Fessler Klein Geschichte Von Ungarn 1
Fessler Klein Geschichte Von Ungarn 1
Prospect.
fcrnji Alein.
F. A. Brockhaus.
Geschichtswerke
aus dem Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Erster Band/
(fadtkftte von Ungarn,
Von
bearbeitet
von
Ernst Klein.
(Erftcr jßanü.
Die Urgeschichte und die Zeit der Herzoge und Könige
aus Ärpad's Stamme bis 1301.
Leipzig :
F. A. Brockhau 1
1867.
"BP, .MCA.
Bayerische
Staatsbibliothek
München
Vorwort
von
Die ungarische Nation
Michael
hatHorväth.
seit der Eroberung des Lan
des , welches sie bewohnt , sowol durch ihren Verkehr mit den
Nachbarstämmen als vermöge ihrer eigenen Staatseinrichtungen
eine so wichtige Rolle unter den Völkern Europas gespielt, daß
eine eingehendere Kenntniß ihrer Geschichte allen Freunden der
historischen Literatur, insbesondere aber deutschen Lesern
interessant
Schon und
die Niederlassung
belehrend seinder
dürfte.
Ungarn in dem von den Kar
des Werks in der Gestalt, die es unter der Hand seines neuen
Bearbeiters gewinnen wird: nur das Gerippe soll beibehalten,
Fleisch und Blutsollen verjüngt, der Geist in den früher mangel
haften Stellen gänzlich umgeformt werden. Liegt mir auch
noch zu wenig von der neuen Bearbeitung vor, um ein be
stimmtes Urtheil über das Ganze aussprechen zu können, so
vermag ich doch schon aus dem Wenigen mit ziemlicher Sicher
heit auf die weitere Ausführung zu schließen, und es gereicht
mir zu großer Freude, dem Herrn Umarbeiter das Zeugniß
zu ertheilen, daß er die seit Feßler's Zeiten bekannt gewor
denen Quellensammlungen mit Sorgfalt und Umsicht benutzt,
die Resultate der von seinen nächsten Vorgängern angestellten
Geschichtsforschungen zur Berichtigung dessen, was falsch, und
zur Ergänzung dessen, was mangel- und lückenhaft war, in reich
lichem Maße verwendet habe. Und so bekommt das deutsche
Lesepublikum das Feßler'sche Geschichtswerk durch die Um
arbeitung des Herrn Ernst Klein vielfältig vervollkommnet in
die Hände; alle Vorzüge der ersten Auflage finden sich darin
nicht nur vollständig wieder, sondern sie werden durch gedräng
tere Darstellung, durch den modernen, echt freisinnigen Geist
der Bearbeitung und durch unzählige Berichtigungen sehr we
sentlich erhöht. Dies ist meine aufrichtige und feste Ueber-
zeugung. Denn wiewol mir, wie gesagt, als Anhalt zu die
ser Ueberzeugung nur erst der Beginn der neuen Ausgabe
zur Einsicht vorliegt: so glaube ich mich doch berechtigt,
Vorwort von Michael Horvath. XID
dasselbe, was ich in dem Anfange des Werks erkannt, auch von
den übrigen Theilen zu erwarten. Es berechtigt mich dazu
die Kenntniß des Plans, den Herr Klein seiner Arbeit zu Grunde
gelegt hat und über welchen er mir unter anderm Folgendes
mittheilt:
„Seit Feßler seine Geschichte geschrieben, haben die For
wurden, haben ihre Fortschritte gehemmt; sie hat sich jedoch auf
gerafft, strebt unermüdet vorwärts, leistet in Wissenschaft, Kunst
und Industrie bereits mehr, als man noch vor wenig Jahren und unter
den obwaltenden Umständen auch nur für möglich halten durfte; die
Worte eines großen Ungars, Stephan Szechenyi's: „Ungarn war nicht,
aber Ungeachtet
es wird sein",
all fangen
dieser Eigenthümlichkeiten
an in Erfüllung zu gehen.
, Schicksale und Thaten
ist Ungarn, sein Volk und seine Geschichte, selbst den benachbarten
Nationen nicht so bekannt, als es zu sein verdiente. Oft ergriff
mich bittere Wehmuth, wenn ich mein Vaterland und mein Volk ver
kannt und von unwissenden, oder parteiischen oder bezahlten Menschen
hart verleumdet sah; dann regte sich in mir der Vorsatz, eine Ge
schichte Ungarns in deutscher Sprache zu schreiben, den Geist, das
Leben und die Schicksale des ungarischen Volks unparteiisch zu
schildern.
Es sind zwar ausser den ältern auch vorzügliche neuere Werke
über die Geschichte Ungarns vorhanden. Als die Begeisterung für das
Vaterland und für die Muttersprache zu Ende des vorigen und zu An
fang des jetzigen Jahrhunderts mächtig erwachte, nahm auch die
heimische Geschichtschreibung einen außerordentlichen Aufschwung.
Nur einige von den vielen Männern, die sich um dieselbe hervorragende
Verdienste erwarben, seien hier genannt: Fejer sammelte jahrelang
Urkunden für seinen bändereichen „Codex diplomaticus" ; Graf Joseph
Teleky beschrieb in acht Bänden das Zeitalter der Hunyady, eine der
merkwürdigsten und wechselvollsten Perioden im Leben des unga
rischen Volks; Franz Toldy verfaßte eine Geschichte der ungarischen
Literatur, von den ältesten Zeiten beginnend; Paul Hunfalvy vertiefte
sich in mühsame Forschungen über die Sprache und Herkunft der
Magyaren; selbst Dichter und Belletristen, wie, Michael Vörösmarty,
Johann Arany, die Barone Jözsika und Eötvös, Moritz Jökay,
weckten durch anziehende Behandlung vaterländischer Begebenheiten
und Zustände den Sinn für ungarische Geschichte. Aber das Be
deutendstein diesem Fache haben L ad is laus Szalay und Dr. Michael
Horväth geleistet. Des erstem vortreffliche, bei aller Tiefe der Ge
danken und Kürze, des Ausdrucks doch verständlich und anmuthig ge
schriebene „Geschichte Ungarns" (2. Ausg., Pesth 1861 — 66) reicht
nur bis 1711, da der Verfasser leider 1865 starb, ehe er sie vollen
den konnte. Horväth's grosses Werk umfaßt in .vier und in zweiter
Auflage in sechs Bänden die gesammte Geschichte Ungarns; derselbe
veröffentlichte außerdem „Fünfundzwanzig Jahre, 1823 — 1848,
aus der Geschichte Ungarns," (2 Bde., Genf 1864; deutsch in
zwei Bänden, Leipzig 1867), und „Der Unabhängigkeitskampf
Vorrede. XVII
Ungarns von 1848 und 1849" (3 Bde., Genf 1865), überall sorg
fältig in Erforschung der Quellen, unparteiisch und freisinnig in der
Auffassung, ausführlich und anziehend in der Darstellung; ferner zwei
kürzere Handbücher der ungarischen Geschichte, von denen die „Kurz
gefaßte Geschichte Ungarns" in deutscher Uebersetzung erschien (2 Bde.,
Pesth 1863). Aber alle die umfassenden neuern Werke sind in unga
rischer Sprache geschrieben, daher den des Ungarischen unkundigen
Lesern nicht zugänglich. Von Szalay's „Geschichte Ungarns" erscheint
zwar jetzt in Pesth eine deutsche Uebersetzung, allein dieses Werk ist,
abgesehen davon daß es sich nicht bis auf die neuern Zeiten erstreckt,
doch hauptsächlich für Ungarn berechnet, die mit den heimischen Zu
ständen vertraut sind, denn es gibt über letztere nicht die Aufklärungen,
welche der Ausländer zum rechten Verständniß oft nicht entbehren
kann. Die deutsch geschriebene „Geschichte der Magyaren" des
Grafen Johann Majläth (Wien 1828 — 31; 2. Aufl., Regensburg
1852 — 53) endlich ist ein oberflächliches , ohne Beruf und Vater
landsliebe im Sinne einer gewissen Partei verfaßtes, die Dinge oft
absichtlich zum Nachtheil Ungarns entstellendes Buch, das viele falsche
Vorstellungen und Ansichten in Umlauf gesetzt hat und nur in Er
mangelung
Um soeines
mehrandern
hatte Verbreitung
ich also Ursache,
finden konnte.
eine deutsch verfaßte Ge
gut fühlte , wie schwierig und gewagt es sei , das Werk eines Mannes
von so ausgebreiteter historischer Kenntniß und so eigenthümlichem
GeisteAlswie
ichFeßler
zur Arbeit
umarbeiten
schrittund
undverbessern
immer tiefer
zu wollen.
in die Geschichten
Feßler's eindrang, kam ich bald zu der Ueberzeugung, daß weit mehr
nothwendig sei, als der ursprüngliche Plan voraussetzte, damit nicht
ein unleidliches Flickwerk voll innerer Widersprüche, sondern ein har
monisches Ganzes entstehe; ich sah ein, daß ich mich yon allen Fesseln
der Scheu losmachen und dem Werke die Gestalt geben müsse,
die es etwa erhalten würde, wenn Feßler jetzt, ausge
rüstet mit den heute zu Gebote stehenden Hülfsmitteln,
und unter dem Einflusse der politischen und socialen
Ideen Dader
hiernach
Gegenwart
die neue Ausgabe
schriebe.von dem Original nicht unwesent
Druck seines Werks begann , bis 1812. Da dieses Jahr aber in der Ge
schichte Ungarns keine bedeutende, die Zeit von 1791 — 1812 hin
gegen eine sehr wichtige und entscheidende Epoche bildet, und da
gerade der Zeitraum zwischen den genannten Jahren aus leicht er
klärlichen Ursachen von Feßler oberflächlich und mit großer Zurück
haltung behandelt ist: so schien es zweckmässig, die neue Ausgabe
mit dem
Die Jahre
von da
1791
an abzuschließen.
beginnende Erstarkung des Nationalgeistes, die
ä e i 6 ü o ü sind lang,
aj
aai eoj
oii ej
oei u=ö ai
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sind
ei
ei kurz
sind , gesondert,
als Diphthonge jedoch' ej nicht nach
deutscher
y ist Art
nur wie
am Ende
ai, sondern
der Familiennamen
wie ei auszusprechen;
Vocal und = i, sonst dient
Madjar,
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ny =
nicht
= etwa
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dem französischen
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in
in sagen
französischen
lassen,
nach
gi in ,njeu,
Segel
gießen;
in gens.
Mensch;
; ch ;
se1te
Vorwort von Michael Horväth v
Vorrede von Ernst Klein xv
Anleitung zur richtigen Aussprache der ungarischen Wörter und Namen xxi
Erstes Buch.
Das Land Ungarn; die Völker, die es vormals bewohnten. Der
Ungarn Herkunft und "Wanderungen. Die Zeit der Herzoge aus
Ärpäd's Stamme bis 997.
Erster Abschnitt.
I. Das Land Ungarn . 3
II. Summarischer Ueberblick der Völker, die das Land vor dem
Einzuge der Magyaren bewohnten.
1. Alte Völker 7
2. Erste Strömungen der Völkerwanderung 9
3. Gothen und Hunnen 10
4. Gepiden und Longobarden IG
5. Slawische Völkerschaften 17
6. Bulgaren und Avaren 19
III. Zustand des Landes nach der Vernichtung des Avarenreichs . 23
Großmährisches Reich 25
Zweiter Abschnitt.
Das Volk der Ungarn.
1. Abstammung und früherer Wohnsitz 31
2. Schicksale der Ungarn vor ihrem Einzug in ihr heutiges
Vaterland 46
Ärpäd 880 — 894 . , 50
Dritter Abschnitt.
Des ungarischen Reichs 1. Jahrhundert. Ungarn unter Herzogen.
1. Thaten und Begebenheiten.
Ärpäd 894 — 907 57
Zoltän 907 — 947 66
Taksony 947 — 972 72
Geiza 972 — 997 78
2. Lebensweise, Sitten, gesellschaftliche Verfassung, Religion
der Ungarn; Grenzen des Landes untep den Herzogen. , 84
xx1v Inhalt des ersten Bandes.
Erster Abschnitt.
Begründung der Monarchie und Einführung des Christenthums.
Stephan I. oder Heilige 997 — 1038.
1. Thaten und Begebenheiten 101
2. Staatseinrichtungen, kirchliche Zustände und 'Volksleben. 122
Zweiter Abschnitt.
Innere Wirren; die Unabhängigkeit des Reichs von Deutschland be
droht, aber gerettet. 1038 — 1077.
Peter und Samuel Aba, Thronanmaßer. 1038 — 1046 ... 147
Andreas I. 1046 — 1061 154
Bela 1061 — 1063 161
Salon1on 1063 — 1074 164
Geiza 1074 — 1077 171
Dritter Abschnitt.
Wiederherstellung des innern Friedens und fortschreitende Ent-
wickelung.
Ladislaus der Heilige. 1077 — 1095.
, 1. Aeußere Begebenheiten 174
2. Innere Zustände, Gesetze, Kirche und Volksleben von
1038 — 1095 183
Koloman. 1095 — 1114.
1. Aeußere Begebenheiten 194
2. Innere Zustände 211
Drittes Buch.
Die Ungarn unter Königen aus Arpäd's Stamme, von Stephan II.
bis auf die Ausstellung der Goldenen Bulle Andreas' II.
1114 — 1222.
Erster Abschnitt.
Thaten despotischer Willkür schwächen das königliche Ansehen und,
des Reiches Macht. 1114 — 1141.
1. Aeußere Begebenheiten.
Stephan II. 1114 — 1131 ......... 225
Bela II. oder Blinde, 1131 — 1141 236
2. Innere Zustände. 1114—1141 241
Zweiter Abschnitt.
Byzantinischer Einfluß stiftet Verwirrung und gefährdet Ungarns
Unabhängigkeit. 1141 — 1196.
1. Aeußere Begebenheiten.
Geiza II. 1141 — 1161 247
Stephan III. — Ladislaus II. und Stephan IV. Gegen
könige. 1161 — 1172 260
Bela III. 1173 — 1196 ... 269
2. Innere Zustände. 1141 — 1196 277
Inhalt des ersten Bandes. zxv
seite
Dritter Abschnitt.
Vorherrschender Einfluß des Papstes; Uebermacht der Oligarchie;
endliche Erhebung des Volks gegen dieselbe. 1196 — 1222.
1. Aeußere Begebenheiten,
Emerich und Ladislaus III. 1196 — 1205 .... 292
Andreas II. 1205—1222 '. 306
2. Innere Zustände. 1196 — 1222 325
Viertes Buch.
Ungarn unter Königen aus Ärpäd's Stamme, von der Ausstellung
der Goldenen Bulle bis zum Erlöschen des ärpädischen Hauses,
von Andreas' II. bis Andreas' III. 1222 — 1301.
Erster Abschnitt.
Kampf mit der Oligarchie und mit wilden Völkern. 1222 — 1242.
1. Aeußere Begebenheiten.
Andreas II. 1222 — 1235 339
Bela IV. 1235 — 1242 ......... 351
2. Innere Zustände. Von der Abfassung der Goldenen Bulle
bis zum Einfall der Mongolen. 1222 — 1242 ... 378
Zweiter Abschnitt.
Wiederherstellung des Reichs; äußere Kriege und innere Unruhen;
Auflösung der bisherigen bürgerlichen Verhältnisse. 1242 — 1301.
1. Aeußere Begebenheiten. Vom Abzuge der Mongolen bis.
zum Tode Bela's IV. 1242 — 1270 386
Stephan V. 1270 — 1272 415
Ladislaus IV. oder der Kumane. 1272—1290 ... 422
Andreas III. 1290 — 1301 442
Ungarns Nebenländer und deren Verhältniß zum Reiche
unter den Arpäden 459
2. Innere Zustände unter den letzten Arpaden, theils von
1241, theils von 1222.-1301 470
Erstes
Das Land Ungarn ; die Völker, Buch.
die es vormals bewohnten.
Der Ungarn
Herzoge
Herkunft
aus Arpäd's
und
r Wanderungen.
Stamme bis 997.
Die Zeit der
Feßlu. I.
Erster Abschnitt.
I. DasUngarn
Das jetzige Königreich Land Ungarn.
liegt im Südosten Europas und brei
tet sich von 44° 9' bis 49° 38' nördl. Br., und von 32° 4' bis 44°
16' östl. L. von Ferro aus; doch so, daß es im Süden an Breite zu
nimmt und sein äußerster Südwesten als schmaler Küstenstrich sich
noch Es
umbesteht
2 ° tiefer
auserstreckt.
Ungarn im engern Sinn und aus dessen Nebenländern.
durch die Karpaten von der ungeheuern Fläche geschieden wird, die
den Osten Europas einnimmt und weithin nach Asien reicht; im Süden
aber und Westen umschließen es die Vorgebirge des Balkan und der
Alpen. Dieses Becken wird . im eigentlichen Ungarn durch hinein
ragende Gebirge in zwei ungleiche Hälften getheilt, in die kleinere
nordwestliche und in die größere östliche. Die erstere erstreckt sich auf
4 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
beidenhinein;
reich Seiten die
der zweite
hier gegen
aber Osten
von den
fließenden
östlichen Donau
Karpaten
bis über
nach die
Oester-
nun
mit der Theiß fast parallel südwärts strömende Donau hinüber, bis an
die serbischen Gebirge und an die westlichen Ausläufer der Alpen. Weil
sie von der Theiß durchschnitten wird, führt sie gewöhnlich den Namen
der Theißebeiie.
Ungarns größtes Gebirge sind die Karpaten. Ihre Hauptkette, au
dem Ufer der Donau bei Presburg beginnend und, wie schon gesagt, des
Landes nördliche Grenze bildend, zieht sich in wechselnder Höhe von
Westen nach Osten und wendet sich sodann nach Süden; die größte
Höhe erreicht sie in den Gespanschaften Liptau und Zipsen, wo sie
unter dem Namen der Tatra ihre kahlen, über 8000 Fuss hohen, furcht
bar zerrissenen Felsengipfel bis an die Schneelinie emporstreckt; die
größte
ImAusdehnung
engern Ungarn,
aber gewinnt
von diesem
sie Hauptstocke
in Siebenbürgen.
ausgehend, ihm bald
heit des ungarischen Gebiets den mächtigsten Einfluß auf die Lebens
weise, Sitten und Schicksale aller der Völkerschaften, die es im Laufe
der Zeit bewohnten. Sobald sie sich der ersten Roheit entrissen hatten,
wies ihnen die Natur selbst die Beschäftigungen an, denen sie sich wid
meten. Die Gebirge luden ein, nach den Schätzen zu graben, die sie in
ihrem Schose bergen, das Hügelland mit seiner mäßigen Fruchtbarkeit
nöthigte, durch Gewerbe zu ersetzen, was es weniger gab; die der
Ueberschwemmung ausgesetzten Niederungen und sandigen Steppen em
pfahlen sich zur Viehzucht; der reiche Boden des trockenen Tieflandes
lohnte die Mühe des Landwirths zu sehr, als daß dieser sich andern
Beschäftigungen hätte hingeben sollen. Darum finden wir, abgesehen
von andern Ursachen, die hier zu erörtern zu weit führen würde, in
dem Berg- und Hügelland mehr Gewerb- und Kuastfleiß, in den Ebe
nen aber fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht. In den Thälern,
an rieselnden Bächen sammeln sich hier und da einige Familien und
gründen Dörfchen, um das kleine Feld zwischen und an den Bergen zu
bauen. Diese Berge trennen die Menschen, sodaß sich oft schon in
geringer Entfernung bedeutende Abweichungen in Sprache und Sitten
zeigen.
1 Hunfalvy,
In den Flächen
Beschreibung
des Tieflandes
der natürlichen
hingegen,
Bodenverhältnisse
wo das Augedes
in weite
unga
zeit bewohnten, gibt uns die Geschichte nur wenig Nachrichten, und
auch kein Denkmal, das sie gestiftet, überlieferte das Gedächtniß ihres
Daseins und Wirkens den kommenden Geschlechtern. Denn sie verloren
durah der Römer Schwert ihre Freiheit und Nationalität, als sie eben
die ersten
Das Land
Schritte
östlich
auf der
vomBahn
Adriatischen
zu höherer
Meere
Civilisation
führte seit
thaten.
den ältesten
Zeiten den Namen Illyrien. Der südliche Theil der Küste (lllyriacum
graecum , das heutige Albanien) war von Thraziern bewohnt und gerieth
zu gleicher Zeit mit Macedonien, dem es schon früher einverleibt war,
unter römische Herrschaft. Der nördliche Theil (lllyricum barbarum)
erstreckte sich von dem Flusse Arsa bis an die Drina, hatte eine aus
Thraziern und Celten gemischte Bevölkerung, die Japyden, Liburner und
Dalmater, behauptete zwar seine Unabhängigkeit gegen Macedonien,
wurde aber in demselben Jahre, wie dieses, 167 v. Chr., von den Rö
mern bezwungen. 1 Das innere, von Thraziern bewohnte Illyrien er
oberte
1Das
Livius,
Augustus
Land,
Dec.welches
35
V, v.Lib.
Chr.
die
5. 2Donau
PlutarchiminNorden
Aemiliusund
Paullus,
Osten II.
, die
— Save
' Appia-
im
Süden und die norischen Alpen im Westen begrenzen, hieß bei Griechen
und Römern Pannonien. Auch hier wohnten thrazische Völkerschaften,
mit Celten, besonders im Norden und Westen, vermischt. Als Augu-
stus die Illyrier bekriegte, machte er auch nach Pannonien Einfälle, doch
erst Tiberius, der nachmalige Kaiser, vollbrachte von 6 — 4 v. Chr. die
Eroberung desselben. 1 Was die Römer überall thaten, um die über
wundenen Völker im Zaume zu halten und mit dem Reiche zu verschmel
zen , das brachten sie auch hier in Anwendung; befestigte Lagerplätze
wurden errichtet, Colonien angelegt, römische Sitte und Sprache ver
breitet. Bald schmückten blühende Städte das Land , wie Singidunum
(Belgrad), Taurunum (Semlin), Mursa (Eszek), Sirmium (bei Mitrowitz),
Carnuntum (Petronell), Sabaria (Steinamanger), Sigambria und Aquin-
tum (Altofen) u. s. w. Doch die Kraft des Volks war mit dem Unter
gang Imseiner
Nordwesten
Selbständigkeit
der Donau
undsaßen,
Eigenthümlichkeit
seit einiges Licht
gebrochen.
aufdiese Gegenden
und Orbelus, dem Skardus und der Drina lag Mösien, von den Griechen
auch Mysien genannt; es wurde in zwei Hälften getheilt, von denen die
nstliche, Niedermösien, dem heutigen Bulgarien, die westliche, Ober-
1 In Gibbon, History of the deoline and fall of the Roman empire (Lon
don 1782), findet man eine erschöpfende und hochst geistreiche Darstellung
der Völkerwanderung. Vgl. auch v. Wietersheim , Geschichte der Völker
wanderung (Leipzig 1853—64). — 2 Capit. Aurel. , 17. Xiphilinus, LXXI, 3 fg.
— 3 Zozimns ,1,48 fg.
10 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
Gothico, im Corpus historiae byzantinae (Paris 1848), und bei Stritter, Me-
moriae populorum olim ad Danubium, Pontum Euxinum, mare Caspium et
inde magis ad septemtrionem iucolentium e scriptoribus historiae byzantinae
erutae et digostae (Petersburg 1771—79). Ein höchst gelehrtes, mit außer
ordentlichem Fleiße gesammeltes Werk.
Gothen und Hunnen. 11
gestützt, die Meinung auf, daß die Hunnen ein Zweig der einst im Nor
den Ostasiens so mächtigen Hiongnu sind, der, als diese von den Chi
nesen um 93 n. Chr. bezwungen wurden, freiheitsstolz gegen Westen
wanderte und erst nach beinahe zweihundert Jahren jenseit des Imaus
aus den Augen der Chinesen entschwand. 1 Auch Neumann erklärt die
Hiongnu geradezu für die Hunnen des Westens und gibt den Weg an,
den sie aus Mittelasien an die Wolga zurücklegten. 2 Sollte diese An
sicht die wahre sein, so hätten die Hunnen zu den mongolischen Völ
kern gehört, die den Nordosten Asiens einnahmen. Allein der Zusam
menhang der Hunnen mit diesen Hiongnu lässt sich geschichtlich nicht
erweisen. Amadeus Thierry lässt die Hunnen auch aus dem nördlichen
Ostasien gegen Südwesten vordringen und bestimmt ihre Nationalität,
indem er nicht hinauf zu den Vorfahren, sondern hinab zu den Nach
kommen steigt. Er nimmt nämlich an , daß die Ungarn von den Hun
nen abstammen. 3 Für diese Ansicht spricht die Ueberlieferung der
Ungarn selbst: sie hielten sich bis auf die neuern Zeiten mit fester
"Ueberzeugung für Nachkommen der Hunnen und wurden dafür auch
von andern Völkern gehalten. Wäre dem wirklich so, dann müsste
nothwendig auch die Frage über die Herkunft der Hunnen entschieden
sein, sobald wir jene der Ungarn entdeckt haben. Vielleicht wird uns
dieses weiter unten gelingen; vorläufig, um Wiederholungen zu ver
meiden, begnügen wir uns damit, daß auch die Hunnen unleugbar eine
der nomadischen Völkerschaften Hochasiens waren, welche von den
Griechen und Römern Scythen genannt werden und mit diesen Lebens
weise und Sitten gemein hatten. Ohne bleibende Wohnung, kannten
sie den Ackerbau fast gar nicht, zogen mit ihren Heerden von einem
Ort zum andern, und nährten sich hauptsächlich von Milch und Fleisch.
Abgehärtet zu jeder Anstrengung, Entbehrung und Mühsal, auf ihren
Rossen dahinjagend, mit Bogen, Lanze und Schwert bewaffnet, stürz
ten sie auf den Feind und überschwemmten mit wunderbarer Schnellig
keit weite Länder. Daß sie dabei wild und grausam waren, wer wollte
es leugnen? Aber so viel ist auch gewiss, daß Schreck und Haß ihnen
die Gestalt von teuflischen Unholden gegeben hat, in der sie die Zeit
genossen
Dieseerblickten.
Hunnen waren also an der Wolga angekommen und setzten
375 unter Balamir's Anführung hinüber. Hier stießen sie zuerst auf die
Alanen, ein weitgebietendes altaisches Nomadenvolk, das aber wahr
scheinlich mit deutschen und slawischen Stämmen sich vermischt hatte,
schlugen und zwangen sie zur Vereinigung. 4 So verstärkt, stürzen sie
auf die Ostgothen. Hermanrich, über hundert Jahre alt, dazu schwer
verwundet, verzweifelt an der Möglichkeit, dem hereinbrechenden Ver
derben
1 Guignes,
zu widerstehen,
Histoire und
gener.
gibtdes
sichHuns,
den Tod.
des Turcs,
Sein Nachfolger,
des Mogols et
Vithi-
des
ken Seite der Donau nieder, besetzten noch einige benachbarte Gegen
den Pannoniens und bezogen von den Römern einen jährlichen Tribut
von funfzehn Pfund Gold, unter dem Namen eines Geschenks, der die
Schmach derer , die sich die Herren der Welt nannten, verdecken sollte.
Auch sie wurden von den Römern haufenweise in Sold genommen. So
saßen sie fast ein Menschenalter hindurch und vergeudeten ihre Kraft
in unrühmlichen Raubzügen oder im Dienste der Römer und selbst ihrer
besiegten
DochFeinde,
kaum warderTheodosius
Gothen. der Große 395 gestorben, so brachen zwi
schen den Römern und Gothen Feindseligkeiten und bald offener Krieg
von neuem aus. Die Gothen wählten 398 den Balthen Alarich zu ihrem
König, verließen das verwüstete Mösien und Thrazien, und zogen durch
Macedonien,
1 Ammianus
Griechenland
Marcellinus :und
„Ita
Ulyrien
turbidounter
instantium
furchtbaren
studio Verheerungen
orbis Romani
pernicies ducebatur."
Gothen und Hunnen. Alarich. 13
nach Italien, wo sie zwar 403 besiegt worden, aber dennoch hohe Jahr
gelder erpreßten. Sechs Jahre darauf, 409 , eroberte und plünderte
Alarich Kon1.
Zu derselben Zeit erwachten auch die Hunnen zu neuer Thätigkeit
und erhoben sich in wenigen Jahren zu einer furchtbaren Macht, welche
die Welt erschütterte. Ihre Häupter, die von den römischen Schrift
stellern genannt werden, scheinen bisher blos Anführer einzelner Ab
theilungen oder Stämme gewesen zu sein; jetzt vereinigte Rua oder Ru-
gilas die ganze Nation unter seiner Herrschaft. Doch beschränkten sich
seine Thaten auf die Erwerbung Pannoniens, auf die Plünderung römi
scher Provinzen und auf die Erpressung eines Jahrgeldes von 350 Pfund
Goldes, das ihm die römischen Reiche zahlen mussten. Nach seinem
Tode 433 kam die Herrschaft an Attila und Bleda, seine Neffen, Mund-
zuk's In
(andere
den Donauländern
nennen ihn Bendegdz)
und weit nach
Söhne.
Norden und Osten , in Europa
roher Pracht mit dem Raube der Nationen geschmückt, umgeben von
den Häusern seiner Großen und von den Zelten und Hütten seiner Krie
ger. 1 Dahin kamen die Abgesandten beider Kaiser über die Schutt
haufen und Trümmer ihrer Städte, durch die in menschenleere Einöden
verwandelten Länder, um durch Schmeicheleien, überreiche Geschenke
und Demüthigungen seinen Zorn zu besänftigen und trügerische Waffen
stillstände zu erbetteln. Selbst der Verlust der schrecklichen Völker
schlacht in den catalaunischen Feldern 451 konnte seinen Muth und
seine Macht nicht brechen. Die römischen Reiche, besonders das west
liche, standen am Untergange; die Weltherrschaft mußte bald errungen
sein : da starb er 454 im Brautgemach der schönen Ildiko, und nach sei
nem Tode ging das ungeheuere Reich in Trümmer; denn durch die
furchtbare Kraft eines einzigen, auf die Gewalt der Waffen, nicht auf
Weisheit und Recht gebaut', mußte es auseinanderfallen , sobald es die
Hand des Gewaltigen nicht mehr zusammenzwang. 2
Die vielen Söhne Attila's entzweiten sich , indem jeder nach der
Herrschaft strebte; die hunnischen Stämme zerfielen in Parteien und die
Auskunft, welche ihnen endlich beliebte, das Reich durch das Los zu
theilen, misfiel, als entehrend, den übrigen Völkern. Da ersahen die
Unterjochten den Augenblick der Freiheit und Rache. Arderich, der
Gepiden König, mit ihm die ostgothischen Brüder, Walamir, Theodomir
und Widemir, und andere Häupter griffen zu den Waffen. Ellak, At
tila's Erstgeborener, fiel mit 30000 Hunnen in der Schlacht 3; seine Brü
der Dengesik und Irnak flüchteten sich mit den Trümmern des Volks an
die Küsten des Schwarzen Meers. Der erstere wagte 455 vergebens
noch einen Feldzug gegen die Gothen ; er wurde abermals geschlagen. 4
Später 469 verlor er im Kampfe gegen die Römer das Leben und sein
Haupt wurde in Konstantinopel zur Schau umhergetragen. 6 Irnak
gründete mit den Ueberresten der Nation am Euxinischen Pontus und
an dem Mäotischen See ein Reich, das aber nie zu grösserer Macht
emporstieg. Später erscheinen die Hunnen unter dem Namen der Ku-
turguren oder Kutriguren westlich und der Uturguren oder Utriguren
östlich vom Don, die häufig Einfälle in das römische Gebiet thaten,
aber auch gegeneinander kriegten, bis sie von den Avaren unterjocht
wurden, worauf sie sich unter andere Völkerschaften spurlos verloren.6
Unterdessen theilten die Sieger das Land, aus welchem sie die Hun
ufer,
nen vertrieben
hinauf zu hatten,
beiden Seiten
unter sich.
der Theiß,
Das alte
behielten
Daciendieam
GepMen,
linken Douau-
die ihr
nonien auf der linken Seite der obern Donau umfaßte, nahm nach sei
nes ersten Königs Flacitheus Tode ein schnelles Ende. Auf seinem Sohn
und Nachfolger Feletheus haftete der Verdacht des Brudermordes. Odoa-
ker, vormals Anführer der barbarischen Hülfstruppen , der aber schon
476 dem weströmischen Reiche den Untergang bereitet und sich zum
Beherrscher Italiens und einiger von demselben noch nicht losgerissener
Gebiete aufgeworfen hatte, zog herbei, das Verbrechen zu bestrafen,
487, besiegte in der Schlacht den Feletheus und führte ihn nach Italien. Des
sen Sohn Friedrich ward nun König; da er aber, den Eingebungen der
Rachsucht mehr als der Klugheit gehorchend, Noricum feindlich ver
heerte, vertrieb Odoaker auch ihn. Hierauf wurden die Rugier zer
streut, Rugiland entvölkert, und auch die Bewohner römischer Abkunft,
die sich aus Noricum und Pannonien nach Lorch geflüchtet hatten, ihrem
Wunsche
Dagegen
gemäßerhob
nachsich
Italien
das Reich
versetzt.
der 2Ostgothen in Pannonien zu gro
suchen. Sie trotzten dem Hunger, 489, schlugen nieder, was sich ihnen
entgegenstellte, überwanden in langwierigem Kriege Odoakern und
gründeten das große ostgothische Reich, das sich auch über einen
Theil Pannoniens erstreckte. 1
1.
Das Reich der 4. Gepiden
Gepiden und Longobarden.
breitete sich nach Abzug der Ostgothen
bald auch über größere Theile Pannoniens aus urrd blühte 1 10 Jahre.
Sie lebten in Frieden mit dem östlichen Kaiserreiche und bezogen Jahr
gelder unter der Verpflichtung die Grenzen zu schützen. Doch be
kamen sie bald gefährliche Nachbaren. Die Longobarden waren näm
lich in das entvölkerte Rugilan.d eingerückt, zogen sich immer mehr ost
wärts in die weiten Ebenen zwischen der Donau und der Theiß, und
endlich räumte ihnen Kaiser Justinian, 548, auch noch einen beträchtlichen
Theil des ehemals gothischen Pannoniens ein. 2 Die Eifersucht der
beiden Völker wurde immer heftiger, bis sie endlich einander feindlich
gegenüberstanden. Allein beide hielten sich für zu schwach und gingen
549 einen Waffenstillstand auf zwei Jahre ein, um Bundesgenossen zu wer
ben. Nach Ablauf der Frist begannen sie den Krieg wieder, der noch
mals durch Justinian's Vermittelung beigelegt wurde. 3 Endlich kam
es zum Entscheidungskampf. Alboin, der Longobarden König, um sich
gegen Kunimund, König der Gepiden, dessen Tochter, Rosamunde, er
entführt hatte, zu verstärken, rief Bajan, de<^Avarenkhan, zu Hülfe,
versprach ihm dafür den zehnten Theil alles Viehes, das die Longobarden
besaßen, die Hälfte der zu gewinnenden Beute und das ganze Land der
Gepiden. Das Bündniß wurde geschlossen, der Krieg begann. In der
Schlacht siegten die Verbündeten vollständig. Alboin erschlug mit
eigener Hand den Kunimund, dessen Schädel er sodann bei Festgelagen
als Becher gebrauchte; der größte Theil des Volks unterwarf sich 567
Bajan's
Doch
barbarischer
schon dasHerrschaft.
Jahr darauf
4 wurden die Longobarden von dem
Feldherrn Narses, der sich von Kaiser Justinus II. schwer beleidigt
fühlte, zum Raube Italiens aufgefordert. Sie waren bereit , dieser Ein
ladung zu folgen; um sich aber für alle Fälle sicher zu stellen, räumten
sie ihr Land ihren alten Bundesgenossen, den Avaren, mit dem Vor
behalt ein, es friedlich wieder zurückzuerhalten, wenn ihnen die Erobe
rung Italiens mislingen, oder das neue Land nicht gefallen sollte. Hier
auf steckten sie ihre Wohnungen in Brand, 568, zogen ab, eroberten die
herrliche Gegend Italiens, die noch heute von ihnen Lombardei heißt,
und ließen
Auf diese
sich Avaren
dort bleibend
und andere
nieder. altaische
PannonienStämme,
behielten
welche
die Avaren.
bei den5
allgemeinen
1 Jemandes,
Hin-De
und
rebus
Herwogen
Geticis, c.
der57.Völker
59. Cassiodorus
in die dacischen
Variarum,
und
LXII,
panno-
und
. 5. Slawische
Die alten Griechen Völkerschaften.
und Römer hatten von 1 dem großen Völker
stamme der Slawen fast keine Kunde, oder wußten sie wenigstens nicht
von den Scythen und Sarmaten genauer zu unterscheiden. So be
fanden sich unter den vielen Völkerschaften im Norden des Schwarzen
Meers, des Kaukasus und am Kaspischen See, die Herodot 2 nennt und
deren Sitten er beschreibt, unstreitig auch slawische; Schafarik führt
geradezu den Beweis, daß die Neuren und Budinen 3 Slawen waren,
wie unter jenen, durch welche die „zehntausend Griechen" zogen.4
Auch mögen wir in den Venetern des Tacitus 6 die Wenden und in
andern Völkerschaften, von denen er zweifelt, ob sie zu den Germanen
oder Sarmaten zu zählen seien, slawische vermuthen, da sie die Ge
genden hewohnen, wo die Ursilze des Völkerstammes liegen. Aber
nirgend finden wir über denselben deutliche und bestimmte Nachrichten.
Denn diese alten Ursitze der Slawen, im Norden der Karpaten bis
an das Eismeer, von der Weichsel bis zum Don hin nach Osten, lagen
den Griechen und Römern zu ferne und waren durch andere, da-
zwischenstehende Nationen ihnen unzugänglich ; die Slawen selbst aber
blieben ruhig in ihren Wohnplätzen , ohne weite Wanderungen und
Kriegszüge zu unternehmen. Erst als die allgemeine Völkerströmung
begann, geriethen auch sie in Bewegung; getrieben und treibend rück
ten sie in die von den Deutschen verlassenen Länder ein; beson
ders der Zug der Gothen, zuvörderst an die Mündungen der Weichsel
und dann bis zu jenen des Dnieprs, nöthigte viele slawische Stämme
auszuweichen oder mitzuziehen, eine neue Heimat zu suchen oder sich zu
unterwerfen. So. gehorchte ein großer Theil der Slawenwelt dem ge
waltigen Ostgothenkönig Hermanrich, und als dessen weites Reich von
den Hunnen zertrümmert wurde, mußten auch sie dem furchtbaren
AttilaDiese
dienen,
bisher
bis sein
wenig
Todgekannten
sie aus dem
Slawen
Joche wurden
befreite.zu6 Anfang des C.
Daher überließ ihnen Justinian 540 das östliche Dacien von Sieben
bürgen bis zum Schwarzen Meere und bewilligte ihnen Jahrgclder unte1
der Bedingung, daß sie andere Barbaren von Einfallen in das Reich
abhalten und seine Oberhoheit anerkennen sollten. 1 Hier wohnten sie
nun unter thrazischen und hunnischen Völkerschaften, die ihnen theils
unterthänig , theils ihre Bundesgenossen oder Feinde waren , und
mit denen sie gemeinschaftlich fortfuhren, das byzantinische Gebiet zu
plündern.
Schon früher, um 450, waren Slawen aus den nördlich von den
der Save bis gegen Vimiacum (Widdin) waren bereits verödet und nur
schwach von den Avaren besetzt, daher wies ihnen Heraklius diese
Wohnsitze an. Sie zogen hin und verjagten nach mehrern glücklichen
Gefechten die Avaren, worauf sich die Chrowaten im westlichen, die
Serbier aber im östlichen Theile des Landes niederließen, diesen die
Namen Kroatiens und Serbiens gaben 1 und sich nach und nach immer
weiterInausbreiteten.
solcher Weise erhielt das weite Gebiet im Norden des Hämus
6. Bulgaren
Kaum war der furchtbare und Avaren. verbraust, so ergossen
Hunnensturm
geschichte
1 Constantin,
eine soPorphyrogen.
wichtige Rolle
de administrando
spielen, sind
Imperio,
abermals
c. 30—32.
ein Beispiel,
Theo-
phanes und Nicephorus bei Stritter, Tom. II, Part. I, 74. — 2 Nestor bei
Schlözer, II, 113. Thunmann, Geschichte der östlichen Völker, S. 35. Virien
St. Martin, Nouvelles annales de voyages, 1850, Aprilheft, S. 26. — 3 Theo-
phanes, Cedrenus, Zonaras, bei Stritter, Memoriae, Tom. II, Part. II, 496 sq.
20 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
stinian und trug ihm die Kriegsdienste seines Volks an gegen angemes
sene Wohnsitze und Jahrgelder. Justinian schloß mit dem Unbekann
ten, der bald der Schrecken seines Reichs werden sollte, einen Vertrag,
kraft dessen sich dieser verpflichtete, die dem Reiche gefährlichen Na
tionen am Mäotis und Pontus sogleich zu bekriegen. Soeben waren
die Hunnenstämme der Katruguren und Utruguren, durch die arg
listige Politik des Kaisers entzweit, in einem Vertilgungskrieg miteinander
begriffen; Bajan schlug beide und zwang sie zur Unterwerfung. Hier
auf überwand er die Zaler und sabirischen Chazaren, brach die Macht
der Anten in zweimaligem Kriege für immer, nöthigte die Bulgaren zur
Vereinigung und gelangte kämpfend und siegend an die Donau. Jetzt,
562, erneuerte er die Ansprüche auf Land, Geschenke und Jahrgelder.
Der Kaiser konnte es nicht abwehren, daß die Avaren das Gebiet zwi
schen dem Dniestr und Pruth, das sie bereits erobert hatten, auch be
hielten
Hierauf
und alle
wandte
die überwundenen
sich Bajan aufVölker
uns unbekannten
beherrschten.Wegen 563 nach
Kriegsbuud
1 Theophylaktus,
mit den Simocatta,
Longobarden
Theophanes,
neuen Zuwachs
Menander erhielt;
bei Stritter,
wieI, sie
643mit
fg.
— 2 Panllns Diacon., II, 10. Grego1ii Turot1. Hist. Francoru1u, IV, 23, 29.
Menander bei Stritter, I, 6C0 fg.
Bulgaren und Avaren. 21
verlangte er vom Kaiser Mauritius einen Elefanten und schickte ihn wieder
zurück, dann ein goldenes Ruhebett und erklärte, als er ein prächtiges er
hielt, dieses sei zu schlecht; forderte ein Jahrgeld von 80000 Goldstücken und,
als sie ihn bewilligt wurden, noch 20000. Stritter, I, t)80—,687. — 3 Paul-
lus Diaeon., IV, 29. — * Theophanes, Nicephori Chronicon paschale, bei
Stritter, I, 745 fg.
22 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
*
Flüchtlinge einzeln in Baiern vertheilte und in einer Nacht ermorden
ließ. Nur Altitz mit 700 Personen entging der fränkischen Vesper und
rettete sich in die windische Mark. l Ungeachtet dieser Niederlage
kehrten die Bulgaren, nicht mehr zum Gehorsam zurück. Ihr Khan
Kuvrat riß sich 635 völlig von den Avaren los und begab sich unter
byzantinische Oberhoheit. * Von .nun an blieben beide Völker nicht
nur getrennt, sondern geriethen auch oft in Feindseligkeiten. Bios
einer von Kuvrat's Söhnen verließ nach des Vaters Tod mit einem
Theil der Bulgaren die Heimat an den Donaumündungen, zog zu den
Avaren und erhielt unter ihrer Oberhoheit von ihnen ' ein Gebiet zwi
schenEin
der anderer
Donau und
SohnTheiß.
Kuvrat's,
3 Asparuch, ließ sich zuerst am Ingul,
zwischen dem Dniestr und Dniepr, in einer von Bergen und Sümpfen
umschlossenen Gegend nieder. 4 Aber bedroht von den näher rücken
den Chazaren zog er 678 mit seinem Volke an die nördliche Küste des
Schwarzen Meers. Von hier machte er Streifzüge nach Thrazien, die
ihm reiche Beute gewährten, setzte sich endlich 679 nördlich vom Hämus
in Niedermösien fest 5 und gründete in dem Lande, das auch heute
noch Bulgarien heißt, ein selbständiges Reich, welches unter mancherlei
Wechsel von Macht und Schwäche bis auf die osmanische Zeit fort
bestand. Die Bulgaren vermischten sich aber nach und nach mit den
weit zahlreichern slawischen Bewohnern des Landes , nahmen deren
Sprache
So geschwächt
an und verloren
und ihre
eingeengt
Nationalität.
behaupteten sich die Avaren noch
länger als ein Jahrhundert in Pannonien und ließen nicht ab, so oft
sich Gelegenheit darbot, die benachbarten Länder zu plündern. Aber
die Tage ihres Reichs waren gezählt, als Karl d. Gr. 771 den frän
kischen Thron bestieg. Sie selbst brachen den Frieden, den sie durch
Abgesandte 782 mit Karl feierlich geschlossen hatten 6; denn sie
ließen sich in ein Bünduiß mit dem Herzog von Baiern Thassilo II. ein,
der sich gegen die fränkische Oberherrlichkeit auflehnte, und leisteten
ihm Hülfe. Auch als dieser bereits überwunden, auf dem Reichstage
zu Ingelheim 788 seines Herzogthums entsetzt und, zum Tode ver-
urtheilt, von Karl jedoch begnadigt und in ein Kloster gesperrt worden
war, wagten sie es, in die fränkischen Länder mit zwei Heeren ein
zufallen, und erlitten eine schwere Niederlage. 7 Zu diesen Feindselig
keiten kamen noch Grenzstreitigkeiten, welche die Erbitterung steiger
ten. 8 Karl, der zu jedem Kriege bereit war, sobald es darauf an
kam, das Christenthum und unter dessen Namen auch seine Herrschaft
auszubreiten, beschloß nun den Vertilgungskrieg gegen die Avaren zu
erheben. Große Rüstungen wurden in dem weiten Reiche gemacht,
Bundesgenossen
1 Fredegarn Chronicon,
geworben, c.der
68 Muth
u. 71. des
Regino
gewaltigen
ad annum
Heeres,
IX Dagoberti.
das sich
stört, die Blüte der Nation gefallen; die Gefangenen wurden großen
theils nach Baiern geführt; viele, die dem Schwerte und der Gefangen
schaft entrinnen konnten, flüchteten zu den Bulgaren zwischen der Donau
und Theiß; die übrigen unterwarfen sich sanIInt ihren Häuptlingen der
fränkischen Herrschaft. So endete das avarische Reich im zweihundert-
III. DerZustand
einundvierzigsten
westliche des
Jahre
TheilLandes
Avarenreichs.
seiner
Avariens nach
Entstehung. der Vernichtung
erhielt 4wieder des
seinen alten Namen
Pannonien, wurde eine Provinz des großen fränkischen Reichs und unter
Markgrafen gestellt, denen auch die Fürsten der Slawen, die schon in
Pannonien wohnten oder sich später niederließen, untergeordnet wa
ren. 6 Ihnen gehorchten auch die Avarenkhane Zodan, Theodor u. A.,
denen zum Lohn dafür, daß sie sich unterworfen und die Taufe ge
nommen hatten, die Scheinherrschaft über einige Ländereien überlassen
wurde.
1 Regino ad annum
. , 791. Caroli M. epist. ad Fastradam bei du Chesne,
II, 287. — 2 Eginhardi Annales Franc, bei Pertz, I, 177. — 3 Annales Lau-
reshamcmses bei Pertz, I, 182. — * Eginhardi Vita Caroli M. u. Annales
Franc, a. a. O. Annales Laureshamenses ad annos cit. — 5 Anonymi histo-
ria conversionis Carantanorum , bei Salagius, IV, 14; auch bei du Chesne,
II, 280.
24 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
Aber Zerstören ist leichter als Gründen. Das Land war durch
die langwierigen und blutigen Kriege zur völligen men chenleeren Ein
öde geworden. Eginhard ruft aus: „Wie viel Blut im Avarenkriege
geflossen sei, davon zeugt Pannonien, das keine Einwohner mehrhat,
und der Sitz der Avarenfürsten, der so wüste geworden ist, daß da
nicht einmal eine Spur menschlicher Wohnungen angetroffen wird." 1
Aeußerst schwer hielt es Pflanzbjirger herbeizuziehen, und ehe Karl nur
einigermaßen herstellen konnte, was er zertrümmert hatte, starb er 814,
auf seine Nachkommen wol seine Länder, aber nicht seinen Geist ver
erbend. Neue Bewegungen, neue Kriege begannen auf dem schon seit
Jahrhunderten
Noch während
mit Blut
des getränkten
Kriegs drangen
Boden.die Südslawen aus Dalmatien
gegebenen Art geordnet wurde, machten nördlich der Donau und öst
lich der Theiß noch einige avarische Parteihäupter einander die Herr
schaft streitig. Die erstem wurden von den Marahnenslawen ihres
Gebiets beraubt und vertrieben, die andern von dem Bulgarenfürsten
Krumm oder Kremm überwältigt, der nun, von Karl ungehindert, sein
Gebiet diesseit und jenseit der Theiß ausbreitete und die Ueberreste
der Avaren durch schonende und freundliehe Behandlung für sich ge
wann. 4 Ungeachtet dieses Bulgarengebiet unter der Oberhoheit der
Avaren gestanden hatte, war es doch fortwährend mit dem Hauptreiche
südlich
1 Eginhavdi
der Donau
VitaimCaroli
altenM.Mösien
: „Quotin proelia
Verbindung
in bellogeblieben
Avarico ,gesta,
und beide
quan-
tum sanguinis effusum sit, testatur vacua omni habitatore Pannonia, et locus,
in quo regia kagani erat, ita desertus, ut nee vestigium quidem in eo humanae
babitationis appareat." — 2 Constantinus ,de administrando imperio bei Strit
ter, Tom. II, Part. I, 393 — 396. — 3 Eginhardi Annales ad annum 806 u.
Vita Caroli M. Annales Mettenses. Pray, Annales Hunnor., S. 288. — * Sui-
das, Eclog. histor. de rebus Byzantinis bei Stritter, Tom. II, Part. II, 562.
Großmährisches Reich. 25
schlossen sich nun, da die Herrschaft der Avaren ein Ende genommen
hatte, noch fester aneinander. Daher geschah es, daß die musischen
Bulgaren zu Anfang des 9. Jahrhunderts Krumm zu ihrem Beherrscher
wählten. Und er rechtfertigte die Wahl seines Volks als Regent und
Krieger; unter ihm erhob sich dasselbe zur höchsten Stufe der Macht;
keiner seiner Vorgänger und keiner seiner Nachfolger war den Byzan
tinern so furchtbar wie er. Das bulgarische Vasallenreich an der Theiß
bestand
Außer
fort diesem
bis auf begannen
den Einzug
sichdervermuthlich
Magyaren. schon um diese Zeit öst
lich von der Theiß noch andere kleine Herrschaften zu bilden, die wir
später dort finden; sie waren von Bulgaren, Avaren, Walachen und
Slawen bewohnt, und scheinen ebenfalls unter der Oberhoheit des süd
bulgarischen
Siebenbürgen
Khans hinter
gestanden
seinem
zu haben.
Felsengürtel entzog sich den Augen
der Welt; wir haben keine genaue Kunde von dem, was damals in sei
nem Innern vorging. 1 Doch läßt sich mit Gewissheit annehmen, daß
es, zum Reiche der Avaren gehörend, auch durch den Fall desselben
erschüttert wurde. Auf seinen bewaldeten Bergen und in seinen Eng
pässen behielt es mehr Ueberreste seiner alten Einwohner, als die Ebene
rings umher; und hier mochten auch jetzt viele von daher Flüch
tige Sicherheit gefunden haben. Wahrscheinlich wurde daher bereits
um diese Zeit der Westen meistens von Walachen bewohnt, die nun,
zur Freiheit gelangt , sich eigene Fürsten vorsetzten. Den Osten
hatten großentheils entweder schon damals inne oder besetzten doch
bald darauf die Szekler (Siculi lateinisch, Szekelyek ungarisch). Dieses
Volk hält sich nämlich nationalen Ueberlieferungen zufolge für Nach
kommen jener Hunnen, die nach Attila's Tod sich dorthin geflüchtet
hatten 2; doch fehlt dafür der historische Beweis und lassen sich auch
sonst Gründe dagegen beibringen. Ihre Sprache ist die ungarische mit
einigen unbedeutenden Eigenthümlichkeiten, daher ist wahrscheinlicher,
daß sie ein Zweig der Magyaren sind, der in die Gebirge zog, als diese
am Pruth in der Nähe derselben sich aufhielten. 3
Vrossmährisches Reich.
olim Dacia mediterranea dicla (Wien 1778), und Milkovia, Sive explanatio
antiqui episcopatus Milkoviensis (Wien 1781). Kemeny, Magazin für Ge
schichte u. s. w. Siebenbürgens. — 2 Keza (Kezai), Gesta Hungarorum, c. I, 4,
bei Endlicher, Rerum Hungaric. Monumenta Arpadiana (St.-Gallen 1849).
Nobilis gentis Siculae chronicon (Csiker Chronik), deren Glaubwürdigkeit
jedoch mit Recht bezweifelt werden kann. — 3 Szalay, Magyarorszäg törte-
nete (Geschichte des ungarischen Reichs, Pesth 1861), I, 9, Anm. 4. Köväry,
Geschichte Siebenbürgens (ungarisch, Pesth 1859).
26 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
wen nördlich der Donau gelungen war, auch die letzten Ueberreste
avarischer Herrschaft aus ihrer Mitte zu verdrängen, bildeten sie mit
Mähren zusammen ein fränkisches Vasallengebiet, das unter mehrern
einheimischen Fürsten stand, und fielen, als Kaiser Ludwig der Fromme
817 das Reich vorläufig unter seine Söhne theilte 1, und im Vertrag
von Verdun 843 Ludwig dem Deutschen zu. Sie blieben im Gehorsam,
solange die Karolingische Monarchie noch keine Merkmale der Schwäche
und des Verfalls zeigte; weder die gefährliche Empörung des fränkischen
Dux von Slawonien, Liudewit, 818 — 823, der sich zum Beherrscher
der südlichen Slawen an der Adria aufwerfen wollte, noch der schwere
Krieg, in den Kaiser Ludwig mit dem Bulgarenkhan Mortag 827 —
829 Grenzstreitigkeiten halber verwickelt wurde, verlockten sie zum
Aufstand.
Um diese Zeit wurde Mojmir (Moymar) Herzog von Mähren. Er
bekannte sich mit einem Theil seines Volks zum Christenthum und
wirkte für die Förderung desselben; während seiner Regierung wurde
außer den Kirchen zu Olmütz und Brünn auch die zu Neitra gebaut
und 836 von dem salzburger Erzbischof Adalram geweiht. 2 Die Reli
gion schien also ein neues Band zwischen dem Monarchen und seinem
Vasallen zu weben; aber dieser strebte nach Unabhängigkeit, und die
Zwietracht, die im Karolingischen Hause 830 ausbrach, wo sich die
Söhne zuerst wider den Vater, bis zu dessen Tod 840, und dann wider
einander unaufhörlich empörten, begünstigte sein Vorhaben. Er stärkte
seine Macht besonders dadurch, daß er die kleinern Fürsten des Landes
sich unterwarf. Der noch heidnische Priwina, Herr des neitraer Ge
biets, widersetzte sich, wurde vertrieben und floh 830 zu Kaiser Lud
wig, der ihn zwar freundlich aufnahm, taufen ließ und mit großen Be
sitzungen am Plattensee beschenkte, aber zu ohnmächtig war, ihm sein
Gebiet wieder zu verschaffen. 3 Erst Ludwig, durch den Vertrag von
Verdun erster König der Deutschen, zog mit großer Heeresmacht nach
Mähren, entsetzte Mojmir und erhob dessen Neffen Rastislaw zum Her
zog, erlitt aber auf der Heimkehr von den Böhmen eine große Nieder
lage und wurde bei einem neuen Feldzuge, den er gegen sie unternahm,
849, Rastislaw
abermals empfindlich
täuschte dasgeschlagen.
Vertrauen4 des Königs; auch ihm war die
neuem der Krieg, an dem bald auch die Böhmen und Serben theil-
nahmen, und in dem Svatopluk, der Neffe Rastislaw 's, der unter des
Onkels Hoheit das neitraer Gebiet beherrschte r uns zum ersten mal vor
nigs
die Augen
und seiner
tritt.Söhne
DreiAnführung;
deutsche Heere
sie verwüsteten
kämpften zwar
869 unter
das Land
des weit
Kö-#
und breit, aber die Feste Welehrad wurde nicht genommen, Rastislaw's
Unterwerfung nicht erzwungen und Ludwig schloß am Ende Frieden 6,
da dieRastislaw,
Hoffnung den
zu siegen
die feindlichen
geschwunden
Waffen
war.nicht überwältigen konnten,
S. 371, 379 fg. Hincmari Remens. Annales bei Pertz, I, 455, 459, 473. —
3 Nestor bei Schlözer, III, 153 — 154, 237. Lucius de regno Dalmatiae et
Croatiae u. Acta S. S. Mens. Martii, Tom. II ad 9. Martii. — 4 Anonymus, De
conversione Bojoarum et Carantorum beiSalagius. Dobrowsky, Cyrill n.Method.
(Prag 1823). Sam. Timon Imago antiquae Hungariae, I, II, c. 16. — 6 Hinc-
mar. Remens. bei Pertz, I, 482. Annal. Fuldens., ebend., S. 380. — 6 Hinc-
mar. u. Annal. Fuldens., a. a. O. Annal. Xantenses bei Pertz, II, 234.
28 Erstes Buch. Erster Abschnitt.
ihm abhängig, und die Slawen an der Elbe bis gegen Magdeburg ge
horchten ihm. 3 Auch mit Arnulf, Karlmann's Sohn und seit seines
Vaters Tod, 880, Herzog von Kärnten und Pannonien, stand er eine
Zeit lang in freundschaftlichen Verhältnissen, gerieth aber schon 882
mit ihm in Zerwürfniß, setzte 883 und 884 über die Donau, richtete
• grausame Verwüstungen an und schlug ihn und dessen Bundesgenossen,
die Bulgaren , in einer mörderischen Schlacht an der Raab. Auf diese
Kunde kam Kaiser Karl der Dicke, Ludwig's I. von Deutschland Jüngster
Sohn und jetzt, 884, der letzte Beherrscher des gesammten Karolingischen
Reichs, herbei, den Streit seiner Vasallen zu schlichten; argwöhnisch
gegen Arnulf, sprach er auf dem Tage zu Königsstätten in Oesterreich
Pannonien Svatopluk zu. 4 Als aber Arnulf den Plan faßte , den
schwachen Karl zu entthronen und sein Nachfolger zu werden, söhnte
er sich mit dem mächtigen Slawenfürsten aus, erhielt dessen Beistand A
und übertrug ihm, nachdem er die Absetzung Karl's zu Tribur 887 be
wirkt und den Kaiserthron bestiegen hatte, zum Lohne dafür die Lehns
herrlichkeit über Böhmen. 6
"Jetzt stand Svatopluk auf dem Gipfel der Macht; sein weites Ge
biet erstreckte sich von der magdeburger bis in die krakauer Gegend,
über lauter slawische Länder, und von da hinab gegen Süden bis an die
Donau und hatte bereits in Pannonien auch diesen Strom überschritten.
Gelang es ihm oder seinen Nachfolgern, hier den schon leichten Schritt
weiter zu thun und die südlichen Slawen an der Adria und am Hämus
mit diesem Gebiete zu vereinigen, so mußten die schwachen zersplitter
ten Nationen zwischen der Donau und den Karpaten bald unterjocht
und die nördlichen Slawenstämme im heutigen Deutschland bis an die
Ostsee mit dem großen Körper verknüpft sein. Gewajtig und drohend
stand dann ein übermächtiges Slawenreich, im Rücken überall durch
Stammgenossen gedeckt, an Deutschlands östlicher Grenze und um
spannte und drängte es vom Adriatischen Meere bis zur Ostsee. Hät
ten dann wol die Ottone und Friedriche die Kaiserkrone getragen,
Kant in Königsberg und Hegel in Berlin die Lehren deutscher Philo
sophie verkündigt und deutsche Sprache und Bildung überhaupt so
weite Ausbreitung gewonnen? Daß Deutschland, welches sich eben zu
dieser Zeit erst zu einem Staat consolidirte und von innern Unruhen
zerrüttet wurde, dieser Gefahr glücklich entging und dem Slawenthum
obsiegte, bewirkten die Magyaren. Darum sagt Palacky: „Die Inva
sion der Magyaren und ihre Festsetzung in Ungarn ist eins der folgen
reichsten Ereignisse in der Geschichte Europas; sie ist das größte Un
glück, das die Slawenwelt im Ablaufe der Jahrtausende betroffen hat.
Die slawischen Völker breiteten sich im 9. Jahrhundert von Holsteins
Grenzen bis an die Küsten des Peloponnesus aus, vielgliederig und un-
verbunden, mannichfach in Sitten und Verhältnissen, aber doch überall
tüchtig, fleißig und bildsam. Im Mittelpunkte dieser ausgedehnten
Linie hatte sich durch Rastislaw und Svatopluk eben ein Kern ge
bildet, der die fruchtbarsten Keime einer zugleich nationalen und christ
lichen Bildung in sich schloß; von Rom und von Byzanz gleich be
günstigt und gepflegt, versprach er die großartigste Entwickelung. An
diesen Kern hätten nach und nach alle slawischen Völker, durch innern
Trieb, wie durch äußere Verhältnisse genöthigt, sich angereiht; von ihm
hätten sie, wo nicht politische Institutionen, doch das Christenthum
und mit ihm zugleich europäische und nationale Cultur, Kunst und In
dustrie, Einheit in Sprache und Schrift erhalten ; wie im Westen unter
romischem Einfluß die fränkische Monarchie großgezogen wurde, so
hätte im Osten, unter vorherrschendem Einfluß Konstantinopels, ein
ähnliches slawisches Reich sich herangebildet und Osteuropa hätte seit
einem Jahrtausend überhaupt eine andere Bedeutung gewonnen, als die
ihm geworden ist. Dadurch aber, daß die Magyaren gerade in das
Herz des sich erst bildenden Organismus eindrangen und dieses zer
störten,
aus Pfemysl's
wurden
Stammsolche
; aber daAussichten
die deutschen
fürKönige
immerAnsprüche
vernichtet.
auf Oberherrlich
Die noch
keit über dasselbe machten, mußte ihm diese Uebertragung höchst willkom
men sein.
30 Erstes Buch. Erster Abschnitt. Großmährisches Reich.
Da Die Ungarn.
1. Abstammung und früherer Wohnsitz.
Strahlen des Lichts, das die Geschichte auf diese Gegenden wirft, sowie
die Aufklärungen, welche die neuesten Forschungen über dieselben ver
breiten, zeigen beinahe das gleiche, seit Jahrtausenden unverändert ge
bliebene Bild. Dem Ackerbau fremd, den Boden und Klima erschweren,
zum Theil unmöglich machen, sind die da hausenden Menschen für Nah
rung und Kleidung auf Jagd, Fischfang und Viehzucht beschränkt.
Diese Beschäftigungen aber erfordern weite Räume, gestatten keine
dichte Bevölkerung und gebieten ein unstetes Wanderleben. Da kann
es kein Grundeigenthum und keine feste Wohnung geben, die Heerde
ist der alleinige Besitz, das Zelt oder die fahrbare Hütte das einzige
Haus des Hochasiaten. Keine Heimat kennend, gilt ihm die Ver
wandtschaft und der Stamm alles; ist er zu jeder Zeit fertig, jene zu
verlassen und mit diesem in die lockende Ferne zu ziehen. Mit Mangel
und Mühseligkeit vertraut, der Unbill des Wetters preisgegeben, von
thierischer Nahrung fast ausschließlich lebend, an fortwährende Wan
derungen gewöhnt, ist er geneigt und wie kein anderer geeignet zum
Kriege. Dazu vermehrt das Pferd, das dort von kräftigem Schlage, im
Ueberfluß vorhanden und wie sein Reiter abgehärtet ist, seine Furcht
barkeit, indem es ihn mit Weib und Kind schnell in ferne Länder trägt.
Seine Waffen sind das Schwert, die Lanze und vor allem der Bogen.
So schildern uns die Alten, so finden wir auch heutzutage die Völker
schaften
Diese
dieser
Völker
Länder.
fühlten von jeher einen unwiderstehlichen Drang, ihr
ein Medium: kin, Qual, daraus: kinoz , er quält, Passiv kinoztatik, wird ge
quält, Medium kinlödik, er quält, plagt sich. Außerdem wird das Lassen
und Können durch Einschieben gewisser Silben ausgedrückt; ir, er sahreibt,
irat, läßt schreiben, irhat, kann schreiben. Zuletzt werden auf ähnliche Weise
noch die Begriffe: oft, schnell, leichthin, ungewiß u. s. w. etwas thun dar
gestellt: irkäl, er kritzelt; felel, antwortet, felelget, antwortet häufig, wider
spricht; fut, läuft, fntkos, läuft hin und her; emel, hebt, emelint, hebt ein
wenig, f) Als Beispiel der eigenthümlichen Wortbildung und außerordent
lichen Biegsamkeit stehe hier die Entwickelung des Stammes ok, die Ursache,
der Grund; okos, vernünftig, klug; okosodik, wird klug; okosul, an Einsicht
zunehmen; okoskodik, vernünftelt, klügelt, okossäg, Klugheit; okoz, ver
ursacht, okozäs, das Verursachen, okozat, der Effect, Wirkung, okoztat, be
schuldigt, okoztatks, Beschuldigung; oktat, bslehrt, unterrichtet, oktatäs, der
Unterricht; mit dem Privativum lan, len, oktalan, unklug, oktalansäg, Un-
klugheit, oktalanodik, unklug werden, oktalankodik , sich nnklug betragen,
oktatanit, macht unklug, verdummt einen andern u. s. w.
Feßler. I. 3
34 Erstes Buch. Zweiter Abscly1itt.
größernd und alles mit sich fortreißend, vorwärts und überfluteten die
angebauten
In solcher
Länder.
Weise waren Völkerschaften des Altai tief nach Süden
und Westen schon in den ältesten Zeiten gedrungen und hatten auch
die Gegenden oberhalb Iran und am Kaspischeu und Schwarzen Meere
bis in die Nähe der Donau besetzt, die ihrem alten Heimatslande so
ähnlich sind, daß sie nicht einmal ihre gewohnte Lebensweise ändern
mußten oder konnten. Von hier aus bekriegten, durchplünderten und
eroberten sie zum Theil die benachbarten Länder. Griechen und Rö
mer faßten sie unter dem gemeinschaftlichen Namen der Scythen und
Sarmaten zusammen, kannten aber auch einzelne Stämme, wie die
Massageten , Saken , Issedonen . Agathyrsen u. s. w. 1 So oft ein Volk
weiter zog, drang ein anderes an seine Stelle vor; 60 oft eines bleibende
Wohnsitze nahm, einen Staat gründete und die Bahn der Civilisation
betrat, aber freilich meistens auch in üppige Weichlichkeit versank,
wurde es von neu herbeigekommenen zerstreut oder unterjocht und ging
unter. Darum ist es so schwer und fast unmöglich, der einzelnen Völ
ker Ursprung aufzufinden und den Faden ihrer Schicksale geschichtlich
zu verfolgen. Hier herrscht ein ewiges Wogen und Drängen, ein
schnelles Entstehen und Vergehen der Nationen und Reiche; ja, die
selben Völkerschaften erscheinen in verschiedenen Zeiten unter ver
schiedenen Namen, je nachdem der Führer wechselt und die Oberherr
schaft von der einen Horde auf die andere übergeht. Dazu kommt
noch, daß die gebildeten, Geschichte schreibenden Nationen nur von
dem Kunde erhielten und nur das überlieferten, was an ihren Grenzen
geschah, die Hochsteppen im Norden und fernen Osten aber, der eigent
liche Sitz und Ausgang dieses Völkergewühls, ihnen fast ganz unbekannt
blieben. Und sie selbst haben nur dunkele, vielfach entstellte, einander
widersprechende Sagen, aber kein bleibendes Denkmal der Nachwelt
hinterlassen. Denn vergänglich ist und der Vergessenheit anheim
gefallen auch das Größte, was menschliche Kraft wirkt, wenn es die
KunstZuunddiesen
Wissenschaft
einst amnicht
Altaiverewigt.
weidenden und von dort später herab
gekommenen Völkern gehören auch die Magyaren, wie sie sich selbst
nennen, oder die Ungarn, wie sie von andern genannt werden, vermöge
ihrer Sprache, einstiger Sitten und früherer Wohnorte. Deshalb haben
diejenigen wol nicht Unrecht, die sie Scythen nennen, inwiefern näm
lich alle Völker altaischen Ursprungs von den Alten mit dem Nameu
der Scythen bezeichnet wurden. Aber hiermit, haben wir gewiß nichts
weiter als einen höchst unbestimmten Namen gewonnen; wir befinden
uns noch immer auf einem Felde von unermeßlichem Umfang und müs
sen bemüht sein, den Gegenstand unserer Untersuchung in engere Gren
zen einzuschließen, wenn wir auch nur einigermaßen befriedigende Aus
kunft über den Ursprung der Magyaren geben wollen. Für den Frem
den mag die Lösung dieser Frage vielleicht nicht ganz ohne Interesse
»ein, 1 für
Herodot,
den Ungar
I, 110 ist
fg., sie
undvon
au vielen
der höchsten
andern Stellen.
Wichtigkeit; ihn drängt
Abstammung der Ungarn. 35
die Liebe zu seiner Nation und Sprache und das Gefuhl des Allein
stehens unter den Culturvölkern Europas, zu erfahren, wo die Wiege
seines Volks gewesen ist, und wer seine Stammverwandten sind. Viele
in- und ausländische Gelehrte haben mit rastloser Mühe in dieser Ab
sieht die Geschichte durchforscht und die Sprachen verglichen1; einige
begeisterte Söhne des Vaterlandes die weite, mühselige und gefahrvolle
Wanderung nach dem fernen Asien angetreten, um dort die Spuren oder
Ueberreste ihres Volks zu finden. 2 Die Resultate dieser Arbeiten und
Bestrebungen waren verschieden; allerhand, häufig genug höchst son
derbare
1 Anonymi
Hypothesen
B. R. wurden
Notar., Kezai
aufgestellt;
Gesta Hunnorum,
die Urgeschichte
bei Endlicher;
der Ungarn
Pray,
blieb in Dunkel gehüllt. Erst in der neuesten Zeit sind auch in dieser
Hinsicht wichtige Entdeckungen gemacht worden. Forschungen in der
Völker- und Sprachkunde, in Geographie und Geschichte, welche in die
sem Maße erst jetzt recht möglich wurden, haben Aufklärungen ge
geben, die es außer Zweifel stellen, welche Völker den Magyaren am
nächsten verwandt sind und aus welchem Lande sie ihre letzten Wan
derungen angetreten haben. 1 Glücklicher und mit mehr überzeugender
Bestimmtheit hat aber bisjetzt wol niemand diese Frage gelöst, als Herr
Paul Hunfalvy, ordentliches Mitglied und Bibliothekar der ungarischen
Akademie der Wissenschaften, in seiner letzten hierauf bezüglichen Ab
handlung.
Wir wollen
2 zuerst sehen , zu welchen Resultaten die vergleichende
Sprachforschung führt. Denn Sprachen, die nicht blos durch den ähn
lichen Klang einzelner Wörter, sondern in ihren Wurzeln, Wortbil
dungen und Abwandelungsformen, überhaupt vermöge ihres ganzen Baues
und Geistes einander ähnlich sind, müssen einen gemeinschaftlichen Ur
sprung haben. Die Völker, deren Eigenthum sie sind, müssen vor Zei
ten Eins gewesen sein, beieinander gewohnt und gemeinschafllich den
Stamm der Sprache gepflanzt haben, aus dem später die Zweige der
selben hervorsproßten, sie müssen miteinander verwandt sein. Der Un
terschied der Zweige aber kann nicht anders entstanden sein , als daß
sich das eine Volk in Theile trennte, die entferntere Wohnplätze be
zogen, unabhängig von den übrigen ihren Dialekt ausbildeten und dabei
unter dem Einfluß neuer Gegenstände und Verhältnisse änderten. Je
ähnlicher und gleichförmiger dahe'r gewisse Sprachen einander sind,
desto näher müssen sich auch die Völker, die sie reden, gestanden
und desto später getrennt haben. Diesem Grundsatze zufolge werden
wir also den Ursprung der Ungarn nicht bei den Mongolen und Chine
sen suchen, wenngleich in beiden Sprachen nach Laut und Bedeutung
mit der ungarischen verwandte Wörter sich vorfinden, ja manches unga
rische Wort, dessen Wurzel verloren ist, sich aus dem Chinesischen
füglich ableiten lassen soll, wie unser Sprachforscher Podhorszky ver
sichert. 3 Denn die Sprachen weichen zu sehr voneinander ab; die
Trennung muß also in unvordenklichen Zeiten geschehen sein. Dagegen
finden
1 Müller,
wir in Der
Europa
ugrische
undVolksstamm
Vorderasien
(Berlin
Nationen,
1837). Neumann,
deren Sprache
Die Völker
ihre
daß wir jede dieser drei Sprachgruppen und deren Mundarten mit der
magyarischen verglichen, wäre viel zu weitläufig; wir müssen auf die
angeführten Werke, besonders auf das des Herrn Hunfalvy verweisen.
Um aber unsere Meinung wenigstens einigermaßen zu begründen, möge
das unten
1 Aus jeder
Gegebene
der drei hinreichen.
Gruppen wählen
1 wir eine Mundart, um sie mit dem Ma
gyarischen zu vergleichen, und zwar soll der ugrische Stamm durch die vogulische,
der finnische durch die finnische, der türkische durch die osmanische vertreten
sein. Die Zahlwörter sind bereits oben mitgetheilt worden; schon ein flüchtiger
Blick auf sie überzeugt, daß die magyarischen den vogulischen am meisten,
den türkischen am wenigsten ähnlich sind. Dasselbe würde sich heraus
stellen, wenn es der Raum vergönnte, den grammatikalischen Bau der magya
rischen Sprache mit dem der andern angeführten zu vergleichen Die leeren
Stellen deuten an, daß die Sprache für denselben Begriff ein anderes unähn
liches Wort hat. Noch ist zu bemerken, daß dem magyarischen ü das y;
dem sz das s; dem s = seh das §; dem ny das n'; dem ly das 1' im Ugri
schen und Türkischen entspricht. Manchem ungarischen Worte mit vocali-
stischem Anlaute entspricht ein Wort mit s oder t im Anlaute, z. B. ev (eszik),
ißt, vogulisch te, finnisch syö ,
lel-ek lil
fö fejSeele
Geist,
pajg, pong päa bas
L yV Kopf
orr ur
Nase '
szem sem vilmä
Auge
köny sem-vi^ kyynä, kyyni
Thräno (Augenwasser)
iny egn, en ikene enek
Gaumen
:'>&
38 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.
ist, und alles dafür spricht, daß wir sie zu den ugrischen Völkern zu
zählen, und insbesondere die Vogulen als ihre nächsten Stammverwand
ten zu betrachten haben, wird es viel leichter sein, auch das Land zu
bestimmen, in Suffixe
welchem sie
in Verbindung
wohnten, ehe
mit sie
einem
die Wanderung
Substantiv. nach ihrem
nach weiter östlich am Altai, von wo sie, dem allgemeinen Strome der
Bewegung folgend, nach Westen bis an und über den Ural rückten.
Die vordersten scheinen die Finnen gewesen zu sein, denn schon um
Christi Geburt finden wir sie an den Gestaden des Baltischen Meers 2,
und schon damals mögen sie auch die andern Gegenden des nordwest
lichen Europas bewohnt haben, die sie jetzt einnehmen. Sie nennen
sich Suomalais, d. h. Bewohner des Suo1nilandes. In ihren rauhen, un
freundlichen Wohnplätzen lagen sie den Strömen der Völkerwanderung
außer Wegs, blieben verschont von den heftigen Erschütterungen, welche
diese über andere Völker brachten, und ihre Hauptsitze bilden daher
eine ununterbrochene
Hinter den Finnen
Länderreihe.
standen die ugrisehen Völkerschaften, auf
Titel. Dieses Ugrien erstreckte sich einst vom Nordmeer hinab diesseit
des Ural bis an die Kama, jenseit aber bis in die Gegend, wo sich der
Tobol und Irtisch vereinigen, sodaß es gegen 16000 Q.-M. umfaßte,
und war
Hiermit
weit haben
blühender
wir als
ebenjetzt.
auch1 den Ursprung des Namens Hungar,
Unger, Uhor gefunden, der den Magyaren von andern Nationen bei
gelegt wird; sie heißen so, weil sie aus Jugrien oder Ugrien herkamen.
Denn das Land südlich von diesem Ugrien und einstens, nach Ab
stammung und Sprache seiner Bewohner, ihm zugehörend, auf beiden
Seiten des Uralgebirgs, um den obern Jaik bis an den Tobol und Ir
tisch, wo die Baskiren hausen, war die Heimat der Magyaren; da wei
deten sie, kein gemeinschaftliches Oberhaupt kennend, sondern jeder
Stamm unter dem eigenen Stammfürsten stehend, jahrhundertelang. Im
Westen, an der Kama und Wolga, hatten sie Großbulgarien, das wir
oben erwähnten, zur Grenze, im Süden und Osten aber wurden sie von
dem großen Chazarenreiche umschlossen , mit dem sie auch in dem Ver-
hältniß des Bündnisses oder der Abhängigkeit standen. Sie waren
also der südlichste Zweig des ugrischen Stammes und, den Norden aus
genommen,
Aber die
aufSprache,
allen Seiten
welche
mit die
türkischen
Baskiren
Nationen
heute reden,
umgeben.
gehört zu den
der ältesten einheimischen Chronik, läßt die Hetumoger, die sieben Für
sten der Magyaren, mit ihren Stämmen aus Dentumogrien, dem Magya
renlande Dent, ausziehen, gegen Westen die Wanderung antreten, viele
Tage durch ein wüstes, unangebautes Land gehen , sodann auf Schläu
chen über die Wolga setzen und in die Gegend Rußlands kommen,
welche zu seiner Zeit Susdal hieß, worunter das Fürstenthum Wladimir
zu verstehen ist. Dent aber ist der Name des Irtisch, den die Ostjaken
auch heutzutage Tangat nennen. Mithin wäre Dentumogrien das Land
nides,
am Irtisch.
Simon
EngellKezai2
tmtl andern
erzählt
glücklich
zwar nur
vertheidigt.
verworreneNeuerdings
Fabeln ohne
erklärt
geschicht-
ihn Pa-
lacky, Geschichte von Böhmen, I, 155, Anm. 124, für einen faden historischen
Romanschreiber, und sagt, es sei ein trauriges Zeichen der Zeit, daß es auch
jetzt noch Männer gebe, die aus falschem Nationalismus ihn und seinesglei
chen für die Geschichte zu retten, sich bemühen. Wir linden im Anonymus
weder mehr noch weniger Fehler, als in den meisten Chroniken des Mittel
alters, und geben gern zu, daß er seine Erzählung großentheils nicht aus ge
schriebenen Urkunden , sondern weil ihm diese fehlten , aus Volkssagen und
Ueberlieferungen schöpft; daß er auch Uebertreibungen und Fabeln aufnimmt,
die Ereignisse nicht immer mit dem besten Geschmack ausschmückt und die
Dinge der Vergangenheit nach den Ansichten und Einrichtungen der Zeit, in
der er lebte, und daher oft unrichtig darstellt. Aber welcher Chronist jener
Jahrhunderte ist frei von diesen Mängeln? Sollten wir sie um derselben wil
len für lügenhaft oder für untergeschoben halten, dann müßten wir darauf
verzichten, etwas über das Alterthum der Völker zu erfahren. Es ist eben
die Aufgabe der Kritik, den Kern der historischen Wahrheit, der unter die
ser Hülle verborgen liegt, herauszufinden. Bei weitem das meiste von dem,
was der Anonymus berichtet, mußte nothwendig geschehen sein, da es später
entweder selbst oder doch in seinen Folgen noch vorhanden ist; anderes wird
niemand unglaublich sein, der den Geist und die Bildungsstufe der Magyaren
und der Völker, mit denen sie in Berührung kamen, richtig auffaßt; noch
anderes endlich wird durch die Berichte gleichzeitiger Schriftsteller vielfach
bestätigt. Es ist also das meiste wirkliche Thatsache, wenn es auch nicht
gerade und genau in der Weise,, die er angibt, geschehen sein sollte. Viele
jener Sagen, die er niederschrieb, leben noch jetzt im Munde des ungarischen
Volks als Erzählungen, Lieder und Sprichwörter, sind mithin nicht von ihm
erdichtet. Selbst der Umstand, daß wir seinen Namen und die Zeit, in der
er lebte, nicht kennen, kann seiner Glaubwürdigkeit nicht Eintrag thnn, weil
er selbst seinen Namen angibt „P. dictns Magister", aber der Schreiber der
einzigen vorräthigen Handschrift, den Namen nicht hinschrieb, sondern für
denselben ein leeres Blatt ließ , auf welches er nach dem Gebrauch der Zeit
gemalt werden sollte. Vgl. die Uebersetzung von Karl Szabö, in welcher der
Verfasser in seinen Anmerkungen wichtige histerische und geographische Er
läuterungen gibt und dadurch treffende Beweise für die Glaubwürdigkeit der
erzählten
1 Hunfalvy
Ereignisse
in liefert.
der angeführten Abhandlung. — 2 Simonis de Keza
liehen Werth über den Ursprung der Hunnen und Ungarn, die ihm ein
und dasselbe Volk sind, und über ihren zweimaligen Zug in ihr jetziges
Vaterland, gibt aber auch die Gegend am Ural als ihre Heimat an.
„Westlich von dem Jorianischen Reiche, wo die Flüsse Etui und Togora
entspringen, deren ersterer nach Süden in das Runde Meer strömt, der
zweite in die Yrcania mündet und sodann durch ein wüstes und finsteres
Land, wo die Sonne nur während der drei Sommermonate scheint, in
das Nordmeer fließt." Daß unter Etui nicht der Don, wie Kezai meint,
sondern die Wolga oder als deren Arm die Kama zu verstehen sei 1,
leuchtet aus dem Namen und den übrigen Angaben über den Fluß her-
.vor; in dem Runden Meere erkennt man sogleich dtis Kaspische, die
Togora ist der heutige J?obol, und Yrcania der Irtisch oder Obj. Fer
ner berichtet er, dieses Land zerfällt in drei Reiche: Barsacia (vielleicht
Bascardia zu lesen), Dencia und Mogoria; zuletzt läßt er die Ungarn
denselben
Zu Anfang
Weg ziehen,
der Regierung
den der Anonymus
König Bela's
angibt.
IV. 2 wurden zum zweiten
Khan 1246, reiste über Polen nach Kiew und von dort in das Land der
Mongolen. Zuerst ging er durch das Gebiet der Polovzer, Kumanen,
welches er als eine große Ebene am Dniepr, Don , Wolga und Jaik
schildert; „im Norden", sagt er, „grenzt dasselbe an Rußland, an die
Mordwinen,
kritischen Sinn,an der
Bulgarien
alles Wunderbare
und an die
und Baskiren,
Märchenhafte
welches
verwirft
Großungarn
und seinen
Nachrichten
1 Atel, Glaubwürdigkeit
Etil, Itil heißt inverschafft.
den altaltaischen Sprachen jeder Fluß über
haupt und die Wolga insbesondere, als der größte, diesen Völkern bekannte
Strom. — 2 Hunfalvy in der augeführten Abhandlung. — 3 De facto Hun,
gariae Magnae a fratre Ricardo ardinis ff. praedicatorum invento tempore
Domini Grcgorü IX. E codice saeculi XÜI bibliothecae Vaticanae, bei End
licher, üebersetzt von Karl Szabo (Pesth 1862).
Abstammung der Ungarn. Wohnsitze. 45
ist (les Bastarques, qui est la Grande Hongrie), im Süden aber sind die
Alanen,
Hiermit
Tscherkessen
stimmt auch
und überein,
Chazarenwas
dessen
der Nachbarn."
Kapuziner Wilhelm Rubru-
fahren, daß an der Wolga und Kama ein die ungarische Sprache reden
des Volk lebe, und schickte deshalb Abgeordnete dahin, um diese Un
garn aufzusuchen und in das der vielen Kriege wegen entvölkerte Un
garn zu übersiedeln. Die Abgeordneten fanden sie wirklich, konnten
sie jedoch nicht hinüberführen , weil der russische Czar den Durchzug
verweigerte.
Sigmund Herberstein, Kaiser Maximilian's und Karl's V. oft
und auf historische Beweise uns stützend, haben wir also die entferntem
und nähern Stammverwandten der Magyaren und ihre frühere Heimat
zu erkunden gesucht und, wie wir wenigstens glauben, auch glück
lich gefunden; die erstem in den türkischen, sodann finnischen und zu
nächst ugrischen Völkerschaften, besonders den Vogulen; die andere
aber in den Gegenden des heutigen Baskirenlandes, und eben daher
auch den Namen, den unser Volk bei den Ausländern führt, Unger, Un
gar, Hungar, abgeleitet. Aber weit schwieriger ist die Erklärung des
jenigen Namens , den es sich selbst beilegt , des „ Magyar ". Paul
Hunfalvy, in der mehrmals angeführten Schrift, sucht dessen Ursprung
in dem allen finnischen und ugrischen Sprachen gemeinsamen ma, maa,
mä, mo, mu = terra, Erde, und in dem vogulischen kär, Mensch, also in
makär, mokär, in den alten ungarischen Chroniken: ma-ger, mo-ger =
Mensch des Landes, Landbewohner, um so mehr, da sich diese Völker
alle in solcher Weise selbst nennen, z. B. die Esthen maa-mies, die Vo
gulen ma-kum oder magum = Mensch des Landes. Nun ist zwar das
Wort ma in der ungarischen Sprache nicht mehr vorhanden und an
dessen Stelle föld getreten, aber das Wort kär, dessen Ableitung kärkve,
Kind, ungarisch gyerek, auch kärem, ungarisch gyerm-ek, kann noch
als daseiend gelten. Also mager, moger, magar, und mit geschliffenem
g = gy magyar, würde soviel heißen , als Mensch oder Bewohner des
Landes.
1 Szalay, Geschichte des ungarischen Reichs (2. Aufl., Pesth 1863),
Noch drängt sich uns zuletzt die Frage auf: waren die Hut1neii und
Avaren Vorfahren der Ungarn, sodaß diese, wie viele glauben und hin
sichtlich der Hunnen auch Anonymus und Kezai behaupten, zuerst unter
diesen beiden Namen, zum dritten mal aber unter dem der Magyaren
in das jetzige Ungarn zogen? Hierauf läßt sich keine Antwort geben;
wir kennen die Sprache dieser Völker nicht und haben auch sonst kein
Merkmal ihrer Abstammung, ja wir wissen nicht einmal, ob Attila und
seine Hunnen zu den vorderasiatischen oder zu den mongolischen Na
tionen gehört haben. Doch dürfen wir kaum bezweifeln, daß die
mächtige Flut der Völkerbewegung, welche die Hunnen bewirkten, auch
über die damalige Heimat der Magyaren sich ergossen hat, daß sich
auch Scharen ihrer Krieger und vielleicht ganze Stämme freiwillig oder
gezwungen dem gewaltigen, immer wachsenden Heere anschlossen , daß
sich Attila's weite Herrschaft auch über sie erstreckte, daß also Magya
ren schon mit den Hunnen in ihr späteres Vaterland gekommen sind.
Kaum glaublich ist dagegen, daß sich die Kunde von dem Lande, in das
ihre Krieger einst zogen, durch vier Jahrhunderte bei ihnen erhalten
habe, und daß sie ihre Heimat verließen, um dasselbe, als ein ihnen ge
bührendes Erbe, aufzusuchen. Alles, was der Anonymus und Kezai
hierüber berichten, ist, wenn auch nicht eigene Erfindung, doch nichts
weiter als eine Sage, die aus der Aehnlichkeit der Namen, Hunnen und
Hungarn, aus der Meinung der benachbarten Völker u. s. w. entstanden
sein mochte und zu ihrer Zeit bereits für wirkliche Thatsache ge
halten2.wurde.
Schicksale der Ungarn vor ihrem Einzug in ihr heutige«
Vaterland.
In den Gegenden der untern Wolga und nördlich vom Kaukasus
Der Gebieter des weiten Reichs fuhrte den Titel Chagan; sein Wohn
sitz lag auf einer Insel zwischen den Wolgamünduugen , die Feste Sar-
kel (der Name soll weiße Burg bedeuten) nahe an den Quellen deä
Donetz. 1 Die Chazaren waren die Bundesgenossen des Kaisers Hera-
klius in dem schweren Krieg, den er 622 — 628 gegen Kosrhoes II.
Parviz führte, und halfen die Macht der Perser brechen. 2 Als bald
darauf die Araber Persien eroberten, 636, und nun den Koran auch
jenseit des Kaukasus mit dem Schwerte ausbreiten wollten, vertheidigten
sie sich in zweihundert Jahrelangem wechselvollen Kampfe glücklich 3 und
drangen in derselben Zeit immer weiter gegen Westen und Norden vor.
Die höchste Stufe der Ausdehnung und Macht erreichte das Chazaren-
reich zu Anfang des 9. Jahrhunderts; es erstreckte sich von den Mün
dungen der Wolga bis an den Dniepr, vom Kaukasus bis an die Oka
und in die Nähe des Urals, altaische, slawische und selbst germa
nische Nationen bewohnten dasselbe ; Heiden , Mohammedaner, Christen
und Juden lebten friedlich nebeneinander und hatten ohne Unterschied
des Glaubens Zugang zu, allen Aemtern und Würden. 4 Ungeachtet
die Mehrzahl der Chazaren dem Heidenthum zugethan blieb, soll sich
dennoch um die Mitte des 9. Jahrhunderts der Chagan und seine Fa
milie Auch
zum Jüdischen
die Magyaren
Glauben
in Dentumogerien
bekannt haben. 6 waren ihre Nachbarn und
Patriarcba und Theophaues Conf. bei Stritter, Tom. III, Part. II, 549 fg. —
3 Vivien de St. -Martin, a. a. O. Dorn, Tabary's Nachrichten über die Cha
zaren, a. a. 0., und Elmacin, a. a. 0. — 4 Fraehn, Veteres memoriae Cbaza,
rorum exlbn Fozlano, in M^moires de l'acadimie imperiale de St.-Petersbourg,
VIII, 577 fg. — 5 Hasdi ben Ishak's (ein spanischer Jude) Brief an den
Chagan der Chazaren, in Cassel, Magyarische Alterthümer. — 6 Constau-
tinus Porphyrogenetus VII de administrando imperio, c. 38. Er nennt die
Magyaren überall Türken, Tcupxot.
48 Erstes -Buch. Zweiter Abschnitt.
jugendliche
Jaik
war
um 862
an
(Uralfluß),
ihrer
gegründet
Kraft
nordwestlichen
standen
fühlbar;
wordendrohend
im
und
Grenze
Nordosten,
machte
die Petschenegei
dasden
Reich
zwischen
benachbarten
der(sonst
der
russischen
Wolga
auch
Völkern
Kankeler
Waräger
und seine
dem 0A>
und vertrieben sie aus ihren Sitzen, die nun von den Uzen eingenommen
'wurden. 1 Das heimatlose Volk warf sich aber mit dem nichtsachten
den Muthe, den Noth und Verzweiflung eingeben, auf seine Feinde und
ward ihnen fürchterlicher als zuvor. Die Magyaren, ihre Nachbarn,
waren ganz besonders ihren verzweifelten Angriffen ausgesetzt und
fühlten sich zu schwach, lange widerstehen zu können ; sie faßten daher
den Entschluß, der bei Nomaden so leicht entsteht, ihre bisherige Hei
mat zu
Imverlassen
Jahre 884,
und ein
als neues
Karl Vaterland
der Dickeaufzusuchen.
wieder Alleinherrscher des
nungen entblößte Gegenden gegangen waren, setzten sie, nach Art der
Nomaden, auf Schläuchen über die Wolga (Atil), durchzogen das sus-
daler
Grenzen
undihrer
wladimirer
alten Bundesgenossen,
Gebiet und ließen
der sich
Chazaren,
endlichnieder.
an denHier
westlichen
kamen <•
sie zuerst mit den Byzantinern in Bekanntschaft, denen wir auch die
folgenden geschichtlichen Nachrichten zu verdanken haben. Kaiser
Konstantin der Purpurgeborene 6, der sie sonst Türken nennt, weiß,
daß sie um diese Zeit „aus irgendwelcher Ursache" sich selbst Sabar-
toiasphaloi nannten; ein Name, der die Spuren griechischer Umbildung
sichtbar an sich trägt und in dieser Gestalt weder aus dem Griechischen,
noch1 aus
Constant.
dem Porphyrogen.
Ungarischen degedeutet
administrando
werden imperio,
kann. c.Das
38. Land
— 2 ihres
Ano
finden ; nur drei Jahre war ihnen vergönnt, in diesem Lande sich auf
zuhalten ; die Petschenege«,, die sie aus Dentumogrien verdrängt hatten,
waren ihnen auch hierher gefolgt, überfielen, durchbrachen und trennten
sie in zwei Haufen, die nach entgegengesetzten Weltgegenden zogen
und sich nie wieder zusammenfanden. Der eine, wahrscheinlich klei
nere Theil, eilte ostwärts dem Kaukasus zu und verschwand spurlos. 1
Die andern aber gingen, von Lebedias geführt, über den Dniepr, be
setzten die weite Ebene am Bug, Dniestr, Pruth und Sered, das heutige
Bessarabien und die Moldau , und nannten die neue Heimat Atelkuzu
oder Etelköz,
Bald darauf
das wurde
Land zwischen
Lebediasdenoder
Flüssen.
Elod,* wie ihn der Anonymus
lieferungen,
1 Einige glauben,
die sich diese
dem versprengten
GedächtnisseMagyaren
des Volks
haben
unauslöschlich
sich im Kaukasus
ein-
niedergelassen und dort die einst berühmte Stadt Madschar gebaut, die von
Timur zerstört wurde. Eine Meinung, für deren Richtigkeit sich, uulier der
scheinbaren Aehnlichkeit desNamens, wol kaum ein genügender Beweis anführen
läßt. — 2 Constant. Porphyrogen., a. a. 0. — ' Derselbe. Er nennt Almos
Salmutzes, indem er das z des Artikels az voraussetzt, das tiefe 6, in der
Aussprache fast ou, durch ot=S wiedergibt, das s in tz verwandelt und d1e
griechische Endung s? hinzufügt.
FalUar. I. 4
50 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.
geprägt hatten, und aus Jahrbüchern, die in seinen Tagen noch vor
handen waren, schöpfend, erzählt, aber dabei Zeit und Personen ver
wechselt, indem er von der Wahl des Almos in Dentumogrien berichtet,
was viel wahrscheinlicher sich erst bei der Wahl Arpäd's in Atelkuzu
zutrug. Denn der beinahe gleichzeitige, von den Verhältnissen und
Begebenheiten der in Rede stehenden Nationen so genau unterrichtete
Konstantin sagt ja ausdrücklich, daß nicht Älmos, sondern Ärpäd zum
ersten obersten und erblichen Herzog der Magyaren in Atelkuzu ge
wähltDie
wurde.
sieben Stammfürsten : Älmos, Elod (Lebedias), Kund, Und,
haben, so dürfen weder sie, noch ihre Nachkommen von dem Rathe des
Fürsten
4) und
Würde
von einer
der Mitregierung
ihrer Nachkommen
des Reichs
demausgeschlossen
Fürsten untreuwerden.
und stif
ließen ihr Blut sich in demselben mischen, zum Zeichen der Eintracht
und Treue, die sie verbinden soll, leisteten feierlichen Eid, diesen Ver
trag heilig halten und mit ihrem Blute vertheidigen zu wollen, und riefen
Arpäd zu: „Heute erküren wir dich zu uuserm Führer und Regenten,
und wollen
Eine große
dir folgen,
folgenreiche
wohin dein
That!
Glück
Durch
dichsieführt."
wurden
1 die bisher lose
Arpäd 888—894.
Während
Aufenthalt
die magyarischen
in Atelköz
Stämme
und Auswanderung.
sich innig aneinander schlos
sen und
1 Anonymus,
ein Staatswesen
c. 5, 6. gründeten,
Vgl. Horväth,
brachen
Geschichte
unterdes
denungarischen
Chazaren Reichs,
Zwie-
I, 20—21.
Arpad. Atelköz. 51
tracbt und Parteiungen aus, welche die Vorboten von der Auflösung
und dem Untergang ihres Reichs waren. Der Stamm Kabar trennte
sich los und vereinigte sich mit den Magyaren unter der Bedingung,
daß er als achter Stamm mit gleichen Rechten aufgenommen werde. 1
Eine solche Verstärkung konnte diesen nur willkommen sein, mußte sie
aber auch den Chazaren entfremden, die Verbindung mit ihnen lockern
und ebendadurch ihre Unabhängigkeit fördern. Weiter unten werden
wir noch
NichtVeranlassung
lange darauf
finden,
erhielt
unsdas
mitneu
diesen
vereinigte
KabarernVolk
zu beschäftigen.
Gelegenheit,
schon1 Constantin.
die Einladung
Porphyrogen.,
zu einem zweiten.
c. 38. Unter
DiesohFreundschaft
wachen, in Ueppigkeit
zwischen Ar-
ver
sunkenen Chaganen, denen der oberste Reichsbeamte Bak, türk. Beg, alle Ge
walt entrissen hatte, bedrängt von feindseligen Nachbarn, sank das Cha-
zarenreich immer tiefer, bis sich endlich der byzantinische Kaiser Basilius II.
und russische Fürsten verbanden und dasselbe 1016 zerstörten. Die jüdische.
Sekte der Karaim oder Kenaiten im südlichen Rußland sollen Nachkommen
der Chazaren sein. — '' Da die Bulgaren die Donau beherrschten, wurde der
Handel Konstantinopels nach den nördlichen Ländern durch die Bulgaren
vermittelt , die dadurch große Reichthümer gewannen. Byzantinische Kauf
leute entwarfen daher den Plan, ihnen diese Vortheile dadurch zu entziehen,
daß der Waarenstapel von Konstantinopel nach Thessalonika verlegt und der
Handel auf den Landweg geleitet werde. Um ihre Absichten durchzusetzen,
erkauften sie den Verschnittenen Musikus; der war allvermögender Günstling
des Zautzas; dieser Vater der reizenden Zoe; sie die Geliebte des Kaisers;
der Kaiser konnte ihren Bitten nicht widerstehen; der Handel auf der Donau
ward unterdrückt, das Land den Gefahren und der Verwüstung des Kriegs
preisgegeben. Solche Wege sucht der schändliche Eigennutz; auf solche*
Weise spielt der Despotismus mit dem Wohl und Wehe der Völker. — 3 Leo-
nis Grammatici Chronographia (Bonn 1842), S. 26G. — Constantin. Porphy
rogen. de administr. imp. 40 u. 51. — Szabö, Der bulgarisch -ungarische
Krieg. Neues ungarisches Museum, Jahrg. 2, Heft 9, S. 515.
52 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.
nulf und Swatopluk dauerte nicht lange; nachdem erslerer sich auf
dem Kaiserthron befestigt hatte, suchte er auch seine Oberherrlichkeit
geltend zu machen und den andern zur Lehnspflicht zu zwingen; dieser
aber widersetzte sich, fuhr fort, die Bande der Abhängigkeit zu lockern
und sein Gebiet zu erweitern. Darüber kam es schon 890 zu heftigem
Krieg, in welchem nicht allein die beiden Fürsten, sondern auch die
Nationen, Deutschthum und Slawenthum auf Tod und Leben miteinander
rangen. Zwei Jahre hindurch schwankte der Kampf zwar ohne Ent
scheidung, neigte sich im ganzen aber dennoch zum Vortheil des Sla
wenfürsten, der zu der physischen Macht auch geistige Kraft in die
Wagschale warf. Arnulf verzweifelte an dem Sieg und rief die Ungarn
zu Hülfe. Rasch eilten ihre Reiterscharen unter Arpäd's Führung von
Osten herbei, erschienen die ersten auf dem Kampfplatz, schlugen die
Mährer in den Ebenen Pannoniens 1, scheinen aber dann auf Hinder
nisse gestoßen zu sein, die ihre Fortschritte hemmten. 2 Der Kaiser
brach von Westen mit den Franken, Baiern und Schwaben, Braszlaw,
sein Gewaltträger in Pannonien, von Süden in das mährische Gebiet
ein, der kriegerische würzburger Bischof Amt machte mit den Thü
ringern einen Einfall in Böhmen. Swatopluk konnte wider so viele
Feinde das Feld nicht behaupten, zog sich in die befestigten Plätze
zurück und gab das offene Land den Feinden preis, die es furchtbar
verwüsteten. Aber sie konnten die Burgen nicht nehmen, fanden in
den verheerten Gegenden keinen hinreichenden Unterhalt und zogen
ab, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Im folgenden Jahre that Arnulf
wieder einen Feldzug nach Mähren , an welchem die Ungarn nicht mehr
theilnahmen, erlitt aber Niederlage und schweren Verlust. Der Krieg
dauerte 894 noch erfolglos fort, als der gewaltige Swatopluk starb, und
die Deutschen durch seinen Tod von ihrem gefährlichsten Feinde be
freit wurden.
Die Magyaren
3 hatten für den Beistand, den sie Arnulf geleistet,
keinen andern Vortheil gewonnen, als die Bekanntschaft mit dein schö
nen Lande, und die Einsicht, wie leicht dasselbe zu erobern wäre. Da
gegen traf sie zu Hause ein schwerer Unfall , während ihre Krieger im
Westen kämpften. Simeon, der Bulgarenfürst, benutzte 892 deren Ab
wesenheit, furchtbare Rache zu nehmen für die Niederlage, die er un
längst von ihnen erlitten hatte, schloß Bündniß mit ihren unversöhn
lichen Feinden, den Petschenegej,n , überfiel das von seinen Verthei-
digern entblößte Land und trug nach allen Seiten Verwüstung und
Tod. Liutin und viele Tapfere blieben auf dem Schlachtfelde, die wehr
hafte Mannschaft wurde überall niedergemacht, Frauen und Kinder in
Gefangenschaft geschleppt. 1 Damals mochte ein Theil der Verspreng
ten, die Szekler. sich in die Gebirge Siebenbürgens zurückgezogen und
dort Sicherheit gefunden haben. Die sonst dem Verderben entrinnen
konnten, retteten sich mit ihren Heerden über den Pruth und eilten ge
gen Norden. Die Petecheneger ließen sich in Atelköz nieder; sie, die
vor kurzem aus ihren Sitzen am Jaik vertrieben, heimatlos umher
irrten, herrschten nun vom Dniepr bis an die Karpaten und vom Schwar
zen Meere gegen Norden bis an das russische Gebiet2 als ein mächtiges,
weit gefürchtetes
Als Ärpäd vonVolk.
dem3 Kriegszuge aus Großmähren , den Weg nörd
wir vermögen nicht, mit ihnen zu kämpfen, weil sie ein großes Land und
viel Mannschaft haben und tapfer sind. Constant. Porphyrogen. de administr.
mp., c. 8. — 4 Anonymus, c. 8. Nestor's Chronik. In der französischen
1Uebersetzung von Louis Paris (Paris 1834 — 30) lautet die hierhergehörige
Stelle: „Durant les annees 6396—6406 (de 886—896) les Ongres traverserent
la cbaine de montagnes encore appelees de nos jours les montagnes des
Ongres, ils s'approcherent de rives du Dniepr et camperent avec leurs kibitks
non loin de Kiew etc." Schlözer in seinem Nestor (Göttingen 1805) über
setzt dieselbe Stelle : „Im Jahre 898 zogen die Ungarn vor Kiew vorbei über
einen Berg, der nun der Ungarische genannt wird. Sie kamen an den Dnepr
54 Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.
entweder etwas früher in Atelköz oder jetzt vor Kiew anschlossen, denn
stantin
damals gab
der Purpurgeborene
es in diesen Gegenden
zählt dienoch
Völker
gar im
keine
Norden
Kumanen.
des Byzan
Kon-
tinischen Reichs auf und gibt die Lage ihrer Wohnsitze an. „Die Tur-
cia, Ungarn, grenzt nordwestlich an GrcJßmähren, südlich von derselben
liegt Krowatien und Bulgarien (an der Donau); östlich von den Kar
zum
patenKaspischen
bis an denMeere,
Dnieprvonwohnen
da gegen
die Norden,
Petscheneger;
bis wo/
vomderDniepr
Don der?**/
bis •,
tanen"
1 Anonymus,
u. s. w. c. 8, 9. 10. — 2 Constant. Porphyrogen., c. 40. — 3 Ne
stor, c. 59.
Ärpäd. Neue Wanderung. 55
ren seine Wanderung von Kiew fort und zog durch Lodomerien und
Galizien. Die Fürsten und Völker dieser Länder eilten, durch Ge
schenke und Geiseln Frieden und Schonung zu erkaufen, und um der
ungebetenen Gäste um so eher los zu werden, gaben sie ihnen nicht nur
Wegweiser, sondern auch Bogenschützen, und schickten Arbeiter vor
aus, um die Pfade über die Karpaten zu bahnen. Mühsam, aber von kei
nem Feinde angegriffen, überstieg das wandernde Volk das Gebirge,
kam in den nordöstlichen Theil der Bereger Gespanschaft hinab
und lagerte in der Gegend zwischen dem Fluß Latorcza und dem Ször-
nyer Moor, wo jetzt auf hohem Felsen das Schloß Munkäcs steht.
Hier wurde gerastet, theils um von der beschwerlichen Wanderung
auszuruhen, theils um das Heer für die bevorstehenden Feldzüge zu
ordnen.
Nach
2 alten einheimischen Ueberlieferungen bestand das unga
rische Volk bei seinem Auszug aus Dentumogrien aus sieben Stäm
men, die wieder in 108 Geschlechter zerfielen. Jeder Stamm hatte
30857 Mann unter Waffen, folglich alle zusammen 216000 3, woraus
sich auf eine Gesammtzahl von mehr als einer Million schließen ließe.
Hiervon mag wol ein großer Theil den Beschwerden des Wegs erlegen
und unter dem Schwerte der Feinde umgekommen sein, aber diesen
Verlust mochten die Kabarer und Russen durch ihren Beitritt wieder
ersetzt
1 Anonymus,
haben. Wir
c. 32.wollen
— 2 Derselbe,
darüber c.
nicht
8 — 13.
rechten,
— 3 Kezai,
ob eine
II, so1. große
Thü-
Menge so weit zu wandern und anf der Wanderung sich zu nähren ver
mag: aber wir irrten, wenn wir dieses für unmöglich hielten, weil die
Verpflegung einer zahlreichen europäischen Armee mit so vielen Schwie
rigkeiten verknüpft ist. Ein Nomadenheer ist mit wenig Gepäck be
lastet, an Entbehrung und Mühsal gewöhnt, breitet sich weit aus und
führt die nährende Heerde mit sich. Dagegen ließe sich weit weniger
begreifen, wie die Magyaren das weite Ungarn erobern und mit ihrem
Stamme bevölkern, so viele Heere in andere Länder aussenden, so
schwere Niederlagen überstehen und mitten unter fremden Völkern ihre
Sprache und Nationalität behaupten konnten, wenn ihre Zahl viel
geringer als die angegebene gewesen wäre.
.*5
. ...
Dritter
Des ungarischen Reichs Abschnitt,
1. Jahrhundert. Ungarn
unter Herzogen.
I. Thaten und894
Ärpad Begebenheiten.
— 907.
Ai1
Üs die Ungarn in ihr künftiges Vaterland einzogen, herrschte
über das bulgarische Vasallenreich zwischen der Donau und Theiß bis
an die nördlichen Karpaten Zalän, Kremms oder Keans, wie ihn der
Anonymus nennt, Enkel. Jenseit der Theiß, zwischen den Flüssen
Szamos und Maros bis an Siebenbürgens Grenze, gebot der Chazare
Menmaröt über eine Bevölkerung, die aus Chazaren, Bulgaren, Avaren
und Walachen gemischt war. Von der Maros im Norden, von der
Donau im Westen und Süden, und von der Aluta im Osten begrenzt,
erstreckte sich die Herrschaft Gläds über ein größtentheils von Wa
lachen und Bulgaren bewohntes Gebiet, das wahrscheinlich von dem
angrenzenden Bulgarenreiche abhängig war. Ueber den größten Theil
Siebenbürgens, der vornehmlich von Walachen bewohnt war, herrschte
Gelö ; den andern hatten die Szekler wahrscheinlich bereits inne. Ober-
pannonien, welches im Süden an die Donau, im Osten an Zalän's Ge
biet grenzte, gehörte zum großmährischen Reiche. Mit Niederpannonien,
zwischen der Donau und Drau, war Braszlaw vom Kaiser Arnulf be
lehnt. x Die griechisch -italienischen Städte am Adriatischen Meere,
sowie die slawische Bevölkerung zu beiden Seiten der Save, im heutigen
Dalmatien, ungarischen und türkischen Kroatien, waren bald vom öst
lichen und bald vom westlichen Kaiser abhängig und ebendeshalb ziem
lich frei.
