Das Kriterium Des Handelns
Das Kriterium Des Handelns
˙ ˙
Das Kriterium des Handelns
Abū-Hamid Muhammad al-Ghazālı̄
˙ ˙
ISBN-13: 978-3-534-19039-3
ISBN-10: 3-534-19039-4
„Alle Menschen sind tot außer denen, die das Wissen besitzen;
alle Wissenden sind tot außer denen, die es üben;
alle Handelnden sind tot außer denen, die aufrichtig sind.
Die Aufrichtigen befinden sich in großer Gefahr.“
Zur Umschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
IV. Über die Läuterung der Seele, ihre Kräfte und der
Unterscheidungsmerkmale in Beispielen und im allgemeinen . . 97
V. Über das Verhältnis der Seelenkräfte zueinander . . . . . . . . . 104
VI. Über das Verhältnis des Wissens zum Handeln . . . . . . . . . . 108
VII. Über den Unterschied zwischen dem Weg der Sūfı̄’s zum Wissen
und dem der anderen . . . . . . . . . . . . . ˙. . . . . . . . . . . 112
VIII. Über den besten dieser beiden Wege . . . . . . . . . . . . . . . . 116
IX. Über die Arten jenes Wissens und Handelns, welche zum
Paradies führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
X. Über Analogien zur Stellung der Seele zu den mit ihr streitenden
Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
XI. Über die Rangstufen des Kampfes der Seele gegen die
Leidenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
XII. Über die Möglichkeit, die ethische Gesinnung zu ändern . . . . . 130
XIII. Über die allgemeine Methode, die Charaktereigenschaften zu
verändern und mit der Leidenschaft umzugehen . . . . . . . . . 133
XIV. Über die Summe aller Tugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
XV. Ausführliche Darstellung der Wege zur Verbesserung der
Charaktereigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
XVI. Über die Kardinaltugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
XVII. Über das, was der Tugend der Weisheit und ihren Lastern, List
und Dummheit, zugeordnet wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
XVIII. Über das, was der Tugend der Tapferkeit zugeordnet wird . . . . 151
XIX. Über das, was der Tugend der Enthaltsamkeit und ihren Lastern
zugeordnet wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
XX. Über die Motive, die zur Suche nach den diesseitigen Gütern
veranlassen, und die, die davon abhalten . . . . . . . . . . . . . . 158
XXI. Über die verschiedenen Arten des Glücks und der Glückseligkeit 163
XXII. Über Ziele und Bedeutung der verschiedenen Arten des Glücks . 169
XXIII. Über lobens- und tadelnswerte Handlungen, die durch das
Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Veranlagung
zum Zorn hervorgerufen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
XXIV. Über die Bedeutsamkeit der Vernunft, des Wissens und des
Lehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
XXV. Über die Notwendigkeit des Lernens, um die Bedeutsamkeit der
Vernunft darzutun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
XXVI. Über die Arten der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
XXVII. Über die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers in den
religiösen Wissenschaften, die zur Glückseligkeit führen . . . . . 192
XXVIII. Über die Aufgaben bei der Einnahme von Geldern und deren
Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
XXIX. Der Weg zur Vermeidung des Kummers im Diesseits . . . . . . . 222
XXX. Über die Verbannung der Angst vor dem Tod . . . . . . . . . . . 226
XXXI. Über das Kennzeichen der ersten Etappe derjenigen, die sich
auf den Weg des erhabenen Gottes begeben . . . . . . . . . . . . 231
Inhalt 9
XXXII. Über den Sinn der Lehrmeinung und der Streit der Menschen
darüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
A. Literaturverzeichnis zu der Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . 309
B. Literaturverzeichnis zu den Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 311
I. Schriften von al-Ghazālı̄ und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . 311
II. Schriften anderer islamischer Denker, sofern sie für den Text von
al-Ghazālı̄ relevant sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
III. Grundwerke zur islamischen Religion, Kultur, Philosophie und zur
arabischen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
IV. Sekundärliteratur zu al-Ghazālı̄, zur islamischen Mystik, Philosophie
und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
V. Grundwerke und Handbücher zur Philosophie, Theologie und zu
anderen Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
VI. Sekundärliteratur zur Philosophie und zu anderen Disziplinen . . . 319
Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
I. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
II. Termini und ihre Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
A. Arabisch-deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
B. Deutsch-arabisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Vorwort
Die drei Arbeiten: 1. al-munqid min ad-dalāl (Der Erretter aus dem Irrtum),
2. misˇkāt al-anwār (Die Nische ¯der Lichter)
˙ ˙ und 3. das vorhandene Werk mı̄zān
al-2amal (Das Kriterium des Handelns) haben eine Vorgeschichte. Während mei-
ner Lehrtätigkeit an den Universitäten Marburg, Tübingen und Göttingen spürte
ich das Verlangen meiner Studenten nach der Lektüre klassischer islamischer Au-
toren in deutscher Sprache. Diesen Wunsch äußerten auch einige meiner Freunde.
Ich fand in Abū-Hāmid al-Ghazālı̄ einen geeigneten Autor, insofern seine Schrif-
ten, wie die oben˙ erwähnten, in deutscher Sprache bis jetzt unbekannt sind. Au-
ßerdem ist seine Auseinandersetzung mit den Philosophen eine interessante Dar-
stellung und bildet einen Gegensatz zu den islamischen Aristotelikern wie
Avicenna und al-Fārābı̄, deren Schriften zum Teil viel früher ins Deutsche über-
tragen wurden. Gleichzeitig bieten diese Übersetzungen einen Blick in die Reli-
gionsphilosophie und Ethik des Islam, wie sie von al-Ghazālı̄ vertreten werden.
Seine Meinung gilt in vieler Hinsicht bis heute noch in der islamischen Welt als
Argument für den Islam, „hug ˇ ǧat al-Islam“.
˙
Lange Sätze, der Nominalstil sowie die Mehrdeutigkeit der ethischen Begriffe,
wie „huluq, Charaktereigenschaft, ethische Gesinnung“, „haqq, Recht, Wahrheit“
˘ Auflistung moralischer Begriffe, die der Autor unter
oder die ˙ den Kardinaltugen-
den und deren Gegensätze aufgestellt hat (s. D 274 ff.), stellen große Probleme bei
der Übersetzung dar. Meine Mitarbeiter(innen), die Germanistik im Hauptfach
absolviert hatten, spürten die Härte und die Schwierigkeiten bei der Korrektur
meiner Übersetzung. Viel Zeit muß bei der Prüfung der einzelnen Möglichkeiten
und Varianten aufgewandt werden, um möglichst den genauen Sinn, den der Autor
vertritt, zu übertragen.
Einen herzlichen Dank richte ich an alle, die mich bei meinem Vorhaben unter-
stützt haben. Besonders danke ich Frau Susanne Schewior-Popp, Marita Giesecke
und Dr. phil. Anke Bosse für ihre Mühe und Anstrengungen sowie für ihre Ge-
duld, die sie bei der Korrektur meiner Übersetzung aufbrachten. Frau Dr. Anke
Detken gilt mein außerordentlicher Dank für ihre Sorgfalt, Genauigkeit und die
vortrefflichen Vorschläge bei der Korrektur meiner Arbeit während ihrer Pro-
motion am Deutschen Seminar der Universität Göttingen. Auch nachdem sie eine
Stelle als wissenschaftliche Assistentin angetreten hatte und an ihrer Habilitation
arbeitete, hat sie mich weiterhin geduldig unterstützt. Sie wirkte außerdem mit bei
der Korrektur meiner Einleitung und dem größten Teil meiner Anmerkungen.
Vielen Dank schulde ich meinem Freund Dr. Gerd Schrammen, Akademischer
Rat am Seminar für Romanische Philologie der Universität Göttingen. Er hat ei-
nige Kapitel des Textes von al-Ghazālı̄ durchgesehen sowie die zweite Hälfte mei-
ner Anmerkungen zu dem Text des mı̄zān korrigiert. Seine Verbesserungsvor-
schläge, die teils in der Bibliothek des Seminars für Romanische Philologie sowie
12 Vorwort
bei ihm privat stattfanden, haben dazu beigetragen, Text und Anmerkungen in die
bestmögliche Fassung zu bringen.
Es sind bescheidene Arbeiten, jedoch mühselige Tätigkeiten, mit denen ich ver-
suche, diesen großen Denker auf dem Gebiete der Erkenntnistheorie, Mystik und
Ethik in deutscher Sprache bekannt zu machen. Ich hoffe damit den Wunsch vieler
erfüllt zu haben.
Bei den Anmerkungen habe ich versucht, mich auf die Beiträge zu beschränken,
die den Zugang zu dem Text von Gh. erleichtern und neue Informationen und
Erkenntnisse hinzufügen, die in den bekannten Nachschlagewerken nicht vorhan-
den sind. Sie erstrecken sich auf verschiedene Gebiete der Philosophie, der klassi-
schen Philologie, der Geschichte, der arabischen Sprache und Literatur. Der reli-
gionsphilosophische und ethische Aspekt bleibt aber dominant. Er bleibt es auch
insbesonders bei der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse und der Beschrei-
bung der bedeutenden Persönlichkeiten.
Bei der Interpretation koranischer Stellen habe ich mich auf das Wesentliche
beschränkt. Meinungsverschiedenheiten unter den islamischen juristischen Schu-
len und Glaubensrichtungen wurden wenig berücksichtigt, oder es werden nur
kurze Hinweise gegeben. Wer weiteren Aufschluß sucht, mag die Stellen bei einem
der Kommentatoren, wie ar-Rāzı̄ und anderen, nachschlagen. Für den Nichtfach-
mann mögen die abgekürzten Kommentare und Hinweise ausreichen. An man-
chen Stellen habe ich mehr als einen Kommentar benutzt, entweder um eine Mei-
nung zu festigen oder eine Neuigkeit hinzuzufügen.
Ferner habe ich bei dieser wichtigen Arbeit, die mehrere Fachrichtungen be-
rücksichtigt, griechische neben deutsche und arabische Terminologien an den pas-
senden Stellen angegeben.
Das ist besonders für den Fachmann und den Studierenden der Philosophie und
der philologischen Wissenschaften eine zusätzliche Hilfe. Es ist ganz gewiß, daß
unser Autor die Schriften der griechischen Philosophen, wie Platon und Aristote-
les, in den arabischen Übersetzungen gelesen hat, die bereits im neunten Jahrhun-
dert in Umlauf unter den gebildeten Muslimen waren, s. Einleitung, III. Auch
wenn sie nicht namentlich erwähnt werden, so sind sie und ihre islamischen An-
hänger wie Avicenna, al-Fārābı̄ und andere gemeint. Möglicherweise will Gh. sein
Werk nicht an eine bestimmte Epoche anbinden und sich nicht auf diese berühm-
ten Philosophen allein beschränken. Denn das Werk richtet sich – wie der Leser
selbst feststellen kann – gegen die Alleinherrschaft der Vernunft in praktischer
Hinsicht und gegen den Versuch, die Metaphysik aus der Ethik zu verbannen.
Gegen solche Versuche richtet sich der Autor, indem er darauf hinweist, daß beide,
Vernunft und Religion, die Quellen für die Moral sind. Die Vernunft kann nicht
Gott und seine Offenbarung ersetzen. Das ist das Ziel des Werkes von al-Ghazālı̄.
Bei der Anwendung von EDV war ich auf die Hilfe der Gesellschaft für Wissen-
schaftliche Datenverarbeitung in Göttingen (GWDG) angewiesen. Ich danke al-
len Mitgliedern dieser Gesellschaft, die mich bei der Durchführung meines Plans,
sei es bei der Beratung, sei es bei der Benuzung ihrer Geräte untersützt haben.
Mein herzlicher Dank gilt Herrn Professor Dr. Hartmut Koke, der mir bei der
Beratung zur Beschaffung von EDV-Geräten behilflich war. Ebenso gilt mein au-
Vorwort 13
ßerordentlicher Dank Herrn Günter Koch, der mich bei der Durchführung meines
Arbeitsplans anfänglich auf Geräte der GWDG unterstützte. Unentbehrliche Hil-
fe leisteten mir Herr Manfred Eyßell, Herr Norbert Weisser und Herr Alı̄ Pileh-
war. Für ihren persönlichen Einsatz bei der Lösung von Problemen, die bei der
Arbeit an meinem eigenen Gerät aufgetreten sind, danke ich sehr herzlich.
Bei der Erledigung meiner Wünsche auf diesem Gebiet half mir weiter schnell
und fachkundig die Fa. IMA in Kassel und Herr Ralf Dittmann, Herr Professor
Dr. Rüdiger Lohlker, Dr. Martin Meyer und Wilhelm Habermann. Ihnen allen und
den arabischen Fachleuten 2Abbās Sebehı̄ und Herrn 2Amr Sadek gilt mein auf-
richtiger Dank. Herrn Dr. Ralf Ohlhof ˙gilt mein herzlicher ˙Dank dafür, daß er
zusammen mit mir meine Einleitung zu dem Werk von Gh. gelesen hat, wodurch
Druckfehler beseitigt werden konnten. Herzlichen Dank richte ich an die Wissen-
schaftliche Buchgesellschaft, an die Programmleitung und Herrn Dr. Dirk Palm
sowie an das Lektorat und Herrn Dr. Bernd Villhauer für ihre Entscheidung, das
Werk von al-Ghazālı̄ zu veröffentlichen, wodurch das kritische Denken al-Gha-
zālı̄s besonders dem Leserkreis der WBG vermittelt werden kann. Ebenso danke
ich der Herstellungsabteilung der WBG und Frau Myriam Nothacker und Herrn
Henning Uhrhan sowie der Setzerei Fa. Satzweise und Herrn Dr. Jean Urban
Andres für ihre Geduld und Achtsamkeit bei der Durchführung aller Arbeiten,
der Transkription der arabischen Sprache, der griechischen und hebräischen Texte.
Es bleibt die Hoffnung, daß der Leser den höchstmöglichen Nutzen aus meinen
Arbeiten zieht.
ﺍ alif a im In- und Auslaut durch 3 dargestellt. Bei der Verlänge-
rung der Aussprache tritt ein Dehnungszeichen hinzu: ā
ﺏ bā3 b wie in Bach, Birke, bunt
ﺕ tā3 t wie in Tag, Titel, Turm
ﺙ tā3 t wie im Englischen thank
ﺝ ǧ¯ ı̄m ǧ¯ wie im Englischen George
ﺡ hā3 h stimmloses, tief in der Kehle zusammengepreßtes h
ﺥ h˙ ā3 h˙ wie in Buch
ﺩ ˘
dāl d˘ wie in Dach, Diele
ﺫ dāl d wie im Englischen that, the
ﺭ ¯
rā3 r¯ wie in Rolf, Reim
ﺯ zāy z wie in Sand, Sache, Sinn
ﺱ sı̄n s wie im Englischen Sam, Saloon
ﺵ ˇsı̄n ˇs wie in schmal, Schule
ﺹ sād s ein emphatisches, stimmloses s
ﺽ ˙ ād
d d˙ ein dumpfes stimmhaftes d
ﻁ t˙ā3 t˙ ein dumpfes stimmloses t
ﻅ ˙
zā3 z˙ ein dumpfes stimmhaftes s
ﻉ 2ain 2˙ eingepreßter, ganz weit hinten gebildeter a-haltiger Kehl-
laut
ﻍ ġain ġ ein stimmhafter, dem Gaumen-r ähnlicher Reibelaut
ﻑ fā3 f wie im Deutschen f, ein stimmloser labiodentaler Reibe-
laut wie in finden, fand
ﻕ qāf q stimmloser Verschlußlaut; ein hinten am Gaumensegel
gesprochenes k
ﻙ kāf k wie in Kapitel, Kanne
ﻝ lām l wie in Laut, Lesen
ﻡ mı̄m m wie in malen, Metall
ﻥ nūn n wie in nach, nicht
ﻩ hā3 h wie in Hand, Hund
ﻭ wāw w wie im Englischen with
ﻯ yā3 y wie in jung, Jura
Zur Umschrift 15
In der Vokalisation arabischer Texte bin ich im Prinzip den Regeln von Ewald
Wagner gefolgt, vgl. „Regeln für die alphabetische Katalogisierung von Druck-
schriften in den islamischen Sprachen‘‘, Wiesbaden, Otto Harrassowitz 1961. An
einigen Stellen bin ich von diesen Regeln abgewichen.
Die Betonung liegt in der Regel dann auf der letzten Silbe eines Wortes, wenn
sie aus einem langen Vokal oder Diphthong und mit schließendem Konsonanten
besteht, wie z. B. 2ulūm (Wissenschaften), ma2qūl (begreiflich); anderenfalls auf der
vorletzten Silbe, wenn sie einen langen Vokal oder einen Diphthong hat oder mit
einem Konsonanten endet, wie qarrara (beschließen).
Siglen und Abkürzungen
1. Allgemeines
arab. arabisch
d. h. das heißt
ebd. ebenda
Gh. al-Ghazālı̄
hrsg. herausgegeben von
ih. ihjā3 2ulūm ad-dı̄n (Wiederbelebung der Religionswissenschaften)
˙
mı̄zān ˙
mı̄zān al-2amal (Das Kriterium des Handelns)
n. H. nach al-Hiǧra (islamische Zeitrechnung)
jh. Jahrhundert
s. f. siehe ferner
u. und
vergl. vergleiche
wört. wörtlich
2. Die Handschriften
Diese Ausgabe ist vergriffen, sie wird aber in den Fußnoten erwähnt, wo dies er-
forderlich ist.
Im Text ist am Seitenrand der jeweilige Seitenbeginn der arab. Ausgaben und
die genaue Stellenbezogenheit durch Unterstreichen der ersten zwei Buchstaben
Siglen und Abkürzungen 17
des betreffenden Wortes angegeben. Dem Kenner der arab. Sprache wird dadurch
ein Vergleich des übersetzten Textes mit dem Text der Ausgaben erleichtert.
Die Koranübersetzungen
Korankommentare
I.
Die Bedeutung der vorhandenen Schrift und ihre Stellung
innerhalb des Gesamtwerkes von al-Ghazālı̄
Das Kriterium des Handelns (mı̄zān al-2amal) ist eines der wichtigsten Werke über
die Ethik, das al-Ghazālı̄ geschrieben hat 1 .
C. Brockelmann ist der Meinung, daß dieses Werk zu der letzten Phase der
schriftstellerischen Tätigkeit des islamischen Denkers gehört, welche von 495 bis
505 n. H. (1101–1111 n. Chr.) dauerte und zu der auch die beiden Schriften „Die
Nische der Lichter“ (misˇkāt al-anwār) und „Der Erretter aus dem Irrtum“ (al-
munqid min ad-dalāl) gehören 2 .
¯
M. Beuyges ˙ordnet
˙ hingegen das Kriterium mit zahlreichen anderen wichtigen
philosophischen und juristischen Schriften einer früheren Epoche zu, welche zwi-
schen den Jahren 478 und 488 n. H. (1085 und 1095 n. Chr.) liegt, mit der Bemer-
kung, daß mı̄zān al-2amal ein „ouvrage de morale“ ist, „qui peut déja être rangé
dans la serie religieuse; …“ 3 .
Die Schwierigkeit, diese These zu bejahen, besteht darin, daß die in dieser Epo-
che erwähnten Schriften mit Ausnahme von „tahāfut al-falāsifa“ (Die Wider-
sprüchlichkeit der Philosophen) sich thematisch wie inhaltlich auf andere Gebiete
beziehen als „mı̄zān al-2amal“ (Das Kriterium des Handelns), welches den prakti-
schen ethischen Wissenschaften angehört, während die anderen entweder dem
Gebiete der theoretischen oder juristischen Wissenschaften zugeordnet werden
können.
Es kommt ferner hinzu, daß das Kriterium des Wissens, wie es eine Handschrift
der tahāfut, welche im Jahre 1095 n. Chr. geschrieben worden ist, beweist, daß
„mi2yā al-2ilm“ (Das Kriterium des Wissens) um die Zeit der Verfassung der „Wi-
dersprüchlichkeit der Philosophen“ geschrieben wurde. Es ist aber sicher, daß das
„Kriterium des Handelns“ später als „Das Kriterium des Wissens“ geschrieben
wurde, wie es aus einem Hinweis in diesem Werk hervorgeht, daß er später ein
Werk unter dem Titel „Kriterium des Handelns“ schreiben werde 4.
Der mystische Charakter ist ein Bindeglied zwischen den drei Schriften „misˇkāt
al-anwār“ (Die Nische der Lichter), „al-munqid min ad-dalāl“ (Der Erretter aus
¯
dem Irrtum) und „mı̄zān al-2amal“. Diese Gemeinsamkeit ˙ ˙ führt zu der Annahme,
daß „mı̄zān al-2amal“ (Das Kriterium des Handelns) in derselben Epoche wie die
beiden erwähnten Schriften geschrieben worden ist.
Dort, in „al-munqid …“ (Der Erretter …) und in „misˇkāt …“ (Die Nische …),
¯
20 Einführung
spricht Gh. über die Bedeutung der Mystik für die Erkenntnis Gottes. Hier, in
„mizān al-2amal“ (Das Kriterium …), wird diese Bedeutung im Zusammenhang
der Ethik im allgemeinen und der Glückseligkeit des Menschen im besonderen
hervorgehoben 5 . Man sollte daher (Das Kriterium …) in dieselbe Phase ein-
ordnen, wie (Der Erretter …), welche von 499 bis 503 n. H. (1105–1111 n. Chr.)
dauerte.
In diesem Zusammenhang stimme ich mit H. Hachem darin überein, der die
Bedeutung des „mı̄zān …“ und seine Einordnung innerhalb des Denkens Ghs
mit folgenden Worten beschreibt: „L’on voit ainsi que l’ouvrage dont nous don-
nons ici la traduction est l’un des derniers que Ghazzali ait écrit au crépuscule de sa
vie. À ce titre, il offre à la psychologie religieuse vécue, à l’éthologie comparée et à
l’histoire de la pensée islamique en général un document de tout premier ordre,
puisqu’il marque dans les conceptions d’une des ses figures grandioses, presque le
point final“ 6 .
Teil später als der in „ihyā3 …“ geschrieben wurde, wenn man seine Echtheit vor-
aussetzt 15 . 6. Schließlich˙ stellt Watt die Frage nach der Einheit des Werkes und
meint dazu, daß Gh. möglicherweise ein Werk unter diesem Titel geschrieben hat,
das jedoch viel kürzer ist als das vorliegende. In einem Appendix versucht Watt,
das „genuine“ Werk zu rekonstruieren. Wichtige Teile des vorliegenden Werkes
werden dabei außer acht gelassen 16 . Er gelangt weiter zu der Meinung, daß die
aristotelische Tugendauffassung als der richtige Mittelweg dargelegt und gerecht-
fertigt wird 17 .
Später wird gezeigt, wie auch diese Meinung über das Werk von Gh. unstichhal-
tig ist. Im Gegenteil beabsichtigt Gh. mit diesem Werk der aristotelischen Ethik zu
widerlegen.
Die Ansichten von W. M. Watt, daß das vorliegende Werk nicht authentisch sei,
sind abzulehnen. Nicht etwa, weil er mit dieser Auffassung allein steht, sondern
weil die Argumente, auf die er sich stützt, keineswegs ausreichend sind.
Die Autorität der Vernunft wird von Gh., sei es in dieser, sei es in anderen
Schriften, nicht angezweifelt. Hierbei genügt ein Hinweis auf die Schrift „ihyā3 …“
(Die Wiederbelebung …), in der Gh. diejenigen Menschen der Ignoranz ˙bezich-
tigt, die die Vernunft aus dem Bereich der Religionswissenschaften ausweisen.
Den anderen, die sich nur mit Vernunfterkenntnis begnügen, wirft er Eitelkeit
vor 18. Gh. spricht im „Erretter …“ von Stadien der Erkenntnis, wobei die Vernunft
auf Gebieten der Naturwissenschaften selbständig tätig ist. Auf dem Gebiete der
Metaphysik begeht sie viele Irrtümer. Deshalb braucht sie die Hilfe der Offenba-
rung. Es kann also keinen Widerspruch zwischen Vernunft und Offenbarung ge-
ben, weil die Tätigkeitsfelder beider grundsätzlich unterschiedlich sind 19 . Vernunft
und Offenbarung ergänzen sich gegenseitig beim Streben des Menschen nach Er-
kenntnis.
Einen Beweis für die systematische Einheit des Werkes bilden gerade die Teile,
die von Watt als unecht bezeichnet werden. Die Frage nach den Eigenschaften der
Seele und deren Kräften hat Gh. ausführlich in einem großen Teil dieses Werkes
behandelt. Dies führt im Zusammenhang von Erkennen, Lernen, Lehren und ver-
schiedenen anderen Tätigkeiten, zur Beantwortung der Frage nach der Bedeutung
der Vernunft 20 . Es wäre ferner sonderbar, wenn ein Autor in einem umfassenden
Werk über die Ethik nicht über Rolle und Bedeutung der Vernunft spräche.
Zu der Symbolik des Pilgerns in „mı̄zān …“ und „ihyā3 …“, die sich in den bei-
˙
den Schriften dem Wortlaut nach kaum voneinander unterscheidet, sollte die Sym-
bolik als ein Ganzes und nicht in Bezug auf einen konkreten Teil verstanden wer-
den. Die Symbolik in den beiden Schriften hat ihre Funktion erfüllt. Der
gemeinsame Sinn besteht darin, daß durch die Anstrengung des Menschen bei
Verzicht auf materielle Genüsse sowie durch seine Hinwendung zu Gott und zum
Jenseits vor allem die Glückseligkeit erreicht werden kann 21 .
Die Symbolik, die Gh. in den beiden erwähnten Schriften verwendet, stimmt
auch im einzelnen mit der Grundbedeutung überein. Gh. erweist sich dabei als
Meister der Verwendung von Symbolen. Dabei unterscheidet sich die Sulai-
mānı̄ya-Handschrift von den übrigen angegebenen Ausgaben dadurch, daß der
Reichtum gar nicht mehr erwähnt wird. Dort heißt es: „Das Symbol dessen, was
22 Einführung
hier zur Führung führt, ist der Tod, welcher den Vorhang zwischen dem Menschen
und dem Anschauen seiner eigenen Seele, ihrer Vollkommenheit und Schönheit
enthüllt“, während es in den übrigen Ausgaben lautet: „Das Analogon des Reich-
tums, der hier eine Führungsstelle ermöglicht, ist der Tod, …“ 22 . Leider fehlen in
der Escorial-Handschrift genau die zwei Seiten, die dieses Thema behandeln, aber
die Stelle aus der Sulaimānı̄ya-Handschrift, die viel älter ist als die der Escorial, ist
ein eindeutiger Beweis gegen die Auffassung von Watt.
Zum Schluß seiner Betrachtung der Pilgersymbolik nimmt Gh. Stellung zur
Mystik. Auch in „ihyā3 …“ geht er auf dieses Thema ein. Im Gegensatz zu der
Annahme von Watt˙ wird hier keine Diskrepanz zwischen den beiden Schriften
„mı̄zān …“ und „ihyā3 …“ hinsichtlich dieses Themas deutlich. Nicht gegen die
Mystik selbst, sondern˙ gegen das Verhalten einiger Mystiker richtet sich diese
Kritik. Dies ist in verschiedenen Schriften des Autors zu lesen, wie zum Beispiel
im „Erretter …“, wo Gh. nach einer langen Stellungnahme zur Mystik sagt: „All-
gemein gesagt führt die Sache zu einer Nähe Gottes, die sich die eine Gruppe
annäherend als Innewohnen, die andere als Vereinigung und noch eine andere als
Erlangung vorstellt. All dies ist falsch …“ 23 , und in „mı̄zān …“: „Wie oft lebt ein
Sūfı̄ zehn Jahre lang mit einer Vision, bis er sich davon befreien konnte …“ 24 Die-
˙
selbe Kritik taucht mit fast den gleichen Worten in „ihyā3 …“ (Wiederbelebung …)
auf, wo anstelle von zehn von zwanzig Jahren die Rede ˙ ist 25 . Er kritisiert ferner
ihre Haltung gegenüber den übrigen Wissenschaften 26 . Die Haltung Gh.s gegen-
über der Mystik und ihren Anhängern in den beiden Schriften und hiervon abge-
sehen in den bekannten Schriften, wie etwa in „Erretter …“ und „Nische …“ ist
kohärent.
Ein wichtiger Teil dieses Werkes „mı̄zān …“ bezieht sich auf die Lehre der
Mystik 27 . Über das Verhältnis der Mystik zur Ethik drückt sich Gh. in „mı̄zān …“
folgendermaßen aus: „Das ist die Methode der Sūfı̄s. Sie führen die Lösung des
Problems auf eine absolute Reinigung deiner selbst, ˙ auf Läuterung und Klärung,
und dann auf Bereitschaft und Erwartung zurück …“ 28 . In diesem Zusammen-
hang schildert Gh. seine eigene Methode zur Erlangung mystischer Erfahrung,
indem er sagt: „An erster Stelle sollte man sich, indem man das Kriterium des
Wissens erkennt, mit dem Studium der Wissenschaften beschäftigen und sich de-
ren ausführliche Beweisführungen aneignen. Denn dies führt auf eine genauso
sichere Weise zum Ziel wie die Selbstanstrengung, durch die man die Läuterung
der Seele erlangt …“ 29 . Ähnliche Ermahnung richtet er an die Mystiker in seinem
Werk „ihyā3 …“, in dem er meint, daß die Beschäftigung mit dem Lernen sicherer
und eher˙ zum Ziel führt: „Einige behaupten, daß die Unterlassung der Beschäfti-
gung mit dem Lernen etwa dem Unterlassen der Beschäftigung mit dem isla-
mischen Recht ähnlich sei, wobei der Prophet Muhammad selbst kein solches
Studium betrieben hat. Dies ist eine Selbstschädigung ˙ und Vergeudung des Le-
30
bens.“ . Die mystische Erfahrung setzt also nach Auffassung von Gh. intensive
Beschäftigung mit den Wissenschaften voraus; dies ist sogar eine ihrer Bedingun-
gen.
Es wird nicht nur eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Schriften
„ihyā3 …“ und „mı̄zān …“ deutlich, wie etwa an den Stellen der Pilgersymbolik,
˙
I. Die Bedeutung der vorhandenen Schriften 23
der Kritik am Verhalten der Mystiker und den Voraussetzungen für die mystische
Erfahrung, sondern auch an anderen Stellen. Diese Ähnlichkeit darf aber nicht
darüber hinwegtäuschen, daß sich die beiden Schriften methodisch und auch in-
haltlich voneinander unterscheiden. Koranische Zitate und muhammedanische
Überlieferungen spielen in „ihyā3 …“ eine bedeutende Rolle für die ˙ argumentati-
˙
ve Schilderung der ethischen und religiösen Fragen, während sie in „mı̄zān …“ von
sekundärer Bedeutung sind. Rationale Begründung hingegen sind in „mı̄zān …“
von großer Wichtigkeit; sie sind vordergründig. Die ethischen Fragen tauchen in
„ihyā3 …“ vermischt mit anderen Themen auch, die als typisch islamisch gelten wie
˙ die Auseinandersetzung mit anderen islamischen Schulen. Als Beispiel dafür
etwa
wird auf die Auseinandersetzung mit den Bātinı̄ten verwiesen, die im Zusammen-
hang mit der Erklärung von Innerem und Äußerem˙ und des Verhältnisses beider
zueinander noch einmal an dieser Stelle angesprochen werden 31 . Ferner wird auf
die Unterschiede in der Darstellung der offenbarten Kenntnisse verwiesen, die
besonders in „ihyā3 …“ ausführlich dargestellt werden 32 .
Die Aufgaben ˙ des Lernenden werden in „ihyā3 …“ zum Teil ausführlich, zum
˙
Teil in Hinsicht auf einen anderen Aspekt dargestellt, wie etwa die Hervorhebung
33
der Rolle der praktischen Erfahrung . Die ausführliche Darstellung der Wissen-
schaften, ihrer Rangordnungen und ihrer Verhältnisse zueinander wird in
„mı̄zān …“ hingegen konkreter, straffer und rationaler beschrieben 34 . Nicht nur
in den beiden erwähnten Fragen präsentieren „ihyā3 …“ und „mı̄zān …“ gemein-
same Themen, wenn auch unterschiedlich dargestellt, ˙ sondern auch an anderen
Stellen wie etwa in dem Kapitel „Erklärung der wundersamen Dinge des Her-
zens“. Hier fallen besonders die Analogien der Seele 35 und die Beispiele auf, die
Gh. für die enge Verbindung der Seelenkräfte miteinander erwähnt 36 .
Im Gegensatz zu „mı̄zān …“ kann man also sagen, daß „ihyā3 …“ (Die Wieder-
˙
belebung …) eine ausführliche Darstellung der Ethik der islamischen Religion ist,
wo die religiösen und dogmatischen Argumente im Vordergrund stehen. Hingegen
bilden die rational-philosophischen Argumente die Grundlage der Darlegung des
„mı̄zān …“, was zu der Annahme führt, daß der Gesprächskreis dieses Werkes in
erster Linie aus den philosophisch Gebildeten im islamischen Kulturbereich be-
steht. Ausgangspunkt dieser ethischen Darstellung ist eine Kernfrage als themati-
scher Unterschied zu der „Wiederbelebung …“ gewählt; das ist die Frage nach der
Glückseligkeit, die hier in „mı̄zān …“ und mit ihr ausführlich die relevanten Fra-
gen behandelt werden.
An wen Gh. sein Werk richtet, wird später beantwortet.
In diesem Zusammenhang ist die These von Richard Gramlich, daß „mı̄zān …“
vor „ihyā3 …“ und ganz unmittelbar nach „mi2yār al-2ilm“ (Das Kriterium des Wis-
˙
sens) einzuordnen ist, nicht überzeugend. Denn es ist eher anzunehmen, daß Gh.
einige Themen seiner früheren großen Ethik „ihyā3 …“ hier in „mı̄zān …“ wieder-
˙
aufgreift, ohne die rein religiösen und historischen Teile intensiv zu bearbeiten.
Ferner kann man aus dem Hinweis Gh.s am Ende seines Werkes „mi2yār al-2ilm“
(Das Kriterium des Wissens): „fa-3l-nusannif kitāban fı̄ mı̄zān al-2amal“ (Wir sollen
ein Buch über das Kriterium des Handelns ˙ verfassen) nicht schließen, daß dies
37
unmittelbar folgt .
24 Einführung
Weder bei W. M. Watt noch bei einem der arabischen Herausgeber des
Mı̄zāntextes gibt es ein Anzeichen für die Benutzung einer Handschrift, die den
Text dokumentiert. Auch dies fehlt bei H. Hachem in seiner französischen Über-
setzung. Daher stellt sich für die vorliegende Arbeit die Aufgabe, den Text von Gh.
aufgrund von Handschriften zu übersetzen.
Von den Handschriften, die A. Badawı̄ in seinem Werk mu3allafāt al-Ghazālı̄ (Die
Werke Gh.s) erwähnt, standen mir zwei zur Verfügung, die, ihrer Entstehungszeit
nach zu urteilen, wichtig scheinen:
1. Die Handschrift aus der Sulaimānı̄ya-Bibliothek in Istanbul, welche aus dem
I. Die Bedeutung der vorhandenen Schriften 25
Jahre 546 n. H. (1151 n. Chr.) stammt. Sie ist in großer Nashschrift geschrieben mit
zehn Zeilen pro Seite. Deswegen ist sie mit 348 Seiten sehr ˘ umfangreich. Sie wird
in der erwähnten Bibliothek unter der Nummer 1759 aufbewahrt. Diese Hand-
schrift geriet in die Hände mehrerer Besitzer aus Ägypten, Jerusalem und Mekka,
bevor sie in der Sulaimānı̄ya-Bibliothek aufbewahrt wurde, wie sich dies aus den
Namen und Ortschaften ergibt, die handschriftlich auf der Titelseite erscheinen.
Sie ist deshalb ein wichtiges Dokument für die Authentizität der Schrift
„mı̄zān …“, weil sie nur einundvierzig Jahre nach dem Tode des Autors im Jahre
505 n. H. (1111 n. Chr.) entstanden ist. Der Schreiber, dessen Name in der Hand-
schrift unerwähnt bleibt, muß ein Zeitgenosse von Gh. oder sogar einer seiner
Schüler gewesen sein. Für die Zusendung einer Photokopie von dieser Handschrift
danke ich der Sulaimānı̄ya-Bibliothek in Istanbul, und Herrn Professor Dr. Cihad
Tunç, Erciyes Universitesi, ilāhı̄yāt Fakültesi, sowie Herrn Dr. Metin Yurdagür,
Marmara Universitesi, Istanbul, sehr herzlich.
2. Die zweite wichtige Handschrift stammt aus dem Jahre 611 n. H. (1214 n. Chr.)
und ist in der Bibliothek von El Escorial bei Madrid unter der Signatur Gasiri 1125
aufbewahrt. Sie ist sehr klein, in maghrebinischer Nashschrift geschrieben und fast
˘
nur mit einer Lupe zu entziffern. Sie besteht aus 33 Seiten mit 44 Zeilen pro Seite.
Auch der Schreiber dieser Handschrift bleibt unbekannt. Bedauerlicherweise feh-
len aus der ganzen Handschrift zwei Seiten. Darauf wird an Ort und Stelle verwie-
sen. Für die Zusendung einer Photokopie aus dieser Handschrift bin ich dem Es-
corial und Herrn Arturo Parada sehr zu Dank verpflichtet. Der arabische Text
dieser beiden Handschriften bildet die Grundlage für die vorliegende Überset-
zung.
3. Eine dritte Handschrift ist relativ jung und deshalb wenig bedeutend. Ihr
Datum geht auf den 13. Rabı̄2 II aus dem Jahre 1138 n. H. (1725 n. Chr.) zurück,
deren Schreiber zu seiner Zeit der Leiter des ägyptischen Rechnungshofes,
Ibrāhı̄m Khalı̄fa, war. Sie wurde in Nash geschrieben und besteht aus 134 Seiten
˘
mit 32 Zeilen pro Seite. Wahrscheinlich beruhen die Ausgaben A, B, D, und K auf
dieser Handschrift. Vermutlich bildet sie auch die Grundlage für die französische
Übersetzung von H. Hachem. Wichtige Abweichungen dieser Ausgaben vonein-
ander sowie von den Handschriften werden an passender Stelle erwähnt. Für die
Zusendung eines Exemplars von der Ausgabe D danke ich an dieser Stelle Herrn
Professor Dr. Mahmūd Zakzūk, dem Dekan der theologischen Fakultät der Uni-
versität al-Azhar in˙ Kairo, sehr herzlich.
Die älteste Ausgabe ist die von al-Kūrdı̄, welche aus dem Jahre 1328 n. H. (1910
n. Chr.) stammt. Sie wurde von Muhyi-3d-Dı̄n Sabri 3l-Kurdı̄, dessen Bruder 2Abdel-
˙
Qādir Ma2rūf al-Kurdı̄ und Muhammad Husain˙ Na2ı̄mı̄ in Kairo herausgegeben, ist
˙ ˙
aber vergriffen. In der Staatsbibliothek von Kairo wird sie unter der Signatur B
über 21058 und 486 über 1939 aufbewahrt. Für die Überreichung einer Fotokopie
von dieser Ausgabe während ihres kurzen Aufenthalts in Göttingen danke ich
26 Einführung
Herrn Professor Dr. 2Omar Schihāta und Fr. Dr. N. Metwallı̄ von der medizi-
˙
nischen Fakultät der al-Azhar-Universität in Kairo sehr herzlich.
Eine zweite Ausgabe wurde von meinem damaligen Lehrer für islamische Phi-
losophie an der al-Azhar-Universität in Kairo, Sulaimān Dunyā, im Jahre 1964
veröffentlicht. Sie ist an deutschen Seminaren und Bibliotheken bekannt.
Eine dritte Ausgabe wurde von Muhammad Mustafā Abu-3l-2Alā3 ebenfalls in
˙
Kairo im Jahre 1973 und eine vierte Ausgabe ˙˙
im Jahre 1409 n. H. (1989 n. Chr.)
von Ahmad Šams ad-Dı̄n in Bairut herausgegeben. Für seine Veranlassung, ein
Exemplar˙ von dieser Ausgabe aus Marokko an mich zu übersenden, bin ich Herrn
Dr. Ahmad Mazzāhı̄ zu Dank verpflichtet.
Die ˙Abweichungen ˙ dieser Ausgaben voneinander und von den Handschriften
sowie die interessanten Varianten zu dem Text des „mı̄zān …“ werden an Ort und
Stelle in den Fußnoten erwähnt.
Übersetzungen
H. Hachem übersetzte das Werk Ghs „mı̄zān“ ins Französische und hat es mit
einer Einleitung und Anmerkungen unter dem Titel „Critère de l’action“ bei der
Librairie Orientale et Américaine, G. P. Maison neuve, in Paris im Jahre 1945 her-
ausgegeben.
Die erste Übersetzung entstand im Mittelalter durch Abraham ibn-Chisdai
(b. Samuel) ha-Lévi aus Barcelona, der das Werk unter dem Titel „sdR jngam“ (Die
richtige Waage) um 1235/40 n. Chr. übersetzte. J. Goldental veröffentlichte diese
Übersetzung in Leipzig bei Gebhardt und Reisland und in Paris bei Brockhaus und
Avenarius im Jahre 1839.
II.
Die Bedeutung Gh.s für das jüdische Denken
Ibn-Chisdai bemerkte in seiner Einleitung zu Leben und Werk Gh.s, daß das Werk
„mı̄zān …“ „die erste prächtige Zusammenstellung der zerstreuten ethischen Ide-
en sei, nachdem Aristoteles sie in seiner wissenschaftlichen Weise zu behandeln
begonnen hat“ 39 . Nach Meinung von M. Steinschneider besaß der hebräische
Übersetzer wenig Kenntnisse von der islamischen Theologie 40. Außerdem ver-
suchte er in seiner Übersetzung, das Denken von Gh. dem jüdischen Denken an-
zupassen, indem er koranische Verse durch biblische Zitate, arabische Namen
durch jüdische und arabische Gedichte durch Verse von jüdischen Dichtern ersetz-
te 41. Demnach ist die Arbeit von ibn-Chisdai keine Übersetzung im eigentlichen
Sinne des Wortes, sondern eher eine Untersuchung zum jüdischen Denken, zur
jüdischen Literatur und Tradition 42 .
Nach Ansichten von Ahmad Šahlān interessierten sich die Juden für ein solches
Werk, weil sie in Gh. einen ˙ humanistischen
˙ Denker sehen, dessen Denken in der
Auseinandersetzung zwischen den Rabbinern und den Anhängern von Moses ben-
Maimonides verwendet werden könnte 43.
Das jüdische Denken des Mittelalters wird einerseits von dem arabischen Ari-
stotelismus, vertreten von al-Fārābı̄ (870–950 n. Chr.), Avicenna (980–1037 n. Chr.)
und Averroes (1126–1198 n. Chr.), und der islamischen Scholastik (2ilm al-kalām),
vor allem die Mu 2tazilı̄ten, andererseits stark beeinflußt. Zahlreiche jüdische Den-
ker finden in den Lehren der arabischen Aristoteliker und der islamischen Scho-
lastiker Grundlagen für ihr Philosophieren, darunter zum Beispiel Moses ben-
Maimon (529–601 n. H./1135–1204 n. Chr.), der als großer Anhänger des
arabischen Aristotelismus gilt, und Sadja 3l-Fayyūmı̄ sowie Josef ibn-Zaddik, die
von der islamischen Scholastik beeinflußt sind. Die Bedeutung der islamischen
Scholastik zum Beispiel für die beiden letzten wird besonders in ihren Beweisfüh-
rungen über die Existenz Gottes und seine Attribute sowie über die Entstehung
der Welt deutlich 44 .
Der arabische Aristotelismus ist für ben-Maimon ein Leitbild in der Vorstellung
von Gott, Welt und Menschen. Moses ben-Maimon versucht, die jüdische Ethik
mit der aristotelischen zu verbinden, wobei er Belege für seine Darstellung aus der
Bibel und aus den Überlieferungen anführt. Er übernimmt die aristotelische See-
len- und Tugendlehre, wie dies durch die erwähnten islamischen Philosophen über-
liefert wird und verwendet sie in seiner Ethik.
Man darf sich darüber nicht wundern, denn zahlreiche Werke berühmter grie-
chischer Autoren wurden schon im neunten Jahrhundert n. Chr. ins Arabische
übertragen, wie „Die Metaphysik“, „Die Nikomachische Ethik“ und „Über die
Seele“ usw. von Aristoteles. Wie schon vor ihm al-Fārābı̄ gründet ben-Maimon
28 Einführung
seine Tugendlehre auf die Einteilung der Seele in ernährende, empfindende, vor-
stellende, begehrende und rationale 45. Aufgrund dieser Denkweise teilt er die Tu-
gend in eine intellektuelle und eine ethische, wobei die Tugend als die Befolgung
der Mitte zwischen zwei Extremen bestimmt wird. Die Bestimmung der Tugend
durch ben-Maimon entspricht nicht nur der aristotelischen Lehre, sondern auch
der jüdischen Gesetzesüberlieferung und der prophetischen Aufforderung, das
rechte Maß einzuhalten. Man kommt sogar Gott näher und wird die Glückselig-
keit erlangen, wenn man sich an das mittlere Maß hält 46 . Dies ist auch die Meinung
von al-Fārābı̄, wie später gezeigt wird.
Man sieht darin, wie ben-Maimon die aristotelische Tugendlehre durch den ara-
bischen Aristotelismus in das jüdische Denken einverleibt und wie er darüber phi-
losophiert. Ein Blick auf die Tätigkeit der jüdischen Gelehrten im Mittelalter bei
ihrer Beschäftigung mit Gh.s Werken in Übersetzung und Kommentar weist auf
eine dritte Richtung hin, von der das jüdische Denken ebenso beeinflußt wird, und
zeigt, welches Ansehen Gh. bei den Juden genießt.
1. maqāsid al-falāsifa (Die Ziele der Philosophen) wurde im 13. Jahrhundert von
˙
Isak Albalag unter dem Titel „mjqfofljqh xfsjv“ übersetzt. Die Übersetzung von
Albalag enthält die Logik, Metaphysik und einen Teil der Physik, welcher von Isak
ibn-Polgar vollendet wurde. In seinen Anmerkungen zu dem Werk Gh.s greift Al-
balag die Philosophie Gh.s an, indem er die aristotelische Philosophie averroischer
Prägung befürwortet 47 . Vor allem richten sich die Ansichten des Übersetzers gegen
die Kabbalisten, „welche die Bibel auf verschiedene Weise ohne rationelle oder
traditionelle Grundlage auslegten“. Ferner richtet sich Albalag gegen die Mystiker
und wirft ihnen Ignoranz vor: „Wenn du einer der Mystiker unseres Landes bist, so
bist du weder ein Mann der Wissenschaft noch ein Mann des Glaubens“ 48 .
Ganz anders war das Motiv der Übersetzung dieses Werks für Jehuda Natan, ein
Arzt aus der Provinz, der in der Übersetzung von den Zielen der Philosophen
einen großen Nutzen für die Studierenden des Talmuds sah, um mit den Lehren
von Gh. den Glauben zu verteidigen. Natan übersetzte das Werk unter dem Titel
„wjqfofljqh vfnffk“ um 1352/8 n. Chr. 49 Es gibt noch eine dritte Übersetzung eines
anonymen Übersetzers, die dem arabischen Text nähersteht 50 .
„Die Ziele der Philosophen“ wurde von einem sehr bedeutenden jüdischen Ge-
lehrten, das ist Moses Narboni, in den Jahren 1342–1349 n. Chr. kommentiert, der
sich auch mit der Kommentierung der Schriften von Maimonides, Averroes und
ibn-Badja (Avempace) beschäftigte 51. Narboni selbst vertrat den averroischen Ari-
stotelismus und hielt nichts von Gh.s Haltung der Philosophie und den Philoso-
phen gegenüber 52.
Außer Narboni gibt es andere Kommentatoren, die sich mit diesem Werk Ghs
ganz oder teilweise beschäftigt haben, wie Moses da Rieti, Isak ben-Schemtob um
1459, Eli Habillo zu Monzon um 1470, Abraham Bali ben-Jakob um 1510 und
Moses Almosnino um 1569 n. Chr., um nur einige zu nennen 53 .
II. Die Bedeutung Gh.s für das jüdische Denken 29
2. Die einzige hebräische Übersetzung von Gh.s berühmtem Werk „tahāfut al-
falāsifa“ (Die Widersprüchlichkeit der Philosophen) lieferte Serachja ha-Levi für
den Sohn des „Fürsten“ Salomo ibn-Labi, Don Benvenist (gest. am 30. Nov. 1411
n. Chr.), unter dem Titel „wjqfofljqh vlqh“ 54 . Der Anlaß für die Übersetzung des
Werkes war, daß der Autor Gh. bewiesen hat, daß „die intellektuelle Forschung
ohne prophetische Überlieferung nicht zu einem wirklichen Verständnis der Din-
ge genüge“. Daher bat der erwähnte „Fürst“ Serachja, das Buch zu übersetzen,
und dieser tat es ohne Rücksicht auf sein ungenügendes Wissen, damit das Buch
seiner Nation als „Schild diene“ 55 . Hinzu kommen die hebräischen Übersetzun-
gen, die in der Antwort Averroes’ auf diese Schrift Gh.s enthalten sind, welche
unter dem Titel „Die Widerlegung der Widersprüchlichkeit der Philosophen“ be-
kannt sind. Eine dieser Übersetzungen wurde von Kalonymos b. David b. Todros
oder Todrosi kurz vor 1328 n. Chr. angefertigt 56 .
3. Steinschneider erwähnt eine kleine Schrift, in der Gh. philosophische Fragen
beantwortet und die von Isak b. Natan aus Cordoba oder Xativa um 1347 n. Chr.
ins Hebräische übersetzt wurde unter dem Titel „vflau vfbfuvb tmam“, gekürzt
unter dem Titel „vflau vfbfuv“ 57 . Gh behandelt in dieser Schrift verschiedene
Themen: a) die himmlischen Sphären, b) ihre Bewegungen, c) ihre Seelen, d) den
ersten Beweger, e) seine Attribute, f) die menschliche Seele. Er erwähnt ferner,
daß diese Schrift den arabischen Bibliographen unbekannt war. Nach Meinung
von Moses Narboni wurde sie einem kleinen Kreis von Auserwählten anvertraut.
Möglicherweise genoß diese Schrift wenig Achtung von seiten arabischer Biblio-
graphen, weil man aufgrund ihres konzilianten Charakters den Philosophen ge-
genüber an ihrer Echtheit zweifelte 58.
4. al-qistās al-mustaqı̄m (Die Waage der Spekulation) wurde von Jacob b. Ma-
chir (gest. ˙um 1308 n. Chr.) unter dem Titel „wjnfjph jngaw“ übersetzt 59 .
5. misˇkāt al-anwār (Die Nische der Lichter) wurde neben einer anonymen Über-
setzung von Isak b. Jusef al-Fāsı̄ im dreizehnten Jh. ins Hebräische unter dem Titel
„vftfah vjkum“ übersetzt. Das Werk stieß bei den Juden auf großes Interesse, da
sie es im Vergleich zu den Kabbalalehren verwendeten. Durch sein Werk genoß
Gh. bei jüdischen Autoren verschiedentlicher Richtungen wie bei Moses ben-Cha-
lib, Jochanan Alemanno und Isak Abravanel große Achtung 60.
6. kitāb al-qiyās (Über den Syllogismus) wurde von Isak ben-Mas2ūd im 15. Jh.
ins Hebräische übertragen. Die Autorschaft Gh.s wird von Steinschneider ange-
zweifelt, jedoch meint Boyges, dieses Werk sei ein Teil der Schrift „Das Kriterium
des Wissens“ 61 .
7. qul li-ihwān (Sag zu den Brüdern!), ein Gedicht, das von Abraham Gavison
(geb. 1547 n. ˘ Chr. in Telemsen) ins Hebräische übertragen wurde und in seinem
Kommentar zu dem Buch der Sprüche verwendet, das im Jahre 1748 n. Chr. ge-
druckt wurde. Später wurde das Gedicht von L. Dukes im „hmlu jtju“ (Gesang
Salma) aufgenommen. Für den Übersetzer des Gedichts ins Französische J. Peder-
sen sind zwölf Handschriften ausreichend, um die Autorschaft Gh.s zu belegen 62 .
8. Taǧrı̄d at-tauhı̄d (Die Reinigung des Monotheismus), ein Werk, dessen Über-
˙
setzer in die hebräische Sprache Moses Narboni war 63.
Das Denken von Gh. war – wie man sieht – für viele jüdische Gelehrte Leitfaden
30 Einführung
und Richtschnur, wie auch bei dem großen Denker Jehuda ha-Lévi, der in Kasti-
lien im Jahre 1085 n. Chr. geboren und ca. 1140 n. Chr. in Jerusalem gestorben ist.
Wie Gh. war Jehuda ein Gegner der griechischen Philosophie, besonders ein Geg-
ner der Ansichten des Aristoteles 64. Eines der Hauptwerke von Jehuda ha-Lévi ist
„Das Buch Kusari“, das in arabischer Sprache unter dem Titel „kitāb al-huǧǧa
˙ zur
wa3d-dalı̄l fı̄ nasr ad-dı̄n ad-dalı̄l“ (Buch des Beweises und der Argumentation
Verteidigung der ¯ ¯
˙ geschmähten Religion) geschrieben und im Jahre 1167 n. Chr.
von dem berühmten Jehuda ben-Tibbon aus Granada zum ersten Mal ins Hebräi-
sche übertragen wurde. Es spiegelt wichtige Ansichten des Autors gegen die grie-
chische Philosophie, Ansichten der jüdischen Religion und der mystischen Erfah-
rung wider 65. In diesem Werk richtet sich der jüdische Denker gegen die Ansichten
der Philosophen, daß Gott etwa eine Idee oder ein unbewegter Beweger ist, der
gegenüber der Welt untätig ist und nichts von ihr zu wissen braucht, daß die Welt
unerschaffen und keiner fremden Ursache bedarf, und gegen die aristotelische
Darlegung der Verhältnisse zwischen den verschiedenen Daseinskategorien (die
Sphärenlehre). Auch die spekulative Methode der Philosophen, mit deren Hilfe
sie alles in der Metaphysik durch Argumentation nachweisen wollen, wird in die-
sem Werk abgelehnt 66 .
Nach der Ablehnung der spekulativen argumentativen Methode in der Meta-
physik, insofern sie nach Ansichten des Autors zur Gottesleugnung und zu fal-
schen Ansichten führt 67 , bleiben die anderen Möglichkeiten, nämlich die prophe-
tische Überlieferung und die geistige Anschauung, die wirksamen Quellen für die
Erlangung des Wissens 68 . Diese beiden Quellen stehen bei ha-Lévi und Gh. höher
als die bloße rationale Methode. Dabei beschreitet ha-Lévi denselben Weg, den
Gh. vor ihm beschritten hat 69 .
Verblüffend ist die Ähnlichkeit zwischen den beiden Denkern bei verschiede-
nen Themen außer im Hinblick auf ihre Kritik an den Philosophen, wie zum Bei-
spiel in der Begründung der Prophetie, der Bedeutung der religiösen Gebote zur
Erlangung der Glückseligkeit und der geistigen Anschauung 70.
Nachdem beide, Gh. und ha-Lévi, die philosophischen Ansichten abgelehnt ha-
ben, weisen sie auf die heiligen Schriften hin, Gh. auf den Koran und ha-Lévi auf
die Psalmen, aus denen man die richtigen Ansichten über die erwähnten Fragen
gewinnen kann 71 . In zehn Lehrsätzen faßt ha-Lévi die Grundsätze, die dem Gläu-
bigen obliegen, und die sich vor allem auf die Erschaffung der Welt und die Ewig-
keit Gottes sowie auf seine Tätigkeit als Schöpfer beziehen, zusammen, die uns an
Gh.s Darlegung in seiner berühmten Schrift: „tahāfut al-falāsifa“ (Die Wider-
sprüchlichkeit der Philosophen) erinnern 72 .
David Kaufmann beschreibt das Verhältnis von Jehuda ha-Lévi zu Gh., der ei-
nige seiner Werke, wie „tahāfut al-falāsifa“ (Die Widersprüchlichkeit der Philoso-
phen) und „ihyā3 2ulūm ad-dı̄n“ (Die Wiederbelebung der Religionswissenschaf-
ten), kannte, ˙ mit den Worten: „Es waren dies zwei gleichgestimmte Seelen,
verwandte Geister, die auch unabhängig voneinander die gleichen Blüthen zu trei-
ben wohl geeignet sind, sich aber dennoch fördern, wenn sie sich kennenlernen“ 73 .
In dieselbe Richtung verfährt ein anderer Denker, der, wie viele seiner Zeit,
seine Hauptschriften in arabischer Sprache verfaßte, das ist Abraham ben-David,
II. Die Bedeutung Gh.s für das jüdische Denken 31
der im Jahre 1110 n. Chr. bei Toledo geboren wurde. In seinem Werkt „hmth
hnfmah“, welches von Simon Weil unter dem Titel „Der erhabene Glaube“ über-
setzt wurde, versucht der große jüdische Denker Grundfragen der Religion und
der Philosophie zu behandeln, um nachzuweisen, daß die Offenbarung eine wich-
tige und unverzichtbare Hilfe für den Verstand ist 74 . Fragen der Ethik, des Guten
und Bösen, des menschlichen Zusammenlebens in der Familie und im Staat, vor
allem der menschlichen Freiheit sind Hauptgründe für den Autor, sein Werk zu
verfassen 75 . Diese Fragen führen zum Nachdenken über Gott, seine Eigenschaf-
ten, die Existenz der Engel, der Propheten und so weiter. In der Ausführung sol-
cher Themen kann man den Einfluß von Gh. merken. Besonders im dritten Teil
seiner oben erwähnten Schrift steht der jüdische Denker Gh. nahe, dessen Haupt-
thema dasselbe ist wie das im „Kriterium des Handelns“, nämlich die Glückselig-
keit des Menschen 76 .
Auch die Methode ist bei den beiden Denkern in dem „Emunah Ramah“ und
dem „mı̄zān …“ dieselbe. Während Gh. die entsprechenden Stellen aus dem Ko-
ran und der mohammedanischen Überlieferung inmitten seiner Ausführung er-
˙
wähnt, stellt Abraham ben-David Halevi die biblischen Texte in einem Sonder-
kapitel zusammen 77 . Beide Denker haben ein und dasselbe Ziel, nämlich die
Widerlegung der griechischen Philosophie, insbesondere der aristotelischen. Die
religiösen Quellen des Islam, Koran und Sunna bei dem einen, die Bibel und die
jüdische Überlieferung bei dem anderen sind Richtschnur für den Menschen nicht
nur hinsichtlich des Glaubens, sondern in fast allen Fragen, die sich sowohl auf das
Diesseits als auch auf das Jenseits beziehen.
III.
Der Aristotelismus in der islamischen Ethik
Um die Meinung von Gh. über dieses Thema genauer zu verstehen, wird im Fol-
genden auf die Ansichten der genannten Philosophen in ihren Hauptwerken und
relevanten Schriften eingegangen, da sie Hauptwerke über dieses Thema geschrie-
ben haben. Denn es ist kein Zufall, daß Gh. sein Werk „mı̄zān …“, mit dem Satz
anfängt: „Unsere Aufgabe (…) ist, das zur Glückseligkeit führende Handeln zu
erkennen und es von jenem zu unterscheiden, das zum Verderben führt, da das
Glück, nach dem die Früheren und Späteren streben, nicht anders als durch Wis-
sen und Handeln erlangt werden kann, …“ 78 . Denn vor Gh. haben sich bedeuten-
de Schriftsteller, vor allem aber Philosophen mit dem Thema „Glück“ und
„Glückseligkeit“ beschäftigt, wie Aristoteles in seinem bedeutenden Werk „Die
Nikomachische Ethik“ und seine Anhänger im islamischen Kulturbereich wie al-
Fārābı̄ (295–339 n. H./870–950 n. Chr.) 79 in seinen Werken, Muhammad ibn-Jusuf
al-2Āmirı̄ (gest. 381 n. H./992 n. Chr.) in seinem Hauptwerk „as-sa ˙ 2āda wa-3l-is
2ād …“ (Über die Glückseligkeit und über das, was glückselig macht) und andere.
Drei wichtige Schriften beinhalten die Ansichten von al-Fārābı̄ über die Glück-
seligkeit. Es sind: tahsı̄l as-sa 2āda (Über die Aneignung der Glückseligkeit),
˙
2. al-madı̄na 3l-fādila (Der Musterstaat) und 3. as-siyāsāt al-madanı̄ya (Die Staats-
80 ˙
führung) . al-Fārābı̄ beginnt seine Abhandlung über die Aneignung der Glückse-
ligkeit mit der Aufteilung der Tugend in: Vernunft- und Verstandesgemäße, ethi-
sche und praktische Tugenden 81 .
Die Vernunftgemäßen Tugenden sind die Wissenschaften, die sich aufteilen in
apriorische, bei deren Aneignung der Mensch sich keine Mühe zu geben braucht,
insofern ihm deren Grundlagen gegeben sind, und nicht apriorische, deren Aneig-
nung in vielfältiger Weise stattfindet wie durch Nachdenken, Forschen und Fol-
gern oder durch Unterricht und Lernen. Mit Hilfe dieser Wissenschaften gewinnen
wir Kenntnisse über die existierenden Dinge auf verschiedene Wege mit der Ab-
sicht, die Wahrheit darüber zu erlangen 82 .
Die Beschäftigung mit der Erkenntnis der Dinge ist zugleich eine Beschäftigung
mit den Grundlagen oder mit den Prinzipien, das heißt die Ursachen ihrer Exi-
stenz ˝rcai. Deswegen bietet eine solche Beschäftigung die Antwort auf die Fra-
ge, warum ein Ding existiert, außerdem auf die Frage, ob ein Ding vorhanden ist
oder ob ein Ding existiert, wenn sich die Prinzipien auf unser Wissen, nicht aber
auf die Existenz der Dinge selbst beziehen 83 . Denn die Prinzipien der Dinge wer-
den in den Fragen nach dem Was und dem Wodurch zusammengefaßt, wobei die
letzte Frage sich entweder auf das Subjekt, das ein Ding hervorbringt, oder auf die
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 33
hilflich sein, dieses wichtige Thema besser zu verstehen. Deswegen wird auf diese
Schriften hier näher eingegangen.
Die wichtigsten Inhalte seiner Schrift „at-tanbı̄h …“ (Das Aufmerksammachen
darauf, wie das Glück erlangt werden kann) können wie folgt zusammengefaßt
werden:
Glückseligkeit ist das vollkommenste Ziel menschlichen Handelns, welches für
sich allein zu jeder Zeit erstrebt wird 105 . Das Wissen kann manchmal als Selbst-
zweck erstrebt werden, die Glückseligkeit aber immer. Dies braucht keinen Beleg.
Das Glück ist für sich allein genügend in dem Sinne, daß wir nichts mehr darüber
hinaus bedürfen, wenn dieses Ziel einmal erreicht ist 106 .
Ein Mensch kann glückselig sein durch alle seine Handlungen, die Gegenstand
des Lobes und des Tadels sind. Dies sind die Handlungen, die von dem Verstand
bestimmt werden. Es scheiden also aufgrund dieser Bestimmung Handlungen aus,
die durch die Körperteile hervorgerufen werden, und die seelischen Vorgänge wie
Freude und Genuß, weil sie von kurzer Dauer sind. Nicht nur verlangt al-Fārābı̄,
daß solche Handlungen durch die Verstandestugenden bestimmt werden, sondern
durch eine freie Wahl: „tau2an wa-bi-3htiyārihi, proafflresi@“ 107 .
Als glückselig wird ein ˘
˙ Mensch bezeichnet, der während seines ganzen Lebens
immer das Schöne unter diesen verstandesmäßigen Handlungen als Ziel wählt:
„an yahtāra 3l-ǧamı̄l fı̄ kull mā yaf 2aluhu“ 108 . Fehlt eine solche Bedingung wie etwa
˘ Entscheidung oder die Verstandestätigkeit bei der Bestimmung der
die freie
Handlung oder ist das Ziel nicht sittlich-schön, so fehlt dem Menschen das
Glück 109 . Unglück tritt hervor, wenn ein Mensch während seines ganzen Lebens
durch ein schlechtes Unterscheidungsvermögen und durch freie Wahl böse Hand-
lungen ausführt 110 .
Gute ethische Gesinnung (huluq ǧamı̄l) und gutes Unterscheidungsvermögen
(ǧaudat at-tamyı̄z) bilden zusammen ˘ die Quelle für die menschliche Tugend, die
dem Menschen Vorzüglichkeit und Vollkommenheit verleiht. Dadurch werden wir
edle, gute und tugendhafte Menschen werden, unser Leben tugendhaft und unsere
Handlungen lobenswert 111 .
Unter Vermögen versteht der Arzt und Philosoph al-Fārābı̄ diejenige Fähigkeit,
die uns von Natur aus gegeben ist, nicht zu erwerben und nicht (von außen) zer-
störbar, es sei denn mit Schwierigkeit 112 .
Die ethischen Charaktere sind insgesamt erworben. Der Mensch kann sowohl
gute wie auch böse Charaktereigenschaften durch Erziehung, Gewohnheit und
Beharrlichkeit erwerben113 . Dabei weist al-Fārābı̄ auf den Erwerb und die Beherr-
schung von Berufen und Tätigkeiten hin. So wie man einen Beruf erwirbt und ihn
beherrscht, verhält es sich auch mit den ethischen Eigenschaften. Ein Mensch wird
für einen guten Schriftsteller gehalten, wenn er die ihm angeborene Fähigkeit zur
schriftstellerischen Betätigung entwickelt und sie beherrscht. Ein Mensch handelt
gut aufgrund der ihm angeborenen Fähigkeit zum Guten und er beharrt auf der
Ausübung der guten Handlungen, bis dies ihm eine Gewohnheit wird. Genauso
verhält es sich mit den schlechten Charaktereigenschaften 114 .
Die Vollkommenheit liegt in der Einhaltung des mittleren Maßes, mesth@, wel-
ches zwischen den beiden Extremen Übermaß, ¢perbolffi und Mangel, ˛lleivi@
36 Einführung
liegt. Aber wie können wir das mittlere Maß erkennen? Wir versuchen zu erken-
nen, ob die Handlung in Hinblick auf die beiden Extreme, Übermaß und Mangel,
leicht auszuführen ist, ob sie in dieser Hinsicht unterschiedlichen Grades ist, ob wir
keine Nachteile oder einen Genuß durch das eine, aber keinen Schmerz durch das
andere erleiden oder wir mit einem sehr leichten Schmerz zu rechnen haben115 .
Somit erfahren wir durch die Analyse der Handlung in bezug auf die beiden Ex-
treme, ob sie die gleiche Bedeutung für uns haben, das heißt, ob beide Extreme
sich gegenseitig neutralisieren. Dadurch, daß die beiden Extreme in bezug auf ihre
Ausführlichkeit gleich bedeutend sind, verlieren sie ihre Bedeutung für uns 116 .
Die Analyse geht auf gewisse Eigenschaften und Handlungen ein, um das mitt-
lere Maß und dessen Bedeutung zu demonstrieren. Die Befolgung der Mitte in all
diesen Handlungen führt zur Glückseligkeit. So ist die Befolgung der Mitte zwi-
schen Übermut und Feigheit die Tapferkeit, zwischen Verschwendungssucht und
Geiz die Großzügigkeit, zwischen Gier und Apathie die Enthaltsamkeit. Bei man-
chen Handlungen neigen wir von Natur aus zum einen oder zum anderen Extrem,
wie zum Beispiel beim Geben, wo wir zu Zurückhaltung und Knauserei oder beim
Scherzen, wo wir zur Übertreibung neigen.
Man glaubt, daß der Genuß das Ziel jeder Handlung ist. Deswegen tut man
leicht das Schlechte wegen des damit verbundenen Genusses. Die Genüße teilen
sich in materielle, sinnlich-wahrnehmbare und geistige wie etwa die Liebe zum
Herrschen und zum Siegen. Beide treten entweder sofort oder später als Folge
einer Handlung auf. Eine Handlung kann sowohl mit Genuß wie auch mit Leiden
verbunden sein, wie etwa bei dem Ehebruch, welcher mit einem Genuß durch den
Beischlaf und mit einer Strafe verbunden ist. Eine gute Handlung kann mit einem
sofortigen Leiden, jedoch mit einem späteren Genuß verbunden werden. Eine
schlechte kann mit einem sofortigen Genuß, jedoch mit einem späteren Leiden
ausgehen. Deswegen soll man die Handlung vermeiden, die mit einem sofortigen
Genuß, jedoch mit einem späteren Leiden verbunden ist. Indem man die andere
Art von Handlungen, die mit einem späteren Genuß endet, inmitten seiner Über-
legung stellt, handelt man vernunftgemäß. Je mehr man imstande ist, sich von den
materiellen Genüssen zu entfernen, desto mehr nähert man sich den guten Cha-
raktereigenschaften 117 .
Der Mensch, der sich gegenüber den Genüssen mit guter Überlegung und ent-
sprechender Entschlossenheit verhält (g ˇ audat ar-rawı̄ya wa-quwat al-2azı̄ma), ist
wirklich ein freier Mensch. Ein anderer, der keines von beiden besitzt, handelt
tierisch. Wer aber ein gutes Überlegungsvermögen besitzt, jedoch entscheidungs-
unfähig ist, ist von Natur aus ein Sklave 118. Ein dritter besitzt zwar einen starken
Willen, jedoch keine gute Überlegung. Möglicherweise zieht er jemanden anderen
zu Rate, der von guter Überlegung ist. Wenn er dessen Ratschlag folgt, ist er auch
ein freier Mensch. Eine gute Handlung setzt also gute Überlegung und Entschei-
dungsfreiheit voraus, auch wenn sie von jemandem anderen durch gute Ratschläge
beeinflußt ist.
Ein gutes Unterscheidungsvermögen, das ist ein guter Verstand, bedeutet, daß
wir mit dessen Hilfe Kenntnisse über die Dinge gewinnen können. Diese Kennt-
nisse sind: a) theoretische, das ist das, was man zwar weiß, jedoch nicht in die
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 37
des Verstandes aus, die er weiter in seinem Werk „3ārā3 ahl al-madı̄na 3l-fādila“
(Der Musterstaat) beschreibt. Wichtig ist dabei die Rolle des aktiven Verstandes ˙
für unser Thema. Der aktive Verstand verleiht dem Menschen Kraft und Prinzi-
pien, mit denen er zur Vollkommenheit gelangen kann. Diese Prinzipien sind die
Wissenschaften und die Begriffe, die als erste im Menschen entstehen. Nachdem
sich Sinnes- und Denkvermögen entwickelt haben, kann er von diesen Wissen-
schaften Gebrauch machen. Er besitzt dann einen herangereiften Willen, welcher
sich auf das Denkvermögen gründet. Dieser Wille ist ein freier Wille. Im Gegen-
satz dazu ist der Wille, der sich von den Sinnes- und Empfindungsorganen leiten
läßt, unfrei. Der freidenkende Wille ist ein Spezifikum des Menschen. Durch die-
sen Willen ist der Mensch imstande, lobenswerte, gute und böse Handlungen zu
verrichten, welche dann Gegenstand der Belohnung und der Bestrafung sind 124 .
Glückseligkeit ist das Gute schlechthin und alles, was dem Menschen dazu ver-
hilft, ist auch gut. Im Gegensatz dazu ist alles, was den Menschen davon abhält,
schlechthin böse 125. Ein Unglück heißt es aber, wenn sich der Mensch um den
Genuß und andere Ziele außer dem der Glückseligkeit bemüht, wofür er die theo-
retisch vernünftige Fähigkeit einsetzt. Ferner ist es ein Unglück, wenn er die Be-
deutung der Glückseligkeit erkennt, sie jedoch nicht zu seinem Hauptziel
macht 126 . Denn ein Streben nach der Glückseligkeit ist zugleich ein Streben nach
der Vollkommenheit. Sieht der Mensch von diesem Ziel ab, so geschieht ein Un-
glück 127 .
al-Fārābı̄ hebt die Bedeutung des aktiven Verstandes für die Glückseligkeit her-
vor, wie dargelegt wird. Jedoch sind die Menschen nicht gleich bei der Verarbei-
tung der Erfahrungen und der Wissenschaften, die ihnen der aktive Verstand ver-
mittelt. Wer unter ihnen aufnahmefähig und vom guten Verstand ist, der kann
durch solche Kenntnisse die Glückseligkeit erlangen 128 . Viele besitzen aber eine
solche Fähigkeit nicht, sondern benötigen dazu Lehrer und Ratgeber, die ihnen
zur Erfüllung ihres Bestrebens verhelfen. Jeder, der eine solche Aufgabe über-
nimmt und in der Lage ist, sie durchzusetzen, ist ein Vorsitzender, der seine Rat-
schläge auf verschiedenen Gebieten der menschlichen Tätigkeiten erteilen
kann 129 .
Derjenige, der nicht auf fremde Hilfe angewiesen ist, Wissenschaften und Erfah-
rungen besitzt, ist wahrhaftig ein König. Diejenigen, die von einem solchen Men-
schen geführt werden, sind die tugendhaften, die guten und die glücklichen. Wenn
sie sich zu einem Staat zusammenschließen und miteinander leben, ist ein solcher
Staat ein tugendhafter, ein Musterstaat 130 .
Die Frage nach dem Glück, sei es in individueller, sei es in sozialer Hinsicht,
führt al-Fārābı̄ zur Untersuchung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen
Sozialgruppen und der Aufgaben des Staatsoberhaupts. Dies legt er in den Schrif-
ten „as-siyāsa 3l-madanı̄ya“ (Die Staatsführung) und „3ārā3 ahl al-madı̄na 3l-fādila“
(Der Musterstaat) ausführlich dar. Sicherlich besteht ein enger Zusammenhang ˙
zwischen all diesen Themen. Denn das Glück des einen Menschen kann nicht für
sich betrachtet und isoliert werden von den sozialen und politischen Umständen,
unter denen ein Mensch lebt.
al-Fārābı̄ geht davon aus, daß das Glück mit der beruflichen Tätigkeit des Men-
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 39
schen eng verbunden ist. Je unabhängiger und wissenschaftlicher die Tätigkeit ist,
um so größer sind die Chancen eines Menschen, der eine solche Tätigkeit ausübt,
im Hinblick auf den Erwerb des Glückes 131 . Aus den niederen und höheren Tätig-
keiten ergeben sich Widersprüche und Konflikte, die von seiten des Staatsober-
hauptes beseitigt beziehungsweise gelindert werden müssen. Denn seine Haupt-
aufgabe besteht darin, die Rangstufen der Tätigkeiten einzuordnen und ihre
Verhältnisse zueinander zu bestimmen. Ferner ist für al-Fārābı̄ die Harmonie zwi-
schen den verschiedenen sozialen Gruppen zu verwirklichen, eine der wichtigsten
Aufgaben des Staatsoberhauptes. Diese Harmonie ist eine wesentliche Bedingung
für den Zusammenhalt der sozialen Gruppen132 . Denn nach Ansichten des isla-
mischen Philosophen ähnelt der Staat einem Naturphänomen, in dem das Staats-
oberhaupt der ersten Ursache entspricht 133 .
Die Mehrheit der Menschen hat von Natur aus oder durch Gewohnheit keiner-
lei richtige Vorstellung von der Glückseligkeit. Deswegen ist es eine Aufgabe des
Staates, ihnen die Grundlagen der existierenden Dinge, ihre Rangstufen, den ak-
tiven Verstand, die Bedeutung der Staatsführung des Musterstaates, die Glückse-
ligkeit und ähnliches in einer Weise, zu erklären, die ihnen bekannt ist 134 .
Die Frage nach der Glückseligkeit führt al-Fārābı̄ zur Sozialanalyse der Gründe,
die die Verwirklichung der Glückseligkeit beziehungsweise der sozialen Eintracht
verhindern. Es gibt vielerlei Gründe, die diese Verwirklichung erschweren. Igno-
ranz, Freveltaten, Irreführung sowie die Veranlagung zum tierischen Verhalten bei
manchen Menschen gefährden dieses Ziel. Solche Menschen bilden keine wirk-
liche Gesellschaft, sondern leben entweder vereinzelt wie wilde Tiere oder ge-
meinsam in der Nähe der Städte 135. Die Menschen hingegen, die von der Ignoranz
beherrscht werden, sind zwar zivilisiert und leben zusammen in Gesellschaften,
jedoch sind sie von bestimmten sozialen Krankheiten wie Verworfenheit, Gemein-
heit sowie von einer falschen Vorstellung von der Freiheit befallen 136 . Letztere
führt dazu, daß Gesetze geschaffen werden müssen, die das Zusammenleben si-
chern 137 . Gesellschaften, die von der Verworfenheit beherrscht werden, haben sich
den Reichtum zum Ziel gesetzt. Ihre Mitglieder arbeiten zusammen, um dieses
Ziel zu verwirklichen und die nötigen Güter anzuhäufen, die über das erforderli-
che Maß hinausgehen. Der beste Mensch unter ihnen ist der reichste, das heißt
derjenige, der beim Anhäufen des Reichtums am geschicktesten ist 138 .
Die Gesellschaft, die von der Gemeinheit beherrscht wird, kennzeichnet sich
durch materielle Genüsse, wie zum Beispiel Essen und Trinken, Sexualität und
anderes, was nicht für die Erhaltung des Körpers erforderlich, jedoch für den Ge-
nuß geeignet ist.
Auch die Gesellschaften, die auf geistige Werte, wie Ruhm, Sieg und Freiheit
gegründet sind, stehen im Widerspruch zu dem glückseligen Staat. Zwar stehen
solche Gesellschaften dem Idealstaat nah, aber sie streben nach dem Nützlichen,
weshalb sie das Endziel, die Glückseligkeit, verfehlen. Durch Eigennutz, Krieg,
Mord und Torheit sind solche Gesellschaften gekennzeichnet. Sie stehen dann
dem Staat nah, der von der Ignoranz dominiert wird 139 .
Ferner steht der Staat, der auf Gemeinschaftlichkeit gegründet ist, im Wider-
spruch zur Glückseligkeit, denn da seine Bürger von dem Prinzip der Freiheit
40 Einführung
kaffl dianoffla@ sind die Bedingungen, die eine Handlung zur Glückseligkeit führen.
5. Nur der Staat kann das höchste Gut und die höchste Vollkommenheit ermögli-
chen 144 . Der Staat, der das höchste mögliche Gut und die Glückseligkeit ermög-
licht, ist ein tugendhafter Staat und die Nation, deren Mitglieder zur Verwirk-
lichung dieses Ziels zusammenarbeiten, ist eine tugendhafte Nation.
Man kann den aristotelischen Einfluß auf al-Fārābı̄ besonders durch seine Schrift
„Die Nikomachische Ethik“ sofort erkennen, die al-Fārābı̄ kommentiert. Aristo-
teles geht in dieser Schrift ausführlich auf die Bestimmung der Glückseligkeit ein.
Auf die Frage, ob die Glückseligkeit um ihrer selbst willen oder wegen eines ande-
ren Zieles erstrebt wird, antwortet er, daß die Glückseligkeit immer um ihrer
selbst willen und niemals wegen einer anderen Sache das Endziel menschlichen
Handelns ist:
„teleiteron dþ lffgomen t kaq3 a¢t diwktn to‰ di3 teron ka½ t mhdffpote
di3 ˝llo aretn t n hka½i kaq3 a¢tÞ ka½ di3 a't aret n, ka½
pl @ d¼ tffleion
t kaq3 a¢t aretn ⁄e½ ka½ mhdffpote di3 ˝llo“ 145 .
Sie ist ferner das, was selbstgenügsam ist, und dasjenige, was das Leben für sich
allein erstrebenswert macht und mitnichten einer anderen Sache bedürftig ist: „t
d3 atarke@ tfflqemen ˚ monoÐmenon aretn poie… tn bfflon ka½ mhden@ ¥nde”‡
toio‰ton dþ t¼n e'daimonfflan o§meqa enai“ 146 .
Sie scheint etwas Vollkommenes und Selbstgenügsames zu sein, daß sie das
oberste Ziel aller Handlungen ist: „tffleion dffi ti fafflnetai ka½ atarke@
e'dai-
monffla, t n prakt n oªsa tfflo@“ 147 .
Glückseligkeit ist durch tugendhaftes Verhalten zu erlangen.
Wie später bei al-Fārābı̄, betrachtet Aristoteles die Glückseligkeit als das Beste,
das Schönste und das Angenehmste: „˝riston ˝ra ka½ k€lliston ka½ `diston
e'daimonffla“ 148 .
Glückseligkeit ist kein Gottesgeschenk, sondern sie ist durch die Tugend er-
reichbar, sei es mit oder ohne Freude: „meq3
don»@ ˇ o'k ˝neu
don»@“ 149 .
Die tugendhaften Handlungen aber sind meistens mit Freude verbunden, und es
gibt keinen guten Menschen, der sich nicht über die schönen und tugendhaften
Handlungen freut: „toia‰tai d3 a kat3 ⁄ret¼n pr€xei@, ¯ste ka½ toÐtoi@ e§s½n
de…ai ka½ kaq3 a¢t€@. o'dþn d¼ prosde…tai t»@
don»@ ¡ bfflo@ a't n ¯sper
peri€ptou tin@, ⁄ll3 ˛cei t¼n
don¼n ¥n aut† . pr@ to…@ e§rhmffnoi@ gÞr o'd3
¥st½n ⁄gaq@ ¡ m¼ cafflrwn ta…@ kala…@ pr€xesin“ 150 .
Denn Glückseligkeit setzt, wie auch später bei al-Fārābı̄, Handlungen aus freiem
Willen und guter Überlegung voraus. Denn es gibt keine Entscheidung, die nicht
mit Vernunft und Überlegung geschieht: „
gÞr proafflresi@ metÞ lgou ka½ dia-
noffla@“ 151 .
Eine Handlung aus freiem Willen und guter Überlegung ist weder bei Kindern
noch bei anderen Lebewesen möglich: „ote bo‰n ote ´ppon ote ˝llo t n
z†ðwn o'dþn edaimon lffgomen“ 152 .
42 Einführung
erkennt, sind ihre Ausgangspunkte unterschiedlich. Bei al-Fārābı̄ mündet die Fra-
ge nach der Glückseligkeit in: a) die Seinslehre, b) die Lehre vom Menschen und
c) die Staatslehre, während sie in der platonisch-aristotelischen Philosophie in:
a) Individualethik b) Ökonomie, und c) Staatslehre aufgeht 161 .
Die beiden philosophischen Richtungen, die islamische, vertreten in diesem Zu-
sammenhang durch al-Fārābı̄, und die platonisch-aristotelische, stimmen darin
überein, daß die Stadt als wichtige Trägerin der Kultur, wie zum Beispiel Baġdād
und Athen, die Gesellschaft ist, in der die Glückseligkeit am ehesten zu verwirk-
lichen ist. Jedoch ist die Motivation für die beiden Richtungen zur Verwirklichung
des Idealstaates unterschiedlich: Bei Platon und Aristoteles bezieht sich dies auf
die griechische Polis und bei al-Fārābı̄ auf das islamische Kalifat zu seiner Lebzei-
ten. Der Idealstaat in den beiden philosophischen Richtungen weist auf eine re-
formbedürftige Gesellschaft hin, die zur Zeit von Platon, Aristoteles und al-Fārābı̄
weit entfernt ist von den wichtigsten Grundlagen des menschlichen Zusammen-
lebens und der Gerechtigkeit.
al-Fārābı̄’s philosophische Tätigkeit findet in einer Zeit statt, als sich das isla-
mische Kalifat zur Zeit der Abbasidenherrschaft, ein großer Vielvölkerstaat,
aufzulösen beginnt. Vor allem nationale Bewegungen persischer oder türkischer
Herkunft formierten sich mit dem Ziel, sich von Baġdād zu trennen. Bürgerkriegs-
ähnliche Zustände zwischen den Bewohnern von Hurāsān und Baġdād, zwischen
den verschiedenen Glaubensrichtungen im Islam,˘ der rationalen (Mu2tazilı̄ten),
welche von den 2Abbası̄denherrschern unterstützt wird, und der traditionellen
(sunnı̄tischen), religiöse Streitigkeiten, wie etwa der Streit zwischen den Vertre-
tern der beiden Richtungen darüber, ob der Koran erschaffen oder als Gotteswort
ewig ist, und nicht zuletzt soziale Ungerechtigkeit und Unruhen durch die Vergabe
von großen Lehen an das Militärkorps der 2Abbası̄denherrscher kennzeichnen die-
se Epoche. Dies sind die Umstände, unter denen al-Fārābı̄ lebt und als Philosoph
tätig ist 162 .
Die Stadt, von der al-Fārābı̄ spricht, ist in erster Linie Baġdād mit ihrer Vielfäl-
tigkeit auf kulturellem und politischem Gebiet und als Vielvölkerstadt mit ihren
Widersprüchen.
Auch der Staat, den al-Fārābı̄ meint, ist vor allem das islamische Kalifat, dessen
politische Einheit durch den Nationalismus zugrunde zu gehen droht.
In den Schriften griechischer Autoren, vor allem Platon und Aristoteles, weist
ihr Durst nach sozialer Gerechtigkeit, ihre Achtung vor dem Gesetz, gerechte
Verteilung der Macht und genaue Beschreibung der Aufgaben, die den Menschen
verschiedener Klassen zukommt, sowie die Sehnsucht nach der Überwindung eth-
nischer Zugehörigkeit darauf hin, wie schwer die sozialen und politischen Umstän-
de zu ihrer Zeit sind. Auch dies kann man bei den islamischen Autoren feststellen.
Jedoch kennzeichnen unterschiedliche Umstände die eine und die andere Gesell-
schaft. Der Zerfall des islamischen Kalifat in viele ethnische Gruppen wäre ein
Rückfall in solche Umstände, von denen Platon und Aristoteles die Griechen be-
freien wollen entsprechend ihrer Vorstellung vom Idealstaat.
c) Wie Platon zieht al-Fārābı̄ eine Analogie zwischen dem Staat und der mensch-
lichen Seele 163. In den politischen Schriften Platons und Aristoteles sind die Auf-
44 Einführung
gaben der Bürger und die Arbeitsaufteilung sehr genau beschrieben. Das Privat-
eigentum und die Ehe werden nicht den Angehörigen des „Herrenstandes“ zuge-
sprochen.
Die Stellung der Frau ist ein weiterer wesentlicher Unterschied zu dem, was der
Islam und die islamischen Philosophen bejahen. Während vor allem bei Platon die
Ehe lediglich auf die niedere Schicht beschränkt ist, was bedeutet, daß die Zeu-
gung von Kindern außerhalb der ehelichen Beziehung zugelassen wird, ist dies im
Islam nicht gestattet. Ehelose Kinderzeugung und Gleichstellung von Mann und
Frau, all dies dient in den Händen der Regenten zur Festigung ihrer Macht. Dies
steht im Widerspruch zum Islam und dessen Kultur und auch zum Denken der hier
erwähnten islamischen Philosophen und zu al-Fārābı̄, der nirgends von einer
Zuchtwahl nach Wunsch und Bestimmung der Herrscherelite spricht. U. von Wi-
lamowitz-Moellendorff kritisiert diese Haltung Platos mit den Worten: „Denn auf
das Leben hat er (Platon) keine Rücksicht genommen, und gerade indem er sie
(die Frau) dem Mann gleichstellte, hat er bewiesen, daß er die Frau nicht zu wür-
digen wußte …“ 164
In starker Anlehnung vor allem an Platon und Aristoteles teilt Abu-3l-Hasan
˙
al-2Āmirı̄ (gest. 991 n. Chr.) in seinem großen Werk „as-sa2āda wa-3l-is2ād“ (Über
die Glückseligkeit und über das, was glückselig macht) die Glückseligkeit in abso-
lute und relative. Absolute Glückseligkeit bedeutet, daß man das Beste von den
körperlichen, geistigen und äußeren Gütern erlangt. Ferner soll man das Beste
verrichten, und zwar während des ganzen Lebens und unter allen Umständen 165 .
Die relative Glückseligkeit bedeutet dies alles nur in bezug auf bestimmte Zeiten
und Umstände. Im allgemeinen bedeutet Glückseligkeit die Vollkommenheit der
Form, die sich in zweierlei Hinsicht auf den rationalen Teil der Seele bezieht:
1. nämlich einerseits auf die Überlegung, die eine Tätigkeit des Verstandes ist,
und 2. auf die Vollkommenheit der theoretischen Vernunft 166 .
Demnach bezieht sich Glückseligkeit auf den theoretisch denkenden Teil der
Seele, welcher bestrebt ist, zu wissen, was die Seele nicht weiß, um darüber zu
reflektieren, nicht aber wegen irgendeiner anderen Sache als wegen des Nachden-
kens über das, was gewußt wird 167 .
Glückseligkeit ist für sich selbst erstrebbares Ziel, während alle anderen Hand-
lungen wegen anderer Ziele erstrebt werden 168 . Die erste Stufe zur Erlangung des
Guten ist die Vermeidung des Bösen, das erstens vom Menschen selbst verursacht
und zweitens durch eine fremde Ursache hervorgerufen wird 169 .
Bezugnehmend auf Platon und Aristoteles analysiert al-2Āmirı̄ die Gründe für
böse Handlungen, die vor allem in schlechter Entscheidung und Überlegung sowie
Unwissenheit liegen. Bösartigkeit ist entweder tierisch oder krankhaft bedingt.
Ferner treibe eine böse Erziehung den Menschen dazu, böse zu werden. Auch
der Glaube daran, daß der materielle Genuß gut sei, könnte ein Grund für böse
Handlungen sein 170 . Die bösen Handlungen führt al-2Āmirı̄ auf zwei Gründe zu-
rück, nämlich auf Unwissenheit und Ungerechtigkeit 171 .
Die bösen Handlungen, die ausschließlich auf Unwissenheit zurückgeführt wer-
den, entstehen entweder wenn der vernünftige Teil der Seele durch den begehren-
den und erzürnenden beherrscht wird oder wenn diese beiden letzten den Körper
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 45
leiten. Denn weder der begehrende Teil der Seele noch der erzürnende verfügt
über Wissen oder Überlegung. Auch die Angewöhnung von schlechten Handlun-
gen wird auf Unwissenheit zurückgeführt. Falsche Hoffnungen sind weitere Grün-
de für die Ausübung von schlechten Handlungen, wie zum Beispiel die Hoffnung
darauf, daß das Schlechte und das Häßliche niemandem schaden beziehungsweise
in Verruf bringen würden 172 . Durch Wissen und rechtes Tun gelangt man zur
Glückseligkeit 173 .
Genauso wie al-Fārābı̄ weist al-2Āmirı̄ darauf hin, daß die Solidarität und das
Zusammenwirken der Menschen notwendig sind, um die Glückseligkeit zu errei-
chen 174 . Mit anderen Worten reichen nicht die individuellen Fähigkeiten aus, um
die Glückseligkeit für sich selbst zu realisieren, sondern man ist auf das Mitwirken
anderer angewiesen. Das ist der Sinn des Satzes: „Der Mensch ist ein soziales
Wesen“, ein „homo sociologicus“ 175 .
In Anlehnung an Aristoteles bestimmt er das Schlechte als das, wodurch ein
Schaden für eine andere Person entsteht, sei es verbunden mit einem Nutzen für
den Urheber selbst oder nicht. Es bedeutet ferner, daß eine Handlung zugunsten
von jemandem verrichtet wird, jedoch einen Schaden für einen Dritten hervor-
rufen könnte 176. Er stimmt mit Aristoteles darin überein, daß das Schöne (auch
das Gute genannt) nicht des Lobes, sondern um seiner selbst willen getan werden
soll 177 . Die meisten Menschen aber streben in ihren Handlungen nach dem Guten
und Nützlichen; sie haben keine Geduld, das Schöne und Tugendhafte zu verwirk-
lichen 178 .
In der Bestimmung der Leidenschaften und der Genüsse folgt er vor allem Ari-
stoteles 179 . Der Genuß ist ein seelischer Vorgang, der sich eventuell körperlich
ausdrückt. Er gehört also zum wahrnehmenden Teil der Seele und äußert sich
von Mensch zu Mensch unterschiedlich, und je nach den Umständen, unter denen
er lebt 180 . Was als eigentlicher Genuß für den Menschen gilt, ist der geistige, wel-
cher sich auf das Wissen bezieht 181 . Der Genuß des Wissens überragt sogar den des
Sieges und der Machtausübung182 . Dabei nimmt al-2Āmiri ausdrücklich Bezug auf
Platon und Aristoteles 183.
Medizinisch-philosophisch interpretiert er den Schmerz, indem er Bezug auf
Galenos nimmt, das heißt als einen Zustand, in dem sich der Körper außerhalb
des Rahmens seines natürlichen Zustandes befindet. Gesundheit ist die Rückkehr
des Körpers zu seinem natürlichen Zustand184 . Darin stimmen nach Meinung al-
2Āmirı̄’s Aristoteles, Galenos und Porphyrios überein. Lediglich unterscheiden sie
sich in der Ausdrucksweise. Demnach ist Glückseligkeit der Ausdruck einer Har-
monie von Leib und Seele, die von jeglicher Störung frei ist 185 . Sie ist eine voll-
endete Haltung, xi@.
Die Vollendung seiner selbst geschieht durch die Beschäftigung mit den Wissen-
schaften, an deren Spitze die mathematischen Wissenschaften sowie die Musik
stehen und deren Ende die Dialektik bildet 186 . Durch die Beschäftigung mit diesen
Wissenschaften beseitigt man Gemeinheit, Niedrigkeit, Trauer und Kummer. Man
wird dann sanft und ruhig, indem die Liebe zum Geld, zur Macht, zur Gewinnsucht
und zu allen übrigen negativen Eigenschaften aus dem Herzen verbannt wird 187 .
Das Werk al-2Āmirı̄’s gilt als ein Kompendium der griechischen Ethik auf isla-
46 Einführung
mischem Boden. Es werden aber nicht nur die Meinungen von Platon und Aristo-
teles, sondern auch die von Galenos, Zenon, Porphyrios und Themistios erwähnt,
analysiert und beurteilt. Der aristotelische Einfluß, vor allem der durch die „Ni-
komachische Ethik“ (EN), ist besonders deutlich. Auch von anderen Schriften
Aristoteles’ wie „Über die Seele“ und „Über den Syllogismus“, die er kommen-
tiert, ist der islamische Philosoph beeinflußt 188 .
Im zweiten Teil seines Werkes geht al-2Āmirı̄ unter anderem auf die Bestim-
mung der Tugend, des tugendhaften Menschen und der guten Charaktereigen-
schaften wie Tapferkeit, Selbstbeherrschung und Gerechtigkeit ein. Nach seiner
Ansicht werden die Tugenden in vier Arten zusammengefaßt: Weisheit, Tapfer-
keit, Enthaltsamkeit und Gerechtigkeit. Dies kommt auch bei Platon und Aristo-
teles vor.
Die Gerechtigkeit schließt alle diese Tugenden in sich ein. Sie bedeutet im Hin-
blick auf die Tätigkeit des Menschen, daß die Kräfte, die sein Verhalten dirigieren,
nämlich die begehrende, die erzürnende und die denkende, in dem Sinne zuein-
ander harmonisch stehen, daß jede dieser Kräfte auf ihrem Bereich wirkt, wie es
sein soll. Die Denkkraft soll die Oberhand über die beiden übrigen haben, ihnen
Gebote und Verbote erteilen und sie beide zum Guten hin motivieren 189 .
Das mittlere Maß bleibt auch bei diesem Philosophen die Grundlage für das
Erkennen eines tugendhaften Verhaltens. Das ganze Übel entsteht, wenn das mitt-
lere Maß aufgehoben wird 190 . Hiernach geht al-2Āmirı̄ auf die Bestimmung der
oben erwähnten Kardinaltugenden ein, wobei das mittlere Maß, wie bei Aristote-
les und al-Fārābı̄, die Grundlage dieser Bestimmung bildet.
Der Selbstachtung wird im Werk al-2Āmirı̄’s ein selbständiges Kapitel gewidmet.
Sie bezieht sich auf beide Teile des Menschen, Leib und Seele. Die Selbstachtung
für eine krankhafte und niedrige Seele besteht darin, daß man sie von den Leiden-
schaften und von schlechten Handlungen fernhält. Durch Verrichtung der Gottes-
dienste, Aneignung der guten Charaktereigenschaften, des Wissens und der Weis-
heitsregeln, das sind die Gebote der Vernunft, wird eine solche Seele von ihrer
Krankheit befreit und zur Glückseligkeit geführt. Für eine tugendhafte Seele hin-
gegen bedeutet die Selbstachtung, sie zu schätzen, harmonisch mit ihr zu leben und
sie bei der Verrichtung tugendhafter Handlungen zu unterstützen. Mit Recht soll
die Selbstliebe getadelt werden, wenn man nach den Genüssen und der materiel-
len Befriedigung strebt 191 .
Im dritten Teil seines Werkes geht al-2Āmirı̄ auf die Politik ein. Wie al-Fārābı̄
sieht er als eine der Hauptaufgaben der Staatsführung, daß sie die Bürger zu dem
verhilft, worin ihr Glück besteht. Nicht nur das allgemeine Wohl (as-sālih al-
2āmm), das manchmal gegen die Interessen einzelner Bürger oder Gruppen ˙
˙ ˙ gerich-
tet ist, sondern das Wohl jedes einzelnen Bürgers soll das Ziel der Politik sein,
soweit dies in seiner Zeit möglich ist: salāh al-hāl li-kull wāhid min an-nās bi-qadr
mā yumkinu fı̄hi fı̄ waqtihi. ˙ ˙ ˙ ˙
Eine der primären Aufgaben der Staatsführung ist die Aneignung der materiel-
len (wörtl. bahı̄mı̄ya: tierisch) Güter, wie Gesundheit, Schönheit, Macht und
Wohlstand, der nicht in der Anhäufung von Reichtum, sondern in dessen Verwen-
dung besteht. Darauf soll sie sich um die Verwirklichung der geistigen Güter be-
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 47
mannes, die für die Verwirklichung des Glückes erforderlich sind. Er soll nicht nur
weise, sondern in der Weisheit fest verankert sein. Ferner soll er Zurückhaltung
ausüben, damit er sich Klarheit über die Dinge verschafft, bevor er ein Urteil fällt.
Er muß im Besitz des Wissens über die Geschichte der Nationen und der vergan-
genen Völker sein. Nicht nur über Geschichtserkenntnisse, sondern auch über die
Kenntnisse der mathematischen Wissenschaften, wie Arithmetik und Geometrie,
sowie Musik muß er verfügen, insofern solche Wissenschaften die Führungskraft
stärken 201 . Tapferkeit und Bescheidenheit sollen weitere wichtige Eigenschaften
des Staatsmannes sein, damit er nicht vor großen Taten zurückschreckt und die
Schwachen sich bei ihm kein Gehör verschaffen können 202 . Er darf ferner weder
ein Greis, dessen Geduld schnell zu Ende geht, noch ein sehr junger Mensch, dem
es an Erfahrung mangelt, sondern er sollte zwischen fünfunddreißig und fünfzig
Jahre alt sein, das heißt nicht nur über die Tugenden Bescheid wissen, sondern sie
tatsächlich in seinem Leben praktiziert haben203 . Der islamische Philosoph über-
nimmt den Vergleich, den Aristoteles macht, daß nämlich der Staatsmann in sei-
nem Verhältnis zu den Bürgern dem Geist in seinem Verhältnis zum Körper und
dem Haupt zu den Gliedern ähnlich ist 204 .
sich je nach Gruppe, Beruf und Geschlecht und hängen davon ab, ob sich der Staat
im Friedens – oder Kriegszustand befindet 208 .
In den letzten Teilen seiner Schrift widmet sich al-2Āmirı̄ vor allem der Erzie-
hung von Kindern und Jugendlichen, indem er arabische und islamische Sitten mit
der griechischen Ethik verbindet. Grundlagen dieser Erziehung bestehen darin,
die Jugendlichen dazu zu veranlassen, sich das Gute und die guten Eigenschaften
anzueignen, die schlechten Charakterzüge wie Lüge, Gier, Untreue, Feigheit und
Unwissenheit zu verachten, und die Sitten, die Tradition und die Politik (als die
Wissenschaft von der Staatsführung) zu lieben. Es soll ihnen ferner dargelegt wer-
den, daß das ganze Übel in der Widerspenstigkeit und dem Ungehorsam liegt. Sie
müssen ferner an Schwierigkeiten und Mühsal bei der Aneignung der guten Ei-
genschaften, des Schönen und des Nüzlichen gewöhnt werden. Sogar Regeln und
Sitten, die zum Schlafen, Essen und Trinken und überhaupt solche, die zum gesun-
den Leben führen, erwähnt al-2Āmirı̄ bei der Erziehung von Kindern und Jugend-
lichen 209 .
Der Unterschied zwischen Erziehung und Politik scheint nach Ansicht al-
2Āmirı̄’s darin zu liegen, daß die Erziehung dem einzelnen Menschen dazu verhilft,
die guten Charaktereigenschaften und Handlungen als Dauerzustand und Ge-
wohnheit anzusehen, wohingegen sich die Politik hauptsächlich auf das Verhalten
der Staatsführung bezieht, um den Menschen glückselig zu machen 210 .
Zwar fließen in das Werk al-2Āmirı̄’s über die Glückseligkeit verschiedene Denk-
strömungen neben der griechischen ein, jedoch bleibt das griechische Denken in
seiner Philosophie bestimmend. Wichtige Themen, die in diesem Zusammenhang
noch dazu erwähnt werden, wie die freie Wahl, die Überlegung und die Beratung,
werden mit persischem und islamischem Gedankengut untermauert 211 . Der Ge-
rechtigkeit und ihrer Bedeutung im Islam in der prophetischen Überlieferung und
im Verhalten der islamischen Kalifen widmet al-2Āmirı̄ ein ganzes Kapitel 212 .
Unter den griechischen Autoren ist das aristotelische Denken in dem Werk von
al-2Āmirı̄ von großer Bedeutung. Fast auf jeder Seite wird Aristoteles erwähnt, wie
dies auch der Herausgeber der Schrift Mojtaba Minovi feststellt 213 .
der Menschen, nicht jedoch für die Gebildeten. b) Mit den praktischen Übungen
und durch die Aneignung von Charaktereigenschaften kann jeder, der allgemein
an Gott glaubt, die jenseitige Glückseligkeit erlangen, auch dann, wenn er nicht an
den Islam glaubt. Lediglich kommt ein Muslim eher zum Ziel als ein anderer 215.
Platonische und aristotelische Denkelemente verbunden mit den islamischen
bestimmen Avicennas Denken über die Tugend als das mittlere Maß, welches sich
auf Handlungen bezieht, die vom Verstand, von dem Willen und von der Begierde
ausgehen. Die guten Charaktereigenschaften, die daraus entstehen, sind insgesamt
praktisch und der Gerechtigkeit unterzuordnen. Wer zusätzlich prophetische Cha-
rakterzüge und theoretische Weisheit besitzt, verdient ferner angebetet und als
Stellvertreter Gottes angesehen zu werden 216 .
Der Gedanke, daß ein so beschaffener Mensch ein Stellvertreter Gottes ist,
stammt aus dem Koran 217 . Im ersten Korantext aus Sure zwei ist nicht nur Adam,
sondern die Menschengattung im allgemeinen gemeint, die hier durch Adam ver-
treten ist. In seiner Antwort auf die Engel verweist Gott auf seine Weisheit, als er
den Engeln befahl, sich vor Adam aus Ehrerbietung niederzuwerfen. Denn nach
dem Schöpfungsplan Gottes verkörpert diese Gattung in sich auch gute Charakter-
eigenschaften wie vor allem Wissen, Gottesfurcht und Gerechtigkeit. In dem an-
deren Text aus Sure achtunddreißig ist der Befehl Gottes an die Herrscher enthal-
ten, nach Gerechtigkeit zu regieren, ansonsten bekommen sie eine harte Strafe 218.
Durch diese Gedanken, nämlich durch den Glauben an die Prophetie, durch die
Ablehnung der Gemeinschaft in bezug auf Frauen und Kinder 219 , durch die Ableh-
nung der Beseitigung von Mißgeborenen, um die Reinheit des Geschlechts zu
erhalten 220 , durch die Bejahung des Privateigentums, durch ihre Bildungsideale
und nicht zuletzt durch das Solidaritätsprinzip, das das politische Denken im Islam
beherrscht, unterscheiden sich die islamischen Philosophen in ihrer Vorstellung
vom Idealstaat der griechischen Philosophen. Es liegt darin nichts verwunderli-
ches, insofern ihr Humanismus im Unterschied zu dem griechischen ein Humanis-
mus ist, der auf dem monotheistischen Glauben beruht.
Was heißt Gebet und was bedeutet Gottesdienst bei Avicenna?
Gebet bedeutet nach seiner Ansicht, daß die vernünftige menschliche Seele sich
den himmlichen Sphären annähert. Der Gottesdienst bedeutet nach seiner An-
sicht die Erkenntnis des an sich notwendig Existenten, und das Gebet als Stütze
der Religion, wie der Prophet Muhammad sagt, bedeutet Reinigung der mensch-
˙
lichen Seele von den satanischen Betrübnissen und den menschlichen Neigungen
sowie das Sich-Abwenden von den diesseitigen Beschäftigungen, um sich der er-
sten Ursache zuzuwenden. Darin liegt die religiöse und ethische Funktion des
Gebets. In dem koranischen Vers „Und ich habe die Dschinn und Menschen nur
dazu geschaffen, daß sie mir dienen“ bedeutet „dienen“ „um mich zu erkennen“.
Gottesdienst bedeutet nach Avicenna das Erkennen des an sich notwendig Exi-
stenten, nämlich Gottes und die Huldigung seiner Eigenschaften 221 .
In der Aufteilung des Gebetes in einen äußeren Teil, das sind die Bewegungen
des Körpers, und einen inneren, das ist das innere Betrachten und Anschauen des
Göttlichen, liegt eine Abwertung des ersten rituellen und überlieferten Teils ge-
genüber dem rationalen Schauen 222 . Denn wie könnte man nach seiner Meinung
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 51
Auf den ersten Seiten seines Hauptwerkes über die Ethik „tahdı̄b al-ahlāq“ (Die
Erziehung der Charaktereigenschaften) bestimmt ibn-Miskawaih ¯ ˘
(gest. 1030
n. Chr.), ein älterer Zeitgenosse von Avicenna und einer seiner Gesprächspartner,
die menschliche Tätigkeit durch ihre wichtigen Unterscheidungsmerkmale: Ver-
nunft, Verstand und freie Wahl 227 . Das Ziel der menschlichen Existenz ist die An-
eignung des Guten, wodurch man glückselig sein kann. Der Mensch unterscheidet
sich von allen übrigen Kreaturen durch ein bestimmtes Verhalten, das auf Unter-
scheidungsvermögen, Überlegung und freier Wahl beruht. Wer also über ein gutes
und gesundes Unterscheidungsvermögen verfügt, treffende Überlegungen anstellt
und durch seine freie Wahl das beste trifft, ist vollkommen in seiner Menschlich-
keit. Wer sich aber in bezug auf alle diese drei schlecht verhält, gerät auf die Stufe
der Tierheit ähnlich einem Pferd, das der Fähigkeit zum Rennen beraubt und zu
einem Lasttier heruntergestuft wird 228 . In dieser Beschreibunng der menschlichen
Tätigkeit und deren Ziel ist der aristotelische Einfluß unverkennbar, wie schon
dargelegt worden ist.
Wie al-Fārābı̄ legt ibn-Miskawaih großen Wert auf die Solidarität der Menschen,
um das höchste Ziel menschlicher Tätigkeit, das ist die Glückseligkeit, zu erlan-
gen. Der Mensch soll also seine Vollkommenheit in der Vollkommenheit eines
jeden anderen sehen. Dies ähnelt den Gliedmaßen, deren Vollkommenheit in der
des ganzen Körpers, nicht aber in der einzelnen Vollkommenheit besteht.
ibn-Miskawaih, der sich gleichzeitig mit Medizin und Pharmakologie beschäf-
tigte, der als Begründer der philosophischen Ethik im Islam gilt, bestimmt den
Gegenstand der ethischen Wissenschaften als die Beschäftigung mit den Fähigkei-
ten des Menschen: 1. als vernünftiges Wesen, 2. als ein Wesen, das mit der Begier-
de behaftet ist und 3. als ein Wesen, dessen Handlungen zum Teil aus Wut gesche-
hen. Kopf, Leber und Herz sind die Sitze dieser Fähigkeiten. Auch die
Handlungen, die von diesen Fähigkeiten ausgehen, seien sie gut oder schlecht, sind
Gegenstand der philosophischen Ethik 229 .
Aus der Mäßigung dieser Fähigkeiten entstehen Tugenden, die in vier Haupt-
tugenden zusammengefaßt werden. Es sind: Weisheit, Enthaltsamkeit, Tapferkeit
und Gerechtigkeit. Ihre Gegenteile sind: Unwissenheit, Gier, Feigheit und Un-
recht 230 . Aus den schlechten Charaktereigenschaften können seelische Krankhei-
52 Einführung
ten entstehen, wie Furcht, Trauer und Wut. Wie die bereits erwähnten Aristoteli-
ker bestimmt ibn-Miskawaih die Tugend als das mittlere Maß zwischen zwei Ex-
tremen. Denn die Extreme sind schlecht und beziehen sich auf schlechte Hand-
lungen, Umstände und Motivationen. Deswegen sollen wir nach dem mittleren
Maß streben, was eine der größten Schwierigkeiten ausmacht. Es folgt die Bestim-
mung des mittleren Maßes für die erwähnten Tugenden und der Unterordnung der
daraus entstandenen Tugenden unter jeder dieser Haupttugenden.
Die ethische Gesinnung ist nach Ansicht von ibn-Miskawaih nicht angeboren,
sondern die Summe des Zusammenwirkens vor allem von Erziehung und Rat-
schlägen. Der Mensch hat von Natur aus lediglich die Fähigkeit dazu, sie anzuneh-
men.
Die Meinung, daß die ethische Gesinnung angeboren ist, hebt die Bedeutung
dieser Zusammenhänge sowie die des Unterscheidungsvermögens auf. Nach einer
historischen Betrachtung der ethischen Gesinnung bei den Epikureern, Galenos
und Aristoteles kommt der islamische Philosoph zu einer Bestimmung der ethi-
schen Gesinnung in Form eines aristotelischen Syllogismus, der folgendermaßen
lautet: Jede Charaktereigenschaft ist veränderbar, und alles, was veränderbar ist,
kann nicht angeboren sein. Also ist keine der Charaktereigenschaften angebo-
ren 231 .
Auf die Bedeutung der Gesetzgebung (asˇ-sˇarı̄2a), der Erziehung und die Befol-
gung ihrer Regeln weist ibn-Miskawaih hin. Bei der Erziehung der Fähigkeiten des
Menschen geht er auf die Bedeutung der Nahrung und Bekleidung sowie auf Um-
gangsregeln ein, die besonders für die Erziehung von Kindern und jungen Men-
schen wichtig sind. Die Nahrung ähnelt einem Medikament. Man sollte sich mit
dem begnügen, was die Gesundheit und den Hunger vertreibt. Denn man kann die
Medikamente nicht aus Genuß oder Leidenschaft einnehmen, und so verhält es
sich auch mit der Nahrung 232 .
Glückseligkeit liegt in der Vollkommenheit des Menschen, welche in der Ein-
heit von theoretischem und praktischem Wissen besteht. Keineswegs liegt Glück-
seligkeit nur in der Befriedigung materieller Bedürfnisse. Denn darin hat der
Mensch eine Gemeinsamkeit nicht nur mit den Tieren, sondern auch mit den nied-
rigsten aller Kreaturen, wie mit den Würmern 233 .
ibn-Miskawaih widmet einen wichtigen Teil seines Werkes der Analyse und Er-
ziehung der Fähigkeiten des Menschen zum Denken, zum Begehren und zur Wut.
Dabei werden vor allem aristotelische und islamische Denkelemente miteinander
verbunden. Ausdrücklich erwähnt er, daß er in seinem Werk die aristotelische Phi-
losophie, insbesondere „Die Nikomachische Ethik“ und deren Interpretation, vor
allem durch Porphyrios, als Grundlage für sein Philosophieren aufnimmt 234 .
In der Bestimmung des höchsten Gutes, der Glückseligkeit und der einzelnen
Tugenden erscheint der Einfluß von Aristoteles sehr deutlich. Jedoch behandelt
der islamische Philosoph an verschiedenen Stellen islamische Themen, wie etwa
die Bedeutung des Kalifen und seine Aufgaben 235 , die Pflichten des Menschen
seinem Schöpfer gegenüber 236 und die Gründe für die Abwendung des Menschen
von Gott 237 sowie der Aufruf des islamischen Gesetzes zur Liebe und zum freund-
lichen Umgang der Menschen miteinander 238 .
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 53
Vor mehr als tausend Jahren kannten islamische Philosophen unter anderem die
drei ethischen Hauptwerke von Aristoteles: die Eudämische Ethik, die Magna
Moralia und die Nikomachische Ethik. Die ersten zwei Schriften wurden von
Hunain-ibn-Ishāq und die letzte vielleicht auch von ihm, aber wahrscheinlich von
˙
seinem ˙ āq ins Arabische übersetzt 239 .
Sohn Ish
˙
ibn-Rusˇd (Averroes, gest. 595 n. H./1198 n. Chr.) schrieb einen kurzen Kommen-
tar zu der arabischen Übersetzung, der von Hermanus Alemannus (gest. 1272
n. Chr.) ins Lateinische übersetzt wurde. Gemeinsam mit anderen Kommentaren
von Averroes zu den Werken Aristoteles’ wurde dieser Kommentar in Venedig im
Jahre 1560 n. Chr. unter dem Titel: „Opera omnia Aristoteles Averroes Cordoben-
sis … Commentaria, t. III ff., 180–1318 v. Venise, 1560“ gedruckt 240 . Eine Summa
Alexandrinorum wurde ferner von ihm im Jahre 1243 n. Chr. aus dem Arabischen
ins Lateinische übersetzt 241 .
Die lateinische Übersetzung des Kommentars von Averroes zu der Nikomachi-
schen Ethik ist nach den Angaben von Steinschneider ohne Namen des Überset-
zers seit 1483 n. Chr. in den Ausgaben des Aristoteles vorhanden 242 . Sie wurde von
Roger Bacon (1214–1294) verwendet, wie dies aus einer seiner Bemerkungen her-
vorgeht. Ferner beeinflußte sie die Arbeiten von Albertus Magnus (1193/
1207–1280) 243 . Derselbe Kommentar von Averroes wurde ferner von Samuel ben
Jehuda aus Marseille ins Hebräische im Jahre 1321 n. Chr. übersetzt 244 .
Von den griechischen Handschriften zu der EN sind nach Angaben von Badawı̄
neunundneunzig vollständige erhalten, und zwanzig Handschriften überlieferten
teilweise vollständige Aufsätze, teilweise Bruchstücke des Textes 245. Die arabische
Übersetzung beruht nach Badawı̄ auf einer der ältesten und genauesten griechi-
schen Handschriften. Die Handschrift dieser Übersetzung wurde in Fez (Marok-
ko) entdeckt. Sie befand sich in der Qarawiyı̄n Library in zwei Teilen. Der zweite
Teil wurde zuerst von A. J. Arberry aus Cambridge im Jahre 1951/52 aufgefunden.
Darüber schrieb er selbst, daß dieser Teil, welcher das siebte bis zehnte Buch ent-
hält, im guten Zustand war 246 . Einen Ausschnitt aus dem neunten Buch bietet
Arberry in Verbindung mit dem arabischen Text und einer englischen Überset-
zung, die er selbst anfertigte, sowie einem kleinen griechisch-arabischen Glos-
sar 247 . Den anderen Teil der Handschrift entdeckt D. M. Dunlop im Jahre 1959
während eines Aufenthalts in Fez in derselben Bibliothek. Er enthält die Bücher
I–VI der aristotelischen Schrift. Die beiden Professoren aus Cambridge identifi-
zierten die Handschrift als die erste arabische Übersetzung der aristotelischen
Schrift: die Nikomachische Ethik, die im neunten Jahrhundert der christlichen
Zeitrechnung von Hunain ibn-Ishāq oder dessen Sohn Ishāq angefertigt wurde.
Ein kleiner Teil des˙fünften Buches, ˙ von 1136a: „˛peita ka½˙ tde diaporffisein ˝n
ti@, …“ bis zum Ende dieses Buches sowie ein großer Teil des sechsten Buches bis
Ende des Satzes: „Swkr€th@ mffn on lgou@ tÞ@ ⁄retÞ@ †¯eto e—nai …,“ 1144b,
sind verlorengegangen. Es ist ein Verdienst von Abdurrahmān Badawı̄, daß er die
˙
fehlenden Texte durch Übersetzungen ins Arabische vervollständigte und mit zwei
Appendices in Kuwait im Jahre 1979 herausgab. Der erste Appendix ist eine Ein-
54 Einführung
leitung zur Ethik von einem unbekannten Autor, vermutlich Nikolaos von Damas-
kos (um 60 v. Chr.), und er wurde von Abū-2Alı̄ 2Isa 3bn-Zura2a ins Arabische über-
tragen. Er enthält auch Bruchstücke der EN. Was die Autorschaft von Nikolaos
von Damaskos strittig macht, ist die Tatsache, daß die Schrift einen Teil von Plo-
tins Enneaden enthält 248 . Sie wurde als Anhang zu der arabischen Handschrift
aufgefunden, und ihre Niederschrift geht auf dasselbe Jahr zurück, in dem die ara-
bische Handschrift der EN in Fez geschrieben wurde, auf das Jahr 629 n. H. (1232
n. Chr.). Der zweite Appendix ist eine von Hermanus Alemannus gefertigte latei-
nische Übersetzung einer Abkürzung der EN (translatio Alexandrina). Sie wurde
von den Alexandrinern, einer Gruppe von Ärzten, die sich mit dem Kommentie-
ren und Abkürzen von Galenos Schriften beschäftigt, verfaßt 249 .
Auf die griechischen Handschriften der EN ist D. M. Dunlop in seinem oben
erwähnten Artikel eingegangen. Die älteste Handschrift, die Laurentianus
LXXXI. II, stammt aus dem 10. Jahrhundert. Die nächst älteste, die Parisiensis,
stammt aus dem 12. Jahrhundert, und die lateinische Übersetzung geht auf das
13. Jahrhundert zurück. Der Text, den Bywater herausgegeben hat, stützt sich
ebenfalls auf eine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert. Diese Handschrift ist nach
H. Rackham eine der besten unter den Manuskripten. Die griechische Hand-
schrift, auf der die arabische Übersetzung beruht, muß älter als alle diese Hand-
schriften sein, denn ihr Übersetzer, höchstwahrscheinlich Ishāq ibn-Hunain, starb
˙
im Rabı̄2 II, 398 n. H. (Nov. 910 n. Chr.). Somit liefert die arabische ˙Übersetzung
eine der ältesten griechischen Handschriften des aristotelischen Werkes 250.
Der Übersetzer der EN ins Arabische wird nicht erwähnt. Es handelt sich wahr-
scheinlich um Ishāq ibn-Hunain, der mehrere Schriften von Aristoteles, darunter
„Über die Seele“, ˙
˙ ins Arabische übertragen hat. Aufgrund der Ähnlichkeit des
Stils der beiden Schriften nimmt man an, daß er auch der Übersetzer der EN ist,
nicht sein Vater Hunain ibn-Ishāq. Beide, Vater und Sohn, beschäftigten sich ne-
ben ihrem Beruf ˙als Ärzte der˙ 2Abbāsı̄den-Kalifen mit der Übersetzung griechi-
scher und assyrischer Schriften ins Arabische. Der Vater Abū-Zaid Hunein ibn-
Ishāq al-2Abbādı̄ war ein Arzt des Kalifen al-Mutawakkil (er herrschte ˙ von
˙
232–247 n. H./842–860 n. Chr.) und bereiste viele Länder in Kleinasien auf der Su-
che nach griechischen Manuskripten, die er ins Arabische übersetzen wollte. Von
dem Kalifen al-Mutawakkil wurde er mit der Leitung des von dem Kalifen al-
Ma3mūn (er herrschte von 813–833 n. Chr.) im Jahre 215 n. H./830 n. Chr. errichte-
ten beit al-hikma (Hauses der Wissenschaften) in Baġdād beauftragt. Er übersetz-
˙ platonischen Schriften, darunter „Die Politeia“ und „Die Gesetze“,
te einige der
und einige von Aristoteles, darunter „Die Kategorien“. Ins Assyrische übersetzte
Hunain zahlreiche Werke, darunter „Über die Seele“ und das Buch „l“ der Meta-
˙
physik von Aristoteles 251 .
Über das Schicksal der zwei Bücher der „Magna Moralia“, die zusammen mit
der EN wahrscheinlich von demselben Übersetzer ins Arabische übertragen wur-
den, ist nichts bekannt. Möglicherweise sind sie verlorengegangen, oder sie warten
noch auf das Licht der Veröffentlichung, wie die EN. Die arabischsprechenden
Gelehrten des Mittelalters zählten sie zu den zehn Büchern der EN und nannten
die zwölf Traktate „kitāb al-ahlāq“ (Das Buch der Sitten).
˘
III. Der Aristotelismus in der islamischen Ethik 55
Die arabische Handschrift von der alten Übersetzung der EN, die Badawı̄ her-
ausgegeben hat, enthält elf Traktate. Ursprünglich war das elfte Traktat nach dem
sechsten Buch eingeschoben. Nach Badawı̄’s Feststellung ist es lediglich eine Zu-
sammenfassung des vierten und fünften Buches der EN. Aufgrund der Unter-
schiedlichkeit der Themen und des Stils ist es problematisch, dieses Traktat als
der MM zuzurechnen; denn die Themen dieses Traktates sind die Einzeltugenden,
die schon einmal in den vorigen Büchern der EN behandelt worden sind. Mögli-
cherweise ist es eine Zusammenfassung, die von Aristoteles selbst oder einem der
islamischen Gelehrten wie al-Fārābı̄ stammt. A. Badawı̄ veröffentlicht es als An-
hang zu der EN, s. S. 363 ff.
Die Bemerkung von A. Badawı̄, daß die arabische Übersetzung ausdrucksvoll
und dem Wortlaut des griechischen Textes adäquat ist, ist zutreffend 252 . D. M.
Dunlop beschäftigt sich mit dieser Frage und bringt ausführliche Textproben der
arabischen Übersetzung in Verbindung mit den entsprechenden griechischen
Textstellen 253 .
Der Vergleich der arabischen Übersetzung mit dem griechischen Text, der erst-
mals von I. Bywater in Oxford im Jahre 1894 herausgegeben wurde, stand im Mit-
telpunkt einer ausführlichen Studie, die mich beschäftigte. Zu diesem Vergleich
wurden auch die beiden deutschen Übersetzungen von Franz Dirlmeier (WBG,
Darmstadt 1960) und Olof Gigon (DTV, München 6 1986) als Hilfsmittel herange-
zogen. Unbedeutende Auslassungen und an ganz wenigen Stellen unterschiedliche
Varianten weisen daraufhin, daß der griechische Text, der der arabischen Überset-
zung zugrunde liegt, ein anderer und älterer Text ist, wie schon in der Feststellung
von Badawı̄ erwähnt wurde; er stimmt jedoch wesentlich mit dem Text von I. By-
water überein 254 .
An dieser Stelle danke ich meinen Mitarbeitern sehr herzlich, die mir bei der
Bearbeitung des griechischen Textes der EN behilflich waren, dem Ehepaar Ilona
und Henning Seeberg-Mangold, Herrn Heiner Koller, Herrn Stephan Giesecke
und Herrn Jens Michners, die beide mir bei der Bearbeitung der letzten zwei Bü-
cher der EN behilflich waren. Herrn Dr. G. Kloss, dem wissenschaftlichen Assi-
stenten am Seminar für klassische Philologie an der Universität Göttingen, und
Herrn Koller gilt mein aufrichtiger Dank für ihren persönlichen Einsatz bei der
Beschaffung von Materialien zur aristotelischen Philosophie, besonders der EN.
Sie alle, die über eine ausgezeichnete Kenntnis der Philologie der griechischen
Sprache verfügen, besonders der von Aristoteles, wissen sehr gut, wie man den
schwierigen Zusammenhang des griechischen Textes sachkundig erklären kann.
Es war eine unentbehrliche und fruchtbare Zusammenarbeit.
Der Leser erkennt aufgrund der vorliegenden Studie über die Ansichten von al-
Fārābı̄, al-2Āmirı̄, Avicenna und ibn-Miskawaih über die Glückseligkeit, wie wenig
sich die islamischen Aristoteliker auf den Islam, den Koran und die prophetische
Überlieferung (as-sunna) berufen. al-Fārābı̄ tut dies fast überhaupt nicht und al-
56 Einführung
angemessen. Denn weder verbietet der Islam während des Fastens bestimmte
Nahrung zu sich zu nehmen, die für den Körperbau und ähnliches wichtig sind,
wie zum Beispiel das Verzehren von Fleisch, noch ist das Fasten auf das ganze Jahr
verteilt, wie das bei anderen Religionen der Fall ist. In der Armensteuer sieht al-
2Āmirı̄ einen weiteren Vorzug des Islam, weil darin eine Übung zur Güte, gegen
Geiz und Habgier liegt 259 .
Der heilige Kampf (al-ğihād) steht nach al-2Āmirı̄ nicht im Widerspruch zur
Vernunft, denn er gründet sich auf das Selbstverteidigungsrecht. Obwohl – so der
islamische Philosoph – die Christen die Aussage Jesu predigen: „Ihr habt gehört,
daß da gesagt ist: ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn.‘ Ich aber sage euch, daß ihr
nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, wenn dir jemand einen gibt auf deine
rechte Backe, dem biete die andere auch dar“ 260 , so werden sie nicht zögern, wie
auch die Angehörigen der anderen Religionen, ihre Heiligtümer zu verteidigen,
wenn diese geschändet oder ihre heiligen Bücher verbrannt werden 261 . Der Islam
verpflichtet sich, denjenigen zu schützen, der mit Kriegsführung gegen die Musli-
me aufhört, die Existenz des einen Gott anerkennt und die Botschaft Muhammads
bezeugt 262 . ˙
Wie al-Fārābı̄ geht auch al-2Āmirı̄ auf die Politik im Islam ein, indem er versucht,
die Grundlage des Kalifats rational zu begründen. Nach seiner Ansicht beruht die
Regierungsgrundlage im Islam auf einem Vorzug, nämlich auf der Gleichheit aller
Bürger hinsichtlich ihrer Pflichten und Rechte. So gibt es im Islam keine Herr-
scherklasse und keinen Klerus, die die Privilegien der Machtausübung und das
Ansehen für sich beanspruchen. Die anderen Religionen stehen hierzu im Gegen-
satz. Die Kopfsteuer, die der Islam von Angehörigen anderer Religionen abver-
langt, ist nach Ansichten al-2Āmirı̄’s eine staatspolitische und keine religiöse An-
gelegenheit. Der islamische Staat bietet dafür den Angehörigen dieser Religionen
als Gegenleistung Schutz und Sicherheit und befreit sie von der Einschränkung
ihrer Tätigkeit auf die Ausübung niedriger Berufe, wie Leichenbestattung, Stra-
ßenkehren und ähnlichem, die sie unter dem Joch anderer Herrscher, zum Beispiel
unter den Sassaniden, ausüben mußten 263 .
Nach Ansichten al-2Āmirı̄’s unterstützt der Islam die Wissenschaften und för-
dert ihre Entwicklung und ihre Orientierung an anderen Kulturen. Kein Hinder-
nis, sei es religiöser, sei es politischer Natur, haben der Islam und die islamischen
Kalifen den Wissenschaften entgegengestellt. Im Gegensatz dazu stehen Christen
und Juden, die stark an ihre Bücher, ihre Traditionen und ihre Synagogen gebun-
den sind. Bei der Übertragung der antiken Wissenschaften der Griechen, Römer,
Perser und Inder hat der Islam großartige Leistungen erbracht. Zwar waren viele
Übersetzer keine Muslime, sie haben aber im Namen der islamischen Kalifen und
mit ihrer Unterstützung ihre Arbeiten durchführen können 264 .
Trotzdem darf man nicht den politischen Hintergrund für die Abfassung dieses
Werkes „manāqib …“ (Die Vorzüge …) unberücksichtigt lassen. Denn nachdem
al-2Āmirı̄ aufgrund seiner von ihm verbreiteten Ansichten über die Philosophie
des Unglaubens und des Atheismus bezichtigt wurde, schrieb er dieses Werk und
widmete es Abū-Nasr ibn-Abı̄-Zaid, einem Minister der Samaniden-Herrscher
˙
58 Einführung
(819–1005 n. Chr.), um von ihm Schutz und Sicherheit zu erhalten, und in der Hoff-
nung, daß dieser ihn in den Staatsdienst aufnehmen würde (s. S. 74, 208).
Auch der ganze Versuch islamischer Philosophen, die über das Verhältnis des
Islam zur Philosophie geschrieben haben, darf nicht überbewertet werden. Sie alle
oder die meisten von ihnen wie al-Kindı̄, al-Fārābı̄, Avicenna, al-2Āmirı̄ schrieben
darüber nur sporadisch oder beiläufig. In bezug auf ihr Gesamtwerk ist dieses
Thema kein Hauptthema in ihrem Denkplan. Sie sind in erster Linie Philosophen
und Mediziner oder Naturwissenschaftler, deren Vorliebe eben diesen Wissen-
schaften gilt. al-Kindı̄ (gest. 873 n. Chr.), Philosoph der Araber genannt und Grün-
der dieser Schule, kümmerte sich kaum um dieses Thema. al-Fārābı̄ schrieb zahl-
reiche Werke über die Philosophie – allein mehr als fünfundzwanzig Werke über
die Logik, darunter elf Kommentare zur Logik von Aristoteles. Avicennas Haupt-
tätigkeit galt vor allem der Philosophie und der Medizin. Was für einen Stellenwert
nimmt eine einzige Schrift über dieses Thema innerhalb des Gesamtwerkes eines
Autors wie ibn-Rusˇd (Averroes) ein, dessen Hauptarbeiten aus Kommentaren und
Zusammenfassungen der Schriften von Aristoteles besteht?! Das mag der Grund
dafür sein, daß ihre Arbeiten über dieses Thema, so interessant sie sind, von vielen
– vor allem Theologen, Juristen und Traditionalisten – nicht anerkannt werden und
die Autoren so vom Vorwurf des Atheismus befreit werden 265 .
Wie widersprüchlich die Philosophen in Fragen der theoretischen Philosophie,
insbesondere der Metaphysik, denken, hat Gh in zahlreichen seiner Schriften be-
sonders in seinem Werk „tahāfut al-falāsifa, Widerlegung der Philosophen“ ge-
zeigt. Hier in diesem Werk will er zeigen, daß die rational-praktische Ethik, die
sie vertreten, nicht ausreichend ist, dem Menschen bei seinem Bestreben zu ver-
helfen, die Glückseligkeit zu verwirklichen.
IV.
Zweck und Inhalt des mı̄zān al-2amal
Die Adressaten des mı̄zān al-2amal (Das Kriterium des Handelns) sind bekannt,
und ihre Meinungen genau beschrieben. Es sind die islamischen Aristoteliker, die
vor allem die aristotelische Ethik als Grundlage ihres Philosophierens ansehen.
Gh. will daher zeigen, wie unannehmbar und grundlos der Versuch ist, die isla-
mische Ethik mit der griechischen zu verbinden, denn ein wichtiges Merkmal der
islamischen Ethik, im Gegensatz zur griechischen, ist der Glaube an Gott und an
das Jenseits mit allen Verpflichtungen, die damit verbunden sind. Weder Platon
und Aristoteles sprechen von einer solchen Beziehung noch die islamischen Phi-
losophen. Daher ist es verständlich, daß Gh. in seinem Werk „mı̄zān …“ die Be-
deutung des Glaubens an das Jenseits im Zusammenhang mit der Erlangung der
Glückseligkeit an den Anfang seines Werkes stellt.
Ein zentraler Gedanke in der Darlegung von Gh. ist der Tod, während die Phi-
losophen, vor allem Platon und Aristoteles kaum an ein Leben nach dem Tod
denken, wie es der Islam beschreibt. Auch die islamischen Aristoteliker erwähnen
kaum diesen Gedanken in ihren Konzeptionen über die Glückseligkeit 266 .
Auf die Bedeutung des Todes im Leben des Menschen geht Gh. am Ende seines
Werkes noch einmal ein 267 . Glaubt man an ein Leben nach dem Tod, so kann die
Glückseligkeit nicht auf das Diesseits beschränkt werden. Ist es eine Sache der
Vernunft oder eine des Glaubens, daß man an ein zukünftiges Leben glauben soll?
Gh. versucht, dies rational zu begründen, und legt einen historischen Überblick
über die Haltung der Menschen hinsichtlich dieser Frage dar 268 .
Der Weg zur Erlangung des Glücks wird durch Wissen und Handeln ermöglicht.
Aber was für eine Art von Wissen und Handeln wird hier verlangt? Durch taqlı̄d,
Nachahmung ist kein Wissen möglich, sondern durch Prüfung und Erfahrung der
Wirklichkeiten der Dinge, durch Reflexion und Nachdenken beim Studium des
Königreichs des Himmels und der Erde, „ja sogar beim Studium des eigenen Selbst
und dessen, was darin an wunderbaren Dingen geschaffen wurde“ 269 .
Aus den Niederungen der Nachahmung (taqlı̄d) und des Gehorsams erhebt man
sich durch Reflexion und selbständiges Denken. Dabei hebt Gh. die Bedeutung
der Mystik hervor270 . Handelt es sich hierbei um eine weitere Absage an die grie-
chische Philosophie? Ganz gewiß. Denn keiner unter ihren Anhängern unter den
Muslimen sieht, wie die erwähnten Philosophen, einen solchen Weg. Zwar gibt es
im Neuplatonismus, von dem al-Fārābı̄ und Avicenna ebenfalls beeinflußt sind,
durch die Verbindung zur Religion eine Tendenz zur Mystik, jedoch ist dies von
allgemeinem Charakter und ohne Bedeutung für unser Thema. Vielmehr schreibt
al-Fārābı̄ zu Beginn seiner Schrift über „tahsı̄l as-sa2āda“ (Die Aneignung der
Glückseligkeit), worin die Bedeutung der Ratio ˙˙ hervorgehoben wird, daß auf-
60 Einführung
grund seiner Konzeption nicht nur die Glückseligkeit im Diesseits, sondern auch
im Jenseits erlangt wird 271 .
Die Glückseligkeit ist ein Zustand der Vollkommenheit. Darüber sind sich Gh.
und die Philosophen einig. Die Vollkommenheit besteht darin, die geistigen Dinge
zu erkennen und sich von der Herrschaft der Begierde zu befreien 272 . An der Spit-
ze der Wahrheiten, die man erkennen soll, steht die des Todes. Man soll dabei
erkennen, daß der Tod „zwar die Organe außer Kraft setzt, nicht aber der Verfall
des Handlungsvermögens (nämlich der Seele) ist“ 273 .
Im Gegensatz zu seiner Auffassung im „tahāfut al-falāsifa“ (Die Widerle-
gung …), daß die Seele mit dem Körper stirbt und am Jüngsten Tag mit ihm wie-
deraufersteht, macht er hier im „mı̄zān …“ eine Kehrtwendung, indem er sich der
Auffassung der Mehrheit der Muslime anschließt, daß die Seele unsterblich ist 274 .
Wie unannehmbar der Versuch ist, die Ethik des Islam mit der der Griechen zu
verbinden, zeigt Gh. anhand eines wichtigen Gedankens dieser Ethik, nämlich der
Notwendigkeit, das mittlere Maß einzuhalten, das den Kern der Ethik von Aristo-
teles und seinen islamischen Anhängern ausmacht. Denn das mittlere Maß ist eine
wichtige Grundlage des islamischen Glaubens. Es ist so, wie es in der islamischen
Überlieferung beschrieben wird: „feiner als ein Härchen und schärfer als die Klin-
ge des Schwertes“. Darum bittet der Muslim Gott um Beistand auf der Suche nach
dem mittleren Maß. Vor jeder Verbeugung (rak2a) liest er die Koraneröffnung,
welche folgendes enthält: „Führe uns auf den geraden Weg“ 275 .
Das mittlere Maß im Islam ist auf Gott bezogen, aus dem Koran entnommen,
und erkennt die Grenzen unserer Vernunft an, weshalb wir als Menschen und als
Muslime im Streben nach dem Glück auf Gottes Beistand angewiesen sind.
Man kann also „mı̄zān al-2amal“ (Das Kriterium des Handelns) als eine weitere
Auseinandersetzung Gh.s mit der griechischen Philosophie und deren Anhängern
auf islamischem Boden betrachten. Gh. wählt dafür eine der wichtigsten Themen
der Ethik, nämlich die Glückseligkeit. Es wird nicht übertrieben, wenn hier be-
hauptet wird, daß das Werk: mı̄zān al-2amal „Kriterium des Handelns“ die gleiche
Bedeutung auf dem Gebiete der praktischen Philosophie hat, wie tahāfut al-falāsi-
fa (Die Widerlegung der Philosophen) auf dem Gebiete der theoretischen Philoso-
phie. Diese These wird im Laufe dieser Arbeit und im Kommentar zu dem Text
von Gh. weiter belegt.
