Rainer Tetzlaff - Afrika
Rainer Tetzlaff - Afrika
Rainer Tetzlaff
Afrika
Eine Einführung in Geschichte,
Politik und Gesellschaft
Grundwissen Politik
Afrika
Eine Einführung in Geschichte,
Politik und Gesellschaft
Rainer Tetzlaff
Politische Wissenschaft
Universität Hamburg
Hamburg, Deutschland
Grundwissen Politik
ISBN 978-3-658-20252-1 ISBN 978-3-658-20253-8 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20253-8
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Vorwort
Das vorliegende Lehrbuch ist das Ergebnis einer beinahe lebenslangen Beschäftigung
mit einem faszinierenden Kontinent, den ich von 1963 bis 2015 auf zahlreichen Rei-
sen und Forschungsaufenthalten in etwa 40 afrikanischen Ländern kennenlernen
durfte. Vielfältige Begegnungen mit Afrikanerinnen und Afrikanern haben mich
wohl davon abgehalten, über Menschen und politische Regime, über wirtschaftli-
che Praktiken und kulturelle Eigentümlichkeiten in afrikanischen Gesellschaften
leichtfertige Pauschalurteile abzugeben. Dennoch sind zuweilen verallgemeinernde
Aussagen unvermeidlich, um kontextspezifische Muster von ‚Entwicklungen‘ oder
‚Fehlentwicklungen‘ benennen zu können. Dabei kann ich nicht ausschließen, dass
ich als Historiker und Politologe mit einer sozialisationsbedingten Prägung als
Europäer und Deutscher ‚wissenschaftliche Standpunkte‘ und Werturteile vertrete
– sicherlich oft auch unbewusst –, die kultur- und genderspezifische Färbungen
tragen. Man sieht die Realität fremder Kulturen durch ein spezifisches, keineswegs
universell gültiges Prisma (Schulz & Seebode 2010, S. 24f.), und dieser Art von
„historischer Verstrickung“ kann man wohl nicht entgehen, so dass meine hier
vorgenommenen Darstellungen und Deutungen gesellschaftlicher Wirklichkeiten
Afrikas kaum mehr als ein Dialogangebot – ein begründetes allerdings – sein können.
Um hier gegenzusteuern, habe ich mich bemüht, sowohl afrikanische Autorinnen
und Autoren, wo immer möglich und angebracht, zu Wort kommen zu lassen, als
auch Genderaspekte und die Forschungsergebnisse weiblicher Wissenschaftler ge-
bührend zu integrieren. Zum Beispiel wird das beinahe allgegenwärtige Phänomen
der politischen Korruption – das in den Fallstudien zu Gabun, Kenia, DR Kongo,
Nigeria, Mali, Simbabwe oder Südafrika eine prominente Rolle spielt – von einigen
afrikanischen Autorinnen und Autoren (M. F. Murove, African Ethics, Natal 2009)
anders bewertet (nämlich im kulturellen Kontext solidarischer und moralischer
Gemeinschaftswerte) als von vielen Autoren/innen mit westlicher Sozilisation, was
Konsequenzen für den europäisch-afrikanischen Entwicklungsdialog haben dürfte.
V
VI Vorwort
VII
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Erläuterungen zum Aufbau und Inhalt des Lehrbuchs . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Afrika – Europas Nachbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.3 Hinweise zur Literatur über Afrika –
einführende Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2 Entwicklungstheorien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.1 Einführung in die Geschichte des Entwicklungsbegriffs . . . . . . . . . . . 19
2.2 Theorien des wirtschaftlichen Wachstums und der
Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.3 Dependenz-Theorien und Theorie der autozentrierten
Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.4 Sozialistische Theorien der nachholenden Entwicklung . . . . . . . . . . . . 30
2.5 Bielefelder Verflechtungsansatz und gender-studies . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.6 Good Governance und Washington Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.7 Theorie der nachhaltigen Entwicklung: sustainable development . . . 37
2.8 Theorie des Developmental State (Entwicklungsstaates) . . . . . . . . . . . 39
2.9 Theorien über „Ressourcen-Fluch“ und „Rentierstaat“ . . . . . . . . . . . . . 42
2.10 Kulturkritische Entwicklungstheorien: culture matters . . . . . . . . . . . . 45
2.11 Empowerment, Self-Efficacy und „kulturelle Anpassung“ . . . . . . . . . . 48
2.12 Mikrokredite – ein Rezept gegen die Armut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.13 Postkoloniale Ansätze und post-development Ansätze . . . . . . . . . . . . . 55
2.14 Fazit: Entwicklung – die Diskussion geht weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
IX
X Inhalt
XI
XII Inhalt
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Abkürzungsverzeichnis
XIII
XIV Abkürzungsverzeichnis
ten Afrikas einmal Kolonien oder Protektorate europäischer Mächte gewesen und
sind von diesen jeweils unterschiedlich kulturell und sprachlich geprägt worden.
Unsere imaginierten Afrikabilder sind bunt und widersprüchlich, manchmal
konfus und rassistisch (Böhler & Hoeren 2003, Schulz & Seebode 2010, Köhler 2010,
Danner 2012) – wie nicht zuletzt afrikanische Intellektuelle klagten (Mbembe 2010,
Obenga 2010; Cichon, Hosch & Kirsch 2010). Gegenwärtig werden sie gerne von
großen Persönlichkeiten, die Geschichte machten, im Guten wie im Schlechten,
geprägt. Einerseits erinnern wir uns schnell an die bizarren Ungeheuer, im afrikani-
schen Volksmund auch als ‚Vampire-Eliten‘, ‚Krokodile‘ oder ‚Geier‘ tituliert (Nugent
2004, Ayittey 2005, Olopade 2014). Dazu gehören beispielsweise Idi Amin, Präsident
von Uganda, der ca. 300.000 Landsleute umbringen ließ (und dem der Schauspieler
Forest Whitacker im Film „Der letzte Kaiser von Schottland“ ein Denkmal setzte);
oder Präsident Joseph Mobutu, der in 37 Jahren kleptokratischer Präsidentschaft
Zaire (heute DR Kongo) wirtschaftlich zugrunde richtete und dabei mehr als 4
Milliarden US$ Staatseinnahmen veruntreut haben soll; oder der nigerianische
Putsch-Präsident Sani Abacha, der ebenfalls Milliarden Dollar Einnahmen aus
den boomenden Erdölexporten seines Landes an sich gerissen hat (Ellis 2016) und
der den mutigen Bürgerrechtler Ken Saro Wiwa, der sich gegen die ökologisch und
sozial ruinöse Erdöl-Ökonomie im Nigerdelta empörte, im Gefängnis umbringen
ließ; oder der vergreiste Diktator Robert Mugabe, der im November 2017 nach 37
Jahren im Amt von seinen Generälen entmachtet wurde und ein ruiniertes Land,
aus dem ein Viertel der notleidenden Bevölkerung in Nachbarländer hatte fliehen
müssen, hinterließ. All diese Tragödien gehören ebenso zu den vielfältigen Facetten
afrikanischer Wirklichkeit wie die spektakulären afrikanischen Erfolgsgeschichten:
Z. B. die der südafrikanischen Lichtgestalt Nelson Mandela, der nach 27-jähriger
Haft als politischer Gefangener des Apartheid-Regimes seinen Peinigern die Hand
zur Versöhnung ausstreckte; oder die Geschichte der kenianischen Umweltaktivistin
Wangari Maathai, die im Jahr 2004 als erste Frau Afrikas den Friedensnobelpreis für
ihren Kampf für ‚nachhaltige Entwicklung, Frieden und Demokratie‘ erhalten hat;
oder die der südafrikanischen Afro-Pop-Sängerin Miriam Makeba, die mit ihrem
bewegenden ‚Pata-Pata‘-Song weltberühmt wurde. Im Dunkeln bleiben dagegen
gewöhnlich die Leiden und Leistungen der Millionen von fleißigen Bäuerinnen,
Händlerinnen und Erzieherinnen, die unter unsagbar schweren Lebensumständen in
einer prekär gewordenen Überlebens-Ökonomie Tag für Tag damit beschäftigt sind,
ihre Familien durchzubringen (Tröger 2004, Eberlei 2009, Sy 2010, Dilger & Luig
2010, Schulz & Seebode 2010, Collier 2010, Tandon 2016, Tekülve & Rauch 2017).
Daher ist es angebracht, stets zwischen der sozialen Klasse der Herrschenden, die
in Afrika-Diskursen (als Machtelite, Staatsklasse, Patronage-Staat, neopatrimonialer
Staat, Versorgungs-Agentur, Gate-Keeper-Staat etc.) die verschiedensten Bezeich-
3
4 1 Einleitung
sich so schnell wie möglich ändern; denn ohne die Kenntnis einiger fundamental
wichtiger Bestandteile der (auch im Wandel begriffenen) afrikanischen Weltbilder
sind Denk- und Verhaltensweisen afrikanischer Zeitgenossen kaum zu entschlüsseln
(Mugambi & Getui 2004; Schulz & Seebode 2010, Beer 2017). Dies soll hier an zwei
Beispielen angedeutet werden. Religion, Kultur und soziales Leben sind im vorko-
lonialen wie auch heute im ‚postkolonialen‘ Afrika so eng miteinander verflochten,
dass religiöse Praktiken nur im sozialen Gesamtkontext verstanden werden können.
Und dieser ist durch das Gemeinschaftsziel geprägt, das Leben zu erhalten. Da dies
zu erreichen oft nur als die Summe von Gemeinschaftsanstrengungen möglich ist,
treten individuelle Ansprüche auf Selbstverwirklichung in den Hintergrund. Riten,
Feste, Symbole (darunter beispielsweise auch Masken) und mythische Erzählun-
gen festigen das Gemeinschaftsbewusstsein (Plankensteiner 2007; Heidemann
2011; Förster 2017); dabei helfen die allgegenwärtigen Ahnen, die Geister und die
Gottheiten. Von besonderer Relevanz für die Konstruktion der eigenen Identität
als Teil der Gemeinschaft ist der Glaube an die kausalen Beziehungen zwischen
der Welt der Lebenden und der Welt der Toten (Chabal & Daloz 1999, S. 66f.; Beier
1999, S. 85 f.; Heuser 2015; Beer, Fischer & Pauli 2017, S. 183 f.): Die Ahnen stehen
den Menschen am nächsten; nicht jeder Verstorbene wird automatisch zum Ahnen:
„Man muss ein vorbildliches Leben geführt haben, rituell ordentlich begraben sein
und eine angesehene Stellung gehabt haben“ (Sundermann 2001, S. 521). Auch in
Bezug auf den Begriff und die Praxis der Menschenrechte haben Afrikaner eine sehr
eigene Vorstellung entwickelt, die stark auf Werte wie Solidarität und Gemeinwohl
fokussiert sind (Bösl & Diescho 2009, Sandkühler 2011, Ruppel & Winter 2009).
Was Europäern oftmals auch nicht bewusst sein dürfte, ist die Tatsache, dass
auch postkoloniale Gesellschaften ein bemerkenswertes Maß an religiöser Toleranz
gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften praktizieren. So hat der kenianische
Politologe Ali Mazrui (1933-2014), der Direktor des Institutes für globale Kulturstu-
dien der Universität Birmingham war, darauf hingewiesen, dass beispielsweise die
muslimische Bevölkerung des Senegal einen christlichen Präsidenten gewählt und
wiedergewählt hat (Leopold Sedar Senghor) und dass sich in Tansania katholische
und muslimische Staatspräsidenten im Amt abwechselten (beispielsweise folgte
auf den Katholiken J. Nyerere der Muslim Ali Hassan Mwinyi). Ferner erinnerte
er an die historische Tatsache: „Afrika kannte keine Religionskriege, bevor Islam
und Christentum Einzug hielten. Aber gegenwärtig, wo Afrika seine eigenen Aus-
drucksweisen von Islam und Christenheit hervorgebracht hat, entwickelt es eine
ökumenische Haltung zur Religion und ist dem Rest der Welt darin weit voraus.
Afrikas ökumenischer Geist könnte zur Herausbildung einer globalen Ethik beitra-
gen“ (Mazrui 2009, S. 51; Hervorhebung von RT). Ebenso bewusstseinsfördernd
ist die Erkenntnis, dass der Islam in Afrika nur selten „die Ursache der Konflikte“
5
6 1 Einleitung
sei, dass aber Religion oft „als beste Interpretationskraft diene, ohne dass Religion
selbst den Konflikt generieren würde“ (Schulze 2006, S. 8).
Deshalb gilt es, die in den vergangenen 50 Jahren bereits entwickelten Formen
der interkontinentalen Zusammenarbeit zwischen Afrika und EU-Europa situations-
gemäß weiterzuentwickeln – eine Zusammenarbeit auf folgenden fünf Handlungs-
ebenen (siehe auch C. Hackenesch & N. Keijzer in Africa-Yearbook 2015, S. 21-33):
• Auf wirtschaftlicher Ebene: Nach wie vor besteht ein dominantes Eigeninteresse
der Europäer an den reichhaltigen afrikanischen Bodenschätzen und Verbrau-
cher-Märkten Afrikas. Auf afrikanischer Seite überwiegt das Interesse an Ent-
wicklungskrediten, Budget-Hilfen, Handelsverträgen, Zugang zu Märkten und
Teilhabe an technologischem und wissenschaftlichem Know-how. Der Umfang
der Finanztransfers aus Arbeitseinkommen der afrikanischen Wanderarbeiter
und Migranten an ihre Herkunftsländer ist bereits höher als die gesamte Ent-
wicklungshilfe, die nach Afrika fließt, im Werte von ca. 50 Mrd. Euro jährlich.
Der Wert der Finanztransfers wird allerdings durch die Kapitalflucht in ent-
gegengesetzter Richtung in Frage gestellt: Zwischen 1970 und 2014 betrug die
Kapitalflucht aus Afrika schätzungsweise 578 Milliarden US-$, davon405 Mrd.
$ aus Subsahara-Afrika (Ndikumana 2017, S. 6). Die Hauptursache dafür ist die
Über- bzw. Unterfakturierung beim Güterhandel, oder mit den Worten von
EZ-Minister Gerd Müller „die aggressive Steuervermeidung“ multinationaler
Konzerne (BMZ 2017, S. 8).
• Auf entwicklungspolitischer Ebene: Hier gibt es ein Interesse der Europäischen
Union an der politischen Stabilisierung und wirtschaftlichen Entwicklung der
afrikanischen Länder, wozu die Assoziierungsverträge (Lomé- und Cotonou-Ab-
kommen) und Economic Partnership Agreements (EPAs) dienen sollten, während
afrikanische Politiker ihr Interesse an finanziellen Budgethilfen, Handelsprivi-
legien und an der Unterstützung bei der Realisierung ihrer Entwicklungspläne
und Wirtschaftsprojekte verfolgen. Im Jahr 2016 haben die OECD-Staaten
insgesamt 142,6 Mrd. US $ Auslandshilfe für Entwicklungsländer budgetiert;
davon ging der Löwenanteil an Afrika. Deutschlands Bundesministerium für
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) lockte 2017 – in Konkurrenz zu
China – mit einem ‚Marshall-Plan mit Afrika‘ und auch das Finanzministerium
propagierte einen ‚Compact with Africa‘; ob sich daraus wirksame Strategien
entwickeln lassen, um den sieben entwicklungspolitischen Hauptübeln – nämlich
Kriegen, Korruption, Handelsdiskriminierungen seitens der Industrieländer,
Klimaturbulenzen, islamistischem Terror, organisierter Kriminalität sowie einem
kaum gebremsten Bevölkerungswachstum – Einhalt gebieten zu können, wird
sich erst noch zeigen müssen. Dadurch wird nur bei sehr wenigen Ländern mit
1.2 Afrika – Europas Nachbar 7
7
8 1 Einleitung
„Vor zwanzig Jahren waren die Menschen dort [in Afrika] in der Regel noch ärmer [als
heute]. Aber sie konnten nicht so gut sehen, wie wir leben, sie konnten nicht vergleichen.
Und sie konnten nicht so leicht weg. Die Digitalisierung macht einen großen Unterschied.
Heute kann sich nahezu jeder über jeden Ort der Welt informieren. Wenn man sieht, wie
es anderswo zugeht, wachsen auch die Wünsche. Dann kommen Familien auf die Idee,
wenigstens einen Angehörigen dorthin zu schicken, wo man ein gewisses Einkommen
erreichen kann, das dann vielleicht der ganzen Familie ein besseres Auskommen gibt.
So wie die Menschen in der Welt über uns immer besser Bescheid wissen, so müssen
wir uns umgekehrt mehr mit ihnen beschäftigen. Wir müssen vielmehr über Afrika
und die arabische Welt lernen. Stabilität in unserem Land hängt auch davon ab, dass
wir dort Hoffnung geben. Andererseits müssen wir auch darüber aufklären, dass der
scheinbar so schnelle und einfache Weg in ein besseres Leben mitnichten zwangsläufig
zu eben diesem besseren Leben führt. Wir müssen Menschen helfen, wenn sie vor Krieg
und Verfolgung fliehen, und noch mehr müssen wir ihnen dabei helfen, in oder nahe
ihrer Heimat bleiben zu können… Eines ist vollkommen klar: Die ganze westliche
Welt hat Afrika in früheren Epochen Entwicklungschancen geraubt, und zwar über
Jahrhunderte… Natürlich wächst daraus eine Verantwortung für uns… Wenn ich als
deutsche Bundeskanzlerin dafür sorgen will, dass es uns Deutschen gut geht, dass
die Europäische Union zusammenhält, muss ich mich auch darum kümmern, dass
es in Europas Nachbarschaft so zugeht, dass Menschen dort Heimat auch als Heimat
empfinden können. Konkret heißt das in unserer Zeit, dass wir uns in neuer Weise mit
Afrika befassen müssen. So ist das im 21. Jahrhundert“ (Angela Merkel, „Das Wohl
Afrikas liegt im deutschen Interesse“, in: Die Zeit vom 6. Oktober 2016, S. 3).
9
10 1 Einleitung
„Wenn Entwicklungshilfe in ihrer jetzigen Form je etwas genutzt hätte, dann würde
heute über ihre Reduzierung diskutiert statt über ihre Erhöhung…Dass es Europa
gelingen wird, den Flüchtlingsstrom aus Afrika zu stoppen, ist gleichwohl eine Illusion.
Dafür sind die Probleme auf dem Kontinent zu groß, das Bewusstsein darum zu gering
und die Zeit einfach zu knapp. Wir werden damit leben müssen, dass unsere Welt auf
absehbare Zeit deutlich afrikanischer geprägt sein wird“ (T. Scheen, „Wir werden
afrikanischer“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Oktober 2016, Seite 1).
11
12 1 Einleitung
rikas (304 S.). Siehe dazu auch Hermann Korte & Bernhard Schäfers (Hrsg.),
Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 2002, 6. Aufl. (269 S.).
• Der Politikwissenschaftler Jürgen Osterhammel – auch Autor des großartigen
Werkes Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2009,
3. Aufl., München (C.H. Beck) – hat eine theoretische Einordnung der Bildung
und Herrschaft von Kolonialreichen vorgelegt: Colonialism. A Theoretical Over-
view, Princeton 2005 (147 S.).
• Zur Dekolonisation Afrikas seien als englisch-sprachige Werke empfohlen
The Decolonization Reader, hrsg. von James D. Le Sueur, New York & London
2003 (462 Seiten). Er enthält Beiträge u. a. von Frederick Cooper, William Roger
Louis, Ronald Robinson, Martin Shipway, John Londsdale und Crawford Young.
Jüngeren Datums ist der Reader Decolonization and its Impact. A Comparative
Approach to the End of the Colonial Empires, hrsg. V. Martin Shipway, Malden/
USA etc. 2009 (269 Seiten). Von Frederick Cooper stammt die Monographie
Africa Since 1940. The Past of the Present, Cambridge 2006 (216 S.).
• Für das Verständnis des postkolonialen Diskurses unverzichtbar ist Peter Ci-
chon, Reinhart Hosch, Fritz Peter Kirsch (Hg.). Der undankbare Kontinent?
Afrikanische Antworten auf europäische Bevormundung. Hamburg 2010 (285
S.). Siehe auch Helmut Danner, Das Ende der Arroganz. Afrika und der Westen
– ihre Unterschiede verstehen, Frankfurt am Main 2012 (253 S.).
• Einen komprimierten Überblick über die heutigen Probleme Afrikas bietet die
englische Politologin Heather Deegan in ihrem Lehrbuch Africa Today. Culture,
economics, religion, security, London & New York 2009 (235 S.). Tiefe Einblicke
in Eigentumsrechte, Wahlen und Landkonflikte in Afrika gewährt Catherine
Boone, Property and Political Order in Africa: Land Rights and the Structure
of Politics, Cambridge 2014 (409 S.). Afrika brauche gut funktionierende In
stitutionen ist das Leitmotiv in Ali Mazrui & Francis Wiafe-Amoako, African
Institutions, Lanham 2016 (181 S.).
• Große Verbreitung hat zu Recht das dtv-Taschenbuch des Ex-Diplomaten Volker
Seitz gefunden: Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann,
München 2014, 7. Aufl. (215 S.). Der aktuelle Reader von Ex-Bundespräsident
Horst Köhler (Hrsg.), Schicksal Afrika. Denkanstöße und Erfahrungsberichte,
Reinbek bei Hamburg 2010 (381 S.) eignet sich als Einstieg, ebenso wie Franz
Ansprenger, Geschichte Afrikas, München 2002: Beck (128 S.).
• Schlüsseltexte von 20 bedeutenden Afrika-Wissenschaftlern über „Politik,
Entwicklung und Internationale Beziehungen“ sind 2017 erschienen in: The
African Affairs Reader, hrsg. von Nic Cheeseman, Lindsay Whitfield & Carl
Death, Oxford University Press (372 S.).
1.3 Hinweise zur Literatur über Afrika 13
13
14 1 Einleitung
• Die Ethnologie als eine zentral wichtige Wissenschaft zum Verständnis afrika-
nischer Gesellschaften und Kulturen hat sich von einer kolonialen Wissenschaft
zu einer dem Verstehen fremder Kulturen verpflichteten Sozialwissenschaft mit
verschiedenen Teildisziplinen ausdifferenziert: Frank Heidemann, Ethnologie.
Eine Einführung. UTB basics. Göttingen 2011 (284 S.); Bettina Beer, Hans
Fischer & Julia Pauli (Hrsg.) (2017), Ethnologie. Einführung in die Erforschung
kultureller Vielfalt. 9. Aufl. Berlin (484 S.); Dorothea E. Schulz & Jochen Seebode
(Hrsg.) (2010). Spiegel und Prisma. Ethnologie zwischen postkolonialer Kritik und
Deutung der eigenen Gesellschaft. Festschrift für Ute Luig, Hamburg (382 S.).
• Ethnizität und ethnische Konflikte werden behandelt in: Andreas Wimmer et
al. (Hrsg.), Facing Ethnic Conflicts, Lanham 2004 (384 S.). Bewaffnete Konflikte
in Afrika ist das zentrale Thema des 2017 erschienen Readers Africa’s Insugents.
Navigating an Evolving Landscape, herausgegeben von Morten Boás & Kevin
C. Dunn, Boulder & London (285 S.).
• Zum Thema Frauen und Kriege bietet die Ethnologin Rita Schäfer in ihrem
Meisterwerk Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Genderforschung,
Frankfurt am Main 2008, 520 Seiten umfangreiches Material. Zum Gender-The-
ma allgemein siehe die Neuerscheinungen Under Development: Gender von
Verschuur, Guérin & Buétat-Bernard, Houndsmill 2014 sowie Ali A. Mazrui
& Francis Wiafe-Amoako: African Institutions, Lanham etc. 2016 (181 S.).
• Das Thema Gewalt, Krieg und Frieden – dargestellt aus Sicht der deutschen
Friedens- und Konfliktforschung – wird behandelt in: Die Zukunft des Friedens.
Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung, hrsg. von Astrid Sahm, Manfred
Sapper & Volker Weichsel, Wiesbaden 2006, 2. Aufl. (434 S.)
• Den engen Zusammenhang von Entwicklung und Recht thematisieren die
Ökonomen Robert D. Cooter & Hans-Bernd Schäfer in: Solomon’s Knot. How
Law Can End the Poverty of Nations. Princeton & Oxford (325 S). U. a. analy-
sieren sie die Kosten von Bestechung und Korruption sowie die Bedeutung von
Vertrauen zwischen innovators und investors. Zum Rechtspluralismus in Afrika
siehe: Oliver C. Ruppel & Gerd Winter, Recht von innen: Rechtspluralismus in
Afrika und anderswo, Hamburg 2011 (636 S.)
• Aus geographischer Sicht hat Fred Scholz eine aktuelle Bestandsaufnahme der
entwicklungspolitisch relevanten Themen über Länder des Südens. Fragmentie-
rende Entwicklung und Globalisierung vorgelegt. Braunschweig 2017, (192 S.);
siehe auch Theo Rauch, Afrika im Prozess der Globalisierung, Diercke Spezial,
Braunschweig 2012 (127 S.).
• Armut und Armutsüberwindung steht im Zentrum der Studie des englischen
Oxford-Professors für Sozialwissenschaften Paul Collier – auch Autor des Best-
1.3 Hinweise zur Literatur über Afrika 15
sellers The Bottom Billion (2008) – Wars, Guns & Votes. Democracy in Dangerous
Places, London 2009 (255 S.).
• Zum Standardwerk der Entwicklungspolitik ist der Klassiker von Franz Nu-
scheler Entwicklungspolitik. Lern- und Arbeitsbuch geworden, das 2012 in der 7.
Auflage erschienen ist (429 S.). Ergänzend dazu wird der Reader von Reinhard
Stockmann, Ulrich Menzel & Franz Nuscheler Entwicklungspolitik. Theori-
en – Probleme – Strategien, München 2016, 2. Auflage empfohlen. Im ersten
Teil gibt der Politologe Menzel einen ideengeschichtlichen Überblick über die
Entwicklungstheorien; es folgt eine kritische Abhandlung von Nuscheler über
„Weltprobleme“. Schließlich rückt der Soziologe Stockmann die Wirksamkeit der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit in den Fokus der Analyse (528 S.).
• Grundlagen, zentrale Handlungsfelder, Instrumente, Erfahrungen und Probleme
der Entwicklungspolitik finden Studierende in der Einführung in die Entwick-
lungspolitik, hrsg. von Hartmut Ihne & Jürgen Wilhelm, Münster 2006. Der
Reader enthält 27 Beiträge von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen
und von Fachleuten der Entwicklungspraxis (412 S.). Nützlich ist auch das Lehr-
buch Entwicklungspolitik. Band I: Grundlagen von Werner Lachmann, Professor
für Volkswirtschaft, 2. Aufl., München und Wien 2004 (301 S.).
• Speziell mit der Frage der Wirksamkeit der Entwicklungspolitik beschäftigt
sich der Reader Wirksame Entwicklungspolitik. Befunde, Reformen, Instrumente,
hrsg. von Jörg Faust & Susanne Neubert, Baden-Baden 2010. Band 8 der Reihe
Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik. Einblicke in die widersprüch-
liche Praxis der Entwicklungspolitik bietet der Reader „Entwicklung als Beruf.
Festschrift für Peter Molt“, 2009 hrsg. von Theodor Hanf, Hans Weiler & Helga
Dickow vom Arnold-Bergstraesser-Institut Freiburg. Er enthält 48 Beiträge
zum Thema Entwicklungspolitik, sowohl von Wissenschaftlern als auch von
Praktikern und Politikern (541 S). Kritisch zu Theorie und Praxis der Entwick-
lungspolitik ist der facettenreiche Reader Herausforderung Afrika. Gesellschaft
und Raum im Wandel, hrsg. von dem Geographie-Professor Johannes Michael
Nebe, Baden-Baden. Hier kommen 33 Experten zu Wort (432 S.).
• Wer einen tieferen Einblick in die Theorien der Klassiker der Entwicklungs-
theorien sucht, dem öffnet sich mit dem Klassiker der Entwicklungstheorie. Von
Modernisierung bis Post-Development (Wien 2008, 300 Seiten), hrsg. von den
österreichischen Historikern Karin Fischer, Gerald Hödl & Wiebke Sievers ein
interessantes Feld. Ergänzend dazu ist Entwicklung und Unterentwicklung. Eine
Einführung in Probleme, Theorien und Strategien erschienen, Wien 2007, hrsg. von
Karin Fischer, Gerald Hödl, Irmi Maral-Hanak & Christof Parnreiter (276 S.).
• Als statistische Hilfsmittel nützlich sind – neben den einschlägigen Publikatio-
nen von Weltbank und IWF (alle im Internet zugänglich) – auch die alljährlich
15
16 1 Einleitung
• African Affairs. The Journal of the Royal African Society. Herausgegeben von
Oxford University Press. Es erscheint viermal im Jahr.
• Africa Review. Journal of African Studies Association of India, New Delhi,
www.tandfonline.com/loi/rafr20
• Africa Confidential, mit Sitz in London. Allmonatlich erscheint seit 57 Jahren eine
etwa 12-seitige Zusammenstellung aktueller Vorgänge in afrikanischen Ländern.
• Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin
• The Canadian Journal of African Studies/Revue canadienne des études africaines
• E+Z. Entwicklung und Zusammenarbeit, Bonn ([email protected]). Die
Zeitschrift erscheint 2018 im 59. Jahrgang und wird vom Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.
• The Journal of Modern African Studies. Es wird seit 54 Jahren von Cambridge
University Press in England herausgegeben. Das Monatsmagazin gilt als seriöse,
wissenschaftlich hoch qualifizierte Zeitschrift für Afrika in Geschichte und
Gegenwart.
• KFW-Development Research. In der Reihe ‚Meinungsforum‘ publiziert die
Kreditanstalt für Wiederaufbau in Wiesbaden in lockerer Folge persönli-
che Stellungnahmen von renommierten Entwicklungsforschern zu aktuellen
entwicklungspolitischen Themen. Häufige Autoren: Stefan Mair, Denis Tull,
Annette Weber
• Newsletter of African Studies at the University of Bayreuth (NAB). Die Zeit-
schrift erscheint jetzt im 16. Jahr und informiert über Lehre und Forschung an
1.3 Hinweise zur Literatur über Afrika 17
17
Entwicklungstheorien im Überblick
2 Entwicklungstheorien im Überblick 2
allgemein gültiges Leben in Würde für alle als Folge von Entwicklung (Altvater &
Mahnkopf 1996; Behrens 2005). Die Soziologen Dietmar Dirmoser und Reimer
Gronemeyer haben ‚Entwicklung‘ als gefährlichen Mythos diffamiert, als „einen
kollektiven Aggressionsakt und kollektiven Wahn, dem Menschen und Kulturen
hekatombenweise zum Opfer fallen“ (Dirmoser, Gronemeyer & Rakelmann 1991,
S. 11). Und der Schweizer UN-Sonderbotschafter Jean Ziegler spricht gar von einer
„kannibalischen Weltordnung“, die zulasse, dass jeden Tag 40.000 Kinder verhun-
gern würden (Ziegler 2005).
Im Folgenden wird in aller Kürze die wechselvolle Geschichte der Entwick-
lungstheorien skizziert1, die als notwendiges Orientierungswissen einen Einblick
in die wechselhaften Erfahrungen und Erkenntnisse von Sozial- und Wirtschafts-
wissenschaftlern über motors of change (Bayly 2004, S. 473) und über Ziele, Erfolge
und Misserfolge von Entwicklungsstrategien vermitteln soll. Dazu ist es nützlich,
sich die leitenden Begriffe, Thesen und Irrtümer der Klassiker der Entwicklungs-
theorie anzueignen; denn solcherart Erkenntnisse können im Dialog mit anderen
Menschen eingesetzt werden, um den eigenen Ideen Klarheit und Autorität zu
verschaffen (Fischer, Hödl & Sievers 2008). Ein Leitbegriff, der in verschiedenen
Entwicklungsdiskursen immer wiederkehrt, ist der schillernde Begriff der Moderne.
Folgt man der Definition von Jürgen Habermas, so gehören zum Projekt der Moder-
ne vier Bestandteile: Erstens Individualismus als die umfassende Entfaltung aller
individuellen partikularen Eigentümlichkeiten; zweitens das Recht der Kritik, d. h.
niemand solle etwas anerkennen, was er nicht selbst als berechtigt ansieht; drittens
die Autonomie des Handelns, und viertens die idealistische (konstruktivistische)
Philosophie selbst (Habermas 1988).
Theorien – auch Entwicklungstheorien – sind gedankliche Konstrukte über einen
realen Gegenstand der Welt, die idealiter vier Funktionen haben oder haben können:
Erstens sollen sie beobachtbare Phänomene benennen und die davon ‚relevanten‘
auswählen; zweitens sollen sie (wenn möglich ) kausale Zusammenhänge aufzeigen
21
22 2 Entwicklungstheorien im Überblick
und Phänomene ordnen und deuten, drittens sollen solche Deutungen (Erklä-
rungen) auch Hinweise auf politisches Handeln geben. Viertens werden Theorien
(im Sinne von Ideologien) oftmals konstruiert und gebraucht oder missbraucht,
um interessengeleitetes politisches Handeln zu legitimieren. Nach neuerem The-
orieverständnis in der Politikwissenschaft sind Theorien nicht mehr geschlossene
Denksysteme, sondern offene kontextabhängige Diskurse oder Landkarten, zentriert
um ein zentrales Paradigma. Thomas Kuhn hat in seiner viel beachteten Studie Die
Struktur wissenschaftlicher Revolutionen gezeigt, dass wissenschaftlicher Fortschritt
darin bestünde, dass ein Paradigma, das immer weniger im Stande sei, neue oder
neu wahrgenommene Tatsachen zu erklären, durch ein neues Paradigma ersetzt
würde, das diesen Tatsachen auf befriedigendere Weise gerecht werden könnte. „Um
als Paradigma angenommen zu werden, muss eine Theorie besser erscheinen als
die mit ihr im Wettstreit liegenden, sie braucht aber nicht – und tut es tatsächlich
auch niemals – alle Tatsachen, mit denen sie konfrontiert wird, zu erklären“ (Kuhn
1967, S. 37). Insofern können Theorien nicht „scheitern“, sondern nur in ihrer Aus-
sagekraft relativiert, überholt oder ersetzt werden. Dabei sollte bedacht werden,
dass Theorien oftmals synonym mit Paradigmen oder theoretischen Ansätzen oder
theoretischen Konzepten gebraucht werden und somit nicht den Anspruch stellen
können, für alle beobachteten Phänomene eines Gegenstandes jenseits von Zeit
und Raum gültig zu sein.
Im 19. Jahrhundert prägten zwei große Forscher den Entwicklungs-Diskurs mit
Folgen bis in die Gegenwart: Der eine war der englische Naturforscher Charles Dar-
win (1809-1882). Mit seiner Schrift Die Entstehung der Arten konnte er zeigen, wie
die Anpassung von Lebewesen grundsätzlich an den Lebensraum durch Variation
und natürliche Selektion stattfindet, wobei deren Gene mutieren. Geeignete Verän-
derungen setzen sich oftmals durch und führen zu neuen Lebensformen, während
weniger angepasste Lebewesen im Konkurrenzkampf untergehen. Der Andere war
der deutsche Geschichtsphilosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx
(1818-1883). Beeinflusst von Hegels teleologischer Geschichtsphilosophie entwarf
er eine evolutionäre Geschichtstheorie, nach der sich die Menschheit durch soziale
Klassenkämpfe von einer Gesellschaftsstufe zur nächst höheren revolutionären
weiterentwickeln würde. Immer dann, wenn die Produktionsverhältnisse einer
Geschichtsepoche (in der Abfolge: Urgesellschaft, antike Sklavenhaltergesellschaft,
Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus) die ihr angemessenen
Produktivkräfte voll herausgebildet hätten, komme es über die unvermeidbaren
Widersprüche zwischen überholten Eigentumsverhältnissen und vorwärtsstreben-
den Produktivkräften zur Geburt einer neuen humaneren Epoche. Das materielle
Sein – die Produktionsverhältnisse – bestimme das menschliche Bewusstsein, den
ideellen Überbau der Gesellschaft, d. h. ihre Kultur. Und die unterentwickelten,
2.1 Einführung in die Geschichte des Entwicklungsbegriffs 23
kolonisierten Völker würden dem Vorbild der entwickelten folgen, wie Marx in
der berühmten (gleichwohl unzutreffenden) These proklamierte: „Das industriell
entwickelte Land zeigt dem minderentwickelten nur das Bild der eigenen Zukunft“,
weil sich die kapitalistische Produktionsweise mit dem dominanten Profitmotiv
überall auf der Welt durchsetzen würde, dabei alle kulturellen Hindernisse hin-
wegfegend (ausführlich dazu Menzel 2010, S. 56f.).
Dieses positiv teleologische Geschichtsbild fand nach dem Zweiten Weltkrieg
zunächst seine Fortsetzung in den marktwirtschaftlichen Theorien eines stufen-
weise sich entwickelnden wirtschaftlichen Wachstums sowie der Modernisierung
unterentwickelter, ehemals kolonialherrschaftlich unterdrückter Gesellschaften der
Dritten Welt. Auf dem historischen Hintergrund des sich verschärfenden globalen
Ost-West-Konflikts waren sowohl ‚Erste Welt‘ unter Führung der kapitalistischen
USA und ‚Zweite Welt‘ unter Führung der sozialistisch-kommunistischen Sow-
jetunion bestrebt, die jungen Staaten Afrikas und Asiens auf ihre Seite zu ziehen.
Als dafür geeignetes Mittel erschien beiden Seiten Official Development Assistance
(ODA) oder ‚Entwicklungshilfe‘, d. h. finanzielle Kredite, personelle Hilfe (Entsen-
dung von Experten) und technische Hilfe (Transfer von Know-how). Ein großer
propagandistischer und ideologischer Aufwand wurde betrieben, um die jeweilige
Entwicklungshilfepolitik zu rechtfertigen. Die anfänglichen Hoffnungen, dass
sich Entwicklungshilfe der Industriestaaten bald selbst überflüssig machen wür-
de, weil die Armut in den Less Developed Countries (welch eine terminologische
Fehleinschätzung seitens der UN-Behörden!) besiegt und das von außen indu-
zierte wirtschaftliche Wachstum zu ähnlichen Erfolgen wie in den Metropolen
geführt haben würde, stellten sich bald als Illusion heraus. Dem Optimismus der
frühen Jahrzehnte folgte ein tiefer Entwicklungshilfe-Pessimismus, besonders im
akademischen Milieu; man sprach von den 80er Jahren als von einem ‚verlorenen
Entwicklungsjahrzehnt‘ (in Afrika, Lateinamerika und Teilen Asiens), weil die
Modernisierungsstrategien in der Praxis weitgehend versagt hatten. Afrika wurde
als „verlorener Kontinent“ stilisiert (Ferdowsi 2008).
Allerdings haben die historisch im Westen gewachsenen Entwicklungsnormen
partiell eine gewisse Anziehungskraft für ehemalige Kolonien behalten (Landes
1999, Szirmai 2005, Lübbe 2005, Tetzlaff 2011, Acemoglu & Robinson 2012). Im
Begriff der sich herausbildenden Weltgesellschaft (Sander & Scheunpflug 2011, Hein
1998) hat diese Erfahrung ihren wissenschaftlichen Niederschlag gefunden. Mit
ihm soll das neue Interdependenzbewusstsein zum Ausdruck gebracht werden, das
auf der Einsicht beruht, dass die Welt als globale Risikogemeinschaft angesichts be-
grenzter Natur-Ressourcen und ökologischer Katastrophen nur gemeinsam mittels
Weltpolitik wird überleben können (Kaiser & Schwarz 2000; Stiftung Entwicklung
und Frieden 2006). Um Globalisierung politisch gestalten zu können, hat Inge Kaul,
23
24 2 Entwicklungstheorien im Überblick
die Mitbegründerin des Human Development Index (HDI), die Herstellung von
zehn global public goods gefordert, darunter universal access to basis education and
health care; respect for national sovereignty; concerted management of the global
natural commons to promote their sustainable use (Kaul 2003, S. 44). Hier schimmert
der Traum einer verantwortungsethischen Weltregierung durch. Noch allerdings
triumphiert der rücksichtslose Wachstumsfetisch, und die Kluft zwischen Globali-
sierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern wird keineswegs überall kleiner.
Als Aufgabe der Entwicklungstheorie definierte der Politologe Franz Nuscheler
„den Geheimnissen (entwicklungspolitischer) Erfolgsgeschichten auf die Spur zu
kommen“ und dabei „über die Funktion von Kultur, von Traditionen, Werten,
Einstellungen und Verhaltensweisen im Modernisierungsprozess“ nachzudenken
(Nuscheler 2001, S. 392). So sind im Verlauf der vergangenen sechzig Jahre etwa
zwei Dutzend ‚Theorien‘, ‚Theoreme‘, ‚Paradigmen‘ oder ‚Modelle‘ der Entwicklung
vorgestellt und diskutiert worden, von denen einige im Folgenden näher erörtert
werden, weil sie für die Analyse afrikanischer Gesellschaften von besonderer
Relevanz sein können.
Form der Multinationalen Konzerne und Banken dominierte) erzeugt würde und
wodurch Gewinne und Einkommen erzielt werden könnten, würde – so die naive
Annahme – im Laufe der Zeit nach unten zu den ärmeren Bevölkerungsschichten
‚durchsickern‘ (im Englischen das trickle down-Theorem genannt).
Die Problemfragen, über die die Entwicklungsökonomen der Pionierphase
stritten (Cassen 1990), lauteten: Wie lässt sich die Beschleunigung des wirtschaft-
lichen Wachstums in ‚zurückgebliebenen‘ Ländern erreichen – über den Markt,
durch Entwicklungspläne oder durch konjunkturabhängige Staatsintervention im
Sinne des deficit spending-Theorems (nach John Maynard Keynes)? Den populärsten
Beitrag zur Wachstumstheorie lieferte im Jahr 1960 Walt Whitman Rostow (1916-
2003) mit seinen fünf Stages of Economic Growth (abgedruckt in Fischer et al. 2008,
S. 39-52). Er war nicht nur Wirtschaftstheoretiker, sondern in seiner Eigenschaft als
hochrangiges Mitglied der Regierungen der US-Präsidenten Kennedy und Johnson
konnte er auch maßgeblichen Einfluss auf die US-amerikanische Entwicklungspolitik
der 1960er Jahre nehmen. Seine (oben skizzierte) Stufentheorie war wegen ihrer
Schlichtheit sehr einflussreich, obwohl sie keine praktischen Maßnahmen vorsah,
wodurch eine Gesellschaft von der einen Wachstumsstufe zur nächsten gelangen
könnte. Nur das Endziel stand fest: die Annäherung an das US-amerikanische
Modell des Massenkonsums und des Wohlfahrtsstaates. In bewusster Antithese zu
Marx lautete der Untertitel seines Buches: „Ein nicht-kommunistisches Manifest“.
Parallel zu solchen Stufen-Theorien des wirtschaftlichen Wachstums, die vor
allem von der Weltbank in praktische Projekte umgesetzt wurden, entstanden in
den USA politikwissenschaftliche Theorien des politischen Wandels. Almond und
Pye formulierten ein Kategoriensystem politischer Entwicklung, das politischen
Wandel als einen krisenhaften Prozess des Gewinns von Kapazitäten definierte.
Darunter fielen die Integrations-, Modernisierungs-, die Beteiligungs-, die Wohl-
fahrts- und Verteilungskapazität sowie (nach dem Systemtheoretiker Karl Deutsch)
die internationale Anpassungs- und Selbststeuerungskapazität. Die Unterschiede
zwischen den politischen Systemen konnten als Unterschiede in ihren Fähigkeiten
aufgefasst werden, mit den sich entwickelnden Krisen mittels struktureller Diffe-
renzierung und Schaffung neuer Institutionen fertig zu werden. In der Kontroverse
über neoliberale versus staatsinterventionistische Entwicklungsstrategien setzt sich
die Suche nach dem besten Weg zur Beschleunigung von strukturellem Wandel bis
heute fort (Szirmai 2005). Dabei geht es immer um die optimale Rolle des Staates im
Entwicklungsprozess und um die Ursachen von Staatsversagen und Marktversagen,
was beides möglich ist (Brown 1995; Easterley 2006; Goldberg 2008, Tandon 2014).
In Deutschland hat sich der Bertelsmann-Transformations-Index als anspruchs-
volles Analyseinstrument erwiesen. Normatives Leitbild ist die Synthese von einer
repräsentativen Demokratie mit einer sozialpolitisch flankierten Marktwirtschaft,
25
26 2 Entwicklungstheorien im Überblick
die auf der Annahme beruht, dass sich beide Systemelemente wechselseitig be-
dingen. Mittels 17 Kriterien und 52 Indikatoren werden ein Status-Index, der
den jeweils aktuellen Stand von Demokratie und Marktwirtschaft misst, und ein
Management-Index, der die Qualität von Regierungs- und Steuerungsleistungen
bei der Annäherung an das Leitbild beurteilt, erstellt und zwar bisher für 125
Entwicklungsländer. Eine Synopse aller Länder-Entwicklungen erscheint alle zwei
Jahre in Form des Bertelsmann-Transformation-Index – eine wichtige Quelle für
die Orientierung, wie sich einzelne Weltregionen und Länder entwickeln (BTI)
27
28 2 Entwicklungstheorien im Überblick
In den 1970er Jahren spaltete sich das Lager der dependenztheoretischen und
imperialismustheoretischen Autoren in mehrere separate Diskussionsstränge
auf, in denen oft nur noch einzelne Aspekte – soziale Marginalisierung der Peri-
pherie-Länder, ungerechte Weltmarktstrukturen, Preisentwicklungen auf dem
Weltmarkt, Verschuldung von Dritte-Welt-Ländern, das Wirken multinationaler
Konzerne (und ihrer konzerninternen Verrechnungspreise) etc. – verfolgt wurden.
Einige Beachtung erlangte die Theorie der autozentrierten Entwicklung seitens des
Ägypters Samir Amin, nicht zuletzt wegen der Anschaulichkeit seiner Theorie, die
sich als marxistisches Gegenmodell zu den westlichen Modernisierungstheorien
verstand. Kurz skizziert, handelte es sich um folgende Deutung der von Kolonia-
lismus und Imperialismus geprägten Nord-Süd-Beziehungen. Dabei unterscheidet
sein Modell vier Wirtschaftssektoren: Exportsektor, Massenkonsumgütersektor,
Luxuskonsumgütersektor und Ausrüstungsgütersektor (capital goods sector). In den
peripheren Gesellschaften hätte der Kapitalismus nur in verkrüppelter Form Einzug
gehalten – so seine These. Nur in den Metropolen konnte sich eine autozentrierte
(selbstgesteuerte) Reproduktionsstruktur entwickeln; denn deren entscheidende
Verbindung sei die zwischen dem Sektor 2 (Produktion der Massen-Konsumgüter)
und dem Sektor 4 (Produktion von Ausrüstungsgütern) gewesen. Hingegen sei die
Grundverbindung im peripheren abhängigen Modell die Verknüpfung des Sektors
1 (Export von Rohstoffen) mit dem Sektor 3 (Produktion von Konsumgütern für
höhere Einkommensschichten im eigenen Land). So konnte sich in den abhängigen
Ländern der Dritten Welt kein konkurrenzfähiger Binnenmarkt entwickeln. In
sozialer Hinsicht bringe das peripher-abhängige Modell der gesellschaftlichen Re-
produktion die Marginalisierung der Massen hervor. Amin wie Senghaas plädierten
daher für eine Politik der Erzeugung von Massenkaufkraft zur Befriedigung von
Massenbedürfnissen durch die lokale Produktion von Massenkonsumartikeln –
eine Strategie, die auch von dem Politologen Hartmut Elsenhans favorisiert wurde
(Elsenhans 1981).
An die Dissoziations-Theorie schloss sich auch die Weltsystem-Theorie des
US-amerikanischen Soziologen Immanuel Wallerstein (geboren 1930 in New York)
an, der die „Eine Welt“ (den Begriff Dritte Welt lehnte er ab) in drei Typen von Län-
dern einteilte, deren Rang nach ihrer Position in der internationalen Arbeitsteilung
bestimmt würde. Erstens existieren die Zentren, die durch einen starken Staat, ein
hohes technisch-wissenschaftliches Niveau und einen relativ hohen Lebensstandard
seiner Bevölkerung gezeichnet sind; ihnen stehen zweitens die Peripherien gegen-
über, die auf niedrigem technischen Niveau überwiegend Rohstoffe herstellen und
exportieren und von einem fragilen schwachen Staat notdürftig zusammengehalten
werden; und drittens nehmen die Semi-Peripherien, die funktional zwischen Zentren
und Peripherien stehen, eine vermittelnde Position ein. Semi-Peripherien (wie z. B.
2.3 Dependenz-Theorien und Theorie der autozentrierten Entwicklung 29
das vor-industrielle Portugal oder das zaristische Russland) spielten historisch als
stabilisierende Zwischenglieder eines dynamischen Weltsystems eine wichtige Rolle,
denn sie beuteten selbst nach Kräften die Peripherie-Länder aus und wurden selbst
von den Zentren ausgebeutet und instrumentalisiert. Im Unterschied zu früheren
Weltreichen sei das moderne Weltsystem nicht mehr von einem Machtzentrum
(einem Hegemon) abhängig, sondern sei geprägt von der Logik kapitalistischer
Marktverhältnisse und der Dynamik des internationalen Handels (Wallerstein 1979).
Wallersteins struktur-funktionalistische Theorie ist von Historikern als zu
apodiktisch und unterkomplex kritisiert worden, denn es hätte sehr wohl in den
Peripherien und Semi-Peripherien autonome soziale Räume gegeben, die nicht
durch die Existenz eines exploitativen imperialistischen Systems determiniert
gewesen wären. Kritisiert wurde ferner Wallersteins Fixierung auf Handelsströme
und auf die Tendenzen der Selbstverstärkung von internationalem Machtgefälle
durch Welthandel, wobei Gegentendenzen gegen die schlichte Reproduktion von
Zentren-Peripherie-Gefällen vernachlässigt würden (Hein 1998, S. 190f.). Die
empirische Vielfalt der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, wie aus einstigen Pe-
ripherien (Süd-Korea, Taiwan, Singapur, Brasilien) blühende Handelszentren der
globalisierten Welt werden können. Festzuhalten bleibt jedoch, dass uns Waller-
steins Weltsicht den Blick für die funktionalen Zusammenhänge des „modernen
Weltsystems“ geöffnet hat (Hauck 2014, S. 376-377).
Der Berliner Geograph Fred Scholz hat die Weltsystem-Diskussion durch
seine „Theorie der fragmentierenden Entwicklung“ bereichert. Die von global play-
ers durchdrungene Welt habe über Staatsgrenzen hinweg die Erdteile in Zonen
unterschiedlicher Kapital-Durchdringung fragmentiert: in global places als die
Kommandozentralen der Weltwirtschaft, in globalized places, unterteilt in ‚affected
global cities and regions, und in „die neue Peripherie“, den „neuen Süden“ als „Ozean
der Armut“ (Scholz 2005, S. 5). Scholz kam zu dem radikal pessimistischem Schluss:
„Nicht nachholende, sondern fragmentierende Entwicklung findet in Zeiten der
Globalisierung statt (und zwar im Norden wie im Süden)…Niederschlag finden diese
Vorgänge in der Gleichzeitigkeit und im räumlichen Nebeneinander inkludierender
(einschließender) und exkludierender (ausschließender) Prozesse“ (Scholz 2017,
S. 33). So würde die Zahl der „Überflüssigen“ in allen Regionen der Erde steigen:
die Zahl der Menschen, die vom globalen Finanzkapital nicht gebraucht würden
(Scholz 2017, S. 38; Stiglitz 2002).
29
30 2 Entwicklungstheorien im Überblick
einige Jahre) gefolgt sind, haben kaum wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. Die
Planung von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung unter den Bedin-
gungen von Repression und bürokratischer Willkür, die keinerlei institutioneller
Machtkontrolle unterworfen war, erwies sich als gefährliche Utopie – gefährlich
deshalb, weil sie zu einer entwicklungshemmenden Entfremdung zwischen politi-
scher Führung und der abgehängten Bevölkerung führen musste. Am Beispiel von
Julius Nyerere, der in Tansania einen Weg des ‚afrikanischen Sozialismus‘ versuchte,
wird dieses Dilemma zu zeigen sein (siehe unten Kapitel 7.1).
31
32 2 Entwicklungstheorien im Überblick
Natur sein können, vorgelegt (Lenz & Luig 1990). Der Sammelband signalisierte
eine „Verschiebung von früheren klassenbasierten Analysen von Herrschaftsver-
hältnissen zu Untersuchungen, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern
fokussierten“. Dabei galt Ute Luigs besonderes Interesse dem Feld rituell-religiöser
Praktiken „als einem Aushandlungsort von Geschlechterkonkurrenz“ (Schulz &
Seebode 2010, S. 17; Dilger & Luig 2010).
Feministinnen aus Entwicklungsländern stellten den Anspruch feministischer
Gruppen aus Industrieländern, für alle Frauen in der Welt sprechen zu können, in
Frage. Bestehende Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Feministin-
nen aus dem Norden und Frauen aus dem Süden wurden kritisch diskutiert und der
angebliche Universalismus der Entwicklungstheorie im Spiegel konkret bestehender
kultureller Vielfalt hinterfragt. In den postkolonialen feministischen Debatten wurde
gefordert, dass die für subaltern gehaltene Frau im Entwicklungsland „von einem
Objekt der Barmherzigkeit hin zu einer demokratischen Akteurin“ einzuschätzen
bzw. zu analysieren wäre (Burchhardt & Tuider 2014, S. 389). Lange Zeit wurde
übersehen, dass Frauen nicht nur Opfer von sozialen Exklusionsprozessen sind,
die durch gender-blinde Entwicklungsprojekte von Weltbank und OECD-Ländern
oftmals noch zementiert wurden, sondern dass sie auch vielfach als Marktfrauen
oder Gewerbetreibende des informellen Sektors kreative Überlebenskünstlerinnen
darstellten (Gravert 1994, Ruppert 1995, Harders 2002, Schauber 2008, Bellows &
Valente 2016; Mazrui & Wiafe-Amoako 2016).
Der African Gender Equality Index, der von der African Development Bank
herausgegeben wird, stellte fest, das nur 15 % des Landes in Afrika Frauen gehören
würden. Die afrikanische Frauen-, Familien- und Gender-Forschung belegt seit
Jahren: Das Private ist politisch. Das „Unsichtbare“ ist sichtbar zu machen, „um so
lokale Realitäten und Kämpfe wiederherzustellen, aber auch um den Subalternen
eine Stimme zu geben. Das schließt Frauen ein, die ignoriert, verachtet und von der
Geschichte übergangen wurden“ (Verschuur, Guérin & Buétat-Bernard 2014, S. 6).
Der Sammelband ‚Under Development: Gender‘, den 17 Soziologinnen, Regional-
forscherinnen und mit gender studies befasste Wissenschaftlerinnen, überwiegend
aus Holland, erstellt haben, bietet reichlich Anschauungsmaterial zu der These:
„Gender rückt Macht wieder in das Zentrum der Analyse des sozialen Wandels;
in dem die „zentrale Achse von Entwicklung“ sichtbar gemacht wird: „die soziale
Reproduktion“ (Verschuur, Guérin & Buétat-Bernard 2014; S. 6).
Die Ethnoligin Rita Schäfer benutzte die Gender-Perspektive, um auch die ge-
sellschaftlichen Hintergründe und die verstörenden Brutalitäten der afrikanischen
Bürgerkriege aufzuzeigen. Von zentraler Bedeutung seien gewaltbesetzte Maskuli-
nitätskonzepte sowie Geschlechter- und Generationskonflikte. Kontextspezifisch
ergründete sie in ihren Feldforschungen in Sierra Leone, Simbabwe, Namibia
33
34 2 Entwicklungstheorien im Überblick
35
36 2 Entwicklungstheorien im Überblick
37
38 2 Entwicklungstheorien im Überblick
zu mildern, droht die Naturkrise zu verschärfen“. Das heißt, „wer immer für die
Armen mehr Agrarfläche, Energie, Häuser, Medizin- und Schuldienste, kurz:
mehr Kaufkraft fordert, setzt sich zu denen in Widerspruch, die Böden, Tiere,
Wälder, Atmosphäre oder Gesundheit schützen wollen. Und wer immer um der
Natur willen weniger Energie, weniger Transport, keine Waldrodung und keine
Intensiv-Landwirtschaft fordert, setzt sich zu denen in Widerspruch, welche auf den
gerechten Anteil an den Früchten der Entwicklung bestehen“ (Sachs 2002, S. 88).
Auch das Konzept des Ecodevelopment‘, das u. a. von Ignacy Sachs und Hans-Jür-
gen Harborth favorisiert wird, sucht nach aus einem Ausweg aus dem Natur-Gerech-
tigkeits-Dilemma. Es enthält folgende Programmpunkte (Harborth, zit. in Ebling-
haus & Stickler 1996, S. 31): (1) Befriedigung der Grundbedürfnisse; (2) Keine Kopie
des Konsumstils der Industrieländer; (3) Entwicklung eines befriedigenden sozialen
Ökosystems; (4) Vorausschauende Solidarität mit den zukünftigen Generationen;
(5) Ressourcen- und Umweltschonung; (6) Energieeinsparung und Anwendung
alternativer Energiequellen; (7) Wirkliche Partizipation der Betroffenen; (8) Ver-
trauen auf die eigene Kraft‘ (Self-reliance); (8) Begleitende Erziehungsprogramme.
In die gleiche Richtung zielt die ‚grüne Umweltpolitik‘ der Heinrich-Böll-Stiftung,
die argumentiert, dass „eine Abkehr vom Business as usual in der globalen Agrar-
politik angesichts der Knappheit von Land sowie der ökologischen und sozialen
Folgen des industriellen Agrarmodells überfällig“ sei. Information und Aufklärung
über die globalen Folgen des Fleischkonsums seien eine zentrale Voraussetzung
für „ein anderes ethisches und nachhaltiges Konsumverhalten“ (Fatheuer, Fuhr &
Unmüßig 2015, S. 44).
Die in Bonn ansässige Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) erklärte im
Jahr 2009 die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zur nachhaltigen
Marktwirtschaft zum „neuen Leitbild für das 21. Jahrhundert“ und gab folgende
Empfehlungen: Wirtschaftliches Wachstum sei nicht mehr allein nach ökonomischen
Kriterien zu beurteilen, sondern in Hinblick auf seinen Beitrag zur Steigerung der
Lebensqualität. Deshalb sollten die EU-Staaten von ihren Partnerländern der EZ
fordern, dass auch deren Zivilgesellschaften in Dialoge eingebunden würden, so
wie es in der Accra Agenda for Action für eine bessere Wirksamkeit der Entwick-
lungszusammenarbeit verabredet worden sei (SEF, Bonn 2009, S. 6-8).
Heute verdichteten sich die Anzeichen dafür, dass das (ursprünglich westliche)
Entwicklungsmodell im Kern ein „ökologisches Katastrophenmodell“ darstellen
würde, nicht zuletzt deshalb, weil es zu viele fossile Energiequellen – zum Beispiel
bei der Motorisierung der Landwirtschaft – verbrennen würde (Harborth 1993,
S. 231f.). Nur eine qualitative Änderung unseres Lebensstils – d. h. der Abbau der
ressourcen-intensiven ‚Überentwicklung‘ in den modernen Wachstumszentren
der Welt – könnte noch eine Wende bewirken. Ob der Menschheit dafür noch
2.8 Theorie des Developmental State 39
genügend Zeit bleibt, ist strittig und wird beispielsweise von dem Oxforder Profes-
sor für Computational Science, Stephen Emmot, verneint: „Wenn wir eine globale
Katastrophe verhindern wollen, müssen wir irgendetwas Radikales tun [Vermei-
dung weiterer Erderwärmung infolge zu hohen Verbrauchs fossiler Energieträger]
– und ich meine wirklich tun. Aber ich glaube nicht, dass wir das machen werden“
(Emmot 2013, S. 202).
39
40 2 Entwicklungstheorien im Überblick
• Erstens bedarf es für gelingende Befreiung aus Abhängigkeit und Armut einer
politischen Staatsführung, die kollektiv und entschlossen eine auf Entwicklungs-
förderung fokussierte Politik betreibt. Dabei muss sie politische Stabilität und
wirtschaftliche Entwicklung gleichzeitig gewährleisten (developmental-oriented
political leadership).
• Zweitens bedarf es einer selbstständig handelnden, professionell agierenden
und leistungsstarken Bürokratie als vollziehende und planende Staatsgewalt,
die fähig sein muss, eine Wirtschaftspolitik zu kreieren und durchzusetzen,
Geschäfts-Allianzen zu schmieden und Staatsinterventionen in die Märkte zu
organisieren.
• Drittens ist auch ein produktions-orientierter Privatsektor unerlässlich. Dieser
muss sich durch hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an internationale
Technikstandards auszeichnen.
• Viertens gehört performance-oriented governance zu den Bedingungen gelin-
gender Entwicklung. Regierungen erstreben Respekt und Legitimität weniger
durch Wahlsiege (Input-Legitimität), sondern eher durch materielle Leistungen
für die Bevölkerung (Output-Legitimität).
41
42 2 Entwicklungstheorien im Überblick
43
44 2 Entwicklungstheorien im Überblick
Von einem ‚Fluch der Rohstoffe‘ (resource curse) kann man dann sprechen, wenn
der natürliche Reichtum eines Landes der Bevölkerung oder Teilen von ihr einen
vermeidbaren Schaden zufügt. Der Fall der Dutch Disease in Holland ist dafür ein
klassisches Beispiel: Nach der Entdeckung von großen Erdgasvorkommen in Hol-
land in den 1960er Jahren ist dieses Phänomen hier erstmals beobachtet worden.
Es beruht auf einem Wechselkursmechanismus: Der Export großer Mengen von
Rohstoffen lässt Außenhandelsüberschüsse entstehen, die zu einer Aufwertung
der eigenen Landeswährung führen. Wegen der zunehmenden Importkonkur-
renz sinkt der Absatz der Produkte des exportierenden Industrie-Gewerbes, das
ohnehin durch die einseitige staatliche Förderung des Rohstoffsektors geschwächt
ist. Es kommt so zu einer unguten Verschiebung der Wirtschaftssektoren: Infolge
des Booms im Energiesektor werden knappe Produktionsfaktoren (Kapital und
Fachkräfte) aus anderen Wirtschaftssektoren, aus produzierendem Gewerbe und
auch aus der Landwirtschaft, abgezogen. Der tendenziellen De-Industrialisierung
steht auf Grund des unverhofften Devisenstroms ein steigender Konsum von Im-
port-Waren gegenüber. Notwendige Investitionen in Landwirtschaft und ländliche
Infrastruktur werden vernachlässigt, so dass die Eigenversorgung der Bevölkerung
mit einheimischen Nahrungsmitteln abnimmt. Die Konzentration auf den einen
Enklaven-Sektor führt mittelfristig zu Wohlstandsverlusten in der Gesellschaft und
damit zu einer ‚Krankheit‘ (Buchberger 2012; Meißner 2013; siehe unten Kapitel 11).
Eine Mehrheit von Sozialwissenschaftlern vertritt heute die Ansicht, dass zur
Erklärung des resource curse (Ressourcenfluch) politische Variablen wichtiger
seien als ressourcen-bezogene oder rein wirtschaftliche; denn politic matters
(Meißner 2013, S. 33f.; Mosbacher 2016, S. 295-296). Deren These lautet, dass bei
der Nutzung des Ressourcenreichtums das politische Verhalten der Staatsklasse
im Zusammenhang mit vorhandenen gesellschaftlichen oder verfassungsmäßigen
Kontroll-Institutionen (wie z. B. Parlamente, unabhängige Gerichte, eine kritische
Presse oder eine wachsame Zivilgesellschaft) von ausschlaggebender Bedeutung
sei. Da der Ressourcenfluch offensichtlich zwei Dimensionen hat – eine ökonomi-
sche und eine politische –, besteht die zentrale politische Herausforderung für
rohstoffreiche Entwicklungsländer darin, die Rohstoff-Rente ‚richtig‘ zu verteilen
bzw. klug einzusetzen, d. h. umweltschonend, armutsorientiert und regional gerecht
(von Haldenwang 2012), so dass der soziale Friede gewahrt werden kann.
Unter den Varianten der Erklärungsversuche für Staatsversagen oder bad
governance in rohstoffreichen Ländern genießt die Theorie des Rentier-Staates
zu Recht große Beliebtheit (Ross 2001, de Soysa 2006, Meißner 2013, S. 31f.).
Rohstoff-Renten sind (überwiegend) nicht verdiente Einkommen, die ihren De-
visen-Wert jeweils durch ausländische Nachfrage erhalten. Zur Erzeugung dieses
Wertes sind nur geringe Teile der einheimischen Erwerbsbevölkerung nötig: im
2.10 Kulturkritische Entwicklungstheorien: culture matters 45
Fall der Erdöl- und Erdgasförderung betrifft das eine privilegierte, professionelle
Minderheit von Ingenieuren und Facharbeitern, im Fall der Kupfer-, Eisen- oder
Uran-Produktion ebenfalls nur wenige Spezialisten mit ihren Handarbeitern. Die
Fülle der Deviseneinnahmen – bilanziert gegen nur geringe Eigenleistung – ver-
setzt die Herrscher in die günstige Lage, die eigene Bevölkerung nicht oder kaum
besteuern zu müssen, wodurch der (erstmals in den USA erprobte) Mechanismus
der Demokratisierung – no taxation without representation – außer Kraft gesetzt
wird. Vielmehr entsteht die Situation: ‚no taxation and therefore no representation‘.
Dieser fehlende finanzielle Nexus zwischen Staat und Erwerbsbevölkerung blockiert
logischerweise die Entstehung eines Gesellschaftsvertrages auf Gegenseitigkeit
(Steuern der Bürger gegen Gewährleistung von Sicherheit und Bereitstellung von
öffentlichen Gütern). So bleibt der Druck von unten auf das politische Regime,
sich über Partizipationsrechte und Output-Leistungen zu legitimieren, gering.
Sollte es doch mal zu einer Legitimationskrise kommen, so wird eine finanzstarke
Regierung aus Gründen des Selbsterhalts finanzielle Geschenke an einflussreiche
Personen verteilen und Oppositionspolitiker zu kaufen versuchen. Wird eine solche
Praxis zur Gewohnheit, kann sich eine rent-seeking mentality auch in Ober- und
Mittelschichten entwickeln, was auf Dauer eine rent-seeking society ergibt, in der
jede Form der Solidarität mit den ärmeren sozialen Unterschichten schwindet. Im
Extremfall – wie in Simbabwe, Sudan und Nigeria geschehen – verstrickt sich die
Staatsklasse in die Fallstricke des „organisierten Verbrechens“ (Burgis 2015; Ellis
2016). Für Kleptokratien hat diese Form der Einkommensgewinnung noch den
Vorteil, dass Staatspräsidenten an große Summen von Devisen herankommen,
ohne dass diese Gelder an irgendwelche Konditionen seitens der Geld- und Kre-
ditgeber gebunden wären.
