ARNDT & KRUCK & ZOVKO - Gebrochene Schönheit Hegels Ästhetik
ARNDT & KRUCK & ZOVKO - Gebrochene Schönheit Hegels Ästhetik
Hegel-Jahrbuch
Sonderband
Hegel-Forschungen
Herausgegeben von
Andreas Arndt, Myriam Gerhard und Jure Zovko
Gebrochene
Schönheit
Herausgegeben von
Andreas Arndt, Günter Kruck
und Jure Zovko
DE GRUYTER
ISBN 978-3-05-006258-7
e-ISBN (PDF) 978-3-05-009511-0
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038075-0
www.degruyter.com
Inhalt
Vorwort 7
Christian Iber
Einführende Überlegungen zu Hegels Ästhetik 9
Walter Jaeschke
Die gedoppelte Schönheit. Idee des Schönen oder Selbstbewusstsein des
Geistes? 17
Günter Kruck
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst – Hegels
Begreifen der Kunst 30
Brigitte Hilmer
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des
absoluten Geistes 46
Wolfram Bergande
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen. Hegels Kunstphilosophie,
Platons Kritik der Kunst und die Theorie des Unbewussten 61
Bernadette Collenberg-Plotnikov
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen
Reflexion. Zur Transformation des Hegelschen Kunstbegriffs bei Hotho
und Ruge 79
Dimitri Liebsch
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie. Forster und Hegel über antike,
mittelalterliche und moderne Kunst 101
Niklas Hebing
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 120
Jure Zovko
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 144
Mirko Wischke
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 156
6 Inhalt
Wilhelm Voßkamp
Hegels Interpretation des Romans zwischen Klassik und Romantik 167
Ivan Boldyrev
Formalismus hemmungslos? Die Rezeption von Hegels Tragödientheorie bei
H. F. W. Hinrichs 185
Andreas Arndt
„Hegels Philosophie versagt vor dem Schönen“.
Hegel in Adornos Ästhetik 199
Siglen 209
Literaturverzeichnis 211
Personenverzeichnis 222
Vorwort
Hegels Philosophie der Kunst knüpft an eine seinerzeit junge, erst Mitte des 18.
Jahrhunderts von Baumgarten begründete Tradition der Ästhetik als philosophi-
scher Disziplin an. Im Mittelpunkt seiner seit 1817 in der Enzyklopädie skizzier-
ten und in seinen Heidelberger und Berliner Vorlesungen ausgeführten Philoso-
phie der Kunst steht die „Idee des Schönen“. Hegel bestimmt die Schönheit als
sinnliches Scheinen der Idee, durch die Kunst ihre Wahrheit erhält. Sie ist damit
Bestandteil der Philosophie des absoluten Geistes, in welcher der Geist in Kunst,
Religion und Philosophie sein Selbstbewusstsein als Geist entwickelt.
Jedes Kunstwerk verwirklicht als schönes eine Einheit des Begriffs und
seiner Realität im sinnlichen Scheinen. Diese Einheit wird jedoch dort brüchig,
wo das Selbstbewusstsein des Geistes seinem Begriff adäquat wird und über den
sinnlichen Schein hinausgeht, wie es für Hegel in der vollendeten, der christli-
chen, Religion und in der Philosophie der Fall ist. Nur in der antiken Kunst ist
die unmittelbare Einheit gegeben, die in der nachfolgenden, der romantischen
Kunstperiode zunehmend nur noch durch die Reflexion vermittelt werden kann.
Die Schönheit ist daher eine in sich gebrochene, die das Selbstbewusstsein
des Geistes letztlich nicht gültig darzustellen vermag. Hegels vieldiskutierte
These vom Ende der Kunst ist nur eine Konsequenz dieser geistesphilosophi-
schen Begründung der Ästhetik.
Sowohl diese Begründung als auch die Fokussierung der Philosophie der
Kunst auf die Idee des Schönen werfen eine Reihe systematischer Probleme auf,
die in dem vorliegenden Band im Blick auf Hegels Ästhetik, ihre historischen
Kontexte und ihre Rezeptionen diskutiert werden.
Dier Beiträge gehen zum größten Teil auf eine Tagung zurück, die unter dem
Titel „Gebrochene Schönheit. Hegels Philosophie der Kunst“ am 7. und 8. Mai
2010 im Haus am Dom in Frankfurt stattfand. Für die Gastfreundschaft und die
großzügige finanzielle Bezuschussung der Tagung danken wir der Katholischen
Akademie Rabanus Maurus und der Diözese Limburg. Im nachhinein sind noch
einige Beiträge hinzugekommen (von Ivan Boldyrev, Nives Delija Trešćec und Jure
Zovko), die den Band thematisch abrunden.
In meinen Beitrag möchte ich erstens das philosophische Programm von Hegels
Einleitung in seine Vorlesungen über Ästhetik skizzieren, zweitens einen Über-
blick über Hegels Ästhetik und ihre Ortsbestimmung in seinem System zu geben
versuchen und drittens etwas über unsere heutige hermeneutische Situation bei
der Beschäftigung mit Hegels Ästhetik sagen.
tung der Ästhetik auf substantielle, ideelle Gehalte der Kunst. Die These, dass die
Schönheit der Kunst durch Wahrheit prinzipiiert ist, macht Hegels Ästhetik zu
einer Gehaltsästhetik.
Als Gestalt des absoluten Geistes ist Kunst eine Weise, in der der Mensch ein
Gesamtbewusstsein über sich selbst und seine geschichtliche Situation ins Werk
setzt. Wichtig ist, dass Hegel hier eine Rangordnung der Gestalten des absoluten
Geistes aufmacht. Kunst und Religion sind Stufen auf dem Weg des menschlichen
Geistes zu höchsten Stufe seiner Selbstvergewisserung in der Philosophie.
Von dieser Theorie des absoluten Geistes hängt auch Hegels These vom Ende
der Kunst ab, das er für die Moderne diagnostiziert. Nur die klassische Kunst der
Griechen erfüllt die höchste Bestimmung des Geistes. Die moderne Kunst ist durch
die moderne Welt, die christliche Religion und die Philosophie endgültig der Mög-
lichkeit beraubt, höchste Autorität für die Weise zu sein, in der der menschliche
Geist zu einer letzten Selbstverständigung kommt. Kunst hat in der Moderne nur
noch einen partialen Charakter. Daher kann sie nur einen Bewusstseinszustand,
der sich auf andere Weise ausbildet, aufnehmen, variieren, umspielen und befes-
tigen. So können wir auch kein religiöses Verhältnis mehr zur Kunst haben, weil
sie ihre Rolle, ein Gesamtbewusstsein zu stiften und zum Ausdruck zu bringen,
verloren hat. In der Moderne ist die Philosophie zur letzten durch keine Wissens-
weise ersetzbaren Form der Vergewisserung des Geistes geworden.
In der Theorie des absoluten Geistes liegt m. E. das spezifisch Philosophi-
sche von Hegels Ästhetik. Sie ist das Paradigma einer Philosophie der Kunst, die
zugleich ihre Gegenwart, die zeitgenössische Kunst Hegels auf den Begriff zu
bringen beabsichtigt. Das entscheidende Problem ist, ob Hegels These vom Ende
der Kunst haltbar ist und auf welche Weise sie einen Beitrag zur Diagnose auch
der modernen Kunst leisten kann.
2. Neben der Theorie des Schönen und der Theorie der Kunst umfasst Hegels
Ästhetik eine Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst bzw. eine Theorie der
Kunstgeschichte, die in der Lehre von den sog. Kunstformen entwickelt wird.
Hegel unterscheidet drei Kunstformen: die symbolische, die klassische und
die romantische Kunstform. Diese sind nicht nur drei Grundtypen der Kunst, die
durch alle Epochen der Kunstgeschichte wiederkehren, sondern jeweils die drei
historischen Grundepochen der orientalischen, griechisch-römischen und christ-
lichen Kunst. Wichtig ist, dass sich diese Grundformen der Kunst aus dem Begriff
der Kunst ergeben und sich durch die jeweilige religiöse Bestimmtheit des Abso-
luten unterscheiden. Die Theorie der Kunstgeschichte ist daher für Hegel zugleich
Theorie der Religionsgeschichte.
Die Kunstformen werden entsprechend ihrer logisch-begrifflichen Struktur in
einer historischen Reihenfolge angeordnet. Damit entwirft Hegel zum ersten Mal
eine Entwicklungslogik der Kunst, die ästhetische und historische Betrachtung
14 Christian Iber
der Kunst synthetisiert. Beides wird in der heutigen Kunstwissenschaft nur selten
miteinander verbunden. Zumeist wird die ästhetische Analyse ganz von der his-
torischen verdrängt. Was Hegel hier gelingt, ist, ästhetische Wesensdifferenzen
in den verschiedenen historischen Epochen der Kunst kenntlich zu machen.
Mit seiner Theorie der Kunstgeschichte bezieht sich Hegel auf die Querelle
des Anciens et des Modernes, in der über den strukturellen Unterschied zwischen
antiker und moderner Kunst diskutiert wurde, eine Diskussion, die eine Grundo-
rientierung der Ästhetik der Goethezeit und der Romantik darstellt. Das Neue von
Hegels Kunstformenlehre ist ihr trichotomischer Charakter. Er fügt der antiken
und romantischen Kunstform die symbolische hinzu. Überhaupt ist Hegel der
erste Philosoph, der gründliche Kenntnisse von außereuropäischen Kulturen
ansammelt und sie in seiner Geschichtskonzeption berücksichtigt. Zu kritisieren
ist, dass Hegel die moderne Kunstform unter die romantische subsumiert und
nicht als eigene zählt, womit die romantische Kunstform auf die mittelalterliche
Kunst beschränkt würde. Tatsächlich ist der Begriff der romantischen Kunstform
bei Hegel zu großflächig, als dass er die Epochendifferenz zwischen mittelalterli-
cher und moderner Kunst erfassen könnte. Mit der modifizierten Einteilung wäre
das spezifisch Neue der modernen Kunst ab der Renaissance berücksichtigt,
die von Hegel unterbelichtet wird. Die bleibende Leistung des zweiten Teils der
Ästhetik ist, dass, indem Hegel den Blick der Theorie auf die geschichtliche Ent-
wicklungslogik der Kunst lenkt, in seiner Theorie auch die Idee einer geschichts-
philosophisch reflektierten Theorie der Kunst impliziert ist.
3. Der dritte und umfangreichste Teil von Hegels Ästhetik umfasst das System
der Künste, der am meisten von der Forschung vernachlässigte Teil der Ästhetik.
Das System der Künste bringt die Künste in einen Ordnungs- und Wertzusammen-
hang. Zugleich werden die Einzelkünste in ihrer historischen Entwicklung über
die drei Kunstformen hinweg verfolgt. Zum System der Künste gehören: Archi-
tektur, Skulptur, Malerei, Musik und Poesie mit ihren Gattungen Epos, Lyrik und
Drama.
Die innere Logik des Systems der Künste ergibt sich aus der Unterscheidung
der Kunstformen. Das Kriterium der Einteilung des Systems der Künste sind also
die drei Kunstformen. Obgleich die Architektur über die symbolische, klassische
und romantische Kunstform hinweg erörtert wird, wird sie ihrem Wesen nach als
symbolische Kunstform begriffen. Auch die Skulptur wird in ihrer Geschichte
über die ägyptische, griechische und römische Welt beschrieben, obgleich sie als
klassische Kunstform par excellence fungiert. Malerei, Musik und Poesie sind die
spezifisch romantischen Künste. Bei ihnen spielt die historische Ausprägung der
Kunstformen nicht eine so große Rolle. Eine Ausnahme bildet die Poesie, von der
eine Skizze des Entwicklungsprozesses gegeben wird. Eine Auszeichnung erfährt
bei Hegel das Drama, das die höchste Kunstgestalt darstellt.
Einführende Überlegungen zu Hegels Ästhetik 15
Würdigung noch um eine unmittelbare Anwendung von Hegels Ästhetik auf die
Gegenwart gehen. Vielmehr müsste der Traditionsbruch dazu benutzt werden,
eine Reflexionsdistanz zu Hegels Ästhetik ins Spiel zu bringen.
Wir befinden uns in Bezug auf Hegels Ästhetik m. E. in einer paradoxen her-
meneutischen Situation. Einerseits müssten wir von einem philosophischen Hori-
zont ausgehen, der jenseits der Hegelschen Ästhetik liegt, und letztlich nur durch
den Problembestand moderner ästhetischer Theorie und Kunst gegeben sein
kann. Denn letztlich geht es ja einer heutigen philosophischen Ästhetik darum,
zu einem philosophischen Verständnis heutiger Kunst zu kommen. Andererseits
gibt es keine wirklich befriedigende Ästhetik heute (das gilt auch für Adornos
Ästhetische Theorie), so dass wir mit unserem Bedürfnis nach grundsätzlicher
philosophischer Verständigung über die gegenwärtige Kunst an die Vergegenwär-
tigung der Problematik der Ästhetik Hegels verwiesen bleiben.
Fragt man nach dem gemeinsamen Problembestand jenseits des Traditions-
bruchs, so ist es die Omnipräsenz des Ästhetischen, das heute vom postmoder-
nen Destruktivismus etwa bei Lyotard und in Hegels Zeit von der Romantik in der
Theorie verkündet wird. Omnipräsenz des Ästhetischen besagt, dass im Horizont
dieser Theorien die Wirklichkeit selbst zum ästhetischen Konstrukt, zum Spiel,
zur Inszenierung oder Schein wird. Hegels These zum ästhetischen Absolutismus
der Romantik ist ungefähr folgende: Der romantische Ästhetizismus ist nur dem
Oberflächenschein nach Dokument einer Absolutheit des Ästhetischen. In Wahr-
heit ist er Dokument des Zerfalls der Kunstpraxis in ihrer höchsten Bestimmung.
Sie ist ein ästhetischer Subjektivismus, der zeigt, dass die Kunst in der Moderne
partial geworden ist, also kein Gesamtbewusstsein einer Epoche mehr stiften
kann. D. h. man kann Hegels Ästhetik im Ganzen in der Frontstellung zur roman-
tischen Ästhetik verstehen. Aus dieser Frontstellung heraus kam er zu einer hell-
sichtigen Diagnose der Kunst in der Moderne.
Genau mit einer ähnlichen Lage sind wir m. E. heute im Zeitalter der Postmo-
derne konfrontiert, in der wir eine ungeheure „Konjunktur des Ästhetischen“ zu
verzeichnen haben. Hegel hat in seiner Ästhetik versucht, eine kritische Antwort
auf die Omnipräsenz des Ästhetischen zu geben. Insofern scheint dies ein geeig-
neter Ausgangspunkt für eine philosophische Interpretation der Ästhetik Hegels
zu sein.
Aus dem Gesagten ergeben sich zwei Aufgaben der Interpretation: Erstens
gilt es, Hegels Ästhetik in ihrem eigenen Anspruch und ihrer spezifischen Theo-
riegestalt zu erarbeiten, zweitens sollten wir uns fragen, was sie uns heute bedeu-
ten kann.
Walter Jaeschke
Die gedoppelte Schönheit
Idee des Schönen oder Selbstbewusstsein des Geistes?
Die Ambivalenz, ja die Zweischneidigkeit, die für viele Partien der Philosophie
Hegels charakteristisch ist, scheint auch noch einen Begriff zu erfassen, von dem
man intuitiv der Ansicht sein mag, dass er solcher Ambivalenz unzugänglich sei:
den Begriff des Schönen. Einerseits scheint Hegels Begriff der Kunst rückwärts
gewandt, gekettet an einen klassizistischen Begriff der Schönheit. Doch ande-
rerseits ist es ebenso unbestreitbar, dass gerade Hegel es ist, der einen Weg auf-
zeigt, die Philosophie der Kunst vom Begriff des Schönen abzulösen und eine
an diesem Begriff orientierte Ästhetik durch eine „Ästhetik des Häßlichen“ zwar
nicht zu ersetzen, aber doch zu komplementieren. Beide Deutungen können sich
auf eine hinreichend große Zahl von Belegen stützen, doch stehen sie einander
entgegen – es sei denn, es ließe sich ein Weg finden, den Begriff des Schönen so
zu denken, dass er nicht durch den des Hässlichen aufgehoben würde. Hierzu
möchte ich im Folgenden einen Vorschlag unterbreiten.
1
Hegel scheint mir über zwei durchaus unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung
der Kunst zu verfügen: über einen vom Begriff des Selbstbewusstseins des Geistes
her gedachten und über einen auf den Begriff der Schönheit fixierten. Ich möchte
sie hier kurz als den geistesphilosophischen und – mit einem Ausdruck Hegels,
wenn auch seinem Wortgebrauch nicht gänzlich folgend – den ‚kallistischen‘
unterscheiden. Fraglos operiert Hegel mit beiden Ansätzen, Kunst zu verstehen.
Doch meine Frage – oder auch mein Zweifel – richtet sich gerade auf die Weise,
ob und gegebenenfalls wie sie mit einander verbunden werden können. Deshalb
möchte ich diese beiden unterschiedlichen Wege hier zunächst gesondert nach-
zeichnen – und dann die Frage stellen, ob sie sich mit einander verbinden lassen,
und falls ja, ob ihre Verbindung eine überzeugende Lösung darstelle oder ob es
nicht vielleicht gute oder gar bessere Gründe dafür gebe, die beiden Wege zu
trennen und nur den einen von ihnen zu verfolgen.
Den Weg zum geistesphilosophischen Ansatz der Ästhetik möchte ich hier
über Hegels ‚erste Ästhetik‘ nehmen – oder genauer: im Ausgang von seinen in
der Debatte über die Ästhetik nur selten herangezogenen einschlägigen Ausfüh-
18 Walter Jaeschke
rungen über die Kunst aus der Geistesphilosophie des Jahres 1805/06, also des
sog. Systementwurfs III. Den Übergang zu ihr macht Hegel mit der Wendung,
nach dem Durchlaufen der Sphäre des Staates bringe der absolut freie Geist „nun
eine andre Welt“ hervor, „eine Welt, welche die Gestalt seiner selbst hat; wo sein
Werk vollendet in sich ist, und er zur Anschauung seiner als seiner gelangt“ (GW
8, 277). Oder etwas konkreter: Bereits die (das politische Leben regelnde) „Con-
stitution“ sei die „Erzeugung des Inhalts“ des Geistes aus sich selbst, doch nun
habe der „seiner selbst gewisse Geist“ „diesen Inhalt als solchen sich selbstwis-
senden zu erzeugen – / So ist er unmittelbar die Kunst.“ In ihr sei die „Entzwey-
ung des Wissens von sich, und seiner Wahrheit – in sich zurükgenommen“; sie
sei die Form, der jeder Inhalt gleichgültig sei, weil sie jeden als Unendliches zur
Anschauung bringen könne – wobei allerdings allein diejenige Kunst, „deren
Inhalt der Form gleich ist“, die „absolute Kunst“ sei, wie Hegel hier – im Unter-
schied zu seiner späteren Ästhetik – formuliert. Und in diesem Kontext entwirft
er auch eine erste Systematik der Kunstformen.
Den Begriff der Kunst entwickelt Hegel hier also nicht vom Begriff der Schön-
heit her – von ihr ist gar nicht die Rede –, sondern ausschließlich vom Begriff
des Sichwissens des Geistes her: Der Geist, der seinen Inhalt als sich selbst wis-
senden geistigen Inhalt erzeugt, ist – unmittelbar – die Kunst. Dies ist nach zwei
Seiten hin näher zu konkretisieren. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, daß
dieser, über seine Selbsterzeugung in der „Constitution“ hinausgehende Geist
„die Kunst“ sei. Hegels Argument hierfür ist es, dass hier eine Stufe im Gang der
Manifestation und des Sichselbstwissens des Geistes in dieser Manifestation
erreicht sei, in der es nicht mehr um die Produktion rechtlich-institutioneller
Formen zur Regelung des gesellschaftlichen Lebens zu tun sei und die „Erfül-
lung“ gleichsam in deren Produktion bestehe, sondern diejenige Stufe, auf der
diese – trotz der auch zuvor vorhandenen Selbstbeziehung noch fortbestehende
– äußere Beziehung überwunden sei: Erreicht sei hier, mit dem Eintritt in die
Kunst, „Das unendliche Wissen, das unmittelbar lebendig, seine eigne Erfüllung
ist, das alle Bedürftigkeit der Natur und der aüssern Nothwendigkeit, der Ent-
zweyung des Wissens von sich, und seiner Wahrheit – in sich zurükgenommen“
hat. Dieser Geist kann – nochmals – jeden Inhalt als Unendliches zur Anschau-
ung bringen und „es als Geist zum Gegenstande“ machen. Und erst hier geht
Hegel dazu über, das zuvor schon genannte Wort „Kunst“ zu substantiieren
– wenn auch nur mit der andeutenden Bemerkung: „Sie [sc. diese Anschauung]
schwankt zwischen der Gestalt und dem reinen Ich derselben – und so zwischen
plastischer und musicalischer Kunst“. Erst hier weiß man überhaupt erst gewiss,
dass wirklich von „Kunst“, und nicht von etwas anderem, die Rede sein soll. Die
andere Abgrenzung lässt Hegel hier noch unausgesprochen; er deutet sie nur in
dem Wort an, der Geist in dieser Form sei „unmittelbar die Kunst“ – und dies lässt
Die gedoppelte Schönheit 19
schon vermuten, dass Hegel schon in diesem frühen Entwurf, wie auch später
noch, zu Religion und Philosophie als den vermittelten Formen der Selbstbezie-
hung des Geistes übergehen werde (GW 8, 278).
Von „Schönheit“ ist bisher in dieser Exposition des Begriffs der Kunst nicht
die Rede gewesen. Erst jetzt fällt dieses Wort, doch gewinnt es auch jetzt keine
zentrale Bedeutung für die Bestimmung der Kunst. Hegel nimmt die Unterschei-
dung von „plastischer und musicalischer Kunst“ nochmals auf, und er führt aus:
„Diese rein intellectuelle Schönheit – diese Musik der Dinge – hat das homerisch
plastische zu seinem Gegensatze – jenes unsinnlich diß sinnliche Anschauung“.
Hiermit assoziiert Hegel die „Schönheit“ unerwartet zunächst nicht einmal mit
der ‚plastischen‘, sondern mit der ‚musicalischen Kunst‘ – jedoch ohne daß er
näher auf sie beide und ihr Verhältnis einginge. Vielmehr verbleibt er beim geis-
tesphilosophischen Ansatz, und er bekräftigt nochmals: „Die Kunst erzeugt die
Welt als geistige und für die Anschauung“ – und wenn auch nicht als „der klare
sich wissende Geist“, so doch immerhin als „der begeisterte Geist – der sich in
Empfindung und Bild einhüllende, worunter das Furchtbare verborgen ist“. Und
erst jetzt, im Rahmen seiner nun anschließenden Überlegungen zum defizienten
Charakter der Kunst, kommt Hegel nochmals auf die Schönheit zu sprechen: Die
Kunst könne „ihren Gestalten nur einen beschränkten Geist geben; – die Schön-
heit ist Form, sie ist die Taüschung der absoluten Lebendigkeit, die sich selbst
genügt, und in sich geschlossen und vollendet“ ist. Sie könne die Unendlichkeit,
die sie doch ihrer Prätention nach zur Anschauung bringe, in Wahrheit gar nicht
fassen, und so bringe sie es auch nur zu einer „gemeynte[n] Unendlichkeit“: „die
Schönheit ist vielmehr der Schleyer, der die Wahrheit bedekt, als die Darstellung
derselben.“ (GW 8, 279)
Die Kunst als eine Gestalt der Täuschung, unter der „das Furchtbare ver-
borgen“ ist; die Schönheit als „der Schleyer, der die Wahrheit bedekt“ im Sinne
von ‚verdeckt‘ – hier lassen sich andere, von Hegel fortführende Assoziationen
schwerlich vermeiden. Ich möchte ihnen aber nicht nachgehen, sondern noch
Hegels abschließendes Urteil etwas amplifizieren. Er dementiert also nun, was
er zunächst als Proprium der Kunst ausgegeben hat: daß sie alles „als Unendli-
ches zur Anschauung bringen“ könne. Sie könne dies vielmehr gar nicht wirk-
lich, denn sie sei ja gar nicht bloße Form, die den Inhalt vergessen mache – auch
wenn „Kenner“ dies versichern. Gegen diese „Kenner“ (die hier genauso abschät-
zig behandelt werden wie Ende des 18. Jahrhunderts die „Kunstrichter“) ruft er
als höhere Instanz die „Menschen“ an – denn diese ließen sich (ganz zu Recht)
den Inhalt nicht nehmen –, und so finde die Kunst ihre Wahrheit in der Religion
(also nicht in einer verbesserten Form der Kunst, sondern in ihrer Nachfolge-
gestalt unter den Formen des absoluten Geistes). Bei deren Behandlung kommt
Hegel allerdings noch zweimal auf den Begriff der Schönheit zurück: In der Kunst
20 Walter Jaeschke
gewinne „jedes Einzelne durch die Schönheit freyes eignes Leben“ – und nun folgt
gleich ein wieder zur Religion überleitendes „aber“. Und noch ein weiteres Mal ist
hier von „Schönheit“ die Rede: Hegel bezeichnet sie als die „Einheit der Individu-
alität und der Allgemeinheit, oder des Selbsts [des Künstlers?] und seines allge-
meinen Daseyns“. Fundamental aber ist auch hier – nochmals – Hegels Insistenz
darauf, daß der Inhalt der Kunst der ‚absolute Geist‘, und sie „nur die Selbstpro-
duction seiner, als in sich reflecirten selbstbewußten Lebens überhaupt ist“ (GW
8, 280). Dies macht ihren Begriff aus.
2
Ich habe diese Passagen aus ‚Hegels erster Ästhetik‘ hier so ausführlich referiert
und paraphrasiert, weil ich zum einen nicht voraussetzen kann, dass sie jedem
deutlich vor Augen stehen, und zum anderen natürlich deshalb, weil ich sie als
Beleg sowohl für die Unvermitteltheit der beiden Schlüsselbegriffe ‚Schönheit‘
und ‚Sichwissen des Geistes‘ als auch als Argument für die geistesphilosophische
Interpretation in Anspruch nehmen möchte – natürlich nicht mit der Behaup-
tung, dass hier von Schönheit gar nicht die Rede sei, aber doch als Beleg für den
entwicklungsgeschichtlichen und sachlichen Primat des geistesphilosophischen
Ansatzes. Die Einheit der Formen des absoluten Geistes denkt Hegel ja nicht,
wie ein Jahrhundert später etwa der Neukantianismus, als eine Wertetrias, als
Einheit der Werte etwa des Schönen, des Guten und des Wahren, sondern als
in sich differenzierte Totalität der Manifestationen des Selbstbewusstseins des
Geistes. Eine Verstärkung dieses Arguments zu Gunsten des ‚geistesphilosophi-
schen‘ Begriffs der Kunst ergibt sich eben daraus, dass ja die gesamte Sphäre
des ‚absoluten Geistes‘, wie Hegel sie später nennen wird, allein durch diesen
geistesphilosophischen Ansatz ihre Einheit gewinnt. Und deutlich ist – denke
ich – auch geworden, dass der Begriff der Schönheit – soweit Hegel hier über-
haupt mit ihm operiert – nicht ausdrücklich mit seiner geistesphilosophischen
Deutung der Kunst vermittelt ist. Die Schönheit ist nicht gedacht als das Medium
der geistigen Selbstbeziehung, sondern durch ihre Verklärung des Einzelnen ist
sie vielmehr dasjenige, was die „Wahrheit“ bedeckt und ein Surrogat an die Stelle
der gelingenden Selbstbeziehung des Geistes setzt.
Nun ist dadurch – natürlich – keineswegs ausgeschlossen, dass Hegel später,
im Zuge der Ausformung seiner Geistesphilosophie insgesamt wie auch seiner
Ästhetik im besonderen, in den Heidelberger und Berliner Vorlesungen, seinen
Begriff der Kunst in eben diesem Punkt korrigiert haben könnte, und vielleicht
ja auch mit guten Gründen. Dies ist auch fraglos der Fall. Zumindest seine Vorle-
Die gedoppelte Schönheit 21
sungen über die Philosophie der Kunst weisen dem Begriff des Schönen ja einen
hohen Stellenwert zu; sie nennen das „Reich des Schönen“ sogar, bevor das Wort
„Kunst“ erstmals fällt, und vor allem: Der erste, grundlegende Teil der Vorlesun-
gen ist nun der „Idee des Kunstschönen“ oder dem „Ideal“ gewidmet.
Allerdings scheint mir der Erkenntnisgewinn hinsichtlich des Begriffs des
Schönen, den Hegel aus diesem fundamentalen Teil zieht, eher disproportional zu
seinem Umfang zu sein. Denn Hegel nennt die Schönheit nun „den in sich selbst
konkreten absoluten Begriff und bestimmter gefaßt die absolute Idee“. Schönheit
wird hier also nicht mehr, zumindest nicht mehr primär mit „Taüschung“ und
„Schleyer“ assoziiert – und hierin liegt ein wichtiger Schritt in der Entwicklung
seiner Ästhetik – auch wenn der Begriff des „Scheins“ weiterhin eine Schlüssel-
stellung für die Kunst hat. Allerdings stellt sich angesichts des neuen Ansatzes
sogleich die Frage, was Hegel hier mit „absolute Idee“ bezeichne – denn es ist ja
nicht anzunehmen, dass er in dem Sinne von ihr spreche, den sie am Ende der
Wissenschaft der Logik hat. Und in der Tat führt er hier weiter aus, dass er eine
konkrete Form der absoluten Idee im Blick habe; es heißt ja: „die absolute Idee
in ihrer wahrhaftigen Wirklichkeit“ sei „Geist, und zwar … der allgemeine unend-
liche und absolute Geist, der aus sich selber bestimmt, was wahrhaft das Wahre
ist“ – und im Anschluß hieran geht Hegel sehr ausführlich auf den Begriff des
Geistes und den des absoluten Geistes ein: Der absolute Geist sei es, „der um für
sich das Wissen seiner selbst zu seyn, sich in sich unterscheidet, und dadurch die
Endlichkeit des Geistes setzt, innerhalb welcher er sich absoluter Gegenstand des
Wissens seiner selber wird“ (TWA 13.128–130).
Dann aber drängt sich die weitere Frage auf, was diese Selbstunterscheidung,
die der Geist im Interesse seines Wissens von sich vornimmt, mit dem Begriff
der Schönheit zu tun habe. Und auch Hegel – oder zumindest sein Herausgeber
– markiert diese Aussage als den „Punkt, bei welchem wir in der Philosophie
der Kunst zu beginnen haben. Denn das Kunstschöne“ gehöre „dem geistigen
Gebiete an“, und zwar dem Gebiet nicht etwa des endlichen, sondern des abso-
luten Geistes: „Das Reich der schönen Kunst ist das Reich des absoluten Geistes.“
Damit ist das Schöne, näher das Kunstschöne, in die Philosophie des Geistes ein-
gebettet, und auch den ‚wissenschaftlichen Beweis‘, dass dies auch wirklich so
sei, weist Hegel der Geistesphilosophie zu.
Doch die Frage bleibt: Auch wenn das „Reich der schönen Kunst“ das „Reich
des absoluten Geistes“ ist – warum sollte dann das Wissen des Geistes von sich in
der Kunst im Begriff des Schönen zentriert sein? Was hat jenes mit diesem zu tun,
und wie erfolgt der begriffliche Übergang von dem ‚Urteil‘ des absoluten Geistes,
von seinem ‚Urteil‘ in sich als wissenden und in den Gegenstand als den gewuss-
ten Geist, zum Begriff der Schönheit oder zum „Ideal“? Ist das Sichwissen des
Geistes – und auch dasjenige Wissen des Geistes, das er in der Kunst von sich hat
22 Walter Jaeschke
– ein Wissen, das notwendig durch den Begriff der Schönheit vermittelt ist? Wird
der Begriff des Wissens des Geistes von sich nicht dadurch unzumutbar einge-
schränkt, dass der im Urteil erzeugte Gegenstand ein ‚schöner‘ Gegenstand sein
muss? Und was spricht dagegen, dass ein solches Sichwissen des Geistes auch in
künstlerischen Gestaltungen erreicht werden kann, die nicht unter den Begriff
des Schönen zu stellen sind?
Doch vielleicht ist diese Frage ja falsch gestellt. Gibt es überhaupt eine gelin-
gende künstlerische Gestaltung, die nicht unter den Begriff der Schönheit gestellt
werden kann? Dies ist zwar offenkundig der Fall: Das Erhabene, das Hässliche,
vielleicht ja auch das Komische und vieles andere mehr drängen sich sofort auf.
Doch scheint mir eine derartige Entgegensetzung von Hegel hier gar nicht beab-
sichtigt. Es geht ihm ja um die künstlerische und d. h. um die im Interesse der
Selbsterkenntnis des Geistes vollzogene Formung eines im weiten Sinne ‚Materi-
ellen‘ und um das Selbstverhältnis des Geistes in dieser geistigen Gestaltung – im
Unterschied zu seiner Relation zur Natur. Ein Sichwissen des Geistes gibt es zwar
auch in Relation zur Natur, aber nur ein implizites Wissen, das darin wirklich ist,
dass die Natur als das Andere des Geistes gewusst wird. Darin ist zwar auch ein
Sichwissen impliziert, doch bleibt es überwiegend unthematisch.
Doch zurück zu der eben gestellten Frage, ob es – für Hegel – überhaupt eine
gelingende künstlerische Gestaltung geben könne, die nicht unter den Begriff
der Schönheit gestellt werden könne. Ich denke, man muss diese Frage vernei-
nen – und daraus die Konsequenzen für seinen Ansatz ziehen. An einer Stelle
der Vorlesungen erinnert Hegel an seine vorhergehenden Ausführungen „über
den Begriff des Schönen und der Kunst“. Wir hätten, heißt es, ein „Gedoppeltes“
gefunden, nämlich „erstens einen Inhalt, Zweck, Bedeutung, sodann den Aus-
druck, die Erscheinung und Realität dieses Inhalts, und beide Seiten drittens so
von einander durchdrungen, daß das Aeußere, Besondere nur ausschließend als
Darstellung des Innern erscheint“ und „nichts vorhanden“ ist, „als was wesent-
liche Beziehung auf den Inhalt hat und ihn ausdrückt.“ (TWA 13, 132) Es geht
also – genau genommen – nicht allein um ein „Gedoppeltes“, sondern um die
Exposition zweier Seiten, vor allem aber um ihre Durchdringung, die so intim
sein muss, dass beide Seiten vollständig in sie eingehen und außer ihrer Einheit
„nichts vorhanden“ ist. „Nichts vorhanden“ – diese Wendung erinnert an § 556
der Enzyklopädie; sie findet dort ein noch geringfügig erweitertes Analogon, denn
Hegel spricht dort von der konkreten „Anschauung und Vorstellung des an sich
absoluten Geistes als des Ideals, – der aus dem subjektiven Geiste gebornen kon-
kreten Gestalt, in welcher die natürliche Unmittelbarkeit nur Zeichen der Idee,
zu deren Ausdruck so durch den einbildenden Geist verklärt ist, daß die Gestalt
sonst nichts anderes an ihr zeigt; – die Gestalt der Schönheit.“
Die gedoppelte Schönheit 23
Die ‚Schönheit‘, von der hier die Rede ist, ist demnach nicht eine innere,
spezifische Qualität eines Kunstwerks; sie liegt nicht in einer harmonischen
Anordnung von Gestalten oder in einer spezifischen Farbgebung oder was man
sonst als Indikator des ‚Schönen‘ imaginieren mag, sondern sie liegt einzig in
der vollendeten Durchdringung von „Inhalt, Zweck, Bedeutung“ einerseits und
„Ausdruck, … Erscheinung und Realität dieses Inhalts“ andererseits. Daran ent-
scheidet sich, ob ein Werk als Kunstwerk, als „Zeichen der Idee“ zu fassen sei. Ob
solche „Durchdringung“ gelungen, und wirklich außer ihr „sonst nichts“ vorhan-
den sei, wie Hegel hier – sowohl in den Vorlesungen als auch in der Enzyklopädie
– fordert, kann eigentlich nur derjenige feststellen, dem „Inhalt, Zweck, Bedeu-
tung“ bekannt sind – wenn auch nicht im Sinne von ‚vorweg bekannt‘, als ob
man an ein Kunstwerk stets mit einem Vorwissen um „Inhalt, Zweck, Bedeutung“
herantreten müsse: Das Wissen um das Gelingen der „Durchdringung“ muss vor
allem durch das Kunstwerk selbst vermittelt werden, durch das Sichwissen des
Geistes, das es ermöglicht. Und wenn man diese intime „Durchdringung“ mit
dem Wort ‚Schönheit‘ bezeichnet, so ist auch einzuräumen, dass solche ‚Schön-
heit‘ – auch wenn die „Durchdringung“ im angeschauten Gegenstand selber
wirklich ist – dennoch nicht durch eine „Anschauung“, sondern allein durch
ein Sichwissen des Geistes erschlossen werde – oder sagen wir etwas weniger
hegelisch: dass sie allererst durch ein geistiges Verständnis erschlossen werde
– und dies erklärt ja auch hinlänglich das allgemein bekannte Factum, dass die
Schönheit eines Kunstwerks nicht mit Augen und Ohren, sondern mit dem Geist
erkannt wird – freilich, sofern es sich um bildende Kunst oder um Musik handelt,
auch nicht ohne Augen und Ohren.
Doch um zur Ausgangsfrage nach dem Verhältnis des geistesphilosophi-
schen und des ‚kallistischen‘ Ansatzes der Ästhetik zurückzukehren: Anders
als in seinem Jenaer Manuskript räumt Hegel in seiner Berliner Ästhetik dem
Begriff der Schönheit eine zentrale Rolle ein. Doch dieser Begriff des Schönen ist
nicht auf der Ebene angesiedelt, auf der vom Erhabenen, Hässlichen, Komischen
oder auch vom ‚Schönen‘ im üblichen Sinne gesprochen und das ‚Schöne‘ den
anderen Begriffen entgegengesetzt wird. Diese ‚Sonderstellung‘ des Begriffs des
Schönen gegenüber den genannten anderen bildet die Voraussetzung dafür, dass
die beiden hier kontrastierten Ansätze – der geistesphilosophische und der ‚kal-
listische‘ – nicht unvereinbar mit einander sind: Hegels Begriff des Schönen ist
vielmehr selber rein geistesphilosophisch konzipiert: ‚Schön‘ in diesem – Hegel-
schen – Sinne ist die aus dem Geiste geschaffene, mehr oder weniger ‚materielle‘
Gestalt, die das Wissen des Geistes von sich erlaubt, und nur sie. Die Schönheit,
von der hier die Rede ist, könnte somit – mit dem Ausdruck der Jenaer Geistesphi-
losophie – als eine „intellectuelle Schönheit“ bezeichnet werden, als eine ‚geis-
tige Schönheit‘.
24 Walter Jaeschke
Zu Beginn des ersten Teils der Vorlesungen, über die „Idee des Kunstschö-
nen“, polemisiert Hegel folglich gegen die Ansicht, „das Schöne ließe sich über-
haupt, eben darum, weil es das Schöne sei, nicht in Begriffe fassen und bleibe
daher für das Denken ein unbegreiflicher Gegenstand.“ Vielmehr sei allein das
Wahre begreiflich, und die Schönheit sei „nur eine bestimmte Weise der Äuße-
rung und Darstellung des Wahren und steht deshalb dem begreifenden Denken
[…] nach allen Seiten hin offen.“ (TWA 13, 127) Dies ist auf Grund seines Ansatzes
auch zwingend – denn die Schönheit liegt allein in der genannten Vermittlung
des „Gedoppelten“, die also immer schon im Kunstcharakter eines Kunstwerks
mitgegeben ist, ja konstitutiv für den Kunstcharakter eines Kunstwerks ist. ‚Kon-
stitutiv‘ ist sie aber nicht etwa in dem Sinne, dass alle Kunst dadurch auf einen
– ‚Schönheit garantierenden‘ – Regelkanon verpflichtet würde – im Gegenteil:
Durch Hegels Begriff von ‚Schönheit‘ sind weder „Inhalt, Zweck, Bedeutung“
noch „Ausdruck, […] Erscheinung und Realität“ des Inhalts eines Kunstwerks
material eingegrenzt. Gefordert ist einzig, nochmals, die „Durchdringung“ der
beiden begrifflich unterschiedenen Seiten. Und es ist auch plausibel und zu
begrüßen, daß Hegel nicht versucht, Kriterien für diese „Durchdringung“ zu ent-
wickeln und vorzuschreiben. Sie wird in der Arbeit des Künstlers vollzogen, und
in ihrem Gelingen liegt der Maßstab für den künstlerischen Rang eines Werkes.
3
Der geistesphilosophische Begriff und der ‚kallistische‘ – die Kunst vom Begriff
des Schönen her bestimmende – Begriff der Kunst sind somit keineswegs unver-
einbar. Sie sind vereinbar unter der Bedingung, dass das Schöne selber geistes-
philosophisch gefasst wird: als eine durch den Geist hervorgebrachte Gestaltung,
in der er sich weiß – und „sonst nichts“. Im Ausgang von dieser Position Hegels
möchte ich hier noch einen kurzen Rückblick anstellen und einen Blick auf
einige Konsequenzen werfen, um das Gesagte in einen etwas größeren Kontext
zu stellen.
Wenn man der Ansicht ist, dass Hegels Begriff von Schönheit nicht mit
dem gewöhnlichen Verständnis des Schönen übereinkommt, eben weil er den
Begriff der Schönheit rein geistesphilosophisch, als „intellectuelle Schönheit“,
fasst und weil ‚Schönheit‘ in diesem Sinne keine spezifische Qualität ist, die man
dem einen Kunstwerk zu- und dem anderen absprechen könnte, sondern weil
‚Schönheit‘ den Kunstcharakter als Kunstcharakter bezeichnet, so dass also ein
Kunstwerk als Kunstwerk ein ‚schönes Werk‘ ist, so drängt sich verständlicher
Weise die Frage auf, wieso Hegel in dieser auffallenden Weise von dem sonst übli-
Die gedoppelte Schönheit 25
chen und auch vom Klassizismus seiner Zeit nahegelegten Gebrauch des Wortes
abweiche. Die Antwort auf sie scheint mir naheliegend und keineswegs überra-
schend: Hegels Identifikation des Schönen mit dem Kunstcharakter der Kunst
ergibt sich zwanglos aus dem Begriff der ‚schönen Kunst‘, durch den sich ja seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts die Kunst in unserem heutigen Sinne von den frü-
heren ‚Künsten‘ (im Sinne der artes oder der τέχναι) abgrenzt. ‚Kunst‘ in diesem
‚nicht-technischen‘ Sinne ist eben allemal ‚schöne Kunst‘ – und dadurch unter-
scheidet sie sich von den ‚technischen Künsten‘, wie ich sie hier kurz nennen
möchte. Ihnen wird – seit ihrer Unterscheidung von den ‚schönen Künsten‘, mit
dem fortschreitenden Gebrauch des Wortes ‚Kunst‘ primär für die ‚schöne Kunst‘
– der ‚Kunst‘-Charakter weitgehend aberkannt. In der Gegenwart ist ja – anders
als noch zu Hegels Zeit, insbesondere etwa für Schleiermacher, der von Kunst
sehr häufig im ‚technischen‘ Sinne spricht – der Begriff der ‚Kunst‘ nahezu ganz
für die ‚schönen Künste‘ reserviert worden, auch wenn wir immer noch gelegent-
lich von der ‚ärztlichen Kunst‘ und demzufolge auch von ‚Kunstfehlern‘ oder von
der Philosophie als einer ‚brotlosen Kunst‘ sprechen.
Andererseits liegt es von diesem Begriff der ‚schönen Kunst‘ her eigentlich
gar nicht nahe, innerhalb solcher Kunst nochmals in einem spezifischen mate-
rialen Sinne eine an ‚Schönheit‘ orientierte Kunst zu unterscheiden. Auch das
Erhabene fällt mit unter diesen Begriff der ‚schönen Kunst‘; es gibt ja neben
dieser ‚schönen‘ nicht noch eine ‚erhabene Kunst‘. ‚Schön‘ ist das Epitheton, das
Kunst als Kunst in diesem Sinne gegenüber den ‚technischen Künsten‘ auszeich-
net. Hegels Identifikation von ‚Kunst‘ und ‚schöner Kunst‘ ist somit gleichsam
nur eine Konsequenz dieses Verständnisses von Kunst als ‚schöner Kunst‘ – auch
wenn dies von seinen Zeitgenossen überwiegend anders gesehen und seine geis-
tesphilosophische Begründung nicht geteilt worden ist. Er scheint mir hier ledig-
lich die Konsequenzen aus dem damals ja noch recht jungen Begriff der ‚schönen
Kunst‘ zu ziehen.
Ferner: In der Perspektive von Hegels geistesphilosophisch begründeter
Identifikation des ‚Schönen‘ mit der ‚Kunst‘ (im Sinne von ‚schöner Kunst‘) wird
auch klar, warum er das Naturschöne gegenüber dem Kunstschönen nicht allein
abwertet, sondern warum es für ihn eigentlich gar kein Naturschönes gibt und
auch keines geben kann, abgesehen allenfalls in einem analogischen Sinne: Im
sog. ‚Naturschönen‘ kann die für Kunst konstitutive Identität von „Inhalt, Zweck,
Bedeutung“ und „Ausdruck, Erscheinung und Realität“ plausibler Weise gar nicht
vorkommen. Hegels Verwerfung des Naturschönen bildet somit ein zusätzliches
Indiz für seine rein geistesphilosophische Konzeption des Begriff des Schönen.
Nun kann man natürlich im Interesse der Rettung des Naturschönen einwenden,
ein Begriff des Schönen, der das Naturschöne nicht einschließe, sei schlicht ver-
fehlt, weil er die Basis alles Schönen – die Natur – ignoriere. Wenn man das Schöne
26 Walter Jaeschke
Doch daraus ist schließlich nochmals eine weitere, naheliegende Folge aus-
drücklich abzuleiten: Die Frage, ob Hegel nicht vielleicht zu Unrecht über dem
Schönen die vielen anderen ästhetischen Qualitäten übersehen habe – allem
voran das Erhabene und das Hässliche, vielleicht auch das Komische –, scheint
mir falsch gestellt. Denn diese Qualitäten sind auf einer anderen Bedeutungs-
ebene angesiedelt als Hegels Begriff des Schönen. Auch diejenige Kunst, die das
Erhabene oder das Hässliche in den Vordergrund rückt, bleibt ja ‚schöne Kunst‘
(im Sinne der Gegenüberstellung gegen die ‚technischen Künste‘). Der Klassi-
zismus-Vorwurf wäre meines Erachtens allein dann mit Recht gegen Hegel zu
erheben, wenn er der Ansicht wäre, dass die Selbstvermittlung des Geistes im
Zuge der geforderten „Durchdringung“ jeweils ein Resultat haben müsse, das in
einem klassizistischen Sinne als ‚schön‘ zu qualifizieren sei – so wie Hegel das
Wort ‚schön‘ gelegentlich ja auch selber in emphatischem Sinne im Blick auf die
griechische Skulptur gebraucht. Doch davon ist gar keine Rede. Hegel ist sich
der unterschiedlichen Gestaltungsweisen des Verhältnisses des Geistigen und
Natürlichen vielmehr wohl bewusst. Und vor allem: Von seinem geistesphiloso-
phischen Ansatz her kann Kunst gar nicht immer ‚schön‘ im Sinne des klassizis-
tischen Ideals sein. Denn dies wäre nur dann zu verlangen, wenn der Geist unge-
schichtlich wäre – und dies ist bekanntlich nicht der Fall.
4
Diese geistesphilosophische – und eben deshalb zugleich geschichtsphiloso-
phisch konnotierte – Fassung des Begriffs der Kunst bildet die Grundlage für das
Verständnis, warum die Kunst – obschon sie doch dem „Ideal“, der Schönheit,
verpflichtet ist, nicht mehr „schöne Kunst“ im materialen Sinne der griechischen
Skulptur sein kann – ja auch gar nicht mehr sein darf. Sonst gäbe es ja statt der
drei Epochen der Geschichte der Kunst auch nur eine einzige, und daneben bloß
Noch-nicht-Kunst und Nicht-mehr-Kunst. Doch auch wenn Hegel die symbolische
und die romantische Kunst im Blick auf einen materialen Begriff von Schönheit
von der klassischen Kunst abgrenzt: Er bestreitet diesen beiden nicht-klassischen
Formen zwar eine vollendete materiale Realisierung von Schönheit, aber nicht
ihren Kunst-Charakter – denn auch bei ihnen handelt es sich ja um Gestalten der
geistigen Selbstbeziehung. Und die klassische Schönheit repräsentiert trotz ihre
vollendeten materialen Schönheit vielmehr eine defiziente Gestalt von Kunst,
weil sie der entwickelten Selbstbeziehung des Geistes nicht gerecht wird: Das
„Reich des Schönen selbst ist für sich noch unvollkommen, weil der freie Begriff
nur sinnlich in ihm vorhanden [ist] und keine geistige Realität in sich selbst hat.
28 Walter Jaeschke
[…] Der Geist muß sich selbst zum Boden seines Daseins haben, sich eine intel-
lektuelle Welt erschaffen. Hier vollendet sich die Innerlichkeit in sich“ (V 2, 179)
– in der ‚romantischen Kunst‘. Von einem materialen Begriff des Schönen aus
ist diese Dynamik der Geschichte der Kunst weder in den Blick zu bekommen
noch gar zu rechtfertigen – nur von der geistesphilosophischen Konzeption der
Kunst und des Schönen aus. Das Sichwissen des Geistes erfordert das Hinaus-
gehen über diejenige Einheit des Natürlichen und des Geistigen, die von einem
materialen Begriff der Schönheit her gefordert ist. Entscheidend hingegen ist der
innere Gehalt, den die „romantische Kunst“ aus ihren Kunstwerken heraushebt:
die Erhebung des Geistes über die Natur. Der Gegenstand der Kunst ist nicht mehr
das Äußere, sondern die Gleichgültigkeit gegen die Gestaltung der unmittelbaren
Welt – denn es gibt ein „Höheres als die schöne Erscheinung des Geistes in seiner
unmittelbaren, wenn auch vom Geist als ihm adäquat erschaffenen Gestalt,“ und
„die Schönheit in dem bisherigen Sinne“ wird „etwas Untergeordnetes und wird
zur geistigen Schönheit des an und für sich Inneren als der in sich unendlichen
geistigen Subjektivität“ (W 14, 128 f.). Die Differenz, die hier zwischen „Innig-
keit“ und Realität besteht, kann in der Folge zur schroffen Entgegensetzung
werden, zum Losreißen des Geistigen vom Endlichen, zum Triumph des Geisti-
gen über „die Welt“, wie er in der Darstellung der Martyrien, ja im Schwelgen
in Grausamkeiten anschaulich wird. Eine Kunst, die dies darstellt, muss nicht
allein „die ideale Schönheit“ verschmähen; sie muss notwendig (im materialen
Sinne) „unschön“ werden. Gerade Hegels Ästhetik verweist mit Entschiedenheit
auf den geschichtlichen Übergang zu einer Kunst, die nicht mehr der Forderung
nach materialer Schönheit unterstellt ist, sondern die zumindest ebenso sehr das
Hässliche zum Gegenstand hat – und dies nicht nur im Sinne eines kunsthisto-
rischen Berichts über faktisch eingetretene Verschiebungen des Sujets, sondern
mit dem Anspruch eines Erweises der Notwendigkeit dieser Entwicklung.
Dies lässt sich noch kurz an Hegels Abhandlung des dritten Themenkreises
der „romantischen Kunst“ veranschaulichen. Er bildet das letzte Stadium einer
Entwicklung, die mit der religiösen Thematik beginnt und kraft ihrer imma-
nenten Dynamik mit der Loslösung von ihr endet: Die „Welt“, nicht mehr in die
„Einheit des Absoluten“ zurückgebunden, stellt sich „auf ihre eigene Füße“ (W
14, 195) – nicht ohne Folgen für die Kunst: „Stoff und Subjektivität sind getrennt,
und der Fortgang ist ihre Einbildung, bis sie wieder auseinander fallen. Ihre
absolute Einheit kommt nicht in der Kunst zustande. Die Innerlichkeit erhebt
sich zum reinen Gedanken, wo erst die wahrhafte Einheit stattfinden kann.“ (V
2, 196.198) Die Kunst seiner Gegenwart sieht Hegel als Schlusspunkt dieser Ent-
wicklung. Ihre Eigentümlichkeit liege darin, „daß die Subjektivität des Künstlers
über ihrem Stoffe und ihrer Produktion steht, indem sie nicht mehr von den gege-
benen Bedingungen eines an sich selbst schon bestimmten Kreises des Inhalts
Die gedoppelte Schönheit 29
wie der Form beherrscht ist, sondern sowohl den Inhalt als die Gestaltungsweise
desselben ganz in ihrer Gewalt und Wahl behält“ (W 14, 231) – eine Charakteris-
tik, bei der Hegel, soweit sich erkennen lässt, insbesondere das Aufgreifen orien-
talischer Stoffe in Goethes „West-östlichem Divan“ und in den Gedichten Fried-
rich Rückerts oder Nachdichtungen von Hafis’ Lyrik im Blick hat. Sie trifft aber
ebenso und noch mehr auf diejenige Kunst zu, die auf das Ende der „goetheschen
Kunstperiode“1 und somit auch seiner Lebenszeit erst folgt.
Da die Gegenstände der Kunst nicht mehr in eine substantielle geistige
Einheit aufgenommen werden, ist es letztlich gleichgültig, wie sie dargestellt
werden – als „Kreis unmittelbarer Wirklichkeit“, „wie sie sind“, oder – könnte
man das Argument verlängern – als abstrakt oder gegenständlich, als erhaben
oder trivial, als schön oder hässlich. Denn nicht mehr der Gegenstand ist von
Interesse, sondern nur noch die Art seiner Behandlung: die Technik des Malens
oder Komponierens oder Erzählens – oder allgemein „die subjektive Auffassung
und Ausführung des Kunstwerks“ (W 14, 223). Und dies ist nicht etwa ein Indiz
einer defizitären Kunstform, da ja auch in der Beschränkung auf die Auffassung
und Ausführung des Kunstwerks das Selbstbewusstsein des Geistes wirklich ist.
Vielleicht erweist sich die Kunst ja sogar insbesondere in dieser reinen Darstel-
lung, weitgehend losgelöst von vorgegebenen Inhalten, als eine Form des Selbst-
bewusstseins des Geistes und das Werk als ein – in diesem geistesphilosophi-
schen Sinne – Schönes. Deshalb scheint mir – für Hegel – die Schönheit auch
gar nicht ‚gebrochen‘ zu sein. Für die Kunst bleibt der Begriff der Schönheit kon-
stitutiv – allerdings nur in dem allgemeinen, formalen Sinne, in dem auch wir
immer noch von ‚schöner Kunst‘ sprechen. Auch die ‚nicht mehr schönen Künste‘
sind ja immer noch ‚schöne Kunst‘. Der engere, materiale Begriff von Schönheit
hingegen hat einen sehr spezifischen, lange zurückliegenden und zudem unwie-
derbringlichen, nur noch der Erinnerung zugänglichen geschichtlichen Ort, von
dem aus sie allerdings immer noch in die Gegenwart hineinstrahlt. Und deshalb
möchte ich im Blick auf Hegel eigentlich nicht von ‚gebrochener Schönheit‘,
sondern von ‚gedoppelter Schönheit‘ sprechen.
1 Heinrich Heine, Die romantische Schule (1835), in: Düsseldorfer Heine-Ausgabe. Bd. 8/1, hg. v.
Manfred Windfuhr, Hamburg 1979, 125.