Das System der aristotelischen Ethik beruht auf rationaler Grundlage, wobei
Begriffe, wie zum Beispiel Wissen, Arete, Freude, Lernen, Lehren und die Be-
schreibung der Seelenkräfte die Elemente dieses Systems ausmachen. Diese Be-
griffe sind auch Gegenstand der Untersuchung der rational-religiösen Ethik Gh.s.
Während die erwähnten Philosophen davon ausgehen, daß die Vernunft allein als
Bestimmungsgrund für das menschliche Verhalten und Zusammenleben ausreicht,
weist Gh. darauf hin, daß sie allein nicht genügend ist, um das höchste Gut, die
Glückseligkeit, zu verwirklichen. In seinen Werken wie in „tahāfut al-falāsifa“
(Die Widerlegung …), „al-munqid …“ (Der Erretter …) und „misˇkāt al-anwār“
¯
(Die Nische …) kritisiert Gh. die Haltung der Philosophen in Fragen der theoreti-
schen Philosophie und der Metaphysik. Hierin in „mı̄zān …“ setzt er diese Ausein-
andersetzung in bezug auf Fragen der Ethik fort. Dabei weist er auf die Bedeutung
IV. Zweck und Inhalt des mı̄zān al-2amal 61
der Offenbarung hin sowie auf das Mitwirken Gottes bei Aneignung des höchsten
Gutes, der Glückseligkeit 276 . Das bedeutet in bezug auf unser Thema, daß der
Mensch in keiner Situation den von Gott erhaltenen Erfolg entbehren kann. Darin
liegt der Unterschied zu der bloßen rationalen Ethik 277 . Das Mitwirken Gottes
aber setzt voraus, daß sich der Mensch zuerst um die Reinigung seiner Seele und
den Sieg über seine Begierde bemühen soll. Das ist der Sinn des Handelns: „Also
bedeutet Handeln, die Begierde zu besiegen, indem das Bewußtsein der Seele zu
der höheren göttlichen Stufe geführt wird …“ 278 .
Die Bedeutung der Mystik im Zusammenhang von Wissen und Handeln wird in
diesem Werk besonders hervorgehoben. Das Handeln hat den Vorrang auch dann,
wenn man sich um den Erwerb theoretischer Wissenschaften bemüht. Hinsichtlich
dieser Frage regen die Mystiker nicht zur Aneignung der Wissenschaften an, son-
dern sie setzen als Vorbedingung zur Aneignung des Wissens die Reinigung der
Seele von den bösen Eigenschaften und die Hinwendung zu Gott voraus 279 .
Die Besonderheit der Mystik gegenüber allen anderen Methoden drückt Gh. im
folgenden Satz aus: „Sie (die Mystiker) führen die Lösung des Problems auf eine
absolute Reinigung deinerseits, auf Läuterung und Klärung, und dann auf Bereit-
schaft und Erwartung zurück“ 280 . Von seiten der Spekulativen Denker erwähnt
Gh. einige Einwände gegen diese Methode und beantwortet sie in Form einer
Parabel, die von einer Wette zwischen Chinesen und Römern um das beste Zeich-
nen und Malen handelt 281 . Daraus folgert Gh., daß es zwei Möglichkeiten beim
Erwerb der Wissenschaften gibt: a) die Aneignung des Zeichnens selbst, das heißt
die rationale Methode, und b) die Bereitschaft, die Zeichnung von „außen“ auf-
zunehmen. „Mit ‚außen‘ sind die aufbewahrte Tafel (al-lauh al-mahfūz) und die
Seelen der Engel gemeint“ 282 . ˙ ˙ ˙
Das ist der Weg der Mystik. Er lehnt also die erste Methode, die rationale, nicht
ab, sondern er meint, daß die Befolgung der einen oder der anderen von der Be-
reitschaft jedes Menschen abhängig ist. Jedoch geht es Gh. in diesem Werk darum,
den Weg und die Methode der Mystiker hinsichtlich der Aneignung der Glückse-
ligkeit zu zeigen und, im Unterschied zu der bloß rationalen Ethik, die Besonder-
heiten ihrer praktischen Seite darzulegen 283 .
Das ist Inhalt und Zweck dieses Werkes. Im Kapitel „Über die Aufgaben des Ler-
nenden und des Lehrers …“ 284 schreibt Gh., daß der Zweck, dieses Werkes zu
schreiben, darin liegt, die Lehrmeinung der Mystiker hinsichtlich der Erlangung
der Glückseligkeit darzulegen, und daß er dieses Werk nicht verfaßt, „um die
Wahrheit und die Falschheit dieser Dinge durch Beweisführung klarzumachen,
sondern es (dieses Werk) enthält Ratschläge, die auf die Unachtsamkeit hinweisen
und zu Lehrfragen leiten, damit man nicht außer acht läßt, was sie (die Mystiker)
gesagt haben. Denn die Möglichkeit dessen, was sie gesagt haben, ist von Anfang
an nicht weit entfernt von der Wahrheit“ 285 .
Das ist eine klare Antwort an die Adressaten, an die Philosophen. Ihre Arbeiten
reichen nicht dafür aus, die Lösungen für die dargestellten Probleme darzubieten,
die von jedem erstrebt werden. Auch ihre Methode, die rationale, ist ungenügend
62 Einführung
und einseitig, weil sie nicht die übrigen Kräfte im Menschen und seine innere
Intuition berücksichtigt.
Eine Kardinalfrage bestimmt den Inhalt dieses Werkes, das ist die Frage nach
der Glückseligkeit. Der Autor selbst geht auf diese Frage zu Beginn seiner Ab-
handlung ein, indem er sowohl das diesseitige als auch das jenseitige Glück wie
folgt bestimmt: „Das höchste des diesseitigen Glücks ist: Macht, Edelmut, Würde,
Handlungsfähigkeit, die Gewißheit, frei von Kummer und Trauer zu sein und dau-
erhafte (innere) Ruhe und Freude“.
Die jenseitige Glückseligkeit ist für ihn „Ewigkeit ohne 286 Ende, Freude ohne
Kummer, Wissen ohne eine Spur von Unwissenheit, Reichtum ohne Ver-
armung“ 287 . Wahrhaftiges Glück ist nach Ansichten Gh.s das jenseitige. Nur im
metaphorischen Sinne kann man das erste, das diesseitige als ein Glück bezeich-
nen oder im eigentlichen Sinne des Begriffes, wenn es zum jenseitigen führt 288 .
Alles, was zu diesem wahrhaftigen Glück führt, ist selbst Glück, „denn das, was
zum Guten und zum Glück führt, kann auch Gutes und Glück genannt werden“ 289 .
In seiner Beschreibung der Mittel, die zur Glückseligkeit führen, merkt man,
daß manche unter ihnen sowohl zum wahrhaftigen jenseitigen als auch zum meta-
phorischen diesseitigen Glück führen. Die ersten von diesen Mitteln beziehen sich
auf Charaktereigenschaften des Menschen und führen auf jeden Fall zum Glück,
sowohl zum jenseitigen als auch zum diesseitigen. Dies sind die seelischen Vor-
züge: a) Vernunft, b) Enthaltsamkeit, c) Tapferkeit und d) Gerechtigkeit 290 , die
durch körperliche Eigenschaften wie Gesundheit, Kraft, Schönheit und lange Le-
bensdauer ergänzt werden. Diese wiederum benötigen die sozialen Vorzüge und
verschiedene Arten des göttlichen Beistandes. Gh. erkennt die Beziehung dieser
Vorzüge zueinander und betrachtet sie als Voraussetzung für die Erlangung des
Glücks. Im folgenden Satz drückt er diesen Gedanken aus: „Die einen brauchen
die anderen entweder notwendigerweise wie die seelischen Vorzüge, ohne die die
jenseitige Glückseligkeit nicht erreicht werden kann, und wie die Gesundheit des
Körpers, ohne die die seelischen Vorzüge nicht erlangt werden können; oder nütz-
licherweise wie etwa das Bedürfnis nach den sozialen Vorzügen …“ 291 Beide Ar-
ten des Glücks, diesseitiges und jenseitiges, sind miteinander eng verbunden: „Was
im Diesseits zur Erfüllung von Wünschen beiträgt, trägt auch im Jenseits dazu bei.
Denn man erlangt das Jenseits durch die Mittel des Diesseits“ 292 .
In dieser Theorie über die Glückseligkeit berücksichtigt Gh. sowohl geistige wie
auch körperliche und soziale Umstände, die insgesamt die Voraussetzungen für die
Erlangung des Glücks ausmachen. Nicht jedes Gut führt zum höchsten Glück. Ein
solches Gut muß drei Elemente in sich vereinigen: Es muß nützlich, schön und
köstlich sein. Das ist die Weisheit. Das relative Gut umfaßt lediglich einige dieser
Eigenschaften 293 . Auch nicht jeder Genuß führt zur erhofften Glückseligkeit, der
den Fähigkeiten des Menschen als Menschen entspricht. Lediglich Wissen und
Weisheit sind Bestandteile des geistigen Genusses 294 . Die geistigen Genüsse sind
deshalb ruhmreich, „weil sie dauerhaft, unveränderlich, beständig und ewig sind
und weil ihre Früchte unzählig sind“ 295 . Die übrigen Genüsse sind Menschen und
Tieren entweder gänzlich oder zum Teil gemeinsam 296 .
Die Frage ist nun, wie das Glück erreicht werden kann. Gh. meint, daß man nur
IV. Zweck und Inhalt des mı̄zān al-2amal 63
durch Wissen und Handeln das Glück im Jenseits wie auch im Diesseits erreichen
kann. Darin gibt es seiner Meinung nach eine Übereinstimmung zwischen Philoso-
phen, Theologen und Mystikern. Sie unterscheiden sich aber in ihren Interpreta-
tionen der Begriffe, vor allem was Wissen und Handeln anbetrifft 297 . Was bedeutet
nun Wissen und Handeln, welche die Voraussetzungen für die Erlangung der
Glückseligkeit sind?
Ghs Ansichten über das Handeln sind oben dargelegt worden. Das Wissen teilt
Gh. in ein theoretisches, die Metaphysik, deren Ziel die Erkenntnis Gottes, seiner
Eigenschaften und seiner Gesandten ist, und ein praktisches Wissen, welches sich
in drei Arten aufteilt: 1. Die Wissenschaft der Seele und deren Charaktereigen-
schaften sowie des inneren Kampfes (mug ˇ āhada) um den Sieg über die Leiden-
schaften, 2. die Wissenschaft über die Verwaltung der Familie (oikonomia) und
3. die Wissenschaft über den Staat und dessen Führung (politeia) 298 .
Die wichtigsten unter diesen Wissenschaften sind die Erziehung der Seele, die
Beherrschung der seelischen und körperlichen Kräfte und die Verwirklichung der
Gerechtigkeit. Dabei hebt Gh. die Bedeutung des islamischen Rechts hervor, ein
weiteres Unterscheidungsmerkmal zum Aristotelismus299 .
Die seelischen Kräfte, die erzogen werden müssen, sind drei:
1. Das Denkvermögen, 2. die Fähigkeit zu begehren und 3. die Fähigkeit zum
Zorn. Das Ziel der Erziehung des Denkvermögens ist, zwischen dem Rechten
und dem Unrechten hinsichtlich des Glaubens, zwischen dem Wahren und dem
Falschen der Aussage und zwischen dem Guten und dem Bösen in den Handlun-
gen zu unterscheiden. Die Erziehung der Fähigkeit zum Begehren hat das Ziel,
sich die Enthaltsamkeit anzueignen. Die Erziehung der Fähigkeit zum Zorn hat
den Zweck, die Sanftmut zu erlangen und die Seele von der Rachsüchtigkeit ab-
zuhalten. Dadurch wird man tapfer, das bedeutet die Überwindung der Angst und
der Übervorsicht.
Die islamische Überlieferung unterstützt diese Ansichten.
Man erkennt den Unterschied zwischen theoretischem und praktischem Wissen
und die Bedeutung des letzteren in der Aussage des Propheten Muhammad ledig-
lich an den Hinweisen und Andeutungen, die er bei der Betrachtung ˙ metaphysi-
scher Fragen macht. Das bedeutet, daß Gott und seine Eigenschaften wie auch die
übrigen Fragen der Metaphysik niemals Gegenstand des theoretischen Wissens
sein können, sondern der Offenbarung, die die entscheidende Antwort erteilen
kann. Diesen Gedanken drückt Gh. im Folgenden aus: „In den Fällen, in denen
er (der Prophet Muhammad) auf theoretisches Wissen einging, stellte er es zusam-
menfassend dar und˙ führte es nicht im einzelnen aus. Er erwähnte von den Eigen-
schaften Gottes nur folgendes ‚Es gibt nichts, was ihm gleichkommen würde. Er ist
der, der (alles) hört und sieht!‘“ 300 . Den Inhalt des praktischen Wissens aber hat er
ausführlich dargestellt, da ein solches Wissen für die Mehrheit der Menschen an-
schaubar, lehrbar und faßbar ist 301 . Das Ziel des theoretischen Wissens ist nach
Meinung von Gh praktisch, insofern es auf die Vollkommenheit der Seele zielt,
„damit sie dadurch glücklich wird und sich ewig dessen erfreut, was sie an Pracht
und Schönheit besitzt“ 302 . Damit erteilt Gh eine weitere Absage an den Aristote-
lismus, dessen Anhänger dem praktischen Wissen keine solche Bedeutung verlei-
64 Einführung
huluq), wie auch der Fall in die Tiefe eine Folge der natürlichen Schwerkraft
˘ …“ 310 . Deshalb ist die Verbesserung der Gesinnung nicht nur eine Möglichkeit,
ist
sondern eine Notwendigkeit.
Der Begriff Gesinnung „huluq“ ist ein wichtiger Begriff in diesem Werk Gh.s.
Er bedeutet „Vermögen“ und ˘ „Ausdruck der Seele“, „eine handelnde Fähigkeit“
oder auch „praktische Vernunft“ 311 . Sie wird zwar von der theoretischen Vernunft
durch Wissen geleitet, beherrscht aber selbst alle übrigen menschlichen Fähigkei-
ten, um zu handeln. Deswegen ist sie Gegenstand der moralischen Beurteilung.
Wenn sie dank der Erziehung dominiert, besiegt der Mensch den Zorn und die
Begierde. Dadurch entstehen gute, lobenswerte Handlungen. Wenn sie aber von
einem der letzterwähnten Zorn oder Begierde oder von beiden besiegt wird, ent-
stehen schlechte Haltungen, von denen wiederum schlechte Handlungen aus-
gehen 312 . Bei Aristoteles hingegen stehen die Handlungen im Mittelpunkt der mo-
ralischen Beurteilung. Maßgeblich sind bei der Entstehung der Handlungen die
Gewohnheit, ˛jo@ und die daraus entstandenen Haltungen, xi@. Aristoteles denkt
dabei ganz konsequent. Auf den ersten Seiten seines bedeutenden Werkes „ Niko-
machische Ethik‘‘ (EN) verleiht er den Tätigkeiten des Menschen und ihren Zie-
len große Bedeutung. Dies ist auch die Meinung seiner Anhänger unter den Mus-
limen 313 . Einige Jahrhunderte später stellt Immanuel Kant die Gesinnung selbst in
den Mittelpunkt seiner ethischen Philosophie. Sie wird von ihm als der erste sub-
jektive Grund der Annahme der Maxime und als deren erstes Prinzip definiert.
Deswegen ist sie die Grundlage für gute und böse Handlungen. Denn es kommt
nicht – so schreibt I. Kant – auf die Handlungen an, „die man sieht, sondern auf
jene innere Prinzipien derselben, die man nicht sieht“ 314 .
Vernunft und islamisches Gesetz sind bei Gh. die Quellen für die Ethik. Das ist
auch die Bedeutung des „Kriteriums“. Denn „Kriterium“ bedeutet, daß die Hand-
lungen an den Maßstäben der Vernunft und des islamischen Gesetzes gemessen
werden. Auch bei der Hervorhebung der Rolle und Bedeutung der Vernunft weist
Gh. auf islamische Überlieferungen hin 315 . Mit der islamischen Gesetzgebung sind
der Koran sowie die Aussagen und Handlungen des Propheten Muhammad ge-
meint. ˙
Das islamische Recht bildet ferner einen wichtigen Bestandteil dieser Quellen
für die Beurteilung einer Handlung, ob sie gut oder schlecht ist 316 . Interessant aber
ist, daß Gh. dies von der Notwendigkeit des menschlichen Zusammenlebens ab-
leitet. Denn: „Es ist notwendig, wenn sie (die Menschen) eine Gesellschaft bilden,
daß bei ihnen eine Gerechtigkeit und Gesetze herrschen, um ihre (menschlichen)
Beziehungen zu regeln …“ 317 .
Die Menschen teilen sich in bezug auf die Tugend in drei Kategorien: 1. Dieje-
nigen, die durch Veranlagung tugendhaft sind und an deren Spitze die Propheten,
wie Jesus und Johannes stehen, aber auch einfach begabte Menschen. Ohne es an
dieser Stelle auszuführen, weist Gh. darauf hin, daß manches Wissen und sittliche
Eigenschaften in der menschlichen Natur veranlagt sind 318 . 2. Diejenigen, die
durch menschliches Lernen und freiwillige Anstrengung tugendhaft sind, „wozu
man Zeit, Übung und Praxis braucht“ 319 . 3. Durch Gewöhnung an tugendhafte
Handlungen. Dies setzt aber voraus, daß die Handlung bereitwillig und freiwillig
66 Einführung
ausgeübt wird „2an tau2 wa-3htiyār“, „…, so daß man ihnen den Vorzug gibt und bei
ihrer Ausübung Freude ˙ ˘
empfindet, …“ 320 . Dabei beruft sich Gh. auf die Aussage
des Propheten Muhammad, der die Glückseligkeit folgendermaßen bestimmt:
˙
„Sie (die Glückseligkeit) ist ein langes Leben im Gehorsam gegenüber Gott“ 321 .
Auch hierin unterscheidet sich Gh. von Aristoteles und seinen Anhängern, bei
denen von der göttlichen Eingebung bei der Erlangung der Tugend keine Rede ist.
Vielmehr leiten sie die Tugend hauptsächlich von den letzten zwei, nämlich Hal-
tung, xi@, und Gewohnheit, ˛jo@, ab.
In den letzten Kapiteln seines Werkes geht Gh. auf zwei wichtige Themen ein,
nämlich auf die Möglichkeit, die Gründe des Kummers und die Angst vor dem Tod
zu überwinden 322 .
Aus der Analyse der Gründe für den Kummer und die Trauer über verpaßtes
Glück oder dessen Verlust geht hervor, daß Unwissenheit, Neid und Eifer die
Gründe dafür sind. Man sollte danach streben, sie zu beseitigen. Wenn man aber
denjenigen betrachtet, der weniger Erfolg hat in bezug auf die diesseitigen Ange-
legenheiten, und denjenigen, der sich in religiösen Angelegenheiten mehr Fröm-
migkeit angeeignet hat, ist man erleichtert, und man wird sich darum bemühen,
nur denjenigen nachzuahmen, der mehr Tugend und Frömmigkeit besitzt.
Ein wichtiger Gedanke in diesem Kapitel ist der Versuch Ghs, den Kummer
über zukünftige Fragen für unsinnig zu erklären. Für veränderbare Zustände ge-
nügt es vollkommen, wenn man unangenehme Zustände verändert oder vermei-
det. Somit hat man seine Pflicht erfüllt. Dann gibt es keinen Grund mehr für
Kummer.
Der Kummer über Unveränderbares, wie etwa über den Tod, ist sinnlos, inso-
fern man nichts dagegen tun kann. Bei dieser Analyse erweist sich die Meinung
von Gh. als nicht schicksalhaft bedingt, denn er sagt: „Wenn man alles unternimmt,
bleibt man ruhigen Herzens …“ 323 .
Freude und Kummer unterscheiden sich von sinnlich wahrnehmbaren Empfin-
dungen, wie etwa die Freude beim Verzehren einer begehrten Speise, dadurch, daß
sie seelische oder geistige Zustände sind, wie Gh. meint, deren Vorgänge sich vor
allem im Inneren des Menschen vollziehen 324 .
Eitelkeit, falsche Hoffnungen und das Vertrauen auf den eigenen Erfolg sind
Gründe für Unglück, Kummer und Trauer.
Im Anschluß an die Verse des großen Sprachwissenschaftlers und Historikers
at-Ta2ālibı̄, der das Diesseits mit knappen, aber treffenden Worten beschreibt,
¯ ¯ Gh. die Gründe des Kummers in den immer stärker werdenden Bindungen
sieht
an das Diesseits an. Je mehr Abstand man davon nimmt, desto freier wird man von
Trauer und Ängsten. Auch wenn der Erfolg des Menschen beim Erlangen des
Glücks hoch ist, darf der Vernünftige keineswegs sicher sein, daß dies ein dauer-
hafter Zustand ist. Damit versucht Gh. den Wert des Folgezustandes des erlangten
Glücks zu relativieren, indem er auf die Rolle der Vernunft und der Besonnenheit
hinweist. Gh. ist ein Occasionalist, der an keinerlei notwendige Verknüpfung von
Ursache und Wirkung glaubt 325 . Das heißt, daß Freude und Kummer keine not-
wendigen Folgen einer Handlung sein sollen. Sein Occasionalismus aber ist kei-
neswegs absolut, wie man im Laufe dieser Darstellung gesehen hat.
IV. Zweck und Inhalt des mı̄zān al-2amal 67
Dies ist zwar die Meinung von Aristoteles, jedoch ist Gh. in diesem Zusammen-
hang weitgehend von dem Koran beeinflußt 326 . So lautet der koranische Vers:
„…, damit ihr wegen dessen, was euch (…) entgangen ist, nicht (…) Kummer
macht und (damit ihr) euch über das, was er euch gegeben hat, nicht (…) freut
(…)! Gott liebt keinen, der eingebildet und prahlerisch ist“ 327 . Zu diesem Vers
schreibt der Korankommentator ibn-Katı̄r: „Die Freude soll in Dank für Gott
und die Trauer in Geduld umgewandelt ¯ werden“ 328 . Zu derselben Stelle urteilt
der islamische Denker S. Qutb in seinem Korankommentar: „Das ist das mittlere
Maß im Islam“ 329 . ˙
besessen vom Rausch des Ruhms, tapfer zu sterben, ist eine Eigenart dieser Auf-
fassung. Berühmtestes Beispiel dafür ist Sokrates, der nicht vor dem Tod fliehen
wollte und eher Unrecht erlitt als Unrecht zu tun, indem man gegen die Gesetze
und die Interessen des Staates verstößt 338 . Die Achtung vor dem Selbst und vor
dem Leben überhaupt zeigt sich demnach, wenn man die Gesetze und das all-
gemeine Wohl im Staat beachtet 339 .
Der Tod bedeutet nach diesen Philosophen eine Trennung der Seele vom Leib
in der Weise, daß beide, Leib und Seele, auseinandergehen: „Tritt also der Tod den
Menschen an: so stirbt, wie es scheint, das Sterbliche an ihm, das Unsterbliche aber
und Unvergängliche zieht wohlbehalten ab, dem Tod aus dem Weg“ 340 .
Der Leib ist ein Kerker für die Seele. Solange sie in ihm innewohnt, kann sie die
Wahrheit nicht erkennen. Denn alles, was man durch die Sinne (durch den Leib)
erkennt, ist Betrug. Die Philosophie ist eine Reinigung und Erlösung für die Seele
in diesem Kerkerleben, bis sie die volle Wahrheit durch den Tod erkennt 341 . Allein
der Philosoph fürchtet deshalb nicht den Tod, insofern er für ihn ein Übergang zur
Erfahrung der Wahrheit bedeutet. Deswegen trachten die richtigen Philosophen
danach zu sterben 342 .
In einem Gedicht von zwanzig Versen resumiert Avicenna seine Ansichten über
die Seele und ihr Verhältnis zum Tod, die im wesentlichen mit den griechischen
Philosophen, vor allem Sokrates und Platon übereinstimmen. Die Seele existiert
bevor sie dem Leib innewohnt. Dieses Innewohnen ist „hubūt“ Abstieg und ihre
Verbindung zum Körper eine Erniedrigung. Sobald sie ihren Kerker,˙ nämlich den
Leib, durch den Tod verläßt, erfährt sie die Wahrheit. Im Unterschied zu den er-
wähnten Philosophen glaubt Avicenna an ein seeliges beziehungsweise unseeliges
Leben nach dem Tode in Anlehnung an den Koran, woraus man folgern kann, daß
er die Seelenwanderung ablehnt 343 .
Altiranische und vor allem platonische Einflüsse bestimmen die Vorstellung der
ihwān as-safā3 (Die Lauteren Brüder) vom Tod. Das Diesseits ist nicht nur die Welt
˘ Vergänglichkeit,
der ˙ des Sterbens, sondern auch die des Bösen. Der Tod bedeutet
bei ihnen Erlösung von einem solchen Reich des Bösen und der Eintritt ins Reich
des Guten. Körper und Seele verhalten sich zueinander wie die „Werkstatt für den
Handwerker“. Solange das Werkzeug, das sind die Glieder des Körpers, abgenutzt
sind, kann der Handwerker, das ist die Seele, sein Werk nicht ausführen 344 .
In ihrer Schrift „Tier und Mensch vor dem König der Genien (Ǧinn)“ wird das
Diesseits von den Lauteren Brüdern mit einer Insel, ihre Bewohner, das sind die
Menschen, mit Affen, der Tod mit einem Vogel und das Jenseits mit einer Stadt, zu
der die Insulaner einmal zurückkehren, verglichen 345 . Diese Analogie, die kaum
mit dem Koran zu vereinbaren ist, weist auf naturhafte und zufällige Elemente hin.
Wie der Koran berichtet, ist für jede Seele eine bestimmte Frist eingesetzt, die sie
nicht verpassen kann. So lautet es: „Aber er (Gott) gewährt ihnen (den Menschen)
auf eine bestimmte Frist Aufschub. Und wenn dann ihre Frist kommt, bleiben sie
nicht eine Stunde (hinter ihr) zurück, noch gehen sie (ihr) voraus“ 346 . Ferner sagt
der Koran in diesem Zusammenhang: „Jede (den einzelnen Menschen oder gan-
zen Völker gesetzte) Frist hat eine Bestimmung …“ 347 , und ferner: „Wenn aber die
von Gott gesetzte Frist (einmal) gekommen ist, wird sie nicht (weiter) aufgescho-
IV. Zweck und Inhalt des mı̄zān al-2amal 69
ben“ 348 . Die Zufälligkeit, die beim Ergreifen des Menschen durch den Vogel (den
Tod) in der Analogie der Lauteren Brüder zu verstehen ist, wird dadurch zurück-
gewiesen. Außerdem spricht der Koran von den Gesandten Gottes, das sind die
Engel, die die Menschenseelen zu Gott zurückbringen: „Wenn dann schließlich der
Tod zu einem von euch kommt, berufen ihn unsere Gesandten (d. h. die Todes-
engel) ab. Und sie übergehen nichts“ 349 . Gott selbst ist der Urheber von Leben
und Tod: „Wir (allein) machen lebendig und lassen sterben. Und bei uns wird es
(schließlich alles) enden“ 350 .
Zwar wird der Tod im Koran als ein Unglück bezeichnet, jedoch nicht als Strafe
für die begangene „Ursünde von seiten Adams“ verstanden, weil es kein Erbsün-
dendogma im Islam gibt, sondern er ist ein Faktum, eine Realität und ein Schicksal
aller Lebenden. Eine Erklärung des Todes im Zusammenhang von Sünde und
Schuld existiert also nicht im Islam 351 .
Der Tod selbst ist nicht als Gericht zu verstehen, sondern als erste Phase zum
Gericht nach der Auferstehung der Menschen am Jüngsten Tag. Der Sinn von
Leben und Tod im Islam ist die Rechenschaft, die der Mensch am Jüngsten Tag
vor Gott ablegen soll. Eine Beschreibung dieses Gedankens sowie des Verhältnis-
ses vom Diesseits zum Jenseits tritt im folgenden Vers auf: „Ein jeder wird (ein-
mal) den Tod erleiden. Und erst am Tag der Auferstehung werdet ihr (für eure
Taten) euren vollen Lohn bekommen. Wer dann vom Höllenfeuer ferngehalten
wird und ins Paradies eingehen darf, dem ist (großes) Glück zuteil geworden. Das
diesseitige Leben ist nichts als eine Nutznießung, durch die man sich (allzu leicht)
betören läßt. Ihr werdet sicherlich in eurem Vermögen und in eurer eigenen Per-
son Prüfungen auszustehen haben“ 352 . Ein Trost für uns Menschen, daß dieses
Schicksal alle Lebenden, sogar Engel und Ǧinn, treffen wird, kommentiert ibn-
Katı̄r, während S. Qutb den Gedanken hervorhebt, wie unwahr das diesseitige
˙ ist, das auf Täuschung
Glück ˙ beruht gegenüber dem Jenseitigen 353 . Demnach ist
die Vorstellung der „Lauteren Brüder“ vom Tod abzulehnen, die auf Zufälligkeit
beruht. Auch die Ansichten von ibn-Sı̄nā (Avicenna) über die Seele sind zurück-
zuweisen, da sie auf eine materialistische Wertvorstellung, nämlich auf dem selb-
ständigen Agieren, Entstehen und Vergehen des Lebens beruht.
Heißt dann Glück Verdrängung des Todes? Vortrefflich beschreibt S. Freud das
Verhältnis des Menschen zum Tode nach den Ansichten der psychoanalytischen
Schule mit den Worten: „… im Grunde glaube niemand an seinen eigenen Tod
oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblich-
keit überzeugt“ 354 . Nach seiner Ansicht kennt unsere Seele überhaupt nichts Ne-
gatives und keine Verneinung, und deshalb kennt sie nicht den eigenen Tod 355 .
Zwar entstehen durch Verdrängung Abwehrmechanismen für das Ich (ego defen-
se), durch welche man glaubt, sich vor unangenehmen und emotionalen Zuständen
zu schützen 356 . Motiv und Zweck der Verdrängung ist einfach die Vermeidung von
Schmerzen. Im Falle des Todes wäre die Verdrängung erfolgreich, wenn dadurch
die Angst vermieden würde 357. Dies aber ist ein allgemeines Verständnis von der
Verdrängung, die nicht ausreicht, um die Angst vor dem Tod zu überwinden. Tat-
sache aber ist, daß wir Menschen den Tod in bezug auf andere als lebensvernich-
tend anerkennen, ihn aber in bezug auf uns selbst als Individuen verleugnen, und
70 Einführung
dies führt dazu, daß wir mit Konflikten und in Situationen leben, durch die Neuro-
sen entstehen 358 . Freud schließt seine Analyse mit einer sinnvollen Frage, die lau-
tet: „Wäre es nicht besser, dem Tod den Platz in der Wirklichkeit und in unseren
Gedanken einzuräumen, der ihm gebührt, und unsere unbewußte Einstellung zum
Tode, die wir bisher so sorgfältig unterdrückt haben, ein wenig mehr hervorzukeh-
ren? … Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein“ 359 .
Diese Antwort von seiten des großen Psychoanalytikers S. Freud stimmt mit der
Haltung von Gh. überein, der von Anfang an den Tod in sein Konzept vom Glück
integriert. Seine Meinung beruht auf einer islamischen Überlieferung, wonach der
Mensch immer an den Tod denken soll: „Gedenkt häufig des Bezwingers der Ge-
nüsse …“ 360 . Denn ein wahrhaft törichter Mensch ist derjenige, der kaum an den
Tod und an das, was nach ihm kommt, denkt. Der Vernünftige hingegen besinnt
sich öfter darüber. Denn: „Es gibt keinen Augenblick, in dem der Tod nicht mög-
lich ist“ 361 . Das Ersinnen des Todes hat eine positive Wirkung auf das Leben des
Menschen, nämlich die Vertreibung übertriebener Hoffnungen und die Hemmung
seltsamer Wünsche. Tugendhaftes Verhalten, Genügsamkeit, Unterlassung des ge-
genseitigen Neides sowie die Bereitschaft, Buße zu tun, sind wichtige Folgen.
Gh.s Integrierung des Todes in seine Konzeption über die Glückseligkeit füllt
eine Lücke aus, die im Denken seiner Vorgänger vorhanden war. An der Spitze
der Dreikategorienaufteilung steht ein scharfsinniger Mensch, „der weiß, daß das
Leben ihn versklavt, der Tod ihn aber befreit und daß der Mensch auch dann, wenn
dessen Verbleib im Diesseits lange dauert, einem blendenden Blitz ähnelt …“ 362 .
Ein solcher Mensch hat keine Angst vor dem Tod; er hat sie durch den Glauben an
Gott und die Sehnsucht nach ihm überwunden.
Gh. ist es gelungen, in diesem Werk sowohl Anhängern der Tradition wie auch
denen der Vernunft, Philosophen, Mystiker, Sunnı̄ten und Mu2tazilı̄ten, ohne sie
mit Namen zu nennen, ein Konzept von der praktischen Ethik des Islam bei der
Beantwortung der Frage „Was heißt Glück?“ zu bieten, wodurch sie sich zum
Nachdenken veranlaßt fühlen. Im Mittelpunkt der Beantwortung dieser Frage
steht das islamische mittlere Maß mit allen erwähnten Merkmalen im Gegensatz
zum aristotelischen. Er zeigt, wie lückenhaft das aristotelische Denksystem ist und
daß es bei näherer Betrachtung keine überzeugende Lösung der erwähnten Pro-
bleme bieten kann.
Sowohl Anhänger wie auch Gegner dieses Konzepts werden aufgefordert, dar-
über nachzudenken. Sie werden ferner aufgefordert, ihre fanatische Parteinahme
zu dieser oder jener Doktrin aufzugeben und sich lediglich auf die Suche nach der
Wahrheit zu begeben. Gh. schließt das letzte Kapitel seines Werkes „Über den
Sinn der Lehrmeinung und den Streit der Menschen darüber“ mit dem Aufruf,
über den eigenen überlieferten Glauben nachzudenken, ja sogar daran zu zwei-
feln. Denn: „Wer also nicht zweifelt, denkt nicht nach, und wer nicht nachdenkt,
sieht nicht, und wer nicht sieht, bleibt in Blindheit und Irrtum“.
V.
Anmerkungen und Quellenangaben zur
Einleitung des Herausgebers
1 Über seine Biographie s. Einleitung des Herausgebers in: al-Ghazālı̄, Der Erretter aus dem
Irrtum, Hamburg: Felix Meiner Vlg. 1988, PhB, Bd. 389, S. XIff.
2 C. Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur, erster Supplementband, E. J. Brill, Lei-
Paris 1945, S. XII; mi2yār al-2ilm (Das Kriterium des Wissens), S. 348
5 Der Erretter …, A 43 ff.; Das Kriterium …, D 221 ff., 341 ff., 378 ff. u. a.; ih …, Bd. I, S. 73 ff.
6 H. Hachem, Critère …, S. XV. ˙
7 W. M. Watt, The Authenticity of the Works attributed to al-Ghazālı̄, in: Journal of the Royal
35
ih …, Bd. III, S. 3 ff.; mı̄zān …, D 235 ff.
36
ih˙ …, Bd. III, S. 7 ff.; mı̄zān …, D 209 ff.
37 ˙
mi2yār al-2ilm (Das Kriterium des Wissens), S. 348; mı̄zān …, D 179, 347.
38 Richard Gramlich, ar-Rāġib al-Isfahānı̄ und die Ethik al-Gazālı̄’s, in: Religious Schools and
lung des Abū-Hāmid al-Ghazālı̄, Antworten auf Fragen …, hrsg. und übers., Frankfurt a. M. 1896.
Carra de Vaux,˙Gairdner, D. B. Macdonald und W. M. Watt zweifeln an der Echtheit dieser Schrift,
s. 2A. Badawı̄, Die Werke Gh.s, S. 347 ff.
59
Steinschneider, S. 340.
60 Steinschneider, S. 346.
61 Steinschneider, Schriften der Araber in hebräischen Handschriften, in: Zeitschrift der Deut-
schen Morgenländichen Gesellschaft, Leipzig, F. A. Brockhaus 1893, Bd. 47, S. 378; Bouyges, Essai
de chronologie …, S. 109 f.; 2A. Badawı̄, Les œuvres d’al-Ghazālı̄, 328 f.
62 Steinschneider, Die hebräischen Übersetzungen, S. 347 f.; A. Badawı̄, mu’allafāt (Les œu-
S. 108 ff.
66 Kusari, S. 301 f.
67 a. a. O.
68 a. a. O.
V. Anmerkungen und Quellenangaben 73
69
Gh., Die Nische der Lichter, S. A 60 f., 68; ha-Lévi, Kusari, S. 302 ff.
70
Kusari, S. 288 ff.; Gh., mı̄zān …, S. D 216 ff., 221, 293 usw.
71
Gh., Der Erretter …, a. a. O.; ha-Levi, Kusari, besonders S. 358 ff.usw.
72 Kusari, S. 409 ff.
73 David Kaufmann, Jehuda Halevi, Versuch einer Charakteristik, S. 26.
74 D. Kaufmann, Jehuda Halevi …, S. 133 f.
75 D. Kaufmann, S. 118.
76 D. Kaufmann, S. 29, 40 ff., 58 f., 84 f., 88 f.; Gh., Der Erretter …, A 28, 50 ff.; Die Nische der
Lichter, S. A 59, 65 ff., 71 f., 76 ff., 92 f.; Die Widersprüchlichkeit der Philosophen, S. 86 ff., 122 ff.,
204 ff. usw.; Antwort auf Fragen …, S. 13 ff., 18 ff., usw.; vgl. auch in diesem Zusammenhang Ari-
stoteles, Metaphysik, XI, 1067 ff., XII, 1069 ff., 1072 ff.
77 Abraham ben-David Halevi, Emunah Ramah, S. 126 ff.
78
mı̄zān …, D 179.
79
Über seine Biographie, s. Der Erretter …, PhB 389, Anm. 68, S. 98 ff.
80 Über seine Schriften s. den Bericht von al-Qiftı̄, in: al-Fārābı̄’s Philosophische Abhandlungen,
aus dem Arabischen übersetzt von Fr. Dieterici, Leiden: ˙ E. J. Brill 1892, S. 190 ff.
81
al-Fārābā, Abhandlung über die Aneignung der Glückseligkeit, arab., Haiderabād-ad-Dakan,
Kultusministerium, 1345 n. H. (1926 n. Chr.), S. 2 ff. ˙
82 s. S. 4 f.
83
s. S. 5.
84 a. a. O.
85 s. S. 8 ff.
86 s. S. 15 f.
87
a. a. O.
88 s. S. 20 f.
89 s. S. 21.
90
a. a. O.
91 s. S. 26 ff.
92 a. a. O.
93 s. S. 27.
94
s. S. 28 f.
95 s. S. 29.
96 s. S. 31 ff.
97
s. S. 34.
98 a. a. O.
99 s. S. 44 ff.
100
s. S. 38 ff.
101 s. S. 42 ff.
102 a. a. O.
103 s. S. 44 ff.; Platon, Politeia 67aff., 82aff., 84aff.
104 s. S. 44 ff.
105 s. at-tanbı̄h 2alā sabāl as-sa2āda (Das Aufmerksammachen, wie das Glück erlangt werden kann),
arab., Haiderabād-ad-Dakan, Kultusministerium, 1346 n. H. (1927 n. Chr.), S. 2 f.; s. f. ārā’ ahl al-
madı̄na˙ ’l-fādila (Der Musterstaat), arab., hrsg. von Alber Nasrı̄ Nādir, Bairut: al-maktba ’l-katho-
˙
likı̄ya 1959, übers. von Fr. Dieterici, Leiden: E. J. Brill 1900, Kapitel XXIII.
106 a. a. O.
107 at-tanbı̄h … (Das Aufmerksammachen …), S. 4.
108 s. S. 5 f.
109 a. a. O.
110 s. S. 5.
111 s. S. 7 ff.
112 s. S. 5 ff.
74 V. Anmerkungen und Quellenangaben
113
s. S. 7 ff.
114
s. S. 8 f.
115
s. S. 13 ff.
116 a. a. O.
117 s. S. 16 ff.
118 a. a. O.
119 s. S. 19 ff.
120 s. S. 20 f.
121 s. S. 21 ff.
122
a. a. O.
123 s. S. 22 ff.
124 s. tahsı̄l as-sa2āda (Aneignung der Glückseligkeit), S. 42; s. f. ’ārā’ … (Der Musterstaat), K. 22,
23. ˙˙
125
s. Der Musterstaat, K. 23.
126 s. K. 23.
127 a. a. O.
128
as-siyāsāt … (Die Staatsführung/Politische Systeme), arab., Haiderabād-ad-Dakan, Kultus-
ministerium 1346 n. H. (1927 n. Chr.), S. 44; in der Ausgabe von F. M. ˙ Najjār, Bairut 1964, s. S. 75.
129 s. S. 49 bzw. 79 ff.
130
a. a. O.
131 s. S. 53 bzw. 83 ff.; Der Musterstaat, K. 116.
132 a. a. O.
133 s. S. 54 bzw. 84 ff.
134
a. a. O.
135 s. S. 57 bzw. 87; Der Musterstaat, K. 29.
136 a. a. O.
137
a. a. O.
138 as-siyāsāt … (Die Staatsführung), S. 59 bzw. 89; 3ārā3 … (Der Musterstaat), K. 32.
139 as-siyāsāt … (Die Staatsführung), S. 63 bzw. 93; 3ārā3 … (Der Musterstaat), a. a. O.
140 as-siyāsāt …, S. 69 bzw. 99; (Der Musterstaat), a. a. O.
141
as-siyāsāt …, S. 72 bzw. 102 ff.
142 s. S. 76 bzw. 106 f.; (Der Musterstaat), K. 32, 33.
143 „Es kann daher unmöglich der Mensch die Vollkommenheit erreichen, auf die hier seine na-
türliche Anlage gesetzt ward, es sei denn, daß viele Gemeinschaften sich einander beistehen …“
Der Musterstaat, K. XXVI, Dieterici, S. 84.
144 Der Musterstaat, K. XXVI.
145
EN, 1097a30, 34.
146 1097b13, 15.
147 1097b20, 21.
148 1099a24 ff.
149 1098b25.
150 1099a13 ff.
151 1112a17 f.
152 1099b32 ff.
153 1106b23 ff.
154 1109a1 ff.
155 1103a14 ff.; al-Fārābı̄ „tahsı̄l as-sa2āda (Aneignung der Glückseligkeit), S. 2.
156 s. S. 15 f.; Der Musterstaat,˙ ˙ K. 1, 6, 8.
157 Der Musterstaat, K, VIII, übers. von Fr. Dieterici.
158 s. zum Beispiel, Der Musterstaat, K. 1, 2 ff., K. V, welche in wesentlichen Zügen mit der isla-
160
s. Dieterici, Der Musterstaat, Einleitung, LVf.; Max Horten, Die Philosophie des Islam, S. 82;
s. f. R. Walzer: „… The stages of the emanation of different layers of reality in a descending order
of eminence are different in al-Fārābı̄ and Plotin …“, in: al-Fārābı̄, On the perfect State …, S. 11 f.
161 Max Horten, Die Philosophie des Islam, S. 213; s. ferner: Islamische Philosophie, in: Das Fi-
Welt, hrsg. von U. Haarmann, München: C. H. Beck 1987, S. 101 ff.; Gh., Der Erretter …, PhB,
Bd. 389, S. 124, Anm. 105. R. Walzer bemerkt in diesem Zusammenhang mit Recht, daß einige
der Kapitel des Musterstaates in Zusammenhang mit dem Leben in Baġdād um das 9. Jahrhundert
interpretiert werden können, s. S. 4.
163 s. „Der Musterstaat“, K. XXVI, XXVII.
164 s. U. von Wilamowitz-Moellendorff, Platon, S. 313 mit Belegen aus Platons Schriften.
165
A. al-2Āmirı̄, as-sa2āda wa-3l-is2ād (Über die Glückseligkeit und über das, was glückselig
macht), S. 5.
166 a. a. O.
167 s. S. 6.
168
s. S. 8.
169 s. S. 10.
170 s. S. 19.
171
s. S. 21.
172 a. a. O.
173 s. S. 22.
174 s. S. 23, 218 ff.
175
s. S. 219 f. mit Hinweisen auf Aristoteles und auf den arabischen Schriftsteller al-Ǧāhiz
(775–868 n. Chr.): „Gott hat die einen Menschen zu Dienern der anderen gemacht, d. h., sie sind ˙ ˙
aufeinander angewiesen“, s. S. 220.
176
s. S. 23 ff.
177 s. S. 24 f.
178 a. a. O.
179 s. S. 39 ff.
180
s. S. 42 ff.
181 a. a. O.
182 s. S. 46 ff.
183
a. a. O.
184 s. S. 49.
185 s. S. 52, 55.
186
s. S. 56.
187 a. a. O.
188 Über das Leben al-2Āmirı̄’s s. Ahmad 2Abdel-Hamı̄d al-Ghurāb, in: A. al-2Āmirı̄, kitāb al-i2lām
bi-manāqib al-Islam (Über die Vorzüge ˙ ˙ arab., Kairo: dār al-kātib al-2arabı̄ 1967, S. 5 ff.
des Islam),
189 s. 164 ff.
190 a. a. O.
191 s. S. 159.
192 s. S. 174 ff.
193 a. a. O.
194 s. S. 175.
195 s. S. 177, wo unter anderem die Bedeutung der Politik und der Staatsführung besonders hervor-
gehoben wird.
196 s. S. 179 ff.
197 a. a. O.
198 a. a. O.
199 s. S. 185 ff.
76 V. Anmerkungen und Quellenangaben
200
a. a. O.
201
s. S. 190.
202
s. S. 191.
203 s. S. 193 f.
204 a. a. O.
205 s. S. 202 f.
206 a. a. O.
207 s. S. 211 f.
208 s. S. 366.
209
Die Bedeutung der Erziehung für unser Thema sowie die Aufgaben des Herrschers den Bür-
gern gegenüber beschreibt al-2Āmirı̄ sehr ausführlich in den letzten Teilen seines Werkes, vgl.
S. 355–454.
210
s. S. 350. Dort heißt es: „wa-lākinnahā (d. h. as-siyāsa) yaqtadı̄ fi 3s-sā3is bi-mā yas2adu bihi
3l-masūs.“
211 s. S. 414, 421 ff.
212 s. S. 242 ff.
213
s. S. 455.
214 ibn-Sina, Abū-2Ali 3l-Husein (Avicenna), risāla fi 3s-sa2āda wa-3l-huǧag ˇ al-2asˇra (Abhandlung
über die Glückseligkeit …), ˙ ˙
arab., Haidarabād-ad-Dakan: Kultusministerium 1353 n. H. (1934
n. Chr.), S. 4, 18 ff. ˙
215 ibn-Sı̄na, fi-3l-2ibādāt wa-manāfi 2ihā … (Über die Gottesdienste und ihre Nützlichkeit im Dies-
und Jenseits), in: Moh. Jusuf Mūsā, La Sociologie et la Politique dans la Philosophie d’Avicenne,
arab., Kairo: Publication ˙ de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire 1952, S. 14 f.
216
s. S. 27.
217 Sure 2, Vers P. 30, H. 28; 38, P. 26, H. 25.
218 ibn-Katı̄r, Korankommentar, Bd. I, S. 69 f., Bd. IV, S. 32.
219
Platon,¯ Politeia, 449cff., 457cff., 464bff.
220 Politeia, 460bff.
221 Avicenna, fı̄ māhı̄yat as-salāt (Über das Wesen des Gebets), in: rasā3il (Traités Mystiques
d’Abou 2Alı̄ …,), arab. u. franz.,˙ ˙ hrsg. von M. A. F. Mehren, Leiden: E. J. Brill 1899, S. 34 f.; Sure 51,
P. u. H. 56.
222 Avicenna, Über das Wesen des Gebets, S. 38 f.
223 a. a. O.
224
a. a. O.
225 s. S. 39.
226 a. a. O., Sure 29, Vers P. 45, H. 44.
227
ibn-Miskawaih, Abū-2Alı̄-Ahmad ibn-Muhammad, tahdı̄b al-ahlāq (Die Erziehung der Cha-
raktereigenschaften), arab., hrsg. ˙ von 2Abdel-2Alı̄m
˙ ¯
Sālih, Kairo ˘ (1908 n. Chr.), S. 10 f.
1326
˙ ˙
228 s. S. 13. Dort heißt es: „wa-yatimmu li-3l-ǧam2 bi-mu2āwanat al-ǧamı̄2 al-kamāl al-insı̄ …“ (Die
menschliche Vollkommenheit wird mit Hilfe aller für alle erreichbar), 229 s. S. 14 ff.
229 s. S. 14 ff.
230 a. a. O.
231 Der Satz heißt auf Arabisch: „kull huluq yumkinu taġayyuruhu, wa-lā ˇsai3a mimmā yumkinu
taġayyuruhu huwa bi-3t-tab2. fa-3idan lā h˘ uluqa wa-lā wahida minhu bi- 3t-tab2“, s. S. 28.
232 s. S. 50 f. ˙˙ ¯ ˘ ˙ ˙˙
233 s. S. 37 f.
234 s. S. 62.
235 s. S. 98, 118.
236 s. S. 101 ff.
237 s. S. 103 ff.
238 s. S. 117.
239 s. M. Steinschneider, Die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen, S. 69 f.
V. Anmerkungen und Quellenangaben 77
240
2A. Badawı̄, Aristoteles, Ethica Nicomachia, S. 364; M. Steinschneider, Die hebräischen Über-
setzungen, S. 215 ff.
241
s. M. Steinschneider, a. a. O.
242 Steinschneider, Die hebräischen Übersetzungen …, S. 216.
243 Steinschneider, a. a. O.; 2A. Badawı̄, Aristoteles, Ethica Nikomachia, S. 37.
244 Steinschneider, S. 217.
245 2A. Badawı̄ S. 11.
246 The Nicomachean Ethics in Arabic, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies,
Die Philosophie des Judentums, S. 138 ff. Zur Rezeption der aristotelischen Glückslehre bei Tho-
mas von Aquin s. Wolfgang Kluxen, Glück und Glücksteilhabe, in: Günther Bien (Hrsg.), Die
Frage nach dem Glück, S. 77 ff.
277 mı̄zān … (Das Kriterium des Handelns), S. 218 ff.
278 s. S. 221 ff.
279 s. S. 223 f.
280 s. S. 225 f.
78 V. Anmerkungen und Quellenangaben
281
a. a. O.
282
s. S. 221 ff.
283
s. S. 341 ff.
284 s. S. 358; s. ferner „tasawwuf“, in: F. Jabre, Essai …, S. 147 mit weiteren Quellenangaben.
285 s. mı̄zān …, S. 190. ˙
286 s. S. 294.
287 s. S. 304 f.
288 a. a. O.
289 s. S. 294.
290
s. S. 296 ff.
291 s. S. 299.
292 s. S. 306.
293
s. S. 307 f.
294
a. a. O.
295 a. a. O.
296 s. S. 195.
297
s. S. 231 ff.
298 a. a. O.
299 s. S. 230.
300
a. a. O.
301 s. S. 230.
302 s. S. 234 f.; zu Aristoteles, s. D. J. Allan, Aristoteles’ Auffassung vom Ursprung moralischer
Prinzipien, in: Ethik und Politik des Aristoteles, S. 275 ff.; W. K. Guthrie, Die griechischen Phi-
losophen von Thales bis Aristoteles, S. 120 ff.
303 Aristoteles, EN 1129; Gh, mı̄zān …, D. 272, 286.
304 mı̄zān …, S. 234; Koran, Sure 5, Vers H 11, P 8; 6, H 153, P 15.
305
s. S. 243 f.
306 s. S. 244. Die Meinung von Arkoun, Gh sei ein Feind der Vernunft und des Humanismus ist
grundlos, s. ibn-Miskawaih, Traité d’Éthique tahdı̄b al-ahlāq …, traduction française avec intro-
duction et notes par Mohammed Arkoun, Damas¯1969, S.˘ XII Anm.
307
a. a. O. ˙
308 s. S. 247.
309 a. a. O.
310
s. S. 203 f.
311 a. a. O.
312 EN, 1094a1 ff.; über das Verhältnis von Denken, Handeln, Entscheidung und Zweck s.
1139a20 f.
313 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 407; Die Religion innerhalb der Grenzen der
bloßen Vernunft, S. 6.
314 s. mı̄zān …, S. 331 ff.
315 s. S. 262, 270.
316 s. S. 359.
317 s. S. 257.
318 a. a. O., 331 ff.
319 s. S. 255.
320 s. S. 256; ih … (Die Wiederbelebung …), Bd. III, S. 51.
321 s. S. 388 ff.˙
322 s. S. 391.
323 s. ih …, Bd. IV, S. 22 f., 312 ff.; faisal at-tafriqa bein al-Islam wa-3z-zandaqa, S. 120 ff.
324 Gh.,˙ al-munqid … (Der Erretter ˙…), Anm. 83, S. 113.
325 Aristoteles, EN, ¯ 1153b7 ff.
326 Sure 57, Vers P. u. H. 23.
V. Anmerkungen und Quellenangaben 79
327
ibn-Katir, Korankommentar, Bd. 4, S. 314.
328
S. Qutb,¯ fı̄ zilāl al-Qur3ān (Unter den Auspizien des Korans), Bd. 27, S. 176.
329 ˙ …,˙ D. 195.
s. mı̄zān
330 s. S. 196.
331 s. S. 211.
332 Sure 50, H 21, P 22; s. f. al-munqid … (Der Erretter …), S. A 10.
333 mı̄zān …, S. 398 f. ¯
334 Sure 17, Vers P u. H 87. Jedoch scheint der Vers besser wie folgt zu übersetzen: „Der Geist aber
zählt, die Entschädigung (für dieses mühselige Leben) aber ein endloses Glück ist?
Daß die Menschen aber im Beschreiten des Weges zur Glückseligkeit nachlässig
sind, beruht auf der Schwäche ihres Glaubens an den Jüngsten Tag. Ansonsten
verlangt die unvollkommene Vernunft, von der vollkommenen ganz zu schweigen,
sich zu bemühen, den Weg der Glückseligkeit zu beschreiten.
A 14 II.
B 10
D 182 Die Nachlässigkeit im Streben nach dem Glauben
(an den Jüngsten Tag) ist auch eine Torheit
Ich sage: Auch die Nachlässigkeit im Glauben würde, obwohl sie eine Torheit ist,
nicht notwendig zur Nachlässigkeit im Beschreiten des Weges zur Glückseligkeit
führen, wenn die Sorglosigkeit nicht wäre. Denn im Hinblick auf das Jenseits teilen
sich die Menschen in vier Schulen:
Eine Schule glaubt an die Auferstehung und an den Jüngsten Tag, an das Para-
dies und an die Hölle, wie die Religionen es verkündet haben und wie der Koran es
deutlich beschrieben hat. Diese Schule bejaht die sinnlichen Genüsse (im Jenseits),
welche auf das Sexuelle zurückgehen und auf das, was man essen, riechen, tasten,
anziehen und sehen kann. Sie erkennen an, daß verschiedene Arten von Freuden
und Genüssen hinzukommen, welche sich jeder Beschreibung entziehen, da sie
von einer Art sind, die kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört und kein mensch-
liches Herz je ersonnen hat 9 . Diese Arten von Freuden und Genüssen sind ewig
und ohne Unterbrechung. Sie werden nur durch Wissen und Handeln erreicht. Zu
dieser Gruppe gehören sämtliche Muslime, sogar mehrheitlich die Anhänger der
Propheten, darunter Juden und Christen.
Eine zweite Schule umfaßt einige Theisten unter den Philosophena . Sie erken-
nen eine Art Genuß an, den sie den geistigen nennen und dessen Art und Weise
D 183/ ein Mensch nie hat erfassen können. Was aber die sinnlichen Genüsse betrifft, so
B 11 lehnen sie deren Existenz außerhalb der subjektiven Vorstellungskraft des Men-
schen ab, wohl aber bejahen sie die sinnlichen Genüsse, sofern sie durch die Ein-
bildungskraft vermittelt werden, wie zum Beispiel im Zustand des Schlafes. Der
Schlaf aber wird durch das Wachwerden gestört, dieser jedoch (der geistige Ge-
nuß) nicht, denn er ist ewig. Sie behaupten, daß die sinnlichen Genüsse von leiden-
schaftlichen Anhängern der Sinnlichkeit bejaht werden, die sich ausschließlich auf
die Sinnlichkeit beschränken und die sich nicht zu geistigen Genüssen10 erheben.
Eine solche Haltung führt aber nicht notwendig zu einer Nachlässigkeit im Stre-
ben nach der Glückseligkeit, denn das Genießen geschieht in der Seele des Men-
schen durch die Wirkung dessen, was getastet, gesehen und gegessen wird und
dergleichen mehr. Das äußere Objekt ist Ursache für das Entstehen der Wirkung.
Der Genuß (aber) entsteht als ein seelischer Vorgang, der nicht (nur) durch die
A 15 äußere Wirkung, sondern (unter anderem) durch die Wirkung, die beim Vorhan-
densein des äußeren Objekts entsteht, hervorgerufen wird. Wenn es möglich ist,
daß die Wirkung in der Seele ohne das äußere Objekt entsteht, wie im Zustand des
Schlafes, so hat das äußere Objekt keinen Nutzen.
Eine dritte Schule lehnt alle sinnlichen Genüsse in der Wirklichkeit und in der
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „… einige Theisten unter den islamischen Philosophen.“
Nachlässigkeit im Streben nach Glauben 87
Einbildung ab. Sie behauptet, daß die Einbildung nur durch die Organe des Kör-
pers geschieht. Der Tod löst die Verbindung zwischen Körper und Seele auf;
dieser dient ihr als Instrument bei der Einbildung und bei allen Sinneswahrneh-
mungen. Die Seele wird niemals wieder die Leitung des Körpers übernehmen,
nachdem sie sich seiner entledigt hat. Es bleiben ihr nur Schmerzen und Genüsse,
die nicht sinnlich sind, jedoch großartiger. Denn auch in dieser Welt ist die Nei-
gung des Menschen zu geistigen Genüssen stark, noch stärker jedoch ist seine
Abneigung gegenüber den geistigen (seelischen) Leiden 11 . Deshalb bevorzugen D 184
es die Menschen, ihre Selbstachtung zu bewahren, wenn sie um etwas bitten. Sie
ziehen es vor, Zurückhaltung zu üben, anstatt bloßgestellt zu werden, wie auch B 12
bei der Befriedigung der sexuellen Begierde verborgen zu bleiben. Sie ertragen
dabei Schmerzen und Beschwerlichkeita . So ist es auch möglich, daß der Mensch
es sogar vorzieht, einen oder zwei Tage nichts zu essen, um dadurch in den Ge-
nuß eines Sieges im Schachspiel zu kommen, obwohl es (das Essen) ein sinn-
licher, der Sieg jedoch ein geistiger Genuß ist. Oder aber er greift eine große
Zahl von Kämpfern an, um getötet zu werden. Der Lohn für seinen Tod sind
die von ihm hoch geschätzten geistigen Genüsse wie Ehre und Lobpreisung sei-
ner Tapferkeit.
Sie behaupten ferner, daß sich die sinnlichen Genüsse verglichen mit den jensei-
tigen auf der niedrigsten Stufe befinden. Ihr Verhältnis zueinander gleicht jenem
zwischen der Geruchserfahrung einer schmackhaften Speise und ihrem Verzehr
als auch jenem zwischen dem Blick auf das Antlitz des geliebten Wesens und dem
Beischlaf mit ihm. Aber höher als dieser steht jener (der Blick, also der geistige
Genuß). Sie behaupten, daß die geistigen Genüsse, da sie dem Verständnis der
Massen entzogen sind, beschrieben werden müssen in Analogie zu jenen sinn-
lichen Genüssen, die ihnen (den Massen) zugänglich sind.
So werden zum Beispiel dem Knaben, der mit dem Ziel lernt, Richter oder
Minister zu werden, der jedoch in seiner Kindheit den (mit dieser Tätigkeit ver-
bundenen) Genuß nicht erfassen kann, Dinge versprochen, aus denen er (augen-
blicklich) viel Genuß zieht, wie etwa ein Zepter, mit dem er spielen, oder ein A 16
Vogel, mit dem er sich amüsieren kann. Doch was ist der Genuß des Spiels mit
dem Vogel im Vergleich zu dem Genuß, Minister zu sein oder wie ein König zu
herrschen! Weil aber sein Verstand unfähig ist, das Höchste zu begreifen, gibt man
ihm etwas Niedrigeresb und regt ihn dazu (zum Spiel) an, um seine Neigung zu
dem zu erwecken, worin sein (späteres) Glück besteht, (nämlich das Lernen).
Auch wenn diese Denkweise richtig wäre, würde sie nicht zu einer Nachlässigkeit D 185
(im Streben nach dem jenseitigen Glück führen), sondern vielmehr um so mehr
Anstrengung verlangen.
Zu dieser Meinung tendieren die Sūfı̄s (die Mystiker) und die Theisten unter
˙
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Deshalb verabscheuen es die Menschen, ihre Selbstachtung zu
opfern, wenn sie um etwas bitten. Um weder Not noch Leid ertragen zu müssen, ziehen sie es vor,
Zurückhaltung zu üben, anstatt bloßgestellt zu werden, wie auch bei der sexuellen Begierde ver-
borgen zu bleiben.“
b
„Niedrigeres“ bei S, E, A u. B. Bei D u. K: „anderes“.
88 Nachlässigkeit im Streben nach Glauben
den späteren Philosophen, so daß die Häupter der Sūfı̄s vorbehaltlosa folgendes
erklären: „Wer Gott um des Paradieses willen oder aus ˙ Furcht vor der Hölle dient,
ist niederträchtig. Das Ziel derjenigen, die Gott suchen, ist ehrenhafter.“ Wer ihre
geistigen Häupter sieht, ihre Meinung kennt, ihre Lehren überprüft, die Bücher
ihrer Autoren liest und ihren Lebenswandel beobachtet, läßt sich mit Gewißheit
von diesem Glauben überzeugen.
B 13 Eine vierte Schule besteht aus einer Masse von Toren, die man weder mit Na-
men kennt, noch zu den Denkern zählt. Sie glauben, daß der Tod ein absolutes
Nichts sei und daß weder Gehorsam noch Ungehorsam gegenüber Gott Folgen
hätten. Der Mensch kehre nach seinem Tode zu dem Nichts zurück, das er selbst
zuvor gewesen sei. Diese Gruppe darf man (eigentlich) nicht als Schule bezeich-
nen, denn „Schule“ ist ein Ausdruck für eine Schar Gleichgesinnter. Dies aber ist
weder die Lehrmeinung einer Gruppeb (Gleichgesinnter), noch ist sie auf einen
bekannten Denker rückführbar, sondern der Glaube eines leichtsinnigen Toren,
der so sehr von seinen Leidenschaften besiegt und von seinem Satan beherrscht
A 17 wird, daß er seine Begierde nicht im Zaum halten kann. Seine Leichtfertigkeit
erlaubt ihm nicht, zuzugeben, daß er seiner Leidenschaft keinen Widerstand lei-
sten kann.
Zur Rechtfertigung seiner Unzulänglichkeit sucht er Scheinargumente dafür,
daß seine Meinung notwendig und wahr sei. Dann möchte er, daß andere ihn darin
bestärken, indem er die Menschen dazu auffordert, ihm zu glauben. Die Torheit
und das, was der Seele von Natur aus eigen ist, nämlich die Befolgung der Leiden-
schaften, treiben den Törichten dazu, ihm unbedacht zu glaubenc .
D 186 Besonders benötigen manche Frevler den Bezug eines solchen Glaubens auf
einen bekannten, mit den Besonderheiten der Wissenschaften vertrauten Kenner
wie Aristoteles oder Platon oder (sogar) auf eine Gruppe wie die der Philosophen.
Er bringt den Zuhörer allmählich dahin zu glauben, daß sein Wissen nicht über das
ihrige hinausgeht und daß diese (Philosophen) eine Zeitlang geforscht und dabei
nichts erreicht hätten. Der armselige (Zuhörer ) spürt nicht, daß er getäuscht wor-
den ist, und so glaubt er ihm, weil dies seiner Natur entspricht. So verlangt er (der
Zuhörer) von ihm bei dessen Überlieferung der Lehre keinen Nachweis, auf wen
er sie zurückführt. Wenn er ihm (dem Zuhörer) aber mitteilen würde, daß er einen
Dirham verlieren wird, dann würde dieser ihm nur glauben, sofern er ihm einen
Beweis erbringen könnte. Wenn er ihm erzählen würde: „Dein Vater hat jeman-
dem zehn Dirhamd zugestanden, die er (eigentlich) dir hinterlassen hat; dieser
besitzt darüber ein Schriftstück, das die Unterschrift von Zeugen trägt“, so würde
er fragen: „Worin besteht die Beweiskraft? Wo ist der lebende Zeuge, der den
B 14 Inhalt beglaubigt? Was für eine Mitteilung ist in dem Schriftstück enthalten?“ Er
a
„vorbehaltlos“ bei Ae, A, B, D u. K.
b
„Gruppe“ fehlt in E.
c
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Er prädigt Leichtsinn und das, was der Seele von Natur aus eigen
ist, nämlich den Leidenschaften nachzugehen. Dies wiederum verlockt den Törichten, ihm allzu
unbedacht zu glauben.“
d
Bei allen übrigen außer S u. E: „ein Zehntel seines Hauses …“
Nachlässigkeit im Streben nach Glauben 89
würde ihn weiterhin nach der Echtheit des Schriftstückes fragen. Wie aber kann er
ihm andererseits die Übertragung der Lehre eines dieser genannten Philosophen
glauben, ohne von ihm zu verlangen, zum Beispiel zwei Zeugen vorzuweisen, die
ihm bestätigen, daß dieser (der Tor) von dem genannten Philosophen (tatsächlich)
gehört hat? Warum besteht er nicht darauf, daß ihm die Schrift der Genannten
oder eine ihrer Abfassungen vorgelegt wird, und sei sie auch von anderer Hand 12 ?
Wenn er aber mit eigenen Ohren hören würde, wie der Betreffende die Lehre
erklärt, so sollte er davon Abstand nehmen mit der Begründung, es gäbe dafür
keinen Beweis. Sollte er aber in blinder Nachahmung die Lehre annehmen, so
wäre demgegenüber vorzuziehen, daß er (selbst) blindlings den Propheten, den
Vertrauten Gottes, den Gelehrten, ja sogar den Massen und dem Pöbel folgte, als
einem einzelnen, der nicht unfehlbar ist.
Für dich, der du jetzt einen Rat suchst, nachdem du Kenntnis von diesen Lehren D 187
erlangt hast, bleibt im Verhältnis zum Glauben der irregeleiteten Schulen eine der
viera folgenden Möglichkeiten:
1. Entweder glaubst du entschieden an seine Unrichtigkeit,
2. oder du vermutest, daß er nicht richtig sei, A 18
3. oder du vermutest eher, daß er richtig sei, jedoch hältst du seine Unrichtigkeit
für eine entfernte Möglichkeit,
4. oder du glaubst entschieden an seine Richtigkeit.
1. Wie deine Meinung auch immer sein mag, deine Vernunft verlangt, daß du
dich mit Wissen und Handeln beschäftigst und von den Genüssen des Diesseits
Abstand nimmst, vorausgesetzt, deine Vernunft ist unversehrt und daß deine Na-
tur(anlagen) gesund sindb . Dies bleibt dir nicht verborgen, wenn du diesen Glau-
ben entschieden ablehnst.
2. Wenn du eher vermutest, daß er unrichtig sei, so fordert deine Vernunft, daß
du dich um seine Aneignung bemühst; so wie sie auch das Ertragen der Schwierig-
keiten verlangt z. B. beim Überqueren des Meeres zwecks Gewinn oder beim Wis-
senserwerb in den Anfängen der Jugend zwecks Führung des Staates oder eines
Ministeriums – sofern man danach strebt – oder zu einem anderen ehrenhaften
Zweck durch das Erleiden von Anstrengungen, die vorausgehen.
Die Folgen dieser (erstrebten) Ziele können nur vermutet werden, aber man ist
sich ihrer nicht gewiß. Wenn derjenge, der auf das Diesseits bedacht ist, sowohl die
Existenz als auch die Nichtexistenz der Chemie für wahrscheinlich hält, und wenn D 188
er wüßte – ihre Existenz voraussetzend –, daß Anstrengungen für die Dauer eines
Monats zu ihr führen würden und daß er danach den weniger oder mehr als einen
Monat umfassenden Rest seines Lebens genießen könnte, so würde seine Vernunft
verlangen, daß er die Anstrengungen einen Monat lang erträgt und sie verachtet,
selbst wenn sie ihm gewisser und gegenwärtiger sind als das, was er vermutet, auch
dann, wenn es erst später eintritt und ungewiß ist.
3. Wenn du seine Richtigkeit eher für wahrscheinlich hältst, jedoch in deinem B 15
Inneren die – auch entfernte – Möglichkeit bleibt, den Propheten, den Vertrauten
a
„vier“ fehlt lediglich bei D.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „deine Erfahrung richtig.“
90 Nachlässigkeit im Streben nach Glauben
Gottes und den Scharen der Gelehrten zu glauben, so verlangt auch hier deine
Vernunf, daß du den Propheten Glauben schenksta , indem du den Weg der Sicher-
heit beschreitest und eine solch ungeheure Gefahr vermeidest. Denn wenn du dich
an dem Hofe eines Herrschers befändest und du in der Lage wärest, eine Aufgabe
zu erfüllen, die diesem vorbehalten ist, (eine Aufgabe jedoch,) von der du eher
vermutest, daß sie ihn zufrieden stellen könnte, und er dir eine Auszeichnung zu-
teil werden läßt und einen Dinar gibtb , du zugleich aber damit rechnen mußt, daß
dies entgegen deiner Vermutung bei ihm Zorn hervorruft, so daß er dich zurück-
weist, bloßstellt und für den Rest deines Lebens bestraft, so würde deine Vernunft
A 19 empfehlen, diese Gefahren zu vermeiden. Wenn du handelst und das Richtige
triffst, so ist der Vorteil eines Dinars für dich nicht von Dauer. Wenn du aber das
Falsche triffst, so ist die Bestrafung durch den König ungeheuer und begleitet dich
dein Leben lang. So kannst du also nicht den Erfolg des richtigen Handelns mit
dem Mißerfolg des falschen gleichsetzen. Ebenso: Wenn du ein Essen vorfindest,
von dem dir einige Menschen oder nur eine einzige Person, die eine niedrigere
D 189 Stellung einnimmt als die Propheten, geschweige denn sich durch Wunder glaub-
haft machen kann, mitteilt, daß es vergiftet sei, und wenn du diese Person – wie
jetzt auch alle Propheten – eher für einen Lügner hältst, zugleich aber die Wahr-
haftigkeit (dieser Person) für möglich erachtest, und wenn du weißt, daß du beim
Essen nur den Genuß und den angenehmen Geschmack im Augenblick des Ver-
zehrs empfindest und daß darin trotzdem, sofern es vergiftet ist, das Verderben
liegt, so empfiehlt dir deine Vernunft, die Gefahr zu meiden, wenn du zu den Ver-
nünftigen gehörst. Deshalb sagt 2Alı̄ 13 – Gott möge Wohlgefallen an ihm haben –
demjenigen, der mit ihm über die Angelegenheiten des Jenseits stritt und sie für
zweifelhaft hielt: „Wenn die Sache so ist, wie du behauptest, so werden wir alle
gerettet werden. Wenn sie aber so ist, wie ich meine, so wirst du verloren sein und
ich werde gerettet werden.“ Du sollst aber nicht denken, daß er (2Alı̄) Zweifel am
Jüngsten Tag hegt, vielmehrc soll es eine Ermahnung für den unwissenden Ge-
sprächspartner sein, der unfähig ist, durch den Beweis zur Erkenntnis (über den
Jüngsten Tag) zu gelangen. Dies hat uns ermutigt, diese Methode (die einem Be-
weis nahekommt) anzuwenden. Damit soll jenen geholfen werden, darüber nach-
zudenken, die in ihrem Gehorsam gegenüber dem erhabenen Gott untätig und
unachtsam sind.
Es ist sicherlich klar geworden, daß das Große und Ungeheure, sofern es unbe-
kannt ist, möglichst jenem vorzuziehen ist, das mit Gewißheit als gering angesehen
werden kann; denn eine Sache ist gering oder großartig nur im Verhältnis zu einer
anderen.
B 16 Blicken wir nun auf das Ende des Lebens, auf das diesseitige Glück der Wohl-
a
„… daß du den Propheten Glauben schenkst“ lediglich bei S u. E.
b
Bei S: „… und er dir einen Dinar gibt, der nicht lange bei dir bleibt, und wenn du das Falsche
triffst, so ist die Bestrafung durch den König ungeheuer und begleitet dich dein Leben lang, so
kannst du also nicht den Erfolg des richtigen Handelns mit dem Mißerfolg des falschen gleichset-
zen. Genauso verhält es sich, wenn du ein Essen vorfindest, …“
c
S u. E: „Vielmehr hat er (2Alı̄) dies dem wissenden Gesprächspartner mitgeteilt, …“
Nachlässigkeit im Streben nach Glauben 91
habenden und auf das, was wir vom Glauben der drei Gruppen an die Vollkom- A 20
menheit des jenseitigen Glücks und dessen Dauerhaftigkeit annehmen können.
Du sollst von selbst erkennen, wie gering dasjenige einzuschätzen ist, auf das man
im Diesseits verzichtet, wenn man es mit dem großartigen Ersatz vergleicht, den
man dafür im Jenseits erhält. Denn, wenn du dich der Meinung der vierten Gruppe D 190
anschließt, das heißt dem Glauben an die Richtigkeita ihrer Lehre, so richten wir –
gemäß dem Grad deiner Unwissenheit und Unfähigkeit – die Rede an dich. Sie
betrifft zwei Aspekte:
1. Du hast diesen Glauben nicht durch einen wahrhaftigen und notwendigen
Beweis erworben, der jeden Fehler ausschließt, so daß man sagen kann: du richtest
deine Aufmerksamkeit auf einen Beweis, auf den weder Propheten noch Gottes-
vertraute, weder Weise noch alle Vernünftigen gekommen sind. Wenn diese aber
trotz ihrer großen Zahl, der Fülle ihres Wissens, ihres Weitblicks und der vielen
Wunder ihrer Propheten irren können, wie kannst du sicher sein, daß dein Glaube
ohne Fehler ist, und was macht dich unfehlbar?
Das Mindeste ist, daß bei dir die Möglichkeit eines Irrtums besteht. Wenn nach
deiner Meinung die Möglichkeit besteht, daß die Massen recht haben und du dich
irrst, so gehörst du zu der dritten Schule. Wenn du dies nicht für möglich hältst und
behauptest, daß du weißt, der Glaube der Massen sei untauglich, und die Seele eine
den Tod überdauernde Substanz sei oder daß sie durch die Auferstehung am Tage
des Jüngsten Gerichts zurückkehre – so wie du weißt, daß zwei mehr als eins ist und
daß Schwarz und Weiß niemals zusammentreffen können –, so zeugt dies von
schlechter Gesinnung und geringer Vernunft. Ein solcher Tor ist weit entfernt von
seiner Heilung. Auf ihn trifft der koranische Vers zu: „Sie sind (stumpfsinnig) wie
Vieh. Nein, sie irren noch eher (vom Weg) ab. Die geben (überhaupt) nicht acht.“ 14
2. Auch wenn diese Gruppe das jenseitige Glück leugnet, so doch nicht das
dieseitige. Das höchste des diesseitigen Glücks ist: Macht, Edelmut, Würde, Hand-
lungsfähigkeit, die Gewissheit, frei von Kummer und Trauer zu sein, und dauer-
hafte (innere) Ruhe und Freude. Diese Arten von Glück kann man nur durch
Wissen und Handeln erreichen.
Was das Wissenb anbetrifft, so ist klar, daß man damit dauerhaft Macht erlangen D 191/A 21
kann. Denn man kann es nicht absetzen und abschaffen wie einen König. Ferner ist B 17
deutlich, daß der Gelehrte sein Wissen genießt und das, was er an Problemen
durchschaut – insbesondere jene, die sich auf das Königreich des Himmels und
der Erde und die göttlichen Angelegenheiten beziehen. Dies ist demjenigen
fremd, der sich nicht an dem Genuß der Lösung von Problemen ergötzen kann.
Dieser Genuß ist unendlich, weil es auch die Wissenschaften sind. Dabei darf es
keine Konkurrenz geben, denn die Wissenschaften bieten allen Lernenden Raum,
sei deren Zahl auch noch so groß. Darüber hinaus ist ein Gelehrter um so vertrau-
enswürdiger, je mehr Gefährten er hat und je mehr er sich in die Wissenschaften
vertieft – unter der Bedingung, daß er sie sich als solche zum Ziel setzt, nicht aber
a
„die Richtigkeit …“ fehlt bei S u. E.
b
Bei S u. E: „Was das Handeln …“ Es handelt sich aber um einen Schreibfehler, wie der Zusam-
menhang deutlich zeigt.
92 Nachlässigkeit im Streben nach Glauben
die vergänglichen Güter und die Macht dieser Welt. Denn diese werden durch
Konkurrenz angeeignet, (dem Wissenschaftler) aber eröffnet sich eine um so grö-
ßere Fülle von Möglichkeiten, je mehr Schüler er hat.
Dieser Genuß (des Wissens) ist nicht nur der vollkommenste aller Genüsse für
denjenigen, der mit ihm vertraut ist, sondern auch der dauerhafteste unter ihnen,
denn diejenigen, die ihn gewähren, sind Gott und seine Engel; dies aber nur dann,
wenn jener (der Wissenschaftler) sich mit dem Studium beschäftigt und sich von
allen (weltlichen) Dingen freimacht. Weil dies so ist, siehst du keinen Führer oder
Herrscher, der sich nicht vor seiner Absetzung fürchtet. Sie wünschen sich die
(unendliche) Macht der Gelehrten.
D 192 Mit dem Begriff „Handeln“ meinen wir die Zähmung der seelischen Begierden,
die Zügelung des Zorns und die Beherrschung dieser Leidenschaften, damit sie
der Vernunft untertan bleiben und diese nicht beherrschen oder sie als Mittel be-
nutzen, um mit List die Erfüllung der Wünsche zu erlangen. Denn derjenige, der
seine Begierde besiegt, ist der wirklich Freie, ja der König. Deswegen sprach einer
der Frommen zu einem König: „Mein Königreich ist größer als deines …“ Der
König erwiderte: „Wieso?“ Der Fromme antwortete: „Derjenige, dessen Sklave
du bist, ist mein Sklave.“ Er meinte, daß der König ein Sklave seiner Begierden sei,
während er selbst diese besiegt habe. Der Sklave der Begierden, der unfähig ist, sie
zu beherrschen und zu besiegen, ist von Natur aus ein Sklave und ein Gefangener.
Er hört nicht auf, in dauerhafter Anstrengung und beständiger Anspannung zu
verharren. Wenn er sein Anliegen eines Tages verwirklicht, so ist er unfähig, dies
für mehrere Tage zu tun. Überdies ist die Erreichung seines Zieles nicht frei von
A 22 Gefahren,Verstrickungen und Hindernissen, die er überwinden muß. Die Begier-
de zu vermindern bedeutet zugleich, die Ursachen des Kummers zu verringern. Es
gibt keinen anderen Weg zu ihrer Beseitigung als den der Zähmung und des inne-
ren Kampfes. Das ist das, was mit Handeln gemeint ist.
Für denjenigen, der das Glück auf das Diesseits beschränkt, ist unter diesen
Umständen der Handelnde und Wissende der glücklichste unter den Menschen.
Denn das angenehme Leben im Diesseits ist für niemanden dauerhaft ungetrübt.
Seine Vorteile können seine Mühen nicht ausgleichen.
D 193/B 18 Derjenige, der sich von Begierden völlig leiten läßt und sich weigert, über die
Vernunftgegebenheiten nachzudenken, ist im Diesseits nach übereinstimmender
Meinung unglücklich. Nach Ansicht der drei (schon erwähnten) Schulen ist er
auch im Jenseits ein Elender außer in den Augen eines Häufleins von Törichten,
das man weder beachten noch berücksichtigen oder jemals zu den Vernünftigen
zählen soll.
Es ist klar geworden, daß es eine notwendige Gegebenheit der Vernunft ist, sich
durch Wissen und Handeln auf das Jenseits vorzubereiten. Derjenige, der sich dar-
in als nachlässig erweist, ist unwissend. Wenn du aber sagst: Warum sind angesichts
eines solchen Zieles die meisten Menschen nachlässig, obwohl sie an Gotta und an
das Jenseits glauben, so wisse, daß die Ursache dafür in der Sorglosigkeit beim
Nachdenken über die Dinge liegt, die wir erwähnt haben. Denn diese Sorglosigkeit
a
„Gott“ bei S u. E.
Nachlässigkeit im Streben nach Glauben 93
tritt bei ihnen gehäuft auf und beansprucht ihre Zeit. Sie können sie so lange nicht
vermeiden, wie die Begierden ununterbrochen aufeinanderfolgen, und so ist es
auch tatsächlich. Nur ein Prediger, der einen lauteren Lebenswandel führt, kann
die Menschen aufrütteln. Ein solcher aber existiert im Lande nicht. Wenn man
seine Existenz, so selten sie ist, voraussetzt, so beachten sie ihn doch nicht. Sollten
sie auf ihn hören, sich ihm jetzt zuwenden und sollte ihr Wille auf den zukünftigen
Gehorsam (Gott gegenüber) vorbereitet werden, so folgt darauf unmittelbar ihre
Überwältigung durch eine der Begierden, welche die Wirkung der Wachsamkeit
beseitigt und den Schleier der Sorglosigkeit wieder ausbreitet. Auf diese Weise
fällt der Vernünftigea wieder in Unvernunft und kehrt zu dem zurück, was man
ihm verboten hat. So verhält es sich mit jedem einzelnen bis zum Tode. Daher
bleibt ihm (nur) die Reue, welche aber zu spät kommt. Sie wird ihm nichts nützen.
Zu Gott nehmen wir unsere Zuflucht vor der Sorglosigkeit, die die Quelle allen
Unglücks ist.
a
„der Sorglose“ bei S u. E.
A 23 III.
B 19
D 194 Der Weg zur Glückseligkeit ist
durch Wissen und Handeln möglich
Wenn du sagst: Es ist mir klar geworden, daß die Beschreitung des Weges zur
Glückseligkeit der Tatkraft der Vernünftigen entspricht, seine Vernachlässigung
aber der Sorglosigkeit der Unwissenden. Wie kann man diesen Weg beschreiten,
wenn man ihn nicht kennt? Wodurch erkenne ich, daß Wissen und Handeln der
Weg (zur Glückseligkeit) sind, damit ich mich ihm widme? Dann antworte ich dir:
Um ihn zu erkennen, gibt es zwei Möglichkeiten:
l. Die eine von beiden ist allgemein und entspricht der eben erwähnten Metho-
de, die darin besteht, daß du deine Aufmerksamkeit auf das richtest, worin die drei
Schulen einig sind. Sie stimmen darin überein, daß Erfolg und Heil nicht anders zu
erreichen sind als durch Wissen und Handeln gemeinsam, obwohl sie (die drei
Schulen) darin einig sind, daß das Wissen erhabener als das Handeln ist – so, als
ob das Handeln das Wissen ergänzt und von diesem geleitet wird, damit es (das
Handeln) sich in der richtigen Weise verwirklicht. Deswegen sagt Gott der Erha-
bene: „Zu ihm steigt das gute Wort auf, und die rechtschaffene Tat hebt er (zu sich)
empor …“ 15 Bei einer Prüfung dieses Verses läßt sich das „gute Wort“ auf das
Wissen zurückführen. Denn es ist das, was hinaufsteigt (zu Gott) und bei ihm die
rechte Annahme findet.
Das Handeln ist für das Wissen wie ein Diener, das es hebt und trägt. Das ist ein
Hinweis auf den hohen Rang des Wissens.
D 195 Der Lehrmeinung der ersten Schule, die an der esoterischen Bedeutung des
offenbarten Gesetzes festhält und die auch von der Mehrheit (der Muslime) ver-
treten wird, ist der Hinweis der islamischen Gesetzgebung nicht unbekannta , die
die Rettung in der Verbindung von Wissen und Handeln vorsieht.
2. Die Sūfı̄ und die Philosophen, die an Gott und an den Jüngsten Tag glauben,
˙ allgemeinen darin einig, daß das Glück im Wissen und im Dienst an
sind sich im
Gott liege, obwohl sie über seine Beschaffenheit uneinig sind. Ihre Überlegungen
beziehen sich auf die nähere Beschreibung von Wissen und Handeln. Angesichts
dieser Einstimmigkeit ist es eine Torheit, sich des Weges zur Glückseligkeit zu
enthalten. Denn wenn jemand von einer Krankheit befallen wird und die Schriften
und Aussagen der Ärzte selbst verschiedener Fachrichtungen darin übereinstim-
men, daß gegen diese Krankheit nur bestimmte Linderungsmittel Heilung brin-
gen, so ist der Kranke ein Tor, wenn er zögert, dieses Heilmittel anzuwenden. Ja
seine Vernunft verlangt sogar, es schnell anzuwenden. Vielleicht findet er danach
A 24 einen Weg, seine Heilung zu erlangen. Dies gelingt ihm nicht durch blinde Nach-
a
Nach S u. E. Nach den übrigen: „ist demjenigen nicht unbekannt, der seine Rettung in Verbin-
dung von Wissen und Handeln sieht.“
Weg zur Glückseligkeit 95
ahmung der Massen, sondern durch Prüfung der wirklichen Krankheitsgründe und B 20
der entsprechenden Heilungsmittel zu deren Beseitigung, so daß er sich, scharf-
sinnig geworden, vom Krankenbett erhebt, sofern er selbständig denkt und aus
den Niederungen der Nachahmung und des Gehorsams zu den Höhen der Refle-
xion emporsteigt. Deshalb behaupten die Sūfı̄s und andere Schulen, daß man zu
ihnen durch Scharfsinn und prüfenden Blick ˙ gelangen kann und dies, /indem du
das Wesen der Seele erkennst, dann erkennst du, daß sie weiterbesteht, nachdem
der Körper durch den Tod untätig wurde./a Dies geschieht, indem du die Wirklich-
keit des Todes erkennst, der zwar die Organe außer Kraft setzt, die nicht mehr
genutzt werden können, nicht aber der Verfall des Handlungsvermögens (nämlich
der Seele) ist. Dann erkennst du, daß das Glück jeder Sache, der (mit ihr verbun-
dene) Genuß und Friede darauf beruhen, in dieser Sache zu der ihr eigenen Voll-
kommenheit zu gelangen. Dann erkennst du, daß die Vollkommenheit für den
Menschen darin besteht, die Wahrheit der geistigen Dinge zu erkennen, so, wie D 196
sie sind – frei von Begierdenb und sinnlich wahrnehmbaren Dingen, an denen auch
die Tiere, neben den Menschen, teilhaben.
Dann erkennst du, daß die Seele aus sich selbst heraus nach dieser Vollkommen-
heit dürstet und von Natur aus dazu bereit ist. Was sie davon abbringt, ist zufällig
ihre Beschäftigung mit den Begierden des Körpers und seinen Veränderungen,
wann auch immer er von den Begierden beherrscht wird. In dem Maße, indem
der Mensch die Begierde zügelt, sie bewältigt, und die Vernunftc sich von ihrer
Versklavung und Unterjochung befreit und sich reuig zu Gott wendet und sich
der Reflexion und dem Nachdenken beim Studium des Königreichs des Himmels
und der Erde, ja sogar beim Studium des eigenen Selbst und dessen, was darin an
wunderbaren Dingen geschaffen wurde, widmet, erlangt er die ihm entsprechende
Vollkommenheit. Er ist auch im Diesseits glücklich; denn die Glückseligkeit hat
keinen Sinn, es sei denn die Seele erlangt die für sie mögliche Vollkommenheit,
obwohl die Stufen der Vollkommenheit unbegrenzt sind. Er spürt diesen Genuß
nicht, solange er durch die Sinneswahrnehmung, die Phantasie und den jeweiligen
Zustand der Seele gehindert wird, wie derjenige, dem die Möglichkeit gegeben
wird, eines der schmackhaftesten Nahrungsmittel zu kosten, dessen Geschmacks-
sinn aber betäubt ist. Er wird den höchsten Grad an Genuß spüren, sobald die
Betäubung beseitigt wird.
Der Tod ist wie das Erlöschen der Betäubung. Ich habe einen geachteten Ver-
treter der Sūfı̄s erklären hören, daß derjenige, der sich auf den Weg des erhabenen
˙
Gottes begibt, schon in dieser Welt das Paradies erschaue. Das höchste Paradies
aber liege in seinem Herzen, wenn es ihm gelänge, es zu erreichen. Dazu kann man A 25
nur gelangen, indem man sich von den Bindungen an Diesseitiges befreit und da-
durch, daß man sehr eifrig über die göttlichen Fragen nachdenkt, bis sich deren
Klarheit durch göttliche Inspiration bei der Läuterung der Seele von ihren Betrüb-
nissen enthüllt. Dies zu erreichen ist das Glück. D 197
a
/…/ fehlt bei allen außer S u. E.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Phantasiegebilden“.
c
„die Vernunft“ fehlt lediglich bei D. „sich reuig zu Gott wendet“ lediglich bei S u. E.
96 Weg zur Glückseligkeit
Das Handeln ermöglicht dessen Erlangung. Dies ist eine Schule, die behauptet
zu wissen, daß Wissen und Handeln für die Erlangung der Glückseligkeit erforder-
lich sind; und dies ist die zweite Möglichkeita . Die Erlangung der Gewissheit hin-
sichtlich dessen, was sie gesagt hat, ist mühseligb . Nach ihrer Behauptung wird dies
B 21 nur durch inneren Kampf und geistige Übung erreicht – wie auch der erhabene
Gott sagt: „Diejenigen aber, die sich um unseretwillen abmühen, werden wir un-
sere Wege führen …“ 16 So sollst du dir Mühe geben und dich für das Ziel deines
Strebens von allen anderen Dingen freimachen. Vielleicht erhellt sich dir die
Wirklichkeit deines Seelenzustandes in negativer oder positiver Weise.
Um mit Wissen und Handeln zu beginnen, genügt dir die Übereinkunft der drei
Schulen, sofern das Ziel deines Fragens nicht Polemik 17 , sondern das Streben nach
Erfolg ist – wie bei dem Kranken, der die Heilung will, nicht aber den Streit, denn
sein Wunsch ist die Übereinstimmung der Vertreter aller ärztlichen Fachrichtun-
gen über seine Heilung.
a
„und dies ist die zweite Möglichkeit“ fehlt lediglich bei D.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Die Erlangung der Gewißheit hinsichtlich dessen, was sie gesagt
haben, ist zutreffend.“
IV. D 198
A 26
Über die Läuterung der Seele, ihre Kräfte 18 und der B 22
Wenn du sagst: Es ist mir klar geworden, daß die Beschäftigung mit dem Wissen
und dem Handeln eine Pflicht ist, daß aber die Wissenschaften und Handlungen
zahlreich sind, denn sie sind in Quantität und Qualität verschieden, und daß es
nicht genügt, daß für die Krankheit ein entsprechendes Linderungsmittel besorgt
wird, solange man dessen Art, Quantität und Qualität, die Dauer und die Regelnb
seiner Anwendung, nämlich ob es kontinuierlich angewendet werden muß oder
unterbrochen werden kann, und andere Einzelheiten, die erforderlich sind, nicht
kennt. Man muß also Art, Quantität und Qualität des Linderungsmittels darlegen,
mit dem man sich beschäftigt – So wisse, daß sich die Menschen in bezug auf diese
Frage in zwei Gruppen teilen:
Eine Gruppe begnügt sich ohne Prüfung mit der blinden Nachahmung. Sie be-
schreitet den Weg, den ihr ihr Vorbild gezeigt hat.
Eine andere ahmt nicht nach – wie der Patient den Arzt –, sondern strebt da-
nach, selber den Rang der Ärzte zu erlangen. Die Angelegenheit ist schwierig, der
Weg lang, und ihre Bedingungen ergeben sich im Laufe der Jahrhunderte nur für
ein einziges, außergewöhnliches Individuum. Aber wir unterrichten dich in dem,
was dich aus den Niederungen der Nachahmung emporhebt und dich auf den rech-
ten Weg führt. Wenn dir Glück zuteil wird und in dir die Motivation zur Vervoll-
kommnung entsteht, so erreichst du diese durch den inneren Kampf. D 199
Zu der Erkenntnis dessen, wonach du strebst, kannst du nur gelangen, wenn du
zuerst deine Seele, ihre Kräfte und ihre spezifischen Merkmale erkennst. Denn wer
kann mit Zaid 19 Umgang haben, wenn er Zaid nicht kennt? Der innere Kampf
(muǧāhada) ist eine Behandlung der Seele durch Reinigung, damit es ihr wohl-
ergeht – wie der erhabene Gott sagt: „Selig ist, wer die Seele von ihrer Sündhaftig-
keit reinigt. Scheitern wird, wer sie verkommen läßt.“ 20 Wer das Gewand nicht
kennt, von dem erwartet man nicht, daß er den Schmutz des Gewandes beseitigt.
Weil die höchste Errungenschaft die Erkenntnis der Seele ist, hat Gott sie ver- A 27
herrlicht und, indem er sie auf sich bezog, erhöht und ehrenvoll ausgezeichnet.
Deshalb sagt der Erhabene: „(Damals,) als dein Herr zu den Engeln sagte: ‚Ich
werde einen Menschen aus Lehm schaffen. Wenn ich ihn dann geformt und ihm
meinen Geist eingehaucht habe, dann fallt (ehrfürchtig) vor ihm nieder‘“ 21 , so
macht er darauf aufmerksam, daß der Mensch aus einem Körper besteht, der mit
a
„… und deren Unterscheidungsmerkmale …“ bei S u. E. Bei Ae: „Über die Läuterung der
Seele, ihre Wesensbestimmung und ihre moralischen Grundlagen …“ Bei den übrigen: „Über …,
ihre Kräfte und ihre moralischen Grundlagen …“
b
„und die Regeln …“ lediglich bei S u. E.
98 Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen
B 23 dem Sehvermögen wahrnehmbar ist, und aus einer Seele, welche durch Vernunft
und Scharfsichtigkeit, nicht aber durch die Sinne, erfaßt wird. Er führt den Körper
des Menschen auf den Lehm zurück und dessen Geist auf sich selbst. Er meint mit
dem Geist, was wir mit der Seele meinen, wobei er die Scharfsichtigen darauf ver-
weist, daß die menschliche Seele zu den göttlichen Angelegenheiten gehört und
daß sie schätzenswerter und erhabener ist als die niedrigen irdischen Körper. Des-
halb sagt der erhabene Gott: „Man fragt dich nach dem Geist. Sag: Der Geist ist
Logos von meinem Herrn.“ 22 Es wird ferner gesagt, daß in den offenbarten Bü-
D 200 chern Gottes zu lesen sei: „0 Mensch! Erkenne dich selbst, so erkennst du deinen
Gott“. Der Gesandte Gottes (Muhammd) sagt: „Wer sich selbst am besten kennt,
kennt seinen Gott am besten.“ 23 ˙Und der erhabene Gott sagt: „Und seid nicht
gleich Jenen, die Gott vergessen haben und die er daraufhin sich selbst vergessen
ließ.“ 24 Damit verweist er auf die Unzertrennlichkeit beider (Gottes und der Seele)
und darauf, daß das Vergessen des einen das des anderen bedeutet. Deshalb sagt
der Erhabene: „Wir werden sie, (draußen) in der weiten Welt und in ihnen selbst
unsere Zeichen sehen lassen, bis ihnen klar wird, daß es wahr ist; (was ihnen ver-
kündet wird).“ 25 Und ferner sagt der Erhabene: „Und auf der Erde gibt es für
diejenigen, die (von der Wahrheit) überzeugt sind, (allerlei) Zeichen (von Gottes
Allmacht und Güte), (und dies nicht nur auf der Erde, sondern) ebenso in euch
selbst. Wollt ihr denn nicht sehen?“ 26 Er meint damit nicht den äußeren Körper,
denn diesen erblickt das Vieh und außer diesem auch die Menschen.
Kurz gesagt, ist derjenige, der sich selbst nicht kennt, in bezug auf einen anderen
umso unwissender. Es gehört zur Barmherzigkeit Gottes gegenüber seinen Die-
nern, daß er in der Person des Menschen trotz der Winzigkeit von dessen Körper
Wunder vereinigt, die, würden sie beschriebena , den Wundern der ganzen Welt
beinahe gleichkommen; so, als sei diese Zusammenfügung ein abgekürztes Abbild
der gesamten Schöpfung, damit der Mensch durch das Nachdenken darüber zu der
A 28 Erkenntnis des allmächtigen und erhabenen Gottes gelangen kann.
Wenn du sagst: Solltest du nicht in der Lage sein, umfangreiche Ausführungen
aus Angst vor deren Länge zu machen, so gib mir von den Angelegenheiten der
Seele eine zusammenfassende Beschreibung, die mich verlockt, die Einzelheiten
D 201 erfahren zu wollen, – so wisse, daß die tierische Seele im allgemeinen zwei Kräfte
besitzt, eine bewegende und eine wahrnehmende. Die bewegende teilt sich in
zwei: eine motivierende und eine bewegungsausführende Kraft. Die bewegungs-
ausführende ist diejenige Kraft, die in die Nerven und Muskeln strömtb . Ihre Tä-
tigkeit besteht im Anspannen der Muskeln, wobei sie die Sehnen und Bänder, die
B 24 mit den Nerven verbunden sind, an ihrem Ausgangspunkt zusammenzieht oderc
lokert, d. h. die Nerven und Bänder gehen in entgegengesetzter Richtung zurück.
Sie dient der zur Bewegung motivierenden Kraft.
Mit der letztgenannten ist die verlangende und begehrende Kraft gemeint, die
zur Bewegung veranlaßt. Wenn nämlich in der Einbildung ein Bild von einer be-
a
„würden sie beschrieben“ fehlt bei S u. E.
b
Bei E: „ist eine Kraft in den Nerven und Muskeln.“
c
S u. E: „und lockert“
Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen 99
a
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „notwendig oder …“
b
„nachdem sie von den Sinnen verschwunden sind“ lediglich bei E.
c
„aller fünf Sinne“ lediglich bei S u. E.
d
„wodurch die Sache das Bild einer anderen Sache festhält“ bei S u. E. Bei den übrigen: „wo-
durch man das Bild einer anderen Sache festhält, …, wodurch man es aufnimmt.“
e
„Krankheit“ fehlt bei E.
f
S u. E: „die mittlere Höhlung, die …“
g
S lediglich: „der Begriffe“.
100 Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen
a
„gemäß dem Vorhaben“ lediglich bei S u. E.
b
„oder für die Dominanz …“ fehlt lediglich bei D. Ae: „Denn diesem (dem praktischen Ver-
mögen) gehören Dominanz und Wohlerzogenheit.“
c
„eine edle und göttliche Angelegenheit“ lediglich bei S u. E.
Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen 101
hältnis zu der Sphäre besitzt, die unter ihr steht, nämlich dem Körper, den sie
reguliert und führt. Das wissende – theoretische Vermögen, auf das wir eingehen D 205
werden, ist im Verhältnis zur Seele die höhere Sphäre, aus der diese Nutzen zieht
und von der sie beeinflußt wird. Mit dieser Sphäre meine ich die Engel, die sich mit
den menschlichen Seelen befassen, um über diese Wissen auszugießen. Denn das
Wissen gelangt durch Vermittlung vom erhabenen Gott in die menschlichen See-
len. Der erhabene Gott sagt: „Und es steht keinem Menschen an, daß Gott mit ihm
spricht, es sei denn durch Eingebung, oder hinter einem Vorhang, oder indem er A 31
einen Boten sendet, der (ihm) dann mit seiner Erlaubnis eingibt, was er will. Er ist
erhaben und weise.“ 32 So hat die Seele jedes einzelnen von uns zwei Seiten: Eine
ist dem Körper zugewandt und muß in dem Sinne dominierend sein, daß sie in
keiner Weise von ihm beeinflußt werden kann und nicht unter dessen Begierden
oder seinen (wechselnden) Zuständen leiden muß. Die andere Seite neigt sich der
erhabenen und edlen Sphäre zu. Diese Seite muß immer aufnahmefähig sein für all
das, was dort geschieht, und sich von dort beeinflussen lassen, weil diese Sphäre
die Quelle der Glückseligkeit ist.
Dieses wissende theoretische Vermögen empfängt die universellen, von allen
Akzidenzien freien Begriffe, die durch jene konkret und sinnlich wahrnehmbar
gemacht werden, ganz so, wie wir die Bedeutung des Universellen in unserem
Buch „Das Kriterium des Wissens“ 33 dargelegt haben.
Das theoretische Vermögen teilt sich gemäß dem Wissen, das es beinhaltet, in B 28
drei Stufen:
Die erste ist wie das Verhältnis des Kindes zum Schreiben; denn das Kind besitzt
dazu zwar die Fähigkeit, diese ist aber von der Umsetzung in die Tat (des Schrei-
bens) weit entfernt. So verhält es sich beim Kind auch mit dem Vermögen zum
Wissen.
Auf der zweiten Stufe tritt in der Vernunft ein Komplex elementarer und not- D 206
wendiger Kenntnisse (Intelligibilia) auf, wie es etwa dem Zustand des unterschei-
dungsfähigen Knaben in der Pubertät entspricht. Ein Beispiel für diese Fähigkeit
des Knabens zeigt sich in seinem Verhältnis zum Schreiben, nachdem er das Tin-
tenfaß, den Bleistift und die einzelnen Buchstaben, nicht aber ihre Zusammenset-
zung (zu Wörtern) kennengelernt hat. In der Wiege war er noch nicht so weit, denn
er besaß nur eine allgemeine Fähigkeit zum Schreiben, die aber von der Umset-
zung in die Tat weit entfernt war.
Auf der dritten Stufe entstehen in der Vernunft rationale Kenntnisse, die alle
durch Handeln angeeignet werden. Sie sind so beschaffen, daß sie in ihm (dem Ju-
gendlichen) aufbewahrt werden können. Wenn er will, kann er auf sie zurückgrei-
fen. Und wann immer er dies tut, beherrscht er sie. Sein Wissensstand ähnelt dem
eines zuverlässigen Schreibers, der seinen Beruf noch nicht ausübt. Er besitzt die
Fähigkeit, unverzüglich anzufangen, in einer vollkommenen Weise zu schreiben.
Das ist der Höhepunkt menschlicher Fähigkeiten. Diese Stufe teilt sich in unzählige
Grade auf, die sich unterscheiden nach der Menge der Erkenntnisse – ob viele oder
wenige –, nach ihrer Größe oder Unbedeutsamkeit und nach dem Weg ihrer Aneig- A 32
nung – ob durch göttliche Inspiration oder durch Lernen und Selbstaneignung, die
schnell oder langsam vonstatten gehen kann. Nach diesem Wissen unterscheiden
102 Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen
sich die Gelehrten in der Wissenschaft nach Weisen, Gottesvertrauten und Prophe-
ten. Sie sind verschieden in ihrem Rang je nach ihrer Stellung in dem Wissen.
D 207 Die Stufen des Aufstiegs sind unbegrenzt und unzählbar. Die höchste Stufe ist
die des Propheten, dem sich alle oder die Mehrheit der Wahrheiten ohne Selbst-
aneignug und Anstrengung, sondern durch göttliche Offenbarunga sofort enthül-
len. Das ist die Glückseligkeit, die dem Menschen zuteil wird und ihn in die Nähe
des erhabenen Gottes rückt – eine Nähe, die weder in bezug auf den Ort noch auf
die Distanz, sondern im geistigen und wahrhaftigen Sinne gemeint ist. Der An-
stand fordert, sich zu hüten, darüber zu reden. Denn sonst endet die Sache wie
folgt: Eine Gruppe kam dahin, nach der Nähe zu Gott auch die Identität (mit Ihm),
B 29 zu behaupten, so daß einer (aus der Gruppe) sagte: „Wie erhaben ich bin! Wie
großartig ich bin!‘‘b Ein anderer sagte: „Ich bin das Wahre!“ 34 Wieder ein anderer
beschrieb seinen Zustand als Inkarnation. Die Christen gehen in ihrem Glauben
an Gott von der Identität zwischen Göttlichem und Menschlichem aus, so daß sie
von Jesus – Gottes Friede sei mit ihm – sagen, er sei ein halber Gott! Wie erhaben
ist Gott über die Reden der Ungerechten, wie sehr! Friede sei mit Muhammad, mit
Jesus und mit allen Propheten!c ˙
Kurz gesagt: Die Etappen sind für diejenigen, die den Weg des erhabenen Got-
tes beschreiten, zahllos. Nur derjenige, der diesen Weg geht, erkennt in seinem
eigenen Verhalten die Etappe, die er erreicht hat – und so auch jene, die er hinter
sich gelassen hat. Die Wahrheit dessen, was noch vor ihm liegt, kann er nur all-
gemein und im Verlaß auf den Glauben an das Unsichtbare erfassen. Denn keiner,
außer den Propheten selbst, kann die Wahrheit der Prophetie erkennen.
So wie der Embryo nichts vom Zustand des Kindes ahnt und dieses wiederum
weder den Zustand des unterscheidungsfähigen Knaben kennt noch das, was sich
diesem an notwendigem Wissen erschließt, und so wie der unterscheidungsfähige
Knabe weder den Zustand des Erwachsenen kennt noch das, was dieser an theo-
D 208 retischem Wissen erlangt, so erfaßt kein vernunftbegabter Mensch das, was sich
den Vertrauten und Propheten Gottes von der Gunst seiner Güte und Barmherzig-
keit erschließt: „Was Gott den Menschen an Barmherzigkeit zufließen läßt, kann
niemand aufhalten.“ 35 Diese Barmherzigkeit wird gemäß der göttlichen Güte ge-
A 33 währt und niemandem vorenthalten. Aber um sie aufnehmen zu können, muß man
sich durch die Läuterung der Seele, durch die Reinigung von ihrer Befleckung und
von allem Übel vorbereiten.
So wie das farbige Bild in sich kein Hindernis birgt, auf einem oxidierten Eisen
B 30 abgedruckt zu werden – es sei denn, das Eisen enthält ein Hindernis, d. h., es ist
durch Rost und Oxidation verunreinigt und bedarf eines Menschen, der es putzt,
den Rost beseitigt und es poliert –, so sollst du glauben, daß alle Hindernisse von
deiner Seite und nichtd von seiten der göttlichen Barmherzigkeit kommen. Des-
a
E: „durch seinen prophetischen Rang“.
b
„Wie großartig ich bin!“ fehlt lediglich bei S u. E.
c
„Friede sei mit Muhammad“ lediglich bei S.
d ˙
Bei den drei Handschriften S, E u. Ae fehlt die Verneinung, diese aber vermittelt eine verständ-
lichere Variante.
Läuterung der Seele, ihre Kräfte und Unterscheidungsmerkmale in Beispielen 103
halb sagt der Gesandte (Muhammad) – Gottes Friede sei mit ihm –: „An bestimm-
ten Tagen eures Lebens läßt ˙ Gott seine Gaben ausströmen. Begebt euch in sie
36
hinein.“ In Worten, die der Sehnsucht und dem Wunsch eigen sind, gibt er (der
Prophet) deshalb dem höchsten Grade göttlicher Gnade und Freigebigkeit Aus-
druck, wenn er sagt: „Bevor das letzte Drittel jeder Nacht anbrichta , begibt sich
Gott in den ersten Himmel dieser Welt und spricht: ‚O! Gibt es einen Betenden,
auf daß ich ihn erhöre? Gibt es einen, der um Erbarmen bittet, auf daß ich mich
seiner erbarme?‘“ 37 ; und er sagt ferner: „Die Sehnsucht der Frommen, mir zu be- D 209
gegnen, ist groß. Und ich bin um so sehnsüchtiger, ihnen zu begegnen.“ 38 Ferner
sprach er: „Wer sich mir um einen Zoll nähert, dem nähere ich mich um eine Elle.
Wer zu mir gelaufen kommt, dem eile ich entgegen.“ 39
Du sollst im Koran und den Überlieferungen Parallelstellen zu diesen Texten
suchen, denn diese sind unbeschränkt und unzählbar.
a
„Bevor … anbricht“ fehlt bei S u. E. Die Überlieferung beginnt dort mit den Worten: „Der
erhabene Gott begibt sich jede Nacht in den ersten Himmel dieser Welt und spricht: …‘“
A 34 V.
B 31
Über das Verhältnis der Seelenkräfte zueinander
Wisse, daß diese Kräfte hierarchisch aufgebaut sind; denn einige sind für sich
selbst, einige für andere Organe geschaffen. Einige dienen, andere werden be-
dient. An oberster Stelle stehen diejenigen Kräfte, die um ihrer selbst willen er-
strebt werden, während die anderen nur wegen dieser gesucht werden. Dies be-
zieht sich nur auf die höchste Stufe des theoretischen Vermögensa , welche die
Quelle der Enthüllung der göttlichen Wahrheiten ist, in der sich die Rangordnung
der Gottesvertrauten und Propheten mehr oder weniger voneinander unterschei-
det. Denn der Mensch ist nur für das geschaffen, was für ihn (als Menschen) cha-
rakteristisch ist. Außer denjenigen Kräften, die als spezifische Merkmale der
menschlichen Seele gelten, hat er alle anderen mit den Tieren gemeinsam. Denn
der Mensch wurde auf einer Stufe zwischen Tier und Engel geschaffen. Er besitzt
eine Summe von Kräften und Eigenschaften. Bezüglich Ernährung und Fortpflan-
D 210 zung ist er eine Pflanze, bezüglich Empfindung und Bewegung ein Tier. Von seiner
Gestalt und geraden Haltung her ähnelt er einem in eine Mauer geritzten Bild.
Nur die Vernunft (das Denkvermögen) und die Fähigkeit dazub , die Wahrheiten
der Dinge zu erfassen, machen jenes spezifische Merkmal aus, das seine Schöpfung
rechtfertigt.
Wer alle seine Kräfte nutzt, um zu Wissen und Handeln zu gelangen, ähnelt den
Engeln. Er verdient, diesen anzugehören sowie Engel und göttlichc genannt zu
werden. So sagt er: „Das ist nichts (anderes) als ein edler Engel.“ 40 Wer seinen
Eifer darauf richtet, den körperlichen Genüssen zu folgen, so daß er wie das Vieh
ißt, der steigt auf die Stufe des Viehs hinab und wird entweder zu einem Herden-
wesen wie der Stier, oder gierig wie das Schwein, oder wütend wie der Hund, oder
B 32 nachtragend wie das Kamel, oder hochmütig wie der Tiger, oder hinterlistig wie
der Fuchs, oder er vereinigt all dies in sich, wie ein verfluchterd widerspenstiger
Teufel.
Kurz gesagt erfährt derjenige, der nach den eben erwähnten Kräften forscht, daß
die Anforderungen der Vernunft höher und erhabener sind als diese Kräfte. Des-
halb sieht sein erstauntes Auge, wie die einen den anderen notwendige Dienste
leisten, was ihrer Natur gemäß ist und der Fügung des erhabenen Gottes nicht
A 35/D 211 widersprechen kann; denn die Vernunft ist der oberste Herr, dem gedient werden
muß. Sein Wesir, der ihm von allen Kräften am nächsten steht, ist die praktische
Vernunft, die ihm dient, die wir gemäß den Vorschriften der (theoretischen) Ver-
a
„des theoretischen Vermögens“ lediglich bei S u. E.
b
„und die Fähigkeit dazu“ lediglich bei S.
c
„sowie göttlicher Engel …“ lediglich bei D.
d
„verfluchter“ lediglich bei S.
Verhältnis der Seelenkräfte zueinander 105
nunft Handlungsvermögen genannt haben. Denn die praktische Vernunft ist dazu
da, den Körper zu führen. Der Körper aber ist ein Instrument der Seele und ihr
Vehikel 41 , durch das sie mit Hilfe der Sinne die Grundsätze des Wissens wahr-
nimmt, aus denen sie die Wahrheiten der Dinge erschließen kann.
Die praktische Vernunft wird dann von der Phantasie und diese wiederum von
zwei Kräften bedient, wovon die eine vor, die andere hinter ihr steht. Diejenige,
die hinter ihr steht, ist deren Instrument und zugleich bewahrende Kraft für das,
was diese wahrnimmt. Diejenige, die vor ihr steht, umfaßt alle tierischen Kräfte in
der Reihenfolge, wie wir sie darlegen werden.
Zu diesen Kräften gehört das Vorstellungsvermögen, mit dem ich (beim Men-
schen) das denkende meine. Es wird von zwei Kräften verschiedener Art versorgt.
Das begehrende und verlangende Vermögen dient ihm, weil es dieses durch Vor-
stellung und Denken zur Bewegung motiviert.
Das bilderbewahrende Vermögen, das im Gemeinsinn 42 beheimatet ist, dient
ihm, indem es die Bilder zusammensetzt oder zerlegt. Diese (das begehrende und
verlangende sowie das bilderbewahrende Vermögen) sind wiederum Hauptorgane
zweier Gruppen. Das bilderbewahrende Vermögen wird vom Gemeinsinn ver- D 212
sorgt, indem er zu ihm Bilder aufsteigen läßt, damit sie bewahrt werden. Das be-
gehrende Vermögen wird von Begierde und Zorn bedient, und diese werden wie-
derum von jener Kraft bedient, die den Muskel bewegt. An diesem Punkt enden
die tierischen Kräfte.
Die tierischen Kräfte werden im allgemeinen von pflanzlichen versorgt. Diese B 33
teilen sich in drei Kräfte: die zeugende, die erziehende und die ernährende – wobei
die zeugende an der Spitze steht, von der erziehenden bedient wird und diese
wiederum von der ernährenden. Der letzten sind vier Kräfte dienlich. Es sind: die
anziehende, die erhaltende, die verdauende und die abstoßende. Denn für die
Pflanzen muß es eine Kraft geben, mit der sie die Nahrung zu sich ziehen; dann
eine erhaltende und eine verdauende, die das verarbeiten, was die erhaltende fest- A 36
hält; dann eine abstoßende, die den Abfall hinausstößt.
Diese ist diejenige Dienerin, die ihrerseits keinen Dienstboten mehr hat. Sie D 213
ähnelt dem Sraßenfeger bei dem Reinigungsdienst einer Stadt. Ferner dienen Wär-
me, Kältea , Feuchtigkeit und Trockenheit den Kräften der Verdauung, der Anzie-
hung, der Erhaltung und des Abstoßens. Dies sind die letzten Stufen der Körper-
kräfte.
Es soll ein Beispiel für alle erwähnten Kräfte gegeben werden, das sie dem Ver-
ständnis der Massen näherbringt. So wird gesagt, daß das Denkvermögen, das in
der Mitte des Gehirns wohnt, einem König ähnlich sei, der inmitten des Königrei-
ches thront. Die Einbildungskraft, welche im vorderen Teil des Gehirns wohnt,
ähnelt dem Postbeauftragten des Königs, bei dem alle Nachrichten zusammenflie-
ßen. Die bewahrende Kraft, welche sich im hinteren Teil des Gehirns befindet,
ähnelt seinem Schatzmeisterb , das Sprachvermögen seinem Dolmetscher, die han-
delnde Kraft seinem Schreiber, die Sinne seinen Spionen und den Boten, die in all
a
„Kälte“ bei allen außer S.
b
„Schatzmeister“ lediglich bei S u. E. Bei allen übrigen: „Diener“.
106 Verhältnis der Seelenkräfte zueinander
dem aufrichtig sind, was sie ihm (dem König) an Nachrichten überbringen. So
nimmt jeder von ihnen aus seinem speziellen Aufgabenbereich Nachrichten auf;
zum Beispiel wird das Sehvermögen mit der Farbenwelt, das Gehör mit den Tönen
beauftragt, und so verhält es sich mit allen anderen Sinnen. Sie überbringen dem
Postbeauftragten diese Nachrichten, der sie von allem Unwichtigen säubert und so
gereinigt seiner Majestät dem König überbringt. Der König, der weiß, welche Vor-
D 214 und Nachteile man aus ihnen ziehen kann, sortiert (nochmals) aus und gibt sie
seinem Diener. Bei Bedarf bietet der Diener sie ihm (dem König) an.
Wie die Arbeiten, die der König selbst übernimmt, edler als diejenigen sind, mit
denen er andere beauftragt, so ist das, was die Seele (selbst), die in Wahrheit der
König ist, vermittels des Denkvermögensa – das heißt durch Reflexion, Nachden-
ken, Analogie, Scharfsinn, Erschließung des Unbekannten durch das Bekannte
und die Enthüllung der Geheimnisse durch die Wahrheitb – vollbringt, ruhmrei-
cher als das, wofür sie Dienstboten braucht.
Dieses Beispiel ähnelt dem, das von Ka2b al-Ahbār 43 überliefert wurde. Er sagte:
„Als ich bei 2Ā3isˇa 44 eintrat, sagte sie: ‚Die Augen˙ des Menschen sind Tiefen, seine
A 37 Ohren Trichter, seine Zunge ein Dolmetscher, seine Hände Flügel und seine Beine
B 34 Boten. Das Herz ist ein König. Wenn es ihm gutgeht, so geht es auch seinen Sol-
daten gut. 2Ā3isˇa sagte, sie habe den Gesandten Gottes (Muhammad) so sprechen
hören.‘“ ˙
Was wir dir kurz vorgetragen haben, sind einige der Zustände der Seele, einige
ihrer Geheimnisse.
Wenn du aber einen Blick auf die Anatomie der Organe werfen würdest und der
D 215 Anzahl der Adern, Nerven, Muskelnc , Knochen, Arterien und Venen, dann den
selbständig arbeitenden Organe nachforschen würdest, die für den Atem, die Auf-
nahme der Nahrung, ihre Verdauung, ihr Abstoßen und für die Fortpflanzung ge-
schaffen sind, und du die Wunder erblicken würdest, die sie notwendigerweise im
gegenseitigen Dienst vollbringen, und wenn du dann, nachdem du die Beschäfti-
gung mit der Anatomie der Körper beendet hast, in die Einzelheiten der Kräfte
dieser Körper hineinblicken und dich – indem du die Wahrheiten der Naturwissen-
schaftend erkennst – in sie vertiefen würdest, so gelangtest du zum höchsten Grad
der Verwunderung. Unglücklich sei der, der vom Glauben an Gott abfällt und
seine Aussagen mißachtet: „Und auf der Erde gibt es für diejenigen, die (von der
Wahrheit) überzeugt sind, (allerlei) Zeichen (von Gottes Allmacht und Güte),
(und dies nicht nur auf der Erde, sondern) ebenso in euch selbst. Wollt ihr denn
nicht sehen?“ 45
Ja, es gibt sogar in jedem Ding einen Beweis, daß Er einzig ist. Wer überhaupt
nicht an Gott glaubt, gehört nicht zu den Vernünftigen. Er ist zu niedrig, als daß
man ihn mit solchen Worten anreden könnte. Unsere Rede richtet sich hier nur an
a
S u. Ae: „des Gedankens“; E: „des Denkens“.
b
„durch das Bekannte … Wahrheit“ bei S. „durch die Wahrheit“ fehlt bei E. „und die Enthül-
lung …“ fehlt bei den übrigen.
c
„Muskeln“ fehlt bei D.
d
S u. E: „der Wissenschaften der Medizin“.
Verhältnis der Seelenkräfte zueinander 107
denjenigen, der grundsätzlich an Gott glaubt. Wir laden ihn ein zur Suche nach
dem Werk Gottes, um dadurch seinen Glaubena und seine Überzeugung zu stär-
ken, seine Ehrerbietung und Hochschätzung (ihm gegenüber) zu vertiefen.
Alles, was nicht durch die Sinne, sondern nur vermittels seiner Wirkungen durch
den Verstand erfaßt wird, kann nur durch das ausschöpfende Nachdenken über A 38
diese Wirkungen erkannt werden 46 . Wir geben hierfür ein Beispiel, das dies dem
Verständnis aller Menschen nahebringt. Es gibt keinen Juristen, der nicht an den
großartigen Rang der berühmten Gelehrten – wie zum Beispiel Abū-Hanı̄fa 47 , asˇ-
Šāfi2ı̄ 48 und andere – glaubt. Diese Meinung teilen alle Menschen 49 . ˙
Wenn man die Schrift eines Autors liest und die Wunder seines Werkes sowie
die erstaunlichen Leistungen seiner Geschicklichkeit sieht, so bleibt die Ver-
ehrung für den Autor niemals die gleiche wie zu der Zeit, als sein Leser ihn noch
nicht gekannt hatte. Vielmehr hört man nicht auf, eine besondere Charaktereigen-
schaft in seiner Aussage, seiner Schrift oder in seinem Gedicht zu erblicken, und so
mehren sich Achtung, Respekt und Vertrauenb .
Wer also weiß, daß Gott der Schöpfer der Welt ist, ähnelt dem, der weiß, daß D 216
Zaid sich von den anderen dadurch unterscheidet, daß er Dichter eines Diwans
und Verfasser eines Buches ist; was für ein Unterschied aber besteht zwischen
diesem und dem Glauben desjenigen, der das Gedicht eines Dichters liest und
dessen Besonderheit erkennt, der eingeweiht in dessen Werk ist und dessen Ein- B 35
zigartigkeit erfaßt.
Nach scharfsinniger Prüfung glaubt dieser fest an des Autors Großartigkeit und
hohen Rang, während jener einen allgemeinen und schwachen Glauben besitzt,
der weder durch Scharfsinn noch Prüfung entstanden ist. In dieser Hinsicht zeigt
sich der Rangunterschied zwischen den Volksmassen und den Scharfsichtigen.
Die Welt mit all ihren Wundern ist ein Werk Gottes, sein Gebilde, seine Schöp-
fung und Erfindung. Die Seele ist ein Teil dieser Welt. Jeder Teil der Welt ist voller
Wunder. Wer nach ihnen sucht, gewinnt in seinem Glauben Stärke und Gewißheit.
Deswegen spornt Gott die Menschen an, über die Seele, über das Universum und A 39
über das Königreich des Himmels (arab. Pl.) und der Erde nachzudenken.
a
„seinen Glauben“ fehlt bei E.
b
„Vertrauen“ fehlt bei E.
A 40 VI.
B 36
D 217 Über das Verhältnis des Wissens zum Handeln und über das
durch das Wissen erlangte Glück, in dem alle Forscher unter
den Sūfı̄s einig sind und worin sie von anderen Gruppen
˙ spekulativer Denker unterstützt werden
Die Wirkung des Handelns besteht darin, das zu beseitigen, was nicht sein soll, das
Streben nach Wissen darin, das zu erlangen, was sein soll.
Die Beseitigung dessen, was nicht sein soll, bedingt, daß Platz gemacht wird für
das, was sein soll. Das Bedingte ist das Ziel; es ist edler als die Bedingung. Ein
Beispiel dafür: Wer ein Kind von einer Frau haben will, die eine Krankheit hat,
welche die Empfängnis verhindert, soll zweierlei Aufgaben erfüllen. Erstens: die
Beseitigung der Krankheit, welche die Schwangerschaft vereitelt und die Emp-
fängnis verhindert. Zweitens: die Befruchtung, nachdem die hindernde Krankheit
beseitigt ist. Die erste ist eine Bedingung für die zweite Aufgabe, die das erstrebte
Ziel ist.
Wenn du dir ein Haus vorstellst, welches für einen König gebaut und für diesen
als Unterkunft vorbereitet wird, das sich jedoch Affen und Schweine widerrecht-
lich angeeignet haben, so ist die Schönheit des Hauses und seine Vollkommenheit
von zweierlei abhängig. Erstens: dem Hinaustreiben der Affen (und der Schwei-
ne), welche sich unerlaubterweise dort aufhalten. Zweitens: dem Einzug des recht-
mäßigen Besitzers.
D 218 Wenn wir uns einen oxidierten Spiegel vorstellen, dessen Reinheit von Rost
getrübt wird, der uns wiederum nicht erlaubt, unser Spiegelbild zu sehen, so wäre
der Spiegel vollkommen, würde er für die Aufnahme der Bilder vorbereitet, so daß
er sie wiedergeben könnte, wie sie sind. Zu dieser Vervollkommnung gehören
zweierlei Aufgaben. Erstens: die Reinigung und das Polieren des Spiegels, das
heißt die Beseitigung des Rosts, der nicht sein soll. Zweitens: Man sollte ihn so
A 41 hinstellen, daß er das Bild wiedergibt.
So verhält es sich auch mit der Seele des Menschen. Sie ist fähig, ein Spiegel zu
werden, den man in jedem Fall in Richtung des Wahren jedes Dinges aufstellen
kann. Wie bei dem Bild und dem Spiegel, so prägt sich auch der Seele der Abdruck
B 37 des Wahren ein, als ob sie mit einer ihrer Seiten mit diesem identisch ist, sich mit
ihrer anderen Seite aber von diesem unterscheidet. Die Vollkommenheit der Seele
besteht darin, eine solche Stufe (nämlich die Identität mit dem Wahren) zu erlan-
gen. Das ist das Spezifikum, durch das sie sich von den Tieren, die unter ihr stehen,
unterscheidet. Denn abgesehen vom Menschen entbehren alle Lebewesen dieser
Fähigkeit – in potentia et in actu. So entbehren auch Staub und Holz der Fähigkeit,
sich den Bildern anzugleichen und Spiegel für sich zu sein, während sie (diese
Fähigkeit) in der Tat unzertrennlich mit dem Wesen der Engel verbunden ist. Ähn-
Verhältnis des Wissens zum Handeln 109
lich verhält es sich auch mit dem Wasser, denn es reflektiert von Natur aus das Bild
in einer bestimmten Weise. So besitzt auch der Mensch diese Fähigkeit in potentia,
nicht aber in actu.
Wenn der Mensch gegen sich selbst ankämpft, bis er das, was er der Möglichkeit
nach besitzt, in actu herausbringt, so wird seine Seele vollkommena , und so er-
reicht er den Horizont der Engel. Wenn er aber seinen Begierden nachgibt, die
zur Anhäufung des Rosts auf dem Spiegel der Seele führen, so verfinstert sich sein
Herz, seine Dunkelheit verstärkt sich, und seine Fähigkeit (zum Guten) erlahmt
gänzlich. Er steigt dann auf die Stufe des Viehs hinab und wird von seinem Glück
und seiner Vollkommenheit auf ewig ausgeschlossen, so daß es keine Rückkehr
mehr gibt.
Also bedeutet Handeln, die Begierde zu besiegen, indem das Bewußtsein der D 219
Seele zu der höheren göttlichen Stufe geführt wird, um die bösen Haltungen und
die schlechten Bande zu tilgen, die sie an die niedrigste Stufe binden. Erst wenn
diese Verhältnisse beseitigt oder abgeschwächt werden, wendet sich die Seele dem
Nachdenken über die göttlichen Wahrheiten zu.
Von der Seite des erhabenen Gottes her strömen alsdann dem Menschen diese
edlen Dinge zu, genauso wie sie den Gottesvertrauten, den Propheten und den
Aufrichtigen zufließen. Das ist eine ertragreiche Jagd, je nachdem, wie man von
Gott beschenkt wird. Je besser man die Grundlagen dafür beherrscht, um so grö-
ßer wird die Gabe Gottes. Je mehr man zusätzliche Mittel dazu besitzt, um so
erfolgreicher wird das Jagen. So verhält es sich auch beim Jagen nach einem hö-
heren Gewinn im Handel und beim Erjagen der Erkenntnis der eigenen Seele. A 42
Denn derjenige, der sich (beim Nachdenken) ein wenig anstrengt, kann viel-
leicht mit Hilfe natürlicher Klugheit den Horizont der selbständig denkenden
Rechtsgelehrten (muǧtahid) überschreiten.
So ist in der ursprünglichen Natur 50 des Menschen die Reinigung der Seele von
diesen (materiellen) Verstrickungen sehr unterschiedlich, wie auch der Grad der
Bemühungen. Dadurch entstehen unzählige Unterschiede. So ist es mit der jensei-
tigen Glückseligkeit. Daß diese Barmherzigkeit vom erhabenen und allmächtigen
Gott in die Seele einströmt, ist der Gipfel allen Strebens. Es ist die eigentliche
Glückseligkeit, die die Seele nach dem Tode erlangen kann, welche jedoch von
der Bedingung abhängig ist, daß die (materiellen) Bindungen beseitigt und die
schlechten Eigenschaften getilgt werden, die sich in der Seele – dadurch, daß sie
den Begierden folgt – festgesetzt haben.
Das Handeln bezieht sich also auf den inneren Kampf gegen die eigene Seele
durch die Beseitigung dessen, was nicht sein soll. Wenn es darum geht, gegen das
Nachgeben gegenüber den Begierden anzukämpfen, so zeigt sich die Tugend die- B 38
ses Kampfes. Wenn man ihn mit dem Erlangen dessen, was sein soll, vergleicht, so
ähnelt das Verhältnis der Stufe dieses Kampfes zum Handeln dem Verhältnis der
Bedingung zum Bedingten, dem des Dieners zum Dienstherrn und dem Verhältnis D 220
dessen, was zu anderen Zwecken verfolgt wird, zu dem, was um seiner selbst willen
erstrebt wird. Darauf verweist der Prophet – Friede und Gottes Segen seien mit
a
„bis er das, was er der Möglichkeit nach besitzt …, … vollkommen“ lediglich bei S u. E.
110 Verhältnis des Wissens zum Handeln
ihm –, wenn er sagt: „Der Glaube läßt sich in siebzig und mehr Tätigkeitsbereiche
einteilen. Das niedrigste ist das Räumen des Weges von Ärgernissen.“ 51 Der inne-
re Kampf durch die Verrichtung religiöser Pflichten zielt meistens darauf, Ärger-
A 43 nisse aus dem Weg zu räumen. Einer könnte sagen, daß damit gemeint ist, Glas,
Knochen und Steine vom Weg zu entfernen. Dies ist für viele das Naheliegendste.
Ein anderer könnte sagen, daß sich hier das Verständnis der Menschen je nach
ihrer Rangordnung unterscheidet. Deshalb sagt der Gesandte – Friede sei mit
ihm –: „Gott möge denjenigen beglücken, der meine Rede hört und sie begreift.
Dann verhält er sich ihr entsprechend. Möglicherweise gibt es einen (islamischen)
Rechtsgelehrten, der jemandem die Rechtswissenschaft beibringt, der keine Ah-
nung von dieser Wissenschaft hata . Möglicherweise gibt es aber auch einen (isla-
mischen) Rechtsgelehrten, dessen Zuhörer mehr Wissen über die Rechtswissen-
schaft haben als er selbst.“ 52
Wenn es nicht etwas in seinen Worten gäbe, was sich dem Verständnis eines
Nichtjuristen spontan anders erschließt als dem eines Juristen, so hätte er seine
Empfehlungen nicht so bekräftigt. Wenn die Masse berücksichtigt wird, wüßte
ich doch gern, ob sie auf Seite des Juristen oder auf Seite desjenigen, der noch
mehr weiß, oder auf der Seite eines anderen steht. Dies aber ist sehr selten (daß
die Masse auf Seite des Juristen steht). Oft aber steht sie gegen (die Meinung des)
Juristenb . Denn das, was sich dem Verständnis der Massen spontan öffnet, steht
beinahe jenseits des Wahren und liegt im Verständnisbereich des Rechtsgelehrten
und desjenigen, der noch mehr als er davon versteht – und dies insbesondere dann,
wenn es sich um einen Begriff handelt, der keine ausdrückliche Spezifikation ent-
hält. Denn der Begriff „Ärgernis“ ist von allgemeiner Bedeutung; so auch der
Ausdruck „Weg“. Wenn etwas Spezifisches gemeint wäre, so würden „Glas“ oder
„Unrat“ erwähnt, und damit würde auf die Dinge, die ihnen ähnlich sind, verwie-
B 39 sen. Diese äußere Bedeutung (Beseitigung des Unrats) fällt auch unter den all-
gemeinen Ausdruck. Denn durch dieses Handeln (die Beseitigung von Ärgernis-
D 221 sen) bessert sich der Mensch auch selbst, erzieht seine Gesinnung und reinigt seine
Seele von den Untugenden der Sorglosigkeit, der Härte und des Mangels an Mit-
leid, wie wir sie ausführlich im Kapitel über die böse und die gute Gesinnung
darlegen werden.
So weißt du (nun), daß die Glückseligkeit der Seele in ihrer Vollkommenheit
liegt, und daß ihre Vollkommenheit darin besteht, daß sie von den Wahrheiten der
A 44 göttlichen Dinge geprägt wird und sich mit diesen vereinigt, als ob sie mit ihnen
identisch seic . Dies kann durch nichts anderes erreicht werden als durch die Rei-
nigung der Seele von den bösen Haltungen, die durch Begierde und Zorn hervor-
gerufen werden.
a
„…, der jemandem die Rechtswissenschaft …, der keine Ahnung … hat“ bei S u. E. Bei den
übrigen: „der eigentlich kein Rechtsgelehrter ist.“
b
„Dies aber ist sehr selten …“ fehlt lediglich bei D.
c
Bei S u. E. Bei allen übrigen: „…, daß die Glückseligkeit der Seele und ihre Vollkommen-
heit, …“
Verhältnis des Wissens zum Handeln 111
Diese Reinigung erlangt man durch inneren Kampf und Handeln. Das Handeln
führt zur Reinheit, und diese ist Bedingung für die Erlangung der Vollkommen-
heit. Deshalb sagt der Prophet – Friede sei mit ihm –: „Die Religion (des Islam)
beruht auf der Reinheit.“ 53
A 45 VII.
B 40
Über den Unterschied zwischen dem Weg der Sūfı̄s
zum Wissen und dem der anderen 54 ˙
Wisse, daß in bezug auf das Handeln bei allen (Sūfı̄s und Nicht-Sūfı̄s) Überein-
stimmung herrscht, so auch darüber, daß es selbst ˙ als Ziel erstrebt
˙ wird, um die
schlechten Charaktereigenschaften zu tilgen /und die Seele von der bösen Gesin-
nung zu reinigen.
Aber was das Wissen anbetrifft, so sind sie uneinig. Darin unterscheiden sich die
Wege der Sūfı̄s von denen der Denker anderer Wissenschaftsrichtungen. Denn die
˙ nicht zur Aneignung der Wissenschaften an, zu deren Studium oder
Sūfı̄s spornen
˙zum Erlernen dessen, was auf der Suche nach den Wahrheiten der Dinge geschrie-
D 222 ben wurde, sondern sie sagen: Der Weg (zum wahrhaftigen Wissen) besteht zu-
allererst darin, sich zu bemühen, die bösen Eigenschaften zu beseitigen/a , alle
weltlichen Verstrickungen aufzulösen und sich mit aller Entschlossenheit dem er-
habenen Gott zuzuwenden. Wann immer dies geschieht, strömt dem Menschen die
Barmherzigkeit Gottes entgegen, enthüllt sich ihm das Geheimnis des Königreichs
(Gottes) und offenbaren sich ihm die Wahrheiten. Nur durch völlige Läuterung,
innere Bereitschaft, aufrichtigen Willen und brennenden Durst sollte man sich für
die Erwartung dessen, was der erhabene Gott an Barmherzigkeit verleiht, vor-
bereiten. Denn den Propheten und den Gottesvertrauten sind die Dinge offenbar,
und ihre Seelen sind glücklich, weil sie die für sie mögliche Vollkommenheit nicht
durch Erlernen erlangen, sondern durch Weltentsagung, Abwendung und Lossa-
gung von den Bindungen an die Welt und durch entschlossene Hinwendung zum
erhabenen Gott.
Wer auf Gottes Seite steht, auf dessen Seite steht auch Gott. Als ich mich ent-
B 41 schlossen hatte, mit aufrichtigem Willen diesen Weg zu beschreiten, zog ich einen
führenden Sūfı̄ über das regelmäßige Koranlesen zu Rate. Er hielt mich davon ab
˙
und sagte: „Der Weg dazu ist, daß du deine Bindungen an das Diesseits völlig löst,
so daß dein Herz weder Angehörige noch Kinder, weder Reichtum noch Vater-
land, weder Wissenschaft noch Macht beachtet. Vielmehr sollst du in einen Zu-
stand geraten, in dem dir die Existenz oder Nichtexistenz solcher Dinge gleichgül-
A 46 tig ist. Dann sollst du dich, mit dir selbst alleingelassen, in eine kleine Moschee
begeben und dich nur auf den Gottesdienst, das heißt auf die religiösen und die
zusätzlichen Pflichten (Sunna) beschränken; dort sollst du mit unbekümmertem
Herzen sitzen und mit der gesamten Entschlossenheit deines Willens dich der An-
D 223 rufung des Namens des erhabenen Gottes (dikr) 55 widmen. Dies geschieht anfangs,
indem du mit deiner Zunge regelmäßig den¯ Namen des erhabenen Gottes rufst, so
daß du mit wachem, erkennendem Herz „Allāh“, „Allāh“ wiederholst, bis du in
a
/…/ fehlt lediglich bei S. „und die Seele von der bösen Gesinnung zu reinigen“ fehlt bei E.
Weg der Sūfı̄s und der anderen 113
˙
einen Zustand gelangst, in dem dir, solltest du mit dem Bewegen der Zunge auf-
hören, das Wort wegen starker Gewöhnung wie von selbst von deiner Zunge fließt.