Die Gegend, welche die Ungarn zuerst betraten, gehörte zu Za
lan's Gebiet. Die Slawen und Walachen, die da wohnten, fühlten kei
nen Beruf, für ihre bulgarischen Zwingherren zu kämpfen, und unter
warfen sich sogleich freiwillig. Nur die Burg Ungvär, auf der Laborcz,
Gewaltträger Zalän's in dieser Gegend, saß, schien Widerstand leisten
zwischen der Theiß und dem Bodrog, ohne irgendwo auf heftigen Wi
derstand zu stoßen; das übrige Volk breitete sich hinter ihnen mit sei
nen Heerden aus; die ganze Gegend bis an das heutige Ugocsa wurde
eingenommen. Flüchtlinge brachten zu Zalän die Kunde von dem,
was im Norden seines Reichs vorging. Nicht gerüstet zum Kampf,
schickte er blos Gesandte und ließ Ärpäd, mit seiner und Simeon's
Macht drohend, gebieten, nicht weiter zu schreiten. Arpäd, zu klug,
um die ganze Macht der Bulgaren herauszufordern, ehe er sich fest
gesetzt hatte, nahm die Gesandten freundlich auf, beschenkte sie und
schickte mit ihnen als Botschafter die Stammfürsten Und, Ketel und
Tarczal, den Palöezen, die seine Anträge Zalän überbrachten. Diese
lauteten : der Herzog hätte wol als Attila's Nachkomme Rechte auf das
ganze Land, wolle sie aber nicht geltend machen, sondern verlange nur
bis an den Sajo vorzurücken, und erbitte sich ein Büschel Gras von der
Heide Alpär und einen Schlauch Donau wasser, um beide mit dem scy-
thischen zu vergleichen. Als Geschenke übergaben sie zwölf weiße
Pferde, ebenso viele Kamele, kabarische Knaben, ruthenische Mädchen
und kostbare Kleider. Zalän war froh, daß nur so wenig gefordert
werde,
Nunundverlegte
gewährte
Ärpäd
die Bitte,
sein Lager
die er nicht
weiterabzuschlagen
gegen Südenwagte.
in die2 herr
liche Gegend von Szerencs, auf deren Gebirgen der kostbare, Tokayer
genannte Wein wächst; wo das Auge von den Höhen in fruchtbare
Thäler hinabschaut; in der Ferne. auf der einen Seite die Schneegipfel
der Karpaten schimmern, auf der andern die unendliche Ebene des Nie
derlandes wogt. Von hier zog Bors, Böngör's Sohn, mit seinen Ka-
barern aus, unterwarf und. besetzte die Gegend am Sajö, erbaute die
Burg Borsod, ging sodann bis an das hohe Tätragebirge, sicherte dort
die Grenzen gegen Polen und brachte die Söhne der vornehmsten Ein
wohner
1 Anonymus,
als Geiseln
c. 12,
in des
13. Herzogs
— 2 Derselbe,
Lager c.zurück
15 — 17.
, woDieer Uebergabe
mit Freuden
des
Grases und Wassers sollte sinnbildlich die Uebergabe des Landes, und die Ge
schenke den Kaufpreis vorstellen, um welchen die Ungarn dasselbe an sich
brachten. Die Ausschmückungen der Sage, an denen der Anonymus so reich
ist, fallen hier sogleich in die Augen. Diese eine Erzählung mag als Muster
der andern dienen , zugleich aber auch zeigen , wie wenig dergleichen Aus
schmückungen der historischen Wahrheit schaden, iudem die einfache That-
sache in der sagenhaften Umhüllung sogleich erkannt wird.
Ungarn unter Herzogen. Ärpäd. 59
zu ersuchen, er möge die Gegend am Szamos und das Nyir-er Land bis
an das Gebirge Meszes gutwillig abtreten. Als er jedoch die dreiste
Forderung abschlug, rückten Tas, Szabolcs und Tuhutum in diese Ge
genden ein, um sie mit Waffengewalt zu nehmen, eroberten die Burg
Szatmär, drangen bis an die genannten Berge und den Fluß Korös vor.
Die beiden erstem siedelten ihre Stämme zwischen den alten Ein
wohnern des Landes an und brachten, wie gewöhnlich, vornehme Jüng
linge zum Herzog als Geiseln. Das Gebiet jenseit der Korös bis an die
Maros blieb im Besitze Menmaröt's, den man als Chazaren schonte. Die
neuerbaute
Tuhutum,
Burgder
Sabolcs
Schlaue,
sicherte
strebte
den nach
Besitzgrößern
der Eroberung.
Dingen. 2 Nachdem
Kezai, II, 1, und Tharoczy , Chron., II, 5, nennen den Eroberer Sieben
bürgens Gyula, setzen aber die Eroberung auch in dieselbe Zeit, in welcher
Ungarn eingenommen wurde. Vgl. Köväry, Geschichte Siebenbürgens (un
garisch, Pesth 1859), I, 37 — 41. Büdinger, Oesterreichische Geschichte, I,
392, Anm., leugnet, daß Siebenbürgen damals erobert worden sei, aus Grün
den, die wol niemand überzeugen können und durch geschichtliche That-
sachen widerlegt werden. — 4 Anonymus, c. 30 u. 32. — 5 De administr.
imp., c. 41. — 6 Szalay, Geschichte des ungarischen Reichs, I, 15. — 7 Ano
nymus, c. 35. Ein verzeihlicher Fehler, da zu seiner Zeit Mähren zu Böh
men gehörte und so wenig schriftliche Nachrichten vorhanden waren, die
ihn über das längst untergegangene Mährenreich hätten belehren können.
60 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
tracht unter den Brüdern zn nähren. 1 Ärpäd machte sich die daraus
entstandene Zerrüttung des mährischen Reichs zu Nutze. Aus der Ge
gend an der Mätra , wo et damals mit dem Hauptheere stand , schickte
er Zuärd, Kadösa und Huba zur Eroberung Oberpannoniens aus. Wäh
rend sie durch das Gebiet Zalän's, du1'cb die heutigen Gespanschaften
Gömör, Neogräd', Sohl und Bars zogen, fanden sie wenig oder keinen
Widerstand, sodaß sie sich des offenen Landes und selbst der festen
Plätze mit leichter Mühe bemächtigen und die Einwohner in Pflicht
nehmen konnten; ja, diese schlossen sich, durch freundliche Worte und
Behandlung gewonnen, dem Kriegszuge an. Aber bei Neitra stellte
sich ihnen Zobor mit dem mährischen Heere muthig entgegen. Drei
Tage dauerte der Kampf, erst am vierten gelang es den Ungarn über
den Fluß Neitra zu setzen und die mährischen Schlachtreihen zu durch
brechen. Zobor selbst wurde von Kadosa verwundet und gefangen,
die Burg Neitra zwei Tage später erstürmt und Zobor aus Erbitterung
über den hartnäckigen Widerstand auf dem benachbarten Berg gehenkt,
der von ihm seinen Namen erhielt. Bald ergaben sich auch die andern
festen Plätze, Szempte, Beczkö, Galgöcz, Trencsin, Bänvära; das ganze
Gebiet von der Waag bis an die March wurde eingenommen und durch
Besatzungen gesichert. Die Anführer kehrten zu Ärpäd zurück und
brachten die vornehmsten Einwohner gefesselt mit sich. Ärpäd aber
löste mit Zustimmung der Volkshäupter ihre Bande, ließ sie Treue ge
loben und wies ihnen in andern Gegenden Besitzungen an, um sich
ihrer zu versichern. 2 Um das Jahr 896 war das mährische Reich
gänzlich verschwunden; den östlichen Thei] des heutigen Mährens nah
men die
Aufgeschreckt
Ungarn, dendurch
westlichen
diese Siege
die Böhmen
und mit
in Recht
Besitz.zürnend
3 über die
selbst befehligte das Hauptheer. Der Kampf dauerte nicht lange; die
Bulgaren geriethen in Unordnung und flohen; die meisten fanden in den
Wellen der Theiß oder unter den Waffen der Ungarn den Tod; Zalau
entkam zu Simeou, sein Reich war für immer vernichtet. Die Sieger
erstürmten die Burgen Titel und Zaläukemeny , gingen über die Theiß
und eroberten das herrliche fruchtbare Land bis Belgrad. 1 Dieser Tag.
an welchem der mächtigste und gefährlichste Feind nicht nur geschlagen,
sondern gänzlich besiegt wurde, war entscheidend; ein weites Reich
war gewonnen
Ärpäd undund seine
dessen
Mitfürsten
Besitz nun
erkannten
erst gesichert.
die Wichtigkeit des Zeit
.allem andern der Sieg über die Bulgaren vervollständigt werden. Darum
gingen Lehel, Bulcs und Botond über die Donau, schlugen den herbei
ziehenden Simeon in blutiger Schlacht und zwangen ihn, sich nach Bel
grad zu werfen, das sie nun umlagerten. Zwei Tage darauf kam es
zum Friedensschluß, durch den sich Simeou verpflichtete, Zalän nie
mehr zu unterstützen, jährlich Tribut zu zahlen und seinen Sohn als
Geisel zu übergeben. Hierauf zogen die siegreichen Scharen über Ser
bien bis an das Adriatische Meer, wandten sich da um, setzten über die
Kulpa1 Anonymus,
und Save,c. nahmen
39. — 2 die
Derselbe,
Burgenc. 40.
Agram, Posega und Vukovär,
62 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
nöthigten die Einwohner zur Unterwerfung und führten die Söhne der
Vornehmen als Geiseln mit sich. 1 Doch war dies keine bleibende Er
oberung; Kroatien setzte sich bald wieder in Freiheit und wurde erst
später, mehr durch Staatsverträge als Waffengewalt, mit Ungarn ver
einigt.Zu derselben Zeit brachen Zuärd, Kadösa und Bojta aus der
Bäcska gegen Gläd, de/1 Beherrscher des Gebiets zwischen der Maros,
Donau und Aluta und Vasallen der Bulgaren, auf. Erst an der Temes,
welche die Ungarn im Angesicht des feindlichen Heeres überschritten,
kam es zur Schlacht; Gläd wurde besiegt, floh in die Burg Keve und
suchte, als diese berannt wurde, in Unterwerfung sein Heil, huldigte und
behielt sein Land unter ungarischer Oberhoheit. Nachdem auch Ür-
sova erobert war, kehrten Kadösa und Bojta zurück; Zuärd aber zog
nach Serbien, nahm eine Tochter des Landes zur Frau und blieb dort
mit seiner
Das Reich
Mannschaft.
war also
2 auch im Südosten bis an natürliche Grenzen
ausgedehnt und geordnet. Nun zog Arpäd an der Donau hinauf; die
Insel Csepel, unterhalb Pesth, gefiel ihm ausserordentlich; ihre Aus
dehnung bot Baum genug dar; ihre Lage zwischen dem mächtigen
Strom gewährte Sicherheit gegen plötzliche Ueberfälle und machte sie
zu einem geeigneten Ausgangspunkt neuer Unternehmungen; hier schlug
er also seinen Sitz auf und wartete, bis die günstige Zeit zu solchen
kommenSolange
würde.
Arnulf,
3 ihr vormaliger Bundesgenosse, lebte, unternahmen
die Ungarn keine Feindseligkeiten gegen das Gebiet jenseit der Donau,
900 welches unter deutscher Oberhoheit stand. Aber Arnulf starb; sein
sechsjähriger Sohn , Ludwig das Kind, folgte nach ; dessen Vormünder
Hatto, Erzbischof von Mainz, und Otto, Herzog in Sachsen, herrschten
nach Willkür und misbrauchten ihre Gewalt zur Erweiterung der eige
nen Macht und Besitzungen. Die übrigen Großen folgten ihrem Bei
spiele; überall war Kampf der Mächtigen, Unterdrückung der Schwa
chen, Verwirrung und Noth. Die Gelegenheit winkte; Arpäd zog
seine Scharen zusammen, ging über die Donau und erschien vor Sigam-
bria, dem heutigen Alt-Ofen. Die Besatzung floh, die Ungarn zogen In
die alte Ezelsburg ein, bewunderten die Ruinen und die noch stehenden
Gebäude und feierten ein Siegesfest. Hierauf wurde der weitere Feld
zug geordnet. Eine Abtheilung unter Etc und Bojta ging hinab nach
Baranya und trug ihre siegreichen Waffen bis jenseit der Drau. Die
andere unfer Usub und Ös zog über Paskod längs dem bakonyner
Forste gegen Weßprim. Die Besatzung vertheidigte zehn Tage lang
die Festung, endlich gelang es ihr durchzubrechen und sich nach dem
heutigen Steiermark zurückzuziehen. Eisenburg ergab sich bald und
hiermit war die ganze Umgegend des Plattensees gewonnen. Arpäd
selbst1 Anonymus,
aber rücktec. mit
41 —42.
dem Annales
dritten Heere
Fuldens.in bei
dasPertz,
ThalI, des
ad Raabflusses
ann. 894. —
'* Anonymus, c. 44. — 3 Derselbe, c. 44. Vgl. die Uebersetznng von Szabo,
S. 64.
Ungarn unter Herzogen. Arpäd. 63
und der Räbcza, schlug sein Lager am Pannon- oder Martinsberge auf
und betrachtete von dessen Höhe mit frohem Selbstgefühl das wunder
schöne Land, welches sein Volk unter seiner Führung erobert hatte.
Von hieraus verbreiteten sich seine Scharen siegreich noch über die
Grenzen des heutigen Ungarns und nöthigten alles zur Unterwerfung.
Als Besatzung
Während wurde
die Ungarn
hier der
aufStamm
diese Elod's
wichtigen
oderUnternehmungen
Lebed's angesiedelt.
Auf1
große herrliche Land nicht nur ganz erobert, sondern es hatten auch so
die eigenen Stämme, wie die Bundesgenossen ihre Sitze erhalten; die
Eingeborenen, besonders diejenigen, die sich freiwillig unterwarfen,
waren großentheils schon in den Nationalverband aufgenommen und
das Reich durch mancherlei bürgerliche Einrichtungen auf dauernde
WeiseAber
gegründet.
das seit Jahren unaufhörlich wandernde und kämpfende Volk
konnte die Ruhe mit einem mal nicht liebgewinnen; Krieg und Plün
derung war seine tägliche Beschäftigung, seine Freude und sein Be-
dürfniß geworden. 3 Da nun in dem neugewonnenen Lande nichts
mehr zu thun war, überschritten größere und kleinere Haufen die ohne
hin noch unbestimmten Grenzen. Ein solcher Haufe brach schon wäh
rend des Feldzugs in Niederpannonien nach Kärnten ein, und zwar auf- 900
gefordert und begleitet von dem neu unterworfenen großmährischen
Adel, dem die Deutschen verhaßt waren. Die Baiern, also Deutsche,
schickten sogar Geschenke an die Führer solcher Horden, um sie zum
Einfall in die südliche Ostmark (Steiermark, Kärnten und Krain) zu be
wegen,
1Um
Anonymus,
damit
dieselbe
sie c.nur
Zeit
46-
selbst
setzte
50. —
verschont
eine
z Derselbe,
Abtheilung,
blieben.
c. 504— die
52. —
über
3 Derselbe,
die Drauc. ge-
40.
'— 4 Horvath, Geschichte des ungarischen Reichs (2. Aufl., Pesth 1860),
I, 58. Brief der bairischen Bischöfe an Papst Johann IX., in Hansiz, Germ,
sacra, I, 177.
64 Erstes Buch. Dritter A bs chnitt.
gangen war, ihren Zug immer weiter fort, ging über die Brenta und
gelangte bis in die Umgegend Pavias, vom Frühling bis zum Herbst das
offene Land verheerend und plündernd. Endlieh setzte Berengar, der
König von Italien, mit großer Heeresmacht über den Po. Die Ungarn
halten jeden Widerstand gegen solche Uebermacht für unmöglich, zie
hen sich über die Adda zurück, werden aber eingeholt, weil ihre er
schöpften Rosse sie nicht weiter tragen können, und sehen sich von
allen Seiten eingeschlossen. Da schicken sie Boten an den König,
tragen die Rückgabe aller Gefangenen und der ganzen Beute an, und
wollen heilig geloben, nie mehr nach Italien einzufallen. Berengar
weist jedes Anerbieten zurück und bleibt bei dem Vorsatz, sie zu ver
nichten. Ihnen aber gibt die Verzweiflung neue Kräfte; plötzlich fallen
sie über das in Siegeszuversicht rastende und gemüthlich speisende Heer,
überschütten es mit einem Pfeilregen, greifen dann mit Lanze und
Schwert an und durchbrechen seine Reihen; es löst sich in wilde
Flucht auf und läßt 20000 Todte auf dem Platz. Vom Glück be
rauscht, trennen sich nun die Sieger in mehrere Haufen; Verona, Pavia,
Mailand und andere Städte werden geplündert , das offene Land gänz
lich verheert. Ein Haufe dringt sogar bis nach Turin und an die
schweizer Alpen; ein anderer geht über den Po, verwüstet das par
maische Gebiet, verbrennt das reiche Kloster Nolantula, vollzieht
gleichsam ein Strafgericht Gottes, indem er Luitwarden, jetzt Bischof
von Vercelli, vormals Kaiser Karl des Dicken übermächtiger Günst
ling, Leben und Schätze raubt. Ihre Verwegenheit geht noch weiter;
sie setzen sich auf Flöße nnd Kähne, aus Thierhäuten bereitet, greifen
die benachbarten Inseln und selbst Venedig an, werden aber von der
Flotte der Venetianer unter dem Dogen Peter zurückgeschlagen. Erst
in der Mitte des künftigen Jahres brachte es Berengar durch große
902 Geldsummen
Noch eindahin,
anderer
daßHaufe
sie dasdurchstreifte
verwüstete die
Land
nördliche
verließen.
Ostmark,
1 das
900 heutige Oesterreich, zerstörte den kremser Münster, das dortige Klo
ster des heiligen Florian , verheerte weit nach Baiern hinein und plün
derte selbst die Reichsstadt Regensburg. Der größte Theil kam, mit
Beute beladen glücklich nach Hause; blos eine Abtheilung, die sich
verspätet, wurde vom passauer Bischof Richard und vom östlichen
Markgrafen Luitpold erreicht, als sie über die Donau setzen wollte;
, 1200 von ihnen fielen unter dem Schwert oder ertranken in der
901 der
Donau.
Reiz
Doch
2 der
einBeute
solcher
warUnfall
zu groß,
konnte
der verworrene
die Magyaren
Zustand
nicht Deutschlands
abschrecken;
Streifzüge werden aus dieser Zeit berichtet, wenn auch kleinere Horden
die Nachbarländer bisweilen beunruhigen mochten. Wahrscheinlich hat
Ärpäd das Verderbliche derselben für sein Volk eingesehen und sie zu
hindern gesucht. Denn an allen diesen, hlos auf Verwüstung und
Beute ausgehenden Einfällen nahm er keinen Antheil; auch wurde kei
ner derselben im Käthe der Nation beschlossen und mit ihrer Gesammt-
kraft ausgeführt, wie die Eroberung des Landes, das sie sich zur Hei
mat ausersehen hatte. Aber bei der so losen Stammverfassung, bei der
geringen Macht, die sie dem Herzog, und bei der Unabhängigkeit, die
sie den Häuptlingen gewährte, stand es jedem von diesen frei, auf
eigene Faust Unternehmungen zu wagen und mit seinen Scharen auf
BeuteÄrpäd
auszugehen.
selbst beschäftigte sich nach vollendeter Eroberung damit,
das Land zu organisiren , die eigene Macht zu befestigen und die Herr
schaft bei seinem Hause zu erhalten. Darum strebte er, nicht nur die
Liebe des eigenen Volks und seiner Häupter zu gewinnen, sondern
suchte auch die Jüngst unterworfenen Eingeborenen und Fremde, die
seinem Hoflager zuströmten, durch Wohlwollen und Gaben immer
mehr an seine Nation und an sich selbst zu fesseln. s Er erlangte, wo
nach er strebte. Außer Liutin, dessen Tod wir bereits kennen, er
wähnen ausländische Berichte 4 noch seine drei Söhne : Tarkos, Jeles
und Jutöcz, die aber bereits todt waren, und vielleicht auch unter den
stieg, aber keine Unordnung und Verwirrung brach in dem Lande aus,
wo doch noch so viele ungeordnete und widerstrebende Elemente gär
ten. Das Volk hing mit Liebe an dem jungen Fürsten , und die Gro
ßen ehrten seine Würde; alles zeugt von dem Geiste des Gehorsams
und der Treue gegen gesetzmäßige Einrichtungen, der diese Nation
schon damals beseelte. Die Häupter traten zusammen und setzten für
die Dauer der Minderjährigkeit eine Regentschaft ein, deren Mitglieder
nicht genannt werden; zu Feldherren aber bestellten sie Lehel, Bulcs
und Botond.
Nachdem 3 das Gerücht von Ärpäd's Tode und Zoltän's unmündiger
überfielen sie mit Tagesanbruch. Ihre von den Deutschen noch nicht
begriffene Art zu kämpfen verschaffte ihnen wieder den entscheidend
sten Sieg. Als es stiller ward auf dem Schlachtfelde, begann das Jagen
hinter den fliehenden Deutschen, worauf Plünderung und Verheerung
im Lande folgte. Endlich bewog Ludwig die Anführer durch ansehn
liche Geldsummen zum Rückzuge, wobei er noch sich und seine Nach
folger1 zu
Reginon.
einem jährlichen
Continuat. Tribut
ad ann.verpflichten
907. HermanD.
mußte.Contract.
4 et Chronic.
dem Innflusse3 über die Ungarn erlangt hatte, täuschte die übrigen
mit dem Wahne von ein.er gänzlichen Aufreibung dieser furchtbaren
Feinde; und nun fuhren sie mit kindischer Zuversicht fort, Konrad's
Ansehen zu gefährden und wider ihn zu meutern, als hätten sie ihn nur
zu ihrem Gegner, nicht zu ihrem König gewählt. 3 Dadurch noth-
gedrungen gegen die, nach völliger Unabhängigkeit strebenden Fürsten
913— sich
Anfälle
zu behaupten,
auswärtiger war
beherzter
KonradFeinde
ausserzuStande,
schützen.
das Ungehindert
Reich wider und
die
König Heinrich fordern, und als dieser die Zahlung verweigerte, führte
er seine Scharen nachSachsen. 6 Heinrich ging ihm mit einem Kriegs
heer entgegen. Vor Peuchen , unweit Wurzen, kam es zum Gefecht;
die Ungarn kämpften so tapfer, daß Heinrich nach schwerer Niederlage
sich in die Pfalzfestung Werla, bei Goslar, flüchten mußte. Das Land
war 1 nun
Luitprand.,
den erbitterten
II, 17. 18. —
Siegern
2 Ders.,preisgegeben;
III, 1. — ° Frodoard.
doch zumChron.
Glück
ad ann.
für
mit Waffen und Schlachten. Nun brach Zoltän mit seiner Heermacht
durch Böhmen in das meißener Land ein und forderte die Dalemincier
auf zur Waffengesellschaft gegen den König, der sie kurz vorher be
zwungen hatte; allein so schwer diesen auch das Joch deutscher Herr
schaft dünkte, so schien es ihnen doch erträglicher, als der Ungarn
Freundschaft, welche sie vor zehn Jahren mit Zerstörung ihres Wohl
standes
1 Pray,
hatten
Dissertat.,
bezahlenV, müssen.
103. — 2 Gewaltthaten,
Witichind. et Sigebert.
unter demad Deckmantel
ann. 925. —
trächtliche
Unterdessen
Anzahlwar
gefangener
das östliche
Deutschen
Heer der
in Freiheit
Ungarn gesetzt.
vor Merseburg
2 ge
Sigeber ad ann. 934. Frodoard ad ann. 933. Aloldus ad ann. 933 in Han
haie i Fasti Campililiens., I. — * Witichind., a. a. O. Hermann. Contract.
ad ann. 937. Leo Ostiens. Chronic, I, 55. Lupus Protospat. ad ann. 936.
72 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
Ungarn heimgesucht; aber an dem Ufer des Trauns forderte sie Her
943 sie
zoginBerthold
blutiger zur
Niederlage
Schlacht, ihre
der sie
Raubsucht.
nicht entrinnen
2 Im konnten;
folgenden dort
Jahrebüßten
trieb
sie die Unruhe mit einem ungemein zahlreichen Heere gegen das byzan
tinische Kaiserthum, das zu schwach war, den Kampf mit ihnen zu be
stehen. Zum Glücke lebte der wortmächtige Patricier Theophanes
noch; ihn sandte Romanus Lakapenus mit reichlichen Geschenken.
Mit vieler Geschicklichkeit erhandelte dieser auf fünf Jahre Frieden,
944 welcher
darauf wagten
gegenseitig
sie einen
durchRaubzug
ansehnliche
nachGeiseln
Kärnten,
verbürgt
wo siewurde
aber 3.vonBald
den
Eingeborenen
Vermöge und
des erwähnten
von den Baiern
Friedens
fast gänzlich
konnten aufgerieben
die Ungarn wurden.
in die grie
4
leicht um seinem Sohne die Nachfolge zu sichern, legte Zoltan die Herr
schaft nieder und übergab sie seinem siebzehnjährigen Sohne Taksony,
dem er eine Paloczin zur Gemahlin gegeben hatte. Die Volkshäupter
ertheilten ihre Zustimmung und huldigten. Zoltan aber starb drei Jahre
darauf. ö
Der Wunsch , so schnell als möglich durch Thaten sieh der Herr
schaft
1 Hermann.
würdig zu
Contract.
beweisen
ad ann.
, trieb
938. den
Witichind,
siebzehnjährigen
L. II, a. a. O.
Gebieter
'— 2 Chron,
mit
seinem kriegerischen Volke nach Italien, wo Lothar, Hugo's Sohn, und 947
Berengar der Jüngere sich gegenseitig befehdeten. Doch kamen dort
die Ungarn zn keinem Kampfe, weil Berengar es leichter fand, von
Bürgern, Kirchen, Klöstern zehn Scheffel Silbers zu erpressen und
damitDer
denfünfjährige
Frieden vonWaffenstillstand
dem Herzog zumiterkaufen.
dem oströmischen
1 Reiche war 948
Herzog ist, des vierten, Zalta's, Sohn war Taxis." Nach ihm würde also
zu Ende der vierziger und Anfang der funfziger Jahre dieser Falitzin regiert
haben, von dem sonst keine Nachrichten vorhanden sind; auch reden die
abendländischen Chronisten von Geiza, als dem vierten Herzog, sodaß für
Falitzin kein Platz bleibt, und doch muß man voraussetzen, daß der Kaiser
den Namen des Fürsten kannte, mit dem er zu dieser Zeit Verträge schloß.
Eine Schwierigkeit, die nicht zu lösen ist. — Szalay, Geschichte des unga
rischen
1 Lupus
Reichs,
Protospata
2. Aufl., I,
ad 35.
ann. 947. Luitprand., V, 15. — 2 Scylitza und
Cedrenus bei Stritter. — 3 Witichind, II, a. a. O. Annales Hildesheimenses
bei Pertz, Script., III.
74 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
hatte, daher auch niemand mehr ihren Beistand begehrte, war doch die
vorjährige Beute so groß, daß der Herzog und sein Volk durch sie zu
neuen Unternehmungen unwiderstehlich gereizt wurden. Taksony sandte
Abgeordnete an Otto unter dem Vorwande des Friedens, eigentlich aber
um die deutschen Zustände zu erforschen. Kaum war die Gesandtschaft
mit eiuigen Geschenken zurückgekehrt, als auch schon ein großes Heer
nach Deutschland aufbrach und mit der gewohnten Schnelligkeit über
Baiern gegen Augsburg vorrückte. 2 Hier schlug der größere Theil
sein Lager auf, der andere trennte sich und zog unter Botond's Führung
gegen den Main. Otto befand sich gerade auf einem Kriegszug gegen
die slawischen Völkerschaften jenseit der Elbe. Da ward ihm durch
seinen Bruder, den bairischen Herzog Heinrich, eilig der Einbruch der
Ungarn berichtet; er kehrte schnell um, vereinigte sich mit dem frän
kischen, bairischen und alemannischen Heerbann, zog noch eine böh
mische Hülfsschar an sich und führte die vereinigte Armee gegen Augs
burg, das die Ungarn bereits belagerten und stürmten. Als diese das
Herannahen des feindlichen Heers erfuhren, hoben sie schnell die Be
lagerung auf und rüsteten sich zum Kampf. Otto theilte seine Kriegs
völker in acht Haufen und stellte sich selbst an die Spitze seiner Sach
sen. Die Sünden der Krieger wurden durch eine allgemeine Fasten
versöhnt, das Lager ward durch die strengste Zucht und Reliquien der
Heiligen geweiht, der König und die Fürsten empfingen aus Bischof
Ulrich's Händen das geheiligte Abendmahl, gaben sich gegenseitig den
Friedenskuß und schworen einander treuen Beistand und gleiche An
strengung
Am Morgen
im Kampfe.
des 310. August setzen die Ungarn über den Lech,
dem andern Haufen des ungarischen Heeres kam, machte die erste Be
stürzung bald dem Zorne und Durst nach Rache wegen der an ihren
Brüdern verübten Grausamkeiten Platz. Zuerst machten sie die deut
schen Gefangenen, die sie in großer Anzahl mit sich führten, nieder und
legten sich sodann im Schwarz wald in einen Hinterhalt, wo sie dem in
Unordnung heimkehrenden fränkischen und alemannischen Heerbann
auflauerten, ihn überfielen, viele tödteten und fingen und einen großen
Theil der augsburger Beute ihnen wieder abnahmen. Hierauf kehrten
sie unangefochten
1Der
Die Eindruck,
Sage berichtet,
undwelchen
glücklich
von der
dem
heim.
schreckliche
einen
2 Heere St.
seien
-Lorenztag
nur siebenam
übrigge
Lech
blieben; denen haben die Deutschen die Ohren abgeschnitten und sie heim
geschickt, die Niederlage zu verkündigen; dort aber wurden sie ihres Ver
mögens, ihrer Weiber und Kinder beraubt, zum Bettelstab verurtheilt und
gyasz magyarkäk gescholten. Erst König Stephan habe ihre Nachkommen
von der Schmach befreit, indem er sie dem graner Stifte unter dem Namen
der Armen des heiligen Lazarus schenkte. Heinrich's von Muglen Chronik
der Hunnen bei Kovachich. Thuroczy, II, 9. Eine offenbare Fabel, denn
eine Armee von Reitern kann unmöglich so gänzlich vernichtet werden. —
2 Den ganzen Hergang der Schlacht auf dem Lechfelde erzählen: Witichind,
III, a. a. O. Sigebert ad ann. 955. Ditmar. Merseb., II. Gerard. vita S.
Udalrici, a.a.O. Hermann. Contract. u. Hepidan. ad hunc ann. Rhegin. Con-
tinuat. u. Otto Frising, VI, 20. Ueber die Verschiedenheit und Widersprüche
in ihren Nachrichten: Pray, Annal. Hunnor. 365, und Dissert., X. Katona,
Hist. prim. Ducum., S. 442 — 469. Dem aufmerksamen Leser kann es nicht
entgangen sein, daß nach des Anonymus Bericht Lehel und Bulcs als Führer
des Vortrabes in der Schlacht gegen Zalän 896 genannt waren; vor Augsburg
aber, also 59 Jahre später, erscheinen sie, und zwar nach dem einstimmigen
Zeugniß aller einheimischen und auswärtigen Quellen als Anführer des Heeres.
Mithin muß entweder der Anonymus bei der ersten Begebenheit die Namen
irrig angegeben haben oder diese Männer waren damals sehr jung und das
zweite mal sehr alt, oder die letztern waren andere, die aber den Namen
der erstem, vielleicht als ihre Söhne und Enkel, führten. Anonymus, c. 55,
Kezai, II, 1. .
76 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
bestiegen hatte, ward von ihm verlangt, seine Eroberung dem Kaiser
zu überlassen und sich mit dem von Nicephorus bezahlten Gelde zu be
gnügen. Das ließ Swätoslaw auf das Waffenlos ankommen, wozu er
nun einige Haufen Ungarn und Petscheneger in Sold nahm. Seine
ganze Macht war 38000 Mann stark, in drei Rotten getheilt, wovon
die eine aus Russen und Bulgaren, die andere aus Ungarn, die dritte
970 aus
MannPetschenegern
unter Anführung
bestand.
des Bardas
Joannes
Sklerus
Tzimisces
entgegenstellen.
konnte ihm nur
Die12000
Grie
Sie waren nicht nur geschwächt durch die gehäuften Kämpfe und Nie
derlagen, sondern auch der Schrecken, der vor ihnen herging und die
Kraft zum Widerstande lähmte, war geschwunden. Mit Recht besorgten
• Taksony und die andern Führer, daß die gemishandelten Völker end
lich sich erheben und Rache nehmen könnten, darum hielten und ge
boten sie Frieden. Sehr gelegen kamen jetzt neue, stammverwandte
Ansiedler in das Land. Zuerst Petscheneger unter ihrem Häuptling
Thonuzoba, die sich an der Theiß oberhalb des jetzigen Szolnok nieder
ließen. Sodann Bulgaren von der Wolga her, geführt von Bila und
Bocsu, denen an mehreren Orten Wohnungen angewiesen wurden, be
sonders aber am Unken Donauufer Ofen gegenüber, wo sie Pesth bau
ten. Diesen folgte noch ein zweiter Schwarm mit seinem Stammfürsten
Heteny, der gleichfalls freundliche Aufnahme fand. Diese Bulgaren
werden in den einheimischen Chroniken und Urkunden Ismaeliten ge
nannt, weil sie sich schon zur Zeit ihrer Einwanderung zum Islam be
kannten
Taksony
und noch
starbJahrhunderte
972 und ward
hindurch
an der
dabei
Stelle
beharrten.
begraben,
2 wo unter
halb Pesth die Ortschaft Taksony liegt, wie die Sage berichtet. Durch
seinen Tod ward das von Parteien zerrissene Deutschland, sowie das
sinkende Reich der Griechen vor gefährlichen Erschütterungen von sei
ten der Ungarn auf lange Zeit gesichert. Kühner in Entwürfen, als
sein Vater und Großvater, aber unglücklicher als beide auf dem Schlacht
felde, hatte er einen großen Theil der Kräfte seines Volks aufgerieben,
und seinem Sohne Geiza (Gyozö, Sieger, Victor) mit der Herrschaft
zugleich
1 Cedrenus.
die Nothwendigkeit,
Zonaras bei Stritter,
die Waffen
Tom.niederzulegen,
II, Pars II, 618hinterlassen.
sq. et 988 sq.;
Geiza war zwanzig und etliche Jahr alt, als er der! herzoglichen
Stuhl einnahm. Beim Antritt seiner Regierung fand er nicht nur die
Kraft des Reichs erschöpft, sondern auch Denkungsart und Sitten des
Volks hatten sich bedeutend verändert. Siebzig Jahre waren unter be
ständigen wechselvollen Kämpfen verflossen, zwei Generationen hin
gestorben; die kühne Siegeszuversicht, die Arpäd's HeldengeüSt. den Un
garn eingeflößt hatte, fing an schwächer zu werden, der Umgang mit
den Ueberwundenen zu Hause, die Berührung mit weniger oder mehr
civilisirten Nationen in der Nachbarschaft äußerten ihren Einfluß; das
Verlangen, das reiche Land und die gewonnene Beute auch zu genießen,
erwachte; schon vertauschte der Vornehme das Zelt mit der Burg; der
Herrschersitz ward in einer Stadt aufgeschlagen, und auch den Gerin
gern zog bereits die Heimat an, wo er geboren war, seine Familie lebte,
und seine Heerde weidete; die wilde Aufregung der Eroberung war
verrauscht und die Ruhe kehrte allmählich ein. Dem natürlichen
Gange der Dinge und den Bedürfnissen des Reichs folgten also Geiza
und sein hoher Rath, indem sie einen Zustand des Friedens herbei
zuführen, mit den Nachbarländern freundschaftliche Verhältnisse anzu
knüpfen und die eigene Nation auf die Bahn der Civilisation zu leiten
suchten.
Eine1 wichtige Maßregel war es, wie Kezai 2 berichtet, daß das
Recht, den Herzog vor sein Gericht zu fordern und auch zu entsetzen,
welches das Volk bisjetzt besessen hatte, nun aufgehoben wurde.
Gewiß fielen auch andere Schranken , welche die herzogliche Macht be
engten, und wurde den Veränderungen, die eingeführt werden sollten,
selbst gewaltsamerweise Bahn gebrochen. Es wird uns daher be
richtet, Geiza sei strenge, hart, sogar grausam gegen sein Volk gewesen,
habe aber Ausländer begünstigt. 3 Denn bedeutende Veränderungen
finden überall heftigen Widerstand und können nur durch Kampf
durchgesetzt werden. Auch unter den Ungarn gab es gewiß viele, die
am Alten hingen und dem Neuen hartnäckig widerstrebten, die Geiza's
harter Sinn nur durch rohe Gewalt zu zwingen und zu beseitigen wußte.
Die Fremden hingegen waren nicht nur Rathgeber, die man brauchte,
sondern auch Werkzeuge, durch welche man den Widerstand brechen
konnte. Dies alles dient aber zugleich als Zeugniß, wie sehr die her
zogliche Macht, die anfangs so gering war, durch hundertjährige Ver
erbung von Vater auf Sohn in derselben Familie jetzt schon gewachsen
und erstarkt
1 Notulae sein
ex Aloldo
mußte.: Admisit
Leider (Geiza)
besitzenconsüium
wir gerade
sibi aaus
Deodieser
inspiratum,
wich-
tigen Epoche der ersten staatlichen Entwickelung unsers Volks nur sehr
spärliche
Die erste
Nachrichten.
Gemahlin Geiza's war Sarolta, des siebenbürger Stamm-
fiirsten Gyula Tochter1, die ihm 969 einen Sohn, den nachmaligen Kö- 969
nig Stephan gebar, aber bald darauf starb. Hiermit widerlegt sich von
selbst, was gewöhnlich ohne historische Zeugnisse behauptet wird, daß
Sarolta, selbst Christin, ihren Gemahl zu den neuen Einrichtungen im
Reiche und besonders zur Einführung des Christenthums ermuntert und
dabeiUmgeleitet
friedliche
habe. Verhältnisse mit benachbarten Staaten anzubahnen,
ging eine Gesandtschaft an Kaiser Otto, die ihn in Quedlinburg traf, 973
wo er das Osterfest feierte, und freundlichen Gruß nebst Geschenken
vom Herzog überbrachte. 2 Die Gesandten wurden gütig aufgenommen
und erhielten reiche Gegengeschenke. Sie begegneten hier, neben den
Abgeordneten mehrerer Völker, auch dem Polen -Herzog Micziszlaw
(Miesko), der eben erst zum Christenthum übergetreten war und sich
dem Kaiser, der damals als das weltliche Haupt der Christenheit ge
ehrt wurde, vorzustellen kam. Bei dieser Gelegenheit wurde wahr
scheinlich auch die Vermählung Geiza's mit Micziszlaw's Schwester,
Adelheid, verabredet, welche bald darauf wirklich zu Stande kam. 3
Adelheid war es, die wegen ihrer Schönheit Beleknigini, polnisch die
schöne Fürstin , genannt wird 4 und über ihren Gemahl große Gewalt
hatte. Sich in seine Gewohnheiten und Sitten fügend, mit ihm reitend,
jagend
daß sie und
ihn ganz
selbstnach
bis ihrem
zur Unmäßigkeit
Gefallen leitete
trinkend,
und auf
brachte
die Regierung
sie es dahin,
des ,
Landes den größten Einfluß übte; sie brachte es dahin, daß Geiza, der
sonst eben nicht gütiger Gemüthsart war, Ausländer und Christen
freundlich
Kaiseraufnahm
Otto erwiderte
und endlichdie
selbst
ihmzum
so Christenthum
angenehme hinneigte.
Gesandtschaft
6
Geiza's noch in demselben Jahre und wählte dazu den Bischof Bruno
von Verdun, der den Auftrag erhielt, den Herzog in seinen friedlichen
Gesinnungen zu bestärken und für das Christenthum zu stimmen. Er
fand ihn zu Gran, seiner gewöhnlichen Residenzstadt 6, und .scheint sich
seinesUm
Auftrags
diese Zeit,
mit Erfolg
oder entledigt
vielleicht zu
noch
haben.
früher, kam Wolfgang, der
in das Land, das Evangelium zu verkündigen, wurde aber von dem pas
sauer Bischof Piligrin aus Eifersucht abgerufen. Denn nach der Zer
störung des Erzstiftes Lorch rechnete Passau auch Pannonien zu seinem
Sprengel; Piligrin wollte daher nicht gestatten, daß dort jemand das
Christenthum ausbreite, ohne von ihm bevollmächtigt zu sein, besonders
auch darum, weil er sein Stift zum Erzbisthum erheben, sich Verdienste
sammeln und seinen Sprengel so ausdehnen wollte, daß er dessen wür
dig gefunden werde. x Hierauf nahm Piligrin die Sache selbst in die
Hand und schickte Mönche als Glaubensboten nach Ungarn, die dort
nach seiner, des eben Gesagten wegen zwar etwas verdächtigen Ver-
974 sicherung sehr viel ausgerichtet haben. Als er nämlich den Papst Bene
dict VH. bat, ihm das erzbischöfliche Pallium zu verleihen, berichtet
er: „Da ich von dem ungarischen Volke mit vielen Bitten angegangen
wurde, entweder selbst zu kommen oder ihnen von mir abgeordnete
Boten des Evangeliums zu schicken, sandte ich zu ihnen geeignete
Mönche und Priester .... und die Gnade Gottes gewährte eine solche
Frucht, daß fünftausend Vornehme beider Geschlechter zum katho
lischen Glauben aufgenommen wurden. Die Christen aber, welche die
Mehrheit des Volks bilden, aus allen Weltgegenden als Gefangene dahin
geschleppt waren und bisher ihre Kinder nur heimlich taufen konnten,
bringen nun diese ungescheut zur Taufe .... und lösen ihre Zungen
zum Lobe des Heilandes mit Freuden. Denn die Barbaren selbst ....
wehren es keinem ihrer Untergebenen sich taufen zu lassen, und hindern
t die Priester nicht, wohin immer zu gehen; die Heiden leben vielmehr
in solcher Eintracht mit den Christen und sind mit ihnen so in Freund
schaft verbunden, daß die Weissagung des Jesaias hier in Erfüllung ge
gangen zu sein scheint: «Der Wolf und das Lamm Werden miteinander
weiden, und der Löwe und Ochse Spreu essen." Die Sachen stehen
mithin so, daß beinahe die ganze ungarische Nation geneigt ist, den
heiligen Glauben anzunehmen." 2
Bald wurde Geiza selbst für das Christenthum insoweit gewonnen,
daß er neben seinen Nationalgottheiten auch den Christengott verehrte,
heidnische Opfer darbrachte und christliche Religionsgebräuche ver
richtete. Als ihn ein christlicher Priester auf das Unerlaubte jener Re
ligionsvermischung aufmerksam machte, gab er zur Antwort: „Ich bin
reich genug, den Göttern zu opfern und dem Christengott zu dienen,
973 und
Todewill
Doch
Otto's
es das
thun."
I. stand
Werk
3 gegen
der Bekehrung
seinen Sohnwurde
Otto unterbrochen.
II., der ihm aufNach
dem Kai
dem
Vita S. Wolfgangi, bei Pertz, Script, IV, 530. Dümmler, Piligrin von Pas
sau und das Erzbisthum Lorch (Leipzig 1854). — 2 Piligrinus Laureacensis
ad Benedictum VII. bei Endlicher. — 3 Tietmar, VIII, c. 3, bei Pertz,
Script., III, 862.
Ungarn unter Herzogen. Geiza. 81
kämpfte für Otto und kam dadurch in ein feindseliges Verhältniß mit
Ungarn. Seine hier wirkenden Glaubensboten verließen nun , entweder
aus Besorgniß oder gewaltsam vertrieben , das Land. Heinrich wurde
zwar besiegt, gefangen und des Kaisers Neffe Otto mit dem Herzog- 977
thume Baiern belehnt, aber die Feindseligkeiten dauerten fort und wur
den noch heftiger, als es Heinrich gelang, aus der Gefangenschaft zu
entkommen. Aus ihrer Grenzfestung Mölk brachen die Ungarn häufig
hervor und verwüsteten Baiern und die Besitzungen Piligrin's. Nun
trennte der Kaiser mit der Reichsstände Einwilligung die nordöstliche
Markgrafschaft, das heutige Oesterreich, von dem Herzogthum Baiern
und verlieh sie dem Babenberger Leopold zum Lohne für die Ver
dienste, die er sich in diesem Kriege» schon erworben hatte. Leopold 984
zog nun mit Piligrin und andern Verbündeten vor Mölk, belagerte und
eroberte es und drängte die Ungarn bis an den Kahlenberg zurück.
Unterdessen war Otto II. gestorben; seine Witwe Theophania ver
waltete im Namen des unmündigen Otto's III. mit Klugheit das Reich ;
Heinrich hatte nach dem Unglück der Ungarn im Kriege die Hoffnung,
zu siegen, aufgegeben, entsagte seinen Ansprüchen auf den Thron und
erhielt sein, freilich stark geschmälertes Herzogthum zurück. Für Un
garn aber blieb das Gebiet jenseit des Kahlenbergs auf immer verloren.
So wurde
Das unterbrochene
der Friede hergestellt.
Werk der1 Bekehrung scheint jedoch nicht frü 985
her recht in Gang gekommen zu sein, als bis Adalbert, von den Böhmen
Woitech genannt, nach Gran kam. 2 Dieser fromme, eifrige Mann hatte
schon als Bischof von Prag mit großem Erfolg in Böhmen für die Aus- 994
breitung und Befestigung des Christenthums gewirkt, ging später, von
dort vertrieben, nach Italien, wo er zuerst auf dem Berge Cassino, so
dann zu Rom im Kloster des heiligen Alexius als Mönch lebte, und
wurde jetzt von den Böhmen dringend zurückgerufen. Seine Rückreise
führte ihn nach Gran. Hier fand er ein großes, einladendes Feld für
seinen heiligen Eifer , dem er. sich nicht entziehen durfte. Die fromme
Begeisterung, mit der er lehrte und ermahnte, ging Geiza und seiner
Umgebung zu Herzen und gewann sie vollends für das Christenthum.
Der einzige Sohn Geiza's, erzogen durch den Apulier Adeodat von San- 995
severino 3, hatte bereits das zwanzigste Jahr erreicht; ihn taufte Adal
bert und gab ihm den Namen Stephan.4 Der Umstand, daß Stephan erst
damals getauft wurde, macht es glaublich, was Kezai freilich allein be
richtet 6, daß Geiza selbst und seine Brüder Michael, mit seinem Sohne
Vazul (Wenzel), und Ladislaus der Kahle, auch damals von Adalbert
die Taufe nahmen; denn es läßt sich kaum denken, daß Geiza selbst
Christ und getauft gewesen, der Sohn aber ungetauft bis zum fünfund
zwanzigsten
1 Monumenta
Lebensjahre
"Boica IX,geblieben
in Hieron.
sein
Pertzii
sollte.Scriptores
6 rerum Austr. vett.
et genuini L. 1721 — 45. Meiller, Regesten aus der Zeit der Babenberger
(Wien 1850). — 2 Canaparius, Vita S. Alberti bei Pertz, VI, 574, und Bruno,
Vita S. Alberti, Acta S. S., Tom. III, c. 5. — 3 Thuröczy, II, 10. — * Hart-
'vicu&,_Vita S. Stephani bei Endlicher. Dlugoss. Hist. Polon., II, 116. —
5 Kezai, De nobilibus advenis, c. 2. — • Palacky, Geschichte von Böhmen,
Feßler. I. 6
82 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
995 inniger , als sich Stephan mit dessen Töchter Gisela vermählte 2, die spä
ter die Stifterin der Zwietracht und vielen Unglücks im Herrscherhause
und imAußer
LandeStephan
wurde.hatte Geiza noch drei Töchter, Juditha, mit Boles-
law dem Tapfern, Herzog von Polen, Sarolta, mit Samuel Aba, einem
kabarischen Stammfürsten, und Gisela mit Otto Urseoli, venetianischem
Herzoge 3, vermählt. Die Namen der letztern beiden sind jedoch unbe
kannt, und die angegebenen ihnen nur von neuern Schriftstellern bei
gelegt worden, von solchen nämlich, die alles wissen wollen.
997 Geiza starb 997. Mehrere Geschichtschreiber, in- und aus
ländische, wissen auch viel von Kaiser Otto III. zu reden, machen ihn
zum Rathgeber und Helfer Geiza's. Aber wahrlich, sie bedenken nicht,
daß Geiza gerade der treue Bundesgenosse von Otto's Gegnern war
und mit dessen Vormündern in fortwährendem Zerwürfniß stand, daß
Otto kaum anfing, selbst zu regieren, als Geiza nicht mehr lebte; so
gleich darauf mehrere Kriegszüge nach Italien that und auch dort, erst
1002 zweiundzwanzig Jahre alt , starb. Wenn auswärtiger Einfluß und Rath
auf Geiza gewirkt hat, so konnte dieser nur von Heinrich dem Baiern
kommen, seinem vieljährigen Bundesgenossen und später Schwieger
vater seines Sohnes. Aber, wie schon gesagt, nicht die Niederlagen,
welche sein Vater erlitten, nicht fremder Einfluß, nicht die Ueberredung
einer Gattin waren die eigentliche Ursache dessen, was unter Geiza's
Regierung geschah; dies alles konnte nur fördernd einwirken. Die
Macht
I, 236, läßt
der Umstände,
Albert schondie
984unwiderstehlich
nach Gran gehenwurde,
und Stephan
und dertaufen.
eigene
Undver-
in
der That würde manche Bedenklichkeit verschwinden, wenn man dieses Jahr
annimmt; schade daß Palacky hier nur eine willkürliche Meinung vorträgt,
ohne 1 die
Hartvicus
Quelle und
anzugeben,
Kezai, Deaus
nobilibus
der er advenis,
sie geschöpft
bei Endlicher.
hat. Thuroczy, II,
10—12. — 2 Hermannus Angiens. (Contractus) ad ann. 995, bei Pertz, V,
117. „Henricus Dux Bavariae obiit, et ejus ülius itidem Henricus .... ducatum
obtinuit. Hujus Soror Gisela, Stephano regi Ungariorum, cum se ad fidem
christianam converteret . . . . in conjugium data." Auch ein Zeugniß, daß
die Familie des Geiza erst um diese Zeit christlich wurde. — 3 Muratori,
Scriptores rerum Italicar. (Mailand 1728), XII, 235.
Ungarn unter Herzogen. Geiza. 83
Ärpäd
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6*
84 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
solche lebten sie hauptsächlich von dem Erträgniß ihrer Heerden und
thier
von der
war
Beute,
das welche
Pferd, Jagd
das kostbarste
und Fischfang
"Wild,
gewährten.
welches 1 sieIhrjagten,
Lieblings-
der
Zobel, die fahrbare Hütte oder das Zelt ihr Haus, das Land ein Ge
meingut aller. Doch mochten sie auch, wie die alten Deutschen, den
Boden, wo sie sich gerade aufhielten, bauen, wofür die Namen der Ge
thum
treidearten
des Landes
zeugen,andieallen
ihrerGattungen
Sprache eigenthümlich
von Metallen sind.
lud sieDer
gleichsam
Reich-
ein, auch nach diesen zu suchen; ferner müßten sie die nothwendigsten
Gewerbe treiben, um sich Geräthschaften, Kleidung, Waffen und
Schmucksachen zu bereiten; endlich konnte ihnen selbst der Handel
nicht ganz fremd sein, da ihr Boden manche gesuchte Artikel desselben
lande
lieferte.
Diese
während
Lebensweise
des ersten
behielten
Jahrhunderts
sie auch ihres
in demAufenthalts
neuerrungenen
in demsel
Vater-&
ben größtentheils bei; denn plötzlich ändern sich die Sitten und Ge
wohnheiten eines Volks nicht ; ja die langen und weiten Wanderungen
und die vielen Kriege, die sie führten, mußten nicht nur den Geschmack
an einem unsteten Leben bei ihnen nähren, sondern auch die Fortschritte
in der Gesittung und Bildung überhaupt hindern. Aus Hirten , die von
Zeit zu Zeit mit ihren Nachbarn gekämpft hatten, waren kühne Krieger
geworden, die in die Welt hineinstürmten, um Kampf zu suchen und
Beute zu machen , und darin ihre Hauptbeschäftigung und ihren Ruhm
erblickten.
Die ungarische
2 Nation war in Geschlechter getheilt, deren meh
rere einen Stamm bildeten. Alle, die zu einem Geschlecht und Stamm
gehörten, ja die ganze Gesammtheit des Volks, betrachteten sich als
Verwandte. Ebendarum waren auch alle Mitglieder eines Stammes
gleich frei und einander ebenbürtig, alle adelich = nemes, von nem, das
Geschlecht,
1 So" auch
also
diezum
altenGeschlecht
Germanen. gehörend.
Caesar, DeNur
bellowegen
Gallieo,
Verbrechen
VI, 22:
„Agriculturae non student, majorque pars victus eorum in lacte, caseo, carne
consistit." — 2 Anonymus, c. 1. '
Der Ungarn Lebensweise. 85
verit, quomodo unus nobilis, alter ignobilis diceretur, nisi victus per tales
casus communis haberetur." — 2 De administrando imperio, c. 38.
86 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
ein gewiß noch lebender Nachkomme seiner verstorbenen altern Söhne und
nicht Zoltän folgen müssen. Diese Zeit kannte überhaupt das Recht der Erst
geburt noch nicht; so folgte z. B. auf KarlAdaffEll nicht Berengar , seines Erst
geborenen, Pipin, Sohn, sondern der jüngere Ludwig. — 2 De administrando"
imperio, c. 40. "
Der Ungarn Lebensweise. 87
fen des Kaisers an die Ungarn soll nach seiner Anweisung lauten:
„An die Archonten der Türken." 1 Wie beschränkt die Macht des
Herzogs ursprünglich war, geht auch aus der Stelle Kezai's 2 hervor,
wo er die Wahl des obersten Heerführers berichtet und hinzusetzt:
„Sie wählten sich auch einen obersten Richter (rectorem), damit er
das vereinigte Heer richte, die Streitigkeiten der Veruneinigten beilege,
die Uebelthäter züchtige .... doch so, daß wenn jener Richter
ein ungerechtes Urtheil sprechen würde, die Volksgemeinde
dieses ungültig mache, und den schuldigen Herzog und den
Richter nach Gefallen entsetze. Diese gesetzliche Gewohnheit ist
unter den Hunnen oder Ungarn bis auf die Zeiten Geiza's, des Sohnes
Taksony's, unverletzt beobachtet worden." Der Herzog war also nicht
zugleich oberster Richter, noch bestellte er einen solchen; ein anderer
verwaltete unabhängig von ihm das wichtige Amt; beide waren der Ge-
sammtheit
Was hierKezai
verantwortlich
sagt, und
wirdkonnten
auch durch
von das
ihr entsetzt
Zeugniß werden.
des Constantinus
und mehr Macht nach innen besaß, als die meisten Fürsten der dama
ligen Ueber
Zeit. die Religion der alten Magyaren haben wir keine bestimm
ten Nachrichten, keine Volkssage hat sich erhalten, kein Denkmal des
alten Glaubens ist geblieben. Aber aus den Andeutungen fremder
Schriftsteller, aus Gesetzen gegen das Heidenthum, aus einigen Worten
in der Sprache und aus Ueberbleibseln in den Sitten läßt sich doch
einiges mit gutem Grund zusammenstellen. Die Ungarn konnten nur
dieselbe oder eine ähnliche Religion haben, wie die ihnen stamm-
verwf ndten Völker. Von diesen sagt nun Theophylaktus Samokata 1 :
„Sie verehren vorzüglich das Feuer, die Luft und das Wasser, und sin
gen der Erde Loblieder, aber beten an und nennen Gott nur ihn, der
die Welt geschaffen hat." Dieses höchste Wesen nannten und nennen
sie auch jetzt Isten, wahrscheinlich von dem längst veralteten isc =
Vater, Ahne, abzuleiten. Daß sie auch an böse Wesen glaubten, kann
man schließen aus den Worten ördög und manö, die echt ungarisch
sind und in der Sprache vorhanden waren, ehe sie noch den christlichen
Teufel, sätän, kannten. Ob sie Götzenbilder hatten, ist zweifelhaft;
Tempel konnten sie als Nomaden keine haben. Unter freiem Himmel,
an Flüssen und Quellen, auf Höhen und in Hainen brachten sie der Gott
heit ihre Opfer dar, die in Rindern und Schafen, besonders aber in
makellosen weißen Pferden bestanden; denn das Thier, welches ihnen
das liebste war, mußte auch für die Gottheit das angenehmste Opfer
sein. Mit den Opfern verbanden sie fröhliche Feste. Ihre Priester
und Priesterinnen, tältosok, waren zugleich Sänger und Wahrsager,
jösok, bildeten aber keine erbliche Kaste, vielleicht auch keinen be
sondern Stand, und besaßen keine Vorrechte. Nirgends zeigt sich in
ihrer Religion eine Spur jener finstern Ansichten und geheimnißvollen
Schrecken, die bei Galliern und Deutschen herrschten und sie zu
grauenvollen
1 Bei Stritter
Ceremonien
unrichtig, aber
und im
grausamen
Corpus script.
Menschenopfern
Byzaut, bonnernöthigten.
Ausgabe,
Und wer es zu erfahren Gelegenheit hatte, wie wenig unter den echten
Magyaren selbst der gemeine Mann zum Aberglauben hinneigt, wird es
wahrscheinlich finden , daß auch ihre Vorfahren ziemlich frei von reli
giöser Schwärmerei gewesen seien, Für ihren Glauben an Unsterb
lichkeit zeugt schon das Wort lelek, welches ausschließlich die mensch
liche Seele bezeichnet und von jeher in ihrer Sprache heimisch sein
mußte, da es auch die verwandten Mundarten besitzen; darauf deuten
auch die Gebräuche hin, mit denen sie ihre Todten an Quellen zu be
graben, Hügel als Denkmäler auf ihren Gräbern aufzurichten und
Todtenmahle zu begehen pflegten. Feierliche Eidschwüre waren ge
bräuchlich und wurden heilig gehalten, selbst wenn sie zu dem ver
pflichteten, was gegen den eigenen Vortheil war, so der Staatsvertrag,
den sie unter sich, und die Friedensschlüsse, die sie mit andern Nationen
eingingen und alle treu beobachteten; einen Verrath, wie ihn Csörcz
unter den Baiern erfuhr, ließen sie sich nie zu Schulden kommen. So
viel aus den Nachrichten über die Familie der Herzoge sich schließen
läßt, lebten sie in Monogamie und wurden ihre Ehen unter religiöseu
Ceremonien
Doch außer
geschlossen.
ihrem alten
1 Glauben waren den Magyaren auch andere
die Ungarn (Ofen 1857). Ipolyi, Ungarische Mythologie (1855). Beide in unga
rischer Sprache. Cornides,' Commentatio de religione veterum Hungarorum,
edidit Engel (Wien .1791). — 2 Szalay, Geschichte Ungarns (2. Ausg.), I, 57,
nach sin
Ebnenc.
Hankai,
VII1eme,
Morgenländische
anec. 6. Geographie, im Auszuge von S. Sacy,
90 Erstes Bach. Dritter Abschnitt.
überließen sie die wenigen Städte , die sie in dem Lande vorfanden , un-
zerstört ihren alten Bewohnern oder neuen Ankömmlingen, was schon
durch ihr Vorhandensein unter den Herzogen bewiesen wird, wenn wir
auch sonst keine Nachrichten darüber besäßen. Ebenso wenig ver
trieben sie aus dem Berg- und Hügelland die Bevölkerung, die sich da
hin seit den Schrecken der Völkerwanderung zurückgezogen hatte. Sie
ließen sich hauptsächlich in der seit Jahrhunderten jeder Verwüstung
schutzlos preisgegebenen und darum beinahe menschenleeren Ebene
nieder, die zwar vor ihnen bereits die Bulgaren nebst einigen Ueber-
resten der Avaren besetzt, aber, nachdem sie besiegt waren, auch wie
der größtentheils verlassen hatten. Hier fanden sie, was sie vor allem
suchten, treffliche Weiden für ihre Heerden, fischreiche Flüsse und viele
Arten von Wild in großer Menge, und konnten die geeigneten Stellen
durch ihre Sklaven auch pflügen und säen lassen, wenn sie es nicht
selbst thun wollten. Eine falsche Vorstellung ist es, wenn man wähnt,
sie hätten bei der Eroberung des Landes dessen Bevölkerung aus ihren
Sitzen vertrieben und in die Berge zurückgedrängt, oder theils zu Skla
ven gemacht und theils ausgerottet. Sicher geschahen in der Hitze der
Schlacht und im Sturme der Eroberung viele Thaten der Gewalt; Tau
sende wurden getödtet und Gegenden verwüstet, aber auf eine absicht
liche und allgemeine Vertreibung und Ausrottung der Bevölkerung war
es nicht angelegt; es waren dies nur die gewöhnlichen Auftritte einer
barbarischen Kriegführung. Wir haben nach geschichtlichen Urkunden
bereits angedeutet, wie sie bei der Einnahme des Landes verfahren sind.
Die keinen Widerstand leisteten, blieben ungekränkt, die Ueberwundenen
wurden geschont, sobald sie sich unterwarfen und Geiseln stellten,
ganze Völkerschaften behielten ihr Land und ihre Einrichtungen, wenn
sie die Oberhoheit anerkannten, die sich den Ungarn aber freiwillig an
schlossen, wurden sogleich in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Die
einzelnen Colonien, die sie an den geeigneten Plätzen unter die alten
Landbewohner legten, fanden zwischen der dünnen Bevölkerung gewiß
Der Ungarn Lebensweise. 93
(Leipzig 1858), von den Slawen, welche die westlichen Gegenden Ungarns in
den Karpaten bewohnen, sagt: „Ein größtenteils in langer Knechtschaft tief
herabgekommenes Volk, dessen Fesseln erst fast nach einem Jahr
tausend gelöst werden sollten", so ist dies nur ein Beweis, daß er die
ungarischen Zustände mit großer Befangenheit betrachtet, denn diese Slawen
waren, wie die Magyaren, Kdelleute, Bürger und Bauern, und die letztern
wenigstens nicht Leibeigene, wie in den meisten rein slawischen Ländern. —
3 Otto Freising.: „Sunt Hungari facie tetri, profundis oculis, statura humiles ....
ut divina patientia sit admiranda, quae ne dicam hominibus, sed talibus homi-
num monstris tarn delectabilem exposuit terram." Zur richtigen Würdigung
dieser Schilderungen muß aber bemerkt werden, daß die italienischen und
griechischen Geschichtschreiber ein weit freundlicheres Bild der Magyaren
entwarfen und sogar manch Lobenswürdiges an ihnen finden; sie, deren
Kationen die damaligen Deutschen unleugbar an Bildung weit übertrafen und
diese noch als Barbaren betrachteten.
94 Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
mit einem gewissen Stolze, wie von großen Heldenthaten, und rühmen
es, daß ein verdorbenes und gesunkenes Geschlecht durch germanische
Kraft wieder erneuert und gehoben wurde. Welche Verwüstungen
wurden angerichtet, wie viele Grausamkeiten begangen, wie viele tau
send Gefangene hingemordet in den Kriegen des gepriesenen Helden
Karl des Großen? Wie wurden weit später von den Deutschen die
slawischen Völkerschaften an der Elbe, Saale, Oder und Ostsee fast
ausgerottet und die Ueberreste derselben zu Sklaven gemacht — wovon
selbst der Name Sklave zeugt — und gewaltsam germanisirt! 1 Solche
Dinge haben sich die Ungarn kaum zu Schulden kommen lassen. Jetzt
lesen wir in den Chroniken, daß sie dieses Kloster zerstört, diese Stadt
niedergebrannt, dieses Land gänzlich verwüstet, die Bevölkerung theils
ausgemordet und theils gefangen weggeführt haben, und kurz darauf
hat schon dasselbe Kloster wieder seine reichen Vorräthe und Mönche,
die Stadt und das Land stehen in ziemlicher Blüte, sodaß die Ueber-
treibung in der Schilderung jener Greuelscenen unverkennbar ist. Ja,
viele Einfälle der Ungarn in die westlichen Länder waren nicht blos
Plünderungs- und Raubzüge, sie waren rühmliche Kriegszüge, die sie
unternehmen mußten, um das neu gewonnene Vaterland zu vertheidigen
und dessen Besitz zu sichern gegen die Angriffe ihrer mächtigen Nach
barn, des deutsch -römischen und des byzantinischen Kaiserreichs.
Grausamkeit und Blutdurst waren nie Laster des ungarischen Cha
rakters; unsere Vorfahren waren nicht häßlicher, wilder und unmensch
licher als die anderer, vormals barbarischer, jetzt gebildeter Nationen;
vielmehr zeichneten sie sich durch rühmliche Eigenschaften aus, die
unserm Volke noch immer zur Zierde gereichen. Sie besaßen freilich
nicht die Bildung der Griechen und Römer oder der heutigen Völker
Europas, aber sie hatten sich bereits der Roheit entrissen und be
deutende Anfänge zu einer eigenthümlichen Civilisation gemacht, als sie
in ihr heutiges Vaterland einrückten, sie waren fähig, europäische Ge
sittung aufzunehmen und unter dem Einflusse des Christenthums sich zu
derselben zu erheben. Man darf nur hinweisen auf unsere Sprache,
die noch immer dieselbe ist und in ihrer Urgestalt vielleicht noch reicher
an Formen war; sie vereinigt in ihrem Klang Anmuth und Kraft, sie
ist so reich an Wurzelwörtern und so biegsam, daß sie jeden, auch den
abstractesten Begriff genau ausdrücken kann, ohne ein fremdes Wort
zu entlehnen; sie ist so regelmäßig, daß sie fast keine Ausnahme kennt
und von dem gemeinen Manne ebenso richtig, wie von dem Gelehrten
gesprochen wird ; sie ist so mannichfaltig in ihren Formen , daß sie den
feinsten Unterschied der Gedanken und Empfindungen deutlich dar
stellt; ein Volk, das sich eine solche Sprache geschaffen hat, muß
natürliche
1 Büdiuger,
Anlagen
Oesterreichische
und geistige
Geschichte
Kraft (Leipzig
besitzen.1858),
UndI, 301.
werfen
„Gegen
wir
die Ungarn, wie gegen die Slawen kannte man kein Erbarmen." .... „Wir
wollen", schrieb Otto I. am 18. Jannar 968, „daß die Redarier keinen Frie
den mit Euch haben. Veranstaltet das Nötlüge mit dem Herzog Hermann,
und gehet mit allen Kräften daran, daß Ihr dnrch die völlige Vernichtung
derselben der Sache ein Ende nacht." Widukind, III, 70.
Der Ungarn Lebensweise. 95
vollends einen Blick auf die Thaten und Schicksale dieses Volks. Oft
kommt es vor, daß Hirtenvölker, durch irgendeinen Anstoß in Bewegung
gesetzt, oder durch das überwiegende Genie eines Mannes, der unter
ihnen auftaucht, hingerissen, sich plötzlich erheben, ihre lose Stamm
verfassung aufgeben, sich zu einer Masse vereinigen, eine monarchische
oder theokratische Staatsform gründen und sich dann über die Länder
verheerend und erobernd stürzen. Aber der siegreiche Führer wird
bald zum unumschränkten Despoten, die freien Krieger verwandeln
sich in unterwürfige Knechte; die Einwohner des bezwungenen Landes
werden in den Stand schmählicher Sklaverei herabgedrückt. Das Feuer
der Begeisterung erlischt, die Hand, welche einst das Schwert mit
Kraft führte, erschlafft am Pfluge; innere Zwietracht, der erwachende
Muth der Unterjochten, der Angriff äußerer Feinde zerstören die plan
los aufgethürmte Masse; was ein Volk geschienen hatte, löst sich wie
der in einzelne Horden auf oder verliert sich spurlos unter den bezwun
genen Nationen ; es verschwindet wie ein Meteor , das eine Zeit lang
Glanz und Schrecken verbreitet hatte, und nichts bleibt von ihnen, die
nur zu erobern, aber keinen Staat zu gründen wußten, als das Andenken
an die Auftritte des Greuels und der Verwüstung, welche die Geschichte
aufgezeichnet hat. Nicht so das ungarische Volk. Es erhebt sich, be
drängt von mächtigen Feinden, aus seiner Heimat, macht sich auf zur
Wanderung und wählt einen Führer. Aber die Freiheit wird durch
Uebereinkunft und Vertrag gesichert und der Grund zu einer Ver
fassung gelegt, die sich nach und nach ausbildet, bereits ein Jahrtausend
dauert und noch immer mit unerschütterlicher Treue bewahrt wird.
Dieses Volk erkämpft sich ein Vaterland, vertilgt aber nicht die Völ
kerschaften, welche dasselbe bewohnen, sondern läßt sich unter ihnen
nieder, nimmt sie in die Gemeinschaft des Staats auf und gibt ihnen
gleiche Rechte. Es nimmt die Religion und vieles von den Staats
einrichtungen und Sitten der einheimischen und benachbarten Nationen
an, aber bewahrt dessenungeachtet seine Sprache und Eigenthümlichkeit.
Schreckliche Stürme brechen über Land und Volk herein, lange kämpft
es gegen die furchtbare Macht der Türken mit wechselndem Glück, mit
ungebrochenem Muth, bis es endlich, zerrissen von innerer Zwietracht,
zur Hälfte erobert wird; es erhält zur selben Zeit Herrscher, die über
andere weite Länder gebieten; man arbeitet fortwährend daran, ihm
seine Selbständigkeit zu nehmen und es mit diesen zu verschmelzen :
aber es bleibt sich selbst, seiner Verfassung und Freiheit treu, erhebt
sich jedes mal wieder aus seinem Verfall und sieht und strebt, auf sein
gutes Recht und auf seine Kraft vertrauend, einer schönern Zukunft
entgegen.
Die Grenzen des ungarischen Reichs unter den Herzogen geben
bis zu dem heutigen Belgrad durch die Donau hauptsächlich den Bul
garen gegenüber, von da gegen Serbien und Kroatien durch die Save
gebildet, zog sich aber westlich gegen die Drau hinauf und erreichte das
Adriatische Meer. Im Westen waren zuerst die julischen und kärntener
Alpen des Landes Grenze, das sich sodann an der Save über Agram
und Olli hinaus, an der Donau bis Fetau und von da bis an die Raab
und den Sömmering erstreckte, hier eine schiefe Richtung nahm und
in das heutige Oesterreich am linken Ufer der Donau sich unter Zoltän
bis Molk und an den Erlafluß, später nur bis an den Kahlenberg er
streckte. Gegen Böhmen diente die March mit Einschluß der Gegend
von Banow zur Grenze l; im Norden endlich gegen Polen bildeten die
Karpaten
1 Palaoky,
die Scheidewand.
Geschichte von2 Böhmen, I, 226 fg. sagt: „Die Grenzen Böh
mens umfaßten (zu dieser Zeit) im Südosten nicht aHein Mähren, sondern auch
die ganze sogenannte (von wem?) Slowakei in Ungarn, zwischen der Donau
und den Karpaten östlich bis an das Mätragebirge hin" u. s. w., und beweist
seine Behauptung aus einer „vom Kaiser Otto I. und dem Papst Benedict VII.
bestätigten Stiftungsurkunde des prager Bisthums, dessen Grenzbeschreibung
in das Confirmationsdiplom Kaiser Heinrich's IV. vom Jahre 1086 wörtlich
uberging,
weise
additis auch
usque
bei schon
Cosmas,
ad montes,
unverständlich
II, 168
quibus
— 171.
nomen
Sie est
istInde
freilich
Tatri, Ungarorum
dilatata
nicht geordnet
procedit.
limitibus
und
Deinde
theil,
war geschwunden, nur die nordwestlichen und westlichen Theile des Lan
des waren ihm noch unmittelbar untergeben." Da Büdinger sicher das
Wesen der Stammverfassung kennt, so weiß er auch, daß der Großherr
unmittelbar nur das Gebiet seines Stammes und die zerstreuten Staatslände-
reien beherrschte, folglich will er mit diesen Worten eigentlich sagen, daß
nur diese westlichen Theile dem Großherrn noch gehorchten. Und wahrlich,
wenn wir seine Angaben zusammenstellen, so bleibt eigentlich für den Groß
herrn nichts mehr übrig. Denn Siebenbürgen ist von den Magyaren noch
nicht besetzt, sondern Gyula, den er Devix nennt, gebietet irgendwo im Osten
Ungarns; jenseit der Drau haben die Ungarn keinen Fuß breit Land; setzen
wir nun noch hinzu im Südwesten die sümegher Besitzungen des gewaltigen
Kupäny, von dem später die Rede sein wird, und im Nordwesten die Slo
wakei Palaeky's, so sehen wir hier schon ein Gebiet, das dem der spätem
deutschen Kaiser gleicht, einen leeren Namen. Herabgesunken zu dieser Ohn
macht, hätte weder Geiza so strenge und hart herrschen, nooh Stephan in einem
Lande, das ihm gar nicht gehorchte, gleich beim Antritt seiner Regierung so
Großes wirken können, besonders da keiner von beiden ein ausgezeichneter
Krieger war. Aber die Ungarn müssen nun einmal vernunftlose Barbaren
sein, denen nur „ein rettender Glücksfall" helfen konnte, obgleich Ge
schichte und Thatsaehen einstimmig und laut ihre Einsicht, Bildsamkeit und Kraft
verkündigen. Merkwürdig sind besonders die Gründe, durch die Büdinger, aber
mals den Thatsaehen zum Trotze, beweisen will, daß sich Siebenbürgen da
mals noch nicht im Besitze der Ungarn befunden habe (a. a. 0., S. 392). Auf
ihrer damaligen Culturstufe, sagt er, hatte das siebenbürger Bergland für die
Ungarn keinen Werth; .... wegen der Nachbarschaft der gefürchteten Petsche-
negen hätten sie es nicht behaupten können; .... Constantinus Porphyroge-
netus gibt an, daß die Provinz Gyla der Petschenegen an das Reich der Un
garn grenze, aber vier Tagereisen davon entfernt sei, folglich mußte Sieben
bürgen eine menschenleere Wüste sein, die nach echter Nomadenweise beide
Völker voneinander trennte. Aber gerade für Nomaden mußte das zur Vieh
zucht so sehr geeignete Siebenbürgen einen großen Werth haben; .... von hohen
Gebirgen umschlossen, ist es leicht zu vertheidigen, und wären die Petsche
negen den Ungarn so überlegen und im Besitze desselben oder auch nur
des freien Durchzugs gewesen, so hätten sich die Ungarn' nie in den Theiß
gegenden, die so wehrlos sind, behaupten können; .... geben wir endlich zu,
weder Szekler noch' sonstige Magyaren seien in dieser Zeit in Siebenbürgen
gewesen, mußte es darum eine menschenleere Wüste sein? Wo blieben denn
indessen die Rumänen, die es von jeher bewohnten und auch jetzt den größ
ten Theil der Bevölkerung bilden? Wüsten zwischen sich zur Grenze zu
machen, war übrigens nicht Sitte der berittenen asiatischen Völker, die das
flüchtige Roß leicht über ein solches Hinderniß hinwegtrug, sondern der ger
manischen Nationen, die ihre Kriegszüge zu Fuß machten. Caesar, De bello
Gallico, VI, 23. Doch alle diese Behauptungen lassen sich geschichtlich
widerlegen. Den Theil Oesterreichs von Molk bis zum Kahlenberg verloren
die, Ungarn 985 (vgl. S. 81); den vom Kahlenberg bis an die Leitha erst
1053 (vgl. S. 158). Gerade bei Cosmas von Prag, auf dessen Bericht Palacky
seine Annahme gründet, lesen wir (bei Pertz, IX, 100), daß die banower Ge
gend bis 1091 zu Ungarn gehört habe, was auch Dudik, Geschichte von Mäh
ren, I, 355, zugibt. Und die Worte des Constantinus Porphyrogenetus (De
administrando imperio, c. 40), welche Büdinger anführt, beweisen nicht im
geringsten, daß jener Raum von vier" Tagereisen, der Ungarn von dem Lande
der Petschenegen trennte, innerhalb Siebenbürgens lag und wüste war. Daß
aber diese Gienzen nicht so bestimmt und durch Staatsverträge geregelt
waren, wie Landesgrenzen es heutzutage sind, leuchtet von selbst ein. Waren
doch in derselben Periode die Marken des schon ungleich mehr civilisirten
Deutschland noch sehr unbestimmt, besonders im Osten gegen die slawischen
Völker und im Norden gegen Dänemark. Dazumal entschied das Schwert
alles; die Grenzen eines Landes gingen so weit, als jenes reichte; und
[BlMIö'TO' ]
mm "i
98 Erstes Buch. Dritter Abschnitt. Der Ungarn Lebensweise.
vollends konnten die Ungarn, die sich ein Vaterland erst erkämpfen mußten,
sich weder selbst im voraus planmäßig bestimmte Grenzen wählen, noch
bei ihrem überwiegenden Kriegsglück von den benachbarten Nationen in
solche eingeschlossen werden; Vordringen und Zurückweichen wechselten
nach der Entscheidung der Schlachten ; sie nahmen soviel in Besitz, als sie
jedesmal zu erobern und zu behaupten im Stande waren. Innerhalb solcher
wechselnden Grenzen lag aber bereits das neue Vaterland der Magyaren, das
sie liebten, dessen Boden, dessen Freiheit und Unabhängigkeit sie mit ihrem
Herzblut vertheidigten ; sie waren keine wandernde, heimatlose Horde mehr.
Zweites
Die Ungarn unter Königen ausBuch.
Ärpäd's Stamme, von
Christenthums.
Stephan I. oder Heilige 997 — 1038.
berge, bei Fejer, Cod. dipl., I, 281. Wol nicht das von Stephan ausgestellte
Original, sondern später, aber aus vorhandenen begründeten Angaben und
Docnmenten zusammengestellt. Vgl. Szalay, Geschichte des ungarischen
Reichs, I, "0, Anm. 1. Horvath, Geschichte Ungarns, I, 113, Anm. 1.
Kezai, 2, 2. Thur6czy, Chronica Hungar., II, 28. Hier wird in Uebereinstim-
mung mit polnischen Chronographen angegeben, Kuppäny habe mit Adel
heid, der Witwe Geiza's, sich vermählen wollen, um Stephan zu stürzen und
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. 103
stand überrascht, verließ seine Hauptstadt Gran und ging auf das linke
Donauufer über, um, geschützt durch den mächtigen Strom, sich rüsten
zu können. Hierher entbot er die Krieger seines Stammes und anderer
ihm treu gebliebenen Geschlechter, die eingewanderten Ritter mit ihrem
Gefolge, die christlichen Eingeborenen und alle, die Muth hatten, die
Sklavenkette zu brechen durch Annahme der christlichen Religion und
durch Waffendienst. Wenzel von Wasserburg, mit ihm Hunt und Paz-
män bestellte er zu Feldherren und ließ sich durch sie im Granfluß zum
Ritter schlagen. Dominicus aber, den Stephan schon für die höchste
Kirchenwürde, die er stiften wollte, ausersehen hatte, begeisterte durch
Predigt und religiöse Feierlichkeiten das Heer zum muthigen Kampf. l .
Unterdessen verwüsteten die Rotten der Aufständischen die größten-
theils in diesen Gegenden gelegenen herzoglichen Besitzungen, behan
delten als Feind jeden, der es nicht mit ihnen hielt, mishandelten be
sonders die Christen, die ihnen in die Hände fielen, tmd zogen endlich
vor Weszprim und belagerten die Stadt, nach deren Eroberung sie die
andern Burgen des Herzogs leichter bezwingen zu können meinten. *
Endlich ging Stephan über die Donau dem Feinde entgegen; unweit Pa-
lota stießen beide Heere aufeinander. Die Gefahr war groß , der Aus
gang zweifelhaft: da gelobte Stephan im Geiste seiner Zeit, wenn er sie
gen würde, dem Kloster auf dem Pannonischen oder Martinsberge, das
noch sein Vater zu bauen begonnen hatte, die Besitzungen Koppany's
und den Zehnten der sümegher Gegend zu verleihen.»3 Die Schlacht
war blutig und wechselvoll, bis Koppäny im Zweikampfe von Wenzelin
getödtet wurde und sein auf eine Lanze gespießtes Haupt die Seinen in
Schrecken
Nach und
diesem
Flucht
Sieg,
jagte.
der 4ein Sieg des Christenthums und der Civi-
kühn1 den
Thuröczy,
offenen II,
Aufstand
13, 28.begonnen.
Stiftungsbrief der Pannon- oder Martinsberger
mehrte er die Menge derer, die durch die neue Ordnung der Dinge be
glückt wurden und für sie, wie für ihre theuerste Angelegenheit, zu
wirken und zu kämpfen bereit waren. Die Zurücksetzung endlich,
harrten,
welche alle
underfuhren,
die Gunst,
die welche
hartnäckig
er denen
bei der
ohne
alten
Rücksicht
Religionauf
undStand
Sitte und
be-
mals überall waren, stiftete Stephan mehrere Klöster. Zuerst 1001 die
Benedictinerabtei des heiligen Martin . auf dem pannonischen Berge, die
er mit Besitzungen Küppäny's und dem sümegher Zehnten beschenkte,
wie wir bereits berichtet haben , und ernannte Astricus zum Abte. 6
Dieser hieß vormals Radla, war zuerst Lehrer, dann Hausgeistlicher
des heiligen
1 Anonymus,
Albert,
c. 57.
wurde
— 2 von
Thuröezy,
diesemII,993
13. als
— 3Abt
Kezai
demde neugestifteten
udvornicis. —
4 Thuröezy, II, 13: „In illis namqne rebus gerendis judicatus erat nobilior,
qui fidei Christi citius adhaesisset." — 5 Stiftungsbrief bei Fejer, Cod. dipl.
I, 281.
Stephan I. Thaten und Begebenheiten, 105
Stephani, c. 7, 8, gibt an, daß Astricus zuerst Abt des Klosters Pecsvarad
'war, ehe er Bischof wurde; Katona, Hist. ecclesiae colocensis, Colocae 1800,
unterscheidet ihn von dem pannonberger Abte Anastasius. — 3 Dam. Fuxhofer,
Monasteriologia; neu herausgegeben von Moritz Crinar. Fejer, Cod. dipl. —
4 Piligrini Lauracensis epist. ad Benedictum P. P. — 5 Benedictii VII. et
Ottonis epistolae, bei Fejer, Cod. dipl., I, 266 u. 272. — 6 Fejer, Cod. dipl.,
Pray Specimen hierarchiae Hung. ; Szvorenyi Amoenitates historiae eccl. regni
Hung. Ag. Theiner, Vetera monumenta historica Hungariam sacram illustran-
tia (Rom 1859 u. 1860).
10(5 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
renden Rang unter den selbständigen Staaten einnehme, und dazu war
nöthig, daß Stephan die Königskrone auf sein Haupt setze. Dadurch
wurden zwar weder seine Rechte erweitert, die er schon alsHerzog aus
übte, noch seine Macht nach außen vergrößert; aber die königliche
Würde erhob ihn über die Stammfürsten , die immer geneigt waren, ihn
als ihresgleichen zu betrachten, sie erhöhte sein Ansehen bei dem gan
zen Volke, sie machte seinen Thron so hoch, als den der übrigen Für
sten. Uns scheint, hierzu sei nichts weiter erforderlich gewesen, als die
Einwilligung seines Volks und zum Ueberfluß die Anerkennung der an
dern Staaten. Aber andere Begriffe hatte die damalige Zeit. Die
abendländische Christenheit, an welche sich Stephan anschloß, verehrte
zwei Häupter, den römischen Kaiser und den römischen Bischof; ihnen
allein schrieb sie das Recht zu, Königskronen zu verleihen; an einen
von beiden mußte sich also auch Stephan wenden, wenn er sich nicht nur
selbst für einen König ausgeben, sondern auch als solcher anerkannt
werden wollte. Die Wahl war nicht schwer. Der römische Kaiser
verlangte als Entgelt für Krone und Königstitel den Lehnseid. Schon
trachteten
war Böhmen dieumKaiser
seine staatliche
ebenjetzt Selbständigkeit
durch alle Mittel
gekommen,
in Polendasselbe
zu er
reichen, darauf arbeitete vielleicht auch in Ungarn Otto in. bereits hin,
wenn wahr ist, was Ditmar berichtet7, daß er nämlich Stephan einredete,
die königliche Würde nachzusuchen und Bischöfe einzusetzen. Stephan
entschloß sich also, beim Papst um die Krone anzuhalten, der zwar
auch Unterwerfung unter seine Autorität forderte, die aber kein Lehns-
verhältniß mit sich brachte und von der ganzen abendländischen Chri
stenheit geleistet wurde. Ueberdies umgab die päpstliche Verleihung
die Krone noch mit einem Schimmer der Heiligkeit, der den Werth der
selben in den Augen des frommen Fürsten erhöhen mußte und von
der schlauen, ungläubigen Staatsklugheit selbst in unsern Tagen gesucht
wird. Zu seinem Gesandten wählte er Astricus, dem er noch einige
Begleiter beigab, und trug ihm auf, die königliche Würde nebst Be
stätigung der getroffenen kirchlichen Einrichtungen und Ernennungen
zu erbitten.
1 Der
Mehrere
gelehrte
8 Nachrichten
Gerbertlassen
hatte insoeben,
ihr die 999,
Mutterernannt
der übrigen
von seinem
erkennen.
vor-
—
maligen Zöglinge, Otto III. , unter dem Namen Sylvester II. , den päpst
lichen Stuhl bestiegen, der zwar in Italien und besonders in Rom durch
die Schlechtigkeit und die Verbrechen seiner damaligen Inhaber x sehr
wenig geachtet, aber dagegen in der Entfernung von den noch wenig
aufgeklärten Nat1onen, den Deutschen, Engländern, Franzosen u. s. w.
von Tag
Als Astricus
zu Tag mehr
in Rom
undankam,
fast abgöttisch
fand er verehrt
hier schon
wurde.
die Gesandtschaft
Herrn
des Polenherzogs
die königlicheBoleslaw's
Krone nachsuchte.
II. (Chr^bry),
Der die
Papst,
ebenfalls
wie diefür
Chronik
ihren $
erzählt, hatte den Polen bereits ihre Bitte gewährt; die Krone war
fertig, die das Haupt Boleslaw's schmücken sollte; aber Otto erhob
Einsprache dagegen, weil er, freilich ohne rechtlichen Grund, Polen
für ein Reichslehn erklärte und einen Eingriff in seine Hoheitsrechte
darin sah, daß Ser Fürst dieses Landes die Krone aus der Hand des
Papstes empfange. Dagegen war er den "Wünschen Stephan's, der ohne
hin sein Verwandter war, günstig gestimmt; denn noch waren die Deut
schen nicht auf den Einfall gerathen, gleiche Ansprüche der Lehnsherr
lichkeit über Ungarn zu erheben. Sylvester mußte sich in den Willen
seines mächtigen und unbiegsamen Gönners fügen. Um aber den
Bruch seines bereits gegebenen Versprechens zu beschönigen, gab er
vor, in der Nacht sei ihm ein Engel erschienen und habe ihn befohlen:
„Morgen werden die Abgesandten eines unbekannten Volkes zu dir
kommen und für ihren Fürsten die königliche Krone und apostolische
Weihe bitten; ihm sollst du die Krone ohne Aufschub verleihen, denn
wisse, diesem Fürsten gebührt sie seiner Verdienste wegen." Am Mor
gen erschien Astricus vor dem Papste, schilderte die Verdienste Ste
phan's um die Bekehrung der Magyaren und die Freigebigkeit, mit wel
cher er Kirchen, Klöster und Bischofssitze gegründet habe, übergab
reiche Geschenke und trug sein Anliegen vor. Da rief Sylvester: „Ich
bin der Apostolische', dieser aber ist ein wahrer Apostel, durch welchen
Christus ein so großes Volk zu sich bekehrt hat", und gewährte die
Bitte.Bald
2 darauf kehrten die Gesandten, nachdem sie ihren Auftrag so
glücklich
1 Baronius,
vollendet
Annales
hatten,
eccles.
zurück
(Rom und
1588brachten
—,1607) und
die vielmal
Krone3,abgedruckt.
welche
noch jetzt als ein heiliges Kleinod verehrt wird; ein Doppelkreuz, das
dem Könige bei feierlichen Gelegenheiten als Zeichen seiner aposto
lischen Würde vorgetragen wurde, aber verloren gegangen ist; und die
Vollmacht, die gegenwärtigen und künftigen Kirchen des ungarischen
Reichs einzurichten, zu ordnen, mit Rechten und Vorzügen auszu
zeichnen.
Alle x diese Verleihungen konnten nicht mündlich, sondern nur
und andere hinreichend erwiesen haben), der obere Theil sei die vom Papste
geschickte Krone, an den als unterer Reif jene Krone gefügt wurde, die Kai
ser Dukas
1 Hartvicus,
dem Herzog
c. 9: Geiza
„. . . . als
prout
Ehrengeschenk
divina gratia1078
ipsum
übersandte.
instruit, Ecclesias
Grund sein, zu leugnen oder auch nur zu bezweifeln, daß eine solche
erlassen worden ist. Auch über den Inhalt derselben können kaum
Zweifel obwalten. Daß in derselben Ausdrücke vorgekommen seien,
die das Versprechen der Obedienz so deuteten, als hätte Stephan dem
Papste sein Reich zum Lehn aufgetragen und von diesem als solches
wieder zurückempfangen, wird zuvörderst höchst wahrscheinlich, wenn
man bedenkt, welche Rechte sich die Päpste bereits um diese Zeit über
Länder und Fürsten anmaßten; ferner gründeten Gregor VII. in sei
nen Briefen, die er 1074 und 1075 an die Könige Geiza I. und Salomon
schrieb, wie auch andere Päpste, besonders nach dem Aussterben des
Ärpädischen Hauses ihre Ansprüche auf Lehnsherrlichkeit über Ungarn
darauf, daß Stephan dasselbe dem päpstlichen Stuhle übergeben und von '
diesem wiedererhalten habe. Aber eitel war die Besorgniß , daß hier
durch die Würde und Unabhängigkeit Ungarns gefährdet werde, und
vergeblich die Mühe, die sich so viele gaben, die Bulle und die An
sprüche, die ,sie enthält, wegzuleugnen. Die Päpste nahmen als die
Stellvertreter
biet in Anspruch,
Gottes
unddie
griffen
Erde,überall
den Himmel
hastig und
zu, wo
die Hölle
ihnen nur
als ihr
der Ge-.
ge
ringste Raum gelassen wurde. Stephan hatte weder den Willen noch
das Recht, über sein freies Land und Volk zu verfügen; und die Ungarn
selbst haben diese Ansprüche immer energisch zurückgewiesen und ihre
Unabhängigkeit zu jeder Zeit siegreich behauptet. Gewiß ist sodann,
daß Sylvester dem Stephan und seinen Nachfolgern das Recht einräumte,
Bisthümer, Kapitel und Klöster zu gründen und mit Privilegien zu be
gaben, kirchliche Würdenträger zu ernennen, in ihr Amt einzusetzen
und über sie Gericht zu halten, auch andere kirchliche Angelegenheiten
zu ordnen und zu schlichten. Denn Stephan selbst übte alle diese Rechte
und beruft sich ausdrücklich auf die Vollmacht, die ihm der Papst er-
theilt habe 1; auch die nachfolgenden Könige Ungarns behaupteten die
meisten und wichtigsten derselben bis auf die Jüngste Zeit, indem sie
sich auf die dazumal geschehene päpstliche Verleihung stützten. 2 Doch
dürfen wir deshalb die Freigebigkeit des Papstes gerade nicht be-
Geistlichkeit, der Großen des Reichs und des Volks". 1 Daß hier nicht
von einer zufällig aus Neugierde herbeigeströmten, oder blos zum Pomp
versammelten Menge die Rede sein könne, leuchtet von selbst ein. Die
Annahme der königlichen Würde und die Krönung mußte mit Zustim
mung des versammelten Volks auf dem, wie schon immer zusammen
gesetzten Reichstage geschehen. a Und gewiß wurde schon bei dieser
feierlichen Gelegenheit ein Theil jener Anordnungen und Gesetze er
lassen, die während der Regierung Stephan's auf mehrern Reichstagen
zu Stande kamen und deren Bruchstücke wir noch besitzen 3, ohne die
bestimmte Zeit ihrer Entstehung erfahren zu können. 4 Denn obwol
thums,
die alte die
Grundlage
Erhebung
blieb,
dessoFürsten
forderten
zumdoch
König,
die Einführung
und die Annahme
des Christen-
vieler
auf diesen dessen Sohn Gyula der Jüngere. Ein hartnäckiger Anhänger
des Heidenthums, der alten Sitten und Staatseinrichtungen, unterdrückte
er das Christenthum, welches nach morgenländischem Ritus unter den
Walachen schon heimisch war und unter den Magyaren Siebenbürgens
sich zu verbreiten angefangen hatte, betrachtete mit Unwillen die Neue
rungen, die im Hauptlande vor sich gingen, sperrte ihnen den Eingang
in sein Gebiet und öffnete dasselbe allen Unzufriedenen, schloß sogar
Bündniß mit Kean, dem Fürsten der Petschenegen, die in der heutigen
Moldau hausten, und fiel endlich feindlich in Ungarn ein. Die Gefahr
war groß, daß Siebenbürgen, diese natürliche Feste des Theißgebiets,
von dem Reiche losgerissen und in ein feindseliges Verhältniß zu dem
selben gesetzt werde. Stephan zog also 1002 mit Heeresmacht gegen 1002
seinen treulosen Verwandten, und die Szekler unter ihrem Rovobän
Alexander Upor vereinigten sich mit ihm. 1 Er besiegte Gyula und
führte ihn gefangen nebst seiner Gemahlin und seinen Söhnen Bua und
Bukna nach Ungarn. Um aber Siebenbürgen mit dem Hauptlande
fester zu verbinden, es mehr zu bevölkern und aas Christenthum zu
fördern, gab er ihm einen Voivod^ vom ärpädischen Stamm — Zsolt
nennen ihn einige —, siedelte einen Theil jener Baiern, die unter eines
Hermann Führung mit Gisela nach Ungarn gekommen waren, in der
Gegend an, wo, jetzt Hermannstadt steht, und stiftete das Bisthum zu
"Weißenburg, Alba Julia, jetzt Karlstadt. 2 Auch scheint er gleich da
mals die reichen Salzgruben in königlichen Besitz genommen zu haben. 3
Von Siebenbürgen aus führte Stephan sein Heer über die südlichen
Karpaten gegen die Petschenegen. Nach langwierigen und schweren
Kämpfen in den Gebirgsgegenden gelang es ihm endlich, sie in einer
großen Schlacht zu besiegen; ihr Fürst Kean wurde getödtet, und ihr
Lager mit reichen Schätzen, die sie auf ihren Streifzügen erbeutet hat
ten, fiel in die Hände der Sieger, 1003. Mit diesen Schätzen baute der 1003
fromme König eine Kirche in Ofen und eine überaus prächtige in
Stuhlweißenburg. Die letztere, mehreremal vom Feuer verwüstet, aber
immer wiederhergestellt, war durch fünfhundert Jahre die Krönungs
stätte aller Könige und der Begräbnißplatz der meisten, bis sie in den '
Türkenkriegen gänzlich zerstört wurde. An beiden gründete er Dom
herrnstifter,
Der großedie er
Sieg
mithat
großen
aber Gütern
die Kraft
undder
Vorrechten
Petschenegen
ausstattete.
keineswegs
4
genannt. — 2 Anon. Belae r. not., c. 24, 27. Kezai, II, 2. Chronik der
Szekler, I, 278. Thuröczy, II, 29. Annales Hildesheimens. ad ann. 1003.
I,
Allen
404,diesen
der Chronik
Zeugnissen
Ditmar's,
entgegenbeifolgt
Pertz,
Büdinger,
III, 862,
Oesterreichische
nennt die beiden
Geschichte,
Gyula
Devix und Procui, Namen, die nicht den leisesten ungarischen Anklang haben,
läßt diesen Procui nach Polen fliehen und macht ihn, S. 392, zum Besitzer
irgendeiner Gegend im Osten Ungarns. — 3 Wie wir weiter unten erzählen
werden, fing Othnn die Schiffe auf, die königliches Salz auf der Maros
hinabführten. — 4 Thuröczy, 11,(30. Hartvicus, Vita S. Stephani, e. 12.
112 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
phan's Regierung ins Land und nöthigten ihn, seine schaffende und ord
nende Wirksamkeit zu unterbrechen, zum Schwerte zu greifen und den
unversöhnlichen,
Otto III. starb
wilden
1002,
Feind
der Sage
zu vertreiben.
nach vergiftet
1 durch die schöne Ste-
Ungarn bei der Eroberung des Landes im Besitz seines Gebiets zwischen
Siebenbürgen, der Maros, Theiß und Donau, also des sogenannten Ba-
nats, gelassen hatten, reich und mächtig durch die außerordentliche
Fruchtbarkeit des herrlichen Landes, strebte lange nach Unabhängig
keit und mochte nun entweder das Schicksal des siebenbürger Gyula
fürchten, oder überhaupt die Abhängigkeit vom morgenländischen Kai
ser für lockerer und weniger drückend halten als jene von dem that-
kräftigen König. Er sagte sich also von Ungarn los, begab sich unter
griechischen
1 Andeutungen,
Schutz,wenn
und auch
wie nicht
abgefallene
bestimmte
Ueberläufer
Nachrichten
pflegen,
hiervoneilte
geben
er,
rad II., der Salier. Das Band war hiermit zerrissen, welches Deutsch
land und Ungarn durch zweiundzwanzig Jahre verknüpfte; bald entstanden
Zerwürfnisse und zuletzt brach der Krieg aus. Als die Ungarn Swatopluk's
Reich von einer, die Deutschen und Böhmen von der andern Seite an
griffen und zerstörten, 894—907, nahmen sie den größern gegen Osten
gelegenen Theil desselben in Besitz, verloren ihn aber bis auf die Ge
gend um Banow wieder, als sich ihr Kriegsglück verminderte, an 'Böh
men. 1 Als
Anonymus
Böhmen Belae
unter
r. Boleslaw
not., c. 11,
III.44,
in Vita
Verfall
S. Gerhardi
gerieth, eroberte
10, bei End
der
gentem Pannonicam et Bojarios .... factae sunt, ita ut Stephanus rex Unga-
rovum multas incursiones et praedas in regno Noricorum, id est, Bojariorum
Pertz,
faceret.S.—S. 2VI.
Annales
Hermannus
Laubienses
Contr.beibeiPertz,
Pertz, S.S.S.S.V.V. Annalista
Cosmas Pragensis.
Saxo bei •
— 3 Palaeky, Geschichte von Böhmen, I, 271 fg. Doch sind die Gründe,
aus denen er einen doppelten Feldzug Bretislaw's, 1028 und 1030, annimmt,
sehr schwach; und die Nachricht bei Cosmas, Bretislaw sei bis Gran vor
gedrungen, erklärt er selbst für eine Interpolation, die auch in den Annalista
Saxo von dort übergegangen sei. — * Hartvicus, Vita S. Steph. Inchofer Annal.
eccles. (Wien), III, 348. Thuröczy, II, 31. Rubens, Hist. Ravennac. —
4 Rodulfi Hist., III, 1 ; VII, 62. Ademari Hist., III, C5; IV, 142.
\]Q Zweites Buch. Erster Abschnitt.
Palästina durch Ungarn führte, zog auch eine Menge fremder Wall
fahrer durch, die hier freundliche Aufnahme und Verpflegung fanden.
So kam der Venetianer Gerhard auf seiner Pilgerfahrt nach Palästina
1021 nach Ungarn. Stephan fand großes Wohlgefallen an ihm, bewog
ihn zu bleiben, der Lehrer seines Sohnes Emerich zu werden, und er
nannte ihn später zum Bischof von Csanäd. ' Eine unglückliche Wahl,
denn Gerhard erzog den Thronerben, der vielleicht schon von Natur
krankhaft
Von den
schwärmerischen
Kindern Stephan's
Geistes
lebte
war,
nurzum
nochMönchsheiligen.
dieser Emerich allein 2 ;
auf ihm ruhte die Hoffnung des Vaters und der Nation , aber sie wurde
schmerzlich getäuscht, da auch er noch vor dem Vater starb. Doch
selbst, wenn er länger gelebt hätte, würde er sie bei seiner Geistes
richtung schwerlich erfüllt haben. Schon die Aussicht, daß er durch
Fortpflanzung des königlichen Geschlechts die Ruhe und das Gedeihen
des Reichs sichern werde, vereitelte er durch abergläubiges Streben
nach Heiligkeit. Denn wiewol er 1026 heirathete, wie man glaubt, die
Tochter des Kroatenfürsten Crescimir 3, so hatte er doch schon das
Gelübde der Keuschheit abgelegt. * Sein Vorbild war nicht der that-
kräftige Vater, der durch verdienstvolles Wirken, wie Karl der Große,
den Heiligenkranz gewann, sondern sein mütterlicher Oheim Heinrich,
der diesen Kranz auf dem Wege der Entsagung und müßigen Frömmig
keit fand.
Stephan,ermüdet von den Sorgen und Arbeiten einer dreiunddreißig-
jährigen mühevollen Regierung und gebrochen von Krankheit, viel
leicht auch in der Absicht, seinem Sohn eine ruhige Thronfolge zu
sichern, faßte den Entschluß, die Krone diesem aufs Haupt zu setzen,
um sich entweder ganz in die Stille des Privatlebens zurückzuziehen,
oder, was wahrscheinlicher ist, ihn zum Mitregenten anzunehmen. 6
Er richtete daher an seinen Sohn eine Ermahnung voll Ernst und Liebe,
in welcher er seine Grundsätze einer weisen Regierung entwickelt. Diese
Ermahnung war vielleicht bestimmt, bei der feierlichen Uebergabe der
Krone dem versammelten Reichstag vorgetragen zu werden. Ein
günstiges
1 Vita Schicksal
S. Gerhardihat
bei Endlicher.
sie uns vollständig
— 2 Hartvicus,
erhalten
Vita Stephani.
6, und sieEnglische
gibt so-
Schriftsteller berichten zwar, daß die Söhne König Edmund's, Edwin und
Eduard, vor dem Dänenkönig und Eroberer Englands Kanut fliehend, an
den Hof Stephan's kamen , und daß Edwin dessen Tochter geheirathet habe.
Die Legendenschreiber geben ihm noch eine andere Tochter Hedwig, die mit
einem schwäbischen Grafen Eppo vermählt gewesen sein soll. Aber wenn
Stephan auch wirklich diese Töchter hatte, so müssen sie und ihre Kinder ge
storben sein, weil er sonst diesen, und nicht Peterri, die Thronfolge zuge
dacht hätte. — 8 Johannes Tomcus Marnavitius bei Katona, Hist. critica, I, 323 ;
uxorem S. Emerici, filiam Crescimiri, regis Dalmatiae fuisse, Dalmatica mo,
numenta testantur. Kein anderes Zeugniß ist vorhanden. — * Vita S. Emerici
Ducis, bei Endlicher, c. 6. Pray, Legenda S. Margarethae (Tyrnau 1774). Hier
wird die Gemahlin Emerich's eine Tochter des griechischen Kaisers ge
nannt. — 5 Kezai, II, 2. Dandulus, bei Muratori, Scriptores rerum Italicarum
(Mailand 1728), XII. — 6 Corpus juris Hungarici, S. Stephani Decretorum,
Lib. 1 ad S. Emericum Dncem. und S. Steph. reg. de morum institutione
ad E1ucricum D. Liber, bei Endlicher. Nur übertriebene Zweifelsucht kann
Stephan I. Th,aten und Begebenheiten. H7
viel Licht über die Regierung Stephan's und über die damaligen Zu
stände Ungarns, daß wir ihren Hauptinhalt dem Leser nicht vorent
haltenWol
dürfen.
mochte Stephan fühlen, daß seinem geliebten Sohne manche
stellt sich aus den Worten Stephan's deutlich heraus, daß die Geistlich
keit unter
Sodanndesgeht
Königs
Stephan
Gerichtsbarkeit
4) zu den weltlichen
stand. Großen, Würdenträgern
und Kriegern über. „Diese", sagte er, „sind die Schutzwehr des Lan
des, die Vertheidiger der Schwachen, die Bekämpfer der Feinde, die
stolz
streiten,
Mehrer
sind und
und
des
nicht
nur
zornmüthig
Reichs;
aber
die dir
sie
Demuth
sind
dienen
behandeln
deine
allein
Väter
und
Bedenke,
Werth
dein
und Brüder;
gibt
Haupt
daß allesie
über
Menschen
sollen
Wenn
sie für
erheben
du
gleich
dich
sie
„Sei nachsichtig und mild. So oft eine Rechtssache oder ein todes-
ln dieser Schrift ein Machwerk späterer Zeiten erblicken; ihr ganzer Inhalt,
die Darstellung der Staatseinrichtungen und die einstimmige uralte Tradition
bürgen für ihre Echtheit. Auch hat sie mit des byzantinischen Kaisers Ba-
silus „Exhortationes ad Leonem iilium et imperii collegam" viel zu wenig
Aehnlichkeit, als daß sie für eine Copie derselben gehalten werden könnte.
Aber wol mag sie nicht Stephan selbst verfaßt, sondern die Gedanken und den
Entwurf gegeben Laben , dfe dann von seinem Kanzler (nach dem Gebrauch
der Zeit war es ein Priester) ausgeführt wurden; denn die salbungsvollen
Ausdrücke, die angeführten Bibelstelle1v und der Nachdruck, mit dem die
Geistlichkeit empfohlen wird, läßt uns die Hand eines Priesters erkennen.
Hg Zweites Buch. Erster Abschnitt.
handelt. „Der Rath muß von den Bessern, Weisesten und Angesehen
sten (a majoribus et melioribus, sapientioribusque ac honestissimis
senioribus) kommen. Darum, mein Sohn, berathschlage nicht mit den
Jungen und weniger Weisen (junioribus ac minus sapientibus), sondern
mit. den Senatoren (senatoribus), denen dieses Geschäft des
Alters und der Weisheit wegen gebührt. Die Jungen sollen
kämpfen, die Senatoren rathschlagen. Doch schließe auch jene
von deinen Berathungen nicht aus, sondern, so oft du mit ihnen
etwas Gutes beschlossen hast, lege es den Aeltern zur Prüfung vor."
Dieser Punkt ist dunkel und leidet an einer gewissen Verworrenheit,
weil die Angelegenheit, von der geredet wird, sich erst ausbildete und
noch keine feste Gestalt gewonnen hatte, und ebendarum auch nicht
deutlich und bestimmt dargestellt werden konnte. Wer die Sprache
des Mittelalters kennt, weiß, daß die Worte majores, meliores,
seniores, nicht blos die' Aeltern, und minores, juniores, die Jün
gern an Jahren bedeuten, sondern, daß weit häutiger unter den erstem
Stephan I. Thaten und Begebenheiten. 119
die Hohen und Großen, unter den letztern aber die Niedern und Ge
ringern verstanden werden; und nicht ohne Sinn, denn wenn auch poli
tische Vorrechte an Geburt, Grundbesitz und Aemter geknüpft waren,
so konnte der Sohn doch gewöhnlich nur nach dem Tode des Vaters
zur Ausübung derselben gelangen, und um sich durch Verdienste zn
hohen Aemtern aufzuschwingen, brauchte es auch Zeit. Stephan redet
also hier, meiner Ansicht nach, nicht sowol von Räthen, die sich der
Regent nach Gutdünken wählt, sondern von dem hohen Rath der Na
tion, von den Häuptern und Würdenträgern, denen die Führung der
Reichsangelegenheiten rechtmäßig gebührte, und die den König um
gaben ; sodann aber auch von der Nationalversammlung oder dem
Reichstage, wie immer dieser zu der Zeit gestaltet sein mochte. Denn
beide, der Staatsrath und der Reichstag, waren schon in dem arpädischen
Urvertrag gesetzlich begründet, mußten auch jetzt entscheidenden Ein
fluß üben; beide mußten durch d1e Einwirkung der zugewanderten Aus
länder, wenngleich verändert, doch neu befestigt werden, da wir diese
Körperschaften um diese Zeit in allen westlichen Ländern mit großen
Befugnissen ausgerüstet antreffen. Diese Ansicht wird noch dadurch
bestätigt, daß 8) der Vater den Sohn ermahnt, das Beispiel der Vor
fahren, besonders seines, treu nachzuahmen, und das ungarische Volk
nach seinen von den Vorältern ererbten Gebräuchen und Gesetzen zu
regieren.
Nun bittet er noch 9), Emerich möge fleißig dem Gebet und from
men Uebungen obliegen, und beschwört ihn zuletzt 10) mit rührender
Zärtlichkeit „als die Freude seines Herzens, als die Hoffnung künftiger
Nachkommenschaft", mild, erbarmungsvoll und liebreich gegen jeder
mann, den Hohen wie den Geringen, den Einheimischen wie den Frem
den zu
Dies
sein,
sind
damit
wahrlich
seine Regierung
Grundsätze,eine
dieglückliche
Frömmigkeit
und und
gesegnete
Wohlwollen,
werde.
schwunden,
1 Dandulus
und bei
warMuratori,
gezwungen,
XII, die
234.Bürde
Kezai,
der II,
Regierung,
2. Chron.diePosoniense
er abzu-
legen sich sehnte, noch weiter zu tragen. 1 Aber mit banger Sorge mußte
er auch daran denken, wem er dieKrone hinterlassen, wessenHänden das
Werk, an dem er das ganze Leben hindurch rastlos gearbeitet, zur Fort
setzung vertrauen sollte. Noch lebten männliche Sprößlinge des Arpäd'-
schen Hauses, die ein unbestreitbares Recht auf die Thronfolge hatten.