45
46 2 Entwicklungstheorien im Überblick
die Autoren zwei Typen von Institutionen: zum einen „extraktive Wirtschaftsin-
stitutionen“ und zum anderen „inklusive Wirtschaftsinstitutionen“. Extraktive
Wirtschaftsinstitutionen seien solche, die bei bestehenden Verhältnissen den Gewinn
aus überkommenen Einrichtungen maximieren würden – z. B. die afrikanischen
Bergwerke und Plantagenbetriebe während der kolonialen und postkolonialen
Phasen. Solche Institutionen wurden als „extraktiv“ definiert, „weil sie geschaffen
wurden, um Einkommen und Reichtum von einem Teil der Gesellschaft zum Nutzen
eines anderen Teils zu transferieren“ (Acemoglu & Robinson 2012, S. 76). Solche
Gesellschaften seien hochgradig ungleich und konfliktreich und trügen deshalb
den Keim des Untergangs in sich. Im Prozess des Niedergangs käme es zu einem
Teufelskreis: Um ihre Macht zu sichern, würden Oligarchien die für sie nützlichen
extraktiven Wirtschaftsinstitutionen aufrechterhalten und sowohl Innovationen
wie andersdenkende Konkurrenten abwehren, wodurch sie die ökonomische
Stagnation perpetuieren würden. Dies sei für das Verhalten postkolonialer Eliten
in Sub-Sahara-Afrika typisch (Acemoglu & Robinson 2012, S. 345).
Hingegen seien inklusive Wirtschaftsinstitutionen solche, „die privates Eigentum
sichern, ebenso ein unparteiisches Rechtssystem und öffentliche Dienstleistungen,
die gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellen, unter denen Menschen Handel
treiben und Verträge schließen können. Sie müssen zudem den Eintritt neuer
Geschäfte zulassen und Menschen erlauben, ihre Karrieren selbst zu wählen“
(Acemoglu & Robinson 2012, S. 74-75). Dagegen ist einzuwenden, dass eine Gesell-
schaft, in der solche „inklusiven Wirtschaftsinstitutionen“ bereits vorhanden sind,
es leicht haben wird, wirtschaftliches Wachstum und soziale Modernisierung unter
optimalen Voraussetzungen weiter zuentwickeln, weil sie ‚das Schlimmste‘ schon
hinter sich hat, d. h. die institutionell notwendigen Reformen der Anpassung an
marktwirtschaftliche Wettbewerbsbedingungen. Relevanter ist daher die Frage,
wie kommt eine Gesellschaft, in der status-quo-orientierte Herrschaftsinteressen
dominieren und extraktive Wirtschaftsinstitutionen im Eigeninteresse solcher
Machtzentren liegen, in einen Zustand, in dem sich inklusive Wirtschaftsinstitu-
tionen entwickeln können. Dieses – so die Autoren – könne nur bei Gestaltung
einer neuen sozialen Klassenlage eintreten. Entwicklung wird hier also verstanden
als das Zusammenspiel von drei Faktoren: (1) von innovationsfähiger politischer
Führung, (2) einer auf Veränderungen pochenden Wirtschafts- und Zivilgesell-
schaft und (3) von Institutionen, die einer innovationsbereiten Elite erlauben, aus
alten Bahnen auszubrechen und Reformen durchzusetzen. Das Ergebnis würde
dann eine gesellschaftlich ziemlich breite Selbstermächtigung sein (Acemoglu &
Robinson 2012, S. 458).
47
48 2 Entwicklungstheorien im Überblick
49
50 2 Entwicklungstheorien im Überblick
oder langen Reise…Ob man gut oder bescheiden verdient, ob die Scheuern voll
oder leer sind, das Fest muss auf jeden Fall schön sein, und es muss die maximale
Anzahl von Gästen anziehen…Differenzen, die sonst die Grundlage des sozi-
alen Lebens sind, werden entweder nicht wahrgenommen oder aber ignoriert,
um den Schein eines sozialen Zusammenhalts aufrechtzuerhalten“ (S. 111-112).
• Ineffizienter Homo oeconomicus: „Abgesehen von einigen sozialen Gruppen
wie den Bamileke in Kamerun oder den Kamba in Kenia sei der Afrikaner
ein schlechter Homo oeconomicus. „Durch die eigentümliche Beziehung des
Afrikaners zu der Zeit hat für ihn das Sparen für zukünftige Zwecke geringere
Priorität als der sofortige Konsum. Um nur ja nicht in Versuchung zu geraten,
Reichtum anzuhäufen, müssen die Bezieher regelmäßiger Einkünfte das Studi-
um von Brüdern, Vettern, Neffen und Nichten finanzieren, Neuankömmlinge
unterbringen und für die zahlreichen Feierlichkeiten aufkommen, die das soziale
Leben prägen“ (S. 112).
• Hohe Kosten des Irrationalismus: „Eine Gesellschaft, in der Magie und Hexerei
florieren, ist heute eine kranke, von Spannungen, Ängsten und moralischer Ver-
wirrung beherrschte Gesellschaft. Zauberei ist ein kostspieliger Mechanismus,
um Konflikte zu regeln und den Status quo zu erhalten – und gerade hierauf
kommt es der afrikanischen Kultur vor allem an…Hexerei ist sowohl ein Ins-
trument des sozialen Zwanges (sie trägt dazu bei, die Treue der Individuen zu
ihrem Clan zu erhalten und womöglich zu stärken) als auch ein sehr bequemes
politisches Instrument zur Eliminierung jeder Opposition, die sich etwa regen
könnte. Hexerei ist für uns ein psychologischer Zufluchtsort, wo all unsere
Unwissenheit Antwort findet und unsere wildesten Phantasien Wirklichkeit
werden“ (S. 113; siehe auch Signer 2004).
• Kannibalische Gesellschaften: „Was Afrikaner einander antun, ist unglaublich.
Völkermord, blutige Bürgerkriege und grassierende Gewaltverbrechen legen
nahe, dass afrikanische Gesellschaften auf allen Ebenen in einem gewissen
Umfang kannibalisch sind. Dieselben Leute, die Gesetze verfassen und für ihre
Durchsetzung verantwortlich sind, treten sie mit Füßen…Ist der afrikanische
Totalitarismus mit der Unabhängigkeit entstanden? Natürlich nicht! Er war
schon immer da, eingesenkt in die Fundamente unserer Stammeskulturen.
Autoritarismus beherrscht unsere Familien, unsere Dörfer, unsere Schulen,
unsere Kirchen. Er ist für uns eine Lebensweise…Wir sind dazu verdammt, uns
zu ändern oder unterzugehen“ (S. 115; siehe auch Richburg 1998).
dieses System „den Kindern wenig Anreize, ihre Fähigkeiten auszubauen, innovativ
zu sein oder etwas besser zu machen als ihre Eltern“ (Etounga-Manguelle 2002,
S. 116). Auch die Rolle der afrikanischen Frau – „des missachteten Rückgrats un-
serer Gesellschaften“ – müsse umgestaltet und aufgewertet werden; denn Frauen
hätten „heute keinen Zugang zu Bankkonten, Kredit und Eigentum. Sie haben
zu schweigen. Sie produzieren einen großen Teil unserer Nahrung, haben aber
trotzdem kaum Zugang zu landwirtschaftlicher Ausbildung, Kredit, technischer
Hilfeleistung und so fort“ (Etounga-Manguelle 2002, S. 117). Abschließend fordert
er – wie schon zwanzig Jahre vor ihm die kamerunische Intellektuelle Axelle Kabou
– eine kulturelle Erneuerung Afrikas (Kabou 1993), um den Herausforderungen der
Globalisierung gewachsen zu sein:
„Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein, mehr Vertrauen zueinander und das En-
gagement für einen Fortschritt, der allen zugutekommt. Wir brauchen unbedingt
mehr Disziplin und ein systematisches Herangehen an die Erarbeitung von Strategien
beziehungsweise die Durchsetzung einmal gefällter Entscheidungen…Wir müssen bis
ins Innerste unserer Moralvorstellungen und Gebräuche vorstoßen, um jene Schlamm-
schicht abzutragen, die unseren Gesellschaften den Weg in die Moderne verlegt. Wir
müssen diese Revolution in den Köpfen – ohne die es keinen Technologietransfer
geben kann – selbst vollbringen. Wir müssen auf unsere Intelligenz setzen; denn wenn
sie fähige Führer haben, sind die Afrikaner sehr wohl fähig, Abstand zu nehmen von
der neidischen Eifersucht, der blinden Unterwerfung unter das Irrationale und der
Lethargie, die unser Verderben sind“ (Etounga-Manguelle 2002, S. 118; siehe auch
ähnliche Argumente bei Sye 2010 und Adukule 2016).
Mit Sicherheit werden zahlreiche Afrikanerinnen und Afrikaner dieses hier ge-
zeichnete konservative, statische Weltbild ablehnen und auf die Existenz eines
kulturellen Anpassungswandel hinweisen, der längst im Gange sei, der auch immer
bestanden hätte (Beier 1999) und der sich bereits in vielfältige Formen, Institutio-
nen und Symbolen ausdifferenziert hätte (Beer 2017, S. 71f. und Schulz & Seebode
2010). Auch der Journalistin Bettina Gaus sind bei ihren Reisen zur allmählich
entstehenden „Mittelschicht Afrikas“ ganz andere Menschen begegnet als dieje-
nigen, die von Etounga-Manguelle als „typisch afrikanisch“ beschrieben wurden
(Gaus 2011), – nämlich Kaufleute, Rechtsanwälte, Lehrer, Künstler, Bräute oder
Verwaltungsangestellte, alles moderne Menschen, die ganz ähnliche Träume
von einem besseren Leben hätten, wie auch die meisten Europäer (Siehe auch die
Berichte der ugandischen Rechtsanwältin Winnie Adukule; Adakule 2016). Die
US-amerikanische Anthropologin Kelly M. Askew hat anhand der ostafrikanischen
Suaheli-Kultur die Dynamik der afrikanischen Stadtgesellschaften aufgezeigt, in
der die Bipolarität modern-traditionell längst überwunden und durch permanenten
sozio-kulturellen Wandel verdrängt worden sei. Seit zweitausend Jahren hätten
51
52 2 Entwicklungstheorien im Überblick
Händler der Suaheli-Küste (im heutigen Tansania und Kenia) mit den Staaten
Indiens Handel getrieben und dabei gelernt, ausländische Einflüsse in heimische
Kulturmuster innovativ einzufügen und so einen relativen Vorsprung zu nutzen: „Sie
eigneten sich fremde Elemente an, aber gleichzeitig arbeiteten sie intern bestehende
Elemente in neue Kompositionen um. Und da sie vertraut waren mit Wettbewerb,
besiegten sie potentielle Rivalen – mit ihrem kunstvollen Sprachgeschick. Mit an-
deren Worten, die ästhetischen Prinzipien, die wir in ngoma [Tänze traditioneller
Herkunft] und dansi [modernere Tänze] identifizierten, waren in wirtschaftlicher
Hinsicht nützlich und konnten den wirtschaftlichen Erfolg der Suaheli erklären
helfen“ (Askew 2003, S. 632). Zudem muss man sich heute afrikanische Städte als
vibrierende melting pots (Schmelztiegel) der Kulturen und Völker vorstellen, in
denen Menschen unterschiedlicher Herkunft, oftmals jeweils in eigenen Stadtvier-
teln lebend, einen regen Austausch pflegen, weil sie jede sich bietende Möglichkeit
nutzen, um ihr Einkommen zu vergrößern und um an sozialen und familiären
Netzwerken, die allein das Überleben sichern, teilnehmen zu können (Locatelli &
Nugent 2009; Beer, Fischer & Pauli 2017: Stadtethnologie, S. 317-334).
Vor alllem muss dem Eindruck entgegen getreten werden, dass afrikanische
Volkskulturen statisch und nicht veränderlich seien (Harding 1999, S. 126-162).
Ohne die „geistige Erstarrung“ post-kolonialer Eliten in Nigeria und anderswo
abzustreiten, hat der Romanautor Chinua Achebe von der Kultur der Yoruba und der
Igbo Nigerias ein ganz anderes Bild gezeichnet: Heranwachsende wurden traditionell
im Geiste der Toleranz, der Ehrfurcht vor Eltern und Älteren und der Eigenverant-
wortlichkeit erzogen. ‚Absolute Wahrheiten‘ waren eher verpönt; man glaubte „an
die Möglichkeit gleichzeitiger Wahrheiten“ und war konditioniert, pragmatische
Lösungen für Probleme zu finden, vornehmlich im Kreis der extended family, die
sich von Göttern und Ahnen teils beschützt, teils bedroht sah (Chinua Achebe,
Wole Soyinka und Rowland Abiodun in Gesprächen mit dem Anthropologen und
Künstler Ulli Beier; Beier 1999, S. 13). Erst durch die Begegnung mit dem Westen
und seiner modernen Konsumwirtschaft seien afrikanische Kulturen in die Krise
geraten: Nun sei „eine Situation entstanden, in der das Geld höher bewertet wird
als der Mensch… Das elitäre Denken reicher Yoruba-Geschäftsleute und Politiker
hat extreme Ausmaße angenommen. Sie isolieren sich von der Gemeinschaft. Sie
bauen sich riesige Betonburgen, um ihre unrechtmäßig erworbenen Gewinne zu
schützen. Hier kommt es zu den schwersten Konflikten. Wir haben eine Klasse,
die täglich reicher wird und uns einen fremden Lebensstil aufnötigt“ (Beier 1999,
S. 158-160). Ulli Baier, der in den 1990er Jahren an der Universität Bayreuth das
Iwalewa-Haus als Ort der Begegnung mit afrikanischen Wissenschaften und Kul-
turen gründete, beschrieb die Yoruba-Kultur, um deren Erhalt er sich – nicht ganz
vergebens – bemühte, wie folgt: „Was die Yoruba-Kultur so schön und so lebendig
2.11 Empowerment, Self-Efficacy und „kulturelle Anpassung“ 53
macht, ist ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Sie lässt sich nicht auf Regeln
verkürzen, und es gibt kein heiliges Buch, das von Gott diktiert zu sein behauptet.
Es gibt keine zehn Gebote. Und da die Yoruba keinen Katalog von Geboten und
Verboten aufgestellt haben, hieß es, die Yoruba wäre unmoralisch!“ (Beier 1999,
S. 164). Heute sind Kultur und Kunst der Yoruba – vor allem der Osun-Hain in
Osogbo – als Weltkulturerbe anerkannt worden, und der weltberühmte Maler Twins
Seven Seven, der aus der Künstlerkolonie von Osogbo hervorgegangen ist, gehört
heute zu den gefeierten Repräsentanten der afrikanischen Moderne.
Mit Sicherheit werden die Stereotypen von Etounga-Manguelle auch nicht den
Afrikanern in der europäischen und amerikanischen Diaspora gerecht, die gelernt
haben, sich in fremden Kulturmilieus zurechtzufinden, und die Mitglieder der
globalen Moderne geworden sind. Untersucht man kritische Schilderungen vom
kulturellen Verhalten von Afrikanern im zeitgenössischen Kontext, so finden sich
aber tatsächlich häufig empirische Belege für Gesinnungs- und Verhaltensweisen,
die man wohl als nicht kontext-gemäß bezeichnen kann (Kabou 1993; Chabal
& Daloz 1999; Ayittey 2005, Calderesi 2006, Tetzlaff 2008, Mbeki 2009, Wrong
2009, Sy 2010). Allerdings dürfen die aktuellen Glanzleistungen moderner afri-
kanischer Kultur nicht unerwähnt bleiben – in Literatur und plastischer Kunst,
in Malerei und Musik (Asserate 2010), in Sport und Wissenschaft. Afrikanische
Romane beispielsweise spiegeln höchst einfühlsam eine sehr komplexe Realität
postkolonialer Gesellschaften wider – eine Fundgrube für jeden, der hinter die
Kulissen des lärmenden Alltags schauen möchte (Schraeder 2000, S. 194 -216;
Seiler-Dietrich 2007).
Auch jüngere Untersuchungen, die sich mit Kultur und Religion beschäftigen,
erhärten die Erkenntnis, dass religiöse Vorstellungen die Entwicklungsperspektiven
einer Gemeinschaft sehr oft stark beeinflussen. Das gilt zum Beispiel für die Viel-
zahl von muslimischen Moscheegemeinschaften und christlichen Pfingstkirchen
(pentecostal churches), die Afrika zu einem ‚Kontinent der boomenden Kirchen‘
gemacht haben (Heuser 2015). So hat Birgit Meyer (Lehrstuhlinhaberin für Religi-
onswissenschaften an der Universität Utrecht) den seit Jahren anhaltenden Boom
der Pfingstkirchen in Westafrika als Reaktion auf sozio-ökonomische Verände-
rungen im Kontext der Globalisierung interpretiert und den erneuerten Glauben
als pragmatische Lebenshilfe gedeutet: „Die Pfingstkirchen helfen dem einzelnen
Gläubigen bei der Ablösung von althergebrachten Sozialstrukturen, zu denen auch
die alten Götter gehören. Der Heilige Geist werde oft als Messer dargestellt, das
die alten Blutsbande trennt und die Herauslösung des Individums ermöglicht.
‚Brich mit deiner Vergangenheit‘, riefen die Prediger den Gläubigen zu, ‚sei ein
wiedergeborener Mensch ohne alte Prägungen‘. Insofern sind die Pfingstkirchen
ein Projekt der Moderne“ (Meyer 2013, S. 30-31).
53
54 2 Entwicklungstheorien im Überblick
55
56 2 Entwicklungstheorien im Überblick
den Diskurs über Wahrheit und Gesellschaft bestimme, der übe Macht aus; so
würden alternative Formen des Wissens ausgeschlossen, was somit die Autonomie
nicht-westlicher Gemeinschaften bedrohen würde (Ziai 2014, S. 408-409). Freilich
ist hier zu hinterfragen: Autonomie wozu? Ist kulturelle Autonomie in der Ära der
Globalisierung noch möglich?
Auch Ulrich Menzel hat in seiner Kritik an Entwicklungstheorien und Ent-
wicklungspolitik dem Entwicklungsbegriff die Qualität als ein emanzipatorisches,
aufklärerisches Projekt abgesprochen, das etwa die Durchsetzung der Moderne
in den Süd-Ländern der Erde verfolgen würde. Vielmehr ginge es heute „nur
noch um die Linderung der krassesten Fälle von Armut, Hunger, Bürgerkrieg,
Flüchtlingselend, Menschenrechtsverletzungen, Zerfall von Staaten und Auflösung
staatlicher Ordnung schlechthin“. Es drohe sogar eine „De facto-Rekolonialisierung“
in manchen Teilen der Welt, „sei es durch die Auflagen des IMF, die Blauhelme
der Vereinten Nationen, die diversen Konditionen der Entwicklungszusammen-
arbeit (Menschenrechtsauflagen, Umweltverträglichkeit, Frauenkomponente etc.)“
(Menzel 2010, S. 155).
Zusammenfassend kann mit Aram Ziai festgehalten werden: In den Augen der
Post-Development-Autoren ist der gängige Entwicklungsdiskurs als „eurozentrisch,
machtverstrickt, ökonomistisch und herrschaftsförmig“ zu kritisieren und erfülle
zudem eine ideologische Funktion (Ziai 2014, S. 414). Diese ablehnende Haltung
ist jedoch bei zahlreichen Autoren auf Kritik gestoßen, die etwa auf Erfolge bei der
Armutsbekämpfung durch Entwicklungspolitik oder auf den unerwarteten Anstieg
der Lebensqualität in den asiatischen Schwellenländern hinweisen konnten. Eine
überzeugende Alternative zu den gängigen Entwicklungstheorien und Entwick-
lungsparadigmen wurde bislang nicht vorgelegt, wobei die zentrale Erkenntnis
der Post-Development-Kritiker nicht kleingeredet werden soll, dass nämlich das
westliche Wirtschaftsmodell (mit dessen Fetischisierung des wirtschaftlichen
Wachstums um jeden Preis) weder eine globale Anwendbarkeit noch eine globale
Akzeptanz für sich in Anspruch nehmen kann (Goldberg 2008; Hennings 2009;
Tandon 2016). Dementsprechend hat der aus Ghana stammende Ökonom George
Ayittey in seinem Buch „Africa Unchained. The Blueprint for Africa’s Future“ eine
„neue Entwicklungsstrategie“ konzipiert, die um die Vision einer partizipativen
Dorf-Entwicklung in einer befriedeten Gesellschaft kreist (Ayittey 2005; siehe auch
Olopade 2014). Der Test ihrer Praxistauglichkeit steht hier allerdings noch aus.
57
58 2 Entwicklungstheorien im Überblick
legten Lehrsätzen von einst gehören beispielsweise die Hypothese, dass Exporte
von Rohstoffen (Bergbauprodukte und Landwirtschaftsgüter) aus armen Ländern
zur wirtschaftlichen Entwicklung nichts Wesentliches beitragen könnten (Szirmai
2005, S. 5-6), oder die Hypothese, dass die Produktion für den Weltmarkt, dem
Less Developed Countries (LDCs) auf Grund ihrer strukturellen Abhängigkeit von
technisch-wissenschaftlichen Metropolen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert seien,
eine Sackgasse der Entwicklung darstellen würde. Als ebenso mangelhaft hat sich
die Annahme der Modernisierungstheoretiker erwiesen, dass Kapitalmangel das
alles entscheidende missing link der Entwicklung sei (was aber Jeffrey Sachs heute
noch behauptet; Sachs 2005) und deshalb ‚mehr Entwicklungshilfe‘ den Weg aus
der ‚Armutsfalle‘ weisen könnte (kritisch dazu: Calderesi 2006, Easterley 2006,
Goldberg 2008; Mills, Herbst, Obasanjo & Davis 2017).
ZWEITENS: ‚Entwicklung‘ als Bestandteil der Moderne ist heute sinnvollerwei-
se nur „im Plural möglicher Entwicklungswege zu denken“.(Goetze 1997, S. 436).
Durch die differenzierten kritischen Entwicklungsdiskurse, wie sie nicht zuletzt von
Repräsentanten des Post-Development und der (feministischen) Gender-Forschung
geführt werden, ist eine heilsame Sensibilisierung für ungerechte, asymmetrische
Gesellschaftsstrukturen und Geschlechterbeziehungen möglich geworden, die auch
dem Lokalen mehr Bedeutung beimisst (Haidara 1992; Harding 1999; Schiefer
2002; Goldberg 2008; Hennings 2009; Meyns 2009). Heute ist cultural diversity
Trumpf (Heidemann 2011; Verschuur, Guérin & Guétat-Bernard 2014; Mersmann
& Kippenberg 2016).
DRITTENS: Diese Auflösung der Moderne in mannigfaltige, sich teils über-
lappende, sich teils widersprechende Modernitäten ist aber mit einer weit verbrei-
teten Verunsicherung bezüglich der Begriffe, Normen und Praktiken im Umfeld
von Entwicklungspolitik und Gesellschaftanalyse erkauft worden. Jede Aussage
kann auf unentdeckte Botschaften und ‚Fallen‘ hinterfragt werden, so dass Ent-
wicklungskonzepte, die eines Mindestmaßes an Generalisierung bedürfen, wenn
sie einer bestimmten Zielgruppe dienen sollen, auch immer angreifbar sind.
Eine solche berechtigte Sensibilisierung darf aber nicht zu Handlungsohnmacht
führen, womit Menschen in Entwicklungsländern wohl kaum gedient wäre. Es
genügt nicht, ‚Entwicklung‘ als Mythos zu verunglimpfen oder als Ausdruck von
Eurozentrismus ‚dekonstruieren‘ zu wollen. Wer politisch etwas bewegen will,
muss „sich theoretisch anstrengen“ (Altvater & Mahnkopf 1996, S. 575). Nicht
zuletzt im Bereich der Ethnologie, in der es um „ein Verstehen der Bedingungen,
Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Lebensweisen (Kulturen) geht“ (Fischer
2017, S. 28) sowie in den Gender-Studien haben solche theoretische Anstrengun-
gen ihren sensibilitätsfördernden Niederschlag gefunden (Schulz & Seebode 2010;
Verschuur, Guérin & Guétat-Bernard 2014; Luig 2017). Benötigt werden demnach
59
60 2 Entwicklungstheorien im Überblick
Aufgaben
2 Im Schlusskapitel habe ich diese vier Typen von ökonomischen Systemen mit vier
Mustern politischer Systeme kombiniert, was eine Matrix von 13 möglichen Typen von
Entwicklungsländern ergibt.
Das Erbe von Sklavenhandel und
Kolonialismus
3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
3
• Phase 1: Die lange Phase des atlantischen Sklavenhandels mit seinem Höhepunkt
zwischen der Mitte des 17. Jahrhunderts und dem Ende des 18. Jahrhunderts:
Sie begann, nachdem europäische Kolonialisten entdeckt hatten, dass die ka-
ribischen Inseln für den Anbau von Zuckerrohr sehr geeignet waren und dazu
große Mengen von Arbeitskräften ‚importiert‘ werden mussten. Sie endete mit
der Bewegung in Europa zur Abschaffung der Sklaverei (genannt die „Aboliti-
onisten“) und mit dem Bürgerkrieg in den USA 1861-1865.
• Phase 2: Das 19. Jahrhundert als eine Zeit großer Umbrüche, einerseits ausgelöst
durch Reformen von afrikanischen Gesellschaften selbst, andererseits durch
die Frühphase der Politik der allmählichen Inbesitznahme und Penetration
afrikanischer Gebiete durch Kaufleute, Handelsgesellschaften und Militärexpe-
ditionen aus Europa. Letzteres geschah namentlich in Ägypten (beginnend mit
Napoleons ‚Nordafrika-Expedition‘ 1799), in Algerien (seit 1830, wobei Algerier
drei Jahrzehnte lang Widerstand leisteten), in vier Hafenstädten des Senegal
sowie in Südafrika, wo die Funde von Gold und Diamanten Begehrlichkeiten
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 61
R. Tetzlaff, Afrika, Grundwissen Politik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20253-8_3
62 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
weckten. Gleichwohl war das 19. Jahrhundert „im Wesentlichen ein Jahrhundert
von Afrikanern selbst gestalteter Geschichte, gekennzeichnet in allen Regionen des
Kontinents durch räumliche Erweiterung politischer Systeme zu Flächenstaaten…
Viele dieser Staaten führten neue Formen der gesellschaftlichen Organisation ein.
Das bedeutete nicht nur schlagfähigeres Militär, wie z. B. bei den Zulu, sondern
auch neue Wirtschaftsweisen (an der Westküste Export von Palmöl als Ersatz für
Sklaven) und besonders bei den vom Islam beeinflussten Völkern Reformbewe-
gungen zur Reinigung und Vertiefung des Glaubens sowie Aktivierung der von
ihm geforderten Taten“ (Ansprenger 2002, S. 64-65).
• Phase 3. Es ist die Zeit der formellen Kolonisation: Durch imperialistische Ri-
valitäten zwischen England und Russland (Afghanistan, Indien) sowie durch
interne Spannungen in den sich industrialisierenden Staaten Europas war ein
Kolonialfieber ausgelöst worden, das schließlich seit den 1880er Jahren zu einer
großflächigen allgemeinen Balgerei um Afrika und seine Rohstoffe und Märkte
führen sollte. Hauptbeteiligte waren England, Frankreich, Portugal, Belgien,
Italien und Deutschland. Diplomatischer Höhepunkt war die Berliner Kon-
go-Konferenz 1884/85 unter Leitung des deutschen Reichskanzlers Otto von
Bismarck. Man hat sie auch als die „Hochphase des Imperialismus“ (1880-1960)
bezeichnet (Osterhammel & Petersson 2003).
• Phase 4: Die Phase der Dekolonisation begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit
der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit von Libyen (1951), Tunesien
(1956), Sudan (1956) und der Goldküste/Ghana (1957), und erreichte im Jahr
1960 den ersten Höhepunkt mit der Befreiung von 17 Kolonien, darunter fast
aller frankophonen Gebiete. Sie endete schließlich mit der letztlich doch noch
gewaltarmen verhandelten Dekolonisation von Namibia im Jahr 1990 – der
Lostrennung von ‚Südwestafrika‘ von Südafrika, das selbst vier Jahre später
mit dem Wahlsieg des African National Congress unter der Führung von Nel-
son Mandela das Apartheitssystem überwand. Während die sieben weißen
Siedler-Kolonien (Algerien, Kenia, Rhodesien/Simbabwe, Namibia, Südafrika,
Mosambik und Angola) nur mittels militärischem Widerstand seitens afrika-
nischer Befreiungsbewegungen befreit werden konnten, vollzog sich der Regi-
mewechsel in allen anderen Kolonien als Prozess des politischen Aushandelns
von Herrschaftskompromissen zwischen zögerlichen Kolonial-Europäern und
nach Freiheit verlangenden afrikanischen Eliten (Le Suer 2003; Shipway 2008).
• Phase 5: Die post-koloniale Phase umfasst die sechs Jahrzehnte seit der Erlangung
der politischen Unabhängigkeit (von 1956/1960 bis heute). Bezeichnend für sie
waren a) zunächst die Abhaltung von freien Parlamentswahlen zur Unabhän-
gigkeit; b) die Zentralisierung von politischer Macht durch autoritäre Präsidi-
alregime im Namen von nation-building und state-building, gegen die häufig
3.1 Fünf Phasen der afrikanischen Geschichte 63
das eigene Militär putschte; c) die vielfältigen Anstrengungen der nun befreiten
Länder, um ihre kolonial deformierten und rückständigen Ökonomien durch
Entwicklungshilfe-Projekte zu ‚entwickeln‘; und d) die relativ hohen nationalen
Investitionen in das bislang vernachlässigte Bildungswesen und andere Bereiche
der Infrastruktur. Der Begriff post-kolonial bringt die noch nicht überwunde-
ne Kontinuität der Einflüsse aus der Zeit der kolonialen Fremdherrschaft auf
Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft afrikanischer Länder zum Ausdruck (Hall
1996; Ashcroft/Griffiths/Tiffin 1998; Mbembe 2014). Diese Phase umfasst auch
die jüngere Generation der born-free people, die den Kolonialismus nur noch
vom Hören-Sagen kennen.
63
64 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
‚Afrika‘ von den Europäern erfunden bzw. konstruiert worden – als ein Paradigma
der Differenz, des Anderssein. Der Kongolesische Philosoph V. Y. Mudimbe meinte,
dass Afrika als „ein exotisches Prisma“ gedient hätte, durch das Ausländer, meis-
tens Europäer, gebrochene Bilder vom ‚Anderen‘ und von sich selbst produziert
hätten (zit. nach Parker & Rathbone 2007, S. 5). Die ethnozentrische Methode der
Geschichtsbetrachtung, eine Variante des Eurozentrismus, ist heute durch eine dif-
ferenzierte, polyzentrische oder pluri-kulturelle Betrachtungsweise ersetzt worden
(Harding 1999; Zimmerer 2013; Eckert 2015). Demnach waren Afrikanerinnen und
Afrikaner nicht nur hilflose Opfer anderer Völker und/oder kuriose Studienob-
jekte von Ethnologen, sondern in vielerlei Hinsicht auch aktive Mitgestalter ihrer
eigener Geschichte. Sie handelten als Feldherren, Herrscher über große Königrei-
che und Sultanate, als Jäger, Kaufleute, Händler und Bäuerinnen, als Goldgräber,
Kunstschmiede, Gelehrte und Diplomaten. Westafrika z. B. war seit Jahrtausenden
durch den legendären Goldhandel durch die Sahara mit den Handelsmächten der
übrigen Welt (vor allem mit den Mittelmeeranrainern) verbunden, und nicht erst
seit der angeblich so segensreichen Erschließung des Kontinents durch Entdecker,
Kolonialpioniere und christliche Missionare aus der Welt der Weißen. Es gibt, wie
überall in der Welt, auch in Afrika eine Fülle von Lokalgeschichten und Regionale-
reignissen, die zum kulturellen Erbe von Menschen gehören und Erinnerung und
Verhalten prägen (Braudel 1993). Diese werden jetzt immer mehr erforscht oder
künstlerisch gestaltet, nicht zuletzt von afrikanischen Wissenschaftlern (Nugent
2004) und Künstlern selbst (z. B. des kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong’o).
Zu den eurozentrischen Klischees über Afrika gehört die Behauptung, dass
afrikanische ‚Stämme‘ oder ‚Horden‘ keine Kultur gehabt hätten. Erst durch die
Begegnung mit den kulturell überlegenen Vertretern der ‚weißen Rasse‘ seien Af-
rikaner ‚kulturell gehoben‘ worden, d. h. durch große Mühen der Weißen seien sie
auf eine ‚höhere Kulturstufe‘ gestellt worden. Dabei wurde auf Schulen, Missions-
stationen, harte Zwangsarbeit auf Farmen, Plantagen und Bergwerken sowie auf
den Eisenbahnbau verwiesen. Aus Negern Menschen machen! – so lautete um 1900
die Rechtfertigungsformel für die europäische Kolonialherrschaft in Afrika. Nach
heutigem Weltbild würden wir sagen, unsere Vorfahren waren ungewollt-gewollt
daran beteiligt, aus Menschen Neger zu machen, d. h. Menschen, die eine eigene
Kultur besaßen, so zu verbiegen, dass sie dem eurozentrischen Bild des Weißen
vom ‚Neger‘ entsprachen (Fanon 1980; Mbembe 2014). Da Afrikaner nun mal von
Natur aus faul, träge und ungebildet seien und nur zu harter körperlicher Arbeit
fähig, müssten sie zur Kultur gezwungenermaßen erzogen werden (Zimmerer
2013, S. 414f.).
Beim Prozess der formalen Kolonialisierung haben – neben Geographen, Eth-
nologen und Kaufleuten – auch die christlichen Missionare im 19. Jahrhundert eine
65
66 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
67
68 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
manchmal tausend Kilometer, bis sie das Rote Meer erreichten“ (Osterhammel 2009,
S. 230-231). Nach Johannes Postmas Berechnungen starben etwa 25 % der gejagten
Sklaven auf dem Weg an die Küste des Sultanats Oman und zu den benachbarten
muslimischen Herrschaftsgebieten, die bereits seit dem 9. Jahrhundert Sklaven
importierten, – insgesamt etwa 9 Millionen Afrikaner (Postma 2003, S. 78f).
Europäische Kaufleute konnten sich beim Erwerb der begehrten Arbeitskräfte
der afrikanischen Zwischenhändler und Chiefs von den Küstenregionen bedienen,
mit denen sie auch andere Geschäftsbeziehungen – Handel mit Palmöl, Kakao,
Erdnüssen etc. – pflegten. Denn diese Mittler ‚besorgten‘ das schwarze Elfenbein
aus dem Innern des Kontinents, das den Europäern lange verschlossen blieb (allein
wegen der Tropenkrankheiten und der militärisch stark gesicherten Territorialrei-
che). Diese Tatsache, dass Afrikaner der Küstenregionen (um selbst verschont zu
bleiben) andere Afrikaner von benachbarten Stämmen und aus dem Landesinneren
professionell jagten und dann die ‚Ware‘ als Zwischenhändler weiterverkauften,
gehört zu den großen Tragödien der afrikanischen Geschichte (Braudel 1986, S. 482f.;
Davidson 1992). Dabei haben Kolonialeuropäer wohl den größten Schuldanteil
an der Verschleppung, weil es deren Gier und der Logik der frühkapitalistischen
Produktionsweise entsprach, dass der Kontinent Afrika im Zuge des imperialen
Dreieckshandels auf unterster Stufe in die Weltwirtschaft integriert werden sollte
(Hahn 2009, S. 17f.).
Das gelang nur auf gewaltsamem Wege, da Afrika nicht primär als ebenbürtiger
Handelspartner angesehen wurde, sondern als Lieferant von Arbeitskräften und
Trägern für Rohstoffe wie Elfenbein, Gold, Salz und Kautschuk. Später kamen an-
dere Kolonialwaren hinzu, wie Kaffee, Kakao, Erdnüsse und vor allem Baumwolle,
letztere der begehrte Rohstoff für die europäische Textilindustrie. Der interkonti-
nentale Dreieckshandel bestand darin, dass Afrika neben Gold und Elfenbein vor
allem den Rohstoff Mensch lieferte, für den es (im späten 19. Jahrhundert) vor allem
Feuerwaffen (Gewehre, Kanonen, Munition), Glasperlen und Schnaps erhielt. Die
Empfängerländer der Sklaven – die beiden Amerikas sowie die Karibischen Inseln
Kuba, Haiti, San Domingo etc.- exportierten Zucker, Gewürze, Tabak, Palmöl,
Baumwolle und andere Kolonialwaren nach Europa, das im Gegenzug Textilien
(‚Manchester‘-Stoffe) und andere Konsumgüter in neu erschlossene Märkte nach
Übersee verkaufte. Europäische Hafenstädte wie etwa Venedig, Genua, Lissabon,
Marseille, London, Manchester, Bristol, Rotterdam und Hamburg profitierten in
starkem Maße von diesem ungleichen internationalen Warenhandel.
Es gibt nicht viele Dokumente aus afrikanischer Feder, die über die Ursprünge und
Praktiken der europäischen Gier nach dem schwarzen Gold Auskunft geben können.
Desto bemerkenswerter sind die Beschwerdebriefe des zum Christentum übergetre-
tenen Königs namens Nzinga Mbemba Affonso, Herrscher des ManiKongo-Reiches,
3.3 Transatlantischer Sklavenhandel und seine Überwindung 69
der im Jahr 1506 den Thron bestiegen hatte und fast vierzig Jahre lang als Affonso
I. regierte. Er wehrte sich nach Kräften gegen die schleichende Zerstörung seines
Reichs durch Bittbriefe an den portugiesischen König Joao III. So schrieb er z. B. im
Jahr 1526: „Tag für Tag schnappen und entführen die Händler Leute aus unserem
Volk – Kinder dieses Landes, Söhne unserer Edlen und Vasallen, sogar Leute aus
unserer eigenen Familie…Dieses Verderbnis und Schlechtigkeit ist so verbreitet,
dass unser Land völlig entvölkert wird…Wir benötigen in diesem Königreich nur
Priester und Lehrer und keine Handelsgüter, außer wenn es sich um Wein und
Mehl für die Messe handelt…Wir wünschen, dass dieses Königreich kein Ort für
Handel oder den Transport von Sklaven sei“ (zit. bei Hochschild 2002, S. 24). König
Affonso I. kam immer wieder auf die Verführung seiner eigenen Landsleute durch
die Glitzerwelt der portugiesischen Waren (Stoffe, Schmuck, Werkzeuge) zurück:
„Diese Handelsgüter“, schrieb er, „ üben auf einfache und unwissende Menschen
einen solchen Reiz aus, dass sie zum Gegenstand ihres Glaubens werden und der
Glaube an Gott in Vergessenheit gerät…Mein Fürst, eine ungeheure Gier treibt
unsere Untertanen, sogar Christen, dazu, die Angehörigen ihrer eigenen Familien
und der unseren zu ergreifen, um Geschäfte zu machen und sie als Gefangene zu
verkaufen“ (Hochschild 2002, S. 25). Am Königshof von Lissabon war man leider
nicht bereit, auf die Klagen und Bitten des Mani-Kongo-Herrschers einzugehen
und führte das Zerstörungswerk weiter.
Jürgen Osterhammel hat in seiner facettenreichen Geschichte des 19. Jahrhunderts
die These aufgestellt, dass „das wichtigste Erbe des Sklavenhandels die Sklaverei
selbst“ gewesen sei. Sklaverei hatte es „bereits vor dem Eintreffen europäischer
Sklavenhändler im 16. Jahrhundert gegeben, doch bewirkte der Sklavenhandel
eine Verallgemeinerung dieser Institution und ließ Gesellschaften entstehen, deren
Logik das Sklavenmachen in Kriegszügen war. Zwischen 1750 und 1850 mochte sich
etwa ein Zehntel der afrikanischen Bevölkerung in einem Sklavenstatus befunden
haben…Die Stadt Banamba im heutigen Mali z. B. wurde erst in den 1840er Jahren
gegründet und fungierte bald als Mittelpunkt eines weitgreifenden Sklavenhal-
ternetzes; sie war von einem 50 Kilometer breiten Gürtel von Sklavenplantagen
umgeben…Vieles spricht dafür, dass Sklaverei keineswegs bloß ein archaisches
Relikt der Vormoderne war, sondern dass eine sklavenbasierte Produktionsweise
(slave mode of production) sich den neuen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts gut
anpassen ließ…In Westafrika waren es Staaten wie das Sokoto-Kalifat, Asante und
Dahomey, die Sklaven oft von weither importierten, um sie auf Plantagen oder im
Handwerk arbeiten zu lassen. Die Bevölkerung der Stadt Lagos soll in den 1850er
Jahren, also am Vorabend der Unterstellung unter britisches Protektorat (1861),
zu neun Zehnteln aus Sklaven bestanden haben“ (Osterhammel 2009, S. 232-233).
69
70 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
Vermutlich ist den Menschen in den christlichen Gesellschaften wie auch denen
der islamischen Gesellschaften frühzeitig bewusst geworden (im Unterschied zu
den Menschen der griechischen Antike), dass Sklaverei ‚Sünde‘ (vor Gott) oder
ein ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ sei. Wer sich als Fremder zum Beispiel
taufen ließ oder zum Glauben übertrat, der durfte nicht mehr versklavt werden.
Auch deshalb war z. B. der Übertritt zum Islam bei Menschen aus Unterschichten
(z. B. in Indien) sehr beliebt, weil das mit der Hoffnung auf ein besseres Leben
verbunden war. In der Forschung wird bis heute kontrovers diskutiert (Postma
2003, Marx 2004, Osterhammel 2009, Eckert 2010), welche der beiden Hauptmotive
und Interessen zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert geführt haben –
moralische Bedenken oder materielle Eigeninteressen. Die Einen können darauf
verweisen, dass das Erbe der Aufklärung und die christliche Verpflichtung zur
Gleichbehandlung aller Menschen immer mehr politisch einflussreiche Gruppen
für die Abschaffung der Sklaverei und des Sklavenhandels plädieren ließen. Die
Anderen hingegen machen darauf aufmerksam, dass die Gewinnraten im interna-
tionalen Sklavenhandel mit zunehmenden ‚Lieferschwierigkeiten‘ nachließen und
der Einsatz entlohnter Kontraktarbeiter auf den karibischen und brasilianischen
Plantagen auf die Dauer kostengünstiger war. Sklaven haben oftmals Ausbrüche
versucht und Widerstand geleistet, was erhöhtes Wachpersonal erforderlich machte.
Außerdem kam nur ein kleinerer Anteil von geraubten und verschleppten Sklaven in
der neuen Zwangsheimat in Übersee an (schätzungsweise 30 % bis 50 %). Inspiriert
von wahren Horrorgeschichten über die katastrophalen hygienischen Bedingungen
auf Sklavenschiffen und Sklavenplantagen, die in London, Paris, Berlin, Wien, Den
Haag und anderswo die Runde machten, haben europäische Humanisten für die
Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei gekämpft. Zu nennen ist hier
vor allem ein frommer Prediger aus England, namens William Wilberforce (1759-
1833). Er brachte im Jahr 1789 als Anführer der Abolitionisten die erste von 12
Resolutionen im britischen Parlament zur Abschaffung der Sklaverei ein; doch es
sollte weitere 28 Jahre dauern, bis im Jahr 1807 die Abschaffungs-Resolution vom
britischen Parlament angenommen wurde. Die USA sind das einzige Land, in dem
es 1861-1865 wegen der Abschaffung der Sklaverei zu einem Bürgerkrieg gekommen
ist. Die Südstaaten wollten die Sklavenwirtschaft beibehalten und sich vom Rest der
Union trennen (Sezessionskrieg). Präsident Abraham Lincoln (1860-1865) sprach im
Jahr 1863 in der so genannten Emanzipationserklärung alle Sklaven im Gebiet der
Südstaaten (der „Konföderierten“) frei. Zwei Jahre später wurde er dafür ermordet.
Im Jahr 1888 schaffte auch Brasilien endlich die Sklaverei ab. Allerdings gingen
der illegale internationale Sklavenhandel und die Ausbeutung von Sklavenarbeitern
bis zum Ersten Weltkrieg weiter. In Westafrika übten mächtige Herrscher noch
lange Widerstand gegen die Abschaffung der für sie lukrativen Sklaverei, die zur
3.3 Transatlantischer Sklavenhandel und seine Überwindung 71
Grundlage einer eigenen Produktionsweise geworden war. In Ibadan, der mit 70.000
Einwohnern größten Stadt Westafrikas im 19. Jahrhundert, gab es in den 1860er
und 1870er Jahren mehr als einhundert Unternehmer, von denen jeder über 500
Sklaven besaß. Die afrikanische Plantagenwirtschaft war also in diesem Punkt
vergleichbar mit der in den Südstaaten Nordamerikas vor dem Bürgerkrieg. Beide
Produktionsformen beruhten auf Sklavenarbeit und sind mittlerweile von der
Forschung „als eine spezifisch moderne, kapitalistische Wirtschaftsform erkannt
worden, die in ein System modernisierter politischer Herrschaft eingebettet war“.
Diese Wirtschaftsform lässt sich als endogene Modernisierung verstehen: d. h. als
Übergang der afrikanischen Gesellschaften von einer Subsistenz-Ökonomie zu
einer marktgesteuerten Form kommerzieller Produktion. Aber auch dieser Versuch
sei dann später vom „Kolonialismus abgewürgt“ worden (Marx 2004, S. 29); denn
schwarze Konkurrenz war bei den weißen Herrenmenschen unerwünscht.
Die Verbrechen des atlantischen Sklavenhandels wurden öfters mal mit denen
des Holocaust durch die deutschen Nationalsozialisten verglichen (Postma 2003,
S. 81): in beiden Fällen sei eine brutale Variante des Rassismus zum Vorschein ge-
kommen. Gleichwohl sollte der Unterschied nicht übersehen werden, dass das Ziel
der Ermordung von sechs Millionen Juden Europas der Auslöschung eines Volkes
diente – eine monströse Wahnidee also; während Zweck und Ziel des Sklaven-
handels deren maximale Ausbeutung ihrer Arbeitskraft waren – mithin einer von
hemmungsloser Gier gespeisten Wirtschaftsweise folgend. Sollte sich der Westen
heute dafür bei den Nachkommen des atlantischen Sklavenhandels entschuldigen
und eventuell Wiedergutmachungszahlungen leisten? Es gibt afrikanische Intel-
lektuelle, die diese Frage bejahen. Als US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1996 auf
seiner Afrikareise den Afrikanern sein Bedauern über die mit dem Sklavenhandel
verbundenen Grausamkeiten an Afrikanern aussprach, ohne die umstrittene
Kompensationsfrage anzusprechen, waren viele enttäuscht. Ein Argument für die
Wiedergutmachung an Afrikaner ist in der langen traumatischen Nachwirkung
des transatlantischen Sklavenhandels zu sehen. Aber an wen sollte man was in
welcher Höhe zahlen? Der nigerianische Schriftsteller Wole Soyinka, der 1986 als
erster schwarzafrikanischer Autor den Literaturnobelpreis bekam, vertrat dazu in
seinem Buch Die Last des Erinnerns die Meinung, dass Kompensationszahlungen
Europas an heute amtierende Regierungen Afrikas wegen der ebenso verheerenden
Folgen der „arabisch-muslimischen Dimension“ des Sklavenhandels nicht ange-
bracht wären (Soyinka 2001, S. 55 und S. 73-74).
Wir können festhalten: Aus weltgesellschaftlicher Sicht hat eine Verkettung
von vier Prozessen – der atlantische Sklavenhandel, die Sklavenwirtschaft in den
beiden Amerikas und im islamischen Orient, die innerafrikanische Sklaverei sowie
der auf der Exportsklaverei beruhende frühimperialistische koloniale Dreiecks-
71
72 3 Das Erbe von Sklavenhandel und Kolonialismus
Aufgaben
gesamteuropäisches Projekt gewesen wäre und noch immer sei und deshalb auch
„als gesamteuropäische Erinnerung ausgelotet werden“ sollte (Zimmerer 2013,
S. 32). Auch der deutsche Kolonialismus sei „intensiv mit dem europäischen Ko-
lonialismus verbunden“ gewesen, wofür die internationale Balgerei um Afrika (der
scramble for Africa) sowie die Berliner Kongo-Konferenz augenfällige Belege seien.
Erinnerungsorte können als Kristallisationspunkte des kollektiven Gedächtnisses
einer Bevölkerung verstanden werden, wobei diese kontextabhängig dekonstruiert
und somit auch verändert werden könnten. Populäre koloniale Erinnerungsorte
sind z. B. ‚die treuen Askaris von General Lettow-Vorbeck‘ in Deutsch-Ostafrika,
oder die ‚Zivilisationsleistung‘ der deutschen Siedler in ‚Südwest‘ (siehe die Beiträge
von Stefanie Michels, Henning Melber, Volker Langbehn und Gordon Uhlmann
in Zimmerer 2013).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten Entdecker, Geographen,
Forschungsreisende und christliche Missionare Phantasie und Interesse der Men-
schen in Europa am dunklen Kontinent geweckt, von dem man bislang nicht viel
wusste. Nicht alle Forscher ließen sich vor den Karren kolonialpolitischer Interessen
spannen, wie an zwei Beispielen – Heinrich Barth und Gustav Nachtigal – ange-
deutet werden soll. Der Historiker, Philologe und Geograph Heinrich Barth, 1821
in Hamburg geboren, zählt zu den bedeutendsten Vertretern unter den deutschen
Afrikaforschern. Er unternahm ausgedehnte Forschungsreisen nach West- und
Zentralafrika, verweilte auch sieben Monate lang in der islamischen Kulturmet-
ropole Timbuktu, wo er seine ethnologischen Studien betrieb. Dabei beschrieb er
deren Menschen und deren autochthone Kulturen mit Respekt und erkannte sie als
gleichrangig mit den Bewohnern der westlichen Welt an. Das passte freilich nicht
zur Euphorie der Kolonialbewegung im Wilhelminischen Reich. Im Gegensatz zu
Barth unterstützte der Afrikaforscher Gustav Nachtigal (1834-1885), der sich durch
seine Erkundungsreisen nach Nord- und Westafrika große wissenschaftliche Meriten
erworben hatte, die Kolonialpropaganda seiner Zeit. Er ließ sich vom deutschen
Reichskanzler Fürst Bismarck zur Errichtung der Kolonialherrschaft in Togo und
Kamerun gewinnen und wurde somit zum kolonialen Eroberer.
Noch größere politische Wirkung ging von dem US-amerikanischen Forscher
Henry Morton Stanley aus. Er hatte mit der Durchquerung Afrikas von West nach
Ost und der Erforschung des Kongo-Beckens (seit 1874) den letzten großen weißen
Flecken von der Landkarte Afrikas getilgt. Von 1879 bis 1884 reiste Stanley erneut
nach Afrika, diesmal im Auftrag von König Leopold II von Belgien, um in gehei-
mer Mission durch angebliche ‚Verträge‘ mit lokalen Herrschern eiligst koloniale
Handelsstationen zu gründen (Hochschild 2002 und van Reybrouck 2012). Eile
war geboten, denn seine Furcht, dass andere ihm zuvorkommen könnten, war
nicht unbegründet. Im Süden beanspruchte Portugal ‚seine‘ alte Kolonie (an der
4.1 Die Berliner Konferenz 1884/5 75
3 Ein Derwisch ist Mitglied eines islamischen religiösen Ordens, zu dessen Riten Musik
und rhythmische Tänze gehören.
75
76 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
Schifffahrt freigegeben; (3) Wenn ein Staat ein Territorium beanspruchte, musste es
sich um eine ‚effektive Besitzergreifung‘ handeln, worunter Investitionen zum Ausbau
einer handelstauglichen Infrastruktur zu verstehen waren; (4) Der Sklavenhandel
galt nun als international verboten. Die Berliner Konferenz „steht für europäische
Bevormundung und Arroganz, für Megalomanie [übersteigerte Selbsteinschätzung]
und Fehleinschätzungen…Für viele Afrikaner ist die Berliner Afrika-Konferenz,
ist Berlin zum Symbol für den Beginn der Dauerkrise des Kontinents“ geworden
(Eckhart 2013, S. 148).
Parallel dazu wurden Verhandlungen über den Anspruch König Leopolds geführt,
den Kongo-Freistaat – ein Gebiet so groß wie Westeuropa – als Privatbesitz der
königlichen Kongo-Gesellschaft international anzuerkennen, was dann tatsächlich
auch geschah. Fürst Bismarck, die englischen und französischen Diplomaten – sie
alle waren blind angesichts der Gefahr, Millionen von Afrikanern einem habgierigen
Despoten auszuliefern. König Leopold II, in Belgien ein konstitutioneller Monarch, in
Afrika nun, wo er kaum mehr als eine Handvoll Handelsstationen am Kongo-Fluss
besaß, ein skrupelloser Ausbeuter, herrschte 23 Jahre über den Freistaat, bis dieser,
inzwischen völlig ruiniert, im November 1908 vom belgischen Staat als Kolonie
übernommen werden musste (Hochschild 2002, S. 183).
Die Festlegung von Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolo-
nialbesitz („effektive Besetzung“) löste einen Wettlauf um die noch nicht besetzten
Gebiete und die definitive Abgrenzung des bisherigen Besitzstandes aus. Innerhalb
weniger Jahre war Afrika, bis auf Liberia und das christliche Kaiserreich Äthiopien,
unter den europäischen Mächten aufgeteilt. Mehr als zehn Millionen Quadratmeilen
afrikanischen Bodens und über hundert Millionen Afrikaner gelangten in etwas
mehr als zwei Jahrzehnten unter europäische Fremdherrschaft. Aus heutiger Sicht
ist es nicht einfach zu verstehen, warum es die sieben europäischen Staaten am Ende
des 19. Jahrhunderts auf sich genommen haben, jeden Zipfel des afrikanischen
Kontinents in Besitz zu nehmen. Die territorialen Eroberungen waren doch wegen
des zu erwartenden Widerstandes afrikanischer Reiche und Völker, die bereits
in den Besitz von Feuerwaffen gekommen waren, voraussichtlich sehr mühsam,
verlustreich und teuer. Hätte nicht auch die Fortsetzung der informellen Herrschaft
genügt, um Afrikas Rohstoffe weiterhin ausbeuten zu können? Die Geschichte der
Völker verläuft nun einmal nicht rational und logisch, etwa nur von ökonomischen
Interessen und anderen Nützlichkeitserwägungen bestimmt, sondern sie ergibt sich
oft ungeplant als Verkettung von zeitgebundenen Umständen und menschlichen
Kalkülen, die mal rational, mal irrational erscheinen mögen. Offenbar beflügelte
der imperialistische Zeitgeist das Bedürfnis von Machteliten in konkurrierenden
Industriestaaten, sich von nationalem Prestigedenken leiten zu lassen. Im wilhel-
minischen Deutschland war ein solches Interesse auch in konservativen Kreisen
4.2 Motive und Interessen des europäischen Kolonialismus 77
77
78 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
Abb. 4.1 Afrika – Koloniale Aufteilung bis 1914 (Maßstab 1 : 60 Mio., 6.5.2009)
Quelle: Kämmer-Kartographie, Berlin 2016
4.2 Motive und Interessen des europäischen Kolonialismus 79
79
80 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
81
82 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
„Kolonialpolitik war Landpolitik. Erwerb von Land, Verfügung über Land und
Nutzung von Land standen im Mittelpunkt, begründeten Erfolge und Probleme
der Kolonisation“ (Speitkamp 2005, S. 73). Unter diesem Typ von Kolonien hatte die
afrikanische Landbevölkerung am meisten zu leiden, weil sie in großer Zahl von
ihren Anbaugebieten vertrieben wurden, um den expansiv vorgehenden Siedlern
Platz machen zu müssen – was deren Überlebensfähigkeit bedrohte. Es ist daher
nicht verwunderlich, dass es fast ausschließlich in solchen Siedler-Kolonien zu an-
haltenden militanten ‚Aufständen‘ (aus Sicht der Weißen) bzw. ‚Widerstands- und
Befreiungs-Kriegen‘ (aus Sicht der Afrikaner) gekommen ist.
Als fünfte Gruppe kann man noch den Typ ‚Kolonie mit gemischter Wirtschaft‘
anführen, in dem es eine (meist unfriedliche) Koexistenz zwischen weißen Sied-
lern und afrikanischen Cash-Crop-Produzenten gab: Beide Gruppen produzierten
Güter für den Weltmarkt. Afrikanische Kleinbauern reagierten auf Marktsignale
und stellten ihre Produktionsweise auf den Anbau von lukrativen Kolonialwaren
(bzw. cash crops) um. Es waren „kleinbäuerliche, quasi schollengebundene Existen-
zen, die marktorientiert wirtschafteten und dabei zugleich in ihrer Gemeinschaft
verwurzelt blieben“. Sie waren eher als Proletarier auch für christliche Gesinnung
und Obrigkeitstreue zu gewinnen (Speitkamp 2005, S. 83).
Der ‚koloniale Staat‘ als Verwaltungssystem besaß – im Unterschied zum Staat
in den kolonialen ‚Mutterländern‘ – nur eine geringe vertikale Tiefe; denn er
reichte nur in den wenigsten Fällen bis hinunter auf die Dorfebene. Zudem waren
die Verwaltungshierarchien flach: Zwischen dem Gouverneur an der Spitze und
dem District Commissioner (Britisch-Afrika) bzw. dem Commandant de cercle (in
Französisch-Afrika) bzw. dem Bezirksamtmann (Deutsch-Afrika) an der Basis gab
es als Zwischenstufe nur noch den Provinzkommissar. Kolonialverwaltung sollte
billig sein, so dass die europäischen Distrikt-Beamten als für alle Belange des Lebens
Zuständige eine enorme Machtfülle hatten. Gleichzeitig bedeutete dies – mangels
Gewaltenteilung – eine institutionelle Einladung zu despotischer Verhaltensweise.
Im Gebrauch der Prügelstrafe kam sie zur Geltung, was im postkolonialen Afrika
bis heute nicht vergessen ist.
Dem ‚kolonialen Staat‘ der Europäer gemeinsam war das Bestreben, einem
geringen Teil der afrikanischen Kolonialbevölkerung ein Minimum an formaler
Bildung zu vermitteln. Die hauptsächlichen Nutznießer dieser Kolonialschulen, die
entweder von christlichen Missionaren aufgebaut und betrieben wurden (in briti-
schen und deutschen Kolonien) oder von staatlicher Seite (in französischen Kolonien
und Protektoraten), waren die Söhne von Häuptlingen. Neben der Vermittlung von
Basiskenntnissen im Lesen, Schreiben und Rechnen, die für die Ausübung einer
Tätigkeit als Messdiener, Schreiber, Aufseher, Fahrer, Koch, Gärtner oder Gehilfe
bei der Erstellung von Zeitungen notwendig waren, sollten die Kolonialschulen auch
4.3 Großbritannien als Kolonialmacht: ‚Teile und herrsche‘ 83
83
84 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
angewiesen und hatten mittels einer starken Flotte ein Weltreich gegründet, was
in dem stolzen Slogan Britannia rules the waves zum Ausdruck kam. Dabei hat das
britische Königreich diverse Methoden zur Beherrschung fremder Völker auspro-
biert. Es praktizierte im 19. Jahrhundert die Doktrin des Freihandels und regierte in
den Protektoraten und Kronkolonien mittels indirekter Herrschaftsmethoden. Ein
vielsagendes Dokument über das politische Selbstverständnis Großbritanniens als
Kolonialmacht mit Zivilisationsauftrag ist die Schrift The Dual Mandate aus dem
Jahr 1922 von Lord Frederick Lugard (1858 – 1945). Lugard, in England geboren,
hatte das berühmte Royal Military College in Sandhurst besucht, bevor er als Ko-
lonialoffizier und -beamter in verschiedenen asiatischen Kolonien Dienst tat. Im
Jahr 1894 wurde er nach Uganda und danach nach Nordnigeria versetzt, um dort
für die britische Krone Protektorate (Schutzgebiete, in denen englisches Recht galt)
in den alten einheimischen Herrschaftsgebieten einzurichten. Zwischen 1922 und
1936 war Lord Lugard auch Mitglied des Völkerbunds und hat in der Kommission
für Mandate (Protektorate) seine Ideen auch in die Arbeit des Völkerbunds mit hin-
eintragen können. Mit dem Grundsatz vom „doppelten Mandat“ war gemeint, dass
Großbritannien seine Kolonien so verwalten sollte, dass sie sowohl dem kolonialen
Mutterland materiell nutzen als auch seine kolonialen Untertanen fördern sollten:
„Sowie das Römische Kaiserreich die Grundlagen der modernen Zivilisation gelegt
hat und so die wilden Barbaren dieser Inseln [Britannien] auf den Pfad des Fort-
schritts führte, so zahlen wir heute in Afrika unsere Schulden zurück. Wir bringen
den dunklen Orten der Erde, wo Barbarei und Grausamkeit zu Hause sind, die Fackel
der Kultur und des Fortschritts. Dabei dienen wir den materiellen Bedürfnissen
unserer eigenen Nation. In dieser Aufgabe haben sich die Nationen Europas zur
Zusammenarbeit in einem heiligen Bündnis verpflichtet. Um das gemeinsame Ziel
zu erreichen, wird jede Nation mittels der Methoden voranschreiten, die ihrem Ge-
nius gemäß sind…Britische Methoden haben Glück und Wohlstand der primitiven
Rassen gefördert. Wer das bezweifelt, sollte die Ergebnisse unparteiisch untersuchen.
Wenn es Unruhen gibt und ein Verlangen nach Unabhängigkeit, wie in Indien und
Ägypten, dann geschieht das, weil wir diese Völkern den Wert der Freiheit gelehrt
haben, den sie seit Jahrhunderten nicht gekannt hatten. Ihre Unzufriedenheit ist ein
Maßstab ihres Fortschritts. Wir hielten diese Länder in unserem Besitz, weil es den
Genius unserer Nation ausmacht zu kolonisieren, Handel zu treiben und zu regieren“
(Lugard 1922/1965, S. 618-619).
In Afrika sollte sich bald zeigen, dass imperiale Rhetorik und kolonialherrschaftliche
Realität weit auseinanderlagen. Indirect rule in Nigeria wurde kostensparend auf
mehreren Ebenen ausgeübt: auf der obersten Ebene stand der britische Gouverneur
mit seinen Kolonialbeamten, die die allgemeinen Verwaltungsrichtlinien definier-
ten. Auf der mittleren Ebene standen afrikanische Vermittler und unfreiwillige
Kollaborateure (z. B. kooperationsbereite Häuptlinge), die die meist unangenehmen
4.3 Großbritannien als Kolonialmacht: ‚Teile und herrsche‘ 85
85
86 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
des in die Geldwirtschaft eingefügt und damit auch von den Preisfluktuationen
der Weltwirtschaft abhängig gemacht (von Albertini 1976, S. 262; Goldberg 2008,
S. 80f.; Hahn 2009).
Schließlich ist hervorzuheben, dass die Briten seit den 1920er Jahren damit
begannen, erste Schritte in Richtung auf Self-Governance der afrikanischen Be-
völkerung in Form der Legislative Councils einzurichten, an denen teils gewählte
und teils vom Gouverneur ernannte afrikanische Ratsmitglieder mitwirkten und
die sich beratend an der Native Administration beteiligen sollten. Der städtischen
Elite, die sich auch gegenüber den traditionalen Chiefs behaupten musste, wurde
so erst einmal ein Sprachrohr verschafft. Auch war somit der Politisierung der
Gesellschaft eine Arena eröffnet worden. Ein weitsichtiger Gouverneur (Frederick
Gordon Guggisberg, 1919-1927) trieb die Modernisierung des Landes voran, u. a.
durch Gründung des Achimota College im Jahr 1927, das er selbst als den Kern
einer westafrikanischen Universität ansah (Schicho 2001, S. 186.). Schließlich
wurden auch Executive Councils mit afrikanischer Beteiligung eingerichtet – ein
weiterer Schritt auf dem Weg zur Vorbereitung der nationalen Unabhängigkeit
der Kolonien (Meredith 2005, S. 19f.). Auf ethnischer Basis entstanden nun Be-
rufsvereinigungen, Schulungszentren, Jugend-Klubs und Ansätze von politischen
Parteien, die „gewissermaßen eine Brücke vom vorkolonialen zum nachkolonialen
Afrika“ schlugen (von Albertini 1976, S. 268). Das Ergebnis war aber nicht eine ein-
heitliche Nation (nach europäischem Muster, geeint durch Klassenkämpfe und in
Jahrhunderten gewachsenen Rechts-Institutionen), sondern eher ein fragmentierter
ethnischer Nationalismus, der von jedem Bürger eine doppelte Loyalität forderte:
zur Herkunftsethnie zum einen, zur neu sich formierenden Nation zum anderen
(Mamdani 1996; Cooper 2006). Konnte das gutgehen?
87
88 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
um die Bodenschätze, was in der Geschichte der Kolonisation einzigartig ist – nicht
zuletzt wegen der praktizierten Kriegsmethoden.
Früh hatte hier die Verdrängung der verschiedenen Völker am Kap durch aus
Holland stammende Buren und andere Europäer begonnen. Schon 1652 hatte Jan
van Riebek am Kap die erste europäische Niederlassung als Versorgungsstützpunkt
der Holländischen Ostindien-Kompanie gegründet. Die verschiedenen Völker der
Khoikhoi (‚Hottentotten‘) und San (‚Buschmänner‘), auf die die holländischen
Einwohner stießen, wurden verdrängt, versklavt, ausgerottet oder vermischten
sich mit den Eingewanderten. Bauern mit christlichem Glaubensbekenntnis
„machten sich zu Herren über ein Land, das ihnen nach ihrer Denkweise Gott
zugedacht hatte. Es war ihr Gott, in dessen Namen sie Menschen anderer ‚Rasse‘
und Ideologie unterdrückten, ausbeuten und entrechten durften“ (Schicho 1999,
S. 138). Da vom Norden her Bantu-Völker auf der Suche nach Lebensraum in die
südafrikanischen Gefilde eindrangen und die Buren mit ihren Ochsenkarren in
der gleichen Absicht nach Norden ‚treckten‘ (auch um den Engländern zu entkom-
men), kam es im 19. Jahrhundert zu mehreren Kriegsgefechten, in denen sich die
Buren nach erheblichen Verlusten schließlich durchsetzen konnten. „Beide Seiten
bewährten sich als Pioniere, Räuber und Viehdiebe“ (Schicho 1999, S. 138). Waf-
fentechnische Überlegenheit und das geschickte Ausnutzen der Rivalität zwischen
einigen Bantu-Völkern ermöglichten es schließlich den Buren, sich immer mehr
Siedlungsland anzueignen und drei Buren-Republiken zu gründen: Natal, Oranje
Free State und Transvaal.
