche bereits für das Christenthum gewonnen wor
den sei , und bat ihn im Namen seines Vaters hinzukommen , um das
selbe zu taufen. Dieser Zweig der Kumanen, mit denen die Petsche-
negen bereits zu einem Volke verschmolzen waren, bewohnte die heu
tige Moldau. Robert ließ sich vom Kreuzzuge lossprechen, ging hin,
taufte den Fürsten, dessen Taufpathe Andreas selbst wurde, und in kur
zer Zeit (wenn der Bericht nicht übertrieben ist) 15000 Personen. l
Die Neubekehrten untergab er dem . längst bestehenden milkover Bis-
thum, welches das Land der Szekler nebst einem Theil der Moldau um
faßte und erst im 15. Jahrhundert mit dem siebenbürger Bisthum ver
einigt wurde. 2 Jetzt stellte der Papst das Bisthum unter seine un
mittelbare Gerichtsbarkeit und empfahl es der Huld des Jüngem Königs
Bela. 3 So wurde das Volk, welches die Ungarn einst aus ihrer alten Hei
mat vertrieben und in der neuen so oft durch verwüstende Einfälle be
unruhigt hatte, durch sie nicht nur bekehrt, sondern auf diese fried
liche Der
Art Jüngere
auch bewogen,
König war
ihre es
Oberhoheit
vornehmlich,
anzuerkennen.
der als Regent
4 der benach

barten Landstriche durch kluge Benutzung der Umstände und Ver


trauen weckendes Benehmen diesen günstigen Erfolg herbeiführte.
Aber seine umsichtige und entschlossene Thätigkeit beschränkte sich
nicht auf die Angelegenheiten der Kumanen und der ihm unmittelbar
untergebenen Gebiete; er bereiste, wie die Urkunden jener Zeit beweisen,
das ganze Land, schaffte eingerissene Misbräuche ab und stellte die Ord
in
nung,
einersoUrkunde,
gut es ging,
die erwieder
zu Spalatro
her. Doch
am 1. vor
Aug.allem
1226 beschäftigte
ausstellte. Farlatus,
ihn die

Illyric.
1 Chron.
s., IV, Belgicum,
337. bei Pistorius, III, 242. — 2 Benkö, Milkovia, I,

116. Katona, V, 535. — 3 Gregorii IX. duae epist. ad Belam 1228. — 4 Gre-
gorii IX. epist. ad populum et ducem Cumanorum , bei Eaynaldus, Annal.
eccles. ad ann. 1229, n. 60; ad Belam, a. a. 0. ad aun. 1234, n. 40. Katona.
V, 705 fg.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 343

Einziehung des entfremdeten Staatsguts, die er sich zur Aufgabe seines


Lebens gesetzt hatte. Der vom Vater empfangenen Vollmacht gemäß 1
untersuchte er den Rechtstitel zu jedem Besitzthum. Die Eigenthümer
mußten ihre Urkunden vorzeigen oder sonst triftige Gründe beibringen;
worauf sie kein Recht nachweisen konnten, was sie ohne hinreichendes
Verdienst erschlichen hatten, und vollends was früher Staatsgut gewesen
war, das wurde ohne Unterschied von weltlichen Herren wie von
kirchlichen Körperschaften 2 zurückgenommen. Eine Menge von Land
gütern und einträglichen Gerechtsamen kam auf diese Weise an den
Staat; aber auch viele Familien, die noch vor kurzem wohlhabend und
angesehen, oder reich und mächtig gewesen waren, sanken in Armuth
und Niedrigkeit. Und wenn man bedenkt, daß bei der seit Jahren
herrschenden Verwirrung ein häufiger Wechsel des Besitzes stattgefunden,
daß in diesen Zeiten Urkunden über Verträge gar nicht oder höchst
ungenügend geschrieben wurden , daß daher die Beweisführung schwierig
und das ganze Gerichtswesen sehr mangelhaft war, daß endlich vor
gefaßte Meinung und allzu rascher Eifer den jungen Fürsten um so
leichter zu Uebereilungen hinreißen mochten, da er Partei, Kläger und
Richter in einer Person war: so darf man, ohne zu irren, annehmen,
daß manche rücksichtslose Härte und manch schreiendes Unrecht be
gangen wurde. Kein Wunder also, daß die an sich schon gehässige
und in alle Verhältnisse so tief und schmerzlich einschneidende Maß
regel
Mehrereum von
desto
denen,
mehrdie
Erbitterung
sich beraubt
undund
Durst
tief gekränkt
nach Rache
fühlten,
erzeugte.
ver ,

schworen sich gegen das Leben des Königs und seiner Söhne und woll
ten nach deren Ermordung Ungarn unter sich theilen. Da sie jedoch
das schändliche Vorhaben nicht auszuführen vermochten, faßten sie,
von Zorn und Eigennutz verblendet, den Anschlag, die Freiheit und
Selbständigkeit des Vaterlandes ihrer Rache zu opfern. Durch Ver-
mittelung des Herzogs von Oesterreich, an dessen Dienstwilligkeit sie
nicht zweifelten, beschlossen sie nämlich, Kaiser Friedrich II. die Krone
Ungarns anzubieten. Zum Glück wurde der Bote aufgefangen und mit
den Briefschaften vor den König gebracht. Großmüthig strafte dieser
keinen der Schuldigen am Leben und verzieh vielen ganz; einige Häup
ter der Verschwörung verwies er des Landes, und andern ließ er ihre
Besitzungen niederbrennen 3; Bela zog die Güter einiger Verschwörer
ein und
Ueberhaupt
schenkte sie
vermochte
seinen Anhängern.4
weder Widerstand noch Gefahr den Muth

des jungen Königs zu lähmen; er setzte das begonnene Werk mit sol
chem Eifer fort, daß er in der Freude über dessen Gelingen 1231 eine 1231
Urkunde mit den Worten begann: „Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede den redlich gesinnten Menschen auf Erden, wo für die Magyaren
der Tag
1 Katona,
der Erlösung,
V, 568, undfür
Fejer,
die Cod.
königliche
dipl., III,
Macht,
n, 204.
Würde
— 2 So
undverlor
Freiheit
die

Cistereienserabtei von Szent-Kereszt einige Besitzungen. — 3 Rogerius, Car


men miserabile, Kap. 9, bei Endlicher, S. 261. — * Die Schenkungsurkunde
für den Grafen Pousa, bei Katona, V, 553.
344 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

der Tag der Herstellung anbricht! Wir kämpften unter dem Schutze
der Heiligen Jungfrau, als wir nach Gottes Eingebung, nach unsers
Vaters Willen und nach dem wohlüberlegten Rath der Häupter unsers
Reichs
eigenthum
die genannt
unnützenwerden
und überflüßigen
, in den siebenbürger
Schenkungen,
Gegenden
die fälschlich
aufhoben."
Erb-

In Kroatien und Slawonien verfuhr Koloman mit ähnlichem Eifer und


zog unter andern auch einige Besitzungen der Tempelritter ein; aber
der Papst nahm die Templer so mächtig in Schutz und drohte so furcht
bar mit Bannflüchen, daß Koloman es für klüger hielt, ihnen diese Be
sitzungen
Dochwieder
alle diese
zurückzugeben.
Gütereinziehungen
1 reichten nicht hin, die gleichsam

bodenlose Schatzkammer des Königs Andreas zu füllen. Unaufhörlich


von Mangel gedrängt, vergaß er schnell, was er in der Goldenen Bulle
so feierlich gelobt hatte, und griff wieder zu allerhand ungesetzlichen
Mitteln, sich Geld zu verschaffen: er verkaufte Aemter, ließ schlechte
Münzen prägen, erhöhte den Preis des Salzes, zahlte nicht, wozu er sich
verpflichtet hatte, und verpachtete zuletzt abermals die königlichen
Einkünfte an Juden und mohammedanische Bulgaren, die besonders die
untern Volksklassen furchtbar drückten, um den hohen Pachtzins zu er
schwingen und sich selbst zu bereichern. Das Volk schrie um Er
barmen, aber seine Stimme drang nicht zum Herzen des Königs; denn
ihn bethörten die Höflinge, die den Raub theilten, besonders Dionysius,
vorher Schatzmeister, jetzt Palatin, dessen Rathschlägen er in allem folgte
und der offenbar mit den Pächtern im Bunde sie gegen jede Anklage
schützte. Ungehindert und straflos durften sie jede Bedrückung üben,
unerlaubten Wucher, schändlichen Sklavenhandel, sogar gewaltsamen
Proselytismus treiben, ja die reichsten und mächtigsten unter ihnen
erhielten königliche Lehen und mit ihnen den Adel. 2 Es kam so
weit, daß Arme, welche die unerschwinglichen Forderungen der Päch
ter nicht befriedigen konnten, ihnen ihre Töchter preisgaben und ihre
Söhne als Sklaven verkauften oder auch selbst zum Judenthum und Mo
hammedanismus übertraten,' um die Gunst der Bekehrungssüchtigen zu
gewinnen und mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen. Der häu
fige Abfall vom Christenthum und die immer mehr überhandnehmenden
Ehen der Christen mit Juden und Mohammedanern, welche die Kirche
längst verdammt hatte , waren der Geistlichkeit ein Greuel ; der Papst
erhob drohend seine Stimme und forderte Abstellung der schreienden
Uebel. 3 Das Volk, dessen Klagen nicht erhört wurden, schritt in der
Verzweiflung zur Selbsthülfe, und schlug hier und da seine Peiniger, die
Steuereinnehmer und Geldwechsler, todt. In dem Maße, in welchem
die Noth stieg, lösten sich alle Bande der Zucht und sank die Sittlich
keit ; der Zustand war unerträglich geworden. Da hofften die
Patrioten
1 Fejer,und
Cod.der
dipl.,
mächtige
III, n, 215.
hohe—Klerus
2 Die Juden
im Bunde
Teha, mit
Volvelin,
dem Jüngern
Oltman,

Neklin. Fejer, Cod. dipl., III, n, 291; IV, m , 282 u. s.w. — 3 Epist. Gre
gorii IX. ad Robertum Archiep., bei Katona, V, 591. Doch müssen wir ge
stehen, daß vieles in diesem Breve aus Haß gegen die Ungläubigen über
trieben zu sein scheint.

V
Aenßere Begebenheiten. Andreas II. 345

König dem allgemeinen Elend dadurch abzuhelfen, daß sie Andreas,


1231,
folgenden
2) nöthigten,
Die
Zusätzen
Prälaten,
die
zu Goldene
vermehren
Erzbischöfe
Bulle
: und
noch
Bischöfe
einmalsind
auszustellen
verpflichtet,
und mit
den 1231

jährlichen Reichstagen zu Stuhlweißenburg beizuwohnen, um die Klagen


der Armen
3) Wenn
zu vernehmen
der Palatin
und die
dieetwa
Angelegenheiten
verletzte Freiheit zu
des
schützen.
Landes

und des Königs schlecht verwalten sollte, so werden die


Reichsstände Uns (den König) ersuchen, einen andern,
mehr geeignet en an dessen Stelle zu setzen, und Wir wer
den ihre
5) Diejenigen,
Bitte gewähren.
die seit dem 17. Jahre Unserer Regierung (seit der

Goldenen Bulle) durch Uns, Unsere Söhne oder wen immer ohne ge
richtliches Urtheil ihrer Güter beraubt wurden, sollen wieder in den
Besitz35)
derselben
Es soll gesetzt
Uns freistehen,
werden. die Güter der Verurtheilten zu be

halten, oder an andere nach Unserm Belieben zu vergaben; aber ihre


Dörfer wollen wir nicht niederbrennen lassen.
> 31) Der Münze, dem Salz und andern öffentlichen Aemtern dürfen
JudenWeil
und vorzüglich
Sarazenen die
nichtGeistlichkeit
vorstehen. diese Erneuerung der Goldenen

Bulle ausgewirkt hatte, übernahm sie auch die Bürgschaft für die Be
obachtung derselben. Der König nnd seine Söhne gelobten durch
körperlichen Eid für sich und alle ihre Nachfolger, alle Punkte unver
fugt
brüchlich
sein sollte,
zu halten,
sie und
und alle
willigten
ihre Nachfolger,
ein, daß derwenn
graner
sie Erzbischof
diese Gesetze
be- l

überträten, nach vorausgegangener Ermahnung in die Bande der Ex-


communication
Allein was zu
helfen
verstricken.
die besten
1 Gesetze, wenn es den Regenten an

Einsicht, Kraft und gutem Willen, sie zu handhaben, fehlt; wenn


einmal das Volk durch lange Misregierung und ungerechten Druck
von oben so verderbt ist , daß es die Achtung vor dem Gesetz verliert
und sein Recht nicht mehr zu behaupten weiß? Andreas ward von Tag
zu Tag unfähiger, den Staat selbst zu lenken, und sank immermehr zum
'willenlosen Spielzeug seiner unwürdigen Günstlinge herab. Sie, die
bisher jede Satzung der Goldenen Bulle übertreten hatten, vor allen
übrigen der Palatin Dionysius und der Schatzmeister Nikolaus, fuhren
auch jetzt fort, dem Gesetz und der Menschlichkeit Hohn zu sprechen,
und würden bei der überhandnehmenden Erschlaffung des Volksgeistes
und bei der Gleichgültigkeit der Großen gegen das Vaterland und gegen
wahre Freiheit ihr schändliches Treiben noch lange ungestört haben fort
setzen können, hätten sie den schwachen , ewig in Geldverlegenheit schwe
benden König nicht bewogen, die Privilegien der überreichen Geistlichkeit
anzutasten und von ihren Besitzungen und Hörigen einige Steuern zu
erheben.
1 Andreae
NunII.glaubte
regis Decretum,
Erzbischof
II,Robert
1231. nicht
E regesto
länger
bibliothecae
schweigenVati-
zu

canae, bei Endlicher, S. 428 fg.


346 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

dürfen; er ermahnte den König ernstlich, die Rechte des Klerus zu achten,
auch andere Misbräuche einzustellen und seine bösen Rathgeber zu ent
lassen. Seine Warnungen und Bitten waren vergeblich; er machte also
Gebrauch von der Vollmacht, die ihm der Papst und das Gesetz er-
theilt hatten, und belegte das Land mit dem Interdict, im December
1232 1232. Die merkwürdigem Sätze des offenen Briefes, den er an die
Geistlichkeit
„Damit und
wir sämmtliche
nicht dem Laster
Gläubige
des Ungarns
Ungehorsams,
deshalbdem
richtete,
Zorne lauten
Gottes:

und der Ungnade des Papstes verfallen; nicht gleich Miethlingen als
schlechte Hirten oder als stumme Hunde, die nicht mehr bellen können,
bei dem Einbruche des Wolfs die Flucht zu nehmen scheinen; damit wir
uns nicht bei so gewaltiger Verletzung der Armen, Schmach des christ
lichen Glaubens, Unterdrückung der Kirchen und des geistlichen
Standes der feigen Nachsicht schuldig machen; und nachdem König
Andreas, unser Herr, oft von uns ermahnt worden, auch auf des
Papstes liebreiche und väterliche Aufforderung, die Abstellung des an der
Klerisei verübten Unfugs verweigert hat: so haben wir zufolge aposto
lischer Befehle und kraft der uns verliehenen päpstlichen Vollmacht
das ganze ungarische Reich mit dem kirchlichen Interdict belegt, strenge
verordnend und gebietend, daß kein Priester sich unterfange, im unga
rischen Reiche, sei es in der graner oder kalocsaer Provinz, an des
Königs und seiner Söhne Hoflager oder an irgendeinem andern Orte
Gottesdienst zu feiern. Diejenigen, die in dieser Hinsicht durch das
Recht oder durch besondere Privilegien begünstigt sind , mögen mit ge
dämpfter Stimme, ohne Glockengeläute, bei verschlossenen Thüren und
nach Entfernung derer, die dem Bann oder Interdict unterworfen sind,
Gottesdienst halten. Wir verbieten und .untersagen ferner in den ge
nannten Provinzen alle Ausspendung der Sacramente ; nur Kindern darf
die Taufe, Sterbenden des Herrn Leib und Blut, Buße und letzte Salbung
nicht verweigert, ihren Leichnamen aber soll kein kirchliches Begräb-
niß gestattet werden. Jedem wirklichen Pfarrer ist es erlaubt, einmal
im Monate bei verschlossenen Thüren ohne Glockengeläute, nach Aus
schließung der Verbannten , mit gedämpfter Stimme Messe zu lesen und
den Leib
„Weil
deswir
Herrn
aberfürder
die königlichen
Kranken aufzubewahren.
Hoheit, soviel sich von Gottes

wegen geziemt, schonen wollen, so haben wir über die Person des
Königs, seine Besserung erwartend, noch keine Verdammung ausge
sprochen. Ueber seine Rathgeber hingegen, durch deren Rathschläge
er abgehalten und gehindert wird, die verderblichen Misbräuche abzu
schaffen, auf deren Eingebungen er die Mohammedaner erhoben und
öffentlichen Aemtern vorgesetzt hat, über sie alle verhängen wir den
Bann. Den Palatin Dionysius aber haben wir nicht nur aus erst
erwähnter Ursache, sondern auch aus andern erheblichen Gründen,
namentlich verbannt. Nicht genug, daß er geistliche Personen ihres
Vermögens und ihrer Pfründen beraubte, ließ er sie noch mit Schlägen
mishandeln und auf alle Art beschimpfen; und wollten wir auch schwei
gen zu den Verletzungen und Gewaltthätigkeiten , welche er und die
Seinen an dem Propst und an den Pfarrern des Zipserlandes verübten:

-~v
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 347

so dürfen und wollen wir doch nicht mit Stillschweigen übergehen, wie
schimpflich er den presburger Propst, Meister Johannes, mit Backen
streichen und anderer Schmach behandelt habe, ohne dafür der Kirche
und dem Beleidigten Genugthuung zu leisten. Zu dem allen fährt
er fort, Mohammedaner und falsche Christen (Patarener) zu begün
stigen, zu beschützen und auf seinen Landgütern zu dulden. Dem Schatz
meister Nikolaus, da er des Königs, unsers Herrn, Rath ist, und da
sämmtliche Angelegenheiten der Kammer nach seiner Entscheidung ge
führt werden, haben wir bis zum künftigen Gründonnerstag Frist ge
stattet, damit er in dieser Zeit den begangenen Unfug gut mache;
widrigenfalls wisse er, daß er nach Ablauf dieser Frist namentlich
wird verbannt und von allen Gläubigen gemieden werden. Den ehe
maligen Kammergrafen Samuel verbannen wir namentlich, weil er, der
Ketzerei beschuldigt und überwiesen, zu seiner Reinigung das Kreuz
genommen und in das Heilige Land zu ziehen gelobt hat, aber, statt
sein Gelübde zu erfüllen, noch immerfort Mohammedaner und falsche
Christen
„Auch
im Lande
verbieten
vertheidigt
und untersagen
und begünstigt.
wir im Namen Gottes und des

Papstes allen Gläubigen, mit den Mohammedanern Handel zu treiben,


Verträge zu schließen oder irgendwelchen Verkehr zu unterhalten, bevor
diese nicht sämmtliche Täuflinge ihres Volks, oder die Taufe Begeh
rende, oder die Söhne der Getauften, sie mögen Ungarn, Bulgaren, Ku
manen oder weß Volks immer, Knechte oder Freie sein, ausgeliefert
und entlassen
„Kraft päpstlicher
haben. . . . Vollmacht also .... befehlen wir Euch, das

Interdict in Euern Diöcesen ohne Aufschub zu verkündigen, strenge zu


vollziehen und auf dessen pünktliche Befolgung zu dringen. Der da
wider handelnde Pfarrer oder Geistliche werde des Amts entsetzt.
Sollte aber jemand unter Euch an der uns verliehenen päpstlichen
Vollmacht zweifeln, der sende glaubwürdige Männer zu uns, die
das Sendschreiben sehen, lesen und die Wahrheit Euch bezeugen
mögen. . . ." 1 ,.
Heutzutage kann man sich kaum vorstellen, welche Schrecken
sich in diesen Zeiten über ein mit dem Interdict belegtes Land lager
ten; die Menschen glaubten, der Fluch Gottes laste auf ihnen, mit dem
Aufhören der Ceremonien seien auch alle Quellen des Segens ver
siegt, mit den Thüren der Kirchen auch die Pforten des Himmels ver
schlossen. Erschüttert durch den schweren Schlag, der durch sein
Verschulden das Volk traf und der für ihn selbst die traurigsten Folgen
haben konnte, sandte Andreas zu Anfang des Jahres 1232 den Jüngern 1232
König dreimal an den Erzbischof, versprach Abstellung aller Misbräuche
und flehte um die Rücknahme des Interdicts; endlich ließ sich der harte
Greis erbitten , den Bann von Ostern bis zum Tage des heiligen Kö
nigs Stephan (20. August) zu suspendiren. Während dieser Gnaden
frist gingen im Auftrage des Königs der Palatin Dionysius selbst, der
raaber1 Katona,
Obergespan
V, 635 und
fg. Pray,
der Heermeister
Annales, I, 235
derfg.Johanniter in Ungarn,
348 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Rembrand, nach Rom , um gegen den Erzbischof Klage zu führen und


die Aufhebung des Interdicts zu erwirken. Trefflich wußte der Papst
die Bedrängniß des Königs zu seinem Vortheil zu benutzen ; er schickte
-denCardinalbischof von Präneste, Jakob, nach Ungarn, die obwaltenden
Uebelstände kraft päpstlicher Vollmacht zu untersuchen und Ent
scheidungen zu treffen. Gleich nach dessen Ankunft beriefen Andreas
und Bela eine außerordentliche Versammlung von Bischöfen und Prä
laten, weltlichen Großen und Edelleuten in den bereger Wald. Hier
1232 kam ein Vertrag zu Stande, und der König gelobte am 12. Aug. 1232
abermals
Er werde
in die künftighin
Hand des Legaten
Juden und
mit Sarazenen
feierlichemweder
Eide: die Verwaltung

der Münze und der Staatseinkünfte anvertrauen, noch sonst ein öffent
liches Amt übertragen. ... Er wolle dafür sorgen, daß Juden und Sara
zenen durch gewisse Abzeichen von den Christen unterschieden würden,
daß sie christliche Sklaven weder kaufen noch halten. ... Er werde jähr
lich den Palatin oder sonst einen hohen Staatsbeamten beauftragen,
Juden und Sarazenen zu überwachen und ihnen auf Verlangen der Bi
schöfe christliche Sklaven und Frauen abzunehmen. . . . Der nähere Um
gang und die Ehen der Juden und Sarazenen mit Christen sollen auf
gelöst und beiderseits mit Verlust des Vermögens und der Freiheit be
straftEr
werden.
gestatte, daß die Kirchen die ihnen zukommenden Salzgebühren

aus den Magazinen ungehindert abholen, unter dem Siegel der Prälaten
und Salzbeamten bei sich behalten und, wenn dieselben von den letz
tern binnen der festgesetzten Zeit, vom 28. Aug. bis 8. Sept., zu den
bestimmten Preisen nicht angekauft würden, sie frei veräußern dür
fen. . . . Die Salzgebühren, welche er den Kirchen schulde, versprach er
mit 10000
Er gebe Mark
zu,binnen
daß fortan
fünf Jahren
Processe
zu vergüten.
über Morgengaben und Ehen

weder durch den König noch durch andere weltliche Richter, sondern
ausschließlich durch die kirchlichen Gerichte verhandelt und ent
schieden
Er bewillige,
werden. daß die Geistlichen in allen Dingen ausschließlich

dem geistlichen Richter verantwortlich und untergeordnet seien, aus


genommen in Rechtsstreiten über Grundbesitz; in Betreff dieser werde
er mit dem Legaten gemeinschaftlich den Papst befragen und ihm zu
gleich vortragen, daß die ungarischen Könige solche Rechtsstreite von
jeher entschieden haben, und daß die Bischöfe selbst meinen, es würde
der Kirche zum großen Nachtheil gereichen, wenn man dieselben der
Gerichtsbarkeit des Königs entzöge. (Sie wußten nämlich, der Papst
würde schwere Taxen fordern und vielleicht auch noch andere An
sprüche
Er werde
machen,
vonwährend
Klerikern
derund
König
kirchlichen
unentgeltlich
Personen
Recht
keinerlei
sprach.)
Steuern

und Abgaben erheben und ihre Privilegien unverletzt erhalten; hin


sichtlich der außerordentlichen Abgaben aber, die «twa den andern
Reichsbewohnern auferlegt würden, soll gleichfalls der Papst zu Rathe
gezogen werden (ob nämlich auch die Geistlichen dieselben zu leisten
haben).
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 349

Diese Vertragspunkte beschworen nebst Andreas auch seine Söhne


und die anwesenden höchsten Reichswürdenträger weltlichen Standes 1;
der Legat aber beauftragte den Bischof von Bosnien Johannes, Bann
und Interdict über den König, seine Räthe und das ganze Land aus
zusprechen,
Der Inhalt
wennderdieselben
Urkunde nicht
belehrt
beobachtet
genugsamwürden.
darüber, was den Feuer

eifer des Erzbischofs Robert so entflammte und um was es der gesamm-


ten Klerisei und dem päpstlichen Stuhl eigentlich zu thun war. Von
Rechten des Volks, von Maßregeln, dessen Noth zu mildern und die
öffentlichen Zustände zu verbessern, ist hier keine Rede, wenn man
nicht das Verbot , an Juden und Mohammedaner Staatspachtungen und
Aemter zu überlassen, als dergleichen betrachten will. Dagegen springt
sogleich in die Augen, daß die grausame Verfolgungswuth Anders
gläubiger auch in Ungarn ihre gräßlichen Feste bei den Flammen der
Scheiterhaufen feiern wollte und nur durch, den duldsamen Geist des un
garischen Volks daran gehindert wurde ; daß es auf die Unterdrückung
und Ausrottung der Juden, Mohammedaner und Patarener und neben
bei auf die Erhöhung der geistlichen Vorrechte und Einkünfte abge
sehen war. Sobald man diesen Zweck erreicht hatte oder doch erreicht
zu haben glaubte, dachte man nicht mehr an Bann und Interdict; der
König,Den
seine
innern
Räthe,
Frieden
das ganze
, den Volk
diese waren
Uebereinkunft
losgesprochen.
für kurze Zeit her

stellte, benutzten beide Könige zu einem Rachezug. Leopold VII., Her


zog von Oesterreich, war 1230 gestorben uud sein Sohn Friedrich II.,
der Streitbare , ihm nachgefolgt; ein hochstrebender, eroberungssüch
tiger und herrschgieriger Fürst, der mit seinen Nachbarn in beständige
Kriege verwickelt war und das eigene Volk durch tyrannische Willkür
und Erpressungen drückte. 2 Noch eifriger als sein Vater mischte er
sich in die innern Händel Ungarns, nährte die Zwietracht und lauerte
auf eine günstige Gelegenheit, wo nicht die Krone, so doch einen Theil
des Landes an sich zu bringen. Dazu verstieß er 1232 seine Gemahlin
Sophie, eine Schwester der Gattin Bela's, nach dreijähriger Ehe
unter dem Vorwande der Unfruchtbarkeit. Der böhmische König
Wenzel I., den seine Mutter Constantia, die Tochter Bela's III. leitete,
führte schon seit 1230 Krieg mit Friedrich, um die von diesem vielfach
beleidigte Ehre des ungarischen Königshauses zu rächen. s Jetzt woll
ten die Könige Ungarns die erfahrene Unbill selbst strafen, schlossen
Bündniß mit dem Verwandten, der bisher für sie gekämpft hatte, und
bekriegten
1 Andreae
mit II.ihm
regis
vereinigt
juramentum
den de
gemeinschaftlichen
reformando regnoGegner,
in silva 1233.
Bereg 1233

praestitum 1232. E regesto tabularii Vaticani, bei Endlicher, S. 436. —


2 Iste Fridericus , cum esset severus homo , in judiciis districtus et crudelis,
magnanimus in proeliis, in thesanris congregandis cupidus, terrorem suum
sie fudit super indigenas, ut noii solum non diligeretur, sed ab omnibus time-
retur. . . . satagebat etiam nobiles opprimere et ignobiles exaltare, saepe tyran-
nidem exercebat; audacia cordis sibi innata ipsum quiescere non sinebat. So
schildert ihn das Chron. August., bei Freher, I, 525. — 3 Vgl. Palacky, Ge
schichte von Böhmen, II, 1, 102.
350 Viertes Buch. Erster Abs chnitt.

Ein Theil der ungarischen Kriegsmacht überfiel Steiermark, schlug den


dortigen Heerbann gänzlich, verwüstete das Land und kehrte mit
großer Beute an Vieh zurück. Andreas selbst brach in Oesterreich ein
und verheerte das ganze Gebiet um den Leithafluß; bei Höfflein er
reichte ihn Friedrich, der aus Böhmen zur Vertheidigung des eigenen
Landes herbeigeeilt war, und that ihm einigen Abbruch. 1 Wichtiges
ward von keiner Seite vollbracht, nicht einmal unternommen; es war
wieder eine jener elenden Fehden, wo die Fürsten, nachdem sie ihren
Zorn in einigen blutigen Kämpfen und an dem wehrlosen bedauerns
würdigen Volke gekühlt hatten , Frieden und Freundschaft miteinander
schlossen. '
1234 Schwester
SchonConstantia
das Jahr mit
darauf
dem1234,
Markgrafen
am 14.von
Mai,
Meißen,
als Friedrich
Heinrich seine
dem

Erlauchten, vermählte, wohnten die Könige Ungarns und Böhmens der


glänzenden Hochzeit bei. 2 Zwei Wochen später, am 1. Juli, schloß
der sechzigjährige Andreas, der unlängst Witwer geworden war, wider
den Willen seiner Söhne die dritte Ehe mit Beatrix , der Tochter des
Markgrafen von Este Aldobrandini. 3 Friedrich war bei der Ver
mählungsfeier wiederum sein Gast, benutzte aber hinterlistigerweise dje
Gelegenheit, unter den unzufriedenen ungarischen Großen einen An
hang zu werben. Bald darauf berichtete der böhmische König nach
Ungarn, der Herzog habe von Kaiser Friedrich II. ein Anlehn von
2000 Mark erbeten, um dafür Söldner zu werben, mit denen er Un
garn und Böhmen bekriegen wolle. Die Könige unternahmen hierauf
abermals einen Kriegszug; Andreas und Bela führten ein zahlreiches
Heer nach Oesterreich; von Westen drang Wenzel vor. Herzog Friedrich
wurde unweit Wien geschlagen und gezwungen, den Frieden mit Geld
zu erkaufen.
Die Hochzeitsfeste
4 und Kriege erschöpften von neuem die geringen

Geldmittel des Königs Andreas. Mit gewohnter Leichtfertigkeit setzte


er sich über die so oft wiederholten feierlichen Verträge und Eide 'hin
weg, gab abermals die Staatseinkünfte Juden und Mohammedanern in
Pacht und Pfand, und erhob auf den Gütern der reichen Geistlichkeit
von den Hörigen derselben einige Abgaben. 6 Auch sonst war alles in
dem vorigen elenden Zustand geblieben. Darüber wurden bittere Kla
gen geführt. Der Legat Jakob schrieb an Bela, er möge den Vater be
wegen, seine Eide zu halten 6, und der Papst ermahnte Andreas selbst
zu deren Erfüllung mit strengem Ernst. Da aber alle Ermahnungen
fruchtlos waren, gebrauchte der Bischof von Bosnien, Johann, endlich
seine Vollmacht und sprach den Bann über den König. Allein Erzbischof
Robert,
1 Pernold.,
der sich
bei Hanthaler,
gekränkt fühlte,
Fasti Campililiens.,
daß diese Vollmacht
I, 1314. Chron.
ihm entzogen
Claustro-

Neoburgens. et Zwetlense, bei Pertz, IX; bei Freher, I, 978. — 2 Pernold.,


a. a. O., I, 814 u. 1314. — 3 Die Ehepakten bei Pray, Annal., I, 242. —
4 Pernold., a. a. O. Chron. Erfordiense ad ann. 1235, bei Schanat, Vindemiae
literariae, I, 95. Chron. Salisburg. et Zwetlense, bei Pertz, IX. Vit. Aren-
peck. , bei Leibniz, Script. Brunsv., III. — 5 Katona, V, 738. — 6 Epist.
Jacobi Praenestini ad Belam, bei Kovachich, Supplement;», I, 21.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 351

und einem Geringern ertheilt worden war, verbot die Veröffent


lichung des Bannspruchs. Der Papst machte ib/n darüber harte Vor
würfe und forderte Andreas auf, der Geistlichkeit die noch immer für
das Salz rückständige Schuld abzutragen und die neuerdings erhobenen
Abgaben wiederzuerstatten. Doch Gregor hatte vormals selbst den
König gelehrt, er dürfe Eidschwüre nicht halten , sobald sie die könig-
licheWürde beeinträchtigten; dieser konnte sich also jetzt entschuldigen,
daß er die dem Legaten letzthin geleisteten Gelöbnisse nicht erfüllen
dürfe, weil die Erfüllung derselben der Thronentsagung gleich käme,
indem er mit königlicher Freigebigkeit drei Theile seiner Einkünfte seinen
Söhnen und seinem Enkel angewiesen und für sich nur ein Viertheil
behalten habe, das zur Behauptung des königlichen Ansehens nicht hin
reiche. Er bitte daher, der Papst möge ihm nicht nur die Rückerstattung
erlassen, sondern auch erlauben, daß er diese mäßige Abgabe von den
Kirchengütern forterhebe. Doch der Papst schlug die Bitte ab, trug
dem Erzbischof von Kalocsa, dem Bischof von Neitra und dem Abt
vom Pannonsberge auf, ihm zu berichten, was der König eigentlich bei
der Krönung beschworen habe, und bewilligte endlich nur, daß Andreas
die versprochene Schadloshaltung des Klerus von 10000 Gulden erst
binnen zehn Jahren zahle. 1 Der Tod bewahrte ihn davor, daß er
nicht Noch
auch im
dieses
Jahre
Versprechen
1234, am wie
1. Juli,
so viele
erlebte
andere
er die
brach.
hohe Freude, daß 1234

seine erst 1230 verstorbene Tochter Elisabeth, die Witwe des thüringer
Markgrafen Ludwig, vom Papste heilig gesprochen wurde.2 Die Toch
ter aus seiner zweiten Ehe, Jolantha, heirathete den König Jakob von
Aragonien. 3 Bald darauf, in den ersten Tagen des November 1235 4,
starb er und wurde nach Thuröczy im Kloster Egres an der Maros, 1235
nach Chronicon Budense in Großwardein zu den Füßen Ladislaus des
Heiligen begraben. Er war einer der geist- und kraftlosesten Könige Un
garns, und brachte den Staat in den traurigsten Verfall; aber die Gol
dene Bulle, obwol er sie nur gezwungen ausstellte und selbst nie beob
achtete, verschaffte ihm durch die Wichtigkeit, die sie mit der Zeit er
hielt, einen Platz unter den hervorragendsten Königen, und umgab sein
Andenken für die folgenden Geschlechter mit dem schimmernden Glanz
eines großen Gesetzgebers. „Der unüberwindliche König", sagt Ver-
böczi, „hat besonders über die Entlastung, über die Vorrechte und Frei
heiten der Edelleute vortreffliche Verordnungen und herrliche Gesetze
gegeben, welche das ungarische Volk bis auf den gegenwärtigen Tag
(um 1500) als heilige Gesetze
Bela IV.
bis zu
1235—1242.
den Sternen erhebt." 6

Bela war 29 Jahre alt, als er den Thron bestieg. Ungeachtet


er bereits
1 Die gekrönt
Briefe Gregor's
war undIX.den
an königlichen
Andreas, denTitel
Erzbischof
führte, Robert
berief er
unddoch
an

dere Bisehöfe, bei Katona, V, 696— 739. — 2 Die Kanonisationsbulle, bei


Katona, V, 723. — 3 Schier, Reg. Hung., S. 199. — * Pernold., a. a. O.,
S. 1315. — i Verböczi, Tripartitum, Pars II, Tit. 6, §. 6.
352 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

sogleich nach dem Begräbniß seines Vaters einen Reichstag nach


Stuhlweißenburg und ließ sich dort zum zweiten mal feierlich krönen.
Sein Bruder Koloman trug ihm das Schwert vor, und der vertriebene
Fürst von Halitsch , Daniel Romanowitsch 1, führte das Pferd , auf wel
chem er in glänzendem Aufzug durch die Straßen der Stadt ritt, „damit
das Volk die Krone Stephan's auf seinem Haupte sehe". 3
Die Umstände, unter denen Bela die Regierung antrat , können kaum
schwieriger gedacht werden. Die Schatzkammer war leer und selbst
die Quellen der Einkünfte befanden sich meistentheils in der Gewalt
gewinngieriger Menschen; in die höchsten und einflußreichsten Aemter
hatten sich Nichtswürdige eingeschlichen, die ihre Gewalt zum Ver
derben des Staats misbrauchten; Eigennutz und Herrschsucht erstickten
bei den weltlichen Großen die Liebe und Begeisterung für das Vater
land; die mächtige hohe Geistlichkeit, demselben durch hierarchische
Gesinnung entfremdet, verfolgte rücksichtslos ihre Sonderinteressen;
der zahlreiche Adel erschöpfte seine Kraft im Kampf gegen die Willkür
des Hofes und gegen die Gewaltthätigkeit der Oligarchen; die große
Masse des Volks hatte mit dem Rechte und der Freiheit auch das
Selbstgefühl und den Gemeingeist verloren; das Königthum endlich,
das man so gemisbraucht und erniedrigt sah, hatte seine "Macht und die
Ehrfurcht der Nation eingebüßt. Dazu kam noch, daß" Bela selbst
schon als Mitregent durch strenge Maßregeln und schonungslose Aus
führung derselben sich unbeliebt gemacht hätte und sogleich einen
schweren Kampf mit Haß, Argwohn und erbittertem Trotz beginnen
mußte. Aber er stand in der Blüte des männlichen Alters, hatte schon
zehn Jahre lang die wichtigsten Staatsgeschäfte geführt und verband
mit natürlicher Geisteskraft Kenntniß und Erfahrung; er war der
großen Aufgabe fähig, deren Lösung ihm die Vorsehung aufgetragen;
leider fehlte es ihm an Leutseligkeit und jener behutsamen Klugheit, die
auch harte Maßregeln mildert, auch strenge Gerechtigkeit mit Schonung
übt und
Solange
die Herzen
der altegewinnt.
König lebte, hatte er vergeblich gestrebt, die unwür

digen Günstlinge, die jenen beherrschten, zu stürzen ; der schwache Mann


schenkte ihnen unbegrenztes Vertrauen und verschmähte die wohl
gemeinten Rathschläge des Sohnes. Bela's erste Herrscherthat war es
also, sie, die Zwietracht zwischen Vater und Sohn gestiftet, den Staat
bestohlen, das Volk bedrückt und soviel Elend angerichtet hatten,
schon beim Krönungsreichstage zur Verantwortung und Strafe zu zie
hen: sie wurden theils ins Exil geschickt, theils zu lebenslänglicher Ge
fangenschaft verurtheilt, und der schuldigste unter allen, der Palatin
Dionysius, geblendet. Das Volk mochte sich freuen, erlöst zu sein von
seinen Quälern und sie gestraft zu sehen; nur die Freunde und Ver
wandten
1 NachderMstislaw's
Gezüchtigten
Tod 1228
warenwieder
misvergnügt,
zum Fürsten
nur die
Galiziens
besorgt,eingesetzt,
die sich

aber einige Jahre später von den Tschernigowern vertrieben, genoß er jetzt
Gastfreundschaft am ungarischen Hof. — 2 Rogerius, Carmen miserabile,
Kap. 4, bei Endlicher, S. 258. Thuröczy, II, 74. Bonfinius, Rerum Hung.
Decas II, Lib. 8.

'>
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 353

ähnlicher Vergebungen schuldig wußten. Außerdem wurden noch


strenge Gesetze erlassen, um das Land von Uebelthätern zu reinigen,
von denen es wimmelte. l Auch das gesunkene königliche Ansehen
wollte Bela wieder heben. Otto von Freisingen2 berichtet, daß die
Großen des Reichs, wenn sie bei Hof erschienen, ihre Stühle mit
brachten und sitzend ihre Angelegenheiten dem König vortrugen oder
mit ihm rathschlagten. Dieses Recht mochten sich nach und nach
auch solche angemaßt haben, denen es nicht gebührte. „Um also den
Uebermuth der Barone einzuschränken", befahl er, daß außer den höch
sten Reichsbeamten und Bischöfen sich niemand in Gegenwart des Kö
nigs setzen dürfe, und ließ die Stühle der andern verbrennen. Diese
. Verordnung beleidigte den Stolz der Großen; denn an dergleichen
äußern Zeichen des Ranges und der Ehre hängt das eitle Herz der sich
vornehm dünkenden Menge. Noch lautere und allgemeinere Klagen ent
standen , als der König die außer Gebrauch gekommene Einrichtung
seines Großvaters Bela III. wiedereinführte, daß niemand, gehörte er
auch zum höchsten Adel, mündlich bei dem königlichen Gerichtshof
seine Sache vorbringen oder d«m König sein Anliegen vortragen und
sogleich Bescheid erhalten durfte, sondern jedermann ein Bittgesuch
den Kanzlern überreichen und die Entscheidung abwarten mußte. Man
erblickte hierin eine Verletzung der Landesgewohnheiten; man sah sich
genöthigt, mit großen Kosten längere Zeit am Hofe zu verweilen und
häufig unverrichteter Dinge heimzukehren; man beschwerte sich über
willkürliche Parteilichkeit der Kanzler und sagte unverhohlen, „diese
seien Doch
die Könige,
dies alles
einen
galt
andern
Bela König
nur alshabe
Mittel
man
zu nicht
dem einen
mehr".Zweck,
3 den

er als heilige Pflicht, als die Aufgabe seines Lebens betrachtete, durch
Einziehung der verschleuderten Staatsgüter die Geld- und Wehrkraft
des Reichs, das Ansehen und die Macht des Königthums wiederherzu
stellen. 4 Solange er blos als Mitregent für diesen Endzweck thätig
war, sah er sich durch unüberwindliche Schwierigkeiten und allerhand
Rücksichten gehindert, konnte er nur in einzelnen Fällen und nicht
nach einem allgemeinen Plan handeln; jetzt, da er die Zügel der Re
gierung hielt und die Hauptschuldigen , die das meiste geraubt und ihm
am hartnäckigsten widerstanden hatten, bereits unschädlich gemacht
waren, brachte er noch auf demselben Reichstag ein Gesetz zu Stande,
das ihn bevollmächtigte, die überflüssigen und unnützen Schenkungen
einiger seiner Vorgänger zu widerrufen. 6 Um wenigstens einen Theil
des Hasses von sich abzuwenden und durch ein wohlgeordnetes Ver
fahren dem Vorwurfe der Parteilichkeit zu entgehen, ließ er durch
den 1Reichstag
Epist. Belae
für IV,
jede1237,
der 72
bei Gespanschaften
Fejer, Cod. dipl.,besondere
IV, i, 68.Richter
Rogerius,
zur

rius,
CarmenCarmen
miserabile,
miserabile,
Kap. Kap.
4. — 4 2u.De6. rebus
— * gestis
Rogerius,
Friderici,
Kap. 10.
I, 44.
—— 5 In3 Roge-
einer
Urkunde von 1237 sagt Bela ausdrücklich : „Cum nos . . . . regni regimine per
successionem ad nos desoluto, superfluas et inutiles antecessorum nostrorum
donationes de communi baronum nostrorum ac totius regni con-
silio decrevissemus revocandas." Pary Hist. Reg., I, 226, n. e.
Feßler. I. 23
354 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Untersuchung der Besitztitel wählen und aussenden. 1 Und in gleich


richtiger Erwägung der Dinge begann er mit den Besitzungen der
Orden neuerer Stiftung. Denn hier waren die Schenkungen unlängst
geschehen; und wer durfte klagen, daß ihm das Seine genommen werde,
1236 Der
wenn erste
das geheiligte
Schlag traf
Gut1236
der die
Kirche
Abteien
am wenigsten
der Cistercienser
verschontund
blieb?
die

Häuser der Ritter des Tempels, des heiligen Johannes von Jerusalem,
des heiligen Lazarus und des heiligen Samson; sie verloren einen be
deutenden Theil jener Besitzungen, die ihnen Emerich und Andreas ver
liehen hatten. 2 Hierauf ließ Bela Ländereien, von denen nachgewiesen
wurde, daß sie unveräußerliches Staatseigenthum gewesen, ohne Unter
schied den Geistlichen wie den Weltlichen, seinen Gegnern wie seinen
Anhängern abnehmen. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Un
zufriedenheit und Zorn diese Confiscationen , selbst wenn überall die
strengste Unparteilichkeit beobachtet wurde, erzeugen mußten. „Das
war das Schwert", sagt der Zeitgenosse Rogerius, „welches die Her
zen der Ungarn durchbohrte; denn viele, die reich und mächtig ge
wesen waren und ein großes zügelloses Gefolge um sieh gehabt, konn
ten sich nun kaum selbst ernähren."3 Auch der Papst erhob heftigen
Widerspruch, erklärte die Rücknahme der einmal der Kirche ge
schenkten Güter für Raub und Sünde wider Gott und forderte die, Wie
dergabe derselben. * Aber Bela ließ sich dadurch nicht einschüchtern ;
er zeigte in seiner Antwort, wie gesetzmäßig, nothwendig und gerecht die
Maßregel sei, und erklärte, die Klöster um so weniger verschonen zu
können , weil sie sich dazu hergegeben , der Krone geraubte Güter sich
zum Scheine schenken zu lassen, um deren Besitz denen zu sichern , die
sie wider alles Recht an sich gebracht hatten; der Papst möge also
die Klöster zwingen , diese Güter gutwillig herauszugeben ; nach dem
rechtmäßigen Besitzthum der Kirche werde er seine Hand nie aus
strecken. ö Gregor sah , daß er es nicht mehr mit Andreas zu thun
habe, der seinen Worten wie Orakelsprüchen gehorchte, und mußte sich
endlich zufrieden geben. Weit gefährlicher war das Misvergnügen der
weltlichen
Die imHerren.
Lande herrschende Gärung war es vielleicht, was Kaiser

Friedrich II., der jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, ver-
anlaßte, den Plan seines Vorfahren Friedrich I., Ungarn unter deutsche
1236 Hoheit
machte erzu damit,
bringen,daßneuerdings
er 1236 den
aufzunehmen.
Tribut forderte,
Den den
Anfang
Ungarn
hierzu
seit

47 Jahren schulde. Vor 47 Jahren war nämlich Friedrich I. durch


Ungarn nach Palästina gezogen. Bela HI. nahm ihn mit zuvorkom
mender Gastfreundschaft auf und überhäufte ihn mit Ehrengeschenken" ;
der Kaiser erwiderte dieselben freigebig und verlobte seinen ältesten
Sohn1 mit
Urkunde
der Tochter
König Matthias',
des Königs
1486,(vgl.
bei Pejer,
oben S.
Cod.
274),
dipl.,aber
IV, II,
an 521.
Tribut

2 Epist. Gregorii IX. vom 16. Jan. 1237, bei Katona, V, 767. — * Roge
rius, Carmen miserabile, Kap. 5. — 4 Der bereits angeführte Brief Gregor'«,
bei Katona, V, 767. — 5 Epist. Gregorii IX., bei Katona, V, 775.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 355

und Huldigung dachte keiner der beiden Monarchen; Friedrich selbst


hatte den Plan, den er zu Anfang seiner Regierung hegte, längst auf
gegeben. Entrüstet wies also König Bela IV. die unbegründete und
schimpfliche Zumuthung ab und drohte, mit den Waffen die Ehre und
Unabhängigkeit des Reichs vertheidigen zu wollen. l Bald darauf hatte
Friedrich II. mit den lombardischen Städten, die, kaum bezwungen, aber
durch unerträglich harte Bedingungen gereizt, sich abermals auflehnten,
mit der Empörung seines Sohnes, mit widerspenstigen Reichsständen
und besonders mit dem Papst soviel zu schaffen, daß er vorderhand die
SacheBeatrix,
ruhen ließ.
die Königin- Witwe, die schon bei Lebzeiten ihres Ge

mahls mit ihren Stiefsöhnen in Zwietracht lebte und jetzt um so mehr


schlimme Behandlung für sich und für das Kind, das sie unter ihrem
Herzen trug, fürchtete, floh, als Mann verkleidet, mit den kaiserlichen
Gesandten in ihr Vaterland. Sie ließ sich unterwegs in Spalatro ein
Zeugniß über ihre Schwangerschaft ausstellen und gebar bei ihrem Bru
der Azo VII., Markgrafen von Este, einen Sohn, Stephan. Dieser wurde
an Azo's Hof erzogen, wollte als Jüngling die Markgrafschaft dem
Oheim entreißen und floh, da der Anschlag mislang, zu seiner Stief
schwester Jolantha, der Königin von Aragonien. Von da ging er
zurück nach Italien und wurde in Ravenna zum Podesta erwählt, aber
bald wieder vertrieben. Zuletzt ließ er sich in Venedig nieder und
nahm Thomasina, die Tochter des Patriziers Morosini, zur Gemahlin.
Der Sprößling dieser Ehe war Andreas III., der letzte König Ungarns
aus Ärpäd's
Die fortgesetzte
männlichemEinziehung
Stamme.entfremdeter
2 Staatsgüter vermehrte die 1236

gnügte
Zahl und
und
dieEmpörungssüchtige
Erbitterung der Unzufriedenen.
an einen Bruder
Sonstoder
wandten
Verwandten
sich Misver-
des

Königs und stellten ihn als Kronprätendenten auf; diesmal konnten sie
dieses nicht thun, weil Bela und Koloman in brüderlicher Eintracht
lebten, einander unterstützten und ebendeshalb gleich verhaßt waren.
Sie richteten also abermals ihre Augen auf den österreichischen Herzog
Friedrich, ungeachtet sie wußten, wie hart er mit den eigenen Vasallen
verfahre, und luden ihn ein, mit eitlem Heere nach Ungarn zu kommen.
An den Grenzen, verhießen sie, würden ihn die meisten Großen an
der Spitze ihrer Kriegsmannen empfangen, das Volk ihm überall zu
fallen und die Krone auf sein Haupt setzen. Zwar hatten die eigenen
Landstände wider den Herzog die Waffen ergriffen, und der Kaiser
ihn wegen Theilnahme an der Empörung seines Sohnes Heinrich bereits
in die Reichsacht gethan und seiner Länder verlustig erklärt; aber
Friedrich der Streitbare, für seine Vergrößerung alles wagend, ließ
sich dadurch nicht abschrecken, auch noch den Krieg mit dem unga
rischen König zu beginnen. Eiligst zog er ein Heer zusammen und
brach1 Albericus
in die wieselburger
Monachus, Gespanschaft
bei Pistorius, ein,
RerumwoGerm.
ihn die
Script.,
Misvergnügten
I, ad anh.

1236. — 2 Monachus S. justinae Paduae ad ann. 1236, bei Urstisius, I.


Thuröczy, II, 92.
33*
356 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

verabredetermaßen erwarten sollten. Allein er traf dort niemand und


hörte dagegen, daß Bela und Koloman mit starker Macht heranrückten.
Denn noch ehe sich die Verräther sammeln konnten, waren sie ent
deckt, entwaffnet und gestraft worden. ,Voll Zorn über die Vereitelung
seiner Hoffnungen, ließ Friedrich die Gegend furchtbar verwüsten und war
tete auf ungarischem Boden den Angriff ab. Aber die erlittene Täuschung
entmuthigte sein Heer so sehr, daß es gleich beim Beginn des Kampfes
floh und sich auflöste. Die Ungarn drangen , das Land verheerend, bis
vor Wien und zwangen den Herzog, den Frieden für Geld zu erkaufen. L
Kurz darauf, noch im Sommer 1236, rückten die Baiern und Böhmen,
die die Reichsacht vollziehen sollten, in Oesterreich ein; Friedrich
schlug sie zwar zurück, aber der Kaiser selbst kam herbei, besiegte und
nöthigte ihn, sich in Wienerisch-Neustadt einzuschließen, eroberte Wien
und erklärte es zur freien Reichsstadt, und zog Oesterreich, Steiermark
und die übrigen Gebiete des Herzogs zu Handen des Reichs ein, söhnte
sich jedoch nach einiger Zeit 1237 mit ihm aus und setzte ihn wieder
1237 in
da seine
forderte
Kaum
Länder
ihn
hatteGregor
und
Bela
Würden
den
IX. 1237
österreichischen
ein. dringend auf,
Feldzug
dem lateinischen
siegreich beendigt,
Kaiser

von Konstantinopel, Balduin II. , der 1228 seinem verstorbenen Bruder


Robert auf dem schwankenden Throne gefolgt war und während seiner
Minderjährigkeit unter der Vormundschaft des Titularkönigs von Jeru
salem, Johann von Brienne, gestanden hatte, Hülfe zu leisten. Zwei
Schwäger des Königs, der Kaiser zu Nicäa, Johannes Dukas Vata-
zes, dessen Gattin die Schwester seiner Gemahlin war, und der Bul
garenkönig Asan, Mann seiner Schwester, hatten sich wider das latei
nische Kaiserthum verbunden und das jeder natürlichen Grundlage ent
behrende Reich, dessen Einwohner nur mit Widerwillen die fremden
Herrscher ertrugen, durch glücklichen Krieg dem Untergange nahe ge
bracht; überdies war Asan von der römischen zur griechischen Kirche
1238 schleuderte
zurückgekehrt,
12381234
Bannflüche
— 37. 2 auf
Der
Asan,
Papst
den griff
Abtrünnigen
zu seinen
undWaffen
Beschützer
und

der Ketzer, und Bela sollte denselben durch das Schwert Wirksamkeit
verschaffen. Bela jedoch erhob Zweifel, ob er wider Verwandte, die ihn nie
beleidigt hatten, gerechten Krieg führen könne; und als diese durch die
in solchen Fällen der römischen Curie geläufigen Gründe widerlegt wur
den, stellte er die Bedingungen, daß der konstantinopolitanische Kaiser
und der Papst ihre Ansprüche auf die Oberhoheit über Bulgarien ihm
übertragen, daß kein päpstlicher Legat, falls die Eroberung des Lan
des gelänge, in dasselbe komme; sondern er, wie Stephan der Heilige
in Ungarn berechtigt sei, die dortigen Bischöfe zu ernennen und alle
kirchlichen Angelegenheiten zu ordnen; daß das Kreuz in Ungarn ge
predigt und der Krieg als Kreuzfahrt geführt werde; daß der Papst
alle Einheimische und Auswärtige banne, die während seiner Abwesen
heit 1den
Pernoldus,
Frieden bei
stören
Hanthaler,
würden.Fasti
Nebenbei
Capililiens.,
forderte
1, 1315.
er den
— Widerruf
2 Geor-

gius Acropolita und Nicephorus Gregor's, bei Stritter, Ton1. II, Pars II,
p. 721 — 730.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 357

der unzähligen Bannsprüche, in welche der Legat Jakob die hohe und
niedere Geistlichkeit Ungarns verwickelt, und die Aufhebung der Eide,
die ihm derselbe über die geringfügigsten Dinge abgenommen habe, und
deren Menge zu groß sei, als daß er sich aller erinnern könnte. In
seinem Grimm über Asan bewilligte Gregor IX. diese Forderungen des
Königs fast unbedingt 1; aber Bela, dem es ohnehin nie ein Ernst mit
diesem Kriege gewesen zu sein scheint, ließ es bei einigen Vorbereitungen
dazu bewenden. Bald nahmen andere, weit wichtigere Dinge seine
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch; auch der Papst söhnte sich mit
AsanInaus,
diese
undZeit
derfällt
Kriegauch
unterblieb.
die merkwürdige Begebenheit, die wir schon

oben S. 44 erwähnt haben. Aus einheimischen Annalen, die leider spur


los verloren sind, hatten die bekehrungseifrigen Dominicaner erfahren:
als die sieben Stämme der Ungarn aus ihrem alten Vaterlande auszogen,
sei ein Theil des Volks dort zurückgeblieben , der in der Nacht des Hei-
denthums lebe. Schon unter Andreas' Regierung zogen daher vier Ordens
brüder nach Asien und suchten dort unter vielfachen Gefahren und
Mühseligkeiten drei Jahre lang nach den Zurückgebliebenen , bis endlich
einer unter ihnen, Otto, der als Handelsmann reiste, einige Männer traf,
welche die ungarische Sprache redeten, und von diesen erfuhr, wo die
alte Heimat der Ungarn liege. Erfreut kehrte er heim, um Genossen
zu finden, mit denen er hinwandere, starb aber bald darauf infolge der
ausgestandenen Beschwerden. Der Predigerorden ließ *die begonnene
Sache nicht fallen; er sandte neuerdings vier seiner Mitglieder nach
Asien, und König Bela, der eifrig bemüht war, sein dünn bewohntes
Reich mit verwandten Stämmen zu bevölkern, gab die Kosten her. Sie
nahmen den Weg über Konstantinopel, fuhren von dort in 33 Tagen
über das Schwarze Meer und stiegen an dessen östlicher Küste bei den
Zighiern ans Land. Das Volk nannte sich christlich, und besaß grie
chische Priester und Bücher; es schor das Haupt kahl, nur die Vornehmen
ließen ein Büschel über den Ohren stehen, und stand unter einem Für
sten, der 100 Frauen hatte. Von hier kamen sie nach mühseliger
dreizehntägiger Wanderung im Kaukasus in das Land der Alanen , wo
jedes kleine Gebiet seinen eigenen unabhängigen Fürsten hatte. Aus
Furcht vor den Tataren blieben sie daselbst sechs Monate, während
welcher Zeit ihnen die Geschicklichkeit eines der Brüder im Schnitzen
hölzerner Geräthschaften nothdürftigen Unterhalt verschaffte. Ihrer
zwei verloren den Muth und kehrten nach Ungarn zurück; Bernhard
und Julian aber zogen mit einer heidnischen Handelskaravane weiter.
Siebenunddreißig Tage wanderten sie unter großen Entbehrungen durch
eine menschenleere Wüste nach dem Lande Veda, in die Stadt Bunda,
deren mohammedanische Bewohner ihnen zwar Herberge verweigerten,
doch Almosen gaben. In der nächsten Stadt fanden sie in dem Hause
eines1 Epist.
Mohammedaners
Gregorii IX. freundliche
ad Belam, bei
Aufnahme.
Katona, V,Dort
813. erlag
Epist.Bernhard
Belae ad

Gregorium Pap., a. a. O., S. 819. Epist. Gregorii, a. a. O., S. 824—833,


bei Pray, Annal. Reg. Hung., I, 248 fg. '
358 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

den ausgestandenen Mühseligkeiten. Julian trat in den Dienst eines Imans


und ging mit diesem nach Großbulgarien, das nach seiner Angabe ein
stark bevölkertes, mächtiges Land voll reicher Städte war. In der
größten derselben (wahrscheinlich Bolgär) traf er eine aus der alten
Heimat der Ungarn stammende Frau; sie beschrieb ihm den Weg, den
er nehmen müsse, und ihrer Anweisung folgend fand er an dem großen
Fluß Ethil l die Brüder der Magyaren, die deren Sprache redeten, ihn
verstanden und von ihm verstanden wurden. Sie waren Heiden, Götzen
bilder jedoch hatten sie nicht, trieben keinen Ackerbau, aßen das Fleisch
der Pferde und wilder Thiere und tranken Pferdemilch und Blut.
Nach alten Ueberlieferungen wußten sie, daß ein Theil ihres Volks
ausgewandert sei; sie freuten sich, Nachricht von diesem zu erhalten, und
hörten die Erzählungen Julian's mit innigem Wohlgefallen. Die be
nachbarten Tataren hatten mehrmals versucht, diese Magyaren aus
ihren Wohnsitzen zu vertreiben; aber jedesmal zurückgeschlagen, schlos
sen sie endlich Bündniß mit ihnen. Gerade zu derselben Zeit befand
sich unter den Magyaren ein Gesandter des Tatarenkhans, der der
ungarischen, kumanischen, russischen und deutschen Sprache mächtig
gewesen sein soll; er berichtete, daß fünf Tagereisen weiter das Heer
der „Tataren" bereit stände, gegen Westen aufzubrechen, und nur die
Rückkehr eines andern gegen die Perser ausgesandten erwarte. Hinter
den Tataren, erzählte er ferner, hause ein sehr zahlreiches Volk , dick
köpfig, behender und größer als andere Menschen, das beschlossen
habe auszuziehen und, soweit es vordringen könnte, alle Reiche zu zer
stören. Diese Nachrichten, welche seinem Vaterland Gefahr drohten,
und die Besorgniß , daß die Entdeckung des alten Ungarlandes , wenn
er in der Fremde stürbe, wieder verloren ginge, bewogen Julian, die
Rückreise eilig anzutreten, so dringend ihn auch die aufgefundenen
1237 Stammesgenossen baten, bei ihnen zu bleiben. Am 21. Juni 4237 brach
er auf, schlug nach ihrer Weisung den Weg über die Wolga durch
Ruthenien und Polen ein und erreichte Ungarn am 27, Dec. 2 Seine
Entdeckung blieb ohne Folgen, weil das starke dickköpfige Volk, von
dem er Kunde brachte, nachdem es den größten Theil des mittlem
Asiens bereits mit Trümmern bedeckt und erobert hatte, sich jetzt wie
eine verheerende Flut über alle hier erwähnten Länder und fast über
das ganze
Diesesöstliche
Volk, Europa
die Mongolen,
ergoß.häufig, aber ungenau, auch Tataren ge

nannt, wohnt seit unvordenklichen Zeiten in dem weiten, meist öden


Hochlande, das sich zwischen Sibirien im Norden und China im Süden,
der sogenannten Hohen Tatarei im Westen und der Manschurei im
Osten erstreckt; es hat sich von da noch weiter ausgebreitet und zum
Theil mit andern altaischen Stämmen vermischt. Seine älteste Ge
schichte ist in Dunkel gehüllt. Daß auch mongolische Horden gegen
China1 und
Wolgadasoder
westliche
Kama; Asien
vgl. oben
auszogen,
S. 44, Note
läßt 1.sich
— nicht
2 Debezweifeln
facto TJngariae
; ob

magnae a fr. ordinis f.f. Predicatorum invento tempore domini Gregorü IX.
E codice saeculi, XIII bibliothecae Vaticanae, hei Endlicher, S. 248 fg.
A eußere Be gebenhei teil. BelalV. 359

aber die mächtigen Hiongnu, die Hunnen und die Kitan Mongolen
waren, ist ungewiß. Bevor die Mongolen sich wieder erhoben und zum
Verderben der Menschheit aus ihren Steppen hervorbrachen, lebten sie
als rohe Nomaden, einem einfachen Naturcultus ergeben und vielfach
in Horden gefheilt , die ihre Khane aus Familien , in denen diese Würde
erblich war, wählten und einander häufig bekriegten. An den Ufern
der Selinga und des Onon herrschte Khan Jesukai über die Horde
Müm-U und einige andere, die zusammen 30—40000 Familien zählten.
Als er 1175 starb, war sein Sohn Temudschin erst dreizehn Jahre alt;
die Horden weigerten sich den Knaben als Herrscher anzuerkennen:
da ließ dieser 70 Häuptlinge in siedendes Wasser werfen, mußte jedoch,
in einem Treffen besiegt, zu Togrul, dem Khan der Kerniten am Jenisei,
fliehen. Hier gewann er durch Freigebigkeit und tapfere Thaten das
Wohlwollen des Khans, der ihm seine Tochter zur Ehe gab, und die
Liebe der benachbarten Horden. Als seine Macht wuchs, entstand
Zwietracht zwischen ihm und seinem Schwiegervater; es kam zur
Schlacht 1202 und Togrul blieb mit 40000 seiner Krieger auf dem
Kampfplatz. Auch ein neuer Feind, Tayan, Khan der Naimanen am
Amur, der sich wider ihn erhob, wurde 1203 besiegt und fiel auf
der Flucht. So eilte Temudschin von Sieg zu Sieg und ward Herrscher
über den größten Theil der Mongolei und viele tatarische Völker
schaften. Zwischen 1204 und 1206 berief er einen Kurultai (Volks
versammlung) nach seinem Geburtslande, zu dem sich alle Häuptlinge
der unterworfenen Horden einfanden, und ließ durch einen Kodscha
(Priester und Propheten) verkündigen, nach dem Rathe des Himmels
müsse er fortan nicht Temudschin, sondern Dschingis (der höchste)
Khan heißen, denn ihm sei die Herrschaft der Welt beschieden. Die
Horden erkannten gläubig des Kodscha Wort an , und Dschingiskhan zog
nun an ihrer Spitze aus, die Welt zu unterjochen. Zuerst vollendete er
die Unterwerfung der Völkerschaften in der unermeßlichen Steppe,
eroberte sodann 1210 — 14 einen Theil des nordchinesischen Reichs
mit der Hauptstadt Peking, 1215— 24 das große chowaresmische Sul
tanat, das sich vom Kaspischen Meere bis an den Indus und hinauf bis
in die Nähe des Aralsees und des Himmelsgebirges ausdehnte, Ueberall,
wohin die wilden Scharen drangen, sanken die Städte in Asche und
Trümmer, wurden die Menschen erbarmungslos hingewürgt, alle Werke
der Wissenschaft und Kunst zerstört und die Länder in traurige Ein
öden verwandelt. Während Dschingiskhan selbst Chowaresmien er
oberte, gingen seine Feldherren um den Kaspischen See, warfen alle
Nationen nieder, die sie auf ihrem Wege trafen, überstiegen den Kau
kasus und schlugen in blutigen Kämpfen die vereinten Kumanen und
Petschenegen, deren Hauptreich zwischen dem Kaspischen und Schwar
zen Meere lag. Der Kumanenkönig Kuthen verband sich hierauf mit
dem Fürsten von Halitsch Mstislaw Mstislawitsch und dem Großfürsten
von Kiew Mstislawitsch Romanowitsch. Die Verbündeten führten ein
Heer von 100000 Mann über den Dniepr und griffen am 19. Juni 1224
die Mongolen an; die Schlacht, am Flusse Kalka (jetzt Kaleza im Gou
vernement Jekaterinoslaw) endete mit gänzlicher Vernichtung ihres
360 Viertes Buch. Erster Abschnitt,

Heeres; Rußland stand wehrlos den Siegern offen. Aber Dschingiskhan


rief diese plötzlich zurück in den Krieg gegen den Herrscher von Sihia
oder Tangut (um den See Kuku-Noor und das Bajan-Kharat-Gebirge),
den erDschingiskhan
im "Winter 1225
starb
unternahm
1227 und
undhinterließ
siegreich den
beendete.
Seinen den Rath,

nur mit unterjochten Völkern in Frieden zu leben. 1 Sein Sohn Uete-


gai, von den Abendländern Oktai genannt, ward Großkhan; jedoch er
hielten auch dessen Brüder Tschutschi, Dschagatai und Tutui weite
Länder zum erblichen Besitz unter seiner Oberhoheit. Nachdem Oktai
das ganze nordchinesische Reich der Niutsche vollends 1234 erobert
hatte, sandte er 1236 Batu, Tschutscbi's Sohn, mit 500000 Mann gegen
die Völker des Westens aus. In weniger als sechs Jahren durchzog
dieser in beispiellosem Siegeslauf beinahe den vierten Theil des Um-
fangs der Erde. Die unermeßlichen Steppen Kipzaks oder Kaptschaks,
die Länder vom Uralfluß bis zum Dniepr waren schnell durchschritten
und die vielnamigen Völker, die dort wohnten, besiegt; auch die rus
sischen Fürsten, untereinander in ewiger Zwietracht und Fehde, konnten
nur schwachen Widerstand leisten; schon im Herbst 1237 verwandelten
die mongolischen Wurfmaschinen Rjesan in einen Schutthaufen; nach
einer verlorenen Schlacht ging Moskau in Flammen auf; Susdal fiel
, ohne Widerstand, Wladimir nach hartnäckiger Vertheidigung; Perslawl
und Tschernigow wurden im folgenden Jahre erstürmt; Verwüstung
und Mord bezeichneten jeden Schritt der unmenschlichen Sieger; mit
der Eroberung Kiews 1240 gerieth ganz Rußland in ihre Gewalt, und
trug nun jahrhundertelang das mongolische Joch. 2
1238 der mongolischen
Auch die Kumanen
Herrschaft
wurden
zu entgehen,
von Batu floh
1238eingänzlich
Theil derselben
besiegt. über
Um

die Donau und suchte Rettung in Bulgarien und Macedonien 3; ein an


derer zog mit dem König Kuthen zu ihren Brüdern in die Gebirge der
Moldau. Aber auch hier fühlten sie sich noch nicht sicher, und da, wie
wir bereits wissen, die dort wohnenden Kumanen die Oberhoheit Un
garns anerkannten, schickten sie Gesandte an König Bela und baten,
daß er sie in sein Reich aufnehme, wogegen sie Gehorsam und Be
kehrung zum Christenthum gelobten. Bela erhörte bereitwillig die
Bitten der heimatlosen Flüchtlinge; denn nach Abkunft und Sprache
den Magyaren verwandt, konnten sie die Zahl und Stärke der Nation
vermehren
1 Piano und
Carpini,
nebenbei
bei Fejer,
ihm IV,
selbst
1, 425.
die —wichtigsten
2 Batu's Bruder
DiensteScheibani
gegen

eroberte 1242 den tiefern Norden Asiens und schlug zu Tobolsk seineu
Thron auf. Haluku zerstörte 1258 das Khalifat zu Bagdad, zertrümmerte das
Reich der Ismaelianer in Persien und noch andere des westlichen Asiens, und
zwang die Seldschuken von Ikonium und die Atabeken zum Tribut. Nur die
Mameluken in Aegypten vertheidigten sich mit Muth und Glück. Der Groß
khan Kublai vollbrachte endlich 1279 die Eroberung des mächtigen südchine
sischen Reichs, über das die Song herrschten, und unterwarf seiner Herr
schaft noch Koran, Tunki», Cochinchina, Pegt1, Tibet und selbst Bengalen.
Zum Glück war er der letzte allgemeine Herrscher des Ungeheuern Reichs,
das alle Länder der Erde zu verschlingen drohte. — 3 Georg. Aoropolita und
Nicephorus Gregoras, bei Stritter, III, 934. Gibbon, History of the Decline
and Fall of the Roman Empire, B. 11.