Dann wiederholst du regelmäßig das Schlagen der Zunge, bis dessen Wirkung
nicht mehr spürbar ist und du – ohne deine Zunge zu bewegen – dich selbst und
dein Herz unablässig in der Anrufung des göttlichen Namens wiederfindest. Du
fährst damit fort, bis es in deinem Herzen nichts mehr außer dem Sinn des Namens
gibt und dir weder die Buchstaben des Ausdrucks noch die Formen des Wortes ins
Bewußtsein kommen. Vielmehr bleibt der reine Begriff notwendig gegenwärtig
und beständig in deinem Herzen. Bis zu dieser Stufe bist du in deinem Handeln
frei. Danach hast du keine Wahl mehr, es sei denn, du verharrst fortwährend auf
dieser Stufe, um Versuchungen zurückzuweisen, die dich davon abbringen könn-
ten. Danach ist dein Handeln nicht mehr freiwillig, und es bleibt dir nur die Er-
wartung dessen, was sich den Propheten und den Gottesvertrautena an Erleuch-
tungen eröffnet. Diese sind ein Teil von dem, was den Propheten offenbart wirdb .
Es kann sein, daß diese Offenbarungen wie ein blendender Blitz nicht von Dauer
sind, sich aber wiederholen. Möglicherweise kommen sie erst spät. Kehren sie
zurück, so kann es sein, daß sie bleiben; möglicherweise werden sie aber auch
wieder zurückgenommen. Sind sie erst da, können sie von Dauer sein, möglicher- B 42
weise aber auch nicht. Es kann sein, daß sie in regelmäßigen Abständen aufein-
anderfolgen. Es kann auch sein, daß die Erleuchtungen sichc auf eine Erschei-
nungsform beschränken. Die Aufnahmefähigkeit der Gottesvertrauten variiert,
und ihre Rangstufen sind unzählig, weil ihre Gesinnung und ihre Charaktereigen-
schaften unterschiedlich sind. Das ist die Methode der Sūfı̄s.
Sie führen die Lösung des Problems auf eine absolute˙ Reinigung deinerseits, auf
Läuterung und Klärung, und dann auf Bereitschaft und Erwartung zurück.
Die spekulativen Denker aber bestritten nicht, daß ein solcher Weg vorhanden
ist, und auch nicht, daß er zum Ziel führt, welches das höchste Erlebnis der Gottes- D 224
vertrauten und der Propheten ist. Aber sie empfanden diesen Weg als schwer, und
sie hielten es für unwahrscheinlich, daß er zum Ziel führen würde. Sie behaupten
nämlich, daß es beinahe unmöglich sei, allein durch Selbstanstrengung bis zu die-
sem Grad alle Bindungen (an das Weltliche) zu tilgen. Wenn es aber in einem Falle A 47
doch erreichbar wäre, so wäre es um so ungewisser, ob dieser Zustand andauern
würde. Dennd die kleinste Versuchung und der geringste Gedanke würden stören.
Bei dieser Anstrengung könnte das Gemüt Schaden erleiden, der Verstand wirr
werden, der Körper erkranken und dies schließlich zur Melancholie führen. Wenn
die Seele sich nicht an den wahrhaftigen Wissenschaften schulte, so könnten durch
das Gemüt Visionen auf sie kommen, die sie für wahr hielten.
Wie oft lebt ein Sūfı̄ zehn Jahre lang mit einer Vision, bis er sich davon befreien
kann. Hätte er aber ˙ zuerst die Wissenschaften beherrscht, so hätte er sich ihrer
unverzüglich entledigt. An erster Stelle sollte man sich, indem man das Kriterium
a
„den Gottesvertrauten“ lediglich bei S.
b
„Diese sind ein Teil …“ fehlt lediglich bei S.
c
Bei S, E und Ae. Bei den übrigen: „…, daß die Erleuchtung sich nicht …“
d
„Denn“ lediglich bei S u. E.
114 Weg der Sūfı̄s und der anderen
˙
des Wissens erkennt, mit dem Studium der Wissenschaften beschäftigen und sich
deren ausführliche Beweisführungen aneignen. Denn dies führt auf eine genauso
sichere Weise zum Ziel wie die Selbstanstrengung, durch die man die Läuterung
der Seele erlangt.
Der Gesandte Gottes – Friede sei mit ihm – war von geläuterter Seele ohne
Selbstanstrengung. Möchte man aber die gleiche Stufe allein durch einfache Exer-
zitien erlangen, so geht diese Erwartung zu weit. In der Seelea selbst muß man sein
Möglichstes tun und die wahrhaftigen Wissenschaften 56 durch zielstrebiges Suchen
und beharrliches Nachdenken erwerben. Dies geschieht, indem man zuerst das
erreicht, was schon die Früheren erlangt haben. Danach ist nichts dagegen ein-
D 225 zuwenden, auf das zu warten, was den Forschern unter den Gelehrtenb noch nicht
offenbart wurde. Denn das, was den Menschen von den göttlichen Dingenc noch
nicht offenbart wird, ist viel mehr als das, was ihnen offenbart wurde. Darin liegt
der Unterschied zwischen den beiden Zuständend .
Dazu fällt mir ein Beispiel ein, bei dem nicht ausgeschlossen ist, daß es die
Menschen mit begrenztem Verstand, die der sinnlich wahrnehmbaren Beispiele
bedürfen, anregt, die Vernunftwahrheiten zu begreifen. Außerdem verdeutlicht
es den Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Man erzählt, daß Chinesen
B 43 und Römer vor einem König um die beste Fertigkeit im Zeichnen und Malen wett-
eiferten. Der König entschloß sich, ihnen einen Steinquader zu geben, dessen eine
Seite die Chinesen, dessen andere die Römer bemalen sollten.
A 48 Zwischen ihnen sollte ein Vorhang heruntergelassen werden, um die Gruppen
daran zu hindern, einander zu beobachten. Sobald sie fertig wären, sollte der Vor-
hang gelüftet, beide Seiten betrachtet und festgestellt werden, welche der beiden
Gruppen gewonnen habe. Dies geschah. Die Römer sammelten unzählig viele sel-
tene Farben, während die Chinesen hinter dem Vorhang, ohne Farben zu benut-
zen, ihre Seite polierten und glänzend machten, wobei sie (die Zuschauer) sich
darüber wunderten, daß sie keine Farben verlangten. Als die Römer fertig waren,
behaupteten die Chinesen, daß auch sie fertig wären. Man fragte sie (die Chine-
sen): „Wie könnt ihr fertig sein, wenn ihr weder einen Farbstoff benutzt noch ge-
malt habt!“ Sie erwiderten: „Seid unbesorgt! Lüftet den Vorhang, und wir bewei-
sen unsere Behauptung.“ Sie lüfteten den Vorhang. Alsdann fand man ihre Seite
strahlend und voller seltsamer römischere Farben. Denn sie wirkte wie ein Spiegel
D 226 in ihrer Reinheit und Klarheit. Die Seite (der Chinesen) zeichnete sich durch mehr
Reinheit aus; auf ihr erschien, um was sich auch die Römer bemüht hatten.
So verhält es sich mit der Seele in bezug auf das Aufzeichnen des göttlichen
Wissensf . Du hast zwei Möglichkeiten, dir diese Prägung selbst zu verschaffen:
a
„In der Seele“ fehlt lediglich bei E.
b
Nach S u. E. Nach A, Ae, B u. K: „was den Gelehrten (D: den Menschen), die nach den gött-
lichen Dingen suchen, noch nicht offenbart wurde.“
c
„von den göttlichen Dingen“ lediglich bei S u. E.
d
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Gruppen“.
e
„römischer“ fehlt bei D.
f
Bei S. Bei allen übrigen: „Betrachte die Seele als jene Stelle, in die sich das göttliche Wissen
einzeichnet.“
Weg der Sūfı̄s und der anderen 115
˙
Die erste ist die Aneignung des Zeichnens selbst (das heißt die Kunst) wie bei
den Römern. Die zweite ist die Bereitschaft, die Zeichnung von außen aufzuneh-
men. Mit „außen“ sind die aufbewahrte Tafel (al-lauh al-mahfūż) 57 und die Seelen
˙
der Engel gemeint. Auf sie ist das wahrhaftige Wissen ˙
tatsächlich dauerhaft ge-
malt, ebenso wie in deinem Kopf der gesamte Koran aufgezeichnet ist, wenn du
ihn – wie auch alle deine Kenntnisse – auswendig gelernt hast. Damit ist aber nicht
ein sinnlich wahrnehmbares und sichtbares Zeichnen gemeint, sondern ein geisti-
ges, dessen Existenz von demjenigen geleugnet wird, dessen Empfindung auf die
sinnlich wahrnehmbaren Dinge beschränkt ist und sich darüber nicht erhebta .
a
Bei S. Bei den übrigen: „der sich nicht durch die Niedrigkeit seiner Seele auf die sinnlich wahr-
nehmbaren Dinge beschränkt und sich darüber nicht erhebt.“
A 49 VIII.
B 46
Über den besten dieser beiden Wege
Wenn du sagst: Du hast zwei verschiedene Wege bereitet, die zur Glückseligkeit
führen; welchen Weg hältst du für den besseren? So wisse, daß die Beurteilung
solcher Dinge sich nach der Anstrengung richtet, die von der Lage und der Situa-
tion des selbständig Denkenden abhängig ist. Was mir richtig erscheint und bei
Gott ist das Wissen darübera , ist die Tatsache, daß ein absolut bejahendes oder
verneinendes Urteil falsch ist; vielmehr hängt ein Urteil von den jeweiligen Per-
sonen und Fällen ab.
D 227 Jeder also, der im Erwachsenenalter einen solchen Weg beschreiten möchte,
sollte sich eher auf den Weg der Mystiker (Sūfı̄) beschränkenb , der Ausdauer in
den religiösen Pflichten und Lösung von allen ˙ (weltlichen) Bindungen fordert.
Denn die Suche nach den erlernbaren Wissenschaften, um fundierte geistige Fä-
higkeiten 58 in der Seele zu verankern, ist schwer. Dies ist nur in der Blüte der
Jugend möglich, denn das Lernen in der Jugend ist wie das Zeichnen auf dem
Stein. Für den Greis ist es mühselig, sich in den Wissenschaften zu üben. Einer
wurde gefragt, der einen Greisen unterrichtet, was machst du? Er erwiderte: „Ich
wasche einen alten verschlissenen Wollstoff aus; es ist möglich, daß er weiß
wird!‘‘c . Daraus geht hervor, daß es für die meisten Menschen angemessener ist,
sich mit dem Handeln zu beschäftigen und sich auf jenes Wissen zu beschränken,
mit dessen Hilfe man das (richtige) Handeln erkennt. Denn die Mehrheit der Men-
schen achtet in der Blüte ihrer Jugend nicht darauf. Beherzigt man dies in der
Blüte der Jugend, so sollte man die eigene Natur und die eigene Intelligenz be-
rücksichtigen. Wenn sich herausstellt, daß man unfähig ist, die subtilen rationalen
Wahrheiten zu begreifen, so muß man sich eher dem Handeln widmen, da es kei-
nen Sinn hat, sich dann mit den theoretischen wahrhaftigend Wissenschaften zu
beschäftigen. Dies betrifft die Mehrheit jener wenigen Menschen, die wir unter-
sucht haben.
Wenn man zwar klug und für die Wissenschaften aufnahmefähig ist, es im eige-
nen Lande oder Zeitalter aber keinen selbständigen theoretischen und wahrhafti-
gene Wissenschaftler gibt, der sich über die Stufe der Nachahmung seiner Vorgän-
ger erhebt, so ist es angemessener, sich mit dem Handeln zu beschäftigen, insofern
a
Bei D lediglich: „und was bei Gott wahr ist …“
b
Bei S. Bei E: „so ist ihm der Weg der Mystiker passender.“ Bei A, Ae, B u. K: „erhöht sich, und
er sollte sich mit dem Weg der Mystiker begnügen.“ D: „sollte sich von dem Weg der Sūfı̄s über-
zeugen lassen.“ ˙
c
Nach S u. E. Nach D: „Eine angesehene Person wurde gefragt: ‚Wenn man im greisen Alter
lernen möchte, was soll man tun?‘ Er erwiderte: ‚Wasche einen alten …‘“ Nach den übrigen: „Ein
Greiser wurde gefragt: ,Wenn man im greisen Alter lernen möchte …‘“
d
„wahrhaftigen“ lediglich bei S.
e
„wahrhaftigen …“ lediglich bei S u. E.
Der beste der beiden Wege 117
als die theoretischen Wissenschaften nur durch einen Lehrer erlernbar sind. Denn
es liegt nicht in der Fähigkeit einer einzelnen Person, zu diesen Wissenschaften zu A 50
gelangen, es sei denn, nur zu wenigen in einem langen Zeitraum. Deshalb würde
der klügste Mensch ein langes Leben brauchen, um ein Heilmittel gegen eine ein-
zige Krankheit zu finden, geschweige denn gegen alle, wenn nicht zum Beispiel die
Wissenschaft der Medizin präzisiert, systematisiert und durch sich gegenseitig stüt-
zende Gedanken abgesichert und über lange Zeiten vorangetrieben worden wäre. B 47
Meistens fehlt in den Ländern ein solcher selbständiger Wissenschaftler.
Es bleiben also nur wenige von Wenigen. (Einer von diesen zeichnet sich durch D 228
folgende Charakteristika aus:) Es handelt sich um einen klugen Menschen, der in
der Blüte seiner Jugend darauf aufmerksam wurde, indem er bereit war, die Wis-
senschaften zu verstehen, und zufällig einem Gelehrten begegnete, einem wahr-
haftigen und nicht nur dem Namen nach selbständigen Wissenschaftler, der sich
bemühte, verantwortungsbewußt nicht nur der äußeren Form zu genügen, wie du
es bei den meisten Gelehrten siehst. Denn diese sind entweder Nachahmer der
Hauptlehrmeinungen oder der Hauptlehrmeinungen und ihrer Argumentationen,
so wie sie sie von deren Urheber übernommen haben.
Jeder, der nachahmt, ist blind. Es gibt also nichts Gutes in der Nachahmung 59
der Blinden und ihrer Anhängera . Oder es handelt sich um einen jungen Men-
schen, der im Streben nach den Wissenschaften aufgewachsen und klug geworden
ist, indem er, nachdem er sich in die verschiedenen Wissenschaften eingeübt hatte,
innerhalb seiner speziellen Wissenschaft auf das bloße Nachahmen aufmerksam
geworden ist. Ein solcher Mensch ist bereit, beide Wege zu gehen. Deshalb sollte
für ihn der Weg des Lernens Priorität haben, um von den wahrhaftigenb Wissen-
schaften, die auf Argumentationen beruhen, das zu erlangen, was menschliches
Vermögen durch Anstrengung und Lernen erfassen kann. Denn hierfür genügen
die Anstrengungen der Vorgänger. Wenn er dies gemäß seinen Fähigkeiten erwor-
ben hat, so daß von den Wissenschaften dieser Art nichts mehr übrigbleibt, was er
nicht schon erlangt hat – so wäre nichts einzuwenden gegen den Rückzug von den
Menschen, die Abkehr vom Diesseits, die völlige Hingabe an Gott und die Erwar-
tung dessen, was sich ihm möglicherweise auf diesem Weg offenbart und was dem
Beschreiter dieses Weges (der Mystik) zweifelhaft war. So sehe ich es. Das Wissen
aber liegt allein bei Gott. Es könnte daraus gefolgert werden, daß es für die mei-
sten Menschen richtig ist, sich mit dem Handeln zu beschäftigen.
Zum Handelnc gehört das praktische Wissen. Ich meine damit das Wissen über D 229
die Art des Handelns. Denn das praktische Wissen ist nicht edler als das Handeln. A 51
Vielmehr steht es eine Stufe tiefer, da es um des Handelns willen erworben wird,
nicht wie dasjenige Wissen, das um seines Inhalts selbst willen erstrebt wird – wie
das Wissen um Gott, seine Eigenschaften, seine Engel, seine Bücher und seine
Gesandten, wie das Wissen über die Seele und ihre Eigenschaften und wie das
a
Nach S u. E. Bei den übrigen: „Wer einen Blinden nachahmt, der findet nichts Gutes in der
Nachahmung der Blinden und ihrer Anhänger.“
b
„wahrhaftigen“ lediglich bei S u. E.
c
Bei den Handschriften: „Zum Wissen …“, jedoch spricht der Zusammenhang mehr für die oben
erwähnte Variante.
118 Der beste der beiden Wege
Wissen über die Königreiche von Himmel und Erde und anderes. Diese Wissen-
schaften sind theoretisch und nicht praktisch, auch dann nicht, wenn man zufällig
und unbeabsichtigt aus ihnen Nutzen für das Handeln ziehen kann. Weil für die
meisten Menschen das Handeln der richtige Weg ist, hat der Prophet – Friede sei
mit ihm – diesen ausführlich und genau untersucht, bis hin zur Unterweisung der
Menschen in der (rituellen) Reinigung und in den Arten ihres Gebrauchs. In den
Fällen, in denen er auf theoretisches Wissen einging, stellte er es zusammenfassend
dar und führte es nicht im einzelnen aus. Er erwähnte von den Eigenschaften Got-
tes nur folgendes: „Es gibt nichts, was ihm gleichkommen würde. Er ist der, der
B 48 (alles) hört und sieht.“ 60 Dennoch hat er das Wissen, nachdem er es zusammenfas-
send dargelegt hatte, unzählige Male gepriesen und gerühmt und in den Vorder-
grund gestellt, zum Beispiel durch seine Worte: „Eine Stunde lang zu meditieren
ist besser als siebziga Jahre Gottesdienst“ 61 , und durch seine Worte: „Der Vorzug
des Gelehrten gegenüber dem Frommen entspricht dem Vorzug des Vollmondes
gegenüber allen Gestirnen“ 62 – und anderes, was überliefert worden ist.
Dieses dem Handeln vorangestellte Wissen bezieht sich entweder auf die Art
des Handelns, das ist die Wissenschaft vom islamischen Recht und von den Gottes-
diensten, oder es bezieht sich auf ein anderes Wissen. Aus zweierlei Gründen kann
nicht das erste gemeint sein:
D 230 Erstens hat der Prophet dem Gelehrten den Vorzug vor dem Frommen gegeben,
welcher das Wissen über den Gottesdienst beherrscht. Wenn er ignorant ist, so ist
er boshaft und sündhaftb .
Zweitens kann das Wissen über das Handeln nicht edler als das Handeln selbst
sein, weil das praktische Wissen nicht für sich, sondernc zum Zweck des Handelns
erstrebt wird. Was aber zum Zweck einer anderen Sache erstrebt wird, kann nicht
edler als diese sein.
a
Bei S u. E. Bei A, Ae und K: „ein Jahr …“ und bei D: „sechzig …“
b
Nach S u. E. Bei Ae: „ansonsten ist er schimpflich und frevelhaft …“ Bei A u. B: „ansonsten ist
er ein frevelhafter Gottesdiener …“ Bei D: „ansonsten ist er aber boshaft und sündhaft.“
c
„nicht für sich, sondern …“ fehlt lediglich bei S u. E.
IX. A 52
B 49
Über die Arten jenes Wissens und Handelns,
welche zum Paradies führen
Wenn du sagst, daß es viele Arten von Wissenschaften gibt und ebenso viele For-
men des Handelns und nicht alle erstrebt werden, was ist dann die sinnvollste Art,
sich damit zu beschäftigen?
Darauf sage ich, daß das Wissen sich in ein praktisches und ein theoretisches
aufteilt. Das theoretische ist umfangreich. Aber jede Wissenschaft, die man sich
je nach Zeiten, Städten und Nationen als veränderbar vorstellt, verleiht der Seele
keine Vollkommenheita . Wir verlangen von dieser Wissenschaft, daß sie der Seele
dazu verhilft, die Vollkommenheit zu erreichen, damit sie dadurch glücklich wird
und sich ewig dessen erfreut, was sie an Pracht und Schönheit besitzt. So fallen
nach dieser Definition das Wissen über die Sprachen und die Phonetik nicht unter
diese Bestimmung, wie etwa das Wissen über die Lexikographie, die Vokalisation,
die Grammatik, die Dichtung, die Kunst des Briefschreibens, die Etymologie und
die Semantik.Wenn man eine dieser Wissenschaften braucht, so erlernt man sie
nicht um ihrer selbst willen, sondern als Mittel zum Zweck, dem erwünschtenWis-
sen. Wir sind aber jetzt bei der Darlegung des erwünschten Wissens als Ziel.
Denn wenn wir die Pilgerfahrt (al-haǧǧ)b bestimmen wollen, so müssen wir D 231
˙
nicht auf Sandalen und Feldflasche eingehen, auch dann nicht, wenn man sie
braucht, um überhaupt pilgern zu können. Aber wir ziehen alsoc diejenigen Wis-
senschaften vor, deren Inhalt immer und ewig bleibt, die weder vergehen noch sich
verändern. Eine solche Wissenschaft, wie zum Beispiel die Wissenschaft von Gott
und seinen Eigenschaften, seinen Engeln, seinen Büchern und seinen Gesandten,
den Königreichen von Himmel und Erde, den Wundern der menschlichen und
tierischen Seelen, kann sich nicht durch den Ablauf von Epochen und das Ver-
gehen von Nationen verändern, insofern als sie nicht von sich selbst, sondern von
dem göttlichen Willen abhängigd ist. Denn das höchste Ziel ist das Wissen über
Gott. Es ist notwendig, etwas über die Engel Gottes zu wissen, weil sie Vermittler
zwischen Gott und dem Propheten sind. Auch das Wissen über die Prophetie und
den Propheten ist erforderlich, weil der Prophet ein Vermittler zwischen den Men-
schen und den Engeln ist, wie der Engel ein Vermittler zwischen Gott und dem A 53
Propheten; und so verhält es sich fortwährend bis zum Schluß der theoretischen B 50
Wissenschaften, deren Ziel und Ende das Wissen über Gott, den Erhabenen und
a
„verleiht der Seele …“ bei S u. E. Bei den übrigen: „ist nicht überlieferbar und bleibt auch nicht
ewig in der Seele.“
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „wenn wir das Wesen der Pilgerfahrt …“
c
„also“ lediglich bei S u. E.
d
Bei allen außer D: „insofern sie durch den göttlichen Willen eingerichtet worden sind, …“
120 Wissen und Handeln, das zum Paradies führt
Allmächtigen, ist. Aber dazu müßte man hier zu sehr ins Detail gehen, da die einen
dieser Wissenschaften zu den anderen führena . Daher würde eine Darlegung sehr
umfangreich sein.
Der zweite Bereich ist das praktische Wissen, welches aus drei Wissenschaften
besteht:
1. Die erste behandelt die Tätigkeit der Seeleb , ihre Eigenschaften und ihre
ethische Gesinnung, das heißt die geistige Übung und den Kampf gegen die Lei-
denschaft. Dies ist der wichtigste Gegenstand dieses Buches.
D 232 2. Eine weitere behandelt das Wissen über die Art des Lebens mit der Ehefrau,
den Kindern, den Dienern und Sklaven. Denn auch sie sind deine Diener, ver-
gleichbar mit deinen Gliedmaßen, Charaktereigenschaftenc und den Kräften (dei-
nes Körpers). Wie Begierde, Zorn und ähnliches Verhaltensmaßregeln brauchen,
so muß es auch Verhaltensmaßregeln für jene geben.
3. Für das Regieren sowie für die Verwaltung der Einwohner eines Landes und
seiner Bezirke bildet die Wissenschaft des islamischen Rechts die Hauptgrund-
lage 63. Ausgenommen ist jener Bereich der Kulthandlungen aus der Gesamtheit
aller Kulthandlungen, der sich auf die Seele bezieht, wozu auch die Verhaltens-
regeln im Bereich des Rechtswesens zählen. Diese Wissenschaft ist nur dann voll-
ständig, wenn man die Bereiche, die sich auf Heiraten, Verkaufen und Grundsteu-
ern beziehen, kennt.
Die wichtigsten aller dieser Wissenschaften sind die Erziehung der Seele, die
Beherrschung des Körpers und die Bewahrung des Ausgleichs dieser Charakter-
eigenschaften. Wenn diese Charaktereigenschaften ausgeglichen sind, führt das
zur Gerechtigkeit gegenüber Frau und Kind und darüber hinaus gegenüber allen
Einwohnern des Landes. Denn: „Ihr seid alle Hirten und jeder Hirt ist für seine
Schutzbefohlenen verantwortlich.“ 64 Alles andere verhält sich zum Erwähnten wie
die Armensteuer zum Grundbesitz, das Licht zur Sonne und der Schatten zur Per-
sond . Wie kannst du erwarten, daß der Schatten gerade ist, obwohl der Gegen-
stand, der den Schatten wirft, krumm ist? Wenn der Mensch nicht in der Lage ist,
sich selbst zu lenken und zu zügeln, wie kann er dann andere führen? Das ist die
Summe aller praktischen Wissenschaften. Wir gehen jetzt auf die Grundlagen
einer besonderen dieser politischen Wissenschaften ein, denn diese ist das Ziel
der Erörterung.
Die Gesamtheit derjenigen Kräfte, die erzogen werden müssen, umfaßt drei: die
D 233 Fähigkeit zum Denken, die Veranlagung zum Begehren und zum Zorn. Wann im-
A 54 mer das Denkvermögen erzogen und gefördert wird, wie es sein soll, erreicht man
damit die Weisheit 65 , über die Gott sagt: „Wem Weisheit zuteil wird, dem wird viel
Gutes zuteil …“ 66
B 51 Der Gewinn (des geförderten Denkvermögens) besteht darin, daß (diesem
a
E: „da die einen dieser Wissenschaften notwendige Folgen der anderen sind.“
b
„die Tätigkeit der Seele“ bei S u. Ae. „der Seele“ fehlt bei den übrigen.
c
„Charaktereigenschaften …“ nach allen drei Handschriften S, E u. Ae. Bei den übrigen: „deinen
Teilen …“
d
„zur Person.“ bei S u. E. Bei den übrigen: „zum Baum.“
Wissen und Handeln, das zum Paradies führt 121
D 235 Mit dem Kampf unter Einsatz der eigenen Person verweist er auf Tapferkeit und
Sanftmut, die aus der Besserung des Eifers folgen und ihn der Religion und der
Vernunft insofern gefügig machen, als der (gebesserte) Eifer von diesen erweckt
wird, sobald von seiten der Religion und der Vernunft Anlaß besteht, und ruht,
wann immer dieser Anlaß entfällt. Darauf verweist der erhabene Gott in seiner
Aussage: „Übe Nachsicht (und Verzeihung), gebiete das Rechte und meide die
Unwissenden.“ 71 In seiner Erörterung dazu sagt der Gepriesene: „Das bedeutet,
daß du dem verzeihst, der dir Unrecht zufügt, dem gibst, der dir etwas vorenthält,
Verbindung zu dem hältst, der mit dir bricht, und dem gegenüber gütig bist, der
dich schlecht behandelt.“ 72 Demjenigen zu vergeben, der dir Unrecht tut, ist der
höchste Grad der /Sanftmut und der/a Tapferkeit. Demjenigen zu geben, der dir
etwas vorenthält, ist der höchste Grad der Güte (und Großzügigkeit), und mit
demjenigen in Verbindung zu bleiben, der mit dir bricht, ist die höchste aller Wohl-
taten.
a
/…/ fehlt bei S.
X. A 56
B 53
Über Analogien zur Stellung der Seele zu den mit
ihr streitenden Kräften
Die Stellung der Seele des Menschen in seinem Körper ist analog zu der des Herr-
schers in seiner Stadt und in seinem Königreich. Die Kräfte und die Glieder, die
dem Körper dienen, entsprechen in ihrer Stellung derjenigen der Handwerker und
Arbeiter.
Das rational denkende Vermögen verhält sich zum Menschen wie ein aufrichti-
ger Ratgeber und kluger Wesir.
Die Begierde ist wie ein Sklave des Bösen, der dem König Vorräte und Nahrung D 236
bringt. Der Eifer ähnelt dem Leiter der Polizeikräfte des Königs. Der Sklave, der
Vorräte bringt, ist listig, betrügerisch, schlecht und sät Zweifel. Er gibt sich den
Schein eines Ratgebers. Hinter seinem Ratschlag verstecken sich jedoch die un-
heilbare Krankheit und das große Böse. Sein Prinzip ist, sich mit dem Minister
über die Verwaltung (des Königreichs) zu streiten, so daß keine einzige Stunde
vergeht, in der er nicht versäumt, sich den Ansichten des Ministers zu widersetzen
und mit ihm aneinanderzugeraten. Es herrscht Ordnung im Königreich durch die
Wahrung der Gerechtigkeit, wenn der Herrscher den Wesir (die Vernunft) zu Rate
zieht, wobei er die Meinung dieses listigen Sklaven (also der Begierde) nicht be-
achtet und indem er dessen Meinung als Hinweis darauf nimmt, daß das Gegenteil
das Richtige ist.
Diese Ordnung wird weiter herrschen, wenn er dem Befehlshaber seiner Polizei-
kräfte (dem Eifer) Anweisungen gibt, ihn seinem Wesir (also der Vernunft) gefü-
gig macht und ihn dessen Befehlen unterstellt, indem er ihn seinerseits gegen die-
sen listigen Sklaven (die Begierde), seine Anhänger und Helfer einsetzt, damit der
Sklave beherrscht wird und nicht selbst herrscht, den Befehlen und der Führung
unterstellt ist und nicht selbst Befehlshaber und Verwaltera wird. Genauso verhält
es sich mit der Seele. Wenn sie die Vernunft zu Hilfe ruft, den zornigen Eifer
erzieht, ihn gegen die Begierde einsetzt und die Hilfe der einen gegen die andereb
in Anspruch nimmt, zum einen dadurch, daß sie den Hochmut des Zorns und
dessen Übermaß verringert, indem sie die Begierde im Zaum hält und besiegt,
und zum anderen dadurch, daß sie Zorn und Eifer gegen sie einsetzt, ihre Beweg-
gründe für abscheulich erklärt und sich darüber erzürnt. Dann werden die Kräfte
des Menschen ausgeglichen, und seine ethische Gesinnung wird besser sein. Wer A 57
sich von diesem Weg abwendet, verhält sich so wie der erhabene Gott sagt: „Was D 237
meinst du wohl von einem, der seine (persönliche) Neigung zu seinem Gott ge-
macht hat und den Gott mit Bedacht irregeführt hat …“ 73 , und er sagt: „(Er) folgte
a
„und Verwalter“ fehlt bei S.
b
Nach S u. E. Bei den übrigen: „und die Hilfe der Vernunft gegen die übrigen Kräfte …“
124 Über Analogien zur Stellung der Seele zu den mit ihr streitenden Kräften
a
„führt zur Impotenz …“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „ist schwierig …“
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „ist schwierig …“
Über Analogien zur Stellung der Seele zu den mit ihr streitenden Kräften 125
werden, wie Gott selbst sagt: „Gott hat diejenigen, die mit ihrem Vermögen und
mit ihrer eigenen Person den heiligen Kampf führen, gegenüber denjenigen, die
daheim bleiben, um eine Stufe höher bewertet. Aber einem jeden hat Gott das D 239
Beste versprochen.“ 79 Wenn er aber seine Hafenstadt und seine Landsleute zu- B 55
grunde gehen läßt, so wird er für sein Handeln getadelt und bei seiner Begegnung
mit dem erhabenen Gott bestraft. Am Jüngsten Tag wird Gott sagen wie es über-
liefert wird: „O Hirte des Bösen! Du hast das Fleisch gegessen, die Milch getrun-
ken, die verirrten Schafe aber hast du nicht zurückgebracht; diejenigen, die gebro-
chene Gliedmaßen hatten, hast du nicht geheilt. Heute nehme ich Rache an dir.“
Mit der Zungea diesen Kampf zu ersinnen, ist Freude und Nahrung für den
Geist. Aber diesen Kampf wahrhaftig zu verwirklichen, wäre wie ein Todeskampf.
Dies weiß nur derjenige, der es sich selbst abverlangt, auf die Begierde zu verzich-
ten. Deshalb sagten die Gefährten des Propheten: „Wir sind von dem kleinen ǧi-
hād (dem heiligen Kampf) zu dem großen zurückgekehrt.“ 80 Sie nannten die Be-
kämpfung der Ungläubigen mit dem Schwert den kleinen Kampf. Der Gesandte
Gottes (Muhammad) – Friede sei mit ihm – wurde auch gefragt: „Welcher Kampf
˙
ist besser, o Gesandter Gottes?!“ Er antwortete: „Der Kampf (ǧihād) gegen deine
Leidenschaft.“ 81 Deshalb sagt er auch: „Der Starke ist nicht derjenige, der im Rin-
gen siegt. Vielmehr ist der wahrhaft Starke der, der sich im Zorn beherrscht.“ 82
Eine andere Analogie. Die Vernunft ähnelt einem Reiter auf der Jagd. Die Be-
gierde ist sein Pferd, der Zorn sein Hund.
Wenn der Reiter geschickt, sein Pferd trainiert und sein Hund erzogen, dressiert D 240
und gehorsam ist, so ist der Reiter des Sieges würdig. Aber wenn er selbst töricht, B 56
das Pferd widerspenstig und der Hund bissig ist – so daß sich weder das Pferd vom
Reiter willig antreiben läßt noch der Hund gehorsam seine Befehle befolgt –, so
verfehlt er sein Ziel und kann nicht das erbeuten, was er beabsichtigt hatte.
a
Bei allen, bei D: „Seele …“
A 59 XI.
B 57
Über die Rangstufen des Kampfes der Seele gegen die
Leidenschaft und über den Unterschied zwischen den
Anweisungen der Leidenschaft und denen der Vernunft
Wisse, daß es für den Menschen bei der Bekämpfung der Leidenschaft drei Rang-
stufen gibt:
Auf der ersten wird er von der Leidenschaft beherrscht, so daß sie sich seiner
(ganz) bemächtigt und er ihr nicht mehr widerstehen kann. Das ist der Zustand der
meisten Menschen, über welche der erhabene Gott sagt: „Was meinst du wohl von
einem, der seine (persönliche) Neigung sich zu seinem Gott gemacht hat?“ 83 Denn
der Sinn „Ilāh“ (Gott) besteht allein darin, daß man ihn verehrt 84 . Derjenige, der
verehrt wird, ist der, dessen Befehle befolgt werden. Wer unter allen Umständen
seinen körperlichen Wünschen und Gelüsten folgt, macht seine Leidenschaft zu
seinem Gott.
D 241 Auf der zweiten Rangstufe findet mit wechselndem Erfolg zwischen dem Men-
schen und seiner Leidenschaft ein Kampf statt. Einmal fällt die Entscheidung für,
ein anderes Mal gegen die Leidenschaft aus. Ein solcher Mensch ist ein muǧāhid
(das heißt Kämpfer für göttliche Angelegenheiten). Wenn er bei diesem Kampf
fällt, gehört er zu den Märtyrern, weil er sich gemäß dem Befehl des Gesandten –
Friede sei mit ihm – verhält: „Bekämpft eure Leidenschaften, wie ihr eure eigenen
Feinde bekämpft.“ 85 Abgesehen von den Propheten und Gottesvertrauten ist dies
die höchste Stufe für die Menschen.
Auf der dritten Rangstufe überwindet der Mensch seine Leidenschaft, so daß er
sie beherrscht und sie ihn auf keinen Fall überwältigen kann. Das ist das größte
Königreich, die vergegenwärtigte Glückseligkeit, die vollkommene Freiheit und
die Rettung von der Sklaverei. Deshalb sagt der Prophet – Friede sei mit ihm –:
„Jeder Mensch hat einen Satana . Gott hat mir gegen meinen Satan geholfen, bis
ich ihn beherrschen konnte.“ 86 Über 2Umar sagt er: „Jedesmal wenn 2Umar einen
B 58 Weg beschreitet, flieht der Satan zu einem anderen.“ 87 An dieser Stelle könnte
man auch einen Fehltritt begehen. Denn wie viele gibt es, die glauben, diese Stufe
erreicht zu haben; in Wirklichkeit aber sind sie widerspenstige Dämonen, denn sie
handeln nur gemäß ihrem eigenen Nutzen, rechtfertigen dies aber dahingehend,
daß ihr Handeln auf der Religion beruhe und daß ihr Streben nach diesen Zielen
nur um der Religion willen geschehe. Ich habe sogar Menschen gesehen, die pre-
A 60 digen, lehren, richten, die Kunst der Rede pflegen oder die verschiedenen Staats-
ämter innehaben, wobei sie aber jeweils ihren eigenen Leidenschaften folgen und
behaupten, ihr Beweggrund sei die Religion, ihr Motiv das Streben nach Lohn (im
a
Bei A, Ae, B, u. K: „…, und auch ich habe einen.“
Rangstufen des Kampfes gegen die Leidenschaft 127
Jenseits) und ihre Rivalität untereinander sei religiös begründet. Das ist der höch- D 242
ste Grad an Torheit und Verblendung.
Die Wahrhaftigkeit (im Handeln) erkennt man nur an folgendem Zeichen: Der
Gott wohlgefällige Prediger, wenn er um Gottes willen predigt, nicht aber um
Wohlgefallen zu finden, und wenn sein Ziel das Hinführen der Menschen zu Gott
ist, freut sich darüber, wenn ein anderer Prediger an seinen Platz tritt, der sich
durch eine bessere Lebensweise auszeichnet, mehr Wissen besitzt, über eine be-
redsamere Sprache verfügt und doppelt soviel wohlgefällige Aufnahme bei den
Menschen findet. Er dankt Gott dafür, daß er ihn durch einen anderen Fähigeren
von dieser Aufgabe entbunden hat. Ähnlich verhält es sich mit demjenigen, dem
auferlegt wird, in den heiligen Kampf gegen einen Ungläubigen zu ziehen und ihn
wegen seiner Abwendung vom Islam zu töten.
Wenn der Ungläubige aber von einem Blitz getroffen wird und verbrennt, ist die
Aufgabe bereits erfüllt. Der Lohn des heiligen Kampfes ist dem Gläubigen den-
noch sicher. In diesem Fall freut er sich und dankt dem erhabenen Gott. In diese
Situation kommen nur die Gottesvertrauten. Daraus könnte man für sich jederzeit
den Schluß ziehen, sich möglichst immer vor dem Fehler der Überheblichkeit zu
hüten und zu sagen: „Setzt mich (von meinem Amt) ab!a Denn ich bin nicht der
beste unter euch“, wie es von Abū-Bakr as-Seddı̄q 88 (dem Aufrichtigen) – Gott
möge Wohlgefallen an ihm haben – überliefert ˙ ˙ wird. Wenn man sagt: Wenn wir
vor einer solchen Verschleierung und Täuschung durch den Satan und dem Fest-
halten an der Verblendung – wie es von den Menschen, von denen wir gerade
sprachen, überliefert ist – nicht sicher sein können, wodurch können wir dann
zwischen den Anweisungen der Vernunft und denen der Leidenschaft unterschei-
den? So wisse, daß dies ein schwieriges Vorhaben ist. Man kann es nur durch die
wahrhaftigen Wissenschaften bewältigen. Es gibt keine bessere Antwort außer
der, die wir in unserem Buch „Das Kriterium des Wissens“ 89 dargelegt haben. D 243
Denn dadurch kann das Wahre vom Falschen unterschieden werden.
Der Maßstab, nach dem man sich im Falle der Ratlosigkeit richtet, ist das Wis-
sen darüber, daß die Vernunft in den meisten Fällen zu den besten aller Hand-
lungen hinsichtlich der Folgen auffordert, auch dann wenn dies momentan Mühe
und Anstrengung verlangt. Die Leidenschaft aber empfiehlt, bequem zu sein und
Anstrengungen zu vermeiden. Wann immer du dich zwei Aufgaben gegenüber-
siehst und du nicht weißt, welche richtig ist, so sollst du das tun, was du ver-
abscheust, nicht aber das, was du als angenehm empfindest. Denn das Gute liegt B 59
größtenteils darinb , unangenehme Aufgaben zu erfüllen. Der Gepriesene
(Muhammad) – Friede sei mit ihm – sagt: „Der Weg ins Paradies führt über unan-
˙
genehme Dinge, der in die Hölle aber über die Begierden.“ 90 Der Erhabene (Gott)
sagt: „Eine Sache ist euch vielleicht zuwider, während Gott (aber) viel Gutes in sie
hineinlegt“ 91 ; und: „Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch A 61
ist, und vielleicht liebt ihr etwas, während es schlecht für euch ist.“c 92 Alles, was dir
a
Nach S, E und B. Bei den übrigen: „Tötet mich!‘‘
b
Nach S, E, A u. B. Bei den übrigen: „Denn der Großteil der ethischen Gesinnung liegt darin, …“
c
Dieser Vers fehlt bei S u. E, während er von den übrigen zitiert wird.
128 Rangstufen des Kampfes gegen die Leidenschaft
a
„in ihrer Kraft“ fehlt lediglich bei S, ist aber bei allen übrigen vorhanden.
b
„Meist verführt …“ fehlt lediglich bei D.
Rangstufen des Kampfes gegen die Leidenschaft 129
Ausweg, es sei denn die Zuflucht zu dem erhabenen Gott und die Bitte an ihn um
Schutz vor dem verfluchten Satan – wie der erhabene Gott selbst sagt: „und wenn
du von seiten des Satans (zu Bosheit und Gehässigkeit) aufgestachelt wirst, dann
such Zuflucht bei Gott! Er hört und weiß (alles).“ Und er sagta : „Wenn über dieje-
nigen, die gottesfürchtig sind, eine Erscheinung von seiten des Satans kommt, las-
sen sie sich mahnen und gleich sehen sie (wieder klar).“ 96
Wenn du aber fragst: Gibt es einen Unterschied zwischen der Leidenschaft und
der Begierde, so sagen wir, daß es keine Einschränkung im Gebrauch der Aus-
drücke gibt. Jedoch meinen wir mit dem Begriff „Leidenschaft“ aus der Summe D 246
aller Begierden diejenigen, die getadelt, nicht aber diejenigen, die gelobt werden.
Das, was an dem Werk des erhabenen Gottes gepriesen wird, ist eine in den Men-
schen hineingelegte Fähigkeit, durch welche die Seele veranlaßt wird, das zu tun,
was gut für die Erhaltung des Körpers, der Art oder beider zusammen ist 97 .
Das, was an den Handlungen der Seele getadelt wird, ist der Antrieb zum Bö-
sen, der sie dazu verleitet, die körperlichen Genüsse zu bevorzugen. Wenn diese
Begierde vorherrschend ist, dann wird sie Leidenschaft genannt. Denn die Leiden-
schaft verführt und unterwirft das Denken, um ohne Unterlaß ihren Unterweisun-
gen zu gehorchen. Das Denken (auch der Gedanke) schwankt zwischen der Lei-
denschaft und der Vernunft. Die Vernunft, die über ihm steht, dient ihm (dem
Denken ebenso) wie die Leidenschaft, die sich unter ihm befindet. Wenn das Den-
ken der Vernunft zuneigt, wird es erhöht, gewinnt an Ehre und erzeugt vortreff-
liche Handlungen. Wenn es aber der Leidenschaft zuneigt, erniedrigt es sich in die
Tiefsten aller Tiefen und erzeugt böse Handlungen.
a
„und er sagt“ lediglich bei S u. E.
A 63 XII.
B 61
D 247 Über die Möglichkeit, die ethische Gesinnung zu ändern
Einige, die zur Untätigkeit neigen, glauben, daß die Gesinnung (des Menschen)
wie seine Gestalt unveränderbar sei. Dabei berufen sie sich auf die Aussage des
Propheten – Friede sei mit ihm –: „Gott hat die Schöpfung und die Schicksals-
bestimmunga vollendet.“ 98 Sie glauben nämlich, daß das Streben nach Verände-
rung der Gesinnung gleichzeitig eines nach Veränderung der Schöpfung des erha-
benen und allmächtigen Gottes bedeute. Dabei übersehen sie die Aussage des
Gepriesenen (Muhammad): „Verbessert eure Gesinnung!“ 99 Wäre dies nicht mög-
˙ den Menschen eine solche Veränderung nicht gefordert. Zu-
lich, so hätte er von
dem wären die Empfehlungen, die Predigten, der Anreiz (zu guten Handlungen)
und das Ermahnen sinnlos. Denn die Handlungen sind Folgen der Gesinnung, wie
auch der Fall in die Tiefe eine Folge der natürlichen Schwerkraft ist. Deshalb kann
der Tadel sich nicht gegen das eine richten, nämlich die Handlung, ohne ebenfalls
das andere zu rügen, nämlich die Gesinnung.
Wie kann man – obwohl man die Macht der Vernunft anerkennt – die Erzieh-
barkeit des Menschen leugnen, wo doch selbst die Veränderung des Tierverhaltens
möglich ist. Denn das (auf der Jagd) erbeutete Tier entwickelt sich von der Wild-
heit zur Zahmheit, der Hund von der Gefräßigkeit zur Disziplin, das Pferd von der
Widerspenstigkeit zur Fügsamkeit. Dies alles sind Änderungen des Verhaltens.
Die sinnvollste Erklärung besteht darin, daß alles, was Gott geschaffen hat, aus
D 248 zwei Teilen zusammengesetzt ist: Ein Teil ist unserem Zugriff entzogen, wie zum
Beispiel der Himmel und die Gestirne, ja sogar die Glieder unseres Körpers und
ihre einzelnen Teile. Dies ist uns schon gegeben.
Der zweite Teil wird so erschaffen, daß er die Anlage enthält, sich später zur
Vollkommenheit zu entwickeln, vorausgesetzt eine Erziehung findet statt. Die Er-
ziehung (dieses Teils) hängt davon ab, ob der freie Wille dazu vorhanden ist. Denn
der Kern (zum Beispiel einer Dattel) ist weder Apfelbaum noch Palme, aber er hat
die Fähigkeit, durch Züchtung zwar kein Apfelbaum, so doch eine Palme zu wer-
B 62 den. Er kann nur dann eine Palme werden, wenn der Wille des Menschen seine
Aufzucht ermöglicht. Wenn wir den Zorn und die Begierde völlig aus uns heraus-
reißen wollten, so wären wir dazu nicht fähig, solange wir noch in dieser Welt
weilen. Aber wenn wir ihre Überwindung und Zügelung durch geistige Übung
A 64 und inneren Kampf verwirklichen wollten, so wären wir dazu fähig. Dies ist unser
Auftrag und eine Bedingung für unsere Glückseligkeit und unser Heil. Freilich
sind die Veranlagungen verschieden. Einige Menschen haben eine schnelle Auf-
fassungsgabe, andere eine langsame. Für diesen Unterschied gibt es zwei Gründe:
Der eine bezieht sich auf das Angeborensein der Begierde. Denn die Veranlagun-
gen des Menschen zum Begehren, zum Zorn und zum Denken sind in ihm vorhan-
a
„und die Schicksalsbestimmung“ lediglich bei S, E und Ae.
Die Möglichkeit, die ethische Gesinnung zu ändern 131
den. Für den Menschen ist die am schwierigsten zu verändernde und die wider-
spenstigste Veranlagung die Begierde, weil sie die ursprünglichste aller (mensch-
lichen) Veranlagungen ist. Sie ist am tiefsten in ihm verwurzelt und haftet ihm am
stärksten an, denn sie begleitet ihn von Anbeginn seiner Existenz. Sie existiert D 249
sogar im Tier, dem auch die Gattung des Menschen angehört. Später entsteht die
Fähigkeit zu Eifer und Zorn. Das Denkvermögen aber entsteht am Schluß.
Der zweite Grund ist, daß die ethische Gesinnung durch das ihr selbst gemäße
Handeln, durch den Gehorsam ihr gegenüber und durch den Glauben, sie sei gut
und zufriedenstellend, bestärkt wird. In diesem Zusammenhang lassen sich die
Menschen in vier Kategorien aufteilen:
Die erste umfaßt den sorglosen Menschen, der das Wahre vom Falschen und das
Gute vom Bösen nicht trennen kann. Ein solcher Mensch besitzt weder einen
Glauben, noch ist er zum Kampf gegen seine Leidenschaft fähig, denn er folgt
allein seinen Gelüsten. Ein Mensch dieser Kategorie ist im Vergleich zu den Men-
schen der anderen Kategorien am besten für die Heilung geeignet. Es bedarf nur
eines anleitendena Unterrichts sowie einer inneren Motivation, die ihn zur Befol-
gung eines solchen Unterrichts anspornt. Seine Gesinnung bessert sich sodann in
kürzester Zeit.
Zur zweiten Kategorie wird jener Mensch gezählt, der zwar das Böse als Böses
erkennt, sich jedoch nicht an das gute Handeln gewöhnt. Vielmehr hält er sein
böses Handeln für gut. Er handelt böse, weil er seinen Begierden folgt und seine
eigene richtige Meinung ablehnt. Seine Lage ist viel schwieriger als die eines Men-
schen der ersten Kategorie, denn seine Krankheit ist doppeltb . Ihm stellen sich
daher zweierlei Aufgaben: erstens die Tilgung des Bösen, das in ihm durch Ge-
wohnheit am tiefsten verwurzelt ist; zweitens: die Abwendung der Seele von dem B 63
Bösen hin zu dessen Gegenteil. Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß ein
solcher Mensch zu einer geistigen Anstrengung in der Lage ist, wenn er seinen
ganzen Eifer darauf richtet.
/In der dritten Kategorie befindet sich der Mensch, der an die böse Gesinnung D 250
glaubt, sie für nötig, gut, richtig und schön hält und/c demgemäß erzogen wird. Die A 65
Heilung eines solchen Menschen ist nahezu unmöglich. Die Hoffnung auf Bes-
serung kann nur gering sein, weil die Ursachen seines Irrtums sich vervielfachen.
Bei der vierten Kategorie handelt es sich um einen Menschen, der während
seines Heranwachsens im falschen Glauben und während seiner Erziehung zum
entsprechenden Verhalten seinen Verdienst darin sieht, viel Böses zu stiften und
die Menschen ins Verderbnis zu stürtzen. Er rühmt sich dessen und glaubt, daß
dies seinen Stand erhöhe. Dies ist die am schwersten zu verändernde Kategorie.
Darüber wird gesagt: Es ist eine Qual, den Wolf zu zähmen, um ihn zu erziehen, so
wie es eine Qual wäre, einen verschlissenen Wollstoff auswaschen zu wollen, damit
er weiß werde.
a
Bei E: „leichten … von einem Lehrer“.
b
„…, denn seine Krankheit ist doppelt.“ bei allen außer S u. E.
c
/…/ fehlt nur bei S wahrscheinlich durch ein Versehen des Schreibers, muß aber hier sinnvoller-
weise ergänzt werden.
132 Die Möglichkeit, die ethische Gesinnung zu ändern
a
E: „abtrünnig“.
XIII. A 66
B 61
Über die allgemeine Methode, die Charaktereigenschaften D 251
Wisse, daß das Ziel des inneren Kampfes und der geistigen Übungen durch gute
Werke die Vervollkommnung der Seele ist, ihre Läuterung und Reinigung, um ihre
Charaktereigenschaften zu erziehen. Zwischen der Seele und diesen Fähigkeiten
besteht ein Verhältnis, das in Worten schwer zu fassen ista , wie es sich in der Vor-
stellung bietet, weil dieses Verhältnis nicht sinnlich, sondern geistig ist. Es gehört
auch nicht zu unseren Zielen, dieses Verhältnis zu erklären. Beide, Körper und
Seele, werden voneinander beeinflußt. Denn wenn die Seele vollkommen und rein
ist, so sind die Handlungen des Körpers gut und schönb . Andererseits entstehen,
wenn die Handlungen des Körpers gut sind, in der Seele gute Haltungen und löb-
liche Charaktereigenschaften.
Der Weg zur Läuterung der Seele ist also die Gewöhnung an diejenigen Hand-
lungen, die aus reinen und vollkommenen Seelen hervorgehen. Wenn diese durch
Wiederholung in kurzen Zeitabständen zu einer Gewohnheit wird, so festigt sich
in der Seele die gute Haltung. Sie verlangt diese Handlungen und motiviert sie, so
daß die Handlungen, die aus Gewohnheit getan werden, wie aus Veranlagung ge-
schehen. So fällt es dem Menschen leicht, das Gute zu tun, was ihm vorher schwer-
fiel.
Derjenige, der sich die Charaktereigenschaft der Großzügigkeit aneignen möch-
te, muß folgenden Weg beschreiten. Er sollte sich dazu zwingen, großzügig zu D 252
handeln, das heißt, freigebig mit seinem Besitz umzugehen. Er sollte nicht auf-
hören, dies regelmäßig zu tun, bis es ihm leichtfällt und er aus sich selbst heraus
großzügig wird. So verhält es sich auch mit demjenigen, der sich die Charakter-
eigenschaft der Demut aneignen möchte, wobei er aber von Hochmut beherrscht
wird. Er muß folgenden Weg beschreiten: In seinem Bemühen sollte er unablässig
und regelmäßig die Handlungen der Demütigen in der Weise vollziehen, daß sie
sich in kurzen Zeitabständen wiederholen.
Es ist erstaunlich, daß sich Seele und Körper wechselseitig beeinflussen. Denn
durch die Handlungen, die man sich selbst auferlegt, entsteht in der Seele eine
bestimmte Eigenschaft. Wenn diese entstanden ist, wirkt sie auf den Körper und
verursacht so veranlagungsgemäß die Handlung, an die er sich gewöhnt, nachdem
er sich zuvor dazu am Anfangc hatte zwingen müssen. So verhält es sich auch bei A 67
allen anderen Tätigkeiten. Wer zum Beispiel die Geschicklichkeit in der Kalligra- B 65
phie als fest verankerte seelische Eigenschaft erreichen will, sollte das tun, was ein
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „so nicht zu fassen ist, wie …“
b
„und schön“ fehlt bei S u. E.
c
„am Anfang“ bei den drei Handschriften.
134 Die Methode, die Charaktereigenschaften zu verändern
ausgezeichneter Schreiber tut, nämlich die gute Schrift so lange künstlich nach-
zuahmen und nicht aufzuhören, die gute Schrift in dieser künstlichena Weise aus-
zuüben, bis daraus für ihn eine feste Begabung und die Geschicklichkeit zu einer
seelischen Eigenschaft wirdb . So gelingt es ihm schließlich, aus Veranlagung das zu
tun, wozu er sich anfangs künstlich hatte zwingen müssen, und zwar so, als sei die
Eigenschaft der Kalligraphie diejenige, die seine Schrift schön macht. Die erste
Handlung ist erzwungen, die zweite entsteht aus Veranlagung. Dies aber geschieht
durch die Beeinflussung der Seele.
Genauso verhält es sich mit demjenigen, der Rechtsgelehrter werden möchte.
Es bleibt ihm kein anderer Weg, als sich mit dem (islamischen) Recht zu beschäf-
tigen, es auswendig zu lernen und zu wiederholen. Am Anfang muß er sich dazu
D 253 zwingen, bis der Charakter des Gesetzes auf ihn wirkt und seine Seele das Gesetz
so begreift, daß in ihr eine Haltung entsteht, die ihn dazu befähigt, das Gesetz
auszulegen. Die Auslegung des Gesetzes wird zu einer Veranlagung, so daß sie
ihm (dem Juristen) gelingt, wann immer er dies tun möchte.
So verhält es sich mit allen Charaktereigenschaften der Seele. So wie zum Bei-
spiel demjenigen, der Rechtsgelehrsamkeit erstrebt, deren höchste Stufe weder
durch Untätigkeit während einer Nacht versagt bleibt, noch durch die Arbeit einer
zusätzlichen Nacht erreichbar wird, so verhält es sich mit demjenigen, der nach der
Vollkommenheit der Seele strebt. Er erlangt sie weder durch den Gottesdienst an
einem Tag, noch wird sie ihm entzogen, wenn er sich (ihm) einen Tag weniger
widmet. Aber der Müßiggang eines Tages führt zur Untätigkeit an anderen Tagen,
und so nimmt die Untätigkeit langsam zu, bis sich die Seele daran gewöhnt und
von dem Studium des Rechts Abstand nimmt. So entgeht ihm die Tugend der
Rechtsgelehrsamkeit. Genauso ist es mit den kleinen Sünden; die einen ziehen
die anderen nach sich.
So wie die Wiederholung des Studiums der Gesetze während einer einzigen
Nacht sich nicht auf die Läuterung der Seele (spürbar) auswirkt, denn die Wirkung
stellt sich erst allmählich ein, wie das Wachsen des Körpers und die Entwicklung
des aufrechten Gangs (des Menschen), so verhält es sich mit einer einzigen from-
men Handlung. Es ist möglich, daß man die Wirkung dieser Handlung auf die
Seele und deren Vervollkommnung nicht sofort spürt. Man darf dieses eine Mal
dennoch nicht geringschätzen, denn erst die Summe (aller gottesdienstlichen
Handlungen) ist wirksam. Sie besteht aber aus einzelnen Handlungen, wobei jede
fromme Handlung eine Wirkung für sich hat. Es gibt also keine fromme Handlung,
die nicht irgendeine Wirkung hat, auch wenn diese verborgen bleibt. Genauso ist
es auch mit der Sünde.
Wie oft gibt es einen Rechtsgelehrten, der seine Arbeit hinauszögert, der die
Untätigkeit während eines einzigen Tages und einer einzigen Nacht für bedeu-
tungslos hält und in diesem Sinne fortfährt; so entgeht ihm die Vollkommenheit
a
„künstlich“ lediglich bei S.
b
Bei allen außer D. Dort heißt es verkürzt: „…, nämlich die gute Schrift so lange nachzuahmen,
bis daraus für ihn eine feste Begabung und die Geschicklichkeit zu einer seelischen Eigenschaft
wird.“
Die Methode, die Charaktereigenschaften zu verändern 135
des Wissens. Mit demjenigen, der über die kleinen Sünden hinwegsieht, ist es ähn-
lich. Sein Verhalten führt dazu, daß ihm die Glückseligkeit versagt bleibt.
Wie oft gibt es einen von Gott geleiteten Rechtsgelehrten, dem die Untätigkeit D 254
während eines einzigen Tages und einer einzigen Nacht schwerfällt, der sich von
diesem Gefühl nicht lösen kann und so die Vollkommenheit der Seele und des
Wissens erlangt. Ähnlich ist es mit demjenigen, der die kleinen Sünden nicht für
bedeutunglos hält; dies führt ihn zu den Stufen der Glückseligkeit. Denn das We-
nige führt zum Vielen.
Deshalb sagt der Fürst der Gläubigen 2Ali 3bn-Abı̄ Tālib – Gott möge Wohlgefal-
len an ihm haben –: „Der Glaube erscheint im Herzen ˙ des Menschen als leuchten-
der Fleck. Je mehr sich dieser Glaube verstärkt, desto mehr nimmt auch das
Leuchten zu. Wenn der Mensch den Glauben vervollkommnet, wird sein ganzes
Herz hell. Die Heuchelei beginnt im Herzen des Menschen wie ein dunkler Flecka .
Je mehr sich die Heuchelei vermehrt, desto mehr breitet sich das Finstere aus.
Wenn der Mensch den höchsten Grad der Heuchelei erreicht hat, so wird das
ganze Herz finster.“ 100
a
S u. E: „Schimmer“.
A 69 XIV.
B 67
Über die Summe aller Tugenden, durch deren Aneignung
die Glückseligkeit erlangt wird
Wenn man weiß, daß die Glückseligkeit durch Läuterung und Vervollkommnung
der Seele erlangt wird und daß die Vervollkommnung durch Aneignung aller Tu-
genden möglich ist, deren Aneignung Glückseligkeit bedeuteta , so ist es erforder-
lich, die Tugenden insgesamt und im einzelnen zu erkennen. Ferner sollst du
erkennen, /daß sie insgesamt und einzeln angeeignet werden können, sowie den
Weg ihrer Aneignung/b .
Was die Tugenden in ihrer Gesamtheit betrifft, so lassen sie sich auf zwei
Begriffe zurückführen: zum einen gutes Denk- und Unterscheidungsvermögen
D 255 (ein guter Verstand) 101 , zum anderen gute ethische Gesinnung (ein guter Wille).
Was das gute Denkvermögen (den Verstand) anbetrifft, so dient es zur Unter-
scheidung des Weges der Glückseligkeit von dem der Verdammnis, um den For-
derungen des Verstandes entsprechend handeln zu können. Es dient ferner dazu,
die Wahrheit der Dinge, wie sie sind, zu erkennen; dies soll weder durch schwa-
che Nachahmungen (taqlı̄dāt) 102 noch durch wenig überzeugende und unbegrün-
dete Ansichten 103 , sondern durch entscheidende und Gewißheit vermittelnde Be-
weise 104 geschehen.
Was die gute ethische Gesinnung (den Willen) anbetrifft, so dient sie dazu, alle
schlechten Gewohnheiten zu beseitigen, die das islamische Gesetz (asˇ-sˇar2) aus-
führlich aufzeigt. Sie veranlaßt (den Menschen) dazu, die schlechten Gewohnhei-
ten zu verabscheuen, um sie zu vermeiden, wie man den Schmutz meidet. Man
eignet sich dann die guten Gewohnheiten an und verlangt nach ihnen, so daß
man ihnen den Vorzug gibt und bei ihrer Ausübung Freude empfindet, wie der
Gepriesene (Muhammad) sagt: „Ich bin freien Mutes im Gebet.“ 105
Wann immer die ˙ Durchführung der religiösen Pflichten und die Unterlassung
der verbotenen Dinge mit Verdruß und Abscheu verbunden sind, weist dies auf
einen Mangel (in der Haltung des Menschen) hin, der die Erlangung der vollkom-
menen Glückseligkeit verhindert. Gewiß ist die Regelmäßigkeit durch innere An-
strengung bei der Verrichtung der religiösen Pflichten und das Unterlassen der
verbotenen Dinge ein hohes Gut, aber nicht vergleichbar mit einer Praxis aus
Freiwilligkeit und Verlangen. Deshalb wird gesagt: „Die Wahrheit ist bitter.“ Dies
gilt für denjenigen, der sich nicht gebessert hat, weil in ihm Beweggründe fort-
bestehen, die ihn von ihr fernhalten. Darum sagt der Erhabene: „Und suchet Hilfe
in der Geduld und im Gebet. Es ist zwar schwer (was man von euch verlangt), aber
B 68 nicht für die Demütigen.“ 106 Deshalb sagt der Gepriesene: „Wenn du handeln
a
„deren Aneignung Glückseligkeit bedeutet“ lediglich bei S u. E.
b
Lediglich bei S.
Die Summe aller Tugenden 137
Du sollst wissen, daß die Heilung der Seele durch die Beseitigung der Laster und
die Aneignung der Tugenden erreicht werden kann. Eine Analogie dazu ist die
Heilung der Körper durch die Beseitigung der Krankheiten und den Erwerb der
Gesundheit. So wie die Ausgeglichenheit meist das Temperament beherrscht, die
Krankheit aber jene durch wechselnde Ernährungsbedingungen und anderes an-
greift, „so wird jedes Kind mit einer ursprünglichen Beschaffenheit (fitra) gebo-
ren. Es sind seine Eltern, die es zum Juden, zum Christen oder zu einem ˙ Magier
machen.“ Daraus geht hervor, daß auch die Laster durch Lernen und Gewöhnung D 259
erworben werden können. Ebenso wie der Körper ursprünglich unvollkommen
geschaffen ist, durch Heranwachsen und Ernährung aber volkommen wird, so ver-
hält es sich auch mit der Seele. Sie wird zunächst unvollkommen geschaffen, wird
aber durch Läuterung, Besserung der ethischen Charaktereigenschaften und Er-
nährung durch Wissen vollkommen.
Wenn der Körper gesund ist, so ist es die Aufgabe des Arztes, Verhaltensregeln
aufzustellen, durch die die Gesundheit bewahrt wird; wenn er krank ist, so besteht
seine Aufgabe darin, für die Gesundheit Sorge zu tragen. Genauso verhält es sich
mit deiner Seele. Wenn sie lauter und rein ist und ihre Charaktereigenschaften
gebildet worden sind, so sollst du ihre Gesundheit bewahren und ihre Kraft und
Lauterkeit vermehren. Wenn sie aber keine Vollkommenheit und Lauterkeit be-
sitzt, so sollst du dich darum bemühen, ihr Vollkommenheit und Lauterkeit zu
verschaffen.
Ebenso wie das Übel, das die Ausgeglichenheit angreift und notwendigerweise
zur Krankheit führt, kaum anders heilbar ist als durch sein Gegenteil, die Erhit-
zung durch Abkühlung und umgekehrt, so verhält es sich mit dem Laster, das
notwendigerweise die Unvollkommenheit der Seele verursacht. Es wird, wie er-
wähnt, durch sein Gegenteil geheilt. Die Unwissenheit wird durch den Unterricht
geheilt, Geiz, Hochmut und Gier durch Zwang zu Freigebigkeit, Demut und Ab-
stinenz von allem Begehrenswerten.
So wie jedes Abkühlungsmittel nur dann wirksam ist, das durch die Erhitzung
veranlaßte Übel zu beseitigen, wenn es auf eine bestimmte Weise verabreicht wird,
die je nach Stärke oder Schwäche, Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit (der D 260
Einnahme), Häufigkeit oder Seltenheit variiert, und so wie es einen Maßstab ge- A 73
ben muß, der die nützliche Menge bestimmt, derart daß, beachtet man diese Dosis B 71
nicht, das Übel sich vermehrt, so muß das Gegenmittel, mit dem die ethischen
Charaktereigenschaften behandelt werden, eine Dosis haben. Wie das Maß des
Heilmittels von dem Grad der Krankheit abhängt, so daß der Arzt nicht heilen
kann, wenn er nicht weiß, ob es sich bei der Krankheit um Fieber oder Unterküh-
140 Wege zur Verbesserung der Charaktereigenschaften
lung handelt, und wenn es sich um Fieber handelt, um wieviel Grad, ob es niedrig
oder hoch ist, und wie der Arzt, wenn er dies weiß, sich dann um den Zustand des
Körpers, die Lebensbedingungen und um den vom Kranken ausgeübten Beruf
kümmert und ihn dementsprechend behandelta , so verhält es sich mit dem Mei-
ster, der Anhänger hat und der die Seelen seiner Anhänger und derer heilen will,
die sich an ihm orientieren. Er sollte sie nicht mit der geistigen Übung und den
Verpflichtungen einer bestimmten Fachrichtung bestürmen, sofern er ihre ethi-
schen Charaktereigenschaften nicht kennt. Wenn er aber von seinem Jünger weiß,
welche schlechte ethische Gesinnung ihn beherrscht und ihren Grad und Berufb
kennt, wenn er ferner den Zustand seines Jüngers und dessen Alter kennt und
weiß, welche Behandlung er verträgt, so kann er für ihn den Weg (seiner Bes-
serung) bestimmen. Deshalb siehst du, daß der Meister einem seiner Jünger emp-
fiehlt, auf den Markt zu gehen, um dort zu arbeiten, wenn er bei ihm ein Bedürfnis
nach Herrschaft und Hochmut bemerkt. So heilt er ihn mit dem Mittel, von dem er
weiß, daß es für ihn (den Jünger) eine Erniedrigung bedeutet, nämlich mit dem,
was seinem Charakter widerspricht, damit dadurch sein Hochmut gebrochen wird.
Ferner fordert er einen anderen auf, sich um die Wartung des Aborts und der
D 261 Reinigungsmittel zu kümmern, wenn er bei ihm einen Sauberkeitswahn feststellt.
Wenn er (der Meister) weiß, daß es sich um einen jungen Menschen mit starker
Begierde handelt, der sich leidenschaftlich mit der Befriedigung seines Magens
und seiner Geschlechtsorgane beschäftigt, so könnte er ihm das Fasten empfehlen,
jedoch befiehlt er ihm nicht, es in der Weise fortzusetzen, daß die Grenze des
verbotenen Fastens überschritten wird. Es gibt viele andere Methoden der Verbes-
serung.
Es wird erzählt, daß jemand (ein Weiser) die Heftigkeit seines Zorns dadurch
behandelte, daß er sich die Eigenschaft der Sanftmut auferlegte. Deshalb gab er
unverschämten Menschen Geld, die ihn bei feierlichen Anlässen mit Beschimp-
fungen empfangen sollten, damit er sich daran gewöhne, die Beschimpfungen zu
B 72 ertragen. So wurde er ein erwähnenswertes Beispiel für die Sanftmut. Ein anderer
gelangte allmählich zur Tapferkeit, indem er im Winter das Meer befuhr. Wieder
ein anderer bereitete ein Festessen vor und ließ andere in seiner Anwesenheit
A 74 essen, während er sich auf Gerstenbrot beschränkte, um die Begierde zu besiegen.
Die Frommen Indiens gehen gegen die Faulheit in der Verehrung Gottes dadurch
vor, daß sie während der ganzen Nacht auf einem Bein stehen, ohne das Bein zu
wechseln. Ein anderer behandelte die Geldgier dadurch, daß er seinen ganzen
Besitz verkaufte und den Ertrag ins Meer warf. Das ist zusammenfassend die Me-
thode zur Verbesserung der ethischen Charaktereigenschaften. Eine ausführliche-
re Darstellung würde zu weit führen.
Das Ziel (unserer Darstellung) ist, daß du, der du danach trachtest, deine Seele
D 262 zu läutern, deine Charaktereigenschaften überprüfst. Wenn sie gut erzogen sind,
so bewahre sie! Wenn sie unaufrichtig sind, so sollst du sie erziehen, indem du sie
zum mittleren Maß zurückführst, wie wir dies im einzelnen erklären werden.
a
„und ihn dementsprechend behandelt, …“ fehlt lediglich bei D.
b
„und Beruf …“ lediglich bei S u. E.
Wege zur Verbesserung der Charaktereigenschaften 141
Das Ziel der Erlangung des mittleren Maßes ist die Aufhebung der beiden Ex-
treme (Übermaß und Mangel). Denn der Zweck ist die Reinigung der Seele von
den Eigenschaften, die ihr durch die Akzidenzien des Körpers anhaften. Dies ge-
schieht, damit sie (die Seele) nach ihrer Trennung (vom Körper) nicht mehr auf sie
(diese Eigenschaften) achtet und weder Leidenschaft für sie noch Bedauern über
deren Verlust noch Glück oder Schmerz durch die Beschäftigung mit ihnen emp-
findet, die sie von der (eigentlichen) Glückseligkeit abhalten, die ihrem Wesen
entspricht. Wann immer wir auch wollen, daß das Wasser weder heiß noch kalt ist,
streben wir nach dem mittleren Maß. Das lauwarme Wasser ist weder heiß noch
kalt. So verhält es sich mit diesen Eigenschaften.
Wenn du sagst, wodurch kann ich wissen, daß das, was ich erlangt habe, eine gute
Charaktereigenschaft ist, das heißt das mittlere Maß, das zwischen zwei Extremen,
nämlich dem Übermaß und dem Mangel liegt, so soll deine Methode die folgende
sein: Du sollst die Handlungen betrachten, die das Ergebnis der Charaktereigen-
schaft sind, auf die sich deine Anstrengung gerichtet hat. Wenn du Freude an der
Handlung empfindest, so wisse, daß diese Charaktereigenschaft, die deine Hand-
lung hervorbringt, /in deiner Seele verankert ist. Ist die Handlung böse, so wisse,
daß die Charaktereigenschaft (auch)/a böse ist, wie zum Beispiel wenn du Freude
am Einbehalten des Geldes und an dessen Anhäufung empfindest, so führt dies
unabdinglich zur Charaktereigenschaft des Geizes. In diesem Fall gewöhne dich an
dessen Gegenteil. Die guten und die bösen Charakterzüge hat das islamische Ge-
setz ausführlich dargelegt. Sie sind in den Verhaltensregeln des Propheten – Friede
sei mit ihm – zusammengestellt; sie sind bekannt. Wir werden auf das Wesentliche
verweisen.
Mit dem „mittleren Maß“ meinen wir folgendes: Wenn du Freude an der Geld- D 263
verschwendung hättest, so solltest du wissen, daß dies auch tadelnswert ist. Das ist
das, was man mit dem Ausdruck „Vergeudung“ bezeichnet. Das lobenswerte Mitt-
lere ist die Großzügigkeit, welche in der Mitte zwischen verbissenem Geiz und
Vergeudung steht. Das bedeutet, daß es dir leicht fällt, auszugeben und zu behal- B 73
ten, was das islamische Gesetz und die Vernunft von dir verlangen, so daß deine A 75
Handlung folgsam und bereitwillig geschieht. So verhält es sich mit allen Eigen-
schaften. Ein einziges Beispiel zu erwähnen, reicht aus.
Wenn du weißt, daß das Kriterium der Handlungen von der Bedeutung der
Eigenschaften und von den Charakterzügen abhängt, so bleibt es dir nicht verbor-
gen, daß der Weg dazu sowohl in bezug auf mehrere Personen als auch bei einer
einzigen je nach den Umständen unterschiedlich ist. Wem Scharfsinn gegeben ist,
der geht dem Übel auf den Grund, um es nach der ihm angemessenen Methode zu
behandeln.
Weil die meisten Menschen unfähig sind, so zu handeln, und da es für das isla-
mische Gesetz schwierig ist, für alle Fälle eine Darstellung im einzelnen zu bieten,
die alle Menschen in allen Zeiten betrifft, beschränkt sich das islamische Gesetz in
seiner Ausführung auf die allgemeinen Gesetze, deren Sinn in der Ausübung der
religiösen Pflichten und der Unterlassung der verbotenen Sünden liegt, vor denen
a
/…/ fehlt lediglich bei S.
142 Wege zur Verbesserung der Charaktereigenschaften
es warnt. Des weiteren rät es von erlaubten Handlungen ab, die durch angenehme
Dinge um des Genusses willen ausgeführt werden, indem es sagt: „Die Liebe zum
Diesseits ist die Hauptsünde“ 113 und ähnliches. So haben die Fachleute (unter den
Gläubigen) den Zweck des Gebotes und das Mittel, es zu erreichen, wie auch den
D 264 Sinn des Verbotenen und die Weise, es zu vermeiden, bestimmt. Sie haben dies im
Detail dargestellt und leiteten diejenigen recht, denen es gelungen ist, ihnen zu
folgen.
Somit wurden sie Vertretera der Propheten in der Auslegung dessen, was sie (die
Propheten) zusammengefaßt, und in der Erläuterung dessen, was sie eingeführt
haben. Deshalb sagt der Prophet – Friede sei mit ihm –: „Die Gelehrten sind die
Erben der Propheten.“ 114
a
„Erben“ bei S.
XVI. A 76
B 74
Über die Kardinaltugenden 115
Obwohl die Tugenden zahlreich sind, umfassen vier von ihnen ihre Verzweigungen
und Arten. Es sind: die Weisheit, die Tapferkeit, die Enthaltsamkeit und die Ge-
rechtigkeit.
Die Weisheit ist die Tugend des Denkvermögens. Die Tapferkeit ist die Tugend
des Zorns. Die Enthaltsamkeit ist die Tugend der Begierde. Die Gerechtigkeit ist
ein Ausdruck dafür, daß diese Fähigkeiten in der erforderlichen Rangfolge stehen;
denn durch die Gerechtigkeit werden alle Dinge vollständig. Deshalb wird gesagt:
Durch das Rechte werden Himmel und Erde erhalten. Wir wollen nun diese Kar-
dinaltugenden einzeln erklären und darlegen, welche Arten von Tugenden ihnen
untergeordnet sind.
Mit Weisheit meinen wir das, was Gott mit seiner Aussage gepriesen hat: „und
wem da Weisheit gegeben ward, dem ward hohes Gut gegeben; …“ 116 und was D 265
der Gesandte Gottes – Friede sei mit ihm – mit der Aussage gemeint hat: „Die
Weisheit ist ein Gegenstand beharrlicher Suche des Gläubigen.“ 117 Sie läßt sich
auf das Denkvermögen zurückführen.
Du hast bereits erfahren, daß die Seele zwei Kräfte besitzt:
Die eine richtet sich nach oben, wodurch sie die Wahrheiten der universellen,
notwendigen und theoretischen Wissenschaften von den höheren Scharen der En-
gel empfängt. Dies sind die sicheren, immer und ewiga wahrhaftigen Wissenschaf-
ten, die sich niemals durch den Wandel der Zeiten und der Völker ändern können,
wie zum Beispiel das Wissen über den erhabenen Gott, seine Eigenschaften, seine
Engel, seine Bücher, seine Gesandten und die Art seiner Geschöpfe in der Welt. B 75
Darüber hinaus gehört zu der Summe der Wissenschaftenb , daß Verneinung und
Bejahung über ein und dieselbe Sache niemals gleichzeitig wahr sein können. So
verhält es sich in den wahrhaftigen Wissenschaften; denn sie sind wahrhaftige
Weisheit.
Die zweite Kraft richtet sich nach unten, ich meine in Richtung des Körpers, den
sie lenkt und führt, wodurch die Seele unter den Handlungen die guten erfaßt. Sie
wird „die praktische Vernunft“ genannt, mit der der Mensch seine eigenen Fähig- A 77
keiten, die Bewohner seines Landes und seine Familie leitet. Sie als Weisheit zu
bezeichnen, trifft im uneigentlichen Sinne wie eine Metapher zu, weil ihre Er-
kenntnisse wie Quecksilber veränderlich und nicht von Dauer sind. Zu ihren Er-
kenntnissen gehört, daß die Freigebigkeit eine Tugend ist, die unter bestimmten
Umständen und gegenüber einigen Personen auch zu einem Laster werden kann.
a
„immer und ewig“ fehlt bei E.
b
„gehört zu der Summe der Wissenschaften“ fehlt bei E.
144 Die Kardinaltugenden
Deshalb kommt der ersten Kraft der Begriff „Weisheit“ eher zu. Die zweite ist eine
Vervollkommnung und Ergänzung für die erste. Das ist die ethische Weisheit. Die
D 266 erste ist die theoretisch-praktische Weisheit.
Wir meinen mit der ethischen Weisheit eine Haltung und eine Tugend der ver-
nünftigen Seele, durch welche sie die Fähigkeit des Menschen zum Zorn und zur
Begierde lenkt und deren Bewegung nach dem erforderlichen Maß von Anspan-
nung und Entspannung bestimmt. Das ist das Wissen um die Richtigkeit der Hand-
lungen. Diese charakterbildendea Tugend ist von zwei Lastern umgeben: List und
Dummheit. Beide stellen die Extreme dieser Tugend dar, nämlich das Zuviel und
das Zuwenig.
B 76 Die List bildet das eine Extrem, das Zuviel. Es ist ein Zustand, in dem der
Mensch verschlagen und betrügerisch handelt, indem er der zornigen und begeh-
renden Fähigkeit in Richtung auf das Ziel freien Lauf läßt in einer Weise, die über
das notwendige Maß hinausgeht.
Die Dummheit bildet das andere Extrem, das Zuwenig und das Fehlen des mitt-
leren Maßes. Das ist eine Haltung der Seele, in der die zornigen und begehrenden
Fähigkeiten hinter dem erforderlichen Maß zurückbleiben. Die Ursache für die
Dummheit ist langsame Auffassungsgabe und geringe Erkenntnis über die Rich-
tigkeit der Handlungen.
Die Tapferkeit ist eine Tugend der Fähigkeit zum Zorn, weil er mächtig ist.
Trotz der Heftigkeit des Eifers gehorcht sie bei seinem Voranschreiten und Zu-
rückgehen der Vernunft, die durch die islamische Gesetzgebung erzogen wird. Sie
(die Tapferkeit) ist ein Mittleres zwischen zwei Lastern, die sie umkreisen:
1. Tollkühnheit und 2. Feigheit.
Die Tollkühnheit ist eine Bezeichnung für das Überschreiten des mittleren Ma-
ßes. Es ist ein Zustand, in dem der Mensch wagt, die Verbote zu übertreten, vor
denen die Vernunft ihn hätte zurückschrecken müssen.
Die Feigheit ist eine Bezeichnung für das Extrem des Zuwenig. Es ist ein Zu-
D 267 stand, in dem die Bewegung der zornigen Fähigkeit hinter dem erforderlichen
Maß zurückbleibt. So bringt sie den Menschen davon ab, kühn voranzuschreiten,
A 78 wo dies sein sollte.
Wann immer diese Charaktereigenschaft entsteht, gehen aus ihr diese Handlun-
gen hervor; /das bedeutet, daß aus der Charaktereigenschaft der Feigheit das Zu-
rückschrecken entsteht, wo dies nicht sein soll. Diese beiden (das Voranschreiten
und das Zurückschrecken) sind gleich. Aus der Tapferkeit entstehen das Vor-
anschreiten und das Zurückschrecken, wo und wie es sein muß/b . Das ist die gute
B 77 lobenswerte Charaktereigenschaft, die Gott im Koran mit seiner Aussage meint:
„Sie (das sind die Gläubigen) sind den Ungläubigen gegenüber heftig, unter sich
aber barmherzig.“ 118
a
„charakterbildende“ lediglich bei S u. E.
b
/…/ nach S u. Ae. Bei E: „das bedeutet, daß aus der Charaktereigenschaft der Feigheit das
Zurückschrecken entsteht, wo und wie es sein muß.“ Nach B: „…, … der Tapferkeit das Vor-
anschreiten und das Zurückschrecken entstehen, wo …“ Bei den übrigen: „…, aus der Tapferkeit
die Kühnheit entsteht, wo …“
Die Kardinaltugenden 145
Die Heftigkeit ist nicht in jeder Situation lobenswert, vielmehr ist das Lobens-
werte das, was den Kriterien der Vernunft und der islamischen Gesetzgebung ent-
spricht. Wer diese Charaktereigenschaft erlangt, sollte sie durch regelmäßige
Handlungen bewahren. Wer sie aber nicht erreicht, sollte folgendes überprüfen:
Wenn seine Natur zu dem Zuwenig neigt, welche die Feigheit ist, sollte er sich dazu
zwingen, regelmäßig die Handlungsweise der Tapferen zu üben, damit die Gewöh-
nung ihm zur Veranlagung und zur Charaktereigenschaft wird. So strömen aus ihm
veranlagungsgemäß die gleichen Handlungen wie die der Tapferen. Wenn er aber
zum Extrem des Zuviel neigt, nämlich zur Tollkühnheit, so sollte er sich die Folgen
seiner Handlungen bewußtmachen, ihre Gefahren für groß halten und sich bemü-
hen, sich zurückzuhalten, um zum mittleren Maß oder zu dessen Nähe zurück-
zufindena . Denn es ist schwierig, die genaue Bestimmung des mittleren Maßes zu
erfahren. Wenn dies möglich wäre, so verließe die Seele den Körper, ohne irgend-
eine Bindung zu ihm zu haben, und empfände dabei keinerlei Schmerz im Bedau-
ern darüber, die Erkenntnis des mittleren Maßes verfehlt zu haben. Ferner bliebe
die Freude, die ihr Schönheit und Herrlichkeit des Wahren offenbart haben, für sie
ungetrübtb . Weil dies aber schwer ist, wird im Koran gesagt: „Und es gibt keinen D 268
von euch, der nicht zu ihr (der Hölle) hinunterkommen würde.“ 119
Ein Scheich träumte von dem Gesandten Gottes – Friede sei mit ihm –; er fragte
ihn: „Was meinst du mit deiner Aussage: ‚Hūd und ihre Schwester haben meine
Haare weiß gemacht‘“? Er erwiderte: „Gottes Aussage: ‚Gehe nun einen geraden
Weg, wie dir befohlen worden ist.‘“ 120 Das bedeutet, daß das Fortsetzen des Ver-
haltens auf dem geraden Weg und das Streben nach der Mitte zwischen diesen
Extremen schwer ist. Denn er ist feiner als ein Härchen und „schärfer als die Klin-
ge des Schwertes“ 121 , wie man ihn im Jenseits beschrieben hat. Wer sich an den
geraden Weg im Diesseits hält, hält sich auch im Jenseits daran. Um so mehr ge-
schieht dies im Jenseitsc . Denn der Mensch stirbt in den Lebensgrundsätzen, nach
denen er gelebt hat, und wird wieder auferstehen in dem Zustand, in dem er sich
befand, als er starb. Deshalb muß man vor jeder Verbeugung (rak2a) im Gebet die A 79/B 78
Koraneröffnung lesen, welche folgendes enthält: „Führe uns auf den geraden
Weg.“ 122 Danach zu leben ist das komplizierteste und schwierigste aller Dinge für
denjenigen, der danach strebt.
Wenn man in bezug auf eine einzige Charaktereigenschaft dazu aufgefordert
würde, so wäre die Mühe sehr groß. Wir sind aber in allen unseren Charakter-
eigenschaften dazu aufgefordert, obwohl sie unzählig sind, wie wir später erklären D 269
werden. Es gibt keine Befreiung von diesen Verboten, es sei denn durch den Er-
folg, den Gott den Menschen gewährt, und durch seine Barmherzigkeit. Darum
sagt der Gepriesene (Muhammad): „Alle Menschen sind tot außer denen, die das
˙
Wissen besitzen; alle Wissenden sind tot außer denen, die es ausüben; alle Han-
delnden sind tot außer denen, die aufrichtig sind. Die Aufrichtigen befinden sich in
a
Bei S u. E. „zurückzufinden“ fehlt bei den übrigen.
b
Bei S u. Ae werden die Personalpronomen in diesem Satz im Maskulinum verwendet. Der
Mensch ist in diesem Fall gemeint.
c
„um so mehr …“ lediglich bei S u. E.
146 Die Kardinaltugenden
großer Gefahr.“ 123 Deshalb flehen wir den erhabenen Gott an, uns Erfolg zu be-
scheren, damit wir im Diesseits die Gefahren überwinden und uns nicht durch die
(verschiedenen) Ursachen der Versuchung täuschen lassen.
Die Enthaltsamkeit ist die Tugend der Begierde. Das bedeutet, daß die Begierde
dem Denkvermögen leicht und mühelos gehorcht, damit ihre An- und Entspan-
nung sich nach der Anweisung des Denkvermögens richten. Die Enthaltsamkeit
ist von zwei Lastern umgeben, nämlich der Gier und der Apathie. Die Gier ist das
Übermaß der Begierde, in übertriebener Weise die Genüsse zu erlangen, die das
Denkvermögen verabscheut und verbietet. Die Apathie ist das Ermatten der Be-
gierde in der Wendung zu dem, was die Vernunft zu erwirken und zu erreichen
verlangt. Beide, sowohl die Gier als auch die Apathie, sind tadelnswert. Die Ent-
haltsamkeit aber, das mittlere Maß, ist lobenswert.
B 79 Es ist die Pflicht des Menschen, seine Begierde zu beobachten, die meistenteils
vom Übermaß beherrscht wird, insbesondere was die Befriedigung des Ge-
schlechtstriebs, des Magens, des Strebens nach Reichtum, nach Herrschaft und
nach Eigenlob betrifft. Das Zuviel wie auch das Zuwenig in all diesen Dingen
D 270 stellen einen Mangel dar. Die Vollkommenheit liegt nur im mittleren Maß. Die
Kriterien des mittleren Maßes sind die Vernunft und das islamische Gesetz. Das
bedeutet, daß man das erstrebenswerte Ziel in der Schöpfung der Begierde und
des Zornes kennt, zum Beispiel daß man weiß, daß der Appetit auf Essen dazu
geschaffen wurde, die Nahrungsaufnahme anzuregen, die dafür sorgt, den Mangel
an körperlicher Energie durch den Abbau der (physischen) Kräfte auszugleichen,
A 80 damit der Körper am Leben erhalten wird und die (fünf) Sinne funktionstüchtig
bleiben. Denn durch den (gesunden) Körper kann der Mensch die Wissenschaften
erlangen, die Wahrheiten der Dinge erkennen und sich einem höheren Rang im
Verhältnis zu sich selbst angleichen, das ist der Rang der Engel, welche (durch die
Erlangung des Wissens und die Erfahrung der Wahrheiten der Dinge) vollkommen
und glückselig sind.
Für denjenigen, der dies kennt, ist der Zweck der Nahrung die Stärkung dafür,
die Gottesdienste zu verrichten, nicht aber das Essen zu genießen. Darum
schränkt er sich ohne Zweifel beim Essen ein und begnügt sich mit dem Notwen-
digen, und sein Appetit auf das Essen wird nicht heftig. Man sollte wissen, daß die
sexuelle Begierde dazu geschaffen wurde, um die Lust auf den Beischlaf zu moti-
vieren, welcher die Ursache für die Erhaltung und das Fortbestehen der Art ist.
Deshalb sollte die Ehe wegen der Nachkommen und der Keuschheit, nicht aber
zum Spiel und zum Genuß angestrebt werden. Wenn man dabei genießt und spielt,
so sollte dies dem Zweck dienen, die Ehepartner aneinander zu gewöhnen, und ein
Beweggrund zum guten Zusammenleben und Fortbestehen der Ehe sein.
Man sollte sich auf jenes Maß von Ehen beschränken, das den Menschen nicht
unfähig macht, seinen Verpflichtungen nachzugehen. Wer dies weiß, dem fällt es
leicht, sich mit dieser Einschränkung zu begnügen. Alsdann darf man sich nicht
mit dem Urheber der islamischen Gesetzgebung – Friede sei mit ihm – verglei-
chen, insofern ihn die Vielzahl seiner Ehen nicht von der Anbetung des erhabenen
Gottes abbrachte und er nicht wegen der Ehefrauen nach dem Diesseits streben
Die Kardinaltugenden 147
mußte 124. Wer glaubt, daß das, was dem Urheber der islamischen Gesetzgebung
nicht geschadet hat, ihm (auch) nicht schaden würde, verhält sich genauso wie
derjenige, der meint, daß Verunreinigungen, die ein riesiges Meer nicht verändern,
(auch) eine Kanne Wasser aus diesem Meer nicht verändern können und daß das,
was einem Menschen von starkem aufrechtem Körperbau an köstlichen Nahrungs- D 271
mitteln nicht schadet, auch einem Jüngling von schwachem Körperbau nicht scha-
den würde.
Wie oft gibt es Toren, die sich für Gelehrte halten und sich an dem Urheber der
islamischen Gesetzgebung (dem Propheten Muhammad) messen, so als ob sich
Grobschmiede an Engeln messen. So begeben sie ˙ sich ins Verderben, ohne es zu
wissen. Wir nehmen unsere Zuflucht zu Gott vor dem Unvermögen zur Scharfsich-
tigkeit. Denn dies könnte wohl schlimmer sein als die Blindheit selbst. Ein Blinder B 80
glaubt nämlich an seine Behinderung, ahmt (anderen) nach, und (so) wird er von
einem anderen geleitet. Bei dem Kurzsichtigen aber öffnet sich der Scharfblick bis
zu dem Grade, an dem er es ablehnt, jemandem zu folgen, aber sein Licht reicht
nicht in der Weise aus, daß er den Marsch auf dem geraden Weg fortsetzen könnte.
Wer in diesem Zustand ist, der hat keine Achtung vor Gott, unter welchen Um-
ständen auch immer er sich in den Tod begibt.
Ich begegnete einer Gruppe von gewöhnlichen und törichten Menschen, welche A 81
ihre Meinungen auf dem Gebiete der Mystik für scharfsinnig hielten. Sie fragten,
warum diese Begierden erschaffen wurden, wenn ihre Befolgung doch tadelnswert
und verderblich sei. Sie wußten nicht, daß hinter der Schöpfung der beiden Begier-
den – ich meine die der Geschlechtsorgane und die des Magens – zwei große Weis-
heiten liegen: Die eine betrifft die Erhaltung des Individuums durch Ernährung
und die der Art durch den Geschlechtsverkehr. Denn beides ist in diesem Dasein
notwendig gemäß dem göttlichen Ratschluß nach Gottes ewigem Willen, den wir
weder ändern noch übergehen können. Die andere besteht darin, in den Menschen
den Wunsch nach der jenseitigen Glückseligkeit zu erwecken. Denn wenn die
Menschen diese Genüsse und Schmerzen nicht empfänden, begehrten sie auch
nicht das Paradies und hüteten sich nicht vor der Hölle. Auch wenn ihnen verspro-
chen worden wäre, was kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört, kein Herz eines D 272
Menschen je ersonnen hat, so hätte dies allein auf sie keinen Einfluß gehabt. Das
ist die Definition der Enthaltsamkeit 125 .
Die Gerechtigkeit ist ein Zustand aller drei Fähigkeiten in ihrer harmonischen
Anordnung entsprechend der erforderlichen Rangfolge im Hinblick auf Domi-
nanz und Gehorsamkeit 126 . Denn sie ist nicht ein Teil der Tugend, sondern sie ist
die Summe aller Tugenden.
Wann immer eine lobenswerte Rangordnung zwischen dem König, den Soldaten
und den Untertanen besteht, wonach der König scharfsinnig und mächtig ist, die
Soldaten Macht und Befehlsgewalt besitzen und die Untertanen fügsam und leicht
zu führen sind, dann wird gesagt, daß die Gerechtigkeit im Lande herrscht. Sie
wird aber nicht aufrechterhalten, wenn nur einige, nicht aber alle diese Eigenschaf-
ten besitzen. So verhält es sich mit der Gerechtigkeit zwischen all diesen Eigen-
schaften im Königreich des Körpers. Der Gerechtigkeit als seelische Eigenschaft
148 Die Kardinaltugenden
a
/…/ bei S u. E, fehlt aber bei den übrigen.
XVII. A 83
B 84
Über das, was der Tugend der Weisheit und ihren Lastern, D 274
Was die Tugend der Weisheit anbetrifft, so werden ihr folgende Eigenschaften
zugeordnet: Gewandtheit, klarer Intellekt, Scharfsinn und genaues Voraussehen.
Gewandtheit bedeutet gute Überlegung beim Herausfinden der richtigen und
besten Mittel zur Aneignung größter Güter und edelster Ziele, /sowohl auf dich
selbst bezogen als auch beim Erteilen von Ratschlägen bei der Verwaltung eines
Hauses, einer Stadt, im Widerstand gegen einen Feind oder in der Abwendung
eines Unheils/a ; kurz gesagt, für das, was ernst und bedeutend ist. Wenn die An-
gelegenheit unbedeutend und gering ist, wird sie Schlauheit und nicht Gewandt-
heit genannt.
Der klare Intellekt ist die Fähigkeit, ein richtiges Urteil bei konfusen Meinun-
gen und daraus entstandenen Streitigkeiten zu fällen.
Der Scharfsinn bedeutet ein rasches Erfassen der Mittel, die in der betreffenden
Angelegenheit zu einem guten Ende führen. Genaues Voraussehen besagt, daß es
mit dem Wahren gemäß den Anforderungen der Erscheinungen übereinstimmt,
ohne sich der Reflexion über die Beweise zu bedienen.
Unter das Laster der List fallen Schlauheit und Schwindelei. Die Schlauheit ist D 275
ein gutes Erschließen des wirksamsten Mittels, um zu verwirklichen, was man für
gut hält, was aber in Wirklichkeit nicht gut ist, sondern lediglich einen beacht-
lichen Gewinn verspricht. Wenn der Gewinn gering ist, wird dies Schwindelei ge-
nannt. Der Unterschied zwischen Schlauheit und Schwindelei geht also zurück auf
Geringfügigkeit oder Bedeutsamkeit im Hinblick auf den Profit. Unter das Laster
der Dummheit fallen: Naivität, Unbedachtheitb , Torheit und Wahnsinn. Naivität
bedeutet im allgemeinen wenig Erfahrung in praktischen Angelegenheiten bei B 83
gesundem Vorstellungsvermögen. Es ist möglich, daß man in einer Sache naiv ist,
in einer anderen aber nicht, je nach Erfahrung. Im allgemeinen ist der naive
Mensch derjenige, der weder Erfahrung besitzt, noch durch Erfahrung reif gewor-
den istc .
Torheit bedeutet Untauglichkeit zur anfänglichen Betrachtung dessen, was zum A 84
gewünschten Ziel führt, so daß man den richtigen Weg verfehlt. Wenn dies eine
Veranlagung ist, wird sie Schwachsinnigkeit genannt; diese ist unheilbar. Mögli-
cherweise entsteht sie durch eine Krankheit, geht aber vorüber, sobald die Krank-
heit beseitigt wird.
Der Wahnsinn ist die Unfähigkeit des Vorstellungsvermögens bei der Wahl des- D 276
a
/…/ fehlt nur bei E.
b
„Unbedachtheit“ lediglich bei S u. E.
c
Lediglich bei S. Bei den übrigen: „…, der nicht duch Erfahrung reif geworden ist.“
150 Was der Tugend der Weisheit und ihren Lastern zugeordnet wird
sen, was man bevorzugen soll, so daß man anderes vorzieht, was nicht dazu geeig-
net ist. Das Untaugliche beim Wahnsinnigen bezieht sich auf sein Ziel, /beim
Schwachsinnigen aber auf sein Verhalten. Denn sein Ziel ist/a wie das des Vernünf-
tigen. Deshalb erkennt man ihn nicht sofort, sondern erst durch sein Verhalten bei
der Erlangung des Zieles.
Der Wahnsinn bedeutet die Unfähigkeit im Hinblick auf die Wahl des Zieles.
Deshalb kann er von vornherein erkannt werden.
a
/…/ fehlt lediglich bei S.
XVIII. A 85
B 84
Über das, was der Tugend der Tapferkeit
zugeordnet wird 128
a
„Sanftmut“ fehlt lediglich bei S.
b
„notwendige“ lediglich bei S, E u. Ae.
c
Bei Ae, A, B u. D: „…, weil man seinen eigenen Wert kennt.“
d
„Prahlerei“ fehlt an dieser Stelle bei S, wird aber später erwähnt.
152 Was der Tugend der Tapferkeit zugeordnet wird
Eigenschaften zur Seite des Zuviel neigt, wird dem Wagemut zugewiesen. Was von
A 86 ihnen zur Seite des Zuwenig tendiert, das ist die Feigheit.
Verschwendungssucht bedeutet Ausgaben für unnötige Dinge, wie etwa für Lu-
xusgüter und ähnliche Dinge, um zu prahlen.
Verbissener Geiz ist eine niedrige Haltung. Er besteht in der Unterlassung der
erforderlichen Ausgaben sowie dem Stolz auf Kleinigkeiten.
Kühnheit ist die Geringschätzung des Todes da, wo man dies nicht tun sollte.
D 279 Versagen ist das Zurückweichen aus Furcht vor dem Untergang, wo Zurückwei-
chen nicht angebracht ist.
Prahlerei beruht darauf, sich unverdienterweise großer Taten zu rühmen.
Unterwürfigkeit ist die Bereitschaft der Seele zu Handlungen, die unter ihrer
Würde sind.
Kühnheit bedeutet, daß man den Gründen des Untergangs wenig Beachtung
zumißt, ohne daß dieses einem höheren Ziel entspräche.
Schreckhaftigkeit bedeutet, Schmerzen und Leiden schlecht zu ertragen.
Raserei ist jäher und heftiger Zorn.
Ermattung ist die Langsamkeit und Trägheit des Zorns.
Hochmut ist die Selbsterhebung über den eigentlichen Rang.
Selbsterniedrigung ist die Herabsetzung der Seele unter ihren eigentlichen Rang
(Selbstunterschätzung) in Hinblick auf Ehre und Würde. Geschähe dies in der
richtigen Weise, spräche man von lobenswerter Demut.
Selbstgefälligkeit ist Ursache des Hochmuts; dies bedeutet die Unkenntnis des
Menschen über seinen eigenen Wert und sein Glaube, auf einem höheren Rang zu
stehen, ohne daß dies den Tatsachen entspricht.
Der Tadel der Menschen richtet sich heftiger gegen Hochmut und Geiz als ge-
gen Selbsterniedrigung und Verschwendung. Denn beide (Hochmut und Geiz)
sind im höchsten Grade abscheulich. Obwohl die letzteren (Selbsterniedrigung
und Verschwendung) verwerflich sind, haben sie Ähnlichkeit mit Demut und
Großzügigkeit. Möglicherweise ist der Unterschied so fein, daß man sie für lobens-
wert halten könnte, während sie in der Tat Laster sind, die vom mittleren Maß
abweichen. Deshalb sagt der Gepriesene (Muhammad): „Selig ist derjenige, der
sich demütig gibt ohne Minderwertigkeit und sich˙ bescheidet ohne Unterwürfig-
keit.“ 129
XIX. A 87
B 87
Über das, was der Tugend der Enthaltsamkeit und D 280
Verlegenheit ist die Ermattung der Seele aufgrund eines Übermaßes an Scham;
sie ist lobenswert für Knaben und Frauen, nicht aber für Männer. Denn man ver-
hält sich nur scheu gegenüber sich selbst und gegenüber allem, was man für über-
legen hält. /Dies ist so, weil man sich vor den Menschen, vor sich selbst oder vor
Gott schämt/e . Wer sich nicht vor sich selbst schämt, jedoch vor den Menschen,
hält sich ihnen gegenüber für unterlegenf .
Wer sich nicht vor Gott schämt, der hat seine Erhabenheit nicht erkannt. Darum
sagt der Prophet – Friede sei mit ihm –: „Ihr sollt eine wahrhaftige Scham vor Gott
haben“ 132 , und der erhabene Gott sagt: „Weiß er denn nicht, daß Gott sieht (was er B 88/D 282
a
„Großzügigkeit“ (as-sahā3) fehlt bei S an dieser Stelle, wird aber später erwähnt und bestimmt.
b ˘
„gerechte Empörung“ (at-tasah hut) fehlt bei S an dieser Stelle, wird aber später bei der Bestim-
mung der Begriffe berücksichtigt.˘ ˘ ˙
c
/…/ fehlt bei S u. E.
d
/…/ Bei S verkürzt: „Es wird (über Scham) gesagt, daß sie der Gesichtsausdruck beim Begehen
von Missetaten, oder das Gefühl der Beklemmung (des Menschen) angesichts eines Lasters und
ebenso für die Vermutung einer lasterhaften Handlung ist.“
e
/…/ lediglich bei S.
f
/…/ bei S u. E. Bei den übrigen: „Wenn man sich vor Menschen schämt, so bedeutet dies, daß
man sich ihnen gegenüber für unterlegen hält.“
154 Was der Tugend der Enthaltsamkeit und ihren Lastern zugeordnet wird
tut)?“ 133 Wann immer der Mensch merkt, daß Gott ihn sieht, empfindet er ohne
Zweifel Scham, wenn er gottesfürchtig und fromm ist, wie der Gepriesene
(Muhammad) sagt: „Wer keine Scham empfindet, der hat auch keinen Glau-
ben.“˙ 134
Denn Scham ist für den Menschen das erste Anzeichen der Vernunft, der Glau-
be aber ist ihre höchste Stufe. Wie könnte man die höchste Stufe erlangen, wenn
man nicht über die erste hinausgewachsen ist?
Nachsicht bedeutet Verzicht in freier Wahl und in Güte auf einen Teil des
Rechtsanspruchs. Sie ist ein Mittleres zwischen Streitlust und Gleichgültigkeit.
Selbstbeherrschung ist der Widerstand der Seele gegen die Leidenschaft. Sie
schützt jene vor verwerflichen Genüssen.
Großzügigkeit ist ein Mittleres zwischen Verschwendung und verbissenem Geiz.
Sie bedeutet, freizügig Geld auszugeben und unerlaubten Gewinn zu vermeiden.
Wirtschaftliches Haushalten ist ein Mittleres im Geldausgeben, um beiden Ex-
tremen, nämlich dem verbissenen Geiz und der Verschwendung, fernzubleiben.
Die Zurückhaltung ist die schöne Haltung der begehrenden Seele im Verlangen
nach dem Begehrenswerten.
Maßhalten ist eine Eigenschaft der Seele, die es ihr ermöglicht, über nützliche
Dinge nachzudenken, damit sie miteinander im Einklang stehen.
Gepflegtheit bedeutet die Vorliebe dafür, sich angemessen zu schmücken, ohne
töricht zu sein.
Genügsamkeit bedeutet, daß man seinen Lebensunterhalt gut und ohne Betrug
verwaltet.
Gemütsruhe ist das stille Verharren der Seele bei der Erlangung angenehmer
Genüsse.
B 89 Frömmigkeit ist ein Mittleres zwischen Heuchelei und Schamlosigkeit. Sie ist
das Schmücken der Seele beim Erlangen der guten Genüssea mit guten und tu-
D 283 gendhaften Handlungen im Streben nach Vollkommenheit und Gottesnähe ohne
Scheinheiligkeit und Bemühen um Ansehen.
Die Heiterkeit bedeutet, mit Höflichkeit zu scherzen, ohne dabei unanständig
oder verleumderisch zu werden. Sie ist ein Mittleres zwischen dem Zuviel und dem
Zuwenig in bezug auf Ernsthaftigkeit und Scherzhaftigkeit.
Freundlichkeit ist ein Mittleres zwischen Mürrischkeit, welche ein Übermaß an
Abneigung ist, und übertriebener Scherzhaftigkeit. Sie bedeutet, daß man die
Rangordnung seiner Tischgenossen kennt, auf die Augenblicke der Geselligkeit
achtet und mit jedem im richtigen Moment und entsprechend seiner Person
scherzt.
Weil der Mensch notwendigerweise Ruhe braucht, um sich zu erholen, ist eine
bestimmte Art menschlichen Zusammenlebens unumgänglich. Der Spaß ist ange-
A 89 nehm, wenn er sich nicht zur Scherzhaftigkeit entwickelt, sondern in dem Maß, in
dem man von Roheit und Ungeselligkeit abläßt und den Spott beim Scherzen ver-
meidet. Es wurde darüber von dem Gesandten Gottes und seinen Gefährten eini-
ges überliefert, worauf hingewiesen wird, wir wollen es jedoch nicht ausführen.
a
„beim Erlangen …“ lediglich bei S.
Was der Tugend der Enthaltsamkeit und ihren Lastern zugeordnet wird 155
Die Verzeihunga ist ein Mittleres zwischen Streitlust und Schmeichelei. Das
bedeutet die Vermeidung von Streitigkeit und Mißbilligung bei den gewöhnlichen
Handlungen der Gefährten, um dem Genuß des Beisammenseins und der Ver-
trautheit den Vorzug zu geben.
Die (gerechte) Empörung ist ein Mittleres zwischen Neid und Schadenfreude.
Sie bedeutet sowohl die Traurigkeit darüber, daß jemand Gutes erhält, was er
nicht verdient, als auch darüber, daß jemandem Böses widerfährt, das ihm nicht
zugefügt werden darf.
Die Untugenden, die unter die beiden (Haupt-)Laster der Enthaltsamkeit, die
Gier und die Ermattung der Begierde (Lustlosigkeit), fallen, sindb : Unverschämt- D 284
heit, Weichlichkeitc ,Verschwendung, verbissener Geiz, Heuchelei, Schamlosig-
keit, Strenge, Narrheit, übertriebene Geselligkeit, Schroffheit, Streitlust, Schmei-
chelei, Neid und Schadenfreude. Die Unverschämtheit ist die Beharrlichkeit der B 90
Seele im Begehen böser Handlungen, ohne sich vor Tadel in acht zu nehmen.
Die Weichlichkeit ist ein Zustand, der sich der Seele durch ein Übermaß an
Scham bemächtigt, so daß sie sich weder in Worten noch in Taten entfalten kann.
Die Verschwendung bedeutet Vergeudung des Geldes für unnötige Dinge zu
unpassender Zeit und mehr, als erforderlich ist.
Verbissener Geiz bedeutet, sich notwendiger Ausgaben zu enthalten. Die Ursa-
che dafür sind Sparsucht, Knauserei und Knickrigkeit. Diese drei Laster stehen in
einer Rangordnung zueinander.
Der Sparsüchtige ist derjenige, der das Maß überschreitet und die Ausgaben aus D 285
Furcht davor einschränkt, daß die Armut ihn zum Bittgang und zur Erniedrigung
vor den Feinden zwingen könnte; bei genauer Betrachtung könnte der Grund der
Sparsucht Feigheit sein.
Der Knauserer ist derjenige, der zusätzlich zu dem, was wir bereits erwähnt
haben, jedem anderen mißgönnt, gut zu leben, in der Hoffnung, daß die Not jenen
dazu zwingen wird, um Geld zu bitten, und daß er dadurch Ruhm und Würde
erlangt. Die Ursache dafür ist eine Art Unwissenheit.
Der Knickrige ist derjenige, der zusätzlich zu allen bereits genannten Eigen-
schaften für eine geringfügige Sache die Schande hinnimmt 135 . Die Ursache dafür A 90
ist eine Art Böswilligkeit wie bei einem Dieb oder einem Kupplerd .
Die Heuchelei bedeutet das Streben nach Ähnlichkeit mit tugendhaften Men-
schen, um Berühmtheit und Ansehen zu erlangen.
Die Schamlosigkeit bedeutet, es abzulehnen, sich mit guten Taten zu schmük-
ken, und bewußt das Gegenteil (der tugendhaften Werke) zu demonstrieren.
Die Strenge ist das Übermaß an Ernst.
a
Bei A, B, D u. K. Bei S u. E: „Die Hilfsbereitschaft, arab.: musā2ada“.
b
„die unter die beiden Laster …“ lediglich bei S u. E. Bei den übrigen fallen Gier und Ermattung
zu den anderen Lastern, was ihnen eine sekundäre Bedeutung verleiht.
c
Bei E u. Ae: „Bosheit, hubt“. Bei S ist es unklar, ob es sich um „at-tahannut, Weichlichkeit“ oder
˘ Der
„al-hubt, Bosheit“ handelt. ¯ weitere Zusammenhang weist jedoch ˘darauf¯ hin, daß es sich hier-
˘ ¯
bei um „Weichlichkeit“ handelt.
d
Alle diese drei Adjektive: sparsüchtig (bahı̄l), knauserig (sˇahı̄h) und knickrig (la3ı̄m) unterschei-
den sich im Arabischen wie auch im Deutschen ˘ geringfügig voneinander,
˙ ˙ s. Anm. 135.
156 Was der Tugend der Enthaltsamkeit und ihren Lastern zugeordnet wird
a
S: „unverdiente …“ Ob es sich dabei um ein verdientes oder unverdientes Glück handelt, ist
eine Einschränkung von Gh., die über die sprachliche Anwendung des Begriffs hinausgeht, s. lisān
…, Bd. 3, S. 148; tāǧ al-2arūs, Bd. 8, S. 25.
b
„Das ist das …“ lediglich bei S u. E.
Was der Tugend der Enthaltsamkeit und ihren Lastern zugeordnet wird 157
schaften sind zahlreich. Deshalb unterscheidet sich die Rangordnung der Men-
schen im Jenseits, wie sie sich (auch) im Diesseits in der körperlichen Konstitution,
in der ethischen Gesinnung, in Reichtum und Wohlstand sowie in allen Lebens-
umständen unterscheidet.
A 92 XX.
B 92
Über die Motive, die zur Suche nach den diesseitigen
Gütern veranlassen, und die, die davon abhalten
Was die diesseitigen Güter anbetrifft, so teilen sich ihre Motive (zu ihrem Erwerb)
in drei Arten:
Erstens sind es derAnreiz und die Einschüchterung in bezug auf das, was sofort
und später geschehen wird und was man fürchtet.
Zweitens sind es die Hoffnung auf Lob und die Furcht vor Tadel von seiten
desjenigen, dessen Lob und Tadel geachtet werden 137 .
Drittens ist es das Streben nach Tugend und Vollkommenheit der Seele, weil
dies eine Vollkommenheit und Tugend (an sich) ist, und nicht wegen eines ande-
ren, dahinterstehenden Zweckes geschieht.
Die erste Art (der Motive) wird durch die Begierde veranlaßt. Das ist die Stufe
der gemeinen Menschen.
D 288 Die zweite Art ist eine Folge des Anstandes und der Prinzipien des unfähigen
Verstandes. Sie bezieht sich auf die Taten der Herrscher, der Vornehmen in dieser
Welt und der Schlauen unter den Weisen im Verhältnis zu den gewöhnlichen Men-
schen.
Die dritte Art entspricht der vollkommenen Vernunft; sie erzeugt die Handlun-
gen der Gottesvertrauten, der Weisen und der Scharfsinnigen unter den Vernünf-
tigen. Weil diese Stufen voneinander abweichen, wurde gesagt: „Das Beste, was
dem Menschen gegeben wird, ist eine Vernunft, die ihn (von den Missetaten) zu-
rückhält; ansonsten eine Scham, die ihn davon abhält; ansonsten eine Angst, die
ihn im Zaum hälta ; trifft dies auch nicht zu, so ist es ein Reichtum, der ihn schützt;
wenn auch dies nicht der Fall ist, so wäre das Beste für ihn ein Blitzschlag, der ihn
verbrennt, so daß Menschen und Länder Ruhe vor ihm haben.“ Diesem ist jeder
Mensch von seiner Kindheit an bis ins hohe Alter ausgesetzt.
Denn in den Anfängen der Kindheit kann man ihn durch Lob und Tadel weder
ermahnen noch motivieren, sondern nur durch das Angebot an (guter) Nahrung
oder durch wirksame Schläge, die er spürt. Wenn er das Alter der Geschlechtsreife
erreicht und unterscheidungsfähig wird, so kann man ihn durch Lob und Tadel
ermahnen oder anspornen. Der Weg ihn zu ermahnen, ist, das zu tadeln, wovor
er zurückschrecken soll, und die Verabscheuung desjenigen, der es dennoch tut.
Der Weg, ihn anzuspornen, die Höflichkeit und anderes zu lernen, ist das häufige
Loben desjenigen, der sich so verhält, und das Tadeln desjenigen, der dies nicht
tut, so daß dies einen eindeutigen Einfluß auf ihn bewirkt. Die Mehrheit der Men-
schen gelangt nicht über diese beiden Stufen hinaus zu der dritten, so daß ihr Vor-
a
„im Zaum hält“ bei S u. E. Bei den übrigen: „abschreckt“.
Suche nach den diesseitigen Gütern 159
a
„Das ist die Stufe des Pöbels“ fehlt lediglich bei D.
160 Suche nach den diesseitigen Gütern
Die Nachlässigkeit stellt sich in zweierlei Hinsicht dar: Unwissenheit oder über-
mächtige Begierde.
Die Unwissenheit (in diesem Zusammenhang) bedeutet, daß man die jenseiti-
gen Güter, ihren hohen Rang und die Winzigkeit der diesseitigen Genüsse im Ver-
hältnis dazu nicht kennt. Die Unwissenheit hat zwei Stufen: Die erste beruht so-
wohl auf Sorglosigkeit als auch darauf, keinen belehrenden Ratgeber gefunden zu
haben. Die Heilung eines solchen Menschen ist leicht. Dazu bedarf es in jedem
Lande einer Gruppe von Gelehrten und Predigern, die die Menschen aus ihrer
D 291 Sorglosigkeit wecken, sie zur Abkehr vom Diesseits und zur Hinwendung zum
Jenseits bewegen, nicht aber in der Weise, die sie von den derzeitigen Predigern
gewöhnt sind. Denn diese Weise zu predigen ermutigt die Menschen zur Sünde
oder macht ihnen die Religion verächtlich.
Die zweite Stufe (dieser Unwissenheit) beruht auf dem Glauben, daß die Glück-
seligkeit in der Erfüllung der diesseitigen Genüsse und der gegenwärtigen Vor-
rangstellung liegt. Sie beruht ferner darauf, daß es keinen Grund für den Glauben
an das Jenseits gibt, weil der Glaube allein genügt, der jedem Gläubigen, wie auch
immer sein Handeln sein mag, verfügbar ist, odera in der Vermutung, daß man nur
gerettet wird, indem man sich auf die göttliche Vergebung verläßt und daß Gott
großzügig und barmherzig ist und keinen Mangel durch die Sünde der Sündiger
erleidet. Deshalb obliegt es ihm (Gott), sich ihrer zu erbarmen. Dies sind verschie-
dene Arten von Torheiten, die die Menschen von der Anbetung Gottes abhalten
und sie ermutigen zu sündigen. Wer aber vermutet, daß das Jenseits nicht existiert,
gerät in den reinen Unglauben und bloßen Irrtum. Wann immer dieser Glaube fest
verankert ist, verringert sich die Menschlichkeit seiner Anhänger, und sie gehören
mit Sicherheit zu den Verdammten.
Derjenige aber, der meint, daß der bloße Glaube genüge, ist in bezug auf die
Wahrheit des Glaubens unwissend und läßt folgende Aussage des Propheten außer
acht: „Wer aufrichtig sagt: ‚Es gibt keinen Gott außer Gott, kommt ins Para-
dies.‘“ 142 Er berücksichtigt ferner nicht, daß die Bedeutung der Aufrichtigkeit dar-
in liegt, daß Glaube und Handeln seiner (eigenen) Rede entsprechen sollen, damit
er kein Heuchler ist.
B 95 Die unterste Stufe der Aufrichtigkeit ist, daß man seine Leidenschaft nicht zu
seinem Gott macht. Denn wer seiner Leidenschaft folgt, wird deren Sklave, und sie
wird zu seinem Gott. Dieses Verhalten macht die Aussage des Propheten
D 292 (Muhammad): „Es gibt keinen Gott außer Gott“ zunichte, und es ist unvereinbar
˙ Aufrichtigkeit.
mit der
A 95 Wer glaubt, daß die jenseitige Glückseligkeit durch die bloße Aussage: „Es gibt
keinen Gott außer Gott“ erreicht werden kann, ohne dies durch das Handeln zu
bestätigen, der ähnelt demjenigen, der glaubt, daß die Speise allein durch seine
Aussage: „Ich habe Zucker hineingetan“ süß werde, ohne dies wirklich getan zu
haben, oder er ähnelt demjenigen, der glaubt, daß das Kind durch die bloße Aus-
sage: „Ich habe mit der Frau einen Beischlaf gehabt“ entstehe, ohne (wirklich)
a
Bei S u. E: „und“. Bei allen anderen „oder“.
Suche nach den diesseitigen Gütern 161
einen Beischlaf mit ihr gehabt zu haben, oder demjenigen, der glaubt, daß die
Pflanze durch seine Aussage: „Ich habe Samen gestreut“ heranwüchse, ohne ihn
(wirklich) gestreut zu haben. Ebenso wie diese Wirkungen im Diesseits ohne das
Vorhandensein ihrer Ursachen nicht erreicht werden können, so verhält es sich
auch mit der Angelegenheit des Jenseits. Die Angelegenheit beider, Diesseits
und Jenseits, ist ein und dieselbe. Der Begriff „Jenseits“ wird hier spezifisch auf
die Angelegenheit des Jenseits bezogen, weil es ein späteres Stadium bezeichnet.
Der Eintritt in die Welt durch die Geburt ist ein Jenseits im Verhältnis zum
Dasein im Mutterleib; das Erreichen des verantwortungsfähigen Alters ist ein Jen-
seits im Verhältnis zu der vorherigen Altersstufe, und das Erreichen der Stufe des
erwachsenen Alters ist ebenfalls ein Jenseits im Verhältnis zu dem vorherigen Al-
ter. Dies sind aufeinanderfolgende Stufen der Schöpfung.
Der Tod ist eine andere Form von Entwicklung und eine andere Art von Fort-
schritt sowie eine andere Weise von Geburt und Übergang von einer Welt in eine
andere, wie der Gepriesene (Muhammad) sagt: „Das Grab ist entweder eine der
˙
Gruben der Hölle oder einer der Gärten des Paradieses“ 143 , das heißt, daß der Tod B 96
nur ein Austausch der Wohnstätten ist.
Wie derjenige, der sich auf die Barmherzigkeit und die Güte Gottes verläßt, D 293
durstig und hungrig verharrt und den Weg zum Trinken des Wassers und Einneh-
men des Brotes nicht beschreitet, ins Verderben geht, und wie derjenige, der sich
auf ihn im Streben nach Reichtum verläßt und keine Geschäfte betreibt, den
Reichtum nicht erhält und törichta wird, so verhält es sich mit denjenigen Men-
schen, die mit dem folgenden koranischen Vers gemeint sind: „Diejenigen, die das
Jenseits haben möchten und sich mit dem entsprechenden Eifer darum bemühen
und dabei gläubig sind, finden für ihren Eifer (dereinst bei Gott) Dank (und An-
erkennung).“ 144 Deswegen macht Gott darauf aufmerksam, indem er sagt: „Und
daß dem Menschen (dereinst) nichts anderes zuteil wird als das, wonach er (in
seinem Erdenleben) strebt, …“ 145
Wenn man erkennt, daß Gott die vollkommene Herrlichkeit hat, daß die höch-
ste Glückseligkeit in der Nähe zu ihm liegt, daß die Nähe zu ihm nicht räumlich ist,
sondern in der größtmöglichen Aneignung der Vollkommenheit besteht, und daß
die Vollkommenheit der Seele durch Wissen und Handeln sowie durch die Er-
kenntnis der Wahrheit der Dinge beim Vorhandensein einer guten ethischen Ge-
sinnung erlangt wird – wie kann man sich dem erhabenen Gott nähern, wenn man
nicht vollkommen ist?
Wenn jemand, der beim König einen höheren Rang durch eine Art Wissen er- A 96
langen möchte, im Verlaß auf die Großzügigkeit des Königs in seinem Hause un-
tätig bleiben und in seiner Mangelhaftigkeit verharren würde und während der
Nacht im Vertrauen auf Gottes Güte nicht fleißig wäre im Streben nach dem Wis-
sen, um so der Beste seiner Zeitgenossen zu werden – denn die Güte des allmäch-
tigen und erhabenen Gottes ist allumfassend und seine Allmacht um so größer –,
diesem Menschen würde gesagt: Das ist ein Verhalten angefüllt mit Absurdität
a
„töricht“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „unglücklich“.
162 Suche nach den diesseitigen Gütern
und Torheit, lediglich äußerlich mit einer Rede geschmückt, die man für lobens-
wert hält. So verhält es sich mit demjenigen, der durch Untätigkeit und Trägheit
die Glückseligkeit im Jenseits erlangen will.
XXI. A 97
B 97
Über die verschiedenen Arten des Glücks und D 294
Die Güter des erhabenen Gottes, auch wenn sie im einzelnen nicht aufzuzählen
sind, lassen sich in ihrer Gesamtheit zu fünf Arten zusammenfassen.
Die erste ist die jenseitige Glückseligkeit, welche Ewigkeit ohne Ende, Freude
ohne Kummer, Wissen ohne eine Spur von Unwissenheit, Reichtum ohne Ver-
armung bedeutet.
Man kann diese nur durch die zweite Art der Güter Gottes erreichena , welche
die seelischen Vorzüge umfaßt, die wir vorher zu vier Arten zusammengefaßt ha-
ben. Die Vernunft, deren Vollkommenheit das Wissen ist, die Enthaltsamkeit, de-
ren Vollkommenheit die Gottesfurcht ist, die Tapferkeit, deren Vollkommenheit
der innere Kampf ist, die Gerechtigkeit, deren Vollkommenheit in der gerechten
Behandlung anderer liegt: Dies sind wahrhaftig die Gründe der Religion.
Diese Vorzüge werden durch die dritte Art vervollkommnet. Es sind die körper-
lichen, die sich auf vier Bereiche beziehen:
Gesundheit, Kraft, Schönheit und lange Lebensdauer. Sie werden durch die D 295
vierte Art vervollkommnet, die sich auf den sozialen Bereich des Menschen be-
zieht. Sie gliedern sich in vier Bereiche: Reichtum, Verwandtschaft, Macht und
edle Herkunft. Der vollständige Nutzen dieser Vorzüge wird erst durch die fünfte
Art ermöglicht. Sie umfaßt die Vorzüge, die man durch die göttliche Hilfe erlan-
gen kann. Es sind vier: die rechte Leitung, seine Unterweisung (zur richtigen Ein-
sicht), seine Führung (zum Ziel) und sein Beistand.
Außer der jenseitigen Glückseligkeit sind dies sechzehn Arten von Glück. Es
gibt keine Möglichkeit, eine dieser Arten von Glück durch Anstrengung zu erwer-
ben, außer den seelischen Vorzügen in der Weise, wie wir es zuvor dargestellt
haben.
Du weißt (nun), daß diese Arten von Glück fünf an der Zahl sind: jenseitige,
seelische, körperliche, soziale und die, die auf göttlicher Hilfe beruhen. Die einen D 296
brauchen die anderen entweder notwendigerweise wie die seelischen Vorzüge,
ohne die die jenseitige Glückseligkeit nicht erreicht werden kann, und wie die
Gesundheit des Körpers, ohne die die seelischen Vorzüge nicht erlangt werden
können; oder nützlicherweise wie etwa das Bedürfnis nach den sozialen Vorzügen,
denn wenn Reichtum, Familie und edle Herkunft nicht vorhanden sind, so fehlen A 98
die Bedingungen für die Erlangung dieser Arten von Vorzügen.
Wenn du fragst: Wozu braucht man die sozialen Vorzüge wie Reichtum,Ver- B 98
a
„Man kann diese nur …“ nach S u. E, nach den übrigen: „Man kann diese nur durch Gott
erreichen und ohne die zweite Art nicht vervollkommnen, welche …“
164 Verschiedene Arten des Glücks
wandtschaft, Macht und edle Herkunfta ?, so wisse, daß diese Dinge einem Flügel
ähneln und wie ein Instrument sind, das leicht zum Ziel führt.
Der Reichtum ist deshalb erforderlich, weil der Arme, der nach Vollkommen-
heit strebt, wie derjenige ist, der ohne Waffen in den Krieg zieht, und wie ein Falke,
der auf der Jagd ist und keine Flügel hat. Darum sagt der Gepriesene (Muham-
mad): „Welch vortrefflicher Reichtum ist das für den aufrichtigen Menschen.“ ˙ 147
Ferner sagt er: „Welch vortreffliche Hilfe ist der Reichtum für die Anbetung Got-
tes!“ 148 Wie kann dies der Fall sein?
D 297 Wer kein Geld hat, dessen Suche nach Essen, Kleidung, Wohnung und anderen
Lebensnotwendigkeiten beansprucht viel Zeit, so daß er keine Möglichkeit mehr
hat, sich dem Erwerb des Wissens zu widmen, das die ruhmreichste aller Tugen-
den ist. Durch das Fehlen von Geld kann er die tugendhaften Handlungen der
Pilgerfahrt, des Entrichtens von Armensteuern und des Spendens sowie der Aus-
breitung von gütigen Handlungen nicht durchführen. Was die Familie und die
aufrichtige Nachkommenschaft anbetrifft, so ist das Bedürfnis nach ihnen offen-
sichtlich.
Die aufrichtige Frau ist ein Acker für den Mann und Schutz für seine Religion.
Der Gepriesene (Muhammad) sagt: „Welch vortrefflicher Beistand für die Religi-
B 99 on ist die aufrichtige ˙Frau!“ 149 Über die Nachkommenschaft sagt er: „Wenn der
Mensch stirbt, hört seine Tätigkeit auf, und nichts nützt ihm außer einem der drei
folgenden Dinge: dauerhafte Spende, ein Wissen, das für andere nützlich ist, oderb
ein aufrichtiges Kind, das für ihn betet.“ 150 Wann auch immer ein Mensch zahlrei-
che Familienangehörige und Verwandte hat, die ihm helfen, so sind sie für ihn wie
Ohren, Augen und Hände, so daß er durch ihre Hilfe vieles von den diesseitigen
Angelegenheiten leichter erledigen kann, für die er lange Zeit benötigen würde,
wenn er sie allein durchführen müßte. Je leichter die diesseitigen Lebensnotwen-
digkeiten zu erfüllen sind, desto besser kann sich das Herz konzentriert dem Got-
tesdienst und der Wissenschaft widmen. Dies ist für die Erfüllung der religiösen
Pflichten hilfreich.
Was die Macht anbetrifft, so kann sich der Mensch mit ihrer Hilfe gegen Un-
recht wehren. Denn es wird immer einen Feind für den Muslim geben, der ihm
Schaden zufügt und Unrecht tut, ihn stört und sein Denken beschäftigt. Deshalb
sagt man: „Religion und Herrschaft gehören zusammen wie Zwillinge“, ferner:
A 99/D 298 „Die Religion ist die Grundlage, und der Herrscher ist ein Wächter.“ Was aber
keine Grundlage besitzt, verfällt, und was keinen Wächter hat, geht verloren. Des-
halb sagt der Erhabene (Gott): „Und wenn Gott nicht die einen Menschen durch
die anderen zurückgehalten hätte (indem er ihnen aus ihren eigenen Reihen Wi-
dersacher entstehen ließ), wäre die Erde dem Unheil verfallen.“ 151
Kurz gesagt, /ist die Abwehr des Unheils erforderlich, damit die Menschen sich
auf die Gottesanbetung konzentrieren können. Dies kann nur durch eine Art
a
„Macht und edle“ fehlt bei S, E u. Ae, jedoch scheint es sich um eine unabsichtliche Auslassung
zu handeln, da sie oben mitaufgezählt werden.
b
„oder“ bei allen außer S. Bei E: „und“.
Verschiedene Arten des Glücks 165
Macht erlangt werden. Was zum Guten führt, ist auch gut;/a genauso ist alles, was
die Abwendung vom Guten verhindert, auch gut.
Was die edle Herkunft und die angesehenen Väter anbetrifft, so könnte man
dies geringschätzen, indem man sagt: Der Mensch zählt durch sich selbst; die Men-
schen sind Kinder ihrer guten Handlungen, und die Wertschätzung jedes Einzel-
nen beruht auf dem, was er gut kann. Gewiß, wenn die edle Herkunft /ohne/ edle
Seele der edlen Seele ohne edle Herkunft gegenübergestellt wird, so ist /die edle
Herkunft/b zu verachten. Wenn aber zur edlen Seele die edle Herkunft hin-
zukommt, kann deren Hochschätzung nicht geleugnet werden:
„Unter den Menschen suche einen,
der Edelmut mit Demut kann vereinen.
Dann suche seinen Sohn,
der, edler noch, sitzt auf dem höchsten Thron.“ 152
Eine der Bedingungen der Staatsführung ist die edle Herkunft; es wird gesagt, B 100
daß alle Herrscher aus dem Stamm Qureisch kommen sollen. Wie könnte es auch
anders sein, wo doch die ethische Gesinnung vom Gemüt abhängt und von den
Wurzeln aus zu den Zweigen geht. Deshalb sagt der Gepriesene (Muhammad):
„Wählt für euren Samen (die richtigen Frauen)“ 153 , und er sagt: „Hütet˙ euch vor D 299
einer grünen Pflanze inmitten von Mist“ 154 , das heißt vor der schönen Frau von
schlechter Herkunft.
Dies gehört auch zu den Arten des Glücks. Wir meinen damit nicht die Zugehö-
rigkeit zu einer edlen Familie, zu den Herrschern und Fürsten, sondern die Zuge-
hörigkeit zu den reinen und geläuterten Seelen, die mit Wissenschaft, Gottesanbe-
tung und Vernunft geschmückt sind.
Wenn du aber sagst: Was nützen die körperlichen Vorzüge?, so antworten wir:
Das Bedürfnis nach Gesundheit, Kraft und langem Leben kann nicht bezweifelt
werden. Die Schönheit aber ist geringzuschätzen. Deshalb wird gesagt, es genüge,
daß der Körper frei von Krankheiten ist, die von der Suche nach Tugenden abhal-
ten. Gewiß nützt die Schönheit allein wenig, jedoch gehört sie zum Glück und zur
Glückseligkeit im allgemeinen. A 100
Was das Diesseits anbetrifft, so ist dies einleuchtend. Im Jenseits gehört sie zur
Glückseligkeit und zum Glück in zweierlei Hinsicht:
1. Die Häßlichkeit ist tadelnswert, und die Menschen zeigen ihr gegenüber von
Natur aus eine Abneigung. Die Wünsche eines schönen Menschen werden mei-
stens erfüllt. Die Schönheit ist also, wie der Reichtum, ein Flügel, der zum Ziel
führt. Was im Diesseits zur Erfüllung von Wünschen beiträgt, trägt auch im Jen-
seits dazu bei. Denn man erlangt das Jenseits durch die Mittel des Diesseits.
2. Die Schönheit weist meistens auf die Tugend der Seele hin; denn wenn das
Licht der Seele vollkommen ist, gelangt es auch zum Körper. Oft stehen Äußeres D 300
und Inneres in engem Zusammenhang. Deshalb achten die Physiologen auf die
Haltung des Körpers und schließen daraus auf die innere ethische Gesinnung.
Das Auge und das Gesicht sind ein Spiegel des Inneren. Deshalb werden in ihnen B 101
a
/…/ fehlt lediglich bei S.
b
/…/ Auslassung nur bei S.
166 Verschiedene Arten des Glücks
Zeichen des Zorns, der Trauer, und der Freude sichtbara . Es wird gesagt: „Die
Fröhlichkeit des Gesichts ist ein Zeichen für das, was die Seele verbirgt, und auf
der Erde gibt es kein häßliches Lebewesen, es sei denn, daß sein Gesicht noch
häßlicher ist.“ Eines Tages nahm al-M3mūn 155 eine Parade ab. Ein häßlicher Mann
wurde ihm vorgeführt. Er wollte ihn befragen, jener aber stotterte. Der Kalif ent-
fernte ihn (aus der Truppe) und sagt: „Wenn der Geist auf das Äußere ausstrahlt, so
ist er erklärend, und wenn er auf das Innere ausstrahlt, so ist er entblößend. Jener
(Soldat) aber hat weder Inneres noch Äußeres.“b In diesem Zusammenhang sagt
der Gepriesene (Muhammad): „Strebt nach Erledigung eurer Anliegen bei den
Menschen, die schöne ˙ Gesichter haben“ 156 , und ferner sagt er: „Wenn ihr einen
Gesandten schicken wollt, so wählt den, der sowohl ein schönes Gesicht als auch
einen schönen Namen hat.“ 157 Islamische Juristen sagen darüber: „Wenn die Be-
tenden gleichrangig sind, so hat derjenige mit dem schönsten Gesicht die Priorität,
Vorbeter zu werden.“ 158 Der erhabene Gott sagt gnädig: „Gott hat ihn (den Saul)
vor euch auserwählt und ihm ein Übermaß an Wissen und Körper(größe) verlie-
hen.“ 159 Wir meinen mit Schönheit also nicht das, was Begierde hervorruft, denn
dies ist eine weibliche Eigenschaft. Wir meinen damit die Größe und die gerade
Haltung mit einem angemessenen Körpergewicht, mit wohlproportionierten Kör-
D 301 perteilen und harmonischen Gesichtszügen, so daß niemand es verabscheut, diese
anzuschauen.
Wenn du nach dem Sinn der auf göttlicher Hilfe beruhenden Tugenden fragst,
welche die rechte Leitung, die Unterweisung, zur richtigen Einsicht, die Führung
A 101 (zum Ziel) und der Beistand Gottes sind, so wisse, daß der Mensch niemals und in
keiner Situation den von Gott erhaltenen Erfolg entbehren kann. Das bedeutet
also, daß der Wille und das Handeln des Menschen mit Gottes Entscheidung und
seiner Vorherbestimmung in Einklang sein müssen. Die Hilfe Gottes kann sowohl
bei Gutem als auch bei Bösem gebraucht werden. Sie ist aber bei guten und glück-
bringenden Dingen bekannt geworden. Das Bedürfnis nach Erfolg durch göttliche
Hilfe ist einleuchtend. Deshalb wird gesagt:
„Des Menschen Geist und Kraft erschlafft,
wenn Gott ihm keinen Beistand schafft.“ 160
Was die rechte Leitung anbetrifft, so kann der Mensch nur mit ihrer Hilfe nach
den Tugenden streben. Denn sie ist der Anfang alles Guten, wie der Erhabene
selbst sagt: „Unser Herr ist der, der einem jeden Ding seine kreatürliche Art (oder
seine Existenz) gegeben und hierauf (die Menschen) rechtgeleitet hat“ 161 , und au-
B 102 ßerdem: „Und wenn nicht Gott seine Huld und Barmherzigkeit über euch würde
walten lassen, wäre keiner von euch jemals (von Sünden) rein. Aber Gott erklärt
für rein, wen er will.“ 162 In diesem Zusammenhang sagt der Gepriesene (Muham-
mad): „Keiner kommt ins Paradies ohne Gottes Barmherzigkeit“, das heißt ohne ˙
seine rechte Leitung. Man fragte: „Sogar du nicht, Gesandter Gottes?“ Er antwor-
tete: „Sogar ich nicht.“ 163
a
Bei S. „der Freude“ fehlt bei E. Bei den übrigen: „… Zeichen des Zorns und des Bösen“.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Wenn der Geist auf das Äußere ausstrahlt, so enthüllt er das
Innere.“
Verschiedene Arten des Glücks 167
Die rechte Leitung hat drei Stufen: Die erste besteht darin, den Weg zum Guten D 302
und zum Bösen zu zeigen, worauf in folgendem koranischem Vers verwiesen wird:
„… und haben wir ihm (dem Menschen) die beiden Wege gezeigt?“ 164 Der erha-
bene Gott hat dieses als Gabe all seinen Dienern geschenkt, den einen durch die
Vernunft, den anderen durch die Gesandten. Deshalb sagt er: „Und was die Tamūd
angeht, so leiteten wir sie (wohl) recht. Aber sie zogen die Blindheit der Recht-¯
leitung vor.“ 165
Auf der zweiten Stufe versorgt Gott den Menschen mit seinen Gaben von Zeit
zu Zeit je nach seiner Fortentwicklung in den Wissenschaften und der Zunahme
seiner guten Taten. Das ist das, was mit der Aussage des Erhabenen gemeint ist:
„Diejenigen aber, die recht geleitet sind, bestärkt er noch in ihrer rechten Leitung
und macht sie (erst recht) gottesfürchtig.“ 166
Die dritte Stufe ist das Licht, welches in der Welt der Vertrauten Gottes und der
Propheten leuchtet, durch dessen rechte Leitung man mehr erlangen kann als
durch die Tätigkeit der Vernunft, durch welche die religiösen Pflichten auferlegt
werden und die Fähigkeit zum Lernen ermöglicht wird. Das ist es, was mit der
Aussage des Erhabenen gemeint ist: „Sag: Die rechte Leitung ist (allein) die von
Gott.“ 167 Also weist er es (das Licht ) sich selbst zu und nennt es die absolute rechte D 303
Leitung. Das ist das, was in seiner Aussage „Leben“ genannt wird: „Ist denn einer,
der tot war und den wir dann zum Leben erweckt und dem wir Licht gegeben
haben, in dem er unter den Menschen umhergeht, (gleich) wie einer, der in der
Finsternis ist und nicht aus ihr herauskommen kann?“ 168 , und in seiner Aussage:
„Ist denn einer, dem Gott die Brust für den Islam geweitet hat, so daß er (nun- A 102
mehr) von seinem Herrn erleuchtet ist (gleich einem, der verstockt ist und im Fin-
stern tappt)?“ 169
Mit der Unterweisung zur richtigen Einsicht meinen wir die göttliche Vor-
sehung, die dem Menschen bei der Verwirklichung seiner Ziele hilft, ihn bei der
Erlangung des Guten unterstützt und ihn von dem abhält, was sein Verderben B 103
bewirken könnte. Dies geht vom Inneren (des Menschen) aus, wie der Erhabene
sagt: „Und schon früher haben wir doch dem Abrāhām die rechte Leitung gege-
ben. Wir wußten über ihn Bescheid.“ 170
Erfolgreiche Führung (zum Ziel) bedeutet, daß Gott den Willen des Menschen
und seine Bewegung zum gewünschten Ziel lenkt, um es in kurzer Zeit erreichen
zu können. Die rechte Leitung geschieht durch eine Unterrichtung (mit Hilfe gött-
licher Eingebung).