Günter Kruck
Die doppelte Kontingenz als notwendige
Bestimmung der Kunst
Hegels Begreifen der Kunst
Wenn man definitorisch kurz und prägnant festhalten will, was G. W. F. Hegel
unter Kunst versteht, sieht man sich angesichts der nicht unproblematischen
Editionslage der Vorlesungen über die Ästhetik besonders auf die Enzyklopä-
die der philosophischen Wissenschaften in der Fassung von 1830 verwiesen,
die die gedrängteste und systematischste Darstellung in dieser Hinsicht bietet.1
Hegel legt dort im zugehörigen ersten Paragraphen zur Kunst, im § 556, folgende
begriffliche Bestimmung der Kunst vor:
„Die Gestalt dieses Wissens ist als unmittelbar (das Moment der Endlichkeit der Kunst)
einerseits ein Zerfallen in ein Werk von äußerlichem gemeinen Dasein, in das dasselbe
produzierende und in das anschauende und verehrende Subjekt; andererseits ist sie die
konkrete Anschauung und Vorstellung des an sich absoluten Geistes als des Ideals, – der
aus dem subjektiven Geiste geborenen konkreten Gestalt, in welcher die natürliche Unmit-
telbarkeit nur Zeichen der Idee, zu deren Ausdruck so durch den einbildenden Geist verklärt
ist, daß die Gestalt sonst nichts anderes an ihr zeigt; – die Gestalt der Schönheit.“2
Hält man zunächst die Elemente der Definition der Gestalt des Wissens, das Hegel
Kunst nennt, noch einmal fest, dann kommt man auf folgende vier konstitutive
Punkte oder Bestimmungen entsprechend der Textvorlage des Zitats:
1 Man vgl. hierzu die Ausführungen von Annemarie Gethmann-Siefert, die in ihrer Verhältnis-
bestimmung zwischen den verschiedenen Hegelschen Vorlesungen zur Ästhetik und den diversen
(drei) Fassungen der Enzyklopädie diese These bestätigt und das Zueinander der verschiedenen
Vorlesungen zu den unterschiedlichen Textvarianten der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften näherhin wie folgt auf den Begriff bringt: Während man in der Enzyklopädie
den systematischsten Aufriss des begrifflichen Gefüges der Philosophie der Kunst im Kontext der
Behandlung des absoluten Geistes im Sinne der Bestimmung ihrer Geschichtlichkeit vorfindet,
entfalten die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst das Spektrum phänomenaler
und kultur-, d. h. genauer geistesgeschichtlicher Analysen der Kunst und bieten damit eine
Exemplifikation der Vielfalt der geschichtlichen Vermittlung der (Hegelschen) philosophischen
Idee der Kunst wie man sie eben nur gerafft in der enzyklopädischen Darstellung findet.
Annemarie Gethmann-Siefert, „Dritte Abteilung: Der absolute Geist (§§ 553–577)“, in: Hegels
„Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß,
hg. v. H. Drüe u. a., Frankfurt/Main, 2000, 317–374.
2 TWA 10, 367, § 556.
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 31
1. Zur Kunst als Gestalt des Wissens gehört das unmittelbare Auseinanderfallen
von Künstler, Kunstwerk und Betrachter.
2. Zur Kunst als Gestalt des Wissens gehört aber genauso, dass dieses Wissen
als unmittelbare Anschauung des absoluten Geistes an sich begriffen wird.
3. Für die Kunst gilt zudem, dass deren Gestalt als natürliche Unmittelbarkeit
als durch den subjektiven Geist gewirktes Zeichen der Idee begriffen wird.
4. Für die Kunst ist darüber hinaus konstitutiv, dass diese Gestalt durch das sub-
jektive Einwirken des Geistes nichts anderes zeigt als die Gestalt der Schön-
heit.
Was zunächst lediglich als zufällige Auflistung von vier aneinandergereihten Ele-
menten zur Bestimmung der Kunst erscheint, wird von Hegel im Paragraphen
selbst inhaltlich verbunden. Die zentralen Verbindungsthesen betreffen:
1. Das Verhältnis auf der Ebene der Endlichkeit, d. h. – unprätentiös ausge-
drückt – auf der Ebene der Erscheinung der Kunst betrifft dies das unmittelbare
Auseinanderfallen von Künstler, Kunstwerk und Betrachter, die als unterschie-
dene und vorausgesetzte zugleich aber als notwendig aufeinander bezogene
Momente die endliche Seite der Gestalt dieses Wissens ausmachen. Diese end-
liche Seite als unmittelbare Unterscheidung der drei genannten Entitäten tritt
dabei als Einheit eines Wissens auf, das Hegel die Unterscheidung des absoluten
Geistes an ihm selbst nennt.
2. Der absolute Geist an ihm selbst, d. h. in seinem an sich, gibt damit den
Maßstab der Unterscheidung der endlichen Seite der Kunst ab, von dem her die
Kunst als Kunst nur als Form der Anschauung verstanden werden kann.
3. Durch diese Begründung der Kunst als Gestalt des Wissens des absolu-
ten Geistes erscheint jedes Kunstwerk als subjektiv durch den Geist gewirk-
tes Zeichen, das in seiner natürlichen Unmittelbarkeit nur als Ausdruck dieses
Wissens als dessen Ideal verstanden werden kann. Das Wissen des absoluten
Geistes ist damit die ‚Idee‘ für die Kunst und für jedes konkrete Kunstwerk.
4. Unter diesen Voraussetzungen, d. h. unter der Bedingung des absoluten
Geistes und seines Begreifens als Ideal für das Wissen der Kunst, kann das Ange-
schaute dann nicht anders als Gestalt der Schönheit aufgefasst werden, als deren
(einzige) Inhaltsbestimmtheit, wodurch zugleich über die Kunst als Gestalt des
Wissens im Sinne der Offenbarung des Geistes in der (geoffenbarten) Religion
hinausgegangen wird.
Warum stelle ich diesen nun sachlich im Einzelnen näher zur erläuternden
Zusammenhang, durch den deutlich werden soll, was Hegel unter Kunst ver-
steht, unter den Titel der doppelten Kontingenz als notwendige Bestimmung
der Kunst? Meine These ist, dass mit der Formulierung des Titels verbunden ist,
32 Günter Kruck
was zunächst als unverbunden für die Kunst im Sinne des ersten Textbefunds
des § 556 und seiner Erklärung durch Hegel im Sinne des soeben behaupteten
vierfachen Zusammenhangs vorgelegt bzw. beansprucht wird. Mit dem Titel wird
also Hegels originäre Leistung oder Konzeption im Sinne einer Problematisierung
identifiziert, durch die das, was Kunst ist und notwendig zur Kunst gehört (der
Künstler, das Kunstwerk, der Betrachter, die Einheit einer Idee des Schönen als
Gestalt des absoluten Geistes als ‚Idee‘ der Kunst, die subjektive Einbildungskraft
des Künstlers) als zu ihrem Begriff ausgewiesen wird und damit zueinander in
Beziehung tritt. Hegel erklärt damit also nicht nur, was Kunst ist, sondern was
zu ihr notwendig aufgrund ihres Begriffs samt der mit der Kunst verbundenen
Voraussetzungen gehört.
Konkret heißt das: Im Ausgangspunkt des Hegelschen Textbefundes ergibt
sich für die Kunst als Gestalt eines Wissens doch folgende Frage: Ist für die Kunst
das Auseinanderfallen von Künstler, Kunstwerk und Betrachter konstitutiv und
wird in der Kunst zugleich von der subjektiven Einbildungskraft des Künstlers
geredet, dann stellt sich die Frage, wie dieser Sachverhalt – das Auseinanderfal-
len der genannten Elemente – überhaupt unter der Einheit einer Wissenschaft
begriffen werden kann und unter welcher inhaltlichen Bestimmung die genann-
ten unterschiedenen Elemente wirklich eins sind bzw. wie sich diese Einheit wie-
derum zu den genannten Momenten verhält.
Schärfer im Sinne des gewählten Titels allein vom Textbefund des § 556 und
der Betonung des scheinbar aporetischen Charakters als Problematisierung im
Blick auf den folgenden Beitrag und seine Erläuterungen hin formuliert: Spricht
nicht sowohl die Rede von der subjektiven Einbildungskraft des Künstlers, die
genau ‚dieses‘ oder auch das genaue Gegenteil als Gestalt und Ausdruck ihrer
selbst wählen kann, in das sie sich (als Material und damit Kunstwerk) ‚einbil-
det‘, als auch die Unterschiedenheit von Künstler, Kunstwerk und Betrachter
als vorausgesetzte zur Einheit des Wissens, das Kunst genannt wird, gegen die
Einheit der Gestalt eines Wissens, das Kunst heißt?
Wie ist also verständlich zu machen, dass die vorausgesetzten, selbststän-
digen und für sich damit kontingenten Momente als Bestimmungen der Kunst
zugleich als notwendige Voraussetzungen eines Wissens auftreten und tatsäch-
lich als Einheit zusammengehören?
In umgekehrter Richtung, d. h. von der behaupteten Einheit her, könnte man
genauso fragen, wie die Einheit einer Wissensform mit einem Wissensinhalt, der
Geist oder besser absoluter Geist von Hegel genannt wird, zu einem praktischen
Verhältnis der Relation in Form der Voraussetzungen für die Kunst (dem Künstler
und seiner Einbildungskraft, dem Kunstwerk und dem Betrachter) passt? Wie ist
also die auf den ersten Blick scheinbare und von Hegel behauptete (kontingente)
Zufälligkeit der Einheit des Geistes oder eben des absoluten Geistes mit den für
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 33
Ad 1. Das Verhältnis auf der Ebene der Endlichkeit der Kunst im Sinne des für
jeden und jede unmittelbar sinnlichen Zugangs zur Kunst betrifft das unmittel-
bare Auseinanderfallen von Künstler, Kunstwerk und Betrachter, die als die Unter-
schiedenen und Vorausgesetzten die endliche Seite der Gestalt dieses Wissens
als dessen Erscheinung ausmachen. Diese endliche Seite als unmittelbare Unter-
scheidung der drei genannten Entitäten ist dabei notwendig, insofern zu einer
Gestalt des Wissens, das Kunst heißt, formal die drei unterschiedenen Entitäten
gehören; d. h., ohne die Unterscheidung von Künstler, Kunstwerk und Betrachter
als formale Voraussetzung zur Bestimmung dessen, was Kunst ist, gelangt man
überhaupt nicht zu einem Wissen, das man Kunst nennen kann. Denn ohne die
Unterscheidung eines Werkes ‚von äußerlichem gemeinen Dasein‘, von einem
‚dasselbe produzierenden‘ und einem dasselbe ‚anschauenden und verehrenden
Subjekt‘ – wie Hegel im § 556 schreibt – ist die Kunst eben nicht das, was sie ist.
Der Widerspruch, der auf dieser Ebene damit gelöst werden muss, besteht
darin, dass genau in der Hinsicht, in der das unmittelbare Auseinanderfallen
der drei Entitäten behauptet wird, deren Einheit hergestellt werden muss, um
die Einheit des Wissens, das Kunst genannt wird, zu garantieren. Denn ließe
sich dieser Einheitspunkt, von dem her die drei eins sind, nicht herstellen oder
finden, dann wären sie nicht, was sie an sich sind, notwendige formale Element
einer Definition von Kunst.
Konkret oder im Einzelnen heißt das: Der Künstler als Künstler, das Kunst-
werk als Kunstwerk und der Betrachter als Betrachter sind nur, was sie als von-
34 Günter Kruck
einander Unterschiedene an sich sind, indem sie als solche unmittelbar Unter-
schiedene genauso unmittelbar in der Gestalt eines Wissens als solche eins sind.
Ihr Vorausgesetztsein ist ein Vorausgesetzsein, das seinen einenden Grund in
einem anderen hat von dem her sie als solche begriffen werden und ihr Vorausge-
setztsein eben seinen Grund hat.
Wie löst Hegel nun aber den Widerspruch in der Voraussetzung der Bestim-
mung der Kunst auf, dass zu ihr notwendig drei Entitäten gehören, die als Unter-
schiedene in ihrem Unterschied gerade nicht eins sind, aber die doch gerade in
dieser Hinsicht eins sein müssen, wenn von Kunst geredet werden soll?
Hegels bekannte und hier schon skizzierte Lösung besteht darin, im Rück-
griff auf § 553 der Enzyklopädie eine Aufklärung als Angabe eines inhaltlichen
Einheitspunktes anzubieten:
„Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste. Daß diese in der Identität mit jenem
als das Wissen der absoluten Idee sei, hierin ist die notwendige Seite, daß die an sich freie
Intelligenz in ihrer Wirklichkeit zu ihrem Begriffe befreit sei, um die dessen würdige Gestalt
zu sein.“3
Der Künstler, das Kunstwerk und der Betrachter sind demnach nur, was sie sind,
indem sie als Realität eines Begriffs behandelt bzw. verstanden werden. Dieser
Begriff, dessen Realität die drei Entitäten sind, ist der Begriff des Geistes. Inwie-
fern fallen aber jene drei Entitäten unter diesen Begriff bzw. was macht sie zu
dessen Realität und was hat das mit Kunst zu tun?
Diese drei Fragen müssen in der Folge beantwortet werden, wenn eben Hegel
tatsächlich seinem Anspruch gerecht werden will, die Kunst auf den Begriff zu
bringen.
Eine erste Antwort auf die erste Frage erhält man durch die von Hegel im Zitat
selbst genannte Bedingung als ‚notwendige Seite‘, durch die erläutert wird, was
es heißt, dass der Begriff des Geistes seine Realität im Geiste hat.
Wenn Hegel schreibt, dass die freie Intelligenz sich befreien muss von ihrer
jeweiligen Wirklichkeit, um ihrem Begriff zu entsprechen, dann heißt das für den
Begriff des Geistes: Der Geist ist offenbar dadurch bestimmt, dass man in diesem
Zusammenhang von der Wirklichkeit einer Intelligenz und ihren konkreten Exis-
tenzbedingungen abstrahiert und die Intelligenz als freie, d. h. als solche in den
Blick nimmt. Das heißt für Hegel für die freie Intelligenz im Unterschied zum Tier,
dass dessen Widerspruch aufgehoben wird. Bestand der Widerspruch des Tieres
darin, in seiner ‚Subjektivität‘, d. h. seiner Einheit als Tier so selbstbestimmt zu
sein, dass diese Selbstbestimmung in Trieb und Instinkt auf ein Äußeres not-
wendig angewiesen ist, so hat der Geist diesen Widerspruch seinem Begriff nach
aufgehoben.4 Der Geist ist in seiner Selbstbestimmung nicht von der Äußerlich-
keit eines anderen, dem Objekt der Triebbefriedigung, abhängig. Der Geist ist als
Geist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass seine Selbstbestimmung in (s)einer
Allgemeinheit so festgehalten werden kann, dass er gerade auf nichts anderes als
auf sich selbst bezogen ist. Genau deswegen wird dem Geist dem ‚Wesen‘ nach
‚formell‘ das Attribut der Freiheit im Sinne einer freien Intelligenz, die von ihrer
konkreten Wirklichkeit im Vorfeld ihrer eigenen Betätigung oder Realisierung
abstrahiert, zugeschrieben.
Wenn dieser Begriff des Geistes im Gegensatz zur Natur und speziell zum Tier
nun seine Realität im Geiste hat, besagt dies nach Hegel, dass die Bestimmung
des Begriffs konsequent nur durch eine Realität eingeholt werden kann, die
diesem Begriff entspricht: Selbstbestimmung als Inhalt des Begriffs des Geistes
kann nur eingelöst werden durch einen selbstbestimmenden Geist, der eben nicht
wie das Tier von einem anderen, sondern nur von sich abhängig ist.
Mit dieser Einheit von Begriff und Realität, von Selbstbestimmung und
selbstbestimmendem Geist, sind epistemisch oder erkenntnistheoretisch ein
Inhalt und ein Selbstbezug verbunden. Der Selbstbestimmung als Inhalt des
Begriffs des Geistes entspricht ein Wissen um sich als Realität des Begriffsinhalts
‚Selbstbestimmung‘, das dem Geist als sich bestimmenden zukommt und durch
den er sich zugleich auf sich bezieht bzw. durch den er sich vom Tier und der
Natur unterscheidet.
Genau deshalb wird der Geist von Hegel mit dem Attribut ‚absolut‘ belegt:
Wird die Selbstbestimmung zum bestimmenden Inhalt einer (Begriffs-)Realität,
die dadurch für sich unabhängig von anderem eben absolut bestimmt ist, dann
ist dieser Realität aufgrund dieser Bestimmung ein (Selbst-)Wissen zu eigen, das
sie als Realität im Sinne eines reinen Selbstbezugs in ihrem Selbstsein als selbst-
bestimmend auszeichnet und das sie darüber hinaus als Geist nicht als kontin-
gent erscheinen lässt. Dass der Geist selbst also in der genannten Weise keine
kontingente Entität für sich ist, ist mit der genannten Bestimmung verbunden,
weil die Selbstbestimmung als wissender Selbstbezug des Geistes im Unterschied
zur Natur (und zum Tier) im Sinne der Realität seines Begriffs den Geist konsti-
tutiv bestimmt. Der Geist kann also nicht nicht und auch nicht anders sein als in
der beschriebenen Weise. Wenn er Geist ist, ist der Geist als selbstbestimmender
und damit selbstbestimmter Geist in seinem Wissen auf sich als Realität seines
Begriffs bezogen, sonst wäre er eben nicht Geist im Unterschied zur Natur und
zum Tier.
In der Anwendung auf die Unterscheidung der drei Momente der Kunst
bedeutet diese kurze und schematisierte Darstellung des ‚absoluten Geistes an
sich‘ im Einzelnen:
Der Künstler realisiert den Begriff des absoluten Geistes an sich, insofern er
ihm auf doppelte Weise Rechnung trägt:
Einerseits ist der Künstler nur, was er als Künstler ist, in der Unabhängigkeit
vor allem von seinem Werk, andererseits ist der Künstler gerade nur, was er ist,
in der Betätigung seiner Fähigkeiten im Werk, also in der Abhängigkeit seiner
Selbstbestimmung vom Werk. Der Widerspruch der Bestimmung des Künstlers
– einerseits abhängig und andererseits unabhängig vom Werk zu sein – ist also
nichts anderes als die Übersetzung der Bestimmung des Begriffs des absoluten
Geistes an sich: Sein unmittelbares Selbstverstehen im Sinne seines selbstbe-
stimmten Selbstsein vollzieht sich so, dass die Unabhängigkeit von anderem
(vom Werk oder vom Betrachter) als Voraussetzung nur eingelöst ist, wenn dieser
Voraussetzung durch die Freiheit von (bzw. vor) der Gestaltung aber auch durch
die Gestaltung eines Werkes Rechnung getragen wird. Der Künstler ist also als
Gestalt des Geistes die selbstbestimmte Realisierung seines Begriffs im und durch
das Kunstwerk unabhängig vom Betrachter.
Die Verlausform der künstlerischen Tätigkeit ist damit nicht nur die Überset-
zung der Bestimmung des Begriffs des absoluten Geistes an sich, sondern auch
die Einlösung bzw. das Austragen des damit verbundenen Widerspruchs. Dieser
Widerspruch besteht für den absoluten Geist darin, dass konkret angegeben
werden muss, was es heißt, dass der Geist sich auf sich so bezieht, dass in dieser
Identität zugleich der Unterschied enthalten ist, der ein Wissen als Selbstwissen
ermöglicht. Hegel löst dieses Problem im Rahmen seiner Theorie des absoluten
Geistes durch die Formen ein, die als Formen das Material für dessen Selbstbezug
als inhaltliche Übersetzung seiner Bestimmtheit abgeben.
Was für den Künstler gilt, gilt unmittelbar korrelativ für den Betrachter: Er
ist, was er als solcher seinem Begriff nach als Geist (oder freie Intelligenz) ist,
indem er für sich im Unterschied zum Werk bzw. zum Künstler unabhängig von
ihnen und zugleich abhängig von beiden bestimmt ist. Denn Betrachter ist man
einerseits unabhängig für sich nur im Gegensatz zum Hersteller eines Kunstwerks
bzw. zu diesem Kunstwerk selbst. Diese Unabhängigkeit realisiert sich als Selbst-
bestimmung im Sinne eines wissenden Selbstbezugs aber zugleich nur, indem
diese Unabhängigkeit die Abhängigkeit der Selbstbestimmung in sich aufgenom-
men hat: Unabhängig vom Künstler und vom Werk im Sinne seiner Selbstbestim-
mung zu sein, hält gerade diese Abhängigkeit als Moment der Selbstbestimmung
des Betrachters fest. Ein selbstbestimmter Betrachter ist der Betrachter eben nur,
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 37
wenn er sich als Betrachter eines Kunstwerkes erweist und damit in seiner Selbst-
bestimmung – unabhängig von anderen – zugleich in derselben Hinsicht von
anderem abhängig ist.
Sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter gilt demnach, dass deren
an sich festgehaltene Bestimmung als unterschiedene und vorausgesetzte nur
realisiert wird, indem die jeweilige Unabhängigkeit voneinander nur abhängig
vom jeweils anderen eingelöst werden kann.
Die gleiche Reflexion lässt sich für das Kunstwerk vorlegen: Das Kunstwerk
ist, was es (selbstbestimmt) für sich ist, nur in der Abhängigkeit vom Künstler
und Betrachter.
Hegel hat damit im Begriff des Geistes – spezieller im Begriff des absoluten
Geistes – jene Grundlage gefunden, die einerseits die genannten drei unabhän-
gigen Momente als Voraussetzung der Kunst in eine Einheit zurückführt und die
andererseits zugleich in der Kunst als einer Form des Wissens die abstrakte Refle-
xion des Geistes als absoluten veranschaulichend konkretisiert.
Der Selbstbezug und das Selbstwissen als konstitutive Bestimmungen des
absoluten Geistes in seiner Unabhängigkeit von anderem realisieren sich also
einerseits in der Kunst als einer Form gemäß der Auffassung, dass der Begriff des
Geistes seine Realität im Geiste hat. Die Kunst ist als Erscheinung die (endliche,
d. h. letztlich sinnlich-anschauliche und greifbare) Vollzugsform des Begriffs
des Geistes im Sinne seiner eigenen Realisierung. Diese Realisierung des Geistes
unterstellt ihrem Begriff nach eine Identität, die einen Unterschied impliziert,
was in der Kunst auf folgende Weise eingelöst ist: Indem der Künstler, das Kunst-
werk und der Betrachter nur sind, was sie in ihrem selbstbestimmten Wissen
von sich als Identität vorgeben, wenn der Unterschied vom jeweils anderen
berücksichtigt wird, so sind die drei Momente damit nur Erscheinungsweisen des
Wissens, das absoluter Geist heißt: Ein Wissen um sich, das als Wissen des iden-
tischen Selbstbezugs seine Identität nur hat, indem es sich auf das je andere und
den Unterschied in diesem Selbstwissen bezieht.
Mit dieser Vorstellung sind aber jene drei für sich zunächst kontingenten
Momente daher andererseits in die Einheit einer (epistemischen oder erkenntnis-
theoretischen) Erklärung – der des Geistes bzw. des absoluten Geistes – zurück-
geführt, die für sich (als Erklärung ihres Begriffs) ebenfalls nicht kontingent
ist. Die kontingente Voraussetzung der Momente wird zur Explikationsform der
Bestimmung des absoluten Geistes, die als Momente damit ihr bloßes Vorausge-
setztsein selbst verlieren, insofern sie an der Notwendigkeit des Geistes im Sinne
seiner Unterscheidung zur Natur und zum Tier erklärt werden.
38 Günter Kruck
Ad 2. Der absolute Geist an ihm selbst gibt damit den Maßstab der Unterschei-
dung der endlichen Seite der Kunst ab, von dem her die Kunst als Kunst nur als
Form der Anschauung verstanden werden kann.
Aufgrund der Einordnung der drei Momente in die Bestimmung des absolu-
ten Geistes an sich wird deutlich, dass die drei Momente der Kunst als Voraus-
setzungen dieser Gestalt des Wissens ihre Einheit im absoluten Geist finden, von
dem her sie als Momente verstanden werden können: Die dargestellte Rückfüh-
rung der unmittelbaren Voraussetzung der Kunst in ihren einheitlichen Grund
beantwortet aber noch nicht ausdrücklich die Frage, ob dieses oder jenes als
Kunst bzw. was überhaupt als Kunst gilt.
Inwiefern ist also mit dem Verstehen und dem Aufzeigen des Einheitspunktes
der drei Momente auch eine Beurteilung von Kunst möglich?
Als Antwort kann auch hier nur die inhaltliche Bestimmung dienen, auf-
grund deren die drei Momente eins sind:
Zunächst wurde für den Künstler und für den Betrachter im Sinne ihres unmit-
telbaren Selbstverstehens die Selbstbestimmung als Bestimmung festgehalten: Als
Künstler ist der Künstler eben Künstler und nicht Betrachter und als Betrachter ist
der Betrachter eben Betrachter und nicht Künstler. Wird Selbstbestimmung damit
als Unabhängigkeit vom jeweils anderen verstanden, dann gehört der andere
aber notwendig zur jeweils selbstverstandenen Identität gemäß der Realität des
eigenen Begriffs hinzu. Die jeweils an sich festgehaltene Selbstbestimmung im
Vorfeld des Verhältnisses definiert im Verhältnis diese Selbstbestimmung gerade
in der Abhängigkeit vom anderen. Der Künstler und der Betrachter sind nur sie
selbst als aufeinander Verwiesene und damit Abhängige. Damit illustrieren die
Momente der Kunst, dass zur selbstbestimmten Bezogenheit auf sich und damit
der Unabhängigkeit von anderem die Abhängigkeit vom anderen hinzugehört,
was zunächst als Widerspruch in der Bestimmung des Künstlers und des Betrach-
ters festgehalten wurde: In der Hinsicht, in der beide als selbstbestimmt ausgege-
ben werden, sind sie in ihrer Selbstbestimmung vom anderen abhängig.
Die Momente explizieren damit zugleich, was für den absoluten Geist als
deren Einheitsgrundlage modifiziert gilt: Zum Wissen um sich im Sinne des
selbstbestimmten Selbstseins gehört so der Bezug auf sich, dass in der Beto-
nung der Unabhängigkeit vom anderen auch ein Unterschied in sich gesucht und
geltend gemacht wird, der als Widerspruch erscheint: Zur Identität des Geistes
gehört sein Unterschied von sich genau in der Hinsicht, in der der Geist eins mit
sich ist, insofern mit diesem Unterschied eine Inhaltsbestimmung im Sinne des
Wissens um sich in seinem Selbstsein nicht nur im Unterschied zu anderem fest-
gehalten werden kann.
Was hierbei nach Hegel für den absoluten Geist als interne Beziehung des
selbstbestimmten Geistes auf sich unabhängig von anderem lediglich als seine
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 39
Ad 3. Durch diese Begründung der Kunst als Gestalt des Wissens des absolu-
ten Geistes erscheint jedes Kunstwerk als subjektiv durch den Geist gewirk-
tes Zeichen, das in seiner natürlichen Unmittelbarkeit nur als Ausdruck dieses
Wissens verstanden werden kann. Das Wissen des absoluten Geistes ist damit die
‚Idee‘ für die Kunst und für jedes konkrete Kunstwerk.
Die Rechtfertigung der Kunst und der mit ihr verbundenen Anschauung und
ihre Kritik hat eine Voraussetzung, die es für sich zu bedenken gilt. Denn sowohl
die Legitimation der Kunst als Realisationsform des Begriffs des Geistes in der
konkreten Gestalt des Künstlers, dessen Selbstbestimmung im Voraus zum Werk
der sinnlichen Anschauung einerseits für sich festgehalten wird, die sich ande-
rerseits zugleich nur im Werk ausdrückt, als auch die Kritik der Kunst, insofern
die Selbstbestimmung des Künstlers nicht rein, sondern von der Materialität des
Werkes abhängig ist, unterstellt einen inhaltlichen gemeinsamen Zusammen-
hang. Dieser gemeinsame Zusammenhang besteht darin, das Werk bei aller Kritik
als Ausdruck des Inhalts des Gedankens der Selbstbestimmung des Künstlers in
der Unabhängigkeit von anderem zu bestimmen. Das Werk ist gerade in seiner
natürlichen Unmittelbarkeit als Ausdruck der Selbstbestimmung des Künstlers
als Künstler Kunst, weil in ihm der Gedanke selbst angeschaut wird; in Hegel-
scher Terminologie heißt dies, dass die Subjektivität des Künstlers für sich (und
andere) sichtbar wird. Genau durch diese Form der ‚Für-sich-seienden‘ Anschau-
ung der Selbstbestimmung des Künstlers im Werk in der Unabhängigkeit von
anderem – in der Identität des Geistes, die den doppelten Unterschied von Künst-
ler und Werk nochmals in sich enthält – ist das damit verbundene Wissen der
Kunst eine Form des absoluten Geistes.
Zu diesem Wissen gehört hinzu, dass jedes Kunstwerk streng genommen
wirklich unmittelbar als natürlicher Ausdruck dieser Selbstbestimmung des
Künstlers genommen wird. Es ist natürlicher Ausdruck, weil die eigene Natur
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 41
Ad 4. In diesem Einwirken des Geistes kann das Angeschaute dann nicht anders
als Gestalt der Schönheit aufgefasst werden, als deren (einzige) Inhaltsbestimmt-
heit, wodurch zugleich über die Kunst als Gestalt des Wissens im Sinne der Offen-
barung des Geistes in der (geoffenbarten) Religion hinausgegangen wird.
Indem das Kunstwerk im Sinne seiner doppelten Natur in seiner natürli-
chen Unmittelbarkeit als ‚Gemachtes‘ und damit als ein Element der Gestalt
des Wissens der Kunst das subjektive Wirken des Geistes zeigt, ist die Kunst als
Wissensform zugleich über sich hinaus und damit an ihr Ende gekommen. Wird
nämlich das Kunstwerk als das, was es real (als natürliches also) ist, auch seinem
Begriff nach (nämlich als Ausdruck der Selbstbestimmung des Künstlers – also
ideell) genommen, dann zeigt sich in ihm gerade nichts anderes. Das Kunstwerk
ist Kunstwerk aufgrund der Tätigkeit des Künstlers als Anschauung von dessen
Selbstbestimmung in seiner konkreten (natürlichen) Gestaltung. Damit ist aber
gerade die Trennung zwischen Kunstwerk und Künstler aufgrund der Einheit der
Begriffsbestimmung in die Einheit der Repräsentation übergegangen. Ganz unab-
hängig vom repräsentational im Einzelnen und konkret Dargestellten und seinen
materiellen Vorgaben bzw. den Epochen der Kunst(geschichte) zeigt demnach
42 Günter Kruck
überholt, weil die sie verbindende Begriffsbestimmung als Erklärung ihres Ver-
hältnisses die Momente in eine Einheit zurückführt. Diese Einheit ist als voraus-
gesetzte Einheit des Verstehens der unterschiedenen Momente der Kunst zugleich
dann ihre Aufhebung und die Aufhebung der Kunst selbst. Denn in dieser Einheit
werden die Momente selbst so (begriffslogisch) allgemein (aber nicht abstrakt) in
ihrer Bestimmung festgehalten, so dass sie von der sinnlichen Anschauung und
der ‚bloß‘ subjektiven Einbildungskraft des Künstlers als den Mitteln der Kunst
zugleich getrennt erscheinen.
In dem Maß, in dem also der dargestellte Begriffsinhalt als Grundlage und
Erklärung der Kunst über die mit ihr zusammenhängenden Formen im Sinne
ihrer konkreten Realisierung hinausgeht, ist die Kunst selbst mit ihren Mitteln
und Voraussetzungen an ihr Ende gekommen. Entspricht die Kunst ihrem Ideal
und der damit verbundenen Idee der Schönheit, ist sie als Wissensform über sich
hinausgegangen.
Die Kunst und vor allem ihre Agenten müssten also eigentlich zustimmen,
dass sowohl die sinnliche Anschauung als auch die subjektive Einbildungskraft
des Künstlers, insofern sie der vorgelegten Erklärung der Kunst entsprechen, sich
für die Kunst überlebt haben. Damit sind aber nicht nur die konstitutiven Formen
der Kunst an ihr Ende gekommen, sondern mit ihnen die Kunst selbst.
Als Fortschritt ergibt sich damit eine Form des Wissens, in der die Subjektivi-
tät als Selbstbestimmtheit des Geistes nicht mehr äußerlich, d. h. sinnlich vermit-
telt, sondern durch den Geist selbst gewusst wird, die sich also von der Materia-
lität (des Kunstwerkes) als Vorgegebenheit des Geistes getrennt oder emanzipiert
hat, weil bzw. insofern der Geist um den vollendeten (Selbst)Ausdruck des Geistes
(in der Korrelation von Künstler und Betrachter) weiß. Die dabei notwendige neue
Form, die Form der Vorstellung, hat aufgrund der vorgetragenen Kritik zumin-
dest die Sinnlichkeit als notwendiges Moment zum Transport dieses Gedanken
und die beliebige Subjektivität, die sich nur produzierend in Relation zu einem
Äußeren verhält, hinter sich gelassen.
In diesem Sinn schreibt Hegel im Manuskript zur Religionsphilosophie von
1817:
„So ist das Kunstwerk als für die Anschauung gesetzt zunächst ein ganz gemein äußerlicher
Gegenstand, der sich nicht selbst empfindet und sich nicht selbst weiß. Die Form, die Sub-
jektivität, die der Künstler seinem Werke gegeben hat, ist nur äußerliche, nicht die absolute
Form des sich Wissenden, des Selbstbewußtseins.“6
Folgt man zunächst dem Zitat als nochmalige Erläuterung bzw. Explikation des
bereits Gesagten, dann ist es für die Kunst und die Betrachtung des Kunstwerkes
konstitutiv, dass das Kunstwerk der vom Künstler getrennte (und damit unter-
schiedene) Ausdruck seiner Subjektivität ist. Für das Kunstwerk in seiner dop-
pelten (objektiven) Natürlichkeit ergibt sich damit eine zweifache Abhängigkeit:
Einerseits enthält es ideell nur, was der Künstler ihm als seine Intention ‚mitteilt‘,
andererseits ist es als dieser materielle Ausdruck zugleich von seiner materiel-
len Gebundenheit als Vorgegebenheit her bestimmt. Diese doppelte Natürlich-
keit übersetzt in die zweifache Abhängigkeit als Bestimmung des Kunstwerkes
im Sinne seines Wesens beinhaltet zugleich, dass es im Verhältnis von Künstler
und Betrachter das bloß extern bestimmte Moment im Rahmen der Kunst ist, das
selbst nicht empfindet und sich nicht weiß, obgleich es gerade als solches (oder
besser so bestimmtes) Wissen und Empfindung des Künstlers zum Betrachter im
Kontext der Kunst transportieren soll.
Das Kunstwerk wird also für etwas in Anspruch genommen, dem es selbst
aufgrund seiner doppelten natürlichen Bestimmung und den damit verbundenen
Abhängigkeiten nicht entspricht: Es soll ideell etwas vom Künstler zum Betrach-
ter transportieren, dem es aufgrund seiner eigenen materiellen Abhängigkeit nur
bedingt gerecht werden kann.
Der Mangel an sich wissendem und empfindendem Geist im Kunstwerk
ist aber gerade dann kein Defizit mehr, wenn das Kunstwerk seinem Ideal ent-
spricht: Denn kommt es seiner Bestimmung nach, vollständiger (objektiver) Aus-
druck der (subjektiven) Bestimmtheit des Künstlers zu sein, und wird diese trotz
der materialen Abhängigkeit des Kunstwerkes auch vom Betrachter als solche
registriert, dann ist das Kunstwerk seiner eigentlichen Bestimmung gemäß,
seiner Form aber zugleich enthoben. Als realisierter Ausdruck der Selbstbestim-
mung des Künstlers, der vom Betrachter entsprechend erkannt und anerkannt
wird, drückt sich in der konkreten Kunst und genauer in jedem Kunstwerk etwas
aus, was zugleich über die Kunst als solche hinausgeht: Es drückt sich nämlich
ein reflexes Selbstverhältnis des Geistes zu sich aus, das als Ideal der Kunst und
der Idee der Schönheit einen Inhalt beschreibt, der mit den Mitteln der Kunst und
speziell im Kunstwerk nur gebrochen zum Ausdruck gebracht werden kann.
Diese Gebrochenheit der Kunst, die als Kritik an der Kunst gemessen am
dargelegten Maßstab aufgrund ihrer Sinnlichkeit als Voraussetzung auftritt,
die zugleich die These vom Ende der Kunst aufgrund der bleibenden doppelten
Natürlichkeit respektive Abhängigkeit des Kunstwerkes und der damit verbunde-
nen (dauerhaften) nicht realisierten Bestimmung des eigenen Ideals provoziert,
mündet als Einsicht in die Religion:
Die doppelte Kontingenz als notwendige Bestimmung der Kunst 45
„Diesen Fortschritt von der Kunst zur Religion kann man so bezeichnen, daß man sagt, die
Kunst sei für das religiöse Bewußtsein nur die eine Seite. Wenn nämlich das Kunstwerk die
Wahrheit, den Geist als Objekt in sinnlicher Weise hinstellt und diese Form des Absoluten
als die gemäße ergreift, so bringt die Religion die Andacht des zu dem absoluten Gegen-
stande sich verhaltenden Inneren hinzu.“7
Was also die Kunst nicht leistet, nämlich das innerliche Bewusstsein des religi-
ösen Geistes mit seinem Gegenstand Gott als Geist in der Andacht als Einheit zu
verbinden, das leistet die Religion. Die Religion löst damit die Kunst als Form
des Wissens des Geistes als des absoluten Geistes, der sich in der Religion in der
Form der Vorstellung von Gott und Mensch gegenübertritt, ab, insofern die Sinn-
lichkeit als trennendes Moment der Beziehung des Geistes auf sich überwunden
wird. Der Geist erscheint damit gerade nicht mehr mediatisiert über das Kunst-
werk und damit dessen Mangel in der Form des Künstlers und des Betrachters
zum Gegenstand gemacht zu werden, sondern unmittelbar an sich in der Form
der Vorstellung des religiösen (inneren) Bewusstseins von Gott.
Die schöne Kunst hat damit aber ihren Zielpunkt in der Religion, wenn sie
ihrem eigenen Ideal folgt und sich als das begreift, was Hegel als normatives
Begreifen von Kunst im Sinne einer Theorie der Kunst im Rahmen einer Theorie
des Geistes – besser des absoluten Geistes – vorstellt.
Der Begriff der Schönheit ist von dem der Vollkommenheit zu unterscheiden.
Schönheit ist nicht notwendig vollkommen, und wie die Muschel nur um einen
eingedrungenen Fremdkörper eine Perle bildet, scheint die Schönheit sogar das
Unvollkommene, den Spielraum einer Abweichung zu brauchen. Schönheit
scheint nur in einer Brechung ihrer selbst erscheinen zu können und wäre damit
immer schon gebrochene Schönheit.
Andererseits kann die Brechung an der Schönheit selbst hervortreten, sie
wäre dann als gebrochene weniger schön als eine einfach hin ungebrochene
Schönheit. Hegels Konzepte der symbolischen und der romantischen Kunst
treten als Formen gebrochener Schönheit auf, die in einem geschichtsphiloso-
phischen Rahmen auf die Möglichkeit einer ungebrochenen verweisen. Ungebro-
chene Schönheit ist der klassischen, zumal der griechischen Kunst zuzuschrei-
ben als der höchsten Form, in der Schönheit erscheinen kann. Eine weniger
schöne Kunst entsteht, wo die Bedingungen für das Klassische noch nicht oder
nicht mehr gegeben sind. Weniger schön ist sie andererseits auch, indem sie die
latente Brechung, ohne die keine Schönheit sein kann, freilegt.
Das Schöne scheint bei Hegel mehr oder weniger mit dem Kunstschönen
zusammenzufallen. Wenn das so ist, finden wir bei ihm auch gebrochene Schön-
heit nur im Raum der Kunst. Wenn es sich allerdings so verhält, wie Hegel meint,
ließe sich die Frage, wie wir Schönheit erfahren und was sie ausmacht, immer
nur mit Verweis auf die Kunst beantworten. Das ist aber offensichtlich nicht der
Fall. Auch außerhalb der Kunst begegnet uns Schönes, und überall dort, wo es
nicht in Hinblick auf Schönheit hergestellt wurde, können wir es als Naturschö-
nes ansprechen. Natur ist zunächst das nicht von Menschen Gemachte oder das
als Gemachtes nur nebenher schöne, wie zum Beispiel eine Kulturlandschaft
oder eine Stadt. (Das absichtlich und in erster Linie als schön Hervorgebrachte,
das nicht Kunst ist, spielt bei Hegel und in den folgenden Überlegungen keine
Rolle – Kunsthandwerk, Produktdesign, Werbung, Mode.)
Hegel hat das Naturschöne nicht gänzlich unbeachtet gelassen, es nimmt
nur in seinen Vorlesungen zur Ästhetik einen sehr geringen Raum ein. Um einen
Begriff von Schönheit zu gewinnen, der die Kunst qualifizieren kann, weil er nicht
mit ihr zusammenfällt, ist es gleichwohl wichtig zu klären, was das Naturschöne
zu einem solchen Begriff beiträgt. Wenn sich ungebrochene, oder nur latent
gebrochene Schönheit auf die klassische Kunst beschränkt, ist zu vermuten, dass
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des absoluten Geistes 47
1 Vgl. Christoph Menke, „Geist und Leben. Zu einer genealogischen Kritik der Phänomenologie“,
in: Von der Logik zur Sprache. Stuttgarter Hegel-Kongreß 2005, hg. v. R. Bubner und G. Hindrichs,
Stuttgart 2007, 321–348.
2 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830),
Hamburg 1969 (im Folgenden: Enzyklopädie), § 577.
48 Brigitte Hilmer
Kunstwerk geht so den Weg zurück noch hinter das Lebendige, das sich, um als
organisch individuiert zu sein, in einem anorganischen Haar- und Schuppenkleid
verbergen muss. Die andere Seite einer vollständigen, weil geistigen Beseelung
ist im Schönen allemal die Ausdruckslosigkeit eines bloßen Dings. Diese Einsicht
wird in Hegels letzter und reifster Vorlesung zur Ästhetik erreicht. 3
1
Die Insuffizienz der Natur sei es, die bei Hegel Kunst motiviere, stellt Adorno fest.
„Denn in der Kunst wird das Entgleitende objektiviert und zur Dauer zitiert: inso-
fern ist sie Begriff.“4 Mit dieser Differenz ist auch schon gesagt, auf welcher Seite
Adorno steht: als das dem Begriff Entgleitende steht ihm das Naturschöne ein
für eine „Spur des Nichtidentischen“, es ist erfahrbar als eine ungewisse, ver-
sprengte und verschleierte Verheißung und als Wahrheit im Zustand der Verhül-
lung. Damit erklärt sich das Interesse Adornos an einem Thema, das den Kern
seiner Negativen Dialektik bildet.
Hegel ist der Antipode dieser Spurensicherung, weil für ihn, Adorno zufolge,
gerade die relative Unzugänglichkeit für den Begriff das Naturschöne abwertet.
Dieses kommt überhaupt nur so weit in den Blick, als Natur die Idee in ihrer
Andersheit darzustellen vermag, und existiert folglich nicht an sich, sondern nur
für unser Bewusstsein.5 Diese Verkürzung führt Adorno letztlich auf eine Bevor-
zugung des Geistes gegenüber der Natur zurück. „Immanent wäre gegen Hegel
damit zu argumentieren, dass seine eigene Bestimmung der Natur als des Geistes
in seiner Andersheit ihn jener nicht nur kontrastiert, sondern beides auch verbin-
det, ohne dass dem verbindenden Moment in der Ästhetik, wie in der Naturphilo-
sophie des Systems, weiter nachgefragt würde. Hegels objektiver Idealismus wird
in der Ästhetik zur krassen, nahezu unreflektierten Parteinahme für subjektiven
Geist.“ 6 Als geradezu die „Fiber der Hegelschen Philosophie“ bezeichnet Adorno
die Tatsache, dass „das Naturschöne zu seinem Recht (kommt) einzig durch
3 Die Nachschriften dieser Vorlesung sind noch nicht publiziert. Die Arbeit am Komplex
„Naturschönes“, wie sie in den vier Jahrgängen der Vorlesungsnachschriften greifbar wird, ist
rekonstruiert in: Brigitte Hilmer, Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst, Hamburg 1997,
75–97.
4 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften 7, Frankfurt/Main 1970, 114 (im
Folgenden als: Ästhetische Theorie).
5 Ästhetische Theorie, 116.
6 Ästhetische Theorie, 117.
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des absoluten Geistes 49
seinen Untergang“. Mit dieser Opferung des Naturschönen versäume Hegel die
„Substanz des Schönen selbst“. 7 Nur noch eine erwartbare Folge dieser Opferung
ist die „klassizistisch reaktionäre“ Parteinahme Hegels im Bereich der Kunst, die
ihn gegen das prosaische Moment in der neueren Kunst blind mache. 8
Dass Hegel den Geist für etwas hält, was in einem noch genauer zu bestim-
menden Sinne über der Natur steht, ist unbestreitbar. Die Frage ist allerdings, ob
damit ein völliger „Untergang“ einhergeht. Bezeichnenderweise spricht Adorno
davon, dass das Naturschöne nur durch seinen Untergang zu seinem Recht
komme, scheint aber die Frage, worin dieses Recht besteht und wie das Natur-
schöne zum ihm kommt, damit für erledigt zu halten. Es kommt eben nicht zu
seinem Recht.
Adorno hat wohl wahrgenommen, dass Hegels Theorie des Naturschönen auf
enge Verbindungen zur Naturphilosophie zurückgreift, hielt diese Naturphiloso-
phie aber für anachronistisch. Schon zu Beginn der entsprechenden Diskussion
in der Ästhetischen Theorie verweist er darauf, dass Hegels Sicht auf die erschei-
nende Natur der Schellings und Goethes entspreche,9 ohne dieser Beobachtung
weiter nachzugehen. Damit versperrt er sich aber nicht nur den Blick darauf,
inwiefern Hegel die systematische Verbindung zwischen Geist und Natur für
ästhetisch relevant hält, es entgeht ihm dabei auch, dass Hegel keineswegs für
den subjektiven Geist Partei nehmen muss, um naturphilosophische Überlegun-
gen ästhetisch fruchtbar machen zu können.
2
Hegel reagierte mit seinen Bemerkungen zum Naturschönen in seiner Ästhetik-
vorlesung, aber auch, wie wir sehen werden, mit seinem Begriff von Schönheit
überhaupt, auf eine Problemlage der Ästhetik, die spätestens bei Kant einen
ersten klaren Ausdruck findet. Zwar muss Adorno für Kant Partei ergreifen, weil
dieser dem Naturschönen mehr Raum einräumt als Hegel, aber auf Kant zurück-
zugehen scheint ihm schon darum nicht mehr einfach möglich, weil erst Hegel
einen reichen und angemessenen Kunstbegriff formulieren konnte. Die Problem-
lage, die hier in einem toten Winkel verschwindet, ergibt sich aus der Frage nach
dem Zusammenhang zwischen dem Begriff der Schönheit und dem des Lebens.
Kant führt in seiner Kritik der Urteilskraft die Zweckmäßigkeit als ein Prinzip
der Urteilskraft ein, dass Geschmacksurteile über das Schöne und Erkenntnisur-
teile über Lebendiges zusammenfasst. Die Natur erweist sich unter diesem zwar
nicht objektivierbaren, aber für die Reflexion leitenden Prinzip als für unser Emp-
finden, also subjektiv zweckmäßig im Schönen und als objektiv zweckmäßig im
Organismus. Damit steht die Frage im Raum, ob die Natur uns schön erscheint,
insofern sie lebendig ist oder umgekehrt, ob wir Fremdseelisches erst als real
erfahren können, wenn auch der Schönheitssinn angesprochen wurde. Mit Kant
gefragt: gibt es zwischen der subjektiven und der objektiven Zweckmässigkeit
einen Zusammenhang?
Als hinderlich erwies sich in der auf Kant folgenden Diskussion vor allem
die letztlich utilitaristische Zwecksemantik, die einer Antwort auf diese Frage im
Wege stand. Denn die Gemeinsamkeit in der Zweckmäßigkeit zu sehen war für
Kant gleichbedeutend mit der Unterstellung eines Verstandes, der die Zwecke
setzt, wenn auch im Modus des Als-Ob. Wir müssen also einen Verstand anneh-
men, der im Schönen bezweckt, uns zu gefallen und im Organismus die Ver-
flechtung seiner Funktionen ordnet, was aber weit über das Ziel einer adäqua-
ten Beschreibung dieser Phänomene hinausschießt. Aus dieser Lage scheint die
ästhetische Diskussion zunächst durch die Umstellung auf den lebensphiloso-
phisch fruchtbaren Kraftbegriff befreit werden zu können, für den vor allem Kants
Schüler Herder eintrat.10 Es ist dieselbe individualisierende Kraft, die den Orga-
nismus abgrenzt und seine Selbsterhaltung erklärt, die auch im Kunstwerk zum
Ausdruck kommen soll. Schelling und Goethe allerdings – und damit sind wir
bei den Gewährsleuten Hegels, deren Bedeutung auch Adorno nicht entgangen
ist – greifen den Kraftbegriff so auf, dass sie ihn aus seiner polemischen Stellung
gegen den Kantischen Rationalismus befreien. Kraft alleine, so Goethe gegen Blu-
menbach, ist ein erfahrungstranszendentes Konstrukt, das der Wirklichkeit eine
im schlechten Sinne metaphysische Hinterwelt hinzufügt, ohne irgend etwas zu
erklären.11 Natur hat weder Kern noch Schale, auch nicht den einer Kraft und
ihrer Äußerung, sie erschließt sich nur einer Betrachtung der Gestalten und ihrer
Wandlung ineinander in Hinblick auf ein „geheimes Gesetz“. Dieses Gesetz aber
ist nicht Begriff im Sinne der Vorstellung eines Zwecke fassenden Verstandes,
sondern es ist Begriff als die Weise, in der die Betrachtung eines Gestaltwandels
diesen versteht.12 Hegel wird Goethes Betrachtungsweise der Natur als „Ahnung
des Begriffs“ bezeichnen.
Was Goethe als methodisches Problem seiner naturwissenschaftlichen
Studien reflektiert, wird von Schelling in seiner Akademierede Über das Ver-
hältnis der bildenden Künste zu der Natur in einen ausdrücklich kunstästheti-
schen Zusammenhang gestellt. Schönheit und Wahrheit jedes Dings und auch
des Kunstwerks sind „nichts anders denn das schaffende Leben in ihm, seine
Kraft dazusein.“13 Diese Kraft aber macht die Form aus, „welche die Mannigfal-
tigkeit der Teile der Einheit eines Begriffs unterwirft“. Sie ist daher in Natur und
Kunst näher bestimmt als „werktätige“ oder „schaffende Wissenschaft.“ 14 Erst
das „Siegel bewusstloser Wissenschaft“ verleiht dem Kunstwerk die Lebendig-
keit und Realität, „durch die es einem Naturwerk ähnlich erscheint.“ Indem der
Künstler sich „zu der schaffenden Kraft (erhebt) und diese geistig (ergreift)“,
„schwingt er sich in das Reich reiner Begriffe“. 15 Denn, so Schelling, „der Begriff
(ist) das allein Lebendige in allen Dingen …, alles andere aber wesenlos und eitler
Schatten.“16
Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als sei diese emphatische Vereini-
gung des Schönen und Lebendigen nicht darüber hinausgekommen, beides auf
ein dahinter stehendes Prinzip zu reduzieren. Dieses kann dann nur entweder,
wie Goethe angesichts des Kraftbegriffs mutmaßt, eine metaphysische Nullaus-
kunft bedeuten oder verfällt, wie bei Kant, dem Utilitarismus einer letztlich vom
menschlichen Handeln her verstehbaren Begriffsförmigkeit. In Wahrheit zeigt
aber die Vereinigung von lebendiger Kraft und Begriff bei Schelling eine Lösung
an, die erst verständlich wird, wenn dahinter eine durchsichtige Begriffstheorie
steht, wie wir sie bei Hegel finden.
12 Vgl. Ernst Cassirer, „Goethe und die mathematische Physik. Eine erkenntnistheoretische
Betrachtung“, in: Werke, Bd. 9, Hamburg 2001, 268–315. Annäherung an den Begriff des Begriffs
bei Wittgenstein: Christoph Schulte, „Chor und Gesetz. Zur ‚morphologischen Methode‘ bei
Goethe und Wittgenstein“, in: ders.: Chor und Gesetz: Wittgenstein im Kontext, Frankfurt/Main
1990, 11–42. Zum Horizont des Verstehen und Interpretierens, wie er bereits bei Kant aufscheint,
vgl. Manfred Riedel, Kunst als „Auslegerin der Natur“: Naturästhetik und Hermeneutik in der
klassischen deutschen Dichtung und Philosophie, Köln 2001.
13 F. W. J. Schelling, Über das Verhältnis der bildenen Künste zu der Natur, Hamburg 1983 (im
Folgenden: Akademierede), 6 f.
14 Akademierede, 12.
15 Akademierede, 14.
16 Akademierede, 15.
52 Brigitte Hilmer
3
Wie stark Hegel sich an einer am organischen Leben orientierten Ästhetik orien-
tiert hat, bestätigt zunächst ein Blick in die Vorlesung von 1823,17 die dem Natur-
schönen breiteren Raum gibt18: Die Natur ist, wenn überhaupt, schön insofern sie
lebendig ist. Es ist die Form der Einheit als Beseelung eines einzelnen Daseins,
die den Organismus zum Muster des nur als konkrete Einzelheit erfahrbaren
Schönen und seiner als Quasi-Beseelung verstehbaren Bedeutung macht. Die
Vorlesungen präzisieren aber auch, warum ein Lebewesen überhaupt als schön
erfahren werden kann: Voraussetzung dafür ist, dass es gestalthaft diejenige
immaterielle Einheit manifestiert, die für andere als Beseelung erkennbar ist. Der
Grad der Individualisierung gibt dabei das Maß ab für die Schönheit: die Pflanze
ist unvollkommen individuiert, weil sie in allen Teilen eigene Individuen aus-
bildet. Das Tier tut in seiner Erscheinung kund, dass seine Beseelung nicht mit
Bewusstsein verbunden ist: erkennbar sei dies an der äußeren Bedeckung, dem
Haar- oder Schuppenkleid, die den durchsichtigen Puls des Lebens überdeckt
und darin ein vegetabiles Moment bewahrt. Erst der Mensch, könnte man sagen,
ist ganz Tier: an ihm erscheint eine Gestalteinheit und Beseeltheit, die sich voll-
ständig nach außen darstellt, mit einer unbedeckten Haut, deren Empfindungs-
fähigkeit unmittelbar wahrnehmbar sei. Das Erscheinen dieses Einheitspunktes
der Empfindung steigert sich im Blick des Auges, und bekanntlich gewinnt Hegel
daraus die Metapher, die die Ausweitung der Seelenmanifestation zum Hervortre-
ten des Geistes im Kunstwerk verdeutlichen soll: das Kunstwerk sei überall Auge.
In dieser Darstellung fungiert das Naturschöne tatsächlich nur als ein Erläu-
terungsmittel, um zu erklären, wie Schönheit als Bedeutsamkeit am Kunstwerk
in Erscheinung tritt. Und in der Tat hebt sich das Kunstwerk damit vor einem
Hintergrund ab, der als ästhetisch mangelhaft charakterisiert wird. Die Argu-
mentation (zumal die bekannte in der Hothoschen Ästhetikedition) gleicht dabei
weitgehend der Schellingschen Akademieschrift. Das Naturschöne hat und zeigt,
wie Hegel in anderem Zusammenhang in der Logik sagt, eine Seele, ohne schon
seelenvoll zu sein.
