Einführung in die
Lexikologie
DR. BARBARA AEHNLICH, FSU JENA
Formen der Lexikologie
Allgemeine Lexikologie
Spezielle Lexikologie
Historische Lexikologie
Kognitive Lexikologie
Computerlinguistische Lexikologie
Inhaltliche Bereiche
Wortschatzkunde
Wortbildung/Morphologie
Lexikalische Semantik
Wortschatzkunde:
Wie entwickelt sich der Wortschatz einer
Sprache?
Wie ist der Wortschatz geprägt?
In welchen Beziehungen stehen die Wörter
zueinander?
Wortbildung:
Wie sind Wörter aufgebaut?
Wie werden sie gebildet?
Wie lässt sich ihre Struktur darstellen?
Lexikalische Semantik:
Was bedeutet ein Wort?
Aus welchen Bedeutungsbausteinen setzt es sich
zusammen?
Wie lässt sich Wortbedeutung beschreiben?
Angelagerte Disziplinen:
Lexikographie
Morphologie
Namenkunde/Onomastik
Sprache?
Haben Tiere und Pflanzen eine Sprache?
Sprache = Gattungseigenschaft
Ist die deutsche Sprache schwierig?
Sprache = Kommunikationsmittel einer Nation
Ist die Sprache von Goethe verständlich?
Sprache = Kommunikationsmittel eines
Individuums
Germanistische Sprachwissenschaft
Die synchrone germ. Sprachwissenschaft
erforscht die Gegenwartssprache.
Die diachrone germ. Sprachwissenschaft
erforscht die historische Entwicklung der
Sprache.
Grundeinheiten der Sprache
Laute und Buchstaben (Phonetik und
Phonologie / Graphematik)
Wörter und feste Wortgruppen (Lexikologie /
Morphologie)
Sätze (Syntax)
Texte (Textlinguistik / Pragmatik)
Wortbildung
Wortbildung im engeren Sinne: bezieht sich auf die Bildung
neuer Wörter aus bereits vorhandenen Elementen, z.B.
Fern-seh-er, Ge-web-e, Bio-an-bau
Wortschöpfung: ordnet erstmals völlig neue Lautformen
bestimmten Inhalten zu, z.B. Tür, Baum, klein
Okkasionelle Wortbildung: zu lat. occasio ‚Gelegenheit‘
(auch Ad-hoc-Bildung oder Gelegenheitsbildung)
Wortbildungsarten
Komposition
explizite Derivation
implizite Derivation
Kurzwortbildung
Morpheme als Konstituenten des
Wortes
Kleinste lautliche oder graphische Einheiten mit
einer Bedeutung oder grammatischen Funktion
Bilden die Konstituenten der Wortstruktur
Ergeben durch Kombination neue Wörter und
Wortformen
Arten von Morphemen
Basismorphem (BM): Basis der Wortbildung
Wortbildungsmorphem (WBM): neue Wortbildungen
(Derivationen) durch Anfügen eines Präfixes oder ein Suffixes
als WBM
Grammatische Morpheme (FM): auch Flexionsmorpheme;
Bildung von Wortformen
Kriterien zur Erfassung des
Morpheminventars (nach Schippan):
a) nach Bedeutung/Funktion der Morpheme
b) nach dem Grad ihrer Selbstständigkeit
c) nach ihrer Position
d) nach ihrer Reproduzierbarkeit
Bedeutung und Funktion
1. Basismorpheme (BM): tragen die lexikalisch-
begriffliche Bedeutung
2. Wortbildungsmorpheme (WBM): vermitteln
lexikalisch-begriffliche u. grammatische
Informationen
3. Flexionsmorpheme (FM): tragen die
grammatische Bedeutung
4. Fugenelemente (FE): sind wortinterne
fakultative Verknüpfungselemente
Grad der Selbstständigkeit
1. Freie Morpheme:
Basismorpheme (Berg, Maus, Tisch)
Konfixe als Kurzwort (Mini tragen, zur Disko gehen)
2. Gebundene Morpheme:
Wortbildungsmorpheme (un-frei)
Flexionsmorpheme, an BM gebunden (Tür-en)
Verbale Basismorpheme, an ein FM gebunden (nehm-en, les-en, wein-
en)
Unikale Morpheme, nur aus der Wortgeschichte zu deuten (Sint-
flut/mhd. sin(e) ‚gewaltig’; Un-flat/mhd. vlāt ‚Sauberkeit, Schönheit’
Position
Additive Morpheme:
Wortbildungsmorpheme oder Affixe (dem BM hinzugefügt)
/Präfixe/links vom BM/ver-binden, Suffixe/rechts vom
BM/wasch-bar, Zirkumfixe/umschließen das BM/ be-leid-ig(en)
Flexionsmorpheme, die dem BM hinzugefügt werden (leg-te,
ge-leg-t)
Einsetzbare Morpheme:
implizite Morpheme/mit grammatischer Funktion (sang, Väter)
Allomorphe/ ohne grammatische Funktion (Gesang,
mütterlich)
Reproduzierbarkeit
Morpheme sind in der Regel reproduzierbar,
wiederholbar und im Gedächtnis für neue
Kombinationen abrufbar
Bausteine (Konstituenten) der
Wortbildung
Wörter, die grammatisch kategorisiert sind
Morpheme
Grammatische Wortklassen
(Wortartenbestimmung)
Verb: +flektierbar, +konjugierbar
Nomen: +flektierbar, -konjugierbar, +genusfest
Adjektiv: +flektierbar, -konjugierbar, -genusfest, +komparierbar
Pronomen: +flektierbar, -konjugierbar, -genusfest, -komparierbar
Adverb: -flektierbar, +satzgliedfähig
Satzadverb: -flektierbar, -satzgliedfähig, -fügend, +satzwertig
Partikel: -flektierbar, -satzgliedfähig, -fügend, -satzwertig
Präposition: -flektierbar, -satzgliedfähig, +fügend, +kasusfordernd
Konjunktion: -flektierbar, -satzgliedfähig, +fügend, -kasusfordernd
Partikeln
(-flektierbar), (-selbstständig), (+modifizierend)
Abtönungspartikeln (Gab es etwa keinen Mann?)
(-flektierbar, (-selbstständig), (+Illokution modifizierend)
Gradpartikeln (Nur eine Frau gab es.)
(-flektierbar), (-selbstständig), (+skalierend)
Vergleichspartikeln (Ein Mann wie ein Baum.)
(-flektierbar), (-selbstständig), (+vergleichend)
Negationspartikeln (Keineswegs darf es regnen.)
(-flektierend), (-selbstständig), (+negierend)
Satzadverbien
(-flektierend), (+selbstständig), (+Satzbezug)
Modalwörter Dummerweise hat sie es geglaubt.
(-flektierend), (+selbstständig), (+Satzbezug)
Reaktive Ihre Fahrkarte, bitte!
(-flektierend), (+selbstständig), (+Satzbezug)
Interjektionen Huch, ist das kalt!
(-flektierend), (+selbstständig), (+Satzbezug)
Fügewörter
(-flektierend), (-selbstständig), (+verbindend)
Konjunktoren Es ist kalt und trocken.
(-flektierend), (-selbstständig), (+koordinierend
verbindend), (-kasusfordernd)
Subjunktoren Es ist kalt, denn es liegt Schnee.
(-flektierend), (-selbstständig), (+subordinierend
verbindend), (-kasusfordernd)
Präpositionen Die Blumen stehen auf dem Tisch.
(-flektierend), (-selbstständig), (+subordinierend
verbindend), (+kasusfordernd)
Wortbildungskonstruktionen (WBK)
Wortbildungskonstruktionen (WBK) stellen meist
Morphemkonstruktionen (MK) dar – Kombinationen aus
Morphemen
Jedes Wort ist hierarchisch strukturiert, besteht aus
unmittelbaren und mittelbaren Konstituenten
Unmittelbare Konstituenten (UK): Konstituenten, in die
eine Einheit unmittelbar zerlegbar ist (auf der
nächstniederen Hierarchie-Ebene)
Deutsche Wortbildungskonstruktionen sind i.d.R. binär
und rechtsköpfig strukturiert
Binär / rechtsköpfig
Binär: besitzen zwei UKs, Ausnahmen: 3 UKs (Tunichtgut,
Vergissmeinnicht) und ohne UK-Struktur (Uni, FAZ)
Rechtsköpfig: morphologischer Head (Kern, Kopf) kann
links oder rechts positioniert sein, für das Deutsche ist die
Wortstrukturregel X -> YX sprachspezifisch; drückt aus,
dass die rechte UK den morphologischen Head bildet,
der die kategorialen Eigenschaften des Gesamtwortes
festlegt
haushoch: [A[N haus][A hoch]];
Hochhaus: [N[AHoch][N haus]]
Konstituentenstruktur von Langkornreis:
Langkornreis
Langkorn reis
Lang korn
Kompositionalitätsprinzip
Bedeutung einer WBK: aus Bedeutung der
Bestandteile und Bedeutung der Relation
zwischen den Bestandteilen
Paraphrasierung
Wortsyntax
Lexikon als Bestandteil der Grammatik
Streng hierarchische Ordnung – Teil-Ganzes-
Relationen
Konstituentenanalyse!