ML,,-.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 361

einheimische und fremde Feinde leisten ; Raum war in dem dünnbevöl


kerten Lande genug vorhanden. Nachdem die Angelegenheit durch hin
und wieder gehende Gesandtschaften geordnet war, brach Kuthen mit
beiläufig 40000 Bewaffneten und deren Familien und Heerden zur Ein
wanderung nach Ungarn auf. Bela kam ihm an der Spitze eines Heeres
entgegen und empfing die Ankömmlinge ehrenvoll und freundlich. Um
allen Unordnungen vorzubeugen, wurde jeder Abtheilung der Kumanen
ein ungarischer Großer vorgesetzt, der sie in die ihnen zur Nieder
lassung
Aberbestimmten
das heidnische,
Gegenden
an feste
an Wohnsitze,
der Theiß führte.
an Gehorsam
1 und Ordnung

noch nicht gewöhnte Volk war schon wegen seiner rohen Sitten den
Ungarn zuwider und gab bald durch Ausschweifungen Anlaß zu bittern
Klagen. Mit ihren zahlreichen Heerden umherziehend und fremdes
Eigenthum nicht achtend, fügten sie Feldern und Weingärten großen
Schaden zu, schritten, wo sie Widerstand fanden, zur Selbsthülfe und
übten, wie sie ihre Frauen gleichgültig preisgaben, auch Gewalt an denen
der Ungarn. Der Unwille über dergleichen Frevel ward um so größer,
je mehr der König die Kumanen mit parteiischer Vorliebe zu behandeln
schien, vielleicht weil er sie durch Güte gewinnen wollte, oder weil er
es gefährlich fand, den mächtigen Haufen durch Strenge zu reizen.
Allein die Klagen wurden immer bitterer und gegenseitige Gewalt-
thätigkeiteu häufiger, sodaß dem Uebel gründlich abgeholfen werden
mußte. Der König versammelte also einen Reichstag zu Kömonostor
an der Theiß in der heveser Gespanschaft , dem auch Kuthen und die
vornehmsten Kumanen beiwohnten. Hier wurde beschlossen, die Ku
manen, damit sie dem Reiche nicht gefährlich werden könnten, zu
trennen; Kuthen und die ihm zunächst Angehörigen erhielten Wohn
sitze
theilt in
und
derunter
pesther,
die Gerichtsbarkeit
die übrigen wurden
der in
Obergespane
andere Gespanschaften
gestellt, die zwi
ver-

schen Ungarn und Kumanen entstehende Streitigkeiten mit unpar


teiischer Gerechtigkeit entscheiden sollten. So sehr den Kumanen die
Trennung misfiel, mußten sie sich doch fügen. Die unbewohnten und
ausgedehnten Ländereien, die man ihnen angewiesen, boten hinläng
lichen Raum dar; dort wohnten sie unter Zelten aus Filz, zogen mit
ihren Heerden umher und bildeten wandernde Gemeinden; viele Arme
nahmen um geringen Lohn Dienste bei den ungarischen Herren; von einer
an Zahl überlegenen Bevölkerung umgeben und von den Obergespanen
überwacht, wagten sie keine Gewaltthätigkeiten mehr. Dabei sorgte
man auch dafür, daß sie zum Christenthume bekehrt und getauft wür
den; Bela selbst war Kuthen's Taufpathe, den andern Vornehmen
leisteten ungarische Herren diesen Ehrendienst. Doch der .Widerwille
der Ungarn gegen die neuen Mitbürger und ihre Klagen, daß der König
dieselben begünstige, hörten noch immer nicht auf. Weh that es ihne1;
unter anderm, daß sie ihre Angelegenheiten schriftlich den Kanzlern
einreichen mußten, die Kumanen hingegen freien Zutritt zum Könij;
selbst1 hatten.
Rogerius,Allgemein
Carmen miserabile,
herrschte Kap.
der Argwohn,
2. er habe die Fremdlinge
3ß2 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

herbeigerufen, um sie als Werkzeuge zur Unterdrückung der Freiheit


zu gebrauchen. l
So wuchs fortwährend das Misvergnügen, welches durch die strenge
Bestrafung der Günstlinge des verstorbenen Königs, durch die Demü-
thigung der, stolzen Großen und besonders durch die Einziehung der
Staatsgüter geweckt worden und schon einmal in offene Empörung
1239 ausgeartet
Punkt, als Bela
war. 1239
Die unter
Unzufriedenheit
dem Vorwande
stieg der
vollends
Kriegsrüstungen
auf den höchsten
wider

Asan mit Bewilligung des Papstes die Staatseinkünfte wieder an Juden


verpachtete 2; das Mlstrauen und die Erbitterung gegen den König
ward so heftig, daß die Großen und Herren — das Volk hatte kein
Recht und keine Stimme mehr — in trauriger Verblendung selbst der
entsetzlichen Gefahr nicht achteten, die dem Vaterlande Verderben und
Untergang
Schon drohte.
hörte man, wie die furchtbaren Heere der Mongolen, alles

1240 Jahres
vor sich1240
niederwerfend,
langte die Trauerbotschaft
unaufhaltsam näher
an, daß
rückten;
auch Kiew,
gegen damals
Ende des
die

schönste, stark befestigte Stadt des europäischen Nordens, von ihnen


zerstört worden sei, und es ließ sich voraussehen, daß der schreckliche
Feind sich nächstens auf Ungarn stürzen werde. Bela erkannte die
Gefahr und traf eilig alle Anstalten zur Vertheidigung. Der Palatin
Dionysius Hederväry ging mit einem schnell zusammengerafften Heere
an die Nordgrenze; die strategisch wichtigen Punkte derselben wurden
befestigt und die Engpässe verhauen. Herolde trugen das blutige
Schwert, das Zeichen des allgemeinen Aufgebots, im Lande umher und
verkündigten den Baronen, Edelleuten und Burgmilizen, sich zum Kriege
zu bereiten, um auf Befehl des Königs ausrücken zu können. Die hohe
Geistlichkeit, die im Begriffe stand, zu dem nach Rom ausgeschriebenen
Concilium zu reisen, wurde zurückgehalten, damit auch sie zu dem
schweren Kampf sich rüste. Aber mit ungläubigem Hohn vernahmen
die Großen und der Adel den Befehl des Königs; „seit Jahren heißt
es", sprachen sie, „daß die Mongolen kommen, aber sie kamen bisjetzt
nicht; die Prälaten verbreiten das Gerücht, um sich unter diesem Vor
wand von der kostspieligen Reise zum Concilium zu befreien; wenn die
Mongolen ja einfielen, so thäten sie es nur, um die flüchtigen Kumanen
zu verfolgen , die der König mit offenen Armen empfangen habe ; nein,
nicht die Mongolen kommen , sondern die Kumanen haben sich mit den
Russen gegen die Ungarn verschworen, von denen sie so oft geschlagen
worden sind; unter dem Scheine der Einwanderung wollen sie das Land
auskundschaften
1 Rogerius, Carmen
und dessen
miserabile,
Sprache
Kap. erlernen
3, 7, 8, 3,
12. umChron.
dasselbe
Zwetlense
gemein-
ad

ann. 1239, bei Pez, 1. — 2 Epist. Gregorii, bei Katona, V, 863. Die Ein
willigung des Papstes war nach der Meinung der Zeit unentbehrlich , weil
Bela mehr als einmal geschworen hatte, die Staatseinkünfte nicht an Juden und
Mohammedanern zu verpachten. Dieses Eides entband ihn der Papst. —
3 Et linguam facerent sibi notam. Diese Worte des gleichzeitigen Rogerius
lehren, daß die Sprache der Kumanen, ungeachtet sie mit der ungarischen
verwandt war. sich dennoch merklich von derselben unterscheiden mußte.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 363

schaftlich mit den Russen desto leichter verwüsten zu können *'. Mit
solchen Reden kränkte man den König und freute sich der Hoffnung,
ihn gedemüthigt, vielleicht gestürzt zu sehen, wenn auch das Vaterland
dabeiWas
leidendas
müßte.
Gerücht
1 verkündete, verwandelte sich in drohende Ge

wißheit; Batu schickte Botschaft an Bela und forderte ihn auf, den
Mongolen zu huldigen und sich gutwillig ihrer Herrschaft zu unter
werfen, wenn er sich und sein Reich vom Verderben erretten wollte. 2
Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Der König berief im Februar
1241 einen Reichstag nach Ofen, schilderte die unbeschreiblich große 1241
Gefahr und beschwor die Stände, sich schleunigst zu rüsten und mit
ihren Dienstmannen zu dem königlichen Heere zu stoßen, um sich selbst
und das Vaterland zu retten. Niemand konnte weiter an der "Wahrheit
dessen zweifeln, was der König sprach; die nöthigen Rüstungen, das
Aufgebot aller Kriegspflichtigen wurden beschlossen; aber es erhob sich
auch das Geschrei des allgemeinen Argwohns und Hasses wider Kuthen
und die Kumanen: sie seien Verräther, die dem Feind den Weg bahnen
und sich mit ihm vereinigen würden, ihrer müsse man sich vor allem
andern versichern, und Kuthen sammt seiner Familie und den anwesen
den kumanischen Häuptlingen wurden in dem Palast, den er zu Ofen
bewohnte,
Noch unter
dauerten
strengen
die Berathungen
Gewahrsamfort,
gestellt.
als 3am 11. März ein Eilbote

des Palatin die Nachricht brachte, die Mongolen sind am Engpaß ober
halb Vereczke (im Norden der Gespanschaft Bereg) angekommen;
40000 Arbeiter bahnen ihnen die Wege; nach wenigen Tagen werden
sie die Karpaten überschreiten; das kleine Heer des Palatin könne sie
nicht aufhalten, wenn man es nicht ohne Aufschub verstärke. Vier
Tage darauf, am 15. März, traf der Palatin selbst ein; am 12. März,
berichtete er, sind seine Krieger den Pfeilen der Mongolen erlegen.
An demselben Tage streiften schon einige Horden Batu's auf eine halbe
Tagereise von Pesth, und die Flammen brennender Ortschaften ver
kündeten
Diesedie
fastNähe
unbegreifliche
des wilden Schnelligkeit
Feindes. 4 war es eben , was den Mon

golen so große Ueberlegenheit und Sieg verschaffte. Ohne Gepäck


legten sie auf ihren schnellen abgehärteten Rossan einen Weg von drei
Tagen oft in einem zurück, kamen dem Gerücht zuvor und fielen plötz
lich wie ein Schwärm Heuschrecken über die Länder her, ehe man sich
zum Widerstand rüsten konnten. 5 Thomas, Archidiakonus von Spa-
latro, der sie selbst' zu sehen Gelegenheit hatte, schildert die Unholde
also: „Ihre Beine sind kurz, aber die Brust ist breit, die Gestalt grauen
erregend, das bartlose Gesicht platt, die Nase stumpf; die kleinen
Augen liegen weit voneinander. Ihre Kleidung aus schuppenartig zu
sammengefügtem Rindleder ist undurchdringlich. Ihre Helme bereiten

1 Rogerius, Carmen miserabile, Kap. 14. Thomas, Archidiac. Spalat.,


Hist. Salonit., Kap. 37. — 2 Epist. Friderici II. ad regem Angliae, Katona, V,
976. Epist. Ivonis ad Girardum Arehiep. , ebend., 1209. — 3 Rogerius, Car
men miserabile, Kap. 15. — 4 Ebend., Kap. 16. — 5 Nicephorus Gregoras,
bei Stritter, III, 1028.
364 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

sie aus Leder oder Eisen. Ihre Waffen sind: ein krummer Säbel, Köcher,
Bogen und Pfeile mit einer Spitze von Eisen oder Bein, die um vier
Finger länger sind als unsere. An ihre schwarz -weißen Fahnen be
festigen sie zu oberst ein Büschel Wolle. Ihre Pferde, die sie ohne
Sattel reiten, sind kurz, aber stark; an Strapazen und Hunger gewöhnt,
gehen sie, obgleich unbeschlagen, auch über Felsen so sicher wie Gemsen
und begnügen sich selbst nach dreitägiger Ermüdung mit wenig Ruhe
und Futter. Desgleichen wenden die Menschen auf die eigene Nahrung
nicht viel Sorge, als ob sie blos von der Grausamkeit lebten; Brot essen
sie nicht; ihre Speise ist Fleisch, ihr Trank Pferdemilch und Blut. Sie
schleppen eine große Anzahl Bewaffneter von den unterjochten Völ
kern, besonders Kumanen mit sich, die sie mit Gewalt in die Schlacht
treiben und tödten, sobald sie sehen, daß sie sich nicht blindlings in den
Kampf stürzen. Die Tataren selbst wagen sich nicht gern in Gefahr;
fällt aber einer der Ihrigen, so begraben sie ihn auf der Stelle, und
zwar so, daß keine Spur des Grabes sichtbar bleibt. Es gibt kaum
einen Fluß, über den sie mit ihren Pferden nicht schwämmen, doch
setzen sie über größere Ströme vermittelst Kähnen . und Schläuchen.
Ihre Zelte verfertigen sie aus Filz oder Leder. Ungeachtet der un
geheuern Menge hört man in ihrem Lager kein Geräusch; lautlos mar-
schiren, lautlos kämpfen sie." x Hierzu rechne man noch die lange un
ablässige Kriegsübung, das Selbstvertrauen, das sie durch soviel Siege
gewonnen, den Schrecken, der vor ihnen herging und den Muth der
Völker lähmte, und es wird begreiflich, wie sie alles vor sich nieder
warfen und in so kurzer Zeit das größte Reich gründen konnten, das je
auf Erden
Doch dagewesen
kehren wirist.
zu unserm Gegenstand zurück. Der König ent

ließ die Reichsstände sogleich, damit sie eilig ihre Kriegsmannschaft


sammelten und dem Lager bei Pesth zuführten; dorthin entbot er auch
die Kumanen. Ferner rief er, so schwer es ihm auch fallen mochte,
seinen offenkundigen Gegner, Herzog Friedrich von Oesterreich, zu
Hülfe gegen den furchtbaren gemeinschaftlichen Feind; zugleich bat er den
Papst, im römisch-deutschen Reich einen Kreuzzug gegen die Mongolen
predigen zu lassen, was aber Kaiser Friedrich II., der eben damals mit
dem Papst in den heftigsten Streit verwickelt war, verhinderte.2 Die
Königin mit ihren Kindern ging in Begleitung des Bischofs von Waitzen
nach Oesterreich. Hierauf setzte Bela mit den Burgmilizen der nächst
gelegenen Gespanschaften Weißenburg und Gran über die Donau in
das Lager vor Pesth (schon damals eine reiche, großentheils von Deut
schen bewohnte Stadt). Sein Bruder Koloman mit dem kroatisch -dal
matischen Heere und die Erzbischöfe Matthias von Gran und Ugrin
von Kalocsa mit ihren Mannschaften kamen schnell herbei, auch die
Kriegsscharen von jenseit der Donau langten nach und nach an. Aber
schon schwärmten die Mongolen in dichten Haufen, alles nieder
brennend
1 Thomas,
und verwüstend,
Archidiac. Spalat.,
um Pesth;
Hist. Salonit.,
Bela zogKap.
sich38.
in —
die2 Stadt
Chron. zurück
Austr.,

bei Frehner, I, 457.

r v
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 365

und verbot, bevor sich die Reichsmacht gesammelt haben würde, jedes
Gefecht. Doch Erzbischof Ugrin sah von den Mauern eine Rotte plün
dernder Mongolen ganz in der Nähe, konnte seinen Kriegsmuth nicht
bezähmen und fiel mit einem Theil seiner Truppe über sie her. Ihrer
Gewohnheit gemäß kehrten die Mongolen den Rücken, als aber die
nachsetzenden Ungarn mit ihren schweren Pferden und Rüstungen in
Sümpfe geriethen und zu sinken anfingen, wandten sie um und schossen
die in freier Bewegung Gehinderten mit ihren Pfeilen nieder. Ugrin
sah trauernd den Untergang der tapfern Schar, die er ins Verderben
geführt, und konnte sich nur mit Wenigen durchschlagen. An dem
selben Tage überfiel ein anderer Haufe Waitzen; die Einwohner such
ten sich vergeblich in der mit einer Ringmauer umgebenen Kirche zu
verfheidigen ; die Mongolen erstürmten dieselbe, machten alle ohne Un
terschied
Unterdessen
nieder, plünderten
war auch Friedrich
und verbrannten
von Oesterreich,
die Stadt.1
früher als zu ver-

muthen stand , angekommen ; aber nicht wie zum Krieg gerüstet, sondern
wie zur Jagd oder zum Erkundschaften mit wenig Begleitern; er trug
bald zum Verderben Ungarns vieles bei. Auch er machte einen Ausfall
gegen einen Haufen plündernder Mongolen, die schnell die Flucht ergriffen ;
kühn und tapfer, wie er war, verfolgte er sie, stieß den einen mit der
Lanze vom Pferd, hieb einem andern, der diesem zu Hülfe kam, die
Schulter ab, daß er sogleich starb, und brachte den erstem gebunden
ins Lager. Zum Unglück war der Gefangene ein Kumane, deren es
im Heere der Mongolen viele gab. Nun glaubte man den unleugbaren
Beweis von dem Verrathe der Jüngst nach Ungarn eingewanderten Ku
manen in den Händen zu haben; die Herren wie das Volk geriethen in
Wuth; Friedrich fachte den Aufruhr noch mehr an; die unbändige
Menge sfrömte nach dem Palast , in welchem sich Kuthen mit den Sei
nigen in Gewahrsam befand, und stürmte denselben. Die Kumanen
vertheidigten sich eine Zeit lang mit dem Muthe der Verzweiflung,
wurden aber endlich übermannt, mit ihren Frauen, Kindern und Dienern
niedergehauen und ihre Köpfe durch die Fenster unter die tobende
Menge geworfen. Friedrich kehrte hierauf wieder heim und dachte gar
nicht weiter daran , dem Nachbarvolke auch nur die geringste Hülfe zu
leisten. 2 Die kumanischen Krieger waren bereits unterwegs, um aus
ihren zerstreuten Niederlassungen dem königlichen Lager zuzuziehen:
da hörten sie die Schreckensnachricht von der Ermordung ihres Königs
und ihrer Häuptlinge. Von Zorn und Furcht getrieben , kehrten sie
ihre Waffen zur Rache und Selbstvertheidigung wider die Ungarn,
eilten hinab an den Marosfluß, raubten, sengten und mordeten, fielen
die Scharen feindlich an, die zum Heere marschirten, und zerstreuten
unter anderm das zahlreiche Corps, welches der csanäder Bischof Bulcs
und der Obergespan Nikolaus dem Könige zuführten. Viele schlossen
sich sodann den Mongolen an, andere streiften auf eigene Faust ver
wüstend im Lande umher, und wanderten endlich in die Moldau und
nach Bulgarien aus. 3
x Rogerins, Kap. 21, 22. — 2 Ebend., Kap. 24. Pernoldl Chronic, bei
Hanthaler, Fasti Campililiens., I, 1317. — s Rogerius, Kap. 25.
366 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Batu hatte nach der Eroberung Kiews sein Heer in drei Theile ge-
theih; mit der Hauptmacht ging er selbst gerade auf Ungarn los und
durchbrach, wie bereits gesagt wurde, den vereczker Paß; 50000 Mann
führte Keta (so nennt Rogerius den Anführer, andere nennen ihn Ga-
juk) nach Polen, verbrannte Krakau und Breslau, schlug am 9. April
ein vereinigtes Heer der Deutschen, Böhmen und Polen unter dem Her
zog von Niederschlesien — Heinrich dem Frommen, der selbst fiel, auf
der Ebene Wahlstatt bei Liegnitz und kam, nachdem er auch Mähren
schrecklich verwüstet hatte, in das nordwestliche Ungarn, wo er sich
später mit dem Hauptheere vereinigte. Die dritte Abtheilung zog
längs der östlichen Karpatenkette hinab und trennte sich in zwei Hau
fen. Der eine unter Kajdän überstieg das ausgedehnte Gebirge im
äußersten Nordosten Siebenbürgens. Ihm gingen die deutschen Bürger
der Bergstadt Radna muthig entgegen und schlugen ihn, oder, was
wahrscheinlicher ist , nur seinen Vortrab zurück , der sich gewöhnlich in
keinen ernstlichen Kampf einließ. Als sie aber am Osterfeste, den
31. März, in verblendeter Sicherheit mit fröhlichem Gelage den Sieg
feierten, überfiel sie Kajdän plötzlich. Eine Zeit lang vertheidigten sie
sich tapfer, bald erkannten sie jedoch die Unmöglichkeit längern Wider
standes, streckten die Waffen und flehten um Gnade. Kajdän ließ ihre
Stadt und deren Erzgruben unter der Bedingung unversehrt, daß ihr
Berggraf Ariskald sich mit 600 Bewaffneten seinem Heere anschließe
und demselben durch Siebenbürgen nach Ungarn als Wegweiser diene.
Der andere Haufe unter dem furchtbaren Boghador Subutaj (Bochetor
heißt er bei Rogerius) setzte über den Szeredfluß, fiel in den weiten
Sprengel des milkover oder kumanischen Bisthums ein, schlug die dor
tigen Kumanen und Szekler, und stieß noch vor der Schlacht am Sajö
zu Batu. 1 Dieser Angriffsplan verschaffte den Mongolen den Sieg
noch vor jeder Schlacht; denn bei der Schnelligkeit, mit der sie vor
drangen,
1 Der überschwemmten
Brief Friedrich II. sie
an Heinrich
das linksIII.
vonvon
der
England,
Donau bei
gelegene
Matth. Land,
Paris:

Hist. Angliae (Paris 1644), S. 377. Chinesische Jahrbücher geben an, Ungarn sei
von fünf Seiten angegriffen worden; unsere Geschichtsquellen nennen nur die
vier bezeichneten. Es ist jedoch höchst wahrscheinlich, daß auch von Krakau
eine Horde über den bequemen Paß von Altendorf nach der Zips einfiel. Denn
die 24 deutschen Städte (vgl. oben S. 249), die von Süden durch hohe, dicht be
waldete und schwer zugängliche Gebirgsketten gegen Feindesgefahr geschützt
waren, wurden auch von den Mongolen zerstört. Die Bewohner derselben
fanden in dem dichten Urwald des Gebiets von Kabsdorf (Käposztafalva, da
mals eine dieser Städte, jetzt ein slawisches Dorf) auf einem Berge Rettung,
den sie umschanzten und deshalb „Lapisrefugii" nannten. Nachdem der
Feind wieder abgezogen war, bauten sie als gemeinschaftliche Festung die
Stadt Leu tschau, und die im obern Poperthal unmittelbar unter der hohen
Tatra Wohnenden legten noch für sich besonders in ihrem Mittelpunkte Geor
genberg (Szepestzombatan. Der Einfall im Süden Siebenbürgens wird von
Karl Schuller, Archiv für die Kenntniß von Siebenbürgens Vorzeit und Ge
genwart, I, 32, bezweifelt; doch nicht nur der Augenzeuge Rogerius, Kap. 19,
berichtet denselben, sondern auch Bela sagt in einem an den Papst den
11. Nov. 1254 geschriebenen Brief: „In confinio Cumanorum nitro Danubium
et Bulgariam, per quem etiam locum tempore invasionis regni nostri ad nos
habuit aditum exercitus Tartarorum." Fejer, Cod. dipl. , IV, H, 221.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 367

ehe sieh die wehrhafte Mannschaft unter ihre Paniere gesammelt hatte,
oder zerstreuten und vernichteten die einzelnen Scharen, die dem könig
lichen Lager zuzogen. So stießen der Obergespan Boch (spr. Botsch)
und der Bischof von Waitzen Benedict unweit Erlau auf die Rotte der
Mongolen, die diese Stadt geplündert und eingeäschert hatte, und ihr
ansehnliches
Die Hoffnung
Corps auf
wardbedeutenden
zersprengt Zuwachs
und aufgerieben.
der Streitmacht
1 war unter

diesen Umständen geschwunden; der immer steigende Jammer des Volks


forderte schnelle Rettung; das Heer hielt sich voll Selbstvertrauen für
unüberwindlich; Bela gab also dem Drängen der Führer und besonders
des kriegerischen Erzbischofs Ugrin nach, und brach mit ungefähr 60 — ] T"^ <i
gleich
70000 mit
Manndergegen
furchtbaren
-PcMP ,auf.
sieggewohnten
Wahrlich eine
Menge
geringe
der Mongolen!
Zahl im Ver-
Und *>u J>>,uv

auch dieser geringen Zahl mangelte es noch an allem , was ihr den Sieg
wider die Uebermacht hätte geben können. Seit das Aufgebot des
Volks außer Gebrauch gekommen war, der Adel keine Kriegsdienste
außer Landes leistete und die Könige die kleinen Kriege wider die be
nachbarten Staaten mit den schwachen Ueberresten der Burgmilizen
und mit geworbenen Söldlingen führten, schwand auch der kriegerische
Geist und die Kampffertigkeit der Ungarn. Die Großen ergaben sich
ungestört einer trägen Ueppigkeit 2 und waren blos darauf bedacht,
größere Vorrechte und mehr Güter an sich zu reißen, aber ja keine
Staatslasten zu tragen; das gedrückte, seiner Freiheit beraubte Volk
konnte weder Lust noch Kraft fühlen zum Kampfe für das Vaterland,
die nur das erhebende Bewußtsein der Freiheit zu geben vermag.
Ueberdies besaß Bela kein Feldherrntalent, und auch sonst war niemand
da, der einen Begriff vom großen Krieg hatte; Prinz Koloman und
Erzbischof Ugrin zeichneten sich wol durch Muth und Tapferkeit aus,
kannten aber die Geheimnisse des Sieges nicht. Dagegen herrschte, wie
gewöhnlich da, wo es an Erfahrung und Kenntniß des Kriegs fehlt, '
blinde Siegeszuversicht, die vermessen macht. Langsam, um unterwegs
desto mehr Verspätete aufnehmen zu können, bewegte sich das Heer.
Batu zog sich vor demselben fortwährend zurück, berief eilig die Scha
ren, die das Land plündernd durchschwärmten, zu sich, ging über den
Sajö vermittelst einer Brücke, die er befestigte und mit Wachtposten be
setzte, und nahm Stellung zwischen dem genannten Fluß, dem Hernäd
und der Theiß, die sich hier vereinigen. In dieser Stellung, wo Flüsse
und Sümpfe ihn nach allen Seiten deckten und die jenseitige weite
Ebene seinen berittenen Horden die freieste Bewegung gestattete, er
wartete er die Ungarn. Als diese gegenüber am rechten Ufer des Sajö
anlangten, schlugen sie unweit des Dorfes Muhi zwischen den Ort
schaften Onod, Keresztür und Sajöszeged Lager.3 Der Mangel an
Kenntniß der Kriegskunst zeigte sich sogleich; das Lager wurde so
enge ausgesteckt und die Zelte standen so nahe beieinander, daß die
Seile1 derselben
Rogerius, ineinander
Kap. 27. —liefen
2 Thomas,
und die freie
Archidiac.
Bewegung
Spalat.
außerordentlich
Hist. Salonit.,

Kap. 27. — 3 Eogerius, Kap. 28.


363 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

hinderten; das Ganze ward noch überdies von einer schlecht auf
gestellten Wagenburg umschlossen , die den Ausgang sperrte. Diese
Fehler waren um so verderblicher, weil auch das ungarische Heer
hauptsächlich aus Reiterei bestand. Batu soll das Lager von einer
Anhöhe überschaut und ausgerufen haben: „Ihrer sind zwar viele, aber
sie
heerde
entrinnen
in einen
meinen
PferchHänden
eingeschlossen."
nicht , denn1 sieTausend
haben sich
Reiter
wie hielten
eine Schaf-
des

Nachts Wache. Der König ging umher, theilte den Abtheilungen ihre
Fahnen aus und ermunterte die Krieger mit warmen Worten zur
Tapferkeit. Aber auch jetzt noch im Angesicht des furchtbaren Fein
des fanden sich Elende, die hinter seinem Rücken spotteten und den
schändlichen Wunsch äußerten, daß er doch geschlagen würde, damit
er genöthigt wäre, ihre Zuneigung zu suchen und sie zu begünstigen.
Denn sie selbst hatten zwar keine Kampflust, setzten aber ihr Vertrauen
in die Menge, die ihrem ungeübten Auge zahllos schien, und meinten,
auch jetzt werde alle Kriegsnoth ebenso bald ein Ende nehmen, wie bei
den frühern
Eines Abends
Einfällenbrachte
der Kumanen
ein russischer
und Petschenegen.
Ueberläufer 2 die Nachricht,

Batu wolle in der Nacht das ungarische Lager überfallen. Alles ge-
rieth in Bewegung, und eine gewaltige Verwirrung entstand in dem
engen Raum; es dauerte lange, bis die Krieger ihre Rüstungen anlegten
und zu Pferde stiegen; erst um Mitternacht brachen Koloman und
Ugrin nach der Brücke auf. Als sie ankamen, waren schon einige
Rotten Mongolen über dieselbe gegangen; sie griffen diese muthig an,
hieben den einen Theil nieder, jagten den andern über den Fluß zurück,
in welchem viele ertranken, erstürmten den Brückenkopf und legten
Besatzung in denselben. Hierauf kehrten sie in das Lager znrück, wo
sie mit freudigen Zurufen empfangen wurden. Die Gefahr schien für
diese Nacht vorüber zu sein, und alles sank nach der großen Aufregung
in Schlaf. Nur Koloman und der Erzbischof wachten. Vielleicht
hätte ein rascher entschiedener Angriff auf den bestürzten Feind zum
Siege geführt. Denn damals mochte geschehen sein, was die chine
sischen Jahrbücher Szinhunk-kiantu, Buch 7, erzählen: Batu habe
den Muth verloren, aber der alte Boghador, dessen wilde Tapferkeit
selbst Dschingis zuweilen zu gräßlich fand, zu ihm gesprochen: „Kehre
um, wenn es dir gefällt; ich werde nur nach vollständiger Besiegung
der Ungarn an der Tha-nu (Donau) stehen bleiben." 3 Bevor der Mor
gen dämmerte, schleuderten sieben Wurfmaschinen große Steinblöcke
auf den Brückenkopf, und die Besatzung wurde aus demselben ver
trieben; die Mongolen drangen theils über die Brücke, theils setzten sie
an seichten Stellen über den Fluß ; bei Tagesanbruch stand ihr ganzes Heer
bereits auf dem rechten Ufer. Das Geschrei der rückkehrenden Flücht
linge weckte das ungarische Heer aus dem Schlaf, Koloman, Ugrin und
der Heermeister der Templer warfen sich dem anrückenden Feind
entgegen,
1 Thomas
zogenArchitliac.
sich aberSpalat.,
wieder Hist.
zurück,
Salonit.
als sie
, Kap.
wahrnahmen,
37. — 2 Rogerius,
daß das

Kap. 28. — 3 Abel-Remusat, Nouveaux melanges asiati^ues, II, 96. Vgl. Sza-
lay, Geschichte von Ungarn, II, 44, Note 1.

,*«
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 369

Lager von allen Seiten umringt sei. Jetzt ging in Erfüllung, was Batu
vorhergesagt hatte. Es entstand in dem Gewirre von Zelten und engen
Gäßchen ein Drängen und Treiben, welches die Rüstung der Krieger
und jede Formirung der Truppenkörper unmöglich machte, der wirre
Haufe war bald wie von einem Netz umschlossen , und über ihm
schwebte eine Wolke von Pfeilen, aus der sich die tödlichen Geschosse
ergossen. Bela verlor alle Besonnenheit; die Führer klagten ihn allein
dessen an, was sie mit verschuldet hatten; Ugrin selbst rief Wehe über
das Land, deß König rathlos, dessen Häupter feige sind; niemand gab,
niemand befolgte Befehle; bald stand auch die Wagenburg in Flammen
und die zunächst stehenden Zelte brannten; der gräßlichste Tod drohte
von allen Seiten und der Tumult stieg aufs höchste. In dieser schreck
lichen Lage unternahmen Koloman, Ugrin und der Templer um Mit
tag abermals einen Ausfall, indem sie hofften, auf der andern Seite
werde man gleichfalls die Schranken durchbrechen und der König
dann den Hauptangriff machen. Koloman kämpft bis zum Abend, der
Erzbischof fällt an seiner Seite, auch der Templer sinkt todt vom Pferde,
er selbst dringt immer tiefer in die Feindeshaufen, bis er, schwer ver
wundet, das Schwert nicht mehr führen kann; da nehmen ihn seine
tapfern Krieger in ihre Mitte und bahnen sich den Weg zurück in das
Lager. Aber hier fand er nur Todte und Sterbende. Denn während
er mit den Seinen muthig gekämpft, waren die Zurückgebliebenen in
der Verzweiflung aus dem Lager aufgebrochen, doch nicht zum Streit,
sondern zur Fluchf. Die Mongolen gaben ihnen Raum, hielten sie durch
Pfeilschüsse nicht auf; je dichter der Haufe der Fliehenden wurde,
desto breiter machten sie die Gasse; sie wußten, daß die Fliehenden
ihnen nicht entrinnen; der König allein war es, den sie jetzt tödten
oder fangen wollten. Zu beiden Seiten verfolgten sie die Dahinjagen-
den; wer ausbog, wurde vom Pfeil durchbohrt; und als endlich die Ge
hetzten von der rastlosen Flucht am Geiste betäubt, am Körper erschöpft
und zum Widerstand unfähig waren, da schossen und hieben sie die
Wehrlosen nieder. In der Schlacht und auf der Flucht fielen außer
Ugrin noch der graner Erzbischof Matthias und die Bischöfe Georg von
Raab, Raynald von Siebenbürgen und Jakob von Neitra, der herr-
mannstädter Propst und Vicekanzler des Königs Nikolaus, Erad bäeser
und Magister Albert, graner Archidiakouus. Die Namen der angesehenen
Weltlichen, die ihr Leben verloren, hat kein Chronist aufgezeichnet. Die
Wahlstatt und der Weg nach Pesth, den die meisten Flüchtlinge ein
schlugen, waren zwei Tagereisen weit mit Sterbenden und Todten, mit
Waffen und Schmuck bedeckt; viele, die dem Tode von Feindeshand
entgingen,
Als Bela
ertranken
sah, daß
in den
alles
Flüssen
verloren
undSei,
Sümpfen.
ergriff auch er die Flucht;

eine kleine Schar Getreuer umringte ihn; Andreas Forgäcs und sein
Bruder, Domiriicus, aus dem Geschlechte Aba, Detrich Kecsi, der Oberst
stallmeister Ernyei, Donat und Barnabas, des Rugacs (Stammvater der
Familie
1 Fejer,
Fay)Cod.
Söhne,
dipl.,Magister
IV, n, 489.
Moritz und ein polnischer Krieger Adam1

Feßler. I. 24
370 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

werden in Urkunden genannt ; Moritz 1 , Detrich 2 und Domi-


nicus 3 fingen Hiebe auf, die gegen den König gerichtet waren. Von
ihnen beschützt, entkam Bela zwar unerkannt aus dem Schlacht
getümmel; aber ein Haufe Mongolen setzte ihm heftig nach; sein er
müdetes Roß brach zusammen: da gab ihm Andreas Forgacs sein noch
rüstiges Pferd und warf sich zu Fuß nebst seinem Bruder den Ver
folgern entgegen; der Bruder fiel, er entging dem Tode4; dasselbe
thaten Ernyei 6, Donat und Barnabas, die unter den Leichnamen sich
verbergend Rettung fanden. 6 Endlich erreichte das Häuflein den
Diösgyörer Wald; die Mongolen blieben zurück ; der König nahm den
Weg nach Norden und gelangte glücklich in das Felsenschloß Zniö in
der Gespanschaft
Auch KolomanThuröcz|,
schlug wo
sich erdurch
sich und
eine kam,
Zeit lang
rastlos
aufhielt.
auf Umwegen
7

fliehend, nach Pesth. Er rieth den Einwohnern, jeden Gedanken an


Widerstand aufzugeben und sich so schnell als möglich über die Donau
zu retten ; er selbst bestieg ohne Aufenthalt ein Fahrzeug, und eilte nach
Slawonien , wo er bald nachher an seinen Wunden starb. Aber noch
ehe die Pesther ihre Habe an einen sichern Ort bringen konnten, war
die Stadt schon von den Mongolen umringt. Da die Menschenmenge durch
Krieger, die dem Gemetzel der Schlacht entronnen waren, und durch
die Bewohner der Umgegend, die mit ihren Familien und Schätzen hier
Sicherheit suchten, außerordentlich zugenommen hatte, beschlossen sie,
sich hinter ihren Festungswerken zu vertheidigen. Allein schon nach
drei Tagen legten die Mongolen mit ihren Wurfmaschinen Bresche, er
stürmten die Stadt, brannten sie nieder und ermordeten alle, die in ihre
Hände fielen. 8

1 Fejer, Cod. dipl. , IV, 1, 405. — 2 IV, h, 11. — 3 IV, 1, 418. —


4 IV, II, 206. — 5 IV, II, 93. — 6 IV, i, 286. — 7 Peter de Reva, Mon-
archia et S. corona Hung. cent. III, bei Schwandtner, II, 631. —. 8 So be
schreiben Rogerius, Carmen miserabile, Kap. 28 — 30, und Thomas Archidiac,
Hist. Salonit. , Kap. 37, in den Hauptzügen übereinstimmend, die mörderische
Schlacht und Flucht. Kaiser Friedrich II. schreibt, 3. Juli 1241, dem eng
lischen König Heinrich III., sich auf die Erzählung der ungarischen Ge
sandtschaft berufend : „Hungari .... Tartaris objicere castra contenderunt. Et
cum distarent quinque tantum miliaribus hinc exercitus Tartarorum , inde
Hungarorum, irruerunt raptim in aurorae crepusculo Tartarorum praeambuli,
et subito castris Hungarorum circumdatis, interfectis praelatis et majoribus
de regno, qui se objecerant, caesis, infinitam Hungarorum multitudinem gens
1l inimica trucidavit, stragem faciens inanditain, cui ex antiquissimi lapsu tem-
poris uno belli confintu vix recolitur fuisse consimilis. Ex fuga igitur rex
vix elapsus est equo velocissimo." Bei Matthaeus Parisius, Hist. Angl. (Paris
1644), S. 377. Vgl. Szalay, Geschichte von Ungarn, II, 46. Die vorhandenen
Jahrbücher und Urkunden aus dieser und der nächstfolgenden Zeit berichten
nur, daß die Schlacht am Sajö geschlagen wurde; näher bezeichnet den
Kampfplatz blos das Chronicon Posoniense, herausgegeben von Franz Toldy,
II, 2, §. 40: ,, . . . . juxta fluvium Seo, prope villam Muhi." Gregor Pethö,
im 17. Jahrhundert, berichtet, wahrscheinlich nach mündlicher Ueberlieferung :
„Bela Kiraly . . . . a Sajo mellett Mohinal megütközek a tartarokkal." Auch
den Tag der Schlacht finden wir nirgends vorgemerkt und müssen uns damit
begnügen, denselben annäherungsweise zu berechnen. Am 15. März war der
Reichstag noch in Ofen versammelt ; ein oder zwei Tage darauf eilten die

%
Aeußere Begebenheiten. BelalV. 371

Unterdessen durchzog Kajdän, von Ariskald geführt, Ruinen und


Leichen
deten Berge
hinterund
sich engen
lassend,Thäler
Siebenbürgen.
eine Menge
Doch
vonboten
Zufluchtsorten,
die dichtbewal-
'wo

sich die Bevölkerung verbergen und mit Erfolg vertheidigen konnte;


hier wurden daher die Menschen auch nicht in dem Maße ausgemordet,
wie in den Ebenen an der Theiß und Donau. Aus Siebenbürgen fiel .
sam
Kajdän
mit durch
Batu, .das
den Mesze^
unglückliche
Paß nach
LandUngarn
in eine, schauerliche
ein und wetteiferte
Wüste zu
gleich-
ver / >>tK"

wandeln; beide zerstörten die offenen Ortschaften und eroberten die festen
Plätze; Groß wardein, Arad, Pereg, Egres, Tamashid und die Ver
schanzungen, welche Flüchtlinge auf einer ringsum von ausgedehnten
Sümpfen umgebenen Insel des Korösflusses aufgeworfen hatten, fielen
nacheinander in ihre Gewalt. Gefangene Russen, Kumanen und Un
garn mußten stürmen, indeß die Mongolen lachend zusahen, wie sie
unter den Waffen der Vertheidiger fielen und, wenn sie matt angriffen
oder wichen, sie von rückwärts niederhieben und in den Kampf trieben.
Waren endlich die Belagerten von der langen rastlosen Blutarbeit er
schöpft und die Gräben mit Leichnamen ausgefüllt, dann erst unter
sie
nahmen
durchdietrügerische
Mongolen selbst
Verheißungen
den entscheidenden
von Schonung,
Sturm,sich
oderzuverlockten
ergeben,

und tödteten die Getäuschten mit unmenschlicher Grausamkeit. Nur


Geistliche und Mönche wurden bisweilen, wahrscheinlich aus aber
gläubischer Furcht, verschont und schöne Frauen zu Opfern der Wol
lust aufbewahrt. In dieser gräßlichen Noth erkauften manche Ungarn
ihr Leben und ihre Freiheit dadurch, daß sie sich den Mongolen an
schlossen, ihre Sitten annahmen und gemeinschaftliche Sache mit ihnen
machten. Um die Bewohner noch unberührter Gegenden von recht
zeitiger Flucht abzuhalten und sie nebst ihrer Habe desto leichter in
ihre Gewalt zu bekommen, zwangen die Mongolen gefangene Geistliche
Proclamationen im Namen des Königs zu schreiben, drückten denselben
das königliche Siegel auf, das sie bei dem in der muhier Schlacht ge
fallenen Vicekanzler Nikolaus gefunden hatten, und verbreiteten sie mit
Hülfe treuloser Ueberläufer. „Fürchtet die Wildheit und Wuth der
Hunde nicht", so lauten diese Proclamationen, „waget es nicht, euch
aus euern Wohnungen zu entfernen. Wir haben zwar mit einer ge
wissen Voreiligkeit das" Lager verlassen und unsere Zelte preisgegeben,
aber wir hoffen, mit Gottes Gnade den Krieg tapfer zu erneuern und
das
StändeVerlorene
1fach Hause,wiederzugewinnen.
um mit ihren Mannschaften
Daruminbetet
das Lager
fleißig,
zurückzukehren
der barm-;

die Hin- und Herreise und die dazwischenfallenden Rüstungen erforderten


Zeit; bei der größten Eile konnten vor 14 Tagen kaum CO — 70000 Mann
im Lager eingetroffen und das Heer aufgebrochen sein; da es langsam mar-
schirte, vergingen wieder einige Tage, bis es den Sajö erreichte, und endlich,
wie sich aus den Umstäaden schließen läßt, abermals einige, bis es an
gegriffen wurde. Dagegen erreicht Beta Zniö, erhält dort Botschaft von der
Königin, geht nach Haimburg, wird gefangen, erkauft seine Freiheit und
schreibt am 17. Mai bereits von Agram an den Papst. Wir dürften also
kaum irren, wenn wir den Tag der Schlacht um die Mitte Aprils ver-
muthen.
24»
372 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

herzige Gott wolle gestatten, daß wir die Köpfe unserer Feinde zer
schmettern." Und damit Vorrath für den Winter bereitet und die
Ernte eingeheimst würde, ließen sie durch Boten, die sie nach allen
Gegenden aussendeten, jedem Flüchtling, der bis zu einem bestimm
ten Tag heimkehren würde, vollkommene Sicherheit versprechen.
Das Volk ließ sich bethören; die einen, von jeder Verbindung ab
geschnitten und mit dem Stande der Dinge unbekannt, glaubten der
falschen Proclamation , die andern trauten den Worten des heim
tückischen Feindes; auch die Flüchtlinge, von Mangel und Hunger be
drängt, verließen ihre Verstecke und kehrten haufenweise in die liebe
Heimat zurück. — Dürfen wir uns über die Leichtgläubigkeit der Menge
wundern, da der Kanonikus Rogerius, der von Großwardein geflohen
war, als sich die Mongolen näherten, und von Ort zu Ort, von Wald zu
Wald irrte, sich gleichfalls täuschen ließ, in die Stadt zurückkam und
bald darauf sein Leben nur dadurch retten konnte, daß er in den
Dienst eines zum Mongolen gewordenen ungarischen Herrn- trat? —
Jedes Dorf durfte sich einen mongolischen Vorgesetzten wählen; das
ganze eroberte Land ward in 100 Kreise getheilt, deren jedem ein vor
nehmer Mongole vorstand; Gerichte und Märkte wurden abgehalten,
eine Art von Ordnung und Regierung eingeführt; mit blutendem Her
zen ergab sich das arme Landvolk dem Schicksale, künftig als Sklaven
der Mongolen zu leben, und mußte es dulden, daß seine Frauen und
Töchter von den neuen Herren schmählich gemisbraucht wurden. Als
aber die Ernte eingebracht und hinreichende Vorräthe bereitet waren,
da wollten sich die Wüthriche der Mitesser entledigen; Mörderrotten
zogen von Ort zu Ort und trieben die Einwohner zusammen; Schwäch
liche, Greise, Frauen und Kinder stellten sie in Reihen auf, entrissen
ihnen ihre Kleidung und schossen wie zur Uebung nach dem Ziele ihre
Pfeile auf sie ab ; die schönsten Frauen vertheilten sie unter ihre Wei
ber, damit diese die Rache der Eifersucht an ihnen stillten; die Knaben
ließen sie von ihren Knaben todtschlagen ; nur so viele als sie Sklaven
brauchten, erhielten sie am Leben und bewachten sie sorgfältig; die
stärksten Männer aber wählten sie zu Kriegsknechten aus, welche die
ersten Angriffe in den Schlachten auffingen. l
Während sein Volk auf der linken Seite der Donau so verblutete,
war Bela von Thdröcz nach Presburg gegangen. Hierher berief er die Kö
nigin mit den Kindern zu sich, die sich im Schlosse zu Haimburg auf
hielten. Statt ihrer erschien Friedrich und beredete ihn, nach Oesterreich
zu kommen, wo er mehr Sicherheit und Bequemlichkeit finden würde.
Aber kaum hatte ihn Friedrich in seiner Gewalt, so erklärte er, der
König sei sein Gefangener und werde die Freiheit nur nach Zurückgabe
jener Summen erhalten, um die er 1235 — 36 den Frieden von ihm er
kaufen mußte. Bela gab den Schmuck und die Schätze hin, welche die
Königin mit sich führte ; da jedoch Friedrich dieselben weit unter
ihrem Werthe nur für 2000 Mark Silber annahm und noch 8000 for
derte1 ,Jtogerius,
sah er sich
Kap.genöthigt
31 und 34—
, ihm
37. Thomas
auch die
Archidiac,
Gespanschaften
Hist. Salonit.,
Wieselburg,
Kap. 37.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 373

Oedenburg und Eisenburg abzutreten, um sich wieder in Freiheit zu


setzen. x
Hierauf reiste die Königin mit ihren Kindern nach Dalmatien und
nahm von Stuhlweißenburg den Leib des heiligen Stephan und andere
Kostbarkeiten der Kirchen jenseit der Donau mit sich. Bela sandte
den waitzner Bischof Stephan Vancsa an den Papst, an Kaiser Fried
rich II. und an den König von Frankreich Ludwig IX., um sie zur
Hülfe gegen die Barbaren aufzufordern, die alle Reiche Europas zu
vernichten drohten 2, entlehnte von dem Abt auf St. -Martin 800 Mark
Silber3 und von dem Russen Mladik 30 Mark Gold, und ging nach Se-
gesd unweit der Drave, um dort Vorbereitungen zum Feldzug zu treffen
und die Antworten der Potentaten abzuwarten. Aber Gregor IX.
wies Bela an den Allmächtigen, bis Friedrich, der sich römischer Kaiser
nennt, wieder den Befehlen der Kirche gehorchen würde. 4 Der Kai
ser, dem der König in seiner Verzweiflung versprochen hatte, des deut
schen Reichs Vasall zu werden, wenn er ihn und sein Land von den Mon
golen errettete, ließ sich von dem Bischof den Huldigungseid im Namen
des Königs schwören und antwortete: „. . . . Jetzt ziehe ich wider Rom;
sobald ich durch diese Unternehmung der Welt Frieden verschafft habe,
werde ich mit unzähligen Schätzen und Heeren und mit dem Segen der
Kirche ausgerüstet zu dir kommen und mit Hülfe des Herrn der Heer
scharen die Mongolen besiegen." Unterdessen, verhieß er, werde er
seinen Sohn , den deutschen König Konrad zu Hülfe senden. 6 Allein
die Hülfe kam nimmer. Von den benachbarten Staaten konnte Bela
keinen Beistand erwarten; Polen kämpfte selbst mit schon gebrochener
Kraft gegen die Mongolen, Böhmen mußte jeden Augenblick gefaßt
sein, von ihnen angefallen zu werden, und Friedrich von Oesterreich
benutzte sogar die Noth Ungarns zur Stillung seiner Habsucht. Nicht
zufrieden mit den drei Gespanschaften, deren Abtretung er von Bela
erpreßt hatte, überfiel und plünderte er das wehrlose Land im Westen
der Donau und bemächtigte sich Raabs. Aber empört über diese
Schändlichkeit, erhob sich das Volk, schlug die Räuber zurück und er
stürmte die raaber Burg; ein großer Theil der österreichischen Be
satzung fiel durch das Schwert oder kam im Feuer um, das beim Sturm
entstanden war. Noch mehr, Friedrich beraubte sogar die Ungarn, die
sich in sein Gebiet vor der Wuth der Mongolen flüchteten, ohne Er
barmen der Habseligkeiten, die sie gerettet hatten, unter dem Vor-
wande,
1 Rogerius,
daß sie Kap.
zur 32.
Unterhaltung
Pernoldus, Chronicon,
der Besatzungen
bei Hanthaler,
in denFasti
Städten
Campili-
und

liens , I, 1317. — 2 Epist. Belae ad Gregor. IX. Zagrabiae XV Kai. Junii


1241, beiFejer, Cod. dipl., IV, 1, 214. Ro.gerius, Kap. 32. Epist. Belae ad
Innocentium IV. von Potoka III. Id. Dec. ohne Jahresangabe, bei Raynal-
dus, Annal. eccl. ad ann. 1241. — 3 Bei, Notitiae Hung., IV, 462. Die
Schenkungsurkunde Bela's für Mladik, bei Wagner, Analecta Scepusii, III,
198. — 4 Epist. Gregorii ad Belam, bei Katona, V, 985. — 5 Richard
de S. Germano, bei Muratori, VII, 1064. Petrus de Vineis, bei Ray-
nald., Annal. eccl. ad ann. 1241. Epist. Friderici II. ad Belam, bei Katona,
V, 982.
374 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Burgen beitragen müßten. 1 Unter solchen Umständen mußte Bela jeden


Gedanken
Bis gegen
an Bekämpfung
Ende des Jahres
der Mongolen
blieb das aufgeben.
westlich der Donau gelegene

Land von diesen verschont; der mächtige Strom war ein Hinderniß, das
sie nicht, so leicht überschreiten konnten, und jenseit desselben fürch
teten sie auf die vereinigte Macht Europas zu stoßen. 2 Aber der
Kaiser und der Papst, die sich die Herren der Welt und die Beschützer
, der Christenheit nannten, setzten, unbekümmert um die augenscheinliche
Gefahr, von der sie selbst und das ganze christliche Europa bedroht
wurden, ihren blutigen Streit fort, und auch Frankreichs frommer und
1242 mächtiger König that nichts zur Abwendung derselben. Da die Mon
golen also sahen, daß kein Heer jenseit des Stroms zum Kampf bereit
stehe, und der ungewöhnlich strenge Winter eine feste Eisbrücke über
denselben geschlagen hatte, gingen sie hinüber und nahmen Ofen (das
heutige Altofen), wie es scheint, ohne bedeutenden Widerstand. Von
hier führte Batu einen Theil des Heeres gegen Gran, die Hauptstadt
des Landes. Die reichen Einwohner, Ungarn, Deutsche, Franzosen
und Lombarden, worunter viele Geldwechsler und Kaufleute, hatten sie
mit Gräben, Mauern und hölzernen Thürmen stark befestigt. Sie galt
für uneinnehmbar, und deshalb war eine große Menge Menschen jeden
Standes hierher zusammengeströmt. Aber Batu ließ durch die zahl
losen Gefangenen, die er mit sich schleppte, Gräben um die Stadt zie
hen und stellte hinter denselben dreißig Wurfmaschinen auf, welche die
Festungswerke niederschmetterten; unter dem Schutze eines ununter
brochenen Stein- und Pfeilregens wurden die Stadtgräben mit Reisig
und Sandsäcken ausgefüllt. Als die Belagerten sahen, daß sie die höl
zernen Vorstädte nicht behaupten könnten, zündeten sie dieselben an,
tödteten die Pferde, verbrannten die vorräthigen kostbaren Waaren,
vergruben Gold, Silber und Edelsteine und zogen sich in die festen Ge
bäude der innern Stadt zurück. Die Mongolen sahen die Vernichtung
der werthvollen Sachen und wurden dadurch noch mehr zur Wuth ent-
ilammt; ungeachtet der tapfersten Gegenwehr erstürmten sie die Stadt;
nur äußerst wenige der unglücklichen Einwohner, kaum funfzehn, sagt
Rogerius, konnten sich retten; die nicht im Kampfe umkamen, wurden
grausam zu Tode gemartert. Dreihundert vornehme Frauen, die in
einem Palast versammelt waren, baten in der Todesangst, dem Khan
vorgeführt zu werden, und erboten sich um den Preis ihres Lebens seine
Sklavinnen zu werden; er ließ ihnen ihren Schmuck abnehmen und alle
enthaupten. 3 Die hohe Felsenburg Grans vertheidigte der Spanier
Simon glücklich und schlug alle Angriffe des Feindes ab. Auch die
St.-Martinsabtei auf dem Pannonberge wurde durch ihre hohe Lage
und starke Befestigung gerettet. Stuhlweißenburg bewahrten die rings
um ausgedehnten und vom Schneewasser angeschwellten Sümpfe vor
der 1Eroberung,
Rogerius, Kap.
nur32. diePernoldus,
Vorstädte
a. a.wurden
O. — 2 niedergebrannt.
Thomas Archidiac,
4 Hist.
Der

Salonit., c. 37. — 3 Rogerius, Kap. 39, 40. — * Ebend., Kap. 40. Die
Schenkungsurkunde Bela*s für den Obergespan Simon, bei Fejer, Cod. dipl.
IV, i, 272.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 37*)

fromme Glaube schrieb die Erhaltung der drei Plätze dem Schutze Sto-
phan'sMit
deseinem
Heiligen
andern
zu, der
Heere
überder
seine
Mongolen
Stiftungen
eiltewachte.
Kajdan König Bela

aufzusuchen, der rath- und hülflos an der Drau verweilte und bei der
ersten Kunde vom Uebergang des schnellen Feindes über die Donau
sich nach Spalatro flüchtete. In seinem kleinen Gefolge befanden sich
der Palatin Arnold, der Ban von Dalmatien Dionysius, der Oberlandes
richter Ladislaus, der Schatzmeister Matthias, der Oberstallmeister
Lorant nebst andern Reichsbeamten und deren Familien, außerdem die
Bischöfe Stephan von Waitzen, Stephan von Agram und Bartholomäus
von Fünfkirchen, Benedict, Propst von Stuhlweißenburg und könig
licher Kanzler, und einige andere Geistliche. Die treue Stadt empfing
den flüchtigen König mit allen Zeichen der Ehrfurcht und Ergebenheit
und gewährte ihm jede Hülfe, die in ihren Kräften stand. Die Königin
mit ihren Frauen, den trauernden Witwen der am Sajö Gefallenen, be
wohnte schon seit mehrern Monaten die Bergfeste Clissa. Von Spalatro
begab sich Bela mit seiner Familie nach Traw, das, auf der Insel Issa
erbaut und nur vermittels einer Brücke mit dem Festlande .verbunden,
mehr Sicherheit versprach. Denn Kajdan, der mit großer Schnelligkeit
seiner Spur folgte, war schon in der Nähe und hatte unlängst den Be
weis gegeben, mit welcher grausamen Wuth er strebe, ihn in seine Ge
walt zu bekommen. Als er nämlich erfuhr, der König sei bereits an
der dalmatischen Küste, also die kostbarste Beute, die er suchte, seinen
Händen wahrscheinlich entschlüpft, ergrimmte er von unbändigem Zorn,
machte jenseit der Kulpa am Bache Sirbi halt , ließ eine große Menge
Gefangener in Reihen aufstellen und niedermachen, und eilte darauf
gerades Wegs nach der Meeresküste. Schon zu Anfang Mai standen die
Mongolen vor Spalatro, das mit Flüchtlingen überfüllt war, zogen aber
wieder ab und umlagerten Clissa, wo sie den König vermutheten,
hoben jedoch die Belagerung der uneinnehmbaren Burg auf, weil sie
mittlerweile erfuhren, daß er sich in Traw aufhalte, und eilten dahin.
Hier mußte Kajdan zu seinem größten Aerger sehen, wie sich der Kö
nig vor seinen Augen mit seinem Gefolge nach der benachbarten Insel
Bua einschiffte, wohin er ihm, da er kein Fahrzeug hatte, nicht folgen
konnte. Unter fürchterlichen Drohungen forderte er die Stadt auf,
sich zu ergeben und den König auszuliefern; aber die Stadt antwortete
mit Verachtung und Spott, denn sie fühlte sich sicher hinter dem Mee
resarm, der sie vom Festlande trennte. Kajdan sah ein, daß ohne
Flotte alle Anstrengungen, den König in seine Gewalt zu bekommen,
vergeblich seien. Nachdem seine Horden ungefähr einen Monat lang
Kroatien, Dalmatien und Bosnien durchstreift, Ragusa vergeblich ge
stürmt, Cattaro und Drivasto angezündet und geplündert hatten, wandte
er sich gegen Osten, ging über Albanien und Serbien nach Bulgarien,
setzte über die Donau und vereinigte sich in der Moldau mit dem Heere
Batu's.
1 Rogerius,
1 Kap. 40. Thomas Archidiac, Hist. Salonit., Kap. 38 —40.
376 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Schon waren aus dem nördlichen Ungarn streifende Mongolen


scharen auch nach Oesterreich bis gegen Wien und Wienerisch-Neustadt
vorgedrungen, aber vor dem Heere, mit dem Herzog Friedrich ihnen
entgegenrückte, ohne Kampf zurückgewichen. 1 — Gewiß nicht aus
Furcht vor diesem Heere oder aus Scheu vor der Macht und Tapferkeit der
Deutschen thatensie es, wie manche deutsche Geschichtschreiber mit selbst
gefälliger Eitelkeit behaupten; sie waren nur der Vortrab, der das Land
auskundschaften und dem Heere den Weg öffnen sollte, aber sich nach
der Gewohnheit der Mongolen, die wir bereits kennen lernten, nirgends
in einen Kampf einließ. Da erhielt Batu die Nachricht, der Großkhan
Oktaj sei gestorben, im Hauptlager zu Korakorum herrsche wegen der
Wahl des Nachfolgers Zwietracht und Verwirrung. Er, der Führer
eines großen siegreichen Heeres, der Eroberer ungeheuerer Länder
strecken, wollte sein Gewicht in die Wagschale werfen, und hoffte vielleicht
selbst gewählt zu werden. Er gab also alle fernern Unternehmungen
gegen Europa auf, selbst die beinahe vollendete Unterjochung Ungarns,
befahl die zerstreuten Horden zu sich, und trat den Rückzug über Sie
benbürgen an. Das Heer schleppte den Raub der Länder, eine Menge
Gefangener, Wagen voll Beute und Waffen und zahllose Viehheerden
n1it sich und, was beim Einmarsch verschont geblieben, wurde jetzt
aufgesucht und verheert. Nach dem ersten Durchzug der Mongolen"
waren in Siebenbürgen viele Befestigungen angelegt worden; diese
boten jetzt der Bevölkerung eine Zufluchtsstätte; die meisten der
selben vertheidigten sich glücklich, das ganze übrige Land ward zur
Einöde gemacht. Jenseit der Karpaten in der Moldau f1ngen die Ge
fangenen an, den Wüthrichen lästig zu werden; sie gaben ihnen nicht
mehr Fleisch wie bisher, sondern warfen ihnen blos die Abfälle der ge
schlachteten Thiere zu. Rogerius erkannte hierin ein Vorzeichen, daß
sie die Gefangehen bald ermorden würden, ersah einen günstigen
Augenblick zur Flucht in einen nahen Wald und kam unter tausend
Gefahren, sich von Wurzeln und Kräutern nährend, zurück nach Sie
benbürgen. Die Wege waren mit Gras und Gestrüpp verwachsen und
unkenntlich geworden; nur die Thürme der abgebrannten Kirchen
dienten ihm als Wegweiser; nach achttägiger qualvoller Wanderung
gelangte er nach Weißenburg (heute Karlsstadt) und fand auch dort
nur Leichen zwischen den Ruinen und Bränden; endlich erreichte er
einen hohen Felsen , wohin sich eine Menge Menschen geflüchtet hatte,
die ihn gütig aufnahmen und mit Brot, das aus Mehl und geriebener
Eichenrinde bereitet war , erquickten. Er hatte die Absicht der grau
samen Barbaren richtig erkannt; kurz nach seiner Flucht ermordeten
sie die
Während
schwächer^
sich Bela
für sie
in werthlosen
Dalmatien als
Gefangenen.2
Flüchtling aufhielt und kaum

hoffen
1 Pernoldus
durfte, jeadwieder
ann. 1242,
überbeidas
Hanthaler,
befreite S.
Ungarn
1317. zu
Epist.
herrschen,
Ivonis Nar-
zu

bonens. ad Giraldum, bei Matthaeus Parisius, Hist. ad ann. 1242. — 2 Ro


gerius, Kap. 40. Thomas Archidiac., Hist. Salonit., Kap. 38 —40. Gustav Wen
zel, Cod. dipl. Arpad. eontinuatio, II, 149. Vgl. über den Feldzug Batu's
Gibbon, History of the Deline etc. B. 11.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 377

einer Zeit, wo ihn, wie er in mehrern spätem Urkunden klagt, jene


verließen
Freunde , anaufden
die Grafen
er am meisten
Jung, Hudina,
getraut hatte
Martin1 , Pousa
fand er und
dortMartin
treue

Drägos, die ihn mit Geld und Waffendienst unterstützten3, besonders


aber an den reichen Grafen Johann, Friedrich, Bartholomäus' und
Guido Frangepän, Herren der Insel Veglia und der Gebiete von Mo
drusch und Vinodol; sie trugen ihm auch die Insel, die bisher Venedigs
Oberherrlichkeit erkannt hatte, zu Lehn auf, borgten ihm Gold- und
Silbergeschirre, Edelsteine und 30000 Mark an baarem Gelde, rüsteten
für ihn Kriegsvolk zu Wasser und zu Lande und milderten seine Noth,
bis der
Sobald
unerwartete
sich Bela
Abzug
überzeugt
der Mongolen
hatte, Erlösung
daß die brachte.
Wüthriche3 Ungarn

gänzlich verlassen hatten, führte er die Königin und seine Kinder von
Traw nach Clissa, damit sie sich dort von den ausgestandenen Ge
fahren und Mühseligkeiten erholten, und brach sodann in Begleitung der
anwesenden ungarischen Herren, der dalmatinischen Johanniterritter
und der Frangepäne nach Ungarn auf. 4 Aber welch ein Schauplatz
der Zerstörung und des Jammers war das vor kurzem blühende Land
geworden! Die untern Gegenden jenseit der Donau waren nur strich
weise verwüstet, längs dem Weg, den die Mongolen wie ein verheeren
des Ungewitter genommen hatten; je weiter man kam, desto furcht
barer ward der Anblick der sich häufenden Trümmer. Doch waren im
ganzen die westlichen Landestheile nicht so gänzlich zunichte gemacht
und verödet wie die östlichen; schon gewarnt durch das Schicksal der
letztern, flohen die Einwohner bei zeiten, und auch die Mongolen
lagerten hier nirgends längere Zeit wie dort. Dort, in den Ebenen
der Theiß, war jede Spur menschlichen Fleißes vertilgt, die Land
straßen waren von Gras überwachsen, die Felder mit gebleichten Ge
beinen bedeckt, tageweit sah man keine lebende Seele. Und noch
hatte die Noth der Ueberlebenden kein Ende; als sie aus ihren Ver
stecken hervorkrochen, fanden sie keine Wohnung, keine Nahrungsmittel,
keine Kleidung zum Schutze gegen das Wetter; Hunger und Krank
heiten rafften abermals Tausende hin; das Elend stieg zu einer so gräß
lichen Höhe, daß die Menschen, wahnsinnig vor Hunger, einander an
fielen und verzehrten, daß hier und da Menschenfleisch sogar zu Markte
gebracht worden sein soll. 5 Doch mögen wir beim Lesen dieser Gräß
lichkeiten nicht vergessen, daß es alte Mönchschronisten sind, die sie
uns erzählen , deren Gewohnheit es ist , die Dinge zu übertreiben und
durch solche Uebertreibungen ihren Werken Kraft und Schmuck zu
verleihen.
1 Die Urkunden bei Fejer, Cod. dipl., IV, i, 333, und IV, 1, 385. —

2 Kerchelich, Hist. eccl. Zagrab., S. 83 u. 329. — 3 Farlatus, Illyr. sacra,


IV, 115. Kerchelich, a. a. O., S. 334. Schenkungsurkunden Bela's, bei Fe
jer, IV, II, 98, 308. — * Pernoldus, bei Hanthaler, I, 1317. Rogerius, Kap. 40.
— 5 Thuroczy, II, 47. Chron. Austr. , bei Freher, I. Thomas Archidiac,
Hist. Salonit., Kap. 40.
,,J78 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Von der Abfassung


2. Innere
der Goldenen
Zustände.
Bulle bis zum Einfall

der
1222
Mongolen.
— 1248.

Die Wirren, welche im vorhergehenden Zeitraum aus der gegen


seitigen Eifersucht des ältern und des Jüngern Königs entsprangen, weil
der Machtkreis des einen wie des andern' nicht gesetzlich umschrieben
war, hatten aufgehört; beide strebten nun in Eintracht, die herab
gedrückte königliche Gewalt zu heben. Und in der Goldenen Bulle
war ein Grundgesetz geschaffen, das den zerrütteten Zustand des Lan
des ordnen und eine Bürgschaft des Rechts und der Freiheit sein sollte.
Aber schon der vorherrschende Einfluß des schwachen, wankelmüthigen
und verschwenderischen Andreas, der weder Kraft genug hatte,
despotisch zu herrschen, noch Lust, die beschworenen Gesetze zu hal
ten, vereitelte jeden größern Erfolg. Dazu kam noch, daß Gesetze
wie die Goldene Bulle, welche das Recht und die Freiheit gewaltsam
unterdrückter Völker herstellen und für die Zukunft sichern sollen, nur
in seltenen glücklichen Fällen die Schöpfung der ruhig erwägenden
Staatsweisheit sind; entstanden unter dem schmerzlichen Gefühl des
erlittenen Unrechts und während des Kampfs erbitterter Parteien,
tragen sie gewöhnlich die Merkmale des Zufälligen, der Willkür
und Leidenschaft an sich; sie überschreiten die Grenzen der Mäßigung
und können erst mit der Zeit, erst wenn sie selbst mehr ausgebildet
worden sind und die widerstrebenden Interessen mit sich versöhnt
haben, Kraft und Wirksamkeit erhalten. Endlich geschah auch bei
Abfassung der Goldenen Bulle, was überall zu geschehen pflegt, daß
man in Zeiten der Verwirrung und Noth mit vergeblicher Sehnsucht
nach der bessern Vergangenheit zurückblickt, das Heil in der Zurück-
führung alter, außer Gebrauch gekommener Einrichtungen sucht und
dabei vergißt, daß kein Gesetz und keine Macht das einmal Abge
storbene wieder ins Leben zu rufen vermag. Ungeachtet also die Gol
dene Bulle (Andreae R. Decretum I) von 1222 und die erneuerte und
vervollständigte Ausgabe derselben (Andreae R. Decretum II) von
1231 die Herrschaft der Ordnung und Freiheit gesetzlich begründen
sollten, ungeachtet Bela mit Entschlossenheit und unablässig bemüht
war, den Hochmuth der Großen zu demüthigen und der öffentlichen
Noth durch Einziehung der entfremdeten Staatsgüter abzuhelfen , dauern
doch die eingerissenen Uebel auch in der gegenwärtigen Periode
großentheils fort, die Oligarchie bleibt mächtig, der Staat arm, das
Volk unterdrückt, wiewol sich nicht verkennen läßt, daß die Dinge eine
bessere Gestalt gewinnen, seit Bela die Zügel der Regierung, mit star
ker Hand
Ganzerfaßt
andershat.
müssen wir aber über die Wirkungen der Goldenen

Bulle urtheilen, wenn wir von den nächsten Folgen derselben auf den
Einfluß hinblicken, den sie durch Aufstellung neuer Grundsätze auf die

^X1
Innere Zustände. 1222 — 1242. 379

Gesetzgebung, auf die Constitution und auf das ganze Staatsleben des
ungarischen Volks äußerte : dann erkennen wir in ihr den Ursprung
einer neuen Zeit. Stephan I. brach die Macht der Stammhäupter und
gründete auf den Ruinen derselben nach den Begriffen und Verhält
nissen seiner Zeit eine starke Monarchie ; er befreite das Volk aus den
Fesseln des Stammverbandes, ohne dasselbe in die noch drückendem
des Feudalismus zu schmieden. Es war zwar unvermeidlich, daß Un
garn, indem es sich dem Einfluß der westlichen Feudalstaaten und be
sonders Deutschlands öffnete, schon bei der Einführung der Monarchie
viele Einrichtungen und Formen des Lehnwesens von daher empfing
und später sich noch mehrere aneignete ; aber dasselbe erhielt hier nie
die vollständig gegliederte Ausbildung und unbeschränkte Herrschaft,
die es in jenen Ländern besaß. "Der freie Mann wurde hier weder dem
Staat noch einem Herrn dienstpflichtig ; er besaß unverkümmertes per
sönliches und Eigenthumsrecht. Allein in demselben Grade, in welchem
die königliche Macht, nicht durch gesetzliche Beschränkungen , sondern
durch die Fehler unfähiger Könige und durch die Anmaßung mächtiger
Großen, Abbruch erlitt, wurden auch die Rechte des Volks immer mehr
geschmälert. Der Stand der Gemeinfreien, der naturgemäß ursprüng
lich der zahlreichste sein mußte, verschwand durch allmähliche Aus
artung der alten Stammgenossenschaft in Lehnsverhältnisse und durch
gewaltsame Unterdrückung beinahe gänzlich und erhielt sich nur noch
mühselig in einigen Ueberresten der Burgmilizen; nur der Adel, dem
der größere Grundbesitz und die Führung der Waffen Wichtigkeit ga
ben, nebst dem Klerus, der stark war durch seinen Corporationsgeist
und durch die fromme Scheu des Volks, konnten ihre Freiheit den Ge
waltigen gegenüber behaupten. Aber auch sie empfanden täglich mehr
den Druck, den diese theils im Namen und unter der gemisbrauchten
Autorität des Königs, theils auf eigene Faust übten, und mußten
fürchten, über lang oder. kurz unter deren Botmäßigkeit zu gerathen.
Unter den letzten Königen und besonders unter Andreas hatte das
Uebel die höchste Stufe erreicht; wie die Dinge jetzt standen, konnten
sie nicht bleiben; die verfassungsmäßigen Rechte der noch übrigen
Freien mußten entweder gesichert werden , oder eine gesetzlose Olig
archie sich auf den Trümmern des Reichs erheben. Da ermannten sich
der Adel und die Geistlichkeit zum Widerstand und zwangen die
herrschgierigen und habsüchtigen Großen und den durch sie irregeführten
König zur Ausstellung der Magna Charta Ungarns. Da aber die große
Masse des Volks nicht mehr zu den berechtigten Staatsbürgern zählte,
so konnte in der Goldenen Bulle fast ausschließlich von den Rechten des
Adels und der Geistlichkeit die Rede sein ; nur nebenbei werden die
Immunitäten der Burgmilizen und der Bewohner der Städte und freien
Bezirke gewährleistet, für die übrigen Volksklassen aber wird blos mit
telbar durch die Aufhebung der schmählichsten Bedrückungen einiger
maßen gesorgt. Die so häufig und so arg gemisbrauchte Willkür der
Könige wird beschränkt, ihre Macht jedoch innerhalb der verfassungs
mäßigen Grenzen hergestellt ; das Königthum soll aufhören, ein willen
loses Werkzeug der Tyrannei in den Händen übermüthiger Barone zu
380 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

sein, und ein Bollwerk gesetzlicher Freiheit werden. Der Adel aber
und die Geistlichkeit repräsentiren von nun an das ganze Volk; die
Verfassung
Vor allem
wirdandern
rein aristokratisch.
wurde die alte, außer Gebrauch gekommene In

stitution wieder ins Leben gerufen, daß der König alljährlich einmal zu
Stuhlweißenburg entweder persönlich feierliche Sitzung halte oder, falls
er durch wichtige Ursachen selbst zu erscheinen verhindert würde,
durch den Palatin halten lasse. Diese Sitzungen, zu denen sich vor
mals, wie an seiner Stelle gesagt wurde, die Freien, die Adelichen, die
Herren und der Klerus an dem. vom König kundgemachten Orte ver
sammelten, waren zuvörderst Reichstage. Hier übte das Volk seine
höchste gesetzgebende Gewalt, indem es die Vorschläge des königlichen
Raths, der aus den höchsten Würdenträgern bestand, berieth, annahm
oder verwarf; hier bewilligte es Abgaben und das Aufgebof der wehr
haften Mannschaft, hier erhob es Beschwerde gegen ungerechte oder
verfehlte Maßregeln der Regierung und gegen einzelne Reichsbeamte.
Diese Sitzungen waren aber zugleich die höchsten Gerichtstage,
wo der König selbst oder der Palatin statt seiner wichtige Rechts
händel im Angesichte des Volks entschied und besonders denen, die von
mächtigen Privaten oder Beamten Bedrückung erlitten hatten, Genug
thuung zu gewähren, eben durch die Oeffentlichkeit» der Gerichts
handlung genöthigt ward. Diese Reichs- und Gerichtstage waren daher
die stärkste Grundlage und mächtigste Schutzwehr des Rechts und der
Freiheit. Als die Könige aus Scheu vor der noch wenig geordneten
Versammlung, aus Hang zum Absolutismus und durch die Einflüste
rungen der herrschsüchtigen. Großen irregeleitet, die Reichstage stets
seltener und endlich beinahe gar nicht mehr abhielten, sah sich das Volk
jeder Mishandlung schutzlos preisgegeben, und forderte daher mit gutem
Rechte die Wiederherstellung derselben. Freilich würde es noch weit
größere Vortheile gebracht haben, dieselben zugleich nach dem Systeme
der Volks- oder wenigstens der Ständevertretung zu ordnen, wenn diese
Zeit eine solche überhaupt schon gekannt hätte. Ob sie von nun an
wirklich alljährlich abgehalten wurden, läßt sich nicht erweisen; aber
jedenfalls war die Erneuerung und gesetzliche Feststellung derselben
eine That, der wir es hauptsächlich zu verdanken haben, daß sich die
ungarische
Merkwürdig
Freiheitistunter
ferner,
allen
daßStürmen
die Ungarn
der Zeit
schon
erhalten
damalshat.eine rich

tige Vorstellung von der Verantwortlichkeit der Regie


rung dem Volke gegenüber und von dem Grundsatze hatten,
der König herrsche, aber regiere nicht, und beide Ideen sogar
in der ersten und noch mehr in der zweiten Ausstellung der Goldenen
Bulle gesetzlich aussprachen, wenn auch die Form der Regierung , die
Benennung der Staatsbeamten und die Art der Verantwortlichkeit an
dere waren als heutzutage. In dem Schlußartikel (31) der Goldenen
Bulle heißt es wörtlich: „Das siebente Exemplar soll bei dem jedes
maligen Palatin aufbewahrt werden, damit er, die Schrift vor Augen'
habend, weder selbst in irgendeinem Stücke von dem Obengesagten ab
weiche, noch den König und andere abweichen lasse." Der
Innere Zustände. 1222—1242. 381

Palatin wird also hier als oberster Rath des Königs und Vollstrecker
des Gesetzes, gleichsam als erster Minister, hingestellt, der die Befug-
niß hat, den König von gesetzwidrigen Handlungen abzuhalten. Der
dritte Artikel in der zweiten Ausgabe der Goldenen Bulle (Andreae R.
Decretum, II, 3) nähert sich noch mehr dem Begriffe von einer ver
antwortlichen Regierung, er verordnet: „Wenn der Palatin die
Angelegenheiten des Reichs und desKönigs schlecht führte,
werden sie (der Reichstag) Uns ersuchen, einen Geeig
netem, wen wir wollen, an seine Stelle zu setzen; und wir
werden ihre Bitte gewähren." Der König hat mithin das Recht,
den Palatin zu ernennen, ist aber verpflichtet, ihn zu entlassen, sobald
er den Wünschen der Nation nicht entspricht, und einen andern, der
denselben mehr zusagt, an dessen Stelle zu berufen. Daß endlich der
Reichstag, als das höchste Tribunal, das Gericht war, vor welches die
Staatsbeamten gezogen wurden, beweist die Verurtheilung des Palatin
Dionysius und anderer hoher Staatsbeamten durch den Reichstag von
1235. Leider kamen diese heilbringenden Grundsätze in Vergessen
heit, noch ehe sie eine vollständigere Ausbildung erhielten und eine
bleibende
AuchEinrichtung
die Sicherheit
derder
Constitution
Person undwurden.
des Eigenthums hatte in der

Goldenen Bulle eine kostbare Bürgschaft gefunden, „Wir wollen",


sagt der zweite Artikel, „daß weder wir noch unsere Nachfolger zu
irgendeiner Zeit Edelleute (servientes) gefangen nehmen oder sie zu
Gunsten irgendeines Mächtigen verderben, bevor sie vor Gericht gestellt
und rechtlicherweise abgeurtheilt sind." Hier hätten wir eine wahre
Habeas- Corpus -Acte vor uns, wenn sie auf alle Stände ohne Unter
schied ausgedehnt worden wäre. Diesem Gesetze zum Trotz ge
schahen unter Andreas Gewaltthätigkeiten aller Art; auch Bela IV.
machte sich bereits als Jüngerer und nachher als herrschender König
vielfacher Uebertretungen desselben schuldig ; deshalb wurde es
schon 1231 (Andreae R. Decretum, II, 4, 5) erneuert und die
Restituirung der ohne gerichtliches Urtheil Bestraften angeordnet. Es
brauchte Zeit, bis auch dieses Gesetz sich Anerkennung verschaffte
und für die folgenden Jahrhunderte das Palladium der adelichen Frei
heit wurde.
Der Adel, der Klerus und alle, die sonst adeliche Rechte genossen,

hatten zwar schon seit längerer Zeit die Steuerfreiheit für ihre Person
errungen, vielleicht ursprünglich besessen; aber die Könige legten den
noch auf deren Güter und Hörige wenigstens von Zeit zu Zeit Abgaben.
Jetzt wurde (Andreae R. Decretum, I, 3; und II, 6; Andreae R. Liber-
tas clericorum, 3) jede Art der Steuerhebung von ihren Gütern ver
boten. Daß der Hörige, der seinem Herrn Abgaben und Dienste
leisten mußte, nicht noch obendrein Staatslasten trage, wurde damals
noch für billig und recht erachtet; erst den spätem Zeiten, als die be
vorrechteten Stände in ihren Ansprüchen immer weiter gingen und die
Bedürfnisse der Monarchien bis zur Unerschwinglichkeit stiegen, war
die Schmach vorbehalten, ihm, der vom Staate die wenigsten Vortheile
genoß, die Last doppelter Dienstbarkeit aufzubürden. Allein auch in
382 Viertes Buch Erster Abschnitt,

jenen Tagen hätte der Adel bereits um so Weniger Steuerfreiheit for


dern Der
sollen,ursprüngliche
da er sich dem
Beruf
Kriegsdienste
aller Adelichen
immer ohne
mehr Unterschied
entzog. war

die Waffenführung; darum wurden sie in den ältesten Zeiten der unga
rischen Monarchie milites, in den spätem servientes regii genannt.
Jetzt verweigerten diejenigen, die erbeigenthümliches Land besaßen , die
Heeresfolge ins Ausland; die Besitzer von Lehngütern, welche doch
ausdrücklich gegen Kriegsdienste verliehen wurden, mußten dieselben
zwar leisten, jedoch auf Kosten des Königs; nur wenn ein Feind das
Land überfiel, waren alle verpflichtet, die Waffen zu ergreifen (Goldene
Bulle 26). Es läßt sich nicht leugnen, daß die Könige durch dieses
Gesetz verhindert wurden, wie es oft geschehen war, in unnützen Krie
gen das Gut und Blut des Volks zu vergeuden. Aber wie oft fordert
es gerade die Vertheidigung des Vaterlandes, dem Angriffe des Feindes
zuvorzukommen? Woher sollte der König für den nothwendigen aus
wärtigen Krieg Truppen und Geld nehmen, da die steuer- und waffen-
pflichtigen Freien unterdrückt, die Burgmilizen bis auf einen kleinen
Rest verschwunden, die Staatsländereien größtentheils entfremdet
waren? War es endlich nicht viel zu spät, das Aufgebot zu den Waffen
ergehen zu lassen, wenn der Feind bereits im Lande stand? Diese eng
herzigen, zum Vortheil eines Standes gegebenen Gesetze zwangen den
König Bela, der sicher kein leichtsinniger Verschwender war, abermals
zur Verschlechterung der Münze und Verpachtung der Staatseinkünfte
zu greifen; sie nöthigten ihn, die Kumanen, die ein zu jeder Zeit fer
tiges Heer stellten, zu begünstigen; sie verursachten hauptsächlich das
Verderben Ungarns beim Einbruch der Mongolen (das tapfere Volk,
wenn es wie vormals kampfgeübt und Mann für Mann aufgestanden
wäre, hätte die wilden Horden leicht zurückschlagen können); sie
waren schuld an der militärischen Schwäche des Reichs, die von
nun an bis zum Ausgang des ärpädischen Hauses und noch darüber
fortdauert.
Der Schlußartikel (31) der Goldenen Bulle gibt jedem einzelnen

Edelmann und der Gesammtheit des Adels das Recht des straflosen be
waffneten Widerstandes, wenn ein König die Gesetze derselben über
schreiten würde. Dieses Recht erwies sich gleich anfangs als illusorisch
und schuf einen Zustand, wo König und Adel gleich zwei feindseligen
Mächten einander gegenüberstanden. Als 1227 der Plan der Unzu
friedenen, Andreas und Bela vom Thron zu stoßen und Kaiser Fried
rich II. auf denselben zu berufen, entdeckt wurde, konnte ihnen das
Gesetz nichts helfen. Die Könige forderten sie nicht vor Gericht, son
dern schickten Truppen wider sie; diejenigen, denen die Flucht ins
Ausland nicht gelang, erlitten Strafe; die Güter aller wurden feindlich
verwüstet und eingezogen. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr allen,
die sich später gegen Bela auflehnten , ungeachtet sie sich mit Grund
darauf berufen konnten, daß der' König mehrere Satzungen der Gol
denen Bulle verletzt habe. Um die Wiederkehr so trauriger Auf
tritte zu verhüten, daß der König selbst Theile des Vaterlandes ver
heerte und an den unschuldigen Untergebenen den Aufstand der Herren
Innere Zustände. 1222 — 1242, 383

rächte, ward bei der zweiten Ausstellung der Goldenen Bulle (Decret.,
II, 35) verordnet: „Es steht dem König frei, die Besitzungen der ge
richtlich Verurtheilten einzuziehen, zu behalten oder an andere zu ver
geben; aber ihre Dörfer dürfen nicht niedergebrannt werden." Auch
sollte diesmal nicht das Hecht des straflosen Widerstandes, sondern
der Eid des gesammten königlichen Hauses dafür bürgen, daß die
Könige für alle Zeiten die Gesetze heilig halten würden. Im Verlaufe
der Geschichte wird es sich zeigen, wie wenig dieser Eid, den jeder
König noch überdies bei seiner Krönung persönlich schwor, und der
Artikel 31 der Goldenen Bulle, der jahrhundertelang als das wichtigste
Gesetz gepriesen wurde, die Constitution und Freiheit des ungarischen
VolksZuzu derselben
sichern vermochten.
Zeit, wo der Adel und die Geistlichkeit so ent

schlossen für ihre Rechte und Freiheiten kämpften, blieben auch die
Bürger der Städte und die Bewohner der privilegirten Bezirke nicht
müßig; denn auch sie fühlten den Druck eines verschwenderischen, kein
RechtDie
achtenden
Zusicherung
Hofesder
undGoldenen
mächtigerBulle
Oligarchen.
(Art. 9): „Die hospites (so

nannte man die Bewohner der Städte und freien Bezirke, weil sie größ-
tentheils vom Auslande eingewandert waren) welcher Nation immer
sollen nach der ihnen ursprünglich verliehenen Freiheit gehalten wer
den", befriedigte sie nicht; sie suchten vielmehr mit Eifer und Erfolg
die Bestätigung alter oder die Ertheilung neuer Privilegien nach. Viele
dieser Freibriefe haben sich theils im Original, theils in glaubwürdigen
Abschriften erhalten 1; sie gewähren sehr wichtige Immunitäten und
Rechte, als Exemption von den Landesbehörden und unmittelbare Un
terordnung unter den König, den Palatin oder Tavernicus, freie Wahl
der eigenen Obrigkeiten und Pfarrer, Uebergabe von Ländereien, man
cherlei Befreiungen von Steuern ,und Zöllen, wogegen die so Be
günstigten verpflichtet werden, eine gewisse Anzahl Bewaffneter zu
stellen, zur bestimmten Zeit eine festgesetzte Summe als Steuer, Ablö
sung des Kammergewinns (monetagium) und des Zehnten zu zahlen. und
den König gebührend zu bewirthen, wenn er bei ihnen einkehrte (die
letztgenannte bedeutende Last wird häufig auf ein- oder zweimal im
Jahre beschränkt). Besonders ausgedehnt und wichtig waren aber die
Rechte, welche Andreas den siebenbürger Sachsen 1224 theils be
stätigte, theils neu verlieh; sie sind bereits oben S. 248 verzeichnet.2
Die Bewohner des fünf Quadratmeilen großen Feldes Turopolya in
Kroatien entband Bela als Jüngerer König 1225 der Diensthörigkeit
von der agramer Burg und gab ihnen und ihren Nachkommen alle
Rechte
1 Ungeachtet
Unter
des Adels.
andern
die
3 erhielten
Städte Freibriefe
so ausgedehnte
Varaszdin
Vorrechte
in Kroatien
genossen
1209, Szat-
und

mar-Nemeti 1230, Veröcze in Slawonien 1234, Tyrnau 1234, Karako und


Charpundorf in Siebenbürgen 1238, Raab 1240; bei Endlicher, Monumenta.
— 2 Andreae II. B. Liberias Saxonum Transylvaniae 1234, bei Endlicher^
Monumenta, S. 420. — 3 Kerchelich, Hist. eccl. Zagrab., S. 306. Engel,
Geschichte des ungarischen Reichs, II, 287.
384 Viertes Buch. Erster Abschnitt.

sich zu bedeutendem Wohlstand emporschwangen , besaßen sie dennoch


nicht die ihrem Zustande entsprechende politische Wichtigkeit. Da die
Ungarn und die mit ihnen längst zu einem Volke verschmolzenen Lan
desbewohner noch immer wenig Neigung hatten, in Städten zu leben,
bestanden, wie schon gesagt, die Bürger derselben meistentheils aus
Eingewanderten. Diese wollten sich den ungarischen Gesetzen und
Behörden nicht unterwerfen, sondern zogen es vor, ihre hergebrachten
Satzungen und Obrigkeiten beizubehalten; sie befanden sich als ge
schlossene Körperschaften gleichsam außerhalb des natürlichen Ver
bandes mit dem Staate und konnten daher auf die Angelegenheiten des
selben keinen unmittelbarenEinfluß üben. Dagegen bildeten die Steuern,
die sie unter verschiedenen Namen entrichteten, einen bedeutenden
Theil der königlichen Einkünfte ; auch stellten sie zum Heere verhält
nißmäßig zahlreiche und wohlgerüstete Mannschaften auf eigene Kosten.
Es lag also im Interesse der Könige, sie zu begünstigen, und auch das
Volk, dessen Lasten sie mittrugen und dessen Wohlfahrt sie durch Ver
kehr beförderten, hatte keine Ursache, das glücklichere Los dieser
längstDurch
heimisch
Einziehung
gewordenen
der „Gäste"
entfremdeten
zu beneiden.
Staatsgüter wollte Bela die

Einkünfte des Königs und des Staats vermehren, das in Verfall ge-
rathene Institut der Burgmiliz herstellen und dadurch die gesunkene
Macht des Königs und des Reichs wieder heben. Keine Mühe scheuend,
unbekümmert um den Zorn und Haß, den er dadurch auf sich lud,
strebte er unablässig nach diesem Ziele; aber der Erfolg entsprach
keineswegs der Erwartung. Wie drei Jahrzehnte später König Otto
kar II. von Böhmen in den Kriegen mit Kaiser Rudolf die Einziehung
der verpfändeten Krongüter mit Niederlagen und zuletzt mit dem Leben
bezahlen mußte, so empfand auch Bela die traurigen Wirkungen der
gehässigen Maßregel in wiederholten Aufständen und ganz besonders
beim Einfall der Mongolen, ohne je wirklich zu erreichen, was er beab
sichtigt hatte. Es zeigt sich kaum ein Merkmal, daß durch die neuer
dings dem Staatsgut einverleibten Ländereien das öffentliche Einkommen
bedeutend zugenommen hätte ; die königliche Schatzkammer blieb bei
nahe so leer wie vormals; daß die Noth jetzt weniger groß war,
muß man mehr der bessern Wirthschaft als der gesteigerten Einnahme
zuschreiben. Noch weniger wollte es gelingen, die Burgmiliz zu ihrer ,
vormaligen Stärke zu heben und aus ihr ein mächtiges , jederzeit schlag
fertiges, vom König ganz abhängiges Heer zu bilden. Die Einrichtung
hatte sich überlebt; sie entsprach nicht mehr den neuern Zuständen,
wo schon so viele feudalistische Elemente platzgegriffen hatten, und
konnte daher nie wieder aus ihren Trümmern zu der vorigen Kraft
erstehen; sie gerieth immer mehr in Verfall, bis sie endlich ganz auf
hörte und die Banderien der Lehnsherren und Körperschaften an ihre
StelleAm
traten.
wenigsten aber konnte die Uebermacht der Oligarchie durch

Gesetze, Gütereinziehung und Verurtheilung mächtiger Frevler ge


brochen werden. Einige dieser Tyrannen wurden zwar gerichtet, an
dere ins Verderben gestoßen oder doch gedemüthigt, aber die Oligarchie
Innere Zustände. 1222 — 1241. 38*)

selbst blieb; an die Stelle der Gestürzten traten andere, die noch kühner
der königlichen Macht trotzten, die Rechte des Volks mit Füßen traten
and das Bestehen des Staats gefährdeten. Denn es war eben das Zeit
alter der Oligarchie; in den meisten Reichen Europas lockerten sich die
Bande, welche die Nationen verknüpfen; mächtige Barone oder Pairs
zerrissen und theilten die Länder unter sich und errangen eine beinahe
selbständige Macht. Selbst der gebildete thatkräftige Kaiser Friedrich II.
konnte es mit dem Aufgebot seiner ganzen geistigen Kraft und äußern
Macht nicht verhindern, daß gerade während seiner Regierung die
Großen seines Reichs fast souverän wurden und das Kaiserthum sich
sozusagen in ein leeres Schattenbild zu verwandeln anfing. Vor ähn
licher Zersplitterung und solchem Verfall der königlichen Macht wurde
Ungarn noch zu rechter Zeit durch den 16. Artikel der Goldenen Bulle
bewahrt. „Ganze Gespanschaften", so lautet derselbe, „oder welche
Würden immer, werden wir nicht in erbeigenthümlichen Besitz geben."
Schon hatte Andreas dergleichen gefährliche Vergebungen zu machen
angefangen; sie wurden nun für die Zukunft durch ein feierliches Gesetz
verboten. Keine Würde und kein Gebiet, dessen Verwaltung mit der
selben verbunden war, konnte ein Erbgut gewisser Familien werden;
die Palatine, Bane, Obergespane'u. s. w. blieben zeitweilige Beamte des
Reichs; auch die größten Dynasten waren blos reiche Privatleute und
die Macht, die sie übten, angemaßt und gesetzwidrig, es gab keine erbliche
Banate und* Grafschaften. Dieselbe wohlthätige Absicht verfolgte auch
der 30. Artikel, der festsetzt, daß außer dem Palatin, dem Ban und dem
Hofgrafen des Königs und der Königin kein anderer zwei Würden zu
gleicher Zeit bekleiden dürfe; er hinderte die Anhäufung zu großer Ge
walt in einer Hand. Die Einsicht und Energie des ungarischen Volks
hatte Die
die Einheit
Veränderungen
des Staats
in gerettet.
der Rechtspflege und die Umgestaltungen

der kirchlichen Zustände, die in diesem Zeitraum vor sich gingen , wer
den wir am Ende des Buchs vereint mit dem , was in dieser Hinsicht in
der folgenden Periode geschah, besprechen, theils weil das Wichtigste
davon in den Artikeln der Goldenen Bulle und in den erzählten Be
gebenheiten bereits angedeutet wurde, theils weil wir die Gestaltung
dieser Angelegenheiten im Zusammenhange darstellen wollen.

