Der Entwurf Einer Systemischen Konjunktivtheorie Für Die Romanischen Sprachen Durch W. Dietrich
Der Entwurf Einer Systemischen Konjunktivtheorie Für Die Romanischen Sprachen Durch W. Dietrich
Romanisches Seminar
Prof. Dr. Wolf Dietrich
Markus Mischke
Südstraße 33 a
48153 Münster
SS 2000
2
Gliederung
1. Einleitung................................................................................ 3
Literatur .................................................................................... 23
3
1. Einleitung
Im Rahmen eines Hauptseminars zur “Syntax des Französischen” befassten wir uns
im Sommersemester 2000 mit einigen der wichtigsten theoretischen Ansätze zur Rol-
le von Tempus, Aspekt und Modus im französischen Satz. Mehr als alle anderen
Verbalkategorien fordern gerade diese immer wieder das Interesse von Grammati-
kern und Sprachwissenschaftlern aller linguistischen Schulen heraus, da sowohl die
präzise Erfassung der Distribution der entsprechenden Formen als auch die wissen-
schaftlich fundierte Reflexion über deren Funktionen nicht geringe Schwierigkeiten
bereit hält. Diese erklären sich zum einen dadurch, dass der Gebrauch der unter-
schiedlichen Tempora und Modi in hohem Maße durch die Syntax komplexer Sätze
und den diesen zu Grunde liegenden grammatischen Regelsystemen bestimmt ist,
zum anderen durch die Notwendigkeit einer inhaltlichen Bestimmung der sich dar-
bietenden Oppositionen, sollen diese auch über ihre formelle Gestalt hinaus charakte-
risierbar sein.
Gerade mit Blick auf den Bereich des Modus zeigte das Seminar die Bandbreite der
seit etwa 1930 zu diesem Problemkomplex entstandenen Ansätze auf, die von den
sprachpsychologisch-universalistisch motivierten Arbeiten G. GUILLAUMEs und
den ebenfalls in hohem Grade semantisch argumentierenden Beiträgen L. CLEDATs
und Th. KALEPKYs bis hin zu den erklärtermaßen asemantisch, statistisch ausge-
richteten Theorien der Glossematiker BOYSEN und NORDHAL reichten. Auch
wenn die erbitterten fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den
wissenschaftlichen Lagern der Vergangenheit angehören1 und sich in den modernen
Theorien zum Modus eine deutliche Tendenz zur Konvergenz abzeichnet, kann dies
nicht darüber hinweg täuschen, dass die Akzentuierungen bei der Darstellung dieses
Aspektes der französischen Grammatik immer noch deutlich verschieden ausfallen.
Zwei Konstanten der Betrachtung scheinen sich dabei abzuzeichnen: Betont werden
entweder die semantischen Implikationen des Modusgebrauchs, die auf die Bedeu-
tung der Sprache als Mitteilungssystem rekurrieren, oder aber der normativ fixierte
“bon usage“, in dem die Modussetzung automatisiert, d.h. in Abhängigkeit von be-
stimmten syntaktischen oder lexikalischen Auslösern erscheint. In letzter Konse-
quenz gelangt die letztere Position dahin, die Funktionalität der Opposition zwischen
den Modi, und d.h. hier vor allem zwischen Konjunktiv und Indikativ, an sich in
4
Frage zu stellen und diese nurmehr als Varietäten zu betrachten, deren Verteilung
kontextabhängig mit mehr oder weniger großen diaphasischen Unterschieden erfolgt.
