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ZAHN - Einführung in Die Quellen Des Römischen Rechts

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Juristische Ausbildung 2015(5): 448-458 DE GRUYTER

Aufsatz ZR

Bastian Zahn

Einführung in die Quellen des römischen Rechts


D0110.1515/ jura-2015-0091 vorjustinianischen Quellen. Auf eine Charakterisierung
der jeweiligen Quelle folgen Hinweise zur Zitierweise und
Das römische Recht ist die Wurzel des deutschen Rechts zu den maßgeblichen Editionen. Abschließend wird da-
ebenso wie zahlreicher ausländischer Rechtsordnungen. Der rauf eingegangen, inwiefern Kenntnisse zu den Quellen in
Aufsatz stellt die wichtigsten Quellen des römischen Rechts den einzelnen Phasen des Studiums und bei Prüfungen
vor: die einzelnen Teile des Corpus Iuris Civi/is, das auf den relevant sind.
oströmischen Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert n. Chr. zu-
rückgeht, und die bedeutendsten Quellen aus der Zeit vor
Justinian. Diese Quellen werden jeweils charakterisiert, ihre II. Co rp US I Uri S Civili S
Zitierweise wird erklärt und die üblichen Editionen werden
aufgeführt. Die Kenntnis der Quellen des römischen Rechts Die bedeutendste Quelle für die Erforschung des rö-
ist in den Grundlagenfächern und in einem rechtshistori- mischen Rechts ist das Corpus Iuris Civilis", das auf den
schenSchwerpunktbereich relevant. oströmischen Kaiser Justinian I. (geb. 482, reg. 527-565
n. Chr.) zurückgeht. Das übergreifende Programm seiner
Regentschaft war die restauratio imperii: Er wollte den
1. Überblick früheren Glanz des weltumspannenden römischen Reiches
wiederherstellen und es auf christlicher Grundlage erneu-
Das römische Recht ist die Grundlage, auf der sich das ern5. Dieses Ziel verfolgte er einerseits militärisch: Sein
deutsche Recht und die anderen Rechtsordnungen des civil Feldherr Beiisar konnte Italien, Nordafrika und das südli-
law entwickelt haben'. Das Bürgerliche Gesetzbuch ist che Spanien von den germanischen Völkern zurücker-
über weite Strecken das Ergebnis der wissenschaftlichen obern. Zum anderen wollte er das römische Recht sam-
Auseinandersetzung mit dem römischen Recht im 19. Jahr- meln und so an den Glanz des klassischen Rechts (1. bis
hundert2. Bis heute ist in vielen seiner Normen das rö- Anfang des 3. Jahrhundert n. Chr.) anknüpfen. Diesem Ziel
mische Erbe erkennbar3• Die Beschäftigung mit dem rö- diente das Corpus Iuris Civilis, das sowohl die Leistungen
mischen Recht hilft deshalb sowohl beim Verständnis des der klassischen Juristen bewahren als auch das Recht des
geltenden deutschen Rechts als auch bei der Verständi- justinianischen Reichs kodifizieren sollte 6 • Es besteht aus
gung über die Grenzen der nationalen Rechtsordnungen vier Teilen:
hinweg. I. Iustiniani Institutiones
Im folgenden sollen die wichtigsten Quellen des rö- II. Digesta
mischen Rechts vorgestellt werden. Am Anfang steht das III. Codex Iustinianus
Corpus Iuris Civilis, das die bedeutendste, wenn auch die IV. Novellae
jüngste der hier vorgestellten Quellen ist. Es folgen die

1 Zimm ermann, Tue Law of Obligations, 1996, IX-XI; ders, Rö· 4 Dieser Titel geht nicht auf Justinian zurück, der corpus iuris nur in
misches Recht und europäische Kultur, JZ 2007, 1-12; Kaser/Knütel, der Bedeutung von gesamter Rechtsordnung verwendet (C. 5,13,1 pr.).
Römisches Privatrecht, 20. Aufl, 2014, § 1 Rn 34, 38f. Erstmals im 12. Jahrhundert wird die justinianische Rechtssammlung
2 Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 11. Aufl , 2014, § 44 corpus iuris (civilis) genannt; von Savigny, Geschichte des Römischen
Rn 34f; Kaser/Knütel (Fn 1) § 1 Rn 33f. Rechts im Mittelalter III, 2. Aufl, 1834, 517 m. w.N. Diese Bezeichnung
3 Kaser/Knütel (Fn 1) § 1 Rn 36f; zahlreiche Beispiele bei Knütel, Von setzt sich dauerhaft durch, nachdem 1583 der Genfer Jurist und
befreiten Vögeln, schönen Schäferinnen und hüpfenden Hunden Humanist Dionysius Gothofredus sie als Titel für eine Druckausgabe
oder: Exempla docent, JuS 2001, 209-217. verwendete; insoweit zutreffend Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 14.
5 Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn lf; Wieacker, Römische Rechts-
Bastian Zahn: Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr· geschichte II, 2006, 287; Kruse, Corpus Iuris Civilis in: Schmoeckel/
stuhl für Römisches Recht, Antike Rechtsgeschichte und Bürgerliches Stolte (Hrsg), Examinatorium Rechtsgeschichte, 2008, 17.
Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München . 6 Wieacker (Fn 5) 288.
DE GRUYTER Aufsatz ZR- Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts - - 449