Feßler. I. 25
Zweiter
Wiederherstellung Abschnitt,
des Reichs; äussere Kriege und

innere Unruhen; Auflösung der bisherigen bürger


lichen Verhältnisse. 1242 — 1301.
1. Aeussere Begebenheiten.
Vom Abzüge der Mongolen bis zum Tode Bela's IV.
1242 — 1270.

xNc
I och während Bela auf der Flucht vor den Mongolen in Dalmatien
verweilte, hatte sich Zara freiwillig aus der venetianischen unter die
ungarische Oberhoheit begeben. Da er voraussah, die Republik werde
den Abfall der wichtigen Stadt nicht gleichgültig hinnehmen , ernannte
er seinen getreuen Dionysius Vialka zum Ban von Kroatien und Dal
matien
Dasundfurchtbare
empfahl ihm
Elend,
ganzwelches
besonders
nachdiedem
Vertheidigung
Abzuge der Zaras.
Mongolen
1 in

Ungarn herrschte, flößte dem hartherzigen Friedrich von Oesterreich


kein Erbarmen ein. Als Bela mit der kleinen bewaffneten Schar, die
ihn begleitete, von Dalmatien an seines Landes westlicher Grenze hin
aufzog, sammelte jener ein mächtiges Heer an der Leitha, weil er
fürchtete, Bela werde es rächen, daß er im vorigen Jahre Ungarn mit
den Mongolen um die Wette verwüstet. 2 Doch der König fühlte sich
hierzu in seiner gegenwärtigen Lage viel zu schwach und sah sich ge-
nöthigt, in einem förmlichen Friedensvertrag dem Herzog den Besitz
alles dessen feierlich zu bestätigen, was dieser ihm und dem wehrlosen
LandeNachdem
hinterlistiger
Bela und
durchgewaltsamer
dieses schmerzliche
Weise geraubt
und demüthigende
hatte. 3 Opfer

die Habsucht des Unersättlichen wenigstens für eine Zeit gestillt hatte,
wandte
1 Thomas
er seine
Archid.,
ganzeHist.
Sorge
Salonit,
auf die
Kap.
Wiederherstellung
43. — 2 Fejer, Cod.
des dipl.,
verödeten,
IV, 1,

390. — 3 Ebend., IV, 1, 289. Pernoldus, bei Hanthaler, Fasti Campil., I,


13i7. Chron. Austr., bei Freher, I, 458.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 387

in seinen Grundfesten erschütterten Reichs. Er verfuhr dabei mit mehr


Einsicht und Erfolg als bei der Vertheidigung desselben. Er ließ aus
den benachbarten Ländern Getreide und Vieh einführen, um der ent
setzlichen Hungersnoth abzuhelfen, die in den verödeten Gegenden
herrschte, ermunterte die allmählich aus ihren Verstecken sich sam
melnden Menschen, die zerstörten Städte und Dörfer wieder aufzubauen
und zu ihren vorigen Beschäftigungen zu greifen, ordnete überall die
Regierung und Verwaltung von neuem, prägte, da es an Geld und bei
der Unterbrechung des Bergbaues auch an edeln Metallen fehlte, kleine
Silberpfennige und Kupfermünzen, um für den Augenblick ein Mittel
des Verkehrs zu schaffen. l Viele Landeigenthümer waren umge
kommen oder in die Gefangenschaft der Mongolen gerathen, oder ins
Ausland geflohen, andere hatten die Urkunden über ihre Besitzungen
verloren und eigennützige Menschen misbrauchten die allgemeine Ver
wirrung zu gewaltsamen oder doch unberechtigten Besitzergreifungen;
darum verordnete Bela, daß in den einzelnen oder in mehrern zu Krei
sen vereinigten Gespanschaften öffentliche Versammlungen sollen ge
halten werden, um die Besitztitel zu untersuchen. 2 Güter, deren recht
mäßige Herren sich vorfanden, wurden diesen zurückgegeben, solche,
deren Eigenthümer sich längere Zeit hindurch nicht meldeten, an andere
verliehen, jedoch mit dem Vorbehalt: „unbeschadet des Rechts eines
andern, salvo jure alieno". 3 Auch die Burgländereien befahl er mit
genauer Beschreibung und Angabe ihrer Grenzen zu verzeichnen, die
Burgmilizen sorgfältig aufzusuchen und in Register einzutragen,; zu
gleich vermehrte er die Zahl der letztern dadurch, daß er Burghörige
und Udvarniker (Ministerialen) in den ehrenvollen Stand derselben
versetzte. 4 Um die Vertheidigung des Landes zu erleichtern und der
Bevölkerung Zufluchtsstätten zu bieten, erlaubte er Privatherren, be
festigte Schlösser anzulegen, und verlieh ihnen hierzu geeignete Lände
reien. 5 Vorzüglich aber war er darauf bedacht, die verödeten Ge
genden wieder zu bevölkern. Die Kumanen, die nach der Ermordung
ihres Königs Kuthen die Waffen gegen die Ungarn gekehrt und sich
theils an unzugängliche Orte zurückgezogen hatten, theils nach Bul
garien ausgewandert waren, wurden zurückgerufen und ließen sich, mit
wichtigen
1 Schönvisner,
Vorrechten
Notitia
ausgestattet,
Hung. rei numariae,
zwischen der
S. 156.
Donau
— und
2 Eine
Theiß
solche
an

Versammlung hielten naeh dem Zeugnisse des Judex curiae Paul die Gespan
schaften Neograd, Hont und Gömör in Waitzen. Pray, Hist. reg., I, 249. —
3 Diese Klausel, die in jeder Schenkungsurkunde bis auf die neueste Zeit
stand und kraft Gebrauchs zur Gültigkeit derselben erforderlich war, wurde
damals eingeführt. — 4 Dergleichen Verzeichnisse hatte Bela schon zu An
fang seiner Regierung anfertigen lassen; jetzt wurden sie neugeordnet und
berichtigt. Urkunde Bela's von 1266 für die Jobbagyonen von Thuröcz.
Urkunde des Palatins und presburger Obergespans Lorant und des neitraer
Bischofs Vicentius von 1258 bei Georgius Bartal, Commentariorum ad his-
toriam s atus jurisque publici Hungariae aevi medii libri XV (Presburg 1847),
Tom. II, mantissa VII. Aus Hörigen wurden freie Milizen, unter andern die
Leute der Burg Trencsin. Fejer, Cod. dipl., V, 1n, 295. — 5 Fejer, Cod.
dipl., IV, 1n, 256, 323; V, m, 114 u. s. w.
24*
ggg Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

der Körös und Temes nieder, in der Gegend, welche ihre vollständig
x\i Ungarn gewordenen Nachkommen größtentheils auch heute noch
unter dem Namen Groß- und Klein -Kumanien innehaben. Selbst die
Mongolen, die hier und da im Lande zurückgeblieben waren, fanden
freundliche Schonung; mehrere unter ihnen, besonders diejenigen,
welche Töchter ungarischer Herren geehelicht hatten, wurden in die
Gemeinschaft des ungarischen Adels aufgenommen. x Außerdem berief
er aus fremden Ländern, besonders aus Deutschland Colonisten, denen
er erbeigenthümlichen Grundbesitz, wichtige Privilegien und für einige
Jahre Nachlaß aller Steuern gewährte. 2 Und da Bela mit richtigem
Blick erkannte, wie wichtig die Städte durch ihre Festungswerke und
freiheitskühne Mannschaft für die Landesvertheidigung seien, und wie
sehr die Betriebsamkeit und Bildung ihrer Bürger die öffentliche Wohl
fahrt erhöhe, verlieh er vielen Ortschaften das Stadtrecht, die Privi
legien der Städte aber. bestätigte und vermehrte er. Diese Gunst wider
fuhr den Städten Agram und Szamobor 1242, Jäszö 1243, Ruprecht-
häza 1247, Neusohl 1255, Neitra 1258, Bereny 1265, Kesmark
1269,Vonu. s.w.
den 3heißen Quellen bis an den Blocksberg unterhalb Altofen

hatten sich bereits Seit längerer Zeit deutsche Ansiedler niedergelassen ;


jetzt baute Bela auf demPesth gegenüberliegenden Berge eine Burg, in
der er sich häufig aufhielt, wie die vielen von dort datirten Urkunden
beweisen, berief Ansiedler rings um dieselbe und verlieh ihnen große
Vorrechte. 4 So ward er der erste Gründer der nachmaligen Königs
burg und Neuofens, das sich rasch zur Hauptstadt Ungarns erhob.
Auch den Lanzenträgern in zehn kleinen Dörfchen der Gespanschaft
Zips bestätigte und vermehrte er ihre adelichen Rechte. 6 Zum Vajda
Siebenbürgens ernannte Bela den Herrn Laurentius und ertheilte ihm
die Vollmaht, alle Verordnungen zu erlassen und alle Einrichtungen zu
treffen,
Dasdiegroße
ihm nöthig
Unglück,
und welches
heilsam scheinen
das ungarische
würden.Volk
6 getroffen hatte,

wirkte läuternd und besänftigend auf die Gemüther. Bela selbst kam
zur Einsicht, daß sich nicht alles durch Machtsprüche und Gewalt
durchsetzen lasse, daß durch gesetzwidrige Ausführung selbst die nütz
lichsten Maßregeln verhaßt und schädlich werden, und daß die Liebe
und das Vertrauen des Volks die sichersten Stützen des Thrones seien;
er verfuhr nun mit mehr Achtung des Rechts, mit mehr Schonung und
Güte als früher. Aber auch eine bedeutende Zahl der mächtigen Her
ren war umgekommen, andere hatten ihre Reichthümer eingebüßt, der
übermüthige
1 Die Edlen
und von
störrige
Braas,Sinn
Perzei,
derKadarkauz
OligarchieMirköczi
war wenigstens
u. a. m. sind
für wahr
eine

scheinlich Abkömmlinge der Mongolen. Katona, Hist. reg., V, 1043. —


2 Urkunde Bela's : „ . . . . tarn agricolas quam milites ad repopulandum terras
depopulatas . . . . edicto regio statnimus convocare." Fejer, Cod. dipl. , IV, m,
438. — 3 Die Freibriefe bei Endlicher. — 4 Belae reg. libertas hospitun de
Pesth (Neuofen), bei Endlicher, Monumenta, S. 466. Vgl. Andreas Michnay
und Paul Lichner, Die alten Gesetze der Stadt Ofen (Presburg 1845). —
5 Endlicher, S. 460. — e Die Urkunde von 1243, bei Fejer, IV, r, 275.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 389

Zeit gebrochen ; das Volk überhaupt ward fügsamer und unterwarf


sich bereitwilliger den Anordnungen des Königs, von dem es Hülfe in
der Noth empfing. Die Spuren der schrecklichen Verwüstung blieben
zwar zurück, sodaß sie nach mehr als hundert Jahren noch sichtbar
waren; viele Ortschaften wurden nie wieder aufgebaut1; besonders
hatte der eigentlich magyarische Stamm, der meistentheils die Ebenen
bewohnte, starke Verminderung erlitten; aber mit dem Frieden und mit
der Eintracht kehrte bald auch einiger Wohlstand wieder, und nach
wenigen Jahren hatte sich das Land insoweit erholt, daß Bela seinen
Blick bereits nach auswärts richten und sich in Unternehmungen ein
lassen konnte, welche die Sicherheit und Macht des Reichs erhöhen
sollten. Leider folgte er dabei nicht immer den Rathschlägen der
echten Staatsweisheit, sondern ließ sich nur zu oft durch Eingebungen
der Eroberungssucht leiten und war bei der Ausführung seiner Unter
nehmungen weder umsichtig noch standhaft genug, weswegen diese
weit mehr Schaden als Vortheil brachten. Später machte er auch bei
der innern Regierung Misgriffe, welche die Flamme der Zwietracht von
neuem entzündeten und die Ursache aller der Uebel wurden, die nach
ihm Ungarn
Weil Bela
zerrütteten.
nicht ohne Grund befürchtete, daß die Mongolen näch

stens wieder zurückkehren würden , entsendete er 1243 den Bischof von


Fünfkirchen Bartholomäus und den Obergespan Simon, den belden-
müthigen Verfheidiger der graner Burg, an Papst Innocentius IV. Er
bat zuerst, diejenigen zu strafen, die, aller menschlichen und christlichen
Gesinnung bar, die Grenzen Ungarns verwüsteten, während die Mon
golen in dessen Innerm wütheten ; sodann, das Kreuz predigen zu lassen,
wenn sich die Gerüchte von einem neuen Einbruch des wilden Volks
nach Ungarn verwirklichen sollten. 2 Der Papst bewilligte beides.
Zwei mährischen Aebten trug er auf, zu untersuchen, welche es waren,
die so grausam das Elend Ungarns vermehrten. 3 Diese Untersuchung
konnte sich freilich nur auf einige Raubritter erstrecken , den mächtigen
Uebelthäter aber, wider den die Klage Bela's eigentlich gerichtet war^
Friedrich von Oesterreich, nicht treffen; diesen mußte der Papst scho
nen, damit er sich nicht gegen ihn erkläre und auf die Seite des Kaisers
trete. Den' Patriarchen von Aquileja Berthold, den vormaligen kalocsaer
Erzbischof, bevollmächtigteer, einen Kreuzzug im römisch -deutschen
Reich zu verkündigen, sobald die Mongolen Ungarn mit Krieg über
ziehen würden. 4 Dem «König von Norwegen stellte er es frei, die an
gelobte Fahrt nach Palästina mit dem Kampf gegen die Mongolen in
Ungarn zu vertauschen. 6 Um endlich die gesammte Christenheit von
Angst und Gefahr zu befreien, sandte er 1246 Johann Piano Carpi und
Ascellin mit mehrern Predigermönchen an den Großkhan Gajuk, die
diesen
1 Noch
zwarjetzt
weder
erblickt
bekehren
man hier
nochund
zum
da Frieden
im freienstimmen
Felde B1nnen,
konnten
und, kennt
aber

den Namen und die Stätte solcher Ortschaften. — 2 Epist. Belae ad Inno-
centium IV., bei Fejer, IV, 1, 298. — 3 Epist. Innocentii, a. a. O., S. 414.
— 4 a. a. O., S. 299. — 5 a. a. 0., S. 303.
;>90 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

für die Länder- und Völkerkunde höchst wichtige Berichte nach Hause
brachten.
Venedig konnte den Verlust Zaras nicht verschmerzen; schon im '

1243 Mai 1243 schickte der Doge Jakob Tiepolo den Feldherrn Renier Zeno
mit 26 Galeeren und 20 andern Schiffen zur Wiedereroberung der
Stadt. Ban Dionysius Vialka vertheidigte dieselbe. Als aber die Ve
netianer die Kette, welche den Hafen sperrte, sprengten und der Bau,
bei einem Ausfall schwer verwundet, sich aus Zara bringen ließ, über
gaben die erschrockenen Bürger die Stadt schon am 2. Juli. Viele von
ihnen wanderten nach Nona aus und beunruhigten in Verbindung mit
dessen Einwohnern die Venetianer zu Wasser und zu Land. Deshalb
erschien eine venetianische Heeresabtheilung vor Nona, wurde aber vom
Grafen Becsend, der statt des verwundeten Bans die Armeeführung
übernommen hatte, zurückgeschlagen. 1 Bela hielt es nicht für rath-
sarri, zu einer Zeit, wo die Mongolen fortwährend drohten, sich in einen
langwierigen Krieg einzulassen; die Venetianer waren durch die Nie
derlage von Nona entmuthigt und überdies in Händel mit Konstan-
/ tinopel verwickelt, deshalb brachten ihre Gesandten Peter Dandulo und
l'MeL 1244 Jakob Justipni mit leichter Mühe am 30. Juli 1244 folgenden Friedens
vertrag zu Wege. Zara bleibt ini Besitze Venedigs, doch bezieht der
König von dem Ertrage der Zölle zwei Drittheile, als Zeichen seiner
Oberherrlichkeit über ganz Dalmatien. Die ausgewanderten Bürger
Zaras sollen von Zara und Nona entfernt werden und vier Meilen vom
Meere sich niederlassen. Der König verspricht, kein Bündniß wider
Venedig zu schließen, Abgeordneten und Truppen von dessen Feinden
den Durchzug durch ungarisches Gebiet nicht zu gestatten, dagegen der
• Republik wider alle Feinde und Aufrührer Hülfe zu leisten. Ebenso
verpflichtet sich Venedig, Bela's und seiner Nachfolger Feinde nicht zu
unterstützen und besonders die Königin-Witwe Beatrix und ihren Sohn
StephanUnterdessen
von Ungarnwar,fern
wahrscheinlich
zu halten. 2 von den Venetianern angezettelt,

heftiger Streit zwischen Spalatro einerseits, Traw und Sebenigo an


dererseits über einen Strich Landes ausgebrochen, den Bela den Tra-
wern zum Lohn für ihre Treue geschenkt hatte. Die Spalatroer ge
horchten nicht dem Befehl des Königs, die Trawer im ruhigen Besitz
ües Landstrichs zu lassen, sondern erhoben förmlichen Krieg gegen
Traw, wurden aber zur See geschlagen. Am Tage ihrer Niederlage
brach in Spalatro selbst ein heftiger Aufstand aus, weil das Kapitel
ohne Theilnahme und gegen den Willen der Bürgerschaft den Archi-
diakonus Thomas (den Verfasser der oft angeführten „Historia Salo-
nitana)" zum Erzbischof gewählt hatte. Der innere Unfriede hielt sie
vom Kampfe mit ihren auswärtigen Gegnern nicht ab; sie riefen den,
Ban von Bosnien Ninoslaw und den Grafen von Chulm. herbei und ver
wüsteten
1 Dandulus,
mit deren
bei Hülfe
Muratori
die, Felder,
XII, 354.
Gärten
Epist.
undBelae
Weinberge
ad comit.
der Bechend.,
Trawer.

bei Fejer, IV, i, 444. — 2 Thomas Archid. , Hist. Salonit. , Kap. 43. Dan
dulus, a. a. 0. Der Friedensvertrag im Codex Trevisanus, S. 334; bei End
licher, S. 464.
Aeuß ere Begebenheiten. Bela IV. , 391

Vergeblich war Ban Dionysius bemüht , den Frieden und die Eintracht
herzustellen, vergeblieh wollte der König das Geschehene verzeihen,
wenn Spalatro dem streitigen Landstrich entsagen und den csasmer
Propst Ugrin, einen Ungar, der sich durch zwölf Jahre an der 'pariser
1 Hochschule gebildet hatte, zum Erzbischof annehmen würde l; den
Landstrich wollte die Bürgerschaft nicht aufgeben, die Anempfehlung
des Propstes wies das Kapitel als einen Eingriff in seine Rechte zurück;
Kampf und Aufruhr nahmen immer mehr überhand. Endlich sah sich
der König genöthigt, zu ernsten Maßregeln zu greifen. Der Ban von
Dalmatien und Kroatien, Dionysius, und der Bischof von Fünfkirchen,
Bartholomäus, rückten auf seinen Befehl mit einer beträchtlichen Kriegs
macht gegen Spalatro, erstürmten die Vorstädte, zwangen die Stadt zu
einem anständigen Frieden mit Traw und nöthigten im Verein mit den
Bürgern, die den König versöhnen wollten, das Kapitel zur Annahme
Ugrin's. Archidiakonus Thomas ging selbst an das königliche Hof
lager, um allen Ansprüchen auf das Erzbisthum zu entsagen und die
Bestätigung Ugrin's zu erbitten. Spalatro wurde noch außerdem zu
einer Buße von 600 Mark Silber verurtheilt. Bela ernannte Ugrin zu
gleich zum Grafen von Spalatro und zum Befehlshaber der Inseln , was
zwar ein Eingriff in die Privilegien derselben war, die ihnen die freie
Wahl ihres Grafen zusicherten, aber mit den vorhergegangenen Un
ruhen sich rechtfertigen ließ. Ban Ninoslaw wurde zur Strafe seiner
unbefugten Einmischung des Amts entsetzt und an seine Stelle der
deutsche
Der Ritter
Lehnseid,
Stephan
den Kotrqman
Bela in derernannt.
höchsten2 Noth Kaiser Friedrich II.

durch den waitzner Bischof Stephan Vancsa geleistet hatte, machte ihn 1244
besorgt für die Unabhängigkeit seines Reichs; vielleicht zeigte der Kai
ser auch Neigung, die Lehnsherrlichkeit geltend zu machen. Bela bat
daher den Papst, ihn des Eides zu entbinden, weil Friedrich die seiner
Eid
seits für
versprochene
nichtig. Weil
Hülfe jeder
nicht Vertrag,
geleistet habe.
lauteteInnocentius
sein Spruch,
erklärte
ungültig
den ,

wird, sobald der eine Theil die Bedingungen, unter denen derselbe ge
schlossen wurde, nicht erfüllt, und weil Friedrich, schon durch das Ge
bot der Natur dem schwer bedrängten König beizustehen verpflichtet,
den Lehnseid gar nicht hätte annehmen sollen: sei Bela durch sei
nen Schwur nicht gebunden, und könne auf Grund desselben weder
gegen ihn, noch gegen irgendeinen seiner Nachfolger ein Anspruch er
hobenDer
werden.
Fürst 3von Halitsch , Daniel Romanowitsch, wenigstens kraft

der geschlossenen Verträge Bela's Lehnsträger, und der Großfürst von


Kiew Michael Wsewolowitsch hatten sich vor den Mongolen nach Un
garn geflüchtet, aber noch vor der Schlacht am Sajö wieder nach Böh
men 1entfernt.
Schon Bela
Dagegen
III. hatte,
nahmwie
Rostislaw
oben berichtet
Mstislawitsch
wurde, am
die Kampfe
Anordnung
gegen
ge

troffen, daß die Spalatroer immer einen geborenen Ungar zum Erzbischof
wählen sollten, damit das einflußreiche Amt in treuen Händen liege. —
2 Thomas Archid., Hist. Salonit., XLI — XLVII. — 3 Raynaldus, Annales
eccl. ad ann. 1245, Lib. III, Nr. 81, Epist. 58.
3Q2 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

1243 die
mahlin,
Mongolen
belehnte
theil.ihn Dafür
mit Halitsch
gab ihm und
Bela schickte
seine Tochter
ihn 1243
Anna'mit
zureinem
Ge-

ungarischen Heere, das Fürstenthum in Besitz zu nehmen. Allein Da


niel war schon zurückgekehrt und hatte als Vasall der Mongolen den
1244 Fürstenstuhl
Rückzug nach wieder
Ungarn.
bestiegen,
l Nachdem
besiegte
BelaRostislaw
im folgenden
und Jahre
nöthigte
noch
ihneinen
zum

erfolglosen Feldzug nach Galizien unternommen hatte, hielt er es für


klüger, Daniel nicht weiter zu bedrängen und zu zwingen, daß er die
Mongolen zu Hülfe rufe, sondern ihn sich zum Freunde zu machen; er
vermählte ihm also seine Tochter Constantia und erwirkte für ihn zwei
1245 JahreAls
später
Belavom
in Stuhlweißenburg
Papst auch den Königstitel.
1245 am Feste
2 Stephan's des Hei

ligen, 20. Aug., den jährlichen Reichstag abhielt, ließ er, der damals
unter den Königen fast allgemein herrschenden Sitte gemäß, seinen
fünfjährigen Sohn Stephan krönen und ernannte ihn zum Herzog von
Slawonien (Kroatien und Dalmatien, die zu jener Zeit gemeinschaftlich
diesen Namen führten). 3 Zugleich verlobte er ihn , um die Kumanen
noch mehr zu versöhnen und an sein Haus zu knüpfen, mit der kuma-
nischen Jungfrau Elisabeth, vielleicht des gemordeten Kuthen Tochter.4
Ebenfalls aus Rücksicht auf das Staatswohl vermählte er seine dritte
Tochter
NunHelena
endlichdem
glaubte
polnischen
sich Bela
Herzog
stark Boleslaw.
genug, alles
6 Unrecht und alle

1245 Schmach
gefügt hatte.
zu strafen,
Noch welche
gegen Ende
Herzogdes
Friedrich
Jahres ihm
1245und
schloß
seinem
er Volk
mit dem
zu-

1246 böhmischen
gann den Krieg
König
voreilig
Wenzelgleich
I. Bündniß
zu Anfang
wider
desden
Jahres
Herzog
1246
6; ohne
Wenzel
Glück
be-

und Ruhm; sein Feldherr, der lundenburger Fürst Ulrich, ward an der
Thaja zwischen Staatz und Laa am 26. Jan. überfallen und mit dem
größten Theil des Heeres gefangen. Um Wenzel von dem Bündnisse
mit Ungarn loszuwinden, gewährte ihm Friedrich jetzt, was er früher
abgelehnt hatte; er vermählte seine Nichte Gertrud (seines verstorbenen
ältern Bruders, Heinrich, Tochter) mit des Königs erstgeborenem Sohne
Wladislaw.7 Bela ließ sich indeß durch das Misgeschick und den Abfall
seines Bundesgenossen nicht zurückschrecken und führte im Frühling ein
wohlgerüstetes Heer gegen Oesterreich. Am rechten Ufer der Leitha,
Neustadt
— 3 1 Urkunde
Pray,gegenüber,
Annal.
Bela'sreg.
vomschlug
Hung.,
10. Jan.
I,er253.
1246.
sein— Lager
Fejer,
2 Katona,
IV,
auf;1,Hist.
jenseit
401.reg.,
— standen
4VI,
Auf140
ihrem
die
fg.

Siegel von 1273 stehen die Worte: „ . . . . filia imperatoris, Cumanorum."


Czech Janos, III Läszlo kiraly alatti nädorok; Uj magyar museum 1851/2,
190 lab. (Johan Czech, Die Palatine unter König Ladislaus' III.; Neues un
garisches Museum 1851/2, S. 190. — 5 „ Nos . . . . propter bonum christiani-
tatis, majestatem regiam humiliando, duas filias nostras duobus ducibus Ru-
thenorum et tertiam duci Poloniae dedimus in uxorem .... Amplius .... filio
nostro primogenito Cumanam quandam conjunximus , ut per hoc vitaremus
deterius."
— 6 Pernoldus,
Epist. bei
Belae
Hanthaler,
ad Innocentium,
Fasti Carnpil.,
bei Pray,
I, 1318.
Hist.—reg.,
7 Chron.
I, 253,
Garstense,
Note 6.
bui Rauch, I, 33. Jans Enenkel, Oesterreichische Reimchronik, daselbst,
S. 333—372.

*
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 3!*3

Oesterreicher; der Vortrab, Kumanen und Krieger der Grafen Frange- '
pän, setzten am 15. Juni zuerst über den Fluß. Die Schlacht beginnt,
der Kampf wird heftig; die Kumanen werden geworfen oder kehren
absichtlich nach ihrer Gewohnheit den Rücken; Friedrich, der in den
vordersten Reihen ficht, setzt den Fliehenden unvorsichtig nach; sein
Pferd, von einem Pfeil in die Stirn getroffen, stürzt nieder; noch ehe er
sich erheben kann, stößt ihm Bartholomäus Frangepän das Schwert ins
Auge und verwundet ihn tödtlich. Sogleich hörte der Kampf auf; die
Kumanen zogen sich jenseit des Flusses zurück, den das Hauptheer der
Ungarn noch nicht überschritten hatte. Die Oesterreicher brachten den
Leichnam des Herzogs in die neustädter Kirche und verließen gleich
falls das Schlachtfeld; ohne Vertrag, durch stille Uebereinkunft ward
Friede.
So 1endete der streitbare Friedrich gerade an seinem fünfunddrei

ßigsten Geburtstage, der letzte männliche Sprößling der Babenberger.


Schwer hatte er seine Länder bedrückt und viel Blut vergossen, um den
Glanz und die Macht seines Hauses zu heben, drei Gemahlinnen wegen
Unfruchtbarkeit verstoßen , weil er dasselbe fortpflanzen wollte. Alles
umsonst, die Babenberger mußten nach dem Rathschluß der Vorsehung
untergehen, um einem Geschlechte Platz zu machen, das von der Ge
schichte bisher noch kaum genannt worden, das aber nun den Schau
platz derselben betreten und im Laufe der Jahrhunderte durch die
Gunst des Schicksals zu Macht und Herrlichkeit emporgetragen wer
den sollte.
Die drei Gespanschaften Wieselburg, Oedenburg und Eisenburg,

welche Friedrich durch Verrath und Gewalt an sich gerissen hatte,


wurden nach dessen Tode wieder mit Ungarn vereinigt. Bela be
gnügte sich vorderhand mit diesem Erfolg. Denn seitdem die Mongolen
Herren Rußlands geworden waren, stand ihnen der Weg in das be
nachbarte Ungarn zu jeder Zeit offen, und gerade jetzt verbreitete sich
von neuem das drohende Gerücht, daß sie sich zum Kriegszug rüsten,
um diesmal dessen Eroberung zu vollenden. Bela mußte also vor
allem auf Mittel der Vertheidigung gegen diesen furchtbaren Feind
denken. Die Länder an Siebenbürgens östlichen und südlichen Gren
zen , durch die Verheerungen der Mongolen zur menschenleeren Wüste
geworden, fielen nach deren Abzug von selbst und gänzlich unter die
Herrschaft Ungarns, dessen Oberhoheit sie zum Theil schon früher aner
kannt hatten. Bela gab nun den Johanniterrittern das zunächst an
Siebenbürgen stoßende Banat Szöreny nebst einem Theile der heutigen
Walachei und ganz Kumanien (die jetzige Moldau), mit Ausnahme ein
zelner Strecken, zum Lehen und schloß hierüber unter Vorwissen und
mit Genehmigung der Magnaten mit dem Heermeister Rembald, 1. Juni
1247, Vertrag.2 Kraft desselben verpflichtete sich der Orden, das 1247
Gebiet
1 Thuröczy,
wider jeden
II, Feind
74. Chron.
zu vertheidigen
Salisb., Claustro-Neoburg.
und mit Pflanzbürgern,
und Vitusjedoch
Aren-

pek, bei Pez. Pernoklus, bei Hanthaler, Fasti Campil., I, 1318. — 2 Die
Urkunde bei Fejer, IV, 1, 147. Fray, Dissert. , VII, 154. Benkö, Milkovia,
I, 110. Katona, VI, 45.
394 Viertes Buch. Zweiter Absehaitt.

nicht aus Ungarn und Siebenbürgen, zu bevölkern, Städte anzulegen


und Burgen zu bauen. Fünfundzwanzig Jahre lang sollten die Ritter
sämmtliche Einkünfte beziehen, nachher die Hälfte derselben an die
königliche Schatzkammer abliefern. Würde das Reich von den Mon
golen oder Bulgaren und andern Ketzern angegriffen, so sollten im
erstem Falle 100, im letztern 60 Ritter zum Heerbanne des Königs
stoßen, im Kriege gegen eine christliche Macht aber sich 50 zur
Besatzung der Festungen Wieselburg, Oedenburg und Neustadt oder
dahin, wo der König sie sonst brauchen würde, stellen. Um die Ver
bindung des Ordens mit dem Meere und mit der Donau zu unterhalten,
schenkte ihnen der König außerdem die Stadt Scardona in Dalmatien
und die Herrschaft Vojla in der Gespanschaft Krassö. Der ungarische
Heermeister sollte beim Antritt seines Amts dem Reiche und. dem
König den Eid der Treue leisten. Dieser Vertrag, der in der Folge
für Ungarn sehr gefährlich hätte werden können, indem er einen aus
gedehnten Priesterstaat im Schose des Reichs schuf, kam nioht zur
Ausführung; schon in der nächsen Zeit treffen wir königliche Bane von
Szöreny an; wahrscheinlich vermochte der Orden nicht, die Bedin
gungen
Dasdesselben
Gebiet des
zu erfüllen.
nördlichen Serbiens, zwischen der Morawa und

Drina bis an die Donau, welches seit Bela III. der ungarischen Krone
1-M7 unterthänig war, wurde 1247 von Bela IV. zu einem eigenen Banat er
hoben, das von der Burg Macsö (serbisch Matschow) seinen Namen
erhielt. x Rostislaw, des Königs Eidam, war dessen erster Bau. Die
Verwaltung Kroatiens und Dalmatiens, die er bisher statt des unmün
digen Königs Stephan geführt hatte, wurde Stephan Subich (lies Schu-
bitsch) übergeben. Klugheit und Verdienst erwarben diesem Manne
die Liebe des Volks und die Gunst des Königs, der ihm schon früher
die Grafschaften Brebir und Lika in Kroatien als erbliches Eigenthum
geschenkt hatte. 2 Auch das wichtige Amt, das ihm jetzt übertragen
ward, verwaltete er rühmlich; er beruhigte die Eifersucht und Zwie
tracht, die unter den Seestädten Dalmatiens herrschte, beförderte den
Handel und Wohlstand des Landes und legte die Stadt Jablanacz an,
der er wichtige Privilegien unter der Bedingung verlieh, daß sie zu
ihrem Grafen immer einen Ungar wähle. 3 Schon seine nächsten Nach
kommen , die Grafen von Brebir, gehörten zu den mächtigsten und zu
gleichDie
unbändigsten
Gerüchte von
Dynasten
dem bevorstehenden
Ungarns. Einfall der Mongolen er

wiesen sich als falsch, und Bela gewann freie Hand, sich in die Strei
tigkeiten, die über die Erbfolge in Oesterreich und Steiermark ent
standen waren, einzumischen und Ansprüche auf die herrenlosen Län
der zu erheben. Vermöge der außerordentlichen Vorrechte, welche
Kaiser
1 Engel,
Friedrich
Geschichte
I. 1156desden
ungarischen
Babenbergern
Reichs,verliehen
III, 221 hatte,
fg., ließwar
sichOester-
durch

die Aehnlichkeit des Namens verleiten, dieses Banat in Kroatien, wo jetzt


Machowo im agramer Comitat liegt, zu suchen. Timon, Imago Hungar. Novae,
S. 23. — 2 Urkunde bei Lucius, Lib. IV, c. IX, p. 285. — 3 Urkunde bei
Lucius, a. a. O., S. 287.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 3|j5

reich in der männlichen Linie dieses Hauses erblich; falls kein männ
licher Erbe da wäre, sollte die Tochter des letzten Herzogs nachfolgen,
und wenn dieser auch keine Tochter hätte, stand es ihm frei, seinen
Nachfolger zu ernennen. Friedrich der Streitbare hatte keine Kinder
und starb ohne Verfügung über die Nachfolge. Nach den Gesetzen
des deutschen Reichs hätten daher Oesterreich und Steiermark an das
selbe heimfallen sollen; Kaiser Friedrich zog auch beide Herzogthümer
als erledigte Reichslehen ein und setzte über sie den Grafen Otto
von Ebersberg zum Statthalter. Dagegen glaubte der böhmische
Kronprinz Wladislaw, als Gemahl von Friedrich's Nichte Gertrud, die,
wie gesagt, die Tochter des ältern Bruders Heinrich war, zur Erbfolge
berechtigt zu sein, und wurde auch von einem Theil der Landstände
als Herzog anerkannt. 1 Er starb jedoch schon am 16. Jan. 1247 kin
derlos, und seine Witwe Gertrud war zu ohnmächtig, ihr Recht geltend
zu machen. Der Markgraf von Meißen, Heinrich, Gemahl von Fried
rich's Jüngerer Schwester Constantia, und ihre noch unmündigen Söhne
Albrecht und Dietrich wurden anfangs kaum berücksichtigt. Aber das
nächste Recht, wenn die weibliche Nachfolge überhaupt anerkannt
wurde, hatten Margarefha, die älteste Schwester Friedrich's, Witwe des
römischen Königs Heinrich, der, wegen Aufruhrs gegen seinen Vater
Kaiser Friedrich II. abgesetzt, im Gefängnisse zu Messina 1242 ge
storben war, und ihre Söhne Friedrich und Heinrich. Der Kaiser nährte
daher auch den Vorsatz, den erstem mit den Herzogthümern zu be
lehnen, zögerte jedoch mit der Ausführung desselben zu lange. Außer
dem machte der böhmische König Wenzel I. Ansprüche auf einige
Theile Nordösterreichs, die ihm Friedrich, als er unter der Reichsacht
stand, 1236 abgetreten hatte. Der Herzog Otto von Baiern wollte das
Land Ob der Enns , das bis 1156 zu seinem Herzogthume gehört
hatte, wieder mit dem „Mutterlande" vereinigen. König Bela hoffte,
wo nicht die ganze, so doch einen großen Theil der reichen Verlassen
schaft an sich zu bringen. Er hatte freilich nicht das geringste Recht
darauf; dagegen lag.es im Interesse Ungarns, zuerst zu hindern', daß
nicht der mächtige Kaiser sein unmittelbarer Nachbar werde , und so
dann auch im Westen die natürliche, durch Gebirgszüge gesicherte
Grenze zu erwerben. Allein Bela steckte sein Ziel zu weit und schlug
Wege ein, auf denen nichts zu erreichen war. Endlich mischte sich
noch Papst Innocentius IV. in den Erbfolgestreit. Einst, als Cardmal
Sinibaldi Fieschi von Lavagna, Kaiser Friedrich's Freund, seit er Papst
geworden, dessen unversöhnlicher Feind, hatte er schon durch die
Synode von Lyon 1245 die schrecklichsten Flüche über ihn aussprechen
und ihn aller seiner Kronen verlustig erklären lassen, darauf einen
Theil der deutschen Stände bewogen, den Landgrafen von Thüringen,
Heinrich Raspe, und nach dessen Tode 1247 den Grafen Wilhelm von
Holland zum König zu wählen; jetzt bot er alles auf, ihm Oesterreich
und Steiermark
1 Da
Goldene
Bela diese
Chronik
zu Gesinnungen
entreißen.
in Hormayr's
des Papstes
Archiv, 1827,
kannte,
S. auch
439. bereits mehrere
396 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Beweise von dessen Wohlwollen erhalten hatte, rief er schon gegen


1246 Ende des Jahres 1246 seine Hülfe zur Erwerbung Oesterreichs an. 1
Innocentius schien anfangs nicht abgeneigt, die Absichten Bela's zu
unterstützen, und mahnte den Gegenkönig Wilhelm, sich mit Bela zu
verbünden 2, änderte jedoch bald seinen Plan, forderte Margaretha auf,
das Kloster zu Würzburg, in welchem sie seit längerer Zeit lebte, zu
verlassen, nach Oesterreich zu gehen und ihre Rechte geltend zu
machen ; er wollte sie zuerst an Wilhelm und sodann an einen Bruder
des Markgrafen von Meißen verheirathen , aber beide lehnten die ihnen
zugedachte, schon etwas betagte Braut ab. Nachdem der Anschlag,
Margaretha oder eigentlich dem Gemahl der wieder heirathslustigen
Frau Oesterreich zuzuspielen , auf diese Weise mislungen war , richtete
Innocentius seine Augen auf den Markgrafen von Baden, Hermann, der,
unlängst mit Gertrud vermählt, auch bald zahlreiche Anhänger unter den
Ständen Oesterreichs gewann. Unterdessen hatte Bela mit Herzog Otto
1248 von Baiern ein Bündniß geschlossen, infolge dessen er 1248 in Steier-
, mark einfiel, während der Herzog Oesterreich angriff. Der Papst for
derte beide auf, die Länder, die bereits Hermann zu ihrem Herzog er
1249 im
wählt
folgenden
hätten, Jahre
in Frieden
den Krieg
zu lassen;
und plünderte
aber Bela die
gehorchte
Besitzungen
nicht, derer,
erneuerte
die

es mit Hermann hielten. Steiermark vertheidigte der kaiserliche Statt


1250 halter
von Hermann
mit Erfolg;
geführt,
daher
verheerend
faßten auch
in Ungarn
die Oesterreicher
ein, was Bela
Muth1250
undrächte,
fielen,

indem er Oesterreich durch seine Kumanen bis Mariazell greulich ver


wüsten ließ. So lud er den Haß des Volks auf sich, dessen Beherrscher
er werden wollte. Weit klüger benahm sich König Wenzel; er ver
barg die Absichten auf Oesterreich, die er insgeheim nährte, und suchte
sich dort beliebt zu machen, trat mit dem Schein uneigennützigen Wohl
wollens
In als
dieser
Vermittler
ungewissen,
auf und
verwirrten
bewog Bela,
Lagesein
befanden
Heer heimzurufen.
sich die Dinge,
3

als Hermann am 4. Oct. 1250 starb.4 Bald darauf den 13. Dec. be
schloß auch Kaiser Friedrich II. sein kämpfe- und thatenvolles Leben
zu Fiorentino in Apulien. Nach seinem Testamente sollte Friedrich,
sein Enkel und Margaretha's Sohn, Oesterreich und Steiermark zu Lehen
empfangen: aber auch dieser, verlor das Leben, noch ehe er in das ihm
zugedachte Land kam. 6 Der römische König Konrad IV. hatte genug
mit seinem Gegner Wilhelm zu kämpfen und konnte daher die An
sprüche des Reichs auf Oesterreich nicht behaupten. Herzog Otto von
Baiern hatte sich gleich nach Hermann's Tod des Landes ob der Enns
bemächtigt,
1 Der Brief
aberdes
durch
Papstes
die bei
Räubereien
Fejer, IV, seiner
i, 458.Kriegsscharen
— 2 Der Brief den
des Haß
Pap

stes an Wilhelm vom 29. Jan. 1247, bei Fejer, Cod. dipl., IV, i, 459. —
3 Pernoldus, bei Hanthaler, Fasti Campil. , I, 1320 fg. Horneck, Chron. von
Oesterreich, bei Pez, III, 26 fg. Chron. Mellicense, bei Pez, I. Chron.
Augustense, bei Freher, I. — * Dieselben. — 5 Spinelli, bei Muratori Script,
rer. Ital., VII, 1067. Chron. Siciliae anonym., bei Martene et Durand.,
Thesaurus Anecdot., III, 13. Chron. Salisburg., bei Pez, I, 362. Chron.
August., bei Freher, I, 523.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 397

der Oesterreicher auf sich geladen, und wurde zu Anfang des Jahres
1251 zum Rückzug genöthigt, weil Wenzel mit starker Macht nach
Baiern einrückte. x Innocentius kam wieder mit einem Heirathsplan
dazwischen, nach jvelchem Margaretha sich mit Florenz, Grafen von
Holland, des römischen Gegenkönigs Wilhelm Bruder, vermählen und
dieser sodann Herzog von Oesterreich werden sollte; allein Margaretha
sowolDaalswurden
die Oesterreicher
es die Stände
verwarfen
Oesterreichs
den Antrag.
endlich
2 müde, dem ränke

vollen Streit um ihr Land wie um ein herrenloses Gut länger un-
thätig zuzusehen und sich geduldig bekriegen und plündern zu lassen;
sie versammelten sich zu Trübensee bei Tuln 1251 zur Wahl eines 1251
Landesherrn. Bela und der bairische Herzog hatten sich verhaßt ge
macht; Margaretha aber war kinderlos, der Sohn Gertrudens, Fried
rich, unmündig, die Herrschaft einer Frau den Begriffen jener Zeit,
die Regierung eines Unmündigen den Bedürfnissen des Landes nicht
angemessen; die Wahl fiel daher auf die Söhne von Friedrich's Schwe
ster Constantia, der bereits verstorbenen Gemahlin des Markgrafen Hein
rich von Meißen. Aber schon hatte König Wenzel von Böhmen durch
Beweise des Wohlwollens gegen Oesterreich und durch Freigebigkeit
eine mächtige Partei für sich gewonnen. Es wurden zwar Abgeordnete
nach Meißen geschickt, um einen der Söhne Constantia's, Albrecht und
Dietmar, als Herzog zu berufen ; allein sie ließen sich, als sie nach Prag
kamen, von König Wenzel leicht bewegen, ihre Reise nicht weiter fort
zusetzen, sondern heimzukehren und den Ständen seinen Sohn Ottokar
zu empfehlen. Nun begannen geheime Unterhandlungen, bis endlich
eine Gesandtschaft der Stände Wenzeln die Wahl seines Sohnes an
zeigte ; worauf dieser , mit reichen Schätzen, die alten Freunde zu be
lohnen und neue zu erkaufen, ausgerüstet, nach Oesterreich ging und zu
Wien am 12. Dec. die Huldigung der Stände empfing. Um sich den
Besitz Oesterreichs noch überdies durch das Erbrecht zu sichern, ver
mählte er, der dreiundzwanzigjährige Mann, sich mit der siebenund
vierzig Jahre alten Margaretha zu Haimburg am 8. April 1252. 3
Papst Innocentius, das Recht immer nach den Umständen messend, er
klärte jetzt Margaretha, wie früher Gertrude, für die rechtmäßige Erbin
Oesterreichs, und sie übertrug feierlich alle ihre Rechte auf ihren jungen
Gemahl. 4
Steiermark war erst seit dem Tode seines letzten Herzogs Ottokar
1186 an das Haus der Babenberger gefallen; die Steiermärker glaubten
daher mit Recht, nach dem Aussterben desselben sei auch das Band
aufgelöst, ,welches sie durch den gemeinschaftlichen Landesherrn mit
Oesterreich verknüpfte, und wählten daher ihrerseits Heinrich, den
zweitgeborenen Sohn des bairischen Herzogs Otto, der Bela's Tochter
Elisabeth
1 Chron.
zur Garstense
GemahlinM.hatte,
S., bei
zumRauch,
Herzog.
Oesterr.
WeilGeschichte,
aber BelaIII,
wünschte,
82. —

neck,
2 Pernoldus
a. a. O.
ad atfn.
Arnpek,
1250,Chron.
a. a. O.,
Austr.
1321.
, bei—Pez,
3 Pernoldus,
I, 1219. —a. 4a. Epist.
O. Hor-
In-
nocentii IV. ad Epp. Frisiug. et Seccov. ; bei Calles, Annaleä Austr., II, 315,
Note B. Vgl. für das Ganze Rauch, Oesterr. Geschichte, III, 84.
398 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

daß Steiermark seinem Sohn, dem Jüngern König Stephan, zutheil


werde, und Heinrich sieh zu schwach fühlen mochte, sich im Besitze des
Landes zu behaupten, lehnte dieser die Wahl zu Gunsten seines Schwa
gers ab. Die Geschenke und Verheißungen des Königs wogen so
schwer, daß es seinen Gesandten wenig Mühe kostete, die mächtigsten
1252 der
kam steirischen
1252 nachLandstände
Ungarn und fürlud
ihnden
zu Jüngern
gewinnen.
König
Eine
zurGesandtschaft
Uebernahme

des Herzogthums ein jauch Gertrud, welcher Bela Roman, den Sohn des
galizischen Fürsten Daniel, zum Manne geworben hatte, übertrug aus
Dankbarkeit alle ihre Rechte auf Stephan. 1 ,
Aber weder Ottokar noch Bela wollte sich mit dem einen Lande
begnügen; jeder strebte nach beiden. Das freundschaftliche Verhältniß,
das bereits seit länger als hundert Jahren zwischen den Beherrschern
Ungarns und Böhmens fast ohne Unterbrechung bestanden hatte, wurde
hierdurch zerrissen und ein langwieriger, verhängnißvoller Kampf be
gann. Ottokar rückte in Steiermark ein und zwang die Städte bis nach
Grätz hin, ihm zu huldigen; Bela ließ um dieselbe Zeit ein Heer in
Oesterreich und ein zweites in Mähren einfallen , die auf schwachen Wi
derstand stießen, da Ottokar abwesend, Wenzel zum Krieg nicht ge-
/|ur|j^K*' rüstet war; das tmgftrioohe insonderheit drang bis nach Tuln vor. Die
Chronisten erzählen mit Entsetzen, welche Verheerungen die unga
rischen Truppen, besonders die Kumanen angerichtet, wie sie Tausende
von Menschen ohne Unterschied des Standes, Geschlechts und Alters
mit sich fortgeschleppt haben'2; aber keine Stadt ward eingenommen
1253 und keine
Im folgenden
bleibendeJahre
Eroberung
1253 gemacht.
schickte Bela leichte Reiterei, meisten-

theilsKumanen, nach Mähren, die, alles verheerend, vordrangen und am


25. Juni bereits vor Olmütz standen, während von der andern Seite
seine Schwiegersöhne und Bundesgenossen, Herzog Boleslaw von Polen
und König Daniel von Galizien, nebst dem Fürsten von Oppeln Wla-
dislaw einbrachen. Der Zweck dieses Unternehmens, den böhmischen
König Wenzel zu hindern, daß er seinem Sohne Ottokar Hülfe leiste,
wurde vollständig erreicht; Wenzel sah sich genöthigt, Böhmen und
seine Hauptstadt Prag zu decken. Bela selbst führte Ende Mai ein
mächtiges Heer, 80000 Mann stark soll es gewesen sein, gegen Ottokar
nach Steiermark, drängte ihn aus dem Lande, zog die abgefallenen
Herren und Städte wieder auf seine Seite und rückte bis vor Wien.
Sein Eidam Heinrich mit den Baiern traf zu spät auf dem Kriegs
schauplatz ein, weil ihm der Erzbischof von Salzburg, Philipp, den Paß
durch sein Land verlegt und ihn gezwungen hatte, den weiten Umweg
durch das trienter Gebiet zu nehmen. Als er ankam, war bereits Waffen
ruhe eingetreten. 3

1 Pernoldus ad ann. 1251 — 52. Horneck, a. a. 0. — 2 Pernoldus,


a. a. O. Chron. Mellicense, Salisburg., Claustro-Neoburg., bei Pez, 240, 363,
461. Chron. Austr., bei Freher, I, 459. — 'Pernoldus ad ann. 1253, a. a. O.
Chron. Mellicense und Salisburg., bei Pez, I, 240, 364. Hermann. Abrah. an-
nales, bei Oefele, Script, rer. Bavar., I, 675. Pulkawa, bei Dobner,, Monu-
menta, III, 223. Contin. Cosmae Pragens., bei Pessiua, III, 6. Ob Bela

\
Aeußere Begebenheiten. Bela I\r. 399

In den letzten Tagen des Juli erschien nämlich der Franciscaner Ve-
lasco, des Papstes Beichtvater, als Legat und gebot, die Widerstrebenden
mit dem Banne bedrohend, Frieden. Noch kein Papst hatte die hoch-
müthigen Anmaßungen des römischen Stuhls so weit getrieben, wie In-
nocentius in den gleichlautenden Briefen an Bela, Wenzel und Ottokar;
„Wir vertreten", schreibt er, „nicht sowol eines bloßen Menschen, son
dern Gottes Stelle auf Erden durch des Plerrn Fügung stehen wir
der allgemeinen Weltregierung vor." l Bela gehorchte, schickte den
agramer Bischof Philipp und den Franciscaner Ecce an den Papst und
erklärte seine Bereitwilligkeit, Frieden zu schließen und die eroberten
festen Plätze dem Legaten bis zum Austrag der Sache zu überliefern,
wenn Ottokar dasselbe thun würde. 2 Auf diese oder ähnliche Be
dingungen kam der Waffenstillstand zu Stande,, aber die Friedens
verhandlungen wurden durch den am 22. Sept. erfolgten Tod Wen-
zel's I. unterbrochen. Ottokar ging zur Uebernahme der Krone und
Regierung nach Böhmen und sandte erst im folgenden Jahre Abge- 1254
ordnete nach Ungarn, die sich mit den Bevollmächtigten Bela's am
3. April über folgende Punkte einigten. Bela erhält den größern süd
lichen Theil Steiermarks vom Sömmering bis an die kärntner Grenze,
Ottokar den nördlichen, doch soll die Burg Schwarzenbach zu dem unga
rischen
reich, desgleichen
Antheil gehören.
OttokarBela
auf das
entsagt
übrige
allen
Steiermark;
Ansprüchenbeide
auf machen
Oester-

sich anheischig, die Erbinnen dieser Länder, jeder aus seinem Antheil,
in der Art zu befriedigen, daß Margaretha auf Steiermark und Gertrud
auf Oesterreich verzichte. Das Weitere werden die Könige bei «iner
persönlichen Zusammenkunft, die im Mai zu Presburg stattfinden soll,
ordnen. Am 1. Mai trafen sie einander in der genannten Stadt, be
stätigten die obigen Hauptpunkte, schlossen auch den Herzog von
Kärnten in den Frieden ein, und vereinbarten noch einige minder wich
tige Dinge, unter anderm, daß Ottokar auch den Titel eines Herzogs
von Steiermark
Bela vergabaufgebe.3
Steiermark an den Jüngern König Stephan, den die

Landesstände schon früher zum Herzog gewählt hatten, worauf dieser


seine Vermählung mit der kumanischen Elisabeth feierte und mit ihr
hinzog, um die Huldigung zu empfangen und dort Hof zu halten. Die
Regierung des in Parteien getheilten, zum Theil mit den Waffen er
worbenen Landes, dessen Zuneigung für den neuen Fürsten erst ge
wonnen werden mußte, glaubte der Vater dem funfzehnjährigen Jüng
ling nicht anvertrauen zu dürfen; er setzte ihm, bis er reifer an Alter
und Einsicht würde, den gewandten Stephan Subich, Grafen von Brebir
und
WienBanbelagert
Dalmatiens
habe, istund
zweifelhaft,
Kroatiensda, nur
als Regenten
Horneck, a.ana. die
O. , Seite.
Kap. 24,Aber
und

nach ihm der Continuator Mart. Poloni, bei Ecoard, Corpus hist. medii aevi,
I, 1421, dieses berichten, die übrigen zahlreichen Chronisten aber darüber
schweigen.
1 Epist. Innocentii, bei Dobner, Monumenta, II, 366. — ' Epist. I1mo-
centii ad electum Neapolitan., bei Katona, VI, 204. — 3 Die Urkunde bei
Kurz, Oesterreich unter den Königen Ottokar und Albrecht I., Beilage Nr. 1.
400 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ein Fehler, der schlimme Folgen hatte, war es, daß Subich zugleich
Ban der genannten Gebiete blieb ; die Angelegenheiten derselben nah
men seine Sorge und Gegenwart daselbst so stark in Anspruch, daß er
gezwungen war, mit königlicher Genehmigung den Landrichter Gott
fried von Marburg und den Landmarschall Friedrich von Petau zu sei
nen Stellvertretern in Steiermark zu ernennen 1; ihre Erhebung erregte
den Neid anderer Herren, und durch unkluge Führung des anvertrauten
AmtesInweckten
Dalmatien
sie Misvergnügen.
war die Ruhe nur äußerlich hergestellt; die Zwie

tracht der Seestädte glimmte noch immer unter der Asche fort und
wurde von den Venetianern genährt, die Vortheil daraus zogen und
erst kürzlich die Insel Curzola bewogen hatten, sich ihrer Herrschaft zu
unterwerfen. Durch solche Einmischung in die Angelegenheiten der
dalmatinischen Städte und durch die Erwerbung Curzolas hatte Venedig
den Vertrag von 1244, dem es den Besitz Zaras verdankte, gebrochen.
1254 Bela besuchte daher nach Abschluß des Friedens mit Ottokar 1254 Dal
matien , stillte die dort herrschende Gärung und sandte Stephan Obych
nach Venedig, die Rückgabe Zaras zu fordern. Da das Heer, welches
in Steiermark gekämpft hatte, bereit stand, der Forderung Nachdruck
zu geben, hielt es der Doge Renier Zeno für rathsam, Zara wieder an
Ungarn abzutreten. 2 Jetzt befand sich Bela auf dem Gipfel des ihm
beschiedenen Glücks; das ganze Küstenland Dalmatiens ehrte ihn als
Herrn, und der größte Theil Steiermarks, auf dessen Herzogsstuhl
sein Sohn und Nachfolger saß, schien bleibend mit Ungarn verknüpft
zu sein.
Aber das deutsche Reich hatte den mit Ottokar abgeschlossenen

Vertrag nicht gutgeheißen; die nationalen, bürgerlichen und kirchlichen


Bande, welche Steiermark an dasselbe knüpften, ließen sich nicht so
leicht auflösen; schwere Verwickelungen und Kämpfe waren voraus
zusehen, selbst wenn es der neuen ungarischen Herrschaft gelingen
würde, sich beliebt zu machen und im fremden Lande Wurzeln zu
schlagen. Aber dies war nicht der Fall. Sei es, daß die seit einer
Reihe von Jahren jedes Gehorsams entwöhnten steirischen Herren über
haupt keine Regierung, die sie zügelte, vertragen konnten, oder daß
die Verwaltung des Regenten und seiner Stellvertreter wirklich unvolks-
thümlich und drückend war: es entstand bald Unzufriedenheit mit der
ungarischen Herrschaft; eine mächtige Partei verrieth Neigung, sich
derselben zu entziehen, und der ländersüchtige Ottokar ließ kein Mittel
unversucht, den Aufruhr zu nähren. 3 Zum hellen Ausbruch desselben
gab ein Streit auf kirchlichem Gebiete Veranlassung. Zu der salzburger
Erzdiöcese gehörten auch Steiermark und Baiern. Philipp, des kärnt-
ner Herzogs Ulrich Bruder, ohne Beruf und wider seinen Willen dem
geistlichen Stand gewidmet und 1246 durch Bestechung zum Erzbischof
von 1Salzburg
Die Urkunde,
erwählt,
bei Katona,
verschmähte
VI, 254.zehn
— 2Jahre
Das Diplom
hindurch
Bela's
dievom
höhern
Jahr

1254, bei Pray, Hist. reg. Hung., I, 246, Note b. — 3 Horaeck, Kap. 48,
a. a. O. Mariguol, bei Dobner, II, 213.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 401

Weihen und ärgerte die Welt durch Ausschweifungen, Hochmuth und


Kriegslust. Deshalb belegte ihn Papst Alexander IV. 1256 mit dem 1256
Bann, und das Domkapitel wählte statt seiner den seckauer Bischof
Ulrich. Hierauf kam es zwischen den beiden Erzbischöfen zum blu
tigen Kampf, in welchem Ottokar und der kärntner Herzog für Philipp,
der Herzog von Baiern und Bela, als Beherrscher Steiermarks, für
Ulrich Partei ergriffen. Mehrere der steirischen Herren, Genossen von
Philipp's Gelagen und Raubzügen, nahmen es höchst übel , daß sie von
den Landesverwesern abgehalten wurden, auf dessen Seite zu kämpfen. 1
Ottokar erlitt zwar, als er 1257 in Baiern einfiel, bei Mühldorf eine 1257
schwere Niederlage und mußte sich zu einem nachtheiligen Frieden be
quemen 2; aber der Krieg um das Erzbisthum dauerte fort; böhmische
Truppen kämpften in Salzburg und Kärnten nach wie vor für Philipp.
Daher sandte 1341a im folgenden Jahre ein ungarisches Heer nach 1258
Kärnten, welches dort große Verheerungen anrichtete; Ottokar erklärte '
dieses für einen Bruch des Presburger Friedens, in dem auch der Her
zog von Kärnten einbegriffen sei, und forderte Genugthuung 3; der
KriegMehr
der beiden
bedurfte
Könige
es nicht,
standum
in die
naher
Unzufriedenen
Aussicht. in Steiermark zum

Aufstand zu ermuthigeu, wenn Ottokar sich auch nicht in Einverständniß


mit ihnen gesetzt und sie aufgehetzt hätte, wie er es that. Vergebens
rief Bela den BanSubich ab und stellte zuerst Kadold von Lindau, so
dann den Grafen Ambold, einheimische Herren, an die Spitze der Re
gierung: die Gärung wuchs von Tag zu Tag. Da übernahm Subich
abermals die Statthalterschaft und versuchte es, den Aufstand mit den
Waffen zu bekämpfen. Er kehrte den Angriff gegen das Haupt des
selben, Seifried von Mehrenberg, und belagerte dessen gleichnamige
Burg; aber Hartneid von Pettau sammelte die Parteigenossen und be
siegte den Ban, der nur mit genauer Noth der Gefangenschaft entging.
Hierauf führte Bela selbst, von dem Jüngern König begleitet, ein Heer
vor Pettau, wo sich Hartneid mit seinen Gefährten eingeschlossen
hatte. Während der Belagerung kam Erzbischof Ulrich herbei und be-
wog die Aufständischen, sich zu unterwerfen und die Stadt zu über
geben, die Könige aber, das Geschehene zu verzeihen. Stephan trat
nun selbst die Regierung Steiermarks an, schlug seine Residenz in
PettauUmaufdiese
und Zeit
gelobte,
erschien
jeder am
gegründeten
ungarischen
Beschwerde
Hofe eineabzuhelfen.
Gesandtschaft
* 1259

Nogai's, des Mongolenkhans in Kaptschak, die den Vorschlag zu einem


Familien- und Waffenbündniß überbrachte. Der König sollte entweder
eine seiner Töchter dem Sohn des Khans zur Gemahlin geben, oder
sein jüngerer
1 Hansiz, Sohn
Germ, eine
s., II,Tochter
347 fg. des
Chron.
KhansSalisburg.
zur Frauad nehmen;
ann. 1255,sodann
1256,

und Horneck, Kap. 46, bei Pez, I. — 2 Chron. Hermanni Altah., bei Oefele,
I, 678. Augustense, bei Freher, I, 532. Contin. Cosmae Pragens., bei Pertz,
IX, 175. Chron. Bavar. incerti auctoris, bei Pez, II, 77. — 3 Contin. Cos
mae Pragens., a. a. 0. Chron. Anstral., bei Freher, I, 460. — 4 Diplomat.
Stir., II, 184, bei Katona, VI, 234. Horneck, Kap. 48, a.a.O. Chron. Per-
noldi ad ann. 1257 — 58.
Eeßlet. I. ' 26
402 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

sollte der Sohn des Königs mit dem vierten Theil der ungarischen
Kriegsmacht zu dem Heere der Mongolen stoßen und mit ihnen gemein
schaftlich die Länder des Abendlandes bekriegen. Dagegen versprach
der Khan, ein Fünftel der Beute und der Eroberungen dem Könige zu
überlassen, Ungarn mit Einfällen zu verschonen, keinen Tribut zu for
dern und höchstens hundert Gesandte zu schicken; würde aber der
freundschaftliche Antrag verworfen, so werde er furchtbare Rache neh
men. Hätte Bela auch nicht begriffen, daß er durch die Annahme die
ses Bündnisses ein Vasall der Mongolen würde und die ganze Christen
heit gegen sich aufbrächte: so mußte ihn schon sein sittliches und reli
giöses Gefühl bewegen, dasselbe abzulehnen, selbst wenn er sich da
durch der Gefahr eines Kriegs mit den wilden Horden aussetzte.
Darum zögerte er keinen Augenblick und entließ die Gesandten mit ab-
," schlägiger Antwort. Aber er schickte auch sogleich den stuhlweißen-
yl.> burger Propst Paullus an Papst Alexander \H., um diesem zu berichten,
was geschehen sei, und dessen Beistand nebst Abstellung gerechter Be
schwerden zu erbitten. Er hoffe, das ließ er unter anderm vortragen,
der Papst und die Fürsten Europas würden ihn und sein Land diesmal
nicht wie 1241 den Mongolen ohne Hülfe preisgeben, und den Papst
selbst bitte er, künftighin durch Geldforderungen, durch unberechtigte
Ernennungen zu geistlichen Würden und besonders durch das Auf
dringen ausländischer Priester die ungarische Nation dem Heiligen Stuhl
und der Religion nicht zu entfremden , sie nicht dem Bündnisse mit den
Mongolen geneigt zu machen. Wie sehr sich der Papst durch die bit
tern Vorwürfe getroffen fühlte, bezeugt der Inhalt und Ton seiner
Antwort. Er gestattete dem König, von den Einkünften der unga
rischen Geistlichkeit, die Cistercienser und geistlichen Ritterorden aus
genommen, den fünften Theil zu erheben, sicherte Ungarn den Bei
stand des Papstes und der christlichen Fürsten zu, wenn die Mon
golen einbrechen sollten, und versprach, in Zukunft von ungebührlichen
Geldforderungen und von der Besetzung geistlicher Pfründen mit Aus
ländern abzustehen, „wiewol es vielleicht kein zweites Reich in der
Welt gebe, welches sich in dieser Hinsicht weniger zu beklagen Ur
sache hätte als Ungarn". x
Von den Mongolen blieb Ungarn verschont, aber durch die ver-
hängnißvolle Besitznahme Steiermarks brachte Bela selbst schweres
Unglück über sich und über sein Reich. Die ungarische Herrschaft
konnte in dem fremden Lande nicht heimisch und beliebt werden; un
geachtet der letzthin geschlossenen Versöhnung dauerten dort das Mis-
vergnügen, die Unruhen und Fehden fort, die alle Verhältnisse zer
rütteten und das Regieren unmöglich machten. Um den drückenden
1259 Uebeln abzuhelfen, berief Stephan gegen Ende des Jahres 1259 die
Landesstände zu einer Berathung nach Pettau; aber böswillige Partei
gänger Ottokar's verbreiteten das Gerücht, er wolle die Besten des
Volks1 Epist.
nur hinlocken,
Alexandri um
IV. sie
ad Belam,
in seine14.
Gewalt
Oct. 1259,
zu bekommen,
bei Raynaldus,
in Fesseln
Annal.

eccl. ad ann. 1259, Note 33, epist. 191.


Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 403

zu schlagen und morden zu lassen. Sie fanden Glauben ; von Argwohn


und Zorn bethört, schickten die steirischen Herren und Städte Gesandte
an Ottokar und boten ihm die Herrschaft über ihr Land an. Der König
nahm den ,willkommenen Antrag an und versprach ihnen Schutz und
Beistand. Hierdurch ermuthigt, ergriffen die Steiermärker die Waffen
und vertrieben binnen elf Tagen die ungarischen Besatzungen aus dem
Lande; nur Pettau, wo Stephan residirte, konnten sie nicht nehmen.
Zum Weihnachtsfest kam Ottokar nach Grätz, ließ sich zum Herzog
ausrufen, empfing die Huldigung der Stände und bestellte Wok Rosen
berg, Schon
den Landmarschall
in den erstenBöhmens
Tagen des
, zumFrühlings
Landeshauptmann.
1260 strömten
1 große 1260

Heerscharen des ungarischen und böhmischen Königs nach den Grenzen.