Die bestehenden Spannungen zwischen Buren und Briten, z. B. wegen des Verbots
der Sklaverei (Sklaven waren von den Buren z. B. im Weinbau der Kap-Provinz einge-
setzt) intensivierten sich, als die Funde von Diamanten und Gold am Witwatersrand
(einer Hügelkette im Süden des Transvaal) in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahr-
hunderts verstärkt die Aufmerksamkeit der Briten auf die natürlichen Reichtümer
am Kap lenkten. Der Abbau der größten Goldvorkommen der Welt erwies sich als
schwierig und kostenintensiv. Nur wenige britische Konzerne konnten den Abbau
von Gold – damals das begehrteste Metall der Welt – mit großem Kapitaleinsatz in
die Wege leiten. Der Goldbergbau wurde „zum Industrialisierungsmotor Südafrikas,
der Einwanderer in großer Zahl in die bis dahin ländlich geprägte Burenrepublik
zog“ (Marx 2004, S. 120). Vor dem Hintergrund ständiger politischer und militä-
rischer Auseinandersetzungen vollzog sich die Gründung einer Weltfirma, die bis
heute nahezu ein Monopol in der Förderung und Vermarktung von Diamanten
hat: De Beers. Mit der Errichtung von compounds genannten Arbeiterlagern,
„deren Zugang rigoros überwacht wurde, der Einführung strenger Arbeitszeiten
und der Intensivierung der Arbeitsleistung, wurde De Beers beispielgebend für die
Disziplinierung und Ausbeutung afrikanischer Arbeitskraft“ (Schicho 1999, S. 142).
4.5 Frankreich als Kolonialmacht – Grundzüge seiner Afrikapolitik 89
Großbritannien konnte „nur mit riesigem militärischen Aufwand und brutalen Me-
thoden die Republiken [der Buren] niederringen… Im Jahr 1900 gingen die Buren zu
einem höchst effektiven Guerillakrieg über, den die Briten nur mit Hilfe eines gigan-
tischen Zerstörungswerks in den ländlichen Regionen gewannen. Der Krieg wurde
wegen der von Lord Kitchener angewandten Strategie der ‚verbrannten Erde‘ und auch
wegen der Konzentrationslager, in denen insgesamt 26.000 Frauen und Kinder an
Seuchen starben, zu einem Skandal. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass hier
nur Methoden gegen Weisse angewandt wurden, die gegen Afrikaner seit 1811 gang
und gäbe waren und allseits für legitim erachtet wurden…Die Buren kapitulierten
am 31. Mai 1902 aus denselben Gründen, aus denen die taktisch den Briten haushoch
überlegenen Xhosa 1853 die Waffen gestreckt hatten: Ihre Lebensgrundlage war so
gefährdet, dass sie verhungert wären, hätten sie weitergekämpft“ (Marx 2004, S. 121).
Mit dem Ende des Burenkriegs war die Kolonialeroberung im südlichen Afrika erst
einmal abgeschlossen. Die Goldproduktion konnte wieder hochgefahren werden.
Die vier Kolonien Transvaal, Orange River, Natal und Kap-Kolonie schlossen sich
im Jahr 1910 zur Union von Südafrika zusammen. Buren und Briten mussten nun
nolens volens in einem Staat zusammenleben. Zwei Jahre später gründete sich der
African National Congress (ANC), Afrikas älteste Partei, der sich später auch Nel-
son Mandela anschloss. Es sollte noch einmal acht Jahrzehnte bis zur endgültigen
Befreiung der schwarzen afrikanischen Mehrheit dauern.
89
90 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
Afrika weist der Rivale Frankreich mit seiner anfangs verfolgten Politik der kulturel-
len Assimilation von Afrikanern eine Besonderheit auf: Wer sich der französischen
Kultur anschloss und die französische Sprache zu beherrschen gelernt hatte, der
konnte hoffen, vom Status des kolonialen Untertans (sujet) zum gleichberechtigten
Bürger (citoyen) aufzusteigen. Das erschien zunächst als ein attraktives Angebot
für junge bildungshungrige Afrikaner. Frühzeitig wurde in den Kolonien ein
Grundschulsystem aufgebaut. Die französische Kolonialdoktrin der Assimilation
zielte darauf ab, die Afrikaner im Sinne der französischen Zivilisation ‚zu heben‘,
zu erziehen. Sie sollten gewissermaßen zu schwarzen Franzosen umgebildet werden,
und ihr sozialer Status wurde von der Erreichung dieser (utopischen) Ziele abhängig
gemacht. So ist schon im Jahr 1659 ein kultureller Brückenkopf der Franzosen in
Westafrika errichtet worden – in der Mestizen-Siedlung St. Louis am Senegal-Fluss.
Hier wurde, bedingt durch den Sklavenhandel, eine formelle Kolonialherrschaft
errichtet, während die übrigen französischen Besitzungen an der Westküste Afri-
kas bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts nur Stützpunkte (für Handels- und
Kriegsschiffe) blieben. Vier Gemeinden, die so genannten Quatre Communes,
nämlich Gorée, St. Louis, Dakar und Rufisque, erhielten zwischen 1848 und 1851
jeweils das französische Staatsbürgerrecht. Eine Besonderheit französischer Koloni-
alpolitik war auch die Dominanz der Militäroffiziere vor Ort. Die Gouverneure mit
ihren Kolonialoffizieren waren nicht lediglich ausführendes Organ einer in Paris
konzipierten Kolonialpolitik, sondern sie waren im Wesentlichen selbst Motor einer
kolonialen Expansionspolitik. Als Beispiel soll der Kommandant, später General
und Gouverneur, Louis Léon César Faidherbe (1818 – 1889) angeführt werden. Er
besetzte den Senegal, machte Dakar zum neuen Verwaltungssitz, von dem aus
später das gesamte Gebiet des westlichen Afrika erobert wurde. Kein Wunder,
dass Frankreich dabei in Konflikt mit den so genannten Jihad-Reichen geriet. Mit
dieser Zielsetzung, der islamisch gewordenen Bevölkerung der Sudanzone neue
Impulse zu verleihen, sind in verschiedenen Regionen der Sahelzone islamische
Prediger aufgetreten, die zugleich Kriegsherren waren und gegen fremdkulturelle
Einflüsse vorgingen. Es war eine Zeit großer sozialer Umbrüche, in der sich ein
clash of civilizations – ein Aufeinanderprallen der Kulturen und Religionen – er-
eignete (Iliffe 2000, S. 214f.).
Als eine weitere Besonderheit kolonialpolitischer Praxis ist die Tatsache zu
würdigen, dass ein Afrikaner als Repräsentant einer afrikanischen Kolonie (aus
dem überwiegend islamischen Senegal) in die französische Nationalversammlung
gewählt werden konnte – was im Jahr 1945 dem Dichter Leopold Senghor (1906
– 2001) vergönnt war. Von 1960 bis 1980 war er dann der erste Staatspräsident
Senegals. Ebenso ist ein kulturell assimilierter Afrikaner aus Côte d’Ivoire (Elfen-
beinküste) – Felix Houphouet-Boigny (1905 – 1993) – zum Abgeordneten und sogar
4.6 Frankreichs Verirrung in Algerien 91
91
92 4 Die Phase der formellen Kolonisation (1880-1960)
So kam, was kommen musste: Auch diese weiße Siedlerkolonie (ähnlich wie
in Kenia und Rhodesien) war nicht bereit, den Afrikanern freiwillig die nationale
Unabhängigkeit zu gewähren. In der Verblendung, den Zeitgeist der nationalen
Befreiung als Forderung aller Kolonialvölker ignorieren zu können, führten die
Franzosen acht Jahre lang einen verlustreichen und letztlich sinnlosen Krieg. Im
Jahr 1954 war die Nationale Befreiungsfront (Front de Libération National, FLN)
gegründet worden, deren Anführer Achmed Ben Bella die bäuerlichen Guerilla-Ein-
heiten gegen eine gut gerüstete französische Armee (die schließlich 500 000 Mann
aufbieten konnte) antreten ließ – mit Erfolg. Im Jahr 1960 anerkannte der französi-
sche Staatschef Charles de Gaulle, inzwischen von der Ausweglosigkeit des Krieges
der Franzosen überzeugt, das Recht der Algerier auf nationale Selbstbestimmung
öffentlich an, was bei einem Teil der weißen Siedler als ‚Verrat‘ interpretiert wurde
(und beinahe in Frankreich einen Militärputsch gegen de Gaulle ausgelöst hätte).
Im März 1962 kam es im schweizerischen Evian zu Verhandlungen zwischen der
französischen Regierung und den Führern der FLN, die mit dem Abkommen von
Evian endeten. Die FLN erhielt das Recht, einen eigenen souveränen Staat zu er-
richten, und Frankreich erhielt außer einigen wirtschaftlichen Privilegien (Rechte
zum Abbau der Uranvorkommen) das Recht, den Flottenstützpunkt Mers el-Kebir
für 15 und das Atomtestgelände in der Sahara für fünf Jahre weiter zu nutzen.
In der für den 3. Juli 1962 festgesetzten Volksabstimmung stimmten 91 % der
Algerier für die Unabhängigkeit (und damit auch für eine weitere begrenzte Zu-
sammenarbeit mit Frankreich). Was fast zufällig als begrenzte Militäraktion 1830
begonnen hatte, sollte nach 130 Jahren leidvoller und im Kern verfehlter Koloni-
alpolitik kläglich enden: Der Algerienkrieg kostete über einer Million Menschen
das Leben; er zerstörte gewachsene wirtschaftliche und soziale Strukturen; denn
ein Drittel der Bevölkerung war aus Sicherheitsgründen umgesiedelt worden. 70 %
der Bevölkerung waren 1962 arbeitslos geworden. Mit der überstürzten Flucht
bzw. Auswanderung von knapp einer Million Europäern verlor das Land fast alle
Unternehmer, Techniker, Facharbeiter, Verwaltungsbeamte, Ärzte und Lehrer.
Die weißen Siedler hatten 40 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche unter ihrer
Kontrolle, und über 80 % der Industrie, Banken und Versorgungsbetriebe waren in
französischer Hand. All diese Betriebe standen bei Kriegsende erst einmal leer und
verwaist da (Elsenhans 1974, Marx 2004, Meredith 2005). Schlimmer noch erging
es den Harkis, den algerischen Hilfstruppen, denen Paris die legale Übersiedlung
nach Frankreich verwehrte. Etwa 150.000 Harkis wurden von rachsüchtigen alge-
rischen Landsleuten umgebracht, und etwa 67.000 Harkis konnten sich mit ihren
Angehörigen nach Frankreich retten (wo sie bis heute ein armseliges Dasein als
Verfemte führen). Für die Kriegsverbrechen (Folter und Unterdrückung) hat sich
Frankreich bis heute nicht bei den Algeriern entschuldigt.
93
Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika 5
4 Freihandel ist die Wirtschaftsform, nach der alle Wirtschafts- und Handelsunternehmen
freien Zugang zu allen Märkten haben.
5.2 Die deutsche Kolonialherrschaft 97
„Meine Herren, dass Kolonialpolitik getrieben wird, ist an und für sich kein Verbrechen.
Kolonialpolitik zu treiben kann unter Umständen eine Kulturtat sein, es kommt nur
darauf an, wie die Kolonialpolitik getrieben wird… Kommen die Vertreter kultivier-
ter und zivilisierter Völkerschaften, wie es zum Beispiel die europäischen Nationen
und die nordamerikanischen sind, zu fremden Völkern als Befreier, als Freunde und
Bildner, als Helfer in der Not, um ihnen die Errungenschaften der Kultur und der
Zivilisation zu überbringen, um sie zu Kulturmenschen zu erziehen, geschieht das in
dieser edlen Absicht und in der richtigen Weise, dann sind wir Sozialdemokraten die
ersten, die eine solche Kolonisation als große Kulturmission zu unterstützen bereit
sind“ (van der Hyden & Zeller 2002, S. 68).
Die Wirklichkeit sah anders aus. Gegen das vergiftete Angebot der ‚Zivilisierung‘
wussten sich Afrikaner zu wehren. Es gab nicht nur bewaffneten Widerstand, son-
dern auch eine rechtsstaatlich argumentierende Petitionsbewegung. Zum Beispiel
überreichten 1913 Könige und Amtsträger des Volkes der Duala aus Kamerun
unter Leitung von Prinz Manga Bell dem deutschen Reichstag Beschwerden.
Sie erklärten, dass durch den mit den Vertretern der Firmen C. Woermann und
Jantzen & Thormählen abgeschlossenen Vertrag vom 12. Juli 1884 „das Deutsche
Reich keineswegs die volle absolute Souveränität über die Machtsphäre der Duala
erworben“ hätte. „Eine rechtliche Basis für die Okkupation“ [ihres Grund und
Bodens] bestünde also nicht5. Nicht weniger bemerkenswert war die Eingabe aus
Togo an den Staatssekretär des Reichskolonialamtes in Berlin im Herbst 1913. In
dem Schreiben verlangten die afrikanischen Beschwerdeführer unter anderem „die
Beseitigung der Kettenhaft und der Prügelstrafe, die Zulassung einer Vertretung
5 Manga Bell wurde 1914, wegen ‚Hochverrats‘, hingerichtet – ein Justizmord (Bommarius
2015).
97
98 5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
5.3 Deutsch-Südwestafrika/Namibia
5.3 Deutsch-Südwestafrika/Namibia
Die deutsche Kolonialverwaltung betrieb eine zweideutige Politik: Einerseits war
ihr an Landkäufen gelegen, weil sie die Herero – ein Volk von Viehhirten – zu
Sesshaftigkeit und Lohnarbeiten überreden wollte. Andererseits wollte sie aber
auch die Verelendung und Proletarisierung der einheimischen Bevölkerung (wenn
möglich) vermeiden. Dazu begann sie auf Anraten der Rheinischen Mission mit der
Einrichtung von Reservaten auf ziemlich unfruchtbarem Gelände. Durch den Bau
der Eisenbahnlinie von Swakopmund (am Atlantik) nach Windhuk, der weitere
deutsche Siedler ins Herero-Land zog, ist dieser Verdrängungsprozess beschleunigt
worden. Für den Herero-Oberhäuptling Samuel Maherero, der von den Deutschen
zunächst an der Macht gehalten und alimentiert wurde, war so eine ökonomisch
höchst prekäre Situation entstanden. Die Viehherden der Herero, Basis ihrer Noma-
denexistenz und auch symbolischer Ausdruck von Rang und Status, waren durch
die verheerende Rinderpest von 1896/97 ohnehin schon schwer dezimiert worden,
5.3 Deutsch-Südwestafrika/Namibia 99
„Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der
Herero. Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen…Das Volk der Herero muss
das Land verlassen…Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder
ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder
mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen“ (zit. nach Marx
2004, S. 146).
99
100 5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
Sieben Monate nach den ersten Überfällen kam es am Waterberg im Nordosten der
Kolonie zu einer Einkesselung der Herero. Hauptmann Franke von der Deutschen
Schutztruppe verdanken wir folgenden Bericht über das Massaker:
„Die Herero hatten sich mit Frau, Kind und Vieh am Waterberg-Massiv versammelt –
schätzungsweise um die 35 000 Menschen und 10 000 Stück Vieh. Rund 1500
Schutztruppler mit 30 Geschützen und 12 Maschinengewehren standen auf deutscher
Seite…Hier ging es nicht um eine Entscheidungsschlacht gegen einen Kriegsgegner,
sondern um die angestrebte Vernichtung eines ganzen Volkes, das jeden Handbreit
Boden verzweifelt und tapfer verteidigte…Ein ganzes Volk kämpfte um sein Land, um
sein Vieh, um sein Überleben. Hinter den Kampflinien standen die Herero-Frauen,
feuerten ihre Männer an und skandierten immer und immer wieder: ‚Wem gehört
Hereroland? Uns gehört Hereroland‘“ (Augenzeuge Hauptmann Franke, zit. in:
Graichen & Gründler 2005, S. 144-145).
gefunden, während die Mehrheit der Historiker diese Frage inzwischen bejaht (Bley,
Eckert, Marx, Melber; Speitkamp, Van der Heyden, Zeller, Zimmerer). Ein Genozid
liegt dann vor, wenn nachweisbar ist, dass eine politische Absicht bestanden hat,
ein Volk oder einen Teil eines Volkes auszulöschen. Diese Absicht ist zwar nicht
der Regierung im fernen Berlin zu unterstellen – im Gegenteil, Reichskanzler Fürst
von Bülow hat das Vorgehen von General von Trotha missbilligt und auf sofortige
Einstellung des Vernichtungskrieges gedrängt (im November 1905 musste von
Trotha seinen Dienst quittieren) –, wohl aber dem verantwortlichen General Lothar
von Trotha, dessen Absicht, die Herero zu vernichten, nicht bezweifelt werden kann
(Zeller & Zimmerer 2016). Dennoch gab und gibt es ernst zu nehmende Forsche-
rInnen, die meinen, eine differenzierte Position einnehmen zu müssen (Zu ihnen
gehörte die 1996 verstorbene Brigitte Lau, Leiterin des namibischen Nationalarchivs
in Windhoek). Der Afrika-Korrespondent des ‚Spiegels‘, Bartholomäus Grill, hat
2016 dazu folgenden Standpunkt eingenommen:
„Der Vorwurf eines unter seiner Regie durchgeführten Völkermordplanes der Reichs-
regierung lässt sich ebenso wenig erhärten wie die These [die z. B. von dem Hamburger
Historiker Jürgen Zimmerer], dass Deutschland damals einen Sonderweg eingeschlagen
habe, der in den Faschismus mündete und im Holocaust gipfelte. Alle Kolonialmächte
überzogen die eroberten Territorien mit Mord und Terror: die Spanier auf Kuba, die
Belgier im Kongo, die Briten im Sudan, in Südafrika oder Tasmanien. Im Zeitalter der
kolonialen Gewaltexzesse sei die Vernichtung von Zivilisten, ‚Teil von Unterwerfung
und Herrschaft‘ gewesen, es habe keinen deutschen ‚Tabubruch‘ gegeben, befindet der
Militärhistoriker Robert Gerwarth“ (Grill, Der Spiegel, Nr. 24/2016. S. 58).
Auch wenn man diesem Narrativ folgt, dann wäre die Frage noch nicht entschieden,
ob sich die deutsche Regierung heute nicht bereitfinden sollte, sich für den Völker-
mord gebührend (d. h. verbal und monetär) bei den Namibiern zu entschuldigen.
Bisher hat nur die ehemalige sozialdemokratische Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul im August 2004
bei einer Gedenkfeier am Waterberg um Entschuldigung gebeten. Entschädigungs-
zahlungen konnte auch sie nicht versprechen und gelobte, mehr Entwicklungshilfe
zu mobilisieren. Inzwischen ist im Sommer 2016 diplomatische Bewegung in diese
ungeklärte Angelegenheit gekommen: Auf deutscher Seite ist der CDU-Politiker
Ruprecht Polenz als Sonderbeauftragter ernannt worden, der mit dem namibischen
Bevollmächtigen Zedekia Ngavirue eine gemeinsame Völkermord-Erklärung er-
arbeiten sollte (bislang erfolglos). Damit wären allerdings nicht automatisch auch
die aktuellen Entschädigungsforderungen von Seiten der Herero (Chief Vekuii
Rukoro), der Nama (Chief Gaob David Frederick) und anderer Ethnien anerkannt,
die sich auf einige Milliarden Euro summieren. Die Bundesrepublik Deutschland
hat seit der Unabhängigkeit Namibias Entwicklungshilfe von insgesamt 870 Mio. €
101
102 5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
5.4 Deutsch-Ostafrika/Tansania
5.4 Deutsch-Ostafrika/Tansania
Ein Jahr nach Beginn des Herero-Nama-Krieges gegen die Deutschen begann
in Deutsch-Ostafrika ein Abwehr- und Befreiungskrieg von großen Teilen der
verzweifelten Kolonialbevölkerung gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Hier
waren vor allem der forcierte Anbau von Baumwolle auf Gemeinschaftsfeldern,
die Erhöhung der Hütten- und Kopfsteuern sowie die Zwangsarbeit die Auslöser
für organisierten Widerstand. Die Krieger hatten das von einem Propheten und
Magier geheiligte Maji-Maji (das Kisuaheli-Wort für Wasser) auf ihre Körper
aufgetragen, in der Hoffnung, dass die Kugeln der Weißen wie Wasser auf Ölhaut
abtropfen würden. Von den Europäern unbemerkt, hatte es der charismatische
Prophet Kinjikitile fertiggebracht, im Umkreis von 100 km zahlreiche Clanführer
davon zu überzeugen, sich an der geplanten Rebellion zu beteiligen – im Ver-
trauen auf die magische Wirkung des geheiligten Wassers, das auch als Symbol
für Fruchtbarkeit und Wohlstand verstanden wurde. Die Ursachen und lokalen
Hintergründe der Tatsache, dass sich 1905 etwa vierzig Ethnien im südlichen und
südwestlichen Tanganyika (wie die Ngoni, Matumbi, Pangwa) zum bewaffneten
Widerstand entschlossen, sind äußerst komplex (Iliffe 1969, Gwassa 1973; Becker
& Beez 2005; Pesek 2005; Deutsch 2006).
Schon der Auftakt zur Gründung des Schutzgebietes Deutsch-Ostafrika hatte un-
ter keinem guten Stern gestanden. Nachdem der ‚Kolonialpionier‘ Dr. Carl Peters 1884
einige ‚Verträge‘ mit Häuptlingen des ostafrikanischen Hinterlandes abgeschlossen
hatte, begannen die Agenten der von ihm mitgegründeten Deutsch-Ostafrikanischen
Gesellschaft (DOAG) mit ihrer ‚Arbeit‘ des Sammelns von Handelsprodukten wie
Elfenbein und Kautschuk (Peters 1906). Der Sultan von Sansibar war gezwungen
worden, auf einen Großteil seiner territorialen Ansprüche auf das gegenüberliegende
Festland zu verzichten, doch die Küstenbewohner wehrten sich gegen den Landraub.
Die ‚Rebellen‘ des so genannten Bushiri-Aufstands von 1888, deren ‚Verbrechen‘
darin bestanden hatte, sich gegen die rabiaten Ausbeutungsmethoden der DOAG
zur Wehr zu setzen, wurden gehängt. Nun sah sich das Deutsche Reich genötigt,
nach dem Versagen der privatwirtschaftlichen DOAG, selbst direkt die Verwaltung
des Schutzgebietes zu übernehmen. Die Charta – ein Brief, in dem die Regierung
5.4 Deutsch-Ostafrika/Tansania 103
die private Erwerbsgesellschaft mit dem Recht zur Nutzung und der Pflicht zur
Verwaltung des Schutzgebietes ausgestattet hatte – wurde annulliert. Aber mit
der Übernahme der vollen Verantwortung durch das Deutsche Reich, das nun
seine Kolonien von jeweils einem Gouverneur (Regierungschef) als Stellvertreter
des Kaisers verwalten ließ, änderte sich für die Einheimischen zunächst wenig:
Diese spezielle Form der Gewaltherrschaft wurde unter dem Namen ‚Befriedung‘
fortgesetzt und systematisch ausgebaut.
Es folgten weitere 84 bewaffnete Konflikte (von 1888 bis 1905) zwischen Ko-
lonialverwaltung und einheimischer Bevölkerung, die zu ‚Strafexpeditionen‘
der Schutztruppe führten. Den stärksten Primärwiderstand leistete das Volk der
Wahehe (bis 1898). Deutschlands Ziel war es, seine ostafrikanische Besitzung zur
Siedlerkolonie auszubauen und zum Rohstofflieferanten für das Mutterland zu
machen. Zur In-Wert-Setzung der Kolonie wurde eine 1250 km lange Eisenbahnlinie
von der Küste (Daressalam) bis an den Tanganjikasee (Kigoma) gebaut und durch
Reichsanleihen finanziert. Ab 1900 kamen deutsche Farmer und Pflanzer in die
ökologisch und klimatisch günstigen Gebiete (z. B. in die Usambara-Berge) – bis
1914 etwa 5.000 Europäer, darunter etwa 800 Siedler (Tetzlaff 1970). Angebaut und
exportiert wurden Sisal (zur Produktion von Schiffstauen), Kaffee, Baumwolle und
Tee. Niemals erlangte die Produktion dieser Kolonialwaren für die Versorgung
Deutschlands eine wirtschaftliche Relevanz, die die hohen Kosten der gewaltsamen
‚Befriedung‘ gerechtfertigt hätte.
Der langfristig vorbereitete Maji-Maji-Aufstand begann am 20. Juli 1905 als
Bauernerhebung in den Matumbi-Bergen im Süden der Kolonie, als eine von Ma-
ji-Maji-Heilern angeführte kleine Gruppe von Afrikanern sich auf den Weg zu einer
der berüchtigten ‚Kommunal-Schamben‘ (shamba ist die Kisuaheli-Bezeichnung
für Feld) machte, um dort die unter Zwangsarbeit angebauten Baumwollpflanzen
auszureißen – für sie das Symbol für Fremdherrschaft, Ausbeutung und Unterdrü-
ckung. Anfangs brachten die unerschrocken kämpfenden Maji-Maji-Krieger den
Verteidigern der deutschen Stationen, Missionen und Plantagen durch Frontal-
angriffe erhebliche Verluste bei. Als dann die aufgeschreckte Reichsregierung auf
Anforderung des Gouverneurs Gustav Adolf Graf von Götzen Hunderte von Mari-
ne-Soldaten nach Deutsch-Ost entsandte und Geschütze und Maschinengewehre
zum Einsatz brachte, begann eine Massenvernichtung. Die angewandte Strategie
der verbrannten Erde – das systematische Abbrennen von Getreidefeldern und
Viehställen – machte keinen Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten
und entzog beiden die Lebensgrundlage. Die Clanführer der Ethnien, die sich am
Befreiungskrieg beteiligt hatten, mussten, so man ihrer habhaft werden konnte,
ausgeliefert werden; sie wurden umstandslos gehängt. Die genaue Zahl der Opfer
ist niemals genau ermittelt worden. Wurden früher 75.000 bis 130.000 direkte
103
104 5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
„Für die Menschen Tansanias hat die Maji-Maji-Lehre eine spezielle Bedeutung.
Für uns ist sie eine Philosophie, die unsere Vorfahren verwendeten, um sich Mut zu
machen zum Angriff auf die Truppen, die ihr Land besetzt hielten. Für die Deutschen
dagegen war der Maji-Maji-Krieg der Akt einer zivilisierten Nation, die die Wilden
disziplinierte…Als TANU [Tanganyika African National Union, die Staatspartei,
die das Land 1961 unter ihrem Vorsitzenden Julius Nyerere in die Freiheit führte]
auf den Plan trat, wurde das Ziel der Einheit zur Grundlage einer nationalen Ethik.
In diesem Sinne war die Maji-Maji-Bewegung mit ihren unterschiedlichen Völkern
ein Vorspiel zu der Einheit und dem Frieden, die Tansania in der Gegenwart genießt“
(Fuko 2005, S. 179 und S. 183).
105
106 5 Deutschland als Kolonialmacht in Afrika
erreichen und Profit zu machen wäre. Und auch die Afrikaner haben sich in dieser
Zeit durch den von ihrem Widerstand erzeugten Wandel der kolonialen Verhält-
nisse verändert: Überall dort, wo materielle Anreize und faire Marktbedingungen
geschaffen wurden, ist es schon in der Vorkriegszeit zu einem spürbaren Wachstum
der afrikanischen Land- und Konsumwirtschaft gekommen.
„Wenn es ein kleines Geheimnis der Kolonie gibt, so liegt es also in der Unterjo-
chung des Eingeborenen durch sein Begehren [der von den Europäern importierten
Konsumgüter] … Dadurch tritt der Kolonisierte in ein anderes Sein ein und erlebt
seine Arbeit, seine Sprache und sein Leben nun als Prozess der Verzauberung und
Verkleidung“ – schrieb der Kameruner Historiker und politische Philosoph Achille
Mbembe im Jahr 2014 (Mbembe 2014, S. 224). Tatsächlich hat es wohl seit den Tagen
des Mani-Kongo-Herrschers Alfonso II – neben den kolonialen Gräueltaten – auch
immer wieder „Prozesse der Verzauberung und Verkleidung“ gegeben.
Aufgaben
107
Dekolonisation als Befreiung –
Kontinuitäten und Wandel
6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
6
werden sollten. „Es waren vor allem britische Pazifisten, Sozialisten und Kolonial-
reformer, deren Bemühungen nun um einen dauerhaften Frieden dahin gingen, die
Kolonial-Rivalität der Großmächte durch eine Internationalisierung der Kolonien
zu beenden und dabei gleichzeitig auch neue Formen der Verwaltung ‚primitiver‘,
noch nicht zur Unabhängigkeit befähigter Völker zu entwickeln. Indem die Kolo-
nialmacht zum Mandatsträger einer internationalen Behörde wurde und sich deren
Kontrolle unterstellte, sollte eine Ausbeutung der Eingeborenen verhindert werden
und die Verwaltung im Sinne eines wirksamen Trustees erfolgen“ (von Albertini
1996, S. 16). Da der Völkerbund als Internationale Organisation aber nicht über
Sanktionsmittel verfügte (im Unterschied zu seinem Rechtsnachfolger, der UNO), um
auf eingereichte Beschwerden von Kolonisierten angemessen reagieren zu können,
bewirkte das Mandatssystem für die Kolonisierten keine spürbare Verbesserung
ihrer Situation: Z. B. wurden alle deutschen Kolonien völkerrechtlich in britische,
französische und belgische Völkerbundmandate umgewandelt und deren Bewohner
wurden kaum besser behandelt als die der klassischen Kolonien.
Im selben Jahr, als Woodrow Wilson die Welt mit seinen Reformideen in Aufre-
gung versetzte, erklang mit der Russischen Oktoberrevolution von 1917 eine zweite
Fanfare der Freiheit: Auch Wladimir Lenin proklamierte das Selbstbestimmungs-
recht der Völker, und er und seine Bolschewiken erkannten im Anti-Kolonialismus
der Völker (vor allem in Asien) ein wirksames Mittel, um deren Entwicklung zur
kommunistischen Weltrevolution zu beschleunigen. So wurde die zweite Kom-
munistische Internationale (KOMINTERN) gegründet, die auch den Parteien und
Befreiungsbewegungen in der kolonialen Welt helfen sollte, ihren anti-imperia-
listischen Kampf siegreich zu vollenden (Hobsbawm 1994, S. 69f.). Vor allem die
nationalen Kräfte in China, Vietnam, Afghanistan und Persien, ebenso wie die auch
in Ägypten, Algerien und Marokko wurden in der Zwischenkriegszeit unterstützt.
Großbritannien reagierte auf die neue internationale Lage geschickt mit dem
Umbau seines Empires in ein Commonwealth of Nations. Als die vier britischen
Dominions Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland mehr politische Auto-
nomie verlangten, schuf London im Dezember 1931 mit dem Statut von Westmi-
nister eine neue Form der Organisation zwischen gleichberechtigten Staaten, die
miteinander konstitutionell nur durch ein freiwilliges Bekenntnis zur ‚Treue zur
Krone‘ verbunden waren (Winkler 2011, S. 470f.). Nach dem Zweiten Weltkrieg
sollte sich das Commonwealth zu einem erfolgreichen multi-kulturellen ‚Club‘
weiterentwickeln: British-Indien wurde 1947 mit der Unabhängigkeit gleichzeitig
Mitglied im Commonwealth, ebenso Ceylon 1948, Pakistan 1949 und mit der Gold-
küste/Ghana 1957 als erstes Land ‚Schwarzafrikas‘. Es folgten 1960 Nigeria und
dann ausnahmslos alle anglophonen Kolonien, mit dem Beitritt Mosambiks 1995
sogar ein portugiesisch-sprechendes Land und mit Ruanda 2009 eine ehemalige
6.1 Globale Triebfedern der Dekolonisation 111
111
112 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
„Bedeutend mehr als im Ersten Weltkrieg nahm Schwarzafrika unter den allgemein
erschütterten Verhältnissen zum ersten Mal mit der ganzen Welt Kontakt auf. Im Jahr
1940 kämpften 127.320 senegalesische Scharfschützen aus Französisch-Westafrika,
15.500 Soldaten aus Äquatorialafrika und 34.000 aus Madagaskar [gegen die Feinde
Frankreichs]. Beim Waffenstillstand hatte sich die Zahl der ‚Senegalesen‘ um 24.271
verringert, die der Madegassen um 4.350! Hunderttausenden von Schwarzen bot
dieser Krieg die Gelegenheit, das wahre Gesicht des weißen Mannes schonungslos
aufzudecken, ohne imperialistische Maske, ohne prokonsularisches Beiwerk. Die
Weißen arbeiteten mit ihren Händen, sie schwitzten, sie liebten, sie hatten Hunger
und Durst. Andere zitterten vor Angst, folterten, begingen Verrat und brachten sich
vor Raserei gegenseitig um. Manche waren auch Helden. ‚Die Schwarzen sind weder
besser noch schlechter als die Menschen irgendwo sonst auf der Erdkugel‘, schrieb
David Livingstone. Dieser einfache Satz, für das 19. Jahrhundert ein revolutionärer
Satz, bekam im Jahr 1942 für Millionen von Afrikanern einen klaren, eindeutigen
Sinn. Die Weißen, die in Afrika gleichermaßen um Herrschaft und koloniale Ge-
walt rangen, offenbarten sich untereinander nicht selten als reißende Wölfe. In der
rohen Verachtung, in der Hitler die anderen Weißen und die Schwarzen umfasste,
entdeckten die Schwarzen auf einmal ihren eigenen Wert. Gleichzeitig erreichten sie
Statur und Status von Rittern, hier zeigte sich die wahre Unterscheidung zwischen den
Menschen: die menschliche Würde. Die afrikanischen Soldaten waren die Begründer
der afrikanischen Emanzipation“ (Ki-Zerbo 1981, S. 517).
113
114 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
Als Dekolonisation kann der teils friedliche, teils gewaltsame Prozess der Be-
freiung afrikanischer Kolonialvölker von europäischer Fremdherrschaft bezeichnet
werden. Dazu gehören auch die Konflikte und Kriege in den Siedler-Kolonien, in
denen sich eine gewaltsamere Befreiungsdynamik entwickelte. In Madagaskar
beantwortete die Französische Republik den Volksaufstand von 1947 mit der
Ermordung von ca. 70.000 Madegassen. Eine relativ gewaltarme, verhandelte Va-
riante der Dekolonisation verlief idealtypisch in drei kurzen Phasen der Interaktion
zwischen Afrikanern und europäischen Kolonialherren und enthielt folgende
Merkmale: Auf massive zivile Proteste der einheimischen Bevölkerung hin reagierten
die Kolonialverwaltungen nach längerem Sträuben schließlich mit Zugeständnissen
an die afrikanischen Wortführer im Kampf für mehr Rechte der ‚Eingeborenen‘:
von der Mitwirkung in legislative councils (im Fall der Britischen Kolonien) bis
hin zur Beteiligung an neuen Gesetzen und an einer demokratischen Verfassung.
War die Zustimmung zur Gründung von politischen Parteien und zur Abhaltung
von freien Wahlen erreicht, war die erste Phase der Dekolonisation abgeschlossen.
Des Öfteren mussten inhaftierte politische Parteiführer und Repräsentanten von
zivilen nationalen Befreiungsbewegungen aus dem Gefängnis entlassen werden,
weil sie nun gebraucht wurden, um an Wahlkämpfen teilnehmen zu können (die
sogenannten prison graduates). Nachdem die politischen Wahlen, noch unter Auf-
sicht der scheidenden Kolonialmacht, jeweils die erste frei gewählte afrikanische
Regierung ins Amt gebracht hatten (zweite Phase), begann schon bald nach den
Siegesfeiern der Umbau des politischen Systems, – die dritte und wegweisende Phase
der Dekolonisation. Europäische Fachleute und erfahrene weiße Kolonialbeamte
wurden durch einheimische Kader ersetzt, was als Politik der Afrikanisierung des
Regierungs- und Verwaltungssystems bezeichnet wird. Damit verbunden war
oftmals eine Politik der Verstaatlichung der aus der Kolonialzeit stammenden
Wirtschaftsbetriebe.
Das Konzept des demokratischen Pluralismus im Gewand einer konstitutionellen
Wettbewerbsordnung – ein Spätprodukt europäischer Entwicklung – wurde als
‚unafrikanisch‘ abgelehnt. Das politische Ideal bestand nicht in der Vorstellung
von Macht als eines zeitlich begrenzten Mandats des Volkes, für das man dem
Souverän (Volk) gegenüber Rechenschaft abzulegen hatte, sondern es beruhte
eher im Gegenteil auf der Konstruktion von politischer Macht als eines zeitlich
unbegrenzten ‚Rechts auf Herrschaft‘ eines Staatspräsidenten, der ohne lästige
Kontrollen durch eine Verfassung der Gewaltenteilung regieren sollte. So lautete
beispielsweise in Sambia der Slogan der Einheitspartei (United Independence Party,
UNIP): One Country, One Nation, One Party‘.
Mit Erlangung der politischen Unabhängigkeit gab es in weiten Kreisen der
Bevölkerung so etwas wie die Revolution der steigenden Erwartungen, d. h. starke
115
116 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
Hoffnungen auf ein besseres Leben, frei von rassistischer Demütigung und frei von
Armut, niedrigem Einkommen und mangelhafter Bildung (Grohs & Tibi 1973; Le
Sueur 2003; Shipway 2008; van Reybrouck 2012). Objektiv gesehen, als Erbe kolo-
nialer und rassistischer Herrschaft, standen die afrikanischen Gesellschaften vor
vier zentral wichtigen Herausforderungen:
Erstens, die zu erfüllende Aufgabe des state-building: Wie sollte in einem von
den Kolonialherren übernommenen Kolonialstaat, der ja auf Unterdrückung,
Ausbeutung und divide-et-impera-Strategien gepolt war, angemessen regiert wer-
den? Sollte man, konnte man den ‚ererbten Staat‘ auflösen, umbilden, neu gründen
oder mit anderen Staaten verschmelzen, wie es einigen Pan-Afrikanisten als Ideal
vorschwebte?
Zweitens, die Aufgabe des nation-building: Wie sollten die Dutzende, wenn
nicht gar Hunderte von Stämmen, Ethnien, Völkern, Königreichen, Emiraten,
Nomadengruppen etc. (klare Definitionskriterien haben sich nicht durchgesetzt;
siehe aber Harding 1999, S. 136; Tetzlaff & Jakobeit 2005, S. 59-80 und Korte &
Schäfers 2002) zu einer Nation mit einer von allen akzeptierten Staatsverfassung
zusammengefasst und vereinheitlicht werden, ohne dabei traditionelle Rechte und
Privilegien der Völker zu verletzen? Häufig ging es auch darum, schon lange schwe-
lende Interessenkonflikte zwischen ethnisch und religiös-kulturell unterschiedlichen
Gruppen zu mildern und diese in einem nationalen Gemeinschaftsgefühl aufgehen
zu lassen, – wenigstens bei der jungen Generation, z. B. mittels kluger staatliche
Bildungsofferten (Adick 2009).
Drittens, die Aufgabe der wirtschaftlichen Entwicklung und infrastrukturellen
Integration des ganzen Landes: Dieses war bislang dualistisch fragmentiert, indem
einem modernen enklavenartigen Exportsektor ein rückständiger Subsistenzwirt-
schaftssektor im Hinterland gegenüber stand. Nach welcher Wirtschafts- oder
Entwicklungsstrategie sollten die kolonialwirtschaftlich deformierten Länder
rekonstruiert, modernisiert oder entwickelt werden: a) nach kapitalistischem Mus-
ter? b) nach sozialistischem Vorbild? oder c) nach staatskapitalistischen Rezepten,
wie sie etwa in Indien und anderen ‚blockfreien‘ (neutralen) Ländern ausprobiert
wurden? Welche Rolle sollten oder konnten dabei externe Kräfte spielen, d. h. die
Institutionen des ehemaligen kolonialen Mutterlandes, die UN-Behörden oder die
International Finance Institutions wie IWF und Weltbank?
Und viertens galt es, gleichzeitig auch die Aufgabe der sozio-kulturellen Mo-
dernisierung der Gesellschaft in Angriff zu nehmen: Wie konnte angesichts der
großen Bildungsdefizite der Massen rasch ein funktionsfähiges Bildungs- und
Gesundheitswesen aufgebaut werden, das den Bedürfnissen der überwiegend
analphabetischen ländlichen Massen gerecht würde? Wie konnten dabei Prozesse
einer mentalen Dekolonisierung angestoßen werden, um zu einer eigenbestimmten
6.2 Kontinuität und Wandel des postkolonialen Staates 117
117
118 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
Der koloniale Türhüter-Staat hatte nur „schwache Institutionen, um in den sozialen und
kulturellen Raum der Afrikaner einzudringen, aber er saß rittlings auf der Nahtstelle
zwischen kolonialem Territorium und der Außenwelt. Ihre Haupteinnahmequelle
bestand in den Steuern auf Importen und Exporten von Waren in den Häfen; sie
[die staatlichen Herrscher] konnten entscheiden, wer das Land zwecks Ausbildung
verlassen durfte und welche Art von Bildungseinrichtungen hereinkamen; sie setzten
Regeln und Lizenzen fest, die bestimmten, wer nach innen und außen Handel treiben
durfte…Die meisten Herrscher [nach Erlangung der Unabhängigkeit] bemerkten
von Anfang an, dass ihre eigenen Interessen mittels derselben Strategie des ‚gate-
keeping‘ bedient wurden wie die des kolonialen Staates vor dem Zweiten Weltkrieg:
begrenzte Möglichkeiten zum Vorwärtskommen, die von Staats wegen kontrolliert
wurden, wären weniger riskant als weit geöffnete Kanäle, die Kristallisationspunkte
für Opposition werden könnten. Aber der post-koloniale Türhüter-Staat, dem die
externe Zwangsgewalt seines Vorgängers fehlte, war ein verwundbarer Staat, nicht
ein starker Staat“ (Cooper 2006, S. 5).
Weg ablehnt, wird nach der Unabhängigkeit jämmerlich stagnieren“ (Fanon 1966,
S. 116-117; Hervorhebung kursiv von RT).
119
120 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
„Die für fast alle Zivil- und Militärregierungen des Kontinents von Mitte der 1960er
Jahre bis Ende der 1980er Jahre typische Mischung von populistisch übertünchter
Diktatur und Korruption, die sich nach dem Abwurf demokratischen ‚Ballasts‘
durchsetzte [gemeint war die Abschaffung freier Wahlen, „die reale Chancen für Min-
derheiten boten, zur Mehrheit zu werden“ (S. 21)], hat die Putsche und Bürgerkriege,
seit neuestem auch unkontrollierbare zwischenstaatliche Kriege zu verantworten. Sie
hat Afrikas Wirtschaft ruiniert, die einstmals solidarische Gesellschaft auseinander
gerissen, den Staat zerfallen lassen“ (Ansprenger 2003, S. 22).
Mit Erlangung der politischen Unabhängigkeit bekam die jeweils ins Amt gewählte
afrikanische Regierung alle Lasten, Pflichten und Privilegien eines formal souveränen
Mitglieds der Staatengemeinschaft aufgebürdet. Im Jubel der Unabhängigkeitsfeiern
blieb zunächst verborgen, dass es sich bei den neuen Staaten um künstliche Gebilde
von noch geringer Lebenskraft handelte. Die fragilen Staatsgebilde waren ja – von
ihrer Herkunft her – kolonialpolitische Ableger-Staaten, deren Grenzen nicht
durch eigene Kraft sondern durch völkerrechtliche Normen garantiert wurden
(Shipway, 2008, S. 12). Robert H. Jackson und Carl G. Rosberg haben eine nützliche
Unterscheidung zwischen dem juridical state und dem empirical state gemacht,
zwischen der rechtlichen Idee des modernen Staates als Träger nationalstaatlicher
Souveränität zum einen und der empirischen Wirklichkeit der einzelnen Staats-
gebilde zum anderen, von denen die Bürger konkrete Sozialleistungen erwarten
können aber nicht erhalten. Damit verbunden sind zwei unterschiedliche Formen
politischer Legitimität: Während der Staat als Völkerrechtssubjekt nur eine äußere
Legitimität beanspruchen kann, weil seine formale Existenz durch die Schutzga-
rantien anderer Staaten gesichert ist, kann der empirische Staat nur durch eigene
Leistungen gegenüber seinen Bürgern Legitimität für sich erwerben (Jackson &
Rosberg 1984). So wird auch verständlich, dass the late colonial state, der sich an-
schickte, eine politisch handlungsfähige Einheit nach innen und außen zu werden,
zunächst von präzedenzloser Labilität geprägt war; denn ihm fehlte, im Unterschied
zum kolonialen Staat, die automatische Rückgriffsmöglichkeit auf die Gewaltmittel
des Mutterlandes. Eingedenk dieser Labilität, haben zahlreiche Regierungen (vor
allem frankophone) beim Übergang in die Unabhängigkeit mit dem kolonialen
Mutterland Verträge über militärische Stützpunkte abgeschlossen – zur Sicherung
6.2 Kontinuität und Wandel des postkolonialen Staates 121
121
122 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
Staat an eine glorreiche Tradition der Reichsbildung vor den beiden großen exter-
nen Einmischungen, Islamisierung und Kolonialisierung, an. Die Herstellung einer
politisch handlungsfähigen Einheit im Rahmen einer nun erforderlichen modernen
Verfassung stellte sich als große Herausforderung dar, war die Goldküste doch noch
ein Ensemble von 108 selbständigen Mini-Staaten (nach Adu Boahen 1975, zit. bei
Schicho 2001, S. 182). In den 1950er Jahren hatten verschiedene Protestaktionen
der mobilisierten Menschen an der Goldküste eine explosive Atmosphäre entste-
hen lassen; daran beteiligt waren einheimische Kakao-Farmer, die sich ungerecht
behandelt fühlten; politisierte Gewerkschaftler, die höhere Löhne forderten; ent-
täuschte Soldaten, die aus den Fronten des Zweiten Weltkriegs zurück gekehrt waren;
arbeitslose Jugendliche mit abgebrochener Schulbildung (die berühmten veranda
boys); Absolventen der christlichen Missionsschulen, die nun als Schicht der intelli-
gentia politische Mitsprache forderten; Familienväter und Frauen in den Städten, die
unter steigenden Konsumpreisen, diktiert von ausländischen Handelsfirmen, litten.
Die erste politische Partei (die sich nur Convention nennen durfte) war die United
Gold Coast Convention (UGCC) unter Leitung von Dr. Danquah und Dr. Busia, die
zunächst nicht sofort die politische staatliche Unabhängigkeit forderten, sondern
sich für ‚Selbstregierung‘ der afrikanischen Bildungselite und Chiefs einsetzten, –
für ‚responsible government für innere Angelegenheiten der Kolonie. Hierin verei-
nigten sich men of property and standing, also Kaufleute, Anwälte, prosperierende
Kakao-Farmer und auch Chiefs (Cooper 2002, S. 50). Die Reden eines radikalen
Nationalisten namens Kwame Nkrumah, der mit der kühnen politischen Parole
independence now die Massen zu begeistern begann, durchkreuzten die am grünen
Tisch ersonnenen Pläne des britischen Kolonialsekretärs in London für eine geord-
nete graduelle Machtübergabe. Der junge Aktivist, der zwölf Jahre lang in den USA
und England Ökonomie, Soziologie und Philosophie studiert hatte, gründete 1947
seine eigene Partei, die Convention People’ s Party (CPP). Die CPP – eine Abspaltung
von der UGCC, dessen Generalsekretär Nkrumah gewesen war – wurde von dem
Gewerkschaftsverband Trade Union Congress (TUC) unterstützt und rekrutierte klein-
bürgerliche, ungeduldige Jugendliche aus den städtischen Unterschichten. Anfang
1950 startete sie eine Kampagne des ‚bürgerlichen Ungehorsams‘ (nach dem Vorbild
Gandhis) in Form von Streiks und Boykotts englischer Waren (Nkrumah 1958).
Nkrumah schaffte es, die CPP in eine moderne politische Maschine umzuwandeln
und gewann mit ihr 1951 zur Überraschung aller 34 von 38 öffentlich umkämpften
Parlamentssitzen, während die politisch gemäßigte Honoratioren-Partei seines
Rivalen Dr. Danquah nur drei Sitze erringen konnte. Dem Gouverneur blieb nichts
anderes übrig, als den Wahlsieger aus dem Gefängnis zu entlassen (in das er ein
Jahr zuvor wegen seiner Streikaktionen gebracht worden war) und den Wahlsieger
1952 zum Premierminister zu ernennen. Schon bald machten sich Korruption,
123
124 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
Nachfolger Harold Macmillan großzügig: Die Herzogin von Kent als Vertreterin
von Königin Elisabeth II erschien zur Feier, ebenso wie der US-amerikanische
Vizepräsident Richard Nixon sowie Delegationen von weiteren 54 Ländern; Glück-
wünsche kamen von Zhou En-lai (China), Nehru (Indien), Bulganin (UdSSR) sowie
von dem US-Präsidenten Eisenhower ( Meredith 2005, S. 26).
Die Aussichten auf einen raschen wirtschaftlichen Aufstieg des jungen Staates, dem
die Briten 200 Mio. Pfund aus den Kakaoverkäufen hinterlassen hatten und angesichts
eines freundschaftlichen Klimas in der Welt gegenüber dem Neuling, schienen gut,
wenn nicht gar rosig. Doch die Freude über den friedlich verlaufenen Rückzug der
Briten von der Goldküste, die nun Ghana hieß, währte nicht lange; denn die CPP
unter ihrem Premierminister Nkrumah, der sich bald „Erlöser“ nennen ließ, begann
mit der Rücknahme der Maßnahmen, die die Opposition (und das britische Koloni-
alministerium) in den Jahren zuvor erzwungen hatten. Zu Regional Commissioners
ernannte man Mitglieder der Regierungspartei; die Regionalparlamente wurden
entmachtet und ihre Aufgaben schließlich dem nationalen Parlament übertragen.
Nkrumah löste den Kumasi State Council auf und beschlagnahmte dessen Vermö-
gen. Er setzte den Paramount Chief der Akyem, Nana Ofori Atta, ab und besetzte
Posten der Chiefs mit ‚Sympathisanten‘. Der Preventive Detention Act vom Sommer
1958 gab der Regierung die Macht, Personen ohne richterliche Zustimmung und
Verurteilung bis zu fünf Jahren einzusperren. Der Industrial Relations Act von 1958
schrieb die Regelung von Arbeitskonflikten durch Schlichtungsstellen vor, womit
Streiks weitgehend ausgeschlossen wurden (Schicho 2001, S. 195).
Was die wirtschaftspolitische Orientierung des jungen Staates anging, so gab es
für den afrikanischen Präsidenten folgende Alternative: Entweder er kooperierte
aufs engste mit ausländischen Unternehmen und den ‚Beratern‘ des einstigen
Mutterlandes und versuchte als Juniorpartner dabei, wenigstens einen Anteil
am kommerziellen Erfolg der fortgeführten Betriebe zu bekommen, oder aber er
drängte ausländische Geschäftsleute und Firmeneigentümer an die Seite, um auf
dem Wege der Afrikanisierung alleine die Kommandoposten zu besetzen. Während
frankophone Länder wie die Elfenbeinküste, Gabun oder Senegal den pragmati-
schen Weg der Kooperation als Juniorpartner ausländischer Firmen präferierten,
ging das Nkrumah-Regime den tollkühnen Weg der Konfrontation im Umgang
mit Auslandsinteressen, die strukturelle Verwundbarkeit einer klassischen Roh-
stoff-Ökonomie ignorierend. Doch die eher marktfeindliche Wirtschaftspolitik
seiner Regierung – so wurden Goldminen des Landes verstaatlicht, Staatsfarmen
gegründet, Gewerkschaften entmündigt, streikende Hafenarbeiter und Markt-
frauen niedergeknüppelt – verschreckte ausländische Investoren. Solange das
Regime noch über Devisen verfügte, investierte es in ehrgeizige Infrastruktur- und
Energieprojekte. Der Bau des Voltastaudamms, der Elektrizität für die Bauxitver-
125
126 6 Dekolonisation als Befreiung – Kontinuitäten und Wandel
„Als am 24. Februar 1966 eine Gruppe von Offizieren der Armee und der Polizei
putschte…, war dies in erster Linie ein Coup zum Schutz der Korporativinteressen
der Militärs. Sie mussten befürchten, dass der gegenüber der regulären Armee immer
misstrauischer werdende Nkrumah durch den Ausbau eines nur ihm unterstellten
Regiments (‚President’s Own Guard Regiment‘) ihre Privilegien weiter beschnitt und
6.3 Ghana – Der Kampf um politische Unabhängigkeit 127
schließlich ihre Existenz bedrohte…War die desolate wirtschaftliche Lage nicht der
Anlass des Putsches (sie betraf die Armee nur mittelbar), so wurde er doch durch sie
ermöglicht. Durch die Weigerung, dem bedrängten Land Hilfe zu leisten (was in der
Weigerung Nkrumahs, sich den Disziplinierungsmaßnahmen des IWF zu beugen,
seine Entsprechung fand), hatten die westlichen Industrieländer, IWF und Weltbank
ihren Teil dazu beigetragen, die innenpolitische Situation ‚putschreif‘ zu machen.
Mit der schweren Versorgungskrise und der Einkommensverluste verursachenden
hohen Inflationsrate hatte das Regime die Unterstützung immer größerer Teile der
ursprünglich loyalen Unterschichten verloren, die Feindlichkeit der Mittelschichten
gegenüber Nkrumah war unterdessen noch gewachsen. Dass der Westen einen Re-
gierungswechsel begrüßen würde, war offensichtlich“ (Siebold 1988, S. 44).
Auf den Sturz Nkrumahs reagierte die Stadtbevölkerung überwiegend mit freudiger
Erleichterung, während die Menschen auf dem Lande, „wie immer, den Wechsel
ungerührt zur Kenntnis nahmen“ (Schicho 2001, S. 198). Nkrumah, der sich zum
Zeitpunkt des Putsches gerade mit einer 200-köpfigen Delegation in Vietnam aufhielt,
um vermeintlich einen Beitrag zum Frieden in Indochina leisten zu können, floh
ins Exil nach Conakry, der Hauptstadt Guineas, zu seinem sozialistischen Freund,
Präsident Sékou Touré. Nkrumah hinterließ hohe Auslandsschulden, verbitterte
Kakao-Farmer, eine enttäuschte Jugend und eine verarmte städtische Unterschicht.
Als er 1972 einsam und verbittert im Exil starb (und später als toter Held feierlich
heimgeholt wurde), waren bei vielen Ghanaern die Missetaten ihres ersten Präsi-
denten verdrängt und von einem nostalgischen Helden-Mythos überwölbt. „Nie
hat die Karriere eines Ghanaers so vielversprechend begonnen und so verheerend
geendet wie die Karriere des Osagyefo [Erlösers] Kwame Nkrumah“ – schrieb
1975 der ghanaische Historiker Prof. Adu Boahen (Boahen 1975, S. 225; zit. bei
Schicho 2001, S. 199). Erst zwanzig Jahre später sollte Ghana erneut aus einer selbst
fabrizierten Misere herausfinden, – diesmal durch einen pragmatisch denkenden
Putsch-Offizier namens Jerry Rawlings, der schließlich die Tür für eine echte De-
mokratisierung des Landes aufzustoßen in der Lage war (siehe unten Kapitel 9.8).
Aufgaben
127
Afrikanischer Sozialismus
7 Afrikanischer Sozialismus 7
131
132 7 Afrikanischer Sozialismus
von den Politikern und Experten der sozialistischen Staaten in Europa in diesem
Glauben bestärkt wurden, war die breite Rezeption sozialistischer Ideen in Afrika
(und anderen Regionen der Dritten Welt) als Alternative zu Kapitalismus und
Kolonialismus ein Stück weit auch dem Zeitgeist zu verdanken. Erst in den 1990er
Jahren – nach der Zerstörung der Illusion über den real existierenden Sozialismus
– kam es auch in Afrika zu einer politischen Wende: zu mehr Demokratie, zu mehr
politischer Partizipation von unten und zu mehr Respekt vor marktwirtschaftli-
chen Gesetzen.
Von vorneherein setzte der tansanische Präsident auf nation-building als obers-
te politische Aufgabe, um ethnische Spannungen und Machtkämpfe wie in den
Nachbarländern möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu sollte auch die
wirtschaftliche Entwicklung beitragen: In den ersten fünf Jahren nach der Unab-
hängigkeit (1961/62 bis 1966/67) setzte die Regierung in Tanganjika/Tansania die
von den Kolonialmächten Deutschland und England begonnene Politik der auf
Landwirtschaftsgütern beruhenden Exportwirtschaft (Sisal, Kaffee, Baumwolle,
Pyrethrum und Cashewnüsse) – so gut es eben ging – fort. Aus Sansibar wurden die
weltweit begehrten Gewürznelken exportiert. Zielgruppe der Entwicklungspolitiker
waren die progressive farmers, die, staatlich gefördert und von der Partei gegängelt,
den Rest der Landbevölkerung zu größeren Anstrengungen mitreißen sollten. Bis
1967 verlief die wirtschaftliche Entwicklung relativ zufriedenstellend; bei einem
durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von jährlich 5,9 % blieb, nach Korrektur
(d. h. unter Berücksichtigung von Inflationsrate und Bevölkerungswachstum) noch
ein reales Wachstum von 1,5 %. Auf der anderen Seite arbeitete die Verschlechterung
der terms of trade gegen eine wirtschaftliche Verbesserung: die Preise für Baum-
wolle, Kaffee und besonders Sisal fielen, die Kosten für Importe, Verbrauchs- wie
Investitionsgüter, stiegen (nach Schicho 2004, S. 327). Und vor allem machte dem
Flächenstaat die Erhöhung der Benzinpreise als Folge der drastischen Preiserhö-
hung für Rohöl durch die OPEC-Staaten in den 1970er Jahren große Finanzsorgen.
Präsident Nyerere, enttäuscht über diese geringfügigen Entwicklungserfolge
und inspiriert vom chinesischen Agrarsozialismus unter Führung von Mao-Tse-
tung, überließ eine Weile das Regieren seinem Vizepräsidenten Rashidi Kawawa
und erarbeitete im Jahr 1966 die Schrift Ujamaa – Grundlagen eines Afrikanischen
Sozialismus, die die ideologische und organisatorische Grundlage für die zukünftige
Orientierung von Partei und Staat werden sollte. Nyereres ideologisches Konzept
Ujamaa war eine der vielen Varianten des Afrikanischen Sozialismus; so war die
tansanische von dem Geist beseelt, die Bildung sozialer Klassen durch eine Rück-
besinnung auf die dörfliche Gemeinschaft der vorkolonialen Zeit zu vermeiden.
Bei den Parteikadern hatten sich bereits elitäre und parasitäre Verhaltensweisen
bemerkbar gemacht, die Nyerere nicht dulden wollte. Ujamaa – so schrieb er – be-
7.2 Tansania: Theorie und Praxis des Ujamaa-Sozialismus 133
deute family-hood und sei als afrikanisches Wort ein Anzeichen dafür, „welchen
Weg wir in Zukunft gehen wollen: die Idee der gegenseitigen Beteiligung an der
Familie, wie wir sie kennen“:
„Für uns bedeutet Sozialismus auf den Grundlagen unserer Vergangenheit die Zukunft
gemäß unserer Vorstellungen zu bauen. Wir importieren keine fremde Ideologie …
Wir haben entschieden, als Gesellschaft aus unseren Wurzeln zu wachsen, aber in
einer besonderen Richtung und hin auf ein besonderes Ziel. Wir tun dies, indem
wir besondere Charakteristika unserer traditionellen Organisation betonen und
erweitern, so dass sie die Möglichkeiten der modernen Technologie einschließen
können, um so die Herausforderung des Lebens im 20. Jahrhundert bestehen zu
können“ (Nyerere 1969, S. 28).
7 Die TANU wurde 1977 nach dem Zusammenschluss mit der auf Sansibar dominierenden
African Shirasi Party zur Einheitspartei in CCM (Chama cha Mapinduzi, ‚Revolutions-
partei‘) umbenannt (Bakari 2001).
133
134 7 Afrikanischer Sozialismus
die neue Staatsdoktrin reagierten, zeigte sich das Ausland, vor allem die beiden
Deutschlands und die skandinavischen Länder, von ihr begeistert; denn es schien,
als wollte ein afrikanisches Entwicklungsland mit dem vom Westen propagierten
Hilfsprogramm – Entwicklungshilfe sei lediglich ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ – einmal
Ernst machen. Konnte man Nyereres Bekenntnis zur self-reliance nicht in diesem
Sinne verstehen? Jedenfalls belohnten Weltbank und zahlreiche Geber-Staaten im
Rahmen bilateraler und multilateraler Entwicklungshilfe-Programme das Land
in so großzügiger Weise, dass schließlich Sinn und Zweck von self-reliance in sein
Gegenteil verkehrt wurden (Donner-Reichle 2005; vgl. auch Rolf Hofmeier in den
Afrika-Jahrbüchern der 1970er Jahre).
Nun also wurden TANU-Funktionäre beauftragt, das ethisch anspruchsvolle
Konzept ihres Mwalimu (das Kisuaheli-Wort für Lehrer) in die Tat umzusetzen.
Ujamaa-Dörfer mit moderner Infrastruktur wurden gegründet und die Bauern,
die seit Generationen ihre Felder im Familienbetrieb bewirtschaftet hatten, wur-
den mit Nachdruck angehalten, Produktions- und Konsum-Genossenschaften zu
gründen und Gemeinschaftsfelder zu bestellen. Der Einsatz von ‚Experten‘ und
Partei-Funktionären sollte das Funktionieren der Genossenschaften sichern und
die Ernteerträge verbessern helfen. Anfangs hatte Nyerere versprochen, dass weder
Staat noch Partei Zwang anwenden würden, um Kleinbauern von der Ujamaa-Po-
litik zu überzeugen. Als die Erfolge aber ausblieben – bis Mitte 1973 waren erst
5000 Ujamaa-Dörfer für ca. zwei Millionen Menschen gegründet worden, was
15 % der Bevölkerung entsprach (Meredith 2005, S. 254) – , änderte der Präsident
die Strategie und ließ zwischen 1973 und 1977 etwa elf Millionen Bauern mit ihren
Familien zwangsumsiedeln. Es war die größte Umsiedlungsaktion im postkolo-
nialen Afrika. Da sich des Öfteren Bauern weigerten, freiwillig die hohen Risiken
einer Zwangsumsiedlung auf ökologisch ungeeignete Böden einzugehen, wurden
sie von ortsunkundigen Parteifunktionären dazu gewaltsam gezwungen, was den
Widerstand an der sozialen Basis gegen das schlecht geplante Sozialisierungspro-
gramm nur weiter verstärkte. Angesichts des bäuerlichen Widerstandes gegen
die Arbeit auf Gemeinschaftsfeldern verfielen die Funktionäre der öffentlichen
Verwaltung auf ähnlich rücksichtslose Zwangsmethoden wie die, die einstmals die
koloniale Verwaltung eingesetzt hatte. Gleichzeitig mit der Landreform wurden
auch Industriebetriebe, Banken, Geschäfte und Versorgungsbetriebe verstaatlicht
oder in para-staatliche Betriebe unter Leitung eines Bürokraten umgewandelt – ein
idealer Nährboden für Klientelismus und Korruption. Bis 1979 sollen es um die 300
Verstaatlichungen gegeben haben (Meredith 2005, S. 257; Donner-Reichle 2005).
Das galt vor allem für die diversen Marketing-Boards, die die Exportprodukte der
Bauern aufkauften und vermarkteten, wobei die Spanne zwischen Aufkaufpreis, der
7.2 Tansania: Theorie und Praxis des Ujamaa-Sozialismus 135
dem Erzeuger bezahlt wurde, und dem erzielten Verkaufspreis, den der Staat auf
dem Weltmarkt erhielt, beträchtlich war und in einigen Jahren etwa 50 % betrug.
An sich war die Idee, verstreut siedelnde Bauern in kommunale Zentren mit
Schule, Hospital, Brunnenanlage und Marktplatz zusammenzufassen, nicht ver-
kehrt, zumal Tansania ein dünn besiedeltes Land war, in dem Bauernfamilien seit
Generationen auf Subsistenzebene ein eher kümmerliches Leben in struktureller
Armut und – latent bedroht von Dürren – leben mussten (Tröger 2004). Und die
Behauptung, dass diese bäuerlichen Gemeinden konfliktfrei, harmonisch und
selbstgenügsam gelebt haben sollten, hat sich inzwischen als Mythos entpuppt.
Aber die gewünschte Transformation durch eine zwangsweise Verdörflichung (vil-
lagisation) sollte nicht gelingen und endete in einer wirtschaftlichen Katastrophe:
Die Nahrungsmittelproduktion fiel so stark zurück, dass zwischen 1974 und 1977
ein Defizit von einer Million Tonnen Mais entstand, welches durch Importe aus
dem Ausland ausgeglichen werden musste, was wiederum die Devisenreserven
des Landes schrumpfen ließ. Das Gegenteil von self-reliance war eingetreten: Eine
zunehmende Abhängigkeit des Landes vom Ausland war erfolgt, und die Regierung
musste enttäuscht zur Kenntnis nehmen, dass die Idee der Gemeinschaftsfelder als
ein Fremdkörper für die lebensweltliche Praxis afrikanischer Bauern empfunden
wurde, die überall den Familienbetrieb als Produktionsform präferierten. Der in
Daressalam lehrende Professor Goran Hyden prägte dafür die klassisch gewordene
Formulierung von der uncaptured peasantry (wörtlich: die ungezähmte und vom
Staat nicht vereinnahmte Bauernschaft): Solange es dem Staat nicht gelingen wür-
de, die Kleinbauern vom Nutzen moderner Produktionsverfahren zu überzeugen,
würden sie auch nicht bereit sein, einen Surplus (Mehrprodukt) zu erwirtschaften,
das den Beginn der take-off-Phase anzeigen würde. Dazu bedürfte es dann aber
einer kapitalistischen Mentalität der progressive farmers, die auf dem Weg zum
Sozialismus nicht übersprungen werden könnte (Hyden 1983; Hyden 1996).
Zehn Jahre nach der Verkündung der Ujamaa-Politik führte Präsident Nyerere
den Misserfolg seiner Politik in einer Geheimrede des Jahres 1977 auf das Versa-
gen seiner Manager und besonders auf die Schlamperei der Angestellten in den
para-staatlichen Unternehmen zurück. Zu einer Revision der offensichtlich verfehlten
Wirtschaftspolitik kam es noch nicht, und eine innerparteiliche Rebellion gegen
den hoch verehrten Mwalimu, der als weithin geachteter Sprecher der Blockfrei-
en-Bewegung in der Welt großes Ansehen genoss, wagte niemand anzustoßen. Hier
kann man eine Parallele zur Passivität der Genossen der KP Chinas sehen, als der
Parteivorsitzende Mao Tse-tung die Politik des ‚Großen Sprungs nach vorn‘ (1958-
1961) angeordnet hatte, durch die mehr als 30 Millionen Bauern verhungerten, und
keine Parteifraktion ihn daran zu hindern wagte. Die Folgen für die tansanische
Bevölkerung waren allerdings nicht mit denen in China zu vergleichen, und in
135
136 7 Afrikanischer Sozialismus
Tansania erhöhte das Versagen der staatlichen Einheitspartei immerhin den Druck
in der Gesellschaft auf die Regierung, die fällige Kurskorrektur vorzunehmen. Auf
einem Sonderparteitag im Februar 1992 stimmten die CCM-Politiker einer Verfas-
sungsänderung zu, die die Abschaffung des Einheitsparteisystems zum Inhalt hatte.