Mit den Arbeiten an der Kompilation7 wurde bereits Eingang in einige Kodifikationen 14 • Der französische Code
528, also im zweiten Jahr der Regierung Justinians begon- civil, das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetz-
nen. In allen Etappen wurden die Arbeiten von Tribonian buch (ABGB) und das schweizerische Zivilgesetzbuch
(gest. 541) geleitet, einem hohen Beamten, der ab 529 das (ZGB) folgen dem Institutionensystem15 • Das deutsche BGB
Amt des quaestor sacri palatii versah, das dem eines Justiz- dagegen folgt als Ganzes dem sog. Pandektensystem 16 , al-
ministers vergleichbar ist8 • Er war es auch, der die Mit- lerdings findet sich im Allgemeinen Teil wiederum das In-
arbeiter der verschiedenen Kompilationskommissionen stitutionenschema. In allen modernen Kodifikationen wird
frei auswählte9 • an der Stelle der actiones die Verjährung behandelt, wäh-
rend das Prozessrecht in eigenen Kodifikationen geregelt
ist. Erst vor einigen Jahren wurde das Institutionensystem
1. lustiniani lnstitutiones einer wissenschaftlichen Darstellung des englischen Pri-
vatrechts zugrundegelegt, das der Oxforder Romanist Peter
Die justinianischen Institutionen sind ein juristisches Ein- Birks anregte und dessen erste Auflage er herausgab 17•
führungslehrbuch. Sie wurden 533 noch vor den Digesten
mit der Konstitution Imperatoriam promulgiert (verkün- Zitierweise:
1.1,1 pr.
det) und hatten - trotz ihrer didaktischen Ausrichtung -
Institutionen Justinians, Buch 1, Titel 1, principium
Gesetzeskraft10 • Nach der neuen Studienordnung, die Justi- Jeder Titel ist in mehrere Paragraphen unterteilt. Der erste davon,
nian im selben Jahr mit der Konstitution Omnem einführte, das principium, trägt keine Nummer und wird deshalb mit pr.
waren sie das einzige Lehrbuch, das im ersten Studienjahr zitiert. Dieses Phänomen findet sich im gesamten Corpus Juris
verwendet werden durften. Civilis.
Die Institutionen wurden von Tribonian zusammen
mit den antecessores (Rechtslehrern) Theophilus aus Kon- Ausgaben:
Die Institutionen erscheinen als editio stereotypa zusammen mit
stantinopel und Dorotheus aus Berytos (heute Beirut) aus-
den Digesten in: Corpus Iuris Civilis I: Institutiones, ed. Paul
gearbeitet12. Die wichtigste Vorlage waren die Gai Institu- Krüger; Digesta, ed. Theodor Mommsen, 16. Aufl., Berlin, 1954.
tiones (s. u. IIl.1). Daneben griff die Redaktionskommission Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Corpus Iuris Civilis.
auf weitere Einführungsliteratur zurück. Zudem wurden Text und Übersetzung I: Institutionen, Digesten 1-20, übers. von
die Gesetzgebungsakte Justinians eingearbeitet und so das Okko Behrends u. a., 2. Aufl., Heidelberg, 1997.
Sie ist auch allein als Taschenbuch erschienen: Corpus Iuris
Lehrbuch an die geltende Rechtslage angepasst 13 •
Civilis. Die Institutionen: Text und Übersetzung, übers. von Rolf
Die Institutionen bestehen aus vier Büchern. Ihre Glie- Knütel u. a., 4. Aufl., Heidelberg, UTB, 2013.
derung nimmt das von Gaius entwickelte sog. Institutio-
nenschema in personae, res und actiones auf. Gaius stellt in
seinem Lehrbuch nacheinander das Personenrecht (per-
sonae), das Sachen-, Erb- und Schuldrecht (res sind sowohl
Sachen als auch alle sonstigen Gegenstände des Rechts-
verkehrs wie Rechte, Erbschaften und Schuldverhältnisse)
sowie das Prozessrecht (actiones: Klagen) dar. Durch die 14 Waldstein/Rainer(Fn 2)§33 Rn 23f; Wieacker(Fn 5) 316.
15 Dasselbe gilt für den 1983 aufgehobenen Codex Juris Canonici von
Institutionen Justinians vermittelt, prägte das Institutio-
1917, der das überkommene Recht der katholischen [(jrche nach Vor-
nenschema die europäische Rechtswissenschaft und fand bild der staatlichen Gesetzbücher kodifizieren sollte. Umfassend dazu
Fantappie, Chiesa romana e modemita giuridica, 2 Bde, 2008 mit
deutschsprachiger Rezension durch Unterburger, Zeitschrift der Savi-
7 Von compilare: der Haare berauben, ausbeuten. Das Wort erklärt gny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung (ZRG KA)
sich daraus, dass die Digesten und der Codex Iustinianus aus Exzerp- 96 (2010), 639- 657.
ten früherer Rechtstexte bestehen, die neu zusammengestellt wur- 16 Es geht zurück auf Gustav Hugo, Institutionen des heutigen rö-
den. mischen Rechts, 1789, 18f und auf die Gliederung der Vorlesung zum
8 Zu seiner Person Honore, Tribonian, 1978; Wieacker (Fn 5) 288 f. römischen Recht von Georg Arnold Heise, Grundriß eines Systems des
9 Kruse (Fn 5) 17. allgemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandekten-Vorlesungen,
10 Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, 1953, 602; Waldstein/ 1807. Vgl Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl, 1967,
Rainer (Fn 2) §43 Rn 11; Wieacker(Fn 5) 314. 373 mit Fn 87; Stag/, Das didaktische System des Gaius, Zeitschrift der
11 Const. Omnem § 2. Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abteilung
12 Wenger (Fn 10) 602; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 11; Wieacker (ZRG RA) 131 (2014), 313 (314).
(Fn 5) 315. 17 Birks (Hrsg), English Private Law, 2 Bde, 2000; vgl hierzu Zim-
13 Const. Omnem § 2. Wenger (Fn 10) 603-608; Waldstein/Rainer mermann, Peter Birks und die Privatrechtswissenschaft in England, JZ
(Fn 2) § 43 Rn 11; Wieacker (Fn 5) 315. 2004, 1064 (1065).
450 - Aufsatz ZR - Bastian Zahn : Einführung in die Quellen des römischen Rechts DE GRUYTER

2. Digesta nen, den urspriinglichen Kontext eines Digestenfragments


im Werk eines Juristen zu ermitteln 28 •
Die Digesten18 oder Pandekten19 enthalten Exzerpte aus Wie die umfangreiche Arbeit der Kompilatoren in nur
den Schriften der römischen Juristen. Im Jahr 530 beauf- drei Jahren bewältigt wurde, sucht die sog. Bluhm'sche
tragte Justinian mit der Konstitution Deo auctore eine Kom- Massetheorie zu erklären. Sie geht auf den Rechtshistori-
mission aus 17 Mitgliedern mit der Erstellung des Werks. ker Friedrich Bluhme (1797-1874) zurück und hat all-
Ihr Vorsitzender war Tribonian. Er wurde von vier Rechts- gemeine Anerkennung gefunden29 • Danach wurden die zu
lehrern, Theophilus und Cratinus aus Konstantinopel so- lesenden Juristenschriften in drei Gruppen (Massen) ge-
wie Dorotheus und Anatolius aus Berytos, dem Leiter der teilt30:
kaiserlichen Kanzlei sowie elf Anwälten unterstützt20 • Die (1) Sabinusmasse
Arbeit der Kompilatoren dauerte drei Jahre. Am 16. Dezem- Sie enthält hauptsächlich die Kommentare der spät-
ber 533 wurden die Digesten mit den Konstitutionen Tanta klassischen Juristen Paulus und Ulpian zu einer Ge-
und M6wKf:V/Dedoken promulgiert und ihnen Gesetzes- samtdarstellung des ius civile aus der Hand des Sabi-
kraft verliehen 21. nus, eines in der frühen Kaiserzeit wirkenden Juristen.
Zugleich verbot Justinian Kommentierungen des Di- (2) Ediktsmasse
gestentexts, während Paraphrasen erlaubt sein sollten22 • Sie umfasst v.a. die Kommentare zum Edikt des prae-
Der genaue Inhalt dieses Verbots ist allerdings strittig, da tor urbanus von Paulus und Ulpian sowie zum Edikt
sich in der byzantinischen Rechtsliteratur sehr wohl Kom- der Provinzialstatthalter von Gaius. Diesen Edikten
mentarwerke erhalten haben23 • Möglicherweise richtete konnte entnommen werden, für welche Fälle der je-
sich das Verbot lediglich gegen Kommentierungen, die in weilige Gerichtsmagistrat Rechtsschutz gewähren
die Handschriften selbst eingefügt werden sollten und würde.
ihren Text dadurch zu verfälschen gedroht hätten24 • (3) Papiniansmasse
Die Digesten umfassen 50 Bücher25. Für ihre Erstellung Sie hat ihren Namen von der Sammlung der responsa
lasen und exzerpierten die Kompilatoren 200 Werke von (Rechtsgutachten) des spätklassischen Juristen Papi-
fast 40 Juristen, die einen Umfang von 3 Mio. Zeilen in nian, die ihr wichtigster Bestandteil sind. Sie umfasst
2.000 libri (ursprünglich Buchrollen) hatten 26 • Da die Di- ferner weitere Schriften von geringerem Umfang als
gesten 150.000 Zeilen in 50 Büchern umfassen, stellen sie die Kommentare der beiden ersten Massen.
nur fünf Prozent des gelesenen Materials dar. Aus wel- (4) Appendixmasse
chem Werk ein Digestenfragment entstammt, kann der in- Hierbei handelt es sich um nachträglich herangezoge-
scriptio zu Beginn des Fragments entnommen werden. Da ne Schriften.
Justinian ausdrücklich die Errungenschaften der früheren
Juristen bewahren wollte, machen die Digesten auf diese Die ersten drei Massen wurden jeweils einer Unterkommis-
Weise kenntlich, auf wen ihre Texte ursprünglich zurück- sion der Kompilationskommission zugeordnet, die Appen-
gehen27. Der modernen Forschung erlauben die Inskriptio- dixmasse wurde erst später berücksichtigt. Die Unter-
kommissionen lasen und exzerpierten die Schriften ihrer
Massen separat. Dann erfolgte die Endredaktion, deren
18 Von digerere: ordnen.
19 Gr. navBEKTat/pandekta i: die Allumfassenden.
20 Wenger (Fn 10) 576; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 8; Wieacker
(Fn 5) 294. 28 Auf diese Weise rekonstruierte Otto Lenel, Palingenesia Iuris Civi-
21 Wenger (Fn 10) 579f; Wieacker (Fn 5) 299. lis, 2 Bde, Neudr. der Ausg. 1889, 1960 sämtliche in den Digesten
22 Const. Deo auctore § 12 = C. 1,17,1,12; const. Tanta § 21 = C. enthaltenen Juristenschriften .
1,17,2,21. 29 Wenger (Fn 10) 583- 585; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 20f; Wie-
23 Wieacker (Fn 5) 300. acker (Fn 5) 301f. In neuerer Zeit hat sich v.a. Tony Honore mit der
24 Ausführlich Wallinga, Tanta/1'.EMlKEN: Two Introductory Consti- Arbeitsweise der Kompilatoren befasst; gleichsam die Summe seiner
tutions to Justinian's Digest, 1989, 107- 116 mwN; kritisch hi erzu Arbeiten zieht er in Honore, Justinian's Digest: Character and Compi-
jedoch die Rezension durch Honore, ZRG RA 110 (1993), 764 (7661). lation, 2010. Daneben sind zu nennen Mantovani, Digesto e Masse
25 Ihre Gliederung folgt dem System des prätorischen Edikts; Wenger Bluhmiane, 1987 und zuletzt Pugsley, Did Bluhme realise that his
(Fn 10) 582; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 9. AA Stag/, ZRG RA 131 tables were right but his history was wrong?, ZRG RA 131 (2014), 403-
(2014), 313 (326- 329). 413.
26 Wenger (Fn 10) 580; Waldstein/Rainer (Fn 2) §43 Rn 18f; Wieacker 30 Eine vollständige Liste der in den einzelnen Massen enthaltenen
(Fn 5) 295f. Schriften bietet Anhang I der editio stereotypa: Ordo librorum iuris
27 Wieacker (Fn 5) 299. Zugleich sollte dadurch die Authentizität des veteris in compilandis Digestis observatus. Eine überarbeitete Version
Materials beglaubigt werden; ebd, 295. findet sich bei Honore (Fn 29) 151- 161.
DE GRUYTER Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts - 451