Stephan zog Verstärkungen aus Ungarn an sich, um die vorjährige
Niederlage zu rächen und Steiermark wieder seiner Herrschaft zu
unterwerfen; Otto von Hardeck führte böhmische und österreichische
Truppen
einander den
zu beiden
Steiermärkern
Seiten der
zuMarch
Hülfe. gegenüber.
Bela und Ottokar
Aber rauhes
selbstWetter
traten v

und Futtermangel bewogen sie, Waffenstillstand bis zum 24. Juni zu


schließen. Beide benutzten denselben, ihre Streitmacht zu verstärken.
Bundesgenossen Bela's wurden: der König von Galizien und Süd
rußland, Daniel Romanowitsch , die Herzoge Boleslaw der Schamhafte
von Krakau, Lesko und Simon von Lancicz; das gesammte Heer
mochte bei 100000 Mann stark sein.2 Mit Ottokar verbanden sich:
Otto, Markgraf von Brandenburg, die Herzoge Ulrich von Kärnten,
Heinrich von Breslau und Wladislaw von Oppeln , sammt dem Erz
bischof Philipp von Salzburg; sein Heer wird ebenfalls auf 100000 Mann
angegeben, worunter sich 7000 gepanzerte Reiter befanden. Das
deutsche Volk betrachtete ihn als den Vertheidiger des Reichsgebiets ;
man betete
Am letzten
selbst Tage
am Rhein
des Waffenstillstandes
für seinen Sieg. 3 lagerte das ungarische

Heer bereits schlagfertig am diesseitigen Ufer der March, zwei Stunden


oberhalb Presburg. Jenseit besetzten der olmützer Bischof Bruno und
die schlesischen Herzoge das ebene Marchfeld ; der Markgraf von Bran
denburg
1 Arnpeck,
und die
bei Grafen
Pez, I, von
1220.Hardeck
Horneck,mit
Kap.Oesterreichern
52, 53, a. a. O.undPernoldns
Steier-

ad ann. 1259. Contin. Cosmae Prag., bei Pertz, IX, 175. — 2 Monachus
Padnanus, bei Urstisius, I, 613. Die Chronisten geben die Zahl verschieden
an. Chron. Augustense setzt sie auf 40000, Anonym. Leobiens. auf 140000,
Arnpeck sogar auf 200000. Um die Größe des ungarischen Heeres recht
anschaulich zu machen und dadurch den Sieg Ottokar's um so mehr zu ver
herrlichen, zahlen sie eine Menge von Nationen auf, deren Krieger mit Bela
kämpften, Szekler , Bissener, Kumanen, Walachen, Griechen u. s. w.; diese
Nationen waren jedoch Einwohner Ungarns oder seiner Nebenländer und lie
ferten für jeden Krieg ihre Contingente; die Mongolen und Tataren aber,
die von ihnen ebenfalls erwähnt werden, hatte nicht Nogaikhan geschickt,
wie Palacky glaubt, sondern Daniel, der "Vasall der Mongolen, mit sich ge
bracht; Bela hatte ja Nogai's Anträge zurückgewiesen und ihn dadurch be
leidigt. Feßler läßt als Kampfgenossen der Ungarn sogar Zigeuner auftreten,
die doch erst ungefähr 200 Jahre später nach Europa kamen. — 3 Palacky,
Geschichte von Böhmen, 2. Abdruck, II. II, 173.
404 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

märkern standen bei Laa; die Mitte zwischen beiden nahm Ottokar mit
den Böhmen ein. Am 26. Juni setzte der Jüngere König Stephan mit
10000 leichten Reitern unweit Drößing über die March, blieb im Ameis
thal stehen und schickte eine Schar Kumanen gegen Staats, die bis an
die Mauern der Stadt drangen, ihre Bogen abschossen und nach kurzem
Kampf den Rücken kehrten. Darüber entstand Tumult im feindlichen
Lager; die Grafen Otto und Konrad von Ilardeck, Kudold der Weise,
Ulrich Kraft von Schleunz setzten mit einigen hundert Mann den Flie
henden unvorsichtig bis in die Schluchten des Ameisthals nach, wo sie
von den Ungarn umzingelt und beinahe sämmtlich niedergemacht wur
den. Ottokar saß gerade bei Tisch, als er Nachricht von dem Gefechte
erhielt; sogleich eilte er den Seinen zu Hülfe, kam aber zu spät; er
fand auf dem Kampfplatze nur die Leichen der Gefallenen und sab den
Sieger bereits jenseit des Flusses. J
Dieses Vorspiel des Kriegs, welches so vielen der tapfersten
Streiter das Leben kostete , erzeugte im böhmischen Lager die größte
Entmuthigung ; mehrere Bundesgenossen wollten dasselbe verlassen,
und Ottokar selbst wäre umgekehrt, wenn ihn die Furcht vor Gefahr
und Schande nicht zurückgehalten hätte. Wäre Bela ein Feldherr ge
wesen, so würde er diesen Augenblick der Bestürzung benutzt, die
Feinde rasch angegriffen ,und wahrscheinlich besiegt haben. Er that
es nicht. Nach einigen Tagen hatten sich diese von ihrem Schrecken
wieder erholt, und die Führer beschlossen nun, ihre Kriegsvölker auf
dem Marchfelde zusammenzuziehen. Am Morgen des Sonntags, 4. Juli,
hörte das ganze Heer Messe und betete um Sieg; Ottokar gelobte, ein
Kloster zu bauen; er und die andern Fürsten schworen, in Zukunft mehr
Gerechtigkeit zu üben und bessere Münzen prägen zu lassen. Nach
beendigter Andacht zog das Heer in das Marchfeld ; das Centrum be
setzte die Anhöhen desselben zwischen dem Weidenbach und Nußbach,
der rechte Flügel dehnte sich bis an die Donau, der linke bis gegen
AngernSo und
standen
Matzen
sichaus.
die Heere einige Tage gegenüber, keines wollte

im Angesicht des andern den Uebergang über die March wagen. Otto
kar insonderheit scheint wenig Siegeszuversicht gehabt zu haben. In
seinem Lager war Mangel, so sehr sich auch der wiener Bürgermeister
Rüdiger Paltram anstrengte, Lebensmittel in dasselbe zu schaffen; er
ließ daher den ungarischen Königen Friedensvorschläge machen, und
als diese zurückgewiesen wurden 2, sandte er Otto von Meissau mit dem
Antrag hinüber , daß entweder er das Ufer der March räumen und den
Ungarn ungehinderten Uebergang gestatten wolle, oder daß sie sich
zurückziehen und ihm den Weg über den Fluß öffnen sollten, damit
endlich die entscheidende Schlacht geliefert würde. Den Ungarn ge
fiel der Antrag und sie wählten am 11. Juli das erstere, ohne zu be
denken,
1 Chron.
daß Bohem.,
sie sich II,
der72,Worttreue
bei Ludewig,
eines
Reliqu.
listigen
MS.,Feindes
XI. Chron.
blindlings
Clau-

stro-Neoburgens., Salisburg., Anonym. Leobiens., bei Pez, I, 462, 367, 325.


Pernoldus, bei Hanthaler, Fasti Capil., S. 1324 u. a. m. — 2 Epist. Ottokari
ad Alexandrum pp., bei Katona, VI, 314.
Aeußere Begebenheiten.' Bela IV. 405

überließen, und daß der Fluß ihnen den Rückzug sperrte, wenn sie
geschlagen würden; am 13. zu Mittag sollte die Schlacht beginnen, bis
dahin Waffenstillstand sein; die Uebereinkunft ward von beiden Seiten
beschworen.
Schon am 12., wie Ottokar, über Verrath klagend, dem Papst

schreibt J und das Chronicon Augustense berichtet, nach der Aussage


der meisten Chronisten aber erst am 13. vor Anbruch des Tags setzten
König Stephan und der Anführer der Kumanen, Alpra, mit dem Vor
trab unweit Schloßhof über die March; das übrige Heer folgte und
nahm nach und nach bei Kressenbrunn Stellung. Aber gleichviel, ob
die Ungarn am 12. oder 13. über den Fluß zu setzen anfingen —
Ottokar hatte sein Heer nur zum Schein auf geringe Entfernung zurück
gezogen. 'Dwifl Bela selbst stand noch mit einem großen Theil seines
Heers im Lager auf dem linken Ufer des Flusses und Stephan hatte
denselben kaum überschritten, als er schon auf das böhmische Centrum
stieß. Nicht entmuthigt durch den unerwarteten Anblick, stürzten sich
seine leichtbewaffneten Reiter im Halbkreis auf den schwerfälligen
Feind und brachten ihn durch den raschen Angriff in Unordnung; die
Reihen desselben wankten und lösten sich auf, nur die geharnischte
Reiterei hielt stand, bis frische Heerhaufen, die, wie gesagt, in der
Nähe bereit standen, herbeikamen. Nun werden zuerst die Kumanen
von zwei Seiten gefaßt; die böhmischen Eisenritter gewinnen Raum
zum Angriff und werfen durch die Wucht desselben alles vor sich nie
der; Stephan muß schwer verwundet das Schlachtfeld verlassen und
die führerlosen Ungarn fliehen in wilder Unordnung; zum Unglück be
gegnen sie den vorrückenden Abtheilungen ihres Heers, bringen auch
diese in Verwirrung und reißen sie mit sich fort in die Flucht; die Böh
men drängen die Fliehenden von allen Seiten, die March hält sie auf;
Tausende fallen durch das Schwert der Sieger, und Tausende finden in
den Wellen ihr Grab ; Bela sieht mit Entsetzen den schrecklichen Un
tergang seines Heers und flieht mit den Trümmern desselben in das
Innere des Reichs; sein Lager mit allen Vorräthen und Schätzen wird
erbeutet
Hierund
suchte
Ottokar
ihn Palatin
dringt ohne
Lorant
Widerstand
(Roland)bis
auf,
Presburg.
um ihm2 die Frie

densvorschläge Bela's zu überbringen. Ottokar, der gleichfalls den


Frieden wünschte, bevollmächtigte zur Führung der Verhandlungen den
Gemahl seiner Schwester, Otto Markgrafen von Brandenburg, und den
Herzog Ulrich von Kärnten. Diese kamen mit dem Palatin auf fol
gende Bedingungen überein: Bela und Stephan entsagen allen An
sprüchen auf Steiermark , das sie an Ottokar abtreten, und ziehen die
Besatzung aus Pettau zurück. Zur Befestigung der Eintracht wird
Bela's
1 In
Jüngerer
demselben
Sohn
Brief.
Bela
— sich
2 Epist.
mit Ottokari
der Tochter
ad Alexandrum
Otto's von
IV.,Branden-
a. a. O.

Chron. Austrate und Augustense, bei Freher, I. Arenpeck und Haselbach,


bei Pez, I, 1221 u. II, 730. Horneck, Kap. 53, bei Pez, III. Contin. Cos-
mae Prag. , a. a. 0. Contin. Cosmae Prag, und aus diesem schöpfend Ma-
rignot und Pulkawa, bei Dobner, a. a. O. Pernoldus, a. a. O. Monachus
Paduan., bei Urstisius, I, 163. Thuroczy, II, c. 65.
406 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

burg und Nichte Ottokar's, Kunigunde, vermählen. Der Papst soll den
Vertrag bestätigen, und die Partei, welche denselben bricht, zahlt
11000 Mark Silber an die päpstliche Schatzkammer. Die Könige wer
den am künftigen Osterfest in Wien zusammenkommen, um das Frie
densinstrument zu unterschreiben und ein freundschaftliches Einver
ständniß zu begründen; bis dahin bleiben vier ungarische Barone als
Geiseln beim König von Böhmen. 1 Seine Mäßigung rühmend, schreibt
Ottokar an Alexander IV.: „Wiewol man allgemein glaubte, daß wir
jetzt Ungarn unserer Herrschaft unterwerfen könnten, erwogen wir
dennoch, daß es besser sei, die Freundschaft eines guten Nachbars zu
besitzen, als ihn feindselig zu vernichten; und da wir hofften, die Ver
söhnung mit unsern nächsten Verwandten werde zu einer desto innigem
Freundschaft mit ihnen führen, so wollten wir lieber die Bündnisse des
Friedens mit ihnen wiederherstellen, als durch Verwüstung und Schwä
chung des großen ungarischen Reichs den Tataren den Zugang zu die
sem und zu den Ländern unserer Herrschaft öffnen." 2 Aber außer den
Gründen, die er, sich selbst rühmend, anführt, mußte ihm schon eine
ganz gemeine Klugheit rathen, sich mit den errungenen wichtigen Vor-
theilen zu begnügen. Denn wenn es auch möglich gewesen wäre, das
große Ungarn mit seiner kriegerischen Bevölkerung zu erobern, so war
es doch unmöglich, sich im Besitze desselben zu behaupten; er hatte
genug zu thun, wenn er seine Herrschaft in Oesterreich und Steiermark
befestigen wollte; er wußte, daß viele der mächtigsten deutschen Für
sten mit Neid und Besorgniß auf ihn sahen, und welche Gefahren ihm
1260 daherWährend
ein langwieriger
1260 dieKrieg
gesammte
mit Ungarn
Streitmacht
bereiten
Ungarns
könnte.
im Nordwesten

so unglücklich kämpfte, benutzten die Bulgaren die günstige Gelegen


heit; sie überfielen und plünderten das südöstliche Grenzland. Doch der
heldenmüthige Ban von Szöreny, Meister Laurentius, der sich schon
mehrmals auf dem Schlachtfelde ausgezeichnet und Belohnungen für
seine tapfern Dienste empfangen hatte 3, raffte die waffenfähige Mann
schaft seines Gebiets zusammen, erreichte und schlug die Räuber und
stellte in diesen Gegenden Ungarns Ansehen und Einfluß schnell wie
1261 der her.
Gegen
4 Ende März 1261 reiste Bela mit der Königin Maria und

seinen beiden Söhnen nach Wien zu der im Friedensvertrage fest


gesetzten Zusammenkunft mit Ottokar. In seinem Gefolge befanden
sich seine Schwiegersöhne, der König von Südrußland Daniel Romano
witsch, und der macsoer Ban Rastislaw mit seiner Tochter Kunigunde,
der serbische König Stephan Urosch mit seinen Söhnen Dragutin und
Milutin und bei funfzig vornehme Herren. Hier wurde nicht allein der
durch den Papst bereits bestätigte Friedensvertrag von den ungarischen
Königen
1 Außer
undden
vonmeisten
Ottokar
derunterschrieben,
bereits in der vorhergehenden
sondern zugleich
Note ein
angeführten
zweites

Chronic. Claustro-Neoburgens., Mellicense, Zwetlense, bei Pez, I, 463, 241.


983. — 2 Epist. Ottokari ad Alexandrum IV. pp., a. a. O. — 3 Timon, Epi-
tome chronolog., S. 35. — 4 Die Schenkungsurkunde Bela's für Laurentius
bei Timon, Imago nov. Hung., Kap. 5, S. 26.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 407

Ehebündniß verabredet, welches sie von nun an in Freundschaft ver


garetha
einigen sollte.
keine Leibeserben
Ottokar konnte
hoffen;von
seinen
seiner
Sohnalternden
Nikolaus Gemahlin
und zwei Töch
Mar-

ter von einem Hoffräulein hatte der Papst zwar legitimirt, aber zugleich
für unfähig zur Thronfolge erklärt. Was halfen ihm seine Siege, wenn
mit ihm das alte Haus der Pfemysliden aussterben und das mächtige
Reich, das er mühsam zusammengebracht, wieder zerfallen sollte? Er
beschloß daher jetzt, wo seine Herrschaft über Oesterreich schon ge
sichert schien , sich von Margaretha zu scheiden und eine neue Ehe zu
schließen. Daß der Papst zu beidem seine Zustimmung geben werde,
durfte er getrost erwarten. Und da er sich im Westen bedroht sah,
mußte er wünschen, sich im Osten durch ein Bündniß mit dem unga
rischen Königshause zu decken. Er hielt also um die Hand Marga-
rethens, der Jüngsten Tochter Bela's, an. Da sich aber die zwanzig
jährige Jung/rau weigerte, das Kloster auf der Haseninsel oberhalb
Pesth (von ihr trägt sie jetzt den Namen der Margaretheninsel) , wo sie
von Kindheit an zur Nonne erzogen wurde, zu verlassen, verlobte
sich Ottokar mit der schönen Kunigunde, Eastislaw's Tochter und
Bela's Enkelin. Die Vermählung wurde am 25. Oct. zu Presburg ge
feiert und die junge Königin am Weihnachtsfeste in Prag mit großer
Pracht gekrönt. 1 Erst später, am 20. April 1262, bestätigte der Papst
durch eine Bulle die Trennung der vorigen und die Schließung der
neuen Ehe. 2 Um diese Zeit wurde auch des Jüngern Königs erst
geborene Tochter Katharina an Dragutin, des serbischen Königs Sohn,
verlobt.
Im 3Sommer desselben Jahres ward Ungarn abermals von einem 1261

Einfall der Mongolen ernstlich bedroht; sie waren in Polen ein


gebrochen, hatten die Gegend um Krakau und Sandomir verwüstet und
standen im Begriff, die Grenzen Ungarns zu überschreiten. Diese Ge
fahr war es hauptsächlich, was Bela bewog, sich mit Ottokar auf
richtig auszusöhnen und ihm seine Enkelin zu vermählen, noch bevor
er von seiner ersten Gemahlin rechtmäßig geschieden war. 4 Sobald
die Unholde von der Aussöhnung und dem Bündnisse der beiden mäch
tigen Könige Nachricht erhielten, gaben sie ihr Vorhaben auf und kehrten
um. Von dem großen Siege, den Bela diesmal am Fuße der Karpaten
über 1 sie
Dieerrungen
Urkunde,haben
welchesoll,
Belafindet
für den
sich
agramer
nirgends
Propst
eine Tobias
Spur weder
am 7. Jan.
bei

12G3 erließ, bei Fejer, Cod. dipl. , III, 101. Pulkawa, bei Dobner, Monu-
menta, III, 231. Arenpeck, bei Pez, I, 1222. Pernoldus, bei Hanthaler, I,
1324. Contin. Cosmae Prag, ad ann. 1161 u. 62. — 2 Raynaldus, Annal.
eccl. T. XIV, ad ann. 1261, Note 21. — 3 Pejacsevich, Hist. Serviae, S. 218 fg.
Engel, Geschichte des ungarischen Reichs, III, 228. — 4 In der Urkunde für
den agramer Propst Tobias schreibt Bela: „Guerrantibus nobis cum rege Bo-
hemorum .... et regnis nostris formidantibus insultus tartarorum , qui hujus-
modi dissensionibus auditis, regni nostri fines attigerant, quum aliter paccari
non possemus, nisi inter nos et praedictum regem Bohemorum ordinassemus
parentelam, dando sibi in matrimonium neptem nostram, eique matrimonio
impedimenta legitima obviarent
408 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

den Chronisten, noch in den zahlreichen Urkunden dieser Zeit; die Sage
von demselben
Nicht gewarnt
ist erstdurch
späterdie
entstanden.
Geschichte
1 der eigenen Jugend, hatte

BiHa seinen Erstgeborenen, Stephan, noch in der Kindheit krönen lassen


und ihm mit de1n Titel eines Herzogs von Slawonien nebst den Ein
künften auch die Regierung Dalmatiens und Kroatiens übertragen, ohne
das Verhältniß, in welchem der Jüngere König zu dem ältern stehen
Hollte, und den Umfang der Gewalt, die ihm zugestanden wurde, ge
nauer zu bestimmen. Bisher hatte die Eintracht zwischen Vater und
Sohn ungestört in Glück und Unglück fortbestanden; Bela war hoch
erfreut, als ihm Graf Botyz (der Stammvater der Märiassy) die Nach
richt brachte, daß Stephan in der unglücklichen Schlacht an der March
der Gefangenschaft und dem Tode entronnen sei, und belohnte Botyz
mit dem ausgedehnten Walde Csetene am Fuße der Tatra. 2 Aber
kaum war der Friede mit Ottokar geschlossen, so entzweite bitterer
Groll beide Könige und die ganze kömgliche Familie. Der Jüngling,
der den Reiz der Herrschaft zu früh gekostet hatte, mochte den Verlust
Steiermarks schmerzlich fühlen, der Vater hingegen ihm Vorwürfe
machen, daß durch seine Unfähigkeit, zu regieren, das wichtige Land
verloren wurde. Dabei bewiesen die Aeltern, besonders die Königin
Maria, eine höchst parteiische Vorliebe für ihren Zweitgeborenen, Bela.3
1262 Ihm wurde 1262 Slawonien, noch vergrößert durch das Draugebiet,
den nördlichen Theil des heutigen Kroatien, nebst den Gespanschaften
Baranyay Valko, Somogy und Szala, übergeben; Stephan erhielt dafür
Siebenbürgen, die Moldau und einige von Kumanen bewohnte Län
dereien jenseit der Theiß. Aber er war mit diesem Tausch unzufrieden
und forderte Slawonien, „als das nach der Vorväter Einrichtung den
Erstgeborenen der Könige gebührende Herzogthum", zurück4; viel
leicht war ihm, der schon ein Land selbständig regiert hatte, auch das
abhängige Verhältniß, in das er zurückkehren mußte, drückend; vielleicht
strebte er nach Erweiterung seiner Macht und vergaß der Ehrfurcht
und des Gehorsams, die er seinem Vater und König schuldig war. Bela
zürnte seinem Sohn so sehr, daß er Konrad Kemeny mit Truppen
gegen ihn schickte. Stephan, der zum Kampf nicht gerüstet war und
auch nicht nachgeben wollte, warf sich in die Feste Feketehalom und
wurde 1 Erst
dortKerchelich,
belagert, Notit.
bis ihm
praelimin.,
die Flucht
S. 503,
vonund
da Raynaldus,
gelang. 6 Annal.
Doch eccl.,
bald

XIV, Note 4, erwähnen das Gerücht vom Siege Bela's, welches die ganze
Christenheit zum freudigsten Dank gegen Gott bewogen habe. — 2 Die
Schenkungsurkunde, bei Fejer, IV, 1n, 186. — 3 Stephan beschwert sich über
die Verfolgungen, die er unverschuldet von seinen Aeltern erlitten habe.
Fejer, IV, m, 407. — 4 Stephan selbst gibt dies als die Ursache des Zer
würfnisses in einer Urkunde vom Jahre 1271 an: „Cum nos olim necessi-
tate compulsi contra D. regem, karissimum patrem nostrum, jug ducatus a
progenitoribus nostris regum primogenitis institutum requirere voluissemns
justitia mediante, idem D. rex propter hoc indignationis materiam coneipiens,
contra nos exercitum regni sui convoeavit." Fejer, V, 1, 103. — 5 Urkunde
Stephan's von 1268, bei Fejer, IV, m, 466.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 409

lächelte ihm das Glück; einer seiner ergebensten Anhänger, Peter


Csäki, schlug an der Drau ein kumanisches Heer Bela's; die Zahl seiner
Freunde wuchs, und er besiegte nacheinander die Feldherren des ältern
Königs, Laurentius Kemeny und Ernyei. l Jetzt bat der zürnende
Vater sogar von Ottokar Hülfe und stellte sich selbst an die Spitze
seines Heers. Schon standen sich Vater und Sohn irgendwo an der
obern Donau gegenüber, um durch eine Schlacht den unnatürlichen Streit
zu entscheiden, da gelang es noch der hohen Geistlichkeit, sie zu einem
Vergleich zu stimmen2, dessen Bedingungen vorläufig in Presburg durch
beiderseitige Abgeordnete verhandelt und sodann am 5. Dec. 1262 in 1262
Poroszlö von den Erzbischöfen Philipp von Gran, als Bela's, und Sma
ragd von Kalocsa, als Stephan's Bevollmächtigten endgültig fest
gestellt, von beiden Königen und den Reichsständen angenommen und
feierlich beschworen wurden. Stephan erhielt vermöge desselben Sie
benbürgen, die Moldau und Kumanien an der Theiß unter dem Titel
eines Herzogs von Siebenbürgen, außerdem die Burg Fülek mit allen
zu derselben gehörenden Ländereien und die Hälfte aller Einkünfte
vom Salz; in diesem Gebiete wurden ihm alle königlichen Rechte zu
gestanden, die er unabhängig von dem ältern König übte, die Ernennung
der Würdenträger und Staatsdiener, eigene Gerichtsbarkeit und ein
eigenes Heer. Dafür versprach er: nichts weiter zu fordern, keine
Feindseligkeiten gegen den Vater und Bruder zu üben, sondern viel
mehr sie in allen Dingen zu unterstützen; die Deutschen, Slawen und
Böhmen beider nicht an sich zu locken, wogegen sie auch seine Ku
manen nicht zum Abfall verleiten sollten; sich überhaupt so zu betragen,
daß er des väterlichen Segens würdig bleibe. Beide Parteien gewährten
gegenseitig den Anhängern der andern vollständige Verzeihung und
Ersatz des erlittenen Schadens. Die Erzbischöfe wurden bevollmächtigt,
den Treubrüchigen
Dieser Vergleich
in den
trugBann
die Keime
zu thun.
neuer
3 Zerwürfnisse in sich, denn

er schuf ein widernatürliches Verhältniß, indem er das Köuigthum


theilte, das seinem Wesen nach untheilbar ist. In einem Reich, wenn
auch in abgesonderten Gebieten , herrschten zwei beinahe gleichberech
tigte Könige; jeder derselben hatte seinen Erzbischof, der ältere den
graner, der Jüngere den kalocsaer, seinen Kanzler, Hofrichter, Schatz
meister und wie die hohen Staatsbeamten alle heißen, nur der Palatin
und die Reichstage blieben gemeinschaftlich für beide Reichstheile.
Wie hätten da nicht Reibungen entstehen sollen, die bei der schon
herrschenden Erbitterung der Gemüther fast nothwendig zu neuen
Feindseligkeiten führten? Und so mußte denn der Poroszlöer Vertrag
schon am 3. Mai 1263 auf einer Versammlung der hohen Geistlichkeit 1263
und der Barone zu Zokol in der Gespanschaft Krassö erneuert und mit
Zusätzen versehen werden. Beide Könige gelobten abermals, alle fest
gesetzten
1 Mehrere
Punkte
Urkunden
treu zu Stephan's
beobachten,
bei und
Fejer,
ertheilten
IV, 1n,den
283,
Erzbischöfen
346, 410, 466,
die

486 u. a. m. — 2 Ein Brief der Königin Maria, bei Katona, VI, 358, u. Fe
jer, IV, m, 68. — 3 Die Urkunde des Vertrags bei Bei, Notitia Hung. nov.,
I, 118. Katona, VI, 360. Fejer, IV, in, 77.
410 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Befugniß, nicht nur sie, sondern auch ihre Hofbeamten mit dem Bann
1264 aus.
zu belegen,
Demungeachtet
Stephanwenn
, dessen
sie den
brach
stolzes
Eidderbrechen
und
Streit
herrschsüchtiges
würden.
im folgenden
1 Herz
Jahrekeine
1264Zurück
wieder

setzung ertrug, mochte neue Beweise von der Abneigung seiner Mutter
gegen ihn erfahren, vielleicht gar lieblose Verfolgung von ihr erduldet
haben, die er unkindlich genug vergelten wollte. 2 Er zog ihre Be
sitzungen Rad na, Bistritz, Szölös und Kirälyi in Siebenbürgen ein, die
gewöhnlich zum Leibgedinge der Königinnen gehörten,' und bemäch
tigte sich auch einiger Schlösser, die Bela seiner Tochter Anna, der
Witwe des unlängst verstorbenen Rastislaw, und ihren Söhnen, Michael
und Bela, geschenkt hatte. 3 Wieder zogen die Könige Heere zu
sammen, um sich zu bekämpfen; die Großen und selbst die Bischöfe
theilten sich in Parteien; und das geschah zu einer Zeit, wo man einen
Einfall der Mongolen befürchtete: da trat Urban IV. ins Mittel, schalt
die Bischöfe, daß sie es wagten, den Eid der Treue zu brechen, den sie
dem ältern König geschworen, und befahl ihnen streng an dem Werke
der Versöhnung und des Friedens zu arbeiten. Seine Ermahnungen und
vielleicht noch mehr die Furcht vor den Mongolen bewirkten, daß die
frühern Verträge durch einen abermaligen Vergleich wieder in Kraft
gesetzt wurden , den auf Ansuchen Bela's nachher Papst Clemens IV.
bestätigte.
Nachdem
4 der bedauernswürdige Streit im königlichen Hause wie

der, so gut es ging, beigelegt war, fand ein glänzendes Familienfest


1264 gunde;
statt, die
sie Vermählung
wurde nahe beim
des Herzogs
Einfluß Bela
der Fischa
mit der
in die
brandenburger
Donau am 5.Kuni-
Oct.

1264 unter kostbar geschmückten Zelten gefeiert. Ottokar, der


die Ausstattung der Braut über sich genommen und bei der Hochzeit
den Hausherrn machte, hatte die Fürsten und den Adel der benach
barten Länder geladen. Er führte seine Nichte selbst hin; auch Bela
und Maria begleiteten ihren Lieblingssohn; die Menge der Gäste und
Zuschauer war unzählbar; beide Könige und ihr Gefolge wetteiferten
in verschwenderischer Pracht, welche zu beschreiben die Chronisten
kaum Worte finden. Sie erwähnen unter anderm, daß die Ungarn
in Scharlachkleidern, mit grauem und buntem Pelzwerk besetzt, auf den
Mützen hohe Pfauen- und Reiherfedern, die langen Bärte mit Edel
steinen und Perlen durchflochten erschienen. Sie erzählen ferner, der
junge Bela habe seiner Braut eine goldene Krone aufs Haupt gesetzt,
die dann
1 Die einer
Urkunde
der Barone
bei Bei, mit
a. a.dem
O., bloßen
S. 122; Schwerte
bei Katona,
hinabstieß.
a. a. O., S.Diese
370;

bei Fejer, a. a. O., S. 160. — 2 Dafür zeugt der Brief Papst Urban's IV. an
Stephan, bei Fejer, IV, in, 216. — 3 Wahrscheinlich lagen dieselben in Ste-
phan's Gebiete, sodaß Bela nicht das Recht hatte, sie zu verschenken ; denn
er bat den Papst die Schenkung zu bestätigen. Katona, VI, 413. Wozu
brauchte er die päpstliche Bestätigung, wenn er befugt war, die Besitzungen
zu vergeben? Vgl. Horväth , Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., I, 434,
Note 2. — 4 Epist. Urbani IV. ad Belam, Stephanum et episc. Vesprimiens,
bei Fejer, IV, in, 237. Epist. Belae ad Pontif., bei Fejer, IV, in, 258.
Raynaldus ad ann. 1264, III, 338.

V
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 411

Ceremonie, wenn sie eine bei den Ungarn damals übliche Sitte war,
sollte wahrscheinlich andeuten, daß die Prinzessin zwar in das könig
liche Haus aufgenommen werde und ein eventuelles Anrecht auf die
Krone erhalte, aber die königliche Würde und Macht nicht theile. Noch
am Abend des Vermählungstags brach das Brautpaar nach Knin in
Kroatien auf, und die Könige trennten sich augenscheinlich versöhnt
und inBela
Freundschaft.
und Stephan1 hielten hierauf ein paar Jahre wenigstens äußer

lich Frieden, wenn auch kein liebevolles Einverständniß sie verknüpfte.


Aber das alte Königspaar mochte den Jüngern Sohn immer auffallender
begünstigt^ Stephan seinen Unwillen um so lauter geäußert haben und
die gegenseitige Erbitterung durch kränkende Worte und beleidigende
Thaten unablässig genährt worden sein, bis endlich 1267 die unglück
selige Zwietracht von neuem heftiger als je entbrannte. Diesmal han
delte es sich nicht mehr um ein Stück Land und irgendein Recht, son
dern um die Krone selbst. Der zürnende Vater erklärte Stephan des
Throns verlustig und wollte Bela zu seinem Nachfolger einsetzen. 2
Ein mächtiges Heer, welches Herzog Bela, der Palatin Heinrich und
der österreichische Ritter Preussel wider den Verstoßenen führten,
sollte den Beschluß vollziehen. Patak, die feste Burg Stephan's, in der
sich seine Gemahlin und seine Kinder befanden, wurde durch Ueberfall
erobert und die Königin sammt den Kindern gefangen weggeführt.
Aber gerade hierdurch leistete der alte König der Sache seines Sohnes
den größten Vorschub ; denn dieser erschien nun als ein Verfolgter, der
sein gutes Recht gegen die Feindseligkeit der eigenen Aeltern zu ver-
theidigen gezwungen werde; sein und der unschuldigen Kinder trau
riges Schicksal mußte allgemeine Theilnahme erregen; bald sah er sich
an der Spitze eines zahlreichen Heers , mit dem er wider seinen Bruder
aufbrach. Bei Issaszeg unweit Pesth ward die entscheidende Schlacht
geliefert; Stephan siegte; Herzog Bela rettete sich durch die Flucht,
der Palatin mit zwei Söhnen gerieth in Gefangenschaft, und Preußel
blieb todt auf dem Schlachtfelde. Diese Niederlage und die Stimmung
des Volks
1 Contin.
nöthigten
Cosmae Prag,
Bela, adsich
ann.mit
1264,
dembeiSohne
Pertz. zu
Marignot,
versöhnen.
bei Dobner,
3 Die

II, 224. Horneck's Reimcbronik , bei Pez, III, 78—81, setzt das Fest un
richtig in das Jahr 1261, und seine Erzählung, daß die Ungarn beim Anblick
des Turniers plötzlich entflohen seien, ist nur dichterische Erfindung oder
eine Fabel, die später entstand, weil sie noch am Abend des Festes ab
reisten. — 2 Wahrscheinlich ging Bela, von der Königin Maria, vielleicht
auch von Ottokar, der in Stephan einen unversöhnlichen Feind erblickte, be
stürmt, mit diesem Plane schon seit längerer Zeit um (in einer Urkunde
Ladislaus' IV. von 1273 lesen wir: „Cum avus noster patrem nostrum ....
machinans. . . . privare jure geniturae et regni diademate spoliare." Fejer, V,
II, 95); daß er aber erst jetzt zur Ausführung desselben schritt, wo seine
Erbitterung gegen den Erstgeborenen aufs höchste gestiegen war, dafür spre
chen die Ereignisse selbst. — 3 Der Brief Stephan's bei Fejer, IV, m, 408
(das Jahr ist unrichtig angegeben), und V, n, 95. Chron. Austr., bei Freher,
I, 462, und Neoburgens., bei Pertz, IX. Feßler, 1. Ausg., II, 616, u. Szalay,
Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., II, 79, lassen Stephan zu Anfang des
Kriegs siegen, zuletzt aber geschlagen und vom Vater begnadigt werden. Es
412 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Bedingungen, unter denen der Friede zu Stande kam, kennen wir nicht;
sie können jedoch von jenen der frühern Verträge nicht bedeutend ver
schieden gewesen sein; denn Stephan blieb Jüngerer König und Herzog
von Siebenbürgen, Bela Herzog von Kroatien und Slawonien; in dem
ganzen Verhältnisse der drei Fürsten zueinander wird keine Ver
änderung
Aber sichtbar.
desto schmerzlicher fühlte das Vaterland die Wunden, welche

der Hader des königlichen Hauses und die Bürgerkriege ihm schlugen :
das königliche Ansehen gerieth in Verachtung, feile Parteigänger ließen
sich ihre Dienste theuer bezahlen, Uebelthäter fanden im Wechsel des
Herrn Straflosigkeit, die Sittlichkeit verfiel, die öffentliche Sicherheit
lag darnieder, Armuth und Noth nahmen überhand. Das konnte nicht
länger geduldet werden ; die gesammten Stände erhoben sich am Reichs-
1267 tage von 1267 und forderten mit Nachdruck Abhülfe. „Bela, von
Gottes Gnaden König, Stephan, durch jenen (nämlich Bela) König
und Herzog von Siebenbürgen, und Bela der Jüngere, Herzog von ganz
Slawonien", stellten also, unter ihrem Siegel und sich dem Bannspruch
des graner Erzbischofs unterwerfend, eine feierliche Urkunde aus, in
welcher mehrere Hauptpunkte der Goldenen Bulle bestätigt und einige
neue Gesetze zur Heilung der eingerissenen Uebel gegeben wurden. Die
wichtigsten Satzungen der letztern Art sind : (2.) Den Udvarnikern und
Burgleuten sollen ihre Ländereien zurückgegeben und sie selbst als freie
Leute gehalten werden. (4.) Den Edelleuten stehe es frei, sich von
Adelicher,
einem der drei
derenFürsten
sich diezu freien
dem andern
Städte des
zu, begeben.
Königs oder
(5.) der
Besitzungen
Königin, *

die Udvarniker und Burgleute bemächtigt haben , sollen nach dem Er


messen zweier Reichsbarone, welche die Fürsten und die Stände gemein
schaftlich dazu wählen, ihren ursprünglichen Besitzern zurückgegeben
werden. (8.) Jedes Jahr ist einer der drei Fürsten verbunden, zu Stuhl
weißenburg am Tage des Heiligen Stephan (20. Aug.) zu erscheinen;
desgleichen haben sich aus jeder Gespanschaft zwei oder
drei Adeliche dort einzufinden, damit in ihi»r Gegenwart für
alle Beschädigungen und Ungerechtigkeiten, mag dieselben wer immer
angerichtet haben, Genugthuung geleistet werde. (10.) Das schriftliche
Rechtsverfahren, welches Bela III. eingeführt und Bela IV. wieder er
neuert hatte, wurde abgeschafft; „die Processe der Edelleute sollen
ohne Bittgesuche entschieden werden". 1 •
Schon 1264 hatte Stephan in Verbindung mit dem szörenyer Ban
Laurentius die unruhigen Bulgaren für ihre wiederholten Räubereien
auf ungarischem Gebiet gezüchtigt. Während des letzten Bürgerkriegs
ist
dnrehplünderten
überhaupt schwer,
sie abermals
die richtigedas
Reihenfolge
Macsoer dieser
Banat;
Begebenheiten
sobald aber
aus der
der

Erzählung der Chronisten und aus den Andeutungen der Urkunden zu er


kennen; doch hat mich sorgfältiges Vergleichen derselben bewogen, den Her
gang so darzustellen, wie derselbe oben zu lesen ist und wie ihn zum Theil
auch 1Horvath
Belae IV.
(Geschichte
reg. decretum,
von Ungarn,
1267, 2.
e membrana
Ausg. , I, 430—433)
tabularii regii,
beschreibt.
bei End
licher, S. 512 fg.

v
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 413

Friede hergestellt war, überzog sie Stephan mit Krieg, eroberte Wid-
din sammt dem nördlichen Theil des Landes bis Ternowa und nannte
sich seitdem König von Bulgarien. 1 Der serbische König Urosch
hatte wahrscheinlich mit den Bulgaren gemeinschaftliche Sache ge
macht, entweder aus bloßem Durst nach Kriegsbeute, oder um die Un
abhängigkeit zu erkämpfen ; denn um dieselbe Zeit bekriegte Bela auch
ihn. Urosch ward geschlagen und sein Eidam gefangen, der sich dann
mit 800
Im Mark
September
Silber und
1269einem
erschienen
kostbaren
amKreuze
Hofe loskaufen
Stephan's mußte.
Gesandte
2 1269

Karl's von Anjou, seit zwei Jahren Königs beider Sicilien. Sie waren
ermächtigt, für den Sohn und Thronfolger ihres Herrn, Karl den Lah
men, um die zweite Tochter Stephan's, Maria, zu werben, überhaupt die
Kinder beider Könige untereinander zu verloben und durch Knüpfung
dieser Familienbande ein bleibendes Staatsbündniß zu schließen. 3 Ste
phan nahm die Anerbietungen Karl's um so bereitwilliger an, da er
selbst eines zuverlässigen, durch gemeinschaftliche Interessen mit ihm
vereinigten Bundesgenossen bedurfte; er sagte die Hand seiner Tochter
dem Sohne Karl's zu, und verlobte suinen Erstgeborenen Ladislaus mit
dessen Tochter Isabella oder Elisabeth (sie führt abwechselnd diese
beiden ursprünglich gleichbedeutenden Namen); am 14. Sept. kam so
dann auch das Schutz- und Trutzbündniß zu Stande, das vornehmlich
gegen die Deutscheu gerichtet war. 4 Denn beide Könige hatten
gerade von daher die gefährlichsten Angriffe zu fürchten. Stephan
hegte gegründeten Argwohn gegen Ottokar, der sein Gebiet unaufhalt
sam immer weiter ausdehnte, sodaß seine Länder Ungarn schon von der
March bis an das Adriatische Meer umfingen. 6 Karl hingegen mußte das
eigene Gewissen mit bangen Besorgnissen vor der Rache der Verwandten
und Freunde des hohenstaufischen Hauses erfüllen. Nach Kaiser Kon-
rad's IV. Tode, der zugleich König beider Sicilien war, hatte sich
dessen natürlicher Bruder Manfred 1254 auf den Thron der letztern Reiche
gesetzt; die Päpste, voll unversöhnlichen Hasses gegen die Hohenstaufei1,
boten die schönen Länder vergeblieh mehrern auswärtigen Prinzen an,
bis endlich der Graf von der Provence Karl von Anjou, Ludwig's des
Heiligen von Frankreich jüngster Bruder, das Geschenk von Cle
mens IV. unter Anerkenntniß der päpstlichen Lehnshoheit und dem
Versprechen eines jährlichen Tributs annahm, Manfred bei Benevento
schlug und tödtetc und die Reiche einnahm, auf die er nicht das ge
ringste
1 Thuröczy,
Recht hatte.
II, Kap.
Bald
77. darauf
Urkunden
erschien
Bela's der
und letzte
Stephan's,
Sprößling
bei Fejer,
der

IV, m, 196, 525, und V, i, 55. — 2 Urkunden Bela's und Stephan's, bei Fe
jer, IV, 1n, 465, 490; V, 1, 24. — 3 Das Bevollmächtigungsschreiben be
findet sich in der Urkundensammlung des ungarischen Museums zu Pesth
und ist abgedruckt bei Fejer, IV, m, 510. — 4 ....„pacta et conventiones
amicitiae perfeetae et valentiae et juvaminis de uno ad alium cum magnifico
et illustre Principe D. Stephano, rege Ungariae, duce Transylvaniae et domino
Cumanorum .... contra omnes Theotonicos et Theotonicae adhaerentes", heißt
es in der Urkunde des Bündnisses; Fejer, IV, 1n, 508. — 5 Aeneae Sylvii
Hist. Bohemiae, Kap. 27. Palacky, Geschichte von Böhmen, 2. Abdruck, II,
Abth. 2, S. 201 u. 202.
414 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Hohenstaufen, Konradin, Konrad's IV. jugendlicher Sohn, und forderte


das Erbe seiner Väter zurück. In der Ebene von Tagliacozzo am
20. Aug. 1268 besiegt, gerieth er in Gefangenschaft und Karl ließ —
der Papst forderte es, damit die Bannflüche in Erfüllung gingen — am
29. Oct. den Enkel der Könige und Kaiser öffentlich in seiner Haupt
stadt Neapel enthaupten. Mit Konradin mußte auch sein Freund
Friedrich, der Sohn Hermann's von Baden und der Babenbergerin Ger
trud, Nachdem
das Blutgerüst
die Gesandten
besteigen. ihre Aufträge glücklich vollendet hatten,

ward ihnen die königliche Jungfrau übergeben. Sie zog, von einem
Kranz ungarischer Frauen umgeben, unter denen Agnes Czäky, die
Witwe des Herrn Thomas, besonders erwähnt wird, nach Neapel 1,
um dort die Mutter eines Geschlechts zu werden, aus dem Ungarns
größter
Kaum
König
warstammte.
am Hofe des Jüngern Königs das fröhliche Geräusch

des Hochzeitfestes verstummt, da hüllte der Tod Bela's, des Herzogs


von Slawonien, das Haus des ältern Königs in tiefe Trauer. Die Kraft
des greisen Fürsten, der soviel Unglück mit starker Seele getragen
hatte, ward durch diesen schweren Schlag gänzlich gebrochen; er hielt
sich für den unglücklichsten Vater und klagte in seinem Schmerze sich
selbst an, durch zu große Vorliebe für den Jüngern Sohn und durch
Härte gegen den Erstgeborenen den Frieden des Reichs gestört und
sich versündigt zu haben. 2 Aber Stephan hatte den Vater zu tief ge
kränkt, als daß Liebe und Vertrauen gegen ihn in dessen Herz hätten
zurückkehren können. Von Kummer gebeugt, fiel Bela in eine schwere
Krankheit; seine Tochter Anna, die Witwe Rastislaw's und Schwieger
mutter Ottokar's, pflegte ihn auf seinem Krankenlager und beutete die
Abneigung, die er noch immer gegen den Jüngern König fühlte, zu
ihrem Vortheil aus: sie bewog ihn, ihr Reichskleinodien von hohem
Werthe aus der königlichen Schatzkammer zu übergeben, eine Krone,
ein Schwert, ein mit Edelsteinen und Perlen besetztes Kreuz, goldene
Ketten, goldene und silberne Gefäße. Erfüllt von Mistrauen gegen
Stephan, empfahl Bela kurz vor seinem Tode Ottokar seine Gemahlin,
seine Tochter Anna und „alle Barone, die in der Treue gegen ihn be
harrt haben"; er bat, „daß Ottokar ihnen eine Zufluchtsstätte öffne, sie
mit väterlicher Umarmung aufnehme, ihnen Rath und Hülfe gewähre,
wenn sie nach seinem Tode zu ihm kommen würden". 3 Hierauf be-
1270 schloß er am 3. Mai 1270 sein vielbewegtes Leben. 4 Bald darauf
folgte die Königin Maria ihrem Gatten ins Grab. Wie Herzog Bela
wurde auch das Aelternpaar vor dem Altar der Heiligen Jungfrau in
der Minoritenkirche zu Gran beigesetzt, die der König einige Jahre
zuvor erbaut hatte. 6

1 Fejer, IV, m, 512, 527. — 2 Fejer, IV, m, 495. — 3 Diesen Brief


Bela's an Ottokar hat Palacky zuerst bekannt gemacht. Ueber Formelbücher,
S. 268. Vgl. Szalay, Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., II, 86, Note 1. —
4 Anonym. Leobiens. ad ann. 1270. Thuroczy, II, 74, berichtigt von Katona,
VI, 503. Den 3. Mai gibt Palacky als Todestag an, Geschichte von Böh
men, 2. Abdr., II, Abth. 2, S. 206. — 5 Auf dem Grabmale stand die In-
Aeußere Begebenheiten. Stephan V. 415

Fünf von Bela's Töchtern waren, wie berichtet wurde, Gemahlinnen


fürstlicher Herren; die sechste, Sabina, war an den Palatin Moses ver-
heirathet; die siebente, Margaretha, stand als Aebtissin dem Kloster
der Dominicanernonnen auf der Haseninsel vor und wurde nach ihrem
Tode heilig gesprochen.Stephan V. 1270 — 1272.

Die Liebe des Volks und die Hoffnungen, die es auf Stephan
setzte, äußerten sich unverkennbar sogleich beim Antritt seiner Regie- 1270
rung; als er sich zu Stuhlweißenburg zum zweiten mal krönen ließ,
strömten die geistlichen und weltlichen Großen und fast der ge-
sammte Adel herbei, um das heilige Zeichen der Herrschaft auf sei
nem Haupte zu sehen. 1 Mit ihm zugleich ward auch seine Gemahlin
Elisabeth gekrönt. Beide schworen, das Vaterland zu vertheidigen, des
sen Wohl eifrig zu fördern, die Rechte und Freiheiten des Adels un
verletzt zu erhalten und die von ihren Vorfahren widerrechtlich ein
gezogenen
Es ließGüter
sich den
voraussehen,
rechtmäßigen
daßEigenthümern
der Friede zwischen
zurückzugeben.
Stephan2 und

seinem glücklichen Nebenbuhler Ottokar nicht lange bestehen werde ;


der erstere hatte zu empfindliche Niederlagen erlitten, als daß er nicht
gierig jede Gelegenheit hätte ergreifen sollen, Rache für dieselben zu
nehmen; der andere aber fuhr fort, seine Macht in bedrohlicher Weise
zu erweitern und den Gegner durch neue Beleidigungen zu kränken.
Agnes von Andechs hatte ihrem Gemahl, Herzog Ulrich von Kärnten,
Krain und die Windische Mark zugebracht, aber noch 1262 ihrem
nächsten Verwandten, dem König Bela, vermacht. 3 Bela wollte oder
konnte seine aus diesem Vermächtniß entsprungenen Rechte nicht be
haupten; Ulrich blieb auch nach Agnesens Tode im Besitz der ge
nannten Gebiete, und da auch seine zweite Ehe kinderlos war, setzte er
am 4. Dec. 1268 Ottokar zum Erben seiner sämmtlichen Länder ein.
Sein Bruder Philipp, der abgesetzte Erzbischof von Salzburg, ward
durch das Versprechen, daß er das Patriarchat von Aquileja erhalten
werde, bewogen, seinem Erbrechte zu entsagen. Im folgenden Jahre
starb Ulrich , und Ottokar brachte von Steiermark aus dessen Hinter
lassenschaft mit leichter Mühe in seine Gewalt. Aber nun \bereute
Philipp,
zogthum
schrift: der
verzichtet
Aspice
Dum
Rex,
Fraus
schon
licuit,
dux,
latuit,
rem
Patriarch
zuregina,
charam,
tua
pax
haben,
cum
firma
quibus
war,
tres
viguit,
warb
fuit,
auf
cingunt
adsint
regnavit
Freunde
rex
die Bela
gaudia
Nachfolge
Virginis
honestas.
potestas,
unter
trina.
aram:
im
demweltlichen
kärntner Her-
und

1 Die Schenkungsurkunde Stephan's für Lorand (Roland) von Rätolt, bei


Fejer, III, 1v, 256. — 2 Eine Urkunde Stephan's vom 23. März 1271, bei
Pray, Hist. r. Hnng., I, 282, und Fejer, V, 1, 99. Urkunde der Königin Eli
sabeth, bei Fejer, V, 1, 237. Vgl. Koachich, Vestigia comitiorum, S. 146.
— 3 Hormayr, Geschichtliches Taschenbuch, Jahrg. 1822, S. 67. Kerchelicb,
Notitiae praelim., sspplem., S. 528.
416 Viertes Buch. Z weiter Absch nitt.

krainer Adel, zog selbst den böhmischen Landesverweser Konrad,


Propst von Brünn, auf seine Seite und bemächtigte sich der Herrschaft
über Kärnten und die zugehörigen Gebiete. 1 Es lag im Interesse Ste-
phan's, ihn im Besitze derselben zu schützen, weil er hoffen durfte, sein
Nachfolger zu werden, und noch mehr, weil die Klugheit es forderte, zu
verhindern, daß Ottokar's Macht neuen Zuwachs erhalte.
Schon diese Dinge führten fast nothwendig einen neuen Krieg zwi
schen Ungarn und Böhmen herbei; da kamen noch die verrätherischen
Anschläge hinzu, die in den letzten Tagen Bela's und mit seiner Bei
hülfe angesponnen , jetzt ins Werk gesetzt wurden. Stephan's Schwe
ster Anna floh nämlich mit den Reichskleinodien, die sie dem sterben
den Vater abgelockt hatte, zu Ottokar, und ihr folgten die Günstlinge
des alten und zugleich die heftigsten Widersacher des jungen Königs,
Heinrich, Johann und Stephan von Güssingen (Nemetujvär) , Lauren-
tius, Propst Nikolaus, königlicher Kanzler, und mehrere andere, die
ebenfalls vor der Flucht die königliche Schatzkammer plünderten und
dann sogar ihre Burgen Güns, Bernstein, Schleining, Sanct-Veit, Gertze,
Strigö, Dobra u. a. m. an der westlichen Grenze Ungarns unter Otto
kar's Schutz stellten.2 Stephan forderte die Auslieferung der Flücht
linge, die Rückgabe der Schätze und Burgen; und weil Ottokar beides
abschlug 3, athmete er Krieg gegen den verhaßten Gegner. Er ver
band sich mit dem Patriarchen Philipp und besuchte unter dem Vor-
wande der Wallfahrt zum Grabe des Heiligen Stanislaus seinen Schwa
ger Boleslaw in Krakau, um auch ihn in das Bündniß zu ziehen; er
hoffte dieses um so leichter zu erreichen, weil Ottokar nach dem Tode
des Fürsten Wladislaw Oppeln, auf das Boleslaw Ansprüche machte,
an sich gerissen hatte. 4
1270 Presburg
Nochstießen
im Sommer
die feindlichen
1270 brach
Heere
deraufeinander;
Krieg aus; der
in der
Kampf
Gegend
mochte
um

für beide verlustvoll, aber der Sieg unentschieden gewesen sein. 6 Denn
es ward Waffenstillstand geschlossen und verabredet, daß die beiden
Könige und der Patriarch (Boleslaw hatte am Krieg nicht thätig theil-
genommen) am Gallustage, 16. Oct., zusammenkommen und den Streit
beilegen sollten. Am festgesetzten Tage traf Stephan in Presburg,
Ottokar in Haimburg ein; beide waren nach der Sitte der damaligen
Zeit von einem zahlreichen und glänzenden Gefolge, von Bischöfen und
den höchsten Staatsbeamten umgeben. Philipp erschien nicht und
schickte auch keine Gesandten. Eine Donauinsel zwischen Presburg
und Pottendorf
1 Rubeis, Monumenta
ward zum eccl.
Orte
Aquileg.,
der Zusammenkunft
S. 752 fg. Rauch,
erlesen,
Oesterreichische
wohin sich

Geschiente, III, 362. Palacky, II, Abth. I, 199 fg. u. 204 fg. — 2 Horneck,
Kap. 87 u. 88. Die schon angeführte Urkunde Stephan's, bei Fejer, V, i, 99.
— 3 Epist. Ottokari, bei Pray, Specimen hierarcn., II, 66. — 4 Dlugoss.,
VII, 1, 791. Katona bezweifelt die Reise, aber Stephan in seiner Urkunde
bei Fejer, V, 1, 99, sagt selbst: „post coronationem etiam nostram, cum ha-
beremus votum .... in Poloniam divertendi .... Laurentius banus .... inter
viarum discrimina . . . . nobis exhibuit fanmlatum. —' 5 Bei, Notit. Hungar.
novae. Urkunde Stephau's, bei Fejer, V, 1, 70.
Acußere Begebenheiten. Stephan Y. 417

jeder der beiden Fürsten mit zwölf unbewaffneten Begleitern begab.


Sie übertrugen die endliche Schlichtung der vielfältigen Streitpunkte
jederseits vier, zusammen acht Bevollmächtigten, und verlängerten des
halb den Waffenstillstand bis 11. Nov. 1272; sie selbst, die Bischöfe
und Barone beschworen den Vertrag. Die Bedingungen sind uns
nur sehr unvollständig bekannt1; doch Ottokar blieb jedenfalls im
Vortheil, indem er es durchsetzte, daß Patriarch Philipp, weil er weder
selbst erschienen, noch Bevollmächtigte geschickt, vom Waffenstillstand
ausgeschlossen
Die andernwurde.
ihm lästigen
2 Punkte des Waffenstillstands scheint Otto

kar theils zögernd, theils gar nicht erfüllt zu haben ; er zahlte nicht den
versprochenen Ersatz für die entwendeten Reichskleinodien, die der Ver
trag in seiner Verwahrung gelassen, fuhr fort, die Ueberläufer mit
Gunstbezeigungen zu überhäufen, und lieferte auch ihre Burgen nicht
aus. 3 Um so eifriger benutzte er die Freiheit, Philipp zu bekämpfen,
welche ihm der Vertrag gestattete: er führte noch im November ein
Heer gegen ihn, eroberte Laibach und andere feste Plätze, zwang ihn,
der Herrschaft zu entsagen, und empfing die Huldigung der Stände von
Kärnten, Krain und Istrien. Stephan mochte nun mit Unwillen und
Beschämung gewahr werden, daß er sich habe täuschen lassen, und wie
gefehlt es gewesen sei, den Bundesgenossen für leere Versprechungen
seinem Gegner preiszugeben. Er sammelte in der Stille ein Heer von
50000 Mann, fiel plötzlich in Oesterreich ein und besetzte die Pässe
des Sömmering bei Schottwien, durch die damals der einzige Weg aus
Steiermark nach Oesterreich führte, um Ottokar bei seiner Bückkehr zu
überfallen und zu fangen. Aber dieser, vor der ihm drohenden Gefahr
bei zeiten gewarnt, ging, unter den größten Gefahren und mit schwe
ren Verlusten, über die sogenannten Wildalpen und Traisenberge bei
Mariazell und Lilienfeld, und entzog sich glücklich der ihm gelegten
Falle. Ueber das Mislingen des Anschlags erbittert, ließ Stephan Nie
derösterreich furchtbar verheeren und bei 20000 Gefangene nach Un
garn abführen. *
Nach geschlossenem Waffenstillstand und ohne denselben zu kün
digen, hatte Stephan seinen Gegner überfallen und durch die un
überlegte,
1 Der erste
dem Theil
Völkerrechte
des Vertrags
widerstreitende
steht in einer That
um dasdemselben
Jahr 1292 einen
com-

pilirten Handschrift: „Liber a missionibus Regum, per 1nanus Zdeukonis de


Trebecz", die sich im k. k. geheimen Hausarchiv zu Wien befindet. Dobner
theilt sie in seinen Monumenta, II, 368 fg., mit und bezeichnete sie, da sie
im Codex kein Datum trägt, willkürlich mit der Jahreszahl 1267. Hierdurch
ließen sich Katona und nach ihm auch Kelller und andere ungarische Histo
riker verleiten, die in Rede stehende Zusammenkunft und den Waffenstillstand
noch in die Lebzeiten Bela's, in das Jahr 1267 zu setzen. Vgl. Palacky,
Geschichte von Böhmen, II, Abth. 1, S. 208, Note 275. — * Die darüber aus
gestellte, bisher unbekannte Urkunde (in einem Copiarium des k. geheimen
Archivs zu Königsberg in Preußen) veröffentlichte zuerst Palacky , a. a. O.
— * Die Urkunde Stephan's, bei Fejer, V, 1, 100. Arenpeck bei Pez, I,
3223. — 4 Arenpeck, a. a. O. Chron. Austr. , bei Freher ad ann. 1270.
Horneck, Kap. 91.
FeOUr. I. 27
418
großen Vortheil in
Viertes
die Hand
Buch.
gegeben,
Zweiter
dessen
Abschnitt.
sich Ottokar sogleich mit

1271 Eifer bediente. Er klagte Stephan in den bittersten Ausdrücken vor


dem Cardinalscollegium — der päpstliche Stuhl war erledigt — und
vor den Fürsten Europas der Treulosigkeit an x, bewog den öster
reichischen Landtag zu Mauerberg, wider den Friedensbrüchigen schleu
nig zu rüsten, und rüttelte auch die böhmischen Stände durch die Schil
derung des erlittenen Unrechts zum Kriege auf; sodann schickte er
Herolde an Stephan, welche vermöge eines Punktes in dem letzthin ge
schlossenen Vertrage die verwirkte Buße von 20000 Mark Silber for
derten, aber selbstverständlich abgewiesen wurden. Noch im Winter
fiel Siegfried Währinger mit einigen andern österreichischen Herren in
Ungarn ein; sie wollten über den zugefrorenen Neusiedlersee setzen,
da brach das Eis unter ihnen, und 40 Ritter nebst 300 Bewaffneten
ertranken. 2 Im April sammelte sich das Heer Ottokar's an der March;
durch Werbungen in Schlesien, Meißen, Thüringen und Brandenburg
und durch Hülfstruppen, welche Herzog Albert von Braunschweig und
Lüneburg herbeiführte, verstärkt, zählte dasselbe bei 150000 Mann.
Die gegenüberstehenden Ungarn waren viel schwächer an Zahl; denn
Stephan konnte wegen Geldmangel , dem er nur kümmerlich durch An
leihen bei Handelsleuten abhalf, nicht bei zeiten ein hinreichend großes Heer
zusammenbringen3; sie mußten sich also zurückziehen und das nord
westliche Land dem Feinde preisgeben, der eine Brücke über die Donau
schlug, Presburg erstürmte und plünderte, darauf Sanct-Georgen, Pösing
und Tyrnau ein gleiches Los bereitete, und besonders Neutra zum
Schauplatz grausamer Mordscenen machte. 4 An den Ufern der Waag
kehrte Ottokar um, ging bei Presburg zurück über die Donau, warf die
Ungarn am 2. und 8. Mai nach hitzigen Treffen, nahm Altenburg und
zerstörte Wieselburg, ungeachtet er der Stadt, die sich auf Capitulation
ergab , Schonung versprochen hatte. 6 Erschüttert durch den Anblick
so vieler Kriegsnoth und von den dringenden Bitten der Bischöfe be
stürmt, sandte Stephan den Ban Lorant, den vesprimer Bischof Paul
und den Oberstschatzmeister und presburger Obergespan Egidius von
Budamer mit Friedensanträgen zu Ottokar; aber dieser stellte so über
triebene Bedingungen, daß die Verhandlungen sogleich abgebrochen
werden mußten. 6 Unterdessen hatte das ungarische Heer beträchtliche
Verstärkungen an sich gezogen, und am 23. Mai kam es endlich auf
der schon so oft mit Blut getränkten Ebene zwischen der Leitha und
Eabnitz zur Schlacht. Sie scheint eine jener blutigen und verlustvollen
Kämpfe gewesen zu sein, wo beide Theile Siegeslieder anstimmen und
doch wehzuklagen Ursache hätten. Die Böhmen berichten, die Ungarn
seien aufs Haupt geschlagen worden, aber Ottokar habe sich wegen
Mangel1 DieanKlagschrift
Lebensmitteln
Ottokar'szurückziehen
bei Palacky, müssen.
a. a. O.,7 S. Wer
211, N.
kann
277. das

2 Chron. Austr., bei Freher, I, 463. — 3 Urkunde Ladislaus' IV. von 1273,
bei Fejer, V, n, 73. — * Chron. Claustro-Neoburgens., bei Pez ad ann. 1271.
Australe, a. a. O. Anonym. Leobiens., bei Pez, S. 851. — 5 Chron. Austr.,
a. a. O., Hornek, Kap. 92. — 6 Urkunde Stephan's bei Fejer, V, u, 100. —
7 Pulkawa, bei Dobner, Monumenta, III. Contin. Cosmae Prag, ad ann.

,v
„,
Aeußere Begebenheiten. Stephan V. 419

glauben? Der Sieger durfte ja nach Vernichtung der feindlichen Armee


nur vordringen, um in den fruchtbaren, schon damals ziemlich be
völkerten Gegenden hinreichende Lebensmittel zu finden. Die Un
garn dagegen behaupten, Stephan habe gesiegt und den Feind zum
Rückzug gezwungen. 1 Und auch der Erfolg selbst zeugt dafür, daß
Ottokar, wo nicht eine Niederlage, so doch schwere Verluste erlitten
habe. Denn sein Heer eilte nach der Schlacht der Grenze zu und löste
sich jenseit derselben gänzlich auf; 30000 Ungarn und Kumanen folg
ten ihm auf dem Fuße, verheerten ungehindert Oesterreich bis Wien
und Mähren bis Znaim und brachten abermals eine große Menge Ge
fangener mit sich in die Heimat. Von der andern Seite aber fiel Ste
phan1» Schwager, Herzog Heinrich von Baiern, mit 1000 Bewaffneten
in Oesterreich ein und verwüstete die Gegend zwischen Vöcklabruck
und Wels.
Jetzt 2ward auch Ottokar zum Frieden geneigt. Er ernannte zu

seinen Bevollmächtigten den Bischof Bruno von Olmütz, den Minoriten-


provinzial in Oesterreich Hartbern, den Kämmerer Hartlieb von Doblin,
den Marschall Bohusch von Drahotaus und den mährer Schenk von
Resamysl; Stephan vertraten der Bischof Paul von Vesprim, der Schatz
meister Egidius, der Ban Lorant und der Vicekanzler Benedict, Propst
von Arad. Wo und wie lange diese unterhandelten, ist unbekannt;
doch schon am 2. Juli verbürgte sich der Erzbischof Stephan von Ka-
locsa mit sechs andern Bischöfen, daß König Stephan den Frieden treu
halten werde, wogegen der Erzbischof von Salzburg ebenfalls mit sechs
Bischöfen für Ottokar gutsagte. Hierauf stellte der ungarische König
am 3. Juli in dem Lager bei Presburg und der böhmische am 14. Juli
in Prag die Friedensurkunde aus. Die Hauptpunkte derselben waren:
1) Die Grenzen beider Reiche bleiben dieselben, wie sie beim Tode
Bela's IV. gewesen sind; Streitigkeiten, die etwa über dieselben ent
stehen könnten, entscheiden endgültig der graner Erzbischof und der
olmützer Bischof. 2) Stephau entsagt für sich und seine Nachfolger
allen Ansprüchen auf Steiermark , Kärnten, Krain und die Windische
Mark. 3) Er verzichtet auf die Kleinodien, welche die Witwe des
macsoer Bans nach Böhmen gebracht hat. 4) Er löst das Bündniß mit
dem Patriarchen von Aquileja, wogegen Ottokar verspricht, den Prin
zen Stephan, Andreas' III. nachgeborenen Sohn, nicht zu unterstützen.
5) Die Burgen der nach Böhmen entflohenen Ueberläufer fallen an die
ungarische
1271 und Ottokar
Krone selbst
zurück;
in seinen
sie müssen
Briefen;
sichihrer
mit Auctorität
den Gütern,
folgendiePalaeky
ihnen

und die
1 Kezai,
alternII,ungarischen
5: „Stephanus
Historiker.
. . . . Bohemiae regem nomine Otocarum ante
fluvium Rebcha (Rabnitz) contra eum venientem .... expulit virtuose." Thu-
röczy, II, Kap. 77. Urkunde Ladislaus' IV., bei Fejer, V, n , 95: „Cum
patri nostro felix cesserat victoria, ut (Ottocarius) vix evasit fugitivus." —
2 Annales Althahenses, bei Freher ad ann. 1271. Chron. Claustro-Neoburg.,
bei Pez ad ann. 1271. Für den ganzen Feldzug sind die hierher gehörigen
Briefe Ottokar's, im Codex epistolaris Primislai Ottocari II. Bohemiae regis,
edid. Thomas Dolliner (Wien 1803), eine höchst wichtige, aber parteiische,
und deshalb vorsichtig zu benutzende Quelle.
27*
420 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Ottokar in seinen Ländern verliehen, begnügen und sollen, wenn sie


Ungarn beunruhigen würden, auch diese verlieren und aus den böh
mischen Staaten verbannt werden. König Stephan gelobt, sie nicht
wieder in sein Reich aufzunehmen und die aus Ottokar's Ländern zu
ihm übergegangenen Barone Wilhelm von Schärfenberg und Niklas
von Löwenberg aus Ungarn zu entfernen. 6) In Zukunft soll keiner
der Könige Ueberläufer aufnehmen und schützen. 7) Der im Kriege
gegenseitig zugefügte Schade soll' in der verabredeten Weise aus
geglichen werden. 8) Wenn neue Zwistigkeiten entständen, sollen die
das Ganze betreffenden durch den graner Erzbischof und den olmützer
Bischof beigelegt werden, kleinere aber sollen an der mährischen
Grenze die Obergespane von Presburg und Neitra einerseits, anderer
seits der mährische Oberstkämmerer und der brünner Burggraf, an der
österreichischen Grenze die Obergespane von Wieselburg und Oeden-
burg mit den Castellauen von Haslau und Wienerisch-Neustadt, an der
steierischen Grenze die Obergespane von Eisenburg und Saala mit dein
Landeshauptmann und Notar Steiermarks, an den kärntner, krainer
und slawonischen Grenzen der Ban von Slawonien mit dem kärntner
uud krainer Landeshauptmann schlichten. 9) In diesen Frieden schließt
König Stephan allfe seine Verbündeten ein: die Könige von Frankreich
und Sicilien, die byzantinischen Kaiser, den König von Serbien, den
Qsaren von Bulgarien, die Fürsten von Kiew und Bußland, die Herzoge
von Krakau und Großpolen, den Ban Bela von Macsö (Rostislaw's
Sohn) und den Herzog von Baiern; ebenso Ottokar die seinigen: die
Könige von Spanien und England, den römischen König Richard, die
Erzbischöfe von Mainz, Magdeburg und Salzburg nebst ihren Suffra-
ganen, den Pfalzgrafen bei Rhein, den Markgrafen von Meißen, die
Herzoge von Sachsen, Braunschweig, Brabant und Limburg, den Land
grafen von Thüringen, die Markgrafen von Brandenburg und von
Landsberg und die Herzoge von Schlesien und Kujavien. 10) Die
richtige Erfüllung der Friedensbedingungen verbürgen für Stephan
König Karl von Sicilien und Herzog Heinrich von Baiern, für Ottokar
die
11) Markgrafen
Außer den Erzbischöfen
Heinrich vonundMeißen
Bischöfen
und beider
Otto Reiche
von Brandenburg.
beschwören

die Friedenspunkte noch von ungarischer Seite: der Palatin Moses, der
Oberstschatzmeister Egidius, der Ban von Slawonien Joachim Pektari,
der Vajda von Siebenbürgen Matthäus Csäk u. s. w.; von böhmischer
Seite: der Oberstkämmerer Andreas Rican, Jaros von Fuchsberg, Ja-
roslaw
12) Endlich
von soll
Löwenberg,
der PapstZbislaw,
gebeten werden,
Oberstburggraf
den Friedensvertrag
von Prag u.zus. be
w.

stätigen.
Kurze
l Zeit nach dem Friedensschluß ward Isabella von Sicilien,

die Verlobte des erstgeborenen Prinzen Ladislaus, an den ungarischen


Hof gebracht, um der damals herrschenden, gewiß heilsamen Sitte ge
mäß in dem Lande, dessen Königin sie einst sein sollte, erzogen zu
werden. *

1 Fejer, V, 1, 113 fg. - » Fejer, V, i, 159.


Aeußere Begebenheiten. Stephan V. 421

Innere Unruhen und äußere Kriege hatten seit einer Reihe von
Jahren das Reich heftig erschüttert; eine Menge der wichtigsten Ange
legenheiten war in Verwirrung gerathen, die Wohlfahrt der Einzelnen
und der Gesammtheit lag danieder, und besonders die westlichen Ge
genden, welche der Schauplatz des letzten Kriegs gewesen waren, be
fanden sich in tiefem Elend. Sobald der Friede hergestellt war, wid
mete sich Stephan mit Eifer und Einsicht den Sorgen und Geschäften
der Regierung. Die Urkunden, die er um diese Zeit erließ, zeugen von
seinem redlichen Streben, die Wunden des Vaterlandes zu heilen, er
littenes Unrecht gut zu machen und wahre Verdienste zu belohnen. 1
der
So bestätigte
treuen undund
tapfern
vermehrte
Kriegsdienste,
er die Privilegien
die sie geleistet
der zipser
2; der
Sachsen
Stadtwegen
Raab ,

ertheilte er einen Freibrief, kraft dessen die Burghörigen in die Zahl


ihrer Bürger aufgenommen und diese mit neuen Rechten beschenkt
werden, damit die wichtige Festung eine größere Menge von Kriegern
erhalte. 3 Er bereiste das Land und berief in den einzelnen Bezirken
die Adelichen zu Berathungen über die örtlichen Angelegenheiten;
solche Versammlungen des Adels „in dem Landestheil von der Donau
gegen Osten" hielt er z. B. zu Hayouholm (Hajkuhalom?) und Heves,
wo dieAber
Privilegien
die Hoffnungen
des erlauer
, welche
Bisthums
das Volk
gesetzlich
auf den
erneuert
thatkräftigen
wurden. Kö
4

nig setzte, sollten nicht in Erfüllung gehen; eine That leichtsinniger


Verwegenheit führte seinen Tod herbei. Der einflußreiche, von der
Königin Elisabeth begünstigte Ban von Slawonien, Joachim Pektari,
stand mit dem Grafen Rudolf von Habsburg, dessen Ansehen und
Macht täglich stiegen, in Verbindung und strebte, ihn auch mit dem
ungarischen Königshause in ein engeres Verhältniß zu bringen. Als
Stephan im Sommer 1272 mit einem Heere nach Serbien ging, um die 1272
Streitigkeiten beizulegen, welche in diesem Vasallenlande zwischen sei
nem Schwiegersohne Dragutin und dessen Vater, König Urosch, aus
gebrochen waren, entführte Pektari den Jüngern Prinzen Andreas und
wollte ihn zu Rudolf bringen, wahrscheinlich um ihn mit dessen Toch
ter zu verloben. Daß dies mit Rudolfs Vorwissen geschehen sei, ist
mehr glaublich als erwiesen. Aber sei es, daß Stephan die Absicht
Pektari's nicht kannte, oder daß er sie misbilligte: die Nachricht von
der Entführung versetzte ihn in die heftigste Bewegung; er brach so
gleich aus dem Lager auf und jagte in rastloser Eile dem Entführer nach,
die Aufregung des Gemüths und die Anstrengung der schnellen Reise
in der Sommerhitze zogen ihm eine Krankheit zu, der er am 1. Aug.
im dreiunddreißigsten Jahre seines Lebens erlag. 6

1 Mehrere derselben bei Freher, V, I. — 2 Libertas hospitum de Sce-


pusio vom 22. Nov. 1271, bei Endlicher, Monumenta, S. 522 fg. — 3 Liber
tas hospitum de Jaurino von 1271, bei Endlicher, S. 526 fg. — 4 Privileg1a
ecclesiae Agriens. von 1271, bei Endlicher, S. 529 fg. — 5 Otocari epist.,
bei Fejer, V, n,"315. Engel, Historisch -diplomatische Aufklärungen über
Stephan's V. Tod, in Schedius' Zeitschrift von und für Ungarn, II, 161 fg.
Thuröczy, II, Kap. 77, läßt Stephan auf der großen Insel (Margaretheninsel,
ielleicht gar Schutt?) sterben und auf der Ofener Insel in der Kirche der
422 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Er hinterließ zwei Söhne, Ladislaus und Andreas, und vier Töch


ter. Von den letztern waren Katharina mit dem Serbenfdrsten Dra-
gutin, Anna mit dem byzantinischen Kaiser Andronicus dem Jüngern,
und Maria mit dem nachmaligen König beider Sicilien Karl von Anjou
theils schon verhei^athet, theils verlobt. Die vierte, Elisabeth, lebte als
Nonne im Kloster auf der Margaretheninsel , ward von dem ser
bischen Fürsten Milutin entführt, trennte sich jedoch bald von ihm und
heirathete darauf 1287 den böhmischen Großen Zawis von Rosen berg,
dessen frühere Gemahlin (1279 — 85) Kunigunde, die Witwe König
Ottokar's II., gewesen war und den sein Stiefsohn, König Wenzel IL,
1290 enthaupten ließ. x

Ladislaus IV. oder der Rumane,


1272 — 1290,

war ungefähr zehn Jahr* alt, als sein Vater plötzlich starb, ohne eine
Regentschaft eingesetzt, noch irgendwelche Vorkehrungen zur Verwesung
des Reichs während der Unmündigkeit seines Sohnes getroffen zu
haben. Die Königin -Witwe Elisabeth bemächtigte sich gleich nach
seinem Tode der obersten Gewalt und fing an, die Regierung im Namen
ihres unmündigen Sohnes zu führen. Zum Mitgenossen der Herrschaft
erhob sie ihren Günstling Joachim Pektari, der mittlerweile mit dem
Prinzen Andreas an den Hof zurückgekehrt war 2 und jetzt nichts
Eiligeres zu thun hatte, als die verdienten Männer, die bisher an der
Spitze des Staats standen, ihrer Aemter entheben und sich selbst zu dem
höchst
Heiligeneinträglichen
Jungfrau begraben
Posten werden.
des Oberstschatzmeisters
Aus dem Antwortsschreiben
ernennen zuRudolfs
lassen.

an die Königin Elisabeth, die ihm nach seiner Erwählung zum römischen
König beglückwünscht hatte, geht hervor, daß schon Stephan mit dem mäch
tigen Grafen in einem innigem Verhältnisse gestanden und die Vermählung
des Prinzen Andreas mit dessen Tochter gewünscht habe. Rudolf schreibt
nämlich: „.. . . illins indissolubilis dilectionis identitas, quae cum clarae recor-
dationis viro vestro quasi cor unum et eaden1 amicitia noscitur exstitisse,
dum adhuc viveret, cum eodem decedente nequaquam periit" und ;,. . . . filiam
nostram inelyto Andreae filio vestro cupientis matrimonialis vinculi foedere
couniri." Bei Palaeky, Ueber Formelbüeher, S. 319. Vgl. Szalay, Geschichte
von Ungarn,
1 Chron. 2.Aulae
Ausg.,regiae
II, 92,
(Bohemiae),
Note 1. bei Dobner, Monumenta, V, ad ann.