Konstituentenanalyse
Strukturelle Charakteristika von
Wortbildungen
Morphemkombination
Hierarchisch aufgebaut (UKs und MKs)
In der Regel binär und rechtsköpfig strukturiert
Morphembäume: Darstellung der Morphemstruktur der
Wortbildung (auch Morphemdarstellung,
Morphemschreibung)
Kategorienbäume: Darstellung der Struktur der
Wortkategorien (auch Kategoriendarstellung,
Kategorienschreibung) (Verwendung der Syntaxbegriffe
wie N = Nomen)
Klammerstrukturen: Darstellung der Klammerstruktur der
Wortbildung (auch Klammerdarstellung,
Klammerschreibung) – Klammerschreibung ist die lineare
Variante der Kategorienschreibungen
Morphembaum von Regenbogen:
Wort
Stamm
BM Wurzel
BM
Regen bogen
Kategorienbaum von
Regenbogen:
N
N N
Regen bogen
Klammerstruktur von Regenbogen:
[N [N Regen] [N bogen]]
Stamm: Kombination aus mindestens zwei
Basismorphemen bzw. Basismorphem(en) und
Wortbildungsmorphem(en) (fruchtbar, untreu,
unfruchtbar, ganztägig, Lachgas)
Wurzel: Das BM, welches die Grundlage der
Wortbildung ist; Teil, der nach Abstreichen von
WBM oder determinierenden BM übrigbleibt.
(Lehramt, nachlässig), manchmal auch mehr als
eine Wurzel im Wort (Studienbewerber,
Altstadtfest)
Hauptwortbildungsarten
Komposition (Wort + Wort) Wahrheitsliebe ‚Liebe der Wahrheit‘
Derivation (Wort + WBM) Wahrheit = Wahr + heit
Arten der Derivation
Explizite Derivation
Präfigierung Präfixbildung (Präfix + Wort)un + wahr
Suffigierung Suffixbildung (Wort + Suffix) glaub + haft
Kombinatorische Derivation Kombinatorisches Derivat (Präfix + Wort + Suffix)
Ge-lüg-e
Implizite Derivation Implizites Derivat (Wort + Nullmorphem Ø)
(der) Raub = raub- Ø
Kurzwortbildung [MK freies Wort] -> [gekürzte UK] + [BM/MK freie UK]:
[Untergrundbahn] -> [U] [Bahn]; [Schutzkontaktstecker] -> [Schuko] [stecker]
Komposition
Entsteht ein neues Wort durch die Verbindung von zwei
oder mehreren Basismorphemen oder Stämmen, spricht
man von Komposition.
Bildung + Bedürfnis → Bildungsbedürfnis
Herbst + Laub → Herbstlaub
Oktober + Sonne → Oktobersonne
Binäre Struktur von Komposita
In der Regel sind Komposita binär strukturiert. Das heißt,
dass die zweite UK als morphologischer Head die
kategorialen Merkmale des Kompositums festlegt.
(der) Herbst (Subst.) + (die) Sonne (Subst.) → (die)
Herbstsonne (Subst.)
hoch (Adj.) + (die) Schule (Subst.) → (die) Hochschule (Subst.)
rühren (Verb) + (die) Schüssel (Subst.) → (die) Rührschüssel
(Subst.)
Arten von Komposita
Nach der semantischen Beziehung zwischen den
UK von Komposita Unterscheidung in:
Determinativkomposita (DK) mit semantisch-
hypotaktischer Relation
Kopulativkomposita (KK) mit semantisch-
parataktischer Relation
Determinativkomposita
Determinativkomposita sind durch die semantisch-
hypotaktische Relation zwischen den beiden
Kompositionsgliedern bestimmt.
Die 1. UK (Determinans) bestimmt die 2. UK
(Determinatum) näher. Sie determiniert die 2. UK
semantisch in ihrem Geltungsbereich.
Diese spezifische Relation zwischen den beiden
Konstituenten wird als Modifikator-Kopf-Relation
bezeichnet.
Bsp. Bein vs. Tisch-Bein, Holz-Bein, Stuhl-Bein, Hühner-Bein, Eis-
Bein …
Determinativkomposita 2
Wenn mit einem substantivischen Determinans dasselbe
erreicht werden kann, wird ihm vor adjektivischen oder
verbalen Determinanten der Vorzug gegeben.
So sind zum Beispiel affigierte Adjektive als 1.UK i.d.R. nicht
möglich!
Spät-schicht, Lang-lauf, Fremd-bestimmung
Aber *Reinlich-schrift, *Waschbar-stoff
Phrasenkomposita
Die 1. UK kommt nicht frei vor.
Zwischen den beiden UK besteht eine Wortgruppen-Wort-Relation
oder eine Satz-Wort-Relation.
Viersternehotel → *Vierstern
Eintagsfliege → *Eintags
Rühr-mich-nicht-an-Blick → *Rührmichnichtan
Hierbei muss die Wortgruppenkonstituente nicht zwangsläufig
hypotaktisch organisiert sein.
Herz-Kreislauf-Training
Schüler-Lehrer-Verhältnis
Konfixkomposita
Eine oder beide UK sind gebundene
Basismorpheme fremder Herkunft.
Beispiele:
Bio-gas, Dia-log, Media-thek
Endozentrische
Determinativkomposita
Bei einem endozentrischen
Determinativkompositum ist die 2. UK nicht nur
morphologischer, sondern auch semantischer
Head des Kompositums.
Haus-tür
Tisch-bein
Baum-haus
Exozentrische Determinativkomposita
Ein endozentrisches Determinativkompositum kann seine
Bedeutung betreffend erweitert werden, sodass eine
exozentrische Lesart entsteht.
Beispiele:
Löwenzahn → das, was tatsächlich bezeichnet wird (eine
Blume mit fedriger gelber Blüte) wird nicht durch das
Kompositum erfasst: „Löwe“ oder „Zahn“
Merke:
Determinativkompositum: Gesichtsmilch
Possessivkompositum: Milchgesicht
Possessivkomposita
jeweils ein besitzendes Merkmal (z.T. als
Metapher) ist ausschlaggebend für die
Benennung
Possessivkomposita liegt eine pars-pro-toto-
Relation zugrunde
Rektionskompositum
Bei einem Rektionskompositum stehen die beiden
UK in einer Argument-Prädikat-Relation.
Beispiele:
Deutschlehrerin → etwas lehren → „Deutsch lehren“
Taxifahrer → „etwas fahren“ → „Taxi fahren“
Nichtrektionskomposita
1. UK besetzt kein Argument innerhalb der
Argumentationsstruktur der Head-Konstituente
Beispiele:
Unfallfahrer, Hochschullehrer, Sofortverbrauch
Kopulativkompositum
Bei den Kopulativkomposita liegt eine semantisch-
parataktische Relation zwischen den beiden UK vor. Es gilt
folgende Bedingung:
Beide UK müssen aus der gleichen Wortkategorie sein.
taubstumm
Hassliebe
süßsauer
nasskalt
Hosenrock
Zusammenrückungen
UK sind BM und in keiner Verwendungsweise trennbar
exozentrische semantische Relation (Bsp.: Vaterunser; Gernegroß),
semantischer Kopf liegt außerhalb des Wortes
Zusammenrückungen folgen nicht der Strukturregel X -> YX – rechte UK stellt
nicht den morphologischen Head der Bildung dar (Bsp. Taugenichts –
Nomen, aber 2. UK = Pronomen; Nimmersatt – Nomen, aber 2. UK = Adjektiv)
Zusammenrückungen sind häufig nicht binär strukturiert – können aus drei
oder mehr UK bestehen (Bsp.: Vergissmeinnicht, Tunichtgut)
Gehen oft auf Syntagmen zurück, meist imperativische Sätze
(Rührmichnichtan, Stelldichein) und Wortgruppen, die unter Beibehaltung
ihrer konkreten grammatischen Ausprägung einfach zusammengerückt
wurden
Derivation
Wortbildungsart, bei der grundsätzlich
Wortbildungsmorpheme (Derivationsaffixe) als
gebundene Morpheme zur Bildung neuer Wörter
(Derivate) herangezogen werden
WBM können phonetisch-phonologisch realisiert bzw.
nicht realisiert sein
Derivate sind ebenfalls binär strukturiert -> eine UK ist als
WBM gebunden, die zweite repräsentiert ein
Basismorphem bzw. eine Morphemkonstruktion
Explizite Derivation
Bei der expliziten Derivation erfolgt die Bildung neuer Wörter
mit phonetisch-phonologisch realisierten Derivationsaffixen
Präfixe, Suffixe oder Zirkumfixe (Kombination von Präfix/Suffix)
Sonderfall: kombinatorische Derivation, wenn Suffix als Teil des
Zirkumfixes ein Nullmorphem ist; Präfix muss dabei immer
realisiert sein
Positionen der gebundenen UK gegenüber dem BM/MK
bestimmen die Subklassen der expliziten Derivation:
Präfigierung, Suffigierung, Kombinatorische Derivation
(Zirkumfixderivation)
Präfigierung
Bei der Subklasse ‚Präfigierung‘ ist die 1. UK gebunden und wird
durch ein Wortbildungsmorphem/Präfix realisiert
2. UK ist prinzipiell frei – d.h. muss Wortcharakter haben
Dabei kann 2. UK ein freies BM (Bsp. ungesund) oder eine freie MK
(Missverständnis) sein
Beispiel:
untreu: un- (Präfix) + treu (Adjektiv, freie UK) → explizite Derivation
aber
Beleg: leg- ohne Wortstatus → implizite Derivation
Die 2. UK bei Präfigierung
A) Die zweite UK als freies Morphem: ungesund
[Adj[Aff/Präfun][Adjgesund]]
B) Die zweite UK als freie MK: Missverständnis
[N[Aff/PräfMiss][N[V[Aff/Präfver][V‘ständ]][Aff/Suffnis]]]
Morphologischer Head und Präfix
Das Präfix ist linkspositioniert und kann dementsprechend
nicht der morphologische Head des Derivats sein. Zudem
ist das Präfix nicht kategorieprägend.