genauer Verlauf aber noch nicht geklärt ist' '. In den einzel- mus) aus dem 6. Jahrhundert zurück. Sie ist in zahlreichen
nen Digestentitel bleibt in der Regel die Abfolge der Mas- Handschriften zusammen mit Scholien überliefert, die den
sen erkennbar. Text der Summe zu erläutern suchen. Diese Scholien stam-
Die Überlieferung des lateinischen Digestentexts be- men teilweise aus dem Rechtsunterricht der Zeit Justinians
ruht auf zwei Hauptquellen 32 : Zum einen ist der Text in (sog. ältere Scholien), größtenteils entstanden sie jedoch
einer zweibändigen Handschrift aus dem 6. Jahrhundert später (sog. jüngere Scholien). Weicht die Überlieferung in
enthalten, die nach ihrem heutigen Aufbewahrungsort, den Basiliken vom lateinischen Digestentext ab, so kann
der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz, als Codex dies darauf beruhen, dass sowohl der Anonymus als auch
Florentinus (F) bezeichnet wird 33 • Die moderne Edition der die justinianischen Rechtslehrer noch Zugang zu den ur-
Digesten durch Theodor Mommsen (1817-1903) stützt sich sprünglichen Juristenschriften vor der Kompilation hatten.
hauptsächlich auf diesen Textzeugen. Er ist wahrschein- Die Kompilationskommission hatte den ausdrück-
lich in der kaiserlichen Kanzlei in Konstantinopel entstan- lichen Auftrag, den Text der aufgenommenen Juristen-
den34 und gelangte über Süditalien und Pisa im Jahr 1406 schriften zu überarbeiten und dabei an das geltende Recht
nach Florenz35 . anzupassen, insbesondere die justinianische Reformge-
Der andere Hauptzeuge ist eine Gruppe von mittelalter- setzgebung einzuarbeiten40 . Die Eingriffe in den Text wer-
lichen Handschriften, deren älteste aus dem späten 11. und den lnterpolationen 4' genannt. Daneben ist auch mit Text-
dem 12. Jahrhundert stammen. Sie werden zusammen als eingriffen vor der Digestenkompilation zu rechnen, den
Vulgathandschriften oder als Littera Bononiensis bezeich- sog. vorjustinianischen Interpolationen 42.
net. Letzteres kommt daher, dass sie die Textgrundlage des Da sich das moderne Erkenntnisinteresse in der Regel
mittelalterlichen Rechtsunterrichts waren, der in Bologna auf das römische Recht der klassischen Zeit richtet, müs-
(lat. Bononia) seinen Ursprung hatte. Für diese Handschrif- sen interpolierte Texte identifiziert und ihr urspriinglicher
tengruppe postulierte Mommsen einen gemeinsamen Vor- Inhalt rekonstruiert werden. Es handelt sich hierbei um die
läufer, den Codex Secundus (S). Er ist teilweise von F abhän- sog. »höhere« Textkritik43. Dabei empfiehlt sich folgende
gig, enthält aber auch bessere Lesarten, die auf eine Vorgehensweise 44 :
Korrektur anhand eines anderen Exemplars der Digesten (1) Einige Texte sind außerhalb der Digesten parallel über-
zurückgehen36 • Die genaue Entstehung der Vulgathand- liefert. Durch den Vergleich der Textfassung in den
schriften ist allerdings weiterhin ungeklärt37 . Digesten mit der Parallelüberlieferung können justi-
Daneben sind die Digesten in griechischer Sprache in nianische Interpolationen leicht identifiziert werden.
den Basiliken überliefert38 . Sie sind eine Kompilation des (2) Reformkonstitutionen Justinians geben Einblick in ge-
auf dem Corpus Iuris Civilis beruhenden byzantinischen zielte Rechtsänderungen durch den Kaiser. Sie erlau-
Rechts, die Kaiser Leo VI. der Weise (geb. 866, reg. 886- ben, den Ursprung einer Interpolation (Ätiologie) zu
911) veranlasste 39. Der Haupttext der Basiliken geht auf die erhellen. Analoges gilt für Konstitutionen anderer Kai-
Digestensumme eines unbekannten Rechtslehrers (Anony- ser, die eine Änderung des Rechts ihrer Zeitvorgenom-
men haben. Wenn der Inhalt eines Digestenfragments
demjenigen einer Reformkonstitution entspricht, ist
31 Wieacker (Fn 5) 303- 310, der auf die Bedeutung des Rechtsunter- eine Interpolation möglich. Noch wahrscheinlicher ist
richts für die Durchführung der Endredaktion verweist.
die Interpolation, wenn zugleich ein weiterer Text den
32 Für eine vollständige Übersicht über die Textzeugen siehe Kaiser,
Digesten/ Überlieferungsgeschichte (RWG) in: Cancik ua (Hrsg) , Der
Rechtszustand vor dem kaiserlichen Gesetzgebungs-
neue Pauly XIII, Sp 845-848. akt überliefert.
33 Ausführlich Kaiser, Schreiber und Korrektoren des Codex Floren- (3) Widersprüche zwischen Digestentexten dagegen bele-
tinus, ZRG RA 118 (2001), 133- 219. gen nicht zwingend eine unvollkommen durchgeführ-
34 Kaiser, Zur Herkunft des Codex Florentinus in: Schmidt-Recla te Interpolation, bei der nur der eine Text geändert,
(Hrsg), Sachsen im Spiegel des Rechts: ius commune propriumque,
der andere dagegen übersehen worden wäre. Viel-
2001 , 39- 57; Kaiser, ZRG RA 118 (2001), 133 (217- 219).
35 Lange, Römisches Recht im Mittelalter 1, 1997, 63.
36 Ebd,64-71.
37 Jüngst Radding/Ciaralli, The Corpus luris Civilis in the Middle 40 Const. Tanta § 10 = C. 1,17,2,10. Wenger (Fn 10) 577f; Wieacker,
Ages: Manuscripts and Transmission from the Sixth Century to the Römische Rechtsgeschichte 1, 1998, 157 f; ders (Fn 5) 294 f, 297.
Juristic Revival, 2007, 169- 213. 41 Von interpolare: zustutzen, zurichten, aber auch: verfälschen.
38 Von gr. BaatALKa voµtµa / Basilika nomima: kaiserliche Gesetze. 42 Hierzu näher Wieacker (Fn 40) 165-173.
39 Näheres bei Pie/er, Byzantinische Rechtsliteratur in: Hunger 43 Dazu allgemein Wieacker (Fn 40) 139- 154 und zur lnterpolatio-
(Hrsg), Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner II, 1978, nenkritik ebd, 154- 182.
445- 480. 44 Vgl ausführlich zur Vorgehensweise Wieacker (Fn 40) 156-165.
452 -- Aufsatz ZR - Bastian Zahn : Einführung in die Quellen des römischen Rechts DE GRUYTER