Da aber an dieser Stelle das Naturschöne als solches eigentlich gar nicht
Thema ist, kann andererseits auch nicht erwartet werden, dass es explizit zu
seinem Recht kommt. Wenn Hegel ihm sein oder ein Recht verschaffen könnte,
dann erst in dem Kontext, in dem Natur und Geist überhaupt zueinander in ein
Verhältnis treten.
Bemerkenswert ist hier zum einen, dass Hegel mit Goethe und Schelling
einer Schicht der Natur gerecht wird, die weder bei Adorno noch bei Kant zum
Vorschein kommt. Während Kant der Überzeugung ist, dass auch der Reiz von
Blumen oder Schmetterlingen keinerlei objektiver Erklärung zugänglich ist und
genauso subjektiv in den Gegenstand gelegt werden muss wie der einer Schutt-
landschaft, obgleich wir doch den Eindruck haben, sie seien dazu da, gesehen
zu werden,19 gehen die Autoren, zu denen Hegel sich gesellt, davon aus, dass
die lebendige Natur nicht zufällig eine Ausdrucksdimension hat, dass sie sich
deshalb gestalthaft zeigt, weil in ihr wahrnehmungsfähige Lebewesen miteinan-
der koexistieren. Nicht von ungefähr verweist Hegel im kunstphilosophischen
Aufriss der Enzyklopädie auf den § 411 der Naturphilosophie, in dem er schreibt,
die äußerliche Leiblichkeit „stellt nicht sich vor, sondern die Seele, und ist deren
Zeichen. Die Seele ist als diese Identität des Innern mit dem Äußern, das jenem
unterworfen ist, wirklich; sie hat an ihrer Leiblichkeit ihre freie Gestalt, in er sie
sich fühlt und sich zu fühlen gibt, die als das Kunstwerk der Seele, menschli-
chen, pathognomischen und physiognomischen Ausdruck hat.“ Dass eine derart
teleologische Ausrichtung eine mechanische Erklärung nicht ausschließt, hatte
Kant selbst schon festgestellt, und wie wir uns ihr Zustandekommen vorstellen
können, ist durch Darwin sehr viel deutlicher geworden. Indem Hegel die Leib-
lichkeit in ihrer Ausdruckshaftigkeit als Kunstwerk der Seele einbezieht, hat er
dem Naturschönen in einer ganz anderen Dimension des objektiven An-sich
Recht verschafft, als sie eine Ästhetik würdigen kann, die auf das sich dem Begriff
Entziehende fixiert bleibt.
Mit dieser Fundierung des Naturschönen hat Hegel sich allerdings ein auf
den ersten Blick verheerendes systematisches Problem eingehandelt: Organi-
sche Leiblichkeit und Schönheit lassen sich begrifflich offensichtlich nicht mehr
trennen. Hegel entscheidet sich daher dafür, Schönheit begrifflich an das Kunst-
werk und seine Bedeutungsstruktur zu binden. Natur ist nur dann schön, wenn
sie als „Kunstwerk der Seele“ erscheint. Dies ist aber keine Lösung, weil in dieser
Metapher Leib und Werk miteinander konkurrieren.
Dass sich hier ein Problem meldet, ist auch daran zu erkennen, dass das
Schöne, anders als das Gute und das Wahre, bei Hegel seinen Rang unter den
transzendentalen (bzw. logischen) Ideen einbüßt.
19 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Schriften zur Ästhetik und Naturphilosophie,
hg. v. Manfred Frank und Véronique Zanetti, Bd. 2, Frankfurt/Main 2001, 479–880, § 58.
54 Brigitte Hilmer
20 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die Lehre vom Begriff (1816), hg. v. H.-J.
Gawoll, Hamburg 1994, 213 f. (= GW 12, 180 f.).
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des absoluten Geistes 55
4
Adorno moniert, dass Hegel sich dafür, was das Verbindende zwischen Geist und
Natur sei, nicht interessiere. Natur erscheine bei Hegel als das Andere des Geistes,
so meint er, weil sie entäußerte Idee sei. Die Idee wird dabei einfach als Erschei-
nungs- oder Betätigungsform des Geistes diesem eingeordnet. Der Geist behält
die Oberhand und lässt das Naturschöne unter den Tisch fallen, weil er sich als
Idee in der Kunst durchsetzen kann. Hegels Denken wird dabei in einem wichti-
gen Punkt verfehlt: es ist in seiner ganzen Architektur darauf angelegt, Idee und
Geist auseinanderzuhalten. Die Dreiteilung des Systems in Logik, Naturphiloso-
phie und Geistphilosophie verweist rein äußerlich darauf, dass es hier ein Drittes
gibt, das Geist und Natur verbinden könnte, wenn auch noch nicht zu sehen ist,
wie es dies tut und warum das gerade für das Naturschöne relevant sein soll.
Nicht der Geist, sondern die Idee „entäußert“ sich in die Natur. Im Gang der
Enzyklopädie verwendet die Naturphilosophie die in der Logik kritisch entwickel-
ten Kategorien, um die Natur als objektive Realität des Begriffs, als Idee also, zu
rekonstruieren. Eine dergestalt durchleuchtete Natur lässt sich als das Substrat
des Geistes darstellen, aus dem er in einem weiteren Schritt so hervorgeht, dass
er sich als Wendung gegen die Natur konstituiert und diese sich voraussetzt.21
Dieser Gang zeigt also, wie die Natur als Emanation der Idee und der Geist als
aus der Natur hervorgehend begriffen werden können. In diesem Gang wäre das
Naturschöne ein Vorstadium der Genese des Geistes, während das Kunstschöne
sich seiner Bedingungen in der Natur bedient, um diese zu überbieten. Die Natur
bleibt in dieser Genealogie, wie Hegel am Ende der Enzyklopädie rückblickend
sagt, ein „Durchgangspunkt“,22 die Freiheit des Geistes steht am Ende unvermit-
telt (bzw. nur durch ein Werden vermittelt) im Raum und setzt die Natur zum
„negativen Moment“ herab. Diesen Gang hat Hegel, wie gesagt, in der Enzyk-
lopädie durchgeführt und als den zunächst schlüssigen Gang der Wissenschaft
angesehen. Er hat aber in diesem Zusammenhang auch noch andere Möglichkei-
ten skizziert, wie das Verhältnis der drei Teile zueinander zu denken sein könnte.
So wäre es denkbar, dass die Philosophie nicht diesem notwendigen Ablei-
tungsgang folgt, sondern durchweg den Standpunkt des Geistes einnimmt.23 Sie
21 Enzyklopädie, § 381. Vgl. auch Michael Quante, „Die Natur: Setzung und Voraussetzung des
Geistes. Eine Analyse des § 381 der Enzyklopädie“, in: Subjektivität und Anerkennung, hg. v. B.
Merker u. a., Paderborn 2004, 81–101, sowieMichael Wolff, Das Körper-Seele-Problem: Kommentar
zu Hegel, Enzyklopädie (1830) § 389, Frankfurt/Main 1992.
22 Enzyklopädie, § 575.
23 Enzyklopädie, § 576. – Zur Diskussion zum Schluss des Systems vgl. Michael Theunissen,
Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970, 308–322.
56 Brigitte Hilmer
könnte dann von der Natur so ausgehen, dass diese von vornherein als Bedin-
gung des Geistes erschlossen wird, und den Weg nachzeichnen und begehen,
durch den sich der Geist von dieser Voraussetzung befreit, indem er zu den aprio-
rischen logischen Möglichkeiten vordringt, durch die er die Natur erkennt. Dieser
Weg ist nicht der einer notwendigen Evolution von Freiheit, den es eigentlich
nicht geben kann, sondern hier würde anerkannt, dass die Freiheit sich ihrer
eigenen Betätigung verdanken muss. Diese Betätigung wäre als ein Gang der
Bewusstwerdung aufzufassen, in dem man mit einem gewissen Recht die Phä-
nomenologie des Geistes hat wiedererkennen wollen. Der Geist beruht hier nicht
auf der Natur, sondern er setzt sie sich voraus. Die Kunst lässt sich in diesen phä-
nomenologischen Prozess so verstehen, dass sie die Materialien und Formen der
Natur verwendet, um aus ihnen die Momente zu gewinnen, anhand derer der
Geist sich seiner selbst, der Logik seiner Formung bewusst werden kann. So lässt
sich zum Beispiel die zentrale Bedeutung der menschlichen Gestalt für die Kunst
interpretieren.
Hegel fasst aber noch eine weitere Anordnung des Denkens ins Auge, und
wir können vermuten, dass er erst sie für die eigentlich angemessene gehalten
hat.24 Sie entspricht nicht nur dem Begriff von Philosophie, der aus der Selbstauf-
klärung von Kunst und Religion hervorgeht,25 und auch nicht der Erscheinung,
die die Philosophie in den wissenschaftlich-genealogischen oder phänomenolo-
gischen Gestalten des Systems annimmt. Sie erhebt sich vielmehr zu der Idee von
Philosophie, in deren Licht wir die einzelnen Systemteile letztlich sehen sollten.
Wie sieht diese Idee aus? Die knappe und höchst interpretationsbedürftige
Skizze, mit der Hegel die Philosophie des absoluten Geistes beschließt, schlägt
vor, den Standpunkt einer Logik einzunehmen, die als die sich wissende Vernunft
aufzufassen wäre und diesmal nicht die Natur, sondern den Geist als subjektive
Tätigkeit voraussetzt, den sie andererseits auf die Natur „als den Prozess der an
sich, objektiv, seienden Idee“, auf die „Natur der Sache“ bezieht. In der schluss-
förmigen Anordnung, die Hegel den Systemteilen gibt, soll hier die sich wissende
Vernunft Geist und Natur vollständig vermitteln. Sowohl im genealogisch-wis-
senschaftlichen als auch im phänomenologischen Gang der Philosophie beglei-
ten und vollziehen wir eine subjektive Tätigkeit, die der Natur der Sache folgt:
wie dies möglich ist, soll der letzte Schluss zeigen. Er verweist damit auf eine voll
entwickelte Wissenschaft der Logik, die das Zusammenfallen von subjektivem
Denken und objektiver Natur zu ihrem Element hat.
24 Enzyklopädie, § 577.
25 Enzyklopädie, § 574.
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des absoluten Geistes 57
Angesichts dieses retrospektiven Projekts sind für unser Thema zwei Punkte
bemerkenswert. Zum einen instituiert diese Ausrichtung auf die Logik die Natur
als die sich bewegende Natur der Sache und damit als das An-sich des Begriffs.
Dieser Status wurde in den Erscheinungsformen der Philosophie, die wir bisher
gesehen haben, übergangen, denn die Natur kam dort nur als Durchgangspunkt
und Voraussetzung des Geistes vor. Der Geist hingegen ist hier zur Voraussetzung
geworden, zum Milieu, in dem diese Natur als Begriff zur Geltung kommen kann.
In Hinblick auf unser Thema ist allerdings noch offen, inwiefern sich die Natur im
Milieu des Geistes so als Begriff präsentieren kann, dass wir von Schönheit spre-
chen können. Hegel schreibt diese Möglichkeit ja zunächst nur der Philosophie
ihrer Idee nach zu.
Mit dem anderen Punkt sind unabsehbare Fragen und Folgerungen ver-
knüpft: Wenn die ausgeführte Logik die Bewegung unseres Denkens schon voll-
ständig mit der Natur vereinigt, wozu muss sich die Philosophie dann noch mit
den selbständigen Extremen befassen? Wenn die Selbstständigkeit der Natur
in ihrer Äußerlichkeit besteht, wie kann diese dann in der begrifflichen „Natur
der Sache“ aufgehen? Wenn an Geist und Natur im Wesentlichen die logischen
Formen interessant sind, in denen beide zusammen stimmen, wenn sich die
Idee im Erkennen dieser Formen hinreichend „ewig als absoluter Geist betätigt,
erzeugt und genießt“26, – welches nicht bloß empirische Interesse können wir
dann noch daran haben, Geist und Natur separat zu bedenken und sie dabei
auseinander zu halten? Die Kritik Adornos ließe sich damit geradezu umkehren:
nicht hat Hegel das Verbindende von Geist und Natur zu wenig bedacht, sondern
warum wir beides überhaupt noch unterscheiden und als selbstständig behan-
deln sollen, ist zur Frage geworden. Die Rückseite der Aufhebung in der Logik
scheint eher ein sei es naturalistischer, sei es idealistischer Monismus zu sein.
Diese Fragen lassen sich in diesem Rahmen nicht abschließend beantworten.
Festzuhalten ist zunächst nur, dass die Idee des Schönen das Moment wäre, mit
dem die Logik Geist und Natur vollständig vermitteln könnte – wenn sie in der
Logik vorkäme. So aber bezeichnet ihr Fehlen die logische Stelle, an der Geist
und Natur eben nicht zusammenfallen können. Das Schöne ist als Schein ein Für-
Anderes-Sein und insofern Geist, es bleibt aber damit auf die in der Äußerlichkeit
eingebaute Andersheit angewiesen und so Natur. Dies beides vereinigt sich nicht
in einem Begreifen, das seine Form autonom darstellen kann.
Wenn man, was Hegel nirgends tut, die „Natur der Sache“, in die sich die
Natur am Ende zu verflüchtigen scheint, auf das Naturschöne bezieht, zeigt sich
darin der Ausblick auf einen spekulativen und gänzlich unnaiven Begriff des
26 Enzyklopädie, § 577.
58 Brigitte Hilmer
Naturschönen. Die Natur der Sache, habe ich anfangs gesagt, ist letztlich Sache
der Natur. Die Sache bezeichnet ursprünglich die juristische Streitsache, das
zwischen Menschen Strittige.27 „Natur der Sache“ ist ein im juristischen Diskurs
überall vorkommender Ausdruck. „Natur“ bezeichnet hier das im Aushandeln
zwischen Menschen Widerständige, das die Uneinigkeit motiviert und die Eini-
gung begründet. Die Natur der Sache ist Begriff, weil sie strittig ist. Sie ist Sache
der Natur, weil sie sich einer vorschnellen oder machtgestützten Entscheidung
des Streites widersetzt und ihn damit in Gang hält. Und sie scheint im Schönen,
weil dieses Sich-Widersetzen in einem Anders- und Außereinandersein gründet,
das im vermittelnden Streit (Begriff) als die Kraft, da zu sein erfahren werden
kann. Hegel skizziert eine Idee der Philosophie, der zufolge der Standpunkt der
Logik die gelingende Beziehung des Geistes zur Natur der Sache vollständig
erklärt. Dass eine solche Erklärung überhaupt gebraucht wird, kann diese Idee
nicht erklären. Die Schönheit tritt an die Stelle einer solchen Erklärung, weil
sie Geist und Natur in der Objektivität des Begriff auseinanderhält, obwohl das
Kunstschöne schon in der Natur seinen Anfang nimmt und das Naturschöne in
der Kunst wieder auftaucht.
5
Wenn das Naturschöne von demjenigen Standpunkt der Idee der Philosophie
betrachtet wird, auf dem die Natur nicht mehr nur als das erscheint, wovon sich
abzuwenden und was sich vorauszusetzen den Geist ausmacht, – auf dem die
sich wissende Vernunft die Natur als objektives Ansich von der Instrumentali-
sierung durch den Geist befreit hat, – wird fraglich, ob es ausreicht, Schönheit
im Rückgriff auf organische Integrität zu erläutern, wie Hegel dies teilweise ver-
sucht. Ist es womöglich gerade die manifeste Gebrochenheit der Schönheit, zu
der diese letzte Idee von Philosophie am ehesten Zugang findet?
Adorno hat Hegel vorgeworfen, blind für gewisse Züge neuerer Kunst
gewesen zu sein, weil er deren Annährung an das Unfassliche des Naturschönen
verkannte. Man wird also zunächst geneigt sein, über die spärlichen Auskünfte
Hegels zum Naturschönen hinaus die Kunstphilosophie da heranzuziehen, wo
diese Momente gleichwohl Spuren in der Theorie der Kunstformen hinterlassen
27 Siehe Martin Heidegger, Zur Sache des Denkens, Tübingen 1976; Brigitte Hilmer, „Die
Verbindlichkeit des Strittigen. Wahrheitsmöglichkeiten der Philosophie im Denken Heideggers“,
in: Interpretation und Wahrheit, studia philosophica 57 (1998), hg. v. Emil Angehrn und Bernard
Baertschi, Bern u. a., 189–207
Die Wiederkehr des Naturschönen in der Philosophie des absoluten Geistes 59
haben. Systematisch entspricht dieses Vorgehen der Vermutung, dass das Schöne
erst da mehr sein kann als nur eine Vorstufe von Religion und Philosophie, wo es
unter der Rückwirkung der entwickelteren Formen des absoluten Geistes steht.
Der prosaische Glanz der Natur wird von einer Kunst sichtbar gemacht, die sich
die christliche Schöpfungsperspektive zu eigen gemacht hat, die also die Natur
nicht als ihre eigene Voraussetzung mythologisiert und vergöttert, sondern in
ihrer Unvollendetheit belässt.28 Insofern aber die Philosophie auf ihre Genese so
zurückblickt, dass die Kunst selbst diesen Rückblick in sich aufgenommen hat,
müssen Züge des Naturschönen auch im Ideal selbst zu finden sein. Anteil hat
das Naturschöne am Ideal nicht nur in der offiziellen Version, die die Einheit der
Beseelung mit der vollständig bedeutungshaften Einheit des Artefakts vergleich-
bar macht. Sondern auch das, was das schöne Lebewesen ästhetisch hinter der
Kunst zurückbleiben lässt, seine Endlichkeit, Verletzlichkeit und Versehrtheit,
müsste untergründig in die Kunst selbst Eingang finden können.
Hegel bezeichnet als unendlich die in sich abgeschlossene Individualität und
misst daran die Erscheinungen des Lebens, die sich als endlich erweisen, inso-
fern sie weniger geschlossen sind. Ein bezeichnendes Detail habe ich erwähnt:
es sind die weniger lebendigen und weniger individuellen Erscheinungen am
Lebendigen, die vegetabilische und mineralische Einkleidung der Tiere etwa,
die im Kunstschönen zunächst ausgeschieden werden und hinsichtlich derer der
Mensch mehr sein soll als ein Tier. Gerade diese unlebendige Seite aber ist es,
die das Kunstwerk nicht nur auf den ersten Blick hinter der Natur zurückblei-
ben lässt, sondern auf die es immer angewiesen bleibt, insofern es ein „Werk von
äusserlichem gemeinen Dasein“ sein muss. Dass Hegel dieser Seite des Ideals
auch als einer ästhetisch bedeutsamen zunehmend Rechnung zu tragen gewillt
war, zeigt sich an der Rolle, die die materialen Momente der Schönheit: Rein-
heit, Regelmäßigkeit, Symmetrie und Anmut, in seinen Vorlesungen spielen. Er
hat diese Erörterung jedes Mal umgestellt, und zwar nach hinten verschoben:
während sie zunächst das Naturschöne charakterisierten (das entspräche einem
bis heute die darwinistische Ästhetik beruhigenden Befund), bildeten sie dann
den Übergang bzw. die Einleitung in das Kunstschöne, um in Hegels letzter Vorle-
sung schließlich die allgemeine Abhandlung des Ideals an deren Ende so zu ver-
vollständigen, dass das äußere Dasein des Werks in seiner begrifflosen Einzelheit
damit erfasst wird.29
Mit dieser Lösung, die das einzelne Werk als etwas darstellt, über das nicht
idealisierend hinausgegangen werden muss, sondern das in seiner unaufhebba-
ren Äußerlichkeit terminiert, in der sich erst erfüllt, was ein Kunstwerk als „Werk
von äußerlichem gemeinem Dasein“ ausmacht, kommuniziert die Kunst nicht
nur mit dem Naturschönen, insofern sie individuierte Lebendigkeit geistig über-
bietet, sondern sie kommt auf dessen vorindividuelles, das vegetabilische oder
sogar anorganische Moment zurück. Durch dieses Moment, und nicht nur durch
Lebendigkeit, als ausdruckslos und nicht als Ausdruck kehrt Naturschönes in der
Kunst wieder und kommt zunehmend zu seinem Recht.
Wolfram Bergande
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen
Hegels Kunstphilosophie, Platons Kritik der Kunst und die
Theorie des Unbewussten
Der Geist als wahrer Geist ist […] kein der Gegenständlichkeit abstrakt-jenseitiges Wesen,
sondern […] die Erinnerung des Wesens aller Dinge […].
G. W. F. Hegel: Vorlesungen über Ästhetik1
3 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, hg. v. G. Lasson, Zweite
Hälfte: Band II–IV, unveränd. Nachdr. der 2. Aufl. von 1923, Hamburg 1968, 640.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Ebd.
7 TWA 1, 432.
8 TWA 14, 237.
64 Wolfram Bergande
derselben [schwebt] noch ein Höheres, Höchstes“. Der griechische Mensch ver-
spüre zwar das vage „Bedürfnis [nach] einer absoluten Einheit“12. Diese Einheit
kann er aber nur abstrakt fassen, nicht als göttliches Subjekt, sondern nur als
„subjektlose Macht, [die] weisheitslos“, „gestaltlos[…]“13 ist, „ein Schicksal,
eine unbekannte Macht, eine zwingende [„kalte“14] Notwendigkeit“, die „über
dem Haupt von Göttern und Menschen“15 „thront“16. In der unerinnerten Gegen-
wart des Schönen, die ihr „unterworfen ist“, ist diese Macht „unverstanden[…]“.
Sie herrscht, weil und sofern sie unverstanden ist, denn hätte der Mensch sie
begriffen, erkannt, dann würde er aufhören, ihr unterworfen zu sein. Sie ist, so
Hegel, „unerkannt anerkannt“17. Die Dimension der „Trauer“, die diese Macht
des Schicksals in die ansonsten heitere griechische Welt bringt, hat „darin ihren
Grund […], dass sie das Geistlose ausmacht. Das Höhere, dass die Einheit als ein
Subjekt, als der eine Geist gewusst wird, war den Griechen noch nicht bekannt.“18
Im Kontext der jüdischen Religion der Erhabenheit stellen wir also mit Hegel
fest, dass das, was er die unerinnerte Gegenwart der griechischen Kunstschönheit
nennt, keine präreflexive oder vielleicht vorsprachliche Präsenz ist, die dann an
einem bestimmten Punkt der Geistesgeschichte zerbrochen wäre. Oder genauer:
Sie ist nicht schlechthin eine solche naturwüchsige, autochthone Präsenz. Als
unerinnerte Gegenwart ist sie zwar auch eine Gegenwart, die noch nicht reflek-
tiert, noch nicht verinnerlicht, noch nicht artikuliert, noch nicht gedacht und im
Gedächtnis aufgehoben ist – aber das ist nur die eine Seite. Gleichzeitig bezeich-
net der Ausdruck ‚unerinnerte Gegenwart‘ in Hegels Text ein Gegenwärtigsein,
eine Aktualität von etwas, das da ist, gerade weil es nicht erinnert wurde, gerade
weil es noch nicht als Vorstellung verinnerlicht wurde, weil es noch nicht im
Zeichen artikuliert, gedacht und deswegen auch noch nicht im Gedächtnis ad
acta gelegt werden konnte. Und dieses etwas, das nicht Er-innerte, nicht Begrif-
fene, kehrt mit machtvoller Notwendigkeit wieder. In der griechischen Kunst-
religion kehrt es geradezu als die Notwendigkeit wieder. Zwar ist es in gewisser
Hinsicht gerade diese unbegriffene Notwendigkeit, die der griechische Geist laut
Hegel etwa in der idealisierten Gestalt der Zeus-Statue des Phidias genießt, denn
deren geistige ‚Bedeutsamkeit‘ bringt ihm diese Notwendigkeit als daseiende
Notwendigkeit zur Anschauung. Doch der heitere Genuss ist nicht vollkommen.
Zwangsläufig zeigt sich in ihm eine Spur von Trauer – Trauer, die noch auf eine
andere, tiefere, nicht-anschauliche Notwendigkeit jenseits der idealen Götterge-
stalt verweist.
Wiederkehr eines Innerlichen, das doch noch nie erinnert wurde und uns
deshalb wie von außen kommend zustößt – Unheimliche, unausweichliche Not-
wendigkeit eines „unverstandenen Geschicks“19 – Genuss, der auf Trauer gebaut
ist oder mit Trauer bezahlt wird – mit einem Mal stehen wir in der Mitte von
Gedanken, die sich mit Konzepten aus der Psychoanalyse Freuds berühren, mit
der Wiederkehr des Verdrängten, dem Wiederholungszwang, narzisstischem
Genuss und melancholischer Trauer. Doch die Affinität zwischen Psychoana-
lyse und idealistischer Kunstphilosophie endet dort, wo Hegel versichern wird,
dass die christliche Religion das leisten könne, woran die griechische Kunstre-
ligion auf ihre Art gescheitert sei, nämlich die sinnliche Natürlichkeit vollends
im Geistigen aufzuheben. Der griechische Geist vermag es nach Hegel nämlich
nicht, diese andere, tiefere, kalte und gestaltlose Notwendigkeit als Moment
einer absoluten Reflexion des Subjekts zu fassen. Dieses Unvermögen zeigt sich
in einer noch mangelhaften Durcharbeitung, in einer letztlich scheiternden
Idealisierung der Göttergestalt. Die wahre Verklärung der menschlichen Natur
leistet erst die christliche Religion. Scheiternde Idealisierung ist indessen ein
in gewisser Weise verfälschender Ausdruck, denn die griechische Götterskulp-
tur ist aus der Perspektive Hegels vollkommen, perfekt, sie ist das schöne Ideal.
Doch gerade in ihrer Perfektion besteht für Hegel ihre Unangemessenheit für
den menschlichen Geist, eine Unangemessenheit, die freilich auf der Stufe der
griechischen Kunstreligion noch nicht bemerkt wurde, nicht bemerkt werden
konnte. Ihre Unangemessenheit besteht darin, den Körper des steinernen Gottes
vom Natürlichen, Vergänglichen bloß zu reinigen; und zwar auf eine, wie Hegel
monieren wird, oberflächliche Weise zu reinigen. Der göttliche Körper wird ide-
alisiert, vervollkommnet, beschönigt, auf kunstvolle Weise, die dadurch aber
auch künstlich bleibt und den Geist in den sinnlichen Medien der Skulptur
oder der Poesie einschließt, ihn gerade nicht im lebendigen, konkreten, ein-
zelnen Menschen inkarniert. Streng genommen sind die Göttergestalten also
etwas unwirklich, obwohl sie doch die substantiellen Mächte darstellen, die die
griechische Welt bewegen. Der Grund für das Scheitern ist, dass selbst die voll-
kommene Idealisierung das nicht fertig bringt, was Hegel zufolge keine Kunst
leisten kann, nämlich den Geist als unendlich in sich zurückreflektiertes Selbst-
bewusstsein in den konkreten Menschen aus Fleisch und Blut einzubilden. Das
Einbilden in den Körper bleibt in der griechischen Kunst in gewissem Sinne eine
Einbildung, eine bloß im Außenverhältnis angeschaute Identität, die sich im
Zusammenschließen des Selbstbewusstseins des Betrachters mit der vor ihn hin
gestellten Götterstatue ereignet. Es ist eine bloße Einbildung, die den Körper des
Betrachters nicht wahrhaft durchdringt.
Der griechische Gott in sinnlicher Menschengestalt stellt sich somit als
etwas dar, was er aus der Perspektive des modernen Subjekts nicht mehr ist: als
dem menschlichen Geist angemessen, ja vollkommen angemessen. Darin liegt
für das moderne Denken sein Mangel – und nicht etwa darin, dass die Bear-
beitung des sinnlichen Materials nicht zur perfekten Plastizität fortgeschritten
wäre, dass das Material nicht ausreichend durchgearbeitet, sozusagen verflüs-
sigt worden wäre, um den Geist im Sinnlichen darzustellen. Nein, im Gegenteil,
so Hegel, ist der Stein, aus dem der griechische Gott gemeißelt ist, zu plastisch,
zu weich. Er ist zu schön, um wahr zu sein. Denn auch als vollkommen Schönes
bleibt das Göttliche befangen, gefangen wie es ist im sinnlichen Medium. Es
verhindert die Rückkehr des Geistes aus der Natürlichkeit, die nur dadurch
erreicht werden könnte, dass diese Natürlichkeit als dem Geist unangemessen
aufgezeigt wird, dadurch, dass sie nun nicht mehr sinnlich dargestellt und von
außen angeschaut wird – sondern aus der Perspektive der ersten Person heraus
innerlich erfahren wird. Diese Natürlichkeit, die in der griechischen Religion
im sinnlichen Medium bejaht wird, muss so den Weg allen Fleisches gehen,
nämlich ins Verderben. Sie muss mortifiziert, ans christliche Kreuz geschlagen
werden. Denn erst dadurch wird sie freigelassen und kann dann als arbiträres
Medium der romantischen Kunstform funktionieren. Es handelt sich also in der
griechischen Kunst um ein zwar vollkommen schönes Ideal, aber aus der Sicht
des modernen und des absolut selbstbewussten Geistes streng genommen um
eine kalte, ja falsche Idealisierung. Sie lässt ein natürliches Moment noch unauf-
gehoben. Dem entspricht wie gesagt, dass dem griechischen Geist die Position,
aus der diese Aufhebung möglich wäre, als eine unerkannte, abstrakte Notwen-
digkeit unbegreiflich bleibt.
So mag sich die Kunstreligion im Kultus immer stärker in Richtung eines
zunehmenden Sublimierens, Plastisch-Machens des spröden Materials forttrei-
ben. Und so werden Gefühl und Vorstellung im Gottesdienst der griechischen
Mysterienkulte die unmittelbare Anschauung des Gottes in der Skulptur ersetzen.
Den eigentlichen Mangel aber, das Gebundensein ans Sinnliche, macht die Kunst
laut Hegel damit nicht wett, weshalb weder die Mysterienkulte noch die mit ihnen
verwandte Tragödie und Komödie den Übergang in die christliche Versöhnung
des Fleisches fertig bringen, auch wenn sie ihm einigermaßen nahe kommen.
Denn der eigentliche Gehalt, der in den Mysterien nun aus der äußeren unmittel-
baren Anschauung der Götterskulptur in die poetische innere Vorstellung der tra-
68 Wolfram Bergande
20 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 608.
21 TWA 17, 150.
22 Ebd.
23 Ebd.
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen 69
24 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 638.
25 Ebd., 639.
26 Orrin F. Summerell, „Kunstkritik und Totalitarismus. Hegel über Platons Verbannung der
Dichtkunst“, in Hegel-Jahrbuch 1999, Berlin 2000, 38.
27 Ebd.
70 Wolfram Bergande
dere Idee der Subjektivität, worin die Leidenschaften und die Willkür der Indi-
viduen zusammengefasst sind. Diese Innerlichkeit aber bedeutet das Verderben
der griechischen Welt: der griechischen schönen Religion droht der Gedanke, das
innerlich Allgemeine; den Staatsverfassungen und Gesetzen drohen die Leiden-
schaften der Individuen und die Willkür, und dem ganzen unmittelbaren Beste-
hen die in allem sich erfassende und sich zeigende Subjektivität. So vollzieht sich
wie die Auflösung der Religion auch die der Demokratie […]“.28 Auf diesen Dop-
pelcharakter, diese Zangenbewegung der Innerlichkeit reagiert Platon im X. Buch
der Politeia, indem er einerseits versucht, die Sittlichkeit in der Allgemeinheit der
Ideen neu zu begründen und zu festigen; andererseits – und damit kommt seine
Kunstkritik zum Einsatz – denunziert er die überkommene Kunstreligion der
epischen und tragischen Dichter als Einfallstor der subjektiven Leidenschaften.
Bekanntlich sind sie aus seinem Staatsmodell grundsätzlich, wenn auch nicht
ausnahmslos, ausgeschlossen. Ein Einfallstor für die Leidenschaften ist die Kunst
laut der Politeia deshalb, weil sie wie der nächtliche Traum die Begierden durch
Illusionen aufregt und nährt. Während der Träumer aber schlafend liegen bleibt,
geht der durch die Kunst leidenschaftlich infizierte politische Tyrann wachträu-
mend durch die Welt und verdirbt die Polis.29
Etwas allerdings bleibt in Hegels Platon-Lektüre ungeklärt: Wenn Hegel Recht
damit hat, dass, wie er sagt, ‚die Kunst selber die Spitze erreicht, wodurch ihr
Inhalt das Interesse verliert‘, das heißt damit, dass sich die Kunst selbst aufhebt,
weil sie nach der Erschöpfung des sinnlichen Mediums über sich selbst hinaus
treibt in die Innerlichkeit von Vorstellung und Gedanke, Religion und Wissen-
schaft – wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, warum Platon in der dichte-
rischen Phantasie der griechischen Kunst sozusagen einen toten Hund prügelt?
Warum kritisiert Platon eine Kunst, die doch laut Hegel „selbst den Untergang
der schönen Religion herbei[bringt], indem sie alles Sinnliche offenbar macht
[…][,][…] [eine Kunst, die] in dem Stoffe nichts mehr übrig [lässt], was über die
Idee hinausgeht, […] da die Kunst sich ganz herausgeboren hat“, und da „das
sinnliche Moment, das in der schönen Religion vorhanden ist, […] für den in sich
gegangenen Geist seine Bedeutung verloren [hat]“?30 Aus der Sicht Hegels muss
es wohl an Platons eingeschränkter Perspektive gelegen haben. Den Fortgang
28 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 641.
29 Freilich wird Platon, indem er das sokratische Erbe fortschreibt, selbst zum „Agent des in
die griechische Sittlichkeit einbrechenden Prinzips der Subjektivität“. (Orrin F. Summerell,
„Kunstkritik und Totalitarismus“, 39).
30 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 638 f.
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen 71
der Entwicklung, der darin besteht, dass der Geist, nach seiner Selbstevakuie-
rung aus der Kunst, „[nur] den Inhalt […] noch gelten lassen [kann], der geheim
bleibt“, nämlich den „höhere[n] Inhalt der spekulativen Religion“31 – diesen
Fortgang konnte Platon schlicht nicht kennen. Deshalb, so Hegel, fehlt seinem
Staatsmodell auch die unendliche Reflexion der Subjektivität und die Freiheit
des Individuums.
Das beantwortet freilich noch nicht die Frage, warum sich Platon in solcher
Schärfe gegen die Kunst wendet – eine Frage, die in der Literatur zur Politeia
immer wieder mit großer Verlegenheit aufgeworfen wurde – anstatt ihr einfach
beim Vergehen zuzusehen.32 Hegels Antwort auf diese Frage in der Enzyklopädie
ist, dass die Kunstreligion tatsächlich noch nicht zu dieser Läuterung des Aus-
sich-Herausgeborenseins fortgeschritten war. Vielmehr, so Hegel, präsentierte sie
sich in einer derartig phantastischen, bunten und frivolen Vielgötterei, dass die
griechische Philosophie, an erster Stelle die Platons, gar nicht anders konnte,
als sich ihr gegenüber „feindlich“33 zu verhalten. Die Reinigung von ihrer natur-
wüchsigen Form, von der phantastischen Dichtkunst, war etwas, was die griechi-
sche Religion selbst nicht geleistet hatte, als Kunst-Religion nicht leisten konnte.
Wo Reinigung geschah wie in den Mysterien, da wurde sie nur oberflächlich voll-
zogen. Und so ist es die Philosophie, die diese Aufgabe übernimmt. Und in der
Tat: Platons Kritik der Sühneopferzeremonien in der Politeia mag durchaus in
dieser Perspektive Hegels gelesen werden.34 Platon verbannt also „Homer und
Hesiod, die Urheber der religiösen Vorstellungsart der Griechen“ deshalb aus
seinem gerechten Staat, weil er, wie Hegel sagt, „eine höhere, dem Gedanken
zusagende Vorstellung [verlangt] von dem, was als Gott verehrt werden soll“35.
31 Ebd., 639.
32 Typische Beispiele für diese Verlegenheit finden sich bei E. Havelock und W. Ch. Greene:
„Why does Plato feel so committed to a passionate warfare upon the poetic experience as such?“
(Eric. A. Havelock, Preface to Plato, Oxford 1963, 15, vgl. auch ebd., 26.) Bei Greene heißt es: „[H]e
[Plato] (a) makes an inaccurate statement about the conclusion reached in the earlier discussion
of art, (b) narrows the meaning of the term mimesis, (c) tacitly assumes that the aim of the poet
is either to give practical advice or to play on the passions of the mob, (d) uses trivial or sophistic
arguments which he can not himself have regarded as conclusive, and (e) does all this in the
name of philosophy! Does Plato mean us to take it all seriously? Is it Plato’s final judgment on
poetry ? Is he altogether ingenuous?“ (William Ch. Greene, „Plato’s view on poetry”, in: Harvard
Studies in Classical Philology, 29 (1918), 1–75, hier 54 f.)
33 TWA 10, 363 (§ 552).
34 Vgl. Platon, Politeia, 364e–365a.
35 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 644 f. – Vgl. Orrin F. Summerell, „Kunstkritik und Totalitarismus“, 39.
72 Wolfram Bergande
Platon fordert „Gedanken statt sinnlicher Vorstellung des Absoluten“.36 Aus eben
diesem Grund ist es dann wie gesagt allerdings auch, so Hegel, „[l]ächerlich […],
von Platon zu sagen, er habe Kunst und Poesie verbannen wollen. Das, was (jetzt)
als das Höchste durch die Kunst vorgestellt wird, dass das als das Absolute solle
anerkannt sein, dies war es, was Platon verbannte, nicht Kunst und Poesie über-
haupt. Platon hat nicht die Kunst verbannt, sondern sie nur nicht mehr als Gott
stehen las[s]en.“37
Aber ist der Gedanke wirklich so lächerlich, dass sich Platon gegen die Kunst
als solche gewendet haben könnte? Könnte dieser Gedanke, so er denn zutrifft,
nicht auch komisch sein – und zwar nach Hegels eigener Definition von Komik
als seliger Erhabenheit über den eigenen Widerspruch, als wohliges Ertragenkön-
nen des Auflösens der eigenen Zwecke? Komisch für Platon, der bekanntlich in
seiner Philosophie selbst zu künstlerischen Mitteln, zum erzählenden Dialog und
zu Ursprungsmythen greift, und der auf seine eigene jugendliche Beschäftigung
mit der homerischen Dichtkunst wie auf den Zauber einer alten Liebe zurück
blickt?38 Oder sogar tragisch? So, wie Hegel das Schicksal Sokrates’ wahrhaft tra-
gisch nennt? Wäre es nicht umgekehrt lächerlich, wenn Platon in der Kunst einen
toten Hund prügeln würde?
Wie dem auch sei: Wenn wir die Kritik Platons an den Künstlern im X. Buch der
Politeia einer genauen Lektüre unterziehen, können wir Hegels Interpretation gar
nicht erst uneingeschränkt zustimmen. Platon zielt hier nämlich nicht unbedingt
nur auf die Unangemessenheit der überkommenen Kunstreligion für das Göttli-
che, Wahre, Allgemeine ab, wie Hegel unterstellt. Insbesondere an der eingangs
genannten Stelle Politeia 606a–c erhebt Platon vielmehr einen grundsätzlichen
Einwand gegen die Kunst als solche. Dieser Einwand stützt sich auf die These,
dass beim Genießen einer nachahmenden Darstellung – Platons Beispiele sind
die Tragödie und die Komödie – zwangsläufig ein echter leidenschaftlicher Affekt
mitkommuniziert und daher vom Zuschauer mitgenossen wird. Platons Argumen-
tation an der betreffenden Stelle nimmt sich also die – wie wir heute sagen würden
– ästhetische Einstellung des Tragödien-Zuschauers vor.39 Seine Argumentation,
ich werde sie gleich im Wortlaut der Übersetzung Schleiermachers wiedergeben,
lautet sinngemäß so: Es scheint zwar ungefährlich zu sein, eine fremde Leiden-
36 G. W. F. Hegel,, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Hamburg
1968, 382.
37 Ebd.
38 Vgl. Platon, Politeia, 607e–608a.
39 Vgl. dazu Max Pohlenz, „Die Anfänge der griechischen Poetik“, in: Kleine Schriften, Bd. 2,
Hildesheim 1965, 436–472, insbesondere 466 ff.
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen 73
schaft oder Begierde wie Mitleid oder Furcht durch den distanzierenden Schein
des Fiktionalen der Kunst hindurch zu erleben, wie es zum Beispiel in der Teil-
nahme an der Aufführung einer Tragödie möglich wird. Aber, so Platon: Beim Für-
Wahrnehmen einer Leidenschaft wird nicht nur ihr Schein gefühlt und genossen
– sondern auch etwas von der zugrunde liegenden echten Leidenschaft wird mit
genossen. Die fremde, nachgeahmte Leidenschaft, die wir auf der Bühne sehen
und in ästhetischer Identifizierung mitgenießen, infiziert40 auch unsere eigene,
echte Leidenschaft – und das passiert laut Platon immer, notwendiger Weise, so
dass prinzipiell keine künstlerische Form dagegen immun wäre. Vor diesem Hin-
tergrund behaupte ich mit Platon und gegen Hegel, dass es sich bei dieser beson-
deren Art von leidenschaftlichem Affekt um eine „Empfindung“41 handelt, die als
solche zwar im Sinne der Enzyklopädie Hegels „innerlich“, nämlich „erinnert“42
ist, die jedoch nicht reflexiv durch Sprache, Gedächtnis und Denken aufgehoben
werden kann. Die Kunstreligion kann sich dementsprechend weder von ihr reini-
gen noch sie formal bewältigen. Ihre affektive Gewalt kann also auch nicht durch
ästhetische Bearbeitung vom Subjekt „entäußert“43 werden, wie es Hegel in der
Enzyklopädie am Beispiel Goethes erläutert, der seinen Liebeskummer durch das
Verfassen des Werther aus sich heraus arbeitet und damit hinter sich lassen kann.
Im Wortlaut der Politeia-Übersetzung von Schleiermacher heißt es an der
oben genannten Stelle, in der Sokrates zu Glaukon spricht, seinem Sparringpart-
ner im Dialog: „Wenn du bedenken wolltest, dass das damals bei eigenen Unfäl-
len mit Gewalt Zurückgehaltene und gleichsam Ausgehungerte, indem es sich
nicht hat sattweinen und zur Genüge ausjammern können, obwohl es von Natur
so geartet ist, hiernach zu begehren, dass gerade dieses dann von den Dichtern
befriedigt wird und sich wohl befindet; [und wenn du bedenken wolltest, dass]
das von Natur Beste aber in uns, weil noch nicht hinreichend durch Wort und
Sitte gebildet, in der Achtsamkeit auf dieses Tränenreiche nachlässt, weil es ja
nur fremde Zustände betrachtet und für es selbst ja nichts Schmähliches darin
liegt, wenn ein anderer, der sich für einen trefflichen Mann gibt, unzeitig trauert,
diesen zu loben und Mitleid mit ihm zu haben; jene Lust wird für baren Gewinn
genommen, und man möchte sie nicht gern missen, das ganze Gedicht verwer-
fend. Denn, so glaube ich, pflegen nur wenige zu rechnen, dass man doch von
40 Michael Franz spricht im Zusammenhang der Kritik an der Kunst in der Politeia von einer
„Ansteckungstheorie“ (Von Gorgias bis Lukrez: Antike Ästhetik und Poetik als vergleichende
Zeichentheorie, Berlin 1999, 156).
41 TWA 10, 101 (§ 401).
42 Ebd.
43 Ebd., 116 (§ 401, Zusatz).
74 Wolfram Bergande
dem Fremden notwendig etwas zu genießen bekommt für das Eigene und dass,
wenn man aus jenem das Trübselige genährt und gestärkt hat, es bei eigenen
Unfällen nicht leicht sein wird, es im zaum zu halten. – Sehr wahr, sagte er. – Und
verhält es sich etwa mit dem Lächerlichen nicht ebenso?“44
In der Sekundärliteratur wird diese Stelle regelmäßig als das anti-katharti-
sches Argument gewertet, auf das der Platon-Schüler Aristoteles mit dem berühm-
ten Katharsis-Theorem aus der Poetik 35 Jahre später antworten wird. So schreibt
etwa ein Übersetzer der Politeia ins Englische, Adam James: „It is obvious that
the Aristotelian theory of the drama was in this important respect developed in
direct and conscious antagonism to the Platonic, to which […] it owes much.“45
Und sie wird im Einzelnen dahingehend verstanden, dass Platon vor den Gefah-
ren warne, die der Vernunft von den Leidenschaften erwachsen, welche in den
Künsten zur Darstellung kommen. So meint etwa Stevens, dass Platons Sokrates
der Auffassung sei „that tragic poetry by stimulating the emotions, and especially
pity, tends to unfit a man for meeting his share of misfortune courageously.“46 Die
Deutung von James schließt sich dem an: „According to Plato, the emotion grows
by what it feeds upon, and becomes more and more troublesome and deleterious
in real life, the more we indulge it at the theatre: according to Aristotle, tragedy
effects the ‚purgation‘ of pity and its kindred emotions and tends to free us from
their dominion in matters of more serious moment (Poet. 6 1449 b27). Aristotle
hopes to effect by means of theatrical stimulation what Plato would attain by
starving the emotions even in play.“47 Ein anderer Kommentator, Greene, para-
phrasiert Sokrates’ Argumentation folgendermaßen: „[…] [P]oetry can harm even
the good; few escape its evil influence. It calls forth our sympathy for imaginary
woes, whereas in real life we restrain our feelings; and out of sentimental pity
grows a real weakness. In the same way, the enjoyment of comedy tends to turn us
into buffoons. In general, poetry feeds and waters the passions, instead of drying
them; it enthrones the passions, rather than the reason.“48
Doch werden die Deutungen von Stevens, James und Greene Platons Argu-
mentation an dieser Stelle gerecht? Liegt das Problem, das Platon mit Tragödie
und Komödie hat, wirklich darin, dass sie dazu neigen, die Vernunftherrschaft
zu unterlaufen, wie Stevens meint, also darin, dass ihre Dichtkunst die Guten
möglicher Weise schädigen kann, wie Greene es versteht? Und sollen wir, mit
James, Platon wirklich die Auffassung unterstellen, die Gefühle, die während
einer Tragödienaufführung im Spiel sind, ließen sich anders aushungern, als
dadurch, dass man sich von der Aufführung als solcher fernhält? Bei einer
genauen Lektüre spricht sehr viel dafür, dass Platon nicht etwa vor Tendenzen
und Möglichkeiten warnt, sondern vor etwas Prinzipiellem, das mit Notwendig-
keit wirklich geschieht. Max Pohlenz spricht diese Notwendigkeit, anders als die
oben genannten Kommentatoren, deutlich aus: Platon habe in der Politeia „[…]
auf die von Gorgias hervorgehobene irrationale Wirkung der Tragödie verwiesen,
die notwendig zu einer Stärkung des alogiston führen müsse.“49 Platons Sokrates
will an der Stelle 606a–c also nicht darauf hinaus, dass unsere ästhetische Lust
am tragischen Schmerz ab und zu auch in echten Schmerz abgleiten kann. Solch
ein Auftauchen echter Affekte könnte ja unter Umständen noch durch einen
Mangel an künstlerischer Darstellung erklärt werden. In jedem Fall könnte der
echte Affekt vermieden werden, indem wir uns unempfindlich machen für das,
was wir auf der Bühne sehen, oder indem wir einfach schnell wegsehen. Schließ-
lich ist es uns sogar möglich, gewollt aus einem Alptraum aufzuwachen. Nein,
Platons Text sagt hier ganz offensichtlich, dass die ästhetisch erlebte, durch
Perspektivübernahme mitgefühlte Tragik notwendig, das heißt immer auch, von
einer echten Leidenschaft begleitet wird. Ich wiederhole den entscheidenden
Satz Sokrates’: „Denn, so glaube ich, pflegen nur wenige zu rechnen, dass man
doch von dem Fremden notwendig [anankè] etwas zu genießen bekommt für das
Eigene […].“ Schleiermachers „notwendig“, das übrigens in einigen deutschen
und englischen Übersetzungen nicht deutlich wird, übersetzt anankè im griechi-
schen Original: eine unpersönliche Wendung, die nicht nur in der damaligen All-
tagssprache ganz gebräuchlich ist, sondern auch in der philosophischen Schrift-
sprache der Zeit Platons üblicher Weise eine gesetzesartige, starke Notwendigkeit
ausdrückt50. Im Kontext des X. Buchs der Politeia verweist sie insbesondere auf
die Personifizierung des Schicksals, auf Ananke, denn bekanntlich wird Platons
Argumentation im X. Buch mit einem groß angelegten Mythos der Ananke als
oberster kosmischer Schicksalsgewalt schließen.
49 Max Pohlenz: „Die Anfänge der griechischen Poetik“, in: Kleine Schriften, Bd. 2, Hildesheim
1965, 471 (erste Hervorhebung W. B.).
50 Vgl. Heinz Schreckenberg, Ananke, München 1964, 36 u. 50; Rudolf Hirzel, Themis, Dike und
Verwandtes, Hildesheim 1966, 389 ff.
76 Wolfram Bergande
Aus hegelianischer Sicht, wenn auch nicht unbedingt aus der Sicht Hegels,
könnte nun sofort erwidert werden, dass Platon, wie das Textstück zeigt, eben
noch auf dem Standpunkt des griechischen Geistes stehe, wie ihn Hegel analysiert:
Die Notwendigkeit – anankè – dieses Genießens, von der Platon spricht, wäre dann
genau die unverstandene, andere Notwendigkeit, die Hegel ja am griechischen
Geist bemängelt hatte und die ihr Gegenstück in einer unaufgehobenen Sinnlich-
keit hat, einer Sinnlichkeit, die die bloß oberflächliche Katharsis der Mysterien-
Kulte und Tragödien nicht bereinigen konnte. Was Platon hier notwendiges Mitge-
nießen nennt wäre genau solch ein sinnlicher Restbestand, der im Stahlbad des
allgemeinen Gedankens gereinigt werden muss, was Platon sich ja auch vornimmt,
indem er die Kunst aus seinem auf die Ideen gegründeten Idealstaat fast ganz aus-
schließt. Doch noch eine andere Interpretation ist denkbar: Aus einer modernen,
psychoanalytisch inspirierten Position, die die Vernunft, das Geistige einerseits
und den Körper, die Emotionen andererseits nicht so eindeutig wie Platon vonein-
ander trennt, aber sie auch nicht spekulativ engführt wie Hegel, kann dieses Etwas,
das laut Platon in der ästhetischen Erfahrung notwendig mit genossen wird, noch
anders erklärt werden. Was kann es sein, wenn es kein ästhetisches Gefühl wie das
tragische Mitleiden sein soll und wenn wir uns andererseits gegen echtes Mitlei-
den unempfindlich machen können – ja unempfindlich machen sollen, wie Platon
fordert? Eines können wir sagen: Es ist offenbar etwas, das sich der ästhetischen
Reflexion, der Aufhebung in den Schein, widersetzt, und zwar nicht zufällig oder
bloß manchmal, sondern notwendig, immer, grundsätzlich – diese ganze Konse-
quenz muss aus dem Wort „notwendig“ in Platons Text gezogen werde.
Ideengeschichtlich ist Platon an dieser Stelle dem Sophisten Gorgias von Leon-
tinoi verpflichtet.51 Gorgias behauptete in seinem Lob der Helena, dass die Seele/
Psyche durch die dichterische Darstellung von „Fällen von Glück und Unglück
für fremde Angelegenheiten und von fremden Personen“ ein durchaus „eigene[s]
Leiden]“ fühlt, in Altgriechisch: idion ti pathèma.52 Bei genauerem Hinsehen
spricht Gorgias von einer Notwendigkeit, die in der poetischen Erfahrung involviert
ist. Laut Gorgias fühlt die Seele diese lustvollen Leidenschaften auch dann, wenn
die Vernunft erkennt, dass es sich um einen gewaltsamen Kunstgriff des Dichters
handelt – und wie Platon verwendet Gorgias in diesem Kontext den Ausdruck
anankè: „[S]ogar wenn die Vernunft weiß, dass es einen Zwang [anankè] bedin-
51 Vgl. den Hinweis auf Proklos’ Kommentar zur Politeia in Max Pohlenz: „Die Anfänge der
griechischen Poetik“, in: Kleine Schriften, Bd. 2, Hildesheim 1965, 467.
52 Gorgias von Leontinoi, Lob der Helena, Abschnitt 9. Zitiert nach: Gorgias von Leontinoi,
Reden, Fragmente und Testimonien, Hamburg 1989.
Die unerinnerte Gegenwart des Schönen 77
gen wird, hat es doch dieselbe Wirkkraft.“53 Das Motiv einer „sublime[n] Form der
Gewaltanwendung“54, das Platon wohl von Gorgias übernimmt, beziehungsweise
das Motiv einer Lustmischung, die zwangsläufig schädlich ist für die Herrschaft
der Vernunft, findet sich auch in anderen späten Dialogen Platons, zum Beispiel
im Philebos 48a ff. und in den Nomoi 656b. In Kants Kritik der Urteilskraft findet
sich dazu übrigens eine ganz ähnliche Formulierung. Es gibt etwas, so lässt sich
Kant an dieser Stelle deuten, das sich radikal der ästhetischen Reflexion entzieht,
etwas, das also nicht als bloße Form betrachtet und dadurch ästhetischer Lust
zugeführt werden kann, ein Ding, dessen Realität jede Form durchschlägt. Und
dieses etwas definiert Kant bemerkenswerter Weise ähnlich wie Platon als einen
Gegenstand, der so vorgestellt wird, „als ob er sich zum Genusse aufdränge“55. Für
Kant ist es der Ekel, der so definiert werden kann, ein Topos in der Ästhetik des
18. Jahrhunderts.56 Einen richtiggehenden Zwang zum Genießen, wie ihn Platons
Dichterkritik denunziert, hat in Kants Systemarchitektur freilich keinen Platz.57
Wenn wir nun nicht mehr den Dualismen von Geist und Körper bei Platon und
Kant folgen, und auch nicht dem absoluten Idealismus Hegels, sondern von der
Freud-Lacanschen psychoanalytischen Subjekttheorie ausgehen, dann scheint
eine Lösung für das, was hier auftaucht, auf der Hand zu liegen: Wenn es etwas
sein soll, das sich der Reflexion notwendig, radikal widersetzt, dann kann es nur
die Reflexion selbst sein beziehungsweise die Voraussetzungen, die ermöglichen,
dass die Reflexion überhaupt stattfinden kann. Denn wenn das menschliche
Erkenntnisvermögen kein archimedischer Seelenpunkt ist, sondern den Spra-
cherwerb voraussetzt, dann kann es plausibel sein, dass die Fähigkeit zur Refle-
xion selbst ursprünglich aus der Unterdrückung des Körperlichen im Moment
des Eintretens in die Sprachlichkeit hervorgegangen ist; so dass die Reflexions-
fähigkeit des Menschen auf eine Urreflexion verweist, einen nur mythologisch
rekonstruierbaren Urmoment, in der der Mensch zum ersten Mal aus seiner Trieb-
gebundenheit heraustreten musste und lernen musste, die Perspektive eines
göttlichen oder sozialen Anderen auf sich einzunehmen und dann als Gewissen
oder Über-Ich zu verinnerlichen. Dieser Urmoment steht am Anfang der Subjekti-
vierung, der sprachgebundenen Sozialisation durch Reglementierung der Triebe
und des Körpers, der das Individuum zu einem Subjekt macht, das sich zu sich
selbst verhalten kann und soll. Das Stück an Körperlichkeit und Triebenergie, das
der Mensch dabei aufgeben musste, quasi schmerzhaft und angsterfüllt genießen
musste, um überhaupt reflektieren und selbstbewusst erkennen zu können, wäre
danach der Preis, den er für seine Erkenntnisse und auch für seine ästhetischen
Genüsse zahlt (weshalb letztere nach Platon eben keinen ungetrübten Gewinn
ergeben, auch wenn man gemeinhin anders zu rechnen pflegt).