Beispiele:
[A[Aff/Präf un][Atreu]], [N[Aff/Präf Un][N treue]]
[N[Aff/Präf Miss][N ernte]], [V[Aff/Präf miss][V trauen]]
Semantisch modifizierende Funktion
Das Präfix hat überwiegend eine semantisch
modifizierende Funktion → stellt so ein relevantes Mittel zur
Aktionsartdifferenzierung bei Verben dar.
Beispiel:
Bsp.: [er][blühen] ingressiv (Beginn, Ansatz eines Prozesses);
[ver][blühen] egressiv (Abschluss eines Prozesses)
Grammatische Funktion
insbesondere Präfix be-: bewirkt, dass intransitive Verben zu
transitiven Verben werden:
Beispiele:
auf den Berg steigen -> den Berg besteigen
in dem Haus wohnen -> das Haus bewohnen
auf der Straße fahren -> die Straße befahren
Überhaupt: Präfigierung von Verben ist das produktivste Muster
innerhalb dieser Wortbildungsart
Verbpräfixe
Es gibt eine Reihe von Präfixen, die nur Verben selegieren
Z.B.: be-, ent-, er-, ver-, zer-
Gebunden ohne freie Entsprechungen
Generell unbetont (einige Ausnahmen, wenn unbetonte Silbe folgt:
`missverstehen vs. miss`trauen)
Morphologisch und syntaktisch nicht trennbar
Bsp.: ent-laden Er entlädt das Boot im Hafen.
Präfixähnliche Morpheme
Bsp.: über-, unter-, hinter-, voll-, wider-
Unterscheiden sich von echten Präfixen nur dadurch, dass ihnen
freie Morpheme entsprechen
Stimmen in allen anderen Merkmalen mit Präfixen überein
Partikelpräfixe → sind dem Wortbildungstyp nach eindeutig
Präfigierungen
Bsp.: überfordern, unterzeichnen, hinterfragen, vollstrecken,
widerrufen
Partikelpräfixe
freie Entsprechungen
generell unbetont
morphologisch und syntaktisch nicht trennbar
Bsp.: voll-strecken Die Richterin vollstreckt das Urteil.
Partikel (1)
in Kombination mit Verben (den sog. Partikelverben) – Morpheme,
die in ihren Merkmalen deutlich von Präfixen und Partikelpräfixen
abweichen:
Besitzen freie Entsprechungen
Werden generell betont
Sind sowohl morphologisch als auch syntaktisch trennbar
(morphologisch: z.B. im Part. Prät. durch das Flexiv ge- vom verbalen
BM getrennt (vgl. abgesagt, angefahren, aufgestellt, zugebunden);
bei syntaktischer Zweitstellung des finiten Verbs nimmt die Partikel
eine gegenüber dem Verb gesonderte Position ein)
Partikel (2)
Die Partikelkonstituente findet Entsprechungen in
unterschiedlichen Wortkategorien.
Beispiele:
in Präpositionen (abnehmen, anreisen, zuschneiden)
in Adverbien (zusammenbrechen, fortsetzen,
zurückweisen)
in Adjektiven (festnageln, stilllegen, totlachen)
in Substantiven (preisgeben, wundernehmen,
heimgehen)
Partikel (3)
Auch Partikelpräfixe unterschiedlicher Kategorie können
der Partikelkonstituente entsprechen.
Beispiele:
úmfahren (Partikelverb) – um´fahren (Partikelpräfixverb)
´wiederholen (Partikelverb) – wieder´holen
(Partikelpräfixverb)
´übersetzen (Partikelverb) – über´setzen
(Partikelpräfixverb)
Partikel (4)
Partikeln tragen ebenfalls zur semantischen Modifizierung
der Verben bei.
Beispiele:
Umwandlung von Durativa in Ingressiva:
schlafen – einschlafen; fahren – losfahren
Richtungsänderung bei Bewegungsverben:
setzen – umsetzen
Doppelpartikelverben
zwei Partikeln vor dem Simplexverb, in zwei Gruppen unterteilt:
1: Wortbildung erfolgt in einem Schritt (Doppelpartikel + Verb)
(gegenübersitzen *übersitzen; vorauseilen *auseilen)
2: Wortbildung erfolgt in zwei Schritten (Partikel + (Partikel + Verb))
(mitansehen - ansehen; einhergehen - hergehen)
Auch Kombination von Partikel + Präfix ist anzutreffen – es treten
aber nicht beide in einem Wortbildungsschritt vor das Verb, sondern
es bildet stets ein bereits sprachübliches Präfixverb die Basis
vgl.: anerziehen (erziehen), aberkennen (erkennen), umverteilen
(verteilen)
Überblick: Partikel vs. Präfix
Bildung von Partikelverben ist ein relativ eigenständiger Typ
innerhalb der expliziten Derivation; steht deshalb neben der
Präfigierung
Zusammenfassung der Unterschiede:
Präfixe bei Verben sind stets unbetont (beziehen, erziehen)
Partikel sind stets betont (einziehen, abziehen)
Präfixe sind nicht abtrennbar (er bezieht die Wohnung)
Partikel sind abtrennbar (er zieht in die Wohnung ein)
Suffigierung
Bei der Suffigierung tritt ein gebundenes Morphem an eine freie
Konstituente heran:
Beispiele:
Frei-heit, haar-ig, freund-lich, Steuer-ung, Frei-er, Einsam-keit, Geheim-nis
1. UK bei Suffigierungen
A) Die erste UK besteht aus einem BM: heim-lich, Berlin-er, Freund-
schaft
[N[NFreund][Aff/Suffschaft]]
B) Die erste UK besteht aus einer MK: Weltrekordler
[N[N[NWelt][Nrekord]][Aff/Suffler]]
C) Die erste UK besteht aus einer Wortgruppe: langhaar-ig
[A[NP[lang][haar]][Aff/Suffig]]
1.UK: Basismorphem (Bsp.)
Wort
Stamm
Wurzel WBM
BM Suff
Druck -erei
[N[VDruck][Aff/Sufferei]]
1.UK: Morphemkonstruktion (Bsp.)
Wort
Stamm
Stamm WBM
BM Wurzel Suff
BM
Welt rekord ler
[N[N[Nwelt][Nrekord]][Aff/Suffler]]
1.UK: Wortgruppe (Bsp.)
Wort
Stamm
Wortgruppe WBM
BM Wurzel Suff
BM
lang haar ig
[A[NP[Alang][Nhaar]][Aff/Suffig]]
Zusammenbildung: Wortgruppe
und Suffix
Unter den Zusammenbildungen ist das Muster Wortgruppe + -ig zur
Bildungsweise von Adjektiven besonders produktiv.
Beispiele:
blauäugig (‚blaue Augen habend‘), langlebig, breitschultrig, vierblättrig,
mehrsilbig
Dieser Typ wird aber auch zur Bildung von Nomen herangezogen.
Beispiele:
Dreimaster, Vierbeiner, Dickhäuter, Viertakter, Wichtigtuer
Das Suffix als morphologischer
Head
Suffixe bilden als rechte Komponente den morphologischen Head
eines Wortes.
Sie sind kategorieprägend, das heißt, sie können die Kategorie eines
Wortes verändern und zeigen in jedem Fall die Kategorie des
Gesamtwortes an.
Beispiel:
Freund (Nomen) + -lich (Suffix) → freundlich (Adjektiv)
Aber auch Suffigierung ohne Änderung der Wortkategorie: Lehrer
(N) – Lehrerin (N), Vogel (N) – Vögelchen (N), Tisch (N) – Tischler (N),
arm (A) – ärmlich (A), tropfen (V) – tröpfeln (V)
Semantische Opposition
Vielfältige Semantik
häufig bestehen zwischen einzelnen Suffixen semantische
Oppositionen
Beispiele:
-ig/-lich:
vierzehntägig (14 Tage lang) vs. vierzehntäglich (alle 14 Tage, z.B.
bezogen auf eine Veranstaltung)
fremdsprachig (in einer Fremdsprache) vs. fremdsprachlich (über
eine Fremdsprache, z.B. bezogen auf eine Vorlesung)
Ambiguität: Suffigierung und
Präfigierung
Eine Ambiguität zwischen Präfigierung und Suffigierung ist
möglich.
[Un][verbindlichkeit] (Präfigierung)
vs.