GOUGENHEIM griff zur Beschreibung dieser zunächst rein wertfrei konstatierten
Abhängigkeiten auf den von BRUNOT geprägten Begriff der “servitude grammatica-
le” zurück; ROTHE beschrieb die Konjunktivformen als “gebundene Formen” und
den Konjunktiv selbst als mehr oder weniger bedeutungslose “Positionsvariante” des
Indikativs, belastet durch einige bedeutungshaltige Reliktverwendungen 2. Demge-
genüber verfolgten die eher traditionellen Konjunktivtheorien eine Inventarisierung
und Hierarchisierung der Redekontexte nach semantischen Gesichtspunkten, um ab-
schließend zur Beschreibung einer oder mehrerer “Urbedeutungen” zu gelangen.3
Dass diese beiden Betrachtungsweisen bereits von ihrem Ansatz her problematisch
sind und weit hinter die von den strukturalistischen Schulen erarbeiteten Konzepte
zurückgehen, zeigte WUNDERLI in seiner 1976 veröffentlichten Darstellung zu
Modus und Tempus der romanischen Sprachen. Auf eine rein phänomenalistisch
vorgehende Inventarisierung der möglichen Redebedeutungen ausdrücklich verzich-
tend verfolgte er das Ziel, zum eigentlichen Systemwert des romanischen Konjunktiv
vorzudringen, um erst in einem zweiten Schritt die Affinität zwischen dieser rein
sprachlichen, d.h. abstrakt auf der Ebene des Systems existierenden Inhaltsebene und
den auf der Ebene der Rede etablierten “semantischen Feldern” in einem eher
exemplarischen Zugriff aufzuklären. WUNDERLI betonte in diesem Zusammenhang
auch bereits die gleichsam vermittelnde Rolle der Norm. Nimmt man deren präfor-
mierende und damit letztlich sprachgestaltende Wirksamkeit ernst, erscheint eine
psychologisierende Vorstellung des Sprechaktes, wie GUILLAUME sie mit seinem
Entwurf einer “chronogénèse” skizziert hat, als nicht mehr haltbar. Umgekehrt er-
scheint sie angesichts einer strukturell gegebenen Systembedeutung jeder sprachli-
chen Form nicht länger mehr als rigides Regulationsinstrument, sondern als unab-
dingbares Hilfsmittel, das die Nutzung der Sprachbedeutung im konkreten Redevoll-
zug erleichtert.4 Die genaue Interpretation des Modusgebrauchs bei WUNDERLI
kann im Rahmen dieser Arbeit nur als Kontrastfolie dienen, die ihr zugrundeliegende
theoretische und methodische Ausrichtung lässt sich jedoch in der im selben Jahre
1
Vgl. Wunderli, Peter: Modus und Tempus. Beiträge zur synchronischen und diachronischen Mor-
phosyntax der romanischen Sprachen, Tübingen 1976, S. 1.
2
Vgl. Wunderli, Peter, a.a.O., S. 29 ff.
3
Ebd., S. 21.
4
Ebd., S. 22 ff. Wunderli spricht mit Blick auf die Redebedeutungen des Konkunktiv dementspre-
chend auch von “Nutzwerten”, bei der zugrundeliegenden Systembedeutung von “Grundwert”.
5
5
Coseriu, Eugenio: Das romanische Verbalsystem, hrsg. und bearbeitet von Hansbert Bertsch, Tü-
bingen 1976; nach Wolf Dietrich “une des interprétations les plus cohérentes et les plus différenci-
ées des fonctions temporeles et aspectuelles du verbe“ (Dietrich, Wolf: “Actualité et inactualité de l'
action: Les fonctions modales dans le système verbal des langues romanes”. In: Logos Semantikos.
Festschrift E. Coseriu, Bd. 4, Berlin 1981, S. 395).
6
Mit der Kategorie der Ebene gelangt COSERIU zu einer Neubewertung des romani-
schen Imperfekts, das er nicht länger als reine Vergangenheitsform in einer wie auch
immer gearteten Opposition zum Perfekt betrachtet, sondern in Opposition zum Prä-
sens bringt, eine Opposition, deren semantischen Gehalt er mit “Aktualität vs. Inak-
tualität” bestimmt. Das Imperfekt, so COSERIU, bringe in allen seinen Verwendun-
gen eine Einschränkung bzw. Verneinung des als aktuell, und d.h. in etwa als “wirk-
lich”, “gegenwärtig” und “real” mit Hilfe des Präsens Vorgestellten zum Ausdruck,
und dies in jeweils unterschiedlichem Sinne. Sechs unterschiedliche Redebedeutun-
gen des Imperfekt analysiert er auf ihren spezifischen Gehalt an Inaktualität, der
eben nicht nur die Bedeutung “Vergangenheit” oder die ihm immer wieder zuge-
schriebene aspektivische Bedeutung des “Unabgeschlossenen“ umfasst, sondern z. B.
6
COSERIU knüpft mit dieser Interpretation eines "hybriden Systems" ausdrücklich an Ergebnisse E.
BUYSSENS an, der bereits in den 50er Jahren zu diesem Komplex Stellung nahm (vgl. Coseriu,
Eugenio, a.a.O., S. 81.