Sie wurde umgehend von 46 Gruppen genutzt, die sich nun jeweils als politische
Partei registrieren lassen konnten (Schicho 2004, S. 332).
Erheblicher Druck kam allerdings auch von den Experten der Weltbank und
des Internationalen Währungsfonds, die immer dringlicher mahnten, die erfolglose
Ujamaa-Politik aufzugeben und nun endlich mit der Politik der marktkonformen
Strukturanpassung zu beginnen (Tetzlaff 1980, S. 484-497; Holtom 2007). Im Kern
bestand die Strukturanpassungspolitik (SAP) aus: Privatisierung der Staatsbetriebe,
Liberalisierung des Außenhandels, Deregulierung der Wirtschaft, Abwertung der
einheimischen Währung (des tansanischen Shillings) zur Förderung der Exporte;
Einsparungen im Staatsbudget, einschließlich der Entlassung von Mitarbeitern
in den Ministerien. Immerhin hatte das Ausland dem Land während der 1970er
Jahre mehr als drei Milliarden US-Dollar Nothilfe zukommen lassen, wovon der
größte Teil aus westlichen Ländern stammte (Calderisi 2006, S. 108f.). In einigen
Regionen des Landes, die schlecht von der Katastrophenhilfe zu erreichen waren,
hungerten die Menschen, und auch die gewerbliche Produktion ging angesichts des
Mangels an Ersatzteilen, die aus Devisenmangel nicht eingeführt werden konnten,
drastisch zurück.
Die Jahre zwischen 1979 und 1985 waren vom Kampf gegen Schwarzmarkt und
überhöhte Profite im Handel gekennzeichnet. Im Jahr 1982 – auf dem Höhepunkt
der Krise – brauchte das Land Auslandshilfe von 600 Millionen US $, aber es dau-
erte noch bis 1985, bis Julius Nyerere als Staatspräsident zurücktrat und seinem
Nachfolger Hassan Mwingi (ein Politiker aus Sansibar) die fällige Umkehr seiner
Politik überließ. Nun wurden nolens volens von der Regierung die Strukturanpas-
sungspostulate der Geberländer akzeptiert. Seitdem entwickelte sich Tansania,
langsam aber kontinuierlich, in Richtung auf marktkonforme Erschließung der
natürlichen Reichtümer des Landes, wobei neben Gold (während der meisten Jahre
der größte Devisenbringer) vor allem Kaffee, Tee, Cashewnüsse und Baumwolle
größere Bedeutung erlangten. Aber auch die Nahrungsmittelproduktion für den
Eigenbedarf konnte durch vom Zwang befreite Bauern intensiviert werden, so dass
das Land bei guten Witterungsbedingungen sogar Überschüsse erzielte. Zu einer
Durchkapitalisierung der Volkswirtschaft ist es auch in der Nach-Nyerere-Phase
nicht gekommen; denn um das Jahr 2000 war noch jeder dritte Haushalt vom
‚informellen Sektor‘ abhängig (Hirschler & Hofmeier im Afrika-Jahrbuch 2003,
S. 317; Goldberg 2008, S. 156f.).
7.2 Tansania: Theorie und Praxis des Ujamaa-Sozialismus 137
Mit und nach der Beendigung des sozialistischen Experiments ist ein altes Übel –
die Korruption im Staatsapparat – wieder aufgeblüht. Während der CCM-Herrschaft
hatte sich die etwa 300.000 public servants umfassende Staatsbürokratie mittels
verschiedener dirty tricks bereichert. Mit der Privatisierung von Staatsbetrieben (vor-
nehmlich im Energiesektor) sind etwa 122 Mio. US$ auf Schwarzgeldkonten hoher
Staatsbeamter überwiesen worden, wie ein parlamentarischer Untersuchungsbericht
im November 2014 enthüllte (Gray 2015, S. 383). Hazel S. Gray konnte zeigen, dass
es innerhalb der allmächtigen Staatspartei CCM eine etwa gleiche Machtverteilung
zwischen vier Fraktionen gegeben hätte, von denen jede ein korporatives Interesse
an der Aufrechterhaltung der illegalen Geldströme gehabt hatte. Alle vier hätten
davon etwa in gleicher Weise profitiert, „so dass es für den Staatspräsidenten oder
irgendeine Gruppe innerhalb der Regierungspartei schwierig gewesen wäre, die
grand corruption zu stoppen“ (Gray 2015, S. 385). Allerdings hätten auch die von den
Gläubigern durchgesetzten neo-liberalen Wirtschaftsreformen mit ihrer Betonung
von Privatisierung der Staatsbetriebe, einschließlich von Hotels, sowie der Deregu-
lierung der Wirtschaft die Korruption der Staatsbeamten erleichtert (Gray 2015).
Auch nach dem Übergang zum demokratischen Mehrparteiensystem gewann die
Staatspartei CCM alle Parlamentswahlen, so dass die offiziell verkündete Politik der
Korruptionsbekämpfung folgenlos blieb. Die Ursache davon lag auf der Hand: die
Urheber des Übels saßen und sitzen in den Staatsapparaten. Dies galt nicht nur für
Tansania, sondern auch in Ländern wie Nigeria, für DR Kongo, Simbabwe, Angola,
Malwai, Gabun, Mali oder für Kenia. Der Patronage-Staat funktionierte als das,
was Burgis die looting machine (Plünderungsmaschine) genannt hat (Burgis 2015).
Im Jahr 2015 stand Tansania auf dem Korruptionsindex von Transparency
International auf Platz 117 (von 168 gelisteten Ländern), – im Vergleich zu Kenia,
das auf Platz 139 rangierte. In Tansania hatte eine lebendige Zivilgesellschaft ei-
nen Rechtfertigungsdruck für Politiker erzeugt und so für Reformen gesorgt. Im
September 2016 verkündete Präsident John Magufuli eine Kampagne gegen die
Korruption in den eigenen Reihen. Er ließ 120 höhere Staatsbeamte vom Dienst
suspendieren und einige wegen Korruption anklagen; außerdem wurden 17.000
`Geisterarbeiter‘ von den Gehaltslisten gestrichen. Die Steuerbehörden wurden
angehalten, von Firmen und Geschäftsleuten die nicht gezahlten Steuern in Milli-
onenhöhe einzutreiben und dem Finanzamt zu überweisen, um damit Tansanias
ehrgeizige Industrialisierungsvorhaben realisieren zu können (Africa Confidential:
„Tanzania. Push-ups and push-backs“, vom 23.09.2016, S. 5).
137
138 7 Afrikanischer Sozialismus
Aufgaben
139
Staatsbildung und Staatszerfall
8 Staatsbildung und Staatszerfall 8
143
144 8 Staatsbildung und Staatszerfall
Die dritte globale Welle der Demokratisierung (Huntington 1991), die gegen Ende
des Ost-West-Konflikts entstanden war, erreichte um 1990 auch Afrika südlich der
Sahara. In wenigen Jahren machten etwa zwei Drittel aller 48 Länder demokratische
Transitionsprozesse durch: Mehrparteiensysteme entstanden, Verfassungen wur-
den geändert, freie und faire Wahlen durchgeführt und nicht wenige Diktatoren
durch Volksaufstände und/oder Wahlen gestürzt. In einigen Fällen missglückten
angestrebte Reformen, und demokratische Experimente endeten in Gewalt: so
z. B. in Somalia, Ruanda, Burundi, Elfenbeinküste, Guinea, Burkina Faso, Liberia,
Sierra Leone, Sudan und Simbabwe. Dann geriet der Demokratisierungsprozess
ins Stocken, und das autoritäre präsidentielle Herrschaftsmodell gewann wieder
an Attraktivität. Dabei spielte zuweilen (nachweislich in Äthiopien, Ruanda, Sim-
babwe und Tansania) die VR China als Entwicklungsmodell eine Rolle als Vorbild
für demokratie-resistente Machthaber. Es lässt sich wie folgt charakterisieren:
monopolartige politische Verhältnisse im Machtzentrum, plus marktfreundliche
Wirtschaftspolitik mit Chancen zur persönlichen Bereicherung aller Art, gefördert
von einem autoritären Staat auf Kosten der Respektierung von Menschenrechten
(Halper 2010; siehe auch unten Kap. 14.4). Doch vieles spricht heute dafür, dass
das chinesische Wachstumsmodell eine historische Ausnahme darstellt, dem nicht
einmal die übrigen BRIGS-Länder folgen können. Die Weltpolitik wird in Zukunft
vielleicht weniger vom Gegensatz zwischen demokratischen und autokratischen
Staaten bestimmt sein als vom Gegensatz zwischen funktionierenden Staaten und
schwächelnden oder gar versagenden Staaten (Tetzlaff 2016a).
Der Mo-Ibrahim-Index of African Governance (IIAG), benannt nach dem erfolg-
reichen sudanesischen Geschäftsmann Mo Ibrahim, der den Mo Ibrahim-Preis für
exzellente politische Leistung stiftete, misst mittels vier Kriterien (Safety & Rule of
Law, Participation & Human Rights, Sustainable Economic Opportunity, Human
Development) die afrikanischen Governance-Erfolge. Auf einer Skala von Null bis
Hundert – die erzielten Werte reichten von 81,7 Punkte für die beste Leistung in
Mauritius bis hin zu 8,6 Punkten für die schlechteste Leistung in Somalia – wurden
im Jahr 2014 elf Länder ermittelt, die mindestens sechzig Punkte erreichten und die
alle im Verlauf der vergangenen fünf Jahre (2009-2014) Governance-Fortschritte
erzielt hatten (in Klammern Zuwachs an Punkten):
8.2 Governance-Leistungen der Staaten Afrikas 145
Der Durchschnitt aller 54 Länder lag bei 51,5 Punkten – insgesamt keine Leistung,
mit der die politische Leitung der Mo-Ibrahim-Foundation zufrieden sein konnte.
Diese vergibt seit 2006 den Mo-Ibrahim-Preis für exzellente Governance-Leistungen
an afrikanische Präsidenten: Der gekürte Preisträger erhält 5 Millionen US Dollar
für die ersten fünf Jahre und danach jährlich 200.000 US $ auf Lebenszeit. Der
erste Preisträger war Nelson Mandela aus Südafrika; im Jahr 2007 erhielt Joachim
Alberto Chissano den Preis, der Präsident von Mosambik, für seinen Einsatz für
den Frieden. Ein Jahr später wurde Festus G. Mogae, der Präsident von Botsuana,
für seinen Beitrag zur Festigung der Demokratie im Land gewürdigt, und im Jahr
2011 bekam Pedro De Verona Rodrigues Pires den Preis für seine Rolle bei der
Transformation der Kapverden in ein Modell für Demokratie, politische Stabi-
lität und Wohlstand. In den Jahren 2010 bis 2014 fand das Mo Ibrahim-Komitee
beschämenderweise keinen geeigneten Kandidaten für die Preisverleihung. Erst
2015 wurde der Preis wieder verliehen, diesmal an den scheidenden Präsidenten
Namibias: H. Lucas Pohamba.
145
146 8 Staatsbildung und Staatszerfall
147
148 8 Staatsbildung und Staatszerfall
und Zölle etc.“ (Schicho 2004, S. 252). Eine ethnisch ausgewogene Koalition aus
Vertretern der Nord- und Südparteien bildete die Regierung; sie setzte sich zum
Ziel, alle Somali in einem neu zu schaffenden Einheitsstaat zusammenzuführen.
Diese Einheits-Idee ließ sich nicht verwirklichen. Ein Drittel der vier Millio-
nen Somali lebten außerhalb des somalischen Staates. Die französische Enklave
Dschibuti wurde zu einem eigenen Mini-Staat; und die Nachbarstaaten Kenia und
Äthiopien waren zu Abtretungen von Gebieten mit somalischer Bevölkerung an
den neuen Staat Somalia nicht bereit. Neun Jahre später brach das politische System
der rivalisierenden Parlamentsparteien zusammen, der gewählte Präsident wurde
ermordet, und im Oktober 1969 übernahm die Armee in einem Staatsstreich die
Macht. Von nun an (bis 1991) bestimmte ein 24-köpfiger Militärrat, unter Führung
von General Mohamed Siyad Barre die Geschicke des Landes. Die demokratische
Verfassung wurde aufgehoben, und der ‚wissenschaftliche Sozialismus‘ wurde
zur Grundlage der staatlichen Entwicklung erklärt. Damit begann die erste Phase
des Staatszerfalls, weil sich die diversen segmentären Gesellschaftsverbände der
Somali auf dieses fremdländische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell mit sei-
ner zwanghaften Tendenz zur Zentralisierung von Macht und Ressourcen nicht
anfreunden konnten. Der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah hat in seinem
Roman Staatseigentum (Athenäum 1980) die bedrückende Atmosphäre geschildert,
welcher die Menschen während der Ära von Siyad Barre leidvoll ausgesetzt waren.
Das Regime des Diktators Siyad Barre, der ein Mitglied des Darod-Clans
war, sorgte dafür, dass politisch einflussreiche Posten mit Mitgliedern seiner
Verwandtschaft besetzt wurden, was zu Frustration der an den Rand gedrängten
Clans führte. Mit Hilfe der Sowjetunion vergrößerte Siyad Barre seine Armee von
ca. 3000 auf 37.000 Mann im Jahr 1977. Schwerer noch wog der Fehler, den seit
1963 schwelenden Konflikt im Ogaden im Jahr 1977 zu einem Krieg eskalieren zu
lassen, – gerade in dem Augenblick, als das äthiopische Regime infolge innerer
Machtkämpfe geschwächt erschien. Die UdSSR, durch Verträge an Äthiopien wie
Somalia gebunden, stellte sich zunehmend auf die Seite des sozialistischen Regi-
mes des Putschisten Mengistu, des Präsidenten von Äthiopien. Die Folge war der
Abbruch der sowjetisch-somalischen Beziehungen im Oktober 1977 durch Siyad
Barre. Binnen Wochenfrist mussten 6000 sowjetische Experten mit ihren Familien
das Land verlassen, was zu einer weiteren Schwächung des Landes führte. Nachdem
Siyad Barre notgedrungen die politischen Fronten wechseln musste, warb er nun
um westliche Unterstützung, die ihm auch gemäß der sprichwörtlichen Logik ‚der
Feind meines Feindes ist mein Freund‘ in reichlichem Maße gewährt wurde – bis
zum Kollap des Regimes im Jahr 1991.
Im April 1978 war es zu einer Rebellion der aus dem Ogaden zurückkehrenden
Einheiten der somalischen Armee unter der Führung von Generälen aus dem
8.3 Somalia: Staatszerfall und islamistischer Terror 149
Clan der Majerteyn gekommen. Auch das von den Isaq getragene Somali National
Movement (SNM) machte sich in den 1980er Jahren als Opposition gegen das Bar-
re-Regime bemerkbar. Die Regierung, damit beschäftigt, alle Oppositionsgruppen
gnadenlos zu unterdrücken, konnte den Absturz der Wirtschaft des Landes nicht
aufhalten: Während der Anbau von Nahrungsmitteln und die Produktion von
Zucker zurück gingen, nahmen illegale Transaktionen, Schmuggel, Schwarzmarkt
und schmutzige Geschäfte mit Flüchtlingen zu. Angesichts der drohenden Anarchie
verschärften sich die regionalen Gegensätze bis zum Beginn eines Bürgerkriegs, der
1988 offen ausbrach. In einem Bericht des Africa Watch Committee (1990) hieß es:
„Es ist schwierig, die Brutalität der somalischen Regierung gegen ihr eigenes Volk
zu übertreiben oder die Auswirkung ihrer mörderischen Politik zu ermessen“ (zit.
bei Schicho 2004, S. 257).
Im Jahr 1989 starteten Rebellen den Angriff auf das Machtzentrum in Mogadishu,
was die Streitkräfte des Diktators mit Massakern an der Bevölkerung quittierten.
Doch Anfang 1991 musste Siyad Barre, der sich zuletzt nur noch auf seinen Clan
(die Marehan der Darod-Gruppe) stützen konnte, kapitulieren und ins Exil fliehen.
Die Reste der Armee flohen südwärts in einem gepanzerten Konvoi, „beladen mit
Goldbarren, ausländischer Währung und Beutegut, die aus westlichen Botschaften
geplündert worden waren“ (Meredith 2005, S. 469-470). Der Großteil der Bevölkerung
in den Hungergebieten überlebte nur dank der internationalen Nahrungsmittelhilfe;
Hundertausende aber verhungerten in dem Chaos, das der Staatskollaps angerichtet
hatte. Zur tragischen Bilanz der ersten dreißig Jahre somalischer Unabhängigkeit
gehört die Tatsache, dass das Land, das als Selbstversorger mit Nahrungsmitteln
in die Unabhängigkeit gestartet war, nun von Importen von Nahrungsmitteln
dauerhaft abhängig geworden war.
Was nach der Implosion des somalischen Staates folgte – die 25 Jahre bis 2017 –,
war eine Phase der politischen Anarchie und der sozialen Anomie: die Auflösung
jeglicher Ordnung. Für die Bevölkerung bedeutete sie eine Kette von Katastrophen:
latente Hungersnot, Bedrohung der Sicherheit, Vertreibung und Flucht, Tyrannisie-
rung durch Milizen und immer wieder enttäuschte Hoffnungen, dass ausländische
Mächte vielleicht doch eine Wiederherstellung der politischen Ordnung zu Wege
bringen könnten. Im Mai 1991 erklärte sich der Norden des Landes – das frühere
British-Somaliland – für unabhängig; doch der leidlich gut funktionierende Zwerg-
staat ist international bis heute nicht anerkannt worden. Auch das benachbarte
Punt-Land erklärte seine Unabhängigkeit. Die restlichen Regionen des Landes
wurden von den jeweils dort dominanten Clans und deren Milizen kontrolliert und
drangsaliert, wobei Hunderttausende in die Nachbarländer fliehen mussten. In der
Hauptstadt Mogadishu lieferten sich der Somali United Congress (SUC), dessen Führer
Ali Mahdi Mohamed sich zum Präsidenten erklärt hatte, und General Muhammed
149
150 8 Staatsbildung und Staatszerfall
Farah Aideed, der militärische Führer des United Somali Congress (USC), der diese
Machtusurpation nicht anerkannte, heftige Kämpfe. Versuche der Nachbarstaaten
und der USA, die verschiedenen Rebellengruppen zu Friedensverhandlungen zu
bewegen, brachten nicht das erhoffte Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen.
In der Baidoa-Region waren bereits etwa 200.000 Menschen verhungert – auch
deshalb, weil somalische Milizen internationale Hilfslieferungen blockierten und
food aid als Waffe einsetzten (Clay & Stokke 2000, S. 125 f.).
Erst als der UN-Sicherheitsrat auf Drängen des UN-Generalsekretärs Boutros
Boutros Ghali eine humanitäre Intervention zur Rettung der vom Hungertod be-
drohten Somali in Mogadishu und Baidoa beschloss, keimte neue Hoffnung auf.
Im Rahmen der von US-Präsident George Bush so benannten Operation Restore
Hope, die jetzt mit einem peace enforcement-Mandat ausgestattet wurde, beging
die UN-Truppe unter militärischer Führung des früheren Admiral Jonathan Howe
den Fehler, sich bei dieser zweiten humanitären Intervention (Unosom II) in den
internen Machtkampf zwischen Ali Mahdi Mohamed und Muhammad Farah Aideed
einzumischen. In dem Versuch, Aideeds Unterstützer zu entwaffnen, wurden 23
pakistanische Blauhelme getötet. Aideed, der als Hindernis für eine neu zu bildende
nationale Regierung angesehen wurde, wurde mit Black Hawk-Hubschraubern
von US-Soldaten durch Mogadishu gejagt, um ihn zu liquidieren, wobei zahlreiche
unbeteiligte Somali getötet wurden, was das Ansehen der UNO schwer beschädigte.
„Die UN hatte ihre Neutralität in dem Konflikt verloren“ – hieß es bald darauf
(Thomson 2010, S. 183, Debiel 2003).
Am 3. Oktober 1993 wurden US-Soldaten in einen Hinterhalt gelockt und 18 von
ihnen getötet; zwei Leichen wurden triumphierend durch die Straßen von Mogadishu
gezerrt. Die entsprechenden Fernsehbilder gingen um die Welt. Der Milizenanführer
Aideed war wieder einmal entkommen, und dessen Anhänger zogen plündernd
und randalierend durch die Straßen der in untereinander verfeindete Stadtviertel
aufgeteilten Hauptstadt. Daraufhin beschloss die US-Regierung unter Präsident Bill
Clinton am 6. Oktober 1993, unverzüglich den US-Einsatz in Somalia abzubrechen
und alle US-Soldaten bis zum März 1994 nach Hause zu bringen. Auch andere
Nationen, die sich am Versuch der UNO beteiligt hatten, in Somalia den Frieden
zu erzwingen, zogen ihre Soldaten zurück. UNOSOM II war damit beendet (Pape
1997, S. 183 – 208), und das Land war wieder den rivalisierenden war lords und den
von Niemandem mehr zu kontrollierenden Milizionären ausgeliefert. Ca. 4 Milli-
arden US $ waren für die beiden gescheiterten UNOSOM-Missionen ausgegeben
worden, die ein spektakuläres Versagen von UN- und USA-Politik symbolisierten
(Meredith 2005, S. 4). Die tragischen Konsequenzen sollten noch im selben Jahr
sichtbar werden: Die US-Regierung weigerte sich, angesichts des massenhaften
Abschlachtens der Tutsi in Ruanda eine erneute ‚humanitäre Intervention‘ zur
8.3 Somalia: Staatszerfall und islamistischer Terror 151
Verhinderung des dortigen Genozids zu beschließen, wozu sie eigentlich durch das
Völkerrecht verpflichtet gewesen wäre (Des Forges 2010; Debiel 2003).
Knapp zehn Jahre nach den verunglückten UN-Missionen in Somalia 1992/1993
hat man im Oktober 2002 in Kenia erneut versucht, zu einer friedlichen Beendigung
des Bürgerkriegs zu kommen – diesmal unter Führung der Regionalorganisation
Inter-governmental Authority on Development (IGAD), der Kenia, Äthiopien,
Eritrea, Somalia, Dschibuti und Uganda angehören. Doch die 22 Kriegsparteien
unter Leitung ihrer Clan-Führer konnten sich nicht auf die Zusammensetzung
und Kompetenzen eines föderalen Übergangsparlaments (Transitional National
Assembly, TNA) einigen. Das entstandene Machtvakuum wurde bald von der
islamistischen Al-Shabaab-Miliz genutzt, deren Terroraktionen im Süden des
Landes sowie in der Hauptstadt die prekäre Sicherheitssituation im Lande noch
weiter verschärften: Hunderttausende verzweifelter Zivilisten machten sich auf den
Fluchtweg über die Grenze nach Kenia – ins Flüchtlingslager Dadaab. Schließlich
gelang es Vertretern der internationalen Diplomatie, unter Einschluss der ins Feld
geschickten UN-Blauhelme, in dem somalischen Rumpfstaat eine Übergangsre-
gierung in Mogadishu zu installieren – mit bislang geringem Erfolg. Der seit Juli
2012 amtierende Staatspräsident Hassan Scheich Mohamud bekämpfte zuerst den
amtierenden Regierungschef Abdiweli Scheich Ahmed und nach dessen Abwahl
durch das Parlament den neuen Regierungschef Omar Abdirashid Ali Sharmarke,
der bereits 2009-2010 das Amt des Ministerpräsidenten bekleidet hatte. Rund ein
Drittel der Somalier sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen,
und mehr als eine Million Somalia-Flüchtlinge warten bis heute auf ihre Heimkehr
(Der neue Fischer Weltalmanach 2016, S. 420-421).
Die Politologin Jutta Bakonyi hat die These aufgestellt, dass die somalische
Gesellschaft seit Ausbruch des Bürgerkriegs 1988 infolge der andauernden Gewal-
terfahrung „hochgradig militarisiert“ worden sei und deshalb Konflikte „häufig
gewaltsam ausgetragen“ würden. Zivile Mechanismen der Konfliktschlichtung –
zum Beispiel durch das Aushandeln von Vergleichen und Schadensersatz durch die
Ältesten – seien weitgehend außer Kraft gesetzt worden (Bakonyi in Afrika-Jahrbuch
2003, Somalia, S. 300). Dass es sich tatsächlich um einen Rückfall in anomische
(gesetzlose) Zustände handelt, ist auch daran abzulesen, dass Fraktions- und
Milizenführer über Kombattanten und selbst ernannte Gotteskrieger kaum noch
Kontrolle auszuüben vermögen. Fest steht, dass die Implosion des Staates (mit
Armee, Polizei, Gerichten) ein Machvakuum geschaffen hat, das vor allem jungen
Männern aus verarmten Familien verlockend erscheint, es gewaltsam für eigene
Zwecke zu nutzen. Es ist damit zu rechnen, dass es einen konsolidierten somalischen
Nationalstaat auf absehbare Zeit nicht wieder geben wird, – nicht nur deshalb, weil
die Gräben zwischen den rivalisierenden Clans noch tiefer geworden sind, sondern
151
152 8 Staatsbildung und Staatszerfall
hauptsächlich deshalb, weil sich die ‚Gesellschaft‘ als solche durch die Kriminalisie-
rung ihrer fragmentierten Segmente (Clans, Milizen, Warlords) verändert hat: Die
internationale Caritas sorgt zwar dafür, dass die Folgen permanenter Hungersnöte
etwas gemildert werden, aber Menschen in Gesellschaften, die durch internationale
food aid künstlich am Leben gehalten werden, verlieren mit ihrer Erwerbsarbeit
auch ihre Würde und ihre Werte (Clay & Stokke 2000; Caparros 2015).
153
154 8 Staatsbildung und Staatszerfall
verkündet, dem Sprecher der weißen Farmer und Führer der Rhodesian Front, der
Sammlungspartei der Rechten. Er war 1962 auf der Grundlage einer rassistischen
Verfassung von der weißen Bevölkerung zum Ministerpräsidenten gewählt worden.
UDI wurde international nicht anerkannt und von den Vereinten Nationen mit
Wirtschaftssanktionen bestraft, die allerdings nur halbherzig befolgt oder bewusst
unterlaufen wurden (vor allem von Südafrika).
Fünfzehn Jahre konnte sich das weiße Siedler-Regime unter Ian Smith halten,
dann hatten die Kämpfer der beiden afrikanischen Befreiungsbewegungen die
Oberhand gewonnen. Es handelte sich um die Zimbabwe African National Union
(ZANU), 1963 in Dar es Salaam von Ndabaningi Sithole gegründet, und um die
Zimbabwe African Peoples Party (ZAPU), deren Führer Joshua Nkomo war, der po-
litische Sprecher des Volkes der Ndebele. Beide Parteien waren lange Zeit verboten
gewesen und kämpften im Untergrund gegen die Fremdherrschaft, zunehmend
erfolgreich. Als der Bürgerkrieg zwischen dem Smith-Regime der weißen Siedler
und den Befreiungskämpfern von ZANU und ZAPU seinem Ende entgegen ging,
mussten deren Führer aus dem Gefängnis entlassen werden, wovon auch der mi-
tinhaftierte Robert Mugabe profitierte. Die Bilanz des Krieges war bedrückend:
25.000 Menschen waren in den sieben Jahren des Kampfes gestorben, davon 15.000
afrikanische Zivilisten, 7.700 Kämpfer der Widerstandsbewegungen; ferner 1.500
Soldaten der rhodesischen Armee (davon 950 Afrikaner) und 800 weiße Zivilisten
(Jeune Afrique vom 24.12.1979, zit. nach Schicho 2004, S. 386). Was sollte nun mit
den Tausenden von ausgemusterten Kämpfern geschehen?
Schon 1976 hatten in Genf Verfassungsgespräche zwischen Großbritannien, dem
rebellischen Siedlerregime von Ian Smith und vier miteinander rivalisierenden
afrikanischen Befreiungsbewegungen begonnen; sie konnten aber erst 1979 in
London erfolgreich zu Ende geführt werden. Noch unter britischer Verwaltung
wurden Ende Februar 1980 Parlamentswahlen durchgeführt, die Robert Mugabes
ZANU-Fraktion mit 63 % der Stimmen und 57 von 100 Parlamentssitzen gewann.
Es war nicht überraschend, dass sich das Mehrheitsvolk der Shona (77 % der Ge-
samtbevölkerung) mehrheitlich für den Shona-Politiker Robert Mugabe entschied,
der durch radikale Forderungen populär geworden war. Sein politischer Rivale, der
weitaus bekanntere Joshua Nkomo, als Repräsentant einer ethnischen Minderheit
derNdebele (mit ca. 19 % Anteil an der Gesamtbevölkerung), hatte nur 20 Parla-
mentssitze erringen können. So kam die erste Regierung durch eine Koalition der
beiden stärksten Parteien zustande, in der Mugabe Premierminister wurde. Bei
seinem Amtsantritt hatte er elf Jahre Haft und einige schwierige Jahre als keines-
wegs von allen akzeptierter Guerillaführer hinter sich. Der Sieg an den Wahlurnen
verschaffte ihm und seinen Gefährten die Macht über ein reiches Land, die sie unter
keinen Umständen mehr bereit waren, aufzugeben. In der Hauptstadt Salisbury,
8.4 Simbabwe – selbstinszenierter Staatsterror 155
die nun Harare hieß, raufte sich die neue schwarze Elite um Immobilien, Farmen
und Unternehmen. Mugabe regierte das Land „durch ein komplexes System von
Patronat, belohnte loyale Helfer und Spießgesellen mit Ämtern und Aufträgen des
Staates und ignorierte die sich immer mehr ausbreitende Seuche der Korruption“
(Schicho 2004, S. 386).
Schon im Oktober 1980 unterzeichnete Mugabe ein Abkommen mit der kom-
munistischen Regierung von Nord-Korea über die Hilfe bei der Ausbildung einer
speziellen Armeebrigade, die die internen ‚Dissidenten‘ ausschalten sollte. Wer
damit gemeint war, sollte sich bald in Matabele-Land zeigen. Im November 1980
begann die erste Welle der Verfolgung von Anhängern der ZAPU, im Februar 1981
starben mehr als 300 ZAPU-Mitglieder, ehemalige Freiheitskämpfer Nkomos,
und 1983 und 1984 verwüstete die von Nord-Koreanern gedrillte ‚Fünfte Brigade‘
die Provinz, die dem Ministerpräsidenten Mugabe als politische Hochburg des
Rivalen Nkomo galt: Hunderte von Matabele-Dörfern wurden zerstört, Tausende
von Zivilisten wurden verprügelt, Nahrungsmittel-Depots wurden geschlossen,
so dass Tausende von Bauern verhungerten. Als in den Parlamentswahlen von
1985 Nkomos ZAPU wieder alle 15 Parlamentssitze in Matabeleland gewonnen
hatte, ließ Mugabe in einer Operation blinder Wut das Haus seines Konkurrenten
verwüsten, seine Anhänger zu Hunderten willkürlich verhaften, darunter elf Rats-
mitglieder des Stadtrats von Bulawayo, den Bürgermeister und etwa zweihundert
Verwaltungsangestellte (Thomson 2010, S. 265). Etwa 10.000 Zivilisten sind von
Mugabes Schlägertruppen in Matabeland bis 1987 ermordet worden. Ein zu Tode
erschrockener Joshua Nkomo unterzeichnete im Dezember 1987 den Unity Accord
mit Mugabe, der ZANU und ZAPU zur Einheitspartei ZANU-PF (Patriotische
Front) vereinigte (Meredith 2005, S. 620-626). Im Jahr 1988 ließ sich Mugabe zum
Präsidenten ernennen und konnte sich nun, nach der endgültigen Lösung der
Machtfrage, an die zweite Aufgabe machen: die Lösung der Landfrage.
Gutes Acker- und Weideland war auch in Simbabwe knapp geworden, und es
war ungleich verteilt. Anfang der 1980er Jahre lebten rund 780.000 Familien in den
communal areas, dem früheren tribal trust land, wobei das Land nur geschätzte
325.000 Familien ernähren konnte. Der größte Teil des commercial farmland (das
waren Farmen im Privatbesitz) wurde noch von 4.800 weißen Farmern bestellt,
die etwa vier Fünftel der landwirtschaftlichen Produktion erzeugten. Die Regie-
rung kaufte nach 1980 Farmland auf und verteilte es, so dass am Ende der ersten
Freiheits-Dekade ca. 52.000 Familien (416.000 Menschen) auf ehemals ‚weißem
Farmland‘ angesiedelt worden waren. Aber ca. 300 Großfarmen, die unter af-
rikanischen Kleinbauern verteilt werden sollten, waren Ministern und höheren
Beamten zugeschanzt worden (Meredith 2005, S. 631). Ein innerer Kreis der Macht
um Mugabe nutzte seine privilegierte Stellung dazu, selbst Besitz auf Kosten der
155
156 8 Staatsbildung und Staatszerfall
157
158 8 Staatsbildung und Staatszerfall
afrikanischen Staaten, die sich mit eisernem Willen aus der Armut herausarbeiten
wollen. Das Regime des Präsidenten Paul Kagame (Sieger im Bürgerkrieg), dessen
Staatsbudget zu 40 % vom Ausland in Form von Budgethilfe finanziert wird, in-
vestierte bislang massiv in den Bildungs-, Transport- und Energiesektor sowie in
die Modernisierung der Landwirtschaft. In seinem Entwicklungsplan Vision 2020
setzt das Regime in Kigali einen Schwerpunkt in den Ausbau der Informations-
und Kommunikationstechnologie, um das Land nicht nur zu einem Zentrum des
Bergtourismus (Gorillas in den Virunga-Vulkan-Bergen), sondern auch zu einem
solchen der internationalen Konferenz-Diplomatie zu machen.
In der jüngeren Geschichte Ruandas hat es drei Großereignisse gegeben: Erstens
die politische Unabhängigkeit des Landes von belgischer Kolonialherrschaft am 1.
Juli 1962, begleitet von der ‚Hutu-Revolution‘ (in der die numerische Hutu-Mehrheit
bei den Unabhängigkeitswahlen die regierende Tutsi-Minderheit besiegte); zweitens
der Genozid an den Tutsi im Jahr 1994, – langfristig geplant und durchgeführt von
einem radikalisierten, machtgierigen Hutu-Regime und ausgelöst durch den nie
aufgeklärten Abschuss des Flugzeugs von Staatspräsident Juvenal Habyarimana am
6. April 1994. Dem Genozid fielen in 100 Tagen etwa 800.000 Tutsi und gemäßigte
Hutu zum Opfer. Und drittens ist der straff organisierte staatliche Wiederaufbau
unter dem starken Mann des neuen von Tutsi dominierten Regimes von Paul Ka-
game, Staatspräsident seit 2000, zu nennen. Die endgültige Versöhnung zwischen
Tätern und Opfern – wenn sie denn überhaupt politisch gewollt und auf breiter
Front sozial-psychologisch ermöglicht wird – steht allerdings noch aus. Auf den
heute gültigen Pässen sind die seit der belgischen Kolonialherrschaft eingetragenen
ethnischen Bezeichnungen Tutsi oder Hutu entfernt worden. Zu einer wirklichen
Überwindung des ethno-politischen Jahrhundertkonflikts bedürfte es wohl noch
größerer Anstrengungen.
Seit Jahren erfreut sich nun der ressourcenarme Staat Ruanda eines jährlichen
Wirtschaftswachstums von durchschnittlich 6 – 8 % und einer geringen Arbeits-
losigkeit (unter 3 %). Überschattet wird der wirtschaftliche Erfolg des Kagame-Re-
gimes von dem latenten Misstrauen des Regimes gegenüber tatsächlichen oder
eingebildeten Regimegegnern, gegen die auch mit außerlegalen Mitteln brutal
vorgegangen wird (Amnesty International Report 2015/2016, S. 382-385). Wegen
des weiterhin schwelenden Gegensatzes zwischen den beiden Hauptethnien Hutu
(84 % der Gesamtbevölkerung) und Tutsi (14 %), der von offizieller Seite ignoriert
wird, ist Ruanda heute als repressive Fassaden-Demokratie zu bezeichnen. Obwohl
es mehr als zehn politische Parteien im Parlament gibt, hat die regierende Front
Patriotique Rwandais (FPR) seit 1994 die Mehrheit in allen Verfassungsorganen,
weil eine echte Oppositionspartei aus traumatischer Angst vor einer Wiederkehr der
Machtansprüche der Mehrheits-Ethnie vom Kagame-Regime nicht geduldet wird.
159
160 8 Staatsbildung und Staatszerfall
in der Hand umbrachten. Unbestritten ist die Tatsache, dass bei der Bürgermobili-
sierung durch die Hutu-Machtelite das ethnische Propaganda-Argument – alle Tutsi
seien „Kakerlaken“ – eine prominente Verursachungsrolle gespielt hat, weshalb
die Betrachtung der Entstehung der ethnischen Konfliktlage ein Schlüssel zum
Verständnis des Genozids sein kann.
Als Belgien nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vom Völkerbund das Mandat
erhielt, das frühere deutsche Schutzgebiet Ruanda zu verwalten, zu ‚entwickeln‘ und
schließlich zur Unabhängigkeit zu führen, gab es den scharfen Gegensatz zwischen
Tutsi und Hutu als eindeutig definierbare Ethnien noch nicht. Die Menschen der
Region, die wir heute Ruander nennen, hatten in den vergangenen (vorkolonialen)
Jahrhunderten gemeinsam den komplexen, hierarchisch gegliederten Staat Ruanda
aufgebaut. Sie schufen eine einheitliche, hochentwickelte Sprache, Kinyarwada, teil-
ten gemeinsame religiöse und philosophische Überzeugungen „sowie eine Kultur,
in der Gesang, Tanz, Poesie und rhetorischen Fähigkeiten große Wertschätzung
zukamen. Sie verehrten dieselben Helden. Selbst während des Völkermordes sangen
die Mörder und ihre potentiellen Opfer Lieder von den gemeinsamen Führern der
Vergangenheit“ (Des Forges 2002, S. 55). Die Wörter Tutsi und Hutu waren zunächst
keine ethnischen Kategorien, sondern sozio-ökonomische Termini: So bezeichnete
Tutsi „einen Menschen mit großem Viehreichtum“ und „wurde schließlich zu
einem Begriff für die Elite als Ganzes“, während Hutu „ursprünglich für einen
Untergebenen oder Gefolgsmann einer mächtigeren Person stand und schließlich
für die Masse der gewöhnlichen Leute“ (Des Forges 2002, S. 57). Die Bestimmung
der Tutsi-Viehzüchter als Machthaber mit einem König an der Spitze und die
Bezeichnung der Hutu-Bauern als Untertanen, die dem königlichen Hof und
seinen Chiefs und Sub-Chiefs Frondienste zu leisten hatten, wurde erst allgemein
gebräuchlich, nachdem gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Europäer nach
Ruanda gekommen waren.
Aus praktischen Erwägungen veränderten die Belgier das politische System
insofern, als sie die ‚Tutsi‘ zu den (rassisch und kulturell) überlegenen Menschen
erhoben und ihnen eine Monopolstellung im öffentlichen Leben des Mandatsgebiets
einräumten. Es war die in Kolonialkreisen beliebte divide-et-impera-Methode. „Die
einzigen Hutu, die ihrer Verbannung in die arbeitende Masse entkamen, waren
die wenigen, die in Priesterseminaren studieren durften“ (Des Forges 2002, S. 61).
So wurde durch Exklusion des historischen Beitrags der Hutu beim gemeinsamen
Aufbau des Staates der Geschichtsmythos von der Überlegenheit der Tutsi als Rasse
geschaffen. „Die Angehörigen beider Gruppen lernten zu glauben, dass bei jeder
größeren Auseinandersetzung in Ruanda die Tutsi die Gewinner und die Hutu
die Verlierer waren“ (Des Forges 2002, S. 62). So kam es zu einem Triumvirat aus
belgisch dominierter Kolonialverwaltung, Tutsi-Adel und christlicher Mission, das
161
162 8 Staatsbildung und Staatszerfall
mit Zustimmung des Tutsi-Königs (der den Titel Mwami trug) die Ausbeutung und
Unterdrückung der bäuerlichen Bevölkerung organisierte. Diesen Prozess kann
man als Ethnogenese bezeichnen – die Schaffung ethnischer Grenzziehungen real
und mental –, und dessen Ergebnis als politisierte Ethnizität (vgl. auch Strizek
1996, S. 74f.).
Die koloniale Inwertsetzung des Mandatsgebietes durch Einführung von cash
crops – Kaffee und Tee, später auch von Tabak, Baumwolle, Chinarinde und Pyre-
thrum – stieß angesichts der Landknappheit und hoher Bevölkerungsdichte bald
an Grenzen. Von 1890 bis 1945 soll es 12 Hungersnöte im Land gegeben haben,
wobei die von 1942 bis 1944 mit etwa 300.000 verhungerten Menschen wohl die
schlimmste gewesen ist (Schicho 1999, S. 244). Bis kurz vor ihrem Ende setzte die
belgische Mandatsverwaltung auf die Unterstützung der ethnischen Minderheit
der Tutsi: Im Jahr 1959 waren von 530 sous-chefs (Unterhäuptlingen) 520 Tutsi,
und unter den 45 chiefs befand sich kein einziger Hutu. Auch war die Armee von
Tutsi-Offizieren dominiert. Als nun aber die Vereinten Nationen auf baldige Deko-
lonialisierung der Mandatsgebiete Ruanda und Burundi drängten und allgemeine
Wahlen zur Rekrutierung nationaler Regierungen forderten, waren Verwaltung
und Mission mit einem Problem konfrontiert: Wenn die bislang unterdrückte
Mehrheit würde wählen dürfen, würde sie mit Sicherheit mittels ihrer Wahlzettel
ihre bisherigen Peiniger (die Tutsi) zum Teufel jagen.
Schon die ersten Kommunalwahlen brachten die Umkehrung der politischen
Kräfteverhältnisse mit sich. Im September 1961 stimmten rund 80 % der Ruander
für die Abschaffung der Tutsi-Monarchie und für eine Republik mit einem Mehr-
parteiensystem, in der die ethnische Mehrheit auch die demokratische Mehrheit
und damit die politische Macht beanspruchte. „Zu Beginn griffen die Hutu nur die
Machthaber an und ließen ihre einfachen Tutsi-Nachbarn in Ruhe. In der Regel
versuchten sie lediglich, die Tutsi zu vertreiben, nicht aber, sie zu vernichten. Den
Norden, wo die Kolonialverwaltung drei Jahrzehnte zuvor Verwaltungsbeamte
der Tutsi eingesetzt hatte, ‚säuberten‘ sie nahezu vollständig von der Tutsi-Be-
völkerung“ (Des Forges 2002, S. 65). So entstand die erste Flüchtlingswelle von
Tutsi ins Exil. Einige dieser Flüchtlinge kamen bewaffnet zurück und versuchten
– insgesamt zehnmal in den Jahren 1961-1967 – eine Restauration der alten poli-
tischen Verhältnisse zu erreichen, – allerdings vergeblich. Zu dieser Zeit schufen
die Hutu-Politiker auch eine Verbindung zwischen angeblichem Patriotismus und
eigenem Gewinnstreben: Die angeblichen Feinde der Nation wurden attackiert
und deren Eigentum geplündert. Dieser Plünderungsmechanismus schuf für die
neuen Herren in Verwaltung und Armee einen ständigen Anreiz, den Kreis der
unschädlich zu machenden Tutsi auszuweiten. Nach den Angaben des belgischen
Historikers Gérard Prunier sollen in dieser politisch unruhigen Anfangsphase der
8.5 Ruanda: Genozid und staatlicher Neubeginn 163
Republik Ruanda ca. 20.000 Tutsi getötet worden sein; und mehr als 30.000 sahen
sich gezwungen, ins Ausland zu flüchten (Prunier 1995, S. 62). Bis zur Invasion
der aus Uganda kommenden RPF im Jahr 1990 sollte die Zahl der ins benachbarte
Ausland geflohenen Tutsi auf etwa 600.000 angewachsen sein.
Im Juli 1973 ergriff Juvénal Habyarimana, der ranghöchste Offizier der Streit-
kräfte, die Macht und versprach, die wachsenden Spannungen innerhalb der Hu-
tu-Bevölkerung (zwischen den Hutu im Norden und den mächtigen Hutu-Clans
im Süden) zum Ausgleich zu bringen. Er schuf die Zweite Republik mit einem
Staatsstreich, der zunächst ohne Blutvergießen verlief, obwohl später etwa fünfzig
prominente Führungspersönlichkeiten der Ersten Republik hingerichtet wurden
oder im Gefängnis umkamen. Er schuf einen Einparteienstaat, in dem Regierung
und Einheitspartei MRND (Mouvement Révolutionnaire Nationale pour le Dévelop-
pement) eng miteinander verwoben wurden (Des Forges 2002, S. 69). Im Ausland
wurde das politisch so stabil erscheinende Land als Modellstaat in Afrika geschätzt,
und so kam es in den 1970er und 1980er Jahren in den Genuss beträchtlicher aus-
ländischer Unterstützung, mit der die Habyarimana-Regierung eine eindrucksvolle
Infrastruktur aufbaute, insbesondere in den Bereichen Straßenbau, Telefon- und
Stromversorgung. „Die wahre Natur des ruandischen Apartheidregimes wurde
ignoriert“ (Melvern 2004, S. 22). Übersehen wurde dabei auch die steigende Not
der weiter verarmenden bäuerlichen Bevölkerung:
„Mehr als 90 % der Bevölkerung lebten vom Landbau, und während sie weiter wuchs,
blieb die bebaubare Fläche gleich groß. Die den einfachen Bauern zur Verfügung
stehende Landfläche schrumpfte sogar noch weiter, da örtliche Behördenvertreter
Felder für Entwicklungsprojekte freigaben und Angehörige der städtischen Elite
das Land der Armen aufkauften, um sich selbst als Pachtherren zu etablieren, die
weitab von ihrem Land lebten. Einer Studie der Regierung aus dem Jahre 1991 zu-
folge besaßen die reichsten 16 % der Landeigentümer 43 % des Bodens, während die
ärmsten Haushalte ihren kümmerlichen Lebensunterhalt einem Besitz von einem
Viertel bis drei Hektar oder sogar weniger als einen Morgen abtrotzen mussten.
In den am dichtesten bevölkerten Gegenden konnten einige junge Menschen nicht
einmal heiraten, weil sie kein Land zum Bebauen finden konnten und es Brauch war,
dass ein Mann ohne Landbesitz auch keine Frau heiraten durfte. In der Gemeinde
Ngoma in der Präfektur Butare war die Situation so prekär, dass viele junge Menschen
unverheiratet zusammenlebten und Kinder zeugten, was als schwerer Verstoß gegen
althergebrachte Verhaltensmaßregeln galt“ (Des Forges 2002, S. 72-73).
Man stelle sich vor, was Menschen in dieser verzweifelten Lebenssituation emp-
finden mussten, wenn sie hören würden, dass eine Armee von ‚Feinden‘ (Tutsi) die
Staatsgrenze überschritten hätte und sich in Richtung auf die Hauptstadt vorkämp-
fen würde, um sich Macht und ‚ihr‘ Land zurückzuholen? Würden die Eindring-
163
164 8 Staatsbildung und Staatszerfall
linge Erfolg haben, könnte das mit einiger Sicherheit den Untergang der eigenen
Existenz (Hutu) bedeuten. Damit ist m. E. für die unteren sozialen Schichten der
Hutu-Bevölkerung der wichtigste Grund genannt, sich an der von oben befohlenen
Verteidigung ihrer Überlebensinteressen zu beteiligen, notfalls mit allen Mitteln
bis hin zur Ermordung der Inyenzi (‚Kakerlaken‘). Als Hauptfeind wurden von
der Armee die ‚extremistischen Tutsi‘ definiert, „die sich nach der Macht sehnten,
die niemals die Realitäten der sozialen Revolution von 1959 anerkannt haben und
sie niemals anerkennen werden und die mit allen notwendigen Mitteln, auch mit
Waffengewalt, die Macht wieder an sich reißen möchten“ (Des Forges 2002, S. 91).
Der Angriff der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), von 1990 aus dem ugan-
dischen Exil heraus, hatte eine Vorgeschichte, die die These von der Landknappheit
der Bauern als Ursache für ihre existenzielle Selbstverteidigung bis zum Massenmord
weitere Evidenz verleihen kann. Im Jahr 1982 hatte die ugandische Regierung von
Präsident Yoweri Museveni Tausende Flüchtlinge nach Ruanda abgeschoben, die
nur kurze Zeit später wieder über die Grenze nach Uganda zurückgeschickt wur-
den; denn die Behörden in Ruanda erklärten, dass das Land überbevölkert sei und
daher den Flüchtlingen die Rückkehr nicht gestattet werden könnte (Des Forges
2002, S. 75). In Uganda nahm der Groll gegen die Flüchtlinge aus Ruanda zu, und
die Regierung beschloss nun, alle Nicht-Ugander, einschließlich der Flüchtlinge aus
Ruanda, vom Landbesitz auszuschließen. „Dies soll der Auslöser für die Invasion
und den Versuch der Flüchtlinge gewesen sein, das Staatsbürgerrecht in ihrem
Ursprungsland wiederzuerlangen“ (Melvern 2004, S. 24-25). Doch die beginnende
Invasion von 1990 wurde von der ruandischen Armee rasch mit Hilfe französischer
Militärs gestoppt; das Habyarimana-Regime reagierte darauf mit einer „Strategie
der ethnischen Spaltung“ (Des Forges): Zwischen 1990 und 1994 ordnete es fünfmal
Massaker an, denen jeweils zahlreiche inländische Tutsi zum Opfer fielen; unter
der Hutu-Bevölkerung wurde die Doktrin der Hutu Power verbreitet. Ethnische
Diskriminierung und staatlicher Terror wurden vom Ausland ignoriert oder – im
Fall Frankreichs – wohlwollend geduldet. Die christlichen Kirchen unterstützten
– von Ausnahmen abgesehen – das Habyarimana-Regime bis zuletzt, wohl aus
Opportunismus.
In den 1990er Jahren verschlechterte sich die materielle Situation der Bevölke-
rungsmehrheit Ruandas immer mehr. Die Überschuldung des Landes im Ausland
erzwang unpopuläre Strukturanpassungsmaßnahmen der Weltbank. Mehr als eine
Million Menschen, vor allem im Süden Ruandas, waren laut Auskunft des Interna-
tionalen Roten Kreuzes 1993 vom Hunger bedroht. Viele von ihnen meldeten sich
als Rekruten bei Armee und privaten Milizen (Schicho 1999, S. 252). Drei weitere
Faktoren trugen in der Vorkriegsphase 1990 bis 1994 zur weiteren Zuspitzung der
Interessenwidersprüche bei: Erstens der massive Preisverfall von Kaffee auf den
8.5 Ruanda: Genozid und staatlicher Neubeginn 165
internationalen Märkten, – ein Produkt, mit dem Ruanda 75 % des Außenhandels
bestritt. Plötzlich zählte Ruanda zu den vielen Schuldnerländern, die die oktroyier-
ten finanzpolitischen Maßnahmen der Weltbank und der Geberländer akzeptieren
mussten. Zweitens hatten die Geberländer sowie die ruandische Zivilgesellschaft
den Druck auf das Regime so erhöht, dass sich der wirtschaftlich geschwächte
Alleinherrscher auf Verhandlungen über die Rückkehr zum demokratischen
Mehrparteiensystem und zur Machtteilung mit der Opposition, einschließlich der
an der Grenze stationierten Exil-Ruander, einlassen musste. Und drittens führten
die ständigen Massaker an den Hutu im Nachbarstaat Burundi, wo es nicht zu
einer Ablösung der Herrschaft der Tutsi gekommen war, den Hutus vor Augen,
was ihnen bei einer Rückkehr der Unterdrücker von einst blühen könnte. Am
21.10.1993 war der erste Hutu-Präsident Burundis, Ndadaye, ermordet worden
(Strizek 1996, S. 230-231).
Am 6. April 1994 trafen zwei Raketen das Flugzeug im Landeanflug auf Kigali,
in dem der ruandische Präsident Habyarimana und sein burundischer Kollege
Ntaryamira den Tod fanden, als sie sich auf dem Rückflug von Friedensverhand-
lungen im tansanischen Arusha befanden. Die Verantwortlichen für dieses Ver-
brechen – waren es Tutsi auf Geheiß von Paul Kagame oder extremistische Hutu,
die die Kompromisspolitik von Habyarimana verhindern wollten? – sind niemals
identifiziert worden. Fest steht nur, dass eine kleine Gruppe der engsten Gefährten
von Habyarimana nur wenige Stunden nach dem Attentat entschied, die seit Jahren
geplante Vernichtungsaktion durchzuführen. Sowohl in der Hauptstadt Kigali als
auch in den Provinzen standen Soldaten und Milizen bereit, um die avisierten Opfer,
die vorab in Listen aufgeführt worden waren, anzugreifen. Mit Rückendeckung
der Milizen ermordeten Angehörige der Präsidentengarde und Truppen unter
Hauptmann Théoneste Bagosora (Kabinettschef im Verteidigungsministerium unter
Habyarimana) zahlreiche ‚Feinde‘ und ‚Verräter‘. Soldaten und Milizen zogen von
Haus zu Haus und holten Tutsi aus ihren Häusern, um sie in Regierungsgebäude,
Kirchen, Schulen oder in anderen öffentlichen Gebäuden unterzubringen, wo man sie
später in groß angelegten Operationen mit Macheten niedermetzelte. Eine wichtige
Rolle spielten dabei die Rekruten der Interahamwe („Diejenigen, die gemeinsam
angreifen“), die vom Regime Monate vor dem Genozid ausgebildet worden waren
und die sich bei der Ermordung der Tutsi besonders hervortaten. Die Behörden
boten jedem, der sich am kollektiven Morden beteiligte, materielle Anreize: Sie
gaben hungrigen und arbeitslosen jungen Männern Nahrung, ferner Alkohol und
andere Rauschmittel; sie ermutigten Bauern, Vieh, Ernten und Baumaterial zu
plündern. Für die nahezu 60 Prozent der Ruander im Alter von unter 20 Jahren,
von denen Zehntausende kaum hoffen konnten, jemals eigenes Land bebauen zu
können, war das Landversprechen eine starke Motivation für das Mitmachen (Des
165
166 8 Staatsbildung und Staatszerfall
Forges 2002, S. 28). Bedrohlich standen die RPF-Kämpfer Kagames in den nördli-
chen Grenzregionen des Landes, um bald darauf auf die Hauptstadt vorzurücken.
Doch aus dem Ausland kamen keine Appelle, dem Morden ein Ende zu setzen,
ganz im Gegenteil: Franzosen und Belgier zogen ihre Blauhelme zurück, obwohl
der kanadische General Roméo Dallaire, Befehlshaber der UN-Friedenstruppe,
von Kigali aus das UN-Generalsekretariat bereits im Januar 1994 in einem Tele-
gramm gewarnt hatte, dass in Ruanda ein großes Blutbad vorbereitet würde. Er
hielt die Abwendung des sich anbahnenden Genozids bis zum 8. April noch für
möglich und bat eindringlich das Hauptquartier der Vereinten Nationen, nicht
die wenigen Blauhelme abzuziehen, sondern das Kontingent zu verstärken und
mit einem robusten UN-Mandat auszustatten. Doch die permanenten Mitglieder
des UN-Sicherheitsrats leugneten oder ignorierten die Genozid-Gefahr und dann
den Genozid selbst; Belgien zog seine Soldaten ganz ab (nachdem zehn belgische
Blauhelme ermordet worden waren); die US-amerikanische Regierung unter
Präsident Clinton wollte nach der Katastrophe in Somalia von 1993 keine weite-
ren ‚humanitären Interventionen‘ in Afrika finanzieren; und Frankreich war wie
gelähmt, hatte es doch das Hutu-Regime Jahrzehnte lang mit Waffen versorgt und
politisch bis zuletzt unterstützt.
Als die RPF-Kämpfer Mitte Juli 1994 endlich Kigali erreichten, war es mit der
Hutu power vorbei. Der irrwitzige Traum der extremistischen Hutu-Politiker, eine
Nation von solidarischen Tätern zu schaffen, die durch das gemeinsam verübte
Morden zu einer neuen starken Identität hätte geführt werden sollen, zerschellte
angesichts eines Gegners, der selbst zum Äußersten entschlossen war. Die RPF
mit etwa 700.000 ehemaligen Flüchtlingen im Gefolge tötete auf dem Weg zur
Beendigung des Genozids in ihrem Herkunftsland etwa 60.000 Hutu (Des Forges
2002, S. 35). Ein zwei Millionen Hutu umfassender Exodus von Flüchtlingen aus
Ruanda nach der DR Kongo sowie nach Tansania und Burundi setzte ein. Die für
den Genozid verantwortlichen Hutu-Gruppen reorganisierten sich rasch in den
Flüchtlingslagern der Nachbarländer, ohne von ihrer Politik der ethnisch-poli-
tischen Säuberung abzulassen. In den fünf großen Lagern um Goma/Zaire mit
insgesamt 850.000 Flüchtlingen organisierten die Drahtzieher des Genozids die
Bevölkerung neu, monopolisierten die Verteilung der Nahrungsmittelhilfe, kauften
erneut Waffen in China, Südafrika und anderswo, um Einfälle nach Ruanda planen
und durchführen zu können (Prunier 2009, S. 25f.). Die gestürzte Regierung war
nach Zaire geflohen und hatte alles Geld aus der Zentralbank mitgenommen. In
Ruanda irrten 300.000 elternlose Kinder auf der Suche nach Essen herum (siehe
dazu den Augenzeugenbericht von Englebert Munyambonwa, in Hatzfeld 2016).
Das historische Urteil über den Genozid von Ruanda ist von Human Rights Watch
mit den Worten von Alison Des Forges wie folgt gesprochen worden:
8.5 Ruanda: Genozid und staatlicher Neubeginn 167
„Der Völkermord war das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, getroffen von einer
modernen Elite, die sich durch Verbreitung von Hass und Angst den Machterhalt
zu sichern suchte. Diese kleine, privilegierte Gruppe brachte zunächst die Mehrheit
gegen die Minderheit auf, um der zunehmenden Opposition innerhalb Ruandas Herr
zu werden. Dann jedoch, angesichts der sowohl auf dem Schlachtfeld als auch am
Verhandlungstisch erzielten Erfolge der RPF, änderten die Machthaber die Strategie
der ethnischen Teilung und setzen stattdessen auf den Völkermord. Sie glaubten, ein
Vernichtungsfeldzug könne die Solidarität der Hutu unter ihrer Führung wiederher-
stellen und ihnen dabei helfen, entweder den Krieg zu gewinnen oder zumindest ihre
Chancen auf ein für sie günstiges Ergebnis der Friedensverhandlungen zu verbessern.
Sie rissen die Kontrolle über den Staat an sich und bedienten sich seiner Maschinerie
und seiner Autorität, um ihr Blutbad durchzuführen“ (Des Forges 2002, S. 16).
Ebenso wie die Organisatoren des Völkermords waren auch die Täter „keineswegs
Dämonen oder Marionetten, die Kräften ausgesetzt waren, denen sie sich nicht
entziehen konnten. Sie waren Menschen, die sich entschieden hatten, Böses zu tun.
Zehntausende von Furcht, Hass oder der Hoffnung auf Profit getriebene Menschen
trafen eine schnelle und leichte Wahl. Sie begannen zu töten, zu vergewaltigen, zu
rauben und zu zerstören. Bis zum Schluss fielen sie immer wieder über Tutsi her –
ohne Zweifel oder Reue. Viele von ihnen ließen ihre Opfer entsetzlich leiden und
freuten sich daran. Hunderttausende entschlossen sich nur zögerlich zur Beteili-
gung am Völkermord, einige unter Zwang oder aus Angst um ihr Leben… Dass
vermeintlich legitime Behörden zu Angriffen anstachelten oder diese anordneten,
machte es den Zweifelnden leichter, Verbrechen zu begehen und dennoch zu glau-
ben oder vorzugeben, sie hätten nichts Unrechtes getan“ (Des Forges 2002, S. 16)
Der Soziologe Dieter Neubert und die Ethnologin Anna-Maria Brandstetter
haben die Komplexität der Genozid-Ursachen wie folgt zu beschreiben versucht: (1)
Massiver sozialer Sprengstoff durch die Existenzgefährdung und Perspektivlosigkeit
der jungen Landbevölkerung; (2) regionale Spannungen als Kritik an der Dominanz
des ruandischen Nordens in der Regierung; (3) Fraktionskämpfe innerhalb der
Machtelite bei knapper werdenden Ressourcen; (4) erzwungene Demokratisierung
durch die Industriestaaten als Gläubiger und Geber; (5) Druck der ugandischen
Regierung, die ruandischen Flüchtlinge zu repatriieren sowie (6) eine militärische
und politische Bedrohung durch die RPF (Neubert & Brandstetter 1996, S. 418). Der
Genozid in Ruanda hatte für ganz Afrika destabilisierende Wirkungen, die hier
nur angedeutet werden sollen. Drei bis vier Millionen Menschen, darunter auch
viele Ruanda-Flüchtlinge, starben in Ost-Kongo (Zaire) – an Unterernährung und
Hunger, als Folge der militärischen Einfälle aus Ruanda, als Folge des Bürgerkriegs
in Zaire, der zum Sturz des maroden Mobutu-Regimes 1997 führte, was wiederum
den ersten kontinentalen Krieg in Afrika auslöste. Der französische Afrika-His-
167
168 8 Staatsbildung und Staatszerfall
toriker Gérard Prunier vertrat die Ansicht, dass der ruandische Genozid wie ein
Katalysator gewirkt hätte, der eine „enorme afrikanische Krise“ im gesamten
Seengebiet Afrikas und darüber hinaus sichtbar gemacht hätte (Prunier 2009).
Auch die Aufarbeitung des Traumas des Genozids von 1994 ist auf halbem
Weg stecken geblieben. Angesichts der zunächst chaotischen Verhältnisse war
der Neuanfang für die neue Regierung unter Führung des starken Mannes Paul
Kagame – bis heute Staatspräsident (im Jahr 2000 ernannt und 2003, 2010 und
2017 wiedergewählt) – schwer und wäre ohne die umfangreiche finanzielle und
politische Unterstützung aus dem Ausland nicht möglich geworden. Noch schwerer
tat sich das neue Regime, wie auch die internationale Staatengemeinschaft, mit der
Frage der Bestrafung der Täter und der nationalen Aussöhnung. Hervorzuheben
sind die Bemühungen, mittels Gacaca-Gerichten9 eine Versöhnung zwischen Tä-
tern und (überlebt habenden) Opfern auf lokaler Ebene zu bewerkstelligen (wobei
Anklagen gegen Mord nicht verhandelt werden durften). Auf nationaler Ebene
ist eine wirkliche Versöhnung zwischen Tutsi und Hutu unter Präsident Kagame
blockiert worden. Zwar hat das ruandische Parlament mit dem Gacaca-Gesetz von
2001 die legalen Voraussetzungen für eine Bestrafung von Verbrechern und für
eine Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern geschaffen, aber für eine wirkliche
Aussöhnung auf nationaler Ebene zwischen den antagonistischen Parteien ist es
wohl noch zu früh. Ab März 2005 arbeiteten zwar rund 13.000 Gacaca-Gerichte
über das ganze Land verteilt, die eine protokollierte Aussprache zwischen Tätern
und Opfern unter Beteiligung der Gemeinde und bei Anhörung von Zeugen ermög-
lichten, bis hin zur Verurteilung der überführten Täter. Aber im Juni 2012 sind die
Gacaca-Gerichte eingestellt worden, ohne dass alle inhaftierten Genozid-Beteiligten
ein Urteil erfahren hätten. Die Strafverfolgung auf internationaler Ebene begann
1995 mit der Errichtung des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)
mit Sitz in Arusha/Tansania, das Rechtsgewalt über das Delikt des Völkermords,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach Artikel 3 der
Genfer Konventionen zugewiesen bekam. Seit der Aufnahme seiner Tätigkeit im
November 1995 sprach es bis Anfang April 2014 in 75 Fällen Urteile, zwölf davon
waren Freisprüche, und 16 der 75 Verfahren befanden sich in Berufung. Darüber
hinaus wurden zehn Fälle an nationale Gerichte überwiesen, zwei Angeklagte
verstarben vor Prozessende, zwei Anklagen wurden fallengelassen (nach https://
9 Gacaca bedeutet ‚weiches Gras‘, wie das Gras unter den Bäumen, unter denen von alters
her die dörflichen Schiedsgerichte tagten. Ab 2002 wurden Gacaca-Gerichte zur Ergän-
zung des staatlichen Justizapparats eingerichtet. Sie sollten der Aussöhnung zwischen
Tätern und Opfern durch mündliche Gegenüberstellung dienen.Sie gelten nicht als
besonders erfolgreich.
8.6 Fazit: Politisierte Ethnizität 169
de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_ Strafgerichtshof_f%C3%BCr_Ruanda,
abgerufen am 16.10.2016; Tull & Weber 2016).
Heute betreibt Ruanda eine ‚Top-Down Politik‘ nach dem Muster asiatischer
Tigerstaaten: ehrgeizig, zielorientiert und gesteuert, doch „demokratische Spiel-
regeln bleiben fürs erste auf der Strecke“ (Schaeffer 2012, S. 216). David Booth und
Frederick Golooba-Mutebi haben diese Politik passend als „developmental patrimo-
nialism“ charakterisiert: Diese liegt vor, „wenn eine regierende Elite eine zentrales
Renten-Management oktroyiert, was eine Eigenart des Frühkapitalismus ist, und
dieses langfristig einsetzt“ (Booth & Golooba-Mutebi 2011, S. 1).
„Auf der einen Seite sind sich westliche Historiker und Ethnologen weitgehend einig,
dass das vorkoloniale Afrika nicht aus den gegenwärtig bekannten ethnischen Gruppen
bestand, zwischen denen sich klare kulturelle, sprachliche und politisch-territoriale
Grenzen hätten ziehen lassen. Prägende Charakteristika der meisten afrikanischen
Gesellschaften waren (und sind noch heute) Mobilität, überlappende Netzwerke,
multiple Gruppenmitgliedschaften und kontextabhängige Grenzziehungen. Auf der
anderen Seite haben ethnische Gemeinschaftsideologien aber inzwischen in Afrika
169
170 8 Staatsbildung und Staatszerfall
so stark Fuß gefasst, dass die Vorstellung, die heute bekannten ethnischen Gruppen
existierten schon seit Jahrhunderten, weit verbreitet ist. Ob nun Ethnizität positiv
als Festhalten an kulturellen Traditionen oder negativ als illegitime politische Vet-
ternwirtschaft bewertet wird, sie ist fester Bestandteil des öffentlichen politischen
Diskurses in Afrika und auch in Europa“ (Lenz 2001, S. 161–162).
in ihrem Klassiker The Invention of Tradition aus dem Jahr 1983 zeigen, dass im
südlichen und östlichen Afrika vor der Ankunft ‚des weißen Mannes‘ Gesellschaften
fluide Gebilde waren, die durch überlappende Netzwerke, vielfältige Gruppen-
mitgliedschaften und kontextabhängige Grenzziehungen charakterisiert waren.