Zuerst Vazul (Basilius), Sohn Michael's, der ein Bruder des Herzogs Geiza
war ; ihn hielt aber Stephan seit längerer Zeit in der Burg Neitra gefangen ,
entweder weil er wirklieh ungesittet und ausschweifend bis zurTollheit war,
oder weil böswillige Verleumder, was glaublicher ist, ihn angeschwärzt
hatten. Sodann die Söhne Ladislaus des Kahlen , eines noch Jüngern
Bruders von Geiza, Andreas, Bela und Levente; Männer, die das Volk
liebte und die der Krone würdig waren. 2 Außer diesen Prinzen lebte
am königlichen Hofe noch Peter, der Schwestersohn Stephan's. Diese
Schwester, deren Name unbekannt ist, vermählte sich 1011 mit dem
venetianischen Dogen Otto Urseoli, der 1026 durch einen Volksaufstand
nach Konstantinopel zu flüchten gezwungen war und dort 1032 starb,
gerade als er, zurückberufen, sich anschickte, den herzoglichen Stuhl
wieder einzunehmen. 3 Aus dieser Ehe war Peter entsprossen und kam,
ungefähr 15 Jahr alt, sogleich als sein Vater flüchtete, zu seinem
Oheim. Ob seine Mutter ihn begleitete und später als Witwe am unga
rischen Hofe lebte, ist ungewiß. 4 Er hatte zur Thronfolge kein Recht,
und am wenigsten so lange noch Nachkommen Arpäd's in männlicher
Linie vorhanden waren. Aber Gisela hatte auf ihren Gemahl, als er
noch in voller Mannskraft wirkte, schon großen Einfluß; sie war zu sei
ner Mitregentin gesalbt und gekrönt worden 5 und beherrschte den von
Alter, Krankheit und Kummer Gebeugten und den königlichen Hof
gänzlich. Bei aller äußern Andacht und übergroßen Freigebigkeit an
Kirchen und Klöster 6 war sie ein ränkevolles, herrschsüchtiges und
grausames Weib. 7 Ihr war der Gedanke unerträglich, daß ihre Macht
einst aufhören sollte; auch empfand sie einen nur wtenig verhüllten Wi
derwillen gegen die Ungarn, und ihr Gewissen mußte ihr deshalb sagen,
daß sie auch von ihnen nicht geliebt werde. Sie bot also alle Künste
der Ueberredung, List und Gewalt auf, die ungarischen Prinzen, die sie
haßte und vielleicht auch fürchtete, vom Throne zu verdrängen und
Peter auf denselben zu erheben, der sie durch feines Betragen und
Schmeichelei zu gewinnen wußte, und von dem sie hoffte, er werde
schon1 Hartvicus,
aus Dankbarkeit
18. — 2ihrem
Kezai,Willen
II, 2. gehorchen.
Thuröczy, 8II. Besonders
Chronicon mochte
Hung.,
III, 33. 38. Diese beiden verdienen weit mehr Glauben, als der unbekannte
Verfasser von des heiligen Gerhard's Leben, der sie c. 19 für Söhne Vazul's
ausgibt, — 3 Kezai, II, 2. Johannes, Chron. Venet., S. 31. Dandulus bei
Muratori, XII, 225. — 4 Spätere nennen die Mutter Peter's Gisela und lassen
sie am ungarischen Hofe leben, tbeils um zu zeigen, daß sie alles wissen,
wälzen
theils aber
zu können.
auch, um— manche
5 Hartvicus,
schwerec. Schuld
10 vonGislam
der Königin
nomine,
Gisela
....auf
quam
sie
nnetione erismali perunetam, gestamine corone regni sociam esse constituit. —
6 Hermann. Augiens. oder Contr. ad ann. 995 bei Pertz, V, 117. Legenda
S.Steph. major, c. 10. — " Albericus bei Leibniz, Accusationes historieae, II,
44 : „Gisela regina, dieuut, multas mälitias in terra illa fecit." — 8 Kezai, II, 2.
Stephan I. Tbaten und Begebenheiten. 121
sie Zweifel und Mistrauen in die Seele des Königs streuen , die erstern
seien dem Heidenthume gewogen, der christlichen Religion und Ge
sittung abgeneigt, und würden das große Werk seines Lebens zer
trümmern, dagegen aber fortwährend auf Peter hinweisen, der sich den
Schein der Frömmigkeit und des Eifers für das Christenthum zu geben
wußte; baute er doch an einer prachtvollen Kirche in Fünfkirchen. x
Schon war es durch ihre und ihrer Verbündeten Ränke, vielleicht noch
als Emerich lebte, dahin gekommen, daß Peter den Oberbefehl über die
königlichen Truppen und dadurch auch die Mittel erhielt, wenn es sein
müßte, mit Gewalt durchzusetzen, wornach er strebte2; doch den Kö
nig seinem eigenen Hause zu entfremden und zu gesetzwidrigen Ver
fügungen über den Thron zu bestimmen, war noch nicht gelungen.
Er fühlte, daß seine Kräfte schwanden und vielleicht schnell erlöschen
, könnten, und gab 1031 —32 den Befehl, Vazul seiner Haft zu entlassen und
an den königlichen Hof zu bringen, sei es aus Erbarmen, oder weil er
die Ueberzeugung von dessen Unschuld gewann und ihn zum Nachfolger
erklären wollte, wie Kezai berichtet. 3 Da geschah eine furchtbare
That. Gisela mit ihrem Vertrauten Buda und den übrigen Parteigängern
Peter's beschlossen, dem Könige zuvorzukommen und sein Vorhaben,
das alle ihre Plane zu vereiteln drohte, zunichte zu machen. Eilends
schickten sie den zu jeder Unthat bereiten Höfling Sebos nach Neitra,
der dort früher als der Bote des Königs ankam, Vazul blendete, Blei in
seine Ohren goß und ins Ausland flüchtete. In diesem jammervollen
Zustande brachte man den Unglücklichen vor den König, der, von
Schmerz und Schauder ergriffen, fühlte, wie ohnmächtig er geworden
sei, und nun die drei andern Prinzen selbst zur Flucht aus dem Vater
lande trieb, damit ihnen Aehnliches nicht widerfahre. 4 Sie gin
gen zuerst nach Böhmen, wo sie bei Herzog Ulrich die freundlichste
Aufnahme fanden 6, und begleiteten sodann den vertriebenen Herzog
von Polen, Miczislaw, als er heimkehrte, den Thron wieder einzunehmen.
Bela leistete diesem wichtige Dienste und erhielt dessen Tochter
Richeza zur Gemahlin, nachdem er einen pommerschen Fürsten im
Zweikampf getödtet hatte. 6 Andreas und Levente aber nahmen ihren
Aufenthalt bei dem kiewer Großfürsten Jaroslaw, der der Prinzen
Verwandter war und auf dessen Schutz sie rechnen konnten. Hier
heirathete
Wie einst
Andreas
die arglistige
dessen Tochter
Livia die
Anastasia.
Familie7 des Augustus Glied nach
3 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 23. — 4 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 33. —
5 Kezai, II, 2. Thuroczy, II, 38. Martinus Polonus, der sie aber fälschlich
mehrere Jahre in Böhmen verweilen läßt. Diese Begebenheiten müssen sich
zwischen 1031 — 37 zugetragen haben; denn 1031 stirbt Emerich, und nun
konnte die Partei Peter's mächtig werden. In demselben Jahre flieht Miczis
law nach Böhmen, kehrt 1032 nach Polen und auf den Thron zurück und
stirbt 1034. Der Böhmen-Herzog Ulrich geräth 1033 in Kaiser Konrad's Ge
fangenschaft, wird 1034 entlassen und stirbt im Herbst 1037. — 6 Thuroczy,
II, 38. Cromer. Hist. rerum Polonic, L. III. — 7 Thuroczy, II; 39.
122 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
sich also, den ehrwürdigen König zu morden. Schon war die Abend
dämmerung eingebrochen; der Greis liegt in der Dunkelheit auf seinem
Krankenbette; einer der Verschworenen schleicht in das Gemach und
tritt mit gezücktem Schwert vor ihn hin; aber seine Hand bebt, das
Schwert fällt klirrend zu Boden und der König erhebt sich auf seinem
Lager. Da sinkt der Mörder, von der Gewalt des Gewissens ergriffen,
auf seine Knie, bekennt reumüthig sein Verbrechen und gibt die Mit
schuldigen an. Er wird begnadigt, diese büßen mit dem Leben. x Die Ge
schichte verschweigt die Namen der Elenden; sie sagt uns nicht einmal, ob
sie der Partei Peter's angehörten. Aber diese Partei beherrschte den
Hof, von dem die patriotisch Gesinnten und dem königlichen Hause
treu Anhängenden verdrängt waren; sie hatte schon Gewaltthat geübt
und sich mit Blut befleckt ; sie allein konnte endlich aus dem Tode des
Königs Vortheil ziehen: darum ist es erlaubt, den Verdacht des schänd
lichen Anschlags auf sie zu wälzen und auch Petern wenigstens des
Mitwissens anzuklagen. Dagegen spricht alles dafür, Gisela unschuldig
^Jr zu erklären an diesem Mordversuche; sie hätte ein Ungeheuer sein müs-
l, ,^ sen, um daran theilzunehmen, und dasJ1ft^lingen desselben würde sie
von dem Gipfel der Ehre und Macht, auf dem sie stand, solange ihr
1038 chenbegängniß
GatteBald
lebte,darauf,
hinabgestürzt
versammelte
1038 am haben.
sich
15, eine
Aug.,unzählbare
starb Stephan.
Menge in
ZuStuhlweißen
seinem Lei-
burg; hier wurde er in der Kirche der heiligen Maria, die er selbst er
baut hatte, neben seinem Sohne beigesetzt. Das Volk, dessen Bildner
und Wohlthäter er im Leben gewesen, beklagte ihn schmerzlich im
Tode, und die Kirche nahm ihn fünfundfunfzig Jahre später unter
2.
die Staats
Heiligen
Bei der
einrichtungen,
Einführung
auf. der neuen
kirchliche
Staatseinrichtungen
Zustände und in Ungarn
Volksleben.
diente
*
Stephan I. Staatseinrich tungen u. s. w. 123
schwankend, das Maß derselben hing von seiner Persönlichkeit und von
den Umständen ab, keineswegs aber von festen Einrichtungen und Ge
setzen. Wenn also Stephan Macht genug hatte, jeden Widerstand zu be
siegen und mit schöpferischer Kraft zu wirken, so verdankte er diese
Macht der geistigen Ueberlegenheit , durch die er die Gemüther be
herrschte, mehr, als der physischen Macht, die er besaß. Es liegt uns
keine fertige Verfassung vor, aber wir erblicken die Elemente und
Keime,Das
ausGesetz
denenkennt
sich dieselbe
schon damals
im Laufe
keinen
der Zeit
Unterschied
entwickelte.
der Nationen,
die das Land bewohnen; Magyaren und ihre Bundesgenossen, bei der
Eroberung vorgefundene und später Eingewanderte (mit einigen Aus
nahmen bei den letztern) werden als ein Volk betrachtet, das unter
demselben Gesetze steht; alle theilen, je nach dem Stande, dem sie an
gehören, gleiche Berechtigung oder Rechtlosigkeit. Darum haben wir
hier nicht nach den Nationalitäten, sondern nach den Klassen zu fragen,
theil
in welche
Durch
zu den
dasdie
vorigen
Volk
Einführung
zerfällt.
hinzugekommen,
des Christenthums
die Geistlichkeit.
war ein neuer
DennBestand-
wie in
den übrigen Ländern der Christenheit, bildete sie auch hier einen eige
nen, von den andern abgesonderten Stand, den Klerus, der, mit dem
Schimmer der Heiligkeit umgeben und im beinahe alleinigen Besitze
von einiger wissenschaftlichen Bildung, den ersten Rang einnahm und
gleich anfangs mit großen Vorrechten, reichen Einkünften und weitem,'
Grundbesitz ausgestattet wurde. Das Oberhaupt desselben, der graner
Erzbischof, war erster Reichsstand (primas regni); die andern Bischöfe
und Aebte wurden als die ersten Würdenträger (praelati) geehrt; seine
Mitglieder bekleideten die wichtigsten Staatsämter, besonders solche, die
mehr Kenntnisse forderten. x In dem neubekehrten Lande mußten die
meisten
WieGeistlichen
oben bereits
nocherwähnt
Ausländer
wurde,
sein. standen die einzelnen Stämme
der Magyaren und ihrer Bundesgenossen unter Häuptlingen , die sie sich
aus den Mitgliedern jener Familien wählten, in denen diese Würde erb
lich war. Aber ihre Anzahl und Macht war in den Tagen Stephan's
bereits sehr gesunken ; neben ihnen und zum Theil an ihrer Stelle kamen
andere empor, die Führer größerer Einwanderungen, die herzoglichen
Gewaltträger, die den Eingeborenen vorstanden , verdiente oder begün
stigte Einheimische oder Ankömmlinge, denen oft bedeutende Lahd-
strecken untergeben wurden. 2 Schon diese Theilung ihrer Rechte
unter viele mußte ihr Ansehen vermindern und ihrer Macht ein Gegen
gewicht entgegensetzen. Außerdem mochten erbberechtigte Familien
ausgestorben, andere in den Kriegen umgekommen, noch andere, wie
die Kupäny und Gyula ihrer Würde entsetzt worden sein, und die
noch übrigen immer schwächer werden, der wachsenden Macht des
Staatsoberhaupts zu widerstehen. Der gewaltige Einfluß dieser erb
lichen Volksobersten erlosch endlich vollends, als Stephan die Stamm-
1 Steph. r. decret. Lib. I, c. 1 — 6. Steph. r. ad Emerieum D. de insti-
tutione morum Liber, o. 2, 3. — 2 Anonymus, e. 57. Kezai, De nobilibus
advenis. Thuröczy, II, 10 — 21.
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 125
Namen, sondern jeder fügte dem eigenen Taufnamen den des Vaters,
oder des Wohnorts und Besitzthums bei. Wappen endlich waren damals
überall noch wenig und bei den Ungarnnochkaum gebräuchlich; siebildeten
sich erst in den Kreuzzügen aus; ihre Wahl hing anfangs von der Willkür
eines jeden ab ; die Familienwappen kamen erst nachher 'auf, und noch
viel später
Einen wurden
eigenen Stand
sie durch
freier
denLeute
König
bildeten
vorgeschrieben
noch die Städtebewohner.
und verliehen.
herrschte damals noch unter allen Völkern, unter den civilisirten ebenso
gut, wie unter den barbarischen; dem Christenthum, das die Gleich
heit und Freiheit dem Menschen so laut verkündigt, war es kaum ge
lungen, sie etwas zu mildern, aber nicht, sie abzuschaffen. Schon aus
ihren Ursitzen brachten die Ungarn viele Sklaven mit sich, viele fanden
sie gewiss auch bei ihrer Ankunft im Lande vor, sie vermehrten ihre
Zahl noch beträchtlich durch Kriegsgefangene; endlich wurden auch
Freie, die größere Verbrechen begangen hatten, zu zeitweiliger oder
immerwährender Sklaverei, oft mit allen ihren Kindern, verdammt.1 Die
1 Kezai, I, 1.
128 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
wohnten; als aber das Nomadenleben immer mehr aufhörte, und das
Volk feste Wohnsitze wählte und auf Ackerbau sich verlegte, mußte
nach der naturgemäßen Entwickelung der Dinge erst jedes Geschlecht
des Stammes, dann jede Abtheilung des Geschlechts, und endlich jede
Familie in gewisse Grenzen eingeschlossen werden, innerhalb welcher
sie den Boden benutzte. Daß diese Theile nach Rang, Ansehen und
Bedürfniß des Inhabers von sehr verschiedener Ausdehnung waren,
versteht sich von selbst. Hiermit war das Grundeigenthum thathsächlich,
wenn auch noch nicht gesetzlich eingeführt. Die gesetzliche Sanction
1 Deeret. S. Steph., I, 14; II? 3. 4. — 2 Anonymus, c. 15, 46, 57. Kezai,
De nobilibus advenia. Thuröczy, II, 10—13.
Stephan I. Staatseinrichtungen u.a. w. 129
erhielt es allem Anschein nach gleich auf jenem Reichstage, den Stephan
zu seiner Krönung berufen hatte, durch ein ausdrückliches Staatsgesetz:
„Wir beschließen kraft unserer königlichen Macht, daß jedermann das
Recht habe, das Seine zu vertheilen, es der Gattin, den Söhnen, Töch
tern und Aeltern oder den Kirchen zu geben, und daß sich nach seinem
Tod niemand unterstehen solle, seine Verfügungen zu vernichten."1
Auf einem spätem Reichstage wurde dasselbe Gesetz erneuert und auf
königliche Schenkungen (von des Königs Privatbesitzungen, oder con-
fiscirtem Gut, oder noch herrenlosem Land gegeben) ausgedehnt: „Wir
thum
stimmen
undder
überBitte
die des
Schenkungen
ganzen Senatsdes
bei,
Königs
daß jeder
Herrüber
sei, sein
so lange
Eigen-
er
besitzer
1 S. konnten
Steph. Reg.
nicht
Decret.
allenI, Boden
7. — 2 selbst
Ebend., bebauen,
II, 2. oder durch ihre
Stephan I. Staatseinrichtungen u.s.w. 131
begegnen wir noch an den Höfen und auf den Ländereien des Königs
und der Großen, der Bischöfe und der Klöster einer äußerst zahlreichen
Klasse von 'Dienstleuten, die zwischen Freiheit und Knechtschaft schweb
ten. Sie hießen in andern Ländern Ministerialen l, bei uns Udvorniker
(von udvar, Hof, also Hofleute) und waren zu den verschiedenartigsten
Diensten verpflichtet, als Leibwächter, Kriegsknechte, Winzler, Bäcker,
Hundewärter, Falkoniere, Jäger, Müller, u. s. w. Sie mochten ent
standen sein aus verarmten oder unterdrückten Freien, welche die
Noth oder Gewalt in Abhängigkeit gebracht, und aus freigelassenen
Sklaven, welche die Gunst des Herrn in eine bessere Lage versetzte. 2
Ihre Dienstverhältnisse waren unauflösbar, und vererbten sich auf ihre
Nachkommen; zum Theil an den Boden gebunden, und gingen bei
Schenkung und Verkauf auf den neuen Besitzer über. 3 In den Ge
setzen Stephan's werden sie nur einmal erwähnt: „Wenn einer von
denen, die insgemein Udvorniker heißen, einen Diebstahl begeht, soll er
nach den Gesetzen der Freien gerichtet werden; ihr Zeugniß aber ist
nicht unter das der Freien aufzunehmen."4 Dieses Gesetz stellt den ,
zwischen
1 DerFreiheit
Name derundMinisterialen
Knechtschaft
warzchwebenden
aber viel umfassender
Zustand der
undUdvor-
begriff
auch die vornehmen Hof beamten des Königs und der andern Großen in sich,
die bei uns gewöhnlich servientes hießen und von denen wir soeben ge
sprochen haben. — 2 Kezai, De udvornicis. Seine Aussage über die Udvor
niker ist vielleicht deshalb so unklar, weil sich deren Zustand zu seiner Zeit
bereits sehr verändert hatte und das Ursprüngliche in demselben von der
spätem Entwickelung sich nicht recht unterscheiden ließ. — s S. Steph. reg.
Decret. II, 21. — 4 Die Stiftungsbriefe der ßisthümer und Abteien liefern
hierzu Beispiele in Menge, z. B. der Stiftungsbrief des fünfkirchener Bisthums
bei Koller, Histor. Episcopatns Quinqueeccles., I, 74; der Abtei Tihany, Kol
ler, a. a. O., S. 145; der Pecs-Värader von Stephan. Kollär, Amoenitates
jnr. publ. Ung., II, 171 fg.
9*
132 Zweites Buch. Erster Abschnitt.'
niker
ordentlich,
recht besonders
lebhaft dar.
auf Ihre
den ausgedehnten
Zahl vermehrte
koniglichen
sich mit der
undZeit
geistlichen
außer-
Besitzungen. Später als das Feudalwesen sich mehr und mehr aus
bildete, und die allgemeine Freiheit de^ Immunitäten, das Recht den
Privilegien weichen mußten, sanken sie größtentheils in Knechtschaft
herab und verloren sich spurlos unter den übrigen Hörigen. Doch
gelang es vielen, vorzüglich solchen, die im Dienste des Königs oder der
Bischöfe standen, adeliche Rechte zu erringen; und noch beute gibt es
ganze Dörfer und Bezirke, deren sämmtliche Grundbesitzer adelich
sind, und deren Vorfahren einst Udvorniker waren. x
Sobald das ungarische Volk sich in dem weiten Lande nieder
gelassen und durch die Aufnahme der übrigen Einwohner in den Staats
verband sich so sehr vermehrt hatte, konnten an der Berathung und
Entscheidung der öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr alle freien
Männer theilnehmen, wie sie es früher thaten, so lange das Volk im
Heer versammelt war. Und da man zu dieser Zeit das Repräsentativ
system noch nirgends kannte, mußte die Gesetzgebung und die Führung
der Staatsangelegenheiten nothwendig in größerm Maße dem König
und den
DenVornehmsten
beständigen anheimfallen.
Rath des Königs, gleichsam sein Ministerium,
ker Stuhls der Insel Schutt, der zum graner Erzbisthum gehört. — 2 Hinc-
mari archiepiscopi Eemensis opera (Paris 1645), II, 21. „Comitis autem pa-
latii inter cetera pene innumerabilia, in hoc maxime sollicitudo erat, ut om-
nes contentiones legales , quae alibi ortae propter aequitatis Judicium palatium
aggrediebantur, juste ac rationabiliter determinaret: seu perverse judicata ad
aequitatis tramitem reduceret." Jetzt war der Palatin auch in Ungarn der
erste Reichsbeamte und Oberrichter, den der König gleich den übrigen Wür
denträgern ernannte; zwei bis drei Jahrhunderte später, während denen die
Pfalzgrafschaft in Deutschland fast zum bloßen Titel herabsank, erhob er sich
zum obersten Heerführer, zum Regenten, wenn der König minderjährig oder
der Thron erledigt war, zum Vermittler zwischen Volk nnd König, und wurde
zuletzt nicht mehr durch den König ernannt, sondern vom Reichstage ge
wählt. — 3 Diese sind: der Obersthofrichter (judex curiae), Schatzmeister, Oberst
hofmeister, Truchseß, Mundschenk, Marschall, Kämmerer und Thürhüter ; doch
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 133
eingeführt hatte, vermehrten gewiß nicht blos den Pomp des Hofes,
sondern ihre Inhaber zählten auch zu den beständigen Räthen des
Königs.
Bei wichtigern
Das Kanzleramt
Veranlassungen
verwaltete
versammelte
ein Bischof.der König außer diesen
beständigen Räthen. die ihn umgaben, noch die Bischöfe und Aebte, die
Großen, principes, Obergespane und andere hohe Staatsbeamte. Sie
insgesammt sind die senatores, seniores, majores, honestissimi, auf deren
Rath immer zu achten, Stephan seinem Sohn empfiehlt 1 ; sie sind der
große Staatsrath; das regale concilium, der primatum und optimatum
conventus, der über die wichtigsten Staatsangelegenheiten mit dem
König rathschlagte, beschloß und zuweilen Verordnungen erließ, die
Gesetzeskraft
Zu festgesetzten
hatten. 2Zeiten, oder so oft es nöthig war, hierüber fehlen
Später kamen noch hinzu der Ban von Kroatien und in der neuern Zeit die
beiden Kronhüter und der Kapitän der adelichen Garde. Bei, De archiofficiis
regni Hungariae (Leipzig 1740). Georgius Bartal, Commentariorum ad historiam
status1 jurisque
S. Stephani
publici
reg. Hungariae
de morum aevi
institutione.
medii libri
— 2XV
S. Ladislai
(Presburgreg.
1847).
Decret.
II, 1 : „Temporibus piissimi regis Ladislai omnes nos regni Panonici opti-
mates in Monte Sancto fecimus conventus .... primo constituimus." — s S. Ste
phani reg. Decret. I, 14, 15; II, 2. Hartvicus: „Convocatis Hungariae prin-
cipibus cum ordine sequenti." — 4 S. Ladislai reg. Decret. I, prologus ....
„MXCII, XII. Kalend. Junii in civitate Zabolcz Sancta synodus habita est,
praesidente christianissimo Ungarorum rege Ladislao cum universis regni pon-
tificibus et abatibus, nee non cum eunetis optimatibus, cum testimonio
totius cleri et populi." — 5 S. Stephani de morum institutione etc. Liber
c. 7: „Omnino tarnen juvenes non sunt depellendi a consiliis, quocies vero
cum Ulis consilium inibis, eciam si sit habile, tamen semper ad majores de-
feras, ut omnes actus tuos norma sapientie mensures."
134 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
nicht. Daß ihrer im 12. Jahrhundert mehr als siebzig waren, sagt
Otto von Freisingen • ; eine Urkunde aus den Tagen Bela's III. 2 und
Rogerius unter Bela IV. 3 geben zweiundsiebzig an. Da Ungarn unter
den beiden letztern Königen eine größere Ausdehnung als unter Stephan
hatte, mußten schon damals mehrere Gespanschaften vereinigt
wordenDiesein,
Anstalten,
weil die Zahl
die Stephan
zu beiden
zurZeiten
Bekehrung
ziemlichdesgleich
Volks
ist. traf, die
Libri duo (Strasburg 1551), I, 31. — 2Fejer, Cod. dipl., III, 217. — ' 3 Rogeri
Canonici carmen miserabile, bei Endlicher. — * S. Steph. r. Decret. Lib. duo.
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 137
steht das Kirchengut über dem eigenen". Sodann erhalten die Bischöfe
das riecht, alle kirchlichen Angelegenheiten zu ordnen und einzurichten,
die Laien sind schuldig diesen Anordnungen zu gehorchen. Die Kleri
niemand
ker stehendarfausschließlich
das Zeugniß unter
eines der
Laien
geistlichen
gegen sieGerichtsbarkeit,
annehmen (I, 1 —und
5).
wegs1 die
AuchAlleinherrschaft
Aleuin klagt, wie
in Ungarn;
sehr die Zehnten
auch diedie
orientalische
Bekehrung der
zählte
Sachsen
viele
sie sprachen Recht über die Burgangehörigen und über die Gemein
freien, und entschiedun auch manche nicht persönliche Rechtssachen der
Adelicnen und Geistlichen. Neben ihnen bestanden die bischöflichen
Gerichtsstühle, wo der Bischof oder sein Archidiakonus (damals nach
dem Gebrauch der griechischen Kirche Archipresbyter genannt) nicht
nur die Geistlichen seines Sprengels richtete, sondern auch über Zehnt
fragen, Ehesachen, Eide, Testamente und viele andere Angelegenheiten
urtheilte, welche nach damaligen Begriffen vor dieses Gericht gehörten.
Außerdem besaßen Bischöfe und Abteien vielleicht schon damals das
Privilegium der Gerichtsbarkeit auf ihren Gütern und in gewissen Be
zirken,,
Dasundhöchste
übten dieselbe
Gericht durch
war der
Beamte,
königliche
die denHof,
Grafentitel
curia regia,
führten.2
an
dessen Spitze der Palatin stand; er urtheilte über die Person und
Streitigkeiten der Adelichen und Reichsgroßen, und an ihn gingen die
Berufungen von den niedern Gerichten. 3 Doch deutet der fünfte Ab
schnitt der Rathschläge, die Stephan seinem Sohn gibt, daraufhin, daß
der König alle Rechtssachen selbst entscheiden konnte, und daß es
Fälle1 gab,
Szerdahelyi,
die seinem
Dipl.Spruche
graecumvorbehalten
S. Stephaniwaren.
(Ofen 1804),
Auch war
S. 30erfg.nach
—
s Auf der Donauinsel Schutt erhielt sich bis in die jüngste Zeit der vajker
Gerichtsstuhl des Keichsprin1as. — 3 S. Stephani r. Decret. II, 9.
Stephan I. S taatseinrichtungen u. s. w. 139
dem dritten derselben der oberste Richter des gesammten Klerus. Doch
nicht blos am königlichen Hoflager hielten der König und Palatin
Gericht; auch wenn sie im Lande umherreisten, sprachen sie .Recht,
wohinBei
sieder
kamen.
Einfachheit der Zustände und bei der Neuheit alles Grund
spiegeln, wollen wir noch einige Jvon denen, die uns aus Stephan's
Zeiten erhalten worden sind, hervorheben. Von jeher hat der Ungar
die Frauen nicht nur äußerlich geehrt, sondern ihnen auch die natür
lichen, persönlichen und bürgerlichen Rechte ertheilt, welche ihnen so
viele, selbst neue Gesetzgebungen noch immer verweigern. Merkmale
dieser Gerechtigkeit gegen das schwächere Geschlecht entdecken wir
schon in den Gesetzen Stephan's. Die Töchter erben mit den Söhnen
(1 , 6 ; II , 2). Erst später als das Lehnsystem überhandnahm, erlitt
dieses Recht Beschränkungen; aber die freie, unabhängige Verfügung
über ererbtes und erworbenes Vermögen blieb den Frauen ungeschmälert.
Die Witwe ist die Vormünderin ihrer Kinder und verwaltet auch deren
Vermögen; die kinderlose bleibt im lebenslänglichen Besitz von dem
Gute ihres verstorbenen Gatten , solange sie nämlich keine zweite Ehe
eingeht (I, 16). Wer eine Jungfrau entführt, um sich mit ihr gegen
den Willen der Aeltern zu vermählen, muß sie denen zurückgeben, und
auch dann noch, wenn er sich mit ihnen ausgesöhnt hat, ein Adelicher
mit zehn, ein Gemeinfreier mit fünf Ochsen den Raub büßen (I, 27).
Wenn ein Treuloser aus Widerwillen gegen seine Gattin aus seiner
Heimat flieht, bleibe diese im Besitze seines sämmtllchen Vermögens;
will sie aber sich wieder verheirathen , lasse sie das Vermögen des
Mannes1 S. fahren,
Steph. Decret.,
nehme I,ihre
4. —
Mitgift
2 I, 20.
und—trete
3 I, in
17. die
— neue
* Fejer,
Ehe.Cod.Kehrt
dipl.,
I, 305 verpflichtet Stephan sich und seine Nachfolger für die szalavärer Abtei
einen Kämpfer zu stellen. — 5 Sie erklärten eidlich, daß sie die Aussage
des vor Gericht Stehenden für wahr halten; ihre Zahl ging oft bis in die
Hunderte.
140 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
der Gatte nach der Zeit zurück, so darf er nur mit des' Bischofs Er-
laubniß eine andere heirathen (I, 30). Merkwürdig ist dies Gesetz
auch als Beweis, daß der Lehrsatz der römisch-katholischen Kirche
von der Unauflöslichkeit der Ehe damals in unserm Vaterlande noch
nicht Strenge
galt. 1 und entehrende Strafen stehen auf Diebstahl und Raub;
furtum nennt das Gesetz beide. Der Sklave, der dieses Verbrechen be
geht, verliert die Nase, wenn er sie nicht mit fünf Ochsen lösen kann,
und wenn er sich desselben nochmals schuldig macht, die Ohren, die
er gleichfalls mit fünf Ochsen loskaufen darf. Der Freie, der gestohlen
oder geraubt hat, wird das erste mal verkauft; wenn er sich nicht
zu lösen vermag, verfallt er das zweite mal dem Gesetz der Sklaven,
und erleidet das dritte mal den Tod (II, 6, 7). Die verheirathete Diebin
soll zweimal von ihrem Gatten losgekauft, beim dritten Diebstahl aber
verkauft
Aberwerden
auch der
(I, 31).
Aberglaube forderte schon seine Opfer. Wird eine
Hexe gefunden, so führe man sie in die Kirche und übergebe sie dem
Geistlichen, damit er sie fasten lasse und unterrichte; wird sie rück
fällig, so soll sie abermals fasten und sodann auf der Brust und Stirne
und zwischen den Schultern mit dem Kirchenschlüssel in Kreuzesform
gebrandmarkt, beim dritten mal aber dem Richter übergeben werden.
(I, 33). Giftmischer liefere man den Aeltern oder Verwandten der
Vergifteten aus, damit sie mit ihnen nach Willkür verfahren; die aber
durch Zaubermittel andern schaden, sollen von den Bischöfen durch
Geißelung
Der vorsätzliche
gezüchtigt werden
Mörder,
(I, 34).
der aus Zorn oder Uebewnuth einen
der Große, den die Kirche als Heiligen verehrt, schied sich von seiner ersten
Gemahlin, und wahrscheinlich auch von einer oder der andern unter den
vieren, die er nachher heirathete und neben denen er noch eine Menge Kebs
weiber hatte. — 2 Die Pense ist gleich einem Solidus oder byzantinischen
Dukaten. S. unten über die Münzen.
Stephan I. Staatseinrichtungen n. s.w. 141
das Gesetz Einhalt thun. Wer aus Feindschaft die Gebäude eines andern
anzündet, muß den verursachten Schaden ersetzen, und noch überdies
sechzehn Ochsen im Werth von 50 Soliden zahlen (I, 32). Der
Comes, der gewaltsam in ein Haus einbricht, und mit dem Hausherrn
kämpft oder ihn tödtet, leiste die Composition, die auf die Entblößung
des Schwerts festgesetzt ist; fällt er aber dabei, so bleibe er ohne
Composition liegen; schickt er in dieser Absicht seine Leute, ohne
selbst zugegen zu sein, gleiche er die Frevelthat mit hundert Ochsen
aus. Der Adeliche (miles), der das Haus eines andern Adelichen an
greift zahle zehn, der Gemeinfreie, der die Hütte eines von seines
gleichen
Doch
überfällt,
die höchste
fünf Ochsen
Strafe trifft
(I, 35).
den Hochverräther und Störer der
öffentlichen Eintracht. Wer sich gegen den König oder gegen das
Vaterland verschwört, finde in der Kirche keine Zuflucht (Asyl), sei
verflucht, und aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen
(II, 17). Sein Leben ist verwirkt, und nur wenn er sich nicht flüchtet,
sondern der Strafe unterwirft, bleiben seine Besitzungen den un
schuldigen Kindern (II, 2). Wer hinterlistigerweise einem Comes
oder andern Getreuen sagt: der König sinnt auf dein Verderben, der
sterbe. Wer mit teuflischer List durch Verleumdungen Zwietracht aus
zustreuen sucht, soll die Zunge verlieren, und sie nur durch doppelte
Composition lösen können, wenn er zwei oder mehrere belogen hat
(II, 19,
Noch
20).ist schließlich zu bemerken, daß in den meisten Fällen, wo
die Composition statt der Strafe an Leib und Leben eintritt, zu der
selben das Fasten nach dem kanonischen Gesetz hinzukommt; den
Gesetzgebern schwebte nämlich die Idee vor, daß der Verbrecher das
bürgerliche und göttliche Gesetz übertreten habe, und durch die Com
position die Verletzung des erstem, durch das Fasten die Sünde wider
das zweite
Vergleichen
büßen müsse.
wir nun diese Gesetze mit denen der germanischen
Völker, so finden wir eine so große Aehnlichkeit, daß sie ganz nach
dem Muster derselben gebildet zu sein scheinen. Hier wie dort erblicken
wir beinahe dasselbe gerichtliche Verfahren, dieselben Beweis- und
Rechtsmittel, besonders aber fast bei allen privatrechtlichen Ver
gehungen, selbst bei Gewaltthat und Mord die Composition, als Aus
gleichung mit dem Geschädigten und Ablösung der Strafe an Leib und
Leben. Wir sehen hier wie dort Asyle geöffnet, in denen der Geklagte
Sicherheit findet, bis er entweder seine Unschuld erwiesen oder die
Composition zu Stande gebracht hat. Aber bei genauerer Betrachtung
werden wir dennoch Unterschiede entdecken, die nicht nur von der
Selbständigkeit der ungarischen Gesetzgebung zeugen , sondern meistens
auch unleugbare Vorzüge sind. Die germariischen Gesetze stellen bei
Verletzung der Person und Todtschlag statt der Composition das
142 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
Wehrgeld und bestimmen die Höhe desselben nach dem Stande des
Geschädigten oder Getödteten. So ist in den Gesetzen der salischen
Franken das Wehrgeld des Anstrution auf 600, das der freien
Franken auf 200, das des Litus (Halbfreien) auf 100, das des
zinsbaren Römers auf 45 Solide festgesetzt, und bezeichnet hiermit
den Werth des Menschen, nach dem Rang, den er einnimmt; die un
garischen Gesetze kennen dieses Wehrgeld nicht, und machen ganz
umgekehrt die Höhe der Composition von dem Stande des Missethäters
abhängig, sodaß der Gemeinfreie (vulgaris) die einfache, der Adelich
freie (miles) die doppelte, der Graf (comes) die zehnfache Strafe zahlt;
sie fragen also nicht , an wem, sondern von wem gefrevelt wurde, und
erklären den Vornehmen für weit strafbarer. Das Salische Gesetz setzt
auf die Tödtung eines Hirsches, Hasen , Jagdhundes u. s. w. dasselbe
Wehrgeld , wie auf den Mord eines zinsbaren Römers ; die Ungarn ver
fügen hierüber gar nichts, ihnen waren und blieben .überhaupt die
grausamen Jagdgesetze fremd. Die germanischen Gesetze echten be
waffnete Angriffe gegen Person und Eigenthum nicht, sie gestatten
Selbsthülfe und veranlassen dadurch blutige Kämpfe und verwüstungs
volle Privatfehden; die ungarischen erklären solche Angriffe für die
schwersten Verbrechen, sprechen darüber das Todesurtheil aus, und
sichern die Person, das Besitzthum uud den Landfrieden. Freilich
wurde auch in Ungarn später vieles anders, nachdem die Rechts
dichtungen des Lehnwesens das natürliche Rechtsgefühl abgestumpft
hatten.
Die damalige Zeit kannte noch keinen Unterschied zwischen Staats
1 Stiftungsbrief der Abtei Pecsvärad, bei Fejer, Cod. Dipl., I, 300. Auch
vielfache Hindeutungen aus späterer Zeit lassen keinen Zweifel übrig, daß
das Salz schon unter Stephan ein Regale war. — 2 Balbia, Epitome rerum
Bohemicarum, III, 1, berichtet von polnischen Gefangenen, die nach Ungarn
zum Bergbau verkauft wurden. — 3 Die Münzstätte war in Gran; Goldmünzen
Stephan I. Staatseinrichtungen u. s. w. 143
auf den Märkten für verkaufte Gegenstände, und auf Wegen und
Flüssen erhoben wurden. 7) Geschenken, die dem König und seiner
Familie bei bestimmten Veranlassungen dargebracht, und deren manche
später als eine Art Steuer gesetzlich angeordnet wurden. 8) Den
schon erwähnten Abgaben der . königlichen Städte. 9) Der Ver
pflichtung, daß die Gemeinde in deren Mitte, oder der Einzelne, in
dessen Haus der König unterwegs einkehrte, ihn und sein Gefolge auf
nehme und bewirthe. 10) Den Denaren der Freien, vielleicht auch der
Adelichen, und die außerordentlichen Abgaben an Naturalien und Geld,
die im Nothfall von allen Freien erhoben wurden. 11) Den Theilen,
welche dem königlichen Fiscus von den Compositionen und andern
Geldstrafen zufielen. 12) Den wegen Staatsvergehen des Besitzers
durch gerichtlichen Spruch eingezogene Besitzungen. 13) Dem Heimfall
des Vermögens,
Das Heer.zuNochdem kein
besteht
Erbe
in vorhanden
voller Kraft
ist.die
1 alte Ordnung, ver
möge deren jeder freie Mann verpflichtet, wir können sagen, berechtigt
ist, die Waffen zu' führen. Und wiewol die Eintheilung des Volks
nach Stämmen und Geschlechtern in politischer Hinsicht durch die Or
ganisation der Gespanschaften beseitigt war, dauerte sie noch immer
fort im Heere, wenn auch nicht mehr die Gesammtheit der Waffen
fähigen aufgeboten wurde. War der Krieg im hohen Rath oder in der
Versammlung der Nation beschlossen , so erließ der König den Auf
ruf, indem er ein blutiges Schwert umhersandte. Nun scharten sich die
Kriegsmannen um die Fahnen ihrer Geschlechter und zogen, gewaffnet
und geordnet nach hergebrachter magyarischer Weise und geführt von
ihren Häuptlingen, nach dem königlichen Lager. Hierher kamen auch
die Allodienbesitzer und kriegspflichtigen Lehnsträger, die Reichs
beamten, Bischöfe und Aebte mit ihren Scharen, die sie unter ihren
Hintersassen aushoben und auf ihre Kosten im Felde unterhielten.
Dieser Heerestheil mochte mehr nach Art der Deutschen bewaffnet und
geordnet sein. Weil es selbstverständlich ist, brauchen wir kaum zu
erwähnen, daß der König selbst sein gleichsam unmittelbares Heer
hatte, das aus den Mannen seines Stammes, den Lehnsträgern und
Dienstleuten auf seinen Gütern, und aus Freiwilligen, die er in Sold
nahm, bestand, und von dem, je nach den Umständen, ein größerer oder
kleinerer Theil als Leib- und Sicherheitswache fortwährend unter den
Waffen blieb. Außer diesem Nationalheer, das gelegentlich aufgeboten
wurde, bildeten die Burgtruppen, jobbagyones castri, unter dem Befehl
wurden
ihres Obergespans
nicht geprägt,eine
manArt
begnügte
stehender
sich mit
königlicher
dem byzantinischen
Miliz, die und
in diesen
italie
nischen Solidus. Wir kennen nur eine Silbermünze, Stephan's Denare, deren
45 einer Goldpense oder dem Solidus gleichkamen. Sie zeigt auf der Vor
derseite in geperltem Kreise ein Kreuz, in dessen Winkeln vier dreieckige
Sterne, und unterhalb desselben die Aufschrift: Stephanus Rex; auf der Rück
seite dasselbe Kreuz und darunter Civitas regia. Schönwisner, Notitia rei
nurnmariäe in Hungaria (Ofen 1801). Rupp (und Erdi), Arpadisches Zeit
alter 1 (Pesth
Vita S.1841).
Gerhardi, S. 10.
144 Zweites Buch. Erster Abschnitt.
frühen Zeiten mehr zur Besetzung der festen Plätze und zur Aufrecht
haltung
Derder
geborene
innern Ordnung,
Feldherr war
als im
derFelde
König,
gedient
aber noch
zu haben
kannte
scheint.
man 1den
erstaunen, wenn sie nicht, bethört von Abneigung und irregeführt durch
die Declamationen befangener Chronikenschreiber, die Ungarn der
damaligen Zeit für halbe Wilde hielten, die von Stephan wie mit einem
Zauberschlag plötzlich civilisirt und umgewandelt wurden. Nein, in dem
Leben der Völker gibt es keinen Sprung, da ist alles Entwickelung aus
bereits vorhandenen Anfängen, und die größten Geister, die wohlthätig
sten Verbesserer können nur ins Dasein rufen und gestalten, was die
Zeit allmählich vorbereitet hat. Weil die Magyaren einst Nomaden
waren, daraus folgt noch nicht, daß sie jeder Cultur entbehrten; auch
die Israeliten unter Moses, die Perser des Cyrus, die Araber vor
Mohammed waren Nomaden und haben Staaten gegründet, sich Gesetze
gegeben und ihre eigenthümliche blühende Cultur besessen. Wir haben
nachgewiesen, wie die Magyaren schon in ihren Ursitzen nicht ohne jede
Civilisation und Cultur waren, und wie bereits im Lauf der Zeit allmäh
lich unter den Herzogen der Grund zu dem gelegt wurde, was Stephan
allerdings mit hoher Weisheit und Kraft ausführte, und wie ihm der bild
same Aber
und fortschreitende
es ist auch ein Geist
sonderbarer,
seines Volks
man dabei
möchtezu sagen
Hülfe absichtlicher
kam.
Irrthum, die Ungarn bis auf Stephan's Zeiten für wandernde Nomaden,
Jäger und Fischer zu halten, die keine andere Beschäftigung kannten.
Schon hatte sich die Bevölkerung in Ortschaften gesammelt und betrieb
den Anbau aller Sorten von Getreide, von Hanf, Obst und Wein. Denn
wie könnte sonst in den Gesetzen von Ortsrichtern (villicis), vom
gemeinschaftlichen Bau der Kirchen, vom Zehnten der Bodenerzeugnisse
die Rede sein? Und nun, nachdem der Boden, den der Landmann baute,
entweder sein völliges Eigenthum geworden, oder ihm doch zur bleiben
den Nutznießung übergeben war, mußte seine Thätigkeit um so mehr
wachsen und die Güte seiner Erzeugnisse zunehmen. Auch jene Fertig
keiten und Gewerbe, welche die Ungarn in ihr neues Vaterland mit
brachten, und in denen sich die asiatischen Völker von jeher auszeich
neten, wie die Bearbeitung der Thierwolle zu Geweben und Filzen, der
Häute zu verschiedenen Gattungen Leder, der Metalle zu Waffen und
Schmucksachen, sind unterdessen nicht nur naturgemäß fortgeschritten,
sondern haben sich auch nach und nach durch neue vermehrt, die sie
von ihren heimischen Landsassen und von Fremden erlernten. Wir
staunen über die Menge von Schmieden, Tischlern, Bauleuten, Webern,
Gold- und Silberarbeitern, und überhaupt Handwerkern jeder Art, die
in den Stiftungsbriefen den Kirchen und Klöstern übergeben werden,
mithin unter den Udvornikern, Hof leuten und Sklaven der Stifter vor
handen sein mußten. 1 Und wie viel mehr und besseres mußte die
Thätigkeit der freien Stadtbewohner schaffen? DieBedürfnisse,für welche
alle diese Menschen sorgen, wurden also schon allgemein empfunden
und befriedigt und lassen auf Zustände schließen, die sich schon
weit
erinnern
vonwir
derimursprünglichen
Hinblick auf diese
nomadischen
vorgeschichtlichen
Lebensweise
Zeitenentfernt
an Caesar,
hatten.
De
Fcßlei. I. 10
146 Zwettes Buch. Erster Abschnitt.
Seiten herbeirief, förderten wol die geistige und sittliche Bildung durch
Lehre und Beispiel in jeder Weise, aber am wohlthätigsten und bleibend
wirkten sie an den Schulen, welche in den Bischofssitzen und Klöstern
bestanden und an denen sie lehrten. So beschränkt auch der Unterricht
fast nothwendig war, der hier ertheilt wurde, so war er es doch vor
nehmlich, wodurch sich ein besseres Licht verbreitete. Denn durch sie
wurden Einheimische zu den einzigen Volkslehrern der damaligen Zeit,
zu Geistlichen und Mönchen, herangebildet, die die Sprache des Volks
redeten, seine Sitten und Bedürfnisse kannten und sich Eins mit ihm
fühlten, die ebendeshalb größern Einfluß auf dasselbe äußern und ihm
eine eigene
In jeder
nationale
HinsichtBildung
war also
geben
einkonnten.
so entschiedener Anfang gemacht
schändeten. Sein > Gewissen sagte ihm, daß die Ungarn ihn hassen
müssen, und daß er Ursache habe, sich gegen ihre Angriffe sicherzu
stellen; daher nahm er ihnen den Befehl über die Burgen, entsetzte sie
ihrer Aemter und Würden, und gab diese Deutschen und Italienern.
Alle Klagen , Vorstellungen und Bitten wies er mit höhnenden Ueber-
muth zurück. l Selbst Gisela, der er den Thron verdankte, erfuhr seinen
schreienden Undank. Gekränkt durch Zurücksetzung und durch seinen
unsittlichen Lebenswandel beleidigt, mochte sie oft ermahnt, getadelt,
vielleicht gedroht haben, und ihm dadurch lästig und gefährlich geworden
sein; um sich ihrer zu entledigen, setzte er sie gefangen und zog ihre
Besitzungen ein. Da ward die Geduld erschöpft; mehrere Große ver
einigten sich und befreiten die Witwe ihres verehrten Königs. Peter
konnte es weder hindern, noch sogleich Rache nehmen, und verwies erst
späterZueinige
Hausederein
Unzufriedenen
Wüstling und
aus Tyrann,
dem Vaterlande.2
war Peter in seinen aus
Thron anmaßen und ihn durch Laster und Unrecht beflecken, höchst
gefährlich. Auch Peter beschleunigte dadurch sein Verderben. Das
Volk, aufgebracht durch soviel Mishandlung und Thorheit, erhob sich
plötzlich
An die
mit Spitze
Macht der
gegen
Ungarn
ihn. stellte sich Samuel Aba, ein Nachkomme
Vita S. Gerhardi, c. 17: „Aba comes palatii." Alberieue bei Leibniz, II, 73:
„Unus de magnis prineipibus." Annales Sangall. ad ann. 1041. „Comes
quidam." — 3 Annales Augustani und Hermannus Contract. ad ann. 1041 bei
Pertz. Kezai, II, 2. Thuroezy, II, 36. Chronicon Posoniense. — 4 Kezai,
II, 2. Thuroezy, II, 36. — 5 Anonymus Belae reg. not., e. 32. — 6 Herman
er
us Annales
Contract.Boici.
bei Pertz, V, 123 ad ann. 1041. Chronic. Athahense, bei Brun-
J50 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
Ungarn unter seine Botmaßigkeit bringen wollte. Auf die Kunde hier
von schickte Aba eine Gesandtschaft an Heinrich mit Friedensanträgen,
1042 und
zukommen,
als dieseund
nichts
ließ,ausrichtete,
während Heinrich
entschloß am
er sich
Rhein
demverweilte,
Angriff zuvor-
drei
an Ungarns Grenze, und Aba, der sich auf die Treue des Volks nicht
verlassen konnte und sich doch um jeden Preis auf dem Thron erhalten
wollte, eilte, durch reiche Geschenke4 und große Versprechungen ihn
zu versöhnen. Er gelobte neuerdings, die Gefangenen in die Heimat
zu entlassen, nie mehr feindlich in Deutschland .einzufallen, den Land
strich zwischen dem Kahlenberg und der Leitha für immer abzutreten,
und stellte Geiseln. Diese für Aba so harten und schimpflichen
licher Weise feiern. Die deutschen Könige und Kaiser hatten nämlich
den Gebrauch, den auch Stephan beobachtete, daß sie sich an hohen
Festtagen von einem Bischof die Krone aufsetzen ließen und mit
ihr geschmückt dem Gottesdienst beiwohnten. Samuel forderte Ger
hard, den angesehensten Bischof Ungarns, auf, ihm diesen Ehrendienst
zu leisten; aber der fromme Mann weigerte sich dessen, und er war
genöthigt, sich von einem andern Bischof krönen zulassen.3 »Gerhard
that noch mehr ; er bestieg die Kanzel, hielt dem gekrönten Usurpator
seine Verbrechen vor und verkündigte ihm den nahe bevorstehenden
Untergang. Geschlagen von seinem Gewissen und aus Furcht vor
plötzlichem Aufruhr nahm dieser die schwere Beleidigung hin und ließ
den ehrwürdigen Greis unangefochten.^ Wahrlich, man fühlt sich oft
versucht, die Zeit glücklich zu preisen, wo so etwas geschehen konnte,
wo eine Macht bestand, vor der sich auch der blutbefleckte Tyrann
beugen
1Dies
Kezai,
mußte!
alles
II, erfuhr
2, ziehtHeinrich
beide Kriege
bald;inneue
einenFlüchtlinge
zusammen. kamen
Thuröczy,
an seinen
II, 37.
Hof und vergrößerten die Zahl der Anhänger Peter's, der ihn mit Bit
ten bestürmte, ihn in sein Reich zurückzuführen, und gelobte, dasselbe
ihm zum Lehn aufzutragen. Jetzt, glaubte Heinrich, sei die Zeit
gekommen, seine Absichten auf Ungarn leicht und sicher auszuführen.
An Ursachen, den Krieg zu erneuern, fehlte es nicht. Noch immer
standen die ungarischen Besatzungen in dem abgetretenen Gebiet, und
die Gefangenen waren auch nicht ausgeliefert. Denn beides konnte
Aba leichter versprechen, als erfüllen, weil weder die Besitzer ihre
Güter und die Obergespane ihre Burgen räumen, noch die Herren ihre
Sklaven freilassen wollten. Auf die zerrütteten Zustände Ungarns und
auf den Abfall der vielen Misvergnügten rechnend, nahm Heinrich sich
gar nicht Zeit, ein großes Heer zu rüsten , sondern stand schon zu Ende
1044 Juni 1044 mit nur 6000 Mann in Oesterreich, zu denen noch die
Scharen des dortigen Markgrafen und des böhmischen Herzogs stießen.
Aba schickte eilends Gesandte, um Friedensverhandlungen anzuknüpfen.
Der Kaiser wies sie ab und ließ durch Papst Benedict IX. gegen alle
Anhänger Aba's den Bann aussprechen. Diesmal nahm er d«n Weg
am rechten Donauufer über Oedenburg und rückte vor, auf die Ein
verständnisse trauend, die er schon mit einigen Befehlshabern im
ungarischen Heer angeknüpft hatte. Aba,^an der Spitze eines weit
überlegenen Heers, faßte Muth und Siegeszuversicht; um aber den
schwächern Feind desto sicherer und gänzlich zu vernichten, zog er sich
in eine feste Stellung hinter den Raabnuß zurück. Die Deutschen
folgten ihm, setzten, von ungarischen Wegweisern geführt, ungehindert
über die Raab und Rabnitz und verwickelten sich zwischen Flüsse,
Sümpfe,;Gestrüpp und Waldungen. Nun schritt Aba zum Angriff vor
und traf sie bei Menfö oberhalb Raab. Am 5. Juli, als der Morgen
anbrach, erblickte Heinrich Aba's Scharen und sah bestürzt die misliche
Lage der Seinen, die den überlegenen Feind vor sich, um sich keinen
Raum, sich auszubreiten, und hinter sich keinen Ausweg hatten; nur
Muth konnte retten, und er feuerte sie an, rühmlichen Tod schimpflicher
Knechtschaft vorzuziehen. Noch gab ein Sturmwind, der sich plötzlich
erhob und alles in Staubwolken hüllte, die Hoffnung, daß er den Ungarn
die freie Aussicht rauben und ihre Pfeile aus der Richtung schleudern
werde, aber die geübten Schützen wußten das Wehen des Sturmes in
Anschlag zu bringen und die Pfeile flogen nach dem Ziel, das die
zusammengedrängten Haufen darboten. Bald war das Schlachtfeld mit
Verwundeten undTodten bedeckt, und es hieß noch im 13. Jahrhundert,
als Kezai schrieb, vesznemet, Grab der Deutschen. Schon durfte Aba
hoffen, den vollständigsten Sieg errungen zu haben, da ersahen die Mis
vergnügten im Heer die Gelegenheit, auf die sie harrten; ein Theil ging
zum Feinde über, andere senkten die Fahnen und kehrten sich zur
Flucht; der Anblick des Verraths erfüllt auch die siegreich Kämpfenden
mit Schrecken, auch sie fliehen und Aba mit ihnen. Nach ungarischen
Nachrichten wurde er von seinen Feinden an der Theiß getödtet, nach
deutschen gerieth er in Peter's Gefangenschaft, der ihn enthaupten ließ.
Seinen Leichnam empfing das von ihm gestiftete Kloster in Sär. Raab
Peter und Samuel Aba, Thronanmaßer. 153
mit Aba's Gemahlin, Kindern und Schätzen ergab sich ohne Wider
stand. x Das Geschlecht Aba dauerte noch lange unter den Großen
Ungarns fort, und bis heute wollen einige Familien ihren Ursprung von
ihm ableiten.
Kaiser Heinrich willigte nicht eher in den Frieden, als bis
Mahls fiel des Saales Boden ein, und die ganze Gesellschaft stürzte in
das darunter angebrachte Badehaus hinab. Der Kaiser ward nur am
Arm verwundet; die Gräfin, der würzburger Bischof Bruno und der
ebersberger Abt Altmann aber mußten an den erlittenen Quetschungen
sterben.
Von2 dem Könige der Ungarn wurde Heinrich mit auffallenden
1 Kezai, II, 2. Thuröczy, II, 37. Bei Pertz: RodulB, Hist., III. Her-
mannus Contract., V, 124. Annales Sangallenses, I, 84. Muglen, Kap. 24.
Chronicon Posoniense. — 2 Hermannus Contract. ad ann. 1045. Adelzreiter
P. I. , I, 7. — 3 Hermannus Contract. ad ann. 1045. Sigebertus Gemblac.
ad ann. 1043. Marian. Scotus ad ann. 1045. Arnulph. Mediolan, bei Mu-
ratori, IV. Wjppo, Vita Chunrad. Mnglen, Kap. 25. Wenn nach diesen
einstimmigen Zeugnissen Pray, Cornides, Kollar und Benczur behaupten wol
len, daß diese Hingebung des Reichs an den Kaiser und die Huldigung nicht
geschehen sei : 1) weil die vaterländischen Chronographen, das ist, Kezai und
Thuröczy, davon schweigen; 2) weil die ganze Handlung null und nichtig
gewesen wäre; 3) weil sie in der Versammlung aller Stände durch Stimmen
einhelligkeit und mit Einwilligung der Cognaten, Andreas und Bela, hätte
geschehen müssen : so können sie keinem Geschichtsforscher genügen. Als
Geschichtschreiber maßten sie sich lediglich an die Frage halten, was ge
schehen sei; und gleichwie aus dem, was geschehen ist, noch nicht folgt,
154 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
wenig durften die genannten Gelehrten aus der Rechtswidrigkeit der That-
sache folgern, daß sie gar nicht geschehen sei. Uebrigens was immer auch
Peter und die ihm Ergebenen dem Kaiser versprochen und gelobt haben moch
ten, eine Unterwerfung des ungarischen Reichs unter das deutsche konnte
ihr Act nicht begründen: denn dazu hatten sie kein Recht. Die Könige aus
dem Ärpädischen Hause haben Peter nie als ihren Vorgänger, sondern als
Usurpator erkannt. Fejer, Cod. dipl. , IV, B. 1 , Nr. 393, sagt Bela IV. aus
drücklich: „qui (Peter) nomen regis sibi potenter adscripserat". Dasselbe
thaten auch die Reichstage, denn die Gesetze, die während seiner Regierung
gegeben wurden, seine Schenkungen, Privilegien und Verordnungen sind für
ungültig erklärt worden, wie die Regierungsacte Aba's und anderer, die sich die
Herrschaft anmaßten. Verböczi, Decret. tripart., Pars DT, Tit. 14, §. 9.
Andreas I. 155
keit aus feiger Staatsklugheit. Auf sein fürstliches Wort sich berufend,
zogen
aufhaltsam
zahlreiche
in demRotten
LandeMörder,
umher;
Kirchenräuber
jedem Widerstande
und Mordbrenner
wurde Trotz
un- .
und gern hätte er nach mancher Fürsten Weise dem Verhängniß, dem
Unglück, oder dem Zeitgeist zugerechnet, was lediglich seiner Schlaff
heit und Geistesohnmacht Folge war; allein schon der Umstand, daß
die Verfechter des Heidenthums ihn jetzt ruhig in Gottes Tempel und
von Priestern hatten salben lassen, und mehr noch der Erfolg seiner
nachmaligen Verfügungen, vertrieb ihn aus jenem Schlupfwinkel hoher
Sünder und drängte ihn zur Einsicht, wie leicht es ihm schon früher
gewesen wäre , durch Muth und Entschlossenheit die Volkswuth zu be
zwingen. Denn nur den Sturz Peter's, die Befreiung von der Tyrannei
wollte
thum und
einstimmig
das Verlangen,
die ganzezum
Nation;
Heidenthum
den Haßzurückzukehren,
aber gegen das Christen-
empfand
nur ein kleiner Theil, sonst wäre es unmöglich gewesen, die brausenden
WogenDies
so war
schnell
auch
zu seine
stillen erste
und die
Sorge;
Ruhesobald
herzustellen.
sich die Macht in seiner
Hand befand, erließ er den Befehl, daß bei Todesstrafe keine heidnischen
Gebräuche mehr ausgeübt, alle Spuren des Heidenthums vertilgt, die
zerstörten Kirchen wieder aufgebaut, und die Gesetze König Stephan's
in voller Kraft wiederhergestellt werden sollten. Einige Beispiele der
Strenge gaben den Gesetzen Nachdruck; freundliche Worte und Ge
schenke gewannen und beschwichtigten die Freunde des Heidenthums;
die christlich
1 Kezai, II,
Gesinnten,
3. Hermann.
selbst
Augiens.
die Anhänger
ad ann. 1046.
der vorigen
Haselbach
Herrschaft
bei Pez,
Script. Austriac, S, 700. Vita S. Gerardi, bei Endlicher. Muglen, c. 25, 26.
— 2 Vita S. Gerardi. Thuroczy, H, 42. Muglen, a. a. O.
156 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
schlossen sich an den König an, dessen Schutz sie bedurften, Friede
und Ordnung befestigten sich im Innern. l
Aber von außen drohte Gefahr; es ließ sich voraussehen, Kaiser
Heinrich werde die Entsetzung und Ermordung Peter's nicht ungerächt
Andreas
lassen undsuchte
seine Ansprüche
ihn durch eine
auf die
Gesandtschaft
Oberherrschaft
zu besänftigen,
nicht aufgeben
schob
wollen.
die
Schuld des Geschehenen auf einige Rebellen , die schon ihre Strafe
empfangen hätten, zeigte, wie Ordnung und Christenthum wiederher
gestellt seien, und bat um Frieden. Dabei erbot er sich, die Uebel-
thäter auszuliefern, welche sich noch finden würden; auch Lehnspflicht
wollte er leisten, die kaiserliche Oberherrlichkeit anerkennen, jährlichen
Tribut bezahlen, nur sollte ihm der Kaiser des Reichs ruhigen Besitz
zusichern.
Doch es ist kaum glaublich, daß Andreas dasselbe gethan habe,
weshalb Peter den Thron verlor, auch erzählt es nur der einzige Herr-
mannus, Augiens, oder Contract. Aber wozu immer sich Andreas
bereit erklärt haben mochte, Heinrich rechnete auf dessen Bedrängniß
und wies seine Anträge zurück mit der Drohung, daß er zu rechter
Zeit als Rächer seines Schutzgenossen und Lehnsmannes erscheinen
würde.2
In dieser bedenklichen Lage, hülflos in sich selbst und zu un
Schos des Vaterlandes. Die Freude über die an ihm erlangte Stütze
seiner Herrschaft verleitete den König zu dem in seinen Folgen höchst
verderblichen Schritt, das Reich zu theilen und seinen Bruder über ein
Drittel desselben mit unumschränkter Gewalt und Einräumung des
Münzregals in seinem Gebiet als Herzog einzusetzen.4 Dadurch ent
fernte er den treuen Beistand, den heilsamen Rathgeber von seiner
Seite, machte ihn von sich unabhängig, legte zu unzähligen Ränken der
Eifersucht zwischen beiden Höfen und zu lange fortdauernder Zwie
tracht in der königlichen Familie den Grund. Das Beispiel, welches
er in dieser Theilung aufgestellt hatte, ward seinen Nachfolgern gleich-
1 Thuröczy, II, 42. VitaS. Gerard., S. 36. Annales Boici ad ann. 1046.—
2 Hermann. Contract. ad ann. 1047 bei Pertz. — 3 Thuröczy, a. a. O. — 4 Thu
roczy, a. a. 0. Cornides , Genealog. Reg. Hnng. , S. 91. Kerchelich, De reg-
nis Dalmat. etc. notitiae praelimin., S. 102.
Andreas I. J57
und den Uebergang zu öffnen, doch sein Nachtrab wurde zwischen den
voreilig angezündeten Festungswerken und der Brücke vernichtet. Unter
fortwährenden Gefechten und schweren Verlusten erreichte er endlich
die Grenze und warf sich um Mitte October nach Haimburg. s
Andreas und Markgraf Adalbert zeigten sich beide zum Frieden
geneigt;
1 Hermann.
aber die
Contract.
Unterhandlungen
ad ann. 1050.
mußten
— 2 abgebrochen
Ebend. — 3 werden,
Kezai, II,weil
3.
Thuröczy, II, 43. Hermann. Contract. ad ann. 1051. Otto Freising., VI, 33.
Annalista Saxo ad ann. 1052.
158 Zweites Buch Zweiter Abschnitt.
der schlechte Ausgang des ersten Feldzugs den Kaiser zu einem zweiten
1052 reizte,
aufgebenund
wollte.
er seineJetzt
Ansprüche
that er auf
denLehnsherrlichkeit
Einfall durch Oesterreich
über Ungarn
längsnicht
der
wurde getrübt durch den Kummer über die seinem Brüder verheißene
Erbfolge. Sehnlich wünschte er den Vertrag rückgängig zu machen. Um
seinem Sohne Salomo an dem Kaiser der Deutschen eine mächtige
Stütze zu bereiten, verlobte er das unmündige Kind mit. Heinrich's III.
Tochter, die gleichfalls Kind war. Und um auch die Gunst des noch immer
mistrauischen Klerus zu gewinnen, gründete er 1055 auf einer Land
zunge1 Hermann.
am Plattensee
Contract.
in herrlicher
ad ann. Lage
1052. die
Hilderic.
Benedictinerabtei
Mutii Chron. Tihany,
Germ., XIV,
und
stattete sie überreich mit Gütern und Gefällen aus; „damit sie nicht
nachlässig im Dienste Gottes seien , und von demselben nicht abgezogen
würden". J Wahrscheinlich hat er auch zu Szentendre das griechische
Kloster gestiftet, welches Papst Honorius III. 1221 in ein lateinisches
verwandelte. Auch das Nonnenkloster zu Tormova in Bihar verdankte
ihm oder seiner Gemahlin Anastasia seinen Ursprung. 2 Um diese Zeit
ließ sich eine Colonie Lütticher im Sprengel des erlauer Bisthums nie
der, welche ihre Sprache beibehielten und deshalb noch 1347 die fran
zösischen Ortschaften genannt wurden. 3 Kaiser Heinrich III. starb 1056;
sein schon gekrönter Sohn und Nachfolger war der sechsjährige Hein
rich IV., und in Deutscland brachen bald große Unruhen aus; Ungarn
hatte Als
für Ungarn
seine Freiheit
, von Parteien
von dieser
zerrissen
Seite nichts
und verrathen
mehr zu fürchten.
von seinen Be
herrschern, gegen die ganze Macht des deutschen Reichs seine Freiheit
und
Kroatien
Selbständigkeit
Krezimir II. vertheidigte,
desjenigen Theils
bemächtigte
von Kroatien,
sich der sich
Fürstbis von
an ,
den Fluß Zettina erstreckt und unter Stephan zu Ungarn gehört hatte.
Jetzt eroberten Bela und der Palatin Radö diese Landstrecke zurück,
und brachten auch Sirmien, dessen sich die Griechen bemächtigt hatten,
wieder unter ungarische Herrschaft. Endlich fielen sie noch in Dalmatien
ein und belagerten Arbe. 4 So schnell erhebt sich ein Volk aus der Ohn
machtAls
undSalomon
dem Verfall
seinunter
siebentes
der Herrschaft
Jahr begonnen
des Rechts
hatte,
und versammelte
der Freiheit. 1057
erwartete ihn auf einem Ruhebett. Zu seinen Füßen lag auf einem
Teppich eine Krone und ein bloßes Schwert. Er wollte seinem Bruder
freie Wahl zwischen beiden anbieten; griff er nach der Krone, so
" sollten die Vertrauten ihn überfallen und ermorden. Nikolaus, der
Herolde Vorsteher und Bela's Verehrer, hatte von dem Geheimniß der
Bosheit Kunde, und als der Herzog nun zum König eingeführt wurde,
sagte er dem Arglosen eiligst in das Ohr : „Wollt Ihr leben, so wählt
das Schwert." Der König empfing ihn mit dem blendendsten Schein
der Huld und des Wohlwollens. „Herzog", sprach er, „nicht Eigen
liebe, sondern Sorge für des Reiches Wohlfahrt bestimmte mich, die
Krone jetzt schon meinem Sohne aufzusetzen. Von Rechts wegen
gebührt nach meinem Tode die Herrschaft Dir; darum wähle hter frei:
willst Du das Reich, so nimm die Krone; genügt Dir aber des Herzogs
Rang,Bela
so greif
nahmnach
das dem
Schwert
Schwert."
und ging, um es an sicherer Zufluchtsstätte
wider den Urheber des Mordanschlags zu schärfen.2 Man errieth zwar seine
rachedrohenden Entwürfe, und es geschahen wiederholte Versuche, ihn
zu verderben; aber seine Klugheit vereitelte alle Nachstellungen seiner
Verfolger. Glücklich entkam er mit seinen Söhnen nach Polen, wo
seit kurzem Boleslaw, Kasimir's Sohn, herrschte und jetzt, von Bela
um Hülfe angerufen, dem Rufe zum Kriege mit Freuden folgte.
1060 Mit drei Heerhaufen kehrte der Herzog nach Ungarn zurück,
wo sich die Bewohner der nördlichen Gegenden sogleich für ihn
erklärten. Andreas, von den feindlichen Schritten seines Bruders unter
richtet, sandte seinen Sohn und seine Schätze eiligst nach Mölk, unter
des Markgrafen Ernst Schutz und Schirm. Von den Vormündern
des sechsjährigen Königs der Deutschen, Heinrich's IV., und von seinem
1061 Eidam
dem deutschen
Wratislaw,
Reiche
der Böhmen
kamen ihm
Herzog,
Wilhelm,
verlangte
Markgraf
er Hülfsvölker.
von Thüringen,
3 Aus
und Eppo, Bischof von Zeitz, mit dem bairischen Heerbann zu Hülfe.
Den 1 böhmischen
„Ee gestarb Herzog
der Kunig
hielten
Andreas
einheimische
do liess er Angelegenheiten
kumen sein Son Salomon
zurück.
und salbte yn tzu Kunig. do sang man zu latein: Du solt sein ein Herr dei
ner Pruder, alz man pflegt zu singen, wenn man die Konig kront. Do biess
der Hertzog Bela ym den Gesang auslegen. Daz geschab. Do begunt der
Hertzog Bela tzurnen sere." Muglen, c. 30. — 2 Thuroczy, Chron., II, 44. —
8 Lambert. Heresfeld. ad ann. 1059 bei Pertz.
Bin. 161
Das Glück der ersten Gefechte, in welchen die Ungarn unterlagen,
lockte Andreas und seine Bundesgenossen tiefer in das Land; sie setzten
über die Theiß , um Bela's Hauptmacht anzugreifen. Da kam es zur
entscheidenden Schlacht, nach langem, mörderischem Gefecht entschied
sich für Bela der Sieg; er ließ das feindliche Heer umgehen und ihm den
Weg zur Flucht abschneiden; der größte Theil der Deutschen fiel; der
Bischof und der tapfere Markgraf wurden gefangen genommen ; An
dreas stürzte vom Rosse und wurde sterbend nach Zircz gebracht und
in derBela,
Ton sogleich
ihm gestifteten
auf demtihanyer
Bela
Schlachtfelde
1061—1063.
Abtei begraben,
zum König1061.
ausgerufen,
1 ergrifi
die Zügel der Regierung. Das Land befand sich in trauriger Lage;
schlechte Regierung, Parteiungen, äußere und innere Kriege, häufiger
Thronwechsel hatten alle Ordnung aufgelöst, die Macht des Gesetzes
gebrochen und den Wohlstand zerrüttet; schnell und gründlich mußte
geholfen werden. Da faßte Bela einen großen Entschluß, der von
Edelmuth und Weisheit zeugt, wenn auch die Folgen desselben traurig
waren. Aus dem Munde des Volks, durch dessen Abgeordnete, wollte
er hören, welche Üebel es drücken und durch welche Mittel seine Wohl
fahrt befördert werden könnte; mit dem Beirath und der Zustimmung
derselben sollten die Gesetze gegeben und ebendarum auch williger
angenommen und freudiger befolgt werden. Er berief also zu dem
Krönungsreichstage nicht allein die Prälaten, Herren und Vornehmen,
sondern auch aus jeder Gemeinde zwei Abgeordnete. — Daß der König
dieses thun konnte, ist der gültigste Beweis, daß es dazumal in unscrm
Vaterlande noch keinen Feudaladel, keine zur Berathung und Führung
der öffentlichen Angelegenheiten bevorrechteten Stände gab. — Die
Einberufung solcher Abgeordneten wäre in ruhigem Zeiten und in be
schränkterer Anzahl gewiß heilsam für Freiheit, Ordnung und Wohl
fahrt gewesen; aber die Drangsale der letzten Zeit waren zu groß, die
Aufregung der Gemüther zu heftig, die Last des Zehntens und anderer
Abgaben an die Kirche zu drückend, als daß sie jetzt nicht Unordnung
und Tumult hätte hervorrufen sollen. Statt der zwei Abgeordneten aus
jeder Gemeinde strömte von allen Seiten eine ungeheuere Menge herbei
und lagerte sich um Stuhlweißenburg. Der König mit seiner bewaffneten
Macht und die Großen des Landes zogen sich in die Mauern der Stadt
zurück. Den wilden Volkshaufen wuchs der Muth mit der Zahl; Jo
hann, den Sohn Vata's, wählten sie zu ihrem Anführer; Tribünen wur
den errichtet, von denen der Ruhm des alten Glaubens, Klagen über
der Bischöfe Stolz und Geiz, über der Zehntnehmer erbarmungslose
Härte, Aufforderungen, die Kirchen niederzureißen, die Geistlichen zu
erschlagen, ertönten und mit lautem Beifall gehört wurden. Eine
Botschaft erging an den König, ihm den Willen des Volks kundzu-
thun,1 Lambertus
daß das Christenthum
Heresfeld. beiabgeschafft
Pertz, S. 159.
und die
Contin.
alte Religion
Hermani Aug.
wieder-
ad
statt. 2 Nur kurze .zwei Jahr dauerte Bela's Regierung, aber sie war
reich an Thaten des Edelmuths und. der Herrscherweisheit. Drückende
Dienste, Zölle und Steuern wurden aufgehoben; das Münzwesen so ge
ordnet, daß 40 Silberstücke den Werth eines byzantinischen Goldstücks
erhielten, Maß und Gewicht genauer bestimmt; der Preis, den jede Sache
bei richterlichen Urtheilssprüchen, xiicht im gemeinen Leben, wie man
fälschlich annimmt s, haben sollte, festgesetzt; die Jahrmärkte geordnet
und die Wochenmärkte, die bisher gewissermaßen ein Anhängsel des
Gottesdienstes waren, vom Sonntag auf den Sonnabend verlegt, über
haupt für das Wohl des Landes mit Einsicht und Eifer gesorgt. Dabei
handelte Bela nicht als das Haupt einer Partei, sondern als König des
Landes. Er verfuhr mit Gerechtigkeit und Milde , gegen seine vor
maligen Gegner, und selbst die, welche in ihrer Feindseligkeit beharrten
und zu Salomon nach Oesterreich gingen, mußten seine Schonung rüh
men, indem er ihre Güter nicht einzog und ihre Frauen und Kinder
unangefochten
Ebenso edel
ließ. und
4 klug benahm er sich auch in den auswärtigen
bert, die beiden erstem noch in Polen, der letzte schon in Ungarn ge
boren, wurden nun aufgefordert, daß einer von ihnen den Thron be
steige. Aber sie ließen sich dazu nicht bewegen, entweder weil sie in
dem tragischen Ende ihres Vaters ein Gottesgericht erblickten, oder,
was wahrscheinlicher ist, weil sie überzeugt waren von dem Näher
rechte Salomon's, zu dessen Krönung sie selbst ihre Zustimmung ge
geben hatten, und auch von dem Vaterlande die Schrecken des Bürger
kriegs abwenden wollten. Ernstlich bestanden sie darauf, daß sowol an
des deutschen Königs Hoflager als an den Markgrafen von Oosterreich
Abgeordnete gesandt würden, welche beiden Fürsten ihre Verzicht
leistung auf die ungarische Krone versichern und ihre Bereitwilligkeit,
des Andreas Sohn als rechtmäßigen König anzuerkennen, verbürgen
sollten; nur müßte auch ihnen der ihrer Geburt und ihren Verdiensten
angemessene
1 JohannesRang
de Guercse
von Salomon
bei Kerchelich.
unverletzt Thuröczy,
erhalten werden.
II, 47. 3 Lambertus
11«
164 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
Salomon 1063—1074.
Freie, die den nördlichen Theil des Reichs bewohnten, nahmen ihre
Partei, und Salomon mit seinen Günstlingen, an der Treue der übrigen
Großen zweifelnd, war nothgedrungen , sich in die feste Burg Mosony
(Wieselburg) einzuschließen. Zu seinem Glücke traten die Bischöfe
als Mittler auf, um dem Vaterlande den Frieden zu erhalten und den
Beleidigten durch gelindere Maßregeln zu ihrem Rechte zu verhelfen.
Es gelang dem raaber Bischof Desiderius, den übermüthigen Grafen
Vid zur Leistung dessen, was Bela's Söhnen war versichert worden, zu
1065 überreden
wurde mit und
Dankauch
unddieGeschenken
erbitterten entlassen
Herzoge zuundbesänftigen.
der Friede Boleslaw
zwischen
dem König und den Herzogen zu Raab von beiden Seiten eidlich be
stätigt. s Wie aufrichtig dies von den letztern geschehen war, bewiesen
sie den Großen und dem Volke am nächsten Osterfeste zu Fünfkirchen,
wo Salomon
1 Lambertus
vonSchaffnaburg.
ihnen feierlich
ad ann.
in den
1063. Dom
Thuröczy,
geführt
II, und
47. —
von2 Geiza
Kova-
chich vestigia com1torum, S. 47. — » Thuröczy, 11,47. Cromer, Eer. Polon., Lib. V.
Salomon. Jß5
zum dritten mal gekrönt wurde. Acht Jahre lang dauerte der Friede
zum Heile
Zwonimir,
des Vaterlandes.
Fürst ton Kroatien, der die Tochter Bela's zur Ge
Gefangene nach Ungarn zum Verkauf zu bringen und die hier erbeu
teten wieder dorthin zu schleppen — waren 1069 abermals in die trencsiner
Gegend eingefallen und trieben eine Menge Vieh und Menschen weg.
Die Ungarn setzten ihnen nach und nahmen ihnen nicht nur die Beute
ab, sondern ubten auch Rache durch Plünderung und Verwüstung ihres
Landes. Die vaterländische Ueberlieferuug berichtet, daß bei dieser
Gelegenheit Bätor (der Kühne) Opos, Sohn des Helden Martin, der
sich bei der Vertheidigung Presburgs auszeichnete, einen riesenhaften Böh
men im Zweikampf überwand und großen Ruhm gewann. Von diesem
OposEinleitete
weitdas
gefährlicherer
Geschlecht der
Feind
Bäthory
drang seine
im folgenden
Abstammung
Jahr her.
von 2Osten
her in das Land. Ein Zweig jener Kumanen, die unter dem Namen
der Polowzer eine so wichtige Rolle in der altrussischen Geschichte
spielen, war 1067 von dem tscherhigower Fürsten Swäloslaw am Flusse
Sanow schwer geschlagen worden und irrte flüchtig umher. 3 Im dritten 1070
Jahre nach dieser Niederlage zogen sie vom rechten Donauufer längs
der Aluta nördlich hinauf nach Siebenbürgen und, weil sie dort nur
schlechte Beute fanden, durch den meszeser Paß nach Ungarn. Da.
verheerten und plünderten sie das ganze nyirer Gebiet, bis an die Burg
Bihar, führten, nebst zahlreichen Viehheerden, eine große Menge Ge
fangener mit sich und eilten, über die Sümpfe (lapos) dieser Gegend
und den Fluß Szamos setzend, zurück über Siebenbürgen nach der
Moldau. Aber schon waren ihnen Salomon und die beiden Herzoge
zuvorgekommen und lagerten bei Doboka, fünf Meilen ober Klausenburg,
um die Abziehenden zu empfangen. Sobald sie Kunde hatten, daß die Hor
den heranrücken, brachen sie auf,ihnen entgegen. Osul, der kumanische An
führer, in stolzem Wahn den Feind verachtend, sandte nur einige Rotten
zum Kampfe. Doch als diese d'e unabsehbaren und dicht geschlossenen
Geschwader der Ungarn erblickten, flohen sie mit Entsetzen zurück und
verkündigten ihrem Volke die Noth wendigkeit, den Kampf zu vermeiden.
Um sich zu retten, erklomm Osul mit seiner Horde in größter Eile und
Unordnung den hohen Berg Kerles, wähnend, die Ungarn würden ihm
dabin nicht folgen. Schnell aber stiegen diese von den Rossen ab, den
Berg hinan, der König mit seiner Schar gerade an der beschwerlichsten
Stelle voraus, Geiza und Ladislaus von andern Seiten. Der mittlere Berg
rücken ist mit Pfeilschützen besetzt, unzählige Pfeile fliegen über die
ungeübten
1 Thuröczy,
Kletterer
II, 47.herab,
Johannes
die wenigsten
de Guercsetreffen,
bei Kerchelich.
die Schützen
Dandulus
werden
bei
i ] So erzählt Muglen. Nach Thuröczy, II, 49, der mehr Glauben ver
dient, meinte Ladislaus in der Jungfrau des groß wardeiner Bischofs
Tochter zu erkennen, und tödtete den Räuber, ungeachtet sie um dessen
Leben flehte. Zu dieser Zeit waren also in unserm Vaterlande nicht nur
die Geistlichen , sondern selbst die Bisehöfe beweibt. Das Werk Thuröczy's
ist selbst alt und aus weit altern Chroniken geschöpft. — * Cedrenus. Zo-
naras. bei Stritter, II, 631—659, u. III, 812—835.
Salomon. 167
die Ungarn fanden in Kellern und Gruben reiche Beute an Gold, Silber
und Edelsteinen.
Niketas, mit dem wenigen Volk in der Burg zu schwach, sich zu
vertheidigen, erklärte sich bereit zur Uebergabe, wenn ihm und der.
Besatzung Sicherheit des Lebens und freier Abzug gewährt würde.
Der König und die Herzoge versprachen beides. Nun zog Niketas, ein
Marienbild, aus Silber gegossen, voraustragend', von der Burg herab,
ihm folgte die Besatzung, die sich mit ihrem Anführer nicht dem König,
sondern dem Herzog Geiza ergab, denn letzterer hatte Synadene, eine
nahe Verwandte ihres Kaisers, zur Gemahlin, sie hofften deshalb von
ihm Schutz
Das vorzügliche
und Begünstigung.
Vertrauen1 der Besiegten zu seinen Vettern kränkte
den König, und Graf Vid säumte nicht, die Keime des Mistrauens und der
Unzufriedenheit in dessen Herzen zu nähren. Die Wirkungen seiner
schändlichen Kunst zeigten sich gleich bei der Theilung der Gefangenen
und der erbeuteten Schätze. Von jenen sollten die Herzoge dem König
die Hälfte ausliefern; aber standhaft widersetzten sie sich dieser For
derung, und ohne Lösegeld ließen sie diejenigen abziehen, die sich ihnen
auf Treue und Glauben ergeben hatten. Salomo strafte sie damit, daß
er die erbeuteten Schätze in vier Haufen theilte, den einen für sich
behielt, den andern seinem Günstlinge, den dritten dessen Schwiegersohn
Elias,Sein
den Groll
letztenwurde
seinen bald
drei Vettern
durch ein
zuerkannte.
neues Ereigniß genährt. Der
zum Jahre 1072, statt 1073, wie es heißen sollte. — 2 Thuröczy, II, 52.
Nicephorus Bryennius, 68, 1.
168 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
der Verrath des Mordanschlags war außer Zweifel. Um der Rache des
Beleidigten zuvorzukommen, ließ der König seine dreißig Haufen von
Szalavar aufbrechen und gegen die Donau vorrücken. Geiza war bereits
über den Strom gegangen und hatte sich mit seinen eiligst zusammen
gerafften vier Haufen auch über die Theiß zurückgezogen. Drei seiner
Heerführer, Petrud, Zonuk undBikas, verriethen ihn an Salomon. Ihrer
1074 Treulosigkeit unkundig, wagte er die Schlacht, 1074 am 26. Febr., in
deren Beginn die drei Verräther, zum Zeichen ihres Vorhabens, die
Schilder erhoben und mit ihren Scharen zu dem Heer des Königs hin
überliefen. Dort hatte man aber vergessen, die Mannschaft mit dem ver
abredeten Zeichen des Verraths .bekannt zu machen; sie wurden als
Feinde empfangen und büßten ihr Verbrechen mit dem Tode. Das
Gemetzel unter den Treulosen gab dem Herzog Frist zur Flucht, welche
sein vierter Haufe . mit ausgezeichneter Geschicklichkeit deckte. Von
Tokaj sandte er seine Vertrauten, den Hauskaplan Georg Fekete und
den Geheimschreiber Ivänka, zu seinen Brüdern. Der eine sollte
Salomon. 169
Ernyei, der selbst hier noch zum Frieden gerathen hatte, sieht die wohl
geordneten Reihen der Herzoge und spricht zu Vid: „Die Männer, die
dort unten wie in die Erde eingewurzelt stehen, scheinen weder Furcht
noch Flucht zu kennen; die Donau in ihrem Rücken, verkündigt uns
ihren Vorsatz, zu siegen oder zu sterben." Die letzte Warnung ver
achtend,
1 Thuröc.zy,
machte II,
Vid52.mit—dem
2 Muglen,
bäcser Kap.
Panier
39.denThuröczy,
Angriff II,
auf 52.
den mährer
170 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
Fürsten und ward von diesem geworfen, sein Volk beinahe ganz auf
gerieben, ihm selbst die Brust durchbohrt, das Haupt gespalten. Ernyei
stellt an seinem Platz das Treffen wieder her; aber die Standhaftigkeit
der Mährer ist unbezwinglich, auch er wird auf die Leichen der Seinigen
hingestreckt. Seiner vorzüglichsten Stärke beraubt, wirft sich der König
verzweiflungsvoll auf Geiza. Ladislaus bemerkt es, umgeht schnell das
noch kämpfende königliche Heer und faßt es im Rücken. Bald sieht
sich Salomon von allen Seiten umringt; mühsam öffnet ihm des tapfern
Opos Arm einen Ausweg zur Flucht, auf der ihn die Sieger bis an die
Donau verfolgen. In der Gegend von Visegräd gelingt es ihm, hinüber
zusetzen und an die österreichische Grenze zu gelangen. Die Städte
Wieselburg und Presburg waren schon im voraus befestigt worden und
gewährten ihm Sicherheit. In der erstem traf er Mutter und Gattin.
Herzog Marquard und der Anführer der Böhmen wurden, schwer ver
wundet, gefangen. x
Als Ladislaus gegen Abend über das leichenvolle Schlachtfeld ritt,
wurde er von schmerzlicher Rührung ergriffen und beweinte das Schick
sal der Todten und des Vaterlandes, das sie verloren hatte. Unter den
Todten erkannte er auch Ernyei, stieg vom Pferde, umarmte ihn und
rief: „Ich beklage dich wie meinen Bruder, denn dein Herz und dein
Rath strebten nach Frieden." Hierauf ließ er ihn ehrenvoll begraben.
Weiter stieß er auch auf den Leichnam Vid's und sprach : „Wol warst
du unser unversöhnlicher Feind, aber möchtest du doch leben und dich
bessern und, wie du bisher Zwietracht gestiftet, künftig Eintracht zwi
schen uns stiften ; dein Herz, das nach Herrschaft dürstete, hat die Lanze
durchbohrt, deinen Kopf, der die Krone tragen wollte, das Schwert
gespalten!" Auch ihn befahl er zu begraben, aber die erbitterten
Krieger füllten ihm Brust und Augen mit Erde. „ Solange du lebtest",
sagten sie, „haben deine Augen Glanz und Güter nie sättigen können,
jetzt soll sie Staub füllen!"2 (1074 Ende März.) ?
Vom Schlachtfelde führten Geiza und Ladislaus die siegreichen
Scharen gegen Stuhlweißenburg, wo sie einen Theil derselben in des
Reiches feste Plätze vertheilten, die übrigen zu ihren friedlichen Herden
heimkehren
Unterdessen
ließen. versammelten sich die Prälaten und Magnaten in der
Seine Anträge setzten Heinrich IV. in Thätigkeit, und als der größte
Theil der deutschen Fürsten dem Kaiser die Heerfolge nach Ungarn ver
weigerte, warb er auf eigene Kosten Kriegsvolk und drang damit an der
Donau nördlicher Seite in das Land ein. Nach Bela's früherm Beispiel
ließ Geiza aus den Gegenden, durch welche der Kaiser ziehen mußte,
Menschen, Vieh und Feldfrüchte wegführen, das südliche Ufer der Donau
stark besetzen und durch auserlesene Scharen auf der befestigten Sanct-
Andreas-Insel bei Waitzen alles weitere Fortschreiten ihm verwehren.
Bis dahin waren die Deutschen, ohne einen Feind zu sehen, nur gegen
Hungersnoth und Seuchen kämpfend, vorgedrungen. Ein Aufruhr unter
ihnen vermehrte für Heinrich die Gefahr, und er sah sich genöthigt,
so wie er gekommen war, ohne Ruhm zurückzukehren. Er führte seine
Schwester Sophie mit sich nach Deutschland. 2
Schon früher hatte Geiza dem Papst Gregor VII. von den neuen
Ereignissen in Ungarn, von seiner Uebernahme der Reichsverwaltung
und von den vereitelten Entwürfen des deutschen Kaisers ausführlichen
Bericht erstattet. Am 23. März 1075 erhielt er von diesem unerschütter- 1075
liehen Verfechter der Hierarchie eine Gesandtschaft mit den kräftigsten
Versicherungen des apostolischen Schutzes und mit der Anerkennung:
„daß ihn der Herr nach seinem gerechten Urtheil zur Herrschaft erhoben
habe, weil sein Vetter, den würdigern Schutz des heiligen Petrus ver
achtend, sich selbst zum Lehnsfürsten des deutschen Königs herabgesetzt
hätte". Nachdrücklich wurde dabei dem neuen Beherrscher der Ungarn
eingeschärft: „daß, sowie die übrigen selbständigen Reiche der Welt,
auch das Königreich Ungarn in seinem Zustande der Unabhängigkeit
erhalten werden müsse, keines andern Fürsten Oberlehnsherrlichkeit
anerkennen dürfe, und nur der römischen Kirche, der allgemeinenMutter,
die von den Ihrigen kindliche Folgsamkeit, nicht knechtische Unter
werfung
So wenig
verlange,
auchzum
die Gehorsam
ungarischen
verpflichtet
Stände geneigt
sei". 3 waren, in zeitlichen
und weltlichen Angelegenheiten des Reichs irgend ein Recht des päpst
lichen Stuhls anzuerkennen, und so gewiß sie mit möglichstem Nach
druck sich widersetzt hätten, wäre Gregor, auf dem Grunde einer
vorgegebenen
1 Geiza führte
Schenkung
auch den
des Namen
Reichs Magnus.
an den heiligen
Thuröczy,
Petrus
II, durch
53. Katona,
König
liches Schreiben erhalten haben, worin zwar Gregor noch immer die
Schuld des entsetzten Königs eingestand, aber auch nicht undeutlich den
Wunsch einer Versöhnung desselben mit Geiza und seiner Wiederein
setzung zu verstehen gab. Wahrscheinlich hatte ihn seine Achtung für
die in Rom gottselig lebende verwitwete Kaiserin Agnes, Mutter der
Gemahlin Salomon's, zu dieser Vermittelung bewogen, welche ganz ver
schieden auf Geiza und auf Salomon wirkte. <
Unangefochten von jenem, saß dieser in Presburg, des erstem
Versöhnungsboten mit überspannten Forderungen zurückweisend und
den mit seinen Reichsvasallen in Fehdschaft verflochtenen Kaiser zu
neuem1 In
feindlichen
einem zweiten
Ueberfalle
BriefUngarns
an Geiza
anreizend.
schrieb Gregor
Ladislaus,
von der
Salomon
in der:
„Sufficiat unicnique quod suum est, .... sicque fiat in pace nobilissimum
regnum Hungariae quod hactenus per se principaliter viguit, ut rex ibi non
regulus fiat. Verum ubi .... Rex (Salomo) subdidit se Teutonico Regi et
reguli nomen obtinuit, Dominus autem .... potestatem regni suo ad te ju-
dicio transtulit", bei Katona, Hist. Reg., II, 363. — 2 Literae fundationis,
bei Katona, a.a.O., S. 366: „Ego Magnus, qui et Geisa supremus Hungaro-
rum Dux, postea vero gratia Dei Rex consecratus .... Principibus Regni
nostri notnm tieri volui . . . . ceterisque Regni mei principibus, qnorum con-
sensu et consilio statutum etc." Der Theolng Palma (Notitia Rer. Hung.)
meint, Geiza hätte sich krönen lassen, nachdem sein Gewissen durch des
Papstes Urtheil beruhigt war; Hofrath von Lakics (de haeredit. jure, S. 63)
scheint behaupten zu wollen, daß Geiza weder rechtmäßig gekrönt worden,
noch rechtmäßiger König gewesen sei. Dann muß man aber auch behaupten :
daß Salomon an den ursprünglichen Grnndvertrag nicht gebunden war; daß
er mit der Freiheit, Selbständigkeit und Unveräußerlichkeit des Reichs nach
Willkür schalten und walten und zur Unterstützung dieser Willkür auch
fremde feindliche Kriegsmacht in das Land rufen konnte; daß die in Stuhl-
weißenbnrg zum Landtage versammelten Stände, die ihn des Reichs verlustig
erklärt hatten, nicht seine rechtmäßigen Richter, sondern Rebellen waren;
endlich, daß Salomon das ungarische Reich als wahres und eigentliches Pa
trimonium mit dem unbeschränktesten Eigentumsrecht besessen habe. —
a „MLXXV. Magnus (Geisa) Rex coronatur. " Chronic. Posoniensc, bei
Endlicher.
Geiza. 173
Fülle seiner Kraft keine halben Maßregeln faßte und mit sich selbst zu
einig war, um zwischen der Erkenntniß des Rechts und den Rücksichten
der Verwandtschaft ängstlich zu schwanken , zog mit seinem Heerbann 1076
vor Presburg und hielt Salomon so fest eingeschlossen, daß es diesem
unmöglich ward, die Entwürfe seines bösen Willens auszuführen. l Doch
ohne Widerstreben hob er die Belagerung auf, als Geiza, von über
triebener Gutmüthigkeit verleitet, neue Unterhandlungen mit Salomon
eröffnete. Bei der Weihnachtsfeier in der szekszärder Abtei, vor dem
Grabe Bela's, mochte Geiza's Gewissen, mehr von Gefühlen als von
Einsichten geleitet, sich mächtiger geregt haben. In vertrauter Unter
redung mit den anwesenden Bischöfen und Aebten eröffnete er seine
nie zu besänftigende Unruhe über des Thrones widerrechtlichen Besitz
und erklärte sich entschlossen, mit Vorbehalt des einmal angenommenen
Königstitels und seines herzoglichen Antheils, zwei Drittel des Reichs
mit der Krone seinem Vetter zurückzugeben. Gern unterstützten die
Bischöfe das ihnen heilsam scheinende Werk der Eintracht und des
Friedens; aber dem Gedeihen desselben legte der Haß, der Weltlichen
gegen den verstoßenen Fürsten, und wahrscheinlich auch dessen un
gestüme, mistrauische, wankelmüthige Sinnesart unüberwindliche Hinder
nisse in den Weg. Der bald darauf, 15. April 1077, erfolgte Tod des 1077
zu gewissenhaften Königs endigte die Sache, deren weiterer Fortgang
nur neues Unheil herbeigeführt hätte.2 Geiza hinterließ zwei Söhne,
Koloman und Älmos 3, und eine Tochter Sophie, die zuerst des schon er
wähnten Ulrich, Markgrafen von Ungarisch-Kärnten, zweite Gattin war
und nach dessen Tod den Herzog von Sachsen, Magnus, den unver
söhnlichen
1 Katona,
Gegner
Hist. Reg.,
Heinrich's
II, 372.
IV.,
— heirathete.
2 Muglen, Kap.
4 43. Thuröczy, II, 55
3 Kezai, II, 4. Thuroczy, II, 59. 60. Dandulus bei Muratori,_ 12. Das
Chronic. Posoniense, Cosmas Pragensis, ein Zeitgenosse, nennen Älmos den
Bruder Kolomann's. Dessenungeachtet wollen einige, gestützt auf sehr zwei
felhafte Daten, behaupten, Kolomann sei der Sohn des Ladislaus, denn als
Geiza's Sohn hätte er, nicht aber dessen Bruder Ladislaus auf dem Throne
folgen müssen. Sie vergessen, daß damals das Recht der Erstgeburt noch
nicht bestand. — 4 Monachus Weingartensis bei Leibniz.
Dritter
Wiederherstellung Abschnitt.
des innern Friedens und fort
schreitende Entwickelung.
Ladislaus der Heilige. 1077—1095.
1. Aeußere Begebenheiten.
Als des Königs Geiza Tod, so berichten alte Erzählungen ,1, im Lande
vernommen wurde, da kamen Ungarns freie Männer zusammen und
erwählten mit allgemeinem Rathschluß den Herzog Ladislaus und krön
ten ihn zum König, weil sie wohl wußten, daß er ein christlicher Herr
war und mild und tugendhaft zu allen Zeiten. Er war der schönste
Mann in seinem Volke, ungewöhnlich groß, edel von Wuchs, maje
stätisch in Blick und Geberden, seinen angeborenen Beruf zur Herrschaft
verkündigend.2 Seinem Bruder Lambert überließ er einen Theil des
jenseit der Theiß gelegenen Landes als Herzogthum und lebte mit ihm
fortwährend in brüderlicher Eintracht, sodaß die Geschichte, die ge
wöhnlich nur Kämpfe und traurige Auftritte aufzeichnet, diese Theilung
des Landes gar nicht ausdrücklich berichtet, ja den anspruchslosen,
seinenSoköniglichen
oft unter den
Bruder
Fürsten
ehrenden
der Welt
Lambert
einer,
kaum
an Geistesmacht,
erwähnt. 3 Ideen
Ladislai bei Endlicher. — 3 Ladislai reg. Decret., III, 3, handelt von den
Grafen des Herzogs. Chronic. Posoniense ad ann. 97 berichtet seinen Tod.
Ladislaus der Heilige. 175
licherseits, eben der, welchar Bela mit einem Heer wider Andreas
unterstützt und Bela's Söhne mit bewaffneter Mannschaft nach Ungarn
zurückgeführt hatte, war Laster und Gewaltthaten wegen in seinem
Lande verabscheut. Stanislaus, Bishchof zu Krakau, sprach den Bann
über 1 ihn
Katona,
aus und
Hist.verwehrte
Reg., II, 395
ihm fg.,
den theilt
Eingang
dieseinBriefe
die Kirche.
Gregor's mit.
Der Her-
176 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
zog, von Zorn ergriffen, geht mit bewaffneter Mannschaft in die Kirche,
wo der Bischof gerade Messe liest, befiehlt seinen Begleitern diesen zu
tödten, und als sie vor der furchtbaren That zurückschrecken, stürzt er
selbst auf ihn und ermordet ihn vor dem Altar, 1078— 1079. Nun
verhängte Gregor über das ganze Land das kirchliche Interdict, und
sprach das Volk vom Gehorsam und von dem Eid der Treue gegen den
Herzog los. Boleslaw war des Lebens nicht mehr sicher unter seinem
Volke, mit seinem einzigen Sohn Mjesko floh er aus dem Lande nach
Ungarn, und Ladislaus nahm ihn freundlich auf. Mochten auch die
ungarischen Bischöfe den mit Priesterblut befleckten und mit dem
Bann belasteten Flüchtling von aller Theilnahme an den kirchlichen
Wohlthaten ausschließen, der König ließ sich dadurch in der Be
schützung des Menschen und des flüchtigen Fürsten nicht irremachen.
Boleslaw hatte ihm, seinem Bruder und Vater Wohlthaten erzeigt; kein
Verhängniß, keine kirchliche Macht konnte ihn hindern , die Pflicht der
Dankbarkeit auszuüben. Und als sich Boleslaw bald nach seiner An
kunft im Wahnsinn selbst entleibte, unternahm Ladislaus einen Feldzug,
um dessen
Obgleich
SohnderMjesko
Papstwieder
von Salomon
auf dendurch
ThronGesandtschaften
zu setzen. 1 und Bitten
bestürmt wurde, sich für ihn zu verwenden, und so gern ersieh sonst
in alle Angelegenheiten der Staaten als oberster Schiedsrichter mischte,
so blieb er doch in dem Kampfe zwischen Ladislaus und Salomon un-
thätig. Desto thätiger bewiesen sich die ungarischen Bischöfe, um
irgendein friedliches oder freundschaftliches Verhältniß zwischen dem
König und seinem Vetter zu vermitteln. Niemand war bereitwilliger
als jener, nicht nur sich mit Salomon auszusöhnen, sondern ihm auch
das Reich abzutreten , oder es mit ihm zu theilen. Allein sowol der
1080 ganzen
Theilung Gewicht
als derihres
Abtretung
Ansehens.
widersetzten
Nichts wurde
sich gestattet,
die Großenals daß
mit beide
dem
Könige sich feierlich versöhnten, daß dem Sohne des Andreas im ganzen
Lande mit Ehrenbezeigungen, die der Königswürde zukamen, begeg
net und zur Behauptung seines Ranges ihm hinreichende Einkünfte
angewiesen
Kaum werden
war Salomon
sollten.2in Stand gesetzt, sich wieder öffentlich im
sprach Gregor den König Stephan, dessen Sohn Emerich und den
csanäder Bischof Gerhard heilig, 1081. 1 Ein päpstlicher Gesandter 1081
überbrachte die Bulle nach Ungarn, und am 20. August sollten die Leich
name feierlich aus der Gruft gehoben und zur Verehrung aus
gestellt werden. Aber, wie die Legende berichtet, war keine mensch
liche Gewalt im Stande, den Deckel von Stephan's Sarg zu heben. End
lich verkündigte die fromme Einsiedlerin Charitas: bis Salomon nicht
in Freiheit gesetzt wird, werde der Deckel nicht nachgeben. Und
siehe da, Salomon erhielt die Freiheit, und der Sarg wurde mit der
größten Leichtigkeit geöffnet.2 Wahrscheinlich ließ sich Ladislaus
durch die hohe Geistlichkeit erbitten, daß er dem unglücklichen Nach
kommen Stephan's an dem großen Nationalfest theilzunehmen ge
stattete, und ihm am Sarge des großen Ahnen die Hand der Ver
söhnung
Nochreichte.
ein zweites Wunder trug sich bei der Oeffnung des Sarges
zu. Vergebens suchte man den Fingerring, mit dem Stephan beigesetzt
worden sein sollte; man fand nur die voneinander abgelösten Glieder.
Aber einige Zeit darauf brachte der Abt des Klosters Berekesz in der
biharer Gespanschaft, Mercurius, der die Nacht vor der Oeffnung des
Sarges Wache gehalten hatte, dem König eine unverweste Hand mit
einem kostbaren Ringe und gab vor, daß ihm dieselbe von einem Engel
als die Hand Stephan's überreicht worden sei; zugleich flehte er um
Gottes willen, diesen Schatz seinem Kloster nicht zu entziehen. Der
König bewilligte diese Bitte, die Hand ward daselbst in der Kirche zur
öffentlichen Verehrung ausgestellt, und die Abtei hinfort Szent-jobb, oder
Szent-jobb-kez (heilige rechte Hand) genannt.3 Zur Zeit der Refor
mation kam die Hand in die Kirche der Dominicaner zu Ragusa; von
dorther erhielt sie die Königin Maria Theresia 1771 und ließ sie unter
vielen Feierlichkeiten in die Schloßkirche zu Ofen bringen , wo sie auch
jetzt
burg,von
Seit
damit
den
Salomon's
sie
Gläubigen
jedesAbsetzung
günstige
als heilige
Ereigniß
lebte
Reliquie
seine
wahrnehme,
Gemahlin
verehrt wird.
Judith
durch welches
in Regens-
sie "
Hansizius Germ, sacra, I, 275. Das Jahr des Conciliums und des Beschlus
ses kritisch ausgemittelt von Katona, Hist. Reg., II, 430 fg. — 2 Hartvicus,
a. a. O. — 3 Hartvicus, a. a. 0. Katona, Hist. Reg., II,' 443—468. Pray,
Dissert. de S. Stephano, S. 13 fg. Derselbe, Dissert. de dextra S.
Stephani.
Feder. I. 13
178 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
hatte für sein Unglück nur Verachtung. 1 In der Wuth der Verzweiflung
beschloß er, den König so lange zu verfolgen, bis es ihm gelänge, ent
weder ihn zu besiegen oder im Kampfe mit ihm, eines Königs würdig,
den Heldentod
Durch beschwerliche
zu sterben. Umwege kam er in die Moldau zu den
ausgeplündert und verheert , als sich ihnen Ladislaus mit seiner Heeres
1087 macht
der Petschenegen
An
beidem
Ungvär
UferKhan,
entgegenstellte
des Pruth
verband
entwarf
sich
und er
mit
siemit
ihnen,
ausKutesk
dem
undLande
neue
im Frühjahr
Pläne.
schlug.2
Tzelgu,
gingen
sie mit 80000 Mann Kumanen, Walachen und Petschenegen über die
Donau, um die Bulgarei und die angrenzenden Gegenden des byzan
tinischen Reichs zu verheeren. Bis Skotinos und Chariopolis wurde
das Land verwüstet und ausgeraubt. Bei Kule trafen sie das Heer der
Griechen, dessen Befehlshaber Nikolaus Maurokatakalus das Treffen
mit den an Zahl ihm überlegenen Barbaren vermeiden wollte; aber
die Rottenführer entschieden für die Schlacht, die auch Salomon
und seine Verbündeten wünschten. Beim ersten Angriff durchbrach
Tzelgu die Reihen der Bizanter, doch im Getümmel der Schlacht ward
er getödtet und mit seinem Fall sank auch der Muth seiner Scharen.
Der erneuerte Angriff der Griechen zwang sie zu weichen ; als sie die
Flucht ergreifen wollten, wurden sie eingeschlossen, und nun kämpften
sie mit den erbitterten Siegern nur um den Tod, ihn der Gefangenschaft
vorziehend. Wahrscheinlich fiel hier auch Salomon, denn er wurde nie
. wieder gesehen, und seine Gemahlin Sophia heirathete schon 1088 den
polnischen Herzog Wladislaus. 3 Nach der märchenhaften Erzählung
anderer schlug Salomon sich mit wenigen durch und kam glücklich über
die Donau.4 Die mannichfaltigen Wendungen seines Schicksals, als
dreimal gekrönter, jetzt von aller Welt verlassener, ohne Reich, ohne
Land, ohne Macht umherirrender König, betrachtend, ward er, erst
36 Jahre alt, seines mühseligen Lebens überdrüßig; vor dem Eingang
in einen dichten Wald hieß er sein Gefolge halten und ihn erwarten,
bis er, der sichersten Wege kundig, wiederkehren würde. Allein er
verschwand in dem Gehölze und kam nie wieder.6 Fromme Ungarn,
die den Sünder nicht gern verloren gaben, wollten ihn nach einiger
Zeit im Pilgerkleide zu Stuhlweißenburg gesehen haben, und die
frommen Bürger von Pola, in deren Nähe er seine Tage als Einsiedler
in strenger
1 Berthold.
Buße
CQnstant.
beschlossen
ad ann.haben
1084 sollte,
bei Urstis.
wallfahrteten
I. — 2 Muglen,
noch Kap.
bis zur
45.
Thuröczy, II, 56. — 3 Annalist» Saxo.ad ann. 1087 bei Pertz. — * Anna
Comnena bei Stritter, Tom. III, Pars II, S. 852 fg. Das Jahr nach Katona,
Hist. Reg., II, 499. — 5 Thuröczy, II, 56. Berthold. Constant. ad ann. 1087.
Ladislaus der Heilige. Aeußere Begebenheiten. 179
ander gegenüber. Auf dem Reichstag zu Speier 1087 sollte der Streit
beigelegt werden. Auch Ladislaus schickte Gesandte dahin. Er, der
Salomon, den Schwager Heinrich's, vom Throne verdrängt hatte, gehörte
nothwendig zu dessen Gegnern, und als eifriger Christ mußte ihm alles
daran liegen, die anstößige Spaltung der Kirche aufzuheben und Hein
rich zur Anerkennung Victor's zu zwingen. Er bot also zu diesem
Zweck 20000 Krieger an, doch wurde das Anerbieten von den Reichs
ständen abgelehnt.2 Außerdem berichtet Thuröczy3, daß ihm Her-
mann's Partei nach dessen Tode 1088 zum Nachfolger erkoren, er aber
ihren Antrag nicht angenommen habe. Die deutschen Chronisten
wissen von der letztern Nachricht nichts, die schon an siclx höchst un
wahrscheinlich
Der westliche
ist. Theil des Landes zwischen der Drave und Save, das
einigen Großen des Landes ihren Bruder Ladislaus, daß er komme und
1091 Ruhe und Frieden herstelle. Ohne Widerstand führte dieser 1091 die
ungarische Schar über die Drave und das kalniker Gebirge, schlug
darauf die Widerspenstigen in mehrern Treffen, eroberte ihre Burgen
und unterwarf seiner Herrschaft das ganze Kroatien bis auf die Meeres
küste Dalmatien, die theils unter venetianischer, theils unter griechischer
Hoheit blieb. Das Land erhielt die ungarische Verfassung; die
Zschupanate wurden aufgehoben und die Eintheilung in Gespanschaften
eingeführt. Um das hier noch schwache Christen thum zu kräftigen,
gründete Ladislaus das Bisthum zu Agram und setzte den Böhmen Duh
zum' Bischof. Die Verwaltung des Landes aber übertrug er seinem
Neffen
DerÄlmos.
Einfall
1 der vereinigten Kumanen und Petschenegen nach
raffte ihn dahin, noch ehe der Kreuzzug begann. Zwischen dem pol
nischen König Wladislaw und dem Herzog von Böhmen Bretislaw II.
bestand seit längerer Zeit heftiger Streit, der mehr als einmal in offenen
Krieg überging. In diesen wurde ein mährischer Herzog, wahr
scheinlich Swatoplukvon Olmütz, verwickelt und rief Ladislaus, seinen
1095 mütterlichen Oheim, zu Hülfe.3 Im Sommer 1095 führte Ladislaus
auch wirklich ein Heer gegen Bretislaw, aber unterwegs ereilte ihm am
29. Juli der Tod. 4 Sein Leichnam wurde zu Großwardein in der von
ihm erbauten Marienkirche beigesetzt.6 Dahin wallfahrteten jahr
hundertelang die Frommen, und die Legende berichtet von großen
Wundern die hier geschahen. 6 Ihm wiederfuhr die Ehre, 1192 unter
dem Papst
Ladislaus
Cölestinus
war einIII.
weiser,
heiligkraftvoller
gesprochenRegent,
zu werden.
der Wiederhersteller
nur von einer Tochter, Piroska ist ihr ungarischer, Irene ihr grie
chischer Name. Sie war vermählt an den besten der Comnenen, an
den byzantischen Kaiser Kalojohannes. Ihre Bescheidenheit, Wohl-
thätigkeit und Tugend wird gepriesen x, aber ihr Sohn Manuel brachte
viel Unheil
2. Innere
über Ungarn,
Zustände,
wie Gesetze,
wir sehen werden.