Die erfolgreiche Führung zum Ziel bedeutet Hilfe und Beistand dadurch, daß
Gott den Menschen zum Ziel hin in Bewegung setzt.
Gottes Beistand bedeutet die Stärkung des Menschen, innerlich durch die
Scharfsinnigkeit, äußerlich durch die Kampfbereitschaft. Das ist das, was mit der
Aussage des Erhabenen (Gott) gemeint ist: „Jesus, Sohn der Maria! Gedenke mei-
ner Gnade, die ich dir und deiner Mutter erwiesen habe, als ich dich mit dem
Heiligen Geist stärkte, so daß du (schon als Kind) in der Wiege zu den Leuten
sprachst …“ 171
Dies steht der Unfehlbarkeit nahe, welche eine göttliche Ausströmung (Emana-
tion) ist, durch die der Mensch bestärkt wird, das Gute zu suchen und das Böse zu D 304
168 Verschiedene Arten des Glücks
vermeiden, bis man in seinem Inneren in unbewußter Weise ein Hindernis gegen
das Böse bildeta . Das ist mit seiner Aussage gemeint: „Und sie verlangte nach ihm
(Joseph); und auch er hätte nach ihr verlangt, wenn er nicht ein Zeichen von sei-
nem Herrn gesehen hätte.“ 172
Diese Dinge könnten sich nicht ereignen, es sei denn, daß Gott den Menschen
mit einem scharfen und klaren Verstand, einem feinen und aufmerksamen Gehör,
einem scharfsichtigen und wachsamen Herz, einem vertrauenswürdigen Lehrer
und einem Reichtum versorgt, der das Lebensnotwendige übersteigt, weil das We-
nige nicht ausreicht, zu viel aber den Menschen von der Religion abwenden würde;
außerdem sind eine Sippe und eine Macht nötig, durch die der Mensch vor der
Torheit der Törichten bewahrt und vor dem Unrecht der Feinde geschützt wird.
Durch diese Mittel wird die Glückseligkeit vollkommen.
a
„bis man …“ bei allen außer D: „bis diese in unbewußter Weise von seinem Inneren ausgeht.“
XXII. A 103
B 104
Über Ziele und Bedeutungen der
verschiedenen Arten des Glücks 173
Wisse, daß die wahrhaftige Glückseligkeit die jenseitige ist. Außer in bezug auf das
Jenseits wird der Begriff entweder im metaphorischen Sinne oder falsch verwen-
det, wie etwa das diesseitige Glück, welches nicht zur Erreichung der jenseitigen
Glückseligkeit beiträgt, oder im eigentlichen Sinne, wobei jedoch die Anwendung
des Begriffs auf das Jenseits richtiger ist. Er beinhaltet alles, was zur jenseitigen
Glückseligkeit führt und zu ihrer Erlangung verhilft; denn das, was zum Guten und D 305
zum Glück führt, kann auch Gutes und Glück genannt werden. Die hierzu hilf-
reichen und nützlichen Mittel können in vier Abschnitten erklärt werden.
Der erste Abschnitt: a) was in jeder Situation nützlich ist, das sind die seelischen
Vorzüge; b) was in manchen Situationen nützlich ist, in anderen nicht, wobei der
Nutzen aber überwiegt, wie zum Beispiel ein bescheidenes Vermögen; c) was für
die meisten Menschen schädlich ist, wie ein großes Vermögena und wie manche
Wissenschaften und Künste.
Weil dies bei vielen Menschen Verwirrung hervorruft, muß der Vernünftige
Schutz in der Erkenntnis der Wahrheit dieser Dinge suchen, damit das Schädliche
das Nützliche, das Niedrige das Erhabene und das Unedle das Edle und Wichtige
nicht beeinflußtb , und so wird dem Menschen der Weg zur Glückseligkeit zu lang.
Denn wie oft gibt es jemanden, der etwas Angeschwollenes für Fett hält 174 ,
oder jemanden, der einen Gürtel sucht, um ihn sich umzubinden, jedoch eine
Schlange nimmt, die er für einen Gürtel hält, und so von ihr gebissen wird. Die
wahrhaftige Wissenschaft deckt diese Dinge auf.
Der zweite Abschnitt: Die Güter lassen sich unter einem anderen Aspekt fol-
gendermaßen aufteilen: a) das, was um seiner selbst willen begehrt wird; b) das,
was wegen anderer Güter begehrt wird; c) das, was einmal um seiner selbst willen,
ein anderes Mal wegen anderer Güter begehrt wird. Man sollte deren Rangord-
nung erkennen, damit man den Wert einer jeden Rangstufe richtig einschätzt.
a) Das, was um seiner selbst willen begehrt wird, ist die jenseitige Glückseligkeit. D 306
Denn über dieses Ziel hinaus gibt es kein höheres. b) Das, was wegen anderer
Güter begehrt wird, ist zum Beispiel der Reichtum, den man um anderer Güter
willen begehrt, wie etwa Dirhams und Dinare. Wenn die Bedürfnisse der Men-
schen mit deren Hilfe nicht befriedigt werden könnten, so wären sie (diese Gelder) B 105
wie Kiesel und andere wertlose Steine. c) Das, was einmal um seiner selbst willen, A 104
a
„… wie ein großes Vermögen“ lediglich bei S u. E.
b
Bei S u. E. Bei allen übrigen: „damit das Schädliche das Nützliche nicht beeinflußt, sondern das
Nützliche das Erhabene und das Erhabene das Wertvolle und Wichtige.“ „Das Wichtige“ fehlt bei
E.
170 Ziele und Bedeutung des Glücks
ein anderes Mal wegen anderer Güter begehrt wird, ist zum Beispiel die Gesund-
heit des Körpers. Selbst wenn der Mensch auf das Laufen, wofür die Gesundheit
des Beines erforderlich ist, verzichtet, so möchte er doch das gesunde Bein um der
Gesundheit selbst willen.
Der dritte Abschnitt: Die Güter lassen sich unter einem anderen Aspekt folgen-
dermaßen aufteilen: a) nützlich, b) schön, c) köstlich. Das Böse läßt sich ebenfalls
in dreierlei Hinsicht aufteilen: a) schädlich, b) häßlich, c) schmerzlich. Jedes der
beiden (Gutes und Böses) ist entweder absolut oder relativ. Das absolute Gute
umfaßt alle drei Eigenschaften, die zum Guten gehören, wie etwa die Weisheit.
Sie ist nützlich, schön und köstlich. In bezug auf das Böse läßt sich die Unwissen-
heit als Beispiel nennen. Sie ist schädlich, häßlich und schmerzhaft. Das relative
Gute enthält einige dieser Eigenschaften. Denn es ist möglich, daß es etwas Nütz-
liches gibt, welches schmerzhaft ist, wie etwa die Amputation eines überzähligen
Fingers oder einer hervorstehenden Geschwulst. b) Möglicherweise gibt es etwas
Nützliches, das häßlich ist, wie die Torheit, denn sie bedeutet Ruhe. Man sagt:
„Wer keinen Verstand hat, ruht“, das heißt, er sorgt sich nicht um die Folgen seiner
D 307 Handlungen, so daß er sofort zur Ruhe kommt. c) Vielleicht gibt es etwas, das
einerseits nützlich, andererseits schädlich ist, wie etwa, wenn man aus Angst vor
dem Untergang des Schiffes den Reichtum ins Meer wirft, denn dies schadet dem
Reichtum, ist aber für das Überleben nützlich.
Das Nützliche läßt sich in zweierlei Hinsicht aufteilen: a) das, was notwendig ist,
wie etwa die seelischen Tugenden, die zur Erlangung der jenseitigen Glückselig-
keit beitragen, und b) das, was nicht notwendig ist, weil es ersetzbar ist, wie der
Sauerhonig, welcher zur Beruhigung der Galle angewandt wird.
Der vierte Abschnitt: Die Genüsse lassen sich gemäß den drei Fähigkeiten und
den drei Formen der begehrten Dinge in drei Arten aufteilen; denn der Genuß
besteht in der Wahrnehmung des Begehrten, und die Begierde ist die Motivierung
der Seele zur Erlangung dessen, was diese begehrt. Der Genuß ist a) ein geistiger,
b) ein körperlicher, den Mensch und Tier teilen, c) ein körperlichera , den nur eini-
ge Tiere mit den Menschen gemein haben.
Die geistigen Genüsse sind wie die des Wissens und der Weisheit, letztere sind
sehr selten und ruhmreich. Sie (die Weisheit) ist deshalb selten, weil sie nur von
A 105 einem Weisen genossen wird. Die Unfähigkeit des Säuglings, den Genuß des Honigs,
der köstlichen Vögel und der vortrefflichen Süßigkeiten wahrzunehmen, beweist
nicht, daß diese Dinge nicht köstlich sind. Die Tatsache, daß der Säugling Genuß an
B 106 der Milch findet, beweist ebenfalls nicht, daß sie das köstlichste aller Dinge ist.
Alle Menschen, bis auf sehr wenige, sind durch die Macht der Unwissenheit in
der Unfähigkeit gefangen, die Stufen der Wissenschaften zu erreichen. Deshalb
genießen sie die Wissenschaften nichtb :
„Bei Bitterkeit und Seelenqual
schmeckt selbst das klare Wasser schal.“ 175
a
„c) ein körperlicher, …“ fehlt nur bei S an dieser Stelle, es wird aber später auf diesen Punkt
eingegangen.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „deshalb genießen sie die Unwissenheit …“
Ziele und Bedeutung des Glücks 171
Sie (die geistigen Genüsse) sind deshalb ruhmreich, weil sie dauerhaft, unver-
änderlich, beständig und ewig sind und weil ihre Früchte auch im Jenseits unzählig D 308
sind. Wenn derjenige, der über das Edle und Ewige verfügt, sich mit dem Nied-
rigen und Vergänglichen zufriedengibt, so ist er von krankhaftem Verstand und
gefangen in Elend und Feigheit.
Das mindeste, was sich hierzu sagen läßt, ist, daß die seelischen Tugenden, ins-
besondere das Wissen und die Vernunft, keine Helfer und Bewacher brauchen im
Gegensatz zum Reichtum. Denn das Wissen beschützt dich, und du beschützt den
Reichtum. Das Wissen vermehrt sich, wenn man es weitergibt, der Reichtum aber
verringert sich. Das Wissen ist uneingeschränkt und in jeder Situation nützlich, der
Reichtum aber führt das eine Mal zum Laster, das andere Mal zur Tugend. Des-
halb wird er an manchen Stellen im Koran getadelt, obwohl er an anderen als gut
bezeichnet wird.
b) Die zweite Art von Genuß ist Mensch und Tier gemeinsam, wie der Genuß
der Speisen, der Getränke und des Sexuellen. Diese Genüsse sind am weitesten
verbreitet.
c) Die dritte Art von Genuß, an denen der Mensch und einige Tiere teilhaben,
ist der Genuß des Herrschens und des Siegens, der bei Vernunftbegabten am stärk-
sten ausgeprägt ist, wenn sie nicht die Stufe der Gottvertrauten erreicht haben.
Dies ähnelt dem Genuß der Sexualität, des Essens und des Trinkens, nach dem
die breite Masse, die nicht die Stufe der Vernünftigen erreicht hat, heftiges Ver-
langen verspürta . Deshalb wird gesagt: „Das letzte, was aus den Köpfen der auf-
richtigen Menschen verschwindet, ist ihre Liebe zur Herrschaft.“
Wie kann der Genuß des Beischlafs und des Essens ein absoluter Genuß sein,
wo er doch einerseits ein Schmerzb , andererseits die Aufhebung eines Leidens ist?
In diesem Zusammenhang sagt al-Hasan 176 : „Der Mensch wird durch den Hunger
zu Boden geworfen und durch die Sattheit ˙ getötet.“ Es gibt in der Welt insgesamt
sieben Genüsse: Essen und Trinken, Heiraten, Sichkleiden, Wohnen, Riechen, D 309
Hören und Sehen. Alle insgesamt sind niedrig, wie es von (dem Kalifen) 2Alı̄ 177 –
möge Gott Wohlgefallen an ihm haben – überliefert wird. Denn er sagte zu 2Am-
mār ibn-Jāsir 178 , als er ihn traurig und tief seufzend sah: „O 2Ammār! Wenn du über A 106
das Jenseits seufzt, so hast du gewonnen; wenn du aber über das Diesseits seufzt,
dann hast du verloren. Denn die Genüsse des Diesseits beschränken sich auf die
Speisen, die Getränke, das Sexuelle, die Kleider, die Wohnungen, die Düfte, die
Töne und die sichtbaren Dinge. Von den Speisen ist der Honig die beste, obwohl er B 107
ein Produkt von Bienen ist. Was die Getränke anbetrifft, so ist das Wasser das
Beste unter ihnen; es ist eine gewöhnliche Sache, solange es einem zur Verfügung
steht, aber das Teuerste, wenn es fehlt.
Was die sexuellen Genüsse anbetrifft, so beziehen sie sich auf die Vereinigung
von Organen, die dem Urinieren dienen. Es sollte dir als Beweis doch genügen,
a
„der bei Vernunftbegabten …“ lediglich bei S u. E. Bei den übrigen heißt es sehr verkürzt: „der
beim Menschen am stärksten ausgeprägt ist.“
b
„einerseits ein Schmerz …“ lediglich bei S u. E. Bei den übrigen: „wo er doch in mancher Hin-
sicht die Aufhebung eines Leidens ist?“
172 Ziele und Bedeutung des Glücks
daß die Frau ihr Schönstes (das Gesicht) schminkt und man von ihr das Häßlichste
(den Schoß) will. Der beste der Stoffe ist die Seide, obwohl sie das Produkt eines
Wurmes ist. Der beste unter den Düften ist der Moschus, welcher dem Blut einer
Ratte entnommen wird. Die Töne sind ein Wind, der durch die Luft weht. Die
sichtbaren Dinge sind Schatten, die vergänglich sind.“ Das sind seine Worte.
D 310 Das Übel liegt darin, daß man von diesen Genüssen angewidert ist, sobald man
sie befriedigt hat. Man sollte den Vergleich ziehen zwischen dem Zustand nach
dem Beischlaf und dem Essen und dem Zustand, der der Befriedigung vorhergeht.
Ferner sollte man darüber nachdenken, wie das erstrebte Ziel nach seiner Erfül-
lung zu einer Sache wird, vor der man sofort fliehen möchte.
Wie kann dies mit dem verglichen werden, dessen Genuß immerwährend ist und
dessen Ruhea niemals vergeht. Das ist die Freude an der Vollkommenheit der
Seele durch die seelischen Vorzüge, insbesondere die Freude daran, sich dieser
Genüsse durch Wissen und Vernunft zu bemächtigen.
a
„und dessen Ruhe …“ fehlt lediglich bei S u. E.
XXIII. A 107
B 108
Über lobens- und tadelnswerte Handlungen,
die durch das Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde
und Veranlagung zum Zorn hervorgerufen werden 179
Die Begierde nach Nahrung veranlaßt zum Essen. Es gibt notwendiges und nicht
notwendiges Essen. Das notwendige Essen ist für die Erhaltung des Körpers un-
entbehrlich, wie das Essen, durch das man sich ernährt, und das Wasser, durch das
man seinen Durst stillt. Das notwendige Essen ist: a) lobenswert, b) verwerflich,
und c) verbotena .
a) Lobenswerte Ernährung bedeutet, sich ausschließlich auf jenes Essen zu be-
schränken, durch welches man stark wird, um sich mit Wissen und Handeln zu
beschäftigen. Würde man darauf verzichten, verlöre der Körper an Kraft und wäre
funktionsunfähig. Wenn man diese Menge von der Quelle nimmt, die man selbst
auswählt, und wenn man sich so ernährt, wie man möchte, so ist das zu entschuldi- D 311
gen, ja man wird sogar gelobt und belohnt; denn der Körper ist ein Vehikel der
Seele, mit dem sie die Rangstufen zum erhabenen Gott erlangen kann.
Wie der heilige Kampf ein Gottesdienst ist, so ist die Versorgung des Kampf-
pferdes mit dem, was zum Aufmarsch in den Kampf befähigt, auch ein Gottes-
dienst. Deshalb sagt der Gepriesene (Muhammad): „Wenn die Aufrichtigen essen,
steigt die Barmherzigkeit Gottes herab.“˙180 Dies geschieht, wenn man es in der
Weise desjenigen tut, der sich gezwungen sieht, etwas zu sich zu nehmen, jedoch
gerne darauf verzichten würde, wie man sich gezwungen sieht, auf den Abort zu
gehen, wünscht er sich, darauf verzichten zu könnenb . Die Aufnahme der Nahrung
und die Ausscheidung hängen zusammen. Deshalb sagt man: „Derjenige, dessen
Hauptbeschäftigung das ist, was er aufnimmt, muß sich um das kümmern, was er
ausscheidet.“ Der Essende soll wissen, daß er beim (übermäßigen) Essen der
Rückstände von Bäumen und Pflanzen einem Schwein ähnelt, welches die Aus-
scheidungen und Abfälle des Menschen frißt, und einem Mistkäfer, der die Aus-
scheidungen der Tiere aufnimmt. Wenn Bäume sprechen könnten, so würden sie
demjenigen, der ihre Rückstände ißt, sagen, daß er demjenigen ähnelt, der die
Rückstände des Tieres frißt.
b) Das Verwerfliche ist die Verschwendung und die völlige Hingabe beim Ge-
nießen des Erlaubten und der Überfluß an dem Nötigen für den Lebensunterhalt.
In diesem Zusammenhang sagt der Gepriesene: „Es gibt keinen Topf, der für den D 312
erhabenen Gott abscheulicher ist als ein Magen, der von einem rechtmäßigen B 109
(Gut) überfüllt ist.“ 181 Von seiten der Medizin ist dies auch schädlich; und er sagt A 108
weiter: „Die Übersättigung ist die Ursache der Krankheit; die Diät ist die Grund-
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „c) tadelnswert und verboten.“
b
„wie man …“ lediglich bei S u. E.
174 Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn
lage der Heilung und führt jeden Körper auf das zurück, woran er sich gewöhnt
hat.“ 182 Die hervorragenden Ärzte sagen: „Der Gepriesene – Friede sei mit ihm –
hat nichts von der Medizin übriggelassen bis auf das, was er in diesen drei Wörtern
zusammengefaßt hat.“
Derjenige, der nach Glückseligkeit strebt, darf dieses Übermaß nicht gering-
schätzen auch dann nicht, wenn wir es als verwerflich, nicht aber als verboten
ansehen, denn es ist ein Abscheuliches, das zu dem Verbotenen, ja zu den meisten
verbotenen Dingen führta . Dies ist so, weil die Quelle des Bösen die Stärke der
Begierde und das, was die Begierde bestärkt, die Nahrung ist. Das Füllen des
Magens bestärkt also die Begierde, und die Stärkung der Begierdeb ist ein Beweg-
grund dafür, der Leidenschaft zu folgen.
Die Leidenschaft ist das größte Heer des Satans. Wenn sie den Menschen be-
herrscht, wendetc er sich von seinem Herrn weg und weist ihn vor dessen Tür ab.
Die Versorgung der feindlichen Soldaten mit Proviant muß fast mit der Feindselig-
keit selbst gleichgesetzt werden. In diesem Zusammenhang kann das Verwerfliche
beinahe dem Verbotenen gleich sein. Jemand wurde gefragt: „Warum kümmerst
du dich in deinem hohen Alter nicht um deinen eigenen Körper, der so schwach
D 313 ist?“ Darauf antwortete dieser: „Weil mein Körper schnell von der Freude erfaßt
wird und zu maßlosem Übermut neigt, fürchte ich mich davor, daß er zügellos wird
und mich in Schwierigkeiten bringt. Es ist mir deshalb lieber, ihn an Anstrengun-
gen zu gewöhnen, als daß er mich zu Schandtaten veranlaßt.“
Wenn du fragst: Was ist das lobenswerte Maß (beim Essen)? So wisse, daß der
Gepriesene (Muhammad) in zwei Überlieferungen darauf aufmerksam macht.
Zum einen mit der ˙ Aussage: „Der Mensch soll sich mit einigen Häppchen begnü-
gen, die ihn am Leben erhalten. Wenn es nötig ist, (mehr zu essen,) so sollte er
ein Drittel seines Magens für die Nahrung, ein Drittel für die Getränke und ein
Drittel für den Atem vorsehen.“ 183 Was die einzelnen Bissen anbetrifft, so sind sie
weniger als zehn. Was dieser Überlieferung ferner ähnelt, ist seine Aussage: „Der
B 110 Gläubige ißt mit einem einzigen Magen, der Heuchlerd mit sieben.“ 184 Das Essen
mit einem Siebtel des Magens ist zu bevorzugen. Wenn man (aber) Heißhunger
hat, so kann man bis zu einem Drittel dessen, was der Magen vertragen kann,
essen. Ich bin der Auffassung, daß das Essen bis zu einem Drittel die Grenze für
die meisten Menschen sein sollte, wenn dies auch von einem zum anderen ver-
schieden sein kann.
A 109 Kurz gesagt, ist es notwendig, daß die Menge des Essens nicht zur Sattheit führt,
damit der Körper leicht für den Gottesdienst und für das Nachtgebet wird und
diejenigen Kräfte schwach werden, die zur Auflösung der verschiedenen Begier-
den führen.
a
„…, denn es ist ein Abscheuliches, …“ ist ein Zusatz, der bei allen außer bei S u. E vorhanden
ist.
b
Bei allen außer bei S. Dort heißt es: „… und die Stärkung der Begierde und der Leidenschaft ist
das größte Heer des Satans.“
c
Nach S u. E. Bei den übrigen: „beraubt sie ihn seines Herrn …“
d
Bei allen außer E: „der Ungläubige“.
Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn 175
c) Die verbotene Nahrung ist diejenige, die der allmächtige und erhabene Gott
verboten hat, die entweder dem Reichtum des anderen oder den verbotenen Spei-
sen und Getränken zuzurechnen ist. Das Frevelhafteste von allem ist das Zusich- D 314
nehmen von Rauschmitteln. Denn dies ist das wirksamste Mittel, um den Verstand
zu betäuben, welcher von der Partei Gottes und seiner Vertrauten ist, und um die
Begierde und die wilden Kräfte (im Menschen) anzuspornen, welche den Parteien
des Satans und seinen Vertrauten angehören. Das ist unsere Ansicht über das
Essen.
Niemand darf hoffen, den Weg der Glückseligkeit zu beschreiten, bevor er nicht
zwei Aspekte in bezug auf die Nahrungsmittel berücksichtigt hat, nämlich ihre
Menge und ihre Zulässigkeit. Denn der Magen ist die Quelle aller Kräfte. Er äh-
nelt einer Tür und einem Schlüssel zu beidem, zum Guten wie auch zum Bösen. B 111
Deshalb wird das Fasten im Islam hochgeschätzt, insofern es besonders auf die
Unterwerfung der Feinde Gottes gerichtet ist, wie überliefert wird: „Das Fasten
ist für mich (für Gott), und ich bin derjenige, der dafür belohnt.“ 185 Es gibt weitere
ähnliche Überlieferungen.
Was die sexuelle Begierde anbetrifft, so sind ihre Handlungen ebenfalls: a) lo-
benswert, b) verwerflich und c) verbotena .
a) Das Lobenswerte besteht in dem notwendigen Maße für die Erhaltung der
Art. Denn die Ehe ist für die Erhaltung der Art des Menschen durch die kontinu-
ierliche Folge der Nachkommenschaft notwendig, so wie das Essen für die Erhal-
tung des Individuums erforderlich ist, bis der Tod kommt. Die Begierde ist so
beschaffen, daß sie durch Begattung die Erhaltung der Nachkommenschaft moti-
viert, wie der Hunger so geartet ist, daß er die Erhaltung des Individuums durch D 315
das Essen veranlaßt. Deshalb sagt er (der Prophet Muhammad): „Heiratet, pflanzt
˙
euch fort, vermehrt euch; ich werde den Völkern gegenüber am Jüngsten Tag auf
euch stolz sein.“ 186
Das Ziel der Ehe umfaßt zwei Aspekte: zum einen die Nachkommenschaft, um
(auf die große Anzahl von Kindern) stolz sein zu können und um ein aufrichtiges
Kind als Nachfolger zu haben, das für die Eltern (nach ihrem Ableben) betet; zum
anderen um das Übermaß an Samen auszustoßen, welcher wie die Galle und das
Blut von großem Übel ist, wenn er sich staut, hinsichtlich des Körpers, indem er
Krankheiten hervorruft, und hinsichtlich der Religion, indem er zur Unsittlichkeit
führt.
Diese Form der Ehe ist lobenswert, entspricht den Lebensgewonheiten des Pro-
pheten (Muhammad) und ist seiner Aussage unterzuordnen: „Wer mich liebt, der
soll sich nach˙ meinem Gesetz richten“ 187 , und: „Wer heiratet, bewahrt die Hälfte A 110
seiner Religion.“ 188
Es ist nichts dagegen einzuwenden, die Ehe mit einem dritten Ziel zu führen,
nämlich um in seinem Hause jemanden zu haben, der es verwaltet, damit man sich
ausschließlich der Wissenschaft und dem Gottesdienst widmen kann. In dieser
Weise gehört auch die Ehe zu der Summe aller Gottesdienste: „denn die Hand-
lungen werden nach ihren Intentionen beurteilt.“ 189 Ein Beleg dafür ist, daß man
a
„verboten“ fehlt an dieser Stelle lediglich bei S, wird aber später bestimmt.
176 Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn
von einer Frau (folgendes) erwartet: die Schönheit, der Keuschheit wegen (damit
man nicht in die Nebenbuhlerei verfällt), gute ethische Gesinnung, um das Haus
zu verwalten, Religiosität, um die Familie zu beschützen. Die edle Herkunfta der
Eltern ist erstrebenswert, denn sie ist das Zeichen der Religiosität und der guten
D 316 ethischen Gesinnung. „Denn in unseren Adern wirken die Erbanlagen der Vor-
fahren.“ 190 Deswegen sagt der Gepriesene: „Wähle die religiöse Frau, Gott möge
B 112 dich niemals arm machen“ 191 , ferner: „Hütet euch vor einer grünen Pflanze inmit-
ten von Mist“ 192 und: „Wählet für euren Samen die richtigen Frauen.“ 193 Man sollte
von der Frau außerdem einen gesunden Körper und Fruchtbarkeit wegen der
Nachkommenschaft verlangen, denn das ist das Ziel der Ehe.
Deswegen sind der Samenerguß außerhalb der Vagina und der Analverkehr für
die Frau verwerflich, denn dies ist eine Vernachlässigung der Beackerung (der
ehelichen Pflichten): „Eure Frauen sind euch ein Saatfeld.“ 194 Es ist wünschens-
wert, daß man eine Jungfrau heiratet, um die Liebe zu festigen. Das islamische
Gesetz hat dazu aufgefordert.
b) Verwerflich ist es, wenn man nur den sexuellen Genuß und die Befriedigung
der Begierde sucht, sich in diese Dinge vertieft und sich ihnen eifrig widmet.
Möglicherweise nimmt man stimulierende Mittel ein, um die Begierde anzure-
gen. Das ist aus der Sicht der Religion schädlich, an sich aber ist es nicht abscheu-
D 317 lich, denn es ist erlaubt, jedoch führt es dazu, daß man sich von Gott abwendet,
der eigenen Leidenschaft folgt und darin den Böckenb und Eseln ähnelt. Die
Anregung der Begierde durch kräftige Speisen und stimulierende Mittel ähnelt
der Anstachelung wilder Raubtiere. Danach erhebt man sich, um sich davon zu
befreien.
c) Das Verbotene umfaßt zwei Vorgehensweisen: Erstens, wenn man die Begier-
de zwar in dem dafür vorgesehenen Ort (in der Vagina) befriedigt, jedoch ohne
gesetzlichen Vertrag und nicht in der (von der Religion) vorgeschriebenen Form;
das ist Unzucht. Diese Handlungsweise hat Gott mit dem Glauben an die Vielgöt-
terei in Zusammenhang gebracht, indem er im Koran sagt: „Und ein Mann, der
Unzucht begangen hat, kann nur eine ebensolche oder eine heidnische Frau hei-
raten.“ 195 Zweitens, daß man die Begierde nicht an dem dafür vorgeschriebenen
Ort befriedigt; das ist noch schlimmer als die Unzucht, denn der Unzüchtige läßt
A 111 den Samen nicht verlorengehen, sondern legt ihn, zwar in unerlaubter Weise, aber
an dem dafür vorgesehenen Ort ab, dieser aber läßt ihn verlorengehen.
B 113 Deswegen trifft ihn die Aussage des erhabenen Gottes: „… er ist eifrig darauf
bedacht, auf der Erde Unheil anzurichten und Saat und Nachkommenschaft zu
vernichten.“ 196 Deshalb wird die Homosexualität als Maßlosigkeit bezeichnet,
denn der Erhabene sagt: „Ihr gebt euch in eurer Sinnenlust wahrhaftig mit Män-
nern ab, statt mit Frauen. Nein, ihr seid ein maßloses Volk.“ 197 Das sind die Rang-
ordnungen der Menschen in bezug auf die sexuelle Begierde.
Einige Verirrte enden in der Leidenschaft; das ist die Torheit selbst und die
D 318 Spitze der Unwissenheit über den Zweck des Beischlafs. Man begibt sich auf das
a
Bei S u. E. Bei allen übrigen: „Frömmigkeit der Eltern“.
b
„Böcken“ lediglich bei S u. E.
Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn 177
Niveau der Tiere hinsichtlich der Selbstbeherrschung und Selbstzucht. Denn der
leidenschaftlich Verliebte begnügt sich nicht mit dem Wunsch nach Befriedigung
der sexuellen Begierde, welche die häßlichste aller Begierden ist und deren er sich
eher schämen sollte. Er geht soweit, daß er glaubt, sie nur an einem bestimmtena
Ort befriedigen zu können.
Das Tier befriedigt die Begierde bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es be-
gnügt sich damit, während er (der Leidenschaftliche) sich allein mit seiner Gelieb-
ten begnügt, so daß er Erniedrigung auf Erniedrigung und Versklavung auf Ver-
sklavung ansammelt. Er stellt die Vernunft in den Dienst der Begierde, während
sie eigentlich dazu geschaffen ist, Befehle zu erteilen, die befolgt werden, nicht
jedoch, um der Begierde zu dienen und für deren Zwecke Listen zu ersinnen.
Das ist die Krankheit einer nutzlosen Seele, die keine Willenskraft besitzt.
Man sollte sich vor den Anfängen (der Herrschaft der Begierde) hüten, indem
man wiederholt nachdenkt und überlegt, denn nachdem sie sich gefestigt hat, fällt
es schwer, sich von ihr zu lösen. So verhält es sich, wenn man Ruhm, Reichtum,
Ackerland und Kinder, ja sogar das Spiel mit Vögeln, Tricktrack und Schach be-
gehrt. Denn diese Dinge beherrschen eine Gruppe von Menschen, die ihnen nicht
widerstehen können, ja sogar dann nicht, wenn sie ihnen dadurch Religion und
Diesseits verhaßt machen und sie darauf nicht verzichten könnenb .
Die Abwehrc der Begierde in ihrem Anfangsstadium ähnelt dem Abwehren
eines Reittieres, das sich auf die Tür eines Hauses zubewegt, welches es betreten
will. Was es begehrt, daran hindert man es und treibt es fort. Die Heilung der
Begierde, die sich gefestigt hat, ähnelt der Tatsache, daß man das Tier hereintreten
und die Schwelle überschreiten läßt, dann erst faßt man es am Schwanz und zieht
es hinaus. Was für ein großer Unterschied besteht zwischen den beiden Verhal-
tensweisen! Deshalb muß man am Anfang vorsichtig sein; denn am Ende ist mei-
stens keine Heilung mehr möglich, es sei denn durch große Anstrengung, die
einem Todeskampf gleichkommt. A 112
Die Handlungen, die durch den Zorn ausgelöst werden, sind gegliedert in: a) lo- D 319
benswerte, b) verwerfliche und c) verbotene 198.
a) Das Lobenswerte bezieht sich auf zwei Gegebenheiten: Zum einen auf die
Eifersucht desjenigen, dessen Ehefrau ein anderer hofiert und belästigt. Der Zorn
über eine solche Verhaltensweise und ihre Abwehr sind lobenswert. Steht man
einem solchen Verhalten unbekümmert gegenüber, so ist dies Weichlichkeit und
Schwäche. Deshalb sagt der Gepriesene: „Sa2d ist eifersüchtig und Gott ist ei-
fersüchtiger, /ich bin eifersüchtiger als er und Gott ist eifersüchtiger als ich 199 ./“d
Gott hat die Eifersucht in das Bewußtsein der Männer hineingelegt, um die Ver-
wandtschaft zu sichern. Denn wenn man die Rivalität im Umgang mit den Frauen
tolerieren würde, würde die Verwandtschaft durcheinandergebracht. Deshalb sagt
a
Nur bei S. Bei den übrigen „einzigen …“.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „wenn sie dadurch Religion und Diesseits verlieren“; „und sie nicht
darauf verzichten können“ fehlt lediglich bei S.
c
S u. E: „Das Brechen …“
d
/…/ lediglich bei E.
178 Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn
man: „Jede Nation, die die Eifersucht in die Männer hineingelegt hat, hat (auch)
die Keuschheit in die Frauen hineingelegt.“
Die zweite Gegebenheit ist der Zorn, den man beim Wahrnehmen verwerflicher
Handlungen und Schandtaten aus Eifersucht für die Religion verspürt und um sie
zu rächen. Gläubige mit dieser Verhaltensweise werden im Koran folgendermaßen
gelobt: „Muhammad ist der Gesandte Gottes. Und diejenigen, die mit ihm (gläu-
big sind), sind˙ den Ungläubigen gegenüber heftig, unter sich aber mitfühlend.“ 200
Deshalb sagt der Gepriesene: „Die besten meiner Gemeinde sind die Eifrig-
D 320 sten.“ 201 Gemeint ist der Eifer zum Schutz der Religiona . Darum sagt der Erhabe-
ne (Gott): „Wenn eine Frau und ein Mann Unzucht begehen, dann verabreicht
jedem von ihnen hundert (Peitschen-)Hiebe! Und laßt euch im Hinblick darauf,
daß es (bei dieser Strafverordnung) um die Religion Gottes geht, nicht von Mitleid
mit ihnen erfassen, …“ 202
Trotzdem sollte ein Herrscher, wenn er wegen eines Verbrechens zürnt, ihn (den
Täter) zuerst in Gewahrsam nehmen und den Fall erneut überprüfen, um ihn nicht
voreilig zu bestrafen. Denn der (verwerfliche) Zorn ist das größte Unheil für die
Vernunft. Vielleicht kann er (der Zorn) ihn dazu führen, das notwendige Maß der
Bestrafung zu überschreiten.
b) Der verwerfliche Zorn bezieht sich auf versäumte Handlungen, die man hätte
erwarten können, so etwa der Zorn auf den Diener und Sklaven, der das Geschirr
zerbricht oder in vermeidbarer Nachlässigkeitb seinen Dienst ausübt. Dieser Zorn
erreicht nicht den Grad des Tadelnswerten, jedoch sind Verzeihung und Ver-
gebung angemessen und wünschenswerterc . Deshalb wurde einem Weisend ge-
sagt: „Warum schlägst du deinen Diener nichte , wenn er in seinem Dienst nach-
lässig ist, sonst wird er durch die Geduld untauglich?“ Er erwiderte: „Sicherlich ist
es besser, daß mein Sklave sich verschlechtert, während ich mich bessere, als daß
ich schlecht werde, während ich meinen Sklaven bessere; denn dies (nämlich die
Missetaten des Dieners) zu ertragen, ist eine Besserung für die eigene Seele, die
Strafe aber ist eine Besserung für den Sklaven.“
D 321 c) Das Verwerfliche ist das Entflammen des Zorns aus Stolz, Hochmut, Prah-
A 113 lerei, Wetteifer, Groll und Neid sowie aufgrund vergangenerf Dinge, die sich auf
B 115 körperliche Eigenschaften beziehen, ohne daraus in der Zukunft in religiöser oder
weltlicher Hinsicht einen Nutzen zu ziehen. Dies ist die häufigste Art von Zorn,
bei dem sich die Menschen von einer Gesinnung leiten lassen, die im Gegensatz zu
Sanftmut und Selbstbeherrschung steht. Denn die Sanftmut ist ein Ausdruck für
die Zurückhaltung der Seele, die nicht in Zorn entflammen soll.
Die Selbstbeherrschung bedeutet, daß man die Seele davon abhält, gezielte
Handlungen (bedingt durch den Zorn) durchzuführen, wenn man zornig wird.
a
„zum Schutz der Religion“ fehlt nur bei S.
b
„vermeidbarer Nachlässigkeit“ fehlt bei S.
c
„und wünschenswerter“ fehlt bei S.
d
„Weisen“ fehlt bei S u. E.
e
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Vergib deinem Diener nicht, …“
f
Bei S u. E. Bei den übrigen: „unbedeutender“.
Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn 179
Die Vollkommenheit liegt in der Sanftmut, die Selbstbeherrschung aber ist die
Geduld gegenüber dem, was man verabscheut, und darin liegt auch viel Gutes.
Dies sind die Stufen der Handlungen, die aus dem Zorn hervorgehen.
Die Menschen verhalten sich hinsichtlich des Zorns unterschiedlich: Einige sind
wie eine Steppe, sie entflammen schnell, und ihr Zorn verlischt rasch; andere sind
wie Tamariskena , sie entflammen langsam, und ihr Zorn verlischt auch langsam;
andere wiederum entflammen langsam und erlöschen schnellb . Letzteres ist das
Lobenswerteste, wenn dieser Zustand nicht zu einer Ermattung des Eifers und
des Ehrgefühls führt.
Die Gründe des Zorns: Von seiten des Gemüts sind dies Hitze und Trockenheit;
darauf verweist die Bestimmung des Zorns. Denn Zorn bedeutet das Aufwallen
des Blutes im Herzen. Wenn er (der Zorn) gegen denjenigen gerichtet ist, der
stärker ist als du, so fließt das Blut bei der Unfähigkeit, Rache zu nehmen, von D 322
der äußeren Haut zum Herzen zurückc , und man wird traurig, deshalb erblaßt das
Gesicht. Wenn er aber gegen denjenigen gerichtet ist, der schwächer ist, so beginnt
das Blut zwar aufzuwallen, strömt aber nicht zum Herzen zurück, was erst zu tat-
sächlichem Zorn und zur Suche nach Rache führen würde. Wenn der Zorn gegen
jemanden gerichtet ist, der ebenfalls fähig ist, Rache zu nehmen, so wechselt das
Blut zwischen der Zusammenziehung und der Ausdehnung, und die Erregung
spiegelt sich im Gesicht wider, wodurch die Farbe des Gesichts von rot zu blaß
wechselt und eine Unruhe zu erkennen gibt. Kurz gesagt, die Veranlagung zum
Zorn geht vom Herzen aus; sie bedeutet das Pulsieren und Aufwallen des Blutes.
Zu den Gründen für den Zorn, die über das Temperament hinausgehen, zählt
die Gewöhnung. Denn wer mit Menschen zusammenlebt, die mit Zornd und wil-
den Charakterzügen prahlen, wird durch sie geprägt. Wer (hingegen) mit ruhigen
und würdevollen Menschen umgeht, wird ebenfalls von der Gewohnheit beein-
flußt.
Die Gründe, die den Zorn von der Möglichkeit zur Handlung führen, sind:
Eitelkeit, Prahlerei, Streitsucht, Unnachgiebigkeit, (verletzender) Scherz, Stolz, A 114
Spott, Unrecht, Wetteifer, gegenseitiger Neid und Rachsucht. All dies ist tadelns-
wert. Der vom Zorn Befallene sollte über das nachdenken, was ein Weiser einmal
einem Herrscher gesagt hat, als dieser ihn fragte, wie er den Zorn überwinden
könne. Der Weise erwiderte: „Erinnere dich daran, daß du gehorchen und nicht D 323
nur herrschen, dienen und nicht nur bedient werden, erdulden und nicht nur ge-
duldet werden sollst, und wisse, daß Gott dich immer sieht. Wenn du so handelst,
wirst du niemals zornig sein.“
a
Bei Ae u. D: „wie al-ġadā“ (Euphorbienart); bei K: „wie al-qatā“ (Flughuhn). Vielleicht handelt
˙
es sich um einen Schreibfehler, so daß q statt ġ geschrieben wird;˙bei A u. B: „wie Baumwolle“, was
aber aus bekannten Gründen ein schlechter Vergleich an dieser Stelle ist, der nicht den Sinn in
diesem Vergleich wiedergeben kann.
b
Nach S u. E heißt es lediglich: „Einige sind wie eine Steppe, sie entflammen schnell, und ihr
Zorn verlischt rasch. Das ist das Lobenswerteste …“
c
Nach S, E u. Ae. Bei den übrigen heißt es: „…, dessen Fähigkeit zur Rache stärker ist, so fließt
das Blut von der äußeren Haut …“
d
Bei E: „mit fanatischen Ansichten …“
180 Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn
B 116 Wisse, daß der Zorn, wie bereits erwähnt, verwandte Eigenschaften hat. /Dazu
gehören: Tapferkeit, Tollkühnheit, Wetteifer, Wohlwollen und Neid/a . Wir wollen
dies nun vertiefen.
Die Tapferkeit ist ein Charakterzug, der in der Mitte zwischen Tollkühnheit und
Feigheit steht. In bezug auf die Seele bedeutet sie die Entschlossenheit des Her-
zens in Augenblicken der Bedrängnis und die Unerschrockenheit in angsterregen-
den Situationen.Wenn man sie (die Tapferkeit) im Verhältnis zur Tat betrachtet,
bedeutet dies, daß man sich mutig an die gegebene Gelegenheit heranwagt. Sie
entsteht durch den Zorn und die gute Hoffnung. Durch sie (die Tapferkeit) bleibt
man in schwierigen Situationen standhaft. Darüber hinaus hält sie von sündhaftem
Verhalten ab. Denn wenn der Zorn gegen die Begierde eingesetzt wird, hält er sie
ab. Weil die Religion zur Hälfte eine Ermutigung zum Guten, zur anderen Hälfte
eine Unterlassung des Bösen ist, sagt der Gepriesene (Muhammad) – Gottes Frie-
de sei mit ihm –: „Die Geduld ist die Hälfte des Glaubens.“ ˙ 203
Weil einige böse Handlungen von den Begierden der Sexualität und des Ma-
D 324 gens, andere aber von anderen (Begierden ) ausgehen, sagt er: „Das Fasten ist die
Hälfte der Geduld.“ 204
Die Geduld läßt sich in zweierlei Hinsicht bestimmen: Zum einen die körper-
liche, das bedeutet das Ertragen von Anstrengungen durch den Körper, entweder
in der Praxis bei Handlungen wie der Übernahme von anstrengenden Tätigkeiten
oder beim Ertragen heftiger Schläge und schwerer Krankheiten. Die zweite Art ist
die seelische Geduld, welche gänzlichb lobenswert ist. Wenn man sich der begehr-
ten Dinge enthält, so heißt sie (die Geduld) Enthaltsamkeit. Erträgt man aber
unangenehme Dinge, so variieren die Namen der Geduld je nach der Art des
Unangenehmen: Im Unglück beschränkt man sich einfach auf den Namen Geduld;
das Gegenteil heißt Unruhe und Schrecken. Wenn man die Möglichkeit hat, reich
A 115 zu werden (und sich nicht auf das Geld stürzt), so wird sie (die Geduld) Selbst-
beherrschung genannt, das Gegenteil ist der Übermut. Im Krieg heißt die Geduld
Tapferkeit; das Gegenteil ist Feigheit. Beim Unterdrücken von Wut und Zorn wird
sie Sanftmut genannt; das Gegenteil heißt Murren. In einer unangenehmen Notla-
ge spricht man von Langmut; das Gegenteil sind Verdruß, Mißvergnügen und Un-
duldsamkeit. Wenn man Worte für sich behält, heißt dies Verschwiegenheit.
D 325 Im Hinblick auf Wohlstand spricht man von Enthaltsamkeit und Genügsamkeit;
das Gegenteil sind Habsucht und Gier. Deshalb sagt der erhabene Gott: „Diejeni-
gen, die in Unglück“, das heißt in mißlicher Lage, „und Not“, das heißt bei Armut,
„und in Drangsal“, das heißt „bei kriegerischen Auseinandersetzungen“, „gedul-
dig sind, sie sind’s, die da lauter sind, und sie sind die Gottesfürchtigen.“ 205
Was das Wohlwollen, den Wetteifer und den Neid betrifft, die auch zum Eifer
gehörenc , so ist das Wohlwollen lobenswert und der Neid tadelnswert, denn der
Gepriesene sagt: „Der Gläubige ist wohlwollend, der Heuchler (der Ungläubige)
B 117 neidisch.“ 206 Der Wetteifer ist lobenswert. Darüber sagt der Erhabene (Gott):
a
/…/ fehlt lediglich bei S.
b
„gänzlich“ fehlt lediglich bei S.
c
Bei S. Bei den übrigen: „zu den verwandten Eigenschaften“.
Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn 181
„Die Glückseligkeit der Wonne (in der sie sich befinden) sieht man ihnen am
Gesicht an. Sie erhalten versiegelten edlen Wein zu trinken, dessen Siegel aus
Moschus besteht, so etwas würde sich jeder wünschen, darum sollen die Streben-
den wetteifern.“ 207
Wohlwollen bedeutet, daß der Mensch für sich wünscht, alles zu erreichen, was
seinesgleichen erreicht hat, ohne darüber zu trauern, was jener erlangt hat. Wenn
Fleiß und Anstrengung hinzukommen, um ein gleiches oder höheres Ziel zu erlan-
gen, so ist dies Wetteifer.
Neid bedeutet, daß man wünscht, daß das Glück eines anderen, der es verdient,
verschwinde. Vielleicht bemüht man sich sogar darum, daß es verschwindet. Der
vollkommena niederträchtige Neid ist, daß man sich um das Verschwinden des
Glücks (eines anderen) bemüht, ohne es für sich selbst zu erstreben. Der Neid ist
der Gipfel des Geizes. Der Geizige enthält seinen eigenen Reichtum anderen vor,
während der Neider anderen gegenüber mit dem Reichtum Gottes geizt.
Man sagt, daß Neid und Geiz der Ursprung aller Sünden sind. Als Beispiel hier- D 326
für wird die Geschichte von Adam und Iblı̄s (Satan) erwähnt. Iblı̄s hat Adam be-
neidet. Deshalb wurde er verflucht. Adam war bestrebt, das zu erlangen, was ihm
verboten war. Deshalb wurde er aus dem Paradies vertrieben. Neid und Geiz sind
zwei Bäume, deren Früchte Sorge, Trauer und Verlust sind. Wer ihnen die Wurzeln
abschneidet, wird gerettet.
Kurz gesagt, der Neid ist die Torheit selbst. Denn wer nicht über das Glück A 116
trauert, das den Bewohnern des Maghrebs beschert wird, obwohl ihm nichts davon
zukommt, warum sollte der über das Glück trauern, das seinen Verwandten, Ge-
fährten, Nachbarn und Landsleuten zukommt, obwohl er möglicherweise einen
Teil davon erhält. Mit der Aussage des Propheten – Gottes Friede sei mit ihm –:
„Es gibt nur zwei Arten von Menschen, die man beneidet. Die eine Art von Men-
schen, denen Gott Reichtum gibt, den diese rechtmäßig ausgeben, und die andere
Art, denen Gott Weisheit gibt, gemäß welcher sie sich verhalten“ 208 , kann er nur
das Wohlwollen meinen, denn (der Begriff) Neid kann auch in diesem Sinn ver-
wendet werden.
Das ist die Rede darüber, wie man die Handlungen unter Kontrolle bringt, die
von diesen Charakterzügen ausgehen. Wenn du einwendest: „Ist derjenige enthalt-
sam, der die Handlungen dieser Fähigkeiten unter Kontrolle bringt, bis sich durch
diese Handlungen eine ethische Gesinnung bei ihm gefestigt hat, die solche Hand-
lungen leichter macht?“, so wisse, daß die Enthaltsamkeit nicht allein dadurch
vervollkommnet wird, wenn nicht die Enthaltsamkeit der Hand, der Zunge, des
Gehörs und des Sehens hinzukommen. Ihre Bestimmung hinsichtlich der Zunge D 327
ist, daß man sich des Spotts, der Verleumdung, der üblen Nachrede, der Lüge, der
Stichelei und der gegenseitigen Beschimpfung enthält. Beim Hören bedeutet die
Enthaltsamkeit, daß man weghört, wenn von der Zunge Häßlichkeiten erwähnt
werden, zum Beispiel Verleumdungen und anderes, sowie bei allenb verbotenen
Tönen. So verhält es sich mit allen Gliedmaßen und Fähigkeiten.
a
„vollkommen“ lediglich bei S u. E.
b
„allen“ lediglich bei den drei Handschriften S, E u. Ae.
182 Verlangen nach Nahrung, sexuelle Begierde und Zorn
B 118 /Grundlage der Enthaltsamkeit aller Gliedmaßen ist,/a daß man sie in dem für
sie bestimmten Bereich nur dann und in der Weise benutzt, wie es die Vernunft
und die islamische Gesetzgebung erlauben. Sie kann dadurch nicht vervollkomm-
net werden, solange der Mensch bei seinem Tun und Lassen die Suche nach der
Tugend, das Streben nach der Nähe zum allmächtigen Gott und die Erlangung
seiner Wohlgefälligkeit nicht anstrebt. Wenn er aber durch seine Enthaltsamkeit
einen größeren Gewinn erzielen will, das Ziel der Enthaltsamkeit nicht seinem
Gemüt entspricht, seine Begierde erschlafft ist oder er die Folgen seines Verhal-
tens fürchtet, wie etwa den Verlust seiner Würde, oder wenn es ihm verboten ist,
eine Sache zu verbrauchen, so ist dies alles keine Enthaltsamkeit, sondern ein
Handeln und der Tausch eines Vorteils gegen einen anderen. Man sollte wissen,
daß all dies nicht ausreicht, um die Enthaltsamkeit zu erlangen.
Nun wollen wir auf die Bestimmung des Lernens, des Lehrens und der Er-
ziehung der geistigen Kräfte eingehen.
a
/…/ Auslassung lediglich bei S.
XXIV. A 117
B 119
Über die Bedeutsamkeit der Vernunft, D 328
Du hast bereits erfahren, daß beide, Wissen und Handeln, Mittel zur Glückselig-
keit sind und daß man sich das Handeln nur vorstellen kann, wenn man die Art
und Weise des Handelns kennt. Ferner hast du erfahren, daß das nicht-praktische
Wissen (das theoretische Wissen), wie etwa das Wissen über Gott, seine Eigen-
schaften und seine Engel, ein Wissen in der Vorstellung ist (d. h., es gibt für ein
solches Wissen kein adäqates Beispiel in der Erfahrung)a , und daraus hast du ge-
folgert, daß dieses Wissen die Grundlage aller Grundlagen ist. Nun ist es erforder-
lich, daß wir dir den Weg des Lernensb und des Lehrens zeigen. Zuerst müssen wir
ihre Bedeutsamkeit hervorheben und sie erläutern, indem wir sagen: Was das Leh-
ren anbetrifft, so ist es die edelste aller Tätigkeiten. Es gibt drei Arten von Beru-
fen:
I. Grundtätigkeiten, ohne die die Welt nicht bestehen kann. Diese sind vier:
1. die Landwirtschaft, 2. das Weben, 3. das Bauen und 4. die Politik.
II. Hilfstätigkeiten, die die genannten Berufe vorbereiten und ihnen dienlich
sind, wie etwa das Schmiedehandwerk für die Landwirtschaft und das Wollkäm-
men und Spinnen für das Weben.
III. Ergänzende und verschönernde Tätigkeiten wie zum Beispiel das Mahlen D 329
und Backen für die Landwirtschaft oder das Bleichen und Nähen für das Weben.
Diese Tätigkeiten stehen in (engem) Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung
des diesseitigen Lebens, wie die Teile des Menschen im Verhältnis zu seinem Or-
ganismus, denn diese bilden drei Kategorien:
1. Hauptorgane wie Herz, Leber und Gehirn. 2. Organe, die diesen Hauptorga-
nen helfen und dienen wie Magen, Venen und Arterien. 3. Schmückende und er-
gänzende Körperteile wie Augenwimpernc und Augenlider.
Die bedeutsamste aller Grundtätigkeiten ist die Politik, denn ohne sie kann die
Welt nicht existieren. Sie läßt sich in vier Bereiche aufteilen: 1. Die Politik der
Propheten. Ihr Machtbereich betrifft die Gebildeten und die Massen, /sowohl in
bezug auf deren Inneres als auch auf deren Äußeres.
2. Die Politik der Kalifen, Herrscher und Sultane. Ihr Machtbereich betrifft bei-
de, die Gebildeten und die Massen,/d jedoch nur im Hinblick auf ihr äußeres Ver-
halten und nicht in bezug auf ihr Inneres.
a
„ein Wissen in der Vorstellung“ bei den drei Handschriften. Bei den übrigen: „ein Zweck an
sich“.
b
Bei S u. E: „des Wissens“.
c
S, E u. Ae: „wie die Hand“, jedoch scheint „Augenwimpern“ in diesem Zusammenhang passen-
der zu sein.
d
/…/ fehlt nur bei S.
184 Bedeutsamkeit der Vernunft, des Wissens und des Lehrens
A 118 3. Die Politik der Gelehrten und der Weisen. Ihr Machtbeich umfaßt allein das
Innere der Gebildeten.
4. Die Politik der Theologen und der Rechtsgelehrten. Sie bezieht sich nur auf
das Innere der Massen.
B 120 Der bedeutsamste dieser vier politischen Bereiche ist nach der Prophetie das
Lehren und die Erziehung der menschlichen Seele. Ein Beweis dafür ist, daß die
D 330 Bedeutsamkeit eines Berufes von seinem Verhältnis zu der Fähigkeit abhängt, die
ihn sichtbar macht und hervorhebt, wie etwa der Vorzug der Kenntnis der Weis-
heit (Philosophie) gegenüber der Kenntnis der Sprachen; denn erstere (die Weis-
heit) bezieht sich auf die geistige Fähigkeit, welche die edelste aller Fähigkeiten
ist, letztere (die Kenntnis der Sprachen) bezieht sich auf die wahrnehmende Fähig-
keit, das ist das Gehör. Oder sie (die Bedeutsamkeit) hängt von dem allgemeinen
Nutzen ab, wie etwa der Vorzug der Landwirtschaft gegenüber dem Goldschmie-
dehandwerka , und ferner von der Bedeutsamkeit des Gegenstandes, auf den sich
die Arbeit bezieht, wie etwa der Vorzug des Goldeschmiedehandwerkes gegen-
über dem Gerben.
Es ist offensichtlich, daß die Geisteswissenschaften durch die Vernunft erfaßt
werden, welche die bedeutsamste aller Fähigkeiten ist, durch die man in das ewige
Paradies gelangen kann, und das ist der beachtenswerteste und umfassendste Vor-
teil.
Der Gegenstand, auf den die Vernunft einwirkt, ist die menschliche Seeleb , wel-
che die edelste aller Gegenstände ist, ja sogar das Edelste, was überhaupt in der
Welt existiert. Die Vermittlung des Wissens ist einerseits ein Beruf, andererseits
ein Dienst für den erhabenen Gott /und außerdem eine Vertretung Gottes (Kali-
fat) auf Erden/c , welche die bedeutsamste in ihrer Art ist. Denn der erhabene Gott
offenbart dem Herzen des Gelehrten das Wissen, welches die eigentümlichste aller
seiner Eigenschaften ist. Der Gelehrte ähnelt einem Schatzmeister für den edel-
sten aller seiner (Gottes-)Schätze. Ihm ist es erlaubt, jedem das zu geben, was er
nötig hat. Welche Rangstufe könnte ruhmreicher sein als die, auf der der Mensch
zwischen Gott und seinen Geschöpfen vermittelt, sie ihm nahebringt und ins ewige
Paradies führt!
D 331 Was die Bedeutsamkeit des Wissens und der Vernunft anbetrifft, so werden sie in
notwendiger Weise durch die Vernunft, das islamische Gesetz und die Sinne erfaßt.
Was die Religion anbetrifft, so sagt der Gepriesene (Muhammad): „Das erste,
was Gott schuf, war die Vernunft. Daraufhin sagte er zu ihr˙ (der Vernunft): ‚Tritt
vor!‘ Sie trat vor. ‚Tritt zurück!‘ Sie trat zurück. Dann sagte Gott: ,Bei meiner
Erhabenheitd und Allmacht, ich habe unter meinen Geschöpfen nichts Edleres
geschaffen als dich. Durch dich nehme ich, durch dich gebe ich, durch dich entzie-
he iche , durch dich belohne ich, und durch dich bestrafe ich.‘“ 210
a
Bei E: „Handwerk“.
b
Bei S: „der menschliche Körper“.
c
/…/ fehlt lediglich bei S.
d
„Erhabenheit, ǧalālı̄“ fehlt bei S.
e
„durch dich entziehe ich“ lediglich bei S.
Bedeutsamkeit der Vernunft, des Wissens und des Lehrens 185
Diese Vernunft, durch die der Mensch die Dinge erfaßt, verhält sich zu der B 121
ersten Vernunft, die der erhabene und allmächtige Gott geschaffen hat, wie das A 119
Licht zur Sonne; denn diese Arten von Vernunft gelten nur in bezug auf Personen.
Jene (die erste Vernunft) ist absolut und ohne Verbindung (zu irgendeiner Person).
Von seiten der Vernunft liegt der Beweis für ihre Bedeutsamkeit darin, daß durch B 122
sie allein diesseitiges und jenseitiges Glück erreicht werden können. Wie könnte
sie nicht das Bedeutsamste aller Dinge sein?
Durch die Vernunft wurde der Mensch ein Stellvertreter Gottes, mit ihrer Hilfe
nähert er sich ihm und vervollkommnet seine Religion. Deshalb sagt der Geprie-
sene (Muhammad): „Es gibt keine Religion für den, der keinen Verstand hat“ 211 ,
und ferner˙ sagt er: „Bewundert nicht den islamischen Glauben eines Menschen,
bevor ihr nicht seinen Verstand kennt.“ 212 Deswegen wird gesagt: „Wenn der Ver- D 332
stand eines Menschen nicht die Haupteigenschaft aller seiner guten Eigenschaften
ist, dann besteht sein Ende in dem Sieg der Eigenschaften des Guten.“ Abgesehen
davon soll es dir genügen, daß der erhabene Gott die Vernunft mit dem Licht
vergleicht, wenn er sagt: „Gott ist das Licht von Himmmel und Erde …“ 213 , das
heißt, er erleuchtet sie.
Oft werden Licht und Finsternis im Koran für Wissen und Unwissenheit verwen-
det, wie zum Beispiel in der Aussage des Erhabenen: „Gott ist der Freund derer,
die gläubig sind. Er bringt sie aus der Finsternis hinaus ins Licht.“ 214 All dies ge-
schieht nur durch die Vernunft. Deshalb sagt der Gepriesene (Muhammad) zu 2Alı̄
– möge Gott Wohlgefallen an ihm haben –: „Wenn die Menschen die ˙ Nähe Gottes
durch verschiedene Wohltaten suchen, so suche du sie (diese Nähe) durch deine
Vernunft, dann genießt du höhere Rangstufen, die Gunst der Menschen im Dies-
seits und die Gottes im Jenseits.“ 215 /Später werden wir auf die Suche nach der
Nähe (Gottes) durch die Vernunft eingehen./a
Die Sinne allein genügen, um die Bedeutsamkeit der Vernunft und des Wissens A 120
zu erfahren, so daß selbst das größte und mächtigste Tier irgendwie vor dem Men-
schen zurückschreckt, sobald es ihn sieht, und Angst verspürt, weil es instinktiv
merkt, daß er es besiegen kann. Die dem Tier am nächsten stehenden Menschen
sind die ungebildeten Araber und Türken und die Viehhirten unter ihnen. Wenn es
unter ihnen einen Hirten gibt, der mehr an Vernunft und beruflicher Erfahrung als D 333
sie besitzt, so respektieren sie ihn von Natur aus. Deshalb siehst du, daß die Türken
von Natur aus ihre Gelehrten in übertriebener Weise achten, weil die Erfahrung
sie (die Gelehrten) durch mehr Wissen kennzeichnet. Deshalb sagt der Gepriesene
(Muhammad) allgemein: „Der Gelehrte in seinem Volk ähnelt dem Propheten in
seiner˙ Gemeinde.“ 216 Der Prophet wird in seiner Gemeinde deshalb geachtet, weil
er Wissen und Vernunft besitzt, nicht aber wegen der Stärke seiner Persönlichkeit,
der Schönheit seines Körpers, wegen seines übermäßigen Reichtums oder seiner
Macht. Deshalb wollten viele der hartnäckigen Gegner den Gesandten Gottes B 123
(Muhammad) – Friede sei mit ihm – töten. Als sie ihn erblickten, empfanden sie
˙
Ehrfurcht vor ihm und sahen das Licht Gottes auf seinem Gesicht, das ihn von den
anderen unterschied und seinen Widersachern Angst machte.
a
/…/ fehlt bei S.
186 Bedeutsamkeit der Vernunft, des Wissens und des Lehrens
Der erhabene und allmächtige Gott nennt das Wissen einen Geist. Darüber sagt
er: „Und so haben wir dir durch unsere Fügung einen Geist eingegeben.“ 217 Ferner
nennt er es (das Wissen) Leben, wenn er sagt: „Läßt sich denn einer, der tot war
und den wir dann zum Leben erweckt und dem wir Licht gegeben haben, mit dem
er unter den Menschen umhergeht, mit einem vergleichen, der in der Finsternis ist
und nicht aus ihr herauskommen kann?“ 218 Der Gepriesene (Muhammad) sagt (in
diesem Zusammenhang): „Gott hat nichts Ruhmreicheres geschaffen ˙ als die Ver-
nunft.“ 219
Wenn hier die Überlieferungen erwähnt würden, die die Menschen zur Aneig-
nung des Wissens auffordern, so zöge sich die Rede in die Länge. Gibt es noch eine
größere Ehrung als die, die in der Aussage des Propheten deutlich ist: „Die Engel
umgeben denjenigen mit ihren Flügeln, der nach dem Wissen sucht, aus Wohl-
gefallen an dem, was er tut.“ 220 ?
XXV. A 121
B 124
Über die Notwendigkeit des Lernens, D 334
Wisse, daß die Bedeutsamkeit der Vernunft daher kommt, daß sie der Ort ist, wo
sich Wissen und Weisheit befinden, und daß sie deren Instrument ist. Die Seele des
Menschen aber ist der Ursprung des Wissens und der Weisheit und ihre Quelle. Sie
ist als Fähigkeit schon von Anfang der Schöpfung an, nicht aber per actionem in
ihr verwurzelt wie das Feuer im Stein, das Wasser in der Erde und die Palme im
Kern. Man muß sich darum bemühen, sie tatsächlich zum Vorschein zu bringen,
wie man sich darum bemüht, Brunnen zu graben, um Wasser zu schöpfen.
Aber wie es ein Wasser gibt, das ohne menschliches Zutun heraussprudelt, und
ein anderes, das verborgen bleibt und dessen Erschließung Graben und ange-
strengtes Graben erfordert, und ein anderes, das wenig Mühe benötigt, so verhält
es sich auch mit dem Wissen in den menschlichen Seelen: Eine Art von Wissen
geht von der Fähigkeit in die Wirklichkeit über, ohne menschliches Erlernen, wie
es bei den Propheten der Fall ist – Friede sei mit ihnen –; denn sie erlangen ihr
Wissen durch die höheren Scharen (die Engel) ohne menschliche Vermittlung. Ein
anderes Wissen benötigt große Anstrengung, wie es bei den gemeinen Menschen
der Fall ist, besonders bei den Dummen, welche in Sorglosigkeit und Unwissenheit
alt geworden sind und in ihrer Jugend nicht gelernt haben.
Ein anderes Wissen erfordert nur wenig Mühe, wie es bei den klugen Kindern D 335
der Fall ist. Weil die Wissenschaften in den Seelen verankert sind, sagt der erhabe-
ne Gott: „Und als dein Herr aus dem Rücken der Kinder Adams deren Nachkom-
menschaft nahm und sie gegen sich selbst zeugen ließ und sagte: ‚Bin ich nicht euer
Herr?‘, sagten sie: ‚Jawohl, wir bezeugen es …‘“ 222 Das Bezeugen hat die Bedeu-
tung, auf die wir hingewiesen haben, nämlich daß sie (die Wissenschaften) der
Möglichkeit nach in ihnen (in den Menschen) vorhanden sind, nicht aber mit Hilfe
eines wörtlichen Bekenntnisses; denn es (das Bezeugen) ereignet sich nicht bei
allen nach ihrer Geburt, sondern nur bei einigen (unter ihnen). So auch in der B 125
Aussage Gottes: „Wenn du sie (die Ungläubigen) fragst, wer sie geschaffen hat,
sagen sie: ‚Gott‘ …“ 223 Das bedeutet, wenn du ihre Eigenschaften in Betracht
ziehst, so bezeugen es ihre Seele und ihr Inneres, daß es nur einen Gott gibt: „Das
ist die natürliche Art, in der Gott die Menschen erschaffen hat.“ 224 A 122
In der Tat wird jeder Mensch mit der Anlage zum Glauben erschaffen. Die Pro-
pheten brachten nichts anderes als den Monotheismus hervor. Deshalb sagt Gott:
„Sag: (Er ist mein Herr) Es gibt keinen Gott außer ihm.“ 225 Dies betrifft nur den-
jenigen, der zwar an Gott glaubt, der sich aber in dessen Wesen oder dessen Ei-
genschaft geirrt hat.
Weil der Glaube an Gott in den Seelen von Natur aus verwurzelt ist, teilen sich
die Menschen in solche, die sich von ihm abwandten und ihn vergaßen – dies sind
188 Die Notwendigkeit des Lernens
die Ungläubigen –, und in solche, die sich darüber Gedanken machten und sich
daran (an die Gottheit) erinnerten, ähnlich wie jemand, der sich verpflichtete,
D 336 Zeugnis abzulegen, es durch Sorglosigkeit vergaß und sich dann wieder daran er-
innerte. Deshalb sagt der erhabene Gott: „Vielleicht würden sie sich mahnen las-
sen“ 226 , und: „Die Verständigen sollen es bedenken“ 227 , und: „Und gedenkt der
Gnade, die Gott euch erwiesen, und der Verpflichtung, die er euch auferlegt
hat“ 228 , und ferner: „Und wir haben doch den Koran leicht (verständlich) gemacht,
so daß er jedermann zur Mahnung (dienen kann). Aber gibt es überhaupt jemand,
der sich erinnern läßt?“ 229
Das Wiedererinnern ist das, was hiermit am häufigsten gemeint ist. Die Benen-
nung dieser Art von Rede als „Wiedererinnerung“ ist naheliegend, und das Wie-
dererinnern kann in zweierlei Hinsicht geschehen: a) Bei der einen erinnert man
sich an ein Bild, das man in seinem Herzen wirklicha gewonnen hatte und das dann
verschwand. b) Bei der anderen erinnert man sich an ein Bild, das von Natur aus
dem Menschen innewohnt. Deshalb sagen die wahrhaftigen Denker 230 : „Das Ler-
nen bringt dem Menschen nichts Neues von außen her, sondern es enthüllt ledig-
lich das, was den Seelen der Menschen von Natur aus (fitra) innewohnt, wie im Fall
desjenigen, der das Wasser aus der Erde hervorholt, und˙ desjenigen, der die Bilder
im Spiegel durch Polieren klar macht.“
Dies sind sichtbare Wahrheiten für diejenigen, die mit dem Auge der Vernunft
nachdenken, schwer aber für den, der durch seine Unfähigkeitb auf der ersten
Stufe der Grundschule (al-maktab) stehenbleibt, auf der seine Natur sich an erste
Vorstellungen der äußeren Begriffe hängt, ohne diese zu prüfen.
a
„wirklich“ bei S, E und D. Bei A, Ae, B u. K: „durch die Vernunft“. Wahrscheinlich lesen sie
bi-3l-fi2l als bi-3l-2aql.
b
Bei E: „der durch seine Unfähigkeit, die Stufen der Vollkommenheit zu erlangen, …“
XXVI. A 123
B 126
Über die Arten der Vernunft D 337
a
/…/ Auslassungen bei S.
b
Bei E: „Wäre da nicht das Sonnenlicht“, was aber keinen neuen Sinn ergibt.
190 Die Arten der Vernunft
und Bildern, nicht aber ihrem Kern und ihrer Wahrheit. Denn die religiösen Wis-
senschaften werden nur durch die rationalen Wissenschaften erfahren, weil die
D 339 letzteren wie die Heilmittel für die Gesundheit sind, die religiösen aber wie Nah-
rung. Die Tradition beruht aber auf der Vernunft und nicht umgekehrta .
Der kranken Seele, der das Heilmittel vorenthalten wird, schaden die Speisen,
und sie nützen ihr nicht. Deshalb sagt der Erhabene: „In ihrem Herzen haben sie
eine Krankheit …“ 237 , weil sie keinen Nutzen aus dem Koran zogen. Dem unkriti-
schen und blinden Nachahmer (muqallid) erscheinen Widersprüchlichkeiten,
wenn er sich über Themen des religiösen Gesetzes (des Islam) Gedanken macht.
Im Verhältnis zu dem, was er verstanden hat, sind sie auch wirklich widersprüch-
lich. Denn es ist möglich, daß er wegen seines schwachen Verstandes und seiner
kraftlosen Natur zu feige ist, darüber (über diese Themen) nachzudenken. Er heu-
B 128 chelt die Sorglosigkeit aus Angst, daß seine Nachahmung zusammenbricht. Mög-
licherweise erkennt er seinen eigenen Widerspruch, dann gerät er in Verlegenheit,
er verliert seine Gewißheit. Wenn er aber mit scharfsichtigem Auge geschaut hätte,
so wäre der Widerspruch aufgehobenb , und er hätte jede Sache an ihrem Ort rich-
tig gesehen. Er ähnelt einem Blinden, der in ein Haus eintritt und über Wasch-
schüssel, Kanne und Hauseinrichtungen stolpert. Dazu sagt er: Weshalb habt ihr
(mir) all dies in den Weg gelegt? Weshalb stellt ihr nicht jede Sache an ihren Ort?
Man erwidert ihm: Jede Sache steht doch an ihrem Platz, der Fehler aber liegt im
Sehvermögen. Das ist eine Erörterung des Wissens, das durch die Vernunft erwor-
ben wird.
A 125 Wisse, daß die Wissenschaften, die man durch die Vernunft erwirbt, in diesseitige
D 340 und jenseitige Erkenntnisse aufgeteilt werden, deren Wege verschieden sind. Wer
seine Aufmerksamkeit ausschließlich dem einen widmet, dessen Scharfsichtigkeit
wird auf dem anderen oft unzulänglich sein. Deshalb gab 2Alı̄ drei Gleichnisse für
das Verhältnis des Diesseits zum Jenseits, indem er sagte: „Das Verhältnis zwi-
schen Diesseits und Jenseits ist wie das Verhältnis der beiden Waagschalen, wie
Ost und West und wie die beiden Nebenfrauen; wenn du die eine zufriedenstellst,
erzürnst du die andere.“
Deshalb findest du die Klugen in den Angelegenheiten des Diesseits unwissend
über das Jenseits und umgekehrt. Darum sagt der Gepriesene (Muhammad):
„Klug ist derjenige, der Verantwortung für sich selbst übernimmt; und ˙ für das
Leben nach dem Tode handelt.“ 238 Als man manche Frommen für dumm hielt,
entgegnete er: „Die meisten der Paradiesbewohner sind einfältig“ 239 , das heißt in
bezug auf das Diesseits.
In diesem Sinne sagt auch al-Hasan al-Basrı̄c : „Wir haben Leute erlebt, wenn ihr
˙
sie gesehen hättet, so hättet ihr gesagt, ˙
sie seien verrückt, und wenn sie euch sehen
würden, so würden sie sagen, ihr seid Satane.“ 240
a
„Die Tradition beruht aber auf der Vernunft und nicht umgekehrt“ bei allen außer bei S u. E.
b
„aufgehoben“ Auslassung bei Ae.
c
„al-Basrı̄“ fehlt lediglich bei S u. E. Es kann sein, daß die Schreiber der beiden Handschriften
al-Hasan˙ ibn-2Alı̄ (624–670 n. Chr.) meinen.
˙
Die Arten der Vernunft 191
Wann auch immer du etwas über eine befremdliche Angelegenheit der Religi-
ona hörst, so soll dich das nicht davon abhalten, es anzunehmen, nur weil du
meinst, daß, wenn es wahr wäre, die klugen Menschen es erfahren hätten, die sich
mit dem Diesseits beschäftigen, sich den Feinheiten der technischen Berufe oder
anderen Berufen widmen. Denn es ist unmöglich, daß derjenige, der sich auf den
Weg des Ostens begibt, das gewinnt, was sich im Westen befindet. So verhält es
sich mit den Angelegenheiten des Diesseits und des Jenseits. Darum sagt der Er- B 129
habene: „Diejenigen, die nicht hoffen, uns zu begegnen, die mit dem diesseitigen
Leben zufrieden sind und darin Ruhe finden und die nicht auf unsere Zeichen D 341
achten, die werden ihre Wohnstätte im Höllenfeuer finden für das, was sie began-
gen haben. Diejenigen, die glauben und tun, was recht ist, die leitet ihr Herr durch
ihren Glauben recht. Unter ihnen werden Bäche fließen, in den Gärten der Won-
ne“ 241 , und ferner: „Sie wissen, was vom diesseitigen Leben äußerlich sichtbar ist.
Auf das Jenseits achten sie nicht.“ 242
Kaum einer kann beide haben außer demjenigen, den Gott für geeignet hielt,
die Menschen in ihrem Diesseits und Jenseits zu leiten. Dies sind die Propheten,
die durch den Heiligen Geist unterstützt werden und welche über eine Fähigkeit
verfügen, die alle Angelegenheiten umfaßt und die nicht beschränkt ist.
Was die schwachen Seelen anbetrifft: Wenn sie sich mit einer Sache beschäfti-
gen, wenden sie sich von der anderen ab, und sie können nicht beide Sachen gleich-
zeitig vervollkommnen.
a
Bei E u. Ae: „des Diesseits“; wahrscheinlich handelt es sich um einen Schreibfehler.
A 126 XXVII.
B 130
Über die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers in den
religiösena Wissenschaften, die zur Glückseligkeit führen 243
Die Aufgaben des Lernenden sind zahlreich. Ihre Einzelheiten werden in zehn
Grundsätzen dargestellt:
Die erste Aufgabe besteht darin, die Reinigung der Seele von der schlechten
ethischen Gesinnung in den Vordergrund zu stellen. Der Gottesdienst mit den
Körperteilen kann für das Gebet nur durch ein Reinigungsritual gültig sein. So ist
D 342 das Wissen ein Gottesdienst der Seele, im Sprachgebrauch des islamischen Geset-
zes aber ein Gottesdienst des Herzens und nur so wird das Wissen durch die Rei-
nigung des Herzens von den Schlechtigkeiten der ethischen Gesinnung und den
schlechten Charaktereigenschaften gültig sein. Der Gepriesene (Muhammad)
˙ Innere
sagt: „Die Religion beruht auf der Reinheit.“ 244 Dies trifft sowohl auf das
als auch auf das Äußere zu, und der Erhabene sagt: „Die Heiden sind ausgespro-
chen unrein.“ 245 Dadurch macht er darauf aufmerksam, daß Reinheit und Unrein-
heit nicht auf das Äußere beschränkt sind. Darüber sagt der Gepriesene (Muham-
˙
mad): „Die Engel betreten kein Haus, in dem sich ein Hund befindet.“ 246 Das Herz
ist das Haus der Engel, ihr Blickpunkt und das Ziel ihrer Wirkungen; die schlech-
ten Eigenschaften sind wie bellende Hundeb , die dies alles verhindern.
Wenn du glaubst, daß es ein Haus aus Lehm gibt und ein Tier, das Hund genannt
wird, welches allen übrigen Tieren ähnelt, so ist auch naheliegend, daß du an ein
Haus der Religion glaubst und an Eigenschaften, welche alle lobenswerten Eigen-
schaften überragen. Das Haus der Religion ist das Herz, dessen sich einmal die
Hunde, ein anderes Mal die Engel bemächtigen. Wenn du aber sagst: „Wie oft gibt
es einen Studierenden, der sich die Wissenschaften angeeignet hat, jedoch von
A 127/D 343 schlechter Gesinnung ist!“, wie weit bist du von dem Verständnis des wahren reli-
giösen Wissens entfernt, welches die Glückseligkeit herbeibringt! Das, was der
Studierende an schlechter Gesinnung (von den Wissenschaften) erwirbt, ist bloß
eine Rede, die er einmal mit seiner Zunge, ein anderes Mal mitc seinem Herzen
ordnet, und ein Gerede, das er wiederholt.
Wenn das Licht des Wissens in sein Herz schiene, so besserte sich seine Gesin-
nung.
Denn die unterste Stufe des Wissens ist, daß man erkennt, daß die Sünden töd-
liche Gifte sind, die das ewige Leben zunichte machen; denn ihr Ursprung sind die
B 131 schlechten Charaktereigenschaften. Hast du jemals jemanden gesehen, der das
Gift als solches erkennt und es dennoch einnimmt? Darum sagt der Gepriesene
a
„religiösen“ nur bei allen drei Handschriften.
b
„bellend“ lediglich bei S u. E; „… die dies alles verhindern“ fehlt bei E.
c
Arab. bei S u. E: „fı̄-qalbihi“. Bei den übrigen: „bi-qalbihi“.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 193
(Muhammad): „Wer sein Wissen vermehrt, jedoch an rechter Leitung nichts hin-
˙
zugewinnt, wird um so mehr von Gott entfernt.“ 247
In diesem Zusammenhang sagen die wahrhaftigen Forscher (unter den Wissen-
schaftlern) über den Sinn des Spruchsa :
„Wir haben das Wissen für einen anderen Zweck außer für Gott erlernt, das
Wissen aber lehnte es ab, für etwas anderes als für Gott da zu sein“, das heißt,
daß das Wissen sich weigerte und ablehnte, sich aneignen zu lassen. Was aber
angeeignet wurde, war oberflächlich und kein wahrhaftiges Wissen.
Wenn du sagst: Ich sehe eine Gruppe von hervorragenden Rechtsgelehrten (fu-
qahā3), die sich darein (in die Rechtswissenschaften) vertieft haben, obwohl sie von
schlechter ethischer Gesinnung sind, so wird dir erwidert: Wenn du die Rangord-
nung der Wissenschaften erkennst, sie mit der Erlangung der Glückseligkeit zu
verbinden trachtest, so wirst du wissen, daß das, was diese Rechtsgelehrten gelernt
haben, im Hinblick auf dieses Ziel wenig nützlich ist, auch dann, wenn ihr Wissen
etwas Nützliches für den Interessierten enthält, der damit auf ein solches Ziel hin-
arbeitet.
Die zweite Aufgabe ist, daß er seine Bindungen zu den diesseitigen Beschäfti-
gungen verringert und sich von Familie, Kindern und Vaterland entfernt; denn die
Bindungen beschäftigen die Herzen und lenken sie ab: „Gott hat keinem Men- D 344
schen zwei Herzen in seinem Inneren gegeben.“ 248 Je mehr sich das Denken ver-
zettelt, desto unfähiger wird es, die Wahrheiten der Dinge zu erkennen. Darum
wird gesagt: „Das Wissen gibt dir keinen Teil von sich, bis du dich selbst ihm völlig
widmest. Wenn du dich ihm völlig widmest, so besteht die Gefahr, daß es dir nur
einen Teil davon gibt.“
Wann immer das Denken sich auf verschiedene Dinge verteilt, ähnelt es einem
Bach, dessen Wasser spärlich istb und der so durch Luft und Erdec austrocknet,
und so bleibt von ihm nichts übrig, was sich sammelt und den Ackerboden erreicht
und somit Nutzen bringt.
Die dritte Aufgabe bedeutet, daß er (der Studierende) sich nicht hochmütig
gegenüber der Wissenschaft und deren Anhängernd verhält und dem Lehrer keine
Befehle erteilen darf, vielmehr sollte er ihm die Leitung in bezug auf die Ein-
zelheiten im Bereich des Unterrichtse überlassen und seinen Ratschlägen Folge
leisten, wie der Kranke dem Arzt gegenüber. Der Hochmut gegenüber der Wis-
senschaft bedeutet, daß er (der Studierende) sich weigert, aus dem Wissen desjeni-
gen Nutzen zu ziehen, der es besitzt. Das ist die Torheit selbst. Die Weisheit ist A 128
vielmehr Gegenstand beharrlicher Suche eines jeden Gläubigenf ; er soll sie ergrei-
fen, wo immer er sie findet, aus ihr Nutzen ziehen und sich damit schmücken.
Denn:
a
„über den Sinn des Spruchs“ fehlt bei S u. E. In diesem Fall stammt der Spruch von den For-
schern selbst.
b
„dessen Wasser …“ bei S u. E. Bei den übrigen: „dessen Wasser durchsichtig und flach ist, …“
c
Bei A u. B: „… durch Luft auf dem Boden …“
d
„… und deren Anhängern“ fehlt bei S u. E.
e
„des Unterrichts“ bei S u. E. Bei den übrigen: „des Lernens“.
f
Bei S u. E. Bei den übrigen: „des Weisen“.
194 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
a
Von hier ab: arab.: „wa-3l-2āgiz …“ bis „Sie sagen: „Wenn Gott …“, arab.: „wa-innahum yaqūlūn:
laula irādat Allāh …“, s. D 359 fehlt bei E. Es wird später an der entsprechenden Stelle auf die
Fortsetzung der E-Handschrift verwiesen.
b
Bei S: „Wer mich … sieht, wird selbst zu einem Aufrichtigen, Wer mich aber … sieht, wird selbst
zu einem Häretiker.“
196 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
a
Bei B: „dieses Lehrers“.
b
S: „der Vernünftige“.
c
/…/ fehlt bei allen außer S.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 197
hat. All dies ist falsch. Vielmehr soll man die Sache an sich erkennen. Denn kein
Mensch kann die Last der Wissenschaft allein tragen. Darum sagt 2Alı̄ – Gott möge
Wohlgefallen an ihm haben –: „Erkenne nicht das Wahre durch die Menschen,
sondern erkenne zuerst das Wahre, dann wirst du seine Anhänger erkennen.“
Die siebte Aufgabe: Da die Lebensdauer nicht für alle Zweige der Wissenschaf-
ten ausreicht, muß man das Beste von allem aussuchen. Man sollte sich also mit B 135
dem Minimum einer jeden Wissenschaft begnügen und sich den Rest des Lebens D 350
mit der Vervollkommnunga der Wissenschaft beschäftigen, die der Grund für die
Rettung und die Glückseligkeit ist, das ist das Ziel aller Wissenschaften, nämlich
die Erkenntnis Gottes in Wahrheit und Aufrichtigkeit. Denn alle Wissenschaften
dienen dieser Wissenschaft, während sie unabhängig ist und keiner anderen dientb .
Deshalb spricht der Erhabene (Gott): „Sag: ‚Gott.‘ Alsdann laß sie in ihrem Ge-
schwätz weiter ihr Spiel treiben!“ 259 Es ist nicht gemeint, daß man die Muskeln der
Zunge mit diesen Buchstaben bewegt. Deshalb sagt der Prophet Muhammad:
„Wer aufrichtig und aus seinem Herzenc sagt: ‚Es gibt keinen Gott außer ˙ Gott‘,
260
tritt ins Paradies ein.“
Denn die Bewegung der Körperteile nützt kaum, wenn sie keinen Einfluß auf
das Herz ausübt undd wenn sie nicht von einer Überlieferung ausgeht, welche im
Herzen fest verankert ist, oder wenn sie nicht von einer Überzeugung hervorgeht,
welche man „Glaube“ nennt. Dann könnte der Glaube die Stufe des Glaubens von
Abū-Bakr erreichen, der, wenn er gegen den Glauben aller Menschen aufgewogen A 132
würde, diesen überragen würde, obwohl ausdrücklich erklärt wurde, daß er euch
gegenüber nicht durch mehr Fasten und Gebete den Vorzug hat, sondern durch ein
Geheimnis, das in seinem Herzen feststeht.
Wenn die höchste Erkenntnis über Gott irgendein Glaube wäre wie der, an den
der blinde Nachahmer, der Scholastiker und der Angehörige der Unterrichtsschu-
le durch einen niedergeschriebenen Beweis glauben, wären meiner Meinung nach
2Umar, 2Alı̄e und 2Utmān und alle übrigen Gefährten des Propheten zu einem sol-
chen Glauben nicht ¯unfähig, so daß Abū-Bakr sie überragen würde.
Dem Aufrichtigen wird dadurch klar, daß der Weg der Sūfı̄s (Mystiker) durch
starke religiöse Belege von seiten des Islam bezeugt wird, ˙auch wenn er von den
meisten üblichen Erscheinungen der Religion abzuweichen scheint. Deswegen
darf der Unwissende diesem Weg der Mystik nicht feindlich gegenüberstehen,
nur weil er unwissend und unfähig ist, ihn zu begreifen.
Kurz, die Erkenntnis Gottes ist das Ziel jeder Erkenntnis und das Ergebnis jeder D 351
Wissenschaft nach allen Lehrmeinungen. Man erzählte, daß ein Bild von zwei
Weisen gesehen wurde, die Gott in einer Moschee anbeteten. Der eine hielt ein
Stück Pergament in der Hand, auf dem geschrieben stand: „Wenn du jede Sache
beherrschst, so glaube nicht, daß du sie tatsächlich beherrschst, bis du den erhabe-
a
„Vervollkommnung“ lediglich bei S.
b
„unabhängig, arab. hurr“ fehlt bei S.
c ˙
„und aus seinem Herzen“ lediglich bei S.
d
„und“ bei S. Bei den übrigen: „oder“.
e
„2Umar, 2Alı̄ …“ bei S und Ae. Bei den übrigen: „2Umar und 2Utmān“.
¯
198 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
nen Gott erkennst und erfährst, daß er Urheber aller Ursachen und der Schöpfer
aller Dinge ist“, während auf dem Pergament in der Hand des anderen zu lesen
war: „Bevor ich Gott erfahren hatte, trank ich und wurde durstig. Nachdem ich Ihn
aber erfahren habe, stillte ich meinen Durst, ohne zu trinken.“
Die achte Aufgabe: Du sollst wissen, daß manche Wissenschaften edler als an-
dere sind und daß man die Vornehmheit einer Wissenschaft an zwei Dingen er-
kennta : a) durch die Bedeutsamkeit ihres Zieles und b) durch die Sicherheit ihrer
Beweise wie zum Beispiel die Wissenschaft der Religion und der Medizin. Denn
das Ziel der Wissenschaft der Religion ist das ewige Leben, welches ohne Ende ist.
Deshalb ist sie bedeutsamer als die Wissenschaft der Medizin, deren Ziel das Le-
ben des Körpers bis zum Todeb ist.
Wenn du die Arithmetik mit der Medizin vergleichst, so ist sie (die Arithmetik)
in bezug auf die Sicherheit ihrer Beweise bedeutsamer. Denn ihre Erkenntnisse
sind notwendig (a priori) und von keinem Experiment abhängig im Gegensatz zur
Medizin, während die Medizin von ihrem Ziel her bedeutsamer (als die Arithme-
tik) ist. Denn die Gesundheit des Körpers ist bedeutsamer als die Erkenntnis der
Verhältnissec aller Mengen. Es liegt näher, die Bedeutsamkeit des Zieles zu be-
trachten als die Sicherheit des Beweises.
D 352/A 133 Die edelste aller Wissenschaften hinsichtlich ihres Zieles ist die Wissenschaft
von Gott, seinen Engeln, seinen Büchern, seinen Gesandten und was dazu bei-
trägt. Denn ihr Ziel ist die ewige Glückseligkeit.
Die neunte Aufgabe: Du sollst die Arten der Wissenschaften im allgemeinen
erkennen. Dies sind drei:
1. Eine Wissenschaft, die sich auf den Ausdruck bezieht, insofern er auf die
Bedeutung hinweist.
2. Eine Wissenschaft, die sich auf die bloßed Bedeutung bezieht, /insofern der
Ausdruck darauf verweist/e .
3. Eine Wissenschaft, die sich auf die bloße Bedeutung bezieht. /Die Wissen-
schaft, die sich auf den Ausdruck bezieht/f , ist diejenige, durch die man die Bedeu-
tung mit Hilfe der Sinne erkennen kann. Ich möchte, daß du die Ausdrücke er-
kennst, die durch Konvention festgesetzt werden, um auf die Bedeutungen
hinzuweisen. Sie teilen sich in zwei Bereiche: a) die Wissenschaftg der Sprachen
und b) die Wissenschaften, die von ihnen abhängen, wie Etymologie, Wort- und
Satzanalyse, Grammatik, Morphologie, die Wissenschaft vom Versmaß und die
Reimlehre. Vielleicht gelangt man zur Wissenschaft der Phonetik und zu dem,
was von ihr abhängt.
Was die Bedeutung anbetrifft, auf die man durch den Ausdruck hinweist, so ist
dies die Wissenschaft von der Dialektik, der Disputation, der Beweisführung und
a
Bei S. Bei den übrigen: „Denn man erkennt den Ruhm einer Wissenschaft …“
b
„bis zum Tode“ fehlt bei S.
c
„Verhältnisse“ bei S. Bei den übrigen: „Summe“.
d
„bloße“ nur bei S.
e
/…/ fehlt bei S.
f
/…/ fehlt bei S.
g
„die Wissenschaft“ fehlt bei S.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 199
der Redekunst. Derjenige, der sich mit diesen Wissenschaften beschäftigt, ist ein
Fachmann der Lexikographie, der Ausdrücke und der Bedeutungen. Er ist ein
Gelehrter in bezug auf die Anordnung ihrer Anwendungsmöglichkeiten und auf
die Art, wie man sie zusammenstellt, so daß man zu einem sicheren Wissen gelangt
– dies ist ein Beweis – oder um den Gegner zum Schweigen zu bringen – dies ist B 137
eine Dialektik – oder zu einer Überzeugung, durch die man den Gegner zu einer
bestimmten Meinung verleitet und ihn in die Enge treibt, um seine Meinung zu
ändern, was Rede- und Predigerkunst heißt und auch Beweis genannt werden D 353
kann. Denn diese Kunst leitet die Zuhörer zu Zielen und Glaubensdogmen hin,
in denen ihr Heil besteht. Darauf beziehen sich die meisten Hinweise der Überlie-
ferungen und die Indizien, die man gegen die Ungläubigen als Beweis anführt. Das
ist die nützlichste Art aller Beweise und in bezug auf die Massen die wirksamste.
Nur die großen unda wahrhaftigen Forscher, von denen die Epochen kaum einen A 134
einzigen hervorbringen, sind in der Lage, den unbestreitbaren und sicheren Be-
weis zu verstehen und zu begreifen.
Was die Dialektik angeht, so ist sie unter diesen Bereichen am wenigsten nütz-
lich in Hinblick auf die rechte Leitung der Menschen. Denn der Forscher begnügt
sich nicht mit dem Beweis, der nur auf die Zustimmung des Gegners ausgerichtet,
nicht aber an sich überzeugend ist. Der Ungebildete begreift den Beweis nicht;
sein Verstand ist dazu unfähig. Der streitlustige Gesprächspartner beharrt mei-
stens auf seinem Glauben, wenn er zum Schweigen gebracht wird. Er führt (in
diesem Fall) die Unfähigkeit (in der Überzeugung) auf sich selbst zurück (nicht
aber auf den Beweis) und sagt dazu: „Wenn der Begründer meiner Doktrin noch
am Leben und anwesend wäre, so hätte er sich von diesem Beweis distanziert.“ Die
meisten Argumente, die die Theologen in ihren Auseinandersetzungen mit den
(anderen) Schulen angeführt haben, gehören zur Dialektik. Ähnlich ist es mit den
juristischen Streitigkeiten. Deshalb endet keine Diskussion damit, daß ein Ge-
sprächspartner aufmerksam wird, seine Meinung aufgibt und zu einer anderen
überwechselt.
Der dritte Teil, der sich auf die Bedeutung bezieht, gliedert sich in zwei Teile, die
reine theoretische und die praktische Wissenschaft. Die reine theoretische Wissen-
schaft bezieht sich auf die Erkenntnis des erhabenen Gottes, der Engel und der
Propheten, das heißt die Erkenntnis der Prophetie und ihrer Rangstufen und die D 354
der Engel sowie die Erkenntnis der Königreiche von Himmel und Erdeb , die Wun-
derwerke in der Schöpfung und in den Lebewesen und was von ihnen auf Erden
verbreitet wurde; auf die Erkenntnis der himmlischen Gestirnec und der höheren
Sphären, aller Teile der existierenden Dinge, wie man sie nacheinander einreiht,
die Art und Weise, wie man sie miteinander verbindet und wie man sie mit dem
Einzigend und Wahrhaftigen verknüpft, der darüber erhaben ist, sich mit anderen
verbinden zu lassen, sowie auf die Erkenntnis der Auferstehung, der Versamm-
a
„und“ lediglich bei S.
b
„Erde“ fehlt bei S.
c
S: „der Wandergestirne“.
d
Nach S. Bei den übrigen: „dem Ersten“.
200 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
lung, des Paradieses und der Hölle, des Pfades, des Gerichtes, der Ǧinn (Geister)
und der Satane (bösen Geister).
Man soll prüfen, ob das wahr ist, was von der äußeren Bedeutung dieser Begriffe
leicht eingedrungen ist in den Verstand der Ungebildeten, die sich vorgestellt ha-
ben, daß Gott, der Erhabene, räumlich oberhalb der Welt auf einem Thron sitzt
und vor der Entstehung der Welt zeitlich existiert, und man soll prüfen, was sie
über die Glaubenssätze der Engel und Satane und über die Umstände des Jenseits,
zum Beispiel des Paradieses und der Hölle, vermutet haben. Man sollte (weiter-
B 138 hin) prüfen, ob diese Dinge ohne Abweichung sind, wie sie geglaubt haben, oder
ob sie Symbole und Vorstellungen sind, die eine andere als ihre äußere Bedeutung
A 135 haben. Es ergibt sich somit, daß die Prüfung dieser Dinge mit Aufrichtigkeit und
anhand der reinena Wahrheit vollzogen werden kann, welche über jeden Zweifel,
jede Vermutung und vage Vorstellung erhaben ist; dies sind die theoretischen Wis-
senschaften, die von der Praxis unabhängig sind.
D 355 Die praktischen Wissenschaften sind: die religiösen Vorschrifen, die Rechtswis-
senschaften und die prophetischen Überlieferungen (des Propheten Muhammad).
Das ist das Wissen um die Steuerung der Seelen(-Kräfte) in Zusammenhang ˙ mit
der Ethik, wie erwähnt wurde, das Wissen um die Verwaltung der Angelegenhei-
ten der Angehörigen, der Kinder, des Essens, der Kleidung sowie um die Weise
des Lebens und des Benehmens. Das sind die (islamischen) Rechtswissenschaften,
welche Privat-, Zivil- und Strafrecht beinhalten.
Wenn man ihre Bereiche (der praktischen Wissenschaften) kennt, so sollte man
(auch) ihre Rangstufen erkennen, damit man sein Leben nur der Erlangung des
erstrebten Zieles oder dem widmet, was ihm nahesteht. Wer sich aber mit der
ersten Art begnügt, die sich auf die Wissenschaft des Ausdrucks bezieht, der be-
B 139 schränkt sich allein auf die Oberfläche, und wer sich mit Grammatik, Wort- und
Satzanalyse, mit der Wissenschaft von den Versmaßen und der Phonetik begnügt,
der beschränkt sich auch auf die Oberfläche in ihren verschiedenen Aspekten.
Derjenige, der sich in die Verfahrensweise vertieft, durch die sich der wahrhaftige
sichere Beweis auszeichnet, der sich über die Dialektik und das bloße Überzeugen
erhebtb , beschäftigt sich zunächst mit einer wichtigen Angelegenheit.
Wenn er sich (aber) damit begnügt, so beschränkt er sich (bloß) auf das Instru-
ment und das Mittel, ähnlich wie einer, dessen Ziel eine Pilgerfahrt ist und der so
ein Kamel kauft, für Proviant und Ausstattung sorgt, dann aber (untätig) zu Hause
bleibt. Dies (seine Vorbereitung) ist wichtig und notwendig, weil es ein unerläß-
liches Instrument ist, jedoch nutzlosc , wenn es nicht zu diesem Zweck verwendet
D 356 wird. Denn die Waffe allein nützt nicht, wenn sie nicht im Kampf eingesetzt wird.
Wer sich in die praktischen Wissenschaften vertieft und es dabei beläßt – ich
meine die Rechtswissenschaften, ihre Überprüfungd und ausführliche Darlegung
a
„reinen“ fehlt bei S.
b
Bei S. Bei den übrigen: „durch die sich der wahrhaftige Beweis vom (bloßen) Überzeugen un-
terscheidet, …“
c
„jedoch nutzlos“ fehlt bei S u. Ae.
d
„Überprüfung“ lediglich bei S.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 201
(der Probleme) –, der steht demjenigen nahe, der sich auf die Sprachen beschränkt.
Im Verhältnis zu diesem ist er großartig. Die Beschäftigung mit den Sprachen ist
wiederum großartig im Verhältnis zum Wissen um Tanzen und Flöten. Wenn man
sie aber im Verhältnis zum Ziel (das man sich in der Wissenschaft gesetzt hat)
betrachtet, so ist sie davon weit entfernt. Dies soll durch ein Beispiel verdeutlicht
werden.
Wenn der Herr die Freilassung seines Sklaven davon abhängig macht, daß er die
Pilgerfahrt unternimmt und ihm danach ein Kapitala verspricht, mit dem er eine
Führungsstelle erlangen kann, so gibt es dreierlei Stufen zur Erlangung des Glücks A 136
der Freiheit und ihrer Folgen.
Erstens: Die Bereitstellung der Mittel dafür durch den Kauf des Kamels, die
Befestigung der Wasserflasche und die Vorbereitung des Reiseproviants.
Zweitens: Die Abreise aus der Heimat und die schrittweise Hinwendung zum
gewünschten Ziel.
Drittens: Die Erfüllung der Pilgerpflichten eine nach der anderen. Danach folgt
die Freilassung (des Sklaven), und er kann Anspruch auf das Geld erheben, das ihn
zum Glück führt.
Für jedes Ziel gibt es Stufen vom Beginn der Vorbereitung der Mittel an bis zu B 140
ihrem Ende und vom ersten Schritt bis zum letzten und von der Durchführung der
ersten Pilgerpflichten bis zum Schlußb .
Derjenige, der mit den Pilgerpflichten beginnt, steht der Glückseligkeit näher /als
derjenige, der mit den Vorbereitungen erst beginnt, und/c als derjenige, der im Auf- D 357
bruch begriffen ist. Der Pilgerfahrt entspricht in bezug auf unser Thema die Vervoll-
kommnung der Seele durch die Reinigung der Gesinnung und die völlige Trennung
von allen Lastern. Durch die Enthüllung der Wahrheiten wird die Vervollkomm-
nung der Seele erreicht.
Das Analogon, das hier eine Führungsstelle ermöglichtd , ist der Tod, welcher
den Schleier aufdeckt, der ihn und das Schauen der Seele selbst und dasjenige ihrer
Vollkommenheit und Schönheit hindert, damit er die Vollkommenheit seiner
selbst an allerhöchster Stelle sieht. Somit ist er glücklich und hat ewiglich große
Freude.
Das Analogon der Beschreitung des Weges (der Mystik), eine Etappe nach der
anderen, ist das Verhalten dessen, der seine eigene ethische Gesinnung verbessert,
indem er die bösen Charaktereigenschaften eine nach der anderen tilgt, und des
Studierenden der theoretischen Wissenschaften, die wir erwähnt haben, nicht aber
aller übrigen Wissenschaften, eine nach der anderen.
Das Analogon zur Vorbereitung durch die Befestigung des Wasserschlauchs,
den Kauf von Proviant und des Kamels sind alle Wissenschaften, die den theoreti-
schen Wissenschaften dienen, wie die Rechts- und die Sprachwissenschaften.
a
„ein Kapital“ bei S. Bei den übrigen: „die Mittel“.
b
„und von der Durchführung der ersten Pilgerpflichten …“ lediglich bei S.
c
/…/ fehlt lediglich bei S.
d
Bei S. Bei den übrigen: „Das Analogon des Reichtums, der hier eine Führungsstelle ermöglicht,
ist der Tod, …“
202 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
Wer die Rechtswissenschaft studiert, ist demjenigen ähnlich, der den Wasser-
schlauch aufbewahrt; und wer es dabei beläßt, ähnelt demjenigen, der sich mit
der Wasserflasche begnügt. Wer sich auf die Sprache beschränkt, ähnelt einem,
der sich mit dem Gerben des Leders begnügt, aus dem der Wasserschlauch ge-
macht wird. Denn der Pilger zum Beispiel kann den Gerber nicht entbehren, wie
auch den Sattler nicht (der den Wasserschlauch näht), jedoch ist der Sattler dem
Ziel näher als der Gerbera .
Wer seine Zeit mit der Erkenntnis der Detailsb der Rechtswissenschaften ver-
bringt, wobei diese die Streitigkeiten dieser Zeitepoche beinhalten, was niemals
zur Zeit der Gefährten des Propheten bekannt war, ähnelt einem, der seine Zeit
A 137/D 358 mit der Befestigung des Wasserschlauchs verbringt, nachdem er die Nadel einge-
fädelt und die Nähte verbessert hat.
Wenn du sagst: Sofern du dies aus Überzeugung aussprichst, so steht dies im
Gegensatz zu dem Konsensus aller Rechtsgelehrten. Wenn du dies aber als Über-
lieferung erwähnst, wer glaubt dann an eine solche Lehrmeinung? Ich sage dir dies
nur als Erwähnung dieser Lehrmeinung, die in diesem Buch hauptsächlich darge-
legt wird, das ist die Lehrmeinung der Mystik.
Die Mystiker stimmen mit der Bedeutung dieses Gleichnisses überein, auch
wenn es selbst nicht von ihnen stammt.
B 141 Wenn du sagst: Ist ihre Aussage richtig oder nicht? So antworte ich: Dieses Buch
ist nicht geschrieben worden, um die Wahrheit und die Falschheit dieser Dinge
durch Beweisführung klarzumachen, sondern es enthält Ratschläge, die auf die
Unachtsamkeit hinweisen und zu Lehrfragen leiten, damit man nicht außer acht
läßt, was sie (die Mystiker) gesagt haben. Denn die Möglichkeit dessen, was sie
gesagt haben, ist von Anfang an nicht weit entfernt von der Wahrheit. Deshalb soll
der Lernende, der solche Fragen stellt, ihre Lehrmeinung erforschen, damit er ihr
Geheimnis und ihre Gefahr erkennt.
Wenn du sagst: Wenn ich auch nicht an die Lehre der Mystik glaube, so erlaube
ich mir nicht, mich auf diese niedrige Stufe der Mystik zu begeben, um mit ihrem
Auge die Dinge zu sehen, nachdem ich mich mein Leben lang mit der Rechtswis-
senschaft, ihren Lehrmeinungen und Streitigkeiten beschäftigt habe. Warum also
hast du gesagt, daß ihre Lehrmeinung notwendigerweise dazu führt? So wisse, /daß
du dich der Ursache vergewissern kannst/c , wenn du die Einzelheiten dessen er-
fährst, was wir vorher über die Bindung der Glückseligkeit an die Beseitigung der
schlechten Charaktereigenschaften von der Seele und die Festigung der guten er-
wähnt haben.
Die Beseitigung dessen, was nicht sein darf, ist eine Reinigung für die Seele, und
die Festigung bezieht sich auf das, was sein soll als Vervollkommnung für sie, in-
dem sich die Wahrheiten in ihr enthüllen. Dies kann nur geschehen durch Erzie-
D 359 hung der ethischen Gesinnung, das Nachdenken über die Wohltaten Gottesd und
a
„wie auch den Sattler nicht …“ lediglich bei S u. Ae.
b
Lediglich bei S: „Forschungen“.
c
/…/ fehlt bei S u. Ae.
d
S: „über Gott“.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 203
die Königsherrschaft des Himmels und der Erdea , damit die Geheimnisse der See-
le enthüllt werden. Die Rechtswissenschaft ist deshalb notwendig, weil der Körper
ihrer bedarf. Der Körper kann nur durch die Wissenschaft vom Körper erhalten
werden, das ist die Medizin, und durch die Wissenschaft der Religion, das ist die
Wissenschaft von dem (islamischen) Recht. Denn der Mensch ist so beschaffen,
daß er nicht allein leben kann wie ein wildes Tier. Vielmehr benötigt er eine Schar A 138
(von Menschen), die für viele Beschäftigungen in der Vorbereitung der Nahrung,
der Bekleidung und ihrer Instrumente zusammenarbeiten. Es ist notwendig, wenn
sie (die Menschen) eine Gesellschaft bilden, daß bei ihnen Gerechtigkeit und Ge-
setz herrschen, um ihren Lebensunterhaltb und ihre (menschlichen) Beziehungen
zu regeln, ohne die sie miteinander streiten, sich töten und sich vernichten würden. B 142
Die Rechtswissenschaft ist eine Darlegung dieses Gesetzes. Seine Einzelheiten
sind in den Abschnitten über das Zivil-, das Privat- und das Strafrecht zu finden. Der
Körper ist im Verhältnis zu denjenigen, die sich auf dem Weg des erhabenen Gottes
begeben, dem Kamel und der Wasserflasche auf dem Weg der Pilgerfahrt ähnlich.
Die Bedürfnisse der Körper ähneln den Bedürfnissen des Kamels. Die Wasser-
flasche und das Wissen über die Bedürfnisse des Körpers sind dem Beruf ähnlich,
der sich mit der Befestigung der Wasserflasche, der Abschätzung der Wassermenge
und ihrer Reinigung beschäftigt. Seine Bedeutung (des Körpers) im Hinblick auf
dieses Ziel ähnelt der Bedeutung dieser erwähnten Dinge für das Endziel (nämlich
der Pilgerfahrt), wenn das, was sie (die Mystiker) erwähnt haben, über die Be-
schreitung (des Weges der Mystik), die Vorbereitung dazu und die Erlangung des
Ziels, sich bewahrheitet. Sie sagenc : „Wenn Gott die Bebauung der Welt nicht
gewollt hätte, so wären die Vorhänge aufgehoben worden, die Sorglosigkeit wäre
verschwunden, alle Menschen hätten sich auf den Weg Gottes begeben und jede
Gruppe hätte unterlassen, was vom Ziel weit entfernt ist.“
Jedoch „freut sich jede Gruppe über das, was sie gerade hat“ 261 , und dadurch D 360
wird die Welt aufrechterhalten. Ja sogar, wenn das nicht so wäre, so wären alle
Berufe aufgehoben.
Denn wenn der Schneider, der Weber und der Schröpfer an ihren Berufen nichts
fänden, was ihre Neigung zu ihren Berufen rechtfertigen würde, so hätten sie sie
aufgehoben, und alle hätten sich den edelsten Berufen zugewandt, und die edel-
stend Berufe wären (in diesem Fall) nichtig. Das Engagement der Fachleute für
ihre Berufe ist also erforderlich, um die Voraussetzungen zur Ergreifung dieser
Berufe zu schaffen. Ihre Sorglosigkeit hinsichtlich der Nachteile ihrer Berufe ent-
springt der Barmherzigkeit Gottes. In diesem Sinne haben einige die Aussage des
Propheten – Friede sei mit ihm –: „Die Unterschiedlichkeit meiner Gemeinde ist
(ein Zeichen der) Barmherzigkeit (Gottes)“ 262 , verstanden, das heißt die Unter-
schiedlichkeit ihrer Interessen.
Wenn der Straßenfeger erfahren würde, welche Nachteile sein Beruf beinhaltet,
a
„und der Erde“ fehlt bei S.
b
„Lebensunterhalt“ lediglich bei S.
c
„Sie sagen …“ Fortsetzung der E-Handschrift.
d
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „meisten“.
204 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
würde er ihn aufgeben. Dann sähen sich Gelehrte, Kalifen und Herrscher gezwun-
gen, selbst diesen Beruf auszuüben. So verhält es sich mit der Gerberei, dem Ei-
senschmiedehandwerk, der Landwirtschaft und allen anderen Berufen.
Wenn der erhabene Gott die Sprachwissenschaft, die Grammatik, die Phonetik
A 139 und die Medizina den Herzen vieler Menschen nicht liebgemacht hätte, so wären
diese Wissenschaften lahmgelegt und das universelle System (des Lebens) gestört.
Daraus folgt nicht notwendigerweise, daß derjenige, der sich einer Wissenschaft
oder einem Beruf widmet, seinen Rang an dem orientiert, der über ihm steht,
sondern er soll auf den schauen, der unter ihm ist. Wer einen Überblick über die
gesamten Wissenschaften hat, der trägt die Verantwortung für alle Wissenschaf-
ten, und er ist ein Weiser, dem Gott die Dinge gezeigt hat, wie sie sind.
B 143 Dies ist die Antwort der Mystiker auf solche Fragen. Dir ist es nachher über-
lassen zu entscheiden, ob du dich mit dem begnügst, was du hast, oder den Weg
solcher Leute (der Mystik) beschreitest undb diese Wissenschaft erforschst, damit
du die Wahrheit darüber erkennst.
D 361 Die zehnte Aufgabe des Lernenden: Das Ziel dessen, was der Lernende im
Diesseits erwirbt, ist, sich selbst zu vervollkommnen und tugendhaft zu werden.
Im Hinblick auf das Jenseits ist das Ziel die Nähe zum erhabenen und allmächtigen
Gott, nicht aber Ansehen, Reichtum, Wetteifern mit den Toren und Streit mit den
Gelehrten. Denn der Prophet sagt: „Wer das Wissen erwirbt, um mit den Toren zu
wetteifern und mit den Gelehrten zu streiten, der kommt in die Hölle.“ 263 Es wur-
de schon früher darauf verwiesen, daß die Wissenschaften eine Rangordnung ha-
ben, mit deren Hilfe man zum erhabenen und allmächtigen Gott gelangen kann.
Diejenigen, die diese Wissenschaften vertreten, ähneln Wächtern von Häfenc und
Festungen auf dem Wege des heiligen Kampfes. Wenn jeder seine Stellung in der
Wissenschaft kennt, seine Verpflichtungen genau erfüllt und dadurch die Wohl-
gefälligkeit des erhabenen Gottes bezweckt, wird Gott ihm seinen Lohn nicht vor-
enthalten. Denn Gott erhebt ihn je nach dem Grad seines Wissens sowohl im Dies-
seits als auch im Jenseits. Der erhabene Gott sagt: „Gott wird diejenigen von euch
um Stufen erhöhen, die glauben und denen das Wissen gegeben ward“ 264 , und „sie
(die Menschen) stehen in verschiedenem Rang bei Gott“ 265 .
B 144 Deine Meinung über die Wissenschaften soll nicht durch das entkräftet werden,
was wir von den Sūfı̄ (Mystikern) erwähnt haben. Denn sie denken nicht verächt-
˙
lich über die Wissenschaften, sondern jeder Muslim glaubt an ihre Heiligkeit und
Erhabenheit. Was sie erwähnt haben, gilt nur in bezug auf die Rangstufen der
Gottesvertrauten und der Propheten. Dies (wenn du dich so verhalten würdest)
entspräche deiner Geringschätzung der Kassierer, wenn sie mit Herrschern und
Ministern verglichen werden. Sie haben immer den Vorzugd , wann immer du sie
a
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „… die Rechtswissenschaft, die Grammatik, die Phonetik und
die Medizin“.
b
Bei E: „oder“.
c
„Häfen“ lediglich bei S u. E.
d
Bei S. Bei E: „Es ist eine Herabwürdigung (für sie), wann immer …“; bei den übrigen: „Dies
bedeutet nicht, daß du sie verachten mußt, wann immer …“
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 205
auch mit Straßenfegern und Gerbern vergleichst. Du sollst nicht glauben, daß der- A 140
jenige, der die höchste Stufe nicht erreicht hat, kein Ansehen genießta .
Denn der höchste Rang steht den Propheten zu, dann den Gottvertrauten, dann B 145/D 362
den Gelehrten ihrer Rangordnung entsprechend, dann denjenigen, die in ihren
Handlungen aufrichtig sind.
Zusammenfassend: „Wenn einer das Gewicht eines Stäubchens an Gutem getan
hat, wird er es sehen.“ 266 Wer die Nähe Gottes durch die Beschäftigung mit den
Wissenschaften sucht, dem nützt und den erhöht Gott sicherlich. Dies sind die
zehnb Aufgaben des Lernenden.
Die Aufgaben des Lehrers und geistigen Führers sind acht an der Zahl.Vor al-
lem sollst du wissen, daß es für den Menschen in bezug auf das Wissen vier Zu-
stände gibt, wie im Falle des Erwerbs von Reichtümern. Denn für den Besitzer von
Reichtümern gibt es: a) einen Zustand des Erwerbs, wobei er ein Verdiener ist;
b) einen Zustand des Sparens dessen, /was er verdient hat/c , wodurch er nicht dar-
auf angewiesen ist, (andere) um Geld zu bitten; c) einen Zustand, in dem er für sich
selbst sorgt, und somit aus seinem Reichtum Nutzen zieht; d ) einen Zustand, in
dem er jemandem anderend durch Ausgabe nützt, und somit großzügig und wohl-
tätig ist. Das ist der edelste dieser Zustände. So verhält es sich auch mit dem Wis-
sen.
Denn für denjenigen, der nach Wissen strebte , gibt es: a) einen Zustand des
Erwerbs; b) einen anderen der Aneignung (des Wissens), wobei er selbst eifrig
danach strebt und niemanden fragt; c ) einen Zustand des Nachdenkens, in dem
er über das erworbene Wissen reflektiert; d) einen anderen des Belehrens und des
Unterrichts. Das ist der edelste aller seiner Zustände. Wer also ein Wissen erwirbt,
Nutzen daraus zieht und es (anderen) vermittelt, ähnelt der Sonne, leuchtet für D 363
sichf und andere, während sie selbst leuchtet, und er ähnelt dem Moschus, welcher
andere duften läßt und selbst wohlriechend ist. Wenn er jemandem nützt, aber
selbst dann keinen Nutzen zieht, so ähnelt er einem Heft, das anderen durch das
Wisseng nützt, selbst aber von jedem Nutzen frei ist, und einem Schleifstein, der
andere schärft, selbst nicht schneidet. Der Docht einer Leuchte beleuchtet andere,
während er selbst brennt.
Die erste Aufgabe des Lehrers ist, daß er dieh Lernenden wie eines seiner Kin-
der aufnimmt gemäß der Aussage des Propheten – Friede sei mit ihm –: „Wahrlich,
ich bin für euch das, was der Vater und die Mutteri für ihr Kind sind.“ 267 Der
a
„Du sollst nicht glauben, …“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „Du sollst nicht von demjenigen,
der von der höchsten Rangstufe abgefallen ist, verlangen, daß er sich zu ihr erhebt.“ Ha (Hachem)
geht in dieselbe Richtung, s. S. 117.
b
„zehn“ lediglich bei S, E u. Ae.
c
/…/ fehlt bei S.
d
„jemandem anderen“ fehlt bei S.
e
Nach S, E u. Ae. Bei den übrigen: „für den Wissenden“.
f
„für sich“ fehlt bei S u. E.
g
„durchs Wissen“ lediglich bei S u. E.
h
Bei S u. E. Bei den übrigen: „den“.
i
„und die Mutter“ lediglich bei S.
206 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
Lernende soll wissen, daß das Recht des Lehrers größer ist als das des Vaters.
Denn er (der Lehrer) ist der Grund seines unvergänglichen Lebens (als geistiger
Vater), während der (leibliche) Vater der Grund seines vergänglichen Lebens ist.
Ähnlich antwortete Alexander (der Große), als er gefragt wurde: „Ist dein Lehrer
für dich ehrenhafter oder dein Vater?“ Er erwiderte: „Sicherlich mein Lehrer!“
Wie es die Pflicht der Kinder eines und desselben Vaters ist, sich gegenseitig zu
A 141 lieben und nicht zu hassen, so verhält es sich auch mit Schülern eines und dessel-
bena Lehrers, ja sogar mit den Anhängern einer und derselben Religion. Denn die
Gelehrten sind alle Reisende und Beschreiter des Weges zu dem erhabenen Gott.
B 146 Die Gemeinschaft auf der Reise fordert die Vertiefung der Freundschaft, insofern
die Bruderschaft der Tugend höher als die leibliche steht.
Der Grund ihres gegenseitigen Hasses liegt darin, daß sie mit Hilfe der Wissen-
schaft Reichtum und Führung(sstellen) anstreben, wodurch sie von dem Weg Got-
tes abweichen und sich gegen die Aussage des erhabenen Gottes verhalten: „Die
D 364 Gläubigen sind doch Brüder.“ 268 Sie fallen unter seine Aussage: „Die Freunde sind
an jenem Tag (des Gerichts) einander feind außer den Gottesfürchtigen.“ 269
Die zweite Aufgabe: Er soll den Stifter des offenbarten Gesetzes (des Islam)
nachahmen. Er darf deshalb weder Lohn noch Belohnung für die Mitteilung seines
Wissens verlangen. Denn der Erhabene sagt: „Sag: ‚Ich verlange von euch keinen
Lohn hierfür (für die Verkündigung der Offenbarung).‘“ 270 Denn wer nach Reich-
tum und diesseitigen Zielen durch das Wissen strebt, ähnelt einem, der die untere
Seite seiner Schuhsohle mit seinem Gesicht und seinen Vorzügen sauber macht,
insofern er den „Bedienten“ (das Wissen) zu einem „Diener“ und den Diener zu
einem Bedientenb gemacht hat. Denn Gott schuf die Kleider und die Nahrung
dazu, um dem Körper zu dienen. Er schuf den Körper als Diener und Vehikel für
die Seele und macht die Seele zur Dienerin des Wissens. Das Wissen wird bedient
und dient nicht, der Reichtum aber dient und wird nicht bedient. Der Irrtum liegt
nur in der Umkehrung dieses Verhältnisses. Das Seltsame liegt darin, daß die Sa-
che durch den Rückstand und das Fehlen von Religionsgelehrten in diesen Zeiten
einen Grad erreicht, an dem der Lernende seinen Lehrer nachahmt, um von ihm
Nutzen zu ziehen. Er setzt sich vor ihm nieder, während er nach diesseitigen Zie-
len strebt, anstatt von ihm zu profitieren. Das ist der Gipfel des Rückstandes.
Der Grund dafür liegt darin, daß die Lehrenden nach Führung(sstellen) streben
und mit der Masse der (bei ihnen) Studierenden prahlen. Sie tun dies, weil ihr
D 365 Wissen beschränkt ist und sie keine Freude an der Vollständigkeit ihrer eigenen
Wissenschaften haben. Dies führt die Lernenden dazu, sie geringzuschätzen.
Die dritte Aufgabe besteht darin, daß der Lehrende es sich niemals ersparen
soll, dem Lernenden Ratschläge zu erteilen oderc ihn vor den bösen Charakter-
eigenschaften zu warnen, sei es in offenen Worten, sei es mit Anspielungen. Ferner
soll er ihn daran hindern, einen höheren Rang zu erlangen als der, den er verdient,
ihn davon abhalten, sich mit dem zu beschäftigen, was seine Fähigkeiten über-
a
„und desselben“ lediglich bei S u. E.
b
„und den Diener zu einem Bedienten“ lediglich bei S u. E.
c
„oder“ bei S. Bei den übrigen: „und“.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 207
steigt, und ihn auf das Ziel der Wissenschaften aufmerksam machen, welches die A 142
jenseitige Glückseligkeit ist, nicht aber auf die Ziele des Diesseits.
Wenn er denjenigen sieht, der nach einer Führungsstelle strebt und mit den
Gelehrten wetteifert, so darf er ihn nicht vom Lernen abhalten. Denn sein Lernen
ist trotz dieses Zieles besser, als daß er sich völlig vom Lernen abwendet. Denn wie
auch immer er das Wissen erwirbt, er wird letzten Endes auf die Wahrheiten der B 147
Dinge achten und merkena , daß derjenige, der durch das Wissen die diesseitigen
Ziele erreichen will, getäuscht wird. Das ist das, was mit ihrer Aussage gemeint
wirdb : „Wir strebten nach dem Wissen für einen anderen Zweck als für den Gottes.
Das Wissen aber lehnte es ab, für einen anderen Zweck als für den Gottes da zu
sein.“
Außerdem sage ich: Wenn die Menschen nicht wegen Gott lernen wollen, so
sollte der Lehrer sie zu einer Art von Wissen motivieren, durch das sie eine Füh-
rungsstelle erlangen können, damit er sie danach zum Wahren leitet. Deshalb ist es
anfangs erlaubt, miteinander über die islamischen Rechtswissenschaften zu dis-
kutieren, insofern solche Diskussionen zum ständigen Wetteifern dienen. Später
erklärt er ihnen, wie untauglich ein solches Verhalten (das Wetteifern) ist, und
bringt sie davon ab, um ihnen die richtige Methode nahezubringen. Ebenso ver-
fahren wir, wenn wir den Knaben zum Lernen drängen, wobei wir ihm vorrangige
Stellungen versprechen und indem wir ihn durch ein Zepter, den Ankauf von Vö-
geln und anderes Spielzeug anlocken. Wir lassen ihn dabei für einige Zeit, damit D 366
seine Motive zum Lernen zuerst geweckt werden, dann lenken wir ihn allmählich
von dem ab, womit wir ihn zuletzt angelockt habenc .
Der erhabene Gott macht die Erlangung der vorrangigen Stellung durch den
Erwerb von Wissend , um das offenbarte Gesetz und die Wissenschaft zu bewah-
ren. Die Motivierung der Lernenden zum Wissen, indem man sie durch vorrangige
Stellung und guten Ruf anlockt, ähnelt der Verteilung von Getreide um eine Tier-
fallee oder der Befestigung eines Brettes über einem Netz.
Dies ähnelt ferner dem Nahrungs- und Sexualtrieb, die Gott in uns schuf und die
zum Handeln antreiben, wodurch das Individuum und die Nachkommenschaftf
erhalten bleiben. Ohne ein solches Interesse an der wissenschaftlichen Diskussion A 143
(wie zum Beispiel in den Rechtswissenschaften) wäre dieselbe keineswegs erlaubt.
Denn sie führt dann nicht dazu, die Lehrmeinung zu ändern und den Glauben
aufzugeben (sie wäre sinnlos).
Die vierte Aufgabe: Was verboten werden soll, soll der Lehrer nicht direkt, son-
dern durch Anspielung verbieten. Denn die Anspielung wirkt begünstigend auf
das Verbot, wohingegen das Verbot dazu verführt, das Verbotene zu tun. Der
Gepriesene (Muhammad) sagt: „Wenn man den Menschen verbieten würde, den
˙
a
„und merken“ lediglich bei S u. E.
b
Nach S u. E. Die übrigen: „Die Gelehrten legten diese Bedeutung durch ihre Aussage dar“.
c
„dann lenken wir ihn …“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „… zuerst geweckt werden in der
Hoffnung, daß das, was wir anfänglich bezweckten, allmählich eintrifft.“
d
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „von Wissen zum Ziel, …“
e
„um eine Tierfalle“ lediglich bei S u. E.
f
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „die Art“.
208 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
Mist eines Kamels als Brotsuppe zu zerbröckeln, so würden sie ihn trotzdem zer-
bröckeln, wobei sie sagen würden: ‚Es wäre uns nicht verboten, wenn es nicht
etwas Vorteilhaftes enthalten würde.‘“ 271 Dabei wird auf die Geschichte von Adam
und Eva aufmerksam gemacht und auf das, was den beiden verboten wurde.
In diesem Zusammenhang wird gesagt: „Vielleicht ist eine Anspielung viel wirk-
B 148 samer als eine (klare) Aussage.“ Denn wegen ihrer Neigung zum Schlußfolgern
und ihres Interesses für verborgene Dinge bevorzugen die tugendhaften Seelen
Anspielungen, weil sie leidenschaftlich daran interessiert sind, deren Sinn durch
Nachdenken herauszufinden.
D 367 Die Anspielung verletzt nicht die Würde. Die (klare) Aussage zerstört sie völlig,
so daß derjenige, dem das Verbot gilt, mehr Mut besitzt, das Verbotene zu bege-
hen, wenn er sich ein anderes Mal dazu genötigt sieht.
Die fünfte Aufgabe: Derjenige, der sich mit einigen Wissenschaften beschäftigt,
darf dem Lernenden den Wissenschaftszweig nicht schlechtmachen, den er nichta
kennt, wie es die Gewohnheit der Lehrer der (arabischen) Sprache ist, die das
Studium des (islamischen) Rechts vor den Lernenden geringschätzig behandeln
und sie davon abhalten und wie es ferner die Gewohnheit der islamischen Juristen
ist, die Geisteswissenschaften abzuwerten und die Lernenden von deren Studium
abzuhalten. Statt dessen sollte der Lehrer auf die Bedeutung jenes Teils der Wis-
senschaft hinweisen, der darauf folgt, damit sich der Lernende ihm widmet, wenn
er das Studium dessen vollendet hat, mit dem er sich gerade beschäftigt.
Wenn der Lernende sich aber mit zwei voneinander abhängenden Wissenschaf-
ten beschäftigt, so sollte er die Reihenfolge beachten und den Lernenden stufen-
weise zu der darauffolgenden führen, sobald er die erste abgeschlossen hat. Die
sechste Aufgabe: Der Lehrende sollte auf die Aufnahmefähigkeit der Lernenden
Rücksicht nehmen, so daß er sie nicht vom Offensichtlichen zum Besonderen und
vom Klaren zum Verborgenen blitzartig und vom ersten Schritt an hinüberführt,
sondern je nach ihrer Fähigkeit, indem er dem Lehrer und Führer aller Menschen
folgt, der sagt: „Uns, der Schar der Propheten, wurde befohlen, daß wir die Men-
schen je nach ihrem Rang behandeln und sie je nach ihrer Verstandesfähigkeit
A 144 ansprechen.“ 272 Ferner sagt er: „Keiner spricht mit den Menschen in einer Weise,
die nicht ihrem Verstandesniveau entspricht, es sei denn er stiftet Unruhe unter
einigen von ihnen.“ 273 2Alı̄ – möge Gott an ihm Wohlgefallen haben – sagt, indem
er auf seine Brust weist: „Hierin gibt es sehr viel Wissen, hätte es dafür Träger
gegeben!“ Darüber sagt der Prophet: „Sprecht mit den Menschen in der Sprache,
die sie verstehen, und unterlaßt das, was ihnen fremdartig erscheint. Wollt ihr, daß
D 368 Gott und sein Gesandter für Lügner gehalten werden?“ 274 Ferner sagt der Erha-
bene: „Und hätte Allāh Gutes in ihnen gekannt, wahrlich, er hätte sie hören las-
sen.“ 275 Einer der zuverlässigen Wissenschaftler wurde von jemandem gefragt,
wandte sich aber (von ihm) ab. Jener sagte zu ihm: „Hast du jemals die Aussage
des Gepriesenen (Muhmmad) gehört: ,Wer ein nützliches Wissen vorenthält, wird
am Jüngsten Tag mit ˙einem Zaum aus Feuer gebändigt.‘“? 276 Dieser erwiderte:
„Laß den Zaum und verschwinde. Wenn jemand zu mir kommt, der etwas von
a
„nicht“ fehlt bei S u. Ae, der Zusammenhang jedoch spricht für die Verneinung.
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 209
der Sache versteht und ich es ihm vorenthalte, soll Gott mich damit bändigen.“ Als
Gott der Erhabene sagte: „Und gebt nicht euer Geld, das Gott euch zum Unterhalt
gegeben hat, den Schwachsinnigen“ 277 , verwies er darauf, daß man das Wissen B 149
lieber aufbewahren und es dem vorenthalten sollte, der durch das Wissen irrege-
leitet wird. Als der Erhabene (Gott) sagte: „Und prüft die Waisen (ob sie reif
genug sind)! Wenn sie schließlich das Heiratsalter erreicht haben, dann händigt
ihnen ihr Vermögen aus!“ 278 , verwies er darauf, daß demjenigen, der in der Wis-
senschaft reif geworden ist, die Wahrheiten der Wissenschaften mitgeteilt werden
sollen und er vom Klaren und Deutlichen (in den Wissenschaften) zum Besonde-
ren und Unklarena geleitet werden soll. Denn das Unrecht, jemandem Wissen
vorzuenthalten, der es verdient, ist nicht weniger ein Unrecht als jemandem Wis-
sen mitzuteilen, der es nicht verdient. Einer der Früheren sagte in diesem Zusam-
menhang:
„Denn wer den Toren Wissen schenkt, D 369
verwendet es schlecht.
Und wer es jenen versagt, die es verdienen,
ist nicht gerecht.“ 279
Die Zurückhaltung bei der Mitteilung der Wahrheiten der Wissenschaften ge-
genüber jemandem, der sie verdient, ist eine große Schande. Der erhabene Gott
sagt: „Und (damals) als Gott die Verpflichtung derer, die die Schrift erhalten ha-
ben, entgegennahm (des Inhalts): Ihr müßt sie den Leuten klarmachen und dürft
sie nicht (vor ihnen) verborgen halten! Hierauf warfen sie sie achtlos hinter sich
und verschacherten sie.“ 280
Die siebente Aufgabe: Der Lehrer sollte dem unreifen Lernenden das mitteilen,
wozu sein Verstand fähig ist. Außerdem darf man ihm nicht sagen, daß hinter dem,
was erwähnt wird, Wahrheiten verborgen sind, die man noch überprüfen und ge-
nauer studieren muß, die man ihm aber vorenthält. Das würde ihn davon abbrin-
gen, den vermittelten Stoff aufzunehmen.Vielmehr sollte man ihn glauben lassen,
daß dies das höchste Ziel des Lernens ist. Wenn er diese Wissenschaft begriffen
hat, dann kann man ihn allmählich zu Höherem hinführen. Daraus ergibt sich, daß A 145
der Ungebildete, der sich mit dem offenbarten Gesetz des Islam verbunden fühlt,
an die exoterische Bedeutung (der Texte) glaubt und eine gute Lebensführung hat,
nicht in seinem Glauben verwirrt werden darf, indem man ihn auf exoterische
Mehrdeutigkeiten (der Texte) verweist. Denn dadurch löst sich das Band, das ihn
an die offenbarten Gesetze bindet. Dann kann er nicht mehr durch eine genaue
Überprüfung, wie es die Gebildeten tun, daran gebunden werden. Der Zaun, der
ihn von den bösen Taten trennt, wird niedergerissen, und somit wird er ein Dämon B 150
und bösartig.
Man sollte ihn vielmehr zu den bekannten (wörtl.: sichtbaren) Gottesdiensten
leiten und zur Redlichkeit in dem Beruf, den er gerade ausübt. Ferner sollte er
seine Seele (des Lernenden) mit Begehren und Ehrfurcht (vor Gott) in der Weise
erfüllen, wie der Koran sich darüber äußert, und bei ihm keinen Zweifel wecken.
Wenn bei ihm (jedoch) ein Zweifel entsteht und er dessen Klärung anstrebt, so
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „und Allegorischen“.
210 Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers
sollte man ihn durch eine in üblicher Sprache geführte überzeugende Rede auf-
heben, auch wenn dies nicht in der Form einer strengen Beweisführung geschieht.
D 370 Ferner sollte er ihm nicht die Tür zu Forschung und Studium öffnen. Denn dies
hält ihn vom Ausüben der Berufe ab, durch die die Erde bewohnbar gemacht wird
und aus denen die Menschen Nutzen ziehen. Dann wird der Verstand eines sol-
chen Menschen unfähig sein, die Wissenschaften zu begreifen. Wenn er ihn aber
klug findet und er zur Aufnahme der rationalen Wahrheiten fähig ist, so darf er
ihm beim Lernen helfen, bis die Probleme gelöst werden können. Es wurde von
einigen der früheren Nationen erzählt, daß die ethische Gesinnung des Lernenden
geprüft wird. Wenn sie bei ihm eine schlechte Charaktereigenschaft feststellen,
schließen sie ihn ganz und gar vom weiteren Lernen aus mit der Behauptung, daß
er mit Hilfe des Wissens gemäß seiner schlechten ethischen Gesinnung handeln
wird, und so wird das Wissen für ihn ein Instrument des Bösen sein.
Wenn sie bei ihm eine gute ethische Gesinnung bemerken, halten sie ihn in einer
wissenschaftlichen Einrichtung fest und unterrichten ihn. Sie lassen ihn aber nicht
frei, bevor er sein Studium vervollständigt hat, aus Angst, daß er sich auf das eine
beschränkt, wodurch seine Seele nicht vollkommen wird, und sein Glaube und der
Glaube anderer verdorben wird.
Mit dieser Prüfung wird gesagt, daß wir unsere Zuflucht bei Gott suchen vor
einem Halbtheologen und einem Halbarzt, denn der erste verdirbt den Glauben
und der zweite das Leben.
Die achte Aufgabe: Der Lehrer der praktischen Wissenschaften – ich meine die
religiösen – soll gemäß seinem Wissen handeln. Seine Lehre darf nicht im Wider-
spruch zu seinem Handeln stehen, denn das könnte die Menschen davon abhalten,
A 146 sich von ihm unterrichten zu lassen oder gute Leitung bei ihm zu finden. Denn das
Handeln ist erfahrbar durch das Sehvermögen und das Wissen durch die Scharf-
sichtigkeit. Die Leute, die über das Sehvermögen verfügen, sind zahlreicher als die
D 371 der Scharfsichtigkeit. Deshalb sollte seine Aufmerksamkeit eher auf die Läute-
rung seines Handelns als auf die Verbesserung seines Wissens und dessen Verbrei-
tung gerichtet sein.
Jeder Arzt, der ein Mittel einnimmt, die Menschen aber davon abhält, indem er
sagt, sie dürfen es nicht einnehmen, weil es ein Gift sei, wird verspottet, für töricht
gehalten und verdächtigt. Sie glauben, daß das Verbotene das Nützlichste aller
B 151 Dinge ist und daß er ein solches Mittel für sich allein beanspruchen will. So wird
das Verbot zur Verlockung und zur Aufstachelung, das Verbotene zu tun. Das
Verhältnis zwischen dem Gläubigen und dem Prediger ähnelt dem zwischen Lehm
und Formung oder zwischen Schatten und Stange. Wie läßt sich der Lehm formen
durch etwas, das keine Form besitzt, und wie kann der Schatten gerade sein, wäh-
rend die Stange krumm ist? Deshalb wird gesagt:
„In eine große Schande du gerietest,
tät’st du eine Handlung, die du selbst verbietest.“ 281
Darüber sagt der erhabene Gott: „Wollt ihr den Leuten gebieten und euch sel-
ber vergessen, fromm zu sein, …“ 282 Deshalb wird gesagt, daß „die Verantwortung
des Gelehrten für seine Missetaten viel größer ist als die eines anderen, weil der
gewöhnliche Mensch ihn nachahmt, und deswegen trägt er (der Gelehrte) die Last
Die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers 211
(dieser Sünden) und seine eigenen“. In diesem Sinne sagt der Prophet (Muham-
mad): „Wer eine schlechte Tat begeht, ist verantwortlich für seine eigene Sünde˙
a 283
und für die Sünde desjenigen, der ihm als Beispiel folgt .“
Dem Sünder obliegt die Pflicht, sich von der Sünde zu entfernen. Wenn er sie
öffentlich begeht, unterläßt er eine Pflicht. Dem Gelehrten aber obliegen zwei
Pflichten: die Sünde zu unterlassen und sie nicht öffentlich zu begehen, damit ihn
keiner nachahmt. Wenn er sie öffentlich begeht, unterläßt er zwei Pflichten, und
wenn er sie heimlich begeht, nur eineb . Deshalb sagt (der Kalif) 2Alı̄ – Gott möge
Wohlgefallen an ihm haben –: „Zwei Arten von Menschen brechen mir das Ge- D 372
nick: ein frommer Unwissender und ein schamloser Gelehrter. Denn der Unwis-
sende verführt die Menschen durch seine Frömmigkeit und der Gelehrte durch
seine Schamlosigkeit.“
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „…, bis zum Jüngsten Tag.“
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Dem Sünder obliegt die Pflicht, sich von der Sünde zu entfernen
und sie nicht öffentlich zu begehen, damit keiner ihn nachahmt. Wenn er sie öffentlich begeht,
unterläßt er zwei Pflichten, und wenn er sie heimlich begeht, nur eine.“
A 147 XXVIII.