[Unverbindlich][keit] (Suffigierung)
Kombinatorische Derivation
Präfix und Suffix bilden zusammen eine nichtwortfähige
diskontinuierliche UK → ihre Bestandteile wirken zwar zusammen,
sind aber nicht benachbart, sondern umspannen als Zirkumfix die
andere UK
Kombinatorische Derivate sind binär strukturiert (trotz ternär (3
Bestandteile) erscheinender Verzweigung); hier nicht 3 UK wie bei
vereinzelten Komposita (schwarz-rot-gold; Vergissmeinnicht)
Suffix als rechter Teil des Zirkumfixes kann phonetisch-phonologisch
realisiert (expliziert) oder nicht realisiert sein
Explizites Präfix und Suffix als
diskontinuierliche Konstituente
Präfix und Suffix (= UK) umschließen ein BM oder eine MK (Ge-renn-e;
ver-unrein-ig-en)
Morphologischer Head ist das Suffix, es wirkt in der Regel
kategorieverändernd. Das Präfix wirkt häufig semantisch modifizierend.
(vgl. unheimlich: Das Heim (N.) → heimlich (Adj.) und heimlich vs.
unheimlich)
Wort
Stamm
WBM Wurzel WBM
Präf BM Suff
Ge renn e
[N[Aff/Präf Ge] [Vrenn] [Aff/Suffe]]
Beispiel: Zirkumfixderivation bei
„verunreinigen“
Wort
Stamm FM
WBM Stamm WBM
Präf WBM Wurzel Suff
Präf BM
ver un rein ig en
[V[Aff/Präfver][A[Aff/Präfun][Arein]] [Aff/Suffig]] F en
Zirkumfixe
Häufig erscheinen Zirkumfixe bei …
… der Bildung von Nomen: Ge- -e (Gerede, Gesinge)
… der Bildung von Adjektiven: ge-/be- -t, un- -lich, ge- -ig (betucht,
geliebt, ungewöhnlich, geräumig)
… der Bildung vom Verben: be-/ver- -ig (beschönigen, vereidigen)
Dabei geht ein Teil der Bildungen sprachhistorisch auf Formen des
Partizip Präteritum inzwischen untergegangener (präfigierter) Verben
zurück: betagt zu mhd. betaget zu sich betagen ‚alt werden‘ (ebenso
bejahrt, vernarrt); bewilligen – mhd. willigen, anschuldigen – mhd.
schuldigen, anheimeln – mhd. heimeln
Nullsuffix als rechter Teil der
diskontinuierlichen Konstituente
Ein Nullsuffix als rechter Teil des Zirkumfixes wirkt wie phonetisch-
phonologisch realisierte Suffixe und sichert die kategoriale Einordnung
des Gesamtwortes.
Wort
Stamm FM
WBM Wurzel WBM
Präf BM Suff
er blind ø en
Zwei Klassen von Nullsuffixen
(1) Nominalisierendes Nullsuffix (Ge-wisper-ø)
Mit verbalen Basen
knistern → Ge-knister+ ø; betteln → Ge-bettel+ ø; brauen → Ge-bräu+ ø;
rauschen → Ge-räusch- ø; wachsen → Ge-wächs- ø
(2) Verbalisierendes Nullsuffix (er-matt- ø(en), be-rente- ø(n))
Mit nominaler Basis
Basiskategorie Nomen: Rente → be-rente-ø-en; Fleck → be-fleck-ø-en;
Mutter → be-mutter-ø-n; Schlüssel → ver-schlüssel-ø-n
Basiskategorie Adjektiv: matt → er-matt-ø-en; fähig - → be-fähig-ø-en;
flach → ver-flach-ø-en
Nullsuffixe
Kombinatorische Derivate mit Nullsuffix sind Basis für weitere
Ableitungsprozesse (be-fähig- ø-en -> Be-fähig- ø-ung; ver-netz ø-en
-> Ver-netz- ø-ung)
Achtung bei grafischer Umsetzung: jeweils die 1. UK auch
entsprechend darstellen! Sonst wird das Kopfprinzip verletzt
In Analogie zum Präfix gehen auch Partikelpräfixe und Partikeln die
Verbindung mit einem Nullsuffix ein (Bildung von Verben):
Partikelpräfix + ø-Suffix: umgarnen, überbrücken, unterkellern, umarmen,
eingemeinden
Partikel + ø-Suffix: ausbooten, anfeinden, einsargen, absahnen,
auftischen, einbürgern
Implizite Derivation
Kombinatorische Bildungsweise ohne ein phonetisch-phonologisch
realisiertes WBM
Wortbildende Komponente: Nullsuffix
Phonologisch leere Köpfe können sich in Wortstrukturen wie explizite
Suffixe verhalten
Verbindliche Wortstrukturregel: X→ YX, d.h.: Endozentrische, binäre
Strukturen
Prinzip der Rechtsköpfigkeit: das Nullsuffix ist als morphologischer
Head der Wortstruktur für ihre kategoriale Festlegung verantwortlich
Implizite Derivation: Beispiele
weit → weit-ø(en) ('machen, dass etwas weit ist')
Diener → diener-ø(n) ('verhalten wie')
ertragen → Ertrag-ø ('Resultat von…‘)
Durch implizite Derivation werden vor allem Verben und Nomen
gebildet:
süßen [V[Asüß] [Aff/Suff (+V) ø]] (en)
salzen [V[NSalz] [Aff/Suff (+V) ø]] (en)
Kauf [N[Vkauf] [Aff/Suff (+N) ø]]
Hauptvarianten der impliziten
Derivation
Hauptvarianten bei Nominalisierungen:
a) Verb + ø-Suffix = Nomen
b) Adjektiv + ø-Suffix = Nomen
Diese werden wiederum darin unterschieden, inwiefern sie
Flexionsmorpheme einbringen.
Hauptvarianten bei
Nominalisierungen (I)
I) Das Infinitiv-Flexionsmorphem -en ist nicht Bestandteil der
Derivationsbasis (Verbstammkonversion)
-die erste UK ist als verbale Konstituente ein Basismorphem
oder eine Morphemkonstruktion:
-Präfix + BM (erwerb-, befehl-)
-Partikelpräfix + BM (unterhalt-, widerruf-)
-Partikel + BM (abwasch-, aufbau-)
-die zweite UK ist das Nullsuffix und bewirkt den
Kategorienwechsel V → N
Beispiel
zerfallen → (der) Zerfall
Wort
Stamm
Stamm WBM
WBM Wurzel Suff
Präf BM
Zer fall ø
[N[V[Aff/PräfZer][Vfall]][Aff/Suff ø]]
Zu diesem Typ gehören auch nominale Bildungen, die einen
Wechsel des Stammvokals zeigen:
Beispiel:
wachsen – Wuchs, finden – Fund, werfen – Wurf
Weite Verbreitung von komplexen Nomen aus solchen Verben,
die mit Präfixen, Partikelpräfixen und Partikeln kombiniert sind:
Beispiel:
bewachsen → Bewuchs, widersprechen → Widerspruch,
aussteigen → Ausstieg
Hauptvarianten bei
Nominalisierungen (II)
II) Die Derivationsbasis ist verbal und bringt das
Flexionsmorphem des Infinitivs -en mit in das Nomen ein
(Infinitivkonversion).
Merke: -en wird dann als Fugenelement betrachtet.
Bsp.: Wort
Stamm
Wurzel, FE WBM
BM Suff
Lach en ø
Hauptvarianten bei
Nominalisierungen (III)
III) das Adjektiv als Derivationsbasis bringt kein
Flexionsmorphem in das implizite Derivat mit ein. Es ändert
sich die Wortkategorie.
Farb- und Zahladjektive:
Beispiel:
schwarz → (das) Schwarz
zwei → (die) Zwei
[N[AdjGrün][Aff/Suffø]]
Hauptvarianten bei
Nominalisierungen (IV)
IV) Das adjektivische Deklinationsmorphem wird mit ins
Nomen eingebracht, welches dann ebenso wie Adjektive
stark/schwach flektiert.
Beispiele:
Ein grüner Politiker → ein Grüner (stark)
Der grüne Politiker → der Grüne (schwach)
Ein grünes Kleid → ein Grünes (stark)
Das grüne Kleid → das Grüne (schwach)
Hauptvarianten bei der
Verbbildung
a) Nomen + ø-Suffix (2. UK) = Verb
b) Adjektiv + ø-Suffix = Verb
Hierbei muss das Flexionsmorphem -en/-n hinzutreten:
Beispiele:
N→V: Leim → leimen, Öl → ölen, Zucker → zuckern
A → V: kühl → kühlen, weit → weiten.
Lexikalische und syntaktische
Konversion
Lexikalische (morphologische) Konversion:
Es gehen keine syntagmatisch motivierten Flexionsmorpheme
der Derivationsbasis in das neue Wort über. Es kommt zum
Kategorienwechsel.
Beispiele:
V → N (stauen → Stau), A → V (rund → runden) und
N → V (Film → filmen)
Syntaktische Konversion:
Flexionsmorpheme werden in das neue Wort überführt. Der
Prozess bestimmt eine ganze Kategorie bzw. eine bestimmte
morphologische Form.
Das Problem der
Ableitungsrichtung
Da das Nullsuffix gerade dadurch definiert ist, dass es nicht
phonetisch-phonologisch realisiert ist, können sich
Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Ableitungsrichtung
ergeben.
Beispiel:
fischen (Verb)
Ist das Verb aus dem Nomen Fisch entstanden oder
umgekehrt?
Hier greift man i.d.R. auf semantische Kriterien zurück:
A ist aus B abgeleitet, wenn A seine Semantik erst aus dem Bezug auf B
erhält.
Man kann nur fischen, wenn es Fische gibt.