1279—90. Vgl. Palaeky, II, Abth. 1, S. 310 fg. — 2 Das Chronic. Claustro-
Neoburgense, bei Pez, I, 472, und Hist. Australis plenior, bei Freher, I,
480, berichten zwar, daß Andreas mit Rudolfs Tochter Clementine verlobt
und an dessen Hof erzogen wurde; sie befinden sich aber offenbar im Irr-
thum: denn Ladislaus schreibt 1274 an Rudolf: „Cum in sublimitate vestri
Hominis tanquam in ortu novi sideris gratulemur ex intimis , cupientes , ut
affectum nostrae mentis proximitatis annexio sequeretur, super matrimonio
contrahendo inter filiam vestram prineipaliter, si exstat, aut filii vestri vel
filiae seu sororis filiam et fratrem nostrum charissimum Andream, inelytum
Ducem Slavoniae et Croatiae infra oetavum annum constitutum." Die Ver
lobung wurde erst 1277 unter der Bedingung beschlossen, wenn die Ge
sandten Rudolfs, die den Prinzen in Augenschein nehmen sollten, an ihm
„kein auffallendes Gebrechen" entdeckten.
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 423

Dieses unwürdige, gesetzwidrige Verfahren erbitterte den Palatin Finta,


den Oberstschatzmeister Egidius und andere ihrer Aemter beraubte
Herren so sehr, daß sie in den königlichen Palast zu Stuhlweißenburg
gewaltsam eindrangen und die Königin mit dem jungen König dort ge
fangen hielten, wahrscheinlich um den Widerruf ihrer Amtsenthebung
und die Entfernung Pektari's vom Hofe zu erzwingen. 1 Aber schon
versammelten sich die Stände daselbst zur Krönung und befreiten die
Gefangenen , worauf Ladislaus in den letzten Tagen des August ge- 1272
kröntDem
2 undGesetze
Andreasund
zumder
Herzog
Gewohnheit
von Slawonien
gemäß waren
ernanntzwar
wurde.
außer der

Königin -Mutter noch der Palatin Moses, Gemahl von Bela's IV. Toch
ter Sabina, und der graner Erzbischof Philipp nebst den übrigen höch
sten weltlichen und geistlichen Würdenträgern des Reichs Mitglieder
der Regentschaft; aber die Macht lag fast ausschließlich in den Händen
Pektari's, der Elisabeth nach seinem Willen lenkte. Und aus den Vor
gängen, die schon vor der Krönung stattfanden, ließ sich von der Re
gierung nicht viel Gutes erwarten; Hofkabalen und Gewaltthätigkeiten
standen in Aussicht. Dabei ward die Erziehung des jungen Königs
gänzlich vernachlässigt; man umgab den Knaben mit allen Zeichen der
königlichen Würde und Macht, ließ seinen von Natur heftigen Leiden
schaften freie Zügel und gewöhnte ihn an Ausschweifungen. 3 Das
Sendschreiben der Regentschaft an die Stadt Traw in Dalmatien kenn
zeichnet den Geist, der diese beseelte, und die Gesinnungen, die dem
jungen Fürsten eingeflößt wurden. „Erkennet es, Getreue", lassen sie
ihn schreiben, „daß wir mit dem Diadem unsers Reichs bezeichnet und
durch Gottes Gnade gekrönt sind, .... darum befehlen wir euch ge
bietend, in allem, was uns und unsern geliebten Ban Joachim betrifft,
mit solcher Treue zu verfahren , daß wir euch alles Gute erweisen
mögen. Denn wisset: obgleich wir noch im Knabenalter stehen, be
sitzen wir doch durch Gottes Gnade die Gewalt, alle, die sich gegen uns
auflehnen, mit Macht zu bändigen: daher, wenn irgendwelche Treu
losigkeit in euerm Herzen aufsteigen sollte, ihr weder zu Wasser, noch
zu Lande
Zorn unsern
, vielleicht
Händen
auchentrinnen
Furcht vor
werdet."
der Rache
4 der Königin und Pek

tari's, machte Egidius und seinen Bruder Gregor (beide nannten sieh
von Budamer) zu Landesverräthern, sie flohen zu Ottokar nach Böh
men 1 und
Elisabeth
überlieferten
sagt in der
ihmUrkunde,
das wichtige
bei Fejer,
Presburg;
V, II, Ottokar
131: „Cum
aber
quidam
war

infideles .... regui nostri apud Album ante tetnpus coronationis carissimi
filii nostri regis Ladislai contra nostram Excellentiam manu armata insur-
gentes", und Ladislaus, bei Fejer, V, n, 425: „Cum per Finta palatinum
captivatl essemus." — 2 Sein Sendschreiben an die Stadt Traw ist datirt:
„in quindenis Sancti Stephani Kegis", bei Lucius, De regno Dalmatiae, Lib. IV,
c. 9. —' 3 In der bereits angeführten Urkunde, Fejer, V, n, 425, lesen
wir, daß Andreas Käplony, wie es scheint, sein Erzieher, als Majestätsbelei
diger gestraft wurde , weil er den schon gekrönten König gezüchtigt hatte
(„cum cambuca percutiens"). Später wurde Ban Matthias, Vajdä von Sieben
bürgen, sein Erzieher, wie der Biograph der heiligen Margaretha berichtet;
bei Katona, VI, 689. — * Lucius, IV, 9.
424 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

treulos genug, den erst im vorigen Jahr feierlich beschworenen Frie


densartikeln zuwider Presburg in Besitz zu nehmen und die Ueberläufer
mit Gütern in Oesterreich zu beschenken, die jährlich 2000 Mark Silber
eintrugen. l Er hatte jedoch bald Ursache, seine Treulosigkeit zu be
dauern. Heinrich von Güssingen, der sich bereits mit einer Tochter
Smil's von Lichtenberg vermählt hatte und böhmischer Landstand ge
worden war, sah mit Neid und Unwillen die Gunstbezeigungen, mit.
denen Egidius, von jeher sein gehaßter Feind, überhäuft wurde; er ver
ließ
garetheninsel
Böhmen und
heimlich,
trug seine
erschien
Dienste
am gegen
ungarischen
Ottokar Hofe
an, in auf
dessen
der Plane
Mar-

er eingeweiht war; hier ward er mit offenen Armen aufgenommen und


erhielt seine ausgedehnten Besitzungen zurück. Allein der gewalt-
thätige Mann gerieth mit dem Prinzen Bela, Boleslaw's Sohn und
Nachfolger im Banate von Macsö, in heftigen Streit, tödtete ihn im
Zweikampf und hieb in der Wuth des Zorns sogar den Leichnam in
Stücke.
Die Königin und ihre Höflinge nahmen sich den gewaltsamen Tod

des Prinzen, den sie des geheimen Einverständnisses mit Ottokar be


schuldigten, nicht sehr zu Herzen, denn kurz darauf ernannten sie Hein
rich zum Ban von ganz Slawonien. 2 Sie schickten aber dennoch eine
Gesandtschaft an Ottokar, die ihm den tiefen Kummer des Königs und
seiner Mutter über den schmerzlichen Vorfall meldete und ihn zugleich
auf Grund des letzthin geschlossenen Friedens ersuchte, Presburg heraus
zugeben. Aber Ottokar war oder stellte sich entrüstet über das
schmähliche Ende seines Schwagers, forderte vor allem die Auslieferung
seines Mörders und erklärte, daß er die Verweigerung derselben als
einen Friedensbruch ansehen werde, den er mit den Waffen rächen
müsse. 3 Denn er kannte die Zerfahrenheit der ungarischen Zustände,
und willkommen war ihm jede Veranlassung zu einem Krieg, von dem
er sich den glücklichsten Erfolg versprechen durfte. Der ungarisehe
Hof hingegen wünschte im Bewußtsein der eigenen Schwäche, den Frie
den zu erhalten , und forderte den Papst als Garanten desselben auf,
den böhmischen König von Feindseligkeiten abzumahnen. Gregor X.
erfüllte die Bitte, doch seine Ermahnungen und die Vorstellung, Otto
kar möge bedenken, wie das Kind, welches König von Ungarn heiße,
ihn gar nicht habe beleidigen können, fanden kein Gehör4; und bald
reizte ein neuer Vorfall Ottokar noch heftiger zum Kriege. In Egidius'
Brust hatte nämlich die Vaterlandsliebe bereits über den Zorn gesiegt;
von Reue getrieben, verließ er Oesterreich, ging nach Presburg, dessen
Besatzung ihm als dem Vertrauten Ottokar's bereitwillig gehorchte, und
laus
überlieferte
1zum
Da
Chron.
jede
Bandie
Anstr.,
Hoffnung
von
Stadt
Macsö.
beiwieder
Freher
auf Erhaltung
den
ad Ungarn.
ann. 1272.
des Zum
Friedens
Anonym.
Lohngeschwunden
Leobiens.,
erhob ihn bei
Ladis-
war,
Pez,

I, 840. — % Als solcher kommt er schon in den Urkunden von 1273 vor. —
3 Chron. Austr., bei Freher, I, 464. Annales Altahens. , ebend., S. 558. —
* Epist. Gregorü X. ad Ottocarum, bei Raynaldus, Annales eccl. ad ann. 1272,
und bei Fejer, V, h, 640.

-
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 425

rüsteten sich die Ungarn mit der gewohnten Schnelligkeit, sodaß sie
schon in den ersten Tagen des Februar 1273 in Mähren, Oesterreich und 1 J73
Steiermark einbrachen, diese Länder durchstreiften, von da nach Kärn
ten hinübergingen und mit mehrern tausend Gefangenen heimkehrten,
ohne auf eine feindliche Macht zu stoßen. Seit der Entvölkerung ihres
Landes durch die Mongolen waren Menschen die Beute, nach der sie
in allen Kriegen vornehmlich strebten. Ottokar hatte seine Rüstungen
noch immer nicht vollendet, darum errichtete der Adel der Überfallenen
Länder einen Waffenbund. Die Verbündeten drangen nach Ungarn
vor, eroberten Raab und führten den Befehlshaber der Stadt, Bischof
Jakob von Fünfkirchen, nebst andern ungarischen Bdeln gefangen nach
Oesterreich ab. Im Mai setzten abermals andere Scharen aus Oester
reich und Mähren über die March, nahmen Sanct- Georgen und er
stürmten Neitra, wobei sie diese Stadt plünderten, sodann anzündeten
und die Einwohner , die sich in die Kirche geflüchtet hatten , tödteten. x
Raab wurde indessen schon nach einigen Wochen durch den Obergespan
von Eisenburg, Georg, und Ivan (Johann) von Güssingen, Heinrich's
Sohn Erst
und gegen
ödenburger
Ende Obergespan
Juli hatte sich
, zurückerobert.
Ottokar in Bereitschaft
2 gesetzt und

seinen Kriegsvölkern die Stadt Laa zum Sammelplatz angewiesen.


Noch ehe diese dort vollzählig eingetroffen waren, ging Heinrich von
Güssingen mit 30000 Mann, großentheils Reitern, über die March und
griff das böhmische Lager an. Der Landeshauptmann Kärntens, Ulrich
von Dürnholz, stellte sieh ihm außerhalb der Verschanzungen entgegen,
fiel aber in dem Gefecht; seine Truppen wurden in das Lager zurück
geworfen und wagten keinen Ausfall mehr, wiewol die Ungarn sie zwei
Tage lang zum Kampf reizten und die Umgegend verwüsteten, bis Otto
kar selbst heranrückte, dessen Heer nun bereits bei 60000 Streiter
zählte. Der Uebermacht weichend, zog sich Heinrich über die March zu
ruck, vermied sorgfältig jedes ernstliche Treffen und nahm erst hinter
der Waag Stellung, um die Linie derselben zu decken. Ottokar drang
daher ohne Widersland bis an den reißenden Fluß vor, wagte aber
nicht, denselben im Angesicht des feindlichen Heers zu überschreiten,
sondern beschäftigte sich länger als einen Monat mit der Eroberung
fester Plätze. Den flüchtig gewordenen Landleuten, die heimkehren
und ihre Arbeiten wieder aufnehmen würden, ließ er Gnade und Schutz
verkundigen, weil er ihrer zur Einheimsung der Ernte und zu allerhand
Dienstleistungen bedurfte, die seine Armee nicht entbehren konnte;
vielleicht auch , weil er diese Gegend schon als seine bleibende Erobe
rung betrachtete. Nachdem er Tyrnau, Sanct- Georgen und zuletzt
auch das feste Presburg erobert hatte , übergab er diese Städte der
Obhut der wiener und neustädter Bürger, schlug eine Brücke über die
Donau — 100 Wagen hatten das Material herbeigeschafft — und ging
auf das rechte Ufer hinüber. An der Rabnitz erwartete ihn abermals
das ungarische
1 Chron. Austr.
Heer,
nnd allein
Altahense,
er vermied
a. a. O. den
— 2Zusammenstoß
Urkunde bei Fejer,
mit V,
dem-
n,

122, 133.
426 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

selben auf diesem gefährlichen Terrain, brachte Wieselburg, Oedenburg


und noch einige weniger bedeutende Ortschaften um den Neusiedler See
in seine Gewalt und kehrte nach Böhmen zurück 1; denn in Deutsch
land trugen sich Dinge zu, die seine ganze Aufmerksamkeit in An
spruch nahmen. Der Krieg hörte nach seinem Abzug thatsächlich auf;
ob es aber zum Abschluß eines Waffenstillstands oder Friedens kam,
ist zweifelhaft 2; Ottokar blieb im Besitz seiner Jüngst gemachten
Eroberungen, und langwierige Unterhandlungen über eine gänzliche
Aussöhnung mit dem ungarischen Hofe nahmen jetzt ihren Anfang,
führten
Diejedoch
deutschen
zu keinem
Fürsten
Ziel. waren endlich des langen Interregnums

müde geworden, während dessen seit 1257 die zwiespältig gewählten


Richard von Cornwall, König Heinrich's III. von England Bruder, und
Alfons X., König von Castilien, den Titel römischer König führten.
Alfons war nie nach Deutschland gekommen, Richard nur von Zeit zu
Zeit erschienen, die deutschen Fürsten durch Geldspenden zu befriedigen
und Kriegsknechte für seinen Bruder zu werben; keiner von beiden
hatte sich in Rom die Kaiserkrone aufsetzen lassen. Deutschland
war von gänzlichem Zerfall bedroht. Daher wurde nach dem Tode
Richard's, am 2. April 1272, Alfons gar nicht in Betracht genommen,
und die Fürsten entschlossen sich, einen König zu wählen, der zwar
durch persönliche Kraft und Weisheit fähig wäre, die Ordnung im
Reiche herzustellen, aber nicht mächtig genug, ihre nach und nach er
rungene Gewalt zu beschränken. Diese Eigenschaften hofften sie in
Rudolf Grafen von Habsburg zu finden, und wählten ihn nach langen
geheimen Unterhandlungen in Frankfurt am Main am 29. Sept. 1273
zum römischen König. Zu den Verpflichtungen, die Rudolf in der
Wahlcapitulation übernahm, gehörte auch die, Oesterreich, Steiermark,
Kärnten, Krain und überhaupt alle deutschen Länder, deren sich der
böhmische König widerrechtlich bemächtigt habe, wieder mit dem Reiche
zu vereinigen. Ottokar, dessen Procurator, Bischof Bernhard von
Bamberg, gleich am Wahltage Protestation eingelegt hatte, versagte
dem Erwählten beharrlich seine Anerkennung. Um so mehr ließ Ru
dolf schon auf seinem ersten Reichstage zu Nürnberg, den 19. Nov.
1274, die Beschlüsse fassen: daß der römische König alle seit Kaiser
Friedrich's II. Excommunication dem Reiche anheimgefallenen Länder
in Besitz nehmen soll, und daß jeder Vasall, der binnen Jahr und Tag
seine Lehen nicht muthet, derselben verlustig ist; daß daher Pfalzgraf
Ludwig den König von Böhmen, der seit König Rudolfs Erwählung
die Belehnung
1 Die Urkunden
wederbeinachgesucht
Fejer, V, n, noch
268, erhalten
275. Ottokar's
hat , auf
Briefe
den im
23.Codex
Jan.

epistolaris Primislai Ottocari IL, edid. Doliner (Wien' 1803), S. 33 fg., 35 fg.
Chron. Austr., a. a. O., S. 464. Leobiense, bei Pez, I, 839. Hierher gehört
auch die Durchstechung der Dämme bei Velbach, welche Horneck in seiner
Reimchronik, Kap. 96, beschre1bt, aber fälschlich in das Jahr 1271 versetzt;
denn Ivan von Güssingen, der dieselbe ausgeführt haben soll, war 1271 noch in
Böhmen. — 2 In den angeführten Briefen redet Ottokar ausdrücklich von einem
Friedensvertrag, der zwischen ihm und Ladislaus abgeschlossen worden sei.
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 427

vor sein Gericht nach Würzburg fordere. 1 Da Ottokar schon vorher


wußte, welches Urtheil er empfangen würde, erschien er nicht vor dem
Gerichte des Pfalzgrafen und ward im Mai auf dem Reichstage zu
Augsburg
Aber inauch
die Reichsacht
alle sonstigen
erklärt.
Umstände und Verhältnisse hatten sich

gewaltig zum Nachtheil des böhmischen Königs umgestaltet. Die


deutschen Fürsten, vormals größtentheils seine Freunde und Bundes
genossen, waren bis auf wenige seine erbitterten Widersacher geworden;
er hatte sie durch seine Eroberungssucht in Furcht gesetzt und durch
Stolz beleidigt. Noch weit gefährlicher war die Unzufriedenheit, die in
den Ländern seines Reichs gärte. Die Einziehung der verpfändeten
und verschenkten Krongüter, die er in vielen Fällen gewaltthätig
durchführte, die häufigen Einkerkerungen edler Herren, die Hinrichtung
mehrerer vornehmer Großen, wie Otto's von Meißau und Seifried's von
Mehrenberg, schwere Auflagen, die das Volk drückten, die Begünstigung
der Deutschen in Böhmen und die Besetzung der höchsten Aemter in den
deutschen Ländern mit Böhmen, alles das hatte ihm die Liebe seiner Völ
ker, die er zu Anfang seiner Regierung besaß, immer mehr entzogen. 2
Schon in dem letzten Kriege gegen Ungarn sehritten seine Rüstungen
so langsam vorwärts, weil die Stände seinen Anordnungen nur mit
Widerwillen gehorchten. Die Nachricht von Rudolfs Wahl und Ab
sichten aber erfüllte die Misvergnügten mit Freude und Hoffnung; sie
setzten sich mit ihm in Verbindung, forderten ihn auf, sie von dem ver
haßten Herrscher zu befreien, und rüsteten sich zum Aufstand.3 Ver
gebens suchte Ottokar, durch Versprechungen und Drohungen, durch
Belohnungen und Strafen die Abtrünnigen zum Gehorsam zurück
zuführen; daß er die Großen seiner deutschen Länder zwang, aber
mals Treue zu schwören und ihm ihre Kinder als Geiseln zu über
liefern, steigerte noch den Haß, den sie gegen ihn bereits im Herzen
trugen. Dagegen suchte Rudolf die Misvergnügten an sich zu ziehen
und ermunterte sie auf jede Art zur Empörung wider ihren angestammten
König. 4 Anfangs setzte Ottokar seine Hoffnung auf den Papst Gre
gor X., der Rudolf längere Zeit hindurch nicht anerkannte, und wählte
ihn zum Schiedsrichter. Allein auch dieser wandte sich von ihm ab,
als der römische König durch seinen Kanzler, den Propst Otto von
Speier,
1 Pertz,
am Monumenta,
9. April 1274
IV, 399.
allen Lambacher,
Rechten und
a. a.Ansprüchen
O. — 2 Contin.
des Reichs,
Cosmae

Prag, ad ann. 1250—75. Dalemil, bei Pez, II, 1044 fg. Pulkawa, bei Dob-
ner, Monumenta, III, 63 fg. Horneck, Reimchronik. — 3 Contin. Cosmae
Prag., S. 418 fg. — * Rudolf hatte nicht die Ansichten von Legitimität und
Rebellion, die sein Haus in spätem Zeiten hegte. „Confortare", schreibt er
an Bores von Riesenburg, das Haupt der böhmischen Misvergnügten, „et
esto robustus in tide, in devotione stabilis, in spe firmus, fidelis noster caris-
sime! nam per soeptrum juramus regium, et in summa veritate, quae est Chri
stus, tibi dieimus, qnod nunquam te majestas regia deseret, sed tibi tanquam
carnali nostro fllio, favorabiliter aspirabif'.u. s. w. In einem andern Briefe
nennt er Bores nostrum et imperii propugnatorem egregium. Codex epist.
Rud. I. etc.; instr. Fr. Jos. Bodmann, 1805, S. 12, 34 u. 46.
428 Vierte» Bnch. Zweiter Abschnitt.

für welche die Kaiser seit 300 Jahren gekämpft hatten, zu Gunsten des
römischen
In dieser
Stuhls
gefahrvollen
entsagte. 1 Lage hing die Rettung oder der Untergang

Ottokar's davon ab , ob Ungarn für oder gegen ihn Partei ergreifen


werde. Er mochte es jetzt bitter bereuen, zuerst das hundertjährige
Bündniß gelöst und sodann auch die neuen Freundschaftsbande, die er
selbst mit dem ärpädischen Hause geknüpft hatte, wieder zerrissen
zu haben. Er trat daher mit dem ungarischen Hof in Verhandlungen,
bei denen ihm König Karl von Sicilien 2 und Herzog Heinrich von
Baiern, der Schwiegersohn Bela's IV. und als sein Bundesgenosse mit
ihm zugleich in die Reichsacht erklärt, zu Vermittlern dienten. Unga
rische Gesandte erschienen zwar, wie er verlangt hatte, an seinem Hofe,
und Ladislaus erklärte, ihn unter gewissen, uns unbekannten Bedingungen
zum Vater annehmen zu wollen; aber die Unterhandlungen zerschlugen
sich, da Ottokar von seinen hochgespannten Anforderungen noch nicht
ablassen mochte und am ungarischen Hofe die Abneigung gegen ihn
über die Rücksichten der Verwandtschaft siegte. 8 Denn die herrsch
süchtige und leidenschaftliche Elisabeth konnte es nicht vergessen, daß
er sie zuerst aus Steiermark vertrieben und sodann ihren Schwieger
vater gegen sie aufgehetzt; mit ihr vereint boten die Güssinger, die Bu-
damerer und vor allen der mächtige Pektari, die ihn haßten, ihren gan
zen Einfluß zu seinem Nachtheil auf; das Volk selbst, das in den
vielen Kriegen, die er verursacht, soviel Blut vergossen und so schwere
Bedrängnisse erlitten, hatte sich gewöhnt, ihn als seinen bittersten
Feind zu betrachten, und konnte keine Neigung fühlen, für ihn zu
kämpfen.
Rudolf aber verstand es meisterhaft, durch Schmeicheleien und Ver

sprechungen, denen der Ungar so wenig zu widerstehen vermag, sowol


den König und seine Mutter, als auch die Großen für sich zu gewinnen.
An Ladislaus schrieb er: „Es liegt uns sehr am Herzen, daß das herr
liche und berühmte ungarische Reich den Glanz des alten Ruhms wie
dererlange und der Uebermuth seines Feindes (Ottokar's) gebrochen
werde; wir wollen weder unsere Person, noch unser Vermögen schonen,
Fürst,
bis
Füßen
wirauf
unserer
mitden
Gottes
der
siegreichen
Ahnen
Hülfe Tugend,
den
Adler
StolzKraft
erniedrigt
dieses
und
hochmüthigen
Muth
habensich fortgepflanzt
Mannes
Wohlanzu also,
hat,
den

wir bitten, ermannet Euch zur Tapferkeit" u.s.w. Und an die Großen
Ungarns schrieb er: „Was die Standhaftigkeit euerer unbefleckten
Treue und die natürliche Kraft euers Gemüths in hellem Glanze wider
strahlte . . . ., das habt ihr durch Thaten bewiesen, indem ihr fort
fahret, zuvorkommend zu dienen dem erhabenen Ladislaus, König von
Ungarn, und Andreas, dem Herzog von Slawonien, unsern theuern
Söhnen, die wir, seit sie das Schicksal der väterlichen Fürsorge be
raubt1 Fez,
hat, Mom1menta,
wie FleischIV,
von394unserm
fg. Raynaldus,
Fleische Annales
und Gebein
eccl. advon
ann.unserm
1274.

— 2 Das Bevollmäehtigungsschreiben Karl's an seine Gesandten, bei Fejer,


V, II, 311, 323. — s Die Briefe Ottokar's an Ladislaus, bei Fejer, V, n,
280 u. 316.
Aeuüere Begebenheiten. Ladislaus IV. 429

Gebeine in unsern väterlichen Schos aufgenommen haben und hegen


wollen. .... Indem wir nun gesonnen sind, euch dafür reichlicher zu
belohnen, so fordern wir es als einen besondern Dienst, daß ihr die
Vorzüge , die etwa in unserm romischen Reich oder bei uns schimmern
und an denen ihr Wohlgefallen findet, in der Zuversicht, sie zu erhalten,
von uns verlanget." 1 Kein Wunder also, daß Rudolf am ungarischen
Hofe den Sieg über Ottokar davontrug, der auch jetzt noch drohte und
forderte, wo er hätte nachgeben und bitten sollen. Die feindselige
Stimmung gegen letztern äußerte sich hier immer unverhohlener, die
Bedingungen, unter denen man den Abschluß eines Vertrags in Aus
sicht stellte, wurden täglich härter; zuletzt machte man sogar den Vor
schlag, daß Ottokar und Ladislaus an der Spitze bewaffneter Scharen
eine Zusammenkunft halten und einen Vergleich, wie ihn die gegen
wärtige Lage der Dinge fordere, eingehen sollten. Ottokar sah ein,
daß eine derartige Zusammenkunft, wo zwei Heere gerüstet einander
gegenüberständen, sogleich den Krieg herbeiführen müßte, wenn er sich
nicht jeder Bedingung unterwerfen wollte, und daß dies eben die Ab
sicht der ungarischen Regentschaft sei: darum erwiderte er auf diesen
Vorschlag, er werde mit Ladislaus nicht zusammentreffen, solange
Pektari an dessen Seite sich befinde, jedoch mit ganzer Macht an dem
bestimmten Orte erscheinen, um seine Länder gegen jeden Angriff zu
schützen ; übrigens wünsche er den Frieden nach den bereits .ver
abredeten Punkten aufrecht zu erhalten. 2 Diese Antwort gab dem
ungarischen Hofe einen Grund an die Hand, mit Ottokar offen zu
brechen und das längst gewünschte Bündniß mit König Rudolf ein
zugehen.
Nachdem sich Rudolf den Beistand Ungarns gesichert hatte, be- 1276

gann er den Krieg. Mit dem Hauptheer rückte er vom Rhein über
Nürnberg vor, und da, von der drohenden Gefahr geängstigt, auch der
letzte Freund Ottokar's, Heinrich von Baiern, auf seine Seite trat,
wandte er sich plötzlich nach Oesterreich, nahm Klosterneuburg und
stand schon am 15. Oct. vor Wien, das er Tags darauf umschloß. Das
ungarische Heer näherte sich der Grenze in zwei Abtheilungen, deren
eine der Verabredung gemäß in Niederösterreich einfallen und die an
dere über Mähren nach Böhmen vordringen sollte. Da standen in Böh
men und Mähren die mächtigsten Barone gegen Ottokar auf; in Kärnten
und Steiermark schloß der größte und angesehenste Theil des Adels
einen Bund für Rudolf, dessen Partei auch in Oesterreich die Oberhand
gewann und ihm die Thore der Städte öffnete. Wien allein," das Otto
kar ganz besonders begünstigt hatte, leistete beharrlichen Widerstand.
Der einst so mächtige König, der erst vor einigen Jahren ein Heer von
150000 Kriegern wegen geringfügiger Ursache gegen Ungarn geführt
hatte, konnte jetzt, wo es sich um Sein und Nichtsein handelte, kaum
20000 Mann zusammenbringen; er sah die Unmöglichkeit des Wider
stands ein und durfte nur vom Frieden noch Rettung erwarten. * Daher

1 Fejer, V, II, 329, 321. Bodmann, Codex epist. Rudolpbi I. — > Der
Brief Ottokar's bei Fejer, V, n, 315. — » Contin. Cosmae Prag. Hiat. Austr.
430 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

sandte er Bruno, den Bischof von Olmütz, an Rudolf, damit er um


1276 jeden Preis Frieden schließe. Am 21. Nov. 1276 kam der Vertrag zu
Stande. Ottokar entsagt in demselben allen Rechten und Ansprüchen
auf Oesterreich , Steiermark, Kärnten, Krain und die Windische Mark,
auf Eger und Portenau; der römische König belehnt ihn und seine
Nachkommen mit Böhmen und Mähren; zur Befestigung der fried
lichen Verhältnisse vermählt sich ein Sohn Rudolfs mit einer Tochter
Ottokar's; der König von Ungarn wird in diesen Frieden eingeschlossen;
alle gegenseitig von Ungarn wie von Böhmen gemachten Eroberungen
werden zurückgegeben und die alten Grenzen beider Reiche wieder
hergestellt; ferner verpflichtet sich der böhmische König, die aus der
ungarischen Schatzkammer entwendeten Kleinodien auszuliefern. 1 Am
26. Nov. kam Ottokar selbst in das Lager vor Wien, beugte in Gegen
wart aller Reichsfürsten seine Knie vor dem auf dem Throne sitzenden
Rudolf,. leistete ihm den Huldigungseid und empfing die Belehnuug mit
BöhmenDochundOttokar
Mähren.hatte
2 zu hoch gestanden, um die Erniedrigung ge

duldig zu ertragen. Rudolf dagegen hielt ihn noch immer für zu mäch
tig, um nicht Argwohn gegen ihn zu hegen;" er legte die Friedens
punkte zu seinem Vortheil aus, drängte seinen Gegner in den Tractaten
zu Wien vom 6. Mai und zu Prag vom 12. Sept. 1277 von einer Con-
cession zur andern, und beleidigte ihn vorzüglich dadurch, daß er die
aufrührerischen Barone, die auch jetzt nicht gehorchten, für seine Die
ner erklärte und in Schutz nahm. 3 Ottokar glaubte daher nur die
Wahl zu haben , entweder schmachvoll untergehen, oder das Aeußerste
wagen zu müssen, und entschloß sich zur Erneuerung des Kriegs. Auch
schienen manche mittlerweile eingetretene Umstände seinen Entschluß
zu begünstigen. In Oesterreich hatten erhöhte Steuern, die Erpres
sungen der dort stehenden rheinländischen Truppen und die Wuth, mit
der Rudolfs Anhänger ihre politischen Gegner verfolgten, die neue
Herrschaft unbeliebt gemacht. Herzog Heinrich von Baiern, der sich
in der Hoffnung, der römische König werde ihm Oberösterreich ab
treten, getäuscht sah , näherte sich wieder seinem alten Bundesgenossen,
von dem er ein siebeneimeriges Faß voll Silber zum Gesehenl: soll er
halten haben. 4 Auch mehrere schlesische, polnische und russi: che Für
sten sagten Hülfstruppen zu. Der Eifer der deutschen Fürsten für
Rudolf endlich war merklich erkaltet, seit seine Macht höher, als sie
wünschten,
pars plenior,gestiegen
bei Freher,
war.
I, 6ad am1. 1276. Horneck, Kap. 124. Lambacher,

Oesterr. Interregnum (Wien 1773), S. 146 fg. Kezai, II, Kap. 5, bei
Endlicher.
1 Der Friedensvertrag bei Lambacher, Beilage 74, und bei Fejer, V, II,
324. — 2 Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, 471. Die Erzählung, daß
das Zelt plötzlich geöffnet wurde, während Ottokar kniend huldigte, ist eine
Fabel, wie mauch andere Dinge, mit denen man diesen Act ausschmückte. —
3 Die Briefe Ottokar's an Rudolf, bei Dolliner, Cod. epist. Ottocari, S. 56,
63, 79. — 4 Volcmari abbat. Fürstenfeldens. Chron., bei Oefele, II, 531. —
5 Die erwähnten Beschwerden und diese günstigen Aussichten, nicht aber die
Aufreizungen der Königin Kunigunde waren es, was Ottokar bewog, den
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 431

Um so dringender bedurfte Rudolf der ungarischen Hülfe für den


bevorstehenden Krieg. Auf seinen Wunsch gingen die Bischöfe von
Großwardein und Agram, Ladomer und Timotheus, der Ban Lorant,
der Truchseß der Königin und Obergespan von Neograd Aladar, der
stuhlweißenburger Propst und Vicekanzler Demeter und der ofener
Propst Johannes nach Wien und schlossen dort am 13. Juli 1277 mit 1277
seinen Bevollmächtigten ein neues Bündniß. In demselben wurde fest
gesetzt: Prinz Andreas wird mit Rudolfs Tochter Clementine ver
mählt; Rudolf verspricht, den König von Böhmen ernstlich zur Er
füllung der Friedenspunkte, die Ungarn betreffen, anzuhalten und
nötigenfalls vereint mit Ladislaus zu zwingen ; die verbündeten Fürsten
geloben beiderseitig, keine Ueberläufer aufzunehmen und Friedensstörer,
welche die Grenzgegenden beunruhigen, gemeinschaftlich zu Paaren zu
treiben ; sie sichern ihren Handelsleuten gegenseitig freien Verkehr
zu u.s.w. r Rudolf beschwor den Vertrag in die Hände der unga
rischen Bevollmächtigten und schickte Gesandte an Ladislaus, die ihm
denselben Eid abnahmen und ihn zugleich zu einer persönlichen Unter
redung einluden. In Haimbnrg kamen die Könige zusammen, bekräf
tigten ihren Bund durch Handschlag, versprachen einander, den Krieg
mit ganzer Macht zu führen und einseitig keinen Frieden zu schließen,
und zuletzt
Nachdem nahm
sichRudolf
Rudolf
deninsechzehnjährigen
solcher Weise Ladislaus
die mächtige
znm Hülfe
Sohn an.2
Un

garns gesichert hatte, beschloß er, mit Ottokar entschieden zu brechen.


Einen Br1ef vom 31. Oct. 3, in welchem sich dieser über erlittenes Un
recht, besonders über den Schutz, den Rudolf den noch immer im Auf
stande beharrenden Baronen gewähre, bitter beklagte, faßte er als
schwere Beleidigung auf und ließ sich am 11. Nov. von vier Bischöfen
ein Gutachten ausstellen, daß dieses Schreiben schon an sich ein Frie
densbruch sei. Aber bei den Kriegsrüstungen stieß er auf unüberwind
liche Schwierigkeiten. Er hatte kaum über 500 schwäbische, frän
kische und rheinländische Ritter bei sich, zu deren Besoldung er Bei
steuern von den Bisthümern und Abteien erheben und Abgaben aus
schreiben mußte, wodurch die Unzufriedenheit, die in den neuerworbenen
Ländern ohnedies herrschte, noch vermehrt würde. 4 Wien, obwol er
Rüdiger Paltram verbannt und die Stadt zur freien Reichsstadt er
hoben hatte s, blieb Ottokar ergeben; für diesen waffneten und warben
auch die mächtigen Kunringe und andere Landherren. Und doch
war Rudolf fast ausschließlich auf die streitbare Mannschaft jener Völker-

Krieg zu wagen. Sie war ganz niedergebeugt von seinem Unglück, und er
mußte sie ermahnen, eine hohe Gesinnung anzunehmen und nicht kleinmüthig
zu verzagen. Sein Brief an sie bei Dolliner, S. 61. Wie, gering sie die
königliche Macht und Ehre achtete, bewies sie auch dadurch, daß sie nach
Ottokai^s
1 Fejer,
Tode
V, einen
n, 388.
böhmischen
— 2 DasEdelmann
Einladungsschreiben
heirathete. Rudolfs, bei Katona,

VI, 739. Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, ad arm. 1277. Das
Schreiben Königs Ladislaus, bei Fejer, V, n, 399. Kezai, II, Kap. 5. —
3 Bei Dolliner, Cod. epist. Ottocari, S. 79. — * Lambert, a. a. O., Nr. 84.
— 5 Ebend., Nr. 90, 91.
432 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

schaften angewiesen, in denen die Zuneigung für den vorigen Lan


desherrn von neuem erwachte. Denn die Reichsfürsten gehorchten
seinem Aufrufe zur Waffenhülfe nicht; nur einige Bischöfe, einige dem
habsburger Hause verwandte Reichsgrafen, der" Burggraf von Nürn
berg, Friedrich von Zollern, und Graf Meinhard von Tirol führten ihm
Hülfstruppen zu. Die Armee, mit welcher er im Sommer 1278 ins
Feld Ottokar
rückte, zählte
kämpfte
nicht
mitmehr
ähnlichen
als 10000
Schwierigkeiten;
Mann. 1 der Aufstand der

Barone verminderte die Zahl seiner böhmischen Streiter; der Bann,


den Papst Nikolaus über alle Gegner Rudolfs ausgesprochen hatte 2,
und das Mistrauen in sein wankendes Glück lähmten den Eifer seiner
Bundesgenossen. Aber noch weit verderblicher war für ihn, daß er
selbst mit dem Glück auch alle kühne Zuversicht verloren hatte und
den günstigen Augenblick nicht rasch benutzte. Schon hatte sich in
Brünn um ihn ein Heer gesammelt, das jenem Rudolfs weit überlegen
war; doch wartete er fort und fort auf größern Zuzug, und als er end
lich mit beinahe 30000 Mann in Oesterreich einrückte, vergeudete er
die unwiederbringliche Zeit mit Märschen und mit der Belagerung fester
Plätze, statt schnell auf den Gegner loszugehen und ihn zu schlagen. 8
1278 Unterdessen war König Ladislaus mit 40000 Ungarn und 16000 Ku-
manen * am 6. Aug. bei Presburg angekommen, setzte am 14. über die
Donau und vereinigte sich noch an demselben Tage mit Rudolf, der
seine Ankunft schon mit Sehnsucht erwartet hatte. 6 Ottokar, dem vor
der letzten Entscheidung bangte, wich nun von Ort zu Ort zurück;
allein am 25. Aug. erreichte ihn die kumanische Vorhut unweit Still
fried, zwischen Dürrenkrut und Jedenspeugen , und brachte ihn zum
Stehen ; die Schlacht war unvermeidlich. ,
Die vordersten Reihen des böhmischen Heeres waren aus rus
sischen, polnischen und andern Hülfstruppen gebildet; im Centrum
nahm Ottokar mit auserlesenen Scharen Platz ; die Nachhut befehligte
Milota, gewesener Landeshauptmann in Steiermark. Schon am frühen
Morgen des 26. Aug. umschwärmten die berittenen kumanischen Bo
genschützen die feindliche Armee; die Ungarn, in zwei Heersäulen ge-
theilt — eine führte der Palatin Matthäus Csäk, die andere, in derRenold,
aus dem Geschlechte Bastech, die Reichsfahne trug, der junge König —,
griffen in erster Reihe an; ihnen folgten die schwäbischen und rhein-
ländischen Ritter, die Bischöfe mit ihren Scharen, die Oesterreicher,
Steiermärker, Kärntner und Tiroler unter Rudolf's Oberbefehl; im Hin
tertreffen standen die Krieger Berthold's von Kapellen nebst leichter
ungarischer und kumanischer Reiterei. Der Kampf, der in kur
zer Zeit
1 Hagen,
längsChron.
der ganzen
Austr., Schlachtlinie
bei Pez, I, 1089.
entbrannt
Haselbach,
war, Chron.
wogte Austr.,
lange

ebenda, II, 757. Annal. Coln1ar., bei Urstisius, JI, P. I, 14; P. II, 45. —
2 Annal. Colmar., a. a. O., II, 14. — * Anonym. Leobiens., beiPez, I, 848.
Annal. Colmar., a. a. O. — 4 Bodmann, Cod. epist. Rudolfi, epist. 79:
„Ungariae rex inelytus cum XL millibus Ungarorum et XVI millibus Cuma-
norum Domini nostri obsequiis Be aptavit." — 5 Kezai, II, Kap. 5: „Ipsins
(Ladislai) adventum et nuxilium sicut Dei exoptabat."

>

vie«;,„
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 433

unentschieden, und alsRudolf mit seinem verwundetenPferdestürzte, fingen


die deutschen Scharen, die ihn sinken sahen, schon zu weichen an; aber ein
Haufe Ungarn drang dahin vor, wo Qttokar selbst in den vordersten
Reihen kämpfte; der König zog sich zurück, um nicht umringt und ge
fangen zu werden , sein natürlicher Sohn Nikolaus fiel in die Hände der
Ungarn, und das Vordertreffen gerieth in Verwirrung; die Ordnung ward
jedoch wiederhergestellt, und die Nachhut erhielt Befehl vorzurücken.
Allein Milota hatte mit derselben bereits die Flucht ergriffen, entweder
durch die Pfeile der Kumanen gezwungen, die dem böhmischen Heere in
den Rücken fielen, oder aus Verrath, zu dem ihn die Rache trieb; denn
Ottokar hatte an seiner Nichte gefrevelt und seinen Bruder hinrichten
lassen ; er riß auch die Verstärkungen mit sich , die aus Mähren eben
auf dem Schlachtfelde eintrafen. Umgangen und von allen Seiten an
gegriffen, löste sich jetzt das böhmische Heer in wilde Flucht auf. Otto
kar sah die schreckliche Niederlage der Seinen, aber er selbst mit den
wenigen, die um ihn waren, kämpfte noch immer fort, nicht mehr um
Sieg, sondern um rühmlichen Tod, bis sein Roß unter ihm zusammen
brach. Nun warfen gemeine Krieger einen Strick um seiqpn Hals, zer
schlugen den kostbaren Helm auf seinem Haupte und schleppten ihn
mit sich fort. Da kamen Bertbold Schenk von Emerberg (auch dessen
Bruder hatte Ottokar einst hinrichten lassen) und andere österreichische
Adeliche herbei, erkannten den König, rissen ihn zu Boden und durch
bohrten ihn mit ihren Speeren; an dem selbst seiner Kleider beraubten
Leichnam zählte man siebzehn Wunden. Bei 12000 Mann waren von
seiten der Böhmen in der Schlacht, auf der Flucht und in den Wellen
der March umgekommen; mehrere Tausende fielen in Gefangenschaft,
und das
Nachdem
ganze böhmische
der Sieg errungen
Lager wurde
war, den
entließ
Siegern
Rudolf
zursogleich
Beute. 1 die Un

garn nach Hause; er brauchte sie jetzt nicht mehr; sie aber hätten sich
besinnen und im Bewußtsein der Macht und des vollbrachten Werks
auch einen Antheil an den Früchten desselben fordern können. Frei
lich mußte er selbst bekennen, daß er den großartigen Sieg haupt
sächlich ihnen zu verdanken habe, und er that es auch mit den verbind
lichsten Worten. Er schrieb an Ladislaus: „. . . . Die Zunge vermag
es nicht auszusprechen, die Feder nicht niederzuschreiben, welche
Freude Wir darüber empfinden , daß Ihr Euch so großmüthig und mit
so gewaltiger Macht erhoben habet, unsere gemeinsamen Beleidigungen
an dem Feinde des Römischen Reichs und Ungarns zu rächen. Gott
aus ganzem Vermögen preisend, sagen wir daher Eurer königlichen
Majestät
1 Die den
Beschreibung
innigsten der
Dank
Schlacht
und versprechen
ist hauptsächlich
ausdrücklich,
aus der Reimchronik
daß uns

Horneck's, aus den Chron. Salisburg. bei Pez, 1,327, Colmar bei Urstisius,
II, 46, und Kezai, II, Kap. 5, geschöpft. Rudolf selbst rühmt in einem Brief
an den Papst den Heldenmuth, mit dem sich Ottokar vertheidigte, und das
selbe Lob ertheilt ihm Chron. Salisburg., a. a. O. Die obengenannte Zahl
der Gefallenen gibt Rudolf in einem Briefe an ; die Chronisten setzen dieselbe
auf 14000. Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen (2. Ausg.), II, Abth. 1,
S. 250 — 269.
Feßler. I, 28
434 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

keine Macht des Schicksals dem Euch angelobten Bündnisse untreu


machen soll , sondern daß Wir überall und in allen Stücken Euere An
gelegenheiten als die Unserigen betrachten werden. Wohlan also, Wir
schicken Unsere Gesandtschaft an Euch, damit sie mit Euch berathe,
was in Zukunft zu Unserm beiderseitigen Wohle zu thun sei; Euerm
Willen Unsere Wünsche unterordnend, überlassen wir dieses gänzlich
Euerm Belieben. Und sollte es Euerer königlichen Weisheit gefallen,
mit Unseren Gesandten auch an Uns Gesandte zu schicken , so wird es
Uns sehr freuen ; wir werden sie mit allem Wohlwollen empfangen und
mit befriedigender Antwort an Euch entlassen. " 1 Aber ein sorgloser
Jüngling saß auf dem Throne Ungarns, und räuberische Große, denen
an der Gunst des römischen Königs mehr gelegen war als an dem
Wohle des Vaterlandes, führten die Regierung. Die Kleinodien,
welche die Prinzessin Anna einst nach Böhmen entführt hatte, die Beute
auf dem Schlachtfelde und die eroberten Fahnen, die in der Haupt
kirche zu Stuhlweißenburg aufgepflanzt wurden , waren der einzige Ge
winn, den die Ungarn für das geopferte Gut und Blut davontrugen,
während Ru^plf für sich eine Fülle von Ehre und Macht und für sein
Haus den bleibenden Besitz Oesterreichs, Steiermarks, Krains und der
Windischen Mark erwarb, wodurch er den Grund zu dessen nach
maliger Größe legte; während Graf Meinhard von Tirol Kärnten zum
Lohn für seine verhältnißmäßig unbedeutende Hülfe erhielt; während
endlich das Deutsche Reich ohne Anstrengung und Opfer von dem ge
waltigen Vasallen befreit wurde und alle Länder und Gebiete zurück
bekam, die dieser ihm entrissen hatte. Auch die Familienbande, welche
das ungarische Königshaus mit den Habsburgern näher vereinigen sollte,
hatte der Tod des Prinzen Andreas, gegen Ende 1277 oder zu Anfang
1278, bereits wieder aufgelöst, noch ehe sie wirklich geknüpft waren.
Dagegen wurden Rudolfs Tochter Guta mit dem unmündigen König
von Böhmen, Wenzel II., und sein Sohn Rudolf mit dessen Schwester
Agnes verlobt. Die Gesandten, die Ladislaus an den römischen König
schickte, brachten nichts anders als leere Worte und Betheuerungen
unwandelbarer Freundschaft heim. 2 Dennoch verordnete der eitle
Jüngling, daß der Tag des unfruchtbaren Siegs auf dem Marchfelde
alljährlich in allen Theilen des ungarischen Reichs als ein Freudenfest
gefeiert
Außer
werden
dem solle.3
König Ladislaus lebte jetzt nur noch ein Nachkomme

der Ärpäden von männlicher Linie, Andreas, der Sohn jenes Stephan,
der nach dem Tode seines Vaters, Andreas' II., von dessen dritter Ge
mahlin, Beatrix von Este, geboren und später mit der Venetianerin
Thomasine Morosini verheirathet (S. 355), von seinem Bruder Bela IV.
nie anerkannt und verfolgt, seit dem Frieden mit Ottokar von 1271 aus
unsern Augen verschwand. Dieser Andreas ward 1278 als eben
bürtiger
1 Derköniglicher
Brief Rudolfs,
Prinz
bei ins
Katona,
LandVI,
gerufen
743. —und
» Ebend.,
zum Herzog
VI, 741.von

s Kezai, II, 5. Hist. Austr. pars plenior, a. a. O. Anonym. Leohiens., bei


Pez, I, 849.
Aenßere Begebenheiten. Ladisl au s IV. 435

Slawonien ernannt 1 , wo er in stiller Zurückgezogenheit lebte und sich


zuerst mit Clara, des Grafen Albert vonGörz Tochter, verlobte2, jedoch
in der Folge njcht sie, sondern des Herzogs Siemomisl von Cujavien
Tochter, Fennena, heirathete.
Während aller dieser Vorgänge gestalteten sich die innern Zu
stände Ungarns höchst traurig. Elisabeth, obwol am ungarischen Hofe
erzogen, hatte doch die ersten Eindrücke aus der Kindheit behalten
und das kumanische Wesen nicht abgelegt; ihre Verwandten und die
Vornehmen ihres Volks, mit denen sie .sich umgab, verharrten noch
immer in ihrer rohen Ungebundenheit und fingen kaum an, christlich
europäische Gesittung anzunehmen; auch die ungarischen Herren, die
sie als Günstlinge an den Hof zog, waren keineswegs Vorbilder der
Weisheit und Tugend. Solche Beispiele hatte der junge König vor
Augen, unter solchen Einflüssen wuchs er auf, kein Wunder also, daß
sein schon von Natur heftiges Gemülh verwilderte, daß er Vorliebe für die
Kumanen faßte und ihnen an Denkungsart und Sitten ähnlich wurde.
Gegen Isabella, mit der er sich bereits im 16. Jahre vermählt hatte,
fühlte er keine Zuneigung; die kumanischen Frauen, denen die christ
lichen Begriffe von der Ehe noch beinahe gänzlich fremd waren, gefielen
ihm besser; er ließ daher seine Gemahlin bei den Nonnen des Klosters
auf der Margarethen - Insel und führte in Gesellschaft der Kumanen
und ihrer Frauen und mit andern Wüstlingen geistlichen und weltlichen
Standes ein wildes ausschweifendes Leben. In seinem Namen regierten
noch immer die Königin -Mutter und Pektari, und eine schlechtere
Regierung hatte es wol nie in Ungarn gegeben. Zu den höchsten
und wichtigsten Aemtern beriefen sie ihnen gleichgesinnte Menschen, mit
denen sie gemeinschaftlich ohne Scheu alle Gesetze übertraten und den
Staat, die Kirche und Privatleute beraubten. Ihrem Beispiele folgten an
dere Große; alle Bande des Gehorsams und der Ordnung lösten sich; die
Schlösser, nach dem Einfalle der Mongolen zum Schutze des Landes
gegen feindliche Verheerungen erbaut, wurden Raubnester ihrer zügel
losen Herren , von denen diese auszogen , die Umgegend zu plündern ;
der Schwache fiel dem Starken zur Beute; das Erbe unmündiger Wai
sen theilten die Nachbarn unter sich. s In den Ebenen jenseit der
Donau wanderten die größtentheils noch heidnischen Kumanen umher;
kein Recht des Eigenthums achtend, verwüsteten sie mit ihren Heerden
Felder und Gärten, plünderten wie in Feindesland und verjagten die
Einwohner
1 Die Urkunde
oder machten
bei Fejer,sie
V, zu
H, 472,
ihrendieSklaven.
er „apud4 Kedhida
Die Unsicherheit
sexto kalen-

das junii 1278" für das vesprimer Bisthnm ausstellte; für deren Echtheit
bürgt, daß er sich als König in einer andern vom Jahre 1294 auf dieselbe *f" . '
Bisjetzt
beruft. »m/Hmr,
sind nurVI,diese
1, 303.
beiden
— 2Urkunden
Die Verlobungsurkunde
aus der Zeit, wo
bei er
Fejer,
Herzog
VII, war,
n, 111.
zu, £$JO'
v
Tage gefordert worden. — 8 Die Urkunden des Königs Ladislaus, bei Fejer,
V, II, 440, 446, 468. Der Brief Papst Nikolaus' III. von 1278, bei Raynal-
dus, Annal. eccl. ad ann. 1278, Note 32, und bei Katona, VI, 771. Hist.
Austr. pars plenior. bei Freher. — * Der Brief des Bischofs von Olmütz an
den Papst, bei Raynald. ad ann. 1273, Note 12. Ladislai III. (IV.) reg. con-
stitutio de Cumanis, S. 1 —4, bei Endlicher, S. 359 f§.
S8*
436 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

war so groß, daß der päpstliche Geldsammler nicht wußte, wie er die
erhobenen Summen — damals ein Heiligthum , an das sich nicht leicht
jemand wagte — nach Rom senden solle, und dem Papst die Verlegen
heit meldete,
Beim Papst
in dersuchten
er sich auch
befand.
die Prälaten Ungarns Hülfe. Niko

laus III. schickte Philipp, den Bischof von Fermo, der gerade in sei
nem Auftrage in Dalmatien weilte, als Legaten des Heiligen Stuhls
nach Ungarn. 1 Ladislaus weigerte sich eine Zeit lang, ihn anzunehmen,
1279 that es aber endlich 1279 dennoch, den Ermahnungen des römischen
Königs und wahrscheinlich auch den Vorstellungen der Bischöfe ge
nig
horchend.
jetzt überaus
Zu seiner
geschmeidig
Verwunderung
und nachgiebig.
fand der Legat
Zu Ofen
denamtrotzigen'Kö-
23. Juni, in

Gegenwart der Reichsgroßen, gelobte Ladislaus eidlich, daß er die


Rechte der Kirche, die Gesetze und Gewohnheiten der heiligen Könige
und überhaupt alles, was die Könige bei ihrer Krönung beschwören,
selbst strenge beobachten und auch nicht erlauben werde , daß jemand
dawider handele. Die kumanischen Häuptlinge Uzäk und Tolon ver
sprachen im Namen der sieben Stämme ihrer Nation, daß die Heiden
unter ihnen binnen kurzer Zeit sich zum Christenthum bekehren, daß
alle ihrer wandernden Lebensweise entsagen und Ortschaften bauen,
sich des Rauhens und jeder Gewaltthat enthalten und die Kirchen-
und Klosterländereien , deren sie sich bemächtigt haben, zurückgeben
werden. Zuletzt verpflichtete sich der König, binnen zwanzig Tagen
einen Reichstag zu berufen , und was man dort auf den Rath des Le
manen
gatenAmbeschließen
in10,
folgender
Aug. würde,
ordnete
Weise:
zuder
Alpra
vollstrecken.
Reichstag
und Ozur
2die Angelegenheiten
und sämmtliche der
Häupt
Ku-

linge und Adeliche der Kumanen geloben, daß sie mit ihrem ganzen
Volke die römisch-katholische Religion annehmen und ihr treu bleiben
Die
wollen,
Kumanen
,und stellen
verlassen
Vonvon
jedem
nun ihrer
an ihre
sieben
ZelteStämme
und schlagen
einen feste
Geisel
Wohn

sitze auf. .... Obgleich der Legat darauf gedrungen, daß sie Kopf- und
Barthaare scheren und ihre eigenthümliche Kleidung ablegen, sollen sie
aber
Sie
die
doch
Wohnsitze
werden
einheimischen
müssen
nicht gezwungen
zwischen
sich
sie ihre
von
christlichen
Lebensweise
der
Raub,
werden,
Donau
Mord
Sklaven
dieses
und
nach
undTheiß,
zu
frei
jeder
christlicher
thun;
lassen
an
Gewaltthat
inderden
Sitte
Korös,
übrigen
Sie
einrichten
enthalten
behalten
Maros
Stücken
und
die

Temes, dürfen sich jedoch auch in andern durch die Mongolen ver
Häuptling
auferlegt,
König
Rechte
wüstetenentschädigen
desGegenden
wie
des
ungarischen
dieser
betreffenden
niederlassen
Kriegsdienste
Adels
Ihren
Stammes
verliehen,
Häuptlingen
; die
zu sind
leisten
Eigenthümer
aber
ihre
und
zugleich
Richter;
Adelichen
Der
derselben
die
Palatin
üb«r
Verpflichtung
werden
wird
Verwun
und der
die

dungen
1 Der
und
Brief
Mord
des urtheilt
Papstes der
an Bischof
Häuptling
Philipp,
des vom
Angeklagten
22. Sept. allein,
1278, bei
in

Raynaldus ad ann. 1279; bei Katona, VI, 819. — 2 Ladislai IV. Regia Ar-
ticuli Cun1anor1un, bei Endlicher, S. 554 fg.

*
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 437

höchster
dem Palatin
Instanz
Matthaeus
der König
Csak mit
aufgetragen,
dem Häuptling
im Namen 1undZuletzt
anstattward
des

Königs strenge Acht auf die öffentlichen Angelegenheiten zu haben, Ge-


waltthätige und Räuber zu züchtigen, die den Kirchen, Gespanschaften
und Privatleuten entrissenen Besitzungen ihren rechtmäßigen Eigen-
thümern wieder zu verschaffen. 2 Dieser Beschluß war offenbar gegen den
verderblichen
Nach Beendigung
Einfluß der des
Königin-Mutter
Reichstags undihrer
versammelte
Günstlinge
der Legat
gerichtet.
eine

Synode zu Ofen, um auch die kirchlichen Zustände zu ordnen, die kaum


weniger verwirrt als die bürgerlichen waren. Weil aber unter dem
überwiegenden Einflusse des Legaten Beschlüsse gefaßt wurden, welche
die Freiheit der ungarischen Kirche bedrohten, die Rechte weltlicher
Patrone gefährdeten und besonders den gesetzmäßigen, althergebrachten
Rechten des Königs hinsichtlich der Ernennung zu geistlichen Würden
und der Verwaltung der Einkünfte von den erledigten Pfründen zu
widerliefen 3, so befahl Ladislaus, vielleicht auf den Rath freigesinnter
Bischöfe, die ihre und des Vaterlandes Rechte dem römischen Stuhl
nicht überliefern wollten, den Richtern und Bürgern Ofens, die ver
sammelten Prälaten von der Stadt abzuschließen und ihnen den Ankauf
von Lebensmitteln nicht zu gestatten; ja, im Zorn widerrief er sogar
seine frühern Gelöbnisse und vollzog die Beschlüsse des Reichstags
nicht. Hierdurch ward die Synode gezwungen, sich am 14. Sept. auf
zulösen. Der Legat zog sich nach Presburg zurück, berichtete die
Sache an den Papst und belegte den König mit dem Bann, das Land
mit dem Interdict.4 Ladislaus aber ließ sich nicht sogleich einschüchtern,
appellirte vom Legaten an den Papst und untersagte den Bischöfen
strengstens allen Verkehr mit jenem. Der Bischof von Erlau Andreas ge
horchte nicht, da beschuldigte ihn Ladislaus, daß er mit den Aufrührern in
Zipsen in Verbindung stehe, überfiel seine Besitzungen im erlauer Thale
und führte die Einwohner nach Szinhalom. Als jedoch der Papst einen
drohenden Brief übersandte 6, auch die Könige Rudolf von Deutschland
und Karl von Sicilien dringend zur Nachgiebigkeit ermahnten 6, verließ
ihn die anfängliche Kühnheit; reumüthig bekannte er am 18. Aug. 1280, 1280
jugendliche Unbedachtsamkeit und die Einflüsterungen böser Rathgeber
hätten ihn verleitet, in den Beschlüssen der Synode eine Verminderung
der königlichen Rechte zu erblicken , er verpflichtete sich neuerdings zur
pünktlichen Vollziehung der Reichstagsbeschlüsse, gelobte, zur Buße
jährlich 100 Mark Silber aus den Bergwerken zu Göllnitz in Zipsen
an das Hospital zu zahlen, welches der Legat gründen wolle, verlieh
außerdem mehrern Kirchen bedeutende Schenkungen und versprach
endlich, alle Beschlüsse der Kirche wider die Ketzer im ganzen Um
fang seines Reichs, besonders in Bosnien, zu vollziehen. 7
1 Die
Ladislai
Wirksamkeit
III. Regis Constitutio
des Legaten de Cumanis
konnte 1279,
schonbeidarum
Endlicher,
keine
S. 559
wohl-
fg.

— 2 Fejer, V, n, 477. — 3 Constitutiones Synodus Budensis, S. 15, 24, 49,


51, 59, bei Endlicher, S. 5G5— G02. — 4 Der Brief des Papstes an Ladislaus
vom 9. Dec. 1279, bei Katona, VI, 823. — 5 Bei Katona, VI, 818 fg. —
6 Raynaldus ad ann. 1279, ep. 8—11. — 7 Die Urkunde bei Katona, VI, 835.
438 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

thätige sein, weil ihm die Erreichung hierarchischer Endzwecke weit


mehr am Herzen lag als die Verbesserung der bürgerlichen Zustände.
Aber wir müssen zugeben, daß ihm die letztere auch bei dem redlichsten
Eifer nicht hätte gelingen können ; denn fremde Einflüsse haben noch
nie einer verderbten Regierung Weisheit, Kraft und Rechtlichkeit ein
geflößt, noch nie einem in Zerrüttung versunkenen Staat aufgeholfen,
sondern nur die Unordnung und den Verfall jedesmal vermehrt. Der
König fuhr fort, sorglos in ausschweifender Lust zu leben, und die
Uebel, unter deren Druck das Volk seufzte, wurden täglich größer.
Einige durch Reichthum und Gewaltthat mächtige adeliche Freibeuter
theilten gleichsam das Land unter sich in Bezirke, in denen sie nach
Belieben Erpressungen, Tyrannei und Raub übten. Johann von Güs
singen beherrschte fast unabhängig seine ungeheuern Besitzungen und
die westlichen Gespanscbaften, ohne nach Recht und Gesetz zu fragen.
Vom zipser Schloß aus plünderten Lorant, des Markus Sohn, und sein
Gehülfe Gregor, der später enthauptet wurde, den östlichen Theil
Oberungarns bis an die siebenbürger Grenze. l In Siebenbürgen wur
den Weißenburg (das heutige Karlstadt) und andere Städte gänzlich
entvölkert. 2 In Kumanien (Moldau und Theile der Walachei) hausten
der Wojwode Lythen und sein Bruder Barbach mit despotischer
Willkür. 3 Die südlichen Theile Ungarns brandschatzte Ban Ste
phan, Joachim Pektari's Bruder. 4 In Dalmatien strebte eine Stadt
die andere zu unterdrücken, die Einwohner Almisas trieben Seeraub,
und die Grafen Subotich von Brebir betrugen sich wie unabhängige
Herrscher. ö
Die Strenge, mit der die Kumanen gezwungen wurden, den Ge
setzen des ofener Reichstags zu gehorchen, brachte sie zur Empörung.
Sie wollten lieber das Land verlassen, als dem Heidenthum und ihrer
1282 Lebensweise entsagen, griffen 1282 zu den Waffen und bahnten sich
unter der Führung ihres Häuptlings Oldamur mit Gewalt den Weg in
die heutige Moldau zu ihren dort gebliebenen Volksgenossen, von denen
sie auch unterstützt wurden. Ladislaus eilte ihnen nach, erreichte und
schlug sie in einer blutigen Schlacht am Sumpfe Hodostava bei Klau
senburg. Oldamur mit einem Theile der Seinen entkam; die andern
wurdenUmzur
diese
Rückkehr
Zeit batgezwungen
der krakauer
und Herzog,
verloren Lesko
einige der
ihrerSchwarze,
Privilegien.
den8

Konrad, Herzog von Masowien, aus seinem Lande verjagt hatte, um


Hülfe; Ladislaus sandte den tapfern Krieger Gregor mit einer Armee
hin, der
1 Urkunden
Konrad bei
besiegte
Fejer, und
V, II,
Lesko
468;wieder
1n, 274.
auf Wagner,
den Fürstenstuhl
Analecta Scepus.,
setzte.7

I, 109. — J Fejer, V, m, 118. — 3 Katona, VII, 911. — 4 Katopa, VII, 767.


— 5 Lucius, De regno Dalmatiae, Lib. IV, c. 9. — 6 Kezai, II, 5. Thu-
roczy, I, 78, und mehrere Urkunden Ladislaus' IV. In einer derselben, bei
Feje, y, m,410, rühmt er sich, die Kumanen bis jenseit der Karpaten ver
folg zu haben und bis an die Grenzen der nogaier Tataren, wohin noch
keiner seiner Vorfahren gekommen, vorgedrungen zu sein. — 7 Dlugoss,
VII, 850, beschreibt auch diesen Feldzug mit fabelhaften Ausschmückungen
und läßt in demselben Thaten geschehen, von denen sich in unsern ein
heimischen Urkunden, bei Fejer, V, m, 384, 394, 410, keine Spur findet.
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 439

Das strenge Verfahren des Königs gegen die Kumanen war viel
leicht die Ursache, daß er mit seiner Mutter in einen Zwist gerieth, von
dem mehrere Urkunden ] zeugen und der ihrem Einfluß auf die Re
gierung ein Ende machte. Aber deshalb gingen die öffentlichen An
gelegenheiten nicht besser. Der Zustand des Landes ward so elend
und hülflos, daß Oldamur 1285 mit einem Haufen Kumanen und no- 1285
gaierTataren ins Land fallen, große Verheerungen anrichten, bisPesth vor
dringen und ungehindert wieder umkehren konnte. Erst in Siebenbürgen
kämpften derselbe tapfere Georg, der in Polen gesiegt hatte, einige
andere Landherren und besonders die Szekler des Stuhls Aranyos
glücklich mit den Freibeuterhordeu und nahmen ihnen die Beute und
mehrere tausend Gefangene ab , die sie mit sich schleppten. 2 Damals
mochten jene Tataren, die gerade nach diesen Ereignissen als Bewohner
Ungarns auftreten, entweder freiwillig im Lande zurückgeblieben oder
als Gefangene
Ladislaus hereingebracht
war seinem Schwiegervater
worden sein. aus leicht erklärlichen Ur

sachen nie gewogen, hatte dessen Ansprüche auf Dalmatien als Mitgift
seiner Schwiegertochter Maria standhaft zurückgewiesen und auch seine
Verträge mit Spalatro und Sebenigo gegen Almisa nicht bestätigt;
dennoch scheint es, er habe vor dem mächtigen und kriegerischen König
Scheu empfunden, die ihn wenigstens einigermaßen in den Schranken
des Anstandes hielt. Seit dieser aber aus Sicilien vertrieben worden
(Sicilische Vesper, 30. März 1282) und vollends nach dessen Tode,
1285, kannte er keine Rücksicht mehr. Er sperrte seine Gemahlin Isabella
in das Nonnenkloster auf der Margarethen-Insel ein, wo es ihr oft
an den nöthigsten Dingen gebrach 3, nahm seine kumanische Geliebte
Edua zum Weibe, die Tatarinnen Kipcsek und Mandula zu Beischlä
ferinnen, und kleidete sich und lebte ganz nach kumanisch- tatarischer
Sitte. 4 Um Staatsangelegenheiten kümmerte er sich täglich weniger ;
es weckte ihn nicht aus dem Taumel der Lust, daß Johann von Güs
singen, dessen Besitzungen sich von der steirischen und österreichischen
Grenze bis Raab erstreckten, mit Herzog Albert von Oesterreich, Kai
ser Rudolfs Sohn, auf Kosten des Landes bald Krieg führte und bald
Frieden schloß; daß der Vasall des ungarischen Reichs, der Serbenfürst
Milutiu 6, seine Jüngste Schwester Elisabeth aus dem Kloster entführte
und sich des macsöer Banats bemächtigte6; daß er selbst seinem eigenen
Volke1 Z.einB.Gegenstand
bei Fejer, V,
derin,
Verachtung
322, 336. und
Katona,
des Ekels
VI, 895.
wurde.
— ' Thuroczy,

II, Kap. 79. Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, 476. Urkunden bei
Katona, VI, 953, 997; bei Fejer, V, II, 394; V, in, 399, 452. Die Nogaier
werden von den Chronisten auch Neugaren genannt. Das russische Fragment,
welches Schlözer (Allgemeine Weltgeschichte, V, 93) mittheilt, enthält lauter
Fabeln. Dennoch hat Engel aus diesem Fragment und aus Horneck's Reim
chronik geschöpft, was er(6eschichte dos ungarischen Reichs) über die Neugareu,
die damals nach Ungarn kamen, sagt. — * Der Brief der Königin, bei Fejer,
V, in, 462, und die unten angeführten Briefe des Papstes und der Cardinäle.
— * Thuroczy, II, Kap. 79. — 5 Sein Bruder Dragutin hatte ihm 1275 die
Regierung abgetreten. — 6 Hanthaler, Fasti Capil. zu Anfang der IX. Dec.
Engel, Geschichte des ungarischen Reichs, III, 238.
440 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

1286 Im Jahre 1286 ward auf dem Felde Räkos bei Pesth ein all
gemeiner Landtag gehalten, der Heilmittel für die Wunden des Vater
landes verordnen sollte. ] Wir kennen die dort gefaßten Beschlüsse
nicht; aber was können Gesetze helfen, wenn niemand da ist, der sie
vollzieht? Vergebens ermahnte und drohte der Papst Honorius IV. mit
dem Bann in einem Briefe, den er dem ehrvergessenen König am 12. März
1287 schrieb. 2 Nach des Papstes Tode trug das Collegium der Car-
dinäle am 2. Aug. dem graner Erzbischof und dem Bischof von Ves-
prim auf, ihn zur Sinnesänderung zu bewegen. 3 Endlich brachte es der
1288 Erzbischof
1288 am 10.Ladomer
Febr. versammelte.
(Wladimir) dahin,
Hier daß
wurden
sich der
die Briefe
Reichstag
des zu
Papstes
Gran

und der Cardinäle öffentlich vorgelesen, und die Stände drangen gleich
falls ernstlich in den König, daß er in sich kehre und seinen Wandel
ändere. Wie gewöhnlich, wenn man mit Nachdruck gegen ihn auftrat,
demüthigte er sich auch jetzt, bekannte mit scheinbarer Zerknirschung
seine Vergehungen, gelobte Besserung und stellte darüber eine feierliche
Urkunde aus. 4 Die Königin setzte er in Freiheit und gab ihr die ge
bührenden Einkünfte zurück. 6 Doch der Erzbischof vergaß auch sei
nen Vortheil nicht; er ließ sich den graner Waarenzoll schenken 6 und
die immerwährende Obergespanswürde von Gran, welche Stephan V.
dem graner
Aber sobald
Erzbischofe
die Gefahr
verliehen
vorüber
hatte
war,
, bestätigen.
dachte Ladislaus nicht mehr

an seine Gelübde und sank in die alten Laster zurück. Die Kumanen,
denen er seine Gunst neuerdings zugewendet hatte, waren nach und
nach wiedergekehrt; ihnen mochten sich noch Tataren zugesellt haben,
und beide trieben es nun so arg, daß alle Sicherheit des Besitzes und
selbst des Lebens aufhörte. Die reiche Geistlichkeit, die von ihnen
besonders viel zu leiden hatte, bestürmte den neuen Papst Nikolaus IV.
und schlug ihm zur Herstellung der Ruhe das heilloseste Mittel vor, zu
dem man hätte greifen können, nämlich einen Kreuzzug. Der Papst
ging auf den Vorschlag ein und erließ am 10. Aug. an den graner Erz
bischof Ladomer den Befehl, in Ungarn und den umliegenden Ländern
wider die Sarazenen, Neugaren und Heiden das Kreuz predigen zu
lassen. 7 Aber die Pöbelhaufen, die sich unter der Kreuzfahne sam
melten, zogen es vor, mit den Kumanen um die Wette zu plündern und zu
morden, statt mit ihnen zu kämpfen. Um dem Unfug derselben Ein
1289 halt
men. zuLadislaus
thun, mußte
ließ man
1289,doch
5. Nov.,
wiederallen,
zu dem
dieKönig
die Waffen
die Zuflucht
niederlegen
neh-

würden, Verzeihung ankündigen 8; als aber die wilde aufgeregte Menge


nicht gehorchte, bot er die Kumanen sammt der Mannschaft einiger Ge-
spanschaften
1 Ladislaus'
aufIV.
undUrkunde
zersreute
bei dieselbe.
Fejer, V,9 in, 317. — ' Bei Katona, VI,

932. Fejer, V, m, 358. — 5 Ebend., die folgenden Seiten. — * Die Ur


kunde bei Katona, VI, 965. — 5 Ebend., S. 939. — 6 Ladislai III. (IV.)
Declaratio und Moderatio telonii Strigoniens, bei Endlicher, S. 605— 612. —
7 Epist. Nicolai IV. ad Lodomer., bei Katona, VI, 370. Fejer, V, 1n, 490.
— 8 Der offene Brief, den Ladislaus in die Gespanschaften schickte, bei
Pray, Hist. reg., I, 304, Note b. — » Ebend.
Aenßere Begebenheiten. Ladislaus IV. 441

Während diese traurigen Auftritte im Osten stattfanden, erlitt das


Land auch im Westen empfindliche Verluste. Johann von Güssingen
und sein Bruder Peter, Bischof von Fünfkirchen, hatten nämlich aber
mals Raubzüge nach Steiermark und Oesterreich unternommen; diesen
Friedensbruch zu rächen, brach Herzog Albrecht in die eisenburger
Gespanschaft ein , nahm den Güssingern 34 Ortschaften und Schlösser
weg und eroberte zuletzt am 4. Nov. auch Güns. 1 Der Bischof
Peter ward unterdessen bei einem Streit, den er mit einem unga
rischen Herrn hatte, erstochen worden. Der König, der für die Ehre und
Unverletzlichkeit seines Reichs keinen Sinn hatte, ließ dies ruhig ge
schehen, ja es mag ihn gefreut ,haben, daß ein anderer den Ueber-
müthigen demüthigte, der ihm nicht gehorchte. In Dalmatien dagegen
unterwarfen sich die Städte Spalatro, Sebenigo und Traw der venetia-
nischen Herrschaft, weil sie der König gegen die almiser Seeräuber
und die
Diemit
Geistlichkeit
diesen verbündeten
war es, die
brebirer
den Kreuzzug
Grafen nicht
veranlaßt
schützte.
und2 wenig

stens anfangs auch die zusammengelaufenen Haufen geführt hatte; mit


Hülfe der Kumanen aber hatte der König diese, als sie dem Lande und
noch mehr ihm selbst gefährlich geworden, auseinandergetrieben: dies be
stärkte ihn noch mehr in seiner Vorliebe für die Kumanen und deren
Bundesgenossen. Er ernannte daher am 20. Juni 1290 den unlängst 1290
getauften Mohammedaner Mizse zum Palatin , übertrug ihm alle Regie
rungsgeschäfte 3 und zog selbst mit den kumanischen Horden in den süd
östlichen Gegenden des Landes umher. Am 10. Juli lagerte er in der
biharer Gespanschaft unweit der Burg Korösszeg; während er hier in
seinem Zelte schlief, überf1elen ihn die Kumanen Arbocz, Törtel und
Kemencse und tödteten ihn mit vielen Stichen. Die Mörder wurden
gefangen und Mizse ließ' sie sammt ihren ganzen Familien martervoll
hinrichten. Der Leichnam des Königs wurde zuerst nach Csanäd ge
brachtSound
endete
sodann
Ladislaus
in der im
großwardeiner
28. oder 29. Gruft
Jahre beigesetzt.
seines Lebens.
4 „Unter

diesem
1 Hist.
Könige",
Austr. sagt
pars Thuröczy
plenior ad,„ann.
fing 1289,
Ungarn
bei an,
Freher,
von I,der
472.
Höhe
Chron.
des

Leobiense, bei Pez, I, 862. Der Brief Herzog Albert's, bei Fejer, V, in, 482.
— 2 Lucius, De regno Dalmatiae, Lib. IV, c. 9. — 3 Es sind noch meh
rere Urkunden von ihm vorhanden. — 4 Thuröczy, II, Kap. 79. Chron.
Budense, S. 210. Es gab Schriftsteller, die wie Kerchelich, Notitiae prae-
liminariae, Ladislaus in Schutz nehmen und den größem Theil der Sünden,
die ihm zu Last gelegt werden, für Verleumdungen der Geistlichkeit er
klären ; diese habe ihn gehaßt, behaupten sie, weil er sich ihr und dem römi
schen Stuhl widersetzte, sie haben ihn als wilden Kumanen verschrien weil
er dieses Volk nicht mit Gewalt zur Annahme des Christenthums zwingen
wollte. Aber gesetzt, es wären manche seiner Fehler auch übertrieben wor
den, und daß es dem unerfahrenen Jüngling nicht möglich war, den Trotz
der mächtigen Barone zu brechen : so zeugt doch die traurige Zerrüttung des
Landes und der tiefe Verfall, in den dasselbe während seiner Regierung ge-
rieth, von seinem Unwerth. Dagegen bedürfen auch die Ungereimtheiten
keiner Widerlegung, welche Dlugoss, VTI, 803 u. 856, Bonfinius, Dec. II,
Lib. LX, und der Fragmentist bei Schlözer über Ladislaus erzählen und an
dere ihnen nachsprechen.
442 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Ruhms zu sinken , wie die folgenden traurigen Ereignisse und Begeben


heiten zeigen werden; denn es erhoben sich Bürgerkriege, Städte wur
den zerstört, Dörfer niedergebrannt und zunichte gemacht, Friede
und Eintracht verschwanden; die Reichen verarmten, die Adelichen
machte das Elend zu Bauern. Zu dieser Zeit kamen zweiräderige Kar
ren in Gebrauch, die von den Einwohnern Wagen des Königs Ladislaus
genannt wurden; denn durch die unaufhörlichen Räubereien verminderte
sich das Zugvieh so sehr, daß die Menschen die Stelle desselben ver
treten mußten." Andreas in. 1290—1301.