7
Ebd., S. 115. Demgegenüber präsentieren sich die diesem System aufgelagerten Systeme in Form
periphrastischer bzw. lexikalischer Ausdrücke, die vor allem. die spezifisch aspektivischen Be-
schreibungen ermöglichen.
7
auch die einer Bedingung (Si j’avais de l’argent...) oder einer höflichen Distanznah-
me (Je voulais vous dire...).8
Formal betrachtet ist das Präsens dabei das merkmallose und damit potentiell exten-
sive Glied dieser Opposition. Merkmallos sind Präsens und Imperfekt ihrerseits in-
nerhalb der sich durch die Kategorie der primären Perspektive ergebenden mehr-
gliedrigen Opposition von “Vergangenheit”, “Gegenwart” und “Zukunft”, so dass
sich das Grundsystem für die romanischen Sprachen insgesamt wie folgt darstellt:
2) Si j’ avais de l’argent , je te le donnerais. – Irrealis I, d.h. Bezeichnung eines irrealen (und damit
als inaktuell bezeichneten) Tatbestandes für die Gegenwart mit entsprechendem Zukunftsbezug.
3) Si jamais j’ avais de l’argent, ... – Irrealis I, aber Verlegung des irrealen Tatbestandes in die Zu-
kunft.
Zusätzliche Plausibilität erhält das System dabei durch die offensichtliche formale
Ähnlichkeit von Imperfekt, Plusquamperfekt und Konditional in allen romanischen
Sprachen.
8
Ebd., S. 167 f.
8
...on se demande comment il est possible qu`une forme, qui en général ne signifie rien, puisse signifier
quelque chose dans certaines combinaisons et se trouver ainsi 'neutralisée' dans la grande majorité de
ses emplois.10
Außerdem weist er darauf hin, wie selbst die erklärtermaßen asemantisch argumen-
tierende Fraktion zuweilen nicht die Trennung von sprachlicher und außersprachli-
cher Wirklichkeit beherzige, Grundvoraussetzung für jede systemisch-
strukturalistische Sprachanalyse. Der folgende Satz werde von ROTHE als Beispiel
dafür zitiert, wie wenig der Konjunktiv, die ihm zugesprochene Markierung einer
Nicht-Realität zu leisten vermag und wie sehr seine Verwendung statt dessen durch
die grammatische Norm determiniert sei:
9
Dietrich, Wolf, a.a.O., S. 396.
9
Il arrive qu‘ un bataillon, qui compte sur le papier un millier d’hommes n’en ait, dans la réalité, que
six cents à sept cents.11
10
Ebd., S. 397.
11
Ebd., S. 398.
12
Hier zieht DIETRICH selbst eine Parallele zu KALEPKY , dem seiner Auffassung nach „moderns-
ten“ Vertreter der traditionellen Konjunktivforschung: Nicht um den Ausschluss einer Realtität gehe
es bei der Verwendung des Konjunktives, sondern um die Ausblendung dieser Realtität
(ebd., S. 399).
13
Vgl. Wunderli, Peter, a.a.O., S. 10.
10
Person Konjunktiv
Aktionstand Partizip
Infinitiv deiktisch
Der Konjunktiv erscheint hier als teilaktualisierter Modus und damit zum einen als
merkmalloses Glied der mehrgliedrig vorgestellten Opposition und zum anderen als
vollständig abgekoppelt von der grammatischen Kategorie des Tempus, eine Auffas-
sung, der DIETRICH entschieden widerspricht, da er sehr wohl noch eine zeitliche
Wertigkeit des Konjunktivs erkennt, auch und vor allem über die im syntaktischen
Gefüge automatisiert erscheinenden Anwendungsbezüge der „concordance des temps
hinaus.14
Als Beispiel einer Kommutationsprobe für das Französische dient DIETRICH der
folgende Satz:
Bien que la saison ne s’y pretat pas, je desirais beaucoup entendre les flutes et en acquerir quelques
exemplaires.15
Unmittelbar deutlich wird hier, wie durch ein Ersetzen des „subjonctif de
l’imparfait“ durch den „subjonctif du present“ der Sinn des Satzes nachhaltig verän-
dert würde.
So wie in dem von COSERIU vorgestellten System der Verweis auf eine entspre-
chende zeitliche bzw. aspektivische Ebene eine Handlung als aktuell oder inaktuell
im Hinblick auf einen deiktisch bestimmten Zeitpunkt kennzeichne, so beziehe sich
14
Vgl. Dietrich, Wolf, a.a.O., S. 402.