Kirche und Volksleben
* Cinnamus, I, 4.
184 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
stand am Rande des Untergangs. Doch die sittliche Kraft des Volks
und seine Vaterlandsliebe waren nicht erloschen unter diesen Stürmen,
•sie lebten fort und harrten nur der Anregung, um mächtig zu wirken.
Es duldete keinen Despoten, der ihm mit Hohn begegnete und die Ge
setze des Rechts mit Füßen trat; es stürzte jeden bald vom Throne, der
sich denselben anmaßte und ihn befleckte. Schon glaubte der gewal
tige Heinrich III. auch Ungarn seinem Scepter unterworfen zu haben,
weil treulose Herrscher mit ihren verächtlichen Knechten und elende
Verräther ohne Ehrgefühl huldigend zu seinen Füßen sanken. Aber
sobald die Ehre, die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes be
droht war, sobald es galt, den angestammten, selbsterkorenen König
zu vertheidigen , da erhob sich die ganze Nation mit unbezwinglicher
Kraft zum Kampf. ' Vergebens schreckte der Kaiser durch seine Ho
heit, vergebens rief er das Ansehn des Papstes und der Kirche zu Hülfe,
vergebens bot er die Macht seiner weiten Reiche auf — das für sein gutes
Recht kämpfende Ungarn war stärker, er mußte sich mit einigen Ab
tretungen an Land begnügen und dessen Freiheit anerkennen. Aus dem
innern Verfall erhob sich endlich dieses Volk mit wunderbarer Schnellig
keit, sobald ein König den Thron bestieg , der von der Natur die echte
Weihe des Herrschers empfangen hatte. Eintracht und Friede kehren
wieder, Gesetz und Religion üben neuerdings ihre wohlthätige Macht,
Sittlichkeit und Bildung schreiten fort, Ordnung und Thätigkeit heilen
die Wunden, welche Tyrannei und Zwietracht geschlagen hatten ; ja, blü
hender und stärker wird das Reich, als es vordem gewesen war, unter
der Regierung des edeln Ladislaus. Wie gewaltige Stürme die Atmo
sphäre reinigen und die Fruchtbarkeit der Erde fördern, sodaß die Natur,
durch sie geweckt, gleichsam mit doppelter Kraft wirkt, so wird in dem
Zustande der Völker durch heftige innere Erschütterungen krankhafter
Stoff Seit
entfernt
dem und
Sturze
dasPeter's
Leben hört
zu erhöhter
die Feindseligkeit
Thätigkeit und
angeregt.
der Kampf auf
wir drei Bücher, die zwar nur aus dem 15. Jahrhundert stammenden
Abschriften entnommen sind, aber den Stempel der Zeit so unverkennbar
tragen, daß man an ihrer Echtheit gar nicht zweifeln kann. Das erste
Buch enthält Beschlüsse eines am 21. Mai 1092 zu Szabolcs abgehaltenen
Reichstages3;
1 S. Steph. diese
Decret.,betreffen
I, 7. — lauter
2 S. Ladislai
kirchliche
Decret.,
Angelegenheiten
I, 31, erwähnt und
be-
neits Freie, die sich einem Bischof oder Grafen zu gewisser Hörigkeit
übergeben und vertragsmäßig behandelt werden sollen, unbeschadet ihrer
Freiheit. — 3 Corpus Juris Hungarici und bei Endlicher. Ladislai regis
Decretum I. Begname creatore et salvatore nostro D. Jesu Christo anno in-
carnationis ejus MXCII, XII. kalend. junii in civitate Zabolcz sancta syno-
dus habita est praesidente christianissimo Ungarorum rege Ladislao cum uni
186 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
solche Dinge , die nach damaligen Begriffen vor das kirchliche Forum
gehörten. Daß sich ein Reichstag hiermit beschäftigt, darf uns nicht
Wunder nehmen; denn noch waren Staat und Kirche nicht voneinander-
geschieden; der Kampf, der ihre Trennung herbeiführte, hatte erst
begonnen; und besonders in neubekehrten Ländern durchdrangen sie
einander so sehr, daß sie sich gegenseitig ergänzten und beider Angelegen
heitenGleich
gemeinschaftliche
die ersten Gesetze
waren. dieses Reichstags zeugen davon, wie
sehr sich auch Ungarn gegen den Cölibat der Priester sträubte. Wie-
wol schon Gregor VII. auf einer 1074 gehaltenen Synode befahl, 'daß
kein Priester heirathen dürfe, daß jeder Verheirathete sich von seiner
Gattin trennen oder dem Priesterthum entsagen müsse, und daß der
Laie, der von einem verheiratheten Priester das Abendmahl nimmt, in
den Bann verfalle, wurde dennoch verordnet: 1) Priester, die nach dem
Tode ihrer Gattin eine zweite Ehe eingehen (bigami), und die eine Witwe
oder Geschiedene heirathen, sollen von diesen getrennt und nach über-
standener Buße wieder in ihr Amt eingesetzt werden; die Frau aber,
da ihre Ehe ungültig war, darf sich wieder vermählen. 2) Der Priester,
der sich seine Magd als Gattin zugesellt, soll diese verkaufen , und will
er es nicht, so werde sie verkauft und der Erlös dem Bischof übergeben.
3) Den Priestern aber, die in erster und gesetzmäßiger Ehe leben, wird,
um das Band des Friedens und die Einheit im heiligen Geiste zu er
halten, zeitweilig dieErlaubniß gegeben (ihre Gattinnen zu behalten), bis
uns der Papst mit väterlichem Sinn eines andern belehret. 4) Der
Bischof oder Erzbischof, der die 1) und 2) erwähnten Ehen der Priester
gestattet, werde von dem König und den Bischöfen , wie ihnen recht
scheint, abgeurtheilt. Der Reichstag verwirft also hiemit die Ent
scheidung des Papstes und des Conciliums in der That, kleidet aber die
Verwerfung mit diplomatischer Feinheit in artige Worte. Wie in manch
andern Dingen , folgte die ungarische Nationalkirche auch hinsichtlich
der Priesterehe nicht den Satzungen der römischen, sondern denen der
griechischen Kirche. Endlich richtet der König über die .Bischöfe auch
in Dingen,
Fernerdiewird
ihr Amt
verordnet,
betreffen.
die Aebte sollen den Bischöfen, zu deren
Sprengel sie gehören, ehrerbietig gehorchen, und die Bischöfe die Klöster
mehreremal des Jahrs visitiren. Der Bischof oder Abt darf Mönche
oder Nonnen nur für ein bestimmtes Kloster weihen (21). Der Kleriker,
der sich in die Dienste eines Bischofs oder Grafen begeben hat, darf
diesen nur verlassen, nachdem er vor dem König nachgewiesen, daß er
vertragswidrig und ungerecht behandelt worden ist (18). Der Priester,
der sich eine der Kirche gehörende Sache aneignet, hat das Dreifache
zu ersetzen (6). Im Aufruhr zerstörte Kirchen bauen auf Befehl des
versis
Königsregni
die Parochianen,
sni pontlficibus durch
et abbatibus,
Alter verfallene
nee non cum
diecunctis
Bischöfe
optimatibus,
(7—8).
cum testimonio totius cleri et populi, in qua sancta synodo canonice et lauda-
biliter decreta haec inventa sunt. Die Ausdrücke „sancta synodus" und „cano
nice" dürfen uns nicht verleiten, hier eine Kirehensynode zu erblicken, da
alle Bestandtheile eines Reichstags aufgezählt werden.
Ladislaus der H«ilige. Innere Zustände u.s.w. 187
stehende: Die Lateiner (Italiener, die des Handels wegen nach Ungarn
kamen), die nicht nach der gesetzmäßigen ungarischen Weise (das war
die griechische) fasten, sondern nachdem die Ungarn dem Fleische ent
sagt haben, in der zweiten und dritten Ferie (nach der römischen Ord
nung) wieder Fleisch essen, sollen, wenn sie sich weigern, unsere besser.e
Gewohnheit anzunehmen, gehen, wohin sie wollen, aber das hier erwor
bene Geld zurücklassen. Die Härte dieses Gesetzes wäre unerklärlich,
wenn wir nicht wüßten, daß sich die Menschen in Sachen der Religion
über Kleinigkeiten oft am heftigsten entzweien. Uebrigens war dieser
Unterschied im Fasten mit eine Ursache, daß sich die griechische und
römische Kirche trennten, und wurde für etwas Hochwichtiges gehalten.
Die Ungarn aber hingen an der griechischen Fastenordnung und drangen
daherHinsichtlich
darauf, daßdes
diese
bischöflichen
in ihrem Lande
Zehntens
durchgängig
wird verfügt:
beobachtet
Der Bischof
werde.
nimmt den Zehnten von allem (Gewächsen und Vieh); sein Pristalde
frage den Eigenthümer nach der Menge, glaubt er dessen eidlicher Aus
sage nicht, so werden die zehntbaren Gegenstände in seiner und des
Grafen Gegenwart gezählt, und der des Unterschleifs Schuldige gebe
neun Theile und behalte den zehnten. Weigert sich aber jemand, den
Zehnten anzugeben, so nehme der Pristalde, was ihm recht scheint.
Der Sohn, der mit dem Vater, der Knecht, der mit dem Herrn in einem
Hause wohnt, geben gemeinschaftlich den Zehnten. Die Gegenstände
des Zehntens sollen nicht vermischt, sondern besonders gezählt werden.
Wer weniger als zwanzig Hydrien erdrischt, gibt keinen Zehnten. Die
Einsammlung des Zehntens ist bis zur Weihnacht zu beendigen (41). Die
Aebte sind verpflichtet, von den freien Leuten, die auf ihren Besitzungen
wohnen, den Zehnten zu leisten (28). ,Wer darf sich Wundern, daß
diese drückende und mit so vielen Plackereien verknüpfte Abgabe den
Unwillen des Volks erregte? Und doch ist es offenbar, daß diese An
ordnungen zum Schutz der Zehntpflichtigen gegen noch schwerere und
willkürliche
Das zweite
Bedrückungen,
Buch gibt die
zwar
stattfanden,
ausdrücklich
gegeben
den heiligen
wurden.Pannonberg
als den Ort an, wo die Gesetze gegeben wurden1, enthält ab'er unver
kennbar nur Bruchstücke von Beschlüssen mehrerer Reichstage und
vielleicht auch Entscheidungen des königlichen Gerichtshofe, der jährlich
zu Stuhlweißenburg eine öffentliche und feierliche Sitzung hielt. Wir
wollen aus denselben herausheben, was uns über die damaligen Zustände
LichtWer
gebenimmer
kann.den Gesetzen nicht gehorcht, soll, wenn er ein Bischof
ist, nach dem Gutbefinden des Königs abgeurtheilt, wenn ein Graf,
seiner Würde entsetzt, wenn ein Centurio, seines Amts enthohen werden
und überdies 55 Pensen zahlen. Ein Edelfreier (miles) verfällt in die
selbe Geldbuße (III, 15). Die Bischöfe werden also dem weltlichen
Gesetze und der Gerichtsbarkeit des Königs auch hier wie I, 4* unter-
mann durch Zuschickung des Siegels vor sich fordern, mit Ausnahme
der Kleriker und der Grafen; denn die erstem gehörten vor das geist
liche, die letztern vor das königliche Gericht (III, 26). Aber kein
Richter ist-befugt, außerhalb seines Sprengels Recht zu sprechen (III, 16).
Wenn der Palatin seine Heimat besucht, übergebe er das Siegel des
Königs und des Hofs seinem Stellvertreter; solange er dort verweilt,
fordere er niemand, die Udvorniker ausgenommen, vor sein Gericht und
urtbeile nur über diejenigen, die freiwillig zu ihm kommen, bei Strafe
von 55 Goldgulden. Derselben Strafe unterliegen die Gerichtsgrafen
des Herzogs, wenn sie über solche Urtheil sprechen, die nicht vor ihr
Gericht gehören (III, 4). Wer vor dem königlichen Gerichtshof nicht
erscheint, oder denselben, bevor das Urtheil gefällt ist, ohne Erlaubniß
verläßt, zahlt jedesmal 5 Goldgulden; wer sich des gleichen Vergehens
vor einem anderen Gericht schuldig macht, 100 Denare, und verliert in
beiden Fällen seine Sache (I, 43). Der Richter, der die Verhandlung
30 Tage hinausschiebt, soll gestraft werden (III, 25). Wer den Richter
einer Ungerechtigkeit beschuldigt und diese nicht erweisen kann, zahlt
6 Goldgulden. Der ungerechte Richter aber soll den Schaden doppelt
ersetzen und obendrein 10 Goldgulden als Strafe erlegen (III, 26).
Von allen Geld- und Werthstrafen erhält der Richter immer einen
gewissen Antheil, was sicher eine große Versuchung zum Schuldig- ,
vor
sprechen
drei glaubwürdigen
war. Die Ordahin
Zeugen,der
und,
Feuer-
der Priester
und Wasserprobe
erhalte (für die
geschehen
Weihe 4H.
derselben) eine Pensa (1, 29). Der Angeklagte findet in den Kirchen,
am königlichen Hof und zu den Füßen des Bischofs ein Asyl, das ihn
aber, wenn er schuldig ist, vor dem Arm der Gerechtigkeit nicht
schützt, sondern nur die Begünstigung einer mildern Strafe verschafft
(11,2,4,10).
Die Gesetze gegen Diebstahl und Raub sind furchtbar streng und
grausam. Während der langwierigen Bürgerkriege, die alle Zucht
und Ordnung auflösten, mußten diese Verbrechen mächtig überhand
genommen haben. Der König und mit ihm die Besten und Edelsten
verabscheuten sie und erkannten die Nofhwendigkeit, sie auszurotten,
wußten aber hierzu, nach der überall herrschenden Ansicht der Zeit,
kein anderes Mittel als grausame Strafen, Verstümmelung, Knechtschaft
und Tod, die durch ihre Furchtbarkeit Schrecken verbreiten sollten; sie
bedachten nicht, daß dadurch das sittliche Gefühl abgestumpft, Ver
wilderung und mit ihr auch die Neigung zu Verbrechen herbeigeführt
wird. — Zu der Zeit des sehr frommen Königs Ladislaus (lautet II.),
haben wir, alle Optimaten des panuonischen Reichs, auf dem heiligen
Berge (Martinsberg) eine Zusammenkunft abgehalten und geforscht,
wie wir dieautVerbrechen
nolentibus, consensum prebuerit,
böser Menschen
. . . . a rege
hindern
et episcopis
und dassecundum
Wohl unsers
quod
Volks fördern könnten. Zuerst haben wir mit einem Eide beschlossen,
daß kein Großer welchen immer seiner Angehörigen, der mehr als den
Werth einer Henne gestohlen oder geraubt hat, verberge oder schütze.
Ein solcher Dieb soll gehenkt werden und sein ganzes Vermögen ver
lieren. Wenn er sich in ein Asyl flüchtet, so werde er zwar vom Galgen
frei, aber sammt dem Bürgen, der ihn entweichen ließ, in das Ausland
verkauft, und beider Hab und Gut falle dem königlichen Fiscus zu (1).
Einem des Diebstahls schuldigen Sklaven, wenn er sich nicht in ein Asyl
rettet, werde die Nase abgeschnitten; wenn er aber das Verbrechen
wieder begeht, werde er gehenkt (4). Ein Gemeinfreier, der geraubt
oder gestohlen hat, werde gehenkt, flüchtet er aber in ein Asyl, von
dort herausgeführt und geblendet; seine Kinder von zehn Jahren und
darunter seien frei , die ältern werden verkauft und das Vermögen ein
gezogen. Ja, wer auch nur eine Gans oder Henne stiehlt, verliere ein
Auge und ersetze das Gestohlene (II, 10). Der Kleriker, der eine Gans,
Henne, Obst oder dergleichen stiehlt, werde blos von seinem Vorgesetzten
mit Ruthen gestäupt; macht er sich aber eines größern Diebstahls schul
dig, so soll er vom Bischof aus dem Priesterstand gestoßen und 'dem
weltlichen Richter übergeben werden (II, 11). Ein anderes mal wird
befohlen: Der Freie, der einen Werth von 10 Denaren gestohlen hat,
soll den Diebstahl zwölffach ersetzen und einen Ochsen zur Strafe zahlen.
Ein flüchtiger Sklave, der auf einem Diebstahl betroffen wird, werde
geblendet, doch soll er weder gehenkt noch seine Zunge abgeschnitten
werden, damit sein Herr, wenn er ihn wiederfindet, von ihm erfahre, wo
etwa verlorene Sachen zu suchen seien (II, 12). Wenn ein Adelicher
(miles) in das Haus eines andern Adelichen einbricht, dort kämpft und
dessen Gattin schlägt , sollen zwei Theile seines Vermögens zur Sühne
genommen, der dritte seiner Gattin und seinen Kindern gelassen werden.
Hat er aber kein Vermögen, so werde er mit geschorenem Kopf und
gefesselt auf dem Marktplatz umhergeführt, gegeiselt und verkauft.
Seine Spießgesellen sollen ihre Schuld mit 55 Byzantinern büßen, die
Sklaven, die mit halfen, dieselbe Strafe wie ihr Herr erleiden, fremde
Sklaven aber, die ohne Vorwissen ihres Herrn an dem Verbrechen theil-
nahmen, verkauft und die Hälfte des Erlöses zur Sühne genommen, die
andere ihren Herren gegeben werden (II, 10). Wer einen Menschen
mit dem Schwert tödtet, werde durch das königliche Gericht eingekerkert
und sein ganzes Besitzthum in drei Theile getheilt, wovon zwei die Ver
wandten des Getödteten , den dritten die Kinder des Mörders erhalten
(II, 8). Welcher Richter über den Dieb und Räuber die festgesetzte
Strafe nicht verhängt, werde verkauft und sein Vermögen eingezogen.
Hat er aber einen Unschuldigen gestraft, so soll er alle Kosten und das
Vermögen desselben zurückerstatten. Kann er jedoch durch zwei schick
liche Zeugen seine Schuldlosigkeit erweisen, so erhebe er von dem
falschen Kläger 55 Pensen, und dieser erleide die Strafe, die ihn ge
troffen hätte (II, 6). Ueberhaupt gilt überall der Grundsatz, daß der
falsche Kläger in die Strafe verfalle, die der fälschlich Beschuldigte zu
erwarten hatte. Um endlich dem Diebstahl und Raub gründlich zu
steuern, wurde (III, 1) angeordnet: Königliche Bevollmächtigte sollen
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u. s. w. 191
mit 12, ein Rind mit 5 Denaren zu lösen, wovon zwei Theile dem Kö
nige und der dritte dem Grafen zufielen. Meldete sich niemand zur
Auslösung bis Michaelis, so wurden Sklaven und Vieh nach obigem Ver-
hältniß getheilt, durften aber nie verkauft oder verborgen werden. Der
Sammler oder der Graf, der sich hierbei eines Unterschleifs schuldig
machte,
Es unterlag
gab fernerschwerer
Sicherheitswächter
Strafe (III, 13
in u.den
21).Gespanschaften und an
den Grenz- und Burggrafen, wenn sie wichtige Dinge zu melden hatten,
Eilboten. Diese waren berechtigt, wo sie hinkamen, das Pferd eines
jeden zu requiriren , bis in die dritte Ortschaft mit sich zu nehmen und
da stehen zu lassen. Bios die Pferde der Kleriker und derer, die in die
Kirche, auf den Markt und an den Hof des Bischofs oder des Ober
gespans gehen, sind von der Requisition ausgenommen. Wer das
Pferd, welches der Eilbote freiläßt, sich aneignet, wird als Dieb ge
straft; wer ihn schlägt, zahlt 50, wer ihm in den Zügel fällt, 10 Pen
sen (III, 14). •
Den Verkehr und Handel regelten mehrere gesetzliche Vorschriften,
die ihn aber nicht förderten , sondern äußerst hemmend wirken mußten.
Nur auf den öffentlichen Märkten darf verkauft und gekauft werden.
Wird mit einer gestohlenen Sache dawider gehandelt, so verwirken
Verkäufer, Käufer und Zeugen das Leben; ist aber die Sache recht
mäßiges Eigenthum, so verlieren sie dieselbe und zahlen noch über-
dieß den Betrag ihres Werths. Der Kaufhandel auf öffentlichem
Markte muß in Gegenwart des Richters, Zolleinnehmers und der
Zeugen geschlossen werden (II, 7). Der Handel mit Pferden und
Rindvieh über die Grenzen des Landes ohne des Königs Erlaubniß
ist bei der auf Diebstahl und Raub gesetzten Strafe verboten; nur
ein Pferd zur Reise und Ochsen zum Pflügen ist zu kaufen gestattet
(II, 13, 14). Die Grenzgrafen, die solchen Handel ohne des Königs
Bewilligung erlauben, werden ihres Amts entsetzt; die Grenzwächter,
die denselben heimlich zulassen, verlieren die Freiheit, und ihre
Vorgesetzten, wenn sie mitschuldig sind, Leben und Vermögen, doch
bleiben ihre Kinder frei (II, 15). Der Ausländer, der Pferde kau
fen oder sonst Handel treiben will, soll von einem Boten des Grenz
Ladislaus der Heilige. Innere Zustände u.s.w. 193
grafen zum König geleitet werden und mit dessen Erlaubniß, so viel
ihm gestattet wurde, in Gegenwart des königlichen Pristaldes kaufen.
Daß diese Gesetze nicht blos gegeben wurden, um Diebstahl und Raub
zu hindern, fällt sogleich in die Augen; man wollte gewiß auch die
königlichen Einkünfte, zu denen die Marktgefälle gehörten, vermehren
reichthum,
und wahrscheinlich,
der damals
irregeleitet
in Vieh bestand,
von falschen
erhöhen,
Ansichten,
indem man
dendessen
National-
Ab
flusse nach außen wehrte. Wer darf sich darüber wundern, daß so
etwas in dieser Zeit geschah? Gibt es doch auch heutzutage noch
Staatskünstler, die Aehnlichos und weit Schlimmeres zum größten
Nachtheil der Länder thun und auf keine Vorstellungen und Klagen
hören.Unterziehen wir nun die Einrichtungen und Gesetze, die unter
Fe&Ur, I, 13
194 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Koloman 1095—1114.
Ladislaus hatte 1.vonAeußere
den beiden
Begebenheiten.
Söhnen seines Bruders Geiza den
kommen war, steckte Peter, reich, mächtig und kühn, die Fahne der
Empörung auf. Älmos fühlte sich zu schwach, den Aufstand besiegen
zu können, und rief seinen königlichen Bruder zu Hülfe. Koloman sam
melte zwischen der Drave und der Save zahlreiche Mannschaft und
führte sie dem Rebellen entgegen, der auf den modruscher Bergen in
einem befestigten Lager stand. Der König vertrieb ihn daraus und
zwang ihn bei Guozdanzko zur Schlacht, in welcher Peter seinen Auf
stand mit dem Leben büßte; seine Verbündeten, gefangen und geplündert,
mußten dem Ueberwinder als ihrem Oberherrn huldigen.6
zug ersuchte, war Walther, mit dem Beinamen „ohne Habe". Sein Heer 1096
bestand aus 15000 Mann Fußvolk und 8000 Reitern, größtentheilslmMai
Franzosen, von seinen drei Brüdern angeführt. Koloman nahm ihn
mit diesen treuherzig auf und entließ sie beschenkt zu ihren Scharen,
welche
62. Kerchelich,
sie unter
Notit.
königlichem
praeliminar.
Geleit
, S. 135.
den geradesten
Lucius, De Weg
Regn. durch
Dalmat.das
et
Croat.,
1 Kezai,
III, 3,II,bei4.Schwandtner,
Dandnlus, bei
III.Muratori,
Katona,XII,
Hist.259.
Reg.,Gaufredus
III, 12 fg.Malaterra,
heer 40000 Mann stark, mit ungeheuerm Troß unter Anführung Peter des
Einsiedlers und vier ehrenfester Ritter sich bei Oedenburg (Soprony,
Cyperon) eingestellt habe und freien Durchzug verlange. Koloman
erlaubte auch diesem, durch das Land zu ziehen, und was es bedurfte,
ohne Zank und Betrug gegen baare Bezahlung einzukaufen. Peter
führte seine Scharen und den Troß von 3000 Wagen in ziemlicher
Zucht und Ordnung bis Semlin. Dort sah er auf den Mauern die
Trophäe, welche die Einwohner zum Schreck für ausschweifende Kreuz
ritter von den Rüstungen und Wagen der sechzehn Leute Walther's errichtet
hatten. Der beleidigende Anblick eines Denkmals, das seines Werkes
Heiligkeit so sehr entehrte, brachte ihn aus aller Fassung und er be
schloß in seinem Grimm, die verwegene Stadt die ganze Wuth seiner
Scharen empfinden zu lassen. Sie ward mit Sturm eingenommen und
die fliehenden Einwohner wurden verfolgt. . Siebentausend glaubten
sich auf einem steilen Berg am Donauufer in Sicherheit; aber die
Kreuzfahrer folgten ihnen auf dem Fuße nach und erreichten die Höhe
des Berges, ungeachtet des rauhen Pfades, des tapfern Widerstandes
und der Ungeheuern Steinmassen , welche auf sie herabgewälzt wurden.
Das schrecklichste Gemetzel begann und endigte mit dem Tode von
4000 Ungarn. Die Würger kehrten, ihres Sieges froh, in die Stadt
zurück, wo sie sich allem Ungestüm ihrer viehischen Triebe ergaben,
und hier eowol als in der umliegenden Gegend die greulichsten Schand-
thaten verübten, bis sie die Nachricht erschreckte, daß der König mit
seiner ganzen Heeresmacht wider sie anrücke. Eiligst setzten sie über
die Save, doch der Rache, der sie hier entgingen, unterlagen sie bei
Naissus, wo sie in dem Versuch ähnlicher Gewaltthätigkeiten von
Bulgaren, Kumanen und Ungarn angegriffen, gegen 20000 Mann und
über Auf
2000seiner
WagenWanderschaft
verloren. 3 durch Deutschland hatte Peter in den
Rheingegenden
1 Albert. Aquens.
mit dem
Chron.
Priester
Hierosolym.,
Gottschalk
bei Bongars,
sich verbunden,
I, 6. — der
2 Ber
mit
sich ein neuer Schwarm von 200000 Mann, nach andern nur 17000,
was wahrscheinlicher ist, Fußvolk und 3000 Reitern, untermengt mit
Weibern, Nonnen und Buhldirnen in männlicher Tracht. Das Gerücht
seiner Gewaltthätigkeiten ging ihm allenthalben vorher. Viele tausend
Juden hatten schon zu Köln, Trier, Mainz und Worms unter dieser
Kreuzfübrer Unmenschlickeit geblutet, und es galt unter ihnen als aus
gemacht, die Ungarn seien um nichts besser als die zerstreuten Kinder
Israels und die Heiden. Ihr oberster Anführer war Rheingraf Emico,
ein Betrüger in dem Vorgeben, Gott habe ihn, wie Paulus, durch ein
Gesicht zum Werkzeug auserwählt, die heilige Unternehmung mit der
Judenermordung anzufangen. In seinem Gefolge waren die Ritter
Wilhelm Charpentier, Thomas von Feik, Clarembald von Vandeuil
und Graf
Albert.
Hermann
Aquens., die
I, 24.
weniger
Chron.Schlechten.
Hierosolym., I,Ihre
8. Bernard.
WegweiserThesaurar.,
waren
I, 672.. —
— 2a Annalista Saxo ad
Annalista Saxn ad ann.
ann. 1096
1096.
198 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
eine Gans und eine Ziege, denen nach dem Wahne des abergläubischen
Haufens der Geist Gottes eingab, wohin sie gehen sollten. Der Zug
durch Ungarn wurde ihnen geradezu verwehrt. Sie fanden Wieselburg,
Altenburg und die benachbarfen Thürme außerordentlich befestigt und
alle Zugänge mit Kriegsvolk besetzt. Den ersten Widerstand erfuhren
sie bei dem Uebergang über die Leitha vor Altenburg; eine zahlreiche
Mannschaft unter den Befehlen des Palatins Jula, eines ehrwürdigen
Greises, hütete denselben. Aber es gelang ihnen, eine Brücke zu schla
gen, und die Ungarn mußten der Uehermacht weichen, nachdem Char-
pentier
Diedem
Sieger
Palatin
warenden
nunKopf
zwargespalten
Meister der
hatte.
Brücke
1 ; allein von Altenburg
bis Wieselburg mußten sie über einen schmalen Damm, der auf der
einen Seite vom Fluß, auf der andern von tiefen Sümpfen eingeschlossen
war. Auf diesem Wege, von den Pfeilen der Ungarn unaufhörlich ver
folgt, kehrten sie um , vertheilten sich in den Wald und schlugen eine
Menge Bäume nieder, um einen Theil des Sumpfes damit auszufüllen.
Vergebens arbeiten die Ungarn in der Burg, die Feinde zu entfernen:
diese werfen Stämme von Bäumen, Balken, Zweige, Reisbündel in den
Sumpf, bedecken ihn mit Buschwerk und Dielen, nähern sich trotz alles
Widerstandes den Mauern und machen sich fertig, auf langen Leitern,
die sie im Walde gezimmert hatten, sie zu ersteigen. Während einige
mit gewaltigen Mauerbrechern unablässig daran stoßen, die andern kühn
und beherzt Sturm laufen, lassen die Ungarn einen Stein- und Pfeil
hagel und Fluten siedenden Oels und Fettes auf sie hinabfallen.
Schon ist ihr Vorrath verbraucht, schon zeigen die Mauern den Ent
schlossensten der Feinde zwei Lücken, schon gibt der König den Be
lagerten den Befehl, in der Nacht den Platz zu verlassen und gegen die
Karpaten sich zu flüchten, als die Kreuzfahrer, von der Hitze des Zornes
und der Rachbegierde hingerissen, durch ihr Ungestüm die Geängstigten
zur letzten und höchsten Anstrengung ihrer Kraft beleben. Uebereilt,
ohne Vorsicht und Ordnung drängen sich jene, einer vor dem andern
auf die Leitern. Diese zerbrechen hier mit fürchterlichem Krachen,
dort stürzen sie mit den aufsteigenden Stürmern auf die Belagerer
zurück. Unter dem Falle von Tausenden, unter dem dumpfen Getöse
eiserner Rüstungen, unter dem Geprassel herabgeschleuderter Steine und
dem Jammergeschrei der Sterbenden oder Verwundeten entsteht zwischen
den Anführern heftiger Streit über die Theilung des gewiß zu erobern
den Reichs. Da öffnen die Ungarn plötzlich die Thore und stürzen
auf den verworrenen, zwischen den Sümpfen zusammengedrängten, von
Schreck ergriffenen, zum Widerstand unfähigen Feind, „der wie Schafe
vor den Wölfen floh". Was dem rächenden Schwert entging, ward von
dem Sumpf oder von dem Strom verschlungen. Nur wenige fanden
ihr Heil in der Schnelligkeit ihrer Rosse; unter diesen war Emico, der
mit einigen,
1 Horväth,
die Geschichte
ihm folgendeskonnten,
ungarischen
Deutschland
Reichs, I,erreichte.
221, und Szalay,
Die Ritter
Ge
schichte des ungarischen Reichs, I, 250, halten den gefallenen Greis für den
Herzog Lambert, weil die Chronik sagt: „Collateralem regis".
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 199
die Edeln kennen lernen, die den verklärten Ladisläus geehrt und ihm
vor einigen Monaten den Oberbefehl über sich angeboten hatten. Es
waren Gottfried von Bouillon, Herzog von Lothringen, mit seinen zwei
Brüdern Balduin und Eustach, die Grafen von Namur, von Grez und
von Rhetel,, der Bischof Conon von Montagu, die Ritter Heinrich und
Gottfried von Hache, mit großer Anzahl edler Franken, Lothringer,
Frisen, Sachsen und Deutschen. Ihr Heer bestand aus 90000 Mann
Fußvolk und 10000 Reitern, auserlesene Menschen, die keinen Wüstling
ohne Sitten, ohne Glauben und ohne Zucht unter sich duldeten. Mit
diesen bezog der Herzog in der Mitte des September bei Bruck an der
Leitha, an Ungarns Grenze, ein Lager, weil ihm die ungarische Grenz
besatzung den weitern Zug verweigerte. Nach reiflicher Ueberlegung,
ob man sich den Weg durch Waffengewalt oder durch das anständigere
Mittel der Unterhandlung bahnen sollte, ward allgemein für das letztere
entschieden. Die Ritter Balderich, Stabelo und Gottfried von Hache
mit zehn vornehmen Waffenmännern erschienen vor dem König und
Gottfried sprach: „Der Herzog von Lothringen und die fränkischen
Fürsten entbieten dem König der Ungarn Gruß', und wünschen ihm
alles Gute von dem Herrn. Sie können ihre Verwunderung Euch nicht
verbergen, wie Ihr als Bekenner des Christenthums, dem Heere des
lebendigen Gottes, das vor uns an Euern Grenzen stand, den Durchzug
versagen und dasselbe in Euerm Lande auf das grausamste ermorden
lassen konntet. Sie stehen mit einer ehrbaren Ritterschaft und mit
tapfern Kriegsscharen bei Bruck, Aufschluß von Euch erwartend, warum
Christen der Brüder ihres Glaubens Verfolger und Mörder geworden
seien. Ist es mit Recht geschehen, so wollen sie es dulden; war aber
Treulosigkeit die Triebfeder der That, so haben sie beschlossen, als
Rächer der Schmach Jesu Christi vorzudringen, wozu sie aus ihrem
Vaterlande
Koloman
ausgezogen
erzählte sind."
ihnen alle Gewaltthaten und Verbrechen, welche
mit ihm sind, Gruß und Liebe ohne Heuchelei! Der gute Ruf von Dir,
Herzog, hat mir längst gesagt, Du seiest in Deinem Lande ein mächtiger
und gerechter
1 Albert. Aqnens.,
Mann, fromm,
XXVIIIrechtschaffen
— XXIX. Guibert
und treu;
Abb.geachtet
(bei Bongars.,
von allen,
I),
die Dich kennen. Darum habe ich* Bich immer geliebt und 'wünsche
jetzt, Dich auch zu sehen und persönliche Kunde von Dir zu erlangen.
Sodann schlage ich Dir vor , daß du .ohne Verdacht und Argwohn Dich
auf unsere Oedenburg (Cyperon,, Soprony) zu uns verfügst, wo wir uns
an des neuen 1 Sees Ufer friedlich besprechen wollen über alles , was
Du vonDieser
uns forderst
Einladungund
zufolge
wessenzog
DuGottfried
uns beschuldigest."
von Bouillon mit 300 Rit
nisse im Ueberfluß herbei, und die Androhung schwerer Strafe hielt die
Gewinnsucht der Verkäufer im Zaume und schützte die Fremdlinge
gegen Betrug an Güte, Mass, Gewicht und Preis der Waaren. Staaten
sind ebenso wenig als der einzelne Mann über das Bedürfniß guten Rufs
und über die Nachtheile des schlechten erhaben; böse Meinung ent
kräftet die Macht. In Ländern, wo der Fremde in der Regel ungestraft
betrogen wird, mag auch der Einheimische sich mit Gott trösten, wenn
er des Armes der Gerechtigkeit bedarf. Schlechte Regierungen und
schlechte Haushaltungen sind sich darin am ähnlichsten, daß in beiden
viel betrogen
1InNeusiedler
schönster
undSee,
viel
Ordnung
Fertö.
gestohlen
führte
Er wird.
entstand
Gottfried
erst imseine
10. oder
Heerscharen
11. Jahrhundert
durch
durch verminderten, endlich ganz gehemmten Fall des Flusses Fertg Bre-
detsky, Beiträge zur Topographie des Königreichs Ungarn, III, 79 fg.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 201
die beiden Haufen verbarg und wohin ihn die Ungarn heftig verfolgten,
Jetzt erhoben sich die im Hinterhalt Liegenden plötzlich, auch die
Fliehenden kehrten zum Angriff zurück, und die Ungarn waren von allen
Seiten umzingelt. Einige Tausend von ihnen fielen auf dem Schlacht
feld, darunter Graf,Oezem und die Bischöfe Koppäny und Laurentius,
oder ertranken in den Fluten der San; den König rettete eine Schar
Tapferer, die ihn wie eine Mauer umgaben; die Fliehenden wurden
weit verfolgt, und viele erlagen noch auf dem ungeordneten Rückzug
dem Schwert der Feinde, oder dem Hunger und der Ermattung; kaum
die Hälfte
Der Chronist,
kehrte in das
aus Vaterland
dem Thuröczy
zurück.1
seine Nachrichten schöpfte, er
zählt, die Gemahlin Wolodars sei Frieden bittend vor Koloman erschie
nen und habe sich flehend ihm zu Füßen geworfen; er aber sei unbewegt
bei ihren Thränen geblieben , habe sie sogar verächtlich mit dem Fuße
von sich gestoßen und durch seine Härte die Verzweifelnden gezwungen,
die Schlacht zu wagen. Da aber die russischen und polnischen Jahr
bücher hierüber schweigen, mag wol diese Erzählung entweder ganz
erdichtet,
Die erste
oder doch
Sorgesehr
Koloman's
übertrieben
nachsein.2
seiner Rückehr war, das Land
liches1 erfahren,
Nestor, a. daß
a. O.er kein
Dlngoss,
Bedenken
a. a. trug,
O. Karamsin,
einem neuen
Geschichte
Schwarm
des von
rus
sischen Reichs; übersetzt (Riga 1820), II, 106. — 2 Thuröczy, II, 60. —
3 Cosmas Pragensis ad ann. 1099. — * Kovachich, Vestigia coroitiornm, S. 65.
— 5 Decretum Colomanni Regis ab Alberico compilatum. E codice char
Koloman. Aenß ere Begebenheiten. 203
Ungarn
taceo saeculi
so unschätzbare
XV. bibliothecae
Dalmatien
palatinae Vindobonensis,
zu erwerben, bei
undEndlicher,
begann die
S. 350
Aus-
fg.
In der Vorrede an den Erzbischof bittet Alberich, ihm etwaige Fehler der
Uebersetzung zu verzeihen, weil er der ungarischen Sprache nicht vollkom
men mächtig
1 Albert. sei.
Aquens., VIII, 34. Conradus Urspergensis ad ann. 1101. —
2 Thomas Archid., c. 17. Freibrief Koloman's von 1102 in Lucius, III, 3;
beide bei Schwandtner. So mag der Aufstand durch die menschenfreund
liche Staatsweisheit des Königs ohne Blutvergießen gedämpft und die Hoheit
Ungarns über Kroatien wiederhergestellt worden sein. Aber der Vertrag
zwischen Koloman und den aufständischen Großen, dessen Abschrift der
Historia salonitana des Thomas angehängt ist and von dessen Dasein sich
weder in einer Urkunde noch im Staatsleben eine Spur zeigt, verräth sich
204 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
geschobenes Werk späterer Zeiten. Dasselbe gilt auch von dem Freibrief,
den Koloman 1105 erlassen haben soll, bei Kerchelich, Not. prael. 114, und
Fejer,1 Thomas
Cod. dipl.Archidiac. Historia salonit. bei Schwandtner, III, 180 u. 634.
daß Koloman für sich und seine Nachfolger die Rechte und Freiheiten
der Nation heilig zu halten gelobt , und diese durch ihre Stellvertreter
ihm gehuldigt und der ungarischen Krone den Eid der Treue geleistet
habe, ist mehr als wahrscheinlich, und wird zur Gewißheit, wenn wir
erwägen, was einzelnen Städten gewährt wurde, und um so weniger dem
ganzen Lande verweigert werden konnte. Auch spricht dafür die
Gewohnheit der Ungarn, allen Nationen, die in ihren Reichsverband
kamen, alle billigen Rechte zu gewähren; und endlich zeugt dafür auch
die bevorzugte, wirklich beneidenswerthe Stellung, die Kroatien jederzeit
im ungarischen
Koloman verweilte
Staatskörper
den größten
einnahm.Theil des folgenden Jahres, 1103,
«
erregt, rief den König wieder nach Dalmatien. Auf die versprochene
Hülfe der Aufwiegler rechnend, wiesen die Empörten alle Anträge der
Güte zurück. Koloman schloß die Stadt ein und begann die Belagerung.
Aber Johannes Ursini, Bischof von Traw, drang in die Stadt und ver
mittelte den Frieden. Der König hielt feierlichen Einzug, empfing die
Huldigung der Bürger, bestätigte und vermehrte noch ihre alten Frei
heiten. Hierauf ging er, von dem Bischof, der schon im Leben als Hei
liger verehrt wurde, begleitet, auch in die übrigen Städte des Küsten
landes, die ihm freiwillig abermals huldigten. 4 Indessen gelang es dem
des ErzbischoßCrescentius Rath den Adel des Landes und die Abgeord
neten der Städte zu einer feierlichen Berathung. „König Koloman", sagt
die gleichzeitige Urkunde 2, „kam nach Zara und hielt vor der Stadt eine
Versammlung. Dort wurde berathschlagt, wie die Freiheiten Dalmatiens
für alle Zeiten unversehrt zu erhalten seien. (Zu diesen gehörte auch,
daß der König die von ihnen frei erwählten Bischöfe anerkenne.)
Zuerst bestätigte der König dieselben, indem er in Gegenwart des Vaters
Crescentius auf die Evangelien schwor." Nach ihm schworen und
unterschrieben die ungarischen Herren, geistlichen und weltlichen Standes,
Laurentius , Erzbischef von Gran ; Marcellus , waitzner u. s. w. Bischof
Johannes, Palatin, Cledin, Marcus u. s. w. Zum Gedächtniß gab der
König goldene Kreuze an die Kirchen zu Zara, Spalatro und Arbe.
Später, 1108, schenkte er der Stadt Traw das freie Wahlrecht ihres
Bischofs und ihres Grafen, blos die Bestätigung und Einsetzung der
Gewählten sich vorbehaltend. Sie sollte ihre hergebrachte Verfassung
behalten und weder ihm noch seinen Nachfolgern zinsbar sein. Nur
von den Zöllen sollten zwei Drittel, dem König, eines dem Statthalter,
und das Zehntel dem Bischof entrichtet werden. Er versprach ihr, nie
zu gestatten, daß wider ihren Willen ein Ungar oder Ausländer in
ihrem Gebiete sich häuslich niederlasse. Wenn der König zur Krönung
oder zur Verwaltung der Landesangelegenheiten sich in Dalmatien
aufhält, sollen die Häuser der Bürger durch Aufnahme der Hofdiener
keineswegs belästigt werden, sondern alle Bezeigungen der Gastfreund
schaft lediglich von ihrem guten Willen abhängen. Wer bei allen diesen
Rechten und Freiheiten unter seiner Herrschaft sich dennoch beschwert
fühlen dürfte, dem soll es frei stehen, mit seiner Habschaft und mit
den Seinigen hinzuziehen, wohin es ihm beliebt. Auch hier heißt es
zum Schluß : „Diese Handfeste ist vom König, vom Erzbischof und von
den Grafen Ungarns bestätigt worden." Hierauf folgen die Unter
schriften des Palatin Johannes und von fünf Obergespanen.3 Aehnliche
Handfesten gab er auch den übrigen Städten und den Inseln Veglia,
Cherso, Arbe, die sich ihm gleichfalls friedlich unterworfen hatten.
Den Bischöfen und der gesammten Geistlichkeit verlieh er dieselben
Rechte, welche die ungarischen besaßen, und erneuerte diejenigen, die
ihnen frühere Herrscher verliehen hatten. 4 Nachdem er sich dergestalt
ihre Treue
1 Farlatus,
und V,
den53.Ungarn
Luciusbedeutende
, III , 4. An
Handelsvortheile
einem Thurm ingesichert
Zara stand
hatte,
die
Inschrift: Anno. Inear. Dni. Nri. jhu. XPI. Mil. CV. Post. Victoriam. Et.
Pacis. Praemia. Jaderae. Introitus. A. Deo. Concessa. Proprio. Sumptu. Hanc.
Turrim. Scae Mariae. Ungariae. Dalmatiae Croatiae. Construi. Et Erigi.
Jussit. Rex Colomanus. Farlatus, IV, 234. — 2 Libri Pactorum, ,1, 238; eine
Staatsschrift, die aus Venedig in die kaiserliche Hofbibliothek in Wien kam.
Laurentius de Monachis Chron. de rebus Venet., VI, 102. Lueina, III, 4,
bei Schwandtner, III, 186. Vgl. Horvath, Geschichte des ungarischen Reichs,
2. Aufl., S. 233—235. — 3 Lucius, III, 4, bei Endlicher, S. 37C. — 4 Lu
cius, Constitutio pro clero Arbensi, anno MCXI, bei Endlicher, S. 377.
Koloman. Aeußere Begebenheiten. 207
kehrte er jetzt nicht nur als König Kroatiens und Dalmatiens , sondern
auch als Beherrscher des Adriatischen Meeres nach Ungarn zurück, wo
ein langer
NichtsKampf
ist gewöhnlicher,
gegen Ränke der
als Bosheit
daß Geistesschwäche
seiner harrte. mit großem
König über seines Bruders weitere Schritte unbesorgt, dieses jagte den
1107 Herzog nach Polen zu Boleslaw III., der ihm die Anwerbung einiger
Haufen im Lande gestattete. Mit diesen fiel er in Ungarn ein, bemäch
tigte sich der nördlichen Gespanschaften und erklärte den König für
abgesetzt, sobald ihm die Bergfestung Aba-Ujvär ihre Thore geöffnet
hatte. Weiter konnte er nicht fortschreiten; denn der immer schlag
fertige Koloman stand vor der Burg und bereitete sich, dieselbe zu
stürmen. Almos sah die Unmöglichkeit, sich zu behaupten; eilends
bestieg er sein Roß und sprengte ohne Gefolge in das Lager der Ungarn,
dort warf er sich dem König zu Füßen und bekannte seine Schuld.
Ihm und
Gemeine
den wenigen
Seelen hassen
ungarischen
denjenigen
Parteigängern
unversöhnlich,
wardden
verziehen.
sie muthwillig
1
begleitet von des Königs zwei bewährten Hofbedienten, welche für des
Herzogs Bequemlichkeiten sorgen, wie auch auf seine Aeußerungen genau
merken sollten. Bei Csoor erblickte er einen Reiher, er ließ seinen
Falken auffliegen und auf den ersten Stoß war der Raubvogel sein. Da
sprach er zu seinen Begleitern: „Glaubt ihr wol, der kluge Falke würde
den Reiher friedlich haben fliehen lassen, wenn dieser ihm geschworen
hätte, nicht mehr zu schreien." Die Hofbedienten erwiderten: „Der
wilde Falk würde ebenso wenig auf den Schwur des Reihers geachtet,
als dieser zu einem Eide sich verstanden haben." Älmos fürchtete von
seiner1 Thuroczy,
unbesonnenen
II, 60.Rede
— 2die
Dasschrecklichsten
erzählt der Chronist,
Folgendessen
und wirklicher
beschloß,
Stadt war gut besetzt und wurde von den Ungarn so kräftig vertheidigt,
daß der Kaiser nach vier Wochen langer Belagerung an ihrer Einnahme
verzweifelte. Am rechten Donauufer stand Köloman mit starker Heer
macht, um den Feinden den Uebergang zu verwehren; ein anderes
Heer hielt das linke Waagufer besetzt; blos die presburger, neitraer und
trencsiner Gespanschaften waren dem Kaiser und seinem Lehnsmann
Swatopluk preisgegeben. In diesem kleinen, bergigen und rauhen
Bezirk konnten sich die Feinde nicht lange halten, und Heinrich sah sich
nothgedrungen, durch Unterhandlung zu erreichen, was er durch Waffen
gewalt nicht erzwingen konnte. Mit geringer Mühe bewirkte er die
Aussöhnung, wozu den König Großmuth, den Herzog Erbärmlichkeit
stets bereit machte. Der Kaiser war mit einigen Geschenken und mit
der Zusicherung freien Rückzugs zufrieden.4 Älmos gelobte in seines
Bruders Lager eine Wallfahrt nach Jerusalem, vielleicht weil er sich 1110
zu schwach
Der Unglückliche
fühlte, seineBeschämung
kam jedoch aus
vordem
demheiligen
ganzen Lande
Volke zu
nicht
ertragen.
besser 1112
zurück, als er hingegangen war; er blieb überall selbst sein ärgster Feind
und weder die Zeichen des Heils zu Jerusalem, noch der zutrauliche
Empfang des Königs bei seiner Rückkunft konnten ihn versöhnen;
bald fing er an , in Verbindung mit den drei Grafen Uros , Vatha und
Paulus neue Entwürfe der Empörung zu spinnen. Koloman erfuhr das
Geheimniß der Verschworenen beizeiten, ein Verhaftsbefehl wider 1113
den Herzog und die drei Grafen kam der Vollziehung des Verbrechens
zuvor. Des Landes Verfassung, der Stand der Verbrecher und des
Königs Charakter verbieten zu glauben, daß dieser willkürlich an ihnen
Rache nahm; wahrscheinlich hatte er sie dem Hofgerichte überliefert,
welches den Gesetzen gemäß nicht anders als auf Todesstrafe erkennen
konnte. In einem unglücklichen Anfall menschenfreundlicher Schwäche
steigerte Koloman den Ausspruch des Rechts, indem er ihn mildern
wollte, zu einem Machtspruch der Tyrannei, nach welchem Älmos, sein
fünfjähriger Sohn Bela und die drei Grafen das Leben behalten, aber
geblendet werden sollten. 6 Obgleich Blendung in den Herrscherfamilien
der damaligen Zeit etwas Gewöhnliches war und Älmos schwere Strafe
verdient hatte, mochte doch die Gestalt des blinden Bruders und noch
mehr das Jammerbild des unschuldigen Kindes vorwurfsvoll vor die
Augen seines Geistes treten und ihn um so mehr beunruhigen, je weniger
sein Herz unempfindlich und grausam war. Seine Lebenskraft schwand
merklich, unerträgliche Schmerzen im Kopf quälten ihn; er fühlte das
Herannahen des Todes und dachte mit . ängstlicher Besorgniß an das
Schicksal seines unmündigen Sohnes, dessen Leben und Thron er sichern
wollte. Da berathschlagte er mit seinen Vertrauten Marcus und Achilles,
und es wurde beschlossen, Älmos zu tödten. Ein Bote, Benedict, wurde
eilends nach Dömös zur Vollstreckung des Mordbefehls abgeschickt.
Der blinde Herzog saß vor dem Kloster an der Wintersonne und hörte
den Hufschlag des Pferdes, das seinen Henker trug; Böses ahnend, ließ
er sich zum Altar führen, und die Mönche, deren Kloster er gestiftet
und reich begabt hatte, erlaubten nicht, ihn von der heiligen Freistätte
wegzureißen. Unverrichteter Sache und drohend eilte Benedict zurück
an den königlichen Hof, stürzte unterwegs vom Pferde und brach das
Genick. Älmos floh an den nah verwandten konstantinopolitanischenHof.
1114 Koloman starb am 4. Februar 1114. l Achtzehn Jahre, sechs Mo
nate und fünf Tage hatte er weise, kraftvoll und glücklich regiert und
besonders durch die Erwerbung der Meeresküste dem Vaterlande ein
kostbares Vermächtniß hinterlassen, das zu erhalten seine Nachfolger
leider weder Klugheit noch Kraft genug hatten. Aber vielen misfallen
und gottlos erscheinen mußte der Mann, der, dem Geiste seines Zeitalters
ganz zuwider, kein einziges Kloster gestiftet, nicht eine Kirche erbaut,
die ausschweifenden Kreuzritter nach Verdienst gezüchtigt, übermäßige
Schenkungen seiner Vorfahren an Klöster und Kirchen eingezogen, die
Klerisei zur Zucht und Pflicht angehalten, die Gerechtigkeit mit Strenge
verwaltet und endlich seinem treulosen, aber freigebigen Bruder nicht
auch den sechsten Hochverrath am Vaterlande ungestraft hingehen ließ.
Neuere vertheidigten diesen König gegen ältere Lästerungen durch viele
Zeugnisse2; aber seine bündigste Vertheidigung sind seine Thaten,
der Geist seiner Gesetze, der geordnete blühende Zustand, in dem er
das
aufbürdet
Reichund
zurückließ.
von welchen Muglen nichts wußte, werden billiger bezweifelt
als nacherzählt. Wol mögen sie noch zu Koloman's Zeit erzählt worden
sein; denn die Menschen hatten von jeher weder des Glücks noch des Un
glücks genug und waren immer fertig, durch greuliche Dichtungen zu er
setzen, was der mäßigen Wirklichkeit mangelte. Einige pflegten dergleichen
zu thun, weil sie in dem Schose ihrer trägen Jämmerlichkeit durch schreck
liche Dinge erschüttern und erschüttert werden wollten; andere, weil sie von
ihren bessern Zeitgenossen den Vorwurf eigener Schlechtigkeit nicht ertragen
konnten und durch das leichte „criminari audacter", welches, gegen große
Männer1 Thur6czy,
ausgeübt, DI,
niemals
62. —mislingt,
2 Cornides,
sich zu
Genealog.
rächen Regum
suchten.Hung., S. 102 fg.,
nach ihm Katona, Pray, Klein, Handbuch der Geschichte von Ungarn (Ka-
schau u. Leipzig 1833). Szalay u. Horväth in ihrer Geschichte des unga
rischen Reichs.
Koloman. Innere Zustände. 211
ander folgten; ihre Regierung dauerte 37 Jahr und übte den wohl
tätigsten Einfluß. Was unter Ladislaus zur Befestigung geordneter
Staatseinrichtungen und zur allseitigen Entwickelung eines edlern Volks
lebens geschehen war, wurde von Koloman nicht nur fortgesetzt, son
dern auch Neues und Größeres bewirkt; aber freilich alles im Geiste
der damaligen Zeit, das Gute wie das Fehlerhafte, das dieser brachte,
auffassend und das Vorhandene nach den herrschenden Begriffen und
Bedürfnissen umgestaltend. Denn ein Kind seiner Zeit ist der Mensch,
und weder der Einzelne noch ganze Völker können sich ihrem mäch-
tigenr das Leben gestaltenden Einfluß entziehen. Die Kirche mit ihrem
geordneten Priesterthum und der Feudalismus mit seinem bevorrechteten
Adel beherrschten damals das christliche Europa: je mehr also in Un
garn das Christenthum Wurzel faßte, und europäische Gesittung sich
befestigte, desto größer und entscheidender mußte auch der Einfluß die
ser beiden Mächte werden; nur auf dem Wege, den sie bezeichneten,
konnte der Fortschritt geschehen. Von diesem Standpunkt müssen
wir die Zustände betrachten, die sich unter Koloman's Regierung ent
wickelt und gestaltet haben, wenn wir sie richtig beurtheilen wollen.
Die Gesetzsammlung, welche uns der Mönch Albericus überliefert hat,
muß uns beim Mangel anderer und reicherer Quellen großentheils als
Führer
Bisher
dienen.
war 1der königliche Hof allein die Gerichtsstelle der Großen und
Endlicher.
216 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
man den Bischöfen den Zehnt gebe" (25). Dieses Gesetz zeugt wieder
von der Unersättlichkeit der damaligen Bischöfe und von ihrer über
wiegenden Macht. Denn nur durch diese konnte ein solches Gesetz
gerade unter Koloman zu Stande kommen; wahrscheinlich benuzten
sie einen Augenblick der Bedrängniß, um ihm dasselbe abzupressen.
Die Kroaten fuhren fort, wie ehemals ihren eingeborenen Fürsten, auch
den ungarischen Königen die Steuern in Marderfellen zu entrichten.
Die Dalmatier genossen nach den vorhandenen Urkunden beinahe
gänzliche Steuerfreiheit. Dem König und Herzog wurde in jeder Ge
spanschaft, durch die sie reisten, ein Kriegspferd zur Benutzung gestellt;
starb dieses zufällig, so erhielt der Eigenthümer 15 Pensen, erlitt es
Schaden , die Hälfte dieses Betrages als Schadenersatz (36). Die freien
Leute lieferten als Staatsleistung bei dieser Gelegenheit Pferde, Wagen
und Dienerschaft
"Wie sehr sich(45).
die Landwirthschaft bereits gehoben und ihre Er
zeugnisse sich vermehrt haben mußten, lehrt schon die eine Thatsache,
• daß alle Bedürfnisse so vieler Tausende von durchziehenden Kreuz
fahrern befriedigt werden konnten, ohne das Land zu erschöpfen und
Mangel und Hungersnoth zu verursachen. Diese Durchzüge brachten
neben großen Beschwerden auch bedeutende Vortheile; Ungarn ward
durch sie zur großen Heerstraße zwischen Europa und Asien und ein
vielbesuchter Markt. Von nicht geringerer Wichtigkeit war die un
mittelbare Verbindung mit dem Meere, welche Koloman durch die Er
werbung der dalmatinischen Küste eröffnete. Auf beiden Wegen
strömten Käufer und Geld -herbei; der Fleiß des Landwirths und des
Gewerbsmannes ward durch höhern Absatz geweckt, das Volk kam
in vielfache Berührung mit andern Nationen, sein Gesichtskreis erweiterte,
ein allseitiger Verkehr belebte sich, Wohlstand und Bildung stiegen.
Leider griff die Gesetzgebung nicht fördernd, sondern hindernd ein im
Geiste einer unaufgeklärten Zeit. Noch wurden von jeder verkauften
Waare Marktzölle für den königlichen Schatz erhoben, ein Gesetz ver
fügt sogar, daß der kleine Handelsmann, der sich von seinem Geschäft
nährt, die übliche Taxe einfach, der große Kaufmann aber, „der sich
bereichern will", doppelt zahle (33, 34). Ebenso" blieb der Handel mit
. Rindvieh und Pferden über die Grenze den bekannten Beschränkungen
und Hindernissen unterworfen, welche ihm die Gesetze des Königs
Ladislaus
Auchentgegenstellten.
auf dem Gebiet der Kirche fanden während der Regierung
Augustin vom Papst Paschalis II. das Pallium fur den neuerwählten
Erzbischof von Spalatro, Crescentius, und forderte von diesem zugleich,
daß er den Eid leiste, den Gregor VII. den Bischöfen vorgeschrieben
hatte. Er sollte unter anderm schwören, „die Anschläge, welche ihm
der Papst mittheilen würde, niemand zu offenbaren; das römische
Papstthum und die Religion des heiligen Petrus wider jedermann zu
vertheidigen; die Rechte, die Ehre, die Privilegien und das Ansehen
sowol der römischen Barche als auch seines Herrn, des Papstes, und
seiner Nachfolger aufrecht zu erhalten, zu vermehren, zu befördern; die
apostolischen Befehle unterthänig aufzunehmen und sie mit allem Fleiß
zu vollziehen; endlich, wenn er aufgefordert würde, der römischen
Kirche auch weltliche Heerfolge zu leisten." Die ungarischen Bischöfe
im Gefolge des Königs erstaunten über die Zumuthung eines solchen
Eides, der König aber verbot dem Erzbischof, denselben abzulegen.
Als der Papst dieses erfuhr, gab er Crescentius einen sehr nachdrück
lichen Verweis, der im Grunde weniger ihm als dem Könige galt. So
entspann sich ein Streit; Paschalis suchte zu beweisen, daß schon
Christus von Petrus, ehe er ihm das Weiden seiner Schafe übertrug,
den Eid der Liebe gefordert habe; er klagte, daß in Ungarn ohne
Mitwirkung des Papstes nach des Königs bloßem Gutdünken Bischöfe
ernannt und von einer Kirche zur andern versetzt würden, daß diesem
Misbrauch aber durch den Eid abgeholfen werden solle u. s. w. Doch
den König rührte und störte dies nicht in der Behauptung seiner Rechte;
er beharrte auf dem Verbot, und der Erzbischof erhielt das Pallium
ohne Bisher
Eid. 1 hatten die ungarischen Könige Bischöfe, Aebte und Pröpste
ernannt und sie mit Ring und Stab investirt, ohne daß den Päpsten ein
fiel, sie in der Ausübung dieser Rechte zu hindern. Jetzt verlangte
Paschalis , daß der graner Erzbischof einen Theil seiner bisher geübten
Metropolitanrechte über die ungarischen Bischöfe an den päpstlichen
Stuhl abtrete, der König aber dem Rechte der Ernennung und Investitur
entsage. Koloman verweigerte standhaft jede Schmälerung der erz
bischöflichen Gewalt und damit der ungarischen Kirche, und beharrte
unerschütterlich auf dem königlichen Recht«der Ernennung. Weil er
aber sah, daß er allein nicht weiter zu behaupten vermöge, was die
meisten Fürsten aufzugeben bereits gezwungen waren, und daß bei
heftigem Widerstand auch das weit wichtigere Ernennungsrecht ver
loren gehen könnte, wie es in Deutschland bald darauf 1112 durch den
Calixtinischen Vergleich wirklich geschah, entschloß er sich, die In
vestitur dem Papst abzutreten. Durch eine Gesandtschaft ließ er den
zeigen
22. October
und versprechen,
1106 dem Concil
auch zu
andern
Guastalla
etwaigen
seineUebelständen
Verzichtleistung
bei an-
der hog
Besetzung
1 Fejer,der
Cod.
Bisthümer
dipl., II, abzuhelfen.
32, 37. Kollär,
2 DerHist.Papst
dipl. juris
begnügte
patronatus
sich regnm
damit
Hung., S. 54, 107. Vgl.Katona, Hist. regum Hung., III, 146. — 2 Endlicher, Mo-
Dumenta, S.375: „Denunciamus vobis, pater venerande, nos legi divinae sub-
ditos, ac secundum eam vobis servire paratos. Unde et investituram epis
218 Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
1111 nahme des' Papstes 1111 in einer Versammlung der Großen und
Bischöfe 2, doch sind die Beschlüsse derselben verloren. Die südlichen
Slawen in Dalmatien und Kroatien bedienten sich beim Gottesdienst
ihrer Muttersprache. Papst Innocenz IV. bestätigte den Gebrauch der
selben 1252 für die Dalmatier und besonders für die Benedictiner auf
der Insel Veglia. Die Uebersetzung des römischen Meßbuchs, Bre-
viariums und der Psalmen, welche Nikolaus von Arbe 1122 verfertigte,
mit glagolitischen
Die Angelegenheiten
Buchstaben
dergeschrieben,
Kirche wurden
ist nochnoch
vorhanden.
immer 3auf den
Evangelium, die Epistel und der Glaube, in kleinern der Glaube und
das Vaterunser dem Volke erklärt werden (2). Nichts werde in der
Kirche vorgelesen und gesungen, als was die Synode empfohlen hat
(46).
coporumUnwissende
hactenus a majoribus
dürfen nicht
habitam,
zu Priestern
et si quem
geweiht
in electione
werden,hujus
und wenn
modi
sie bereits geweiht sind, sollen sie entweder lernen oder abgesetzt
werden (6). Kein Priester oder Mönch werde ohne kanonisches Urtheil
seines Amts oder seiner Würde entsetzt; aber keiner darf auch seinen
Posten verlassen, er werde denn zu einem höhern Range befördert.
Niemand wage es, ein Kirchenamt zu kaufen oder zu verkaufen (23).
Der Kleriker oder Abt, der in kirchlichen Angelegenheiten das
bischöfliche Gericht übergeht und sich an den königlichen Hof oder
irgendein weltliches Gericht wendet, soll seine Sache verlieren und
Buße thun (25). Des Diebstahls schuldige Kleriker sollen Würde und
Vermögen verlieren , und wenn sie nichts besitzen, verkauft werden (57).
Kleriker sollen weder Gastwirthe noch Wucherer sein (58). Die
Bischöfe sind verpflichtet, in jeder Stadt zwei Zuchthäuser für die zur
BußeHinsichtlich
Verurtheiltender
zu bauen
Priesterehe
(49). wurde beschlossen, die noch un-
Bischöfe müssen drei Theile ihres Erworbenen der Kirche geben und
können nur über den vierten frei verfügen (12). Wenn Bischöfe bei
ihren Lebzeiten nicht für die Kirche, sondern nur für ihre Kinder
gesorgt haben, soll man nach ihrem Tode diesen die Hälfte der Ver
lassenschaft nehmen (13). Aebte dürfen ihren Aeltern nicht mehr Al
mosenWahrscheinlich
als andern Armen
fingen
geben
die (38).
Aebte überreicher Klöster bereits an,
(4— 7). Auch der Cölibat der Priester ist bereits vorherrschend ge
worden. Denn es heißt : „Kein Bischof befördere einen Kleriker zum
Diakonat oder zu einer höhern Stelle, wenn er nicht Enthaltsamkeit
gelobt, und, falls er eine Gattin hat, diese eingewilligt und dasselbe ver
sprochen hat" (9). „Kein verheiratheter Priester oder Diakon diene
de1n Altar, bevor er nicht mit Zustimmung seiner Gattin Enthaltsamkeit
gelobt, sie mit einem abgesonderten Wohnort und Lebensunterhalt ver
sehen und den Ausspruch des Apostels begriffen hat: „daß er zwar eine
Gattin habe, aber sein müsse, als habe er keine" (10). Die Verordnung :
„Eine Ortsgemeinde, in deren Mitte sich eine Kirche befindet, soll sich
von derselben nicht allzu weit entfernen, und wenn sie sich entfernte,
zehn Pensen zahlen und zurückkehren" (13), zeigt, wie viel Raum noch in
dem dünn bevölkerten Lande war, und daß noch immer viel Neigung
herrschte, die leicht gebaute Hütte ganz zu verlassen, oder doch sich auf
längere Zeit zu zerstreuen und besonders neue Weideplätze aufzusuchen.
Endlich wird noch auf die kirchliche Einsegnung der Ehen gedrungen.
„Jede eheliche Vermählung geschehe in der Kirche in Gegenwart des
Geistlichen, vor geeigneten Zeugen, und mit irgendeinem Zeichen der
Unterschrift nach der Zustimmung beider Brautleute, ansonsten werde
sie nicht
Die für
häufig
eineabgehaltenen
Ehe, sondernSynoden
für ein Concubinat
sind schon an
angesehen"
sich selbst
(16).
ein laut
auf die Cultur; sie standen jedem offen, der sie besuchen wollte, aus
ihnen gingen die Lehrer und Staatsmänner der damaligen Zeit hervor,
sie verbreiteten wenigstens mittelbar einiges Licht über die ganze Be
völkerung. Das größte Hinderniß aber, mit dem man damals zu kämpfen
hatte, war der außerordentliche Mangel an Büchern. Es ist ein unleug
barer Beweis der zunehmenden Geistesbildung, daß die Roichsgesetze
unter Koloman schon in ungarischer Sprache abgefaßt werden konnten;
die Volkssprache besaß also schon die Worte und Ausdrücke, die dazu
erforderlich waren, es mußte in ihr schon auch sonst über höhere Gegen
stände gedacht und geschrieben worden sein. Und gewiß gab es in den
stillen Klosterzellen auch in unserm Vaterlande Männer, die ihr Leben
dem Nachdenken und der "Wissenschaft, wie sie damals war, widmeten,
die ihre Gedanken niederschrieben, manche Nachrichten aufzeichneten und
besonders die Begebenheiten ihrer Nation der Vergessenheit zu entreißen
suchten. Aber ihre Schriften sind untergegangen in den schrecklichen
Verheerungen, dieJJngarn wie kein anderes Land trafen. Nur einige
wenige, nur Bruchstücke, deren Verfasser wir oft nicht einmal kennen,
sind meistens im Auslande entdeckt worden, wo sie Rettung gefunden
hatten. Wenn wir nicht irren, so hatte der Anonymus schon ein halbes Jahr
hundert früher „die Thaten der Ungarn" verfaßt; die Lebensbeschreibung
des heiligen Gerhard war vermuthlich der Hauptsache nach auch schon
vorhanden; und Bischof Hartvicus schrieb im Auftrag von König
Koloman das Leben Stephan's des Heiligen. Zu dieser Zeit oder.wenig
später müssen auch die Legenden der Heiligen Stephan und Emerich
entstanden sein, da die Handschriften, die wir von ihnen haben, aus dem
12. Jahrhundert herrühren. Die Gesetzsammlung des Albericus. und
die Acten der Synoden endlich kennen wir bereits. Leider sind alle
diese Schriften lateinisch; kein Blatt ist uns erhalten worden, das uns
die Klänge der Muttersprache, wie sie damals lauteten, wiedergeben
könnte.
Werfen wir nun noch einen Blick auf das Bild, welches uns die
Die
Stephan
Ungarn
IL bis
unter
auf Königen
die Ausstellung
aus Ärpäd's
der Goldenen
Stamme,Bulle
von
AlsJs Koloman starb, war sein Sohn Stephan erst 13 Jahre alt.
Während seiner Minderjährigkeit führten der Palatin Johann Uros und
der graner Erzbischof Laurentius die Regierung. Sie ließen es ihre erste
Sorge sein, den jungen König feierlich zu krönen.1 Aber die meist
unvermeidliche Schwäche einer vormundschaftlichen Regierung, der es
an dem nöthigen Ansehen gebricht und die mit Eifersucht zu kämpfen
hat, trat
Der gleich
Besitzanfangs
Dalmatiens
zu Tage.
und seiner Inseln war für Venedigs Handel
Foßlor. I. 16
226 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
1114 liehe
auch schon
Vortheile
ihr Herzog
dar. Kaum
Ordelaf
warFalieri
also Koloman
im August
gestorben,
1114 eine
so Flotte
führte
gegen Dalmatien. Die Insel und Stadt Arbe ergab sich sogleich frei
willig, indem der Herzog ihnen alle Freiheiten und Rechte, die sie von
Koloman erhalten hatten, zusicherte. x Hierauf steuerte die Flotte nach
Zara (Jadra) und eröffnete dessen Belagerung. Noch während
derselben folgten die andern Inseln dem Beispiel von Arbe; auch
die Küstenstädte öffneten den Venetianern ihre Thore, nur die
Castelle derselben, in denen ungarische Besatzungen lagen, leisteten
Widerstand.
Als Falieri im Herbst die Flotte nach Venedig zurückführte, hielt
die Besatzung der Citadelle von Spalatro, dessen Bürger sich auch zu
Venedig hinneigten, daselbst noch einen Schatten der ungarischen
Herrschaft kümmerlich aufrecht. Der Befehlshaber derselben wollte
diese wichtige Stadt für Ungarn sichern; Erzbischof Manasses, des
vorigen Königs Günstling, von der Bürgerschaft und dem Kapitel aus
Gefälligkeit gegen diesen nach des Crescentius Tod erwählt, bot seinen
Beistand an, und eine kirchliche Feierlichkeit sollte Gelegenheit geben,
die Bürger zu entwaffnen und die Stadt in die Gewalt der Besatzung
zu liefern. Man verabredete, die außer der Stadt auf dem Berge
Kyrieeleyson neuerbaute Kirche mit großem Pomp zu weihen, die Be
völkerung zur Feier des Festes hinauszuführen und unterdessen die
menschenleere Stadt zu überrumpeln. Allein der hinterlistige Anschlag
ward verrathen; der wachsame Prätor Adorian berief heimlich eine
Schar bewaffneter Trawer in die Stadt; größtentheils nur Kinder,
Frauen und Greise zogen mit dem Erzbischof und der Klerisei auf den
Berg ; die streitbare Mannschaft verbarg sich in den Häusern. Als die
Volksmenge bei der Kirche angelangt war, und die Feierlichkeit be
gonnen hatte, ertönte plötzlich vom Schloß herab Trompetenschall;
die Besatzung fiel aus, überstieg die Mauern und warf sich in die Stadt.
Da brachen die Spalatroer und Trawer aus ihren Verstecken hervor,
erschlugen die ihnen in die Hände fielen, zerstreuten die andern nach allen
Seiten hin und drängten die noch Standhaltenden in das Schloß zurück,
das sie nun umringten und anzündeten. Die meisten von denen, die sich
dahin zurückgezogen hatten, kamen in den Flammen um oder fielen
unter den Waffen der erbitterten Bürger, nur der kleinere Theil rettete
sich durch die Flucht. Auch der Erzbischof verließ Spalatro und kehrte
nie wieder zurück. 2 So beschleunigte der hinterlistige Anschlag das
Unheil, das er abwenden sollte, befleckte die Ehre Ungarns und ver
1115 mehrteVenedig
die Abneigung
rüstete sich,
der Dalmatier
den Kampfgegenim dessen
folgenden
Oberhoheit.
Jahre 1115 mit
Falieri mit starker Macht bei Zara. Das kleine Heer, welches der
Ban von Kroatien herbeiführte, ward unter den Mauern Zaras ge
schlagen und zerstreut, die ungarische Besatzung der Burg, jeder Aus
eicht auf Hülfe beraubt, übergab diese unter der Bedingung des freien
.Abzugs, und die Venetianer dehnten bei dem schwachen Widerstand den
sie fanden, bis zum Winter ihre Eroberungen auch an den Küsten Dal-
matiensWenn
immer
die weiter
Regentschaft
aus. 1 die unberechenbare Wichtigkeit, welche
Dalmatien für Ungarn hatte, auch nicht begriff und die großen Ent
würfe Koloman's nicht faßte, was ihre Nachlässigkeit in der Ver-
theidigung des Landes vermuthen läßt: mußten doch endlich so viele
Verluste und demüthigende Niederlagen sie zu größerer Anstrengung
und Thätigkeit spornen. Sobald der Frühling 1116 anbrach, sandte 1116
sie, unter wessen Führung ist nicht bekannt, ein starkes Heer nach
Dalmatien, das bis Zara vordrang und die Stadt belagerte. Bald
erschien auch Falieri zur Vertheidigung derselben und setzte seine
Truppen ans Land. Die Schlacht begann, die Venetianer wichen dem
stürmenden Angriff der Ungarn, der Herzog selbst fiel tapfer kämpfend,
und seine geschlagene Armee warf sich nach Zara. Jetzt ergaben sich
das flache Land und auch die Städte nacheinander, sodaß mit Ausnahme
Zaras und der Inseln ganz Dalmatien wieder unter die Herrschaft
Ungarns
In Venedig
zurückkehrte.2
brachten die Niederlage, der Tod des Dogen, der Ver
1115—17 gedauert, ist jedoch irrig, da derselbe mit der Niederlage und dem
Tode Falieri's bei Zara 1116 aufhörte. — 2 Dandulus, a. a. 0,, S. 267.
Farlatus, Illyricum saerum, I, 225. Codex Ambrosianus, bei Muratori. —
3 Dandulus, a. a. O., S. 267. Farlatus, a. a. 0., S. 225.
15*
228 Drittes Bach. Erster Abschnitt.
und angefangen haben, Einfluß auf die Regierung des Reichs zu nehmen.
Es scheint ihm nicht an natürlichen Anlagen, an Regsamkeit des Geistes,
an Muth und selbst an Herzensgüte gefehlt zu haben; aber schon in
zarter Jugend König und Herr, jeder Zucht entnommen und mit allen
Schmeicheleien und Genüssen des Hofs umgeben, wurde er leicht
sinnig und ausschweifend, leidenschaftlich und sogar, grausam. Zu
ernster Ueberlegung und beharrlicher Anstrengung unfähig, folgte er
das ganze Leben hindurch den Eingebungen plötzlicher Launen, handelte
ohne Nachdruck, überließ sich rücksichtslos dem Vergnügen und dem
Zorn, und verminderte hierdurch sein königliches Ansehen, das in, da
maliger Zeit weit mehr als jetzt von der Achtung abhing, die der
Herrscher durch persönliche Vorzüge einflößte. Sein launenhaftes un
stetes Wesen zeigte sich besonders in den unnützen Kriegen, die er
ohne Ursache unternahm und ohne Nachdruck führte, und in der Sorg
losigkeit, mit der er gerade die wichtigsten Angelegenheiten ver
1117 nachlässigte.
verständigen, sondern
So suchte
schickte
er nicht,
im sich
Jahremit1117
demund
Herzog
1118von
Kriegsscharen
Böhmen zu
1118
u. reich
aus, die
trugen,
Mähren
wahrscheinlich
verwüsteten weil
und ihre
Markgraf
Verheerungen
Leopoldauch
in freundschaft
nach Oester-
lichen
1 Thuröczy,
Beziehungen
II, 63.
zu Wladislaw
— 2 Cosmasstand,
Pragens,
bis beide
ad ann.angegriffene
1116. Pulkuwa
Fürsten
bei
Dobner, Monumenta hist. Bob.., III, 153. Annalista Saxo bei Pertz. Dubra-
vius, Hist. Boh., XI, 94, besehreibt die schreckliche Strafe, die Stephan an
Solt vollziehen ließ; Thuröczy aber berichtet, der König habe schmerzlich
bedauert, daß der Verräther dem Tode entronnen sei.
Aeußere Begebenheiten. Stephan n. 229
im Jahre 1119 ihre Streitmacht vereinigten, in das jenseit der Donau 1119
gelegene Ungarn verheerend einfielen und Eisenburg zerstörten. Nun
wurde wieder Friede, nachdem die einander zürnenden Herrscher ihre
Rachsucht
Die Feindseligkeiten,
an den unschuldigen
die Einwohnern
zwischen Stephan
gekühltund
hatten.
Wladislaw
1 ob
law's Tod, 1125, ein Ende; schon im folgenden Jahre kam Stephan mit
, 1126 dessen Nachfolger Sobeslaw in Ungarisch-Brod zusammen und schloß
mit ihm
Doch
einließ
Bündniß.
sich Stephan
3 nochmals in einen Krieg ein, der die Ver
3 Continuatio Cosmae Pragens, ad ann. 1126, bei Pertz, IX, 133. Marignol
bei Dobner, Monumenta, II, 22. — 4 Thuröczy, II, 63. Die verworrenen An
Aeußere Begebenheiten. Stephan IL 231
Stephan und den Ungarn Gelegenheit gab, mit Boris, dem Sohne der
verstoßenen Gattin Koloman's Pfdslawa, bekannt zu werden. Zweifel,
ob dessen Mutter wirklich die Schuld der Treulosigkeit auf sich geladen,
und Mitleid mit seinem traurigen Schicksal mochten den König für den
Jüngling erst freundlicher gestimmt, sein gefälliges Betragen ihn sodann
ganz für denselben gewonnen haben. Er schenkte ihm seine Gunst, be
wirkte, daß ihm Boleslaw von Polen seine Tochter zur Gemahlin gab,
und stattete ihn mit dem Fürstenthum Halitsch aus. 1 Manche von den
Herren aber, die den Feldzug mitmachten und dem einzigen ivrpadischen
Prinzen, dem blinden Bela, abgeneigt waren, ersahen Boris vielleicht
schon damals zum Nachfolger des bisjetzt kinderlosen Königs und
blieben ihm treu ergeben. Wie viel Zwietracht und Jammer hieraus
für Ungarn entsprang, werden wir bald, sehen.
Während Stephan in Rothrußland kriegte, unternahmen einige Her
ren aus den westlichen Grenzgegenden eigenmächtig Streifzüge nach Steier
mark,
gaben plünderten
der alten Chronisten,
dasLand unddes schleppten
Dlugoss, Hist.
eineMenge
Poloniae,
Gefangener
VI, 425 —429,
mit sich*
des
— 2 Thuroczy, II, 63. Sonst findet sich nirgends eine Spur von diesem
Saul und dem Vorhaben , ihn auf den Thron zu erheben. — 3 Die Urkunde
Geiza's II. vom Jahre 1158, bei Fejer, Codex dipL. II, 151. — * Thuröczy,
D, 63.
Aeußere Begebenheiten. Stephan II. 233
widerte den Schimpf mit noch ärgern Schmähungen; beide rüsteten sich
für das künftige Jahr zu wichtigem Unternehmungen. x
Stephan forderte auch seinen Bundesgenossen, Sobeslaw von Böhmen,
auf, die vertragsmäßige Hülfe zu leisten; dieser erfüllte, wiewol er Schwie
gersohn des verfolgten Älmos war, die Bundespflicht und schickte
seinen Neffen Wenzeslaw mit auserlesener Mannschaft nach Ungarn.
Als die vereinigte Heeresmacht der Ungarn und Böhmen ins Feld ziehen
sollte, erkrankte der König in Erlau; baldige Genesung war nicht zu
hoffen, und er sah sich genöthigt, den Grafen Steffaning, der Königin
Bruder oder Verwandten, zum Oberbefehlshaber zu ernennen, 1129. 1129
Unterdessen führte der Kaiser ein großes Heer, in welchem sich auch
persische und genuesische Hülfstruppen befanden, an die Save; die Un
garn eilten an die Donau. Zuerst lieferten sich die Flotillen beider
Theile auf dem Strome ein Treffen, in welchem die Byzantiner durch
Uebermacht und ihr griechisches Feuer siegten ; hierauf machte Johan
nes Scheinangriffe, als wollte er den Uebergang über die Donau der
Burg Haram (jetzt Neu-Palanka) gegenüber erzwingen, schickte aber,
während er den Feind hier beschäftigte, einen Theil seines Heeres
weiter hinauf, der dort plötzlich über den Strom setzte und den Un
garn, die längs des Flusses Krassö standen, unvermuthet in den Rücken
fiel. Die ungarische Hauptmacht kämpfte noch auf den Inseln und Sand
bänken , welche die Donau hier bildet, um den Griechen den Uebergang
zu wehren; da sehen sie die Ihrigen plötzlich angegriffen und hart be
drängt und eilen ihnen zu Hülfe; aber die Schiffbrücke über den linken
Donauarm reißt entzwei, viele finden in den Fluten ihr Grab, die Ver
bindung ist abgebrochen, die Verwirrung wird allgemein ; niemand macht
dem Feind den Uebergang weiter streitig; das Heer wird von zwei
Seiten gefaßt; es rettet sich wer kann; die Tapfersten bedecken todt
das Schlachtfeld, unter ihnen die Grafen Ciz und Kladian. Gleich
nach der Schlacht erstürmen die Griechen Haram, dessen Besatzung
sich jedoch durchschlägt, und bald darauf nehmen sie auch Semlin und Bel
grad. Hierauf zog der Kaiser vom Kriegsschauplatz hinweg und ließ
nur einen Theil seiner Kriegsvölker unter des Curtitius Oberbefehl
zurück.
Zu 2dem unglücklichen Verlauf des Krieges trug gewiß ein Ereigniß
Jetzt nahm auch der Krieg eine andere Wendung. Stephan hatte
ein frisches Heer herbeigeführt, das er mit dem geschlagenen vereinigte,
nahm Haram und Semlin, verjagte den Feind aus ganz Sirmien, setzte
über die Donau, eroberte und zerstörte Branizowa neuerdings. Die
Serben im Einverständniß mit den Ungarn bemächtigten sich Racznafenrgs
(Rasum). Durch diese schnellen und großen Verluste bewogen, kehrte
auch der Kaiser noch im Herbst mit einer Armee an die Donau zurück.
Er beschuldigte seinen Feldherrn Curtitius des Verraths und ließ ihn
geiseln; den Befehlshaber von Rasum aber klagte er der Feigheit an,
ließ ihn in weiblicher Kleidung auf einen Esel setzen und zur Schau im
Lager umherführen. So wollte der Despot, was er durch seinen vor
eiligen Abzug vom Kriegsschauplatz und durch Verminderung des
Heeres selbst verschuldet hatte, auf andere wälzen, und die feigen
Sklaven ertrugen geduldig solche Schmach. Hierauf befahl er, in Eile
und mit höchster Kraftanstrengung die Festungswerke Branizowas her
zustellen; allein der einbrechende Winter, Mangel an Mundvorrath und
überhandnehmende Krankheiten, die das Lager mit Leichen füllten, rich
teten sein Heer zu Grunde. Schon rüstete sich Stephan, dasselbe plötzlich
zu überfallen und zu vernichten, da brachte eine vornehme italienische
Frau Rettung, die dem Kaiser noch zu rechter Zeit den Anschlag des
Königs verrieth. Zu schwach, den Kampf aufzunehmen, zog sich Kalo
johannes über die Karadagher Bergkette zurück, wo ihn die nach
setzenden Ungarn zwar zu keiner Schlacht zwingen konnten, aber seinem
Nachtrab große Verluste zufügten und das ganze Gepäck der Armee
erbeuteten.
Älmos,1 der die Veranlassung zum Kriege gegeben, hatte schon im
1128 ersten Jahre desselben, 1128, sein mühseliges Leben beschlossen; der
wechselvolle und erfolglose Kampf kühlte den Zorn der Herrscher,
und warnende Zeichen des zunehmenden Misvergnügens über das nutzlos
verschwendete Gut und Blut mochten besonders Stephan zum Frieden
stimmen. Er sandte den kalocsaer Bischof Fulbert an den Kaiser und
ließ ihn zu einer persönlichen Zusammenkunft einladen. Sie fand auf
einer Insel der untern Donau statt, und die Fürsten schlossen dort nach
vielfachen gegenseitigen Vorwürfen und Entschuldigungen endlich
Frieden.2 Der Tod versöhnte Stephan auch dem hingeschiedenen
Älmos; vielleicht gerührt durch dessen trauriges Schicksal, vielleicht
auch bewogen durch die Rücksicht auf seinen Bundesgenossen Sobeslaw,
gab er dem Bischof Fulbert außer /lern obenerwähnten auch den Auf
trag, den Leichnam des Verstorbenen nach Ungarn zu bringen, den er
mit allen Ehren im stuhlweißenburger Dom beisetzen ließ. 3
Uebcrhaupt ging um diese Zeit in dem Gemüthszustand Stephan's
eine große Veränderung vor sich. Das steigende Misvergnügen des
Volks, das sich in mancherlei Erscheinungen unverkennbar enthüllte,
nebst den wiederholten Versuchen einiger, sich auf den Thron zu
— 2 Thuröczy, II, 63. Was Schier (Reginae Hungariae etc., S. 103 fg.) da
gegen
genealogische
sagt, istKenntnisse
Künstelei; zuer großen
legt aufWerth.
des unkritischen
— 3 Die Urkunde
Cinnamus
Uladislaus
ungarisch-
II.
von 1494, bei Pray, Annales, I. Katona, Hist. Regum, III, 452.
236 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
nehmen. 1 Doch der Tod vereitelte diesen Vorsatz. Als Stephan das
Herannahen seines Endes fühlte, ließ er , nach der andächtigen Hofsitte
jener Zeit, alle Zeichen irdischer Hoheit von sich entfernen, sich in ein
Mönchsgewand kleiden und zum Mönche einsegnen. So starb er im
1131 April 1131 im dreißigsten Jahre seines Lebens; seinem Willen gemäß
ward er in Großwardein zu den Füßen seines damals schon hochgeehr
1131 ten und
Amspäter
28. April
heilig
Bela
gesprochenen
1131
II. oder
wardBlinde,
Großoheims,
Bela zu1131—1141.
Stuhlweißenburg
Ladislaus I., beigesetzt.2
gekrönt*
Den Blinden konnte zwar der Krone Glanz nicht blenden, aber die
Nacht, welche das Auge des Körpers umhüllte, verdunkelte auch den
Blick des Geistes ; nie konnte er sich zur klaren Erkenntniß der Dinge
und zur Selbständigkeit des Handelns erheben, nie seinen Leiden
schaften gebieten und fremder Leitung entbehren. Als er den Thron
bestieg, bestanden zwei Parteien in Ungarn. Viele zweifelten, daß ein
Mann, der von seiner Kindheit an blind gewesen und abgeschieden von
der Welt in heimlicher Verborgenheit gelebt habe, fähig sei, ein großes
Land mit Weisheit und Kraft zu regieren; andere erblickten in Boris
das Opfer des ungegründeten Verdachts und des Hasses , dem seine Mutter
unterlegen war, und betrachteten ihn als den rechtmäßigen Thronerben;
die endlich, die einst auf Koloman's und Stephan's Seite" gestanden und
zu harten Maßregeln gerathen hatten, sahen mit banger Besorgniß die
Krone auf dem Haupte dessen, der ihnen, als den Urhebern der eigenen
und seines Vaters Leiden, zürnen mußte; sie alle würden weit lieber
Boris zu ihrem König erwählt haben. Diesen gegenüber standen alle,
die aus welchen Ursachen immer mit der vorigen Regierung unzu
frieden waren, alle,^ die selbst oder deren Väter und Verwandte ihrer
Anhänglichkeit an Almos wegen gelitten, alle, die im Exil gelebt hatten
und nun zurückkehrten: sie freuten sich des neuen Herrschers, in
dessen Erhebung sie den Sieg der eigenen Sache erblickten, von dem sie
Lohn für ihre Treue und Bache für die erduldete Unbill hofften. Auf
dieser Seite befand sich auch die Geistlichkeit; konnte sie doch von
einem König, den sie gerettet und erzogen, zu dessen Erhebung sie
viel beigetragen hatte, nur Gunst und Vortheil erwarten. Diese
Parteien unterschieden sich bisjetzt blos durch ihre Gesinnung; zu
offener Spaltung, zu Thaten der Feindseligkeit war es noch nirgends
gekommen. Ein weiser und kräftiger Regent würde sich über beide
erhoben, die Misvergnügten durch unparteiische Gerechtigkeit versöhnt,
die eigenen Anhänger in den Schranken der Mäßigung erhalten, all
mählich Eintracht und Frieden gestiftet haben und ein Wohlthäter des
Vaterlandes geworden sein. Diesen erhabenen, heilbringenden Stand
punkt1 Thuröczy,
einzunehmen,
II, 63.warMuglen,
Bela viel
Kap.zu49.arm
— an
2 Xhuröczy,
Einsicht, II,
Kraft
64. —
und» Edel-
Chro-
muth; in seinem Herzen kochte das Gefühl des Hasses, welches noch
genährt wurde durch die Rathschläga derer, die er für seine treuesten
Freunde hielt ; er erniedrigte sich zum Haupt und Werkzeug einer Par
tei, die nach Rache dürstete. Verrath, Mord, Elend und Schande
folgten
Unablässig
daraus. durch den jammervollen Anblick des blinden Gemahls
empört, auch von Verdacht und Furcht getrieben, trat die leidenschaft
liche Königin an die Spitze eines geheimen Complots, um alle Gegner mit
einem Schlage zu vernichten. Angeklagt und gerichtet konnten diese
nicht werden, denn sie hatten als treue Diener ihres Königs und auf
dessen Befehl gegen wirkliche oder vermeintliche Empörer gehandelt ;
offene Gewalt wollte man gegen sie nicht anwenden, weil viele unter
ihnen zu mächtig waren und andere durch Flucht sich der Rache ent
zogen hätten; man schritt also zu arglistigem Verrath, der sie in
die Hände ihrer Feinde liefern und unrettbar verderben sollte.
Kaum denkbar ist es, daß Bela von dem finstern Plan nichts gewußt
habenEinsollte.
allgemeiner Reichstag wurde 1132 nach Arad zusammen
Lib. VI. Katona, Hist. Regum, und andere setzen den berüchtigten Reichstag
in das Jahr 1136. Doch Thuröczy berichtet ausdrücklich, von den Flücht
lingen aufgefordert, habe Boris seine Ansprüche auf den ungarischen Thron
mit Waffengewalt geltend zu machen versucht, und von jenen sei auch Bo-
leslaw, ihn zu unterstützen, bewogen worden. Die Kriege, die hieraus ent-
238 Drittes Buch. Erster Abschnitt
t
und der Habsucht, die nach ihrem Vermögen dürstete, gefallen sein!
So wurde der heilige Sitz der Gesetzgebung durch blutigen Frevel und
Raub entweiht; der König, der natürliche Hüter des Gesetzes, that
keinen Einspruch; die Geistlichkeit, die Botin des Friedens, erhob
sich nicht, dem Blutvergießen zu wehren, sie ließ es sich vielmehr
gefallen, da ein großer Theil der eingezogenen Güter der Kirche ge
schenkt und namentlich auch zur Dotirung des neitraer Bisthums ver
wendet
Vonwurde1;
diesem die
Tage
schreckliche
an wankteThat
derfand
Thron
sogar
Bela's;
Lobredner.2
die verdächtige
Partei, welche vernichtet werden sollte, wurde jetzt erst furchtbar und
konnte nur nach langem Kampf und neuen Frevelthaten besiegt werden.
Der Hof erkannte die drohende Gefahr und suchte sich durch äußere
Bündnisse gegen Aufstände im Innern zu stärken. Auf Sobeslaw von
Böhmen konnte man zuversichtlich rechnen; er war des Königs
Schwager und hatte unlängst auf ähnliche, wenn auch minder empörende
Weise seine Gegner vernichtet. 3 Ein neuer Bundesgenosse wurde an
dem Markgrafen von Oesterreich Leopold III. oder Heiligen erworben,
dessen Sohn Albert sich mit einer zweiten Schwester Bela's, Adelheid,
vermählte.4
Haß, Rachsucht und Verzweiflung im Herzen, sammelten sich in
stürzten die Höflinge und deren Schergen auf sie, der Obergespan
Lambert flüchtete zu den Füßen des Königs und wurde dort von der
verruchten Hand des eigenen Bruders erschlagen; sein Sohn Nikolaus,
Majnold, aus demjGreschlechtÄkos, und noch mehrere wurden gleichfalls
hingemordet; Andere, wie Theodor, aus dem Geschlecht Simad, Folkus,
Titus und Sämson retteten sich in das Lager der Polen. Der letzt
genannte Sämson unternahm einige Tage darauf ein merkwürdiges
Wagstück; er trat plötzlich in das Zelt des Königs, forderte ihn mit
heftigen Schmähworten auf, den Thron zu räumen, der ihm nicht
gebühre und in ein Kloster zu gehen, für das er geschaffen sei, und war
wieder fort, ehe die durch solche Kühnheit verblüfften Höflinge zur Be
sinnung kamen. Aber der Waffenträger des Grafen Bod schwang sich
auf ein Pferd, verfolgte und durchstach ihn, als er über den Sajo
setzenUngeachtet
wollte. 1 die feindlichen Heere blos durch den Fluß, der leicht
rüstete, abzuhalten, fiel Sobeslaw am 16. Juni des folgenden Jahres 1133
abermals in Schlesien ein und zerstörte gegen 300 Dörfer. Aber
Boleslaw hielt seine Unternehmung mit solcher Beharrlichkeit fest, daß
er diese Verheerungen vorderhand ungestraft ließ , und sobald Boris mit
größerer Streitmacht als im vorigen Jahre aus Rußland angekommen
war, trat er den Feldzug an und drang tief nach Ungarn ein. Drei
verwüstende Einfälle, die während seiner Abwesenheit Sobeslaw nach
einander in die polnischen Länder machte, konnten ihn nicht zur Um
kehr bewegen. 3 Bela wartete jenseit der Donau in der Gegend um
Visegrad auf die Ankunft der Hülfstruppeu, welche ihm Leopold von
Oesterreich
1 Thuröczy,
versprochen
II, 64. —hatte;
2 Continuatio
Sobeslaw Cosmae
schlug Pragens,
sein Lager
bei am
Pertz,
Waag-
IX,
138. Otto Frisingens., VIII, 21. Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen,
I, 409. — 3 Continuatio Cosmae Pragens., a. a. 0.
240 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
fluß auf1; Boleslaw konnte also ungehindert immer weiter in das Innere
Ungarns vorrücken und ungeheuere Beute machen. Um die Mitte Juli
trafen endlich die Oesterreicher ein, geführt von des Königs Schwager
Albert; die vereinigten Armeen gingen nun über die Qonau und griffen
den Feind an; die Gegend, wo der Kampf stattfand, wird nicht näher
bezeichnet, am 22. Juni entbrannte die heftige Schlacht; die Ungarn
auf dem einen , die Oesterreicher auf dem andern Flügel siegten, ver
1134 folgten
meinschaftlich
das geschlagene
mit den Böhmen
Heer nach
im folgenden
Schlesien und
Jahrerieben
fast gänzlich
es dort auf.
ge-
Unter den Ungarn thaten sich auf königlicher Seite Maximilian, Gab,
Vasas und Bätor besonders hervor; von den Häuptern der Gegen
partei wurden Vitalis, Andreas und Theodor, der heftigste Anstifter des
Kriegs,
So gefangen.'2
hatte die eine Partei, die den willenlosen Bela beherrschte,
geschlossen. 8 ^
Unterdessen nahm auch das Schicksal des unglücklichen Boris
eino ungünstige Wendung. Er wurde durch einige verbündete russische
Fürsten aus Halitsch 1135 vertrieben und genöthigt, nach Polen zu
fliehen; als er 1137 einen Versuch machte, sein Fürstenthum wieder
einzunehmen, wurde er vor der Stadt Halitsch gänzlich geschlagen4;
endlich verlor er auch am 28. Oct. 1138 durch den Tod seinen Be
schützer Boleslaw. Von nun an war er ein heimatloser Flüchtling,
ein Prätendent, der von einem Fürstenhof zum andern wandernd, wenn
man ihn als Werkzeug gegen Ungarn brauchte, aufgenommen, wenn er
abgenutzt
Seit dieser
war, weggewiesen
Zeit lebte Bela
wurde.
in Ruhe, die weder durch innere noch
äußere Feinde gestört wurde. Aber für des Landes Fortschritt und
Wohlfahrt geschah nichts, was auffallend und wichtig genug ge
wesen wäre, durch die Geschichte überliefert zu werden und uns mit
den Greuelscenen, durch die seine und seines Hauses Herrschaft befestigt
wurde, versöhnen könnte. Für die Kirche oder eigentlich für die
Geistlichkeit
1 Pulkawabewies
bei Dobner,
Bela Monumenta.
viel wohlwollenden
Vgl. Palacky,
Eifer; a. era. gründete
0. — J oder
Thu-
röczy, II, 64. Otto Frisingens., VII, 21. Excerpta Richardi bei Pray, An
nales Begni Hung., I, 126. — ' Continuatio Cosmae Pragens, ad ann. 1135
u. Otto Frisingens., a. a. O. — * Chronic. Austrate, Claustro -Neoburgense,
Zwetlense bei Pez.
Innere Zustände. 1114 — 1141. 241
berichten sie doch auch, daß er dem Trunk ergeben war, im Rausche
allesMögliche andieHöflinge verschenkte, eines Tages die Hinrichtung der
Mönche Pöcs und Saul befohlen und sich endlich die Wassersucht zuge
zogen habe. Er starb am 13. Februar 1141, etwas über dreissig Jahr 1141
alt, und wurde seinem Vater zur Seite in Stuhlweißenburg begraben.
2. Innere Zustände.
110, und 94. — 2 Ebend., S. 82. Katona, Hist. Reg. Hung., III, 528. —
3 Thomas Archidiac. Spalat. , Hist. Salonit., c. 19. Fejer, Codex dipl., II,
113. — 4 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1134. — 5 Ebend. und Pulkawa,
bei Dobner, Monumenta, III, 158. — 6 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1137.
— 7 Continuat. Cosmae Pragens, u. Marignol, bei Dobner, Monumenta. —
8 Continuat. Cosmae Pragens, ad ann. 1139. Vita S. Ottonis Episc. Bambergensis,
bei Katona, Hist. Reg. Hung., III, 531. — 9 Thuroczy, Muglen, Bonfinius.
Fettler. I. 16
242 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
traten auch sichtbarer die traurigen Folgen zu Tage, die aus der über
handnehmenden Verschleuderung der königlichen Güter und Gefälle
und der zu den Gespanschaften gehörenden Staatsländereien ent
sprangen. Schon war durch königliche Schenkungen der größere Theil
derselben in den Besitz der Bischöfe, Aebte, Pröpste und weltlichen Herren
gekommen, wie sich allein aus noch vorhandenen Urkunden leicht be
rechnen läßt; und wie viel mochten noch außerdem einzelne Mächtige,
besonders in den Tagen innerer Wirren, durch List und Gewalt an sich
gebracht haben! Hierdurch erlitten die königlichen Einkünfte, die von
denen des Staats nicht geschieden waren, eine höchst nachtheilige Ver
minderung, die sich bei allen öffentlichen Angelegenheiten fühlbar machen
mußte. Die Jobbagyones castri, jene freien Leute, die auf diesen Barglän-
1 dereien saßen und die schlagfertige Miliz bildeten, waren meistentheils zu
Hörigen des hohen Adels ' herabgedrückt, und was von ihnen noch
übrig blieb, reichte nicht mehr hin zur Vertheidigung des Vaterlandes.
Ueberhaupt verschwindet um diese Zeit der wahre Kern des Volks, die
Gemeinfreien; ihrer geschieht in Gesetzen und Urkunden kaum mehr
Erwähnung. Die durch übermäßige Vermehrung ihres Grundbesitzes
übermächtig gewordenen Großen verschlangen das kleine Besitzthum
ihrer schwachen Nachbarn und machten auch deren Person sich unter-
than. ' Ungeachtet also die eigentliche Sklaverei sich gemildert hatte
und bereits im Verschwinden begriffen war, theilte sich dennoch das
Volk immer auffallender in zwei Klassen, in die der Herren und der
Knechte. Welche Verwirrung vollends der grauenvolle Reichstag zu
Ärad und die Auftritte, die ihm folgten, in alle Verhältnisse und beson
ders in den Besitzstand bringen mußten, läßt sieb? kaum vorstellen. Viele
der angesehensten und reichsten Herren fanden den Tod oder mußten
das Vaterland verlassen, ihre Güter wurden eingezogen, ihre Familien
ausgerottet oder ins Elend gestossen, ein großer Theil des noch übrigen
alten Stammadels wurde vernichtet; was man ihnen geraubt, ward
wol größtentheils der Lohn derer, die sich zu Werkzeugen der Rache
hergegeben hatten ; auf letztere ergossen sich die königlichen Gunstbezei
gungen, in ihren Händen häufte sich übermäßiger Reichthum an, ein
neuer Grund wurde gelegt zu jener Oligarchie, unter deren Druck schon
in den nächsten Zeiten das Volk seufzte. So ward der König entblößt
von den nöthigen Hülfsmitteln und abhängig von dem guten Willen der
Großen, die Mittel und Wege genug fanden, sich den Staatslasten zu
244 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
1135 und
neuerSchenkungen
Orden. Wiefür
Stephan
Mönche
diewurde
Prämonstratenser;
vermehrt durch
so berief
die Einführung
Bela 1135
die Cistercienser aus Clairvaux, gründete für sie das erste Kloster bei '
der Burg Toplicza im varasdiner Comitate Kroatiens, und gab dem
Orden das Privilegium, daß dessen ungarische Klöster fortwährend
unter der Aufsicht des Abtes von Citeaux stehen sollten; ein Privilegium,
das die bischöflichen wie die Rechte des Staats beeinträchtigte und den
Orden dem Vaterlande entfremden mußte. x Auch das neitraer Bis-
thum wurde um diese Zeit erneuert. Seit Bischof Viching beim Einfall
der Magyaren in Großmähren die Flucht ergriffen hatte, war zu Neitra
kein Bischof mehr; Stephan der Heilige fand nur noch Priester, die er zu
' einer Propstei vereinigte und der Gerichtsbarkeit des graner Erzbischofs
unterordnete. So blieb es bis auf Bela II.; dieser, wenn nicht schon
Stephan II., erhob die Propstei zum Bisthum, dotirte dasselbe, wie
1133 schon
tags conflscirt
berichtet worden
wurde, »waren,
mit Besitzungen,
und ernannte
die infolge
1133 den
des ersten
araderBischof;
Reichs-
doch blieb Neitra längere Zeit das ärmste Bisthum Ungarns. 2 Zum Heil
mittel für seine und seiner Nachfolger Seele schenkte Bela ferner dem
Erzbisthum von Spalatro die Marienkirche von Salona sammt allen ihr
angehörenden Gütern und Einkünften. 3 Mit den Königen wetteiferten
fromme Große in der Freigebigkeit gegen Stifter, besonders gegen Klö
ster; Geringe opferten ihnen ihre kleine Habe und gaben ihnen sogar
ihre Person
1 Heimb.in Notitia
Dienstbarkeit.
historicaDie
Abbatiae
Geistlichen
S. Gotthardi,
selbst mehrten
S. 31 u.
überdies
150. Mauri-
durch
angeblicher Decretalen der Päpste unter dem Namen des berühmten Bischofs
von Sevilla (um 600), Isidorus, bekannt, durch welche nachgewiesen werden
sollte,
thums daß
die Rechte
die Päpste
geübtund
haben,
Bischöfe
die sie
seit jetzt
den beanspruchten.
frühesten ZeitenHeutzutage
des Christen-
be
streitet kein Mensch mehr, daß diese Decretalen ein untergeschobenes Mach
werk sind, damals aber wurden sie für echt gehalten und von den Päpsten
und Lehrern des kanonischen Rechts als glaubwürdige Urkunden gebraucht;
sie waren eins der wirksamsten Mittel, durch welches sich die Anmaßungen
des römischen Stuhls in anerkannte Rechte verwandelten. — 2 Thomas Ar-
chidiac. Spalat., Historia Salonitana, c. 19. Fejer, Cod. dipl., II, 113.
246 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
Geleiza war beiläufig zehn Jahre alt, als er am dritten Tage nach
dem Begräbniß seines Vaters zu Stuhlweißenburg gekrönt wurde. x
An der Spitze der Regentschaft, die während seiner Minderjährigkeit
die Regierung führte, stand Belus, Serbe von Geburt, Schwestermann
der Königin Helene2, ein Mann voll Einsicht und Kraft; die andern
Mitglieder derselben waren: der Erzbischof von Gran, die Grafen
Kalän,
Eine
Gerkon,
feierliche
Paul Gesandtschaft,
und Värnold. von dem Ungarn treu ergebenen
das Vaterland dadurch, daß sie neue Colonisten herbeirief. Die emsigen
Bewohner der flachen Küsten Flanderns zwischen Grevelingen und den
Rheinmündungen hatten sich lange Zeit durch mächtige Dämme gegen
die Wogen des Meers geschützt, aber 1129 — 35 durchbrachen diese die
Dämme1 Thuröczy,
und verschlangen
II, 66. — ihre
2 Wahrscheinlich
Felder und Wohnungen.
ist es, daß er Ungarns
So wurden
Palatin
sie
war, denn diesen machte schon damals der Gebrauch und später das Gesetz,
das aus jenem entstand, zum jedesmaligen Stellvertreter des Königs, zum
Vormund und Regenten während dessen Minderjährigkeit. In Urkunden
heißt er bald Bän, bald Herzog. — 3 Farlatus, Illyric. sacr., III, 172.
248 Drittes Bnch. Zweiter Abschnitt.
gezwungen, eine neue Heimat zu suchen. Sie zogen an die Ostsee und
in andere Gegenden des weiten Herzogthums Sachsen — ja nicht zu
verwechseln mit dem heutigen Königreich Sachsen und den sächsischen
Herzogthümern — ; aber die Hungersnoth, die um diese Zeit beinahe in
ganz Europa herrschte, und das Elend, welches innere Unruhen und
Fehden über Deutschland verbreiteten, nöthigten sie neuerdings, auch
von dort in großen Scharen auszuwandern. Ungarn nahm die Menge
der Heimatlosen und alle, die aus verschiedenen Gegenden Deutsch
lands sich ihnen anschlossen und folgten, gastlich auf und ward ihr
Vaterland. Ungeachtet diese Einwanderer ihrem Hauptbestandtheil
nach Flanderer waren 1, wurden sie dennoch alle Sachsen genannt, weil
sie zunächst aus dem Sachsenlande kamen und viele Sachsen sich ihnen
anschlossen. Sie ließen sich in verschiedenen Gegenden nieder, grün
deten Städte und Dörfer und widmeten sich dem Land- und Bergbau,
dem Gewerbe und Handel ; besonders wichtig sind ihre Niederlassungen
. in Siebenbürgen
Durch die Häufigen
und in derund
Gespanschaft
verwüstenden
Zips.
Einfälle der Petschenegen
bezeugt eine Urkunde des päpstlichen Legaten, Cardinal Georgius, vom Jahre
1189,. bei Fejer, Cod. dipl., II, 250. — 3 Im Dom zu Kronstadt befindet sich
die Inschrift: „1143 Geiza IL, avus Andreae regis Saxones evocavit in
Transsylvaniam." Auch der Freibrief, in welchem Andreas IL ihre Rechte
bestätigt, setzt ihre Einwanderung in die Zeit Geiza's IL Fejer, Cod. dipl.,
II, 250, und Endlicher, Monumenta, S. 420 fg.
Aeußere Begebenheiten. Geiza II. 249
beide1 Schlötzer,
die der Deutschen
Geschichteinder
denDeutschen
zipser Bergstädten,
in Siebenbürgen
woraus
(Göttingen).
sich mit
hierdurch alle Hoffnung auf russischen Beistand und ging zuerst nach
Konstantinopel, nachdem er aber dort nichts ausrichtete, zu dem deutschen
Kaiser Konrad. Hier fand er eine ihm günstigere Stimmung, unge
achtet Konrad's Sohn Heinrich mit Geiza's Schwester Adelheid verlobt
war. Denn der Böhmenherzog und seine Gemahlin Gertrud, eine
Halbschwester des Kaisers, verwendeten sich eifrig für ihn, ebenso der
Markgraf von Oesterreich, damals zugleich Herzog von Baiern, Hein
rich Jasomirgott; und Konrad selbst, wiewol Arnold von Brescia, der
' schwärmerische Apostel religiöser und bürgerlicher Freiheit, Italien
mächtig aufregte, und Welf VI. in Deutschland seines Hauses Ansprüche
auf das Herzogthum Baiern mit den Waffen geltend machte, konnte
doch der für die meisten Beherrscher Deutschlands so verlockenden
Aussicht, Einfluß auf Ungarn zu üben, es vielleicht ihrer Hoheit zu un
terwerfen, nicht widerstehen und zeigte sich bereit, Boris in seinen Un
ternehmungen
Hieraus entstanden
zu unterstützen.
Verwickelungen, versteckte Angriffe und offene
Schier, Reginae Hung., S. 114. Nach der Sitte der damaligen Zeit kam sie
wahrscheinlich nach ihrer Verlobung nach Ungarn, um hier erzogen zu wer
den. — 8 Otto Frisingens., Lib. VII, c. 34. Arenpeck, beiLeibnitz, Scriptores
rerum Brunsvic., III, 665. Hanthaler, Fasci Campil., Tom. I, Elog. VIII, 293.