Der letzte anerkannte männliche Nachkomme Arpäd's, Andreas


der Venetiauer, seit beiläufig zehn Jahren Herzog von Slawonien, be
stieg nun den Thron. Seinen Vater, den nachgeborenen Stephan
(oben S. 355), hatten Bela IV. und Stephan V. nie als rechtmäßigen
Sohn Andreas' II. anerkannt, sondern feindselig verfolgt und von Un
garn entfernt gehalten. 1 Auch Ladislaus mochte nur dem laut ausgespro
chenen Verlangen des Volks, welches das Aussterben des königlichen
Hauses befürchtete, nachgegeben , nicht aus eigenem Antrieb gehandelt
haben, als er Andreas ins Land berief und durch die Erhebung zum
Herzog von Slawonien für den präsumtiven Thronerben erklärte. Denn
dieser Prinz, wie sich aus dem beinahe gänzlichen Mangel an Spuren
seines Wirkens schließen läßt, hat mehr den Titel als die Gewalt eines
Herzogs von Slawonien besessen; es mußte also entweder Ladislaus
seinen Einfluß beschränkt, oder die eigene Voreicht ihm angerathen
haben, sich von den öffentlichen Geschäften zurückzuziehen, um nicht
den Argwohn des ihm ungünstig gesinnten Königs zu wecken. 2 Kein
Wunder also, daß nach Ladislaus' Tode mehrere ausländische Fürsten
als Thronprätendenten gegen ihn auftraten, und daß auch im Lande
eine Partei
Sobaldsich
Andreas
seinerdie
Thronbesteigung
Nachricht von widersetzte.
der Ermordung des Königs er

halten hatte, sandte er den st.uhlweißenburger Propst und königlichen


Vicekanzler, Theodor Rumi, mit Gold- und Silbergeschirr nebst andern
Kostbarkeiten voraus, und brach dann mit seiner Gemahlin Fennena
(wahrscheinlich aus Knin, der Hauptstadt Kroatiens) nach Stuhlweißen
burg 1 zur
DieKrönung
ihn betreffenden
auf. DerArtikel
erstere
der langte
Friedenstractate
dort glücklich
Bela's an;
IV. mit
aberVene
ihm

dig von 1244, oben S. 390, und Stephan's V. mit Ottokar von 1271, oben
S. 419. — 3 Hist. Austr. pars plen. , bei Freher, I, 480, und Chronic. Clau-
stro-Neoburgens. , bei Pez, I, 471, berichten, Andreas habe, bevor er König
wurde, eine Zeit lang unter dem Schutze Albrecht's von Oesterreich gelebt
und von ihm sogar den Lebensunterhalt empfangen. Aber es ist unstreitig,
daß er Herzog von Slawonien war und ein bedeutendes Privatvermögen be
saß, sodaß er keiner Almosen bedurfte; auch ist es nicht recht denkbar, daß
Albrecht, der gewiß schon damals mit Planen, die Herrschaft über Ungarn
zu erlangen umging, seinen gefährlichsten Nebenbuhler in Schutz genommen
haben sollte.

^
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 443

selbst lauerte Johann von Güssingen auf und nahm ihn mit seinem Ge
folge, als er die Drau überschritten hatte, gefangen. Doch gelang es
dem Propst Theodor in Verbindung mit Gregor und Ogyoz von Ka-
lota, ihn schon nach einigen Tagen aus des Güssingers Händen zu be
freien, indem sie diesem ein bedeutendes Lösegeld versprachen und der
erstere seinen Bruder Ladislaus, die letztern ihre Söhne als Geiseln
stellten. 1 Als Andreas in Stuhlweißenburg ankam, Buchten seine Geg
ner, zum offenen Widerstand zu schwach, durch Ränke seine Krönung
zu verhindern; sie verbargen unter anderm die Krone nebst den Reichs-
insignien. Aber seine Freunde vereitelten durch kluge Entschlossen
heit alle Hindernisse; Propst Theodor entdeckte die Krone2, und der
granerIndessen
Erzbischof
warWladimir
schon einsetzte
untergeschobener
sie ihm am 28.Betrüger
Juli aufs aufgetreten,
Haupt. 3

der sich für Andreas, des vorigen Königs 1277 odet, 1278 gestorbenen
Bruder, ausgab und zahlreichen Zulauf fand. Der König sandte Georg
Sös von Sovär gegen ihn, der die zusammengerotteten Haufen mit leich
ter Mühe zerstreute und ihn selbst nach Polen trieb, wo er bald darauf
bei Chroberz
Größere inGefahr
der Nidra
drohte
ertrank
dem Vaterlande
oder ersäuftund
wurde.
seinem
4 Könige von

außen. Kaiser Rudolf erklärte zu Erfurt am 31. Aug. Ungarn für ein
erledigtes Reichslehen, weil König Bela IV. 1241 durch den Bischof
von Waitzen Stephan dem Kaiser Friedrich II. als seinem Lehnsherrn
gehuldigt habe, und belehnte damit seinen Sohn, den Herzog Al
brecht von Oesterreich. * Rudolf mußte zwar wissen, daß Bela die
Huldigung nur bedingungsweise geleistet und später mit Recht wider
rufen habe, weil Friedrich ihm die bedungene Hülfe wider die Mon
golen nicht gesendet 6; aber von Ländergier verblendet und in Erman
gelung jedes andern besser begründeten Anspruchs, gebrauchte er die
sen Vorwand, seinem Hause wo möglich die Herrschaft über das
große Reich zu verschaffen. Und ließe sich dieses unberechtigte und
anmaßende Beginnen noch mit dem Beispiele vieler anderer Fürsten
entschuldigen, so ist der Anschlag, den er etwas später nicht nur gegen
die Selbständigkeit, sondern gegen das fernere Bestehen Ungarns faßte,
desto unverzeihlicher. Um nämlich seinen Eidam, König Wenzel IL
von Böhmen, der als Urenkel Bela's IV. ebenfalls Ansprüche auf den
ungarischen Thron machte, zu beschwichtigen, brachte er sogar eine
Theilung
1 Urkunden
Ungarns
Andreas'
in Vorschlag,
III. und Fennena's
vermöge deren
vom 10.
dasJan.
Gebiet
1293,rechts
bei Pray,
von

Hist. Reg., I, 308, Note a, und bei Fejer, VI, i, 23G, 201. — 2 Die unter a
angeführten Urkunden Andreas' III. — 8 Thuröczy, II, Kap. 82. Vgl. Chron.
Budense, nach der Ausgabe von Podchraczky. — 4 Urkunde Andreas' III.
von 1291, bei Wagner, Diplom. Saros., S. 304. Hist. Austr. pars plen.,
a. a. O. Aus Unkunde der ungarischen Zustände berichtet Dlugos, daß der
wahre Bruder des Königs Ladislaus auf diese Art umgekommen sei, Hist.
Polon., VII, 856. Vgl. Lucius, De regno Dalm. , IV, Kap. 10. Die Nachricht
muß aber auf den falschen Andreas bezogen, werden; denn Prinz Andreas
starb noch im Kindesalter am ungarischen Hofe. — ' Die Urkunde Rudolfs
bei Pray, Hist. Reg., I, 310; bei Fejer, VI, i, 47, und bei Parte, IV (Leges,
IL), 244. — « Vgl. oben S. 373 u. 391.
444 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

der Donau an Albrecht, das links gelegene an Wenzel fallen sollte. '
So erfüllte Rudolf jene glänzenden Versprechungen, mit welchen er die
Ungarn zum Bündnisse mit ihm lockte; das war der Dank, den er
ihnen dafür abstattete, daß sie für ihn den Sieg über Ottokar er
kämpften; das Reich, dessen Ruhm und Glanz, wie er vorgab, ihm so
sehr am Herzen lag, sollte nicht nur zum Vasallenland erniedrigt, son
dern Unterdessen
zerstückt undhatte
aus der
auchReihe
Maria,
der des
Staaten
ermordeten
gestrichen
Ladislaus
werden.Schwe

ster und Gemahlin Königs Karl II. oder Lahmen von Neapel, ihren
Sohn Karl Martell durch den päpstlichen Legaten, also mit Zustimmung
des Papstes, in Neapel am 8. Sept. zum König von Ungarn krönen
lassen. 2 Nikolaus IV. ging nämlich damit um, durch römische Staats
künste dem Papst die Oberherrlichkeit über Ungarn zu verschaffen, und
Karl Martell, der Sohn seines Vasallen, sollte ihm hierzu als Werkzeug
dienen. Er begann damit, daß er die alten, stets übertriebenen Klagen
über Ausbreitung des Heidenthums, des Mohammedanismus und der
patarenischen Ketzerei in Ungarn wieder aufnahm und am 9. Sept. für
den Franciscanerbruder Benvenuto, Bischof von Eugubio, den er nach
Ungarn zu senden beabsichtigte, Kaiser Rudolfs Schutz und Beistand
nachsuchte. 3 Nachdem ihm aber des Kaisers Plane bekannt geworden,
1291 trat er entschieden gegen dieselben auf. Am 22. Jan. 1291 schickte er
den Bischof Johann von Aesium (Jesi) nach Ungarn mit dem Auftrage,
zu untersuchen, ob Ladislaus im christlichen Glauben oder in den Irr-
thümern des Heidenthums und der Ketzerei gestorben sei, und den Zu
stand des Landes zu erforschen. Zugleich gab er dem Legaten die
Weisung, daß er dem Kaiser Rudolf und dem Herzog Albrecht melde,
Ungarn sei von altersher aus vielfachen Rechtsgründen ein Lehen der
römischen Kirche, deshalb dürften weder sie, noch sonst jemand wagen,
dieses Reich zum Nachtheile derselben an sich zu bringen 4, und schrieb
auch selbst an beide in diesem Sinne. 6 Den ungarischen Erzbischöfen
aber ertheilte er einen scharfen Verweis, weil sie es bisher unterlassen
hätten, ihn über den Zustand, des Landes Bericht zu erstatten, und be
fahl ihnen, allen, die Ansprüche auf den ungarischen Thron machten,
anzukündigen, daß der römische Stuhl allein das Recht besitze, den
selben zu vergeben. * Rudolf kehrte sich nicht an das Verbot des
Papstes, sondern rüstete sich, seine dem Völkerrecht zuwiderlaufenden
Plane zur Unterwerfung Ungarns mit Gewalt durchzuführen und
zu Ehren zu bringen. Gewiß rechnete er hierbei nicht wenig auf
die im Lande selbst herrschende Verwirrung; aber seine Rechnung sollte
sich 1als
König
Pez,
falsch
Cod.
Andreas,
erweisen.
dipl., S.von
204.so Katona,
vielen VI,
Seiten
1052.bedroht,
— 2 Muratori,
suchte VII,
sich 310.
vor

Raynaldus, Annal. eccl. ad ann. 1290, Note 43. — s Epist. Nicolai IV. ad
Rudolph., bei Katona, VI, 1036. — * Epist. Nicolai IV. ad Joann. Aesin.,
bei Raynaldus ad ann. 1291, Note 45, 46. Katona, VI, 1040, 1043. Fejer,
VI, 1, 70, 76. — 5 Epist. Nicolai ad Rudolph, et Albert., bei Raynaldus,
a. a. O., Note 47. Fejer, VI, 81, 82. — 6 Fejer, VI, I, 84. Dobner, II,
377 — 378.

*" V.
AeuJSere Begebenheiten. Andreas HI. 445

allem die Zuneigung seines Volks zu erwerben. Am 22. Febr. 1291 1291
stellte er eine feierliche Urkunde aus, in welcher er die Freiheiten und
Rechte der Geistlichkeit, des Adels, der Bürger in den, Städten und
freien Bezirken, insonderheit der siebenbürger Sachsen, welche ihnen
von den frühern Königen waren verliehen worden und die er selbst bei
seiner Krönung beschworen hatte, feierlich gewährleistete, schon vor
handene Gesetze über Verleihung von Aemtern und Gütern, über Staats
verwaltung und Rechtspflege, über Abgaben und Kriegsdienste be
stätigte, und mehrere neue, zum Theil wichtige Einrichtungen traf. 1
Der Inhalt wie auch die Form der Urkunde sprechen dafür, daß sie auf
einem Reichstage zu Stande kam; aus der Einleitung zu derselben darf
man schließen, daß es die auf dem Krönungsreichstage gegebenen Ge
setze sind, die der König hier veröffentlicht und treu zu befolgen ge
lobt. Die wichtigsten derselben werden wir am geeigneten Orte mit
theilen.
Hierauf begab sich Andreas nach Siebenbürgen und hielt zu

Weißenburg (heute Karlstadt) einen Landtag ab, zu dem er den unga


rischen Adel, die Szekler, Sachsen und Walachen berief, um auch die
dortigen Zustände zu ordnen. 2 Die Beschlüsse des Landtags kennen
wir nicht , aber einige Urkunden , die der König um diese Zeit erließ,
zeugen von seiner Gerechtigkeitsliebe, von seinem Wohlwollen gegen
den Bürgerstand und von dem Eifer, mit welchem er Gewerbthätig-
keit und Handel zu fördern suchte. In Venedig geboren und erzogen,
hatte er deren Wichtigkeit würdigen gelernt. So gab er einem Herrn
Ugrin seine, entweder widerrechtlich eingezogenen oder ihm gewaltsam
entrissenen Besitzungen Fogaras und Szombathply zurück 3, bestätigte <
»die Privilegien der aus Eisenwurzel in Oesterreich eingewanderten
Berg- und Hammerleute zu Toroczko 4, und ertheilte der Stadt Torda
einen Freibrief. 6 ■
Diese Schritte des Königs w'urden mit allgemeinem Wohlgefallen
aufgenommen, gewannen ihm viele Herzen und waren unleugbar die
'wirksamsten Mittel, Ordnung und Ruhe wiederherzustellen. 6 Und die
Gefahr des Vaterlandes, der Fremdherrschaft unterworfen, wol gar
zerstückt zu werden, rief nicht nur alle Wohlgesinnte zur Vertheidigung
desselben auf, sondern bewog selbst die widerspenstigen Oligarchen,
sich um den König zu scharen, der durch Freundlichkeit und Nachsicht
auch sie zu versöhnen strebte. 7 Hatte er doch Nikolaus von Güssingeu,
des Bans
Um Heinrich
Ostern gingen
Sohn, zum
Gesandte
Palatin
zu ernannt.
Herzog Albrecht, die ihn er

suchten,
1 Andreae
die Städte,
Reg. III.
Burgen
decretum
und 1291.
Ländereien,
E transumto
welchecoaevo
er in capituli
der Fehde
Al-

bensis in Transylvania, bei Endlicher, S. 615. — 2 Cum nos cum 1mWersis


nobilibus, Saxonibus, Siculis et Ola his in partibns Transilvanis apud Al-
bam Jnlae pro reformatione status eorundem congregationen1 feeissemus.
Dat. apud Albam Julae in Dominica Invocavit 1291. Fejer, VI, I, 118. —
3 Die obenstebende Urkunde. — * Endlicher, S. 627. — 5 Derselbe, S. 621.
— 6 Der Brief der Königin Fennena, bei Fejer, VI, 1, 90, und des Königs
ebend., S. 120. — 7 Fejer, VI, 1, 116.
446 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

wider Johann von Güssingen erobert hatte, friedlich herauszugeben. 1


Albrecht schlug nicht nur die Bitte ab, sondern fiel auch bald darauf
feindlich in Ungarn ein und brachte Presburg und Tyrnau nebst der
ganzen umliegenden Gegend in seine Gewalt. Aber schon sammelte
sich ein großes Heer um Stuhl weißenburg 2, bei dem sich auch die auf
rührerischen
gespan von Szolnok,
Güssinger
befanden.
und Lorant,
Andreas
Vajdabeschloß
von Siebenbürgen
mit richtigem
und Ober-
Blick

in die Lage der Dinge, den Schauplatz des Kriegs in des Feindes Land
zu verlegen ; er setzte mit 80000 Mann über die Leitha und ließ durch ein
fliegendes Corps das Land verwüsten, während er selbst mit der Haupt
macht Rohrau und andere feste Plätze eroberte, bis Wien vordrang und
die Stadt belagerte. In den Kämpfen, die stattfanden, zeichneten sich
vor Rohrau die Verwandten und Dienstmänner Georg's von Sös und Mi
chaela von Gurethe aus 3; Georg von Sös selbst bewährte sein Kriegs
talent bei der Einschließung Wiens 4; Meister Sinka ward bei einem
Ausfall der Besatzung fast tödlich verwundet 6 ; Paul von Rechk (lies
Retschk) verfolgte einen österreichischen Ritter bis an das Stadtthor,
warf ihn dort durch einen Lanzenstich aus dem Sattel und brachte ihn,
ungeachtet sein eigenes Pferd getödtet wurde, gefangen in das Lager6;
Benedict von Omode, aus dem Geschlechte Aba, wurde beim Nieder
brennen der Vorstädte mit Wunden bedeckt 7; Johannes Kemeny, Bo-
gomer von Szent-Iväny 8 und noch andere verrichteten tapfere Thaten.
Albrecht, auf einen so mächtigen Angriff nicht gefaßt, war gezwungen,
sich zurückzuziehen. Sein stolzes und herrisches Wesen hatte ihm die
Herzen seines Volks entfremdet; fast zu gleicher Zeit mit dem Ein
reich,
marschedieder
Stubenberger
Ungarn erhoben
in Steiermark
sich wider
, die ihn
Scharfenberger,
die Kunringer
Weißenecker
in Oester-

nnd Heunburger in Kärnten, und die Bürger Wiens vertrieben ihn sogar
aus der Stadt. Sein Misgeschick vollständig zu machen, starb sein
Vater Rudolf am 15. Juli. So von mehrern Seiten geängstigt, bat
Albrecht den Baiern-Herzog Otto und den regensburger Bischof, Gra
fen von Roteneck, um schleunige Hülfe. Der erstere gab eine zwei
deutige Antwort. 9 Das Schreiben Albrecht's an den zweiten ist als
Muster des Stils , dessen sich die Fürsten jener Zeit bedienten , ebenso
merkwürdig
„Bei denwie
Dichtern",
des Bischofs
so Antwort.
lautet der Brief Albrecht's, „wird e1::e

Schlange beschrieben , im Sumpfe lauernd, der für einen abgehauene;1


Kopf augenblicklich dreißig nachwuchsen. Die Ungarn scheinen Uns
mit ihr
1 Bonfinius,
gleichen Rerum
Ursprungs
Hang.zu
, Dec.
sein;II,sieLib.
sind9. giftig
Hier durch
verdient
innere
djeserBosheit,
in der

altern Geschichte Ungarns sehr unzuverlässige Schriftsteller Glauben; eine


richtige Erwägung der Thatsachen rechtfertigt seine Aussagen. — s Urkunde
bei Fejer, VI, 1, 116. — 3 Wagner, Diplomatar. Säros., S. 304, und desselben
Analecta Scepus., I, 113. — 4 Analecta Scepns., a. a. O. — 5 Diplomatar.
Säros., S. 313. — 6 Engel in Schedins' Zeitschrift, II, 43. — 7 Wagner, Di
plomatar. Säros., S. 307. — 8 Tin1on, Epitome chronolog., S. 40. Die ange
führten und andere hierhergehörige Urkunden bei Fejer, VI, i, 141 fg. —
9 Bernhard Pez, Cod. dipl., II, 107. Katona, VI, 1067.
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 447

schlau durch betrügerische Arglist, und entwischen, gleich schlüpfrigen


Aalen den Händen ihrer Fänger. Denn nachdem sie von Uns waren
aufgerieben worden, sind sie jetzt in größerer Zahl wieder aufgelebt
und hüpfen wie Frösche aus ihren Morästen hervor; darum mahnen
Wir Euch, daß Ihr Uns unverzüglich zu ihrer Vertilgung mit'Euern
Waffenmännern zu Hülfe eilet." Hierauf entgegnete der Bischof:
„Das hunnische Volk, dessen Wohnsitze die Ungarn jetzt einnehmen,
zog einst aus seinem Lande mit unwiderstehlicher Macht über den
Rhein, alle dazwischenliegende Länder und Völker verderbend. Man
darf daher nicht wähnen, daß das ungarische Reich, das andere Reiche
an Ausbreitung und Umfang übertrifft, so leicht zerstört werden könne,
wenn es auch an dem einen oder dem andern seiner Enden Abbruch er
litten hätte. Oft genug haben Euere Vorfahren, dieses muthige Volk
zum Kampfe reizend, den schlimmen Erfolg schmerzlich empfunden.
Zum Schlusse merket Euch:
Bela, der tapfere Held, auf Flügeln des S1eges 1m Kr1ege
Streckte den Herzog sammt Ste1erns und Oestre1oh» Männern zu Boden." >
Albrecht lagerte auf dem Kaienberge und mußte der Verwüstung
seines Landes und der Belagerung seiner Hauptstadt, die schon sechs
Wochen dauerte, müßig zusehen: da bot er die Hand zum Frieden
den auch Andreas sehnlich wünschte. Beiderseitige Bevollmächtigte'
schlossen denselben in Haimburg am 26. Aug. unter folgenden Bedin
gungen : Der Herzog verzichtet auf die widerrechtliche Belehnung mit
Ungarn, die ihm sein Vater ertheilte, und gibt alle von ihm eroberten
Städte, Burgen und Ländereien Ungarns zurück; dagegen räumt der
König das österreichische Gebiet; die Gefangenen werden gegenseitig
ausgeliefert; um künftigen Raubzügen vorzubeugen, sollen einige an der
Grenze gelegene Burgen der Güssinger geschleift werden ; Andreas ver
spricht, die Oesterreicher, die in Ungarn , Albrecht, die Ungarn die in
Oesterreich Besitzungen haben , in Schutz zu nehmen; die Fürsten sol
len persönlich zusammenkommen und sich miteinander verbünden. 2 Be-
merkenswerth, weil von dem Wohlwollen des Königs für die Städtebürger
zeugend, ist der Umstand, daß an den Friedensunterhandlungen von
ungarischer Seite auch Bürger, namentlich der Richter von Ofen als
Bevollmächtigte theilnahmen. 3 Von diesem Wohlwollen beseelt, ver
lieh er der Stadt Presburg zur Entschädigung für die erlittene Kriegs-
noth wichtige Gerechlsame: ihre Bürger sollen ausschließlich unter der
Gerichtsbarkeit ihres Richters stehen, den sie sich jährlich zu Georgi
selbst1 wählen;
Pez, a. a. O.
sie „Bela
dürfentriumphalis,
ihre Waaren belliohne
victrieibus
Ausgangszoll
alis — Enecat
nach Oester-
Austren-

ses, strato duce vel Stirienses." — 2 Ueber den Verlauf des Kriegs und den
Abschluss des Friedens berichten: Chron. Zwetlense und Melieense, bei Pez,
I, 532 n. 243. Hist. Austr. pars plen. bei Freher, I, 480. Thnroczy,
II, Kap. 82. Die Friedensurkunde bei Fejer, VI, i, 180. Vgl. Horruayr,
Wien, seine Geschichte und seine Denkwürdigkeiten, I. Urknndenbuch, S. 93.
mayr,
— 3 Szalay,
Taschenbuch
Geschichte
für 1831,
von Ungarn
und Lichnowszky,
(2. Ausg.), Geschichte
II, 116, Note
des Hauses
1, nach Habs
Hor-
burg, II, 23 fg.
448 Viertos Buch. Zweiter Abschnitt.

reich und Mähren verführen; die Ueberfuhrt an der Csallömündung auf


der Insel Schütt gehört ihnen; die Juden und Fischer sollen dieselben
Rechte genießen, welche die übrigen Einwohner besitzen; zuletzt wird
auch ausländischen Tuch-, Vieh- und Fischhändlern freier Markt in der
Stadt gewährt. ■
Nachdem der Friede wiederhergestellt war, berief Andreas seine
Mutter Thomasina Morosini an den Hof; sie landete am 18. Sept. in
Judra 2 und erhielt den Rang einer Königin-Mutter. Seine Herrschaft
schien nach der Besiegung Albrecht's so fest begründet, daß er dem
Herzog von Kuawien, Sandomir und Siradien , dem Bruder seiner Ge
mahlin, Wladislaw Lokietek (dieser vereinigte nachmals das seit 1138
in mehrere Fürstenthümer getheilte Polen zu einem Reiche), wider die
Herzoge Heinrich von Liegnitz und Boleslaw von Masowien Hülfs-
truppen schicken konnte, die dort siegreich kämpften.3 Denn von dem
zweitenPrätendenten,KarlMartell, glaubte er nichts befürchten zu dürfen.
Dessen Vater, Karl II., war erst 1289 aus der aragonischen Gefangen
schaft entlassen worden, in der er vier Jahre geschmachtet hatte, und
. führte noch immer einen verlustvollen Krieg mit Konig Jakob von Ara-
gonien wegen des abgefallenen Siciliens; überdies hatte Martell bis-
jetzt noch keinen ernsten Schritt zur Durchführung seiner Ansprüche
gethan. Aber gerade, als es bereite zu spät schien, da Andreas all
gemein als König anerkannt wurde und seinen mächtigsten Gegner über
wunden hatte, fing Karl an, mit mehr Nachdruck aufzutreten. Von
Neapel aus, wo er statt seines Vaters regierte, bat er seine Mutter, die
sich mit ihrem Gemahl in der Provence aufhielt, ihn; ihr Erbrecht ab-
1292 zutreten, worauf diese zu Aix am ß. Jan. 1292 eine Urkunde folgenden
Inhalts ausstellte: „Weil wir von unsern Getreuen vernehmen, daß sich
in Ungarn jede Hand zu Plünderung, Raub und Verwüstung erhebe, . . .
wollen wir für das Reich sorgen . . . Kraft des Erb -, Gewohnheit-,
Wahl - oder was immer eines Rechts , nach welchem die Krone weiter
gelangt . . . wählen und ernennen wir daher aus lauter Güte, besonderer
Gnade und mütterlicher Liebe unsern Sohn . . . zum König von Ungarn,
und schenken, verleihen und vergaben ihm dieses Reich . . ." 4 Mit Ein
willigung des Papstes von dessen Legaten gekrönt und mit dieser Ur
kunde in der Hand, forderte Karl Martell durch eine Gesandtschaft die
dalmatinischen Städte, namentlich Spalatro, Nona, Traw und Sebeuico
auf, ihn als König anzuerkennen, und verhieß ihnen als Lockspeise
Schutz und Begünstigung ihres Handels in Italien. Aber die Städte
widerstanden der Versuchung; sie gaben zur Antwort, daß sie bereits
einem ungarischen Könige gehuldigt haben, daß sie nur den als solchen
anerkennen können, der in einer ungarischen Stadt mit der Krone des
Heiligen Stephan geschmückt worden sei, und wiesen die Gesandten
an den Ban Paul Subich, Grafen von Brebir. 6 Um allen diesen
Ränken
1 Libertas
an OrtHospitum
und Stelle
de Poson.
entgegenzuwirken,
1291, bei Endlicher,
begab
S. 623.sich
— Andreas
2 Lucius,

De regno Dalmatiae, Lib. IV, c. 10. — 3 Wagner, Diplomatar. Säros, S. 313.


Timon, Epit. chronolog., S. 40. — * Katona, VI, 1084. Fejer, VI, r, 191.
— i Lucius, IV, Kap. 10. Farlatus, Illyric. Sacr., IV, 219.
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 449'

selbst nach Dalmatien und hielt sich dort längere Zeit auf. Er, fand
es nothwendig, die Regierung des angefochtenen Landes in treue Hände
zu legen; deshalb ernannte er seine Mutter zum Ban desselben und setzte
ihr seinen Oheim Albert Morosini an die Seite. 1 Um aber die mäch
tigen Grafen von Brebir, Paul, Georg und Mladin, die bisher diese
Würde bekleidet hatten, zu beschwichtigen und an sich zu fesseln, erhob
er sie — dem 16. Art. der Goldenen Bulle 2 und dem 3. seines eigenen
Decrets zuwider — zu erblichen Banen des Küstenlandes unter der Be
dingung, daß sie in jedem Kriege mit 500 Mann zum königlichen Heere
stoßen. 3 Wie vergeblich diese Verschwendung gewesen sei, mußte er
bald erfahren; eigennützige und herrschsüchtige Menschen wissen nichts
von Dankbarkeit
Im Grunde und
warTreue.
der neapolitanische Prätendent nur durch die

Gunst des Papstes gefährlich; der Tod Nikolaus' IV., 4. April 1292,
und die darauf folgende zweijährige Vacanz des römischen Stuhls ver
schaffte daher Andreas von dieser Seite Ruhe. Um jedoch seine Stel
lung für alle Fälle zu befestigen, verband er sich mit den benachbarten
Fürsten. In Deutschland war nach Rudolfs Tode Adolf von Nassau
am 5. Mai 1292 zum römischen König gewählt worden. Der stolze,
herrschsüchtige Albrecht, der zuversichtlich darauf gerechnet hatte, sei
nem Vater nachzufolgen, konnte diese Zurücksetzung nicht verschmer
zen; er beschloß, seinen glücklichern Nebenbuhler zu stürzen und sich auf
den deutschen Thron zu schwingen,. In dieser Absiebt beruhigte er zuerst
durch Nachgiebigkeit seine aufständischen Landherren und Städte und
versöhnte sich sodann auch mit seinen fürstlichen Gegnern, mit seinem
Schwager, dem König Wenzel II. von Böhmen, mit dem Markgrafen
Otto von Brandenburg, mit dem Herzog Otto von Baiern und mit dem
Erzbischof von Salzburg, Konrad von Wanstorf. Die Genannten waren be
reits unzufrieden mit Adolf, dem König ihrer Wahl, und verbündeten sich
mit Albrecht wider ihn, 1293. Diesem Bündnisse trat auch Andreas 1293
bei. Ungeachtet Albrecht und Wenzel Schwäger Karl Martell's waren,
der Rudolfs Tochter dementia, die einstmalige Verlobte des unga
rischen Prinzen Andreas, zur Gemahlin hatte, versprachen sie, diesen
bei seinem Streben nach dem Throne Ungarns nicht zu unterstützen,
wogegen
Jetztihnen
glaubte
Andreas
Andreas
Hülfediewider
Zeit Adolf
gekommen,
zusagte.auch
4 im Innern des

Landes zu ernstern Maßregeln zu greifen und der Gesetzlosigkeit zu


steuern. Noch bevor er sich nach Dalmatien verfügte, hatte er dem
Grafen der königlichen Kammer und zipser Obergespan Baald (Bal-
duin) den Auftrag gegeben, in seiner Gespanschaft, wo der berüch
tigte Lorant greulich gewirthsehaftet hatte, „die Besitzungen eines
jeden, er sei weß Standes immer, zu vermessen, und zu untersuchen,
unter welchem Rechtstitel er sein Gut innehabe". 6 Aehnliche Voll-

1 Lucius, a. a. 0. — 2 „Integros eomitatus vel dignitates quaseunque,


in praedia seu possesiones non conferemns perpetuo." — 3 Die Schenkungs
urkunde bei Katona, VI, 1241. Fejer, VII, 1v, 225. — 4 Hist. Austr. pars
plenior, bei Freher, I, 481. — 5 Wagner Analeeta Scepus., III, 202. Ka
tona, VI, 1094.
Feßler. I. jj9
450 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

machten hatten gewiß auch andere Obergespane erhalten; denn nicht


in der Zips allein, sondern weit und breit im Lande war der Grund
besitz durch Arglist und Gewaltthat in die größte Verwirrung gerath'en. l
Nach seiner Rückkehr aus Dalmatien bereiste der König selbst
„seiner Gewohnheit gemäß" verschiedene Gegenden des Landes,
namentlich die Gespanschaften Sohl, Turöcz und Liptau, um die durch
die Sorglosigkeit seiner Vorgänger auf welche Art immer abhanden
goko1n1nonon Krongüter wieder mit den Staatsländereien zu vereinigen.
Was also früher Krongut gewesen war, wurde nun vermessen, abge
markt und den unrechtmäßigen Besitzern abgenommen; nur diejenigen,
»He solche Besitzungen zum Lohn ihrer Verdienste erworben hatten, oder
denen sie der König überlassen wollte, behielten dieselben. 2 Ferner
Hott or dem mit Herzog Albrecht abgeschlossenen Friedensvertrage ge
maß einige Burgen der Güssinger zerstören; auch strafte er mehrere
mächtige Uebelthäter, die schon seit lange alle Gesetze und königlichen
Verordnungen ungeahndet verhöhnt hatten. 3 Dieses strenge, von der
Nothwendigkeit gebotene Verfahren des Königs beleidigte die unbän
digen Dynasten; sie wollten die Güter, die sie auf was immer für eine
Art an sich gebracht hatten, nicht fahren lassen, ihr wildes Treiben
nicht aufgeben, sich vor dem Gesetz und dem König nicht beugen, und
erhoben offenen Aufstand. * Der Palatin Nikolaus von Güssingen be
festigte Güns und die Burg Sümeg, der Vajda von Siebenbürgen Lorant
und seine Brüder besetzten Adrianvär und andere Schlösser; Ugrin
Ujlaki und der mächtige Matthäus Csak in Trentschin verweigerten den
Gehorsam4; die Grafen von Brebir in Dalmatien warteten nur auf eine
Gelegenheit zum Abfall. 6 Andreas war gezwungen, mehrmals Ar
meen gegen die Aufrührer auszusenden. 6 Sein Feldherr Paul Ma-
däcs zerstörte zwar Güns und vertrieb die Güssinger auch aus Sümeg7,
der Obergespan von Szatmär, Nikolaus, eroberte in Verbindung mit Pe
ter Kompolt und Meister Sinka Adrianvär und andere Schlösser Lo-
rant's 8; aber die Macht der Aufständischen ward hierdurch nicht ge
brochen, sondern nur ihr Trotz und ihr Haß gegen den König ver
mehrt, der weder genug geistige Kraft noch hinreichende Mittel besaß,
um sie gänzlich zu bezwingen.
1294 1 Im
Eine
Jahre
ähnliche
1 294 Verfügung
ward der geistesschwache
vom 29. Juni 1293
Einsiedler
bei Wagner,
Peter vom
Analecta
Berge

Scepus., III, 305. — 2 Die Urkunde vom 17. März 1293: „Quod cum nos
more majestatis nostri imperii ad videnda, seu habitanda praedia nostra
Zoulom (Zolyom) scilicet, Turuch (Türocz), et Liptou accessissemns et in
eisdem, quae rite acta non fuerant, in alienationiBus terrarum ad ipsa praedia
nostra pertinentium, voluissemus emendare ... ., statuimus ut omnes terrae. . . .
alienatae reambulentur et statuerentur ac applicarentur praedictis praediis
nostris, praeterquam quibus nobis videtur, et quos merita virtutum. . . . com-
mendarent. . . . Fejer, VI, i, 242. — s Beispiele derartiger Bestrafungen fin
den sich bei Fejer, VI, n, 17, und in mehrern andern Urkunden. — 4 Fejer,
VI, n, 82. — 5 Lucius, IV, Kap. 10. Farlatus, Illyr. sacr., III, 294. —
6 Hist, Austr. pars plen., bei Freher, I, 483. — 7 Eatona, VI, 1241. —
8 Drei Urkunden bei Wagner, Diplomatar. Säros., S. 313; bei Katona, VI,
1151 u. 1153; bei Fejer, VI, n, 25.
r
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 451

Morrone unter dem Namen Cölestin V. auf den päpstlichen Stuhl


erhoben. Bei seinem Einzug in die Stadt Aquila führten König Karl II.
und dessen Sohn Martell den Esel, auf dem er ritt, am Zügel; solche
demüthige Huldigung belohnte er damit, daß er Karl Martell mit eige
ner Hand zum König von Ungarn krönte. J Aber dieser starb schon
im folgenden Jahre und hinterließ drei unmündige Söhne als Erben sei- 1295
ner Ansprüche auf den ungarischen Thron, die ihr Großvater kaum
einigermaßen zu unterstützen vermochte, da der Krieg um Sicilien ihn
noch fortwährend beschäftigte. Jetzt hätte Andreas mit Grund hoffen
dürfen, von dem Hause Anjou nicht sobald, vielleicht nie wieder an
gefochten zu werden, wenn nicht der weltunkundige Betbruder Cölestin
schon fünf Monate nach seiner Erwählung dem päpstlichen Stuhl ent
sagt hätte, und wenn nicht Cardinal Benedict Cajetano, der sich Bo-
nifacius VIII. nannte, sein Nachfolger geworden wäre, der hoch-
müthigste, starrsinnigste und gewaltthätigste Mann, der je den päpst
lichen Stuhl eingenommen hatte. Vielleicht hätte Andreas durch
demüthige Huldigung und Anerkennung der päpstlichen Oberherrlich
keit seine Gunst erkaufen können, aber er, der Sohn des freien Vene
digs, das kräftiger als alle Könige die Anmaßungen des römischen
Stuhls zurückwies , verschmähte es , vom Papst die Krone zu erbetteln,
die ihm vermöge seiner Abstammung gebührte und vom Volke verliehen
war; wenigstens findet sich nirgends eine Spur, daß er sich nach Rom
gewendet und dort seine Anerkennung nachgesucht habe. Auch be
kämpfte ihn Bonifacius nicht offen, denn das verbot ihm der Anstand
dem gegenüber, welchen die Nation beinahe einstimmig als den Enkel
der Arpäden und ihren rechtmäßigen König verehrte; aber desto eifriger
förderte er insgeheim die Sache der Anjou, die sich auch in Bezug auf
UngarnDielaut
Königin
als seine
Fennena
Vasallen
warbekannten.
mittlerweile gestorben und hinterließ

ihrem Gemahl nur eine Tochter, Elisabeth. Andreas konnte es sich


unmöglich verhehlen, daß eine Familienverbindung mit den benachbarten
mächtigen Herrscherhäusern ebenso wie die Geburt eines männlichen
Thronerben sein Ansehen nach innen und außen befestigen müßte, und
vermählte sich daher 1296 zu Anfang Februar mit Albrecht's von 1296
Oesterreich Tochter Agnes. Sie brachte ihm eine Mitgift von 40000
Mark Silber, wogegen er ihr außer den Gütern , die zum Leibgedinge
der Königinnen gehörten, noch die presburger Gespanschaft verschrieb.
Aber Agnes reichte ihm nur von ihrem Vater gezwungen die Hand, war
von düsterer, unfreundlicher Gemüthsart, und verstand es nicht, Herzen
zu gewinnen
Bald darauf
; auchmachte
blieb diesich
EhePapst
kinderlos.
Bonifacius
2 ernstlich ans Werk,

einem Anjou den Weg zum ungarischen Throne zu bahnen. Kraft sei
ner Lehnsherrlichkeit über Neapel erklärte er am 24. Febr. 1297 den
dritten
1 Jacobus
Enkel Karl's
Cardinal.II.,Vita
Robert,
Coelestini,
zum bei
Erben
Muratorius,
dieses Reichs,
Tom. III,„welches
Pars 1.

Lucius, IV, Kap. 10. — J Hist. Austr. pars plen. ad ann. 1295, bei Fre-
her, I. Katona, VI, 1177.
29*
452 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ihm nicht von seinem Vater zukomme, sondern vom apostolischen Stuhl
verliehen werde". x Nach dieser Verfügung mußte nun dem Erst
geborenen, Karl Robert, anderswo ein Königreich ausgemittelt werden,
und hierzu war Ungarn ersehen. Dalmatien schien der am meisten ge
eignete Boden, wo man vorläufig für diesen Zweck wirken könne, und
Priester hielt man für die geschicktesten Werkzeuge, die Ausführung
des Plans zu beginnen. Bonifaeius annullirte daher die Wahl des Archi-
diakonus Jakob zum Erzbischof von Spalatro, weil dieser es unterlassen
habe, binnen drei Monaten seine Bestätigung in Rom nachzusuchen,
und ernannte aus apostolischer Machtvollkommenheit den Hofkaplan
der Königin Maria von Neapel, Peter, zum Erzbischof.2 Andreas
war schwach genug, diesen Eingriff in die Rechte des Erzstiftes, der
Stadt und des Königs hingehen zu lassen, und der neue Erzbischof
brachte es in kurzer Zeit dahin, daß die dalmatinischen Städte eine
nach der andern zu Karl Robert abfielen, wodurch auch die Grafen von
Brebir Gelegenheit fanden, offen zu dessen Partei überzugehen. Doch
noch weit gefährlicher ward dem Könige die Schlange, die er im eige
nen Busen genährt hatte. Er hatte nämlich, nachdem sein treuer Vice-
kanzler Theodor Bischof von Raab geworden war, die stuhl weißenburger
Propstei und das mit derselben gesetzlich verbundene 3 Amt des Vice-
kanzlers dem bisherigen Propste zu Weißenburg in Siebenbürgen, Gregor
Csete aus dem Geschlechte der Katupäny, verliehen.4 In dieser Stelle
wußte sich der Heuchler in die Gunst des Königs so einzuschmeicheln,
daß er nach dem Tode des würdigen Wladimir zum Erzbischof von
Gran erhoben wurde. Nun aber ward er, voll Hochmuth und Herrsch
sucht, ein zweiter Thomas Becket, das willige Werkzeug des Papstes, der
Verräther des Königs, seinesWohlthäters,und die Piageseines Vaterlandes.
1298 die Könige
Im Februar
von Ungarn
1298 versammelten
und Böhmen, sich
die Herzoge
bei Herzog
vonAlbrecht
Sachsen, inOppeln
Wien

und Troppau. der Markgraf Hermann von Brandenburg nebst andern


Fürsten und Bischöfen Deutschlands. Den Vorwand hierzu gaben
die Verlöbnisse des böhmischen Kronprinzen Wenzel mit der unga
rischen Prinzessin Elisabeth und Hermann's von Brandenburg mit einer
Tochter Albrecht's, die am 12. Febr. mit großem Pomp gefeiert wur
den. 5 Aber der eigentliche Zweck der Zusammenkunft war die Ab-
schließung eines Fürstenbundes zur Entsetzung Adolfs und zur Wahl
Albrecht's zum römischen König. Schon im März vereinigte sich ein
zahlreiches Heer Ungarn und Kumanen unter Anführung Demeter's,
Obergespans von Sohl und Presburg, und des tapfern Paul Madäcs
mit 1der
Literae
österreichischen
Bouifacii VIII.
Kriegsmacht.
ad Carolum 6 Claudam,
Einige Tage
bei Katona,
nachher
VI, brach
1165.

— 2 Literae Bonifacii VIII. ad Petrum, bei Katona, VI, 1161. — 3 Decret.


Andreae III., Art. TX, bei Endlicher, S. 617. — * Seit November 1297 fin
den sich Urkunden, die er als Vicekanzler unterschrieb. — 4 Hist. Austr.
pars plen., bei Freher, 1,484. Chron. Zwetlense, bei Pez, I, 5. — 6 Dnx
Austriae .... cum infinita n1ultitndine Ungarorum et Cumanorum venit, qui
omnes pugnare cum sagittis et arcubus consveverunt. " Chron. Colmar. bei
Urstisius, II, 57.
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 453

Albrecht nach Schwaben auf; am 23. Juli wurde zu Mainz von einigen
dort versammelten Kurfürsten Adolf abgesetzt und Albrecht zum römischen
König gewählt; am 2. Juli kam es bei Gellenheim zur Schlacht, in wel
cher sein Gegner fiel; beide ungarische Feldherren empfingen im Kampfe
rühmliche Wunden 1; am 24. Aug. ward Albrecht in Aachen gekrönt.
So hatten die Ungarn auch hier, wo es sich wieder darum handelte, ob
die Macht des Hauses Habsburg wachsen oder untergehen solle, dazu
wirksam beigetragen, daß die Entscheidung zu dessen Vortheil ausfiel.
, fremde
Aber
Sache
während
kämpfte,
dasbildete
königliche
sich inHeer
der Heimat
im fernen
eine Auslande
anjouischefür
Partei,
eine

die täglich an Zahl und Stärke zunahm. Die Königin Maria bot alle
Mittel auf, die Sache ihres zehnjährigen Sohnes, Karl Robert, zu för
dern. Um sich gegen die dalmatinischen Seestädte gefällig zu zeigen,
vermochte sie den Papst, daß er die Bitte der Sebeniger, in ihrer
Stadt einen Bischofssitz zu gründen, erfüllte. In der hierauf bezüg
lichen Bulle vom 1. Mai 1298 wird sie schon ausdrücklich Königin von 1298
Ungarn genannt. 2 Auch Gregor, der erwählte graner Erzbischof,
warf nun die Larve ab und wirkte unverhohlen für den Prätendenten
mit dem ganzen Einfluss, den ihm sein hohes Amt verlieh. Für diesen
erklärten sich ferner die unzufriedenen Großen; nicht weil sie von des
sen gutem Rechte überzeugt waren, sondern weil sie unter dem Vor-
wande für ihn zu kämpfen, Tyrannei und Raub üben konnten. An
dreas verlor den Muth; er entsagte den Maßregeln der Strenge und
suchte die Empörer durch Nachgiebigkeit und Güte zu gewinnen. Aber
eben dieses milde Verfahren vermehrte noch ihren Uebermuth; im Na
men Karl Robert's befehdeten sie die dem Könige Treuen, verjagten
die kleinern Edelleute von ihren Besitzungen oder zwangen sie, in ihre
Dienste zu treten, trieben Brandschatzungen ein, plünderten Kirchen
und Klöster, brachten ganze Gegenden unter ihre Gewaltherrschaft und
stürzten
Da das
berief
Land
Andreas,
in Verwirrung
mit Ausschluß
und Noth.
der Reichsbarone,
3 die Geistlich- 1298

keit, den Adel, die Kumanen und siebenbürger Sachsen zu einem


außerordentlichen Reichstage nach Pesth. Alle Klassen und Stände
des Volks, die übermüthigen, jedes Gesetz verschmähenden Großen aus
genommen, waren dem König treu ergeben und folgten seiner Ein
ladung; alle Bischöfe und die übrigen Prälaten erschienen entweder
persönlich oder schickten Abgeordnete, nur der Erzbischof von Gran,
Gregor, kam nicht. Die Sitzungen wurden in der Franciscanerkirche
abgehalten und am 4. Aug. die Urkunde ausgestellt, welche die hier ge
faßten Beschlüsse enthält. Die Rechte und Freiheiten der Ungarn,
heißt es in der Einleitung derselben, wurden durch die Bosheit der Men
schen und wegen der zaghaften Unentschlossenheit (trepidatione)
des Herrn Königs vielfach verletzt und gänzlich beiseitegesetzt, das
ungarische Reich wurde durch List und Gewalt der Barone und anderer
a
1 Urkunde bei Katona, VI, 1241, und bei Fejer, VI, n, 186. — 2 Far-
latus, Illyr. sacr., IV, 459. — 3 Fejer, VI, II, 186. Die Einleitung und
mehrere Gesetze der Constitutiones des pesther Reichstags von 1298, bei
Endlicher, S. 630 fg.
454 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Mächtigen so heftig erschüttert und herabgebracht, daß die Kirchen, die


Edelleute und andern Einwohner in die äußerste Noth gerathen sind. . .
Darum beschließen wir: „Den Herrn Andreas wollen wir als den
natürlichen, aus dem königlichen Stamm entsprossenen Herrn des Reichs
verehren." — Binnen drei Monaten sollen alle Ländereien, Einkünfte
und Rechte des Königs und der Königin, es habe sich derselben wer
immer widerrechtlich bemächtigt, vollständig zurückgestellt, desgleichen
die Güter und Gerechtsame der Bärchen und der Edelleute, die ihnen
zu irgendeiner Zeit durch wen immer entrissen wurden, gänzlich er
stattet werden. — Neue Burgen dürfen nur mit Erlaubniss des Kö
nigs gebaut werden; die schon vorhandenen, von denen Schaden ge
stiftet wird oder werden könnte, oder deren Eigenthümer zur Erhaltung
und Ausrüstung derselben nicht genug Vermögen besitzen, oder die auf
dem Grund und Boden der Kirchen und Klöster stehen, sollen der
König und Palatin zerstören, wenn sich die Besitzer weigerten, es selbst
zu thun. — Der König sende in jede Gespanschaft einen Bevollmäch
tigten, der in Gemeinschaft mit vier von derselben erwählten Abgeord
neten die Beraubungen, die sowol bisher verübt worden oder etwa noch
verübt werden sollten, erforsche und den Geschädigten binnen drei
Wochen Genugthuung verschaffe. — Wie den Landeseinwohnern ge
boten wird, alles gesetzwidrig in Besitz Genommene zurückzuerstatten,
so ist auch der Herr König dasselbe zu thun verpflichtet; wollte er es
aber nicht thun , so soll der Erzbischof mit Zustimmung der Prälaten
über ihn den Bann aussprechen. — Den kleinern Edelleuten stehe die
Wahl frei, an welchen Großen sie sich anschließen wollen; kein Mäch
tiger darf sie zwingen, den gewählten Herrn zu verlassen und sich mit
ihm zu verbinden. — Wer diesen Gesetzen nicht gehorcht oder sich
gegen sie auflehnt, verfalle schon durch die That selbst in den Bann,
von dem ihn ausschließlich der Erzbischof von Kaloesa, und zwar nur
unter Beistimmung der übrigen Bischöfe lossprechen könne. Solche
Uebelthäter sollen ferner vor das Gericht des Königs gebracht werden,
um dort die gebührende Strafe zu empfangen. Aus ihrem Vermögen
werde zuerst der Schade ersetzt, den sie angerichtet; das übrige falle
dem König anheim, sodaß ihre Kinder wegen des Verbrechens der
Aeltern ihre Erbschaft und adeliches Recht verlieren. — Sollten sich
einige empören, und der König könnte sie mit dem eigenen Heeres
aufgebot nicht überwältigen, so ist ihm gestattet, auswärtige Hülfe her
beizurufen; hingegen zieht er sich den Bann zu, wenn er die Re
bellen nicht bestraft. — Sollte ein Theil des Reichs von einem König
unter welchem Titel oder Vorwand immer abgetreten worden sein, so
ist der Herr König verbunden , denselben zurückzunehmen , damit Un
garn als ein gesetzliches Ganzes sich vollkommener Unversehrtheit er
freue. — Vor allen andern merkwürdig ist das zwanzigste Gesetz : „ Da
mit der königliche Hof ehrenvoller geleitet, und das Reich zweck
mäßiger regiert werde, beschließen wir: daß der Herr König von drei
zu drei Monaten zwei Bischöfe, einen aus dem graner, den andern aus
dem kalocsaer Sprengel, und eben soviele Edelleute, die wir hierzu
jetzt erwählt, auf Staatskosten um sich habe; und wenn der König die
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 455

ses nicht beobachtete, so soll alles, was er etwa ohne Beirath dieser ihm
Zugesellten thäte, alle Schenkungen, Amtsernennungen und sonst wich
tigere Angelegenheiten, ungültig sein." Doch über dieses wie auch
über die andern Gesetze, welche Staatseinrichtungen betreffen, werden
wir weiter unten zu sprechen Gelegenheit haben. Zuletzt wurde noch
angeordnet, daß sich im folgenden Jahre in der zweiten Hälfte des
Monats April alle Prälaten, Barone und Edelleute auf dem Felde Räkos
unterhalb
So hatte
Pesth
denn
zumder
Reichstage
Reichstagversammeln
zur Wiederherstellung
sollen. 1 der öffentlichen

Ordnung alles gethan, was auf dem Wege der Gesetzgebung geschehen
konnte; er hatte vornehmlich den König mit außerordentlichen, selbst
der Freiheit gefährlichen Vollmachten ausgerüstet. Aber die Gesetze
blieben ein todter Buchstabe; Aufruhr, Fehde, Verwüstung und Raub
nahmen besonders in den westlich der Donau gelegenen Landestheilen
immer mehr überhand. Die aufständischen Großen ließen sich durch
Bannsprüche nicht einschüchtern; denn diese hatten längst ihre Furcht
barkeit verloren, auch fanden sich überall Priester, welche sie vom
Banne lossprachen. Der König aber verstand es nicht, die wider
sie erlassenen Gesetze zu vollstrecken. Ein mit echtem Herrscher
geist begabter Mann würde wol die Mittel, den Aufruhr zu bän
digen, gefunden, er würde die treugesinnten Herren, die reichen Prä
laten, den kriegerischen Adel, den ergebenen Bürgerstand, die immer
schlagfertigen Kumanen, die alle vom Haß gegen ihre Unterdrücker
glühten, aufgerufen und mit ihrer Hülfe den Trotz der Empörer ge
brochen haben ; aber dieser Herrschergeist fehlte Andreas. In ruhigen
Zeiten wäre er wahrscheinlich ein weiser Regent und Wohlthäter seines
Volks geworden; den Stürmen, die ihn umtobten, Stille zu gebieten,
war er zu schwach; auch mochten bereits Gram und Kränklichkeit
seine Kraft gelähmt haben. Nicht umsonst beschuldigte ihn daher
der Reichstag der Schwäche und Zaghaftigkeit; doch Frechheit war
es, daß die Unruhstifter, die ihr Vaterland ins Elend stürzten,
ihn beim Papst als den Urheber aller Uebel anklagten und darauf
drangen, derselbe möge Karl Robert, ihren König, schleunig nach Un
garn senden. „Das Reich", sagte Bonifacius infolge dieser Anklagen,
„wird von Gefahren bedroht , denen es kaum entgehen kann , wenn die
Hand Gottes und die Fürsorge des römischen Stuhls ihm nicht Hülfe
bringt." 2 Darauf ernannte er zu Anfang des Jahres 1299 den gra- 1299
ner Erzbischof Gregor zu seinem Legaten, „damit er den Frieden in
Ungarn wiederherstelle, die Interessen der Kirche wahre, die Ketzerei,
das Schisma und das Heidenthum ausrotte"; zugleich bevollmächtigte
er ihn, „jedermann vor sein Gericht zu fordern, die Hartnäckigen zu
strafen und den Gehorsamen Ablaß auf ein Jahr und vierzig Tage
zu gewähren".
1 Constitutiones
3 Die
per praelatos
geheime Instruction
et nobiles regni
aber Hungariae
mochte lauten,
apud ecele-
die

siam Fratrum Minorum in Pestb , anno 1298. Endlicher , S. 630 fg. —


2 Raynald. Annal. eccles. ad ann. 1299, Note 12, bei Katona, VI, 1215. —
8 Bruchstücke des päpstlichen Breves geben Pray, Hierarch. , II, 256, und
Katona, VI, 1216.
456 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Sache Karl Robert's nach Kräften zu fördern ; denn Bonifacius gab ihm
auch die Weisung, Johann von Güssingen, „wiewol dieser Andreas, der
König von Ungarn genannt wird, als solchen nicht anerkenne", von
dem Banne loszusprechen, mit dem ihn noch Erzbischof Wladimir be
legt hatte.
Dem 34.
1 Gesetzartikel vom vorigen Jahre gemäß versammelte sich

1299 zu der anberaumten Zeit der Reichstag auf dem Räkosfelde. Der er
wählte Erzbischof Gregor kam auch diesmal nicht, sondern schickte
Abgeordnete, durch die er sich über Bedrückungen beklagte, die er und
die graner Kirche vom König und seinen Anhängern erleide. Den Bi
schöfen aber that er kund, er sei zum päpstlichen Legaten ernannt und
befehle ihnen bei Strafe, den Reichstag zu verlassen und zu ihm nach
Veszprim zu kommen, wo er mit seinen Parteigängern Ränke spann.
Mit gewohnter Nachgiebigkeit erklärte der König, seines Wissens sei
durch ihn weder der Erzbischof noch dessen Kirche beeinträchtigt wor
den ; er sei jedoch bereit, sich in dieser Angelegenheit dem Schieds
gerichte der Bischöfe und anderer frommer Männer zu unterwerfen.
Die Bischöfe gehorchten der Aufforderung, den Reichstag zu verlassen,
nicht; vielmehr wurden der graner Propst Paul und ein weltlicher Herr,
Heinrich, an Gregor gesendet, ihn unter Zusicherung freien Geleites
zum Reichstage abzuholen. Der übermüthige Priester wies die Abge
ordneten verächtlich ab und drohte den Bischöfen, wenn sie ihm nicht
gehorchten, mit dem Bann und greulicher Verwüstung ihrer Besitzungen,
zog sich jedoch aus Furcht, der Reichstag und der König würden seine
Vermessenheit nicht ungestraft lassen , in die Burg Szentkereszt jenseit
der Drau zurück. Welches Recht hatten der Papst und sein Legat,
sich in die innern Angelegenheiten eines freien unabhängigen Staats zu
mischen? Man hätte also ihre angemaßte, verderbliche Einflußnahme
entschieden zurückweisen und den widerspenstigen Erzbischof durch
ernste Maßregeln zum Gehorsam zwingen müssen. Aber Andreas war
nicht der Mann, der den Muth besessen hätte, sich an die Spitze der
Nation zu stellen und den Kampf mit dem gewaltigen Bonifacius zu
wagen; auch die Stände mochten theils durch die fromme Scheu vor dem
Oberhaupte der Kirche, theils durch die Besorgniß vor dem Bürgerkrieg
von kühnern Schritten abgehalten worden sein; der Reichstag beschränkte
sich darauf, eine feierliche Protestation gegen das gesetzwidrige Verfahren
Gregor's bei dem groß war deiner Propst und Kapitel einzulegen und an den
Papst zu appelliren. Die Appellationsurkunde wurde in mehrern authen
tischen Abschriften ausgefertigt und an den Erzbischof abermals durch
den Propst Paul, an den Papst durch den Bischof von Großwardein
Emerich überschickt. „Ungeachtet der erwählte Erzbischof" (er war
noch nicht bestätigt und installirt), heißt es in derselben, „ungefährdet
auf dem zum Wohle des Landes und der Kirche einberufenen Reichs
tag hätte erscheinen können, kam er doch nicht, sondern beantwortete
die Einladung mit furchtbaren Drohungen und floh zu den Landes
verräthern,
1 Raynald.
die Annal,
ihrer ungeheuern
eccles. ad ann.
und1299,
schauderhaften
Note 13. Katona,
Thaten VI,
wegen
1217.aus
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 457

der Kirche ausgestoßen und gebannt waren; er bestärkt diese pest


artigen und hundertfachen Todes würdigen Uebelthäter,, die schon unter
vier' Königen das Land verwüstet, Arme gequält und die Kirchen Gottes
beraubt haben, noch in ihrer Bosheit, indem er sie von dem Banne
losspricht." 1 Die sonstigen Beschlüsse dieses Reichstags sind bisjetzt
noch nicht aufgefunden worden. Eine auf demselben ausgestellte Ur
kunde, welche den Söhnen des Spaniers Simon ihre Besitzungen sichert,
ist darum merkwürdig, weil die Unterschriften derselben uns mit eini
gen Baronen bekannt' machen, die dem Reichstage beiwohnten und
mithin auf der Seite des Königs standen. Solche waren: Dominicus aus
dem Geschlechte Ratolth, Oberstschatzmeister und Obergespan von
Somogy und Neograd; Moys, .Oberstschatzmeister der Königin; Omode,
Palatin; Stephan Erne,y aus dem Geschlechte Akus, Oberstlandrichter;
Demeter, Obergespan von Presburg und Sohl; Thomas, Obergespan
vun Neitra und Borsöd; Meister Paul, Obergespan von Oedenburg,
Raab Aber
und Wieselburg.
welche Beschlüsse
2 der Reichstag zur Wiederherstellung der

Ordnung auch gefaßt haben mag, sie blieben erfolglos. Im Früh


ling 1300 ging Georg von Brebir, Paul's Sohn, nach Apulien, um Karl 1300
Robert nach Dalmatien abzuholen, wo Städte, Prälaten und Herren
bereits für ihn gewonnen waren. Der noch im Knabenalter stehende
Prinz landete im August zu Spalatro, ward daselbst von seinen An
hängern, an deren Spitze sich Paul Brebir befand, feierlich empfangen
und zwei Monate später nach Agram geführt, wo ihn Erzbischüf Gre
gor krönte. Kein ungarischer Bischof, nicht einmal der agramer Michael,
nahmDie
an der
Ankunft
rechtswidrigen
Karl Robert's
Handlung
bewogtheil.
Andreas,
3 Schritte zu thun, die

er bisher vermieden hatte. Auf Anrathen der ihm treu ergebenen Bi


schöfe und Großen schickte er zuvörderst den Trevisaner, Peter Bon-
zano an den Papst. Die vorgebliche Veranlassung zu dessen Absen
dung gab der Ankauf der Herrschaft Brandulo, welche der König für die
Anverwandten seiner Mutter erwerben wollte, und die Ernennung des
bisherigen Vicekanzlers Anton zum Bischof von Csanäd; die Briefe des
Gesandten verrathen jedoch, daß er nebstbei beauftragt war, Verhand
lungen über die Anerkennung des Königs von seiten des päpstlichen
Stuhls zu führen. Bonzano kam den 3. Oct. in Rom an und konnte
schon am 25. berichten, daß er die ihm aufgetragenen Geschäfte binnen
kurzer Zeit glücklich zu beendigen hoffe. Außerdem versichert er,
Karl Robert sei von seinem Onkel Robert, dem Regenten Neapels,
wider den Willen des Papstes und der Cardinäle nach Ungarn geschickt
worden; letztere betrachteten diese That überhaupt als eine Thorheit, und
der Vorsatz des Königs, den Prätendenten zu fangen und nach Rom
zu schicken,
1 Pray, Speeimen
fände ihren
Hierarch.
Beifall.4
, II, 166.Mithin
Katona,
durfte
VI, Andreas
1219. Kovachich,
hoffen,

Supplem. ad Vestigia Comitior., I, 226. — 2 Fejer, VI, n, 229. — 3 Ma-


dius, bei Schwandtr1er, III, 638. Farlatus, Illyric. sacr. , HI, 297. Lucius,
IV, 10. ßaynald. Annal. eccles. ad aun. 1301, Note 7. — * Der Brief Peter
Bonzano's an Andreas, Rom 25. Oct. 1300; aus dem wiener Hofarchiv,
458 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Bonifacius für sich zu gewinnen. Weit wichtigere Folgen hätte es jedoch


haben können, daß er von der Befugniß, welche ihm der sechste Artikel des
pesther Reichstags ertheilte, endlich Gebrauch machte und seinen
Schwiegervater, den römischen König Albrecht, wider die Aufrührer
zu Hülfe rief. Dieser versprach, künftigen Sommer mit einem Heere
nach Ungarn zu kommen und die Aufrührer, wenn es mit Güte nicht
ginge, mit Gewalt zum Gehorsam zu zwingen. 1 Aber noch ehe die
Dinge eine für Andreas günstigere Wendung nehmen konnten, starb er,
1301 von Gram und Krankheit verzehrt, am 14. Jan. 1301. Sein Leichnam
wurde zu Ofen in der Franciscanerkirche des heiligen Johannes
beigesetzt. 2 Mit ihm erlosch der Mannesstamm des Arpädischen
Hauses.
1 „Rex
3 Alemanniae . . . omnes barones infidel es et inobedientes don1ino

regi Ungariae am vi aut amore, ad ejus obedientiam reducere et in aestate


futura inteudit descendere. " Der Brief Peter Bonzano's an Michael Mauro-
ceno, Grafen von Zara, Venedig 18. Sept. 1300. Aus dem wiener jHofarchiv.
Diese Nachrichten verdanken wir den unermüdeten Forschungen Horväth's,
der die Briefe Peter Bonzano's zuerst ans Licht brachte und mittheilte. Ge
schichte des ungarischen Reichs, 2. Ausg., I, 484, 485. — J Thuröczy,
II, 83. Madius, Hist. de Spalato, bei Schwandtner, III, 638. Timon, Epi-
tome chronolog. , S. 42, berichtet, Andreas sei an dem Gift gestorben, das
sein Diener, von den ungarischen Großen Dominicus und Demeter bestochen,
auf das Tafelmesser gestrichen habe. Feßler (erste Ausg.), II, 735, glaubt, es,
weil er. meint, der immer wahrheitsliebende Timon habe die Nachricht aus
zuverlässiger Quelle geschöpft; aber Timon hat sie der wenig glaubwürdigen
Reimchronik Horneck's entnommen,, denn bei keinem andern gleichzeitigen
Geschichtschreiber ist auch nur die leiseste Hindeutung auf eine solche To
desart des letzten Arpäden zu finden. Die Erzählung verdient nicht mehr
Glauben als die Fabel, welche, ebenfalls Horneck mittheilt, Thomasina, des
Andreas Mutter, habe einem ungarischen Herrn einen vergifteten Wildbraten
geschickt und von diesem in derselben Schüssel als Gegengeschenk einen
Fasan erhalten, der das zurückgebliebene Gift aufsog, sodaß beide an dem
selben starben. — 3 Die französischen Grafen Crouy-Chanel, deren einer sich
mit seiner Familie zu Anfang dieses Jahrhunderts in Ungarn niedergelassen
hat, behaupten, in gerader männlicher Linie von den Arpäden und zwar von
Andreas II t. abzustammen. Aber gerade die Urkunden, die. sie als Beweise die
ser Abstammung vorbringen, zeugen wider dieselbe. Nach der ersten besitzt Fe
lix, vorgeblich ältester Sohn Andreas' III. aus dessen erster Ehe, Waldungen
in Dalmatien, in denen er 1279 den benachbarten Einwohnern die Hutung
gestattet. In der zweiten theilen er und sein Bruder Marcus, 9. Febr. 1282, die
Besitzung Crouy in Frankreich, welche ihr Großvater Stephan auf seiner Rück
reise aus Aragonien nach Venedig gekauft und ihr Vater, Andreas der Ve-
netianer, ihnen überlassen hatte; auch werden noch ein dritter natürlicher
Bruder, Peter, und ein Sohn des Marcus, Johannes, erwähnt. Aus der dritten Ur
kunde wird ersichtlich, daßGuigona, die Gemahlin des erstgeborenen Felix, 1286
bereits Witwe ist. Die vierte endlich von 1290 nennt drei Söhne Felix Chanel's,
Anton, Andreas und Johann. Nun starb aber Andreas II. 1235, und im fol
genden Jahre ward sein Sohn Stephan geboren (vgl. oben S. 355), der so ver
schiedene Abenteuer erlebte, daß er kaum vor seinem sechsundzwanzigsten Jahre
Thomasina Morosini oder, wie sie auch genannt wird, Katharina Mauroceno ge-
heirathet haben, und folglich Andreas III. nicht vor 1260 geboren worden
sein konnte. Und doch sollte der letztere 1279, also höchstens im neunzehnten
Jahre schon erwachsene Söhne haben, der jüngere derselben bereits 1282 Vater
eines Sohnes sein, und der ältere 1286 eine Witwe mit drei Söhnen hinter-
Ungarns Nebenländer. Siebenbürgen. 459

Ungarns Nebenländer and deren Terhältniss zum Reiche anter den


Die letzten Ärpäden nannten
Arpaden.
sich „Von Gottes Gnaden König

von Ungarn, Dahnatien, Kroatien, ltama, Serbien, Galizien, Lodo-


merien, Kumanien und Bulgarien". Aber die Oberherrlichkeit über
Galizien und Lodomerien hatte seit Bela IV. thatsächlich aufgehört;
auch die Enkel Neeman's in Serbien erkannten dieselbe nur dann an,
wenn es ihnen gelegen war; sie zahlten nie Tribut, leisteten jedoch
bisweilen Heeresfolge; endlich gehörte blos ein kleiner, unlängst er
oberter Theil des nördlichen Bulgariens zum ungarischen Reiche. Da
gegen waren mehrere ausgedehnte Länder theils durch Eroberung,
theils
lassen. durch
Selbst
Verträge
wenn wir
auf annehmen
das innigste
wollten,
mit Ungarn
Stephanverbunden;
habe sich schon
sie wur-
im

Alter von zwanzig Jahren, also 1255 vermählt, und das Alter der erwähnten
Personen
seine Söhne
nmsich
fünfwenigstens
Jahre hinaufrückten,
im dreizehnten
müßten
Jahredennoch
verehelicht
wie haben.
AndreasDiese
so auch
Ur .

kunden erscheinen daher in sehr zweifelhaftem Lichte; die Zeitrechnung


zwingt uns, sie entweder für untergeschoben oder doch für stark gefälscht
zu halten. Aber auch die Thatsachen sprechen gegen die Abstammung der
Grafen Crouy-Chanel von Andreas III. Denn es ist nicht denkbar, daß er
seine Söhne, als er unter mislichen Umständen Ban von Slawonien wurde,
zu sich genommen, sie später von sich nach Frankreich entfernt und, nach
dem er den Thron bestiegen, sie dort in untergeordneter Stellung gelassen
habe. Was könnte ihn bewogen haben, sie so gänzlich zu verleugnen und
ihnen alle Ansprüche und Rechte königlicher Prinzen zu entziehen, beson
ders da er von Fennena nur eine Tochter und von Agnes gar keine Kinder
hatte? Hätten sie nach seinem Tode nicht Ansprüche auf die Nachfolge er
hoben und Anhänger unter den Getreuen ihres Vaters gefunden? Könnte die
Geschichte so gänzlich von ihnen schweigen , wenn sie wirklich dagewesen
wären? Vgl. Horväth, Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., I, 486 fg. Die
Echtheit der Urkunden vertheidigt Erdy, Az ujonnan megbirält magyaror-
szägi Crouy nemzetseg negy okiratänak idöszämitäsa (Pesth 1861). Wahr
scheinlicher ist die Abstammung des Hauses Crouy-Chanel von dem Prinzen An
dreas, Andreas' II. Sohn (oben S. 322), wiewol die angeführte zweite Urkunde
dieser Annahme zu widersprechen scheint. Die beiden Andreas konnten um
so leichter verwechselt werden, da der ältere Prinz dieses Namens zwar
thum
nicht Herzog
mit Gewalt
von entreißen
Slawonienwollte
war, aber
(Urkunde
seinem
Koloman's
Bruder Koloman
von 1232,dasbeiHerzog-
Fejer,

III, n, 286) und sich den Titel von demselben vielleicht beilegte. Auch ist
es wenigstens nicht unmöglich, daß er, des Aufruhrs wegen aus Ungarn ver
trieben, wie später sein jüngerer Bruder, der Nachgeborene Stephan, bei seiner
Schwester Jolantha, Königin von Aragonien, eine Freistätte fand, bis er, wie
einige berichten, noch vor diesem nach Venedig kam, sich dort mit Sibylla
Cumarius vermählte und den Zunamen der Venetianer erhielt. Die Nach
kommen dieses vor längerer Zeit ausgewanderten Prinzen konnten wie die
jenes Geiza's, der sich um 1190 in Konstantinopel niederließ (oben S. 274),
Ungarn bereits so fremd geworden sein , daß sie beim Tode Andreas' III.
ganz außer Acht gelassen wurden.
460 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

den insgesammt in altern Zeiten „partes subjectae", in, den neuern „ad-
nexae- (Nebenländer) genannt.
Siebe nbürgen, auf das wir zuerst unsere Aufmerksamkeit richten
wollen, war so eng mit Ungarn verknüpft, daß es als integrirender
Theil desselben betrachtet und im Titel der Könige gar nicht genannt
wurde. Aber dessen vollständige Einverleibung in das Mutterland un
terblieb dennoch zum größten Nachtheil beider. Damals begriff man
den hohen Nutzen der gleichen Verfassung und innigen Verschmelzung
aller Staatstheile noch nicht; denselben einzusehen, war erst der neue
sten Zeit vorbehalten. Auch läßt sich nicht leugnen, daß in Siebenbürgen,
noch bevor es durch die Besiegung Gyula's näher mit Ungarn verknüpft
wurde, eigenthümliche Verhältnisse und Einrichtungen so tiefe Wurzeln
geschlagen hatten, daß sie sich nicht leichthin beseitigen ließen; dazu
lag es in der Nachbarschaft wilder, kriegerischer Völker und war
lange Zeit hindurch ihren Angriffen unablässig ausgesetzt; es mochte
daher noth wendig scheinen, die Regierung des wichtigen Grenzlandes
mehr zu concentriren und den königlichen Gewaltträgern größere Selb
ständigkeit zu verleihen, als dies in den Bezirken des Mutterlandes der
Fall war.
Aber auch in sich selbst war Siebenbürgen kein einheitliches

Ganzes, sondern zerfiel in Nationen, die sich nicht' allein durch die
Sprache, sondern auch durch Rechte und staatliche Einrichtungen von
einander unterschieden und abgesonderte Körperschaften bildeten. Die
westlichen Landestheile nahmen die Ungarn, die östlichen die Szekler
und so ziemlich die mittlem die Sachsen ein; zwischen diesen politisch
berechtigten Nationen wohnten auch noch die alten Bewohner des Lan
des, Das
die Walachen.
Land der Ungarn, die Gegend, in welcher sich Tuhutum mit

seinen Gefährten niedergelassen hatte, erhielt nach dem Siege Stephan's


über den Fürsten Gyula (oben S. 1 10) eine der ungarischen ähnliche Ver
fassung; es ward in Gespanschaften eingetheilt, denen Obergespane
vorstanden, hatte seinen Adel, seine freien Leute und Burgmilizen,
welche dieselben Rechte genossen und in denselben Verhältnissen zu
einander standen wie in Ungarn; und da hier die ungarischen Gesetze
und Einrichtungen galten, wurden auch die Veränderungen, die dort im
Laufe der Zeit stattfanden, eingeführt. Die höchste Gewalt übten
Vajdas oder Vojvoden, die der König ernannte. Sie waren seine Statt
halter und als solche auch oberste Richter und Heerfuhrer in diesem
Landestheile;
tage Ungarns nahmen
unter densieweltlichen
den vierten
Großwürdenträgern
Platz ein, im Heere
und standen
am Reiphs-
sie

mit ihrer Mannschaft gewöhnlich auf dem linken Flügel; wichtige Rechts
sachen gingen im Wege der Appellation von ihnen an den König.
Außer den Ländereien, die ihnen der König anwies, und dem Drittel
des auf der Maros ausgeführten Salzes bezogen sie aus Steuern, Ge
fällen und Gerichtssporteln bedeutende Einkünfte und waren unter den
letzten Ärpäden noch meistens zugleich Obergespane des einträglichen
szolnoker Comitats. Häufig ernannten die Könige zwei Vajda; so
Ungarns Nebenländer. Siehenbürgen. 4fi1

laus
bekleideten
und
Die Georg
Szekler
seit Bors.
1282
dagegen

1 91behielten
diese Würde,
auch nach
neben
der
Lorant
Vereinigung
Moses, Sieben
Ladis-

bürgens mit Ungarn ihre ursprüngliche patriarchalische Verfassung; zu


ihnen fanden der Feudalismus und andere in Ungarn eingeführte Staats
einrichtungen keinen Zugang. Das Volk zerfiel zuvörderst in sechs
Stämme, aus denen sich mit der Zeit die fünf Stühle bildeten, in welche
ihr Gebiet gegenwärtig eingetheilt wird, sodann in Geschlechter und
Verwandtschaften.' Alle Szekler waren frei und wurden als Edel-
leute betrachtet; nachdem der gemeinschaftliche Grundbesitz der Ge
schlechter aufgehört hatte, besaß jeder sein Grundstück als vollständiges
Eigenthum, das auf die Söhne vererbte, wenn kein Sohn vorhanden
war, der Tochter und ihren Söhnen, wenn die Familie ausstarb, den
Nachbarn als Geschlechtsverwandten zufiel , nie aber von dem Gute
des Geschlechts losgetrennt und daher weder an Fremde veräußert,
noch vom königlichen Fiscus eingezogen werden durfte. 2 Als freier
Mann war jeder Szekler gleich den Adelichen Ungarns zu persönlichem
Waffendienste verpflichtet und die ganze Nation militärisch organisirt,
sodaß sie sich in Reiter (löfejek), Fußgänger (darabantok) und Häupt
linge (primores, fonepek) theilte. Die Abstammung, das Vermögen,
auch das Verdienst wiesen jedem seinen Platz in der Volksversammlung
und im Heere an, der sich in der Familie vererbte. 3 Zu Hause lag
den Szeklern die Bewachung der Grenze und die Vertheidigung des
Landes gegen feindliche Einfälle ob; im Krieg stellten sie zum könig
lichen Heere ein ansehnliches Contingent. Da sie fortwährend unter
den Waffen standen, waren sie frei von jeder Steuer; sie entrichteten
nur bei der Thronbesteigung und Vermählung des Königs und bei der
Geburt eines königlichen Kindes eine Abgabe an Rindern, von der der
graner Erzbischof den Zehnten bezog. An der Spitze der ganzen Na
tion stand der vom König ernannte Szekler -Graf; er war ihr Regent
und Richter
Die Sachsen,
im Frieden
die vornehmlich
und ihr Anführer
unter Geiza
im Kriege.
II. um
4 1143 nach Sie

benbürgen eingewandert waren und zusammenhängende Niederlassungen


gegründet hatten, bildeten zwar eine abgesonderte, den niedern Landes
behörden nicht untergebene Körperschaft, standen aber anfangs ver-
muthlich unter dem Vajda, welcher die Stelle des Königs vertrat (oben
S. 248).
1 Vgl. Die
Szilagyi
Abhängigkeit
Sandor, Erdelyorszag
von den mächtigen
törtenete (Alexander
Statthaltern,
Szilagyi,
die ihre
Ge

schichte von Siebenbürgen), Pesth 1856, I, 1 — 82. — - Ein Beispiel einer


derartigen
3 Noch zu Vererbung
Anfang desrindet
16. Jahrhunderts
sich bei Schuller,
bestanden
Urkundenbucb
diese Rechte
, I, und
180. Ein

richtungen der Szekler. „Sunt .... transilvanieis in partibns .... Siculi, nobi,
les privilegiati . . . . dissimili penitus lege et eonsuetudine gaudentes, rerun1
bellicarum expertissimi, qni per tribus et generationes, atqne lineas genera-
tionum (antiquorum more) haereditates ac officia inter se partiuntur et divi-
dunt." Verböczi, Decret. tripartitum, Pars II, Tit. 4. — 4 Die stark ange
fochtene esiker Chronik der Szekler, welche 1533 im Schlosse Melchior San,
dor's nach, alten Dorumenten verfaßt worden sein soll. Benkö, Milkovia, II,
und Transilvania, I. Alexander Szilagyi, Geschichte Siebenbürgens, a. a. O.
462 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Freiheiten wahrscheinlich verkürzten, mochte ihnen mit der Zeit lästig


werden. Als sich nun unter Andreas II. der niedere Adel und die
freien Staatsbürger überhaupt gegen die gewaltthätige Willkür der
hohen Reichsbeamten und mächtigen Oligarchen erhoben , gelang es
auch ihnen, sich einen Freibrief zu erwirken, der ihre Privilegien
außerordentlich erweiterte, sie der Obmacht des Vajda gänzlich entzog,
unmittelbar und ausschliesslich dem Könige unterordnete und zur drit
ten autonomen Nation Siebenbürgens machte. „Sämmtliche sieben-
bürger Deutsche", heißt es in der Urkunde, „haben zu den Füßen un
serer Majestät demüthig geklagt, ... daß sie der Freiheit, die ihnen
unser . . . Ahn Geiza II. verliehen, gänzlich verlustig gegangen sind . . .
Daher geben wir ihnen ihre vorige Freiheit wieder, und zwar also:
Das Volk, welches von Väros (Szäzväros) bis Baröth wohnt, soll mit
dem szekler Lande Szebus und Darocz ein Volk sein und unter einem
Richter stehen, indem die übrigen Grafschaften außer der hermann-
städter gänzlich aufgehoben werden." (Diese Angabe der Grenzen
ist höchst unverständlich; auch ist es historisch erwiesen, daß das Sach
senland damals, noch nicht seinen jetzigen Umfang hatte.) . . . Der her-
mannstädter Graf, den der König ernennt , soll fortan das Oberhaupt
der sächsischen Nation sein. Der König und er allein dürfen dieselbe
richten. . . . Der Graf erkühne sich nicht, einen Fremden zum Beamten
einzusetzen , sondern das Volk wähle seine Obrigkeit selbst. . . . Kein
Auswärtiger darf sich unter den Sachsen ankaufen. Sollte der König
einem seiner Diener (Jobagyonen) eine Ortschaft oder ein Vorwerk ihres
Gebiets schenken, so haben sie das Recht, sich dem zu widersetzen. . . .
Der Wald der Walachen und Petschenegen (an der Südgrenze) wird
ihnen zum Mitgebrauch, desgleichen der königliche Forst (innerhalb
ihres Landes) sammt dem Wasser- und Jagdrecht zur Nutznießung über
lassen. . . . Ihre Pfarrer wählen sie selbst und geben ihnen (nicht dem
Bischof) den Zehnten. Sie erhalten ein eigenes Siegel. . . . Dreimal im
Jahre ist ihnen acht Tage lang gestattet, Bröckelsalz aus den könig
lichen Gruben zu holen. Dafür zahlen sie als Ablösung des Kammer
gewinns (Monetagium) jährlich 500 hermannstädter Mark (diese Mark
war gleich 18 Loth) Silber. 1 Innerhalb des Reichsgebiets stellen sie
600, bei auswärtigen Kriegen, wenn der König das Heer selbst führt, 100,
wenn er aber einen Baron einem seiner Bundesgenossen zur Hülfe
sendet, 50 Bewaffnete. 2 Ueberdies erhielt das Sachsenland damals
einen bedeutenden Zuwachs durch die Einverleibung des kronstädter
Districts, aus dem Andreas die deutschen Ritter vertrieben hatte (oben
S. 340
1 Inu. dem
341),Documerit
und wurde
ausallmählich
der Zeit Bela's
noch durch
III., benachbarte
oben S. 283, heißt
deutsche
es:

„Die Sachsen zahlen 15000 Mark Silber. Eine für jene Zeit ungeheuere und
für die Sachsen unerschwingliche Abgabe, weshalb wir dort entweder einen
Schreibfehler vermuthen oder annehmen müssen, daß in dieser Summe die
Steuern aller siebenbürger Sachsen nebst den Erträgnissen der Bergwerke
und Salzgruben, welche sie betrieben, enthalten sind. — 2 Andreae II. r.
Libertas Saxonum Transilvaniae 1224. E transumto Caroli I. , 1317, bei
Endlicher, S. 420—423.
Ungarns Nebenländer. Siebenbürgen. 463

Ansiedelungen vergrößert; der bistritzer District aber, der zum Leib


gedinge der Königinnen gehörte, blieb dem Szekler - Grafen unter
geordnet, und auch die andern durch Siebenbürgen zerstreuten deut
schen Niederlassungen und Städte verharrten im Verbande mit der
jenigen politischen Nation, in deren Gebiet sie lagen. l
Vermischt mit diesen drei Nationen wohnten die Nachkommen der
alten Dacier und römischen Colonisten, die Walachen oder, wie sie sich
heutzutage lieber,nennen, die Rumänen. Leider besitzen wir über den Zu
stand, in welchem sie sich in dem Zeitalter, von dem die Rede ist, be
fanden, beinahe gar keine Nachrichten. Aber vermuthen können wir,
daß die Magyaren, die bei der Eroberung Ungarns die Landesbewohner
in den eigenen Volksverband aufnahmen, auch die Walachen in Sieben
bürgen, welche nicht kriegsgefangen wurden oder schon vorher Knechte
waren, im Besitze ihrer Freiheit und ihrer Grundstücke ließen. Zum
Glück wird diese Vermuthung auch durch geschichtliche Daten be
stätigt. Die Walachen hatten zuvörderst, besonders wo sie dichter
beisammen wohnten, ihre Häuptlinge, die ,;Knese" genannt wurden, bald
einzelnen Ortschaften, bald ganzen Bezirken vorstanden und adeliche
Rechte genossen. Auf dem Landtage, den Andreas' III. 1291 zu
Weißenburg abhielt, waren auch sie vertreten. 2 Hieraus ergibt sich,
daß sie zwar keine eigene, abgeschlossene politische Körperschaft, wie
die andern drei autonomen Nationen bildeten, sondern zu derjenigen ge
hörten, in deren Gebiet sie sich befanden, aber mit den übrigen Mit
gliedern derselben Rechte und Lasten theilten. Weniger günstig mag
freilich ihre Lage unter den Szeklern und Sachsen , wegen der streng,
nationalen Verfassung beider, gewesen sein als im Lande der Ungarn.
Allein in dem Maße, in welchem hier feudalistische Einrichtungen über
handnahmen,
freien sich verschlimmerte,
die Macht des traten
Adels stieg
auch ihre
und Knese
der Zustand
in dieder
Reihen
Gemein-
des

Adels über 3 und sanken ihre freien Leute zur Hörigkeit hinab. Diese
hatten jedoch kein schlechteres Los als die ungarischen Bauern Sie
benbürgens.
1 Eder 4de Auch
initiis war
juribusque
es nicht
Saxonum
sowol Transilvanorum
die Sprache, sondern
(Wien 1792).
weit

Scbuller, Umrisse und kritische Studien zur Geschichte von Siebenbürgen.