15
Ebd., S. 402 (zit. nach LEVI-STRAUSS).
11
Der Indikativ schließt demnach die Verwirklichung einer in Rede stehenden Hand-
lung immer mit ein, und sei es in der Pro- bzw. Retroperspektive, während es die
Funktion des Konjunktives ist, den Gedanken der Verwirklichung einer Handlung
von vornherein auszublenden.17
In seiner Eigenschaft als das merkmallose und damit extensive Glied der Oppositi-
on, fungiere der Indikativ deshalb als eine Art Basisform und finde immer dort Ver-
wendung, wo die Aktualität der Verbalhandlung nicht ausdrücklich augeblendet
werden soll.
16
Ebd., S. 403.
17
In ähnlicher Weise gelte dies für die unpersönlichen Modi, den Imperativ und den Infinitiv, wobei
der Infiniv jedoch als zur Nominalgruppe gehörig von vornherein ohne zeitliche und personale Per-
spektive erscheine und damit als vielleicht extremster Ausdruck der Inaktualität aufzufassen sei.
(ebd., S. 405).
18
Coseriu, Eugenio, a.a.O., S. 47.
12
Aktualität nahe legen und damit sieben möglichen Redebedeutungen des Konjunk-
tivs entsprechen.
Diese sollen- bezogen auf das Neufranzösische- hier im Folgenden kurz umrissen
werden.
1. Kennzeichnung der Inaktualität einer Handlung in Abhängigkeit eines Ausdrucks
der Bewertung, bzw. des Wünschens, Hoffens oder Nachdenkens:
So wie die Bewertung notwendigerweise nicht die Aktualität der in Rede stehen-
den Handlung bedinge, so kennzeichne der Ausdruck des Wünschens eine Hand-
lung geradezu zwangsläufig als inaktuell, da sie ja noch nicht eingetreten ist.
Die Analyse dieses Redekontextes vermag laut DIETRICH auch den Konjunktiv
in vorangestellten Objektsätzen erklären:
Hier ergebe sich die Inaktualität unmittelbar aus der Linearität des Satzes, da man
eben zu Beginn des Satzes noch nicht wisse, welches Verhältnis zur Handlung im
Hauptsatz zum Ausdruck kommen wird.19
Gerade hier, so betont DIETRICH, bestehe jedoch häufig eine echte Wahlmög-
lichkeit durch den Sprecher, der in einem solchen Fall durch die Wahl des Indi-
katives eine Akzentuierung in Richtung Aktualität vornehmen könne.
19
Dietrich, Wolf, a.a.O., S. 407.
13
Die Inaktualität der Verbalhandlung ergebe sich hier aus der Setzung des unbe-
stimmten Artikels, der die Tür als eine im Bewusstsein des Sprechers noch nicht
real existierende ausweise.
DIETRICH subsummiert unter diesen Aspekt der Finalität auch die mehr oder
weniger zahlreichen Verwendungen des subjonctif im Hauptsatz in Form von
entsprechend emotional belegten Ausrufen, wie z. B.:
→ Je ne sache pas.
Laut DIETRICH ein weiteres Beispiel dafür, wie nicht die außersprachliche Rea-
lität die Wahl des Konjunktivs bedinge, sondern die durch die Wahl der Kon-
junktion sich manifestierende Interpretation der Realität durch den Sprecher.
Einmal mehr sei hier zudem die Vorstellung einer bloßen „servitude grammati-
cale“ irreführend, da der Automatismus in bestimmten Fällen außer Kraft gesetzt
erscheine:
Die Inaktualität der Verbalhandlung werde hier auf der Ebene der Tempus- und
Aspekt-Kategorie der Ebene bzw. Perspektive zum Ausdruck gebracht, während
ihre Verwirklichung selbst durch die Wahl des Indikativs ausdrücklich mitge-
dacht und damit eben nicht ausgeblendet werde.20
DIETRICH warnt davor, mit Blick auf die zahlreichen automatisiert erscheinen-
de Einzelkonstruktionen, die sprachlogisch sich darbietenden Gemeinsamkeiten
bestimmter Redebedeutungen zu übersehen. So ließen sich unter der Idee des in-
neren Widerspruchs eben nicht nur die konzessiven, sondern auch Konstruktio-
nen des generalisierenden Typus fassen:
Gerade der letzte Beispielsatz zeigt noch einmal nachdrücklich die kategoriale
Verschränkung der zeitlichen und modalen Perspektive.21
Leitend für die Fragestellung dieses Teils der Arbeit war die unmittelbare Erfahrung,
dass mit dem Gebrauch des Subjonctifs ein vergleichsweise schwieriges und sperri-
ges Kapitel der französischen Grammatik angesprochen ist, das zudem im schuli-
20
Ebd., S. 411.