Erst das Opportunitäts- und Machtdenken der Kolonialeuropäer hätte aus einer
Fülle verschiedener kollektiver Identitäten ethnische Gemeinschaftsideologien
„fabriziert“; d. h. „tribale Traditionen“ seien regelrecht „erfunden“ worden. Dabei
konnten die Erfinder von ‚Stämmen‘ zum einen europäische Kolonialbeamte
gewesen sein, die aus Kostengründen leicht überschaubare Häuptlingsdistrikte
brauchten, mit einem verantwortlichen Chief an der Spitze, und wenn keiner zu
finden war, wurde jemand zum traditionellen Chief ernannt. Und zum anderen
konnten auch kolonisierte Afrikaner selbst es für nützlich gehalten haben, zu einem
starken, als ‚edel‘ angesehenen tribe mit kulturell einflussreicher Vergangenheit
zu gehören. Notfalls wurde ein ‚Gründungsvater‘ und mythischer Ahnherr eines
Volkes ‚erfunden‘ – gewissermaßen die früheste Form der politisierten Ethnizität.
Oftmals sind ethnisch-kulturelle Kleingruppen erst durch politischen Druck von
außen zu größeren Interessenverbänden zusammengeschweißt worden, die sich dann
als Volk oder Ethnie selbst verorteten. Das Bewusstsein ethnischer Zugehörigkeit
bildet so eine wichtige Orientierung, wenn auch nicht die einzige (Waldmann &
Elwert 1989). Der Ethnologe Thomas Zitelmann hat am Beispiel der 200 Unter-
gruppen und Clans der Äthiopier, die durch eine gemeinsame Sprache und eine
Gesellschaftsordnung auf der Basis von Altersklassen verbunden waren, gezeigt,
wie erst durch die Modernisierung und Demokratisierung des monarchischen
Staates ein gemeinsames Oromo-Bewusstsein als politische Bewegung im Kampf
um Selbstbehauptung entstanden ist, das es früher nicht gegeben hatte. Es ging
um die Abwehr des Herrschaftsanspruchs der Amharen, welcher von Oromo-Füh-
rern als „schwarzer Kolonialismus“ bekämpft wurde. In den Flüchtlingslagern in
Somalia entstand unter den Äthiopienflüchtlingen eine „Selbstidentifikation“ als
Oromo, wobei die jüngere Generation (Schüler und Studenten) den Ton angaben
(Zitelmann 1989, S. 71). In der britischen Kolonie Kenia waren es in erster Linie die
Absolventen der Missionsschulen, die die Kikuyu als eigenständigen tribe ‚entdeck-
ten‘ bzw. erfanden und mit dieser zweckoptimistischen Behauptung ihre Ideologie
proklamierten (weitere Beispiele in Tetzlaff & Jakobeit 2005, S. 84f.). Der Ethnologe
Georg Elwert definierte Ethnien als „familienübergreifende und familienerfassende
Gruppen, die sich selbst eine (u. U. auch exklusive) kollektive Identität zusprechen.
Dabei sind die Zuschreibungskriterien, die die Außengrenze setzen, wandelbar.
Sie beanspruchen jedoch Dominanz gegenüber anderen Zuordnungskriterien. Der
Begriff der Ethnie, wie ihn eine gegenüber dem ‚völkischen‘ Alltagsverständnis
dissidente Sozialanthropologie verwendet (Mühlmann 1965, Barth 1969), ist weiter
171
172 8 Staatsbildung und Staatszerfall
[zu fassen] als der der Nation. Es fehlen der Bezug zu einer Zentralinstanz und das
Element exklusiver ‘Staatsbürgerschaft’“ (Elwert 1989, S. 32).
Ethnizität meint also vor allem das Bewusstsein, zu einer exklusiven Gruppe zu
gehören. Es wird im Umgang mit anderen Menschen und Gemeinschaften erfah-
ren und durch Grenzziehung aktualisiert. Das ist der in den Köpfen und Herzen
vor sich gehende Vorgang: die fiktive oder reale Grenzziehung, die sich im Alltag
in vielerlei Form äußern kann, zum Beispiel negativ durch Ausschluss ‚Fremder‘
von gemeinsamen Institutionen, Festen oder Mahlzeiten. Da wir es in Afrika in
der Regel mit nicht-konsolidierten Staaten zu tun haben, findet die Besetzung
der entstandenen Leerstellen des politischen Raums durch die Artikulation (und
Begriffsbestimmung) von ethnischer oder religiöser Identität statt. Da sich aber
stets mehrere Bevölkerungsgruppen auf ihre spezifisch kulturelle Identität beru-
fen, wenn es um Eigentumsrechte, Verteilungskonflikte oder um Zugangsrechte
auf Ressourcen geht, besteht die eigentliche Aufgabe in modernen Zivilisationen
darin, die natürlicherweise entstehenden Gesellschaftskonflikte auszuhalten und
einer friedlichen Regelung durch Aushandeln von Kompromissen zu unterstellen
(siehe auch unten Kapitel 12 ‚Frieden durch soziale Inklusion‘).
Aufgaben
1. Nennen Sie die endogenen, exogenen & strukturellen Ursachen der somalischen
Tragödie.
2. Wie lässt sich das Staatsversagen in Simbabwe unter Präsident Mugabe erklären?
3. Der Genozid in Ruanda 1994 hatte mehrere Ursachen. Versuchen Sie mit einem
Ranking der Ursachen einen (möglicherweise kontroversen) Bedingungs- und
Begründungszusammenhang herzustellen.
Demokratisierung: Demokratie unter
Armutsbedingungen
9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
9
10 Zum Thema Systemtransformation liegt mit der Studie des Berliner Politologen Wolfgang
Merkel aus dem Jahr 1999 ein systematisch angelegtes Standardwerk vor (Merkel 1999).
Es ergänzt die klassische Studie von Manfred Schmidt (1995) über „Demokratietheorien.
Eine Einführung“. Wichtig sind auch die Studien von Michael Bratton und Nicolaus van
de Walle von der Michigan State University: „Democratic Experiments in Africa“, 1997.
Ihr Ausgangspunkt ist der institutionalisierte Neopatrimonialismus, der Afrika in die
Sackgasse führte und interne Reformen notwendig werden ließ. Siehe auch Mehler 1993,
Nwokedi 1995, Berg-Schlosser 1997, Schubert & Tetzlaff 1998, Temelli 1999, Basedau
2003, Nord 2004, Buchberger 2012, Diouf 2013, Riedl 2014, Cheeseman 2015, Becher
2016, Smidt 2017, Heyl 2017 sowie die Beiträge in der Zeitschrift ‚Democratization‘.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 173
R. Tetzlaff, Afrika, Grundwissen Politik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20253-8_9
174 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
2. Das Recht auf freie Meinungsäußerung; 3. Das Recht zu wählen und gewählt zu
werden; 4. Das Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung
zu konkurrieren; 5. Existenz alternativer, politischer Informationsquellen (Infor-
mationsfreiheit); 6. Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen
und Bürgerpräferenzen abhängig machen (siehe auch Merkel 1999, S. 31 und Nord
2004, S. 20). Bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war die These weit verbreitet,
dass Demokratie als politische Herrschaftsform eigentlich nur in entwickelten
Industriegesellschaften Fuß fassen könnte. Gerechtfertigt wurde diese Ansicht mit
dem Verweis auf gesellschaftliche Voraussetzungen (social pre-requesits), die erst
im Laufe von Generationen heranreifen, bevor politische Machthaber bereit sein
würden, sich von dem Souverän, d. h. dem wählenden Volk, auch wieder abwählen
zu lassen. Dem liegt der Gedanke der Machtteilung und des Wettbewerbs zwischen
politischen Parteien zu Grunde. In diesem Zusammenhang spielte die These des
Modernisierungstheoretikers Seymour Martin Lipset eine große Rolle: „The more
well-to-do a nation, the greater the chance that it will sustain democracy“ (Lipset
1961, S. 48). Gemessen an fünf Indikatoren für sozio-ökonomische Entwicklung
– nämlich Pro-Kopf-Einkommen, Massenkommunikation, Industrialisierung,
Verstädterung und Schulbildung – konnte Lipset empirisch nachweisen, dass in der
angelsächsischen Welt, in Europa und Lateinamerika ein solcher Zusammenhang
große Plausibilität beanspruchen könne. Durch den Erfolg der asiatischen Schwel-
lenländer (Taiwan, Süd-Korea, Hongkong, Singapur, Malaysia etc.), die alle erst als
Folge wirtschaftlicher Entwicklungserfolge dann auch demokratische Reformen
in Richtung auf Rechtsstaatlichkeit und Mehrparteiensystem in Angriff nahmen,
gewann die Lipset-These zunächst weitere Anerkennung. Als dann Mitte der 1980er
Jahre weltweit eine „dritte Welle der Demokratisierung“ entstand (Huntington
1991), die auch ärmere Entwicklungsländer wie die Philippinen, Benin und Mali
erfasste, musste nach passenden Erklärungen für diese ‚untypischen‘ Entwick-
lungspfade gesucht werden.
Für Afrika als Kontinent mit zahlreichen sehr armen Staaten stellte sich um 1990
das herrschaftliche Grundproblem prinzipiell anders dar, als es im 0ben erwähnten
Lipset-Szenario zugrunde gelegt war: Nach einer ersten Phase neo-patrimonialer
Herrschaft präsidentieller Diktaturen, die meist (bestenfalls) politische Stabilität,
aber nur wenig ‚Entwicklung‘ gebracht hatten, entstanden demokratische Bewegun-
gen aus dem Kreis der frustrierten urbanen Eliten, angeführt von konfliktbereiten
oppositionellen Gruppen, die einfach nur einen Systemwechsel erreichen wollten, –
quasi als die Negation der bestehenden repressiven Ordnung. Es war ein Schrei nach
Freiheit und nach Respekt vor Menschenrechten, verbunden mit der Hoffnung auf
ein materiell besseres und chancenreicheres Leben (Mehler 1993; Schubert, Tetzlaff
& Vennewald 1994; Temelli 1999; Basedau 2003; Nord 2004; Deegan 2009, S. 76-95).
9.1 Demokratie und Entwicklung – theoretische Befunde 175
Vorreiter der Demokratisierung in Afrika wurden nicht die relativ reichen Rohstoff-
staaten Nigeria, Kongo/Zaire, Angola oder Gabun, sondern einige bettelarme Staaten
wie Benin und Mali. Zwischen 1989 und 1994 haben dann in etwa 40 afrikanischen
Staaten erstmals oder seit langer Zeit wieder Wahlen mit Wettbewerbscharakter
stattgefunden, entweder zum Parlament oder für das Amt des Staatspräsidenten
oder für regionale Gebietskörperschaften (Bratton & van de Walle 1997). Während
in 16 Fällen der amtierende Präsident irgendwie im Amt bestätigt wurde, wurden 15
Amtsinhaber auf der Grundlage einer neuen demokratischen Verfassung abgewählt.
Dies war bis dahin in den drei Jahrzehnten nach Beginn der Unabhängigkeit nur
ein einziges Mal geschehen: auf Mauritius im Jahr 1982/83, das schon seit Jahren
ein gut funktionierendes Mehrparteiensystem für seine multikulturelle Gesellschaft
entwickelt hatte (Leffler 1988). Im selben Fünfjahreszeitraum hat es 14 sog. Grün-
dungswahlen gegeben, worunter die Transitionsforschung Wahlen versteht, die nicht
nur zu einem Regierungswechsel sondern auch zu einem qualitativen Regime-Wechsel
führen (Engel, Hofmeier, Kohnert & Mehler 1994).
Unter Sozialwissenschaftlern gibt es seit Jahren eine Debatte über die Frage, ob
es nicht schon im vorkolonialen Afrika autochthone Formen der Demokratie gege-
ben hätte, an die man heute wieder anknüpfen könnte. Berühmt wurde die These
des 1999 verstorbenen tansanischen Staatspräsidenten Julius Nyerere, die besagte:
„Die traditionale afrikanische Gesellschaft, ob sie nun einen Häuptling hatte oder
nicht oder auch mehrere, war eine Gesellschaft von Gleichen und besorgte ihre
Angelegenheiten durch Diskussion…They talk till they agree. Das war der Kern-
gehalt der traditionellen afrikanischen Demokratie“ (Nyerere 1966, zit. nach Nord
2004, S. 24). Der Anthropologe Herbert S. Lewis, der zwischen 1958 und 1991 in
Äthiopien geforscht hat, vertrat die Ansicht, dass die Oromo mit der gada-Ideologie
eine politische Kultur der sozialen Partizipation und Egalität entwickelt hätten,
„die demokratisch, ja sogar republikanisch im klassischen Sinne“ genannt werden
könnte (Lewis 1995, S. 26). Das gada-System, das im Verlaufe von 400 Jahren an
mehreren Orten des heutigen Äthiopiens praktiziert wurde und teilweise noch wird,
bezeichnet ein Rangfolge von Klassen, bei der die regierende Klasse ihre funkti-
onalen Ämter nach acht Jahren an die nach ihr kommende jüngere Altersklasse
übergeben muss, was mit einer formalen Zeremonie des Machttransfers gefeiert
wird (Lewis 1995, S. 27). Dieser Brauch könne als das Gegenteil der hierarchisch
strukturierten Kultur der Amharen bezeichnet werden. Gada umfasste folgende
Prinzipien: 1. Lokale Selbstregierung erfolgt durch freie Wahl von Genossen und
von Mitgliedschaft in Genossenschaften; 2. Wahl von Führern, die im Auftrag der
Gemeinde handeln; 3. Die Zeit von Amtsträgern wird durch die Einrichtung von
Altersklassen begrenzt. Zum spirituellen Gehalt der Oromo-Kultur gehörten ferner
die Idee des Rechts, sowohl Gewohnheitsrecht als auch positives Recht betreffend;
175
176 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
die Wertschätzung von Frieden und Versöhnung und die Idee der Gleichheit (aller
Oromo-Mitglieder). Allerdings sei – das musste Lewis einräumen – das egalitäre
grassroot-System durch die wachsende Macht von Kriegsherren, Großgrundbe-
sitzern und Königen sowie durch den Einfluss des Islams und auf dem Wege der
Eroberung durch amharische Krieger weitgehend aufgelöst worden (Lewis 1995,
S. 27; siehe auch Ezekiel Gebissa in Uhlig et al. 2017, S. 56-61).
Der kenianische Historiker Vincent Simiyu hat kritisch geltend gemacht, dass
das Ideal der freien Beteiligung aller an Gemeinschaftsentscheidungen eine Il-
lusion gewesen sei. Bei vielen der angeblich als egalitär bekannten vorkolonialen
Gesellschaften wie den Kikuyu und Massai habe ein hierarchisches System der
Altersklassen bestanden, welches Frauen und jüngere Männer von dem öffentlichen
Palaver ausgeschlossen und die Klasse der älteren und reicheren Männer bevorzugt
habe (Nord 2004, S. 25). Akzeptieren muss man allerdings das Argument, dass es
in solchen vorkolonialen Herrschaftsverbänden zuweilen Kontrolleinrichtungen
gegeben hat, um Macht und Machtmissbrauch von Häuptlingen zu begrenzen – z. B.
durch die Befolgung von Riten und Gebräuchen, durch die Rücksichtnahme auf
rituell vorgeschriebene Ratgeber und ‚Königsmacher‘ und durch ethische Verpflich-
tungen zur Bewahrung des internen Friedens (Beier 1999; Harding 1999, S. 129-148;
Plankensteiner 2007). Der oft ins Spiel gebrachte Kommunitarismus mit seinen vier
ethischen Grundnormen – Respekt vor Amtsträgern und Hierarchien; Restraint, d. h.
Zurückhaltung individueller Ansprüche vis-à-vis den Ansprüchen der Gemeinschaft;
Responsibility, d. h. Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln gegenüber dem
Kollektiv; Reciprocity, d. h. Verpflichtung zu solidarischer Hilfe nach dem Prinzip
der Wechselseitigkeit von Leistung und Gegenleistung (Cobbah 1987) – stellt zwar
eine edle ‚regulative Idee‘ da, hat aber heute nur noch wenig Bezug zur Realität. Die
Ethnologin Carola Lenz hat das Häuptlingstum in Ghana als keineswegs homogen,
monolithisch oder gar idyllisch beschrieben:
„Es existiert wohl kaum ein Dorf oder eine paramouncy [Herrschaft eines Oberhäupt-
lings] , wo nicht eine opponierende Fraktion den Amtsinhaber absetzen will oder
wo z. B. Dorfhäuptlinge die Konkurrenz zwischen den paramount chiefs ausnutzen,
um ihren eigenen Status zu erhöhen. Die meisten solcher Konflikte gehen weit in die
Kolonialzeit zurück und wurden durch nachfolgende (partei)politische Instrumenta-
lisierung und wirtschaftliche Interessen verstärkt, bis hin zu bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen wie z. B. 1969 in Yendi und 1978/80 in Wa im Norden des
Landes [Ghana] oder 1993 und 1994 in Winneba, Ajumako, Assin Akropong und
Akuapim im Süden“ (Lenz 1996, S. 4).
11 Im Jahr 2017 können zu den demokratischen Ländern Afrikas gezählt werden: Mauri-
tius, Botsuana, Namibia, Südafrika, Senegal, Ghana, Benin, Kap Verde, Seychellen und
möglicherweise noch Gambia (seit Januar 2017). Vgl. auch Grauvogel & Heyl 2017.
177
178 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
bestimmen wie den Verlauf und die Qualität einer demokratischen Konsolidierung.
Aus diesem Blickwinkel ist Demokratisierung also als Konsequenz strategischen
Handelns und einer daraus resultierenden Neuverteilung von Zugriffsmöglichkeiten
auf staatlich kontrollierte Ressourcen zu verstehen. Dabei lehnt sich dieser akteur-
theoretische Ansatz an den von der Bielefelder Schule der Entwicklungssoziologie
um Hans-Dieter Evers entwickelten Theorie der strategischen Gruppen an, die
strategische Gruppen wie folgt definierte: Sie bestünden aus Personen, „die durch
ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung oder Erweiterung ihrer gemeinsamen
Aneignungschancen verbunden sind“ (Evers und Schiel 1988, S. 10). Da auch die in
Opposition zur Regierungspartei stehenden Kräfte insofern strategisch handeln, als
sie ihre materiellen wie ideellen „Aneignungschancen“ (Zugang zu Staatsämtern
und Staatsfinanzen, Einfluss auf Medien, auf ausländische Partner und auf zivil-
gesellschaftliche Vereine) zu erweitern streben, ergibt sich eine gesellschaftliche
Dynamik, deren Ausgang nicht allein von subjektiven Absichten und personalen
Motiven bestimmt wird. Die die Gesellschaft verändernde Interaktion zwischen
strategischen Gruppen an der Macht (auch ‚Staatsklasse‘ oder Herrschaftsbündnis
genannt) und ihren konfliktfähigen (auf Grund ihrer Verfügung über Ressourcen)
und konfliktbereiten (auf Grund ihrer Entschlossenheit und organisatorischen Stär-
ke) Herausforderern wird durch weitere Einflussfaktoren bestimmt (nach Schubert,
Tetzlaff & Vennewald 1994, S. 31f. und Schubert 2005, S. 357-358):
• Externe Einflüsse und Interessen, vor allem durch die im Rahmen der Entwick-
lungshilfe von internationalen Gebern oktroyierte politische Konditionalität, die
zum Handeln ermutigt oder entmutigt und den Aufbau bzw. Abbau bestimmter
Institutionen fördert.
Dieselben Faktoren gilt es nicht nur beim Gelingen von demokratischer Transition
(Konsolidierungschancen) zu berücksichtigen, sondern auch bei der Erklärung
von Blockadeprozessen oder gar autoritärer Regression (Schubert & Tetzlaff 1998;
Schubert 2005, S. 358-359). Eine solche Perspektive billigt dem Staat eine nur be-
grenzte Handlungsautonomie zu und versteht diesen eher als flexible Verdichtung
eines gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisses. Konfliktfähige Gruppen müssen
insofern zu strategischen Gruppen werden und sich Zugang zum Staat mit seinen
Revenue-Quellen und zu der von ihm ausgehenden politischen Gestaltungsmacht
verschaffen, als sie ihre Interessen gesellschaftlich absichern müssen, um Erfolg
haben zu können. Insofern bleiben Staat und Gesellschaft miteinander verschränkt
und stehen sich nicht als getrennte Sphären mit unterschiedlichen Handlungslo-
giken gegenüber. Idealtypisch lässt sich der notwendige Wandlungsprozess zur
pluralistischen und demokratischen Transition als Prozess der Veränderung in
fünf Phasen beschreiben, der als Machtkampf zwischen dem Interessenbündnis
an der Macht, das solange wie möglich den Status quo verteidigen will, und einer
sozialen Oppositionsbewegung von Konkurrenten und Gegnern, die den Amtsinhaber
ablösen und selbst die Ressourcen des Staates für sich und ihre Klientelnetzwerke
zu nutzen beansprucht, abläuft (siehe Abb. 9.1):
• Die Inkubationsphase, in der sich der Wunsch nach Wandel in der Bevölkerung
aus Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen bei einzelnen Gruppen
allmählich herausbildet: Es ist die Zeit der Erosion der Herrschaftslegitimität
und der Destabilisierung autoritärer Herrschaftsverhältnisse, oftmals ausgelöst
durch einen Riss in der regierenden Herrschaftsallianz oder durch wirtschaft-
liche und finanzielle Krisen.
• Die Phase der Liberalisierung des alten Systems: Entweder deklariert die Regie-
rung aus aufgeklärtem Selbstinteresse am Erhalt der Regierungsmacht Refor-
men von oben, oder aber sie wird von unten genötigt, d. h. von unzufriedenen,
konfliktfähigen Gruppen (von Studenten und Lehrern, von schlecht entlohnten
Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes, von Anwälten, Menschen-
rechtsaktivisten und Kirchenvertretern etc.), Verfassungsänderungen vorzuneh-
men und die Einschränkung der Menschenrechte schrittweise zurückzunehmen.
Entscheidend ist in dieser Phase, ob das Militär mit seiner Verhinderungsmacht
der Öffnung des Systems zustimmt oder nicht.
179
180 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
• Auf dem Höhepunkt der Legitimationskrise beginnt die Phase der Verhandlungen
zwischen Regierung und ihren Herausforderern über eine neue Wahlrechtsord-
nung, über die Modalitäten eines fairen Wettbewerbs um die Wählerstimmen
und über ein Referendum zu einer neuen (rechtsstaatlichen) Verfassung. Es ist
der heikle Zeitpunkt, in dem das alte brüchig gewordene autoritäre System nicht
9.2 Das SKOG-Modell von Schubert & Tetzlaff 181
Im SKOG-Modell wird also von der Prämisse ausgegangen, dass es ohne einen
politischen Kampf der oppositionellen konfliktfähigen Gruppen aus Staat und
Zivilgesellschaft gegen die herrschende Staatsklasse nicht zu einer Demokratisie-
rung kommen kann, die nachhaltige Ergebnisse zeitigen würde; denn es hat sich
immer wieder gezeigt, dass ein amtierender Präsident, gestützt auf Armee und
seine legalen oder illegalen Klientelnetze, den politischen Status quo mit Klauen
und Zähnen verteidigt oder höchstens zu Schein-Reformen bereit ist. Dass es af-
rikanischen Präsidenten oftmals gelingt, sich trotz ihrer mangelnden Popularität
lange im Amt zu halten, ist häufig auch einer zerstrittenen Opposition geschuldet,
die sich in interne Machtkämpfe ihrer Führer verstrickt oder sich teilweise mit
attraktiven Versprechungen vom Präsidenten kooptieren lässt. In solchen Fällen
ist eine notwendige Voraussetzung für eine demokratische Transition des politi-
schen Systems nicht gegeben: organisierte Konfliktfähigkeit. Das wohl wichtigste
Mittel, diese zu erreichen, ist die Organisation von oppositionellen Interessen in
Parteien, die bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mittels Mobilisierung
von bislang passiven Regimegegnern die Legitimität des Amtsinhabers in Frage
stellen. Ethno-nationalistische Mobilisierung von oppositionellen Gruppen, die
die Angst vor dem big man an der Spitze des Staates überwinden, sind häufig eine
solide Voraussetzung für das Gelingen einer Transition. Kaum zu vermeiden sind
dabei Situationen, in denen politische Mobilisierung zu Gewalttaten sowohl auf
Seiten des Regimes wie auch – wenn auch seltener – auf Seiten der Opposition führt
(Vorrath 2013; Becher 2016).
181
182 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
Der Prozess der demokratischen Transition ist voller Risiken und kann in je-
der der fünf Phasen scheitern oder blockiert werden (siehe auch Schraeder 2000,
S. 267-290; Hartmann 2002; Becher 2016). Aus empirischen Studien lassen sich
mindestens fünf Demokratisierungsverläufe bzw. Demokratisierungsanläufe mit
unterschiedlichen Handlungslogiken zwischen der Koalition der Herrschenden
(Regierung plus Unterstützer-Netzwerke) und den unzufriedenen politischen
konfliktfähigen Gruppen (außerparlamentarische Opposition) und mit dem-
entsprechend unterschiedlichen Ergebnissen unterscheiden (nach Schubert &
Tetzlaff 2005, S. 176):
sehr groß sein: Zum einen wird der Wählerwille missachtet (was nachteilige
Folgen für die Wahlbeteiligung haben dürfte), zum anderen ist von einer solchen
hybriden Regierung (weder rein demokratisch, noch rein diktatorisch) nicht zu
erwarten, dass dringend notwendige Reformschritte vorgenommen werden, weil
eine Partei immer von ihrer Veto-Position Gebrauch machen kann (siehe die
Beiträge in Africa Spectrum 3/2009: „Power Sharing in Africa“).
Daraus wird deutlich, dass kein Faktor allein den (begrenzten) Erfolg der Demo-
kratie in Afrika garantieren kann. Der Politologe Matthias Basedau definierte fünf
notwendige Erfolgsbedingungen für eine dauerhafte, konsolidierte Demokratie: ein
Mindestmaß an Staatlichkeit; ein Mindestmaß an demokratischer Integrität der
(regierenden) Eliten; ein geringes Maß an gesellschaftlicher, nicht ethnischer Violenz;
ein Mindestmaß an prodemokratischer politischer Kultur; und die Abwesenheit
einer demokratiefeindlichen auswärtigen Interventionsmacht (Basedau 2003,
S. 442-444). Wie vorsichtig jedoch solche Ergebnisse zu bewerten sind, beweist der
Fall Gambia. Hier waren nach Basedau alle fünf notwendigen Erfolgsbedingungen
erfüllt, und dennoch kam es 1994 zu einem Militärputsch, der den gewählten Prä-
sidenten Dawda Kairabe Jawara ins Exil trieb. Als im Jahr 2002 Parlamentswahlen
wieder zugelassen wurden, boykottierten die wichtigsten Oppositionsparteien
wegen anhaltender politischer Repressionen die Wahl. So entfielen 33 von 48
Wahlkreisen kampflos an die Kandidaten der Regierungspartei. Seitdem ließ sich
Putschpräsident Yahya Jammeh im Amt als Staats- und Regierungschef zwei weitere
Male im Amt (zuletzt 2011) bestätigen, erklärte im Dezember 2015 das Land zur
Islamischen Republik, kündigte die Einführung der Scharia an und ließ Demons-
tranten willkürlich verhaften. Scharenweise verließen frustrierte und verängstigte
Jugendliche das Land, flohen in den Senegal oder machten sich auf den beschwerli-
chen Weg nach Europa. Im Jahr 2016 gelang es der endlich vereinten Opposition,
den Langzeit-Diktator nach 22 Jahren aus dem Amt zu wählen (mit 43,3 % gegen
39,6 %). Jammeh weigerte sich, das Wahlergebnis anzuerkennen, drohte mit Krieg
gegen alle politischen Gegner, musste sich dann aber Anfang 2017 dem Druck der
ECOWAS beugen: Er musste abtreten und flüchtete ins Ausland, – nicht ohne zuvor
die Staatskasse geplündert zu haben. Hochrangige Militärs und Polizisten hatten
in dieser heiklen Übergangsphase die Schlüsselrolle der ‚konfliktfähigen Gruppen‘
übernommen und sich zur neuen Regierung unter Staatspräsident Adama Barrow
bekannt. So erhielt die Gesellschaft Gambias im Januar 2017 eine neue Chance für
eine demokratische Entwicklung.
Afrikanische Beispiele bestätigen die Erkenntnis, dass die liberale Demokratie
von kulturellen Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann, wenigstens
nicht kurzfristig. Bei Staatspräsidenten der ersten Generation nach Erlangung der
183
184 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
• 81 % der Befragten (79 % im Jahr 2002) waren der Meinung, dass „wir unsere
Führer durch regelmäßig stattfindende, offene und ehrliche Wahlen auswählen
sollten“.
• 66 % (62 % im Jahr 2002) der Befragten sprachen sich für die Autonomie des
Parlaments gegenüber der Exekutive aus: the national assembly should make
laws for this country.
• 63 % der Befragten (55 % im Jahr 2002) favorisierten ein politisches System mit
mehreren Parteien.
12 Siehe auch die Ergebnisse von Afro-Barometer 2014, die diesen Trend bestätigen; Grau-
vogel & Heyl 2017, S. 7.
9.2 Das SKOG-Modell von Schubert & Tetzlaff 185
185
186 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
Afrika-typisch ist wohl die Parteienbildung durch politische ‚Dissidenten‘; das sind
Politiker, die zuvor Mitglieder der herrschenden Staatspartei gewesen waren, dann
in Ungnade fielen und schließlich durch Abspaltung eine neue Partei gründeten,
um so weiterhin am lukrativen Kampf um die staatlichen Pfründen teilnehmen zu
können. Es liegt in der Logik von Demokratisierung als Wettbewerbsveranstaltung,
dass ethnisch-kulturelle Gruppenidentitäten eine neue Bedeutung – im Vergleich
mit der Situation im Einparteienstaat – erhalten, was nicht selten zu gewaltsamen
Formen der Auseinandersetzung führt. Dabei können politisierte Ethnizität, Chau-
vinismus und die Politisierung religiöser Differenzen als politische Störfaktoren im
Kampf um Anhänger und Wählerstimmen auftreten (Hanischfeger 2001; Loimeier
2002; Schlee 2002; Basedau, Erdmann & Mehler 2007; Collier 2009; Cheeseman
2015; Becher 2016; Smidt 2017). Bei defizitärem rechtsstaatlichem Bewusstsein ist
politische Gewalt oftmals der Preis für demokratisches Engagement.
187
188 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
immer dann, wenn ein amtierender Präsident versucht, sich eine dritte Amtszeit zu
‚sichern‘, was die Verfassung nicht erlaubt. Dies ist ein bei afrikanischen Präsidenten
weit verbreitetes Übel, weil diese fürchten müssen, dass ihr Amtsnachfolger gegen
den Vorgänger Klage wegen Amtsmissbrauch und Korruption erheben könnte (was
auch oft genug geschehen ist).
Benin ist ein westafrikanischer Kleinstaat mit 10,9 Mio. Einwohnern im Jahr
2016 (im Jahr 1990 waren es erst 4,4 Mio. Einwohner gewesen) und rund 6o Ethnien,
wobei die Fon mit einem Anteil von ca. 46 % den Löwenanteil ausmachen. 43 %
der Bevölkerung sind Christen, 22 % Muslime und 13 % sind Anhänger indigener
Religionen. Außerdem lebten um 1990 noch 30.000 Franzosen im Lande. Es hat
mit einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 3,1 % (im Zeitraum 1990 bis 2015)
eine der höchsten Zuwachsraten Afrikas. Im Folgenden wird die dramatische Er-
folgsgeschichte einer afrikanischen Demokratie unter schwierigen wirtschaftlichen
Bedingungen skizziert.
Im Unterschied zum Typus der Demokratisierung in asiatischen Schwellen-
ländern, deren politische Transition von der Diktatur zur Demokratie als eine
Konsequenz wirtschaftlicher Erfolge zu interpretieren ist, ereignete sich die de-
mokratische Wende in Westafrika als alternativlose Negation der Negation, oder
anders gesagt, als verzweifelter Widerstand gegen Not, Misswirtschaft, Korruption
und Entmündigung. Die Gegner des korrumpierten Regimes waren aber nicht
mehr die oppositionellen Parteipolitiker der 1960er und 1970er Jahre, sondern
Sprecher von Kleinbürgertum und Proletariat, als dessen Vorkämpfer sich einst
Präsident Mathieu Kérékou selbst ausgegeben hatte. In Opposition zum Regime
standen auch Teile des Militärs, „die in einer Zeit des immer härter werdenden
Verteilungskampfes um die kleiner werdenden Staatseinnahmen und Privilegien
selbst an die Macht kommen wollten“ (Schicho 2001, S. 118). Nach 17 Jahren sozi-
alistischer Einparteienherrschaft im Namen von Marxismus/Leninismus war das
Land wegen Politikversagens zahlungsunfähig geworden.
Die schleichende Legitimationskrise des seit 1974 an der Macht befindlichen
marxistisch-leninistischen Revolutionsregimes unter Leitung des Diktators Kéré-
kou hatte im Jahr 1988/89 ihren Höhepunkt erreicht, nachdem schon im Vorjahr
zwei Putschversuche gegen das verhasste Militärregime versucht worden waren.
Im Herbst 1988 waren die beiden staatlichen Banken illiquide geworden, so dass
nicht einmal mehr die Angestellten, Lehrer, Soldaten und Studenten bezahlt bzw.
unterstützt werden konnten. Lang anhaltende Streiks in allen Bereichen des Staats-
dienstes und verzweifelte Bemühungen der Regierung um eine Begleichung der
Zahlungsrückstände dominierten daraufhin das gesamte Jahr 1989, das im Januar
mit einem Lehrer- und Schülerstreik begonnen hatte, dem sich rasch Studenten und
später auch Bankangestellte und gewerkschaftlich organisierte Berufsgruppen an-
9.4 Benin – Erfolgreiche demokratische Transition 189
schlossen. Die 22.000 Lehrer stellten die weitaus größte konfliktfähige pressure group
unter den Staatsbediensteten dar, deren Gesamtzahl sich in zwanzig Jahren etwa
verfünffacht hatte, von 9000 auf 47.000. Außerdem standen Gehaltszahlungen an
13.000 Militärangehörige aus. Zusammengenommen bildeten diese konfliktfähigen,
gut organisierten Gruppen der urbanen Zivilgesellschaft eine so starke politische
Kraft, dass sie den Machtkampf mit dem hoch verschuldeten, außenabhängigen
und delegitimierten Regime wagen konnte. Das den Widerstand artikulierende
Volk forderte den politischen Wechsel (Bratton & van de Walle 1997).
Dessen ungeachtet fanden im Juni 1989 turnusgemäß noch die dritten Wahlen
zur ‚Revolutionären Nationalversammlung‘ (Parlament) statt, bei der die Bevölke-
rung nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu der offiziellen Einheitsliste des Regimes stimmen
durfte. Bei einer Wahlbeteiligung von (angeblich) 86 % stimmten 89 % der Wähler
angeblich mit „Ja“. Das Parlament wählte daraufhin am 2. August Kérékou für eine
weitere fünfjährige Amtszeit zum Präsidenten; doch nur sechs Monate später wurde
er von einer kampfbereiten Zivilgesellschaft politisch entmachtet – ein Lehrstück
über die Fragilität und Belanglosigkeit manipulierter Wahlen angesichts einer
strukturellen Legitimationskrise. Die Zeichen der Zeit nicht verstehend, erklärte
der wiedergewählte Diktator trotzig, dass ein Mehrparteiensystem unter Hinweis
auf Gefahren des ‚Tribalismus‘ und eingedenk der negativen Erfahrungen mit dem
Mehrparteiensystem13 in den 1960er Jahren nicht in Frage käme; die ‚Demokratie‘
in Benin sei ja bereits vorhanden (Rolf Hofmeier in Afrika-Jahrbuch 1989, S. 88-91).
Die Legitimationskrise des Kérékou-Regimes spitzte sich zu, nachdem im Juli
1989 der langjährige Vertraute des Staatspräsidenten Amadou Mohamed Cissé we-
gen des Verdachts krimineller Finanztransfers im Zusammenhang mit der Banque
Commerciale du Bénin in Paris verhaftet worden war. Im August 1989 hatte der
Expräsident Emile Zinsou in der Zeitung Le Monde eine vernichtende Kritik an
dem Beniner Regime veröffentlicht. Sie gipfelte in dem Vorwurf eines „Systems
des staatlichen Banditentums“ und der Beschreibung von „korrupten Führern,
die der häufigen und umfangreichen Veruntreuung öffentlicher Mittel schuldig“
seien (Afrika-Jahrbuch 1989, Benin, S. 90). Im fernen Versailles traten unterdessen
oppositionelle Exilkräfte aus einem breiten Spektrum zu einem „Runden Tisch“
zusammen und verabschiedeten – genau 200 Jahre nach dem Beginn der Fran-
zösischen Revolution – eine sog. Versailles Charta mit Forderungen nach einem
politischen Neubeginn unter pluralistischem Vorzeichen. Hinter den Kulissen
übten wichtige Geber wie IWF, Weltbank und insbesondere Frankreich massiven
Druck auf die zahlungsunfähig gewordene Regierung mit dem Ziel durchgrei-
13 Vor dem Militärcoup von Kérékou im Jahr 1972 hatte es bereits acht Regierungen ge-
geben, darunter fünf Militärregierungen.
189
190 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
191
192 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
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194 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
aus einer Liste von 26 Kandidaten ein Außenseiter namens Yayi Boni, ein Banker,
– immerhin mit einer Mehrheit von 74,5 % der abgegebenen Stimmen. Er hatte in
Frankreich den Doktorgrad erworben und dann als Banker an der Westafrican
Development Bank gearbeitet. Als Präsident berief er ein Kabinett, das überwie-
gend aus Technokraten bestand, die wirtschaftliches Wachstum ankurbeln und
die Korruption bekämpfen sollten. Dem neuen Regime gewährte die Weltbank
mehrere Kredite zur Bekämpfung der Armut und zum Ausbau des Bildungssektors,
der öffentlichen Verwaltung und der Justiz. Aufsehen erregte der ‚Grüne Marsch‘
vom 7. Juli 2007, als Tausende von Demonstranten in der Regierungsstadt Cotonou
gegen „schlechtes Regieren und Korruption, die unser Land arm machen“, auf die
Strasse gingen (Laurens Nijzink in Africa Yearboook 2007, S. 55).
Doch am Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident ereignete sich ein Skandal, der
seine politische Glaubwürdigkeit als Anwalt der kleinen Leute beschädigte. Im Jahr
2010 wurde bekannt, dass mehrere hohe Regierungsbeamte in einen Betrugsskandal
mit einem ‚Pyramiden-Investment-Fonds‘ verwickelt waren, durch den 100.000
Menschen ihre Ersparnisse verloren haben sollen. Gleichwohl schaffte es Präsident
Yayi Boni 2011, seine Wiederwahl durchzusetzen und danach die Schlüsselpositionen
der Regierung wieder mit ihm ergebenen Leuten zu besetzen, – einschließlich des
Verfassungsgerichts. Letzteres war wichtig, da er vorhatte, die Verfassung von 1990
zu ändern, um sich selber eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Der laute Protest der
politischen Opposition, der Gewerkschaften, der Medien, der Kirchen und weiterer
konfliktbereiter Gruppen der Zivilgesellschaft ließ nicht lange auf sich warten.
Wie 2006 und 2009, als versucht worden war, ähnliche Verfassungsrevisionen
durchzusetzen, entstand jetzt wieder eine Don’t touch my constitution-Bewegung.
Ab Juli 2013 wurden die so genannten Red Wednesdays-Straßenproteste gegen
die Regierung organisiert (Banégas 2014, S. 451). Jeden Mittwoch demonstrierten
Hunderte von Einwohnern in ihren roten Hemden in den Straßen der Hauptstadt
Cotonou. Offensichtlich hatte die Regierung Boni die Liebe der Beniner zu ihrer
1990 erkämpften Verfassung unterschätzt. Professor Richard Banégas, Politik-
professor an der berühmten Sciences Po in Paris und Präsident des Joint African
Studies Program (zusammen mit der Columbia University), kommentierte diese
Entwicklung im Jahr 2014 wie folgt:
„In Benin, ein Pionier der Demokratisierung, wird die Verfassung als eine Sicherung
gegen Diktatur wahrgenommen und als ein Kernstück eines weiteren nationalen
Narratives. Der Stolz der Bürger in ihrem Land gründet sich tatsächlich auf ihren
Ruf als ‚Modell der Demokratie‘. Obwohl sie sich ständig über politische Themen
streiten mögen, die Beniner sind seit zwanzig Jahren durch die ‚shared religion of
democracy and constitutionalism‘ geeint…Das Gefühl der moralischen Krise und der
Erbitterung über ‚bad governance‘ sind spürbar. ‚Enough is enough!‘ lautet heute der
9.4 Benin – Erfolgreiche demokratische Transition 195
Schrei, der in allen südlichen Regionen des Landes zu hören ist. Sollte der Präsident
weiterhin diesen revisionistischen Weg verfolgen, wird er wahrscheinlich denselben
entschlossenen Widerstand erleben, wie es Präsident Abdoulaye Wade im Senegal
im Juni 2011 erlebte, als sich eine ähnliche Enough is Enough!-Bewegung gebildet
hatte“ (Banegas 2014, S. 451; Übersetzung von RT).
Banégas sollte recht behalten: Präsident Yayi Boni machte „den Fehler, zu oft allein
zu essen“ und dies mit zunehmender Isolierung zu bezahlen (Banégas 2014, S. 457).
Bei den im April 2015 durchgeführten Parlamentswahlen – die als Stimmungstest
für den Präsidenten galten – musste die Regierungspartei Force Cauris pour un Bénin
Emergent (FCBE), aber auch die Oppositionspartei, schwere Verluste hinnehmen.
Bei einer recht hohen Wahlbeteiligung von ca. 66 % erhielt die Regierungspartei nur
30,2 % der Stimmen und damit 33 (statt bisher 41) der insgesamt 83 Parlaments-
sitze; die größte Oppositionspartei, die L’Union fait la Nation/UN, erhielt 14,4 %
und damit 13 Sitze (statt bisher 30). Nach diesem Wahldebakel erklärte Präsident
Yayi Boni, dass er sich um eine dritte Amtszeit nicht mehr bewerben würde. Statt
seiner ging der parteilose Kaufmann Lionel Zinsou in den Wahlkampf, den jener
im Juni 2015 zum Regierungschef ernannt hatte. Zuvor hatte er noch – am 14.
Mai 2014 – den Baumwoll-Tycoon Patrice Talon und weitere Personen, die eines
angeblichen Putschversuchs beschuldigt worden waren, begnadigt. Talon war
2012 nach Erlass eines Haftbefehls gegen ihn nach Frankreich geflüchtet; nun aber
kandidierte er im März 2016 als Unabhängiger für die Präsidentenwahl und erhielt
im zweiten Wahlgang 65,4 % der Stimmen. Diesmal anerkannte der Wahlverlierer
(Ex-Premierminister Zinsou) sofort seine Niederlage und gratulierte Talon zu sei-
nem Sieg. Damit war der wohl reichste Mann des Landes, der im Baumwollgeschäft
Millionen verdient hatte und auch den Hafen der Wirtschaftsmetropole Cotonou
betrieb, zum 18. Staatspräsidenten Benins gewählt worden. Bei seiner Vereidigung
am 6.4.2016 versprach Präsident Talon – wie üblich – wirtschaftlichen Aufschwung
und Kampf gegen Korruption. Noch im selben Monat verkündete er, der sich auch
zum Regierungschef gemacht hatte, eine Privatisierung der Baumwollindustrie, um
sie für ausländische Investoren attraktiver zu machen. Er übergab die Kontrolle
des Sektors, der ca. 40 % der Exporteinnahmen des Landes erbringt und 60 % der
gesamten Industrieproduktion ausmacht, wieder an die Association interprofessi-
onelle du Coton (AIC), die vor seiner Wahl zum Präsidenten unter anderem auch
von Tolon selbst geleitet worden war. Verständlicherweise stieß die Maßnahme auf
Kritik, da vom ‚Weißen Gold‘ Tausende von Baumwollfarm-Familien und viele
kleine Unternehmen lebten, die nun ihre Existenz durch das Quasi-Monopol der
AIC gefährdet sahen (Banégas 2014, S. 455). So stellt sich die Frage, für wen sich
der jahrzehntelange Kampf um demokratische Reformen gelohnt hat.
195
196 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
197
198 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
Gruppen favorisierte Thomas Sankara, der sichtlich von Ghanas Militärtribun Jerry
Rawlings (siehe unten nächstes Kapitel) inspiriert worden war.
Die Sankara-Ära: Den Offizieren der neuen afrikanischen Armeen war es an-
fangs schwer gefallen, gegen die Oberhäupter ihrer Staaten zu putschen. Nicht nur
persönliche Hochachtung vor den ‚Vätern des Vaterlandes‘ war im Spiel, sondern
auch die Sozialisation an den europäischen Militärschulen hatte sie politische
Neutralität gelehrt. Sankara gehörte zu den persönlich anspruchslosen Führern, die
einem sozial-revolutionären Militärregime vorstehen und demgemäß strukturelle
Reformen in der Gesellschaft durchsetzen wollten. Franz Ansprenger hat ihn nicht
ohne Sympathie wie folgt gewürdigt:
Wie Sankara sich die Zukunft dachte, kam schon in dem neuen Namen des Staates
zum Ausdruck, den er für Haute-Volta (Obervolta) erfand. Burkina Faso bedeutet
so viel wie ‚Republik der freien und gerechten Menschen‘, zusammengesetzt aus
den Sprachen der beiden Hauptvölker des Landes, der Mossi und der Fulbe. Über
Radio und Fernsehen verkündete Sankara am 2. Oktober 1983:
„Das kämpfende Volk von Obervolta hat sich wie ein einziger Mensch mobilisiert, hinter
dem Conseil National de la Revolution (CNR), um eine neue voltaische Gesellschaft
aufzubauen – frei, unabhängig und wohlhabend, nachdem sie die jahrhundertealte
Herrschaft und Ausbeutung durch den internationalen Imperialismus abgeschüttelt
hat…Unsere Revolution spielt sich in einem rückständigen Agrarland ab, wo das Ge-
wicht der Traditionen und der Ideologie, die eine Gesellschaftsorganisation feudalen
Typs abgesondert hat, enorm auf den Volksmassen lastet…Sie ist eine demokratische
Volksrevolution (une révolution démocratique et populaire). Sie hat als Hauptaufgaben
die Liquidierung der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung, die Reinigung
des Bauernlandes von allen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Missständen,
die es im Zustand der Rückständigkeit halten. Von daher stammt ihr demokratischer
Charakter“ (Thomas Sankara, zit. nach Ansprenger 1999, S. 107-108).
Die Politik des Revolutionsrates unter dem energischen Führer Sankara zeichnete
sich durch eine intensive und zielgerichtete Konzentration der knappen Ressourcen
9.5 Burkina Faso – Militärs an der Macht (Thomas Sankara) 199
des Staates auf die Förderung des ländlichen Raumes aus, verbunden mit einer
Beschneidung der Vorteile für Stadtbewohner. Man kann von einem politisch
gewollten rural bias sprechen, der sich z. B. in den begleitenden Maßnahmen zur
Förderung der Getreideproduktion für den Eigenbedarf – wie z. B. den Bau von
Talsperren, Landstraßen, Anti-Erosions-Wällen, Wasser-Rückhaltebecken und
Baumschulen zur Regenerierung des lebenswichtigen Baumbestandes – bemerkbar
machte. Darüber hinaus betätigte sich Sankara sowohl als Sozialreformer denn auch
als Moralist. Im sozialen Bereich sind vor allem die Verbesserungen im Gesund-
heitswesen hervorzuheben: Durch den Aufbau von 7500 Gesundheitsposten, die in
die Eigenverantwortlichkeit der Dorfbevölkerung gestellt wurden und durch eine
großangelegte Impfaktion für 2,5 Mio. Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren
gegen die wichtigsten Infektionskrankheiten (Meningitis, Masern, Gelbfieber)
sind wesentliche Verbesserungen erreicht worden. Die Einschulungsquote konnte
von 12 % (1984) auf 23 % (1987) fast verdoppelt werden, obwohl nach einem Streik
(wegen der Absenkung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst um ca.
20 %) etwa 1400 Lehrer entlassen und durch schlechter ausgebildete ‚revolutionä-
re‘ Kräfte ersetzt worden waren (Schmitz in Afrika-Jahrbuch 1987, S 81-82). Der
Verkauf von Luxusgegenständen wurde eingeschränkt, das Tragen einheimischer
Baumwollkleidung wurde dekretiert, und der Alkoholverkauf wurde erheblich
erschwert. Prostitution, Polygamie und Bettelei wurden verboten und Nachtlokale
geschlossen – alles moralisch anspruchsvolle Maßnahmen, die bei Professionals
und Erwerbspersonen der urbanen Mittelklasse auf wenig Verständnis stießen. Den
Vorbildern von Mahatma Gandhi und Julius Nyerere folgend, ging es Sankara darum,
den Menschen deutlich vor Augen zu führen, dass sie selbst durch Eigeninitiativen
und Konsumverzicht ihre Lage deutlich verbessern könnten.
Dass dieses hoffnungsvolle sozialrevolutionäre Experiment schon nach vier
Jahren scheiterte, war aus bäuerlicher Sicht eine Tragödie. Die konservative Mos-
si-Aristokratie und die urbane Mittelschicht – Angestellte des öffentlichen Dienstes,
gewerkschaftlich organisierte Lehrer, ferner Händler und Kaufleute – waren eher
froh, diesen unbequemen Populisten und Moralisten los geworden zu sein, der ihre
sozialen Privilegien anzutasten gewagt hatte. Unmittelbarer Anlass von Sankaras
Sturz war aber eine intraelitäre Auseinandersetzung im Revolutionsrat: Als Sankara
gegen das Veto seiner drei Kollegen (darunter Compaoré) die Aufstellung einer
ihm unterstellten Sicherheitspolizei von Regierung und Parlament absegnen ließ,
kam es am nächsten Tag zum Coup: Sankara und weitere elf Menschen wurden
in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1987 erschossen und auf einem Armen-
friedhof am Stadtrand von Ouagadougou verscharrt. „Die fehlende institutionelle
Vernetzung sowie klare Kompetenzabgrenzung und Zuordnung der zentralen
Staatsorgane waren die entscheidenden Determinanten dafür, dass der politische
199
200 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
Konflikt zwischen den Führern der burkinabischen Revolution und den hinter
ihnen stehenden Gruppierungen kaum noch anders als durch einen – allerdings
nicht unbedingt blutigen – Putsch gelöst werden konnte“ – meinte Erich Schmitz
(Afrika-Jahrbuch 1987, S. 88). Der Historiker Walter Schicho urteilte, dass „trotz
aller Mängel die Entwicklung der Jahre zwischen 1983 und 1987 zu einer prägen-
den Erfahrung für die Gesellschaft des Landes“ wurde: Mit zunehmender Distanz
hätte „die kollektive Erinnerung einen Mythos“ geschaffen, „der bedeutender ist als
die konkreten Spuren der Revolution“ (Schicho 2001, S. 155). Es sollte fast dreißig
Jahre dauern, bis dieser Helden-Mythos eine neue Generation junger unzufriedener
Menschen gegen die erneute Diktatur auf die Straße treiben würde.
Der Populist Sankara wurde zum revolutionären Mythos verklärt, und die Erin-
nerung an seine Vision einer Politik für „das gute und ehrliche einfache Volk“ im
Kampf gegen Imperialismus und Feudalismus (Ansprenger 1999, S. 106) inspirierte
die zivilgesellschaftlichen Akteure des Aufstands von 2014 und 2015 (Frère & Engle-
bert 2015, S. 295f.). Heute droht der jungen Demokratie nicht in erster Linie Gefahr
durch die politische Opposition (im Oktober 2016 hat es einen Putschversuch der
Compaoré-Anhänger gegen die Regierung von Staatspräsident Kaboré gegeben),
sondern durch Terroranschläge islamistischer Milizen und Dschihadisten, die die
politische Stabilität der westafrikanischen Staaten Mali, Niger, Nigeria und eben
auch Burkina Fasos bedrohen (siehe auch unten die Mali-Geschichte in Kapitel 12).
und militärischen Regierungen war Ghana nach dem Sturz Kwame Nkrumahs,
der Ghana in die politische Unabhängigkeit geführt hatte (siehe oben Kapitel
6.3), in eine schwere Wirtschafts- und Gesellschaftskrise geraten. Auf Nkrumah,
dessen linke Partei (CPP) die Erwartungen der Kleinbourgeoisie auf Wohlstand
und Fortschritt verkörpert hatte, folgte nach einem militärischen Zwischenspiel
die kurze Herrschaft der Oppositionspartei unter Professor Kofi A. Busia (1969-
1972), die vor allem den ökonomischen Interessen der konservativen Bourgeoisie
mit Schwerpunkt in der Ashanti-Region zu Diensten war.
Im Jahr 1972 war das demokratisch gewählte Busia-Regime mit dem riskanten
Versuch gescheitert, die Wirtschaftskrise mit drastischen Sparmaßnahmen auf
Kosten der urbanen Arbeiterschaft zu lösen. Unter dem auf Busia folgenden Mili-
tärherrscher Oberst Ignatius K. Acheampong (1972-1978) und seinem Nachfolger
Oberst Frederick W. Akuffo (1978-1979) erlebte das Land sinkende Weltmarktpreise
für Kakao, dem Hauptexportgut Ghanas, bei gleichzeitig steigenden Preisen für
Erdöl, das in großen Mengen (damals noch) importiert werden musste. Jährlich
stieg die Inflationsrate um 50 %, der Schwarzmarkt blühte und die kalabule ge-
nannte Praxis der Markthändler, nämlich ihre knappen Waren zu erhöhten Preisen
anzubieten, machte der Stadtbevölkerung das Überleben schwer. Der Militärrat
kapitulierte schließlich vor der Wirtschaftsmisere und machte den Weg frei für ein
erneutes Demokratieexperiment. Im Juli 1979 gewann Dr. Hilla Liman die Wah-
len; seinem Amtsantritt als Regierungschef ging „ein Intermezzo voraus, das eine
Warnung für die neuen Politiker hätte sein sollen. Junge Offiziere unter Führung
des Fliegerleutnants Jerry John Rawlings übernahmen am 4. Juni 1979 die Macht,
in der Absicht, Ghanas politische und wirtschaftliche Führung von korrupten und
eigensüchtigen Elementen zu reinigen, um so auch der neuen Zivilregierung eine
bessere Startposition zu verschaffen. Die Offiziere ließen führende Persönlichkei-
ten des alten Regimes öffentlich hinrichten, darunter [drei Ex-Präsidenten und
Generäle] Acheampong, Akuffo und Afrifa. Für alle unerwartet hielten die für die
Morde verantwortlichen Offiziere ihr Versprechen und übergaben im September
die Macht an den gewählten Präsidenten Liman (Schicho 2001, S. 204).
Der demokratisch gewählte Präsident versuchte nun eine Politik zwischen
Sparsamkeit und ausreichender Versorgung des Marktes mit lebenswichtigen
Gütern, konnte aber nicht verhindern, dass die alten Geschäftspraktiken des kal-
201
202 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
litische Parteien. Mit ihm und durch ihn begann das ‚ghanaische Wunder‘ – die
von oben orchestrierte Wandlung eines gescheiterten Modernisierungsstaates
zum demokratischen Mehrparteienstaat auf der Grundlage einer staatlicherseits
sanierten Wirtschaft. Zunächst ging es Rawlings vor allem darum, dem sozialen
Krebsgeschwür der Korruption – kalabule – ein Ende zu bereiten, das den von
Nkrumah geschlossenen Gesellschaftsvertrag mit den Massen im Kern angegriffen
hatte. Kalabule war ein bei Afrikanern beliebter Ausdruck des Essens als Metapher
für die unsittliche Akkumulation von Reichtum weniger auf Kosten der Mehrheit
(Bayart 2009); er bezog sich auf das Gewinne machen, „entweder mittels der Ma-
schinerie des Staates oder mittels des Unterlassens von Kontrollen der Händler
durch den Staat“ (Nugent 1995, S. 27). Francois Bayart hat die Raffgier afrikanischer
Politiker mit Politik des Bauches (einer kamerunischen Metapher) umschrieben,
und in Fortführung dieser Herangehensweise hat Paul Nugent detailliert aufge-
zeigt, wie sich bei Ghanaern die kulturelle Wertschätzung von Reichtum – das
Essen – auf Politik ausgewirkt hatte. Kalabule hätte nicht allein das Verhalten von
Politikern gekennzeichnet, sondern sei in Zeiten großer materieller Not auch von
Marktfrauen und Händlern praktiziert worden. Daher hätte Rawlings seinen Feld-
zug der Volksrevolution mit dem Kampf sowohl gegen die big men als auch gegen
die small boys auf den Märkten im ganzen Land begonnen (Nugent 1995, S. 79f.).
Im Ghana-Roman The Beautiful Ones Are Not Yet Born (‚Die Schönen sind noch
nicht geboren‘) hat der ghanaische Schriftsteller Ayi Kwei Armah dieses Thema
einfühlsam geschildert (Armah 1982; Utley 2009).
Der Historiker Martin Meredith würdigte den Luftwaffen-Leutnant Jerry Rawlings
als „Star“ unter den afrikanischen Reform-Präsidenten, der es geschafft hätte, Gha-
na aus der schweren Regierungs- und vor allem Wirtschaftskrise herauszuholen:
„Rawlings betrat die politische Bühne im Jahr 1982, umringt von marxistischen Be-
ratern; er gab seiner Bewunderung für Leute wie Castro und Gaddafi Ausdruck und
schimpfte über die schädlichen Wirkungen des ‚Imperialismus‘. Aber nachdem er eine
Reihe von populistischen Experimenten auf den Weg gebracht hatte, anerkannte er
die Notwendigkeit für einen anderen Kurs. Um 1983 stand Ghana vor dem Kollaps.
Das Angebot an Nahrungsmitteln war unberechenbar; das Produktionsniveau war
so niedrig wie nie zuvor; der Wert der Ausgaben für Gesundheit betrug ein Viertel
von dem, was sie 1976 betragen hatten; ärztliche Versorgung war nicht vorhanden;
innerhalb von sieben Jahren war die Kindersterblichkeit von 80 pro Tausend auf
120 pro Tausend angewachsen; Straßen waren unpassierbar; die Inflation erreichte
123 %; Verluste machende para-staatliche Organisationen verschlangen 10 % der
Regierungsausgaben; im Jahr 1983 beschäftigte der Ghana Cocoa Marketing Board
mehr als 130.000 Menschen, die eine Ernte von der Hälfte der Menge verwalteten,
die zwanzig Jahre vorher effizienter von 50.000 Angestellten gemanagt worden war;
das Brutto-Nationalprodukt pro Kopf war jährlich um 7 % gefallen. Was die Krise
verschlimmerte waren die eine Million Ghanaer, die aus Nigeria vertrieben worden
203
204 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
waren sowie eine schwere Dürre, die Stromausfälle und Buschbrände zur Folge hatte“
(Meredith 2005, S. 371-372).
(und danach des Öfteren) ein großer Teil der Auslandsschulden erlassen, verbunden
mit dessen Versprechen, dass die Regierung in Zukunft die Armut im Land nachhaltig
mittels Ghana Poverty Reduction Programmes bekämpfen würde (Tetzlaff 2012).
Bald stellten sich erste Erfolge bei der Armutsbekämpfung ein. Zwischen 1991
und 2006 soll der Anteil der Armen an der Bevölkerung Ghanas von 51,7 % auf
28,5 % gesunken sein. Problematisch blieb allerdings die regional ungleiche Ver-
teilung der Entwicklungserfolge: Während der Anteil der Armen in den Städten
zwischen 11 % und 14 % lag, blieb der Prozentsatz in den drei nördlichen Provin-
zen des Landes stets über 70 % (Apusigah 2009, S. 25 – S. 28). Zwischen 1992 und
2006 konnten 2,5 Millionen Ghanaer im südlichen Ghana aus der Armut befreit
werden, während im gleichen Zeitraum die Zahl der Armen im nördlichen Ghana
um beinahe eine Million zunahm (Eberlei 2009, S. 94). Rawlings Erfolg beruhte auf
einem pragmatischen Bündnis aus erstens einem starken zuverlässigen Staat, der
in die Infrastruktur (Elektrizitätsversorgung bis in die Dörfer, Bau von Schulen
und Straßen) investierte, aus zweitens einem effizienten, gebildeten Bürgertum
sowie erfahrenen nationalen Geschäftsleuten, die die neuen Chancen nutzten,
und drittens aus ausländischen Firmen, die bereit waren, in diese ‚Friedensinsel‘
zu investieren, die sich wohltuend von den failing states in der Nachbarschaft ab-
hob (Nigeria, Sierra Leone, Liberia). Erst diese Beruhigung der Lage ermöglichte
es den politischen Parteien – „nach dem doppelten Schock durch Militärregime
und Strukturanpassung“ (Schicho 2001, S. 208) – sich zu erneuern und nach einer
Lernphase endlich faire und freie Wahlen abzuhalten.
Die Ära Rawlings kann als die entscheidende Voraussetzung für Ghanas Aufstieg
zum ersten middle-income country Westafrikas bezeichnet werden – einen hohen
Reifegrad vorweisend, den es nach Weltbank-Bewertung im Jahr 2011 erreicht hatte
(ein PKE von über 1045 US$). Im Jahr 2016 stand der PKE-Wert schon bei 1380
US$. Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Demokratisierung gingen hier
Hand in Hand, wenn auch begleitet von politischen Turbulenzen und wirtschaft-
lichen Rückschlägen. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass Ghana auch
als Partnerland Chinas den strukturellen Wandel von der Rohstoff-Ökonomie zur
Diversifizierung und Industrialisierung noch nicht geschafft hat. Manche Ökonomen
sprechen daher von einem ghanaischen Paradox: Trotz der soliden Transition zur
Demokratie und trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Erholung des Landes gäbe
es immer noch strukturelle und personelle Schwächen bei der Transition zu einem
‚Schwellenland‘ asiatischen Typs. Der neo-patrimoniale Staat hätte es versäumt,
in hinreichendem Maße öffentliche Güter (public goods) zum Nutzen aller bereit
zu stellen (Killick 2008, S. 27).
Seitdem sind zehn Jahre vergangen, und Ghana ist inzwischen zu den Erdöl-ex-
portierenden Staaten aufgerückt. Aber Ghana ist nicht zum Rentier-Staat oder gar
205
206 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
207
208 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
2,6 Mrd. US$ verlieren, was ca. 6 % des Brutto-Inlandsprodukts entspräche (Der
neue Fischer-Weltalmanach 2018, S. 176). Diese erschreckende Sozialstatistik in
einem wirtschaftlichen und politischen Erfolgsstaat führt noch einmal vor Augen,
wie tief verwurzelt das Armutsproblem in postkolonialen afrikanischen Staaten ist.
15 Mit Critical juncture-Situationen werden die Wendepunkte, d. h. die seltenen Augenblicke
im Leben eines Volkes oder eines Staates, bezeichnet, in denen sich politische Optionen
auftun und politisch Verantwortliche zukunftsbestimmende Entscheidungen zu treffen
haben; siehe Acemoglu & Robinson 2012.
9.7 Äthiopien – Kulturelle Grenzen für Demokratisierung 209
sechs Prozent des Vielvölkerstaates ausmachte (Tigray), fühlte sich durch den
militärischen Sieg über die Diktatur legitimiert, eine neue föderale Verfassung zu
erarbeiten und auch die nächste nationale Regierung zu stellen. Es war eine critical
juncture-Situation, wie sie sich nur selten in der Geschichte eines Landes bietet: Wie
konnte die traditionelle Vorherrschaft einer repressiven ethno-kulturellen Gruppe
(des Volkes der Amharen mit ca. 27 % Anteil an der Gesamtbevölkerung) friedlich
beendet und eine neue legitime Ordnung errichtet werden? Die triumphierende
Militärregierung, die sich im Besitz eines historischen Mandats glaubte, wurde
nun von den USA und den EU-Staaten zur Abhaltung von ‚freien und fairen‘
Wahlen gedrängt, was als Voraussetzung für die Bewilligung einer internationalen
Aufbauhilfe galt. Die Regierung befand sich in einer heiklen Situation – d. h. ohne
einen demokratie-verträglichen Ausweg: Würde sie tatsächlich dafür sorgen, dass
die Regional- und Parlamentswahlen frei und fair durchgeführt würden, würde sie
mit Sicherheit keine eigene Mehrheit für die Regierungsbildung zustande bekom-
men, da zwei ethnisch-regionale Machtblöcke (Amharen und Oromo), aufgrund
Jahrhunderte langer Erfahrungen, in Opposition zu ihr stehen würden (Oromo
mit einem Anteil von ca. 35 % an der Gesamtbevölkerung). Um also nicht von der
dringend benötigten Entwicklungshilfe aus dem westlichen Ausland abgeschnitten
zu werden, blieb der siegreichen TPLF kaum etwas anderes übrig, als – wie vom
Ausland gefordert – formal die Wahlen abhalten zu lassen und gleichzeitig dafür
zu sorgen, dass ihr nicht die militärisch erworbene Macht im Lande durch Wah-
len entgleiten würde. Es war die Geburtsstunde des elektoralen Autoritarismus in
Äthiopien – eine gewaltbasierte Regime-Form, die Wahlen organisiert, ohne dem
politischem Konkurrenten eine faire Chance zulassen. Dieser Herrschaftstyp hat
bis heute überlebt, was ohne staatliche Gewalt nicht möglich war, ohne aber die
Völker Äthiopiens zu einer geeinten Nation zusammenführen zu können.
So geschah was kommen musste: Im Jahr 1992 gewann die Regierungspartei mit
ihren sorgfältig ausgewählten regionalen Ableger-Parteien und Wahl-Kandidaten
mittels Manipulationen und unfairer Behandlung der oppositionellen Konkur-
renz-Parteien die Parlamentswahlen; von den internationalen Wahlbeobachtern
der Vereinten Nationen, der Geberstaaten sowie der deutschen Regierung wurden
sie jedoch nicht als ‚frei und fair‘ anerkannt. Während idealistisch gestimmte
Nicht-Regierungsorganisationen von einer „verpassten Chance“ sprachen und
die neue Regierung als „undemokratisch“ anprangerten, gingen die Regierungen
der internationalen Staatengemeinschaft zur Tagesordnung über und gewährten
großzügige Finanz- und technische Hilfen von 1,3 Milliarde Dollar für das Jahr
1993 (Niggli 1992).
Was hier im Jahr 1992 in Äthiopien geschah, verdeutlicht nur das generelle
Dilemma ausländischer Interventionen in Gesellschaften mit anderer Kultur und
209
210 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
16 „This is the original sin of federalism ‚Ethiopian style‘“, zit. In René Lefort: „The ‚Ethiopian
Spring‘: „Killing is not an answer to our grievances“. https://www.opendemocracy.net/
ren-lefort/ethiopian-spring-killing-is-not-answer-to-our-grievances. Heruntergeladen
am 2.10.2016
9.8 Bilanz: Wahlen und politische Parteien 211
211
212 9 Demokratisierung: Demokratie unter Armutsbedingungen
Aufgaben
213
Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger 10
Diesem Kapitel liegt die erkenntnisleitende Frage zugrunde: Gibt es einen kausalen
Zusammenhang zwischen Entwicklungsfortschritt und Bevölkerungswachstum?