B 152
Über die Aufgaben bei der Einnahme
von Geldern und deren Erwerb 284
Wisse, daß die Liebe zum Diesseits das Haupt jeder Sünde ist und das Diesseits ein
Acker für das Jenseits ist. In ihm liegt das Gute, Nützliche sowie auch das tödliche
Gift. Ihr Symbol ist das einer Schlange. Der Schlangenbeschwörer faßt sie an, um
ihr das Gegengift zu entnehmen. Der Unachtsame aber faßt sie an, und so tötet ihn
ihr Gift ohne sein Wissen.
Es wird gesagt: Das Geld gehört zu den mittelmäßigen Gütern. Denn einerseits
nützt es, andererseits schadet es. Deshalb ist es erforderlich, sich auf das Nützliche
D 373 zu beschränken /und sich vor dem Verderblichen in acht zu nehmen. Der Grund
hierfür liegt in der Erkenntnis des Stellenwertes des Geldes im Hinblick auf die
Ziele./a Denn das Prinzip allerb Dinge ist die Erkenntnis ihrer Wahrheiten. Dar-
über sagen wir:
Für die Erlangung der jenseitigen Glückseligkeit gibt es Aufgaben, die sich auf
das Geld beziehen, einmal in bezug auf die Einnahmen, ein anderes Mal in bezug
auf die Ausgaben; schließlich in bezug auf die erforderliche Absicht desjenigen,
der darüber verfügt.
Die erste Aufgabe bezieht sich auf die Erfahrung seines Stellenwertes (des Gel-
des). Denn es wurde erwähnt, daß die Dinge, nach denen man streben soll, in drei
Klassen aufgeteilt sind: a) psychisch, b) physisch, c) sozial. Die sozialen Ausgaben
stehen auf der niedrigsten dieser drei Stufen. Das Geld gehört zu dieser Summe
des sozialen Bereichs. Das niedrigste (aller Gelder) sind Dirhams und Dinare.
Denn sie sind Diener, haben aber selbst keinen Diener. Denn die Seele dient
dem Wissen und den seelischen Tugenden, um sie sich anzueignen. Der Körper
dient der Seele, indem er ein Instrument und ein Vehikelc für sie ist. Speisen und
Kleider dienen dem Körper, Dirhams und Dinare den Speisen und Getränken. Es
wurde erklärt, daß das Ziel der Speisen die Erhaltung des Körpers ist, das der Ehe
die Erhaltung der Nachkommenschaftd und das des Körpers die Vervollkomm-
nung der Seele. Wer diese Reihenfolge erkennt und beachtete , erkennt die Bedeu-
D 374 tung des Geldes und dessen Stellenwert. Ferner erkennt er den Grund seines
B 153 Ruhms, insofern dieses /(das Geld) für die Nahrung, die Ehe und die Bekleidung
erforderlich ist, welche für die Erhaltung des Körpers notwendig sind, welcher wie-
a
/…/ fehlt bei S u. E.
b
„aller“ fehlt bei S.
c
„und ein Vehikel“ nur bei S u. E.
d
„das der Ehe …“ nur bei S u. E.
e
„und beachtet“ fehlt bei S u. E.
Aufgaben bei der Einnahme von Geldern 213
derum/a für die Vervollkommnungb der Seele notwendig ist. Wer das Ziel eines
Dinges erkennt und es demgemäß gebraucht, leistet diesem Zielc einen guten
Dienst. Man beschränkt sich auf diejenigen Mittel, die erforderlich sind, um zum
Ziel zu gelangen. Alsdann vertraut man nicht auf das Ziel und gibt sich ihm nicht A 148
völlig hin.
Durch diese Betrachtung wird dird der Verdacht beseitigt, daß Gott das Geld an
einigen Stellen (des Korans) tadelt, wenn er sagt: „Euer Vermögen und eure Kin-
der sind euch eine Versuchung (fitna) …“ 285 Andererseits lobt er es und betrachtet
es als eine seiner Gaben, indem er sagt: „(dann wird er) euch reichlich mit Ver-
mögen und Söhnen versorgen und euch Gärten geben …“ 286
Denn wo es (lediglich) als ein Mittel zum Jenseits benutzt wird, wird es gelobt,
getadelt aber, wenn es den Menschen davon abwendet. Deshalb sagt der Geprie-
sene (Muhammad) – Friede sei mit ihm –: „Welch vortrefflicher Reichtum ist das
˙
für den aufrichtigen Menschene “ 287 , und der Erhabene (Gott) sagt: „Ihr Gläubi-
gen! Laßt euch nicht durch euer Vermögen und eure Kinder davon ablenken,
Gottes zu gedenken. Diejenigen, die das tun, das sind die Verlorenen.“ 288
Wie kann denn derjenige nicht verlorengehen, der Gerste für sein Reittier sam-
melt, sich kaum um das Tier kümmert und sich mit der Säuberung der Gerste und
mit dem Zahlen seiner Körnchen beschäftigt und einen Zaun (um die Gerste)
bautf , bis das Tier aus Hunger stirbt?
Das Symbol desjenigen, der das Jenseits durch die Verlockung des Diesseits
vernachlässigt, wobei er der großeg Verlierer ist, ja sogar das Symbol aller Men- D 375
schen in ihrer Verblendung durch den Glanz des Diesseits und die (ständige) Be- B 154
schäftigung mit ihren Genüssen ähnelt den Fahrgästen eines Schiffes, die zum be-
sten Lande gelangen wollen, in dem man die höchste Stufe des Erfolges erreichen
kann, jedoch gelangt das Schiff zu einer Insel, auf der Löwen und Drachen leben.
Ihnen wurde befohlen, das Schiff zu verlassen, um sich auf die Reinigung vorzube-
reiten, wobei sie sich vor den Gefahren der Insel in acht nehmen sollen. Sie sehen
Edelsteine, herrlicheh Blumen und prächtiges helles Lichti . All dies gefällt ihnen,
und sie lieben es leidenschaftlich. Sie entfernen sich vom Schiff, und sie vergessen
das Schiff und das Ziel. Sie bleiben bei ihrem Vergnügen, bis das Schiff in See
sticht und die Nacht hereinbricht. Dann wüten die Löwen gegen sie, um sie zu
fressen, und die Drachen zerreißen sie. Weder ihre Edelsteine noch ihre Blumen
nützen ihnen jetzt etwas.
Der eine von ihnen sagt dann: „Oh daß ich doch Staub wäre!“ 289 , der andere:
„Was habe ich (jetzt) von meinem Vermögen? Ich habe meine Machtvollkommen-
a
/…/ lediglich bei S u. E.
b
E: „Erhaltung“.
c
„diesem Ziel“ fehlt bei S u. E.
d
Bei S u. E. Bei allen übrigen: „ihm“.
e
„ist das …“ lediglich bei S u. E.
f
„und einen Zaun …“ fehlt bei E.
g
„große“ lediglich bei S u. E.
h
„herrliche“ fehlt bei S.
i
„und prächtiges helles Licht“ nur bei S.
214 Aufgaben bei der Einnahme von Geldern
heit eingebüßt“ 290 , ein anderer: „Wie sehr bedauere ich, Gott gegenüber Mißach-
tung gezeigt zu haben.“ 291 Es bleiben ihnen nur unendlicher Jammer, Reue und die
Nachbarschaft der Schlangen und der Löwen, wobei sie Erniedrigung und exem-
plarische Bestrafung erleiden.
A 149 Das ist eigentlich das Symbol derjenigen, die sich vom Genuß des Diesseits ver-
führen lassen. Wegen dieser großen Gefahr nimmt Abrāhām – Friede sei mit ihma
– seine Zuflucht bei Gott und sagt: „Mein Herr … wende mich und meine Kinder
von der Anbetung der Götzen ab.“ 292 Er meint damit diese beiden Steine, nämlich
Gold und Silber. Denn die Rangordnung der Prophetie (in der sich Abrāhām be-
findet) hält ihn davon ab zu glauben, daß die Gottheit in einem der Steine liegt (die
als Götzen verehrt werden).
D 376 In diesem Sinne sagt 2Alı̄: „Oh Rötlein (das Gold)! verführe einen anderen, und
oh Weißlein (das Silber)! verführe einen anderen.“ Deshalb zog der Gepriesene
(Muhammad) eine Analogie zwischen denjenigen, die nach dem Erwerb von Dir-
ham ˙und Dinaren streben und sich in sie verlieben, und den Götzendienern, indem
er sagt: „Unglückselig ist der Sklave der Dirhams, unglückselig ist der Sklave der
Dinare. Er möge sich niemals erheben, (wenn er dabei zu Boden fällt) und wenn
ein Stachel in seinen Körper eintritt, möge er ihn niemals herausziehen können.“ 293
B 155 Die zweite Aufgabe bezieht sich auf die Überprüfunug der Einnahmenb . Die
Einnahmen erhält man entweder durch Erwerb oder durch das Glück. Das Glück
ist entweder eine Erbschaft, das Finden eines Schatzes oder eine unerbetene Gabe.
Der Erwerb bezieht sich auf eine bestimmte Quelle. Etwas aus irgendeiner
Quelle zu nehmen, ist tadelnswert; denn man darf nur aus bestimmten Quellen
Geld nehmen. Die guten Quellen sind nach dem religiösen Gesetz des Islam be-
kannt: a) Wenn sie (die Quelle) erlaubt und gut ist, darf man daraus nehmen.
b) Wenn sie gänzlich verboten ist, soll man sie völlig unterlassen. c) Wenn sie aber
zweifelhaft ist und man annimmt, daß sie meistens verboten ist, dann soll man
davon Abstand halten. d) Wenn man aber annimmt, daß sie meistens erlaubt ist,
soll man es dann unterlassen, daraus zu nehmen, wenn man in der Lage ist, das
absolut Erlaubte ohne Anstrengung zu gewinnen. Denn wer den geheiligten Be-
zirk umkreist, kann ihn leicht betreten. e) Wenn das absolut Erlaubte nicht verfüg-
bar ist, dann darf man von dem Erlaubten (aus zweifelhaften Quellen) seinen Be-
D 377 dürfnissen entsprechend nehmen. f) Wenn man aber in der Lage ist, das absolut
Erlaubte zu erwerben, jedoch nach großer Anstrengung und langer Zeit, so verhält
es sich wie folgt:
1. Wenn man zu den Menschen zählt, die eine der körperlichen Tätigkeiten aus-
führen, wobei sie den festen Glauben eines Ungebildeten haben (das ist der nüch-
terne, unreflektierte Glaube), so soll man sich mit der Suche nach dem Erlaubten
beschäftigen; denn die Anstrengung bei der Suche nach dem Erlaubten ist, wie die
Anstrengung bei allen Gottesdiensten, ein Gottesdienst.
2. Wenn man aber zu den Gottesfürchtigen (ashāb al-qulūb) und den Menschen
der Wissenschaften zählt, wobei man, wenn man ˙ ˙ seine Zeit mit der Suche nach
a
„Friede sei mit ihm“ bei S u. E. Bei den übrigen: „der Freund Gottes“.
b
Bei S u. E. Bei allen übrigen: „und Ausgaben“.
Aufgaben bei der Einnahme von Geldern 215
dem absolut Erlaubten verbringen würde, das niederlegen müßte, womit man sich
gerade beschäftigt, so soll man seinen Bedürfnissen entsprechend von dem neh-
men, was einem gerade zur Verfügung steht, denn das absolut Verbotene wird A 150
erlaubt aus Furcht vor einem anderen Verbotenen mit noch schlimmeren Folgen.
Denn wer sich verschluckt, darf Wein trinken aus Furcht, sonst den Erstickungstod
zu erleiden.
Das Wissen bei Herztätigkeit wird von nichts überragt, denn alles dient ihm.
Wie es erlaubt ist, in einer Notlage fremdes Eigentum zu vernichten, ja sogar
Schweinefleisch zu essen, um sich zu retten, so verhält es sich in einem zweifelhaf-
ten Fall. Man sollte nachsichtig beim Ansporn zum Erwerb des Wissens sein. Da-
bei kann der Ungebildete in Aufruhr geraten. Wann immer der Gelehrte etwas
unternimmt, was dem Ungebildeten verboten wird, wird dieser wütend. Denn der
Ungebildete erkennt den Unterschied nicht zwischen diesen beiden Besonderhei-
ten. Der Gelehrte soll sich dabei zurückhalten, damit er die Ketten des Satans
nicht löst.
Die dritte Aufgabe bezieht sich auf den Betrag, den man von dem Geld nimmt.
Wenn du erfahren hast, warum man das Geld haben willa , so ist dessen Maß die
Summe der erwähnten Bedürfnisse. Denn du brauchst Kleider, Wohnung und
Nahrung. Jedes von diesen hat drei Niveaus: a) das niedrigste, b) das mittlere und
c) das höchste. a) Das niedrigste Niveau einer Wohnung ist das, was dichb am Bo- D 378
den hält wie eine Herberge, eine Moschee oder ein Stift, wie es immer sein mag.
b) Das mittlere ist ein Eigentum, in das sich kein anderer drängt. Dann kannst
du mit dir selbst allein sein, und es bleibt für dich dein ganzes Leben lang, wobei es
den Mindestgrad eines schönen Baues hat und außerdem viele Nutzräume.
c) Das höchste Niveau ist ein großes und bequemes Haus, schön gebaut mit
vielen Nutzräumen und unzähligen zusätzlichen Nebengebäuden, wie man es bei
den Reichen dieser Welt und den Einflußreichen sieht. Das erste ist das Notwen-
dige. Denn der Zweck einer Wohnung ist ein Boden, der dich trägt, umgeben von
einer Mauer, die dir Sicherheit vor Raubtieren gibt, und ein Dach, das dich vor
Regen und vor der Hitze der Sonne schützt. Damit begnügen sich nur die Gottes-
vertrauten.
Das mittlere Niveau ist die Grenze dessen, womit man sich zufriedengibt. Was
darüber hinausgeht, überschreitet den Rahmen der Religion und ist ein Versinken
in das Diesseits; ich meine die Beschäftigung mit dessen Verzierungen. Wenn man
darin sitzt, ohne besonders auf es zu achten, ohne sich daran zu erfreuen und ohne
sich auf es zu verlassen, so ist das (aus religiöser Sicht) erlaubt. Wenn man aber
seine Zeit mit dessen Ausschmückung verbringt, so ist dies für die Ungebildeten A 151
nach islamischem Recht erlaubt, welches dies als eine Notwendigkeit ansieht we-
gen der Unwissenheit der Ungebildeten /und weil sie unfähig dazu sind/c , das Ver-
botene (diese übertriebene Freiheit vorzuenthalten) zu verstehen. Nach der Lehre
der Mystik aber ist es verboten.
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „warum das Geld zirkuliert, so kennst du …“
b
„dich“ lediglich bei S u. E.
c
/…/ fehlt bei S, E u. Ae.
216 Aufgaben bei der Einnahme von Geldern
Mit der Mystik meine ich, wofür der Mensch geschaffen ist, nämlich die Be-
schreitung des Weges zur Annäherung an den erhabenen Gott. Die Gottesdienste
D 379 werden nicht in Frage gestellt. Deshalb wird gesagt: Die erlaubten Dinge (im
Rahmen der Kulthandlungen) sehen die Sūfı̄s (die Mystiker) als Pflicht an und
ihre Pflichten als erlaubt. Das heißt, daß ˙ sie sich auf das Notwendige von den
erlaubtena (Dingen) beschränken. Sie erfüllen ihre Pflichten (aber) regelmäßig
so wie sie die erlaubten Dinge regelmäßig verrichten, denn diese Pflichten sind
für sie wie die erlaubten Dinge.
Was die Nahrung anbetrifft, so ist sie eine wichtige Grundlage. Denn der Magen
ist ein Schlüssel für Gutes und Böses. Es gibt hier auch drei Stufen: Die niedrigste
ist die des Notwendigen. Das ist das, was satt macht, den Körper erhält und die
Fähigkeit zum Gottesdienst bewahrt. Diese Stufe erreicht man einerseits durch
Veränderung der Gewohnheit, indem man die Anzahl der Mahlzeiten (zum Bei-
spiel von vier am Tag auf drei) herabsetzt, bis man selbst das Gewicht eines Dir-
hams erreicht hatb , andererseits durch die allmähliche Reduzierung der Nah-
rungsmengen selbst während zehn oder zwanzig Tagen, bis man sich des Essens
entwöhnt hat. Die Asketen erreichten (bei ihrer Bemühung, die Menge der Nah-
B 157 rung zu reduzieren) eine Kichererbse pro Tag, hinsichtlich der Zeit (eine Dauer
von) zwanzig und nach einer anderen Aussage von vierzig Tagen. Das ist eine
großartige Haltung, die von wenigen Menschen erreicht wird. Wenn man sie aber
nicht erreichen kann, so wäre die mittlere Stufe passend, das heißt, nur ein Drittel
des Magens auszufüllen, wie wir es vorhin erwähnt haben.
Man darf über dieses Maß, welches von der islamischen Gesetzgebung bestimmt
wird, nicht hinausgehen, denn die Überschreitung dieses Maßes ist Völlerei. Dann
beschränkt man sich hinsichtlich der Qualität auf ein mittleres Maß, wie man es
vorher in bezug auf die Quantität getan hat. Denn glückselig ist derjenige, der sich
bei alldem auf die Genügsamkeit beschränkt. Die Menschen unterscheiden sich
aber voneinander hinsichtlich des (richtigen) Maßes, wenn man die Zeit in Be-
tracht zieht.
D 380 Denn möglicherweise gibt es einen Menschen, der nicht um seinen heutigen
Lebensunterhalt besorgt ist, sondern um das, was später kommt. Seine Gier führt
ihn letzten Endes dazu, sein Leben als ein langes einzuschätzen und seinen Le-
bensunterhalt deshalb übermäßig abzusichern. Dann könnten Bedürfnisse entste-
hen, so daß er Unterstützung durch Gelder sucht. Das ist der reine Irrtum.
Die Ersparnisse teilen sich im Verhältnis zu der Zukunft in drei Stufen:
A 152 a) Die niedrigste Stufe umfaßt den Lebensunterhalt für einen Tag und eine
Nacht. b) Die mittlere für ein Jahr. c) Die höchste für mehr als ein Jahr. Die höch-
ste aller dieser Stufen ist die desjenigen, der sich gar nichtc um den morgigen
Lebensunterhalt kümmert und seinen Eifer auf den heutigen Tag und vom heuti-
gen Tag auf die (jetzige) Stunde und dabei auf sich selbst konzentriert und der sich
vom Diesseits jeden Augenblick verabschieden könnte und sich für diese Reise als
a
S: „… und das Erlaubte“.
b
„bis man …“ lediglich bei S u. E.
c
„nicht“ fehlt bei Ae, A u. K.
Aufgaben bei der Einnahme von Geldern 217
bereit betrachtet. Wer sich nicht damit beschäftigt und sich keinen Kummer um
seinen Lebensunterhalt für ein Jahr macht, sondern sich mit dem beschäftigt, was
darüber hinausgeht, zählt zu den Verstoßenen, die Gott mit seiner Aussage meint:
„Wehe jedem Stichler und Nörgler, der (…) Geld und Gut zusammenbringt und es
(…) zählt und meint, sein Besitz würde ihn unsterblich machen.“ 294
Was die Kleidung anbetrifft, so ist sie in drei Kategorien aufgeteilt: a) Das min-
deste ist in bezug auf das Maß, das die Schamteile bedeckt unda das, was gewöhn-
licherweise bedeckt wird, aus den schlichtesten und rauhesten Stoffen. Was die
Zeit anbetrifft, so ist das, was einen Tag und eine Nacht hält, wie es von (dem D 381
Kalifen) 2Umar – möge Gott Wohlgefallen an ihm haben – überliefert wurde, daß
er sein Hemd mit Baumblättern flickte. Als er dann angesprochen wurde, daß dies
nicht lange halten werde, erwiderte er: „Werde ich so lange am Leben bleiben, bis
das Hemd abgenutzt sein wird?“ b) Die mittlere Stufe in bezug auf die Kleidung ist
die, die dem (sozialen) Stand des Menschen entspricht, ohne Genuß und Bequem-
lichkeit. Ferner darf sie (bei Männern) nicht aus verbotenen Stoffen sein, bei de-
nen der Anteil an Naturseide überwiegt. c) Die höchste Stufe ist die Anhäufung
von Kleidern, wodurch Behaglichkeit erstrebt wird, wie die Mehrheit (der Men-
schen) auf dieser Welt tut.
Was das Sexuelle anbetrifft, so erhöht sich (dessen Grad) je nachdem, wie sehr
man sich nach dem Beischlaf sehnt, und dadurch erhöht sich der Grad des Bedürf-
nisses.
Wir haben das Lobenswerte und das Verwerfliche des Sexuellen dargelegt, und
wir meinen, es sei überzeugend (s. D 314).
Wer von diesen Dingen das Notwendige erlangt hat und sich darüber hinaus B 158
noch sorgt, ist verloren, ja er ist sogar verflucht. Der Gepriesene (Muhammad)
sagt in diesem Zusammenhang: „Derjenige, der in seinem Haus sicher˙ lebt, in
seinem Körper gesund ist und seinen täglichen Lebensunterhalt hat, dem ist, als
wäre die ganze Welt in seinem Besitz.“ 295 Denn das Diesseits ist eine Brücke zum
Jenseits.
Dieser Grad ist für die Erlangung des Zieles genügend. Der Rest ist über das
Notwendige hinaus ein Überfluß und noch mehr, dessen Vorhandensein oder
Nichtvorhandensein dem Vernünftigen gleich ist.
Die vierte Aufgabe bezieht sich auf Abgaben und Ausgaben. Wie es für die D 382
Einnahmen eine bestimmte Weise gibt, so auch für die Ausgaben. Man sollte dabei
auf die Reihenfolge achten. Denn bei den Ausgaben gibt es wie bei den Einnah-
menb lobens- und tadelnswerte. Die lobenswerte Ausgabe ist die, durch die man A 153
Gerechtigkeit erlangt, das sind die gesetzliche Armensteuer und die Ausgaben für
die Familie.
Bei den Ausgaben gibt es auch solche, durch die man Freiheit und Tugend ge-
winnt, das ist die Bevorzugung des anderen vor sich selbst, wie es von dem (isla-
mischen) Gesetz als lobenswert angesehen wird.
Die tadelnswerten Ausgaben teilen sich in das Zuviel und das Zuwenig. Das
a
„und“ lediglich bei S. Bei den übrigen: „oder“.
b
„wie bei den Einnahmen“ fehlt bei E.
218 Aufgaben bei der Einnahme von Geldern
Zuviel bedeutet, daß man für Dinge, die nicht nötig sind, mehr ausgibt, als es der
eigene (finanzielle) Zustand erlaubt. Dabei beachtet man nicht das Wichtigste,
sondern gibt für unwichtige Dinge Geld aus.
Das Unzureichende bedeutet, daß man sich der notwendigen Ausgaben entzieht
unda daß man weniger ausgibt, als erforderlich ist. Wann auch immer ein Mensch
das Geld in der berechtigten Weise einnimmt und in der richtigen Weise ausgibt, so
ist er lobenswert und wird dafür belohnt.
Wenn du aber fragst, ob derjenige, dem Gott reichlich Geld schenkt, es lieber
nehmen und in der lobenswerten Weise ausgeben oder davon Abstand halten soll-
te, so wisse, daß die Menschen darüber in Streit geraten sind. Sie sagen, daß sie in
drei Kategorien eingeteilt sind:
a) Eine Gruppe versenkt sich in das Diesseits, ohne Rücksicht auf das Ende, es
sei denn durch Reden und Selbstgespräche. So verhalten sich die meisten, welche
D 383 Gott in seinem Buch als „Götzendiener“ 296 und als „die schlimmsten Tiere“ 297 und
ähnliches beschrieben hat.
b) Eine andere Gruppe ist völlig anders als diese; sie beschäftigt sich mit dem
B 159 Ende, und sie kümmert sich überhaupt nicht um das Diesseits. Dies sind die From-
men.
c) Eine dritte Gruppe ist die der Ausgewogenen. Sie erfüllen die Erfordernisse
sowohl des Diesseits als auch des Jenseits. Sie sind diejenigen, welche von den
zuverlässigen Gelehrten als die Bevorzugten angesehen werden, weil durch sie
die Aufrechterhaltung sowohl des Diesseits als auch des Jenseits möglich wird.
Aus dieser Gruppe entstammt die Mehrheit der Propheten – der Friede Gottes
sei mit ihnen. Denn Gott der Allmächtige und Erhabene hat sie geschickt, um die
Interessen der Menschen sowohl im Diesseits als auch im Jenseits zu wahren. Es
wird gesagt, daß dieseb Gruppen diejenigen sind, die der Erhabene mit seiner
Aussage meint: „… und ihr Menschen seid drei Gattungen: Die Gefährten der
Rechten – was sind die Gefährten der Rechten? (selig!). Und die Gefährten der
Linken – was sind die Gefährten der Linken(?) (unselig!). Und die Vordersten …
die Vordersten (auch im Paradies).“ 298
Wer sich also sowohl um das Diesseits als auch um die Religion kümmert und sie
(miteinander) wie es sein muß und in der erforderlichen Weise vereint, ist der
Stellvertreter Gottes auf seiner Erde. Nach Meinung mancher (Fachleute) gehört
er zu den Auserwählten.
A 154 Wenn du sagst: Der erhabene Gott sagt: „Ich habe die Ǧinn (die Geister) und
die Menschen nur geschaffen, damit sie mir dienen“ 299 , so wisse, daß die Berück-
sichtigung der Interessen der Menschen zu der Summe aller Gottesdienste gehört,
ja sogar einer der besten aller Gottesdienste ist. In diesem Zusammenhang sagt
der Gepriesene (Muhammad): „Alle Menschen sind Kinder Gottes. Das beliebte-
˙ ist dasjenige, welches (den übrigen von) meinen Kindern
ste unter ihnen bei Gott
den besten Nutzen bringt.“ 300
D 384 Wenn du sagst: Einige der zuverlässigen Gelehrten sagen: „Die Menschen seien
a
Bei E: „oder“.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „drei“.
Aufgaben bei der Einnahme von Geldern 219
in drei Gruppen aufgeteilt: a) Ein Mensch, der sich mit seinem künftigen Leben
viel mehr beschäftigt als mit seinem Lebensunterhalt, gehört zu den Erfolgreichen.
b) Ein anderer, der sich viel mehr um seinen Lebensunterhalt kümmert als um sein
künftiges Leben, gehört zu den Verlorenena . c) Ein (dritter) Mensch beschäftigt
sich mit beidem. Er gehört zu den Wagemutigen. Der Erfolgreiche ist in einem
besseren Zustand als der Wagemutige“, so wisse, daß darin ein Geheimnis enthal-
ten ist, nämlich die höheren Rangordnungen können nicht erreicht werden, es sei
denn durch die Erstürmung der Gefahren. Diese Rede wird nur erwähnt, um auf
die Bedeutung der Stellvertretung des erhabenen Gottes in der Angelegenheit
seiner Diener zu verweisen, damit keiner dafür kandidiert, der nicht dazu geeignet
ist.
Es wurde erzählt, daß einer der gerechten Königssöhne einen hohen Grad an
Wissen und Weisheit erlangt hatte. Er zog sich dann von den Menschen zurück und
entsagte der Welt. Einer der Könige schrieb an ihn: „Du hast dich isoliert von dem,
womit wir uns beschäftigen. Wenn du aber weißt, daß das, was du bevorzugt hast,
besser ist, so lasse uns dies wissen, damit wir Abstand nehmen von dem Umfeld, in
dem wir uns befinden. Und glaube nicht, daß ich von dir eine unbegründete Aus-
sage annehmen werde.“ Er antwortete ihm: „Wisse: Wir sind Sklaven eines barm-
herzigen Königsb , der uns in den Krieg gegen einen Feind geschickt hat. Er hat uns
wissen lassen, daß dessen Ziel die Überwindung (dieses Feindes) oder die Sicher-
heit vor ihm ist. Als wir uns dem Vormarsch näherten, teilten wir uns in drei
Gruppen: a) Ein Abweichlerc strebt nach Sicherheit vor dem Feind und zieht sich
zurück. Er erreicht dadurch, daß er nicht getadelt wird, auch wenn er kein Lob B 160
gewinnt. b) Ein Waghalsiger marschiert ohne Überlegung voran. Deshalb verletzt
und besiegt ihn der Feind. Somit ruft er die Ungnade seines Herrn hervor. c) Ein
Tapferer tritt nach gründlicher Überlegung zum Kampf an. Er kämpft dann, be- D 385
währt sich dabei und strengt sich an. Er erringt einen vollständigen Sieg. Als ich
mich schwach fand, begnügte ich mich mit dem bescheidensten Vorhabend und der
niedrigsten Rangstufe. Sei, oh König!, von der besten Gruppe, so wirst du zu denen
gehören, die Gott bevorzugt hat.“ Diese Rede enthüllt die Wahrheit (über diese
Angelegenheit). Die folgende Aussage des erhabenen Gottes weist auf ihre Rich-
tigkeit: „Trachte mit dem, was Gott dir (an Reichtum) gegeben hat, nach der Be-
hausung des Jenseits, aber vergiß nicht deinen Anteil am Diesseits! Und tue Gutes, A 155
so wie Gott dir Gutes getan hat! Und sinne nicht (überall) im Land auf Unheil!“ 301
Zwar kann die Güte erreicht werden, indem man die Herzen der Muslime durch
Geld zu erfreuen versucht, aber die Gefahr dabei ist sehr groß. Denn möglicher-
weise beschäftigt sich damit jemand, dessen Scharfsichtigkeit, ohne zu wissen,
schwach iste . Wegen dieser Gefahr muß man mit Entschiedenheit davor warnen.
a
Bei A ist der Text an dieser Stelle verwirrend. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Druck-
fehler, da eine Verwechslung der Begriffe vorliegt.
b
„Königs“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „Herrn“.
c
„Abweichler“ nach den drei Handschriften. Bei den übrigen: „Ängstlicher“.
d
S u. E: „Stellung“.
e
Bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „weshalb er sich selbst ohne sein Wissen schadet.“
220 Aufgaben bei der Einnahme von Geldern
Die fünfte Aufgabe: Seine (innere) Intention muß in bezug auf Nehmen und
Unterlassen aufrichtig sein. Deshalb soll er nehmen, was ihm bei der Verrichtung
der Gottesdienste behilflich ist, und essen, was ihn kräftigt. Er soll das unterlassen,
was er aus Askese und Verachtung zu unterlassen hat. Denn der Gepriesene
(Muhammad) sagt: „Wer sich um seinen Lebensunterhalt (entsprechend den reli-
˙ Vorschriften) bemüht, der führt einen heiligen Kampf (g
giösen ˇ ihād)a .“ 302 Ferner
D 386 sagt er zu ibn-Mas2ūd 303 : „Wahrhaftig wird der Gläubige für jede (gute) Handlung,
sogar für den Bissen, den er seiner Frau in den Mund legt, belohnt.“ 304 Mit dem
Gläubigen meint er denjenigen, der die Wahrheiten der Dinge kennt, so daß er mit
dem, was er unternimmt, das Angesicht Gottes und dessen Beistand bei der Be-
schreitung seines Weges erzielt. Dabei wird es ihm klar sein, daß der Asket nicht
derjenige ist, /der kein Geld hat, sondern derjenige/b , der sich mit Geld nicht be-
schäftigt, auch dann nicht, wenn er die Reichtümer der (ganzen) Welt besitzen
würde. Deshalb sagt 2Alı̄ – Gott möge Wohlgefallen an ihm haben –: „Wenn je-
mand alle Reichtümer der Erde besitzen würde, wobei er die Wohlgefälligkeit
Gottes erlangen möchte, so ist er ein Asket, und wenn er alles unterlassen würde,
ohne dabei die Wohlgefälligkeit Gottes zu beachten, so ist er kein Asket.“c Des-
wegen sollen deine Bewegungen und Ruhezustände für Gott sein, indem sich dei-
ne Bewegung auf seinen Dienst beschränkt oder auf das, was dir dazu beihilft und
was man beim Gottesdienstd nicht entbehren kann, wie zum Beispiel das Essen
und die Erledigung von Bedürfnissen. Denn diese beiden Tätigkeiten helfen beim
Gottesdienst, während sie selbst als Handlungen von den Gottesdiensten am wei-
testen entfernt sind. Dann wird derjenige, dessen Seele vollkommen ist, in seiner
Betrachtung der Welt wie ein ausgezeichneter Schlangenbeschwörer bei seiner
B 161 Berührung der Schlange sein, der sich vor ihrem Gift hütet und ihre Substanz aus
ihr herauszieht. Wenn der Ungebildete dem Schlangenbeschwörer zuschaut und
ihn nachahmt, so wird er glauben, daß dieser die Schlange anfaßt, weil er ihre Form
und ihre Gestalt schön findet und weil ihr Körper weich ist und daß er sie deshalb
A 156 bei sich behält. Wenn er dies vermutet, nimmt er sie, legt sie sich um seinen Hals
und daraufhin wird sie ihn töten.
Das Diesseits wird mit einer Schlange verglichen. So wird gesagt: „Das Diesseits
ist wie eine Schlange, die tödliches Gift speit, auch dann wenn sie beim Anfassen
anschmiegsam ist.“ Wie es unmöglich ist, daß der Blinde dem Sehenden bei der
Überwindung der Gipfel der Gebirge, der Meeresküsten und der stacheligen Wege
D 387 ähnelt, so ist es unmöglich, daß der Ungebildete dem Vollkommenen in seiner
Betrachtung der Welt ähnelt.
Wenn man das Königreich Salomos betrachtet und das, was ihm gegeben wurde,
dazu die Eigenschaft der Prophetie, wird man erfahren, daß die Askese die der
a
S: „Er ist ein Kämpfer für die Sache Gottes.“
b
/…/ fehlt lediglich bei S, ist aber für die Vervollständigung des Gedankens erforderlich.
c
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Wenn jemand alle Reichtümer der Erde …, würde er kein Asket
sein“; „und wenn er alles unterlassen würde …“ lediglich bei S u. E.
d
„was man beim Gottesdienst …“ bei S, E u. Ae. Bei den übrigen: „und was die Menschen nicht
entbehren können.“
Aufgaben bei der Einnahme von Geldern 221
Seele, nicht aber die Leere der Hand ist. Wie kann das Diesseits den Propheten
und den Gottesvertrauten schaden, welche doch Nachteile und Vorteile der Welt
sowie ihre Bedeutung im Dasein kennen und wissen, daß es für den Menschen drei
Existenzstufen gibt: 1. im Leibe seiner Mutter, 2. in der weiten Welt und 3. nach
dem Tode?
Das Diesseits ist wie eine Herberge errichtet, die der Reisende auf der mittleren
Strecke erreicht (das ist das Leben) und wo sich Geräte, Geschirr und Proviant
befinden, damit der Reisende sie als Hilfsmittel benutzt, wie man einen geliehenen
Gegenstand oder eine Gabe benutzt und sie für den Nachfolgenden hinterläßt,
welcher sie mit Dankbarkeit entgegennimmt und mit Freude weitergibt. Einige
der Törichten gelangen zu dieser Herberge. Sie vermuten, daß dieses Haus eine
Heimstätte sei und daß diese Mittel nicht geliehen, sondern für immer geschenkt
seien. Deshalb geben sie sie nicht aus der Hand, es sei denn, man bricht ihnen die
Hand und nimmt ihnen das Leben.
Man sagt, daß die Lage der Menschen im Verhältnis zu dem, was ihnen vom
Diesseits gegeben wird, einem Menschen ähnelt, der ein Haus eingerichtet hat.
Er lädt die Menschen einen nach dem anderen in sein Haus ein. Einen von ihnen
läßt er eintreten, bietet ihm ein goldenes Tablett /mit Weihrauch und wohlriechen-
den Blumen an, nicht damit dieser sie behält, sondern um sie dem nächsten wei-
terzugeben. Der Besucher beachtet diesen Brauch nicht und vermutet, daß ihm
das Tablett geschenkt worden ist/a . Als es ihm wieder abgenommen wird, ist er
empört und betrübt. Wer aber den Brauch kennt, dankt dem Eigentümer und gibt
es ihm mit Freude zurück.
Dies sind die Aufgaben, die sich auf den Umgang mit den Reichtümern dieser
Welt beziehen.
a
/…/ fehlt lediglich bei S, ist aber wichtig zur Vervollständigung des Bildes.
A 157 XXIX.
B 162
D 388 Der Weg zur Vermeidung des Kummers im Diesseits
Wenn der Mensch im Augenblicka in seinem Heim sicher lebt, körperlich gesund
ist und über seinen täglichen Lebensunterhalt verfügt, so sind seine Trauer und
sein Kummer aufgrund der Angelegenheiten im Diesseits Zeichen seiner Mangel-
haftigkeit und Torheit. Denn sein Kummer bezieht sich entweder: 1. auf das Be-
dauern über etwas Vergangenes, 2. oder auf die Angst vor etwas Zukünftigem
oder 3. auf die Trauer über etwas im jetzigen Augenblick Vorhandenes. Wenn er
wegen einer vergangenen Sache trauert, so ist es dem Vernünftigen einsichtig, daß
die Trauer niemals etwas wieder in Ordnung bringt, was vergangen ist, oder etwas
repariert, was zerbrochen ist. Das Trauern über etwas, gegen das man nichts tun
kann, ist die reine Torheit. Deswegen sagt der Erhabene (Gott): „(Laßt euch ge-
sagt sein, daß alles, was geschieht, von Gott vorherbestimmt ist) damit ihr euch
wegen dessen, was euch (an Glücksgütern) entgangen ist, nicht (unnötig) Kummer
macht und (damit ihr) euch über das, was er euch gegeben hat, nicht (zu sehr)
freut.“b 305 Darüber sagt der Dichter:
„Hätte Trauer überhaupt einen Sinn,
gäbe ich mich der Trauer über mich selber hin.“ 306
Wenn man wegen einer gegenwärtigen Sache trauert, so entsteht diese Trauer
entweder aus Neid über den Erfolg, den ein Bekannter erlangt hat, oder aus Ar-
mut oder Verlust an Reichtum, Ruhm und diesseitigen Mitteln. Der Grund dafür
ist die Unwissenheit über die Gefahren des Diesseits und ihrer Gifte. Wenn der
Mensch sie richtigc erkennen würde, so würde er dem erhabenen Gott dafür dan-
ken, daß er ihn leicht, nicht schwer geprüft hat.
D 389 Wenn der Verliebte über die Vergänglichkeit der Schönheit derjenigen nach-
denken würde, in die er verliebt ist, so hätte er sich gar nicht in sie verliebt. Denn
er wüßte, daß das Diesseits viele Unglücksfälle bringt, daß seine Wasserstellen
trübe sind, daß es den Menschen verschiedene Arten von Unheil bringt und bei
jedem Bissen eine Erstickungsgefahr. Es gibt keinen Menschen, der (im Diesseits)
lebt, es sei denn er wird die Zielscheibe für drei Pfeile: a) einen Strafpfeild , b) ei-
nen Unglückspfeil und c) einen Todespfeil. (In diesem Zusammenhang sagt der
Dichter):
„Es widerstreben dem Menschen die Zeiten,
bekämpfen ihn von allen Seiten.
Wie das Schicksal ihn einmal verfehlen mag,
trifft ein anderes Mal ihn heftig sein Schlag.“ 307
a
„im Augenblick“ lediglich bei S u. E.
b
Bei S u. E unvollständig: „und ihr sollt nicht … trauern.“
c
„richtig“ lediglich bei S u. E.
d
„einen Strafpfeil“ fehlt bei Ae.
Die Vermeidung des Kummers im Diesseits 223
Denn wer die Lehre aus dem zieht, was sich jeden Tag ereignet, nämlich daß die
Annehmlichkeiten den Menschen entrissen werden, daß sie von Unglücksfällen B 163
heimgesucht werden und daß sie um den Verlust von Annehmlichkeiten heftig
trauern, der wird kein Bedauern darüber empfinden, daß er sie verpaßt hat.
Als ein Sūfı̄ (Mystiker) gefragt wurde: Warum bist du nicht bekümmert?, ant-
wortete er:˙ Weil ich nichts besitze, dessen Verlust mir Kummer bereitet. Wann
immer ein Mensch über die Sorglosigkeit der Herren dieser Welt gegenüber dem
Jenseits und die (dadurch hervorgerufenen) Unglücksfälle nachdenkt, tröstet er A 158
sich, und es fällt ihm leicht, sich davon (von den Gütern dieser Welt) zu trennen.
Einer der Sūfı̄ nahm sich vor, jeden Tag ein Krankenhaus zu besuchen, um
Kranke zu sehen˙ und ihre Krankheiten und Leiden zu betrachten. Ferner besuchte
er das Staatsgefängnis, um Verbrecher zu beobachten und bei ihrer Vorführung
und Bestrafung dabei zu sein. Er besuchte auch Friedhöfe, um Trauernde anzu-
schauen sowie ihren Schmerz mitzuerleben, der nichts nutzt, da sich die Toten D 390
mit ihrem, jenseitigen Zustand beschäftigen. Dann kehrte er nach Hause zurück,
wobei er Gott dafür dankte, daß er ihm diese Unglücksfälle erspart hatte.
Der Mensch tut recht, wenn er im Diesseitsa denjenigen immer anschaut, der
unter ihm steht, damit er Gott dankbar ist, aber im Hinblick auf die Religion den-
jenigen, der höher als er steht, damit er sich (im Hinblick auf die Gottesdienste)
anstrengt. Wenn der Satan dominiert, kehrt er dieses Verhältnis um und errichtet
es in umgekehrter Weise. Wenn man ihm sagt: Warum unternimmst du diese ab-
scheuliche Handlung?, entschuldigt er sich damit, daß ein anderer noch schlimme-
res als er selbst tut, /obwohl es keinen Wetteifer weder in der Sünde noch im
Unglauben gibt/b . Wenn man ihn weiter fragt: Warum begnügst du dich nicht mit
dem Vorhandenen?, erwidert er: Dieser ist reicher als ich. Warum soll ich dulden,
was nicht zu dulden ist? Das ist der Irrtum selbst /und die reine Unwissenheit/c .
Wann auch immer der Eifer auf dieses Hindernis stößt, wird der Kummer aus
Neid nichtig. Wenn Gott jemandem eine Wohltat beschert, die er verdient, dann
sollte dies niemandem Kummer bereiten. Wenn er sie aber nicht verdient, so
bringt sie ihm mehr Unheil als Nutzen. Wenn sich der Kummer auf Zukünftiges
bezieht sowie auf etwas, dessen Existenz unrealisierbar oder notwendig ist wie
zum Beispiel der Tod, so ist es absurd, darüber zu trauern. (Denn die Veränderung
eines solchen Zustandes ist ausgeschlossen.)
Wenn er sich aber auf Mögliches bezieht, so ist es zu überlegen: 1. Wenn dessen
Beseitigung nicht möglich ist, wie der Tod bevor man altert, so ist die Trauer dar-
über eine Torheit.
2. Wenn er (der Grund des Kummers) zu beseitigen ist, so hat es (auch) keinen D 391
Sinn, darüber zu trauern, und man soll versuchen, ihn (diesen Grund) mit unbe-
kümmertem Verstand zu beseitigen.
Wenn man alles unternimmt, was in der eigenen Macht steht, um ihn zu über-
winden, bleibt man ruhigen Herzens, indem man den Beschluß Gottes abwartet A 159
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „– solange er lebt –“.
b
/…/ fehlt bei S u. E.
c
/…/ fehlt bei S u. E.
224 Die Vermeidung des Kummers im Diesseits
und indem man weiß, daß man diese Entscheidung nicht zurückweisen kann. So
empfängt man sie geduldig, wenn sie nicht zurückzuweisen ist und sich bewahr-
heitet, daß sein Wille (notwendigerweise) geschehen wird. Er wird dann an die
Aussage des Erhabenen erinnern: „Kein Unglück trifft ein, weder (irgendwo) auf
B 164 der Erde noch bei euch selber, ohne daß es in einer Schrift (verzeichnet) wäre,
noch ehe wir es erschaffen.“ 308
Das Begehren der Menschen, sich die Gegenstände des Diesseits anzueignen,
rührt von der Einbildung und ihrer Hoffnung her, daß die verschiedenen Arten des
Unglücks vergehen und die glücklichen Zeiten wiederkehren. Welch ein Irrtum!
Welch ein Irrtum! 2Alı̄ – möge Gott Wohlgefallen an ihm haben – sagt: „Niemals
sagen die Menschen anderen: ‚Glücklich seid ihr, es sei denn, daß das Schicksal ein
anderes Unglück für sie vorsieht.‘“ Der Dichter spricht wahrhaftig, indem er sagt:
„Nicht Gutes nur bringt dir das Schicksal,
auf Frohsinn folgt gar leicht die Trübsal.“ 309
Abū-Mansūr at-Ta 2ālibı̄ 310 verfehlt die Wahrheit nicht in seiner Beschreibung
der Welt, als˙ er sagt:
¯ ¯
„Bescheide dich im Diesseits, ohne es zu begehren,
laß dich auch nicht vom Streit mit ihm verzehren.
Denn der zu erheischende Genuß
gleicht nicht dem, was man befürchten muß.
Was du zu bedenken hast,
das Unheil ist eine schwere Last.
Viele haben es beschrieben und sich darüber ausgelassen,
ich werde anders es für dich in Worte fassen:
Es ist die Auslese eines Weines, dessen Neige tödlicher Saft;
es ist ein gefälliges Reittier, das, besteigst du es, unzähmbar
ist in seiner Kraft;
eine Person voller Anmut und von schöner Gestalt,
ein häßliches Geheimnis ist ihr Gehalt.“
Wenn der Vernünftige über diese Dinge nachdenkt, fällt seinem Herzen der
D 392 Kummer leichter, es sei denn, daß sich seine Beziehung zu einem geliebten Men-
schen, zu Reichtum, Grundbesitz, Beruf, Vorrangstellung, Herrschaft oder zu et-
was anderem vertieft. So kann er sich von seinem Kummer nicht befreien, es sei
denn, er hat seine Bindungen an all das gelöst. Dies geschieht nur, wenn er allmäh-
lich Abstand nimmt und sich mit anderen Dingen beschäftigt, auch dann wenn
dieses andere von derselben Art ist wie das, von dem man sich entfernen muß,
A 160 jedoch ist nichts dagegen einzuwenden, Blut mit Blut zu waschen, wenn das erste
stärker haftet und klebt (als das zweite).
Dies sind einige von den besonderen geistigen Anstrengungen. Denn das plötz-
liche Abstandnehmen von dem, woran man gewöhnt ist, fällt schwer, ja ist sogar
unmöglich. Deswegen fördert man den Knaben, der in gutem Benehmen unter-
richtet wird, indem man in ihm die Lust zum Spiel mit Zepter und Vögeln erweckt.
Dann hört er mit dem Spielen auf, indem man in ihm das Interesse an Reichtum,
Geld und am Tragen von schönen Kleidern und ähnlichen Dingen weckt. Dann
erhöht man ihn aus diesem Zustand, indem man ihn begierig macht auf Lebens-
Die Vermeidung des Kummers im Diesseits 225
wertes und Lobpreisung, Erlangung von Würde und Vorrang. Dann wird in ihm
der Wunsch nach der jenseitigen Glückseligkeit erweckt. Die Vorrangstellung (im B 165
Diesseits) ist das Letzte, das die Köpfea der Aufrichtigen verläßt.
Diese Behandlung wird mit Hilfe von Dingen durchgeführt, die in sich selbst
gefährlich, jedoch im Verhältnis zu noch schlimmeren Dingen notwendig sind.
Sie sind wie Phasen und Entwicklungsstufen des Menschen, die er eine nach der
anderen hinaufsteigt, wobei die Erlösung nur durch diese allmähliche Entwicklung
erreicht werden kann. So sollte dies in allen Eigenschaften berücksichtigt werden,
die die Seele beherrschen, deren Bindung sich (an eines dieser erwähnten Dinge)
verfestigt hat. Durch das Lösen der Bindungen wird der Kummer getilgt.
a
„Herzen“ bei D.
D 393 XXX.
A 161
B 166 Über die Verbannung der Angst vor dem Tod
Für den Menschen gibt es (im Verhältnis zum Tod) zwei Zustände: a) einen vor
dem Tod und b) einen währenda des Todes. Was seinen Zustand vor dem Tod
anbetrifft, so soll der Mensch immer an den Tod denken, wie der Gepriesene
(Muhammad) sagt: „Gedenkt häufig des Bezwingers der Genüsse. Denn wenn
man ˙sich seiner in der Bedrängnis erinnert, erleichtert er einem das Leben, und
wenn man im Wohlstand an ihn denkt, wird man von ihm beängstigt.“ 311 Dabei
teilen sich die Menschen in zwei Gruppen: a) Die Sorglosen, das sind die wahrhaft
Törichten, die kaum an den Tod und das, was dahinter liegt, denken, es sei denn,
sie denken an die Lage ihrer Kinder und ihre Hinterlassenschaften. Oder sie über-
legen sich ihre eigene Lage und bedenken sie, jedoch denken sieb nur daran, wenn
sie einen Leichenzug sehen. Alsdann sagen sie mit der Zunge: „Wir gehören Gott,
und zu ihm kehren wir zurück.“ 312 Sie kehren zu dem erhabenen und allmächtigen
Gott nicht durch ihre Taten, sondern durch ihre Worte zurück. So lügen sie wahr-
haftig in ihren Aussagen. b) Die Vernünftigen und die Geschickten werden immer
vom Nachdenken über den Tod begleitet, wie Reisende zu einem (bestimmten)
Ziel, zum Beispiel die Pilgerer. Denn sie trennen sich (in Gedanken) niemals von
ihrem Ziel, und trotz der Beschäftigung mit den Etappen des Rastens und Wieder-
aufbrechens vergessen sie nicht ihr Ziel.
Kurz gesagt, das Denken an den Tod vertreibt übertriebene Hoffnungen und
hemmt seltsame Wünsche, und somit erträgt der Mensch die Unglücksfälle leich-
ter, und er wird an Übertretungen gehindert.
D 394 Durch das Gedenken des Todes entsteht die Genügsamkeit mit dem, was man
hat, die Bereitschaft, sofort Buße zu tun, die Unterlassung des gegenseitigen Nei-
des und des Begehrens der diesseitigen Dinge und die Tüchtigkeit im Gottes-
dienst. Derjenige, der in Gottesdienstenc träge ist, sollte den Tod im Auge behal-
ten; er sollte jeden Tag beim Aufwachen daran denken, daß er bald sterben wird,
weil es möglich ist, daß der Tod sofort eintritt. Wann immer er annimmt, daß der
Tod erst nach Jahren eintritt, wird er auf den Gottesdienst nicht begierig sein und
niemals müde, seine Leidenschaften nach dem Diesseits zu verwirklichen. Viel-
mehr sollte er sich selbst nichtd einmal für mehr als einen Tag vernachlässigen, so
B 167/A 162 daß er jeden Tag bereit ist, die Abreise tagsüber anzutreten. Denn jeder, der eine
Einladung von einem der Könige in jedem Augenblick erwartet, soll für ihre An-
nahme bereit sein. Möglicherweise erscheint bei ihm der Gesandte während er
a
„während“ bei S, E, A u. B. Bei den übrigen: „nach“.
b
Nach S, E u. Ae. Nach den übrigen: „Weder überlegen sie sich ihre eigene Lage, noch bedenken
sie, sondern sie denken nur daran, wenn …“
c
„in Gottesdiensten“ fehlt bei S u. E.
d
Die Verneinung fehlt lediglich bei D.
Die Verbannung der Angst vor dem Tod 227
sorglos ist, und so wird er der Glückseligkeit beraubt. Es gibt keinen Augenblick,
in dem der Tod nicht möglich ist. Wenn du sagst: „Der plötzliche Tod seia
unwahrscheinlich, /so sage ich:/b Wenn die Krankheit auftritt, so ist der Tod nicht
unwahrscheinlich. Dies kann an weniger als einem Tag geschehen, ohne daß dies
unwahrscheinlich ist. Es ist ferner unvernünftig, wegen des Todes bekümmert zu
sein. Denn dieser Kummer kann unter einem der folgenden vier Aspekte dar-
gestellt werden: a) wegen des Verlustesc an Appetit auf Nahrung und sexueller
Begierde, b) wegen des Reichtums, den man hinterläßt, c) wegen der Unwissenheit
über den Zustand nach dem Tod und über das, was darauffolgt, d) aus Furcht vor
der Bestrafung begangener Sünden.
Wenn man Kummer wegen des Verlustes an Appetit auf Essen und sexueller
Begierde hat, so ähnelt man einem, der eine Krankheit mit einer anderen bekämp-
fen will. Denn der Sinn des Nahrungsgenusses liegt in der Beseitigung des Hun-
gerleidens. Wenn der Hunger gestillt und der Magen gefüllt ist, dann verabscheut D 395
man das, was man vorher begehrt hat. Man ähnelt demjenigen, der sich in die
Sonne setzt, um sich zu wärmen, damit er den Schatten wieder genießen kann,
oder demjenigen, der ein heißes Bad begehrtd , um danach das kalte Wasser, das
er später trinkt, zu genießen. Das ist die Torheit /und die Dummheit selbst/e . Wenn
man Angst vor dem Tod hat wegen des Reichtums, den man hinterläßt, so zeugt
dies von einer Unwissenheit über die Niedrigkeit und Geringfügigkeit des Dies-
seits im Vergleich zu dem großen Königreich und dem ewigen Paradies, welches
den Frommen versprochen wird.
Wenn man wegen der Unwissenheit über das, was nach dem Tod folgt, beküm-
mert ist, so soll man nach dem wahren Wissen streben, welches die Lage des Men-
schen nach seinem Tod enthüllt. Eines Tages sagte Hārita 313 dem Propheten
(Muhammad) – Friede sei mit ihm –: „Mir kommt es vor, ˙ als
˙ ob ich den Thron
˙
meines Herrn vor meinen Augen emporragen sehe und als ob ich den Bewohnern
des Paradieses zuschaue, während sie miteinander freundlich umgehen und die
Insassen der Hölle miteinander verfeindet sind“f . Dieses Wissen entsteht durch
die Suche nach der Wahrheit der Seele und ihrer Wesenheit, der Art und Weise
ihrer Verbindung mit dem Körper, dem Aspekt ihrer Bestimmung, für die sie ge-
schaffen ist, der Weise, wie der Mensch die Besonderheit (des Körpers) und dessen
Vollkommenheit genießt, während er die Laster erkennt, die ihn an der Erlangung A 163
dieser Vollkommenheit hindern. Das offenbarte Gesetz des Islam hat darauf an
verschiedenen Stellen aufmerksam gemacht und befiehlt, über die Seele wie auch
über das Königreich von Himmel und Erdeg nachzudenken.
Wenn man Kummer wegen der schon begangenen Sünden hat, so nützt dem B 168
a
Bei S lediglich: „sei nicht …“
b
/…/ fehlt bei S, E u. Ae.
c
„Verlustes“ lediglich bei den drei Handschriften S, E u. Ae.
d
Bei E: „ein heißes Wasser schluckt, …“
e
/…/ fehlt bei S u. E.
f
„miteinander …“ nach S, E u. Ae. Nach den übrigen: „sich gegenseitig verfluchen“.
g
„Erde“ fehlt bei E.
228 Die Verbannung der Angst vor dem Tod
Menschen kein Kummer, sondern die Heilung, indem man sofort Buße tut und die
Wiedergutmachung dessen anstrebt, was man an guten Werken vernachlässigt hat.
Man kann diesen Kummer und die Unterlassung der Wiedergutmachung mit dem
Öffnen einer seiner Adern vergleichen, aus der Blut strömt, obwohl er in der Lage
D 396 ist, sie zu verbinden und seinen Lebensodem zu bewahren. Jedoch vernachlässigt
er dies und setzt sich nieder, indem er bedauert, was an Blut aus ihm herausströmt.
Dies ist auch eine der Torheiten, insofern das Versäumte nicht nachgeholt werden
kann und es nichts nützt, es zu bedauern. Vielmehr soll man sich mit der Zukunft
befassen.
Der zweite Fall bezieht sich auf den Zustand des Menschen beim Tode. Die
Menschen teilen sich dabei in drei Kategorien: a) Der erste ist ein scharfsichtiger
von Gott rechtgeleitetera Mensch, der weiß, daß das Leben ihn versklavt, der Tod
ihn aber befreit und daß der Mensch auch dann, wenn dessen Verbleib im Diesseits
lange dauert, einem blendenden Blitz ähnelt, der in den Weiten des Himmels
glänzt, dann wieder verschwindet. Deshalb fällt ihm das Verlassen des Diesseits
nicht schwer, es sei denn in dem Maße, in dem er versäumt, Gott dem Allmächti-
gen und Erhabenen zu dienen, sich ihm mehr und mehr zu nähern und sich zu
sorgen um das, was er vor Gott sagen wird undb was ihm (von seiten Gottes) gesagt
wird, wie einer, der gefragt wurde: Warum bist du beunruhigt? antwortete: Weil
ich einen Weg beschreite, den ich vorher nicht kannte, und vor den Herrn trete,
den ich vorher nicht gesehen hatte. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen werde und
was mir (von seiner Seite) gesagt werden wird.
Ein solcher Mensch scheut niemals den Tod, sondern, wenn er unfähig ist, Gott
mehr zu dienen, sehnt er sich möglicherweise nach ihm. Einer sprach in seinem
Gebet folgendes: „Mein Gott, wenn ich dich darum bitte, mich im Diesseits (wört-
lich: im Hause der Toten) am Leben zu erhalten, so bedeutet dies, daß ich mich
von dir entfernen und deiner Nähe entsagen möchte. Denn dein Gesandter und
Auserwählter (Muhammad) – Friede sei mit ihm – sagt: ‚Wer die Begegnung mit
D 397 Gott begehrt, dem˙ möchte auch Gott begegnen. /Wer aber die Begegnung mit
Gott verabscheut, dessen Begegnung verabscheut auch Gott.‘“ 314 /c
Der zweite ist ein Mensch, der unter dem Mangel seiner Scharfsichtigkeit leidet,
A 164 dessen Inneres befleckt ist, der sich intensiv mit dem Diesseits beschäftigt, sich
völlig an es bindet, dabei Zufriedenheit und Ruhe empfindet und keine Hoffnung
hat, im Jenseits erlöst zu werden, „so wie die Ungläubigen es aufgegeben haben,
sich wegen derer, die in den Gräbern sind, (irgendwelche) Hoffnung (auf eine
Wiederbelebung) zu machen.“ 315
Wenn ein solcher Mensch ins Jenseits eintritt, wird ihm Schaden zugefügt, so wie
der Rosenduft den Mistkäfern Schaden zufügt. Wenn er sich von den Unreinheiten
des Diesseits befreit, wird er nicht mehr in die höhere Welt und ins Licht der
B 169 höheren Scharen (der Engel) hineinpassen. Somit trifft ihn die Aussage des erha-
benen Gottes: „Und wenn einer hier (im Diesseits) blind ist, ist er im Jenseits erst
a
„von Gott rechtgeleiteter“ lediglich bei S u. E.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „oder“.
c
/…/ fehlt nur bei S.
Die Verbannung der Angst vor dem Tod 229
recht blind und vollständig vom Weg abgeirrt.“ 316 Denn das Diesseits ist ein Ker-
ker für den Menschen der ersten Kategorie und ein Paradies für den der zweiten.
Der erste ist wie ein Sklave, der von seinem Herrn gerufen wird, ihm daraufhin
gutwillig antwortet und ihm mit Freude entgegentritt, sich seinem Dienst zu wid-
men. Der zweite ähnelt einem entlaufenen Sklaven, der gefangen zu seinem Herrn
zurückgebracht und ihm in Ketten vorgeführt wird. Er steht mit gesenktem Kopf
vor seinem Herrn und schämt sicha für sein Verbrechen. Was für ein Unterschied
zwischen den beiden Kategorien!
Die dritte Kategorie von Menschen bildet eine Stufe zwischen den beiden er-
sten. Das ist ein Mensch, der die Unglücksfälle dieser Welt erkennt, seine Ver-
bundenheit zu ihr verabscheut, sich jedoch mit ihr vertraut macht und sich an sie
gewöhnt. Dabei ähnelt er einem, der sich an ein dunkles, schmutziges Haus ge-
wöhnt und nie ein anderes gesehen hat. Deswegen mißfällt es ihm, das Haus zu
verlassen, auch wenn er verabscheut, es überhaupt betreten zu haben. Wenn er es
verläßt und sieht, was Gott für die Frommen vorgesehen hat, bedauert er nicht,
das Haus verlassen zu haben, sondern sagt: „Lob sei Gott, der bewirkt hat, daß D 398
wir nicht mehr traurig zu sein brauchen! Unser Herr ist bereit zu vergeben und
weiß zu danken, der uns durch seine Huld in die Behausung des (ewigen) Auf-
enthaltes versetzt hat, in der wir weder Mühsal noch Ermüdung auszustehen ha-
ben.“ 317
Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Mensch es verabscheut, sich von einer Sache
zu trennen. Wenn er sich dann von ihr trennt, bedauert er das aber nicht. Denn der
Säugling weint zur Zeit der Geburt wegen des Schmerzes, den er durch den Über-
gang in eine andere Welt empfindet. Wenn er unterscheidungsfähig wird, wünscht
er nicht mehr, dahin zurückzukehren.
Der Tod ist eine zweite Geburt, durch welche man eine Vervollkommnung er-
langt, die es vorher nicht gab, unter der Voraussetzung, daß es vor dieser Vollkom-
menheit keine Leiden und Vorfälle gibt, die die Aufnahme dieser Vollkommenheit
(durch den Menschen) verhindert.
Wie die Geburt eine Bedingung für die Erlangung einer glücklichen Vollkom-
menheit ist, die unfreiwillig geschiehtb , vorausgesetzt, daß keine Gründe, Krank-
heiten und Vorfälle im Mutterleib vorhanden sind, die die Aufnahme der Voll- A 165
kommenheit verhindern, /so daß die Kräfte zerfallen, Schwäche und Krankheiten
herrschen und die Voraussetzung für die Vollkommenheit zunichte gemacht wer-
den/c , so verhält es sich mit dem Tod.
Weil der Tod ein Grund für die Vollkommenheit ist, sagen manche: „Unser
Gebet für 2Izrā3ı̄l (Todesengel) und unser Dank für ihn sollen genauso wie unser
Gebet für Gabriel und Michael und Seraphimd sein. /Deswegen wird im Gebet
folgendes überliefert: „Gott segne Muhammad, Gabriel, Michael und den Todes-
˙
a
Nach S: „fürchtet sich“.
b
Bei den drei Handschriften S, E u. Ae. Bei den übrigen: „…, die während der Schwangerschaft
nicht vorhanden war, …“
c
/…/ lediglich bei S u. E.
d
„und Seraphim“ bei allen außer S u. E.
230 Die Verbannung der Angst vor dem Tod
engel.“/a Denn Gabriel und Michael vermitteln uns Kenntnisse über das, was un-
B 170 sere Befreiung vom Diesseits und unsere Rettung im Jenseits durch (den Gottes-
Gesandten) Muhammad – Friede sei mit ihm – ermöglicht. Der Todesengel ist der
˙ Aufbruch in jene Welt. Deswegen genießt er große Achtung
Grund für unseren
und man muß ihm danken.“
Es wird erzählt, daß eine Gruppe von Weisen aus alten Völkern einen Menschen
D 399 lobpreisten und ihn huldigten, weil sie glaubten, daß er ihnen bei dem vorüberge-
henden Leben (Diesseits) keine Hilfe leistete, sondern daß er der Grund des Ver-
derbens war, das die Befreiung aus diesem niedrigen Diesseits ermöglichte.
a
/…/ lediglich bei S.
XXXI. A 166
B 171
Über das Kennzeichen der ersten Etappe derjenigen,
die sich auf den Weg des erhabenen Gottes begeben
Wisse, daß diejenigen, die den Weg des erhabenen Gottes beschreiten, wenige
sind, diejenigen aber, die das behaupten, zahlreich. Wir machen dich mit zwei
Kennzeichen bekannt, die du im Auge behalten sollst und auf die du selbst, wie
auch andere, achten sollst. Das erste Kennzeichen: Die freiwilligen Handlungen
sollen nach dem Maßstab der gesetzlichen Offenbarung (des Islam) beurteilt wer-
den und von seinen Bestimmungen abhängig sein, sei es beim Agieren oder Rea-
gieren, bei der Durchführung einer Handlung oder ihrer Unterlassung. Denn man
kann diesen Weg nicht beschreiten, ohne sich vorher mit allen edlen Eigenschaften
des offenbarten Gesetzes bekleidet zu haben. Man kann dies nur erreichen, wenn
man vorher die ethische Gesinnung geformt hat, wie wir dies oben beschrieben
haben. Dies ist nur dann möglich, /wenn man auf eine Summe von erlaubten (Din-
gen) verzichtet. Wie kann derjenige, der die verbotenen Dinge nicht unterläßt,
dies erlangen?/a Er kann dies nur erlangen, wenn er eine Summe von freiwilligen
Gottesdiensten regelmäßig ausübt. Wie kann dann derjenige dies erreichen, der
die Pflichthandlungen vernachlässigt?
In der allgemeinen Auferlegung der Pflichtenb beschränkt sich das offenbarte B 172
Gesetz auf Pflichtübungen und Verbote, die für gewöhnliche Menschen in der
Weise gelten, daß deren Befolgung nicht zur Vernachlässigung des Lebens (wörtl.
Zerstörung der Welt) führt. Derjenige, der den Weg Gottes beschreitet, nimmt
Abstand vom Diesseits in der Weise, daß die Welt zugrunde gerichtet würde, wenn
alle Menschen handeln würden wie er. Denn wie könnte dies durch bloße Verrich- D 400
tung von Pflichten und Aufgaben und ohne freiwillige Gottesdienste erlangt wer-
den? Darum sagt der Erhabene (Gott): „Mein Sklave hört nicht auf, sich mir durch
freiwillige Handlungen zu nähern, /bis ich ihn liebe. Wenn ich ihn liebe/c , dann
werde ich für ihn ein Gehör und ein Sehvermögen, durch mich hört er und durch
mich sieht er.“ 318
Im allgemeinen führt nur starke Faulheit oder eine herrschende Leidenschaft B 173
zur Vernachlässigung der (religiösen) Pflichten und zur Übertretung der Verbote.
Wie kann einer den Weg Gottes beschreiten, der zu den Gefangenen der Faulheit
und der Leidenschaft zählt?
Wenn du sagst: Derjenige, der sich auf den Weg Gottes begibt, läßt sich auf den
Kampf gegen Faulheit und Leidenschaft ein, wer sie aber beide überwunden hat, A 167
der ist schon angelangt und nicht mehr unterwegs. Dann wird darauf geantwortet:
a
/…/ fehlt lediglich bei S.
b
„der Welt“ bei allen außer S u. E.
c
/…/ fehlt lediglich bei S u. E.
232 Weg des erhabenen Gottes
Das ist reine Täuschung und Unwissenheit in bezug auf beide, nämlich den Weg
und das Ziel. Vielmehr wenn ein Mensch alle seine schlechten Eigenschaften be-
seitigen würde, so wäre sein Verhältnis zum Ziel wie das Verhältnis desjenigen, der
sich entschlossen hat zu pilgern, während er Gläubiger hat, die sich an seine Klei-
der klammern. Er begleicht dann seine Schulden und bricht seine Beziehungen zu
ihnen ab. Denn die körperlichen Eigenschaften, die den Menschen beherrschen,
ähneln Gläubigern, die ihn bei der Kehle packen, und reißenden Raubtieren, die
nach ihrer Nahrung suchen. Wenn er sie tilgt und zurückwirft, so bricht er mit
(allen) Bindungen. Danach bereitet er sich vor, die Beschreitung des Weges zu
beginnen.
Ferner ähnelt er dabei einer Frau, die während der gesetzlichen Wartezeit hofft,
daß der Kalif sie heiraten wird. Wenn sie aber ihre Wartezeit abgeschlossen hat,
die ein Hindernis der Ehe ist, so glaubt sie, daß die Dinge so vollendet sind. Welch
ein Irrtum! Von ihrer Seite gab es nur die Bereitschaft für die Aufnahme der Ehe
durch die Beseitigung des Hindernisses, jedoch bleibt übrig, daß der Kalif sich ihr
zuwendet und ihr seine Gunst erweist, indem er ihr seinen Heiratswunsch vorträgt.
Dies ist eine göttliche Gabe. Denn nicht jeder, der sich reinigt, erreicht das Frei-
tagsgebet, und nicht jede, die ihre Wartezeit verbracht hat, kann alle ihre Wünsche
verwirklichen.
Wenn du fragst: Läuft die Stellung desjenigen, der den Weg Gottes beschreitet,
darauf hinaus, daß er weniger Pflichten der Gottesdienste verrichtet und daß ihm
D 401 Übertretungen einiger Verbote nicht schaden, wie es von einigen Scheichs (Mei-
ster der Mystiker) überliefert wird, die eine solche Laschheit in diesen Dingen
B 174 duldeten? So wisse, daß dies die Torheit selbst ist und daß die zuverlässigen Wis-
senschaftler dazu sagen: „Wenn du einen Menschen sehen würdest, der über das
Wasser läuft, während er ein religiöses Gebot mißachtet, so wisse, daß er ein Satan
ist. Das ist die Wahrheit. Denn das offenbarte Gesetz des Islam ist wahrhaft und
tolerant. Wie es auch immer sein mag, daß sich ein Bedürfnis oder eine Notwen-
digkeit ergibt, so erteilt das offenbarte Gesetz eine Erlaubnis (als Erleichterung).
Wer aber diese Erlaubnis überschreitet, handelt nicht aus Not, sondern aus Lei-
denschaft und Begierde.
Solange der Mensch in dieser Welt lebt, kann er sich nicht davor hüten, daß er
von der Leidenschaft beherrscht wird und daß diese nach ihrer Niederlage erneut
als Siegerin auftritt. Darum soll er sich vor ihr in acht nehmen. Man kann sich nicht
vorstellen, daß es einen Anlaß gibt, gegen das offenbarte Gesetz zu verstoßen,
A 168 außer das Streben nach Komfort, nach Ruhe oder irgendeine Art Begierde oder
Faulheit.
Dies alles weist auf eine Beschmutzung mit schlechten Charaktereigenschaften
hin, die dazu führen. Wer sich aber reinigt und sich mit den wahrhaftigen Wissen-
schaften ernährt, wird stark in der regelmäßigen Durchführung des Gottesdien-
stes. Außerdem wird das Gebet die Freude seines Herzens sein und das nächtliche
Gebet das angenehmste aller Dinge, um mit seinem Herrn ins Gespräch zu treten.
Dieses Kennzeichen ist am Anfang der Etappen erforderlich, und es bleibt bis
zu ihrem Ende, auch wenn die Etappen, die zu Gott führen, kein Ende haben. Nur
der Tod bricht diesen Weg ab, und somit bleibt jeder Mensch danach bei der Etap-
Weg des erhabenen Gottes 233
pe, die er während seiner Lebzeiten erlangt hatte. Denn der Mensch stirbt, wie er
gelebt hat.
Das zweite Kennzeichen ist, daß er unter allen Umständen mit dem Herzen bei
Gott gegenwärtig sein soll, das heißt eine Gegenwart ohne jeglichen Zwang, eine
solche, die er intensiv genießen kann. Diese Gegenwart soll Unterwerfung, Flehen
und Gehorsamkeit sein wegen dem, was sich ihm von der Erhabenheit Gottes und D 402
seiner Herrlichkeit enthüllt. Er darf dies niemals in seinen Entwicklungsphasen
und seelischen Erlebnissen unterlassen, auch dann nicht, wenn er sich mit den
körperlichen Bedürfnissen, wie etwa Nahrungsaufnahme, Notdurft, Kleider-
waschen und so weiter, beschäftigt.
Sein Beispiel in allen diesen Umständen ist das eines Verliebten, der nachts
schlaflos wacht, indem er eine gewisse Zeit lang auf seine Geliebte wartet und
viele Anstrengungen auf sich nimmt. Dann tritt seine Geliebte an ihn heran, und
er freut sich darüber. Alsdann überwältigt ihn ein Bedürfnis, so daß er sich von ihr
trennen muß und seine Notdurft verrichtet. Er verläßt sie notwendigerweise mit
dem Körper, jedoch ist er mit dem Herzen in der Weise gegenwärtig, daß er nicht
hören würde, wenn er angesprochen würde, weil er intensiv an seine Verliebte
denkt. Dieser Umstand wird ihn nichta von der Freude seines Herzens abbringen;
denn er ist dazu gezwungen. So soll derjenige, der den Weg zu Gott beschreitet, in
all seinen diesseitigen Beschäftigungen sein. Darüber hinaus soll er sich nur mit B 171
den Bedürfnissen seines Körpers beschäftigen, während er das Herz an Gott, den
Allmächtigen und Erhabenen, mit höchster Verehrung und Demut richtet.
Wenn die sexuelle Begierde bei einem Menschen entflammt und bei demjeni- A 169
gen, der von ihr beherrscht wird und dem die Schönheit einer menschlichen Ge-
stalt gefällt, die aus einem unreinenb Samentropfen geschaffen worden ist und
bald ein stinkender Leichnahm sein wird und zwischendurch eine Befleckung ist,
wie könnte es dann schwer sein, die unendliche Pracht und Schönheit Gottes zu
erfahren?
Kurz gesagt, dieser Weg wird nur durch große Vorsicht, entschlossenen Willen
und intensive Suche beschritten. Der Beweggrund für die Vorsicht und die Suche
ist die Wahrnehmung der Schönheit Gottes, nach der man strebt und welche Sehn-
sucht und Liebe fordert.
Das Prinzip der Wahrnehmung der Schönheit, zu der man gelangen will, ist, daß
man sie anblickt und seinen Blick fest auf sie richtet, indem man sich von allen
übrigen sichtbaren Dingen abwendet. In dem Maße, wie dir etwas von der Herr- D 403
lichkeit des allmächtigen Gottes erscheint, auf die dein Eifer und deine Neigung
sich richten, werden deine Sehnsucht und dein Bestreben geweckt.
Die Verliebtheit kann sich durch lange Freundschaft vertiefen, wenn während
dieser Zeit gute Charaktereigenschaften in Erscheinung treten, die vorher verbor-
gen waren. Somit vervielfacht sich die Liebe. So verhält es sich anfänglich mit dem,
was aus der Pracht der göttlichen Präsenz und deren Herrlichkeit erscheint. Sie
a
„nicht“ fehlt bei allen drei Handschriften, jedoch der Zusammenhang ist ein Beleg für die Ver-
neinung.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „aus einem schmutzigen und …“
234 Weg des erhabenen Gottes
kann schwach in Erscheinung treten wegen der Schwäche des Anhängers, der noch
Anfänger ist, jedoch gehen von ihm Streben und Sehnsucht aus, und so hört er
nicht auf, über diese Schönheit nachzudenken. Er erblickt dann Vorzüge, so daß
seine Verliebtheit sich jeden Augenblick vervielfacht.
Wie der Verliebte die Nähe seiner Geliebten sucht, so strebt der Anhänger nach
der Nähe des erhabenen Gottes, nicht aber nach der räumlichen Nähe oder nach
der Nähe durch Berührung der Körperflächen oder nach der vollkommenen
Schönheit eines Bildes dadurch, daß das Bild (der göttlichen Herrlichkeit) sichtbar
und im Sehvermögen (des Anhängers) gegenwärtig ist. Mit der Nähe ist also die
Nähe der Vollkommenheit, nicht aber die räumliche gemeint.
Man kann sich von diesen Gedanken nur eine entfernte Vorstellung machen.
Der Vergleich aber mit der Liebe des Schülers für seinen Lehrer und sein Streben
danach, sich seiner Vollkommenheit zu nähern, ist die vortrefflichste Vorstellung.
A 170 Denn er nähert sich ihm durch sein Fortschreiten im Lernen. Er entwickelt sich
langsam, wobei das Ziel die Erlangung seines Ranges ist. Dies kann manchmal
möglich, manchmal schwierig sein. Aber der Aufstieg von der Stufe aus, die von
derjenigen seines Lehrers entfernt ist, ist möglich, so daß er sich ihm verhältnis-
mäßig nähert; hier aber ist die Erlangung unmöglich. Aber der Aufstiega von der
niedrigsten Stufe in Richtung der Höhe ist möglich. Es kann sein, daß dem Schüler
eine bestimmte Rangordnung vorschwebt, nicht aber daß er der Bindung an die
D 404 Rangstufe seines Lehrers nachstrebt, jedoch sehnt er sich nach dem schrittweisen
B 176 und nicht nach einem plötzlichen Aufstieg zu der höchsten Stufe. Wenn er diese
Rangstufe erreicht hat, dann begehrt sein Herz eine höhere. So verhält es sich mit
einem, der kein Gelehrter ist. Er soll die Gelehrten nachahmen, welche die Erben
der Propheten sind, die Gelehrten ihrerseits sollen die Gottesvertrauten, die Pro-
pheten und die Engel nachahmen, bis ihre menschlichen Eigenschaften völlig aus-
gelöscht werden, und so werden sie zu Engeln in menschlicher Gestalt verwandelt.
Die Engel ihrerseits haben Rangstufen. Die höchste ist Gegenstand des Begehrens
und das Ziel des niederen Engels. Zwischen den auserwählten Engeln und dem
Ersten und Wahren (Gott) gibt es keine Zwischenstufe. Sie besitzen die reine
Schönheit und die vollkommene Pracht im Verhältnis zu den vollkommenen und
prachtvollen Wesen, die unter ihnen stehen.
Jede Vollkommenheit und Schönheit ist dann im Verhältnis zu der Schönheit
der göttlichen Präsenz geringzuschätzen. So soll man daran glauben, daß die Nähe
zu dem allmächtigen und erhabenen Gott in diesem Sinne verstanden wird. Weder
darfst du ihn dir in einem Hause im Paradies vorstellen, dessen Tür du dich nä-
herst, so daß deine Nähe zu ihm räumlich verstanden wird. Gott der Herr der
Herren ist darüber erhaben. Noch wird dadurch deine Annäherung zu Gott erzielt,
daß du ihm durch deinen Dienst ein Geschenk präsentierst, worüber er sich freut
und bewegt ist, so daß er dir wohlgefällig ist, ähnlich wie man sich den Königen
durch das Streben nach ihrer Zufriedenheit und die Erfüllung ihrer Wünsche an-
nähert. Dies könnte man eine Annäherung nennen. Gott möge geheiligt sein und
erhaben über die Charakterzüge, die die Könige haben in Form von Ungnade,
a
Bei S u. E. Bei den übrigen: „die Reise“.
Weg des erhabenen Gottes 235
Zufriedenheit und Freude bei den Diensten, Munterkeit bei dem Gehorsam und
Fügsamkeit und Wonne bei der Gefolgschaft. Der Glaube an all dies ist eine Un- A 171
wissenheit.
Wenn du aber sagst: Die Mehrheit der Ungebildeten glaubt daran. So antworte
ich: Wie weit ist derjenige von der Erlangung des Zieles entfernt, welcher den
Ambra im Laden des Gerbers aufsucht. Wie kannst du nach einer Rangordnung D 405
trachten, während du das Wahre durch den Menschen erkennst, nicht aber den
Menschen durch das Wahrea , ja sogar durch den Esel, insofern es keinen Unter-
schied zwischen den Ungebildeten, die die Wissenschaften nicht praktizieren, und
„den aufgeschreckten Eseln“ gibt, „die vor einem Löwen flüchten“ 319 . Siehst du
nicht, daß sich diese Menschen Gott auf einem Thron unter einem grünen Schirm
sitzend vorstellen und daß sie eine Fülle von anthropomorphistischen Vorstellun-
gen haben? Denn die Mehrheit der Menschen sind Anthropomorphisten, und der
Anthropomorphismus hat (verschiedene) Stufen. Es gibt (zum Beispiel) unter
ihnen diejenigen, die in bezug auf die Gestalt (Gottes) anthropomorphistische
Vorstellungen vertreten, und so bejahen sie, daß Gott Hand und Auge besitzt,
Abstieg und Ortswechsel vollzieht. Andere bejahen Groll, Zufriedenheit und
Freude, wobei Gott über all dies erhaben ist.
Diese Ausdrücke werden in dem islamischen offenbarten Gesetz (asˇ-sˇar2) in B 177
einer bestimmten (allegorischen) Weise und in einem bestimmten Sinne verwen-
det. Sie werden von manchen verstanden, von anderen abgelehnt. Es versteht sie,
wer sie verstehen kann, und es verkennt sie, wer sie nicht zu begreifen vermag.
Wenn alle Menschen im Verstehen gleich wären, wäre die Aussage des Prophe-
ten – Friede sei mit ihm – ungültig: „Vielleicht gibt es einen, der jemandem Wissen
beibringt, der nichts weiß, und möglicherweise gibt es einen Wissenden, der je-
mandem Wissen beibringt, der über mehr Wissen als er selbst verfügt.“b 320 Wir
überspringen diese Rede, weil sie Äußerungen von Verrückten beinhaltet, (zu
nichts führt) und den Satan entfesselt. Wir sollen Gott, dem Erhabenen, für seine
verliehenen Gaben und erwiesenen Wohltaten dankbar seinc .
a
„nicht aber …“ lediglich bei S, E u. Ae.
b
Bei S u. E. Bei den übrigen: „Vielleicht gibt es einen, der jemandem Wissen beibringt, der über
mehr Wissen als er selbst verfügt, und möglicherweise gibt es einen Wissenden, der (in der Tat)
überhaupt nichts weiß.“
c
„Wir sollen Gott, …“ ein Zusatz, der nur bei E steht.
A 172 XXXII.
B 178
Über den Sinn der Lehrmeinung und
den Streit der Menschen darüber
Vielleicht könntest du einwenden: Deine Rede in diesem Buch teile sich in eine,
die mit der Lehrmeinung der Sūfı̄a , und eine (andere), die mit derjenigen der
Zāhirı̄tenb 321, der Asˇ2arı̄ten 322 ˙und einiger (islamischer) Scholastiker überein-
˙
stimmt. Die Rede ist nur dann verständlich, wenn sie sich auf eine einzige Lehr-
meinung stützt. Was ist das Wahre innerhalb dieser Lehrmeinungen?“
D 406 Wenn alle wahr sind, wie läßt sich dies denken? Wenn ein Teil davon wahr ist,
was ist dieses Wahre? Man wird dir antworten: Wenn du die Wahrheit der Lehr-
meinung kennst, wirst du wissen, daß die Frage nach der Lehrmeinung dir kaum
nützlich istc . Denn die Menschen teilen sich in bezug auf die Lehrmeinung in zwei
Gruppnen:
Eine Gruppe sagt: Die Lehrmeinung ist ein Oberbegriff für drei Bedeutungen:
a) Etwas, wofür man im Wettstreit und in Streitgesprächen Partei ergreift;
b) das, was man durch Unterricht und Ermahnung befolgt; c) das, was man an
Lehrsätzen, die einem einleuchten, in seinem Inneren glaubt. Für jeden Menschen
gibt es in dieser Hinsicht drei Lehrmeinungen:
a) Was die Lehrmeinung in der ersten Bedeutung anbetrifft, so ist sie die Tradi-
tion der Väter und der Ahnen, die Lehrmeinung des Lehrers und der Bewohner
des Landes, von denen man abstammt. Dies ist je nach Ländern, Regionen und
Lehrern unterschiedlich. Wer also in dem Lande der Mu2tazilı̄ten 323 , der Asˇ2arı̄ten,
Šafi2ı̄tend 324 oder der Hanafı̄ten 325 geboren ist, wird von Kindheit an für diese Leh-
re Partei ergreifen, sie˙ verteidigen und alles übrige tadeln. Deshalb wird gesagt, er
ist hinsichtlich der Lehrmeinung ein Asˇ2arı̄t, Mu2tazilı̄t, Šafi2ı̄te oder Hanafı̄t. Das
bedeutet, daß er Partei ergreift, indem er die Schar der Anhänger ˙durch seine
Gefolgschaft unterstützt. Dies ähnelt der gegenseitigen Unterstützung der Mitglie-
der eines Stammes füreinander.
Der Grund für diese Parteinahme besteht darin, daß eine Gruppe eifrig nach der
Führung strebt, indem sie den Pöbel in ihre Gefolgschaft zu gewinnen trachtet.
Die Motive des Pöbels werden nur durch eine Gemeinsamkeit entfaltet, die zu
der (demonstrativen) Unterstützung dieser Partei führt. Die Auslegung der Reli-
gionen ist eine gemeinsame Grundlage für diese Lehrmeinungen, und so teilen
a
„der Sūfı̄“ fehlt lediglich bei B.
b ˙ āhirı̄ten“ lediglich bei S u. E.
„der Z
c
Nach ˙S u. E. Nach den übrigen: „Es nützt dir überhaupt nichts, daß du die Wahrheit einer Lehr-
meinung kennst, wenn du sie erfährst.“
d
Nach S: „der Šu2ūbı̄ya“.
e
Bei S: „(Anhänger der) Šu2ūbı̄ya“.
Sinn der Lehrmeinung und der Streit der Menschen 237
sich die Menschen in Gruppen (Religionsgemeinschaften). Die Motive für Neid A 173
und Wetteifer nehmen zu, so daß ihre Parteinahme heftiger und ihre gegenseitige
Unterstützung stärker wird.
Nachdem die Lehrmeinung in manchen Ländern eine einheitliche geworden ist D 407/B 179
und diejenigen, die nach der Führung streben, unfähig wurden, eine Anhänger-
schaft zu erzielen, schufen sie Probleme und gaben an, daß man darüber eine ent-
gegengesetzte Meinung haben sollte und daß man für sie (diese Lehrmeinung)
Partei ergreifen müßte wie etwa in bezug auf die Fahne, eine schwarze oder eine
rote. Einige sagten, das Wahre sei das Schwarze, andere das Rote. Das Ziel der
Führer hinsichtlich der Gewinnung des Pöbels bezog sich auf dieses Maß von Ab-
lehnung. Der Pöbel aber glaubte, daß dies wichtig sei, wobei die Führer erkannten,
was sie damit erreichen wollten.
b) Die Lehrmeinung in der zweiten Bedeutung läßt sich auf Anweisungen im
Unterricht und bei Ermahnungen auf denjenigen anwenden, der sich orientieren
und Nutzen daraus ziehen will. Dies geschieht nicht in einer einheitlichen Weise,
sondern unterscheidet sich, je nach der Fähigkeit des Ratsuchenden. So könnte
der Vertreter einer Lehrmeinung mit dem Ratsuchenden diskutieren wie sein Ver-
stand dies zuläßt.
Wenn der Vertreter der Lehrmeinung einen türkischen, indischen oder einen
einfältigen und rauhen Ratsuchenden trifft, und er weiß, wenn er diesem erklären
würde, daß das Wesen des erhabenen Gottes weder im Raum noch in der Welt
noch außerhalb von ihr, weder in Verbindung mit ihr noch getrennt von ihr exi-
stiert, der Ratsuchende die Existenz des erhabenen Gottes verleugnen und sie für
unwahr erklären würde, so sollte der Vertreter der Lehrmeinung ihm darlegen,
daß der erhabene Gott auf dem Thron sitzt und daß er durch den Dienst seiner
Geschöpfe wohlgefällig wird und sich darüber freut, so daß er sie dafür belohnt
und das Paradies als Ersatz und Lohnstätte dafür eintreten läßt.
Wenn der Verstand des Ratsuchenden fähig ist, die bloße Wahrheit zu verste-
hen, die ihm der Vertreter der Lehrmeinung darlegt, so sollte er sie ihm enthüllen.
Die Lehrmeinung ist in diesem Sinne veränderlich und unterschiedlich, je nach-
dem, was das Auffassungsvermögen des einzelnen verträgt.
c) Die Lehrmeinung in der dritten Bedeutung ist das, was der Mensch glaubt und D 408
als Geheimnis zwischen sich und dem allmächtigen und erhabenen Gott bewahrt
in der Weise, daß kein anderer als der erhabene Gott davon Kenntnis hat und daß
er die Lehrmeinung nur vor einem Gleichgesinnten erwähnt, der genauso wie er
davon Kenntnis hat oder eine Stufe erlangt, die ihm ermöglicht, diese Lehrmei-
nung zu erfahren und zu verstehen. Dies geschieht, wenn der Ratsuchende klug ist
und in seinem Bewußtsein kein überlieferter Glaube sich verfestigt hat, mit dem er
aufgewachsen ist und für den er Partei ergriffen hat und wenn sein Herz nicht
davon geprägt ist, so daß er es nicht tilgen kann, wie bei einem Papier, in das das
Geschriebene so tief eingedrungen ist, daß es nur zu tilgen ist, indem man es ver- A 174
brennt oder zerreißt.
Das ist ein Mensch, dessen Gemüt verdorben ist und bei dem man es für hoff-
nungslos hält, ihn zu verbessern. Denn alles, was man ihm erklärt und was im
Gegensatz zu dem steht, was er früher gehört hat, überzeugt ihn nicht. Vielmehr
238 Sinn der Lehrmeinung und der Streit der Menschen
B 180 beharrt er darauf, sich nicht überzeugen zu lassen, und versucht, solche Erklärung
zurückzuweisen. Wenn er genau zuhörte und dabei fest entschlossen wäre zu ver-
stehen, so hätte era an seinem eigenen Verständnis gezweifelt. Wie hätte er dies
tun können, wenn sein Ziel ist, das zurückzuweisen und es nicht zu verstehen?
Die Methode bei einem solchen Menschen ist, daß man ihn ignoriert und ihn bei
seiner Meinung beläßt, denn er ist nicht der erste Blinde, der durch seinen Irrtum
zugrunde geht. Das ist der Weg, den einige Menschen beschreiten.
Die zweite Gruppe, welche die Mehrheit ist, sagt, daß es eine einzige Lehrmei-
nung gibt. Das ist das, woran man glaubt und wodurch man sich im Unterricht und
in Anweisungen gegenüber jedem Menschen äußert, welche Haltung er immer
haben mag. Das ist die Lehrmeinung, für die man Partei ergreift und die entweder
D 409 die Lehre der Asˇ2arı̄ten, der Mu2tazilı̄ten, der Karramı̄ten 326 ist oder irgendeine
andere Lehrmeinung.
Die erste Gruppe stimmt mit dieser zweiten in der Grundbedeutung überein.
Jedoch, wenn sie (die zweite) gefragt würde, ob die Lehrmeinung in einer einzigen
oder in dreierlei Hinsicht zu verstehen sei, hätte sie geantwortet, daß sie nicht in
drei Aspekten, sondern nur in einem Sinne verstanden werden darf.
Durch diese Antwort wird deine Mühe bei der Frage nach der Lehrmeinung
hinfällig, wenn du darüber nachdenkst. Denn die Menschen sind sich darüber ei-
nig, daß sie eine einzige ist, wenn sie darüber reden. Ferner stimmen sie mitein-
ander darin überein, daß sie Partei für die Lehrmeinung ihrer Väter, Lehrer oder
ihrer Landsleute ergreifen.
Wenn jemand seine Lehrmeinung darlegt, was für einen Nutzen wirst du daraus
ziehen, wenn eine andere Lehrmeinung ihr Gegenteil ist, während keiner über ein
Wunder (als Beleg) verfügt, durch welches seine Meinung überwiegen würde?
Vermeide es also, auf die Lehrmeinungen zu achten, und suche das Wahre durch
die Reflexion, damit du selbst Vertreter einer eigenen Lehrmeinung wirst.
Sei nicht wie ein Blinder, der einen Führer nachahmt, der dir einen Weg weist
(ohne Widerspruch), während tausende wie dein Führer dir entgegenschreien, daß
er dich verdirbt und vom richtigen Weg abbringt. Am Ende wirst du das Unrecht
deines Führers erfahren. Deswegen liegt das Heil nur in der Unabhängigkeit (von
den Lehrmeinungen):
A 175 „Erfasse, was Du siehst,
B 181 vertraue nicht dem Ohr.
Wo sich das Sonnenlicht ergießt,
da stirbt der Sterne Chor.“ 327
Wenn diese Worte keine andere Auswirkung hätten, als dich dazu zu veranlassen,
an deinem überlieferten Glauben zu zweifeln, damit du selbst (über die Wahrheit)
nachdenkst, so wäre dies für dich sehr nützlich; denn der Zweifel führt zur Wahrheit.
B 182 Wer also nicht zweifelt, denkt nicht nach, und wer nicht nachdenkt, sieht nicht,
und wer nicht sieht, bleibt in Blindheit und Irrtum. Wir nehmen vor all diesem
unsere Zuflucht zu Gott. Friede und Segen seien mit unserem Herrn Muhammad,
seiner Familie und seinen Gefährten. ˙
a
Nur bei E: „nicht“.
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
1 Der Text fängt in den Handschriften und in den Ausgaben mit dem Satz an: „Der Scheich, der
Imām, der Tüchtige, die Autorität und die Zierde des Islam, Abū-Hāmid Muhammad ibn-Muham-
mad al-Ghazālı̄ aus Tūs – möge Gott Wohlgefallen an ihm haben ˙ – sagt“.˙ Ein Zusatz von˙ den
Kopisten. ˙
2 Gh meint an dieser Stelle, daß die Menschen, die im Streben nach der (wahrhaftigen) Glückse-
ligkeit nachläßig sind, vernunftwidrig handeln. „humq“ und „hamāqa“ bedeuten: gegen die Ver-
nunft handeln, s. lisān, Bd. 10, S. 67. ˙ ˙
3 „tarı̄q“ hat im Arabischen mehrere Bedeutungen: „Weg“, „Pfad“, „Methode“, „Mittel“. Gh
˙
verwendet hier den Plural, da das Wissen durch verschiedene Wege und Mittel erlangt werden
kann, s. „Der Erretter …“, PhB, Bd. 389, Anm. 138, S. 143.
4 „blinde Nachahmung“, arab. „taqlı̄d“, s. „Der Erretter …“, Anm. 7, S. 74.
5 „Das Kriterium des Wissens“, s. „Die Nische …“, PhB, Bd. 390, Anm. 25, S. 68.
6 „Würde“, arab. „2izz“ hat mehrere Bedeutungen im Deutschen wie: „Macht“, „Ansehen“, „Ein-
fluß“, „Kraft“, „Ehre“, „hoher Rang“, „Berühmtheit“, s. H. Wehr, Arabisches Wörterbuch, S. 548.
In diesem Zusammenhang scheint der Begriff „Würde“ passender zu sein.
7 Der Herausgeber der Ausgabe D S. Dunyā versteht den Satz als interrogativ-negativen und hat
ihn mit Fragezeichen versehen. Dadurch wird die Antwort betont, als ob sie selbstverständlich
wäre. Ich habe ihm dabei gefolgt.
8 „Mühsal“, arab. „ta2ab“. Damit sind hier die verschiedenen Arten von Belastungen gemeint,
denen man durch den Verzicht auf die materiellen Genüsse des Lebens ausgesetzt ist, nicht unbe-
dingt große schwere Schicksalsschläge. Gh stellt die materiellen Genüsse den geistigen und jensei-
tigen in der Weise gegenüber, daß es für den Vernünftigen keine andere bessere Alternative übrig
bleibt, als sich für die zweite Art zu entscheiden.
9 Dies wird zum Beispiel in der Beschreibung des Paradieses durch folgenden Wortlaut deutlich:
„Das ist (denn) die große Huld (die Gott ihnen gewährt), (nämlich) die Gärten von Eden, in die sie
eingehen werden, und in denen sie (dann) mit Armringen aus Gold und mit Perlen geschmückt
sind und Seidenkleider tragen … etc.“ (Sure 35, Vers P 33, H 30). Mit Recht stellt I. Kant fest, daß
im Islam ein geistiger Sinn der sinnlichen Beschreibung des Paradieses unterliegt, s. I. Kant, Die
Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, A 160.
Dieser geistige Sinn hat verschiedene Inhalte, wie etwa Sicherheit und Friede (Sure 6, Vers P u.
H 127; Sure 15, Vers P u. H 46), schöne Einkehr zu Gott (Sure 38, Vers P u. H 49 ), und Gottes-
nähe (Sure 56, Vers P u. H 11). Wie man am Beispiel dieser Verse sieht, sind Geistiges und Sinn-
liches in der Beschreibung des Paradieses wie auch in der der Hölle eng miteinander verbunden.
Avicenna verleiht in diesem Zusammenhang dem geistigen Sinn einen höheren Wert, s. Avicenna,
Das Buch der Genesung der Seele, übers. Von Max Horten, S. 638 ff.
10 Zu dieser Schule können vor allem einige islamische Philosophen gerechnet werden, wie zum
Beispiel Avicenna in seinem Verständnis von dem geistigen Genuß (s. Anm. 9) und die Lauteren
Brüder, zu ihren ausführlichen Ansichten, s. Der Erretter …, PhB, Bd. 389, Anm. 67 und 69,
S. 95 ff. und 103 ff.
11 Gh meint allgemein, daß die seelischen Leiden wie etwa Mißerfolg und Niederlage normaler-
weise schlimmere Folgen haben können als die physischen. Das geistige Element ist von größer
Bedeutung für den Menschen, sei es beim Erfolg, sei es beim Mißerfolg hinsichtlich der Erlangung
des Glücks.
12 Gh will mit diesem Beispiel veranschaulichen, wie genau, ja pedantisch, die Menschen in Fra-
240 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
gen des Diesseits im Vergleich zu denen des Jenseits sind. Ferner geht es aus dem Beispiel hervor,
welche Maßstäbe Gh bei der Übertragung einer Lehrmeinung anlegt.
13
2Alı̄, gemeint ist 2Ali 3bn-Abı̄-Tālib, der Kalif, Neffe und Schwiegersohn des Propheten Muham-
mad, herrschte von 656 bis 661 n.˙ Chr., s. „Der Erretter …“, Anm. 97, S. 122. ˙
14 „Sie sind (stumpfsinnig) wie Vieh. Nein, sie irren noch eher (vom Weg) ab. Die geben (über-
haupt) nicht acht …“ Teil eines Verses, dessen Wortlaut: „Wir haben ja viele von den Dschinn und
Menschen für die Hölle geschaffen. Sie haben ein Herz, mit dem sie nicht verstehen, Augen, mit
denen sie nicht sehen, und Ohren, mit denen sie nicht hören. Sie sind …“ Sure 7, Vers P 179, H 178.
Solche Menschen sind schlimmer in ihrem Benehmen als die Tiere, insofern diese kein Unter-
scheidungsvermögen besitzen, sondern sie verhalten sich lediglich instinktiv. Sie fliehen vor den
Gefahren durch den Instinkt, während sich die Menschen in Gefahren begeben, obwohl sie das
Unterscheidungsvermögen, den Verstand besitzen. Die höchsten Gefahren bestehen darin, daß
die Menschen das Nützliche für sie in Bezug auf das diesseitige und jenseitige Leben unterlassen,
sich aber für das Schädliche meistens entscheiden, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 9, S. 133.
15 „Zu ihm steigt das gute Wort …“ ist Teil eines Verses, ˙ ˙welcher lautet: „Wenn einer Macht haben
will (…). Alle Macht kommt (nur) Gott zu. Zu ihm …“ Sure 35, Vers P 10, H 11. Auf die enge
Verbindung zwichen Reden und Handeln weisen die Korankommentatoren hin, obwohl sie unter
den beiden Begriffen „gutes Wort“ und „rechtschaffene Tat“ mehrere Bedeutungen vertreten.
Unter „gutes Wort“ versteht at-Tabarı̄ die ständige Erwähnung des heiligen Namen Gottes und
˙
ihm Dank erweisen und unter˙ „rechtschaffene Tat“ die Ausübung seiner Gebote, s. at-Tabarı̄,
Korankommentar, Bd. 22, S. 120 f. Ethisch-dogmatisch interpretiert al-Alūsı̄ den Vers. Unter ˙ ˙ „das
gute Wort“ versteht er den Glauben an Gott, während er meint, daß die Anstrengung des Men-
schen, Gott wohlgefällig zu sein, „die rechtschaffene Tat“ bedeutet. Wegen dieser Anstrengung
befindet sich der Mensch nach seiner Meinung im „großen heiligen Kampf (ǧihād)“, s. al-Alūsı̄,
Korankommentar, Bd. 22, S. 175. Gh hebt in diesem Kapitel die enge Verbindung zwischen Reden
und Handeln, Theorie und Praxis im ethischen Verhalten hervor.
16
„Diejenigen aber, die sich um unseretwillen abmühen, …“ Sure 29, Vers P u. H 69. Unter „sich
abmühen“ versteht at-Tabarı̄ den heiligen Kampf gegen die heidnischen Quraisˇı̄ten, während bei
ibn-2Arabı̄ das mystsche˙ ˙ Denken bei der Interpretation des Verses im Vordergrund steht. Das
Pronomen im Vers bezieht sich auf die Menschen, die sich auf dem Wege der Mystik befinden
und die sich mit der Aneignung göttlicher Eigenschaften beschäftigen, s. ibn-2Arabı̄, Korankom-
mentar, Bd. 2, S. 253.
17 Zur Bestimmung des Begriffes „ǧidāl“ u. „g ˇ adal“, s. „Der Erretter …“, PhB, Bd. 389, Anm. 23,
S. 82.
18 „qūwa, pl. quwan“ kann im Deutschen mit „Kraft“, „Vermögen“ und „Fähigkeit“ wiederge-
geben werden. Ich habe mich nicht auf eine dieser Bedeutungen beschränken wollen, sondern
jeweils die dem Kontext angemessene Übersetzung gewählt, s. lisān …, Bd. 15, S. 206 f.; H. Wehr,
Arabisches Wörterbuch, S. 715 f.; al-Ǧurg ˇ ānı̄, kitāb at-ta2rı̄fāt (Buch der Begriffsbestimmungen),
S. 19, 187 ff. Dort bei al-Ǧurgˇ ānı̄ heißt es: qūwa ist eine Eigenschaft, durch die der Mensch eine
Handlung hervorbringen oder unterlassen kann, s. S. 19. Im Unteschied zu Platon und Aristoteles
gebraucht Gh den Ausdruck „Kräfte“ anstatt von „Teilen“. Denn was Teile hat, läßt sich zusam-
mensetzen und genauer bestimmen. Dies aber ist nicht möglich und steht außerdem im Wider-
spruch zu dem Koran (Sure 17, P 85, H 87). Deswegen vermeidet Gh den Ausdruck „Teil“ arab.
„qism, pl. aqsām, mffro@“, stimmt aber mit Aristoteles darin überein, daß das Ziel dieser Kräfte im
allgemeinen die Tätigkeit der Vernunft näher zu bestimmen ist, s. D 210. Ferner stimmt er mit ihm
darin überein, daß die Seele auf den Körper als ein Ganzes und als ihr Instrument einwirkt, s.
Aristoteles, De anima 413 ff.; Gh, a. a. O. Sowohl Seele als auch Vernunft werden durch ihre Tätig-
keiten bestimmt, wobei man annäherend erkennen kann, was die beiden sind. In diesem Zusam-
menhang meint G. Gadamer mit Hinweis auf Aristoteles EN A 1, 1095, daß es bei einer Definition
nicht darauf ankommt, wie die wahre Wirklichkeit von der Tugend bestehen könne, sondern dar-
auf woraus sie zustande komme, s. G. Gadamer, Griechische Philosophie, Bd. II (in der Gesamt-
ausgabe, Bd. 6), S. 177. Noch deutlicher drückt sich G. Picht in diesem Zusammenhang aus. Er
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 241
gebraucht dabei den Begriff „Region“, was hier auch bei Gh der Fall ist. Denn – so meint Picht-,
erst wenn wir die innere Einheit aller Vermögen der Seele und damit zugleich aller Modifikatio-
nen des Seelischen sichtbar wird, können wir sagen, wir hätten eine Bestimmung (arab. ta2rı̄f,
¡rism@) entdeckt, der das Wesen der Seele „o'sffla t»@ vuc»@, ǧauhar an-nafs“ umreißt, s. Georg
Picht, Aristoteles, de Anima, S. 264 f. So ist hier die Intention von Gh wahrzunehmen. Durch die
Gesamtdarstellung der Seelenkräfte wie hier und der Beschreibung der Tätigkeit der Vernunft (s.
D 331 ff.), kann man etwa verstehen, was solche Begriffe besagen. Der Unterschied zwischen Ari-
stoteles und Gh ist eindeutig. Während bei Gh diese Intention klar zu verstehen ist, bleibt es bei
Aristoteles als eine Frage der Interpretation, wie Gadamar und Picht dies tun.
19
„Zaid“ ist ein arabischer Eigenname, der vor allem von arabischen Grammatikern häufig ent-
sprechend dem Eigennamen „Hans“ im Deutschen verwendet wird.
20 „Selig ist, wer die Seele von ihrer Sündhaftigkeit reinigt …“ Sure 81, Vers P u. H 9 u. 10.
at-Tabarı̄ versteht darunter: 1. Selig ist derjenige, dessen Seele Gott gereinigt hat, oder 2. Derje-
˙ ˙ der seine eigene Seele durch gute Taten geläutert hat. Das Subjekt im zweiten Fall bezieht
nige,
sich auf den Menschen als Urheber seiner eigenen Handlungen, die Irreführung aber ist von
Gott, s. Korankommentar, Bd. 30, S. 211 ff. Ähnlich denkt ar-Rāsı̄, jedoch erwähnt er eine andere
Meinung, daß der Urheber von guten und bösen Handlungen, sowie von der Irreführung der
Mensch selbst ist, s. Korankommentar, Bd. 31, S. 194. Gh ist auch dieser Meinung, wie es aus
dem Text hervorgeht.
21
„(Damals) als dein Herr zu den Engeln sagte …“ Sure 38, Vers P u. H 71 f. Gemeint ist es hier
die Schöpfung des Menschen aus Lehm, dann durch die Allmacht Gottes in dieser Gestalt geformt
ist. Dies enthält eine Ermahnung an die Gottesleugner. Deshalb weist Gh daraufhin, daß in der
Schöpfung des Menschen durch Gott eine Ehrung für den Menschen liegt, jedoch besteht darin ein
Geheimnis, das ist das Geheimnis der Seele, das unerschlossen bleibt.
22 „Man fragt dich nach dem Geist …“ Sure 17, Vers P 85, H 87. Die Fragesteller waren jüdische
Gelehrte, die dem Propheten Muhammad einige Fragen, darunter die Frage nach dem Wesen des
˙
Geistes (od. der Seele) gestellt haben, um die Echtheit seiner Prophetie gemäß der biblischen
Tradition zu prüfen. Der Prophet antwortete, daß eine Erfahrung über das Wesen der Seele für
uns Menschen ausgeschlossen ist, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 15, S. 156. ar-Rāsı̄ führt diese
Antwort ausführlicher, indem er die Fragen über das Wesen der Seele „o'sffla t»@ vuc»@, ǧauhar
an-nafs“ des Menschen darlegt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Meinung, daß die Ver-
nunft nicht in der Lage ist, Fragen über die Wesenheit des Geistes, ob er räumlich oder unräum-
lich, ewig oder unewig, glückselig oder unglückselig etc. ist, zu beantworten. Ferner ist die Ver-
nunft nicht in der Lage, wahrhaftige Aussagen darüber zu erteilen, ob der Geist eine Materie, eine
Mischung aus verschiedenen Säften und Naturbeschaffenheiten, eine einfache Substanz oder eine
Akzidenz sei. Laut des Korans ist es darüber wenig bekannt. Denn „ihr habt nur wenig Wissen
erhalten.“, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 21, S. 36 ff.
23 „Wer sich selbst am besten kennt, …“ ist eine Überlieferung, die weder in den großen Samm-
lungen nach der Concordance von Wensinck noch in den Werken von ibn-Fourak, ibn-al-Ǧauzı̄,
oder ibn-Qayyim al-Ǧauzı̄ya zu finden ist. Gh selbst ist die Quelle.
24 „Und seid nicht gleich Jenen, …“ Sure 59, Vers P u. H 19. Es sind die Frevler, die die Rechte
Gottes, Gebote und Verbote mißachten, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 28, S. 52 f. Sie verges-
˙ ˙ Zusammenhang im Sinne von „mißachten“, das
sen dabei sich selbst. „Vergessen“ wird in diesem
heißt, daß sie nicht seine Gebote und Verbote beachten. Indem sie dies tun, mißachten sie sich
selbst, s. auch al-Alūsı̄, Korankommentar, Bd. 28, S. 60. Die Achtung der Rechte Gottes ist zu-
gleich eine Selbstachtung. Durch die Beschäftigung mit dem Diesseits und das Sich-Vertiefen in
die materiellen Genüsse des Lebens verliert man diese Achtung und in Folge dessen die Selbst-
achtung, s. ferner ibn-2Arabı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 625 f.
25 „Wir werden sie, (draußen) in der weiten Welt und in ihnen selbst unsere Zeichen sehen las-
sen …“ Sure 41, Vers P u. H 53. Mit den „Zeichen“ sind die Schöpfungsphänomenen im Himmel,
zum Beispiel die Planeten, und auf der Erde, zum Beispiel die Flüsse und die Gebirge, aber vor
allem in uns selbst Menschen gemeint. Alle diese Zeichen veranlassen die Menschen zum Nach-
242 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
denken über den Schöpfer und dann zum Glauben an ihn, an seine Gerechtigkeit und an die
Prophetie Muhammads. Trotz dieser klaren Zeichen bleiben die Menschen jedoch im Zweifel
und sie erwägen ˙ große Einwände gegen die Auferstehung. ar-Rāsı̄ vertritt die Ansicht, daß diese
Schöpfungsphänomene die Menschen nicht nur zum Glauben an irgendeinen Gott, sondern zum
Glauben an den einzigen Gott als den Schöpfer hätten führen sollen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 27, S. 139 f.
Vom Hintergrund der Mystik her versucht ibn-2Arabı̄ den Vers zu interpretieren. Durch sichere
Beweise kann der Mensch erkennen, daß es einen Gott gibt, das heißt, daß er anwesend ist: „Ge-
nügt es denn nicht, daß dein Herr über alles Zeuge ist? …“, das heißt anwesend und allwissend,
um Beweise für seine Existenz zu suchen. Diejenigen Menschen, die sich seine Existenz vergegen-
wärtigen, oder in der Sprache von ibn-2Arabı̄ anschauen, brauchen nicht solche Beweise. Das ist
der Zustand der in Gott „verliebten“ Menschen. Der Zustand derer, die nach sicheren Beweisen
streben, ist der Zustand der Gott Liebenden und derer, die sich um seiner Nähe bemühen, s. ibn-
2Arabı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 422 f.
26 „Und auf der Erde gibt es für diejenigen, die (von der Wahrheit) überzeugt sind, allerlei Zei-
chen …“ Sure 51, Vers P u. H 20. Die Zeichen, die Gott in den Menschen selbst hineingelegt hat,
sind genügend, um an seine Existenz zu glauben. Deswegen wendet sich der Koran unmittelbar an
die Menschen (in euch selbst) zu, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 28, S. 208. Unter „Zeichen“
versteht ibn-2Arabı̄ Gottes Namen und Eigenschaften, die von den Schöpfungsphänomenen getra-
gen werden. Diese erkennen diejenigen, die die Lichter ihrer Erscheinung anschauen. Unter „Le-
bensunterhalt“ im darauffolgenden Vers versteht er den geistigen, der sich vor allem auf das Wis-
sen bezieht, s. ibn-2Arabı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 543.
27 „gemeinsamer Sinn, sensus communis, arab. al-hiss al-mus ˇ tarak“. al-Ǧurg
ˇ ānı̄ bestimmt diesen
als ein Vermögen, in dem alle Bilder der einzelnen ˙wahrnehmbaren Dinge aufgezeichnet werden.
Er stimmt wesentlich mit Gh darin überein. Nach ihm sind die fünf Sinne seine Spione; er ist einer
Quelle ähnlich, der fünf Flüsse entspringen, s. al-Ǧurg ˇ ānı̄, S. 91. Deshalb heißt er „Gemein-
samer …“ oder „Gemeinsinn“. Bis zu Beginn des 19. Jhs. hatte der Begriff: „sensus communis“
keinen adäquaten Terminus im Deutschen. Zur geschichtlichen Anwendung des Begriffs, s. A. v.
Meydell/R. Wiehl, Gemeinsinn, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, S. 243 ff.
28 s. „Die Nische …“, A 76 ff., wo Gh ausführlich auf die Beschreibung der menschlichen Kräfte
eingeht.
29 „Vernunft, no‰@, arab. al-2aql“. Im Arabischen werden „Vernunft“ u. „Verstand“ manchmal syn-
onym verwendet. An dieser Stelle aber ist der Begriff „Vernunft“ zu bevorzugen, da er den theo-
retischen u. praktischen Aspekt umfaßt und deshalb dem philosophischen Sprachgebrauch ange-
messen ist. Zur Verwendung des Begriffs „2aql, Vernunft“ in der islamischen Tradition, s. „Die
Nische …“, Anm. 9, S. 65 f.
30
„Haltung, xi@, arab. hai3a, pl. hai3āt“ heißt sprachlich der Zustand einer Sache (oder einer
Person) und ihre Eigenart. „hā3a, yahā3u“ heißt in diesem Zusammenhang einen bestimmten Zu-
stand annehmen, s. ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 1, S. 188.
˙
Bei Aristoteles entstehen Haltungen aus Einzelhandlungen, die bei Wiederholung zu festen
Grundhaltungen werden, s. EN 1103b; 1114 a. Durch die Erziehung von der frühen Jugend an wird
man zu guten oder schlechten Haltungen gelenkt, s. EN 1104 b. Haltungen werden durch ihre
Gegensätze erkannt und bestimmt, s. EN 1129 a. Das Tätigsein ist eine vollendete Haltung. Diese
vollendete Haltung „¥nffrgeia“ energeia ist eine Tugend, s. EN 1106a, 20 ff. Sie ist eine Mitte
„wasat“ zwischen zwei Extremen „az-ziyāda wa 3n-nuqsān“: „t d3 —son mffson ti ¢perbol»@ ka½
˙
¥llefflvew@“, ˙
s. EN 1106 a, 28 f. So ist zum Beispiel die Tapferkeit als Haltung eine Tugend; sie ist
eine Mitte, s. EN 1154 a; Dirlmeier, Anm. 166, 9. Haltungen bekommen ihre scharfen Umrisse
durch die „Endakte“ und durch die Gegenstände, auf die bezogen sind, s. EN 1122b; 1153b; 1154a;
1157b; Dirlmeier, Anm. 95, 3; 166, 4, 9.
Die Anhänger von Aristoteles unter den Muslimen gehen in dieselbe Richtung. So geht al-Fārābı̄
von den Handlungen aus, indem er schreibt, daß die Handlungen zu guten oder schlechten Hal-
tungen führen, s. as-siyāsāt al-madanı̄ya (Politische Systeme), S. 82 f. Auch in seiner Schrift al-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 243
madı̄na 3l-fādila (Der Musterstaat) vertritt er diese Meinung und fügt hinzu, daß Haltungen durch
˙
freie Wahl „proafflresi@“ entstehen, s. al-madina 3l-fādila, arab. XX 111, 86; Diterici, Der Muster-
˙
staat, S. 73 f., wobei er Haltungen mit „sifāt“ Eigenschaften übersetzt; s. f. XXVI, arab., S. 98. Di-
terici gibt den Begriff wieder mit: „in ˙freiwillig erworbenen Beschaffenheiten“, s. S. 87; s. f. al-
2Āmerı̄, as-sa2āda wa-3l-is2ād (Über die Glückseligkeit …), arab. S. 77 ff. Gh unterscheidet sich von
Aristoteles und seinen islamischen Anhängern dadurch, daß er den Bezug der „Haltung, hai3a“ zu
dem praktischen Vermögen hier in seiner Schrift besonders hervorhebt. Dieser Bezug fehlt bei
diesen Philosophen ganz und zwar nicht nur an den erwähnten Stellen. Dirlmeier ist der Meinung,
daß K. 12, B VI der EN keine Besonderheit für eine praktische Vernunft bei Aristoteles liefert, s.
135, 2; 135, 5 und die darauffolgenden Anmerkungen. Zu dem Streit über dieses Thema unter den
Interpreten von Aistoteles, s. D. J. Allan, Arist. Auffassung vom Ursprung moralischer Prinzipien,
in: Ethik und Politik des Aristoteles, S. 275 ff.
31
„Tugend, ⁄retffi, arab. fadı̄la, pl. fadā3il“. Gh Begriffsbestimmung beruht zuerst auf der sprach-
lichen Analyse des Begriffs.˙ fadı̄la wird ˙ von fadl abgeleitet, das heißt: „Zunahme“, „Überschuß“,
„Vermehrung“ u. a., um sich mit ˙ den wichtigsten
˙ Bedeutungen zu begnügen, s. f. lisān …, Bd. 11,
S. 524.
Wenn zwei Dinge etwas gemeinsames haben, das eine jedoch das andere in einem gewissen Punkt
überragt, dann spricht man von einem „Vorzug“, wie etwa, wenn man sagt, das Pferd überragt den
Esel. Das heißt, beide Tiere haben etwas Gemeinsames, das ist zum Beispiel die Stärke. Beide
Tiere sind stark beim Tragen von Lasten, jedoch überragt das Pferd den Esel zum Beispiel an
Schönheit und Schnelligkeit auch dann, wenn es einen Esel gibt, der an Körpergröße das Pferd
überragen könnte. Denn die geistigen Charaktereigenschaften, nicht aber die materiellen, sind
maßgeblich bei einer solchen Beurteilung.
Wenn man diese sprachliche Bedeutung voraussetzt, dann ist es klar, weshalb das Wissen eine
Tugend an sich ist. Denn durch das Wissen überragt der Mensch alle übrigen Lebewesen, s. ih.,
Bd. 1, S. 11 ff. Auch die Tugend ist etwas Wertvolles; sie ist ein Charakteristicum für die Menschen- ˙
gattung. Denn die Menschen, nicht aber andere Lebewesen, streben danach, tugendhaft zu sein.
Sie ist auch die Grundlage für die Erlangung der Gottesnähe im Jenseits, Ansehen und Würde im
Diesseits, s. ih. (Wiederbelebung der Religionswiss.), Bd. III, S. 8.
Die wertvollen ˙ Dinge teilen sich in: a) wertvolles an sich wie das Wissen, b) in bezug auf etwas
anderes wie Gold und Silber. Sie sind nicht an sich wertvoll. Sie besitzen lediglich einen relativen
Wert. Denn man kann durch sie die Lebensnotwendigkeiten erledigen. c) Was sowohl an sich als
auch im Verhältnis zu anderen Dingen wertvoll ist wie die Gesundheit. Sie ist sowohl an sich als
auch in bezug auf andere Dinge wertvoll. Gh berücksichtigt in dieser Aufteilung sowohl die geisti-
gen als auch die materiellen Charaktereigenschaften des Menschen, seine geistigen und körper-
lichen Tätigkeiten und Bestrebungen, s. ih., a. a. O.
Von dieser allgemeinen sprachlichen und ˙ anthropologischen Bestimmung aus geht Gh zu der
ethischen Analyse des Begriffs über. fadı̄la ist eine feste Haltung in der Seele, „hai3a rāsiha fi
3n-nafs“, von der aus die Handlungen leicht ˙ und ohne große Anstrengung ausgehen. „fadı̄la“ heißt ˘
„huluq hasan, gute Gesinnung“, wenn solche Charaktereigenschaften im Menschen dominieren ˙
und˘ seine˙ Handlungen bestimmen, s. ih., Bd. III, S. 46.
Drei Bedingungen müssen vorhanden˙ sein, um eine Handlung als tugendhaft zu bezeichnen:
1. Für die tugendhafte Gesinnung muß die Handlung, al-fi2l selbst gemäß der Vernunft und dem
islamischen Gesetz geschehen. 2. Für den Menschen, der diese Handlung durchführt, muß er die
Kenntnis „al-ma2rifa“ über das Gute und Böse besitzen. 3. Die gute Gesinnung muß als „hai3a
rāsiha fi 3n-nafs“ eine feste Haltung in der Seele sein, s. ih., Bd. III, S. 46 f.; mı̄zān …, D 262 ff.;
˘ EN 1139a 22 ff.
Arist. ˙
Im Gegensatz zu Aristoteles identifiziert Gh nicht die Handlung mit der Gesinnung. Er erwähnt in
diesem Zusammenhang einige Beispiele, die seine Meinung in verständlicher Weise belegen. Die
Güte z. B. kann nicht als Charaktereigenschaft von der Handlung eines Menschen abgeleitet wer-
den. Denn man kann, ohne Geld auszugeben, gütig sein, weil man gerade nicht über die Mittel
verfügt. Man kann andererseits geizig sein und trotzdem vorgeben, durch Ausgaben gütig zu sein,
244 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
s. ih., Bd. III, S. 46. Deswegen betont Gh, daß die Handlung kein Gegenstand der moralischen
˙
Beurteilung sein kann, sondern die Gesinnung, von der aus das Verhalten ausgeht, s. f. Einl. LXIII.
Voraussetzung für das tugendhafte Verhalen und „die gute ethische Gesinnung ist der Ausgleich
zwischen vier Fähigkeiten: a) Wissen, b) Zorn, c) Leidenschaft, d) Gerechtigkeit, s. ih., III, S. 47 ff.;
mı̄zān …, D 232 ff. Wenn der Ausgleich zwischen all diesen Fähigkeiten erreicht wird,˙ dann verhält
man sich tugendhaft, s. a. a. O.
Aus dem Verhalten des Propheten Muhammad leitet Gh sein Ideal für ein solches Verhalten ab.
Denn es verkörpert in sich einen solchen ˙ Ausgleich. Muhammad wurde den Menschen zugesandt,
„um die guten Sitten zu vervollkommnen.“, s. ih., Bd. III, ˙ S. 46. In diesem Zusammenhang nimmt
Gh Bezug auf den koranischen Vers: „Die (wahren) ˙ Gläubigen sind diejenigen, die an Gott und
seinen Gesandten glauben und hierauf nicht (wieder unsicher werden und) Zweifel hegen, und die
mit ihrem Vermögen und in eigener Person auf Gottes Weg gestritten haben, die sind die Auf-
richtigen.“ (F. Rückert, der Koran, Sure 49, Vers 15; s. f. P u. H 15). Zu diesem Vers meint at-Taba-
rı̄, daß die Aufrichtigen diejenigen sind, deren Handlungen mit ihrem Glauben übereinstimmen, ˙ ˙ s.
at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 26, S. 144.
˙ ˙ Erreichung des Ausgleichsideals zwischen all diesen Fähigkeiten ist durch den Glauben an
Die
Gott und seine Engel ohne jeglichen Zweifel möglich. Gh sieht in diesem Zusammenhang keinen
Widerspruch zwischen dem Glauben und der Forderung der Vernunft, insofern ein solcher Glaube
die Fruch der Vernunft und die Spitze des wahrhaftigen Wissens und der Weisheit ist, s. ih., Bd. III,
S. 48; mı̄zān … D 234. ˙
Dieser religiöse Aspekt im Betrachten der Tugend und des tugendhaften Verhaltens ist ein we-
sentliches Merkmal, durch welches sich Gh von dem Aristotelismus unterscheidet. Weitere Belege
für seine Ansicht erwähnt Gh aus der islamischen Religion und Mystik. Das Fasten z. B. ist eine
Tugend, insofern man dadurch die Enthaltsamkeit und die Beherrschung der eigenen Begierde
und Leidenschaften erreichen kann, ih., III, S. 68 ff.; mı̄zān …, D 310 ff. Auch die islamische Mystik
˙
bietet Gh einen reichlichen Stoff für tugendhaftes Verhalten, wie z. B. die Schweigsamkeit. Durch
die Schweigsamkeit werden Fehltritte der Zunge, Verleumdung und üble Nachrede vermieden, s.
ih., Bd. III, S. 93 ff. Gh unterstreicht ferner die Bedeutung des Nachdenkens über sich selbst, über
˙ Leben, eigene Tätigkeit und Person, und nicht zuletzt über die Schöpfung als wichtiges Mittel
das
zur Erlangung des tugendhaften Verhaltens, s. ih., Bd. IV, S. 361 ff.; mı̄zān …, D 334 ff. Die Gewis-
senserforschung nimmt eine besondere Stellung˙ im Denken von Gh ein, welche in der Offenba-
rung und in der Mystik ihr Fundament hat, s. ih., Bd. IV, S. 345; Sure 75, Vers P u. H 2 ff., at-Tabarı̄,
Bd. 29, S. 172 ff. ˙ ˙ ˙
32
„Und es steht keinem Menschen an, …“ Sure 42, Vers P 51, H 50. Die Kommunikation zwi-
schen Gott und den Menschen kann nach diesem Vers durch eine von drei Möglichkeiten:
1. Durch Offenbarung, welche durch Eingebung, Hineinströmen-lassen der Mitteilungen ins Herz
oder durch Träume stattfinden. Letzteres war der Fall mit Abrāhām bezüglich der Aufopferung
seines Sohnes und Mosesmutter. Oder 2. Indem er mit ihm hinter einem Vorhang spricht. 3. Durch
einen Boten, indem er einen Engel zuschickt, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 27, S. 186 ff. Dieser
Vers ist ein Beleg dafür, daß Gott eine Sprache hat, die aus den bekannten Buchstaben besteht.
Abu -3l-Hasan al-Asˇ2arı̄ (874–936 n. Chr.) und seine Anhänger sind der Meinung, daß Gottes Spra-
che ewig˙ ist, die Buchstaben aber sind lediglich ihre Ausdrucksweise, s. ar-Rāsı̄, a. a. O. Gh möchte
dadurch belegen, daß die Kommunikation mit Gott nur durch den menschlichen Geist stattfinden
kann, und daß diese Verbindung auf diese drei Weisen möglich ist.
33 s. „Die Nische …“, PhB, Bd. 390, Anm. 25, S. 68.
34 vgl. zu dieser Stelle: „Der Erretter …“, PhB 389, A. 50 und die entsprechenden Anm.; s. f.: „Die
Nische …“, A 57, sowie die entsprechenden Anm. Ganz eindeutig steht Gh all diesen Gruppen
kritisch gegenüber.
35 „Was Gott den Menschen an Barmherzigkeit zufließen läßt …“ Sure 35, Vers P u. H 2. Hierbei
weiche ich geringfügig von den beiden Übersetzungen ab. Gh ist aufgrund dieses Textes des
„mı̄zān …“ der Meinung, daß die Barmherzigkeit Gottes jedem Menschen ohne Unterschied zu-
steht. Aufgrund seiner Güte strömt sie auf die Menschen zu, jedoch muß man sich dafür durch
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 245
Läuterung und Reinigung der eigenen Seele vorbereiten. ar-Rāsı̄ sieht darin einen Beleg dafür,
daß die Barmherzigkeit Gottes seiner Ungnade vorangeht. Ferner trifft sie jemandem zu, dann
wird sie nicht aufgehoben werden, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 26, S. 3 f.
36 „An bestimmten Tagen eures Lebens läßt Gott seine Gaben ausströmen …“, s. „al-munqid …“
(Der Erretter …), PhB, Bd. 389, A 11 und die entsprechende Anm. ¯
37 „Bevor das letzte Drittel jeder Nacht anbricht …“ ist eine Überlieferung, die sich lediglich bei
sem Wortlaut in den großen Sammlungen. Jedoch erwähnt er eine ähnliche Überlieferung mit
einem veränderten Wortlaut, die die Liebe von und zu Gott beinhaltet, s. Concordance, T. VI,
S. 140. Gh selbst ist bei diesen und ähnlichen Überlieferungen die Quelle.
39
„Wer sich mir um einen Zoll nähert, …“ befindet sich nach Wensinck in den großen Samm-
lungen, s. Concordance, Bd. 3, S. 58. al-Buchārı̄ erwähnt sie im Kapitel: „tauhı̄d“ (Monotheismus),
s. Bd. 8, S. 171. Nach ibn-Hag ˇ ar soll die Annäherung metaphorisch verstanden ˙ werden, da die
örtliche im Widerspruch zu˙ der Vollkommenheit Gottes steht. „al-qurb, die Annäherung“ bedeu-
tet von seiten des Menschen, daß er sich durch Pflicht-und freiwillige Kulthandlungen um die
Wohlgefälligkeit Gottes bemühen soll. Von seiten Gottes bedeutet „qurb“ Gnade, Erfolg und
nicht zuletzt gute Leitung, s. ibn-Haǧar, Bd. 13, S. 427 ff.
40
„Das ist nichts (anderes) als ein˙ edler Engel …“ Sure 12, Vers P u. H 31. Zu diesem Vers er-
wähnt ar-Rāsı̄ zwei Ansichten: 1. Der Prophet Jusuf wird mit einem Engel verglichen, insofen
dieser alle guten Eigenschaften, darunter auch die Schönheit, in sich verkörpert. Im Gegensatz
dazu ist der Satan derjenige, der alle Schlechtigkeiten, darunter auch die Häßlichkeit, in sich ver-
körpert. 2. Die Erhabenheit über jede Art von Sinnlichkeit. Jusuf hat die Ehefrau von Ägyptens
Pharao nicht angeschaut und ließ er sich von ihr gar nicht hinreißen lassen. Dabei hat er die
menschliche Schwäche überwunden, die in solchen Situationen die herrschende Eigenschaft ist,
s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 18, S. 128. Deswegen verdient er als „malakan“ engelgleich und
„rabbānı̄yan“ göttlich genannt zu werden.
41 „Vehikel, arab. markab“ ist ein Bild für das Innewohnen der Seele im Körper, wie auch für das
vorläufige Verhältnis beider zueinander. Über den Begriff „markab“, s. ibn-Manzūr, lisān …,
Bd. 1, S. 431; Einleitung LXVI. ˙
42 „Gemeinsinn“, s. Anm. 27.
43 Ka2b al-Ahbār, Abū-Ishāq Ka2b ibn-Matı̄2 ibn-Dı̄-Haǧan al-Himyarı̄, einer der großen jüdischen
de im Jahre 9 vor al-Hiǧra (613 n. Chr.) in Mekka geboren. Ihr Vater Abū-Bakr ˙ 2Atı̄q ibn-
Abı̄-Quhāfa (573–634 n. Chr.) in Mekka geboren. Ihre Mutter war umm-Romān bint-al-Hārit.
Ihr Vater ˙ Abū-Bakr stand im engen Verhältnis zu dem Propheten Muhammad, der diese ˙ Bezie-
¯
˙
hung mit folgendem Wortlaut beschreibt: „Wenn ich unter den Menschen einen Freund hätte, so
hätte ich Abū-Bakr zu meinem Freund. Meine Beziehung zu ihm aber ist kameradschaftlich, brü-
derlich und gemäß dem Glauben, bis Gott uns bei sich vereint.“, s. ibn-Hisˇām, as-sı̄ra 3n-nabawı̄ya
(Die Biographie des Propheten …), Bd. 3/4, S. 650. Während seiner Todeserkrankung beauftragt
246 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
der Prophet Abū-Bakr als Vorbeter zu wirken. Dieser Auftrag fand in Anwesenheit der beiden
späteren Kalifen 2Umar und 2Alı̄ statt, die dafür ihre Zustimmung gaben, und hinter ihm beteten, s.
at-Tabarı̄, tārı̄h …, Bd. 2, S. 439. Auch dieses Verhalten gab vielen Muslimen den Anlaß dafür, daß
˙ ˙
religiöse ˘
und politische Führung miteinander eng verbunden sind.
Die Verlobung 2Ā3isˇa mit dem Propheten Muhammad fand in Mekka statt, als sie 6 oder 7 Jahre alt
war. Die Ehe wurde im ersten Jahr der al-Hiǧra, ˙ im Šawwāl (April 622 n. Chr.) vollzogen.
2Ā3isˇa genoß aus verschiedenen Gründen eine Sonderstellung unter den Ehefrauen des Propheten,
wie die Überlieferungen berichten: 1. Ihre Verlobung mit dem Propheten fand, wie die Muslime
glauben, aufgrund einer Gottesverheißung statt. So sollte der Erzengel Gabriel dem Propheten
mehrmals erschienen sein und ihm 2Ā3isˇa als Ehefrau genannat haben, s. ibn-Hisˇām, as-sı̄ra 3n-na-
bawı̄ya (Die Lebensbiographie des Propheten Muhammad), Bd. 1/2, S. 139 f. 2. Sie ist die einzige
Jungfrau, die der Prophet geheiratet hat. 3. Sie wurde ˙ im Koran von jeglicher Schuld freigespro-
chen. 4. Wie sie von sich selbst berichtet, sah sie als einzige unter den Ehefrauen des Propheten
den Erzengel Gabriel, s. at-Tabarı̄ …, tārı̄h … (Geschichte), Bd. 2, S. 118.
˙ ˙
Ein besonderes Ereignis kennzeichnet das˘ Leben der Ehefrau des Propheten, worüber die Musli-
me eine Offenbarungsentscheidung von Gott erwarteten. Das ist die Geschichte ihrer Verläum-
dung, hauptsächlich von seiten der Ungläubigen, die das Privatleben des Propheten angreifen
wollten. Nach der Rückkehr des Propheten aus einem Feldzug gegen Bani-3l-Mustalaq im Jahre 6
n. H. (627 n. Chr.) kampierte er mit den Muslimen in der Nähe von Medina, wo˙ sie ˙ sich für eine
ˇ
Weile ausruhen wollten. 2Ā3isa ging nachts aus dem Kamp, um ein Bedürfnis zu erledigen, wobei
sie ihre Halskette verlor. Nachdem sie auf der Suche nach ihrer Halskette zu dem kamp zurück-
gekehrt war, fand sie nicht die Muslime, die währenddessen das Kamp aufgelöst hatten und ohne
die Abwesenheit von 2Ā3isˇa zu bemerken ihren Aufmarsch nach Medina fortsetzten. 2Ā3isˇa blieb
dort, wo das Kamp war in der Hoffnung, daß die Muslime sie abholen würden, sobald sie ihre
Abwesenheit entdecken würden. Währenddessen kam Safwān ibn-al-Mu2attil as-Sulamı̄ vorbei,
˙˙
der 2Ā3isˇa von Kindheit an kannte, und stieß auf sie, die˙ im Schlummer zusammenkauerte, holte
sie ab und ging mit ihr zusammen im Morgengrauen zu dem Propheten und seinen Kameraden
nach Medina. Dies gab den Ungläubigen Anlaß dazu 2Ā3isˇa zu verläumden und das Privatleben des
Prophten zu verunglimpfen. Aber auch einige Muslime fanden Anstoß am Verhalten von 2Ā3isˇa,
darunter Hassān ibn-Tābit, Dichter des Propheten genannt, und der spätere Kalif 2Alı̄ 3bn-
Abı̄-Tālib, ˙der dem Propheten
¯ sogar die Scheidung von ihr empfahl, s. at-Tabarı̄, tārı̄h …, Bd. II,
S. 264˙ ff. ˙ ˙ ˘
Über einen Monat lang dauerte diese Krise an. 2Ā3isˇa erkrankte und blieb bei ihren Eltern, bis
Gott im Koran ihre Unschuld bestätigte, s. Koran, Sure 24, Vers, P u. H 11 ff. Danach gilt die
Verläumdung mit Unzucht als Großsünde, deren Sühne achtzig Hiebe ist, falls der Verläumder
seine Aussage nicht durch vier aufrichtige Zeugen beweisen kann, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 23, 179 ff. Ferner werden auch in diesem Fall seine Zeugenaussagen auf allen Gebieten des
Rechts sein Leben lang zurückgewiesen, es sei denn, er zeigt eine aufrichtige Reue. Dies ist egal,
ob die Verläumdung gegen Muslime oder nach der hanbalitischen Rechsschule auch gegen Nicht-
Muslime gerichtet ist. Durch diese harte Bestrafung, ˙ die bisheute noch in manchen islamischen
Ländern verhängt wird, will der Islam das Privatleben der Menschen schützen, das durch solches
Fehlverhalten das Privatleben der Menschen belasten und möglicherweise zerstört werden könn-
te, s. Ahmad ibn-Taimı̄ya, at-tafsı̄r al-kabı̄r (Der große Korankommentar), Bd. 5, S. 395; Sayyid
˙
Qutb, Korankommentar, Bd. 18, S. 62.