A eußere Begebenheiten. Geizall. 251
festnngen, zur Theilnahme und eroberte 1146 mit dessen Hülfe durch 1146
plötzlichen Ueberfall Presburg. Der Verlust der wichtigen Stadt
schmerzte die Ungarn tief; zu ihrer Rückeroberung wurde die Kriegs
mannschaft einiger benachbarter Gespanschaften aufgeboten, welche
jedoch die Besatzung, die von einem Theil der Einwohner unterstützt
wurde, nicht überwältigen konnte. Da zog der König selbst herbei; die
Besatzung verzweifelte nun daran , sich vertheidigen zu können, und er
bot sich, die Stadt für 3000 Goldstücke (tria millia librarum) nebst
freiem Abzug zu übergeben. Geiza nahm diese Bedingungen um so
lieber an, da der Krieg mit Deutschland bereits unvermeidlich geworden
war und ihm viel daran lag, noch vor dem Beginn desselben in den
Besitz des festen Platzes zu gelangen. l
Auf dem Leerfelde (deserta Bojorum), zwischen Wieselburg und
der Leitha, sammelte sich die ungarische Kriegsmacht, die von den
deutschen Chronisten auf 70000 Mann angegeben wird; auf der linken
Seite der Leitha zog Heinrich Jasomirgott den österreichischen, bai-
rischen und sächsischen Heerbann in das Lager an der Fischa zu
sammen. Am Morgen des Schlachttags, den 11. September 1146, begab 1146
sich der König mit großem Gefolge in die damals aus Holz, jetzt aus
Stein erbaute, auf einem mäßigen Hügel zwischen Zorndorf und Gatten
dorf stehende Kapelle der heiligen Anna, wo er feierlich unter religiösen
Ceremonien wehrhaft erklärt und mit dem Schwert umgürtet wurde.
Hierauf stellte der kriegserfahrene Belus das Heer in Schlachtordnung ;
den Vortrab bildeten szekler und petschenegische Bogenschützen, auf
den Flügeln standen die Milizen der Gespanschaften, im Mitteltreffen
der König und Belus mit ungefähr 12000 Mann erlesener Truppen.
Gut bezahlte Kundschafter brachten die Nachricht, daß die deutsche
Macht noch nicht ganz versammelt sei; diesen Vortheil durfte man
nicht entschlüpfen lassen. Das Heer setzte über die Leitha; der Bauch
brennender Ortschaften verkündigte dessen Anmarsch; aber die Führer
des deutschen Heers wähnten, die Ungarn hätten ihr eigenes Lager an
gezündet, um ihren Bückzug zu verbergen, und brachen eilig zur Ver
folgung der vermeintlich Fliehenden auf. Die Bogenschützen, auf die
sie zuerst stießen, wurden bald in die Flucht gejagt und rissen auch
einige Abtheilungen der Comitatsmilizen mit sich fort; das Mitteltreffen
aber hielt standhaft ihre stürmenden Angriffe aus und hemmte ihren
Fortschritt. Unterdessen stellt Belus die Ordnung in den Schlacht
reihen wieder her; Graf Uros sammelt die Flüchtigen, führt sie zu
neuem Angriff vor und fängt den österreichischen Feldobersten Rat
bold ; ein zweiter feindlicher Anführer, Otto, wird des Grafen Gabriel
Gefangener; die deutsche Armee geräth in Unordnung und löst sich
endlich in wilde Flucht auf. „In dieser Schlacht", sagt Otto v. Frei
singen, „fielen die besten der deutschen Ritter und eine unzählbare
Menge gemeiner Krieger"; ungarische Nachrichten geben den Verlust
der Feinde auf 7000, den eigenen auf 3000 Mann an. Nachdem die
Ungarn1 Thuroczy,
ungehindert
II, 66.dasOtto
LandFrisingens.,
auf beidena. a.Seiten
0. der Donau verheert
252 Drittes Buch. Zw eiter Abschnitt.
riefen einige Mönche, vor allen Bruder Rudolf, das Volk zu den Waffen
wider die Feinde Christi und forderten es auf, den heiligen Krieg schon
im Vaterlande mit Plünderung und Ermordung der Juden zu beginnen,
deren Tausende Opfer der fanatischen Wuth wurden. Als aber Bern
hard selbst kam und zu Speier am 27. December 1146 vor dem kaiser
lichen Hof predigte, ergriff solche Begeisterung die Zuhörer, daß der
1 Kaiser selbst, Fürsten, Bischöfe und Herren sogleich das Kreuz nahmen
und der Kreuzzug auf dem Reichstage zu Regensburg am 6. Februar
1147 Das
beschlossen
Heer sammelte
wurde. 4sich in Oesterreich; hierher führten die Her-
1147 zoge Friedrich von Schwaben (nachmals Kaiser Friedrich I., Barbarossa),
Heinrich Jasomirgott von Baiern, zugleich Markgraf von Oesterreich,
und Wladislaw von Böhmen, die Markgrafen von Kärnten und Steier
mark, die Bischöfe von Bremen, Zeitz, Regensburg, Passau und Otto
von Freisingen (Sohn des Markgrafen von Oesterreich Leopold IV. und
Agnes,
1 Thuroczy,
derTochterII, Kaiser
65. Otto
Heinrich's
Frisingens.
IV.,Chron.,
der oftVII,
angeführte
25. De rebus
Geschicht-
gestis
laß gaben, wie sie überhaupt mehr Zucht und Ordnung hielten 4; binnen
funfzehn Tagen zogen sie friedlich durch das Land und fanden ebendeshalb
freundliche Aufnahme. Ludwig VII. hob den Erstgeborenen Geiza's
aus der Taufe, und beide Fürsten schlossen Freundschaft. Noch wäh
rend das französische Kreuzheer innerhalb der Reichsgrenzen weilte,
entdeckte ein ungarischer Krieger, Gurk, daß sich Boris unter demselben
befinde. Geiza forderte dessen Auslieferung; Ludwig verweigerte sie
als unverträglich mit seiner Ehre, und Boris entfloh in derselben Nacht
nach Konstantinopel, wodurch die verdrießliche Angelegenheit bei
gelegt war. 6 Der Durchzug der Hunderttausende steigerte in Un
garn die Noth, welche damals beinahe in ganz Europa herrschte; doch
einige Friedensjahre, die darauf folgten, halfen auch diesem Uebel ab
und gestatteten dem Volke, Kräfte zu sammeln für die neuen Kämpfe,
die ihm bevorstanden.
Durch die russische Verwandtschaft des Königs wurde nämlich
Ungarn abermals in Kriege, die ihm fremd und nutzlos waren, ver
wickelt. Geiza's Schwager, Großfürst Isaslaw von Kiew, stand seit
1149 in schweren Zerwürfnissen mit den Fürsten Georg Dolgorukoi
von Susdal (Erbauer Moskaus) und Wladimirko von Swenigrod und
theil
Przemisl.
gerade Der
mit sich
Letztgenannte
brachte, war
wechselte
aber unablässig
die Partei,
darauf
wie bedacht,
es sein Vor-
die
Choniates, De gestis Manuelis Comneni, bei Stritter, Tom. III, Pars II.
Guilhelmns Tyr., I, 29. Vgl. Wilken, Geschichte der Kreuzzüge. — 4 Cin-
namus, De rebus gestis a Johanne et Manuele Comn., II, bei Stritter,
Tom. HI, Pars II. Guilhelmns Tyr., XVI, 21. — 5 Thuroczy, II, 66. Otto
Frisingens., De rebus gestis Friderici Imper., c. 44.
254 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
1161 trieben und erbat 1151 Hülfe von Geiza. Zehntausend Ungarn zogen
nach Rußland, gingen an Przemisl vorüber, vereinigten sich mit Isas-
law's aus Eingeborenen und polnischen und böhmischen Hülfstruppen
bestehenden Kriegsvölkern, führten ihn siegreich nach Kiew zurück und
kehrten heim. Kaum waren sie aber abgezogen, so gerieth der Groß
fürst abermals in Bedrängniß. Sein Sohn Mstislaw holte neuerdings
6000 Mann aus Ungarn, ließ sich aber bei Sopagin von Wladimirko
überfallen und schlagen. Die Ungarn, die bei dieser Niederlage in
Gefangenschaft geriethen, wurden nach Halitsch geführt, wo Wla
dimirko einem ihrer Anführer Nase und Ohren abschneiden ließ. Jetzt
1152 stand
seine Brüder
die Ehreführten
der ungarischen
im folgenden
Nation
Jahre,
auf 1152,
dem Spiel
70 Fahnen
; Geiza nach
selbstRuß
und
land, besiegten Wladimirko und zwangen ihn zur Anerkennung des Groß
fürsten sowie zur Zahlung von 2000 Griwen 1 in Gold und Silber. Es
ward Geiza
Friede,
eilte
danach
der ränkevolle
Hause, dennWladimirko
ein gefährlicher
bald darauf
Feind starb.
hatte die
2 Süd
domil den Gehorsam auf. Aber Manuel eilte schnell herbei, zwang
ihn, 1 sich
Metallstangen
in die Gebirge
von einer zurückzuziehen,
gewissen Größe, deren
eroberte
man einige
sich in Burgen,
Rußland
damals statt des Geldes bediente. — ' Thuröczy, II, 66. Nestor's Fort
setzung, bei Müller, Sammlung russischer Geschichten, I, 464. Karamsin,
Geschichte des russischen Reichs, II, 174. — 3 Cinnamus, bei Stritter, Tom. II,
Pars II, p. 643 : Hungariam , in medio occidentalium nationum positam (Ma
nuel), sibi comparare totis ,viribus satagebat. — ' Otto Frieingens. Chronic.
Lib. VII, c. 20.
Aeu&ere Begebenheiten. Geiza II.
erhob Manuel bittere Klage, daß der König früher den Aufstand der
Serben unterstützt habe und jetzt seinen Bundesgenossen, den halitscher
Fürsten Wladimirko bekriege 2, und brach sogleich mit einem zahl
lung
reichen
bei Heer
Branizowa
gegen über
Ungarn
die Donau,
auf. Boris
die temeser
schickteGegend
er mit zu
einer
verwüsten
Abthei-;
er selbst ging über die Save, eroberte Semlin, nahm die Besatzung ge
fangen und bemächtigte sich des sirmier Landes, wo sich eine frän
kische Colonie niedergelassen hatte und das deshalb von den Byzan
tinern auch Frankochorium genannt wird. Indessen war Geiza sieg
reich aus Rußland zurückgekehrt und führte seine Scharen sogleich zur
Vertheidigung der Südgrenzen. Belus eilte mit einer schwachen Armee
an den Temesfluß gegen Boris, und da dieser, sobald er Nachricht von
seinem Anzuge erhielt, schnell mit großer Beute über die Donau ging,
setzte auch er hinüber und belagerte Branizowa. Geiza marschirte mit
der Hauptmacht gerade auf Semlin; Manuel aber wich ihm aus, über
schritt rasch die Save, warf sich unvermuthet auf das kleine Corps
unter Belus, besiegte es und trat den Rückmarsch in die Winterquar
tiere an. Auch der König konnte das Feld nicht länger halten und
entließ sein durch zwei Kriegszüge in einem Jahre ermüdetes Heer nach
Hause.Sobald
3 der Frühling 1153 begonnen hatte, befahl Geiza seinen 1153
aus dem Vaterlande floh, weil er sich des Strebens nach der Krone
verdächtig gemacht hatte; auch ihn suchte Manuel dadurch an sich
zu fesseln, daß er ihm seine Nichte Maria zur Gemahlin gab. 2
Manuel hinwieder hatte seinen Verwandten Andronicus Comnenus,
der sich ebenso durch Schönheit und abenteuerliche Tapferkeit aus
zeichnete, wie durch Ausschweifungen und Ränke berüchtigt machte,
zum Fürsten der Gebiete von Branizowa, Nissa und Belgrad ernannt.
In dem Undankbaren und unersättlich Herrschsüchtigen aber weckte die
Gabe nur den Durst nach Größerem; er richtete seine Wünsche und Be
strebungen auf den Kaiserthron selbst. Während Manuel in Sicilien
gegen Roger II. mit wenig Glück kämpfte, spann er eine Verschwörung
an, rief Geiza zu Hülfe und versprach, zum Lohne dafür das Gebiet von
Branizowa und Nissa abzutreten. Geiza und sein Staatsrath waren
unredlich und schwach genug, sich verblenden zu lassen durch die
lockende Aussicht, dem gefährlichsten Feinde des Vaterlandes den Unter
1155 gang
verrätherischen
zu bereitenVertrag
und einein.
wichtiges
Der König
Gebiet selbst
zu erwerben;
führte 1155
sie gingen
ein mäch
den
großes Heer an die Donau. Doch war er auch dem Frieden nicht
abgeneigt, wenn er ihn mit Ehren schließen könnte; und da Geiza,
gleichfalls des Krieges müde , eine Gesandtschaft mit Friedensanträgen
an ihn schickte, kam bald ein Vertrag zu Stande, vermöge dessen sich
die Herrscher gegenseitig verpflichteten, alle Eroberungen zurückzu
geben, die Gefangenen freizulassen und künftig keinen Prätendenten
oder Der
Unzufriedenen
Widerstand,
zuauf
unterstützen.
den Manuel2 stieß, war viel entschiedener und
ebend., S. 549 fg. Otto Frisingens., De rebus gestis Friderici Imp., Lib. II,
c. 32. — 2 Die vorigen, a. a. O.
Fefller. I. 17
258 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
Hand einer Verwandten des Kaisers aus, auch wurde er bei jeder Ge
legenheit hinter den Jüngem Bruder zurückgesetzt: aber er war immer
hin ein Gegner seines königlichen Bruders und konnte als Kronpräten
dent aufgestellt und jedenfalls gebraucht werden, Wirren, Unruhe und
1157 Aufstände
Manuelin schickte
Ungarn zu1157
erregen.
Gesandte
1 an Kaiser Friedrich, gestattete
ser, um ihn über den wirklichen Verhalt der Dinge aufzuklären. „Der
König", berichteten sie, „hat seinen Bruder bis auf den königlichen
Titel an Macht und Ehre sich gleich gemacht und nur wegen offenbarer
Empörung aus dem Lande verwiesen ; dieser aber beklage sich blos des
halb, weil er seine hochverrätherischen Entwürfe nicht ausführen könne.
Darum möge der Kaiser aufhören , sich für einen Unwürdigen zu ver
wenden." Allein nicht sowol die angeführten Gründe, auch nicht die
überbrachten Geschenke, sondern das Bündniß, welches die Gesandten im
Namen ihres Königs ihm anboten, mochte Friedrich bewogen haben,
sich von Stephan gänzlich loszusagen und ihn über Venedig nach Kon
stantinopel zurückzuschicken. 2 Denn in seinem Auftrage ging sofort
1157 der
vorgeschlagene
prager Bischof
Bündniß
Daniel
ab. an Diesem
das ungarische
zufolge schickte
HoflagerGeiza
und zum
schloß
Heere
das
Contin. Ottonis Frisingens., Lib. I, c. 12. Guntheri Ligurini, Lib., VI, e. 11.
— 3 Kaiser Konrad III. hatte dem Weifen Heinrich dem Stolzen das Her-
zogthum Baiern genommen und dem österreichischen Markgrafen Leopold IV.
1141 verliehen; Friedrich I. gab nun auf dem Reichstage zu Regensburg 1156
an Heinrich's Sohn, Heinrich den Löwen, das Herzogthum zurück, aber als
Ersatz für die Abtretung desselben erhielt Heinrich Jasomirgott die Mark
Ober der Enns, die von Baiern getrennt wurde, und die beiden Marken Ober
und Unter der Enns wurden zum Herzogthum Oesterreich erhoben und mit
den wichtigsten Vorrechten ausgestattet, die ihm beinahe völlige Souveränetät
zum großen Nachtheil des deutschen Reichs gaben. — * Radevicus, Contin.
Ottonis Frisingens., Lib. I, c. 36. Vincentii Chronic, bei Dobner, Monu-
menta, Tom. I.
Aeußere Begebenheiten. Geizall. 259
nicht mehr zur Seite stand. Manuel hatte denselben statt des entsetzten
und nach Konstantinopel abgeführten Uros zum Groß-Zschupan Serbiens
ernannt.6
1 Die Acten
Er that
der Synode
es vielleicht
bei Pertz,
gerade
Leges
in der
II (im
Absicht,
Gesammtwerke,
diesen tüchtigen
Lib. IV)
und Baronius, Annales ecclesiastici (12 Bde., Eom 1588 — 1607, vielmal ab
gedruckt), ad ann. 1160, Nota 24: „Rex Hungarorum per literas et legatos
suos consensit." Baronius behauptet freilich, diese Angabe der Acten sei
erlogen, keine Abgeordneten Ungarns haben dem Conciliabulum beigewohnt,
der König kein Sendschreiben überschickt. Dieses sacht auch Katona, Hist.
critica, III, 710—736, zu erweisen, und selbst Feßler glaubt es, weil Prie
ster, die einen Afterpapst huldigen und so einer Versammlung beiwohnen,
zu allem fähig sind. Aber solche Gründe können das Ansehen glaubwür
diger Documente nicht einmal schwächen , um so weniger sie ungültig ma
chen. — s Das Sendschreiben Lucas Bänfy's an Eberhard, Erzbischof von
Salzburg, bei Endlicher, Cod. dipl. , II, 160 fg. ' — 3 Szalay, Geschichte des
ungarischen Reichs, I, 275, Note 4, ohne nähere Angabe der Quelle. —
4 Codex ms. membr. tab. Vaticani, Nr. 2040 , bei Pray, Hist. reg. Hung.,
Tom. I. — 5 Farlati Illyric. sacr., III, 183. — 6 Cinnamus, bei Stritter,
Tom. II, Pars I, p. 184.
17*
260 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt
Staatsmann dem König zu entziehen und für sich zu gewinnen; aber Belua
blieb auch auf dem Fürstenstuhl des königlichen Hauses und Ungarns
treuerUm
Freund.
diese Zeit wanderten einige Herren vom hohen Adel Deutsch
lands nach Ungarn ein und wurden von Geiza mit ausgebreiteten und
einträglichen Ländereien begabt; Samberg, der Stammvater derer von
Babocsa, und drei Brüder Keled, Stephan, Ladislaus und Georg, Schwe
stersöhne des meißner Markgrafen und Enkel des Grafen von Herford.
Stephan hatte auf einem Hoftage zu Frankfurt einen Landgrafen von
Thüringen getödtet, ward deshalb geächtet und kam mit seinem ganzen
Geschlecht, von sechzig Rittern begleitet, nach Ungarn. l
Ehe Geiza die zahlreichen Verwickelungen, die ihn selbst und sein
Reich umschlangen, lösen konnte, starb er im kräftigsten Mannesalter
1161 den 31. Mai 1161 und ward zu Stuhlweißenburg begraben.2 Das Lob
kann man ihm nicht versagen, daß er mit Entschlossenheit und Erfolg
die Unabhängigkeit und Ehre des Vaterlandes gegen die beiden mächtigen
Fürsten, welche die Kaiserthrone des Osten und Westen einnahmen, ver-
theidigt hat. Er hinterließ drei unmündige Söhne, Stephan, Bela und
Geiza, und drei Töchter: Elisabeth, die den Herzog von Böhmen
Friedrich, schon seit 1159 ihm verlobt, Helene, die den Herzog von
Oesterreich Leopold, und Odola, die den böhmischen Prinzen Swato-
pluk heiratheten. 3
röczy, II, 66. — 3 Muglen erwähnt noch einen Sohn Arpäd, und eine vom
Papst Innocentius III. erlassene Urkunde eine Tochter, die Gemahlin des
schümegher Grafen Andrea's, —' 4 Thuroezy, II, 67. — 5 In Urkunden und
Gesetzen wird ausdrücklich gesagt „nach dem Gutachten der Königin-Mutter,
der Prälaten und Magnaten". Kovachich, Supplementa ad vestigia comi-
tiorum, I, 5, 6.
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 261'
langte, besaß nicht Kraft und Ansehen genug, um das Volk unter seiner Füh
rung zu vereinigen. Belus, der Großoheim des Königs, entsagte zwar dem
serbischen Fürstenstuhl und kam nach Ungarn, seinem Enkelneffen bei
zustehen 1; allein entweder befolgte dieser seine Rathschläge nicht, oder
die Nation leistete ihm diesmal nicht Gehorsam, weil er als gewesener
Vasall Manuel's verdächtig und nicht gesetzlich zum Regenten bestellt
war; auch er konnte also das Verderben nicht abwenden. Ohne hervor
ragendes Haupt, ohne entschlossenen Führer sah sich mithin das ungarische
Volk allen Ränken einheimischer Verräther und fremder Feinde preis
gegeben; dazu kam der Angriff so schnell und unerwartet, daß ihn keine
Zeit blieb , sich zu sammeln und zu rüsten. Dasselbe Volk, welches unter
Geiza seine Ehre und Freiheit so standhaft und im ganzen* siegreich ver-
theidigt hatte, duldete es, daß schon sechs Wochen nach dessen Tode ein
Auswärtiger als Gebieter über den Thron verfügte, ein Aufgezwungener
denselben einnahm und sein König an des Landes äußerster Grenze
Sicherheit suchen mußte. — Noch immer war die Thronfolge durch
kein ausdrückliches Gesetz geordnet, wenn auch gewöhnlich der erst
geborene Sohn dem Vater nachfolgte. Dagegen war es mehrmals und
vor nicht langer Zeit erst geschehen, daß der Sohn übergangen und ein
Bruder des letzten Königs durch Wahl auf den Thron erhoben wurde.
Kaum hatte daher Manuel erfahren, daß Geiza gestorben und Stephan III.
gekrönt sei: so wollte er diesen Umstand benutzen, um seinen Günstling,
den aus dem Vaterland flüchtigen Prinzen Stephan, auf den Thron zu
setzen und durch ihn Ungarn zu einem byzantinischen Vasallenreiche zu
machen. Seinen Worten Nachdruck zu geben, ging er sogleich mit einer
Armee bis Nissa; von da schickte er Botschaft an die Ungarn: es sei bei
ihnen von jeher Gebrauch und Gesetz, daß nicht der Sohn, sondern der
Bruder dem verstorbenen König nachfolge, deshalb fordere er sie auf,
den Prinzen Stephan zum König zu nehmen. Die Ungarn wiesen die
Zumuthung zurück, worauf er bis an die Donau vorrückte und Stephan
mit einem Theil des Heeres, unter Anführung seines Neffen Alexius
Kontostephanus, bei Haramvär über die Donau setzen ließ. Die Flucht
der Königin-Mutter mit dem jungen König und ihren andern Kindern
nach Presburg entmuthigte viele; um so leichter gelang es Stephan, vor
zudringen und sich durch Geschenke, Versprechungen und Drohungen
Anhang zu gewinnen. Aber der Widerwille der meisten gegen den
Verräther des Vaterlandes war unüberwindlich ; mit Recht fürchteten sie,
der König von des Kaisers Gnaden, dessen Günstling und Schwager,
werde von diesem immer abhängig sein, mit seiner Hülfe die Freiheit
unterdrücken und zuletzt sich und das Reich ihm überliefern. Der ältere
Bruder Stephan's, Ladislaus, war zwar auch zu Manuel geflohen, wurde
aber weniger verdächtigt und gehaßt; es begannen Unterhandlungen,
und ein Vergleich kam zu Stande, laut dessen Ladislauszum König und H61
Stephan
1Nur
Cinnamus,
zukurze
seinem
bei
ZeitNachfolger
Stritter,
trug Ladislaus
Tom.erklärt
II, Pars
die
wurde.2
I,gewaltsam
p. 185. — geraubte
2 Chronicon
Krone,
Claustro-
er
Neoburgense ad ann. 1161, bei Pez, I, 446. Nicetas Choniat. und Cinnamus,
bei Stritter, Tom. III, Pars II, p. 655.
262 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
1162 starb schon ein halbes Jahr darauf, am 14. Januar 1162. Zufolge jenes Ver
trags sollte nun Stephan den Thron besteigen, nach dem er schon so lange
verrätherisch gestrebt hatte. Allein viele, die, durch G eschenke oder Dro
hungen gewonnen, sich Ladislaus hatten gefallen lassen, widersetzten sich
der Nachfolge Stephan's und kehrten zu ihrem rechtmäßigen König zurück ;
kein Graf der obern Gegend , nur einige Bischöfe und wenige Große der
untern, die am meisten bedroht und wahrscheinlich zum Theil erst von
Ladislaus und ihm erhoben worden waren, erklärten sich für ihn; er
mußte vier Wochen lang alle Mittel der Bestechung und Ueberredung
anwenden, bis er endlich «inen hinreichenden Anhang gewann, um sich
krönen zu lassen. Da sich der graner Erzbischof Lucas jetzt ebenso
entschlossen ihn, wie früher Ladislaus, zu krönen weigerte, vollzog auch
diesmal der kalocsaer Michael die Krönung, wodurch sie in den Augen
des Volks viel von ihrer Heiligkeit und Gültigkeit verlor. Durch Hoch-
muth dachte er das Ansehen, das ihm fehlte, zu ersetzen und durch Strenge
den Widerstand zu brechen; er umgab sich mit dem Gepränge des
byzantinischen Hofes und verfolgte die Treuen Stephan's III., vermehrte
aber dadurch nur die Verachtung und den Haß gegen sich. Da fühlte
er sich nicht länger sicher und rief Manuel um Hülfe an, der auch sogleich
ein Heer unter Alexius Kontostephanus in Ungarn einrücken ließ.
Durch die Anwesenheit der fremden Truppen wurde das Volk nieder
gehalten, sein Unwille verstummte, und weil die Ausbrüche desselben auf
hörten, riethen einige Stephan, er möge Zuversicht zu der eigenen Kraft
und Vertrauen zu dem Volke beweisen und das griechische Heer ent
lassen. Er ließ sich überreden und that es; ja seine Verblendung ging
so weit, daß er zu derselben Zeit, wo er sich seiner einzigen Stütze be
raubte, Semlin und das sirmier Land an Manuel als Entgelt für die
geleistete
Nun Hülfe
war das
abtrat.
Maß seiner Sünden voll; einen ohnehin durch den
bestieg
Derneuerdings
überwundene
unterStephan
freudigem
flohZuruf
zu seinem
den Thron
Beschützer
seiner Manuel
Ahnen. 1nach
Sardika (Triaditza), der ihn nochmals mit einem Heere an die Donau
schickte und selbst mit einem zweiten nach Nissa vorrückte. Dort ließ
der Kaiser den Fürsten der Serben Neeman gefangen nehmen und nach
Konstantinopel abführen und ernannte dessen Jüngsten Sohn Neeman
zum Zschupan. Dahin kamen auch die Gesandten der Ungarn mit der
Bitte, er möge aufhören, ihnen einen König aufzudringen, den sie nimmer
annehmen
1 Cinnamus,
würden.
a. a. Manuel
O., und Kezai,
wies sie
II, stolz
67. von sich und verlegte sein
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 263
als Erbtheil forderte, welches Bela laut der Anordnung seines Vaters
Geiza gebühre. Die Ungarn lehnten das sonderbare Ansinnen ab; denn
die königlichen Prinzen wurden zwar gewöhnlich durch Landestheile
oder Provinzen apanagirt, aber diese blieben immer in Verbindung mit
dem Reiche und waren keineswegs ein Erbe, das von demselben getrennt
werden durfte. Als Manuel die abschlägige Antwort erhielt, gab er dem
Prätendenten
gend Ungarns Stephan
einfalle und
Geld seine
und Ansprüche
Truppen, damit
auf die
er Krone
in die untere
neuerdings
Ge- .
geltend mache, 1162. 2 Da die Ungarn im Vertrauen auf den Jüngst 1162
geschlossenen Freundschaftsbund nicht gerüstet waren, auch keine Be
satzung in den untern Gegenden stand, gelang es ihm, dort festen Fuß
zu fassen und sogar im Innern des Landes hin und wieder Anhänger zu
gewinnen 3 ; denn zu keiner Zeit und unter keinem Volke fehlt es an
Unzufriedenen
In dieser Noth
und an
sahfeilen
sich Parteigängern.
König Stephan nach auswärtigem Beistand
a.a.O. — 3 Das bezeugt die Urkunde, durch welche' er zu Anfang des Jahres
1163 den agramer Bischof im Besitze des Gutes Dobra bestätigt, bei Katona,
Hist. crit., IV, 42, und Fejer, Cod. dipl., II, 165, wie auch der Schenkungs
brief, den Stephan III. einem gewissen Farkas verlieh, weil er die Ueber-
gabe Kapuvars in der wieselburger Gespanschaft an den Prätendenten ver
eitelte. — 4 Chronic. Austriae, bei Pez, I, 559. Appendix ad Radevicum, bei
Urstisius.
264 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
^
Aeußere Begebenheiten. Stephan III. 265
reiche Geschenke hinzu und hat ihn, den Frieden zu vermitteln, den er
sehnlich wünsche. Diesen Lockungen konnte Wladislaw nicht wider
stehen; der Bundesgenosse der Ungarn verwandelte sich in einen par
teiischen Vermittler, und ein Friedensschluß kam zu Stande; Bela erhielt
das sinnier Gebiet unter dem Titel seines Erbtheils, wogegen Manuel sich
verpflichtete, Stephan IV. nicht weiter zu unterstützen. Wladislaw
empfing am ungarischen Königshofe zum Dank für seinen Beistand Ge
schenke, deren Menge und Pracht die böhmischen Chronisten zu schildern
kaum Worte finden, und auch seine freiwilligen Krieger kehrten heim, 1163
beladen
Vormit
seinem
Beute,Abzuge
die sie dem
ermahnte
Freund
Manuel,
wie demwie
Feind
Cinnamus
abgenommen
berichtet,
hatten.1
den
numents, I, 73. Contin. Cosmae Pragensis ad ann. 1164, bei Pertz, IX.
— * Cinnamus und Nicetas Choniat., a. a. O., S,. 656. Thuroczy, II, 68.
Kezai, bei Endlicher, Kap. 4, S. 119. — 3 Rußland stand schon damals
durch die Gemeinschaft der Religion in inniger Verbindung mit dem morgen-
266 Drittes Bucb. Zweiter Abschnitt.
tigen Heere Haramvär gegenüber an der Donau. Als sich jenseit die
ungarische Kriegsmacht aufstellte, wandte er sich schnell abwärts, ging
bei Belgrad über den Strom und zog vor Semlin, das er nach lang
wieriger Belagerung erstürmte und, erbittert durch den hartnäckigen
Widerstand, einer grausamen Plünderung preisgab. Zu gleicher Zeit
griffen auch Johann Dukas und Nicephorus Chaluphes Dalmatien an
und
theidigung,
fanden daß
es so
sie entblößt
beinahe ohne
von Widerstand
allen Mittelndas
und
ganze
Anstalten
Küstenland
der Ver-
und
tinopel als ihr Oberhaupt, und Kiew erhielt von daher seine Metropoliten.
Cinnamus
1 Cinnamus
und Nestor.
u. Nicetas, a. a. O. — 2 Cinnamus. — 3 Ebend. — 4 Cin
nuel sammelte bei Sardika ein mächtiges Heer, in dem sich russische,
persische, türkische, deutsche und italienische Söldner befanden, er
nannte Andronicus Kontostephanus zum obersten Feldherrn und ließ ihn
gegen Ungarn aufbrechen. Als die Griechen über die Save setzten
und an den Leichenhügel kamen, den die Ungarn vor zwei Jahren er
richtet hatten, stiegen sie von ihren Rossen und schwuren, die gefallenen
Brüder zu rächen. Bald stießen sie auf das ungarische Heer, welches,
wie Cinnamus berichtet, 15000 Mann stark, aus gepanzerten Reitern,
Bogenschützen und Schleuderern bestand und abermals vom Palatin
Dionysius geführt wurde. Dieser wußte, daß die Byzantiner das Cen
trum aus leichten Truppen und schwach zu bilden, die Hauptmacht
aber in die Flügel zu stellen pflegten , deshalb that er das Entgegen
gesetzte, stellte seine Schwerbewaffneten in dichtgedrängten Haufen in
die Mitte, um die feindliche Schlachtordnung zu zerreißen. Der ge
waltige Angriff war unwiderstehlich; vergeblich versucht Andronicus,
die Ungarn zu umzingeln und in den Flanken zu fassen; sein Heer
wendet sich zur Flucht, nur einige Abtheilungen halten noch Stand.
Da bemerkt er in den ungarischen Reihen Verwirrung, die wahrschein
lich dadurch entstand, daß sie sich lösten, um die Fliehenden zu ver
folgen, läßt schnell seine Reserven zum Angriff vorrücken und ge
winnt endlich gegen Abend des blutigen Tags, 8. Juli 1167, den Sieg. 1167
800 Gefangene, darunter fünf Grafen (Obergespane), und die große
Heeresfahne sind die Zeichen desselben. Doch mochte der Sieg nicht
groß und entscheidend gewesen sein, denn schon in der darauffolgen
den Nacht
1 Chronic.
tratAustriae.
AndronicusAdmont.
den Rückzug
Clanstroneob.
über diebeiSave
Pez, an,
I u.weil
II. —
er hörte,
2 Far-
zwang es zur Unterwerfung. Die andern Städte und das ganze Küsten-
' land Wegen
fielen wieder
Erschöpfung
in Manuel's
der Gewalt.
Kriegführenden,
2 oder weil sie bereits
sahen, daß sich Ereignisse vorbereiteten, welche den Dingen eine andere
Gestalt geben würden, trat nun Waffenruhe ein, ohne daß Stillstand
1170 oder
Antiochien
Die
Friede
zweite
Raimund
geschlossen
Gemahlin
vonwurde.
Poitiers
Kaiser Tochter,
Manuel's,gebar
Maria,
unverhofft
des Fürsten
1170 von
am
10. September einen Sohn, der den Namen Alexius erhielt. Manuel
hatte nun einen natürlichen Thronerben; sobald er sibh von dessen
Lebensfähigkeit überzeugt hatte, traf er Vorkehrungen, ihm die Nach
1172 folge
Bela zu
als sichern.
ihrem künftigen
Er entband
Gebieter
die Staatsdiener
bereits geleistet
von hatten;
dem Eide,
undden
damit
sie
dieser nicht einst als Gemahl der kaiserlichen Prinzessin ein gefähr
licher Nebenbuhler seines Sohnes werde, besann er sich jetzt , daß die
Verlobten einander in einem Grade (im vierten und fünften) verwandt
seien, der ihre Ehe verhindere, ließ ihr Verlöbniß feierlich auflösen
und vermählte Bela mit Agnes, der Schwester seiner Gemahlin (die
Griechen nannten sie Anna). 3 Sirmien und Dalmatien aber, die er als
das rechtmäßige Erbe dieses Prinzen gefordert und von Ungarn los
1173 gerissen
Im hatte,
Frühling
vereinigte
1173 zoger der
mit Herzog
dem byzantinischen
von SachsenReiche.
und Baiern,
4 Hein
rich der Löwe, in das gelobte Land und bat um Bewilligung, seinen
Weg durch Ungarn zu nehmen; des Königs Schwiegervater Heinrich
von Oesterreich begleitete ihn. Stephan sandte ihnen Herrn Florentius
bis Wieselburg entgegen, sie zu begrüßen und nach Gran an den könig
lichen Hof zu geleiten. Als die hohen Gäste am 4, Mai in die Stadt
einzogen, fanden sie da Bestürzung und Trauer; der siebenundzwanzig-
jährige König war in der vorhergehenden Nacht plötzlich gestorben. 6
An Gift, berichtet ein Chronist 6; aber wer darf das Schändliche, Böse
glauben auf das Zeugniß eines Gerüchts, welches ein einziger mittheilt?
Der Tod kennt kein Vorrecht der Könige und rafft auch sie jung und
plötzlich
1 Cinnamus,
dahin. 7 a. a. 0.; weniger ruhmredig und deshalb auch glaubwür
■£&!.£'.,.' '
Aeußere
Bela
Begebenheiten.
in. 1173-1196.Bela III. 269
•
/
270 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
1176 Bela
von Ikonium
gegen Manuel.
unternahm,
Als dieser
schickte
einen
ihmgroßen
Bela 1176
Feldzug
ein gegen
Heer den
unterSultan
dem
Jahre 1209. Fejer, Cod. dipl., III, i, 91. — 2 Thuroczy, II, 69. — 3 Vitus
Arenpeckius ad ann. 1174, bei Pez, 1, 1204. Hanthaler, Fast. Campil., Tom. I,
Elog. IX, 395. — * Pulkava, bei Dobner, Monumenta III, 194, und Chronic.
Siloense, ebend., I, 89. Chronic. Poson. u. Arnoldus Lubecens, bei Leibnitz,
S. Brunsw. , II, 677, setzen unrichtig das Jahr 1187 statt 1176. Chronic.
M. S. Saec. XII, bei Koller, Hist. Episc Quinque eccl., I, 413.
Aeußere Begebenheiten. Bela III. 271
vernichtet; ein Haufe Tapferer nahm den Kaiser, dessen Wunden blu
teten, in seine Mitte, schlug sich durch, brachte ihn in das verschanzte
Lager des Vortrabs, der den Paß glücklich durchschritten hatte, und
rettete ihn von Tod oder Gefangenschaft. x Zu diesen Tapfern schei
nen auch die Ungarn gehört, und besonders die Brüder Lobi und Tho
mas, aus Doböka in Siebenbürgen, viel zur Rettung des Kaisers bei
getragen zu haben, weil Bela die letztern aus diesem Grunde nach ihrer
Heimkehr mit bedeutenden Besitzungen belohnte. 2 Manuel schloß
zwar nach der Niederlage einen unerwartet günstigen Frieden mit dem
Sultan und erfüllte auch die ihm nachtheiligen Bedingungen desselben
nicht; seine Wunden heilten zu Philadelphia in Lydien; aber die Macht
des Reichs war geschwächt, die großen Entwürfe, an deren Ausführung
er sein Leben hindurch gearbeitet hatte, gescheitert; die Kraft seines
Körpers und Geistes schwand, und düsterer Trübsinn bemächtigte sich
seiner. 3 Jetzt hätte Bela Sirmien und Dalmatien leicht wiedererobern
können; doch seines Versprechens eingedenk versuchte er es nicht;
erst nach dem Tode Manuel's, 1180, 24. September, vereinigte er diese 1180
Gebiete ohne Krieg durch den freiwilligen Uebertritt der Einwohner
wiederAlsmitBela
demhierauf
ungarischen
den Palatin
Reiche.Farkas
4 mit einer wenig zahlreichen
— 2 Eine Urkunde Bela'e IV, bei Pray, Annal. Reg. Hung., I, 167. — 3 Guil-
helmus Tyrius, Lib. XXI, c. 12, bei Bongars, Gesta Dei per Francos. —
* Lucius, Lib. III, c. 12. Farlat. Illyr. sacra, IV, 11. — 5 Dieselben. —
* Dandulus, bei Muratori, VII, 311.
272 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
Ungar Peter Chitileni, der sich dieser Erhebung höchst würdig zeigte,
indem er einen Theil der erzbischöf liehen Einkünfte hergab, um das von
einer Landessynode neugestiftete corbavier Bisthum zu dotiren. x So
wußten Ungarns Könige ihre Rechte in kirchlichen Angelegenheiten zu
behaupten.
Bald nach Manuel's Tode fanden in Konstantinopel Auftritte statt,
denen Bela, als Verwandter des kaiserlichen Hofes, nicht müßig zusehen
zu dürfen glaubte. Des zehnjährigen Alexius II. Mutter Maria von
Poitiers, seine Vormünderin und Reichsverweserin, überließ die Regie
rung Günstlingen und besonders dem Protosebastus Alexius Comnenus.
1182 Seine
nischenStiefschwester
Grafen RainerMaria,
von Montferrat
Bela's ehemalige
vermählt,
Braut,
erregte
jetzteinen
an den
Aufstand.
italie-
Als nun im Reiche überall Verwirrung herrschte und der Aufruhr in der
Hauptstadt tobte, trat Andronicus Comnenus — wie oben (S. 256—257)
berichtet wurde, strebte er schon 1154 nach dem Throne, wurde deshalb
von Manuel ins Gefängniß geworfen, entfloh aber _und erhielt zehn Jahr
später Begnadigung — aus der Dunkelheit hervor; er wußte durch heuch
lerische Reden diePatricier und das Volk zu täuschen, wurde zum Vormund
des unmündigen Kaisers ausgerufen und ließ die Kaiserin und ihre Günst
linge, ebenso Maria und ihren Gemahl verhaften. Von der Kaiserin
aufgefordert, unternahm Bela einen Kriegszug in die Gegend, von Bra-
nizowa und Belgrad, um Andronicus einzuschüchtern, wodurch er aber
nur den Untergang derer beschleunigte, denen er helfen wollte; denn
Andronicus hatte nun einen Vorwand, die Kaiserin des Landesverraths
anzuklagen, ließ sie erdrosseln, Maria sammt ihrem Gemahl vergiften,
1183 ausrufen,
zuletzt denim
jungen
September
Alexius1183.
auch erdrosseln
Auf die Kunde
und sichdieser
selbstschrecklichen
zum Kaiser
Blutthaten schickte Bela wieder ein Heer über die Donau, welches das
Land bis nach Nissa verheerte und in bedauernswürdiger Verblendung
1184 an den
Umschuldlosen
diese ZeitEinwohnern
verlor Bela die
seine
Sünden
Gemahlin
des Tyrannen
Agnes durch
rächte.
den2Tod.
Papstes Brief an den König mitgetheilt wird, und IV, 92. — 2 Nicetas Cho-
niat., a. a. O. Chronic. Austr. bei Pez, Tom. I. Vgl. Gibbon's oft angeführ
tes Geschichtswerk, und Ritter zu Guthrie, Geschichte des oströmischen Reichs.
— 3 Jacohus Bossius, bei Schier, Reginae Hung., S. 154. — * Die Urkunde
von 1185, in Fejer, Cod. dipl., II, 226. Farlatus, Illyr. sacra, III, 113.
Aeußere Begebenh eit en. Bela III. 273
als Erbe seiner Gemahlin zugefallen und von diesem wieder seiner
Tochter Judith zur Mitgift gegeben worden, als sie den Sohn Bela's II.,
Ladislaus, heirathete. Noch ehe Ladislaus nach Konstantinopel floh
und später für kurze Zeit den ungarischen Thron bestieg und starb,
hatte sie ihm einen Sohn, Mstislaw, geboren. Nach dem Tode ihres ersten
Gatten vermählte sie sich mit einem russischen Herrn, aus welcher Ehe
zwei Söhne, Wladimir und Roman, entsproßten. Mstislaw, dem als
ältestem die Nachfolge gebührte, ward vergiftet; Wladimir setzte sich
auf den Fürstenstuhl , ward aber von Roman vertrieben. Der Vertriebene
kam nach Ungarn und suehte Hülfe bei Bela. Allein Bela beschuldigte
ihn, daß er der Giftmischer sei, ergriff die Gelegenheit, sich Galiziens
zu bemächtigen, erhob seinen Sohn Andreas zum Beherrscher desselben
und sandte, da dieser noch unmündig war, .einen ungarischen Statthalter
mit einer Armee dahin. Doch diese Herrschaft dauerte nur kurze Zeit;
Wladimir entfloh naclf zwei Jahren aus der Gefangenschaft , ging zu
dem König von Polen, Kasimir II., und nahm mit dessen Hülfe
Galizien wieder in Besitz. Bela ließ zwar ein Heer in Polen ein
rücken, aber nach kurzen Feindseligkeiten hatten beide Könige eine
Zusammenkunft und einigten sich dahin, daß Wladimir auf dem Für- 1189
stensfuhl bleibe, und wahrscheinlich auch, daß er die Oberhoheit Un
garns anerkenne, denn Bela nahm Galizien in den Titel der ungarischen
Könige auf. x Dies war der Anfang zu jenen Ansprüchen auf dieses Land,
welche von Ungarns Beherrschern von Zeit zu Zeit erneuert, mehrmals
auch geltend gemacht wurden und zuletzt als Vorwand zu der Theilung
PolensSchon
dienen
dauerte
mußten.
der2Krieg mit Venedig Dalmatiens wegen ins achte
und Laien ein Zehntheil, der Zehnt Saladin's, erhoben. Ein Botschafter
des Kaisers, der mainzer Erzbischof und Cardinal Konrad, erschien am
Hofe Bela's, die Bewilligung des Durchzugs nachzusuchen , die Herrich
tung der Brücken und Wege zu bewirken und den Preis der Lebens
mittel festzusetzen. x Auch dem Könige lag die Sache der Christenheit
am Herzen; zuvorkommend bewilligte und that er alles, sie zu fordern;
am Wege, den die Kreuzfahrer nehmen sollten, wurden Magazine er
richtet; der Preis vier wohlgenährter Ochsen und des Futters für hun
dert Pferde wurde auf eine Gira (Mark) Silber festgestellt. 2
1189 besoldeten
Im Frühling
Kriegernbrach
und der
nochKaiser
weit mehr
mit seinem
Freiwilligen,
Heere, der
dasübertreiben
aus 50000
den Sage nach aus 600000 Mann, bestand, zu Schiff von Regensburg
auf und traf zu Pfingsten, 28. Mai, in Presburg ein. Hier hielt er
Musterung, entfernte schlechtes Gesindel und strafte mit Strenge, die
gegen die Kriegszucht gesündigt hatten. Vor Gran begegnete ihm der
König mit einem Gefolge von 1000 Reitern und geleitete ihn in die
Residenz. Hier hielt sich Friedrich vier Tage lang auf, die unter glän
zenden Festlichkeiten verflossen, verlobte seinen Sohn Friedrich, Her
zog von Schwaben , mit Bela's Tochter Constantia 3 ; auch bewog
er den König, von dessen Gemahlin unterstützt, den Prinzen Geiza
aus funfzehnjähriger Gefangenschaft zu entlassen und. ihm zu erlauben,
daß er an dem Kreuzzug theilnehme. Von Gran begaben sich die Für
sten nach Ofen und jagten noch vier Tage in den benachbarten Wäl
dern. Beim Abschied verehrte die Königin dem Kaiser ein prachtvolles
Purpurzelt mit köstlicher Einrichtung; 2000 Ungarn unter Bischof
Ugrin schlossen sich dem Kreuzheer als Wegweiser an; der König be
gleitete seinen hohen Gast bis zu der Morawa an Serbiens Grenze, wo
er ihm noch Wagen mit Mundvorrath und vier mit werthvollen Ge
schenken belastete Kamele übergab und zum Gegengeschenk die
Schiffe
Noch
erhielt,
hatte
welche
der Kaiser
das Heer
dienach
Grenzen
Presburg
Serbiens
gebracht
nichthatten.
überschritten,
rige 1Andronicus
Der Brief Friedrich's
als Tyrannangewüthet.
Bela und des
Aufstände
letztern brachen
Antwort anbeiverschie-
Katona,
Hist. critica, IV, 334 fg. — 2 Godofredus Coloniens., bei Freher, I, 349.—
3 Der Bräutigam starb im Morgenlande und Constantia heirathete später den
böhmischen König Ottokar. — * Friderici I expeditio Asiatica, bei Canisius,
Tom. III, Pars II, p. 506. Arnoldus Lubecens., beiLeibnitz, SS. Brunsv., II,
677. Godofred. Coloniens., a. a. O. Sicardus, Chron., bei Muratori, VII.
Chron. Austr. ad ann. 1189, bei Pertz, IX.
Aeußere Begebenheiten. Bela III. 275
denen Orten des Reichs aus, endlich erhob sich der Aufruhr in der un
geheuern Hauptstadt. Da sendet Andronicus einen Meuchelmörder
gegen Isak Angelus, den er besonders haßte; diesem gelingt es, den
Mörder zu tödten und in eine Kirche zu flüchten; von da zieht ihn das
Volk hervor und ruft ihn wider seinen Willen zum Kaiser aus. Andro
nicus wird erst grausam verstümmelt, dann dem Pöbel übergeben, der
ihn zu Tode martert, am 11. Sept. 1185. Isak verlobte sich nach
dem Tode seiner Gemahlin mit der neunjährigen Tochter Bela's, Mar-
garetha. 1 Er war ein Mann ohne Einsicht und Kraft ; von dem Mönch
Dositheus bethört, glaubte er, Friedrich werde ihn entthronen, hielt die
kaiserlichen Gesandten in Konstantinopel zurück und. entzog den Kreuz
fahrern die Lebensmittel; der Patriarch predigte sogar Mord gegen sie;
sie hingegen beschuldigten die Griechen, Mehl und Wein vergiftet zu
haben. Endlich kam es zum wirklichen Krieg; die Kreuzfahrer erober
ten Philippopel, Adrianopel und andere Städte, überwinterten in Thra
zien und zwangen den byzantinischen Hof, ihnen im März Schiffe zur
Ueberfahrt
Währendzu liefern.
dieser 2Vorgänge ging der Waffenstillstand mit Venedig 1190
Ohnmacht, in der sich das byzantinische Reich unter der Regierung des
schwachen Isak befand, und standen auf, um sich unabhängig zu machen n93
und zu plündern. Der Kaiser führte den Krieg gegen sie unglücklich
und 1erlitt
Nach inIsak's
den Tode
Pässen1204
vonwurde
Berrhöa
sie die
eineGemahlin
Niederlage;
des Bonifacius
Achialus und
von
Kräfte von halb Europa nahm der große Kreuzzug ein trauriges Ende.
Kaiser Friedrich starb 1191 am Schlage, der ihn beim Baden im Flusse
£aleph (Kalykadnus) im heutigen Karamanien traf; seinen Sohn Fried
rich raffte die Pest vor Ptolomais (St.-Jean d'Acre) dahin; die Fürsten
geriethen in bittere Streitigkeiten; Philipp August von Frankreich und
Leopold VI. von Oesterreich kehrten heim; der einzige Vortheil, der
errungen wurde, war ein Waffenstillstand, den Richard Löwenherz mit
Sultan Saladin auf drei Jahre am 20. Aug. 1192 schloß.2 All die
ses Ungemach und Fehlschlagen schreckte Bela nicht ab, es war ihm
vielmehr eine dringende Aufforderung, auch hinzuziehen und für die
1196 Rettung
wagen. Abereiner damals
er starbsounter
heiligden
geachteten
Zurüstungen
Sacheam
Gut23.und
April
Leben
1196.
zu
Auf dem Todtbette trug er die Erfüllung des Gelübdes seinem Jün
gern Sohn Andreas auf und übergab ihm die Schätze und Rüstungen,
die erBela
für das
machte
Unternehmen
von den Erfahrungen
gesammelt und
und bereitet
Kenntnissen,
hatte.die
3 er in Kon
stantinopel gesammelt hatte, ohne sich von dem dort herrschenden Geiste
des Despotismus anstecken zu lassen, weisen Gebrauch zum Nutzen sei
nes Reichs. Die einheimischen Chronisten berichten über seine Regie
rung freilich nichts weiter, als „daß er Diebe und Räuber strenge ver
folgt und schriftliche Verhandlung der Streitsachen, wie sie am päpst
lichen und kaiserlichen Hof gebräuchlich war, einführte." Aber die
Ruhe und Ordnung, die er in dem durch Parteien und Kriege zerrüt
teten Lande herstellte, der glückliche Erfolg, mit dem er verlorene
Provinzen wiedergewann und das Reich schützte, die gefüllte Schatz
kammer, die er hinterließ, das Ansehen, welches er im Auslande genoß,
zeugen
1 Nicetas
unwidersprechlich
Choniat., bei Stritter,
von seiner
Tom. II,
Weisheit
Pars II,und
p. 683—686.
Kraft. Auch
— 2 Wil-
die
2. Innere Zustände.
Fejer Cod. dipl., II, 202. — 2 Acta Sanctorum, mensis Jul. Lectio 5. Ka
tona, Hist. critica, IV, 390 fg.
278 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
zählt, wurden aber nie als solche von der Nation anerkannt. Verböczy, Tri-
partitum, Pars II, Tit. 14, §.9. — 2 De rebus gestis Friderici I. Imp., I,
31. Der Bischof ist ganz durchdrungen von dem Plane Friedrich's I., das
schöne Land, das ihn so sehr gefiel, mit dem deutschen Reiche zu vereinigen ;
die schwere Niederlage, welche sein Volk ein Jahr vor dem Kreuzzuge auf
dem Leerfelde erlitten hatte, schmerzte ihn noch; Bitterkeit und Haß spricht
aus seinen Worten; er tadelt alles und sucht selbst das Gute, das er nicht
ableugnen kann, in das möglichst nachtheilige Licht zu setzen. Dabei be
trachtet er alles nach deutscher Anschauungsweise und weiß in seiner Be
fangenheit das Eigenthümliche, aus dem magyarischen Geiste Hervorgegan
gene nicht zu würdigen.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 279
Otto von Freisingen sah freilich Ungarn, bevor es die nachfolgenden Wir
ren erschüttert hatten, zu der Zeit, als es von dem kräftigen Geiza
und seinem trefflichen Rathgeber Belus regiert wurde; aber wenn man
bedenkt, daß er nicht loben, sondern tadeln wollte, und daß die billi
genden Zugeständnisse ihm durch die Macht unleugbarer Thatsachen
abgenöthigt wurden, so wird man zu der Ansicht gelangen, daß er eher
zu wenig als zu viel sagt, und daß sich nie ganz verlieren konnte, was
tief in der Sinnesart des Volks wurzelte. Das Vaterland und die öffent
lichen Angelegenheiten lagen dem Ungar am Herzen, sie waren ihm da
mals, wie jederzeit, der wichtigste Gegenstand, mit dem er sich
vor allen übrigen eifrig beschäftigte. Da ferner alle Staatssachen, Ge
setze, Maßregeln und Unternehmungen frei besprochen und öffentlich
berathen wurden und nur nach allgemeiner Zustimmung zur Ausfüh
rung kamen, mußten sie Angelegenheit eines jeden werden, für die er
den lebendigsten Eifer fühlte. Und in der That, wir sehen die Un
garn auch in den Tagen, wo das Ansehen und die Macht der obersten
Staatsgewalt immer tiefer sank, willig in fremden Ländern und für
fremde Angelegenheiten Kriegsdienste leisten, wenn aber die Ehre,
Freiheit und Integrität des Vaterlandes bedroht wurde, sich einmüth1g
und mit ganzer Kraft erheben und alle Anschläge der List und Gewalt
vereiteln. Wir sehen Gehorsam gegen das Gesetz, Ruhe und Ord
nung schnell zurückkehren, sobald das Staatsruder mit Kraft und Weis
heit geführt wurde. Was Otto noch hinzusetzt : „ Der König verfährt
mit Herren, die sich irgendwie vergangen haben , nach Gutdünken und
straft sie willkürlich auch ohne Verhör", widerspricht der Verfassung
und den ausdrücklichen Gesetzen, die damals bestanden; er kann nur
jene Thaten der Willkür, die unlängst unter Bela II. geschehen waren,
und vielleicht einige Gewaltstreiche, die in den Tagen der äußersten
. Verwirrung und bei völliger Ohnmacht der Gesetze verübt wurden, vor
Augen gehabt haben. Völlig sonderbar klingt endlich sein absprechen
des Urtheil über die kriegerische Tüchtigkeit der Ungarn: daß sie von
der Kriegskunst wenig wüßten und, was sie wissen, von Fremden ge
lernt hätten. Ihre Kampfart und Kriegskunst war freilich von jener
der Deutschen verschieden, die er für die einzig rechte hielt, aber sie
bewährte sich in schweren Kriegen und durch glänzende Siege; und
gerade viele Einrichtungen des ungarischen Heerwesens wurden von
andernSchon
Völkern
wardangenommen.
die feierliche Krönung als unerlaßliche Bedingung
es jetzt in Gebrauch, daß sie ihren Erstgeborenen noch bei ihren Leb
zeiten krönen ließen, um ihm die! unbestrittene Nachfolge zu sichern.
Abgesehen davon, daß jede Krönung die Einkünfte und den Kirchen
schatz des graner Erzbischofs ansehnlich vermehrte, gefiel sich das
Priesterthum überhaupt darin, bei derselben als Mittler aufzutreten, durch
dessen Hand der König sein Herrscherrecht von Gott empfing, und
erhob bald den Anspruch, dieses Recht verleihen und vorenthalten
zu können. So verweigerte Lucas Bänfy nicht nur den Anmaßern
Stephan IV. und Ladislaus II., sondern auch dem durch Geburt und
Wahl des Volks rechtmäßigen König Bela III. die Krönung. Die Laien
endlich sahen in der Unerläßlichkeit der Krönung die Bestätigung des
sen, daß nicht allein die Abstammung, sondern auch ihre Zustimmung
und Wahl den König mache; sie galt ihnen als eine Bürgschaft für die
Rechte und Freiheiten der Großen und des gesammten Volks. Denn
der krönende Bischof fragte ausdrücklich die versammelte Menge, ob
sie den König wolle, worauf diese ihre Zustimmung durch lauten Zuruf
kundgab; und obgleich nirgends ein Krönungseid erwähnt wird, so
ist es doch kaum' denkbar, daß der König bei diesem feierlichen Antritt
seiner Regierung nicht geschworen haben sollte, die Reichsgesetze
zu beobachten und jedermann bei seinem Rechte zu belassen und zu
schützen.
Die Reichstage
1 wurden noch immer in herkömmlicher Weise ge
lebte und schrieb, erzählt die Erhebung Arpäd's zum Herzog in einer Weise,
die dafür zeugt, daß die Herrscher Ungarns von" jeher beim Antritt ihrer Re
gierung einen ähnlichen Eid leisteten. Vgl. oben S. 50 u. 86 — 2 Vgl. oben
S. 133. — 3 Urkunden aus diesem Zeitabschnitt handeln über Dinge, die
eigentlich vor den Reichstag gehörten, erwähnen aber nicht, wie jene aus
früherer Zeit, das gesammte Volk, sondern nur die geistlichen und weltlichen
Großen. Kovachich, Vestigia comitiorum und Supplementa ad Vestigia
comitiorum.
Innere Zustände. 1141 — 1186. 281
Mok und die Obergespane Dionysius von Bacs und Esau von Bihar waren,
bestätigte Bela III., als er in die Gegend ihres Wohnorts kam, den Prädia
listen Marcus und Peter ihre adelichen Rechte, die von dem graner Erzbischof
Job angefochten wurden, nach der Aussage von zwölf Zeugen. Bei, Notitia
Hang., II, 285. — 2 Sacramentum pro eivibus Tragurinis vom Jahre 1108, §. 7,
bei Endlicher, S. 377, und Sacramentum pro eivibus Spalatinensibus vom Jahre
1111, §, 7, a. a. 0., S. 379. Sacramentum pro eivibus Sibiniens. vom Jahre 1167,
§. 7, a. a. O. Libertas populorum ecclesiae Quinqueecclesiens., vom Jahre
1191, §. 17. — 3 Petitionibus loqui traxit originem, ut Romana habet curia
et imperii. Thuröczy, II, 69. Kezai, II, 4. Bela selbst sagt in einer Ur
kunde: Ego Bela. . . . considerans, et in futurum meae regiae majestati prae-
cavens, ne aliqua causa in mei praesentia ventilata in irritum redigatur, neces-
sarium duxi, ut negotium quodlibet in andientia Celsitndinis meae discussun1,
scripti testimonio confirmetur. Fejer, Cod. dipl., II, 198.
282 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
oder Bilochus regius x , deren Wirkungskreis sich nicht mehr genau an
geben läßt; wahrscheinlich waren sie es, aus denen sich mit der Zeit
die Stuhlrichter
Die Verschleuderung
entwickelten.
des Staatsvermögens durch Güterschenkungen
und Ertheilung von Privilegien dauerte fort. Die Fürsten der dama
ligen Zeit suchten darin Glanz und Ruhm, alles ohne Unterschied zu
vergeben, bis sie selbst nichts mehr hatten; natürlich konnten die Kö
nige Ungarns hinter den übrigen nicht zurückbleiben. Die Prälaten
und Aebte der königlichen Klöster erhielten das Recht, auf ihren Herr
schaften, wem sie wollten, adeliche Freiheiten und Landgüter zu ver
leihen; die so Geadelten hießen Prädialisten, waren ihre Unter
lehnsleute und wurden bald den übrigen Edelleuten gleichgeachtet. 2
Bela III. verlieh dem Bisthum zu Fünfkirchen einen Freibrief, der als
Beispiel der Vergeudung von Geld und Rechten dienen kann, und dessen
auffallendste Punkte im Auszug hier stehen mögen. „So oft im Reiche
eine Steuer (collecta vel talia) gesammelt wird, soll diese im fünfkirch-
Stiftsländereien
ner 'Sprengel für dürfen
den Bischof
im ganzen
erhoben
Lande
werden
zollfrei handeln
Die Einwohner
Alle ge
der
genwärtige und künftige Besitzungen des Bisthums sind befreit von der
Hörigkeit (auditorio) des Königs, von der Gewalt und Gerichtsbarkeit
des Palatins, Obergespans und anderer Richter und ausschließlich dem
bischöflichen Gerichte unterworfen; auch darf gegen die Bewohner der
selben nur ein Einheimischer zeugen Der Bischof erhält den Zehn
ten
des von
Sprengels,
allen in weß
seinem
Ranges
Sprengel
immer
erhobenen
sie seinZöllen
mögen, entrichten
Alle Bewohner
an ihn
den Zehnten aller möglichen Erzeugnisse, von dem weder das Zwan
zigstel
des
an andern
Bischofs
für Orten
dendarf
König,
geschieht,
in Fünfkirchen
noch erhoben
das Hundertstel
und
werden
im Gebiete
soll
für dendes
Obergespan,
Ohne
Sprengels
Einwilligung
wie
keine
es
über die Staats- und königlichen Einkünfte gibt uns ein Document aus
der Zeit Bela's III. wichtige Aufschlüsse. Es ist dies ein Verzeichniß,
welches er an den französischen Hof schickte, als er um die Hand Mar-
garethen3 anhielt, welches noch im Original vorhanden ist und also
lautet: „Das Reich König Bela's besteht aus folgenden Gebieten:
Ungarn, des Reiches Haupt, Kroatien, Dalmatien und Rama. In Un
garn sind zwei erzbischöfliche Sitze, der graner und kalocsaer. Der
graner bezieht aus der königlichen Münze 6000 Mark Silber und außer
dem den Zehnten von dem Gelde; die Stadt ist die Hauptstadt des
Landes. Das kalocsaer Erzstift hat das bäcser Bisthum mit sich ver
einigt, und seine Einkünfte betragen 2500 Mark. Suffragane des gra
ner Erzbischofs: der erlauer mit 3000, der fünfkirchner mit 1500, der
raaber mit 1000, der veßprimer mit 1700, der neitraer mit 1100 Mark
Einkünften. Suffragane des kalocsaer Erzbischofs: der csanäder oder
maroser mit 2000, der biharer, dessen Sitz Wardein ist, mit 1000, der
siebenbürger mit 2000, der agramer an der Save mit 1500 Mark Ein
künften. In Dalmatien sind zwei Erzbischöfe, der zaraer mit 500, der
spalatroer mit 4.00 Mark; beide zusammen haben zehn Suffragane. Dem
Könige Ungarns trägt das Geldwesen (die Münze) jährlich 60000 Mark,
das Salz 16000, die Zölle, Wege und Märkte, die ihm ausschließlich
gehören, 30000. Die siebenbürger Gäste (hospites, worunter die ein
gewanderten Sachsen zu verstehen sind) zahlen 15000 Mark. Von
72 Obergespanen bezieht er als königliches Drittel (der Einkünfte von
Burgländereien und von den Steuern der Freien) jährlich 25000 Mark.
Der Herzog von Slawonien zahlt ihm jährlich 10000 Mark. Jeder der
72 Obergespane bewirthet den König einmal im Jahre und gibt ihm,
bevor er vom Tisch aufsteht, ein Ehrengeschenk von 100 und, mancher
von 200 Mark, sodaß sich das hieraus fließende Einkommen des
Königs beiläufig auf 10000 Mark setzen läßt. Außerdem sind noch zu
erwähnen die bedeutenden Geschenke, welche der Königin und den
Kindern des Königs an Silber, Seide und Pferden zukommen, und
überdies die Grenzzölle. Das Volk (terrae populus) versieht den
König vollständig mit Lebensmitteln." x
1 Regni Hungariae fines et dominatus amplitudo; in der kaiserlichen Bi
bliothek zu Paris, Cod. 6230, S. 20, bei Feher, Cod. dipl. II, 217.
284 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
lucrum camerae statt. x Es mußte nämlich das alte Geld jedes Jahr
gegen neues eingewechselt und ein Gewisses als Prägekosten darauf
gezahlt werden, wobei es nicht selten geschah, daß die neue Münze
weniger Feingehalt als die alte hatte; denn dieses Mittel, sich für
den Augenblick Geld zu verschaffen, war durch seine Leichtigkeit eben
so verlockend, wie es in unserer Zeit Staatsanlehen und Papiergeld
sind. So wurden die Münzen zum Verderben der Bürger und der
Staatskasse immer schlechter und werthloser. Aber selbst abgesehen
von solchem Misbrauche war diese Steuer , welche den größten Betrag
zu dem Staatseinkommen lieferte, höchst drückend, sie gab von einer Seite
zu Unterschleifen und von der andern zu vexatorischen Maßregeln Ver
anlassung. Obermünzwardein des Reichs (pisetarius regni), unter dessen
Aufsicht die Ausprägung des Geldes stand, mußte bereits zu dieser Zeit
der jedesmalige graner Erzbischof sein, denn nur unter diesem Titel
konnte er ein so großes Einkommen von der königlichen Münze be
ziehen. Geprägt wurden meistens silberne Dick- und Hohlpfennige,
die vier bis neun Gran Silber halten sollten ; außer diesen lief viel frem
des Geld um, besonders ausländische Goldstücke. Größere Summen
wurden nach Giren, eine Gira gleich einer Mark Silber, kleinere
nach Pensen, 4 eine Mark, und Groschen, 48 eine Mark, ge-
. rechnet; 4 Silberpfennige galten einen Groschen (pondus, ungarisch
i7 neherek). 2
£L mit 5,
AufeindemCentner
graner Markte
(mazsa)wurden
Kupferummit
diese2, Zeit
Blei1000
mit Hasenbälge
1, Wachs
völlig preisgegeben waren und gekauft und verkauft wurden, hatte sich
beträchtlich vermindert. Dagegen vermehrte sich täglich die Menge
der Hörigen
1 Eiu solcher
theilsUmtausch
durch Freigelassene,
des Geldes war
theils
in den
durch
meisten
unterdrückte
Ländern Freie.
schon
und Herbst über größtentheils unter Zelten wohnen; daß die Häuser in
Dörfern und Städten armselig, meistens aus Rohr, selten aus Holz und
nur wenige aus Stein gebaut sind. Auch hierin mögen wir zum Theil
eine Uebertreibung jener Feindseligkeit erkennen, mit. der er alles
tadelt und sogar sagt: „Man muß sich über die göttliche Vorsehung ver
wundern, daß sie solchen Menschen, nein nicht Menschen, sondern Un
geheuern von Menschen, ein so schönes Land wie Pannonien eingeräumt
hat." Doch mochte noch immer ein gewisser Hang zur nomadischen
Lebensweise in dem dünn bevölkerten Lande, und da die Viehzucht mit
Vorliebe betrieben wurde, sich äußern; der Aufenthalt in der Nähe der
Ackerfelder und Weidestrecken war überdies bequemer als in dem von
ihnen entfernten Hause, und das Zelt gewährte den Abgehärteten in der
milden Jahreszeit hinlänglichen Schutz, darum kehrten sie erst mit dem
Eintritte der rauhen Witterung wieder in ihre Ortschaften zurück. In
Gegenden aber, wo es damals ebenso wenig Holz und Steine gab als
heutzutage , konnte und kann auch jetzt der Aermere sein Haus nur aus
Lehm und Rohr bauen. Uebrigens würden gerade um diese Zeit in
allen1 Gegenden
Kollar, Amoenit.
Ungarns
, II,Dörfer
139 fg. und
— Städte
2 Die Urkunden
angelegt,beibesonders
Katona, Hist.
von
Reg., III, 493 u. 503. — > Urkunde Andreas' III. für die Propstei Lelesz,
bei Katona, Hist'. Reg., V, 180. — 4 De reb. gestis Friderici I., a. a. O.
286 Drittes Buch.' Zweiter Abschnitt.
Sache selbst den Ungarn verächtlich und verhaßt gemacht haben. Aber
gewiß lag die Hauptursache, warum sie sich für den heiligen Krieg
nicht begeisterten, in ihrer Sinnesart, die so wenig zu religiöser
Schwärmerei and Glaubenshaß hinneigt. Sie, die im Vaterlande mit
ihren mohammedanischen Mitbürgern in Frieden lebten, konnten sich
nicht veranlaßt fühlen, in die Ferne wider deren Glaubensgenossen zu
ziehen und einen Vertilgungskrieg zu führen; die Vertheidigung des
Vaterlandes, die Bewahrung ihrer Freiheit lag ihnen näher am Her
zen. Indessen darf man nicht glauben, daß es ihnen an Religiosität
fehlte; sie waren fromm im Geiste der Zeit, beobachteten die gottes
dienstlichen Gebräuche eifrig, hielten die vorgeschriebenen Satzungen
strenge und übten gegen Kirchen undKlöster verschwenderischeFreigebig-
keit, zu der sie in der Entstehung neuer Mönchsorden immer neuen
Reiz und beständige Aufforderung fanden. Neben den Benedictiner-
abteien vermehrte sich unablässig die Zahl reicher Cistercienser- und
Prämonstratenserklöster, und jetzt kamen noch die Häuser der
Kreuz-, Johanniter- und Tempelritter hinzu, die ebenfalls mit aus
gedehnten Ländereien und Privilegien ausgestattet wurden. Und alle
die Klöster für Männer und Frauen erhielten ihre zahlreiche Bevöl
kerung größtentheils aus den vornehmen Ständen. Freilich mochten
viele nicht durch das Verlangen, der Welt zu entsagen, hingetrieben,
sondern im Gegentheil von dem Glanz des Reichthums, von der Aus
sicht auf Wohlleben und von der Hoffnung auf hohe kirchliche Würden
gelockt
Wasworden
in dem
sein,
allgemeinen
welche ihnen
Zustande
das Kloster
der Dinge
reichlich
seinen
darbot.
Grund hat,
was in der jeweiligen Denkungsart liegt und durch die öffentliche Mei
nung geheiligt ist, v dagegen vermag niemand zu kämpfen; auch der Ein
sichtsvolle, Mächtige und Entschlossene ist dem Zeitgeiste gegenüber
ohnmächtig. Das Papalsystem war bereits vollständig ausgebildet; zu
nehmend hatten die Könige den Einfluß auf die kirchlichen Angelegen
heiten und die Metropoliten die Gerichtsbarkeit über die Bischöfe ihres
Sprengels verloren ; der Papst wurde bereits mit frommem Glauben als
das von Gott bestellte Haupt der Christenheit verehrt, von dem jede
Gewalt ausgehe. Schwache Könige hatten nicht Ruhe, bis sie Gele
genheit fanden, Beweise seiner heiligen Machtfülle zu fordern und zu
empfangen; die Bischöfe und Aebte zogen es vor, unter seiner, nicht unter
des Königs oder des Metropoliten Obmacht zu stehen; die politischen
Parteien der christlichen Reiche buhlten wetteifernd um seinen Bei
stand; die Völker bedurften einer Macht, die sie gegen die Gewalt-
thaten ihrer Dränger schütze. Dagegen behauptete das Papstthum
durch sein wohlberechnetes Verfahren große Ueberlegenheit über die
weltlichen Gebieter; diese faßten immer nur die Gegenwart und das
Bedürfniß derselben ins Auge, die Päpste aber, auf die Zukunft den
Blick richtend, wählten meistens das, was ihnen bleibenden Vortheil
verhieß; und was sie einmal geübt hatten, das wußten sie zum gött
lichen, allgemein und für alle Zeiten gültigen Rechte zu erweitern.
Dieser bereits so fest begründeten Macht mußte sich auch Ungarn unter
ordnen. Aber nicht gewaltsam und unter heftigen Kämpfen, wie in
288 Drittes Buch. Zweiter Abschnitt.
1159 sam zu erhalten, beraubte sich Geiza II., als er 1159 auf Anrathen des
hierarchisch gesinnten Bänfy dem Rechte entsagte, das seine Vorgänger
bisher geübt hatten, Bischöfe und Aebte von einer Pfründe auf die an
dere zu versetzen. 2 Einen noch weit größern Fehler beging er, indem
er geschehen
1 Johannesließ,
Bodinus,
daß De
seinrepublica,
Liebling,Lib.der1. ihm
Er beruft
so ergebene
sich auf vaticanische
Erzbischof
Acten. — 2 Codex ms. membr. tab. Vaticani Zahl 2040, bei Pray, Hist. Reg.
Hung., I.
Innere Zustände. IUI — 1196. 289
von Spalatro, Gaudius, wegen eines geringen Vergehens gegen die Kir- 1150
chensatzungen nicht vor ihm, sondern vor dem Papst angeklagt und
von diesem abgesetzt wurde 1, da doch nach altem Brauch der König
im Verein mit den Bischöfen die höchste Gerichtsbarkeit über die geist
lichen Würdenträger übte. Muthiger betrug sich die Bürgerschaft von
Spalatro. Des Gaudius Nachfolger Absalon erlaubte sich mancherlei
Uebergriffe und gerieth dadurch in Streitigkeiten mit der Stadt, worauf
eine Verordnung erlassen wurde, welche den Bürgern unter eidlicher
Verpflichtung verbot, unbewegliches Gut und Ländereien an Kirchen zu
schenken, zu vermachen oder zu verkaufen. Der Papst sprach des
halb den Bann über Spalatro aus2; es ist aber ungewiß, ob der römische
Bannstrahl
Ein Verstoß
die Verordnung
gegen alle
unwirksam
Staatsklugheit
gemachtwarhabe.
es schon, daß Ste
phan III., wahrscheinlich auch auf Betreiben Lucas Bänfy's 1169 den 1169
Cardinal-Legaten Albert Mora annahm, „damit durch dessen Bemühen
die römische Kirche (das Papstthum) freudiges Wachsthum gewinne";
daß man aber auf dieses Legaten Vermittelung die Freiheit der unga
rischen Kirche durch ein königliches Edict festsetzen ließ, war gefähr
liche Hingabe dieser Freiheit selbst nebst der Freiheit des Reichs an eine
auswärtige Macht. In diesem Edict bestätigte der König „aus eigenem
Antriebe, den heilsamen und dringenden Ermahnungen des Cardinals
Mora gemäß, in Verehrung der römischen Kirche und des Papstes, sei
nen Vater Geiza ehrwürdigen Andenkens nachahmend, dessen Verord
nung, kraft welcher er, wie bekannt, das Recht, Bischöfe abzusetzen
oder zu versetzen, auch für seine Nachkommen verbindlich dem Herrn
Papst Alexander III. und dessen Nachfolgern übertragen hat". Ferner
versprach er für sich und seine Nachkommen, von der Gewohnheit sei
ner Vorfahren abzustehen und bei Erledigung der Bisthümer zur Ver
waltung der Einkünfte nie wieder Laien, sondern ehrbare Geistliche zu
bestellen, damit diese, nach Abzug ihres nothwendigen Unterhalts, das
übrige zur Erhaltung der Kirchen und bischöflichen Wohngebäude und
zum Besten der Armen, der Witwen und Waisen verwenden; auch sei
es ihm und seinen Nachfolgern verboten, sich von diesen Einkünften je
etwas anzueignen, ausgenommen in Fällen der äußersten Noth mit Ein
willigung der Bischöfe. Mit gleich verbindender Kraft entsagte er dem
Rechte, Pröpste und Aebte der königlichen Stifter ihres Amtes zu ent
setzen, es sei denn, sie wären eines groben Verbrechens in kanonischer
Rechtsform überwiesen. 3 Dieses Edict wurde jedoch von kräftigen
Königen nicht beobachtet; schon Bela III. entsetzte 1174 den
kalocsaer Erzbischof Stephan, weil er ein Anhänger seines Bruders
Geiza war4, und 1182 den Abt Desiderius 5, ohne Widerspruch von
selten Roms.
1Die
Thomas
graner
Archidiac.
Erzbischöfe
Hist. Salonit.,
mochtene. 19.
^,fühlen
Farlatus
, ihre
Illyric.
Reichthümer
s., III, 179und
fg.
Vorrechte seien zu groß , als daß sie nicht den Neid aufregen und zu
Angriffen reizen sollten. Denn nur daraus läßt es sich erklären, warum
sie, die Mächtigen, die es ungestraft wagen durften, einem durch Ge
burt und Wahl rechtmäßigen Könige die Krönung zu Verweigern, so
ängstlich und so häufig päpstliche Schutzbriefe für ihre Kirche nach
suchten und dadurch ihre Abhängigkeit von Rom immer mehr begrün
deten. Mit solchen Schutzbriefen versahen sich der Erzbischof Niko
laus von Lucius III., und sein Nachfolger Job 1188 von Clemens III.
Die Bulle des letztern bestätigt der graner Kirche den unverletzbaren
Besitz aller rechtmäßig erlangten und in Zukunft zu erlangenden Güter,
Befreiungen und Vorzüge , doch unbeschadet dem Ansehen des
apostolischen Stuhls. Wer dieselben verletzt und nach dreimaliger
Mahnung nicht Genugthuung leistet, verfällt dem Bann und ist auch
seiner zeitlichen Ehre, Macht und Würde verlustig (also auch über diese
will der Papst verfügen). Drei Jahre später erhielt derselbe Job auf
sein Ansuchen von Cölestin III. ein Breve, worin ihm das ausschließliche
Recht, die ungarischen Könige zu krönen, bestätigt und zugleich die
Vollmacht ertheilt wird, ohne Einflußnahme eines andern Bischofs über
die Reichsbarone in geistlichen Angelegenheiten Recht zu sprechen
und sie
Alexander
nötigenfalls
III. entzog
mit dem
1175
Bann
die zu
Martinsabtei
belegen. 1 auf dem Pannonberge
den bei Katona, a. a. O., S. 244, und bei Heirab. Notitia Abbat, ad S. Got-
hard. S. 41. — * Wagner, Annalecta Scepusii, III, 5 fg.
Innere Zustände. 1141 — 1196. 291
V, 281.
der Oligarchie;Dritter
Vorherrschender Einfluss Abschnitt.
dieselbe.
endliche Erhebung
1196—1223.
des Papstes
des ; Volks
Uebermacht
gegen
1. Aensseie Begebenheiten.
schöfe
1 Farlatus,
Ugrin vonIllyrie'.
Raabs.,und
V, Dominicus
66. Chronic.von
Admontense,
Agram derbeipäpstliche
Pez, II, 193.
Be-
Der Brief Emerich's, bei Fejer, Cod. dipl., II, 324. — 2 Innocentii III. Epist.
ad Andream D., bei Katona, Hist. reg., IV, 474 fg., und bei Fejer, Cod.
dipl., II, 313 fg. — s Innocentii III. Epist. ad Emeric. Reg., bei Katona, a. a.
0., S. 477, u. Fejer, a. a. O., S. 311. — * Innocentii III. Epist, ad Archiep.
Strigon., bei Katona, a. a. O., S. 484, u. Fejer, a. a. O", S. 311.
294 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
und Dalmatien nebst dem Herzogstitel erhielt und dagegen die Ober
1199 herrlichkeit
Als nundes
Friede
Königs
im anerkannte.
Lande war, 3feierte Emerich 1199 zu Gran seine
dipl., II, 358 fg. — 2 Chronic. Claustro-Neoburg., bei Pez, IX; Chronic.
Austr. , bei Freher, I, 336. — 3 Godefridus Coloniens., bei Freher, I, 366.
— * Die Urkunde des Papstes Innocentius, bei Dobner, Monumenta, II, 340.
— 5 Gegen Ende des Jahres 1200 gab Andreas wieder mehrere Urkunden
heraus, in denen er sich Herzog von Kioatien, Dalmatien und Chulm von
Gottes Gnaden nennt, z. B. bei Kerchelich, Hist. Epp. Zagenb., S. 324; bei
Farlatus, Illyric. s. , IV, 8. Daß Friede zwischen den Brüdern geschlossen
wurde^ berichten auch Chron. Austr. und Claustro-Neoburgense, und Aren-
peck., bei Pez, I, 710, 449, I20G.
296 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
Das gute Vernehmen unter den Brüdern blieb zwei Jahre lang
ungestört, aber keiner von beiden dachte an die Erfüllung seines Ge
lübdes. Eraerich unternahm vielmehr einen Feldzug nach Serbien.
Die Fürsten dieses Landes waren durch Bela's II. Gattin Helena mit dem
ungarischen Königshause vefwandt geworden und erkannten seit dieser
Zeit bald des ungarischen Königs, bald des byzantinischen Kaisers
Oberherrlichkeit, je nachdem die Macht des einen oder des andern über
wog. Jetzt herrschte Stephan Neemanovitsch im Hauptlande; sein
Bruder Wolkan war Unterzschupan von Zenta und Chulm (Herzego
wina) und ihr Oheim Kulin Ban von Rama (Bosnien). Sie lebten
immerwährend in Hader und Zwietracht, und Stephan hatte noch über
dies den Kaiser Alexius Angelus durch die schimpfliche Verstoßung
•einer Gemahlin Eudoxia, die dessen Nichte war, schwer beleidigt.
Wolkan suchte zuerst sich die Gunst und Unterstützung des Papstes zu
gewinnen; er meldete ihm 1198 seinen Entschluß, mit seinem Volke
von der griechischen zur römischen Kirche überzutreten, und bat, Lega
ten zu schicken, damit das gute Werk glücklich vollbracht werde.
Nichts konnte Innocentius angenehmer sein als diese Botschaft, denn er
£ hoffte nicht nur, mit Hülfe Wälkan's dem römischen Stuhl neue Unter-
thanen zu gewinnen, sondern auch die verhaßte Sekte der schwär
merisch-frommen Patarener l, die sich in den südslawischen Ländern
immer weiter verbreitete, auszurotten. Seine Legaten erschienen und
führten 1199 auf einer Synode zu Antivari das lateinische "Kirchen
wesen ein. Jetzt ward die Lage Stephan's bedenklich, und auch er
wandte sich an Innocentius, versprach, in Serbien die lateinische Kirche
zur Herrschaft zu erheben, bat um Gesandte, zugleich aber auch um
Königstitel und Krone. Innocentius ertheilte hierauf dem Bischof von
Antivari den Befehl, Stephan zu krönen. Da trat Emerich dazwischen,
. ö" den Wmlkan schon für sich. gewonnen hatte, und ersuchte den Papst,
weder Gesandte noch Krone an Stephan zu schicken, weil dieses den
Hoheitsrechten Ungarns über Serbien zuwider sei, welche wiederher
zustellen er gerade jetzt im Begriffe stehe; gelinge ihm das Unter
nehmen , so werde er auch das Land zur römischen Kirche zu bekehren
wissen. Innocentius, dem Personen und Recht gleichgültig waren,
wenn nur der Vortheil des päpstlichen Stuhls gefördert wurde, war
auch hiermit um so mehr einverstanden, da er hoffen durfte, die
römische Kirche werde jedenfalls leichter und sicherer in Serbien siegen,
1202 wenn
1202 das
ein Heer,
Land unter
dem sich
ungarische
auch die
Hoheit
Kriegsmannschaft
gelangte. Emerich
des Herzogs
führte An
nun
dreas anschloß, gegen Stephan, überwand ihn und machte Wolkan zum
Beherrscher Serbiens unter ungarischer Oberherrlichkeit. Der Papst
aber ermahnte ihn dringend, den Fürsten und das Volk strenge zum
Gehorsam gegen die römische Kirche anzuhalten, und ordnete Serbien
dem Erzbischof von Kalocsa unter.2
1 Von ihnen wird weiter unten die Rede sein. — 2 Nicetas Choniat. und
Acropolita bei Stritter, Tom. II, Pars 1, p. 191. Du Fresne, Illyr. vetus et
nov., S. 55. Steph. Epist. ad Innocentium III., bei Fejer, Cod. dipl., II, 390.
Innocentii III. Epist. ad Emericum, bei Katona, Hist. Reg., IV, 625 fg.
Aeußere Begebenheiten. Emerich. 297
Bürger Zaras, von einem kleinen Heere, das ihnen Herzog Andreas zu
Hülfe schickte, unterstützt, ihre Vaterstadt wieder einzunehmen, und als
ihnen dieses mislang, eroberten sie die venetianische Burg Kesse,
rüsteten Kaperschiffe aus und belästigten Venedigs Handel, bis sie durch
eine Flotte, mit welcher Rainer Dandulus, des Herzogs Sohn, auf dem
Adriatischen Meere kreuzte, eingeschüchtert wurden. Zufällig kamen
zehn gaetanische (neapolitanische) Schiffe an die Küste Dalmatiens, die
Emerich sogleich miethete und den Flüchtlingen zur Verfügung stellte.
Mit Hülfe derselben eroberten diese zwar Zara und hieben die feind
liche Besatzung nieder; als sie aber erfuhren, daß Venedig eine neue
Flotte gegen sie rüste, entsank ihnen der Muth, sie flehten um Gnade
und unterwarfen sich auf sehr harte Bedingungen der venetianischen
Herrschaft; sie mußten Geiseln stellen, einen Podesta annehmen, ihren
Erzbischof dem venetianischen Patriarchen unterordnen und sich ver
pflichten , jährlich 3000 Marderbälge zu steuern und Kriegsdienste zu
leisten.
Als2 die Kreuzfahrer sich Zaras bemächtigt hatten, sandte Andreas
sogleich den Abt von Pilis nach Rom, um dem Papst vorzustellen, daß
er unter den gegenwärtigen Umständen, wo das Kreuzheer selbst die
Hauptstadt Dalmatiens verrätherischerweise überfallen habe und die
au der untern Donau hausenden Kumanen das Reich bedrohen, die an
gelobte Fahrt nach Palästina unmöglich unternehmen könne. 3 Aber
Innocentius fand die Gründe nicht hinreichend, um Aufschub zu ge
statten,
1 Guntherus,
und drängte
Hist. Constantinopolitana,
den König zum Aufbruch.
bei CanisiusDoch
, IV, dieser
8. Thomas
hatte
Archid., Hist. Salonit., c. 25. Lucius, Lib. IV, c. I, p. 247. Innocentii III.
Kpistolae, bei Katona, Hist. reg., IV, 646; bei Fejer, Cod. dipl., II,
396 fg. — 2 Dandulus und Thomas Archidiac. , a. a. O. — 3 Fejer, Cod.
dipl., II, 393.
Aeußere Begebenheiten. En1 er ich. 299
sogleich neue Ausreden bei der Hand, die Vollziehung seines Gelübdes,
zu der er nicht die mindeste Lust spürte, weiter hinauszuschieben. Un
möglich sei es ihm, erklärte er, in das Heilige Land zu ziehen, bevor
sein unmündiger Sohn Ladislaus gekrönt und dessen Nachfolge ge
sichert sei; er bitte den Papst, diese Angelegenheit auf jede Weise zu
fördern. Innocentius erließ daher am 25. Febr. 1203 an die Erz- 1203
bischöfe und Bischöfe Ungarns ein Sendschreiben, welches sie ver
pflichtete, vor dem Auszuge des Königs seinem Sohne den Eid der
Treue zu leisten und dazu auch die Klerisei und die Laien anzuhalten ;
alle sollen den vom Könige eingesetzten Reichsverwesern ehrerbietig
gehorchen und, wenn der König, was Christus verhüten wolle, auf der
Heerfahrt der Natur die Schuld bezahlen müßte, seinen Sohn im Be
sitze des väterlicheil Throns schutzen, die dawider Handelnden aber
mit dem Kirchenbann verfolgt werden. 1 Nachdem dieses Hinderniß
beseitigt war, kam Emerich mit einem andern Anliegen: Innocentius
sollte nicht gestatten, daß die Erzbischöfe von Gran und Kalocsa,
während er in fernen Landen gegen die Ungläubigen kämpfen werde,
über die Gerechtsame ihrer Kirchen Streit anfingen, wodurch Parteiungen
im Reiche entstehen könnten. Der Papst beruhigte ihn auch hierüber,
indem er versprach, dafür zu sorgen, daß der Friede des Landes durch
die Prälaten
Mit demselben
nicht gestört
Eifer werde.
wie den
2 König hielt Innocentius auch den
Herzog Andreas an, daß er der letzten Anordnung seines Vaters gemäß
nach Palästina ziehe. Als sich dieser damit entschuldigte, daß ihm die
Mittel hierzu fehlen, forderte er den erstem auf, die Kosten seiner Aus
rüstung zu tragen. 3 Zugleich gab er Andreas das Versprechen, daß
er während seiner Abwesenheit sein Gebiet unter den Schutz des hei
ligen Stuhls nehmen und, wenn ihm ein Sohn geboren würde, auch die
sen im Besitze desselben erhalten werde. 4 Aber auch der Herzog
fühlte keine Neigung, in den Kampf um das Heilige Land zu ziehen,
den Planen der Herrschaft, die er im Herzen nährte, zu entsagen und
seinem beneideten und gefürchteten Bruder freies Feld zu lassen. Und
so blieben
Doch beide
die Hoheit
Brüder,
undeinander
Macht des
eifersüchtig
römischenbewachend,
Stuhls lagzuInnocentius
Hause.
weit mehr am Herzen als die Eroberung Palästinas; er selbst war es,
der noch im Sommer desselben Jahrs die Waffen des Königs vom 1203
Kreuzzuge auf ein ganz anderes Unternehmen lenkte. Nach Kaiser
Heinrich's VI. Tod, 1196, wurde sein Bruder Philipp von Schwaben
zuerst Reichsverweser für den unmündigen Friedrich II. und bald darauf
deutscher König. Innocentius aber, bewog einen Theil der Reichs
stände, Otto von Braunschweig zu wählen. Der Herzog von Böhmen
Ottokar
1 Epist.
wirkte
Innocentii,
und kämpfte
bei Katona,
für Philipp
Hist. reg.,
und erhielt
IV, 658;
vonbeidiesem
Fejer, 1198
Cod.
dipl., II, 401, und bei Dobner, Monumenta, II, 331. — 2 Epist. Innocentii,
bei Dobner, Monumenta, S. 332 fg.; bei Katona, Hist. reg., IV, 661 fg.
— 3 Epist. Innocentii, bei Dobner, Monumenta, II, 3c9: bei Fejer, Cod.
dipl., II, 412. — * Epist. Innocentii ad Andream, bei Dohner, a. a. 0.,
S. 340; bei Fejer, a. a. 0., S. 415.
300 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
zum Lohne dafür die Königskrone. Als er jedoch noch in demselben Jahre
sich von seiner Gemahlin Adele trennte und Constantia, Emerich's
Schwester, heirathete, erkaufte er das Stillschweigen des Papstes zu
dieser That und dessen Anerkennung seiner neuen Königswürde durch
den Uebertritt zu Otto's Partei, und bekriegte fortan Philipp. Der
Papst, der nichts sehnlicher wünschte, als die ihm so verhaßte Macht
der Hohenstaufen in Deutschland zu brechen, forderte auch Emerich
auf, seinem Schwager in" diesem Kriege Hülfe zu leisten; Emerich, froh,
die Erfüllung seines Gelübdes aufschieben, sich vielleicht von demselben
gänzlich losmachen zu können, ließ sogleich ein ansehnliches Heer nach
Deutschland aufbrechen, in welchem sich auch eine beträchtliche Zahl
Kumanen befanden. Mit diesem und dem eigenen Heere stürmte
Ottokar Erfurt, verwüstete die Güter des magdeburger Bischofs und
kehrte im Spätherbst, nachdem er noch das meißner Land geplündert
hatte,Esnach
fehlte
Böhmen
wenig,
zurück.
daß Emerich
1 den kleinen Gewinn, die Einwilli
515. Nee defuit ibi illud perditissimum hominum genus, qui Valve dieuntur
(Valvae, Falben, wurden die Kumanen von den damaligen Deutschen ge
nannt). Arnoldus Lubecensis, Chronicon, ad ann. 1203. Vgl. Palacky, Ge
schichte von Böhmen, Bd. 11, Thl. 1, S. 64 fg. — 2 Die Grafen Andechs, deren
Besitzungen au der Etsch und am Inn in Tirol, Istrien und Dalmatien lagen,
wurden durch Kaiser Friedrich I. 1180 unabhängig von den bairischen Her
zogen gemacht und selbst zu Herzogen erhoben, erweiterten in kurzer Zeit
ihr Gebiet beträchtlich, starben jedoch schon 1248 aus, worauf ihre Län
dereien größtentheils an die Grafen von Tirol fielen. Hormayr, Die großen
Geschlechter im tirolischen Hochgebirge, II, im dritten Bande seiner sämmt-
liehen Werke.
Aeußere Beg ebenheiten. Emerich. 301
sich Emerich zu einer That, die, von einem Cäsar gewagt, zur Be
wunderung hinreißen würde , von ihm, dem wir sie nimmer zutrauten,
unternommen, uns bis zum Staunen überraschen muß. Er läßt die
Seinen in Schlachtordnung treten und gebietet ihnen: „Keiner folge
mir; bleibt ruhig am Platze!" legt sodann Waffen und Rüstung ab,
nimmt einen Stab in die Hand und schreitet feierlich langsam auf das
Lager seines Bruders zu. Dort angekommen, blickt er voll Majestät
um sich her und spricht: „Ich sehe Ungarn; "ihr seht euern König!
Wer wagt es, seine Hand in königliches Blut zu tauchen?" Ueber-
rascht, von ehrfurchtsvoller Scheu ergriffen, trennen sich die Reihen,
jede Hand ist wie gelähmt zum Widerstand, ungehindert gelangt er in
das Zelt seines Bruders, ergreift und führt ihn gefangen mitten durch
die erstarrten Scharen. Der Krieg war geendigt, der Sieg des Königs
allein; reumüthig legten die Empörer die Waffen nieder, fielen ihm zu
Füßen, flehten um Verzeihung und erhielten Gnade; nur Andreas
wurde auf die Burg Kheene (Kneginetz), unweit Warasdin, gefangen
gesetzt
Der
undFürst
seinevon
Gattin
Bulgarien,
zu ihrenJoannitz,
Aeltern heimgesandt.
hatte den König
1 bereits zu
302
scheiden; aber der
Drittes
eigentliche
Buch.Zweck
Dritter
seiner
Abschnitt.
Sendung, Joannitz dxe
Wie strenge mußte solche Beleidigung des heiligen Stuhls gestraft wer
den! Aber Emerich erhielt von Innocentius, dem furchtbaren Verfolger
der Könige, ein Sendschreiben voll wehmüthiger und bescheidener Kla
gen; nur der Schluß enthält ernste Drohungen. „Gelinder und freund
licher als die Sache es forderte", heißt es da, „haben wir an Dich ge
schrieben, damit, wenn unser Brief vielleicht zur Einsicht anderer
käme, man nicht glaube, die Huld des apostolischen Stuhls sei Dir ent
zogen , was Dir weder zum Wohle noch zur Ehre gereichen würde.
Nicht unbekannt ist uns, daß in Deinem Reiche vieles geschehen sei und
noch geschehe, was, an die Feile gebracht, mit durchdringender Schärfe
angegriffen werden müßte. Hiermit deuten wir nicht blos auf Dein
Gelübde zur heiligen Heerfahrt, nicht auf Deines Bruders Verhaftung,
noch auf Deine Einwirkung in die Wahlen der Prälaten, sondern auf
so manches andere noch, das wir vorderhand verschweigen, damit es
Dich nicht mächt1g erschüttere. Sieh Dich also weislich vor und
laufe nicht selbst in Verlegenheiten, aus welchen Du schwerlich mit
Glück Dich herauswinden würflest." J
Dieses Papstes Drohungen blieben nie unerfüllt, sobald sie mit
kühnem Trotz erwidert wurden. Beispiele, wie er mit andern Fürsten
verfuhr, dienten Emerich zur Warnung. Nicht minder gefährlich war
andererseits furchtsame Nachgiebigkeit, denn diese machte den Papst im
mer dreister in seinen Anmaßungen. Emerich schlug den Mittelweg ein,
indem1 Epist.
er inInnocentii,
anständiger
bei Katona,
Zuschrift
Histsein
reg. Verfahren
, IV, 714. rechtfertigte und
Aeußere Begebenheiten. Emerich. 303
dabei auch zu dem Gewissen des Papstes sprach. Je mehr, hob er an,
er sich der innigsten Ergebenheit gegen den römischen Stuhl bewußt
sei, um desto schmerzlicher falle ihm die feindliche Begegnung von
dessen Seite; denn nur als solche könne er die Verleihung der "Königs
würde an seinen ärgsten Feind betrachten. . Während die ungarische
Kriegsmannschaft dem Papste zu Gefallen in Deutschland kämpfte,
habe Joannitz sein Reich mit einem Haufen heidnischer Kumanen über
fallen, Gebietstheile an sich gerissen, Serbien geplündert, Gläubige den
Ungläubigen zur Knechtschaft preisgegeben; dafür würden ihm nun
Krone und Königstitel verliehen. Ueberdies besitze Joannitz gar kein
rechtmäßiges Eigenthum und hätte als Räuber eine andere Erhöhung
würdigen
als die zumvor
Könige
dem König
verdient;
geheimgehalten
dennoch sei worden,
diese Begünstigung
den sie alsdes
Nach
Un- •
Bruder und gleich darauf dem Papste gegeben hatte. Sein eitles Gemüth
wurde durch den Glanz der Krone viel zu stark gereizt, als daß er der
lockenden Versuchung, welche die Reichsverweserschaft für ihn enthielt,
lange hätte widerstehen können. Dazu kamen noch die Einflüsterungen
seiner herrschsüchtigen Gemahlin, die er sogleich nach Emerich's Tode
zu sich berufen hatte; sie trieb ihn unablässig, sich in den bleibenden
Besitz der Macht zu setzen , die ihm zeitweilig übertragen war, und den
Thron zu besteigen, zu dem nur ein wehrloses Kind den Zugang sperrte.
Zuerst entstanden Reibungen zwischen Constantia und Gertrud. Die
erstere wollte ihre Rechte als Witwe des verstorbenen und Mutter des
jetzigen Königs behaupten; die andere strebte weit hinaus über den
zweiten Platz, der ihr gebührte, und Andreas, von ihr gänzlich beherrscht,
unterstützte ihren grenzenlosen Hochmuth. Bald erlitt Constantia
Kränkungen und Beeinträchtigungen , in denen sie die Vorboten künf
tiger Gewaltthätigkeiten erblickte; sie glaubte sich und ihren Sohn in
Ungarn nicht länger sicher und floh mit ihm nach Oesterreich, ihre
Schätze, die Krone und die andern Reichskleinodien mit sich füh
rend, begleitet von geistlichen und weltlichen Herren. Erzherzog Leo
pold nahm sie in Wien gastfreundlich auf und war bereit, ihr und dem
königlichen Kinde thätigen Beistand zu leisten. Andreas forderte drohend
die Auslieferung beider und der Reichsinsignien; seine Forderung wurde
zurückgewiesen, auf seine Drohungen mit Kriegserklärung geantwortet.
Schon stand ein österreichisches Heer an der Grenze, schon war die
Kriegsmannschaft Ungarns aufgeboten: da starb der junge König am
7. Mai 1205 und die Ursache des Kriegs war gehoben. Der raaber 1205
Bischof
1 Epist.
UgrinInnocentii,
setzte den
bei Dobner,
Leichnam
Monumenta,
in der stuhlweißenburger
II, 342, 352, 353, Königs-
354, bei
Katona, Hist. reg., S. 752 fg., und bei Fejer, Cod. dipl., II, 455 fg.
Feßler. I. 20
306 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
1205 und ward am 29. Mai 1205 gekrönt.2 Er ist der erste unter den
ungarischen Königen, von dem die Geschichte berichtet, daß er einen
Krönungseid geleistet habe. 3 Der eitle und schwache Mann, der weder
zu gehorchen noch zu regieren wußte, war wol bereit, alles zu ver
sprechen; aber zu halten, was er gelobte, dazu fehlte es ihm an Ein
sicht, Kraft und sittlichem Ernst. Er blieb der willenlose Sklave seiner
^ Gemahlin Gertrud, die ihn und das Reich ganz unverhohlen beherrschte4,
sich um Ai1nlmr1rl Recht und Sitte wenig kümmerte und ihre angemaßte
Gewalt insonderheit zur Erhebung ihrer ausländischen, meist unwür
digenKurz
Verwandten
bev,or Andreas
und Günstlinge
den Thron
arg misbrauchte.
bestieg, hatten sich die graner
das Jahr unrichtig an. Chron. Claustro-Neoburg., bei Pez, I, 450. Vitus
Arenp., bei Leibnitz, Script. Brunsvic, III. Hauthaler, Fase. Campilit. ad
ann. 1204 u. 1205. — 2 Thuroczy, II, 72. — 3 Epist. Honorii, III. Pontificis
ad Belam Reg. 1225, bei Fejer, Cod. dipl., III, 294. — * „Erat autem An
dreas Kex vir quietus et bonus, regina vero mulier virtuosa et fortis, qnae
femineae cogitationi 'virilem animum inserens, regni traetabat negotia. "
Theodorici Thuringi Vita S. Elisabethae bei Canisius, Tom. IV, Pars I, p. 119.
— 5 Epist. Innocentii ad Andream Reg. 1206. bei Fejer, Cod. dipl., III, i,
29. — 6 Epistolae Innocentii ad Andream Reg., 1207. Fejer, Cod. dipl.,
III, I, 49, und III, I, 78.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 307
Bela IV. Ob er der Anordnung des Papstes gemäß schon 1208 4, oder,
wie andere meinen6, erst 1216 gekrönt wurde, läßt sich mit Gewißheit
nicht Gertrudens
entscheiden.älterer Bruder Eckbert, Bischof von Babenberg, über
Halitsch,
3 Breve Innocentii
S. 207 fg.de Karamsin,
7. Junii, beiGeschichte
Dobner, Monumenta,
des russischen
II, Reichs,
362. — III.
* Hor-
—
väth, Geschichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 330. — 5 Szalay, Ge
schichte des ungarischen Reichs, 2. Aufl., I, 299. — 6 Raynaldus, Annales
eccles. ad ann. 1206, Nr. 26. Fejer, Cod. dipl., III, 1, 76.
20*
308 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
Ban von Slawonien 3 und verlieh auch Eckbert neue Güter und Ehren.
Außerdem wurden noch andere Günstlinge der Königin hervorgezogen
und reichlich mit Schenkungen begabt. Ihr Jugendlehrer Adolf er
hielt die Propstei zu St.-Martin in Zipsen und sammt seiner Schwe
ster, einem Hoffräulein der Königin, noch eine beträchtliche Herr
schaft. 4 Der Eingewanderte Lendeger und Dominicus Raskay, Ober
mundschenk der Königin, wurden auf deren Fürsprache mit ausgedehn
ten Besitzungen belohnt, weil sie ihr selbst und ihren Brüdern wichtige
Dienste geleistet hatten. 6
Die unverzeihliche Nachgiebigkeit des Königs gegen die Gelüste
einer herrschsüchtigen und eigensinnigen Frau, die parteiische Be
günstigung unwürdiger Ausländer, die verschwenderische Belohnung
solcher Dienste , die dem Vaterlande keinen Vortheil brachten , der un
erträgliche Hochmuth und die unersättliche Habgier dieser Günstlinge,
dies alles mußte gerechten Unwillen erregen und den Wunsch wecken,
dem ebenso schimpflichen als verderblichen Treiben ein Ende zu
machen. Mehrere Große des Reichs schlossen einen geheimen Bund,
Andreas abzusetzen und einen Mann, der. für des Vaterlandes Wohl
besser sorgen würde, auf den Thron zu erheben. Wir haben berichtet,
daß Bela's III. Bruder, Geiza, sich 1192 dem Kreuzheer Kaiser Fried-
rich's I. anschloß. Nach seiner Rückkehr aus dem Gelobten Lande
1210 blieb
Söhne. er An
in diese
Konstantinopel,
sandten die vermählte
Verschworenen
sich und
1210hinterließ
Abgeordnete,
mehrere
um
sie auf den Thron ihrer Ahnen zu berufen. Ohne Verdacht und Ver-
rath kamen die Gesandten nach Spalatro; aber als sie dort im
Begriffe standen, das Schiff zur Weiterreise zu besteigen, ließ sie der
Graf der Stadt, Domaldus, der das Geheimniß erfahren hatte, an
halten , nahm ihnen ihre Briefschaften ab und schickte sie gefesselt an
den König.
Die große
l Gefahr, welcher Andreas nur durch einen glücklichen
Zufall entronnen war, machte ihn nicht weiser, die Königin und ihre
hochmüthige Familie nicht behutsamer. Der noch immer nicht völlig
bestätigte kolocsaer Erzbischof Berthold .wollte sich, auf die Gunst des
Königs pochend, dem Reichsprimas Johannes gleichstellen, wo nicht
über denselben erheben und forderte für sich und sein Stift das Recht,
den König zu krönen, den Zehnten von den Münzstätten zu beziehen,
die königliche Familie mit den Sacramenten zu versehen u.s.w. 2 Dar
über entstand zwischen den zwei Erzbischöfen heftiger Streit, dessen
Beilegung der Papst dem Könige 1211 nachdrücklich empfahl.3 Auch 1211
gelang es diesem zu bewirken, daß die beiden Prälaten für sich und
ihre Stühle einen feierlichen Vertrag abschlossen, der aber den kalocsaer
übermäßig begünstigte und ebendeshalb von dem graner Kapitel ver
worfen und vom Papst für nichtig erklärt wurde. 4 Für die erlittene
Abweisung mußte Berthold mehr als hinreichenden Ersatz erhalten;
er und seine Schwester ruhten nicht, bis ihn Andreas 1212 zum Woj- 1212
woden von Siebenbürgen und bald darauf zum Grafen der Gespan
schaften Bodrog und Bäcs ernannte. Von nun an kannte der Ueber-
muth des aufgeblasenen jungen Mannes keine Grenzen mehr; er begeg
nete selbst den vornehmsten Ungarn mit grober Anmaßung und empö
rendemVerschwenderischer,
Stolze. als alle seine Vorfahren verschenkte Andreas
Güter und Gefälle des Staats, wodurch die ohnehin schon sehr ge
schmälerten königlichen Einkünfte sich noch mehr und mehr verrin
gerten. Demungeachtet sammelte Gertrud mit leidenschaftlicher Hab
gier große Schätze für ihre Kinder. Die vierjährige Prinzessin Elisa
beth wurde 1212 Ludwig, dem Sohn des thüringer Landgrafen Her- 1212
mann, anverlobt. Eine glänzende Gesandtschaft kam nach Ungarn,
um die Braut nach der damaligen Sitte zur Erziehung an den thüringer
Hof abzuholen. Die Verlobung ging mit großer Pracht in Presbnrg
vor sich. Der ungemein kostbare Brautschatz, aus einer Menge gol
dener und silberner Geräthschaften, Seidenstoffen und Edelsteinen und
1000 Mark an Geld bestehend, ferner eine Badewanne von massivem
Silber und das silberne Ruhebett, worin das Kind , in Gold- und Silber
stoffe gehüllt, den Gesandten übergeben wurde, erregten deren Staunen;
da richtete die Königin an sie die Worte: „Saget eurem Herrn, er möge
sich vorläufig hiermit begnügen und gesund bleiben ; schenkt mir Gott
das Leben,
1 Die Schenkungsurkunde,
so soll er in der Folge
die Andreas
noch mit
demdenDomaldus
größten Reichthümern
zum Lohn für
dieses Verdienst 1210 ausstellte, Eejer, Cod. dipl., III, i, 101. — 2 In meh
rern Urkunden aus dieser Zeit steht der Name Berthold's vor dem des gra
ner Erzbischofs. — 3 Epist. Innocentii, bei Katona, V, 150, und Baluzius,
II, 544, ep. 84. — 4 Baluzius, II, 583, ep. 156. Der Vertrag und die Ent
scheidung des Papstes, bei Endlicher , Monumenta, S. 406 —408.
310 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
von mir überhäuft werden." l Aber die Ungarn sahen und hörten die
ses mit bitterm Unmuth. Hätte eine beliebte Königin ihre Tochter mit
solch verschwenderischer Pracht ausgestattet, so würde dies vielleicht
ihrem Stolz geschmeichelt haben; aber daß diese verhaßte Frau un
umschränkt über die Schätze des so sehr erschöpften Landes verfüge
und, was sie erpreßte und zusammenraffte, ihren Verwandten ins Aus
land schicke, das kränkte sie tief. Dazu fuhr Andreas fort, ungeachtet
1211 der
länder
schon
Güter
hereinbrechenden
und EhrenstellenNoth,
zu vergeben.
an Günstlinge
So schenkte
und besonders
er 1211Aus-
den
cden
hischen
er z.um
Kirche
Fürsten
zugethanen
des erstem
Volke
bestellt,
durch Anhänglichkeit
halte sich bei seinem
an die römische
der grie-
schnell verhaßt gemacht und war 1207 vertrieben und zur Flucht
nach Ungarn genöthigt worden. Nach ihm bestiegen Wladimir und
Roman die Fürstenstühle der beiden Länder, wurden aber 1212 in der
Stadt Halitsch bei einem nächtlichen Volksaufstande sammt ihren Frauen
und Kindern auf gräßliche Weise ermordet. Hierauf baten die Ha-
litscher Andreas, daß er ihnen seinen Jüngem, kaum fünfjährigen Sohn
Koloman zum König gebe. Er, der das eigene Land nicht zu be
herrschen wußte, streckte gierig seine Hand auch nach dem fremden
aus; denn nach der Art kurzsichtiger und eitler Menschen dachte er
nur an den Zuwachs an Macht und Ehre, vergaß aber die großen Schwie
rigkeiten und Gefahren, die damit verknüpft waren, in Rechnung zu
bringen. Vor seiner Abreise übertrug er die Reichsverwaltung der
Königin
1 Theodorieus,
und ihremVita
Bruder,
B. Elisabethae,
dem kalocsaer
Lib. I,Erzbischof
c. 2 , bei Canisius,
Berthold.
Tom.