Welche Rolle spielt dabei Hunger als Ausdruck von Nahrungsmittelknappheit,
Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung? Ist die häufig geäußerte These
zutreffend, dass Entwicklung das beste Verhütungsmittel sei? (vgl. z. B. Sen 2000,
S. 257). Entwicklungspolitiker und -helfer fragen besorgt: Welchen Sinn und Nutzen
hat die Entwicklungshilfepolitik der Industrieländer, wenn jeglicher Produktions-
fortschritt durch ein überproportional hohes Bevölkerungswachstum zunichte
gemacht wird? Denn das erwirtschaftete Mehrprodukt (der surplus), das lediglich
für die einfache Reproduktion der größer werdenden Gesellschaft konsumiert
wird, kann nicht mehr produktiv investiert werden, was aber als eine zentrale Vo-
raussetzung jeglicher Entwicklung angesehen werden muss (Hein 1998; Schrader
et al. 2001; Szirmai 2005; Barret, Carter & Little 2008).
Im Jahr 2011 erklärte die Europäische Union, dass die Ernährungssicherheit ein
Menschenrecht sei. Sie sei dann gewährleistet, „wenn alle Menschen jederzeit in
physischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Zugang zu ausreichenden, unbe-
denklichen und nahrhaften Nahrungsmitteln“ hätten, die ihren Ernährungsbedarf
und ihren Ernährungsgewohnheiten „im Hinblick auf ein aktives und gesundes
Leben entsprechen“ würden (Europäisches Parlament, zit. nach Brüntrup 2015,
S. 6). In der Aufbruchsstimmung der Jahrtausendwende verabschiedeten die Staats-
und Regierungschef im Jahr 2000 eine Millenniums-Erklärung und acht Millen-
niumsziele mit dem Zeithorizont 2015. Bis dahin sollte die Zahl der Hungernden
in der Welt halbiert werden. Erfolge wurden erzielt – vor allem in China –, aber
das globale Ziel wurde verfehlt; ein nachhaltiger Durchbruch wurde bislang nicht
erreicht. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich weiter; und noch immer
mussten im Jahr 2016 mindestens 795 Millionen Menschen auf der Welt hungern.
In Fortführung der Millenniumsziele verkündeten nun im Jahr 2015 die Vereinten
Nationen die Sustainable Development Goals (SDG). Demnach soll bis zum Jahr
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 215
R. Tetzlaff, Afrika, Grundwissen Politik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20253-8_10
216 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
2030 der Hunger in der Welt vollständig überwunden sein, was für Afrika bedeuten
würde, dass ein Viertel der Gesamtbevölkerung oder 220 Millionen, die im Jahr
2015 noch zu den Hungernden gezählt wurden (FAO-Statistiken 2015), innerhalb
von wenigen Jahren aus der Armutsfalle befreit werden würde bzw. würden. Wie
realistisch ist eine solche Programmatik?
217
218 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
wo die Familie in der Regel von dem schmalen Einkommen des Vaters oder der
Mutter lebt, ist eine hohe Kinderzahl eher eine pekuniäre Belastung: Je mehr junge
Mäuler gestopft werden müssen, desto geringer sind Konsumniveau und Sparquote
der Familie. Bei Arbeitslosigkeit des Ernährers wird die häusliche Situation prekär
und das Abrutschen in Altersarmut und Verelendung ist kaum aufzuhalten. Nicht
selten landen Kinder dann in verwahrlostem Zustand sprichwörtlich in der Gos-
se – zum Beispiel als Mitglied einer Jugend-Gang oder sie werden aus Not in die
Prostitution verkauft.
In der bis heute aktuell gebliebenen Debatte um die ‚Bevölkerungsexplosion‘ in
der Welt spielte der englische Pfarrer und Autor Thomas R. Malthus (1766-1834) eine
zentrale Rolle. Der einflussreiche Ökonom Adam Smith (1723-1790) hatte in seinem
Bestseller The Wealth of Nations vom Jahr 1776 die traditionellen Hindernisse für
eine freie Marktwirtschaft wie Zünfte, Gilden und königliche Handelsmonopole
kritisiert. Er propagierte den Nutzen einer Gesellschaftsordnung, die den Wirt-
schaftssubjekten freie Hand ließ, ihren Eigeninteressen zu folgen. Je mehr dies
geschehen würde, desto eher und desto nachhaltiger könnte die unsichtbare Hand
des Marktes das Allgemeinwohl der Gesellschaft fördern. Malthus hingegen war
pessimistisch und gab zu bedenken, dass das rasche Bevölkerungswachstum der
sich modernisierenden Gesellschaft als Folge wirtschaftlichen Wachstums zu einer
Verelendung der Unterschichten führen müsste. Im Jahr 1798 hatte er den Essay
on the Principle of Population, der im Deutschen Sprach- und Schriftgut als das
Malthusische Bevölkerungsgesetz bekannt wurde, veröffentlicht. Darin versuchte
er zu belegen, dass sich die Bevölkerung bisher in der Weltgeschichte in einer geo-
metrischen Reihe (1, 2, 4, 8, 16, 32 etc.) vermehrt hätte (was wir heute exponentielles
Wachstum nennen), während gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion nur im
Rhythmus einer „arithmetischen Reihe“ (1,2,3,4 etc. ) zugenommen hätte (lineares
Wachstum). Dadurch würde zwangsläufig eine Schere zwischen Nahrungsmit-
telbedarf und Nahrungsmittelangebot entstehen, was unweigerlich Hungersnöte
und schließlich Rebellion und Krieg heraufbeschwören müsste. Daher predigte
Malthus – quasi als Rezeptur gegen die kommende Katastrophe – sexuelle Enthalt-
samkeit und Geburtenbeschränkung. Malthus selbst hielt diesen wünschenswerten
Mentalitätswandel der Bevölkerung aber für wenig realistisch, weil nach seinem
‚Bevölkerungs-Gesetz‘ jede Verbesserung der Versorgung mit Nahrungsmitteln
wieder weiteres Bevölkerungswachstum anregen würde (Nuscheler 2010, S. 269 f.).
Die Jahrhunderte alte Malthus-Sorge hat für Afrika bis heute ihre Brisanz
nicht verloren, worauf der Club of Rom nicht müde wurde hinzuweisen. Die von
ihm beauftragten Natur- und Gesellschaftswissenschaftler bestätigten in gut ver-
ständlichen Publikationen die fatale Wechselwirkung von Bevölkerungswachstum,
Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung und wachsender Armut, an der auch
10.1 Bevölkerungswachstum und demographischer Übergang 219
219
220 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
Böden und Erosion der Felder und Weiden gefährden beständig die landwirtschaft-
liche Produktion. Nur 15 Prozent des Landes sind heute landwirtschaftlich nutzbar
(Seitz 2016). Das muslimische Land hat die am schnellsten wachsende Bevölkerung
der Welt: Im Jahr 2017 lebten dort 20,7 Millionen Einwohner, davon drei Millionen
Kinder unter fünf Jahren. Jedes Jahr sterben Hunderttausende von ihnen, ein Großteil
an den Folgen von Unterernährung (Capaross 2015, S. 81). Das BNE pro Kopf beträgt
370 US$, und es ist auch das Land, in dem Frankreich eines der größten Uran-Vor-
kommen der Welt ausbeutet. Uran ist der begehrte Rohstoff für die französischen
Atomkraftwerke und Atomraketen, die force de frappe. In diesem bitterarmen Land
der Sahelzone (diese umfasst 11 Staaten, von Mauretanien im Westen bis Äthiopien,
Eritrea und Somalia im Osten) ist der Hunger so gut wie immer gegenwärtig. Sahel
ist arabisch und bedeutet „Küste“ – Küste der großen Sahara-Wüste. Brutal wird der
Hunger, wenn die Periode beginnt, die die Franzosen als soudure, die Angelsachsen
als hunger gap bezeichnen. Es sind die Monate ab Juni, „in denen die vorherige Ernte
aufgebraucht ist und die nächste sich mühsam aus dem kargen Boden kämpft. Dann
bitten die Regierungen um Hilfe oder auch nicht, die internationalen Organisationen
warnen vor der Gefahr und entsenden ihre Hilfsgüter oder auch nicht, Millionen
von Menschen haben zu essen oder auch nicht“ (Caparros 2015, S. 17). Das größte
Problem – sagt der argentinische Publizist Martín Caparrós – sei die Mangelernäh-
rung, selbst wenn es mal genug Hirsebrei gäbe. Weltweit leiden darunter etwa zwei
Milliarden Menschen. Selbst wenn die Armen essen, nehmen sie meist nicht genügend
nährstoffreiche Nahrung auf – wie Fleisch, Eier, Fisch, Milch, Obst und Gemüse.
Blutarmut durch Eisenmangel sei daher eine häufige Folge.
Einerseits wird Afrika mit dem Verlust an Menschen in Millionenhöhe durch
den transatlantischen Sklavenhandel assoziiert, andererseits aber auch mit ‚Kinder-
reichtum‘ und ‚Überbevölkerung‘ in Verbindung gebracht. Evolutionsgeschichtlich
sind Afrikaner „Grenzlandpioniere“, also besonders robuste Großfamilienverbän-
de, „die eine besonders unwirtliche Region der Welt für die menschliche Spezies
insgesamt erschlossen haben. Dies ist ihr wichtigster Beitrag zur Geschichte der
Menschheit. Dafür verdienen sie Bewunderung, Unterstützung und sorgfältige
wissenschaftliche Beachtung“ (Iliffe 2000, S. 9). Doch die kolonialpolitische Penet-
ration Afrikas durch westliche Missionare, Mediziner, Militärs und Kolonialbeamte
veränderte das über Jahrhunderte entstandene fragile Gleichgewicht zwischen der
Zahl der Menschen und ihren Möglichkeiten, sich im Lande und vom Lande selbst
zu ernähren: Die Bekämpfung der endemischen Tropenkrankheiten mittels der
modernen Medizin (Schutzimpfungen) ließ die Geburtenraten steigen und die
Sterberaten sinken, ohne dass parallel dazu die Land- und Viehwirtschaftssysteme
ertragsreicher gemacht worden wären. Die Verbesserung der Ernährungssicherheit
221
222 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
„Nirgendwo auf der Welt wächst die Bevölkerung so schnell wie im Niger. Die Einwoh-
nerzahl hat sich seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 versechsfacht – auf mittlerweile
an die 20 Millionen. Jede Frau hat im Durchschnitt 7,6 Kinder. Jährlich wächst die
Bevölkerung um 3,9 Prozent, weltweiter Rekord. Dies führt unvermeidlich zu Armut
und Hunger. In der Rangliste der UNDP, die die menschliche Entwicklung abbildet,
ist das Land auf dem letzten Rang. Solange aber die Bevölkerung in diesem rasantem
Tempo wächst, gibt es keine Besserung. Das Land lebt dazu auf einer Zeitbombe, und
die heißt Arbeitslosigkeit. Die hohen Geburtenraten gehen nicht mit der Schaffung
von Arbeitsplätzen einher, das ist neben der fehlenden Bildung ein Nährboden für
Radikalisierung und Extremismus. Viele Menschen haben kaum Chancen auf ein
geregeltes Einkommen. Vor Jahren als ich im Niger tätig war, ging mindestens die
Hälfte der Menschen in der Hauptstadt Niamey keiner bestimmten Beschäftigung
nach, hatte keine beständige Arbeit. Sie verdingten sich als Tagelöhner, trieben mit
irgendetwas Handel oder bewachten etwas. Daran hat sich nichts geändert…Niger hat
weltweit die höchste Analphabeten-Rate. Dort können etwa 80 Prozent der Männer und
Frauen über 15 Jahre weder lesen noch schreiben. Laut Elke Erlecke, der Leiterin des
Regionalprogramms Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung gibt
es „70 Prozent Analphabeten im Parlament im Niger“. Die Bildungssituation im Niger
ist sehr beunruhigend. Die Bildungsanstrengungen können nicht mit dem schnellen
Bevölkerungswachstum Schritt halten. Lehrer werden oft miserabel ausgebildet und
schlecht bezahlt. Zwar bemüht sich der seit 2011 gewählte Präsident mehr als bisher
zu tun, aber Bildungsqualität und Alphabetisierung Erwachsener bekommen noch
nicht genügend Aufmerksamkeit. Wichtig für den langfristigen Erfolg von Alpha-
betisierungskampagnen ist aber auch, dass sie von Maßnahmen zur Verbesserung
der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung begleitet werden“ (Volker Seitz
31.03. 2016: www/achgut.com/artikel/ein_land_auf_der_kipp_bericht_aus_niger).
Martín Caparrós hat noch auf einen weiteren Aspekt des Hunger-Problems hin-
gewiesen – auf kulturelle Tabus. Dazu würde beispielsweise auch die muslimische
Vorschrift gehören, im Monat Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
weder zu essen noch zu trinken. Aus eigener Erfahrung schrieb Martin Caparrós
aus Madaoua in Niger:
„Zwölf Stunden am Tag ohne Essen, bei vierzig Grad im Schatten, ohne einen Trop-
fen Wasser. Ich kenne keinen brutaleren Ausdruck der Macht eines Führers, eines
Gottes, eines Diktators: Schau, wie ich dich dazu bringe, das Äußerste zu tun, das,
was wider die Natur ist. Schau, wie ich dich zwinge: Glaube, gehorche mir, unterwirft
10.2 Niger – ein muslimisches Land in der Armuts-Bevölkerungs-Falle 223
dich meinem Gesetz, ganz gleich, wie willkürlich es ist…Aber wie bei jeder Macht-
beziehung handelt es sich auch hierbei um ein Tauschgeschäft: Fasten heißt einem
geschätzten Gott etwas geben – auf etwas verzichten, woran einem liegt – um etwas
dafür zu bekommen. Indem wir Lust und Befriedigung opfern, verzichten, zahlen wir
für etwas, das uns wichtig ist: das Wohlergehen eines Angehörigen, eine ertragreiche
Ernte, ein siegreicher Kampf, die Garantie, das wir Essen haben, die Rettung einer
Seele“ (Caparrós 2015, S. 93-94).
So wie einst Präsident Bourghiba von Tunesien per Dekret verfügte, dass schwer
arbeitende Personen von der Einhaltung der Fastenregel ausgenommen werden
könnten, um ihre Gesundheit und ihr Leistungsvermögen nicht zu gefährden, so
könnten auch anderswo Ausnahmeregeln geschaffen werden: Mit Unterstützung
von Moscheen könnten verantwortungsvolle Politiker in dürregefährdeten Län-
dern zum Schutz der Gesundheit von Risiko-Gruppen, vor allem von Familien
mit unterernährten Kindern und von Jugendlichen, Sonderregelungen verfügen.
Wo sollte internationale Entwicklungshilfe in diesem Land mit einer sehr
armen Bevölkerung, die zu 98 % muslimischen Glaubens ist, ansetzen? Sollte erst
in Bildung investiert werden oder erst in eine bessere Gesundheitsversorgung, um
die Zahl der Fehlgeburten zu reduzieren und die Fertilitätsraten zu senken? Oder
sollte die Regierung von Staatspräsident Mahamadou Issoufou, im Jahr 2011 ins
Amt gewählt und 2016 mit 92,5 % der Stimmen (im zweiten Wahlgang) wiederge-
wählt, der Sicherheitsfrage oberste Priorität einräumen? Die Region um die Stadt
Diffa gilt seit Jahren als Rückzugsort der Terrororganisation von Boko Haram,
die hier Hundertausende von Einwohnern in die Flucht getrieben hat. Der Terror
verschärfte die humanitäre Krise in der abgelegenen Grenzregion, in der rund
150.000 Flüchtlinge aus Nigeria leben. Die nigrische Stadt Agadez ist eine der am
stärksten frequentierten Transitstädte für Flüchtlinge auf dem Weg von Westafrika
nach Europa via Libyen und gleichzeitig eine Hochburg der Menschenschmuggler
und Schlepper, – ein Brennpunkt sozialer und politischer Konflikte und ein klassi-
scher ‚sozialer Raum begrenzter Staatlichkeit‘, in denen zahlreiche Non-state-actors
ihrem Geschäft nachgehen. Wie soll hier ‚Entwicklung‘ und Fluchtursachen-Be-
kämpfung in Gang kommen? Zudem hat auch der Niger wie das benachbarte Mali
seit Jahrzehnten militärische und politische Konflikte mit den Tuareg, die mehr
Selbstbestimmung und Teilhabe am nationalen Reichtum, speziell den Einnahmen
aus dem lukrativen Uran-Abbau, fordern (siehe dazu unten Kapitel 12). Hier gibt es
mehr drängende Fragen als überzeugende Antworten. Der indische Wirtschafts-
wissenschaftler Amartya Sen jedoch beansprucht mit seinen Studien, eine Lösung
für das Armutsproblem gefunden zu haben. Überprüfen wir dessen Behauptung.
Neue Perspektiven auf den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und
gesamtgesellschaftlicher Entwicklung ermöglichten die Studien des indischen
223
224 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
225
226 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
weil sich der Grundwasserspiegel gesenkt hat. Nach neunjähriger Bauzeit konnte
im Oktober 2016 die Regierung den mit einer Höhe von 243 Meter dritthöchsten
Staudamm Afrikas (Gilgel-Gibe-III) in Betrieb nehmen, der – mit chinesischer Un-
terstützung gebaut – die nationale Stromerzeugung verdoppeln soll. Die Stauung des
Blauen Nils an der Grenze zum Sudan – der African Renaissance Staudamm – soll
der Bewässerung des äthiopischen Hochlandes dienen, – ein ökologisch riskantes
Mammut-Projekt, das auch zu anhaltenden Protesten der Nachbarstaaten geführt
hat. Insbesondere Ägypten und Sudan sind auf die Wassermassen des Blauen
Nils angewiesen, der im äthiopischen Tana-See entspringt. Wie eine ‚gerechte‘
Aufteilung des Nilwassers zwischen den acht Anrainer-Staaten des Nils aussehen
könnte, gehört zu den großen ungelösten Schicksalsfragen des Kontinents (Ibrahim
& Ibrahim 2006; Leiseder 2016).
Man kann der äthiopischen Regierung nicht den Vorwurf machen, die Diver-
sifizierung, Modernisierung und Industrialisierung des Landes nicht energisch
in Angriff genommen zu haben. Es fragt sich nur, ob die gewählten Mittel und
Methoden angemessen waren und sind, – angemessen für die Lösung der akuten
Probleme Bevölkerungswachstum und Arbeitslosigkeit. Statt eine privatwirtschaft-
liche Entwicklung nach dem Vorbild der asiatischen Schwellenländer zuzulassen
(Privatisierung von Landbesitz und Zulassung von privaten Kredit- und Entwick-
lungsbanken) setzte die Regierung Meles auf staatlich gelenkte Modernisierung
mittels ausländischer Kapitalinvestitionen. So wurde beispielsweise im Tiefland
(Gambella) der Staat aktiv, indem er traditionelle politische, rechtliche und physische
Hindernisse für eine zügige marktwirtschaftliche ‚Erschließung‘ dieser bislang als
‚unbesiedelt‘ geltenden Regionen aus dem Weg räumte. Zwischen 1990 und 2008
sollen so etwa 3,5 Millionen ha neu verpachtet worden sein (Fana Gebresenbet
2016, S. 12). Nutznießer waren kapitalintensive Investoren, die mit Unterstützung
des Staates, der als Türöffner für private Investoren fungierte, einen forcierten
Strukturwandel in der Agrarproduktion auslösten: Subsistenzbauern und Hirten
wurden von der Regionalregierung registriert, kontrolliert und oftmals gewaltsam
enteignet, was der äthiopische Forscher Fana Gebresenbet als ein „Projekt des
Staatsumbaus auf der Basis einer Enteignungs-Ökonomie“ bezeichnet hat (Fana
Gebresenbet 2016, S. 28; siehe auch Kress 2012; Pearce 2012).
In Gambella im Süden des Landes sind im Zeitraum von 2003/4 bis Juni 2014
nicht weniger als 420 Landkäufe (land deals) vorgenommen worden, die ca. 545.000
ha umfassten. Daran haben zwölf ausländische Investoren teilgenommen, darunter
der indische Konzern Karaturi Global mit 100.000 ha, BHO BIO mit 27.000 ha,
Rucci mit 25.000 ha, Saudi Star Agricultural Development mit 10.000 ha und Bazen
Agricultural Industry mit 10.000 ha (Fana Gebresenbet 2016, S. 13). Die Mehrzahl der
Pächter aber sind finanzstarke Äthiopier und zwar meistens aus Tigray, der Heimat
227
228 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
der siegreichen Befreiungsbewegung TPLF, die bis heute in der Regierung den Ton
angibt. Anträge auf land-deals seitens der lokalen Bevölkerung und von Mitglie-
dern der äthiopischen Diaspora-Gemeinden wurden von der Regionalregierung
(die unter Kontrolle der Zentralregierung arbeitet) meistens abgelehnt. Profiteure
waren einheimische Mitglieder der politisch einflussreichen und wohlhabenderen
Schichten, die hier im ursprünglichen Sinne die Akkumulation von Kapital durch
politisch-rechtliche Trennung der Produzenten (Bauern) von ihren Produktions-
mitteln (Land und Wasser) betrieben, – nach der Art und Weise, wie Karl Marx
die Kapitalisierung des frühmodernen Englands beschrieben hatte. Hätte es dazu
im heutigen Äthiopien eine Alternative gegeben? Die Vertreibung der Bauern von
‚ihrem‘ Land (das rechtlich dem Staat gehört) ist in jedem Fall ein sehr hoher Preis
für eine sozial unverträgliche Landnutzung und Agrarmodernisierung: Denn selbst
wenn mehr Nahrungsmittel erzeugt werden würden und diese dann als Waren auf
lokalen Märkten angeboten würden, hätten entwurzelte Landbewohner ohne Jobs
und gesicherte Einkommen keine Kaufkraft, um diese zu erwerben (Rauch 2016, S. 8).
Wie aus der Problemanalyse zu ersehen ist, wären auch hier monokausale
Erklärungsansätze für Äthiopiens Status als Dauerempfänger von internationaler
Nahrungsmittelhilfe fehl am Platz. Seit den Zeiten der Monarchie haben alle Regie-
rungen auf unterschiedliche Weise versucht, Teilen der äthiopischen Bevölkerung
mittels Landreformen ein besseres Leben zu ermöglichen. Das zentrale Problem der
Ernährungsunsicherheit konnte nicht gelöst werden, auch deshalb nicht, weil stets
gewaltsame politische Maßnahmen von oben (Zwangsumsiedlung, Kollektivierung;
land grabbing-Methoden) angewandt wurden, die die eigentlichen Bodenbearbeiter
stets als Mittel zum Zweck behandelten. Kreativpotentiale der Bauern wurden nicht
aktiviert, im Gegenteil: Ihnen wurde das Land zur Nutzung zumeist von lokalen
Kooperativen zugewiesen, und diese nutzten nicht selten ihre Verteilungsmacht
zu politischen Zwecken. Wer sich nicht parteikonform verhält, läuft Gefahr, sein
Recht auf Bodennutzung zu verlieren. Durch diese Regelung hat die Staatsklasse die
Bauern fest im Griff, und diese Unsicherheit ist als ein maßgeblicher Grund dafür
anzusehen, dass Bauern keine Anreize haben, in die Fruchtbarkeit ihrer Äcker zu
investieren. Auch haben alle Regierungen dem Bevölkerungswachstum tatenlos
zugesehen; welchen Anteil daran möglicherweise die religiösen Autoritäten im
Lande – die Orthodoxe Kirche, Islam-Verbände, traditionelle Ältestenräte – hatten
und haben, ist eine berechtigte Frage, die hier aber nicht beantwortet werden kann
(Smidt & Abraham 2007; Saleh, Hirt, Smidt & Tetzlaff 2008).
Aus dieser schwierigen Situation hat ein in Äthiopien forschender Sozialgeograph
– Friedrich von Schönfeld – die Schlussfolgerung gezogen, dass die Regierungen der
reichen Länder – trotz aller entwicklungspolitischen Skrupel – fortfahren sollten,
die Hilfszahlung von jährlich ca. 1 Mrd. $ Katastrophenhilfe an Äthiopien aufrecht-
10.4 Familienplanung – ein entwicklungspolitischer Imperativ 229
zuerhalten. Er begründete seine Forderung mit der Warnung: „Was würden wir
machen, wenn die 730.000 Flüchtlinge in Äthiopien [die sich aus den Nachbarländer
hinüber gerettet haben] zusammen mit einem Teil der 18 Millionen notleidenden
Äthiopier vor dem Hunger gen Norden fliehen würden?“ (von Schönfeld 2016, S. 24).
229
230 10 Bevölkerungswachstum, Armut, Hunger
Aufgaben
1. Wie viele unterschiedliche Ursachen von Hunger und Elend in Niger und Äthi-
opien können Sie dem Text entnehmen? Sortieren Sie die gefundenen Ursachen
nach der Typologie: strukturell, endogen oder exogen verursacht.
2. Ist die Malthus-These für Äthiopien heute noch von Relevanz?
3. Worin werden plausible Möglichkeiten gesehen, Armut und Unterentwicklung
in den beiden Armutsländern (Niger und Äthiopien) zu überwinden?
Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen? 11
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 231
R. Tetzlaff, Afrika, Grundwissen Politik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20253-8_11
232 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Dass der Coltan-Abbau zu sozialen und ökologischen Schäden führt, ist allen Be-
teiligten bekannt, wird aber von den politisch verantwortlichen Behörden in DR
Kongo sowie von den internationalen Bergbauunternehmen achtlos hingenommen.
Der Abbau in der DR Kongo (ehemals Zaire) läuft nach einem über die Jahre gleich
gebliebenen Muster ab: In den Dschungelgebieten im Osten des Kongos schürfen
kleine Gruppen in Handarbeit das begehrte Metall – im Durchschnitt kann so
täglich von einem Arbeiter der Erde etwa ein Kilogramm abgerungen werden.
Für eine Handvoll US-Dollar gelangt das Metall über zahllose Zwischenhändler
in die Provinzstädte Goma und Kisangani oder wird von den Kindersoldaten der
Maji-Maji [wegen ihrer Grausamkeit berüchtigte ethnische Milizen] erbeutet.
Von hier wird das Coltanerz per Lastwagen über Ruanda nach Daressalaam/
Tansania transportiert, von wo aus die Fracht in alle Welt verschifft wird. „Die
Arbeitsbedingungen sind dabei denkbar schlecht. Gewalt, Kinder- und Zwangs-
arbeit sind an der Tagesordnung. Weil im Kleinstbergbau trotzdem mehr Geld
als in der Landwirtschft verdient wird, verlassen viele Menschen ihre Felder, und
Lebensmittelknappheit ist die Folge“ (Dennin 2013, S. 201). Hauptprofiteure des
illegalen Coltan-Handels in der Kriegszone Ostkongo sind die Regierungen von
Ruanda und Uganda. Einem UN-Report von Panel-Experten aus dem Jahr 2001
zufolge soll die Rwandan Patriotic Army der Regierung von Paul Kagame in 18
Monaten der Jahre 1999 und 2000 monatlich 30 Tonnen Coltan im Wert von 250
Millionen US$ aus dem Kongo geschafft haben. Daran waren 27 Gesellschaften
beteiligt, die im Kongo mit dem heiß begehrten Metall handelten – allen UN-Sank-
tionen zum Trotz. Im November 1998 ließen ausländische Minengesellschaften das
kongolesische SOMINKI-Unternehmen (Kivu Mining and Industrial Company, ein
Zusammenschluss von neun lokalen Bergwerksgesellschaften) ca. 1000 Tonnen
Coltan von Kivu nach Kigali, der Hauptstadt Ruandas, transportieren. Von Kigali
wurde die Fracht nach Amsterdam, Deutschland und Südostasien transportiert
(UN-Report, Panel of Experts on the Illegal Exploitation of National Recources of
the Congo, April 2001, paragraph 130, zit. in: French 2010, S. 488). Im Jahr 2006
exportierte Ruanda Coltan im Werte von 10 Millionen US$. Ebenso wie Paul
Kagame in Ruanda war Yoweri Museveni, Präsident Ugandas, in den kriminel-
len Coltan-Handel verstrickt. Mitglieder seiner Familie sollen Aktienanteile an
einigen Schürfgesellschaften im Kongo besessen haben (UN-Report von 2001,
paragraph 205, zit. in: French 2010, S. 488). Neben dem vorherrschenden lokalen
Abbbau verfolgt der Schweizer Rohstoffhandelskonzern Glencore den Plan, über
die Tochter-Gesellschaft Katanga Mining zum weltgrößten Förderer von Coltan
aufzusteigen.
Auch Uran gehört zu den Afrika-Rohstoffen, nach denen die globale Nachfrage
steigt. Im Jahr 2011 waren weltweit 440 Atomkraftwerke in über 30 Ländern in
233
234 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Betrieb, die zusammen knapp 15 % der weltweiten Elektrizität erzeugten. Nicht in
diese Statistik fielen rund 250 Forschungsreaktoren und ca. 200 nuklear betriebene
Schiffe und U-Boote. Gleichzeitig waren weltweit 60 neue Kernreaktoren im Bau,
die Hälfte davon in China. Bereits 2011 stammten 20 % des vor allem in den USA,
China, Russland und in Europa verbrauchten Urans aus afrikanischen Bergwerken.
Namibia, Niger, Malawi und Südafrika waren bisher die Hauptförderländer; diese
vier Länder produzierten knapp 10.000 Tonnen Uran und belegten damit Platz 2
hinter Kasachstan und vor Kanada und Australien. Die Rössing-Mine in Namibia
(nahe Swakopmund) ist mit einer Produktion von 3.00 bis 4.000 Tonnen die dritt-
größte Uranmine der Welt. Allerdings ist der Wasserverbrauch heute schon so
erheblich, dass es zu Protesten der Bevölkerung gekommen ist. Die Rössing-Mine
verbraucht im Monat genauso viel Wasser wie die Hauptstadt Windhoek mit über
300.000 Einwohnern (nach Dennin 2013, S. 135-144), und Wasser gehört zu den
knappsten Gütern auf dem Kontinent.
Neue Uran-Bergwerke werden in Tansania, der ZAR und in Sambia vorangetrie-
ben. Niger liefert seit über 40 Jahren Uran für französische Atomkraftwerke. Der
französische Staatskonzern Areva plant, in Zusammenarbeit mit der Regierung
in Niamey, in der Imouraren-Lagerstätte (südlich von Arlit und Akokan gelegen)
das größte Bergbauprojekt des Landes zu etablieren; es soll 35 Jahre lang jährlich
5.000 Tonnen Uran liefern. Ähnliche Ziele verfolgen chinesische Konzerne: bis 2020
soll die jährliche Förderung auf 5.000 Tonnen verdoppelt werden. An dem Projekt
beteiligt sich auch der kanadische Branchenführer Cameco. Bei der Vergabe von
Abbaulizenzen war der nigrische Staat nicht besonders zimperlich: So rührten die
Aufstände der Tuareg vor einigen Jahren daher, dass diese ihre traditionellen Wei-
deflächen durch die Vergabe von Uran-Abbaulizenzen nicht mehr nutzen konnten
und an den Gewinnen aus dem Uranbergbau nicht beteiligt worden waren (nach
Dennin 2013; Burgis 2017, S. 164-193; siehe auch unten Kap. 12.4).
Seit einigen Jahren investiert die Volksrepublik China vermehrt in den Abbau
von Eisenerz – und zwar in Südafrika, Sierra Leone, Guinea, Liberia, Gabun, Kame-
run und in der DR Kongo. Westafrika soll das Potential haben, über 400 Millionen
Tonnen Eisenerz pro Jahr zu fördern, „was einem Viertel der aktuellen weltweiten
Nachfrage entsprechen würde“ (Dennin 2013, S. 162; Burgis 2017, S. 178). Auch der
kleine westafrikanische Staat Sierra Leone (71.740 qkm) mit seiner Bevölkerung
von 7,4 Mio. Einwohnern und einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 490
US$ (2016) ist reich an Bodenschätzen, aber der Naturreichtum hat der Bevölkerung
kein Glück gebracht, im Gegenteil. Unter der Führung seines Präsidenten Siaka
Stevens (1968-1985) hatten Korruption und ethnische Konflikte so zugenommen,
dass das Land von unseriösen Unternehmen systematisch ausgeplündert werden
konnte. Auch Regierungsmitglieder konnten sich an den staatlich kontrollierten
11.1 Das Paradox of Plenty 235
Diamantenminen bereichern. Langsam erholt sich heute das Land von den Folgen
eines zehnjährigen Bürgerkrieges (1992-2002), das wegen der Gräueltaten seiner
Rebellen traurige Berühmtheit erlangte. Präsident Ernest Bai Koroma (2007 ins
Amt gewählt und 2012 wiedergewählt) hofft nun, mittels der Erschließung neuer
Eisenerz-Minen Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen zu können. Der in
London gelistete Konzern African Minerals und der chinesische Stahlprodduzent
Shandong Iron & Steel beteiligen sich mit Milliarden-Investitionen an den Plänen,
die Eisenerzproduktion in Sierra Leone von heute etwa 15 Mio. Tonnen schrittweise
auf über 80 Mio. Tonnen zu steigern und es damit endgültig zum größten Exporteur
von Eisenerz in Westafrika werden zu lassen (Dennin 2013, S. 168).
Auch Guinea – ein Küstenland mit 12,4 Millionen Einwohnern (2016) und einem
bescheidenen Brutto-Nationaleinkommen pro Kopf von 490 US$ jährlich – zählt
zu den rohstoffreichsten Ländern des afrikanischen Kontinents. Es ist der Welt
größter Exporteur von Bauxit, dem Rohstoff zur Herstellung von Aluminium. Die
Vorkommen an Bauxit werden auf über zehn Milliarden Tonnen geschätzt, was
mehr als einem Drittel der weltweiten Reserven entspricht. Außerdem wurden
kürzlich bedeutende Uran- und Eisenerzvorkommen entdeckt. Im September 2011
verabschiedete die Regierung unter Präsident Alpha Condé (2010 gewählt und 2015
wiedergewählt) ein neues Bergbaugesetz, das vorsieht, dass der Staat einen Anteil
von 15 % bis 20 % an allen Bergbauprojekten erhalten soll und dass einheimische
Unternehmen bei der Vergabe von Abbaurechten bevorzugt behandelt werden sollen.
Seit Generationen gehört Liberia – ein kleines armes Land mit heute 4,6 Mio.
Einwohnern und einem BSP von 370 US$ (2016) pro Kopf – zu den Roffstoffliefe-
ranten Afrikas. Bereits 1847 hatte es seine Unabhängigkeit erlangt, als sich hier an
der westafrikanischen Küste freigelassene Sklaven aus den USA ansiedelten. Bis
zum Jahr 1980 wurden die Liberianer von einer konservativen Partei (True Whig
Party) regiert; dann aber stürzte das Militär den für Korruption und Gier bekannten
Präsidenten William R. Tolbert jr., was das Land in einen desaströsen Bürgerkrieg
(mit über 200.000 Toten) trieb. Erst 2005 konnten erstmalig reguläre demokratische
Wahlen stattfinden, aus denen die erfahrene Ex-Ministerin und Bankerin Ellen
Johnson Sirleaf als Siegerin hervorgehen sollte. Im Jahr 2011 wurde die populäre
Präsidentin wiedergewählt, die im selben Jahr für ihre Versöhnungsarbeit den
Friedensnobelpreis erhielt und deren Regierung sich seitdem bemühte, mit Hilfe
ausländischer Investoren die reichlich vorhandenen Eisenerze (bei Mount Nimba) zu
fördern. Somit erfuhr Liberias Rohstoffwirtschaft eine erste willkommene Diversi-
fizierung, war doch das Land seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer informellen
Kolonie der US-amerikanischen Firmen Firestone und Goodrich geworden, die
hier umfangreiche Kautschuk-Plantagen angelegt hatten. So hatte Firestone schon
im Jahr 1926 in Harbel die größte Kautschuk-Plantage der Welt eröffnet, nachdem
235
236 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
ein Pachtvertrag über eine Million Hektar Land (zum Preis von 0,06 US-Dollar
pro Hektar für 99 Jahre) zustandegekommen war. Firestone konnte 2005 seinen
Pachtvertrag mit der liberianischen Übergangsregierung über einen Zeitraum
von 37 Jahren für eine Pacht von 0,50 US-Dollar je Hektar erneuern (nach Dennin
2013, S. 238-239). aber die große Mehrheit der Bevölkerung ist arm geblieben oder
emigrierte ins Ausland. Knapp ein Drittel (31 %) des Brutto-Inlandsprodukts wird
heute durch Geldüberweisungen von im Ausland lebenden Liberianern bestritten
(Der neue Fischer Weltalmanach 2018, S. 287).
als 60 % der Exporte aus den Ländern des sub-saharischen Afrika aus unverarbei-
teten Rohstoffen (mit geringer Wertschöpfung) bestehen, weist darauf hin, dass
das entwicklungspolitische Potential, das logischerweise im Export von begehrten
Rohstoffen steckt, seit Generationen nicht oder nicht genügend zum Vorteil der
Herkunftsländer genutzt worden ist. Das Muster der kolonialwirtschaftlichen Arbeits-
teilung – Peripherie-Länder (Kolonien) liefern Rohstoffe und Zentrums-Nationen
(Industriestaaten) liefern industrielle Fertigwaren und moderne Dienstleistungen
– hat sich lange Zeit erhalten können.
Der Kupfer exportierende Staat Sambia ist dafür ein gutes Beispiel. Der
Copperbelt (der Kupfergürtel) ist die bedeutendste Bergbauregion Zentralafrikas
und neben dem Bushveld-Komplex in Südafrika das größte Industriegebiet des
Kontinents. Das Bergbaurevier erstreckt sich über 800 Km Länge und 250 Km
Breite vom Zentrum Sambias bis in den Südosten der DR Kongo, nach Katanga.
Anfang der 1970er Jahre war die Zambia Consolidated Copper Mines (ZCCM)
unter dem Vorstandsvorsitz des Staatspräsidenten Kenneth Kaunda zum größten
Unternehmen Schwarzafrikas geworden – durch die Verstaatlichung ausländischer
Bergbauunternehmen, die gegen Entschädigungszahlungen vorgenommen wur-
de. Da es der jungen Nation an erfahrenen eigenen Professionals und Managern
fehlte, gerieten die sambischen Bergwerke rasch in die Insolvenz. Im Rahmen der
bald darauf fälligen Privatisierungen erwarb das australische Bergbauunterneh-
men Equinox Minerals einige Minen, später kamen chinesische und kanadische
Firmen und der größte Bergbaukonzern Kasachstans EurasianNatural Resources
hinzu, die sich auch den Kupferboom der Nullerjahre zunutze machen wollten.
Der Kupferpeis hatte sich von 2000 US$ pro Tonne im Jahr 2000 auf ca. 10.000
US$ pro Tonre im Jahr 2011 verfünffacht. So stieg die Kupferproduktion Sambias,
im Verbund mit der im benachbarten Zaire (DR Kongo), wieder an und machte
Sambia vorübergehend zu einem der am schnellsten wachsenden Rohstoffländern
der Welt. Dabei spielte der weltgrößte Rohstoffhändler Glencore (mit Sitz in der
Schweiz und einem Umsatz von 153 Mrd. € (2016)) eine aktive Rolle, der sich die
Besitzrechte an ergiebigen Kupferminen in Sambia und Katanga sichern konnte.
Dabei haben meistens private Mittelsmänner mit guten persönlichen Kontakten
zu Präsidenten und seinen Ministern (wie der Israeli Dan Gertler) eine dubiose
Rolle gespielt (Burgis 2017). Ermöglicht wurden bei diesen Geschäften Milliarden-
Gewinne für Glencore und Co., aber zur Diversifizierung der sambischen Wirt-
schaft ist es nicht gekommen: Auch nach fünfzig Jahren Unabhängigkeit machen
die NE-Metalle noch immer 74 % der Exporteinnahmen des Landes aus (2016), mit
der Folge, dass die Masse der Bevölkerung eines an natürlichen Ressourcen sehr
reichen Landes wirtschaftlich arm geblieben ist: 60 % der Bevölkerung leben heute
(im Jahr 2016) unter der Armutsgrenze. (Siehe auch Martin Vetterli https://www.
237
238 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
beobachter.ch./wirtschaft/bodenscätze-wie-glencore-afrika-ausnimmt,16.07.2012,
abgerufen am 11.01.2018).
Bemerkenswert ist der Befund, dass ressourcenarme Länder in Afrika südlich
der Sahara in den vergangenen drei Jahrzehnten um durchschnittlich zwei bis
drei Prozent stärker gewachsen sind als die zwölf größten erdölexportierenden
Länder, nämlich: Angola, Kamerun, Tschad, Kongo (Zaire), Republik Kongo,
Elfenbeinküste, Äquatorial-Guinea, Gabun, Nigeria, Südafrika, Sudan und Süd-
Sudan (Buchberger 2012). Aggressive Steuervermeidung ausländischer Konzerne
ist dafür eine Erklärung. Außerdem geht in klassischen Rohstoffexportländern
(Rentier-Staaten) der Anbau von Nahrungsmitteln zur eigenen Versorgung der
Bevölkerung zurück, weil eine rentseeking society alle Energien zur Optimierung
der Renten-Einkommen verausgabt. Hohe Deviseneinnahmen unterminieren
die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu diversifizieren, die Infrastruktur auszu-
bauen oder Arbeitsplätze außerhalb des Rohstoffsektors zu schaffen (siehe oben
Kapitel 2.9).
Auch die Plantagenwirtschaft, die bis heute noch von ausländischen Investoren
und Vermarktungsgesellschaften geprägt ist, hat es nicht vermocht, das paradox
of plenty aufzulösen und der Mehrheit der Bevölkerung afrikanischer Agrarstaa-
ten ein besseres Leben zu ermöglichen. Während einige wenige Arbeiter und
Angestellte bei den großen Nahrungsmittelkonzernen dauerhafte Beschäftigung
fanden, wurden ansässige Bodenbewirtschafter durch die Expansion der Agrar-
konzerne an den Rand gedrängt oder verloren gar ihr angestammtes Recht des
Anbaus von Feldfrüchten für den Eigenbedarf. So haben Umweltorganisationen
den französischen Michelin-Konzern, der Kautschuk-Plantagen in Nigeria, Côte
d’Ivoire, Ghana und Benin unterhält, vorgeworfen, bei der Ausdehnung seiner
Kautschuk-Plantagen (in der Edo-Provinz im Südwesten Nigerias) um 3500 Hektar
Ackerland die Nutzungsrechte der 20.000 dort lebenden Menschen ignoriert zu
haben. Insgesamt werden in Nigeria rund 300.000 Hektar Fläche für den Anbau
von Kautschuk genutzt, – eine Fläche von der vierfachen Größe von Berlin. Auch in
der Côte d’Ivoire wurde die mit Kautschuk bepflanzte Agrarfläche (von ca. 100.000
Tonnen Produktionsleistung im Jahr 2000) mehr als verdreifacht – ebenfalls auf
Kosten einheimischer Subsistenz-Bauern. So kam Torsten Dennin zu dem Fazit:
„Kautschuk ist zwar für die jeweiligen Länder eine wichtige Quelle für Devisen
einnahmen, doch ist kritisch anzumerken, dass für diese Flächen zugunsten
großer Monokulturen natürliche Bepflanzungen gerodet werden müssen und
diese Flächen auch nicht für die Produktion von Lebensmitteln zur Verfügung
stehen“ (Dennin 20013, S. 240).
Die politischen Auswirkungen der Mega-Investitionen ausländischer Agro-Un-
ternehmen und Rohstoffkonzerne auf die jeweilige afrikanische Regierung, die mit
11.2 Schattenseiten des Rohstoff-Booms 239
239
240 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Botsuana – aufgezeigt werden, wie der Mythos vom ‚Fluch der Rohstoffe‘ entstehen
konnte.
„In Gabun ist es nach der Verkündung des vorläufigen Endergebnisses der Präsi-
dentenwahl zu schweren Krawallen zwischen Anhängern der beiden Spitzenkan-
didaten Ali Bongo Ondimba und Jean Ping gekommen. Dabei sollen nach ersten
Informationen zwei Menschen ums Leben gekommen sein, als die Präsidentengarde
am Mittwochabend das Hauptquartier der Opposition stürmte. Zuvor hatten Un-
bekannte das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Libreville in Brand gesteckt.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, mahnte beide Seiten
am Donnerstag zur Mäßigung. Amtsinhaber Alo Bongo Ondimba war am Mitt-
wochabend von der nationalen Wahlkommission mit hauchdünnem Vorsprung
zum vorläufigen Sieger erklärt worden. Auf ihn entfielen nach offiziellen Angaben
11.3 Der Erdölstaat Gabun – einneokolonialer Rentierstaat 241
49,8 Prozent der Stimmen. Sein Gegner Jean Ping erzielte demnach 48,23 Prozent.
Ping hatte schon vorab angekündigt, das Ergebnis aufgrund angeblich massiver Fäl-
schungen nicht anzuerkennen. Die Wahlbeobachter der Europäischen Union hatten
von zahlreichen Unregelmäßigkeiten beim Auszählen der Stimmen berichtet und
gefordert, dass die Ergebnisse aller 2500 Wahlbüros veröffentlicht würden. Dieser
Forderung schlossen sich am Donnerstag die Wahlbeobachter der Afrikanischen
Union sowie des amerikanischen Außenministeriums an. Die ehemalige Kolonial-
macht Frankreich zeigte sich ‚sehr besorgt‘ über die Krawalle in Libreville und der
zweitgrößten Stadt Port-Gentil.“
„Auf den ersten Blick verwundert dieser Gewaltausbruch, weil Gabun mit seinen
1,7 Millionen Einwohnern lange Zeit als Hort der Stabilität galt. Das kleine Land ist
dank seiner großen Ölvorkommen vergleichsweise wohlhabend. Gleichzeitig aber
trifft auf kein anderes Land der Begriff der ‚Francafrique‘ so zu wie auf Gabun. ‚La
Francafrique‘, das ist die Kungelei zwischen Paris und seinen ehemaligen Kolonien in
Afrika, die schwarzen Autokraten politische Rückendeckung gewährt im Austausch
für lukrative Aufträge für französische Konzerne. Aus Sicht der Opposition in Ländern
wie Côte d’Ivoire, Tschad, Togo, Kamerun oder eben Gabun ist diese Patronage der
maßgebliche Grund dafür, dass demokratische Reformen auf der Stelle treten (siehe
auch Mbembe 2010, S. 58).
42 Jahre lang – von 1967 bis zu seinem Tod 2009 – regierte der Vater des jetzigen
Präsidenten, Omar Bongo, Gabun mit Hilfe des staatlichen französischen Erdölkon-
zerns Elf Aquitaine. Weil Geld im Überfluss vorhanden war, mussten Oppositionelle
in Gabun allerdings nie um ihr Leben fürchten. Bongo pflegte seine Gegner zu kaufen.
Als Omar Bongo 2009 im Amt verstarb, trat sein Sohn Ali Bongo Ondimba wie selbst-
verständlich die Thronfolge an. Das Wahlergebnis war vermutlich gefälscht. Doch
die Proteste fielen schon deshalb nicht allzu forsch aus, weil niemand den relativen
Wohlstand gegen bürgerkriegsähnliche Verhältnisse eintauschen mochte. Dass die
Quelle dieses Wohlstands, das Öl, einige Jahre später ursächlich für die größte Krise
in der Geschichte des Landes sein würde, ahnte damals niemand. Ende 2014 fiel der
Preis für ein Fass Rohöl von knapp 120 Dollar auf 45 Dollar. Das Bruttosozialprodukt
des nahezu vollständig vom Rohöl abhängigen Gabun halbierte sich. In Port-Gentil,
dem Wirtschaftszentrum des Landes, ergriffen die Ölkonzerne und deren Zulieferer
drastische Sparmaßnahmen. Der amerikanische Konzern Halliburton stellte sein
Engagement in Gabun komplett ein. Mehr als 4000 Arbeitsplätze gingen allein in
Port-Gentil innerhalb weniger Monate verloren. Dabei ernährt jeder feste Job in
Schwarzafrika im Schnitt zehn Familienmitglieder, womit aus den 4000 verloren-
gegangenen Arbeitsplätzen 40.000 betroffene Menschen wurden. Das ist knapp die
Hälfte der Einwohnerschaft von Port-Gentil.
Dabei hatte Ali Bongo Ondimba schon länger vor der Abhängigkeit vom Öl gewarnt
und sich ernsthaft um eine Diversifizierung der heimischen Industrie bemüht. Die
Auslandsinvestitionen jenseits der Ölindustrie sind nach Angaben der Weltbank
seit seinem Amtsantritt um 66 % gestiegen. Doch das ist ein Tropfen auf dem hei-
ßen Stein im Vergleich zu den Steuerzahlungen der Ölindustrie. Der Anteil dieser
241
242 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Somit ist Gabun geradezu ein Lehrstück für die externe Verwundbarkeit ei-
ner Renten-Ökonomie. Infolge der abstürzenden Erdölpreise und der damit
verbundenen politischen Turbulenzen im Lande verringerte sich das Renten-
einkommen des Staates und damit auch das Pro-Kopf-Einkommen von 9956
US-$ (2014) auf 7741 US-$ im Jahr 2016. Die für Oktober 2016 vorgesehenen
Parlamentswahlen wurden mit der Begründung, dem Staatshaushalt fehle es an
Geld, auf Juli 2017 verschoben (Der neue Fischer-Weltalmanach 2018, S. 171). Um
11.4 Nigeria – Turbulente Geschichte eines Erdöl-Staates 243
die Abhängigkeit des Landes von einem Rohstoff zu überwinden, hat sich die
Regierung auf Verhandlungen mit Rohstoff-Konzernen aus China und anderen
Ländern eingelassen. Zum Beispiel hat der in Singapur gelistete Agro-Konzern
Olam International einen Pachtvertrag über 300.000 Hektar abgeschlossen,
um dort Palmöl anbauen zu können – unter anderem für die Verwendung als
Bio-Treibstoff (Dennin 2013, S. 247).
Nigeria gilt als das klassische afrikanische Beispiel für den sogenannten Ressour-
cen-Fluch, mehr noch als Angola und DR Kongo/Zaire, – die drei Rohstoffgiganten
Afrikas. Der unverhoffte, sehr große Ölreichtum hat die Bevölkerung gespalten,
in eine winzige Minderheit von Profiteuren, die sich über die Besetzung von
Staatsämtern mit allen legalen und illegalen Mitteln die Rohstoff-Rente aneignet
(Alberts 2013, S. 228f.), und in eine Mehrheit, die im Verlaufe von fünf Dekaden
durchschnittlich ärmer geworden ist – ärmer als am Ende der Kolonialzeit. Worin
liegen die Ursachen für diese Fehlentwicklung?
Mit 923 768 km² ist Nigeria eines der großen Flächenstaaten Afrikas. Zu Beginn
des 20. Jahrhunderts hatten in dem Gebiet des heutigen Nigeria schätzungsweise
erst 15 bis 16 Millionen Menschen gelebt – heute sind es mehr als zehnmal so
viele: 186 Mio. (im Jahr 2016). Die Bevölkerung setzt sich aus rund 430 Ethnien
mit unterschiedlichen Kulturen und Glaubensbekenntnissen zusammen. Nigerias
Markenzeichen ist seine große völkische Pluralität und kulturelle Vilefalt. Seit
der Kolonialzeit bestimmt eine grobe Dreigliederung der Territorien und Völker
das Schicksal des Landes, die künstlich und gewaltsam in einen Bundesstaat
gepresst wurden: Im Norden dominieren die Hausa/Fulani (ca. 21 % der Ge-
samtbevölkerung) und andere hamitische Ethnien wie die Kanuri und Tuareg;
im Südwesten des Staates dominieren die Yoruba (ca. 21 %) und im Südosten die
Igbo und Ibibio (zusammen ca. 21 %). Die restlichen 37 % der Nigerianer setzen
sich aus einer Vielzahl kleinerer Ethnien im Middle Belt (mit Bauchi und Jos als
243
244 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Hinsicht sträflich vernachlässigt worden ist. Darin ist eine Ursache der Entstehung
einer der brutalsten Terrororganisationen Afrikas zu sehen: der islamistischen
Sekte Boko Haram (Smith 2015, Sändig 2016). Ihr Gründer und Anführer war
ein mittellos gewordener Theologiestudent. Weltweite Aufmerksamkeit erregte
Boko Haram (es bedeutet: ‚Westliche Bildung ist Sünde‘) durch die Entführung
der 270 Schulmädchen von Chibok im Jahr 2014. Chibok ist zu einer Chiffre für
die unglaubliche Brutalität geworden, mit der diese Sekte eine ganze Region
destabilisiert hat, ferner zu einer Chiffre für die fassungslos machende Inkom-
petenz der nigerianischen Sicherheitskräfte, die ihr Versagen bei der Befreiung
der Geiseln von Chibok zu vertuschen suchten. Dabei hat Nigeria nominell eine
Streitmacht von ca. 90.000 Soldaten, die aber schlecht ausgerüstet und wenig
motiviert sind, ihren Offizieren zu gehorchen, deren Bestechlichkeit landesweit
bekannt ist (Sändig 2016, S. 34). Von 2009 bis Anfang 2016 sollen insgesamt 17.000
Menschen dem Terror von Boko Haram zum Opfer gefallen sein, und ein Ende
dieses islamistischen Dschihads gegen den nigerianischen Zentralstaat und gegen
Andersgläubige ist nicht abzusehen.
Die folgende Analyse soll zeigen, dass der ‚Fluch der Rohstoffe‘ nicht etwa vom
Himmel fällt oder aus der Hölle aufsteigt, sondern von Menschen fabriziert wird.
Wenn er aber einmal eine Gesellschaft ergriffen hat, dann scheint es sehr schwer
zu sein, sich von ihm wieder zu befreien.
Den ersten Putsch von Armee-Offizieren erlebte das Land schon im Jahr 1966;
angeblich zielten die Putschisten darauf ab, die bereits grassierende Korruption
in der Staatsklasse zu beenden. So wurden Sir Ahmadu Bello, der Herrscher (mit
dem Titel Sardauna von Sokoto) und gleichzeitig Premier der Nordregierung,
sowie führende Politiker der Westregion (Chief Akintola und Premier Tafawa
Balewa) umgebracht. Die Putschisten scheiterten jedoch bald, und General Ironsi,
ein Igbo, übernahm die Macht, was wiederum im Norden zur Vertreibung und
zu Massakern an den dort Handel treibenden Igbo führte. Ironsi provozierte mit
einem Dekret, das die Abschaffung der Bundesverfassung vorsah, was die Ängste
der Bevölkerung im Norden vergrößerte, bei der Verteilung von Staatsämtern und
Staatseinnahmen von den beiden Süd-Ethnien (Igbos und Yoruba) ausgeschlossen
zu werden. Daraufhin erklärte der Militär-Gouverneur der Ost-Region, der in
Großbritannien ausgebildete Armeeoffizier Lieutenant Colonel Emeka Ojukwu,
der Sohn eines reichen Ibo-Geschäftsmannes, im Mai 1967 die Unabhängigkeit
seiner Region und nannte den neuen ‚Staat‘ Biafra. Er porträtierte sein Land als
245
246 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
„eine Nation, die vom Genozid bedroht“ wäre und mobilisierte im westlichen Aus-
land durch geschickte Propaganda starke politische und materielle Unterstützung
(einschließlich einer Luftbrücke), die es ihm ermöglichte, seinen aussichtslosen
Kampf noch ein Jahr bis zur Kapitulation weiterzuführen – zu Lasten einer hun-
gernden verzweifelten Bevölkerung. Im Januar 1970 floh Ojukwu ins Ausland
und hinterließ einen Scherbenhaufen: die Mehrheit der Nigerianer präferierte die
politische Einheit des Landes.
Nachdem der Bürgerkrieg um Biafra 1969 zu Ende gegangen war, wurde die
Erdölförderung endgültig zum dominanten Faktor von Politik und Wirtschaft
in Nigeria (Bergstresser 2010, Duruji 2012, Ellis 2016). Die Produktion von Erdöl
erreichte 1974 bereits 112 Mio. t (im Vergleich zu 20 Mio. t im Jahr 1966), womit
der Staatshaushalt zu 90 % vom Erdöl bestritten wurde. Das Land profitierte von
der Steigerung der Erdölpreise, die das Kartell der ölproduzierenden Staaten
(OPEC) im Oktober 1973 durchsetzen konnte: 14,69 US $ für einen Barrel Öl im
November 1973 war nahezu das Siebenfache des Preises vom November 1967. Die
1971 gegründete Nigerian National Petroleum Corporation löste die aus der Kolo-
nialzeit stammenden Marketing Boards bei der Finanzierung des Bundeshaushalts
ab. Im Zuge der Nationalisierung fast aller Industriebetriebe wurden dem nige-
rianischen Privatkapital profitable Anlagemöglichkeiten geboten, während die
Unternehmenspolitik weitgehend Sache des Auslandskapitals blieb. Korruption
und Misswirtschaft blühten unter der Militärregierung Gowon wie ehedem unter
den politischen Parteien, die inzwischen verboten worden waren.
Gigantisches Ausmaß erreichte der Zementskandal in den 1970er Jahren: Weil alle
Minister (Generäle) bei der Bestellung von Zement im Ausland eine außerlegale
Provision (meist von 10 % des Import-Wertes) kassieren wollten (vor allem die Leiter
des Verteidigungsministeriums), gaben sie überdimensionierte Mengen in Auftrag,
mit der Folge, dass die Häfen des Landes von Schiffen, voll beladen mit Zement, so
verstopft waren, dass der Außenhandel im Jahr 1975 zusammenbrach. Der Zement
war nach einigen Monaten Liegezeit vor der Küste unbrauchbar und es dauerte Jah-
re, „bis die Regierung die finanziellen und rechtlichen Folgen aufgearbeitet hatte“
(Schicho 2001, S. 90).
„Trotz einer Öl-Bonanza von 280 Mrd. US $ war die Wirtschaft total heruntergekom-
men; öffentliche Dienstleistungen waren chronisch marode; Schulen und Krankenhäu-
ser befanden sich im Zustand des Zerfalls; höhere Bildung war praktisch kollabiert;
Straßen waren mit Schlaglöchern übersät; das Telefonsystem funktionierte kaum.
Es gab häufig Stromausfall; sogar Ausfälle bei häuslicher Versorgung mit Petroleum.
Im Durchschnitt waren Nigerianer im Jahr 2000 ärmer als sie es zu Beginn der Erd-
ölbooms gewesen waren. Das Einkommen pro Kopf war weniger als ein Drittel von
dem im Jahr 1980. Die Hälfte der Bevölkerung lebte von 30 Cent am Tag, zentrale
Einrichtungen wie die Beamtenschaft verschlangen gewaltige Summen Geldes, aber
funktionierten kaum, Veruntreuung und Bestechung waren weit verbreitet… Große
Summen waren für Prestige-Projekte ausgegeben worden. Nicht weniger als 8 Mrd.
US $ waren für die Errichtung eines Stahlwerk-Komplexes bei Ajaokuta ausgegeben
worden, ohne dass je eine Tonne Stahl produziert worden wäre. Milliarden von
Dollars sind für den Bau einer ultra-modernen Hauptstadt Abuja versenkt worden…
Noch stärker ins Gewicht fielen die gewaltigen Summen, die von der Korruption
verschluckt wurden. Die Gier von Abacha überstieg die all seiner Vorgänger. Es
wurde geschätzt, dass er mehr als 4 Mrd. US $ stahl, indem er das Geld direkt aus
der Zentralbank nahm, oder auf dem Wege von Regierungsaufträgen kassierte oder
durch Betrug, indem er beispielsweise den ‚Petroleum Trust Fund‘ widerrechtlich
anzapfte“ (Meredith 2005, S. 580-581).
247
248 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Mit Hilfe der von dem Politologen Ulf Engel (Universität Leipzig) angewandten
Methode der Strategischen Konflikt-Analyse (SKA), die auf einem von der British
Department for International Development (DfID) entwickelten Konzept beruht,
soll der hoch komplexe Ressourcenkonflikt im nigerianischen Nigerdelta in aller
Kürze nachgezeichnet werden. Dieser Ansatz verbindet Erkenntnisse über (mate-
rielle sowie kulturelle) Ressourcen eines Akteurs mit der Art seiner Handlungs-
strategien. Dabei werden zwei Narrative verfolgt: Das eine handelt von Gewalt als
Folge von Öl-Reichtum (oil violence), und das andere Narrativ handelt von „eth-
nischen Konflikten“. Engel argumentiert, dass in Nigeria eine komplexe „Kultur
des gewaltförmigen Konflikts“ entstanden sei, der heute politische, wirtschaftliche,
ethnische, kulturelle, geographische, ökologische und militärische Dimensionen
umfassen würde. Zentrale Ursachen seien: die militärische Unterdrückung der
lokalen Proteste von Bürgerwehren gegen Umweltzerstörung; das Bestreben nach
autonomer Ressourcenkontrolle seitens der betroffenen Ölförderungs-Gemeinden;
der ethnische Chauvinismus einiger im Niger-Delta lebenden Völker und die
Rivalität zwischen größeren und kleineren ethnischen Gruppen einer Region bei
der ‚gerechten‘ Verteilung von Schadenersatz-Zahlungen.
Beim Conflict Mapping stechen als erste die internationalen Erdöl-Konzerne
hervor: Ganz oben steht British Shell, die seit den 1930ern im Golf von Guinea Erdöl
und Erdgas prospektiert, gefolgt von Royal Dutch/Shell mit ihrem Fördermonopol
bis 1965. Im Jahr 1971 kam die Nigerian National Petrol Corporation (NNPC) hinzu,
die seitdem zahlreiche weitere Konzessionen an Elf (Frankreich), AGIP (Italien),
Chevron (USA) und andere Interessenten vergeben hat. Seit den 1970er Jahren
haben die USA eine „strategische Partnerschaft“ mit Nigeria entwickelt, bei der
11.4 Nigeria – Turbulente Geschichte eines Erdöl-Staates 249
es um drei Hauptziele geht: (1) Reduktion der Abhängigkeit der USA von Erdöl
aus der unsicheren Nahost-Region; (2) militärische Absicherung der Lieferquellen
durch Aufrüstung Nigerias und Aufbau von AFRICOM (Africa Command, das
dem Pentagon untersteht); (3) Eindämmung des Einflusses der VR China, die ihr
Handelsvolumen mit Nigeria von 2,3 Mrd. US$ in 2007 auf „wenigstens 7,5 Mrd.
US$ in 2010“ erhöhte (Raphael & Stokes 2011, S. 912).
An zweiter Stelle der Konfliktanalyse rangieren die nigerianischen Bundes- und
Landesbehörden, deren Strategie in der Maximierung der Erdölrenten besteht – auf
Kosten der lokalen Bevölkerungen in den Fördergebieten, die den dritten Akteur
bilden. Dieser ist primär wegen der ökologischen Schäden besorgt und kämpft für
Schadensbegrenzung und Kompensationszahlungen. Und viertens treten lokale
Organisationen wie ethnische Minderheiten, studentische Geheimbünde und Ju-
gend-Gangs als gewaltbereite Akteure auf, die einen Ausweg aus einer hoffnungslos
anmutenden Situation ihrer Marginalisierung suchen und sich nicht selten auf
Drogenschmuggel und Öldiebstahl spezialisieren (Ellis 2016, S. 150). Die organi-
sierte Kriminalität der Öl-Diebe hat solche Ausmaße erreicht, dass dem Land und
den Konzernen großer materieller Schaden entstanden ist und weiterhin entsteht.
So gab die Shell Petroleum Development Company im Jahr 2004 bekannt, dass sie
täglich 40.000 Fass Öl durch Diebstahl verlieren würde; denn ihre mehr als 1000
Erdöl-Quellen und 6.200 km langen Ölleitungen in Nigeria seien eine leichte Beute
für lokale Diebe. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2016 verlor Shell 250.000
bis 300.000 bpd (barrel per day), „was sich bei einem Preis von 45 US$ pro Fass
auf 3 Mrd. US$ beläuft“ (Africa Confidential vom 23.9.2016, S. 3). Die stärksten
Verluste kommen dadurch zustande, dass organisierte Öl-Diebe auch die Unter-
wasserleitungen der Öl-Multis zu attackieren gelernt haben. Jeden Tag würden
„etwa 232.000 Fass Öl auf diesem Weg verschwinden, was den Staat jährlich 6,7
Milliarden Dollar an entgangenen Einnahmen kosten würde: 232.000 Fass Öl von
einer Tagesproduktion von ca. 2 Millionen Fass“ (Ellis 2016, S. 151), d. h. mehr als
ein Zehntel der täglichen Fördermenge von Shell wird gestohlen.
Die Methode des conflict mappings ist auch geeignet, das Phänomen des oil
violence genauer zu analysieren. Im Nigerdelta fand 1990 eine friedliche De-
monstration der Etche Local Government Authority im Bundesstaat River State
(bei Port Harcourt) statt, die gegen die Verschmutzung ihres Landstrichs durch
Ölkonzerne protestierte. Die besorgte Shell Petroleum Development Company rief
daraufhin zu ihrem Schutz para-militärische Polizeikräfte herbei, die einige 80
unbewaffnete Demonstranten erschossen und 495 Häuser zerstörten. Eine andere
ethnische Protestbewegung gegen das ruinöse Ölgeschäft startete im selben Jahr
seitens der kleinen ethnischen Minderheit der Ogoni: the Movement for the Sur-
vival of the Ogoni People (MOSOP). Ihr Sprecher Ken Saro-Wiwa verfasste eine
249
250 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Ogoni Bill of Rights, die auch von lokalen Häuptlingen gebilligt worden war und
in der „ein gerechter Anteil an dem Ölreichtum“, der auf ihrem Land entstand,
gefordert wurde. Man erwartete 6 Mrd. US $ als Beteiligungsgewinn und weitere
4 Mrd. US $ als Kompensation für schwere ökologische Schäden als Folge der
Erdölförderung (Engel 2005, S. 196-197). Da keine angemessene Reaktion der
angesprochenen Politiker erfolgte, gingen nun auch die Ogoni und andere Ethnien
wie die Ijaw zum gewaltsamen Widerstand über, plünderten und kidnappten Mit-
arbeiter der Ölgesellschaft. Daraufhin ließ die Militärregierung unter Präsident
Sani Abacha den Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa, den charismatischen Führer des
Ogoni-Volkes, und acht seiner Mitangeklagten im November 1995 verhaften und
trotz weltweiter Proteste im Gefängnis ermorden. „Der Hinrichtung folgte ein
weltweiter Boykott Nigerias. Der Commonwealth und die EU froren ihre Bezie-
hungen bzw. Entwicklungshilfeleistungen ein, aber die Rücksicht auf laufende
Geschäfte ließ den Diskurs um die Verletzung der Menschenrechte bald wieder
sehr durchscheinend werden: Shell machte Geschäfte und brauchte dazu keine
weiße Weste“ (Schicho 2001, S. 99). Immerhin zog es die Direktion von Shell bald
danach vor, das Ölgeschäft im aufgewühlten Ogoni-Land erst einmal einzustellen:
die Verluste, die auch durch illegales Anzapfen der Erdölleitungen (‚das Bunkern‘)
entstanden waren, schlugen zu Buch; man verlagerte die Ölförderung nun vor
die Küste, off-shore.