21
Davon unbenommen ist die Diskussion um die generelle Ausweitung des subjonctifs-Gebrauchs
nach apres que in der jüngerern Zeit, die ggf. als Form einer syntaktischen Analogiebildung nach
dem Muster avant que interpretiert werden kann.
22
Ebd., S. 414.
15
schen Fremdsprachenunterricht häufig nur sporadisch behandelt wird und für den
Lerner somit nicht selten undurchsichtig und verworren bleibt.23
Zu einem Gutteil ist die daraus resultierende Frustration und Gleichgültigkeit auf
Lernerseite Bestandteil dessen, was die fachdidaktische Literatur ganz allgemein als
„Krise der Grammatik“ beschreibt.24 Auch wenn ich hier nicht im Einzelnen auf die
Diskussion um den Stellenwert des Grammatikunterrichts im Fremdsprachenunter-
richt eingehen kann, bleibt festzuhalten, dass in der Wahrnehmung vieler Praktiker
die traditionelle Vermittlung grammatischer Inhalte in der Schule immer häufiger an
Grenzen stößt und Gefahr läuft, die Motivation und das Interesse des Schülers für die
jeweilige Fremdsprache nachhaltig zu zerstören. Während nun aber einerseits die
Suche nach alternativen Vermittlungsformen weiter vorangetrieben wird25 , hat sich
gerade in jüngerer Zeit in Rückschau auf entsprechende didaktische Konzepte der
siebziger und achtziger Jahre die Erkenntnis durchgesetzt, auf einen Grammatikun-
terricht als solchen nicht verzichten zu können, einen Unterricht also, der „die geziel-
te und bewusst (machend)e Auseinandersetzung mit dem fremden (und dem eige-
nen!) Sprachsystem“26 im Blick behält. So spricht GNUTZMANN die häufig wider-
sprüchliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte resümierend insgesamt von
einer „gestärkten Stellung des Grammatikunterrichts“27 und ROOS infolgedessen
gar von einer „Renaissance der Grammatiken“28
Angesichts einer solchen kritischen Neubesinnung bleibt jedoch die Frage nach der
Auswahl der grammatischen Inhalte sowie nach didaktisch angemessenen Darstel-
lungsformen.
Bezogen auf den subjonctif interessierte mich die Frage, wie verschiedene auf dem
Markt befindliche Lern- bzw. Schulgrammatiken in das Thema „Modus“ einführen,
welche Ebene der Darstellung sie jeweils wählen und inwieweit bei den gewählten
23
So zumindest erfolgte im Rückblick auf meine eigene Lerngeschichte eine systematische Auseinan-
dersetzung mit dem subjonctif nicht einmal im Leistungskurs Französisch des Gymnasiums. Eine
gründlichere, wenn auch nicht immer linguistisch untermauerte Einführung blieb den entsprechen-
den Kursen im romaischen Seminar vorbehalten.
24
Vgl. etwa Polleti, Axel: „Die Krise der Grammatik im Französischunterricht“. In: Der Fremd-
sprachliche Unterricht/Französisch, H. 6/ 1997 sowie den Beitrag Günther Zimmermanns in:
Gnutzmann, Claus und Frank G. Königs (Hgg.): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen
1995.
25
Vgl. auf den im Folgenden noch einzugehenden Beitrag von Aneta GLAVIER: „De la grammaire-
chouette“ in: Der Fremdsprachliche Unterricht/Französisch, H. 6/ 1997, S. 18 ff.
26
Gnutzmann, Claus und Frank G. Königs (Hgg.), a.a. O., S. 11.
27
Ebd., S. 18.
28
Ebd., S. 249.