4 IV",
Er
ParsI, p. 119. — 2 Fejer, Cod. dipl., III, I, 106, 110, 116, 118 u. s. w. —
3 Farlatus, Illyr. s., IV, 217. — * In einer Urkunde, bei Katona, V, 207,
und Fejer, III, i, 149, lesen wir: D. Andreas rex . . . profecturus . . . in
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 311
noch hochmüthiger und verwegener, steigerte aber auch den Haß der
zurückgesetzten und von ihm beleidigten Großen. Einige derselben
brachen in sein Haus ein, prügelten ihn und die zu seinem Beistand her
beieilenden Geistlichen und Mönche erbärmlich ab und flohen dann, um
seiner Rache zu entgehen, nach Polen. Innocentius glaubte, er dürfe die
Mishandlung eines wenngleich unwürdigen Bischofs nicht ungestraft
lassen und sprach am 6. Jan. 1214. den Bann über sie aus, um den
sie sich freilich wenig kümmerten. 1 Nicht gewarnt durch diesen Vor
fall, beging Berthold ein ruchloses Verbrechen. Entbrannt von wol
lüstiger Liebe, suchte er die schöne Gemahlin des Palatin Bank zu
verführen. Da aber die tugendhafte Frau seine Anträge mit Ver
achtung zurückwies, erlauerte er eine schickliche Gelegenheit und
schändete sie gewaltsam in den Zimmern der Königin mit deren Wissen
und Hülfe. 2 Die Schandthat schrie laut um Rache. Berthold selbst
raubte die Schätze, welche die Königin für ihre Kinder zusammen
gescharrt und bei einem graner Bürger niedergelegt hatte, verbarg sich
in einem Schlosse und entkam von da glücklich ins Ausland. Allein der
Königin sprachen die Freunde Bank's das Todesurtheil , und selbst der
graner Erzbischof Johannes , dessen Meinung sie einholten , ermunterte
sie zur Vollstreckung desselben durch eine zweideutige Antwort. 3 1214
Hung., S. 187, Chron. Bavariae", bei Oefele, I, 361, beschuldigen ihn der
Unthat; Joannes Staindel, bei Oefele, I, 500, und Anonymus Leobiensis, bei
II,
Pez,72,I, berichtet
802, nennen
einfach:
zwar dessen
„UxoremBruder
BankEckbert
bani domina
als Thäter,
memorata
und Thuroczy,
(Gertrud)
vi tradidit cuidam suo fratri hospiti deludendam"; aber seine schnelle Flucht
nebst andern Umständen zeugen dafür, daß er der Thäter war. — 3 Er
schrieb: Reginam oeeidere nolite timere bonum est; si omnes consentiunt,
ego non contradico." Diese orakelmäßige Antwort erhält durch verschiedene
Stellung der fehlenden Interpunctionszeiehen einen entgegengesetzten Sinn,
nämlich: „Reginam oeeidere, nolite timere: bonum est; si omnes consentiunt,
312 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
Geführt von dem binarer Obergespan Peter und dem Ban Simon, über
fielen sie die schuldbeladene Frau in ihren Gemäehern oder, wie andere
berichten 3, während sie unter einem Zelt im Freien weilte, und hieben
sie in Stücke. 2 Ihre anwesenden Kinder, den bereits gekrönten Bela,
den Jüngsten Sohn Andreas und die Tochter Maria, brachte ihr Erzieher,
Meister Salomon , Sohn des Grafen Michael , in Sicherheit, 3 Herzog
Leopold von Oesterreich, der sich als Gast am königlichen Hofe be
fand , rettete sich durch die Flucht. * In der darauf folgenden Nacht
wurde Peter mit mehrern Verbündeten von Anhängern der Königin
ermordet 6; die übrigen Verschworenen wußten sich der Rache und
wahrscheinlich auch der Strafe zu entziehen. Bank selbst scheint an
der Ermordung Gertrudens, wenn er auch das Vorhaben seiner Freunde
kannte und insgeheim förderte, wenigstens nicht thätlichen Antheil
genommen zu haben, da er auch später die höchsten Staatsämter
bekleidete.
Als Andreas
6 von dem gräßlichen Ereignisse Kunde erhielt, kehrte
sich wenigstens vermuthen, weil der eine Theil desselben in der Cistercien-
serabtei zu Pilis , der andere in der Prämonstratenserpropstei zu Lelesz be
stattet wurde ; Thuroczy , II , 72 ; Urkunde des Andreas für die leleszer
Propstei, bei Katona, V, 135. — s Fejer, Cod. dipl.x III, I, 151. — * Hasel
bach,
— 5 Hermann.
bei Schier,Abbas
Reginae
und Hung.,
Chron.S.compil.
191. Timon,
rer. boicar.,
Epitome
bei chronglog.,
Oefele, a. S.
a. 53.
0.
— 6 Thuroczy und Muglen machen Bank zum Vollzieher der Mürdthat und
erzählen , daß er und sein ganzes Geschlecht dafür mit dem Tode büßten;
offenbar verflochten sie die gegenwärtige Begebenheit mit einer ähnlichen, die
sich 116 Jahre später zutrug. — 7 Katona, Hist. reg., V, 204.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 313
Gold und Silber .... auf 7000 Mark geschätzt, .... davongetragen.
Ich bitte daher Eure Heiligkeit, ihn durch apostolische Ermahnung zur
Wiedergabe des mir ungerecht entwendeten Gutes anzuhalten; widrigen
falls möge Eure Heiligkeit es mir nicht verargen , wenn ich mich eigen
mächtig durch die Einkünfte seiner Kirche entschädige." Aber auch
jetzt, wo sein eigener Thron unter ihm wankte, dachte er noch daran, für
seinen Sohn Koloman Galizien und Lodomerien zu behaupten. Er
bittet daher zuerst, Innocentius möge erlauben, daß die Bewohner der
beiden Länder, die sich fortan zur römischen Kirche bekennen würden,
die griechischen Gebräuche beibehalten dürften, und sodann, daß er
dem graner Erzbischof die Vollmacht gebe, Koloman zu krönen.1
Der Papst gewährte bereitwillig beides. Hierauf schickte Andreas
seinen Sohn und den Erzbischof Johannes mit einem Heere nach Ha-
litsch, wo die Krönung 1215 unter Assistenz des krakauer Bischofs, 1215
Vincenz Kadlubek, feierlich vollzogen wurde. Um den Thron des un
mündigen Königs gegen die Angriffe der russischen Fürsten, die Gali
zien und Lodomerien längere Zeit besessen hatten, mehr zu sichern' und
das polnische Interesse mit dem ungarischen zu verknüpfen, ver
lobte man ihn mit des polnischen Herzogs Lesko dreijähriger Tochter
Salome. 2 Wahrscheinlich zur Belohnung für diese Dienste schenkte
der König um diese Zeit dem graner Erzbischof den königlichen Zoll
von Kakacs bei Gran, der von ausländischen auf der Donau fahrenden
Schiffen
Nachdem
erhobensich
wurde.
die Aufregung
3 im Lande gelegt hatte, und Andreas 1216
epist. 1222. Fejer, Cod. dipl., III, i, 355. Dlugoss., Hist. Polon., VI, 604.
Vgl. Naruszevicz, Geschichte von Polen, V, 205. Breviarium Roman. Fran-
ciscan. ad 17. Nov., Lectio 4. — 3 Katona, V, 217. — 4 Schier, Reginae
Hang., S. 197.
314 Brittes Buch. Dritter Abschnitt.
die Wähler vereinigten sich zu Gunsten des letztern, weil sie hofften,
er werde das hinfällige Reich mit Ungarns Macht vertheidigen, und
ließen ihn durch eine Gesandtschaft zur Uebernahme der kaiserlichen
Würde einladen. Hocherfreut über den glänzenden Antrag, berichtete
Andreas seiner Gewohnheit gemäß die Sache sogleich an den Papst
und bat um die Bestätigung der Wahl und der Vorkehrungen, die er
für die Regierung Ungarns während seiner Abwesenheit getroffen habe.
Allein der staatskluge Innocentius III. war bereits todt (nach einer Vi
sion der heiligen Cisterciensernonne Lutgarde bis an den Jüngsten Tag
zum Fegfeuer verurtheilt x) und Cencius Savelli hatte als Honorius III.
den päpstlichen Stuhl bestiegen. Dieser fürchtete des ungarischen Kö
nigs Wachsthum an Macht mehr als den Untergang der lateinischen
1217 Herrschaft in Konstantinopel, und antwortete am 30, Jan. 1217: es
gereiche ihm zwar zur Freude, daß dem Könige die Kaiserwürde an
getragen worden sei, jedoch seine Willensmeinung, ob dieser sie an
nehmen solle, könne er noch nicht eröffnen. Den angelobten Kreuz
zug dürfe Andreas ohne Beleidigung Gottes, ohne des apostolischen
Stuhls Verletzung und ohne eigene Schande nicht länger hinausschieben;
vielmehr müsse er spätestens gegen Ostern den Weg antreten. Uebrigens
würde der Legat, Bischof von Ostia, mit dem Könige überlegen, ob die
Annahme der Kaiserkrone der Ehre des apostolischen Stuhls und sei
nem eigenen
Für denSeelenheil
möglichen
zuträglich
Fall, daß
sei.Andreas
2 die Wahl ablehnte, hat
richtet haben , überall freien Handel treiben ; aus Gold , Perlen und
Edelsteinen verfertigte Schmucksachen, Seidenstoffe und Musterzeuge
sind zollfrei." Auch hier ist der Vortheil ganz auf selten des gewerbe-
und handeltreibenden Venedigs, das diese Artikel verfertigte und
ausführte. „Venedig verpflichtet sich dagegen, zehn Schiffe von 5000
Centner Tragfähigkeit zu stellen, für deren jedes der König 550 Giren
Miethe zahlt; die übrigen Schiffe dürfen keines weniger als 3000 Cent
ner tragen, und der Preis derselben richtet sich im angegebenen Ver
hältnisse
entrichtet nach
der König
ihrer bis
Größe
zu den nächsten
Das erste
Pfingstfeiertagen
Viertheil des ,Miethgeldes
das zweite
zu
Bevor
zum
demEnde
Hafen
Tage
der
Mai,
König
des
Rialto
die
heiligen
letzten
sich einschifft,
Jakob
Die
beiden
Schiffe
im
acht
gewährleisten
Hafen
müssen
Tagevon
vor
vollkommen
Spalatro
Abfahrt
er und eintreffen
der
ausgerüstet
die Schiffe
Venetianer
aus
bis
einander
Nachdem
durch diese
einen Vorkehrungen
Eidschwur Sicherheit."
getroffen 4waren , übergab er seinen
ältesten
1 Urkunde,
Sohn Bela
bei der
Katona
Obhut
, V, seines
241. —Oheims,
2 Pray,des
Dissertatio
berüchtigten
de S.Berthold,
Ladislao,
S. 109. — 3 Urkunde, bei Fejer, Cod. dipl., III, n, 352. — 4 Die aus Vene
dig in die kais. Hofbibliothek übertragenen, jetzt dorthin zurückgestellten Libri
Pactorum , IV, 335. Dandulus, bei Murajori, XII, 339.
giß Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
getragen. — 3 Facimus atque creamus .... tituli veri, illibati et eximii con1i-
tes liberos . . . . ut possint gaudere praerogativis atque gratiis , quibus ceteri
quipiam veri eximii ac liberi comites regni nostri. Katona, V, 294. Nach
dieser Urkunde zu schließen, gab es schon damals auch in Ungarn freie
Grafen, wie in andern Ländern. — 4 Calles, Annales Austr. , II, 201—202.
— 5 Thomas Archiad. Spal. Hist. Salonit., Kap. 26.
*xV
*Qs^,,
Aeußere Begebenheiten., Andreas II. 317
den fliehenden Feind, der ihnen die. Gelegenheit zum Sieg entzog, an
dem Sitze seiner Macht, in Aegypten, aufzusuchen, gaben aber dieses
Vorhaben vorderhand auf und beschlossen, die nur vier Meilen von
Ptolomais entfernte Burg auf dem Berge Tabor zu erobern. Sie war
stark befestigt,' siebzig Thürme erhoben sich über ihre Mauern und eine
Besatzung von 2000 erlesenen Kriegern vertheidigte sie. Vergeblich
bemühte sich Graf Raimund von Tripolis darzuthun , daß es unmöglich
sei, die Burg zu erstürmen, und daß zur Belagerung derselben die
nöthigen Werkzeuge und Lebensmittel fehlen; die Häupter beharrten
bei ihrem Entschluß und führten das Heer über Nazareth gegen die
Feste. Am 3. Dec. machten Andreas, Leopold und die Tempel
ritter auf der einen Seite des Berges den Angriff, auf der andern Jo
hann von Brienne, Titularkönig von Jerusalem, und Hugo von Lusignan,
König von Cypern, denen der Patriarch von Jerusalem Rudolf das
heilige Kreuzholz vortrug. Die Moslim, welche die Zugänge der Burg
vertheidigten , werden geworfen; die Christen erklimmen den Gipfel
des Berges; Johann von Brienne tödtet zwei vornehme feindliche Be
fehlshaber, auch ein ungarischer Krieger zeichnet sich durch tapfere
That aus 3: da gerathen der Großmeister Guarin von Montaigu und
der Graf
1 Einevon
Urkunde
Tripolis,
Bela's
dieIV.
imvon
Hintertreffen
1246, bei Fejer,
standen,
Cod. indipl.
heftigen
, IV, i,Zank
417.
beiden ersten. In den letzten Tagen des December brach das Kreuzheer
wieder von Ptolon1ais auf und zog in das phönicische Gebiet, fand aber
jenseit des Leontes alle Pässe des Libanon vom Feinde besetzt und
mußte einen nach dem andern erstürmen. Fortwährende Kämpfe,
heftige Kälte auf den Bergeshöhen und Mangel an Lebensmitteln
rafften Menschen und Vieh dahin ; die immer wachsende Zwietracht der
Feldherren vereitelte jede heilsame Maßregel; ein furchtbares Un-
gewitter, das in der Christnacht sich erhob, erfüllte die Gemüther
vollends mit abergläubischem Schrecken; so trieb endlich Verzweiflung
das Heer nach Ptolomais zurück , wo es Gefahr lief, durch Hunger und
Pest unterzugehen. 1
1218 trennen.
Noth Johann
und Uneinigkeit
von Brienne,
zwangen
Leopold
hierauf
von die
Oesterreich
Kreuzfahrer,
und sich
Guarin
zu
muthigte König empfing jetzt aus der Heimat die schlimmsten Nach
richten : Papst Honorius habe den Fürsten von Serbien Stephan, weil
er zur römischen Kirche übertrat, durch seinen Legaten Gregor zum
König von Rascien krönen lassen und dadurch die Hoheitsrechte der
ungarischen Könige über Serbien empfindlich gekränkt; Ungarn selbst
werde durch Parteiungen, Gewaltthat und Raub in die äußerste Ver
wirrung gebracht. 3 Er faßte daher den Entschluß, heimzukehren, und
führte denselben aus, ohne auf den Widerspruch der andern Kreuzfahrer,
auf die Drohungen des päpstlichen Legaten und auf den Bannspruch zu
achten, den der Patriarch von Jerusalem wirklich auf ihn und alle, die
ihm folgen würden, schleuderte. Vor seinem Abzuge bezeigte er noch
den Hospitalrittern des heiligen Johannes seine Dankbarkeit für die
freundliche
1 Oliverius
Anfnahme,
Scholast., die
Godefrid.
sie ihm
Colon.
zu Ptolomais
Jacobus deund
Vitriaco,
auf den
a. a. Berg-
O. —
Pray, Annal., I, 214. — 3 Karamsin, Geschichte des russischen Reichs, III, 150.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 321
1219 über die Karpaten führte. Jenseit der Gebirge stieß ein 1219
polnisches Hülfscorps zu ihm, von Herzog Lesko seinem künftigen
Schwiegersohne zugeschickt. Als sich die vereinigte ungarisch-polnische
Armee Halitsch näherte, verließ Mstislaw die Stadt und Koloman zog
wieder als König in dieselbe ein. Aber nach kurzer Zeit kehrte
Mstislaw an der Spitze eines starken, aus Bussen und Kumanen be
stehenden Heeres wieder. Gyula befestigte in der Eile Halitsch, ließ
den jungen König dort zurück und ging dem Feinde entgegen, wurde
jedoch geschlagen und konnte nur mit schwerer Mühe die Ueberreste
seiner Armee in die Stadt zurückführen. Die Sieger folgten ihm auf dem
Fuße und begannen die Belagerung derselben. So tapfer sich auch die
Ungarn und Polen eine Zeit lang vertheidigten, mußten sie doch, als die
äußern Mauern, von den Russen untergraben, zusammenstürzten, sich
in die innere Burg zurückziehen und zuletzt, von Hunger und Durst
bezwungen, auch diese und sich selbst übergeben, 1220. Die Ge- 1220
fangenen wurden unter die Kumanen als Sklaven vertheilt, Koloman,
seine Braut Salome und der Palatin Gyula aber auf die Burg Torsk in
Verhaft
Dagesetzt.
Andreas3 außer Stande war, die Gefangenen mit Waffengewalt
— 2 Die von Andreas für die graner Kirche über das Gut Turdos aus
gestellte Schenkungsurkunde: „Dum quorundam nostrorum principum consilio
terrae nostrae statum, ab antiquis illibate conservatum alterantes, castra,
comitatus, terras et ceteros opulentis Hungariae proventus in perpetuas haere-
ditates nostris baronibus et militibus distribuimus." Fejer, Cod. dipl., III, i,
255. Dagegen sagt Bela IV. in einer Urkunde vom Jahre 1267: „Inter alias
immensas donationes, quas (pater noster) quibusdam persouis passim et in
differenter in praejudicium coronae regiae facere consueverat. Fejer, Cod.
dipl., III, 1n, 388. — 3 Cromer, Hist. Polon., VII, 185.
Feßler. I. 21
322 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
regieren und dann seinem Eidam übergeben. 1 Allein von dem allen
1222 geschah nichts; der König verlangte schon im folgenden Jahre, 1222,
daß ihn der Papst von dem beschworenen Vertrag entbinde. Der
Papst erklärte denselben insoweit für nichtig, als er Andreas statt des
kraft päpstlicher Gewalt gekrönten Koloman zum Herrscher Galiziens
und Lodomeriens bestimmte, hielt jedoch die Verlobung des erstem mit
Maria aufrecht. 2 Allein weder Andreas noch Koloman, ungeachtet
die päpstliche Entscheidung das Herrscherrecht des letztern für unver
letzlich erklärte, gelangten je auf den halitscher Thron. Die Aussicht
auf das ferne Armenien hatte Prinz Andreas bereits vor seiner zweiten
Verlobung mit Mstislaw's Tochter verloren. Denn als König Leo
starb, traten sogleich mehrere Prätendenten für Armenien auf; da
wurde dessen Tochter, Andreas' erste Braut , schnell mit Philipp, Bo-
hemund's von Antiochien Sohn, vermählt, der mit ihrer Hand auch das
Königreich erwarb.3 Alle Hoffnungen und Plane, die Andreas zur Er
hebung seines Hauses gefaßt hatte, waren also in kurzer Zeit vereitelt;
ihm blieb davon nichts weiter übrig als der leere Titel eines Königs von
Galizien
Dagegen
und Lodomerien.
brachen die nachtheiligen Folgen seiner Charakter
Verpachtung
1 Russischeund
Jahrbücher,
Verpfändung
bei Katona,
der Gefälle
V, 364.und
Dlugoss,
SteuernVI,zusammen-
610. Ka-
gebracht hatte, war schnell verthan, und nun waren alle Quellen
des Einkommens für längere Zeit gänzlich erschöpft. In dieser Noth
griff er abermals zu einem Mittel, das ihm wenig Gewinn, dem Volke
jedoch unberechenbaren Schaden brachte. Bei dem schon zur gesetz
lichen Gewohnheit gewordenen Umtausch neuer Münzen gegen die
alten verminderte er nämlich den Feingehalt derselben immer mehr,
bis sie am Ende fast werthlos waren. Da aber dasselbe Geld, das aus
der Münzstätte das Land überschwemmte, auch wieder in die öffent
lichen Kassen zurückfloß, wurde dadurch dem Mangel nicht abgeholfen,
und der König schritt nun zu neuen Veräußerungen von Staatsgütern in
solchem Maße, daß Honorius sich berechtigt glaubte, Einsprache da
gegen zu erheben. Er schrieb daher 1220 an den Erzbischof von 1220
Kalocia, Ugrin: „Seit lange hören wir, daß unser geliebter Sohn in
Christo, der glanzvolle (splendidus) König Ungarns, zum Schaden des
Reichs und zur Erniedrigung der königlichen Würde, Veräußerungen
macht; wir haben dem König geschrieben, daß er dieselben zurück
nehme, auch wenn er den Verkauf mit einem Eide bestätigt hätte; denn
indem er bei der Krönung geschworen hat, die Rechte des Landes und
die Ehre der Krone unverletzt zu bewahren, war es ihm nicht erlaubt,
durch einen Eid zu versprechen , daß er die verkauften Güter nicht zu
rücknehmen werde; deshalb darf er denselben schlechterdings nicht
halten."1
Um dieselbe Zeit schritt der Papst sogar handelnd in die Reichs
angelegenheiten ein. Andreas hatte noch als Herzog 1202 die an der
nördlichen Seite des Flusses Zettina knapp am Meer, auf einem steilen
Felsen gelegene Stadt Amissa befestigen lassen und ihr 1207 alle
Rechte der übrigen Städte Dalmatiens verliehen. Die Einwohner
derselben trieben zuerst Kaperei gegen venetianische Handelsschiffe,
gewöhnten sich dadurch an Seeraub und wurden in ihren Unter
nehmungen immer kühner, seit sich die verfolgten Patarener in die feste
Stadt geflüchtet hatten und sich an ihren Drängern zu rächen suchten.
Von allen Seiten liefen Klagen gegen sie ein ; Andreas drohte
ihnen, er werde mit der ganzen Reichsmacht kommen und sie züchtigen,
wenn sie nicht sogleich die Seeräuberei aufgeben und die Patarener ver
treiben würden. Aber die Amissaer wußten zu gut, welche Kluft zwi
schen dem Wort und der That dieses Königs liege, und achteten seine
Befehle und Drohungen nicht. Da versammelte der Legat Aconcius
auf Befehl des Papstes die Streitkräfte der dalmatinischen Städte, griff
Amissa zu Wasser und zu Lande an und zwang die unruhigen Ein
wohner auf den Knien Verzeihung zu erflehen und ihre Schiffe zu ver
brennen ; selbstverständlich mußten auch die Patarener versprechen,
künftighin gut ,römisch-katholisch zu sein. *
Zu den bereits vorhandenen Uebeln gesellte sich ein neues, Zwie
tracht im königlichen Hause. Der kaum sechzehnjährige gekrönte
König1 Bei
Bela
Katona,
hatte V,
seine
338.eigene
— 2 Lucius,
Hofhaltung,
Lib. IV, inc. der
4, p.sich
160.mitFarlatus,
AusnahmeIII,
es, daß Steuern und Zölle, der Salzverkauf und die Münze an Juden und Is-
maeliten verpachtet wurden ; diese bereicherten sich durch furchtbare Be
drückungen und Unterschleife, aber die Schatzkammer blieb leer und
1221 das Volk gerieth in Elend und Verzweiflung. Jetzt endlich 1221 er
ließ Andreas den Befehl, die zerstreuten, von übermächtigen Herren ge
waltsam unterdrückten Burgleute in Freiheit zu setzen und wieder zu
sammeln, desgleichen alle ohne königliche Vergabung eigenmächtig
von den Burgen der Gespanschaften abgerissenen Ländereien wieder mit
denselben zu vereinigen. 3 Dieser Befehl setzte die räuberischen Dy
nasten in Besorgniß; sie sahen in demselben den Anfang, ihnen die
Staatsgüter, deren sie sich auf jegliche Weise bemächtigt hatten, wieder
abzunehmen, und suchten dessen Ausführung zu vereiteln, überhaupt
jede Verbesserung zu hintertreiben. Desto eifriger wirkten Bela und
seine Anhänger für die zum Heile des Vaterlandes unumgänglich
nöthigen Reformen. War die Partei, welche den ältern König umgab,
überwiegend an Reichthum und Macht, so hatten'sie dagegen die Ueberzahl
und die öffentliche Meinung für sich. Sie erkannten nur Bela für ihren
König, suchten ausschließlich bei ihm Recht 4 und gingen schon damit
um, Andreas mit bewaffneter Hand zu entthronen. Bald standen sich
die Parteien feindlich gegenüber; Fehden und Verheerungen der Land
güter fanden statt; und da jeder nur die Sache seines Königs zu ver-
theidigen vorgab, häuften sich Anklagen wegen Treulosigkeit und Meu
terei , Confiscationen und sogar Hinrichtungen ohne gesetzliche Formen.
Schon 1 Rogerii
war die Canonici
Gesammtheit
Varadiensis
der Freien
Carmen
und miserabile,
Adelichen bereit,
Kap. 9,diebei
Waffen
End
licher. — 2 Epist. Honorii 28. Maji 1222, bei Fejer, III, i, 384. — 3 Fejer,
Cod. dipl., III, i, 353. Katona, Hist. crit., V, 338. Bei, Apparat. Dec. 1,
269. — * Bulla aurea, 14, bei Endlicher.
Innere Zustände. 1196—1222. 325
— 2 Epist. Horiorii ad Episcopos, 4. Julii 1222, bei Fejer, Cod. dipl. , III,
I, 388. — 3 Verböczy, Decretum tripartitum, Pars I, Tit. 9, §. 6.
326 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
linge und auf unnütze Kriege verschwendete, die Schwäche, mit der er
seiner Gemahlin Gertrud und ihren Verwandten die königliche Gewalt
schändlich zu misbrauchen gestattete, die gesetzwidrigen und verkehrten
Mittel, durch die er sich Geld zu verschaffen suchte, erstickten im
Volke die ehrfurchtsvolle Scheu vor dem König, lockerten alle Bande
der Ordnung, erzeugten Armuth und Noth und untergruben die öffent
liche Sittlichkeit. Denn eine Regierung, die selbst Gesetz und Recht
nicht achtet, fordert ihre Untergebenen gleichsam auf, dieselben zu ver
letzen; räuberische Finanzmaßregeln zwingen zu Unterschleifcn; ein
gedrücktes hungerndes Volk ist stets zu Aufständen bereit; auf seinen
Beifall
Nichts
kann zeugt
sicherlauter
jeder von
zählen,
der traurigen
der sich dessen
Zerrüttung
Drängern
des widersetzt.
Landes und
führten Briefe , in denen Andreas über das eingerissene Verderben vor dem
Papste klagt.
Innere Zustände. 1196 — 1222. 327
die Kraft des Staats. Durch Einflüsse, die wir bereits angaben, hatte
sich ihre Zahl unablässig vermindert, indem sie größtentheils zur Hörig
keit herabgesunken waren; jetzt, wo die habgierigen und herrsch
süchtigen Großen den Schwachen ungestraft unterdrücken durften, ver
schwanden sie beinahe gänzlich; nur einige Ueberreste dieses Standes
waren noch vorhanden in den Burgmilizen, Jobbagyones castri, die auf
den wenigen Gespanschaftsländereien saßen, welche der Verschleuderung
der Könige und dem Raube der Mächtigen bisher entgangen waren.
So näherte sich die ungarische Nation in diesem Zeitabschnitte voll
Wirren um einen bedeutenden Schritt jenem jahrhundertelang dauern
den Zustande, wo nur der Adel Freiheit genoß, ausschließlich politische
Rechte übte und allein das Volk , den Populus , bildete. 1 Da aber
nur freie Leute steuer- und kriegspflichtig waren, und die Adelichen
bereits für sich selbst und für ihre Hörigen die Befreiung von allen Ab
gaben als unbestrittenes Recht erlangt hatten, auch zur Heeresfolge
blos dann verpflichtet zu sein glaubten, wenn das Vaterland von einem
Feinde angegriffen wurde: welchen gewaltigen Abbruch mußten die
Staatseinkünfte und die Wehrkraft durch die fortschreitende Abnah'me
der Gemeinfreien erleiden! Der Adel selbst schied sich, wenn. auch
nicht nach Gesetz und Erblichkeit, doch thatsächlich in zwei Klassen. Die
erste umfaßte die hohen Würdenträger des Reichs, Barones, Jobbagyones
Regni oder einfach Jobbagyones genannt, und die Eigenthümer größerer
Herrschaften (zu ihnen gehörten auch die Freigrafen, wenn es deren
mehrere außer den oben erwähnten von Gorizia gab). In der zweiten
stand der übrige zahlreiche Adel, die Nobiles, die im Gegensatz zu den
erstem
besitz gab
Servientes
es nicht.regiiAlle,
genannt
die der
werden.
König adelte,
Einen Briefadel
erhielten zugleich
ohne Landein
,'Ct, 2 Epist.
1 Wolkj1n's
InnocentiiSendschreiben
ad Emericum,anbeiInnocentius,
Dobner, Monumenta,
Bei Katona,
II, 326.
IV, Farlatns,
577. —
Illyric. s. III, 232, IV, 45. — s Christianorum in Bosna promissio etc. und
Epist. Emerici ad Innocent. , bei Farlatus, Illyric. s. IV, 46. — 4 Urkunde
bei Koller, Hist. Episc. Q.-Eccles. , I, 293 fg. Urkunde bei Farlatus, Illyric.
s. V, 355. — ä So dem graner Domkapitel. Urkunde bei Kalona, V, 33
und 217.
330 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
immer
1 So
zunehmen
der großwardeiner
konnten , ohne
Ellvin.Abhülfe
Katona,
zu V,
finden
200, hatte
u. 206seine
fg. —Ursache
2 Der
vornehmlich auch darin, daß die Reichstage immer seltener und zuletzt
nur in außerordentlichen Fällen, z. B. bei Krönungen, abgehalten wur
den. Die eigennützigen Höflinge und Großen waren es vornehmlich,
welche die Abhaltung derselben hintertrieben; sie hatten diese traurigen
Zustände geschaffen, sie zogen aus denselben schändlichen Gewinn , sie
mußten die Stimme, den Einfluß und die Macht des Volks fürchten, das,
zum Reichstage versammelt, sich gegen sie erheben und ihrer Herr
lichkeit ein Ende machen würde. Darum beredeten sie die schwachen
Könige, unbeschränkte Herrschergewalt zu üben, und flößten ihnen ge
gen die Reichstage Abscheu ein, damit sie unter dem königlichen Namen
gebieten und ungestört ihre Gelüste befriedigen konnten. Aber endlich
erschraken sie selbst oder wenigstens die bessern unter ihnen vor der
Größe des Verderbens, das sie angerichtet hatten, vor der Verantwort
lichkeit, die sie drückte, vor der Rache des Volks, das sich unter des
kräftigen Jüngem Königs Bela Führung gegen sie zu erheben anfing:
der Reichstag wurde einberufen, und die Goldene Bulle kam 1222 zu
Stande, die wörtlich übersetzt also lautet:
„Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit und untheilbaren Einheit.
Andreas, von Gottes Gnaden erblicher König von Ungarn, Dalmatien,
Kroatien, Rama, Servien, Galizien. und Lodomerien. Weil die von
Stephan dem Heiligen begründete Freiheit sowol der Edelleute als auch
anderer (Bewohner) unseres Reichs durch die Willkür einiger Kö
nige, die bisweilen im Zorn Rache übten, bisweilen auf die falschen
Rathschläge böser oder eigennütziger Menschen hörten, in ihren meisten
Stücken verringert worden war, bestürmten unsere Edelleute häufig
unserer Hoheit und unserer Vorfahren , ihrer Könige, Ohren mit vielen
Bitten und Gesuchen um eine Reformation unsers Reichs. Indem Wir
also ihrer Bitte in allem genügen wollen, wie wir verpflichtet sind, be
sonders weil es zwischen uns und ihnen dieser Sache wegen, schon oft
zu nicht geringen Bitterkeiten gekommen ist, was zur vollkommenen
Aufrechthaltung der königlichen Würde vermieden werden muß — die
ses kann jedoch durch niemand andern besser als durch sie geschehen — :
gewähren wir sowol ihnen als auch den andern Bewohnern unsers Lan
des die von dem Heiligen König verliehene Freiheit und verordnen heil
sam auch anderes, was den Zustand unsers Reichs verbessern soll, in
folgender
1) WirWeise:
setzen fest, daß Wir verpflichtet sind, jährlich am Feste
des Heiligen Königs (20. Aug.), ausgenommen Wir würden durch ein
wichtiges Geschäft oder durch schwere Krankheit verhindert, in Stuhl
weißenburg feierliche Sitzung zu halten ; und wenn Wir nicht erscheinen
könnten, wird der Palatin gewiß da sein und für Uns und statt Unserer
Streitfälle hören, und alle Edelleute, denen es beliebt, dürfen sich dort
frei versammeln.
2) Wir wollen auch, daß weder Wir noch Unsere Nachfolger zu
Steuern und keine Denare der Freien 1 erheben lassen, in ihre Häuser
und Dörfer nur gerufen einkehren. Auch von den Leuten (super popu-
los) der
4) Wenn
Kirche ein
werden
Edelmann
wir keine
ohneArt
Sohn
vonstirbt,
Abgaben
erhalte
sammeln.
die Tochter den
vierten Theil seines Guts ; über das übrige verfüge er nach seinem Wil
len, und wenn er, vom Tode überrascht, darüber nicht verfügen könnte,
falle es den nächsten Verwandten, und wenn er gar keine Verwandte
hätte,5)dem
DieKönig
Obergespane
anheim. sind nicht befugt, über die Besitzungen der
wie sie
7) pflegten,
Wenn derunter
König
Eid einen
Diebe Feldzug
anzugeben.
außer
2 Land unternimmt, sind
kleidet, im Kriege fällt, werde seinem Sohne oder Bruder ein ähnliches
Amt verliehen; wenn ein Edelmann auf solche Art stirbt, werde sein
Sohn 11)
belohnt,
Gäste
wie
(Ausländer),
es dem Könige
nämlich
gut ehrbare
dünkt. Männer, die in das Land
zum 1 Tode
Im Corpus
Verurtheilten
juris und bei
oderEndlicher
im Zweikampf
steht libras
Unterlegenen
denariorum, oder
was kei
auf
nen Sinn gibt; ich lese mit andern liberorum denarios, Denare, welche von
freien Leuten gesteuert werden. Vgl. Colomani Decretum, lab. I, c. 45
u. 80. Oben S. 215. — 2 Hiermit wird das Gesetz S. Ladislai Decret., III, 1,
aufgehoben. Vgl. oben S. 190 u. 191.
334 Drittes Buch. Dritter Abschnitt.
auch sonst so reisen, daß die Armen von ihnen nicht gedrückt und ge
plündert
14) werden.
Ein Obergespan, der sich nicht so ehrbar beträgt, wie es sein
dürfen16)
sichWir
nichtwerden
erkühnen,
forthin
in die
ganze
Dörfer
Gespanschaften
der Edelleuteund
einzukehren.
Aemter nicht
erbeigenthümlich
17) Auch soll
verleihen.
niemand seiner Besitzungen, die er durch redliche
Dienste
18)erworben
Ferner erlauben
hat, je beraubt
Wir denwerden.
Edelleuten, ungehindert zu Unserm
heit, welche ihnen der Heilige König Stephan verliehen hat, desgleichen
die Gäste (Einwanderer), von welcher Nation immer, nach der Freiheit,
die ihnen
20) anfangs
Die Zehnten
ertheilt
dürfen
wurde,
nicht
gehalten
in Geld
werden.
erhoben, sondern was die
Erde trägt, Wein und Getreide soll angenommen werden; wenn aber
die Bischöfe
21) Diedawider
Bischöfe
wären,
seien wollen
nicht Wir
gehalten,
ihnen den
nichtZehnt
beistehen.
von den Be
Wiesen
23)derFerner
Edelleute
soll wider
Unser deren
neues Willen
Geld jedes
nicht Jahr
weiden.
von Ostern bis zu
Ostern gelten, und die Denare sollen der Art sein (den Feingehalt
'1aben),
24)wie
Die
sieMünzkammergrafen,
zur Zeit König Bela'sdie
waren.
Salz- und Steuerbeamten seien
vom König
28) Einen,
Koloman
der bestimmten
auf gesetzlichem
Art erhoben.
Rechtswege verurtheilt wurde,
darf kein
29) Mächtiger
Die Obergespane
schützen. sollen ihr rechtmäßiges Amtseinkommen
genießen; das übrige, welches dem König gebührt: die Zuber (von
Getreide und Wein), Abgaben und Rinder, und zwei Drittheile der
Burg (von den Erträgnissen der zur Gespanschaft gehörigen Ländereien)
erhalte
30)derFerner,
König.die vier Reichsbarone, nämlich den Palatin, den Bän
und die Hofgrafen des Königs und der Königin ausgenommen, darf
niemand
31) zwei
UndStaatsämter
damit diesebekleiden.
Unsere Verleihung und Anordnung zu Un-
1222 verlieh,
Dererstreckt
Freibrief,sich
denauf
Andreas
„Alle, indiedemselben
durch die Jahre
Tonsurder
alsGeistlichkeit
dem Herrn
1222 — 1301.
Fehler. I.
Kampf mit der Erster Abschnitt.
Oligarchie und mit wilden Völkern.
1222—1242.
1. Aeussere Begebenheiten.
Andreas II. 1222—1235.
Di'ie Goldene Bulle bezeichnet den Anfang einer neuen Epoche in der
Geschichte Ungarns. Die Verhältnisse hatten sich geändert, die be
stehenden Einrichtungen ihre Kraft verloren, die bürgerliche Gesellschaft
war auf dem Punkte angelangt, wo sie sich entweder auflösen oder neu
gestalten mußte: da wurde der feierliche Vertrag zwischen dem Volk
und König als bleibendes Gesetz für beide geschlossen und durch ihn
der Fortbestand des Staats und die weitere Ausbildung der Constitution
gesichert. Der Umstand , daß wir anfangs beinahe gar keine Wirkung
der Bulle wahrnehmen, darf uns über die Wichtigkeit derselben nicht
täuschen. Alle Gesetze und Einrichtungen des Staats erlangen erst mit
der Zeit Leben und Kraft, nachdem sie die Abneigung und den Wider
stand gegen das Neue besiegt, sich durch längern Gebrauch bewährt und
mit der Denkart und Gesinnung des Volks innig verschmolzen haben,
ihm gleichsam
Andreas bewilligte
zur Nothwendigkeit
die Goldene
geworden
Bulle nur
sind.gezwungen durch die
Krone oder wider die Person und die Güter der Herren zu unter
nehmen.
Bela1 übernahm jetzt die Regierung Kroatiens und Dalmatiens 2 ; auch
vereinigte er sich wieder mit seiner Gemahlin. Allein die beiden gekrönten
1223 und
tere regierenden
Mishelligkeiten
Könige
, daßgeriethen
der Sohnnach
1223
kurzer
vor Zeit
dem abermals
Zorne des
in so
Vaters
bit-
nach Oest erreich zu Herzog Leopold VII. floh, der ihn mit offenen
Armen aufnahm, weil er sich der Zwietracht, die Ungarn zerrüttete,
freute und Vortheile aus derselben zu ziehen hoffte. Andreas gebot
Bela, heimzukehren, und als dieser, auf Leopold's Schutz rechnend, nicht
gehorchte, ließ er Oesterreichs Grenzen verheeren, was der Herzog mit
Verwüstung der benachbarten Gespanschaften „Ungarns erwiderte.
Durch Vermittelung des Papstes, der Vater und Sohn ernstlich zur Aus
söhnung ermahnte 3 und den König von Böhmen sowie die Herzoge von
1224 es,
Oesterreich
endlich 1224
und zum
Kärnten
Frieden,
zur Mitwirkung
der aber erst
dringend
im folgenden
aufforderte
Jahre4, förm
kam
390. — 2 Das bezeugen die Schenkungsurkunden bei Fejer, III, i, 403, und
Kerchelich, Notitiae praeliminariae, S. 190. — 3 Epist. Honorii ad Archiep.
Colocens., bei Katona, Hist. eccles. Colocens. , I, 265, und bei Eaynaldus ad
ann. 1224. — 4 Epist. Honorii, bei Fejer, Cod. dipl., III, i, 430 fg. — 5 Die
Urkunde bei Fejer, Cod. dipl., III, II, 9. — 6 Fejer, Cod. dipl., III, i, 420.
— 7 Ebend.. HI, i, 453, 460. — 8 Ebend., III, II, 53.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 341
Sie wollten jedoch nicht weichen und drohten sogar, daß sie ent
schlossen seien , sich mit Waffengewalt in dessen Besitze zu behaupten.
Zu spät sah der Papst ein, wie sehr er sich verrechnet habe, indem er
glaubte, der sonst so nachgiebige König werde auch diese schmähliche
Beraubung seiner Krone geduldig hinnehmen. Das Unrecht war zu
offenbar auf seiner Seite, als daß er zu den gewöhnlichen Mitteln des
römischen Stuhls , zu Drohungen und Bannflüchen, hätte greifen dürfen ;
er schickte also einen Gesandten mit einem Schreiben nach Ungarn,
worin er versicherte, das Breve, welches er für den Deutschen Orden
erlassen habe, beziehe sich blos auf die geistliche Gerichtsbarkeit, und
den König dringend bat, die Bitter wieder in den Besitz des eingezogenen
Gebiets zu setzen. 1 Gleichzeitig aber belobte er die Ritter wegen der
standhaften Entschlossenheit, mit der sie dem König entgegengetreten2,
und ermuthigte sie dadurch, zu den Waffen zu greifen. Doch Andreas
beharrte diesmal bei seinem Entschluß, brach mit Gewalt den Trotz der
Bitter, zog nun auch ihre andern Besitzungen ein und vertrieb sie für
immer aus Ungarn. Hierauf vereinigte er das kronstädter Gebiet mit
dem Lande der siebenbürger Sachsen, deren Privilegien er bei dieser
Gelegenheit
Papst Honorius
bestätigtehatte
und vermehrte.
zwei verschiedene
3 Regeln, nach denen er die
1 Fejer, Cod. dipl. , III, II, 43, 47. — 2 Ebend., III, n, 41. — * An-
dreae II. regis Libertas Saxonum in Transilvanis, 1224. E transumto Caroli
I., 1317, bei Endlicher, Monumenta, S. 420. — * Fejer, Cod. dipl., III, h,
47. — 5 Colomanus Ruthenorum rex et largitate gloriosi patris nostri An-
dreae Hnngariae regis dux Dalmatiae atque Croatiae, so nennt sich Koloman
342 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
Gregor IX., forderte gleich nach seiner Erwählung Andreas und die
ungarischen, Herren zu einem Zuge nach Palästina auf. Der König
selbst glaubte seines Vaters und dem eigenen Gelübde bereits hinläng
lich genügt zu haben; auch der kalocsaer Erzbischof Ugrin entschuldigte
sich, daß er die Bekehrung der Patarener in Bosnien nicht unter
brechen dürfe; aber der graner Erzbischof Robert, ein geborener
Lütticher, der vor einigen Jahren ins Land gekommen, zu höhern Kir
chenwürden emporgestiegen und jetzt durch päpstlichen Einfluß zu der
höchsten erhoben worden war, nahm mit einigen andern das Kreuz.
Schon hatte er die Heerfahrt angetreten, da suchte ihn Borics, der Sohn
eines Fürsten der Kumanen, auf, berichtete, wie sein Volk durch unga
rische Dominicanermönche bereits für das Christenthum gewonnen wor
den sei , und bat ihn im Namen seines Vaters hinzukommen , um das
selbe zu taufen. Dieser Zweig der Kumanen, mit denen die Petsche-
negen bereits zu einem Volke verschmolzen waren, bewohnte die heu
tige Moldau. Robert ließ sich vom Kreuzzuge lossprechen, ging hin,
taufte den Fürsten, dessen Taufpathe Andreas selbst wurde, und in kur
zer Zeit (wenn der Bericht nicht übertrieben ist) 15000 Personen. l
Die Neubekehrten untergab er dem . längst bestehenden milkover Bis-
thum, welches das Land der Szekler nebst einem Theil der Moldau um
faßte und erst im 15. Jahrhundert mit dem siebenbürger Bisthum ver
einigt wurde. 2 Jetzt stellte der Papst das Bisthum unter seine un
mittelbare Gerichtsbarkeit und empfahl es der Huld des Jüngem Königs
Bela. 3 So wurde das Volk, welches die Ungarn einst aus ihrer alten Hei
mat vertrieben und in der neuen so oft durch verwüstende Einfälle be
unruhigt hatte, durch sie nicht nur bekehrt, sondern auf diese fried
liche Der
Art Jüngere
auch bewogen,
König war
ihre es
Oberhoheit
vornehmlich,
anzuerkennen.
der als Regent
4 der benach
Illyric.
1 Chron.
s., IV, Belgicum,
337. bei Pistorius, III, 242. — 2 Benkö, Milkovia, I,
116. Katona, V, 535. — 3 Gregorii IX. duae epist. ad Belam 1228. — 4 Gre-
gorii IX. epist. ad populum et ducem Cumanorum , bei Eaynaldus, Annal.
eccles. ad ann. 1229, n. 60; ad Belam, a. a. 0. ad aun. 1234, n. 40. Katona.
V, 705 fg.
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 343
schworen sich gegen das Leben des Königs und seiner Söhne und woll
ten nach deren Ermordung Ungarn unter sich theilen. Da sie jedoch
das schändliche Vorhaben nicht auszuführen vermochten, faßten sie,
von Zorn und Eigennutz verblendet, den Anschlag, die Freiheit und
Selbständigkeit des Vaterlandes ihrer Rache zu opfern. Durch Ver-
mittelung des Herzogs von Oesterreich, an dessen Dienstwilligkeit sie
nicht zweifelten, beschlossen sie nämlich, Kaiser Friedrich II. die Krone
Ungarns anzubieten. Zum Glück wurde der Bote aufgefangen und mit
den Briefschaften vor den König gebracht. Großmüthig strafte dieser
keinen der Schuldigen am Leben und verzieh vielen ganz; einige Häup
ter der Verschwörung verwies er des Landes, und andern ließ er ihre
Besitzungen niederbrennen 3; Bela zog die Güter einiger Verschwörer
ein und
Ueberhaupt
schenkte sie
vermochte
seinen Anhängern.4
weder Widerstand noch Gefahr den Muth
des jungen Königs zu lähmen; er setzte das begonnene Werk mit sol
chem Eifer fort, daß er in der Freude über dessen Gelingen 1231 eine 1231
Urkunde mit den Worten begann: „Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede den redlich gesinnten Menschen auf Erden, wo für die Magyaren
der Tag
1 Katona,
der Erlösung,
V, 568, undfür
Fejer,
die Cod.
königliche
dipl., III,
Macht,
n, 204.
Würde
— 2 So
undverlor
Freiheit
die
der Tag der Herstellung anbricht! Wir kämpften unter dem Schutze
der Heiligen Jungfrau, als wir nach Gottes Eingebung, nach unsers
Vaters Willen und nach dem wohlüberlegten Rath der Häupter unsers
Reichs
eigenthum
die genannt
unnützenwerden
und überflüßigen
, in den siebenbürger
Schenkungen,
Gegenden
die fälschlich
aufhoben."
Erb-
Neklin. Fejer, Cod. dipl., III, n, 291; IV, m , 282 u. s.w. — 3 Epist. Gre
gorii IX. ad Robertum Archiep., bei Katona, V, 591. Doch müssen wir ge
stehen, daß vieles in diesem Breve aus Haß gegen die Ungläubigen über
trieben zu sein scheint.
V
Aenßere Begebenheiten. Andreas II. 345
Goldenen Bulle) durch Uns, Unsere Söhne oder wen immer ohne ge
richtliches Urtheil ihrer Güter beraubt wurden, sollen wieder in den
Besitz35)
derselben
Es soll gesetzt
Uns freistehen,
werden. die Güter der Verurtheilten zu be
Bulle ausgewirkt hatte, übernahm sie auch die Bürgschaft für die Be
obachtung derselben. Der König nnd seine Söhne gelobten durch
körperlichen Eid für sich und alle ihre Nachfolger, alle Punkte unver
fugt
brüchlich
sein sollte,
zu halten,
sie und
und alle
willigten
ihre Nachfolger,
ein, daß derwenn
graner
sie Erzbischof
diese Gesetze
be- l
dürfen; er ermahnte den König ernstlich, die Rechte des Klerus zu achten,
auch andere Misbräuche einzustellen und seine bösen Rathgeber zu ent
lassen. Seine Warnungen und Bitten waren vergeblich; er machte also
Gebrauch von der Vollmacht, die ihm der Papst und das Gesetz er-
theilt hatten, und belegte das Land mit dem Interdict, im December
1232 1232. Die merkwürdigem Sätze des offenen Briefes, den er an die
Geistlichkeit
„Damit und
wir sämmtliche
nicht dem Laster
Gläubige
des Ungarns
Ungehorsams,
deshalbdem
richtete,
Zorne lauten
Gottes:
und der Ungnade des Papstes verfallen; nicht gleich Miethlingen als
schlechte Hirten oder als stumme Hunde, die nicht mehr bellen können,
bei dem Einbruche des Wolfs die Flucht zu nehmen scheinen; damit wir
uns nicht bei so gewaltiger Verletzung der Armen, Schmach des christ
lichen Glaubens, Unterdrückung der Kirchen und des geistlichen
Standes der feigen Nachsicht schuldig machen; und nachdem König
Andreas, unser Herr, oft von uns ermahnt worden, auch auf des
Papstes liebreiche und väterliche Aufforderung, die Abstellung des an der
Klerisei verübten Unfugs verweigert hat: so haben wir zufolge aposto
lischer Befehle und kraft der uns verliehenen päpstlichen Vollmacht
das ganze ungarische Reich mit dem kirchlichen Interdict belegt, strenge
verordnend und gebietend, daß kein Priester sich unterfange, im unga
rischen Reiche, sei es in der graner oder kalocsaer Provinz, an des
Königs und seiner Söhne Hoflager oder an irgendeinem andern Orte
Gottesdienst zu feiern. Diejenigen, die in dieser Hinsicht durch das
Recht oder durch besondere Privilegien begünstigt sind , mögen mit ge
dämpfter Stimme, ohne Glockengeläute, bei verschlossenen Thüren und
nach Entfernung derer, die dem Bann oder Interdict unterworfen sind,
Gottesdienst halten. Wir verbieten und .untersagen ferner in den ge
nannten Provinzen alle Ausspendung der Sacramente ; nur Kindern darf
die Taufe, Sterbenden des Herrn Leib und Blut, Buße und letzte Salbung
nicht verweigert, ihren Leichnamen aber soll kein kirchliches Begräb-
niß gestattet werden. Jedem wirklichen Pfarrer ist es erlaubt, einmal
im Monate bei verschlossenen Thüren ohne Glockengeläute, nach Aus
schließung der Verbannten , mit gedämpfter Stimme Messe zu lesen und
den Leib
„Weil
deswir
Herrn
aberfürder
die königlichen
Kranken aufzubewahren.
Hoheit, soviel sich von Gottes
wegen geziemt, schonen wollen, so haben wir über die Person des
Königs, seine Besserung erwartend, noch keine Verdammung ausge
sprochen. Ueber seine Rathgeber hingegen, durch deren Rathschläge
er abgehalten und gehindert wird, die verderblichen Misbräuche abzu
schaffen, auf deren Eingebungen er die Mohammedaner erhoben und
öffentlichen Aemtern vorgesetzt hat, über sie alle verhängen wir den
Bann. Den Palatin Dionysius aber haben wir nicht nur aus erst
erwähnter Ursache, sondern auch aus andern erheblichen Gründen,
namentlich verbannt. Nicht genug, daß er geistliche Personen ihres
Vermögens und ihrer Pfründen beraubte, ließ er sie noch mit Schlägen
mishandeln und auf alle Art beschimpfen; und wollten wir auch schwei
gen zu den Verletzungen und Gewaltthätigkeiten , welche er und die
Seinen an dem Propst und an den Pfarrern des Zipserlandes verübten:
-~v
Aeußere Begebenheiten. Andreas II. 347
so dürfen und wollen wir doch nicht mit Stillschweigen übergehen, wie
schimpflich er den presburger Propst, Meister Johannes, mit Backen
streichen und anderer Schmach behandelt habe, ohne dafür der Kirche
und dem Beleidigten Genugthuung zu leisten. Zu dem allen fährt
er fort, Mohammedaner und falsche Christen (Patarener) zu begün
stigen, zu beschützen und auf seinen Landgütern zu dulden. Dem Schatz
meister Nikolaus, da er des Königs, unsers Herrn, Rath ist, und da
sämmtliche Angelegenheiten der Kammer nach seiner Entscheidung ge
führt werden, haben wir bis zum künftigen Gründonnerstag Frist ge
stattet, damit er in dieser Zeit den begangenen Unfug gut mache;
widrigenfalls wisse er, daß er nach Ablauf dieser Frist namentlich
wird verbannt und von allen Gläubigen gemieden werden. Den ehe
maligen Kammergrafen Samuel verbannen wir namentlich, weil er, der
Ketzerei beschuldigt und überwiesen, zu seiner Reinigung das Kreuz
genommen und in das Heilige Land zu ziehen gelobt hat, aber, statt
sein Gelübde zu erfüllen, noch immerfort Mohammedaner und falsche
Christen
„Auch
im Lande
verbieten
vertheidigt
und untersagen
und begünstigt.
wir im Namen Gottes und des
der Münze und der Staatseinkünfte anvertrauen, noch sonst ein öffent
liches Amt übertragen. ... Er wolle dafür sorgen, daß Juden und Sara
zenen durch gewisse Abzeichen von den Christen unterschieden würden,
daß sie christliche Sklaven weder kaufen noch halten. ... Er werde jähr
lich den Palatin oder sonst einen hohen Staatsbeamten beauftragen,
Juden und Sarazenen zu überwachen und ihnen auf Verlangen der Bi
schöfe christliche Sklaven und Frauen abzunehmen. . . . Der nähere Um
gang und die Ehen der Juden und Sarazenen mit Christen sollen auf
gelöst und beiderseits mit Verlust des Vermögens und der Freiheit be
straftEr
werden.
gestatte, daß die Kirchen die ihnen zukommenden Salzgebühren
aus den Magazinen ungehindert abholen, unter dem Siegel der Prälaten
und Salzbeamten bei sich behalten und, wenn dieselben von den letz
tern binnen der festgesetzten Zeit, vom 28. Aug. bis 8. Sept., zu den
bestimmten Preisen nicht angekauft würden, sie frei veräußern dür
fen. . . . Die Salzgebühren, welche er den Kirchen schulde, versprach er
mit 10000
Er gebe Mark
zu,binnen
daß fortan
fünf Jahren
Processe
zu vergüten.
über Morgengaben und Ehen
weder durch den König noch durch andere weltliche Richter, sondern
ausschließlich durch die kirchlichen Gerichte verhandelt und ent
schieden
Er bewillige,
werden. daß die Geistlichen in allen Dingen ausschließlich
seine erst 1230 verstorbene Tochter Elisabeth, die Witwe des thüringer
Markgrafen Ludwig, vom Papste heilig gesprochen wurde.2 Die Toch
ter aus seiner zweiten Ehe, Jolantha, heirathete den König Jakob von
Aragonien. 3 Bald darauf, in den ersten Tagen des November 1235 4,
starb er und wurde nach Thuröczy im Kloster Egres an der Maros, 1235
nach Chronicon Budense in Großwardein zu den Füßen Ladislaus des
Heiligen begraben. Er war einer der geist- und kraftlosesten Könige Un
garns, und brachte den Staat in den traurigsten Verfall; aber die Gol
dene Bulle, obwol er sie nur gezwungen ausstellte und selbst nie beob
achtete, verschaffte ihm durch die Wichtigkeit, die sie mit der Zeit er
hielt, einen Platz unter den hervorragendsten Königen, und umgab sein
Andenken für die folgenden Geschlechter mit dem schimmernden Glanz
eines großen Gesetzgebers. „Der unüberwindliche König", sagt Ver-
böczi, „hat besonders über die Entlastung, über die Vorrechte und Frei
heiten der Edelleute vortreffliche Verordnungen und herrliche Gesetze
gegeben, welche das ungarische Volk bis auf den gegenwärtigen Tag
(um 1500) als heilige Gesetze
Bela IV.
bis zu
1235—1242.
den Sternen erhebt." 6
aber einige Jahre später von den Tschernigowern vertrieben, genoß er jetzt
Gastfreundschaft am ungarischen Hof. — 2 Rogerius, Carmen miserabile,
Kap. 4, bei Endlicher, S. 258. Thuröczy, II, 74. Bonfinius, Rerum Hung.
Decas II, Lib. 8.
'>
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 353
er als heilige Pflicht, als die Aufgabe seines Lebens betrachtete, durch
Einziehung der verschleuderten Staatsgüter die Geld- und Wehrkraft
des Reichs, das Ansehen und die Macht des Königthums wiederherzu
stellen. 4 Solange er blos als Mitregent für diesen Endzweck thätig
war, sah er sich durch unüberwindliche Schwierigkeiten und allerhand
Rücksichten gehindert, konnte er nur in einzelnen Fällen und nicht
nach einem allgemeinen Plan handeln; jetzt, da er die Zügel der Re
gierung hielt und die Hauptschuldigen , die das meiste geraubt und ihm
am hartnäckigsten widerstanden hatten, bereits unschädlich gemacht
waren, brachte er noch auf demselben Reichstag ein Gesetz zu Stande,
das ihn bevollmächtigte, die überflüssigen und unnützen Schenkungen
einiger seiner Vorgänger zu widerrufen. 6 Um wenigstens einen Theil
des Hasses von sich abzuwenden und durch ein wohlgeordnetes Ver
fahren dem Vorwurfe der Parteilichkeit zu entgehen, ließ er durch
den 1Reichstag
Epist. Belae
für IV,
jede1237,
der 72
bei Gespanschaften
Fejer, Cod. dipl.,besondere
IV, i, 68.Richter
Rogerius,
zur
rius,
CarmenCarmen
miserabile,
miserabile,
Kap. Kap.
4. — 4 2u.De6. rebus
— * gestis
Rogerius,
Friderici,
Kap. 10.
I, 44.
—— 5 In3 Roge-
einer
Urkunde von 1237 sagt Bela ausdrücklich : „Cum nos . . . . regni regimine per
successionem ad nos desoluto, superfluas et inutiles antecessorum nostrorum
donationes de communi baronum nostrorum ac totius regni con-
silio decrevissemus revocandas." Pary Hist. Reg., I, 226, n. e.
Feßler. I. 23
354 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
Häuser der Ritter des Tempels, des heiligen Johannes von Jerusalem,
des heiligen Lazarus und des heiligen Samson; sie verloren einen be
deutenden Theil jener Besitzungen, die ihnen Emerich und Andreas ver
liehen hatten. 2 Hierauf ließ Bela Ländereien, von denen nachgewiesen
wurde, daß sie unveräußerliches Staatseigenthum gewesen, ohne Unter
schied den Geistlichen wie den Weltlichen, seinen Gegnern wie seinen
Anhängern abnehmen. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Un
zufriedenheit und Zorn diese Confiscationen , selbst wenn überall die
strengste Unparteilichkeit beobachtet wurde, erzeugen mußten. „Das
war das Schwert", sagt der Zeitgenosse Rogerius, „welches die Her
zen der Ungarn durchbohrte; denn viele, die reich und mächtig ge
wesen waren und ein großes zügelloses Gefolge um sieh gehabt, konn
ten sich nun kaum selbst ernähren."3 Auch der Papst erhob heftigen
Widerspruch, erklärte die Rücknahme der einmal der Kirche ge
schenkten Güter für Raub und Sünde wider Gott und forderte die, Wie
dergabe derselben. * Aber Bela ließ sich dadurch nicht einschüchtern ;
er zeigte in seiner Antwort, wie gesetzmäßig, nothwendig und gerecht die
Maßregel sei, und erklärte, die Klöster um so weniger verschonen zu
können , weil sie sich dazu hergegeben , der Krone geraubte Güter sich
zum Scheine schenken zu lassen, um deren Besitz denen zu sichern , die
sie wider alles Recht an sich gebracht hatten; der Papst möge also
die Klöster zwingen , diese Güter gutwillig herauszugeben ; nach dem
rechtmäßigen Besitzthum der Kirche werde er seine Hand nie aus
strecken. ö Gregor sah , daß er es nicht mehr mit Andreas zu thun
habe, der seinen Worten wie Orakelsprüchen gehorchte, und mußte sich
endlich zufrieden geben. Weit gefährlicher war das Misvergnügen der
weltlichen
Die imHerren.
Lande herrschende Gärung war es vielleicht, was Kaiser
Friedrich II., der jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, ver-
anlaßte, den Plan seines Vorfahren Friedrich I., Ungarn unter deutsche
1236 Hoheit
machte erzu damit,
bringen,daßneuerdings
er 1236 den
aufzunehmen.
Tribut forderte,
Den den
Anfang
Ungarn
hierzu
seit
2 Epist. Gregorii IX. vom 16. Jan. 1237, bei Katona, V, 767. — * Roge
rius, Carmen miserabile, Kap. 5. — 4 Der bereits angeführte Brief Gregor'«,
bei Katona, V, 767. — 5 Epist. Gregorii IX., bei Katona, V, 775.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 355
gnügte
Zahl und
und
dieEmpörungssüchtige
Erbitterung der Unzufriedenen.
an einen Bruder
Sonstoder
wandten
Verwandten
sich Misver-
des
Königs und stellten ihn als Kronprätendenten auf; diesmal konnten sie
dieses nicht thun, weil Bela und Koloman in brüderlicher Eintracht
lebten, einander unterstützten und ebendeshalb gleich verhaßt waren.
Sie richteten also abermals ihre Augen auf den österreichischen Herzog
Friedrich, ungeachtet sie wußten, wie hart er mit den eigenen Vasallen
verfahre, und luden ihn ein, mit eitlem Heere nach Ungarn zu kommen.
An den Grenzen, verhießen sie, würden ihn die meisten Großen an
der Spitze ihrer Kriegsmannen empfangen, das Volk ihm überall zu
fallen und die Krone auf sein Haupt setzen. Zwar hatten die eigenen
Landstände wider den Herzog die Waffen ergriffen, und der Kaiser
ihn wegen Theilnahme an der Empörung seines Sohnes Heinrich bereits
in die Reichsacht gethan und seiner Länder verlustig erklärt; aber
Friedrich der Streitbare, für seine Vergrößerung alles wagend, ließ
sich dadurch nicht abschrecken, auch noch den Krieg mit dem unga
rischen König zu beginnen. Eiligst zog er ein Heer zusammen und
brach1 Albericus
in die wieselburger
Monachus, Gespanschaft
bei Pistorius, ein,
RerumwoGerm.
ihn die
Script.,
Misvergnügten
I, ad anh.
der Ketzer, und Bela sollte denselben durch das Schwert Wirksamkeit
verschaffen. Bela jedoch erhob Zweifel, ob er wider Verwandte, die ihn nie
beleidigt hatten, gerechten Krieg führen könne; und als diese durch die
in solchen Fällen der römischen Curie geläufigen Gründe widerlegt wur
den, stellte er die Bedingungen, daß der konstantinopolitanische Kaiser
und der Papst ihre Ansprüche auf die Oberhoheit über Bulgarien ihm
übertragen, daß kein päpstlicher Legat, falls die Eroberung des Lan
des gelänge, in dasselbe komme; sondern er, wie Stephan der Heilige
in Ungarn berechtigt sei, die dortigen Bischöfe zu ernennen und alle
kirchlichen Angelegenheiten zu ordnen; daß das Kreuz in Ungarn ge
predigt und der Krieg als Kreuzfahrt geführt werde; daß der Papst
alle Einheimische und Auswärtige banne, die während seiner Abwesen
heit 1den
Pernoldus,
Frieden bei
stören
Hanthaler,
würden.Fasti
Nebenbei
Capililiens.,
forderte
1, 1315.
er den
— Widerruf
2 Geor-
gius Acropolita und Nicephorus Gregor's, bei Stritter, Ton1. II, Pars II,
p. 721 — 730.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 357
der unzähligen Bannsprüche, in welche der Legat Jakob die hohe und
niedere Geistlichkeit Ungarns verwickelt, und die Aufhebung der Eide,
die ihm derselbe über die geringfügigsten Dinge abgenommen habe, und
deren Menge zu groß sei, als daß er sich aller erinnern könnte. In
seinem Grimm über Asan bewilligte Gregor IX. diese Forderungen des
Königs fast unbedingt 1; aber Bela, dem es ohnehin nie ein Ernst mit
diesem Kriege gewesen zu sein scheint, ließ es bei einigen Vorbereitungen
dazu bewenden. Bald nahmen andere, weit wichtigere Dinge seine
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch; auch der Papst söhnte sich mit
AsanInaus,
diese
undZeit
derfällt
Kriegauch
unterblieb.
die merkwürdige Begebenheit, die wir schon
magnae a fr. ordinis f.f. Predicatorum invento tempore domini Gregorü IX.
E codice saeculi, XIII bibliothecae Vaticanae, hei Endlicher, S. 248 fg.
A eußere Be gebenhei teil. BelalV. 359
aber die mächtigen Hiongnu, die Hunnen und die Kitan Mongolen
waren, ist ungewiß. Bevor die Mongolen sich wieder erhoben und zum
Verderben der Menschheit aus ihren Steppen hervorbrachen, lebten sie
als rohe Nomaden, einem einfachen Naturcultus ergeben und vielfach
in Horden gefheilt , die ihre Khane aus Familien , in denen diese Würde
erblich war, wählten und einander häufig bekriegten. An den Ufern
der Selinga und des Onon herrschte Khan Jesukai über die Horde
Müm-U und einige andere, die zusammen 30—40000 Familien zählten.
Als er 1175 starb, war sein Sohn Temudschin erst dreizehn Jahre alt;
die Horden weigerten sich den Knaben als Herrscher anzuerkennen:
da ließ dieser 70 Häuptlinge in siedendes Wasser werfen, mußte jedoch,
in einem Treffen besiegt, zu Togrul, dem Khan der Kerniten am Jenisei,
fliehen. Hier gewann er durch Freigebigkeit und tapfere Thaten das
Wohlwollen des Khans, der ihm seine Tochter zur Ehe gab, und die
Liebe der benachbarten Horden. Als seine Macht wuchs, entstand
Zwietracht zwischen ihm und seinem Schwiegervater; es kam zur
Schlacht 1202 und Togrul blieb mit 40000 seiner Krieger auf dem
Kampfplatz. Auch ein neuer Feind, Tayan, Khan der Naimanen am
Amur, der sich wider ihn erhob, wurde 1203 besiegt und fiel auf
der Flucht. So eilte Temudschin von Sieg zu Sieg und ward Herrscher
über den größten Theil der Mongolei und viele tatarische Völker
schaften. Zwischen 1204 und 1206 berief er einen Kurultai (Volks
versammlung) nach seinem Geburtslande, zu dem sich alle Häuptlinge
der unterworfenen Horden einfanden, und ließ durch einen Kodscha
(Priester und Propheten) verkündigen, nach dem Rathe des Himmels
müsse er fortan nicht Temudschin, sondern Dschingis (der höchste)
Khan heißen, denn ihm sei die Herrschaft der Welt beschieden. Die
Horden erkannten gläubig des Kodscha Wort an , und Dschingiskhan zog
nun an ihrer Spitze aus, die Welt zu unterjochen. Zuerst vollendete er
die Unterwerfung der Völkerschaften in der unermeßlichen Steppe,
eroberte sodann 1210 — 14 einen Theil des nordchinesischen Reichs
mit der Hauptstadt Peking, 1215— 24 das große chowaresmische Sul
tanat, das sich vom Kaspischen Meere bis an den Indus und hinauf bis
in die Nähe des Aralsees und des Himmelsgebirges ausdehnte, Ueberall,
wohin die wilden Scharen drangen, sanken die Städte in Asche und
Trümmer, wurden die Menschen erbarmungslos hingewürgt, alle Werke
der Wissenschaft und Kunst zerstört und die Länder in traurige Ein
öden verwandelt. Während Dschingiskhan selbst Chowaresmien er
oberte, gingen seine Feldherren um den Kaspischen See, warfen alle
Nationen nieder, die sie auf ihrem Wege trafen, überstiegen den Kau
kasus und schlugen in blutigen Kämpfen die vereinten Kumanen und
Petschenegen, deren Hauptreich zwischen dem Kaspischen und Schwar
zen Meere lag. Der Kumanenkönig Kuthen verband sich hierauf mit
dem Fürsten von Halitsch Mstislaw Mstislawitsch und dem Großfürsten
von Kiew Mstislawitsch Romanowitsch. Die Verbündeten führten ein
Heer von 100000 Mann über den Dniepr und griffen am 19. Juni 1224
die Mongolen an; die Schlacht, am Flusse Kalka (jetzt Kaleza im Gou
vernement Jekaterinoslaw) endete mit gänzlicher Vernichtung ihres
360 Viertes Buch. Erster Abschnitt,
eroberte 1242 den tiefern Norden Asiens und schlug zu Tobolsk seineu
Thron auf. Haluku zerstörte 1258 das Khalifat zu Bagdad, zertrümmerte das
Reich der Ismaelianer in Persien und noch andere des westlichen Asiens, und
zwang die Seldschuken von Ikonium und die Atabeken zum Tribut. Nur die
Mameluken in Aegypten vertheidigten sich mit Muth und Glück. Der Groß
khan Kublai vollbrachte endlich 1279 die Eroberung des mächtigen südchine
sischen Reichs, über das die Song herrschten, und unterwarf seiner Herr
schaft noch Koran, Tunki», Cochinchina, Pegt1, Tibet und selbst Bengalen.
Zum Glück war er der letzte allgemeine Herrscher des Ungeheuern Reichs,
das alle Länder der Erde zu verschlingen drohte. — 3 Georg. Aoropolita und
Nicephorus Gregoras, bei Stritter, III, 934. Gibbon, History of the Decline
and Fall of the Roman Empire, B. 11.
ML,,-.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 361
noch nicht gewöhnte Volk war schon wegen seiner rohen Sitten den
Ungarn zuwider und gab bald durch Ausschweifungen Anlaß zu bittern
Klagen. Mit ihren zahlreichen Heerden umherziehend und fremdes
Eigenthum nicht achtend, fügten sie Feldern und Weingärten großen
Schaden zu, schritten, wo sie Widerstand fanden, zur Selbsthülfe und
übten, wie sie ihre Frauen gleichgültig preisgaben, auch Gewalt an denen
der Ungarn. Der Unwille über dergleichen Frevel ward um so größer,
je mehr der König die Kumanen mit parteiischer Vorliebe zu behandeln
schien, vielleicht weil er sie durch Güte gewinnen wollte, oder weil er
es gefährlich fand, den mächtigen Haufen durch Strenge zu reizen.
Allein die Klagen wurden immer bitterer und gegenseitige Gewalt-
thätigkeiteu häufiger, sodaß dem Uebel gründlich abgeholfen werden
mußte. Der König versammelte also einen Reichstag zu Kömonostor
an der Theiß in der heveser Gespanschaft , dem auch Kuthen und die
vornehmsten Kumanen beiwohnten. Hier wurde beschlossen, die Ku
manen, damit sie dem Reiche nicht gefährlich werden könnten, zu
trennen; Kuthen und die ihm zunächst Angehörigen erhielten Wohn
sitze
theilt in
und
derunter
pesther,
die Gerichtsbarkeit
die übrigen wurden
der in
Obergespane
andere Gespanschaften
gestellt, die zwi
ver-
1240 Jahres
vor sich1240
niederwerfend,
langte die Trauerbotschaft
unaufhaltsam näher
an, daß
rückten;
auch Kiew,
gegen damals
Ende des
die
ann. 1239, bei Pez, 1. — 2 Epist. Gregorii, bei Katona, V, 863. Die Ein
willigung des Papstes war nach der Meinung der Zeit unentbehrlich , weil
Bela mehr als einmal geschworen hatte, die Staatseinkünfte nicht an Juden und
Mohammedanern zu verpachten. Dieses Eides entband ihn der Papst. —
3 Et linguam facerent sibi notam. Diese Worte des gleichzeitigen Rogerius
lehren, daß die Sprache der Kumanen, ungeachtet sie mit der ungarischen
verwandt war. sich dennoch merklich von derselben unterscheiden mußte.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 363
schaftlich mit den Russen desto leichter verwüsten zu können *'. Mit
solchen Reden kränkte man den König und freute sich der Hoffnung,
ihn gedemüthigt, vielleicht gestürzt zu sehen, wenn auch das Vaterland
dabeiWas
leidendas
müßte.
Gerücht
1 verkündete, verwandelte sich in drohende Ge
wißheit; Batu schickte Botschaft an Bela und forderte ihn auf, den
Mongolen zu huldigen und sich gutwillig ihrer Herrschaft zu unter
werfen, wenn er sich und sein Reich vom Verderben erretten wollte. 2
Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Der König berief im Februar
1241 einen Reichstag nach Ofen, schilderte die unbeschreiblich große 1241
Gefahr und beschwor die Stände, sich schleunigst zu rüsten und mit
ihren Dienstmannen zu dem königlichen Heere zu stoßen, um sich selbst
und das Vaterland zu retten. Niemand konnte weiter an der "Wahrheit
dessen zweifeln, was der König sprach; die nöthigen Rüstungen, das
Aufgebot aller Kriegspflichtigen wurden beschlossen; aber es erhob sich
auch das Geschrei des allgemeinen Argwohns und Hasses wider Kuthen
und die Kumanen: sie seien Verräther, die dem Feind den Weg bahnen
und sich mit ihm vereinigen würden, ihrer müsse man sich vor allem
andern versichern, und Kuthen sammt seiner Familie und den anwesen
den kumanischen Häuptlingen wurden in dem Palast, den er zu Ofen
bewohnte,
Noch unter
dauerten
strengen
die Berathungen
Gewahrsamfort,
gestellt.
als 3am 11. März ein Eilbote
des Palatin die Nachricht brachte, die Mongolen sind am Engpaß ober
halb Vereczke (im Norden der Gespanschaft Bereg) angekommen;
40000 Arbeiter bahnen ihnen die Wege; nach wenigen Tagen werden
sie die Karpaten überschreiten; das kleine Heer des Palatin könne sie
nicht aufhalten, wenn man es nicht ohne Aufschub verstärke. Vier
Tage darauf, am 15. März, traf der Palatin selbst ein; am 12. März,
berichtete er, sind seine Krieger den Pfeilen der Mongolen erlegen.
An demselben Tage streiften schon einige Horden Batu's auf eine halbe
Tagereise von Pesth, und die Flammen brennender Ortschaften ver
kündeten
Diesedie
fastNähe
unbegreifliche
des wilden Schnelligkeit
Feindes. 4 war es eben , was den Mon
sie aus Leder oder Eisen. Ihre Waffen sind: ein krummer Säbel, Köcher,
Bogen und Pfeile mit einer Spitze von Eisen oder Bein, die um vier
Finger länger sind als unsere. An ihre schwarz -weißen Fahnen be
festigen sie zu oberst ein Büschel Wolle. Ihre Pferde, die sie ohne
Sattel reiten, sind kurz, aber stark; an Strapazen und Hunger gewöhnt,
gehen sie, obgleich unbeschlagen, auch über Felsen so sicher wie Gemsen
und begnügen sich selbst nach dreitägiger Ermüdung mit wenig Ruhe
und Futter. Desgleichen wenden die Menschen auf die eigene Nahrung
nicht viel Sorge, als ob sie blos von der Grausamkeit lebten; Brot essen
sie nicht; ihre Speise ist Fleisch, ihr Trank Pferdemilch und Blut. Sie
schleppen eine große Anzahl Bewaffneter von den unterjochten Völ
kern, besonders Kumanen mit sich, die sie mit Gewalt in die Schlacht
treiben und tödten, sobald sie sehen, daß sie sich nicht blindlings in den
Kampf stürzen. Die Tataren selbst wagen sich nicht gern in Gefahr;
fällt aber einer der Ihrigen, so begraben sie ihn auf der Stelle, und
zwar so, daß keine Spur des Grabes sichtbar bleibt. Es gibt kaum
einen Fluß, über den sie mit ihren Pferden nicht schwämmen, doch
setzen sie über größere Ströme vermittelst Kähnen . und Schläuchen.
Ihre Zelte verfertigen sie aus Filz oder Leder. Ungeachtet der un
geheuern Menge hört man in ihrem Lager kein Geräusch; lautlos mar-
schiren, lautlos kämpfen sie." x Hierzu rechne man noch die lange un
ablässige Kriegsübung, das Selbstvertrauen, das sie durch soviel Siege
gewonnen, den Schrecken, der vor ihnen herging und den Muth der
Völker lähmte, und es wird begreiflich, wie sie alles vor sich nieder
warfen und in so kurzer Zeit das größte Reich gründen konnten, das je
auf Erden
Doch dagewesen
kehren wirist.
zu unserm Gegenstand zurück. Der König ent
r v
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 365
und verbot, bevor sich die Reichsmacht gesammelt haben würde, jedes
Gefecht. Doch Erzbischof Ugrin sah von den Mauern eine Rotte plün
dernder Mongolen ganz in der Nähe, konnte seinen Kriegsmuth nicht
bezähmen und fiel mit einem Theil seiner Truppe über sie her. Ihrer
Gewohnheit gemäß kehrten die Mongolen den Rücken, als aber die
nachsetzenden Ungarn mit ihren schweren Pferden und Rüstungen in
Sümpfe geriethen und zu sinken anfingen, wandten sie um und schossen
die in freier Bewegung Gehinderten mit ihren Pfeilen nieder. Ugrin
sah trauernd den Untergang der tapfern Schar, die er ins Verderben
geführt, und konnte sich nur mit Wenigen durchschlagen. An dem
selben Tage überfiel ein anderer Haufe Waitzen; die Einwohner such
ten sich vergeblich in der mit einer Ringmauer umgebenen Kirche zu
verfheidigen ; die Mongolen erstürmten dieselbe, machten alle ohne Un
terschied
Unterdessen
nieder, plünderten
war auch Friedrich
und verbrannten
von Oesterreich,
die Stadt.1
früher als zu ver-
muthen stand , angekommen ; aber nicht wie zum Krieg gerüstet, sondern
wie zur Jagd oder zum Erkundschaften mit wenig Begleitern; er trug
bald zum Verderben Ungarns vieles bei. Auch er machte einen Ausfall
gegen einen Haufen plündernder Mongolen, die schnell die Flucht ergriffen ;
kühn und tapfer, wie er war, verfolgte er sie, stieß den einen mit der
Lanze vom Pferd, hieb einem andern, der diesem zu Hülfe kam, die
Schulter ab, daß er sogleich starb, und brachte den erstem gebunden
ins Lager. Zum Unglück war der Gefangene ein Kumane, deren es
im Heere der Mongolen viele gab. Nun glaubte man den unleugbaren
Beweis von dem Verrathe der Jüngst nach Ungarn eingewanderten Ku
manen in den Händen zu haben; die Herren wie das Volk geriethen in
Wuth; Friedrich fachte den Aufruhr noch mehr an; die unbändige
Menge sfrömte nach dem Palast , in welchem sich Kuthen mit den Sei
nigen in Gewahrsam befand, und stürmte denselben. Die Kumanen
vertheidigten sich eine Zeit lang mit dem Muthe der Verzweiflung,
wurden aber endlich übermannt, mit ihren Frauen, Kindern und Dienern
niedergehauen und ihre Köpfe durch die Fenster unter die tobende
Menge geworfen. Friedrich kehrte hierauf wieder heim und dachte gar
nicht weiter daran , dem Nachbarvolke auch nur die geringste Hülfe zu
leisten. 2 Die kumanischen Krieger waren bereits unterwegs, um aus
ihren zerstreuten Niederlassungen dem königlichen Lager zuzuziehen:
da hörten sie die Schreckensnachricht von der Ermordung ihres Königs
und ihrer Häuptlinge. Von Zorn und Furcht getrieben , kehrten sie
ihre Waffen zur Rache und Selbstvertheidigung wider die Ungarn,
eilten hinab an den Marosfluß, raubten, sengten und mordeten, fielen
die Scharen feindlich an, die zum Heere marschirten, und zerstreuten
unter anderm das zahlreiche Corps, welches der csanäder Bischof Bulcs
und der Obergespan Nikolaus dem Könige zuführten. Viele schlossen
sich sodann den Mongolen an, andere streiften auf eigene Faust ver
wüstend im Lande umher, und wanderten endlich in die Moldau und
nach Bulgarien aus. 3
x Rogerins, Kap. 21, 22. — 2 Ebend., Kap. 24. Pernoldl Chronic, bei
Hanthaler, Fasti Campililiens., I, 1317. — s Rogerius, Kap. 25.
366 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
Batu hatte nach der Eroberung Kiews sein Heer in drei Theile ge-
theih; mit der Hauptmacht ging er selbst gerade auf Ungarn los und
durchbrach, wie bereits gesagt wurde, den vereczker Paß; 50000 Mann
führte Keta (so nennt Rogerius den Anführer, andere nennen ihn Ga-
juk) nach Polen, verbrannte Krakau und Breslau, schlug am 9. April
ein vereinigtes Heer der Deutschen, Böhmen und Polen unter dem Her
zog von Niederschlesien — Heinrich dem Frommen, der selbst fiel, auf
der Ebene Wahlstatt bei Liegnitz und kam, nachdem er auch Mähren
schrecklich verwüstet hatte, in das nordwestliche Ungarn, wo er sich
später mit dem Hauptheere vereinigte. Die dritte Abtheilung zog
längs der östlichen Karpatenkette hinab und trennte sich in zwei Hau
fen. Der eine unter Kajdän überstieg das ausgedehnte Gebirge im
äußersten Nordosten Siebenbürgens. Ihm gingen die deutschen Bürger
der Bergstadt Radna muthig entgegen und schlugen ihn, oder, was
wahrscheinlicher ist , nur seinen Vortrab zurück , der sich gewöhnlich in
keinen ernstlichen Kampf einließ. Als sie aber am Osterfeste, den
31. März, in verblendeter Sicherheit mit fröhlichem Gelage den Sieg
feierten, überfiel sie Kajdän plötzlich. Eine Zeit lang vertheidigten sie
sich tapfer, bald erkannten sie jedoch die Unmöglichkeit längern Wider
standes, streckten die Waffen und flehten um Gnade. Kajdän ließ ihre
Stadt und deren Erzgruben unter der Bedingung unversehrt, daß ihr
Berggraf Ariskald sich mit 600 Bewaffneten seinem Heere anschließe
und demselben durch Siebenbürgen nach Ungarn als Wegweiser diene.
Der andere Haufe unter dem furchtbaren Boghador Subutaj (Bochetor
heißt er bei Rogerius) setzte über den Szeredfluß, fiel in den weiten
Sprengel des milkover oder kumanischen Bisthums ein, schlug die dor
tigen Kumanen und Szekler, und stieß noch vor der Schlacht am Sajö
zu Batu. 1 Dieser Angriffsplan verschaffte den Mongolen den Sieg
noch vor jeder Schlacht; denn bei der Schnelligkeit, mit der sie vor
drangen,
1 Der überschwemmten
Brief Friedrich II. sie
an Heinrich
das linksIII.
vonvon
der
England,
Donau bei
gelegene
Matth. Land,
Paris:
Hist. Angliae (Paris 1644), S. 377. Chinesische Jahrbücher geben an, Ungarn sei
von fünf Seiten angegriffen worden; unsere Geschichtsquellen nennen nur die
vier bezeichneten. Es ist jedoch höchst wahrscheinlich, daß auch von Krakau
eine Horde über den bequemen Paß von Altendorf nach der Zips einfiel. Denn
die 24 deutschen Städte (vgl. oben S. 249), die von Süden durch hohe, dicht be
waldete und schwer zugängliche Gebirgsketten gegen Feindesgefahr geschützt
waren, wurden auch von den Mongolen zerstört. Die Bewohner derselben
fanden in dem dichten Urwald des Gebiets von Kabsdorf (Käposztafalva, da
mals eine dieser Städte, jetzt ein slawisches Dorf) auf einem Berge Rettung,
den sie umschanzten und deshalb „Lapisrefugii" nannten. Nachdem der
Feind wieder abgezogen war, bauten sie als gemeinschaftliche Festung die
Stadt Leu tschau, und die im obern Poperthal unmittelbar unter der hohen
Tatra Wohnenden legten noch für sich besonders in ihrem Mittelpunkte Geor
genberg (Szepestzombatan. Der Einfall im Süden Siebenbürgens wird von
Karl Schuller, Archiv für die Kenntniß von Siebenbürgens Vorzeit und Ge
genwart, I, 32, bezweifelt; doch nicht nur der Augenzeuge Rogerius, Kap. 19,
berichtet denselben, sondern auch Bela sagt in einem an den Papst den
11. Nov. 1254 geschriebenen Brief: „In confinio Cumanorum nitro Danubium
et Bulgariam, per quem etiam locum tempore invasionis regni nostri ad nos
habuit aditum exercitus Tartarorum." Fejer, Cod. dipl. , IV, H, 221.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 367
ehe sieh die wehrhafte Mannschaft unter ihre Paniere gesammelt hatte,
oder zerstreuten und vernichteten die einzelnen Scharen, die dem könig
lichen Lager zuzogen. So stießen der Obergespan Boch (spr. Botsch)
und der Bischof von Waitzen Benedict unweit Erlau auf die Rotte der
Mongolen, die diese Stadt geplündert und eingeäschert hatte, und ihr
ansehnliches
Die Hoffnung
Corps auf
wardbedeutenden
zersprengt Zuwachs
und aufgerieben.
der Streitmacht
1 war unter
auch dieser geringen Zahl mangelte es noch an allem , was ihr den Sieg
wider die Uebermacht hätte geben können. Seit das Aufgebot des
Volks außer Gebrauch gekommen war, der Adel keine Kriegsdienste
außer Landes leistete und die Könige die kleinen Kriege wider die be
nachbarten Staaten mit den schwachen Ueberresten der Burgmilizen
und mit geworbenen Söldlingen führten, schwand auch der kriegerische
Geist und die Kampffertigkeit der Ungarn. Die Großen ergaben sich
ungestört einer trägen Ueppigkeit 2 und waren blos darauf bedacht,
größere Vorrechte und mehr Güter an sich zu reißen, aber ja keine
Staatslasten zu tragen; das gedrückte, seiner Freiheit beraubte Volk
konnte weder Lust noch Kraft fühlen zum Kampfe für das Vaterland,
die nur das erhebende Bewußtsein der Freiheit zu geben vermag.
Ueberdies besaß Bela kein Feldherrntalent, und auch sonst war niemand
da, der einen Begriff vom großen Krieg hatte; Prinz Koloman und
Erzbischof Ugrin zeichneten sich wol durch Muth und Tapferkeit aus,
kannten aber die Geheimnisse des Sieges nicht. Dagegen herrschte, wie
gewöhnlich da, wo es an Erfahrung und Kenntniß des Kriegs fehlt, '
blinde Siegeszuversicht, die vermessen macht. Langsam, um unterwegs
desto mehr Verspätete aufnehmen zu können, bewegte sich das Heer.
Batu zog sich vor demselben fortwährend zurück, berief eilig die Scha
ren, die das Land plündernd durchschwärmten, zu sich, ging über den
Sajö vermittelst einer Brücke, die er befestigte und mit Wachtposten be
setzte, und nahm Stellung zwischen dem genannten Fluß, dem Hernäd
und der Theiß, die sich hier vereinigen. In dieser Stellung, wo Flüsse
und Sümpfe ihn nach allen Seiten deckten und die jenseitige weite
Ebene seinen berittenen Horden die freieste Bewegung gestattete, er
wartete er die Ungarn. Als diese gegenüber am rechten Ufer des Sajö
anlangten, schlugen sie unweit des Dorfes Muhi zwischen den Ort
schaften Onod, Keresztür und Sajöszeged Lager.3 Der Mangel an
Kenntniß der Kriegskunst zeigte sich sogleich; das Lager wurde so
enge ausgesteckt und die Zelte standen so nahe beieinander, daß die
Seile1 derselben
Rogerius, ineinander
Kap. 27. —liefen
2 Thomas,
und die freie
Archidiac.
Bewegung
Spalat.
außerordentlich
Hist. Salonit.,
hinderten; das Ganze ward noch überdies von einer schlecht auf
gestellten Wagenburg umschlossen , die den Ausgang sperrte. Diese
Fehler waren um so verderblicher, weil auch das ungarische Heer
hauptsächlich aus Reiterei bestand. Batu soll das Lager von einer
Anhöhe überschaut und ausgerufen haben: „Ihrer sind zwar viele, aber
sie
heerde
entrinnen
in einen
meinen
PferchHänden
eingeschlossen."
nicht , denn1 sieTausend
haben sich
Reiter
wie hielten
eine Schaf-
des
Nachts Wache. Der König ging umher, theilte den Abtheilungen ihre
Fahnen aus und ermunterte die Krieger mit warmen Worten zur
Tapferkeit. Aber auch jetzt noch im Angesicht des furchtbaren Fein
des fanden sich Elende, die hinter seinem Rücken spotteten und den
schändlichen Wunsch äußerten, daß er doch geschlagen würde, damit
er genöthigt wäre, ihre Zuneigung zu suchen und sie zu begünstigen.
Denn sie selbst hatten zwar keine Kampflust, setzten aber ihr Vertrauen
in die Menge, die ihrem ungeübten Auge zahllos schien, und meinten,
auch jetzt werde alle Kriegsnoth ebenso bald ein Ende nehmen, wie bei
den frühern
Eines Abends
Einfällenbrachte
der Kumanen
ein russischer
und Petschenegen.
Ueberläufer 2 die Nachricht,
Batu wolle in der Nacht das ungarische Lager überfallen. Alles ge-
rieth in Bewegung, und eine gewaltige Verwirrung entstand in dem
engen Raum; es dauerte lange, bis die Krieger ihre Rüstungen anlegten
und zu Pferde stiegen; erst um Mitternacht brachen Koloman und
Ugrin nach der Brücke auf. Als sie ankamen, waren schon einige
Rotten Mongolen über dieselbe gegangen; sie griffen diese muthig an,
hieben den einen Theil nieder, jagten den andern über den Fluß zurück,
in welchem viele ertranken, erstürmten den Brückenkopf und legten
Besatzung in denselben. Hierauf kehrten sie in das Lager znrück, wo
sie mit freudigen Zurufen empfangen wurden. Die Gefahr schien für
diese Nacht vorüber zu sein, und alles sank nach der großen Aufregung
in Schlaf. Nur Koloman und der Erzbischof wachten. Vielleicht
hätte ein rascher entschiedener Angriff auf den bestürzten Feind zum
Siege geführt. Denn damals mochte geschehen sein, was die chine
sischen Jahrbücher Szinhunk-kiantu, Buch 7, erzählen: Batu habe
den Muth verloren, aber der alte Boghador, dessen wilde Tapferkeit
selbst Dschingis zuweilen zu gräßlich fand, zu ihm gesprochen: „Kehre
um, wenn es dir gefällt; ich werde nur nach vollständiger Besiegung
der Ungarn an der Tha-nu (Donau) stehen bleiben." 3 Bevor der Mor
gen dämmerte, schleuderten sieben Wurfmaschinen große Steinblöcke
auf den Brückenkopf, und die Besatzung wurde aus demselben ver
trieben; die Mongolen drangen theils über die Brücke, theils setzten sie
an seichten Stellen über den Fluß ; bei Tagesanbruch stand ihr ganzes Heer
bereits auf dem rechten Ufer. Das Geschrei der rückkehrenden Flücht
linge weckte das ungarische Heer aus dem Schlaf, Koloman, Ugrin und
der Heermeister der Templer warfen sich dem anrückenden Feind
entgegen,
1 Thomas
zogenArchitliac.
sich aberSpalat.,
wieder Hist.
zurück,
Salonit.
als sie
, Kap.
wahrnahmen,
37. — 2 Rogerius,
daß das
Kap. 28. — 3 Abel-Remusat, Nouveaux melanges asiati^ues, II, 96. Vgl. Sza-
lay, Geschichte von Ungarn, II, 44, Note 1.
,*«
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 369
Lager von allen Seiten umringt sei. Jetzt ging in Erfüllung, was Batu
vorhergesagt hatte. Es entstand in dem Gewirre von Zelten und engen
Gäßchen ein Drängen und Treiben, welches die Rüstung der Krieger
und jede Formirung der Truppenkörper unmöglich machte, der wirre
Haufe war bald wie von einem Netz umschlossen , und über ihm
schwebte eine Wolke von Pfeilen, aus der sich die tödlichen Geschosse
ergossen. Bela verlor alle Besonnenheit; die Führer klagten ihn allein
dessen an, was sie mit verschuldet hatten; Ugrin selbst rief Wehe über
das Land, deß König rathlos, dessen Häupter feige sind; niemand gab,
niemand befolgte Befehle; bald stand auch die Wagenburg in Flammen
und die zunächst stehenden Zelte brannten; der gräßlichste Tod drohte
von allen Seiten und der Tumult stieg aufs höchste. In dieser schreck
lichen Lage unternahmen Koloman, Ugrin und der Templer um Mit
tag abermals einen Ausfall, indem sie hofften, auf der andern Seite
werde man gleichfalls die Schranken durchbrechen und der König
dann den Hauptangriff machen. Koloman kämpft bis zum Abend, der
Erzbischof fällt an seiner Seite, auch der Templer sinkt todt vom Pferde,
er selbst dringt immer tiefer in die Feindeshaufen, bis er, schwer ver
wundet, das Schwert nicht mehr führen kann; da nehmen ihn seine
tapfern Krieger in ihre Mitte und bahnen sich den Weg zurück in das
Lager. Aber hier fand er nur Todte und Sterbende. Denn während
er mit den Seinen muthig gekämpft, waren die Zurückgebliebenen in
der Verzweiflung aus dem Lager aufgebrochen, doch nicht zum Streit,
sondern zur Fluchf. Die Mongolen gaben ihnen Raum, hielten sie durch
Pfeilschüsse nicht auf; je dichter der Haufe der Fliehenden wurde,
desto breiter machten sie die Gasse; sie wußten, daß die Fliehenden
ihnen nicht entrinnen; der König allein war es, den sie jetzt tödten
oder fangen wollten. Zu beiden Seiten verfolgten sie die Dahinjagen-
den; wer ausbog, wurde vom Pfeil durchbohrt; und als endlich die Ge
hetzten von der rastlosen Flucht am Geiste betäubt, am Körper erschöpft
und zum Widerstand unfähig waren, da schossen und hieben sie die
Wehrlosen nieder. In der Schlacht und auf der Flucht fielen außer
Ugrin noch der graner Erzbischof Matthias und die Bischöfe Georg von
Raab, Raynald von Siebenbürgen und Jakob von Neitra, der herr-
mannstädter Propst und Vicekanzler des Königs Nikolaus, Erad bäeser
und Magister Albert, graner Archidiakouus. Die Namen der angesehenen
Weltlichen, die ihr Leben verloren, hat kein Chronist aufgezeichnet. Die
Wahlstatt und der Weg nach Pesth, den die meisten Flüchtlinge ein
schlugen, waren zwei Tagereisen weit mit Sterbenden und Todten, mit
Waffen und Schmuck bedeckt; viele, die dem Tode von Feindeshand
entgingen,
Als Bela
ertranken
sah, daß
in den
alles
Flüssen
verloren
undSei,
Sümpfen.
ergriff auch er die Flucht;
eine kleine Schar Getreuer umringte ihn; Andreas Forgäcs und sein
Bruder, Domiriicus, aus dem Geschlechte Aba, Detrich Kecsi, der Oberst
stallmeister Ernyei, Donat und Barnabas, des Rugacs (Stammvater der
Familie
1 Fejer,
Fay)Cod.
Söhne,
dipl.,Magister
IV, n, 489.
Moritz und ein polnischer Krieger Adam1
Feßler. I. 24
370 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
%
Aeußere Begebenheiten. BelalV. 371
wandeln; beide zerstörten die offenen Ortschaften und eroberten die festen
Plätze; Groß wardein, Arad, Pereg, Egres, Tamashid und die Ver
schanzungen, welche Flüchtlinge auf einer ringsum von ausgedehnten
Sümpfen umgebenen Insel des Korösflusses aufgeworfen hatten, fielen
nacheinander in ihre Gewalt. Gefangene Russen, Kumanen und Un
garn mußten stürmen, indeß die Mongolen lachend zusahen, wie sie
unter den Waffen der Vertheidiger fielen und, wenn sie matt angriffen
oder wichen, sie von rückwärts niederhieben und in den Kampf trieben.
Waren endlich die Belagerten von der langen rastlosen Blutarbeit er
schöpft und die Gräben mit Leichnamen ausgefüllt, dann erst unter
sie
nahmen
durchdietrügerische
Mongolen selbst
Verheißungen
den entscheidenden
von Schonung,
Sturm,sich
oderzuverlockten
ergeben,
herzige Gott wolle gestatten, daß wir die Köpfe unserer Feinde zer
schmettern." Und damit Vorrath für den Winter bereitet und die
Ernte eingeheimst würde, ließen sie durch Boten, die sie nach allen
Gegenden aussendeten, jedem Flüchtling, der bis zu einem bestimm
ten Tag heimkehren würde, vollkommene Sicherheit versprechen.
Das Volk ließ sich bethören; die einen, von jeder Verbindung ab
geschnitten und mit dem Stande der Dinge unbekannt, glaubten der
falschen Proclamation , die andern trauten den Worten des heim
tückischen Feindes; auch die Flüchtlinge, von Mangel und Hunger be
drängt, verließen ihre Verstecke und kehrten haufenweise in die liebe
Heimat zurück. — Dürfen wir uns über die Leichtgläubigkeit der Menge
wundern, da der Kanonikus Rogerius, der von Großwardein geflohen
war, als sich die Mongolen näherten, und von Ort zu Ort, von Wald zu
Wald irrte, sich gleichfalls täuschen ließ, in die Stadt zurückkam und
bald darauf sein Leben nur dadurch retten konnte, daß er in den
Dienst eines zum Mongolen gewordenen ungarischen Herrn- trat? —
Jedes Dorf durfte sich einen mongolischen Vorgesetzten wählen; das
ganze eroberte Land ward in 100 Kreise getheilt, deren jedem ein vor
nehmer Mongole vorstand; Gerichte und Märkte wurden abgehalten,
eine Art von Ordnung und Regierung eingeführt; mit blutendem Her
zen ergab sich das arme Landvolk dem Schicksale, künftig als Sklaven
der Mongolen zu leben, und mußte es dulden, daß seine Frauen und
Töchter von den neuen Herren schmählich gemisbraucht wurden. Als
aber die Ernte eingebracht und hinreichende Vorräthe bereitet waren,
da wollten sich die Wüthriche der Mitesser entledigen; Mörderrotten
zogen von Ort zu Ort und trieben die Einwohner zusammen; Schwäch
liche, Greise, Frauen und Kinder stellten sie in Reihen auf, entrissen
ihnen ihre Kleidung und schossen wie zur Uebung nach dem Ziele ihre
Pfeile auf sie ab ; die schönsten Frauen vertheilten sie unter ihre Wei
ber, damit diese die Rache der Eifersucht an ihnen stillten; die Knaben
ließen sie von ihren Knaben todtschlagen ; nur so viele als sie Sklaven
brauchten, erhielten sie am Leben und bewachten sie sorgfältig; die
stärksten Männer aber wählten sie zu Kriegsknechten aus, welche die
ersten Angriffe in den Schlachten auffingen. l
Während sein Volk auf der linken Seite der Donau so verblutete,
war Bela von Thdröcz nach Presburg gegangen. Hierher berief er die Kö
nigin mit den Kindern zu sich, die sich im Schlosse zu Haimburg auf
hielten. Statt ihrer erschien Friedrich und beredete ihn, nach Oesterreich
zu kommen, wo er mehr Sicherheit und Bequemlichkeit finden würde.
Aber kaum hatte ihn Friedrich in seiner Gewalt, so erklärte er, der
König sei sein Gefangener und werde die Freiheit nur nach Zurückgabe
jener Summen erhalten, um die er 1235 — 36 den Frieden von ihm er
kaufen mußte. Bela gab den Schmuck und die Schätze hin, welche die
Königin mit sich führte ; da jedoch Friedrich dieselben weit unter
ihrem Werthe nur für 2000 Mark Silber annahm und noch 8000 for
derte1 ,Jtogerius,
sah er sich
Kap.genöthigt
31 und 34—
, ihm
37. Thomas
auch die
Archidiac,
Gespanschaften
Hist. Salonit.,
Wieselburg,
Kap. 37.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 373
Land von diesen verschont; der mächtige Strom war ein Hinderniß, das
sie nicht, so leicht überschreiten konnten, und jenseit desselben fürch
teten sie auf die vereinigte Macht Europas zu stoßen. 2 Aber der
Kaiser und der Papst, die sich die Herren der Welt und die Beschützer
, der Christenheit nannten, setzten, unbekümmert um die augenscheinliche
Gefahr, von der sie selbst und das ganze christliche Europa bedroht
wurden, ihren blutigen Streit fort, und auch Frankreichs frommer und
1242 mächtiger König that nichts zur Abwendung derselben. Da die Mon
golen also sahen, daß kein Heer jenseit des Stroms zum Kampf bereit
stehe, und der ungewöhnlich strenge Winter eine feste Eisbrücke über
denselben geschlagen hatte, gingen sie hinüber und nahmen Ofen (das
heutige Altofen), wie es scheint, ohne bedeutenden Widerstand. Von
hier führte Batu einen Theil des Heeres gegen Gran, die Hauptstadt
des Landes. Die reichen Einwohner, Ungarn, Deutsche, Franzosen
und Lombarden, worunter viele Geldwechsler und Kaufleute, hatten sie
mit Gräben, Mauern und hölzernen Thürmen stark befestigt. Sie galt
für uneinnehmbar, und deshalb war eine große Menge Menschen jeden
Standes hierher zusammengeströmt. Aber Batu ließ durch die zahl
losen Gefangenen, die er mit sich schleppte, Gräben um die Stadt zie
hen und stellte hinter denselben dreißig Wurfmaschinen auf, welche die
Festungswerke niederschmetterten; unter dem Schutze eines ununter
brochenen Stein- und Pfeilregens wurden die Stadtgräben mit Reisig
und Sandsäcken ausgefüllt. Als die Belagerten sahen, daß sie die höl
zernen Vorstädte nicht behaupten könnten, zündeten sie dieselben an,
tödteten die Pferde, verbrannten die vorräthigen kostbaren Waaren,
vergruben Gold, Silber und Edelsteine und zogen sich in die festen Ge
bäude der innern Stadt zurück. Die Mongolen sahen die Vernichtung
der werthvollen Sachen und wurden dadurch noch mehr zur Wuth ent-
ilammt; ungeachtet der tapfersten Gegenwehr erstürmten sie die Stadt;
nur äußerst wenige der unglücklichen Einwohner, kaum funfzehn, sagt
Rogerius, konnten sich retten; die nicht im Kampfe umkamen, wurden
grausam zu Tode gemartert. Dreihundert vornehme Frauen, die in
einem Palast versammelt waren, baten in der Todesangst, dem Khan
vorgeführt zu werden, und erboten sich um den Preis ihres Lebens seine
Sklavinnen zu werden; er ließ ihnen ihren Schmuck abnehmen und alle
enthaupten. 3 Die hohe Felsenburg Grans vertheidigte der Spanier
Simon glücklich und schlug alle Angriffe des Feindes ab. Auch die
St.-Martinsabtei auf dem Pannonberge wurde durch ihre hohe Lage
und starke Befestigung gerettet. Stuhlweißenburg bewahrten die rings
um ausgedehnten und vom Schneewasser angeschwellten Sümpfe vor
der 1Eroberung,
Rogerius, Kap.
nur32. diePernoldus,
Vorstädte
a. a.wurden
O. — 2 niedergebrannt.
Thomas Archidiac,
4 Hist.
Der
Salonit., c. 37. — 3 Rogerius, Kap. 39, 40. — * Ebend., Kap. 40. Die
Schenkungsurkunde Bela*s für den Obergespan Simon, bei Fejer, Cod. dipl.
IV, i, 272.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 37*)
fromme Glaube schrieb die Erhaltung der drei Plätze dem Schutze Sto-
phan'sMit
deseinem
Heiligen
andern
zu, der
Heere
überder
seine
Mongolen
Stiftungen
eiltewachte.
Kajdan König Bela
aufzusuchen, der rath- und hülflos an der Drau verweilte und bei der
ersten Kunde vom Uebergang des schnellen Feindes über die Donau
sich nach Spalatro flüchtete. In seinem kleinen Gefolge befanden sich
der Palatin Arnold, der Ban von Dalmatien Dionysius, der Oberlandes
richter Ladislaus, der Schatzmeister Matthias, der Oberstallmeister
Lorant nebst andern Reichsbeamten und deren Familien, außerdem die
Bischöfe Stephan von Waitzen, Stephan von Agram und Bartholomäus
von Fünfkirchen, Benedict, Propst von Stuhlweißenburg und könig
licher Kanzler, und einige andere Geistliche. Die treue Stadt empfing
den flüchtigen König mit allen Zeichen der Ehrfurcht und Ergebenheit
und gewährte ihm jede Hülfe, die in ihren Kräften stand. Die Königin
mit ihren Frauen, den trauernden Witwen der am Sajö Gefallenen, be
wohnte schon seit mehrern Monaten die Bergfeste Clissa. Von Spalatro
begab sich Bela mit seiner Familie nach Traw, das, auf der Insel Issa
erbaut und nur vermittels einer Brücke mit dem Festlande .verbunden,
mehr Sicherheit versprach. Denn Kajdan, der mit großer Schnelligkeit
seiner Spur folgte, war schon in der Nähe und hatte unlängst den Be
weis gegeben, mit welcher grausamen Wuth er strebe, ihn in seine Ge
walt zu bekommen. Als er nämlich erfuhr, der König sei bereits an
der dalmatischen Küste, also die kostbarste Beute, die er suchte, seinen
Händen wahrscheinlich entschlüpft, ergrimmte er von unbändigem Zorn,
machte jenseit der Kulpa am Bache Sirbi halt , ließ eine große Menge
Gefangener in Reihen aufstellen und niedermachen, und eilte darauf
gerades Wegs nach der Meeresküste. Schon zu Anfang Mai standen die
Mongolen vor Spalatro, das mit Flüchtlingen überfüllt war, zogen aber
wieder ab und umlagerten Clissa, wo sie den König vermutheten,
hoben jedoch die Belagerung der uneinnehmbaren Burg auf, weil sie
mittlerweile erfuhren, daß er sich in Traw aufhalte, und eilten dahin.
Hier mußte Kajdan zu seinem größten Aerger sehen, wie sich der Kö
nig vor seinen Augen mit seinem Gefolge nach der benachbarten Insel
Bua einschiffte, wohin er ihm, da er kein Fahrzeug hatte, nicht folgen
konnte. Unter fürchterlichen Drohungen forderte er die Stadt auf,
sich zu ergeben und den König auszuliefern; aber die Stadt antwortete
mit Verachtung und Spott, denn sie fühlte sich sicher hinter dem Mee
resarm, der sie vom Festlande trennte. Kajdan sah ein, daß ohne
Flotte alle Anstrengungen, den König in seine Gewalt zu bekommen,
vergeblich seien. Nachdem seine Horden ungefähr einen Monat lang
Kroatien, Dalmatien und Bosnien durchstreift, Ragusa vergeblich ge
stürmt, Cattaro und Drivasto angezündet und geplündert hatten, wandte
er sich gegen Osten, ging über Albanien und Serbien nach Bulgarien,
setzte über die Donau und vereinigte sich in der Moldau mit dem Heere
Batu's.
1 Rogerius,
1 Kap. 40. Thomas Archidiac, Hist. Salonit., Kap. 38 —40.
376 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
hoffen
1 Pernoldus
durfte, jeadwieder
ann. 1242,
überbeidas
Hanthaler,
befreite S.
Ungarn
1317. zu
Epist.
herrschen,
Ivonis Nar-
zu
gänzlich verlassen hatten, führte er die Königin und seine Kinder von
Traw nach Clissa, damit sie sich dort von den ausgestandenen Ge
fahren und Mühseligkeiten erholten, und brach sodann in Begleitung der
anwesenden ungarischen Herren, der dalmatinischen Johanniterritter
und der Frangepäne nach Ungarn auf. 4 Aber welch ein Schauplatz
der Zerstörung und des Jammers war das vor kurzem blühende Land
geworden! Die untern Gegenden jenseit der Donau waren nur strich
weise verwüstet, längs dem Weg, den die Mongolen wie ein verheeren
des Ungewitter genommen hatten; je weiter man kam, desto furcht
barer ward der Anblick der sich häufenden Trümmer. Doch waren im
ganzen die westlichen Landestheile nicht so gänzlich zunichte gemacht
und verödet wie die östlichen; schon gewarnt durch das Schicksal der
letztern, flohen die Einwohner bei zeiten, und auch die Mongolen
lagerten hier nirgends längere Zeit wie dort. Dort, in den Ebenen
der Theiß, war jede Spur menschlichen Fleißes vertilgt, die Land
straßen waren von Gras überwachsen, die Felder mit gebleichten Ge
beinen bedeckt, tageweit sah man keine lebende Seele. Und noch
hatte die Noth der Ueberlebenden kein Ende; als sie aus ihren Ver
stecken hervorkrochen, fanden sie keine Wohnung, keine Nahrungsmittel,
keine Kleidung zum Schutze gegen das Wetter; Hunger und Krank
heiten rafften abermals Tausende hin; das Elend stieg zu einer so gräß
lichen Höhe, daß die Menschen, wahnsinnig vor Hunger, einander an
fielen und verzehrten, daß hier und da Menschenfleisch sogar zu Markte
gebracht worden sein soll. 5 Doch mögen wir beim Lesen dieser Gräß
lichkeiten nicht vergessen, daß es alte Mönchschronisten sind, die sie
uns erzählen , deren Gewohnheit es ist , die Dinge zu übertreiben und
durch solche Uebertreibungen ihren Werken Kraft und Schmuck zu
verleihen.
1 Die Urkunden bei Fejer, Cod. dipl., IV, i, 333, und IV, 1, 385. —
der
1222
Mongolen.