˙
Als Ehefrau des Propheten und Tochter des ersten Kalifen Abū-Bakr konnte 2Ā3isˇa nicht abseits
von den politischen Ereignissen ihrer Zeit stehen. Um die Gegnerschaft unter den Muslimen nicht
zu vertiefen, wollte sie unparteiisch sein, was ihrer Eigenschaft als „Mutter der Gläubigen“ ent-
spricht. Die beiden Kontrahenten 2Ali 3bn-Abı̄-Tālib (gest. 40 n. H. /661 n. Chr.) und Mu2āwiya 3bn-
Abı̄-Sufyān (gest. 60 n. H./ 680 n. Chr. verstanden ˙ diese Haltung, bemühten sich um ihre Gunst und
zollten ihr Achtung und Respekt. Sie nahm an der sogenannten Kamelschlacht gegen 2Alı̄ Mitte
Ǧumādā II. 36 n. H./ 656 n. Chr. teil, der von den Gläubigen zum Kalifen ernannt wurde, weil er bei
der Verfolgung der Mörder seines Vorgängers 2Utmān ibn-2Affān (ermordet am 18. Du 3l-Hiǧg ˇ a 36
¯ ¯ ˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 247
n. H./ 17. Juni 656 n. Chr.) angeblich nachlässig war. Gleichzeitig gehörte sie zu den Kritikern von
dem Kalifen 2Utmān, wenn nicht zu den Leuten, die auf seine Entmachtung hinarbeiteten, s.
at-Tabarı̄ …, Bd.˙ 3, S. 415, 476. Gründe dafür können hier nicht erörtert werden, s. dazu G. Levi
˙ ˙ Vida, 2Utmān, in: Handwörterbuch des Islam, S. 777 f.
della
Sie zählte zu den¯ Gegnern des Kalifen 2Alı̄, war sie aber gleichzeitig keine entschiedene Befürwör-
terin seines Kontrahenten Mu2āwiya. Nachdem dieser das Kalifat bemächtigt hatte, fand sie nichts
dabei, ihn zu empfangen, ihm Ratschläge zu erteilen und von ihm sogar Geschenke anzunehmen,
und dies trotz der Tatsache, daß sie ihn der Ermordung ihres Bruders Muhammad bezichtigte, s.
Muhammad ibn-Mukarram ibn-Manzūr, muhtasar tārı̄h Dimasˇq li-3bn-2Asākir ˙ (Abkürzung der
˙
Geschichte Damaskus von ibn-2Asākir), ˙ arab.,˘ Damaskus:
˙ ˘ dār al-fikr 1989, S. 44, 63 f.
Die Rolle der Ehefrau des Propheten war es, Frieden unter den Muslimen zu stiften, wie sie und die
Führer ihrer Partei betonten. Jedoch führte ihr Verhalten zur Vertiefung der Kluft zwischen den
streitenden Parteien, s. at-Tabarı̄ …, Bd. 3, S. 481 ff., 543. Ihr Aufmarsch nach al-Kūfa, um die Er-
mordung von 2Utmān zu ˙rächen, ˙ endete mit einer Niederlage. Diese Niederlage hielt den Kalifen
¯ sie zu ehren und ihr die Rückkehr nach Mekka Anfang Raǧab 36 n. H./ Dez. 656
2Alı̄ nicht davon ab,
n. Chr. mit vierzig ausgewählten und bekannten Frauen aus al-Basra, die sie hofierten, zu gestatten.
Die Bedeutung von 2Ā3isˇa für die Islamwissenschaft ist sehr groß. ˙ Der Prophet Muhammad emp-
fiehlt den Muslimen sogar, die Hälfte ihrer Religion von ihr zu lernen. Sie überlieferte ˙ insgesamt
5965 hadı̄te nach sahr hadı̄tprogramm, die von den großen neun Überlieferern wie al-Buchārı̄,
Muslim ˙ ˘ ˙ werden.
˙ u.¯a. überliefert ¯ Allein 849 hadı̄te erwähnt von ihr al-Buchārı̄. Auch juristische
Gutachten erteilt die Ehefrau des Propheten ˙zur ¯Zeit der Herrschaft von ihrem Vater Abū-Bakr,
2Umar und 2Utmān bis zu ihrem Tode, s. al-Balādurı̄, Ahmad ibn-Yahyā, ansāb al-asˇrāf (Biogra-
phien der Adel), ¯ hrsg. von Muhammad Hamı̄d-Allāh, ¯ Bd.˙1, S. 415. Auch ˙ für die Koranexegese und
˙ ˙
die arabische Literatur war sie sehr wichtig, so z. B. für den Dichter Labı̄d ibn-Rabı̄2a (um 560–661
n. Chr.), von dem sie tausend Verse überlieferte, s. a. a. O., S. 416. 2Ā3isˇa starb in Medina am 13. od.
17. Ramadān 58 n. H./ Juni 678 n. Chr.
45
„Und auf˙ der Erde gibt es für diejenigen, die (von der Wahrheit) überzeugt sind, (allerlei)
Zeichen …“ Sure 51, Vers P u. H 20. Das bedeutet, daß die Menschen aus ihrer eigenen Erschaf-
fenheit die Lehre über die Existenz Gottes und seine Einzigartigkeit ziehen. Denn keiner ist in der
Lage außer Gott, die Erschaffung des Menschen in dieser Form hervorzubringen. „Wollt ihr denn
nicht sehen?“ „sehen“ heißt in diesem Zusammenhang „denken und dann erfährt ihr die Wahr-
haftigkeit der Einzigartigkeit eures Schöpfers“, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 26, S. 205.
46 Auf den ersten Seiten seines Werkes: „mı̄zān …“ ˙ ˙ betont Gh die Schöpfertätigkeit Gottes als
eine seiner wichtigsten Eigenschaften. Die Weisheit Gottes, seine Fürsorge für die Schöpfung, vor
allem in die des Menschen hineinlegte, sind Beweise seiner Existenz. Die Schöpfung ist das Werk
seiner Tätigkeit und die Zweckmäßigkeit eines seiner Weisheit.
Diesen Gedanken legt er in mehreren seiner Werke dar, wie im „Erretter …“, s. z. B. B 85 ff.;
„Elixier der Glückseligkeit, S. 533 ff. Die Welt, die Materie ist entstanden und sie ist keineswegs
ewig, wie die griechischen Philosophen, vor allem Aristoteles und seine islamischen Anhänger wie
Avicenna meinen, die von der Ewigkeit der Materie und der Existenz eines ‚unbewegten Bewe-
gers‘ überzeugt sind, s. Avicenna, Met., übers. von Max Horten, S. 547. Gegen diese Lehre richtet
sich Gh in seiner Schrift: Die Nische der Lichter, s. z. B. A 91 ff. In seiner Abhandlung, die mehr als
achzig Seiten Dina 4 umfaßt: „al-hikma fı̄ mahlūqāt Allāh“ (Die Weisheit Gottes in der Schöp-
fung), oder (Über die Zweckmäßigkeit ˙ ˘
…) beschreibt Gh die Zweckmäßigkeit in der Schöpfung
im allgemeinen und im einzelnen die Schöpfungsphänomene, wie etwa in der Schöpfung des Him-
mels, der Luft, der Sonne, des Mondes, der Gestirne, des Feuers etc. … Der Zweckmäßigkeit in der
Schöpfung des Menschen widmet er mehr als zwanzig Seiten, wobei er die Unterscheidungsmerk-
male in der Schöpfung des Menschen betont wie Vernunft, Sprechen und Schreiben, s. al-hikma
…, in: ar-rasā3il al-farā3id, hrsg. von Mustafā Abū-3l-2Alā3, arab., Kairo: al-Ǧindı̄ 1328 n. H./˙ 1910
˙
n. Chr. Kaum hat ein mittelalterlicher ˙˙
Philosoph dieses Thema so ausführlich behandelt wie Gh.
47 Abū-Hanı̄fa, an-Nu2mān ibn-Tābit ibn-Zuta (80–150 n. H./ 699–767 n. Chr.), über seine Biogra-
˙
phie, s. „Der Erretter …“, Anm.¯114, S. 134. ˙
248 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
48
asˇ-Šāfi2ı̄, Abū-2Abdallāh Muhammad ibn-Idrı̄s (150–204 n. H./ 767–820 n. Chr.), über seine Bio-
graphie, s. „Der Erretter …“, Anm. ˙ 115, S. 135.
49
Oft treten im Koran „Glaube“ und „Handeln“ eng miteinander verbunden, wie in den Suren 19,
60; 5, 69; 20, 75; 67, 28; 40, 40. at-Tabarı̄ versteht unter dem Begriff „Handeln“ die Verrichtung
religiöser Gebote und die Vermeidung ˙ ˙ der Verbote, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 16, S. 101.
˙ ˙
Unter „gute Taten“ versteht er die Befehle Gottes, zu verrichten, vorausgesetzt, daß man gläubig
ist, s. S. 190; s. f. Bd. 24, S. 67. Das ist auch die sunnı̄tische Haltung, die die Verbindung zwischen
„Glauben“ und „Handeln“ vorsieht, s. al-Asˇ2arı̄, maqālāt …, Bd. 1, S. 293. Der Begriff „Handeln“,
den Gh in diesem Kapitel ausführlich behandelt, geht über das religiöse Verständnis hinaus, inso-
fern er sich nicht nur auf die religiöse Bedeutung bezieht, sondern auch die ethische Forderung
nach Überwindung der Begierde umfaßt, welche die Voraussetzung zur Erlangung der göttlichen
Güte ausmacht, s. D 218.
50
„ursprüngliche Natur“, arab. „fitra“, s. „Der Erretter …“, Anm. 25, S. 83.
51
„Der Glaube läßt sich in siebzig˙ und mehr Tätigkeitsbereiche einteilen …“ befindet sich nach
Wensinck in verschiedenen großen Sammlungen, wie z. B. al-Buchārı̄ und Muslim (s. Wensinck,
Concordance …, T. I, S. 51). Mit diesem Wortlaut kommt diese Überlieferung bei at-Termidı̄ vor, s.
Sammlungen, Bd. 10, K. „ı̄mān“ (Glaube), S. 86. al-Buchārı̄ erwähnt sie mit anderem Wortlaut: ¯
„… und die Scham ist ein Teil des Glaubens“, s. Sammlung, Bd. 1, „ı̄mān“, S. 8. ibn-Haǧar erwähnt
den Text, der von Gh angegeben wird mit der Zahl „einige und siebzig“ wieder. Die˙ Zahl hat, wie
an dieser Stelle, eine relative Bedeutung. Wichtig aber ist in diesem Zusammenhang das, was
dieser Kommentator dazu schreibt, daß mit der angegebenen Zahl die Summe aller Handlungen
und Tätigkeiten des Menschen gemeint ist, wie z. B. die Handlungen durch das Herz (innere Ent-
scheidung), 2. Durch die Zunge (gute, üble Rede), 3. Durch die Gliedmaßen, s. ibn-Haǧar al-2As-
qallānı̄, Kommentar zu al-Buchārı̄’s Sammlung, Bd. 1, S. 49 f. ˙
52 „Gott möge denjenigen beglücken, …“ befindet sich in zwei Großsammlungen von ibn-Māǧa
Im Hinblick auf den Weg der Mystik zur Erlangung der Erkenntnis stimmen beide Werke mitein-
ander überein, s. D 223; Der Erretter …, C 36. In diesem Zusammenhang sieht Gh keinen Wider-
spruch zwischen der Mystik und dem spekulativen Denken. Die praktische Erfahrung (das Han-
deln) steht im Vordergrund bei der Mystik, wird aber durch das Studium unterstützt, das die
Grundlage des spekulativen Denkens ist. Diesen Gedanken zieht Gh in diesem Kapitel durch.
55 „dikr“, s. „Der Erretter …“, PhB, Bd. 389, Anm. 94, S. 122.
56 ¯
„2ilm, pl. 2ulūm“ kann im Deutschen vielerlei heißen: „Wissen“, als auch „Wissenschaft“,
„Kenntnis“ und „Erkenntnis“, s. Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch, S. 571. asˇ-Šarı̄f al-Ǧurg ˇ ānı̄
(740–816 n. H./ 1340–1413 n. Chr.) bestimmt den Begriff wie folgt: 1. Wissen bedeutet: eine feste
Überzeugung, die mit dem Tatbestand eines Dinges übereinstimmt. 2. Die Entstehung des Bildes
einer Sache im Verstand (auf der Stufe der Vorstellung). 3. Die Erfahrung dessen, was ist (durch
die Sinneswahrnehmung). 4. Eine feste Eigenschaft im Menschen, durch welche man die univer-
salia und die singularia erfahren kann (also als das Vermögen selbst: Vernunft oder Verstand), s.
kitāb at-ta2rı̄fāt, S. 160 f. mit weiteren Begriffsbestimmungen und Aufteilungen in die verschiede-
nen Arten des Wissens; s. f. „Der Erretter …“, Anm. 30, S. 84 f.
57 „al-lauh al-mahfūz“, s. „Die Nische …“ A 70, S. 40 und dazu die Anm. 126, S. 80 f.
58 „geistige ˙ Fähigkeit,
˙ ˙ arab. malaka, pl. malakāt“ kann auch „Charaktereigenschaft“, „Naturanla-
ge“, „Begabung“, „Talent“ bedeuten, s. H. Wehr, Arab. Wörterbuch, S. 822. al-Ǧurg ˇ ānı̄ bestimmt
den Begriff als eine fest verankerte Eigenschaft in der Seele, s. at-ta2rı̄fāt, S. 247. Charaktereigen-
schaft bezieht sich bei Gh auf die Tugend und ist kaum durch Kulthandlungen bedingt wie etwa bei
Augustin und später Thomas v. Aquin, die den Begriff im Zusammenhang mit christlichen Kult-
handlungen verstanden haben, s. Ch. Seidel, Charakter, in: Historisches Wörterbuch der Philoso-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 249
phie, Bd. 1, S. 984 ff., mit weiterer Ausführung des Begriffes bei Kant, Hegel und anderen; s. f.
Einleitung, LVIIIf.
59
Zu dem Begriff „Nachahmung“ (arab. taqlı̄d), s. „Der Erretter …“ Anm. 7, S. 74.
60 „Es gibt nichts, was ihm gleichkommen würde …“ Sure 42, Vers P u. H 11. Zu dem Kommentar
dieses Verses wird die Ähnlichkeit Gottes mit seinen Geschöpfen völlig verneint. Die Ähnlichkeit
bezieht sich entweder auf sein Wesen, auf seine Eigenschaften oder auf seine Handlungen. All dies
wird durch diesen Vers u. ä. verneint: „Die Veneinung jeglicher Ähnlichkeit ist hier in jder Hin-
sicht gemeint“, schreibt al-Alūsı̄ in seinem Korankommentar zu diesem Vers, s. Korankommentar,
Bd. 25, S. 17 ff. mit ausführlicher Darstellung der verschiedenen Ansichten der islamischen Schu-
len. ibn-2Arabı̄ bezieht die Unähnlichkeit ausdrücklich auf die Eigenart seines Daseines und die
Unvergänglichkeit seines Wesens, s. Korankommentar, Bd. 2, S. 428.
61 „Eine Stunde lang zu meditieren ist besser …“ wird nicht in den großen Sammlungen erwähnt,
s. Wensinck, Concordance, T. III, S. 2 ff.; 25 ff.; IV, 103 ff., V, 193. Gh selbs gilt in diesem Fall und in
den ähnlichen Fällen als Quelle.
62 „Der Vorzug des Gelehrten gegenüber dem Frommen …“ wird nach Wensinck lediglich in der
Wert bei vielen islamischen Denkern des Mittelalters wie Avicenna, s. z. B. seine praktische Phi-
losophie, al-Fārābı̄, z. B. in seinem Werk: Der Musterstaat“, bei al-Māwardı̄, besonders in seinem
Werk „al-ahkām as-sultānı̄ya“ (Über die Grundlagen der Herrschaft) und nicht zuletzt bei unse-
rem Autor,˙ der u. a. ein˙ Werk unter dem Titel: „Ratschläge an die Herrscher“ geschrieben hat.
Alle diese Autoren waren auch selbst politisch tätig. Über die Politik von Gh, s. Henri Laoust, La
Politique de Ġazālı̄, Librairie Orientaliste Paul Geuthner, Paris 1970.
64 „Ihr seid alle Hirten …“ ist eine Überlieferung, die sich in mehreren Großsammlungen befin-
det, s. Wensinck, Concordance, T. II, S. 273. Sie wird z. B. von al-Buchārı̄ an mehreren Stellen
erwähnt, s. K. „Eheschließung“, in Bd. 6, S. 146.
65 In diesem Abschnitt wird das Verhältnis des praktischen Wissens zum Handeln erörtert: 1. Das
Handeln ist ruhmreicher als das praktische Wissen, 2. das praktische Wissen dient dem Handeln,
3. das Handeln ist selbstzweck, 4. Demnach steht es höher als das bloße theoretische Wissen.
66
„Wem Weisheit zuteil wird …“ Sure 2, Vers P 269, H 272. An zwanzig Stellen im Koran tritt der
Begriff „hikma“ vor, s. M. F. 2Abdel-Bāqı̄“, Koranconcordance, S. 213 f. Darunter versteht at-Taba-
˙
rı̄: 1. die Vortrefflichkeit im Sprechen und Handeln. 2. Das Begreifen schlichthin, s. Korankom- ˙ ˙
mentar, Bd. 3, S. 90 f. Unter dem Begriff „Weisheit, swfrosÐnh, hikma“ versteht ar-Rāsı̄ das trif-
tige und wahrhaftige Wissen sowie das richtige Handeln. Er erwähnt ˙ mehrere Bedeutungen für
den Begriff, die alle von den großen Traditionalisten des Islam herstammen. „hikma“ bedeutet:
1. Die Ermahnung des Korans, 2. Das Verstehen und das Wissen, 3. Die Prophetie, ˙ und 4. Der
Koran selbst, s. Korankommentar, Bd. 7, S. 67. al-Qurtubı̄ versteht darunter: 1. Das Nachdenken
über den Ratschluß Gottes, 2. Das Sich-Vertiefen in das˙ islamische Recht, 3. Die Ehrfurcht gegen-
über Gott, 4. Das asketische Leben bzw. die Entsagung der Welt, s. Korankommentar, Bd. 3,
S. 330 f. Somit enthält der Begriff „hikma“ philosophische, juristische und nicht zuletzt mystische
Bedeutungen, die den Gesamtbereich ˙ von Denken und Handeln umfassen. al-Alūsı̄ erwähnt in
diesem Zusammenhang eine weitere Meinung: Weisheit „hikma“ ist ein Licht, durch welches man
zwischen Argwohn und Inspiration unterscheiden kann, s.˙ Korankommentar, Bd. 3, S. 41, mit Be-
legen aus der Überlieferung über die Bedeutung des Begriffs „Weisheit“ im Islam. Gh Begriffs-
bestimmung beruht auf der islamischen Tradition. Über die platonische Anwendung des Begriffs
und im Unterschied zu Gh, s. Anm. 115.
67 „Das Kriterium des Wissens“, s. „Die Nische …“, Anm. 25, S. 68.
68 „Derjenige unter den Gläubigen …“ ist eine Überlieferung, die sich nach Wensinck in den
gen, wie z. B. die von al-Buchārı̄, s. Wensinck, Concordance, T. II, S. 57. ibn-Hanbal erwähnt diese
Überlieferung mit einem anderen Wortlaut, s. Sammlung, Bd. 4, S. 193. ˙
70
„Die (wahren) Gläubigen sind diejenigen, die an Gott und an seinen Gesandten glauben …“
Sure 49, Vers P u. H 15. Hierin handelt es sich um eine eigene Interpretation von Gh, die im
Zusammenhang mit seiner ethischen Schilderung steht.
71 „Übe Nachsicht …“ Sure 7, Vers P 199, H 198. Das bedeutet: Die Unterlassung jeglicher Art
von hartem Benehmen im Umgang mit den Menschen bezüglich der verschiedenen Arten von
Rechts. Bei Sunnı̄ten und Schi2ı̄ten enthält der Vers die Summe aller ethischen Verhaltensregeln,
s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 15, S. 95 ff.
72
„Das bedeutet, daß du dem verzeihst, …“ ist eine Überlieferung, die es mit diesem Wortlaut in
den großen Sammlungen nicht gibt. Wensinck erwähnt jedoch zahlreiche andere Überlieferungen,
die die Bedeutung von „Verzeihung“, „Güte“ und „Sanftmut“ hervorheben, s. Wensinck, Concor-
dance, T. III, S. 12 ff., Bd. IV, S. 263 ff. Mit diesem Wortlaut erwähnt sie at-Tabarı̄ in seinem Koran-
kommentar bei seiner Auslegung zu diesem oben erwähnten Vers, s. ˙Korankommentar, ˙ Bd. 9,
S. 155; s. f. al-Alūsı̄, Korankommentar, Bd. 9, S. 147; ar-Rāsı̄, Bd. 15, S. 96; ih. (Wiederbelebung …),
Bd. 3, S. 153. ˙
73
„Was meinst du wohl …“ Sure 45, Vers P 23, H 22. Bei dem Kommentar zu diesem Vers er-
wähnt al-Alūsı̄ eine Überlieferung von dem Mystiker Sahl at-Tusturı̄ (gest. 283 n. H./ 896 n. Chr.),
die lautet: „In der Befolgung deiner Neigung liegt die Krankheit und in ihrem Widerstreben deine
Heilung.“, s. al-Alūsı̄, Korankommentar, Bd. 25, S. 152. at-Tabarı̄ beschreibt denjenigen, der seiner
Neigung nachgeht, wie folgt: „Er ist ein Mensch, der seine ˙
˙ Religion mit seiner Neigung umtauscht,
der lediglich verwirklicht, was ihm die Neigung dektiert, deshalb weil er keinen Glauben an Gott
besitzt, er befolgt nicht die Verbote Gottes. Ferner denkt er nicht an die Ermahnung Gottes, so
daß er die Lehre zieht, nachdenkt und sich von dem Licht Gottes leiten läßt.“, s. at-Tabarı̄, Koran-
kommentar, Bd. 25, S. 150 f. ˙ ˙
74 „(Er) folgte seinen (persönlichen) Neigungen …“ Sure 7, Vers P 176, H 175. Der Vers bei den
Korankommentatoren at-Tabarı̄ u. al-Alūsı̄ beschreibt den Zustand eines Menschen, der in sein
materielles Leben versunken ˙ ˙ ist. Ob er ermahnt wird oder nicht: sein Zustand bleibt unveränder-
lich, ähnlich wie der eines Hundes: „Der hängt seine Zunge heraus, du magst auf ihn losgehen oder
ihn (in Ruhe) lassen.“, so geht die Beschreibung weier, um die Unbekümmertheit eines solchen
Menschen zu schildern, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 9, S. 127 ff.; al-Alūsı̄, Bd. 9, S. 130 ff.
˙ ˙ Feinde …“ ist eine Überlieferung, deren Quelle Gh selbst ist. Sie
75 „Der feindseligste aller deiner
befindet sich nicht in einer der Großsammlungen, s. Wensinck, Concordance, T. IV, S. 157 ff., VI,
S. 507. Jedoch erwähnt Wensinck einige Überlieferungen, die mit dieser übereinstimmen, wie: „Ich
nehme meine Zuflucht bei Gott vor dem Bösen jeder Seele.“ u. „Wir nehmen unsere Zuflucht bei
Gott vor den bösen Taten unserer selbst.“, s. Wensinck, Concordance, T. I, S. 507. Im Koran befin-
den sich zahlreiche Stellen, die dazu auffordern, die Übermacht der eigenen Leidenschaft zu be-
kämpfen, s. z. B. Sure 4, P 135, H 134; 38, P 26, H 25; 79, P u. H 40; 28, P u. H 50 usw.
76 „Wenn aber einer den Rang seines Herrn gefürchtet hat …“ Sure 79, Vers P u. H 40. Dazu meint
der Korankommentator at-Tabarı̄: Mit Ehrfurcht ist die Verantwortung vor Gott am Jüngsten Tag
gemeint. Die Ehrfurcht treibt˙ ˙ den Menschen dazu, seine Leidenschaften zu zügeln, und durch ihre
Erziehung mit Geduld und Askese zu zähmen, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 30, S. 48; s. f.
al-Alūsı̄, Bd. 30, S. 36. ˙ ˙
77 In diesem Abschnitt wie auch in den nächsten Kapiteln versucht Gh zu zeigen, daß der Mensch
ein erziehbares Wesen ist, so daß er seinen Trieben gegenüber Herr werden kann. Ziel der Erzie-
hung ist die Mäßigkeit, welche die Voraussetzung für die Erlangung der „Weisheit“ ist. Der
Mensch, sofern er Mensch ist, ist er mit Veranlagungen ausgestattet, die jeder in seiner eigenen
Person erkennt und zugibt. Diese Veranlagungen sind Merkmale des Menschseins, das heißt, sie
können nicht ignoriert und in der Weise unterdrückt werden, daß sie schließlich getilgt werden.
Lediglich können solche Antriebe in der Weise erzogen werden, daß die Vernunft sie leiten kann.
78 Die Analogie zwischen Mensch „mikrokosmos“ und Welt „makrokosmos“ wird von isla-
mischen Denkern im Mittelalter gezogen, wie hier an dieser Stelle bei Gh der Fall ist. Hier be-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 251
zeichnet er den Menschen als „makrokosmos“ (2ālam kabı̄r), auch wenn er der Gestalt nach klein
geschaffen ist, da er über viele Fähigkeiten verfügt. Über diese Fähigkeiten in diesem Zusammen-
hang reflektiert 2Āli 3bn-Muhammad asˇ-Šarı̄f al-Ǧurǧānı̄ (1339–1413 n. Chr.) in seinem Werk: at-
˙
ta2rı̄fāt (Buch der Begriffsbestimmungen), indem er den Menschen seinen Fähigkeiten nach wie
folgt bestimmt: 1. Von seinem Geist und seiner Vernunft her ist der Mensch ein geistiges Werk
(wört. ein Buch), welche die Hauptschrift „um al-kitāb“ genannt wird. 2. Vom Herzen her ist er
eine aufbewahrte Tafel (arab. al-lauh al-mahfūz), worin das niedergeschriebene und aufgehobene
festgehalten wird. Der Mensch ist wie ˙ vornehme ˙ ˙ Blätter, welche nur die Menschen auffassen, um
ihre Geheimnisse zu erkunden. Das ist der vollkommene Mensch. Das Verhältnis der ersten Ver-
nunft zu der großen Welt und ihrer Wahrheit ist wie das Verhältnis der menschlichen Seele zu dem
Körper und seinen Kräften, s. Gh, al-ma2ārif al-2aqlı̄ya (Die rationalen Erkenntnisse), arab., hrsg. v.
2Abdel-Karı̄m al-2Utmān, Damaskus, dār al-fikr, 1963, S. 36. Die menschliche Seele ist das Herz
der großen Welt, ebenso ¯ wie die Vernunft der Kern des Menschen ist. Deswegen wird die Welt der
große Mensch genannt, s. al-Ǧurg ˇ ānı̄, at-ta2rı̄fāt, Kairo: dār ar-rasˇād, 1991, S. 39 f.
Diese teils realistische, teils idealistische Vorstellung von dem Menschen beruht zum Teil auf dem
Koran, in dem die Analogie zwischen dem Menschen einerseits und den übrigen Lebewesen,
Tieren und Vögeln andererseits vollzogen wird. So spricht der Koran wie folgt darüber: „Und es
gibt kein Tier auf der Erde und keinen Vogel, der mit seinen Flügeln fliegt, ohne daß es Gemein-
schaften (umma) wären gleich euch (Menschen) …“ Sure 6, P u. H 38. Die Gattung oder die Art
der Lebewesen sind wie die Gattung Mensch mit besonderen Eigenschaften und Merkmalen aus-
gestattet. Mit der Schrift oder „die aufbewahrte Tafel“ ist das Gesetz der Schöpfung gemeint, s.
S. Qutb, Korankommentar, Bd. 7, S. 60; as-Sābūnı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 60.
Ähnlich ˙ wie al-Ǧurg ˇ ānı̄ denkt N. v. Kues ˙(1401–1464
˙ n. Chr.). Bei ihm weisen Mensch und Univer-
sum eine gemeinsame Struktur auf, s. H. Holzhey, Makrokosmos/Mikrokosmos II, in: Historisches
Wörterbuch der Philosophie, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft 1980, Bd. 5, S. 643 ff.; s. f. Gh,
mi2rāǧ as-sālikı̄n (Der Aufstieg der Frommen), Bairut: dār al-kutub al-2ilmı̄ya 1986, S. 103.
79
„Gott hat diejenigen, die mit ihrem Vermögen …“ Sure 4, Vers P 95, H 97. Unzählige Stufen
von Belohnungen im Jenseits verspricht Gott im Koran demjenigen, der Opfer auf seinem Wege
und der Erhöhung seiner Befehle aufbringt, sei es durch seine eigene Person, sei es durch eigenen
Reichtum. Die Gläubigen, die dies tun, sind bevorzugt als diejenigen, die gar nichts tun oder aus
irgendeinem Grund verhindert sind, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 5, S. 229 ff.
80 „Wir sind von dem kleinen ǧihād …“˙ Mit ˙ diesem Wortlaut existiert diese Überlieferung nach
Wensinck nicht in den Großsammlungen. Eine andere Überlieferung von gleicher Bedeutung
lautet: „Der (wirkliche) Kämpfer (mug ˇ āhid) ist derjenige, der gegen seine eigene Person kämpft.“,
s. Wensinck, Concordance, T. I, S. 389; at-Termidı̄, Bd. 7, S. 123; ibn-Hanbal, Bd. 6, S. 20, 22; Gh,
ih., Bd. III, S. 57. ¯ ˙
81˙
„Welcher Kampf ist besser, …“ befindet sich mit diesem Wortlaut in keiner der Großsammlun-
gen. Stattdessen werden von Wensinck mehrere andere Überlieferungen erwähnt, die diese Bedeu-
tung ausdrücken, wie z. B.: „Derjenige, der (wahrhaftig) für die Angelegenheit Gottes kämpft, ist
der, welcher gegen seine eigene Seele kämpft.“, s. Wensinck, Concordance, T. I, S. 389; s. f. ibn-Han-
bal, Sammlung, Bd. 6, S. 20, 22, wo diese und ähnliche Überlieferungen erwähnt werden. ˙
82 „Der Starke ist nicht derjenige, der im Ringen siegt, …“ wird in mehreren Großsammlungen
erwähnt, wie z. B. in al-Buchārı̄’s Sammlung, s. Bd. VII, S. 99; Wensinck, Concordance, T. III, S. 79.
Drei Analogien führt Gh in diesem Kapitel an, um das Verhältnis zwischen „Seele, an-nafs“,
„Körper, al-badan“, „Begierde, asˇ-sˇahwa“, „Eifer, al-hamı̄ya“ und „Vernunft, al-2aql“ zu klären.
Aus diesen Analogien geht hervor, daß die Vernunft das ˙ oberste Organ ist, das die übrigen Kräfte
beherrschen soll. Diese Rolle ist der Vernunft zugeschrieben, um die Harmonie zwischen den
übrigen Kräften wie Begierde und Eifer zu erwirken. Dieses Ziel ist so anstrengend, daß es dem
heiligen Kampf auf dem Schlachtfeld nahekommt. Belege aus dem Koran und der Überlieferung
verdeutlichen weiterhin die Bedeutung und die Notwendigkeit der Rolle der Vernunft in dieser
Beziehung und besonders in seiner Beherrschung der übrigen Kräfte. Die Bedeutung und die
Rolle der Vernunft setzt Gh in den nächsten Kapiteln fort.
252 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
83
„Was meinst du wohl von einem, …“ Sure 45, P 23, H 22. Gh hat diesen Vers im vorangegange-
nen Kapitel erwähnt, s. D 237 u. Anm. 73.
84
Zu diesem Begriff: „ilāh“, s. D. B. Macdonald, in: Handwörterbuch des Islam, S. 202 f. Gh er-
klärt diesen Begriff und entwickelt dabei seine eigene Philosophie, s. „Die Nische …“, PhB,
Bd. 390, A 60, S. 27 und die entsprechenden Anmerkungen. Zu dem Begriff „dienen“, s. „Die
Nische …“, Anm. 56, S. 71 f.
85 „Bekämpft eure Leidenschaften …“ ist eine Überlieferung, die in keiner der Großsammlungen
erwähnt wird. Stattdessen werden in der Concordance von Wensinck andere Überlieferungen
erwähnt, die darauf hinweisen, wie die Leidenschaften den Menschen irreleiten und das Verderb-
nis desjenigen aussprechen, der sich von ihnen leiten läßt. Auch hier gilt die Auffassung, daß Gh
selbst die Quelle für eine solche Überlieferung ist, s. Wensinck, Concordance, T. I, S. 389 ff., VII,
S. 115 f., so wie Anm. 77. In diesem Zusammenhang lobt der Koran den Widerstand des Menschen
gegen seine eigene Leidenschaft, indem er sagt: „Wenn aber einer den Stand seines Herrn gefürch-
tet und sich nicht erlaubt hat, (persönlichen) Neigungen nachzugehen, ist das Paradies (für ihn)
der Ort der Einkehr.“ Sure 79, P u. H 40 f.; über die sprachliche Anwendung des Begriffs „Nei-
gung“ (arab. hawan, pl. ahwā3), s. ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 15, S. 372 f.
86
„Jeder Mensch hat einen Satan …“ ist ˙eine Überlieferung, die nur von ibn-Hanbal in seiner
Sammlung erwähnt wird. Dort hat sie folgenden Wortlaut: „Jeder von euch wird von ˙ einem Satan
und einem Engel begleitet.‚Die Gläubigen erwiderten: Auch du, O! Prophet? Der Prophet erwi-
derte: Auch ich, jedoch half mir Gott gegen ihn, so daß er mir Wahres flüstert.‘“, s. Wensinck,
Concordance, T. IV, S. 441; ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 1, S. 385; S. Dunyā ist der Meinung, daß
mit dem „Satan“ hier die Heftigkeit˙ der Neigung (Leidenschaft) im Menschen gemeint ist, s.
D 241, Fußnote.
87
„Jedes Mal, wenn 2Umar …“ ist eine Überlieferung, die sich nach Wensinck bei al-Buchārı̄
befindet, s. Concordance, T. II, S. 506; al-Buchārı̄, Sammlung, Bd. 4, S. 199.
Als Beispiel für den siegreichen Kampf gegen die eigene Begierde erwähnt Gh diese Überliefe-
rung von dem Propheten Muhammad über den Kalifen 2Umar ibn-al-Khattāb, den zweiten Kalifen
˙
(regierte von 13 n. H./634 n. Chr.-bis ˙ ˙ Leben dieses Kalifen
23 n. H./644 n. Chr.). Tatsächlich war das
sehr geprägt von Gerechtigkeit und Toleranz. Dies verdeutlicht sich in seinem Verhalten gegen-
über den Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion, sowie zwischen ihnen und den Emi-
ren in den Ländern, die unter seiner Herrschaft standen. Mehrere Beispiele belegen diese Eigen-
schaf, die kaum von einem Herrscher übertroffen wird. 1. Die Bestrafung seines eigenen Sohnes
2Abd-ar- Rahmān ist ein lebendiges Beispiel für eine ausgeübte Gerechtigkeit, auch dann wenn sie
˙
vielleicht übertrieben zu sein scheint, insofern als dieser bei der Ausführung der Strafe wegen
Trunkenheit in Anwesenheit des Kalifen starb, die zum ersten Mal von dem Kalifen mit achzig
Hieben verordnet wurde. Die Bestrafung wurde von dem Kalifen zum zweiten Mal verordnet, als
er erfuhr, daß der Herrscher von Ägypten 2Amr ibn-al-2Ās bei seiner Ausführung der Srafe in
Ägypten gegen seinen Sohn und dessen Freund Abū-Sarwa2a ˙ Milde gezeigt haben soll. 2. Die
Bestrafung des Sohnes von dem ewähnten Herrscher von Ägypen 2Amr ibn-al-2Ās ist ein weiteres
Beispiel. Der Sohn von diesem Herrscher Muhammad verlor gegen einen Ägypter ˙ bei einem
˙
Pferderennen die Wette. Muhammad schlug den Ägypter und schrie dabei: „Ich bin der Sohn der
Edlen.“ Als sich dieser vor dem ˙ Kalifen in Medina beschwerte, rief er den Emir von Ägypten und
dessen Sohn zu sich nach Medina, gab dem Ägypter eine Peitsche und befahl ihm, den Sohn des
Emir ebenso zu schlagen. Dabei sprach er seinen berühmten Satz aus: „Wieso versklavt ihr die
Menschen, obwohl sie frei geboren sind!“. Er begnügte sich nicht damit, sondern gab dem Kläger
die Peitsche und befahl ihm, den Kopf des Emirs selbst damit zu streifen, da der Sohn ohne die
Macht des Vaters eine solche Tat nicht hätte begehen können, s. ibn-al-Ǧauzı̄, sı̄ra …, S. 130. Der
Ägypter hielt sich zurück, wobei der Kalif beteuerte, er hätte ihn nicht verhindert, wenn er den
Kopf des Emir mit der Peitsche gestreift hätte, s. a. a. O. Weder Rang noch Herkunft spielten bei
ihm eine Rolle, wenn es sich um die Durchsetzung von Recht und Ordnung handelt. Insbesonders
griff der Kalif hart ein, wenn sich einer seiner Heerführer oder Landesfürsten durch Privilegien
auszeichnen wollte und sich über den übrigen Menschen erhebt. Sein Verhalten gegenüber den
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 253
beiden Heerführern und Besiegern des römischen und des persischen Reiches Khālid ibn-al-Walı̄d
und Sa2d ibn-Abı̄-Waqqās liefert uns gutes Anschauungsmaterial. 3. Der erste Erlaß, den der Kalif
kurz nach seiner Amtsübernahme˙ unterschrieben hat, bezog sich auf die Absetzung der Heeres-
führung von Khālid ibn-al-Walı̄d und die Enennung seines Stellvertreters Abū-2Ubaida 3bn-al-Ǧar-
rāh an seiner Stelle mit der Begründung, daß sich Khālid bereichert haben soll. Es half dabei nicht,
daß ˙ Khālid an der Spitze seiner Armee kurz vor der Einnahme von Damaskus im Raǧab 14 n. H./
August 635 n. Chr. stand. Nicht nur enthält der Erlaß des Kalifen die Absetzung von Khālid,
sondern die Aufteilung seines Besitzes, seiner Kampfinstrumente, Pferde und sogar seiner Kampf-
stiefel mit seinem Stellvertreter Abū-2Ubaida 3bn-al-Ǧarrāh. Als der spätere Kalif 2Ali 3bn-
Abı̄-Tālib den Kalifen 2Umar nach den Gründen seines Verhaltens ˙ gegenüber einem so erfolg-
˙
reichen Heerführer wie Khālid fragte, erwiderte ihm dieser: „wegen seiner Aufteilung von
Geldern auf die Edlen und beredsamen Leute, während er sich aber den Armen vorenthält, s.
ibn-Katı̄r, al-bidāya … (Die Geschichte …), Bd. 7, S. 117. Es mag sein, daß persönliche Gründe
für die ˙Absetzung von Khālid ibn-al-Walı̄d wie Rivalität u. ä. sprechen, jedoch war der Vorwurf
der Bereicherung und Veruntreuung von Geldern der offizielle Grund von seiten des Kalifen, s.
ebd., S. 115; at-Tabarı̄, tārı̄h … (Geschichte …), Bd. 2, S. 623 ff.
˙ ˙
Ein anderer Heerführer ˘ gleichem Rang, das ist der Oheim des Propheten Muhammad Sa2d
von
ibn-Abı̄-Waqqās, der Bezwinger der Perser in der Schlacht von al-Qādisı̄ya 15 n. H./ ˙ 635 n. Chr.
wurde von dem˙ Kalifen heftig gemaßregelt, weil er zwischen ihm als der Herrscher vom Iraq und
den Menschen in Kūfa Hindernisse baute, die sie von ihren Rechten beraubt haben sollen. Der
Kalif erfuhr nämlich, daß Sa2d ein Schloß ähnlich wie eine Festung gebaut hat, das das Schloß von
Sa2d genannt wurde. Als der Kalif dies erfuhr, schickte ihm einen Boten, das ist Muhammad ibn-
Maslama mit dem Auftrag, das Tor von Sa2d’s Schloß niederzubrennen. Ferner befahl ˙ der Kalif
Sa2d in einem Brief, das Schloß aufzugeben und inmitten der Bevölkerung zu leben, damit sie nicht
von ihren Rechten beraubt werden, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 150 f.
˙
Über seine Toleranz im Umgang mit ˙Andersgläubigen wird hier auf zwei wichtige Ereignisse
eingegangen: 1. Der Friedensvertrag mit dem christlichen Oberhaupt Safronius, dem Patriarch
von Jerusalem, welcher ein Stück Toleranz darstellt, nachdem die Araber Jerusalem im Rabı̄2 II.16
n. H./Mai 639 n. Chr. eingenommen haben. Dieser Friedensvertrag sieht kurz zusammengefaßt
folgendes vor: 1. Die Römer sollen sich von der Stadt abziehen. 2. Die Sicherheit wird denen
gewährleistet, die mit den Römern die Stadt verlassen wollen. 3. Kirchen, Kreuze, und Besitztü-
mer der Christen werden geschohnt. Ihre religiöse Freiheit wird garantiert. Wer von ihnen die
Stadt verlassen will, wird nicht davon abgehalten, dessen Leben und Eigentum bis zum gewünsch-
ten Ziel geschützt, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 103 ff. Als der Kalif sich in die al-Aqsā Moschee begab,
empfahl Ka2b al-Ahbār,˙ ein ˙ jüdischer Rabbiner, der Muslim wurde (s. Anm. 43),˙ daß der Kalif den
Fels als Gebetsnische ˙ für die Muslime zu machen. Der Kalif lehnte diesen Vorschlag ab, und er
sagte dazu: „Uns wurde al-Ka2ba als Gebetsrichtung befohlen, nicht aber der Fels.“ Er bestimmte
die Gebetsrichtung in dem Vorderteil der Moschee, wie sie heute liegt, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 106 f.
Er berücksichtigte den Glauben von Juden und Christen und sicherte ihnen ˙ ˙die Freiheit bei ihrer
Kulthandlungen. Von Juden und Christen erhielt er den Beinamen: „al-Fārūq“, das heißt derjeni-
ge, der zwischen Rechtem und Unrechtem unterscheidet. Nach einer anderen Überlieferung er-
hielt 2Umar diesen Titel von dem Propheten Muhammad, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 267; ibn-al-Ǧauzı̄,
sı̄ra …, 25 f., 38 f. 2. Seine Haltung gegenüber den˙persischen Bauern
˙ ˙ ist in diesem Zusammenhang
erwähnenswert, auf die der erwähnte Heerführer Sa2d ibn-Abı̄-Waqqās auf seinem Feldzug durch
Persien in Tausenden zugestoßen ist. Auf Befehl des Kalifen ließ sie Sa2d ˙ in ihren Dörfern und auf
ihren Feldern frei und unbehelligt leben und arbeiten, nachdem sie sich mit ihm vereinbart haben,
die Kopfsteuer zu zahlen und dafür ihre Religion behalten zu dürfen, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 117.
3. Der Kalif 2Umar lebte in sichtbarer Armut und Askese. So wurde überliefert, ˙ ˙ daß er sein Hemd
an mehreren Stellen flickte und bescheiden speiste, s. ibn-al-Atı̄r, Bd. 4, S. 62 f.; at-Tabarı̄, Bd. 3,
S. 111. Über seine asketische Lebensweise auch im Vergleich zu ¯seinem Vorgänger ˙Abū-Bakr ˙ sagt
der Gründer der Omayyāden Herrschaft Mu2āwiya 3bn-Abı̄-Sufyān (herrschte zwischen 661–680
n. Chr.): „(Der Kalif) Abū-Bakr wollte das Diesseits nicht haben, ebensowenig das Diesseits ihn.
254 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Das Diesseits hat sich 2Umar ergeben, er aber lehnte es ab. Wir hingegen versenken uns im Diesseits
sowohl äußerlich wie auch innerlich.“, s. ibn-Katı̄r, al-bidāya …, Bd. 7, S. 134. 4. Die gegenseitige
Beratung war das herrschende Prinzip im Kalifat ¯ von 2Umar ibn-al-Hattāb. Dazu sagt er: „Es ist
Recht der Muslime, daß sie die gegenseitige Beratung (asˇ-sˇūrā) ausüben˘ ˙ ˙ dürfen. Dieses Prinzip
wurde besonders bei bedeutenden Entscheidungen verwendet. So rief der Kalif nicht nur bedeu-
tende Persönlichkeiten seiner Zeit, um über den Feldzug gegen Persien zu beraten, sondern auch
gewöhnliche Muslime (2āmma), bei der Vergabe von Gehältern, und nicht zuletzt bei der Entschei-
dung, Verwaltungsbüros einzurichten, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 2, 108, 111 f., 277 ff. Ferner bat der Kalif,
˙
angesehene Persönlichkeiten zu sich und ˙fragte, ob sie nach persischer oder römischer Datierung
schreiben sollen. Sie kamen darüber überein, daß das Jahr der Hiǧra (der Auswanderung des Pro-
pheten) als Anfang des islamischen Kalenders zu setzen, s. ibn-al-Ǧauzı̄, sı̄ra …, S. 85. Als die Mus-
lime ihn darum baten, einen Nachfolger zu nennen, führte er die Antwort auf diese Frage auf ein
Gremium zurück, das aus fünf bedeutenden Persönlichkeiten besteht. Es sind: 2Ali 3bn-Abı̄-Tālib,
2Utmān ibn-2Affān, Sa2d ibn-Abı̄-Waqqās, 2Abd-ar-Rahmān ibn-2Auf und az-Zubair ibn-al-2Awwām. ˙
Er¯ schloß bei der Wahl seinen eigenen ˙Sohn 2Abdallāh˙ als Nachfolger von der Wahl aus mit der
Begründung, „daß es der Familie 2Umar ein einziger ausreicht, der vor Gott Rechenschaft über (die
Verwaltung der) Angelegenheiten der Gemeinde Muhammad’s ablegen soll, und (von Gott) dar-
über befragt wird ect.“, s. at-Tabarı̄, Bd. 3, S. 292 ff. Der˙ Kalif 2Umar versteht das Kalifat als Bürde
und keineswegs als persönliche ˙ ˙ Angelegeheit, um dadurch Ansehen und Reichtum für sich und
seine Familie zu gewinnen. Deshalb schloß er seinen Sohn als Nachfolger aus, s. a. a. O. Es wird sehr
weit führen, über die ethischen Grundlagen seiner Herrschaft ins Detail zu sprechen.
88 Abū-Bakr as-Siddı̄q, 2Abdallāh ibn-2Utmān, erster Kalif, Nachfolger des Propheten Muhammad
˙ ˙
und sein Schwiegervater. Er erhielt seinen¯ Namen 2Abdallāh möglicherweise von seinen˙ Eltern,
aber vielleicht von dem Propheten. Vor seinem Übertritt zum Islam hieß er 2Abdel-Ka2ba. Über
seine Bezeichnung „2Atı̄q“ gibt es mehrere Bedeutungen: 1. Sie geht auf den Propheten zurück
und hat die Bedeutung „der vom Höllenfeuer freigesprochene“. 2. Sie bezieht sich auf die Schön-
heit seines Gesichts. 3. Sie ist eine Bezeichnung, die von seiner Mutter stammt, die in al-Ka2ba
Gott darum gebeten hat, er möge ihren Sohn am Leben erhalten, da alle ihre Kinder vor ihm
starben, s. ibn-al-Atı̄r, usdu 3l-ġāba …, (Biographien der Prophetengenossen) Bd. 3, S. 305 f. Er
¯
wurde as-Siddı̄q genannt, was bedeutet „der Aufrichtige“, „der Wahrheitsliebende“. Diese Be-
zeichnung ˙ ˙ geht auf den Erzengel Gabriel und den Propheten zurück, weil er dem Bericht des
Propheten über seine Nachtreise von Mekka nach Jerusalem und zurück in ihrer Einzelheit ohne
jeglichen Zweifel geglaub hat, während andere vom Islam abgetreten, oder an diesem Bericht
gezweifelt haben, s. ibn-al-Atı̄r, Bd. 3, S. 216. ibn-al-Atı̄r und ibn-Hag ˇ ar ordnen ihn unter 2Abdallāh
ibn-2Utmān, während ibn-Kat ˙ ı̄r und at-Tabarı̄ ihn lediglich
¯ ˙
mit seinem Beinamen Abū-Bakr, wie
¯
auch europäische ˙ ˙
Autoren z.¯ B. Handwörterbuch des Islam, S. 6 ff., Khury u. a., Islamlexikon,
S. 37 f.; The Encyclopaedia of Islam, Bd. 1, S. 109.
Die ethischen Grundlagen seines Kalifats: 1. Abū-Bakr übernahm das Kalifat in einer turbulenten
Zeit, während viele arabische Stämme den Islam als Glaube und soziales System ablehnten. Ein
Blick in seine wichtigen Reden bei seinem Amtsantritt, die an die Muslime und an die Heerführer
gerichtet sind, zeigt vor allem, wie Abū-Bakr von festem Glauben, Entschlossenheit und Einsicht
war. Anläßlich des Aufstandes arabischer Stämme, kurz vor dem Ableben des Propheten, be-
schloß der Prophet ein Heer unter der Führung von Usama 3b-Zaid gegen die Römer in Syrien zu
entsenden. Abū-Bakr setzte diesen Beschluß nach dem Ableben des Propheten in die Tat um trotz
des Protests mancher Kameraden und hielt dabei folgende Rede ab: „Ich bin lediglich einer von
euch, der mit der Verwaltung eurer Angelegenheit beauftragt wird, obwohl ich nicht der beste
unter euch bin. Wenn ich dabei einen Aufrichtigen Umgang mit euch habe, dann folgt ihr mir.
Ansonsten, wenn ich vom Koran und der Sunna (Überlieferungen) abweiche, dann berichtigt ihr
mich.“ Der Anspruch des Kalifen auf Gehorsam ist nach dieser Rede keineswegs absolut, sondern
bedingt durch seinen Gehorsam an Gott und an die Sunna. Weiterhin räumt der Kalif der isla-
mischen Gemeinde das Recht auf Widerstand ein, um den Kalifen zu Recht zu weisen, s. at-Tabarı̄,
Bd. 2, S. 460 f.; ibn-Katı̄r, al-bidāya wa-3n-nihāya (Vom Anfang und Ende der Geschichte), ˙ ˙ Bd. 6,
¯
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 255
S. 301. 2. In derselben Rede betont der Kalif weiter, daß er vor nichts zurückschrecken werde, um
das Recht besonders gegenüber dem Starken für den Schwachen durchzusetzen.
Elf Heere unter elf Persönlichkeiten wie Khālid ibn-al-Walı̄d und 2Amr ibn-al-2Ās kämpften zur
Unterwerfung des arabischen Widerstandes auf der arabischen Halbinsel, die jede Ecke ˙ erfaßte, s.
ibn-Katı̄r, Bd. 6, S. 315 ff.; 331. In einer Rede an diese Heere bestimmt der Kalif ihre Aufgaben und
¯
legt Verhaltensregeln für ihr Vorgehen gegen die arabischen Abtrünnigen dar, die sie beachten
sollen: „Ihr dürft keinen Verrat begehen, keinen Groll empfinden, keine Hinterlistigkeit, keine
Verstümmelung begehen, weder Kinder noch alte Leute oder Frauen dürft ihr töten. Ihr dürft
keine Palme abreißen, noch verbrennen, noch Obstbäume abschneiden, und kein Schaaf, noch
Kühe oder Kamele abschlachten, es sei denn aus Hungersnot. Ihr werdet bei Menschen vorbeizie-
hen, die in Mönchszellen leben. Ihr sollt sie bei dem belassen, womit sie sich beschäftigen … etc.“
s. at-Tabarı̄, Bd. 2, S. 463. Achtung vor dem menschlichen Leben, Schutz des Schwachen und nicht
˙ ˙ Toleranz gegenüber Andersgläubigen, sind die Charakterzüge seiner kurzen Herrschaft.
zuletzt
Als man ihn mit dem Titel: „der Kalif Gottes auf Erden“ auszeichnen wollte, lehnte er dies ab, und
sagte: „Ich bin lediglich der Nachfolger des Propheten“. Daraus folgert al-2Aqqād (1889–1964),
daß das Kalifat von Abū-Bakr weder theokratisch noch oligarchisch, sondern eine Art Demokra-
tie war, s. al-2abqarı̄yāt (Die Genien des Islam), Abū-Bakr, S. 88. Dies ist ein kurzer Überblick
über die Ethik des ersten Kalifen des Islam, dessen Regierungszeit sehr kurz war. Abū-Bakr starb
im Ǧumādā II, 13 n. H./ August 634 n. Chr. Seine Kalifatszeit dauerte zwei Jahre, drei Monate und
einige Tage, s. at-Tabarı̄, Bd. 2, S. 612; ibn-Haǧar, al-isāba …, Bd. 4, S. 175.
89 „Das Kriterium ˙ ˙ des Wissens“, s. „Die Nische ˙ ˙
der Lichter“, Anm. 25, S. 68. Der Herausgeber der
D Ausgabe S. Dunyā bemerkt dazu, daß „mi2yār al-2ilm“ (Das Kriterium des Wissens) früher als
das „Kriterium des Handelns“ entstanden ist. Dies bedeutet, daß die Logik in jener Epoche ver-
wendet wird, um das Dogma des Islam zu verteidigen oder zu berichtigen. Dies hat zur Folge, daß
Gh Zielscheibe einer scharfen Kritik derer wurde, die die Logik als Teil der Philosophie betrach-
ten und in die beiden eine Gefahr gegen das Dogma sehen, s. D 242, Fußnote.
90
„Der Weg ins Paradies …“ ist eine Überlieferung, die sich in mehreren großen Sammlungen
befindet, wie z. B. in al-Buchārı̄, s. Wensinck, Concordance, T. I, S. 376, al-Buchārı̄, Bd. 7, S. 186.
Dort heißt es mit anderem Wortlaut: „Der Weg zur Hölle wird mit Leidenschaften bedeckt, der
des Paradieses mit unangenehmen Dingen.“
91
„Eine Sache ist euch vielleicht zuwider …“ Sure 4, Vers P 19, H 23. Teil eines Verses, dessen
Anfang den Wortlaut hat: „Ihr Gläubigen! Es ist euch nicht erlaubt, Frauen (nach dem Tode ihres
Mannes) wider (ihren) Willen zu erben …“ Ursprünglich bezieht sich der Vers auf das Verhältnis
zwischen den Eheleuten. Vor dem Islam war es möglich, daß ein Verwandter des verstorbenen
Ehemannes das ehelische Leben des verstorbenen Verwandten an seiner Stelle weiterhin fortsetzt,
auch ohne Zustimmung der Witwe. Die Witwe aber könnte ihren Willen frei durch Geld erkaufen.
Der Islam hat diesen Brauch abgeschafft, und fordert im Koran die Muslime dazu auf, gütig mit
den Frauen umzugehen, wie an dieser Stelle der Fall ist. Zwitracht, ja sogar Abneigung dürfen kein
Grund für eine Scheidung sein. Denn: „so ist euch vielleicht etwas zuwider, …“ Gh erwähnt diese
Stelle aus dem intimen Bereich des Menschen, um zu zeigen, daß nicht jede Abneigung mit un-
angenehmen Folgen verbunden sein soll. Das zweite Beispiel nimmt Gh aus dem sozial-politischen
Bereich aus, das in der Erörterung des nächsten Verses dargelegt wird, s. ar-Rāsı̄, Korankommen-
tar, Bd. 10, S. 10 ff.
92 „Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, …“ Sure 2, Vers P 216, H 213. Es ist ein Teilvers, dessen
Anfang wie folgt lautet: „Euch ist vorgeschrieben, (gegen die Ungläubigen) zu kämpfen, obwohl
es euch zuwider ist …“ Bei der Interpretation des Verses ewähnt at-Tabarı̄ die Meinung vieler
Traditionalisten, daß die Pflicht zu kämpfen lediglich auf die Kameraden ˙ ˙ des Propheten be-
schränkt ist. Es ist also keine individuelle- (fard 2ain), sondern eine Kollektivpflicht (fard kifāya),
es sei denn, daß das Land der Muslime von Feinden ˙ ˙
überfallen ist, s. at-Tabarı̄, Korankommentar,
Bd. 2, S. 344 ff.; s. f. ar-Rāsı̄, Bd. 6, S. 25 ff. Der gemeinsame Sinn besteht ˙ ˙darin, daß der Kampf mit
der möglichen Aufopferung der eigenen Person für den Menschen zuwider ist. Es kann aber mit
guten Folgen wie Sieg oder Märtyrertod enden.
256 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
93
Zwar leitet die Vernunft den Menschen durch wahrhaftige Argumente, jedoch ist die Wahr-
haftigkeit der Vernunftargumente bedingt durch die göttliche Mitwirkung, durch das Licht Gottes,
wie sich Gh ausdrückt, die einmal durch Selbstanstrengung (z. B. durch Gottesdienste), einander-
mal durch Beratung von seiten der Frommen. Gh weist der Vernunft eine fast unfehlbare Auto-
rität zu, schränkt diese Autorität gleich durch göttliche Orientierung ein. Denn der Mensch befin-
det sich im ständigen Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft. In diesem Kampf braucht er
„Verbündete“. Nichts besseres gibt es als „Verbündete“ außer Gott und seinen Vertrauten, wie Gh
in diesem Teil dieses Kapitels und mit Belegen aus dem Koran darzustellen versucht. Dadurch
erkennt man die Funktion der „gläubigen Vernunft“ in der Ethik von Gh.
94
„Gott ist der Freund derer, …“ Sure 2, Vers P 257, H 258. at-Tabarı̄ bezieht den Begriff „Fin-
˙
sternis“ hauptsächlich auf den „Unglauben“ und „Licht“ auf den˙ „Glauben“, wohingegen al-Alūsı̄
beide Begriffe erweitert. So bezieht sich bei ihm der Begriff „Finsternis“ auf die „Sünden“ und
„Licht“ auf „die Gottesdienste“. Der „Unglaube“ und die „Sünden“ bedecken die Scharfsichtig-
keit des Menschen, während der „Glaube“ und „die Gottesdienste“ heben diese Decke auf. Somit
wird der Mensch durch das Licht Gottes geleitet, s. at-Tabarı̄, Bd. 5, S. 424; al-Alūsı̄, Bd. 3, S. 14.
ar-Rāsı̄ erwähnt in diesem Zusammenhang eine interessante ˙ ˙ Meinung, daß die Liebe Gottes alle
Menschen umfaßt, besonders aber die Gläubigen, s. Korankommentar, Bd. 7, S. 18. Er erwähnt
ferner eine Auseinandersetzung zwischen den Sunnı̄ten und den Mu2tazilı̄ten über die Bedeutung
der Mitwirkung Gottes bei der Leitung des Menschen zum Glauben, auf die hier nicht eingegan-
gen werden kann, s. S. 18 ff.
95 „Hast du nicht gesehen, …“ Sure 14, Vers P 24 ff., H 29. Nach verschiedenen Überlieferungen
ist mit dem guten Baum die Palme gemeint. Die Analogie besteht darin, daß der Gläubige durch
seine Aufrichtigkeit, gute Worte und Handlungen wie die Palme, deren Wurzeln tief in den Boden
hineingehen und ihre Krone in den Himmel ragt und jährlich oder halbjährlich gute Früchte (Dat-
teln) auf den Boden wirft. Es kann auch der Feigenbaum, oder jeder Früchtetragende Baum ge-
meint sein. Die vielen Überlieferungen aber beziehen sich auf die Palme. Unter „gutem Wort“
verstehen die Korankommentatoren folgendes: 1. Das Bezeugen, daß es keinen Gott außer Gott
gibt. 2. Der Koran. 3. Jedes gute Wort. 4. Die Lobpreisung Gottes. 5. Alle guten Handlungen.
Unter „schlechtem Wort“ ist zu verstehen: 1. Jede Aussage, die den Unglauben beinhalten. 2. Die
Lüge. 3. Jede Aussage, die gegen Gott gerichtet ist. Unter „schlechtem Baum“ führen die Korane-
xegeten mehrere Bedeutungen auf: 1. Kürbisgewächs. 2. Knoblauchbaum. 3. Dornbusch. 4. Jeder
Baum, dessen Früchte schlecht sind. Die erste Bedeutung wird von vielen Überlieferungen belegt,
s. al-Alūsı̄, Korankommentar, Bd. 13, S. 213 f.; 215; at-Tabarı̄, Bd. 13, S. 203 ff.; ar-Rāsı̄, Bd. 19,
S. 116 ff. Damit behält die philosophische Bestimmung ˙die ˙ sprachliche Grundbedeutung.
96 „Wenn über diejenigen, die gottesfürchtig sind, …“ Sure 7, P 200 f., H 199 f. „Erscheinung für
„tā3if“ und „taif“ heißt ursprünglich „Berührung“ mit dem Satan, das heißt „Besessenheit“ von
˙ s. ibn-Manz
ihm, ˙ ūr, lisān …, Bd. 9, S. 228, im Sinne von umhergehen, – streifen; Hans Wehr, Ara-
bisches Wörterbuch,˙ S. 518. Mit „tā3if“ und „taif“ wird der Vers überliefert, und sie haben beide die
gleiche Bedeutung. Dann wurde der ˙ Begriff ˙für „Zorn“ verwendet, das heißt, wenn du von „Zorn“
überfallen wirst, dann suche die Zuflucht bei Gott. Nach einer anderen Überlieferung bedeutet
der Begriff „Fehltritt“, s. at-Tabarı̄, Bd. 9, S. 157 f. F. Rückert gibt den Begriff im Deutschen mit
˙ ˙ Der Koran, S. 107. Ebenso der englische Übersetzer A. Arberry,
„Reizung“ wieder, s. F. Rückert,
der den Begriff mit „Provocation“ übersetzt, s. The Koran, the World Classics, Oxford: University
Press 1985/86, S. 167.
97 „Leidenschaft, šahwa, pl. šahawāt, ašhiya u. šuhan“, sprachlich: ein heftiger Wunsch und eine
seelische Kraft, welche verursacht, daß der Mensch für sich das wünscht, was von materiellen
Genüssen vorhanden ist, s. ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 14, S. 445; al-mu2ǧam al-wası̄t, Bd. 1, S. 498.
al-Ǧurǧānı̄ bestimmt den Begriff als˙ eine seelische Bewegung, welche den Menschen ˙ zu einem
bestimmten Ziel hinbewegt, s. al-Ǧurǧānı̄, at-ta2rı̄fāt, S. 135.
„Neigung, hawan, Pl. ahwā3“: eine Handlung, die gegen die Vernunft gerichtet ist oder sinnlos
ausgeübt wird, wie ibn-Manzūr in seiner Interpretation des koranischen Verses P 43, H 44, Sure 14
meint: „mit leeren Herzen“,˙H „ödem Herzen“, daß die Frevler am Jüngsten Tag „ohne Verstand“
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 257
vortreten, so daß sie aus Angst nicht begreifen, oder in ihrem Benehmen „herzlos“ sind, s. lisān …,
Bd. 15, S. 370.
Im Sprachgebrauch des Korans wird der Begriff im Gegensatz zu „Rechtleitung“ im Zusammen-
hang des Glaubens, „arab. ı̄mān“ und im Gegensatz zur „Gerechtigkeit“ in bezug auf das soziale
Verhalten verwendet. So warnt der Koran davor, „persönlichen Neigungen“ zu folgen, weil sie
zum „ungerechten Verhalten“ führen: „und folgt nicht der „persönlichen Neigung“, (anstatt) daß
ihr gerecht seid …“ (Sure 4, Vers P 135, H 134). Im allgemeinen wird derjenige, der seinen Nei-
gungen entsagt, mit dem Paradies belohnt: „Wenn aber einer den Stand seines Herrn gefürchtet,
und sich nicht erlaubt hat, (persönlichen) Neigungen nachzugehen, ist das Paradies (für ihn) der
Ort der Einkehr.“ Sure 79, Vers P u. H 40 f.; s. f. Sure 38, Vers P 26, H 25; 53, P u. H 3; 28, P u. H 50,
um sich mit einigen wichtigen Stellen zu begnügen.
1. „Leidenschaft“ wird im Sprachgebrauch des Korans als ein heftiger Wunsch bestimmt, der so-
wohl körperlich wie auch geistig sein kann. Der Koran beschreibt die Ziele, die bei dem Menschen
solchen heftigen Wunsch erwecken können, wie folgt: „Den Menschen erscheint es herrlich (all
das) zu lieben, worauf man Lust hat, Frauen, Söhne, (ganze) Zentren von Gold und Silber, mar-
kierte Pferde. Das (alles) ist aber nur für den (kurzen) Gebrauch im diesseitigen Leben bestimmt.
Doch bei Gott gibt es (dereinst) eine schöne Einkehr …“ Sure 3, Vers P 14, H 12. Gott ist nach
einer Meinung der Urheber dieser Bewegung, insofern er dem Menschen bestimmte Antriebe
mitgegeben hat, die ihn dazu hintreiben. Der Koran erwähnt verschiedene Aspekte, die fast den
gesamten Lebensbereich des Menschen in individueller wie auch in sozialer Hinsicht umfassen.
Jedoch weist er darauf hin, daß dies ein diesseitiger und vorläufiger Genuß ist, wohingegen der
wahrhaftige Genuß derjenige ist, welcher mit Rücksichtnahme auf den Glauben an Gott und das
Jenseits gebunden ist. Die Eigenschaft der Menschen, die einen solchen Glauben besitzen, hat der
Koran im folgenden Vers beschrieben: „… die geduldig und wahrhaftig und (Gott) demütig erge-
ben sind, und die Spenden geben und in der Morgendämmerung (…) um Vergebung bitten.“
(Sure 3, Vers P 17, H 15). Als der Kalif 2Umar (s. Anm. 87) diesen Vers las, sagte er: „Wir können
uns nur darüber freuen, was Gott für uns von Schmuck (des Diesseitigen Lebens) geschenkt hat.
Gott möge uns dazu bewegen, ihn in seinem rechten Maß zu gebrauchen, s. al-Buchārı̄, Bd. 7,
S. 176. Der Koran verwirft also lediglich das Überschreiten des rechten Maßes beim Befriedigen
menschlicher Antriebe, die auf Leidenschaften beruhen, s. ibn-Katı̄r, Korankommentar, Bd. 1,
S. 51 ff.; S. Qutb, Korankommentar, Bd. 3, S. 57 ff. ¯
2. In der muh˙ammedanischen Überlieferung wird „Leidenschaft“ arab. „šahwa“ auch in diesem
Bereich als ein˙ seelischer Vorgang verstanden, der die körperorgane zu einem bestimmten Zweck
in Bewegung setzt. Sie kann den Menschen dazu bewegen, sich gegen die göttliche Bestimmung
frevelhaft zu verhalten. Vor allem sexuelle Begierde führt bei übermäßiger Leidenschaft zur Un-
zucht. In diesem Zusammenhang sagt der Prophet Muhammad: „Gott weiß schon, wie sich der
Mensch frevelhaft verhält: Die Augen freveln, indem sie ˙ sexuell begehren. Die Zunge frevelt,
indem sie darüber spricht. Die Seele begehrt und verhält sich leidenschaftlich. Die sexuelle Lei-
denschaft bewegt sich dementsprechend, je nach dem, wie sich der Mensch entscheidet.“, s. al-
Buchārı̄, Bd. 7, S. 214. Der Vollzug der Handlung hängt von dem Grad des Begehrens ab, das heißt,
wie heftig die Leidenschaft ist.
Leidenschaft ist nicht nur materiell, sondern sie kann auch geistiger Natur sein. Der Prophet ant-
wortet auf die Frage eines Bedwinen, der die Schönheit sogar in der Schlinge seiner Schuhe liebt,
mit den Worten: „Gott ist schön, und er liebt die Schönheit.“, s. ibn-Hanbal, Bd. 4, S. 151.
Der höchste Genuß ist das Anschauen der göttlichen Anwesenheit und ˙ die Sehnsucht nach ihrer
Begegnung, s. ibn-Hanbal, Bd. 5, S. 191. Deswegen empfiehlt der Prophet die Erinnerung an den
˙
Tod, welcher uns dahinführt, und warnt seine Gemeinde vor den Übeln der Leidenschaften, be-
sonders vor denjenigen, die sich auf den Magen und die Sexualität beziehen, s. ibn-Hanbal, Bd. 4,
S. 430. Er betont ständig, daß der Hölleneingang mit leidenschaftlicher Verfehlungen ˙ verbunden
ist, und der zum Paradies durch Enthaltsamkeit und Selbstanstrengung erreichbar ist, s. ad-
Dāramı̄, Bd. 2, S. 245.
Leidenschat ist demnach eine Befriedigung der in uns von Gott geschaffenen Antriebe und Kräfte,
258 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
welche zu einer Überschreitung der gesetzlichen Bestimmung des Islam führen könnte. Denn eine
Befriedigung im Rahmen dieser Bestimmung ist gestattet.
Für die Selbstbeherrschung bei Wut wird der Mensch durch Bestärkung des Glaubens belohnt, s.
ibn-Hanbal, Bd. 1, S. 327. Besonders das Fasten und die Beschäftigung mit dem Koran tragen dazu
˙ Leidenschaften zu erziehen und ihre übermäßige Forderung in Schranken zu halten, s.
bei, die
al-Buchārı̄, Bd. 2, S. 226; ibn-Hanbal, Bd. 9, S. 216.
3. „Leidenschaft“ bei Gh ist eine ˙ Fähigkeit im Menschen, welche als Aspekt der motivierenden
Kraft den Menschen zu einer Handlung führt, von der er glaubt, sie sei zweck des Genusses not-
wendig oder nützlich, s. D 201. An zweiter Stelle nach der Denkfähigkeit steht die Fähigkeit zum
Begehren, welche in der Weise erzogen werden soll, daß sie jener gehorscht, s. D 233. „Neigung,
al-hawā“ und „Leidenschaft, aš-šahwa“ gehören zusammen, wie an dieser Stelle der Fall ist. Die
Leidenschaft ist eine tadelnswerte Neigung. Die lobenswerte ist eine Fähigkeit, die Gott in den
Menschen hineinlegte, um die Bedürfnisse seines Körpers in der erlaubten Weise zu befriedigen,
wodurch entweder die Erhaltung des Individuums oder die der Gattung erreicht wird, s. D 246.
Der Lob des Islam für die gute Gesinnung und für die Beherrschung der Leidenschaften ist an
mehreren Stellen des Korans zu lesen, worauf Gh Bezug nimmt, s. D 234.
In dieser Unterscheidung zwischen Leidenschaft und Neigung folgt Gh der koranischen Begriffs-
bestimmung, welche davor warnt, der Neigung nachzugehen: „und folgt nicht der Neigung „al-
hawā“, anstatt, daß ihr gerecht seid!“, s. Sure 4, Vers P 135, H 134, wobei H den Begriff „Leiden-
schaft“ verwendet.
Im allgemeinen wird derjenige, der seinen Neigungen absagt, mit dem Paradies belohnt: „Wenn
einer aber den Stand seines Herrn gefürchtet und sich nicht erlaubt hat, Neigungen nachzugehen,
ist das Paradies der Ort der Einkehr“, s. Sure 79, Vers P u. H 40 f.; s. f. 28, P u. H 50, um sich
lediglich mit einigen wichtigen Stellen zu begnügen. An diesen und ähnlichen Stellen wird derje-
nige, der seinen Neigungen (od. Leidenschaften) befolgt, verurteil, weil er ungerechterweise han-
delt. Die Befolgung der Neigung steht im Widerspruch zur „Rechtleitung“ in bezug auf den Glau-
ben und gegen die „Gerechtigkeit“ in bezug auf das ethische Verhalten, wie es aus diesem Kapitel
hervorgeht.
„Enthaltsamkeit, al-2iffa“ ist die Tugend der Begierde, s. D 264 f. Die Erziehung der Begierde
bedeutet, daß sie – wie bereits erwähnt – dem „Denkvermögen“ leicht und mühelos gehorcht,
das heißt, daß ihre An-und Ausspannung sich nach der Anweisung des Denkvermögens richten,
D 269 f. Die „Enthaltsamkeit, al-2iffa“ ist von zwei Lastern umgeben, nämlich der Gier, aš-šarah
und der Apathie, humūd aš-šahwa“, welche Gh an dieser Stelle erörtert.
„Die Vollkommenheit ˘ liegt nur im mittleren Maß, al- i2tidāl,
mesth@“, dessen Kriterium die
Vernunft und das islamische Gesetz sind“, s. D 270. Diese beiden sind die Grundlagen der isla-
mischen Ethik, wie sie sich Gh im Gegensatz zu der aristotelischen vorstellt, s. f. „Die Nische …“,
A 85 ff.
98 „Gott hat die Schöpfung und die Schicksalsbestimmung vollendet.“ ist Teil einer Überlieferung,
die nach Wensinck in der Sammlung von ibn-Hanbal vorhanden ist. Sie lautet dort in voller Länge:
„Nachdem Gott die Schöpfung vollendet hatte, ˙ schrieb er auf seinen Thron: ‚Meine Barmherzig-
keit überwiegt meinen Zorn.‘“, s. Concordance, T. V, S. 122; ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 2, S. 466;
al-Buchārı̄, Bd. 4, S. 73, mit verändertem Wortlaut. Gh vertritt hier ˙ die Auffassung, daß die Ana-
logie zwischen „halq“ Schöpfung und „huluq“ der ethischen Gesinnung in Bezug auf die Unver-
˘ ist. Die Begründung˘ dafür führt er in diesem Kapitel aus.
änderlichkeit falsch
99 „Verbessert eure Gesinnung …“ wahrscheinlich Teil einer Überlieferung, die, wie die vorherige
nicht leicht zu finden ist. Zahlreiche Überlieferungen aber erwähnt Wensinck in seiner Concor-
dance, die auf die Verbesserung der ethischen Gesinnung des Menschen hinweisen, wie z. B.:
„Derjenige, der unter den Gläubigen einen vollkommenen Glauben besitzt, ist derjenige, der eine
bessere ethische Gesinnung (arab. huluq) besitzt“, s. Abū-Dāwūd, Sammlung, Bd. 2, S. 523. Und
ferner: „Geht mit den Menschen mit ˘ guter ethischer Gesinnung um.“, s. ibn-Hanbal, Sammlung,
˙ ibn-Manzūr, li-
Bd. 5, S. 153; Bd. 4, S. 278; Wensinck, Concordance, T. II, S. 74 f., 94 f. „huluq“;
sān …, Bd. 13, S. 114. ˘ ˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 259
100
1. Über die Heuchelei und das Verhalten der Heuchler gibt es zahlreiche Stellen im Koran, die
dies beschreiben, wie Sure 4, P 142, H 141 ff.: „Wenn sie sich zum Gebet aufstellen, tun sie es nach-
läßig, wobei sie von den Leuten gesehen werden wollen. Ihre Gedanken sind kaum auf Gott einge-
stellt. Sie schwanken unentschieden zwischen den Parteien (…) weder zu diesen noch zu jenen
(…).“ Ihr Verhalten in der Gemeinde steht im Gegensatz zur ethischen Gesinnung (huluq), wie es
aus folgenden Stellen hervorgeht: „Sie gebieten, was verwerflich ist, und verbieten, ˘was recht ist,
und halten ihre Hand geschlossen (als Symbol für ihren Geiz). Sie haben Gott vergessen, und nun
hat (auch) er sie vergessen. Die Heuchler sind die (wahren) frevler …“ Sure 9, Vers P 67 ff.,
H 68 ff.; s. f. 3, P 167 ff., H 160 ff. Eine ganze Sure widmet der Koran dem Verhalten der Heuchler
in dogmatischer und ethischer Weise, das ist Sure 63 (Die Heuchler), arab. „al-munāfiqūn“.
2. Zahlreiche muhammedanische Überlieferungen erwähnt Wensinck in seiner Concordance, s.
˙
T. VI, S. 523 ff. „munāfiq“. Von diesen Überlieferungen ist folgende zu erwähnen, die keine wei-
tere Interpretation braucht: „Wenn drei folgende Charaktereigenschaften im Menschen vorhan-
den sind, so ist er ein Heuchler: „1. Wenn er spricht, lügt er, 2. Wenn er etwas verspricht, hält er
sein Versprechen nicht ein, 3. Wenn man bei ihm etwas deponiert, betrügt er denjenigen, der ihm
etwas anvertraut.“, s. ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 2, S. 200.
101
Gh verwendet die beiden ˙ Begriffe: „dihn“, und „tamyı̄z“ für ein und dasselbe Vermögen, wel-
ches im Deutschen mit „Verstand“ wiedergegeben ¯ werden kann. Im Lateinischen wird es mit
„mens“ und im Griechischen mit „no‰@“, arab. auch „2aql“ übertragen. Es kann hier die Gesamt-
fähigkeit des Menschen zum Denken, im Unterschied zu den Sinnen, gemeint sein. Zu der An-
wendung des Begriffs „dihn“ bei Gh, s. F. Jabre, Essai …, S. 99.
Unter „gute Gesinnung,¯ husn al-huluq“ versteht man das Vermögen zum ethischen Verhalten, was
˙
im Griechischen mit „proafflresi@“ ˘ „ein guter Wille“ wiedergegeben werden kann. Beide sowohl
„Verstand“ als auch „ein guter Wille“ sind für das ethische Verhalten erforderlich. Auch hier in
diesem Kapitel setzt Gh seine Darlegung über die Bedeutung der Gewohnheit „˛jo@, 2āda“ fort,
die er im vorigen Kapitel behandelt hat. Sie ist für die Befestigung der guten Charaktereigenschaf-
ten von großer Bedeutung, s. „ihyā3 …“, „Wiederbelebung …“, arab., Bd. 4, S. 218 ff.
102 „taqlı̄dāt, Nachahmungen“, Sing. ˙ „taqlı̄d“ von „qallada“ heißt „nachahmen“. Gh meint, daß es
eine Art von Erkenntnis gibt, die man durch Eltern, Lehrer und Gesellschaft gewinnen kann,
jedoch für die Erlangung der Gewißheit im Glauben und Handeln ungeeignet ist. Für den Glau-
ben sowie für das ethisch bewußte Handeln soll sich der Mensch selbst anstrengen, wobei ihm der
klare Verstand hilft. „taqlı̄d“ bedeutet „Nachahmen“, sei es im Erkennen, sei es im Handeln. Es ist
nicht geeignet für die Verantwortung des Menschen gegenüber Gott und dem eigenen Gewißen, s.
F. Jabre, Essai …, S. 237; Der Erretter …, PhB, Bd. 389, Anm. 7, S. 74.
103 „noch durch wenig überzeugende und unbegründete Ansichten …“ für „tahayyulāt“, von
„tahayyala“, was soviel heißt wie „Vorstellungen“, „Imaginationen“. Wenn sie wenig ˘ überzeugend
und˘ unbegründet sind, dann bieten sie kaum eine sinnvolle, geschweige denn eine sichere Er-
kenntnis.
104 „sondern durch entscheidende und Gewißheit vermittelnde Beweise …“ arab. „2an barāhı̄n
qāti2a mufı̄da li-3l-yaqı̄n …“ Das ist die Leistung des guten Denkvermögens. Ein solches Denkver-
˙
mögen ist in der Lage, zwischen Glückseligkeit und Verdammnis zu entscheiden. Diese Art von
Vertrauen verleiht Gh dem menschlichen Verstand. Denn der Verstand (2aql auch Vernunft ge-
nannt) führt den Menschen zur sicheren Erkenntnis, und liefert ihm sogar verschiedene Beweise,
die ihm von der Wahrheit überzeugen. Gh zeigt in seinem Werk „Der Erretter …“ wie die mathe-
matischen und logischen Erkenntnisse auf solchen Beweisen beruhen, die von der Vernunft gelei-
stet werden. Sie bieten die Grundlage der Überzeugung, s. „Der Erretter …, PhB, Bd. 389, A 23 ff.;
„Die Nische …“, A 76 f., wo Gh über die Organe und die Stufen der Erkenntnis spricht. Aus dieser
Darstellung ergeben sich drei Hauptquellen der Erkenntnis: 1. Eine sichere Erkenntnis, die auf
sicheren Beweisen beruht, deren Quelle die Vernunft (oder der Verstand) ist. Dies ist die mathe-
matische und logische Erkenntnis. 2. Eine Erkenntnis, die auf Nachahmungen beruht, wie die
„Informationen“, die man von den Eltern und Lehrern erhält, und sie ohne Reflexion und un-
durchdacht aufnimmt. 3. Eine Erkenntnis, die subjektiver Natur ist, die auf unvollständigen und
260 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
unklaren Vorstellungen „tahayyulāt“ beruht, dessen adäquate Beispiele in der Außenwelt fehlen.
˘
Diese beiden Arten von Erkenntnissen vermitteln keine Gewißheit. Gh macht in seinen Werken
oft Gebrauch von der ersten Typ der Erkenntnis, besonders der logischen, wie zum Beispiel seine
Anwendung des Syllogismus in vielfältiger Weise, der hypothetischen, kategorischen, und disjunk-
tiven etc., s. al-qistās al-mustaqı̄m, hrsg. v. Victor Chelhot, welcher es ins Französische unter dem
Titel übersetzte: „La˙ Balance juste“, Damas 1958. Interessant in diesem Zusammenhang ist es, daß
Gh dabei keinen Widerspruch zwischen Vernunft und Offenbarung sieht. Im Gegenteil er leitet
die fünf Syllogismen aus dem Koran, die unter der Equivalenz und dem hypothetischen Syllogis-
mus fallen. Sogar die Propheten, an deren Spitze Abrāhām steht, haben sie in ihrem Dialog mit
den Heiden verwendet, s. „al-qistās …“, arab., S. 46 ff., 67 f.; franz., S. 47 ff., 62; „Der Erretter …“,
Anm. 51, S. 89 f.; „Die Nische …,˙A 77.
105 „Ich bin freien Mutes im Gebet“ ist Teil einer Überlieferung, die die Zuneigung des Propheten
Muhammads zu den Frauen und zu den Wohlgerüchen ausdrückt, dessen Wortlaut ist: „Mir ist es
von˙ eurem Diesseits Frauen und Wohlgerüche lieb gemacht.“, s. Wensinck, Concordance, T. I,
S. 405; ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 3, S. 199; 6, 450. Der Sinn dieser Überlieferung besteht darin,
daß das Gebet ˙ im Vergleich zu den übrigen Dingen an höchster Stelle steht, darunter Frauen und
Wohlgerüche, die von den meisten Menschen bevorzugt werden, und an denen der Prophet auch
als Mensch Freude hat. Diese Überlieferung weist ferner darauf hin, welchen Stellenwert das
Gebet im Islam hat, s. Sure 14, Vers P 31, H 36; das Abrāhāmsgebet in Vers P 35 ff., H 38 ff. Die
Bedeutung des Gebets wird im nächsten Vers weiterhin hervorgehoben.
106 „Und suchet Hilfe in der Geduld und im Gebet …“ Sure 2, Vers P 45, H 42. Der Vers enthält
eine Aufforderung dazu, die Herrschaftssucht und den Egoismus zu überwinden, s. at-Tabarı̄,
Korankommentar, Bd. 1, S. 259 f. Mit Geduld konnte „das Fasten“ gemeint sein, insofern ˙ ˙ „das
Fasten“ Geduld bedeutet. Deswegen wird der Monat „Ramadan“ Monat der Geduld genannt, s.
a. a. O. Durch die Beschäftigung mit dem Gebet liegt ein Trost für die Abwendung von diesseitigen
Verlockungen vor. Es wird überliefert, daß der Prophet Muhammad zum Gebet eilt, wenn er eine
wihtige Entscheidung treffen wollte. ˙
Das Gebet verhilft dem Menschen dazu, sich von den Sünden fernzuhalten: „Verrichte das Gebet!
Das Gebet verbietet (zu tun), was abscheulich und verwirflich ist. Aber Gottes zu gedenken be-
deutet (noch) mehr …“, s. Sure 29, Vers P 45, H 44. Über die erzieherische und ethische Bedeu-
tung des Gebets im Koran, s. Sure 2, P 83, H 77; 14, P 31, H 36; 21, P u. H 73; 22, P 41, H 42; 24, P u.
H 37, um sich lediglich mit einigen Stellen zu begnügen.
107 „Wenn du handeln kannst, um die Wohlgefälligkeit Gottes zu erlangen, …“ ist Teil einer relativ
langen Überlieferung, die nach Wensinck lediglich bei ibn-Hanbal vorhanden ist, s. Wensinck,
Concordance, T. III, S. 243; Ahmad ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. ˙ I, S. 307 f. Der Sinn dieser Über-
˙
lieferung besteht darin, daß der˙ Weg zur Erreichung des guten Verhaltens und vor allem der Wohl-
gefälligkeit Gottes sehr lang und voller Schwierigkeiten ist, der vor allem Geduld und Opfer-
bereitschaft verlangt. Diesen Gedanken versucht Gh mit Belegen aus der Überlieferung
darzulegen.
108 „Sie ist ein langes Leben …“ ist ein Teil einer Überlieferung, dessen Wortlaut ist: „Wünscht
euch nicht den Tod, insofern dessen Aufstieg sehr schwer ist. Denn es gehört zur Glückseligkeit,
daß der Mensch lang lebt und sich reuig zu Gott zurückwendet.“ lediglich bei A. ibn-Hanbal, s.
Sammlung, Bd. 3, S. 332; Wensinck, Concordance, T. II, S. 463. ˙
109 „Denn die Menschen befinden sich im Schlaf …“ ist eine Überlieferung, die sich nicht nach
Wensinck in den Großsammlungen befindet. Gh ist selbst die Quelle. Sie wird in seiner Schrift:
„Der Erretter …“ erwähnt, s. A 10/D 93, Anm. 37, S. 87.
110 Hier in dieser Aufteilung der Tugend unterscheidet sich Gh von Aristoteles dadurch, daß die
Einwirkung Gottes bedeutende Rolle beim Erwerb der Tugend hat, s. f. Einleitung, LXIVf.
111 „Denn das Schminken der Augen mit Antimon …“ ist Teil eines Gedichts von Abu-3t-Tayyib
al-Mutanabbi3 (915–965 n. Chr.), s. diwān, mit dem Kommentar von Abu-3l-Baqā3 al-2Akbarı̄, ˙ ˙ hrsg.
2 1956, Bd. 3, S. 87; az-Zabı̄dı̄, tāǧ al-2arūs (Die Braut-
von M. as-Saqqā u. a., arab., Kairo: al-Halabı̄
krone/Sprachlexikon), Bd. 30, S. 323. ˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 261
112
In diesem Kapitel geht es Gh darum, besonders die Bedeutung der göttlichen Einwirkung beim
Erwerb der Tugend hervorzuheben. Die Tugend wird nicht nur durch Gewöhnung und Erlernen
möglich, sondern auch durch natürliche Veranlagung und göttliche Mitwirkung. Am Beispiel von
Johannes und Jesus versucht Gh seinen Gedanken deutlich zu machen. In seiner Schrift: „ihyā3
2ulūm ad-dı̄n“ (Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften) geht Gh auf dieses Thema aus- ˙
fürhlich ein. Dort beschreibt er die Wege zur Erlangung der Wissenschaften wie folgt: 1. Durch
Beweisführung, das ist der Weg der Gelehrten. 2. Durch Inspiration, ohne zu wissen, wie und
woher das Wissen entsteht, das heißt durch Anschauung, das ist der Weg der Gottesvertrauten.
3. Durch das Wissen woher und wie ein solches Wissen zustandekommt, das sind die Propheten, s.
ih., Bd. 3, S. 16 ff. Er beschreibt den praktischen Weg, der Weg der Inspiration, der Gottesvertrau-
˙ „der Sūfı̄“ sowie im Unterschiede zu dem spekulativen Denken in der Weise, wie er in diesem
ten
Werk tut,˙ vgl. D 222 ff.
113
„Die Liebe zum Diesseits ist die Hauptsünde“ ist eine Überlieferung, die nicht in der Concor-
dance von Wensink vorhanden ist. Sie wurde von Gh in seinem Werk: „ihyā3 …“ (Wiederbele-
bung …) mit Quellenangaben und ähnlichen Überlieferungen zu demselben ˙ Thema erwähnt, s.
ih., Bd. 3, S. 175 ff. Der Koran enthält viele Stellen, die das Verhältnis des Diesseits zum Jenseits
˙
verdeutlichen, wie z. B.: „Das diesseitige Leben ist nichts als eine Nutznießung, durch die man sich
(allzu leicht) betören läßt …“ (Sure 3, P 185, H 182.) „Die Nuznießung des Diesseits ist kurz be-
messen. Und das Jenseits ist für die, die gottesfürchtig sind, besser …“ (Sure 4, Vers P 77, H 79.),
s. f. Sure 16, Vers P 30, H 32; 18, P 46, H 44. usw. Trotzdem fördert der Koran den Muslim dazu auf,
seinen Anteil im Diesseits nicht zu vergessen, wie es im folgenden Vers lautet: „Trachte mit dem,
was Gott dir (an Reichtum) gegeben hat, nach der Behausung des Jenseits, aber vergiß (auch) nicht
deinen Anteil am Diesseits! Und tu Gutes, so wie Gott dir Gutes getan hat …“ (Sure 28, Vers P u.
H 77.
114 „Die Gelehrten sind die Erben der Propheten“ ist Teil einer langen Überlieferung, die man
nach Wensinck lediglich bei Ahmad ibn-Hanbal findet, s. Wensinck, Concordance, T. IV, S. 321;
A. ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. ˙5, S. 196. ˙
Das ist ˙nicht nur ein Hinweis auf den Stellenwert der Gelehrten sondern auch auf ihre Verant-
wortung für ihre Mitmenschen. Wie die Propheten die Verantwortung für die Rechtleitung der
Menschen durch die Offenbarung tragen, so tragen auch die Gelehrten die Verantwortung für ihre
Mitmenschen durch ihr Wissen, welche parallel zu der Offenbarung ist. Es muß ein nützliches
Wissen sein, das nicht im Widerspruch zu dem Glauben an Gott steht. Somit scheidet ein atheisti-
sches Wissen mit allen damit verbundenen Resultaten sowie Gottlose Wissenschaftler von diesem
Vergleich aus, s. in diesem Zusammenhang auch ihyā3 …, Bd. 1, S. 5 ff., wo Gh über die Bedeutung
˙
des Wissens, den Stellenwert der Gelehrten, die Aufteilung der Wissenschaften usw. spricht.
115 „Kardinaltugenden“, arab. „ummahāt al-fadā3il“. Der Begriff kommt erstmals bei Platon vor, s.
˙
Politeia, 427cff., während er bei Aristoteles überhaup nicht auftaucht, s. U. Klein, Kardinaltugen-
den, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, S. 695 f. Nicht nur durch die Stoa, sondern
auch durch die Übersetzungen arabischer Schriften könnte der Begriff in das Lateinische Mittel-
alter bei den Scholastikern gelangen, s. a. a. O.
In diesem und in den darauffolgenden Kapiteln schildert Gh seine Meinung über die Haupttugen-
den, ihre Bedeutungen, ihre Gegensätze und ihre Problematik, bei ihrer praktischen Ausführung
im Leben des Individuums, wie auch in der Gesellschaft.
Die Kardinaltugenden sind nach der Aufzählung von Gh: Weisheit, Tapferkeit, Enthaltsamkeit
und Gerechtigkeit. Dies entspricht vier Fähigkeiten im Menschen: Verstand, Wille, Wut und Be-
gierde. Daraus folgt eine ausführliche Betrachtung des Menschen als: 1. Geisteswesen (D 328),
2. Naturwesen (D 310 ff.), 3. Sozialwesen (D 272 ff.), 4. An Gott gläubiges Wesen (D 291 ff.), 5. Dar-
an schließt sich eine ausführliche Darstellung einer Güterlehre, was erlaubt und was nicht erlaubt
ist (D 310 ff.), 6. Über die Bedeutung der Vernunft, des Wissens, des Unterrichts, der praktischen
Tätigkeiten, Arten und Bedeutung der politischen Betätigung und der Wissenschaften (D 328 ff.;
341 ff.), 7. Über die Bedeutung des Geldes und der Erwerbstätigkeit „der Mensch als homo oeco-
nomicus“ (D 372 ff.), 8. Über wichtige psychische Momente im Leben des Menschen, wie über die
262 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Gründe der Trauer und die Verneinung der Angst vor dem Tod „der Mensch als endliches Wesen“
(D 388 ff.), 9. Schließlich schildert Gh seine Meinung über die Haltung des Menschen den ver-
schiedenen Lehren und Doktrinen gegenüber. Eigentlich sollte dieses Kapitel der geistigen Tätig-
keit des Menschen untergeordnet werden. Gh bevorzugt hier aber, sein Werk damit abzuschlie-
ßen. Darunter könnte verstanden werden, daß Gh als Warner vor der bloßen Nachahmung, der
blinden und fanatischen Anhängerschaft zu dieser oder jener Lehrmeinung auftreten wollte (D
405). Bei einem solchen Aufbau beansprucht die Ethik von Gh ein vollständiges System zu sein.
Nach der Analyse des Menschen, Körper und Seele, erfolgt die Analyse seiner Eigenschaften,
seiner Neigungen und Antriebe, seiner verschiedenen Tätigkeiten und schließlich Gedanken über
dessen Ende.
An der Spitze der Kardinaltugenden steht die Weisheit (hikma). Sie ist das höchste Gut, woauf die
Seele durch ihre Verbindung zu dem Göttlichen zum Guten ˙ hingelangt, s. D 264 ff. Dieses Bestre-
ben im Menschen wird mit Argumenten der Vernunft und der Religion belegt, s. a. a. O. Wichtig in
diesem Zusammenhang ist die Aufteilung der Weisheit durch Gh in mehrere Aspekte, wodurch
der Begriff: „ethische Weisheit“, arab. „hikma huluqı̄ya“ hervorgeht, jene Fähigkeit, die sich mit
˙
der Lenkung von Zorn und Begierde beschäftigt, ˘ s. D 266. Die „ethische Weisheit“ ist lediglich
eine Eigenschaft der „vernünftigen Seele, an-nafs al-2āqila“, wodurch der Mensch die Richtigkeit
seiner Handlungen erkennen kann, s. a. a. O. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Versuch
von Gh, die eigene Anstrengung des Menschen dabei hervorzuheben, die Kardinaltugenden „um-
mahāt al-fadā3il“ im praktischen Leben zu verwirklichen und zu zeigen, wie ihre Gegenteile ver-
mieden werden˙ können, s. D 267 ff.
Zum Schluß seiner Analyse der Enthaltsamkeit „al-2iffa“ geht Gh auf die sexuelle Begierde ein
und übt dabei Kritik an manchen Mystikern, die die Bedeutung dieser Fähigkeit im Menschen
ignorieren, s. D 271 f. Diese Kritik verdeutlicht die Haltung Gh der Mystik und der Mystiker
gegenüber. Mystik bedeutet demnach keine Absage an die Welt sowie an das familiäre und gesell-
schaftliche Leben. Vielmehr steht Gh diesem Leben positiv gegenüber. Diese Haltung beruht auf
Aussagen und praktischem Verhalten des Propheten Muhammad, von dem überliefert wird: „Ich
˙
bin unter euch derjenige, der Gott sehr fürchtet, und ehrerbeten, jedoch ich faste und breche mein
Fasten, bete und schlafe, und ich heirate die Frauen. Wer sich von meinem Verhalten abkehrt,
gehört nicht zu meiner Gemeinde.“, s. Wensinck, Concordance, T. II, S. 275. Dies war seine Ant-
wort auf drei seiner Kameraden, denen die freiwilligen Kulthandlungen des Propheten wenig zu
sein schienen. Daraufhin sagt der eine: „Ich werde mein Leben lang ohne Unterbrechung fasten.
Der andere meinte, er werde die ganze Zeit beten, ohne zu schlafen. Der dritte beschloß, sein
ganzes Leben ehelos zu verbringen.“, s. al-Buchārı̄, Bd. 6, S. 116; Wensinck, Concordance, T. II,
S. 275, mit weiteren Quellenangaben.
Die oben erwähnte Überlieferung von dem Propheten Muhammad spricht gegen ein übermäßiges
Verhalten bei der Ausführung von Kulthandlungen und weist ˙ daraufhin, daß solche Handlungen
im Rahmen der Mäßigung und menschlicher Belastbarkeit durchgeführt werden sollen.
Im Unterschied zu Platon enthält die Güterlehre bei Gh jenseitige Güter. Die intensive Beschäf-
tigung mit den diesseitigen Gütern macht den Menschen unachtsam in bezug auf die diesseitigen
Güter, s. D 291 f. Es gehören ferner zu der Güterlehre von Gh die seelischen Tugenden, die ver-
vollständigt werden sollen, um die jenseitige Glückseligkeit zu erlangen, s. D 294 ff. Dabei werden
die sozialen Güter besonders hervorgehoben, s. D 295. Auch die Analyse der göttlichen Güter
weist auf einen weiteren Unterschied zu den griechischen Philosophen Platon und Aristoteles hin,
s. D 295.
Platon und Gh gehen von den Kardinaltugenden aus, die alle einzelnen Tugenden in sich umfas-
sen, jedoch unterscheiden sich beide in ihrer Denkweise dadurch, daß Gh die einzelnen Tugenden
auflistet und ihre Laster ebenso in der Weise ausführlich darlegt, daß die Meinung dabei entsteht,
hinter dieser Auflistung könnten keine anderen Tugenden und Laster mehr geben, s. D 274 ff. Gh
beansprucht damit die Vollständigkeit seiner Ethik, die auf Vernunft und Religion beruht, und
deren Ziel die Glückseligkeit ist.
Die Weisheit wird von beiden Philosophen Platon und Gh unterschiedlich bestimmt. So wird sie
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 263
bei Gh als die Tugend der Vernunft definiert, und er erwähnt dabei seine Quellen: Koran und
Überlieferungen, s. D 264. Platon hingegen bestimmt sie als die erste Erkenntnis, die sowohl zum
Wohle der Stadt als auch in ihrem Verhältnis zu anderen Städten führen kann, s. Pol. 428eff. Das
Feld dieser Tugend ist bei Gh umfangreicher als bei Platon, da es sowohl das ethische Verhalten
des Menschen als Individuum wie auch als Mitglied einer Gesellschaft und als politisches Wesen
sowie im Hinblick auf das Jenseits umfaßt, s. D 265 f.
Ebenso verhält es sich mit der Besonnenheit (Enthaltsamkeit). Im Verhältnis zu Platon legt er sie
ausführlich dar, s. D 269 ff.; Pol. 430cff. Als die Tugend, die auf die sexuelle und die Nahrungs-
begierde einwirkt, ist ihre Befolgung das Mittlere zwischen Gier und Apathie. Gh führt im Gegen-
satz zu Platon die Vorteile des sexuellen Antriebs, um die Fortpflanzung des Individuums zu
sichern und die Gattung zu erhalten. Dabei kritisiert er das Verhalten mancher Mystiker, die dies
ablehnen, s. D 271.
Die Besonnenheit als eine Staastugend bestimmt Platon als die Zusammenstimmung von Herr-
schern und Beherrschten. Wenn die beiden Schichten miteinander nach den Bedingungen der
Besonnenheit zusammenleben, herrscht im Staat Eintracht, s. Pol., 431df. Für beide Denker ist
die Gerechtigkeit ein Zustand aller drei Fähigkeiten in ihrer harmonischen Anordnung, entspre-
chend der erforderlichen Rangfolge auf Dominanz und Gehorsamkeit, s. D 272 f.
Beide stimmen miteinander darin über Sinn und Bedeutung der Gerechtigkeit als die Harmonie
zwischen den verschiedenen Seelenkräften, Verstand, Begierde und Eifer überein, s. Pol. 440a. Gh
hebt aber auch die Bedeutung der Harmonie zwischen den verschiedenen Körperkräften und
Instinkten hervor, s. D 272. Auch die Gerechtigkeit bezüglich der ethischen Gesinnung der Seele
tritt hier als Merkmal im Konzept von Gh hervor, s. a. a. O. Nach Gh umfaßt die Gerechtigkeit:
1. Die Individualethik, 2. Verkehrsrecht, und 3. Landespolitik., s. D 272 f.
Die Bestimmung der Gerechtigkeit als das, wodurch Himmel und Erde aufrechterhalten bleiben
(s. D 264), sowie seine ausfühliche Auflistung der Tugenden und ihrer Laster, machen den deutli-
chen Unterschied zu Platon aus, s. Pol., 427 ff. bis zum Ende des vierten Buches; zur Güterlehre, s.
Gh, D 265 ff.; 270 ff.; Platon, Nom., 631bff; G. Picht, Platons Nomoi u. Symposion, S. 117 ff. Auch in
der Betrachtung der Herrschaftsstruktur im Staat unterscheiden sich beide Philosophen vonein-
ander. Die Herrschaft des Besseren und Stärkeren kommt niemals bei Gh vor, s. G. Picht, a. a. O.
116 „… und wem da Weisheit gegeben ward, …“ ist Teil eines Verses, dessen Anfang lautet: „Er
(Gott) gibt die Weisheit wem er will, …“ Sure 2, P 269, H 272, s. Anm. 66.
117 „Die Weisheit ist ein Gegenstand beharrlicher Suche …“ ist eine Überlieferung, die von meh-
reren Traditionalisten erwähnt wird, s. Wensinck, T. I, S. 491; at-Termidı̄, Sammlung, Bd. 10, S. 159.
Mehrere Überlieferungen erwähnt Wensinck, die denselben Sinn haben, ¯ s. a. a. O. In einer dieser
Überlieferungen tritt die Identifikation des Propheten Muhammad mit der Weisheit hervor: „Ich
˙ Somit sieht der Prophet Muhammad
bin die Weisheit selbst.“, sagt er, s. at-Termidı̄, Bd. 13, S. 171.
keinen Widerspruch zwischen der Prophetie, ¯ welche auf der Offenbarung beruht, und der ˙ Weis-
heit, welche grundsätzlich auf die Vernunft gegründet ist, insofern die Prophetie eine der Bedeu-
tungen der Weisheit ist, s. Anm. 115.
118 „Sie (das sind die Gläubigen) sind den Ungläubigen gegenüber heftig, …“ ist Teil eines Verses,
dessen Anfang den folgenden Wortlaut hat: „Muhammad ist der Gesandte Gottes. Und diejeni-
gen, die mit ihm (gläubig) sind, sind …“ Sure 48,˙ P u. H 29. Die Barmherzigkeit und die Milde
sollen das Verhältnis zwischen den Gläubigen, Tapferkeit und Strenge aber den Ungläubigen
gegenüber herrschen, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 26, S. 109 f.; an-Nasafı̄, Bd. 4, S. 164. Gh
˙
nimmt aus der islamischen˙ Geschichte ein lebendiges Beispiel für seine Darlegung der Tapferkeit.
Die Sure spricht von dem Sieg der Muslime gegen die arabischen Heiden bei der Eroberung von
Mekka im Jahre 8 n. H./629 n. Chr., wo die Tapferkeit der Muslime bei ihrer geringen Zahl die
Heiden bei ihrer Mehrzahl jenen entscheidend zum Sieg verholfen hat.
119 „Und es gibt keinen von euch, der nicht zu ihr hinunterkommen würde.“ Sure 19, Vers P 71,
H 72. Die Frage stellt sich, ob es mit dem Personalpronomen „euch“ auch Muslime gemeint sind,
die mitsamt anderen Menschen in die Hölle „zu ihr hinunterkommen würden.“ Bei den Korane-
xegeten ist es umstritten, ob gläubige Muslime mit den Ungläubigen in die Hölle vorbeiziehen,
264 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
nach der einen Meinung, oder hineintreten würden, nach der anderen Meinung, s. at-Tabarı̄, Ko-
rankommentar, Bd. 16, S. 108 ff.; ar-Rāsı̄, Koankommentar, Bd. 21, S. 242 ff. Denn aus ˙ ˙ mehreren
Überlieferungen geht hervor, daß „der gerade Weg, as-sirāt al-mustaqı̄m,
mesth@“ am Jüngsten
Tag über die Hölle aufgelegt wird, worauf alle Menschen, ˙ ˙ ob˙ gut oder böse, gehen werden. Je nach
dem, was man in diesem Erdenleben an guten Taten versäumt oder Böses getan hat, fällt man als
Strafe an der entsprechenden Stelle in die Hölle, s. at-Tabarı̄, Bd. 16, S. 108 ff., besonders 110 ff.,
113, wo der Text ein Kernstück der islamischen Eschatologie ˙ ˙ ausmacht. In diesem Zusammenhang
will Gh darauf verweisen, welche Bedeutung „der gerade Weg“, das „mittlere Maß“ im Leben des
Muslims hat, und wie schwierig es ist, ihn im praktischen Verhalten zu befolgen, es sei denn durch
göttlichen Beistand, s. Einleitung, S. LVIIIff.
120 „Gehe nun einen geraden Weg, wie dir befohlen worden ist …“ ist der Anfang eines Verses,
deren Ergänzung lautet: „…, (du) und diejenigen, die mit dir umgekehrt sind (…)! Und seid ihr
nicht aufsässig! Er durchschaut wohl, was ihr tut.“ Sure 11, P 112, H 114. An zwei Stellen im Koran
kommt dieses Gebot vor. Die zweite Stelle lautet: „Darum ruf (die Menschen auf den Weg deines
Herrn), und halte geraden Weg (P: geraden Kurs), wie dir befohlen worden ist, und folge nicht
ihren (persönlichen) Neigungen, …“ Sure 42, Vers P 15, H 14. Im ersten Vers stehen die göttlichen
Gebote im Mittelpunkt des Gebots. Entscheidend dabei ist das Verbot, sie zu überschreiten, s.
at-Tabarı̄ Bd. 12, S. 126. Nach ar-Rāsı̄ umfaßt das Gebot: „Gehe nun einen geraden Weg …“ alles,
˙ ˙ dogmatisch ist, sowie das, was sich auf die Verhaltensregeln bezieht. Mit Verhaltensregeln
was
sind das islamische Recht und die ethischen Regeln gemeint, s. Korankommentar, Bd. 18, S. 70 ff.
Nach seiner Ansicht ist dieser Vers eine wichtige Grundlage für die islamische Gesetzgebung, s.
a. a. O. Aus der zweiten Stelle geht hervor, daß dem Prophet und seiner Gemeinde befohlen wer-
den, an dem Monotheismus festzuhalten, 2. Er wurde ferner befohlen, der Befolgung der persön-
lichen Neigungen seiner Anhänger fernzubleiben, und 3. Die Gerechtigkeit auszuüben und seine
Anhänger dazu zu ermahnen, sich gerecht zu verhalten, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 25,
S. 17 f.; ar-Rāsı̄, Bd. 27, S. 158 f. ˙ ˙
121
„schärfer als die Klinge des Schwertes …“ Diese Beschreibung des geraden Weges tritt in der
Überlieferung auf, die at-Tabarı̄ ausführlich in diesem Zusammenhang erwähnt hat, s. Korankom-
mentar, Bd. 16, S. 110. ˙ ˙
122 „Führe uns auf den geraden Weg …“ Sure 1, Vers P u. H 6. An fünfundvierzig Stellen im Koran
kommt der Begriff „der gerade Weg“, arab. „as-sirāt al-mustaqı̄m“ vor, s. M. F. 2Abdel-Bāqı̄, Ko-
ranconcordance, S. 407. Von diesen Stellen sind ˙ ˙ folgende
˙ zu erwähnen: 1. „Dies ist mein Weg
„sirāt“. (Er ist) gerade. Folgt ihm! Und folgt nicht den (verschiedenen anderen) Wegen „subul“,
˙ ˙6, P 153, H 154. 2. Im Zusammenhang mit der Darlegung der Charaktereigenschaften von
Sure
Abrāhām: „Gott hat ihn erwählt und auf einen geraden Weg geführt“, Sure 16, Vers P 120 f.,
H 121 f. „Der gerade Weg“ ist nach Meinung von at-Tabarı̄ (225–310 n. H./839–922 n. Chr.) die
Rechtleitung Gottes. Das ist auch der Weg des Islam, ˙ ˙s. Korankommentar, Bd. 1, S. 73 f. Für ar-
Rāsı̄ (544–606 n. H./1150–1210 n. Chr.) ist der „gerade Weg“ von sehr umfassender Bedeutung. Er
bezieht sich nicht nur auf das Dogma des Islam, sondern er umfaßt auch alle Handlungen des
Menschen, die Gegenstand der moralischen Beurteilung sind, nähmlich solche aus Leidenschaft
und Zorn, s. Korankommentar, Bd. 1, S. 255 ff. Diese ethische Variante entspricht der Meinung
von Gh.
123 „Alle Menschen sind tot außer denen, die das Wissen besitzen …“ ist eine Überlieferung, die
nicht in den Großsammlungen nach Wensinck erwähnt wird. Gh gilt als eine Quelle für solche und
ähnliche Überlieferungen. Gh erwähnt außerdem zahlreiche Überlieferungen, die die enge Ver-
bindung zwischen Wissen und Handeln beinhalten. Von diesen wird folgendes erwähnt: „Wenn die
Menschen das Wissen erwärben würden, vernachlässigen sie aber das Handeln demnach, sich mit
bloßer Zunge freundlich begegnen, während sie sich mit dem Herzen hassen und ihre verwand-
schaftliche Beziehung zueinander brechen, werden sie von Gott verflucht, und er macht sie taub
und blind.“, s. ih., Bd. 1, S. 42. Ferner: „Kein Gelehrter ist in Wirklichkeit so, es sei denn, er handelt
˙
gemäß seinem Wissen.“, s. ih., Bd. 1, S. 52; s. f. ih., Bd. 4, S. 322.
124 Gh verweist auf die Vielzahl ˙ ˙
der Ehen (Polygamie) des Propheten Muhammad, die ihn nicht
˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 265
von der Anbetung Gottes abbrachte. Der Prophet schloß die Ehe mit dreizehn Frauen, vollzog
aber die Ehe mit elf, und als er starb, hinterließ er neun Frauen, s. at-Tabarı̄, tārı̄h … (Geschichte),
Bd. 2, S. 410. Diese vielen Ehen mit so vielen Verpflichtungen könnte ˘
˙ ˙bei jemandem den Verdacht
erwecken, Muhammad könnte nicht seinen Verpflichtungen als Prophet nachgehen. Die Haltung
˙
der Muslime diesbezüglich erörtert Gh an dieser Stelle.
Es kann nicht hier auf die Einzelehen des Propheten Muhammad und deren Hintergründe einge-
gangen werden, s. dazu at-Tabarı̄, a. a. O. Man kann die Gründe ˙ der Mehrehen des Propheten von
islamischer Sicht wie folgt ˙ ˙ zusammenfassen: 1. Die Gesetzgebung, 2. Verbreitung und Stärkung
des Islam, 3. Fürsorge und Mitleid.
Von der ersten Art ist seine Ehe mit seiner Kusine Zainab bint-Ǧahš, die früher die Ehefrau seines
Adoptivsohnes Zaid ibn-Hārita war, um eine solche Ehe zu legitimieren. ˙ Ferner soll dadurch
gezeigt werden, daß Adoptivsöhne ˙ ¯ und Sorgenkinder nicht die gleiche Stellung wie leibliche Kin-
der haben, deren Ehefrauen niemals Frauen ihrer Väter sein dürfen. Von der zweiten Art ist seine
Ehe mit den Töchtern seiner beiden Gefährten Abū-Bakr und 2Umar, die völlig auf seiner Seite
standen. Von der dritten Art ist seine Ehe mit Hind bint Abı̄-Umayya3 bn- al-Muġı̄ra, deren Ehe-
mann Abū-Salma 3bn-2Abdel-Asad bei Badr gefallen ist, s. at-Tabarı̄, tārı̄h … (Geschichte …),
Bd. 2, S. 414. ˙ ˙ ˘
Die Mehrehe des Propheten Muh. stand im Mittelpunk der Kritik. R. Paret meint dazu, daß es
überhaupt keinen plausiblen Grund ˙ dafür gibt, daß sich der Prophet anders als seine Anhänger mit
Privilegien bei der Überschreitung der Zahl von maximal vier Frauen (s. Sure 4, Vers P u. H 3)
ausgezeichnet werden soll. Es gibt – nach Ansichten von Paret – überhaupt keinen Grund für ein
derartiges Sonderrecht. So brauche seine erwähnte Eheschließung mit Zainab den Gläubigen von
dem Propheten nicht persönlich vorexerziert zu werden, s. R. Paret, Muhammad und der Koran,
Kohlhammer, Stuttgart, 1957, S. 145. ˙
Verglichen aber mit dem, was andere Religionsstifter vor dem Propheten Muh. in dieser Hinsicht
an „Privilegien“ hatten, scheint die Zahl von dreizehn beziehungsweise neuen ˙ Ehefrauen und
kaum eine handvolle Sklavinnen sehr bescheiden zu sein. Das frühe Judentum kannte die Poly-
gamie, und wurde nicht verboten. Der Versuch, sie im zehnten Jahrhundert zu verbieten, fand
kaum Beachtung, s. Die Lehren des Judentums, Bd. 1, S. 227 ff. Unbestritten aber ist es, daß die
Ehe mit einer einzigen Frau die normale ist. Die Polygamie aber bleibt nach dem mosaischen
Gesetz als „im Volksbewußtsein unanstößige Möglichkeit“, s. S. 229 f. Der Korankommentator
an-Nasafı̄ (gest. 710 n. H./1310 n. Chr.) erwähnt, daß der König und Prophet David hundert Ehe-
frauen und dreihundert Sklavinnen besaß, während Salomo dreihundert Ehefrauen und sieben-
hundert Sklavinnen hatte, s. Korankommentar, Bd. 3, S. 305. Jedenfalls hatten beide Propheten
mehr Ehefrauen als Muhammad, der lediglich die Ehe mit einer einzigen Jungfrau hatte, das ist
˙
2Ā3iša die Tochter von Abū-Bakr. Alle seiner anderen Ehefrauen waren verwitwet oder geschie-
den, s. at -T abarı̄, tārı̄h … (Geschichte …), Bd. 2, S. 412 ff. Wie Paret feststellt, spielt die erwähnte
˙
Ehe des ˙Propheten ˘ Zainab bint-Ǧahš bei den islamischen Historikern und Biographen keine
mit
besondere Rolle. Der Grund hierfür könnte ˙ darin liegen, daß der Koran diese Geschichte in aller
Deutlichkeit dargelegt hat, die kaum Fragen zulassen. Außerdem könnte man aus dem Koran
entnehmen, daß die Eheschließung auf göttliche Verheißung stattgefunden hat, s. Sure 33, Vers P
u. H 37 ff. Muhammad konnte also nicht der göttlichen Verheißung widersprechen, s. ibn-Hišām,
˙
as-sı̄ra 3n-nbawı̄ya (Biographie …), Bd. 4, S. 644.
Gh richtet dabei seine Kritik an die Mystiker, die sich dem Verhalten des Propheten angleichen
und versuchen, ihre natürliche Veranlagung zu unterdrücken.
125 „Das ist die Definition der Enthaltsamkeit.“ „Enthaltsamkeit, 2iffa, swfrosÐnh“, hat Gh ledig-
lich in diesem Abschnitt definiert. Später greift er das Thema wieder auf, um die Eigenschaften zu
bestimmen, die darunter fallen, s. D 280 ff. „al-2iffa“ wird definiert als die Tugend der Begierde:
„fadı̄lat al-qūwa 3š-šahwānı̄ya, ⁄ret¼ to‰ ¥piqumhtiko‰“. Sie umfaßt in der Darstellung von Gh fast
die ˙Gesamttätigkeit des Menschen, vor allem, die sich auf die Befriedigung der Forderungen des
Magens und des sexuellen Triebes beziehen. Im Englischen wird sie wiedergegeben mit: „modera-
tion in sensual desires, self-control, temperance“, s. H. G. Liddel & Scott, A Greek-English Lexi-
266 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
con, S. 1751, mit Quellenangaben. „al-2iffa, die Tugend der Begierde, fadı̄lat al-qūwa 3š-šahwānı̄ya,
⁄ret¼ to‰ ¥piQumhtiko‰“ ist eine große Forderung an den Menschen˙ gestellt, insofern er seine
Gesamttätigkeiten im individuellen wie auch im sozialen Bereich, „dem Denkvermögen, al-qūwa
3l-2aqlı̄ya, t† nohqik† “ unterstellen soll. Denn die Glückseligkeit besteht nicht darin, die natürli-
chen Antriebe zu befriedigen, sondern sie zu zügeln. Ziel dieser Zügelung ist die Vollkommenheit
durch die Erreichung des mittleren Maßes, hadd al-i2tidāl,
mesth@ zu erreichen. Gh beschreibt
näher dieses Ziel, nämlich die Wissenschaften ˙ zu erlangen und die Wahrheit der Dinge zu erfahren,
bei dem einen Trieb, Nachkommenschaft und Keuschheit bei dem anderen, s. D 270.
Platon geht auf diese Kardinaltugend ein, ohne deren Inhalt zu konkretisieren. Er bestimmt sie
allgemein als Teil der Seele, deren Besseres das Schlechtere beherrscht und Herr seiner selbst ist:
„…, ˛per o t ⁄meinon to‰ cefflrono@ ˝rcei s fron klhtffon kai kre…tton a¢to‰“, s. Pol. 432b6 ff.
Gh gebraucht solche Begriffe nicht wie Schlechteres, Besseres und Stärkeres, um die Funktion
dieser Kardinaltugend zu beschreiben. Der Ausgangspunkt beider Philosophen Platon und Gh
ist unterschiedlich. Während Platon vom Staat, seinen Grundlagen und den Klassen seiner Bür-
gern ausgeht, steht der Mensch bei Gh im Mittelpunkt der Analyse, vor allem „al-qūwa 3l-2aqlı̄ya,
t nohtikn, das Denkvermögen, al-qūwa 3l-ġadabı̄ya,
¤rgffi, der Zorn, und aš-šahwānı̄ya,
¥piqumhtikn, die Begierde“, s. D 273. Alle diese˙ Kräfte haben einzeln und im Verhältnis zuein-
ander bestimmte Funktionen zu erfüllen, wie oben dargelegt wird. Deswegen meidet Gh ähnliche
Begriffe wie Schleschtes und Besseres, die von Platon gebraucht werden. Dadurch hat er ferner
die Frage beantwortet, wie verhalten sich die Kardinaltugenden zueinander, wohingegen dies bei
Platon auf Schwierigkeiten stößt. Auf diese Schwierigkeiten und auf die Zuordnung der beiden
ersteren Tugenden der Weisheit und der Tapferkeit zu den übrigen Tugenden verweist Schleier-
macher, s. Über die Philosophie Platons, S. 352 f. Trotz dieses Unterschieds ist bei beiden die
Gerechtigkeit das Ziel ihrer Untersuchung.
126 „Die Gerechtigkeit ist ein Zustand aller drei Fähigkeiten …“, D 272. Gh schreibt in diesem
Zusammenhang, daß Gerechtigkeit die Bedingung für die Aufrechterhaltung der göttlichen Ord-
nung ist, so daß „Himmel und Erde aufrechterhalten werden.“, s. D 273. Bei der Interpretation
dieses Satzes meint ar-Rāsı̄ (544–606 n. H./1150–1210 n. Chr.) in seinem großen Korankommentar,
daß die Mischung der Elemente, woraus das Universum entstanden ist, proportional zueinander
stehen müssen, damit keines dieser Elemente das andere oder die anderen beherrscht oder das
eine oder die anderen unwirksam macht, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 20, S. 103. Ebenso ver-
hält es sich mit den Planeten, ihrer Entfernung, Bewegung und Stillstand. All dies läuft nach
exaktem Plan und unanfechtbaren Gesetzen, wodurch das Universum aufrechterhalten wird, s.
S. 103; s. in diesem Zusammenhang Koran, Sure 36, Vers P u. H 37 ff.
Gh betrachtet die Gerechtigkeit als die Summe aller Tugenden. Er teilt sie in: 1. Gerechtigkeit im
politischen Sinne, das heißt im Staat, 2. Im Königreich des Körpers, das ist die Harmonie zwischen
dem Denkvermögen, der Veranlagung zum Zorn und der zur Begierde; 3. Gerechtigkeit im Um-
gang mit den Menschen (als Bedingung für das soziale Zusammenlebn), s. D 272 f. Somit umfaßt
der Begriff „al-2adl, Gerechtigkeit, dikaiosÐnh“ sowohl individuelle wie auch soziale und politi-
sche, körperbedingte und psychische Elemente. Ethische und politische sowie auch religiöse Wert-
vorstellungen bilden noch dazu die Grundlage für ein Gesamtbild vom Menschen sowohl als Indi-
viduum wie auch als ein soziales Wesen.
Mit dieser Bestimmung der Gerechtigkeit geht Gh über die platonisch-aristotelische Begriffs-
bestimmung hinaus. Denn Platon bestimmt die Gerechtigkeit „dikaiosÐnh“ als: „das Tun des
Seinigens … kai m¼n ˆti ge t tÞ a¢to‰ pr€ttein ka½ m¼ polupragmone…n dikaiosÐnh ¥stffl …“,
Pol. 433a8 ff.
Zu dieser Bestimmung bemerkt Schleiermacher, daß sie nicht stichhaltig ist, insofern die gewer-
betreibende Klasse nicht eigentlich Geschäfte im Staat betreibe, sondern jeder strebe nur durch
Verrichtung des Seinigen zunächst nach seinem eigenen Vorteil, s. F. D. E. Schleiermacher, Über
die Philosophie Platons, Meiner, S. 352.
Platon hält ferner einen Staat für gerecht, wenn drei Eigenschaften vorhanden sind: „…, sofern drei
ihm einwohnende Arten und Naturen jede das ihrige verrichte, besonnen aber und tapfer und wei-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 267
se …“, s. Pol. 435b. Dies beruht auf seinem Konzept von den Kardinaltugenden. Kritisch äußert sich
Schleiermacher dazu, daß es überhaupt keinen Beweis dafür gibt, daß die vier Kardinaltugenden
den Begriff des Guten ausmachen. Deswegen beruht die platonische Darstellung lediglich auf einer
Voraussetzung, die lediglich durch Erklärung die Überzeugung erwecken kann, s. S. 349 f.
Der Ausgangspunkt der beiden Philosophen Gh und Platon ist unterschiedlich, wie bereits oben
dargelegt wird. Platon geht von einem Gedanken aus, wie ein Idealstaat aussehen soll, während
Gh von dem Menschen und dessen Kräften ausgeht. Gemeinsammes Ziel aber ist die Beantwor-
tung der Frage, wie die Menschen zusammenleben können, und das ist die Frage nach der Gerech-
tigkeit. Schleiermacher beschreibt den platonischen Standpunkt wie folgt: „…, daß er (Sokrates/
Platon) nämlich die Gerechtigkeit zuerst im Staate aufsuchen wolle, wo sie ja müsse in großen
Zügen und also kenntlicher zu schauen sein, und dann erst werde er zur einzelnen Seele zurück-
kehren, um zu sehen, ob und inwiefern sie auch da und dasselbige sei wie dort.“, s. Über die Phil.
Platons, S. 344. Jedoch scheint er die sokratisch-platonische Begründung der Kardinaltugenden in
der Seele als „vorhanden und als voneinander verschieden als willkürlich, als einen allgemeinen
Erfahrungssatz“, anzunehmen, s. S. 356. Da Gh von dem Menschen und dessen Kräften ausgeht,
beschreibt er den Weg, wie sich der Mensch verhalten soll. Deswegen gewinnt bei ihm die Frage
nach dem Verhältnis dieser Tugenden zueinander nicht die gleiche Bedeutung wie bei Platon.
„Ungerechtigkeit“ entsteht, wenn die Bürger der drei Klassen, zum Beispiel die Krieger in die der
Berater und Hüter ihre Stellung miteinander tauschen, so daß die Pflichten der Bürger ineinander-
geraten können, s. Pol. 434. Ihre Folgen und Erscheinungsformen werden weiter nicht ausgeführt.
Gh’s Bestimmung der Gerechtigkeit „al-2adl“ ist vom islamischen Glauben beeinflußt. Zahlreiche
koranische Verse spornen zur Ausübung der Gerechtigkeit an. Von den vielen Stellen wird hier
lediglich auf die wichtigsten eingegangen.
„Und mir ist befohlen worden, ich solle Gerechtigkeit unter euch walten lassen …“, Sure 42, P 15,
H 14. Dem Propheten Muhammad wurde befohlen, Gerechtigkeit nicht nur gegenüber seinen
˙
Anhängern, sondern auch gegenüber Andersgläubigen zu üben, bis er aus dem Leben scheidet,
schreibt at-Tabarı̄ (gest. 310 n. H./923 n. Chr.) in seinem Korankommentar. Gerechtigkeit ist die
˙ ˙ auf Erden. Durch sie nimmt er das Rechte von dem Unrechttuenden für den Schwa-
Waage Gottes
chen. Durch sie wird der Aufrichtige von Gott unterstützt, der Lügner für einen Lügner erklärt,
und durch das Recht wird der Agressor zurückgewiesen, s. Korankommentar, Bd. 25, S. 18. Dieser
Befehl als göttliche Verordnung umfaßt alle Menschen ohne religiöse oder rassische Vorbehalte.
In dieselbe Richtung geht an-Nasafı̄ (gest. 1310 n. Chr.), s. Bd. 4, S. 103 f. ibn-2Arabı̄ interpretiert
den Vers unter dem Gesichtspunkt der Mystik und schreibt dazu: „Wenn das Wissen und der
Monotheismus den Geist beherrschen, die Liebe das Herz, die Gerechtigkeit die Seele, so wird
man beinahe in Gott erlöschen und (damit) der großen Auferstehung nah sein …“, das heißt die
Überwindung des Diesseits, s. Korankommentar, Bd. 2, S. 430.
„Gott befiehlt (zu tun), was recht und billig ist, gut zu handeln und den Verwandten zu geben (,
was ihnen zusteht) …“, Sure 16, P 90 ff., H 92 ff., wobei die Übersetzung von Henning dem arab.
Original näher steht. Dort heißt es: „Siehe, Allah gebietet, Gerechtigkeit zu üben, Gutes zu tun
und die Verwandten zu beschenken und verbietet das Schändliche und Schlechte und die Gewalt-
tat. Er ermahnt euch, auf daß ihr es zu Herzen nehmt.“ Das Rechte interpretiert ar-Rāsı̄ als das
mittlere Maß hinsichtlich des Glaubens, der islamischen Dogmen und der Handlungen, s. Koran-
kommentar, Bd. 20, S. 102. Im folgenden wird über seine Ansicht über das mittlere Maß im Islam
kurz eingegangen:
Was das mittlere Maß in den Dogmen anbetrifft, erwähnt a-Rāsı̄ einige Beispiele aus den Dogmen
des Islam, vor allem den Glauben an einen einzigen Gott, der weder in einem Ort, noch eine
Substanz, noch ein Körper oder Teil eines Körpers ist, der ewige Eigenschaften wie Allwissenheit,
und Allmacht besitzt. Die Leugnung seiner Existenz ist Nihilismus. Der Glaube an die Vielgötte-
rei und daran, daß er menschenähnliche Eigenschaften besitzt, all das widerspricht der Vollkom-
menheit. Der Glaube an einen einzigen Gott mit ewigen Eigenschaften, wie oben dargelegt wird,
ist das mittlere Maß, s. a. a. O. Denn sowohl Nihilismus als auch Anthropomorphismus bilden zwei
Extreme, nämlich Mangel, ˛lleivi@ und ¢perbolffi, die beide abzulehnen sind.
268 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
In bezug auf den Menschen: Die Auffassung, daß der Mensch keinen Willen besitzt, ist reine Vor-
herbestimmung „ǧabr mahd“. Das ist verwerflich. Ebenso verwerflich ist die Auffassung, daß er
˙˙
völlig frei ist. Das ist Fatalismus „qadar mahd“. Beide, sowohl Vorherbestimmung als auch Fata-
˙˙
lismus, sind abzulehnen. Das mittlere Maß besteht darin, daß der Mensch durch göttliche Mitwir-
kung frei ist und dadurch dazu befähigt, „freie Handlungen“ auszuüben, s. a. a. O.
In bezug auf die Verantwortung des Menschen, seine Belohnung und Bestrafung im Jenseits: Die
Meinung, daß Gott die Menschen nicht zur Verantwortung zieht und sie nicht für ihre Fehltritte zu
bestrafen braucht, ist Leichtfertigkeit „istihtār“. Andererseits ist die Meinung, daß er mit dem
Höllenfeuer auf Ewigkeit den Sünder bestraft, eine unglaubliche Härte „ǧabarūt, qaswa“. Das
mittlere Maß besteht darin, daß Gott denjenigen von der ewigen Höllenstrafe befreit, der an seine
Einzigartigkeit „wahdānı̄ya“ glaubt, s. Sure 4. P u. H 116.
˙
In bezug auf die Kulthandlungen: Die Auffassung, daß der Mensch nicht zu Kulthandlungen ver-
pflichtet sein soll, ist verwerflich. Ebenso die Meinung, daß er mit sovielen Kulthandlungen bela-
stet sein soll, um Gott wohlgefällig zu sein. So haben viele Menschen in der frühen Zeit gehandelt,
wie indische und buddistische Mönche, welche sich die guten und angenehmen Genüssen bewußt
vermieden haben, um dieses Ziel zu erreichen. Das mittlere Maß im Islam besteht darin, daß der
Koran diese Genüsse nicht verbietet, wenn man dabei das mittlere Maß nicht überschreitet: „Sag:
wer hat (etwa) den Schmuck Gottes verboten, den er für seine Diener hervorgebracht hat, und die
guten Dinge, die (euch von Gott) beschert sind? Sag: Sie stehen im diesseitigen Leben denen zu,
die glauben …“, Sure 7, Vers P 32, H 30. Sowohl eine völlige Absage an die Genüsse des Lebens
wie auch ein völliges Versinken in der materialistischen Lebensweise ist nach dem Verständnis von
ar-Rāsı̄ falsch. Er versucht, den Begriff „Gerechtigkeit, al-2adl“ so auf verschiedene Gebiete des
Islam, dogmatisch wie anthropologisch, anzuwenden. Ziel dieser Anwendung ist es, zu zeigen, daß
der Islam eine Religion der „Mitte, mesth@“ ist. Sowohl „¢perbolffi, ifrāt“, als auch „˛lleivi@,
tafrı̄t“ gehören nicht zum Islam. ˙
˙
Aus dem erwähnten Vers „Gott befiehlt euch, was recht und billig ist …“, s. Sure 16, Vers P 90 ff.
H 92 ff. sind drei Gebote angegeben, die miteinander verbunden sind: Gerechtigkeit auszuüben,
Gutes zu tun und die Verwandten zu beschenken. Ihnen stehen drei Verbote gegenüber: das
Schändliche, das Schlechte und die Gewalttat, zu tun. Die gute Tat wird von ar-Rāsı̄ als die Liebe
zu den Menschen verstanden und zwar wie man sich selbst liebt, s. Bd. 20, S. 101.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist es ferner zu erwähnen, daß diese Gebote und die Verbote
nicht nur gegenüber den Muslimen, sondern nach ar-Rāsı̄, der in der islamischen Welt ein großes
Ansehen genießt, gegenüber jedem Menschen unabhängig von Religion und Rassen zu verrichten
sind. Dieses Verständnis wird durch folgenden Vers unterstützt: „Ihr Gläubigen! Steht Gott ge-
genüber als Zeugen für die Gerechtigkeit ein! Und der Haß, den ihr gegen Leute hegt, soll euch ja
nicht dazu bringen, daß ihr nicht gerecht seid. Seid gerecht! Das enspricht eher der Gottesfurcht.“,
s. Sure 5, Vers P 8, H 11. Zu diesem Vers meint S. Qutb, daß es anstrengender ist, von dem all-
gemeinen Verbot der Aggression zu dem Gebot überzugehen, ˙ Gerechtigkeit den Feinden gegen-
über zu üben, s. Korankommentar, Bd. 6, S. 35. Die Achtung der vertraglichen Bindungen zwi-
schen Muslimen und Nichtmuslimen, sei es im privaten Bereich, sei es zwischen den Staaten, ist
durch diesen Vers u. ä. belegt. Ein Verstoß gegen solche Vereinbarungen ist zugleich ein Verstoß
gegen den islamischen Glauben, s. Sure 5, Vers P u. H 1; 3, P 75 f. u. H 70 f.; 4, P 58. H 61. usw.
Schleiermacher kritisiert an dem sokratisch-platonischen Staatskonzept, daß es keinen Platz für
Gottesverehrung besitzt, insofern sich Platon weigert: „eine Gesetzgebung über die Gottesdien-
ste(, zu erlassen), sondern diese dem vaterländischen Apollon überläßt.“, s. Über die Philosophie
Platons, S. 348. Das heißt, daß die Gerechtigkeit, die allein durch Vernunftmaßstäbe – wie es im
platonischen Idealstaat der Fall ist – nicht ausreicht, die Menschen nach Ansichten von Schleier-
macher glückselig zu machen. Die Philosophie von Gh könnte dieses Modell darbieten, insofern
es das religiöse Element enthäl, welches Schleiermacher vermißt.
C. F. v. Weizsäcker. behandelt die universalistische Ethik in Verbindung mit dem kategorischen
Imperativ, wobei er die Gründe der Ungleichheit in der Gesellschaft analysiert und zu dem Schluß
gelangt, dass die Forderung nach Gleichheit bei der Behandlung der Mitmenschen nur erfüllt
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 269
werden kann, wenn ich von mir selbst mehr verlange als von meinem Partner. Dies ist in dieser
Form der Ethik möglich durch ihren religiösen Kern: Nicht die selbstgeleistete – und nie glük-
kende – eigene Gerechtigkeit ist die Basis moralischen Verhaltens, sondern die göttliche Gnade,
welche die Lücken ausfüllt, die jedes Handeln, auch beim besten Willen, lassen muß (Der Garten
…, S. 119). Das Kapitel über das moralische Problem der Linken endet mit dem Ergebnis, dass die
Liebe und nicht die Moral der letzte Grund des menschlichen Zusammenlebens ist (S. 121).
Ohne Zweifel stellt die Liebe eine höchst moralische Forderung an den Menschen. Sie hängt aber
von der Einstellung der Menschen einandergegenüber und von ihrem Mitgefühl für andere ab. Sie
unterliegt keinem Zwang oder Einfluß durch eine Autorität von außen. Gerechtigkeit im kora-
nischen Sinne, die Gh hier vertritt, stellt die Forderung auf, den Feinden gegenüber auch gegen-
über Ungläubigen auf Individueller, gesellschaftlicher oder auf staatlicher Ebene gerecht zu sein.
Ein Muslim oder ein Staat, die dies nicht berücksichtigen, verstoßen gegen den Koran und damit
verlassen sie den Boden des islamischen Glaubens, s. Koran, Sure 5, Vers 8, an-Nasafı̄, Korankom-
mentar, Bd. 1, S. 274; as-Sābūnı̄, Bd. 3, S. 9; S. Qutb, Bd. 6, S. 35; Sure 16, 90 ff., dazu der Kommen-
˙ ˙
tar v. Qutb, Band 14, besonders S. 95 ff., über die˙ Beziehung zwischen islamischen und nicht isl.
Staaten. ˙
Das religiös-idealistische Verständnis der Gerechtigkeit, wie auch das bloß rationale, welches die
Metaphysik von vornherein ablehnt, bleibt hinter dem Modell von Gh zurück, insofern es: 1. einen
konkreten Inhalt aufweist, das islamische Recht, und 2. Die Forderung beinhaltet, Gerechtigkeit
gegenüber den Feinden zu üben, wie dies bereits erklärt wurde. 3. Verantwortung des Menschen
gegenüber seinem eigenen Gewissen reicht bei Gh nicht aus, sondern der Mensch wird von Gott
zur Rechenschaft gezogegn. 4. Beide Modelle, sowohl das von Gh wie auch das religiös-idealisti-
sche, haben etwas Gemeinsames, das ist die Angewiesenheit auf die Gnade Gottes und seine
Mitwirkung bei der Verwirklichung der Gerechtigkeit. 5. Bei einer Ethik ohne Metaphysik muß
man sich vorstellen können, daß es eine Metaphysik ohne Ethik geben kann, was nicht der Fall ist.
Denn wo Metaphysik ist, ist auch Ethik, s. G. Patzig, Ethik ohne Metaphysik, Kleine Vandenho-
eck-Reihe, Göttingen 1971. 6. Rein subjektiv ist, die aristotelische Auffassung von der Glückselig-
keit der transzendentalkritisch-idealistischen Auffassung zu bevorzugen, insofern sie die Freude
am Leben nicht unberücksichtigt läßt und nicht auf zähneknirschender Pflichtausübung beharrt.