mehr können sie auch Zeuge einer Kontroverse unter Es existieren zwei Faksimile-Ausgaben des Codex Florentinus:
den klassischen Juristen sein. Justiniani Augusti Digestorum sive Pandectarum codex Florenti-
(4) Schwere grammatikalische oder stilistische Bedenken nus olim Pisanus phototypice expressus, 10 Bde., Rom, 1902-
1910 und Alessandro Corbino/Bemardo Santalucia, Iustiniani
können auf eine Interpolation zurückzuführen sein. Augusti Pandectarum codex Florentinus, 2 Bde., Florenz, 198848 •
So kann eine Kürzung durch die Kompilatoren die Der Text der Basiliken findet sich in: Basilicorum libri LX, edd.
grammatikalische Struktur eines Textes entstellen. Hermann J. Scheltema u.a., Series A: Textus, 8 Bde., Groningen,
Ferner können grammatikalische Mängel oder stilisti- 1955- 1988.
sche Brüche Hinweis auf eine vorjustinianische Inter- Die Scholien sind enthalten in: Basilicorum libri LX, edd. Her-
mann) . Scheltema u.a., Series B: Scholia, 9 Bde., Groningen,
polation sein. Allerdings dürfen an das sprachliche
1953-1985.
Niveau auch der klassischen Juristen keine überzoge- Eine veraltete gemeinsame Ausgabe von Text und Scholien mit
nen Anforderungen gestellt werden. Auch heute un- Übersetzung in das Lateinische bietet: Basilicorum libri LX, ed.
terscheiden sich juristische und nichtjuristische Texte GustavE. Heimbach, 6 Bde., Leipzig, 1833-1870.
stilistisch. Hilfreich ist stets, die verschiedenen juristi-
sche Literaturgattungen45 und ihre jeweilige Eigenart
im Blick zu haben.
(5) Selbst wenn die vorherigen Kriterien eine Interpolati- 3. Codex lustinianus
on wahrscheinlich machen, bleibt zu fragen, ob ledig-
lich eine paraphrasierende Ergänzung (Glossem) des Der Codex Iustinianus ist eine Sammlung von Gesetzen
ursprünglichen Textes vorliegt. Diese verändert nicht (constitutiones principum) der Kaiser Hadrian (geb. 76, reg.
seinen Inhalt, sondern erläutert ihn bloß. Eine solche 117-138) bis Justinian. Seine Entstehung ist verwickelt. Be-
Ergänzung führt also nicht dazu, dass der Text als reits 528 wurde eine erste Kommission unter dem Vorsitz
Zeugnis für das klassische Recht ausscheidet. Einzige Tribonians einberufen, der neben sechs Beamten der kai-
Konsequenz ist, dass der klassische Jurist nicht Autor serlichen Verwaltung und zwei Anwälten auch der anteces-
der Ergänzung ist. sor Theophilus angehörte49 . Sie erstellte auf der Grundlage
der Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosia-
In jedem Fall sollte bedacht werden, dass die justinia- nus (s. u. IV.4-6) die erste Fassung des Codex lustinianus50.
nischen Kompilatoren unter hohem Zeitdruck arbeiteten46. Dieser ersten Fassung wurde bereits 529 durch die Konstitu-
Jedenfalls was justinianische Interpolationen angeht, sind tion Summa Gesetzeskraft verliehen. Zugleich wurde das
deshalb Kürzungen viel wahrscheinlicher als Ergänzun- bisherige Kaiserrecht außer Kraft gesetzt51. Von dieser Fas-
gen47. sung haben sich allerdings lediglich Fragmente des In-
haltsverzeichnisses auf einem Papyrus erhalten 52 .
Zitierweise: Während der Arbeit an den Digesten entschied Justini-
D. 9,2,15,1 an fünfzig Streitfragen des Juristenrechts durch kaiserliche
Digesten, Buch 1, Titel 2, Fragment (auch /ex) 15, Paragraph 1
Gesetze. Sie wurden im Jahr 531 unter dem Titel quinqua-
ginta decisiones publiziert. Sie sind nicht geschlossen als
Ausgaben:
Die editio maior ist: Digesta Justiniani Augusti, edd. Theodor Sammlung überliefert53 .
Mommsen/Paul Krüger, 2Bde., Berlin, 1870. Nach Abschluss der Digestenkompilation überarbeite-
Sehr gebräuchlich ist die editio stereotypa, die auch die Institu- te eine zweite Kommission die erste Fassung des Codex.
tionen enthält: Corpus Iuris Civilis I: Institutiones, ed. Paul Krü- Den Vorsitz führte wiederum Tribonian, ferner gehörten
ger; Digesta, ed. Theodor Mommsen, 16. Aufl., Berlin, 1954. ihr der Rechtslehrer Dorotheus und drei Anwälte an. Sie
Eine deutsche Übersetzung erscheint unter: Corpus Juris Civilis.
arbeiteten die quinquaginta decisiones und die inzwischen
Text und Übersetzung, übers. von Okko Behrends u. a., bisher 5
Bde., Heidelberg, seit 1995.

48 Zur Kritik an der Faksimile-Ausgabe von 1988 siehe Kaiser, ZRG


45 Für eine kurze Übersicht über die einzelnen Gattungen Waldstein/ RA 118 (2001), 133 (135).
Rainer (Fn 2) § 33 Rn 16- 26. Eine ausführliche Charakterisierung mit 49 Wenger (Fn 10) 571; Wieacker (Fn 5) 291.
weiteren Literaturhinweisen findet sich bei Liebs in: Herzog/Schmidt 50 Wenger (Fn 10) 570; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 7; Wieacker
(Hrsg), Handbuch der Lateinischen Literatur der Antike IV, 1997, 99- (Fn 5) 292.
101, 127 f, 139 f, 187f, 209-211. Für eine Rekonstruktion der klassischen 51 Wenger (Fn 10) 571; Wieacker (Fn 5) 292.
Juristenschriften Lenel (Fn 28). 52 Wieacker (Fn 5) 292 f.
46 Waldstein/ Rainer (Fn 2) § 43 Rn 17. 53 Wenger (Fn 10) 573f; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 7; Wieacker
4 7 Wieacker (Fn 5) 297. (Fn 5) 293.
DE GRUYTER Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts - 453