Viele Behauptungen, die Schlötzer in seiner „ Geschichte der Deutschen in
Siebenbürgen" aufstellte, sind übertrieben, andere ermangeln des historischen
Grundes ; deshalb ließen selbst die neuern sächsischen , oft sehr parteiischen
Geschichtschreiber dieselben fallen. — 2 „ Cum nos cum universis nobilibus
(Hungaris) Saxonibus, Siculis et Olahis in partibus Transilvanis . . . congre-
gationem fecissemus. Dat. apud Album Julae in Dom. Invocavit a 1291."
Urkunde Andreas' III., bei Fejer, VI, i, 118. — s Daß dieses geschehen sei,
beweist die beträchtliche Zahl walachischer Edelleute in Siebenbürgen. Und
wie viele der adelich Gewordenen mochten sich im Laufe der Zeit magya-
risirt haben ? Deutet doch der mehr walachische als ungarische Klang man
cher Namen auf den Ursprung der Familien hin. — * Im Jahre 1437 er
hoben sich die walachischen Bauern gemeinschaftlich mit den ungarischen
gegen die unerträglichen Bedrückungen des Bischofs und hartherziger Grund
nerren ; in der Urkunde des Vergleichs, der nach manchen blutigen Gewalt
thaten geschlossen wurde, heißen sie „Universitas Hungarorum etBlacorum";
zugleich berufen sie sich auf die verlorenen Urkunden Stephan'» I. und seü
4fi4 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

mehr die Religion, was sie von ihren Mitbürgern trennte und auf ihre
Stellung im Staate einen nachtheiligen Einfluß übte; sie bekannten sich
nämlich insgesammt zur griechischen Kirche, und dieser Umstand wog
im Mittelalter weit schwerer als die Verschiedenheit der Nationalität,
nach der man bei der allgemeinen Herrschaft des Lateinischen in Kirche
und Staat
Jede wenig
der drei
fragte.
politischen Nationen hielt unter dem Vorsitze ihres

Oberhauptes Versammlungen^ auf denen sie ihre innern Angelegenheiten


beriethon und Statute machten, die im Umkreise ihres Gebiets galten.
Das gemeinschaftliche Band, das sie miteinander verknüpfte, waren die
Landtage. Der erste Landtag Siebenbürgens, von dem eine Nachricht auf
uns gekommen, war der schon mehrmals erwähnte von 1291, dem König
Andreas' III. selbst vorsaß. Daß dieser nicht der erste überhaupt gewesen,
daß häufig, vielleicht jährlich Landtage abgehalten wurden, seit Sieben
bürgen zu einem Staatswesen geeinigt und in Verbindung mit Ungarn
getreten war, wird niemand bezweifeln, der sich mit den Zuständen
und Gepflogenheiten des Mittelalters überhaupt und Ungarns insbeson
dere bekannt gemacht hat. Bei den spätem Landtagen führte der Vajda
des Ungarlandes den Vorsitz, und wahrscheinlich war er es, der auch die
frühern einberief und ihnen präsidirte, da er an Hang und Macht dem
Szekler- und Sachsen-Grafen vorausstand. Doch auch der Landtag be
saß nur das Recht, Statute (nicht Gesetze) zu geben, die zwar für ganz
Siebenbürgen bindende Kraft hatten, aber den Reichsgesetzen, die der
ungarische Reichstag brachte, nicht widersprechen durften. 1 Denn
seine EdeUeute, mithin auch die Szekler und Sachsen, die den Edel-
Jeuten glcichgeachtet wurden 2, besaßen die ungarische Reichsstand
schaft; sie hatten also insgesammt das Recht, persönlich am Reichs
tage zu erscheinen oder sich durch ihre Häupter vertreten zu lassen und
an der das ganze Reich bindenden Gesetzgebung theilzunehmen, und
übten
theilung
Zum
dasselbe
Siebenbürgens.
Schluß
auch
werfen
aus. 3 Der
wir noch
Sprengel
einend Blick
s weißenburger
auf die kirchliche
oder sieben-
Ein-

bürger Bisthums erstreckte sich über das Land der Ungarn und einige
Theile des sächsischen Gebiets. Der Bischof war Suffragan des Erz
stifts Kalocsa *und zugleich ungarischer Prälat, der am Reichstage
zwischen den Bischöfen des Mutterlandes seinen Sitz einnahm. Der
größte Theil der vereinigten Sachsenstühle hatte zum geistlichen Ober
ner
hauptNachfolger,
den Propst
in denen
von ihre
Ilermannstadt,
Rechte und Pflichten
der gleich
verzeichnet
andern königlichen
seien. Grof

Teleki Jözsef, Hunyadiak kora (Graf Joseph Teleki, Zeitalter der Hunyade),
Pesth 1852-53, Bd. 10, Urkundensammlung, S. 3, 10.
1 Verböczi, Tripart., Pars III, Tit. 4. — 2 Decret. Andreae III., Art. 10,
11, 21, 26, 30, 31, 33, 34, hei Endlicher, S. 615—G21. — 3 Constitntiones
per praelatos et barones ac nobiles regni Hungariae apnd ecclesiam Fratrnn1
u1inornm in Pesth a. 1298 factae, . . . „cum omnibus nobilibus, singulis Saxo-
nibus et Cumanis in unum convenientes . . . Statuimus." Singulis ist ein
offenbarer Schreibfehler; es muß „Siculis" gelesen werden; denn jeder einzelne
Sachse konnte doch nicht in Person, sondern nur die Gesummtheit in ihren
Vertretern oder Häuptern erschienen sein.
Ungarns Nebenländer. Banat Szöreny. 465

Abteien, z. B. Kolosmonostor, dem Erzbischofe von Gran untergeben


war. Der szekler Bischof, zu dessen Diöcese auch einige Stücke der
Moldau und Walachei (Kumanien) gehörten, hatte seinen Sitz in Mil-
kov, stand unmittelbar unter dem Papste und scheint nicht zu den
ungarischen Prälaten gerechnet worden zu sein, da wir ihn in keiner
Reichsurkui1de genannt und unter keinem königlichen Brief unter
zeichnet
Im finden.
Süden Siebenbürgens, jenseit der Karpaten, zwischen der

Donau und Alt lag das Banat Szöreny, von Walachen, Bulgaren und
Ueberbleibseln der Kumanen und Petschenegen dünn bevölkert; zwi
schen diesen mochten sich auch Ungarn und Szekler, die als Kriegsleute
und Besatzung hinkamen, niedergelassen haben und so die Vorfahren
der noch jetzt in diesen Gegenden lebenden Csangömagyaren geworden
sein. Die szörenyer Bane geboten auch über den unlängst eroberten
Theil Bulgariens und bekleideten als Hüter der Grenze gegen die krie
gerischen
Die Gegenden
Völkerschaftentder
jenseit derDonau
Alt imeinSüden
höchstund
wichtiges
Osten Siebenbürgens,
Amt.

wo noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die vereinten Kumanen


und Petschenegen gehaust, wären nach dem Abzug der Mongolen als
menschenleere Einöde von den Ungarn theils wirklich, theils blos dem
Namen nach in Besitz genommen worden (oben S. 393). Die süd-
. liehen , die heutige Walachei , erhielten nach und nach Ansiedler von
jenseit der Donau und aus Siebenbürgen, größtentheils Walachen. Aber
je mehr die Zahl der Einwohner wuchs, desto sichtbarer verfiel die hier
erst schwach befestigte Herrschaft Ungarns, das gerade um diese Zeit
erbärmlich regiert und von innern Unruhen zerrissen wurde. Schon
während der Unmündigkeit Ladislaus' IV. empörte sich der walachische
Knes Lithen; doch Meister Georg von Sövär besiegte ihn; er selbst
fiel in der Schlacht und sein Bruder Barbäth wurde gefangen 1; der
vorige Zustand schien wiederhergestellt zu sein. Weit wichtiger und
von bleibenden Folgen war, was sich gegen das Ende von Ladislaus' IV.
Regierung zutrug. Als Siebenbürgen und das östliche Ungarn wech
selsweise von den Tataren i^ " Kumanen und von den wilden wider
diese aufgebotenen Kreuzfahrern verwüstet wurde, zog, wie wala
chische Chroniken berichten, Radul Negrowod, der Knes von Fogaras
und Omläs, mit seinen Untergebenen in diese Gegenden und erbaute
die Stadt Kampelungen ; bald folgten ihm andere walachische Auswan
derer nach und alle erkannten ihn als Herrscher an. 2 So entstand hier
während Andreas III. gegen Prätendenten und aufrührerische Große
kämpfte, und nach seinem Tode ein von Parteiungen und innern Kriegen
erfülltes Interregnum eintrat, ein neuer walachischer Staat, welcher die
Oberhoheit Ungarns gewöhnlich blos dem Namen nach und wirklich nur
dann anerkannte, wenn ein thatkräftigerKönig herrschte. Dagegen sam
melte sich im Osten (Moldau und.Bessarabien) nach dem Abzuge der Mon
golen neuerdings eine kumanische Bevölkerung, zwischen der hin und wie
der auch einige walachische Knesschaften sich ansiedelten ; aber die häufigen

1
Fejer, V, 1n, 275. — 2 Szilagyi, Geschichte von Siebenbürgen, I, 66.
Feßler. I. 30
466 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

und verwüstenden Einfälle der Tataren verhinderten hier längere Zeit


die Bildung eines Staats, zumal Ungarn, das mit sich selbst genug zu
thun hatte, sich weder die Beschützung des Landes, noch die Begrün
dung Zu
seiner
den Herrschaft
Nebenländern,
über in
dasselbe
deren langjährigem
angelegen seinund
ließ.gesichertem
1 Be

sitze sich Ungarn befand , gehörte das Banat Macsö , das den nördlichen
Theil des alten Serbiens zwischen der Morava und Drina umfaßte. Für
die Wichtigkeit dieses Gebiets zeugt, daß Bela IV. seinen Eidam, den
Fürsten Rostislaw, zum Ban desselben ernannte; aber leider fehlt es
fast gänzlich an Nachrichten, welche uns über die innern Zustände des
Landes in diesem Zeitalter Aufschluß geben könnten; wir wissen nicht,
ob serbische oder ungarische Staatseinrichtungen vorherrschten. Das
Volk bekannte sich zur griechischen Kirche und blieb derselben treu,
ungeachtet aller Anstrengungen, die gemacht wurden, um es zu der
römischen
Ungleich
zu bekehren.
wichtiger für die ganze Geschichte Ungarns sind Kroa

tien und Dalmatien, die unter dem Namen Slawonien einigemal


den Brüdern des Königs, meistens jedoch den Kronprinzen mit dem
Titel eines Herzogthums als Apanage verliehen wurden. Die Collectiv-
benennung Slawonien erhielten sie, weil ihre Bewohner der über
wiegenden Mehrheit nach Slawen waren. Was heutzutage Königreich
Slawonien heißt, der untere östliche Theil des Landes zwischen der
Drau und Save bis an die Donau, nämlich die Gespanschaften Sirmien,
vereinigt)
Posega undnebst
Werschetz
dem einst
(diezuvierte,
ihnen Valkö,
gehörigen
ward
Stück
später
Militärgrenze,
mit Werschetz
er

hielt diesen Namen erst in der neuern Zeit. Schon unter Arpäd er
obert 2 und darauf von Ungarn und Slawen bewohnt, war dieser Land
strich fortwährend, bis er unter türkische Herrschaft gerieth, unga
risches Gebiet im strengsten Sinne des Wortes, kein Nebenland, keine
„pars adnexa"; von ihm, der nie zu Dalmatien und Kroatien gehörte,
kann daher hier gar nicht die Rede sein. Dagegen wurde das heutige
Kroatien, der obere westliche Theil zwischen der Drau und Save, die
Gespanschaften Agram, Warasdin und Kreuz sammt ihrer jetzigen Mi
litärgrenze , vormals Slawonien genannt. Auch dieses Gebiet hatte be
reits Ärpäd seiner Herrschaft unterworfen 3; wie es aber nach Sfe-
phan's I. Tode von den Kroaten zurückerobert, unter Andreas I. "wie
der an Ungarn gebracht und von,Bela I. dem Kroatenfürsten Zwoni-
mir, der seine Tochter heirathete, überlassen wurde, haben wir oben
(S. 159 und 179) berichtet. Das Land, welches im Ärpäd'schen Zeit
alter und noch lange nachher Kroatien im engern Sinne benannt wurde,
lag jenseit der Save; es war das mit Dalmatien vereinigte heutige Tür-
kisch-Kroatien, das einen großen Theil Bosniens nebst Montenegro bis
an die
1 Szilagyi,
Narenta a.umfaßte.
a. O. —4 2 Anonym. Belae reg. Notar., Kap. 41 — 43, bei

Endlicher, S. 36—38. — 3 Anonym., Kap. 43, S. 38. — 4 Das oben Gesagte


wird nnwidersprechlich bewiesen: durch zahlreicheUrknnden vom 11.— 15. Jahr
hundert, die Katona, Histor. reg. Hnng. und Fejer, Cod. dipl. mittheilen;
durch verschiedene Gesetze, z. B. XXII von 1445 bei Kovachich, Vestigia
Ungarns Nebenländer. Slawonien. 467

Als Ladislaus I. 1091 Slawonien oder Kroatien diesseit der Save


vollständig und den größten Theil des jenseitigen genommen hatte, ver
leibte er dasselbe Ungarn ebenso wenig ein, wie Stephan Siebenbürgen,
sondern bildete daraus ein gesondertes, mit eigenen Municipalrechten
versehenes Reichsgebiet, dem er seinen Neffen Almos als Vasallen Un
garns vorsetzte. Um aber das Land auch durch kirchliche Bande an
Ungarn zu fesseln, löste er dessen Verband mit dem Erzbisthum Spa-
latro und stiftete zu Agram ein Bisthu1r1j welches er dem graner, später
dem kalocsaer, Erzbisthum untergab und unter die ungarischen Prä-
laturen mit allen Rechten derselben aufnahm. x Daß er nebenbei un
garische Staatseinrichtungen eingeführt habe, läßt sich vermuthen; es
ist uns
Das
jedoch
Werk,
unbekannt,
welches wie
Ladislaus
weit er hier
darmbegonnen
gegangen hatte,
sei. vollendete

Koloman. Nachdem er die aufständischen Kroaten theils mit den


Waffen, theils durch Vertrag unter seine Herrschaft gebracht und auch
ganz Dalmatien nebst den romanischen Seestädten und einigen Inseln
sich unterworfen hatte, enthielt er sich gleichfalls des eiteln Versuchs,
das soviele fremdartige Elemente beherbergende^Land mit Ungarn zu
verschmelzen, traf aber mit weit blickendem Scharfsinn Einrichtungen,
durch welche es enge und unauflöslich mit dem ungarischen Reiche ver
knüpft wurde. Er ließ sich ein für allemal in Zara zum König von
Dalmatien und Kroatien krönen und setzte dem ganzen Gebiete (mit
Ausnahme der Seestädte und Inseln, wie wir sehen werden) einen
Statthalter vor, der den volksthümlichen Titel Bau führte, nach des
Königs Belieben ein Eingeborner oder Ungar sein konnte und gewöhn
lich auch Obergespan ungarischer Comitate war. Der Bau hatte ähn
liche Befugnisse wie der Vajda von Siebenbürgen; er war Regent,
Richter und Heerführer, durfte Körperschaften, Städten und Bezirken
Privilegien ertheilen2, und nur die ausschließlich königlichen Rechte, Geld
zu prägen und den Adel zu verleihen, standen ihm nicht zu; er nahm
comitior.,
den drittenVIIPlatz
von 1478,
unter und
den XVI
weltlichen
von 1498
Großen
im Corpus
des ungarischen
juris; endlichReichs
durch

die glaubwürdigsten Schriftsteller. Verböczi, im Tripartitum, zählt Sirmien,


Valkö, Posega und Werschetz zu den ungarischen, Kreutz, Agram und Wa-
rasdin aber nennt er slawonische Gespanschaften. Faustus Verancsics, Se-
cretär König Kudolf's, schreibt in seinem Diplomatarium: „Die obern Ge
spanschaften Ungarns sind: Zips, Säros, Torna u. s. w., die untern: Valkö,
Posega, Sirmien, Werschetz, Bodrog, Bäcs u. s. w.; Gespanschaften Slawo
niens: Agram, Warasdin, Kreutz. " Der Name Kroatien wurde auf die drei
letztgenannten Gespanschaften übertragen, nachdem die Türken das eigent
liche Kroatien erobert hatten; und da nun kein Slawonien vorhanden war,
fing man an, den untern Theil des Landes zwischen der Drau und Save, von
jeher, wie gesagt, echt ungarisches Gebiet, Slawonien zu nennen, bis zu
letzt gegen Ende des 18. Jahrhunderts diese unrichtige Benennung auch in
das öffentliche Leben und selbst in die Gesetzgebung überging. Nikolaus
Zelniczi, Bischof von Agram, schreibt 1599: „Slawonien bezeichnet etwas
anderes und Kroatien wieder etwas anderes. Daß Agram in Slawonien liegt,
bezweifelt niemand; daß mau diesen Theil Oberslawonier1s für Kroatien Y>aH,
weiß ich: aber der Irrthum und Fehler beraubt niemand seines Rechte."
1 Vgl. oben S. 180 fg. — 2 Die Urkunden bei Endlicher, 8. 411 — 4SI.
30*
4(58 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ein und stand im Felde gewöhnlich am rechten Flügel des Heeres.


Die königlichen Prinzen, die von Zeit zu Zeit unter dem Titel „Herzog
von Slawonien" Dalmatien und Kroatien regierten, hatten außer dem
ihnen gebührenden höhern Rang gesetzmäßig kaum ausgedehntere
Vollmachten. Durch die besondere Gunst des Königs ward zwar das
ihnen untergebene Gebiet zuweilen noch mit ungarischen Gespan-
schaften vermehrt und ihre Vollmacht erweitert1; auch übte einer und
der andere unter ihnen , indem ersieh wider den König empörte, alle
königlichen Rechte aus 2; aber sie waren doch immer nur Vasallen, die
das ihnen anvertraute Land nicht erblich, sondern blos lebenslänglich
und widerrufbar
Bei aller Schonung,
„aus des die
Königs
man Gnade"
gegen die
innehatten.
nationalen Eigenthüm-

lichkeiten bewies, wurden dennoch sehr bald die ungarische Constitution


und ungarische Gesetze eingefuhrt. Die Zschupanate, in die das Land
früher eingetheilt war, wurden in Gespanschaften verwandelt, die, nach
dem Muster der ungarischen gebildet, auch die wesentlichsten Einrich
tungen mit diesen gemein hatten und ihre innern Angelegenheiten in
Comitatsversammlungpn unter dem Vorsitze des Obergespans ordneten.
Zu Berathungen über die Angelegenheiten des ganzen Landes beriefen
die Bane oder Herzoge die Geistlichkeit und den Adel zu Landtagen,
die den Reichsgesetzen nicht widersprechende Statute zu machen be
rechtigt waren. 3 Koloman allein ließ sich, als er die Herrschaft über
ganz Dalmatien und Kroatien antrat, in Zara krönen; keiner seiner
Nachfolger that es wieder, da diese Länder für ein Zubehör der heiligen
Krone Stephan's galten. Aus derselben Ursache wurden auch alle
Decrete und Freibriefe, welche die Könige für dieselben erließen, unter
Zustimmung der ungarischen Reichsbarone herausgegeben, vom unga
rischen Kanzler ausgestellt, vom graner Erzbischof, vom Falatin und
siegel
den andern
versehen.
Bischöfen
Die und
dalmatinischen
Großen unterschrieben
und kroatischen
undBarone
mit dem
undReichs-
Edel-

leute besaßen zugleich den ungarischen Adel und genossen alle Rechte
desselben, zu denen auch die Theilnahme an den Reichstagen gehörte.
Die Abgaben, welche diese Länder entrichteten, bestanden,.zum Theil
in Marderfellen und gehörten ebenfalls zu den Angelegenheiten , über
welche der Reichstag entschied. 4 Ob die Bewohner schon damals das
Vorrecht genossen, nur die Hälfte der Steuern zu zahlen, die der Ungar
leistete, ist zweifelhaft, weil bis zu Anfang des 14. Jahrhunderts außer dem
Kammergewinn
1Doch
Z. B. die
von romanischen
überhaupt
Bela IV. seinem
keine
Seestädte,
Bruder
regelmäßigen
Koloman
Jadra
Abgaben
und
oderseinem
Zara,
erhoben
Sohne
Spalatro,
wurden.
Bela.

— 2 Andreas II. als Herzog von Slawonien vergabte königliche Güter und
Gefälle, führte Kriege und machte Eroberungen. — 3 Verböczi, Tripartit.,
Pars III, Tit. 2. Die Comitatsversammlungen und Landtage, Congregationes
generales, werden erwähnt in der Urkunde Andreas' II. von 1218, bei
Kukuljevics, Jura regni Ooatiae, Dalmatiae et Slavoniae, Agram 1862, I,
47 fg. Dergleichen Landesstatute sind: Matthaei Bani Slavoniae jura regni
et banatus, 1273, bei Endlicher, S. Ö36. — * Andreae IL Decret. I, 27, bei
Endlicher, S. 416. Andreae III. Decret., 34, a. a. 0., S. 620.
Ungarns Nebenländer. Slawonien. 469

Traw, Sebenigo und noch einige weniger bedeutende, nebst einem Theile
des Küstengebiets und den Inseln im Adriatischen Meere gehörten nie
zu dem mit Kroatien vereinigten Dalmatien. Sie hatten eine italie
nische Bevölkerung und bildeten von altersher freie Gemeinwesen,
welche die 'Oberhoheit der byzantinischen Kaiser anerkannten und mit
ihren Nachbarn, den Slawen, sich beinahe fortwährend im Kriegs
zustande befanden. 1 Als die Slawenfürsten im 11, Jahrhundert sie
härter bedrängten und die Kaiser von Konstantinopel sie nicht »hin
reichend vertheidigen konnten, begaben sie sich unter den Schutz des
aufstrebenden Venedig, und schon 1085 belehnte Alexius Comnenus die
Republik mit Dalmatien. 2 Auch nachdem Koloman diese Städte mit
ganz Dalmatien unter die ungarische Herrschaft gebracht hatte, be
wahrten sie ihre Sonderstellung und Freiheit, wenn sie gleich häufig dem
Ban oder Herzog untergeben waren. Die ausgedehnten Privilegien,
welche ihnen Koloman und seine Nachfolger verliehen, wurden aus
schließlich ihnen, nicht aber ganz Dalmatien und Kroatien zutheil, und
Andreas III. gab ihnen überdies in den Grafen von Brebir eigene vom
Bane Kroatiens unabhängige Bane. Das einzige Band, das sie mit
dem innern slawischen Lande verknüpfte, war ein kirchliches, indem
Dalmatien und Kroatien jenseit der Save zum Sprengel des Erzbischofs
von Spalatro'
In den Tagen
gehörte.der
3 ärpädischen Könige gab es also kein Drei

einiges Königreich Dalmatien, "Kroatien und Slawonien, welches in der


neuesten Zeit die Einbildungskraft alles übertreibender Eiferer für das
Slawenthum schaffen will; auch waren diese Länder nicht mit dem
König durch eine Personalunion, sondern mit dem ungarischen Reiche
als „regna adnexa" vom Anbeginn her verbunden. Schon am Schlusse
des 13. Jahrhunderts standen sie zu demselben in dem nämlichen, ja viel
leicht noch mehr untergeordneten Verhältnisse, welches sich in einer 1492
abgefaßten, mit 63 Unterschriften und Siegeln versehenen Staats
urkunde unverkennbar darstellt: „Weil", heißt es in derselben, „die ge
nannten Königreiche Kroatien und Slawonien und wir, wie auch die
übrigen Bewohner dieser Länder, der Krone und dem Reiche Ungarns
von altersher unterworfen sind (eisdemque, coronae «t regno, subjecti
sumus): so nahmen und nehmen wir diesen Friedensschluß und Aus
gleich öffentlich und feierlich an auf dem zu dieser Absicht einberufener
ofener Reichstage, ebenso wie die geistlichen Herren , Barone, Ober
gespane,
Das Vorgesetzte
Verhältnis der
undNebenländer,
Edelleute Ungarns."
namentlich
4 Siebenbürgens, Kroa

tiens und Dalmatiens, zu Ungarn läßt sich überhaupt mit wenigen "Wor
ten also
1 Lucins,
schildern
De regno
: ohne
Dalmatiae
Ungarnetvollständig
Croatiae, Lib.
einverleibt
I. — 2 Lucius,
zu seinLib.
, bilden
II, 4.

Anna Comnena, IV, 192. — 3 Kukuljevic, Bd. 1. Die Urkunden I — III und
LXXIV. — 4 Im k. k. geheimen Staatsarchiv zu Wien. Für all das oben
Gesagte finden sich zahlreiche und urkundliche Belege bei Lucius, De regno
Dalmatiae et Croatiae. Vieles, was hier nur oberflächlich erwähnt werden
konnte, gibt Szalay ausführlicher in seiner Schrift: A horvät kerdeshez
(Zur kroatischen Frage), Pesth 1861.
470 Viertes Buch Zweiter Abschnitt.

sie, mit diesem durch die gleiche Constitution vereinigt, integrirende


Theile des Reichs; sie sind im ungeschmälerten Besitze ihres Gebiets;
ihre Sprache und Nationalität wird nicht angefochten; sie behalten ihre
hergebrachten bürgerlichen Einrichtungen, wenn sie dieselben nicht mit
den ungarischen vertauschen wollen; sie ordnen als freie Gemeinwesen
unter der Leitung königlicher Statthalter selbständig ihre innern An
gelegenheiten, gehorchen jedoch dem König, an dessen Wahl und Krö
nung sie theilnehmen, und den Reichsgesetzen, die unter ihrer Mit
wirkung gegeben werden; sie tragen nicht nur keine größern Lasten
und Beschränkungen als die Bewohner Ungarns, sondern genießen
meistens noch viele und bedeutende Vorrechte vor diesen. Daher
wird es erklärlich, daß sie nie nach Unabhängigkeit strebten, sondern
selbst in solchen Zeiten, wo Ungarn durch innere Unruhen geschwächt
und zerrüttet wurde, mit unerschütterlicher Treue an dem Verbande
mit demselben festhielten, dasselbe als das gemeinsame Vaterland
aller liebten
2. Innere
undtheils
zu seiner
Zustände
von Vertheidigung
1841, unter
theils den
von
bereitwillig
letzten
1S22— 1301.
ihr
Arpaden,
Blut vergossen.

Das nicht ganz unverschuldete Verderben, welches die Mongolen


über Ungarn gebracht, hatte das gelockerte Band der Eintracht um das
Volk und dessen König fester geschlungen; beide arbeiteten mit vereinten
Kräften an der Wiederherstellung des in seinen Grundlagen erschütterten
Reichs. Aber was Bela IV. nach dem Abzug des furchtbaren Feindes
durch zweckmäßige Vorkehrungen zur Befestigung der wiederkehrenden
Ordnung und zur Hebung der zerstörten öffentlichen Wohlfahrt einer
seits that, verdarb er andererseits durch die vielen, meist unglücklichen
Kriege, zu denen er sich durch Eroberungssucht verleiten ließ. Diese
Kriege lenkten seine Thätigkeit von den innern Angelegenheiten nach
auswärts; sie zwangen ihn, die Großen durch Schmeichelei und Be
günstigung zur Heeresfolge, von der sie das Gesetz entband, zu be
wegen und das Volk durch Auflagen und verfehlte Finanzoperationen
zu bedrücken, welche die Staatskasse für den Augenblick füllten, für
die Folge jedoch desto ärmer machten; und mit allen Opfern an Gut
und Blut wurden nur schwere Niederlagen und Demüthigungen er
kauft, die um so schmerzlicher waren, da die tiefen, erst vor kurzem
empfangenen Wunden des Landes noch bluteten. Die natürlichen Fol
gen waren allgemeines Misvergnügen , Unruhen und Aufstände. Denn
wären die verlustvollen Kriege nicht vorhergegangen, so würde der Jüngere
König Stephan nie gewagt haben, sich gegen den Vater zu empören,
und wenn er es ja gewagt hätte, keine so zahlreiche Partei gefunden
haben. In dem Bürgerkriege, der nun entstand, sahen sich beide Kö
nige einerseits genöthigt, um die Wette durch Nachsicht gegen An
maßungen und Gewaltthaten, durch verschwenderische Verleihung von
«v Gütern und Würden Anhänger zu erkaufen; andererseits trieb sie der Zorn
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 471

zur Verfolgung und Unterdrückung ihrer Gegner, wobei sie die Sehran
ken der Mäßigung und des Gesetzes überschritten und statt Gerechtig
keit Rache übten. So lösten sich die Bande der gesetzlichen Ordnung;
die Frechheit, die kühn zugriff, und die List, die zur rechten Zeit die
Partei wechselte, errangen die Vortheile, die dem Verdienste ge
bührten; Menschen ohne sittliches Gefühl, ohne Liebe zum Vaterland
erhielten die wichtigsten Aemter; das Volk wurde unterdrückt und ge
plündert; das Reich gerieth in Verfall. Die Gesetze, welche der
Reichstag von 1267 zur Beseitigung der überhandnehmenden Uebel
schuf 1, konnten dieselben kaum mildern. Stephan V. hätte die Hoff
nungen, mit denen seine Thronbesteigung begrüßt wurde, vielleicht er
füllt und der Zerrüttung des Staats gesteuert ; aber er starb zu früh, noch
ehe er wieder gut machen konnte, was er zum Theil mit verschuldet
hatte. Während der Unmündigkeit .seines Sohnes Ladislaus' IV.
herrschten, wie nie vorher, Cabalen und Ränke am Hofe; die Königin-
Mutter, eine kumanische, vom Geiste christlich -europäischer Bildung
kaum angewehte Frau, führte die höchste Gewalt nach Laune und
Willkür; herrschsüchtige Große und Höflinge rangen miteinander, bis
es einigen gelang, so viel Reich thum und Macht an sich zu reißen, daß
sie keine Gewalt und kein Gesetz mehr über sich anerkennen wollten.
Noch unheilvoller ward die Zeit, nachdem Ladislaus IV. die Regierung
selbst angetreten hatte. Welche Achtung konnte ein Fürst genießen,
der sich schändlichen Ausschweifungen so sehr überließ , daß er förm
lich vor Gericht gestellt und gezwungen wurde, in einer feierlich ver
öffentlichten Urkunde Besserung zu versprechen? Wie groß war das
Verderben, welches er anrichtete, indem er durch sein thörichtes Be
nehmen die Ungarn und Kumanen so lange wider einander aufhetzte,
bis sie einander feindlich gegenüberstanden und sich blutige Kämpfe
lieferten!
das Aufhören Denndesselben
sein Werk
nachwar
seinem
der traurige
Tode. Unter
Zwiespalt;
seinerdas
Regierung
beweist

stieg die Unordnung und das Elend zu einer solchen Höhe, daß An
dreas III. der Aufgabe, demselben abzuhelfen, nicht mehr gewachsen
war. Solange dieser aufgeklärte und wohlwollende Regent die mäch
tigen Oligarchen nach Willkür schalten und walten ließ und sie mit
Gunstbezeigungen überhäufte, hatten sie keine Ursache, sich gegen ihn
aufzulehnen; als er aber ihrem Unfuge steuern und sie mit Ernst in die
Grenzen des Gehorsams zurückdrängen wollte, da erhoben sie sich mit
einem bisher nie dagewesenen Uebermuthe; nun fielen sie von dem Kö
nig ab, der ihnen Besorgnisse einflößte , und stellten ihm ein Kind ent
gegen, unter dessen Namen sie zu herrschen und ungehindert ihre ver
derbliche Macht noch weiter auszudehnen hofften; angeeifert von dem
hochmüthigen Papst "Bonifacius VIII., dem Urheber vielfältigen Un
heils in Staat und Kirche, und geleitet von dessen willfährigem Werk
zeuge, dem graner Erzbischof Gregor, begannen sie die langwierigen
Kämpfe,
1Die
Belae
Anhäufung
dieIV.
dasreg.
Reich
Decretum
mehrerer
an den1267,
Reichsämter
Randoben
des S.
Untergangs
in
412.einer Hand
brachten.
war es vor-«
472 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

nehmlich, was einigen Großen die Macht gab, dem Könige und der
ganzen Nation ungestraft zu trotzen. Wie gefährlich diese sei, hatte
man schon früher erfahren; deshalb gebot die Goldene Bulle, Art. 30:
„Außer dem Palatm, dem Ban und dem Hofgrafen des Königs und der.
Königin darf niemand zwei Würden bekleiden." DieKönigeaber achteten
nicht auf das zu ihrem und des Volkes Wohl gegebene Gesetz; um neue
Anhänger zu gewinnen oder diejenigen, auf deren Treue sie bauten,
desto mächtiger zu machen, verliehen sie einem und demselben durch Geburt
und Erbgüter, oft auch durch Geisteskraft ohnehin schon hervorragenden
Manne mehrere der einflußreichsten Stellen im Staate. Wir sehen be
sonders unter Andreas III. , daß nicht nur der Palatin , der Ban und
der Hofgraf zugleich Obergespan mehr als eines Comitates ist, sondern
daß auch andere Reichsbarone und Große zwei, sogar drei Gespan
schaften vorstehen. So wurde die ganze politische und militärische
Macht Wenigen anvertraut, das Reich gleichsam unter sie vertheilt; so
entstanden nach und nach Oligarchen, die über mehr Geld und Leute
als der König selbst verfügten und sowol ihm wie dem Gesetze Hohn
sprechen durften. Da sie aber den mehreren Aemtern, die sie zu
gleicher Zeit bekleideten, nicht genügen konnten, mußten sie Stell
vertreter haben, die statt ihrer die Geschäfte verwalteten. Diese er
nannten sie selbst, und bald kam der Misbrauch auf, daß sie ihre
Aemter um Geld in Pacht gaben, was natürlich zu den schwersten
Bedrückungen führte. 1
Hierbei kamen ihnen ihre festen Schlösser trefflich zu statten.
Die Erlaubniß, solche auf ihren Besitzungen zu bauen, ward Privat
herren nach dem Abzug der Mongolen ertheilt; sie sollten bei feind
lichen Einfällen der umwohnenden Bevölkerung als Schutz- und Zu-
fluchtsörter dienen. Bald erkannten die widerspenstigen Großen und
kühne Freibeuter, welche Vortheile ihnen daraus erwuchsen; auf steilen
Felsen und aus schwer zugänglichen Sümpfen erhoben sich überall
starke Burgen; wer selbst keinen geeigneten Platz hatte, baute eine
solche auf fremdem, besonders auf dem Boden der Kirchen und Klö
ster, den er dadurch gewaltsam zu seinem Eigenthum machte. Und da
die Burg zu ihrer Vertheidigung einer Besatzung bedurfte, so kam jetzt
auch in Ungarn die Gewohnheit auf, daß Privatherren in Friedens
zeiten bewaffnete Mannschaften unterhielten, die großentheils auf Ko
sten der Umgegend lebten. Von seinem Schlosse aus beherrschte der
reiche Große, auch wenn er kein Staatsamt führte, als Tyrann das um
liegende Land und erhob Steuern und Zölle; der ärmere Freibeuter aber
trieb Brandschatzung und Raub soweit sein Schwert reichte; beide fan
den hinter ihren Mauern Schutz gegen den Richter, der sie zur Ver
antwortung und Strafe ziehen wollte. Umsonst war es daher, daß die
Gesetze wiederholt die Uebelthäter verurtheilten und solche Burgen,
die ohne Erlaubniß des Königs gebaut worden, die auf fremdem oder
Kirchengrund standen, deren Eigenthümer zur Unterhaltung der Be
satzungen
Andreae
zu arm
III. waren
Decret.,und
Art.die4. nur zum Verderben anderer dienten, zu

'V
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 473

brechen befahlen. 1 Das Uebel war zu gewaltig geworden, und die


Macht, dasselbe zu vernichten, war nicht vorhanden; die räuberischen
Burgherren trieben ihr Wesen von Tag zu Tag ärger, und einige mäch
tige Dynasten, wie die güssinger und brebirer Grafen und der be
rüchtigte Lorant (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Vajda
von Siebenbürgen), warfen sich, gestützt auf ihre festen Waffenplätze,
zu Herren einzelner Landestheile auf; das Reich befand sich in Gefahr,
wie Deutschland, Frankreich und Italien, in eine Menge fast selb
ständiger
Zum Gebiete
Glück hatte
zerstückt
der zahlreiche
zu werden. niedere Adel, der in dieser ver-

hängnißvollen Zeit allein das seiner ursprünglichen Rechte beraubte


Volk vertrat, die Liebe zur Freiheit und zum Vaterlande noch nicht
verloren; und mit ihm verband sich der größte, patriotisch -gesinnte
Theil des Klerus. Hätte sich ein kraftvoller König oder sonst ein
tüchtiger Führer an ihre Spitze gestellt, so würden diese beiden Stände
auch an den Bürgern der Städte und freien Bezirke treue Bundes
genossen gefunden und den Uebermuth der Oligarchen mit Gewalt ge
brochen haben; da sich aber kein solcher fand, so trachteten sie, wenig
stens im Wege der Gesetzgebung der Unordnung Schranken zu setzen.
Wir begegnen in den uns erhaltenen Gesetzen aus dieser Periode An
ordnungen, die von,Freiheitsliebe, richtiger Einsicht und eifrigem Stre
ben , die Verfassung durch zweckmäßige Institutionen auszubilden,
zeugen. So wurde 1267 beschlossen: „Zu den jährlichen Reich&tagen
sollen aus jeder Gespanschaft zwei oder drei Edelleute abgesendet wer
den, damit in ihrer Gegenwart für jeden Schaden und jedes Unrecht
Genugthuung geleistet werde." 2 Diese Anordnung war ein Schritt zu;
Einführung des Repräsentativsystems und hätte eine heilsame Um
änderung des Reichstags bewirken können; allein es findet sich keineSpur
davon, daß sie befolgt wurde. Zwei andere Gesetze handelten von der
Ernennung und Verantwortlichkeit der hohen Staatsbeamten. Der Kö
nig verpflichtet sich, den Palatin, Tavernicus, Vicekanzler und Judex
curiae, der alten Gepflogenheit gemäß, nach dem Rathe des (beim
Reichstag versammelten) Adels zu ernennen. . . . Der jährliche Reichs
tag zu Stuhlweißenburg soll untersuchen, wie die Barone ihre Aemter
verwaltet haben , und noch an demselben Tage hat jeder nach dem
Urtheil des Königs und seiner Räthe die verdiente Belohnung oder
Strafe zu empfangen. 3 Wer kann die echt constitutionellen Grundsätze
verkennen, aus denen diese Gesetze flossen? Zugleich wurde den
Baronen verboten, ihre Aemter um, Geld zu verpachten.4 Doch
ein zweiter Reichstag geht noch weiter: er stellt dem König, um den

1 Andreae III. Decret. 1291, Art. 19: „...turres sive castra super eccle-
siis aedificata, ai1t locis aliis pro noeumento constructa, penitus evellantur."
Constitutiones 1298, Art. 9: „ . . . munitiones et castella de novo absque
licentia domini regis, vel que fuerint tales, de quibus detrimenta inferuntur,
vel in posterum inferi presumerentur, aut etiam quibus ipse possessiones non
snfficiunt, minores etiam super ecclesias et monasteria faete, sine dilacione
omni deleantur." '— 2 Belae IV. reg. Deeret. , Art. 8. — 3 Andreae III.
Decret. 1291, Art. 9 u. 25. — 4 Ebend., Art. 4.
474 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt."

verfassungsmäßigen Gang der Regierung und die Ausführung der Ge


setze zu sichern, einen bleibenden Ausschuß an die Seite. „Damit der
königliche Hof glanzvoller eingerichtet und das ungarische Reich
schicklicher regiert werde, beschließen wir, daß der Herr König zwei
Bischöfe von drei zu drei Monaten der Reihe nach den einen aus der
graner, den andern aus der kalocsaer Diöcese und ebenso viele Edel-
leute, die wir jetzt erwählen, als Stellvertreter des gesammten Reichs
adels mit gebührende1n Gehalte auf Staatskosten um sich habe; und
wenn der König dieses unterließe, seien alle Schenkungen, Würden
verleihungen und sonstige wichtigere Dinge, die er ohne Rath der ihm
Zugesellten vornehmen würde, ungültig." 1 Der Entstehung mehr oder
weniger unabhängiger Herrschaften und der Zersplitterung des Reichs
sollte vorgebeugt werden : darum mußte auch Andreas III. bei seiner
Krönung geloben, an Kirchen, Prälaten, Barone und Edelleute kerne
Gespanschaft des Landes für immerwährende Zeit zu vergaben. 2 Auch
auf die Integrität des Reichs ward sorgfältig Bedacht genommen : sollte
ein Theil desselben, unter welchem Titel oder Vorwand und von wel
chem König immer, losgetrennt worden sein , so ist der König gehalten,
diesen wieder dem Reichsgebiete einzuverleiben, ansonst verfällt er dem
Kirchenbanne.
Die Gesetze,
3 welche der pesther Reichstag von 1298 gegen die

rebellischen Oligarchen und Freibeuter erließ, haben wir bereits oben


angeführt. In der Vorrede zu den Beschlüssen stehen die Worte „mit
Ausschluß aller Barone, wie es gebräuchlich ist". Die Ausschließung
bräuchlich;
der Barone sie
vonwaren
den Berathungen
vielmehr im ganzen
(Jes Reichstags
ärpädischen
warZeitalter
aber nicht
gerade
ge- '

die einflußreichsten Mitglieder des Reichstags; auch bestand noch keine


Theilung desselben in ein Ober- und Unterhaus, und wenn sie gleich
als Staatsrath in mancher Hinsicht eine gesonderte Stellung einnahmen,
so theilten sie diese mit den hohen Prälaten, die demungeachtet den
Berathungen dos pesther Reichstags beiwohnten. Den Beweggrund zur
Ausschließung der Barone gab das gesetzwidrige, empörerische Benehmen
der meisten unter ihnen ; sie ist die Aeußerung des allgemeinen Un
willens; sie ist ein Versuch, ihnen einen Theil ihrer Macht zu ent
winden, zu crem sich der Klerus mit dem Adel vereinigte und dem die
anwesenden Barone aus Erbitterung wider ihre der Gegenpartei an
hängenden Standesgenossen beistimmten. Sobald Ruhe und Ordnung
zurückkehrten, nahmen auch die Barone ihre verfassungsmäßige Stel
lung im
DieReichstage
wenigsten wieder
der erwähnten
ein. Gesetze kamen zur Geltung; die

Staatseinrichtungen, die sie schaffen wollten, traten gar nicht ins Leben
oder hörten schnell wieder auf, da sie den Großen verhaßt sein mußten
und auch den Königen nicht gefallen konnten, deren Macht sie be
schränkten. Sie haben daher geschichtlichen Werth nur als Ausdruck der
herrschenden
1 Constitutiones
Denkungsart
1298, Art.
und20.der—Bestrebungen
2 Decret. Andreae
des Zeitalters,
III., Art. nicht
2. —

3 Constitutiones 1298, Art. 18. .


Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 475

aber als vollzogene Thatsachen und Neugestaltungen der öffentlichen


Zustände.
Während Ladislaus' IV. unheilvoller Regierung wurde das

Staatsvermögen theils durch leichtsinnige Vergabungen, theils durch


gewaltsame Occupation sehr beträchtlich vermindert. Der Reichstag
von 1291 legte daher Andreas III. die Pflicht auf, in alle Gegenden
Reichscommissarien zu entsenden, welche die Rechtmäßigkeit der von
jenem Könige gemachten Schenkungen untersuchen sollten, um, was
wider Recht und ohne Verdienst vergabt worden, bis zum 20. Aug.,
Staatsgüter aber sogleich einzuziehen. Zugleich mußten alle, die solche
Besitzungen innehatten, versprechen, sie gutwillig zurückzugeben. x
Wie eifrig Andreas diese Anordnung auszuführen bemüht war, ist be
reits erwähnt worden. Außer den zwei Drittheilen von den Erträg
nissen der Staatsländereien (das dritte gebührte dem Obergespan) be
zog der König seine Einkünfte wie früher aus de1n Salzmonopol, aus
Zöllen, aus den Steuern der Städte und freien Bezirke, aus den Berg
werken, aus Heimfällen, Confiscationen und Gerichtsgebühren. Doch
eine Hauptquelle derselben blieb fortwährend der Kammergewinn beim'
jährlichen Umtausch der alten für neue Münzen. Der dabei zunehmenden
Verschlechterung des Geldes suchte der pesiher Reichstag von 1298
dadurch Schranken zu setzen, daß er verfügte: „Im ganzen Reiche soll
nur einerlei königliche und allgemein gültige Münze umlaufen, die näch
sten zwei Jahre mit einem Fünftel, die folgenden mit einem Zehntel
Legirung." Zugleich ward jedermann ohne Unterschied des Standes zur
Annahme dieser Münzen und mithin zur Entrichtung des Kammer
gewinns verpflichtet. „Der Adeliche oder Mächtige, der sich weigerte,
dieses Geld auf dem Markte seiner Besitzung in Umlauf zu setzen , ver
liere das Marktrecht; der dasselbe nicht annimmt, zahle zur Strafe von
jeder Ansässigkeit (Bauerngut) auf seiner Besitzung einen halben Fer-
ting." Endlich wurde Falschmünzerei mit schwerer Strafe bedroht (wahr
scheinlich hatten einige Barone versucht, auch das ausschließlich könig
liche Recht des Münzens sich anzumaßen): „Wer es wagte, auf seiner
Besitzung oder in seinem Hause Münzen prägen zu lassen, verliere die
Besitzung und das Haus." 2 Goldmünzen wurden um diese Zeit in Un
garn noch nicht geprägt; bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts cursirten
meist byzantinische, später florentinische Goldgulden, die sich gleich,
nachdem man sie zu prägen angefangen, weit verbreiteten. Neben den
königlichen Silbermünzen, Groschen, 48 = 1 Mark, und Fertinge oder
Pfennige, 5 = 1 Groschen, waren besonders die friesacher Groschen
aus Salzburg, 1 = 1 ungarischen Pfennig, und die böhmischen Gro
schen, 60=1 Kölner Mark, stark in Umlauf. Größere Summen wur
den nach
Im vorliegenden
der Ofener Mark
Zeitraum
= 18entwickelte
Loth berechnet.
sich auch
3 die Municipal-

verfassung der Gespanschaften immer mehr. Dem Obergespan


zur Seite
1 Andreae
und III.
von Decret.,
ihm, wahrscheinlich
Art. 8. — 2 Constitutiones
mit Zustimmung1298, der
Art. Stände,
30—32.

— s Schönvisner, Notitia Hungaricae rei numariae, S. 163 — 172.


476 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ernannt, standen wie früher der Curialgraf oder Vicegespan, die Bi-
loten und Prestalden ; aber jetzt wurden die Comitatsversammlungen
bereits regelmäßig abgehalten, an denen der Adel theilnahm, und nicht
allein die Angelegenheiten der eigenen Gespanschaft wurden hier ver
handelt und entschieden, sondern auch Dinge, die das ganze Land be
trafen, besprochen. Denn welchen Sinn hätte sonst das Gesetz, daß
jede Gespanschaft zu den jährlichen Reichstagen zwei oder drei bevoll
mächtigte Abgeordnete schicken soll, um Abhülfe und Genugthuung für
die vorgefallenen Misbräuche und Ungerechtigkeiten zu bewirken? Die be
züglichen Aufträge konnten ihnen nur in einer öffentlichen Versammlung
derer gegeben werden, in deren Namen sie sprechen und deren Sache
sie führen sollten. Dasselbe läßt sich aus mehrern andern Gesetzen
schließen, und manche Urkunden aus dieser Zeit enthalten deutliche
Spuren, daß die Comitatsversammlungen (Congregationes) zu be
stimmten Zeiten, und außerdem so off ein wichtiger Gegenstand es er
heischte, abgehalten wurden. Wie bereits oben erzählt worden, be
riefen auch der König und der Palatin auf ihren Rundreisen Versamm
lungen einzelner oder mehrerer Gespansehaften , denen sie vorsaßen. 1
Den Comitatsversammlungen, die den freiheitsstolzen Adel in sich ver
einigten, ist es wol hauptsächlich zu danken, daß die Obergespane,
während die Könige so ohnmächtig waren, nicht unumschränkte Ge
bieter und endlich erbliche Herren der Gespanschaften wurden. Ebenso
machten es die Verabredungen und vorläufigen Beschlüsse, zu denen
sie Gelegenheit gaben, möglich, daß sich der niedere Adel auf den
Reichstagen so einmüthig und entschlossen gegen die Anmaßungen der
gewaltigen
Im Gerichtswesen
Barone erheben konnte.
gingen im Laufe des 13. Jahrhunderts

manche wichtige Veränderungen vor. Die geistlichen Stühle sonderten


sich von den weltlichen Gerichten immer strenger ab und breiteten
ihren Wirkungskreis stets weiter aus; alle Kleriker, in welcher Ange
legenheit es sein mochte, gehörten nun ausschließlich vor sie; schon in
der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurden ihnen auch die Morgen
gaben und Ehesachen zugewiesen 2, und sie urtheilten über dergleichen
Dinge nicht, wie unter den ersten Königen die gemischten Gerichte, nach
den Landesgesetzen, sondern nach dem kanonischen Rechte, nach des
sen Vorschriften sie auch eingerichtet und der Rechtsweg nebst der Rei
henfolge
Mit der Appellationen
Errichtung dergeregelt
geistlichen
waren.
Stühle mußten selbstverständ

lich auch die unter Koloman eingeführten Gerichtstage, die am Wohn


orte und unter dem Vorsitze des Bischofs gehalten wurden (oben
S. 211), aufhören; der Obergespan ward nun der Richter aller welt
lichen Einwohner des Comitats ohne Unterschied des Standes; doch
durfte er über den Grundbesitz der Adelichen nur in Münz- und Zehnt
sachen
1 Oben
aburtheilen
S. 387 3;u. seine
421. —Beisitzer
2 Andreae
waren
III. vier,
Decret,vermuthlich
1231, Art. 14,
vonJura-
der

mentum Andreae IL, Art. 14. — 3 Goldene Bulle, Art. 5. Andreae II.
Decret, II, Art. 12, 13.

'*
Innere Zustande unter den letzten Arpäden. 477

Gesammtheit der Gespanschaft erwählte Edelleute, ohne deren Beisein


er weder eine Klage annehmen , noch ein Urtheil fällen durfte. 1 Der
Vicegespan (comescuriaeparochialis) sprach den Burglcuten Recht; Diebe
und Räuber richteten, mit Genehmigung des Obergespans, die Biloten.2
Der höchste Richter, gleichsam der Urquell alles Rechts, blieb
fortwährend der König; er entschied jede Streitsache, die ihm unter
breitet wurde oder die er annehmen wollte, persönlich; die feierlichste
Gerichtssitzung hielt er jährlich am Reichstage zu Stuhl weißenburg; er
war berechtigt, den Uebelthäter zu begnadigen und ihm die gesetzliche
Strafe zu erlassen , aber auch verpflichtet, dem Kläger jedenfalls voll
ständige Genugthuung zu verschaffen. 3 Der Palatin war Stellvertreter
des Königs, wie bei den Reichstagen so auch in den Gerichtssitzungen 4,
und deshalb befugt, jedermann, die Geistlichkeit ausgenommen ,_ vor
sich zu fordern und jeden Rechtsstreit, außer jenen, die vor die geist
lichen Stühle gehörten, zu entscheiden und sein Urtheil vollziehen zu
lassen; Fälle aber, wo es sich um Verlust des Kopfes und der Güter
handelte, mußten dem Könige zur Bestätigung unterbreitet werden. ö
Wie dem Obergespan in der Gespanschaft der Curialgraf oder Vice
gespan, so stand dem Palatin am königlichen Hofe der Hofrichter
(judex curiae) zur Seite. Die Amtskreise beider haben keine scharfe
Abgrenzung und laufen vielfältig ineinander. Was ein altes Gesetz 6
über die Gerichtsbarkeit des Palatins bestimmt hatte, ward in der ge
genwärtigen Periode mit wenig Umänderung auf den Judex curiae
übertragen: „Wenn sich der Hofgraf am königlichen Hofe aufhält,
kann er jedermann richten, und die einmal (dort) angefangenen Rechts
sachen wo immer zu Ende führen; aber an einem andern Orte weilend,
darf er weder Vorladungen erlassen, noch Prestalden zur Vollziehung
der Urtheile aussenden." 7 Dagegen reiste nun der Palatin im Lande '
umher und hielt öffentliche Gerichtssitzungen. So kam der Palatin
Dionysius Okiich 1273 in die szalader Gespanschaft und versammelte
den gesammten Adel, die Burg- und Kirehenjobagyen des Comitats zu
Gerichte.. Da wurden die Edelleute Kondekur und Thomas, Jurk's
Sohne, der Dieberei, des Raubes und anderer Verbrechen augeklagt,
durch öffentliche Ausrufung dreimal vorgeladen und, weil sie nicht er
schienen waren, für schuldig geachtet und ihrer Güter verlustig erklärt.
Die Güter fielen nach der Rechtsgewohnheit dem Palatin zu, und
da die Verwandten der Verurtheilten dieselben weder auslösten, noch
sonst Einsprache einlegten , so verkaufte er sie an Meister Hahold erb-
eigenthümlicb. 8 Hatte sich etwa ein, solcher halspeinlicher Fall unter
den Edelleuten
1 Audreae III.
des Deeret.,
graner Erzstiftes
Art. 5; dafür,
(Prädialisten)
daß diese zugetragen,
Beisitzer vomsoAdel
fiel

der Gespanschaft erwahlt wurden, spricht auch Art. 14 desselben Decrets,


wo sie qnatuor judices deputati genannt werden. — 2 Goldene Bulle, Art. £).
Andreae II. Deeret. II, Art. 12. — 3 Andreae III. Deeret., Art. 27. —
4 Goldene Bulle und Andreae II. Deeret. II, Art. 1. — ' > Goldene Bulle,
Art. 8. Andreae II., Deeret. II, Art. 17, 18. — 6 Ladislai I. Deeret. III,
Art. 3. — " Goldene Bulle, Art. 9. Andreae II. Deeret. II, Art. 20. —
8 Urkunde bei Kovachich, Vestigia comitior., S. 147.
478 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

das Vermögen des Verurtheilten , wie eine Urkunde Bela's IV. bezeugt,
nicht dem Palatin, sondern dem Erzstifte heim, dem er ursprünglich ange
hört hatte.1 Mokian, Palatin und Obergespan von Oedenburg, Wieselburg
und Somogy, hielt 1286 zu Patak in der zempliner Gespanschaft eine Ge
neralversammlung des Adels, vor der Graf Thomas, Simon's Sohn, den
edeln Andreas von Butka anklagte, seinen Hauskaplan tödlich ver
wundet und einen seiner Dienstmänner ausgeplündert zuhaben. Der Pa
latin ließ die Streitsache durch Schiedsrichter vermitteln, und die Par
teien verglichen sich dahin, daß Andreas dem Grafen Thomas 60 Mark
zur Genugthuung zahlte und das Gut Asvän mit Einwilligung seiner
Verwandten erbeigenthümlich überließ. 2 Weil der Palatin in höchster
Instanz urtheilte und von seiner Entscheidung keine Appellation statt
hatte, war es um so nothw endig er, jeder Parteilichkeit und Willkür
vorzubeugen; daher gebot das Gesetz: „Wenn der Palatin das Land
bereiset, um Gerieht zu halten, sollen in jeder Gespanschaft die vier
erwählten Richter nebst dem Obergespan mit ihm gehen und richten;
dem Obergespan müssen die ihm zukommenden Gebühren gezahlt wer
den; verfährt aber der Palatin ungerecht, so sind die vier Abge
ordneten und der Obergespan verpflichtet, ihn daran zu hindern und
dem König darüber Bericht zu g^ben." 3 Dabei wurde für die größt
mögliche Oeffentlichkeit der Gerichtssitzungen gesorgt. „Wir ver
ordnen, daß der Palatin nicht in Städten und Dörfern, sondern auf
freiem Felde und in Versammlungen, im Frühling, Sommer und Herbst
und nicht
Vergeblich
im Winter
waren
Gericht
alle Bemühungen
halte." 4 Bela's IV. , das schon einmal

abgeschaffte schriftliche Verfahren bei Hofe und bei den höhern Ge


richten wieder einzuführen; dasselbe war des schleppenden Ganges, der
damit verbundenen Chicanen, Geheimnisse und Kosten wegen dem
Volke, das schnelle, einfache und öffentliche Rechtspflege liebte, so
verhaßt, daß er endlich nachgeben und das mündliche Verfahren wie
derherstellen mußte, welches fortan bis zum Schlusse der Periode
in Uebung blieb. 6 Auch hatte bisher weder das römische noch das
Feudalrecht großen und entscheidenden Einfluß auf die bürgerliche Ge
setzgebung und Rechtspflege gewonnen. Nach einheimischen Gesetzen
und Gawohnheiten, und wo diese nicht ausreichten, nach Einsicht und
Billigkeit der Richter wurde alles entschieden, aber der Willkür und
dem Unrecht sollte, wie schon gesagt, die Oeffentlichkeit vorbauen.
Außerdem hatten die Städte und privilegirten Bezirke eigene, selbst
gewählte Richter, die nach Statuten und Herkommen alle Streitigkeiten
der Einwohner entschieden und über geringere Vergehungen urtheilten;
nur Mordthaten und schwere Verbrechen gehörten vor das Gericht des
Königs oder Palatins, in den Nebenländern vor das des Bans, Vajdas
oder Grafen. Die Bewohner der den Bischöfen und privilegirten

'.Urkunde vom Jahre 1263, bei Kovachich, S. 148. — 2 Urkunde bei Katona,
VII, 927, und Szirmay, Notitia histor. Comitatus Zempliniensis , 'S. 10. —
3 Andreae III. Decret, Art. 14. — 4 Constitutiones 1298, Art. 29. —
5 Decret. Belae IV. 1265, Art. 10.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 479

Kirchen gehörenden Ländereien wurden gegen Ende des Zeitraums in


weltlichen Dingen unmittelbar unter die Gerichtsbarkeit des Königs
bestellt l, der auch über die Streitigkeiten der Prälaten mit welt
lichen Herren oder Gemeinwesen richtete. Als die Stadt Gran mit dem
Erzbischof und dem Propst zu St. -Thomas wegen einiger Abgaben,
welche sie von deren Leuten erhob, in Streit gerieth, verfällte König
Andreas III. 1294 die Stadt, verbot ihr, den Rechtshandel je wieder zu
erneuern , und erklärte alle ihre auf denselben bezüglichen Handfesten,
sie mochten mit Wachs oder Gold gesiegelt sein, für ungültig.2 Ein
Beweis, wie wenig ein König, der sich so leicht unbeschränkte Macht
fülle In
beilegt,
zweifelhaften
zum Richter
Fällen,
geeignet
wo dasist.Recht oder die Schuld durch Zeu

gen oder Documente nicht erwiesen werden konnte, wandte man noch
immer feierliche Eide auf Reliquien, die Feuer-, seltener die Wasser
probe und gerichtliche Zweikämpfe zur Ergründung der Wahrheit an.
Von 1201 —35 wurden allein zu Großwardein einige hundert derartige
Streitfragen über Stand, Besitz, Schuld oder Unschuld theils durch
ausgehaltene oder abgelehnte Feuerprobe, theils durch Eide auf den
Sarg des Heiligen Ladislaus entschieden. 3 Außer dem großwardeiner
Domkapitel fanden die Ordalieu auch_,poch vor dem presburger, neitraer,
altofener und arader statt.4 Den O1t, die Zeit und die Art des Zwei
kampfs bestimmte der Richter. Die Streitenden mußten denselben ent
weder in eigener Person oder durch gedungene Kämpfer, bald zu Pferd,
bald zu Fuß und mit den vorgeschriebenen Waffen bestehen. Einem
ungeübten Kämpfer wurde ein geübter, einem unbewehrten ein ge
rüsteter entgegengestellt, wenn der Angeklagte schwerer Verbrechen
beschuldigt war. 6 So hätte Fulco , Simon's Sohn , Herr der Burg
Fülek, vieler Räubereien, der Münzverfälschung und ,der beleidigten
Majestät angeklagt, nach dem Ausspruche Bela's IV". und der Barone
1246 zu Stuhlweißenburg nackt mit dem wohlgerüsteten Gegner
kämpfen sollen; aber er entwich aus dem Lal1de und verfiel deshalb
der Schuld und Strafe. 6 Der Kämpfer, der zum Verräther an der
Sache seiner Partei wurde, erlitt schwere Strafe. Als Achilles, Csiba's
Sohn, in einem Streit des Grafen Hector und des Meister Martin über
die Grenzen ihrer Donau-Fischereien bei Raab 1228 für den erst
genannten in den Kampf gehen sollte, warf er gleich beim ersten Gange
Lanze, Schild, Schwert, Stab und Dolch von sich und floh. Dafür
wurde er mit seiner ganzen Familie zu immerwährender Knechtschaft
verurtheilt, und seine ganze Habe dem Grafen Achilles zuerkannt. r
Sodann ward ein neuer Zweikampf angesetzt, in welchem der Kämpfer
Meister Martin's siegte und. diesem Recht verschaffte. 8 Hieraus und
noch1 aus
Andreae
einigenIII.
andern
Decret.
Nachrichten
, Art. 15.geht
— hervor,
2 Urkunde
daß esbeiöffentliche
Katona, VII,
und

1114. — 3 Regestrum de Varad, 1201—35, bei Endlicher, S. G40 fg. —


4 Urkunde von 1214, bei Katona, V, 185. — 5 Urkunde von 1258, b. i Pray,
Spec. Hierarch., II, 383. — 6 Urkunde von 1246, bei Pray, Hist. Res?. , I,
254. — " Urkunde Andreas' II, boi Bei, Notit. Hung. IJI, 97. — 8 Urkunde,
ebend., S. 99.
480 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

befugte, vielleicht auch vom Staat bezahlte Kämpfer bei den Gerichten
gab, die in nicht geringem Ansehen standen. Ladislaus IV. beschenkte
mit Ländereien und adelte den. königlichen Kämpfer (pugil, campio)
Peter, Beten's Sohn, weil er in elf gerichtlichen, vom König ange
ordneten Zweikämpfen gesiegt und auch gegen Ottokar tapfer gefochten
hatte.Die
] Ladung vor das Gericht und die Vollstreckung des Urtheils

geschah durch die Prestalden oder Pristalden. Diese und Betrüger,


die sich für Prestalden ausgaben, wagten es oft, zum Nachtheile der
Betroffenen Gerichtshandlungen ohne Bevollmächtigung vorzunehmen;
daher ward angeordnet, daß ihre Vorladungs- und Vollziehungsaufträge,
um Rechtskraft zu haben, in wichtigern Angelegenheiten von dem Diö-
cesanbischofe oder Domkapitel , in' minder wichtigen von dem nächsten
Kloster beglaubigt werden müssen.2 Auch waren schon im 13. Jahr
hundert die bischöflichen Domkapitel , die königlichen Abteien und
Propsteien nebst einigen Häusern der Tempel - und Johanniterritter
durch allmählich aufgekommene Gewohnheit oder durch ein uns unbe
kanntes Gesetz glaubwürdige Orte (loca credibilia) geworden, bei wel
chen letztwillige Verfügungen gemacht, Adoptionen vorgenommen, Erb
schaften getheilt, allerlei Verträge geschlossen und die darüber aus
gefertigten Urkunden, auch wichtige Staatsschriften niedergelegt wur
den. Diese „loca credibilia" bestanden bis zum Jahre 1848; eine Menge
der dort hinterlegten alten Documente wurde besonders in den Türken
kriegen vernichtet, aber die Masse der noch vorhandenen ist außer
ordentlich groß und konnte bisjetzt für die Geschichte leider noch bei
weitemDas
nicht
Heerwesen,
hinreichend das,
erforscht
aus der
undallgemeinen
ausgebeutetWehrpflicht
werden. der frei

geborenen Männer entstanden, von Stephan 1. seine weitere Ausbildung


erhalten hatte, eilte unter den letzten Arpäden seiner gänzlichen Auf
lösuno' entgegen, trotz aller Anstrengungen, welche besonders Bela IV.
zur Wiederherstellung desselben machte; es konnte unter den ver
änderten Umständen und Verhältnissen nicht weiter fortbestehen. Die
Könige der vorliegenden Periode betraten zwar häufig den Kampfplatz
mit Heeren, die für die damalige Zeit außerordentlich zahlreich waren:
aber nur ein kleiner Theil derselben bestand aus Nauomtlstreitern.
Denn die Menge der wehrpflichtigen freien Leute und der ausdrücklich
zum "Waffendienst berufenen Burgmilizen war bis auf wenige Ueberreste
herabgeschmolzen, der Adel hingegen hatte sich von der Heeresfolge in
auswärtige Kriege losgemacht, und war nur noch zur Vertheidigung des
Vaterlandes, und zwar auf Staatskosten, Kriegsdienste zu leisten ver
bunden 3; eine bestimmte Anzahl Bewaffneter stellten nur einzelne pri-
vilegirte Gemeinwesen, wie die szekler, die siebenbürger und zipser
Sachsen4,
1 Urkunde
undbeieinige
Wagner,
vornehme
Diplomatar.
Herren,
Säros.,
die S.unter
293. dieser
— 2 Andreae
Bedingung
II.