Also ist fischen ein implizites Derivat mit der Derivationsbasis Fisch.
Zusätzliche strukturelle Faktoren zur
Bestimmung der Ableitungsrichtung
Nomen, die außer dem Basismorphem noch ein Präfix enthalten,
das sich nur mit Verben verbindet, können auch nur vom Verb
abgeleitet sein
Beispiel: Entscheid, Ertrag, Verbrauch
Nomen, deren Stammvokal abgelautet ist, können strukturell nur
durch die Ableitungsrichtung V → N erklärt werden, da sie aus
Ablautformen des Verbparadigmas entstanden sind und nicht
umgekehrt.
Beispiel: Fund → *funden; Griff → *griffen; Tritt → *tritten
Da im Deutschen das Ableitungsschema V → A nicht produktiv ist,
während A → V zumindest begrenzt anzutreffen ist, gehen Verben
wie kürzen, leeren, schwärzen oder weißen auf die entsprechenden
Adjektive zurück
Rückbildung
In einigen Fällen besteht die Möglichkeit, dass
Rückbildungen neue Derivate hervorbringen. Das
bedeutet, dass neue morphologisch reduzierte Derivate
durch Suffixtilgungen entstehen.
Beispiel:
kleinstädtisch ist historisch früher belegt als Kleinstadt
Kurzwortbildung
reduzierendes Wortbildungsverfahren:
Entstehungsprozess ausschließlich aus der Kürzung
bestehender Wortschatzelemente
Kurzwörter sind im Allgemeinen nicht binär strukturiert
gekürzte grafische Form aber phonemisch-phonetisch
realisiert: Unterscheidung von Abkürzungen wie bzw.,
usw., …
Ausgangsformen der
Kurzwortbildung
Einzelwort oder lexikalisierte Wortform ( Wortgruppenlexem)
In der Regel meist:
a) mehrgliedrige Komposita
Beispiel: Bundesrepublik Deutschland: BRD
b) vielsilbige Fremdwörter
Beispiel: Universität: Uni
c) attributive und koordinierende Wortgruppen bzw. Kombinationen
dieser Möglichkeiten
Beispiel: öffentlicher Personennahverkehr: ÖPNV
Zur Bedeutung von Kurzwörtern
Funktionieren in der Kommunikation als gekürzte
Ausdrücke mit gleicher Bedeutung
Beispiel: Universitätskrankenkaus und Unikrankenhaus
Voll- und Kurzform existieren nebeneinander, die
Kurzform ist jedoch häufig die geläufigere
In einigen Fällen ist die Vollform nicht in Gebrauch
Beispiel: PIN und Personal identification number
Klassifikation der Kurzwörter
Wie viele Segmente einer Vollform sind von der Kürzung betroffen?
Welche Segmente einer Vollform bleiben übrig?
Kurzwörter
(1) Unisegmental gekürzt (2) partiell gekürzt (3) multisegmental gekürzt
Unisegmentale Kürzungen
die Vollform wird nur in einem Segment gekürzt
Kopfwort: Abi(tur), Akku(mulator), Abo(nnement)
Endwort: (Omni)Bus, (Violon)Cello, (Jo)Achim
Rumpfwort: (E)Lisa(Beth), (Se)Basti(an)
Manchmal in Kombination mit i-Suffigierung:
Pullover -> Pulli
Profesional (engl.) -> Profi
Partielle Kürzungen
UK-Struktur: Die erste UK (Determinans) wird verkürzt
die gekürzte Form darf nicht als isoliertes Kurzwort bestehen
Beispiele:
U-Bahn (Untergrundbahn)
V-Mann (Verbindungsmann)
E-Mail (Electronic Mail)
Multisegmentale Kürzungen
Die Vollform wird in mehreren Segmenten gekürzt.
Buchstabenkurzwörter mit alphabetischer Aussprache:
Beispiele:
BND (Bundesnachrichtendienst), EU (Europäische Union), FSR
(Fachschaftsrat)
Buchstabenwörter mit phonetisch gebundener Aussprache:
Beispiele:
TÜV (Technischer Überwachungs-Verein), UNO (United Nations
Organization)
Silbenkurzwörter:
Beispiele:
Juso (Jungsozialist), Kripo (Kriminalpolizist), Stasi (Staatssicherheit)
Lexikalische Semantik
Die lexikalische Semantik beschäftigt sich mit der Bedeutung der
Lexeme und interessiert sich dabei für ihren sprachspezifischen
Zusammenhang und für die Methodik, diesen Inhalt zu erforschen.
Was bedeutet ein Wort?
Aus welchen Bedeutungsbausteinen setzt es sich zusammen?
Wie lässt sich Wortbedeutung beschreiben?
Bedeutung
Was Bedeutungen sind, ist umstritten. Es gibt nicht nur eine
Bedeutungsdefinition, weil es sich bei Bedeutungen um komplexe
Phänomene handelt.
Die Bestimmung des Bedeutungsbegriffs ist funktional bestimmt und
somit von der Fragestellung abhängig.
Unbestimmtheit der Bedeutung
Idealfall: eine Sprachform ist mit einer Bedeutung verbunden
Problem: es gibt keine direkte Entsprechung von Form und Inhalt
Kein Mangel natürlicher Sprachen, sondern ermöglicht deren
Offenheit, von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch zu machen
Arten der Unbestimmtheit
Kontextabhängigkeit
Vagheit
Mehrdeutigkeit (Polysemie/Homonymie)
Kontextabhängigkeit
Erst der Kontext entscheidet für den Empfänger, welche
Bedeutungsvariante gemeint ist → Unbestimmtheit der Bedeutung
wird durch den Kontext aufgehoben
Beispiel 1: Polyseme und homonyme Wörter:
„Ball“→ im Kontext Tanzen wird deutlich, dass nicht das Sportgerät
gemeint ist
Beispiel 2: Deiktische Wörter:
„Sie glaubte ihm“→ sie = handelnde Person / ihm = affizierte Person
Beispiel 3: Bewertende/graduierende/dimensionierende Wörter:
„Das Haus war nicht groß.“ (Grad- und Dimensionsadjektive)
Vagheit
Vage Lexeme lassen in allen Kontexten Interpretationsspielräume
Semantische Unbestimmtheit bleibt auch bei Verwendung bestehen
Unterteilung in drei Klassen:
Relative Wörter (oft, viel, gleich)
Überlappende Wörter (Farbadjektive wie türkisfarbig, hellblau)
Punktuelle Wörter (rechteckig, kreisförmig)
Mehrdeutigkeit
Ambiguität: bei Lexemen verschiedenster Form
Polysemie
Homonymie
Homophonie
Homographie
Mehrdeutigkeiten werden in der Regel durch den Kontext aufgelöst.
Polysemie
Reguläre Mehrdeutigkeit: mit einem Formativ werden mehrere
Bedeutungsvarianten (Sememe) fest verbunden
Beispiel: Blume
Semem 1: ‚Pflanze‘ (Blumen pflanzen)
Semem 2: ‚Blüte‘ (an der Blume riechen)
Semem 3: ‚Duft, Aroma‘ (der Wein hat eine köstliche
Blume)
Semem 4: ‚Schaum‘ (die Blume abtrinken)
Semem 5: ‚Schwanz‘ (des Hasen)
Homonymie
Gleichnamigkeit von Wörtern – zu den Bedeutungsvarianten müssen
wesentliche grammatische Unterschiede kommen
Insbesondere Artikel-, Numerus- und Wortartunterschiede
Beispiele:
Artikelunterschiede: der Erbe/das Erbe; der Leiter/die Leiter
Pluralformen: die Banken/die Bänke
Akzent: `wiederholen/wieder`holen; `umfahren/um`fahren
Wortartunterschied: das Essen/essen
Homophonie
Lautlich identisch, von der Schreibung her unterschiedlich.