Was für Platon die notwendig mitgenossene echte Leidenschaft ist, ist so aus
der verdrängungstheoretischen Sicht der psychoanalytischen Subjekttheorie die
verdrängte Körperlichkeit, die sich im ästhetischen Genuss als ein wiederkehren-
des Reales bemerkbar macht, als ein strikt anästhetisches Reales im transzenden-
talen Sinn, das unbewusst, zwangsweise mitgenossen wird – weil die Reflexion
den Punkt, von dem aus sie reflektiert, nicht ästhetisch mitaufheben kann und
weil dieser Punkt eine Verletzung markiert, ein Trauma, das eine ursprüngli-
che Reflexion in den Körper geschlagen hat. So hätte Platon nicht ganz Unrecht
gehabt, wenn er in den Büchern IX und X der Politeia das Reale der Leidenschaften
dadurch aus der vernünftigen Seele auszuschließen suchte, dass er nicht nur die
Träume, sondern auch die Fiktionen der darstellenden Künste verbannt. Denn sie
sind zwei Arten, sich mit einem Realen auseinanderzusetzen, das radikal nicht-
darstellbar ist und doch in den Erscheinungen, die die Dinge für uns annehmen,
insistiert. Unrecht hatte Platon allerdings darin, dass er glaubte, das Reale durch
den Ausschluss der Künste und der Träume erledigen zu können, und nicht auf
die Idee kam, dass es auch außerhalb davon auftritt, und dass die Kunst, wie uns
Hegel lehrt, in der Tat eine vorzügliche Zugangsform zu diesem Realen sein kann.
Was aussteht, ist die abschließende Antwort auf die Frage, welche der beiden
Platon-Interpretationen schlüssiger ist, die Hegels oder die der modernen Psycho-
analyse? Dahinter steht die eigentliche Frage, ob Platon mit seiner Künstlerkritik
noch auf dem Boden des griechischen Geistes steht, wie ihn Hegel begriffen hat
– oder nicht? Anders gefragt: Markiert sich in Platons anankè die unbegriffene
Notwendigkeit, die Hegel am griechischen Geist bemängelt hatte? Manifestiert
sich im Text der Politeia 606a–c das Unvermögen des griechischen Geistes, die
vermeintliche Naturwüchsigkeit seiner Kunstreligion vollends zu reflektieren?
Ein Unvermögen, dessen Notwendigkeit Platon selbst an dieser Stelle nicht weiter
reflektiert, vielleicht weil ihm der Standpunkt der christlichen Religion fehlte?
Oder aber ist die Notwendigkeit, die hier aus Platons Text spricht, eine, die auch
noch die absolute Reflexion der vollendeten, christlichen Religion und der philo-
sophischen Wissenschaft Hegels unterminiert haben wird? Dann wäre die Kunst
für uns kein „Vergangenes“58, sondern würde etwas Unvergangenes bewahren.
1 Fragestellung
Es ist ein Gemeinplatz der wissenschaftlichen Selbstreflexion, dass Hegels
Kunstphilosophie nicht nur für die Ästhetik, sondern auch für die kunstwissen-
schaftliche Forschung grundlegende Bedeutung hat. So ist es üblich, Hegel unter
die ‚Väter‘ der Kunstgeschichte einzureihen.1 Allerdings stand diese Wirkungs-
richtung Hegel selbst ganz zweifellos fern. Denn für ihn war dieser Forschungs-
zweig vorerst nur in Form disparater Einzelstudien präsent, anhand derer kaum
abzusehen war, dass sich aus solchen Forschungen einmal eine selbständige
Wissenschaft entwickeln würde. Hinzu kommt, dass Hegel noch allein die Phi-
losophie als Wissenschaft im eigentlichen Sinn betrachtet,2 indem nur sie die
Begriffe klärt, mit denen in den Erfahrungswissenschaften operiert wird. Dass
Hegels Kunstphilosophie zur Grundlage der empirischen Kunstwissenschaften
geworden ist, hat seine Ursache daher nicht in seiner eigenen Intention, sondern
vielmehr in der spezifischen Interessenlage ihrer Rezipienten, die die von Hegel
entwickelten Vorgaben in veränderter Bedeutung aufgreifen. Eine Schlüsselstel-
lung kommt hierbei seinen unmittelbaren Schülern und Anhängern zu: Eine
Reihe von ihnen unternimmt schon bald nach Hegels Tod den Versuch, die bei
1 Vgl. z. B. Ernst H. Gombrich, „Hegel und die Kunstgeschichte“, in: Ernst H. Gombrich, Dieter
Henrich, Manfred Rommel, Hegel-Preis-Reden 1977, Stuttgart und Zürich 1977, 7–28, bes. 7;
Stephan Nachtsheim, Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, Berlin 1984,
12 und 30; Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München
1995, bes. 134–139.
2 Vgl. bes. Herbert Schnädelbach, „Wissenschaft“, in: Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften‘ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß, Frankfurt/Main 2000, 22–26;
Nachtsheim, Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, a. a. O. (Anm. 1),
bes. 30–32; Otto Pöggeler, „Kennerschaft versus Philosophie: Waagen und die Hegelianer“, in:
Jahrbuch der Berliner Museen N. F. 37 (1995), 33–38.
80 Bernadette Collenberg-Plotnikov
ihm erfassten philosophischen Thesen zur Bedeutung und Aufgabe der Kunst für
die Einzelwissenschaften fruchtbar zu machen.
Diese Bemühung um eine Ausweitung der spekulativen Philosophie Hegels
auf empirischem Feld findet keineswegs nur unter jenen Schülern und Anhän-
gern Hegels statt, die sich der Sache der Kunst verschreiben. Vielmehr handelt
es sich hier um ein Merkmal des Schaffens so gut wie aller Hegelianer, die diesen
Vorstoß in die Welt der Phänomene auch in weiteren Bereichen des Wissens als
Antwort auf die veränderten Fragen der Zeit begreifen. Den sachlichen Hinter-
grund dieser Bestrebungen bildet ein radikal veränderter Wissenschaftsbegriff:
Angesichts des unaufhaltsamen Fortschrittes innerhalb der empirischen Wis-
senschaften, die man nun als Paradigma der Wissenschaften betrachtet, muss
Hegels Philosophie als an diese anschlussfähig erwiesen werden.
Es steht rückblickend außer Zweifel, dass auf diese Weise in der Tat die bis
heute reichende Nachwirkung der Kunstphilosophie Hegels gesichert wird. Aller-
dings soll im Folgenden gezeigt werden, dass hierbei eine Akzentverschiebung
stattfindet, die einen ebenso zentralen wie sachlich weiterführenden Aspekt der
Hegelschen Ästhetik preisgibt: An die Stelle einer Philosophie der Kunst, wie
Hegel sie gefordert hatte, tritt nämlich bereits bei den Hegelianern eine Philoso-
phie des Schönen.3
Diese Transformation findet dabei der Tendenz nach bereits bei den Hegeli-
anern in zwei unterschiedlichen Richtungen statt, die die ästhetische Reflexion
grundsätzlich bis heute bestimmen: Zum einen wird die Subjektivität zum Aus-
gangspunkt der Kunstreflexion genommen. Aus dieser Perspektive deutet man
die Kunst als spezifische Weise der Wirkung, die – prinzipiell unabhängig von
möglicherweise begrifflich identifizierbaren Inhalten – von der formalen Erschei-
nung der Kunst als solcher ausgeht. Im Mittelpunkt dieser Reflexion stehen also
die ästhetische Erfahrung und die Psychologie des die Kunst herstellenden bzw.
erfahrenden Subjekts. Zum anderen bildet die soziale und politische Funktion der
Kunst den Ausgangspunkt der Reflexion. Aus dieser Perspektive betrachtet man
die Kunst als Träger von Inhalten, man fokussiert den materiellen Kunstgegen-
stand und seine Eigenschaften bzw. seine sozialen Bedingungen. Diese Polari-
sierung soll hier am Beispiel von Heinrich Gustav Hotho als dem Hauptvertre-
ter einer althegelianischen Kunstforschung einerseits und Arnold Ruge als dem
3 Vgl. auch: Günter Oesterle, „Entwurf einer Monographie des ästhetisch Häßlichen. Die
Geschichte einer ästhetischen Kategorie von Friedrich Schlegels Studium-Aufsatz bis zu Karl
Rosenkranz’ ‚Ästhetik des Häßlichen‘ als Suche nach dem Ursprung der Moderne“, in: Zur
Modernität der Romantik, hg. v. Dieter Bänisch Stuttgart 1977, 217–297, bes. 254.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 81
Hohendahl, „Literaturkritik in der Epoche des Liberalismus“, in: Geschichte der deutschen
Literaturkritik (1730–1980), hg. v. P. U. Hohendahl, Stuttgart 1985, 129–204; Karl Heinz Bohrer,
Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt/
Main 1989, bes. 182–220; Norbert Oellers, „Die ‚Hallischen Jahrbücher‘ und die deutsche
Literatur“, in: Philosophie und Literatur im Vormärz. Der Streit um die Romantik (1820–1854),
hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1995, 141–152; vgl. auch: Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der
revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts, Zürich 1941, 8Hamburg 1981, bes. 317–320;
Günther Groth, Arnold Ruges Philosophie unter besonderer Berücksichtigung seiner Ästhetik. Ein
Beitrag zur Wirkungsgeschichte Hegels, phil. Diss. Hamburg 1967; Jost Hermand, „Der deutsche
Vormärz“, in: Von Mainz nach Weimar (1793–1919). Studien zur Deutschen Literatur, Stuttgart
1969, 174–210; B. Collenberg-Plotnikov, „The Aesthetics of the Hegelian School“, in: Politics,
Religion, and Art: Hegelian Debates, hg. v. D. Moggach, Evanston, Illinois (USA) 2011, 203–230 (in
dieser Publikation werden auch die im vorliegenden Beitrag gemachten Bemerkungen zu Ruge
weiter ausgeführt). Vgl. in dem von D. Moggach hg. Band auch bes. den Beitrag von Margaret A.
Rose: „Karl Rosenkranz and the ‚Aesthetics of the Ugly‘“ (231–253).
8 „Die Vorlesungen sind der Ästhetik gewidmet, d. h. der Philosophie, [bzw.] der Wissenschaft
des Schönen, und zwar des Kunstschönen. Wir schließen das Naturschöne aus.“ (Georg Wilhelm
Friedrich Hegel, Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826 [Mitschrift
Hermann von Kehler], hg. v. A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-Plotnikov, München 2004
[im Folgenden zitiert als Ästhetik nach Kehler 1826], 1.)
9 Ebd., 2.
10 V 2 (Hotho 1823), 211.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 83
ebenfalls nicht des ‚objektiven‘ Geistes, der sich praktisch in der Welt des Rechts
und der Sittlichkeit zu realisieren sucht, sondern des ‚absoluten‘ Geistes.11 D. h.
in der Kunst wird kein relatives Wissen zugänglich, sondern die Kunst ist eine
Weise, wie der Mensch sich die „höchsten Ideen seines Geistes“ vergegenwär-
tigt.12 Ihre Eigentümlichkeit ist es dabei, „daß sie das Höhere selbst auf sinnliche
Weise darstellt und der empfindenden Natur so näherbringt“.13
Für Hegels ästhetische Konzeption ist es nun charakteristisch, dass er diese
Bestimmung der Kunst historisiert: D. h. die Kunst hat für Hegel ihre eigene
Geschichte, die mit der Geschichte der verschiedenen kulturellen Formationen
nicht identisch ist: Die Kunst ist für Hegel ein Phänomen sui generis. Es wäre
aber verfehlt, sie primär oder gar ausschließlich als ‚autonomen‘ ästhetischen
Zusammenhang zu begreifen. Hegel versteht die Kunst vielmehr als Phänomen,
das in komplexer Weise mit den weiteren kulturellen Formationen verflochten
ist: Kunst ist anschauliche Reflexion – aber nicht primär Reflexion des ästhe-
tischen Subjekts, sondern vielmehr Reflexion, die Funktion einer Kultur ist, in
der sich das Individuum versteht. Um die identische Funktion der anschauen-
den Selbstvergewisserung in historisch variierenden Kulturen übernehmen zu
können, muss auch die Kunst selbst sich wandeln. Der geschichtliche Sinn der
Kunst erhellt daher erst, wenn ihre Funktion in den verschiedenen – prinzipiell
allen – geschichtlichen Epochen und Kulturen in den Blick genommen wird.
Aus dieser historisierenden Betrachtung der Kunst leitet Hegel auch
seine Auffassung der Moderne ab. Zum einen ist unter den Bedingungen des
modernen reflektierten Weltverhältnisses das Schönheitsideal der Antike nur
noch eine ästhetische Option von eingeschränkter Bedeutung. Zu den Ausdrucks-
formen der Moderne gehört wesentlich auch das Nicht-Schöne.14 Zum anderen
11 „Denn die Bestimmung soll jeder Gegenstand in sich selbst haben, der ein Absolutes sein
will.“ (Ebd., 31.)
12 „Wir finden, daß die Kunst eine Weise ist, wie der Mensch zum Bewußtsein gebracht hat
die höchsten Ideen seines Geistes; wir finden, daß die Völker ihre höchste Anschauung in
die Kunstvorstellungen niedergelegt haben. Die Weisheit, Religion sind in [den] Kunstformen
enthalten, und ausschließlich enthält die Kunst den Schlüssel zur Weisheit und Religion
vieler Völker. […] Dieser Gegenstand ist es, den wir wissenschaftlich und zwar philosophisch
wissenschaftlich betrachten wollen.“ (G. W. F. Hegel, Ästhetik nach Kehler 1826, a. a. O. [Anm. 8], 2.)
13 V 2 (Hotho 1823), 5. Vgl. auch: „Will man [einen] Endzweck nun des Kunstwerks aufstellen,
so ist es dieser: die Wahrheit zu enthüllen, vorzustellen, was sich in der Menschenbrust bewegt,
und zwar auf bildliche, konkrete Weise.“ (30)
14 Vgl. bes.: A. Gethmann-Siefert, „Hegel über das Häßliche in der Kunst. Zum Problem der
Musealisierung und Ästhetisierung der Künste“, in: Hegel-Jahrbuch 1999, Berlin 2000, 21–41;
Francesca Iannelli, Das Siegel der Moderne. Hegels Bestimmung des Hässlichen in den Vorlesungen
zur Ästhetik und die Rezeption bei den Hegelianern, München 2007.
84 Bernadette Collenberg-Plotnikov
liefert die Kunst für den modernen Menschen keine umfassende Weltanschauung
mehr, wie dies einst für die ästhetische Religion bzw. Mythologie des Griechen-
tums charakteristisch war. Vielmehr wird in der Moderne die Kunst ‚entzaubert‘,
d. h. der moderne Mensch setzt sich zu den Gestaltungen und Inhalten der Kunst
in ein reflektierendes, ‚wissenschaftliches‘ Verhältnis. Zwar behält die Kunst auch
unter den Bedingungen der Moderne ihre Funktion, die „höchsten Forderungen
des Geistes auszusprechen und zum Bewußtsein zu bringen“.15 Allerdings ist die
Kunst jetzt nurmehr eine Weise menschlicher Selbstauslegung neben anderen.
Wie Schiller erkennt Hegel das moderne ‚Bedürfnis nach Vernunft‘ als Zustand,
der nur um den Preis des Rückfalls in die Unmündigkeit rückgängig gemacht
werden kann. In Absetzung von Schelling und dessen Vision eines ‚neuen Epos‘
ist für Hegel die Restaurierung der maximalen Relevanz der Kunst auf dem Boden
der aufgeklärten Moderne daher weder möglich noch überhaupt zu wünschen.16
Die Kunst ist somit an bestimmte Zeiten gebunden; eine Regierung, ein Indi-
viduum kann eine goldene Periode der Kunst nicht erwecken. Der gesamte Welt-
zustand gehört dazu.17
18 Vgl. bes. Walter Jaeschke, „Kunst und Religion“, in: Die Flucht in den Begriff. Materialien
zu Hegels Religionsphilosophie, hg. v. Friedrich Wilhelm Graf und Falk Wegner, Stuttgart 1982,
163–195, hier: 173.
19 Vgl. in diesem Zusammenhang z. B. Hothos Rezension von Amadeus Wendts Studie Ueber die
Hauptperioden der schönen Kunst (Leipzig 1831), wo Hotho erklärt, in der Gegenwart eröffne sich
„die weite Aussicht auf eine hoffnungsreiche Zukunft. Ihre Kunst hat sich zu einem universellen
Karakter in Betreff auf Gegenwart und Vergangenheit aufzuschliessen“. (H. G. Hotho, „Ueber die
86 Bernadette Collenberg-Plotnikov
lich zerplatzen diese Träume der Vormärzzeit dann schon mit dem Scheitern der
Revolution von 1848.20
Den vielleicht deutlichsten Niederschlag findet die Wendung der Hegelschen
These vom Ende zur These von der Zukunft der Kunst in einer intensivierten Hin-
wendung der Hegelianer zu den unklassischen Aspekten des Ästhetischen: dem
Interessanten, Pikanten, Alltäglichen, Charakteristischen, Hässlichen usw. Diese
Aspekte hatten zwar vornehmlich die Romantiker ins Spiel gebracht, sie werden
aber zur Herausforderung für jede Ästhetik, die die ungeschmälerte Relevanz der
Kunst in der – offenbar nicht-schönen – Gegenwart behaupten will. Hegel hatte
die Romantik und ihren Bruch mit dem Schönheitsideal kritisiert. Seine Kritik
richtete sich aber nicht gegen die ästhetische Thematisierung des Nicht-Schönen
als solche, sondern vielmehr gegen die romantische Haltung, das Nicht-Schöne
lediglich als Geste des ironischen Subjekts zu thematisieren. Mit diesem Verzicht
auf Verbindlichkeit verfehlt die Kunst Hegels Auffassung nach ihre Funktion, Aus-
drucksformen für das geschichtliche Selbstverständnis einer Kultur zu entwerfen.
Die Hegelianer knüpfen hier zwar an, sie kritisieren den romantischen Rela-
tivismus und vertiefen zugleich die bei Hegel angestoßene Einbeziehung des
Nicht-Schönen in die ästhetische Reflexion, indem sie diesem teilweise bis in
seine entlegensten Facetten nachgehen. Das Entscheidende bei ihrer Thematisie-
rung des Nicht-Schönen ist allerdings, dass sie dieses, im Unterschied zu Hegel,
nicht als selbständige Manifestationsform des Ästhetischen akzeptieren. Es geht
den Hegelianern vielmehr darum, das Nicht-Schöne, Lebenswirkliche, durch dia-
lektische Konstruktionen – etwa vermittels des Komischen – im Schönen ‚aufzu-
heben‘, es also dem System des Schönen einzuverleiben. D. h. die ‚gebrochene
Schönheit‘ der Gegenwart soll dank der philosophischen Mittel, die man bei
Hegel zu finden meint, überwunden werden.
Anders als für Hegel selbst steht so im Mittelpunkt der ästhetischen Refle-
xionen der Hegelianer, die der provokativen These vom Vergangenheitscharak-
ter der Kunst nicht folgen mögen, nach wie vor das Ringen um eine theoretische
Hauptperioden der schönen Kunst, oder die Kunst im Laufe der Weltgeschichte, dargestellt von
Amadeus Wendt“ [Rezension], in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 113–115, 1832, Sp. 902–
916; 5–6, 1833, Sp. 33–48, hier: Nr. 5–6, Sp. 43 und 48.) – Ruge wird 1841 konkret und erkennt in
Georg Herweghs aktivistischer Lyrik „eine wirklich neue Geburt“, eine „vollzogene Revolution“.
(Arnold Ruge, „Neue Lyrik“, in: Deutsche Jahrbücher 1841, 251 und 256.)
20 Friedrich Theodor Vischer formuliert rückblickend: „wir glaubten damals wie vor einer
politischen Revolution – worin wir Recht hatten, – so vor der Geburt einer ganz neuen Kunst
zu stehen, die uns als notwendige Frucht derselben erschien – was freilich ein schöner Traum
war.“ (F.Th. Vischer, Kritische Gänge, hg. v. Robert Vischer. 6 Bde., 2., vermehrte Aufl., München
1914–1922, Bd. 5, IX.)
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 87
Synthese aus Realismus und Idealismus: Ruge und Ernst Theodor Echtermeyer
sprechen 1839 von einem „realen Idealismus“,21 Max Schasler schlägt 1858
ähnlich die Synthese in einem ‚realistischen Idealismus‘ vor.22 Friedrich Theodor
Vischer kreiert umgekehrt, bezeichnenderweise vor 1848, einen ‚idealistischen
Realismus‘,23 Anton Springer einen ‚humoristischen Idealismus‘,24 Moriz Carrière
sieht die Synthese in einer ‚personifizierenden Idealbildung‘.25 Weitere Beispiele
wären zu nennen.26
Dabei rücken jene Hegelianer, die unmittelbar nach Hegels Tod die in die Dis-
kussion eintreten – also die später so genannten Althegelianer – die ästhetische
Erfahrung des Subjekts in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Dies zeigt sich
mit aller Deutlichkeit bei Hotho.27 Zwar setzen die Vertreter der Psychologie, die
21 Ernst Theodor Echtermeyer und Arnold Ruge, Der Protestantismus und die Romantik. Zur
Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze. Ein Manifest, hg. v. N. Oellers, Hildesheim 1972, 23.
22 Vgl. Max Schasler, „Über Idealismus und Realismus in der Historienmalerei. Eine Parallele
zwischen M. v. Schwinds ‚Kaiser Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet‘ und Ad. Menzels
‚Friedrichs II. und Josephs II. Zusammenkunft in Neiße‘“, in: Die Dioskuren 3 (1858), 143 f. und 146.
23 Vgl. F.Th. Vischer, „Die Abdankung Karl V. von Louis Gallait und der Kompromiß der
flandrischen Edeln von Carl Bièfve. Gedanken bei Betrachtung der beiden belgischen Bilder“
(1844), in: Kritische Gänge, a. a. O. (Anm. 20), Bd. 5, 89–95.
24 Vgl. Anton Springer, „Der humoristische Idealismus“, in: Geschichte der bildenden Künste im
19. Jahrhundert, Leipzig 1858, 108–124 (zuerst in: Die Gegenwart 12, 1856, 719–726).
25 Vgl. Moriz Carrière, „Ueber Symbol, personificirende Idealbildung und Allegorien der Kunst
mit besonderer Rücksicht auf Kaulbachs Wandgemälde im neuen Museum zu Berlin“, in:
Augsburger Allgemeine Zeitung. Beilage zu Nr. 63 (1856), 1001–1003 und Beilage zu Nr. 64 (1856),
1017–1022.
26 Vgl. Werner Busch, Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der
deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin 1985, 27–30; ders., „Wilhelm von Kaulbach – Peintre
philosophe und modern painter. Zu Kaulbachs Weltgeschichtszyklus im Berliner Neuen
Museum“, in: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik, hg. v. A. Gethmann-Siefert und O. Pöggeler,
Bonn 1986 (Hegel-Studien, Beiheft 27), 117–138, bes. 125–128.
27 Vgl. bes.: H. G. Hotho, Vorstudien für Leben und Kunst, a. a. O. (Anm. 6) und ders.: Ästhetik
von 1833, a. a. O. (Anm. 6).
88 Bernadette Collenberg-Plotnikov
28 Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, 2 Bde., Leipzig 1921–24, Berlin 31986, Bd. 2, 66.
29 Gustav Theodor Fechner, der Mitbegründer der empirischen Psychologie als selbständiger
Disziplin, legt mit seiner Vorschule der Aesthetik von 1876 eine in diesem Sinne konzipierte
psychologische Ästhetik vor, die er ausdrücklich als Gegenentwurf zu den hegelianisierenden
Bestrebungen versteht: „Die Mißachtung galt von den vierziger Jahren an vor allem Hegel und
seinem System, insbesondere auch der Ansetzung eines Wahren als des Ganzen, die jeden
sich mühsam voranarbeitenden Empiriker entsetzlich stören mußte. An die Stelle des Ganzen
trat damit das Erforschen der Verknüpfung des Einzelnen, in psychologischer Hinsicht:
die Assoziation.“ (H. Drüe, „Die psychologische Ästhetik im Deutschen Kaiserreich“, in:
Ideengeschichte und Kunstwissenschaft. Philosophie und bildende Kunst im Kaiserreich, hg. v. E.
Mai u. a., Berlin 1983, 71–98, hier: 73).
30 Ebd.
31 H. G. Hotho, Die Malerschule Huberts van Eyck nebst deutschen Vorgängern und Zeitgenossen.
Öffentliche Vorlesung. 2 Teile, Berlin 1855–1858, Teil 1, 9 und 12.
32 H. G. Hotho, Vorstudien für Leben und Kunst, a. a. O. (Anm. 6), 5.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 89
Genuss kann nämlich, so Hotho, in der kunstfeindlichen Gegenwart nur mit Hilfe
der philosophischen Reflexion zurückgewonnen werden. Im Mittelpunkt der
‚spekulativen Kunstgeschichte‘ steht daher eine Theorie der Rezeption.
Dabei wird für Hotho der Kunstvollzug zu dem entscheidenden Instrument,
mit dessen Hilfe die reflexionsbedingte mediale und historische Distanz gegen-
über dem Werk überbrückt zu werden vermag: Die geglückte Kunstrezeption ist
ein ‚hingebendes Hineinleben‘ in das Werk, in dem die Distanz mit einem Schlag
aufgehoben wird. Sie mündet damit in eine quasi mystische Erfahrung.33 Das
Werk kann so zur Existenzform des Individuums werden.
Dem rezeptionsästhetischen Ansatz der ‚spekulativen Kunstgeschichte‘
entsprechend legt Hotho einen Hauptakzent seiner Bemühungen darauf, der
Kunsterfahrung in ihren unterschiedlichen Facetten sprachlich in immer neuen
Anläufen gerecht zu werden: Es stellt sich das Problem der Beschreibung von
Kunstwerken und ihrer Erfahrung. Zu diesem Zweck entwickelt Hotho eine
ebenso subtile wie suggestive Art der ästhetisierenden Beschreibung von Kunst
und Kunsterlebnissen. Diese Subjektivierung der Auseinandersetzung mit der
Kunst schlägt sich auch in einer eleganten, geradezu poetischen Sprache – bzw.
mit Wilhelm Waetzoldt: einem spätromantischen „Schwärmerton“34 – nieder, der
gerade für Hothos Publizistik charakteristisch ist. Seine Art der Kunstbeschrei-
bung wird somit auch hinsichtlich der Hegelschen These vom Ende der Kunst
relevant. Der eigene Stil ist bei Hotho nämlich mehr als ein bloßes Darstellungs-
mittel; er wird zur Widerlegung dieser These im Vollzug.
33 Bereits Zeitgenossen haben diese Tendenz erkannt. So nennt ihn etwa Karl Gutzkow ein „in
der Kunst mystisches Gemüt“, wobei Karl Ludwig Michelet, der dies kolportiert, sogleich – wohl
im Sinne von Hothos Selbst- und Kunstverständnis – korrigieren zu müssen meint, es sei vielmehr
Hothos Verdienst, „die mystische Tiefe des Kunstwerks mit der Virtuosität eines sichern Blicks an
den Tag des besonnenen Bewußtseins herauffördern und zergliedern zu können“. (K. L. Michelet,
Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel, 2 Bde., Berlin
1837–1838, Bd. 2, 676; s. a. E. Ziemer, Heinrich Gustav Hotho, a. a. O. [Anm. 66], 186.) Karl Frenzel,
der spätere Journalist und Schriftsteller, schreibt über Hothos Vorlesungen der 1850er Jahre, die
er als Student hörte: „Wie hätten wir indessen nach dem Stofflichen, überhaupt nach dem Zweck
und Ziel der ganzen Vorlesung gefragt! Wir saßen da im Bann einer halb romantischen, halb
mystischen Suggestion. Der Mann auf dem Katheder hatte für uns zuweilen etwas von einem
Büßer und einem Verzückten des Mittelalters, zuweilen von einem schwärmerischen Künstler. Er
sprach wunderschön, mit einer sanften, leise verschleierten Stimme, völlig frei, und das Staunen
über einen Jünger Hegels, der […] sich in die Frommgläubigkeit und Dumpfheit des Mittelalters
mit der Inbrunst des heiligen Franziskus verlor und versenkte, wollte nicht von uns weichen.“
(Zit. nach: E. Ziemer, Heinrich Gustav Hotho, 296.)
34 W. Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, a. a. O. (Anm. 28), Bd. 2, 67.
90 Bernadette Collenberg-Plotnikov
35 Vgl. H. G. Hotho, Ästhetik von 1833, a. a. O. (Anm. 6), 147–154. – Diese Begrifflichkeit erhält
einen festen Stellenwert in Hothos Arbeit. Vgl. bes. H. G. Hotho: Geschichte der deutschen und
niederländischen Malerei. Eine öffentliche Vorlesung an der Königlichen Friedrich-Wilhelm-
Universität zu Berlin gehalten, 2 Bde., Berlin 1842–1843, Bd. 1, 59–146; vgl. dazu auch: F.Th.
Vischer („Deutsche Kunstgeschichte“ [Rezension über: H. G. Hotho, Geschichte der deutschen
und niederländischen Malerei, Bd. 1, Berlin 1842], in: Jahrbücher der Gegenwart,Tübingen 1844],
831–854 und 1012–1061; wieder abgedruckt in: ders., Kritische Gänge, a. a. O. [Anm. 20], Bd. 5,
98–172, bes. 130–132), der diese Begrifflichkeit übernimmt.
36 August Schmarsow, „Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie in gemeinsamen Grundbe-
griffen“, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 13 (1918), 165–190 und 225–
258, hier: 251 (unter Bezug auf F.Th. Vischers Adaption dieser Begrifflichkeit).
37 Werner Busch, „Die Antrittsvorlesung Friedrich Theodor Vischers bei Übernahme des
Lehrstuhls für Ästhetik und Kunstwissenschaft an der Universität Tübingen 1844“, in: Kritische
Berichte 1–2 (1981), 35–50, hier: 42.
38 G. W. F. Hegel, „Vergleichung des Schellingschen Prinzips der Philosophie mit dem
Fichteschen“, in: Jenaer Kritische Schriften I, neu hg. v. H. Brockard und H. Buchner, Hamburg
1979, 77–96, hier: 94.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 91
„Jedes Kunstwerk ist das Produkt eines einzelnen Geistes und muß sich als solches zeigen:
Das Subj[ekt] hat sich kundzutun am Kunstwerk; erst dadurch wird es lebendig, individuell.
Daher es ganz guten Grund hat, sich bei jedem Kunstwerk nach dem Künstler zu erkundi-
gen; es ist keine müßige Frage, ob die Homerischen Gedichte von einem Autor oder ein[em]
Aggregat von Dichtern sei: [Das] Kunstwerk ist nicht vom Volksgeist produziert, sondern
von einem vereinzelten Individuum, das nicht gegen das Allgemeine verschwinden darf,
das in ihm lebt; verschwindet es, so ist es ein Mangel.“39
In Hegels Konzeption des Kunstschönen hat zwar die Phantasie ebenfalls einen
zentralen Stellenwert, da er das Werk als Resultat des Zusammenspiels von Phan-
tasie und Vernunft bestimmt. Im Mittelpunkt von Hegels Interesse steht aber das
Werk als kulturelles Phänomen in einer geschichtlichen Gemeinschaft, die Phan-
tasie ist allein für die Rekonstruktion der Genese des Werks von Belang.
Hotho wendet demgegenüber den Fokus vom Werk auf die Phantasie als
individuelles Vermögen. Sie bildet hier das Prinzip der Kunst schlechthin, das
mit rationalen Mitteln nicht zu fassen ist: „Das ist der Tiefsinn und Tiefblick
der Phantasie, dazu sind nur schönere Naturen berufen.“40 Nichtsdestoweniger
handelt es sich bei der Phantasie um eine natürliche Fähigkeit des Menschen, die
keinem Volk fehlt und somit als anthropologische Konstante die Voraussetzung
für die Konstruktion einer fortlaufenden Weltgeschichte der Kunst bildet.41 Mehr
noch: Die Wendung von der kulturgeschichtlichen Sicht der Phantasie als Bedin-
gung des Werks zur Phantasie als menschlichem Vermögen liefert ein weiteres
Argument für die Aufhebung der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst:
So wenig wie die Phantasie an ein Ende gelangen kann, solange es Menschen
gibt, so wenig kann auch die Kunst an ein Ende gelangen.42
43 Zu diesen gegenläufigen Reaktionen der Philosophie als Ausweg aus der „Identitätskrise, in
die sie nach Hegel geraten ist“, vgl.: H. Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831–1933,
Frankfurt/Main 1983, bes. 120–22, Zit. 121.
44 Dies zeigt sich etwa auch in Redewendungen wie: „Die Vollendung, die ihm [d. h. Raphael]
zuerst in vollem Maße zu erreichen erlaubt war, schwebt seit ihrem Beginn schon dieser Epoche
als letztes Ziel unbewußt vor.“ (H. G. Hotho, Vorstudien für Leben und Kunst, a. a. O. [Anm. 66],
142). Über die Bedeutung von Andrea del Verocchio, Lorenzo di Credi und Leonardo heißt es:
„Auch dieser Weg ist für die Entwicklung zu Raphael hin durchaus erforderlich gewesen.“ Vgl.
auch: „Dies eine Wort [Fiesoles] aber war für die ganze Epoche durchaus erforderlich.“ Über die
Brüder van Eyck und den Genter Altar heißt es: „Den Geist der Andacht ihrer eigenen Zeit unter
den eigenen Mitbürgern in deren sinnvollsten Gestalten auszusprechen, bleibt unbewußt das
höchste Ziel dieser Meister.“ (147, 144 und 156).
45 „Unsere Welt, Religion und Vernunftbildung ist über die Kunst als die höchste Stufe, das
Absolute auszudrücken, um eine Stufe hinaus. Das Kunstwerk kann also unser letztes absolutes
Bedürfnis nicht ausfüllen, wir beten kein Kunstwerk mehr an, und unser Verhältnis zum
Kunstwerk ist besonnenerer Art. Ebendeswegen ist es auch unser näheres Bedürfnis, über
das Kunstwerk zu reflektieren. Wir stehen freier gegen dasselbe als früher, wo es der höchste
Ausdruck der Idee war. Das Kunstwerk erreicht unser Urteil; den Inhalt des Kunstwerks und die
Angemessenheit der Darstellung unterwerfen wir unserer betrachtenden Prüfung. Es ist in dieser
Rücksicht die Wissenschaft der Kunst mehr [zum] Bedürfnis [geworden] als in alter Zeit. Wir
achten und haben die Kunst, sehen sie aber als kein Letztes an, sondern denken über sie [nach].
Dies Denken kann nicht die Absicht haben, sie wieder hervorzurufen, sondern [nur die,] ihre
Leistung zu erkennen.“ (G. W. F. Hegel, Ästhetik nach Hotho 1823, a. a. O. [Anm. 6], 6; vgl. z. B.
auch: Ästhetik nach Kehler 1826, a. a. O. [Anm. 10], 7 f.)
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 93
eins mit den Hegelianern allgemein – die Auffassung, dass sich auf der Basis
des durch Hegel begründeten absoluten Wissens nicht nur der Sinn der Kunst-
geschichte erschließt. Vielmehr kann auf dieser Grundlage auch eine zukünftige
neue Kunstblüte theoretisch vorkonstruiert werden. Dementsprechend verwun-
dert es kaum, dass sich die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst auch
in der von Hotho erstellten Edition der Hegelschen Ästhetik entschieden milder
ausnimmt als in den überlieferten Vorlesungszeugnissen.46 So gibt Hotho auch
unter den Bedingungen des modernen Staates die Hoffnung auf eine neue inhalt-
lich belangvolle und das Individuum zureichend orientierende Kunst im Sinne
des von Schelling beschriebenen ‚neuen Epos‘ nicht auf. Sein Blick richtet sich
dabei vor allem auf Goethe, auf dessen Dichtung er einen Schwerpunkt seiner
Forschungen legt.47
Nicht nur in dieser Aussicht unterscheidet sich Hothos Kunstverständnis
radikal von dem seines Lehrers. Kunst gilt Hotho des Weiteren auch nicht – wie
Hegel – als nurmehr eine Weise menschlicher Selbstauslegung neben anderen.
Vielmehr wird die Kunst nun als idealer Mittelpunkt der menschlichen Existenz
gedeutet. Die von Hegel fokussierte Funktion der Kunst als Selbstreflexion nicht
einfach eines Individuums, sondern eines Individuums in einer geschichtlichen
Kultur gerät dabei aus dem Blick. Vielmehr wird die Kunst hier zur Funktion einer
autonomen ‚Kunstwelt‘, der die gesellschaftliche und politische Welt als etwas
wesentlich Äußerliches gegenübersteht. Ihre praktische Funktion beschränkt
sich daher auf die Kultivierung des Individuums und die ‚Verklärung‘ der unzu-
länglichen Wirklichkeit im Sinne einer ideellen Versöhnung mit ihr bzw. einer
später von Rüdiger Bubner so genannten ‚Ästhetisierung der Lebenswelt‘.48
Insofern ist, bei aller Polemik, das von Ruge zusammen mit Echtermeyer im
Rahmen ihrer Abrechnung mit der Romantik gefällte Verdikt über die „Hegeliter“
zumindest der Tendenz nach durchaus treffend:
„Die Althegelianer oder Hegeliter verhalten sich theoretisch-harmlos, zeigen sich aber durch
ihre Zurechtmacherei Göthe’s, Shakspeare’s oder der unfreien empirischen Zustände, so
wie durch ihre absolute Orthodoxie an Hegel’s Autorität, als die Hegelianer mit dem roman-
tischen Zopf, und erleiden zum Theil […] ein förmliches Herausfallen aus dem Himmel der
Philosophie in die confuseste Tradition romantischer Dogmen.“49
48 Vgl. bes.: Rüdiger Bubner, „Mutmaßliche Umstellungen im Verhältnis von Leben und Kunst“,
sowie ders., „Ästhetisierung der Lebenswelt“, in: Ästhetische Erfahrung, Frankfurt/Main 1989,
121–142 und 143–156.
49 E.Th. Echtermeyer und Arnold Ruge, Der Protestantismus und die Romantik, a. a. O. (Anm. 21), 82.
50 Nur Ruge trägt in seiner Neuen Vorschule der Ästhetik Überlegungen zu Problemen der
ästhetischen Systematisierung vor. Allerdings fällt diese bereits 1837 publizierte Schrift in
eine Phase, in der die Auseinandersetzung um die von David Friedrich Strauß aufgeworfenen
christologischen Fragen, die schließlich zur Spaltung der Hegelschule führen sollte, erst gerade
begonnen hatte.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 95
Für die Junghegelianer ist Hegel der Philosoph der Freiheit. Ihrem antimeta-
physischen Impuls entsprechend wird für sie dabei Hegels Deutung der Freiheit
entscheidend, nach der der Geist sich in der Geschichte objektiviert und sich in
dieser Objektivierung selbst erkennt.51 Sie sehen in ihm den Philosophen, der das
seit Kant virulente Problem einer Bestimmung des Verhältnisses von Idee und
Wirklichkeit dadurch gelöst hat, dass er die Vernunft nicht mehr außerhalb der
Wirklichkeit, sondern vielmehr in ihr suchte – und in der Geschichte fand. Deren
Sinn enthüllt sich aber eben, wie Hegel in der Einleitung zu seinen Vorlesungen
über die Philosophie der Geschichte erklärt hatte, wenn sie als ‚Fortschritt im
Bewusstsein der Freiheit‘ bestimmt wird. So werden für die Junghegelianer Fort-
schritt und Freiheit die zentralen Begriffe, die sie im ersten Jahrgang der Hal-
lischen Jahrbücher (1838) – die mit den nachfolgenden Deutschen Jahrbüchern
das ‚Zentralorgan‘ dieser Bewegung bilden – als Grundlage einer umfassenden
Analyse des gegenwärtigen Staates nutzbar machen.
Eigentlich charakteristisch für eine spezifisch junghegelianische Haltung ist
allerdings erst die seit dem zweiten Jahrgang der Jahrbücher (1839) sich mani-
festierende Wendung der ‚Fortschrittlichkeit‘ ins Praktische, die nun durchaus
tendenziöse, agitatorische Züge annehmen kann und prononciert parteilich wird.
D. h. Hegels Philosophie wird als Handlungsanleitung interpretiert. Man verzich-
tet dabei, im Gegensatz zu den Althegelianern, auf den Versuch, das Denken
eines Subjekts zu dokumentieren und literarische Eleganz zu verbreiten. Statt-
dessen sucht man nach Schlagworten, eingängigen Kontrastierungen und stellt
das eigene Schaffen ganz in den Dienst eines allgemeinen gesellschaftlichen bzw.
politischen Ideals – sei dies ein Humanismus, ein ‚wahrer‘ Sozialismus, ein sich
allmählich herausbildender Kommunismus oder, wie bei Ruge, ein demokrati-
scher Aktivismus.52
Dieser Impuls wird auch hinsichtlich der Kunst geltend gemacht. Während
die Althegelianer dazu tendieren, Hegels Bestimmung des Absoluten Geistes zu
subjektivieren und zu psychologisieren, tendieren die Junghegelianer dazu, ihn
radikal zu historisieren. Daher kommt in ihren Reflexionen selbst dort, wo es
um eine Bestimmung der Kunst geht, Hegels Ästhetik im engeren Sinne keine
nennenswerte Bedeutung zu. Der zentrale Bezugspunkt ihrer Überlegungen
bleibt vielmehr auch hier seine Geschichtsphilosophie. Für das junghegeliani-
sche Kunstverständnis ist es dementsprechend charakteristisch, dass anstelle
einer metaphysisch basierten Reflexion systematischer Fragen ein anderes
51 „Die Idee ist die diesseitige Wahrheit, der immanente Gott, der sich als Selbstbewusstsein
offenbart.“ (Deutsche Jahrbücher [1841], Sp. 609.)
52 Vgl. J. Hermand, „Der deutsche Vormärz“, a. a. O. (Anm. 6), 186 f.
96 Bernadette Collenberg-Plotnikov
53 E.Th. Echtermeyer und A. Ruge, Der Protestantismus und die Romantik, a. a. O. (Anm. 21), 22.
54 Dem Dichter wird daher nur ungern das Recht eingeräumt, „willkürlich zu zeichnen; er soll
von seinem Rechte, frei zu bilden, lassen, und vielmehr abbilden“ (A. Ruge, „Süden und Norden“,
in: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst [1842], Sp. 967.) – Zur Abbildungsfunktion
der Kunst bei den Junghegelianern vgl.: I. Pepperle, Junghegelianische Geschichtsphilosophie und
Kunsttheorie, a. a. O. (Anm. 6), bes. 149–152.
55 A. Ruge, „Vorwort“, in: Deutsche Jahrbücher (1841), 1.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 97
Daher lassen auch die Junghegelianer Hegels These vom Ende der Kunst in
der Gegenwart nicht gelten.56 Kunst ist ihrer Auffassung nach – in dieser Hinsicht
in Eintracht mit den Althegelianern – auch in der Moderne noch eine ebenso
zureichende Weise der Selbstreflexion wie die Wissenschaft. Entsprechend
werden die beiden Organe der Junghegelianer, die Hallischen und die Deutschen
Jahrbücher, programmatisch im Titel als Zeitschriften „für Wissenschaft und
Kunst“ ausgewiesen. Mit den Althegelianern teilen sie auch die kulturkritische
Interpretation der Hegelschen These und begreifen sie als Diagnose der gegen-
wärtigen Entfremdungsverhältnisse. Sie ziehen aus dieser Diagnose aber völlig
andere Konsequenzen: Ihrer Auffassung nach genügt es nicht, die alltägliche
Prosa in einer autonomen Welt der Kunst und der Innerlichkeit zu verklären, um
sie auf diese Weise erträglicher zu machen. Vielmehr kann und muss die Kunst
ebenso wie die Wissenschaft in einen funktionalen Bezug zur Bewältigung der
sozialen und politischen Aufgaben der Zeit gestellt werden.
Ihre Überzeugungskraft und ihr praktisches Potential schöpft die Kunst aber
nicht aus sich selbst, sondern aus dem ‚richtigen‘ politischen Bewusstsein. So
rühmt Ruge an der Dichtung des Vormärz, die „Opposition“ sei hier „Poesie“
geworden.57 Dass ein solches ‚richtiges‘ Bewusstsein dem Künstler gut ansteht
und aus seinen Werken sprechen muss, wird zum allgemeinen Credo der Junghe-
gelianer, wo sie sich zu Fragen der Kunst äußern. Sie betrachten Kunst als politi-
sches Instrument, durchaus auch als Waffe. Wer diesem Dogma der Jahrbücher,
wie etwa Rosenkranz, nicht huldigt, der wird schon bald vom Kreis der Mitarbei-
ter ausgeschieden.
Man könnte daher das Anliegen einer junghegelianischen Bestimmung der
Kunst weniger als ein philosophisches als ein strategisches Problem bestimmen:
„Gesucht wird eine ästhetische Theorie, die mit der politischen Zielsetzung der
humanistischen Emanzipation vereinbar ist.“58 Letztlich behält aber in der Regel
in der Hierarchie der Kriterien die konsequente politische Parteinahme die Ober-
hand gegenüber der künstlerischen Form: „Mit einem Wort, die politische Frei-
heit, ganz und ohne Abzug, ist die Religion und Poesie unserer Zeit.“59
59 Arnold Ruge, Sämmtliche Werke, 10 Bde., Mannheim 1847 (u. d. T. Gesammelte Schriften),
2
1847–48, Bd. 2, 271.
Die These vom ‚Ende der Kunst‘ als Herausforderung der ästhetischen Reflexion 99
lich Mittel zum möglichst effektiven Transport eines Inhalts. Sie steht damit zwar
nicht neben der Welt, aber eben auch nicht in der Welt. Sie geht vielmehr in ihren
gesellschaftlichen Zwecken, wie sie später von der Soziologie erforscht werden,
und ihren politischen Wirkungsmöglichkeiten auf.
Damit rücken die kunstphilosophischen Entwürfe Hegelianer in die Vor-
geschichte heute aktueller Tendenzen ein: In unseren Tagen wird das Ästheti-
sche wieder als fundamentaleres Prinzip als die Kunst thematisiert. Gegen eine
Erschließung des Ästhetischen von der Kunst aus, wie Hegel sie vertreten hatte,
werden dabei programmatisch Grundbegriffe wie etwa die ‚ästhetische Erfah-
rung‘ und vor allem das ‚Bild‘ geltend gemacht, die Kunst nurmehr als Teil des
Ästhetischen konzipieren – wo die ‚Kunst‘ nicht gleich als logo- und eurozent-
risch belastete „Denkhypothek“60 zu den Akten gelegt wird. An die Stelle seiner
Bestimmung der Kunst als Phänomen sui generis tritt so die Integration der Kunst
in die Welt des Ästhetischen und der Bilder, mit denen die Menschen leben.
Dabei wird nicht nur die Tendenz zur Anthropologisierung und Subjektivierung
des Ästhetischen, wie sie sich etwa bei Hotho abgezeichnet hatte, wieder aufge-
griffen. Das Gleiche gilt auch für die Instrumentalisierung des Ästhetischen für
außerästhetische Zwecke, die nun freilich auch ideologiekritisch oder kulturge-
schichtlich analysiert werden kann.61
Dagegen wäre mit Hegel einzuwenden, dass ohne einen Begriff der Kunst
auch über die Bedeutung des Ästhetischen – etwa in Gestalt der Bilder – für das
menschliche Selbstverständnis nichts auszusagen ist. Diese Schlüsselfunktion
der Kunst gegenüber dem außerkünstlerischen Ästhetischen ergibt sich bei Hegel
aber weniger, wie dies gewöhnlich unterstellt wird, aus einem logo- und eurozen-
tischen Vorurteil, als aus einer Analyse der Weisen des Umgangs mit den Dingen
in einer geschichtlichen Kultur. In der Kunst kommen nämlich nicht einfach
ästhetische Mittel zur Anwendung, sondern in der Kunst ist immer auch thema-
tisiert, reflektiert und der Erkenntnis zugänglich gemacht, was der Sinn dieses
ästhetisch Präsentierten ist. So erscheint etwa Hegels Auffassung nach die Natur
als schön, weil der Mensch die – künstlerische – Erfahrung eines vom Menschen
für den Menschen gestalteten Ästhetischen in die Natur hineinprojiziert. Diese
60 H. Belting, „Mit welchem Bildbegriff wird gestritten?“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 117
(21.5.2001), 9.
61 Innerhalb der empirischen Bildwissenschaften vgl. hierzu im deutschsprachigen Bereich
bes. die bildwissenschaftlichen Ansätze von Hans Belting und Horst Bredekamp (z. B.: H.
Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001; H. Bredekamp,
Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder, 1651–
2001, Berlin 2003).
100 Bernadette Collenberg-Plotnikov
Projektion ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass der Mensch sich in
der Natur wiedererkennen und sie als ‚für ihn‘, erfahren kann.62
Hegel entwickelt den Kunstbegriff zwar als den ästhetischen Grundbegriff.
Dies bedeutet aber keineswegs, dass sich die ästhetische Reflexion auf die Kunst
beschränken muss. Es bedeutet vielmehr, dass die ästhetische Reflexion von
der Kunst ausgehen muss, weil, wie man mit Richard Rorty sagen könnte, das
außerkünstlerische Schöne zum Kunstschönen in einem ‚parasitären‘ Verhältnis
steht.63 Was das außerkünstlerische Ästhetische seiner kulturellen Bedeutung
nach ist, erschließt sich, so Hegel, erst aus der Kunst. Zugleich gewinnt aber das
Künstlerische sein Profil erst durch die Bestimmung seines Zusammenspiels mit
nicht-künstlerischen Aspekten der Kultur.
Wenn es nicht darum gehen soll, angesichts in einer ästhetisierten Lebens-
welt und der heute beschworenen ‚Bilderflut‘ in „die ästhetische Unmündigkeit,
in die Idolatrie zurückzufallen“,64 muss es daher im Anschluss an Hegel darum
gehen, das Ästhetische im Ausgang von der Funktion der Kunst in der Kultur,
nämlich ihrer Bedeutung als Veranschaulichung der ‚Weisheit der Völker‘, zu
erkunden.
62 Vgl. bes. Karsten Berr, Hegels Bestimmung des Naturschönen, phil. Diss. Hagen 2009 (http://
deposit.fernuni-hagen.de/1659/1/Dissertation_Karsten_Berr.pdf [11.3.2013]).
63 Rorty verbindet seine Kritik an der Erkenntnistheorie mit dem Hinweis, dass die nichtnormalen
und existentiellen Diskurse der von ihm so genannten ‚bildenden Philosophie‘, d. h. literarisch-
künstlerischen Formen der ‚Philosophie‘, immer „parasitär“ gegenüber normalen Diskursen
sind. Er bezieht sich dabei auf John Searle und John L. Austin, die die These vertreten, dass
alle fiktiven oder simulierten oder indirekten Weisen des Gebrauchs parasitär in dem Sinn
sind, dass sie logisch die Möglichkeit des ernsthaften, wörtlichen und verbindlichen Gebrauchs
voraussetzen. Vgl. R. Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt/Main
1987, 396.
64 Vgl. Willibald Sauerländer, „Iconic turn? Eine Bitte um Ikonoklasmus“, in: Iconic Turn.
Die neue Macht der Bilder, hg. v. Ch. Maar und H. Burda, Köln 2004, 407–426, hier: 422. – Zur
Kritik der Bildwissenschaft vgl. auch: B. Collenberg-Plotnikov, „Wissenschaftstheoretische
Implikationen des Kunstverständnisses bei Hegel und im Hegelianismus“, in: Kulturpolitik und
Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik, hg. v. U. Franke und A. Gethmann-Siefert,
Hamburg 2005, 65–101; dies.: „Die Funktion der Kunst im Zeitalter der Bilder“, in: Zeitschrift für
Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 50 (2005), 139–153.
Dimitri Liebsch
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie
Forster und Hegel über antike, mittelalterliche und moderne
Kunst
Die italienische Opera seria des 18. Jahrhunderts ist auch und gerade für die
Entwicklung der Da-capo-Arie berühmt geworden. In einer Partitur bedeutet die
Anweisung „da capo“ üblicherweise die Wiederholung eines bestimmten Teils;
und der Ruf „da capo!“ signalisiert Musikern und Sängern, dass den Zuhörern die
Darbietung so gut gefallen hat, dass sie sie wiederholt wissen möchten. Typisch
für die seinerzeit außerordentlich beliebte Da-capo-Arie war eine dreiteilige
Struktur, in der der dritte Teil den ersten Teil wiederholte und dem Solisten die
Möglichkeit gab, durch Verzierungen und Koloraturen zu glänzen. Ich werde im
Folgenden die These vertreten, dass die Verkündigung des Endes der Kunst der
Logik der Da-capo-Arie folgt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht mir
nicht um den Nachweis, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegels These vom Ende
der Kunst ein lebhaftes Echo hervorgerufen und Variationen bis in die jüngere
Philosophie und Kunstgeschichte nach sich gezogen hat.1 Das ist bekannt und
hinreichend dokumentiert. Ich werde vielmehr zeigen, dass von Hegel erst der
dritte Teil der Arie stammt und dass der erste Teil bereits im 18. Jahrhundert von
Georg Forster gesungen wurde.
Das wird in drei Schritten erfolgen. Im ersten Schritt widme ich mich der
These vom Ende der Kunst in Hegels umfassender und systematischer Ästhetik.
Hier wird es zunächst um eine einführende Bestandsaufnahme und dann um die
Beschreibung der für die These konstitutiven Elemente gehen. Der zweite Schritt
entspricht in seiner formalen Struktur dem ersten, erschließt aber inhaltlich die
Antizipation der These durch die Essayistik Forsters. Als dritter Schritt findet sich
ein kurzer Ausblick, der das Ergebnis der Analyse gegen mögliche Einwände zu
verteidigen und zu kontextuieren versucht.
1 Hier wäre beispielsweise an Arthur C. Danto zu denken, der sich seit seinem Essay „The End of
Art“ von 1984 des Öfteren von dieser These anregen ließ, oder an Hans Belting, der ihren Impuls
etwa zeitgleich für eine Standortbestimmung der Kunstgeschichte verwendete; vgl. dazu Danto,
After the End of Art. Contemporary Art and the Pale of History (The A. W. Mellon Lectures in the
Fine Arts, 1995), Princeton (N. J.) 1998, 21–39 und Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine
Revision nach zehn Jahren, München 1995.
102 Dimitri Liebsch
1 Hegel
Wenn man sich mit Hegels These vom Ende der Kunst auseinandersetzt, begeg-
net man einer Reihe von Problemen. Zwar gilt diese berühmt-berüchtigte These
als Kulminationspunkt der Hegelschen Ästhetik und wird auch als wesentlicher
Grund für deren andauernde Aktualität gehandelt.2 Ungeachtet der offenkundi-
gen Relevanz, die die These in der Rezeption beansprucht, lässt sich aber bei
Hegel selbst nirgends eine explizite Rede vom Ende der Kunst nachweisen. Hier
liegt das erste Problem. Schon in den zeitgenössischen Reaktionen wurde dement-
sprechend einerseits die Rede vom Ende der Kunst den Hegelianern zugeschrie-
ben und andererseits Hegel vorgeworfen, dieser Rede – oder eher: diesem Gerede
– unwillentlich Vorschub geleistet zu haben. So bemerkte Christian Hermann
Weiße anlässlich der Druckfassung der Hegelschen Ästhetik, die Hegels Schüler
Heinrich Gustav Hotho zwischen 1835 und 1838 besorgte: „Darum haben wir es
geschehen sehen, daß eine Zeitlang Hegel’s Anhänger (unter diesen, lauter viel-
leicht als irgend ein anderer, auch der Herausgeber der gegenwärtigen Vorlesun-
gen) die Behauptung aufstellten und verfochten, mit der Kunst sei es gegenwärtig
zu Ende, und auf alle Zeiten hin nie wieder ein neues Blüthenalter derselben zu
erwarten. Dies kann nun freilich, nach dem Inhalte der gegenwärtigen Vorlesun-
gen zu urtheilen, trotz der ziemlich doppelsinnig lautenden Aeußerung Bd. I. S.