Mit dem US-amerikanischen Präsidenten Barak Obama wurde während eines
Staatsbesuchs Buharis im März 2016 eine enge Kooperation in der Terrorbekämp-
fung vereinbart, u. a. durch US-amerikanische Militärausbilder und Unterstützung
eines regionalen Sicherheitskonzepts unter Einbeziehung der westafrikanischen
Nachbarstaaten. Aber schon im Juli 2016 verübten wieder mehrere neu gegründete
gewaltbereite örtliche Milizen Sprengstoffanschläge auf Erdölförderanalagen
des Chevron-Konzerns und der nigerianischen Ölgesellschaften; und im Mai
2017 kündigte eine New Delta Avengers einen „Erdölkrieg“ an (Der neue Fischer
Weltalmanach 2018, S. 336). Als Ergebnis der strategischen Konfliktanalyse
von Ulf Engel kann festgehalten werden, dass in Nigerias Ölfördergebieten eine
„öffentliche Kultur der Gewalt“ entstanden ist, die sich tief in den Repertoires
von kollektiven Optionen (choices) und von Überwindung von Hindernissen
(constraints) verwurzelt hat: Gewalt sei „für viele Akteure zu einem legitimen,
sprich erfolgreichen Mittel zur Interessendurchsetzung geworden“ (Engel 2005,
S. 214; siehe auch de Oliveira 2006, S. 83). Dazu zählte auch die „organisierte
Staatskriminalität“ (Ellis 2016, S. 217).
Als Staatspräsident Goodluck Jonathan im Mai 2015 abgewählt wurde, dessen
Patronage-Staat als die Inkarnation von Staatsversagen in Sicherheitsfragen, von
wirtschaftspolitischer Inkompetenz und von Grand Corruption gelten konnte, hin-
11.4 Nigeria – Turbulente Geschichte eines Erdöl-Staates 251
terließ er ein Haushaltsdefizit von 15 Mrd. US-Dollar (auch infolge des Verfalls der
Weltmarktpreise für Erdöl um 70 % seit Mitte 2014) und eine politisch destabili-
sierte Nord-Region, in der Boko Haram fast täglich Attentate, Geiselnahmen und
Selbstmordattacken unternehmen konnte. Jonathan, ein Mann aus dem Niger-De-
lta, wurde von einem Oppositionsbündnis namens All Progressive Congress unter
Führung von Muhammadu Buhari abgelöst – einem Ex-General und bekennenden
Muslim aus dem Norden. Als eine seiner ersten Amtshandlungen entließ er 93
Botschafter, die mutmaßlich durch Begünstigung ins Amt gekommen waren, und
ebenso den Chef der staatlichen Erdölgesellschaft (NNPC). Buhari warf der Regie-
rung seines Vorgängers die Veruntreuung von Staatsvermögen in Höhe von rund
150 Mrd. US $ vor. Im November 2015 belastete eine Untersuchungskommission
Jonathans Rüstungsberater Dasuki mit dem Vorwurf, bei der Vergabe fiktiver
Rüstungsaufträge mutmaßlich 2 Mrd. US $ veruntreut zu haben. Laut Angaben
der Kommission habe er zudem über Zahlungsbefehle an die Notenbank rund
150 Mio. US $ u. a. auf Konten in den USA und Großbritannien verschoben. Bei
seiner Verhaftung machte Dasukis den Präsidenten verantwortlich, die kriminellen
Verträge gebilligt zu haben (Der neue Fischer Weltalmanach 2017, S. 330-332).
In den Zeiten hoher Erdölpreise waren keine finanziellen Rücklagen gebildet
worden. Als die Öl-Preise auf dem Weltmarkt stark fluktuierten und dann einbrachen,
wurden Ausgabenkürzungen und Preiserhöhungen (für Grundnahrungsmittel)
vorgenommen, die vor allem die armen Schichten des Volkes trafen. Auch wurden
leichtsinnigerweise hohe Kredite im Ausland aufgenommen, die Nigeria weiter in
die Verschuldungsspirale trieben: Während im Jahr 2000 die Verschuldung 24 Mrd.
US $ betragen hatte, waren die Schulden 2015 – trotz mehrfacher Umschuldungen
mit Hilfe von IWF und Weltbank – auf insgesamt 69,6 Mrd. US $ angewachsen
(des Hauptstadt-Territoriums Abuja plus der 36 Bundesstaaten; Bergstresser 2016).
Es sieht nicht so aus, dass The Present Darkness in Nigeria – um Stephen Ellis Buch-
titel aufzugreifen (Ellis 2016) – schon dem Ende zugehen würde. Die Bevölkerung
des an natürlichen Ressourcen so reichen Staates ist mehrheitlich arm geblieben;
genauer gesagt, durch Politikversagen in die soziale Armut getrieben worden. Dabei
haben sich bezüglich der Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen (Gesund-
heitsdienste, Schulen) große soziale Unterschiede in der Lebensqualität zwischen
urbanen und ländlichen Regionen entwickelt: Während 75 % der Nigerianer in den
Städten Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, sind es auf dem Land nur 45 %.
Während 60 % der Kinder in städtischen Gebieten eine Sekundarschule besuchen
können, sind es nur 36 % auf dem Lande. Die soziale und regionale Ungleichheit des
Landes als eine Hauptursache politischer Machtkämpfe spiegelt sich heute in folgen-
der Einkommens- bzw. Armutsstatistik, aufgeteilt nach den sechs geo-politischen
Zonen, wider: Die ölreiche South-South-Zone hat das höchste Brutto-Sozialprodukt
251
252 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
(BSP) pro Kopf von 3.617 US $, gefolgt von der North-West-Zone mit 1.899 US $,
der North-Central-Zone 1.320 US $ und der South-West-Zone mit 1.309 US $. Im
Nord-Osten (der Herkunftszone der terroristischen Boko-Haram-Sekte) beträgt
hingegen das BSP pro Kopf nur 343 US $ und im Süd-Osten sogar nur 292,2 US $.
(African Economic Outlook 2015, S. 184). Kann eine so zerrisene Nation friedlich
zusammenleben? Kann man überhaupt noch von einer Nation sprechen?
Das häufig zitierte, insofern klassische afrikanische Beispiel für die Widerlegung
der These vom Ressourcenfluch – die einen in der Geschichte wirkenden Determi-
nismus suggeriert – ist Botsuana, ein Binnenstaat im südlichen Afrika mit heute
2,3 Millionen Einwohnern. Erst 1966 unabhängig geworden, entwickelte sich das
koloniale Protektorat unter britischer Herrschaft mit Namen Bechuana-Land seit den
70er Jahren von einem der ärmsten Länder der Welt zum Land mit dem höchsten
Pro-Kopf-Einkommen Afrikas: 6510 US $ im Jahr 2016 (oder 16.380 PPP$). Rund
80 % der Bevölkerung Botsuanas wohnen in einem schmalen Streifen entlang der
Ostgrenze, der Rest besteht aus Wüste und Sümpfen. Vierfünftel der Einwohner sind
Bodenbewirtschafter (‚Bauern‘). Ethnisch gesehen, ist Botsuana relativ homogen:
Von den illegalen Immigranten aus Nachbarländern (geschätzt 20 % der heutigen
Bevölkerung) abgesehen, gehören 80 bis 90 % der Bevölkerung zum Volk der Tswana,
die auf acht ethnische Unter-Gruppen aufgeteilt sind. Daneben gibt es noch andere
Bantu-Gruppen, ferner etwa 15.000 Europäer und 40.000 bis 100.000 San bzw.
Koe (‚Buschmänner‘). Was die strukturellen Faktoren der Entwicklung betrifft, so
gehört das riesige Gebiet (582.000 km²) nicht zu den von der Natur und Geographie
begünstigten Ländern. Mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 416 mm
im Jahr gilt Botsuana als das zweittrockenste Land des südlichen Afrikas, nach
Namibia. Rund 84 % der Landfläche bestehen aus dem Sand der Kalahari-Wüste.
Reich ist Botsuana allerdings – außer an Kohle – an Diamanten-Vorkommen, die
im Jahr 1967 entdeckt wurden und seit Jahren ca. 70 % der Exporteinnahmen be-
streiten. Davor machten Vieh und Fleisch 78 % der gesamten Exporte des Landes
aus, die meist in die benachbarte Republik von Südafrika transportiert wurden, mit
der Botsuana als Juniorpartner eine enge Zoll- und Wirtschaftsunion eingegangen
war. Eigentümer der Herden waren Angehörige der Oberschicht (die Chiefs und
11.5 Botsuana – Ressourcen-Management statt ‚Ressourcenfluch‘ 253
ihr Gefolge): etwa 4 % der Bevölkerung besaßen 30 % des Rinderbestands, und die
Weißen (Kolonial-Europäer) besaßen 20 % des Bestandes.
Im Jahr 1966 erlangte das britisch geprägte Protektorat Bechuana-Land/Botsuana
seine Unabhängigkeit: Die Betchuanaland Democratic Party, BDP unter Führung
von Seretse Khama hatte die Landbevölkerung mobilisieren können und erreich-
te so bei den Parlamentswahlen 80 % der Stimmen, was gemäß des britischen
Verfassungsmodells 28 Sitze im 35-köpfigen Parlament ergab. Die radikalere
Oppositionspartei Bechuanaland People’s Party (BPP), die in ihrem Programm die
politische und wirtschaftliche Entmachtung der traditionellen Oberschicht forderte,
erzielte hingegen nur 14 % der Stimmen (vor allem in den Städten). Der Wahlsieger
Seretse Khama wurde – nicht zuletzt wegen seiner patriotischen Gesinnung und
seiner pragmatischen Wirtschaftspolitik – bis zu seinem Tod im Jahr 1980 dreimal
wiedergewählt. Dieses politische Erfolgsmuster einer stabilen Hegemonie mittels
einer demokratisch gewählten Staatspartei (bei einer gleichzeitig bestehenden fast
chancenlosen Opposition) wiederholte sich bei allen folgenden elf Wahlen bis heute.
Für die Entwicklung Botsuanas ist die Persönlichkeit von Seretse Khama von
großer Bedeutung gewesen. Im Jahr 1921 geboren, Sohn eines Chiefs einer ein-
flussreichen Ethnie (Ngwato), heiratete er 1951 die Engländerin Ruth Williams,
was dem Thronerben der Ngwato den Verlust des Amtes und ein fünfjähriges
Aufenthaltsverbot in seiner Heimat und somit das Exil in England einbrachte.
Als er 1956 mit Frau und Kindern nach Bechuana-Land zurückkehrte, wurde er
stellvertretender Vorsitzender des Ngwato Tribal Advisory Council und bald die
Leitfigur der nationalen politischen Befreiungsbewegung seines Landes. 1962
gründete er die gemäßigte Bechuana Democratic Party (BDP), die das aus der
traditionellen Oberschicht hervorgegangene Bürgertum repräsentierte. Die Ableh-
nung der Apartheids-Regierung in Südafrika sicherte ihm die Unterstützung der
aufstrebenden neuen Elite und die Sympathien der einfachen Leute. Seretse Khama
„verband traditionelle Legitimität und die Unterstützung durch die Bauern mit
moderner Erziehung und modernem Lebensstil“ (Schicho 1999, S. 129). Seine drei
Nachfolger im Amt des Staatchefs – Sir Ketumile Masire (1980-1998), Festus Mogae
(1998-2008) und sein Sohn Ian Khama (seit 2008, 2014 wiedergewählt) – setzten im
Wesentlichen die umsichtige pragmatische Politik des Staatsgründers – mit einem
Wort good governance -fort. Die Gerichte des Landes arbeiten bis heute effektiv und
sind unabhängig; die Presse genießt im Allgemeinen eine bemerkenswerte Freiheit
(solange nicht der Staatspräsident kritisiert wird), und nach Ansicht des deutschen
Ex-Botschafters Volker Seitz ist Botsuana das einzige Land in Afrika, in dem noch
nie ein politischer Gegner im Gefängnis gesessen hat (Seitz 2016).
253
254 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Das Glanzstück der politischen Diplomatie Botsuanas ist das Verhandlungs- und
Vertragssystem zwischen dem botsuanischen Staat, der formal die Rechte auf
alle Bodenschätze beansprucht, und der südafrikanischen Minengesellschaft De
Beers, die lange Zeit der Familie Oppenheimer gehörte, die als Weltmarktführer
für Produktion und Vermarktung von Diamanten agierte. Schon 1967 überließ De
Beers dem botsuanischen Staat 15 % der Anteile am ersten Diamanten-Bergwerk
(Orapa), „was dem Staat unter Einschluss der Steuern und Lizenzgebühren in
den ersten Jahren etwa 52 % des Bruttogewinns einbrachte. Mitte der 70er Jahre
einigten sich die Partner dann auf eine Erhöhung des staatlichen Firmenanteils
auf 50 %, was den Gewinnanteil des Staates auf 65 bis 70 % steigerte, ohne dass
De Beers bei diesem Handel Schaden erwachsen wäre“ (Schicho 1999, S. 131). Ein
Joint Venture namens DEBSWANA (De Beers Botsuana Mining Company), das
beiden Partnern zu gleichen Teilen gehört, vermarktet heute den größten Teil der
Diamanten-Produktion von De Beers, – einem Unternehmen, das inzwischen
zu einer Tochter des global tätigen Anglo-American-Konzerns geworden ist. De
Beers produzierte im Jahr 2013 weltweit Diamanten von 27,9 Mio. Karat, wovon
der Löwenanteil aus den vier Diamanten-Minen Botsuanas stammte (20,2 Mio.
Karat). Dadurch bekamen Afrikaner erstmals Zugang zur Geschäftsleitung und
zum Aufsichtsrat des Weltkonzerns und konnten somit auch über Arbeiterlöhne
und Streikschlichtung mitbestimmen.
Der bisherige Höhepunkt dieser profitablen multi-nationalen Partnerschaft
ereignete sich im Jahr 2012, als sich der Konzern auf Drängen seines botsuani-
schen Partners bereit erklärte, die Konzernzentrale von London nach Gaborone
zu verlegen und dort auch die Weiterberarbeitung der Rohsteine vornehmen zu
lassen. De Beers lässt nun sein gesamtes Angebot an Rohdiamanten aus aller Welt
in Gaborone sortieren und vermarkten. Der genaue Verteilungsschlüssel der Ge-
winne zwischen De Beers und dem botsuanischen Staat wird als Staatsgeheimnis
behandelt, wird aber auf 25:75 zugunsten von Botsuana geschätzt (Mokhawa 2005,
S. 111). Ohne Zweifel ist die Abhängigkeit Botsuanas von seinen Rohstoffvorkommen
sehr hoch, stammen doch ca. 83 % seiner Gesamteinnahmen aus dem Export von
Diamanten (2015); aber der Staat ist dem ‚Ressourcen-Fluch‘ entgangen, was auch
daran abzulesen ist, dass die staatlichen Importe (2016: 6,1 Mrd. US$) niemals die
Export-Einnahmen (2016: 7,4 Mrd. US$) überstiegen.
Wie ist es zu erklären, dass Botsuana dem Fluch der Rohstoffe offenbar entkom-
men konnte? Haben die politischen Führer Botsuanas ihr Wunschziel diamonds
for development realisieren können? Zweifellos hat hier eine günstige Kombination
von endogenen und exogenen Faktoren den Ausschlag gegeben, wobei wohl eine
11.5 Botsuana – Ressourcen-Management statt ‚Ressourcenfluch‘ 255
255
256 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
gezahlt, in den so genannten Pula-Fund. Er wurde 1994 als ein Sovereign Wealth
Fund (SWF) gegründet, der die Santiago-Principles akzeptiert, die das Ergebnis
einer internationalen Übereinkunft über General Accepted Principles and Practices
for SWF sind. Er hat bis heute schätzungsweise 5,7 Mrd. US$ angehäuft, die in
ausländischer Währung angelegten Finanzreserven (z. B. in VW-Aktien) werden
auch schon mal für Ausgabenbedürfnisse in der Gegenwart verwendet, so z. B.
während der globalen Finanzkrise 2008 oder zur Einrichtung des Public Officers
Pension Fund (Sebudubudu & Bodilenyane 2015). Aber im großen Ganzen ist der
Eindruck entstanden, dass die Staatsbank die Gelder sorgfältig verwaltet und für
die Zeit nach dem Ende der Diamanten-Bonanza treuhänderisch für spätere Ge-
nerationen zur Verfügung hält.
Trotz der anhaltenden politischen Stabilität Botsuanas und seinen hohen
wirtschaftlichen Wachstumsraten ist das Land noch nicht ‚über dem Berg‘, wenn
darunter die strukturelle Transformation zu einem nachhaltigen und wettbewerbs-
fähigen Entwicklungsstaat verstanden wird. Problematisch ist nach wie vor, dass
im Bergbausektor nur etwa 5000 Menschen eine dauerhafte Arbeit fanden, was nur
5,6 % der Zahl aller Angestellten in privaten und para-staatlichen Betrieben und
Unternehmen entspricht (Motlhabane 2015, in Africa Yearbook, Botsuana, S. 6). Es
liegt offensichtlich an Faktoren wie Ausbildung und Motivation, dass in Botsuana
nur ca. 3.000 Diamanten-Schleifer einen festen Job gefunden haben, während im
indischen Surat – einer Stadt in einem Land ohne Diamantenvorkommen – bei-
nahe eine Million Diamanten-Schleifer am Werke sind (Motlhabane 2015, S. 13).
Es gibt Beobachter die meinen, dass die politische Korruption zu einem Teil der
politischen Kultur Botsuanas werden könnte (Good 1993, Schicho 1999, S. 134;
Motlhabane 2015, S. 12). Das wird im Zusammenhang mit der paternalistischen
Rolle des Staates und seiner Vielzahl von Parastatals gesehen, die für alle Bedürfnisse
der Gesellschaften eigene Versorgungsbetriebe geschaffen haben, ohne allerdings
das kompetente Personal dafür zu haben (Global Competitiveness Report 2015/2016,
zit. nach Motlhabane 2015, S. 15). Wie die 50 % der Bevölkerung, die heute im Ge-
nuss eines hohen Lebensstandards gekommen sind, diesen wird aufrechterhalten
können, ist eine berechtigte, aber heute nicht schlüssig zu beantwortende Frage.
Die strukturelle Transformation zu einem sich industrialisierenden Land, das
wirksam in internationale Wertschöpfungsketten von Global Players eingebunden
wäre (heute eine Voraussetzung für nachhaltigen Wirtschaftserfolg jenseits der
Rohstoff-Ökonomie), steht noch ganz in den Anfängen. Dazu müsste die große
Herausforderung der strukturellen Diversifikation der botsuanischen Volkswirt-
schaft in Angriff genommen werden, mit anderen Worten der Abschied von der
Fokussierung auf die Diamanten-Produktion (die ohnehin in 20 bis 30 Jahren
wegen der Erschöpfung der Vorkommen beendet sein wird). Notwendig wäre
11.6 Der internationale Kampf gegen ‚Blutdiamanten‘ 257
257
258 11 Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen?
Diskussion
259
Krieg und Frieden: Kriegsursachen
und Friedensbemühungen
12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
12
33 Jahre autoritär regiert hatte, ohne dass die Nachfolge geregelt war, ins politische
Chaos, – mit Militärputschen, viel „electoral violence“ und einem Bürgerkrieg,
der „auf eine Politik ethnischer Patronage, eines gegen Einwanderer gerichteten
Populismus und auf soziale Exklusion“ zurückzuführen war (Smidt 2017, S. 207).
Im Jahr 2016 hatte es 226 gewaltsame politische Konflikte auf der Welt gegeben,
darunter 18 Kriege und 20 ‚begrenzte Kriege‘ (nach dem vom Heidelberger Institut
für Internationale Konfliktforschung (HIIK) am 24.2.2017 herausgegebenem Con-
flict Barometer). Unter der Bezeichnung ‚begrenzter Krieg‘ wird ein Gewaltkonflikt
verstanden, bei dem es wiederholt und organisiert zum Einsatz organisierter Ge-
walt kommt, während es sich um einen ‚Krieg‘ dann handelt, wenn es zu einem
kontinuierlichen und systematischen Einsatz von Gewalt sowie nachhaltiger Zer-
störung kommt. Für den Zeitraum 1960 bis 2017 sind sieben Typen von ‚Kriegen‘
(und ‚begrenzten Kriegen‘) zu identifizieren (Nugent 2004, S. 204-259; Matthies
205; Zeleza 2008; Deegan 2009, S. 148-197; Falola & Njoku 2010):
1965), der Biafra-Krieg (1967-70) (in Nigeria) sowie der Jahrzehnte lange Kampf
gegen das südafrikanische Apartheidregime – um nur die wichtigsten Regional-
konflikte mit internationaler Verwicklung zu erwähnen – für Schlagzeilen in der
Weltpresse gesorgt (zu Namibia siehe Nujoma 2001, S. 251f.; allgemein zu Kriegen
und Aufstandsbewegungen siehe Boas & Dunn 2017). Zwischenstaatliche Kriege sind
indessen selten geworden; dazu gehören der äthiopisch-eritreische Krieg 1998-2000
(Matthies 2005) oder der ‚große Krieg in und um Zaire/DR Kongo 1996-2002, an
dem acht Nachbarstaaten beteiligt waren (Prunier 2009).
In der Kriegsursachen-Forschung gibt es seit langem eine Debatte darüber, ob
Kriege und begrenzte Kriege eher der materiellen Not der Bevölkerung (poverty)
oder eher ihrer Unterdrückung (grievance) geschuldet seien oder aber der Gier von
war lords und Führern ethnischer Milizen nach Macht, Prestige und schnellem
Reichtum (greed) (Sahm, Sapper & Weichsel 2002; Tetzlaff & Jakobeit 2005, S. 113-
115; Matthies 2005; Collier 2009; Falola & Njoku 2010). Dazu haben Paul Collier
und Anke Hoeffler einen wichtigen Beitrag geleistet, in dem sie auf die Bedeutung
von opportunities hingewiesen haben: Die schwache interne Sicherheitsarchitektur
des Staates und die Leichtigkeit des Aufwands, sich in den Besitz wertvoller (leicht
zu plündernder) Ressourcen zu bringen, würden einen Anreiz für begrenzte Kriege
darstellen. Die Anwendung politisierter Gewalt gegen Repräsentanten des Staates
außerhalb der großen Städte würde also einem rationalen Kalkül entsprechen
(Collier & Hoeffler 2002; Lock 2002; siehe auch Dennin 2013, S. 242).
Diese neuen Erscheinungen politisierter Gewalt hat die Konfliktforscherin
Mary Kaldor als new wars bezeichnet, – „neu“ deshalb, weil sich nicht so sehr die
Technologie des Krieges verändert hätte, sondern eher die soziale Basis von Kriegen:
„Die neuen Kriege sind ‚globalisierte Kriege‘. Sie gehen mit der Fragmentierung
und Dezentralisierung des Staates einher (Braml, Risse & Sandschneider 2010)“
(Kaldor 1999, S. 10). In ihrem umfassenden Sammelband zum Thema War and
Peace in Africa haben die nigerianischen Herausgeber Toyin Falola und Raphael
Chijioke Njoku angemerkt, dass bewaffnete Konflikte, Rebellionen, sezessionistische
Bewegungen und zivile Streitigkeiten, die seit der Zeit der Dekolonisation in Afrika
zu konstatieren waren, als Ausdruck der Massen verstanden werden können, durch
den sie ihre Enttäuschung sowohl über den einstigen Kolonialstaat als auch über
den ihm nachfolgenden postkolonialen Staat zum Ausdruck bringen wollten (zum
frankophonen Afrika siehe Mehler 2007, S. 200f.).
Nicht selten wachsen sich (lösbare) Verteilungskonflikte um Macht und Ressour-
cen zu (kaum noch friedlich regelbaren) Identitätskonflikten um Ethnizität und
Religion aus. Dieser Eskalationsmechanismus lag dem 50-jährigen Krieg zwischen
dem arabisch-islamischen Nordsudan und dem christlich-animistischem Südsudan
zugrunde. Bei der Zuteilung von Geld und Posten diskriminierte die Regierung
263
264 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
von Staatspräsident Gaafar Numeiri (1969-1985) permanent den Süden; und als
dann auch noch gewaltsam die Scharia-Gesetze eingeführt wurden (1983), kam es
zum zweiten Bürgerkrieg, der schließlich zur Abspaltung des Südens (2011) führte
(Tetzlaff 1998, Rottenburg 2002; Thielke 2006, Cockett 2010; Mamdani 2011).
Es ist nicht auszuschließen, dass es in Zukunft zu gewaltsam ausgetragenen Kon-
flikten, vielleicht sogar Kriegen, um die kostbarste Ressource geben wird – Wasser.
Flusswasser ist nicht nur in Afrika ein „regionaler Konfliktstoff mit weltweiter Be-
deutung“ (Barandat 1997). Vor allem spitzt sich seit Jahren der Verteilungskonflikt
um das Nilwasser zu, und zwar hauptsächlich zwischen Ägypten, Sudan, Äthiopien
und Südsudan. Im Kern geht es dabei um die Schwierigkeit, eine gerechte Verteilung
des knappen Guts zwischen den elf Ländern zu finden, die sich das Nilwasser teilen.
Von diesen Ländern liegen Eritrea, Tansania, Uganda, Südsudan, Burundi, Ruanda,
DR Kongo und Kenia im Süden und haben Wasserüberschuss, während Ägypten,
Sudan und Teile Äthiopiens im Norden liegen und (mit Ausnahme Äthiopiens, in
dem der Blaue Nil entspringt) akuten Wassermangel haben. Der Nil verbindet also
den Wasserüberschussbereich des Südens und des Ostens (der Blaue Nil speist zu
90 % den Weißen Nil) mit Ägypten und Sudan im trockenen Norden, der selbst
fast keine Wasserzufuhr durch Niederschäge hat (Mauser 2010, S. 77f.). Nachdem
Äthiopien in den vergangenen Jahren intensiv das Wasser des Blauen Nils auf seinem
Territorium staut, so dass sich die Wasserknappheit in Ägypten weiter verschärft
hat, haben ägyptische Präsidenten der Regierung in Addis Abeba gedroht, ihre
alten Rechte auf privilegierte Wasserentnahme notfalls militärisch durchzusetzen
(Leiseder 2016). Bevölkerungswachstum und Klimawandel verschärfen noch die
Knappheitsproblematik (Ibrahim & Ibrahim 2006; Welzer 2008).
Auch Afrika ist von militanten religiösen Konflikten nicht verschont geblieben.
Wo gilt noch das Tötungsverbot von Gläubigen, wie es in den Zehn Geboten der Bibel
und an einigen Stellen des Korans (‚Es sei kein Zwang in der Religion‘) verankert ist?
Die Lehrgebäude der Religionen haben offenkundig sowohl ein Eskalationspotenzial
für Gewalt als auch ein Potential für sozialen Frieden, wobei je nach den spezifischen
historischen Kontexten mal die eine, mal die andere Seite aktualisiert wird (Graf
2014). Im Jahr 2014 hat es weltweit nicht weniger als 32 „Gewaltkonflikte“ gegeben
(Globale Trends, 2015, S. 41), wobei religiöse Konflikte oder clashes of civilizations
(Huntington) eine prominente Rolle spielten. In den politisch instabilen Regionen
der Welt, in denen staatliche Autorität mehr und mehr verfällt und Gesellschaften
unter großer Armut und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen leiden, treten heute
verstärkt religiös verbrämte Gewaltorgien gegen ‚Ungläubige‘ („Religionskriege“)
in Erscheinung, d. h. kollektive Gewalthandlungen gegen Andere im Namen eines
‚einzig gültigen‘ religiösen Glaubensbekenntnisses. Dabei dienen sie oft nur als
Ventil für soziale Frustration. In Libyen und Ägypten, in Sudan und Südsudan,
265
266 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
in Somalia und Nigeria, und in mehr als acht Staaten Zentral- und Westafrikas
bekämpften sich Gläubige untereinander, Muslime gegen Muslime, Muslime gegen
Christen, Christen gegen Muslime und dschihadistische Gruppen in Zentral- und
Nordafrika (als Ableger der global wirksamen islamistischen Terrororganisationen
al Kaida und „IS“) gegen anders denkende Afrikaner (siehe die Fallstudien in Boas
& Dunn 2017; ferner Beumler 2017; Smidt 2017).
Gewaltsame Ressourcenkonflikte (wie die in der DR Kongo und im Sudan) füh-
ren auch zu einer Militarisierung der Zivilgesellschaft: Da sie der schwache Staat
nicht – schon gar nicht eine Kleptokratie – vor brutaler männlicher Kriegsgewalt
schützen kann, wird die Selbstverteidigung der Bürgerinnen und Bürger zu einer
Überlebensnotwendigkeit. Der Kongo-Experte David Van Reybrouck kam zu dem
Urteil: „Die ethnisch motivierte Gewalt in Ituri war kein Atavismus, kein primitiver
Reflex, sondern die logische Folge von Bodenknappheit in einer Kriegsökonomie,
die der Globalisierung diente – und in diesem Sinne eine Vorankündigung dessen,
was einem überbevölkerten Planeten noch bevorsteht. Der Kongo ist nicht in der Ge-
schichte zurückgeblieben – er ist der Geschichte voraus“ (Van Reybrouck 2012, S. 554).
„Sie hatten in den Guerillakriegen nicht nur für die politische Unabhängigkeit und
die Absetzung der rassistischen Siedlerregime ihr Leben riskiert. Darüber hinaus
kämpften sie für die Überwindung der häuslichen Gewalt, für mehr Egalität im
privaten und öffentlichen Leben, für eigene Landrechte und bessere Bildungs- und
Berufsperspektiven. Denn die beschränkten, von viktorianischen Frauenbildern
eingefärbten Hausfrauenrollen, die ihnen wohlwollende weiße Farmersfrauen und
betuliche Missionarinnen in Kursen zum Wollsockenstricken und Tischdeckenhäkeln
vorexerzierten und die sie mit mütterlicher Autorität aufoktroyieren wollten, lehnten
viele schwarze Frauen und Mädchen kategorisch ab. Mehrheitlich verstanden sie
sich – ähnlich wie ihre eigenen Groß- und Urgroßmütter – als landwirtschaftliche
Produzentinnen und als Versorgerinnen ihrer Familien. Als solche wollten sie ihre
267
268 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
Krieges (seit 1993) seien alle Kriegsgruppen beteiligt gewesen: die ethnischen Mili-
zen, die kongolesische Armee, die ehemaligen Kämpfer der Tutsi-Rebellen, die aus
Ruanda vertriebenen Hutu-Milizen sowie auch Blauhelm-Soldaten der Vereinten
Nationen. 700.000 Menschen waren als Flüchtlinge in Lagern untergekommen, wo
sie aber auch dort nicht vor Vergewaltigungen geschützt werden konnten (Augen-
zeugenberichte in Schaeffer 2012, S. 101f.). Was Frauen in Kriegsgebieten zusätzlich
bekümmert ist ihre Erfahrung, dass sie von ihrer jeweiligen Regierung keinerlei
Schutz erwarten können. Täter werden von ihren Vorgesetzten nicht gemeldet, und
Regierungsvertreter zeigen kein Interesse, den schweren Menschenrechtsverbrechen
an der Zivilbevölkerung Einhalt zu gebieten – aus Angst, dass sie im Ausland in
einem schlechten Licht erscheinen könnten.
269
270 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
velopment) und die UMA (L‘ Union du Maghreb arabe) zählen. Die Gründungsväter
und -mütter der AU orientierten sich am institutionellen Modell der Europäischen
Union, obwohl die institutionellen und politischen Voraussetzungen in beiden
Kulturräumen nicht vergleichbar waren. An der Spitze steht die Versammlung der
Union (Assembly of the Union), d. h. der Staats- und Regierungschefs der Mitglieds-
staaten, mit Sitz in Addis Abeba/Äthiopien. Sie treffen sich mindestens einmal im
Jahr, unter jährlich wechselndem Vorsitz. Es existiert auch ein pan-afrikanische
Parlament mit Sitz in Midrand/Südafrika, das sich aus 265 von den Parlamenten
der AU-Mitgliedstaaten gewählten Vertretern zusammensetzt und nur beratende
Funktionen hat. Die Umsetzung politischer Entscheidungen der Staats- und Re-
gierungschefs obliegt der politisch wichtigen Kommission der Afrikanischen Union
(Commission) mit Sitz in Addis Abeba. Die Judikative der AU ist der Afrikanischer
Gerichtshof für Menschenrechte (African Court of Justice and Human Rights) mit Sitz
in Arusha/Tansania. Anders als der Europäische Gesichtshof für Menschenrechte
sieht er keine Individualklagen vor, sondern erlaubt nur Mitgliedsstaaten Klage zu
erheben (Leininger 2012; Tetzlaff 2015).
Das wichtigste Organ der neuen afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur
(African Peace and Security Architecture, APSA) ist der Friedens- und Sicherheitsrat:
Peace and Security Council, PSC. Pro Subregion (Ost-, West-, Zentral-, Nord- und
Südafrika) werden von den Außenministern jeweils drei Vertreter gewählt. Für die
Auswahl kommen nur die Staaten in Frage, die einen Beitrag zu jüngeren Friedens-
missionen, ihren finanziellen Beitrag zur AU und zum Friedensfonds (Peace Fund)
geleistet haben (Debiel 2003). Eine African Standby Force (ASF) ist seit einigen Jahren
im Aufbau begriffen – eine Peacekeeping-Truppe mit militärischen, polizeilichen und
zivilen Kontingenten unter der direkten Leitung der AU. Fünf im Aufbau befindliche
regionale Standby Brigade Forces sollen von den regionalen Sicherheitsgemeinschaften
des Kontinents in Krisengebieten eingesetzt werden und so allmählich die Abhängig-
keit von den früheren Kolonialmächten Frankreich, England und Portugal reduzieren
helfen. Realisiert wurde von diesen Plänen kollektiver Sicherheit noch recht wenig.
Im Jahr 2016 beliefen sich die Militärausgaben ganz Afrikas auf 37,9 Mrd. US$,
was einen Anstieg seit 2006 um etwa 70 % bedeutete. Auf Nordafrika entfielen 18,7
Mrd. US$ und auf SSA 19,2 Mrd. US$. Zu den Ländern mit den höchsten Zuwachs-
raten zwischen 2006 und 2015 gehörten Gambia (380 %), R. Kongo (287 %), Ghana
(227 %), Libyen 225 % , Algerien (210 %), Namibia (200 %), Mali (185 %) und Sim-
babwe (184 %) (SIPRI Fact Sheet: Military Expenditures 2015, Stockholm 2016, S. 6).
Regionale wirtschaftliche Integration hat in weiten Teilen des Kontinents eine
in die Kolonialzeit zurückreichende Tradition.
12.3 Die Afrikanische Union 271
Parallel zur Debatte über die institutionelle Revitalisierung der OAU und ihrer
Ersetzung durch die effizientere AU bemühte sich eine Gruppe von 15 Staaten um
eine programmatische Neuausrichtung der afrikanischen Entwicklungs-Koopera-
tion. Eine „Neue Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung“ (New Partnership
for Africa’s Development, NEPAD) sollte ins Leben gerufen werden. Die Gruppe
wurde von den fünf politischen Schwergewichten der AU angeführt: nämlich den
Präsidenten von Südafrika (Thabo Mbeki), Nigeria (Olusegun Obasanjo), Algerien
(Abdelasis Bouteflika), Ägypten (Hosni Mubarak) und Senegal (Abdoulaye Wade).
Das übergeordnete Ziel von NEPAD war „die Schaffung und Förderung eines von
Afrika entworfenen, geführten und gestalteten Rahmens für beschleunigtes und
nachhaltiges Wachstum und Entwicklung des afrikanischen Kontinents“. Dies sei
„erreichbar durch signifikante Verbesserung im Management der nationalen Res-
271
272 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
sourcen und durch die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Afrikas auf globalen
Märkten. Die Förderung und Aufrechterhaltung von guter wirtschaftlicher und
korporativer Regierungsführung, ergänzt durch ‚good political governance‘“, seien
„notwendige Bestandteile zur Erreichung dieses Ziels“ (UN ECA 2014: „Summary
of NEPAD Action Plans“). Der Kernpunkt des NEPAD-Programms, das den neo-
liberalen Zielvorstellungen der Weltbank sehr nahe kam, war die Schaffung eines
African Peer Review Mechanism (APRM).
Der APRM ist eine Art Selbstüberprüfung der erbrachten Governance-Leistungen
auf freiwilliger Basis, um so der demütigenden Kritik seitens der International Finance
Organizations wie dem IWF, der Weltbank und der EU-Kommission in Zukunft
entgehen zu können (Grimm et al. 2009). Der Lackmus-Test für die Ernsthaftigkeit
der NEPAD-Architekten kam schon im Jahr 2002, als sich die neu gegründete AU
unter Leitung des südafrikanischen Präsidenten Tabor Mbeki weigerte, die ruinöse
Politik des Diktators von Simbabwe, Robert Mugabe, öffentlich zu kritisieren, des-
sen korrupter Regierungsapparat allen Gelöbnissen von ‚good governnance‘ und
‚rule of law‘ Hohn sprach. Auch danach führte die Praxis der NEPAD-Politik zu
Enttäuschungen; denn bis Januar 2011 waren erst dreißig afrikanische Staaten dem
APRM-Mechanismus beigetreten und nur 14 Regierungen waren bereit gewesen, sich
prüfen zu lassen (Leininger 2012, S. 77; ausführlicher dazu Peters 2016).
273
274 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
Nachbarländer Libyen und Algerien, wo sie Arbeit fanden oder sich als Soldaten
rekrutieren ließen.
Als Traorés Sozialismus-Experiment das Land in eine Sackgasse geführt hatte
– Rückgang der Wirtschaftsleistung bei steigender Auslandsverschuldung –, rebel-
lierten Schüler und Studenten, Gewerkschaftler und zivilgesellschaftliche Gruppen
gegen den Diktator. So wurde Moussa Traoré am 26. März 1991 von Militäroffizieren
abgesetzt und verhaftet. Bei seinem Sturz schrieb man dem Präsidenten ein Vermögen
von 1.000 Mrd. Francs CFA (20 Mrd. Französische Francs) zu, von denen, als ihm
1998 der Prozess gemacht wurde, nur noch 2 Mrd. zutage gefördert werden konnten
(Jeune Afrique vom 22.09.1998, S. 26, zit. in: Schicho 2001, S. 281). Dem Sturz des
Diktators war im Juli 1990 eine erneute Rebellion der Tuareg vorausgegangen, weil
deren Forderung, ihre Gebiete unter Selbstverwaltung zu stellen, unerfüllt geblieben
war. Tuareg-Gruppen griffen die malische Armee an, was dazu führte, dass erneut
Tausende von Tuareg nach Mauretanien, Algerien und Burkina Faso vertrieben
wurden. Schließlich kam es im algerischen Tamanrasset wieder einmal zu einem
Waffenstillstandsabkommen zwischen Staat und den Rebellen (1991). Es sah den
Rückzug der malischen Streitkräfte von einigen Stützpunkten im Norden vor sowie
die Verabschiedung eines Gesetzes, das für die Provinzen Timbuktu, Kidal und
Gao Autonomie gewähren sollte. Auch wirtschaftliche Konzessionen wurden in
Aussicht gestellt: 47,3 % der Gelder für das vierte nationale Investitionsprogramm
sollten für den Norden bereitgestellt werden (Humphreys & Ag Mohamed 2005,
S. 256, zit. in: Kétouré 2009, S. 103). Nachdem zwei Monate später Präsident Moussa
Traoré gestürzt und die Übergangsregierung unter Oberstleutnant Amadou Toumani
Touré installiert war, konnte mit den vier maßgeblichen Tuareg-Verbänden erneut
ein Pacte Nationale ausgehandelt werden, der den Nordregionen zum wiederholten
Male einen (unklar definierten) Sonderstatus zugestand. Außerdem wurde ver-
einbart, dass eine begrenzte Anzahl von Tuareg-Kriegern in die nationale Armee
eingegliedert werden sollte und dass Programme zur Reintegration der Flüchtlinge
implementiert werden sollten (nach Brüne 2005, S. 102-103).
Das Regime in Bamako setzte nur Weniges von den getroffenen Vereinbarungen
durch, so dass der Eskalationsmechanismus von gebrochenen Zusagen, Gegenwehr
der Geprellten und neuen Verträgen nicht zum Stillstand kam. Im März 1997 ge-
lobten mehrere Rebellenorganisationen ihre Auflösung und stimmten zu, dass in
einer Versöhnungsfeier in Timbuktu im Beisein des ECOWAS-Vorsitzenden Jerry
Rawlings, Ghanas Präsidenten, ihre Waffen symbolisch verbrannt wurden. Was aus
den nicht-integrierbaren Kombattanten geschehen sollte, blieb zunächst strittig,
zumal die Regierung deren Zahl auf ca. 1000 bezifferte, während die Mouvement et
Fronts unifiés de l’Azawad (MFUA) von 4.000, später sogar von 7.000 demobilisierten
Kämpfern sprach (Brüne 2005, S. 103). UNDP und andere internationale Geberorga-
12.4 Mali 275
275
276 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
277
278 12 Krieg und Frieden: Kriegsursachen und Friedensbemühungen
Als begrenzt sinnvoll sind die Bemühungen der in Afrika militärisch engagierten
NATO-Länder zu qualifizieren, den afrikanischen Regierungen der Region und
deren Counterinsurgency-Kräften dabei zu helfen, den islamistischen Terroristen
im Rahmen einer konzertierten Strategie des Regional Security Complex entgegen-
zutreten (Näheres dazu bei Beumler 2017). Auch wenn die Annahme berechtigt
erscheint, dass ohne externe Unterstützung eine solche Strategie kaum nachhalti-
gen Erfolg haben könnte, ist doch die These plausibel, dass der Schlüssel zu einer
Konfliktlösung nicht in Brüssel, Paris, Berlin oder in Washington liegt, sondern in
Addis Abeba (Afrikanische Union), Bamako (Mali), Niamey (Niger), Abuja (ECO-
WAS) und Kidal (Nord-Mali). Solange Entwicklungsplaner, Politiker und Militärs
der afrikanischen Staatsklassen bei der Umsetzung von Friedensabkommen mit
Rebellen und Separatisten nicht glaubwürdig und vertragstreu handeln, – das lehrt die
Vergangenheit mit den vielen verspielten Chancen eines fairen Interessenausgleichs
mit Rebellen –, werden die zentrifugalen Kräfte nicht in staatserhaltende Strategien
einzubinden sein (wenn das überhaupt noch möglich ist). Es gilt den Dschihadisten
das Wasser abzugraben, indem die Politik des rural neglect aufgegeben und um-
gekehrt wird: Möglicherweise liegt der Schlüssel zu einer Konfliktlösung in einer
Politik, die speziell auch im bislang vernachlässigten Norden ein Mindestmaß an
Dienstleistungen in Form eines Zugangs der Lokalbevölkerung zu Wasser, Elekt-
rizität, Bildung und Gesundheit schafft. Das würde sehr viel Geld kosten; aber das
glaubwürdige Angebot an sozio-ökonomischen Alternativen kann als notwendige,
wenn nicht entscheidende Voraussetzung angesehen werden, um den ehemaligen
Kombattanten die Rückkehr ins Zivilleben zu ermöglichen. Dazu bedarf es eines
„Mentalitätswandels“ der malischen Elite, „welche die Hauptverantwortung in
diesem Prozess trägt“ (Konopka 2016, S. 112-113).
Aufgaben
sie mit international tätigen Mittelsmännern, die als Scharniere zwischen lokaler
Produktion und internationaler Vermarktung für Schwarzmarktgeschäfte unver-
zichtbar sind. Ein wechselseitiger Interessenschutz verbindet sie, weil hier Beste-
chung, Geldunterschlagung, Rentenaneignung, Drogen- und Waffenschmuggel
sowie Ausschaltung politischer Konkurrenten und Gegner zu einem kriminellen
Gemeinschaftsunternehmen verschmolzen sind: zu „markets of protection“. Eine
Durchdringung von Politik, Business und Verbrechen („intersection of politics,
business, and crime“, Ellis & Shaw 2015, S. 528) auf höchster Staatsebene findet statt.
In solche „Schutzmärkte“ sind auch Staatsverträge mit ausländischen Bergbau- und
Ölfirmen sowie die Aneignung von Entwicklungshilfegeldern einbezogen, was auf
mangelhafte Durchsetzung von Rechtsnormen (lack of effective law enforcement)
zurückgeführt wird (Cooter & Schäfer 2012; Alberts 2013).
Ein weit verbreitetes Übel in Afrika ist die Unterschlagung des Gehalts bei den
Angestellten von Polizei und Armee durch deren Vorgesetzte. In einer patriarcha-
lischen Gesellschaft ohne eine Tradition der Rechtsstaatlichkeit ist es für einen
geprellten Angestellten kaum möglich, gegen einen Vorgesetzten seine Rechte
einzuklagen. Vielerorts ist auch die Unsitte der illegalen ‚Abzocke‘ von ‚Gebühren‘
entstanden, die Autofahrer auf Straßen und an Grenzübergängen an Soldaten und
Zöllner zu entrichten haben. Diese Praxis des illegalen Wegezolls erhöht somit auch
die Transportkosten in Afrika, wodurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit
afrikanischer Volkswirtschaften weiter beeinträchtigt wird. Grenzbeamte befinden
sich nicht selten in Rollenkonflikten, da sie als Teil der örtlichen Gemeinschaft
unterschiedliche Moralnormen beachten müssen, wobei nicht nur Gesetzestreue
sondern auch Solidarität mit den Nöten und Erwartungen der Frauen und Män-
ner aus ihrem eigenen Sozialmilieu eine Rolle spielen (Howson 2012, S. 421-445).
Staatliche Würdenträger sind zuweilen nicht nur an Korruptionspraktiken
beteiligt, sondern auch an organisierter Kriminalität. Darunter versteht man in
der Regel eine auf Dauer angelegte kriminelle Unternehmung mit dem Ziel der
systematischen Gewinnerzielung aus illegalen Aktivitäten, deren Existenz durch
Gewaltanwendung, Bedrohung, Monopolkontrolle und/oder Korruption abgesichert
wird. Wenn diese grenzüberschreitend stattfindet, spricht man von Transnationaler
Organisierter Kriminalität (TOK). TOK ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von
Aktivitäten, die in Verbindung mit höchst unterschiedlichen illegalen Märkten und
Wertschöpfungsketten stehen. Zum Thema Kapitalflucht und Schattenwirtschaft
formulierte der deutsche Ex-Botschafter Volker Seitz folgendes Fazit: „Wenn es um
systematische Ausplünderung der Bürger und desaströs schlechte Verwaltungsor-
ganisation geht, dann kann diese Präsenz des Staates oft jetzt schon als erdrückend
bezeichnet werden. Von einem Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsalltag kann in
den meisten Ländern keine Rede sein. Ein unübersichtliches Chaos von gesetzlichen
13.1 Korruption – ein universelles Übel mit kulturspezifischen Kontexten 281
281
282 13 Korruption und Bad Governance
Staatseinnahmen als Folge von illegaler Staatsflucht auf etwa 200 Mrd. US $ jähr-
lich. Erstaunlicherweise nannte der African Progress Report als einen Beleg für die
amtliche Korruption die im Ausland erworbenen Vermögen der Staatspräsidenten
von Gabun, Äquatorial-Guinea und Republik Kongo: zahlreiche Luxuskarossen,
Landgüter und Villen. Er schließt mit dem Appell an die internationale Gemein-
schaft, auch ihrerseits Verantwortung bei der Herstellung von Transparenz und
Ehrlichkeit beim Rohstoffhandel zu übernehmen: „Wir appellieren an die G8 und
G20, bei der Entwicklung eines glaubwürdigen und wirksamen Regimes an führen-
der Stelle mitzumachen, um Steuerflucht und Steuerhinterziehung zu bekämpfen“
(ebd.). Im sogenannten Marshall-Plan des deutschen Entwicklungshilfe-Ministers
Gerd Müller wurden die „illegalen Finanzströme“, die jährlich aus Afrika abfließen,
auf 50 Milliarden US Dollar beziffert, wobei 60 % des Schadens auf „aggressive
Steuervermeidung internationaler Konzerne“ zurückzuführen seien (basierend auf
Angaben von UN und ECA; BMZ 2017, S. 8). In Tansania eskalierte im Jahr 2017 ein
Konflikt zwischen der tansanischen Regierung unter Präsident John Magufuli und
dem internationalen Rohstoffkonzern Acacia, dem eine tansanische Untersuchungs-
kommission vorgeworfen hat, zwischen 1998 und 2017 das tansanische Finanzamt
um 48 Mrd. US$ betrogen zu haben. Auch korrupte Angestellte und tansanische
Minister seien an der Praxis der Steuervermeidung beteiligt, – eine Straftat, die
durch falsche Deklarierung des Goldgehalts der ausgeführten Gold-Mengen zu-
standekommen konnte (Africa Confidential, 23.6.2017, S. 7).
Wann Korruption im Sinne der privaten Aneignung öffentlichen Reichtums
vorliegt, ist unter afrikanischen Wissenschaftlern umstritten, zumal die Grenzen
zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ als unbestimmt und fließend beurteilt werden.
Wissenschaftler wie P. Ekeh, W. De Maria, J. De Sardan und D. Smith (alle in
M. F. Murove 2009) wehrten sich gegen das nach ihrer Meinung euro-zentrische
Verständnis von Korruption und gaben zu bedenken, dass in den „kulturellen Le-
benswirklichkeiten“ angeblich ‚korruptes‘ Verhalten seinen berechtigten Platz als ein
moralischer Bestandteil kommunalen Zusammenhalts hätte. So hat J. De Sardan fünf
traditionelle Handlungslogiken im Zusammenhang mit dem Korruptionsvorwurf
herausgearbeitet, die zu begreifen notwendig wären, um heute etwas dem klepto-
kratischen Verhalten auf Staatsebene entgegensetzen zu können: (1) Negotiations:
Der Pluralismus verschiedener Rechtssysteme (lokal-traditional, Sharia-gemäß,
westlich-geprägt etc) bietet Gelegenheit, in Verhandlungen über die jeweils an-
zuwendende Moralnorm einzutreten. (2) Gift giving: Die traditionelle moralische
Verpflichtung zur Dankerweisung für ein erhaltenes Geschenk kann schnell mit der
Bestechung eines Beamten verschmelzen. (3) Solidarity: Jedes Individuum ist in ein
weites Netz von Verpflichtungen eingespannt, das zu solidarischem Verhalten nötigt
sowie zu Zwängen, Gefälligkeiten anzunehmen und zu erwidern. (4) Predatory au-
13.2 Kenia – Das Krebsgeschwür der politischen Korruption (1963–2017) 283
283
284 13 Korruption und Bad Governance
Ngina Kenyatta, die durch den Erwerb von Plantagen, Ranches, Hotels und Grund-
besitz zu einer der reichsten Frauen des Landes wurde, und Tochter Margaret, die
Bürgermeisterin der Hauptstadt. Beide Frauen des Kenyatta-Clans waren auch in
dem Elfenbeinhandel involviert und dadurch Bestandteil der high-level corruption,
der die Hälfte der Elefanten-Herden Kenias zum Opfer fiel, – es handelte sich um
wenigstens 70.000 abgeschlachtete Tiere (Meredith 2005, S. 267). Wer die royal
family kritisierte, musste mit drastischen Strafen – bis hin zur Ermordung durch
einen fingierten Verkehrsunfall – rechnen. Unter den Kritikern, die liquidiert
wurden, war der junge Kikuyu-Politiker J.M. Kariuki, der einst von den Briten
während der Mau Mau-Rebellion inhaftiert gewesen war und der sich danach
zum Anwalt der armen und landlosen Kenianer gemacht hatte. Selbst lebte er als
Besitzer von zwei Farmen und mehrerer Autos ein luxuriöses Leben, aber wegen
seines politischen Einsatzes für die Armen wurde er fast so populär wie der Prä-
sident. Opponent Kariuki erklärte, dass eine stabile politische Ordnung nicht auf
der Armut von Millionen von Menschen errichtet werden könnte; denn Frustration
als Resultat von Armut brächte Unruhe und Gewalt hervor. Er forderte (ganz im
Sinne von Etounga-Manguelle; s. o. Kapitel 2.11) eine „vollständige Erneuerung
des bestehenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systems in Kenia“ und
behauptete, „dass eine kleine, aber machtvolle Elite von gierigen, selbstsüchtigen
Menschen in Form von Politikern, Staatsbeamten und Geschäftsleuten stetig und
sicher die Früchte der Unabhängigkeit monopolisiert hätte, was zur Exklusion von
der Mehrheit der Bevölkerung geführt hätte…Wir wollen kein Kenia mit zehn
Millionären und zehn Millionen Bettlern“ (zit. nach Meredith 2005, S. 267-268).
Im März 1975 wurde der unbequeme Kritiker auf offener Straße ermordet. Wie
gewöhnlich, fand die Polizei keine eindeutigen Beweise, aber Spuren führten zum
inneren Machtkreis des Präsidenten.
Nach Kenyattas plötzlichem Tod im August 1978 gelang es dem Vizepräsidenten
Daniel arap Moi (Repräsentant der Kalenji) mit Unterstützung von Mwai Kibaki und
Charles Njonjo (beide Kikuyu), sich gegen den Widerstand des Kenyatta-Cousins
Njorogo Mungai als Präsident und Parteiführer durchzusetzen. Beim Amtsantritt
von Moi schwenkte das unter Kenyatta eingeführt politische „Patronage-Vertei-
lungs-System“ von der Orientierung an den Interessen der Kikuyu um zur Orien-
tierung an den Kalenjin und anderen ethnischen Gruppen, die Moi unterstützt
hatten. Während in Tansania die Einheitspartei TANU die Ressourcen von den
Reichen zu den Armen umzulenken versuchte, umverteilte die politische Klasse
Kenias die Ressourcen von einer ethnisch geprägten Interessenallianz zur nächsten
Interessenallianz. Diese offene Instrumentalisierung des Patronage-Systems durch
ethnische Gruppen bei Erlangung der Macht ist mit der Redewendung „It is our
turn to eat“ umschrieben worden (Wrong 2009, Fukuyama 2015, S. 331-332). Die
285
286 13 Korruption und Bad Governance
Idee des nation-building (d. h. die gleichzeitige Modernisierung von Staat, Wirt-
schaft und Gesellschaft) verkümmerte so zur Praxis der Selbstermächtigung und
Selbstsicherung einer Allianz von ethnischen Netzwerken.
Die Moi-Jahre bedeuteten eine Zeit der Rückentwicklung, die von politischer
Repression, wirtschaftspolitischer Inkompetenz und grassierender Korruption
geprägt war. Im Jahr 1982 wurde die Verfassung abgeschafft und das Einparteien-
system eingeführt. Ein Jahr später entledigte sich Moi in einem Schauprozess des
einflussreichen Verfassungsministers Njonjo, der ihm zur Macht verholfen hatte;
andere Spitzenfunktionäre wurden im Umfeld der Wahlen von 1983 und 1988
entmachtet. Die Ermordung von Außenminister Robert Ouko im Februar 1990
löste heftige Demonstrationen aus, und im August 1990 kam der anglikanische
Bischof Alexander Muge durch einen inszenierten Autounfall ums Leben. Zusam-
men mit prominenten Rechtsanwälten, Schriftstellern (wie Ngugi wa Thiong’o) und
anderen Kirchenvertretern hatte Bischof Muge zu den bekanntesten Kritikern des
Moi-Regimes gehört, die unermüdlich die Rückkehr zum Mehrparteiensystem und
die Einhaltung der Menschenrechte forderten. Westliche Regierungen hielten sich
mit weiteren Entwicklungshilfe-Zahlungen zurück und trugen so dazu bei, dass
Ende 1991 Präsident arap Moi den Wechsel zum Mehrparteiensystem schließlich
doch noch akzeptieren musste.
Die Wahlen vom Dezember 1992 konnte die regierende KANU-Partei gewinnen,
weil sich die heillos zerstrittenen oppositionellen Ethno-Parteien nicht auf eine
gemeinsame Strategie hatten einigen können. Zwischen 1991 und 1994 wurden
1500 als ‚foreigners‘ verunglimpfte Kikuyu, die sich während der Kenyatta-Ära
im fruchtbaren Rift Valley angesiedelt hatten, ermordet. „Der Minister für Local
government, ein Massai, griff im Parlament ganz offen in die tribalistische Diskus-
sion ein und verlangte, die Kikuyu sollten das Land verlassen, das sie den Massai
einmal abgekauft hatten“ (Schicho 2004, S. 282; Wrong 2009, S. 114; Boone 2014,
S. 261-267). Auch die Wahlen von 1997 brachten nicht den erhofften Macht- und
Regimewechsel. Oppositionsführer Mwai Kibaki (ein Kikuyu) konnte immerhin
mit 31 % der Stimmen gegenüber 40,1 % für den Amtsinhaber arap Moi einen
Achtungserfolg erringen; aber es folgten weitere fünf Jahre des wirtschaftlichen
Stillstands und der grassierenden Korruption in den Ämtern, bis endlich im Jahr
2002 – nach 25 Jahren – das inkompetente arap-Moi-Regime abgewählt werden
konnte. Überlegener Sieger der Parlaments- und Präsidialwahlen von 2002 wurde
Mwai Kibaki, – Kandidat der oppositionellen National Rainbow Coalition (NARC),
einem Zweckbündnis aus 14 Parteien. Bei seiner Amtseinführungsrede in Nairobis
Uhuru-Park sagte Wahlsieger Kibaki in Anwesenheit des scheidenden Präsidenten
arap Moi: „Ich habe ein Land geerbt, das über Jahre hindurch durch Misswirtschaft
und Unfähigkeit verwüstet worden ist…Korruption wird ab jetzt nicht mehr in
13.2 Kenia – Das Krebsgeschwür der politischen Korruption (1963–2017) 287
Kenia eine Art des Lebens sein“ (zit. in Wrong 2009, S. 5). Wenige Wochen später
genehmigten sich die Parlamentarier als eine ihrer ersten Maßnahmen eine Ge-
haltserhöhung von monatlich 100.000 Kenianischen Schillingen (ca. 1050 €) und
eine einmalige Prämie von 3,3 Mio. Schillingen (ca. 34.650 €) für den Kauf eines
Autos. „Nur gut bezahlte Politiker seien nicht gefährdet, durch Versuchung der
Korruption anheim zu fallen, hieß es zur Rechtfertigung“ (New African 418, Mai
2003, S. 23, zit. nach Schicho 2004, S. 284).
Um sein Wahlversprechen einzuhalten – Bekämpfung der Korruption – er-
nannte Präsident Kibaki den Journalisten John Githongo, ebenfalls ein Kikuyu,
zum Permanent Secretary for Governance and Ethics. Der junge Mann machte
sich an die Arbeit und entdeckte Dinge, die ihm umgehend Todesdrohungen
einbrachten: Bei Durchsicht der Akten war er dahinter gekommen, dass seine
eigenen Stammesbrüder in hohen Regierungspositionen die Diebe waren, die sich
auf kriminelle Weise üppige Teile des Volksvermögens aneigneten (Wrong 2009).
Im Januar 2005 blieb dem Anti-Korruptionsminister nichts anderes übrig, als ins
Exil nach London zu fliehen, mit den heimlich aufgenommenen Sitzungsproto-
kollen im Gepäck. Durch sie konnte der Geflüchtete die eindeutige Urheberschaft
der Gran Corruption in Kenia bezeugen; Githongo publizierte Anfang 2006 die
Hintergründe des Anglo Leasing Scandal: Demnach waren Vize-Präsident Moody
Awori sowie mehrere Minister maßgeblich an dem Betrugsgeschäft beteiligt. Bei
dem Anglo-Leasing Skandal ging es um fingierte Lieferverträge mit einer Anglo
Leasing and Finance Company Ltd. – einer Scheinfirma, mit der mindestens 18
solche Verträge über die Lieferung von Kommunikationssystemen im Werte von
751 Mio. US $ geschlossen worden waren. Die aus der Staatskasse entwendeten
Gelder wurden heimlich auf private Auslandskosten und in schwarze Kassen der
Regierungspartei transferiert, was vom Generalstaatsanwalt sowie dem damals
zuständigen Chef der Anti-Korruptionsbehörde stillschweigend geduldet worden
war (Africa Yearbook 2007, S. 341).
Die Aufdeckung des Skandals war durch die mutige Haltung des Whistle Blo-
wers John Githongo möglich geworden; mutig deshalb, weil er es als Angehöriger
der Kikuyu-Ethnie fertig gebracht hatte, seinem Gewissen folgend, seine eigenen
Regierungskollegen und ‚Stammesbrüder‘ öffentlich der Korruption zu bezichtigen.
Bis dahin galt es als unvorstellbar, dass ein Kikuyu, der sozialisiert worden war,
um dem ‚Ruf seines Stammes zu folgen‘ (Wrong 2009, S. 99ff.), seine einflussrei-
chen Stammesgenossen durch das Bekanntmachen ihrer kriminellen Geschäfte
‚verraten‘ würde. Letztere hatten ja ‚nur‘ von ihrem Gewohnheitsrecht Gebrauch
gemacht und nach der Devise „Its our turn to eat“ gehandelt (Wrong 2009, S. 163).
Das westliche Ausland reagierte auf den Skandal mit der Zurückhaltung von Ent-
wicklungshilfezusagen (für eine begrenzte Zeit); da aber Kenia im Kampf gegen
287
288 13 Korruption und Bad Governance
DR Kongo], das eine lange Tradition des Abhaltens von Wahlen hat, ebenso wie
eine lebendige politische Kultur, eine relativ freie Presse und eine hochentwickelte
Wirtschaft. Angesichts all dieser Vorteile, die wir vor den Wahlen herausgestellt
hatten, hatte Kenia eine Gelegenheit gehabt, für Afrika ein Beispiel zu geben und
freie und faire Wahlen abzuhalten. Aber das Land hat sie verspielt; bzw. die po-
litische Elite hat sie ungenutzt verstreichen lassen, um genau zu sein. Eine kleine
Clique von Politikern hat, das ist beinahe ganz sicher, das Wahlergebnis durch
Betrug gestohlen“ (The Economist, January 5th, 2008, p. 8. Übersetzung von RT).
Die ‚kenianische Krise‘ wurde nach Monaten zäher Verhandlungen mit einem
power-sharing-Übereinkommen beendet: Mwai Kibaki blieb Präsident, und Op-
positionsführer Raila Odinga erhielt den neu geschaffenen Posten eines Premier-
ministers, dem als seinem Stellvertreter Uhuru Kenyatta, ein Kikuyu, an die Seite
gestellt wurde. Im Parlament waren nun 23 politische Parteien vertreten, aufgeteilt
in zwei fast gleichstarke Blöcke, die sich gegenseitig misstrauisch beäugten. Desto
erstaunlicher war die Tatsache, dass bei den folgenden Parlamentswahlen 2013 und
2017 jeweils mehr als Dreiviertel der wahlberechtigten Bevölkerung von ihrem
Wahlrecht Gebrauch machten. Mit einer knappen Mehrheit von 50,7 % der Stimmen
konnte Uhuru Kenyatta die Wahlen von 2013 für sich entscheiden, während Raila
Odinga diesmal nur 43,7 % der Stimmen erhielt. Peinlich war allerdings, dass der
Wahlsieger Uhuru Kenyatta im Jahr zuvor (2012) vom Internationalen Strafgerichts-
hof (IStGH) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (während der Unruhen
2007/08) angeklagt worden war. Dessen ungeachtet wurde der Wahlsieger Uhuru
Kenyatta am 9. April 2013 als Präsident vereidigt. Sein Stellvertreter wurde William
arap Ruto, ein Repräsentant des Volkes der Kalenjin. Auch er wurde vom IStGH
in Den Haag als Drahtzieher der blutigen Unruhen nach den Wahlen von 2007/08
wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Gegen den amtierenden
Staatspräsidenten wurde das Strafverfahren dann aber ausgesetzt, während sich sein
Stellvertreter in Den Haag verantworten musste. Deshalb kam es zu Drohungen
einiger afrikanischer Regierungen, die Mitgliedschaft ihres Landes im Internati-
onalen Strafgerichtshof aufzukündigen, dem groteskerweise ‚neo-kolonialistische
Praktiken‘ vorgeworfen wurden.
Die Amtszeit von Präsident Uhuru Kenyatta (2013-2017) war gekennzeichnet
von einer fortgesetzten Politik ethnisch orientierter Privilegienwirtschaft. Die
eingeleitete Politik der Dezentralisierung machte Wahlen von Distriktregierungen
notwendig, die den politischen Parteien neue Chancen bot, viele neue Stellen mit
Anhängern zu besetzen und ihnen Staatsaufträge zuzuschanzen. So stieg der Anteil
der Staatsausgaben für Löhne, Gehälter und Zuwendungen an staatliche Mitarbeiter
auf 55 % vom Staatshaushalt, was ca. 13 % des Brutto-Nationalprodukts entsprach
(Africa Yearbook 2014,Kenya, S. 9). Es kam immer wieder zu öffentlichen Demonst-
289
290 13 Korruption und Bad Governance
rationen gegen die grassierende Korruption der Staatsklasse; und immerhin konnte
der Plan der Kenyatta-Regierung vereitelt werden, die Diäten für Abgeordnete
von 4900 € auf 7800 € monatlich zu erhöhen. Transparency International stufte
das Land auf dem Corruption Perception Index von Platz 136 auf Platz 145 runter
(2016). Bei den nächsten Wahlen – im Jahr 2017 – wiederholte sich das hässliche
Spektakel von Wahlen, Wahlbetrug, ethnic violence und aufgehetzten Anhängern
der rivalisierenden Ethno-Parteien, die zu keinen power-sharing-Arrangements
mehr willens oder fähig waren (Smidt 2017). Auf Druck der Opposition musste
die Wahl wegen erwiesener Fälschungen wiederholt werden; brachte aber erneut
dem Amtsinhaber Kenyatta eine Mehrheit, weil Oppositionsführer Odinga zum
Wahlboykott aufgerufen hatte. Im Januar 2018 ernannte er sich selbst zum ‚Prä-
sidenten von Kenia‘, womit das politisch gespaltene Land nun zwei Präsidenten
hat! Kenia ist – trotz all seiner wirtschaftlichen Dynamik – zu einem instabilen
Patronage-Staat verkommen, dessen korrupte Staatsklasse auch die Entwicklungs-
chancen der jungen Generation unnötigerweise beeinträchtigt.
Heute – eine Generation später – bietet sich wieder ein stark verändertes Bild:
Während die Regierung Ruandas unter ihrem Präsidenten Paul Kagame trotz aller
Demokratiedefizite eine neue politische und wirtschaftliche Ordnung geschaffen
hat, die der jungen Generation hoffnungsvolle Perspektiven eröffnet, hat die süd-
afrikanische Regierung unter ihrem Präsidenten Jacob Zuma das wirtschaftlich
entwickeltste Land des Kontinents durch Korruption und bad governance soweit
heruntergewirtschaftet, dass es 2017 von zwei internationalen Rating Agenturen
auf Ramschniveau eingestuft wurde. Große Gefahren gehen heute von sozialer Un-
gleichheit, grassierender Korruption (vor allem in Regierungskreisen), von illegaler
Zuwanderung, hoher Jugendarbeitslosigkeit sowie von hoher Kriminalität aus.