— 1248.
Bulle urtheilen, wenn wir von den nächsten Folgen derselben auf den
Einfluß hinblicken, den sie durch Aufstellung neuer Grundsätze auf die
^X1
Innere Zustände. 1222 — 1242. 379
Gesetzgebung, auf die Constitution und auf das ganze Staatsleben des
ungarischen Volks äußerte : dann erkennen wir in ihr den Ursprung
einer neuen Zeit. Stephan I. brach die Macht der Stammhäupter und
gründete auf den Ruinen derselben nach den Begriffen und Verhält
nissen seiner Zeit eine starke Monarchie ; er befreite das Volk aus den
Fesseln des Stammverbandes, ohne dasselbe in die noch drückendem
des Feudalismus zu schmieden. Es war zwar unvermeidlich, daß Un
garn, indem es sich dem Einfluß der westlichen Feudalstaaten und be
sonders Deutschlands öffnete, schon bei der Einführung der Monarchie
viele Einrichtungen und Formen des Lehnwesens von daher empfing
und später sich noch mehrere aneignete ; aber dasselbe erhielt hier nie
die vollständig gegliederte Ausbildung und unbeschränkte Herrschaft,
die es in jenen Ländern besaß. "Der freie Mann wurde hier weder dem
Staat noch einem Herrn dienstpflichtig ; er besaß unverkümmertes per
sönliches und Eigenthumsrecht. Allein in demselben Grade, in welchem
die königliche Macht, nicht durch gesetzliche Beschränkungen , sondern
durch die Fehler unfähiger Könige und durch die Anmaßung mächtiger
Großen, Abbruch erlitt, wurden auch die Rechte des Volks immer mehr
geschmälert. Der Stand der Gemeinfreien, der naturgemäß ursprüng
lich der zahlreichste sein mußte, verschwand durch allmähliche Aus
artung der alten Stammgenossenschaft in Lehnsverhältnisse und durch
gewaltsame Unterdrückung beinahe gänzlich und erhielt sich nur noch
mühselig in einigen Ueberresten der Burgmilizen; nur der Adel, dem
der größere Grundbesitz und die Führung der Waffen Wichtigkeit ga
ben, nebst dem Klerus, der stark war durch seinen Corporationsgeist
und durch die fromme Scheu des Volks, konnten ihre Freiheit den Ge
waltigen gegenüber behaupten. Aber auch sie empfanden täglich mehr
den Druck, den diese theils im Namen und unter der gemisbrauchten
Autorität des Königs, theils auf eigene Faust übten, und mußten
fürchten, über lang oder. kurz unter deren Botmäßigkeit zu gerathen.
Unter den letzten Königen und besonders unter Andreas hatte das
Uebel die höchste Stufe erreicht; wie die Dinge jetzt standen, konnten
sie nicht bleiben; die verfassungsmäßigen Rechte der noch übrigen
Freien mußten entweder gesichert werden , oder eine gesetzlose Olig
archie sich auf den Trümmern des Reichs erheben. Da ermannten sich
der Adel und die Geistlichkeit zum Widerstand und zwangen die
herrschgierigen und habsüchtigen Großen und den durch sie irregeführten
König zur Ausstellung der Magna Charta Ungarns. Da aber die große
Masse des Volks nicht mehr zu den berechtigten Staatsbürgern zählte,
so konnte in der Goldenen Bulle fast ausschließlich von den Rechten des
Adels und der Geistlichkeit die Rede sein ; nur nebenbei werden die
Immunitäten der Burgmilizen und der Bewohner der Städte und freien
Bezirke gewährleistet, für die übrigen Volksklassen aber wird blos mit
telbar durch die Aufhebung der schmählichsten Bedrückungen einiger
maßen gesorgt. Die so häufig und so arg gemisbrauchte Willkür der
Könige wird beschränkt, ihre Macht jedoch innerhalb der verfassungs
mäßigen Grenzen hergestellt ; das Königthum soll aufhören, ein willen
loses Werkzeug der Tyrannei in den Händen übermüthiger Barone zu
380 Viertes Buch. Erster Abschnitt.
sein, und ein Bollwerk gesetzlicher Freiheit werden. Der Adel aber
und die Geistlichkeit repräsentiren von nun an das ganze Volk; die
Verfassung
Vor allem
wirdandern
rein aristokratisch.
wurde die alte, außer Gebrauch gekommene In
stitution wieder ins Leben gerufen, daß der König alljährlich einmal zu
Stuhlweißenburg entweder persönlich feierliche Sitzung halte oder, falls
er durch wichtige Ursachen selbst zu erscheinen verhindert würde,
durch den Palatin halten lasse. Diese Sitzungen, zu denen sich vor
mals, wie an seiner Stelle gesagt wurde, die Freien, die Adelichen, die
Herren und der Klerus an dem. vom König kundgemachten Orte ver
sammelten, waren zuvörderst Reichstage. Hier übte das Volk seine
höchste gesetzgebende Gewalt, indem es die Vorschläge des königlichen
Raths, der aus den höchsten Würdenträgern bestand, berieth, annahm
oder verwarf; hier bewilligte es Abgaben und das Aufgebof der wehr
haften Mannschaft, hier erhob es Beschwerde gegen ungerechte oder
verfehlte Maßregeln der Regierung und gegen einzelne Reichsbeamte.
Diese Sitzungen waren aber zugleich die höchsten Gerichtstage,
wo der König selbst oder der Palatin statt seiner wichtige Rechts
händel im Angesichte des Volks entschied und besonders denen, die von
mächtigen Privaten oder Beamten Bedrückung erlitten hatten, Genug
thuung zu gewähren, eben durch die Oeffentlichkeit» der Gerichts
handlung genöthigt ward. Diese Reichs- und Gerichtstage waren daher
die stärkste Grundlage und mächtigste Schutzwehr des Rechts und der
Freiheit. Als die Könige aus Scheu vor der noch wenig geordneten
Versammlung, aus Hang zum Absolutismus und durch die Einflüste
rungen der herrschsüchtigen. Großen irregeleitet, die Reichstage stets
seltener und endlich beinahe gar nicht mehr abhielten, sah sich das Volk
jeder Mishandlung schutzlos preisgegeben, und forderte daher mit gutem
Rechte die Wiederherstellung derselben. Freilich würde es noch weit
größere Vortheile gebracht haben, dieselben zugleich nach dem Systeme
der Volks- oder wenigstens der Ständevertretung zu ordnen, wenn diese
Zeit eine solche überhaupt schon gekannt hätte. Ob sie von nun an
wirklich alljährlich abgehalten wurden, läßt sich nicht erweisen; aber
jedenfalls war die Erneuerung und gesetzliche Feststellung derselben
eine That, der wir es hauptsächlich zu verdanken haben, daß sich die
ungarische
Merkwürdig
Freiheitistunter
ferner,
allen
daßStürmen
die Ungarn
der Zeit
schon
erhalten
damalshat.eine rich
Palatin wird also hier als oberster Rath des Königs und Vollstrecker
des Gesetzes, gleichsam als erster Minister, hingestellt, der die Befug-
niß hat, den König von gesetzwidrigen Handlungen abzuhalten. Der
dritte Artikel in der zweiten Ausgabe der Goldenen Bulle (Andreae R.
Decretum, II, 3) nähert sich noch mehr dem Begriffe von einer ver
antwortlichen Regierung, er verordnet: „Wenn der Palatin die
Angelegenheiten des Reichs und desKönigs schlecht führte,
werden sie (der Reichstag) Uns ersuchen, einen Geeig
netem, wen wir wollen, an seine Stelle zu setzen; und wir
werden ihre Bitte gewähren." Der König hat mithin das Recht,
den Palatin zu ernennen, ist aber verpflichtet, ihn zu entlassen, sobald
er den Wünschen der Nation nicht entspricht, und einen andern, der
denselben mehr zusagt, an dessen Stelle zu berufen. Daß endlich der
Reichstag, als das höchste Tribunal, das Gericht war, vor welches die
Staatsbeamten gezogen wurden, beweist die Verurtheilung des Palatin
Dionysius und anderer hoher Staatsbeamten durch den Reichstag von
1235. Leider kamen diese heilbringenden Grundsätze in Vergessen
heit, noch ehe sie eine vollständigere Ausbildung erhielten und eine
bleibende
AuchEinrichtung
die Sicherheit
derder
Constitution
Person undwurden.
des Eigenthums hatte in der
hatten zwar schon seit längerer Zeit die Steuerfreiheit für ihre Person
errungen, vielleicht ursprünglich besessen; aber die Könige legten den
noch auf deren Güter und Hörige wenigstens von Zeit zu Zeit Abgaben.
Jetzt wurde (Andreae R. Decretum, I, 3; und II, 6; Andreae R. Liber-
tas clericorum, 3) jede Art der Steuerhebung von ihren Gütern ver
boten. Daß der Hörige, der seinem Herrn Abgaben und Dienste
leisten mußte, nicht noch obendrein Staatslasten trage, wurde damals
noch für billig und recht erachtet; erst den spätem Zeiten, als die be
vorrechteten Stände in ihren Ansprüchen immer weiter gingen und die
Bedürfnisse der Monarchien bis zur Unerschwinglichkeit stiegen, war
die Schmach vorbehalten, ihm, der vom Staate die wenigsten Vortheile
genoß, die Last doppelter Dienstbarkeit aufzubürden. Allein auch in
382 Viertes Buch Erster Abschnitt,
die Waffenführung; darum wurden sie in den ältesten Zeiten der unga
rischen Monarchie milites, in den spätem servientes regii genannt.
Jetzt verweigerten diejenigen, die erbeigenthümliches Land besaßen , die
Heeresfolge ins Ausland; die Besitzer von Lehngütern, welche doch
ausdrücklich gegen Kriegsdienste verliehen wurden, mußten dieselben
zwar leisten, jedoch auf Kosten des Königs; nur wenn ein Feind das
Land überfiel, waren alle verpflichtet, die Waffen zu ergreifen (Goldene
Bulle 26). Es läßt sich nicht leugnen, daß die Könige durch dieses
Gesetz verhindert wurden, wie es oft geschehen war, in unnützen Krie
gen das Gut und Blut des Volks zu vergeuden. Aber wie oft fordert
es gerade die Vertheidigung des Vaterlandes, dem Angriffe des Feindes
zuvorzukommen? Woher sollte der König für den nothwendigen aus
wärtigen Krieg Truppen und Geld nehmen, da die steuer- und waffen-
pflichtigen Freien unterdrückt, die Burgmilizen bis auf einen kleinen
Rest verschwunden, die Staatsländereien größtentheils entfremdet
waren? War es endlich nicht viel zu spät, das Aufgebot zu den Waffen
ergehen zu lassen, wenn der Feind bereits im Lande stand? Diese eng
herzigen, zum Vortheil eines Standes gegebenen Gesetze zwangen den
König Bela, der sicher kein leichtsinniger Verschwender war, abermals
zur Verschlechterung der Münze und Verpachtung der Staatseinkünfte
zu greifen; sie nöthigten ihn, die Kumanen, die ein zu jeder Zeit fer
tiges Heer stellten, zu begünstigen; sie verursachten hauptsächlich das
Verderben Ungarns beim Einbruch der Mongolen (das tapfere Volk,
wenn es wie vormals kampfgeübt und Mann für Mann aufgestanden
wäre, hätte die wilden Horden leicht zurückschlagen können); sie
waren schuld an der militärischen Schwäche des Reichs, die von
nun an bis zum Ausgang des ärpädischen Hauses und noch darüber
fortdauert.
Der Schlußartikel (31) der Goldenen Bulle gibt jedem einzelnen
Edelmann und der Gesammtheit des Adels das Recht des straflosen be
waffneten Widerstandes, wenn ein König die Gesetze derselben über
schreiten würde. Dieses Recht erwies sich gleich anfangs als illusorisch
und schuf einen Zustand, wo König und Adel gleich zwei feindseligen
Mächten einander gegenüberstanden. Als 1227 der Plan der Unzu
friedenen, Andreas und Bela vom Thron zu stoßen und Kaiser Fried
rich II. auf denselben zu berufen, entdeckt wurde, konnte ihnen das
Gesetz nichts helfen. Die Könige forderten sie nicht vor Gericht, son
dern schickten Truppen wider sie; diejenigen, denen die Flucht ins
Ausland nicht gelang, erlitten Strafe; die Güter aller wurden feindlich
verwüstet und eingezogen. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr allen,
die sich später gegen Bela auflehnten , ungeachtet sie sich mit Grund
darauf berufen konnten, daß der' König mehrere Satzungen der Gol
denen Bulle verletzt habe. Um die Wiederkehr so trauriger Auf
tritte zu verhüten, daß der König selbst Theile des Vaterlandes ver
heerte und an den unschuldigen Untergebenen den Aufstand der Herren
Innere Zustände. 1222 — 1242, 383
rächte, ward bei der zweiten Ausstellung der Goldenen Bulle (Decret.,
II, 35) verordnet: „Es steht dem König frei, die Besitzungen der ge
richtlich Verurtheilten einzuziehen, zu behalten oder an andere zu ver
geben; aber ihre Dörfer dürfen nicht niedergebrannt werden." Auch
sollte diesmal nicht das Hecht des straflosen Widerstandes, sondern
der Eid des gesammten königlichen Hauses dafür bürgen, daß die
Könige für alle Zeiten die Gesetze heilig halten würden. Im Verlaufe
der Geschichte wird es sich zeigen, wie wenig dieser Eid, den jeder
König noch überdies bei seiner Krönung persönlich schwor, und der
Artikel 31 der Goldenen Bulle, der jahrhundertelang als das wichtigste
Gesetz gepriesen wurde, die Constitution und Freiheit des ungarischen
VolksZuzu derselben
sichern vermochten.
Zeit, wo der Adel und die Geistlichkeit so ent
schlossen für ihre Rechte und Freiheiten kämpften, blieben auch die
Bürger der Städte und die Bewohner der privilegirten Bezirke nicht
müßig; denn auch sie fühlten den Druck eines verschwenderischen, kein
RechtDie
achtenden
Zusicherung
Hofesder
undGoldenen
mächtigerBulle
Oligarchen.
(Art. 9): „Die hospites (so
nannte man die Bewohner der Städte und freien Bezirke, weil sie größ-
tentheils vom Auslande eingewandert waren) welcher Nation immer
sollen nach der ihnen ursprünglich verliehenen Freiheit gehalten wer
den", befriedigte sie nicht; sie suchten vielmehr mit Eifer und Erfolg
die Bestätigung alter oder die Ertheilung neuer Privilegien nach. Viele
dieser Freibriefe haben sich theils im Original, theils in glaubwürdigen
Abschriften erhalten 1; sie gewähren sehr wichtige Immunitäten und
Rechte, als Exemption von den Landesbehörden und unmittelbare Un
terordnung unter den König, den Palatin oder Tavernicus, freie Wahl
der eigenen Obrigkeiten und Pfarrer, Uebergabe von Ländereien, man
cherlei Befreiungen von Steuern ,und Zöllen, wogegen die so Be
günstigten verpflichtet werden, eine gewisse Anzahl Bewaffneter zu
stellen, zur bestimmten Zeit eine festgesetzte Summe als Steuer, Ablö
sung des Kammergewinns (monetagium) und des Zehnten zu zahlen. und
den König gebührend zu bewirthen, wenn er bei ihnen einkehrte (die
letztgenannte bedeutende Last wird häufig auf ein- oder zweimal im
Jahre beschränkt). Besonders ausgedehnt und wichtig waren aber die
Rechte, welche Andreas den siebenbürger Sachsen 1224 theils be
stätigte, theils neu verlieh; sie sind bereits oben S. 248 verzeichnet.2
Die Bewohner des fünf Quadratmeilen großen Feldes Turopolya in
Kroatien entband Bela als Jüngerer König 1225 der Diensthörigkeit
von der agramer Burg und gab ihnen und ihren Nachkommen alle
Rechte
1 Ungeachtet
Unter
des Adels.
andern
die
3 erhielten
Städte Freibriefe
so ausgedehnte
Varaszdin
Vorrechte
in Kroatien
genossen
1209, Szat-
und
Einkünfte des Königs und des Staats vermehren, das in Verfall ge-
rathene Institut der Burgmiliz herstellen und dadurch die gesunkene
Macht des Königs und des Reichs wieder heben. Keine Mühe scheuend,
unbekümmert um den Zorn und Haß, den er dadurch auf sich lud,
strebte er unablässig nach diesem Ziele; aber der Erfolg entsprach
keineswegs der Erwartung. Wie drei Jahrzehnte später König Otto
kar II. von Böhmen in den Kriegen mit Kaiser Rudolf die Einziehung
der verpfändeten Krongüter mit Niederlagen und zuletzt mit dem Leben
bezahlen mußte, so empfand auch Bela die traurigen Wirkungen der
gehässigen Maßregel in wiederholten Aufständen und ganz besonders
beim Einfall der Mongolen, ohne je wirklich zu erreichen, was er beab
sichtigt hatte. Es zeigt sich kaum ein Merkmal, daß durch die neuer
dings dem Staatsgut einverleibten Ländereien das öffentliche Einkommen
bedeutend zugenommen hätte ; die königliche Schatzkammer blieb bei
nahe so leer wie vormals; daß die Noth jetzt weniger groß war,
muß man mehr der bessern Wirthschaft als der gesteigerten Einnahme
zuschreiben. Noch weniger wollte es gelingen, die Burgmiliz zu ihrer ,
vormaligen Stärke zu heben und aus ihr ein mächtiges , jederzeit schlag
fertiges, vom König ganz abhängiges Heer zu bilden. Die Einrichtung
hatte sich überlebt; sie entsprach nicht mehr den neuern Zuständen,
wo schon so viele feudalistische Elemente platzgegriffen hatten, und
konnte daher nie wieder aus ihren Trümmern zu der vorigen Kraft
erstehen; sie gerieth immer mehr in Verfall, bis sie endlich ganz auf
hörte und die Banderien der Lehnsherren und Körperschaften an ihre
StelleAm
traten.
wenigsten aber konnte die Uebermacht der Oligarchie durch
selbst blieb; an die Stelle der Gestürzten traten andere, die noch kühner
der königlichen Macht trotzten, die Rechte des Volks mit Füßen traten
and das Bestehen des Staats gefährdeten. Denn es war eben das Zeit
alter der Oligarchie; in den meisten Reichen Europas lockerten sich die
Bande, welche die Nationen verknüpfen; mächtige Barone oder Pairs
zerrissen und theilten die Länder unter sich und errangen eine beinahe
selbständige Macht. Selbst der gebildete thatkräftige Kaiser Friedrich II.
konnte es mit dem Aufgebot seiner ganzen geistigen Kraft und äußern
Macht nicht verhindern, daß gerade während seiner Regierung die
Großen seines Reichs fast souverän wurden und das Kaiserthum sich
sozusagen in ein leeres Schattenbild zu verwandeln anfing. Vor ähn
licher Zersplitterung und solchem Verfall der königlichen Macht wurde
Ungarn noch zu rechter Zeit durch den 16. Artikel der Goldenen Bulle
bewahrt. „Ganze Gespanschaften", so lautet derselbe, „oder welche
Würden immer, werden wir nicht in erbeigenthümlichen Besitz geben."
Schon hatte Andreas dergleichen gefährliche Vergebungen zu machen
angefangen; sie wurden nun für die Zukunft durch ein feierliches Gesetz
verboten. Keine Würde und kein Gebiet, dessen Verwaltung mit der
selben verbunden war, konnte ein Erbgut gewisser Familien werden;
die Palatine, Bane, Obergespane'u. s. w. blieben zeitweilige Beamte des
Reichs; auch die größten Dynasten waren blos reiche Privatleute und
die Macht, die sie übten, angemaßt und gesetzwidrig, es gab keine erbliche
Banate und* Grafschaften. Dieselbe wohlthätige Absicht verfolgte auch
der 30. Artikel, der festsetzt, daß außer dem Palatin, dem Ban und dem
Hofgrafen des Königs und der Königin kein anderer zwei Würden zu
gleicher Zeit bekleiden dürfe; er hinderte die Anhäufung zu großer Ge
walt in einer Hand. Die Einsicht und Energie des ungarischen Volks
hatte Die
die Einheit
Veränderungen
des Staats
in gerettet.
der Rechtspflege und die Umgestaltungen
der kirchlichen Zustände, die in diesem Zeitraum vor sich gingen , wer
den wir am Ende des Buchs vereint mit dem , was in dieser Hinsicht in
der folgenden Periode geschah, besprechen, theils weil das Wichtigste
davon in den Artikeln der Goldenen Bulle und in den erzählten Be
gebenheiten bereits angedeutet wurde, theils weil wir die Gestaltung
dieser Angelegenheiten im Zusammenhange darstellen wollen.
Feßler. I. 25
Zweiter
Wiederherstellung Abschnitt,
des Reichs; äussere Kriege und
xNc
I och während Bela auf der Flucht vor den Mongolen in Dalmatien
verweilte, hatte sich Zara freiwillig aus der venetianischen unter die
ungarische Oberhoheit begeben. Da er voraussah, die Republik werde
den Abfall der wichtigen Stadt nicht gleichgültig hinnehmen , ernannte
er seinen getreuen Dionysius Vialka zum Ban von Kroatien und Dal
matien
Dasundfurchtbare
empfahl ihm
Elend,
ganzwelches
besonders
nachdiedem
Vertheidigung
Abzuge der Zaras.
Mongolen
1 in
die Habsucht des Unersättlichen wenigstens für eine Zeit gestillt hatte,
wandte
1 Thomas
er seine
Archid.,
ganzeHist.
Sorge
Salonit,
auf die
Kap.
Wiederherstellung
43. — 2 Fejer, Cod.
des dipl.,
verödeten,
IV, 1,
Versammlung hielten naeh dem Zeugnisse des Judex curiae Paul die Gespan
schaften Neograd, Hont und Gömör in Waitzen. Pray, Hist. reg., I, 249. —
3 Diese Klausel, die in jeder Schenkungsurkunde bis auf die neueste Zeit
stand und kraft Gebrauchs zur Gültigkeit derselben erforderlich war, wurde
damals eingeführt. — 4 Dergleichen Verzeichnisse hatte Bela schon zu An
fang seiner Regierung anfertigen lassen; jetzt wurden sie neugeordnet und
berichtigt. Urkunde Bela's von 1266 für die Jobbagyonen von Thuröcz.
Urkunde des Palatins und presburger Obergespans Lorant und des neitraer
Bischofs Vicentius von 1258 bei Georgius Bartal, Commentariorum ad his-
toriam s atus jurisque publici Hungariae aevi medii libri XV (Presburg 1847),
Tom. II, mantissa VII. Aus Hörigen wurden freie Milizen, unter andern die
Leute der Burg Trencsin. Fejer, Cod. dipl., V, 1n, 295. — 5 Fejer, Cod.
dipl., IV, 1n, 256, 323; V, m, 114 u. s. w.
24*
ggg Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
der Körös und Temes nieder, in der Gegend, welche ihre vollständig
x\i Ungarn gewordenen Nachkommen größtentheils auch heute noch
unter dem Namen Groß- und Klein -Kumanien innehaben. Selbst die
Mongolen, die hier und da im Lande zurückgeblieben waren, fanden
freundliche Schonung; mehrere unter ihnen, besonders diejenigen,
welche Töchter ungarischer Herren geehelicht hatten, wurden in die
Gemeinschaft des ungarischen Adels aufgenommen. x Außerdem berief
er aus fremden Ländern, besonders aus Deutschland Colonisten, denen
er erbeigenthümlichen Grundbesitz, wichtige Privilegien und für einige
Jahre Nachlaß aller Steuern gewährte. 2 Und da Bela mit richtigem
Blick erkannte, wie wichtig die Städte durch ihre Festungswerke und
freiheitskühne Mannschaft für die Landesvertheidigung seien, und wie
sehr die Betriebsamkeit und Bildung ihrer Bürger die öffentliche Wohl
fahrt erhöhe, verlieh er vielen Ortschaften das Stadtrecht, die Privi
legien der Städte aber. bestätigte und vermehrte er. Diese Gunst wider
fuhr den Städten Agram und Szamobor 1242, Jäszö 1243, Ruprecht-
häza 1247, Neusohl 1255, Neitra 1258, Bereny 1265, Kesmark
1269,Vonu. s.w.
den 3heißen Quellen bis an den Blocksberg unterhalb Altofen
wirkte läuternd und besänftigend auf die Gemüther. Bela selbst kam
zur Einsicht, daß sich nicht alles durch Machtsprüche und Gewalt
durchsetzen lasse, daß durch gesetzwidrige Ausführung selbst die nütz
lichsten Maßregeln verhaßt und schädlich werden, und daß die Liebe
und das Vertrauen des Volks die sichersten Stützen des Thrones seien;
er verfuhr nun mit mehr Achtung des Rechts, mit mehr Schonung und
Güte als früher. Aber auch eine bedeutende Zahl der mächtigen Her
ren war umgekommen, andere hatten ihre Reichthümer eingebüßt, der
übermüthige
1 Die Edlen
und von
störrige
Braas,Sinn
Perzei,
derKadarkauz
OligarchieMirköczi
war wenigstens
u. a. m. sind
für wahr
eine
den Namen und die Stätte solcher Ortschaften. — 2 Epist. Belae ad Inno-
centium IV., bei Fejer, IV, 1, 298. — 3 Epist. Innocentii, a. a. O., S. 414.
— 4 a. a. O., S. 299. — 5 a. a. 0., S. 303.
;>90 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
für die Länder- und Völkerkunde höchst wichtige Berichte nach Hause
brachten.
Venedig konnte den Verlust Zaras nicht verschmerzen; schon im '
1243 Mai 1243 schickte der Doge Jakob Tiepolo den Feldherrn Renier Zeno
mit 26 Galeeren und 20 andern Schiffen zur Wiedereroberung der
Stadt. Ban Dionysius Vialka vertheidigte dieselbe. Als aber die Ve
netianer die Kette, welche den Hafen sperrte, sprengten und der Bau,
bei einem Ausfall schwer verwundet, sich aus Zara bringen ließ, über
gaben die erschrockenen Bürger die Stadt schon am 2. Juli. Viele von
ihnen wanderten nach Nona aus und beunruhigten in Verbindung mit
dessen Einwohnern die Venetianer zu Wasser und zu Land. Deshalb
erschien eine venetianische Heeresabtheilung vor Nona, wurde aber vom
Grafen Becsend, der statt des verwundeten Bans die Armeeführung
übernommen hatte, zurückgeschlagen. 1 Bela hielt es nicht für rath-
sarri, zu einer Zeit, wo die Mongolen fortwährend drohten, sich in einen
langwierigen Krieg einzulassen; die Venetianer waren durch die Nie
derlage von Nona entmuthigt und überdies in Händel mit Konstan-
/ tinopel verwickelt, deshalb brachten ihre Gesandten Peter Dandulo und
l'MeL 1244 Jakob Justipni mit leichter Mühe am 30. Juli 1244 folgenden Friedens
vertrag zu Wege. Zara bleibt ini Besitze Venedigs, doch bezieht der
König von dem Ertrage der Zölle zwei Drittheile, als Zeichen seiner
Oberherrlichkeit über ganz Dalmatien. Die ausgewanderten Bürger
Zaras sollen von Zara und Nona entfernt werden und vier Meilen vom
Meere sich niederlassen. Der König verspricht, kein Bündniß wider
Venedig zu schließen, Abgeordneten und Truppen von dessen Feinden
den Durchzug durch ungarisches Gebiet nicht zu gestatten, dagegen der
• Republik wider alle Feinde und Aufrührer Hülfe zu leisten. Ebenso
verpflichtet sich Venedig, Bela's und seiner Nachfolger Feinde nicht zu
unterstützen und besonders die Königin-Witwe Beatrix und ihren Sohn
StephanUnterdessen
von Ungarnwar,fern
wahrscheinlich
zu halten. 2 von den Venetianern angezettelt,
bei Fejer, IV, i, 444. — 2 Thomas Archid. , Hist. Salonit. , Kap. 43. Dan
dulus, a. a. 0. Der Friedensvertrag im Codex Trevisanus, S. 334; bei End
licher, S. 464.
Aeuß ere Begebenheiten. Bela IV. , 391
Vergeblich war Ban Dionysius bemüht , den Frieden und die Eintracht
herzustellen, vergeblieh wollte der König das Geschehene verzeihen,
wenn Spalatro dem streitigen Landstrich entsagen und den csasmer
Propst Ugrin, einen Ungar, der sich durch zwölf Jahre an der 'pariser
1 Hochschule gebildet hatte, zum Erzbischof annehmen würde l; den
Landstrich wollte die Bürgerschaft nicht aufgeben, die Anempfehlung
des Propstes wies das Kapitel als einen Eingriff in seine Rechte zurück;
Kampf und Aufruhr nahmen immer mehr überhand. Endlich sah sich
der König genöthigt, zu ernsten Maßregeln zu greifen. Der Ban von
Dalmatien und Kroatien, Dionysius, und der Bischof von Fünfkirchen,
Bartholomäus, rückten auf seinen Befehl mit einer beträchtlichen Kriegs
macht gegen Spalatro, erstürmten die Vorstädte, zwangen die Stadt zu
einem anständigen Frieden mit Traw und nöthigten im Verein mit den
Bürgern, die den König versöhnen wollten, das Kapitel zur Annahme
Ugrin's. Archidiakonus Thomas ging selbst an das königliche Hof
lager, um allen Ansprüchen auf das Erzbisthum zu entsagen und die
Bestätigung Ugrin's zu erbitten. Spalatro wurde noch außerdem zu
einer Buße von 600 Mark Silber verurtheilt. Bela ernannte Ugrin zu
gleich zum Grafen von Spalatro und zum Befehlshaber der Inseln , was
zwar ein Eingriff in die Privilegien derselben war, die ihnen die freie
Wahl ihres Grafen zusicherten, aber mit den vorhergegangenen Un
ruhen sich rechtfertigen ließ. Ban Ninoslaw wurde zur Strafe seiner
unbefugten Einmischung des Amts entsetzt und an seine Stelle der
deutsche
Der Ritter
Lehnseid,
Stephan
den Kotrqman
Bela in derernannt.
höchsten2 Noth Kaiser Friedrich II.
durch den waitzner Bischof Stephan Vancsa geleistet hatte, machte ihn 1244
besorgt für die Unabhängigkeit seines Reichs; vielleicht zeigte der Kai
ser auch Neigung, die Lehnsherrlichkeit geltend zu machen. Bela bat
daher den Papst, ihn des Eides zu entbinden, weil Friedrich die seiner
Eid
seits für
versprochene
nichtig. Weil
Hülfe jeder
nicht Vertrag,
geleistet habe.
lauteteInnocentius
sein Spruch,
erklärte
ungültig
den ,
wird, sobald der eine Theil die Bedingungen, unter denen derselbe ge
schlossen wurde, nicht erfüllt, und weil Friedrich, schon durch das Ge
bot der Natur dem schwer bedrängten König beizustehen verpflichtet,
den Lehnseid gar nicht hätte annehmen sollen: sei Bela durch sei
nen Schwur nicht gebunden, und könne auf Grund desselben weder
gegen ihn, noch gegen irgendeinen seiner Nachfolger ein Anspruch er
hobenDer
werden.
Fürst 3von Halitsch , Daniel Romanowitsch, wenigstens kraft
troffen, daß die Spalatroer immer einen geborenen Ungar zum Erzbischof
wählen sollten, damit das einflußreiche Amt in treuen Händen liege. —
2 Thomas Archid., Hist. Salonit., XLI — XLVII. — 3 Raynaldus, Annales
eccl. ad ann. 1245, Lib. III, Nr. 81, Epist. 58.
3Q2 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
1243 die
mahlin,
Mongolen
belehnte
theil.ihn Dafür
mit Halitsch
gab ihm und
Bela schickte
seine Tochter
ihn 1243
Anna'mit
zureinem
Ge-
ligen, 20. Aug., den jährlichen Reichstag abhielt, ließ er, der damals
unter den Königen fast allgemein herrschenden Sitte gemäß, seinen
fünfjährigen Sohn Stephan krönen und ernannte ihn zum Herzog von
Slawonien (Kroatien und Dalmatien, die zu jener Zeit gemeinschaftlich
diesen Namen führten). 3 Zugleich verlobte er ihn , um die Kumanen
noch mehr zu versöhnen und an sein Haus zu knüpfen, mit der kuma-
nischen Jungfrau Elisabeth, vielleicht des gemordeten Kuthen Tochter.4
Ebenfalls aus Rücksicht auf das Staatswohl vermählte er seine dritte
Tochter
NunHelena
endlichdem
glaubte
polnischen
sich Bela
Herzog
stark Boleslaw.
genug, alles
6 Unrecht und alle
1245 Schmach
gefügt hatte.
zu strafen,
Noch welche
gegen Ende
Herzogdes
Friedrich
Jahres ihm
1245und
schloß
seinem
er Volk
mit dem
zu-
1246 böhmischen
gann den Krieg
König
voreilig
Wenzelgleich
I. Bündniß
zu Anfang
wider
desden
Jahres
Herzog
1246
6; ohne
Wenzel
Glück
be-
und Ruhm; sein Feldherr, der lundenburger Fürst Ulrich, ward an der
Thaja zwischen Staatz und Laa am 26. Jan. überfallen und mit dem
größten Theil des Heeres gefangen. Um Wenzel von dem Bündnisse
mit Ungarn loszuwinden, gewährte ihm Friedrich jetzt, was er früher
abgelehnt hatte; er vermählte seine Nichte Gertrud (seines verstorbenen
ältern Bruders, Heinrich, Tochter) mit des Königs erstgeborenem Sohne
Wladislaw.7 Bela ließ sich indeß durch das Misgeschick und den Abfall
seines Bundesgenossen nicht zurückschrecken und führte im Frühling ein
wohlgerüstetes Heer gegen Oesterreich. Am rechten Ufer der Leitha,
Neustadt
— 3 1 Urkunde
Pray,gegenüber,
Annal.
Bela'sreg.
vomschlug
Hung.,
10. Jan.
I,er253.
1246.
sein— Lager
Fejer,
2 Katona,
IV,
auf;1,Hist.
jenseit
401.reg.,
— standen
4VI,
Auf140
ihrem
die
fg.
*
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 3!*3
Oesterreicher; der Vortrab, Kumanen und Krieger der Grafen Frange- '
pän, setzten am 15. Juni zuerst über den Fluß. Die Schlacht beginnt,
der Kampf wird heftig; die Kumanen werden geworfen oder kehren
absichtlich nach ihrer Gewohnheit den Rücken; Friedrich, der in den
vordersten Reihen ficht, setzt den Fliehenden unvorsichtig nach; sein
Pferd, von einem Pfeil in die Stirn getroffen, stürzt nieder; noch ehe er
sich erheben kann, stößt ihm Bartholomäus Frangepän das Schwert ins
Auge und verwundet ihn tödtlich. Sogleich hörte der Kampf auf; die
Kumanen zogen sich jenseit des Flusses zurück, den das Hauptheer der
Ungarn noch nicht überschritten hatte. Die Oesterreicher brachten den
Leichnam des Herzogs in die neustädter Kirche und verließen gleich
falls das Schlachtfeld; ohne Vertrag, durch stille Uebereinkunft ward
Friede.
So 1endete der streitbare Friedrich gerade an seinem fünfunddrei
pek, bei Pez. Pernoklus, bei Hanthaler, Fasti Campil., I, 1318. — 2 Die
Urkunde bei Fejer, IV, 1, 147. Fray, Dissert. , VII, 154. Benkö, Milkovia,
I, 110. Katona, VI, 45.
394 Viertes Buch. Zweiter Absehaitt.
Drina bis an die Donau, welches seit Bela III. der ungarischen Krone
1-M7 unterthänig war, wurde 1247 von Bela IV. zu einem eigenen Banat er
hoben, das von der Burg Macsö (serbisch Matschow) seinen Namen
erhielt. x Rostislaw, des Königs Eidam, war dessen erster Bau. Die
Verwaltung Kroatiens und Dalmatiens, die er bisher statt des unmün
digen Königs Stephan geführt hatte, wurde Stephan Subich (lies Schu-
bitsch) übergeben. Klugheit und Verdienst erwarben diesem Manne
die Liebe des Volks und die Gunst des Königs, der ihm schon früher
die Grafschaften Brebir und Lika in Kroatien als erbliches Eigenthum
geschenkt hatte. 2 Auch das wichtige Amt, das ihm jetzt übertragen
ward, verwaltete er rühmlich; er beruhigte die Eifersucht und Zwie
tracht, die unter den Seestädten Dalmatiens herrschte, beförderte den
Handel und Wohlstand des Landes und legte die Stadt Jablanacz an,
der er wichtige Privilegien unter der Bedingung verlieh, daß sie zu
ihrem Grafen immer einen Ungar wähle. 3 Schon seine nächsten Nach
kommen , die Grafen von Brebir, gehörten zu den mächtigsten und zu
gleichDie
unbändigsten
Gerüchte von
Dynasten
dem bevorstehenden
Ungarns. Einfall der Mongolen er
wiesen sich als falsch, und Bela gewann freie Hand, sich in die Strei
tigkeiten, die über die Erbfolge in Oesterreich und Steiermark ent
standen waren, einzumischen und Ansprüche auf die herrenlosen Län
der zu erheben. Vermöge der außerordentlichen Vorrechte, welche
Kaiser
1 Engel,
Friedrich
Geschichte
I. 1156desden
ungarischen
Babenbergern
Reichs,verliehen
III, 221 hatte,
fg., ließwar
sichOester-
durch
reich in der männlichen Linie dieses Hauses erblich; falls kein männ
licher Erbe da wäre, sollte die Tochter des letzten Herzogs nachfolgen,
und wenn dieser auch keine Tochter hätte, stand es ihm frei, seinen
Nachfolger zu ernennen. Friedrich der Streitbare hatte keine Kinder
und starb ohne Verfügung über die Nachfolge. Nach den Gesetzen
des deutschen Reichs hätten daher Oesterreich und Steiermark an das
selbe heimfallen sollen; Kaiser Friedrich zog auch beide Herzogthümer
als erledigte Reichslehen ein und setzte über sie den Grafen Otto
von Ebersberg zum Statthalter. Dagegen glaubte der böhmische
Kronprinz Wladislaw, als Gemahl von Friedrich's Nichte Gertrud, die,
wie gesagt, die Tochter des ältern Bruders Heinrich war, zur Erbfolge
berechtigt zu sein, und wurde auch von einem Theil der Landstände
als Herzog anerkannt. 1 Er starb jedoch schon am 16. Jan. 1247 kin
derlos, und seine Witwe Gertrud war zu ohnmächtig, ihr Recht geltend
zu machen. Der Markgraf von Meißen, Heinrich, Gemahl von Fried
rich's Jüngerer Schwester Constantia, und ihre noch unmündigen Söhne
Albrecht und Dietrich wurden anfangs kaum berücksichtigt. Aber das
nächste Recht, wenn die weibliche Nachfolge überhaupt anerkannt
wurde, hatten Margarefha, die älteste Schwester Friedrich's, Witwe des
römischen Königs Heinrich, der, wegen Aufruhrs gegen seinen Vater
Kaiser Friedrich II. abgesetzt, im Gefängnisse zu Messina 1242 ge
storben war, und ihre Söhne Friedrich und Heinrich. Der Kaiser nährte
daher auch den Vorsatz, den erstem mit den Herzogthümern zu be
lehnen, zögerte jedoch mit der Ausführung desselben zu lange. Außer
dem machte der böhmische König Wenzel I. Ansprüche auf einige
Theile Nordösterreichs, die ihm Friedrich, als er unter der Reichsacht
stand, 1236 abgetreten hatte. Der Herzog Otto von Baiern wollte das
Land Ob der Enns , das bis 1156 zu seinem Herzogthume gehört
hatte, wieder mit dem „Mutterlande" vereinigen. König Bela hoffte,
wo nicht die ganze, so doch einen großen Theil der reichen Verlassen
schaft an sich zu bringen. Er hatte freilich nicht das geringste Recht
darauf; dagegen lag.es im Interesse Ungarns, zuerst zu hindern', daß
nicht der mächtige Kaiser sein unmittelbarer Nachbar werde , und so
dann auch im Westen die natürliche, durch Gebirgszüge gesicherte
Grenze zu erwerben. Allein Bela steckte sein Ziel zu weit und schlug
Wege ein, auf denen nichts zu erreichen war. Endlich mischte sich
noch Papst Innocentius IV. in den Erbfolgestreit. Einst, als Cardmal
Sinibaldi Fieschi von Lavagna, Kaiser Friedrich's Freund, seit er Papst
geworden, dessen unversöhnlicher Feind, hatte er schon durch die
Synode von Lyon 1245 die schrecklichsten Flüche über ihn aussprechen
und ihn aller seiner Kronen verlustig erklären lassen, darauf einen
Theil der deutschen Stände bewogen, den Landgrafen von Thüringen,
Heinrich Raspe, und nach dessen Tode 1247 den Grafen Wilhelm von
Holland zum König zu wählen; jetzt bot er alles auf, ihm Oesterreich
und Steiermark
1 Da
Goldene
Bela diese
Chronik
zu Gesinnungen
entreißen.
in Hormayr's
des Papstes
Archiv, 1827,
kannte,
S. auch
439. bereits mehrere
396 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
als Hermann am 4. Oct. 1250 starb.4 Bald darauf den 13. Dec. be
schloß auch Kaiser Friedrich II. sein kämpfe- und thatenvolles Leben
zu Fiorentino in Apulien. Nach seinem Testamente sollte Friedrich,
sein Enkel und Margaretha's Sohn, Oesterreich und Steiermark zu Lehen
empfangen: aber auch dieser, verlor das Leben, noch ehe er in das ihm
zugedachte Land kam. 6 Der römische König Konrad IV. hatte genug
mit seinem Gegner Wilhelm zu kämpfen und konnte daher die An
sprüche des Reichs auf Oesterreich nicht behaupten. Herzog Otto von
Baiern hatte sich gleich nach Hermann's Tod des Landes ob der Enns
bemächtigt,
1 Der Brief
aberdes
durch
Papstes
die bei
Räubereien
Fejer, IV, seiner
i, 458.Kriegsscharen
— 2 Der Brief den
des Haß
Pap
stes an Wilhelm vom 29. Jan. 1247, bei Fejer, Cod. dipl., IV, i, 459. —
3 Pernoldus, bei Hanthaler, Fasti Campil. , I, 1320 fg. Horneck, Chron. von
Oesterreich, bei Pez, III, 26 fg. Chron. Mellicense, bei Pez, I. Chron.
Augustense, bei Freher, I. — * Dieselben. — 5 Spinelli, bei Muratori Script,
rer. Ital., VII, 1067. Chron. Siciliae anonym., bei Martene et Durand.,
Thesaurus Anecdot., III, 13. Chron. Salisburg., bei Pez, I, 362. Chron.
August., bei Freher, I, 523.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 397
der Oesterreicher auf sich geladen, und wurde zu Anfang des Jahres
1251 zum Rückzug genöthigt, weil Wenzel mit starker Macht nach
Baiern einrückte. x Innocentius kam wieder mit einem Heirathsplan
dazwischen, nach jvelchem Margaretha sich mit Florenz, Grafen von
Holland, des römischen Gegenkönigs Wilhelm Bruder, vermählen und
dieser sodann Herzog von Oesterreich werden sollte; allein Margaretha
sowolDaalswurden
die Oesterreicher
es die Stände
verwarfen
Oesterreichs
den Antrag.
endlich
2 müde, dem ränke
vollen Streit um ihr Land wie um ein herrenloses Gut länger un-
thätig zuzusehen und sich geduldig bekriegen und plündern zu lassen;
sie versammelten sich zu Trübensee bei Tuln 1251 zur Wahl eines 1251
Landesherrn. Bela und der bairische Herzog hatten sich verhaßt ge
macht; Margaretha aber war kinderlos, der Sohn Gertrudens, Fried
rich, unmündig, die Herrschaft einer Frau den Begriffen jener Zeit,
die Regierung eines Unmündigen den Bedürfnissen des Landes nicht
angemessen; die Wahl fiel daher auf die Söhne von Friedrich's Schwe
ster Constantia, der bereits verstorbenen Gemahlin des Markgrafen Hein
rich von Meißen. Aber schon hatte König Wenzel von Böhmen durch
Beweise des Wohlwollens gegen Oesterreich und durch Freigebigkeit
eine mächtige Partei für sich gewonnen. Es wurden zwar Abgeordnete
nach Meißen geschickt, um einen der Söhne Constantia's, Albrecht und
Dietmar, als Herzog zu berufen ; allein sie ließen sich, als sie nach Prag
kamen, von König Wenzel leicht bewegen, ihre Reise nicht weiter fort
zusetzen, sondern heimzukehren und den Ständen seinen Sohn Ottokar
zu empfehlen. Nun begannen geheime Unterhandlungen, bis endlich
eine Gesandtschaft der Stände Wenzeln die Wahl seines Sohnes an
zeigte ; worauf dieser , mit reichen Schätzen, die alten Freunde zu be
lohnen und neue zu erkaufen, ausgerüstet, nach Oesterreich ging und zu
Wien am 12. Dec. die Huldigung der Stände empfing. Um sich den
Besitz Oesterreichs noch überdies durch das Erbrecht zu sichern, ver
mählte er, der dreiundzwanzigjährige Mann, sich mit der siebenund
vierzig Jahre alten Margaretha zu Haimburg am 8. April 1252. 3
Papst Innocentius, das Recht immer nach den Umständen messend, er
klärte jetzt Margaretha, wie früher Gertrude, für die rechtmäßige Erbin
Oesterreichs, und sie übertrug feierlich alle ihre Rechte auf ihren jungen
Gemahl. 4
Steiermark war erst seit dem Tode seines letzten Herzogs Ottokar
1186 an das Haus der Babenberger gefallen; die Steiermärker glaubten
daher mit Recht, nach dem Aussterben desselben sei auch das Band
aufgelöst, ,welches sie durch den gemeinschaftlichen Landesherrn mit
Oesterreich verknüpfte, und wählten daher ihrerseits Heinrich, den
zweitgeborenen Sohn des bairischen Herzogs Otto, der Bela's Tochter
Elisabeth
1 Chron.
zur Garstense
GemahlinM.hatte,
S., bei
zumRauch,
Herzog.
Oesterr.
WeilGeschichte,
aber BelaIII,
wünschte,
82. —
neck,
2 Pernoldus
a. a. O.
ad atfn.
Arnpek,
1250,Chron.
a. a. O.,
Austr.
1321.
, bei—Pez,
3 Pernoldus,
I, 1219. —a. 4a. Epist.
O. Hor-
In-
nocentii IV. ad Epp. Frisiug. et Seccov. ; bei Calles, Annaleä Austr., II, 315,
Note B. Vgl. für das Ganze Rauch, Oesterr. Geschichte, III, 84.
398 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
des Herzogthums ein jauch Gertrud, welcher Bela Roman, den Sohn des
galizischen Fürsten Daniel, zum Manne geworben hatte, übertrug aus
Dankbarkeit alle ihre Rechte auf Stephan. 1 ,
Aber weder Ottokar noch Bela wollte sich mit dem einen Lande
begnügen; jeder strebte nach beiden. Das freundschaftliche Verhältniß,
das bereits seit länger als hundert Jahren zwischen den Beherrschern
Ungarns und Böhmens fast ohne Unterbrechung bestanden hatte, wurde
hierdurch zerrissen und ein langwieriger, verhängnißvoller Kampf be
gann. Ottokar rückte in Steiermark ein und zwang die Städte bis nach
Grätz hin, ihm zu huldigen; Bela ließ um dieselbe Zeit ein Heer in
Oesterreich und ein zweites in Mähren einfallen , die auf schwachen Wi
derstand stießen, da Ottokar abwesend, Wenzel zum Krieg nicht ge-
/|ur|j^K*' rüstet war; das tmgftrioohe insonderheit drang bis nach Tuln vor. Die
Chronisten erzählen mit Entsetzen, welche Verheerungen die unga
rischen Truppen, besonders die Kumanen angerichtet, wie sie Tausende
von Menschen ohne Unterschied des Standes, Geschlechts und Alters
mit sich fortgeschleppt haben'2; aber keine Stadt ward eingenommen
1253 und keine
Im folgenden
bleibendeJahre
Eroberung
1253 gemacht.
schickte Bela leichte Reiterei, meisten-
\
Aeußere Begebenheiten. Bela I\r. 399
In den letzten Tagen des Juli erschien nämlich der Franciscaner Ve-
lasco, des Papstes Beichtvater, als Legat und gebot, die Widerstrebenden
mit dem Banne bedrohend, Frieden. Noch kein Papst hatte die hoch-
müthigen Anmaßungen des römischen Stuhls so weit getrieben, wie In-
nocentius in den gleichlautenden Briefen an Bela, Wenzel und Ottokar;
„Wir vertreten", schreibt er, „nicht sowol eines bloßen Menschen, son
dern Gottes Stelle auf Erden durch des Plerrn Fügung stehen wir
der allgemeinen Weltregierung vor." l Bela gehorchte, schickte den
agramer Bischof Philipp und den Franciscaner Ecce an den Papst und
erklärte seine Bereitwilligkeit, Frieden zu schließen und die eroberten
festen Plätze dem Legaten bis zum Austrag der Sache zu überliefern,
wenn Ottokar dasselbe thun würde. 2 Auf diese oder ähnliche Be
dingungen kam der Waffenstillstand zu Stande,, aber die Friedens
verhandlungen wurden durch den am 22. Sept. erfolgten Tod Wen-
zel's I. unterbrochen. Ottokar ging zur Uebernahme der Krone und
Regierung nach Böhmen und sandte erst im folgenden Jahre Abge- 1254
ordnete nach Ungarn, die sich mit den Bevollmächtigten Bela's am
3. April über folgende Punkte einigten. Bela erhält den größern süd
lichen Theil Steiermarks vom Sömmering bis an die kärntner Grenze,
Ottokar den nördlichen, doch soll die Burg Schwarzenbach zu dem unga
rischen
reich, desgleichen
Antheil gehören.
OttokarBela
auf das
entsagt
übrige
allen
Steiermark;
Ansprüchenbeide
auf machen
Oester-
sich anheischig, die Erbinnen dieser Länder, jeder aus seinem Antheil,
in der Art zu befriedigen, daß Margaretha auf Steiermark und Gertrud
auf Oesterreich verzichte. Das Weitere werden die Könige bei «iner
persönlichen Zusammenkunft, die im Mai zu Presburg stattfinden soll,
ordnen. Am 1. Mai trafen sie einander in der genannten Stadt, be
stätigten die obigen Hauptpunkte, schlossen auch den Herzog von
Kärnten in den Frieden ein, und vereinbarten noch einige minder wich
tige Dinge, unter anderm, daß Ottokar auch den Titel eines Herzogs
von Steiermark
Bela vergabaufgebe.3
Steiermark an den Jüngern König Stephan, den die
nach ihm der Continuator Mart. Poloni, bei Ecoard, Corpus hist. medii aevi,
I, 1421, dieses berichten, die übrigen zahlreichen Chronisten aber darüber
schweigen.
1 Epist. Innocentii, bei Dobner, Monumenta, II, 366. — ' Epist. I1mo-
centii ad electum Neapolitan., bei Katona, VI, 204. — 3 Die Urkunde bei
Kurz, Oesterreich unter den Königen Ottokar und Albrecht I., Beilage Nr. 1.
400 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
ein Fehler, der schlimme Folgen hatte, war es, daß Subich zugleich
Ban der genannten Gebiete blieb ; die Angelegenheiten derselben nah
men seine Sorge und Gegenwart daselbst so stark in Anspruch, daß er
gezwungen war, mit königlicher Genehmigung den Landrichter Gott
fried von Marburg und den Landmarschall Friedrich von Petau zu sei
nen Stellvertretern in Steiermark zu ernennen 1; ihre Erhebung erregte
den Neid anderer Herren, und durch unkluge Führung des anvertrauten
AmtesInweckten
Dalmatien
sie Misvergnügen.
war die Ruhe nur äußerlich hergestellt; die Zwie
tracht der Seestädte glimmte noch immer unter der Asche fort und
wurde von den Venetianern genährt, die Vortheil daraus zogen und
erst kürzlich die Insel Curzola bewogen hatten, sich ihrer Herrschaft zu
unterwerfen. Durch solche Einmischung in die Angelegenheiten der
dalmatinischen Städte und durch die Erwerbung Curzolas hatte Venedig
den Vertrag von 1244, dem es den Besitz Zaras verdankte, gebrochen.
1254 Bela besuchte daher nach Abschluß des Friedens mit Ottokar 1254 Dal
matien , stillte die dort herrschende Gärung und sandte Stephan Obych
nach Venedig, die Rückgabe Zaras zu fordern. Da das Heer, welches
in Steiermark gekämpft hatte, bereit stand, der Forderung Nachdruck
zu geben, hielt es der Doge Renier Zeno für rathsam, Zara wieder an
Ungarn abzutreten. 2 Jetzt befand sich Bela auf dem Gipfel des ihm
beschiedenen Glücks; das ganze Küstenland Dalmatiens ehrte ihn als
Herrn, und der größte Theil Steiermarks, auf dessen Herzogsstuhl
sein Sohn und Nachfolger saß, schien bleibend mit Ungarn verknüpft
zu sein.
Aber das deutsche Reich hatte den mit Ottokar abgeschlossenen
1254, bei Pray, Hist. reg. Hung., I, 246, Note b. — 3 Horaeck, Kap. 48,
a. a. O. Mariguol, bei Dobner, II, 213.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 401
und Horneck, Kap. 46, bei Pez, I. — 2 Chron. Hermanni Altah., bei Oefele,
I, 678. Augustense, bei Freher, I, 532. Contin. Cosmae Pragens., bei Pertz,
IX, 175. Chron. Bavar. incerti auctoris, bei Pez, II, 77. — 3 Contin. Cos
mae Pragens., a. a. 0. Chron. Anstral., bei Freher, I, 460. — 4 Diplomat.
Stir., II, 184, bei Katona, VI, 234. Horneck, Kap. 48, a.a.O. Chron. Per-
noldi ad ann. 1257 — 58.
Eeßlet. I. ' 26
402 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
sollte der Sohn des Königs mit dem vierten Theil der ungarischen
Kriegsmacht zu dem Heere der Mongolen stoßen und mit ihnen gemein
schaftlich die Länder des Abendlandes bekriegen. Dagegen versprach
der Khan, ein Fünftel der Beute und der Eroberungen dem Könige zu
überlassen, Ungarn mit Einfällen zu verschonen, keinen Tribut zu for
dern und höchstens hundert Gesandte zu schicken; würde aber der
freundschaftliche Antrag verworfen, so werde er furchtbare Rache neh
men. Hätte Bela auch nicht begriffen, daß er durch die Annahme die
ses Bündnisses ein Vasall der Mongolen würde und die ganze Christen
heit gegen sich aufbrächte: so mußte ihn schon sein sittliches und reli
giöses Gefühl bewegen, dasselbe abzulehnen, selbst wenn er sich da
durch der Gefahr eines Kriegs mit den wilden Horden aussetzte.
Darum zögerte er keinen Augenblick und entließ die Gesandten mit ab-
," schlägiger Antwort. Aber er schickte auch sogleich den stuhlweißen-
yl.> burger Propst Paullus an Papst Alexander \H., um diesem zu berichten,
was geschehen sei, und dessen Beistand nebst Abstellung gerechter Be
schwerden zu erbitten. Er hoffe, das ließ er unter anderm vortragen,
der Papst und die Fürsten Europas würden ihn und sein Land diesmal
nicht wie 1241 den Mongolen ohne Hülfe preisgeben, und den Papst
selbst bitte er, künftighin durch Geldforderungen, durch unberechtigte
Ernennungen zu geistlichen Würden und besonders durch das Auf
dringen ausländischer Priester die ungarische Nation dem Heiligen Stuhl
und der Religion nicht zu entfremden , sie nicht dem Bündnisse mit den
Mongolen geneigt zu machen. Wie sehr sich der Papst durch die bit
tern Vorwürfe getroffen fühlte, bezeugt der Inhalt und Ton seiner
Antwort. Er gestattete dem König, von den Einkünften der unga
rischen Geistlichkeit, die Cistercienser und geistlichen Ritterorden aus
genommen, den fünften Theil zu erheben, sicherte Ungarn den Bei
stand des Papstes und der christlichen Fürsten zu, wenn die Mon
golen einbrechen sollten, und versprach, in Zukunft von ungebührlichen
Geldforderungen und von der Besetzung geistlicher Pfründen mit Aus
ländern abzustehen, „wiewol es vielleicht kein zweites Reich in der
Welt gebe, welches sich in dieser Hinsicht weniger zu beklagen Ur
sache hätte als Ungarn". x
Von den Mongolen blieb Ungarn verschont, aber durch die ver-
hängnißvolle Besitznahme Steiermarks brachte Bela selbst schweres
Unglück über sich und über sein Reich. Die ungarische Herrschaft
konnte in dem fremden Lande nicht heimisch und beliebt werden; un
geachtet der letzthin geschlossenen Versöhnung dauerten dort das Mis-
vergnügen, die Unruhen und Fehden fort, die alle Verhältnisse zer
rütteten und das Regieren unmöglich machten. Um den drückenden
1259 Uebeln abzuhelfen, berief Stephan gegen Ende des Jahres 1259 die
Landesstände zu einer Berathung nach Pettau; aber böswillige Partei
gänger Ottokar's verbreiteten das Gerücht, er wolle die Besten des
Volks1 Epist.
nur hinlocken,
Alexandri um
IV. sie
ad Belam,
in seine14.
Gewalt
Oct. 1259,
zu bekommen,
bei Raynaldus,
in Fesseln
Annal.
ad ann. 1259. Contin. Cosmae Prag., bei Pertz, IX, 175. — 2 Monachus
Padnanus, bei Urstisius, I, 613. Die Chronisten geben die Zahl verschieden
an. Chron. Augustense setzt sie auf 40000, Anonym. Leobiens. auf 140000,
Arnpeck sogar auf 200000. Um die Größe des ungarischen Heeres recht
anschaulich zu machen und dadurch den Sieg Ottokar's um so mehr zu ver
herrlichen, zahlen sie eine Menge von Nationen auf, deren Krieger mit Bela
kämpften, Szekler , Bissener, Kumanen, Walachen, Griechen u. s. w.; diese
Nationen waren jedoch Einwohner Ungarns oder seiner Nebenländer und lie
ferten für jeden Krieg ihre Contingente; die Mongolen und Tataren aber,
die von ihnen ebenfalls erwähnt werden, hatte nicht Nogaikhan geschickt,
wie Palacky glaubt, sondern Daniel, der "Vasall der Mongolen, mit sich ge
bracht; Bela hatte ja Nogai's Anträge zurückgewiesen und ihn dadurch be
leidigt. Feßler läßt als Kampfgenossen der Ungarn sogar Zigeuner auftreten,
die doch erst ungefähr 200 Jahre später nach Europa kamen. — 3 Palacky,
Geschichte von Böhmen, 2. Abdruck, II. II, 173.
404 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
märkern standen bei Laa; die Mitte zwischen beiden nahm Ottokar mit
den Böhmen ein. Am 26. Juni setzte der Jüngere König Stephan mit
10000 leichten Reitern unweit Drößing über die March, blieb im Ameis
thal stehen und schickte eine Schar Kumanen gegen Staats, die bis an
die Mauern der Stadt drangen, ihre Bogen abschossen und nach kurzem
Kampf den Rücken kehrten. Darüber entstand Tumult im feindlichen
Lager; die Grafen Otto und Konrad von Ilardeck, Kudold der Weise,
Ulrich Kraft von Schleunz setzten mit einigen hundert Mann den Flie
henden unvorsichtig bis in die Schluchten des Ameisthals nach, wo sie
von den Ungarn umzingelt und beinahe sämmtlich niedergemacht wur
den. Ottokar saß gerade bei Tisch, als er Nachricht von dem Gefechte
erhielt; sogleich eilte er den Seinen zu Hülfe, kam aber zu spät; er
fand auf dem Kampfplatze nur die Leichen der Gefallenen und sab den
Sieger bereits jenseit des Flusses. J
Dieses Vorspiel des Kriegs, welches so vielen der tapfersten
Streiter das Leben kostete , erzeugte im böhmischen Lager die größte
Entmuthigung ; mehrere Bundesgenossen wollten dasselbe verlassen,
und Ottokar selbst wäre umgekehrt, wenn ihn die Furcht vor Gefahr
und Schande nicht zurückgehalten hätte. Wäre Bela ein Feldherr ge
wesen, so würde er diesen Augenblick der Bestürzung benutzt, die
Feinde rasch angegriffen ,und wahrscheinlich besiegt haben. Er that
es nicht. Nach einigen Tagen hatten sich diese von ihrem Schrecken
wieder erholt, und die Führer beschlossen nun, ihre Kriegsvölker auf
dem Marchfelde zusammenzuziehen. Am Morgen des Sonntags, 4. Juli,
hörte das ganze Heer Messe und betete um Sieg; Ottokar gelobte, ein
Kloster zu bauen; er und die andern Fürsten schworen, in Zukunft mehr
Gerechtigkeit zu üben und bessere Münzen prägen zu lassen. Nach
beendigter Andacht zog das Heer in das Marchfeld ; das Centrum be
setzte die Anhöhen desselben zwischen dem Weidenbach und Nußbach,
der rechte Flügel dehnte sich bis an die Donau, der linke bis gegen
AngernSo und
standen
Matzen
sichaus.
die Heere einige Tage gegenüber, keines wollte
im Angesicht des andern den Uebergang über die March wagen. Otto
kar insonderheit scheint wenig Siegeszuversicht gehabt zu haben. In
seinem Lager war Mangel, so sehr sich auch der wiener Bürgermeister
Rüdiger Paltram anstrengte, Lebensmittel in dasselbe zu schaffen; er
ließ daher den ungarischen Königen Friedensvorschläge machen, und
als diese zurückgewiesen wurden 2, sandte er Otto von Meissau mit dem
Antrag hinüber , daß entweder er das Ufer der March räumen und den
Ungarn ungehinderten Uebergang gestatten wolle, oder daß sie sich
zurückziehen und ihm den Weg über den Fluß öffnen sollten, damit
endlich die entscheidende Schlacht geliefert würde. Den Ungarn ge
fiel der Antrag und sie wählten am 11. Juli das erstere, ohne zu be
denken,
1 Chron.
daß Bohem.,
sie sich II,
der72,Worttreue
bei Ludewig,
eines
Reliqu.
listigen
MS.,Feindes
XI. Chron.
blindlings
Clau-
überließen, und daß der Fluß ihnen den Rückzug sperrte, wenn sie
geschlagen würden; am 13. zu Mittag sollte die Schlacht beginnen, bis
dahin Waffenstillstand sein; die Uebereinkunft ward von beiden Seiten
beschworen.
Schon am 12., wie Ottokar, über Verrath klagend, dem Papst
burg und Nichte Ottokar's, Kunigunde, vermählen. Der Papst soll den
Vertrag bestätigen, und die Partei, welche denselben bricht, zahlt
11000 Mark Silber an die päpstliche Schatzkammer. Die Könige wer
den am künftigen Osterfest in Wien zusammenkommen, um das Frie
densinstrument zu unterschreiben und ein freundschaftliches Einver
ständniß zu begründen; bis dahin bleiben vier ungarische Barone als
Geiseln beim König von Böhmen. 1 Seine Mäßigung rühmend, schreibt
Ottokar an Alexander IV.: „Wiewol man allgemein glaubte, daß wir
jetzt Ungarn unserer Herrschaft unterwerfen könnten, erwogen wir
dennoch, daß es besser sei, die Freundschaft eines guten Nachbars zu
besitzen, als ihn feindselig zu vernichten; und da wir hofften, die Ver
söhnung mit unsern nächsten Verwandten werde zu einer desto innigem
Freundschaft mit ihnen führen, so wollten wir lieber die Bündnisse des
Friedens mit ihnen wiederherstellen, als durch Verwüstung und Schwä
chung des großen ungarischen Reichs den Tataren den Zugang zu die
sem und zu den Ländern unserer Herrschaft öffnen." 2 Aber außer den
Gründen, die er, sich selbst rühmend, anführt, mußte ihm schon eine
ganz gemeine Klugheit rathen, sich mit den errungenen wichtigen Vor-
theilen zu begnügen. Denn wenn es auch möglich gewesen wäre, das
große Ungarn mit seiner kriegerischen Bevölkerung zu erobern, so war
es doch unmöglich, sich im Besitze desselben zu behaupten; er hatte
genug zu thun, wenn er seine Herrschaft in Oesterreich und Steiermark
befestigen wollte; er wußte, daß viele der mächtigsten deutschen Für
sten mit Neid und Besorgniß auf ihn sahen, und welche Gefahren ihm
1260 daherWährend
ein langwieriger
1260 dieKrieg
gesammte
mit Ungarn
Streitmacht
bereiten
Ungarns
könnte.
im Nordwesten
ter von einem Hoffräulein hatte der Papst zwar legitimirt, aber zugleich
für unfähig zur Thronfolge erklärt. Was halfen ihm seine Siege, wenn
mit ihm das alte Haus der Pfemysliden aussterben und das mächtige
Reich, das er mühsam zusammengebracht, wieder zerfallen sollte? Er
beschloß daher jetzt, wo seine Herrschaft über Oesterreich schon ge
sichert schien , sich von Margaretha zu scheiden und eine neue Ehe zu
schließen. Daß der Papst zu beidem seine Zustimmung geben werde,
durfte er getrost erwarten. Und da er sich im Westen bedroht sah,
mußte er wünschen, sich im Osten durch ein Bündniß mit dem unga
rischen Königshause zu decken. Er hielt also um die Hand Marga-
rethens, der Jüngsten Tochter Bela's, an. Da sich aber die zwanzig
jährige Jung/rau weigerte, das Kloster auf der Haseninsel oberhalb
Pesth (von ihr trägt sie jetzt den Namen der Margaretheninsel) , wo sie
von Kindheit an zur Nonne erzogen wurde, zu verlassen, verlobte
sich Ottokar mit der schönen Kunigunde, Eastislaw's Tochter und
Bela's Enkelin. Die Vermählung wurde am 25. Oct. zu Presburg ge
feiert und die junge Königin am Weihnachtsfeste in Prag mit großer
Pracht gekrönt. 1 Erst später, am 20. April 1262, bestätigte der Papst
durch eine Bulle die Trennung der vorigen und die Schließung der
neuen Ehe. 2 Um diese Zeit wurde auch des Jüngern Königs erst
geborene Tochter Katharina an Dragutin, des serbischen Königs Sohn,
verlobt.
Im 3Sommer desselben Jahres ward Ungarn abermals von einem 1261
12G3 erließ, bei Fejer, Cod. dipl. , III, 101. Pulkawa, bei Dobner, Monu-
menta, III, 231. Arenpeck, bei Pez, I, 1222. Pernoldus, bei Hanthaler, I,
1324. Contin. Cosmae Prag, ad ann. 1161 u. 62. — 2 Raynaldus, Annal.
eccl. T. XIV, ad ann. 1261, Note 21. — 3 Pejacsevich, Hist. Serviae, S. 218 fg.
Engel, Geschichte des ungarischen Reichs, III, 228. — 4 In der Urkunde für
den agramer Propst Tobias schreibt Bela: „Guerrantibus nobis cum rege Bo-
hemorum .... et regnis nostris formidantibus insultus tartarorum , qui hujus-
modi dissensionibus auditis, regni nostri fines attigerant, quum aliter paccari
non possemus, nisi inter nos et praedictum regem Bohemorum ordinassemus
parentelam, dando sibi in matrimonium neptem nostram, eique matrimonio
impedimenta legitima obviarent
408 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
den Chronisten, noch in den zahlreichen Urkunden dieser Zeit; die Sage
von demselben
Nicht gewarnt
ist erstdurch
späterdie
entstanden.
Geschichte
1 der eigenen Jugend, hatte
XIV, Note 4, erwähnen das Gerücht vom Siege Bela's, welches die ganze
Christenheit zum freudigsten Dank gegen Gott bewogen habe. — 2 Die
Schenkungsurkunde, bei Fejer, IV, 1n, 186. — 3 Stephan beschwert sich über
die Verfolgungen, die er unverschuldet von seinen Aeltern erlitten habe.
Fejer, IV, m, 407. — 4 Stephan selbst gibt dies als die Ursache des Zer
würfnisses in einer Urkunde vom Jahre 1271 an: „Cum nos olim necessi-
tate compulsi contra D. regem, karissimum patrem nostrum, jug ducatus a
progenitoribus nostris regum primogenitis institutum requirere voluissemns
justitia mediante, idem D. rex propter hoc indignationis materiam coneipiens,
contra nos exercitum regni sui convoeavit." Fejer, V, 1, 103. — 5 Urkunde
Stephan's von 1268, bei Fejer, IV, m, 466.
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 409
486 u. a. m. — 2 Ein Brief der Königin Maria, bei Katona, VI, 358, u. Fe
jer, IV, m, 68. — 3 Die Urkunde des Vertrags bei Bei, Notitia Hung. nov.,
I, 118. Katona, VI, 360. Fejer, IV, in, 77.
410 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
Befugniß, nicht nur sie, sondern auch ihre Hofbeamten mit dem Bann
1264 aus.
zu belegen,
Demungeachtet
Stephanwenn
, dessen
sie den
brach
stolzes
Eidderbrechen
und
Streit
herrschsüchtiges
würden.
im folgenden
1 Herz
Jahrekeine
1264Zurück
wieder
setzung ertrug, mochte neue Beweise von der Abneigung seiner Mutter
gegen ihn erfahren, vielleicht gar lieblose Verfolgung von ihr erduldet
haben, die er unkindlich genug vergelten wollte. 2 Er zog ihre Be
sitzungen Rad na, Bistritz, Szölös und Kirälyi in Siebenbürgen ein, die
gewöhnlich zum Leibgedinge der Königinnen gehörten,' und bemäch
tigte sich auch einiger Schlösser, die Bela seiner Tochter Anna, der
Witwe des unlängst verstorbenen Rastislaw, und ihren Söhnen, Michael
und Bela, geschenkt hatte. 3 Wieder zogen die Könige Heere zu
sammen, um sich zu bekämpfen; die Großen und selbst die Bischöfe
theilten sich in Parteien; und das geschah zu einer Zeit, wo man einen
Einfall der Mongolen befürchtete: da trat Urban IV. ins Mittel, schalt
die Bischöfe, daß sie es wagten, den Eid der Treue zu brechen, den sie
dem ältern König geschworen, und befahl ihnen streng an dem Werke
der Versöhnung und des Friedens zu arbeiten. Seine Ermahnungen und
vielleicht noch mehr die Furcht vor den Mongolen bewirkten, daß die
frühern Verträge durch einen abermaligen Vergleich wieder in Kraft
gesetzt wurden , den auf Ansuchen Bela's nachher Papst Clemens IV.
bestätigte.
Nachdem
4 der bedauernswürdige Streit im königlichen Hause wie
bei Fejer, a. a. O., S. 160. — 2 Dafür zeugt der Brief Papst Urban's IV. an
Stephan, bei Fejer, IV, in, 216. — 3 Wahrscheinlich lagen dieselben in Ste-
phan's Gebiete, sodaß Bela nicht das Recht hatte, sie zu verschenken ; denn
er bat den Papst die Schenkung zu bestätigen. Katona, VI, 413. Wozu
brauchte er die päpstliche Bestätigung, wenn er befugt war, die Besitzungen
zu vergeben? Vgl. Horväth , Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., I, 434,
Note 2. — 4 Epist. Urbani IV. ad Belam, Stephanum et episc. Vesprimiens,
bei Fejer, IV, in, 237. Epist. Belae ad Pontif., bei Fejer, IV, in, 258.
Raynaldus ad ann. 1264, III, 338.
V
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 411
Ceremonie, wenn sie eine bei den Ungarn damals übliche Sitte war,
sollte wahrscheinlich andeuten, daß die Prinzessin zwar in das könig
liche Haus aufgenommen werde und ein eventuelles Anrecht auf die
Krone erhalte, aber die königliche Würde und Macht nicht theile. Noch
am Abend des Vermählungstags brach das Brautpaar nach Knin in
Kroatien auf, und die Könige trennten sich augenscheinlich versöhnt
und inBela
Freundschaft.
und Stephan1 hielten hierauf ein paar Jahre wenigstens äußer
II, 224. Horneck's Reimcbronik , bei Pez, III, 78—81, setzt das Fest un
richtig in das Jahr 1261, und seine Erzählung, daß die Ungarn beim Anblick
des Turniers plötzlich entflohen seien, ist nur dichterische Erfindung oder
eine Fabel, die später entstand, weil sie noch am Abend des Festes ab
reisten. — 2 Wahrscheinlich ging Bela, von der Königin Maria, vielleicht
auch von Ottokar, der in Stephan einen unversöhnlichen Feind erblickte, be
stürmt, mit diesem Plane schon seit längerer Zeit um (in einer Urkunde
Ladislaus' IV. von 1273 lesen wir: „Cum avus noster patrem nostrum ....
machinans. . . . privare jure geniturae et regni diademate spoliare." Fejer, V,
II, 95); daß er aber erst jetzt zur Ausführung desselben schritt, wo seine
Erbitterung gegen den Erstgeborenen aufs höchste gestiegen war, dafür spre
chen die Ereignisse selbst. — 3 Der Brief Stephan's bei Fejer, IV, m, 408
(das Jahr ist unrichtig angegeben), und V, n, 95. Chron. Austr., bei Freher,
I, 462, und Neoburgens., bei Pertz, IX. Feßler, 1. Ausg., II, 616, u. Szalay,
Geschichte von Ungarn, 2. Ausg., II, 79, lassen Stephan zu Anfang des
Kriegs siegen, zuletzt aber geschlagen und vom Vater begnadigt werden. Es
412 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
Bedingungen, unter denen der Friede zu Stande kam, kennen wir nicht;
sie können jedoch von jenen der frühern Verträge nicht bedeutend ver
schieden gewesen sein; denn Stephan blieb Jüngerer König und Herzog
von Siebenbürgen, Bela Herzog von Kroatien und Slawonien; in dem
ganzen Verhältnisse der drei Fürsten zueinander wird keine Ver
änderung
Aber sichtbar.
desto schmerzlicher fühlte das Vaterland die Wunden, welche
der Hader des königlichen Hauses und die Bürgerkriege ihm schlugen :
das königliche Ansehen gerieth in Verachtung, feile Parteigänger ließen
sich ihre Dienste theuer bezahlen, Uebelthäter fanden im Wechsel des
Herrn Straflosigkeit, die Sittlichkeit verfiel, die öffentliche Sicherheit
lag darnieder, Armuth und Noth nahmen überhand. Das konnte nicht
länger geduldet werden ; die gesammten Stände erhoben sich am Reichs-
1267 tage von 1267 und forderten mit Nachdruck Abhülfe. „Bela, von
Gottes Gnaden König, Stephan, durch jenen (nämlich Bela) König
und Herzog von Siebenbürgen, und Bela der Jüngere, Herzog von ganz
Slawonien", stellten also, unter ihrem Siegel und sich dem Bannspruch
des graner Erzbischofs unterwerfend, eine feierliche Urkunde aus, in
welcher mehrere Hauptpunkte der Goldenen Bulle bestätigt und einige
neue Gesetze zur Heilung der eingerissenen Uebel gegeben wurden. Die
wichtigsten Satzungen der letztern Art sind : (2.) Den Udvarnikern und
Burgleuten sollen ihre Ländereien zurückgegeben und sie selbst als freie
Leute gehalten werden. (4.) Den Edelleuten stehe es frei, sich von
Adelicher,
einem der drei
derenFürsten
sich diezu freien
dem andern
Städte des
zu, begeben.
Königs oder
(5.) der
Besitzungen
Königin, *
v
Aeußere Begebenheiten. Bela IV. 413
Friede hergestellt war, überzog sie Stephan mit Krieg, eroberte Wid-
din sammt dem nördlichen Theil des Landes bis Ternowa und nannte
sich seitdem König von Bulgarien. 1 Der serbische König Urosch
hatte wahrscheinlich mit den Bulgaren gemeinschaftliche Sache ge
macht, entweder aus bloßem Durst nach Kriegsbeute, oder um die Un
abhängigkeit zu erkämpfen ; denn um dieselbe Zeit bekriegte Bela auch
ihn. Urosch ward geschlagen und sein Eidam gefangen, der sich dann
mit 800
Im Mark
September
Silber und
1269einem
erschienen
kostbaren
amKreuze
Hofe loskaufen
Stephan's mußte.
Gesandte
2 1269
Karl's von Anjou, seit zwei Jahren Königs beider Sicilien. Sie waren
ermächtigt, für den Sohn und Thronfolger ihres Herrn, Karl den Lah
men, um die zweite Tochter Stephan's, Maria, zu werben, überhaupt die
Kinder beider Könige untereinander zu verloben und durch Knüpfung
dieser Familienbande ein bleibendes Staatsbündniß zu schließen. 3 Ste
phan nahm die Anerbietungen Karl's um so bereitwilliger an, da er
selbst eines zuverlässigen, durch gemeinschaftliche Interessen mit ihm
vereinigten Bundesgenossen bedurfte; er sagte die Hand seiner Tochter
dem Sohne Karl's zu, und verlobte suinen Erstgeborenen Ladislaus mit
dessen Tochter Isabella oder Elisabeth (sie führt abwechselnd diese
beiden ursprünglich gleichbedeutenden Namen); am 14. Sept. kam so
dann auch das Schutz- und Trutzbündniß zu Stande, das vornehmlich
gegen die Deutscheu gerichtet war. 4 Denn beide Könige hatten
gerade von daher die gefährlichsten Angriffe zu fürchten. Stephan
hegte gegründeten Argwohn gegen Ottokar, der sein Gebiet unaufhalt
sam immer weiter ausdehnte, sodaß seine Länder Ungarn schon von der
March bis an das Adriatische Meer umfingen. 6 Karl hingegen mußte das
eigene Gewissen mit bangen Besorgnissen vor der Rache der Verwandten
und Freunde des hohenstaufischen Hauses erfüllen. Nach Kaiser Kon-
rad's IV. Tode, der zugleich König beider Sicilien war, hatte sich
dessen natürlicher Bruder Manfred 1254 auf den Thron der letztern Reiche
gesetzt; die Päpste, voll unversöhnlichen Hasses gegen die Hohenstaufei1,
boten die schönen Länder vergeblieh mehrern auswärtigen Prinzen an,
bis endlich der Graf von der Provence Karl von Anjou, Ludwig's des
Heiligen von Frankreich jüngster Bruder, das Geschenk von Cle
mens IV. unter Anerkenntniß der päpstlichen Lehnshoheit und dem
Versprechen eines jährlichen Tributs annahm, Manfred bei Benevento
schlug und tödtetc und die Reiche einnahm, auf die er nicht das ge
ringste
1 Thuröczy,
Recht hatte.
II, Kap.
Bald
77. darauf
Urkunden
erschien
Bela's der
und letzte
Stephan's,
Sprößling
bei Fejer,
der
IV, m, 196, 525, und V, i, 55. — 2 Urkunden Bela's und Stephan's, bei Fe
jer, IV, 1n, 465, 490; V, 1, 24. — 3 Das Bevollmächtigungsschreiben be
findet sich in der Urkundensammlung des ungarischen Museums zu Pesth
und ist abgedruckt bei Fejer, IV, m, 510. — 4 ....„pacta et conventiones
amicitiae perfeetae et valentiae et juvaminis de uno ad alium cum magnifico
et illustre Principe D. Stephano, rege Ungariae, duce Transylvaniae et domino
Cumanorum .... contra omnes Theotonicos et Theotonicae adhaerentes", heißt
es in der Urkunde des Bündnisses; Fejer, IV, 1n, 508. — 5 Aeneae Sylvii
Hist. Bohemiae, Kap. 27. Palacky, Geschichte von Böhmen, 2. Abdruck, II,
Abth. 2, S. 201 u. 202.
414 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
ward ihnen die königliche Jungfrau übergeben. Sie zog, von einem
Kranz ungarischer Frauen umgeben, unter denen Agnes Czäky, die
Witwe des Herrn Thomas, besonders erwähnt wird, nach Neapel 1,
um dort die Mutter eines Geschlechts zu werden, aus dem Ungarns
größter
Kaum
König
warstammte.
am Hofe des Jüngern Königs das fröhliche Geräusch
Die Liebe des Volks und die Hoffnungen, die es auf Stephan
setzte, äußerten sich unverkennbar sogleich beim Antritt seiner Regie- 1270
rung; als er sich zu Stuhlweißenburg zum zweiten mal krönen ließ,
strömten die geistlichen und weltlichen Großen und fast der ge-
sammte Adel herbei, um das heilige Zeichen der Herrschaft auf sei
nem Haupte zu sehen. 1 Mit ihm zugleich ward auch seine Gemahlin
Elisabeth gekrönt. Beide schworen, das Vaterland zu vertheidigen, des
sen Wohl eifrig zu fördern, die Rechte und Freiheiten des Adels un
verletzt zu erhalten und die von ihren Vorfahren widerrechtlich ein
gezogenen
Es ließGüter
sich den
voraussehen,
rechtmäßigen
daßEigenthümern
der Friede zwischen
zurückzugeben.
Stephan2 und
für beide verlustvoll, aber der Sieg unentschieden gewesen sein. 6 Denn
es ward Waffenstillstand geschlossen und verabredet, daß die beiden
Könige und der Patriarch (Boleslaw hatte am Krieg nicht thätig theil-
genommen) am Gallustage, 16. Oct., zusammenkommen und den Streit
beilegen sollten. Am festgesetzten Tage traf Stephan in Presburg,
Ottokar in Haimburg ein; beide waren nach der Sitte der damaligen
Zeit von einem zahlreichen und glänzenden Gefolge, von Bischöfen und
den höchsten Staatsbeamten umgeben. Philipp erschien nicht und
schickte auch keine Gesandten. Eine Donauinsel zwischen Presburg
und Pottendorf
1 Rubeis, Monumenta
ward zum eccl.
Orte
Aquileg.,
der Zusammenkunft
S. 752 fg. Rauch,
erlesen,
Oesterreichische
wohin sich
Geschiente, III, 362. Palacky, II, Abth. I, 199 fg. u. 204 fg. — 2 Horneck,
Kap. 87 u. 88. Die schon angeführte Urkunde Stephan's, bei Fejer, V, i, 99.
— 3 Epist. Ottokari, bei Pray, Specimen hierarcn., II, 66. — 4 Dlugoss.,
VII, 1, 791. Katona bezweifelt die Reise, aber Stephan in seiner Urkunde
bei Fejer, V, 1, 99, sagt selbst: „post coronationem etiam nostram, cum ha-
beremus votum .... in Poloniam divertendi .... Laurentius banus .... inter
viarum discrimina . . . . nobis exhibuit fanmlatum. —' 5 Bei, Notit. Hungar.
novae. Urkunde Stephau's, bei Fejer, V, 1, 70.
Acußere Begebenheiten. Stephan Y. 417
kar theils zögernd, theils gar nicht erfüllt zu haben ; er zahlte nicht den
versprochenen Ersatz für die entwendeten Reichskleinodien, die der Ver
trag in seiner Verwahrung gelassen, fuhr fort, die Ueberläufer mit
Gunstbezeigungen zu überhäufen, und lieferte auch ihre Burgen nicht
aus. 3 Um so eifriger benutzte er die Freiheit, Philipp zu bekämpfen,
welche ihm der Vertrag gestattete: er führte noch im November ein
Heer gegen ihn, eroberte Laibach und andere feste Plätze, zwang ihn,
der Herrschaft zu entsagen, und empfing die Huldigung der Stände von
Kärnten, Krain und Istrien. Stephan mochte nun mit Unwillen und
Beschämung gewahr werden, daß er sich habe täuschen lassen, und wie
gefehlt es gewesen sei, den Bundesgenossen für leere Versprechungen
seinem Gegner preiszugeben. Er sammelte in der Stille ein Heer von
50000 Mann, fiel plötzlich in Oesterreich ein und besetzte die Pässe
des Sömmering bei Schottwien, durch die damals der einzige Weg aus
Steiermark nach Oesterreich führte, um Ottokar bei seiner Bückkehr zu
überfallen und zu fangen. Aber dieser, vor der ihm drohenden Gefahr
bei zeiten gewarnt, ging, unter den größten Gefahren und mit schwe
ren Verlusten, über die sogenannten Wildalpen und Traisenberge bei
Mariazell und Lilienfeld, und entzog sich glücklich der ihm gelegten
Falle. Ueber das Mislingen des Anschlags erbittert, ließ Stephan Nie
derösterreich furchtbar verheeren und bei 20000 Gefangene nach Un
garn abführen. *
Nach geschlossenem Waffenstillstand und ohne denselben zu kün
digen, hatte Stephan seinen Gegner überfallen und durch die un
überlegte,
1 Der erste
dem Theil
Völkerrechte
des Vertrags
widerstreitende
steht in einer That
um dasdemselben
Jahr 1292 einen
com-
2 Chron. Austr., bei Freher, I, 463. — 3 Urkunde Ladislaus' IV. von 1273,
bei Fejer, V, n, 73. — * Chron. Claustro-Neoburgens., bei Pez ad ann. 1271.
Australe, a. a. O. Anonym. Leobiens., bei Pez, S. 851. — 5 Chron. Austr.,
a. a. O., Hornek, Kap. 92. — 6 Urkunde Stephan's bei Fejer, V, u, 100. —
7 Pulkawa, bei Dobner, Monumenta, III. Contin. Cosmae Prag, ad ann.
,v
„,
Aeußere Begebenheiten. Stephan V. 419
und die
1 Kezai,
alternII,ungarischen
5: „Stephanus
Historiker.
. . . . Bohemiae regem nomine Otocarum ante
fluvium Rebcha (Rabnitz) contra eum venientem .... expulit virtuose." Thu-
röczy, II, Kap. 77. Urkunde Ladislaus' IV., bei Fejer, V, n , 95: „Cum
patri nostro felix cesserat victoria, ut (Ottocarius) vix evasit fugitivus." —
2 Annales Althahenses, bei Freher ad ann. 1271. Chron. Claustro-Neoburg.,
bei Pez ad ann. 1271. Für den ganzen Feldzug sind die hierher gehörigen
Briefe Ottokar's, im Codex epistolaris Primislai Ottocari II. Bohemiae regis,
edid. Thomas Dolliner (Wien 1803), eine höchst wichtige, aber parteiische,
und deshalb vorsichtig zu benutzende Quelle.
27*
420 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
die Friedenspunkte noch von ungarischer Seite: der Palatin Moses, der
Oberstschatzmeister Egidius, der Ban von Slawonien Joachim Pektari,
der Vajda von Siebenbürgen Matthäus Csäk u. s. w.; von böhmischer
Seite: der Oberstkämmerer Andreas Rican, Jaros von Fuchsberg, Ja-
roslaw
12) Endlich
von soll
Löwenberg,
der PapstZbislaw,
gebeten werden,
Oberstburggraf
den Friedensvertrag
von Prag u.zus. be
w.
stätigen.
Kurze
l Zeit nach dem Friedensschluß ward Isabella von Sicilien,
Innere Unruhen und äußere Kriege hatten seit einer Reihe von
Jahren das Reich heftig erschüttert; eine Menge der wichtigsten Ange
legenheiten war in Verwirrung gerathen, die Wohlfahrt der Einzelnen
und der Gesammtheit lag danieder, und besonders die westlichen Ge
genden, welche der Schauplatz des letzten Kriegs gewesen waren, be
fanden sich in tiefem Elend. Sobald der Friede hergestellt war, wid
mete sich Stephan mit Eifer und Einsicht den Sorgen und Geschäften
der Regierung. Die Urkunden, die er um diese Zeit erließ, zeugen von
seinem redlichen Streben, die Wunden des Vaterlandes zu heilen, er
littenes Unrecht gut zu machen und wahre Verdienste zu belohnen. 1
der
So bestätigte
treuen undund
tapfern
vermehrte
Kriegsdienste,
er die Privilegien
die sie geleistet
der zipser
2; der
Sachsen
Stadtwegen
Raab ,
war ungefähr zehn Jahr* alt, als sein Vater plötzlich starb, ohne eine
Regentschaft eingesetzt, noch irgendwelche Vorkehrungen zur Verwesung
des Reichs während der Unmündigkeit seines Sohnes getroffen zu
haben. Die Königin -Witwe Elisabeth bemächtigte sich gleich nach
seinem Tode der obersten Gewalt und fing an, die Regierung im Namen
ihres unmündigen Sohnes zu führen. Zum Mitgenossen der Herrschaft
erhob sie ihren Günstling Joachim Pektari, der mittlerweile mit dem
Prinzen Andreas an den Hof zurückgekehrt war 2 und jetzt nichts
Eiligeres zu thun hatte, als die verdienten Männer, die bisher an der
Spitze des Staats standen, ihrer Aemter entheben und sich selbst zu dem
höchst
Heiligeneinträglichen
Jungfrau begraben
Posten werden.
des Oberstschatzmeisters
Aus dem Antwortsschreiben
ernennen zuRudolfs
lassen.
an die Königin Elisabeth, die ihm nach seiner Erwählung zum römischen
König beglückwünscht hatte, geht hervor, daß schon Stephan mit dem mäch
tigen Grafen in einem innigem Verhältnisse gestanden und die Vermählung
des Prinzen Andreas mit dessen Tochter gewünscht habe. Rudolf schreibt
nämlich: „.. . . illins indissolubilis dilectionis identitas, quae cum clarae recor-
dationis viro vestro quasi cor unum et eaden1 amicitia noscitur exstitisse,
dum adhuc viveret, cum eodem decedente nequaquam periit" und ;,. . . . filiam
nostram inelyto Andreae filio vestro cupientis matrimonialis vinculi foedere
couniri." Bei Palaeky, Ueber Formelbüeher, S. 319. Vgl. Szalay, Geschichte
von Ungarn,
1 Chron. 2.Aulae
Ausg.,regiae
II, 92,
(Bohemiae),
Note 1. bei Dobner, Monumenta, V, ad ann.
1279—90. Vgl. Palaeky, II, Abth. 1, S. 310 fg. — 2 Das Chronic. Claustro-
Neoburgense, bei Pez, I, 472, und Hist. Australis plenior, bei Freher, I,
480, berichten zwar, daß Andreas mit Rudolfs Tochter Clementine verlobt
und an dessen Hof erzogen wurde; sie befinden sich aber offenbar im Irr-
thum: denn Ladislaus schreibt 1274 an Rudolf: „Cum in sublimitate vestri
Hominis tanquam in ortu novi sideris gratulemur ex intimis , cupientes , ut
affectum nostrae mentis proximitatis annexio sequeretur, super matrimonio
contrahendo inter filiam vestram prineipaliter, si exstat, aut filii vestri vel
filiae seu sororis filiam et fratrem nostrum charissimum Andream, inelytum
Ducem Slavoniae et Croatiae infra oetavum annum constitutum." Die Ver
lobung wurde erst 1277 unter der Bedingung beschlossen, wenn die Ge
sandten Rudolfs, die den Prinzen in Augenschein nehmen sollten, an ihm
„kein auffallendes Gebrechen" entdeckten.
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 423
Königin -Mutter noch der Palatin Moses, Gemahl von Bela's IV. Toch
ter Sabina, und der graner Erzbischof Philipp nebst den übrigen höch
sten weltlichen und geistlichen Würdenträgern des Reichs Mitglieder
der Regentschaft; aber die Macht lag fast ausschließlich in den Händen
Pektari's, der Elisabeth nach seinem Willen lenkte. Und aus den Vor
gängen, die schon vor der Krönung stattfanden, ließ sich von der Re
gierung nicht viel Gutes erwarten; Hofkabalen und Gewaltthätigkeiten
standen in Aussicht. Dabei ward die Erziehung des jungen Königs
gänzlich vernachlässigt; man umgab den Knaben mit allen Zeichen der
königlichen Würde und Macht, ließ seinen von Natur heftigen Leiden
schaften freie Zügel und gewöhnte ihn an Ausschweifungen. 3 Das
Sendschreiben der Regentschaft an die Stadt Traw in Dalmatien kenn
zeichnet den Geist, der diese beseelte, und die Gesinnungen, die dem
jungen Fürsten eingeflößt wurden. „Erkennet es, Getreue", lassen sie
ihn schreiben, „daß wir mit dem Diadem unsers Reichs bezeichnet und
durch Gottes Gnade gekrönt sind, .... darum befehlen wir euch ge
bietend, in allem, was uns und unsern geliebten Ban Joachim betrifft,
mit solcher Treue zu verfahren , daß wir euch alles Gute erweisen
mögen. Denn wisset: obgleich wir noch im Knabenalter stehen, be
sitzen wir doch durch Gottes Gnade die Gewalt, alle, die sich gegen uns
auflehnen, mit Macht zu bändigen: daher, wenn irgendwelche Treu
losigkeit in euerm Herzen aufsteigen sollte, ihr weder zu Wasser, noch
zu Lande
Zorn unsern
, vielleicht
Händen
auchentrinnen
Furcht vor
werdet."
der Rache
4 der Königin und Pek
tari's, machte Egidius und seinen Bruder Gregor (beide nannten sieh
von Budamer) zu Landesverräthern, sie flohen zu Ottokar nach Böh
men 1 und
Elisabeth
überlieferten
sagt in der
ihmUrkunde,
das wichtige
bei Fejer,
Presburg;
V, II, Ottokar
131: „Cum
aber
quidam
war
infideles .... regui nostri apud Album ante tetnpus coronationis carissimi
filii nostri regis Ladislai contra nostram Excellentiam manu armata insur-
gentes", und Ladislaus, bei Fejer, V, n, 425: „Cum per Finta palatinum
captivatl essemus." — 2 Sein Sendschreiben an die Stadt Traw ist datirt:
„in quindenis Sancti Stephani Kegis", bei Lucius, De regno Dalmatiae, Lib. IV,
c. 9. —' 3 In der bereits angeführten Urkunde, Fejer, V, n, 425, lesen
wir, daß Andreas Käplony, wie es scheint, sein Erzieher, als Majestätsbelei
diger gestraft wurde , weil er den schon gekrönten König gezüchtigt hatte
(„cum cambuca percutiens"). Später wurde Ban Matthias, Vajdä von Sieben
bürgen, sein Erzieher, wie der Biograph der heiligen Margaretha berichtet;
bei Katona, VI, 689. — * Lucius, IV, 9.
424 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
I, 840. — % Als solcher kommt er schon in den Urkunden von 1273 vor. —
3 Chron. Austr., bei Freher, I, 464. Annales Altahens. , ebend., S. 558. —
* Epist. Gregorü X. ad Ottocarum, bei Raynaldus, Annales eccl. ad ann. 1272,
und bei Fejer, V, h, 640.
-
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 425
rüsteten sich die Ungarn mit der gewohnten Schnelligkeit, sodaß sie
schon in den ersten Tagen des Februar 1273 in Mähren, Oesterreich und 1 J73
Steiermark einbrachen, diese Länder durchstreiften, von da nach Kärn
ten hinübergingen und mit mehrern tausend Gefangenen heimkehrten,
ohne auf eine feindliche Macht zu stoßen. Seit der Entvölkerung ihres
Landes durch die Mongolen waren Menschen die Beute, nach der sie
in allen Kriegen vornehmlich strebten. Ottokar hatte seine Rüstungen
noch immer nicht vollendet, darum errichtete der Adel der Überfallenen
Länder einen Waffenbund. Die Verbündeten drangen nach Ungarn
vor, eroberten Raab und führten den Befehlshaber der Stadt, Bischof
Jakob von Fünfkirchen, nebst andern ungarischen Bdeln gefangen nach
Oesterreich ab. Im Mai setzten abermals andere Scharen aus Oester
reich und Mähren über die March, nahmen Sanct- Georgen und er
stürmten Neitra, wobei sie diese Stadt plünderten, sodann anzündeten
und die Einwohner , die sich in die Kirche geflüchtet hatten , tödteten. x
Raab wurde indessen schon nach einigen Wochen durch den Obergespan
von Eisenburg, Georg, und Ivan (Johann) von Güssingen, Heinrich's
Sohn Erst
und gegen
ödenburger
Ende Obergespan
Juli hatte sich
, zurückerobert.
Ottokar in Bereitschaft
2 gesetzt und
122, 133.
426 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
epistolaris Primislai Ottocari IL, edid. Doliner (Wien' 1803), S. 33 fg., 35 fg.
Chron. Austr., a. a. O., S. 464. Leobiense, bei Pez, I, 839. Hierher gehört
auch die Durchstechung der Dämme bei Velbach, welche Horneck in seiner
Reimchronik, Kap. 96, beschre1bt, aber fälschlich in das Jahr 1271 versetzt;
denn Ivan von Güssingen, der dieselbe ausgeführt haben soll, war 1271 noch in
Böhmen. — 2 In den angeführten Briefen redet Ottokar ausdrücklich von einem
Friedensvertrag, der zwischen ihm und Ladislaus abgeschlossen worden sei.
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 427
Prag, ad ann. 1250—75. Dalemil, bei Pez, II, 1044 fg. Pulkawa, bei Dob-
ner, Monumenta, III, 63 fg. Horneck, Reimchronik. — 3 Contin. Cosmae
Prag., S. 418 fg. — * Rudolf hatte nicht die Ansichten von Legitimität und
Rebellion, die sein Haus in spätem Zeiten hegte. „Confortare", schreibt er
an Bores von Riesenburg, das Haupt der böhmischen Misvergnügten, „et
esto robustus in tide, in devotione stabilis, in spe firmus, fidelis noster caris-
sime! nam per soeptrum juramus regium, et in summa veritate, quae est Chri
stus, tibi dieimus, qnod nunquam te majestas regia deseret, sed tibi tanquam
carnali nostro fllio, favorabiliter aspirabif'.u. s. w. In einem andern Briefe
nennt er Bores nostrum et imperii propugnatorem egregium. Codex epist.
Rud. I. etc.; instr. Fr. Jos. Bodmann, 1805, S. 12, 34 u. 46.
428 Vierte» Bnch. Zweiter Abschnitt.
für welche die Kaiser seit 300 Jahren gekämpft hatten, zu Gunsten des
römischen
In dieser
Stuhls
gefahrvollen
entsagte. 1 Lage hing die Rettung oder der Untergang
wir bitten, ermannet Euch zur Tapferkeit" u.s.w. Und an die Großen
Ungarns schrieb er: „Was die Standhaftigkeit euerer unbefleckten
Treue und die natürliche Kraft euers Gemüths in hellem Glanze wider
strahlte . . . ., das habt ihr durch Thaten bewiesen, indem ihr fort
fahret, zuvorkommend zu dienen dem erhabenen Ladislaus, König von
Ungarn, und Andreas, dem Herzog von Slawonien, unsern theuern
Söhnen, die wir, seit sie das Schicksal der väterlichen Fürsorge be
raubt1 Fez,
hat, Mom1menta,
wie FleischIV,
von394unserm
fg. Raynaldus,
Fleische Annales
und Gebein
eccl. advon
ann.unserm
1274.
gann er den Krieg. Mit dem Hauptheer rückte er vom Rhein über
Nürnberg vor, und da, von der drohenden Gefahr geängstigt, auch der
letzte Freund Ottokar's, Heinrich von Baiern, auf seine Seite trat,
wandte er sich plötzlich nach Oesterreich, nahm Klosterneuburg und
stand schon am 15. Oct. vor Wien, das er Tags darauf umschloß. Das
ungarische Heer näherte sich der Grenze in zwei Abtheilungen, deren
eine der Verabredung gemäß in Niederösterreich einfallen und die an
dere über Mähren nach Böhmen vordringen sollte. Da standen in Böh
men und Mähren die mächtigsten Barone gegen Ottokar auf; in Kärnten
und Steiermark schloß der größte und angesehenste Theil des Adels
einen Bund für Rudolf, dessen Partei auch in Oesterreich die Oberhand
gewann und ihm die Thore der Städte öffnete. Wien allein," das Otto
kar ganz besonders begünstigt hatte, leistete beharrlichen Widerstand.
Der einst so mächtige König, der erst vor einigen Jahren ein Heer von
150000 Kriegern wegen geringfügiger Ursache gegen Ungarn geführt
hatte, konnte jetzt, wo es sich um Sein und Nichtsein handelte, kaum
20000 Mann zusammenbringen; er sah die Unmöglichkeit des Wider
stands ein und durfte nur vom Frieden noch Rettung erwarten. * Daher
1 Fejer, V, II, 329, 321. Bodmann, Codex epist. Rudolpbi I. — > Der
Brief Ottokar's bei Fejer, V, n, 315. — » Contin. Cosmae Prag. Hiat. Austr.
430 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
duldig zu ertragen. Rudolf dagegen hielt ihn noch immer für zu mäch
tig, um nicht Argwohn gegen ihn zu hegen;" er legte die Friedens
punkte zu seinem Vortheil aus, drängte seinen Gegner in den Tractaten
zu Wien vom 6. Mai und zu Prag vom 12. Sept. 1277 von einer Con-
cession zur andern, und beleidigte ihn vorzüglich dadurch, daß er die
aufrührerischen Barone, die auch jetzt nicht gehorchten, für seine Die
ner erklärte und in Schutz nahm. 3 Ottokar glaubte daher nur die
Wahl zu haben , entweder schmachvoll untergehen, oder das Aeußerste
wagen zu müssen, und entschloß sich zur Erneuerung des Kriegs. Auch
schienen manche mittlerweile eingetretene Umstände seinen Entschluß
zu begünstigen. In Oesterreich hatten erhöhte Steuern, die Erpres
sungen der dort stehenden rheinländischen Truppen und die Wuth, mit
der Rudolfs Anhänger ihre politischen Gegner verfolgten, die neue
Herrschaft unbeliebt gemacht. Herzog Heinrich von Baiern, der sich
in der Hoffnung, der römische König werde ihm Oberösterreich ab
treten, getäuscht sah , näherte sich wieder seinem alten Bundesgenossen,
von dem er ein siebeneimeriges Faß voll Silber zum Gesehenl: soll er
halten haben. 4 Auch mehrere schlesische, polnische und russi: che Für
sten sagten Hülfstruppen zu. Der Eifer der deutschen Fürsten für
Rudolf endlich war merklich erkaltet, seit seine Macht höher, als sie
wünschten,
pars plenior,gestiegen
bei Freher,
war.
I, 6ad am1. 1276. Horneck, Kap. 124. Lambacher,
Oesterr. Interregnum (Wien 1773), S. 146 fg. Kezai, II, Kap. 5, bei
Endlicher.
1 Der Friedensvertrag bei Lambacher, Beilage 74, und bei Fejer, V, II,
324. — 2 Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, 471. Die Erzählung, daß
das Zelt plötzlich geöffnet wurde, während Ottokar kniend huldigte, ist eine
Fabel, wie mauch andere Dinge, mit denen man diesen Act ausschmückte. —
3 Die Briefe Ottokar's an Rudolf, bei Dolliner, Cod. epist. Ottocari, S. 56,
63, 79. — 4 Volcmari abbat. Fürstenfeldens. Chron., bei Oefele, II, 531. —
5 Die erwähnten Beschwerden und diese günstigen Aussichten, nicht aber die
Aufreizungen der Königin Kunigunde waren es, was Ottokar bewog, den
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 431
Krieg zu wagen. Sie war ganz niedergebeugt von seinem Unglück, und er
mußte sie ermahnen, eine hohe Gesinnung anzunehmen und nicht kleinmüthig
zu verzagen. Sein Brief an sie bei Dolliner, S. 61. Wie, gering sie die
königliche Macht und Ehre achtete, bewies sie auch dadurch, daß sie nach
Ottokai^s
1 Fejer,
Tode
V, einen
n, 388.
böhmischen
— 2 DasEdelmann
Einladungsschreiben
heirathete. Rudolfs, bei Katona,
VI, 739. Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, ad arm. 1277. Das
Schreiben Königs Ladislaus, bei Fejer, V, n, 399. Kezai, II, Kap. 5. —
3 Bei Dolliner, Cod. epist. Ottocari, S. 79. — * Lambert, a. a. O., Nr. 84.
— 5 Ebend., Nr. 90, 91.
432 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
ebenda, II, 757. Annal. Coln1ar., bei Urstisius, JI, P. I, 14; P. II, 45. —
2 Annal. Colmar., a. a. O., II, 14. — * Anonym. Leobiens., beiPez, I, 848.
Annal. Colmar., a. a. O. — 4 Bodmann, Cod. epist. Rudolfi, epist. 79:
„Ungariae rex inelytus cum XL millibus Ungarorum et XVI millibus Cuma-
norum Domini nostri obsequiis Be aptavit." — 5 Kezai, II, Kap. 5: „Ipsins
(Ladislai) adventum et nuxilium sicut Dei exoptabat."
>
vie«;,„
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 433
garn nach Hause; er brauchte sie jetzt nicht mehr; sie aber hätten sich
besinnen und im Bewußtsein der Macht und des vollbrachten Werks
auch einen Antheil an den Früchten desselben fordern können. Frei
lich mußte er selbst bekennen, daß er den großartigen Sieg haupt
sächlich ihnen zu verdanken habe, und er that es auch mit den verbind
lichsten Worten. Er schrieb an Ladislaus: „. . . . Die Zunge vermag
es nicht auszusprechen, die Feder nicht niederzuschreiben, welche
Freude Wir darüber empfinden , daß Ihr Euch so großmüthig und mit
so gewaltiger Macht erhoben habet, unsere gemeinsamen Beleidigungen
an dem Feinde des Römischen Reichs und Ungarns zu rächen. Gott
aus ganzem Vermögen preisend, sagen wir daher Eurer königlichen
Majestät
1 Die den
Beschreibung
innigsten der
Dank
Schlacht
und versprechen
ist hauptsächlich
ausdrücklich,
aus der Reimchronik
daß uns
Horneck's, aus den Chron. Salisburg. bei Pez, 1,327, Colmar bei Urstisius,
II, 46, und Kezai, II, Kap. 5, geschöpft. Rudolf selbst rühmt in einem Brief
an den Papst den Heldenmuth, mit dem sich Ottokar vertheidigte, und das
selbe Lob ertheilt ihm Chron. Salisburg., a. a. O. Die obengenannte Zahl
der Gefallenen gibt Rudolf in einem Briefe an ; die Chronisten setzen dieselbe
auf 14000. Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen (2. Ausg.), II, Abth. 1,
S. 250 — 269.
Feßler. I, 28
434 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
der Ärpäden von männlicher Linie, Andreas, der Sohn jenes Stephan,
der nach dem Tode seines Vaters, Andreas' II., von dessen dritter Ge
mahlin, Beatrix von Este, geboren und später mit der Venetianerin
Thomasine Morosini verheirathet (S. 355), von seinem Bruder Bela IV.
nie anerkannt und verfolgt, seit dem Frieden mit Ottokar von 1271 aus
unsern Augen verschwand. Dieser Andreas ward 1278 als eben
bürtiger
1 Derköniglicher
Brief Rudolfs,
Prinz
bei ins
Katona,
LandVI,
gerufen
743. —und
» Ebend.,
zum Herzog
VI, 741.von
—
das junii 1278" für das vesprimer Bisthnm ausstellte; für deren Echtheit
bürgt, daß er sich als König in einer andern vom Jahre 1294 auf dieselbe *f" . '
Bisjetzt
beruft. »m/Hmr,
sind nurVI,diese
1, 303.
beiden
— 2Urkunden
Die Verlobungsurkunde
aus der Zeit, wo
bei er
Fejer,
Herzog
VII, war,
n, 111.
zu, £$JO'
v
Tage gefordert worden. — 8 Die Urkunden des Königs Ladislaus, bei Fejer,
V, II, 440, 446, 468. Der Brief Papst Nikolaus' III. von 1278, bei Raynal-
dus, Annal. eccl. ad ann. 1278, Note 32, und bei Katona, VI, 771. Hist.
Austr. pars plenior. bei Freher. — * Der Brief des Bischofs von Olmütz an
den Papst, bei Raynald. ad ann. 1273, Note 12. Ladislai III. (IV.) reg. con-
stitutio de Cumanis, S. 1 —4, bei Endlicher, S. 359 f§.
S8*
436 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
war so groß, daß der päpstliche Geldsammler nicht wußte, wie er die
erhobenen Summen — damals ein Heiligthum , an das sich nicht leicht
jemand wagte — nach Rom senden solle, und dem Papst die Verlegen
heit meldete,
Beim Papst
in dersuchten
er sich auch
befand.
die Prälaten Ungarns Hülfe. Niko
laus III. schickte Philipp, den Bischof von Fermo, der gerade in sei
nem Auftrage in Dalmatien weilte, als Legaten des Heiligen Stuhls
nach Ungarn. 1 Ladislaus weigerte sich eine Zeit lang, ihn anzunehmen,
1279 that es aber endlich 1279 dennoch, den Ermahnungen des römischen
Königs und wahrscheinlich auch den Vorstellungen der Bischöfe ge
nig
horchend.
jetzt überaus
Zu seiner
geschmeidig
Verwunderung
und nachgiebig.
fand der Legat
Zu Ofen
denamtrotzigen'Kö-
23. Juni, in
linge und Adeliche der Kumanen geloben, daß sie mit ihrem ganzen
Volke die römisch-katholische Religion annehmen und ihr treu bleiben
Die
wollen,
Kumanen
,und stellen
verlassen
Vonvon
jedem
nun ihrer
an ihre
sieben
ZelteStämme
und schlagen
einen feste
Geisel
Wohn
sitze auf. .... Obgleich der Legat darauf gedrungen, daß sie Kopf- und
Barthaare scheren und ihre eigenthümliche Kleidung ablegen, sollen sie
aber
Sie
die
doch
Wohnsitze
werden
einheimischen
müssen
nicht gezwungen
zwischen
sich
sie ihre
von
christlichen
Lebensweise
der
Raub,
werden,
Donau
Mord
Sklaven
dieses
und
nach
undTheiß,
zu
frei
jeder
christlicher
thun;
lassen
an
Gewaltthat
inderden
Sitte
Korös,
übrigen
Sie
einrichten
enthalten
behalten
Maros
Stücken
und
die
Temes, dürfen sich jedoch auch in andern durch die Mongolen ver
Häuptling
auferlegt,
König
Rechte
wüstetenentschädigen
desGegenden
wie
des
ungarischen
dieser
betreffenden
niederlassen
Kriegsdienste
Adels
Ihren
Stammes
verliehen,
Häuptlingen
; die
zu sind
leisten
Eigenthümer
aber
ihre
und
zugleich
Richter;
Adelichen
Der
derselben
die
Palatin
üb«r
Verpflichtung
werden
wird
Verwun
und der
die
dungen
1 Der
und
Brief
Mord
des urtheilt
Papstes der
an Bischof
Häuptling
Philipp,
des vom
Angeklagten
22. Sept. allein,
1278, bei
in
Raynaldus ad ann. 1279; bei Katona, VI, 819. — 2 Ladislai IV. Regia Ar-
ticuli Cun1anor1un, bei Endlicher, S. 554 fg.