16
Eine Ausnahme bildet hier das unlängst erschienene Taschenlexikon der französi-
schen Grammatik von FUCHS, das sich jedoch ausdrücklich an „fortgeschrittene
Lerner“ wendet und durch die alphabethische Anordnung des Stoffes eine durchweg
andere Konzeption verfolgt.30 Die übrigen Grammatiken sind gängige Lehr- und
Nachschlagewerke für Oberstufenschüler, Studenten und Lehrer, wie etwa die be-
29
Eine Auffassung, wie sie im Prinzip von Volker DIECKMANN geteilt wird, der in Anknüpfung an
WEINRICH in der von diesem vorgeschlagenen Systembedeutung „Interesse“ einen übergeordne-
ten Schlüssel zur Vermittlung des subjonctifs erkennt (vgl.: Dieckmann, Volker: „Der subjonctif.
Eine linguistisch-fachdidaktische Betrachtung.“ In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts Nr. 3,
1990, S. 295 ff.
30
So ist FUCHS um eine differenzierte Klärung der Begriffe „Modalität“ und „Modus“ bemüht, für
die er eine enge Verflechtung mit den anderen Verbalkategorien konstatiert. Im Rahmen seiner Be-
handlung des „Imparfait“ rekurriert er zudem ausdrücklich auf die von COSERIU vorgeschlagene
Theorie zu einer übergeordneten Systembedeutung des Imparfait im Sinne der Opposition Aktuali-
tät/Inaktualität.
17
Allgemein lässt sich sagen, dass sich die untersuchten Grammatiken von ihrer inhalt-
lichen Grundkonzeption her kaum voneinander unterscheiden. Die Unterschiede lie-
gen vielmehr in der Art und Gewichtung der Erklärungen, Beispiele und Wörterlis-
ten, der Kommentare und Regelformulierungen. Dass solche Unterschiede im Detail
jedoch durchaus bedeutsam sind, zeigt bereits ein vergleichender Blick auf die
Grammatiken von KLEIN/KLEINEIDAM und CONFAIS:
„Der Subjonctif nach Verben und Ausdrücken des Wünschens, Verlangens, Verbietens und des Erlau-
bens“ sowie „des Vorschlagens, Zustimmens, Ablehnens, Verhinderns“34
31
Klein, Hans-Wilhelm und Hartmut Kleineidam: Grammatik des heutigen Französisch (Neubearbei-
tung). Stuttgart 1994, S. 3.
32
Ebd., S. 227 ff.
33
Ebd., S. 231 ff.
18
erscheinen, bleibt fraglich, ob sie auf Seiten des Lerners zu einem echten Verständnis
des Subjonctifs beitragen. Ein solches Verständnis wird meines Erachtens auch
dadurch erschwert, dass KLEIN/KLEINEIDAM wie auch die Mehrzahl der übrigen
Grammatiken als zusätzliche Klassifikationsebene die lexikalische bzw. syntaktische
Qualität der Subjonctif-Auslöser einbeziehen (Verben, unpersönliche Verben, per-
sönliches Subjekt + etre + Adektiv, c‘ est + Nominalgruppe usw.) mit der Konse-
quenz, dass die Aufmerksamkeit des Lerners zwischen solchen rein grammatischen
und demgegenüber eher semantischen Bezugspunkten aufgespalten zu werden droht.
Ähnlich verfahren die Autoren in Bezug auf den „nicht automatisierten Gebrauch des
Subjonctif“. Hier wird die variable Modussetzung primär als das Ergebnis syntakti-
scher Mechanismen erklärt:
„In einer Reihe von Fällen wird der Modus im que-Satz nicht automatisch ausgelöst, sondern steht in
Abhängigkeit vom sprachlichen Kontext, d. h. von der Satzform (bejahend oder verneinend) und
von der Satzart (aussagend, fragend oder auch bedingend) des einleitenden Satzes.“ 35
Zusätzlich kompliziert wird die Darstellung durch die zusätzliche Einbeziehung sti-
listischer Kriterien (Qualität des einleitenden Fragesatzes) sowie die eingestreuten
Erklärungen zu einigen speziellen lexikalischen Ausdrücken (supposer que, admettre
que usw.), wohingegen auch angesichts folgender sinnfälliger Opposition auf eine
interpretierende Vertiefung verzichtet wird:
„Je ne dis pas qu‘ elle est bete (... mais je le pense!) -
Je ne dis pas qu‘ elle soit bete (... bien au contraire!)“
Eine knappe semantische Erklärung findet sich allein mit Blick auf den Subjonctif in
vorangestellten Que-Sätzen. Das Verb stehe hier im Subjonctif, weil die Aussage
nicht als Tatsache, sondern „als in der Schwebe befindlich“ bewertet werde.36
Eine Erläuterung des Subjonctifs in bestimmten Temporal-, Final- oder Konzessivs-
ätzen fehlt vollständig. Die Autoren begnügen sich hier mit dem Abdruck einer ent-
sprechenden Übersicht.37
34
Ebd., S. 227 f.