ergangenen Reformkonstitutionen Justinians ein. Dieser Die Konstitutionen sind meist auf Griechisch überlie-
sog. codex repetitae prae/ectionis wurde 534 mit der Kon- fert. Umstritten ist jedoch, ob sie ursprünglich nur in dieser
stitution Cordi von Justinian promulgiert54 . Er ist es, der Sprache oder vielmehr zweisprachig verkündet wurden59 .
uns als Teil des Corpus Iuris Civilis überliefert ist und auf Die Novellen sind nicht als einheitliches Corpus über-
den sich die Bezeichnung Codex Iustinianus bezieht. liefert60, sondern in mehreren privaten Sammlungen. Die
Er umfasst über 4.600 Konstitutionen55. Nach dem wichtigsten sind folgende 6':
Vorbild des Codex Theodosianus (s. u. IV.6) präsentiert er (1) Epitome Iuliani
sie in einer Reihenfolge, die vom System des prätorischen Es handelt sich um eine lateinische Sammlung von 124
Edikts ausgeht, aber um Materien des öffentlichen Rechts Novellen aus den Jahren 535- 555, die der in Konstanti-
erweitert ist. Ähnlich den Digesten beginnen die einzelnen nopel wirkende antecessor Julian zu Unterrichtszwe-
Konstitutionen mit einer Inskription, die den oder die er- cken zusammenstellte62 . Nur sie vermittelte in Italien
lassenden Kaiser sowie den Adressaten nennt. Sie schlie- bis ins 11. Jahrhundert hinein die Kenntnis der Novel-
ßen mit dem Eschatokoll, das Ort und Datum des Erlasses len63.
nennt. (2) Authenticum
Die handschriftliche Überlieferung ist weit gestreut Diese Sammlung wurde im 11. Jahrhundert fälsch-
und kompliziert. Bereits in den ältesten Handschriften ist licherweise für die von Justinian veranlasste, authen-
der Text verkürzt, die jüngeren bieten überhaupt nur Aus- tische Ausgabe der Novellen gehalten (daher ihr Na-
züge aus dem Codex56 • me)64. Tatsächlich entstand sie aber im 6. Jahrhundert
Auch im Text des Codex Iustinianus ist mit Interpola- in Italien65 und enthält 134 Novellen in lateinischer
tionen zu rechnen. Die Kompilationskommission hatte den Sprache66 . Ihr Text wurde dem mittelalterlichen
Auftrag, die Konstitutionen auf den relevanten Inhalt zu Rechtsunterricht zugrundegelegt 67 .
kürzen, dem Stand des geltenden Rechts anzupassen und (3) Collectio CLXVIII Novellarum
Konstitutionen, die Regelungen zu verschiedenen Rechts- Diese mit 168 Novellen umfangreichste Sammlung
gebieten enthielten, aufzuteilen. Mit diesen Interpolatio- trägt in den Handschriften keinen besonderen Namen.
nen ist analog zu den Interpolationen in den Digesten zu Neben den Kaisergesetzen, die über Justinian hinaus
verfahren 57 . bis zu Tiberius II. (reg. 578-582) reichen, enthält sie
drei Edikte hoher Beamter (praefecti praetorio). Die
Zitierweise: Texte sind hauptsächlich in griechischer Sprache
C. 3,1,13,2
überliefert68 . Die Sammlung gelangte im 15. Jahrhun-
Codex Iustinianus, Buch 3, Titel 1, Konstitution 13, Paragraph 2
dert mit byzantinischen Gelehrten nach Italien 69 .
Ausgaben:
Zitierweise:
Die editio maior ist: Codex lustinianus, ed. Paul Krüger, 2 Bde.,
Nov. 61, 1, 4
Berlin, 1877.
Novelle 61, Kapitel 1, Fragment 3
Die editio stereotypa findet sich in: Corpus Iuris Civilis II: Codex
Iustinianus, ed. Paul Krüger, 11. Aufl., Berlin, 1954.

4. Novellae
59 Dazu Kaiser, Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter
Justinian, ZRG RA 129 (2012) , 392-474 m. w. N.
Als Novellen werden diejenigen Reformgesetze Justinians 60 Vgl Wieacker (Fn 5) 322.
bezeichnet, die er nach Abschluss der Kompilationsarbei- 61 Waldstein/Rainer (Fn 2) § 34 Rn 16. Für Zusammenstellungen aller
ten erließ. Sie umfassen 168 Konstitutionen, die v.a. das Novellensammlungen siehe Wenger (Fn 10) 668-677 und Kaiser, ZRG
Verwaltungs-, das Kirchen-, das Schuld-, das Familien- RA 129 (2012), 392 (397- 413).
62 Ausführlich Kaiser, Die Epitome Iuliani: Beiträge zum römischen
und das Erbrecht behandeln58 .
Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunter-
richt, 2004.
63 Vgl Wenger(Fn 10) 669; Wieacker(Fn 5) 323; Lange (Fn 35) 81.
64 Wenger (Fn 10) 670; vgl Kaiser, ZRG RA 129 (2012), 392 (405); aA
54 Wenger (Fn 10) 638; Wieacker (Fn 5) 319. Lange (Fn 35) 83f.
55 Waldstein/Rainer(Fn 2)§43Rn 13. 65 Wieacker (Fn 5) 323.
56 Wenger (Fn 10) 649f; Wieacker(Fn 40) 129-131; vgl Lange (Fn 35) 66 Wenger(Fn 10) 669;Lange (Fn 35) 82.
71- 74. 67 Lange (Fn 35) 81.
57 Näheres bei Wieacker (Fn 40) 173- 178; ders (Fn 5) 320. 68 Wieacker (Fn 5) 322; Kaiser, ZRG RA 129 (2012), 392 (397-399).
58 Wenger (Fn 10) 662-667; Wieacker (Fn 5) 321f. 69 Waldstein/Rainer (Fn 2) § 43 Rn 16.
454 - Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts DE GRUYTER

Ausgaben: sollte sich als überaus wirkmächtig erweisen, da Justinian


Corpus Iuris Civilis III: Novellae, edd. Rudolf Schöll/Wilhelm sie in seinen Institutionen wiederaufnahm (s.o. 11.1).
Kroll, 8. Aufl., Berlin, 1963. Die Institutionen des Gaius fanden in der nachklas-
Für Editionen der einzelnen Novellensammlungen siehe Wolf-
gang Kaiser, Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter
sischen Zeit große Verbreitung. Wohl deshalb nahmen
Justinian, ZRG RA 129 (2012), 392 Fn. *. die Kaiser Theodosius II. und Valentinian III. im Jahr 426
Gaius in ihr sog. Zitiergesetz (C.Th. 1,4,2)75 auf: Seine
Schriften galten neben denen anderer Juristen 76 als au-
thentische Quelle des ius civile77 •
III. Vorjustinianische Aufgrund ihrer starken Verbreitung konnten sich die
Juristenschriften Institutionen erhalten. Bedeutendster Textzeuge ist der
Codex Veronensis (V), ein Pergamentkodex aus dem 5./
1. Gai lnstitutiones 6. Jahrhundert, der in der Bibliothek des Domkapitels zu
Verona aufbewahrt wird. Der Gaiustext wurde im 8. Jahr-
Der Autor dieses Einführungslehrbuchs ist nur mit seinem hundert abgewaschen und darüber der Text der Briefe des
Vornamen Gaius bekannt. Seine Herkunft ist umstritten, Kirchenvaters Hieronymus geschrieben (Palimpsest). Der
überwiegend wird vermutet, dass er in der Provinz geboren deutsche Historiker und preußische Gesandte beim Heili-
ist7°. Er wirkte als Rechtslehrer seit den letzten Jahren gen Stuhl Barthold Georg Niebuhr entdeckte 1816 den Gai-
Hadrians und unter Antoninus Pius (geb. 86, reg. 138-161); ustext in Verona 78 • In den folgenden Jahren versuchten
unter Mark Aurel (geb. 121, reg. 161-180) war er noch diverse Historiker, den Text mit Hilfe von Chemikalien
schriftstellerisch tätig71 • Er verstand sich als Anhänger der leichter lesbar zu machen, was allerdings dazu führte,
sabinianischen Rechtsschule. Von den Juristen seiner Zeit dass der Text heute mit bloßem Auge nicht mehr erkenn-
wurde er nicht zitiert. bar ist. Zuletzt las der Philologe Wilhelm Studemund
Berühmt wurde er durch die Institutiones. Gedacht als 1866-1868 den Codex und fertigte eine Abschrift (apogra-
Einführungslehrbuch, stellen sie systematisch und knapp phum) an, welche die Grundlage der modernen Editionen
das Privat- und das Prozessrecht dar. Ihre große Bedeu- des Gaius ist. Gegenwärtig wird versucht, den Text mit
tung hat zwei Gründe: Zum einen sind sie die einzige Hilfe von Infrarotlicht wieder lesbar zu machen.
klassische Einzelschrift, die uns als solche überliefert ist. Daneben haben sich Textstücke außerhalb des Codex
Das bedeutet, dass sie nicht durch justinianische Inter- Veronensis erhalten. Das sog. Fragmentum Florentinum
polationen verändert werden konnten. Ferner stellen sie (F) sind Bruchstücke eines sehr sorgfältig geschriebenen
im 4. Buch den römischen Formularprozess dar, der zur Pergamentkodex aus dem 6. Jahrhundert, der in Ägypten
Zeit Justinians bereits vollständig durch die cognitio ersetzt hergestellt wurde. Da es einen von V unabhängigen Text
war und deshalb nicht mehr Eingang in das Corpus Iuris zum Gesellschaftsrecht enthält, ist es Zeuge einer zweiten
Civilis fand 72 • Fassung der Institutionen 79 • Schließlich finden sich einige
Zum anderen ist die systematische Gliederung des kurze Textpassagen in P.Oxy. 17,2103, einem ägyptischen
Stoffs in personae, res und actiones in der klassischen Papyrus aus dem 2. Jahrhundert.
Literatur beispiellos73 • Gaius wendet die Grundsätze der
griechischen Dialektik an und versucht, das ius civile als Zitierweise:
Gai.1,1
wohlgegliederte Ordnung darzustellen74 • Diese Gliederung
Institutionen des Gaius, Buch 1, Abschnitt 1