Denn man kann nicht dem Transzendentalidealismus die Freude am Leben absprechen, welche
bei Pflichtausübung als Gemütsruhe empfunden wird, s. Platon politische Ethik, S. 32 ff.; Lebens-
qualität in der antiken Philosophie, S. 230 ff., besonders S. 245 f. in: ders. Aufsätze zur antiken
Philosophie, Gesammelte Schriften Bd. III, Wallstein Vlg. Göttingen 1996). Ausführlich auf diese
Problematik einzugehen, sprengt den Rahmen einer Anmerkung, jedoch enthält die vorhandene
Schrift „Kriterium …“ Inhaltspunkte, die Antwort auf die erwähnten Fragen geben. Sie zeigt fer-
ner, welche Bedeutung der Metaphysik für die Ethik zukommt, s. Gh, D 310 ff.; 325 ff. usw. 6. Die
Aufhebung der Metaphysik geschieht zu Gunsten eines Humanismus, der von einer veränderten,
variablen und meist individuell gefärbten Wertvorstellung geprägt ist, die materialistisch und uti-
litaristisch orientiert ist. Eine solche Ethik verdrängt möglicherweise absichtlich den Tod und
dessen Bedeutung für das Individuum und dessen Glück, was zu vielen psychischen Komplikatio-
nen führt, s. Einleitung, LXIIIff. Außerdem trägt eine solche Ethik zu einer Vertiefung des indivi-
duellen und des Klassenkampfes bei, s. S. 53 f., 71. 7. Es wird ferner zwischen Schrift, Überlieferung
und Theologie verwechselt. Die Schriften der sog. Monotheistischen Religionen, nämlich Alt- und
Neutestament und der Koran sprechen in der Regel den durchschnittlich klugen und aufnahme-
fähigen Menschen an, der z. B. keinen akademischen Abschluss hat. Man kann aus diesen Schrif-
ten ethische Normen ableiten, die jeden Menschen unabhängig von seiner Abstammung und Kul-
tur ansprechen (z. B. die Zehn Gebote, s. Moses 19; Koran, Sure 6, Vers 151 ff. Die Mehrheit der
Menschen glauben an diese Schriften und schätzen sehr ihre moralischen Forderungen. Der ge-
naue Inhalt des Begriffs „Metaphysik“ wird aufgeopfert zwecks einer Verurteilung der religiös
moralischen Normen, s. Ethik ohne Metaphysik, z. B. S. 94 ff. 9. Ethik ohne Metaphysik bedeutet
Bruch mit dem überlieferten Glauben. Darin besteht die große Schwierigkeit, eine solche Ethik in
die Praxis zu verwenden. 10. Am Beispiel der Geburtenkontrolle und der Todesstrafe wird das
270 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Scheitern einer Ethik ohne Metaphysik nachgewiesen. Ethik ohne Metaphysik, besonders S. 23 ff.
a) Das Scheitern einer Familienpolitik und der Durchführung einer Geburtenkontrolle in vielen
Entwicklungsländern wie zum Beispiel in Ägypten geht nicht nur auf den Widestand des einfachen
Bürgers, sondern auf die intellektuelle Schicht zurück, die mehr von dem Vernunftgebrauch als
sonstige macht, weil sich eine solche Schicht als Behüterin der Ttradition gibt und die Geburten-
kontrolle als einen Widerspruch zu dieser Traditon betrachtet. b) Der Koran stimmt grundsätzlich
mit dem Alten Testament hinsichtlich der Todesstrafe überein. Die bibliche Verordnung darüber
ist für die Muslime verbindlich, s. Koran, Sure 5, Vers P 45, H 49. c) Die Durchführung des Ver-
geltungprinzips bedeutet Schutz und Achtuing vor dem Leben in individueller wie auch in gesell-
schaflicher Hinsicht: „Die Wiedervergeltung sichert euch das Leben“, Sure 2, Vers P 179, H 175
„Und in der Wiedervergeltung liegt Leben für euch“. c) Trotz ihrer Grausamkeit konnten christ-
lich und islamisch geprägten Staaten diese Strafe nicht aufheben. d) Ihre Aufhebung bedeutet
einen eindeutigen Bruch mit der Tradition der biblichen und islamischen Überlieferungen. e) Dies
konnte bis jetzt nicht zu Gunsten eines Täters geschehen, der das Leben wehrloser Menschen
durch eine vorsätzliche, durchdachte und zeitlich genau geplante Handlung zerstört, um in unbe-
rechtigterweise persönliche Interessen und Gefühle zu befriedigen. f) Allerdings sieht die isla-
mische Strafverordnung zwei Alternativen vor, die nicht in der biblichen Tradition enthalten sind:
1. Die Vergebung (al-2afw) des Täters durch die unmittelbar betroffenen Angehörigen. 2. Die fi-
nanzielle Entschädigung (ad-diya), s. Sure 2, Vers P 178, H 173. Das islamische Recht beharrt also
nicht auf der Todesstrafe, sondern überläßt den Angehörigen des Opfers die Wahl anderer Mög-
lichkeiten, die ferner das positive Recht nicht vorsieht, s. 2A. al-Ǧezerı̄, al-fiqh 2ala 3l-madāhib al-
¯
arba2a (Das islamische Recht nach den vier Schulen), Bd. 5, S. 217 ff., an-Nasafı̄, Korankommentar,
Bd. 1, S. 91 f., as-Sābūnı̄, Korankommentar, Bd. 1, S. 104. Diese beiden Alternativen betrachtet der
˙ ˙
Koran als Erleichterung und Barmherzigkeit von Gott „tahfı̄f min rabbikum wa-rahma“ s. a. a. O.
127 „Über das, was unter der Tugend der Weisheit …“ In diesem ˘ Abschnitt werden˙ die einzelnen
Tugenden sowie ihre Laster dargelegt. Insgesamt sind zwölf Charakterzüge, die unter „frnhsi@,
Weisheit, hikma“ fallen: vier positive und acht negative. Die graduellen Unterschiede, die sich auf
˙ Charakterzüge beziehen, werden genau bestimmt, wie „ǧaudat ad-dihn, klarer In-
die einen der
tellekt“, und „nuqāyat ar-ra3y, Scharfsinn“ auf der einen Seite der Tugenden und¯„Torheit,¯ humq“
und „Wahnsinn, ǧunūn“ auf seiten der Lastern. ˙
frnhsi@, hikma wird von Platon und Aristoteles allgemein bestimmt, ohne ihren Inhalt näher
darzulegen.˙ Platon begnügt sich mit einer Ausführung der praktischen Weisheit im Staat und
dessen Geschäfte: „pol± dþ megfflsth, … ka½ kallfflsth t»@ fronffisew@
per½ tÞ t n pleðn te
ka½ o§kffisewn dikaismhsi@, – d¼ nom€ ¥sti swfrosÐnh te ka½ dikaiosÐnh …“, s. Sym., 209a5 ff.
Sie wird dabei von der Gerechtigkeit dikaiosÐnh begleitet, s. a. a. O. Ebenso verhält es sich bei
Aristoteles in der EN, wo er bei der allgemeinen Bestimmung des Begriffs bleibt, s. EN 1140a24 ff.;
1141b23. Es gibt nicht viele Gegensätze zur Weisheit. Lediglich das unrichtige Handeln
„⁄frosÐnh“ und diejenigen, die unrecht handeln, werden als Gegensatz zur Weisheit angegeben,
Pro., 332b1 ff. In Menexenos spricht Platon von dem Gegensatz zur Weisheit. Jede Erkenntnis wird
als List und Schlauheit betrachtet, wenn sie von der Gerechtigkeit und den übrigen Tugenden
getrennt ist: „pas€ te ¥pistffimh cwrizomffnh dikaiosÐnh@, ka½ t»@ ˝llh@ ⁄ret»@ panourgffla, o'
sofffla fafflnetai.“, s. 246e7 ff. Die beiden Begriffe „panourgffla“ und „o' sofffla“ treten nicht als
Gegensatzpaar zu „sofffla“ vor und auch nicht in derselben Stärke und Eindeutigkeit wie dies bei
Gh der Fall ist. Dies belegt auch der Gebrauch von „cwrfflzw“, welches die Bedeutung von „tren-
nen“ hat.
Aristoteles spricht im Zusammenhang von „frnhsi@, hikma“ darüber, daß die Handlung eines
weisen Menschen ein Ziel „skop@, hadaf“ haben soll. Ist ˙ das Ziel gut, so ist es lobenswert „¥pai-
nffth, mahmūd“. Als Fähigkeit dazu, wird „deinth@ angegeben, Dirlmeier: intellektuelle Ge-
wandtheit,˙ dahā3“. Wenn es aber schlecht ist „fa‰lo@, sayyi3“, so spricht man von „panourgffla,
Schlechtigkeit/Bosheit, Dirlmeier: Gerissenheit, makr/ sū3“, s. EN, 1144a24 ff.; Dirlmeier,
Anm. 138, 4, S. 469. Für Gh sind beide „Gewandtheit und List Gegensätze der Weisheit, s. D 274 f.
Ferner taucht bei Arist. der Begriff „⁄frosÐnh, Unvernunft, Unbesonnenheit, at-taiš, al-lā-hik-
˙˙ ˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 271
Charakterzüge, die Gh unter der Tugend der Tapferkeit ⁄ndreffla, aš-šaǧā2a zuordnet und be-
stimmt. Zum Anwendungsbereich der Tapferkeit bei Platon, s. u. a. Laches, 190e. Bei Aristoteles
wird sie als die Mitte zwischen Angst fbo@, hauf und j€rrh, Verwegenheit (Dirlmeier), Zuver-
˘
sicht (Gigon), at-tahawwur erwähnt, s. EN, 1115a6; s. f. Schleiermacher, Kommentar zu Laches, in:
Vorlesungen …, S. 114 ff., besonders seine Meinung, daß die Tapferkeit nicht gegenüber den ande-
ren Tugenden hervorzuheben ist. Dirlmeier hat sie bei diesen beiden Philosophen schematisch
dargelegt, s. NE, Anm. 57, S. 337 ff. Dazu bemerkt er, daß der Gegensatz zu dieser Tugend ⁄nan-
dreffla, Feigheit, al-ǧubn als „Wort der hohen Sprache“ von Platon gern gebraucht, von Aristoteles
fast ganz vernachlässigt wird, s. NE, Anm. 57, S. 338.
Wenn man versucht, andere Gegensätze zu dem Begriff „⁄ndreffla, aš-šaǧā2a“ zu finden, so stößt
man auf Begriffe wie „deilffla, Feigheit, al-ǧubn“ und „jrasÐth@, at-tahawwur, Waghalsigkeit“, s.
EN, 1115a4 ff.; O. Gigon, Arist., NE, Anm. dazu, S. 326; 1107a32 ff.; 1108b30, welche auch Anklän-
ge an Platon aufweist, s. Laches, 190eff. Andere negative Eigenschaften findet man kaum, die der
Tapferkeit zugeordnet werden können.
129 „Selig ist derjenige, der sich demütig gibt ohne Minderwertigkeit …“ ist eine Überlieferung,
die nach Wensinck nicht in den Großsammlungen erwähnt wird, s. Concordance, T. VII, S. 249:
„wadā2a“. Er erwähnt aber mehrere Überlieferungen, die denselben Sinn haben, wie zum Beispiel:
„Wer˙ sich eine Stufe erniedrigt, den erhebt Gott auf eine höhere“ Ferner: „Verhaltet ihr euch
gegenübereinander demütig, auf daß keiner den anderen prahlt.“, s. a. a. O. Dieselbe Überliefe-
rung erwähnt Gh noch ausführlicher in ih., Bd. 3, S. 293 mit Quellenangaben.
130 ˙
„Über das, was die Tugend der Enthaltsamkeit …“ Auf die Schwierigkeit der Übersetzung der
„swfrosÐnh“ in die modernen Sprachen verweist Dirlmeier, s. NE, Anm. 64,4, S. 347 ff. Die Be-
griffe: „Enthaltsamkeit“ und ihre Synonyme: „Entsagung, Verzicht, Mäßigkeit, Bescheidenheit“,
s. Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 1111; und im Englischen: soundness of mind, pru-
dence, discretion, moderation in sensual desires, self-control, s. Liddel&Scott, S. 1751. Alle diese
Übersetzungen passen im Arabischen, besonders: „Enthaltsamkeit“ und „Mäßigkeit“, „self-con-
trol“ und „soundness of mind“, insofern das arabische Verb: „2affa, ya2iffu“ diese Bedeutungen
umfaßt. „Der gesunde Sinn“, der im Griechischen enthalten ist, von dem Dirlmeier in diesem
Zusammenhang spricht, bleibt erhalten, insofern er die Voraussetzung für die Enthaltsamkeit aus-
macht, die frei von schlechten und bösen Handlungen ist.
In der islamischen Tradition bedeutet der Begriff: „Keuschheit“, „Genügsamkeit“ und „Geduld“,
s. Koran, Sure 2, Vers P 273 „sich zurückhalten“, H 274 „Bescheidenheit“; 24, P u. H 33 „keusch
leben“, P 60 „Enthaltsamkeit“, H 59 „keusch leben“; ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 9, S. 253 mit wei-
teren Belegen; H. Wehr, Arab. Wörterbuch, S. 561 f. ˙
Es sind sieben positive und sechzehn negative Charakterzüge, die Gh dieser Kardinaltugend zu-
ordnet und einzeln bestimmt. Platon erwähnt sie relativ ausführlich in Phaidros im Zusammen-
hang mit den in uns vorhandenen Anlagen: „Wenn nun die Gesinnung uns zum Besseren durch
Vernunft führt und regiert, so heißt diese Regierung „Besonnenheit, swfrosÐnh, 2iffa“; wenn aber
die Begierde „vernunftlos, ⁄lgw@, lā-ma2qūl/ taiš“ hinzieht zur Lust und in uns herrscht, wird
diese Herrschaft „Frevel, ˜bri@, itm“ genannt.“,˙s. Phdr. 237e2 ff. Auf diese enge Verbindung zwi-
¯
schen „swfrosÐnh und sofffla, al-2iffa und al-hikma“ wird in Protagoras verwiesen. Das Gegenteil
von unrichtigem und unvernünftigem Verhalten ˙ „⁄frosÐnh“ wird kurz behandelt, s. Protagoras,
332aff. Hier wie auch in der vorangegangenen Analyse sieht man, wie Gh über die sokratisch-
aristotelischen Begriffsbestimmung, sowie in der Auflistung der Gegensätze hinausgeht, s. Dirl-
meier, NE, Anm. 64, 4, S. 347 ff.; D 280.
Damit erreichen die positiven Tugenden, die unter diese drei Kardinaltugenden fallen, nämlich
272 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Weisheit, Tapferkeit und Enthaltsamkeit dreißig positive und neununddreißig negative Charak-
terzüge, die alle insgesamt entweder aus der rationalen Fähigkeit, al-qūwa 3l-2aqlı̄ya, di€noia, oder
aus Wut, al-qūwa 3l-ġadabı̄ya,
¤rgffi, oder aus Begierde, t ¥pijumhtikn, al-qūwa 3š-šahwānı̄ya,
entstehen, s. D 273. ˙
Diese Darbietung der Tugenden von Gh ist kaum mit der griechischen Philosophie von Platon und
Aristoteles vergleichbar. Sowohl methodisch wie auch inhaltlich unterscheidet sich Gh von diesen
Philosophen. Der Katalog der Charakterzüge von Aristoteles, welcher auf sokratisch-platonischen
Grundlagen beruht, beinhaltet lediglich dreizehn oder sechzehn Tugenden, wenn man die beiden
anderen Schriften von Aristoteles, die Eudämische Ethik (EE) und die Magna Moralia (MG)
hinzuzieht, s. Dirlmeier, EN, Anm. 38, 1, S. 312 ff.
Was die Gerechtigkeit anbetrifft, so umfaßt sie alle Tugenden, die Ungerechtigkeit ihre Gegen-
sätze, nämlich alle Laster, s. D 286. Zum Abschluß dieses Teils, der sehr umfangreich ist, erwähnt
Gh, daß über jede dieser Charaktereigenschaften Überlieferungen erhalten sind, die zu ihrer Er-
langung anspornen und von ihren Lastern warnen, s. a. a. O. Damit setzt Gh seinen Ansatz fort,
daß Vernunft und Religion sich in der Ethik gegenseitig ergänzen.
131 „Gott schämt sich, …“ ist eine Überlieferung, deren Quelle Gh selbst gilt, insofern sie nach
Wensinck in keiner der Großsammlungen erwähnt wird, s. Wensinck, T. I, S. 540 f. Auf ihre Bedeu-
tung ist Gh eingegangen.
132 „Ihr sollt eine wahrhaftige Scham vor Gott haben.“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck
von at-Termedı̄ und Ahmad ibn-Hanbal erwähnt wird, s. Wensinck, T. I, S. 540 f.; s. f. Ahmad ibn-
Hanbal, Bd. 1,¯ S. 387. ˙ ˙ ˙
˙ „Weiß er denn nicht, daß Gott sieht, …“, Sure 96, P u. H 14. ar-Rāsı̄ interpretiert das Verb
133
„sehen“ mit „wissen“, das heißt Gott weiß alles, was es im Himmel und auf Erden gibt. Darüber
spricht ferner der Koran: „Deinem Herrn entgeht „auch“ nicht das Gewicht eines Stäubchens
(weder) auf der Erde noch im Himmel …“, Sure 10, Vers P 61, H 62, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 32, S. 22 f.; at-Tabarı̄, Bd. 30, S. 254 f. Diese Stellen u. ä. sprechen gegen die Ansicht der Phi-
˙ ˙
losophen im Mittelalter, daß Gottes Wissen sich nicht auf singularia bezieht, s. Kurt Flasch, Das
philosophische Denken im Mittelaler, S. 340.
134 „Wer keine Scham empfindet …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck nicht in den Groß-
sammlungen erwähnt wird, s. Concordance, T. I, S. 540; Jedoch erwähnt er eine dem Inhalte nach
ähnliche Überlieferung, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 111; s. f. al-Buchārı̄, ı̄mān, S. 8. In
seiner Analyse dieser Charaktereigenschaft unterscheidet sich Gh grundsätzlich von der griechi-
schen Ethik, besonders von Aristoteles, der sie aus seiner Tugendliste verbannt, s. EN, 1128b;
Dirlmeier, NE, Anm. 94, 1, S. 394 ff. Im Gegensatz zu Aristoteles bezeichnet Gh die „Scham, al-
hayā3, a§do‰@“ als „das erste Anzeichen der Vernunft, der Glaube aber ist ihre letzte Stufe.“, s.
˙ 282.
D
135
Alle drei Charaktereigenschften haben ein gemeinsames Gegenstück, das ist die Großzügig-
keit, al-karam. Gh geht in ihrer Bestimmung über die sprachliche Grundbedeutung hinaus und
erwähnt auch dabei ihre Ursachen. So wird al-buhl, Sparsüchtigkeit als die Beibehaltung oder
Vorenthaltung der angeeigneten Dinge. Nach dem˘ islamischen Recht handelt es sich dabei um
die Vorenthaltung des Notwendigen. Gh gibt den Grund hierfür an, das ist die Angst vor Armut
und der Erniedrigung vor den Feinden, s. az-Zabı̄dı̄, tāǧ al-2arūs, (Die Brautkrone/Sprachlexikon),
Bd. 28, S. 62 ff.; D 285. Im Koran wird diese Charaktereigenschaft verurteilt, s. Sure 3, Vers P 180,
H 175 f.; 57, Vers P u. H 24; 92, P u. H 8 ff.
Die Knauserei ist eine heftige Sparsüchtigkeit. 2. Es wird ferner erwähnt, daß die Sparsucht auf
einzelne Dinge, während die Knauserei allgemein ist und sich auf alles bezieht. 3. Die Sparsucht
bezieht sich auf Geld, die Knauserei aber dazu auch auf die Güte. 3. Die Knauserei bezieht sich auf
die Unterlassung der Armensteuer und den Verzehr des Verbotenen, s. ibn-Manżūr, lisān …,
Bd. 2, S. 495. Ebenso wird diese Charaktereigenschaft im Koran verurteilt, s. S. 59, P u. H 9. Beide
Koranübersetzer verwenden den Begriff „šuhh“; s. f. Sure 33, Vers P u. H 19, P „knauserig“, H
„Geiz“. Die Knauserei wird an all diesen Stellen ˙ ˙ als eine Eigenschaft des Ungläubigen und des
Heuchlers bestimmt. Ebenso geht Gh dabei über die sprachliche und religiöse Bestimmung hinaus
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 273
und entwickelt seine eigene anthropologische Analyse, die von höchster Bedeutung zum Ver-
ständnis des menschlichen Verhaltens ist.
Der Knickrige, „al-la3ı̄m“ wird sprachlich bestimmt als derjenige, bei dem zu dem Knauser die
Niedrigkeit seiner selbst und noch dazu seiner Herkunft auf sich vereinigt, s. ibn-Manzūr, lisān
…, Bd. 12, S. 530 f.; az-Zabı̄dı̄, Bd. 33, S. 391; Gh., ih., Bd. 3, S. 218 ff. ˙
136 „Die Gerechtigkeit umfaßt alle Tugenden, …“ Nachdem ˙ Gh mehrmals auf die Bedeutung der
Gerechtigkeit verwiesen hatte (s. z. B. D 272 f.; Anm. 126), geht er hier auf das Verhältnis dieser
Kardinaltugend zu den übrigen Tugenden ein. Hier wird ein besonderes Merkmal dieser Tugend
hervorgehoben, nämlich, daß sie der Inbegriff aller Tugenden ist, wie auch ihr Gegensatz der
Inbegriff aller schlechten Charaktereigenschaften ist. Gerechtigkeit als Haltung, xi@ ergibt sich
aus Erkenntnissen und Erfahrungen, die zum ethischen Verhalten motivieren, s. Dirlmeier, NE,
Anm. 95, 3, S. 398. Gerecht handeln heißt, entsprechend den Gesetzen im Staat, pli@, al-madı̄na/
ad-daula zu leben. Ungerecht handeln heißt, gegen das Gesetz der Stadt/ des Staats handeln, s.
Platon, Politeia, 338,e5; 539a3.
Aristoteles interessiert sich nicht so sehr für die platonische Bestimmung der Gerechtigkeit als das
Zusammenleben der Stände im Staat und für das, was der Einzelne tut. Vielmehr interessiert sich
Aristoteles dafür, wie die Gerechtigkeit nach außen hin in der Gesellschaft, in der Beziehung der
Bürger zueinander zu verwirklichen. Der soziale Charakter hebt ihn von Platon ab, da es bei
Platon vielmehr auf den Menschen selbst und auf die Harmonie in seinem Inneren ankommt.
⁄retffi pr@ teron, tugendhaft im Verhältnis zu dem anderen bedeutet, in dem anderen das ei-
gene Glück zu sehen, und somit entwickelt sich die aristotelische Auffassung von der Freund-
schaft, s. Aristoteles, EN, 1129b33 ff.; Dirlmeier, NE, Anm. 97, 5, S. 401 f.; 110, 1, S. 418; 111, 6,
S. 421.
Mit Gesetz, nmo@, nāmūs, pl. nawāmı̄s/ al-qānūn, pl. qawānı̄n ist hier die gesamte Tradition der
Stadt/ des Staates gemeint, s. Dirlmeier, NE, Anm. 97, 1, S. 400 f. Was diese Gesetze und Gebräu-
che besagen, erklärt Aristoteles hier in seiner Schrift, die EN, s. 1130b10 ff.; 1130b23, 30 ff.
All diese Bestimmungen der Gerechtigkeit bei den beiden Philosophen reichen vielleicht dafür
aus, einen Menschen im diesseitigen Leben glücklich oder zufrieden zu machen, nicht aber in
seinem Verhältnis zu Gott und im Jenseits, s. EN, 1130b25 f.; Gh, A 42 ff.; Anm. 126.
Der Begriff der Gerechtigkeit ist bei Gh umfangreicher, insofern er sowohl diesseitige als auch
jenseitige, rationale und religiöse Glückseligkeitsbestrebungen des Menschen berücksichtigt, s.
D 232 ff.; 234 f.; 254; 270. Der Mensch soll sich bei seinem Bestreben, gerecht zu sein, Gott nähern.
Darin liegt seine Vollkommenheit: „… die höchste Glückseligkeit (liegt) in der Nähe zu ihm …“
Das religiöse Element bei der Aneignung der Glückseligkeit fehlt in der Philosophie von Platon
und Aristoteles. Auch die Deutung des Gesetzes bei Gh ist anders als bei diesen Philosophen. Mit
Gesetz ist das islamische Recht gemeint, dessen Quelle vor allem der Koran und die prophetische
Überlieferung „as-sunna“ sind.
137 Anreiz, Einschüchterung, Ehrfurcht/Furcht, Hofnung, Hoffnungslosigkeit und Liebe: In die-
sem Kapitel geht es darum, einen Blick auf die Motivationen menschlichen Handelns zu werfen.
Das Kapitel ist relativ kurz für die Abhandlung einer solchen Thematik. Es enthält lediglich Kern-
gedanken zu diesen Themen und beschränkt sich hauptsächlich auf die Erklärung des Zusammen-
hangs zwischen Anreiz, „at-tarġı̄b“ und Belohnung, „at-tawāb“, sowie Einschüchterung, „at-
tarhı̄b“ und Tadel, „ad-damm“, und das, was daraus folgt. ¯ ¯ Diese Thematik wird in ihyā3 2ulūm
¯ ¯
ad-dı̄n, „Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften“ ausführlich, auf mehr als ˙ 40 Seiten
Dina A 4 Format behandelt. Die Abkürzung der Abhandlung dieser wichtigen Themen hier im
mı̄zān … bestärkt die Annahme, daß Gh in dieser Schrift die Antwort auf den Aristotelismus
fortsetzt. Er knüpft dieses Kapitel an seine Abhandlung der Kardinaltungenden als Antwort auf
die Frage an, was wohl den Menschen dazu veranlassen könnte, Gutes zu tun? Was sind denn die
Charaktereigenschaften des vollkommenen Menschen? Bei der Beantwortung solcher Fragen
stellt sich heraus: 1. Belohnung und Bestrafung finden im Islam hauptsächlich im Jenseits statt.
2. Der Glaube allein ohne die entsprechenden Handlungen ist nicht ausreichend, s. D 290 f.
Die Beispiele und die Belege, die Gh in seiner Abhandlung der Themen dieses wichtigen Kapitels
274 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
in ih. (Wiederbelebung …) anführt, sind umfangreich und vielschichtig. Sie umfassen Belege aus
dem˙ Koran, prophetische Überlieferungen auch von den Propheten vor Muhammad und von
berühmten Mystikern. 3. Die Vollkommenheit der Seele kann durch Wissen und ˙ Handeln, sowie
durch die Aneignung von Erkenntnissen mit dem Ziel erreicht werden, sich Gott zu nähern,
D 293. 4. Der Occasionalismus von Gh ist nicht absolut, insofern er hier die Meinung vertritt,
daß sich der Mensch auf jeden Fall um die Ursache kümmern soll, wie z. B. die Begattung bei
Kinderzeugung, und die Streuung von Samen etc., s. D 292. Ziel dieser Darstellung ist es zu zeigen,
daß es sich in Sachen des Jenseits ebenso verhält, wie im Diesseits.
Die Hoffnung auf Gottwohlgefälligkeit ohne Handeln reicht nicht aus, sondern man muß es mit
dem Handeln verknüpfen, s. D 293. Anreiz, at-tarġı̄b, Einschüchterung, at-tarhı̄b, Lob, al-madh,
Tadeln, ad-damm sind Hauptmotivationen zum Handeln. Furcht und Hoffnung, al-hauf wa-3r-raǧā3 ˙
¯ ¯
sind im arabischen Sprachgebrauch eng miteinander verbunden, s. ih., Bd. 4, S. 141; lisān˘ …, Bd. 14,
S. 310. Ebenso verhält es sich im Griechischen. ˛lpi@ heißt Hoffnung ˙ wie auch Furcht und Besorg-
nis, s. W. Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, S. 266; s. f. R. Bulltmann,
Der griechische Hoffnungsbegriff, in:Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 1935,
Bd. 2, S. 515 ff. Die Hoffnung, ar-raǧā3 ist lobenswert, mamdūh. Sie ist begründet, wenn man dabei
˙ unbegründet. Unbegründete Hoff-
die göttlichen Gebote verrichtet, ansonsten ist sie leer, das heißt
nung ist Torheit. Die Hoffnungslosigkeit, al-ya3s, ⁄nelpistffla ist tadelnswert, madmūm, insofern sie
von den guten Taten abhält, s. ih., Bd. 4, S. 124 f. Vielmehr sie ist eine Sünde. ¯Zu diesem Thema
erwähnt Gh zahlreiche Stellen aus ˙ dem Koran und den Überlieferungen, darunter ist folgendes hier
zu erwähnen: „Sag: Ihr meine Diener, die ihr gegen euch selber nicht maßgehalten habt! Gebt nicht
die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes auf! Gott vergibt (euch) alle (eure) Schuld. Er ist es,
der barmherzig ist und bereit zu vergeben.“, S. 39, Vers P 53, H 54. Der Abschluß bei H lautet:
„…, er ist der Vergebende, der Barmherzige.“ In bezug auf die Hoffnungslosigkeit ist es hier mit
folgender Stelle zu begnügen: „Ihr habt schlimme Mutmaßungen (H böse Gedanken) über Gott
angestellt. Ihr seid ein unwissendes (H verdorben) Volk.“, s. Sure 48, P u. H 12.
In der griechischen Philosophie vor allem bei Platon und Aristoteles ist der Mensch in seiner
Hoffnung völlig auf sich selbst gestellt. Im Zusammenhang der Glückseligkeit wird die Hoffnung
„¥lpffl@“ als Ansporn dazu angegeben: „diÞ t¼n ¥lpfflda makarfflzontai.“, Aristoteles, EN, 1100, a3 f.;
s. f. 1156a30; 1159a20. Die Hoffnung ist schlechthin ein Bestimmungsgrund für das Verhalten des
Menschen, s. f. EN, 1166a25; 1167a16 usw. Der Gerechte ist „jeofilffi@“, Gott wohlgefällig. Er hat
nichts zu befürchten, weder in diesem Leben noch nach dem Tod. Dirlmeier ist auf diese Frage
ausführlich eingegangen, s. NE, Anm. 20, S. 287 ff. Diese Auffassung reicht nach Ansicht von Gh
nicht aus, um die Glückseligkeit zu erlangen. Denn „Hoffen“ heißt, auf die Barmherzigkeit Gottes
zu warten und von ihm aufgenommen zu werden. Dies könnte durch Glauben und Handeln er-
reicht werden, wie Gh in diesem Kapitel darlegt. Der hoffnungsvolle Mensch ist derjenige, der auf
die Barmherzigkeit Gottes wartet, damit er das Heil „swthrffla, an-naǧāt“ von Gott erlangen kann.
Die Hoffnung im Islam ist demnach keine kollektive Angelegenheit der islamischen Gemeinde
und mit keiner messianischen Bestimmung geknüpft, sondern eine ganz individuelle Angelegen-
heit. Das Heil des Individuums hängt einzig und allein von seinen guten Handlungen ab. Trotzdem
hängt das Heil der einzelnen Seele von Gottes Gnade, c€ri@, rahma/fadl/ǧūd ab. Die eigene „Lei-
stung“, die dazu erforderlich ist, reicht also bei weitem nicht aus,˙ s. ih., ˙Bd. 4, S. 13 ff.
Die Ehrfurcht, ar-rahba/die Furcht, fbo@, al-hauf ist Herzensschmerz, ˙ der stattfindet, wenn man
unangenehmes „makrūh“ erwartet, s. S. 135. Sie ˘ ist ein Vorhang zwischen dem Menschen und
Gott. Ihr Entstehungsgrund ist das Nachdenken über Gott und seine Eigenschaften. Denn „wer
Gott am besten fürchtet, erkennt er ihn auch am besten.“, s. a. a. O. Der Prophet Muhammad – so
meint Gh – führt die Menschen durch Einschüchterung und Hoffnung. In dem Augenblick, ˙ wo er
bemerkt, daß die Menschen durch Ehrfurcht und Furcht vor der Strafe hoffnungslos werden,
erweckt er in ihnen die Hoffnung auf Gnade und Barmherzigkeit, s. S. 131. Denn sowohl Hoffnung
als auch Einschüchterung sind wirksame Mittel, um die Menschen in ihrer Mehrheit zum Handeln
anzuspornen. Er verwendet die Einschüchterung zu einem guten Zweck und die Furcht wird von
der Hoffnung überwunden, s. S. 137.
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 275
Die Tugend der Furcht besteht darin, daß sie uns Gott näher bringt. Darin liegt auch unsere
Glückseligkeit. Die Nähe zu ihm heißt Liebe, al-mahabba, ⁄gapffi. Dies kann nur durch den Ver-
such erreicht werden, ihn zu erkennen. „Erkennen“ ˙heißt hier in diesem Zusammenhang: dauer-
haft an ihn denken, welches die Folge der Furcht ist. Denn Liebe und Furcht hängen von der
Erkenntnis einer Sache bzw. einer Person ab. Der Koran unterstützt die Ansicht von Gh, der dabei
den folgenden Vers erwähnt: „Gott fürchten nur diejenigen seiner Diener, die das wahre Wissen
haben.“, s. Sure 35, Vers P 28, H 25. Die Furcht führt den Menschen zu einem wahrhaftigen Wis-
sen über Gott durch Nachdenken über dessen Eigenschaften und über sein eigenes Schicksal. In
der islamischen Tradition wird die Furcht vor Gott als Zeichen der Weisheit angegeben: „Wer
Furcht vor Gott hat, vor dem hat alles Furcht. Wer aber keine Furcht vor Gott hat, der fürchtet
alles.“, s. ih., Bd. 4, S. 141. Die Furcht vor Gott wird auch als Krone der Vernunft bestimmt, s.
a. a. O. ˙
Die wirksame Furcht ist die, welche die Menschen von den Sünden abhält. Die unwirksame hin-
gegen ist ein Selbstgespräch und eine Gemütsbewegung, die den Namen Furcht nicht verdient, s.
136 f. Eine dritte Art gibt es, wenn die Furcht stark ist und das Übermaß überschreitet bis hin zur
Hoffnungslosigkeit, welche dann später zu Schwäche und Erkrankung führt, s. a. a. O.
Auch die Menschen teilen sich in zwei Kategorien: 1. Diejenigen, die Furcht vor den Sünden
haben; dies sind die frommen. 2. Diejenigen, die Furcht vor Gott selbst haben; dies sind diejeni-
gen, die an seine Einzigartigkeit glauben. In ihrem Leben versuchen sie, aufrichtig zu sein und
seine Nähe aufzusuchen. Sie stehen höher als die erste Gruppe, s. a. a. O.
Gh bestimmt den Glauben als die „Liebe“ zu Gott und zu seinen Gesandten, s. ih., Bd. 4, S. 253. Er
versucht dabei, die Liebe zu Gott rational zu begründen und als Veranlagung, ˙bi-3t-tab2 im Men-
schen darzulegen. Von der Liebe zu den schönen Dingen entwickelt er den Begriff˙ und ˙ schildert
Gott als den Prächtigsten und Schönsten. Aufgrund seiner sonstigen Eigenschaften hat der
Mensch als vernünftiges Wesen die Neigung, ihn als seinen gütigen Schöpfer zu lieben. Diese
Erfahrung macht der Mensch durch sein inneres Auge, durch die Scharfsichtigkeit, auch Verstand
und Herz genannt, s. S. 255. Das ist die wahrhaftige Liebe, die Liebe zu Gott, s. S. 256.
Das Nachdenken darüber und über die Ehrfurcht vor Gott bringen den Menschen Gott näher. Das
ist der Sinn der Vollkommenheit, welche darin besteht, sich ihm zu nähern. Dies kann nur, wie Gh
in diesem Kapitel darlegt, durch Denken, Handeln und Erfahrung der Wahrheiten bei guter Ge-
sinnung erreicht werden, s. D 293. Darin besteht ein weiterer Unterschied zu dem griechischen
Denken, das die Vollkommenheit nicht in diesem Zusammenhang sieht. Dieser Unterschied wird
noch tiefer, als der islamische Glaube das Schauen Gottes am Jüngsten Tag bei den vorwiegenden
Muslimen für möglich hält, s. ih., Bd. 4, S. 269.
˙
Die Liebe von und zu Gott erreicht ihren Höhepunkt dadurch, daß Gott den Gläubigen am Jüng-
sten Tag erscheint. Diese Erscheinung ist die Vervollkommnung der Vorstellung von ihm, die
gemäß den Bedingungen des Jenseits über Zeit und Raum stattfinden wird. Als Belege dafür
erwähnt Gh aus dem Koran besonders den Vers: „Ihr Licht eilt dann vor ihnen und in ihrer Rech-
ten dahin, …“, Sure 66, P u. H 8. Die höchste Stufe ist die der Aufrichtigen und der Propheten, die
ihm seinetwegen und seiner Herrlichkeit wegen begegnen wollen, s. D 289. Die Auffassung von
Gh über die Gottesliebe übte einen großen Einfluß auf Ahmad ibn-Taymı̄ya (gest. 652 n. H./ 1254
˙ 751 n. H./ 1350 n. Chr.) aus.
n. Chr.) und auf dessen Schüler ibn-Qayyim-al-Ǧauzı̄ya (gest.
Die Bejahung der Freundschaft zwischen Gott und Abrāhām ist Bestandteil des islamischen Glau-
bens, ebenso sein Dialog mit Moses, deren Leugnung mit der Todesstrafe im Mittelalter geahndet
wird, insofern eine solche Haltung im Widerspruch zum Koran steht, s. Sure 4, Vers P 125, H 124;
4, P 164, H 162. So bestrafte der Herrscher von Iraq Hālid ibn-2Abdallāh al-Qasrı̄ (hingerichtet:
126 n. H./743 n. Chr.) auf Befehl des Kalifen Hišām˘ ibn-2Abdel-Malik (71–125 n. H./690–743
n. Chr.) Ǧa2d ibn-Dirham mit dem Tode, weil er eine solche Freundschaft leugnete. Er leugnete
ferner, daß Gott mit Moses gesprochen habe, s. Hair-ad-Dı̄n az-Zarkalı̄, al-a2lām (Die Biogra-
˘
phien), Bd. 2, S. 114. I. Goldziher führt den Hintergrund für eine solche Leugnung auf Aristoteles
zurück, insofern nach der Meinung von Aristoteles der Abstand zwischen Gott und seinen Ge-
schöpfen (den Menschen) sehr groß ist und eine solche Freundschaft nicht gestattet, s. I. Gold-
276 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
ziher, Die Gottesliebe in der islamischen Theologie, in: Der Islam, 1918, Bd. 9, S. 144 ff. besonders
156 Fußnote mit Quellenangaben bei Aristoteles.
Wir verfolgen weiter in den nächsten Anmerkungen den Gedankengang von Gh über die Gottes-
liebe durch weitere Belege aus dem Koran und der isl. Mystik.
138 „Und gedulde dich mit denen, die morgens und abends zu ihrem Herrn beten, …“, Sure 18,
Vers P 28, H 27. Einen Hinweis auf den tatsächlichen Wert und ein vortrefflicher Maßstab für
diejenigen, deren Ziel im Jenseits ist das Wohlgefallen Gottes zu erlangen, bemerkt S. Qutb in
seinem Korankommentar, s. Bd. 15, S. 90 f. Solche Menschen, mit denen der Prophet Muhammad ˙
geduldig umgehen sollte, lieben Gott seinetwegen und nicht des Paradieses wegen oder aus Furcht ˙
vor der Hölle. Aus diesem Grund lehnt der Prophet Muhammad die Aufforderung der Mekkaner
ab, diese wegen ihrer Armut aus seiner Umgebung zu verbannen, ˙ und lediglich mit Leuten um-
zugehen, die vornehm und reich sind. Solche Aufforderung ist falsch, insofern Gottesliebe sich
nicht nach Ansehen und Reichtum in diesem Diesseits richtet, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 22, S. 115.
139 Rābi2a 3l-2Adawı̄y (ummu 3l-hair) wurde in Basra 95 n. H./713 n. Chr.- geboren und 185/801 ge-
storben. Aus dem Leben der großen ˘ islamischen ˙Mystekerin führt den Beleg für ausgeübte Got-
tesliebe und deren Wirkung aus. Sie wurde šā2irat al-2išq al-ilāhı̄2, Dichterin der Gottesliebe ge-
nannt.
Aus ärmlichen Verhältnissen stammend geriet sie in die Sklaverei. Dennoch konnte sie durch
Gedichte und Gesänge ihren Herrn dazu bewegen, sie daraus zu befreien, s. 2Abdel-Mon2im al-
Hifnı̄, al-mausū2a 3s-sūfı̄ya, a2lām at-tasawwuf …, (Biographien berühmter Mystiker …), S. 172 ff.
˙
Diese naturbegabte ˙ ˙ Mystikerin zog nach ˙ sich einige Schüler, die später berühmt wurden, wie
Sufyān at-Taurı̄ (97–161 n. H./716–775 n. Chr.) und Šaqı̄q al-Balādurı̄ (194 n. H./810 n. Chr.), s.
M. Smith,˙ R. ¯
¯ 3l-2Adawı̄ya, in: Handwört. des Islam, S. 603 f., mit Quellenangaben und Übersetzun-
gen aus ihren Gedichten.
Bekannt war sie durch ihre leidenschaftliche Liebe, al-2išq, zu Gott, die darin begründet ist, daß die
menschliche Existenz in der Erscheinungswelt in Wahrheit keine reale Existenz besitzt. Eine sol-
che Existenz hat dann Wert, wenn sie in Gott, dessen Existenz ewig ist, eingeht oder in der Sprache
der Mystik erlöschen ist. Das ist al-fanā3, der Zustand des Erlöschens. In diesem Zustand der
Vereinigung mit Gott erlangt man die wahrhaftige Existenz. Die Liebe zu Gott ist ein onthologi-
scher Bestimmungsgrund. In diese Richtung ging auch später al-Hallāǧ (244–309 n. H./ 855–922
n. Chr.) Das Verhältnis zu Gott, ihre furchtlose Liebe zu ihm, hat sie ˙ im folgenden Text zum Aus-
druck gebracht, worin sie auch das Verhältnis zwischen Furcht, Hoffnung und Liebe zur Sprache
bringt: „Furcht ist ein erleuchtendes Feuer, Hoffnung ein erleuchtendes Licht und Liebe das Licht
der Lichter.“, s. Annemarie Schimmel, Studien zum Begriff der mystischen Liebe in der frühisla-
mischen Mystik, Diss., Marburg 1954, S. 20. In diesem Zusammenhang sagt Rābi2a: „O mein Herr!
Wenn ich dich anbete aus Furcht vor der Hölle, so verbrenne mich in ihr, und wenn ich Dich
anbete in der Hoffnung auf das Paradies, so verbanne mich daraus, aber wenn ich Dich anbete
um Deiner selbst willen, so verberge nicht vor mir Deine ewige Schönheit.“, s. Margerete Smith,
Rābi2a 3l-2Adawı̄ya, in: Handwörterbuch des Islam, S. 603 f.
In ihrer Mystik versucht sie, al-mahabba, ⁄g€ph, die Liebe und die leidenschaftliche Liebe, al-2išq,
˛ro@ miteinander zu verbinden. Sie ˙ bevorzugt das Zölibat, indem sie die Heiratswerbung, sogar
die des Emirs von Basra Muhammad ibn-Sulaimān al-Hāšimı̄ mit der Begründung ablehnt, daß sie
˙
in Gott verliebt sei. Durch ˙
diese Verliebtheit hat sie aufgehört, in der Erscheinungswelt zu existie-
ren, s. A. Schimmel, Studien …, S. 51 f.; al-Hifnı̄, al-mausū2a … (Biographien), S. 173. „Ich existiere
in Ihm, und ich bin die Seine, ich stehe unter ˙ seinem Befehl …“, A. Schimmel, Studien …, S. 51f.
An dieser Stelle scheint die Übersetzung des Begriffs „fanā3“ mit „Entwerden“ nicht ganz adäquat
zu sein, da der Begriff im Deutschen: „aufhören, abgehen, untergehen“ bedeutet und bei M. Eck-
hart ist die Bedeutung dunkel verwendet. „Entwerden“ heißt das Ende, das alle Kreaturen betrifft.
Bei Luther bezieht sich der Begriff auf die Gottlosen, die nicht in Gott eingehen können. Aus der
Mystik von Meister Eckhart und Martin Luther hat A. Schimmel wahrscheinlich den Begriff „Ent-
werden“ entnommen, der nicht problemlos auf islamische Lehrmeinungen angewandt werden
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 277
kann, s. J. u. W. Grimm, Deut. Wörterbuch, Bd. 3, S. 654 f. Dort heißt es: ⁄pogfflgnomai, aufhören zu
sein, abhanden kommen, verloren gehen, sterben, s. W. Gemoll, Griechisch-Deutsch Schul- und
Handwörterbuch, München u. Wien 1965, S. 98; H. G. Liddel Scott, A Greek-English Lexicon,
S. 194. In Gott gehen oder sterben kann nicht der Sinn von fanā3 in diesem Zusammenhang bedeu-
ten, ansonsten hätte die Mystikerin dies ausdrücklich gesagt: Ich bin in Dir (Gott) untergegangen
oder sogar gestorben … ! Der Begriff „faniya“ heißt: Greis werden, wenn der Tod einen verpaßt
und man lang lebt. Das Leben bis zum Greisenalter ist die Bedeutung des Begriffs. Die Überset-
zung mit „Erlöschen“ ist zu bevorzugen, insofern dieser Begriff die Bedeutung hat, daß die
menschliche Existenz in Gott eingeht und in ihm weiterlebt, worauf es bei dieser Richtung von
Mystik ankommt, s. ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 15, S. 164 f.; az-Zabı̄dı̄, tāǧ al-2arūs (Sprachlexi-
kon …), Bd. 39, S. 255 ff. Zu der ˙ Anwendung des Begriffes „Erlöschen“ im Deutschen, s. J. u.
W. Grimm, Deut. Wörterbuch, Bd. 3, S. 906. sbffnnumi im Sinne von ¥n saut† genno‰, gehe in dich,
entspricht dem Zustand, in dem sich der Liebende befindet, s. F. Passow, Handwörterbuch der gr.
Sprache, Bd. 2, 2. Abt., S. 1388.
Diese enge Beziehung zwischen Mensch und Gott beruht auf freiem Entscheidungsgrund innerer
Erfahrung. „fanā3“ im Sinne von „Erlöschen“ bedeutet nicht nur die Überwindung des Ichs, son-
dern gleichzeitig die Überwindung des Todes durch die Liebe und die Vereinigung mit Gott. Die
Überlieferung, die diesen Sinn treffend enthält, besteht in einem Dialog zwischen Abrāhām, dem
Freund Gottes und dem Todesengel. Abrāhām soll dem Todesengel gesagt haben, als ihm der Tod
nähertrat: „Hast du schon einmal gesehen, daß ein Freund seinen Freund sterben ließ?“ Darauf
wurde es ihm offenbart: „Hast du schon einmal einen Liebenden gesehen, der seinen Geliebten
nicht treffen wollte?“ Darauf sagt Abrāhām dem Todesengel: „Jetzt ergreife mich!“ Gh kommen-
tiert diese Überlieferung so, daß man durch die Liebe zu Gott den Tod nicht zu fürchten braucht,
sondern ihn sogar lieben soll, weil er den Weg zur Begegnung mit Gott bereitet, s. A. Schimml,
Studien …, S. 53; Gh, ih. (Wiederbelebung …), Bd. 4, S. 253 f.
˙
140 „… indem sie sein Antlitz (sehen) wollen …“, s. Anm. 138.
141
„Ich habe für meine aufrichtigen Diener vorbereitet, …“ ist eine Überlieferung, die sich in
mehreren Großsammlungen befindet, s. Wensinck, Concordance, T. III, S. 337; z. B. ibn-Hanbal,
Bd. 8, tauhı̄d, Monotheismus, S. 197. ˙
˙
142 „Wer aufrichtig sagt: ‚Es gibt keinen Gott außer Gott …‘“ ist eine Überlieferung, die in meh-
reren Großsmmlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 79; Ahmad ibn-Hanbal
˙
erwähnt sie in mehreren Versionen, s. Bd. 3, S. 467; Bd. 4, S. 103; Bd. 5, 391 im Zusammenhang ˙ von
ı̄mān, des Glaubens, ihlās, der Aufrichtigkeit, at-taqwā, der Frömmigkeit, al-a2māl at-tayyiba, der
guten Werke usw.; s. f.˘ar-Rāsı̄,
˙ Korankommentar, Bd. 27, S. 80 ff. ˙˙
143 „Das Grab ist entweder eine der Gruben …“ ist Teil einer langen Überlieferung, die lediglich
der Koran folgende Bedingungen auf, um eine Handlung als gut zu beurteilen: 1. Das Ziel der
Handlung soll auf das Jenseits gerichtet sein, um die Wohlgefälligkeit Gottes zu erlangen. 2. Man
soll sich darum mit dem entsprechenden Eifer bemühen und sich dafür mit der ganzen Entschlos-
senheit „wa-sa2ā lahā sa2yahā“ einsetzen, sich durch die Handlung Gott zu nähern. 3. Der Glaube
an Gott ist die Voraussetzung für die Erlangung einer solchen Wohlgefälligkeit. 4. Damit scheiden
die guten Werke der Heiden, der Götzendiener, der Engelanbeter und derer, die sich Gottes
wegen verbrennen oder töten und derer, die ähnliche Doktrinen haben, per definitionem aus.
5. Unter Dankbarkeit wird die Summe dreierlei Dinge verstanden: 1. Der Glaube an die Güte
278 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Gottes, 2. Und ihn lobpreisen, 3. Ihm durch die Handlung dienen, das heißt versuchen, ihn zu
erkennen. Solchen Leuten wird für ihre guten Taten gedankt, das heißt, sie werden dafür belohnt,
s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 20, S. 179 f.; at-Tabarı̄, Bd. 15, S. 59 f.
145 „Und daß dem Menschen (…) nichts anderes ˙ ˙zuteil wird …“, Sure 53, Vers P 39, H 40. Aus den
Korankommentaren geht hervor, daß der Mensch die Folgen seiner Handlung zu verantworten
hat. Die Verantwortung geht nicht zu Lasten eines anderen. Sie ist persönlich, individuell und
nicht übertragbar, s. in diesem Zusammenhang Sure 35, Vers P 18 f., H 19 f.; ar-Rāsı̄, Bd. 29,
S. 15 ff.; at-Tabarı̄, Bd. 27, S. 70 ff.; ibn-Katı̄r, Bd. 4, S. 258.
146 s. Anm. ˙ ˙115. ¯
147
„Welch vortrefflicher Reichtum …“ ist eine Überlieferung, die lediglich von A. ibn-Hanbal
erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance, T. III, S. 335; A. ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 4,˙ S. 187,
202. ˙
148
„Welch vortreffliche Hilfe …“ ist Teil einer Überlieferung, die aber nicht leicht zu finden ist.
Bei Wensinck gibt es keinen Hinweis darauf, daß sie in den Großsammlungen vorhanden ist. Gh
gilt als Quelle für solche und ähnliche Überlieferungen.
149 „Welch vortrefflicher Beistand für die Religion …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck
nicht in den Großsammlungen vorhanden ist, jedoch erwähnt er eine andere, die denselben Sinn
zum Ausdruck bringt: „Nach Gottesfurcht hat der Gläubige keinen Gewinn außer einer aufrichti-
gen Frau.“, s. Wensinck, Concordance …, T. V, S. 214; ibn-Māǧa, Sammlung, Bd. I, S. 596.
150
„Wenn der Mensch stirbt …“ ist eine Überlieferung, die in einigen Großsammlungen vorhan-
den ist, s. Wensinck, Concordance …, T. IV, S. 380, VII, S. 314; s. f. Muslim ibn-al-Haǧǧāǧ, Samm-
lung, Bd. 4, S. 345. Bei intellektueller Tätigkeit, stellen die Kommentatoren die Bedingung ˙ auf,
daß eine solche Tätigkeit, die dem Verstorbenen Nutzen im Jenseits bringen würde, den Nach-
kommen effiziente Vorteile bringen könnte. Beim Bücherschreiben zum Beispiel, so meinen sie,
muß eine solche Tätigkeit dem Leser mehr Nutzen an Wissen bringen als die vorangegangenen
Bücher, ansonsten ist sie das Papier nicht wert, worauf solche Arbeiten geschrieben werden, s.
a. a. O.
151 „Und wenn Gott nicht die einen Menschen durch die anderen zurückgehalten hätte …“, Su-
re 2, Teil des Verses P 251, H 252. Nach ar-Rāsı̄ können die Propheten, Imame und Könige die
Rolle derer übernehmen, die die Exikutivmacht besitzen, um die Menschen zurückzuhalten, die
das Unrecht in der Gesellschaft stiften. 2. Gott selbst ist derjenige, der diese Rolle übernimmt,
indem er Gesetze durch seine Propheten erläßt, durch deren Verwirklichung dem Unrecht Halt
geboten wird. Er kann ferner durch seine Allmacht einige, z. B. gute Gläubige dazu veranlassen,
die diese Rolle zu übernehmen. Das Leben wird durch die Eindämmung des Schlechten möglich,
indem die Alleinherrschaft des Schlechten gebrochen wird. Noch deutlicher drückt sich at-Tabarı̄
aus: Durch die Taten aufrichtiger und gläubiger Menschen wird das Böse zurückgedrängt, ˙ ˙s. Ko-
rankommentar, Bd. 2, S. 633 f. mit Belegen über die Widerstandskraft des Guten gegen das Böse.
Aus diesem Vers entnehmen einige Geleherte, daß der Fatalismus abzulehnen ist, insofern durch
die Handlungen der einen Menschen die schlechten Taten der anderen zurückgedrängt werden, s.
ar-Rāsi, Korankommentar, Bd. 6, S. 192 f.
152 „Unter den Menschen …“ ist ein Gedicht von Maimūn ibn-Qais (gest. 8 n. H./ 629 n. Chr.),
qutnı̄ erwähnt wird. Gh erwähnt sie ferner in seiner ih. (Wiederbelebung der Religionswiss.). Die
˙
Kommentatoren ˙
meinen, daß sie zu den schwachen Überlieferungen gehört, die nicht mit Gewiß-
heit auf den Propheten Muhammad zurückgeführt werden, s. Gh, ih. (Wiederbelebung …), Bd. 2,
S. 38, Fußnote. ˙ ˙
155 al-M3mūn, das ist der 2Abbası̄den Kalif 2Abdallāh al-Ma3mūn ibn-Hārūn ar-Rašı̄d, geb. in Rabı̄2
I 170 n. H./ 786 n. Chr. Nachdem sein Bruder al-Amı̄n ihn seines Amtes als Fürst von Hurāsān
enthoben und seinen eigenen Sohn Mūsā als den legitimen Nachfolger im Amt des Kalifen ˘ er-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 279
nannt hatte, kam es zur militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern, in deren
Verlauf al-Amı̄n besiegt und hingerichtet wurde. al-Ma3mūn übernahm das Amt des Kalifen im
Muharram 198 n. H./ März 813 n. Chr.
˙
Religiös gesehen war er ein Anhänger der Šı̄2a, d. h. Anhänger des vierten Kalifen 2Alı̄, s. Erretter
…, Anm. 97, S. 122 f. Er verordnet das Beten für ihn vor den früheren Kameraden und Nachfolger
des Propheten Abū-Bakr, 2Umar und 2Utmān und dies entgegen der überwiegenden Meinung der
¯
sunnı̄tischen Lehre und der Überlieferungen, s. ibn-Katı̄r, al-bidāya wa-3n-nihāya (Vom Anfang
¯
und Ende der Geschichte), Bd. 10, S. 225, mit kritscher Darstellung.
Religionsphilosophisch stand er auf seiten der Mu2tazilı̄ten, besonders teilte er deren Meinung, daß
der Koran als Gotteswort keineswegs ewig, sondern erschaffen sei. Er ging so weit, daß er daraus
eine Staatsideologie machte, indem die Auffassungen der Persönlichkeiten des öffentlichen Le-
bens und Amtsinhaber wie Richter, Leherer, Beamte und auch Traditionalisten durch seinen Po-
lizeichef erforschen ließ. Wer der Meinung ist, daß der Koran erschaffen ist, wird in seinem Amt
bestätigt, ansonsten soll er mit einer harten Strafe, sogar mit der Todesstrafe rechnen, da man dann
an zwei ewige glaubt, nämlich Gott und seine Sprache, in diesem Zusammenhang den Koran, was
gegen den absoluten Monotheismus des Islam ist. Unter den Befragten war der Traditionalist und
Gründer der nach seinem Namen benannten juristischen Schule Ahmad ibn-Hanbal, der gegen
die Kalifsmeinung war, schmerzliche Strafe auf sich zog, s. ibn-Katı̄r,˙Bd. 10, S. 330 ˙ ff.; Erretter …,
Anm. 105, S. 124 ff. ¯
Sozialpolitisch strengt sich der Kalif an, die Gerechtigkeit als oberstes Prinzip seines Kalifats
walten zu lassen, auch dann wenn es sich um Interessen seiner Familienmitglieder handelt. Er
verordnet zum Beispiel eine Geldstrafe in Höhe von zehntausend Dirham gegen seinen eigenen
Sohn al-2Abbās und die Rückgabe des Guts einer Frau, das ihr weggenommen hatte, s. ibn-Katı̄r,
Bd. 10, S. 277. Auch gegen die Bereicherung seiner Fürsten in den Provinzen ging der Kalif vor und ¯
teilte ihnen mit: „Es ist kein Großmut, murū3a, daß dein Haus aus Gold und Silber gebaut wird,
während dein Untertan aber nichts besitzt, dein Nachbar nichts hat und der Arme hungrig ist“, s.
a. a. O. Gerechtigkeit ist eine der wichtigsten Säulen des Islam und der Mu2tazilı̄ten. Die Anhänger
dieser Lehre nennen sich: ahl al-2adl wa-3t-tauhı̄d, Anhänger der Gerechtigkeit und des Mono-
theismus wegen der besonderen Achtsamkeit und ˙ der langen Diskussion, mit denen sie sich diesen
beiden Themen gewidmet haben.
Er neigt mehr zur Vergebung, al-2afw, als zur Bestrafung, al-2uqūba. Eindeutiges Beispiel dafür war
die Freilassung von Ibrāhı̄m al-Mahdı̄, der sich von den Baġdādern im Jahre 201 n. H. als Kalif
ausrufen läßt, über seine Biographie s. ibn-Katı̄r, Bd. 10, S. 247. Als dieser den Kampf gegen den
Kalifen verlor und ihm vorgeführt wurde, sagt der ¯ Kalif zu ihm: Ich habe mit all meinen Verwand-
ten und Beratern über deinen Fall gesprochen. Alle gaben mir den Rat, dich zu töten. Wenn ich
dich jetzt zum Tode verurteile, so befolge ich die Herrscher vor mir. Wenn ich dich aber freilasse,
so bin ich ein vortreffliches Vorbild, s. al-Ya2qūbı̄, tārı̄h (Geschichte), hrsg. von M. Th. Houtsma,
arab., Leiden: Brill 1969, Bd. 2, S. 558. ˘
Der Kalif al-Ma3mūn führte mehrere Eroberungszüge gegen das römische Reich, in deren Verlauf
er Ankara und mehrere Ortschaften in den Jahren 215/216 n. H.–830/831 n. Chr. erobern konnte.
Der byzantinische Kaiser Theophilos und der 2Abbası̄dische Kalif al-Ma3mūn konnten trotz ihres
gemeinsamen Interesses, nämlich die Liebe und Pflege der Kultur keinen Weg zum Frieden fin-
den. Das Angebot von Theophilos an den Kalifen: auf fünf Jahre begrenztes Friedensabkommen,
die Rückgabe der eroberten Länder und ein einmaliges Tribut in Höhe von hunderttausend Dir-
ham reicht dem Kalifen nicht aus, und so blieb die Beziehung zwischen den beiden gespannt, s.
al-Ya2qūbı̄, Bd. 2, S. 568; Allan Ducellier, Byzanz, Das Reich und die Stadt, S. u. a. 323. Im Jahre
217 n. H./ 832 n. Chr. Setzt der Kalif seine Feldzüge gegen Byzanz fort mit dem Ziel, Konstantino-
pel zu erobern, jedoch stirbt er bei dem Anmarsch, ohne sein Ziel zu erreichen.
Der Kalif al-Ma3mūn, Sohn des arabischen Herrschers Hārūn ar-Rašı̄d und einer persischen Mut-
ter, widmet sich der Übertragung der fremden Kulturen, hauptsächlich persischer und griechischer
Herkunft, in die arabische Sprache. Zu diesem Zweck errichtet er in Baġdād das Haus der Wis-
senschaften, bait al-hikma, in dem u. a. die Werke von Platon, Aristoteles und Galen ins Arabische
˙
280 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
übertragen wurden. Berühmte Übersetzer aus dem Griechischen waren zu dieser Zeit Hunain
ibn-Ishāq und dessen Sohn Ishāq ibn-Hunain, die hauptsächlich philosophische Werke, und ˙ die
˙ ˙ ˙
Brüder Banū-Mūsa, die hauptsächlich mathematische, asthronomische und medizinische Werke
übersetzt haben, s. Claude Cahen, Der Islam (aus dem Französichen), (Fischer Weltgeschichte
Bd. 14), S. 130 ff. Der Einfluß der übersetzten Werke auf die muslimischen Intellektuellen ist er-
heblich, s. a. a. O.; Einleitung, LXI, s. f. K. Flasch, Das philosophische Denken …, S. 315 ff.
Der Kalif al-Ma3mūn blieb in seiner mu2tazilı̄tischen Lehrmeinung bis zu seinem Tode, welche im
folgenden zusammengefaßt werden kann: 1. Der Koran als Gotteswort sei nicht ewig, sondern
erschaffen. 2. Die Gerechtigkeit ist die Grundtugend, besonders die der Herrschaft. 3. Auch Ge-
rechtigkeit muß zwischen Gott und dem Menschen bestehen. Gott muß die Menschen nach Ge-
rechtigkeit behandeln, nämlich den Guten mit dem Paradies belohnen und den Schlechten mit der
Hölle bestrafen, was heißt, er darf nicht das Verhältnis nach seiner Güte und Allmacht umkehren,
nämlich den Schlechten belohnen und den Guten bestrafen. 4. Der Mensch ist in seinem Verhal-
ten frei und individuell verantwortlich. 5. Gott wird sich den Gläubigen am Jüngsten Tag nicht
enthüllen, so daß sie ihn nicht schauen können, s. Abu-3l- Hasan 2Ali 3l-Aš2arı̄, Die dogmatischen
Lehren der Anhänger des Islam, Bd. 1, S. 184 ff.; 193 ff.;216 ff.; ˙ 229 ff.; 234 ff.; 260 ff.; Bd. 2, S. 561 f.;
566 f.; 582 ff. usw. Der Kalif al-M3mūn bereiste die Provinzen und war in verschiedenen Ländern, in
Ägypten, Syrien, Palästina, Persien, Armenien usw. und befragte selbst die Emire und die Richter
in diesen Ländern, ob sie die Menschen nach Gerechtigkeit behandeln, s. al-Ya2qūbı̄, Bd. 2, u. a.
S. 571. Der Kalif al-Ma3mūn starb in seinem achtundvierzigsten Lebnsjahr auf seinem Feldzug
gegen Konstantinopel in Raǧab 218 n. H./ Juli 833 n. Chr. bei Tarsos, wo er bestattet wird. Seine
Herrschaft dauerte zwanzig Jahre, fünf Monate und fünfundzwanzig Tage, s. al-Ya2qūbı̄, Bd. 2,
S. 568, 570, 574; ibn-Katı̄r, Bd. 10, 280. Gh als Sunnı̄t bescheinigt dem Kalifen Scharfsinn und
Beobachtungsgabe. ¯
156 „Strebt nach Erledigung eurer Anliegen …“ ist eine Überlieferung, deren Quelle von Wen-
sinck nicht erwähnt wird, s. Concordance …, T. I, S. 85 f., 466 ff., 524 ff.; VII, S. 149 ff. Sie wird
lediglich von Ǧalāl ad-Dı̄n as-Suyūtı̄ in seinem Werk: ad-durar al-muntatira fi-3l-ahādı̄t al-mušta-
hara (Zerstreute Perlen in den berühmten ˙ ˙
Überlieferungen), S. 99. Statt ¯hāǧa, Bedürfnis ¯ wird al-
hair, das Gute erwähnt. ˙
˘ „Wenn ihr einen Gesandten schicken wollt, …“ ist eine Überlieferung, die wie die vorangegan-
157
gene nicht bei Wensinck in den Großsammlungen zu finden ist, s. Concordance, T. II, S. 257 ff.;
VII, S. 147.
158 „Wenn die Betenden gleichrangig sind …“ ist eine Überlieferung, die ebenso wie die zwei vor-
Juden baten ihren Propheten darum, der bei at-Tabarı̄ mit dem Namen Šimu3ı̄l angegeben ist,
ihnen einen König zu wählen. Als er ihnen Tālūt ˙ ˙(Saul) nannte, lehnten sie ihn mit der Begrün-
dung ab, er stamme nicht aus einem Könighaus, ˙ ˙ sondern aus dem Haus Benjamin. Die Nach-
kommen von Benjamin sind weder Propheten, noch Könige. Deswegen wird Saul abgelehnt, s.
at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 601 ff. Er wird also abgelehnt, weil er weder von edler
˙ ˙
Abstammung ist, noch im Besitz eines Reichtums, s. a. a. O.; s. f. ar-Rāsı̄, Bd. 6, S. 172 ff. Er ist
trotzdem König der Juden bestimmt, wie dies aus dem Koran hervorgeht. ar-Rāsı̄ zieht daraus
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 281
die Konsequenz, daß die Staatsführung keineswegs erblich ist. Denn die Begründung für Saul
besteht darin, daß er über das Wissen und die körperliche Aneignung verfügt, was für den Schutz
des Staates und den Kampf gegen die Feinde ausschlaggebend ist. Diese beiden Gründe, nicht
die edle Abstammung und der Reichtum, sind unter anderem wahrhaftige Gründe für die Wahl
des Staatsmannes, s. a. a. O. Das ist auch die Meinung von at-Tabarı̄ in seinem Korankommentar,
s. Bd. 2, S. 605. ˙ ˙
Die Voranstellung des Wissens vor die körperliche Kraft und Stärke weist auf den Vorrang der
geistigen Eigenschaften hin, s. a. a. O. Es handelt sich bei diesem Beleg darum, daß sich die kör-
perlichen und die geistigen Kräfte gegenseitig ergänzen sollen, damit ein Höchst Maß an Glück
erreicht werden kann. Diesen Gedanken verfolgt Gh besonders in diesem Kapitel weiter, wie wir
noch sehen werden.
160 „Des Menschen Geist …“ ist ein Gedicht, dessen Dichter weder in den bekannten Quellen,
noch in den Grammatikbüchern oder in den Lexika erwähnt wird. Es ist von Gh in seinem Werk
„ih …, Wiederbelebung der Religionswiss.“ erwähnt, s. Bd. IV, S. 93. Dort wie hier ist der Dichter-
˙
name unerwähnt geblieben. ar-Rāġib al-Isfahānı̄ (gest. 502 n. H./1108 n. Chr.) erwähnt ebenfalls
das Gedicht in seinem Werk: „ad-darı̄2a ilā ˙makārim aš-šarı̄2a, Einführung in die islamische Ethik“,
ohne den Dichtername, s. S. 76. ¯ ¯
161 „Unser Herr ist der, der einem jeden Ding …“ ist Teil eines Verses, dessen Anfang lautet: „Er
(Moses) sagte: ‚Unser Herr ist der, der …‘“, Sure 20, Vers P 50, H 52. Dies ist die Antwort Moses
auf die Frage von Pharao: „Wer ist denn euer Herr, Moses? …“ im vorangegangenen Vers. Mit
deutlichen Hinweisen auf die Schöpfungsphänomene antwortet Moses Pharao, wobei er eine Ar-
gumentation meidet, die auf die Wesensbestimmung des Schöpfers hinausläuft. Denn Pharao kann
diese Phänomene nicht leugnen. Aus dem Vers folgert ar-Rāsı̄ folgendes: 1. Pharao wußte, daß es
einen Schöpfer gibt, jedoch leugnet er ihn aus Hochmut und Arroganz. 2. Es ist möglich, daß
Pharao ein materialistischer Atheist oder ein Anbeter der Gestirne ist. 3. Es könnte sein, daß er
an eine agierende Ursache glaubt, die nicht näher bestimmt werden kann. Denn er war ein ver-
nünftiger Mensch, der solche kluge Fragen an Moses stellt, und über einen hohen Grad von Wis-
sen verfügt. Die Frage nach der Existenz eines Schöpfers kann ihm also nicht gleichgültig sein, s.
Korankommentar, Bd. 22, S. 62 ff.
Gegen die islamischen Schulen folgert ar-Rāsı̄, daß sich Moses mit der Aufnahme des Dialogs mit
Pharao gegen die Nachahmung, at-taqlı̄d, stellt und den Pharao mit Argumenten über die Existenz
Gottes auf friedliche Weise zu überzeugen versucht. 2. Gegen die Bātinı̄ten, die behaupten, daß
man über die Existenz Gottes lediglich von dem Propheten erfahren soll, ˙ da Moses hier in seinem
Dialog mit Pharao mit rationalen Argumenten die Existenz des Schöpfers nachweisen wollte.
Über die Lehre der Bātinı̄ten s. „Der Erretter …, D 130, S. 30 ff.; s. f. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 22, S. 63. 3. Wer recht˙ hat, soll sich die Argumente des Gegners anhören. Denn Moses hat
recht, und trotzdem läßt er sich auf einen Dialog mit Pharao ein, der nicht Recht hat. Diese
Haltung wird im Koran gefördert, wie in seiner Aussage: „Ruf (die Menschen) mit Weisheit und
einer guten Ermahnung auf den Weg deines Herrn und streite mit ihnen auf eine möglichst gute
Art! …“, Sure 16, P 125, H 126.
at-Tabarı̄ richtet sein Augenmerk darauf, daß jede der Gattungen bestimmten Gesetzen unterwor-
˙ ˙ ist, über die sie nicht hinausspringen kann, die ihre Existenz und ihr Fortbestehen, wie die
fen
Nahrungsbedingungen, und ihr sexual Verhalten usw. garantieren. Das ist das, was mit dem Begriff
hadā, recht leiten, gemeint ist, s. Korankommentar, Bd. 16, S. 171 ff. Es geht hier bei Gh darum,
daß die Rechtleitung eine zusätzliche Handlung zu der Erschaffung nicht nur des Menschen ist,
sondern auch der Kreaturen, durch welche sie ihren Erschaffungszweck erfüllen können.
162 „Und wenn nicht Gott seine Huld und Barmherzigkeit über euch würde walten lassen, …“
Sure 24, Vers P u. H 21. an-Nasafı̄ hebt die Bedeutung der Buße hervor, ohne die Gott den
Menschen nicht reinigen, zakkā, würde. Speziell bezieht sich der Vers auf diejenigen Personen,
die die Ehefrau des Propheten verleumdet haben, s. Anm. 44; s. f. an-Nasafı̄, Korankommentar,
Bd. 3, S. 137; as-Sābūnı̄, safwat at-tafāsı̄r (Auszug aus den Korankommentaren), Bd. 10, S. 13.
Buße tun geschieht˙ ˙ durch˙ göttliche Orientierung. Sie hat die Wirkung, daß der Mensch die Reue
282 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
empfindet und so bereit ist, sich von den schlechten Charaktereigenschaften zu befreien. Das ist
die Reinigung, az-zakāt. Der Mensch soll sich aber für ein reuevolles Verhalten entscheiden, das
heißt, er soll sich für diese Gabe empfänglich machen, s. ibn-Katı̄r, Korankommentar, Bd. 3,
S. 275. ¯
Das ist eine Kern – und problematische Frage der religiösen Ethik, insofern die Beziehung zwi-
schen Gott und dem Menschen vor allem individuell ist und auf dem inneren Glauben beruht. Sie
bleibt für einen fremden Beobachter unbegründet, unerforschlich und rätselhaft, insofern die Ga-
be Gottes sogar bei dem besten Menschen ausbleiben kann. Denn Gott reinigt, wen er will. Er ist
allwissend und allhörend. Über seinen Willen können die Menschen nicht verfügen.
163
„Keiner kommt ins Paradies ohne Gottes Barmherzigkeit …“ ist eine Überlieferung, die von
Gh mit einem einzigen Hinweis auf die Großsammlung von Muslim in seinem Werk ih. (Wieder-
belebung …) erwähnt wird, s. Bd. 4, S. 93. Wensinck erwähnt aber mehrere Großsammlungen, ˙ in
denen diese Überlieferung erwähnt wird, wie außer Muslim ibn-Hanbal, ibn-Māǧa, u. Abū-Da-
wūd, s. Wensinck, Concordance …, T. II, S. 240; s. f. zum Beispiel A.˙ ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 3,
S. 52. ˙
rahma, Barmherzigkeit, hat mehrere Bedeutungen: 1. rahma bedeutet riqqa, Sanftmut, 2. ta2ātuf,
˙
gegenseitige ˙
Zuneigung. 3. hudan, Rechtleitung, 4. rizq, Lebensunterhalt, s. ibn-Manzūr, lisān ˙…,
Bd. 12, S. 230. Gh hebt die Bedeutung der Rechtleitung hervor, um zu zeigen, daß˙ hudan, die
Rechtleitung mit rahma, der Barmherzigkeit, identisch ist. Denn seine Barmherzigkeit kennt kei-
ne Grenze, s. Sure 7, ˙ Vers P 156, H 155. Der Sinn dieser Überlieferung besteht darin, daß der
Prophet Muhammad, trotz seiner Eigenschaft als Prophet keine Sonderstellung Gott gegenüber
˙ daß Gott ihn mit seiner Barmherzigkeit umfangen wird. Er ist allen übrigen Men-
hat, es sei denn
schen gleich, die auf die Gnade Gottes angewiesen sind.
164
„… und haben wir ihm (dem Menschen) die beiden Wege gezeigt?“ Sure 90, Vers P 10, H 11.
Die Meinung von Gh, daß mit den beiden Wegen, dem einen, welcher zum Guten und dem ande-
ren, welcher zum Bösen führt, wird von ar-Rāsı̄ unterstützt, s. Korankommentar, Bd. 31, S. 183;
at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 30, S. 199 f. 2. Mit den beiden Wegen werden die Rechtleitung
˙ ˙ die Irreleitung gemeint, s. a. a. O. 3. Mit den beiden Wegen werden die Dankbarkeit (bei der
und
Annahme der Rechtleitung) und die Undankbarkeit gemeint, s. Sure 76, Vers P u. H 2. Gott schuf
im Menschen die Anlage zum Guten und zum Bösen. Jedoch liegt die Entscheidung für das eine
oder das andere beim Menschen, der für die Folgen seiner Entscheidung verantwortlich ist, s.
Sure 89, Vers P 23 ff., H. 24 ff.; ibn-Katı̄r, Korankommentar, Bd. 4, S. 510 f.
¯
165 „Und was die Tamūd angeht, so leiteten wir sie (…) recht …“, Sure 41, P 17, H 16. Dieses Volk
lehnt die Propheten ¯ ab, die zu ihm entsandt wurden. Es zog damit die Blindheit der Rechtleitung
vor. Es lehnt die Botschaft Gottes freiwillig ab und leugnet seine Existenz ab, s. ar-Rāsı̄, Koran-
kommentar, Bd. 27, S. 110 f. at-Tabarı̄ versteht unter dem Begriff „hadā“: Wir haben ihnen die
beiden Wege zum Glauben oder ˙ ˙ zum Guten und zum Bösen erklärt, jedoch sie bevorzogen die
Blindheit, istahabu 3l-2amā, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 24, S. 104 f.
166 „Diejenigen ˙ ˙
˙ aber, die rechtgeleitet sind, bestärkt er noch in ihrer rechten Leitung …“ Sure 47,
Vers P 17, H 19. Die Frage stellt sich, was bedeutet „bestärken, zādahum hudan“. Es kann bedeu-
ten: 1. Gott führt sie zum Erfolg, so daß ihre Handlung ihrem Wissen entspricht. 2. Nachdem sie in
ihrer Rechtleitung befestigt sind, werden sie Vorbilder für andere. 3. Gott befestigt sie in ihrem
Wissen, so daß sie kaum das Ziel verfehlen können, s.ar-Rāsı̄, Bd. 27, S. 58 f. 4. Je mehr sie in ihrem
Wissen befestigt werden, desto mehr handeln sie gut. Das entspricht dem Verständnis von Gh. an
dieser Stelle, s. D 302. Diese Festigung von seiten Gottes entspricht dem Bestreben des Menschen
nach einer Vertiefung seines Wissens und Glaubens, ansonsten käme sie nicht zustande. Dies
belegt der Zusammenhang und die darauf folgenden Verse, wie auch die Meinung von Gh bei
der Interpretation des Verses der Fall ist.
167 „Sag: Die rechte Leitung ist (allein) die von Gott.“ Sure 6, Vers P 71, H 70. Das ist die voll-
ständige Rechtleitung, die Gh als das Licht bezeichnet, s. D 302. Das ist die absolute (und nützli-
che) Rechtleitung. Sie umfaßt den Glauben an den Islam, den Gipfel der geistigen Gottesdienste,
das Haupt der körperlichen Gottesdienste und die Handlungen, die zur Frömmigkeit führen. Das
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 283
ist der Kern dessen, was unterlassen werden soll, der Verzicht auf das, was nicht getan werden darf,
und die Aufforderung dazu, die guten Handlungen durchzuführen, s. ar-Rāsı̄, Bd. 13, S. 30.
168
„Ist denn einer, der tot war …“ Sure 6, Vers P u. H 122. Der Koran zieht eine Analogie zwi-
schen dem Unglauben und dem Tod, dem Ungläubigen und dem Toten einerseits, und der Recht-
leitung, hidāya, hudan und dem Leben, hayāt andererseits. Unwissenheit bedeutet Verlegenheit,
˙
hı̄ra, ǧahl und Unbeweglichkeit, rukūd, sukūn, ǧumūd. Der Ungläubige ähnelt einem Toten hin-
˙sichtlich des Stillstandes und der Unbeweglichkeit. Der Tote wird ferner zu nichts geleitet, so
verhält es sich mit dem Unwissenden. Rechtleitung heißt Wissen und Einsicht, s. ar-Rāsı̄, Koran-
kommentar, Bd. 13, S. 171 f. Diese Analogie kommt im Sprachgebrauch des Korans vor, wie: „Und
du kannst nicht bewirken, daß die Toten (die Ungläubigen) hören …“ Sure 30, P u. H 52; s. f.
Sure 27, P 80, H 82. „Sag: Ist etwa der Blinde dem Sehenden gleich (zu setzen), oder die Finsternis
dem Licht?“ Sure 13, P 16, H 17.
169
„Ist denn einer, dem Gott die Brust für den Islam geweitet hat, …“ Sure 39, Vers P 22, H 23.
Die Analogie wird hier zwischen zwei Menschen gezogen, zwischen einem, dessen Herz weich und
ruhig ist, weil es von Gott geweitet wurde, und einem, dessen Herz hart und unruhig ist. Der erste
wird von Gott aufgenommen und sein Leben und Handlungen dem gemäß werden ausgeführt.
Hingegen ist der, der keine Rechtleitung von Gott hat, hartherzig und unruhig, s. at-Tabarı̄, Bd. 23,
S. 209. ibn-2Arabı̄ kommentiert den Vers mystisch-philosophisch. Die Herzausweitung ˙ ˙ umfaßt das
Wahre (Gott) und die Menschen, ohne das eine mit dem anderen zu vermischen. So erblickt der
Mensch die Vielheit in der Einheit und die Einheit (den Monotheismus) in der Vielheit. Demnach
bestimmt ibn-2Arabı̄ den Islam als das Erlöschen in Gott und die Hinwendung zu ihm. Die Ver-
härtung des Herzens kommt dadurch zustande, daß sich die Menschen zu den materiellen Genüs-
sen neigen, s. ibn-2Arabı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 378.
170
„Und schon früher haben wir doch dem Abrāhām die rechte Leitung gegeben …“ Sure 21, Vers
P 51, H 52. Mit der Rechtleitung ist hier die Prophetie gemeint, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 22, S. 180. Gh gebraucht den Begriff der Rechtleitung in einem umfassenden Sinne, nämlich
die Unterstützung des Menschen bei seinem Bestreben, das Gute zu verwirklichen, s. D 303.
at-Tabarı̄ meint zu dem Vers: Gott leitet Abrāhām schon in seinem frühen Alter recht, als er die
˙ ˙
Religion seines Volkes, den Götzendienst ablehnt, s. Korankommentar, Bd. 17, S. 36 ff. Die Zer-
störung der Götzen war an sich gut, aber eine Herausforderung für sein Volk, die mit der Ver-
brennung Abrāhāms als Strafe beantwortet wird. Jedoch rettet Gott Abrāhām, und es wird ihm
nichts Böses zustoßen, s. Sure 21, Vers P 52, H 53 ff. Es herrscht zwischen den Korankommentato-
ren die Meinung, daß Abrāhām zu dieser Zeit sechzehn Jahre alt war, s. at-Tabarı̄, Bd. 17, S. 45;
ar-Rāsı̄, Bd. 12, S. 180; ibn-Katı̄r, Bd. 3, S. 184. ˙ ˙
Die Verbrennung mit dem Feuer ¯ ist eine der heftigsten und schmerzhaftesten Strafen. Das Volk
Abrāhām baute für ihn ein Gebäude voller Stroh, in das es mit einem Katapult schleuderte. Er
blieb im Feuer mehrere Tage, von sieben bis fünfzig Tage ist die Rede bei den Korankommenta-
toren, s. a. a. O. Das Wunder besteht darin, daß er trozdem von der Verbrennung verschont geblie-
ben ist.
Auf das Bild Abrāhāms im Koran einzugehen, ist hier nicht die geeignete Stelle. Jedoch wird hier
auf die wichtigsten Stellen im Koran kurz verwiesen: 1. Er ist ein großes Vorbild im monotheisti-
schen Glauben, umma, Sure 16, P 120, H 121 ff. 2. Er ist kein Heide, sondern ein hanı̄f, das heißt
Monotheist, Sure 2, P 135, H 129. 3. Seine Prüfung durch Gott geschieht durch Gebote, ˙ Sure 2,
P 124, H 118 ff. 4. Er ist weder Jude noch Christ, Sure 3, P 67, H 60. 4. Muhammad soll ihm folgen
und seinen Monotheismus übernehmen, Sure 4, P 125, H 124 ff. 5. Er ist der ˙ Freund Gottes, halı̄l
˘ 4,
Allāh, a. a. O. 6. Gott verleiht ihm die Schrift, die Weisheit und eine gewaltige Herrschaft, Sure
P 54, H 57. 6. Der Prophet Muhammad und die Muslime sind diejenigen, die ihm am nächsten
stehen, Sure 3, P 68, H 61. 7. Sein ˙ Dialog mit Gott über die Wiederbelebung der Toten, Sure 2,
P 260, H 262. 8. Sein Gebet, Sure 14 (Abrāhām), P 35, H 38 ff.
171 „Jesus, Sohn der Maria! …“ Sure 5, P 110, H 109. Mit dem Heiligen Geist ist der Erzengel
Gabriel gemeint, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 7, S. 126 f. Die Güte, die Gott Jesus (2Īsā)
˙ ˙
und seiner Mutter (Mariam) verliehen hat, ist umfassend. Gh beschränkt sich hier auf das Rele-
284 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
vante, nämlich auf den göttlichen Beistand. Der Vers erwähnt mehrere göttliche Gaben: 1. Als
Kind in der Wiege konnte er zu den Menschen sprechen. 2. Gott lehrt ihn die Schrift, die Weisheit,
die Tora und das Evangelium. 3. Er konnte mit seinem Atem Leben einhauchen. 4. Er konnte
Aussätzige und Blinde heilen. 5. Auch Tote konnte er mit seinem Hauch wieder lebendig machen.
6. Gott hielt seine Feinde von ihm fern, so daß er nicht zu Schaden kommt. Das ist der Inhalt
dieses Verses, s. at-Tabarı̄, Bd. 7, S. 128.
172 „Und sie verlangte˙ ˙ nach ihm (Joseph) …“, Sure 12, Vers P u. H 24, wobei die Übersetzung von
H an dieser Stelle sehr passend ist. Es ist unter den islamischen Gelehrten umstritten, ob Jusuf
tatsächlich Ehebruch mit der Ehefrau des Pharaos von Ägypten begehen wollte und sich damit
ihrem Wunsch entsprechend verhält. Einige Gelehrten meinen, daß die Versuchung tatsächlich
stattgefunden hat und der Ehebruch wäre zustande gekommen, wenn Jusuf nicht den „burhān, P:
Erleuchtung, H: Zeichen, Rückert: die Mahnung“ seines Herrn (Gott) gesehen hätte. Um welches
Zeichen handelt es sich hier, wird nicht weiter im Vers erwähnt. 1. Die Korankommentatoren, wie
ibn-Katı̄r erwähnen die Meinung, in Übereinstimmung mit der späteren Haggada, daß Jusuf durch
¯
die Erscheinung des Jakobs Bildes von der Sünde abgehalten wird, s. ibn-Katı̄r, Bd. 2, S. 475; ar-
Rāsı̄, Bd. 18, S. 120; at-Tabarı̄, Bd. 12, 187; R. Paret, Der Koran, Kommentar, ¯ Anm. Zu 12, 24,
˙ ˙ erschien das Verbot: „Und laßt euch nicht auf Unzucht ein! …“, Sure 17,
S. 249; 2, 111, S. 25. 2. Ihm
P 32, H 34.
R. Paret verwendet den Begriff „Erleuchtung“ für „burhān“ mit dem Hinweis auf Brockelmann,
daß das Wort ethiopäscher Herkunft sei, s. Paret, Kommentar, Anm. 2, 111, S. 25 f. Das Wort taucht
an drei verschiedenen Stellen im Koran auf, s. 2Abdel-Bāqı̄, Koranconcordance, S. 118. In den
großen arab. Lexika wird der arab. Herkunft des Worts nicht angezweifelt, s. ibn-Manzūr, lisān
…, Bd. 13, S. 51, az-Zabı̄dı̄, taǧ al-2arūs (Die Brautkrone, Sprachlexikon), Bd. 34, S. 250 f.,˙ mit Be-
legen aus dem Koran und den Überlieferungen im Sinne von klarem und deutlichem Beweis.
burhān ist der deutlichste und klarste Beweis und az-Zabı̄dı̄ erwähnt den arab. Stamm: „baraha“
und „abraha“, jedoch erwähnt er die Meinung, daß das Wort ein Lehnwort ist, ohne den Ursprung
zu nennen, s. a. a. O. Ein klarer Beweis hat den Sinn der „Erleuchtung“ und der Klarheit, was auch
die Bedeutung des Worts im arab. ist.
Diejenigen Gelehrten, die meinen, daß die Versuchung überhaupt nicht stattgefunden hat, gehen
von einem bestimmten Verständnis des Verses aus. Das Verb „hamma“ hat mehrere Bedeutungen:
sich entscheiden, sich verlangen, wollen etc., s. ibn-Manzūr, lisān …, Bd. 12, S. 620; H. Wehr Arab.-
deutsches Wörterbuch, S. 917. ibn-Manzūr selbst ist einer ˙ der Vertreter dieser Meinung. Er grün-
˙
det seine Meinung darauf, daß der Bedingungssatz vorangestellt werden soll. So wird der Vers
gelesen: „Sie verlangte nach ihm, und wenn er nicht das Zeichen seines Herrn gesehen hätte, hätte
es ihn nach ihr verlangt“, eine plausible Erklärung, welche mit Quellenangaben unterstützt wird, s.
a. a. O.; s. f. ar-Rāsı̄, Bd. 18, S. 117 mit Belegen u. Gegenargumentationen. 2. „hamma“ im Sinne
von wollen ist ein seelischer Vorgang, der überhaupt nicht unbedingt in actio durchgeführt werden
muß. Das Verb drückt in diesem Zusammenhang den inneren Kampf zwischen Begierde und
Vernunft aus. Die Vernunft siegt, und Jusuf hat die Handlung überhaupt nicht ausgeführt.
3. „hamma“ im Sinne von begehren drückt den Wunsch der Pharaofrau aus, während für Jusuf
das Verb die Entschlossenheit ausdrückt, sich von ihr abzuwenden, s. ar-Rāsı̄, a. a. O. Wer von
diesen Gelehrten die Prophetie Jusufs in den Vordergrund stellt, geht von der Auffassung aus,
daß der Vorgang des Begehrens niemals in actio durchgeführt wird. Für die anderen, ist das
Menschliche das Maßgebliche. Für beide ist es keine Frage, daß der Ehebruch überhaupt nicht
stattgefunden hat, s. f. ibn-Katı̄r, Korankommentar, Bd. 2, S. 474 ff.
173 Gh fängt sein Werk mı̄zān¯ … nicht mit der Analyse der Handlungen und der Werke des Men-
schen, tffcnai kai ˛rga an, wie Aristoteles dies in seinem Werk: Die Nikomachische Ethik (EN)
tut. Die Grundlagen für eine solche Analyse müssen zuerst geschaffen werden. Dann kann man
über die Tätigkeiten und die Werke des Menschen sprechen. Das ist das, was Gh in seinem Werk
macht. Er beginnt sein Werk mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Glückseligkeit und meint
dazu, 1. daß sowohl Vernunft als auch Offenbarung die Menschen dazu auffordern, glückselig zu
sein. 2. Darauf folgt die Analyse des Menschen als Ausdruck einer Einheit von Leib und Seele.
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 285
3. Dann wird ein Vergleich zwischen diesseitiger und jenseitiger Glückseligkeit vorgenommen, um
darauf hinzuweisen, daß die diesseitige Glückseligkeit von kurzer Dauer ist. Deswegen muß die
jenseitige Glückseligkeit um ihrer selbst willen erstrebt werden, weil sie von ewiger Dauer ist.
4. Die seelischen Vorzüge sind in jeder Hinsicht nützlich. Deswegen soll sich der Mensch um die
Aneignung geistiger Genüsse viel mehr als um die materiellen bemühen. Diesen Gedanken zieht
Gh besonders in diesem Kapitel durch und führt Belege aus Religion, Sprache und Kultur an, s.
D 307 ff.; s. f. Die Analyse der Tätigkeiten des Menschen hinsichtlich ihres Zieles in: Einleitung,
S. XXV.
174 „Denn wie oft gibt es jemanden, …“ ist Teil eines Gedichts, das von Ahmad Abu-3t-Tayyib
al-Mutanabbı̄ (915–965 n. Chr.) für den Kalifen Saif ad-Daula (reg. 945–967 n. Chr.) ˙ ˙
verfaßt˙ wurde,
s. Claude Cahen, Der Islam, Bd. 1, (Fischer Taschenbuch, Bd. 14, S. 254 f.).
175 „Bei Bitterkeit und Seelenqual …“ ist ebenfalls ein Gedicht von Ahmad ibn-al-Husain Abu-3t-
Tayyib al-Mutanabbı̄, geboren in Kūfa im Jhre 303 n. H./915 n. Chr. getötet ˙ ˙ Reise nach
auf einer ˙
˙
Baġdād im Jahre 354 n. H./ 965 n. Chr. Er ist einer der großen Dichter, lebte auf dem Hofe von dem
Emir von Aleppo Saif ad-Daula ibn-Hamdān, dann bei Kafūr, dem Ehšı̄den in Ägypten, und
später bei dem Boiden 2Adud ad-Daula ˙ ibn-Boiyh in Šı̄rāz (Persien), s.˘ 2A. Hārūn, Indices …,
˙
Bd. 1, S. 270; az- Zarkalı̄, al-a2lām (Die Bioraphien), Bd. 1, S. 110 f. mit Quellenangabe; s. f. Diwan
mit dem Kommentar von A. al-2Akbarı̄, Bd. 3, S. 228.
176 al-Hasan. Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit al-Hasan ibn-2Alı̄, der älteste Sohn des Kalifen
˙
2Ali 3bn-Abı̄-T ˙ Propheten Muhammad, von Aš-šı̄2a der
ālib und seiner Ehefrau Fātima, Tochter des
zweite Imām˙ genannt, geb. am 15. Ramad ˙ ān im Jahre 3 n. H./Feb. 624 n.˙ Chr. Seine Benennung:
˙
al-Hasan geht auf seinen Großvater den Propheten Muhammad zurück. Der Name ebenso wie der
Name˙ seines Bruders al-Husain war den Arabern in der˙ vorislamischen Zeit unbekannt. Nachdem
sein Vater und Kalif 2Alı̄ ˙in Kūfa im Ramadān im Jahre 40 n. H./Jan. 660 n. Chr. ermordet wurde,
wurde er als Kalif aufgerufen. In mehreren ˙ Briefwechseln zwischen ihm und Mu2āwiya 3bn-
Abı̄-Sufyān (20 v. H.- 60 n. H./ 603–680 n. Chr.), dem Herrscher von Syrien in Damaskus, fordert
er diesen auf, ihm als Kalif und Nachfolger seines Vaters anzuerkennen. Jedoch verweigert
Mu2āwiya die Gefolgschaft und beruft sich darauf, daß die Verwaltung der Angelegenheiten der
Muslime Entschlossenheit und Erfahrung braucht, die er besäße, bestreitet ihm aber nicht seinen
Ruhm und edle Herkunft. Er bietet ihm eine Friedensabkommen, welches aus bedeutenden Para-
graphen besteht: 1. Die jährliche Einnahmen des Irak wird ihm durch seinen Vertreter übergeben.
2. Als Berater darf al- Hasan tätig sein und seinen Ratschlägen werden nicht widersprochen, so-
fern sie sich mit Gott (dem ˙ Koran) und seinem Propheten (der Sunna) in Harmonie stehen. 3. Als
sein Nachfolger im Amt des Kalifen nach dessen Tod wird er al-Hasan eingesetzt, s. Imām Muhsin
al-Amı̄n, a2yān aš-Šı̄2a (Große Persönlichkeiten der Šı̄2a), 567 ff. ˙Wie die Überlieferungen berich-
˙
ten, waren die Anhänger von al-Hasan von Schi2ı̄ten, Hawāriǧ und andere Gruppierungen über
den Kampf gegen Mu2āwiya und sein ˙ ˘
Heer unentschlossen und zerstritten. Sie versuchten sogar,
ihn zu töten. Auch Verrat durch die Führer seiner Amee, wie der Rückzug seines Cusin 2Ubaid-
Allāh ibn-al-2Abbās mit ca. zwölftausend Soldaten aus dem Kampfgebiet bei Maskan nördlich von
Baġdād, Bestechungen und falsche Nachrichten von seiten Mu2awiya und seinen Anhängern an
die Soldaten von al-Hasan (psychologischer Krieg) sind maßgeblich für den Verzicht auf einen
aussichtslosen Kampf˙ und die Annahme des Friedensabkommens von seiten al-Hasan, s. a. a. O.
Man darf dabei auch nicht vergessen, daß Imām al-Hasan das Angebot von Qais˙ ibn-Sa2d, dem
˙
Fürsten von Aderbaiǧān, an der Spitze von ca. vierzigtausend Soldaten, gleich nach seiner Ernen-
¯
nung als Kalif nach Damaskus zu marschieren, abgelehnt hat. Aus seinen Reden ist es zu entneh-
men, daß der Imām prinzipiell nicht bereit war, Blutvergießen wegen der Herrschaft auf sich zu
übernehmen. In diesem Zusammenhang sagt er vor seinen Anhängern in der Moschee von Kūfa:
„Gott hat euch durch unseren Vorfahren (durch den Propheten Muhammad) rechtgeleitet, durch
seinen Nachkommen (gem. durch sich selbst) euer Blut verschont.“, ˙ s. ibn-Katı̄r, al-bidāya
wa-3n-nihāya (vom Anfang und Ende der Geschichte), Bd. 8, S. 18. Darin liegt die¯ Bestätigung
der Prophezeiung seines Großvaters, daß Gott durch seinen liebsten Enkel das Blutvergießen
zwischen zwei Großen Parteien der Muslime verhindern würde, s. a. a. O.
286 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Gemessen an seiner Bedeutung gewährt ein solches Abkommen bescheidene Vorteile für den
Enkel des Propheten Muhammad. Denn der Hauptstreit zwischen den beiden Kontrahenten al-
Hasan und Mu2āwiya ist nicht ˙ durch ein solches Abkommen beseitigt. Mu2āwiya beharrt auf seiner
˙
Meinung, daß 2Alı̄ zu der Ermordung seines Vorgängers 2Utmān beigetragen hat, s. M. al-Amı̄n,
a2yān … (Große Biographien …), Bd. 1, S. u. a. 568. Jedoch zeigt ¯ die Annahme eines solchen Ab-
kommens die Friedensbereitschaft von al-Hasan und die Milde seines Charakters. Darin liegt die
Stärke seiner Persönlichkeit, die von seinen ˙ Gegnern mißverstanden wird. Imām al-Hasan starb
im Jahre 49 n. H./670 n. Chr. in Medina. Nach einer Überlieferung wurde er von seinen ˙ Gegnern
vergiftet, s.ibn- Katı̄r, Bd. 8, S. 43.
177 ¯ s. „Erretter …“, Anm. 97, S. 122.
2Ali 3bn-Abı̄-Tālib,
˙
178 2Ammār ibn-Yāsir (564-657 n. Chr.) ist einer der bedeutenden Genossen des Propheten
Muhammad. Er nahm an vielen wichtigen Kämpfen an seiner Seite teil. Er ist der erste, der eine
Moschee˙ gebaut hat, nämlich die Moschee von Qibā3. Der Kalif 2Umar ernannte ihn als Herrscher
von al-Kūfa, dann setzte er ihn später ab. Er nahm auf seiten der Ehefrau des Propheten 2Ā3iša an
der Schlacht al-Ǧamal (36 n. H./656 n. Chr.) und später auf seiten von Imām 2Alı̄ an der zweiten
Schlacht von Siffı̄n (37 n. H./ 657 n. Chr.) teil. Dabei wurde er im Jahre 37 n. H./ 657 n. Chr. getötet,
˙
s. ibn-Kaı̄tir, al-bidāya …, Bd. 7, S. 267; az-Zarkalı̄, al-a2lām (Biographien …), Bd. 5, S. 191.
179 In diesem¯ Kapitel geht es darum, das mittlere Maß, mesth@ auf die Handlungen der Begierde
nach Nahrung, Sexualität und Zorn anzuwenden. Belege dafür werden aus Tradition, Sprache und
Kultur vorgeführt.
180 „Wenn die Aufrichtigen essen, …“ ist eine Überlieferung, die in den Großsammlungen nach
Wensinck nicht vorhanden ist, s. Wensinck …, Concordance …, T. I, S. 68 ff., II, S. 235 ff., 239; s. f.
2Abd-ar-Rahmān al- Ǧauzı̄, al-2ilal al-mutanāhiya (über die schwachen Überlieferungen) Bd. 2,
S. 651. ˙
181 „Es gibt keinen Topf, …“ ist eine Überlieferung, die sich mit diesem Wortlaut nicht in den
Großsammlungen befindet, jedoch erwähnt Wensinck eine andere ähnlichen Inhalts. Sie lautet:
„Der Mensch überfüllt kein anderes Gefäß schlimmer als seinen Bauch (Magen)“, s. Wensinck,
Concordance …, T. VII, S. 262; ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 4, S. 132.
182 „Die Übersättigung ist die Ursache ˙ der Krankheit, …“ wird von Wensinck in seiner Concor-
dance nicht erwähnt, Gh gilt dann als deren Quelle.
183
„Der Mensch soll sich mit einigen Häppschen begnügen, …“ ist eine Überlieferung, die nach
Wensinck in mehreren Großsammlungen vorhanden ist, s. Wensinck, Concordance …, T. VI, 138;
s. f. zum Beispiel: ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 4, S. 132.
184
„Der Gläubige ißt˙ mit einem einzigen Magen, …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren
Großsammlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 145; s. f. z. B. ibn-Hanbal,
Sammlung, Bd. 3, S. 333. ˙
185
„Das Fasten ist für mich (Gott), …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck in mehreren
Großsammlungen vorkommt, s. Wensinck, Concordance …, T. III, S. 460; s. f. Muslim, Sammlung,
Bd. 3, S. 265 ff.
186 „Heiratet, pflanzt euch fort, …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck in mehreren Groß-
lungen findet, ähnliche Überlieferungen aber sind vorhanden wie: „Das Heiraten gehört zu mei-
ner Lebensweise (Sunna). Wer sich nicht danach (nach meiner Lebensweise) richtet, gehört nicht
zu meiner Gemeinde.“, s. ibn-Māǧa, Sammlung, Bd. 1, S. 592, Nr. : 1846. Ebenso wie die vorange-
gangene gehört sie nach der Prüfung durch den Herausgeber M. F. 2Abdel-Bāqı̄ zu den schwachen
Überlieferungen.
188 „wer heiratet, bewahrt die Hälfte seiner Religion.“ ist Teil einer Überlieferung, die sich nicht
mit diesem Wortlaut in den Großsammlungen befindet, eine andere aber vom ähnlichen Inhalt
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 287
Sammlung, Bd. 1, S. 597, Nr. : 1858; Wensinck, T. II, S. 198. Nach Ansich von Gh können aufgrund
einer solchen Überlieferung die familiären Aufgaben besser einer religiösen Frau gelingen, inso-
fern die Verantwortung vor Gott der höchste Grad für alle anderen Bereiche menschlicher Tätig-
keiten ist. Weder Schönheit, noch Reichtum, noch edle Herkunft überwiegen solche Eigenschaft,
wie die Überlieferung im vollen Text besagt, s. a. a. O.
192 „Hütet euch vor einer grünen Pflanze …“ wird nicht von Wensink in seiner Concordance er-
wähnt. Gh selbst gilt wie bei solchen Überlieferungen als deren Quelle.
193
„Wählet für euren Samen, …“ ist Teil einer Überlieferung, die lediglich von ibn-Māǧa erwähnt
wird, s. Sammlung, Bd. 1, S. 633, Nr. : 1968.
194 „Eure Frauen sind euch ein Saatfeld …“ Sure 2, Vers P u. H 223. In beiden Fällen: 1. Der
Samenerguß außerhalb der Vagina ohne Zustimmung der Ehefrau und der Annalverkehr mit der
Ehefrau ebenso der gleichgeschlechliche Verkehr sind im Islam verboten. Die Gründe dafür er-
wähnt Gh in seiner Interpretation des Verses. Seine Meinung ist für islamische Juristen verbind-
lich, s. f. ar-Rāsı̄, Koranommentar, Bd. 6, S. 70 ff.
195
„Und ein Mann, der Unzucht begeht (P: begangen hat), …“ Sure 24, Vers P u. H 3. Nach
Ansicht des Kalifen Abū-Bakr, der Ehefrau des Propheten 2Ā3iša, der Kalifen 2Umar und 2Utmān
und 2Alı̄ ist die Eheschließung zwischen Leuten, die Unzucht begehen oder von denen einer¯ Un-
zucht begeht, verboten. Das Verbot wurde später aufgehoben. Die Aufhebung des Verbots wird
durch den koranischen Vers: „… heiratet, was euch an Frauen gut ansteht, …“ Sure 4, Vers P u.
H 3, sowie durch den consensus omnium, al-iǧmā2, die Übereinstimmung der Gelehrten. Es ist
lediglich eine Empfehlung, daß man von einer solchen Beziehung absieht. Die Begründung dafür
besteht darin, daß Ehre und Ansehen des Gläubigen dadurch Schaden erleiden könnten. Auch
eine Veränderung der Charaktereigenschaften zum Schlechteren ist dadurch möglich. Gh neigt
dazu, von einer solchen Beziehung abzuraten, s. f. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 23, S. 149 ff.
196
„… (er) ist eifrig darauf bedacht, auf der Erde Unheil anzurichten …“ Sure 2, Vers P 205,
H 201. Der Koran beschreibt in mehreren Versen den Zustand eines Menschen, dessen Aussagen
mit seiner inneren Einstellung zum Glauben, zum Leben und zu seinen Mitmenschen im Wider-
spruch steht. Der Anfang dieser Verse in dieser Sure lautet: „Unter den Menschen gibt es einen,
dessen Aussage über das diesseitige Leben dir gefällt, und der Gott zum Zeugen anruft für das,
was er im Herzen hat. Dabei ist er äußerst streitsüchtig …“ Vers P 204, H 200. In diesem Zusam-
menhang der Sexualethik des Islam meint Gh, daß die Unzucht schwerwiegende individuelle und
soziale Folgen hat ähnlich wie die Vernichtung von Saat und Gut, die die Verbreitung von Sexual-
krankheiten und Auflösung von Sozialbeziehungen nach sich ziehen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 5, S. 196 ff.
197 „Ihr gebt euch in (eurer) Sinnenlust wahrhaftig mit Männern ab, statt mit Frauen …“ Sure 7,
Vers P 81, H 79. Man kann die Gründe für das Verbot der Homosexualität im Islam nach ar-Rāsı̄
wie folgt zusammenfassen: 1. Viele Menschen wünschen sich keine Kinder, da sie sich bei der
Arbeit anstrengen müssen, um sie zu ernähren und sie zu erziehen. Gott hat aber in der Begattung
mit einer Frau großen Genuß hineingelegt. Dies ist einer Falle ähnlich, wodurch Kinderzeugung
unvermeidlich wird, die als natürliche Folge vorkommt, um die Nachkommenschaft abzusichern.
2. Wenn dieser Genuß auf eine andere Art und Weise erreicht wird, wird dieses Ziel der Absiche-
rung von Nachkommenschaft vereitelt. Dies hat für die menschliche Gattung erhebliche Nachteile
und steht im Widerspruch zu dem Schöpfungsplan Gottes. 3. Allein die Befriedigung der Sexual-
288 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
triebes und die Beschäftigung mit dem Genuß der Sexualität auf eine andere Weise als die zwi-
schen zwei Menschen verschiedentlichen Geschlechts führt zum Bruch in der Erhaltung des Men-
schengeschlechts. Dabei ähnelt der Mensch dem Tier, das allein den Förderungen seines Sexual-
triebes folgt. 4. Die Befriedigung des Sexualtriebes zwischen den Eheleuten befestigt die
Liebesbeziehung zwischen ihnen, wohingegen dies zwischen Gleichgeschlechtlichen zu Streitig-
keiten und möglicherweise zur Feindschaft führt. Diesen Gedanken drückt der Koran im folgen-
den Vers aus: „Und zu seinen Zeichen gehört es, daß er euch aus euch selber Gattinnen geschaffen
hat (…), damit ihr bei ihnen wohnet. Und er hat bewirkt, daß ihr einander in Liebe und Güte
zugetan seid. Darin liegen Zeichen für Leute, die nachdenken.“, Sure 30, P 21, H 20. 5. Gott hat
in den Muskeln der Vagina eine Anziehungskraft hineingelegt, die den Samen des Mannes bei der
Begattung nach Innen kräftig hineinzieht, so daß nichts in den Harnwegen übrig bleibt. Bei sexu-
eller Betätigung zwischen Gleichgeschlechtern geschieht dies nicht, so daß der Samenrest verfault
und Tumore hervorruft. Schwere Krankheiten sind die Folgen, s. ar-Rāsı̄, Korakommentar, Bd. 14,
S. 168 ff.
198 In diesem Abschnitt will Gh zeigen, wie bedeutend die Fähigkeit zum Zorn, al-quwa
3l-ġadabı̄ya, im Leben des Menschen als Individuum und Mitglied einer Gesellschaft ist. Aristote-
˙
les ordnet den Zorn,
¤rgffi der irrationalen Regung ein, welche auch Angst, Neid, Freude usw
einschließt, s. EN 1105b22. Irrationale Regungen sind weder Tugenden (Dirlmeier: sittliche Vor-
züge; Gigon: Tugenden), noch Schlechtigkeiten (Dirlmeier: Fehler; Gigon: Schlechtigkeit für: a
… kakfflai) wie es im folgenden Text lautet: „p€jh mþn oªn o'k e§s½n oj a ⁄reta½ oj a ka-
kfflai …“ a. a. O.; s. f. Gigon, 1105b21–25, S. 319. Aufgrund von irrationalen Regungen können keine
moralischen Urteile gefällt werden, sondern diese werden lediglich aufgrund von sittlichen Tugen-
den oder Schlechtigkeiten möglich, also von Charaktereigenschaften, die entweder gut oder
schlecht sind, s. 1105b35, 1106a1 ff. Der Grund dafür liegt darin, daß solche Handlungen ohne
Willensentscheidung, ⁄proairfftws, bi-lā irāda, zustandekommen. Sie sind Ausdruck einer Bewe-
gung. Trotzdem ist der Zorn unter bestimmten Voraussetzungen gut, etwa beim Empfinden von
Ungerechtigkeit. Ebenso wie bei allen anderen Handlungen teilt Aristoteles die Handlungen auf,
die aus dieser Fähigkeit hervorgehen in: Übermaß, Mitte und Mangel. Das mittlere Maß heißt
Milde, praotffi@ (Dirlmeier: vornehme Ruhe; Gigon: Sanftmut), s. Dirlmeier, NE, Anm. 86,4,
S. 383; Gigon, Anm. zu 1125b26, S. 333. Als Charaktereigenschaft steht auf der Stufe des mittleren
Maßes, pra@; Dirlmeier: vornehm-ruhiger Mensch, s. NE, Anm. 86,4, S. 383; Gigon: milde, s.
1125b20, arab.: halı̄m. Das Übermaß ist ¤rgil@, ¤rgilth@, jähzornig, Jähzorn; Dirlmeier: Der
heftig erregbare˙ Mensch, heftige Erregbarkeit, s. EN, 1125b29 ff.; Gigon: zornmütig, Zornmütig-
keit, a. a. O.; arab.: ġadūb, munġāz. Der Mangel heißt: ⁄rghto@, ⁄orghsffla, Dirlmeier: phlegma-
tisch, Phlegma, s. NE,˙ 1126a3, Anm. ˙ 86, 7, 9, S. 384; Gigon: zornlos, Zornlosigkeit, s. a. a. O.; arab.
hādi3, 2adam al-ġadab, hudū3. Arist. Verweist darauf, wie schwierig es ist, Namen für die erwähnten
Eigenschaften zu ˙finden, s. EN 1125b. Auch die Beschreibung dieser Eigenschaften geschieht all-
gemein, unsystematisch und ohne genügende Beispiele, s. Gigon, 1125b26, S. 333. Die Aufteilung
der dem Zorn entspringenden Handlungen sind bei Gh vom ethisch-religiösen Standpunkt be-
stimmt. Auch die Belege entstammen dem kulturellen und religiösen Bereich., s. D 319. Ein wei-
terer Unterschied besteht in der systematichen Analyse der Gründe für den Zorn, s. D 321; Gigon
zu 1105b21–25, S. 319. Ähnlichkeit aber besteht zwischen den beiden Philosophen in der Beschrei-
bung der Menschennatur in diesem Zusammenhang, s. D 319 ff.; Arist. EN, 1125bff. Zurückhal-
tend und abrupt schreibt Aristoteles kurz vor dem Abschluß seiner Betrachtung des Zorns: „ˆ dþ
ka½ ¥n to…@ prteron e—rhtai, ka½ ¥k t n legomffnwn d»lon‡ o' gÞr r€dion diorfflsai t p @ ka½
tfflsi ka½ ¥p½ poffloi@ ka½ pson crnon ¤rgistffon, …“, EN, 1126a31 ff. Aus dem Gesagten wird
bestätigt, wie schwierig es zu bestimmen ist, wie, wem, worüber und wie lange man zürnen soll,
und die Grenzen zu ziehen zwischen dem richtigen und dem fehlerhaften Verhalten, s. EN, 1125,
33 ff. Jedoch ist die Empfindung des Unrechts ein wichtiger Grund für den Zorn: „¥p½ fainomffn–h
gÞr ⁄dikffla
¤rgffi ¥stin.“, s. EN, 1135b28; Dirlmeier, NE, Anm. 114, 1 u. 2, S. 426 f.; Gigon,
1135a16–1136a9, S. 339; 1149b20 ff. Die juristischen Folgen interessieren Gh kaum in diesem Zu-
sammenhang. Die Gründe des Zorns sind bei ihm sehr umfassend und vielschichtig, s. D 322. Er
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 289
entwickelt seine Gedanken weiter über den Zorn und geht dazu über, von dem Verhältnis zwi-
schen Zorn, Tapferkeit und Geduld, zu sprechen, s. D 323 ff. Eine wichtige Quelle für seine Ab-
handlung sind die Kultur und die Überlieferungen des Islam; über die Sanftmut, den sanftmütigen,
pra@, prath@, halı̄m, hilm, s. f. U. Klein, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5,
S. 1391 ff. ˙ ˙
199 „Sa2d ist eifersüchtig …“ ist Teil einer langen Überlieferung, die sich nach Ansicht von Wen-
Zustandes ˙ der islamischen Gemeinde besonders wie sie sich in Krisensituationen verhalten soll.
Die Solidarität im Verhalten der islamischen Gemeinde gegenüber dem Unrecht und wie hier
gegenüber der Ausbreitung von Freveltaten ist eine Pflicht. Dies veranlaßt sie zu einem gemein-
samen Handeln. Das ist die Bedeutung der beiden Begriffe: „šadı̄d, pl. ašiddā3, P: heftig, H: streng
und rahı̄m, pl. ruhamā3, P: mitfühlend, H: barmherzig“. at-Tabarı̄ interpretiert diese Charakter-
˙
eigenschaft: šadı̄d,˙ rauh, grob in dem Sinne, daß sie weniger ˙ ˙ barmherzig sein dürfen. Denn der
Gläubige hat demnach immer Anteil an Barmherzigkeit. Nur in solchen Situationen darf er sich
weniger barmherzig sein, s. Korankommentar, Bd. 26, S. 109.
201 „Die besten meiner Gemeinde …“ ist eine Überlieferung, die nicht in den Großsammlungen
eigenen Körper usw., sondern das Göttliche ist ein essentieller Bestandteil einer solchen Bezie-
hung.
Die Strafe in beiden Fällen wird heute nur noch in einigen islamischen Ländern durchgeführt, in
den meisten wird die Tat als eine Angelegenheit des Bürgerlichen Rechts geahndet. Daß die hier
erwähnten Bedingungen auch in solchen Ländern berücksichtigt werden, bleibt zu hoffen. Uns
interessiert in diesem ethischen Zusammenhang, daß Gh den Zorn bei solchen strafbaren Hand-
lungen als berechtigt betrachet, s. D 319 f. Denn Mitleid und Gnade können dabei entstehen, wenn
jemand glauben würde, daß ein solches Strafmaß überflüssig ist und nicht vollzogen werden sollte,
was aber im Widerspruch zum islamischen Glauben steht.
203
„Die Geduld ist die Hälfte des Glaubens.“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck nicht in
den Großsammlungen vorhanden ist. Gh erwähnt sie in seinem Werk ih. (Wiederbelebung …), s.
Bd. 4, S. 53. Dort behandelt er in einem Sonderkapitel ausführlich das ˙ Thema der Geduld als
Tugend. Dieselbe Überlieferung tritt dort auf, wo angemerkt wird, daß sie zu den schwachen
Überlieferungen gehört, das heißt, daß sie nicht mit Gewißheit von dem Propheten Muhammad
stammt, s. a. a. O.; Wensinck, Concordance …, T. III, S. 241. Es werden dort mehrere Überlieferun-˙
gen erwähnt, die die Bedeutung der Geduld hervorheben, wie z. B.: „Es könnte wohl so viel Gutes
in der Geduld bei einer Sache liegen, die du verabscheust, und der Erfolg ist in der Geduld.“, s.
A. ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 3, S. u. a. 47.
204 „Das˙ Fasten ist die Hälfte der Geduld.“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck in mehreren
Großsammlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. III, S. 242; s. f. A. ibn-Hanbal,
Sammlung, Bd. 4, S. 260; ibn-Māǧa, Sammlung, Bd. 1, S. 555, Nr. : 1745. ˙
205 „Diejenigen, die in Unglück …“ ist Teil eines Verses, der über die Frömmigkeit spricht, s.
Sure 2, P 177, H 172. Dort heißt es: „Die Frömmigkeit, birr (b. P u. H) besteht nicht darin, daß ihr
euch (beim) Gebet mit dem Gesicht nach Osten oder Westen wendet …“ Mit der Anrede können
alle Schriftbesitzer, nicht nur Muslime, sondern auch Juden und Christen, gemeint sein, die darauf
bestehen, Jerusalem als Gebetsrichtung zu betrachten. Die Muslime werden dadurch angemahnt,
nicht in der Veränderung der Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka ein Privileg zu sehen.
Vielmehr besteht Frömmigkeit in der Bewahrung der in dem Vers aufgezählten Dinge. Gh liefert
in diesem Zusammenhang eine eigene Interpretation, die aber im allgemeinen von Koraninter-
preten unterstützt wird, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 5, S. 45.
206
„Der Gläubige ist wohlwollend, …“ ist eine Überlieferung, die nicht in den Großsammlungen
vorhanden ist, s. Wensinck, Concordance …, T. IV, S. 459, VI, S. 523 ff. Gh gilt dann als ihre Quelle.
207 „Die Glückseligkeit der Wonne …“ Sure 83, Vers P u. H 26. Der Vers spricht über den Zustand
der Frommen im Paradies. Diese Beschreibung fängt ab Vers 22 an. Gh erwänt lediglich den
letzten Teil: „…, darum sollen die Strebenden wetteifern.“ Das heißt, daß der Wetteifer in bezug
auf das Jenseits lobenswert ist, in bezug auf das Diesseits unerwünscht, s. ar-Rāsı̄, Korankommen-
tar, Bd. 31, S. 100.
208 „Es gibt nur zwei Arten von Menschen, …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren Groß-
chen hat, ist es nun passend, hier über die Vernunft und ihre Aktivität zu reden, die hier und in den
nächsten Kapiteln beschrieben werden. Diese Kapitel sind stark an seine Abhandlung über diesel-
ben Themen in ih., „Wiederbelebung der Religionswissenschaften“ angelehnt. Fast dieselben Be-
lege aus Religion˙ und Kultur treten hier wie dort vor. Jedoch sind die Abhandlungen hier ganz
gezielt und komprimiert, wobei der rationale Charakter in der Argumentationsweise dominiert.
Ganz eindeutig erkennt man auch die Hervorhebung der Rolle der Vernunft bei der Interpretati-
on der Korantexte, wie dies im folgenden zu verstehen ist, s. ih., Bd. 1, S. 12 ff.; D 328 f.
210 „Das erste, was Gott schuf …“ ist eine Überlieferung, die ˙nicht in den Großsammlungen vor-
handen ist, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 134; II, S. 71 ff.; IV, S. 300 ff. Sie befindet sich auch
nicht in: ġarı̄b al-hadı̄t (Die seltenen Überlieferungen, von Abu-3l-Faraǧ ibn- 2Ali 3bn-al-Ǧauzı̄,
˙ ˙
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 291
auch nicht in seinem Werk: al-2ilal al-mutanāhiya (Über die schwachen Überlieferungen). Sie wird
aber sehr ausführlich von Abū-Ǧa2far Muh. ibn-Bābawaih (gest. 381 n. H./ 991 n. Chr.) in seinem
Werk: ma2āni 3l-ahbār genannt (Die Bedeutungen ˙ der Überlieferungen), Bd. 2, S. 297. Gh erwähnt
diese Überlieferung ˘ in ihrem Wortlaut hier in seinem Werk ih. (Wiederbelebung …). In der Anm.
˙
dazu wird darauf hingewiesen, daß sie zu den schwachen Überlieferungen gehört, insofern in der
Kette der Überlieferer es einen unzuverlässigen Überlieferer gibt, s. Bd. 1, S. 74; s. f. Die Nische
der Lichter, PhB 390, Anm. 9, S. 65 f. mit weiteren Quellenangaben.
211 „Es gibt keine Religion für den, der keinen Verstand hat.“ ist eine Überlieferung, die nicht in
den Großsammlungen vorhanden ist, s. Wensinck, Concordane …, T. II, S. 165 f.; T. IV, S. 300.
212
„Bewundert nicht den islamischen Glauben eines Menschen, …“ es handelt sich ebenso wie
die vorangegangene um eine schwache Überlieferung; sie wird nicht in den Großsammlungen
erwähnt, s. Wensinck, Concordance …, T. II, S. 519 ff.; IV, S. 131 ff.
213
„Gott ist das Licht von Himmel und Erde …“ Sure 24, Vers P u. H 35. an-Nasafı̄ (gest. 1310
n. Chr. ) versteht darunter, daß Gott als Besitzer des Lichts die Menschen vom Unrechten zum
Rechten leitet. Die Analogie zwischen der Rechtleitung und dem Licht besteht in der Deutlichkeit
und Klarheit, durch welche die Menschen die Dinge, vor allem was den Glauben anbetrifft, ver-
stehen können, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 144 f. ibn-2Arabı̄ meint, daß das Licht ein
Eigenname Gottes ist. Er interpretiert weitere Begriffe im Vers symbolisch, wie z. B. die Dunkel-
heit in bezug auf den Körper, die Lampe für die Seele usw., s. ibn-2Arabı̄, Korankommentar, Bd. 2,
S. 139 f. ar-Rāsı̄ lehnt diese Meinung ab, die auch von Gh vertreten wird, und führt einige Belege
dafür an, daß Gott Urheber des Lichts ist. Der Vers deutet darauf, daß das Licht nicht mit Gott
identisch, sondern seine Schöpfung ist, durch welche er Himmel und Erde erleuchtet, s. Koran-
kommentar, Bd. 23, S. 222 ff. Er geht auf die Meinung von Gh ein, daß Gott Licht der Lichter ist,
ohne ein Urteil darüber zu fällen, s. a. a. O. Wahrscheinlich sieht er keinen Widerspruch zwischen
einer dogmatischen Interpretation, welche auf der Tradition beruht, und einer rational philosophi-
schen wie die, welche von Gh bearbeitet wird. Gh führt diese Stelle aus dem Koran als Beleg dafür
an, daß die Vernunft wegen ihrer Tätigkeit bei der Aneignung der Erkenntnis Licht genannt wird,
s. f. Die Nische der Lichter, A 44 ff.
Die Behauptung, daß „miškāt“ ein Lehnwort aus dem Äthiopischen ist, lehnt ar-Rāsı̄ ab und ver-
weist auf die Meinung von Abū-Ishāq Ibrāhı̄m az-Zaǧǧāǧ (gest. 923 n. Chr.), der den arabischen
˙
Ursprung des Begriffs bejaht, s. Korankommentar, Bd. 23, S. 235; R. Paret, Korankommentar,
Anm. zu dem Vers, S. 360.
214 „Gott ist der Freund derer, …“ Sure 2, Vers P 257, H 258. Nach Ansicht von ar-Rāsı̄ spricht der
Vers gegen die Ansichten der Mu2tazilı̄ten, daß Gott der Freund aller Menschen ist, ob sie gläubig
oder ungläubig sind. Denn der Vers spricht eindeutig davon, daß er der Freund „walı̄y“ der Gläu-
bigen ist. Darauf antworten die Mu2tazilı̄ten, daß er lediglich mehr Liebe für die Gläubigen hat als
andere, die nicht an ihn glauben. Mit Licht und Finsternis ist hier Glaube und Unglaube gemeint.
Gh ist der Meinung, daß die Tätigkeit der Vernunft eine wichtige Rolle spielt, insofern wir dadurch
die Unterscheidung zwischen Rechtleitung als gut und Irreführung als schlecht erkennen können,
s. D 332; ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 7, S. 17 ff.
215 „Wenn die Menschen die Nähe Gottes durch verschiedene Wohltaten suchen, …“ ist eine
vorhanden ist, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 93 ff.; V, S. 483; VI, S. 354. Ebenso wie die
vorangegangene und ähnliche Überlieferungen gilt Gh als deren Quelle.
217 „Und so haben wir dir durch unsere Fügung einen Geist eingegeben.“ Sure 42, P 51, H 52. Die
Bezeichnung der Offenbarung als rūh, Geist tritt im Koran an vierzehn Stellen auf, darunter im
Sinne von Offenbarung und Wissen, ˙wie an dieser Stelle, wo Offenbarung, das heißt der Koran,
rūh genannt wird. Der Koran wird in diesem Zusammenhang rūh genannt, das heißt Geist oder
˙ weil er die Menschen zum monotheistischen Glauben auffordert,
Seele, ˙ und dies für die damalige
Zeit und Gesellschaft ein neues Erwachen bedeutet. Deshalb wird al-ı̄mān, der Glaube, in diesem
292 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Zusammenhang hayāht, Leben, während al-kufr, der Unglaube als maut, das heißt Tod, bezeich-
˙ ¯ Koranconcordance, S. 326; ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 27, S. 190 f.
net, s. M. F. 2Abdel-Bāqı̄,
ibn-2Arabı̄ meint dazu: durch diesen Geist werden die toten Herzen lebendig gemacht, s. Koran-
kommentar, Bd. 2, S. 190 f.; an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 112. Im darauffolgenden Vers
wird er ferner nūr, Licht genannt. Gh geht es darum, daß das Wissen und vor allem die göttliche
Offenbarung im Koran Geist und rūh genannt werden, was auf den hohen Wert des Wissens im
Islam hinweist. ˙
218 „Läßt sich denn einer, der tot war, …“ Sure 6, Vers P u. H 122. Als einen wichtigen Beleg für
die hohe Stellung der Vernunft und den hohen Wert des Wissens erwähnt Gh diese koranische
Stelle. Die Korankommentatoren unterstützen die Meinung von Gh. Ähnlich wie bei der vorange-
gangenen Stelle meinen sie, daß Glaube als hayāt, Leben, und Unglaube als maut, Tod verstanden
werden, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 13,˙ S. 171. ibn-2Arabı̄: tot durch Unwissenheit, al-ǧahl.
Durch das Wissen, al-2ilm und die Liebe zum Wahren, mahabbat al-haqq, wird man lebendig, s.
Korankommentar, Bd. 1, S. 400. ˙ ˙
219 „Gott hat nichts Ruhmreicheres geschaffen als die Vernunft.“ s. Anm. 210.
220 „Die Engel umgeben denjenigen mit Ihren Flügeln, …“ ist Teil einer Überlieferung, die den
Anfang hat: „Wer einen Weg zum Erwerb des Wissens beschreitet, dem bereitet Gott einen Weg
ins Paradies. Die Engel …“ Die Überlieferung umfaßt folgende Ergänzung: „Die Bewohner von
Himmel und Erde bitten Gott um Verzeihung für den Studierenden, ja sogar die Fische. Der
Vorzug des Gelehrten dem Frommen gegenüber ist dem Vorzug des Vollmonds den Gestirnen
gegenüber ähnlich. Die Gelehrten sind die Erben der Propheten. Diese hinterließen weder dirham
noch dinare, sondern das Wissen. Wer sich daran beteiligt, hat einen großen Gewinn“, s. Wensinck,
Concordance …, T. IV, S. 320; ibn-Māǧa, Sammlung, Bd. 1, S. 223. Der erste Teil der Überliefe-
rung wird von Gh in seinem Werk: ih. (Wiederbelebung …) erwähnt, s. Bd. 1, S. 8. Der Abschluß
˙ al-2amal (Das Kriterium des Handelns) wichtige Themen
dieses Kapitels verdeutlicht, wie mı̄zān
wie die Bedeutung der Vernunft und des Lernens unter anderem hervorhebt und sowohl rational
wie auch mit Belegen aus der islamischen Kultur diese Bedeutung untermauert. Das zeigt uns
weiter, wie eng die beiden Werke von Gh: mı̄zān und ih. vor allem thematisch miteinander ver-
˙
bunden sind. In den nächsten Kapiteln setzt Gh seinen Gedanken über diese Themen und ähnliche
fort.
221
Nachdem Gh über die Bedeutung der Vernunft in der islamischen Tradition gesprochen hat,
geht er hier in diesem Kapitel noch einmal darauf ein, indem er sie als Instrument der Erkenntnis
näher beschreibt. Durch ihre Tätigkeit als Vermögen der Erkenntnis und der Weisheit ist sie ein
Unterscheidungsmerkmal, das das Wesen des Menschen kennzeichnet. Über die Bedeutung der
Vernunft in praktischer Hinsicht wurde früher bei Gh gesprochen, s. z. B. D 235 ff. Sie übt eine
erzieherische Funktion aus, wobei die Wut ihr zur Zähmung der Begierde Hilfe leistet, s. D 237.
Durch die Vernunft ist der Mensch Stellvertreter Gottes auf Erden, a. a. O.
222 „Und als dein Herr aus den Rücken der Kinder Adams deren Nachkommenschaft nahm …“
Sure 7, Vers P 172, H 171. Das bedeutet, daß Gott ihnen Beweise über seine Einzigartigkeit und
Allmacht bietet, die ihr Verstand später annehmen sollte. Das ist der Inhalt des Bezeugens, s.
an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 84 f. In verschiedenem Wortlaut wird eine Überlieferung
erwähnt, die in verschiedenen Variationen diesen Vers unterstützt und erklärt. Sie hat im wesent-
lichen folgenden Text: „Gott erschafft Adam. Dann reibt er mit seiner rechten Hand auf seinem
Rücken ein. Da werden Nachkommen gezeugt. Da sagt er: Dies habe ich für das Paradies erschaf-
fen, und sie werden handeln wie die Paradiesbewohner. Dann reibt er wieder mit seiner Hand. Da
werden Leute gezeugt. Da sagt er: Dies habe ich für die Hölle erschaffen, und sie werden handeln
wie die Höllenbewohner. Als dann erwidert ein Zuhörer: ‚Wozu denn das Handeln, O Prophet!
Der Prophet antwortet: Wenn Gott einen Menschen erschafft, verwendet er ihn für Handlungen
der Paradiesbewohner, bis er stirbt. Wenn er gestorben ist, führt er (Gott) ihn ins Paradies. Wenn
er aber einen Menschen für die Hölle bestimmt, dann verwendet er ihn für Handlungen der Höl-
lenbewohner, bis er stirbt. Wenn er gestorben ist, führt Gott ihn in die Hölle.‘ Dann bschließt er
mit ihnen einen Bund, dessen Inhalt lautet: 1. Der Glaube an ihn. 2. Der Glaube an seine Einzig-
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 293
artigkeit. 3. Der Glaube daran, daß ihr Lebensunterhalt von ihm bestimmt wird. 4. Er wird ihnen
Gesandte zukommen lassen, die sie an diesen Bund erinnern. Sie bezeugten es“, s. at-Tabarı̄,
˙ ˙ die
Korankommentar, Bd. 9, S. 113 ff.; 115. Das ist im wesentlichen der Text dieser Überlieferung,
von verschiedenen Korankommentatoren wie auch ibn-Katı̄r und ar-Rāsı̄ zur Erklärung des Kora-
nischen Verses erwähnt wird. Die Mu2tazilı̄ten lehnen den¯Gedanken des Bundes ab und meinen
dazu: Wenn Gott tatsächlich einen Bund mit den Nachkommen Adams geschlossen haben sollte,
dann müßten diese schon damals mit Vernunft begabt gewesen sein. Dies aber ist nicht der Fall.
Denn wenn dies gewesen wäre, dann müßten wir uns daran erinnern. Denn es ist ausgeschlossen,
daß wir Menschen uns an ein solches Ereignis nicht erinnern, falls es überhaupt stattgefunden
haben sollte. 2. Der Rücken Adams kann nicht so viele Menschen umfassen, die der Zahl nach
ungeheuer sind. 3. Jedes dieser Atome kann im Rücken Adams nicht mit Vernunft begabt sein, da
ihm die körperliche Aneignung fehlt. 4. Ausgeschlossen ist es, daß der Rücken von Adam eine
solche Anzahl von Menschen bis zum Jüngsten Tag umfassen kann. Dazu ist sein Rücken zu klein.
5. Wenn sich die Menschen nicht an ein solches Ereignis erinnern, wie kann dies ein Argument
gegen sie am Jüngsten Tag sein? Außerdem ist mit dem Abschluß eines Bundes lediglich ein
Mindestmaß an Glauben erreicht, der es nicht erlaubt, die Menschen zur Verantwortung zu zie-
hen. Das sind im wesentlichen ihre Argumente gegen die Traditionalisten und die Koranexegeten.
Gegen diese Argumente gibt es Gegenargumente von seiten der Traditionalisten, die hier nicht
weiter verfolgt werden können. Die Mu2tazilı̄ten verstehen unter dem Vers, daß Gott die Men-
schen in der bestmöglichen Weise erschaffen hat. Dank seiner Hinweise in der Schöpfung erfährt
man durch Nachdenken, daß er einzig und allmächtig ist, auch dann wenn es Menschen gibt, die
dies mit der Zunge ablehnen. Das ist der Sinn des Bezeugens, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 8,
1. Aufl., 1990, S. 39 ff.
223
„Wenn du sie (…) fragst, …“ Sure 43, P u. H 87. Die Bejahung der göttlichen Existenz ist im
menschlichen Verstand so verankert, daß die Ungläubigen auf die Frage hin, wer sie erschaffen
hat, sofort und ungezwungen antworten: Gott, Allāh, s. a-Rāsı̄, Korankommenetar, Bd. 27, S. 233.
Das ist die Meinung von Gh, die er in diesem Kapitel entwickelt, in dem er sich auf den Koran
beruft.
224 „Das ist die natürliche Art, …“ Sure 30, P 30, H 29. Die natürliche Beschaffenheit, fitra, führt
dazu, die Existenz eines einzigen Schöpfers zu bejahen. Das ist die Behauptung, die mehrmals˙
durch koranische Stellen belegt wird, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 272; s. f. at-Tabarı̄,
Korankommentar, Bd. 21, S. 40 ff., mit Hinweis auf die Stelle: „Und als dein Herr aus den˙Rücken˙
der Kinder Adams deren Nachkommenschaft nahm …“, s. Anm. 222 und „Die Menschen waren
(…) eine einzige Gemeinschaft (umma wāhida) …“, Sure 2, Vers P 213, H 209. Zu dem Begriff
„fitra“, s. Erretter …, Anm. 25, S. 83. ˙
225 ˙ „Sag: (…) Es gibt keinen Gott außer ihm.“, s. Anm. 142; s. f. Die Nische …, A 60, S. 26 f.
226
„Vielleicht würden sie sich mahnen lassen.“ Sure 2, Vers P u. H 221. P: „sich mahnen lassen“, H:
„sich zu Herzen nehmen“ für „yatadakkarūn“. Der Sinn des Sich-Erinnern besteht darin, daß sie
die Lehre ziehen sollen und zwischen ¯ dem Aufruf zum Paradies und dem zur Hölle unterscheiden
können, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 380.
˙ ˙
227 „die Verständigen sollen es bedenken.“ Sure 14, Vers P u. H 52. P: „sich mahnen lassen“, H:
„bedenken“ für: „li-yaddakkara“. Der Mensch unterscheidet sich von anderen Lebewesen durch
seinen Verstand, durch¯ ¯welchen er sich ermahnen läßt und Schlußfolgerungen zieht, s. ar-Rāsı̄,
Korankommentar, Bd. 19, S. 149 f.
228 „Und gedenkt der Gnade, die Gott euch erwiesen, …“ Sure 5, Vers P 7, H 10. P: „Verpflich-
tung“, H: „Bund“ für „mı̄tāq“. Es handelt sich dabei um den Bund, den Gott mit den Nachkom-
men Adams geschlossen hat ˙ (s. Anm. 222). Nach einer anderen Meinung handelt es sich um einen
konkreten Bund, den der Prophet Muhammad zu Beginn seiner Verheißung mit bestimmten Leu-
ten aus verschiedenen Stämmen, Männern ˙ und Frauen geschlossen hat, s. an-Nasafı̄, Korankom-
mentar, Bd. 1, S. 274; at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 87 f. Der Gegenstand dieses Bundes
˙ ˙
kann im folgenden zusammengefaßt werden: 1. Niemanden neben Gott zum Genossen machen.
2. Nicht stehlen. 3. Keine Unzucht betreiben 4. Eigene Kinder nicht töten. 5. Keine Verleumdung
294 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
begehen. 5. Dem Propheten bei Verrichtung von guten Taten keinen Widerstand leisten. Dies
geschah ein Jahr vor al-hiǧra, im 1. bai2at al-2Aqaba, Bund von … Im zweiten Bund von al-2Aqaba,
ein Jahr darauf werden die gegenseitige Unterstützung und der Beistand bei kriegerischen Ausein-
andersetzungen vereinbart, s. ibn-al-Atı̄r, Abu-3l-Hasan 2Alı̄, al-kāmil (Das Vollständige in der
Geschichte), Bd. 2, S. 69. ¯ ˙
229 „Und wir haben doch den Koran leicht (…) gemacht, …“ Sure 54, P u. H 17. Verschiedene
Eigenschaften des Korans werden hier erwähnt: 1. Er wird für denjenigen, der ihn auswendig
lernen will, leicht gemacht. 2. Ebenso für jemanden, der sich ermahnen läßt, insofern er die Weis-
heit enthält. 3. Es ist ein Genuß, den Koran zu rezitieren oder ihn beim Rezitieren zu hören, auch
dann, wenn man ihn nicht versteht, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 29, S. 42; s. f. an-Nasafı̄, Ko-
rankommentar, Bd. 4, S. 203.
230 Mit den wahrhaftigen Denkern könnte Platon gemeint sein. Problematisch aber bleibt die
Bezeichnung „wahrhaftig“, insofern Gh prinzipiell die griechische Philosophie ablehnt und deren
Anhänger im islamischen Kulturbereich für ungläubig erklärt, s. Erretter …, A 22. Das hindert ihn
aber nicht daran, in manchen Punkten Platon recht zu geben, und ihn für „wahrhaftig …“ zu
erklären. Das gebietet einfach die Toleranz, speziell in wissenschaftlicher Hinsicht. Platon vertritt
nämlich die Ansicht, daß at-ta2allum, das Lernen, ⁄n€mnhsi@, tadakkur, Wiedererinnern ist, s.
Platon, Menon 81d; s. f. C. v. Bormann, Erinnerung, in: Historisches¯ Wörterbuch der Philosophie,
Bd. 2, S. 636 ff. Wichtig aber ist es, daß Gh aus dem Koran sein Verständnis von den arabischen
Begriffen: tadakkara, sich erinnern; tadakkur, das Wiedererinnern; muddakir, einer, der sich erin-
nern läßt, zu ¯belegen versucht, wie die ¯Tendenz seiner Interpretation der koranischen Verse zeigt.
Dann schließt er dieses Kapitel mit dem Hinweis auf Platon, auch wenn er ihn nicht namentlich
erwähnt.