35
Ebd., S. 231.
36
Ebd., S. 236.
19
Obwohl nun CONFAIS in seiner Grammatik über weite Strecken ähnlich verfährt, ist
bei ihm doch eine andere Akzentuierung erkennbar.38 Nach einer kurzen, inventari-
sierenden Übersicht über die verschiedenen grundsätzlichen Verwendungsmöglich-
keiten des Subjonctif, widmet sich der Autor einer eingehenderen Erläuterung des
Phänomens „Modus“ und „Modalität“, die ihn zu einer Bestimmung von zwei
Grundmodalitäten führt: einer „intellektuellen Modalität“ und einer „affektiven Mo-
dalität“. Obgleich CONFAIS dabei ebenfalls auf den zumeist redundanten Charakter
des Subjonctifs abhebt, stellt er gleich zu Beginn fest, dass die Wahl des Modus im
Sinne einer echten Opposition durchaus auch bedeutungsunterscheidend sein kön-
ne.39 Die „affektive Modalität“ wird, anders als bei KLEIN/KLEINEIDAM oder
auch REUMUTH/WINKELMANN nicht weiter aufgefächert, sondern als eine über-
geordnete Aussageabsicht betrachtet, so dass Ausdrücke wie il est normal, naturel,
logique etc. rein sprachlogisch als Negation einer impliziten affektiven Modalität (im
Sinne von nicht erstaunlich) aufgefasst werden können und demnach die (von der
Norm her natürlich als „obligat“ zu betrachtende) Setzung des Subjonctifs auch in-
haltlich nachvollziehbar machen. Auch die Erklärungen zur Funktionalität des Sub-
jonctifs für die Unterstützung einer Aussage mit entsprechender intellektueller Mo-
dalität gehen zumindest in Richtung einer „theorie unitaire“: COFAIS präsentiert
keinen „Konjunktiv des Zweifels“ oder einen „Konjunktiv der Unsicherheit“, son-
dern interpretiert den unterschiedlichen Wahscheinlichkeitsstatus einer Verbalhand-
lung auf der Grundlage eines Kontinuums, und den Subjonctif als eine Möglichkeit
der Markierung einer eben nicht 100% sicheren Aussage.40
37
Ebd., S. 247.
38
Vgl. im Folgenden: Confais, Jean-Paul: Grammaire explicative. Schwerpunkte der französichen
Grammatik für Leistungskurs und Studium. Ismaning 21980, S. 54 ff.
39
Ebd., S. 58.
40
Ebd., S. 63.
41
Ebd., S. 81 und 83.
20
Offensichtlich ist mithin, dass es CONFAIS um mehr geht als eine reine Aufberei-
tung des „bon usage“. Dies wird im Übrigen bereits im Vorwort deutlich, wenn er
schreibt:
„Das Ziel der Spracherlernung besteht im Wesentlichen in der Aneignung gewisser Automatismen.
Allein durch Auswendiglernen und imitative Anwendung von Regeln und Mustern lässt sich dies aber
nicht erreichen. Bei einer solchen Methode liegt vielmehr die Gefahr nahe, dass der Lernende die
Grammatik als Sammlung von willkürlichen und uneinsichtigen Vorschriften ablehnt.“ 42
Der Grammatikunterricht sollte sich deshalb, so CONFAIS, nicht auf reine Beschrei-
bungen beschränken, sondern Einsicht in Funktion und Sinn der grammatischen Re-
geln vermitteln.
Bezogen auf das Kapitel „subjoncif“ würde ein nachhaltiger Lernzuwachs bedeuten,
dessen sprachliches Potential deutlich und nachvollziehbar zu machen, sei es idealty-
42
Ebd., S. 3.
43
Vgl. Dietrich, Wolf, a.a.O., S. 412 f.
44
Polleti, Axel: „Die Krise der Grammatik im Französischunterricht“. In: Der Fremdsprachliche
Unterricht/Französisch, H. 6/ 1997, S. 6.