70 Wieacker (Fn 5) 112; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 34 Rn 21. Eine Bio-


graphie des Juristen unternimmt Honore, Gaius, 1962.
71 Wieacker (Fn 5) 112.
72 Waldstein/Rainer(Fn 2)§34Rn 19f. 75 Wenger(Fn 10)532- 534.
73 Waldstein/ Rainer (Fn 2) § 34 Rn 19. 76 Nämlich Papinian, Paulus, Ulpian und Modestin.
74 Wieacker (Fn 5) 112. Vergleichend zu anderen antiken Lehr- 77 Wenn diese Juristen unterschiedlicher Meinung sind , sollte die
büchem Fuhrmann , Das systematische Lehrbuch: Ein Beitrag zur Mehrheitsmeinung gelten. Wenn gleich viele Juristen für unterschied-
Geschichte der Wissenschaften in der Antike, 1960, 104-121, 183- 188. liehe Meinungen streiten, galt die Auffassung Papinians.
Nach Stag/, ZRG RA 131 (2014), 313-348 sind die Institutionen nur ein 78 Zum Fund des Gaiustextes Varvaro, Der Gaius der Preußen, ZRG
Ausschnitt aus einem umfassenderen didaktischen System des Gaius, RA 128 (2011), 239-262 und Briguglio, Barthold Georg Niebuhr und die
das noch weitere Werke, insbesondere zum Mitgiftrecht, umfasste Entdeckung der Gaius-Institutionen - tatsächlich ein »Glückstern«?,
und das auf die Bedürfnisse des klassischen Rechtsunterrichts aus- ZRG RA 128 (2011), 263- 297.
gerichtet war. 79 Manthe, Gaius: Institutionen, 2004, 17 f.
DE GRUYTER Aufsatz ZR - Bastian Zahn : Einführung in die Quellen des römischen Rechts - 455

Ausgaben: lebhaft umstritten 82 . Eine Entstehung nach Mitte des


Die moderne editio maior ist noch im Erscheinen: Martin David/ 3. Jahrhunderts scheint ausgeschlossen, sodass Ulpian als
Hein L. W. Nelson, Gai lnstitutionum commentarii quattuor, Lei-
Autor zumindest in Frage kommt. Der zugrunde liegende
den, 1954, 1960, 1968 (Bücher 1-2); Hein L. W. Nelson/Ulrich
Manthe, Gai lnstitutiones, Berlin 1992, 1999, 2007 (Buch 3). liber singularis regularum ist ein juristisches Anfängerlehr-
Ältere Editionen sind: Paul Krüger/Wilhelm Studemund, Gai buch, das sich im Aufbau an die Gaiusinstitutionen an-
Institutiones, Nachdr. der 7. Aufl. Berlin 1923, Goldbach, 2002. lehnt83. Es behandelt v.a. Fragen des Personen-, des Fami-
Emil Seckel/Bernhard Kühler, Gai Institutionum commentarii lien- und des Erbrechts.
quattuor, 6. Aufl ., Leipzig, 1928.
Zugleich editio minor und deutsche Übersetzung bietet: Ulrich Zitierweise:
Manthe, Gaius: Institutionen, Darmstadt, 2004.
UE6,l
Das Apographum Studemunds des Codex Veronensis enthält Ulpiani Epitome, Titel 6, Paragraph 1
Wilhelm Studemund, Gaii Institutionum commentarii quattuor
codicis Veronensis denuo collati apographum, Nachdr. der
Ausgaben:
Ausg. Leipzig 1873, Osnabrück, 1965.
Ulpiani liber singularis regularum, ed. Paul Krüger in: ders. u. a.
Eine Faksimile-Ausgabe bietet Antonio Spagnolo, Gai Codex
(Hrsg.), Collectio librorum iuris anteiustiniani II, Berlin, 1878, 1-
rescriptus in Bibliotheca Capitulari Ecclesiae Cathedralis Vero-
38.
nensis ... , Leipzig, 1909. Sie ist an Lesbarkeit des Gaius-Textes
Giovanni Baviera (Hrsg.), Fontes Iuris Romani Antejustiniani II,
der neueren Faksimile-Ausgabe von Filippo Briguglio, Gai Codex
2. Aufl. , Florenz, 1968, 259-301.
rescriptus in Bibliotheca Capitolare Ecclesiae Cathedralis Vero-
Eine neue kritische Edition mit deutscher Übersetzung hat Mar-
nensis, Florenz, 2012 klar überlegen.
tin Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regula-
rum: Entstehung, Eigenart und Überlieferung einer hochklassi-
schen Juristenschrift, Göttingen, 2005 unternommen 84 •
2. Sententiae Pauli Tituli ex corpore Ulpiani XXVIII ... , edd. Giovanni Luchetti u. a.
in: Gianfranco Purpura (Hrsg.), Revisione ed integrazione dei
Fontes Iuris Romani Anteiustiniani: Studi preparatori II, Turin,
Die Paulussentenzen, die im 3. Jahrhundert entstanden, 2012, 7-84.
umfassen fünf Bücher und enthalten Auszüge aus den
Schriften des spätklassischen Juristen Paulus. Sie stellen
knapp und ohne ausführliche Begründungen das geltende
Recht dar, wobei sie beanspruchen, dieses in seiner Gänze
IV. Vorjustinianische
abzudecken. Dabei wenden sie sich wahrscheinlich an den Korn pilationen
Praktiker80 . Dies erklärt auch die nachklassischen Über-
arbeitungen des Textes, zu denen es bis ins 5. Jahrhundert 1. Fragmenta Vaticana
kam 81 .
Die Fragmenta Vaticana sind eine Sammlung von Juristen-
Zitierweise: exzerpten und Konstitutionen, die 1821 von Angela Mai
PS 2,9,2
als Palimpsest in der Vatikanischen Bibliothek gefunden
Pauli Sententiae, Buch 2, Fragment 9, Paragraph 2
und 1823 von ihm unter der Assistenz Friedrich Bluhmes
Ausgaben:
herausgegeben wurde. Sie entstand wohl um 320 unter
Iulii Pauli libri quinque sententiarum ad filium, ed. Paul Krüger Konstantin dem Großen (reg. 306-337), wurde allerdings
in: ders. u. a. (Hrsg.), Collectio librorum iuris anteiustiniani II, später um Konstitutionen bis 372 ergänzt85 . Die Kaiserkon-
Berlin, 1878, 39-137. stitutionen entstammen teils den Codices Gregorianus und
Giovanni Baviera (Hrsg.), Fontes Iuris Romani Antejustiniani II, Hermogenianus (s. u. IV.4-5), teils eigenständigen Quel-
2. Aufl., Florenz, 1968, 317-4 17.
len. Von den Juristen sind Papinian, Ulpian und Paulus
zitiert, nicht dagegen die Elementarschriftsteller Gaius
3. Tituli ex corpore Ulpiani (Ulpiani Epitome)