135, Hegel’s eigene Meinung nicht wohl gewesen sein“.3
Mit etwas Willen zum Paradox lässt sich ferner behaupten, dass der Hegel-
schen These vom Ende der Kunst nicht allein die Rede vom Ende fehlt, sondern
auch die These. Es findet sich – das ist das zweite Problem – keine bündig for-
mulierte These, die offen zu Tage läge und die nur zitiert werden bräuchte.
Vielmehr ist für sie Konstruktionsarbeit erforderlich, und das Material für eine
derartige Arbeit muss aus Hegels Ästhetik zusammengesucht werden. Wo nach
2 Vgl. dazu Dae-Joong Kwon, Das Ende der Kunst. Analyse und Kritik der Voraussetzungen von
Hegels These, Würzburg 2004, 11 f.; Annemarie Gethmann-Siefert, „Eine Diskussion ohne Ende:
Zu Hegels These vom Ende der Kunst“, in: Hegel-Studien 16 (1981), 230–243; hier: 235 ff.; Dieter
Henrich, „Die Aktualität von Hegels Ästhetik“, in: ders.: Fixpunkte. Abhandlungen und Essays zur
Theorie der Kunst, Frankfurt/Main 2003, 156–162.
3 Christian Hermann Weiße, „H. G. Hotho ‚Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über
Aesthetik‘ (Fortsetzung)“, in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Kritiken,
Charakteristiken, Correspondenzen, Uebersichten (3. September 1838, Nr. 211), 1681–1688; hier:
1682. – In der von Weiße beanstandeten Äußerung spricht Hegel sowohl die Möglichkeit eines
(weiteren) Fortschritts in der Kunst als auch einen bereits eingetretenen Bedeutungsverlust an.
Sie lautet: „Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde,
aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu seyn.“ (W 10, 1, 135)
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 103
4 Christoph Jamme, „Hegels Satz vom Ende der Kunst“, in: Poetische Autonomie? Zur
Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins, hg. v. H.
Bachmaier und Th. Rentsch, Stuttgart 1987, 273–286; hier: 277 f.
5 Vgl. Henrich, „Die Aktualität von Hegels Ästhetik“, a. a. O. (Anm. 2), 156 f.
104 Dimitri Liebsch
a) Vergangenheits-Charakter der Kunst. Wenn Hegels ‚These vom Ende der Kunst‘
nun „nirgends als solche“ auftritt, wie beispielsweise Gabriele Baptist moniert,7
wird man fragen müssen: In welcher Weise wird sie dann überhaupt greifbar?
Ersten Aufschluss bieten hier jene Aussagen Hegels, die in der Forschung gemein-
hin als Aussagen zum Vergangenheits-Charakter der Kunst verstanden werden. So
weist Hegel darauf hin, dass es ein „Nach“ der Kunst gebe.8 Auch in Anbetracht
der intensiven Auseinandersetzung, die er in seinen Vorlesungen gerade jüngerer
und jüngster Kunst angedeihen lässt, wäre allerdings die Vermutung abstrus, dass
in seinen Augen die Kunst in einem wörtlichen Sinne schon an ihr Ende gekom-
men sei und es daher in der Moderne de facto keine Kunst mehr geben könnte.
Gemeint ist offenkundig etwas anderes, wie sich mit folgender Passage belegen
lässt: „Die höchste Bestimmung der Kunst ist im ganzen für uns ein Vergangenes,
sie hat nicht mehr die Wirklichkeit und Unmittelbarkeit, als sie in ihrer höchsten
Weise existierte.“9 Mit Hegel muss man demnach zum einen verschiedene Modi
der Kunst annehmen, nämlich höhere und niedrigere; und zum anderen muss
man davon ausgehen, dass es Kunst in der Moderne zwar durchaus noch gibt, es
sich dabei aber im Vergleich zu früher um einen inferioren Modus handelt.
Hegel belässt es nicht dabei, den gegenwärtigen Modus der Kunst einem nur
vage konturierten früheren unterzuordnen, sondern benennt konkret, wann das
6 Zitate aus der Druckfassung folgen dabei der dreibändigen Ausgabe der Vorlesungen über die
Ästhetik in der TWA. Die Vorlesungs-Mitschriften werden nach den jeweiligen Einzelausgaben
und – der Übersichtlichkeit halber – unter dem Namen des Schreibers aufgeführt.
7 Gabriella Baptist, „[Rezension zu] Eva Geulen: Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts
nach Hegel“, in: Hegel-Studien 38 (2003), 227–230; hier: 227.
8 TWA 13, 141. – Vgl. Karol Libelt, „Hegels Vorlesung über Ästhetik 1828/29 (Einleitung)“, in:
Jahrbuch für Hegelforschung 10/11 (2004/2005), 49–85; hier: 77: „Die Kunst hat auch ein Nach.“
9 Hegel, Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826 [Nachschrift: P. von der Pfordten], hg. v. A.
Gethmann-Siefert, J.-I. Kwon und K. Berr, Frankfurt/Main 2005, 54. – Vgl. TWA 13, 25.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 105
Optimum der Kunst historisch realisiert gewesen sein soll. Er lokalisiert es in der
vorchristlichen – von ihm auch als „klassisch“ bezeichneten – Kunst und dort vor
allem in der Kunst der griechischen Antike.10 Im Verein mit seinem auf diese klas-
sische Kunst gemünzten Credo „Schöneres kann nicht sein und werden“11 drängt
sich nun die Vermutung auf, Hegel zufolge würde gegenwärtig schlicht schlech-
tere Kunst produziert als in der griechischen Antike. Mit den unterschiedlichen
Modi der Kunst wäre demnach nur die unterschiedliche Qualität oder Güte von
(beispielsweise) antiken und modernen Kunstwerken angesprochen. Aber selbst
wenn Hegel dieser Vermutung Vorschub leistet, worüber sich ja schon der Zeitge-
nosse Weiße beschwerte, so ist sie keineswegs die ganze Wahrheit.
Hegels unterschiedliche Modi der Kunst lassen sich nämlich nicht vollstän-
dig auf einen internen Vergleich zurückführen, der lediglich Werke miteinan-
der in Beziehung setzte. Für Hegel ist vielmehr relevant, welche Rolle die Kunst
jeweils in ihrer Zeit übernehmen kann; und um das beurteilen zu können, ist
auch die Berücksichtigung von Relata notwendig, die der Kunst extern sind. Ihm
zufolge hat die Kunst in der griechischen Antike eine eminente Rolle überneh-
men können. Sie hat ihre Zeit geprägt. Mit dem Blick auf seine eigene Zeit konsta-
tiert Hegel demgegenüber, dass dies nicht mehr der Fall und „unsere Gegenwart
ihrem allgemeinen Zustande nach der Kunst nicht günstig“ sei.12
Kurz, Hegels Behauptung, man befinde sich in einem „Nach“ der Kunst,
bezweifelt weder die Existenz von moderner Kunst noch beruht sie ausschließlich
auf einem negativen Urteil über die Qualität moderner Kunstwerke. Vielmehr the-
matisiert sie, wie im Weiteren noch detailliert auszuführen sein wird, vor allem
die – im Vergleich zur antiken griechischen Kunst – inferiore Rolle der modernen
Kunst.
b) Verhältnis der Kunst zu Religion und Philosophie. Worin liegt nun der Unter-
schied zwischen der Rolle antiker und moderner Kunst? Die Antwort darauf
lässt sich mit Blick auf Hegels Konzeption des absoluten Geistes entwickeln, in
der Kunst, Religion und Philosophie in aufsteigender Folge als Bestandteile des
absoluten Geistes begriffen werden. Dieser Konzeption zufolge gilt: „Die höchste
Bestimmung hat die Kunst, um den Gedanken aussprechen zu können, gemein
mit der Religion und Philosophie, [sie] ist wie diese beiden eine Art und Weise,
10 TWA 13, 140 f. – Vgl. Hegel, Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826.
Mitschrift Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hg. v. A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-
Plotnikov, München 2004, 133.
11 TWA 14, 128. – Vgl. V 2 (Hotho 1823), 179.
12 TWA 13, 25. – Vgl. von der Pfordten, a. a. O. (Anm. 9), 54.
106 Dimitri Liebsch
das Göttliche, die höchsten Forderungen des Geistes auszusprechen und zum
Bewusstsein zu bringen.“13 Nach Hegel besteht also die wichtigste Funktion der
Kunst darin, wie Religion und Philosophie einen metaphysischen Gehalt zum
Ausdruck zu bringen. Stellt man allerdings in Rechnung, dass es etwa sakrale
Kunst auch in der Moderne gibt, ist nicht einzusehen, weshalb die moderne
Kunst dieser Funktion verlustig gegangen und gegenüber der antiken Kunst ins
Hintertreffen geraten sein soll. Wie die weitere Lektüre zeigt, ist für Hegel nicht
allein entscheidend, welche Funktion die Kunst hat oder haben kann, sondern
wie sie sich dabei gegenüber ihren beiden Konkurrenten Religion und Philoso-
phie positioniert. So weist Hegel darauf hin, dass diese zwei (mittlerweile) den
metaphysischen Gehalt auf eine angemessenere Weise zum Ausdruck brächten
als die Kunst: „Von solcher Art ist die christliche Auffassung der Wahrheit, und
vor allem erscheint der Geist unserer heutigen Welt, oder näher unserer Religion
und Vernunftbildung, als über die Stufe hinaus, auf welcher die Kunst die höchste
Weise ausmacht, sich des Absoluten bewußt zu sein.“14 Die moderne Kunst hat
demnach keine eminente Rolle mehr inne, weil sie sie an die Philosophie und
Religion verloren hat. Für die Rolle der antiken Kunst indes verwendet Hegel
das Bild der „ersten Lehrerin der Völker“.15 Das Adjektiv „erste“ muss man dabei
sowohl ernst nehmen als auch in einem zeitlichen Sinne verstehen. Nach dieser
Lehrerin kommen in Hegels Augen andere: Religion und Philosophie.16
c) Sinnlichkeit. Sucht man nach dem Grund, weshalb die Kunst innerhalb dieser
Hierarchie nur die unterste Stufe einnehmen soll, so wird man beim Verhältnis
der drei Bestandteile des absoluten Geistes zur Sinnlichkeit fündig. Auf eine
einfache Formel gebracht: Kunst hat für Hegel zwar Teil am Geist – sie ist aber
nicht nur Geist, sondern sie ist auch sinnlich. Zu präzisieren ist dabei, dass sich
Sinnlichkeit bei Hegel nicht in den äußeren Sinnen (wie Gehör oder Gesicht)
erschöpft, sondern auch mit jenen sogenannten inneren Sinnen teils identifi-
ziert, teils unmittelbar assoziiert wird, die die ältere Vermögenslehre noch als
d) Strukturelle Tendenzen der modernen Kunst. Da die ‚These vom Ende der Kunst‘
keineswegs wörtlich zu verstehen ist, muss noch geklärt werden, welche Optio-
nen nach Hegels ‚These‘ für die Produktion von Kunstwerken in der Gegenwart
und Zukunft tatsächlich noch bestehen. Dass die Kunst ihre „höchste Bestim-
mung“ bereits hinter sich haben soll, verheißt dabei zunächst nichts Gutes; und
in der Tat lokalisiert er in der gegenwärtigen Produktion zwei miteinander verwo-
bene Tendenzen, die zumindest als ambivalent zu werten sind.
Als erste Tendenz macht Hegel in der jüngeren Kunst eine immense Aus-
weitung des Gegenstandsbereiches aus, die sich mit dem „Begriff eigentlicher
Kunstwerke im Sinne des Ideals“ nicht mehr verträgt.21 Annähernd alles, auch
das „Prosaische“, könne nun Objekt der künstlerischen Darstellung werden:
„Die Gegenstände der Kunst sind hier ganz unbegrenzt“.22 Als prominente – und
oftmals auch positiv bewertete – Beispiele für diese Tendenz dienen Hegel die
Stillleben und Genrebilder der Niederländer. Generell sieht er in dieser Tendenz
die Gefahr, dass die Kunst zur kruden Nachahmung der Natur herabsinken und
damit aufhören könnte, Geist zu sein.23 Um diese Gefahr zu vermeiden und ihr
zum Trotz noch Kunstwerke im emphatischen Sinne herstellen zu können, ist
nach Hegel ein Produzent gefordert, der den prosaischen Gegenstand durch sein
Können und seine Manier aufzuwerten versteht – und damit ist bereits indirekt
die zweite Tendenz angesprochen. Sie findet sich in der Emanzipation des Künst-
lers vom Stoff. Diese Tendenz ist jedoch ebenfalls zwiespältig, weil sie das Risiko
birgt, „daß im Stoff kein Gehalt mehr respektiert wird und [dieser] von der Willkür
des Subjekts verwendet und eigentlich verrückt wird.“24
In der modernen gegenwärtigen Kunst, in der entwickelten – wie Hegel sie
nennt – „romantischen Kunstform“ sieht er also einerseits eine Öffnung für neue
Themen und eine Aufwertung des Künstlers. Andererseits befürchtet er aber ein
Abgleiten der Kunst ins Prosaische und in eine (ge-)haltlose Subjektivität.
21 TWA 14, 223. – Vgl. von der Pfordten, a. a. O. (Anm. 9), 171.
22 Hier und im Folgenden von der Pfordten, a. a. O. (Anm. 9), 171 f. – Vgl. TWA 14, 222 f.
23 Vgl. von Kehler, a. a. O. (Anm. 10), 151 und TWA 14, 226 f.
24 V 2 (Hotho 1823), 202. – Vgl. TWA 14, 230 f.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 109
2 Forster
Wie die Hegel-Forschung dokumentiert, hat Hegel Forster intensiv gelesen. Um
nur einige Beispiele zu nennen: Schon Herman Nohl konstatierte 1907 in seiner
Ausgabe von Hegels theologische Jugendschriften, dass Hegel aus Forsters Ansich-
ten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im
April, Mai und Junius 1790 weit auseinander liegende Passagen exzerpiert hat; dies
lässt auf eine mehr als flüchtige Lektüre schließen.28 (Wichtig für das Folgende ist
diese Beobachtung vor allem deshalb, weil es sich bei Ansichten vom Niederrhein
um ein zentrales Dokument der Forsterschen Ästhetik handelt. In die zwischen
1790 und 1794 publizierte Reisebeschreibung sind des Öfteren Bemerkungen zur
Kunst, ja sogar ganze Essays zu ästhetischen Fragen eingestreut.) Jacques d’Hondt
wies in den 1960er Jahren nicht nur allgemein auf Forster als einen Autor hin,
dessen Arbeiten Hegels Denkweise „so weitgehend und so beständig“ beeinflusst
haben.29 Vielmehr konnte er auch im besonderen Fall, nämlich in Bezug auf das
Verständnis christlicher Kunst, eine so weitgehende und bis in den Wortlaut rei-
chende Übereinstimmung zwischen beiden Autoren herausarbeiten, dass er sich
zu dem Credo veranlasst sah: „Hegel disciple de Forster!“30 Jamme schließlich
attestierte vor allem dem jungen Hegel, von Forster gelernt zu haben, und erkannte
Parallelen zwischen Hegels Tübinger Fragment und Forsters Essay Die Kunst und
das Zeitalter31 – einem Essay, den Friedrich Schiller 1789 in seine Zeitschrift Thalia
ebenso aufnahm wie wenig später ein Stück aus Ansichten vom Niederrhein.
Wechselt man die Perspektive und wendet sich von der Hegel- zur Forster-
Forschung, so fällt auf, dass hier Forsters Spuren in den Arbeiten Hegels weniger
Beachtung gefunden haben. Immerhin bemerkte jedoch Ludwig Uhlig schon
1965: „Und mit der Vorstellung von der historischen Abfolge von Kunst und Wis-
senschaft, die damit bestimmten Zeitaltern als jeweils eigentlicher Ausdruck
ihres Wesens zugeordnet werden, greift Forster Hegel vor.“32
Weshalb es zu Forsters Antizipation der Hegelschen ‚These vom Ende der
Kunst‘ bislang keine konkrete Untersuchung gibt, obwohl es sich dabei weder
für die Erforschung der ‚These‘ noch für diejenige der Forsterschen Ästhetik um
ein Marginalie handelt, lässt sich meines Erachtens vor allem auf drei Gründe
zurückführen. Erstens leidet die Forschung zu Forster offenbar immer noch unter
der Erblast der älteren, nationalistischen Geisteswissenschaften, die Forster in
28 Vgl. G. W. F. Hegel, Theologische Jugendschriften, hg. v. H. Nohl, Tübingen 1907, 366 f. – Dieser
Befund ist durch die Kommentare in den Gesammelten Werke Hegels mittlerweile bestätigt
worden; vgl. GW 1, 625, 636 und GW 3, 217 f.
29 Jacques d’Hondt, Hegel secret. Recherches sur les sources cachées de la pensée de Hegel, Paris
1968; dt. Verborgene Quellen des Hegelschen Denkens, Berlin 21983, 16.
30 Jacques d’Hondt, „Meurtre dans la cathedrale. La signification de l’art chretien selon Forster
et Hegel“, in: Revue d’esthétique 6 (1963), 261–289; hier: 261.
31 Christoph Jamme, „Hegel und Mainz“, in: Mainz – ‚Centralort des Reiches‘. Politik, Literatur
und Philosophie im Umbruch der Revolutionszeit, hg. v. Ch. Jamme und O. Pöggeler, Stuttgart
1986, 282–294; hier: 285.
32 Ludwig Uhlig, Georg Forster. Einheit und Mannigfaltigkeit in seiner geistigen Welt, Tübingen
1965, 132.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 111
Deutschland nach seiner Parteinahme für das revolutionäre Frankreich ins aka-
demische Abseits manövrierten. (Dazu passt, dass der für eine solche konkrete
Untersuchung bisher wichtigste und ergiebigste Beitrag aus Frankreich stammt.
Hierbei handelt es sich um die schon erwähnte Arbeit d’Hondts zur christlichen
Kunst und zu ihrer Rezeption bei Forster und Hegel.) Zweitens lässt sich anfüh-
ren, dass die im 20. Jahrhundert einsetzende Forster-Renaissance lange Zeit die
Zielsetzung verfolgt hat, vor allem den politischen Denker Forster zu entdecken;
und dabei stand seine Ästhetik natürlich nicht im Vordergrund. Drittens schließ-
lich ist die Bemerkung Uhligs, Hegels Position werde bei Forster antizipiert, als
unzutreffend kritisiert worden. So hat Michael Ewert im Anschluss an Gerhart
Pickerodt die Behauptung vertreten, dass in Forsters Augen nicht die Wissen-
schaft im allgemeinen, sondern lediglich ihre „Ausprägung unter feudal-abso-
lutistischen Verhältnissen“ der Kunst abträglich sei: „Da für Forster die Kunst
nicht per se durch die Wissenschaft in ihrer Entfaltung gehemmt wird, sondern
durch deren spezifisch-historische Form, kann sein Entwurf nicht als Vorgriff auf
Hegels Konzeption vom Ende der Kunst angesehen werden.“33
Ich werde im Folgenden Hegels Lektüren nachgehen und daher insbesondere
Forsters Die Kunst und das Zeitalter und Ansichten vom Niederrhein analysieren.
Es geht mir dabei nicht um eine umfassende Darstellung von Forsters Ästhetik,
sondern nur um eine Sichtung jener Elemente, die sich rund 30 Jahre später auch
für Hegels ‚These vom Ende der Kunst‘ noch als konstitutiv erweisen sollten. Im
Zusammenhang damit werde ich zeigen, inwiefern Uhligs Intuition in der Tat
zutreffend gewesen und Ewerts Kritik zurückzuweisen ist.
33 Michael Ewert, ‚Vernunft, Gefühl und Phantasie, im schönsten Tanze vereint‘. Die Essayistik
Georg Forsters, Würzburg 1993, 195. – Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieser dritte Grund
als eine Spielart des zweiten. Um den ‚revolutionären‘ Theoretiker Forster vom ‚bürgerlichen‘
Theoretiker Hegel abgrenzen zu können, machen Ewert und Pickerodt in Die Kunst und das
Zeitalter das politische Motiv – genauer: die Kritik am Absolutismus – stark. Dass es sich dabei
freilich nicht um das einzige Motiv, geschweige denn um die Grundlage der Forsterschen Ästhetik
handelt, wird im Weiteren noch deutlich werden.
34 Georg Forster, „Die Kunst und das Zeitalter“, in: Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher,
Briefe, Berlin 1958 ff., hg. v. der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (im Folgenden
zitiert als FW mit der Bandzahl), Bd. 7, 15–26; hier: 25.
112 Dimitri Liebsch
Zeitalter der Kunst vergangen, und Forsters Zeit nicht mehr die Zeit der Kunst. Aber
auch hier gilt, dass der Autor keineswegs die Kunst de facto an ihr Ende gekommen
sieht. Forster ist über die Existenz zeitgenössischer Kunst bestens informiert, was
sich außer durch die beiden bereits erwähnten Texte auch anhand seiner Arbeiten
für Johann Wilhelm von Archenholz’ Annalen der britischen Geschichte belegen
lässt; für diese berichtete er über mehrere Jahre hinweg – und sowohl vor als auch
nach der Publikation von Die Kunst und das Zeitalter – ausführlich über die aktuel-
len Tendenzen in der Kunst, und keineswegs nur in der britischen.
Unbeschadet des manifesten Interesses an der zeitgenössischen Kunst sieht
Forster in der griechischen Antike den Ort, an dem sich das Optimum der Kunst,
die „höchste Vollkommenheit des Ideals“, realisiert hat35. Sie lässt im wahrsten
Sinne des Wortes alle anderen Modi der Kunst neben sich schlecht aussehen:
„Jede Abweichung von dem Ebenmaas, welches Polyklet in seinem Kanon oder
Parrhasius als anerkannter Gesetzgeber der Malerey gebot, jeder ungriechische
Ausdruck der Köpfe, jede Gestalt, die nicht ihren Karakter, ihre Harmonie von
einer griechischen Gottheit entlehnt, sinkt unverzüglich in die Region der Verun-
staltung hinab.“36
Forsters Gegenüberstellung von antiker und moderner Kunst diagnostiziert
jedoch ebenfalls nicht nur eine Differenz zwischen den Werken, wie wiederum
insbesondere an den Beschreibungen deutlich wird, die er den unterschiedlichen
Rollen der Kunst widmet. Die Kunst der griechischen Antike leistet nach Forster
weitaus mehr, als lediglich dekorative Aufgaben zu übernehmen. Er attestiert ihr,
eine integrale Rolle innegehabt zu haben, die ästhetische, moralische, politische
und religiöse Funktionen bündelte. So führt er mit Emphase zu den Meisterwer-
ken der antiken Kunst aus, dass sie, die „mit dem Enthusiasmus der Vaterlands-
liebe und Vaterlandsehre zum Genuß und zur Erweckung Aller gebildet, das
ganze Volk mit Ahndung des Sittlichschönen, mit edler Ruhmbegierde, mit dem
Feuereifer für das Wohl des Staats, mit dem frohen Gemisch von Ehrfurcht und
Vertrauen zu seinen menschenähnlichen Göttern erfüllten“.37
Eine vergleichbare integrale Rolle für die Kunst der Gegenwart nimmt Forster
bezeichnenderweise nicht an. An seiner eigenen Epoche hebt er in Bezug auf
die Kunst vor allem eines hervor, nämlich den „Streit des Zeitalters mit den
Künstlern“.38
35 Ebd., 15.
36 Ebd.
37 Ebd., 23.
38 Ebd., 16.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 113
b) Verhältnis der Kunst zu Religion und Philosophie. Bei Forster findet sich keine
elaborierte Konzeption eines Geistes, der Kunst, Religion und Philosophie zusam-
menschlösse. Dennoch begreift auch er die Kunst – und ihre sich wandelnde
Rolle – gerade im Zusammenhang mit sowie in Konkurrenz zu Religion und Phi-
losophie oder Wissenschaft.39 Dass sich Forster das Verhältnis der antiken Kunst
zur Religion als inspirierend und kooperativ vorstellt, ist bereits oben angeris-
sen worden. Zum analog gedachten Verhältnis zu Philosophie und Wissenschaft
führt er aus: „Die Kunst ward die Pflegerin der Wissenschaft. Das schöne Eben-
maas ihrer Bilder erzeugte jene abgezogenen Begriffe, mit denen der Mensch das
Sinnenall umfasste und bald auch die unabsehbaren Gefilde der intellektuellen
Sittenwelt durchdrang.“40 Demzufolge handelt es sich also auch bei dem Verhält-
nis zwischen antiker Kunst und antiker Wissenschaft um ein harmonisches Ver-
hältnis. Nach Forster ist es offenbar durch eine Balance von Vernunft und Sinn-
lichkeit geprägt gewesen, worüber noch mehr zu sagen sein wird.
Wie Hegel vergleicht Forster dabei die Kunst explizit mit einer Lehrerin,
die ihre Aufgabe an andere verliert und abgibt. Für diesen Vergleich lehnt sich
Forster an die griechische Mythologie an. Ihr zufolge verließ Asträa, die Göttin
und/oder Verkörperung der Gerechtigkeit, am Ende des goldenen Zeitalters die
Erde. Bei Forster heißt es: „Wie Asträens Sendung an die Menschheit vollen-
det war, sobald die blinde Gerechtigkeit mit Wage und Schwert vor dem dürren
Wort des Gesetzes im Richtstuhl saß, so war auch die erhabene Bestimmung
der Kunst, die Lehrerin und Bildnerin der Menschen zu seyn, in jenem Augen-
blick erfüllt, da die Philosophie dieses Lehramt übernahm.“41 (Spätestens in
diesem Zusammenhang lässt sich die erwähnte Interpretation Ewerts direkt
widerlegen.42 Wäre es Forster tatsächlich nur um die Konkurrenz zwischen einer
besonderen Form der Philosophie, nämlich „unter feudal-absolutistischen Ver-
hältnissen“, und der Kunst zu tun gewesen, müsste man in diesem Vergleich
erstens einen Hinweis auf eine besondere, eine politisch beeinträchtigte Philo-
sophie finden. Das ist aber nicht der Fall – es geht schlicht um die Philosophie.
Zweitens müsste man mit Ewert außerdem erwarten, dass jener „Augenblick“,
in dem Philosophie die Aufgabe der Kunst übernimmt, in die frühe Neuzeit fiele;
bei jeder anderen Epoche wäre der Rekurs auf den Absolutismus unangebracht.
Das ist aber ebenfalls nicht der Fall – die einzige Zeitangabe in diesem Zusam-
menhang lässt sich aus Forsters Hinweis auf die „Brandstätten Latiums“ ablei-
ten.43 Mit diesem Hinweis auf die römischen Begräbnisriten befinden wir uns
aber historisch noch längst nicht in der Neuzeit, sondern nur in der ‚nachgrie-
chischen‘ Antike.)
Gegen Ewert muss man also auch bei Forster von einem grundsätzlichen
Gegensatz zwischen Kunst und Wissenschaft bzw. Philosophie ausgehen. Inwie-
weit dieser Gegensatz das Verhältnis zur Religion berührt, wird bei einer genaue-
ren Auseinandersetzung mit der Frage der Sinnlichkeit deutlich werden.
43 Forster, FW 7, 22.
44 Vgl. besonders ebd., 21.
45 Ebd., 25.
46 Vgl. ebd., 20, 25.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 115
findet diese Ambivalenz dort, wo Forster das Ende der sinnlichen Religion(en)
beschreibt. Trotz der Klage darüber, dass mit diesem Ende auch die Kunst ihre
integrale Rolle verliert, begrüßt er die mit dem Christentum einsetzende Ent-
wicklung: „Doch hinweg mit diesen Spielen der Phantasie, aus dem Jugendalter
der Menschheit; hinweg mit jedem kindischen Versuch, den reinen Vernunftbe-
grif in sinnliche Symbole zu bilden. Seitdem den Völkern der vier Welttheile die
hohe Offenbarung: Gott ist ein Geist! gepredigt wird, entweiht ein Bild die heilige
Stätte, wo man reingeistiges Urwesen verehrt.“47
Forster zufolge wird die Sinnlichkeit (und insbesondere die für die Kunst) auf
dem Weg in die Moderne also entwertet – und auch bei ihm ist eine der Philoso-
phie affine Religion ein entscheidender Faktor in dieser Entwicklung.
d) Strukturelle Tendenzen der modernen Kunst. Geht man der Frage nach, wie
in Forsters Augen die gegenwärtige Kunstproduktion beschaffen ist, so zeigen
sich teils schon in Die Kunst und das Zeitalter, deutlicher aber noch in Ansichten
vom Niederrhein mehrere einander überschneidende Gründe, weshalb er in der
modernen Kunst mit zunehmender Diversifikation rechnet. Forster beschreibt die
– ihm zufolge unüberbietbare – antike Schönheit des Ideals als eine Synthese aus
einfachen, individuellen Schönheiten. Als Muster dafür dient ihm jene berühmt-
berüchtigte Anekdote über Zeuxis, der sich für das Bild einer Göttin nicht an
einem einzelnen Modell orientierte, sondern aus einer Vielzahl von Modellen
jeweils die schönsten Körperteile aussuchte und daraus eine höhere Schönheit
quasi montierte.48 Da die Schönheit des Ideals für Forster in der Moderne ihre
Verbindlichkeit verliert, so ist zwangsläufig mit einer „Mannichfaltigkeit des
Individuellen“ in der Kunstproduktion zu rechnen49. Das ist der entscheidende
Grund, den Forster für die Diversifikation der Kunst in der Moderne namhaft
macht. In Verbindung mit ihm verzeichnet er auch eine Zunahme von subjektiven
Darstellungsstilen sowie eine allgemeine Ausweitung des Bereiches kunstfähiger
Gegenstände, wobei er wie später Hegel dieser Entwicklung eine gewisse Skepsis
entgegen bringt und in ihr ebenfalls eine Abweichung vom ‚Eigentlichen‘ lokali-
siert: „Eine unausbleibliche Folge dieser Verrückung des eigentlichen Kunstziels
47 Ebd., 25.
48 Vgl. ebd., 19.
49 Forster, Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich
im April, Mai und Junius 1790, FW 9, 68. – In den bereits erwähnten Arbeiten für Archenholz’
Annalen baut Foster die Überlegungen zur individuellen Schönheit aus. Mit Blick auf die
italienische Malerei und die englische Literatur entstehen dabei Ansätze zu einer (realistischen)
Ästhetik des „Wahren“ und „Interessanten“; vgl. Forster: „Geschichte der Kunst in England. Vom
Jahre 1789“, in: FW 7, 111–162; hier: 132 f.
116 Dimitri Liebsch
e) Thema der modernen Kunst. Trotz dieser Auffächerung vermag Forster ein zen-
trales, ein verbindliches Thema in der modernen Kunst auszumachen. Dazu sei
eine längere Passage aus Ansichten vom Niederrhein zitiert, die die Frage nach
diesem Thema in eine Reihe von grundsätzlichen Überlegungen einbindet. Im
Einzelnen handelt es sich dabei um folgende: Erstens verweist diese Passage
auf den Kontrast zwischen dem vergangenen, noch kultischen Umgang mit der
Kunst und dem gegenwärtigen ästhetischen. Zweitens registriert sie den Über-
gang vom göttlichen zum menschlichen Sujet der Kunst. Drittens schreibt sie
zwar die Überlegenheit der antiken Kunst fest, reklamiert aber, ausgehend von
der historischen Gebundenheit von Kunstformen, für die moderne Kunst ein
Anrecht auf Eigenständigkeit. Überdies ist sie aufschlussreich, weil sie nicht
allein sachlich, sondern bis in eine signifikante sprachliche Wendung hinein
bei Hegel ein hörbares Echo ausgelöst hat: „Der Anblick der bloßen Schönheit,
ohne einiges Interesse, ermüdet den großen Haufen der Künstler und Kenner,
die nicht mehr das Knie vor ihr beugen, ihr huldigen und Schutz und Gaben von
ihr erflehen. Die idealisirten Götter und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen
von bestimmtem und individuellem Charakter, Menschen durch herrschende
Leidenschaften und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihrer Stelle getreten. Die
Kunst musste also ihrem ersten, wahren Endzweck, der Darstellung des Idea-
lischschönen, ungetreu werden, oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und auf
alle Herrschaft über die Gemüther Verzicht thun. Das Letzte wäre nur in dem
Einen Falle möglich gewesen, wenn der Geist des Zeitalters nicht auf den Künst-
ler gewirkt hätte“.51
Was die signifikante sprachliche Wendung betrifft: Wie oben gezeigt, lässt
sich der Topos vom ‚Knie Beugen‘ nicht erst in der posthum veröffentlichten
Ausgabe der Hegelschen Ästhetik nachweisen, sondern beispielsweise in den
50 Forster, FW 9, 69.
51 Ebd., 67.
Das ‚Ende der Kunst‘ als Da-capo-Arie 117
Vorlesungsnachschriften Libelts von 1828/29. Es liegt also auf der Hand, dass
nicht erst Hotho, der Herausgeber der Ästhetik, sondern schon Hegel selber von
dieser Passage aus Ansichten vom Niederrhein nachhaltig beeindruckt war.
f) Resümee. Auch wenn dies keine Überraschungen mehr bereithält, will ich den
Befund aus den beiden Texten Forsters der Deutlichkeit halber kurz zusammen-
fassen. Schon in ihnen finden sich alle Elemente, die die ‚These vom Ende der
Kunst‘ ausmachen. Die für sie ausschlaggebende Perspektive ist eine moderne,
aus der heraus vor allem über die Unterschiede zwischen antiker und moder-
ner Kunst reflektiert wird. Der Vergangenheitscharakter der Kunst wird mit ihrer
Überwindung durch Religion und Philosophie begründet, die im Rahmen einer
zunehmenden Entsinnlichung stattgefunden haben soll. Für die nach diesem
‚Ende‘ gleichwohl fortbestehende Kunst wird einerseits eine deutliche Auswei-
tung der möglichen Gegenstände und der subjektiven Variationen ausgemacht
und andererseits der Mensch als großes neues Thema entdeckt. In Anbetracht
dessen ist die Intuition Uhligs, dass Forster hier Hegel antizipiere, nachdrücklich
zu bestätigen und der Einwand Ewerts als hinfällig zu bezeichnen.
3 Ausblick
Selbst wenn man meine Analyse akzeptiert, nach der sich die genannten fünf
Elemente nicht erst bei Hegel, sondern schon rund 30 Jahre früher bei Forster
nachweisen lassen, bleiben noch mindestens drei sachliche Einwände dagegen,
nun von Forsters ‚These vom Ende der Kunst‘ zu sprechen.
Der erste Einwand lautet: Forster spricht nirgends und zu keiner Zeit expli-
zit von einem „Ende der Kunst“. Das mag wie ein plausibles Argument klingen,
ist im vorliegenden Zusammenhang aber keines. Wollte man es gelten lassen, so
wäre es ebenfalls unzulässig von Hegels ‚These vom Ende der Kunst‘ zu reden,
denn bekanntlich stammt die Bezeichnung erst von den Hegelianern.
Mit einem zweiten Einwand könnte man daran erinnern, dass es bei Forster
keine bündig formulierte These gibt, sondern dass man sich das Material für
sie sogar erst aus unterschiedlichen Essays zusammen suchen muss. Auch hier
lässt sich entgegnen, dass wir auf dasselbe oder zumindest ein vergleichbares
Problem bei Hegel stoßen. Es gibt die ‚These‘ als These auch nicht explizit bei
Hegel. Suchen muss man bei ihm zwar nicht in unterschiedlichen Essays, aber
dafür in einer Reihe von Vorlesungsmitschriften seiner Studenten und in einer
von ihm nicht autorisierten Edition seiner Ästhetik.
118 Dimitri Liebsch
ihren Fortsetzern zählt neben Johann Gottfried Herder oder Friedrich Schiller
auch Forster.52 Fern davon, eine Errungenschaft Hegels zu sein, hat die ‚These
vom Ende der Kunst‘ also eine längere Vorgeschichte. Forster aber ist ihr unsung
hero.
52 Zur Einbettung der Schriften Forsters in diesen Kontext vgl. ausführlich Dimitri Liebsch,
Die Geburt der ästhetischen Bildung aus dem Körper der antiken Plastik. Zur Bildungssemantik
im ästhetischen Diskurs zwischen 1750 und 1800 (Archiv für Begriffsgeschichte. Sonderheft),
Hamburg 2001, 119–137.
Niklas Hebing
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das
Komische in der Ästhetik
Laut Stephan Schützes Schrift Versuch einer Theorie des Komischen von 1817 ist
das Komische ein Spiel – und zwar keineswegs ein freies Spiel, das der Mensch
mit den Dingen treibt, sondern umgekehrt „das in und bey der Freyheit des
Menschen sichtbar werdende Spiel der Natur mit dem Menschen“1. Es erregt
ein bloß dunkles, unbewusst bleibendes Gefühl, dass hinter dem vermeintlich
freien Handeln eine scherzhaft gängelnde Absicht der Natur steckt, wodurch
die beschränkte menschliche in Beziehung auf eine höhere Freiheit verspottet
wird. Ein solch dunkles Gefühl kitzelt aus dem Unfreien ein Lachen heraus, das
der blinden Ahnung geschuldet ist, physisch abhängig und gegenüber höheren
Idealen unzulänglich zu sein. Es ist ein Lachen, das über die Tragik des End-
lichen hinweglacht, den Kontrast mit dem Unendlichen aushalten zu müssen.
Zu den Voraussetzungen wie Attributen des Komischen gehören bei Schütze
demnach die Bewusstlosigkeit, Unfreiheit und Ohnmacht des Subjekts vor der
Natur. – Derlei Bestimmungen verdeutlichen, wie grundsätzlich sich der Hegel-
sche und die hegelianischen Ansätze von anderen Theorien des Komischen
ihrer Zeit unterscheiden. Es wird im Verlauf der folgenden Darstellung daher zu
zeigen sein, dass nicht nur bei Hegel, sondern auch bei den Hegelianern Friedrich
Theodor Vischer und Karl Rosenkranz das Komische gerade gegenteilig bestimmt
wird – als Ausdruck einer in sich vertieften und sich über sich selbst bewusst wer-
denden Subjektivität, die frei über den Stoff herrscht und diese Freiheit lachend
genießt.
In Anbetracht einer in vielen Grundbestimmungen homogenen Auffassung
des Komischen bei Hegel und den Hegelianern erhebt sich allerdings einerseits
die Frage nach konzeptionellen Divergenzen im philosophischen Verhältnis
zwischen Lehrer und Schülern, die sich zum Teil auch dem Selbstverständnis
nach als solche betrachtet haben, sowie andererseits über die Perspektive von
Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinweg die Frage nach je verschiedenen
Kontexten, in welche die Bestimmungen des Komischen in diesen Ästhetiken
eingebunden sind und aus denen sich ein jeweils besonderes Verständnis des
Gegenstandes ergibt. In freier Anlehnung an Robert Musil gesprochen: So „wie
1 Stephan Schütze, Versuch einer Theorie des Komischen, Leipzig 1817, 23.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 121
2 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Roman, Bd. 1: Erstes und Zweites Buch, hg. v. A.
Frisé, Reinbek 1978, 223.
3 Jean Paul, „Vorschule der Ästhetik“, in: Sämtliche Werke, hg. v. N. Miller, München 1980, Abtl.
1, Bd. 5, 102.
122 Niklas Hebing
1. ‚Hegel behandelt das Komische nicht als abstrakte Kategorie, sondern allein
in seinen einzelnen geschichtlichen Erscheinungen.‘
Die Reihe dieser Erscheinungen, Komödie, Satire und Humor, soll im Folgenden
abgeschritten werden.
Das Komische im engeren Sinne bricht bei Hegel aus dem Ernst des Ideals der
klassischen Kunstform kunstgeschichtlich erstmals im Übergang von der antiken
Tragödie zur Komödie hervor, mit der zugleich die Morgenröte der romantischen
Kunst am Horizont erscheint. Tragödie wie Komödie haben sowohl laut der Phäno-
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 123
menologie des Geistes als auch der Berliner Ästhetik-Vorlesungen zunächst ihren
Gegenstand in einer dramatischen Handlung, in der Individuen einen Zweck voll-
führen. Sie entzweien sich aber hinsichtlich der unterschiedlichen Konstitution
und Konsequenz dieses Zwecks, indem das Individuum der Tragödie an der Kol-
lision mit der sittlichen Substanz zugrundegeht, hingegen in der Komödie seine
Subjektivität durchsetzen und sich erhalten kann. An den Voraussetzungen und
Folgen des heldenhaften Handelns offenbart sich somit die für das Wesen der
Komödie so entscheidende Differenz von Substanz und Subjekt. Zwischen diesen
beiden Polen entsteht die dramatische Kollision, und diese Pole sind bekanntlich
nicht allein in der Ästhetik von weitreichender Bedeutung.
Bezüglich des Substanz/Subjekt-Verhältnisses greift Hegel in seinen Berliner
Ästhetik-Vorlesungen auf Bestimmungen zurück, die bereits in der Phänomeno-
logie des Geistes dargelegt wurden. Wie Terry Pinkard erneut verdeutlicht hat,
bildet für den Problemzusammenhang der antiken dramatischen Dichtung der
Begriff der ‚sittlichen Substanz‘ den entscheidenden Hintergrund aller weiteren
Überlegungen.4 Die sittliche Substanz ist die antike griechische Polis als objektiv
verwirklichte Lebensform der in ihr handelnden Mitglieder. Eine solche Lebens-
form umfasst verschiedenste soziale Normen, sowohl festgeschriebene, juristisch
verankerte Gesetze und Pflichten als auch deutlich über den Bereich des Rechts
hinausgehende Verhaltenskonventionen und Lebensregeln. Diese als Selbstver-
ständlichkeit verankerte Lebensweise in einer sittlichen Gemeinschaft, die den
Mitgliedern zur zweiten Natur geworden ist, ist ein Interaktionsverhältnis auf
dem Felde des objektiven Geistes und wird in den Bewusstwerdungsformen des
absoluten Geistes im Verständnis einer umfassenden Kultur und kulturellen Leis-
tung eines ganzen Volkes reflektiert. Auch die Epen, Tragödien und Komödien, in
denen das Verhältnis von Individuum und Sittlichkeit behandelt wird, die grie-
chische Religion, als mythologischer Vorstellungsbereich der griechischen Götter
samt ihrer Attribute und Taten, sowie die Philosophie mit der ihr zugedachten
Aufgabe, diese Vergegenständlichungsformen ins Denken zu übersetzen und
damit auf den philosophischen Begriff zu bringen, sind unerlässlicher Bestand-
teil des Substanzbegriffs. Es ist eine Pointe der Hegelschen Philosophie, dass sich
der als Vollkommenheit gedachte Schönheitsbegriff objektiv widerspiegelt in der
Ganzheit dieses sittlichen Kontextes, die in ihrer Harmonie der aufeinander bezo-
genen Teile im Vollsinne schön ist und daher auch schöne Werke hervorbringt,
die dem Begriff in höchster Weise gerecht werden.
4 Vgl. Terry Pinkard, „Autorität und Kunst-Religion“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein
kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. v. K. Vieweg und W. Welsch,
Frankfurt/Main 2008, 540–561; hier: 545 f.
124 Niklas Hebing
Nicht bloß in der Phänomenologie des Geistes stellt Hegel die Entwicklung
des Fortschreitens von der Substanz zum Subjekt bzw. die Entwicklung des Sub-
jekts aus der Substanz dar – auch wenn dieser Prozess am deutlichsten und
prominentesten in der Vorrede exponiert wird.5 Die überlieferten Nachschriften
der Ästhetik-Vorlesungen zeigen unter diesem Gesichtspunkt eine vergleichbare
Darstellungsrichtung, indem nämlich die Substanz in der symbolischen Kunst-
form noch keinen angemessenen subjektiven Ausdruck erhalten hat, d. h. noch
nicht selbstbezüglich geworden ist und an einem Überhang von Stofflichkeit als
nur symbolisch geahnte Wahrheit leidet, die Klassik eine unübertrefflich schöne
Einheit von Substanz und Subjekt in harmonischer Übereinstimmung, vor allem
manifest in der griechischen Skulptur, geschaffen hat und diese Ausgeglichen-
heit fortgehend zur romantischen Kunst in der subjektiven Verinnerlichung mit
der Konsequenz der Auflösung der Bindung an die Substanz zerbricht. An der
Schwelle des Hinübertretens von der Identität zur Trennung und Verselbstän-
digung des Subjekts von der Substanz stehen Tragödie und Komödie, die sich
auch mit dem Akt und seinen problematischen Folgen der subjektiven Anma-
ßung auseinandersetzen, sich der Substanz als etwas Gleichberechtigtes, wenn
nicht überhaupt sie Herabsetzendes gegenüberzustellen. In der Tragödie wie in
der Komödie tritt sich daher die absolute Substanz innerhalb ihrer selbstgesetz-
ten Entzweiung von Substantialität, d. h. der sittlichen Mächte Familie, soziale
Gemeinschaft, Staat und Götterwelt, und Subjektivität, d. h. des handelnden
Helden, selbst gegenüber. In der Tragödie erhält sich das Substantielle in der
Vernichtung seiner bloß einseitigen Verwirklichung durch das Individuum.6 Geht
demnach in der Tragödie das ewig Substantielle als Sieger hervor, ist es in der
Komödie gerade die Subjektivität, die gegenüber dem Substantiellen bestehen
kann. Das, was dem Individuum substantiell erscheint, ist tatsächlich ein sub-
jektiver Zweck, der einem vereinzelten Interesse entspringt. In diesem Verhältnis
ist das Subjekt dasjenige, „was das Substanzielle in sich auflöst“7, als die Darstel-
lung und Lösung dieses Widerspruchs.
Im Kolleg 1826 bezieht Hegel den Begriff des ‚Gemeinten‘ und im Kolleg
1828/29 den der ‚Nichtigkeit‘ auf diese Bestimmungen: Das Substantielle ist in
der Komödie „nur ein Gemeintes“, das vom Subjekt „durch die Tat, durch die es
5 Vgl. GW 9, 18 ff.
6 Vgl. V 2 (Hotho 1823), 301 f.
7 G. W. F. Hegel, Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21, nachgeschrieben von Wilhelm von
Ascheberg, I. Textband, hg. v. H. Schneider, Frankfurt/Main 1995, 321. Im Weiteren zitiert als
‚Ascheberg 1820/21‘.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 125
sich vollbringen will“8 als Zweck verwirklicht wird. Im Sinne einer bloß gemein-
ten Allgemeinheit – d. h. als ein substantiell gemeinter Zweck, der aber nur ein
scheinbar substantieller ist – ist es in Wahrheit ein Subjektives. Es entsteht ein
Widerspruch zwischen dem wahrhaften Inhalt der Substanz und des nur gemein-
ten substantiellen Zwecks in subjektiver Realisierung, der von Hegel als ‚Nich-
tigkeit‘ bezeichnet wird.9 Doch das Subjekt selbst scheitert wiederum durch
eigene Unbedarftheit am selbstgesetzten, substantiell gemeinten Zweck, erkennt
dadurch seinen Irrtum, zerstört dieses Nichtige und erhält sich auf solche Weise
selbst. Die Manifestation des Komischen in der Komödie ist somit wesentlich
das absolut in sich versöhnte, heitere Gemüt, das sich irrtümlich verwickelt, die
Verwicklung aufzulösen sucht, „aber im Mittel dazu so ungeschickt ist, daß es
seinen Zweck durch das Mittel selbst zerstört“10. Gegenüber der Tragödie ist das
Wesensmerkmal der Komödie daher der berechtigte Sieg des Subjekts über ein
nur gemeintes, unwahres Substantielles, das durch Aufspreizung individueller
Interessen entstanden ist und sich bereits in Widersprüchen verfangen hat. Das
Subjekt wird zur absoluten Macht über den Widerspruch, indem es das Nichtige
vernichtet und sich heiter in diesem Bewusstsein genießt – wie Hegel es im Kolleg
1823 ausdrückt: es sich „sauwohl sein“11 lasse. Das bedeutet jedoch zugleich, dass
der Handlungszweck in der Komödie grundsätzlich kein substantieller, sondern
immer nur ein subjektiver sein kann. Die sittliche Substanz beginnt, in der Heiter-
keit des komischen Subjekts dramatisch bedeutungslos zu werden. – Somit lässt
sich als zweite These formulieren:
2. ‚Das Wesen der Komödie besteht für Hegel in der subjektiven Vernichtung
des Nichtigen.‘
8 G. W. F. Hegel, Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Berlin 1826, nachgeschrieben von Friedrich
Carl Hermann Victor von Kehler, hg. v. A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-Plotnikov unter
Mitarbeit von F. Iannelli und K. Berr, München 2004, 227. Im Weiteren zitiert als ‚Kehler 1826‘.
9 Vgl. Aesthetik von Hegel, [Berlin 1828/29, anonyme Reinschrift im Besitz der Staatsbibliothek
Berlin], Ms. 99v.
10 V 2 (Hotho 1823), 309f; vgl. Kehler 1826, 227.
11 V 2 (Hotho 1823), 310.
12 Ebd.
126 Niklas Hebing
sich ausser dieser Komödie keins mehr findet“19. Sich nicht ernst nehmend und
dennoch auf beiden Beinen stehend, erhebt es sich über die Differenz zwischen
Zweck und Durchführung – und aus dieser siegreichen Erhabenheit stellt sich ein
Wohlgefühl her. Das Individuum geht in sich selbst zurück und findet in sich das
subjektive Prinzip der „intellectuellen innern Weltanschauung“, aus dem heraus
die Forderung ergeht, „daß das Göttliche sich in dem Innerlichen als solchen dar-
stellen soll“20. In dieser Innerlichkeit werden die Widersprüche der dramatischen
Handlung aufgehoben. Hieraus lässt sich die dritte These ableiten:
3. ‚Das Komische ist der Triumph des Subjekts und die Manifestation seiner
Freiheit.‘
In dieser Hinsicht zeigt sich die Komödie einerseits als jüngere, aber dennoch
reifere Schwester der Tragödie und andererseits als die größtmögliche Überspan-
nung der ästhetischen Seile zwischen Substantialität und sich von dieser abtren-
nenden Subjektivität, die noch in der Tragödie in harmonischer Schwingung
verweilten. Sie ist die letzte „Versöhnung, die die Subjektivität sich erringt“21, so
dass im Komischen für Hegel die Kunst überhaupt an ihr Ende komme. Somit ist
sie „die Auflösung der Kunst“22, denn mit dem ‚Prinzip der inneren intellektu-
ellen Weltanschauung‘ ist ebenso der Verlust des Ästhetischen im klassischen
Sinne verbunden. Es wird festgesetzt, dass die äußere Darstellung „nicht die
wahrhafte Existenz des Göttlichen“23 ist. An ihre Stelle tritt die Innerlichkeit.
Der Komödie kommt somit eine besondere kunstgeschichtsphilosophische wie
allgemein geistphilosophische Bedeutung im Übergang von der klassischen zur
romantischen Kunstform zu, die genauso das Ende der griechischen Antike wie
den Beginn einer neuen Periode einläutet.24 Die Zerstörung der substantiellen
Macht ist der Preis für die Inthronisierung der Subjektivität, die sich selbstbe-
wusst die Krone des Absoluten auf das Haupt setzt. Daher lautet die vierte These:
19 GW 9, 399.
20 Ascheberg 1820/21, 331.
21 V 2 (Hotho 1823), 311.
22 Kehler 1826, 227. In derselben Formulierung auch in der Parallelnachschrift von der
Pfordtens aus demselben Sommersemester. Vgl. G. W. F. Hegel, Philosophie der Kunst. Berlin
1826, nachgeschrieben von P. von der Pfordten, hg. v. A. Gethmann-Siefert, J.-I. Kwon und K.
Berr, Frankfurt/Main 2005, 250. Im Weiteren zitiert als ‚von der Pfordten 1826‘.
23 Ascheberg 1820/21, 331.
24 Vgl. Eva Geulen, Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel, Frankfurt/Main
2002, 48; Werner Hamacher, „Das Ende der Kunst mit der Maske“, in: Sprachen der Ironie
– Sprachen des Ernstes, hg. v. K.-H. Bohrer, Frankfurt/Main 1999, 145.
128 Niklas Hebing
4. Was bei Hegel komisch wird, ist über das Schöne im klassischen Sinne hinaus
und daher eine Erscheinung des Endes der Kunst.‘
schen diesen Polen entsteht ein Gegensatz, der ob der abstrakten Gegenüberstel-
lung zu keiner Versöhnung mehr finden kann. Das Unversöhnbare äußert sich im
Zorn gegen eine Gegenwart, die nicht sein soll. Hegel betont, dass sich in einigen
Werken bereits unverkennbar ein genuin moderner Zug der Kunst zeige29 – der in
freier Interpretation als eine ‚Hybris der Subjektivität‘ bezeichnet werden kann. Weil
das Subjekt in keine wahre Sittlichkeit eingebunden ist, muss es sie als Tugend und
abstrakte Weisheit in sich selber suchen und der Objektivität empfehlen. Dadurch
entsteht nicht nur eine scharfe Trennung zwischen Subjekt und Objekt, sondern
innerhalb dieses Verhältnisses beansprucht die Subjektivität sogar höhere Geltung.
Es entsteht die Tendenz zur Verinnerlichung, die sich im Fortgang vertieft.
Am Ende der historischen Ausbildung dieser Tendenz der Verinnerlichung
steht das ästhetische Phänomen, das Hegel mit dem Begriff ‚Humor‘ belegt. Im
Kolleg 1823 meint er, der Humor sei „das Ende des Romantischen“30; und damit
dessen, wozu Komödie und Satire den Anfang bilden. Der Humor ist die Aufhe-
bung der Selbständigkeit des Stoffes, das „Verrücken alles Substantiellen durch
eine subjektive Ansicht“31. Die Subjektivität des Künstlers drängt sich in das Werk
hinein, verbannt aus diesem den objektiven Inhalt, produziert sich allein selbst
und spannt aus dieser Subjektivität jeden weiteren Inhalt auf. Am Beispiel Jean
Pauls verdeutlicht Hegel, dass der äußerliche Stoff den subjektiven Einfällen des
literarischen Künstler-Ich unterworfen sei. In dieser „Kunst des Scheinens“32, die
kein Interesse mehr an Gehalten hat, sieht Hegel das Verhältnis der Kunst seiner
Zeit überhaupt. – Zur Erinnerung: Im Komischen der Komödie erhebt sich das
Selbst zur subjektiven Macht über das Nichtige. Es befreit sich von der ästheti-
schen Anschauung und herrscht in dieser Freiheit über den eigenen unzuläs-
sigen Gehalt. Dies ist der Beginn der Auflösung der Kunst, die sich im Humor
vollendet. Der Humor zeigt schließlich in Überspitzung die Unangemessenheit
von moderner geistiger Innerlichkeit und sinnlich anschaubarer Kunstgestalt.
Hegel führt in den Ästhetik-Vorlesungen, am Ende der Bemerkungen zur roman-
tischen Kunstform, aus, dass im Humor die Kunst schließlich aufhöre. Besonders
schonungslos drückt er es im ohnehin humor- und ironiekritischsten Kolleg 1826
aus: „Humoristische Kunstwerke kann man nicht mehr Kunstwerke nennen“33.