Beispiel:
wer (Fragepronomen) – (das) Wehr (Substantiv)
Homographie
Identische Schreibung, verschiedene Lautung
Beispiel:
Montag(e) - Montage
Bedeutungsbeschreibungen
Bedeutungsbeschreibungen sollten folgende Aspekte
berücksichtigen:
Beschreibungsdenotat (= Extension)
Usuelles Wissen über das Denotat (= Intension)
Art des Bezuges auf das Denotat (= Denotation)
Zeichenverwender (Sprechende und Hörende)
Verwendungssituation
Verwendetes Sprachsystem
Enge und weite Modelle der
Wortbedeutung
Die engen Modelle fußen auf der klassischen Logik
(Aristoteles und Frege) und der Lexikographie
Die weiten Modelle sind in Anlehnung an die
Rhetorik/Stilistik (Pragmatik) entstanden (daher
pragmatische Modelle)
Enge Bedeutungsmodelle
Nehmen nur zwei Komponenten an: Extension (realisiert den Bezug
auf das Denotat) und Intention (ermöglicht Informativität)
Rechnen die stilistischen und syntaktischen
Verwendungseigenschaften nicht mit zur Bedeutung
Gehen von Möglichkeit der Trennung von Sprachwissen und
Weltwissen und von semantischem und syntaktischem Wissen aus
Wörterbücher
Sachwörterbücher
Sprachwörterbücher
Funktion von SprachWB: Sprachrezeption,
Sprachproduktion, Sprachkorrektur
Synchrone BedeutungsWB: informative Angabe
der exakten Bedeutungen
Wörterbücher
Sprachwörterbücher Sachwörterbücher
Mehrsprachig zweisprachig einsprachig FachWB Enzyklopädien
diachron synchron
BedeutungsWB normative WB
Wichtige Wörterbücher
Grimmsches WB
DUDEN BedeutungsWB
Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache
Handwörterbuch der deutschen
Gegenwartssprache
…
Bedeutungsbeschreibung in
Wörterbüchern
Lemmata (Wörter, die definiert werden)
Weitere Angaben (Schreibung, eventuell Lautung und
Grammatik)
Aussagen zur Bedeutung
→ unterschiedliche Definitionsverfahren:
z.B. Erklärung mit einem bedeutungsgleichen oder -ähnlichen
Wort
z.B. Erklärung mit einem allgemeineren Wort
Klassische Bedeutungsdefinition
geht schon auf Aristoteles zurück
Annahme: es ist möglich, eine adäquate
Bedeutungsbeschreibung zu finden und mit einer
Definition das Wesen einer Sache zu erfassen
Dadurch Gleichheit zwischen zu beschreibender Form
(Definiendum) und der beschreibenden Form (Definiens)
Kennzeichnung: Genus proximum (Arteinordnung des
Definiendums) und Differentia specifica (invariante
Merkmale) reichen aus, um die begriffliche Seite eines
Wortes exakt zu beschreiben
Beispiel Substantiv: Klassische
Bedeutungsdefinition
Definiendum =
„Koffer“ Definiens
Genus proximum Differentia specifica
<konkretum> <aufklappbar> <mit handgriff> <sachen aufnehmend>
BD: Ein Koffer ist ein Behältnis zum Aufnehmen von Sachen, der
aufklappbar ist und einen Handgriff hat.
Klassische Bedeutungsdefinition:
Kritik
relevante Arteinordnung zu finden, ist problematisch
Verfahren relativ einfach bei konkreten Substantiven
(abgesehen von Mehrdeutigkeit), andere Wortklassen
schwierig
Einordnung kann daher auf beispielhafte Übersichten zu
Substantiven, Adjektiven und Verben zurückgreifen oder
auch ein sog. „Überwort“ beinhalten (fasst mehrere
spezielle Lexeme zusammen)
Einordnung der Begriffe
Substantive: Konkreta: Individuativa (ein Apfel, Johann
Wolfgang von Goethe), Stoffbezeichnungen (Schnee,
Milch), Kollektiva (Familie, Besteck); Abstrakta: Vorgänge
(Prozess, Verkauf), Eigenschaften (Dummheit,
Schönsein), Beziehungen (Freundschaft, Besitzer)
Adjektive: Eigenschaften (klein, klug), Relationen
(verwandt, missgünstig)
Verben: Tätigkeiten (arbeiten, verkaufen), Vorgänge
(hinfallen, erröten), Zustände (schlafen, liegen)
Überworte: temperiert (heiß, warm …), bewegen
(rennen, werfen …)
Beispiel Adjektiv: Klassische
Bedeutungsbeschreibung
Definiendum =
„primitiv“ Definiens
Genus Proximum Differentia specifica
<zustand> <unentwickelt> <einfach>
BD: Primitiv bezeichnet einen unentwickelten, einfachen Zustand, in
dem sich etwas befindet.
Pragmatisches Bedeutungsmodell
z.B. Schippan (1992), Leech (1981)
in Bedeutungen ist nicht nur die Benennungsfunktion von Wörtern zu
sehen:
Einbeziehung von Welt- und Handlungswissen, damit eine
Kommunikation gelingen kann
Wörter haben neben der Benennungs- bzw. Identifizierungsfunktion
auch eine bewertende bzw. emotionale Komponente
Konnotationen (die Nebensinne) und stilistische Worteigenschaften sind
zum Wortinhalt zu rechnen
Bedeutung
denotative konnotative
begriffliche wertend-emotive stilistische soziale
Denotativ-begriffliche Bedeutung
gibt an, auf welches „Objekt“ sich das Wort beziehen kann
(extensionale Bedeutung)
Referenzakt wird durch ein gedankliches Abbild des „Objektes“,
durch den Begriffsinhalt (intensionale Bedeutung) möglich
Beispiel:
Diese Kastanie (wird eingehen).
Extension: BAUM; Intension: mit Stamm, Krone, Ästen,
Blättern, Blütenkerzen oder Kastanien
Wertend-emotionale Bedeutung
entsteht durch die Möglichkeit, dass die Sprechenden den
KommunikationspartnerInnen ihre Emotionen auch im Wortschatz
sprachlich sichtbar machen können (aber nicht müssen);
Wortschatz stellt auch bewertende Lexik bereit
Beispiel:
abkassieren → für Geld einnehmen, gnadenlos …
Konnotationen (Assoziationen)
Zusatzinformationen, die der/die SprecherIn über sich und über die
historischen und sozialen Bedingen mit dem Wortschatz „versendet“;
können durch Wortmotivierung und/oder das angelagerte
Weltwissen ausgelöst werden
Beispiel:
Flüchtlingskrise
→ Wortbildung → Aktivierung von Vorwissen (Vorurteile)
Stilistische Markierung
Zu den Konnotationen gehören auch die stilistischen
Markierungen.
Lexeme sind hinsichtlich ihrer Stilschicht, Stilfärbung und
ihres Funktionalstilbereichs markiert.
Stilschichtenmarkierungen
geben an, ob die Lexeme Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes
in verschiedenen Kommunikationssituationen haben
„normale“ Stilschicht = schriftliche, neutrale Kommunikation
Stilschichten: (Bsp. sterben)
Poetisch-gehoben (die Seele aushauchen)
Normal (sterben)
Umgangssprachlich (aus sein)
Umgangssprachlich-salopp (abkratzen)
Vulgär (den Arsch zukneifen)
Stilfärbungsmarkierungen
betreffen zusätzliche stilistische Informationen
Stilfärbungen (mit Beispielen):
Scherzhaft: verlängerter Rücken
Spöttisch: der Neunmalkluge
Übertreibend: vor Ärger die Haare raufen
Verhüllend: mollig sein
Gespreizt: geben Sie mir bitte Postwertzeichen (in Alltagssprache verwendet)
…
Funktionalstilbereiche
beziehen sich auf die Großbereiche der Sprachhandlungen:
Presse und Publizistik (Zeitungssprache): zwecks
Freizeitgestaltung, Bildzuschrift erwünscht, … (in
Kontaktanzeigen)
Verwaltung (Amtssprache): Postzusteller,
Bundesverwaltungsgericht …
Künstlerische Kommunikation (Belletristik): Odem, Leu …
Alltagssprache: machen, eins auf die Mütze bekommen …
Soziolektale Markierungen
Soziolektale Markierungen: gehören nach dem weiten
Bedeutungsverständnis auch zum Bedeutungswissen
Beschränkung hinsichtlich der Kommunikationsform (mündlich vs.
Schriftlich): er macht das Essen vs. Er kocht.
Beschränkung aus der dialektalen Markierung: Lorke kochen
(Blümchenkaffee/Ersatzkaffee)
Information über das Alter der Kommunizierenden, z.B. jugendlich:
Kochen is cool
Information über den Beruf: das Fleisch tranchieren
Information über Hobbys: Kochklubmitglied werden
Kompositionelle
Bedeutungsbeschreibung
Bedeutungen sind bei der kompositionellen
Bedeutungserfassung aus Komponenten (Teilen)
zusammengesetzt.
Fregeprinzip
= Kompositionalitätsprinzip
Fregeprinzip: semantisches Prinzip, nach dem die
Bedeutung eines komplexen Ausdrucks durch die
Bedeutungen seiner Teile und die Art ihrer
Zusammenfügung bestimmt wird.
komplexer Ausdruck: aus Teilausdrücken
zusammengesetzter Ausdruck
Die Bedeutung eines Satzes (= seine
Wahrheitsbedingungen) läßt sich aus den Bedeutungen
seiner Teilausdrücke ermitteln (Abbildung der Syntax auf
die Semantik)
Lexikalische Semantik
Annahme von universellen Bedeutungsbausteinen (Semen)
Beispiel 1: „Mann“
<menschlich> + <männlich> + <erwachsen> = Mann
Beispiel 2: „Junge“:
<menschlich> + <männlich> + <-erwachsen> = Junge
Dekompositionelle
Bedeutungserfassung
Bedeutungen werden nicht paraphrasiert, sondern analytisch
beschrieben und in Komponenten zerlegt
Beispiel:
bezweifeln, verheimlichen, belügen enthalten eine
Negationskomponente:
bezweifeln = ‚nicht‘ ‚glauben dass‘
verheimlichen = ‚nicht‘ ‚sagen dass‘
belügen = ‚nicht‘ ‚sagen die Wahrheit‘
Ganzheitliche
Bedeutungserfassung
Es gibt zentrale begriffliche Instanzen, die die kognitiven Muster
darstellen und ganzheitlich gespeichert sind
Repräsentieren die Standardbedeutungen
Vergleich von Ganzheiten miteinander und Suche nach
Ähnlichkeiten und Unterschieden
Bspw.: Wortfeldtheorie, Prototypentheorie
Logische Komponentenanalyse
K. Ajdukiewicz (1890-1963), polnischer Logiker
Erfassung der logischen Form
Gehört zu den syntaktischen Modellen → Bedeutungsbeschreibung
erfolgt auf Satzebene
Bedeutungen komplexer Ausdrücke werden nach dem „Frege-
Prinzip“ aus den Bedeutungen der Teilausdrücke ermittelt, also
kompositionell
Komponentenanalyse bedeutet: ein zusammengesetzter Ausdruck
wird so lange in seine Teile zerlegt, bis man auf unzerlegbare
einfache Ausdrücke stößt (Husserl 1928)
Grundinventar der logischen
Komponentenanalyse
Auf der Satzebene werden zwei lexikalische
Grundkategorien (Name und Satz) unterschieden:
Namenkategorien (N) bedürfen keiner Ergänzung
Satzkategorien (S) beinhalten im Regelfall Argumente
und Funktoren (Prädikate); sie haben, wenn sie
wohlgeformt sind, einen Wahrheitswert
Logische Grundstruktur von Sätzen
Satz (syntaktisch): Subjektverband + Prädikatsverband
Beispiel:
[Adler] Subjektverband [fliegen] Prädikatsverband
Satz (logisch-semantisch):
Beispiel:
„Adler fliegen“: 2 Teile:
fliegen: ungesättigter Teil (bezeichnet eine Funktion,
…/…) (benötigt weitere Attribute: wer, wohin … keine klare
Vorstellung)
Adler: gesättigter Teil (Name) (Autosemantika)
Wichtigste Komponenten auf
Satzebene:
Komponente Abkürzung Beispiel
Satz S Das blaue Meer rauscht leider immer.