21
Es ist offensichtlich, dass die untersuchten Grammatiken diesem Ziel nur sehr be-
dingt nachkommen, eben weil sie zu selten bereit sind, linguistische Theoriebestände
einzubeziehen, wie dies z. B. bei der Darstellung des Imparfait naheliegend wäre. So
verzichtet der Großteil der Grammatiken in diesem Zusammenhang auf erläuternde
Skizzen oder Visualisierungen und gibt sich zumeist mit der Zusammenstellung von
Wörterlisten zufrieden.46
Mit Blick auf die Schulgrammatiken im engeren Sinne fällt das Ergebnis ähnlich aus,
obwohl es dort entsprechende Ansätze gibt, indem zum Beispiel an eine Vernetzung
der unterschiedlichen Moduskapitel gedacht wurde, wie zum Beispiel in der Gram-
matik von GREGOR/WERNSING, die zur Einführung in das Kapitel Modus zu-
nächst eine Übersicht über verschiedene Modi bzw. Modalitäten des Französischen
geben.47
Eine Ahnung davon, wie die Vermittlung des Subjonctif im konkreten Unterricht
auch aussehen könnte, gibt demgegenüber GLAVIER, die in ihrem Praxismodell für
die Mittelstufe zunächst allerdings weniger von einem reflektierend, sprachanalyti-
schen Ansatz ausgeht, sondern auf die situative, sprachpraktische und vor allem
kommunikative Einführung dieses Phänomens setzt.48
Eher metasprachlich orietiert sind die Überlegungen, die WERNSING in einer Art
Gegenrede zu den Ausführungen POLETTIs skizziert. Er bestätigt die grundsätzliche
Problematik eines traditionellen Grammatikunterrichts, betont aber zugleich, welche
Chancen eine bewusste Auseinandersetzung mit Sprache anhand ausgewählter, di-
daktisch relevanter Themen bietet, Themen nämlich, die über die reine Verordnung
von Regelwissen hinausgehen. Dazu zählt er unter anderem das Kapitel „Subjonctif“,
45
Vgl. hierzu die Ausführungen von DIECKMANN, a.a. O.
46
Vgl. hierzu etwa als extremes Beispiel: Frank, Christine: Neue französische Grammatik. Ebersbach
1993.
47
Gregor, Gertraud und Armin Volkmar Wernsing: Französische Grammatik für die Mittel- und
Oberstufe. Berlin 1997, S. 67 f.
48
Vgl. Aneta Glavier: „De la grammaire-chouette“, a. a. O.
22
Gerade der Sprachvergleich anhand dieses einfachen Satzbeispiels könne dem Lerner
schlagartig deutlich machen, „dass es sich hier um zwei unterschiedliche sprachliche
Konstruktionen von Wirklichkeit handelt.,“49 Ein derart semantisch ausgerichteter
Grammatikunterricht stelle die gewohnte Sichtweise der eigenen Muttersprache in
Frage und mache sensibel für das grundsätzlich „Andere“ und das „Mehr“ einer
fremden Sprache.
49
Wernsing. Armin Volkmar in: Der Fremdsprachliche Unterricht/Französisch, H. 6/ 1997, S. 30 f.
23
Literatur
a) Literatur zum Kontext „Konjunktivtheorien“
Coseriu, Eugenio: Das romanische Verbalsystem, hrsg. und bearbeitet von Hansbert
Bertsch, Tübingen 1976
Dietrich, Wolf: „Actualité et inactualité de l’action: Les fonctions modales dans le
système verbal des langues romanes. In: Logos Semantikos. Festschrift E.
Coseriu. Bd. 4. Berlin 1981, S. 395-416
Wunderli, Peter: Modus und Tempus. Beiträge zur synchronischen und diachroni-
schen Morphosyntax der romanischen Sprachen. Tübingen 1976
c) Grammatiken
Dethhoff, Uwe und Horst Wagner: Die französische Grammatik: Regeln, Anwen-
dung, Training. Tübingen; Basel 2002
Frank, Christine: Neue französische Grammatik. Ebersbach 1993
Fuchs, Volker: Taschenlexikon der französischen Grammatik. Tübingen; Basel 2001
Reumuth, Wolfgang und Otto Winkelmann: Praktische Grammatik der französischen
Sprache. Wilhelmsfeld 1994
Gregor, Gertraud und Armin Volkmar Wernsing: Französische Grammatik für die
Mittel- und Oberstufe. Berlin 1997
Lübke, Diethard: Langenscheidts Schulgrammatik Französisch. Berlin; München
1990