Trotz der gegenwärtig prekären politischen Situation sollte nicht Südafrikas großes
Potential als afrikanisches power horse verkannt werden. Das südafrikanische BIP
macht über zwei Drittel des BIP im südlichen Afrika aus, mehr als ein Drittel des
BIP von Afrika südlich der Sahara und mehr als ein Fünftel ganz Afrikas (Zahlen für
2007). Ähnlich hoch sind die Prozentsätze für den Anteil Südafrikas am regionalen
und kontinentalen Handel sowie an den ausländischen Direktinvestitionen. Südafrika
verfügt auf dem Kontinent über die mit Abstand am stärksten diversifizierte und
industrialisierte Volkswirtschaft und besitzt – mit der Ausnahme von Erdöl und
Erdgas – die breiteste Palette strategisch bedeutsamer Ressourcen. Im Jahr 2007 war
das Land im Besitz von 88 % der Weltreserven der Platingruppe, 80 % an Mangan,
72 % an Chrom, jeweils 40 % an Vermiculit (Schichtsilikat) und Gold sowie 32 %
an Vanadium. Südafrikanische Unternehmen haben massiv in andere afrikanische
Länder investiert, dort zum Teil marktbeherrschende Stellungen erlangt und sich
den Zugang zu wichtigen Ressourcen gesichert. Es ist das Land mit dem höchsten
Bildungsniveau und besitzt „technologische und Innovationsfähigkeiten, die ihm
einen Rang weit vor jedem anderen bedeutsamen afrikanischen Staat verschaffen“
(Mair 2007, S. 27-28). Mit der Überwindung des Apartheid-Systems wurde schließlich
auch das Potential nicht-weißer Arbeitskräfte und Bildungsträger befreit.
Das burisch-britische Apartheid-System in Südafrika (1948-1994) ist als ein Ex-
tremfall kolonialer Herrschaft anzusehen. Apartheid ist afrikaans und beutet in der
Sprache der Buren ‚getrennte Entwicklung‘ – getrennt nach ‚Rassen‘. Diese Praxis
begann nach dem ‚Burenkrieg‘ (1899-1902; siehe oben Kapitel 4), als sich Engländer
und Buren im Jahr 1910 zur Union Südafrika, Mitglied im Commonwealth of Na-
tions, zusammenschlossen und dann Gesetze der Diskriminierung der schwarzen
Mehrheit beschlossen hatten. Es begann 1911 mit der Reservierung der leitenden
Positionen im Bergbau für Weiße (job reservation) und erstreckte sich bald auf alle
Bereiche des täglichen Lebens: getrennte Wohngebiete, Beschränkung der Landrechte
(Reservate), sukzessive Aberkennung des Wahlrechts der Nicht-Weißen (speziell der
Coloureds in der Kap-Kolonie), Passzwang für Wanderarbeiter etc. Von nachhaltiger
291
292 13 Korruption und Bad Governance
Bedeutung wurde das Landgesetz von 1913, das bestimmte, dass Schwarze Land nur
noch in eigens ausgewiesenen Reservaten erwerben durften, die insgesamt nicht
mehr als etwa 7 % der Gesamtfläche Südafrikas ausmachten. Im Jahr 1948 gelangte
die burische Mehrheit mit ihrer National Party (NP) an die Macht; sie löste die we-
niger rassistische Vorherrschaft des britischen Bevölkerungsteils ab und baute die
Rassentrennung systematisch mittels Gesetzen und praktischen Schikanen weiter
aus. Die südafrikanische Bevölkerung wurde nun – nach Hautfarbe und Herkunft
– in die Hierarchie von vier ‚Rassen‘ eingeteilt: An der Spitze standen die Weißen,
unabhängig von individueller Leistung privilegiert in allen Dingen; gefolgt von
Asians (meistens Indern), Coloureds und schließlich von Afrikanern, die wiederum
in diverse tribes unterteilt wurden. Ein Afrikaner, der keine Beschäftigung in den
Minen oder als Dienstleister in der Stadt nachweisen konnte, wurde in eins der neun
eingerichteten Reservate, Bantustans genannt (später Homelands), verbannt, wo er
auf Grund mangelhafter oder gar fehlender Infrastruktur ein kümmerliches Dasein
fristete. Der Immorality Act stellte die Heirat zwischen den ‚Rassen‘ unter Strafe;
die Nutzung von Restaurants und öffentlichen Waschräumen wurde ebenfalls nach
‚Rassen‘ getrennt; die Schilder vor Gebäuden und auf Rasenflächen ‚Whites only‘
waren an der Tagesordnung. Auch das Bildungssystem wurde der Rassentrennung
unterworfen (Bantu Education); für ein weißes Schulkind wurden zehnmal so viele
Steuergelder aufgewandt wie für ein schwarzes.
Es besteht kein Zweifel, dass das rassistische System der Apartheid zur Absi-
cherung der weißen Minderheitsherrschaft in einer prosperierenden Rohstoff-Ko-
lonie erfunden und praktiziert worden ist. Es stellt eine der schwerwiegendsten
Menschenrechtsverletzungen im 20. Jahrhundert dar – „ein Verbrechen gegen
die Menschenwürde“ (Rothe 1989, S. 5f.; Bösl & Diescho 2009). Die irrationale
Kausalverknüpfung von Biologie und Kultur, von Abstammung und Leistungs-
vermögen – stellte eine kolossale Verirrung weißer Fremdherrschaft dar, die ohne
ihren religiösen, alt-testamentarischen Hintergrund kaum zu erklären wäre. Von
christlichen Missionaren ist zu diesem Zweck die calvinistische Glaubenslehre so
verdreht worden, dass diese (in Gestalt der biblischen Geschichte von Sen und
Ham – der ungleichen Söhne von Noah) als Legitimation der weißen gottgewollten
Herrschaft benutzt werden konnte. Demnach seien angeblich Schwarz-Afrikaner
die Nachkommen des verfluchten Ham, den sein Vater Noah wegen Fehlverhaltens
zum Knechtsein verurteilt hatte. Verstärkt wurde dieser christliche Irrglaube noch
nach der Entdeckung der Gold- und Diamanten-Lagerstätten, als man einheimi-
sche Arbeitskräfte in großer Zahl benötigte, die ohne Zwang nicht zu beschaffen
waren. Mit der Ham-Hypothese fiel es leichter, sich und anderen einzureden, dass
Gewalt gegen ‚unzivilisierte‘ Schwarzafrikaner nicht nur dem materiellen Wohl der
Weißen diente, sondern letztlich auch die Bildung der Schwarzen fördern würde.
13.3 Südafrika: Starke Wirtschaft, schwacher Staat 293
Auch die Nederduitse Gereformeerte Kerk (NGK) beteiligte sich an der Praxis der
rassistischen Trennung der Kirchen (seit 1956 freie Religionsausübung, aber jeweils
in ihren eigenen Kirchen) und rechtfertigte noch 1974 in einem Synodalbeschluss
theologisch die Politik der Apartheid (Roberts 2014).
Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die weiße südafrikanische Gesell-
schaft unter dem politischen Regime der Apartheid alles andere als homogen war;
denn es gab beispielsweise sowohl verbohrte Konservative und unverbesserliche
Rassisten, als auch liberale Weiße wie die Parlamentsabgeordnete Helen Suzman
oder den Befreiungstheologen Allan Boesak, die gegen den Rassenwahn ihrer
Landsleute angingen. Dass christliche Kirchen in den Industriestaaten – auch die
lutherischen, wenn auch in geringerem Maße – die Unterdrückungspraxis des
Apartheidstaates mit ihrer ‚reformierten‘ Staatskirche bis in die 1970er Jahre meist
tatenlos hinnahmen, gehört nicht gerade zu den Ruhmesblättern der christlichen
Glaubensgemeinschaft. Nur der Südafrikanische Kirchenrat, dessen Mitglieder
zu 90 % schwarze Christen waren, entwickelte sich aus liberaler Opposition zum
radikalen Widerstand, wobei das Kairos-Dokument von 1985 als „Dokument des
Volkes“ eine zentrale Rolle spielte: In der Tradition der Befreiungstheologie dekla-
rierte es die Apartheid-Regierung als „ungerechte“, gottlose Herrschaft, gegen die
militanter Widerstand auch dem Christen erlaubt sei. Auch der Weltkirchenrat in
Genf hat schließlich die Apartheid als „Sünde“ deklariert, was einen international
wahrgenommenen Konsumenten-Boykott unter dem Motto ‚Kauft keine Früchte
aus Südafrika‘ auslöste (Rothe 1990; Roberts 2014).
Es sollte sich bald zeigen, dass der rassistische Apartheitstaat nicht reformierbar
war. Im September 1966 war Premierminister Verwoerd – der so-genannte Master-
mind des Apartheidsystems – von einem angeblich geisteskranken Parlamentsdiener
mit vier Messerstichen getötet worden. Sein Nachfolger wurde der Bure Balthasar
John Vorster von der Nationalen Partei, der sogleich ein ‚Terrorismus-Gesetz‘ verab-
schieden ließ, das die unbegrenzte Festnahme politischer Gegner ohne Haftbefehl
erlaubte (Detention without Trial), „was systematischen Folterungen Tor und Tür
öffnete“ (Marx 2012, S. 254). Seine Regierung war rein defensiv auf den Erhalt der
bestehenden Ordnung im Zeichen eines paranoiden Antikommunismus gerichtet.
Als sich Schüler von Soweto im Juni 1976 gegen eine Erziehungsverordnung wehrten
(sie sollten Examina in Afrikaans ablegen anstelle in Englisch), erstickte die Polizei
die Demonstration der Unbewaffneten: Im Kugelhagel der Polizei starben mehr als
einhundert Kinder während der ersten Tage der Revolte. Ein Jahr nach dem Schü-
ler-Aufstand von Soweto starb in einem Untersuchungsgefängnis Steve Biko, der
Gründer der Black Consciousness-Bewegung, die angetreten war, um das ‚schwarze
Selbstbewusstsein‘ unter Studenten und anderen Apartheid-Gegnern zu fördern.
293
294 13 Korruption und Bad Governance
brachten das „südafrikanische Wunder“ zustande (Sparks 2003), für das sie beide
im Jahr 1993 den Friedensnobelpreis bekamen. Mandelas großherzige Politik der
Vergebung und der Aussöhnung zwischen den Feinden von gestern machte es
möglich, dass man sich schließlich auf einen graduellen friedlichen Machttransfer
und eine demokratische rechtsstaatliche Verfassung einigen konnte. Zwei Beson-
derheiten sollen wegen ihrer friedensstiftenden Qualität hervorgehoben werden:
So wurde vereinbart, dass alle großen Parteien im künftigen Parlament beteiligt
sein sollten und dass erst nach einer fünfjährigen Übergangszeit eine wirkliche
Mehrheitsregierung gewählt werden sollte. Ferner einigte man sich darauf, dass die
weißen Angestellten im öffentlichen Dienst ihre Stellen (und Pensionen) behalten
würden; beide Maßnahmen trugen zur Beruhigung der verängstigten Gemüter bei.
Nachdem Nelson Mandela am 10. Mai 1994 zum ersten demokratisch gewählten
Präsidenten Südafrikas gewählt worden war, gehörten die Sicherung des internen
Friedens und der vom Versöhnungsgedanken getragene Aufbau der ‚Regenbogen-Na-
tion‘ – Symbol für die Vielheit in der Einheit – zu seinen wichtigsten Anliegen.
Unter Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu nahm Anfang 1996 die Wahrheits-
und Versöhnungskommission ihre Arbeit auf. Mit öffentlichen Anhörungen von
etwa 2000 Opfern staatlicher Gewalt wie auch der Guerillabewegungen wurde
die Wahrheitskommission ein Medienereignis, das „wesentlich dazu beitrug, dass
viele Opfer anschließend größere Anerkennung in ihren lokalen Gemeinschaften
fanden. Die Zahl der Amnestien war ebenfalls sehr hoch, wenn man bedenkt,
dass von etwa 7000 Anträgen überhaupt nur 1200 zugelassen wurden, von denen
etwa 700 mit Amnestierungen endeten. Gleichwohl beantragten vergleichsweise
wenige Täter Amnestie, die meisten aus dem Polizeiapparat“ (Marx 2012, S. 294).
Als problematisch wurde vielfach angesehen, dass die Tutu-Kommission beken-
nende Täter, die ihre Verbrechen gestanden hatten, danach nicht einem Gericht
überweisen durfte und dass sie Opfern des Apartheidregimes keine Entschädi-
gungszahlungen bewilligen konnte. So fand die Wahrheitskommission in der Öf-
fentlichkeit nicht die breite Resonanz, die man sich von ihr erhofft hatte; denn eine
Mehrheit der Südafrikaner hatte „ein anderes Gerechtigkeitsempfinden, in dem für
die Amnestierung von Folterern und Mördern kein Platz war“ (Marx 2012, S. 295).
Andererseits sollte zur Erklärung der erstaunlichen Friedfertigkeit vieler Opfer und
ihrer Familien die heilende Tradition von Ubuntu nicht verkannt werden: Selbst
Väter, deren Töchter einem Verbrechen zum Opfer gefallen waren, plädierten im
Namen von Ubuntu (‚humaneness‘) für Vergebung im Interesse eines friedlichen
Zusammenlebens in der Gemeinschaft (Ntsebeza 2009, S. 375; Bösl & Diescho 2009,
S. 33f.; Sriram & Pillay 2009). Bischof Tutu rechtfertigte die Friedensarbeit des neuen
Südafrika mit den Worten: „Es ist doch erstaunlich, welchen Grad an Stabilität wir
295
296 13 Korruption und Bad Governance
erreicht haben. Schauen wir nach Nord-Irland und Jugoslawien. Wir hätten auch
so leicht auf diesen Weg abgleiten können“ (Sparks 2003, S. 329).
Im Jahr 1997 überließ Mandela seinem Nachfolger Thabo Mbeki das Präsiden-
tenamt. Dieser hatte als Student sieben Jahre im englischen Exil und danach wei-
tere Jahre im afrikanischen Exil verbracht, in denen er wenig mit demokratischen
Prozeduren zu tun hatte (Schleicher 2004, S. 124-136). Als elitärer Intellektueller
beschwor er mit seinen „African Renaissance“-Reden den Geist panafrikanischer
Wiedergeburt (Tetzlaff 2016, S. 101f), in der Praxis jedoch schuf er ein kaltes bü-
rokratisches „Klima der Furcht vor der freien Rede, so dass seine Minister lieber
kuschten, als politische Initiativen zu ergreifen“ (Marx 2012, S, 303). Dabei wurde
deutlich, „wie leicht es war, vom asketischen Leben des Berufsrevolutionärs auf
den opulenten Lebensstil eines Angehörigen einer neuen Bohème umzuschalten“.
Die Legitimation lag in der gelungenen ‚Befreiung‘, wobei leicht vergessen wurde,
dass der ANC keineswegs allein gesiegt hatte, sondern auf dem Wege eines Ver-
handlungsprozesses und mittels Kompromissen an die Macht gekommen war. Die
Politik Thabo Mbekis, die wirtschaftlichem Empowerment für wenige Glückliche
den Vorzug vor einer allgemeinen Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit gab,
„hatte zur Folge, dass diese Machtelite zunehmend das Gespür für die Bedürfnis-
se ihrer meist bitterarmen Wähler verlor und angesichts des Reichtumsgefälles
im Land einen geradezu obszönen Lebensstil vorexerzierte“ (Marx 2012, S. 302).
Internationales Aufsehen erregte auch seine Aids-Politik (Rüb 2007), die vom
Leugnen der Tatsache gespeist war, dass das HI-Virus der Auslöser von Aids sei.
Seine Fehleinschätzungen, – er vermutete, dass internationale Pharma-Konzerne
Südafrika überteuerte Medikamente aufzwingen wollten – „kosteten vermutlich
300.000 Menschen das Leben“ (Marx 2012, S. 306).
Die mit Mbeki unzufriedenen ANC-Politiker versammelten sich hinter seinem
Vize-Präsidenten Jacob Zuma, Chef des ANC-internen Geheimdienstes. Als Mann
aus einfachen Verhältnissen und ohne Schulbildung wurde er nicht als ernsthafte
Konkurrenz um Führungsposten angesehen, weshalb ihn Mbeki 1999 ins Amt des
Vizepräsidenten berief. Wegen des Verdachts der Bestechung und Unterschlagung
in 783 Fällen wurde er bald angeklagt (Grill 2017, S. 90); und im Jahr 2006 geriet
er erneut in die Schlagzeilen, als eine junge Frau ihm vorwarf, sie vergewaltigt zu
haben. Der dubiose Freispruch warf Zweifel an der Seriosität des Gerichts auf, denn
damit trug der verantwortliche Richter zur Bagatellisierung eines der gravierendsten
Verbrechen bei – „den bis zu 50.000 offiziell registrierten Vergewaltigungen pro
Jahr“. Trotz intensiver Ermittlungen gelangte die Klage wegen Korruption nicht
vor Gericht, weil der Fall Zuma inzwischen zum politischen Spielball innerpartei-
licher Rivalitäten geworden war. Im Dezember 2007 kam es zur Abwahl Mbekis als
ANC-Präsident, dessen Amtszeit als Staatspräsident ohnehin fünf Monate später
13.3 Südafrika: Starke Wirtschaft, schwacher Staat 297
abgelaufen wäre (eine dritte Amtszeit verbot die Verfassung). So geschah das Un-
begreifliche, dass der skandalumwitterte Jacob Zuma nicht nur ANC-Präsident,
sondern auch im Mai 2009 Staatspräsident Südafrikas wurde. Dabei hätte Süd-
afrika während der Finanzkrise „einen starken Präsidenten dringend gebraucht“,
denn durch Misswirtschaft und Korruption kam es immer wieder zu ernsthaften
Versorgungsengpässen bei der Elektrizität (Marx 2012, S. 310). Außerdem waren
2008 heftige fremdenfeindliche Unruhen ausgebrochen, worunter vor allem Mo-
sambikaner und Simbabwer, die vor Mugabes Terror geflüchtet waren, zu leiden
hatten. Gut ausgebildete Fachkräfte wanderten in Scharen aus.
Schwere Korruptionsvorwürfe überschatteten seit 2012 die Amtszeit von Präsident
Zuma. Dem Polygamisten wurde vorgeworfen, dass er sich sein privates Anwesen in
der Gemeinde Nkandla mit Hilfe staatlicher Gelder in Höhe von ca. 20 Millionen €
durch den Bau eines Theaters, eines Swimmingpools und durch Gebäude für seine
vier Frauen erweitert hätte. Der Präsident rechtfertigte die hohen Ausgaben mit
dem Argument, dass diese schließlich seiner Sicherheit dienen würden. Nicht nur
die Oppositionsführerin Helen Zille bezichtigte Zuma der Korruption, sondern
auch die Gruppe der Economic Freedom Fighters unter Führung des ANC-Rebellen
Julius Malema, die den zum Gespött gewordenen Präsidenten zur Rückzahlung
eines Großteils der entwendeten Staatsgelder und auch zum Rücktritt aufforderten.
Im Februar 2016 stellte das Verfassungsgericht fest, dass Zuma gegen die Verfas-
sung verstoßen habe, so dass er zu einer Buße in Höhe von 7, 8 Millionen Rand
(13 Rand entsprechen einem Euro) verurteilt wurde. Empörung löste auch die
Bekanntgabe aus, dass aus dem Budget der Polizei Geld für Zumas vier Ehefrauen
zur Anschaffung von elf Mittelklassewagen genommen worden sei. Das wurde in
einer Zeit publik, als die Studiengebühren an der Universität von Witwatersrand
um 10,5 % erhöht worden waren, was zu landesweiten Studentenprotesten führte.
Ferner wurde dem Präsidenten seine enge Beziehung zur einflussreichen indischen
Familie Gupta zur Last gelegt, die sich in die Berufung und Abberufung von Fach-
ministern eingemischt haben soll – zwecks Beförderung ihrer eigenen neoliberalen
Wirtschaftsinteressen (Melber in Africa Yearbook 2015). Auf Druck seiner Partei
musste Zuma am 15.2.2018 sein Amt als Staatspräsident niederlegen, um einem
Impeachment des Parlaments zuvorzukommen. Sein Nachfolger als ANC-Vorsit-
zender und Staatspräsident wurde Cyril Ramaphosa.
Gut zwanzig Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika be-
finden sich Staat und Wirtschaft in keiner guten Verfassung. Zwischen 1994 und
2017 sind rund drei Millionen Häuser gebaut, zahlreiche Townships elektrifiziert
und sozialstaatliche Maßnahmen eingeführt wordem, demzufolge 17 Millionen
bedürftige Bürger staatliche Unterstützung erhielten (Grill 2017, S. 91). Das wirt-
schaftliche Wachstum hat aber nachgelassen, 54 % der Bevölkerung lebten in den
297
298 13 Korruption und Bad Governance
Jahren 2008 bis 2015 immer noch unterhalb der Armutsgrenze; die Arbeitslosig-
keit war auf 35 % gestiegen, und die Jugendarbeitslosigkeit lag sogar bei erschre-
ckenden 63 % (Sanusha Naidu in Africa Yearbook 2015). Die HIV-Infektionsrate
lag bei 19,2 %; die soziale Ungleichheit in der Bevölkerung konnte nicht gesenkt
werden: der Gini-Koeffizient lag bei 57,8 % (im Vergleich zu 38,2 % in Tansania,
28,9 % in Ruanda und 28,3 % in Deutschland). „Zehn Prozent der 56 Millionen
Südafrikaner, überwiegend Weiße, verfügen über 90 % des Landes, des Kapitals,
der Wohlstandsgüter. 80 % der Schwarzen besitzen gar nichts, mehr als die Hälfte
der jungen Männer und Frauen haben keine Arbeit“ (Grill 2017, S. 91). Seit Jahren
verstärkt sich der Eindruck, dass das moralische Kapital, das der ANC zurzeit von
Nelson Mandela noch besessen hatte, von einer skrupellosen Machtelite unter Thabor
Mbeki und Jacob Zuma verspielt worden sei. Beide unterstützten die Kleptokratie
im benachbarten Simbabwe, dessen Misswirtschaft das ganze südliche Afrika in
Mitleidenschaft zog, und beide haben die afrikanische Mittelklasse Südafrikas
an der Realisierung einer kreativen industriellen Entwicklung gehindert (nach
Meinung des Bruders von Staatspräsident Tabor Mbeki, Moeletsi Mbeki 2009). Das
demokratische Südafrika ist trotz aller African Renaissance-Rhetorik leider nicht
zum Modell für eine neue Gesellschaft in Afrika geworden, das den Weg in eine
globalisierungstaugliche und soziale gerechtere Zukunft weist. Südafrika ist dafür
aber auch ein Lehrstück zu der Erkenntnis, dass für den Fortschritt eines Landes eine
entwicklungsorientierte Staatsführung eine unverzichtbare Voraussetzung darstellt.
Diskussion
ist seit den 90er Jahren vermehrt bemüht, mit einigen Schwerpunktländern ‚stra-
tegische Partnerschaften‘ abzuschließen (Bundesregierung 2014; BMZ 2017). Durch
Beteiligung auch an militärischen Einsätzen zur Stabilisierung von Krisenstaaten
und Krisenregionen (im Bereich der großen Seen, am Horn von Afrika, in Mali)
wandelt sich das Rollenverständnis Deutschlands von der reinen Zivilmacht zu einer
‚normalen‘ europäischen Großmacht, die mehr und mehr politische Verantwortung
und Finanzlasten im Rahmen einer Politik der europäischen Krisenprävention
und Stabilisierungspolitik zu übernehmen bereit ist (Stehnken et al 2010; Staack &
Krause 2014; Steinberg & Weber 2015). Im Folgenden sollen drei Themenfelder näher
betrachtet werden: Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union, die Entwick-
lungspolitik der Weltbank in Afrika und das Afrika-Engagement der VR China.
wurde von einigen Regierungen in der Hoffnung begrüsst, die bislang neo-kolonialen
Beziehungen zugunsten eines konstruktiven Beitrags zu einer ‚Neuen Internatio-
nalen Wirtschaftsordnung‘ (NiWO) überwinden zu können. Das war die zentrale
Forderung des Non-Alignment-Movement (NAM) der Dritte-Welt-Staaten in den
1970er und 1980er Jahren: Die ‚blockfreien‘ (non-aligned) Staaten kämpften auf der
internationalen Bühne der Diplomatie für eine ‚gerechtere‘ Wirtschaftsordnung, die
mehr Handelsgewinne für die Entwicklungsländer abwerfen würde.
Obwohl die Regierungen der EWG-Länder dirigistische Eingriffe in die ‚freie‘
Weltmarktordnung offiziell ablehnten (obwohl sie mit ihrer Politik des Agrarpro-
tektionismus selbst permanent gegen diesen Grundsatz verstießen), ließen sie sich
dazu herab, den AKP-Ländern bei der Frage der Stabilisierung der Exporterlöse
(STABEX) aus Rohstoffverkäufen in die EWG entgegenzukommen. So wurde der
STABEX-Mechanismus geschaffen, der für AKP-Länder, die nicht selbst verschuldete
Einnahmeverluste aus pflanzlichen Rohstoffverkäufen (wie z. B. Baumwolle, Kaffee,
Tee) in EU-Länder erleiden mussten, Ausgleichszahlungen vorsah. Insgesamt hat die
Europäische Kommission zwischen 1958 und 2013 Mittel in Höhe von 77, 671 Mrd. €
US$ aufgebracht (Hill & Smith 2011, S. 327). Diese erheblichen Summen reichten aber
nicht aus, um damit 77 AKP-Länder nachhaltig in ihrem Bestreben zu unterstützen,
von ihrer strukturellen Abhängigkeit von wenigen Exportgütern wegzukommen – im
Gegenteil: anachronistisch gewordene Handelsstrukturen wurden durch die von der
EU gewährten ‚Präferenzen‘ für Rohstoffexporte zementiert (Tandon 2016, S. 103f.).
Im Jahr 2000 wurde das Lomé-Vertragswerk durch das Abkommen von Cotonou
(benannt nach der Hauptstadt von Benin) ersetzt, das eine Geltungsdauer von 20
Jahren hat. Die zentrale Neuerung waren die bis heute umstrittenen Economic
Partnership Agreements (EPAs), die das Ziel verfolgten, den nicht-reziproken Handel
zwischen EU-Ländern und AKP-Staaten (nur die AKP-Regierungen durften bislang
Importzölle auf Waren aus der EU erheben) zugunsten einer echten Freihandels-
zone aufzugeben (Asche & Engel 2008). Es drehte sich dabei um Handels- und
Zusammenarbeits-Abkommen zwischen der EU und insgesamt sechs regionalen
Wirtschaftsgemeinschaften. Zentrale Neuerungen bestanden darin, dass zukünftig
die Märkte der EU-Länder nicht mehr exklusiv zollfrei für afrikanische Exporte
offenstehen würden und dass nun im Sinne der Reziprozität die AKP-Regierun-
gen ihre Importzölle auf Waren aus der EU im Laufe von zwölf Jahren abzubauen
verpflichtet werden sollten. Speziell dieses Ansinnen der EU löste in afrikanischen
Ländern Ängste aus, weil die Einfuhr subventionierter Agrarprodukte (europäischer
Großbauern) das Überleben der einheimischen kleinbäuerlichen Nahrungsmittel-
produktion gefährden würde (Goldberg 2008; Tandon 2016, S. 112f.).
Die ursprüngliche Forderung der EU, im Rahmen der EPAs auch den Handel
mit Dienstleistungen zu liberalisieren und die Rechte von Investoren zu schützen,
301
302 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
303
304 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
HIPC-Länder bildend) erhält erst dann Schuldenerlass und eine neue Kreditlinie,
wenn seine Regierung glaubhaft nachweisen kann, auf das Ziel der Armutsredu-
zierung hinzuarbeiten. Dazu gehört der Nachweis, dass sie auch zivilgesellschaft-
liche Gruppen an Planung und Implementierung von Entwicklungsprojekten mit
Armutskomponenten beteiligt hat. Um solche good governance-Orientierung in
vergleichender Sicht zu beurteilen, hat die Weltbank mit den Worldwide Gover-
nance Indicators (WGI) ein nützliches Analyseinstrument geschaffen. Denn die
WGI bestehen aus mehreren Indizes, die auf folgende sechs Dimensionen von
Governance zurückzuführen sind: Partizipation und Rechenschaftspflicht (voice
and accountability), politische Stabilität, effektives Regierungshandeln, Regulie-
rungsqualität, Rechtsstaatlichkeit (rule of law) und Korruptionskontrolle (World
Bank 2008). Sehr erfolgreich war auch diese Strategie nicht, weil es nicht einmal
in dem Musterland Ghana gelungen ist, die soziale Kluft zwischen Arm und Reich
wesentlich zu verringern (Aryeetey & Kambur 2017, S. 296f.). Das mag auch daran
gelegen haben, dass bei der Agrarförderung der Weltbank die Interessen Multi-
nationaler Agro-Konzerne einseitig auf Kosten von small-holders (Kleinbauern)
berücksichtigt wurden (Nordiska Afrikainstitutet 2007; Calderesi 2006 ; Stiglitz
2006; Goldberg 2008, S. 185-196; Pearce 2012, S. 257f.).
Der amtierende Weltbankpräsident, der amerikanisch-südkoreanische Arzt
Jim Yong Kim, 1959 in Seoul geboren, wurde im Sommer 2012 von US-Präsident
Obama ernannt – gegen den Willen einer Mehrheit von Entwicklungsländern,
die die nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala favorisiert hatte.
Auch Präsident Kim, der 2016 für eine zweite Amtszeit bestellt wurde, hat sich
die Reform der Weltbank auf die Fahnen geschrieben, konnte bislang aber nicht
viel gegen den politischen Widerstand aus den USA und anderer Industriestaaten
ausrichten. Ein Hauptmanko der heutigen Weltbankarchitektur ist die anachro-
nistische Unterrepräsentation der Schwellenländer in den Entscheidungsgremien.
Seitdem die chinesische Regierung 2015 eine Asian Infrastructure Investment Bank
(AIIB) gegründet hat, der sich auch westliche Länder wie Großbritannien, Deutsch-
land, Frankreich, Australien, Italien und Südkorea als Mitglieder angeschlossen
haben, – gegen den Wunsch der US-Regierung –, ist die Weltbank erneut unter
Anpassungsdruck geraten. Denn nun ist eine Parallelorganisation im Entstehen,
die Infrastrukturkredite zu günstigeren Bedingungen vergibt als es die Weltbank
bisher getan hat, und afrikanische Regierungen, die mit den Hilfe-Konditionen
der Weltbank unzufrieden sind, können nun Hoffnung schöpfen, mit der AIIB
eine Alternative zu bekommen. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass die
Weltbank in ihrer langen Geschichte als Finanzier von Infrastrukturprojekten und
Förderer von exportwirtschaftlichen Betrieben die Verflechtung Afrikas mit den
305
306 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
gelte und dass ihm deshalb die Folgen seiner Ausbeutungspolitik gleichgültig seien.
Außerdem sei Afrika als Kontinent mit noch ungenutztem Siedlungsland attraktiv
für auswanderungsbereite chinesische Bauern. Eine dritte Interpretation stellt die
opportunistische Stabilisierung von korrupten Diktaturen (wie in Angola und Nige-
ria) oder von rohstoffreichen Paria-Staaten wie Sudan, Südsudan und Simbabwe in
den Mittelpunkt. Eine vierte Interpretation sieht China in erster Linie als unfairen
Wettbewerber, der mit billigen Konsumwaren die Märkte in afrikanischen Ländern
zu überschwemmen und somit deren eigene Industrieproduktion zu ersticken
drohe; denn mit der kostengünstigen Massenproduktion aus China könnten die
afrikanischen Industrien in den Textil, Schuh- und Nahrungsmittelbranchen, die
erst im Aufbau gegriffen wären, nicht mithalten. Eine fünfte Interpretation sieht
China als alternative globale Ordnungsmacht, die im Rahmen ihrer Kulturoffensive
und ihrer globalen South-South-Kooperationspolitik der westlichen Hegemonie
Paroli zu bieten beabsichtigte.
Jedes dieser Argumente enthält ‚ein Körnchen Wahrheit‘, was nicht zuletzt
damit zusammenhängt, dass Chinas Afrikapolitik keineswegs als homogen oder
starr zu bezeichnen ist, sondern dass es mit unterschiedlich ‚interessanten‘ Ländern
unterschiedlich intensive ‚Partnerschaften‘ zu unterhalten versteht (McKinsey 2017).
Gemeinsam ist allen Beziehungsmustern, dass sie auf dem Prinzip des wechselsei-
tigen Nutzens basieren, wobei der Schutz der Menschenrechte keine Rolle spielt.
Im Folgenden soll anhand von fünf „Machtwährungen“ (in Anlehnung an die
Terminologie von Michael Staack 2013, S. 27) die Struktur und Dynamik dieser
Beziehungen genauer beleuchtet werden.
Machtwährung 1: Wirtschaft und Handel. Seit Jahren gehört die Volksrepublik
China zu den am stärksten prosperierenden großen Volkswirtschaften der Welt,
– mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 6 % und 12 %. Auch Chinas Handel
mit Afrika hat sich während der vergangenen zwanzig Jahre um mehr als das
60-fache gesteigert: von 3,86 Mrd. US$ im Jahr 1995 auf mehr als 200 Mrd. US$
im Jahr 2016/17. Afrika exportierte 2014 34 % seiner Ausfuhren in die Europäische
Union, 18 % nach China, 6 % nach Indien, und nur noch 5,5 % seiner Güterausfuhr
gelangten in die USA (nach Kappel, Pfeiffer & Reihen, www.oekonomenstimmen.
org). Ausländische Direktinvestitionen (FDI) sind ein anderer Indikator für wirt-
schaftliche Stärke. Auch hier hat China in kurzer Zeit eine Spitzenposition erreicht.
Nach UNCTAD-Angaben wuchsen sie von 9,33 Mrd. US$ im Jahr 2009 um das
2,3-fache auf 21,23 Mrd. US$ im Jahr 2012 (Zeleza 2014, S. 153). Bekannt sind
auch Chinas Package Deals: So nennt man Rohstoffgeschäfte der Volksrepublik,
bei welchem Dienstleistungen (z. B. Straßen- und Brückenbau) gegen das Recht
an zukünftigen Rohstoff-Importen getauscht werden. Aber nicht nur chinesische
Staatsbetriebe kaufen in Afrika Rohstoffe ein, sondern auch privatwirtschaftliche
307
308 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
sondern es belieferte das Regime auch selbst angeblich „zur Vorbereitung der
kommenden Wahlen“ mit Tausenden von chinesischen AK47-Gewehren (Taylor &
Wu 2013, S. 466.). Insgesamt wurden Waffen und Transportmittel im Wert von 240
Mio. US$ geliefert – unter anderem auch zwölf Jet-Kampfflugzeuge und hundert
Militärfahrzeuge (Taylor & Wu 2013, S. 467).
Machtwährung 4: Kulturelle Ausstrahlung: Auswärtige Kulturpolitik hat sich als
ein unverzichtbarer Bestandteil für die Gestaltung der Außenbeziehungen moder-
ner Großmächte erwiesen. Schon zu den Zeiten von Mao Tse-tung (1893-1976) und
Zhou En Lai (1898-1976) hat sich die Volksrepublik solchen Ländern eng verbunden
gefühlt, die eine blockfreie Außenpolitik betrieben – wie z. B. Tansania zur Zeit von
Präsident Nyerere. Der Bau der 1860 km-langen TANZAM-Eisenbahn, die – in
den 1970er Jahren von den Chinesen fertiggestellt – Kupfererz aus Sambia zum
tansanischen Hafen Daressalam beförderte (weil portugiesische Kolonialkriege
die Südrouten blockierten), war propagandistisch ein großer Erfolg. Aber erst in
den 1990er Jahren startete China eine Kulturoffensive, die ihresgleichen sucht:
Seitdem werden in immer größerem Umfang finanzielle Mittel eingesetzt, um
den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas auch kulturpolitisch mit
attraktiven Angeboten ans Ausland zu flankieren bzw. zu fördern.
Sichtbarstes Symbol dieser Strategie sind die mittlerweile mehr als 430 Kon-
fuzius-Institute in über 100 Ländern; aber auch der Aufbau und Ausbau von
Korrespondentennetzwerken sowie Stipendienprogrammen für Studierende aus
Entwicklungsländern gehören heute zur ‚Machtwährung Kultur‘ (Hefele, Merkle
& Zhivkov 2015, S. 58f.). Programmatisch weisen die staatlich organisierten Konfu-
zius-Institute Ähnlichkeiten mit den spanischen Cervantes-Instituten auf, da beide
einen starken Fokus auf Sprachunterricht legen. Im Jahr 2007 hatte die kommu-
nistische Führung unter Hu Jintao auf dem 17. nationalen Volkskongress das Ziel
verkündet: „to enhance culture as a part of the soft power of our country“ (zit. nach
Hefele, Merkle & Zhivkov 2015, S. 62). Soft power kann als ‚Ausübung von Macht
durch Überzeugung anderer‘ übersetzt werden, wobei im Falle Chinas die verbalen
Überzeugungskünste durchaus auch mit materiellen Wohltaten garniert werden.
Berühmt geworden ist China auch durch seine Großzügigkeit, die Realisierung
von Prestige- und Lieblingsprojekten afrikanischer Staatspräsidenten wie Stadien,
Paläste, Volkshallen oder Vergnügungsparks zu ermöglichen. Im Dienste von soft
power ist ferner die mediale Präsenz Chinas in Afrika stark ausgeweitet worden.
Seit 2012 unterhält der Fernsehsender CCTV Africa sein Hauptbüro in Nairobi/
Kenia; die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua verfügte 2012 über zwanzig Büros
in Afrika. „Die Regierung eröffnet zunehmend chinesischen Telekommunikati-
onsfirmen spezielle Investitionsanreize für Afrika, bietet afrikanischen Medien
technisches Know-how und lädt seit 2004 afrikanische Journalisten zu Schulungen
309
310 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
nach China ein…. Chinas Stimme findet so zunehmend Gehör und ist auf dem
Weg, zu einem einflussreichen Wettbewerber in der internationalen Medienwelt
zu werden“ (Hefele, Merkle & Zhivkov 2015, S. 70-71).
Auch die Reisediplomatie des chinesischen Staates kann als Teil der Kulturpolitik
angesehen werden, verknüpft mit wirtschaftlichen Eigeninteressen. Die zahlreichen
und hochrangigen Afrika-Besuche von Spitzenpolitikern aus China sollen die
Botschaft vermitteln, dass Peking – im Gegensatz etwa zu den USA – afrikanische
Regierungen als geschätzte Partner ernst nimmt, auch wenn diese ansonsten inter-
national isoliert sein mögen. Jedes afrikanische Land stellt für China, so die offizielle
Doktrin, einen wichtigen souveränen Partner dar, der mit Respekt und Toleranz
behandelt wird. Dass dadurch die Interessen der Zivilgesellschaft und die Anliegen
der für Menschenrechte kämpfenden Oppositionsgruppen geschwächt werden, wird
billigend in Kauf genommen (Manji & Marks 2007, S. 71f; Zeleza 2014; Moyo 2016).
Diese opportunistische Haltung Chinas hat dann für die afrikanischen Bevölke-
rungen besonders gravierende Auswirkungen, wenn im Menschenrechtsausschuss
der Vereinten Nationen (UN-Human Rights Council) die von westlichen Staaten ins
Spiel gebrachten Resolutionen gegen politische Länder (wie Sudan, Tschad oder
Simbabwe), die sich ethnic cleansing oder andere genozidale Verbrechen hatten zu
Schulden kommen lassen, abgewürgt werden (Halper 2010, S. 115).
Chinas Image als wohlwollender Hegemon Afrikas im Geiste internationaler
Solidarität wird nicht zuletzt durch die Gipfeltreffen und Konferenzen gepflegt,
die seit der Jahrtausendwende regelmäßig alle drei Jahre, mal in Peking, mal in
Afrika, stattfinden. Das erste Forum on China-Africa-Cooperation (FOCAC) hatte
im Oktober 2000 in Peking im Beisein von vier afrikanischen Präsidenten stattge-
funden; beim fünften Treffen in Peking im Jahr 2012 sprach der Gastgeber vor 50
afrikanischen Staats- und Regierungschefs und sagte ihnenWirtschaftskredite in
Höhe von 20 Mrd. US$ für die nächsten Jahre zu. Im Rahmen des African Talents
Program wurde die Schulung von 30.000 Personen versprochen sowie die Gewäh-
rung von Regierungsstipendien für 18.000 Studierende. (Zeleza 2014, S. 150). Beim
sechsten FOCAC-Treffen im Dezember 2015 erhöhte Staatspräsident Xi Jin-Ping
die finanzielle Unterstützung auf 60 Mrd. US$ für zinsfreie Kredite, zusätzlich
zu Lebensmittelhilfen an notleidende Menschen in Simbabwe. Kein westliches
Land hat jemals eine vergleichbare politisch schwergewichtige Veranstaltung mit
afrikanischen Staats- und Regierungschefs inszenieren können – auch die Com-
monwealth-Gipfeltreffen in London oder die Frankophonie-Gipfel in Paris können
sich mit Chinas FOCACs-Konferenzen nicht messen.
Die Übergabe des neuen Hauptquartiers der Afrikanischen Union in Addis Abeba
im Jahr 2013 stellte den vorläufigen Höhepunkt der chinesischen Charmeoffensive
dar: Zum 50-jährigen Bestehen der Organisation of African Unity (OAU), dem
14.4 China in Afrika: Seine fünf Machtwährungen 311
311
312 14 Internationale Entwicklungskooperation in Afrika
Diskussion
1. Welche historische Rolle spielte und spielt die Weltbank für die Entwicklung
afrikanischer Länder?
2. Erläutern Sie die Einwände afrikanischer Regierungen gegen die Economic
Partnership Agreements (EPAs) der Europäischen Union und beurteilen Sie die
diversen Standpunkte.
3. Worin unterscheidet sich Chinas Afrikapolitik von der Afrikapolitik westlicher
Industriestaaten? Beziehen Sie sich dabei auf das Konzept der ‚Machtwährungen‘.
Resümee und Ausblick:
entwicklungspolitische Perspektiven
15 Resümee und Ausblick
15
aber bereits einen demokratischen Aufbruch begonnen hat. Ägypten wird seit
Mai 2014 von Präsident Abdelfattach al-Sisi regiert, der im Juli 2013 den gewählten
Präsidenten Mohamed Mursi gestürzt hatte. Seitdem findet am Nil eine Restaura-
tion der repressiven Verhältnisse statt, die bereits vor dem ‚Arabischen Frühling‘
unter Präsident Husni Mubarak geherrscht hatten. Der hoch gerüstete Erdöl- und
Erdgas-Staat Algerien (dessen Bevölkerung in den 1990er Jahren einen Bürgerkrieg
mit 150.000 Toten zu erleiden gehabt hatte) wird von dem seit 1999 amtierenden
Präsidenten Abdel al-Aziz Bouteflika (seit Jahren schwer erkrankt) ‚regiert‘. Das
instabile Land kämpft mit großen Herausforderungen wie hoher Jugendarbeitslo-
sigkeit, Überschuldung und Korruption in der allgegenwärtigen Staatspartei Front
de Libération National (FLN).
Zweitens ist die kleine Gruppe der neun relativ erfolgreichen Länder mit
demokratischer Transition und gelenkter Marktwirtschaft zu nennen: Benin,
Botsuana, Ghana, Kapverden, Mauritius, Namibia, Senegal, Seychellen und Süd-
afrika. Es handelt sich um Länder, die auch schon beachtliche Fortschritte bei der
Entwicklung der nationalen Produktivkräfte erzielt haben. Vier Länder wurden
von internationalen Ratingagenturen mit einem Investment Grade versehen: Mau-
ritius, Botsuana, Namibia und Südafrika. Letzterer ist der einzige Staat Afrikas,
der nicht nur über bedeutende strategische Rohstoffressourcen verfügt, sondern
auch wettbewerbsfähige Industrien hervorgebracht hat. Unter dem Schlagwort
Black Economic Empowerment (BEE) hat die ANC-Regierung ein Wirtschafts- und
Investitionsprogramm aufgelegt, das hauptsächlich der neuen schwarzen Mittel-
schicht Aufstiegschancen ermöglichen soll.
Drittens ist die große Gruppe der defekten Demokratien mit autoritären Pat-
ronage-Regimen zu nennen, in denen der Staat nicht Teil der Lösung, sondern eher
Teil des Problems darstellt. Entwicklungschancen sind davon abhängig, ob es den
zivilgesellschaftlichen Kräften und einer konfliktfähigen Mittelschicht gelingt,
demokratische Reformen gegen staatlichen Widerstand durchzusetzen. Erkennbare
Ansätze dazu gibt es namentlich in Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Guinea, Kamerun,
Kenia, Mali, Malawi und Tansania. Von internationalen Investoren werden folgende
Länder als Märkte mit spekulativen Gewinnchancen eingestuft: Äthiopien, Angola,
Côte d’Ivoire, Gabun, Ghana, Kamerun, Kenia, Mosambik, Nigeria, Sambia, Senegal
und Tansania (nach World Bank: Africa’s Pulse, Washington, April 2016, S. 25).
Viertens ist die Gruppe der Staatszerfallsländer oder Failing States hervor-
zuheben: Somalia, Süd-Sudan, ZAR, Tschad, DR Kongo, Libyen, Sudan, Burundi,
Simbabwe (?) und Mali (?). Derzeit zählen Weltbank und IWF 19 Länder in Sub-
sahara Afrika zu den fragilen Staaten, – das sind 40 % aller Länder der Region mit
einem Viertel von Afrikas Gesamtbevölkerung von 1,216 Mrd. Menschen (2016).
Dabei ist im Auge zu behalten, dass es kein Naturgesetz in dem Sinne gibt, dass
15.1 Afrika als fragmentierter Kontinent: sieben Regional-Welten 315
failing states etwa für immer in diesem Zustand des Verfalls verharren müssten.
Die Ex-Bürgerkriegsstaaten Angola, Liberia, Mosambik, Sierra Leone und Ruanda
haben gezeigt, dass sich mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Ausland zerstörte
Nachkriegs-Gesellschaften erneuern und stabilisieren können. Allerdings hat die
Kriegsursachenforschung auch herausgefunden, dass Länder, die schon einmal einen
Bürgerkrieg erlitten hatten, mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder zum Schauplatz
militant ausgetragener Konflikte werden können (was auf Sudan, Uganda, Burundi
und Mali zutrifft).
Fünftens ist die Sondergruppe der fünf territorial großen erdölexportierenden
Länder zu nennen: Algerien, Angola, DR Kongo, Nigeria und Sudan. Gemeinsam ist
ihnen, dass deren Regierungen die beträchtlichen Rohstoffrenten bisher nicht zum
Wohle ihrer jeweiligen Bevölkerung zu investieren wussten (‚Fluch der Rohstoffe‘),
aber hohe Rüstungsausgaben tätigten. Sie alle hatten oder haben mit regional-sezes-
sionistischen Tendenzen zu kämpfen oder gar mit Anti-Regime-Kriegen. Die schiere
Größe der Staaten, die infrastrukturell und administrativ zu entwickeln, extrem
große Anstrengungen und Finanzmittel erforderlich macht, ist als strukturelles
Entwicklungshindernis (ein koloniales Erbe) nicht zu unterschätzen. Als Problem-
lösung wäre eine Politik der graduellen Dezentralisierung und Föderalisierung
angemessen, jedoch steht deren Realisierung die weit verbreitete Kontrollsucht der
Zentralstaaten entgegen, die der Logik folgt: Wer hohe Staatsrevenuen zu vergeben
hat, kann sich und seine Klientelnetze üppig bedienen und auf politische Loyalität
der Begünstigten hoffen.
Sechstens gibt es die Untergruppe von autoritär regierten Ländern mit entwick-
lungspolitisch orientierter Staatsführung, die dem Ideal des developmental state
nahe kommen. Inspiriert vom chinesischen Vorbild, wird das Ziel des wirtschaft-
lichen Fortschritts über das Gebot des Respekts vor Demokratie und Menschen-
rechten gesetzt. Dazu gehören vor allem: Äthiopien, Kenia, Ruanda und Uganda.
Als eher ressourcenarme Länder verbindet sie das Streben nach Diversifizierung
der Wirtschaft und partieller Integration in internationale Wertschöpfungsketten.
Und siebentens ist die Gruppe der Länder mit besonderen strukturellen Nach-
teilen zu nennen – Nachteile aufgrund geringer Binnenmarktgröße (Lesotho und
Swasiland), geographisch ungünstiger Lage (land-locked countries der Sahel-Zone),
einschließlich der kleinen Inseln (Sao Tomé and Principe und Komoren). Nur ‚klei-
ne Länder‘ mit Spezialisierung auf den Tourismus (Seychellen) haben begründete
Chancen auf ein gedeihliches Wirtschaftswachstum und einen relativen Wohlstand.
Werden die vier Typen wirtschaftlicher Systeme (siehe oben Kap. 2.14) mit denen
der politischen Systeme kombiniert, so ergibt sich eine Ländertypologie mit 13
Staaten-Gruppen, wie in Tabelle 15.1 illustriert:
315
316 15 Resümee und Ausblick
Eine Konsequenz dieser regionalen und politischen Fragmentierung Afrikas ist die
Tatsache, dass die Einrichtung regionaler Wirtschafts- und Entwicklungsgemein-
schaften, wie sie auch die Europäische Kommission mit den regionalen Economic
Partnership Agreements (EPAs) zu fördern beabsichtigt, immer schwieriger zu
erreichen sein wird. Auch für panafrikanische Gemeinschaftsinitiativen gibt es
kaum mehr eine materielle Basis.
Was die sozio-kulturelle Binnendifferenzierung der afrikanischen Gesell-
schaften angeht, so sind folgende fünf Veränderungstrends hervorzuheben: (a)
eine zunehmende soziale Polarisierung zwischen Stadt und Land, wobei die Ur-
15.3 Befunde und Entwicklungsperspektiven 317
banisierung im Sinne der ‚Ruralisierung‘ der Städte rasch voranschreitet; (b) der
Aufstieg der afrikanischen Mittelschichten (middle classes) in den wirtschaftlich
erfolgreicheren Ländern (Ländergruppen 2, 6 und 10); (c) die wachsende Bedeutung
von Religion und Ethnizität als Mittel der Identifikations-Konstruktion; (d) die
Sichtbarwerdung der Diskrimierung von Frauen und von Gender-Verhältnissen;
(e) Zunahme der ethnisch-kulturell-sozialen Spannungen und Konflikte um den
wirtschaftlichen Zugang zu Land-, Weide- und Wasser-Ressourcen, was als die in
Afrika allgegenwärtige Konfliktfolie in dichter besiedelten Regionen anzusehen ist.
Die Zahl der zu Mittelschichten gehörenden Afrikaner wird im Global Wealth
Report auf 18,8 Millionen veranschlagt. Ihnen wird ein Einkommen von 2 bis 13
US$ pro Kopf und Tag zugerechnet (Melber 2016, S. 53). Angehörige der Mittel-
schichten haben mehr Wahlmöglichkeiten, ihre etwas höheren Einkommen nach
individuellen Präferenzen (für Konsum oder für Kultur) auszugeben; aber sie gehö-
ren aufgrund ihrer besseren Verbindungen zu globalen Kommunikationsmärkten
paradoxerweise auch zu den Gruppen, aus denen sich mit Vorliebe migrationswillige
Wirtschaftsflüchtlinge rekrutieren.
Religion ist speziell für Menschen mit Zukunftshoffnungen ein wichtiges Aus-
drucksmittel geworden (Chidester, Tayob & Weisse 2004). Zahl und Bedeutung
christlicher Pfingstkirchen (Nigeria) und muslimischer Moschee-Gemeinden
(Sudan, Mali) nehmen zu, wobei die religiöse Selbstbehauptung auch als ein Mittel
sozialer Abgrenzung von anderen ‚Wir-Gruppen‘ funktioniert. Die anhaltende
Diskriminierung von Mädchen und Frauen im Erwerbsleben behinderte aber
Entwicklungsfortschritte, allerdings ist das Bewußtsein über Gender-Ungerech-
tigkeit in den urbanen Zivilgesellschaften gewachsen (UNIFEM 1995; Kihiu 2010,
Schäfer 2008, Verschuur, Guérin & Guéttat-Bernard 2014).
317
318 15 Resümee und Ausblick
aber beläuft sich nur auf etwa 3 %. Diese wirtschaftliche Marginalisierung des
Kontinents hat viele Ursachen; eine zentrale Ursache ist seit langem die in Jahr-
hunderten entstandene asymmetrische, unfaire Struktur der Handelsbeziehungen
zwischen politisch starken Industrieländern (den einstigen Kolonialmächten plus
Nordamerika) und den Ländern der Dritten Welt. Sie ist deshalb als ‚unfair‘ zu
bezeichnen, weil die Kluft in den Einkommen nicht in erster Linie das Leistungs-
ergebnis eines wirtschaftlichen Wettbewerbs war, sondern Resultat politischer
Gewalt in den Zeiten von Imperialismus und Kolonialismus. Gleichwohl haben es
afrikanische Gesellschaften wie beispielsweise Simbabwe, Nigeria oder Kamerun
– im Unterschied zu asiatischen Schwellenländern – aufgrund von Staatsversagen
versäumt, endogene Entwicklungspotentiale besser zu nutzen. Hinweise auf das
‚koloniale Erbe‘ können folglich immer weniger als Erklärung für ausbleibende
eigene Entwicklungsfortschritte Glaubwürdigkeit beanspruchen.
Etwa Dreiviertel aller Exporte bestehen immer noch aus natürlichen Rohstoffen,
wobei Erdöl und Erdgas einen prominenten Platz als Devisenbringer einnehmen (ne-
ben Gold, Diamanten, Kupfer, Chrom, Coltan, Bauxit und Tropenholz). Gleichzeitig
bedingt das Schwanken der Weltmarktpreise eine unvermeidliche Unsicherheit bei
der Planung von Staatsausgaben und Entwicklungsinvestitionen. Der starke Anstieg
der Rohstoffexporte hat afrikanischen Gesellschaften als Ganzes keinen Segen ge-
bracht, was nicht zuletzt auf die ruinöse Politik der aggressiven Steuervermeidung
global tätiger Rohstoffkonzerne (wie beispielsweise bei Glencore) zurückzuführen
ist. Lange überdeckte der Rohstoffboom die Tatsache, dass Afrikas wirtschaftliches
Hauptproblem, die geringe Teilnahme der verarbeitenden Wirtschaft an interna-
tionalen Wertschöpfungsketten, bis heute noch nicht gelöst ist. Afrika ist zwar im
Kapitalismus angekommen, der Kapitalismus aber noch nicht überall in Afrika
(siehe Goldberg 2008, S. 17).
III. Die geringe Produktivität des Agrarsektors vereitelt die Erzielung von Ernäh-
rungssicherheit. Der landwirtschaftliche Anteil an der nationalen Wirtschaftsleis-
tung beträgt nur etwa 22 %. Der Anteil der ländlichen Bevölkerung in Subsaha-
ra-Afrika ist von 87 % (1961) auf heute unter 60 % gesunken, doch hat sich deren
absolute Zahl verdreifacht und damit zugleich die ländliche Bevölkerungsdichte.
Die landwirtschaftliche Produktion ist zwar weniger als die Gesamtbevölkerung
gewachsen, aber deutlich stärker als die ländliche Bevölkerung. Etwa 60 % des
Produktionsanstiegs sind hierbei auf Flächenausweitung und etwa 40 % auf eine
Erhöhung der Flächenproduktivität zurückzuführen. Als Crux der afrikanischen
Landwirtschaft ist die immer noch zu niedrige Produktivität zu beklagen: „Kein
Pflug, kaum Tieranspannung, extensive Bodennutzung, wenig Einsatz von Agrar-
chemie, keine Mechanisierung, wenig Tierdüngung, dazu kommen ungünstige
natürliche Bedingungen wie nährstoffarme Böden, unregelmäßige Niederschläge
und die Belastung durch Krankheiten wie die von der Tse-Tse-Fliege verbreitete
Schlafkrankheit“ (Goldberg 2010, S. 120). Die Betriebsgrößen blieben über Jahrzehnte
weitgehend unverändert. Daher verspräche die Förderung der Innovationsfähigkeit
und der Markteinbindung der Kleinbauern die größten Fortschritte im Kampf
für Ernährungssicherheit (Nour & Münzig 2015; Rauch et al. 2016). Offensichtlich
verträgt sich dieser Ansatz jedoch nicht mit der heute weit verbreiteten Strategie
des Land Grabbing (Pearce 2012, Kress 2012, Schlimmer 2017). Empirische Un-
tersuchungen haben gezeigt, dass Investitionen im Rahmen von Land Grabbing
„der Nahrungsmittelsicherheit, dem Einkommen, den Lebensbedingungen und
der Umwelt der lokalen Menschen schaden“ (Committee on World Food Security:
Report of the High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition, 2011, S. 8).
319
320 15 Resümee und Ausblick
sowie in den Öl-Exportländern (Angola, Nigeria, Gabun) besonders hoch ist. Bei
der Suche nach den Ursachen ist die „zentrale Rolle der transnationalen Konzerne
wie Monsanto, DuPont und Syngenta im Welternährungssystem zu beachten“
(Naomi Hossain, Institute of Development Studies, in: WHH: Welthunger-Index
2017. Wie Ungleichheit Hunger schafft, Oktober 2017, S. 25 – 26).
VI: Das immer noch viel zu starke Bevölkerungswachstum (im Verhältnis zu den
verfügbaren Wirtschaftsressourcen) blockiert Afrikas Entwicklung wie kein anderer
einzelner Faktor. Bis 2050 wird Afrikas Bevölkerung möglicherweise von heute 1,216
Mrd. Menschen auf 2,47 Mrd. Menschen angewachsen sein. Während seit 60 Jahren
die Geburtenrate weltweit von ca. 5 auf 2,5 Kinder pro Frau halbiert werden konnte,
15.3 Befunde und Entwicklungsperspektiven 321
ist die Rate in Afrika nur geringfügig gesunken: auf 4,7 im Jahr 2015. Jedes Jahr
wachsen ca. 20 Millionen Jugendliche heran, die einen Job suchen, aber nur etwa
zwei Millionen junge Menschen können jährlich in formellen Wirtschaftssektoren
eine Arbeit finden. Die große Mehrheit des wachsenden Arbeitskräftepotentials von
jährlich 18 Millionen wird also weiterhin in ungesicherte Tätigkeiten mit jeweils
sehr niedrigem Produktivitäts- und Einkommensniveau gedrängt. Junge Männer
und Frauen werden im Zuge der von der Not erzwungenen Landflucht in Afrikas
überquellende Megacities abwandern und sich dort irgendwie durchzuschlagen
versuchen. Ein Teil von ihnen wird an den Folgen struktureller Gewalt in den
Slums der Millionenstädte frühzeitig sterben. Wen wundert es dann, dass Jugend-
lichen ohne Perspektive daheim die vage Aussicht auf ein Leben in Europa (oder
in Nordamerika) verlockend erscheint? Flucht und Migration erscheinen ihnen
als rationaler Ausweg aus ihrer selbst nicht verschuldeten Misere. Dabei ist ein
politisch schwer lösbarer Interessenkonflikt entstanden: afrikanische Regierungen
und Gesellschaften plädieren für geschützte Binnenmärkte und offene Grenzen
zwischen Afrika und Europa, während sich Politiker in EU-Staaten mehrheitlich
für offene Märkte in Afrika und bewachte Grenzen an den Rändern der ‚Festung
Europa‘ einsetzen.
VII. Der ländliche Agrarraum als Überlebensraum für die große Mehrheit der
Bevölkerung ist an seine Leistungsgrenzen gestoßen: Solange sich afrikanische
Familien dorthin zurückzuziehen vermochten, konnten sie mit Hilfe weitver-
zweigter Verwandtschaftsbeziehungen überleben und dem sozialen Abstieg in ein
Lumpenproletariat entgehen. Nicht das Motiv der Profitmaximierung bestimmte
bei ihnen die Logik ihres Handelns, sondern das Interesse am Erhalt der familiä-
ren Produktionseinheit. Angesichts einer durchschnittlichen Verdoppelung der
Bevölkerung alle 25 bis 28 Jahre (seit 1960) ist die vormoderne afrikanische Pro-
duktionsweise überfordert und aus den Fugen geraten. Dringend erforderlich ist
daher in allen Ländern eine Modernisierung und Kapitalisierung der bäuerlichen
Landwirtschaft (Mills, Herbst, Obasanjo & Davis 2017).
321
322 15 Resümee und Ausblick
IX: Nicht Geld ist der Schlüssel zur Entwicklung, sondern politische Entschlos-
senheit und fachliche Kompetenz bei den staatlich Verantwortlichen. Die hier
präsentierten empirischen Fallstudien bestätigen die Erkenntnisse der Theorie des
Entwicklungsstaates (developmental state). Der postkoloniale Patronage-Staat,
welcher auf extraktive Praktiken zum Zwecke der Selbstbegünstigung seiner
unproduktiven Kaste (Staatsklasse) abzielt, blockiert mit seiner positionellen
Verhinderungsmacht die Entstehung einer einheimischen Unternehmerklasse:
Als gate-keeper (Türhüter) von Einnahmen und Ausgaben, von Importen und
Exporten kontrolliert er Handel und Wirtschaft und entwickelt sich im Extremfall
(Simbabwe, DR Kongo, Angola, Nigeria) zu einer ‚Plünderungsmaschine‘ (looting
machine im Sinne von Burgis 2015). Bei den Rohstoffexportländern bestimmt die
Mentalität des rent-seeking die Politik und lähmt dadurch die Rationalität des
profit-seeking auf Seiten der nationalen business community. Der verführerische
Reichtum an natürlichen Rohstoffen hat dazu beigetragen, dass sich vielerorts ein
solches akkumulationsfeindliches politisches Milieu entwickeln konnte (‚Fluch der
Rohstoffe‘). Dazu gehört eine vielerorts endemisch gewordene Korruption auf der
Ebene der Staatsbürokratie, die die volkswirtschaftliche Leistung erheblich drosselt.
X. Vieles spricht für die These, dass die bisher üblichen Verfahren der internatio-
nalen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) den Entwicklungsprozess afrikanischer
Länder (besonders in den oben genannten Ländergruppen 3 und 4) nicht wesentlich
gefördert haben (insgesamt hat das postkoloniale Afrika ca. 1,2 Billionen US $ an
öffentlicher und privater ‚Entwicklungshilfe‘ erhalten). Während auf der lokalen
Mikro-Ebene bei einzelnen Entwicklungshilfe-Projekten Erfolge erzielt wurden
(Ausbau der Infrastruktur, Hebung des Bildungs- und Gesundheitsniveaus, Erhö-
hung der Ernährungssicherheit), sind die erhofften positiven Wirkungen auf der
nationalen Makro-Ebene weitgehend ausgeblieben. Stattdessen ist ein zu Recht viel
beklagtes Abhängigkeitssyndrom bei den bürokratischen Eliten der begünstigten
Staaten entstanden, das Reformwillen und Eigeninitiativen lähmt. Die EZ-Mittel
für das sub-saharische Afrika haben sich in den vergangenen 15 Jahren auf ca.
15.3 Befunde und Entwicklungsperspektiven 323
50 Mrd. US$ jährlich erhöht (Official Development Aid), und 16 Länder erhielten
mehr als 10 % ihres Brutto-Nationaleinkommens durch ODA-Mittel, was der ad-
ministrativen Korruption Tür und Tor öffnete, wie afrikanische Autoren beklagen
(Moyo 2009; Shikwati 2011; Nebe 2011). Gleichwohl soll nicht in Abrede gestellt
werden, dass auch dieser Policy-Bereich als ein permanenter Lernprozess zu ver-
stehen ist, in dem sich kluge und engagierte Wissenschaftler und Praktiker seit
Jahrzehnten um Verbesserung der angewandten Methoden bemühen. „Die Suche
nach den Stellschrauben zur Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungspolitik“
(Faust & Neubert 2010, S. 78), wie das Mantra der offiziellen EZ seit Jahrzehnten
lautet, ist verständlich, aber möglicherweise auf den viel befahrenen Wegen wenig
ergiebig, wenn nicht sogar kontraproduktiv (Illy 2007). Eine ‚Entgiftung‘ der in-
ternationalen Entwicklungszusammenarbeit täte not (Kölner Memorandum zur
Entwicklungspolitik 2016; Deaton 2016).
Auch in Afrika können Gesellschaften nicht von außen entwickelt werden, wenn
der nationale Wille auf oberster Regierungsebene (das Bekenntnis zu ownership)
dazu fehlt. Die Rezepturen der Weltbank und anderer Geberorganisationen haben
meistens deshalb nicht gewirkt, weil die Märkte in Afrika „unvollkommen, oligo-
polistisch, exklusiv und zersplittert“ sind (Molt 2010, S. 33). Ohne eine effiziente,
relativ eigenständig operierende Verwaltung durch Professionals, die geeignete
politische und rechtliche Rahmenbedingungen für die Entfaltung von kleinen und
mittleren Unternehmen zu setzen in der Lage ist (die auch befolgt werden!), kann
Entwicklung im Sinne der Selbstermächtigung der Gesellschaft nicht gelingen.
Jedes afrikanische Land bräuchte seine eigene Reformagenda (Olopade 2014; Mills,
Herbst, Obasanjo & Davis 2017, S. 262f.). Gefördert werden sollten daher Mitsprache
und Respekt vor den Prioritäten der lokalen Bevölkerung, zu denen die Schaffung
eines nachhaltigen Einkommens aus Erwerbsarbeit als höchste Priorität gehört.
Dem Tansania-gebürtigen Präsidenten der Society for International Development
(SID), Juma V. Mwapachu, Ex-Generalsekretär der Ostafrikanischen Gemeinschaft
(2006-2011), soll das letzte Wort gehören. Befragt nach einem Ratschlag für die
Zukunft Afrikas antwortete er:
„Ich denke, dass das Narrativ von einer neuen Führungsschicht kommen sollte (a
new breed of leadership). Der Ausdruck ‚Führung‘ wird meines Erachtens zu sehr mit
politischer Führung assoziiert. Die neue Führung muss aus der ganzen Gesellschaft
erwachsen. Wir müssen die Energien von Afrikas jungen Menschen nutzen…Das
Narrativ sollte das afrikanische Denken wieder auf die afrikanische Einheit und
Afrikas wirtschaftliche Transformation als Kontinent fokussieren…Ich denke, dass
es wichtig ist, die Rolle des developmental state wieder herzustellen, nicht etwa nach
sozialistischen, ideologischen Prinzipien, sondern als Entwicklungsstaat innerhalb
einer sich wandelnden globalen wirtschaftlichen Landschaft, in der er zuerst die
nationalen Interessen festlegt“ (Mwapachu 2012, S. 443 und 448).
323
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