Im Humor fällt die romantische Kunst – ihrer Grundbestimmung nach eine über-
lebte Kunstform und nur noch mühsam zusammengehalten – vollends auseinan-
29 Vgl. ebd.
30 Ebd., 198.
31 Ebd., 199.
32 Ebd., 202.
33 Kehler 1826, 153.
130 Niklas Hebing
der. – Damit rückt der Humor in unmittelbare Nähe der romantischen Ironie als
partikulare und abstrakte Subjektivität. Durch die Verhinderung der objektiven
Entfaltung des Stoffes mit der Folge des Zerfalls im Subjekt wird der Humor iro-
nisch. Dies stellt die fünfte These dar:
5. ‚Der Humor ist die moderne Auflösung des substantiellen Gehalts in der
Kunst.‘
subjektivistischen Standpunkt einhaust, öffnet sich der Humor gerade für das Sitt-
liche im Sinne einer sozialen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft als Parzelle des
Allgemeinen ist zwar nur der eng begrenzte Rahmen einer kleinen Welt des priva-
ten Glücks – das Individuum ist hier also selbstbeschränkend, weil es darum weiß,
dass es sich im Ganzen des immer komplexer werdenden Systems moderner Sitt-
lichkeit nicht behaupten kann. Doch durch den Rückzug in den überschaubaren
Kreis von intimer Zwischenmenschlichkeit, Familie oder Freundschaft, eröffnet
es sich die Option auf eine realisierbare Zufriedenheit, die innerhalb der roman-
tischen Ironie bloß im Modus der melancholischen und oft bereits enttäuschten
Sehnsucht erscheinen kann. Im Humor gibt es daher eine Erweiterung der ästhe-
tisch durchdrungenen Lebenssphäre des Protagonisten, bei der ihm vor Augen
steht, dass dieser sittliche Teilausschnitt keine Allgemeingültigkeit und das ein-
zelne Subjekt keine Verbindlichkeit besitzt, denn die Heiterkeit ist bedingt durch
die besondere Einrichtung der Lebenswelt der singulären Existenz. Somit bleibt
die Wesentlichkeit und Bedeutsamkeit dieses Humors selbst in der Rückgewin-
nung des Gemeinschaftlichen noch der subjektiven Beschränkung verhaftet – und
ist deshalb bloß subjektiver Humor. Erst der objektive Humor vollführt es, dem
Subjektivismus des Einzelglücks eine tiefere Einheit zu geben. Es ist kein Geheim-
nis, dass Hegel ihn idealtypisch verkörpert sieht in Goethes West-östlichem Divan.
Die näheren Gründe und weitreichenden Dimensionen dieses Aspekts können im
Rahmen dieser Untersuchung jedoch nicht ausgeführt werden.
Stattdessen ist ein Rückgriff auf das allgemein Komische angebracht, das bei
Hegel immerhin durch sein Gegenstück in das Zentrum der Reflexionen gerät:
Nicht bloß in der Philosophie und in der Religion offenbart sich dem Bewusstsein
ein fundamentaler Ernst des Geistes, auch in der Kunst nimmt und trifft es diese
Haltung an. Dennoch zeigt sich in der Dialektik der Geschichte, dass gerade in
der Kunst sich an diesem innersten Ernst ein Lachen entzündet, das dem Ernst
an sich zunächst fremd ist. – Dies muss im Folgenden näher erläutert werden:
Allen Formen des Komischen im weiteren Sinne eignet ein gemeinsames Subs-
trat im Verhältnis negativer Entsprechung, das Hegel mit dem Terminus ‚Ernst‘
belegt. Auf den substantiellen Stufen der Kunst ist es dem Künstler mit seinem
Werk und dem darin „dargestellten Inhalt absoluter Ernst“39, da seine Subjektivi-
tät und der sinnlich vermittelte Stoff miteinander identisch sind. Ernst lässt sich
somit als die Erscheinung der Identität von Künstler-Selbst und Stoff definieren.
Das Werk ist dem Selbst Herzensangelegenheit, das Produkt ungeteilter Inner-
lichkeit. Hegel meint, allein dieses „Grundverhältnis“ zeichne „große Kunstperi-
oden“ aus und lasse ästhetisch sinnvoll davon sprechen, „daß die Kunst in ihrer
Ganzheit vorhanden sei“40. Allerdings konnte gesehen werden, dass die Kunst-
entwicklung freilich nicht in dieser Ganzheit verknöchert – weder hinsichtlich
des allgemeinen Prozesses noch seiner einzelnen Segmente. Eine ernsthaft vorge-
brachte ästhetische Form – oder aber ein bestimmter ernster Stoff – überlebt sich
historisch, verliert den Ernst und kann in Gestalten des Komischen umschlagen.
Ernst und Komik schließen sich zwar aus, sind aber keine absoluten Gegen-
sätze. Nicht jeder abgestorbene Ernst muss weiterhin komisch behandelt werden;
er kann es aber, wie Hegel an Cervantes’ Don Quijote und der darin vollzogenen
Verspottung des Rittertums exemplifiziert. Hieran zeigt sich, wie ein Zeitalter
über sich hinausgeht, der Stoff seinen Ernst verliert, sich verflüchtigt oder dem
Selbst zwischen den Fingern zerrinnt. Doch der Verlust wird vom Selbst nicht
als tragisch empfunden. Der Künstler macht seine Witze darüber. Die Reflexion
befreit sich. Indem der Stoff rein äußerlichen Status gewinnt, wird die Kunst
„freie, subjektive Geschicklichkeit“41, mit der Folge einer Gleichgültigkeit des
Inhalts. Aus dieser durch keine stoffliche Gebundenheit begrenzten subjekti-
ven Freiheit heraus kann das Künstler-Selbst jeden erdenklichen Inhalt komisch
behandeln, denn ihm liegt nichts mehr an ihm; es ist ihm damit nicht mehr ernst.
– Hier angelangt, kann die sechste These festgehalten werden:
Im Durchgang durch die einzelnen Formen und die Reflexion auf den Ernst
demonstriert sich, wie Hegel das Komische versucht zu fassen: Die schöne Kunst
im engeren Sinne des klassischen Kunstideals ist das Selbstbewusstsein des
Geistes in seiner unmittelbaren Form der sinnlichen Veräußerung und Anschau-
ung. Dieser Begriff lässt noch keinen Raum für eine in sich vertiefte Subjektivi-
tät. In der griechischen Tragödie und als ein besonderer qualitativer Schritt in
der Aristophanischen Komödie wird die Unmittelbarkeit aufgehoben, indem das
romantische Prinzip der freien und sich über sich bewusst werdenden Subjekti-
vität ins Ästhetische hereinbricht. Dieser Bruch mit dem klassischen Kunstideal
bedeutet zugleich ein Hinauswachsen der wesenhaften Form der schönen Kunst
über ihre eigenen Grundbestimmungen. Der Geist kann seine Inhalte nicht mehr
sinnlich anschaubar veräußern, sondern findet seine Wahrheit in sich selber.
Formen des Komischen erscheinen bei Hegel immer dort, wo sich ein Inhalt
mit den Mitteln der Kunst entfaltet hat, sich eine dadurch überlebte ästhetische
40 Ebd.
41 Ebd., 204.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 133
Gestalt auflöst und nicht mehr mit substantiellem Ernst weiter bearbeitet werden
kann. Das Komische ist bei Hegel ein Phänomen der Entzweiung, des Bruchs, der
Spaltung. Dies bildet sich auf verschiedenen Ebenen ab: Zwischen Subjekt und
Substanz, Selbst und Stoff, Gedanke und Darstellung.
An diesem Punkt der Untersuchung angelangt, ist es notwendig, einen
Schnitt zu machen. Die sechs in der Hegel-Interpretation festgehaltenen Thesen
können im Weiteren herangezogen sowie mit zwei Positionen des ästhetischen
Hegelianismus konfrontiert werden, um den Diskurs über den Begriff des Komi-
schen zu öffnen und zugleich die verschiedenen Bestimmungen in Abgleich
untereinander schärfer zu konturieren.
42 Friedrich Theodor Vischer, „Mein Lebensgang“, in: Kritische Gänge, hg. v. R. Vischer,
München 1922, Bd. 6, 472 f.
134 Niklas Hebing
daher seine Ästhetik auch nicht aus erster Hand kennen konnte, sondern sich
die Ästhetik durch Hotho und weitere Systemteile durch Michelet, von Henning
und Gans hat vermitteln lassen, steht zumindest seine Schülerschaft in einem
anderen Licht. Zuletzt auf den dritten Blick dürfte hingegen wieder ausgemacht
sein, Vischer zweifelsohne zur Hegel-Schule rechnen zu dürfen, wenn man sich
vergegenwärtigt, wie massiv sich Hegels Philosophie der Kunst nicht nur in
Vischers sechsbändigem Hauptwerk Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen nie-
dergeschlagen hat, sondern ebenfalls bereits in seiner frühen Schrift Über das
Erhabene und Komische – eine Tatsache, die offenbar durch den Versuch, in der
Beschäftigung mit Hegels Philosophie den Ausweg aus einer intellektuellen Krise
zu finden, sowie die Vermittlung der Ästhetik Hegels durch den Freund Hotho
entstanden ist.43 Aus diesen drei Perspektiven auf das Verhältnis Hegel/Vischer
lässt sich die Auseinandersetzung mit dem Komischen näher beleuchten.
In der besagten 1837 veröffentlichten Habilitationsschrift Über das Erha-
bene und Komische legt Vischer eine systematische Begründung und „imma-
nente Entwicklung“ der im Titel genannten ästhetischen Kategorien „aus dem
Schönen“44 vor, die später mit konzeptionellen Änderungen in sein Hauptwerk,
die große, sechsbändige Ästhetik, integriert wird.45 In beiden Entwürfen werden
das Erhabene und das Komische als Kontraste und Gegensätze aus dem einfa-
chen Schönen abgeleitet und als drittes in die höhere Form eines erfüllten und
vermittelten Schönen überführt. In Vischers Selbstverständnis werde mit dieser
Deutung des Erhabenen und Komischen als Momente des Schönen etwas ein-
gelöst, das in der bisherigen Ästhetik fehlte. Hegels Ästhetik, als das große
kunstphilosophische System der Gegenwart, sei zwar ein „unfehlbar“ und ein
„treffliche[s] Werk“, sein Erschaffer widme aber „dem Erhabenen und Komischen
keine integrierende Betrachtung im ersten allgemeinen Teil“46 über die Idee des
Schönen, sondern lasse sie erst in der historischen Stufenfolge der Kunstformen
und Kunstarten auftreten. Dass dieser Einschätzung Vischers zugestimmt werden
kann, ist in These (1) im ersten Teil dieser Darstellung festgehalten worden.
43 Vgl. Francesca Iannelli, „In den Grenzen des Schönen: Friedrich Theodor Vischers frühe
Rezeption der Hegelschen Ästhetik“, in: Friedrich Theodor Vischer. Leben – Werk – Wirkung,
hg. v. B. Potthast und A. Reck, Heidelberg 2011, 249–259; hier: 249 ff.
44 Friedrich Theodor Vischer, „Über das Erhabene und Komische“ und andere Texte zur
Ästhetik, Einleitung von W. Oelmüller, Frankfurt/Main 1967, 50.
45 Vgl. Sandra Richter, „Die ‚Gunst des Zufalls‘. Vischers ästhetische Schriften als transitorische
Dokumente der Wissenschaft vom Schönen“, in: Friedrich Theodor Vischer. Leben – Werk
– Wirkung, a. a. O. (Anm. 43), 261–275; hier: 268.
46 Vischer, Über das Erhabene und Komische, a. a. O. (Anm. 44), 51.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 135
Vischer baut sein Argument aus und macht es zur Begründung seines
eigenen Projekts: Sowohl die Idee des Schönen als auch das Wesen der beiden
kontrastiven Kategorien sind seinem Verständnis nach noch nicht erschöpft,
„wenn man nicht das Erhabene und Komische schon in diese allgemeine Ent-
wicklung aufnimmt“47. Daher kommt es ihm darauf an, in Anlehnung an Jean
Paul, Schelling und Solger und dennoch insbesondere im Geiste Hegels dessen
Ästhetik zu vollenden, indem er das Erhabene und Komische als Momente des
metaphysischen Begriffs des Schönen erweist. Doch hiermit ist eine weitere ent-
scheidende Änderung verbunden: Vischer versucht nämlich, dasjenige für den
allgemeinen Begriff des Schönen zu retten, was bei Hegel geschichtlich als noch
nicht bzw. nicht mehr schön im Vollsinne aufgefasst wird. Im Erhabenen der sym-
bolischen Kunstform sucht laut Hegel die Idee ihre wahre Form, weil sie in sich
abstrakt und unbestimmt ist und der Geist nicht als freies Subjekt gewusst wird;
im Komischen hingegen – das wurde in den Thesen (3) und (4) gesagt – ist der
Geist über die ästhetische Form hinausgegangen und hat sich als Subjektivität in
sich vertieft. In Vischers Konzeption eines Hervorgehens beider Kategorien aus
einem unmittelbaren Schönen und einer anschließenden Aufhebung derselben
auf der Stufe der Versöhnung wird der Begriffsumfang des Schönen in die Gebiete
hinein erweitert, die bei Hegel Randbezirke sind oder schon deutlich außerhalb
der Grenzen liegen.
Mit diesem Kritikpunkt weist Vischer deutlich über seine eigene Interpre-
tation hinaus auf einen Aspekt der Ästhetik Hegels, an dem sich nahezu alle
Hegelianer stoßen: Die zentrale These vom Ende der Kunst. Dabei wird Hegel
der Vorwurf gemacht, die Kunst der Gegenwart unterbewertet, bisweilen sogar
verleugnet zu haben. Schon zu Hegels Lebzeiten gab es eine ganze Reihe von
anerkannten Ästhetikern, die in Fragen der Gegenwartskunst eine ganz andere
Auffassung vertreten haben. Hier sind vor allem Schelling, Solger und Jean Paul
zu nennen. Georg Lukács weist in seinem Vischer-Aufsatz darauf hin, dass sich
derlei Positionen im Hegelianismus durchsetzen können und gegen die These
vom Ende der Kunst geltend gemacht werden.48 So wird von Vischer und anderen
Hegelianern nicht nur verlangt, die zeitgenössische Kunstphilosophie müsse
den die Schönheit aufsprengenden Charakter der Gegenwart anerkennen, es
wird nicht nur postuliert, das „Häßliche, Komische und Tragische der Welt“ solle
„nicht geleugnet, wohl aber im Schönen aufgehoben werden“49, sondern es wird
47 Ebd.
48 Vgl. Georg Lukács, „Karl Marx und Friedrich Theodor Vischer“, in: Werke, Bd. 10: Probleme
der Ästhetik, Neuwied und Berlin 1969, 233–306; hier: 238.
49 Willi Oelmüller, Fr. Th. Vischer und das Problem der nachhegelschen Ästhetik, Stuttgart 1959, 106.
136 Niklas Hebing
zudem gefordert, den Begriff der Kunst so zu erweitern, dass sämtliche Tenden-
zen des modernen Kunstschaffens darin aufgenommen werden können.
Für Vischers Umdeutung bedeutet dies, den Anspruch der Kunstphiloso-
phie Hegels, eine systematisch dargelegte Entsprechung zwischen einzelnen
Abschnitten der Kunstgeschichte und jeweils verschiedenen ästhetischen Kate-
gorien nachzuweisen, zu enthistorisieren. Vischer macht den Begriffsumfang des
Schönen zu einem System von ästhetischen Modifikationen, das vom einfachen
Schöne über die Stufen des Gegensatzes Erhabenes und Komisches bis zum wirk-
lichen Schönen als Höhepunkt dieser ahistorisch angelegten Entwicklung reicht.
Was in der Hegelschen Perspektive das Moment konkreter kunstgeschichtlicher
Erfahrung ist, wird bei Vischer zu einem abstrakt begrifflichen und sich notwen-
dig in dieser Weise vollziehenden Prozess, der in einem erfüllten Schönen seinen
immanenten Kontrast versöhnt. So wird Hegels Behandlung des Komischen im
Kontext einer konkreten Geschichtsdialektik von Vischer zu einem Moment abs-
trakter Begriffsdialektik umgebaut. Besonders bei Vischer bedeutet die Beseiti-
gung der These vom Ende der Kunst – sowie weiterer damit verbundener ästhe-
tischer Bestimmungen Hegels – für das Phänomen des Komischen den Verlust
seines spezifischen geschichtlichen Wesens. Das Komische ist nicht mehr wie bei
Hegel ein besonderer Indikator des Vergangenheitscharakters der Kunst sowie
des Absterbens des substantiellen Ernstes, wie im Kontext der Thesen (4) und (6)
bei Hegel gesehen werden konnte. Im Ansatz von Vischers Habilitationsschrift
ist das Komische vollgültiges Moment des Schönen – und zwar im Sinne einer
allgemeinen und somit überhistorischen Kategorie.
Mit dieser Umdeutung ist darüber hinaus verbunden, dass neben dem all-
gemeinen Charakter des Komischen auch seine einzelnen Formen bei Vischer
stärker unterbestimmt bleiben; was beispielsweise hinsichtlich der Humor-The-
orie Hegels zu einem Ausschluss zeitgenössischer Tendenzen führt und damit
genau zum Gegenteil dessen, was die Hegelianer eigentlich erreichen wollen.
Denn die in These (5) zusammengefasste Option Hegels, in der zeitgenössischen
Humordichtung, als konsequenteste Form des subjektiv gebrochenen Komi-
schen, mit dem Höhepunkt einer neuen Substantialität im objektiven Humor des
Divan, kann von Vischer nicht anerkannt werden, weil er die Voraussetzungen gar
nicht erst mitgemacht hat, von einer neuen Substantialität sprechen zu können.
Wo kein Ende der Kunst angenommen wird, kann auch nicht sinnvoll über ihre
Rolle nach diesem Ende nachgedacht werden. Vischer setzt stattdessen der Posi-
tion Hegels einen Entwurf entgegen, der dem Komischen keinen historischen
Ort – oder zumindest keine geschichtsphilosophische Dimension – zuspricht,
sondern es zu einer allgemeinen Kategorie werden lässt, die notwendig in allen
Zeiten erscheinen muss.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 137
Vischers Option, das Komische auszudeuten, ist eine singuläre des Hegelianis-
mus. Diejenige von Rosenkranz ist hier anzuschließen. Ausgehend von einer
anders entworfenen Kategorienarchitektonik erkennt er im Komischen nicht
wie Vischer das Prinzip der Entzweiung, sondern ganz im Gegenteil gerade das
der Versöhnung. Im System der Wissenschaft von 1850, einer Art hegelianischen
Entsprechung zu Hegels Encyklopädie, konzipiert er eine kunstphilosophische
Systematik, in der das Komische als Aufhebung des Schönen und dessen Nega-
tion, des Hässlichen, aufgefasst wird. Zunächst kann weder das Schöne noch das
Hässliche an sich komisch werden – in systematischer Bedingtheit ist das Häss-
liche nur als die verneinte Schönheit und das Komische als die „Auflösung des
Häßlichen“56 zu begreifen, weshalb komisch nur das negierte Hässliche werden
kann. Die aus These (2) der Komödientheorie Hegels vertraute und von Rosen-
kranz auf dieses Begriffsverhältnis übertragene Figur der Selbstvernichtung57
des nichtig Gewordenen erscheint dabei in einem neuen Zusammenhang: Die
aus Freiheit des Geistes zum Hässlichen negierte freie Schönheit vernichtet sich
in der Gestalt der nichtigen Verzerrung selbst in einem heiteren „Spiel ausgelas-
sener Uebertreibung der Widersprüche“58. Im Zuge der Selbstvernichtung als
Negation der Negation der Schönheit enthüllt das Komische „die Nullität“ des
im Hässlichen manifestierten falschen „Scheines der Idee, der sich an Stelle ihrer
positiven Erscheinung aufspreizt“59. Rosenkranz stellt den Humor gegenüber den
Formen der Satire und der Ironie als die „vollkommene Wiederherstellung der
Idee des Schönen“60 heraus. Auch wenn er sich explizit gegen Vischers Gedanken
eines Kontrasts von Erhabenem und Komischem als Begründungszusammen-
hang dieser Kategorie verwahrt61, lässt er immerhin die vertiefte Entzweiung der
empirischen Existenz von Schönheit und Hässlichkeit sich in einem „Werk der in
sich unendlichen Subjectivität“62 versöhnen, das gemäß der an Hegel erarbeite-
ten These (3) von Rosenkranz als ein Akt aus Freiheit gedeutet wird. Jede Bestim-
mung des Hässlichen kann „sofort in’s Komische gewandt werden“, wenn sie
„vom Künstler mit Absicht geübt wird“63. Nicht der Gehalt fordert den Modus des
Komischen, sondern das Komische ist eine subjektive Setzung aus Freiheit, ein
Herrschen des Subjekts über seinen Stoff. Der Widerspruch zwischen der Negati-
vität des Hässlichen und ihrer positiven Voraussetzung Schönheit wird im Humor
des Künstlers lachend aufgehoben und als komisches „Darüberhinaussein“64 ver-
söhnt.
An diesen Ausführungen kann gesehen werden, das Komische ist der begriff-
liche Schluss- und Höhepunkt von Rosenkranz’ Ästhetik, wird hier doch einer-
seits das Schöne wieder zu sich zurückgeführt und andererseits eine Form gefun-
den, in der dieses Schöne aber reicher, weil in sich reflektiert ist. Als ein Schönes
mit versöhnter Beimischung des Hässlichen bzw. als Aufheiterung des Hässlichen
ins Schöne hat das Komische alle Erscheinungsweisen des Ästhetischen durch-
schritten und bewahrt sie erfahrungsreich in einem wieder schönen und heiteren
Ausdruck auf, den die zu sich selbst befreite Subjektivität als ihr Werk weiß und
lachend genießt. In diesem Punkt ist Rosenkranz bedingungsloser Hegelianer.
Den systematischen Zusammenhang der Ästhetik, den Rosenkranz in seinem
System der Wissenschaft skizziert, vertieft er in beeindruckender Ausführlichkeit
vor allem in seiner Aesthetik des Häßlichen von 1853. Auch wenn der Titel und
die Rezeptionsgeschichte des Werkes einen anderen Begriff in den Vordergrund
stellen, kann das Komische dennoch in der Rolle des Vollenders des ästhetischen
Kategoriensystems zumindest als ein zweiter Protagonist bezeichnet werden.
Denn Ziel der Schrift ist es nicht bloß, den Begriff des Hässlichen vom Schönen
aus dialektisch zu entwickeln, sondern daran anknüpfend den Übergang ins
Komische als befreite Harmonie von Schönem und Hässlichem aufzuzeigen. Die
Karikatur als der höchste dieser Übergänge treibt das Schöne „über das Maaß
hinaus, erzeugt dadurch ein Mißverhältniß“, das in eine hässliche Verzerrung
ausschlägt „und wird, indem sie an ihr ideales Gegentheil erinnert, komisch“65.
Im Prozess der umbildenden Gestaltung zu einem Ausdruck des Komischen
nimmt die Karikatur dem Hässlichen den unansehnlichen Schein; so im Form-
losen und Inkorrekten, so im Gemeinen und Widrigen.66 Die Karikatur macht
das Hässliche durch die Übertreibung eines seiner Momente zur Unförmigkeit zu
einem Mittel der Komik. Rosenkranz meint, nur vom Gesichtspunkt des Komi-
schen aus werde „das regellose Gewirr wieder befriedigend“, denn die gemeine
67 Ebd., 78 f.
68 Vgl. ebd., 141.
69 Vgl. Hans Robert Jauss, „Die klassische und die christliche Rechtfertigung des Hässlichen in
mittelalterlicher Literatur“, in: Das Groteske in der Dichtung, hg. v. O. F. Best, Darmstadt 1980,
143–178; hier: 144.
70 Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen, a. a. O. (Anm. 61), 36.
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 141
71 Vgl. Jauss, „Die klassische und christliche Rechtfertigung des Hässlichen in mittelalterlicher
Literatur“, a. a. O. (Anm. 69), 144.
142 Niklas Hebing
Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass sowohl Vischer als auch
Rosenkranz das Vorhaben durchführen, Hegels in ihren Augen unzureichende
Bestimmung des Komischen auf der Basis des allgemeinen ästhetischen Ansat-
zes weiterzuführen – selbstverständlich mit vielen Differenzen. Bei Hegel sind
die Formen des Komischen Ausdruck des Zerfalls dessen, dem zuvor mit Ernst
begegnet wurde. Die Hegelianer hingegen dynamisieren diesen Ernst zu einem
Spannungsverhältnis unterschiedlicher Kategorien des Ästhetischen wie dem
Schönen, Erhabenen und Hässlichen. Das hat aber Konsequenzen für den
Gesamtansatz: Das Komische ist bei Hegel die Erscheinung des für die historisch
bedingten Ideale wesentlichen Auseinanderfallens der Schönheit, des Endes der
Kunst im Übergang von der klassischen zur romantischen Kunstform sowie der
Vertiefung der den substantiellen Ernst verlachenden Subjektivität innerhalb der
Romantik selbst. Bei den Hegelianern hingegen erscheint das Komische gerade
als Ausdruck der Wiederherstellung des Schönen; allerdings – und hierin treffen
sie sich wieder mit Hegels Bestimmungen – als ein höheres, weil in sich reflek-
tiertes und subjektiviertes Schönes. Das, was von Hegel nicht mehr als Schönes
im engeren Sinne wahrgenommen werden kann, wird von den Hegelianern zu
sich selbst zurückgeführt – jedoch im Sinne einer modifizierten Form, für die
neue Bestimmungen dessen, was als schön gelten kann, gefunden werden. Auf
diese Weise wird der Kunstbegriff auch für die modernen und vor allem zeitge-
nössischen Werke rehabilitiert. Das Motiv der Hegelianer für diese Korrekturen
kann unter anderem darin gesehen werden, eine ästhetische Kontinuität in die
Gegenwart hinein gewinnen zu wollen, aus der heraus auch die zeitgenössi-
schen Werke als erkenntnisstiftende Kunst wahrgenommen werden können, als
weiterhin unverzichtbare Gestalten des Selbstbewusstseins des Geistes. Ob das
ein Kampf gegen Windmühlen ist, wäre eingehender zu diskutieren und die Fra-
gestellung einer anderen Studie. Vischer jedenfalls steht in den Debatten nicht
alleine da, wenn er meint, die Kunst habe einschränkungslos in allen und jeden
Zeiten die Aufgabe, den Geist und seine Wirklichkeit zu erkennen.
So ist zum Schluss nur noch eine im Rahmen der Untersuchung vielleicht
selbstverständlich gewordene Relativierung zu betonen: Für Hegel ist das Komi-
sche nicht etwa nur eine in den dargestellten Formen Komödie, Satire und Humor
verschiedene Erscheinung. Sein geschichtsphilosophisches Verständnis der
Lachen machenden Phänomene in der Kunst als ein Indikator für das Ableben
substantieller Inhalte des Ästhetischen ermöglicht es, diese Formen auch in
ihrem tieferen Wesen zusammendenken zu können. Genauso wenig ist den Hege-
lianern daran gelegen, das Komische bloß ganz abstrakt als eine von drei Gene-
ralkategorien zu fassen; denn auch sie differenzieren es von dort aus in seinen
schillerndsten Ausprägungen, die es erst zu einem lebendigen Begriff werden
lassen. Dennoch unterscheiden sich aber die dargestellten Ansätze in ihrem
Hegel, Vischer, Rosenkranz – Über das Komische in der Ästhetik 143
grundlegenden methodischen Zugriff auf das Phänomen Komik in der Kunst, das
in der einen wie in der anderen Weise als notwendiger Bestandteil einer allgemei-
nen philosophischen Ästhetik begriffen werden und begriffen sein muss. Dieser
in sich differenzierte Unterschied kann nach der Zusammenschau abschließend
hervorgehoben werden.
Jure Zovko
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die
Sittlichkeit
Es ist ein Paradox der Hegelschen Konzeption der Kunst, dass ihr ein minderer
Status in seinem philosophischen System zubilligt wird, dass Hegel aber gleich-
zeitig umfangreiche und ausführliche Vorlesungen über die Kunst gehalten und
ihr besondere Relevanz für die Bildung des Menschen zugewiesen hat.1 Der Stel-
lenwert der Kunst in Hegels System ist dadurch charakterisiert, dass sie den Geist
in sinnlicher Form präsentieren soll, aber es ist eindeutig, dass der Mensch nicht
bei der unmittelbaren Anschauung stehenbleiben darf. Die Geschichte der Kunst
manifestiert sich nach Hegels eigenartigen Deutung als ein komplexer Transfor-
mationsprozess, wonach das Ideal der wahren Idee der Schönheit in der symbo-
lischen Kunstform erstrebt, in der klassischen Skulptur erreicht und schließlich
in der romantischen Kunst überschritten wird. In diesem Beitrag wird danach
gefragt, ob Hegels Idee der Überschreitung der Schönheit in der romantischen
Kunst zu deren Aufhebung durch die Sittlichkeit geführt hat.
Mit der Selbstbehauptung der Moderne und der Etablierung der Freiheit als
ihrer Grundbestimmung wird auch die Rolle der Kunst transformiert, indem die
schöne Kunst entsprechend dem Anspruch des Geistes zur „wahrhaften Kunst“
verwandelt wird. Obwohl die Kunst in der Epoche der Moderne nach Hegels
Einschätzung aufgehört hat, die primäre Bedürfnis des Geistes zu sein, steht
sie jedoch vor der „höchsten Aufgabe“, indem sie in der Sphäre des absoluten
Geistes, den „gemeinschaftlichen Kreis mit der Religion und Philosophie“ bildet.
In den angemessenen Kunstformen sollen „das Göttliche und die tiefsten Inter-
essen des Menschen und die umfassendsten Wahrheiten des Geistes“ zum Aus-
druck gebracht werden.2
Hegels ideelle Welt des absoluten Geistes, welche Kunst, Religion und Philo-
sophie enthält, wird oft als ein abgeschossenes System gedeutet, in dem sowohl
die Geschichte mit ihrer Prozesshaftigkeit als auch die Welt des Kontingenten auf-
gehoben wird. Vom heutigen Standpunkt der Reflexion und der unumgänglichen
Kontingenzerfahrung aus bleibt die bewegende Frage der Zeit, wie die gefähr-
deten Geisteswissenschaften und die Kunst selbst als eine der Grundlagen der
1 Hegel hat über Ästhetik zuerst 1818 in Heidelberg, dann viermal in Berlin gelesen: 1820/21,
1823, 1826 und 1828/29.
2 TWA 13, 20 f.
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 145
des Geistes zu sein“,7 bleibt sie immerhin ein freies Spiel der menschlichen Ein-
bildungskraft, die Grundbestimmung des Geistes der Moderne.
Immerhin, trotz dieser ungünstigen Situation bleibt nach Hegels Überzeu-
gung die primäre, „wahrhafte Aufgabe“ der Kunst darin bestehen, „die höchsten
Interessen des Geistes zum Bewußtsein zu bringen. Hieraus ergibt sich sogleich
nach der Seite des Inhalts, daß die schöne Kunst nicht könne in wilder Fessel-
losigkeit der Phantasie umherschweifen, denn diese geistigen Interessen setzen
ihr für ihren Inhalt bestimmte Haltpunkte fest, mögen die Formen und Gestal-
tungen auch noch so mannigfaltig und unerschöpflich sein”.8 Dementsprechend
zieht Hegel die beachtenswerte Folgerung, dass der Geist in seiner Unendlichkeit
und Freiheit, bzw. die „menschliche als wirkliche Subjektivität“ in ihrer erfüll-
ten Substanzialität zum neuen Prinzip der Kunst und der künstlerischen Produk-
tion erhoben werden soll.9 In der „Flamme der Subjektivität“ ist das Pantheon
der alten Götter verbrannt worden, die Fülle des Geistes in seiner Tätigkeit wird
zur neuen Quelle des künstlerischen Schaffens. Indem der Geist im Zeitalter der
Moderne in sich, in seine Tiefe zurückkehrt, macht die Kunst „zu ihrem neuen
Heiligen den Humanus“. Es sind „die Tiefen und Höhen des menschlichen Gemüts
als solche“, die zur Inspiration des künstlerischen Schaffens werden. Die Freiheit
und Autonomie des Künstlers hat dazu geführt, dass „der Künstler seinen Inhalt
an ihm selbst“ hat und „ist der wirklich sich selbst bestimmende, die Unendlich-
keit seiner Gefühle und Situationen betrachtende, ersinnende und ausdrückende
Menschengeist, dem nicht mehr fremd ist, was in der Menschenbrust lebendig
werden kann“.10 Vom Künstler wird nun erwartet, dass er in der Gesellschaft als
poeta doctus auftritt. Durch die Fokussierung der Kunst auf die Humanität eröff-
net Hegel eine neue Dimension für die Kunst und behauptet somit indirekt, dass
die Kunst nicht ihre Möglichkeiten erschöpft hat, sondern zeitgemäß einen neuen
Inhalt für die eigene Kreativität gefunden hat, die in der Moderne einen partialen
Charakter resp. eine okkasionelle Dimension hat.
Hegels Gedanke der „zweiten Natur“ ist in der gegenwärtigen philosophi-
schen Diskussion sehr aktuell geworden und kann als Grundlage für die Korrek-
tur der einseitigen gegenwärtigen philosophischen Argumentationen gebraucht
werden.11 Hegel meint, dass die institutionellen Lebensformen, die durch
are shaped by reason is natural, even while we deny that the structure of the space of reasons
can be integrated into the layout of the realm of law. This is the partial re-enchantment of nature
that I spoke of.“ (John McDowell, Mind and World, London 1994, 87)
12 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 4, 146 und 151.
13 TWA 7, 46, § 4.
14 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4.
15 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), § 385.
16 TWA 17, 146.
17 TWA 7, 301, § 151.
18 TWA 4, 259.
148 Jure Zovko
Sache voraus, das Nachdenken über den Zweck und das Wesen der Sache, über
ihre sämtlichen Zusammenhänge. Der gebildete Mensch hütet sich, über etwas
vorschnell zu urteilen, was er nicht kennt, oder bloß aus einer Perspektive ver-
steht, weil er „die Grenze seiner Urteilsfähigkeit“ weiß.19 Wenn Hegel behauptet,
dass zur Bildung „Sinn für das Objektive in seiner Freiheit“ gehört, ohne ein sub-
jektives Interesse, dann versteht er darunter das uneigennützige Interesse am
Studium der Wissenschaften, die man „um ihrer selbst kultiviert“. „Auch das
Interesse für die schöne Kunst ist ein uneigennütziges. Sie stellt die Dinge in ihrer
lebendigen Selbständigkeit dar und streicht das Dürftige und Verkümmerte, wie
sie von äußeren Umständen leiden, von ihnen ab.“20
Dass Hegel die Sittlichkeit der „zweiten Natur“ auch mit der Philosophie
der Kunst in engen Zusammenhang bringen wollte, ist aus seiner schonungs-
losen Kritik der frühromantischen Kunstauffassung ersichtlich. Hegels Vorhal-
tung richtet sich primär gegen die romantische „selbstbewußte Vereitelung des
Objektiven“, die in der Kunsttheorie als eine der Grundvoraussetzungen der
künstlerischen Autonomie genommen wird. Es sind primär verschiedene Berei-
che des Substantiellen, nämlich alles, was als sachlich, sittlich, wahrhaftig und
gehaltvoll gilt, die in der frühromantischen Kunsttheorie negiert werden.21 Dem
ironischen Subjekt der Frühromantiker erscheint nach Hegels Urteil all dies als
„nichtig und eitel“, nur die eigene, „geniale Individualität“ ist ihm wertvoll und
wird zum kreativen Prinzip des künstlerischen Schaffens erhoben. Die „Virtuosität
eines ironisch-künstlerischen Lebens“ versteht sich als eine „göttliche Genialität“
und fühlt sich an keine Substantialität gebunden; sie kann in der künstlerischen
Tätigkeit „dasselbe vernichten wie schaffen“. Ihr Ideal bleibt es, „als Künstler zu
leben und sein Leben künstlerisch zu gestalten.“22 Das einzige Beurteilungskrite-
rium für das Gelingen oder Misslingen dieser künstlerischen Existenzweise sind
die hervorgebrachten Kunstwerke und ihre Wirkungsgeschichte.
Hegel kann dieses Konzept der Kunst nicht als Prinzip der Moderne anneh-
men, weil mit ihm die Verantwortlichkeit aus dem Bereich der Freiheit aus-
geklammert wird. Im Gegensatz zu den Romantikern bemüht sich Hegel, zu
ergründen, inwiefern ein Leben aus der Perspektive des Absoluten gedacht und
im Bereich der Kunst artikuliert werden kann. Das „recht Lebendige“ soll nicht
an Hand des künstlerischen Schaffens von Novalis und Kleist exemplifiziert
werden, wie dies beispielsweise Hegels Berliner Freund Karl Wilhelm Ferdinand
19 Ebd.
20 Ebd.
21 TWA 13, 96 f.
22 Ebd., 94.
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 149
Solger tut, weil die Werke der genannten Dichter „ein in sich entzweit bleiben-
des, sich selbst störendes Leben“ zur Sprache bringen.23 Dafür, wie sich Kunst
in einer Zeitepoche nach ihrer Befreiung von der theonomen Moralbegründung
erneut behaupten und „das recht Lebendige“ in der künstlerischen Produktion
manifest sein kann, ohne dabei in die romantische Falle des Relativismus und
sittlichen Skeptizismus zu geraten, sollten uns nach Hegels Beurteilung jeden-
falls Goethe und Schiller als positive Beispiele und Vorbilder dienen. Von Goethe
übernimmt Hegel übrigens auch die Idee des Humanus, der als der „neue Heilige“
der postromantischen Kunst24 ihr einen auratischen Glanz der Autonomie ver-
leihen soll. Mit dem Rekurs auf die Aristotelische „höchste Lebendigkeit“ in der
Solger-Rezension möchte Hegel plausibel machen, dass die eigentliche Leben-
digkeit des Geistes keineswegs die des lebendigen Individuums ist, das den Sinn
seiner Existenz darin sieht, die Lebensform des Künstlers als die höchste Instanz
zu proklamieren und dementsprechend im Lebensvollzug zu handeln und die
objektive Sittlichkeit zu verneinen. Hegels philosophisch-künstlerische Intention
bleibt es, das Leben in seinen verschiedenen Lebensformen aus der Perspektive
des Absoluten zu verstehen und zu deuten, und dies auch im Bereich der Kunst
zu vollziehen.
Die Tatsache, dass sich die romantische Kunst unter starkem Einfluss der
Schlegelschen Ironiekonzeption entwickelt hat, betrachtet Hegel als primäre
Aufgabe und Verpflichtung der Philosophie, die Kunst in die Bahn der „zweiten
Natur“ zu lenken. Die Kunst darf keineswegs die Willkür des Künstlers, die „kein
Gesetz über sich leide“,25 zur höchsten Instanz des künstlerischen Schaffens
erheben, wobei das dialektische Spiel der „Selbstschöpfung“ und „Selbstver-
nichtung“ als Prinzip und Endzweck der künstlerischen Tätigkeit angesehen
wird. 26 Hegel hat allerdings eingesehen, dass die frühromantische Verkoppe-
lung der ästhetischen und sittlichen Stimmung zur Aufhebung des traditionellen
Ethos führt und deshalb diese Tendenz in der Kunst- und Dichtungsbestimmung
einer heftigen Kritik unterzogen. Die romantische Ironie, im Sinne einer krea-
tiven Skepsis, die in uns eine zurückhaltende Stimmung gegen die bestehende
institutionelle Weltanschauung erregt, kann den Status des sich vollbringenden
Skeptizismus nicht erreichen. Die Ansicht, dass die ironische Stimmung des Indi-
viduums, alle Formen des Bedingten, somit auch die institutionelle Sittlichkeit,
zu transzendieren vermag, bleibt nach Hegels Urteil kein Garant für das Gelingen
23 Ebd.
24 TWA 14, 237.
25 KFSA 2, 183, Nr. 116.
26 KFSA 2, 172 Athenaeum-Fragment 51.
150 Jure Zovko
der Kunst bzw. für die Erfüllung ihrer Aufgabe im Zeitalter der Moderne. Schlegels
Bestimmung der modernen Kunstauffassung, wonach ihre Grundcharakteristik
das Interessante, Individuelle, Eigenartige, sogar das Frappante und Schockie-
rende sei, ist für Hegel ein ausreichender Grund, sich von einem solchen Modell
der Kunst in der Moderne entschieden zu distanzieren und es als verhängnisvoll
für die weitere Entwicklung der Kunst zu kennzeichnen. Schlegels Transforma-
tion der Kunst als Explikation der Schönheit zu einer Ästhetik des Hässlichen
wird aber auch von Hegel mutatis mutandis mitgemacht. In der nachträglich
(1797) geschriebenen „Vorrede“ zu der Schrift Über das Studium der griechischen
Poesie hat sich Schlegel im Bereich der Kunsttheorie für „die Deduktion des Inter-
essanten“ ausgesprochen, die seines Erachtens „vielleicht die schwerste und ver-
wickeltste Aufgabe“ ist.27 Da „das Interessante notwendig auch intellektuellen
oder moralischen Gehalt“ hat, hat Schlegel die Befürchtung geäußert, dass auch
im Bereich des Moralisch-Sittlichen analoge Entwicklungen wie in der Kunstthe-
orie folgen könnten. Dies werde letztendlich zum allgemeinen Zweifel an der uni-
versalistischen Begründung der Moral führen,28 bzw., wie Hegel sagt, die Vereite-
lung der sittlichen Objektivität der zweiten Natur zur Folge haben. Hegel fühlt sich
in seiner Ansicht durch die Tatsache bestätigt, dass die prominenten Vertreter
der deutschen Klassik, namentlich Schiller und Goethe, weiterhin die allgemein-
gültige Objektivität und die sittliche Substantialität als wesentliche ästhetische
Bestimmungen des Kunstwerkes betrachtet haben. Obwohl der Streit im Hinblick
auf die zukünftige Entwicklung und Bestimmung der Kunst und Literatur, wie es
Emil Staiger prägnant formulierte, eindeutig mit „Friedrich Schlegels Sieg über
Schiller“ beendet wurde,29 hat Hegel, der während dieser Querele der Vertreter
der romantischen Moderne und des Klassizismus in der Nähe zu Schiller und
Goethe stand,30 fast im gleichem Maße die Diskussion um die Bestimmung der
Kunst geprägt. Hegels These von der „Aufhebung“ der Kunst hat die Kunst nicht
abgeschafft, sondern ihr neue Impulse gegeben, indem die Kunst im 20. Jahr-
hundert in die Nähe zur Philosophie gebracht wurde und ihr als vornehmliche
Aufgabe die Förderung und Aufbewahrung der Humanität zugeteilt war. Goethe,
von dem auch die Idee des Humanus in der Philosophie der Kunst übernommen
wurde, gilt nun nach Hegels Urteil als Paradigma des Künstlers, der Kunst und
27 KFSA 1, 213.
28 Ebd., 214.
29 Emil Staiger, Friedrich Schlegels Sieg über Schiller, Heidelberg 1981, 18; vgl. auch E. Staiger,
Friedrich Schiller, Zürich 1967, 417–427.
30 Otto Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik. 2., um ein Nachwort erweiterte Auflage, München
1999, 232.
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 151
Dichtung mit der Sittlichkeit innig vereinigt hat, wofür sein West-östlicher Divan
ein schöner Beleg ist. Ob der Humanus als der säkularisierte Heilige der postrom-
antischen Kunst den verlorenen auratischen Glanz wieder verleihen kann, bleibt
ein intensives Diskussionsthema der Bestimmung der Kunst und ihrer Aufgabe in
der modernen Gesellschaft.
Hegel hat offensichtlich durch seine Idee der zweiten Natur die auf die
Schönheit reduzierte Form des „ästhetischen Platonismus“ aus seiner früheren
Phase in seinen Schriften nach der Veröffentlichung der Grundlinien der Philoso-
phie des Rechts aufgehoben. Für Hegel war besonders Schillers Transformation
der Kantischen Bestimmung der Schönheit als „Symbol der Sittlichkeit“ relevant.
Auch Schillers Ansicht, dass die Freiheitsidee Bedingung für die Manifestation
der Sittlichkeit ist, war für Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit
ausschlaggebend. Daraus leitet Hegel die Aufgabe der Kunst ab, „Volkserziehe-
rin“ zu sein, denn durch die Bildung wird unsere „zweite Natur“, die auch Kultur
im weiteren Sinne beinhaltet, ausgebildet. Das kulturell Vorgegebene im Sinne
des objektiven Geistes kann in der Kunst nicht bis zur Abstraktion ausgeklammert
werden. Schillers Auffassung, dass die Kunst nur im Kontext der Freiheit und als
Produkt der Freiheit zu thematisieren ist – Kunst als „Freiheit in der Erscheinung“
–, bleibt maßgebend für Hegels Lösung vom ästhetischen Platonismus. In Hegels
Schriften lassen sich Grundzüge eines ästhetischen Platonismus vom Ältesten
Systemprogramm des deutschen Idealismus bis zu den Berliner Ästhetik-Vorle-
sungen feststellen, wie Klaus Düsing plausibel nachgewiesen hat.31 Das Ideal der
Schönheit hat sich nach Hegels Urteil in der klassischen Kunstform, namentlich
in der antiken Skulptur der Götter, bis zur Vollkommenheit entwickelt, so dass
Schönheit als „das sinnliche Scheinen der Idee“ bestimmt wurde. Mit der Entfal-
tung der romantischen Kunstform in der christlich-germanischen Welt wird die
Thematik der Kunstreligion namentlich in den Passions- und Erlösungsgeschich-
ten fortgesetzt, wobei sich neue Kunstformen der Malerei, Musik und Poesie eta-
bliert haben. Die alten Lebensformen werden durch neue ersetzt; auch die Kunst
transformiert sich im Kontext der Etablierung der Freiheit als neuer Lebensform.
In der Epoche der Moderne resp. der kritischen Vernunft haben Gedanke und
Reflexion „die schöne Kunst überflügelt.“32 „Die Reflexionsbildung unseres heu-
tigen Lebens“, so behauptet Hegel in seinen Ästhetik-Vorlesungen, „macht es
uns, sowohl in Beziehung auf den Willen als auch auf das Urteil, zum Bedürfnis,
31 Vgl. Klaus Düsing: „Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel“, in: Homburg v. d.
Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis von Hegel und Hölderlin,
hg. v. C. Jamme und O. Pöggeler, Stuttgart 1981, 101–117.
32 TWA 13, 24.
152 Jure Zovko
33 Ebd., 24 f.
34 Vgl. Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, München 2005, 317 f.
35 TWA 13, 89.
36 Ebd., 91.
37 Ebd., 76.
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 153
aus dem Geist geboren und vom Geist wiederum verstanden, interpretiert und
beurteilt wird, kann auch heutzutage als solide Ausgangsbasis für die retrospek-
tive philosophische Reflexion über die Kunst fungieren. Ob dadurch ebenfalls ein
Beitrag zur Klärung der Rolle und Relevanz der Kunst in der Gesellschaft geleistet
wird, bleibt offen. Die Kunst hat im Verlauf der westlichen Tradition wesentlich
zur geistigen Bildung der Menschen beigetragen und andererseits wurde ihr die
enorme Signifikanz in der Epoche der humanen Selbstbehauptung beigemessen,
bzw. sie hat wesentlich zur Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse
beigetragen. Kunstwerke als Produkte menschlicher Tätigkeit sind für den Men-
schen hervorgebracht, damit der Geist des Menschen durch sie bereichert und
gebildet wird.
Obwohl Hegel bekanntlich die Kunst im engeren Sinne nicht in den Bereich
des objektiven Geistes gestellt, sondern diese in die Sphäre des absoluten Geistes
bzw. der „ideelen Welt“, die mit ihm korrespondiert, transferiert hat,38 thema-
tisieren die Interpreten, spätestens seit Dilthey, mit Recht auch die Kunst als
Errungenschaft und Konstituens des „objektiven Geistes“. Dementsprechend
sollte nicht nur der Staat mit dem Rechtsystem und den staatlichen Institutionen,
sondern auch die Kultur im weiteren Sinne als Bestandteil des objektiven Geistes
erforscht werden. Dabei sollten nicht nur die Ergebnisse der Vervollkommnung
des Menschen im Bereich des Wissens und der Gesetzbildung, sondern auch
sämtliche Errungenschaften der Kunst und Wissenschaften, Moralität und Tra-
dition sowie Sittenverfeinerung und Bildung einbezogen werden. Daher schreibt
Hegel in den Nürnberger Schriften: „Der Staat faßt die Gesellschaft nicht nur
unter rechtlichen Verhältnissen, sondern vermittelt als ein wahrhaft höheres
moralische Gemeinwesen die Einigkeit in Sitten, Bildung und allgemeiner Denk-
und Handlungsweise (indem jeder in dem anderen seine Allgemeinheit geistiger-
weise anschaut und erkennt).“39
Eine der wichtigsten Verpflichtung der Kunst bestehe nach Hegels Einsicht
in der „Bewahrung der sittlichen Grundlagen“, wie dies in der klassischen Kunst-
form der Fall war: „Die Grundlage der Charaktere muß daher immer noch das
Substantielle sein, und das Schlechte, Sündliche, Böse der sich in sich verhau-
senden Subjektivität ist von den Darstellungen des Klassischen ausgeschlos-
sen; vor allem aber bleibt der Kunst hier die Härte, Bosheit, Niederträchtigkeit
und Gräßlichkeit, welche im Romantischen eine Stelle erhält, noch durchweg
fremd.“40
41 TWA 4, 307.
42 Vgl. Hegel, Enzyklopädie (1830), § 377.
43 TWA 13, 26.
Hegels Aufhebung der Schönheit durch die Sittlichkeit 155
Wie lässt sich die Zeitlichkeit von Kunstwerken verstehen, wenn diese sich inso-
fern als unerschöpflich zu erweisen scheinen, als sie immer wieder neu erfahr-
bar sind? Wie lassen sich Kunstwerke geschichtlich einordnen, wenn sie immer
wieder erneut einen kritischen Kontrast zur Gegenwart zu bilden vermögen?
Um eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten, geht es mir im Folgenden
zunächst (I.) um die Klärung der für Hegel philosophiegeschichtlichen Traditions-
linien, in denen der Kunst eine wahrheitsrelevante Aufgabe überantwortet wird.
Sodann lege ich (II.) dar, warum die dem Kunstwerk eigentümliche Zeitlichkeit
kunstphilosophisch nicht historisierbar ist. Abschließen werde ich (III.) meine
Erörterungen mit der These, dass Hegels kritischer Bezug auf die Geschmacksäs-
thetik eine Lesart vom Ende der Kunst bietet, die Aufschluss über die kunstphilo-
sophischen Gründe für diese These gibt.
1 TWA 13, 139. – In sinnlicher Form drückt sich in der Schönheit die Idee aus: identisch mit
ihrer Realität ist die Idee als Wahrheit Schönheit. Jan Patocka, „Hegels philosophische und
ästhetische Entwicklung“, in: ders., Kunst und Zeit, Stuttgart 1987, 234–324, hier: 316.
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 157
6 Ebd., 195.
7 TWA 13, 197.
8 Hegel, Jenaer Realphilosophie, a. a. O. (Anm. 5), 282.
9 Ebd., 281.
10 TWA 13, 16.
11 Ebd., 21.
12 Ebd., 21.
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 159
Betrachtung der Welt und seines Daseins inmitten der Welt.13 Der letzte Gedanke
deutet zugleich an, worin die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit der
sinnlichen Gestaltung von Wahrheit liegen wird: im schönen Schein.
Die Täuschung, die vom Schein des Schönen ausgeht, beruht darauf, dass
die Kunst nicht das wirkliche Geschehen mitteilt, sondern das, was nach den
Regeln der Wahrscheinlichkeit geschehen könnte. Was Aristoteles von der Dich-
tung behauptet, dass sie nämlich etwas mitteilt, was wahrscheinlich geschehen
könnte,14 trifft bei Hegel für die Kunst allgemein zu. Ein verweilendes Denken
gäbe es kaum, wenn die Täuschung des Kunstschönen nicht den Effekt hätte,
glaubwürdig darzustellen, was im Bereich der „Höhen und Tiefen des menschli-
chen Geistes als solchen“, in der Sphäre des „Allgemeinmenschliche(n) in seinen
Freuden und Leiden, seinen Bestrebungen, Taten und Schicksalen“ wahrschein-
lich geschehen könnte.15 Wie sollte Kunst all das umfassen, „worin der Mensch
überhaupt heimisch zu sein die Befähigung hat“,16 wie sollte Kunst „die schlum-
mernden Gefühle, Neigungen und Leidenschaften aller Art […] wecken und […]
beleben“ können, das „Herz […] erfüllen und den Menschen […] alles durchfüh-
len […] lassen, was das menschliche Gemüt in seinem Innersten und Geheimsten
tragen, erfahren und hervorbringen kann, was die Menschenbrust in ihrer Tiefe
und ihren mannigfaltigen Möglichkeiten und Seiten zu bewegen und aufzuregen
vermag“17 – wie sollte Kunst all das erreichen, wenn nicht als ein wahrscheinli-
ches Geschehen? Der von Hegel als ‚Höhen und Tiefen des menschlichen Geistes
als solchen‘ bezeichnete potentielle Gegenstand von Kunst umfasst die kontin-
gente Welt der Politik, des Rechts und der Gesellschaft, und die Darstellung dieses
Bereichs wird durch eine Logik des Wahrscheinlichen in Balance gehalten.18
Dieser konturlose Bereich all dessen, das sich, so wie es ist, auch anders
verhalten könnte, fällt bei Aristoteles in die Rhetorik und bei Hegel in die Kunst,
deren eigentümliche Macht darin besteht, durch „eine nur täuschende äußere
Gegenwart“ einerseits die „natürliche Erfahrung unseres äußerlichen Daseins“ zu
ergänzen und andererseits empfänglich dafür zu machen, dass die „Erfahrungen
des Lebens uns nicht ungerührt lassen“.19 Die Täuschung durch den Schein der
Kunst, die Anschauung und Vorstellung möglich machen,20 „befreit innerhalb
13 Ebd., 65.
14 Aristoteles, Poetik 1451 b. 9.
15 TWA 14, 237 f.
16 TWA 13, 140.
17 Ebd., 70.
18 Vgl. die Darlegung von Christian Stetter, Schrift und Sprache, Frankfurt/Main 1997, 361.
19 TWA 13, 70.
20 Ebd., 70.
160 Mirko Wischke
der sinnlichen Sphäre zugleich von der Macht der Sinnlichkeit“.21 Entgegen Hegel
ließe sich mit Nicolai Hartmann darauf verweisen, dass der Schein der Kunst
weder allein von der Macht der Sinnlichkeit löst noch es ihm allein vorbehalten
ist, innerhalb der sinnlichen Sphäre zur Sinnlichkeit auf Distanz zu gehen. Bei-
spielsweise hat es „der die Frühlingslandschaft ästhetisch Genießende […] eben-
sowenig wie der praktisch sie Abschätzende mit dem sinnlich gegebenen Realen
allein zu tun. Beide haben noch ein anderes vor Augen, für beide taucht hinter
dem unmittelbar Gesehenen ein Nichtgesehenes auf, das ihnen das eigentlich
Wichtige ist; sie schauen also beide hindurch auf dieses andere und verweilen bei
ihm“, der eine in ökonomischen Erwägungen, der andere im „Hingegebenseins“
des Anblicks.22 Es bleibt jedoch nicht beim Anblick allein, und deswegen ist der
Einwand gegen Hegel nur begrenzt gerechtfertigt. Das Kunstschöne erweckt den
Eindruck der Verwunderung angesichts einer Darstellung, die vom geläufigen
Verständnis dessen abweicht, was zur Darstellung gelangt. Auf diese Weise ver-
setzt die Kunst den Menschen in die Lage, zweierlei Art von Beziehung zur Welt zu
haben: Neben der Beziehung zu den Dingen, wie es dem geläufigen Verständnis
(darunter fällt auch der in ökonomische Betrachtung vertiefte Betrachter der Früh-
lingslandschaft) entspricht, besteht eine Beziehung zu den Dingen, die unter dem
Eindruck der Verwunderung dem geläufigen Verständnis entrückt sind.