Decret. II, Art. 21. — 3 Goldene Bulle, Art. 7. Andreae II. Decret,
II, 15, 16. Belae IV. Decret., Art. 7. Andreae III. Decret. 10. — 4 Die
zipser Sachsen stellten 50 Lanzenträger. Stephani V. reg. Libertus Saxonum
de Scepusio. 2, bei Endlicher, S. 522 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpaden. 481

Güter empfangen hatten. Wollte also der König für einen Feldzug
ins Ausland eine Armee zusammenbringen, so mußte er unter dem ge
ringem Adel für Geld und gute Worte Streiter werben und den
Großen neue Würden und Güter versprechen x, damit sie ihm ihre
wohlgerüsteten Seharen zuführten. Stets bereitwillig dagegen folg
ten dem Rufe zu den Waffen die Kumanen, deren Gewerbe Krieg
und Raub war ; sie bildeten daher einen großen und gefürchteten
Theil der ungarischen Heere. Auf diese Art gelang es wol häufig
genug, eine ansehnliche Kriegsmacht zu versammeln und über die Gren
zen zu führen; aber da die Geldmittel immer bald erschöpft waren, hielt es
äußerst schwer, sie lange beisammenzuhalten, man mußte gewöhnlicL
heimkehren, noch ehe die beabsichtigte Unternehmung zu Ende geführt
war, und ward eine Sehlacht verloren, so löste sich die Armee gänz
lich auf, ohne daß man sie wieder sammeln und durch neue Zuzüge
verstärkt dem Feind entgegenstellen konnte. Diese Uebelstände traten
bei innern Unruhen noch weit auffallender zu Tage als in äußern Krie
gen ; die Großen zauderten, wider ihre sich empörenden Standesgenossen
die Waffen zu ergreifen, der niedere Adel fürchtete die Rache der
Mächtigen und stand zum Theil freiwillig oder gezwungen in ihren
Diensten 2, und die kleinen Scharen, die der König mit vieler Mühe
zusammenbrachte, reichten bei weitem nicht hin, den Trotz der Em
pörer zu brechen. Nur wenn ein auswärtiger Feind das Vaterland be
drohte, da erwachte der alte kriegerische Geist, da erhob sich die Na
tion einmüthig und stark zur Vertheidigung desselben, wie es z. B. in
den Kämpfen
Welch mächtigen
gegen Herzog
Einfluß
Albrecht
die Päpste
von Oesterreich
unter den geschehen
letzten Ärpäden
war.

auf die Kirche und den Staat übten, wie sie bei jeder Gelegenheit als
die höchsten Schiedsrichter auftraten und zuletzt sogar die Lehnsherr
lichkeit über Ungarn beanspruchten, das haben die erzählten Begebenheiten
dieses Zeitraums deutlich gezeigt. Aber nicht zur Beeinträchtigung der
königlichen Gewalt und zur Anfachung von Aufständen, wie so oft in
andern Ländern, sondern meist zum Schutze des Königs verwendeten sie
hier ihre Macht. Warum hätten sie auch Könige bekämpfen sollen, die
sich ihnen freiwillig unterwarfen, unablässig Rath und Unterstützung
bei ihnen suchten und selbst unbestreitbare Rechte nur mit ihrer Be
willigung ausübten? Weit mehr Widerstand hatten sie bei ihren
herrschsüchtigen Bestrebungen von, den störrigen Oligarchen, von dem
freiheitsliebenden Volke, sogar von dem großentheils patriotisch
gesinnten Klerus zu fürchten. Nur das Hoheitsrecht der ungarischen
Könige,
1 Andreae
die Bischöfe
III. Decret.,
und hohen
Art. 7.
Prälaten
— 2 „Den
zu ernennen,
Edelleuten
undstehe
das Wahl-
es frei

in die Dienste eines Herrn, den sie selbst wählen, zu treten; der Mächtige
aber, der sie ihm zu dienen mit Gewalt oder Macht zwingt und deshalb ihrer
Person oder ihrem Vermögen Schaden zufügt, ver'alle durch die That selbst
dem Kirchenbann; und sobald es der König erfährt, ist er verpflichtet, solche
Unterdrücker zu verfolgen und die gebührende Strafe über sie zu verhängen."
Constitutiones per praelatos et nobiles etc. 1298 factae, \vt. 27, bei End
licher,
Feßler.S.X. 637.
Jl
482 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt,

oder Postulationsrecht der Kapitel fochten sie an, um kraft aposto


lischer Machtfülle, wie sie os in andern Ländern bereits thaten, auch
in Ungarn die erledigten Bisthümer und Propsteien mit ihren Clienten,
meist Ausländern, besetzen und von den Beförderten hohe Taxen er
pressen zu können. Mit ungemeiner Vorsicht waren ihre Schritte zu
diesem Ziele abgemessen. Innocentius III. m machte zuerst öftere An
deutungen, daß ihm, dem Statthalter Christi, die Besetzung der höhern
Kirchenwürden gebühre. 1 Honorius III. ernannte 1225 den unga
rischen Priester Johannes, den Sachwalter des Königs in Rom, zum
arader Propst , schrieb jedoch zugleich mit schlauer Bescheidenheit, daß
er hierdurch die königlichen Rechte nicht beeinträchtigen, sondern nur
den Wünschen des Königs zuvorkommen wolle, die er errathen zu
haben glaube.2 Als hierauf 1226 das graner Erzbisthum erledigt
worden war, versagte er dem Erstgewählten die Bestätigung und ge
stattete lediglich aus Gnade eine zweite Wahl, fand sodann Gründe,
auch diese als gesetzwidrig und ungültig zu verwerfen, erklärte zuletzt,
daß er gezwungen sei, die lang genug verwaiste Kirche selbst mit einem
Hirten zu versehen, und ernannte den weszprimer Bischof Robert, einen
geborenen Lütticher, zum Erzbischof von Gran ohne vorläufige Mel
dung an den König Andreas II., der schwach genug war, diesen Ein
griffin die königlichen Rechte stillschweigend zu dulden.3 Ermuthigt
durch diese Beispiele päpstlicher Willkür, wählte das weszprimer Ka
pitel 1245 den Domherrn Zeland ohne Vorwissen und Genehmigung
Bela's IV. zum Bischof, und der Erzbischof von Gran, Stephan Vancsa,
den der König mit Wohlthaten überhäuft hatte, bestätigte die Wahl
und erlaubte sich auch sonst noch in Gemeinschaft mit andern Prälaten
Verletzungen königlicher Rechte in Kirchensachen. Anstatt die wider
spenstigen Priester selbst zur Verantwortung zu ziehen, verklagte sie
der sonst energische König beim Papste; dieser betheuerte zwar laut,
keine Beeinträchtigung der königlichen Rechte dulden zu wollen, beauf
tragte aber den Erzbischöf von Kalocsa mit Untersuchung der Sache,
sodaß der König zur klagführenden Partei herabgesetzt wurde, und hieß
schließlich die Wahl gut.4 Ja, derselbelnnocentius verwarf schon 1249 die
im Einverständnis» mit dem König getroffene Wahl des Bischofs von
Scardona Johannes zum Erzbischof von Spalatro und erhob, ohne Bela
zu fragen, eigenmächtig den großwardeiner Domherrn Rogerius, den
Verfasser des „Carmen miserabile", auf den erzbischöflichen Stuhl.6
Mit mehr Nachdruck und Erfolg behauptete Bela in einem andern Falle
sein 1und
Epist.
derInnocentii
ungarischen
III. Kirche
ad Andream,
gutes 24.
Recht.
Jan. 1205,
Als Vancsa
bei Peterfy,
1252,
Concil.
der

Hang., I, 67. Epist. ejusdem ad Praepos. et Capit. Strigon., 7. Oct. 1205, bei
Koller, Hist. episcop. QEccl., I, 322. — 2 Epist. Honorii III. ad Andream,
4. Sept. 1225, bei Katona, V, 4S5. — 3 Epist. Honorii III. ad. eppos. Vaciens.
et Agriens., 17. Mart. 1225, bei Schmitsch, Eppi Agriens., P. I. in Clest.
Epist. ejusdem ad Capit. Srtigon., 26. Sept. 1225. — 4 Epist. Innocentii IV.
ad Benedictum Colocz, bei Peterfy, Concil. Hung., I, 80. — 5 Epist. Inno
centii IV., 30. April 1249, bei Parlatus, Illyrie. sacr., III, 273. Thomas
Archidiac, Hist. Salonit., Kap. 48.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 483

erste Ungar, dem dies widerfuhr, von Innocentius IV. zum Cardinal-
bischof von Palästrina ernannt worden war, wählte das graner Kapitel
mit Zustimmung des Königs den Erzbischof von Kalocsa Benedictus zu
seinem Nachfolger; Vancsa aber wollte den kanonischen Rechten zu
wider zugleich das ungarische Erzbisthum behalten und ward vom Papst
in seinem Vorhaben unterstützt. Allein Bela , der froh war, des hoch-
müthigen Mannes los zu sein, und nicht zugeben konnte, daß derselbe die
reichen Einkünfte der höchsten ungarischen Kirchenwürde auch im Aus
lande weiter beziehe, um von dort aus seinen Einfluß zur Förderung päpst-
lich-hierarchischerTendenzen wahrscheinlich noch mehr als bisher zu mis-
brauchen, schrieb so oft und so ernstlich deshalb an den Papst, bis
Vancsa auf den graner Stuhl verzichten mußte und Benedictus denselben
einnahm. x Als Bela 1259, da ihm der Mongolenkhan Nogai ein Bünd-
niß angetragen hatte (siehe oben), den Papst Alexander IV. warnte,
das ungarische Volk nicht durch eigenmächtige Ernennungen zu geist
lichen Würden zu reizen, versprach dieser zwar, künftighin davon ab
zustehen ; allein schon seine nächsten Nachfolger maßten sich das Recht
hierzu abermals an. Das agramer Domkapitel erkor 1264 Stephan
Vancsa, des Cardinals Neffen, zum Bischof; Papst Urban IV. verwarf
die Wahl, weil der Gewählte das gesetzliche Alter noch nicht erreicht
hatte, versagte auch einer zweiten, die auf den Propst von Stuhlweißen
burg, Parkas (Wolfgang), gefallen war, die Bestätigung und ernannte
selbst den agramer Domherrn Timotheus, der gerade in Rom weilte,
zum Bischof von Agram. Auch sein Nachfolger Clemens IV. hielt die
Ernennung ungeachtet aller Protestationen Bela's aufrecht. 2 Papst
Nikolaus III. gab seinem Legaten Philipp 1279 den Auftrag, den groß-
wardeiner Bischof Wladimir zum graner Erzbischof zu ernennen ; Kö
nig Ladislaus IV. und das Domkapitel widerstanden eine Zeit lang,
aber Philipp wußte die Zustimmung beider zu erzwingen. 3 Wie und
in welcher Absicht endlich Bonifacius VIII. 1297 den Franciscaner
Peter zum Erzbischof von Spalatro ernannte, wurde bereits oben
erzählt.
Weniger als andern Reichen fielen die Päpste dem ungarischen

durch ihre Legaten lästig; und die dort erschienen waren genöthigt,
sich mit Behutsamkeit und Schonung zu betragen, weil sie sogleich auf
heftigen Widerstand stießen, sobald sie die Schranken der Mäßigung
überschritten. Freilich Gelderpressungen unter verschiedenen Namen, als:
Christenstcuer oder Hülfeleistung für das Heilige Land, Entrichtung des
zwanzigsten Theils von den Einkünften größerer Pfründen, Erhebung
von Gebühren für Indulgenzen, Breven und Bullen, von Palliengeldern
u. s. w., mußte Ungarn wie andere Länder, wenn auch nicht in gleichem
Maße, 1 Epistolae
erdulden,Belae
undIV.
erfolgreich
ad Innocentium
waren IV.,
im ganzen
11. Mai die
undBemühungen
Oetober 1252, der
bei

Peterfy, Concil. Hung., I, 69 u. 70. Peterfy, a. a. O., S. 72. — 2 Epist.


Urbani IV. ad Praepos. et Capit. Zagrab. , 18. Jan. 1264, bei Farlatus, V,
375. Epist. Belae IV. ad dementem Pap., a. a. O., S. 374. Epist. Cle-
1uentis IV. ad Regem Hung., bei Katona, VI, 443. — 3 ^r»yi Specimen
hierarchiae, I, 163, Note b.
31*
484 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Päpste in diesen Zeiten ihrer höchsten Macht, die ungarische Kirche


ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen. Die Prälaten Ungarns nannten sich
zwar noch immer Bischöfe durch Gottes Barmherzigkeit , ohne durch
die Gnade des apostolischen Stuhls hinzuzufügen, in der That aber wa
ren sie nichts mehr als des Papstes Stellvertreter und in jeder Ange
legenheit seiner Willkür unterworfen. Wagte es dennoch einer oder der
andere, sich zu widersetzen, so wurde er als gottloser Frevler ver
schrien, wie der graner Erzbischof Benedict J, oder von der päpstlichen
Macht erdrückt. Bisher hatten die ungarischen Bischöfe den von Gre
gor VII. eingeführten und von Innocentius III. erweiterten Eid der Un-
terthänigkeit und des Gehorsams dem römischen Stuhl noch nicht ge
leistet, jetzt wurde ihnen derselbe abgenöthigt. Als Matthias, Bischof
von Waitzen, 1240 zum Erzbischof von Gran erwählt wurde, sandte
ihm Gregor IX. das Pallium nur unter der Bedingung, daß er den Eid
der Unterthänigkeit unter die päpstliche Gewalt leiste 2; und von nun
an bestand Gregor und bestanden seine Nachfolger in jedem vorkom
menden Falle auf dem Eid, bis derselbe allgemein gebräuchlich wurde.
Alle diese Eingriffe in die Rechte ihres Staats und ihrer Kirche ließen
die Ungarn, wenn auch widerstrebend und grollend, über sich ergehen;
als ihnen aber die Päpste einen König aufdringen und Ansprüche auf
Lehnsherrlichkeit geltend machen wollten, da erwachte der Unwille der
auf ihre Freiheit so eifersüchtigen Nation, wie wir sehen werden, und sie
erhob sich zum energischen Widerstand ; gerade die Herrscher aus dem
Hause Anjou, welche die Päpste als Werkzeuge zur Unterjochung des
Landes gebrauchen wollten, vertheidigten mannhaft dessen Unabhän
gigkeit und setzten sich wieder in Besitz der von ihren Vorfahren zum
TheilViele
schon
würdige
aufgegebenen
Männer Hoheitsrechte.
nahmen während des in Rede stehenden Zeit

raums die ungarischen Bischofssitze ein. Die Verdienste, welche sich meh
rere unter ihnen um den Staat erworben, wurden bereits im Verlaufe un
serer Erzählung erwähnt; viele wirkten aber auch mit Eifer für die Be
lebung des sittlich - religiösen Sinnes, unterhielten Schulen, sorgten für
bessere Dotirung des oft in Armuth schmachtenden niedern Klerus und
bemühten sich, dessen Mitglieder geistig und sittlich zu heben. Unter
diesen verdienen vorzüglich genannt zu werden: die Erzbischöfe von
Gran Stephan Vancsa, Benedictus II. und Wladimir; von Kalocsa
Ugrin, Smaragd, Emerich und Stephan II.; die Bischöfe von Agram
Stephan, Timotheus und Antonius; von Bosna Johannes Teutonicus
und Hieronymus Pausa; von Raab Ugrin, Georg und Theodor; von
Sirmien Oliverius; von Csanäd Antonius; von Großwardein Emerich ; von
Neitra Jakob ; von Weszprim Paul ; von Siebenbürgen Raynald. Fast alle
warenDoctoren der Universität von Bologna oder Paris, die meisten könig
liche Kanzler. Leider fehlte es jedoch auch nicht an unwürdigen Priestern.
Der Propst von Stuhlweißenburg Michael trieb Handel mit Pfründen,
veräußerte
1 Chronic.
die Salisburg.
Besitzungen
ad ann.
des 1279,
Stifts bei
undPez,
aushandelte
Script. Austr.
grausam
, I, 881.
seine

Epist. Gregorii IX. ad Capit. Strig., bei Katona, VI, 880.


Innere Zustände unter den letzten Arpaden. 485

Hörigen, bis ihn endlich 1240 das Kapitel mit Hülfe des Königs ab
setzte. 1 Reicher als alle übrigen Bisthümer war das erlauer; dennoch
schmälerte Bischof Lambert zu Anfang der zweiten Hälfte des Jahr
hunderts die Einkünfte des Kapitels und entzog den Pfarrern ihren
dürftigen Unterhalt. 2 Doch alle schlechten Priester übertraf an Ver
ruchtheit der Bischof Hiob von Fünfkirchen; des Wuchers mit Pfrün
den, der Verschwendung des Kirchenguts, des Meineids, der Unzucht
und Blutschande mit der eigenen Mutter, der Tochter und zwei Schwe
stern überwiesen, von den graner Erzbischöfen in den Bann gethan und
wiederholt nach Rom citirt, wußte er 25 Jahre lang der Verurtheilung
und Strafe zu entgehen; ja, Gregor X. gab ihm sogar 1273 den Auf
trag, für das angesetzte General -Concilium über den Zustand der un
garischen Kirche Bericht zu erstatten. 3 Doch welcher Stand hätte
nicht auch unwürdige Mitglieder! Im ganzen kann man den höhern
ungarischen Prälaten jener unruhvollen Zeit , wenige ausgenommen
namentlich das Lob patriotischer Gesinnung nicht absprechen; sie' gaben
sich dem Papste in Staatssachen nicht zu blindep Werkzeugen hin , sie
machten mit den aufstandischen Großen nie gemeinschaftliche Sache
sondern suchten, wenn Zwietracht und Bürgerkrieg ausbrach, Frieden
zu stiften, und wandten auf den Reichstagen und in wichtigen Staats
geschäften
Nebenihre
denKenntnisse
Benedictinern,
zum Wohle
Prämonstratensern
des Vaterlandes
und an.
Cisterciensern

breiteten sich die neugestifteten Bettelorden, besonders die Francis-


caner und Dominicaner immer weiter aus; die Zahl ihrer Mönchs- und
Nonnenklöster vermehrte sich in allen Gegenden des Landes. Dagegen
fand der in Frankreich von Bruno 1086 gestiftete und erst gegen das
Ende des 13. Jahrhunderts nach Ungarn verpflanzte Kartäuserorden
hier wenig Beifall; die furchtbare Strenge seiner Regel sagte dem
nüchternen, religiöser Schwärmerei abgeneigten Sinne des Volks nicht
zu; er besaß nur wenige in düstern Einöden erbaute Klöster. Ungarn
sollte in dieser an Mönchsstiftungen so reichen Zeit auch seinen eigenen
Orden erhalten: der graner Domherr Eusebius gründete 1225 den Ere
mitenorden des Heiligen Paulus, des ersten Einsiedlers. Er breitete
sich zwar über die Landesgrenzen wenig aus, wurde aber in der Hei
mat seiner milden Regel wegen sehr beliebt. In den Mauern seiner
Klöster suchten besonders viele Vornehme, den durch Ausschweifungen
und Vergehungen verlorenen Seelenfrieden wieder zu gewinnen, und bald
lockte auch der Reichthum, mit dem der fromme Glaube den Orden
ausstattete
Aber ,bei
zumallem
Eintritt
Ansehen,
in denselben.
welches 4der Mönchsstand in dieser Zeit

genoß, zeichnete er sich nicht immer durch ernste Zucht und Sittlich
keit aus. Die ungarischen Klöster der Cistercienser z. B. waren in so
tiefen1 Epist.
sittlichen
Gregorii
Verfall
IX.,gerathen,
bei Katona,
daßV,
der883.
General
— 2 -Abt
Kpist.Wilhelm
Innncentü1230
IV.,

bei Wagner, Analecta Scepusii, I, 406. — 3 Koller, Hist. episcopat. QEccles.,


II, 154-164; die päpstlichen Urkunden, S. 176, 192, 197, 201, 210. — 4 Bor-
kovieh u. Egerer, Fragmen panis corvi seu reliquiae annalium Ereroi-coenobit1-
cornm ordinis Fratrum Eremitarum S. Paulli priroi Eremitae (Wien 1663).
486 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

den Äbt von Claicvaux Radulph absandte, damit er durch die strengsten
Maßregeln die untergegangene Zucht und Ordnung in denselben wie
derherstellte. 1 Ein Sendschreiben Gregor's IX. von 1241 schildert
das Leben der Benedictiner mit grellen Farben ; sie liefen , heißt es
darin, als Possenreißer und Landstreicher umher und wälzten sich
in Lastern, daher gebe er dem Erzbischof Matthias von Gran den Auf
trag, die Klöster des Ordens zu visitiren, sie zu ihrer ursprünglichen
Regel zurückzuführen und, wenn sie sich nicht besserten, Cistercienser
oder Prämonstratenser an ihre Stelle zu setzen. 2 Der verheerende
Mongolensturm wirkte läuternd auf die alte Mönchswelt; viele Klöster
wurden zerstört, ihre Landbesitzungen verwüstet und ihre Reichthümer
vernichtet, die Noth zwang sie, wenigstens für die nächste Zeit der
Ueppigkeit zu entsagen. Aber auch die Eifersucht, welche durch den
steigenden Einfluß und Ruhm der Bettelmönche bei den altern Orden
geweckt wurde, trieb diese sowol zur strengern Beobachtung ihrer Re
geln und des äußern Anstandes als auch zu regerer Thätigkeit für Kirche
und Schule.
Die beiden Mendicantenorden, die Franciscaner und Dominicaner,

noch von dem Eifer neuer Institute beseelt und von allgemeiner Gunst
getragen, standen damals in ihrer höchsten Blüte und wirkten auch
in Ungarn all das Gute und Schlechte, das ihnen die Geschichte
nachsagt. Sie empfahlen sich durch den Schein grösserer Heiligkeit,
es gab unter ihnen Männer, die sich mit Emsigkeit und Erfolg den
Wissenschaften widmeten; andere wurden die Gewissensräthe der Gro
ßen und schwangen sich zu den höchsten Kirchenwürden empor. Doch
den größten Einfluß übten sie auf das gemeine Volk; zum Theil schon
durch Ursprung und Sitte den untern Ständen näher verwandt, zogen
sie predigend und bettelnd umher und befriedigten die religiösen Be
dürfnisse der Menge; aber täglich neue Wunder erdichtend und ihren
geistlichen Kram ausspendend, nährten sie auch den Aberglauben und
geistlosen Ceremoniendienst. Dazu stifteten sie durch Bekehrungseifer
und verfolgungssüchtige Unduldsamkeit gegen Andersglaubende viel
Unheil; sie hauptsächlich ermahnten und drängten dazu, daß die moham
medanischen Ungarn, die Kumanen, die Patarener und die Bekenner
der griechischen Kirche mit schonungsloser Härte zur Annahme des
römischen Glaubens gezwungen und dadurch zur Empörung und zum
AbfallDie
aufgereizt
Provinzial-Synode,
wurden. zu welcher Cardinal Guido als päpstlicher

Legat 1267 die Geistlichkeit der östlichen Reiche nach Wien berufen
hatte, erließ für Ungarn 19 Decrete. Zehn derselben ordnen an: kei
nen, der nach den kanonischen Gesetzen die Weihen nicht empfangen
darf, keinen, dernicht in den kanonischen Zeiträumen zu den höhern
Graden befördert worden, keinen, der die Gunst des Königs erschlichen
oder sich der Simonie schuldig gemacht, zum Bischof zu wählen;
ohne1 des
Martene,
Papstes
Thesaur.
specielle
Anecdot.,
Erlaubniß
IV, 1342.
keinen
— Bischof
2 Epist. auf
Gregorii
ein anderes
IX. ad

archiepisc. Strigon., Katona, V, 898.


Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 487

Bisthum zu versetzen, abzusetzen und zu verhaften; ausschließlich


Priester oder Diakone zu Archidiakonen, Dekanen, Erzpriestern, Pröp
sten und Aebten zu befördern; nur Mönche zu Aebten zu wählen;
keinen dieser Würdenträger anders als nach den kanonischen Gesetzen
auf einen andern Ort zu versetzen oder seines Amts zu entheben;
fremde Kleriker ohne bischöfliche Empfehlungsschreiben in den Diö-
cesen nicht zu dulden; Diakone und Priester blos für bestimmte Pfrün
den zu weihen; endlich nur solche Knechte, die vollständig freigelassen
sind, in den geistlichen Stand aufzunehmen. Die andern neun Decrete
beschäftigen sich ausschliesslich mit den beweibten Priestern. Die in
Bigamie Lebenden, die Gatten von Witwen, Geschiedenen und Ge
schändeten werden jeder kirchlichen Würde entsetzt und für immer ihrer
Pfründen beraubt. . . . Die öffentlich Concubinen halten, werden eben
falls ihrer Aemter entsetzt, dürfen aber, wenn sie hinreichend Buße ge-
than, wieder zu geistlichen Verrichtungen zugelassen werden. Pfarrer
und Diakone, die vor Empfang der Weihe sich verehelicht haben, sollen
von ihren Pfründen entfernt werden; da jedoch ihre Ehe gültig und ge
setzmäßig ist, dürfen sie zum Altardienst und in ihre Aemter zurück
kehren, wenn sie sich von ihren Frauen trennen und beide Enthaltsam
keit geloben. Die aber nach Empfang der Weihe eine Frau genommen
haben, deren Ehe ist nichtig; darum können sie ihr Amt behalten, so
bald sie ihre Frauen entlassen und sich nicht ferner durch Unzucht be
flecken. Auf dieselbe Art soll man mit verheiratheten Subdiakonen und
Pröpsten verfahren, doch wird ihnen bis zur Verfügung des Papstes über
diese Angelegenheit Frist gegeben. Wer zwei Frauen oder eine Con-
cubine, ; eschiedene und Geschändete, oder überhaupt eine andere als
eine Jungfrau zur Gattin genommen hat, darf nicht zum Bischof erwählt
werden. 1 Wenn man diese Verordnungen liest, sollte man glauben, der
Cölibat sei in Ungarn noch nicht durchgeführt und die Weltgeistlichkeit
noch größtentheils verheirathet gewesen. Aber sie betreffen , wie schon
ihr Inhalt offenbar zeigt, nicht den römischen, sondern den griechischen
Klerus, der unter der Obmacht der römisch-katholischen Bischöfe stand
und den
Einedie
zweite
Päpste
Synode,
ihren von
Gesetzen
Ungarnvöllig
nebstzu
dessen
unterwerfen
Nebenländern
strebten.
und von

Polen beschickt, hielt der päpstliche Legat Philipp, wie schon oben
erwähnt worden, 1279 zu Ofen ab. Neunundsechzig Satzungen der
selben sind auf unsere Tage gekommen, in denen sich ein mönchisch
hierarchischer Geist kundgibt. Sie enthalten Vorschriften über die Ton
sur und Kleidung der Geistlichen bei Amtshandlungen, im öffentlichen
Leben und im Hause; verbieten ihnen, an Raub, Plünderung, Mord
brennerei und Aufständen theilzunehmen und in Kriegen persönlich zu
kämpfen, Bluturtheile zu fällen, Fehdebriefe zu schreiben, chirurgische
Operationen, die Brennen und Schneiden erfordern, auszuüben und bei
den Ordalien mit kaltem oder siedendem Wasser und mit glühendem

1 Guidoms titulo S. Laurentü in Lucia l'resbyteri Cardinalis decreta


Ilungaris data. In concilio provinciali Viennae a1mo 12G7, bei Endlicher,
S. 515 — 517.
488 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Eisen die Ceremonien der Einsegnung zu verrichten. . . . Untersagt wird


ferner den Geistlichen, Handel und besonders entehrende Gewerbe zu
treiben, der Umgang mit Possenreißern und Komödianten, das Würfel
spiel und die Jagd. . . . Sie dürfen keine Concubinen halten, ihre im
Priesterstande erzeugten Kinder nicht zum Anstoß und Aergerniß mit
sich führen und in ihrer Wohnung haben, sondern diese sollen unter die
Dienerschaft der Stifter, denen ihre Väter untergeordnet sind, auf
genommen werden. Während des Gottesdienstes sind die Priester ge
halten, vor den Bildnissen der Heiligen Jungfrau, und so oft der Name
derselben genannt wird, ehrerbietig die Knie zu beugen. Die Prä
laten sollen bei Visitationen, oder wenn sie sonst in ihrem Sprengel
reisen, nicht eine Aufnahme und Bewirthung fordern, welche den
Kirchen drückende Lasten und unerschwingliche Kosten verursacht.
Andere Satzungen zwecken darauf ab, die Vergeudung des Kirchen
vermögens durch Nepotismus und Verschwendung der Pfründeninhaber
zu hindern. Aber diese und noch ähnliche theils heilsame, theils vom
Mönchsgeist eingegebene Verordnungen waren im Grunde nur Neben
sache; die Haupttendenz der Synode war darauf gerichtet, die Ho
heitsrechte des Königs und die Rechte anderer Kirchenpatrone ein
zuschränken und die geistliche Macht auf Kosten der weltlichen zu
heben. Niemand darf ein geistliches Amt, weß Namens immer, aus der
Hand eines Laien empfangen; kein Laie, er sei noch so angesehen und
erhaben, wage es, jemand in eine Pfründe einzusetzen oder vielmehr
frevelhaft und wider Gesetz einzuschieben; kein Geistlicher oder Welt
licher darf unter dem Vorwand des Patronates oder eines andern Rechtes,
welches er zu besitzen behauptet , sich etwas von dem Kirchengute an
eignen oder an andere vergaben, u. dgl. m. Mit Worten wird zwar in
allen diesen Satzungen das Recht „der echten und wirklichen Patrone"
gewahrt, aber in der That kaum etwas davon übriggelassen. Dagegen
werden der König und die Patrone nachdrücklich verpflichtet, für
die Bisthümer, Kirchen und Klöster zu sorgen und von ihnen keinerlei
Abgaben und Steuern zu erheben; auch sollen die weltlichen Behörden
jede Sentenz der geistlichen Gerichte unweigerlich vollstrecken und ge
gen alle mit dem Banne Belegten nachdrücklich einschreiten. x Eben
dieser Satzungen wegen nöthigte Ladislaus IV. , wie bereits oben er
wähnt wurde, die Synode, sich aufzulösen, ehe sie ihre Berathungen zu
Ende geführt hatte.
DieBekenner des orientalischen Ritus erhielten im Laufe
dieses Zeitabschnitts durch die Einwanderung ihm zugethaner Walachen
nach Siebenbürgen und in die östlichen Gegenden Ungarns ansehnlichen
Zuwachs, besaßen jedoch noch immer kein geordnetes und selbständiges
Kirchenwesen. Die Absicht des Königs Emerich und des Papstes In-
nocentius III., die griechischen Mönchsklöster jenseit der Theiß auf
zuheben und auf dem Grunde ihrer Besitzungen ein griechisches, unmittel
bar dem
1 Constitutiones
päpstlichen Stuhle
Synodusuntergeordnetes
Budensis, 1279,
Bisthum
bei Endlicher,
zu errichten,
S. war
565

— 602.
Innere Zustände unter'den letzten Arpaden. 489

vereitelt worden. l Wahrscheinlich widerstrebten die griechischen


Christen der Vereinigung mit der römisch-katholischen Kirche und der
Anerkennung des Papstes; dem Erzbisehof von Kalocsa mochte in
seiner Provinz ein nicht seiner, sondern unmittelbar des Papstes
Gerichtsbarkeit untergeordneter Bischof ausfallen, und vermuthlich
fürchteten auch die Bischöfe von Csanäd, Siebenbürgen, Großwar-
dein und Erlau, die Zehnten, die sie von den griechischen Glaubens
genossen erhoben, zu verlieren. Man ließ also djese Klöster fort
bestehen, oder eigentlich an Vermögen und geistiger Kraft verkümmern
und allmählich dahinschwinden, und hielt sich an die Verordnung der
vierten Lateran-Synode von 1215, laut welcher die Bischöfe, in deren
Sprengel Kirchengenossen,"die verschieden sind nach Sprache und Ritus,
wohnten, dafür sorgen sollten, daß von auserlesenen Männern jedem
Volke in seiner Sprache und nach seinem Ritus Unterricht im kirch
lichen Lehrbegriff ertheilt, der Gottesdienst gefeiert und die Sakramente
gespendet würden; doch durften nirgends in einer und derselben Diö-
cese zwei Bischöfe sein, sondern ein Vicarius sollte, dem einen Bischof
untergeordnet, die Aufsicht über die Gemeinden seines Cnltus führen:
ein, wie es scheinen möchte, nicht übel gewähltes Mittel, die Schis
matiker nach und nach zu bekehren, das aber doch nur bei einem,
Theil von ihnen Erfolg hatte. 2 Dabei sah man die Priesterehe als das
größte Hinderniß der Vereinigung der griechischen Glaubensgenossen
mit der römischen Kirche an und suchte daher den Cölibat auch ihrer
Geistlichkeit aufzudringen, was aber nie gelingen wollte. Ihre Pfarrer
wurden theils in den Klöstern gebildet, theils kamen sie aus den Län
dern, in denen die griechische Kirche herrschte, und hielten die Ver
bindung mit derselben aufrecht, was auch der römische Klerus unter
nehmen
Auchmochte,
die Vereinigung
um dieselbeSerbiens
zu lösen. mit der römischen Kirche (oben

S. 296) hatte keinen Bestand. Der Fürst Stephan Neemanovitsch hatte


zwar 1217 gelobt, sich mit seinem Volke derselben anzuschließen,
und dafür von Honorius III. den königlichen Titel erhalten 3; aber
alsbald hörten die Gebeine des heiligen Neeman in Studenjetz auf,
Oel zu schwitzen, was allgemein als ein Beweis des Misfallens, das
der Heilige über die Union empfinde, gedeutet wurde, und Stephan,
der Klerus und das Volk Serbiens sagten sich feierlich von der römischen
Kirche und dem Papste wieder los. Bald darauf kehrte der dem fürst
lichen Geschlechte entsprossene Mönch Sawa, vom Patriarchen von
Nicäa zum Erzbischof von Serbien geweiht, in die Heimat zurück und hielt
1222 zu Schidtscha, seinem erzbischöflichen Sitze, eine große National-
Synode; hier erklärte er die vor einiger Zeit an seinem Bruder von einem
päpstlichen Legaten vollzogene Krönung für nichtig und salbte ihn von
neuem zum König; sodann forderte er ihn und das gesammte Volk auf,
der griechischen
1 Epist. Innocentii
KircheIII.unverbrüchliche
ad Episc. Saradiens.
TreueetzuAbbatem
gelobendeund
Belis
sich(Pilis,
mit

bei Dobner, Mom1m., II, 341). — 2 Concil. Lateranense IV, can. 9. — 3 Epist.
Honorii III., bei Katona, V, 348.
490 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ihm zur Bekehrung der Uniäten zu vereinigen; auch stiftete er zwölf


neue Ebenso
Bisthümer.
wenig glückte es, die Patarener in den Schos der

römischen Kirche zurückzuführen. Diese hatten 1223 an Bartholomäus


aus Carcassone, einem ebenso gelehrten und frommen als gewandten
Mann, ein tüchtiges Oberhaupt erhalten; er brachte die bosnischen und
dalmatinischen Gemeinden der Sekte mit den lombardischen, piemon-
tesischen und südfranzösischen in engere Verbindung, und öffnete den im
Westen mit Feuer und Schwert verfolgten Gegnern des ausgearteten
römischen Kirchenwesens in Bulgarien, Bosnien und Dalmatien eine
Zufluchtsstätte. Auch sonst fehlte es ihnen nicht an besonnenen und
gebildeten Männern zur Leitung des Volks, das sich überhaupt durch
innige Frömmigkeit, strenge Sittenzucht, Fleiß und Wohlstand aus
zeichnete, was nicht wenig dazu beitrug, daß ihre Partei fortwährend
zunahm und selbst Mitglieder der höhern Klerisei zu derselben
übertraten. 1 Dazu fanden sie an Ban Nikoslaw einen geheimen Glau
bensgenossen, der sich selbst gegen den Verdacht der Ketzerei zu
sichern und sie gegen Verfolgungen zu schützen wußte. 2 Gleich die
ersten Dominicaner, die aus Ungarn in diese Gegenden kamen, um die
Sektirer nach ihrer Weise durch Predigen und, wenn dieses nicht half,
mit Schwert und Feuer zu bekehren oder auszurotten, stießen auf hef
tigen Widerstand; ihrer zweiunddreißig wurden in Flüsse geworfen und
ertränkt. Der Erzbischof Ugrin von Kalocsa, dem der Papst die Be
kehrung der Abtrünnigen aufgetragen hatte, errichtete zwar 1229 bei
Bänmonostora ein Bislhum für Sirmien, und auf seinen Vorschlag ward
auch der griechisch- unirte Bischof von Bosnien (weil er der Ketzerei
verdächtig war, oder weil man ein römisch-katholisches Bisthum er
richten wollte?) vom päpstlichen Legaten entsetzt und an seine Stelle
der Dominicaner Johannes Teutonius hingeschickt, der den römischen
Ritus einführte; Bosna bei Serajevo wurde der bischöfliche Sitz, den
König Andreas und Herzog Koloman von Slawonien überaus reichlich
mit Gütern ausstatteten. 3 Aber trotz aller Maßregeln der Bekehrung
und des Zwangs, welche die Bischöfe zu ihrer Unterdrückung ergriffen,
und trotz des brennende'n, nie rastenden Eifers der Dominicaner und
Franciscaner
Einen glücklichern
wuchsen die
Fortgang
Patarenergemeinden
nahm dagegenandie
Zahl
Bekehrung
und Macht.der so

genannten Ismaeliten , der Abkömmlinge der theils mit den Magyaren


zugleich, theils später eingewanderten Mohammedaner, die ihrem Glau
ben jahrhundertelang treu geblieben waren, allen Maßregeln und Be
drückungen, durch die man sie zur Annahme des Christenthums zwingen
wollte, beharrlichen Widerstand entgegengesetzt, während der Re
gierung Andreas' II. und Bela's IV. als Pächter der Staatseinkünfte zu
den 1bittersten
Der päpstliche
Klagen
Legat
Veranlassung
Conrad, Bischof
gegeben
von Porto,
und sichbeklagt
zu Reichthum
sich hier

über bitter in einem Schreiben an den Erzbischof von Rouen ; bei Matthäus
Paris, Hist. major ad anu. 1233. — 2 Farlatus, Illyric. sacr. IV. Epistolae
Gregorii IX., bei Katona, V, G6 fg. — 3 Pray, Specimen hierarch., II, 362.
Katona, V, 538 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 491

und Ansehn emporgeschwungen hatten. Von wem und durch welche


Mittel ihre Bekehrung herbeigeführt wurde, darüber besitzen wir keine
Nachrichten; ihr Uebertritt zum Christenthum muß allmählich er
folgt sein, da sie mit dem Ende des 13. Jahrhunderts fast spurlos vom
Schauplatze verschwinden. Auch die Kumanen bequemten sich nach
den Niederlagen, die sie in den letzten Zeiten Ladislaus' IV. erlitten
hatten,
Das
zumPrivatrecht
Bekenntnisseund
der die
christlichen
Verhältnisse
Religion.der verschiedenen

Klassen der Landesbewohner zueinander hatten sich nach und


nach in mancher Hinsicht umgestaltet. Die Adelichen, die früher nur
ihren Taufnamen geführt und zur genauem Bezeichnung der Person
den Namen des Vaters und des Geschlechts, von dem sie abstammten,
hinzugefügt hatten, fingen nun an, sich Familiennamen beizulegen, die
meistens, doch nicht immer, von einer ihrer Besitzungen entlehnt wur
den. 1 Die demselben Stamme entsprossenen und den gleichen Namen
führenden Geschlechter nahmen nun auch ein gemeinschaftliches Fa
milienwappen an. Hierdurch wurde die Ungewißheit aufgehoben, die in
den frühern Jahrhunderten herrschte; die Person derer, die sieh ge
schichtlich hervorthaten, ist nun genauer bezeichnet, die Abstammung,
Verzweigung und Geschichte der berühmtem Familien läß.t sich von
nun an mit mehr Sicherheit verfolgen; aber auch die Absonderung
des Adels von den übrigen Volksklassen vergrößerte sich dadurch,
und der Ahnenstolz erhielt neue Nahrung. Jeder Reichstag dieses
Jahrhunderts, dessen Beschlüsse wir kennen, erneuerte die Gesetze,
welche den Adelichen die Befreiung von allen Abgaben zusicherten und
ihre Verpflichtung zum Kriegsdienste mehr und mehr beschränkten.
Dagegen nahmen sie, die keine Lasten tragen wollten, alle Rechte und
Vortheile, welche man im Staate genießen kann, ausschließlich für sich
in Anspruch. 2 Andreas III. mußte bei seiner Krönung feierlich ge
loben, nicht nur keinem Ausländer, was zu billigen war, sondern auch
keinem Nichtadelichen Staatsämter, Grafschaften oder Burgen zu ver
leihen. 3 Selbst die höhern Kirchenwürden sollten dem Adel vor
theus
behalten
eigenmächtig
sein. Als Papst
zum Bischof
Urbanvon
IV. Agram
den Archidiakonus
einsetzte, betonte
von Szala
BelaTimo-
in der

Protestation, die er gegen dieses widerrechtliche Verfahren erhob, be


sonders die niedere Herkunft des .Ernannten, und er erhielt deshalb
vom Dieses
Papst Unrecht
Clemenswurde
IV. eine
einigermaßen
beschämende
durch
Zurechtweisung.4
häufige Adelsverleihungen

ausgeglichen; sie waren der gewöhnliche Lohn des Verdienstes und


öffneten ihm den Zugang zu allen Würden und Aemtern. So wurden
12661 Simärth,
Diese von sein
GüternSohn
oder Hamud
Schlössern
undabgeleiteten
sechs seiner
Geschlechtsnamen
Seitenverwandten
wur

den in der ungarischen Sprache dem sogenannten Vor- oder Taufnamen als
Adjective vorangestellt, daher entstand der Gebrauch, alle die Familien
namen, als sie allgemein üblich wurden, voranzustellen, z. B. Deak Fe-
rencz, Franz Deäk. — 2 Goldene Bulle, Art. 24. — 3 Andreae III. Decret.
v, 1291, Art. 4. — * Epist. Clementis IV. ad regem Hung. , bei Katona,
VI, 448.
492 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

Jobagyen der Burg Bolondocz 1, 1268 die Brüder Csäk, Hörige der
Burg Bihar 2, 1272 Micnael und Nikolaus Gosztoni 3 zur Belohnung
ihrer Tapferkeit, außerdem wie bereits erwähnt wurde, selbst Ort
schaften und ganze Districte in den Adelstand erhoben. Zugleich ver
schenkten Bela IV. und Andreas III. mit kluger Freigebigkeit wüste
Ländereien und Waldungen mit der Verpflichtung, dieselben urbar zu
machen und zu bevölkern; unter andern erhielten von Bela IV. Jordan,
Sohn Arnold's, des Grafen der zipser Sachsen und Stammvater der Fa
milie Görgey, einen Theil des zipser Waldes am untern Laufe des Po
perflusses * und Botisz den öden Wald Csetene unter den höchsten
Spitzen der Tatra 6; von Andreas III. Meister Sinka den wüsten Wald
Asgüth 6 in der säroser Gespanschaft. 7 Die Empfänger solcher
Schenkungen beriefen theils aus der Nachbarschaft, theils aus dem Aus
lande Ansiedler, denen sie die Rechte freier Leute und verschiedene
Begünstigungen zusicherten, und bald entstanden Ortschaften und die
finstern Urwälder verwandelten sich in Ackerland und Wiesen. Sonst
war Bela in den ersten Jahren seiner Regierung im Schenken von Land
gütern sparsam , später jedoch ward er durch gehäufte Verlegenheiten ge-
nöthigt, in dieser Hinsicht seinen frühern Grundsätzen untreu zu wer
den; Ladislaus ging mit Vergabungen höchst verschwenderisch um, und
Andreas III. fiel die schwierige Aufgabe zu, was sein Vorgänger an Un
würdige
Dervergeudet
Unterschied,
hatte,welchen
wieder zurückzufordern.
das Gesetz Koloman's zwischen den

Landgütern, die König Stephan I. vergabt, und denen, die spätere Kö


nige verliehen hatten , machte 8, war von der Zeit bereits verwischt
worden. Im 13. Jahrhundert waren nach der Bestimmung der Goldenen
Bulle alle adelichen Besitzungen in männlicher Linie erblich; hatte der
Besitzer keinen Sohn, so erbten die Töchter den vierten Theil (Quarta-
litium), über das Uebrigc durfte er nach Willkür verfügen; traf er keine
Verfügung darüber, so erhielten es die nächsten Verwandten, und
wenn keine Verwandte da waren, fiel es an den König. 9 Auch gibt
es eine Menge von Beispielen aus dieser Zeit, daß adeliche Güter um
getauscht, abgetreten, verkauft und testamentarisch vermacht wurden. I0
Das Decret Andreas' III., Art. 26, verordnet: . . . „Wenn ein Edelmann
ohne Erben stirbt, dürfen weder seine ererbten noch erkauften oder
sonst erworbenen Besitzungen confiscirt werden , sondern er hat
das freie Recht, dieselben seinen Verwandten oder einem Verwandten
seiner Gattin oder der Kirche letztwillig zu vermachen, oder bei Leb
zeiten,
1 Kollar,
wenn erAmoenitates
will, zu verschenken."
Iuris, II, 88. Derselbe
— 2 Timon,
KönigEpitome
verlieh an
chronolog.,
Michael

S. 36. — 3 Kerchelich, Notitia praelimin., S. 221. — 4 Urkunde bei Palma,


Specimen heraldic, S. 89. — 5 Urkunde bei Wagner, Analccta Scepus., I,
S. 134. — 6 A. a. 0., III, 244. — 7 Urkunde bei Wagner, Diplomatar.
Saros., S* 313. — 8 Alberici Decret. Colomani reg., Art. 20, bei Endlicher,
S. 302, vgl. oben S. 212. — 9 Andreae II. Decret., I, 4; II, 11. — 10 Ur
kunden bei Katona, V, 808; VI, 486; VII, 873. Kerchelich, Notitiae prae
limin., S. 123. Regestrum de Värad, Nr. 125, 136, 345, 374 u. s. w., bei
Endlicher.
Innere Zustände unter den letzten Arpaden. 493

von Gdthkeled und seine Nachkommen das Landgut Korotuok am


Berge Braniszkö in der Zips mit de1n Rechte, es zu vergaben, letzt
willig zu vermachen, zu verschenken oder zu verkaufen, an wen sie woll
ten. 1 In dem letzten Jahrhundert der Arpaden waren also fast sämmt-
liche adeliche Besitzungen, selbst die von den Nachfolgern Stephan'»
des Heiligen lehnweise vergabten, unbeschränktes und veräußerliches
Eigenthum geworden; von der später eingeführten Aviticität, vermöge
welcher der adeliche Besitz als ein vom König verliehenes Gemeingut
der Familie betrachtet wurde, das der zeitweilige Inhaber benutzen, auch
für die Dauer eines Met1schenalters (32 Jahre) verpfänden, aber nie,
außer mit Bewilligung des höchsten Lehnsherrn, auf immerwährende
Zeit verschenken, verkaufen oder sonst veräußern durfte, zeigt sich
kaum eine Spur; sogar die ersten Anfänge derselben, auf die wir in den
Tagen Koloman's stießen, sind wieder verschwunden.
Neben dem Adel erhob sich der Bürgerstand in den Städten und
freien Districten zu immer größerer Wichtigkeit. Zwar ordnete kein
gleichförmiges Gesetz ihre Verfassungen und Rechte, vielmehr hatte jede
Stadt und jeder Bezirk seine eigenen Einrichtungen, Gerechtsame und
Gepflogenheiten, weshalb sie auch keine so festverbundene politische
Macht bildeten wie der Adel, dessen sämmtliche Glieder durch gleiche
Rechte und gemeinsame Institutionen verknüpft waren. Die Reichs-
standschaft, Sitz und Stimme in den Versammlungen der Nation, hatten
sie noch nicht errungen; aber ihre Zahl wuchs von Jahr zu Jahr: immer
mehr Ortschaften wurden von den Königen — auch von den Königinnen
und Prälaten —' zu Städten erhoben, die Burgmilizen und Udvarniker
den Bürgern beigesellt und die Privilegien aller fortwährend erweitert. Die
Benennung „Hospites" ward daher bereits gleichbedeutend mit Bürgern
und wurde den Einwohnern privilegirter Ortschaften überhaupt, auch sol
chen, deren Vorfahren nicht aus fremden Ländern abslammten, beigelegt'2;
denn die Nachkommen der Eingewanderten waren längst einheimisch
geworden, viele unter ihnen selbst in Sprache und Sitten mit den
Ungarn und den andern eingeborenen Landsassen im Laufe der Zeit
verschmolzen. Unter so günstigen Umständen entwickelten sich Ge
werbe und Handel, nahm der Wohlstand zu und stieg die Bildung der
Städte; die Zeit rückte immer näher, in der sie zur thätigen Theilnahme
an den Staatsangelegenheiten gelangen und einen bedeutenden Einfluß
auf den
DasGang
freie derselben
Staatsbürgerthum
üben sollten.
erhielt insonderheit durch die Kumanen

einen ansehnlichen Zuwachs. Diese Nation mit ihren urwüchsigen pa


triarchalischen Einrichtungen zieht unsere Aufmerksamkeit in hohem
Grade auf sich; unter ihren erblichen Stammfürsten, „Domini", und Ge-
schlechtshäupflingen,
1 Die Urkunde bei „Nobiles Cumanorum",
Wagner, Analecta besaß
Scepus., I, 124. die
— Gesammtheit
2 Andreae II.

pecret. II, ,, . . . volutnus ut on1nes terrae eastri et udvarnicornm , ad quos


populi nostro nomine vel dominae reginae sunt rongregati, castro vel udvar-
nicis restituantur, et ipsi illi gaudere debeant privilegiato nomine hospituru
liberorum." *
494
derselben die natürliche
Viertes Freiheit
Buch. Zweiter
der Nomaden.
Abschnitt.
1 Die empfindlichen

Niederlagen, welche sie in den letzten Jahren der Regierung Ladis-


laus' IV. erlitten, brach ihren unbändigen Geist, das Christ enthom mil
derte ihre Roheit, sie lernten sich in die Fesseln eines geordneten
Staatswesens fügen. Ihre Häuptlinge traten mit der Zeit in die Rei
ben des ungarischen Adels und mögen die Ahnen mehrerer unter den
Kumanen heutzutage noch blühenden adeliehen Familien geworden
, sein; aber das Volk im ganzen wußte seine Freiheit zu behaupten, von
7 ' seinen Wohnsitzen, Groß- und Klein-Kumanien nebst 41fMgtSü, feuda
listische Einrichtungen fern zu halten und sich überdies noch wich
tige Privilegien zu verschaffen. Dem Ackerbau und der Viehzucht mit
Vorliebe ergeben , verschmolzen die Kumanen in Sprache und Sitten
gänzlich mit den Magyaren und gehören nun zu den wohlhabendsten
und treuesten Söhnen des Vaterlandes.
Dagegen war die ganze Menge der außerhalb der Städte und pri-
vilegirten Districte lebenden ursprünglich Gemeinfreien imn1ermehr in
den Stand der Hörigkeit hinabgesunken, und hatte sich mit den Pflich
tigen Dienstleuten und freigelassenen Sklaven des Adels vermischt,
deren Los sie nun theilte. Der Grund, auf dem die Hörigen saßen,
war Eigenlhum des Herrn, dem sie für dessen Nutznießung steuern und
frohnen mußten. Doch waren diese Leistungen durch das Gesetz be
stimmt und mäßig; sie bestanden in einer jährlich zu entrichtenden Ab
gabe in Geld und Getreide, in Spanndiensten und Handarbeiten, die
einige Tage im Jahre zu verrichten waren; das bewegliche Vermögen
eines kinderlos Verstorbenen blieb der Witwe, der Grundherr durfte
storbene
blos ein dreijähriges
weder Frau Rind
noch aus
Kind
demselben
noch Verwandte
nehmen ; hinterließ
nur wennund
der keine
Ver- "

letztwillige Verfügung getroffen hatte, fiel seine Habe dem Grundherrn


zu. Aber die Hörigen waren dabei weder leibeigen noch an die Scholle
gebunden, sondern persönlich frei; sobald sie den jährlichen Grundzins
entrichtet und die sonstigen Schuldigkeiten geleistet hatten, durften sie zu
jeder Zeit ihren bisherigen Herrn verlassen und sich ungehindert, wohin
sie wollten, begeben. 2 Auf einer höhern Stufe der Freiheit standen
die den geistlichen Stiftern unterthänigen, „Jobagyonen der Kirche" ge
nannten
1 Articuli
Leute,Ou111anon1m
die zum Theil
et Constitutio
zu Kriegsdiensten
de Cumanis, verpflichtet
bei Endlicher,
waren.
S. 5543

— 565. — 2 Daß das Los der Hörigen dieser Klasse in den Tagen der letz
ten Arpäden wenigstens der Hauptsache nach mit der obigen Angabe über
einstimmte, läßt sich ans der bereits angeführten siebenbürger Urkunde bei
Graf Teleki, Zeitalter der Hunyaden, X, 3 — 10, mit einiger Sicherheit sehlie
ßen; denn in derselben wird ausdrücklich gesagt, daß sie die erwähnten
Hechte und Verpflichtungen kraft der Gesetze und Anordnungen König Ste-
phau's und seiner Nachfolger noch vor nicht langer Zeit hatten. Zwar Ste
phan konnte das Verhältniß zwischen Grundherren und Hörigen, welches da
mals noch gar nicht bestand, nicht regeln, aber gewiß geschah es unter den
spätem Königen, als sich dieses Verhältniß zu gestalten anfing, und in Sie
benbürgen und Ungarn in gleicher Weise, da das erstere die Gesetze und
jedesmaligen Einrichtungen des Hauptlandes annahm. — 3 Regestrum de
Värad, Nr. 80, 88.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 495

Daneben gab es freilich noch viele, die an die Scholle gebunden waren,
und selbst Sklaven, die verkauft und verschenkt, aber auch häufig frei
gelassen wurden. Oft schenkte man Sklaven den Kirchen und Klöstern,
damit sie diesen zum Seelenheile ihres vorigen Herrn gewisse Abgaben
und Dienste leisteten und Messen feiern ließen,, sie wurden deshalb nach
dem slawischen „duch" (Seele), „Duschenitzen" genannt.1 Die verschie
denen Abstufungen der Hörigkeit anzugeben und ein nur einigermaßen
vollständiges Bild derselben zu entwerfen, ist unmöglich, da genauere
Nachrichten und Urkunden fehlen. Und wie verschieden mögen Zufall
und Willkür das Schicksal der Hörigen an verschiedenen Orten ge
staltet haben ! Ueberhaupt war das Verhältniß der Herren und Hörigen
zueinander erst in der Ausbildung begriffen und zeigt die allen wer
dendenUmZuständen
so deutlicher
eigenthümliche
ist das Licht,
Unfertigkeit.
welches uns über die Lage der

Juden in Ungarn der Freibrief gibt, den ihnen Bela IV. 1251 ertheilte
und den wir seiner Merkwürdigkeit wegen hier im Auszuge mittheilen.
„Da wir wollen", lautet die Einleitung, „daß in unserm Reiche jeder
mann, weß Standes er immer sei, unsere Huld und Gnade empfinde,
verleihen wir sämmtlichen in unserm Lande befindlichen Juden folgende
unverletzlich zu beobachtenden Rechte." . . . Ein Jude darf auf das
Zeugniß eines Christen nicht verurtheilt werden, sondern neben dem
Christen muß noch ein Jude gegen ihn aussagen, außer die Sache wäre
so offenkundig, daß sie keines Beweises weiter bedürfte. . . . Ein Jude
darf jede Sache in Pfand nehmen, doch Kirchengewänder nur von dem
Prälaien der Kirche, und blutige Kleider gar nicht. . . . Der Jude, der
angeklagt wird, daß er das Pfand ableugne oder eine größere Summe
als die geliehene dafür fordere, oder dasselbe vor der Zeit verkauft
habe, kann, sobald die zwei erforderlichen Zeugen gegen ihn fehlen,
sich durch einen Eid reinigen, und der Christ muß die Schuld nebst
den Gerichtskosten zahlen. ... Juden, die widereinander klagbar wer
den, sollen nicht von dem Richter der Stadt, in der sie wohnen, sondern
vom König oder dem Obersten Kanzler ihr Urtheil empfangen. . . . Dem
Juden, der mit Brief und Siegel beweist, daß er einem Magnaten auf
dessen Landgut Geld geliehen habe, wird der König dieses Landgut zu
weisen, ihn gegen jede Gewaltthätigkeit schützen und dieEinkünfte davon
ziehen lassen, bis sich ein Christ findet, der das verpfändete Landgut
auslöst. . . . Der Christ, der dem Juden sein Pfand mit Gewalt abnimmt
oder in dessen Hause Gewaltthätigkeiten begeht, soll als Frevler gegen
die königliche Kammer schwer gestraft werden. . . . Wer einen Juden
verwundet, zahle dem König die gesetzmäßige Strafe und dem Ver
wundeten zwölf Mark Silber nebst den Kosten der Heilung. . . . Der
christliche Mörder eines .luden empfange die verdiente Strafe, und sein
ganzes Vermögen werde für den König eingezogen. . . . Die Juden dür
fen im ganzen Lande frei reisen und handeln , sie sollen nirgends einen
höhern Zoll entrichten als die andern Einwohner ihrer Stadt. . . . Sie
dürfen
1 Regestrum
ihrer Sittedegemäß
Värad,ihre
Nr. Todten
132, 142,
von341.
Ort zu Ort führen, und es ist
49G Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

ihrem
welcher
bei
Zoll schwerer
zuRichter
Juden
erheben
Strafe
wohnen,
anderthalb
verboten,
Werausdie
Mark
Feindseligkeit
Schulen
bei dieser
Sollte
derGelegenheit
nicht
Juden
der Richter
nach
frechdem
von
bewirft,
derihnen
Inhalt
Stadt,
zahle
einen
diein

ses Privilegiums über einen Juden urtheilen, so werde'er seines Amts


entsetzt.1 Aus diesem Freibriefe geht hervor: daß Juden nicht in Dör
fern, sondern nur in Städten wohnen durften, da außer den Stadt-
richtern keine andern Richter erwähnt werden; daß Geld auf Pfänder
leihen vor alle1n andern das Geschäft war, durch welches sie sich be
reicherten; daß sie als Leute des Königs betrachtet wurden und unter
seinem besondern Schutze standen; und daß sie nicht eine unterdrückte,
sondern eher eine bevorrechtete Menschenklasse waren. Aber nicht Bela
allein, dem sie in Geldverlegenheiten oft aushalfen, nahm sie in seinen
Schutz; während sie im 13. Jahrhundert in den meisten christlichen
Ländern die schmählichsten Bedrückungen und Verfolgungen bald von
den Machthabern und bald von dem fanatischen Pöbel erlitten, befanden
sie sich in Ungarn in einer sehr günstigen Lage, ungeachtet das Volk
die gegründetsten Ursachen hatte, ihnen zu zürnen und sich für durch
sie erfahrene Bedrückungen zu rächen; auch der letzte König aus dem
ärpädischen Hause gab den in Presburg wohnenden Juden gleiche Rechte
mit den
Landwirthschaft,
andern Bürgern derBergbau
Stadt. 2 und städtische Gewerbe hat

ten durch die Verwüstungen, welche die Mongolen anrichteten, einen


schweren Schlag erlitten, scheinen sich jedoch von demselben ziemlich
schnell erholt zu haben. Schon unter Bela waren Gerber, Kürschner,
Tuchmacher, Arbeiter in Eisen, Kupfer und edeln Metallen wieder in
ziemlicher Anzahl vorhanden. Unter den gewerbfleißigen Städten nah
men Gran, Stuhlweißenburg, Ofen, Pesth und Presburg den ersten Rang
ein. Der Bergbau, in jener Zeit, wo die Metalle so hoch im Preise
standen, eine Hauptquelle des Reich thums, wurde durch einheimische
und Jüngst eingewanderte Bergleute mit Eifer und Erfolg betrieben
und gedieh selbst an solchen Orten, wo er heutzutage wegen Kost
spieligkeit der Arbeit gänzlich eingegangen ist. Da die Könige von
den Erträgnissen desselben einen gewissen Theil bezogen, schützten und
förderten sie ihn um so mehr; von ihnen erhielten die Städte, die Gru
sie
benbau
Metalle
trieben,
vermutheten,
wichtigeund
Vorrechte;
niemand es
durfte
standsieihnen
im Betrieb
frei zuder
schürfen,
geöffneten
wo ,

Werke hindern. 3 Die Landwirthschaft gewann durch die Urbar


machung wüster Strecken und die Herbeiziehung neuer Ansiedler größere
Ausdehnung. Italienische Colonisten brachten edle Reben aus ihrer
Heimat, ließen sich in den südlichen Gegenden der zempliner Gespan
schaft,
1 Belae
in der
IV. sogenannten
reg. Jura Judaeorum
Hegyalja,
1251.namentlich
E transsumto
in Matthiae
den Ortschaften
I. regis,

bei Endlicher, S. 473 —477. — 2 „Judaei in ipsa civitate constituti habeant


eandem Übeltatem quam et ipsi cives." Andreae III. regis Liberias hospit1IIu
de Poson., 1291, Punkt 12, bei Endlicher, S. 625. — 3 Stephani V. reg.
Libertas Saxonum de Scepusio; vom Jahre 1271, Punkt 15. Ladislai IV.
reg. Libertas civiuni de Gilnitzbänya, vom Jahre 1291; beide bei Endlicher.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 497

Patak, Olaszi und Olaszi-Liszka nieder und fingen dort an den edeln
Wein zu erzeugen, der unter dem Namen Tokayer berühmt wurde. x
Auch in andern Gegenden des Landes nahm die Zahl der Weinpflanzer
zu und veredelte sich das Gewächs durch sorgfältigere Pflege, sodaß
schon zu Bela's Zeiten eine große Menge Wein ausgeführt wurde und
die Weinberge einen verhältnißmäßig hohen Preis hatten. 2 Zugleich
blühte auch die Viehzucht auf, wie aus den in Urkunden häufig erwähnten
Schenkungen von Viehheerden und der beträchtlichen Ausfuhr von Scha
fen, Rindern und Pferden ersichtlich ist. Den Zehnten von den Gestüten
sammelte der Bischof von Erlau mit der Verpflichtung, die Füllen auf
seinen ausgedehnten Landgütern für den Kronprinzen aufzuziehen,
damit dieser, wenn er König wird, eine hinreichende Menge Pferde
vorfinde. 3 Endlich war auch der Fischfang ergiebig und lieferte einen
wichtigen
Der Handelsverkehr,
Handelsartikel. 4 der im 13. Jahrhundert in Ungarn, trotz der

vielen äußern Kriege und innern Unruhen stattfand, setzt uns durch
seine Ausdehnung in Verwunderung. Die Donau war die große Straße,
auf der die Waaren aus Konstantinopel und Asien nach Deutschland,
Polen und Rußland, und die Erzeugnisse der letztern Länder nach den
Handelsplätzen des Orients geführt wurden. Aber auch die ungarischen
Märkte wurden von italienischen, deutschen, französischen, polnischen
und russischen Kaufleuten fleißig besucht; hierher brachten sie die
Waaren ihrer Heimat und kauften wiederum die Natur- und Kunst-
producte Ungarns. Der wichtigste Stapelplatz des Handels war Gran,
das nach seiner Zerstörung schnell wiederaufgebaut und von Fremden
aus verschiedenen Ländern erfüllt wurde; doch hatten auch andere
Städte stark besuchte und privilegirte Märkte, in Ofen z. B. wurde der
Markt jährlich vom 9. bis 17. Sept. gehalten. Weder der Palatin noch
ein anderer Reichsbaron durfte befehlend einschreiten, die ganze
Marktgerichtsbarkeit stand ausschließlich dem ofener Stadtrichter zu;
die feilgebotenen Waaren, woher immer sie kamen, waren zollfrei,
und von den Schiffen, solange sie dort ankerten, wurden keine Ab
gaben erhoben. 6 Aber solche Zollfreiheit war nur das Privilegium ein
zelner Städte und Märkte; im übrigen lasteten schwere Besteuerungen
auf dem Handel: an den Grenzen erhob der König Ein- und Ausfuhr
zölle, und in Gran mußte jede Waare, die hinauf- oder hinabging,
eine Abgabe an das dortige Kapitel entrichten. Dieses forderte
namentlich von jedem Ballen Tuch za vierzig Stücken eine Mark Silber;
die Kauflente aus Venedig, Frankreich und den Ländern jcnseit des
Rheins zahlten die drückende Abgabe, aber andere, besonders die
Deutschen, weigerten
1 Testament sich, ihre Ballen
des Obergespans zu öffnen,
von Zips und Wilhelm
und Ujvar wollten jeden Ballen
Drugeth, bei

Wagner, Analecta Seepusii, I, 128. Szirroay, Notitia topograph. Comitat.


Zempliniensis, S. 19. — 2 Urkunde Bela's IV., bei Szirmay, Notitia histo-
riea, S. 20. — 3 Stephani V. reg. Privilegia ecelesiae Agriensis vom Jahre
1271, Punkt 12, bei Endlicher, S. 532. — 4 Ladislai IV. reg. moderatio
telonii Strigoniensis, Punkt 19, bei Endlicher, S. 611. — 5 Ladislai IV. reg.
Constitutio de nundinis Budensibus, vom Jahr 1287, bei Endlicher.
Feßlcr. I. 32
498 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

nur mit einem Grosehen verzollen; andere umgingen die Zollstätte auf
Nebenwegen. Als nun König Ladislaus in Gran Besserung geloben
mußte, bewogen ihn „seine Brüder, das graner Domkapitel", ihnen von
den Kaufleuten jeder Nation eine Mark für den Ballen Tuch, eine
zweite Zollstätte zu Raab für alle, die Gran umgehen würden, und
einen neuen, wahrscheinlich erhöhten Zolltarif zu bewilligen. 1 Ueber-
dies erpreßten noch die Reichsbarone und andere mächtige Dynasten
von den Handelsleuten, die durch ihre Besitzungen zogen, willkürliche
Abgaben , die zwar strenge untersagt wurden ä, aber bei der da
maligen Machtlosigkeit des Gesetzes kaum aufgehört haben mögen.
Ungeachtet aller dieser Bedrückungen und Gefahren gedieh indessen der
Handel; die Großen, welche die Waaren kauften, mußten alle Zölle und
Verluste bezahlen, und die emsigen Bürger verfügten über mehr Geld
als die meisten unter dem Adel. Mußte doch der kaschauer Stadtrichter
Arnold selbst für den reichen Wilhelm Drugeth über 116 Mark gutstehen.
Unter den Künsten erhob sich vornehmlich die Baukunst zu nicht
geringer Blüte. Die Burgen und Paläste, welche die Großen bauten,
und die Klöster, die für die vielen Mönchsorden errichtet wurden, gaben
ihr Gelegenheit und Mittel, sich zu höherer Vollkommenheit zu ent
wickeln. In den Kirchen schuf sie ihre schönsten Werke. Noch
stehen einige Denkmäler aus dem 11. und 12. Jahrhundert, aus der
Zeit, wo der sogenannte gothische Stil sich zu gestalten anfing: die
Hauptkirchen in Skalitz, Agram, Presburg und Bartfeld und die des
heiligen Benedict in Bars. Im 13. Jahrhundert, nach dem Abzug der
Mongolen, zwang theils die Nothwendigkeit, das Zerstörte wiederher
zustellen, theils trieb das vermehrte Bedürfniß sowie der Drang, Schö
nes und Bleibendes zu schaffen , der mit der zunehmenden Bildung im
mer mächtiger wurde, zum Aufführen neuer Bauwerke. Aber was die
Prachtliebe und Frömmigkeit in den gesegneten Fluren des Unter
landes, in den königlichen Residenzen, an den Sitzen der reichen Prä
laten und in den blühenden Städten damals hervorgebracht, das ist fast
insgesammt durch die Zeit und noch weit mehr durch die barbarische
Hand der Türken in Schutt und Trümmer verwandelt worden und liegt
jetzt im Schose der Erde begraben ; nur einiges, wie die Kapelle der hei
ligen Anna in Stuhl weißenburg und die Hauptkirche in Ofen, unter
Bela IV. erbaut , ist verschont geblieben. Dagegen stammen die meisten
der noch stehenden alten Kirchen in den Städten des Oberlandes, die
leutschauer, eperieser, igloer, die kaschauer Kapelle des heiligen Mi
chael und viele andere, aus diesem Jahrhundert her, alle mehr oder
weniger kunstvoll in dem schon ausgebildeten gothischen Stile gebaut.
Unter Stephan V. begann der Bau des kaschauer Doms, des groß
artigsten und edelsten, leider nicht gänzlich vollendeten gothischen
Kunstwerks, das Ungarn aufzuweisen hat; zur Zeit Ladislaus' IV.
wurde in Presburg die älteste unter den drei Franciscanerkirchen er-
1 Ladislai IV. reg. Declaratio telonii Strigoniensis et ejusdem Moderatio
telonii Strigoniensis vom Jahre 1287, bei Endlicher. — 2 Andreae III. De-
crel., Art. 17, und Andreae III. Abolitio tributorum , vom Jahre 1297,
bei Endlicher, S. 629 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 499

baut, sie ist zwar viel kleiner als die vorgenannte, aber in gleich edelm
Stil gehalten. Von den Werken der mit der Baukunst so innig ver
knüpften Bildhauerei sind nur einige Bruchstücke, von der Malerei aber
ist gar
Dienichts
verwüstenden
aus diesemEinfälle
Zeitalter
barbarischer
auf uns gekommen.
Völker, die vielen Kriege

mit den benachbarten Staaten und die sich fort und fort erneuernden
innern Unruhen mußten der Pflege der Wissenschaf ten höchst nach
theilig werden; die von dem Geräusche und Schrecken der Waffen be
täubten Geister konnten nicht Zeit finden, nicht den Math haben, sich
dem stillen Dienste derselben zu widmen; sie mußten in mächtiger Auf
regung um das Leben und um dessen unentbehrlichste Güter kämpfen.
Demungeachtet machte das ungarische Volk auch in dieser bedrängniß-
vollen Zeit Fortschritte in seiner geistigen Ausbildung. Die Schulen, die
an den Bischofssitzen und in den Klöstern bestanden, wurden durch die
neueingeführfen Orden bedeutend' vermehrt; auf den kleinern lehrte
man das Trivium (Grammatik, Arithmetik und Geometrie), auf den
größern das Quadrivium oder sämmtliche freien Künste (also außer den
vorhergenannten noch Musik, Astronomie, Dialektik und Rhetorik);
sodann gab es noch sogenannte Studia theologica zur Heranbildung der
Geistlichkeit, unter denen das erzbischöfliche zu Gran und das der
Dominicaner zu Raab Berühmtheit erlangten. Unter allen Lehranstalten
nahm das Studium generale zu Weßprim den obersten Platz ein; hier
trugen funfzehn Doctoren Theologie, römisches und Kirchenrecht
vor; ihm fehlte zu dem Range einer Universität, deren es damals über
haupt nur zwei, die zu Paris und zu Bologna, gab, nichts als die Berech
tigung, akademische Grade zu ertheilen. Auch maugelte es, obgleich
die Bücher kostbar und selten waren , nicht an Bibliotheken ; am könig
lichen Hofe befand sich eine, die unter der Aufsicht des Oberstschatz
meisters stand ; die Bischofssitze , die Klöster und besonders die höhern
Schulen hatten ihre Büchersammlungen, aber auch Privatmänner legten
einen hohen Werth darauf, wenigstens einige Werke zu besitzen. _ Frei
lich waren diese Bibliotheken nicht so bändereich als viele in andern
Ländern, sie bestanden großentheils aus Legenden und ascetischen
Schriften. Das theuerste Buch war im Mittelalter die Bibel in der
alten lateinischen Uebersetzung, theils wegen ihres beträchtlichen Um-
fangs, theils wegen der größern Genauigkeit, die man beim Abschreiben
derselben verwandte, am meisten aber wegen der mühsamen und präch
tigen Verzierungen, mit denen die Handschriften geschmückt wurden. Vid
von Güthkeled verlor eine Bibel, die er aus dem csatärer Kloster geliehen
hatte,Die
undLehranstalten
gab zum Ersatz
wurden
für dieselbe,
nicht allein
1263,von
ein solchen
und ein besucht,
halbes Dorf.
die

sich dem geistlichen Stande widmen wollten, sondern auch von Welt
lichen, die nach Bildung strebten. Daher begegnen wir in diesem
Zeitalter unter den vornehmen Herren so vielen, die den Titel Ma
gister, Meister der freien Künste, führen; denn alle, die an höhern
Schulen Unterricht genossen hatten , wenn auch ihre Kenntnisse nicht
viel weiter reichen mochten, als daß sie lesen und schreiben und das
damals übliche Latein sprechen konnten, nahmen diesen Titel an, der
500 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.

in hohem Ansehen stand. Aber der eigentliche Träger der Wissenschaft in


diesen noch immer so dunkeln Zeiten war auch in Ungarn wie ander
wärts der Klerus und besonders die Klostergeistlichkeit. Alle, die sich
weiter ausbilden wollten, besuchten die Sitze der Gelehrsamkeit, die
hohen Schulen zu Paris und Bologna; ja, es scheint dies fast Bedingung
gewesen zu sein, unter welcher allein man auf die hohen geistlichen
Würden Anspruch machen durfte. Darum bildete sich gegen Ende des
Jahrhunderts in Gran eine Gesellschaft, die fähige, aber arme Jüng
linge Demungeachtet
auf diesen Hochschulen
besaß Ungarn
studiren in
ließ.diesem
1 Zeitraume nur wenig

Schriftsteller; weder seine Welt- noch Klostergeistlichkeit erwarb sich


solche Verdienste" um die Wissenschaften wie die anderer Länder.
Die Mehrheit der Geistlichen wurde durch die Verwaltung ihrer reichen
Besitzungen und durch frohen Lebensgenuß ernsten Forschungen ent
fremdet, und auch die gelehrtesten und strebsamsten waren durch die Wür
den, die sie bekleideten, so verflochten in die politischen Verhältnisse, so
Zeit,
in Anspruch
daß siegenommen
keine Muße
von zu
dender
unaufhörlich
stillen Thätigkeit
flutendendes
Bewegungen
Schriftstellers
der ,

fanden. Zu Anfang des Jahrhunderts schrieb der gelehrte Dominicaner


Paul zwei Abhandlungen, die eine über die Jungfräulichkeit, die andere
über die Verachtung der Welt. Um dieselbe Zeit verfaßte der Bischof
von Fünfkirchen Coelius Calanus eine kurze Geschichte Attila's.
Unter Bela IV. erzählte der Dominicaner Ricardus die Reise seines
Ordensbruders Julian in die alte Heimat der Ungarn, „De facto
magnae Hungariae", bei Endlicher, S. 248 fg.; schilderte der groß-
wardeiner Domherr Rogerius die Verheerung Ungarns durch die Mon
golen, „Carmen miserabile", bei Endlicher, S. 255 fg.; und schrieb der
Archidiakonus von Spalatro, Thomas, seine für die ungarische Ge- '
schichte wichtige „Historia ecclesiae Salonitanae", bei Schwandtner,
„Scriptores Rerum Hungaricarum" (Wien 1748), Bd. 3. Meister An
dreas, Hofkaplan Bela's IV. und Stephan's V., verfaßte eine Ge
schichte vom Kriege Karl's von Sicilien gegen Manfred. Simon de Keza,
Hofkaplan Ladislaus' IV., schrieb die uns wohlbekannten „Gesta Hun-
norum und Hungarorum", bei Endlicher. Etwas später behandelte
ein unbekannter Verfasser denselben Gegenstand in der sogenannten,
noch nicht gedruckten Bilderchronik. Die hier genannten Schriftsteller
bedienten sich alle der lateinischen Sprache, die bereits auch bei allen
öffentlichen Angelegenheiten ausschließlich im Gebrauche war und die
ungarische gänzlich in das Privatleben zurückgedrängt hatte. Gewiß
lebten auch in dieser Periode noch mehr Männer, die Nachrichten sam
melten und aufzeichneten, oder ihre Gedanken über theologische und
philosophische Gegenstände niederschrieben; aber ihre Arbeiten blieben
unbekannt in den Klöstern liegen und wurden in den vielen Kriegen, die
Ungarn
1 Toldy,
verwüsteten,
A magyarunter
nemzeti
Schuttiradalom
und Trümmern
törtenete für
(Geschichte
immer begraben.
der unga

rischen National-Literatur), I, 50
Druck von F. — 61.
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''• V
Berichtigungen.
Seite ,16, Zeile 22 v. o., statt: der, lies: den
» 31, » 8 v. o., st.: altaischer, I. : altaischen
» 3:3, 11 11 v. o., st.: knute, 1.: knnte
» 35, » 24 v. o., st.: Horväth, 1.: Stephan Horvath
» 35, » 4 v. u., st.: Vembery, 1.: Vämbery
» 37, >) 10 v. u., st.: pärg, 1.: püng
» 37, » 6 v. u., st.: vilmä, 1.: silmä
» 37, 1> 4 v. u., st.: sem-vil, 1.: sem-vit
» 38, )1 8 v. o., st.: makva, 1. : maksa
» 38, » 22 v. o., st.: tant, 1. : taut
)> 38, » .25 v. u., st.: varan, 1. : zaran
» 48, » 4 v. o., st.: Petseheneger, 1 : Petschenegen
» 48, » 5 v. o., st.: Pazinacitae, 1. : Bisseni
« 48, » 6 v. o., st.: Bisseni, I. : Pazinacitae
» 54, » 22 v. o., st : wo der, 1.: wo sich der
» 61, » 15 v. u., st.: wird, 1.: ward
» 86, » 3 v. u., st.: Karl Martell , 1. : Karl den Großen
» 122, » 24 v. o., st.: Mislingen, 1.: Gelingen
»132, » 4 v. o., st.: der, 1,: den
» 150, » 6 v. o., st.: Tula, 1.: Tuln
)) 180, » 6 v. u., st.: Luius, 1.: Lucius
» 189, » 25 v. o., st. : Ordalen, 1.: Ordalien
» 228, » 5 v. o., st.: Olesava, 1.: Olcsava
» 2d5, » 19 v. o., st.: nur, 1.: nun
» 238, » 5 v. u., st.: andere, 1.: arader
» 259, » 21 v. n., st.: läßt, 1.: lassen
» 268, » 1 v. o., st.: hatten, 1.: hätten
» 284,' » 19 v. u., st: neherek, 1. : nehezek
» 285, » 20 v. o., st.: szelader, 1.: szalader
» 296, » 19 u. 29 v. o., st.: Wulkan, 1.: Wolkan
» 298, » 13 v. u., st.: Andreas, 1.: Emerich
» 306, o 15 v. o, st.: Ausland, 1.: Anstand
» 310, » 11 v. o., st.: Bärczaväg, 1.: Barczasäg
» 329, » 3 v. o., st.: Wolkun, I.: Wolkan
» 329, » 7 v. n., st.: Wolkun, 1 : Wolkan
» 367, » 12 t. o., st.: Feid, 1.: den Feind
» 370, » 12 v. o., st.: Thüröczi, 1.: Thüröcz
» 371, » 7 v. o., st.: Meszer, 1.: Meszeser
» 390, » 19 v. o., st.: Justiani, 1.: Justiniani
» 398, » 20 v. o., st.: ungarische, 1.: erstere
» 402, » 15 v. o., st.: VI., 1.: IV.
» 405, » 13 v. o., st.: . Denn Bela, 1.: , Bela
» 435, » 8 v. u., st.: Freher, 1.: Fejtr
» 445, » 26 v. o., st.: Szombatholy, 1.: Szombathely
» 489, 1) 3 v. u., st.: Saradiensem, 1.: Varadiensem
» 490, » 1 v. o., st.: ünioten, 1.: ünirten
» 494, » 9 v. o., st.: Inßigien,,!.: Jazigien
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Walter Schalllnp
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