Name N Meer
Einstellige Prädikate S/N rauscht
Zweistellige Prädikate S/NN überflutet
Dreistellige Prädikate S/NNN hilft
Artikel N/N das
Adjektivattribut N/N blaue
Adverb S/N immer
Satzadverb S/S leider
Abbildung: Baumstruktur
Beispiel:
Hans kauft Blumen.
kauft Blumen ist ein Funktor von Hans
Blumen ist Funktor von kauft
Hans kauft Blumen
N S/NN N
S/N
S
Wohlgeformtheitstest:
Strukturübersicht
Beispiel: Leider rauscht das blaue Meer.
Kategorialgrammatischer syntaktischer Strukturbaum:
Leider rauscht das blaue Meer.
S/S S/N N/N N/N N
N
N
S
S
Der Satz ist wohlgeformt, weil er die Kategorisierung S erhalten kann.
Der gesamte zusammengesetzte Ausdruck bestimmt u.a. den Wert der Funktoren.
Wozu diese Quantifizierung?
Alle Argumentstellen (alle Ns) müssen durch einen Quantor
gebunden sein, um interpretierbar zu sein.
Dabei gibt es Modifizierungen zwischen Quantifizierungen in
mathematischen Formeln und bei natürlichen Sprachen.
In natürlichen Sprachen ‘handelt’ es sich bei einem N (Namen):
nur um ein Unikat, einen Eigennamen,
um Elemente aus einer Menge oder
um die gesamte Menge bzw. Gattungsbezeichnungen
Die Operatoren
Kennzeichnungsoperator: namenbildend (auch Jotaoperator) (Individuum)
Beispiel:
Maria mag den Winter nicht.
... (Jota) = Es gibt genau ein x, für das gilt, es mag den Winter nicht.
Existenzoperator: partikulierend (auch Partikularisator) (Teilmenge)
Beispiel:
Der Mann liebt den Winter. > ...x(Mann)
...(Epsilon) = Es gibt ein x in der Menge y für das gilt, es liebt den Winter.
Alloperator (Menge)
Beispiel:
Alle Menschen lieben den Frühling. > λ x(Mensch)
λ (Lambda) = Für alle x gilt, wenn sie Mensch sind, dann lieben sie den
Frühling.
Semanalyse
zählt ebenfalls zu den syntaktischen Bedeutungsmodellen
Beschreibung erfolgt ebenfalls auf Satzebene
Grundideen:
Bedeutungen sind analog zu den chemischen Elementen (Atome)
in “Grundbausteine” (Seme, Plereme, semantische Marker, Noeme,
...) zerlegbar.
Diese Seme sind universell, überschaubar und eindeutig.
Sie sind strukturiert, d.h. sie stehen zueinander im Verhältnis der
Über-, Neben- und Unterordnung.
Semanalyse: Beispiel
Beispiel:
Wissenschaftlerin
<stofflich>
<belebt>
<human> <weiblich> <erwachsen>
<studiert> <in Wissenschaft tätig>
Semanalyse: Probleme
ist mit der Eigenschaft der Unbestimmtheit der Wortbedeutungen
nicht vereinbar – man kann diese Beschreibung nicht eindeutig
vornehmen
Es gibt Dinge, die wir allein mit semantischen Merkmalen nicht
erfassen können, die aber oft den Kern der Sache ausmachen:
ganzheitliche Wahrnehmung, die sich nicht aus den semantischen
Merkmalen und auch nicht aus der Summe der Merkmale ergibt ->
strukturelle Semantik liefert daher immer nur eine semantische
Teilbeschreibung, nicht Sachen oder Konzepte.
Modell von Viehweger (1977)
Beschreibt die Bedeutung mittels Semen auf Satzebene
Hebt Mehrdeutigkeiten damit weitgehend auf – Problem
der Unbestimmtheit wird damit etwas gelöst
Unterscheidet zwei Hauptarten von Semen: Inhaltliche
Seme und Strukturelle Seme
Mittels eines Algorithmus können so die Bedeutungen
der Wörter im konkreten Satz sichtbar gemacht werden
Inhaltliche Semarten: Überblick
Objektseme
Wertungsseme
Verallgemeinerungsseme
Sprechaktseme
Realitätsgradseme
Inhaltliche Semarten: Objektseme
geben die notwendigen Merkmale für die Identifizierung der
Objekte an
Beispiel: Porsche kommt von der Straße ab.
Porsche kommt von der Straße ab
<stofflich> <vorgang>
<unbelebt> <orientierung verlieren>
<auto>
Inhaltliche Semarten:
Wertungsseme
<positiv>, <negativ>; geben, wenn vorhanden, an, wie die
Sprechenden das Objekt bewerten
Beispiel 1: Porsche kommt von der Straße ab
<stofflich> <vorgang>
<unbelebt> <orientierung verlieren>
<auto>
<negativ>
Beispiel 2:
So gnadenlos tobt Sturm „Friederike“ über Deutschland
<vorgang> <stofflich> <stofflich>
<gewalttätig> <unbelebt> <unbelebt>
(Fokus online, 19. 1. 2018) <ohne erbarmen> <sehr starker wind> <geografische
region>
<negativ>
Inhaltliche Semarten:
Verallgemeinerungsseme
entsprechen der Quantifizierung in der logischen
Bedeutungsbeschreibung
<gener> Generalisierung in Richtung einer ganzen Klasse
<singul> bezieht sich auf Einzelstücke
<partik> bezieht sich auf einige Elemente aus einer Klasse
Deixisseme
Deixisseme (<deikt>): bei Lexemen, die semantisch in der
Weise unterspezifiziert sind, dass sie obligatorisch
Informationen zum Urheber der Äußerung bzw. zum
Adressaten (ich, du …) etc. benötigen; können im
verbalisierten Text in anaphorische und kataphorische
Seme modifiziert werden; <anaph>-Seme sind
rückbezüglich; <kataph>-Seme sind vorausweisend
Zeitliche Seme
setzen absolute und relative Zeitbedeutung fest
absolut (Verhältnis zwischen Handlungs- und
Kommunikationszeit): gegenwärtig, vergangen,
zukünftig, allgemeingültig; Zeitlichkeit wird mit
lexikalischen Mitteln ausgedrückt (z.B. Adverbien)
relativ(zeitliches Verhältnis zwischen zwei
verbalisierten Handlungen: gleichzeitig, vorzeitig,
nachzeitig)
Realitätsgradseme
geben an, ob eine Aussage von dem
Kommunizierenden als reale Feststellung, als etwas
Gewünschtes oder Gewolltes oder Unbekanntes
markiert wird
Strukturelle Semarten: Überblick
Seme des kategorialsemantischen Status
Seme der Argumentstellenrelation:
Relation der Transitivität (<trans>)
Nichttransitive Argumente (<atrans>)
Mesotransitive Relation (<mesotrans>)
Seme des kategorialsemantischen
Status:
geben an, ob es sich um eine Satz- oder
Namenkategorie bzw. um einen Funktor handelt
(Ausdruck, der einen anderen Ausdruck näher bestimmt)
Seme der Argumentstellenrelation
geben bei Funktoren an, ob die Argumentstellen symmetrisch bzw.
transitiv zueinander sind
Relation der Symmetrie liegt vor, wenn die Argumente vertauscht
werden können (Bsp.: Peter und Sven sind gleich groß = Sven und Peter
sind gleich groß)
Asymmetrische Argumentstellen, wenn Argumentstellentausch zum
Bedeutungswandel führt (Bsp.: Peter ist älter als Klaus = * Klaus ist älter als
Peter)
Mesosymmetrisches Argumentstellenverhältnis, wenn
Argumentstellentausch zu Bedeutungsgleichheit führen kann, aber nicht
muss (Bsp.: Peter streitet mir Klaus = ? Klaus streitet mit Peter)
Relation der Transitivität
Relation der Transitivität (<trans>): zwei Argumente
stehen mit einem dritten in der gleichen Relation
Nichttransitive Argumente (<atrans>): die drei
Argumente stehen nicht in der gleichen Relation
Mesotransitive Relation (<mesotrans>): Argumente
können in der gleichen Relation stehen, müssen aber
nicht
Algorithmus der Semanalyse nach Vieweger
Beispiel: Mancher Philologe weiß alles besser!