In der Betrachtung des Kunstschönen tritt die Welt dem erstaunten Men-
schen verwandelt, anders, vielleicht sogar rätselhaft entgegen und regt auf diese
Weise zum Nachdenken an; das Erstaunen angesichts des Kunstschönen stört aus
der Ruhe des Hinnehmens auf, mit der größtenteils etwas wahrgenommen und
betrachtet wird.23 Wenn Hegel der Kunst bescheinigt, „die umfassendsten Wahr-
heiten des Geistes“ zu Bewusstsein zu bringen und auszusprechen,24 so mutet dies
zu Recht wie eine Aufwertung von Baumgartens These von der Kunst als einem
niederen Erkenntnisvermögen an. Von einer Relativierung des Wahrheitsgehalts
der Kunst (im Sinne einer niederen Erkenntnis oder dem noch zu erörternden
Ende der Kunst) ist in dieser Äußerung Hegels nichts zu spüren. Gleichwohl bahnt
eine solche Relativierung sich an, und zwar im Problem, wie die ‚umfassendsten
Wahrheiten des Geistes‘ überhaupt zu Bewusstsein gebracht werden können.
Im Kunstwerk stellt sich Wahres dar, das wir mit unseren Sinnen allein nicht
zu entdecken und zu erkunden vermögen. Kunstwerke sind zwar die den Sinnen
zugewandte Gestaltungen, die wir jedoch nicht mit unseren Sinnen allein zu ent-
21 Ebd., 74.
22 Nicolai Hartmann, Ästhetik, Berlin 1953, 32.
23 Vgl. Walter Bröcker, Aristoteles, Frankfurt/Main. 1935, 18.
24 TWA 13, 64.
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 161
decken vermögen. Indem uns das Kunstwerk zur Betrachtung einlädt, bildet es den
Auftakt einer denkerischen Anstrengung, ohne bereits das Denken selbst zu sein.
Die Gegebenheitsweise der im Kunstwerk zur sinnlichen Anschauung gebrachten
Wahrheit erschließt sich der denkenden Betrachtung, nicht der Erfahrung unmit-
telbaren Genusses des Schönen. Im Kunstwerk tritt der Anschauung ein über das
Sinnliche hinausliegendes und ansichbestehendes Nichtsinnliches entgegen, das
die Betrachtung zunächst passiv hinnimmt und das verweilende Denken zu ent-
decken sich anschickt. Nicht in der sinnlichen Gewissheit unserer Wahrnehmung
dessen, was wir am schönen Schein der Kunst wahrzunehmen meinen, vollzieht
sich die Aneignung der im schönen Schein geborgenen Wahrheit, sondern in der
darauf folgenden denkenden Betrachtung. Der Passivität des sinnlich Angeschau-
ten als einem Geschehen in den Sinnesorganen, steht die Aktivität der durch das
sinnlich Angeschaute ausgelösten denkenden Betrachtung und des Urteils über
den „Inhalt, die Darstellungsmittel des Kunstwerks und die Angemessenheit
und Unangemessenheit beider“ gegenüber.25 Betrachtende Anschauung und ver-
weilendes Denken bilden zwar zwei selbständige Momente, offen bleibt jedoch,
wie das Ineinander von Anschauung und Denken zu verstehen ist: als Abfolge
oder zirkelartige Bewegung. Ist es als eine Abfolge zu verstehen, so verschwin-
det die Anschauung im Denken; soll es eine unabgeschlossene Bewegung von
der Anschauung zum Denken und vom Denken zurück zur Anschauung sein, ist
unklar, ob im Verlauf dieser zirkelartigen Bewegung am Kunstwerk das Schöne
überhaupt noch wahrgenommen werden kann, wenn es doch das Denken ist, von
dem der Impuls einer erneuten Rückwendung zur Betrachtung ausgeht.
Indem Hegel allein dem Denken die Leistung zuschreibt, die durch die vom
Kunstwerk zur Anschauung gebrachte Wahrheit zu erkennen, und „das Sinnli-
che der Kunst […] auf die beiden theoretischen Sinne des Gesichts und Gehörs“
beschränkt,26 stimmt er indirekt Descartes zu, der die „irreduzible Unbestimmt-
heit“ des Sinnlichen als Argument dafür nimmt,27 dass es im Feld der Sinnlich-
keit kein Erkennen gibt: Es kann kein Erkennen im Feld der Sinnlichkeit geben,
25 Ebd., 25 f.
26 Wie Hegel mit Aristoteles festhält, bezieht sich „das Sinnliche der Kunst nur auf die beiden
theoretischen Sinne des Gesichts und Gehörs, während Geruch, Geschmack und Gefühl vom
Kunstgenuß ausgeschlossen bleiben. Denn Geruch, Geschmack und Gefühl haben es mit dem
Materiellen als solchem und den unmittelbar sinnlichen Qualitäten desselben zu tun; Geruch
mit der materiellen Verflüchtigung durch die Luft, Geschmack mit der materiellen Auflösung
der Gegenstände, und Gefühl mit Wärme, Kälte, Glätte usf. Aus diesem Grunde können es
diese Sinne nicht mit den Gegenständen der Kunst zu tun haben, welche sich in ihrer realen
Selbständigkeit erhalten sollen und kein nur sinnliches Verhältnis zulassen.“ Ebd., 60.
27 Christoph Menke, Kraft. Ein ästhetischer Grundbegriff, Frankfurt/Main 2008, 20.
162 Mirko Wischke
28 Ebd., 15.
29 TWA 13, 24.
30 Ebd., 25. Bereits Platon verweist darauf, dass Schönheit einstmals glänzend zu erschauen
gewesen ist. Vgl. Phaidros 250 d7.
31 Konrad Liessmann, Philosophie der modernen Kunst. Eine Einführung, Wien 1999, 36.
32 Karl Heinz Bohrer, Plötzlichkeit, Frankfurt/Main, 1981, 134.
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 163
rung der vom Kunstschönen ausgehenden Macht der Entrückung aus der sinnli-
chen Sphäre menschlicher Lebensvollzüge greift diese Folgerung kunstphiloso-
phisch zu kurz. Nicht nur bleibt unberücksichtigt, dass das Ende der Kunst ein
Erlahmen der Kraft zur Entrückung durch das Kunstschöne ausschließt; unbe-
achtet bleibt ebenso, dass in dieser Kraft eine Zeitlichkeit des Kunstwerks zum
Ausdruck kommt, die eigentümlich ist, weil sie in einem Kontrast zur Relativie-
rungsthese steht. Wie nämlich Hegels Ausführungen zum Kunstschönen zu ent-
nehmen ist, wird die Kraft des schönen Scheins von der Relativierungsthese nur
bedingt berührt.
Wie Platon ist auch Hegels theoretische Aufmerksamkeit am Schönen der
Kunst auf die Wahrnehmung und die denkende Betrachtung gerichtet, die er mit
Aristoteles um den Gedanken von der Erkenntnisfähigkeit der Kunst in zweifa-
cher Weise ergänzt: in Form der Wahrheit des schönen Scheins des Kunstwerks
und in Form der der verweilenden Betrachtung sich erschließenden Welt diesseits
der empirischen äußeren und inneren Welt. Diese Formen von Erkenntnis betref-
fen jedoch nicht die Möglichkeit der Erkenntnis von Kunst, sondern die durch
das Kunstschöne ausgelösten Formen von wahrheitsfähiger Erkenntnis. Diese
Formen sind historische Formen, nicht aber in dem Sinne der historisch kon-
textualisierenden bzw. geschichtsphilosophischen Erklärung von Hegels These
vom Ende der Kunst. Für die Annahme, dass es verschiedene Entwicklungsstufen
der Wahrheit gibt, findet sich bei Hegel neben der historisch kontextualisieren-
den bzw. geschichtsphilosophischen Erklärung eine kunstphilosophische, die
der ersten Erklärung in dem Punkt widerspricht, wo es um die Zeitlichkeit des
Kunstwerks geht. Die kunstphilosophische widerspricht der geschichtsphiloso-
phischen Erklärung darin, dass die dem Kunstwerk eigentümliche Zeitlichkeit
historisierbar sei.
Hegel geht davon aus, dass Kunstwerke so lange von Interesse sind, wie sie
„noch ein Geheimes, Nichtoffenbares“ verbergen zu scheinen. Dies sei nicht mehr
der Fall, sobald das Kunstwerk an „wesentlichen Weltanschauungen […] für ein
besonderes Volk“ in einer „besondere(n) Zeit“ einen „bestimmten Gehalt“ verloren
hat.33 Kunstwerke verfallen jedoch nicht der Vergangenheit, um in Vergessenheit zu
geraten. Vielmehr erwacht laut Hegel „das wahrhafte Bedürfnis“ an jenen Kunst-
werken in späteren Epochen erneut, und zwar „mit dem Bedürfnis, sich gegen den
bisher allein gültigen Gehalt zu kehren; wie in Griechenland Aristophanes z. B. sich
gegen seine Gegenwart und Lukian sich gegen die gesamte griechische Vergangen-
heit erhob und in Italien und Spanien, beim scheidenden Mittelalter, Ariosto und
Cervantes sich gegen das Rittertum zu wenden anfingen“.34 Indem sie immer wieder
erneut einen kritischen Kontrast zur Gegenwart bilden kann, scheint die Zeitlich-
keit des Kunstwerks von einer phänomenologisch unergründlichen Zeitlosigkeit zu
sein, wobei klärungsbedürftig ist, was diese Unergründlichkeit hervorruft.
Mit Gadamer ließe sich behaupten, dass die unergründliche Zeitlosigkeit
des Kunstwerks daraus resultiert, dass die Betrachtung eines Kunstwerks „einen
unausschöpfbaren Gegenstand des Verweilens und Deutens“ bietet.35 Gleiches
betont auch Hegel, wenn er in Umkehrung des historischen Ansatzes betont,
dass Kunstwerke vergangener Epochen kritisch auf die Gegenwart zurück wirken
können. Indem Hegel weder den Kunstgegenstand explizit von den Aktivitä-
ten her bestimmt, die Subjekte in Bezug auf diesen Gegenstand ausüben, noch
eine Linearität der Wirkungsgeschichte des Kunstschönen voraussetzt, vertritt
er kunstphilosophisch – in moderne Terminologie übersetzt – einen Antirealis-
mus, der sich holistisch begründet: ersteres, weil er ein „Andersverstehen des
Interpretandums“ (das, was interpretiert werden soll) für zulässig hält,36 und
letzteres, weil das Kunstwerk als Ganzes den Kontext (‚Teile‘) relativiert und nicht
vorhersehbaren Modifikationen (die als Interpretationen ‚Teile‘ der Wirkungsge-
schichte wären) ausgesetzt ist.
34 Ebd., 233.
35 Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O. (Anm. 2), 99.
36 Hans Krämer, Kritik der Hermeneutik. Interpretationsphilosophie und Realismus, München
2007, 13.
37 Als ein natürliches Vermögen des Menschen wird das Geschmacksurteil in der cartesianischen
Ästhetik Fontanelles, Houdar de la Mottes und Crousaz’ zum „vorweggenommenen Verstandes-
urteil“. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. J. Ritter, K. Gründer und G. Gabriel,
Bd. 1–13, Basel 1971–2007, Bd. 3, 447.
Kraftlose Schönheit? Hegel über die Zeitlichkeit des Kunstwerks 165
Geschmacksbegriff mit Beginn des 18. Jahrhunderts immer mehr ins Zentrum
der ästhetischen Diskussion rückt, der Zusammenhang zwischen Wahrheit und
Schönheit verblasst; untersucht wird nicht das Schöne, sondern wie das wahr-
nehmende Subjekt auf Schönheit reagiert.
Hegel rehabilitiert nicht nur den Zusammenhang zwischen dem Schönen
und der Wahrheit; er historisiert auch die Wahrheit des Kunstschönen. Die histo-
risch kontextualistische Lesart, wie sie Hegels Begründung des Endes der Kunst
nahe legt, gibt ein äußerliches Ordnungsgefüge von Wissensformen an, in die
sie die Kunst einordnet. Hegels kritischer Bezug auf die Geschmacksästhetik legt
eine Lesart vom Ende der Kunst nahe, die Aufschluss über die kunstphilosophi-
schen Gründe für diese These gibt. Richtet die Geschmacksästhetik bei Kant die
Aufmerksamkeit auf die Art, wie das Schöne wirkt, so interessiert Hegel, was
am schönen Schein wahrheits- und erkenntnisfähig ist. Nicht das Schöne als
Gegenstand der Erfahrung von Schönheit und als Gegenstand des Geschmacks-
urteils interessiert Hegel, sondern was an Wahrheit sich in der sinnlichen Wahr-
nehmung zur Darstellung bringt und erkennen lässt. Während der Geschmack
als Urteil seine selbstnormierende Kraft gewinnt, und zwar indem er sich beim
Urteilen „durch das Sinnliche selbst“ ausprägt und bildet,38 bleiben denkendes
Verweilen und sinnliche Anschauung bei Hegel aufeinander angewiesen, auch
wenn die Anschauung hinter dem Denken zurücktritt.
Die sich in diesen Aspekten andeutende Differenz zur Geschmacksästhe-
tik täuscht jedoch. Denn da, wo der Gegensatz zum Geschmacksurteil hervor-
springt, verbirgt sich eine Gemeinsamkeit: dort nämlich, wo es um die Aporien
des Geschmacksurteils geht. Auch wenn Hegel sich kritisch auf die Geschmack-
sästhetik bezieht, so bleibt er doch, wie ich meine, den Aporien des Geschmacks-
urteils verhaftet und zwar mit gutem Grund: Einerseits ist das Kunstschöne der
Anschauung und der denkenden Betrachtung vorausgesetzt, andererseits wäre
ohne die Anschauung und die denkende Betrachtung die Wahrheit des schönen
Scheins überhaupt nicht wahrnehmbar und bliebe unbeachtet. Laut Kant ist das
Verhältnis von sinnlicher Wahrnehmbarkeit schöner Dinge und dem Schönheits-
urteil von einer zweifachen Asymmetrie geprägt: Zeitlich liegt das Kunstschöne
dem Urteil voraus, ästhetisch das Urteil dem schönen Gegenstand. Einerseits ist
das Geschmacksurteil früher als das Kunstschöne, andererseits das Kunstschöne
früher als das Urteil; das Kunstschöne ist gleichzeitig früher und später „als das
Geschmacksurteil, nur eben in verschiedenen Hinsichten“.39 Diese Asymmetrie
schreibt sich in Hegels Erörterung der Betrachtung des Kunstschönen fort. Wie
beim Geschmacksurteil wird Wahres am Schein der Kunst laut Hegel subjektiv
wahrgenommen, und zwar als Schönheit. Bei Hegel wie bei Kant variiert das
wahrgenommene Schöne nicht in Abhängigkeit von den Gegenständen, die wahr-
genommen bzw. beurteilt werden, sondern in Abhängigkeit von den Menschen,
die wahrnehmen bzw. urteilen. Hegel bleibt den Aporien des Geschmacksurteils
mit gutem Grund verhaftet. Denn hier finden sich die theorieinternen, kunstphi-
losophischen Gründe für die Zuordnung der Kunst zu einer im Kontrast zu dem
zeitgemäßen Standard des Wissens stehenden, d. h. niederen Wahrheits- und
Erkenntnisweise.
Die geschichtliche Relativierung nicht von Kunst schlechthin, sondern ihrer
Wahrheitsvermittlung ist genauer betrachtet weniger einer Cartesianischen Prä-
misse und daraus resultierenden geschichts- und kulturphilosophischen Folge-
rungen geschuldet, als vielmehr ein Resultat, zu dem Hegel bei dem Versuch
gelangt, die bei Kant zusammenlaufenden Aporien der Geschmacksästhetik im
Kontext einer reformulierenden Wiederaufnahme von Theorieelementen der
Kunstphilosophie Platons und Aristoteles’ zu betrachten. Hegel depotenziert
geschichtsphilosophisch die Annahme eines dem Kunstwerk eigentümlichen
Zugangs zur Wahrheit, ohne sich kunstphilosophisch von dieser Annahme wirk-
lich lösen zu wollen und zu können, da er nicht die dem Kunstwerk eigentümliche
Zeitlichkeit preisgeben will. Aus diesem Grund ist die Folgerung, dass das Ende
der Kunst generalisierend auf eine Relativierung der Kunst hinausläuft, kunstphi-
losophisch unpräzise, und zwar in Bezug auf die Ausklammerung der Zeitlichkeit
des Kunstwerks, die sich einer strikt historisierende Betrachtungsweise wider-
setzt, und in Bezug auf die untergründig fortwirkenden Aporien der Geschmack-
sästhetik, die einer Aufwertung von Kunst als einer besonderen Erkenntnisform
zwar Grenzen setzt, ohne diese jedoch preiszugeben.
Wilhelm Voßkamp
Hegels Interpretation des Romans zwischen
Klassik und Romantik1
1 Überarbeitete und modifizierte Fassung des Kapitels „Bildung und Roman – Hegels
Romantheorie als Poetik des Bildungsromans?“, in: Wilhelm Voßkamp, Der Roman des Lebens.
Die Aktualität der Bildung und ihre Geschichte im Bildungsroman, Berlin 2009, 143–161.
2 Viktor Žmegác, Der europäische Roman. Geschichte seiner Poetik, Tübingen 1990, 115.
168 Wilhelm Voßkamp
3 Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart und Weimar 2003, 428.
4 Vgl. Peter Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I. Antike und Moderne in der Ästhetik der
Goethezeit. Hegels Lehre von der Dichtung, hg. v. S. Metz und H.-H. Hildebrandt (Studienausgabe
der Vorlesungen, Bd. 2). Frankfurt/Main 1974; hier 275.
5 Vgl. Georg Lukács, Der junge Hegel. Ueber die Beziehungen von Dialektik und Oekonomie,
Zürich 1948.
Hegels Interpretation des Romans zwischen Klassik und Romantik 169
genrespezifisches Modell des Romans vor, in dem die Darstellung der konflik-
treichen Auseinandersetzung des Einzelnen mit gesellschaftlicher Wirklichkeit
und die Selbstvervollkommnung des Individuums im Mittelpunkt stehen. Bereits
1774 entwickelt Friedrich von Blanckenburg in seinem „Versuch über den Roman“
eine Konzeption des individuellen Werdens, die im Laufe des späten 18. Jahrhun-
derts in eine Konzeption des „Bildungsromans“ mündet.6 Dieser Terminus wird
1819/20 von dem Dorpater Professor für Eloquenz und Klassische Philologie,
Ästhetik und Geschichte der Literatur und Kunst, Karl Morgenstern, geprägt:
„Bildungsroman wird er heißen dürfen, erstens und vorzüglich wegen seines Stoffes, weil
er des Helden Bildung in ihrem Anfang und Fortgang bis zu einer gewissen Stufe der Voll-
endung darstellt; zweytens aber auch, weil er gerade durch diese Darstellung des Lesers
Bildung im weiteren Umfange als jede andere Art des Romans, fördert […] An sich gefal-
lende, schöne und unterhaltende Darstellung der Bildungsgeschichte eines ausgezeichnet
Bildungsfähigen wird sein objektiver, im Kunstwerk überall sich aussprechender Zweck des
Dichters eines solchen Romans seyn; ursprünglich und zunächst also, wie bei jedem wahr-
haft schönen Kunstwerk, nichts Didaktisches.“7
„Meisters Lehrjahre […] schildern uns den schönsten, genußvollsten und bildungsreichsten
Abschnitt eines ausgezeichneten Menschen-Lebens: […]; wo der lange gedrückte Geist, los-
gekettet aus dem dumpfen Kerker eines eingeschränkten Lebens, eines Lebens des Bedürf-
nisses endlich alle seine Flügel ausspannt […] und mit ungewöhnlichem Schwunge zur
Entwickelung seines moralischen, sowie des ihm eigenthümlichen Kunstsinnes hinstrebt
[…].“8
6 Vgl. Wilhelm Voßkamp, Romantheorie in Deutschland von Martin Opitz bis Friedrich von
Blanckenburg, Stuttgart 1973, vor allem Kap. VIII und IX. Zum „Bildungsroman“ insgesamt Rolf
Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, Stuttgart 11994; Georg Stanitzek, „Bildung und Roman
als Momente bürgerlicher Kultur. Zur Frühgeschichte des deutschen ‚Bildungsromans‘“, in:
Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), 416–450;
Wilhelm Voßkamp, „Ein anderes Selbst“. Bild und Bildung im deutschen Roman des 18. und 19.
Jahrhunderts, Göttingen 2004 und ders., Der Roman des Lebens, a. a. O. (Anm. 2).
7 Karl Morgenstern, Über das Wesen des Bildungsromans. Inländisches Museum, Bd. 1. 1820/21,
in: Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland 1620–1880, hg. v. E. Lämmert
u. a. Köln und Berlin 1971, 256 f.
8 Daniel Jenisch, Ueber die hervorstechendsten Eigenthümlichkeiten von Meisters Lehrjahren,
Berlin 1797, 13.
170 Wilhelm Voßkamp
12 Ebd., 81 f.
13 TWA 3, 364.
14 Vgl. G. Lukács, Der junge Hegel, a. a. O. (Anm. 5), 695 ff.
172 Wilhelm Voßkamp
„Im ersten Wesen ist es [das Subjekt] seiner als des Ansichseins bewußt, im zweiten aber
hat es das Werden des Fürsichseins durch die Aufopferung des Allgemeinen. Der Geist aber
selbst ist das Anundfürsichsein des Ganzen, das sich in die Substanz als bleibende und
in sie als sich aufopfernde entzweit und ebenso sie auch wieder in seine Einheit zurück-
nimmt, sowohl als die ausbrechende, sie verzehrende Flamme wie als die bleibende Gestalt
derselben.“15
Hier scheint der Anknüpfungspunkt für eine Theorie und Poetik jener deutschen
Sonderform des europäischen Romans zu liegen, die durch Beispiele von Chris-
toph Martin Wielands „Agathon“ und vor allem auf Grund von Goethes Roman
„Wilhelm Meisters Lehrjahre“ den Namen „Bildungsroman“ erhalten hat.
15 TWA 3, 366 f.
16 TWA 13, 20 f.
17 Ebd., 25 f.
18 Ebd., 28.
19 Ebd., 24.
Hegels Interpretation des Romans zwischen Klassik und Romantik 173
„Mag einer auch noch so viel sich mit der Welt herumgezankt haben, umhergeschoben
worden sein, zuletzt bekommt er meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, hei-
ratet und wird ein Philister so gut wie die anderen auch; die Frau steht der Haushaltung vor,
Kinder bleiben nicht aus, das angebetete Weib, das erst die Einzige, ein Engel war, nimmt
sich ungefähr ebenso aus wie alle anderen, das Amt gibt Arbeit und Verdrießlichkeiten, die
Ehe Hauskreuz, und so ist der ganze Katzenjammer der übrigen da“.24
Das ‚optimistische‘, auf Versöhnung und Ausgleich zwischen Subjekt und Gesell-
schaft zielende Modell, dem „wahrer Sinn“ zugeschrieben wird, ist in einer ironi-
schen Pointe relativiert und erinnert damit weniger an Goethes paradigmatischen
Roman als an Romane von Lawrence Sterne, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul.
Auch der Schlusssatz in Hegels Kapitel, der noch einmal an die „Abenteuerlich-
keit“ in einer historischen, ‚romantischen‘ Perspektive erinnert und die „nötige
Korrektion“ des „Phantastischen“ anmahnt, ändert nichts an diesem Gesamtbild.
Hegels Romankonzeption dokumentiert bereits in seiner literaturgeschichtlichen
22 Ebd.
23 Ebd., 220.
24 Ebd.
Hegels Interpretation des Romans zwischen Klassik und Romantik 175
„So ist z. B. Jean Paul bei uns ein beliebter Humorist, und doch ist er gerade vor allen
anderen auffallend in dem barocken Zusammenbringen des objektiv Entferntesten und dem
kunterbuntesten Durcheinanderwürfeln von Gegenständen, deren Beziehung durchaus
etwas Subjektives ist. Die Geschichte, der Inhalt und Gang der Begebenheiten ist in seinen
Romanen das am wenigsten Interessante. Die Hauptsache bleiben die Hinundherzüge des
Humors, der jenen Inhalt bloß gebraucht, um seinen subjektiven Witz daran geltend zu
machen. In diesem Beziehen und Verketten des aus allen Weltgegenden und Gebieten der
Wirklichkeit zusammengerafften Stoffs kehrt das Humoristische gleichsam zurück zum
Symbolischen, wo Bedeutung und Gestalt gleichfalls auseinander liegen; nur das es jetzt
die bloße Subjektivität des Dichters ist welche über den Stoff wie über die Bedeutung gebie-
tet und sie in fremdartiger Ordnung aneinanderreiht. […] Zum wahren Humor […] gehört
deshalb viel Tiefe und Reichtum des Geistes, um das nur subjektiv Scheinende als wirklich
ausdrucksvoll herauszuheben und aus seiner Zufälligkeit selbst, aus bloßen Einfällen das
Substantielle hervorgehen zu lassen. Das Sichnachgeben des Dichters im Verlauf seiner
Äußerungen muß, wie bei Sterne und Hippel, ein ganz unbefangenes, leichtes, unschein-
bares Fortschlendern sein, das in seiner Unbedeutendheit gerade den höchsten Begriff von
Tiefe gibt; und da es eben Einzelheiten sind, die ordnungslos emporsprudeln, muß der
innere Zusammenhang um so tiefer liegen und in dem Vereinzelten als solchem den Licht-
punkt des Geistes hervortreiben.“25
Damit sind die Stichworte für die Beurteilung des ‚modernen‘ (romantischen)
Romans vorgegeben. Das Humoristische muss zurückbezogen werden auf das
Symbolische, ohne das Substantielle bleiben die Einfälle bloße Einfälle.
26 Ebd., 208.
27 Ebd., 208 f.
28 Ebd., 231.
29 Ebd.
Hegels Interpretation des Romans zwischen Klassik und Romantik 177
36 Vgl. dazu Annemarie Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte.
Untersuchungen zu Hegels Ästhetik, Bonn 1984 (Hegel-Studien, Beiheft 25).
Nives Delija Trešćec
The Paradox of Pluralism in Hegel’s
Understanding of Art and Culture
This was inevitable the moment Hegel defined art as a speculative activity that is closely
associated with religion and philosophy. Since these three forms are differentiated by their
form, and nevertheless are supposed to be identical, they can only be by means of their
content. That which corresponds to the distinction between art, on the one hand, and reli-
gion and philosophy, on the other hand, also corresponds to the distinctions that are inter-
nal to art as such. Different arts actually represent a multitude of specifications one funda-
mental content , which are determined by the specificity of sense material that more or less
limits the sphere of the absolute sphere which is represented in the arts.1
The second theory is that of the „art forms“. These are the Symbolic, Classical,
and Romantic. Here, Hegel shows how the ideal appears in different art forms
throughout history, that is, how the idea appears as content in a particular artistic
form. These three artistic forms: Symbolic, Classical, and Romantic – represent
1 Jean- Marie Schaeffer, Art of the Modern Age – Philosophy of Art from Kant to Heidegger,
Princeton 2000, 145–146.
The Paradox of Pluralism in Hegel’s Understanding of Art and Culture 181
different relationships between content and form. They are posited in historical
order as historical and stylistic epochs of art. Symbolic form is described as „pre-
art“. Here, the idea is still searching for its true artistic expression and the unity
of content and form, because it itself is still abstract and undetermined. Such art
is characteristic for ancient Eastern peoples, that is, the „first Eastern panthe-
ism of art“, where the meaning could not entirely incorporated into the articu-
lation and so discord between the idea and the form has not yet been mastered.
Hegel finds this stage of art realized in ancient Persian religion, then in India and
Egypt. Classical artistic form refers to ancient Greek polytheistic culture. Classical
Greek sculpture embodies the ideal relationship between idea and form, that is,
the perfect unity of internal meaning and external form in representing substan-
tial individuality in a sensible form. The content of Classical Greek art is „the
unity of human and divine nature“, which is most perfectly reflected in Greek
sculptures of the gods. The Romantic form of art refers to medieval Christian and
Renaissance art in Europe. The relationship between idea and form in Romantic
art reveals itself again, as in Symbolic art, as dissonant. Through its overempha-
sized spirituality, Romantic art goes beyond the unity of internal meaning and
external form.
In keeping with this theory of the three forms of art, Hegel proposes an exten-
sive theory of the „individual arts“: architecture, sculpture, painting, music, and
poetry. He reconstructs the development of each of these individual arts within
the tripartite division of art forms into Symbolic, Classical, and Romantic. Each
of the five individual arts runs through the full cycle of its development within a
particular art form and receives its specific artistic articulation. So architecture
most adequately corresponds to Symbolic form, even if its development contin-
ues beyond Classical form up until the Gothic church. Sculpture is the most com-
plete articulation of Classical form and culminates in the classical Greek period.
Painting, music, and poetry achieve their pinnacle in the age of Romantic form.
Jean-Marie Schaeffer also says that different forms of art (Symbolic, Classical,
and Romantic art) are a multitude of different articulations of one and the same
content which are determined by world views and specific historical periods.
Schaeffer adds that the whole Aesthetics can thus be read as the study of her-
meneutic particularizations undergone by a single theological-philosophical
content, insofar as this content is modified either in accord with diverse world
views and by history, or in accord with the materials of its realization.2 It must be
noted here that the theory of three art forms contains two types of historicity. One
type is „contingent historicity which is empirical and governed by simple chro-
2 Ibid., 145 f.
182 Nives Delija Trešćec
nology.“ In this type, „All events have the same value and temporal succession is
the only pertinent relationship“.3
This type of historicity is opposed to the other, which is characteristic for the
progressive development of the determination of mind. „This type is led by the
necessity of the concept and in it chronology always expresses conceptual rela-
tions“.4 For Hegel, it is important that these two types of historicity, the empir-
ico-historical and the „conceptual“ type, permeate each other, because this is the
manner which is in accord with the basic conception of his system; for spirit must
be realized through empirical historical reality.5
The fourth theory by means of which we wish to show Hegel’s „descent“ from
the strictly metaphysical system into the empirical and material world of individ-
ual arts and individual artworks, is also a theory of „the determinateness of the
ideal“. Here I am referring to the ideal as the content of an artwork, as well as to
the way in which and under what conditions it realizes itself in concrete works of
art. „The determination of the ideal“ is for Hegel „the bridge that leads to appear-
ance“.6 It represents, in fact, the concreteness of the ideal, or the principle, imma-
nent in the idea itself, which is responsible for its mode of appearance in all par-
ticulars. That which comprises the content of art must not in itself be abstract.
Hegel states that „all that is true is concrete, in spirit as in nature, and regardless
of its generality is subjective and particular“.7 For instance, „Christianity thinks
of God in his true being as entirely concrete, as a person, subject, and in a closer
determination as spirit“. Art thus requires the concreteness of content in his true
being, because what is general in an abstract sense is not able to develop into
individual appearances in order that it might be united in them with itself. Hegel
emphasizes that however concrete the content the form or formation must be as
concrete, individual, and particular. Art is capable of articulating the divine as an
ideal content fully when it is concrete and particular, as in the case of the Greek
gods, where the divine articulates itself in a perfect bodily form. God presented
as the embodied Christ also fulfills the requirements of art. Thus, the Greek gods
represent the main subject of the greatest sculpture and poetry, while the „history
of the Christian God-man is the favorite subject in the great period of painting“,
that is, in the Middle Ages and the Renaissance. Schaeffer says regarding Hegel’s
aesthetics that it is actually an „aesthetics of content“, just like any Romantic
3 Ibid., 155.
4 Ibid.
5 Ibid.
6 TWA 13, 105 f.
7 Ibid., 100
The Paradox of Pluralism in Hegel’s Understanding of Art and Culture 183
theory. What is meant thereby is the content of art, where „the unity of the work
of art is guaranteed by the universality of its content, and the differentiation
among the various arts is a matter of the semiotic diversty of the substrates in
which art is embodied“.8
The greatest purity of the ideal in a work of art consists in the blissful tran-
quillity and satisfaction of the figures themselves, as in the Greek sculptures
of Hercules. These represent a pure and essential form of ideality. Whatever is
immanent to intellect, however, is „efficacious movement and development“.
Thus Hegel introduces a determinateness of the ideal that is in itself „diverse and
processual“ („in sich differenten, prozessierenden Bestimmtheit des Ideals“), and
this is the so-called „action“ („die Handlung“). Hegel’s specification of content is
in itself progressive, and he introduces three basic features of the ideal, which
demonstrate to us the entire hermeneutic import of Hegel’s aesthetics. These
three are the „general state of the world“, the „situation“, and the „action“. For
the present purposes, the „general state of the world“ („der allgemeine Weltzu-
stand“) is exceptionally significant. It represents the „precondition for individual
action and its character“. One could say that it represents the socio-historical,
civilizational setting or backdrop with all its moral and legal presuppositions, on
the basis of which art has to represent diverse characters and actions. Further-
more, one could say that the „general state of the world“ encompasses the entire
structure of the forms of objective spirit from a given historical period and the
world view regarding it. This includes the state of education, science, economy,
law, and the social order, as well as above all questions of morality. If we con-
ceive of the human being through the prism of her circumstances and the state of
the world where she represents the „substantial generality“ in a subjective form,
then she as an individual is suitable for artistic representation. „Any substantial
human reality can become the content of Art. As soon as it involves the interests
of Spirit, participates in the Divine and expresses it“.9 In Hegel’s opinion, some
historical epochs and general states of the world, however, are more suitable for
artistic creation than others. Such is the mythical „age of heroes“.
The fact is that that art is always realized in the specific spirit of a particular
community or people and that it is often connected to a specific ethnic world
view. Thus, up until modern times, we had national histories of art. Then, it is
obvious that different world views produce different kinds of art. and that differ-
ent groups interpret differently what constitutes substantiality as artistic content.
That Hegel was very much aware of this is visible in the hermeneutic niveau of
his aesthetics, where in the the vast plethora of historical, cultural, ethnic, and
religious conditions is determined the particularisation of that which represents
a common substantial content which is in Hegel’s theory of a theological and
philosophical nature. Art as such, since it emerged from all these determinations
as again in the fruit of unique individual works of spiritual activity, can also be
understood as a hermeneutical
Ivan Boldyrev
Formalismus hemmungslos?
Die Rezeption von Hegels Tragödientheorie bei
H. F. W. Hinrichs1
Im vorliegenden Aufsatz wird die Deutung der antiken Tragödie im Werk von
H. F. W. Hinrichs (1794–1861) untersucht. Sein 1827 erschienenes Buch „Das
Wesen der antiken Tragödie“ wird als eines der frühesten Beispiele der hegeli-
anischen Ästhetik untersucht. Der Aufsatz analysiert den Text dieses Werks,
arbeitet das Verhältnis zwischen diesem Werk und Hegels Darstellungen der Tra-
gödientheorie in der „Phänomenologie des Geistes“ und der „Ästhetik“ heraus
und versucht, aus dieser historischen Konstellation ein tieferes Verständnis der
hegelschen Lehre zu gewinnen.
Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs gilt als einer der treuesten Schüler
Hegels, der sich als Jura-Student in Heidelberg durch die Begeisterung über
Hegels Naturrecht-Vorlesungen der Philosophie zuwandte und als erster aus der
Hegelschen Schule in die akademische Laufbahn eingetreten ist (1824 wurde er
durch Hegels und Altensteins Vermittlung ordentlicher Professor an der Univer-
sität zu Halle).2 Schon vorher hatte Hegel die Vorrede zu seinem ersten Buch „Die
Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft“3 verfasst und dadurch dem
jungen Privat-Dozenten die akademische Karriere erleichtert. Hinrichs war einer
der wenigen Hegelianer, die die „Phänomenologie des Geistes“ wirklich rezipiert
und sich angeeignet hatten.4
1 Für die großzügige Hilfe und Unterstützung bei der Verfassung dieses Textes bin ich meinen
Kolleg(inn)en Carina Pape und Petr Rezvykh sehr dankbar.
2 So die neueste (und vermutlich die einzige) Hinrichs-Monographie: Deborah Thiele, Die
Rezeption des Religionsverständnisses von Hegel und Schleiermacher bei Hermann Friedrich
Wilhelm Hinrichs, Hamburg 2010. 19.
3 H. W. F. Hinrichs, Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft. Nebst Darstellung
und Beurtheilung der von Jacobi, Kant, Fichte und Schelling gemachten Versuche, dieselbe
wissenschaftlich zu erfassen und nach ihrem Hauptinhalte zu entwickeln, Heidelberg 1822, I–
XXVIII (Reprint Brüssel 1970).
4 Rosenkranz berichtet, dass Hinrichs nach der Abreise Hegels in Heidelberg ein Conversatorium
zur Phänomenologie des Geistes hielt (Karl Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben,
Berlin 1844, 303).
186 Ivan Boldyrev
Heute aber ist Hinrichs eher als eine Gestalt aus Eckermanns Gesprächen mit
Goethe bekannt. Ende März 1827, so Eckermann, liest Goethe das eben erschie-
nene Buch von Hinrichs „Das Wesen der antiken Tragödie“5 und bedauert, „daß
ein ohne Zweifel kräftig geborener Mensch von der norddeutschen Seeküste, wie
Hinrichs durch die Hegelsche Philosophie so zugerichtet worden, daß ein unbe-
fangenes natürliches Anschauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine
künstliche und schwerfällige Art und Weise sowohl des Denkens wie des Aus-
druckes ihm nach und nach angebildet worden, so daß wir in seinem Buch auf
Stellen geraten, wo unser Verstand durchaus still steht und man nicht mehr weiß,
was man liest“. Das Buch wurde demnach Goethe zum Anlass, sich über den Stil
der philosophischen Ästhetik zu äußern sowie über deren „dunkele Sprache“,
die sich „immer auf demselbigen Fleck und immer in demselbigen Kreise bewegt,
völlig so wie das Einmaleins der Hexe in meinem Faust“.6 In seiner Rezension des
Buches aber ist Goethe nicht so scharf: „Der werthe Herr Verfasser hat für die phi-
losophische Entwicklung meines Faust7 wenig Dank erlebt und erfahren müssen,
wie es bedenklich sei, dem Dichter auf abstrusen Wegen, denen er sich manch-
mal übermüthig anvertraut, sich wagehaft beizugesellen. Dießmal aber wandelt
er am hellen griechischen Tage, und wir hoffen, mit Glück, da er den Beistand
echter Musen offen und redlich anerkennt. Da wir an seiner Behandlung Freude
gehabt und ein Zutrauen gewonnen, sein Vortrag werde zunächst und fernerhin
sich immer mehr aufklären und den Leser nöthigen, in das eigentliche Verständ-
niß mit ihm einzugehen, so sprechen wir den Wunsch aus, er möge sich des von
uns dargestellten Verhältnisses von Faust zu Helena gleichmäßig annehmen, ein
Verhältniß, das in freierer Kunstregion hervortritt und auf höhere Ansichten hin-
deutet als jenes frühere, das in dem Wust mißverstandener Wissenschaft, bürger-
licher Beschränktheit, sittlicher Verwirrung, abergläubischen Wahns zu Grunde
ging und nur durch einen Hauch von oben, der sich zu dem natürlichen Gefühl
5 H. W. F. Hinrichs, Das Wesen der antiken Tragödie in ästhetischen Vorlesungen durchgeführt an
den beiden Oedipus des Sophokles im Allgemeinen und an der Antigone insbesondere, Halle 1827.
6 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Leipzig
1910, 476–480. Dafür, dass Goethe das ganze Buch von Hinrichs zumindest bis zum Ende
(und nicht kursorisch und selektiv, wie etwa die Hegelsche „Phänomenologie“) durchgesehen
hat, spricht indirekt die Tatsache, dass die von Goethe und Eckermann diskutierte Stelle aus
„Antigone“ (V. 908 ff.), wo die Heldin die verlorenen Kinder und den Gatten für ersetzbar hält
und den Bruder nicht, von Hinrichs erst auf 91 f. kommentiert wird und den Abschnitt, den
Goethe Eckermann vorliest, auf 118 f. des einhundertzwanzigseitigen Buches steht.
7 Gemeint hier ist H. W. F. Hinrichs, Ästhetische Vorlesungen über Goethes Faust als Beitrag zur
Anerkennung wissenschaftlicher Kunstbeurtheilung, Halle 1825.
Formalismus hemmungslos? 187
des Guten und Rechten gesellte, für die Ewigkeit gerettet werden konnte“.8 So
bildet Goethe den Bogen von Faust zu Helena, und sein ganzes Interesse an Hin-
richs und seiner Darstellung der griechischen Tragödie ist vermutlich mit dem
Thema der antiken Welt und griechischen Schönheit verbunden, die ihn im
Kontext der Arbeit am zweiten Teil des Faust beschäftigten.
Wurde Goethe beim Lesen der hegelschen „Phänomenologie“ bekanntlich
durch die Pflanze-Blüte-Knospe-Metaphorik zutiefst empört, so dass er sich die
Lektüre des ganzen Bandes ersparen wollte, so gerät er hier indirekt wieder in
Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels, die freilich in der Interpretation
von Hinrichs dargestellt worden ist. Was ist aber diese Interpretation, vom „Ober-
tollhausüberschnappungsnarrenschiff“9 der hegelschen Schule vorgelegt? Und
welche Bedeutung könnte diese längst vergessene Schrift für uns haben?
Eine Tatsache ist im Vornherein klar: Hinrichs’ Buch gehört in den Kontext
der intensiven Auseinandersetzung mit Sophokles in Deutschland. Insofern trägt
es auch zur Geschichte der hegelianischen Sophokles-Rezeption bei.
Das Buch ist mit einem griechischen Motto (γνῶθι σεαυτόν) und mit einer
Vorrede versehen, die ganz im hegelschen Sinne „Vorerinnerung“ heißt und
– wiederum der Tradition des Lehrers folgend – sehr umfangreich ist. Dort ent-
wirft er das ästhetische Programm, in dem die Kunst als „Ausdruck der Idee“
zu fassen und die „Nothwendigkeit eines Kunstwerkes“ als „die wahrhafte
Bewährung und Begründung desselben“ (IV) darzustellen sei. Die Sitten und die
anderen Elemente des Volkslebens seien als „Werk der Idee“ (V) zu verstehen und
somit die Völker, wie in Hegels Geschichtsphilosophie, jeweils nach der Stufen
ihrer Bildung unterschieden.
Die methodische Rechtfertigung dieses Vorgehens wird somit von Anfang
an durchgeführt. In seiner Literaturauffassung erhebt Hinrichs den Anspruch
auf Notwendigkeit, indem er das sittliche Leben als eine vernünftige Substanz
interpretiert und so Literatur als Ausdruck dieser ideellen Vernünftigkeit in ihrer
reinsten Gestaltung auszulegen versucht. Damit lässt sich zugleich der Verzicht
auf die historisch-kritische Analyse, wie sie etwa zur gleichen Zeit bei Boeckh
vertreten wurde,10 rechtfertigen.
8 Johann Wolfgang von Goethe, „Das Wesen der antiken Tragödie, in ästhetischen Vorlesungen
durchgeführt von Hinrichs. Halle 1827“, in: Werke. Weimarer Ausgabe, Abt. 1, Bd. 42, 80 f.
9 So Platen; vgl. Hans Rosenberg, „Geistige und politische Strömungen an der Universität Halle in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft
und Geistesgeschichte 7 (1929), 572.
10 August Boeckh hat seine eigene Übersetzung von Antigone 1843 vorgelegt (Des Sophokles
Antigone, hg. v. August Boeckh. Nebst zwei Abhandlungen über diese Tragödie im Ganzen und
über einzelne Stellen derselben, Berlin 1843). Seine Abhandlungen wurden bereits 1824 und
188 Ivan Boldyrev
Hinrichs stellt dann die ganze Reihe der Völker dar und fragt, in welchem
Maße jedes Volk sich sein Leben aneignet und auf der Höhe seiner Idee steht,
indem sich ihre Taten und Handlungen als selbstbewusst erweisen. Zudem wird
der wahre Begriff der Kunst eingeführt, dem die „Selbstbestimmung des Geistes“
(XIII) wesentlich ist. Die orientalischen Völker werden als dem unbewussten
Tun und der Autarkie verhaftete in ihrer Religion und Kunst herabgesetzt. Ihre
Unselbständigkeit und Hilflosigkeit gegenüber den abstrakten Naturmächten
führe dazu, dass „ihre Sitte und ihr Leben mehr durch vorgestellte Macht geboten
ist, als der eigenen Innerlichkeit des Geistes angehört“ (IX). Diese geschichtsphi-
losophische Annahme wird dann in dem Sinne erweitert, dass die Handlung der
Helden in der orientalischen Poesie auch unselbständig sei, soweit sie die Ideen
der für ihr jeweiliges Land charakteristischen Sittlichkeit verkörpern. Und wenn
sich die Kunst als die Form der Naturbeherrschung doch über die Natur zu stellen
versuche, so gebe es noch keine absolute Selbstbegegnung. „Erst das griechische
Volk […] ist sich nicht selber ein Räthsel, sondern sein Thun und Leben weiß es
als das seinige“ (XI). Erst in der griechischen Poesie werde der Held dargestellt,
der durch seine eigene Handlung seine Göttlichkeit erwirbt und nicht durch die
Selbstidentifikation mit der abstrakten Gottheit, sondern durch das menschliche
Pathos die Sitte und Religion seines Volkes ausdrückt.11
Für diesen Ausdruck des sittlichen Lebens spielt nach Hinrichs besonders die
griechische Tragödie eine wichtige Rolle. Die drei klassischen tragischen Dichter
werden so geordnet, dass Sophokles von allen am höchsten geschätzt wird, weil
er, gleichsam am Mittelpunkt und somit am Höhepunkt der tragischen Kunst
der Griechen stehend (XLVI–XLVII), „das Göttliche und das Schicksal mit in das
menschliche Leben selber“ (XVII) verflochten und die Beziehungen zwischen
Pathos und Schicksal nicht als die Entgegensetzung (wie bei Aischylos), sondern
als dialektische Durchdringung und Versöhnung dargestellt hat. Diese darge-
stellte Einheit der Handlung und der sittlichen Mächte von Staat und Familie
wird von Hinrichs als die höchste Stufe in der Entwicklung der griechischen Tra-
gödie erfasst. Dann aber kommt eine weitere Periode in der Geistesgeschichte,
1828 dem Publikum als Vorlesungen bekanntgemacht. Das Buch von Hinrichs entstand also im
Kontext der regen Auseinandersetzung mit dieser Tragödie, obwohl schon damals eine gewisse
Entfremdung zwischen philosophischen und philologischen Deutungsstrategien spürbar war.
Boeckh etwa erwähnt Hegel gar nicht, nur Solger scheint den beiden Parteien wichtig.
11 In diesem Lichte hätte dann Pöggeler unrecht, wenn er behauptet, Hinrichs bezöge Antigone
und Kreon nicht auf die Welt und die Sittlichkeit der Griechen (Otto Pöggeler, Schicksal und
Geschichte. Antigone im Spiegel der Deutungen und Gestaltungen seit Hegel und Hölderlin,
München 2004, 67). Gewisse Universalisierungen zusammen mit der geschichtlichen Verortung
sind sowohl in der „Phänomenologie des Geistes“ als auch bei Hinrichs zu finden.
Formalismus hemmungslos? 189
wenn der Gedanke und der Wille als das Subjektive an die Stelle des intersubjek-
tiven sittlichen Lebens treten. Es seien Anaxagoras oder Platon und Aristoteles,
die die geistige Situation jener Zeit bestimmten, das Leben wird als der Sitte und
der Religion entfremdetes charakterisiert. Zum Dichter dieses Lebens wird Euri-
pides ernannt. Nachdem die Einheit von Sittlichkeit und Handlung gebrochen
ist, geht auch die tragische Kunst zugrunde und die neue Kunst der Komödie von
Aristophanes tritt auf, welche die Unangemessenheit des partikularen Lebens
angesichts der Totalität der Sitte darstellt. Insofern wird Sokrates von Hinrichs
als komische und nicht als tragische Figur gedeutet, da er auf den Gedanken
als etwas Subjektives bestehe und nicht zur Totalität der sittlichen Verhältnisse
gelange, und die bekannte Kunstkritik Platons wird in denselben geschichtsphi-
losophischen Zusammenhang eingeschlossen (XXXVI).12
Um die Bedeutung des Euripides zu verringern, bezieht sich Hinrichs auch
auf die Kritik A. W. Schlegels an Lessing und an dessen Aristoteles-Interpretati-
on.13 Diese Interpretation, so Hinrichs, sei insofern verfehlt, da erstens bei Aris-
toteles die subjektive Bedeutung der Katharsis hervorgehoben wird (in diesem
Punkt wird Aristoteles auch als mitschuldig erklärt), und zweitens, da die tragi-
sche Kunst selbst zum bloßen Instrumentarium des Gefühls und der Leidenschaft
reduziert wurde. Hinrichs wirft Lessing Selbstwidersprüchlichkeit vor, indem er
z. B. einerseits für die Einheit der Handlung plädiert, andererseits aber die oft
getrennte Handlung bei Euripides übersieht. Mit Schlegel argumentiert Hinrichs,
dass Aristoteles durch die Bezeichnung des Euripides als tragischen Dichter nur
meinte, jener drücke das Unglück des Helden zugespitzt aus, nicht aber, wie
Lessing glaubt, dass er der tragische Dichter schlechthin sei (XL).
Aber das griechische Leben vergeht und dieses Entfliehen wird von Hinrichs
mit dem Zitat aus der „Phänomenologie des Geistes“ illustriert,14 welches besagt,
dass das innere Element des Kunstwerks verschwindet und nur die toten Zeichen
bleiben, die aber uns zur geistigen Er-innerung erheben (GW 9, 402). Hinrichs
interpretiert diese Erinnerung als eine Evokation des Notwendigen und Vernünf-
tigen der abgestorbenen Welt und damit nicht als etwas Vergangenes, sondern
12 Hinrichs folgt hier auch Hegel, aber inkonsequent, denn im Religionskapitel der „Phänome-
nologie des Geistes“ wird die Tragödie der Komödie eigentlich untergeordnet und diese als die
nächste Stufe in der Entwicklung des Geistes interpretiert.
13 Es geht höchstwahrscheinlich um August Wilhelm und nicht um Friedrich Schlegel, der zwar
viel über Lessing geschrieben hat und sogar einen Auswahl aus seinen Werken herausgab, aber
nicht über Euripides mit Lessing polemisierte. Vgl. A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische
Kunst und Litteratur, in: ders., Sämtliche Werke, hg. v. E. Böcking, Hildesheim und New York
1971, Bd. 5.
14 Das Zitat wird lediglich mit dem Hinweis auf Hegels Namen belegt (XXXIV).
190 Ivan Boldyrev
„als ein ewig Gegenwärtiges“ (XXXIV). Die Rolle der Wissenschaft bestehe darin,
sich durch die Bildung auf die Höhe dieser geistigen Gegenwart zu erheben.
Zuletzt versucht Hinrichs in dieser Vorerinnerung den Horizont der zeitge-
nössischen Ästhetik zu entwerfen, indem er sich von der Verstandesästhetik
Lessings abgrenzt (in der „nicht einzusehen sey, wie die Wirkung der Reinigung
der Leidenschaften durch schmerzliche Empfindungen mit Wohlgefallen gespürt
werde“, und in deren Fassung „die Tragödie durch schmerzliche Empfindungen
zu der würdigsten Ansicht der Menschheit [nicht] gehoben sey“; XLII) und sich
selbst, seine Philosophie und die von ihr nicht eindeutig abzutrennende Kunst-
wissenschaft in den theoretischen Diskussionen seiner Zeit situiert. Er anerkennt
zwar die Bedeutung Kants und Winckelmanns, aber nur als Vorstufen zur speku-
lativen Ästhetik Schillers, Schellings, Schlegels und Solgers. Bei Schelling wird
die herausgearbeitete Identität der Notwendigkeit und der Freiheit in der Tragödie
gepriesen,15 bei Schlegel die spekulative Versöhnung der „übermenschliche[n]
Hoheit und menschliche[n] Wahrheit“, sowie die der inneren Freiheit und der
äußeren Notwendigkeit (XLIII). Bei Solger bemängelt Hinrichs, dass er zwar das
tragische Schicksal „als das Höchste und Ewige in der Gestalt der heiligsten durch
sich selbst daseyenden Gesetze“ (XLV) interpretiert, die sittliche Wirklichkeit
aber unterschätzt und deren Untergehen der tragischen Ironie aussetzt, statt in
ihr und im Konflikt der ihr immanenten Mächte diese Unendlichkeit und Ewigkeit
einzusehen.16 Interessanterweise bleibt Hegel in dieser Reihe unbenannt, obwohl
die ganze Konzeption des Wesens der antiken Tragödie als der Darstellung der
Einheit von Notwendigkeit und Freiheit im Sittlichen eindeutig von Hegel inspi-
15 Hinrichs führt keine Quellen an. Diese Position wurde aber bei Schelling seit dem 10.
der Briefe über Dogmatismus und Kritizismus (1795) vertreten. Auch die 1803 erschienenen
„Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ enthalten ähnliche Ausführungen
zur Tragödie (in der 10. und 11. Vorlesung).
16 Hinrichs bezieht sich wohl auf die Vorrede zu Solgers 1808 erschienenen und klassisch
gewordenen Übersetzung des Sophokles (wiederabgedruckt als: „Über Sophokles und die
alte Tragödie“, in: Solger, Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, hg. v. L. Tieck und F. von
Raumer, Bd. 2, Leipzig 1826, 445–492). Das entsprechende Zitat über die ewigen Gesetze findet
sich auf 456. In seiner Tragödientheorie erkennt Solger zwar die hegelsche Antithese zwischen
dem menschlichen und göttlichen Gesetz an (459 f.), orientiert sich aber eher an Schelling, indem
er als Wesen des Tragischen die Zwangsläufigkeit des Untergangs von allem Endlichen ansieht,
„die nie zu vereinende Spaltung zwischen dem Ewigen und Zeitlichen“ (466), und findet darüber
hinaus die Oedipus-Tragödien vollkommener als die übrigen (466 f.). Eine ausführlichere Solger-
Kritik, die der Solgerschen Version der tragischen Ironie vorwirft, diese erfasse die Vermittlung
nur als ein Nichtiges und verharre damit im Standpunkt der Unmittelbarkeit, wird bereits in
den Faust-Vorlesungen ausgeübt (H. W. F. Hinrichs, Ästhetische Vorlesungen über Goethes Faust,
a. a. O., Anm. 7, XXIX ff.).
Formalismus hemmungslos? 191
riert ist. Dennoch wird Hegel hier indirekt gegen Solger ausgespielt, so dass diese
Ausführungen von Hinrichs als ein weiteres Zeugnis der Kontroverse zwischen
Hegel und Solger gelesen werden können, wie sie 1821 in der „Philosophie des
Rechts“ in der Anmerkung zu § 140 und später in der 1828 erschienenen Solger-
Rezension dargestellt wird.
Das Buch beginnt mit den seltsamen Überlegungen zum Familienleben als
einer der sittlichen Mächte der Tragödie. Seltsam sind sie, weil Hinrichs in ziem-
lich willkürlicher Weise (die aber nicht weit von Hegels Auffassung entfernt ist)
die Mutterliebe für den Ursprung der Familienliebe überhaupt erklärt und diese
Ordnung durch die Transitivität der Liebesrelation begründet. Die Familien-
liebe ist für Hinrichs als ein göttliches, d. h. von keiner menschlichen Satzung
bestimmtes Gesetz zu verstehen. Die Geschichte der Menschheit im Rahmen des
bekannten Entwicklungs- und Verselbständigungsnarrativs zusammenfassend,
beschreibt Hinrichs dann die Entstehung des menschlichen Gesetzes, das die
Verhältnisse im weiteren Raum des öffentlichen Lebens steuern müsse. Ist im
Familienbereich die Liebe ein organisierendes Prinzip, so wird in der von den
Familienverhältnissen entfremdeten Gesellschaft „der Menschen Machtgebot
und Satzung als das menschliche Gesetz“ (5) zum neuen Mechanismus der Steu-
erung. Die neuen Institutionen brauchen die anderen ethischen Systeme: „Was
[…] den Familiengliedern die Liebe, das ist den Staatsgliedern die Tugend, und
was die Liebe der Familie, das ist dem Staate das Gesetz“ (6).