231
„Gott hat nichts Edleres geschaffen als die Vernunft.“ s. Anm. 210.
232 „Wenn die Menschen durch verschiedene Arten von frommen Taten …“ s. Anm. 215.
233 „Das Herz hat nichts erlogen, … Sure 53, Vers P u. H 11. Das Herz schaut an, was dem Sehver-
mögen nicht zugänglich ist. Demnach können höhere Wesen wie der Erzengel Gabriel, ja sogar
Gott angeschaut werden. Dies kann durch ein Wissen erreicht werden, das Gott ins Innere des
Menschen hineinfließen läßt. Es wird überliefert, daß Muhammad seinen Gott und den Erzengel
Gabriel gesehen haben soll. Es könnte wohl möglich sein,˙ daß Muhammad durch sein Herz die
Fähigkeit von Gott erlangte, den Erzengel Gabriel zu sehen, s. ar-Rası̄, ˙ Korankommentar, Bd. 28,
S. 288 ff.; s. f. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 195. Muhammad hat den Erzengel Gabriel
zwei Mal in seiner natürlichen Gestalt als Engel gesehen. Er sah ˙ ihn mit dem Auge, erkannte ihn
aber mit dem Herzen, s. an-Nasafı̄, a. a. O.
234 „Und so zeigten wir dem Abrāhām …“ Sure 6, Vers P u. H 75. Ein solches Schauen geschieht
durch ein Licht, das Gott ins Herz von Abrāhām hineinsendet. Gott hat ihm den Himmel in zwei
Teile gespalten, so daß er den Thron und alles, was jenseits der materiellen Dinge liegt, sehen
konnte. Ebenso geschieht es mit der Erde. Er konnte sehen, was in ihrem Inneren liegt. Gott hat
ihm das Schauen aller seiner Geschöpfe in Himmel und Erde durch den Intellekt und durch das
Auge seines Herzens ermöglicht. Der Sinn dieses Schauens besteht darin, daß Abrāhām die Ge-
wißheit erlangt und in seinem Glauben sicher wird. Dies erreicht er nicht durch den Verstand,
sondern duch das Herz. Das will Gh in diesem Kapitel belegen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 13, S. 43 ff.
235 „Nicht die Augen sind (bei ihnen) blind …“ Sure 22, Vers P 46, H 45. at-taddakkur, das Erin-
nern als umfassende Erkenntnis geschieht durch al-qalb, das Herz, s. ar-Rāsı̄, ¯korankommentar,
¯
Bd. 23, S. 45. Jeder Mensch hat vier Augen, zwei in seinem Kopf und zwei in seinem Herzen. Wenn
er nicht mit den Augen des Herzens schauen kann, ist der Schaden für ihn um so größer. Denn der
Sitz des Wissens ist das Herz, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 105.
236 „Und wenn einer hier (im Diesseits) blind ist, …“ Sure 17, Vers P 72, H 74. 1. Wenn das Herz
des Menschen nicht in der Lage ist, den Sinn der Schöpfung zu begreifen, dann wird es für ihn
recht schwierig sein, die Angelegenheit des Jenseits zu verstehen. 2. Wer im Diesseits ungläubig
ist, ist er im Jenseits um so hartnäckiger, da er nicht rechtzeitig während seines diesseitigen Lebens
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 295
Buße getan hat. 3. Wer sich in Genüssen des diesseitigen Lebens verstrickt, ist dessen Reue im
Jenseits über den Verlust solcher Genüsse um so größer. Er bleibt dann in tiefer Dunkelheit, weil
er von dem Licht der göttlichen Erfahrung nichts erreicht. So beschreibt der Vers die Lage eines
solchen Menschen, dessen Verstand lediglich auf materielle Dinge beschränkt ist. Er ist in seinem
Verständnis der religiösen Angelegenheiten oberflächlich und kurzsichtig, s. ar-Rāsı̄, Korankom-
mentar, Bd. 21, S. 18 f.
237 „In ihrem Herzen haben sie eine Krankheit …“ Sure 2, Vers P 10, H 9. Mit Krankheit sind
Zweifel und Heuchelei gemeint. Der Kranke schwebt zwischen Leben und Tod, und die Verderbt-
heit schadet der Gesundheit. So wird die Verderbtheit, al-fasād, für die Krankheit im analogen
Sinne verwendet. Heuchelei und Zweifel sind Krankheiten, die das Herz und die Seele treffen. Die
Menschen, die Zweifel an der Existenz Gottes haben, sind am Herzen krank. Sie seien nicht in der
Lage, nach Meinung von Gh, von den Nahrungen zu profitieren, die ihnen die Religion bietet, s. f.
an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 1, S. 19. Die Krankheit bezieht sich auf ihr Verständnis von der
Religion, s. as-Sābūnı̄, safwat at-tafāsı̄r (Auszug aus den Korakommentaren), Bd. 1, S. 21.
238 „Klug ist ˙derjenige,
˙ ˙ der Verantwortung für sich selbst übernimmt; …“ ist der erste Teil einer
Überlieferung, die in mehreren Großsammlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …,
T. VI, S. 291; s. f. z. B. ibn-Māǧa, Sammlung, Bd. 2., S. 1423, Nr. : 4260.
239 „Die meisten der Paradiesbewohner sind einfältig“ ist eine Überlieferung oder Teil einer
Wenn er regelmäßig gute Werke tut, entsteht eine Begabung, die ihn zum Nachdenken über die
Phänomene des Jenseits (Tod, Auferstehung, Gericht usw.) veranlassen und er nimmt Abschied
vom Diesseits. Wenn diese Denkweise stärker wird, vertieft er sich in seine Kenntnisse über Gott
und das Jenseits, s. ar-Rāsı̄, a. a. O.
242 „Sie wissen, was vom diesseitigen Leben äußerlich sichtbar ist …“ Sure 30, Vers P 7, H 6. Da-
mit sind die Menschen gemeint, die vom diesseitigen Leben viel Wissen haben, vom Jenseitigen
aber nichts wissen bzw. nichts wissen wollen. Für das Diesseits gibt es zwei Aspekte: ein Äußeres
und ein Inneres. Das Innere bezieht sich auf das Diesseits als Mittel zum Jenseits, niemals aber als
Zweck an sich, was von den Materialisten ignoriert wird. Sie sind unwissend, ǧuhhāl, s. an-Nasafı̄,
Korankommentar, Bd. 3, S. 266. Die Unwissenden, al-ǧuhhāl, beschränken sich auf den äußeren
Sinn, nämlich auf die materiellen Genüsse, s. a. a. O.
243 Gh bestimmt in diesem Kapitel das Ziel des Lernens wie folgt: „Das Ziel dessen, was der
Lernende im Diesseits erwirbt, ist, sich selbst zu vervollkommnen und tugendhaft zu werden. Im
Hinblick auf das Jenseits ist das Ziel die Nähe zum erhabenen und allmächtigen Gott, nicht aber
Ansehen, Reichtum, Wetteifern mit den Toren und Streit mit den Gelehrten.“, s. D 361. Damit
grenzt sich Gh völlig von dem Ziel der Erziehung, paideffla, im griechischen Denken, vor allem bei
Platon und Aristoteles ab, gleichzeitig legt er eine Ethik des Lernens und des Lehrens dar.
In der Stadt sind Erziehung und Erziehungsziele von der Ganzheit, ˆlo@, al-ǧamı̄2, bestimmt.
Diese Bestimmung bezieht sich auf die Lebensweise und die Stadtentwicklung in sozialer und
politischer Hinsicht. Es ist eine Gesamtsituation des griechischen Geistes in seiner Vielfalt, wel-
cher auf das ˆlon gerichtet ist, in wissenschaftlicher, künstlerischer, technischer und politischer
Hinsicht. Dies alles bestimmt die Erziehung und deren Ziele, s. Ernst Hoffmann, Der Erziehungs-
gedanke der klassischen gr. Philosophie, in: Erziehung und Bildung in der Heidnischen und Christ-
lichen Antike, S. 101 ff. Im Gegensatz dazu geht Gh in seinem Erziehungsideal von dem Menschen
als Individuum aus, dessen Verantwortung vor Gott hauptsächlich im Jenseits liegt. Das ˆlon ist
nicht der Bestimmungsgrund für Gh, auch wenn es in seinem Erziehungskonzept mitenthalten ist.
Das Sittliche steht an der Spitze der Erziehung sowohl im theoretischen wie auch im praktischen
Sinne. Darin stimmen beide Ideale miteinander überein. Dies verdeutlicht sich in der Vorstellung
von dem Wissen und von dessen Erwerb in den beiden Konzepten, s. E. Hoffmann, Erziehungs-
gedanke …, a. a. O., Gh, D 343. Dort heißt es: „Wir haben das Wissen für einen anderen Zweck
außer für Gott erlernt, das Wissen aber lehnt es ab, für etwas anderes als für Gott zu sein … etc.“
a. a. O. Der Glaube an einen einzigen Gott bestimmt die Handlungsweise, welcher auch das Sittliche
umfaßt. Durch dieses Merkmal unterscheidet sich Gh von dem griechischen Erziehungsmodell.
Ausführlich geht Gh auf die Bedeutsamkeit der Vernunft, des Wissens und des Lehrens, ebenso
auf die Aufgaben des Lernenden und des Lehrers ein, s. D 328 ff., 338 ff. Wichtige Gedanken sind
daraus zu entnehmen. Einige davon beziehen sich auf die lobenswerten Charaktereigenschaften,
die durch die Wirkung der Erziehung stärker werden. Sie lassen sich besonders auf das Verhalten
des Menschen beziehen, s. D 342 f.
Beim Erwerb des Wissens geht Gh auf den Dialog zwischen al-Hidr und Moses aus dem Koran
˘ ˙ und Antworten das Wissen
ausführlich ein, um zu zeigen, daß es nicht durch irgendwelche Fragen
zu erwerben ist, sondern durch einen sinnvollen Dialog, s. D 3 44 ff. Darin steht eine Ethik des
Dialogs zwischen dem Lernenden und dessen Lehrers. Denn der Zweck eines sinnvollen Wissens
ist es, dem rational gläubigen Menschen zu helfen, glückselig dabei zu sein.
In dem Erziehungsmodell der klassischen gr. Philosophen, vor allem bei Platon und Aristoteles,
steht die Vernunft allein an der Spitze aller Tätigkeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Bei Aristo-
teles steht allerdings der soziale Aspekt mehr im Vordergrund als bei Platon, s. Ernst Hoffmann,
Erziehungsgedanke …, S. 116 f.; Ernst Lichtenstein, Aristoteles: Über die Erziehung, ebd.,
S. 328 ff.
Die Rolle und die Aufteilung der Wissenschaften, die zu lehren und zu lernen sind, spielt in den
beiden Konzepten von Gh und den erwähnten Philosophen eine wichtige Rolle. Gh geht darauf
sehr ausführlich ein und dabei bestimmt er die Beziehung zwischen den Wissenschaften, s.
D 351 ff. Während vor allem bei den Sophisten Grammatik und Rethorik im Vordergrund stehen,
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 297
erwähnt Gh ausführlich die Wissenschaften, die sich auf das Erlernen der arabischen Sprache
beziehen, wie folgt: Nicht nur Grammatik und Rethorik, sondern auch Etymologie, Wort- und
Satzanalyse, Morphologie, Dialektik, die Wissenschaft vom Versmaß und der Reimlehre, der Pho-
netik, der Disputation und der Beweisführung bilden das Grundstudium im islamischen Mittel-
alter. Nicht nur diese Wissenschaften, sondern auch die Arithmetik gehört dazu. Die Betrachtung
der Bildung des Menschen als eine dauerhafte Entwicklung findet man bei Gh wie auch bei Ari-
stoteles. Gh verbindet diese Entwicklung mit der stufenweise Erlangung der Glückseligkeit, das
Hauptziel alles menschlichen Bemühens und Strebens ist, s. z. B. D 195 ff.; 205 f.; 207; E. Lichten-
stein, Aristoteles: Über die Erziehung, S. 323 ff., mit Quellenangaben zu Aristoteles.
Nach Meinung von Gh ist jeder Mensch erziehbar. Dies ist aber im Erziehungsmodell bei Platon
und Aristoteles nicht der Fall. Bei Aristoteles zum Beispiel ist lediglich der „edle Mensch“ erzieh-
bar, insofern „edle Menschen“ in der Lage sind, die Verbindung zwischen FÐsi@, natürliche An-
lage, al-hilqa, m€jhsi@, Belehrung, at-ta2lı̄m, und ˝skhsi@, Übung, at-tamrı̄n, herzustellen. Die
˘
vielen Menschen, o Polloffl, können nicht eine solche Verbindung verknüpfen; dies ist eine Sache
der Elite, s. E. Lichtenstein: Aristoteles, Über die Erziehung, S. 326 ff. in: Erziehung u. Bildung in
der Heidnischen u. Christl. Antiken, mit Hinweisen auf Diogenes Laertius u. Aristoteles Schriften.
Wir sehen ferner bei Gh die enge Verbindung zwischen Theorie, an-nazarı̄ya und Praxis, at-tatbı̄q,
Wissen, al-2ilm, Handeln, al-2amal, Lernen, at-ta2allum und Üben, ar-riyād˙ ˙ al-
a/at-tatbı̄q, s. f. Gh,
adab fi 3d-dı̄n (Die Erziehung in der Religion), S. 152 ff. ˙ ˙
Der Lernende soll wissen, daß der Erwerb des Wissens sich nicht an diesseitige Ziele orientiert,
sondern in erster Linie zur Wahrheitsfindung und Gottesgefälligkeit dienen soll, s. D 343.
Das Sollen steht an der Spitze des Wissens als dessen Ziel und Bestimmungsgrund für das Erken-
nen und Handeln in den beiden Konzepten von Gh und dem Griechischen. Jedoch läßt sich die
Frage nach dem Inhalt des Sollens stellen. Im griechischen Erziehungsideal wird es von der Ver-
nunft und der griechischen Tradition, bei Gh von der Ratio und der Offenbarung bestimmt, s.
E. Hoffmann, Erziehungsgedanke …, S. 114, Gh, D 343 f. Die Vorstellung von Gott unterscheidet
die beiden Kulturen. Gott im Islam oder Allāh ist keine Idee, kein Produkt der menschlichen
Vernunft in Form einer Idee, wie es bei Platon der Fall ist, sondern beruht auf der Offenbarung,
und wird bestimmt als Einziger und Allschöpfer etc., s. z. B. Sure 112. Die Tradition im Islam
beruht größtenteils ebenfalls auf offenbarten Grundrelgeln, die das Verhalten der Menschen als
Individuum und als Mitglied der Gesellschaft bestimmen.
244 „Die Religion beruht auf der Reinheit.“, s. Anm. 53.
245 „Die Heiden sind ausgesprochen unrein.“ Sure 9, Vers P u. H 28. „unrein“ heißt, sie dürfen
nicht die heilige Moschee in Mekka, al-Masǧid al-Harām, betreten. Die Hanafı̄ten (Anhänger
˙
von Abū-Hanı̄fa, s. Erretter …, Anm. 114, S. 134) meinen, daß sie nicht dem˙ Besuch der heiligen
Moschee in ˙ Mekka und von keiner anderen gehindert werden dürfen. Sie haben ihre eigene Ar-
gumente und Belege, die hier nicht weiter verfolgt werden können, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 15, S. 26; s. f. an-Nasafı̄, Bd. 2, S. 122.
246 „Die Engel betreten kein Haus, in dem sich ein Hund befindet.“ ist eine Überlieferung, die in
sammlungen vorhanden ist, s. Wensinck, Concordance …, T. II, S. 373 f.; IV, S. 313 ff.; VII, S. 71 ff.
Andere wichtige Überlieferungen werden in diesem Zusammenhang genannt, die ähnliche Be-
deutung haben, s. T. IV, S. 313 ff. Gh erwähnt diese Überlieferung in seinem Werk ih. (Wiederbe-
lebung …) mit Quellenangabe, s. Bd. 1, S. 52. ˙
248 „Gott hat keinem Menschen zwei Herzen in seinem Inneren gegeben.“ Sure 33,Vers P u. H 4.
Die Anrede richtet sich an bestimmte Leute, die als Heuchler bekannt waren und die meinen, daß
der Prophet Muhammad zwei Herzen habe, eins mit den Muslimen und das andere mit den Un-
gläubigen. 2. Es ˙wird auch für jemanden verwendet, der unschlüssig ist zwischen Bejahung und
Ablehnung der religiösen und der ethischen Gebote: Die eine Seele befiehlt, die andere lehnt ab, s.
at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 21, S. 118 f.; an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 292 f.
¯ ˙
298 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
249
„Wissenschaft kämpft gegen den jungen Menschen …“ fa-3l2ilmu harbun li-3l-fata 3l-muta2ālı̄/
˙ von Abū-Tammām, das
ka3s-saili harbun li-3l-makāni 3l-2ālı̄. Der zweite Teil des Gedichts stammt
˙
ist Habı̄b ibn-Aus at-Tā3ı̄ (788–845 n. Chr.): fa(ka) 3s-sail …, s. dı̄wān mit dem Kommentar von
˙
at-Tibrı̄zı̄, ˙
S. 77. Gh ˙erwähnt dieses Gedicht in: ih. (Wiederbelebung …), Bd. 1, S. 45. Ich danke
meinem Freund A. Rahtgens für seine Hilfe bei der ˙ gereimten Übersetzung des erwähnten Ge-
dichts, s. f. Anm. 257, 306.
250 „Darin liegt eine Mahnung für jemanden, der ein Herz hat, …“ Sure 50, P 37, H 36. Das be-
deutet, daß die Ermahnung ihren Sinn für jemanden hat, der ein nachdenkliches Herz besitzt. Wer
sich nicht ermahnen läßt, der hat überhaupt kein Herz. Darin liegt eine Mahnung für jemanden,
der ein kluges Herz besitz, genau zuhört und die Lehre daraus zieht, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 28, S. 182 f. Wenn jemand keinen gegenwärtigen Verstand besitzt, ist er abwesend, s. an-Nasafı̄,
Korankommentar, Bd. 4, S. 180 f. Gh interpretiert den Vers im Zusammenhang des Lernens. Da-
bei wird auch im Sprachgebrauch der Korankommentatoren die Begriffe „Herz, qalb“ und „Ver-
stand, 2aql“ synonym verwendet.
251 „Darf ich dir folgen, …“ Sure 18, Vers P 66, H 65. Die Person, die Moses lehrt, ist unbekannt.
Möglicherweise handelt es sich um einen hochbegabten Weisen oder sogar um einen Propheten.
Jedoch geht Gh hier von einer bestimmten Person namens al-Hidr aus. Aus dieser Geschichte geht
hervor, daß es zwei Arten von Wissen gibt: 1. angeeignetes Wissen, ˘ ˙ das durch Lernen und Selbst-
anstrengung beim Verstehen erworben wird, und 2. ein Wissen, das durch Eingebung, das heißt
ohne menschliche Wirkung erlangt wird. 3. Obwohl Moses über einen hohen Grad von Wissen
verfügt, wird er angewiesen, von jemandem zu lernen, der eventuell weniger Erfahrung und Wis-
sen besitzt. 4. Das Verhalten Moses’ ist vorbildlich. Denn er war sehr höflich und bescheiden. Er
stellte sich als Schüler dem Lehrer zur Verfügung. Dies ist sehr wichtig für den Erwerb des Wis-
sens. Indem sich Moses in die Gefolgschaft des Lehrers begab, gab er zu verstehen, daß er freiwil-
lig Widersätzlichkeit, Streitlust und Widerstand aufgegeben hat, um von seinem Lehrer das er-
strebte Wissen auszuschöpfen. 5. Denn wenn diese Dinge die Beziehung zwischen Lehrer und
Schüler beherrschen, wird der Lernprozeß gestört, und schließlich wird es abgebrochen. 6. Die
Gefolgschaft wird zuerst erwähnt, dann das Lernen. Mit anderen Worten: Es soll zuerst die
menschliche Beziehung zwischen Schüler und Lehrer auf Verständigungsbasis und Harmonie ge-
stellt werden, dann folgt das Lernen. Wenn die Reihenolge stimmt, wird das Lernen erfolgreich.
7. Weil der Lehrer weiß, daß Moses in Sachen der Beweisführung, Widerlegung und Rethorik usw.
begabt ist, erwidert er ihm: „Du wirst nicht fähig sein, mit mir durchzuhalten.“, weil das Wissen,
daß er ihm vermittelt von besonderer Art ist, das nicht durch Dialog und Beweisführung entsteht.
Der Schüler stellte weiter Fragen, die schließlich zum Abbruch der Beziehung zwischen Schüler
und Lehrer führten, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 21, S. 150 ff.
252 „Frage mich nach nichts, …“ Sure 18, Vers P 70, H 69. Das ist die Bedingung, die der Lehrer
gestellt hat. Moses darf nicht nach Dingen fragen, die ihm unklar sind, auch wenn seine Fragen an
sich richtig sind, bis sein Lehrer anfängt, ihm aufzuklären. Das ist die Höflichkeit des Schülers dem
Lehrer gegenüber, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 20.
253 „Das ist die Trennung zwischen mir und dir.“ Sure 18, Vers P 78, H 77. Die Fragen, zu denen
Moses sich durch seine Ungeduld hinreißen ließen, beziehen sich auf den Schutz des Lebens, auf
das Privateigentum und das Ertragen von Anstrengung und Mühsal ohne Angaben von Gründen.
Dies sind wichtige Fragen, besonders wenn der Lehrer in den Augen des Schülers ständig dagegen
verstößt. Dieses Verhalten veranlaßt Moses, nach dem Sinn des widersprüchlichen Verhaltens
seines Lehrers zu fragen. Dieser duldet keine Fragen mehr von seiten seines Schülers. Die Tren-
nung war die Folge. Denn das Wissen, das al-Hidr Moses vermitteln wollte, war nicht von der Art,
die sich in Dialog und Beweisführung entwickelt ˘ ˙ wird, sondern durch Reinigung des Inneren und
Abwarten, bis die Erkenntnis von selbst entsteht. Das ist ein schwieriger und unüberprüfbarer
Vorgang, jedoch möglich, s. an- Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 3, S. 21 ff.; s. f. ar-Rāsı̄, Korankom-
mentar, Bd. 21, S. 153 ff.; at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 15, S. 283.
254 „Fragt doch die Leute ˙der ˙ Mahnung …“ Sure 16, Vers P 43, H 45. Gh will trotzdem betonen,
daß Fragen zu stellen prinzipiell erlaubt ist. Mit „Leute der Mahnung, ahl ad-dikr, ist gemeint:
¯ ¯
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 299
1. Die Leute, die über das Wissen vergangener Völker (Geschichte) Bescheid wissen. 2. Jeder, der
in seinem Fach Wissen besitzt und tiefe Erkenntnis hat. 3. Mit „Mahnung“ ist das Wissen gemeint.
Fragen zu stellen und Antworten darauf zu entwickeln, sollen im Rahmen des verfügbaren Wis-
sens und mit Berücksichtigung des Schülernivaus stattfinden, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 20,
S. 36.
255 „Das Kriterium des Wissens“, s. „Die Nische …“, PhB, Bd. 390, Anm. 25, S. 68.
256 „Und wenn sie sich dadurch (durch den Koran) nicht recht leiten lassen, …“ Sure 46, Vers P 11,
H 10. Die Ungläubigen lehnen den Propheten und den Koran mit der Begründung ab, daß beide
sie nicht überzeugen können, weil sie nichts Neues enthalten. Der Inhalt der Botschaft des Islam
kommt bei den früheren Völkern vor, wie der Koran von dieser Haltung an einer anderen Stelle
berichtet: „Und sie sagen ‚(es sind) die Schriften der früheren (Generationen), die er sich auf-
geschrieben hat. Sie werden ihm morgens und abends diktiert.‘“, Sure 25, Vers P 5, H 6; s. f.
at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 26, S. 13.
˙ ˙„Bei Bitterkeit und Seelenqual …“ wa-man jaku dā famin murrin marı̄din/ yaǧid murran bihi
257
3l-mā3a 3z-zulāl· Das ist ein Gedicht von Abu-3t-Tayyib¯al-Mutanabbı̄ (915–965 ˙ n. Chr.). Er ist einer
der großen arabischen Dichter, der bei Kūfa geboren˙ ˙ ist, und sein Leben in Syrien verbrachte. In
Umkreis von Herrschern und Emiren von Syrien, Iraq und Ägypten von Ihšı̄den und Buı̄den
arbeitete er aber selbständig, betätigte sich als Dichter in ihren Höfen, s. C. ˘Brockelmann, Ge-
schichte der arab. Litteratur, Bd. 1, S. 86 f.; s. dı̄wān, mit dem Kommentar von A. al-2Akbarı̄, Bd. 3,
S. 228.
258 „Diejenigen, denen wir das Buch gegeben haben, …“ Sure 2, Vers P 121, H 151. Es handelt sich
um konvertierte Juden, die den Koran in der bestmöglichen Weise lesen, sich nach dessen Lehre
verhalten, ohne ihn zu verfälschen oder zu entstellen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 32.
259
„Sag: ‚Gott.‘ Als dann laß sie in ihrem Geschwätz …“ Sure 6, Vers P u. H 91. P: „in Ihrem
Geplauder ihr Spiel treiben“, H: „sie sich an ihrem Geschwätz weiter vergnügen“ für: „fı̄ haudihim
yal2abūn“. Die Ungläubigen lehnen die Botschaft der Propheten ab. Deswegen ehren ˘sie ˙nicht
Gott. Sie leugnen nicht nur die Allmacht Gottes, Propheten zu den Menschen zu senden, sondern
sie sprechen ihm (Gott) auch die Weisheit ab. Denn gemäß seiner Weisheit schickte er den Men-
schen Gesandte, die die Menschen belehren, was ihr Diesseits und Jenseits anbetrifft. Wenn er dies
nicht getan hätte, würde das bedeuten, daß er ihnen erlaubt, Unrechtes und Frevelhaftes zu tun.
Ihre Haltung wird in dem erwähnten Vers beschrieben. Die Ablehnung bezieht sich auf die Bot-
schaft Moses’, dann auf Gott als allmächtig und weise. In der kurzen Antwort: „Gott“ steckt das
höchste Maß an Zutrefflichkeit, wo die wichtigsten Eigenschaften – Allmacht und Weisheit –
zuerkannt werden. Dann folgt der Hinweis darauf, daß die Ungläubigen Unsinn treiben und Un-
wahres meinen, wenn sie über Gott sprechen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 13, S. 79. Gh be-
kräftigt seine Haltung, daß das Ziel aller Wissenschaften die Erkenntnis Gottes sein soll, s. D 350.
260
„Wer aufrichtig und aus seinem Herzen sagt …“ ist eine Überlieferung, die mit einem Zusatz
von Wensinck in der Großsammlung von A. ibn-Hanbal erwähnt ist. Der Zusatz lautet: „verbietet
Gott ihm die Hölle und spricht ihm das Paradies zu.“, ˙ s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 79; s. f.
ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 3, S. 451.
˙
261 Jedoch „freut sich jede Gruppe über das, was sie gerade hat“ Sure 30, Vers P 32, H 31. Jede
Gruppe, hizb, die die wahre Meinung, das ist der Monotheismus, verläßt, glaubt trotzdem, daß die
Wahrheit˙ auf ihrer Seite ist, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 21, S. 42 ff.; s. f. an-Nasafı̄, Bd. 3,
S. 272. ˙ ˙
262 „Die Unterschiedlichkeit meiner Gemeinde …“ ist eine Überlieferung, die sich nicht in den
Großsammlungen nach Wensinck befindet. Gh erwähnt sie in seinem Werk: ih. (Wiederbele-
bung …). Dort wird sie mit der Anmerkung versehen, sie sei sehr schwach, s. ih., Bd. ˙ 1, S. 25.
263 „Wer das Wissen erwirbt, …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck lediglich ˙ von ibn-Māǧa
in seiner Sammlung erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. IV, S. 327; s. f. ibn-Māǧa,
Sammlung, Bd. 1, S. 93, Nr. 253, mit einem Zusatz: „… und um das Augenmerk der Menschen
auf sich zu lenken, der …“ Diese Charaktereigenschaften: Wetteifer, Streitlust, Stolz, Prahlerei
usw. sind Hindernisse für den Studierenden, wie die Überlieferungen besagen. Wer wahrhaftig
300 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
lernen will, der sollte sich von solchen negativen Haltungen befreien. Damit setzt sich Gh auf-
grund der islamischen Übelieferungen Maßstäbe für den Erwerb der Wissenschaften. Man sollte
sich anstrengen, diesem Ideal nahezukommen. Gh erwähnt diese Überlieferung in seinem Werk:
ih. (Wiederbelebung …), s. Bd. 1, S. 52. Dort fängt sie mit dem Verneinungsartikel an: „lā ta2alla-
˙ 3l-2ilm li-tubāhū bihi 3l-2ulamā3 …“, das heißt: „Lernt nicht das Wissen, um sich mit den Gelehr-
mu
ten zu rühmen …“.
264 „Gott wird diejenigen von euch um Stufen erhöhen, …“ Sure 58, Vers P u. H 12. P: „hoch
aufsteigen“, H: „erhöhen“ für „yarfa2u“. Damit ist die Belohnung im Jenseits gemeint. Der Wis-
senschaftler, al-2ālim, genießt diese hohe Stellung, insofern er ein Vorbild für andere sein soll.
Denn er versteht von den göttlichen Geboten und Verboten mehr als andere. Wie hoch seine
Belohnung ist, so hoch ist auch seine Bestrafung für begangene Sünden, s. ar-Rāsı̄, Korankom-
mentar, Bd. 29, S. 270.
265
„sie (die Menschen) stehen in verschiedenem Rang bei Gott.“ Sure 3, Vers P 163, H 157. Die
Menschen unterscheiden sich ihrem Wesen und ihren Chraktereigenschaften nach, die einen sind
klug, die anderen nicht, manche sind fleißig, manche nicht usw. Ebenso unterscheiden sie sich
voneinander hinsichtlich ihrer Stellung zu Gott und zum Jenseits. Die einen haben einen festen
Glauben, die anderen weniger usw. So wird jeder nach dem Grade seiner Überzeugung eingestuft,
s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 9, S. 75, mit Belegen aus der islamischen Tradition.
266 „Wenn einer das Gewicht eines Stäubchens …“ Sure 99, Vers P u. H 7. Die Verallgemeinerung
durch den Gebrauch des unbestimmten Relativpronomens „man“ ist ein Grund zu fragen, ob die
guten Taten der Ungläubigen für diese sprechen würden. Die Meinungen darüber können im
folgenden zusammengefaßt werden: 1. Auch die Ungläubigen werden für ihre guten Taten be-
lohnt. 2. Sie werden lediglich im Diesseits dafür belohnt, im Jenseits werden sie aber wegen ihres
Unglaubens bestraft. 3. Die guten Taten der Ungläubigen werden zurückgewiesen, und sie werden
für ihre schlechten Taten bestraft. 4. Die guten Taten der Ungläubigen wirken darauf, daß sie
wegen ihres Unglauben weniger bestraft werden, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 32, S. 61.
267
„Wahrlich ich bin für euch das, was der Vater …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren Groß-
samlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. VII, S. 317; s. f. ibn-Māǧa, Sammlung,
Bd. 1, S. 114, Nr. : 313; ih. (Wiederbelebung …) 1, S. 49.
268 „Die Gläubigen sind˙ doch Brüder …“ Sure 49, Vers P u. H 10. Die Pluralform: ihwa wird nor-
malerweise für die leiblichen Brüder verwendet, ihwān aber für die Freunde. Beide˘ sind die Plu-
ralform von „3ah“. So wird die Pluralform: „ihwa“ ˘für Freunde verwendet, als ob die Freunde auf
dem Wege des Erwerbs˘ ˘
der Wissenschaften leibliche Brüder wären. Diese enge Beziehung bleibt,
solange sie mit Hilfe der Wissenschaft keinen Reichtum und keine Führungsstellen anstreben, s.
ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 28, S. 129; s. f. D 363.
269 „Die Freunde sind an jenem Tag (des Gerichts) einander feind …“ Sure 43, Vers P u. H 67. Die
Freundschaft im Diesseits wird zu Feindschaft im Jenseits, wenn die Freundschaft zwecks Verübung
von Sünden geschlossen wird. Jeder wird sich von seinem Freund lossagen. Hingegen bleibt die
Freundschaft über den Tod hinaus bis zum Jüngsten Tag bestehen, wenn sie zu guten Zwecken
geknüpft wird. Die Freundschaft der Gottesfürchtigen ist die ewige, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 27, S. 224; at-Tabarı̄, Bd. 25, S. 94. Gh meint, daß die Freunde auf dem Wege des Wissenserwerbs
zu Feinden auch ˙ Jüngsten Tag werden, wenn sie den Zweck ihres Erwerbs in Herrschaftssucht
˙ am
und andere materielle Zwecke umwandeln würden. Sie fallen dann unter den erwähnten Vers.
270 „Sag: ‚Ich verlange von euch keinen Lohn hierfür …‘“ Sure 6, Vers P u. H 90. Der Prophet
Muhammad strebt bei der Vermittlung seiner Botschaft weder nach Reichtum noch nach Herr-
schaft˙ oder Ansehen. Der Lehrer sollte die Propheten nachahmen und keinen Reichtum als
Hauptziel bei seiner Tätigkeit anstreben, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 13, S. 69 ff. s. f. at-Taba-
rı̄, Korankommentar, Bd. 7, S. 266; s. f. Anm. 243. ˙ ˙
271 „Wenn man den Menschen verbieten würde …“ ist eine Überlieferung, deren Quelle Gh selbst
ist, insofern sie nicht in den Großsammlungen nach Wensinck erwähnt wird, s. Concordance …,
T. I, S. 199 f.; T. V, S. 40; VII, S. 13. Sie wird in seinem Werk ih. (Wiederbelebung …), Bd. 1, S. 50,
mit dem Hinweis erwähnt, daß es keine Quelle für eine solche˙ Überlieferung gibt.
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 301
272
„Uns, der Schar der Propheten …“ ist eine Überlieferung, deren Quelle wiederum Gh selbst
ist. Sie wird nicht in den Großsammlungen erwähnt, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 98 ff., VI,
S. 336, 412 ff.; s. ih. (Wiederbelebung …), Bd. 1, S. 51 mit Quellenangaben.
273 „Keiner spricht ˙ mit den Menschen in einer Weise, …“ ist ebenso wie die vorangegangene; sie
wird nicht in den Großsammlungen erwähnt. Gh selbt gilt als deren Quelle, s. Wensinck, Concor-
dance …, T. I, S. 23 f., 435 f. Allerdings erwähnt Gh eine Überlieferung, dessen Inhalt lautet:
„Sprecht mit den Leuten über das, was in ihrem Wissensbereich liegt. Wollt ihr sonst, daß Gott
und seine Gesandte für Lügner erklärt werden!“, s. ih. (Wiederbelebung …), Bd. 1, S. 22 mit Hin-
weis auf al-Buhārı̄. ˙
274
„Sprecht mit ˘ den Menschen …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck bei al-Buhārı̄ vor-
˘
handen ist, s. Concordance …, T. I, S. 434; s. f. ih. (Wiederbelebung …), Bd. 1, S. 22 f. ebenso mit
dem Hinweis auf al-Buhārı̄. ˙
275
„Und hätte Allāh Gutes˘ in ihnen gekannt …“ Sure 8, Vers P u. H 23. Das heißt, daß Gott ihnen
nichts Gutes hören läßt, weil er wußte, daß sie nicht darauf reagieren und gläubig werden. Wenn er
ihnen trotzdem Beweisführungen und Zeichen seiner Existenz und Allmacht zukommen lassen
würde, so hätten sie daraus keinen Nutzen gezogen, und sie hätten die Existenz Gottes abgeleug-
net. Sie verharren fest in ihrem Unglauben. Dies ergibt sich als Folge des Bedingungssatzes, wel-
cher hier mit „lau“ eingeleitet wird, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 15, S. 144 f.
276 „Wer ein nützliches Wissen vorenthält …“ ist eine Überlieferung, die Gh auch in seinem ih.
munde gemeint, die daran gehalten werden, das Vermögen ihren unmündigen Kindern oder tö-
richten Personen auszuhändigen. 2. Die Törichten, sufahā3, sind Kinder und Frauen gemeint, die
nicht in der Lage sind, selbst ihr Vermögen zu verwalten. 3. Nach einer Meinung umfaßt der
Begriff: safı̄h, töricht, alle Personen, die solche Eigenschaft haben. Leichtsinn, hiffat al-2aql, ist
eine Eigenschaft in Bezug auf den Umgang mit dem Geld. Dies kann auch erwachsene ˘ Leute
betreffen. Es ist unter den islamischen Juristen umstritten, ob in diesem Fall ein juristisches Ver-
fahren eingeleitet werden sollte. Die Šafi2itische Schule ist der Meinung, daß ein juristisches Ver-
fahren gegen Personen eingeleitet werde sollte, die mit Geld leichtsinnig umgehen. Sie berufen
sich auf diesen Vers. Die Hanafı̄tische Schule lehnt diese Meinung ab, insofern als Leichtsinn keine
˙
Krankheit ist, die den Menschen in seinem Wesen trifft, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 9,
S. 186 ff.
278 „Und prüft die Waisen (…)! …“ Sure 4, Vers P 6, H 5. Zwei Bedingungen für die Abgabe des
Vermögens an die Waisen: 1. das Erreichen des Heiratsalters. 2. die Fähigkeit dazu, mit dem Geld
vernünftig umzugehen. Die Hanafı̄ten sind der Meinung, daß die Handlungen der vernünftigen,
aber noch nicht volljährigen ˙Waise richtig sind, wenn sie nach Anweisung seines Vormundes zu-
stande gebracht werden. Der Vers ist ein Beleg für ihre Meinung. Die Šafi2ı̄ten lehnen diese Mei-
nung ab, und meinen dazu, daß mit der Prüfung, ihtibār, nicht die Handlungen selbst, sondern der
Verstand gemeint ist. Mit „Prüfung“ ist gemeint, daß ˘ man die Waisen nicht überlisten kann. Dies
kann nicht vor dem Erreichen des Heiratsalters zustande kommen. Gh verwendet diese Texte im
Zusammenhang des Lernens. Vor dem Erreichen der Mündigkeit darf der Lehrer seinen Schüler
beim Lernen nicht zu den schwierigen Fragen überführen, die für den Schüler unbegreiflich blei-
ben, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 9, S. 187 ff.
279 „Denn wer den Toren Wissen schenkt, …“ ist ein Gedicht, dessen Dichter nicht in den Indices
erwähnt wird, s. 2Abdel-Salām Hārūn, Lexikon …, Bd. 1, S. 325 ff.; A. Fischer u. K., Indices …,
S. 220 ff. Gh erwähnt es in seiner Nische der Licher, s. A 40.
280 „Und (…) als Gott die Verpflichtung derer, die die Schrift erhalten haben, entgegennahm …“
Sure 3, Vers P 187, H 184. Mit den Leuten, die die Schrift erhalten haben, sind Juden und Christen
gemeint. ar-Rāsı̄ meint, daß Gott durch Moses und Jesus die Völker verpflichtet hat, den Inhalt
ihrer Schriften zu erklären, worin auch die Verheißung Muhammad als Propheten vorkommt, und
danach zu leben. 2. Es könnten auch Muslime gemeint sein, ˙ die ebenso eine Schrift erhalten ha-
ben, nämlich den Koran. Sie sind auch dazu verpflichtet. Die Verpflichtung bezieht sich dann auf
302 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
alle Schriftbesitzer, die gehalten sind, den Inhalt ihrer Schrift den Menschen deutlich und klar
mitzuteilen. Belege dazu erwähnt ar-Rāsı̄ aus der islamischen Geschichte am Beispiel der Ausein-
andersetzung zwischen al-Hasan ibn-2Alı̄ (s. Anm. 176) und al-Haǧǧāǧ (40–95 n. H./ 660–714
n. Chr.), dem Herrscher von˙Iraq. Im Laufe dieser Auseinandersetzung ˙ warf jener dem Herrscher
Heuchelei vor. Als al-Haǧǧāǧ al-Hasan zur Rechenschaft ziehen wollte, beruft sich dieser auf
˙ ˙
diesen Vers, s. ar-Rāsı̄ Korankommentar, Bd. 9, S. 130 f.
281 „In eine große Schande du gerietest, …“ ist ein Gedicht, dessen Dichter u. a. Abu-3l-Aswad
ad-Du3alı̄ (1 v. H.–69 n. H./ 605–688 n. Chr.). Er ist auch einer der Gründer der arabischen Gram-
matik als Wissenschaft und wird zu den Universalgelehrten, u. a. auf dem Gebiete des isl. Rechts
gezählt. Er war Dichter und Fürst. Der Kalif 2Alı̄ ernannte ihn als Herrscher von al-Basra. Er ist
˙
der erste, der den Koran punktiert hat, s. Ǧamāl ad-Dı̄n ibn-Hišām, šudūr ad-dahab … (Goldpar-
tikel in der arab. Grammatik), S. 238 Fußnote, s. f. az-Zarkalı̄, al-a2lām …¯ (Die¯ Biographien),
¯ Bd. 3,
S. 340.
282
„Wollt ihr den Leuten gebieten, …“ Sure 2, Vers P 44, H 41. Der Vers tadelt das Verhalten von
Leuten, die andere zur Ausübung von guten Handlungen auffordern, sich selbst aber nicht danach
richten. Die Frömmigkeit, al-birr, umfaßt alle guten Taten, seien sie religiöse Gebote oder ratio-
nal-ethisch begründet, wie etwa die Treue, die Einhaltung eines Versprechens usw. Es ist abscheu-
lich, wenn man sich weder an religiöse noch an ethische Gebote hält, andere aber tadelt, wenn sie
sich nicht danach richten. Es ist umstritten, ob ein solcher Mensch, der widerspruchsvoll lebt,
berechtigt ist, solche Forderung überhaupt zu stellen, insofern der Koran darüber sagt, indem er
solches Verhalten verurteilt: „Bei Gott erregt es großen Abscheu, daß ihr sagt, was ihr nicht tut.“,
s. Sure 61, P u. H 3. Auch viele Überlieferungen sprechen gegen ein solches Verhalten, s. ar-Rāsı̄,
Korankommentar, Bd. 3, S. 45 ff.
283
„Wer eine schlechte Tat begeht, …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren Großsammlungen
erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. II, S. 552; s. f. ibn-Hanbal, Sammlung, Bd. 4, S. 357
usw. ˙
284
In diesem Kapitel geht Gh auf den ethischen Wert des Gebrauchs von Geld sowohl in indivi-
dueller als auch in gesellschaftlicher Hinsicht ein. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Hin-
weis von Gh darauf, daß man das Ziel von der Anhäufung des Geldes und dessen Anwendung
genau erfassen soll, s. D 374. An mehreren Stellen dieses Kapitels warnt Gh davor, die Anhäufung
von Reichtümern als das Hauptziel des Lebens zu betrachten und sich diesbezüglich zu widmen.
Darin liegt das Unglück des Menschen, wenn man dies tut. Auch im Hinblick auf das Jenseits ist es
ein Unglück, wenn man die legitimen Geldquellen im Diesseits mißachtet und das Jenseitige Ziel
des Gebrauchs des Geldes nicht beachtet. Die Belege aus dem Koran und der islamischen Tradi-
tion verdeutlichen die Ansicht von Gh, auf die hier weiter eingegangen wird. Dabei kann man
auch die Grundgedanken über die ethische Bedeutung dieses Themas im Islam und besonders im
islamischen Mittelalter erfahren.
285 „Euer Vermögen und eure Kinder sind euch eine Versuchung (fitna) …“ Sure 64, Vers P u.
H 15. Kinder und Vermögen sind deshalb eine Versuchung, fitna, insofern man ihretwegen sündi-
gen kann. Wenn man diesen Zustand erreicht, dann sind sie sogar ein Fluch für den Menschen. In
dem vorangegangenen Vers warnt der Koran davor, daß Ehefrauen und Kinder für den Menschen
zu Feinden werden können, vor denen man sich in Acht nehmen soll, besonders wenn sie zu
Freveltaten anstacheln, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 30, Vers 26 f.; an-Nasafı̄, Korankommen-
tar, Bd. 4, S. 263.
286 „(dann wird er ) euch reichlich mit Vermögen und Söhnen versorgen …“ Sure 71, Vers P 12,
H 11. Die Liebe zu Kindern und zum Reichtum ist instinktiv im Menschen vorhanden. Sie gehört
zu seiner Natur. Ursprünglich beschreiben diese Verse das Verhältnis des Volkes von Nūh, Noah
zum Glauben, welches den Glauben an Gott und das Jenseits ablehnt. Dürre, Kinderlosigkeit ˙ und
viele andere Unglücksarten sind als Strafe die Folgen. Es flüchtet zu Noah, der es zur Rückkehr
zum Glauben auffordert. Das materielle Leben beschert dem Ungläubigen kein Glück, sondern
vielmehr Unglück. Die Rückkehr zum Glauben bringt ihm sowohl materielles als auch geistiges
Vermögen, wie dieser Vers besagt, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 295.
Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers 303
287
„Welch vortrefflicher Reichtum …“ s. Anm. 147.
288
„Ihr Gläubigen! Laßt euch nicht durch euer Vermögen und eure Kinder davon abbringen, …“
Sure 63, Vers P u. H 9. Die Anrede richtet sich: 1. An die Heuschler, die mit der Zunge das Glau-
bensbekenntnis aussprechen, jedoch im praktischen Verhalten im Widerspruch dazu stehen.
2. Oder sie richtet sich an die Muslime, die die Forderungen des Islam in ihrem Leben mißachten.
Beide Gruppen gehören zu den Verlorenen, weil sie sich lediglich mit materiellen Zielen des
diesseitigen Lebens, mit ihren Kindern und ihrem Vermögen intensiv beschäftigen. Oder sie ge-
hören deshalb zu den Verlorenen, weil sie den Monotheismus und die Auferstehung ablehnen. Sie
tauschen die hohen geistigen und ewigen Ziele gegen die niedrigen (materiellen) und vergäng-
lichen ein, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 30, S. 18.
289 „O daß ich doch Staub wäre!“ Sure 78, Vers P 40, H 41.
290 „Was habe ich von meinem Vermögen …“ Sure 69, Vers P u. H 28.
291
„Wie sehr bedaure Ich …“ Sure 39, Vers P 56, H 57.
292
„Mein Herr … wende mich …“ Sure 14, Vers P 35, H 38. Abrāhām (Ibrāhı̄m) bat Gott unter
anderem darum, Mekka und seine Einwohner gegen feindliche Angriffe sowie gegen wilde Tiere
zu schützen. 2. Er bat ferner Gott darum, sich und seine Nachkommen gegen den Verfall in den
Glauben an die Vielgötterei (Polytheismus) zu schützen. 3. Auch vor dem Verfall in den inneren
Götzendienst, das ist die Verstrickung in die materiellen Verhältnisse des Diesseits, bat er Gott
darum, sie zu bewahren. Die Sunı̄ten folgern aus Abrāhāms Gebet, daß Gott der Urheber von
Glaube und Unglaube ist. Die Mu2tazilı̄ten sehen darin keinen Beleg, und meinen dazu, daß Gott
lediglich dem Menschen dabei hilft, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 19, S. 131 ff. mit Fortsetzung
des Gebetes von Abrāhām. Hierin betreibt Gh eine eigene Interpetation.
293 „Unglückselig ist der Sklave der Dirhams …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren Groß-
Gelder anhäuft, und sie aufzählt mit dem Glauben, dies könnte ihn ewig machen, und ihn vor dem
Tod schützen. Er ist deswegen verflucht, weil er in seinen Reichtum verliebt ist, so daß er alles
andere vergißt und sich gegenüber anderen Menschen überheblich verhält. Ein solcher Mensch ist
in Wirklichkeit tot, auch wenn er noch lebt. Diese Beschreibung entspricht der folgenden Über-
lieferung, welche lautet: „Die Schatzmeister sind gestorben, obwohl sie noch am Leben sind, Die
Gelehrten aber bleiben ewig.“, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 32, S. 93. „Der Reichtum hat
niemanden verewigt.“, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 376.
295
„Derjenige, der in seinem Haus sicher lebt, …“ ist eine Überlieferung, die in mehreren Groß-
sammlungen erwähnt wird, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 106; s. f. ibn-Māǧa, Sammlung,
Bd. 2, S. 1387, Nr. 4141. Gh verweist auf das, was notwendigt ist, um ein sicheres und ehrenhaftes
Leben zu verbringen. Was darüberhinaus liegt, dem steht der Vernünftige gleichgültig gegenüber.
296 „Götzendiener“ aus Vers P 60, H 65, Sure 5. P: „Götzendiener“, H: „Thāġūt“ für „tāġūt“.
Sprachlich bedeutet der Begriff alles, was außer Gott verehrt wird. 2. Die Verehrung von˙ Wahr- ˙
sagen und Satanen. 3. Die Verehrung bestimmter Personen bei den arabischen Heiden, wie
Huyayi 3bn-Ahtal. 4. Götzendienst, s. ibn-Manz˙ ūr, lisān …, Bd. 15, S. 9, mit Belegen aus dem Ko-
˙ und der isl.
ran ˘ ˙ Tradition. an-Nasafı̄ versteht ˙unter dem Begriff „tāġūt“ das Kalb, das von den
Juden verehrt wird, oder den Satan, s. Korankommentar, Bd. 1, S. 290. ˙ Gh ˙ folgt in diesem Zusam-
menhang seiner eigenen Interpretation, insofern er den Begriff auf die Versunkenheit in den ma-
teriellen Genuß dieser Welt ausdehnt. So übt man in der Tat einen „Dienst“ statt eines „Gottes-
dienstes“ aus. Dies ist auch der Fall in bezug auf die nächste Stelle.
297 „die schlimmsten Tiere“ aus Vers P u. H 22, Sure 8. Sie werden so beschrieben, weil sie dem
Ruf des Verstandes nicht folgen. Die Analogie zwischen Mensch und Tier besteht in diesem Zu-
sammenhang darin, daß beide sehen und hören, aber nicht begreifen, was Gott in die Schöpfung
hineingelegt hat. Die Menschen, die so sind, sind noch schlimmer als die Tiere, insofern sie den
Verstand zwar besitzen, aber keinen Gebrauch davon machen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 15, S. 144; an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 2, S. 99.
304 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
298
„… und ihr Menschen seid drei Gattungen …“ Sure 56, P u. H 7 ff. Das sind die Stellungen der
Menschen am Jüngsten Tag. Zwei Gruppen gehören zu dem Paradies und eine zur Hölle. Dies
betrifft nicht nur die Muslime, sondern auch die vorangegangenen Völker. Diese Aufteilung ist
rational-religiös begründet. Denn der Mensch wird von zwei Kräften beherrscht: dem Wissen,
al-2ilm, und der Neigung, al-hawā· Wenn die Neigung die Oberhand gewinnt, dann wird das Wissen
wirkungslos, das heißt, der Mensch handelt nicht gemäß seinem Wissen. Wenn das Wissen ihn
beherrscht, dann ist er von Gott rechtgeleitet. Seine Stellung im Jenseits richtet sich nach dem
Grade seines praktischen Wissens und wie er sich diesem entsprechend verhält. Die dritte Gruppe
umfaßt einen, der überhaupt der Neigung keine Gelegenheit gibt, das Wissen zu beeinträchtigen.
Er ist der Beste unter allen, s. at-Tabarı̄ Korankommentar, Bd. 27, S. 169 f.; ar-Rāsı̄, Korankom-
mentar. 4. Verloren ist derjenige, ˙der˙ sich völlig der Neigung hingibt, s. Bd. 29, S. 143 f.
299 „Ich habe die Ǧinn (…) und die Menschen nur geschaffen, …“ Sure 51, Vers P u. H 56. „mir
dienen“ heißt: 1. Mich verehren und mit meinen Geschöpfen gütig umgehen. 2. Damit sie mich
erkennen. 3. Damit sie meine Einzigartigkeit bezeugen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 28,
S. 233 f.; s. f. an-Nasafı̄ Korankommentar, Bd. 4, S. 188 f.
300 „Alle Menschen sind Kinder Gottes …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck lediglich bei
kommentaren geht hervor: 1. Im Diesseits soll man sich für das Jenseits vorbereiten. 2. Denn man
findet im Jenseis das Ergebnis seiner Tätigkeit im Diesseits. 3. Beim Trachten nach dem Jenseits
darf man seinen Anteil am Diesseits nicht vergessen, das heißt, daß man es nicht unterläßt, seinem
Lebensunterhalt nachzugehen und dabei das Verbotene meidet. 4. Der Reichtum soll gut verwal-
tet werden, ohne Selbstgefälligkeit und Hybris, s. at-Tabarı̄, Korankommentar, Bd. 20, S. 112 f.
an-Nasafı̄: Du sollst von deinem Anteil am Diesseits ˙den ˙ Armen spenden, Verbindungen zu dei-
nen Verwandten pflegen und die sonstigen guten Handlungen verrichten, s. Korankommentar,
Bd. 3, S. 245.
302
„Wer sich um seinen Lebensunterhalt (…) bemüht“ ist eine Überlieferung, die nicht in den
Großsammlungen erwähnt wird. Gh gilt dann als deren Quelle. Wensinck erwähnt aber eine an-
dere Überlieferung, wo die Versorgung einer Witve oder eines Bedürftigen dem heiligen Kampf
„ǧihād“ gleichkommt, s. Wensinck, Concordance …, T. I, S. 389 mit Quellenangabe.
303
ibn-Mas2ūd. Das ist Abū-2Abd-ar-Rahmān 2Abdallāh ibn-Mas2ūd ibn-Ġāfil oder ibn-Habı̄b al-
Hudailı̄, geboren in Mekka, gestorben in˙ Medina im Jahre 32 n. H./ 653 n. Chr., einer der ˙ großen
¯
Genossen des Propheten Muhammad und dessen Begleiter auf Reisen und bei Kämpfen. Der
Prophet erlaubt ihm, jederzeit˙ bei ihm aufzutreten und ihn anzusprechen. Er ist sein Vertrauter
und Entscheidungsträger, Wächter seines Gemachs, Träger seines siwāk (Zahnbürste), seiner San-
dale und seines Stocks auf Reisen. Zur Zeit des Kalifen 2Umar und in den Anfängen der Herr-
schaft von 2Utmān war er Richter und Verwalter der Einkünfte von al-Kūfa. Dann kehrte er nach
Medina zurück, ¯ wo er sechzigjährig starb. In den Großsammlungen von al-Buhārı̄ und Muslim
wurden von ihm 848 Überlieferungen von dem Propheten Muhammad erwähnt.˘ Er ist der erste,
der den Koran öffentlich las. Er las aus der Sure ar-Rahmān, der ˙ Barmherzige (Sure 55). Dafür
˙
wurde er von den Mekkanern mißhandelt, s. ibn-Katı̄r, al-bidāya … (Vom Anfang und Ende der
Geschichte), Bd. 7, S. 162 f. ibn-al-Ǧauzı̄, al-muntazam ¯ fi 3t-tārı̄h (Das Systematische in der Ge-
˙
schichte), Bd. 5, S. 29 ff.; Wensinck: ders., in: Handwörterbuch des ˘ Islam, S. 187 f.
304 „Wahrhaftig wird der Gläubige für jede gute Handlung, …, belohnt.“ ist eine Überlieferung, die
kin muhtār, ist, insofern die Handlungen, die bei Gott aufbewahrt sind, keinen Anlaß für Freude
˘
oder Trauer bieten. Wenn die Menschen nicht in der Lage sind, selbst diese Handlungen aus-
zuüben, dann hätte das Verbot der Freude und der Trauer keinen Sinn. Freude und Trauer sind
in dem Sinne verboten, wenn sie zur Hybris oder Selbstvernichtung führen, s. ar-Rāsı̄, Korankom-
mentar, Bd. 29, S. 238 f.; s. f. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 228.
306 „Hätte Trauer darüber einen Sinn, …“ ist Teil eines Gedichts, das nicht in den Indices erwähnt
wird, s. 2A. Hārūn, mu2ǧam … (Indices …), Bd. 1. S. 208 ff.; Fischer u. K., Indices …, S. 145 ff.
307 „Es widerstreben dem Menschen die Zeiten, …“ ist ein Gedicht, das ebenso wie das Vorange-
gangene nicht in den Indices erwähnt wird, s.2Abdel-Salām Hārūn, mu2ǧam … (Indices …), Bd. 1,
S. 413; Fischer u. K., Indices …, S. 214 f.
308 „Kein Unglück trifft ein, weder (…) auf der Erde, noch bei euch selber, …“ Sure 57, Vers P u.
H 22. Mit „Unglück“ auf der Erde ist Dürre, Hungersnöte u. ä. gemeint. Mit „Unglück bei euch
selber“ ist gemeint: Krankheiten, Armut, Verlust der eigenen Kinder u. ä. Alle Ereignisse sind auf
der aufbewahrten Tafel aufgeschrieben. Der Vers verweist auf das Allwissen Gottes, das alles
umfaßt, auch solche Ereignisse, die noch nicht stattgefunden haben, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar,
Bd. 29, S. 236 ff.; an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 228; s. f. die aufbewahrte Tafel, in: Nische
der Lichter, A 71, Anm 126, S. 80 f., mit Quellenangabe.
309 „Nichts Gutes bringt dir das Schicksal, …“ ist ein Gedicht, das nicht in den Indices erwähnt
wird, s. 2A. Hārūn, Indices …, S. 395 ff.; Ficher, Indices …, S. 262 ff. Ich danke Frau Gieseke für ihre
Hilfe bei der gereimten Übersetzung des erwähnten Gedichts und der Verse von at-a2ālibı̄.
310 Abū-Mansūr at-Ta2ālibı̄, das ist 2Abdel-Malik ibn-Muhammad ibn-Ismā2ı̄l, geb. ¯in Nı̄sābūr und
lebt zwischen˙ 350 ˙n.¯H./ 961 n. Chr. – 429 n. H./ 1038 n. Chr. ˙ Sein Vater hat den Beruf eines Fach-
mannes für Fuchsfällen, eines Schneiders und Händlers ausgeübt. Daher der Name at-Ta2ālibı̄ (v.
ta2lab, Fuchs), das heißt derjenige, der mit Füchsen zu tun hat. Ob er selbst diesen Beruf ¯ ¯ ausübte,
˙ umstritten. Zu den Herrschern seiner Zeit knüpft er Kontakte, die sich auf seinen Beruf als
ist
Literat, Philologe und Schriftsteller niederschlagen. Seine Beziehung zu dem Fürsten von Tabari-
stan Qābūs al-Ǧı̄lı̄ (ges. 403 n. H./1012 n. Chr.) war Motivation dafür, daß er sein Werk al-mubhiǧ,
das Erfreuliche, geschrieben hat. Es ist ein Werk, in dem der Autor literarische Kuriositäten und
Witze zusammenstellt. Sein Werk: fiqh al-luġa, Philologie der arabischen Sprache, wird auf Emp-
fehlung von Abu-3l-Fadl 2Ubaidallāh al-Mı̄kālı̄, einer vornehmen Persönlichkeit aus Nı̄sābūr, ge-
schrieben, s. Disere Saqqal:˙ Einleitung zu seinem Werk: fiqh al-luġa (Philologie …), arab., Bairut:
dār al-fikr al-2arabı̄ 1999, mit Auflistung seiner Werke. Trotz seiner fruchbaren Tätigkeit auf den
Gebieten der Philologie und der Literatur beurteilt Brockelmann diese Tätigkeit als eine entartete
Wissenschaft der Kompilation aus Büchern und Texten, s. Carl Brockelmann, Geschichte der arab.
Literatur, Bd. 1, S. 337 ff. mit Quellenangabe; s. f. Supplement, Bd. 1, S. 499 ff.; über al-Mı̄kālı̄, s.
az-Zarkalı̄, al-a2lām … (Die Biographien …), Bd. 4, S. 344. Es ist ganz gewiß ein hartes Urteil von
Brockelmann, insofern sein erwähntes Werk über die Philologie der arab. Sprache, das im elften
Jahrhundert verfaßt wird, vom Sprachtalent von at–Ta2ālibı̄ überzeugt. Dies zeigt sich in der Aus-
wahl der Begriffe und den Erklärungen und Belegen ¯ ¯für deren Synonyme und ihre Etymologie. Es
ist ein Werk, wie sich in den europäischen Sprachen kaum Ähnliches findet.
311 „Gedenkt häufig des Bezwingers der Genüsse …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck in
Verses ist die Hingabe an Gott sowie die innere Zustimmung zu seinen Beschlüssen, besonders bei
Unglücksfällen wie bei dem Tod. Solche Menschen, die sich den göttlichen Beschlüssen hingeben,
wird Barmherzigkeit versprochen. 2. „Asket sein“ bedeutet, daß man nicht in dieser Welt bleiben
möchte, sondern bereit ist, sie jederzeit zu verlassen. 3. Der Gläubige darf nicht in der Art trauern,
daß er sich selbst vernichten könnte. Denn für jedes Unglück erhält er eine Belohnung im Jenseits, s.
ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 4, S. 154 ff. Gh kritisiert dabei das Verhalten mancher Menschen, die
diese Hingabe ledidglich mit der Zunge bejahen, während ihr Verhalten das genaue Gegenteil ist.
313 Hārita, das könnte al-Hārit ibn-Naufal (ges. 35 n. H./ 655 n. Chr.) sein. Er ist ein Genosse des
˙ ¯ ˙ ¯
306 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
Propheten und leistet für ihn gewisse Arbeiten in Mekka, die nicht näher bestimmt sind. Er wird
von dem Propheten über das Totengebet belehrt. Zur Zeit des Kalifen 2Utmān (47 v. H.–35 n. H./
577–656 n. Chr.) ging er nach Basra, wo er starb, s. ibn-Sa2d, Muhammad, kitāb ¯ at-tabaqāt al-kabı̄r
(Die großen Klassen der Genossen ˙ ˙ von Julius Lippert,
des Propheten), arab., hrsg. ˙˙ Bd. 4, T. 1,
S. 38; s. f. az-Zarkalı̄, al-a2lām (Die Biographien …), Bd. 2, S. 161.
314 „Wer die Begegnung mit Gott begehrt, …“ ist eine Überlieferung, die sich in mehreren Groß-
dieser Analogie besteht darin, daß diejenigen, die den Glauben an die Auferstehung aufgegeben
haben, keine Hoffnung mehr auf Gottes Belohnung und Barmherzigkeit setzen. Ähnlich dazu ist
die Hoffnungslosigkeit der Ungläubigen, die daran zweifeln, daß sie den toten Angehörigen be-
gegnen. Denn die Rückkehr der Toten ist ausgeschlossen, s. an-Nasafı̄, Korankommentar, Bd. 4,
S. 250 f. 2. Nach einer anderen Meinung bezieht sich der Vers auf die Ungläubigen, die die Anzei-
chen der Prophetie Muhammads erkennen, jedoch lehnen sie ihn ab. Die Hoffnungslosigkeit die-
ser Leute, die nicht auf˙ Gottes Gnade rechnen, ähnelt dem Fehlen aller Hoffnung, die Toten je
wiederzusehen. In den beiden Fällen gilt es als unmöglich, das Ziel zu erreichen, s. at-Tabarı̄,
Korankommentar, Bd. 28, S. 309. ˙ ˙
316 „Und wenn einer hier (…) blind ist, …“ Sure 17, Vers P 72, H 74. 1. Mit Blindheit ist die des
Herzens gemeint. 2. Die Blindheit bezieht sich auf die Erfahrung der Weisheit Gottes in der
Schöpfung. 3. Wenn der Mensch diese Weisheit im Diesseits nicht erfährt, dann ist er in bezug
auf das Jenseits um so blinder. 4. Die Blindheit entsteht durch die intensive Beschäftigung mit
dem Diesseits. Diese Art von (geistiger) Blindheit gilt als Strafe für solche Menschen, die sich
nicht rechtleiten lassen, s. ar-Rāsı̄, Korankommentar, Bd. 21, S. 18 f.
317 „Lob sei Gott, der bewirkt hat, …“ Sure 35, Vers P 34, H 31. Die Traurigkeit, die die Gläubigen
am Jüngsten Tag heimsuchen könnte, bezieht sich auf die Angst vor der Hölle. 2. Die Angst vor
dem Tod, wie dies aus dem Text von Gh entnommen wird. 3. Die Traurigkeit könnte durch das
Nachdenken über die Anstrengung und die Mühe entstehen, die man in diesem Diesseits unter-
nehmen müßte. 4. Die Traurigkeit entsteht, wenn man Unrecht tut. Die Einwohner des Paradieses
sind von all diesem frei, weil Gott solche Kümmernisse von ihnen fernhält, s. at-Tabarı̄, Koran-
kommentar, Bd. 22, S. 138 ff. Wie man sieht, entwickelt Gh seine eigenen Gedanken ˙ ˙über den Tod:
1. Der Tod kann jederzeit unabhängig von Alter und Gesundheitszustand eintreten. 2. Der Tod
soll als Befreiung von den materiellen Fesseln dieser Welt verstanden werden. Traurigkeit steht
deswegen im Widerspruch zur Vernunft. 3. Auf die Stellung des Menschen zum Tod ist Gh einge-
gangen. Wichtig dabei ist seine Meinung, der Mensch soll sich mit den wahrhaftigen Wissenschaf-
ten beschäftigen, welche die Lage des Menschen nach dem Tode enthüllen. Dieses Wissen entsteht
durch die Suche nach der Wahrheit der Seele und ihrer Wesenheit etc., s. D 359; s. f. Einleitung,
S. LXVIff.
318 „Mein Sklave hört nicht auf, …“ ist eine Überlieferung, die nach Wensinck lediglich von al-
den Heiden und den Wildeseln besteht darin, daß beide Gruppen vor der Begegnung mit der
Wirklichkeit fliehen wollen, die einen vor der klaren Wirklichkeit der göttlichen Existenz, die
anderen vor den wilden Löwen oder den Jägern. Die Gemeinsamkeit bei beiden besteht in der
Macht des Beweises oder der Verfolgung. Der Beweis hat auch diese Macht, insofern er den
Menschen entweder bis zur Überzeugung oder zur völligen Ablehnung verfolgt, s. at-Tabarı̄, Ko-
rankommentar, Bd. 29, S. 168 f. Gh betreibt fernerhin eine eigene Interpretation, wie ˙ ˙ man aus
dem Text entnimmt.
320 „Vielleicht gibt es einen, der jemandem Wissen beibringt, …“ ist eine Überlieferung, die nach
321
Zāhirı̄t ist ein Anhäger einer juristischen Schule, die sich auf den äußeren Sinn der Überliefe-
rungen˙ stützen. Berühmte Persönlichkeiten dieser Schule sind Dawūd ibn-Halaf (gest. 270 n. H./
883 n. Chr.) in Kleinasien und ibn-Hazm (gest. 456 n. H. / 1063 n. Chr.) in Spanien. ˘ Unter Ya2qūb
al-Mansūr (regierte zwischen 580–595 ˙ n. H./ 1184–99 n. Chr.) war das zahiritische Recht das Staats-
recht, s.˙ R. Strothmann, Zāhirı̄ya, in: Handwörterbuch des Islam, S. 816 ˙ f.
322 Aš2arı̄t ist Anhänger ˙von Abu-3l-Hasan 2Ali 3bn-Ismā2ı̄l al-Aš2arı̄, geb. in Basra 260 n. H./ 874
n. Chr. und gest. in Baġdād 324 n. H./936 ˙ n. Chr. Zuerst war er für lange Zeit ˙ mu2tazilı̄t (s.
Anm. 323), dann gab er diese Lehrmeinung auf. Sein Werk maqālāt al-islāmı̄yı̄n (Aufsätze über
die Lehrmeinungen der islamischen Schulen) gilt noch heute als ein Standardwerk, s. C. Brok-
kelmann, Supplement, Bd. 1, S. 345 mit Quellenangabe und Besprechung seiner Werke. Die Leh-
ren der Aš2arı̄ten können im folgenden zusammengefaßt werden: 1. Gott allein ist der Schöpfer, s.
Sure 35, P u. H 71 f. 2. Er hat Eigenschaften, wie Allmacht und Allwissen, die weder mit seinem
Wesen identisch, noch außerhalb, das heißt über das Wesen hinaus vorgestellt werden können, s.
aš-Šahrastānı̄, al-milal …, (Geschichte der isl. Schulen), in der Übersetzung von Theodor Haar-
brücker, S. 100 ff. 3. Der Mensch besitzt die Fähigkeit dazu, seine Handlungen frei hervorzubrin-
gen. Der Unterschied zwischen Zittern und freiwiller Handlung ist ein Beispiel dafür, s. al-Aš2arı̄,
usūl ahl as-sunna … (Grundlagen der Anhänger der Sunna), arab., hrsg. von Muh. As-Sayyid al-
˙
Ǧelinad, S. 86 f. 4. Das Verbotene, das Häßliche und das Gute sind das, was die ˙ Offenbarung
gebietet, s. ebd. S. 78. 5. Gott ist in seinen Beschlüssen frei und gerecht, gleichgültig, ob dies in
unserem Interesse liegt oder nicht, s. S. 78. 6. Sofern der Mensch erwachsen und gesund ist, ist er
verpflichtet, an Gott und an die Prophetie einschließlich der Prophetie Muhammad zu glauben,
S. 79. 7. Die Gläubigen werden Gott am Jüngsten Tag mit bloßen Augen schauen, ˙ s. Sure 75, Vers P
u. H 22 f.; s. f. usūl …, S. 76 f. 8. Gott bestimmt alle Handlungen der Menschen, ihren Lebensunter-
halt, sowie ihr ˙Lebensende, s. Sure 54, Vers P u. H 52 f. 9. Die Güte Gottes ist unendlich. Er ver-
leiht sie wem er will. Er beloht den einen mit dem Paradies und bestraft den anderen mit der Hölle,
wie er will, Sure 21, Vers P u. H 23. 10. Der Glaube kann stärker und schwächer werden, je nach
dem Grad unseres Wissens, s. usūl …, S. 93. 11. Die Großsünde bringt den Muslim nicht aus seinem
Glauben heraus. 12. Die Belohnung ˙ und die Bestrafung fangen gleich nach dem Tode im Grab an,
s. a. a. O. Das sind die wichtigsten Punkte der Aš2arı̄ten-Schule nach der Meinung ihres Gründers.
Gh war einer ihrer Anhänger.
323
Mu2taziliten. Die Lehren dieser Gruppe können im folgenden zusammengefaßt werden:
1. Gott ist ewig, ebenso sind auch seine Eigenschaften, die mit seinem Wesen identisch sind. Name
und Benennung, Charaktereigenschaft und Charakterisierung sind identisch. Denn in der Ewig-
keit war Gott allein ohne Eigenschaften und ohne Namen. Diese sind Aussagen, die nicht in der
Ewigkeit vorhanden waren, s. aš-Šahrastānı̄, al-milal …, Bd. 1, S. 43 ff. 2. Gottesrede (der Koran)
ist erschaffen. 3. Die Gläubigen werden Gott am Jüngsten Tag mit bloßen Augen nicht schauen.
Man muß die koranischen Verse diesbezüglich interpretieren, wie etwa das geistige Schauen.
4. Der Mensch ist frei und ist in der Lage, seine eigenen Handlungen selbst hervorzubringen, ob
sie gut oder schlecht sind. 5. Gott tut nur Gutes, niemals Böses oder Ungerechtes. 6. Durch Gottes
Weisheit werden die Angelegenheiten der Menschen verwaltet. 7. Der Gläubige verdient die Be-
lohnung, wenn er Gutes tut. Durch Gottes Gnade kann er noch mehr erhalten. Eine Umkehrung
des Verhältnisses aber, das heißt die Guten zu bestrafen und die Bösen zu belohnen, ist aus-
geschlossen. Denn diese Umkehrung wäre ungerecht, und liegt Gott fern. Das Gute und das Ver-
botene sind lediglich durch Vernunft zu begreifen. Die religiösen Gebote müssen rational be-
gründbar sein, s. aš-Šahrastānı̄, al-milal wa-3n-nihal (Die religiösen und philosophischen Schulen
im Islam), arab., hrsg. v. 2A. Al-Wakı̄l, Bd. 1, S. 336 ˙ ff.; Haarbrücker, S. 43 f. Die berühmten Lehrer
dieser Glaubensrichtung waren Wasil ibn-2Atā3 (80–131 n. H./ 699–748 n. Chr.) und al-Hudail al-
2Allāf (135–226 n. H./ 752–840 n. Chr.); ˙ s. f. C. Brockelmann,
˙ 1. Supplementband, S. 336 ff.˙ ¯
324 Šāfi2ı̄t, das ist der Anhänger von Abū-2Abdallāh Muhammad ibn-Idrı̄s aš-Šāfi2ı̄ (150–204 n. H./
767–820 n. Chr.), Gründer der nach ihm benannten Rechtsschule, ˙ s. Erretter …, Anm. 115, S. 135;
s. f. C. Brockelmann, 1. Supplementband, S. 303 ff.
325 Hanafı̄t, das ist der Anhänger der nach ihm benannten Rechtsschule Abū-Hanı̄fa an-Nu2mān
˙ ˙
308 Anmerkungen des Übersetzers und Herausgebers
ibn-Tābit ibn-Zutā (80–150 n. H./ 699–767 n. Chr.), s. Erretter …, Anm. 114, S. 134; s. f. C. Brok-
¯
kelmann, ˙
1. Supplementband, S. 284 ff.
326
Karrāmit, das ist der Anhänger von 2Abdallāh Muhammad ibn-Karrām (gest. 255 n. H./ 869
n. Chr.) Er geht so weit, in der Bejahung der Eigenschaften˙ Gottes, bis zur „Verkörperung (Gottes)
und Verähnlichung“, s. aš-Šahrastānı̄, deut. Übers. Von Haarbrücker, S. 119 ff.
327 „Erfasse, was Du siehst, …“ ist ein Gedicht, dessen Reim in den Indices erwähnt wird, s. 2Ab-
del-Salām Hārun, mu2ǧam šawāhid al-2arabı̄ya (Indices …), Bd. 1, S. 313; s. f. A. Fischer u. a., Indi-
ces …, S. 200, 319 mit Quellenangabe.
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(Die religiöse Erziehung), hrsg. v. Muhammad Muhammad Ǧābir, arab., Kairo: maktabat al-
Ǧindı̄ o. J. ˙ ˙
–, al-munqid min ad-dalāl (Der Erretter aus dem Irrtum), kı̄myā3 as-sa2ādā (Das Elixier der Glück-
seligkeit),¯ al-qawā2id
˙ ˙ al-2ašra (Die zehn Grundregeln), al-adab fi 3d-dı̄n (Die religiöse Erzie-
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˙˙
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¯
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risālat˙ at-tair (Botschaft der Vögel), ar-risāla 3l-wa2zı̄ya (Über die Predigt), al-madnūn bihi 2alā
ġair ahlihi˙ ˙ (Was man denen vorenthalten soll, die keine ˙ ˙
Fachleute sind), ilǧām al-2awāmm (Zum
Schweigenbringen der Ungebildeten), al-aǧwiba 3l-ġazālı̄ya (al-Ghazālı̄’s Antwort zu Fragen des
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gart: Klett 1947.
Frau Dr. Stefanie Brinkmann und Herrn Dr. Klaus Hachmeier danke ich sehr
herzlich dafür, daß sie eine erste Fassung dieses Verzeichnisses auf Computer ge-
druckt haben. Herrn Dr. Werner Schwartz, dem Leiter der Orientabteilung an der
Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, bin ich für seinen persönlichen Ein-
satz bei der Suche nach Literatur zu Dank verpflichtet.
Indices
Die Ziffern in allen Indices beziehen sich auf die D Ausgabe des übersetzten Textes al-Ghazāli’s.
I. Personenregister
Abrāhām (arab. Ibrāhı̄m al-Halı̄l), der Freund Ka2b al-Ahbār 214.
Gottes, 303, 375. ˘ ˙
Abū-Bakr as-Siddı̄q (der Kalif) 242, 350. al-Ma3mūn ibn-Hārūn ar-Rašı̄d (Der Kalif)
Abū-Hanı̄fa,˙ an-Nu2mān
˙ ibn-Zūtā 215. 300.
˙
al-Hidr 345. ˙ ibn-Mas2ūd, 2Abdallāh 385.
˘ ˙
Alexander der Große (arab. al-Iskandar al-Ak- Mı̄kā3ı̄l (Michael, der Engel) 398.
bar) 363. Moses (Der Prophet) 345.
Aristoteles (arab. Aristūtālı̄s) 186. Muhammad (der Prophet, der Gesandte) 398,
˙ iddı̄q
2Ā3iša bint abı̄-Bakr as-S ˙ (Die Ehefrau des ˙ usw.
409
Propheten Muhammad) ˙ ˙ 214.
2Ali 3bn-Abı̄ Tālib˙ 254, 189, 309, 337, 349, 386. Platon (arab. Aflātūn) 186.
˙
2Ammār ibn-Yāsir 309. ˙
Rābi2a 3l- 2Adawı̄ya 289, 319.
al-Basrı̄, al-Hasan 340.
˙ ˙ Sa2d (ibn-2Ubāda) 319.
Gabriel (arab. Ǧibrı̄l, der Erzengel) 398. Salomo (arab. Sulaimān) 387.
aš-Šāfi2ı̄, Muhammad ibn-Idrı̄s 215.
Isrāfı̄l 398. ˙
2Isa 3bn-Maryam (Jesus, der Sohn von Maria) at-Ta2ālibı̄, Abū-Mansūr 391.
257. ¯ ¯ ˙
2Izrā3ı̄l (Der Todesengel) 398. 2Utmān ibn-2Affān (Der Kalif) 350.
¯
2Umar ibn-al-Hattāb (Der Kalif) 241, 350, 381.
Johannes (Yahya 3bn-Zakarı̄ya) 257. ˘ ˙˙
˙
322 II. Termini und ihre Anwendungen
but3 al-fahm die Ursache für – - ist langsame at- at-tabı̄2ı̄ die natürliche – ebd.
˙
Auffassungsgabe ebd. s. f. 274. t ¯– n ˙–˙w
b – h – ǧ ¯ nā loben, tanā3 Preisung 234.
at
ibtihāǧ Freude 268, 310. –¯ aš-šar2 2ala¯ 3l-huluq al-hasan hāriǧ
al- – bi-kamāl an-nafs bi-3l-fadā3il ˘
2an al-hasr im islamischen ˘
˙ Gesetz ist die Lob-
an-nafsı̄ya – an der Vollkommenheit ˙ der Seele ˙ ˙ der guten Gesinnung ohne Ende
preisung
durch die seelischen Vorzüge 310. a. a. O.
b–h–w hubb at-tanā3 Eigenlob 269, s. f. 392.
bāhā stolz sein 315. t˙ – w – ¯b ¯
tabāhā sich rühmen 250. ¯ āba belohnen 331, bi-ka utı̄bu durch dich (die
at
bahā3 Pracht 230, 286. ¯ Vernunft) belohne ich a. a. ¯ O.; s. f. 407.
li-3llāh al-bahā3 al-a2zam Gott gehört die größte tawāb Lohn 256.
Pracht 286. ˙ t¯ – w – r
mubāhāt Stolz 315; Wetteifern 361, ¯ āra Anregung 317.
it
– as-sufahā3 mit den Toren – ebd. -t¯ aš-šahwa – der Begierde a. a. O.
b–w–h
mubāh (Pl.˙ -āt) erlaubt 263. ǧ – b – l
˙
al-mubāhāt die erlaubten Dinge ebd. ǧibilla Veranlagung (Pl. -āt) 248.
˙ farı̄da die erlaubten Dinge sehen
– as-Sūfı̄ya – muhtalifa die – sind verschieden a. a. O.; In-
˙ ˙ ˙
die Sūfı̄ (die Mystiker) als Pflicht an 379. ˘ 332, mustaulin 2alaihi bi-3l – instinktiv
stinkt
b – y –˙ n besiegen ebd.
bayyana darlegen, erörtern 179. ǧ – b – n
bayān (Pl. bayānāt) Erklärung, Darlegung 180 ǧubn Feigheit 266, 278, 324.
usw. amma 3l- – fa-li-taraf an-nuqsān die – ist eine
Bezeichnung für ˙ das Extreme
˙ des Zuwenig
t–b–2 266.
mutāba2a Gefolgschaft 404. ǧ – d – d
al-farah bi-3l- – Wonne bei der – ebd. ǧidd Ernsthaftigkeit 283; Eifer 249.
t – r – k˙ ǧ – d – l
taraka unterlassen 289, 385. tark Unterlassung, ǧidāl Dialektik 353, amma 3l- – fa-aqall al-
Unterlassen 255. – al-mahzūrāt – der ver- aqsām fā3ida fi 3l-iršād was die – anbetrifft,
˙˙
botenen Dinge ebd. – li-3š-šarr – des Bösen so ist sie in Hinblick auf die rechte Leitung
323. am wenigsten nützlich a. a. O.
t–2–s ǧ – r – 3
ta2isa unglückselig sein 376. ǧarra3a ermutigen 291, yuǧarri3u 3l-halq 2ala-
ta2isa 2abd ad-danānı̄r, ta2isa 2abd ad-dirham un- 3l-ma2āsı̄ die Menschen zur Sünde –˘ebd.
glückselig ist der Sklave der dirhams, un- ˙
ǧarı̄3 (Pl. aǧriyā3) mutig 275.
glückselig ist der Sklave der Dinare a. a. O. ǧ – r – b
t–q–y taǧriba (Pl. taǧārib) Erfahrung 333,
taqı̄y (Pl. atqiyā3) gottesfürchtig sein 245; li-anna-3t-taǧriba mayyazathum bi-mazı̄d 2ilm
fromm 395. weil die – sie durch mehr Wissen kennzeich-
t–w–b net a. a. O.
tauba Buße 394 f. al-mubādara ila-3t- – die Be- ǧ – h – d
reitschaft, sofort – zu tun ebd. ǧāhada sich bemühen, einen heiligen Kampf
t–y–h führen, 241,
tı̄h Hochmut 236. ǧāhidū ahwā3akum, Bekämpft eure Leiden-
– al-ġadab – des Zorns ebd. schaften …“ ebd.
t – b – t˙ ǧ – w – d
t¯abāt Standhaftigkeit 276 f. ǧūd Großzügigkeit 251, huluq al- – Charakter-
¯ bāt Bejahung 265.
it eigenschaft der – ebd. ˘
t¯– q – l ǧawād großzügig 252.
t¯iqal Schwerkraft 247.
¯
A. Arabisch-deutsch 325
h–b–b h–z–q
˙ abba lieben, begehren 396, 400. „man – liqā3
ah ˙ azzuq verbissener Geiz 263.
tah
˙ Allāh – Allāh liqā3ah, Wer die Begegnung h –˙ z – n
mit Gott begehrt, dem möchte auch Gott be- h˙ uzn (Pl. ahzān) Trauer 180, 322, 388.
gegnen“ 396. ˙
bi-lā-h ˙
uzn ohne – 180.
tahābba sich gegenseitig lieben 363. hazı̄n ˙traurig 309.
hubb ˙ Liebe 243, hubbuka 3š-šai3 yu2mı̄ wa- h˙ – s – d
˙ yusimmu deine Liebe ˙ für eine Sache macht h˙ asada beneiden 326. – Iblı̄ Ādam Iblı̄s hat
˙
blind und taub ebd. ˙ Adam beneidet ebd. hasad Neid 284.
ad-dunyā ra3s kull hatı̄3a die – zum Diesseits ist al- – wa-3l-hirs rukna 3d-d ˙ unūb – und Geiz sind
die Hauptsünde 263. ˘ ˙ ˙ ˙
der Ursprung aller Sünden ¯ ¯ 326.
h – ǧ – ǧ hasūd (Pl. hussād) Neider 325, yabhalu bi-māl
h˙ uǧǧa (Pl. huǧaǧ) Argument 244. ˙
˙ Allāh 2alā-ġairihi – geizt anderen˘gegenüber
h˙ uǧaǧ haqı̄qı̄ya
˙ wahrhaftige Argumente ebd. mit dem Reichtum Gottes ebd. tahāsud Ge-
˙ qaul bi-lā ˙ – Unbegründete Aussage 384. genseitiger Neid 322, 325, tark al-muh ˙ āsada
h – ǧ – m Unterlassung des gegenseitigen Neides˙ ebd.
˙ ǧām Zurückweichen 288.
ih h–s–s
h˙ – d – d h˙ assa empfinden 271.
h˙ idda Eifer 320, – li-himyat /li- himāyat ad-dı̄n h˙ āssa (Pl. hawāss) al-hawāss die Sinne 199,
˙ der – zum Schutz der ˙ Religion˙ a. a. O. ˙ 331 f. – hawāss
˙ zāhira˙ wa-bātina äußere und
hadı̄d (Pl. ahiddā3) eifrig 319. innere –˙ 238, 270, ˙ al- – salı̄ma ˙ – funktions-
h˙ – d – r ˙ tüchtig 270; hissı̄ sinnlich, Sinnlichkeit 184,
h˙ adira¯ sich hüten 271, al-hissiyāt die ˙ sinnlichen (Genüsse) ebd.
˙ ¯ yahdaru 3n-nār sie hüteten sich nicht vor
lam ˙
sinnlich wahrnehmbar 205.
der Hölle˙ ¯ a. a. O. h–s–n
h–r–b h˙ assana verbessern, „hassinū 3ahlāqakum, ver-
h˙ arb Kampf, Krieg (Pl. hurūb) 241. ˙ bessert eure Gesinnung“ ˙ ˘ sin, tue Gu-
247. „ah
˙ – siǧāl – findet statt mit
al- ˙ wechselndem Erfolg tes“ 385. al-ahsan das Beste 309.˙
ebd. al-ihsān die Güte ˙ 235.
h–r–r ˙
h – š – m
h˙ urrı̄ya Freigebigkeit 277; Freiheit 382. harāra ˙ tašama zurückschrecken 332.
ih
˙ Wärme 213; Hitze 321; Erhitzung 259; ˙Ener- h˙ – š – y
gie 270. – 3l-ġarı̄zı̄ya körperliche Energie 270. ˙ āšin Abneigung 283.
tah
h–r–s h –˙ s – n
˙ irs Übervorsicht
al-h ˙ 233; Habsucht 325; Begeh- h˙ ass˙ana seine Religion bewahren 315.
˙ ˙391.
ren ˙ ˙as
tah ˙ sun Keuschheit 270, 315.
al- -manša3uhu 3l-ġurūr – rührt von der Einbil- h –˙ d˙ ˙– r
dung her 391. h˙ udūr˙ Gegenwart 347, 403. Präsenz 403, bahā3
h–r–d ˙ al-h
˙ adra 3l-ilāhı̄ya Pracht der göttlichen –
˙ rı̄d Aufstachelung
tah ˙ 371; Ansporn 377 at- – a. a.˙ O.˙
˙2ala˙ 3l-2ilm – zum Erwerb des Wissens a. a. O. h–z–r
h–r–k h˙ azara˙ verbieten. mahzūr verboten 269, 312.
h˙ arraka bewegen, hervorrufen 300, ˙al-˙– al-mahd das absolut ˙ ˙ verbotene 377, 399.
˙
mā yuharriku 3š-šahwa was die Begierde – h–f–z ˙˙
a. a. O. ˙ muharrik Motiv 241, yaz2umūn anna h˙ ifz Erhaltung
˙ – an-nau2 – der Art 314.
˙
bā2itahum ad-dı̄n sie behaupten, ihr Beweg- h˙ –˙q – d
¯
grund sei die Religion ebd. h˙ iqd (Pl. ahqād) Groll 321.
h–r–m h˙ – q – r ˙
h˙ arrama vorenthalten 235. harām verboten h˙ aqqara verächtlich machen 291.
˙ 376, al- – das Verbotene ebd.˙ h˙ aqāra Geringfügigkeit 275, Winzigkeit 290, –
–al-mahd das völlige – ebd. ˙ matā2 ad-dunyā – der diesseitigen Genüsse
hurma Ehefrau ˙˙ 347. 290.
˙
326 II. Termini und ihre Anwendungen
d–f–2 d–k–w
dafa2a zurückhalten, abstoßen, abwehren 298. d¯ akā3 Klugheit 257.
daf2 Abwehr ebd., Abstoßkraft 212 f. d¯ – l – l
d–l–l d¯ alla sich bescheiden 279, dalla fı̄ nafsihi min
dalı̄l (Pl. adilla) Beweis 215, 274, ¯ ġair manqasa sich demütig ¯ geben ohne Un-
haqā3iq al-adilla strenge Beweisführung 369. ˙ ebd.
terwürfigkeit
d˙ – m – t dull Erniedrigung 180, 260, 318, – ilā – - auf –
damāta ¯ Zurückhaltung 280, 282, ad– husn ¯ 318.
hai3at ˙
¯ an-nafs aš-šahwānı̄ya die schöne Hal- d–m–r
tung der begehrenden Seele 282. ¯ ammur das Murren 324.
tad
d–n–w d –¯ m – m
ad-dunyā das Diesseits 256. d¯ amma tadeln, damm Tadel 279,
– mazra2a li-3l-āhira im – bestellen wir den ¯ mūm tadelnswert
mad ¯ 246, 279, usw.
˘
Aker für das Jenseits 256. d – ¯h- b
d–h–r ¯ hab (Pl. madāhib) Lehrmeinung 228, 358,
mad
dahr (Pl. duhūr) Zeit abad ad- – ewig, Ewigkeit ¯ ff.
405 ¯
230. a2yān al-madāhib Hauptlehrmeinungen 228.
d–h–y arbāb al-mad ¯ āhib Urheber der – ebd.
dahā3 Schlauheit 275, dāhiya (Pl. duhāt) schlau adillat tilka ¯3l- – Argumentation aller dieser –
288. ebd.
d–w–3 d–h–l
dā3 (Pl. adwā3) Krankheit 236, – 2udāl unheil- d¯ ahala abgelenkt werden 244, dahalat 2an nūr
bare – 236. ˙ ¯ al-haqq vom Licht des Wahren ¯ abgelenkt
d–w–r ˙
werden ebd.
dār, ad- – al-āhira das Jenseits 184 usw. d–h–n
d–w–m ˘ ¯dihn (Pl. adhān) Denkvermögen 254, ǧaudat
dāma immer während sein 310. ¯ ad- – klarer¯ Intellekt 474.
dawām Regelmäßigkeit 260. d–u–q ¯
d–w–y d¯ auq (Pl. adwāq) Geschmak, Verspeisung 184.
dawā3 Heilmittel 290, lā- – lahu illa 3l-faza2u ila ¯ ¯
3llāh Es gibt für ihn kein – außer der Zuflucht r–3–s
zu dem erhabenen Gott ebd. ri3āsa Herrschaft 260, vorrangige Stellung 365.
d–y–n hubb ar- – die Liebe zur – 308, laddat ar- – Ge-
dı̄n (Pl. adyān) Religion 235, 315 f. ˙ nuß des Herrschens ebd. ¯¯
ad- – wa-3s-sultān tau3amān Religion und Herr- r–3–f
schaft gehören ˙ zusammen 297 f. ra3fa Mitleid 320.
dı̄nı̄ fromm 315. r–3–y
diyāna Religiösität 315. ra3y (Pl. 3ārā3) Meinung 361.
2ilm al-adyān Wissenschaft der Religion (Reli- naqāyat ar- – Scharfsinn 274.
gionswiss.) 359. ištibāh al-3ārā3 konfuse Meinungen 274.
fahm al-2ilm al-haqı̄qı̄ 3d-dı̄nı̄ Verständnis des ri3ā3 u. riyā3 Heuchelei 282, 284.
wahren religiösen˙ Wissens 343. r–b–b
rabb (Pl. arbāb) Gott, Herr, arbāb ad-dunyā die
d–r–r Reichen dieser Welt 378, 389, s. f. 396, 404.
d¯ arra (Pl. darr) Atom 180. r–b–h
d¯ – k – r ¯ ribh Gewinn˙ 275, – hatı̄r beachtlich ebd. – hası̄s
d¯ akara bemerken, sich erinnern 322. geringfügig ebd. ˘ ˙
˙ ˘
d¯ ikr Anrufung des Namens des erhabenen r–b–w
¯ Gottes 222. tarbiya Bildung 258, Ernährung 259.
tadakkara, bedenken, sich mahnen lassen 245, r–t–b
¯336. rattaba anordnen 273,
tadakkur das Wiedererinnern 336. rutba (Pl. rutab) Rang, Rangstufe, 241, 270, rut-
¯
A. Arabisch-deutsch 329
az-zaǧr 2an al-fawāhiš sich von Freveltaten ab- sarı̄ra Inneres 397, mutalattih as- -ein Mensch,
wenden 233. ˙ ˙ ˘a. a. O.
dessen Inneres befleckt ˙ist
mazǧūr 2anhu wovon man zurückschrecken soll s–r–f
288. isrāf Verschwendung 262, 311, Maßlosigkeit
z–2–m 317.
za2ama behaupten 241. musrif maßlos ebd.
z–k–w s–t–h
zakā rein sein 301. sath˙ (Pl.˙ sutūh) Fläche 403, sutūh al-aǧsām die
tazkiya Läuterung 251, 254, 371. ˙ ˙ ˙ ebd.
˙Körperflächen ˙ ˙
-t an-nafs – der Seele 251, -t a2mālihi – seines s–2–d
Handelns 371. sa2āda Glück, Glückseligkeit 179, sabı̄l-as- –
z–l–l Weg der – ebd.
zalla (Pl. -āt), mazallat qadam Fehltritt 241. – uhrawı̄ya jenseitiges – 180, sulūk sabı̄l as-
z–m–n ˘
sa2āda Beschreiten des Weges zur – 182.
zamān (Pl. azmina) Zeit, zeitlich 354, qabla musā2ada Hilfsbereitschaft 280, 283.
3l-2ālam bi 3z- – vor der Weltentstehung ebd. s–2–y
z–n–d–q sa2ā streben 293.
zindı̄q (Pl. zanādiqa) Häretiker 347. sa2y Bestreben 403.
z–n–y s–f–l
zinan Unzucht 317. tasaffala sich erniedrigen 246.
zānin unzüchtig a. a. O. – asfala 3s-sāfilı̄n – in die Tiefsten aller Tiefen
az-zānı̄ der – ebd. ebd.
z–h–d s–f–h
zuhd Enthaltsamkeit 325, Askese 385, zuhdan safah Torheit 304.
aus – ebd. safı̄h (Pl. sufahā3) töricht ebd.
az-zuhd zuhd an-nafs die Askese ist die der s–k–n
Seele 387. sakana ruhen 235.
zāhid (Pl. zuhhād) Asket 379, 386. maskana Unterwürfigkeit 279.
z–y–d s–l–s
ziyāda Überfluß 311, – 2alā qadr al-bulġa der – salāsa Fügsamkeit 247.
an dem Nötigen ebd. islās Zügelung ebd.
s–l–k
s–b–b sālik Beschreiter 228, – at-tarı̄q – des Weges
sabab (Pl. asbāb) Ursache, Grund 248, Mittel ˙˙
(der Mystik) ebd. s. f. 402.
305, al-asbāb an-nāfi2a 3l-mufı̄da die hilfrei- s–l–m
chen und nützlichen – ebd. salāma Sicherheit 384, talab as-salāma nach –
s–h–r streben ebd. ˙
˘
suhrı̄ya Spott 327. s–w–3
˘
al-kaff 2an as – sich des – enthalten ebd. asā3a böses, unrecht tun 235, schlecht behan-
s–h–t deln ebd.
ashat ˘ a ˙erzürnen 340, sū3 (Pl. aswā3) das Böse 236, 239, 2abd – Sklave
suh˘ t ˙Ungnade 384, 404. des – 239.
˘ ˙ hut (gerechte) Empörung 280.
tasah s–w–s
s – h˘ –˘ y˙ sāsa herrschen 236, leiten 265.
sahā3˘ Großzügigkeit 263, 279 f. siyāsa Verhaltensregeln 232, Politik 328.
sah˘ ı̄y (Pl. ashiyā3) großzügig 279. sā3is (Pl. sāsa) Herrscher 236.
s –˘ d – d ˘ masūs beherrscht werden ebd.
at-tasdı̄d erfolgreiche Führung (Gottes) zum s–y–r
Ziel 295, 301, 303. sı̄ra (Pl. siyar) Lebensweise 242.
s–r–r
sarra sich freuen, surūr Freude 277, – lā ġamma
fı̄hi Freude ohne Trauer 180, 294.
A. Arabisch-deutsch 331
š – m – t š – y – t
šamāta Schadenfreude 284 ff. ˙ istišāta Raserei 277 ff.
istašāta,
al-farah bi-3š-šarr al-wāsil ilā ġair al-mustahiqq ˙ ˙
– hiya sur2at al-ġad ab wa- hiddatuhu – ist jäher
mim˙ man ya2rifuhu 3š-šāmit
˙ ˙
– ist die Freude und heftiger Zorn ˙ 279, das
˙ Entflammen des
über das unverdiente Böse, das einen Be- Zorns 321.
kannten trifft 285. š – y – t – n
š – h – d šaytān ˙(Pl. šayātı̄n) Satan, Dämon 241, – mārid
šahida bezeugen 335, -t nufūsuhum wa-ba- ˙
widerspenstiger ˙ ebd.- raǧı̄m verfluchter 245,
wātinuhum so bezeugen es ihre Seele und waswasat aš- – Einflüsterungen des – 244, al-
ihr˙Inneres ebd. hawā a2zam ǧund aš- – die Leidenschaft ist
šahı̄d (Pl. šuhadā3) Märtyrer 241. das größte˙ Heer des – 312.
šahāda Zeugnis 335, hamala – - ablegen 335 f.
mušāhada das Schauen ˙ 357, -t nafsihi – - seiner s–b–r
(eigenen) Seele 357, Erscheinung 274, li-mā s˙ abara sich gedulden, einer Sache widerstehen
taqtadı̄ – - gemäß den Anforderungen der – ˙ 318.
ebd. ˙ sābara standhaft bleiben 323.
š – h – m s˙ abr Geduld 255. fi 3s- – 2alā mā takrahu hair
šahāma Großmut 277, ˙ katı̄r in der Geduld ˘
˙ mit dem, was du ver-
hiya 3l-hirs 2ala 3l-a2māl tawaqqu2an li-3l-ǧamāl ¯
abscheust, liegt viel Gutes ebd. Selbstbeherr-
sie ist˙ das
˙ Bemühen um Handlungen wegen schung 280,
ihrer Schönheit a. a. O. – ǧismı̄ körperliche – 324, – nafsı̄ seelische –
š – h – w ebd.
ištahā begehren 395. sābir geduldig 325.
šahwa Begierde 184, 212, 221, 232 f., 236. -t al- s˙ – b – ġ
farǧ (al-ǧimā2) sexuelle – 270, qadā3 aš- – Be- ˙ abaġa geprägt sein 408, – qalbuhu sein Herz
ins
friedigung der – 261, -t al-batn ˙ wa-3l-farǧ ˙– - ebd.
˙
Nahrung u. sexuelle – 394, kasr aš-šahwa um s–b–w
die – zu besiegen 261, Leidenschaft 246, 249, s˙ iban Kindheit 288.
Trieb 366, tark aš-šahwa auf die – verzichten s˙ – h – h
239. s˙ ihh˙a Gesundheit
˙ 294, 306. –t al-badan – des
kalāl aš- – Ermattung der – 284. ˙ ˙Körpers
˙ 296.
muštahan das Begehrenswerte 282, ištiyāq an- sadr Brust 324,
nafs ila 3lmuštahayāt (das) Verlangen der ˙
sa2at as- – Langmut ebd.
Seele nach dem Begehrenswerten 282. dı̄q – -˙Unduldsamkeit ebd.
šahwānı̄ begehrend 282, an-nafs aš-šahwānı̄ya s˙ – d – q
die begehrende Seele ebd. s˙ adaqa Armensteuer 382.
š – w – r s˙ idq, as- – das Wahre 233.
išāra Anweisung 242, -t al-2aql – der Vernunft s˙ idqan˙im eigentlichen Sinne 304.
ebd. – al-hawā – der Leidenschaft ebd. s˙ iddı̄q aufrichtig 242, 257, 347.
š – w – q s˙ – r – t
tašawwaqa verlangen, streben nach 198, ištāqa s˙ irāt Weg
˙ 268.
begehren, sich sehnen 396, 403. ˙ - –˙ al-mustaqı̄m der gerade Weg ebd.
as
šauq (Pl. ašwāq) Sehnsucht 209, 402, s ˙– r – f
tāla šauqu 3l-abrār ilā liqā3ı̄ „Die – der From- s˙ arf Abwendung 249, – an-nafs ila 3d-didd der
˙ men, mir zu begegnen, ist groß.“ 209. ˙ Seele zum Gegenteil ebd. ˙ ˙
š – y – 3 sārif (Pl. sawārif) Abwendungsgrund 288.
šā3a wollen 301. s˙ – r – m
šai3 (Pl. ašyā3) Ding, Sache, Mittel, 366, 339, 371. s˙ arāma Entschlossenheit 323, -t al-qalb fi 3l-ah-
mašı̄3a Wille 271. ˙ wāl – des Herzens in Augenblicken der Be-
mašı̄3at Allāh al-azalı̄ya Gottes ewiger Wille drängnis ebd.
ebd. s – ġ – r
s˙ iġar an-nafs Unterwürfigkeit 277 ff.
˙
A. Arabisch-deutsch 333
ġ – s – b ġ – y – z
iġtas˙ aba widerrechtlich aneignen 217. ġaiz Zorn˙ 233,
ġ – d˙ – b ˙
kazm al- – Unterdrückung des – ebd.
ġadiba˙ zürnen 320. ġ –˙ y – y
˙
ġadab Zorn 236 ff. ġāya (Pl. -āt) Ziel 217, 374, al- – 3l-matlūba das
tı̄h˙al-ġadab Hochmut des – ebd. erstrebte – 217, ˙
˙
ġadabı̄ wütend 201, zornig 233, qūwa ġadabı̄ya -t aš-šai3 – - eines Dinges 374, Zweck 263, Sinn
˙
wütende ˙
Kraft ebd., 248, -t al- – die Heftig- 264,
keit des – 261, -t al-mahzūr Sinn des Verbotenen 264.
af2āl al- – die Handlungen, die durch den – aus- ˙˙
gelöst werden 319, f–t–h
al- – ġūl al-2aql der – ist das größte Unheil für infatah˙a sich offenbaren 228.
die Vernunft 320. f – t – ˙r
ġ – f – l fattara abhalten 303,
ġafla Sorglosigkeit 182, tufattiruhu 2am-mā fı̄hi fasāduhu ihn (den Men-
radı̄lat al- – Untugend der – 221. schen) von dem abhält, was sein Verderben
¯ (Pl. ġuffāl) sorglos 249, 393, wa-huwa
ġāfil bewirken könnte ebd.
3l-ahmaq al-haqı̄qı̄ die wahrhaft törichten futūr Nachlässigkeit 179 ff.
393,˙ unachtsam ˙ 372. al- – 2an talab as-sa2āda die – im Streben nach
ġ – l – b ˙
der Glükseligkeit ebd.
ġalaba beherrschen 240, f–t–n
ġalabahu 3l-hawā von der Leidenschaft be- fitna (Pl. fitan) Versuchung 374, „innamā am-
herrscht ebd. wālukum wa-awlādukum –, Euer Vermögen
ġ – l – w und eure Kinder sind euch eine –“ ebd.
ġulawā3, ġulwā3 Übermaß 236. f – ǧ – r
ġ – l – y fuǧūr Unsittlichkeit 315,
ġalayān Aufwallen 321, – damm al-qalb – des ad-da2wa ila 3l- – zur – führen ebd.
Blutes im Herzen ebd. f – h – š
ġ – m – r ˙ (Pl. fawāhiš) Freveltat 233.
fāhiš
ġumr (Pl. ġumūr) naif 275. ˙
f–h–m ˙
ġamāra Naivität ebd. – qillat at-taǧriba bi- afhama˙ zum Schweigen bringen 352 f.
3l-ǧumla fi 3l-umūr al-2amalı̄ya sie bedeutet ifh˙ām al-hasm den Gegner – - – ebd.
im allgemeinen wenig Erfahrung in prakti- f –˙ h – r ˘ ˙
schen Angelegenheiten ebd. fahr˘ Stolz 321.
ġ – m – m ˘ ār Prahlerei 322.
iftih
iġtamma sich sorgen 306. f – r˘ – t
ġamm (Pl. ġumūm) Trauer 326, Kummer 190, ˙
ifrāt wa-tafrı̄t das Zuviel und das Zuwenig 269,
388. –˙kull dālik˙ nuqsān – stellen in all diesen Din-
nafy al- – Vermeidung des – 388. ¯ Mangel
gen einen ˙ dar ebd.
iġtimām Traurigkeit 283. f–d–l
ġ – n – y ˙ (Pl. fadā3il) Tugend 219, ummahāt al-
fadı̄la
istaġnā verzichten 238, ˙fadā3il die Kardinaltugenden
˙ 264.
yawaddu lau istaġnā 2an at-ta2ām wünschte, auf ˙
die Nahrung – zu können ˙ ˙ ebd. q–b–h
ġinan Reichtum 180, qabbaha˙ schlecht machen 367,
– lā faqr ma2ahu Reichtum ohne Verarmung ˙
qubh Hässlichkeit 299, al- – madmūm – - ist
294. ˙
tadelnswert ebd. ¯
ġ – y – b al-qabı̄h das Böse 233, 249, das Hässliche 306.
ġı̄ba Verleumdung 327, (min) qabā3ih al-lisān – al-aqbah ˙ das Hässlichste 309.
˙
gehört zu den Hässlichkeiten der Zunge ebd. qabı̄ha (Pl. ˙ qabā3ih) böse Handlung 246.
al-kaff 2an al- – sich der – enthalten ebd. ˙
taqbı̄h Verabscheuung ˙ 288, Abwertung 367.
˙
338 II. Termini und ihre Anwendungen
q–b–d k–z–z
inqibād˙ Anspannung, Beklemmung 266, 281, kazāza Strenge 284 f.
al- –˙ 2an al-qubh – die Beklämmung (des al- – ifrāt fi 3l-ǧidd das Übermaß an Ernst 285.
Menschen) angesichts˙ eines Lasters 281. k – s – b˙
q–b–l iktasaba verdienen 362,
qabūl Wohlgefallen 242. kasb Erwerb 257, 372,
maqbūl wohlgefällig ebd. – al-kamāl 2alā hasab al-imkān die größtmögli-
q–t–r che Aneignung ˙ der Vollkommenheit 293.
taqtı̄r verbissener Geiz 284. muktasab erworben 337.
q–d–r k–s–l
qadr Maß 267, kasal Untätigkeit 253, Faulheit 261, 400, – lāzib
al- – al-wāǧib das erforderliche – ebd., Stand starke – 400.
250, Bedeutung 373. k – š – f.
qudra (Pl. qudrāt) Fähigkeit 274, kašafa aufdecken 357, 359.
al- – 2alā sawāb al-hukm – –, ein richtiges Urteil inkišāf Enthüllung 357,
zu fällen˙ ebd. ˙ – al-hqā3iq – der Wahrheiten ebd.
taqdı̄r Abschätzung, husn at- – Maßhalten 280, k – z –˙ m
˙
282, Wirtschaftlichkeit 280, – al-i2tidāl fi- kazm ˙ Unterdrücken 324,
3n-nafaqāt – ein Mittleres im Geldausgeben ˙
– al-ġaiz wa-3l-ġadab – von Wut und Zorn ebd.
282. k–f–r˙ ˙
q–w–y kufr Unglaube 291, – al-mahd der reine – ebd.
qūwa (Pl. quwan) Kraft, Vermögen, Fähigkeit, k–l–l ˙˙
– an-nafs Seelenkräfte 209, -t al-2aql das kull universell, kullı̄ya, al- – (Pl. kullı̄yāt) die
Denkvermögen 210 ff. Universelle 205, al-ma2āni 3l-kullı̄ya 3l-muǧar-
rada 2an al-2awārid die universellen, von allen
k–b–r Akzidenzien freien ˙ Begriffe ebd.
takabbara sich hochmütig verhalten 344.
kibr, takabbur Hochmut 259, 277, l–3–m
huwa raf2 an-nafs fauqa qadrihā – ist die Selbst- lu3m Knickrigkeit 284.
erhebung über den eigentlichen Rang 279. la3ı̄m der Knickrige ebd.
kibar hohes Alter 288. l–b–s
– an-nafs Großherzigkeit 276. iltabasa zweifelhaft, zweideutig sein 228.
k–t–m mulabbis Zweifel säen 236.
katm Geheimhaltung 324, talbı̄s Verschleierung, das Falsche 243.
– as-sirr Verschwiegenheit ebd. iltibās Verwirrung 306.
k–t–r l – ǧ – ǧ
katra¯ Häufigkeit 260. laǧāǧ Unnachgiebigkeit 322.
k –¯ d – r l–d–d
kudūra (Pl. -āt) Betrübnis 196, Befleckung 208. ¯ d¯ a genießen 307.
istalad
tasfiyat an-nafs 2an al- -āt die Läuterung der al-hikma ¯ ¯ lā-yastaliduhā illā 3l- hakı̄m die Weis-
˙Seele von den Betrübnissen 196. ˙
heit wird nur von ¯ einem Weisen ˙ genossen
k–d–b ladda (Pl. laddāt Genuß 182 ff., 307,
kadd¯ aba für Lügner gehalten 368, 2ibāra ¯ ¯2an idrāk¯ al-muštahā
¯ der – besteht in der
¯¯
in Widerspruch stehen 370. Wahrnehmung des Begehrten ebd.
k–r–m 2aqlı̄ya geistiger – 182, 307,
karāma Edelmut 190. hissı̄ya sinnlicher Genuß 183.
k–r–h –˙ badanı̄ya körperlich 246.
kariha hassen, verabscheuen 256. – mutlaqa absolut 308.
karāha, karāhiya das Verwerfliche 312. istildād ˙ Genuß empfinden 256,
makrūh verhaßt, verwerflich 311. – at¯-tā2a ¯ – in der Verrichtung der frommen
istikrāh Verabscheuen 256, 397, ˙ ˙
Handlungen empfinden ebd.
– al-ma2siya die Sünde verabscheuen 256.
˙
A. Arabisch-deutsch 339
393, al- – taur āhar min al-atwār der – ist eine latat al- – die – werden durcheinander ge-
andere Form ˙ von ˘ Entwicklung
˙ 292. ˙
bracht ebd.
mayyit (Pl. amwāt) tot 390, 393 f. nisba (Pl. nisab) Verhältnis, – ilā in Analogie zu
m–w–l 184.
māl (Pl. amwāl) Reichtum 295, 308, 387, tanāsub Harmonie 273.
tāra yaǧdibu ila 3r-radı̄la wa-tāra yaǧdibu ila n–s–k
3l-fadı̄la¯ Der Reichtum
¯ führt das eine¯ Mal nāsik (Pl. nussāk) der Fromme 383.
zum˙ Laster, das andere Mal zur Tugend 308. n–s–b
m–y–z nasab ˙ Mühsal 398.
mayyaza unterscheiden, sortieren 214, 242. n –˙ s – h
tamyı̄z Unterscheidung 179, nush˙ (Pl. ˙ nasā3ih) Ratschlag 236.
Untrerscheidungsvermögen 254. nās˙ih
˙ (Pl. nus ˙ sāh
˙ ) Ratgeber 235.
m–y–l n –˙ s˙ – r ˙˙ ˙
māla zuneigen 244. tanās˙ ur gegenseitige Unterstützung 406.
n – s˙– f
n–b–d insāf˙ gerechte Handlung 294.
tanābud¯ gegenseitige Beschämpfung 327. n –˙ d – l
n – b – t¯ nādala˙ bekämpfen 389.
istinbāt˙ 214, – al-maǧhūl Erschließung des be- n –˙ z – r
˙
kannten, ebd, Schlussfolgern 366. nazara,˙ fakkara überlegen, nachdenken 318.
n–b–l nāz˙ ir (Pl. nuzzār) Denker, an-nuzzār die speku-
nubl Edelsinn, Großmut, 277, ˙
lativen ˙˙
Denker 223 f. ˙˙
surūr an-nafs bi-3l-af2āl al-2izām – ist das Bemü- nazarı̄ theoretisch 227,
hen um Handlungen wegen ˙ ihrer Schönheit ˙ nazarı̄ya – Wissenschaften ebd., 229.
2ulūm
ebd. manzar (Pl. ˙ manāzir) das Äußere 300, al- – wa-
n–b–h ˙
3l-mahbar – - und ˙ das Innere ebd.
nabbaha aufmerksam machen 293, 313, hinwei- ˘
nāzara diskutieren 407,
sen 367. ˙ ara Streit ebd., Auseinandersetzung 353.
munāz
tanabbuh Erwachen 256. n – z –˙ f
n–b–w nazāfa˙ Sauberkeit 261,
nabı̄y (Pl. anbiyā3) Prophet 231, 256 usw. ˙
ar-ru2ūna fi-3n-nazāfa Sauberkeitswahn ebd.
nubūwa (Pl. -āt) Prophetie ebd. 231, 387. rutbat n–z–m ˙
an – - Eigenschaft der – ebd. intiz˙ām Maßhalten 280, 282.
n – ǧ – d n – ˙2 -. m
naǧda Mnnhaftigkeit 276. an2ama als Gabe verschenken 302, eine Wohl-
n – ǧ – s tat bescheren 390.
naǧis (Pl. anǧās) unrein 342, anğās as-sifāt – tana22ama genießen, Freude empfinden 255.
Charaktereigenschaften ebd. ˙ ˙ ni2ma (Pl. ni2am) Gabe 293, 302.
n – ǧ – w tana22um Genuß 381.
naǧāt Heil 194 f., 248, 353, Rettung 398. n–f–r
n–h–w nafra Abneigung 183.
nahw ˙ Grammatik 230. n–f–s
˙
n–z–2 munāfasa Rivalität 241.
al-qūwa 3n-nuzū2ı̄ya die begehrende Kraft 201. nafs (Pl. nufūs) Seele 190, 265 usw.,
n – z – ġ ǧauhar bāqin überdauernde Substanz 190,
nazaġa Aufstacheln 245. ma2rifat an- – Erkenntnis der – 199,
n–z–l zaǧr an – - 2an al-fawāhiš die – - -wendet sich
manzila (Pl. manāzil) Rangstufe 385. von Freveltaten 233, ˙
n–s–b kaff an- – 2an at-tašaffı̄ die Zügelung der – in
nasab Nachkommenschaft, Verwandschaft 319, bezug auf Ungerechtigkeit und Rachsucht
li-hifz al-ansāb um die – zu sichern ebd. ihta- ebd.
˙ ˙ ˘ tahārat an- – Reinheit der – 234,
˙
A. Arabisch-deutsch 341
muǧāhada fi 3n- – Kampf unter Einsatz der ei- nukūl Versagen 278 f.
genen Person 235, n–m–m
an – - al- ammāra bi-3s-sū3 der zum Bösen an- namı̄ma üble Nachrede 327.
treibende Teil der – 238, n – h – ǧ
2aǧā3ib an-nufūs al-insānı̄ya wa-3l-hayawānı̄ya manhaǧ (Pl. manāhiǧ) Methode 365.
Wunder der menschlichen und tierischen˙ – al- – al-qawı̄m die richtige – ebd.
231, n–h–m
– 2āqila vernünftig 266, naham Heißhunger 313.
dabt an – - Selbstbeherrschung 324, n–h–y
˙ ˙
takāmul an – - wa-tazkiyatuhā wa-tasfiyatuhā nahā verbieten 326.
Vervollkommnung der – ihre Läuterung ˙ und nahy Verbot 261, yahruǧu 2an mūǧib an- – die
Reinigung 251, s. f. 254. ˘
Grenzen des Verbotenen überschreiten ebd.,
nafsı̄ psychisch, seelisch 373, fadā3il nafsı̄ya see- s. f. 371.
lische Tugenden 308, 373, ˙ manhı̄y verboten ebd.
hadı̄t an- – Selbstgespräch 382. n–w–r
n˙ – f¯– 2 nār Hölle 290.
nafa2a Nutzen ziehen, nützen 362, 372. nūr Licht 244,
naf2 Nutzen 330, bi-hasab 2umūm an-naf2 von – ilāhı̄ göttliches ebd, s. f. 271.
dem allgemeinen –˙ abhängig ebd. n–w–l
nāfi2 nützlich, sinnvoll 230. tanāwul Einnahme 372,
n–f–q – al-māl – v. Geldern ebd.
nifāq Heuchelei 254. n–w–y
munāfiq Heuchler 313. nı̄ya (Pl. -āt) Absicht, Intention 315,
infāq Ausgabe 382. al-a2māl bi-3n-nı̄yāt die Handlungen werden
n–f–y nach ihren – beurteilt ebd.
nafy Verneinung 265, n–y–l
gehört zu der Summe der Wissenschaften ebd. nāla erlangen, erreichen 325,
n–q–s nail Erlangung 245, – as-sa2āda – der Glückse-
nuqsān ˙Mangel 255, Mangelhaftigkeit 388. ligkeit 256, – mardāt Allāh – der Wohlgefäl-
˙ a Minderwertigkeit 279, min ġair – oh-
manqas ligkeit Gottes 327.˙
ne – ˙ebd.
nāqis unvollkommen 259. h–t–k
n – q˙ – d hataka verletzen 366.
tanāqad˙a sich widersprechen, naqı̄d Gegenteil hutka, tahattuk Schamlosigkeit 282, 284 f., 372,
236. ˙ ˙ al-2ālim (yuġrı̄ 3n-nās) bi-tahattukihi Der Ge-
tanāqud (Pl. -āt) Widerspruch 339. lehrte (verführt die Menschen) durch seine
n–q–m ˙ – 372.
intiqām Rache 322, šahwat al-intiqām die mutahattik schamlos ebd.
Rachsucht ebd. h–d–3
n–k–h hudū3 Gemütsruhe 280, sukūn an-nafs fı̄ mā ta-
˙ ankiha) Heirat, Ehe 270, sexuelle
nikāh (Pl. nāluhu min al-laddāt al-ǧamı̄la – ist das stille
˙
Betätigung ˙
ebd. Verharren der Seele ¯ ¯ bei der Erlangung ange-
rub2 an-nikāh Zivilrecht (Familienrecht) 359. nehmer Genüsse 282.
n–k–r ˙ h–d–y
ankara leugnen 247, hadā führen 268, „ihdina 3s-sirāt al-mustaqı̄m,
verkennen 405, yunkiru wuǧūd Allāh ta2ālā die Führe uns auf den geraden ˙ ˙ Weg“
˙ ebd.,
Existenz des erhabenen Gottes – 407. rechtleiten 301.
n–k–s ihtadā rechtgeleitet 244, 302,
intikās Rückstand 364. ihtadat bi-nūrihi durch das Licht (Gottes)
n–k–l rechtgeleitet werden 244.
nakala zurückweisen 188, hudā, hidāya rechte Leitung 295.
nakāl exemplarische Bestrafung 375, al-huda 3l-mutlaq die absolute – - 303.
˙
342 II. Termini und ihre Anwendungen
h–d–b w–d–d
tahd¯ı̄b Erziehung 232, wudd Zuneigung, Freundlichkeit 363.
an –¯ nafs – der Seele ebd., w–r–t
Erziehbarkeit 247, Verbesserung 258, tahdı̄b al- ¯
warita erben 404.
qūwa 3l-2aqlı̄ya ¯ ¯
wārit (Pl. warata) Erbe 404 „al-2ulamā3 waratat
Erziehung der geistigen Kräfte 327. ¯
al-anbiyā3 Die ¯ Gelehrten sind die – der Pro-
¯
h–m–m pheten“ ebd.
hamma sich entschließen, bi kull al-himma mit w–s–t
Entschlossenheit 222. wasat, al-˙ das mittlere Maß 268,
h–w–y ˙
– – al-mah mūd das lobenswerte – - 269.
hawā Neigung, Leidenschaft 231, Neigung 237, w–s–f ˙
245 f., 251, ittahada ilāhahu hawāh seine – zu ˙ -āt) Eigenschaft, Charaktereigenschaft
sifa (Pl.
seinem Gott machen˘ ¯ 237, 240. ˙ 262, -āt an-nafs -en der Seele 253, – Allāh
muǧāhadat al- – Kampf gegen die – 240. itta- Eigenschaften Gottes 229, – ġarı̄ba besonde-
ba2a hawāh persönlichen Neigungen folgen re Charaktereigenschaft 215.
237. wasf Beschreibung, Charakteristik,
išārat al- – Anweisung der Leidenschaft 242, al- ˙– bi-3š-šaǧā2a Lobpreisung seiner Tapferkeit
s. f. 245. 184.
ahl al-ahwā3 abtrünnig 347. w–s–l
h–y–3 wasala˙ gelangen 195, sa2ādat kull šai3 fı̄ wusūlihi
hai3a (Pl. -āt) Form 223, -āt – der Wörter ebd. ˙ kamālihi 3l-hāss bihi das Glück jeder
ilā ˙ Sa-
Haltung 251, -āt hasana gute Haltungen ebd. ˘ ˙ ˙
che (besteht darin), zu der ihr eigenen Voll-
h–y–b ˙ kommenheit zu gelangen 195.
haiba Würde 366. w–s–y
˙ (Pl. wasāyā) Empfehlung 247.
wası̄ya
w–t–q ˙
w–d–2 ˙
¯ vertrauenswürdig, siyāsa mautūq bihā
watiqa tawād˙ a2a sich demütig geben 279.
¯
auf sichere Weise 224. ¯ tawād˙ u2 Demut 259, 277.
w – ǧ – b w – q˙ – r
waǧaba müssen 179, – ma2rifat al-2amal al- waqqara respektieren 333.
mus2id (wir) müssen das zur Glückseligkeit waqār Respekt, 215, Würde 277.
führende Handeln erkennen ebd, notwendig w–l–y
sein 183, verlangen 183, yūǧibu ziyādat al- walı̄y (Pl. awliyā2) Gottesvertrauter 222, – Al-
ǧidd mehr Anstrengung – ebd., s. f. 205. lāh die – ebd.
w – ǧ – d w–h–m
wuǧida vorhanden sein, existieren 248. wahm Phantasie 211.
wuǧūd Existenz 248 f. w–q–2
tawaqqa2a, tawaqqu2 Erwartung 224.
B. Deutsch-arabisch 343
B. Deutsch-arabisch
Dieser Index enthält die wichtigsten Begriffe, die in der Übersetzung des Textes al-Ghazālı̄’s,
unabhängig von ihrer sonstigen sprachlichen Bedeutung vorkommen. Der Nicht-Kenner der ara-
bischen Sprache möge darin eine Hilfe finden, die ihm unter anderem die Suche nach dem Stamm
der gewünschten Begriffe in arabischer Sprache erspart. Für den Kenner aber möge dieser Index
eine zusätzliche Hilfe sein, indem er dann auf den ersten Index zurückgreifen und den gewünsch-
ten arabischen Terminus in seiner ausführlichen Anwendung mit Textbelegen leicht finden kann.
Die Ziffern beziehen sich auf die Ausgabe D.
Beistand ta3yı̄d 244. himmlich samāwı̄ ebd. dienen hadama 273, 324, 2abada 383.
Bejāhung itbāt 265. ˘ ādim 273.
Diener h
belohnen at¯ āba 331. ˘ mahdūm 273.
Dienstherr
¯
belohnt ma3ğūr 382. ˘
Diesseits ad-dunyā 256, im – bestellen wir den
bemerken dakara, s. erinnern 322. Acker f. das Jenseits ad- – mazra2a li-3l-āhira
sich bemühen ¯ ǧāhada 241. ebd. ˘
Bequemlichkeit rafāhiya 243. Dummheit balah 266.
berücksichtigen rā2ā 314.
s. bescheiden dalla 279. s. demütig geben ohne Edelmut karāma 190.
Unterwerfung ¯ dalla fı̄ nafsihi min ġair man- Edelsinn, Großmut nubl 277.
qasa 279. ¯ Ehre šaraf 275, 328, das Edle aš-šarı̄f 308, die
˙
s. bessern saluha 320. Bedeutsamkeit 328, – der Vernunft – - al-2aql
Besserung˙ salāh
˙ 233 ff., 320, – der Begierde – 328.
aš-šahwa˙234.˙ Eifer hidda 320, der zornige – -ġadabı̄ya 233,
bestimmen 2arrafa, hassasa, Bestimmung, Be- 236.˙eifrig hadı̄d 319. ˙
sonderheit hāssı̄ya˘ 395, ˙ ˙ ˙ Aspekt der Bestim- Eigenschaft h˙ asla 332, -en des Guten hisāl al-
mung der Seele ˘ ˙ ˙ wağh -t an-nafs ebd. hair ebd. ˘ ˙ ˘ ˙
bestrafen 2addaba 281. ˘
Einbildung tahayyul 183.
bewahren, seine¯ ¯ Religion- hassana dı̄nahu 315. ˘ 237.
Eintracht i3tilāf
bewegen harraka 300, was die ˙ ˙ Begierde
˙ bewegt empfinden hassa 271.
˙
mā yuharriku 3š-šahwa ebd. Empörung tasah˙ hut 280.
Beweggrund ˙ muharrik dā2in 312, die Stärkung ˘ ˘ ˙ körperliche – al– 3l-ġarı̄zı̄ya
Energie harāra 270,
der Begierde ist˙ ein – dafür, die Leidenschaft ebd. ˙
zu folgen taqwiyat aš-šahwa dā2iya li-3l-hawā Enthaltsamkeit zuhd 325, 385, – ist die der See-
312. le az-zuhd zuhd an-nafs 387.
beweisen barhana, burhān 179, 190, – wahrhaf- Entschlossenheit sarāma 323.
tig und notwendig haqı̄qı̄ darūrı̄ 190, 255 usw. s. entschuldigen i2tad˙ ara 390.
dalı̄l 215, 274. strenge ˙ Beweisführung
˙ haqā3iq erben warita 404. ¯
al-adilla 369. ˙ Erbe wārit ¯ebd. „Die Gelehrten sind die Erben
bewundern a2ğaba 331. ¯
der Propheten, al-2ulmā3 waratat al-anbiyā3“
Bildung tarbiya 258. 264, 404 ¯
böses tun, schlescht behandeln, unrecht tun Erfahrung tağriba 333.
asā3a 235. erforschen, forschen bahata 358.
das Böse as-sū3, aš-šarr 236, 239, Sklave des –, erhaben rafı̄2 305. ˙ ¯
2abd – 239. unheilbar aš-šimr 236, das große – Erhaltung baqā3 – des Individuums – aš-šahs
306, 314, 379. 271, – der Art an-nau2 270. ˘˙
Buße tauba 394 f. Erhoffen, hoffen rağā 289,
die Bereitschaft, sofort – zu tun al-mubādara Hoffnung rağā3, das Lob Gottes erhoffen rağā3a
ila 3t-tauba ebd. hamd Allāh 289.
˙
Erholung rāha 243, 310.
Charaktereigenschaft, Gesinnung huluq 221, s. erinnern h˙atara 290.
˘ lāq wa-
die bösen und die guten – sū3 al-ah ˘ ˙
erkennen, kennen 2arafa 215, 242, 290.
husnuhā ebd. ˘ Erkenntnis, Wissen ma2rifa 199, 231.
˙
danken šakara 242. erlangen, erreichen nāla 325.
Erlangung nail 245, – der Glückseligkeit as-
Dankbarkeit šukr 387, 398. sa2āda 256.
s. demütig geben tawāda2a 259, 277. erlauben abāha, erlaubt mubāh 263, die erlaub-
˙
Denk- und Unterscheidungsvermögen dihn ten Dinge ˙al-mubāhāt ebd.˙ das absolut er-
254. ¯ laubte – al-mutlaq 376,˙ die Suche nach dem
klarer Intellekt ğaudat ad- – 474. ˙
– talab al- – ebd.
¯ am wenigsten nütz-
Dialektik ğadal, ğidāl 353, ˙
Erlösung halās 392.
lich … aqall … fā3i- da 353. ˘ ˙tasaffala 246,
s. erniedrigen
B. Deutsch-arabisch 345
in die Tiefsten aller Tiefen – asfala sāfilı̄n ebd. Genuß ladda 182 ff., 307, geistige- – 2aqlı̄ya ebd.,
Erniedrigung hizy 375. ¯ ¯ hissı̄ya 183.
– sinnlich
ermutigen ğarra3a˘ 291. ˙
Gesetz, islamisches, Offenbarung aš-šar2 234.
die Menschen zur Sünde – yuğarri3u 3l-halq 2ala Gegenwart, Präsens hudūr 403,
3l-ma2āsı̄ ebd. ˘ Pracht der göttlichen˙ – bahā3˙
˙
Ernsthaftigkeit ğidd 283. al-hadra 3l-ilāhı̄ya ebd.
erörtern bayyana179. ˙ ˙
gehorchen atā2a 289, 323.
Erscheinung mušāhada 274. Gehorsamkeit ˙ tā2a 185, 240, 289.
ertragen ihtamala, ihtimāl 324. Geringfügigkeit˙ haqāra 275.
˙
erziehen addaba ˙
236. geprägt sein insabaġa ˙ 408.
Erziehung ta3addub 247, 257, tahdı̄b 232. ˙
Gerechtigkeit 2adl 234,- die Summe aller Tu-
erzürnen ashata 340. ¯ genden ğumlat al-fadā3il 272.
˘ ˙
existieren, vorhanden sein wuğida 248. Geselligkeit 2abat 284. ˙
Existenz wuğūd 248 f. Gesinnung huluq¯ 234, 247, 255. s. gewöhnen
exoterisch zāhir 195. ta2awwada˘ 249.
Extrem taraf ˙ 262, 286, Gewohnheit 2āda 244, 251, 379.
Aufhebung ˙ der beiden -e salb at-tarafain Gewöhnung i2tiyād 258, 267.
262. ˙˙ Gewinn ribh 275.
Fasten, das – as-saum 261, 314. geizen bahila ˙ 325.
˙ ˙ ˘
Geiz buhl 259.
Fähigkeit qudra 274. geizig bah˘ ı̄l 285.
Fehltritt zalla, mazallat qadam 241. Gier šarah˘ 238.
Feigheit ğubn 266, 278, 324. glauben i2taqada 216.
Fläche sath 403, die Körperfläche sutūh al- Glaube i2tiqād ebd.
˙˙
ağsām ebd. ˙ ˙ Glücksfall baht 277.
Feind 2adūw 238. Gott Allāh 240, ˘
Feindschaft 2adāwa 312. gottesfürchtig, fromm taqı̄y 245, 395.
Frage amr 196. Gottesdienst, religiöse Pflicht 2ibāda 261, 227.
Freude ibtihāğ 268, 310, Gottesvertrauter wally 222.
ohne Trauer – lā ġamma fı̄hi 180, 294, mit – bi- Götz tāġūt 244,
3nširāh sadr 387, marah 313. ˙
Götzendiener 2abada 3t-tāġūt 382.
forschen, ˙ ˙erforschen bah˙ata 358. Glück, Glückseligkeit˙ ˙ as- sa2āda 179 f., Be-
Forschung baht 370. ˙ ¯ schreiten des Weges zur – sulūk sabı̄l as-
Freiheit hurrı̄ya˙ ¯ 382. sa2āda 182.
˙
Freigebigkeit karam 277. Groll hiqd 321.
Freude marah 313. ˙
großzügig sahı̄y 279, ğawād 252.
˙
fromm 2ābid 261, nāsik 383. Großzügigkeit ˘ al-ğūd 251,
Fügsamkeit salāsa 247. Charaktereigenschaft der – huluq al- – ebd.
Führung, erfolgreiche – zum Ziel at-tasdı̄d 295, Großmut šahāma 277. ˘
301, 303. Grundlage asl 294, – der Religion usūl ad-dı̄n
ebd. ˙ ˙
Gabe 2atı̄yya 376, minha 367. das Gute al-hair 298.
geben a2t ˙ ā 235. ˙ die Güte al-ih ˘ sān 235.
˙ 268.
Gebet salāt ˙
˙
s. gedulden sabara 323. Habsucht, Übervorsicht al-hirs 325.
Geduld sabr˙ 255. ˙ ˙ hasana ebd.
Haltung hai3a 251, gute -en hai3āt
geduldig˙ sābir 325. Handeln al-2amal 179. ˙
Gefahr hat ˙ ar 384, Erstürmung der -en iqtihām Handlung, gerechte insāf 294.
˘
al-ahtār ˙ebd. ˙ Harmonie tanāsub 273.˙
˘˙
Gefolgschaft mutāba2a 404. hassen baġada, gegenseitig – tabāġada 363.
Gegenteil ad-didd 259, an-naqı̄d 236. ˙
Hass, gegenseitig tabāġud ebd. ˙
genießen istalad˙ ˙ da 307. ˙ Heftigkeit šidda 267. ˙
¯¯
346 II. Termini und ihre Anwendungen
notwendig, das – ad-darūrı̄ 234, 379, -e Gege- schädlich, das –e ad-durr 305.
˙ ˙ – fi 3l-2aql 193.
benheit der Vernunft schaffen halaqa 231. ˙ ˙
die Notwendigkeit ad-darūra 401. ˘
Scham hağal 280, hayā3 281.
˙ ˙ schamlos ˘ mutahattik, ˙ tahattuk 372,
Parteinahme, Fanatismus ta2assub 406, – neh- Schamlosigkeit hutka, tahattuk 282, 242, 372.
men ta2assaba ebd. ˙˙ Schande 2ār 371.
˙ ˙
Person šahs 227, 263, Individuum 238. Schöpfung, Geschöpf halq 331.
Phantasie˘wahm
˙ 211. Schöpfer (Gott) al-hāliq ˘ 332.
physisch badanı̄ 373. ˘
Sanftmut hilm 233 ff., 261 usw.
Plage 2anā3 180. Schadenfreude˙ aš-šamāta 384 ff.
Polytheismus išrāk bi-3llāh, polytheist mušrik Scharfsichtigkeit al-bası̄ra 271, 370.
317. Unvermögen zur – 2amaš ˙ al- – 271.
Pracht bahā3 230, 286. Schatten hayāl 280 f.,
Gott gehört die größte – li-3llāh al-bahā3u ˘
die sichhtbaren Dinge sind – al-mubsarāt -āt
3l-a2zam 286. ebd. ˙
prahlen ˙ tabağğaha 278. Scheinargument šubha 346.
Prahlerei tabağğuh˙ ebd. schlecht habı̄t 236, radı̄3 341.
Praxis mumārasa 257. ˙ ˘ ¯ habat 342.
Schlechtigkeit
preisen hamada (Allāh) 238. Schmeichelei malaq ˘ ¯ 285.
˙
Prinzip mabda3 288, 402, schmerzlich mu3lim 244.
-ien der Vernunft mabādi3 al-2aql 288. Schwäche ad-da2f 259.
Prophet nabı̄y 231, 256. Schwachsinnigkeit˙ ˙ humq 275.
Prophetie nubūwa 231, 387. Seele, Geist rūh 293,˙ nafs 190, 265.
psychisch nafsı̄ 373. Reinheit der – ˙tahātat an- – 234.
Sehvermögen bas ˙ ar 338, 403, das innere – - al-
s. rächen intaqama, talaba 3l-intiqām 319. ˙
bātin 338, das äußere – - az-zāhir ebd.
Rachsucht tašaffin 233.˙ ˙
Sehnsucht šauq 209, 402. ˙ ˙
Rang, -stufe rutba 241, 270. Selbstbeherrschung dabt an-nafs 324.
Raserei istišāta 277 ff. Selbstgefälligkeit, Eitelkeit ˙ ˙ 2uğb 278, 322.
Ratlosigkeit tah ˙ ayyur 243. Selbstgespräch hadı̄t an-nafs 382.
˙
Ratsuchend mustaršid 407. Selbstverachtung ˙ mahāna
¯ 278.
recht tun haqqa 390. Sinn, die Sinne al-hawāss 199, 331 f., äußere u.
Recht haqq ˙ 233, 236. innere zāhira wa-bāt ˙ ina, funktionstüchtig
˙
rechtleiten hadā 301, ˙
salı̄ma 270. ˙
Rechtleitung hidāya 295. sinnlich, Sinnlichkeit hissı̄ 184.
Redekunst hatāba 353. Sicherheit salāma 384.˙
rein sein zakā˘ ˙301. sollen inbaġā 258.
Reinheit tahāra 234. sorglos ġāfil 249, 393.
– der Seele˙ -t an-nafs ebd. Sorglosigkeit ġafla 182.
rein tāhir 259. Spott suhrı̄ya 327.
˙
Religion dı̄n 235. Religiösität diyāna 315. Stadium,˘ Zustand taur 392,
Wissenschaft der Religion 2ilm al-adyān, Ver- Entwicklungsstufe˙ des Menschen atwār al-
ständnis des wahren religiösen Wissens fahm ādamı̄ ebd. ˙
al-2ilm al-haqı̄qı̄ ad-dı̄nı̄ 343. Standhaftigkeit tabāt 276 f.
Respekt, Würde ˙ waqār 215, 277. Stärke šidda 259.¯
respektieren waqqara 333. Stellenwert rutba 373.
Rivalität munāfasa 241. Strafe, Bestrafung 2uqūba 320,
Rücksichtnahme i2tibār 214. das Strafrecht al-2uqūbāt 359.
ruhen sakana 235. streiten mārā 361.
Streitlust šakāsa 284, mirā3 322.
Sattheit šiba2 308. streben sa2ā 293.
schaden darra 270, 372. stolz sein bāhā 315.
˙
348 II. Termini und ihre Anwendungen