Dieses Werk umfasst Auszüge aus einem liber singularis 82 Siehe die Hinweise bei Liebs (Fn 45) 207f.
regularum. Autorenschaft und Entstehungszeitraum sind 83 Ebd, 208; Wieacker (Fn 5) 136; vgl auch Honore, Ulpian: Pioneer
of Human Rights, 2. Aufl, 2002, 207-212.
84 Kritische Rezension der Edition durch Kaiser, ZRG RA 127 (2010),
80 Liebs in: Herzog/Schmidt (Hrsg), Handbuch der Lateinischen Li- 560 (597-602).
teratur der Antike V, 1989, 66; Wieacker (Fn 5) 173. AA Wenger (Fn 10) 85 Liebs (Fn 80) 64; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 39 Rn 10. Wieacker
518, der die Paulussentenzen für ein Einführungslehrbuch hält. (Fn 5) 228 datiert die Fragmenta Vaticana dagegen zwischen 312 und
81 Wieacker (Fn 5) 173; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 39 Rn 8 . 318.
456 - Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts DE GRUYTER

und Modestin86. Auffällig sind die Kontroversenberichte, Zitierweise:


die sich von der zeitgenössischen Tendenz abheben, sich Coll.12,7,5
auf das unstrittige Recht zu beschränken87. Als Adressat Collatio, Titel 12, Fragment 7, Paragraph 5

sind daher Praktiker von hohem fachlichen Niveau wahr- Ausgaben:


scheinlich88. Mosaicarum et Romanarum legum collatio, ed. Theodor Momm-
Der Bearbeiter der Fragmenta Vaticana verzichtete sen in: Paul Krüger u. a. (Hrsg.), Collectio librorum iuris ante-
weitgehend auf eigene Bearbeitungen, was freilich nicht iustiniani III, Berlin, 1890, 107- 198.
ausschließt, dass er bereits veränderte Vorlagen verwen- Giovanni Baviera (Hrsg.), Fontes Iuris Romani Antejustiniani II,
2. Aufl., Florenz, 1968, 541- 589.
dete89. Daher ist die Sammlung eine hervorragende Quelle
für Doppelüberlieferungen zu anderen juristischen Quel-
len.
3. Consultatio veteris cuiusdam iurisconsulti
Zitierweise:
Vat. 269 Dieses Werk entstand in Gallien im späten 5. oder 6. Jahr-
Fragmenta Vaticana, Fragment 269
hundert94. Es stammt von zwei Autoren 95 . Der eine verfasst
Ausgaben:
ein Gutachten zu einem Erbschaftsstreit. Der andere erör-
Iuris anteiustiniani Fragmenta quae dicuntur Vaticana, ed. Theo- tert einige Rechtsfragen ohne Bezug zu einem Fall. Beide
dor Mommsen in: Paul Krüger u. a. (Hrsg.), Collectio librorum begründen ihre Meinung mit Zitaten aus den Paulussen-
iuris anteiustiniani III, Berlin, 1890, 1-106. tenzen sowie den Codices Gregorianus, Hermogenianus
Giovanni Baviera (Hrsg.), Fontes Iuris Romani Antejustiniani II,
und Theodosianus (s. u. IV.4-6). In der Überlieferung die-
2. Aufl., Florenz, 1968, 461-540.
ser Texte liegt die eigentliche Bedeutung der Consultatio96 •

Zitierweise:
Cons.1,11
Consultatio, Kapitel 1, Paragraph 11
2. Collatio legum Mosaicarum et Romanarum
Ausgaben:
Dieses den Handschriften 90 folgend auch als Lex Dei be- Consultatio veteris cuiusdam iurisconsulti, ed. Paul Krüger in:
zeichnete Werk enthält Zitate aus Juristenschriften und ders. u.a. (Hrsg.), Collectio librorum iuris anteiustiniani III, Ber-
Kaisergesetzen insbesondere zum Strafrecht91. Wahr- lin, 1890, 200-220.
scheinlich entstand die Collatio zwischen 392 und 395 92. Giovanni Baviera (Hrsg.), Fontes luris Romani Antejustiniani II ,
2. Aufl., Florenz, 1968, 591-613.
Der anonyme Verfasser will nachweisen, dass römisches
und mosaisches Recht inhaltlich übereinstimmen. Dabei
wollte er wohl den zeitgenössischen Vorwurf an das Chris-
tentum entkräften, dass es den römischen Staat ablehne 4. Codex Gregorianus
und im Widerspruch zu seiner Rechtsordnung stehe 93 .
Es handelt sich um eine private Sammlung von Konstitu-
tionen, welche die Kaiser von Hadrian bis zu Diokletian
86 Wenger (Fn 10) 544; Liebs (Fn 80) 64.
87 Wieacker(Fn 5) 229.
(reg. 284-305) erlassen haben. Sie enthält vornehmlich
88 Vgl Wenger (Fn 10) 545; Wieacker (Fn 5) 229; Liebs (Fn 80) 65. Privatreskripte97, also Antworten auf Rechtsfragen, mit de-
89 Wenger (Fn 10) 545; Wieacker (Fn 5) 229. nen sich Privatpersonen an den Kaiser gewandt hatten
90 Zur handschriftlichen Überlieferung zuletzt Frakes, The Manu- und die von der Kanzlei a libellis verfasst wurden98 .
script Tradition of the Lex Dei , ZRG RA 124 (2007), 290- 304.
91 Wenger (Fn 10) 545.
92 Frakes, Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum bus in: Avenarius ua (Hrsg), Ars iuris: Festschrift für Okko Behrends
in Late Antiquity, 2011, 36- 65; vgl Wenger (Fn 10) 564. Dagegen zum 70. Geburtstag, 2009, 351- 370.
nimmt Wieacker (Fn 5) 227 eine Entstehung zwischen 302 und 321 an. 94 Liebs, Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8. Jhd.) , 2002, 141.
93 So jüngst Frakes (Fn 92) 129- 151. Ebenso Wenger (Fn 10) 546 f; 95 Wieacker (Fn 5) 249 f; Liebs (Fn 94) 138- 141.
Wieacker (Fn 5) 227 f. Die von Volterra, Collatio Legum Mosaicarum et 96 Liebs (Fn 94) 141.
Romanarum, 1930, 122 begründete Gegenmeinung hält den Verfasser 97 Liebs (Fn 80) 61.
dagegen für einen Juden, der angesichts der aufkeimenden feindli- 98 Wieacker (Fn 5) 72-74; Waldstein/Rainer (Fn 2) § 32 Rn 11 f. Aus-
chen Haltung der Kirche und des Staates gegenüber dem Judentum führlich zu Reskripten und der Kanzlei a libellis Honore, Emperors
nachweisen möchte, dass das jüdische Recht mit dem römischen ver- and Lawyers: with a Palingenesia ofThird-Century Imperial rescripts
einbar ist. Ebenso jüngst Manthe, Collatio 6,7 pr. isdem abstipulanti- 193-305 AD, 2. Aufl, 1994.
DE GRUYTER Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts - 457