*
Aeußere Begebenheiten. Ladislaus IV. 437
höchster
dem Palatin
Instanz
Matthaeus
der König
Csak mit
aufgetragen,
dem Häuptling
im Namen 1undZuletzt
anstattward
des
Das strenge Verfahren des Königs gegen die Kumanen war viel
leicht die Ursache, daß er mit seiner Mutter in einen Zwist gerieth, von
dem mehrere Urkunden ] zeugen und der ihrem Einfluß auf die Re
gierung ein Ende machte. Aber deshalb gingen die öffentlichen An
gelegenheiten nicht besser. Der Zustand des Landes ward so elend
und hülflos, daß Oldamur 1285 mit einem Haufen Kumanen und no- 1285
gaierTataren ins Land fallen, große Verheerungen anrichten, bisPesth vor
dringen und ungehindert wieder umkehren konnte. Erst in Siebenbürgen
kämpften derselbe tapfere Georg, der in Polen gesiegt hatte, einige
andere Landherren und besonders die Szekler des Stuhls Aranyos
glücklich mit den Freibeuterhordeu und nahmen ihnen die Beute und
mehrere tausend Gefangene ab , die sie mit sich schleppten. 2 Damals
mochten jene Tataren, die gerade nach diesen Ereignissen als Bewohner
Ungarns auftreten, entweder freiwillig im Lande zurückgeblieben oder
als Gefangene
Ladislaus hereingebracht
war seinem Schwiegervater
worden sein. aus leicht erklärlichen Ur
sachen nie gewogen, hatte dessen Ansprüche auf Dalmatien als Mitgift
seiner Schwiegertochter Maria standhaft zurückgewiesen und auch seine
Verträge mit Spalatro und Sebenigo gegen Almisa nicht bestätigt;
dennoch scheint es, er habe vor dem mächtigen und kriegerischen König
Scheu empfunden, die ihn wenigstens einigermaßen in den Schranken
des Anstandes hielt. Seit dieser aber aus Sicilien vertrieben worden
(Sicilische Vesper, 30. März 1282) und vollends nach dessen Tode,
1285, kannte er keine Rücksicht mehr. Er sperrte seine Gemahlin Isabella
in das Nonnenkloster auf der Margarethen-Insel ein, wo es ihr oft
an den nöthigsten Dingen gebrach 3, nahm seine kumanische Geliebte
Edua zum Weibe, die Tatarinnen Kipcsek und Mandula zu Beischlä
ferinnen, und kleidete sich und lebte ganz nach kumanisch- tatarischer
Sitte. 4 Um Staatsangelegenheiten kümmerte er sich täglich weniger ;
es weckte ihn nicht aus dem Taumel der Lust, daß Johann von Güs
singen, dessen Besitzungen sich von der steirischen und österreichischen
Grenze bis Raab erstreckten, mit Herzog Albert von Oesterreich, Kai
ser Rudolfs Sohn, auf Kosten des Landes bald Krieg führte und bald
Frieden schloß; daß der Vasall des ungarischen Reichs, der Serbenfürst
Milutiu 6, seine Jüngste Schwester Elisabeth aus dem Kloster entführte
und sich des macsöer Banats bemächtigte6; daß er selbst seinem eigenen
Volke1 Z.einB.Gegenstand
bei Fejer, V,
derin,
Verachtung
322, 336. und
Katona,
des Ekels
VI, 895.
wurde.
— ' Thuroczy,
II, Kap. 79. Hist. Austr. pars plenior, bei Freher, I, 476. Urkunden bei
Katona, VI, 953, 997; bei Fejer, V, II, 394; V, in, 399, 452. Die Nogaier
werden von den Chronisten auch Neugaren genannt. Das russische Fragment,
welches Schlözer (Allgemeine Weltgeschichte, V, 93) mittheilt, enthält lauter
Fabeln. Dennoch hat Engel aus diesem Fragment und aus Horneck's Reim
chronik geschöpft, was er(6eschichte dos ungarischen Reichs) über die Neugareu,
die damals nach Ungarn kamen, sagt. — * Der Brief der Königin, bei Fejer,
V, in, 462, und die unten angeführten Briefe des Papstes und der Cardinäle.
— * Thuroczy, II, Kap. 79. — 5 Sein Bruder Dragutin hatte ihm 1275 die
Regierung abgetreten. — 6 Hanthaler, Fasti Capil. zu Anfang der IX. Dec.
Engel, Geschichte des ungarischen Reichs, III, 238.
440 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
1286 Im Jahre 1286 ward auf dem Felde Räkos bei Pesth ein all
gemeiner Landtag gehalten, der Heilmittel für die Wunden des Vater
landes verordnen sollte. ] Wir kennen die dort gefaßten Beschlüsse
nicht; aber was können Gesetze helfen, wenn niemand da ist, der sie
vollzieht? Vergebens ermahnte und drohte der Papst Honorius IV. mit
dem Bann in einem Briefe, den er dem ehrvergessenen König am 12. März
1287 schrieb. 2 Nach des Papstes Tode trug das Collegium der Car-
dinäle am 2. Aug. dem graner Erzbischof und dem Bischof von Ves-
prim auf, ihn zur Sinnesänderung zu bewegen. 3 Endlich brachte es der
1288 Erzbischof
1288 am 10.Ladomer
Febr. versammelte.
(Wladimir) dahin,
Hier daß
wurden
sich der
die Briefe
Reichstag
des zu
Papstes
Gran
und der Cardinäle öffentlich vorgelesen, und die Stände drangen gleich
falls ernstlich in den König, daß er in sich kehre und seinen Wandel
ändere. Wie gewöhnlich, wenn man mit Nachdruck gegen ihn auftrat,
demüthigte er sich auch jetzt, bekannte mit scheinbarer Zerknirschung
seine Vergehungen, gelobte Besserung und stellte darüber eine feierliche
Urkunde aus. 4 Die Königin setzte er in Freiheit und gab ihr die ge
bührenden Einkünfte zurück. 6 Doch der Erzbischof vergaß auch sei
nen Vortheil nicht; er ließ sich den graner Waarenzoll schenken 6 und
die immerwährende Obergespanswürde von Gran, welche Stephan V.
dem graner
Aber sobald
Erzbischofe
die Gefahr
verliehen
vorüber
hatte
war,
, bestätigen.
dachte Ladislaus nicht mehr
an seine Gelübde und sank in die alten Laster zurück. Die Kumanen,
denen er seine Gunst neuerdings zugewendet hatte, waren nach und
nach wiedergekehrt; ihnen mochten sich noch Tataren zugesellt haben,
und beide trieben es nun so arg, daß alle Sicherheit des Besitzes und
selbst des Lebens aufhörte. Die reiche Geistlichkeit, die von ihnen
besonders viel zu leiden hatte, bestürmte den neuen Papst Nikolaus IV.
und schlug ihm zur Herstellung der Ruhe das heilloseste Mittel vor, zu
dem man hätte greifen können, nämlich einen Kreuzzug. Der Papst
ging auf den Vorschlag ein und erließ am 10. Aug. an den graner Erz
bischof Ladomer den Befehl, in Ungarn und den umliegenden Ländern
wider die Sarazenen, Neugaren und Heiden das Kreuz predigen zu
lassen. 7 Aber die Pöbelhaufen, die sich unter der Kreuzfahne sam
melten, zogen es vor, mit den Kumanen um die Wette zu plündern und zu
morden, statt mit ihnen zu kämpfen. Um dem Unfug derselben Ein
1289 halt
men. zuLadislaus
thun, mußte
ließ man
1289,doch
5. Nov.,
wiederallen,
zu dem
dieKönig
die Waffen
die Zuflucht
niederlegen
neh-
diesem
1 Hist.
Könige",
Austr. sagt
pars Thuröczy
plenior ad,„ann.
fing 1289,
Ungarn
bei an,
Freher,
von I,der
472.
Höhe
Chron.
des
Leobiense, bei Pez, I, 862. Der Brief Herzog Albert's, bei Fejer, V, in, 482.
— 2 Lucius, De regno Dalmatiae, Lib. IV, c. 9. — 3 Es sind noch meh
rere Urkunden von ihm vorhanden. — 4 Thuröczy, II, Kap. 79. Chron.
Budense, S. 210. Es gab Schriftsteller, die wie Kerchelich, Notitiae prae-
liminariae, Ladislaus in Schutz nehmen und den größem Theil der Sünden,
die ihm zu Last gelegt werden, für Verleumdungen der Geistlichkeit er
klären ; diese habe ihn gehaßt, behaupten sie, weil er sich ihr und dem römi
schen Stuhl widersetzte, sie haben ihn als wilden Kumanen verschrien weil
er dieses Volk nicht mit Gewalt zur Annahme des Christenthums zwingen
wollte. Aber gesetzt, es wären manche seiner Fehler auch übertrieben wor
den, und daß es dem unerfahrenen Jüngling nicht möglich war, den Trotz
der mächtigen Barone zu brechen : so zeugt doch die traurige Zerrüttung des
Landes und der tiefe Verfall, in den dasselbe während seiner Regierung ge-
rieth, von seinem Unwerth. Dagegen bedürfen auch die Ungereimtheiten
keiner Widerlegung, welche Dlugoss, VTI, 803 u. 856, Bonfinius, Dec. II,
Lib. LX, und der Fragmentist bei Schlözer über Ladislaus erzählen und an
dere ihnen nachsprechen.
442 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
dig von 1244, oben S. 390, und Stephan's V. mit Ottokar von 1271, oben
S. 419. — 3 Hist. Austr. pars plen. , bei Freher, I, 480, und Chronic. Clau-
stro-Neoburgens. , bei Pez, I, 471, berichten, Andreas habe, bevor er König
wurde, eine Zeit lang unter dem Schutze Albrecht's von Oesterreich gelebt
und von ihm sogar den Lebensunterhalt empfangen. Aber es ist unstreitig,
daß er Herzog von Slawonien war und ein bedeutendes Privatvermögen be
saß, sodaß er keiner Almosen bedurfte; auch ist es nicht recht denkbar, daß
Albrecht, der gewiß schon damals mit Planen, die Herrschaft über Ungarn
zu erlangen umging, seinen gefährlichsten Nebenbuhler in Schutz genommen
haben sollte.
^
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 443
selbst lauerte Johann von Güssingen auf und nahm ihn mit seinem Ge
folge, als er die Drau überschritten hatte, gefangen. Doch gelang es
dem Propst Theodor in Verbindung mit Gregor und Ogyoz von Ka-
lota, ihn schon nach einigen Tagen aus des Güssingers Händen zu be
freien, indem sie diesem ein bedeutendes Lösegeld versprachen und der
erstere seinen Bruder Ladislaus, die letztern ihre Söhne als Geiseln
stellten. 1 Als Andreas in Stuhlweißenburg ankam, Buchten seine Geg
ner, zum offenen Widerstand zu schwach, durch Ränke seine Krönung
zu verhindern; sie verbargen unter anderm die Krone nebst den Reichs-
insignien. Aber seine Freunde vereitelten durch kluge Entschlossen
heit alle Hindernisse; Propst Theodor entdeckte die Krone2, und der
granerIndessen
Erzbischof
warWladimir
schon einsetzte
untergeschobener
sie ihm am 28.Betrüger
Juli aufs aufgetreten,
Haupt. 3
der sich für Andreas, des vorigen Königs 1277 odet, 1278 gestorbenen
Bruder, ausgab und zahlreichen Zulauf fand. Der König sandte Georg
Sös von Sovär gegen ihn, der die zusammengerotteten Haufen mit leich
ter Mühe zerstreute und ihn selbst nach Polen trieb, wo er bald darauf
bei Chroberz
Größere inGefahr
der Nidra
drohte
ertrank
dem Vaterlande
oder ersäuftund
wurde.
seinem
4 Könige von
außen. Kaiser Rudolf erklärte zu Erfurt am 31. Aug. Ungarn für ein
erledigtes Reichslehen, weil König Bela IV. 1241 durch den Bischof
von Waitzen Stephan dem Kaiser Friedrich II. als seinem Lehnsherrn
gehuldigt habe, und belehnte damit seinen Sohn, den Herzog Al
brecht von Oesterreich. * Rudolf mußte zwar wissen, daß Bela die
Huldigung nur bedingungsweise geleistet und später mit Recht wider
rufen habe, weil Friedrich ihm die bedungene Hülfe wider die Mon
golen nicht gesendet 6; aber von Ländergier verblendet und in Erman
gelung jedes andern besser begründeten Anspruchs, gebrauchte er die
sen Vorwand, seinem Hause wo möglich die Herrschaft über das
große Reich zu verschaffen. Und ließe sich dieses unberechtigte und
anmaßende Beginnen noch mit dem Beispiele vieler anderer Fürsten
entschuldigen, so ist der Anschlag, den er etwas später nicht nur gegen
die Selbständigkeit, sondern gegen das fernere Bestehen Ungarns faßte,
desto unverzeihlicher. Um nämlich seinen Eidam, König Wenzel IL
von Böhmen, der als Urenkel Bela's IV. ebenfalls Ansprüche auf den
ungarischen Thron machte, zu beschwichtigen, brachte er sogar eine
Theilung
1 Urkunden
Ungarns
Andreas'
in Vorschlag,
III. und Fennena's
vermöge deren
vom 10.
dasJan.
Gebiet
1293,rechts
bei Pray,
von
Hist. Reg., I, 308, Note a, und bei Fejer, VI, i, 23G, 201. — 2 Die unter a
angeführten Urkunden Andreas' III. — 8 Thuröczy, II, Kap. 82. Vgl. Chron.
Budense, nach der Ausgabe von Podchraczky. — 4 Urkunde Andreas' III.
von 1291, bei Wagner, Diplom. Saros., S. 304. Hist. Austr. pars plen.,
a. a. O. Aus Unkunde der ungarischen Zustände berichtet Dlugos, daß der
wahre Bruder des Königs Ladislaus auf diese Art umgekommen sei, Hist.
Polon., VII, 856. Vgl. Lucius, De regno Dalm. , IV, Kap. 10. Die Nachricht
muß aber auf den falschen Andreas bezogen, werden; denn Prinz Andreas
starb noch im Kindesalter am ungarischen Hofe. — ' Die Urkunde Rudolfs
bei Pray, Hist. Reg., I, 310; bei Fejer, VI, i, 47, und bei Parte, IV (Leges,
IL), 244. — « Vgl. oben S. 373 u. 391.
444 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
der Donau an Albrecht, das links gelegene an Wenzel fallen sollte. '
So erfüllte Rudolf jene glänzenden Versprechungen, mit welchen er die
Ungarn zum Bündnisse mit ihm lockte; das war der Dank, den er
ihnen dafür abstattete, daß sie für ihn den Sieg über Ottokar er
kämpften; das Reich, dessen Ruhm und Glanz, wie er vorgab, ihm so
sehr am Herzen lag, sollte nicht nur zum Vasallenland erniedrigt, son
dern Unterdessen
zerstückt undhatte
aus der
auchReihe
Maria,
der des
Staaten
ermordeten
gestrichen
Ladislaus
werden.Schwe
ster und Gemahlin Königs Karl II. oder Lahmen von Neapel, ihren
Sohn Karl Martell durch den päpstlichen Legaten, also mit Zustimmung
des Papstes, in Neapel am 8. Sept. zum König von Ungarn krönen
lassen. 2 Nikolaus IV. ging nämlich damit um, durch römische Staats
künste dem Papst die Oberherrlichkeit über Ungarn zu verschaffen, und
Karl Martell, der Sohn seines Vasallen, sollte ihm hierzu als Werkzeug
dienen. Er begann damit, daß er die alten, stets übertriebenen Klagen
über Ausbreitung des Heidenthums, des Mohammedanismus und der
patarenischen Ketzerei in Ungarn wieder aufnahm und am 9. Sept. für
den Franciscanerbruder Benvenuto, Bischof von Eugubio, den er nach
Ungarn zu senden beabsichtigte, Kaiser Rudolfs Schutz und Beistand
nachsuchte. 3 Nachdem ihm aber des Kaisers Plane bekannt geworden,
1291 trat er entschieden gegen dieselben auf. Am 22. Jan. 1291 schickte er
den Bischof Johann von Aesium (Jesi) nach Ungarn mit dem Auftrage,
zu untersuchen, ob Ladislaus im christlichen Glauben oder in den Irr-
thümern des Heidenthums und der Ketzerei gestorben sei, und den Zu
stand des Landes zu erforschen. Zugleich gab er dem Legaten die
Weisung, daß er dem Kaiser Rudolf und dem Herzog Albrecht melde,
Ungarn sei von altersher aus vielfachen Rechtsgründen ein Lehen der
römischen Kirche, deshalb dürften weder sie, noch sonst jemand wagen,
dieses Reich zum Nachtheile derselben an sich zu bringen 4, und schrieb
auch selbst an beide in diesem Sinne. 6 Den ungarischen Erzbischöfen
aber ertheilte er einen scharfen Verweis, weil sie es bisher unterlassen
hätten, ihn über den Zustand, des Landes Bericht zu erstatten, und be
fahl ihnen, allen, die Ansprüche auf den ungarischen Thron machten,
anzukündigen, daß der römische Stuhl allein das Recht besitze, den
selben zu vergeben. * Rudolf kehrte sich nicht an das Verbot des
Papstes, sondern rüstete sich, seine dem Völkerrecht zuwiderlaufenden
Plane zur Unterwerfung Ungarns mit Gewalt durchzuführen und
zu Ehren zu bringen. Gewiß rechnete er hierbei nicht wenig auf
die im Lande selbst herrschende Verwirrung; aber seine Rechnung sollte
sich 1als
König
Pez,
falsch
Cod.
Andreas,
erweisen.
dipl., S.von
204.so Katona,
vielen VI,
Seiten
1052.bedroht,
— 2 Muratori,
suchte VII,
sich 310.
vor
Raynaldus, Annal. eccl. ad ann. 1290, Note 43. — s Epist. Nicolai IV. ad
Rudolph., bei Katona, VI, 1036. — * Epist. Nicolai IV. ad Joann. Aesin.,
bei Raynaldus ad ann. 1291, Note 45, 46. Katona, VI, 1040, 1043. Fejer,
VI, 1, 70, 76. — 5 Epist. Nicolai ad Rudolph, et Albert., bei Raynaldus,
a. a. O., Note 47. Fejer, VI, 81, 82. — 6 Fejer, VI, I, 84. Dobner, II,
377 — 378.
*" V.
AeuJSere Begebenheiten. Andreas HI. 445
allem die Zuneigung seines Volks zu erwerben. Am 22. Febr. 1291 1291
stellte er eine feierliche Urkunde aus, in welcher er die Freiheiten und
Rechte der Geistlichkeit, des Adels, der Bürger in den, Städten und
freien Bezirken, insonderheit der siebenbürger Sachsen, welche ihnen
von den frühern Königen waren verliehen worden und die er selbst bei
seiner Krönung beschworen hatte, feierlich gewährleistete, schon vor
handene Gesetze über Verleihung von Aemtern und Gütern, über Staats
verwaltung und Rechtspflege, über Abgaben und Kriegsdienste be
stätigte, und mehrere neue, zum Theil wichtige Einrichtungen traf. 1
Der Inhalt wie auch die Form der Urkunde sprechen dafür, daß sie auf
einem Reichstage zu Stande kam; aus der Einleitung zu derselben darf
man schließen, daß es die auf dem Krönungsreichstage gegebenen Ge
setze sind, die der König hier veröffentlicht und treu zu befolgen ge
lobt. Die wichtigsten derselben werden wir am geeigneten Orte mit
theilen.
Hierauf begab sich Andreas nach Siebenbürgen und hielt zu
suchten,
1 Andreae
die Städte,
Reg. III.
Burgen
decretum
und 1291.
Ländereien,
E transumto
welchecoaevo
er in capituli
der Fehde
Al-
in die Lage der Dinge, den Schauplatz des Kriegs in des Feindes Land
zu verlegen ; er setzte mit 80000 Mann über die Leitha und ließ durch ein
fliegendes Corps das Land verwüsten, während er selbst mit der Haupt
macht Rohrau und andere feste Plätze eroberte, bis Wien vordrang und
die Stadt belagerte. In den Kämpfen, die stattfanden, zeichneten sich
vor Rohrau die Verwandten und Dienstmänner Georg's von Sös und Mi
chaela von Gurethe aus 3; Georg von Sös selbst bewährte sein Kriegs
talent bei der Einschließung Wiens 4; Meister Sinka ward bei einem
Ausfall der Besatzung fast tödlich verwundet 6 ; Paul von Rechk (lies
Retschk) verfolgte einen österreichischen Ritter bis an das Stadtthor,
warf ihn dort durch einen Lanzenstich aus dem Sattel und brachte ihn,
ungeachtet sein eigenes Pferd getödtet wurde, gefangen in das Lager6;
Benedict von Omode, aus dem Geschlechte Aba, wurde beim Nieder
brennen der Vorstädte mit Wunden bedeckt 7; Johannes Kemeny, Bo-
gomer von Szent-Iväny 8 und noch andere verrichteten tapfere Thaten.
Albrecht, auf einen so mächtigen Angriff nicht gefaßt, war gezwungen,
sich zurückzuziehen. Sein stolzes und herrisches Wesen hatte ihm die
Herzen seines Volks entfremdet; fast zu gleicher Zeit mit dem Ein
reich,
marschedieder
Stubenberger
Ungarn erhoben
in Steiermark
sich wider
, die ihn
Scharfenberger,
die Kunringer
Weißenecker
in Oester-
nnd Heunburger in Kärnten, und die Bürger Wiens vertrieben ihn sogar
aus der Stadt. Sein Misgeschick vollständig zu machen, starb sein
Vater Rudolf am 15. Juli. So von mehrern Seiten geängstigt, bat
Albrecht den Baiern-Herzog Otto und den regensburger Bischof, Gra
fen von Roteneck, um schleunige Hülfe. Der erstere gab eine zwei
deutige Antwort. 9 Das Schreiben Albrecht's an den zweiten ist als
Muster des Stils , dessen sich die Fürsten jener Zeit bedienten , ebenso
merkwürdig
„Bei denwie
Dichtern",
des Bischofs
so Antwort.
lautet der Brief Albrecht's, „wird e1::e
ses, strato duce vel Stirienses." — 2 Ueber den Verlauf des Kriegs und den
Abschluss des Friedens berichten: Chron. Zwetlense und Melieense, bei Pez,
I, 532 n. 243. Hist. Austr. pars plen. bei Freher, I, 480. Thnroczy,
II, Kap. 82. Die Friedensurkunde bei Fejer, VI, i, 180. Vgl. Horruayr,
Wien, seine Geschichte und seine Denkwürdigkeiten, I. Urknndenbuch, S. 93.
mayr,
— 3 Szalay,
Taschenbuch
Geschichte
für 1831,
von Ungarn
und Lichnowszky,
(2. Ausg.), Geschichte
II, 116, Note
des Hauses
1, nach Habs
Hor-
burg, II, 23 fg.
448 Viertos Buch. Zweiter Abschnitt.
selbst nach Dalmatien und hielt sich dort längere Zeit auf. Er, fand
es nothwendig, die Regierung des angefochtenen Landes in treue Hände
zu legen; deshalb ernannte er seine Mutter zum Ban desselben und setzte
ihr seinen Oheim Albert Morosini an die Seite. 1 Um aber die mäch
tigen Grafen von Brebir, Paul, Georg und Mladin, die bisher diese
Würde bekleidet hatten, zu beschwichtigen und an sich zu fesseln, erhob
er sie — dem 16. Art. der Goldenen Bulle 2 und dem 3. seines eigenen
Decrets zuwider — zu erblichen Banen des Küstenlandes unter der Be
dingung, daß sie in jedem Kriege mit 500 Mann zum königlichen Heere
stoßen. 3 Wie vergeblich diese Verschwendung gewesen sei, mußte er
bald erfahren; eigennützige und herrschsüchtige Menschen wissen nichts
von Dankbarkeit
Im Grunde und
warTreue.
der neapolitanische Prätendent nur durch die
Gunst des Papstes gefährlich; der Tod Nikolaus' IV., 4. April 1292,
und die darauf folgende zweijährige Vacanz des römischen Stuhls ver
schaffte daher Andreas von dieser Seite Ruhe. Um jedoch seine Stel
lung für alle Fälle zu befestigen, verband er sich mit den benachbarten
Fürsten. In Deutschland war nach Rudolfs Tode Adolf von Nassau
am 5. Mai 1292 zum römischen König gewählt worden. Der stolze,
herrschsüchtige Albrecht, der zuversichtlich darauf gerechnet hatte, sei
nem Vater nachzufolgen, konnte diese Zurücksetzung nicht verschmer
zen; er beschloß, seinen glücklichern Nebenbuhler zu stürzen und sich auf
den deutschen Thron zu schwingen,. In dieser Absiebt beruhigte er zuerst
durch Nachgiebigkeit seine aufständischen Landherren und Städte und
versöhnte sich sodann auch mit seinen fürstlichen Gegnern, mit seinem
Schwager, dem König Wenzel II. von Böhmen, mit dem Markgrafen
Otto von Brandenburg, mit dem Herzog Otto von Baiern und mit dem
Erzbischof von Salzburg, Konrad von Wanstorf. Die Genannten waren be
reits unzufrieden mit Adolf, dem König ihrer Wahl, und verbündeten sich
mit Albrecht wider ihn, 1293. Diesem Bündnisse trat auch Andreas 1293
bei. Ungeachtet Albrecht und Wenzel Schwäger Karl Martell's waren,
der Rudolfs Tochter dementia, die einstmalige Verlobte des unga
rischen Prinzen Andreas, zur Gemahlin hatte, versprachen sie, diesen
bei seinem Streben nach dem Throne Ungarns nicht zu unterstützen,
wogegen
Jetztihnen
glaubte
Andreas
Andreas
Hülfediewider
Zeit Adolf
gekommen,
zusagte.auch
4 im Innern des
Scepus., III, 305. — 2 Die Urkunde vom 17. März 1293: „Quod cum nos
more majestatis nostri imperii ad videnda, seu habitanda praedia nostra
Zoulom (Zolyom) scilicet, Turuch (Türocz), et Liptou accessissemns et in
eisdem, quae rite acta non fuerant, in alienationiBus terrarum ad ipsa praedia
nostra pertinentium, voluissemus emendare ... ., statuimus ut omnes terrae. . . .
alienatae reambulentur et statuerentur ac applicarentur praedictis praediis
nostris, praeterquam quibus nobis videtur, et quos merita virtutum. . . . com-
mendarent. . . . Fejer, VI, i, 242. — s Beispiele derartiger Bestrafungen fin
den sich bei Fejer, VI, n, 17, und in mehrern andern Urkunden. — 4 Fejer,
VI, n, 82. — 5 Lucius, IV, Kap. 10. Farlatus, Illyr. sacr., III, 294. —
6 Hist, Austr. pars plen., bei Freher, I, 483. — 7 Eatona, VI, 1241. —
8 Drei Urkunden bei Wagner, Diplomatar. Säros., S. 313; bei Katona, VI,
1151 u. 1153; bei Fejer, VI, n, 25.
r
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 451
einem Anjou den Weg zum ungarischen Throne zu bahnen. Kraft sei
ner Lehnsherrlichkeit über Neapel erklärte er am 24. Febr. 1297 den
dritten
1 Jacobus
Enkel Karl's
Cardinal.II.,Vita
Robert,
Coelestini,
zum bei
Erben
Muratorius,
dieses Reichs,
Tom. III,„welches
Pars 1.
Lucius, IV, Kap. 10. — J Hist. Austr. pars plen. ad ann. 1295, bei Fre-
her, I. Katona, VI, 1177.
29*
452 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
ihm nicht von seinem Vater zukomme, sondern vom apostolischen Stuhl
verliehen werde". x Nach dieser Verfügung mußte nun dem Erst
geborenen, Karl Robert, anderswo ein Königreich ausgemittelt werden,
und hierzu war Ungarn ersehen. Dalmatien schien der am meisten ge
eignete Boden, wo man vorläufig für diesen Zweck wirken könne, und
Priester hielt man für die geschicktesten Werkzeuge, die Ausführung
des Plans zu beginnen. Bonifaeius annullirte daher die Wahl des Archi-
diakonus Jakob zum Erzbischof von Spalatro, weil dieser es unterlassen
habe, binnen drei Monaten seine Bestätigung in Rom nachzusuchen,
und ernannte aus apostolischer Machtvollkommenheit den Hofkaplan
der Königin Maria von Neapel, Peter, zum Erzbischof.2 Andreas
war schwach genug, diesen Eingriff in die Rechte des Erzstiftes, der
Stadt und des Königs hingehen zu lassen, und der neue Erzbischof
brachte es in kurzer Zeit dahin, daß die dalmatinischen Städte eine
nach der andern zu Karl Robert abfielen, wodurch auch die Grafen von
Brebir Gelegenheit fanden, offen zu dessen Partei überzugehen. Doch
noch weit gefährlicher ward dem Könige die Schlange, die er im eige
nen Busen genährt hatte. Er hatte nämlich, nachdem sein treuer Vice-
kanzler Theodor Bischof von Raab geworden war, die stuhl weißenburger
Propstei und das mit derselben gesetzlich verbundene 3 Amt des Vice-
kanzlers dem bisherigen Propste zu Weißenburg in Siebenbürgen, Gregor
Csete aus dem Geschlechte der Katupäny, verliehen.4 In dieser Stelle
wußte sich der Heuchler in die Gunst des Königs so einzuschmeicheln,
daß er nach dem Tode des würdigen Wladimir zum Erzbischof von
Gran erhoben wurde. Nun aber ward er, voll Hochmuth und Herrsch
sucht, ein zweiter Thomas Becket, das willige Werkzeug des Papstes, der
Verräther des Königs, seinesWohlthäters,und die Piageseines Vaterlandes.
1298 die Könige
Im Februar
von Ungarn
1298 versammelten
und Böhmen, sich
die Herzoge
bei Herzog
vonAlbrecht
Sachsen, inOppeln
Wien
Albrecht nach Schwaben auf; am 23. Juli wurde zu Mainz von einigen
dort versammelten Kurfürsten Adolf abgesetzt und Albrecht zum römischen
König gewählt; am 2. Juli kam es bei Gellenheim zur Schlacht, in wel
cher sein Gegner fiel; beide ungarische Feldherren empfingen im Kampfe
rühmliche Wunden 1; am 24. Aug. ward Albrecht in Aachen gekrönt.
So hatten die Ungarn auch hier, wo es sich wieder darum handelte, ob
die Macht des Hauses Habsburg wachsen oder untergehen solle, dazu
wirksam beigetragen, daß die Entscheidung zu dessen Vortheil ausfiel.
, fremde
Aber
Sache
während
kämpfte,
dasbildete
königliche
sich inHeer
der Heimat
im fernen
eine Auslande
anjouischefür
Partei,
eine
die täglich an Zahl und Stärke zunahm. Die Königin Maria bot alle
Mittel auf, die Sache ihres zehnjährigen Sohnes, Karl Robert, zu för
dern. Um sich gegen die dalmatinischen Seestädte gefällig zu zeigen,
vermochte sie den Papst, daß er die Bitte der Sebeniger, in ihrer
Stadt einen Bischofssitz zu gründen, erfüllte. In der hierauf bezüg
lichen Bulle vom 1. Mai 1298 wird sie schon ausdrücklich Königin von 1298
Ungarn genannt. 2 Auch Gregor, der erwählte graner Erzbischof,
warf nun die Larve ab und wirkte unverhohlen für den Prätendenten
mit dem ganzen Einfluss, den ihm sein hohes Amt verlieh. Für diesen
erklärten sich ferner die unzufriedenen Großen; nicht weil sie von des
sen gutem Rechte überzeugt waren, sondern weil sie unter dem Vor-
wande für ihn zu kämpfen, Tyrannei und Raub üben konnten. An
dreas verlor den Muth; er entsagte den Maßregeln der Strenge und
suchte die Empörer durch Nachgiebigkeit und Güte zu gewinnen. Aber
eben dieses milde Verfahren vermehrte noch ihren Uebermuth; im Na
men Karl Robert's befehdeten sie die dem Könige Treuen, verjagten
die kleinern Edelleute von ihren Besitzungen oder zwangen sie, in ihre
Dienste zu treten, trieben Brandschatzungen ein, plünderten Kirchen
und Klöster, brachten ganze Gegenden unter ihre Gewaltherrschaft und
stürzten
Da das
berief
Land
Andreas,
in Verwirrung
mit Ausschluß
und Noth.
der Reichsbarone,
3 die Geistlich- 1298
ses nicht beobachtete, so soll alles, was er etwa ohne Beirath dieser ihm
Zugesellten thäte, alle Schenkungen, Amtsernennungen und sonst wich
tigere Angelegenheiten, ungültig sein." Doch über dieses wie auch
über die andern Gesetze, welche Staatseinrichtungen betreffen, werden
wir weiter unten zu sprechen Gelegenheit haben. Zuletzt wurde noch
angeordnet, daß sich im folgenden Jahre in der zweiten Hälfte des
Monats April alle Prälaten, Barone und Edelleute auf dem Felde Räkos
unterhalb
So hatte
Pesth
denn
zumder
Reichstage
Reichstagversammeln
zur Wiederherstellung
sollen. 1 der öffentlichen
Ordnung alles gethan, was auf dem Wege der Gesetzgebung geschehen
konnte; er hatte vornehmlich den König mit außerordentlichen, selbst
der Freiheit gefährlichen Vollmachten ausgerüstet. Aber die Gesetze
blieben ein todter Buchstabe; Aufruhr, Fehde, Verwüstung und Raub
nahmen besonders in den westlich der Donau gelegenen Landestheilen
immer mehr überhand. Die aufständischen Großen ließen sich durch
Bannsprüche nicht einschüchtern; denn diese hatten längst ihre Furcht
barkeit verloren, auch fanden sich überall Priester, welche sie vom
Banne lossprachen. Der König aber verstand es nicht, die wider
sie erlassenen Gesetze zu vollstrecken. Ein mit echtem Herrscher
geist begabter Mann würde wol die Mittel, den Aufruhr zu bän
digen, gefunden, er würde die treugesinnten Herren, die reichen Prä
laten, den kriegerischen Adel, den ergebenen Bürgerstand, die immer
schlagfertigen Kumanen, die alle vom Haß gegen ihre Unterdrücker
glühten, aufgerufen und mit ihrer Hülfe den Trotz der Empörer ge
brochen haben ; aber dieser Herrschergeist fehlte Andreas. In ruhigen
Zeiten wäre er wahrscheinlich ein weiser Regent und Wohlthäter seines
Volks geworden; den Stürmen, die ihn umtobten, Stille zu gebieten,
war er zu schwach; auch mochten bereits Gram und Kränklichkeit
seine Kraft gelähmt haben. Nicht umsonst beschuldigte ihn daher
der Reichstag der Schwäche und Zaghaftigkeit; doch Frechheit war
es, daß die Unruhstifter, die ihr Vaterland ins Elend stürzten,
ihn beim Papst als den Urheber aller Uebel anklagten und darauf
drangen, derselbe möge Karl Robert, ihren König, schleunig nach Un
garn senden. „Das Reich", sagte Bonifacius infolge dieser Anklagen,
„wird von Gefahren bedroht , denen es kaum entgehen kann , wenn die
Hand Gottes und die Fürsorge des römischen Stuhls ihm nicht Hülfe
bringt." 2 Darauf ernannte er zu Anfang des Jahres 1299 den gra- 1299
ner Erzbischof Gregor zu seinem Legaten, „damit er den Frieden in
Ungarn wiederherstelle, die Interessen der Kirche wahre, die Ketzerei,
das Schisma und das Heidenthum ausrotte"; zugleich bevollmächtigte
er ihn, „jedermann vor sein Gericht zu fordern, die Hartnäckigen zu
strafen und den Gehorsamen Ablaß auf ein Jahr und vierzig Tage
zu gewähren".
1 Constitutiones
3 Die
per praelatos
geheime Instruction
et nobiles regni
aber Hungariae
mochte lauten,
apud ecele-
die
Sache Karl Robert's nach Kräften zu fördern ; denn Bonifacius gab ihm
auch die Weisung, Johann von Güssingen, „wiewol dieser Andreas, der
König von Ungarn genannt wird, als solchen nicht anerkenne", von
dem Banne loszusprechen, mit dem ihn noch Erzbischof Wladimir be
legt hatte.
Dem 34.
1 Gesetzartikel vom vorigen Jahre gemäß versammelte sich
1299 zu der anberaumten Zeit der Reichstag auf dem Räkosfelde. Der er
wählte Erzbischof Gregor kam auch diesmal nicht, sondern schickte
Abgeordnete, durch die er sich über Bedrückungen beklagte, die er und
die graner Kirche vom König und seinen Anhängern erleide. Den Bi
schöfen aber that er kund, er sei zum päpstlichen Legaten ernannt und
befehle ihnen bei Strafe, den Reichstag zu verlassen und zu ihm nach
Veszprim zu kommen, wo er mit seinen Parteigängern Ränke spann.
Mit gewohnter Nachgiebigkeit erklärte der König, seines Wissens sei
durch ihn weder der Erzbischof noch dessen Kirche beeinträchtigt wor
den ; er sei jedoch bereit, sich in dieser Angelegenheit dem Schieds
gerichte der Bischöfe und anderer frommer Männer zu unterwerfen.
Die Bischöfe gehorchten der Aufforderung, den Reichstag zu verlassen,
nicht; vielmehr wurden der graner Propst Paul und ein weltlicher Herr,
Heinrich, an Gregor gesendet, ihn unter Zusicherung freien Geleites
zum Reichstage abzuholen. Der übermüthige Priester wies die Abge
ordneten verächtlich ab und drohte den Bischöfen, wenn sie ihm nicht
gehorchten, mit dem Bann und greulicher Verwüstung ihrer Besitzungen,
zog sich jedoch aus Furcht, der Reichstag und der König würden seine
Vermessenheit nicht ungestraft lassen , in die Burg Szentkereszt jenseit
der Drau zurück. Welches Recht hatten der Papst und sein Legat,
sich in die innern Angelegenheiten eines freien unabhängigen Staats zu
mischen? Man hätte also ihre angemaßte, verderbliche Einflußnahme
entschieden zurückweisen und den widerspenstigen Erzbischof durch
ernste Maßregeln zum Gehorsam zwingen müssen. Aber Andreas war
nicht der Mann, der den Muth besessen hätte, sich an die Spitze der
Nation zu stellen und den Kampf mit dem gewaltigen Bonifacius zu
wagen; auch die Stände mochten theils durch die fromme Scheu vor dem
Oberhaupte der Kirche, theils durch die Besorgniß vor dem Bürgerkrieg
von kühnern Schritten abgehalten worden sein; der Reichstag beschränkte
sich darauf, eine feierliche Protestation gegen das gesetzwidrige Verfahren
Gregor's bei dem groß war deiner Propst und Kapitel einzulegen und an den
Papst zu appelliren. Die Appellationsurkunde wurde in mehrern authen
tischen Abschriften ausgefertigt und an den Erzbischof abermals durch
den Propst Paul, an den Papst durch den Bischof von Großwardein
Emerich überschickt. „Ungeachtet der erwählte Erzbischof" (er war
noch nicht bestätigt und installirt), heißt es in derselben, „ungefährdet
auf dem zum Wohle des Landes und der Kirche einberufenen Reichs
tag hätte erscheinen können, kam er doch nicht, sondern beantwortete
die Einladung mit furchtbaren Drohungen und floh zu den Landes
verräthern,
1 Raynald.
die Annal,
ihrer ungeheuern
eccles. ad ann.
und1299,
schauderhaften
Note 13. Katona,
Thaten VI,
wegen
1217.aus
Aeußere Begebenheiten. Andreas III. 457
Alter von zwanzig Jahren, also 1255 vermählt, und das Alter der erwähnten
Personen
seine Söhne
nmsich
fünfwenigstens
Jahre hinaufrückten,
im dreizehnten
müßten
Jahredennoch
verehelicht
wie haben.
AndreasDiese
so auch
Ur .
III, n, 286) und sich den Titel von demselben vielleicht beilegte. Auch ist
es wenigstens nicht unmöglich, daß er, des Aufruhrs wegen aus Ungarn ver
trieben, wie später sein jüngerer Bruder, der Nachgeborene Stephan, bei seiner
Schwester Jolantha, Königin von Aragonien, eine Freistätte fand, bis er, wie
einige berichten, noch vor diesem nach Venedig kam, sich dort mit Sibylla
Cumarius vermählte und den Zunamen der Venetianer erhielt. Die Nach
kommen dieses vor längerer Zeit ausgewanderten Prinzen konnten wie die
jenes Geiza's, der sich um 1190 in Konstantinopel niederließ (oben S. 274),
Ungarn bereits so fremd geworden sein , daß sie beim Tode Andreas' III.
ganz außer Acht gelassen wurden.
460 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
den insgesammt in altern Zeiten „partes subjectae", in, den neuern „ad-
nexae- (Nebenländer) genannt.
Siebe nbürgen, auf das wir zuerst unsere Aufmerksamkeit richten
wollen, war so eng mit Ungarn verknüpft, daß es als integrirender
Theil desselben betrachtet und im Titel der Könige gar nicht genannt
wurde. Aber dessen vollständige Einverleibung in das Mutterland un
terblieb dennoch zum größten Nachtheil beider. Damals begriff man
den hohen Nutzen der gleichen Verfassung und innigen Verschmelzung
aller Staatstheile noch nicht; denselben einzusehen, war erst der neue
sten Zeit vorbehalten. Auch läßt sich nicht leugnen, daß in Siebenbürgen,
noch bevor es durch die Besiegung Gyula's näher mit Ungarn verknüpft
wurde, eigenthümliche Verhältnisse und Einrichtungen so tiefe Wurzeln
geschlagen hatten, daß sie sich nicht leichthin beseitigen ließen; dazu
lag es in der Nachbarschaft wilder, kriegerischer Völker und war
lange Zeit hindurch ihren Angriffen unablässig ausgesetzt; es mochte
daher noth wendig scheinen, die Regierung des wichtigen Grenzlandes
mehr zu concentriren und den königlichen Gewaltträgern größere Selb
ständigkeit zu verleihen, als dies in den Bezirken des Mutterlandes der
Fall war.
Aber auch in sich selbst war Siebenbürgen kein einheitliches
Ganzes, sondern zerfiel in Nationen, die sich nicht' allein durch die
Sprache, sondern auch durch Rechte und staatliche Einrichtungen von
einander unterschieden und abgesonderte Körperschaften bildeten. Die
westlichen Landestheile nahmen die Ungarn, die östlichen die Szekler
und so ziemlich die mittlem die Sachsen ein; zwischen diesen politisch
berechtigten Nationen wohnten auch noch die alten Bewohner des Lan
des, Das
die Walachen.
Land der Ungarn, die Gegend, in welcher sich Tuhutum mit
mit ihrer Mannschaft gewöhnlich auf dem linken Flügel; wichtige Rechts
sachen gingen im Wege der Appellation von ihnen an den König.
Außer den Ländereien, die ihnen der König anwies, und dem Drittel
des auf der Maros ausgeführten Salzes bezogen sie aus Steuern, Ge
fällen und Gerichtssporteln bedeutende Einkünfte und waren unter den
letzten Ärpäden noch meistens zugleich Obergespane des einträglichen
szolnoker Comitats. Häufig ernannten die Könige zwei Vajda; so
Ungarns Nebenländer. Siehenbürgen. 4fi1
laus
bekleideten
und
Die Georg
Szekler
seit Bors.
1282
dagegen
—
1 91behielten
diese Würde,
auch nach
neben
der
Lorant
Vereinigung
Moses, Sieben
Ladis-
richtungen der Szekler. „Sunt .... transilvanieis in partibns .... Siculi, nobi,
les privilegiati . . . . dissimili penitus lege et eonsuetudine gaudentes, rerun1
bellicarum expertissimi, qni per tribus et generationes, atqne lineas genera-
tionum (antiquorum more) haereditates ac officia inter se partiuntur et divi-
dunt." Verböczi, Decret. tripartitum, Pars II, Tit. 4. — 4 Die stark ange
fochtene esiker Chronik der Szekler, welche 1533 im Schlosse Melchior San,
dor's nach, alten Dorumenten verfaßt worden sein soll. Benkö, Milkovia, II,
und Transilvania, I. Alexander Szilagyi, Geschichte Siebenbürgens, a. a. O.
462 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
„Die Sachsen zahlen 15000 Mark Silber. Eine für jene Zeit ungeheuere und
für die Sachsen unerschwingliche Abgabe, weshalb wir dort entweder einen
Schreibfehler vermuthen oder annehmen müssen, daß in dieser Summe die
Steuern aller siebenbürger Sachsen nebst den Erträgnissen der Bergwerke
und Salzgruben, welche sie betrieben, enthalten sind. — 2 Andreae II. r.
Libertas Saxonum Transilvaniae 1224. E transumto Caroli I. , 1317, bei
Endlicher, S. 420—423.
Ungarns Nebenländer. Siebenbürgen. 463
Adels über 3 und sanken ihre freien Leute zur Hörigkeit hinab. Diese
hatten jedoch kein schlechteres Los als die ungarischen Bauern Sie
benbürgens.
1 Eder 4de Auch
initiis war
juribusque
es nicht
Saxonum
sowol Transilvanorum
die Sprache, sondern
(Wien 1792).
weit
mehr die Religion, was sie von ihren Mitbürgern trennte und auf ihre
Stellung im Staate einen nachtheiligen Einfluß übte; sie bekannten sich
nämlich insgesammt zur griechischen Kirche, und dieser Umstand wog
im Mittelalter weit schwerer als die Verschiedenheit der Nationalität,
nach der man bei der allgemeinen Herrschaft des Lateinischen in Kirche
und Staat
Jede wenig
der drei
fragte.
politischen Nationen hielt unter dem Vorsitze ihres
bürger Bisthums erstreckte sich über das Land der Ungarn und einige
Theile des sächsischen Gebiets. Der Bischof war Suffragan des Erz
stifts Kalocsa *und zugleich ungarischer Prälat, der am Reichstage
zwischen den Bischöfen des Mutterlandes seinen Sitz einnahm. Der
größte Theil der vereinigten Sachsenstühle hatte zum geistlichen Ober
ner
hauptNachfolger,
den Propst
in denen
von ihre
Ilermannstadt,
Rechte und Pflichten
der gleich
verzeichnet
andern königlichen
seien. Grof
Teleki Jözsef, Hunyadiak kora (Graf Joseph Teleki, Zeitalter der Hunyade),
Pesth 1852-53, Bd. 10, Urkundensammlung, S. 3, 10.
1 Verböczi, Tripart., Pars III, Tit. 4. — 2 Decret. Andreae III., Art. 10,
11, 21, 26, 30, 31, 33, 34, hei Endlicher, S. 615—G21. — 3 Constitntiones
per praelatos et barones ac nobiles regni Hungariae apnd ecclesiam Fratrnn1
u1inornm in Pesth a. 1298 factae, . . . „cum omnibus nobilibus, singulis Saxo-
nibus et Cumanis in unum convenientes . . . Statuimus." Singulis ist ein
offenbarer Schreibfehler; es muß „Siculis" gelesen werden; denn jeder einzelne
Sachse konnte doch nicht in Person, sondern nur die Gesummtheit in ihren
Vertretern oder Häuptern erschienen sein.
Ungarns Nebenländer. Banat Szöreny. 465
Donau und Alt lag das Banat Szöreny, von Walachen, Bulgaren und
Ueberbleibseln der Kumanen und Petschenegen dünn bevölkert; zwi
schen diesen mochten sich auch Ungarn und Szekler, die als Kriegsleute
und Besatzung hinkamen, niedergelassen haben und so die Vorfahren
der noch jetzt in diesen Gegenden lebenden Csangömagyaren geworden
sein. Die szörenyer Bane geboten auch über den unlängst eroberten
Theil Bulgariens und bekleideten als Hüter der Grenze gegen die krie
gerischen
Die Gegenden
Völkerschaftentder
jenseit derDonau
Alt imeinSüden
höchstund
wichtiges
Osten Siebenbürgens,
Amt.
1
Fejer, V, 1n, 275. — 2 Szilagyi, Geschichte von Siebenbürgen, I, 66.
Feßler. I. 30
466 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
sitze sich Ungarn befand , gehörte das Banat Macsö , das den nördlichen
Theil des alten Serbiens zwischen der Morava und Drina umfaßte. Für
die Wichtigkeit dieses Gebiets zeugt, daß Bela IV. seinen Eidam, den
Fürsten Rostislaw, zum Ban desselben ernannte; aber leider fehlt es
fast gänzlich an Nachrichten, welche uns über die innern Zustände des
Landes in diesem Zeitalter Aufschluß geben könnten; wir wissen nicht,
ob serbische oder ungarische Staatseinrichtungen vorherrschten. Das
Volk bekannte sich zur griechischen Kirche und blieb derselben treu,
ungeachtet aller Anstrengungen, die gemacht wurden, um es zu der
römischen
Ungleich
zu bekehren.
wichtiger für die ganze Geschichte Ungarns sind Kroa
hielt diesen Namen erst in der neuern Zeit. Schon unter Arpäd er
obert 2 und darauf von Ungarn und Slawen bewohnt, war dieser Land
strich fortwährend, bis er unter türkische Herrschaft gerieth, unga
risches Gebiet im strengsten Sinne des Wortes, kein Nebenland, keine
„pars adnexa"; von ihm, der nie zu Dalmatien und Kroatien gehörte,
kann daher hier gar nicht die Rede sein. Dagegen wurde das heutige
Kroatien, der obere westliche Theil zwischen der Drau und Save, die
Gespanschaften Agram, Warasdin und Kreuz sammt ihrer jetzigen Mi
litärgrenze , vormals Slawonien genannt. Auch dieses Gebiet hatte be
reits Ärpäd seiner Herrschaft unterworfen 3; wie es aber nach Sfe-
phan's I. Tode von den Kroaten zurückerobert, unter Andreas I. "wie
der an Ungarn gebracht und von,Bela I. dem Kroatenfürsten Zwoni-
mir, der seine Tochter heirathete, überlassen wurde, haben wir oben
(S. 159 und 179) berichtet. Das Land, welches im Ärpäd'schen Zeit
alter und noch lange nachher Kroatien im engern Sinne benannt wurde,
lag jenseit der Save; es war das mit Dalmatien vereinigte heutige Tür-
kisch-Kroatien, das einen großen Theil Bosniens nebst Montenegro bis
an die
1 Szilagyi,
Narenta a.umfaßte.
a. O. —4 2 Anonym. Belae reg. Notar., Kap. 41 — 43, bei
leute besaßen zugleich den ungarischen Adel und genossen alle Rechte
desselben, zu denen auch die Theilnahme an den Reichstagen gehörte.
Die Abgaben, welche diese Länder entrichteten, bestanden,.zum Theil
in Marderfellen und gehörten ebenfalls zu den Angelegenheiten , über
welche der Reichstag entschied. 4 Ob die Bewohner schon damals das
Vorrecht genossen, nur die Hälfte der Steuern zu zahlen, die der Ungar
leistete, ist zweifelhaft, weil bis zu Anfang des 14. Jahrhunderts außer dem
Kammergewinn
1Doch
Z. B. die
von romanischen
überhaupt
Bela IV. seinem
keine
Seestädte,
Bruder
regelmäßigen
Koloman
Jadra
Abgaben
und
oderseinem
Zara,
erhoben
Sohne
Spalatro,
wurden.
Bela.
— 2 Andreas II. als Herzog von Slawonien vergabte königliche Güter und
Gefälle, führte Kriege und machte Eroberungen. — 3 Verböczi, Tripartit.,
Pars III, Tit. 2. Die Comitatsversammlungen und Landtage, Congregationes
generales, werden erwähnt in der Urkunde Andreas' II. von 1218, bei
Kukuljevics, Jura regni Ooatiae, Dalmatiae et Slavoniae, Agram 1862, I,
47 fg. Dergleichen Landesstatute sind: Matthaei Bani Slavoniae jura regni
et banatus, 1273, bei Endlicher, S. Ö36. — * Andreae IL Decret. I, 27, bei
Endlicher, S. 416. Andreae III. Decret., 34, a. a. 0., S. 620.
Ungarns Nebenländer. Slawonien. 469
Traw, Sebenigo und noch einige weniger bedeutende, nebst einem Theile
des Küstengebiets und den Inseln im Adriatischen Meere gehörten nie
zu dem mit Kroatien vereinigten Dalmatien. Sie hatten eine italie
nische Bevölkerung und bildeten von altersher freie Gemeinwesen,
welche die 'Oberhoheit der byzantinischen Kaiser anerkannten und mit
ihren Nachbarn, den Slawen, sich beinahe fortwährend im Kriegs
zustande befanden. 1 Als die Slawenfürsten im 11, Jahrhundert sie
härter bedrängten und die Kaiser von Konstantinopel sie nicht »hin
reichend vertheidigen konnten, begaben sie sich unter den Schutz des
aufstrebenden Venedig, und schon 1085 belehnte Alexius Comnenus die
Republik mit Dalmatien. 2 Auch nachdem Koloman diese Städte mit
ganz Dalmatien unter die ungarische Herrschaft gebracht hatte, be
wahrten sie ihre Sonderstellung und Freiheit, wenn sie gleich häufig dem
Ban oder Herzog untergeben waren. Die ausgedehnten Privilegien,
welche ihnen Koloman und seine Nachfolger verliehen, wurden aus
schließlich ihnen, nicht aber ganz Dalmatien und Kroatien zutheil, und
Andreas III. gab ihnen überdies in den Grafen von Brebir eigene vom
Bane Kroatiens unabhängige Bane. Das einzige Band, das sie mit
dem innern slawischen Lande verknüpfte, war ein kirchliches, indem
Dalmatien und Kroatien jenseit der Save zum Sprengel des Erzbischofs
von Spalatro'
In den Tagen
gehörte.der
3 ärpädischen Könige gab es also kein Drei
tiens und Dalmatiens, zu Ungarn läßt sich überhaupt mit wenigen "Wor
ten also
1 Lucins,
schildern
De regno
: ohne
Dalmatiae
Ungarnetvollständig
Croatiae, Lib.
einverleibt
I. — 2 Lucius,
zu seinLib.
, bilden
II, 4.
Anna Comnena, IV, 192. — 3 Kukuljevic, Bd. 1. Die Urkunden I — III und
LXXIV. — 4 Im k. k. geheimen Staatsarchiv zu Wien. Für all das oben
Gesagte finden sich zahlreiche und urkundliche Belege bei Lucius, De regno
Dalmatiae et Croatiae. Vieles, was hier nur oberflächlich erwähnt werden
konnte, gibt Szalay ausführlicher in seiner Schrift: A horvät kerdeshez
(Zur kroatischen Frage), Pesth 1861.
470 Viertes Buch Zweiter Abschnitt.
zur Verfolgung und Unterdrückung ihrer Gegner, wobei sie die Sehran
ken der Mäßigung und des Gesetzes überschritten und statt Gerechtig
keit Rache übten. So lösten sich die Bande der gesetzlichen Ordnung;
die Frechheit, die kühn zugriff, und die List, die zur rechten Zeit die
Partei wechselte, errangen die Vortheile, die dem Verdienste ge
bührten; Menschen ohne sittliches Gefühl, ohne Liebe zum Vaterland
erhielten die wichtigsten Aemter; das Volk wurde unterdrückt und ge
plündert; das Reich gerieth in Verfall. Die Gesetze, welche der
Reichstag von 1267 zur Beseitigung der überhandnehmenden Uebel
schuf 1, konnten dieselben kaum mildern. Stephan V. hätte die Hoff
nungen, mit denen seine Thronbesteigung begrüßt wurde, vielleicht er
füllt und der Zerrüttung des Staats gesteuert ; aber er starb zu früh, noch
ehe er wieder gut machen konnte, was er zum Theil mit verschuldet
hatte. Während der Unmündigkeit .seines Sohnes Ladislaus' IV.
herrschten, wie nie vorher, Cabalen und Ränke am Hofe; die Königin-
Mutter, eine kumanische, vom Geiste christlich -europäischer Bildung
kaum angewehte Frau, führte die höchste Gewalt nach Laune und
Willkür; herrschsüchtige Große und Höflinge rangen miteinander, bis
es einigen gelang, so viel Reich thum und Macht an sich zu reißen, daß
sie keine Gewalt und kein Gesetz mehr über sich anerkennen wollten.
Noch unheilvoller ward die Zeit, nachdem Ladislaus IV. die Regierung
selbst angetreten hatte. Welche Achtung konnte ein Fürst genießen,
der sich schändlichen Ausschweifungen so sehr überließ , daß er förm
lich vor Gericht gestellt und gezwungen wurde, in einer feierlich ver
öffentlichten Urkunde Besserung zu versprechen? Wie groß war das
Verderben, welches er anrichtete, indem er durch sein thörichtes Be
nehmen die Ungarn und Kumanen so lange wider einander aufhetzte,
bis sie einander feindlich gegenüberstanden und sich blutige Kämpfe
lieferten!
das Aufhören Denndesselben
sein Werk
nachwar
seinem
der traurige
Tode. Unter
Zwiespalt;
seinerdas
Regierung
beweist
stieg die Unordnung und das Elend zu einer solchen Höhe, daß An
dreas III. der Aufgabe, demselben abzuhelfen, nicht mehr gewachsen
war. Solange dieser aufgeklärte und wohlwollende Regent die mäch
tigen Oligarchen nach Willkür schalten und walten ließ und sie mit
Gunstbezeigungen überhäufte, hatten sie keine Ursache, sich gegen ihn
aufzulehnen; als er aber ihrem Unfuge steuern und sie mit Ernst in die
Grenzen des Gehorsams zurückdrängen wollte, da erhoben sie sich mit
einem bisher nie dagewesenen Uebermuthe; nun fielen sie von dem Kö
nig ab, der ihnen Besorgnisse einflößte , und stellten ihm ein Kind ent
gegen, unter dessen Namen sie zu herrschen und ungehindert ihre ver
derbliche Macht noch weiter auszudehnen hofften; angeeifert von dem
hochmüthigen Papst "Bonifacius VIII., dem Urheber vielfältigen Un
heils in Staat und Kirche, und geleitet von dessen willfährigem Werk
zeuge, dem graner Erzbischof Gregor, begannen sie die langwierigen
Kämpfe,
1Die
Belae
Anhäufung
dieIV.
dasreg.
Reich
Decretum
mehrerer
an den1267,
Reichsämter
Randoben
des S.
Untergangs
in
412.einer Hand
brachten.
war es vor-«
472 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
nehmlich, was einigen Großen die Macht gab, dem Könige und der
ganzen Nation ungestraft zu trotzen. Wie gefährlich diese sei, hatte
man schon früher erfahren; deshalb gebot die Goldene Bulle, Art. 30:
„Außer dem Palatm, dem Ban und dem Hofgrafen des Königs und der.
Königin darf niemand zwei Würden bekleiden." DieKönigeaber achteten
nicht auf das zu ihrem und des Volkes Wohl gegebene Gesetz; um neue
Anhänger zu gewinnen oder diejenigen, auf deren Treue sie bauten,
desto mächtiger zu machen, verliehen sie einem und demselben durch Geburt
und Erbgüter, oft auch durch Geisteskraft ohnehin schon hervorragenden
Manne mehrere der einflußreichsten Stellen im Staate. Wir sehen be
sonders unter Andreas III. , daß nicht nur der Palatin , der Ban und
der Hofgraf zugleich Obergespan mehr als eines Comitates ist, sondern
daß auch andere Reichsbarone und Große zwei, sogar drei Gespan
schaften vorstehen. So wurde die ganze politische und militärische
Macht Wenigen anvertraut, das Reich gleichsam unter sie vertheilt; so
entstanden nach und nach Oligarchen, die über mehr Geld und Leute
als der König selbst verfügten und sowol ihm wie dem Gesetze Hohn
sprechen durften. Da sie aber den mehreren Aemtern, die sie zu
gleicher Zeit bekleideten, nicht genügen konnten, mußten sie Stell
vertreter haben, die statt ihrer die Geschäfte verwalteten. Diese er
nannten sie selbst, und bald kam der Misbrauch auf, daß sie ihre
Aemter um Geld in Pacht gaben, was natürlich zu den schwersten
Bedrückungen führte. 1
Hierbei kamen ihnen ihre festen Schlösser trefflich zu statten.
Die Erlaubniß, solche auf ihren Besitzungen zu bauen, ward Privat
herren nach dem Abzug der Mongolen ertheilt; sie sollten bei feind
lichen Einfällen der umwohnenden Bevölkerung als Schutz- und Zu-
fluchtsörter dienen. Bald erkannten die widerspenstigen Großen und
kühne Freibeuter, welche Vortheile ihnen daraus erwuchsen; auf steilen
Felsen und aus schwer zugänglichen Sümpfen erhoben sich überall
starke Burgen; wer selbst keinen geeigneten Platz hatte, baute eine
solche auf fremdem, besonders auf dem Boden der Kirchen und Klö
ster, den er dadurch gewaltsam zu seinem Eigenthum machte. Und da
die Burg zu ihrer Vertheidigung einer Besatzung bedurfte, so kam jetzt
auch in Ungarn die Gewohnheit auf, daß Privatherren in Friedens
zeiten bewaffnete Mannschaften unterhielten, die großentheils auf Ko
sten der Umgegend lebten. Von seinem Schlosse aus beherrschte der
reiche Große, auch wenn er kein Staatsamt führte, als Tyrann das um
liegende Land und erhob Steuern und Zölle; der ärmere Freibeuter aber
trieb Brandschatzung und Raub soweit sein Schwert reichte; beide fan
den hinter ihren Mauern Schutz gegen den Richter, der sie zur Ver
antwortung und Strafe ziehen wollte. Umsonst war es daher, daß die
Gesetze wiederholt die Uebelthäter verurtheilten und solche Burgen,
die ohne Erlaubniß des Königs gebaut worden, die auf fremdem oder
Kirchengrund standen, deren Eigenthümer zur Unterhaltung der Be
satzungen
Andreae
zu arm
III. waren
Decret.,und
Art.die4. nur zum Verderben anderer dienten, zu
'V
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 473
1 Andreae III. Decret. 1291, Art. 19: „...turres sive castra super eccle-
siis aedificata, ai1t locis aliis pro noeumento constructa, penitus evellantur."
Constitutiones 1298, Art. 9: „ . . . munitiones et castella de novo absque
licentia domini regis, vel que fuerint tales, de quibus detrimenta inferuntur,
vel in posterum inferi presumerentur, aut etiam quibus ipse possessiones non
snfficiunt, minores etiam super ecclesias et monasteria faete, sine dilacione
omni deleantur." '— 2 Belae IV. reg. Deeret. , Art. 8. — 3 Andreae III.
Decret. 1291, Art. 9 u. 25. — 4 Ebend., Art. 4.
474 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt."
Staatseinrichtungen, die sie schaffen wollten, traten gar nicht ins Leben
oder hörten schnell wieder auf, da sie den Großen verhaßt sein mußten
und auch den Königen nicht gefallen konnten, deren Macht sie be
schränkten. Sie haben daher geschichtlichen Werth nur als Ausdruck der
herrschenden
1 Constitutiones
Denkungsart
1298, Art.
und20.der—Bestrebungen
2 Decret. Andreae
des Zeitalters,
III., Art. nicht
2. —
ernannt, standen wie früher der Curialgraf oder Vicegespan, die Bi-
loten und Prestalden ; aber jetzt wurden die Comitatsversammlungen
bereits regelmäßig abgehalten, an denen der Adel theilnahm, und nicht
allein die Angelegenheiten der eigenen Gespanschaft wurden hier ver
handelt und entschieden, sondern auch Dinge, die das ganze Land be
trafen, besprochen. Denn welchen Sinn hätte sonst das Gesetz, daß
jede Gespanschaft zu den jährlichen Reichstagen zwei oder drei bevoll
mächtigte Abgeordnete schicken soll, um Abhülfe und Genugthuung für
die vorgefallenen Misbräuche und Ungerechtigkeiten zu bewirken? Die be
züglichen Aufträge konnten ihnen nur in einer öffentlichen Versammlung
derer gegeben werden, in deren Namen sie sprechen und deren Sache
sie führen sollten. Dasselbe läßt sich aus mehrern andern Gesetzen
schließen, und manche Urkunden aus dieser Zeit enthalten deutliche
Spuren, daß die Comitatsversammlungen (Congregationes) zu be
stimmten Zeiten, und außerdem so off ein wichtiger Gegenstand es er
heischte, abgehalten wurden. Wie bereits oben erzählt worden, be
riefen auch der König und der Palatin auf ihren Rundreisen Versamm
lungen einzelner oder mehrerer Gespansehaften , denen sie vorsaßen. 1
Den Comitatsversammlungen, die den freiheitsstolzen Adel in sich ver
einigten, ist es wol hauptsächlich zu danken, daß die Obergespane,
während die Könige so ohnmächtig waren, nicht unumschränkte Ge
bieter und endlich erbliche Herren der Gespanschaften wurden. Ebenso
machten es die Verabredungen und vorläufigen Beschlüsse, zu denen
sie Gelegenheit gaben, möglich, daß sich der niedere Adel auf den
Reichstagen so einmüthig und entschlossen gegen die Anmaßungen der
gewaltigen
Im Gerichtswesen
Barone erheben konnte.
gingen im Laufe des 13. Jahrhunderts
mentum Andreae IL, Art. 14. — 3 Goldene Bulle, Art. 5. Andreae II.
Decret, II, Art. 12, 13.
'*
Innere Zustande unter den letzten Arpäden. 477
das Vermögen des Verurtheilten , wie eine Urkunde Bela's IV. bezeugt,
nicht dem Palatin, sondern dem Erzstifte heim, dem er ursprünglich ange
hört hatte.1 Mokian, Palatin und Obergespan von Oedenburg, Wieselburg
und Somogy, hielt 1286 zu Patak in der zempliner Gespanschaft eine Ge
neralversammlung des Adels, vor der Graf Thomas, Simon's Sohn, den
edeln Andreas von Butka anklagte, seinen Hauskaplan tödlich ver
wundet und einen seiner Dienstmänner ausgeplündert zuhaben. Der Pa
latin ließ die Streitsache durch Schiedsrichter vermitteln, und die Par
teien verglichen sich dahin, daß Andreas dem Grafen Thomas 60 Mark
zur Genugthuung zahlte und das Gut Asvän mit Einwilligung seiner
Verwandten erbeigenthümlich überließ. 2 Weil der Palatin in höchster
Instanz urtheilte und von seiner Entscheidung keine Appellation statt
hatte, war es um so nothw endig er, jeder Parteilichkeit und Willkür
vorzubeugen; daher gebot das Gesetz: „Wenn der Palatin das Land
bereiset, um Gerieht zu halten, sollen in jeder Gespanschaft die vier
erwählten Richter nebst dem Obergespan mit ihm gehen und richten;
dem Obergespan müssen die ihm zukommenden Gebühren gezahlt wer
den; verfährt aber der Palatin ungerecht, so sind die vier Abge
ordneten und der Obergespan verpflichtet, ihn daran zu hindern und
dem König darüber Bericht zu g^ben." 3 Dabei wurde für die größt
mögliche Oeffentlichkeit der Gerichtssitzungen gesorgt. „Wir ver
ordnen, daß der Palatin nicht in Städten und Dörfern, sondern auf
freiem Felde und in Versammlungen, im Frühling, Sommer und Herbst
und nicht
Vergeblich
im Winter
waren
Gericht
alle Bemühungen
halte." 4 Bela's IV. , das schon einmal
'.Urkunde vom Jahre 1263, bei Kovachich, S. 148. — 2 Urkunde bei Katona,
VII, 927, und Szirmay, Notitia histor. Comitatus Zempliniensis , 'S. 10. —
3 Andreae III. Decret, Art. 14. — 4 Constitutiones 1298, Art. 29. —
5 Decret. Belae IV. 1265, Art. 10.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 479
gen oder Documente nicht erwiesen werden konnte, wandte man noch
immer feierliche Eide auf Reliquien, die Feuer-, seltener die Wasser
probe und gerichtliche Zweikämpfe zur Ergründung der Wahrheit an.
Von 1201 —35 wurden allein zu Großwardein einige hundert derartige
Streitfragen über Stand, Besitz, Schuld oder Unschuld theils durch
ausgehaltene oder abgelehnte Feuerprobe, theils durch Eide auf den
Sarg des Heiligen Ladislaus entschieden. 3 Außer dem großwardeiner
Domkapitel fanden die Ordalieu auch_,poch vor dem presburger, neitraer,
altofener und arader statt.4 Den O1t, die Zeit und die Art des Zwei
kampfs bestimmte der Richter. Die Streitenden mußten denselben ent
weder in eigener Person oder durch gedungene Kämpfer, bald zu Pferd,
bald zu Fuß und mit den vorgeschriebenen Waffen bestehen. Einem
ungeübten Kämpfer wurde ein geübter, einem unbewehrten ein ge
rüsteter entgegengestellt, wenn der Angeklagte schwerer Verbrechen
beschuldigt war. 6 So hätte Fulco , Simon's Sohn , Herr der Burg
Fülek, vieler Räubereien, der Münzverfälschung und ,der beleidigten
Majestät angeklagt, nach dem Ausspruche Bela's IV". und der Barone
1246 zu Stuhlweißenburg nackt mit dem wohlgerüsteten Gegner
kämpfen sollen; aber er entwich aus dem Lal1de und verfiel deshalb
der Schuld und Strafe. 6 Der Kämpfer, der zum Verräther an der
Sache seiner Partei wurde, erlitt schwere Strafe. Als Achilles, Csiba's
Sohn, in einem Streit des Grafen Hector und des Meister Martin über
die Grenzen ihrer Donau-Fischereien bei Raab 1228 für den erst
genannten in den Kampf gehen sollte, warf er gleich beim ersten Gange
Lanze, Schild, Schwert, Stab und Dolch von sich und floh. Dafür
wurde er mit seiner ganzen Familie zu immerwährender Knechtschaft
verurtheilt, und seine ganze Habe dem Grafen Achilles zuerkannt. r
Sodann ward ein neuer Zweikampf angesetzt, in welchem der Kämpfer
Meister Martin's siegte und. diesem Recht verschaffte. 8 Hieraus und
noch1 aus
Andreae
einigenIII.
andern
Decret.
Nachrichten
, Art. 15.geht
— hervor,
2 Urkunde
daß esbeiöffentliche
Katona, VII,
und
befugte, vielleicht auch vom Staat bezahlte Kämpfer bei den Gerichten
gab, die in nicht geringem Ansehen standen. Ladislaus IV. beschenkte
mit Ländereien und adelte den. königlichen Kämpfer (pugil, campio)
Peter, Beten's Sohn, weil er in elf gerichtlichen, vom König ange
ordneten Zweikämpfen gesiegt und auch gegen Ottokar tapfer gefochten
hatte.Die
] Ladung vor das Gericht und die Vollstreckung des Urtheils
Decret. II, Art. 21. — 3 Goldene Bulle, Art. 7. Andreae II. Decret,
II, 15, 16. Belae IV. Decret., Art. 7. Andreae III. Decret. 10. — 4 Die
zipser Sachsen stellten 50 Lanzenträger. Stephani V. reg. Libertus Saxonum
de Scepusio. 2, bei Endlicher, S. 522 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpaden. 481
Güter empfangen hatten. Wollte also der König für einen Feldzug
ins Ausland eine Armee zusammenbringen, so mußte er unter dem ge
ringem Adel für Geld und gute Worte Streiter werben und den
Großen neue Würden und Güter versprechen x, damit sie ihm ihre
wohlgerüsteten Seharen zuführten. Stets bereitwillig dagegen folg
ten dem Rufe zu den Waffen die Kumanen, deren Gewerbe Krieg
und Raub war ; sie bildeten daher einen großen und gefürchteten
Theil der ungarischen Heere. Auf diese Art gelang es wol häufig
genug, eine ansehnliche Kriegsmacht zu versammeln und über die Gren
zen zu führen; aber da die Geldmittel immer bald erschöpft waren, hielt es
äußerst schwer, sie lange beisammenzuhalten, man mußte gewöhnlicL
heimkehren, noch ehe die beabsichtigte Unternehmung zu Ende geführt
war, und ward eine Sehlacht verloren, so löste sich die Armee gänz
lich auf, ohne daß man sie wieder sammeln und durch neue Zuzüge
verstärkt dem Feind entgegenstellen konnte. Diese Uebelstände traten
bei innern Unruhen noch weit auffallender zu Tage als in äußern Krie
gen ; die Großen zauderten, wider ihre sich empörenden Standesgenossen
die Waffen zu ergreifen, der niedere Adel fürchtete die Rache der
Mächtigen und stand zum Theil freiwillig oder gezwungen in ihren
Diensten 2, und die kleinen Scharen, die der König mit vieler Mühe
zusammenbrachte, reichten bei weitem nicht hin, den Trotz der Em
pörer zu brechen. Nur wenn ein auswärtiger Feind das Vaterland be
drohte, da erwachte der alte kriegerische Geist, da erhob sich die Na
tion einmüthig und stark zur Vertheidigung desselben, wie es z. B. in
den Kämpfen
Welch mächtigen
gegen Herzog
Einfluß
Albrecht
die Päpste
von Oesterreich
unter den geschehen
letzten Ärpäden
war.
auf die Kirche und den Staat übten, wie sie bei jeder Gelegenheit als
die höchsten Schiedsrichter auftraten und zuletzt sogar die Lehnsherr
lichkeit über Ungarn beanspruchten, das haben die erzählten Begebenheiten
dieses Zeitraums deutlich gezeigt. Aber nicht zur Beeinträchtigung der
königlichen Gewalt und zur Anfachung von Aufständen, wie so oft in
andern Ländern, sondern meist zum Schutze des Königs verwendeten sie
hier ihre Macht. Warum hätten sie auch Könige bekämpfen sollen, die
sich ihnen freiwillig unterwarfen, unablässig Rath und Unterstützung
bei ihnen suchten und selbst unbestreitbare Rechte nur mit ihrer Be
willigung ausübten? Weit mehr Widerstand hatten sie bei ihren
herrschsüchtigen Bestrebungen von, den störrigen Oligarchen, von dem
freiheitsliebenden Volke, sogar von dem großentheils patriotisch
gesinnten Klerus zu fürchten. Nur das Hoheitsrecht der ungarischen
Könige,
1 Andreae
die Bischöfe
III. Decret.,
und hohen
Art. 7.
Prälaten
— 2 „Den
zu ernennen,
Edelleuten
undstehe
das Wahl-
es frei
in die Dienste eines Herrn, den sie selbst wählen, zu treten; der Mächtige
aber, der sie ihm zu dienen mit Gewalt oder Macht zwingt und deshalb ihrer
Person oder ihrem Vermögen Schaden zufügt, ver'alle durch die That selbst
dem Kirchenbann; und sobald es der König erfährt, ist er verpflichtet, solche
Unterdrücker zu verfolgen und die gebührende Strafe über sie zu verhängen."
Constitutiones per praelatos et nobiles etc. 1298 factae, \vt. 27, bei End
licher,
Feßler.S.X. 637.
Jl
482 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt,
Hang., I, 67. Epist. ejusdem ad Praepos. et Capit. Strigon., 7. Oct. 1205, bei
Koller, Hist. episcop. QEccl., I, 322. — 2 Epist. Honorii III. ad Andream,
4. Sept. 1225, bei Katona, V, 4S5. — 3 Epist. Honorii III. ad. eppos. Vaciens.
et Agriens., 17. Mart. 1225, bei Schmitsch, Eppi Agriens., P. I. in Clest.
Epist. ejusdem ad Capit. Srtigon., 26. Sept. 1225. — 4 Epist. Innocentii IV.
ad Benedictum Colocz, bei Peterfy, Concil. Hung., I, 80. — 5 Epist. Inno
centii IV., 30. April 1249, bei Parlatus, Illyrie. sacr., III, 273. Thomas
Archidiac, Hist. Salonit., Kap. 48.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 483
erste Ungar, dem dies widerfuhr, von Innocentius IV. zum Cardinal-
bischof von Palästrina ernannt worden war, wählte das graner Kapitel
mit Zustimmung des Königs den Erzbischof von Kalocsa Benedictus zu
seinem Nachfolger; Vancsa aber wollte den kanonischen Rechten zu
wider zugleich das ungarische Erzbisthum behalten und ward vom Papst
in seinem Vorhaben unterstützt. Allein Bela , der froh war, des hoch-
müthigen Mannes los zu sein, und nicht zugeben konnte, daß derselbe die
reichen Einkünfte der höchsten ungarischen Kirchenwürde auch im Aus
lande weiter beziehe, um von dort aus seinen Einfluß zur Förderung päpst-
lich-hierarchischerTendenzen wahrscheinlich noch mehr als bisher zu mis-
brauchen, schrieb so oft und so ernstlich deshalb an den Papst, bis
Vancsa auf den graner Stuhl verzichten mußte und Benedictus denselben
einnahm. x Als Bela 1259, da ihm der Mongolenkhan Nogai ein Bünd-
niß angetragen hatte (siehe oben), den Papst Alexander IV. warnte,
das ungarische Volk nicht durch eigenmächtige Ernennungen zu geist
lichen Würden zu reizen, versprach dieser zwar, künftighin davon ab
zustehen ; allein schon seine nächsten Nachfolger maßten sich das Recht
hierzu abermals an. Das agramer Domkapitel erkor 1264 Stephan
Vancsa, des Cardinals Neffen, zum Bischof; Papst Urban IV. verwarf
die Wahl, weil der Gewählte das gesetzliche Alter noch nicht erreicht
hatte, versagte auch einer zweiten, die auf den Propst von Stuhlweißen
burg, Parkas (Wolfgang), gefallen war, die Bestätigung und ernannte
selbst den agramer Domherrn Timotheus, der gerade in Rom weilte,
zum Bischof von Agram. Auch sein Nachfolger Clemens IV. hielt die
Ernennung ungeachtet aller Protestationen Bela's aufrecht. 2 Papst
Nikolaus III. gab seinem Legaten Philipp 1279 den Auftrag, den groß-
wardeiner Bischof Wladimir zum graner Erzbischof zu ernennen ; Kö
nig Ladislaus IV. und das Domkapitel widerstanden eine Zeit lang,
aber Philipp wußte die Zustimmung beider zu erzwingen. 3 Wie und
in welcher Absicht endlich Bonifacius VIII. 1297 den Franciscaner
Peter zum Erzbischof von Spalatro ernannte, wurde bereits oben
erzählt.
Weniger als andern Reichen fielen die Päpste dem ungarischen
durch ihre Legaten lästig; und die dort erschienen waren genöthigt,
sich mit Behutsamkeit und Schonung zu betragen, weil sie sogleich auf
heftigen Widerstand stießen, sobald sie die Schranken der Mäßigung
überschritten. Freilich Gelderpressungen unter verschiedenen Namen, als:
Christenstcuer oder Hülfeleistung für das Heilige Land, Entrichtung des
zwanzigsten Theils von den Einkünften größerer Pfründen, Erhebung
von Gebühren für Indulgenzen, Breven und Bullen, von Palliengeldern
u. s. w., mußte Ungarn wie andere Länder, wenn auch nicht in gleichem
Maße, 1 Epistolae
erdulden,Belae
undIV.
erfolgreich
ad Innocentium
waren IV.,
im ganzen
11. Mai die
undBemühungen
Oetober 1252, der
bei
raums die ungarischen Bischofssitze ein. Die Verdienste, welche sich meh
rere unter ihnen um den Staat erworben, wurden bereits im Verlaufe un
serer Erzählung erwähnt; viele wirkten aber auch mit Eifer für die Be
lebung des sittlich - religiösen Sinnes, unterhielten Schulen, sorgten für
bessere Dotirung des oft in Armuth schmachtenden niedern Klerus und
bemühten sich, dessen Mitglieder geistig und sittlich zu heben. Unter
diesen verdienen vorzüglich genannt zu werden: die Erzbischöfe von
Gran Stephan Vancsa, Benedictus II. und Wladimir; von Kalocsa
Ugrin, Smaragd, Emerich und Stephan II.; die Bischöfe von Agram
Stephan, Timotheus und Antonius; von Bosna Johannes Teutonicus
und Hieronymus Pausa; von Raab Ugrin, Georg und Theodor; von
Sirmien Oliverius; von Csanäd Antonius; von Großwardein Emerich ; von
Neitra Jakob ; von Weszprim Paul ; von Siebenbürgen Raynald. Fast alle
warenDoctoren der Universität von Bologna oder Paris, die meisten könig
liche Kanzler. Leider fehlte es jedoch auch nicht an unwürdigen Priestern.
Der Propst von Stuhlweißenburg Michael trieb Handel mit Pfründen,
veräußerte
1 Chronic.
die Salisburg.
Besitzungen
ad ann.
des 1279,
Stifts bei
undPez,
aushandelte
Script. Austr.
grausam
, I, 881.
seine
—
Hörigen, bis ihn endlich 1240 das Kapitel mit Hülfe des Königs ab
setzte. 1 Reicher als alle übrigen Bisthümer war das erlauer; dennoch
schmälerte Bischof Lambert zu Anfang der zweiten Hälfte des Jahr
hunderts die Einkünfte des Kapitels und entzog den Pfarrern ihren
dürftigen Unterhalt. 2 Doch alle schlechten Priester übertraf an Ver
ruchtheit der Bischof Hiob von Fünfkirchen; des Wuchers mit Pfrün
den, der Verschwendung des Kirchenguts, des Meineids, der Unzucht
und Blutschande mit der eigenen Mutter, der Tochter und zwei Schwe
stern überwiesen, von den graner Erzbischöfen in den Bann gethan und
wiederholt nach Rom citirt, wußte er 25 Jahre lang der Verurtheilung
und Strafe zu entgehen; ja, Gregor X. gab ihm sogar 1273 den Auf
trag, für das angesetzte General -Concilium über den Zustand der un
garischen Kirche Bericht zu erstatten. 3 Doch welcher Stand hätte
nicht auch unwürdige Mitglieder! Im ganzen kann man den höhern
ungarischen Prälaten jener unruhvollen Zeit , wenige ausgenommen
namentlich das Lob patriotischer Gesinnung nicht absprechen; sie' gaben
sich dem Papste in Staatssachen nicht zu blindep Werkzeugen hin , sie
machten mit den aufstandischen Großen nie gemeinschaftliche Sache
sondern suchten, wenn Zwietracht und Bürgerkrieg ausbrach, Frieden
zu stiften, und wandten auf den Reichstagen und in wichtigen Staats
geschäften
Nebenihre
denKenntnisse
Benedictinern,
zum Wohle
Prämonstratensern
des Vaterlandes
und an.
Cisterciensern
genoß, zeichnete er sich nicht immer durch ernste Zucht und Sittlich
keit aus. Die ungarischen Klöster der Cistercienser z. B. waren in so
tiefen1 Epist.
sittlichen
Gregorii
Verfall
IX.,gerathen,
bei Katona,
daßV,
der883.
General
— 2 -Abt
Kpist.Wilhelm
Innncentü1230
IV.,
den Äbt von Claicvaux Radulph absandte, damit er durch die strengsten
Maßregeln die untergegangene Zucht und Ordnung in denselben wie
derherstellte. 1 Ein Sendschreiben Gregor's IX. von 1241 schildert
das Leben der Benedictiner mit grellen Farben ; sie liefen , heißt es
darin, als Possenreißer und Landstreicher umher und wälzten sich
in Lastern, daher gebe er dem Erzbischof Matthias von Gran den Auf
trag, die Klöster des Ordens zu visitiren, sie zu ihrer ursprünglichen
Regel zurückzuführen und, wenn sie sich nicht besserten, Cistercienser
oder Prämonstratenser an ihre Stelle zu setzen. 2 Der verheerende
Mongolensturm wirkte läuternd auf die alte Mönchswelt; viele Klöster
wurden zerstört, ihre Landbesitzungen verwüstet und ihre Reichthümer
vernichtet, die Noth zwang sie, wenigstens für die nächste Zeit der
Ueppigkeit zu entsagen. Aber auch die Eifersucht, welche durch den
steigenden Einfluß und Ruhm der Bettelmönche bei den altern Orden
geweckt wurde, trieb diese sowol zur strengern Beobachtung ihrer Re
geln und des äußern Anstandes als auch zu regerer Thätigkeit für Kirche
und Schule.
Die beiden Mendicantenorden, die Franciscaner und Dominicaner,
noch von dem Eifer neuer Institute beseelt und von allgemeiner Gunst
getragen, standen damals in ihrer höchsten Blüte und wirkten auch
in Ungarn all das Gute und Schlechte, das ihnen die Geschichte
nachsagt. Sie empfahlen sich durch den Schein grösserer Heiligkeit,
es gab unter ihnen Männer, die sich mit Emsigkeit und Erfolg den
Wissenschaften widmeten; andere wurden die Gewissensräthe der Gro
ßen und schwangen sich zu den höchsten Kirchenwürden empor. Doch
den größten Einfluß übten sie auf das gemeine Volk; zum Theil schon
durch Ursprung und Sitte den untern Ständen näher verwandt, zogen
sie predigend und bettelnd umher und befriedigten die religiösen Be
dürfnisse der Menge; aber täglich neue Wunder erdichtend und ihren
geistlichen Kram ausspendend, nährten sie auch den Aberglauben und
geistlosen Ceremoniendienst. Dazu stifteten sie durch Bekehrungseifer
und verfolgungssüchtige Unduldsamkeit gegen Andersglaubende viel
Unheil; sie hauptsächlich ermahnten und drängten dazu, daß die moham
medanischen Ungarn, die Kumanen, die Patarener und die Bekenner
der griechischen Kirche mit schonungsloser Härte zur Annahme des
römischen Glaubens gezwungen und dadurch zur Empörung und zum
AbfallDie
aufgereizt
Provinzial-Synode,
wurden. zu welcher Cardinal Guido als päpstlicher
Legat 1267 die Geistlichkeit der östlichen Reiche nach Wien berufen
hatte, erließ für Ungarn 19 Decrete. Zehn derselben ordnen an: kei
nen, der nach den kanonischen Gesetzen die Weihen nicht empfangen
darf, keinen, dernicht in den kanonischen Zeiträumen zu den höhern
Graden befördert worden, keinen, der die Gunst des Königs erschlichen
oder sich der Simonie schuldig gemacht, zum Bischof zu wählen;
ohne1 des
Martene,
Papstes
Thesaur.
specielle
Anecdot.,
Erlaubniß
IV, 1342.
keinen
— Bischof
2 Epist. auf
Gregorii
ein anderes
IX. ad
Polen beschickt, hielt der päpstliche Legat Philipp, wie schon oben
erwähnt worden, 1279 zu Ofen ab. Neunundsechzig Satzungen der
selben sind auf unsere Tage gekommen, in denen sich ein mönchisch
hierarchischer Geist kundgibt. Sie enthalten Vorschriften über die Ton
sur und Kleidung der Geistlichen bei Amtshandlungen, im öffentlichen
Leben und im Hause; verbieten ihnen, an Raub, Plünderung, Mord
brennerei und Aufständen theilzunehmen und in Kriegen persönlich zu
kämpfen, Bluturtheile zu fällen, Fehdebriefe zu schreiben, chirurgische
Operationen, die Brennen und Schneiden erfordern, auszuüben und bei
den Ordalien mit kaltem oder siedendem Wasser und mit glühendem
— 602.
Innere Zustände unter'den letzten Arpaden. 489
bei Dobner, Mom1m., II, 341). — 2 Concil. Lateranense IV, can. 9. — 3 Epist.
Honorii III., bei Katona, V, 348.
490 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
über bitter in einem Schreiben an den Erzbischof von Rouen ; bei Matthäus
Paris, Hist. major ad anu. 1233. — 2 Farlatus, Illyric. sacr. IV. Epistolae
Gregorii IX., bei Katona, V, G6 fg. — 3 Pray, Specimen hierarch., II, 362.
Katona, V, 538 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 491
den in der ungarischen Sprache dem sogenannten Vor- oder Taufnamen als
Adjective vorangestellt, daher entstand der Gebrauch, alle die Familien
namen, als sie allgemein üblich wurden, voranzustellen, z. B. Deak Fe-
rencz, Franz Deäk. — 2 Goldene Bulle, Art. 24. — 3 Andreae III. Decret.
v, 1291, Art. 4. — * Epist. Clementis IV. ad regem Hung. , bei Katona,
VI, 448.
492 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
Jobagyen der Burg Bolondocz 1, 1268 die Brüder Csäk, Hörige der
Burg Bihar 2, 1272 Micnael und Nikolaus Gosztoni 3 zur Belohnung
ihrer Tapferkeit, außerdem wie bereits erwähnt wurde, selbst Ort
schaften und ganze Districte in den Adelstand erhoben. Zugleich ver
schenkten Bela IV. und Andreas III. mit kluger Freigebigkeit wüste
Ländereien und Waldungen mit der Verpflichtung, dieselben urbar zu
machen und zu bevölkern; unter andern erhielten von Bela IV. Jordan,
Sohn Arnold's, des Grafen der zipser Sachsen und Stammvater der Fa
milie Görgey, einen Theil des zipser Waldes am untern Laufe des Po
perflusses * und Botisz den öden Wald Csetene unter den höchsten
Spitzen der Tatra 6; von Andreas III. Meister Sinka den wüsten Wald
Asgüth 6 in der säroser Gespanschaft. 7 Die Empfänger solcher
Schenkungen beriefen theils aus der Nachbarschaft, theils aus dem Aus
lande Ansiedler, denen sie die Rechte freier Leute und verschiedene
Begünstigungen zusicherten, und bald entstanden Ortschaften und die
finstern Urwälder verwandelten sich in Ackerland und Wiesen. Sonst
war Bela in den ersten Jahren seiner Regierung im Schenken von Land
gütern sparsam , später jedoch ward er durch gehäufte Verlegenheiten ge-
nöthigt, in dieser Hinsicht seinen frühern Grundsätzen untreu zu wer
den; Ladislaus ging mit Vergabungen höchst verschwenderisch um, und
Andreas III. fiel die schwierige Aufgabe zu, was sein Vorgänger an Un
würdige
Dervergeudet
Unterschied,
hatte,welchen
wieder zurückzufordern.
das Gesetz Koloman's zwischen den
— 565. — 2 Daß das Los der Hörigen dieser Klasse in den Tagen der letz
ten Arpäden wenigstens der Hauptsache nach mit der obigen Angabe über
einstimmte, läßt sich ans der bereits angeführten siebenbürger Urkunde bei
Graf Teleki, Zeitalter der Hunyaden, X, 3 — 10, mit einiger Sicherheit sehlie
ßen; denn in derselben wird ausdrücklich gesagt, daß sie die erwähnten
Hechte und Verpflichtungen kraft der Gesetze und Anordnungen König Ste-
phau's und seiner Nachfolger noch vor nicht langer Zeit hatten. Zwar Ste
phan konnte das Verhältniß zwischen Grundherren und Hörigen, welches da
mals noch gar nicht bestand, nicht regeln, aber gewiß geschah es unter den
spätem Königen, als sich dieses Verhältniß zu gestalten anfing, und in Sie
benbürgen und Ungarn in gleicher Weise, da das erstere die Gesetze und
jedesmaligen Einrichtungen des Hauptlandes annahm. — 3 Regestrum de
Värad, Nr. 80, 88.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 495
Daneben gab es freilich noch viele, die an die Scholle gebunden waren,
und selbst Sklaven, die verkauft und verschenkt, aber auch häufig frei
gelassen wurden. Oft schenkte man Sklaven den Kirchen und Klöstern,
damit sie diesen zum Seelenheile ihres vorigen Herrn gewisse Abgaben
und Dienste leisteten und Messen feiern ließen,, sie wurden deshalb nach
dem slawischen „duch" (Seele), „Duschenitzen" genannt.1 Die verschie
denen Abstufungen der Hörigkeit anzugeben und ein nur einigermaßen
vollständiges Bild derselben zu entwerfen, ist unmöglich, da genauere
Nachrichten und Urkunden fehlen. Und wie verschieden mögen Zufall
und Willkür das Schicksal der Hörigen an verschiedenen Orten ge
staltet haben ! Ueberhaupt war das Verhältniß der Herren und Hörigen
zueinander erst in der Ausbildung begriffen und zeigt die allen wer
dendenUmZuständen
so deutlicher
eigenthümliche
ist das Licht,
Unfertigkeit.
welches uns über die Lage der
Juden in Ungarn der Freibrief gibt, den ihnen Bela IV. 1251 ertheilte
und den wir seiner Merkwürdigkeit wegen hier im Auszuge mittheilen.
„Da wir wollen", lautet die Einleitung, „daß in unserm Reiche jeder
mann, weß Standes er immer sei, unsere Huld und Gnade empfinde,
verleihen wir sämmtlichen in unserm Lande befindlichen Juden folgende
unverletzlich zu beobachtenden Rechte." . . . Ein Jude darf auf das
Zeugniß eines Christen nicht verurtheilt werden, sondern neben dem
Christen muß noch ein Jude gegen ihn aussagen, außer die Sache wäre
so offenkundig, daß sie keines Beweises weiter bedürfte. . . . Ein Jude
darf jede Sache in Pfand nehmen, doch Kirchengewänder nur von dem
Prälaien der Kirche, und blutige Kleider gar nicht. . . . Der Jude, der
angeklagt wird, daß er das Pfand ableugne oder eine größere Summe
als die geliehene dafür fordere, oder dasselbe vor der Zeit verkauft
habe, kann, sobald die zwei erforderlichen Zeugen gegen ihn fehlen,
sich durch einen Eid reinigen, und der Christ muß die Schuld nebst
den Gerichtskosten zahlen. ... Juden, die widereinander klagbar wer
den, sollen nicht von dem Richter der Stadt, in der sie wohnen, sondern
vom König oder dem Obersten Kanzler ihr Urtheil empfangen. . . . Dem
Juden, der mit Brief und Siegel beweist, daß er einem Magnaten auf
dessen Landgut Geld geliehen habe, wird der König dieses Landgut zu
weisen, ihn gegen jede Gewaltthätigkeit schützen und dieEinkünfte davon
ziehen lassen, bis sich ein Christ findet, der das verpfändete Landgut
auslöst. . . . Der Christ, der dem Juden sein Pfand mit Gewalt abnimmt
oder in dessen Hause Gewaltthätigkeiten begeht, soll als Frevler gegen
die königliche Kammer schwer gestraft werden. . . . Wer einen Juden
verwundet, zahle dem König die gesetzmäßige Strafe und dem Ver
wundeten zwölf Mark Silber nebst den Kosten der Heilung. . . . Der
christliche Mörder eines .luden empfange die verdiente Strafe, und sein
ganzes Vermögen werde für den König eingezogen. . . . Die Juden dür
fen im ganzen Lande frei reisen und handeln , sie sollen nirgends einen
höhern Zoll entrichten als die andern Einwohner ihrer Stadt. . . . Sie
dürfen
1 Regestrum
ihrer Sittedegemäß
Värad,ihre
Nr. Todten
132, 142,
von341.
Ort zu Ort führen, und es ist
49G Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
ihrem
welcher
bei
Zoll schwerer
zuRichter
Juden
erheben
Strafe
wohnen,
anderthalb
verboten,
Werausdie
Mark
Feindseligkeit
Schulen
bei dieser
Sollte
derGelegenheit
nicht
Juden
der Richter
nach
frechdem
von
bewirft,
derihnen
Inhalt
Stadt,
zahle
einen
diein
Patak, Olaszi und Olaszi-Liszka nieder und fingen dort an den edeln
Wein zu erzeugen, der unter dem Namen Tokayer berühmt wurde. x
Auch in andern Gegenden des Landes nahm die Zahl der Weinpflanzer
zu und veredelte sich das Gewächs durch sorgfältigere Pflege, sodaß
schon zu Bela's Zeiten eine große Menge Wein ausgeführt wurde und
die Weinberge einen verhältnißmäßig hohen Preis hatten. 2 Zugleich
blühte auch die Viehzucht auf, wie aus den in Urkunden häufig erwähnten
Schenkungen von Viehheerden und der beträchtlichen Ausfuhr von Scha
fen, Rindern und Pferden ersichtlich ist. Den Zehnten von den Gestüten
sammelte der Bischof von Erlau mit der Verpflichtung, die Füllen auf
seinen ausgedehnten Landgütern für den Kronprinzen aufzuziehen,
damit dieser, wenn er König wird, eine hinreichende Menge Pferde
vorfinde. 3 Endlich war auch der Fischfang ergiebig und lieferte einen
wichtigen
Der Handelsverkehr,
Handelsartikel. 4 der im 13. Jahrhundert in Ungarn, trotz der
vielen äußern Kriege und innern Unruhen stattfand, setzt uns durch
seine Ausdehnung in Verwunderung. Die Donau war die große Straße,
auf der die Waaren aus Konstantinopel und Asien nach Deutschland,
Polen und Rußland, und die Erzeugnisse der letztern Länder nach den
Handelsplätzen des Orients geführt wurden. Aber auch die ungarischen
Märkte wurden von italienischen, deutschen, französischen, polnischen
und russischen Kaufleuten fleißig besucht; hierher brachten sie die
Waaren ihrer Heimat und kauften wiederum die Natur- und Kunst-
producte Ungarns. Der wichtigste Stapelplatz des Handels war Gran,
das nach seiner Zerstörung schnell wiederaufgebaut und von Fremden
aus verschiedenen Ländern erfüllt wurde; doch hatten auch andere
Städte stark besuchte und privilegirte Märkte, in Ofen z. B. wurde der
Markt jährlich vom 9. bis 17. Sept. gehalten. Weder der Palatin noch
ein anderer Reichsbaron durfte befehlend einschreiten, die ganze
Marktgerichtsbarkeit stand ausschließlich dem ofener Stadtrichter zu;
die feilgebotenen Waaren, woher immer sie kamen, waren zollfrei,
und von den Schiffen, solange sie dort ankerten, wurden keine Ab
gaben erhoben. 6 Aber solche Zollfreiheit war nur das Privilegium ein
zelner Städte und Märkte; im übrigen lasteten schwere Besteuerungen
auf dem Handel: an den Grenzen erhob der König Ein- und Ausfuhr
zölle, und in Gran mußte jede Waare, die hinauf- oder hinabging,
eine Abgabe an das dortige Kapitel entrichten. Dieses forderte
namentlich von jedem Ballen Tuch za vierzig Stücken eine Mark Silber;
die Kauflente aus Venedig, Frankreich und den Ländern jcnseit des
Rheins zahlten die drückende Abgabe, aber andere, besonders die
Deutschen, weigerten
1 Testament sich, ihre Ballen
des Obergespans zu öffnen,
von Zips und Wilhelm
und Ujvar wollten jeden Ballen
Drugeth, bei
nur mit einem Grosehen verzollen; andere umgingen die Zollstätte auf
Nebenwegen. Als nun König Ladislaus in Gran Besserung geloben
mußte, bewogen ihn „seine Brüder, das graner Domkapitel", ihnen von
den Kaufleuten jeder Nation eine Mark für den Ballen Tuch, eine
zweite Zollstätte zu Raab für alle, die Gran umgehen würden, und
einen neuen, wahrscheinlich erhöhten Zolltarif zu bewilligen. 1 Ueber-
dies erpreßten noch die Reichsbarone und andere mächtige Dynasten
von den Handelsleuten, die durch ihre Besitzungen zogen, willkürliche
Abgaben , die zwar strenge untersagt wurden ä, aber bei der da
maligen Machtlosigkeit des Gesetzes kaum aufgehört haben mögen.
Ungeachtet aller dieser Bedrückungen und Gefahren gedieh indessen der
Handel; die Großen, welche die Waaren kauften, mußten alle Zölle und
Verluste bezahlen, und die emsigen Bürger verfügten über mehr Geld
als die meisten unter dem Adel. Mußte doch der kaschauer Stadtrichter
Arnold selbst für den reichen Wilhelm Drugeth über 116 Mark gutstehen.
Unter den Künsten erhob sich vornehmlich die Baukunst zu nicht
geringer Blüte. Die Burgen und Paläste, welche die Großen bauten,
und die Klöster, die für die vielen Mönchsorden errichtet wurden, gaben
ihr Gelegenheit und Mittel, sich zu höherer Vollkommenheit zu ent
wickeln. In den Kirchen schuf sie ihre schönsten Werke. Noch
stehen einige Denkmäler aus dem 11. und 12. Jahrhundert, aus der
Zeit, wo der sogenannte gothische Stil sich zu gestalten anfing: die
Hauptkirchen in Skalitz, Agram, Presburg und Bartfeld und die des
heiligen Benedict in Bars. Im 13. Jahrhundert, nach dem Abzug der
Mongolen, zwang theils die Nothwendigkeit, das Zerstörte wiederher
zustellen, theils trieb das vermehrte Bedürfniß sowie der Drang, Schö
nes und Bleibendes zu schaffen , der mit der zunehmenden Bildung im
mer mächtiger wurde, zum Aufführen neuer Bauwerke. Aber was die
Prachtliebe und Frömmigkeit in den gesegneten Fluren des Unter
landes, in den königlichen Residenzen, an den Sitzen der reichen Prä
laten und in den blühenden Städten damals hervorgebracht, das ist fast
insgesammt durch die Zeit und noch weit mehr durch die barbarische
Hand der Türken in Schutt und Trümmer verwandelt worden und liegt
jetzt im Schose der Erde begraben ; nur einiges, wie die Kapelle der hei
ligen Anna in Stuhl weißenburg und die Hauptkirche in Ofen, unter
Bela IV. erbaut , ist verschont geblieben. Dagegen stammen die meisten
der noch stehenden alten Kirchen in den Städten des Oberlandes, die
leutschauer, eperieser, igloer, die kaschauer Kapelle des heiligen Mi
chael und viele andere, aus diesem Jahrhundert her, alle mehr oder
weniger kunstvoll in dem schon ausgebildeten gothischen Stile gebaut.
Unter Stephan V. begann der Bau des kaschauer Doms, des groß
artigsten und edelsten, leider nicht gänzlich vollendeten gothischen
Kunstwerks, das Ungarn aufzuweisen hat; zur Zeit Ladislaus' IV.
wurde in Presburg die älteste unter den drei Franciscanerkirchen er-
1 Ladislai IV. reg. Declaratio telonii Strigoniensis et ejusdem Moderatio
telonii Strigoniensis vom Jahre 1287, bei Endlicher. — 2 Andreae III. De-
crel., Art. 17, und Andreae III. Abolitio tributorum , vom Jahre 1297,
bei Endlicher, S. 629 fg.
Innere Zustände unter den letzten Arpäden. 499
baut, sie ist zwar viel kleiner als die vorgenannte, aber in gleich edelm
Stil gehalten. Von den Werken der mit der Baukunst so innig ver
knüpften Bildhauerei sind nur einige Bruchstücke, von der Malerei aber
ist gar
Dienichts
verwüstenden
aus diesemEinfälle
Zeitalter
barbarischer
auf uns gekommen.
Völker, die vielen Kriege
mit den benachbarten Staaten und die sich fort und fort erneuernden
innern Unruhen mußten der Pflege der Wissenschaf ten höchst nach
theilig werden; die von dem Geräusche und Schrecken der Waffen be
täubten Geister konnten nicht Zeit finden, nicht den Math haben, sich
dem stillen Dienste derselben zu widmen; sie mußten in mächtiger Auf
regung um das Leben und um dessen unentbehrlichste Güter kämpfen.
Demungeachtet machte das ungarische Volk auch in dieser bedrängniß-
vollen Zeit Fortschritte in seiner geistigen Ausbildung. Die Schulen, die
an den Bischofssitzen und in den Klöstern bestanden, wurden durch die
neueingeführfen Orden bedeutend' vermehrt; auf den kleinern lehrte
man das Trivium (Grammatik, Arithmetik und Geometrie), auf den
größern das Quadrivium oder sämmtliche freien Künste (also außer den
vorhergenannten noch Musik, Astronomie, Dialektik und Rhetorik);
sodann gab es noch sogenannte Studia theologica zur Heranbildung der
Geistlichkeit, unter denen das erzbischöfliche zu Gran und das der
Dominicaner zu Raab Berühmtheit erlangten. Unter allen Lehranstalten
nahm das Studium generale zu Weßprim den obersten Platz ein; hier
trugen funfzehn Doctoren Theologie, römisches und Kirchenrecht
vor; ihm fehlte zu dem Range einer Universität, deren es damals über
haupt nur zwei, die zu Paris und zu Bologna, gab, nichts als die Berech
tigung, akademische Grade zu ertheilen. Auch maugelte es, obgleich
die Bücher kostbar und selten waren , nicht an Bibliotheken ; am könig
lichen Hofe befand sich eine, die unter der Aufsicht des Oberstschatz
meisters stand ; die Bischofssitze , die Klöster und besonders die höhern
Schulen hatten ihre Büchersammlungen, aber auch Privatmänner legten
einen hohen Werth darauf, wenigstens einige Werke zu besitzen. _ Frei
lich waren diese Bibliotheken nicht so bändereich als viele in andern
Ländern, sie bestanden großentheils aus Legenden und ascetischen
Schriften. Das theuerste Buch war im Mittelalter die Bibel in der
alten lateinischen Uebersetzung, theils wegen ihres beträchtlichen Um-
fangs, theils wegen der größern Genauigkeit, die man beim Abschreiben
derselben verwandte, am meisten aber wegen der mühsamen und präch
tigen Verzierungen, mit denen die Handschriften geschmückt wurden. Vid
von Güthkeled verlor eine Bibel, die er aus dem csatärer Kloster geliehen
hatte,Die
undLehranstalten
gab zum Ersatz
wurden
für dieselbe,
nicht allein
1263,von
ein solchen
und ein besucht,
halbes Dorf.
die
sich dem geistlichen Stande widmen wollten, sondern auch von Welt
lichen, die nach Bildung strebten. Daher begegnen wir in diesem
Zeitalter unter den vornehmen Herren so vielen, die den Titel Ma
gister, Meister der freien Künste, führen; denn alle, die an höhern
Schulen Unterricht genossen hatten , wenn auch ihre Kenntnisse nicht
viel weiter reichen mochten, als daß sie lesen und schreiben und das
damals übliche Latein sprechen konnten, nahmen diesen Titel an, der
500 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt.
rischen National-Literatur), I, 50
Druck von F. — 61.
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Berichtigungen.
Seite ,16, Zeile 22 v. o., statt: der, lies: den
» 31, » 8 v. o., st.: altaischer, I. : altaischen
» 3:3, 11 11 v. o., st.: knute, 1.: knnte
» 35, » 24 v. o., st.: Horväth, 1.: Stephan Horvath
» 35, » 4 v. u., st.: Vembery, 1.: Vämbery
» 37, >) 10 v. u., st.: pärg, 1.: püng
» 37, » 6 v. u., st.: vilmä, 1.: silmä
» 37, 1> 4 v. u., st.: sem-vil, 1.: sem-vit
» 38, )1 8 v. o., st.: makva, 1. : maksa
» 38, » 22 v. o., st.: tant, 1. : taut
)> 38, » .25 v. u., st.: varan, 1. : zaran
» 48, » 4 v. o., st.: Petseheneger, 1 : Petschenegen
» 48, » 5 v. o., st.: Pazinacitae, 1. : Bisseni
« 48, » 6 v. o., st.: Bisseni, I. : Pazinacitae
» 54, » 22 v. o., st : wo der, 1.: wo sich der
» 61, » 15 v. u., st.: wird, 1.: ward
» 86, » 3 v. u., st.: Karl Martell , 1. : Karl den Großen
» 122, » 24 v. o., st.: Mislingen, 1.: Gelingen
»132, » 4 v. o., st.: der, 1,: den
» 150, » 6 v. o., st.: Tula, 1.: Tuln
)) 180, » 6 v. u., st.: Luius, 1.: Lucius
» 189, » 25 v. o., st. : Ordalen, 1.: Ordalien
» 228, » 5 v. o., st.: Olesava, 1.: Olcsava
» 2d5, » 19 v. o., st.: nur, 1.: nun
» 238, » 5 v. u., st.: andere, 1.: arader
» 259, » 21 v. n., st.: läßt, 1.: lassen
» 268, » 1 v. o., st.: hatten, 1.: hätten
» 284,' » 19 v. u., st: neherek, 1. : nehezek
» 285, » 20 v. o., st.: szelader, 1.: szalader
» 296, » 19 u. 29 v. o., st.: Wulkan, 1.: Wolkan
» 298, » 13 v. u., st.: Andreas, 1.: Emerich
» 306, o 15 v. o, st.: Ausland, 1.: Anstand
» 310, » 11 v. o., st.: Bärczaväg, 1.: Barczasäg
» 329, » 3 v. o., st.: Wolkun, I.: Wolkan
» 329, » 7 v. n., st.: Wolkun, 1 : Wolkan
» 367, » 12 t. o., st.: Feid, 1.: den Feind
» 370, » 12 v. o., st.: Thüröczi, 1.: Thüröcz
» 371, » 7 v. o., st.: Meszer, 1.: Meszeser
» 390, » 19 v. o., st.: Justiani, 1.: Justiniani
» 398, » 20 v. o., st.: ungarische, 1.: erstere
» 402, » 15 v. o., st.: VI., 1.: IV.
» 405, » 13 v. o., st.: . Denn Bela, 1.: , Bela
» 435, » 8 v. u., st.: Freher, 1.: Fejtr
» 445, » 26 v. o., st.: Szombatholy, 1.: Szombathely
» 489, 1) 3 v. u., st.: Saradiensem, 1.: Varadiensem
» 490, » 1 v. o., st.: ünioten, 1.: ünirten
» 494, » 9 v. o., st.: Inßigien,,!.: Jazigien
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Walter Schalllnp
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