Kognitive Bedeutungsbeschreibung
Aus der Psychologie übernommen, um das Problem der
Unbestimmtheit der Bedeutung besser einbeziehen zu können
Im Zentrum der Beschreibung steht der Begriff / das Konzept
Grenzen zwischen den Begriffen unscharf – nicht alle Vertreter einer
Kategorie haben die gleichen Charakteristika
sog. Familienähnlichkeit
Prototypensemantik und Frametheorie
Die Prototypentheorie und ihre
Ursprünge
Prototypensemantik hat ihre Ursprünge in der Prototypentheorie der
experimentellen, kognitiven Psychologie
Philosophie (Wittgenstein, Putnam), Sprachwissenschaft (Paul,
Erdmann) und strukturellen Linguistik (Greimas, Portier u.a.)
Wittgenstein verwendet den Terminus Familienähnlichkeit und
beschreibt diese am Beispiel des Wortes Spiel
Merkmale wie <unterhaltend>, <Konkurrenz unter den Teilnehmenden>,
<mehr als eine teilnehmende Person>
→ kein gemeinsamer Nenner für alle Vertreter
Prototypentheorie
Termini Familienähnlichkeit und Stereotyp meinen etwas
Ähnliches wie Prototyp
eine abgegrenzte Menge von Eigenschaften ist nicht
konstitutiv für das Aufstellen und Erkennen einer
Kategorie
Daher: referentielle Ähnlichkeiten
Prototypen: kognitive Psychologie
nicht alle Begriffe sind gleich wichtig für das Kommunizieren und das
Erlernen der Sprachen. Für manche Dinge ist ein Begriff treffender als
andere – dann lässt er sich ihnen schneller zuordnen als unsichere
Kandidaten
Beispiel: Farbwörter
es gibt zentrale, prototypische und randständige Vertreter einer Farbe
[blutrot vs. pink]; prototypische Farben haben universellen Status; die
einzelnen Sprachen haben zwar unterschiedlich viele Grundfarbenwörter,
aber wahrscheinlich typische Hierarchien: schwarz/weiß < rot < gelb < blau
< braun < grau/orange/lila/rosa
Prototypen und Kategorisierung
Viele Alltagsbegriffe haben Kernzonen mit besonders typischen
Vertretern (Prototypen) und periphere Zonen mit untypischen
Vertretern
Beispiel1 :
Papagei oder Ente (bzw. ein Bild davon) vs. Rotkehlchen oder Taube
Beispiel 2:
Säge und Hammer sind bessere Vertreter der Kategorie „Werkzeug“ als
eine Schere
Prototypensemantik
Die Richtung der Semantik, die Bedeutung im Sinne
typischerer und weniger typischer Vertreter untersucht
Die psychologischen Mechanismen der
Kategorienbildung sollen auf die typischen oder
charakteristischen Merkmale der Kategorien
zurückzuführen sein – ein Objekt, das klassifiziert werden
soll, wird derjenigen Kategorie zugeordnet, deren
Prototyp es am ehesten ähnelt
Was ist ein Prototyp?
Verschiedene Auffassungen!
Vorschlag/Standardversion: Prototypikalität ist die Ähnlichkeit mit
einem typischen Referenten und/oder das Vorhandensein aller
typischen Merkmale.
Hierbei geht es um die Kategorisierung von Referenten.
Diese ist kulturell abhängig.
Beispiel 1: typischer Vogel
Deutschland: Amsel Australien: Zebrafink
Beispiel 2: typische Obstsorte
Deutschland: Apfel Australien: Kiwi
Charakteristika
Er ist der typischste Vertreter einer Kategorie.
Er hat die maximale Ähnlichkeit mit den anderen Vertretern der
Kategorie und die geringste Ähnlichkeit mit den Vertretern der
Kontrastkategorien.
Er wird schneller zugeordnet und erkannt.
Er wird in der Ontogenese eher erworben.
Er dient als Bezugspunkt für Gedächtnisleistungen.
Keine komplexen und speziellen Begriffe.
Beispiel: Begriffsstruktur
Komplexe Kategorie Möbel
Basiskategorien Schrank Sofa Stuhl Tisch
Spezielle Kategorien Drehstuhl Hocker Küchenstuhl
Komplexität von Ausdrücken
Beispiel:
Pflanze komplexe Kategorie
Baum abgrenzbare Kategorie (Basiskategorie)
Ahorn spezielle Kategorie
Prototypen treten besonders auf der Basisebene von Taxonomien
auf
Kategorisierung von Ausdrücken
Man prüft Objekte auf ihre Mitgliedschaft in einer Kategorie, indem
man sie mit den Merkmalen des Prototypen vergleicht
Objekte müssen dem Prototypen nicht genau entsprechen, sie
müssen ihm nur ähnlich genug sein
Prototypensemantik ist eine Semantik des Mehr oder Weniger – ein
Vertreter einer Kategorie kann aufgrund seiner Nähe/Distanz zum
Kern einer Kategorie ein besserer oder ein schlechterer
Repräsentant sein
Frames und Scripts
Die Prototypentheorie beschreibt, wie wir die Wirklichkeit
kognitiv organisieren und wie die Begriffe/Konzepte
strukturiert sind.
Die Frametheorie beschäftigt sich hingegen damit, wie die
Konzepte im mentalen Lexikon gespeichert, strukturiert und
verbunden sind.
Wissensrepräsentationen
Prinzipiell Unterscheidung in zwei Arten von Wissensrepräsentationen:
Interne Wissensrepräsentation: existiert in einem einzelnen menschlichen
Gehirn und operiert mit kognitiven Modellen von Objekten
Externe Wissensrepräsentation: kann außerhalb des Gehirns existieren
und ist damit transferierbar
Psycholinguistik fragt nach der internen Wissensrepräsentation im
Gehirn und stellt diesbezügliche kognitive Modelle auf; geht davon
aus, dass Begriffe in organisierten Strukturen (Netzen) agieren ->
Netze = organisierte kognitive Strukturen
Unterscheidet zwischen Tatsachenwissen in konzeptuellen Strukturen
(Frames) und Prozeduralwissen in Äußerungsnetzen (Scripts, auch
Szenarien, Schemata, Domains)
Frames und Scripts
Frames beschreiben, was es gibt – Tatsachenwissen
Scrips beschreiben, wie etwas zu tun ist bzw. wie etwas
geschieht – Prozedurales Wissen
Frames
1975 durch Minsky in die Linguistik eingeführt
Ursprung: Kognitionspsychologie
Situationsspezifisches verfügbares Wissen, das mit der Verwendung von
lexikalisierten Ausdrücken verbunden ist
andere Definition: statisch organisierte Standardmuster von
Wirklichkeitsbereichen; in der Form eines semantischen Netzwerkes gibt ein
frame Auskunft über häufige Konstellationen des täglichen Lebens
Diese Begriffsnetze enthalten unterschiedliche Arten von Merkmalen,
die benannt werden müssen
GF = Graphische Form; WA = Wortart (+ vorhanden, - nicht vorhanden),
S = sprachliche Merkmale, ob = Oberbegriff, ub = Unterbegriff, a =
stereotypes Attribut, w = wertende und affektive Merkmale
„Inhalte“ der Frames?
Frames enthalten:
Sprachliche Merkmale (s) – zu einem Begriff gehörende Wortformen
und deren wortgrammatische Eigenschaften
Begriffliche Merkmale – Beziehungsmerkmale, die Begriffshierarchien
reflektieren: Oberbegriffe (ob); Unterbegriffe (ub)
stereotype Attribute (a) – Eigenschaften, die zum Begriff gehören
wertende und affektive Merkmale (w) – beschreiben das
emotionale und affektive Bewerten von Begriffen (z.B. ist der Begriff
Überfall mit Angst verknüpft)
Frame: Buchstaben
s
GF: „Buchstaben“ ob: Zeichen a: gedruckt
WA: +N
Buchstaben a: geschrieben
a: … Groß-/Kleinbuchstaben a: …
Frame: Wal
s
GF: „Wal“ ob: Säugetier a: Meer
WA: +N
Wal a: groß
a: atmet ub: Schweinswal a: blau/grau
Scripts
gespeicherte Drehbücher für Handlungsabläufe (stereotype
Situationen)
andere Definition: prozessual organisierte Wissensbestände von sich
wiederholenden Handlungs- und Ereignisabfolgen
ermöglichen es, ökonomisch zu kommunizieren
das beschriebene Ereignis wird in seiner prototypischen Form in seine
Teilereignisse zerlegt
Angabe der Eingangsbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit
die repräsentierte Ereignisfolge überhaupt eintreten kann
Beschreibung des Ereigniszustands, der durch die Ereignisfolge
entsteht
Beispiel: Script für „Auto starten“
Auto starten
Auto aufmachen / aufschließen
Fahrertür öffnen (auch Beifahrertür)
Fahrer setzt sich hinein
Fahrer steckt Zündschlüssel ein und ...
Fahrer löst Handbremse
Auto fährt los