Der Verfasser ist nicht näher bekannt. Sowohl eine 6. Codex Theodosianus
Tätigkeit in der Kanzlei a libellis 99 als auch an der Rechts-
schule von Berytos sind vermutet worden 10°. Im Gegensatz zu den früheren Sammlungen entstand der
Die Sammlung ist indirekt über die Fragmenta Vati- Codex Theodosianus in kaiserlichem Auftrag: Im Jahr 429
cana, die Collatio sowie die Leges Romanae Visigothorum setzte der oströmische Kaiser Theodosius II. (geb. 401, reg.
und Burgundionum 101 überliefert und musste daher re- 408-450) eine Kommission ein, die aus den Codices Gre-
konstruiert werden 102 • Der Codex Gregorianus wurde zur gorianus und Hermogenianus sowie den seit Konstantin
Grundlage der ersten Fassung des Codex Iustinianus103 • dem Großen erlassenen Kaisergesetzen eine neue Kom-
pilation erstellen sollte. Diese sollte alle, auch aufgeho-
Rekonstruktionen: bene Konstitutionen enthalten und sie in chronologischer
Gustav Hänel, Codices Gregorianus Hermogenianus Theodosia-
Reihenfolge wiedergeben 106 • Dadurch wäre die Geschichte
nus, Bonn, 1842, 1*-56*.
Codices Gregorianus et Hermogenianus, ed. Paul Krüger in:
der kaiserlichen Gesetzgebung zu Zwecken des Unterrichts
ders. u. a. (Hrsg.), Collectio librorum iuris anteiustiniani III, Ber- und der Forschung (scholasticae intentioni) nachvollzieh-
lin, 1890, 221-245. bar gewesen107 • Später sollte eine Kompilation des Juris-
tenrechts hinzutreten. Freilich wurde dieses Unternehmen
aufgegeben108 •
5. Codex Hermogenianus Stattdessen setzte der Kaiser im Jahr 435 eine zweite
Kommission aus hohen Beamten ein. Sie sollte nur reichs-
Auch dies ist eine private Kompilation. Sie enthält Privat- weit geltende Konstitutionen sammeln, auf ihren relevan-
reskripte Diokletians aus den Jahren 293 und 294 104 • Dazu ten Inhalt kürzen, nach Sachgebieten ordnen und auftei-
kommen spätere Nachträge. Verfasser ist wahrscheinlich len, wenn eine Konstitution mehrere Gebiete behandelte.
der Jurist Hermogenian, der die Kanzlei a libellis unter Die Kommission durfte auch den Text der Gesetze ver-
Diokletian leitete105 • ändern, um die geltende Rechtslage wiederzugeben109 •
Dieses Werk ist ebenfalls nur indirekt in den Fragmen- Im Jahr 438 konnte Theodosius II. den Codex dann für
ta Vaticana, der Collatio sowie den Leges Romanae Visi- die östliche Reichshälfte veröffentlichen. Für das West-
gothorum und Burgundionum überliefert und musste da- reich erfolgte die Veröffentlichung im selben Jahr durch
her rekonstruiert werden. Kaiser Valentinian III. (geb. 419, reg. 425-455), nachdem
der Senat in Rom das Werk durch acclamatio gutgeheißen
Rekonstruktionen: hatte 11 0 • In beiden Reichshälften trat der Codex Theodosia-
Gustav Hänel, Codices Gregorianus Hermogenianus Theodosia-
nus 439 in Kraft. Zugleich traten die früheren Fassungen
nus, Bonn, 1842, 57*·80*.
Codices Gregorianus et Hermogenianus, ed. Paul Krüger in:
aller von ihm erfassten Konstitutionen außer Kraft 111 •
ders. u. a. (Hrsg.), Collectio librorum iuris anteiustiniani III, Ber- Der Codex behandelt neben dem Zivil- und dem Pro-
lin, 1890, 221- 245. zessrecht ausführlich das öffentliche Recht, das von jeher
eine prominente Rolle in der Kaisergesetzgebung gespielt
hatte. Dabei integrierte er dieses sog. ius publicum novum
in das System des prätorischen Edikts. Er ist ein bedeuten-
99 Liebs (Fn 80) 61; weitere Vermutungen zu seiner Person bei Hono-
der Zeuge der spätantiken Rechts-, Verwaltungs-, Sozial-
re (Fn 98) 151- 155.
100 Mommsen, Die Heimath des Gregorianus, ZRG RA 22 (1901), 139
und Wirtschaftsgeschichte 112•
(141); vgl Corcoran, The Gregorianus and Hermogenianus assembled Der Codex Theodosianus ist nur indirekt und in Frag-
and shattered, Melanges de l'Ecole fran~aise de Rome: Antiquite menten überliefert. Bedeutsame Textzeugen sind ein 1904
(MEFRA) 125 (2013), Rn 22 f. in Turin verbrannter Palimpsest sowie die Handschriften
101 Hierzu Waldstein/Rainer (Fn 2) § 42 Rn 13- 15; Bernoth, Leges
(»Germanenrecht«) in: Schmoeckel/Stolte (Fn 5) 349.
102 Zu den seit 2009 bekannten Fragmenta Londiniensia Anteiusti-
niana, die möglicherweise einige Fragmente des Codex Gregorianus 106 Wieacker(Fn 5) 196; Waldstein/Rainer (Fn 2) §42 Rn 8.
überliefern, siehe Corcoran/Salway, A lost law-code rediscovered? 107 C.Th.1,1,5.
The Fragmenta Londiniensia Anteiustiniana, ZRG RA 127 (2010), 677- 108 Kaiser, Codex Theodosianus in: Schmoeckel/Stolte (Fn 5) 10.
678; dies, Fragmenta Londiniensia Anteiustiniana: Preliminary Ob- 109 Wieacker (Fn 5) 196 f; Kaiser (Fn 108) 10 f.
servations, Roman Legal Tradition 8 (2012), 63-83. 110 Zur Veröffentlichung ausführlich Atzeri, Gesta senatus Romani
103 Liebs (Fn 80) 61; vgl Corcoran, MEFRA 125 (2013), Rn 10. de Theodosiano publicando: Il Codice Teodosiano e la sua diffusione
104 Corcoran, MEFRA 125 (2013), Rn 3-5, 16. ufficiale in Occidente, 2008, 119- 286.
105 Liebs (Fn 80) 62f; Corcoran, MEFRA 125 (2013), Rn 15; vgl auch 111 Kaiser(Fn 108) 10.
Honore (Fn 98) 177-181. 112 Wieacker (Fn 5) 197.
458 - Aufsatz ZR - Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts DE GRUYTER

der Lex Romana Visigothorum. Seine Edition und Text- Zum anderen kann es Prüfungsaufgabe sein, eine Exe-
kritik sind daher verwickelt113 • gese zu einer Quelle des römischen Rechts anzufertigen" 4 •
Diese Aufgabenart ist typisch für die Hausarbeit in der
Zitierweise: Digestenexegese, mit der häufig der Grundlagenschein
C.Th. l,4,3
erworben werden kann. Auch in Seminaren zum rö-
Codex Theodosianus, Buch 1, Titel 1, Konstitution 3
mischen Recht liegt der Schwerpunkt von Referat und
Ausgaben: Seminararbeit auf der Exegese mehrerer Quellentexte.
Die heute gebäuchliche Ausgabe ist: Theodosiani libri XVI cum Exegesen werden oft auch in Schwerpunktklausuren ver-
constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosia- langt. Der erste Arbeitsschritt einer Exegese ist, die Quelle
num pertinentes, edd. Theodor Mommsen/Paul Meyer, 3 Bde., einzuordnen. Handelt es sich z.B. um einen Text aus den
Berlin, 1905. Digesten, so sind Ausführungen zu dieser Quelle zu ma-
Mommsen bereitete die Edition zusammen mit Paul Krüger vor,
chen. Gefordert ist keine reine Reproduktion. Vielmehr
bevor er sie mit Paul Meyer herausgab. Krüger unternahm später
eine eigene Edition, die allerdings unvollendet blieb: Codex sind diejenigen Aspekte zu erwähnen, die für das Ver-
Theodosianus, ed. Paul Krüger, 2 Bde.: Libri !-VIII, Berlin, 1923- ständnis des gegebenen Digestenfragments entscheidend
1926. sind. So sollten die verschiedenen Textmassen der Diges-
ten nur dann erwähnt werden, wenn das entsprechende
Fragment dazu Anlass gibt. Auch auf Interpolationen
V. Bedeutung für das Studium muss nur dann eingegangen werden, wenn die Quelle dies
verlangt. Schließlich hängt die geforderte Intensität der
Kenntnisse zu den Quellen des römischen Rechts sind Ausführungen von der Prüfungsart ab: In einer Klausur
sowohl im Grundstudium als auch im Studium eines werden weniger detaillierte Ausführungen erwartet als in
rechtshistorischen Schwerpunktbereichs relevant. In bei- einer Seminararbeit.
den Studienphasen sind zwei Prüfungsarten denkbar. Zum
einen kann in einer Klausur verlangt werden, eine be-
stimmte Quelle zu charakterisieren oder ihre Entstehung
zu beschreiben. Insbesondere bietet es sich an, nach der 114 Ausführliche Anleitungen zu Anfertigung einer Exegese im rö-
Entstehung des Corpus Iuris Civilis oder eines seiner Teile mischen Recht bei Sturm, Die Digestenexegese in: Schlosser/Sturm/
zu fragen. Eine derartige Frage dient allein der Reprodukti- Weber, Die rechtsgeschichtliche Exegese: Römisches Recht, Deut-
on des Gelernten. sches Recht, Kirchenrecht, 2. Aufl, 1993, 1-25; Becker, Kurzanleitung
zur Quellenexegese im Römischen Recht, 6. Aufl, 2012. Musterexege-
sen finden sich in den genannten Werken und jüngst bei Schuster,
Römischrechtliche Exegese: Unregelmäßige Verwahrung, Pap. D.
113 Näheres bei Wieacker (Fn 5) 197-199; Kaiser (Fn 108) 12. 16.3.24, Jus 2008, 245-250.

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