Das Staatsleben und das Familienleben bilden bei Hinrichs zusammen das
Volksleben. Dieses von der „verwirklichten Einheit der Familienliebe und der
Staatstugend“ (7), nämlich von der Sitte geregelte Volksleben wird als „der dem
wahren Begriffe der Tragödie gemäße Stoff“ (16 f.) gesetzt. Und wenn Hinrichs
weiter den hegelschen Gedanken folgt, indem er einen von dem Prinzip der
Handlung selbst abgeleiteten und deshalb unvermeidlichen Konflikt zwischen
diesen Polen postuliert, so bleibt ihm das Volk selbst als eine unbewegliche,
tatlose, diese Mächte übergreifende Einheit, „weil es die Prinzipien der Hand-
lung als den feindlichen Gegensatz beruhigt enthält“ (9). Doch ist mit dem Volk,
wenn auch als einem passiven und nicht individualisierten, „eine dritte tragische
Macht“ (10) gegeben, deren Rolle in der Tragödie der Chor spielt. Der Chor als
die Repräsentation des Volks (und auch der Zuschauer) kann sich nicht mit einer
der beiden Mächte identifizieren (wie es Mann und Frau tun), sonst wäre seine
versöhnende Funktion gestört. Die Schwester und der Fürst als die reinsten Aus-
drücke der sittlichen Mächte sind die Hauptagenten der tragischen Handlung,
wobei dem Chor die „substanzielle Empfindung“ (16) der sittlichen Mächte zuge-
schrieben wird.
Der eigentliche Gegenstand der tragischen Handlung wäre aber keine Person,
sondern ein fürstliches Geschlecht oder ein Familienganzes, sofern die tragi-
192 Ivan Boldyrev
schen Personen nur als Familien- und Staatsglieder auftreten, um die Sittlichkeit
vollständig verkörpern zu können. Weiter geht es Hinrichs um das Geschlecht
des Labdakiden und dessen Geschichte anhand der Sophoklesschen Tragödien.
Er erzählt die mythische Geschichte nach, kommt so zu dem Inhalt der beiden
Oedipus-Tragödien und versieht die Wiedergabe ihres Stoffs mit den spekulativen
Bemerkungen, die die besonderen Aspekte der Handlung als notwendig erklären
und rechtfertigen. Den Anfang der Tragödie „König Oedipus“ erklärt er dadurch,
dass die Familie in der Gestalt ihrer Mitglieder real existieren muss, damit die
tragische Handlung beginnen könne.
Es ist zwar nicht vollkommen klar, ob er den Anfang mit dem Leben von
Oedipus (und nicht Laios und Iokaste) oder mit einem konkreten Moment dieses
Lebens, nämlich wenn ihm kund getan wird, dass die Stadt von der Pest überfal-
len ist, begründen will. Die Figur des Oedipus ist jedenfalls insofern wichtig, als
er sein „Verhängnis als seine Handlung erfahren, und wenn auch Gott es geboten,
dasselbe doch als seine That wissen“ muss (22). Diese Priorität macht ihn zum
tragischen Helden par excellence, wobei Laios und Iokaste in ihrem Verhalten zu
Oedipus als Kind zwar auch die Familienliebe verletzen, das aber nicht als ihre
Schuld, also nicht als ihre eigene Handlung anerkennen und nur automatisch
den Orakelspruch erfüllen. Oedipus ist auch derjenige, der die Thebaner von
der Sphinx befreit, indem er das Rätsel gelöst hat. Diese Enträtselung wird für
Hinrichs zur Klarheit der Thebaner über sich selbst, die durch Oedipus zustande
gekommen ist und ihn schon dadurch krönen muss. Das würde die Figur des
Oedipus von allen ihm bevorstehenden Mythengestalten, aber auch von Teiresias
unterscheiden. Seine Tat ist selbständig, so wie seine Seherkunst, die aus dem
Vermögen seines eigenen Geistes, d. h. frei und nicht von der äußerlichen gött-
lichen Instanz herkommt. Erst durch diese freie Tat hört man auf, sich selbst ein
Rätsel zu sein (28). Letztendlich wurde Oedipus mit dem göttlichen Willen ver-
söhnt, da er durch Selbsterkenntnis die beiden sittlichen Mächte als substantielle
und göttliche anerkennt (41) und sich für sich selbst als Familienglied und Staats-
glied erwiesen hat (107). Doch erkennt er sein Handeln noch nicht vom Stand-
punkt einer der sittlichen Mächte aus und deshalb wären Antigone und Kreon als
tragische Helden noch höher zu bewerten (108 f.).17
17 Mit guten Gründen bemerkt Hellmut Flashar, dass diese Tragödiendeutung sich von der
hegelschen unterscheidet, da Hinrichs als Modell für die Tragödie Antigone auswählt, wobei es
bei Hegel eigentlich zwei Grundmodelle des tragischen Handelns gab, die sich an Antigone oder
an König Oedipus orientierten. Das erste Modell repräsentiert tatsächlich den Konflikt zwischen
Familie und Staat, das zweite aber lässt diesen Konflikt zwischen Wissen und Unbewusstheit
verlaufen (Vgl. Hellmut Flashar, „Hegel, Oedipus und die Tragödie des Sophokles“, in: Kunst und
Geschichte im Zeitalter Hegels, hg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. Völkel, Hamburg 1996, 1–26).
Formalismus hemmungslos? 193
Wenn wir aber annehmen, dass Hinrichs das genaue Moment des Anfangs
begründen will, so fällt seine Behauptung auf, Oedipus beginne erst dann seine
Taten als die eigenen anzuerkennen und seines Schicksals inne zu werden, wenn
er seine Schuld zu ahnen anfängt. In die tragische „Qual der Selbsterkenntnis“
(24) wird bei Hinrichs der delphische Tempelspruch umgewandelt. Er verwen-
det dabei eine für Hegel sehr charakteristische Metaphorik: „Die innre Gewißheit
seiner selbst ist eben die Macht, welche die That als die ihrige anerkennt […] Vor
dieser inneren Gewißheit, als dem inneren Lichte, verschwindet das blos äußer-
liche, das darum von dem erstern geblendet worden, indem der Geist, eben weil
die Selbsterkenntniß oder das Wissen sein Licht ist, des letztern nicht bedarf“
(32 f.).18
Durch dieselbe spekulative Deduktion wird weiterhin auch begründet,
warum die Blutschande am Beginn dieses tragischen Geschehens stehen muss,
da sie die Ehe als den Anfang der Familie und dadurch das sittliche Wesen der
Familie überhaupt verletzt. Diese Verletzung ist insofern so tief, als sich die ehe-
liche, vom Natürlichen behaftete Liebe in die sittliche Mutterliebe einmischt und
„höchste[n] Widerspruch gegenseitig sich ausschließender sittlicher Empfindun-
gen“ (32) erzeugt.
Dass „König Oedipus“ mit dem Tod von Iokaste endet und die folgenden
Begebenheiten den Inhalt der anderen Tragödie „Oedipus in Kolonos“ ausma-
chen, ist nach Hinrichs dem Ausgang der Familiengeschichte zuzurechnen. An
die Stelle von Iokaste muss eine andere weibliche Person treten und an die Stelle
des Oedipus ein anderer Fürst, und diese Rollen spielen dann in „Oedipus in
Kolonos“ Antigone und Ismene von der Seite der Familie und Theseus von der
des Staates. Dieselbe Argumentation wird auch später benutzt, wenn Hinrichs
das Auftreten von Antigone und Kreon begründen muss. Nur fügt er die hegel-
sche Idee hinzu, dass die Liebe der Schwester zum Bruder am sittlichsten ist (vgl.
GW 9, 247).
In „Oedipus in Kolonos“ wird der wichtigste tragische Widerspruch zwischen
Staat und Familie deutlicher ausgedrückt. So geht es in dem Streit der Brüder
Eteokles und Polyneikes eher um die Macht und die Familienliebe tritt in den
Hintergrund. Dieser Streit ist unvermeidlich, denn er stellt die notwendige Folge
18 Vgl. dazu Hegel: „Die Enträtselung des Symbols liegt in der anundfürsichseienden
Bedeutung, dem Geist, wie die berühmte griechische Aufschrift dem Menschen zuruft: Erkenne
dich selbst! Das Licht des Bewußtseins ist die Klarheit, welche ihren konkreten Inhalt hell durch
die ihm selbst angehörige gemäße Gestalt hindurchscheinen läßt und in ihrem Dasein nur sich
selber offenbar macht“ (TWA 13, 466). In den Vorlesungen zur Philosophie der Religion betont
Hegel auch den Kontrast zwischen Oedipus als dem Wissenden, der das Rätsel gelöst hat, und
dem Ohnmächtigen und Unbewussten, der die grässliche Tat begeht (TWA 17, 133).
194 Ivan Boldyrev
des sittlichen Konflikts dar, und die Brüder handeln im Namen der staatlichen
Macht. Während sie einander in der Familie lieben müssen, wird im Staat dieses
Verhältnis notwendig „in Haß und Rache […] verkehrt“ (43). Doch diesen Streit
wählt Sophokles nicht als Stoff für die besondere Tragödie, wie Aischylos es
getan hat, weil, wie Hinrichs erklärt, die rein tragischen Elemente, d. h. die Fami-
lienpietät und die Staatstugend, hier nicht in ihrer Reinheit auftreten, sondern
verzerrt werden. Die Familienliebe verwandelt sich, wie gesagt, „in Bruderhaß
und Rache“ (45) und die Staatstugend wird auch davon verletzt, dass die Brüder
im Streit ihre Vaterstadt der fremden Gefahr aussetzen. Wichtig ist auch, dass der
Kampf selbst und dadurch der Konflikt auf bloßer Naturzufälligkeit der Erstge-
burt basiert, was der Notwendigkeit der geistigen Idee unangemessen ist.19
Mit derselben Neigung zu Formalität und Schematismus erklärt Hinrichs die
Notwendigkeit der Anwesenheit von Ismene, die eine natürliche Seite der Fami-
lienliebe, die Liebe zum Leben, und nicht die geistige Liebe vorstellt und damit
der Vollkommenheit halber sowie als Kontrast zu Antigone ein unentbehrliches
Element der tragischen Handlung ist (54 f.). Auch die Liebe von Haimon zu Anti-
gone erklärt sich als notwendig – sie sind die einzigen der gebliebenen Gestalten,
die fähig sind, das tragische Liebesverhältnis (weil Antigone die Liebe zum Leben
aufgegeben hat) auszuüben. Die Gestalt von Teiresias wird vom Standpunkt der
Vereinigung der beiden gegenüberstehenden Mächte, der Anerkennung ihrer
gleichen Wesenheit aus interpretiert, seiner Handlung wird aber wiederum
Selbständigkeit abgesprochen, denn selbständig kann nur das Pathos und die
Verkörperung einer der tragischen Mächte sein (60). Nur der blinde Seher, der
lediglich als Vermittler der äußeren göttlichen Kraft auftritt, kann also das Recht
der beiden Seiten anerkennen. Da aber sein Wissen kein eigenes Wissen ist, von
keinem unter den handelnden Personen verkörpert werden (denn sie können nur
eine Seite vorstellen) und als göttliches überhaupt kein „vorgestelltes Wissen“
sein kann, so sieht Hinrichs die einzige Lösung darin, diese Position als eine
„empfindende Gewißheit“ des Volks darzustellen, die vom Chor ausgesprochen
wird (61). Das Auftreten anderer Helden (Ismene und Haimon) wird auch durch
die Notwendigkeit der Vermittlung und gegenseitigen Beziehung der entgegenge-
setzten Positionen von Kreon und Antigone rekonstruiert (79 f.). Haimons Liebe
muss, um tragisch zu sein, mit Blick auf die Ehe konstituiert werden (84).
Nach Hinrichs muss Antigone untergehen, sobald sie die ihr entgegensetzte
Macht anerkennt, denn ihre ganze Individualität ist erst dadurch bestimmt, dass
19 Vgl. auch bei Hegel GW 9, 257, wo er aber betont, dass diese Naturzufälligkeit, „die
Ungleichheit der früheren und späteren Geburt“ auch für die Brüder selbst als Verkörperungen
der sittlichen Mächte unwesentlich ist.
Formalismus hemmungslos? 195
sie nur die eine Seite des Konflikts in ihrem Pathos repräsentiert. Ist diese tragi-
sche Macht weg, so geht auch die tragische Person zugrunde (94). Ohne Gegen-
satz, d. h. ohne entgegengesetzten Pathos kann aber die tragische Macht als
solche nicht existieren, deshalb wird die Staatstugend Kreons ebenso zunichte.
Dieses unausweichliche Scheitern Kreons wird näher dadurch bestimmt, dass
„in der Verletzung der Familie der Staat sich gegen sein Innerliches, das ihm zu
Grunde liegt, und damit zugleich gegen sich selbst gekehrt“ hat (97). Dieselbe
Logik fordert, dass Haimon auch als tragischer Held nach dem Tode von Antigone
sein Pathos verliert und zugrunde geht (101). Die Tragik selbst entspringt nicht
dem Tod der Helden, sondern ihrer Entwurzelung, ihrem Abfall von der sittlichen
Substanz. So ist das Schicksal Kreons zum Ende der Tragödie nur sein „substanz-
loses Selbst“ (106), da er im Gegensatz zu Antigone weder die Familie noch den
Staat anerkennt.
Oedipus und Kreon sind für Hinrichs Anfang und Ende der tragischen
Mächte. Bei Oedipus erweist sich die tragische Handlung als eine Anerkennung
von Familie und Staat als sittliche Substanzen (und die darauffolgende Versöh-
nung mit ihnen), bei Kreon wird diese Handlung nur durch Verletzung und Unter-
gang dieser Mächte möglich.20 Erkennt Oedipus die sittlichen Substanzen als sein
Wesen an, so geschieht es gleichzeitig mit dem allmählichen Begreifen und der
Enthüllung der Wahrheit, ohne die seine Selbsterkenntnis sich nicht ereignen
kann. Aber Antigone und Kreon können ebenfalls keine Wahrheit erwerben, da
diese in Gestalt der sittlichen Mächte untergeht (110). Die Wahrheit der Tragödie
aber besteht darin, dass „Familie und Staat nicht als entgegengesetzte, sondern
als ihre lebendige Einheit eine selbst göttliche Wirklichkeit ausmache“ (105). Das
Geschlecht des Labdakiden bleibt in seiner Selbsterkenntnis dieser Wahrheit des
Volkslebens noch unangemessen und einseitig: Oedipus hat sich selbst noch
nicht erkannt, Antigone und Kreon repräsentieren jeweils verschiedene Mächte.
Aber nur durch den Verlust des Sittlichen, durch dessen Negation, „geht sowohl
dem Chor als dem Zuschauer […] die Wirklichkeit des Volkslebens wahrhaft gerei-
nigt hervor“ (114). Durch diese Negation vermögen die besonderen Mächte ihre
Einseitigkeit abzustreifen und zur höheren versöhnenden Synthesis im Volks-
leben zu gelangen (116). Den ganzen Prozess begreift Hinrichs dialektisch als
Wechselwirkung von Denken und Tun, so dass „das Werden der Wirklichkeit (in
20 Vgl. die allgemeine Bemerkung zum Hegelschen Verfahren in der Phänomenologie des
Geistes: „The best way to understand how a norm has its grip on us is to be found by looking at
how accepted, ‚positive‘ norms lose their grip on us“ (Terry Pinkard, „Shapes of Active Reason:
The Law of the Heart, Retrieved Virtue, and What Really Matters“, in: The Blackwell Guide to
Hegel’s ‚Phenomenology of Spirit‘, ed. K. Westphal, Oxford 2009, 137).
196 Ivan Boldyrev
der tragischen Handlung – I. B.) von dem Werden der Erkenntnis derselben ganz
unterschiedslos sich verhält“ (119).
Wenn wir kurz die stilistischen Eigentümlichkeiten Hinrichs’ behandeln, so
muss man sich erst mit dem Urteil Goethes auseinandersetzen. Gibt es bei Hin-
richs tatsächlich eine „künstliche und schwerfällige Art und Weise sowohl des
Denkens wie des Ausdruckes“, und welche Rolle spielt dabei die hegelsche Phi-
losophie? Im Blick auf die Frage, ob Eckermanns Überlieferung korrekt ist oder
nicht, kann man in diesem und anderen Urteilen Goethes über Hegel eine gewisse
Vorsicht und Neutralität feststellen.21 Goethe sagt nicht, dass Hegels Stil schwer-
fällig ist, es geht ihm nur um dessen Wirkung auf Hinrichs. Dieser übernimmt
zwar einige hegelsche Redewendungen, doch kann man keinesfalls sagen, dass
Hinrichs den Stil seines Lehrers nachahmt oder gar nachzuahmen versucht. Der
Text ist in ganz trockener, nüchterner Weise geschrieben, mit vielen mühsamen
Nacherzählungen des Inhalts von Sophokleischen Tragödien, und die Stelle, die
Goethe zitiert, ist tatsächlich, wie mache andere, mit unnötigen Wiederholungen
und Satzverlängerungen überladen.
Der Unterschied zu den hegelschen Texten (die, sogar wenn sie keine sys-
tematischen Absichten haben, wie etwa bei den polemischen Aufsätzen oder
Rezensionen, auch stilistisch dem Buch von Hinrichs überlegen sind) läuft kei-
neswegs auf den propädeutischen Charakter der Antigone-Vorlesungen hinaus.
Hegel bemüht sich immer, in den abstrakten Begriffen systematische Zusammen-
hänge zu bilden und das geschichtliche Material (auch in der Ästhetik) durch
diese systematische Bezogenheit zu interpretieren. Dafür gebraucht er immer die
abstrakte dialektische Begrifflichkeit, die zusammen mit einigen spezifischen
Termini aus der „Phänomenologie des Geistes“ (z. B. die allgemeine Perspektive
des Geistes, die Bezeichnung des Staates als „Gemeinwesen“) bei Hinrichs kaum
noch zu finden ist. Die Sprache der Dialektik ist natürlich vorausgesetzt, sie exis-
tiert aber irgendwo im Hintergrund. Es wäre wahrscheinlich nicht ganz übertrie-
ben zu sagen, dass Hinrichs eher das allgemeine Pathos der dialektischen Vorge-
21 In inhaltlichen Sachen aber gerät Goethe in eine indirekte Polemik mit Hegel. Der Stelle
nämlich, die Goethe für unecht hielt, legte Hegel eine große Bedeutung bei, da es ihm, wie
übrigens auch Hinrichs um die ganz besondere Natur der Schwesterliebe ging: „Die Schwester
behält inniger die Liebe zum Bruder, der in die Welt hinausstrebt. Antigone gibt als Grund an,
warum sie, um ihrem Bruder die letzte Ehre zu erzeigen, aus Liebe zu ihm ihr Leben auf das
Spiel setzte; wegen ihrer Kinder oder ihres Mannes würde sie sich nicht dem Tod ausgesetzt
haben, weil sie wieder einen Mann und noch Kinder bekommen könne, nicht mehr aber einen
Bruder“ (Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18, V 1, 111). Diese
Vorlesung könnte Hinrichs auch gehört haben.
Formalismus hemmungslos? 197
22 Klaus Weimar, Historische Einleitung zur literarischen Hermeneutik, Tübingen 1975, 145.
Weimar untersucht die literaturhistorischen Werke der Hegelianer und behauptet, Hinrichs gehe
in seinen weiteren Werken (etwa in der Schiller-Deutung) zu historischen Betrachtungen über,
um eben den irrationalen Rest des Materials, der nicht in das Prokrustesbett der hegelschen
Schemata passte, unterzubringen (ebd., 149).
23 Die Frage, ob die Auffassungen von Hinrichs Redaktionspolitik Hothos bei der Herausgabe
von Hegels Ästhetik beeinflusst haben, lassen wir hier offen.
24 Goethe kritisiert die ganze Fragestellung, in der die griechische Tragödie ausschließlich
als Konflikt zwischen Familie und Staat dargestellt ist, die Annahme, Sophokles würde von
irgendeiner apriorischen Idee inspiriert, die er zu realisieren suchte, und das hegelsche Bestehen
auf die Einzigartigkeit des sittlichen Verhältnisses zwischen Bruder und Schwester.
25 Hinrichs, H. W. F.: Ästhetische Vorlesungen über Goethes Faust. VIII.
26 Ibid. XXXV.
198 Ivan Boldyrev
27 Ibid. LII.
Andreas Arndt
„Hegels Philosophie versagt vor dem
Schönen“
Hegel in Adornos Ästhetik
„Hegels Philosophie versagt vor dem Schönen: weil er die Vernunft und das
Wirkliche durch den Inbegriff ihrer Vermittlungen einander gleichsetzt, hypo-
stasiert er die Zurüstung alles Seienden durch Subjektivität als das Absolute,
und das Nichtidentische taugt ihm einzig als Fessel der Subjektivität, anstatt
daß er dessen Erfahrung als Telos des ästhetischen Subjekts, als dessen Eman-
zipation bestimmte. Fortschreitende dialektische Ästhetik wird notwendig zur
Kritik auch an der Hegelschen.“1 Diese Sätze, wiewohl sie sich beim ersten
Hören oder Lesen kaum unmittelbar erschließen dürften, enthalten die Quint-
essenz von Adornos Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik im Rahmen seiner
Ästhetischen Theorie. Soviel wenigstens dürfte sofort deutlich sein: Adorno ent-
wickelt die Ästhetische Theorie, seinem Selbstverständnis nach, mit und gegen
Hegel als immanente, dialektische Kritik der Hegelschen Vorlesungen über die
Philosophie der Kunst. Ich möchte die von Adorno beanspruchte dialektische
Radikalisierung Hegels in zwei Schritten erörtern. Zunächst frage ich danach,
warum Adorno Hegel ausgerechnet Versagen vor dem Schönen vorwirft, ist doch
das Schöne für Adorno keineswegs eine selbstverständliche Kategorie. Sodann
gehe ich darauf ein, in welcher Weise Adorno Hegels These vom Ende der Kunst
im Blick auf die Utopie einer befreiten Gesellschaft interpretiert und welche
Annahmen dem zugrundeliegen, die – so meine These – ihrerseits dialektisiert
werden müssen.
1
Befremdlich ist, dass Hegel Versagen vor dem Schönen vorgeworfen wird, ist
doch das Schöne für Adorno ein problematischer und wenigstens schwer greif-
barer Begriff. Seine Ästhetik ist, um mit Peter Weiss zu sprechen, vor allem eine
„Ästhetik des Widerstands“: Kunst ist „Widerspruch zur empirischen Realität,
2 Ebd., 137.
3 Ebd., 74.
4 Ebd., 82.
5 Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, Berlin 1968 (Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, 118).
6 Adorno, Ästhetische Theorie, a. a. O. (Anm. 1), 82.
7 Vgl. GW 12, 209–214.
8 G. W. F. Hegel, Ästhetik, hg. v. F. Bassenge, 2 Bde., Berlin und Weimar 1965, Bd. 1, 117.
9 Ebd.
„Hegels Philosophie versagt vor dem Schönen“. Hegel in Adornos Ästhetik 201
Inneren erscheint“.10 Eine doppelte Unmittelbarkeit also ist konstitutiv für das
Schöne im Hegelschen Verständnis: die Unmittelbarkeit des Erscheinens der Idee
im Sinnlichen und die Unmittelbarkeit des sinnlichen Bewusstseins. Daraus folgt,
dass die Sinnlichkeit als Materiatur für das Schöne nur verschwindendes Moment
ist. Sie ist die konkret-ideelle Form ihres Inhalts, der Idee.
Die Geschichte der Kunst ist nach dieser Konzeption die Geschichte der fort-
schreitenden Selbstdarstellung und Selbsterfassung der Idee im Medium der
Sinnlichkeit. Die Genesis des Schönen ist identisch mit der Genesis des absoluten
Geistes als derjenigen Struktur, in der sich der Geist als Geist und damit letzt-
lich der Begriff als Begriff als Idee und damit als Freiheit erfasst. Als „höchste
Bestimmung des Geistes“11 hängt Freiheit mit dem zusammen, was Hegel Ide-
alität nennt, nämlich mit der Überwindung des Endlichen: „Schon dieser for-
mellen Bestimmung nach ist […] alle Not und jedes Unglück verschwunden,
das Subjekt mit der Welt ausgesöhnt, in ihr befriedigt und jeder Gegensatz und
Widerspruch gelöst“.12 Subjektiv entsteht die Kunst daher aus dem Streben des
„von allen Seiten her in Endlichkeit verstrickte[n]“ Menschen nach der „Region
einer höheren, substantielleren Wahrheit, in welcher alle Gegensätze und Wider-
sprüche des Endlichen ihre letzte Lösung und die Freiheit ihre volle Befriedigung
finden können.“13
Soweit noch einmal Hegel. Vor diesem Hintergrund wird nun deutlich, dass
Adorno sich ganz in der Nähe Hegels bewegt und gerade diese Nähe die Grund-
lage seiner Kritik an ihm bildet. Zunächst einmal ist auch für ihn die Kategorie
des Schönen unverzichtbar und ihre Allgemeinheit, so betont er, sei „nicht kon-
tingent“, wohl aber „fatal“, denn sie kodifiziere den „Übergang zum Primat der
Form“, der auf einen „Formalismus“ hinauslaufe, „an dem dann der Begriff des
Schönen leidet“.14 Diesem Primat der Form oder „dem formal Schönen“ sei nun
aber nicht „ein materiales Wesen entgegenzusetzen“ – wobei Adorno vermutlich
an die Formalismus-Kritik des sozialistischen Realismus denkt – vielmehr sei
„das Prinzip [des Schönen, A.] […], als Gewordenes, in seiner Dynamik und inso-
fern inhaltlich zu begreifen“.15 Auch hierin geht Adorno noch mit Hegel konform,
sofern die Form für Hegel ja nichts anderes ist als die Durchsichtigkeit eines
Inhalts, der geschichtlichen Selbsterfassung des Geistes.
So mag es auch kaum überraschen, dass Adorno sogar das „Bild des
Schönen“ in den Worten eines ästhetischen Platonismus beschwört, wie er
um 1800 verbreitet und vor allem von Hegels Freund Hölderlin aktualisie-
ret worden war. Das Bild des Schönen, so Adorno, sei das „des Einen und
Unterschiedenen“,16 also – so könnte man es übersetzen – eines in sich geglie-
derten Ganzen oder einer in sich konkreten Allgemeinheit nach dem Vorbild
der Hegelschen Idee. Im Athen-Gespräch am Ende des ersten Bandes des
Hyperion (1797) hatte Hölderlin „das Wesen der Schönheit“ mit dem bei Platon
dem Heraklit zugeschriebenen hen diapheron heautō („das Eine in sich selber
unterschiedne“17) bestimmt, das Maßstab oder „Gesetz des Geistes“ sei. Nicht
im Prinzip oder Bild des Schönen selbst liegt also die Differenz, die den Vorwurf
rechtfertigen könnte, Hegel versage vor dem Schönen. Sie liegt auch nicht in
der Genesis dieses Prinzips selbst, sofern sie die Idealität gegenüber „Not und
Unglück“ des (endlichen) Daseins bedeutet. Auch bei Adorno heißt es: „schön
werden Gebilde kraft ihrer Bewegung gegen das bloße Dasein. Der ästhetisch
formende Geist ließ von dem, woran er sich betätigte, nur passieren, was ihm
gleicht, was er begriff oder was er sich gleichzumachen hoffte. Dieser Prozeß
war einer von Formalisierung; darum [ist] Schönheit, ihrer historischen Rich-
tungstendenz nach, ein Formales.“18
Adornos Einspruch gegen Hegel beginnt dort, wo er geltend macht, dass das
Formprinzip des Schönen keine wahre Versöhnung bedeuten könne. Dies sei
bereits der Genesis des Schönen eingeschrieben: das Bild des Schönen entstehe
„mit der Emanzipation der Angst vorm überwältigend Ganzen und Ungeschie-
denen der Natur. Den Schauer davor rettet das Schöne in sich hinüber vermöge
seiner Abdichtung gegen das unmittelbar Seiende, durch Stiftung eines Bereichs
des Unanrührbaren“.19 Die konkrete Allgemeinheit des Schönen bezeugt somit
nicht die Wahrheit der Natur als der Äußerlichkeit der Idee, sondern einen unver-
mittelten Gegensatz gegen die Natur. Das Schöne ist Moment einer Dialektik der
Aufklärung, in der Naturbeherrschung letztlich die Ohnmacht gegenüber einer
unversöhnten Natur reproduziert und verschärft. Wie nach Horkheimer und
Adorno in der Dialektik der Aufklärung die beherrschte Natur sich rächt, so schlägt
der durch das Schöne gebannte und abgewehrte Schrecken vor der Natur auf das
16 Ebd.
17 Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Kritische Textausgabe, hg. v. D. E. Sattler, Bd. 11, Darm-
stadt und Neuwied 1984, 115. – Bei Plato (Symposion 178a) lautet die Stelle: hen diapherómenon
… hautō; Hölderlins in Klammern hinzugefügte Übersetzung entspricht der Fassung bei Plato,
nicht dem von ihm im griechischen Zitat verwendeten Aktiv.
18 Adorno, Ästhetische Theorie, a. a. O. (Anm. 1), 82 f.
19 Ebd., 82.
„Hegels Philosophie versagt vor dem Schönen“. Hegel in Adornos Ästhetik 203
Schöne selbst zurück. Das Bild des Schönen ist daher in anderer Weise gebrochen
und widersprüchlich als bei Hegel. Sein Prinzip – das Eine und Unterschiedene
im Gegensatz zum Ganzen und Ununterschiedenen der Natur – ist nur ein flüch-
tiges Moment innerhalb der Dialektik der Aufklärung, das sich nicht festhalten
und als Prinzip prolongieren lässt. Hierin besteht nach Adorno das Statische der
Hegelschen Definition und sein Versagen vor dem Schönen.
Dazu Adorno: „Das Gesetz der Formalisierung des Schönen war ein Augen-
blick von Balance, fortschreitend gestört durchs Verhältnis zu dem Ungleichna-
migen, das die Identität des Schönen vergebens von sich fernhält. Das Furchtbare
blickt aus Schönheit selbst als der Zwang, der von der Form ausstrahlt“.20 Das
Überwältigende der Form – bei Hegel die sinnliche Unmittelbarkeit, mit der das
Scheinen der Idee im Sinnlichen gewahr wird – setzt für Adorno den Zwang fort,
der im Naturverhältnis besteht. Es ist ein doppelter Zwang: ein Zwang, der von
der Natur ausgeht und durch Schönheit gebrochen und abgewehrt wird; und ein
Zwang, der auf die Natur durch die Naturbeherrschung ausgeübt wird. Überflüs-
sig, zu erwähnen, dass diese Zwangsverhältnisse auch die gesellschaftlichen Ver-
hältnisse beherrschen, sofern das Naturverhältnis immer gesellschaftlich vermit-
telt ist. All dies überführt das anfängliche Bild des Schönen der Unwahrheit, ohne
die Kategorie des Schönen zu suspendieren: „Kraft solcher Dialektik verwandelt
sich das Bild des Schönen in der Gesamtbewegung von Aufklärung“.21 Schön ist
etwas nur, sofern es – seines Ursprungs als Widerstand eingedenk – dem Zwang
widersteht. Solche Schönheit bleibt im wesentlichen situativ, nachvollziehbar
nur unter Reflexion auf historische Indizes.
Genau hieran mangelt es, Adorno zufolge, Hegel: „Hegels Ästhetik krankt
nicht zuletzt daran, daß sie, wie das gesamte System schwankend zwischen
Denken in Invarianten und ungegängelt dialektischem, zwar das geschichtliche
Moment von Kunst […] wie keiner vor ihm begriff, trotzdem jedoch den Kanon der
Antike konserviert hat.“22 Die für Adorno „statische“ Definition des Schönen als
sinnliches Scheinen der Idee, die sich als ein organisches Ganzes darstellt, kann
in der Tat ihre Orientierung an der klassischen Antike nicht verleugnen. Entschei-
dend für seine Kritik ist, dass Adorno das Schöne überhaupt von solchen Vorbil-
dern löst und an dem Widerspruch der Kunst zu den bestehenden Verhältnissen
in bestimmten historischen Situationen bemisst. Schön ist, was jeweils der Kon-
formität widersteht – auch der ästhetischen –, ohne das Formgesetz preiszuge-
ben.23 Das Schöne ist Versprechen einer befreiten und versöhnten Wirklichkeit
im Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen. Ihr telos liegt in einem Nicht-
seienden, das in ihnen erscheint, aber unter dem Gesetz des Bilderverbots: „In
jedem genuinen Kunstwerk erscheint etwas, was es nicht gibt. Nicht phantasie-
ren sie es aus zerstreuten Elementen des Seienden zusammen. Sie bereiten aus
diesen Konstellationen, die zu Chiffren werden, ohne doch das Chiffrierte, wie
Phantasien, als unmittelbar Daseiendes vor Augen zu stellen.“24
In dieser Verbindung des Schönen mit dem Nichtseienden liegt, dass es über
die Sinnlichkeit als raumzeitlicher Präsenz auch schon immer hinaus ist. Der
Begriff der Erscheinung als sinnliches Scheinen der Idee, wie Hegel ihn verwen-
det, bedarf daher einer tiefgreifenden Revision, um das Flüchtige, dem bestehen-
den Sein Entrückte solcher Chiffrierung des Nichtseienden erfassen zu können.
„Am nächsten“, so Adorno, komme „dem Kunstwerk als Erscheinung die appa-
rition, die Himmelserscheinung“; Prototyp und apparition kat’ exochēn sei das
Feuerwerk: „empirisch Erscheinendes, befreit von der Last der Empirie als einer
der Dauer, Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und
vergehende Schrift, die doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt.“25
Als apparitionen sind die Kunstwerke sinnlich-übersinnliche Erscheinungen.
Ihnen eignet daher auch nicht nur, wie bei Hegel, die sinnliche Unmittelbarkeit
der Erscheinung und ihres Gewahrwerdens. Die Kunstwerke, so Adorno, erreich-
ten „Schwellenwerte, wo jene [die sinnliche, A.] Unmittelbarkeit endet, wo sie
‚gedacht‘ werden müssen, nicht in einer ihnen äußerlichen Reflexion, sondern
aus sich heraus: zu ihrer eigenen sinnlichen Komplexion gehört die intellektive
Vermittlung und bedingt ihre Wahrnehmung.“26 Kunstwerke „nötigen“ demge-
mäß zur Reflexion;27 die „Betroffenheit“ und „Erschütterung“ durch ein Werk
ist „Funktion von Vermittlung, von eindringender und umfassender Erfahrung;
diese verdichtet sich im Augenblick, und dazu bedarf es des ganzen Bewußtseins
[…]. Die Erfahrung von Kunst […] ist mehr als subjektives Erlebnis: sie ist Durch-
bruch von Objektivität im subjektiven Bewußtsein.“28 Das Moment der Reflexion
gehört dem Schönen selbst an und nicht erst einer nachgängigen Vergewisserung
des ästhetischen Erlebens.
23 Vgl. ebd., 133 f.: „Von den mythischen Bildern aber emanzipieren die ästhetischen
sich dadurch, daß sie ihrer eigenen Unwirklichkeit sich unterordnen; nichts anderes heißt
Formgesetz. Das ist ihre Methexis an der Aufklärung.“
24 Ebd., 127.
25 Ebd., 125.
26 Ebd., 138 f.
27 Ebd., 129.
28 Ebd., 363.
„Hegels Philosophie versagt vor dem Schönen“. Hegel in Adornos Ästhetik 205
2
Schönheit im Sinne Adornos erwächst aus dem Dünger der Widersprüche, des
Nichtidentischen, behält aber – anders als bei Hegel – das Nichtidentische als
konstitutiv in sich selbst und nicht nur als Aufhebung der Widersprüche im End-
lichen durch die konkrete Allgemeinheit der Idee. Die Versöhnung, welche Hegel
dem absoluten Geist zuschreibt und welche ihm zufolge in der Kunst anhebt,29
ist für Adorno zwar nicht „erpresste Versöhnung“,30 aber doch ambivalent. Auch
wenn das endliche Subjekt sich den realen Widersprüchen beugt und Befrie-
digung in einer anderen Sphäre sucht, so trägt das Freiheitskonzept der Idee
noch immer das Versprechen konkreter Allgemeinheit. Diese steht bei Hegel
im Schönen gerade nicht unter dem Identitätszwang, dem Adorno mit seinem
Konzept des Nichtidentischen widerspricht, sondern bedeutet „ein Gewährenlas-
sen der Gegenstände als in sich freier und unendlicher“; die Glieder des schönen
Objekts müssen, Hegel zufolge, nicht eine „nur ideelle Einheit haben, sondern
auch die Seite selbständiger Realität herauskehren“, d. h., „daß sie gegenein-
ander den Schein selbständiger Freiheit bewahren“.31 Hierauf könnte Adorno
sich berufen, wenn er in der Negativen Dialektik schreibt: „Das Absolute […], wie
es der Metaphysik vorschwebt, wäre das Nichtidentische, das erst hervorträte,
nachdem der Identitätszwang zerging“.32
Auch wenn Adorno nicht so weit geht, Hegel zum Zeugen des Nichtidenti-
schen zu machen, so ist doch das Schöne der Schein – im Sinne der apparition
– realer Versöhnung. „Das Schöne in der Kunst ist der Schein des real Friedli-
chen. Dem neigt noch die unterdrückende Gewalt der Form sich zu in der Ver-
einigung des Feindlichen und Auseinanderstrebenden.“33 Der Zwangscharak-
ter der Form, von dem schon die Rede war, steht für den Identitätszwang,34 der
gleichwohl dadurch gebrochen ist, dass Heterogenes vereinigt wird, das auch
unter dem Zwang nicht gleichnamig gemacht wird. Mit ihrer Orientierung auf
29 Vgl. zur Problematik der ‚starken‘ Deutung der Versöhnung in Hegels Ästhetik Erzsébet
Rózsa, Versöhnung und System. Zu Grundmotiven von Hegels praktischer Philosophie, München
2005, 363–438. Rózsa macht vor allem auch darauf aufmerksam, dass die Versöhnung für Hegel
Grenzen hat und nicht in ein affirmatives Einverständnis mit dem So-Sein mündet.
30 Theodor W. Adorno, „Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács: ‚Wider den mißverstandenen
Realismus‘“, in: Noten zur Literatur, Frankfurt/Main 1981, 251–280.
31 Hegel: Ästhetik, a. a. O. (Anm. 8), Bd. 1, 121.
32 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt/Main 1970, 396.
33 Adorno, Ästhetische Theorie, a. a. O. (Anm. 1), 383.
34 Dieser ist, nach der Negativen Dialektik, „selber der mythische Schein, die erzwungene
Identität“ (a. a. O., Anm. 32, 396).
206 Andreas Arndt
ein Nichtseiendes, aber Seinsollendes, das sie chiffriert, wächst Kunst nicht nur
die Funktion des Widerspruchs gegen die bestehenden Verhältnisse zu, sondern
auch die Funktion eines (bilderlosen) Vorgriffs auf Verhältnisse, unter denen die
Kunst ihre Widerstandsfunktion verliert. Für Adorno wäre dies dann wohl auch
das Ende der Kunst: „zu wünschen wäre, daß eines besseren Tages Kunst über-
haupt verschwände, als daß sie das Leid vergäße, das ihr Ausdruck ist und an
dem Form ihre Substanz hat.“35
Überraschenderweise folgt Adorno Hegel also gerade in der umstrittenen
These vom Ende der Kunst. Daraus möchte er freilich gegen Hegel eine Konse-
quenz ziehen, die dieser – so sagt Adorno selbst – niemals würde gezogen haben:
Wenn Kunst als vergänglich zu denken ist, so ist ihr Gehalt kein Absolutes, viel-
mehr: „Sie könnte ihren Gehalt in ihrer eigenen Vergänglichkeit haben“.36 Darin
freilich zeigt sich nach Adorno gerade die Wahrheit der Kunst als Ausdruck wider-
sprüchlicher Verhältnisse. „Der Gedanke an ihre Abschaffung“, so schreibt er,
„tut ihr [der Kunst, A] Ehre an, indem er ihren Wahrheitsanspruch honoriert.“37
Hierbei handelt es sich nicht um irgendeinen Anspruch, sondern – wie ein Blick
in Adornos Drei Studien zu Hegel belehrt, um die ganze Wahrheit – das Absolute
selbst jenseits des Identitätszwangs: „Der Strahl, der in allen seinen Momenten
das Ganze als das Unwahre offenbart, ist kein anderer als die Utopie, die der
ganzen Wahrheit, die noch erst zu verwirklichen wäre“.38 Solche Utopie wohnt
der Kunst inne, freilich in antinomischer Form. In Verhältnissen, unter denen
„der reale Funktionszusammenhang Utopie verbaut“, müsse und wolle sie Utopie
sein, dürfe es aber nicht, „um nicht Utopie an Schein und Trost zu verraten“.39
Die Annahme liegt nahe, dass für Adorno die Antinomie der Utopie letztlich mit
der eingangs erwähnten Antinomie des Schönen zusammenfällt, denn schön ist
etwas für Adorno nur im Widerspruch und Widerstand gegen das Bestehende, in
dem negativ die Utopie einer befreiten Gesellschaft aufscheint.
An diesem Punkt macht sich die entscheidende Kritik an Hegel fest, die letzt-
lich als Variante des alten, schon von Rudolf Haym erhobenen Vorwurfs ange-
sehen werden muss, Hegel habe sich an die bestehenden preußisch-deutschen
Verhältnisse der Restaurationszeit akkomodiert und damit das aufklärerische
Projekt einer vernunftgemäßen Gestaltung der Wirklichkeit verraten. Bei Adorno
liest sich das so: „Er [Hegel, A.] verriet die Utopie, indem er das Bestehende kon-
struierte, als wäre es jene, die absolute Idee.“40 Offenbar ist Adorno der Auffas-
sung, Hegels These vom Ende der Kunst besage, dass das Bestehende – im Hegel-
schen Sinne die bloße Realität – der Idee gemäß gestaltet und damit Wirklichkeit
als Einheit von Begriff und Realität sei. Dies wird durch die Fortsetzung des Ein-
wandes glaubhaft: „Gegen Hegels Lehre, der Weltgeist sei über die Gestalt der
Kunst hinaus, behauptet sich seine andere, welche die Kunst der widerspruchs-
vollen Existenz zuordnet, die wider alle affirmative Philosophie fortwährt.“41
Adorno meint damit die bereits erwähnten Ausführungen Hegels, in denen er das
Bedürfnis nach Kunst aus der Not und den Widersprüchen des endlichen Daseins
begründet.
Wie steht es mit diesem Einwand? Tatsächlich geht es Hegel in den Gestaltun-
gen des absoluten Geistes darum, dass der Geist sich als Geist erfasst, d. h.: dass
der Geist zum Selbstbewusstsein kommt. Er tut dies, indem er sich als frei und
Grund der Freiheit durchsichtig wird. Dies ist es, was der Weltgeist zu vollbringen
hat. Weltgeschichte ist, gemäß Hegels bekannter (aber in ihren Konsequenzen
zuweilen zu wenig bedachter) Formel „Fortschritt im Bewußtseyn der Freyheit“.42
Von der Realisierung der Freiheit ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.
Wenn der Weltgeist über die Gestalt der Kunst hinaus ist, dann also nicht, weil
die Realität zur Wirklichkeit der Vernunft durchgebildet wäre, sondern deshalb,
weil die Kunst im Blick auf die weitere Entwicklung des Selbstbewusstseins des
Geistes ihr Potential erschöpft hat und durch sie kein Fortschritt im Freiheitsbe-
wusstsein mehr möglich ist. Adorno verwechselt – wie weithin üblich – Hegels
Begriff der Weltgeschichte mit seiner eigenen Auffassung von Geschichtlichkeit.
Damit wird auf der anderen Seite aber auch der utopische Gehalt der Hegel-
schen ‚Idee‘ überfrachtet, den Hegel, Adorno zufolge, verraten haben soll. Der
Gedanke, die Idee könne unmittelbar auf die Lebenswelt der gesellschaftlichen
Individuen durchschlagen und diese real versöhnen, d. h. alle Not, alles Leid und
alle Widersprüchlichkeit im Endlichen abschaffen, ist Hegel fremd; hierfür war
er zu sehr Realist. Nur dem Gedanken einer Abschaffung unnötigen Leidens, wie
ihn etwa Marx – auch in dieser Hinsicht ein guter Hegelianer – vertritt, dürfte er
zugestimmt haben. Bei aller Negativität, mit welcher Adorno das Ausmalen des
Zustandes einer freien Gesellschaft abwehrt: indem er gegen das unwahre Ganze
die ganze Wahrheit mobilisiert, gerät er in den Verdacht, auch eine vollständige
Versöhnung zu meinen.
40 Ebd.
41 Ebd.
42 GW 18, 153.
208 Andreas Arndt
Dem gegenüber wäre Adornos Konzeption selbst wohl noch einmal zu „dia-
lektisieren“. Wenn es legitim ist, den Geschichtsbegriff anders anzusetzen als
Hegel und die – wie immer auch widersprüchliche und unvollständige – Realisie-
rung von Freiheit in ihn aufzunehmen, dann bleibt Befreiung auch nicht negativ
an den Begriff eines Ganzen geheftet, der das vollendete Selbstbewusstsein des
Geistes meinte. Und vielleicht ließe sich von dorther auch das Schöne – durchaus
im antinomischen Sinne Adornos – mit und gegen Hegel neu bestimmen aus den
Bedürfnissen endlicher Subjekte.
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in: Autonomie der Kunst? Zur Aktualität von Kants Ästhetik, hg. v. A. Esser, Berlin 1995,
99–123.
Voßkamp, Wilhelm, „Ein anderes Selbst“. Bild und Bildung im deutschen Roman des 18. und 19.
Jahrhunderts, Göttingen 2004.
Voßkamp, Wilhelm, Der Roman des Lebens. Die Aktualität der Bildung und ihre Geschichte im
Bildungsroman, Berlin 2009.
Voßkamp, Wilhelm, Romantheorie in Deutschland von Martin Opitz bis Friedrich von
Blanckenburg, Stuttgart 1973.
Waetzoldt, Wilhelm, Deutsche Kunsthistoriker, 2 Bde., Leipzig 1921–24, Berlin 31986.
Weimar, Klaus, Historische Einleitung zur literarischen Hermeneutik, Tübingen 1975.
Weiße, Christian Hermann, „H. G. Hotho ‚Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über
Aesthetik‘ (Fortsetzung)“, in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst.
Kritiken, Charakteristiken, Correspondenzen, Uebersichten (3. September 1838, Nr. 211),
1681–1688.
Wolff, Michael, Das Körper-Seele-Problem: Kommentar zu Hegel, Enzyklopädie (1830) § 389,
Frankfurt/Main 1992.
Zmegác, Viktor, Der europäische Roman. Geschichte seiner Poetik, Tübingen 1990.
Verzeichnis der Autoren
Andreas Arndt, geb. 1949, seit 2011 Prof. für Philosophie an der Theologischen Fakultät
der Humboldt-Universität zu Berlin; zugleich Leiter der Schleiermacherforschungsstelle
an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Studium der Philosophie
und Germanistik in Freiburg i.Br. und Bochum, Promotion (Philosophie) an der Universität
Bielefeld (1977), Habilitation an der Freien Universität Berlin 1987, apl. Prof. ebendort 1993.
Letzte Buchveröffentlichungen: Die Arbeit der Philosophie (2003), Unmittelbarkeit (2004),
Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik
1785–1845 (2012; mit Walter Jaeschke), Friedrich Schleiermacher als Philosoph (2013).
Wolfram Bergande (Dr. phil., M. A.), Studium der Philosophie, Romanistik und Volkswirt-
schaftslehre in Berlin, Paris, New York City und Frankfurt/Main. Seit 2005 Lehrbeauftragter
am Institut für Produkt- und Prozessgestaltung der Universität der Künste Berlin und seit 2007
Lehrbeauftragter für Kulturphilosophie und Ästhetik am Institut für Kulturwissenschaft und am
International Department der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt erschienen: Die Logik des
Unbewussten in der Kunst. Subjekttheorie und Ästhetik nach Hegel und Lacan (2007).
Ivan Boldyrev, geb. 1984 in Moskau, studierte Philosophie an der Moskauer Lomonossov-
Universität und Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft (HSE), wo er
zur Zeit an den Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften und Philosophie doziert. Im Jahre
2008 promovierte er an der Moskauer Lomonossov-Universität mit einer Arbeit über Ernst
Bloch und Hegel. Seit 2011 ist er auch Gastwissenschaftler am Institut für deutsche Literatur
der Humboldt-Universität zu Berlin. Letzte Buchpublikation: Wremja Utopii. Problematit-
scheskije osnowanija i konteksti philossofii Ernsta Blocha [Die Zeit der Utopie. Problematische
Grundlagen und Kontexte der Philosophie Ernst Blochs] (2012).
Niklas Hebing, geb. 1979, Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichtswis-
senschaft in Bochum, Essen und Paris, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hegel-Archiv der
Ruhr-Universität Bochum. Monographie: Unversöhnbarkeit. Hegels Ästhetik und Lukács’
„Theorie des Romans“ (2009).
Christian Iber, Studium in Heidelberg und Berlin in den Fächern Philosophie, Germanistik,
Geschichte und Politik; Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Institut der Freien
Universität Berlin im Arbeitsbereich von Michael Theunissen; Privatdozent am Institut für
Philosophie der FU Berlin; Gastprofessuren und Vertretungen in Prag, Berlin, Jena, Magdeburg
und Fortaleza (Brasilien). Seit 2011 Professor für Philosophie an der Pontifícia Universidade
Católica von Rio Grande do Sul in Porto Alegre (Brasilien). Letzte Veröffentlichungen: Subjek-
tivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus (1999);
Grundzüge der Marx’schen Kapitalismustheorie (2005); Platon, Sophistes. Kommentar (2007).
Walter Jaeschke, Studium und Promotion an der Freien Universität Berlin, 1974–1989 Wissen-
schaftlicher Mitarbeiter am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum, dort 1986 Habilitation.
Von 1989–1998 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften und apl. Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin, von
1998–2010 Prof. für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 Direktor des
Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum und Leiter der Ausgabe Hegel: Gesammelte Werke,
ferner seit 1999 Herausgeber der Ausgabe Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Gesamtausgabe
(mit Klaus Hammacher) und seit 2003 Herausgeber der Ausgabe Friedrich Heinrich Jacobi:
Briefwechsel sowie des Jahrbuchs Hegel-Studien und der Beihefte zu den Hegel-Studien (mit
Ludwig Siep). – Zahlreiche Publikationen zu Hegel, insbesondere Hegel-Handbuch. Leben
– Werk – Schule (2003), aktualisierte Neuauflage 2010, sowie Die Klassische Deutsche
Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845 (2012; mit
Andreas Arndt).
Günter Kruck, geb. 1960, seit 2010 außerplanmäßiger Professor an der Katholisch-Theolo-
gischen Fakultät der Johannes Gutenberg Universität in Mainz im Seminar für Dogmatik und
Fundamentaltheologie. Studienleiter für Philosophie und Theologie an der Katholischen
Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom in Frankfurt. Buchveröffentlichungen u. a.: Das
absolute Geheimnis vor der Wahrheitsfrage. Über den Sinn und die Bedeutung der Rede von
Gott (2002). Herausgeber u. a.: Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss (2006); Staat
und Religion in Hegels Rechtsphilosophie (2009) jeweils zus. mit A. Arndt und C. Iber; zus.
mit B. Dörflinger: Über den Nutzen von Illusionen. Die regulativen Ideen in Kants theoretischer
Philosophie (2011).
Dimitri Liebsch, Dr. phil., geb. 1964; Mitarbeiter am Zentrum für Wissenschafstheorie an der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und im DFG-Netzwerk Bildphilosophie, lehrt in
Bochum, Atlanta und Münster. Bucherveröffentlichung: Die Geburt der ästhetischen Bildung
aus dem Körper der antiken Plastik. Zur Bildungssemantik im ästhetischen Diskurs zwischen
1750 und 1800 (2001). Herausgeber: Philosophie des Films. Grundlagentexte (2005). Mither-
ausgeber: Visual Culture Revisited. German and American Perspectives on Visual Culture(s)
(2007); Visualisierung und Erkenntnis. Bildverstehen und Bildverwenden in Natur- und Geistes-
wissenschaften (2011).
Nives Delija Trešćec, geb. 1974, Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der
Universität Zadar. Promotion zum Thema „Hegels These vom Ende der Kunst und ihre
Rezeption“ an der Universität Zagreb. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung
Philosophie der Universität Zadar.
Verzeichnis der Autoren 221
Wilhelm Voßkamp, geb. 1936, Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in
Münster, München, Göttingen und Kiel. 1972–87 Prof. für Literaturwissenschaft an der
Universität Bielefeld; 1978–82 Direktor am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der
Universität Bielefeld, seit 1987 Prof. für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literatur-
wissenschaft an der Universität zu Köln. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften, Berlin. Zuletzt erschienen: „Ein anderes Selbst“. Bild und Bildung im
deutschen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts (2004), Der Roman des Lebens. Die Aktualität
der Bildung und ihre Geschichte im Bildungsroman (2009), Theorie der Klassik (Hg., 2009).
Jure Zovko, geb. 1957, Professor am Institut für Philosophie der Universität Zagreb und an der
Universität Zadar (Kroatien). Mitglied des Institut International de Philosophie (Paris). Letzte
Buchveröffentlichungen: Essays über Platon (²2006), Philosophie und Kultur (2009, kroatisch),
Friedrich Schlegel als Philosoph (2010).
Personenverzeichnis
Das Personenverzeichnis umfasst die in Text und Anmerkungen genannten historischen Perso-
nen. Nicht aufgeführt sind die Namen von Herausgebern und von nur in zitierten Titeln genann-
ten Personen.
Kant, I. 11, 49 f., 53, 77, 165 f., 190 Raffaello Danzio da Urbino (Raphael) 92
Kotzebue, A. von 130 Richter, S. 134
Krämer, H. 164 Riedel, M. 51
Kwon, Dae-Joong 102 Rorty, R. 100
Rose, M. A. 82
La Motte, H. de 164 Rosenberg, H. 187
Lacan, J. 62, 77 Rosenkranz, K. 97, 120 f., 133, 138–143, 185
Leibniz, G. W. 50 Rózsa, E. 205
Leonardo da Vinci 92 Rückert, F. 29
Lessing, G. E. 141, 189 f. Ruge, A. 80, 86 f., 94–98, 121
Libelt, K. 104, 107
Liebsch, D. 119 Sauerländer, W. 100
Liessmann, K. 162 Schaeffer, J.-M. 180, 183
Löwith, K. 82 Schasler, M. 87
Lukács, G. 135, 168, 170 f., 198, 205 Schelling, F. W. J. 11, 47, 50 f., 53, 84, 135,
Lukian 163 190
Schiller, F. von 110, 119, 149 f., 152, 167, 174,
Marx, K. 200 190, 197
McDowell, J. 146 f. Schlegel, A. W. von 189 f.
Menke, Ch. 47, 50, 161, 165 Schlegel, F. von 149 f., 176 f.
Menninghaus, W. 77 Schleiermacher, F. 72
224 Personenverzeichnis