Logik Und Argumentation - Lehrbuch (Bis Abschnitt 5)
Logik Und Argumentation - Lehrbuch (Bis Abschnitt 5)
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Logik und Argumentation
Eine philosophische Einführung in deduktive, induktive und abduktive Logik
Alfred Nordmann
(unter Mitwirkung von Leon Pezzica, Gregor Schwarz, Bella Zaitsev)
Inhalt
Übungsaufgaben 10
1. GEDANKENEXPERIMENTE 13
2. FORMALISIERBARKEIT 16
Übungsaufgaben 23
Venn-Diagramme 26
Prädikatenlogik 35
Übungsaufgaben 40
Analyse 41
Modellierung 45
ZWISCHENBILANZ 48
5. ABLEITUNG IM KALKÜL 49
GLOSSAR 58
Einführung in die Einführung
Was ist Logik? Sie sei die Lehre vom richtigen Denken, heißt es manchmal, oder die Kunst des
guten Argumentierens. Das sind große Versprechen, die in dieser Einführung nicht eingelöst
werden. Auf den ersten Blick enttäuschend, fast langweilig klingt dagegen die Antwort: Logik ist
die Untersuchung von Satzbeziehungen. Und doch ist die Beschäftigung mit Logik
außerordentlich gewinnbringend, lebenspraktisch und philosophisch interessant. Hierfür den
Nachweis zu erbringen, das ist das große Versprechen dieses Buchs.
Was sind Satzbeziehungen? Sätze sind gegenständlich gegeben – oft genug finden sie sich auf
einem Blatt Papier oder einem digital verfassten Dokument, oft sind sie auch etwas mündlich
Ausgesprochenes und in der Erinnerung Festgehaltenes, lange genug festgehalten, dass sie wie
Gegenstände nebeneinandergelegt oder hintereinander aufgereiht werden können. In Texten sind
sie das ohnehin. Ein philosophischer Beweis für die Existenz Gottes, die Analyse eines Gedichts,
der Befund in einem Arztbrief, eine Abmachung, das Plädoyer für eine Verfassungsreform – alle
laufen auf eine Zusammenstellung von Sätzen hinaus, deren Übergänge mitvollzogen werden
müssen. Immer kommen dabei Satzbeziehungen ins Spiel und sind von entscheidender Bedeutung,
etwa für den Angeklagten vor Gericht, der sich in einen Widerspruch verwickeln lässt: „Vorhin
sagten Sie noch, dass Sie das Opfer gar nicht kennen. Jetzt müssen Sie zugeben, dass Sie sich mit
ihm zum Essen getroffen haben.“ Wer ein und dieselbe Aussage - „ich kenne das Opfer“ –
gleichzeitig bejaht und verneint, widerspricht sich. Und wenn wir in einem Text Hinweise dafür
finden, dass ein Satz etwas bejaht, was ein anderer Satz verneint, weisen wir dem Text einen
Widerspruch nach: Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.
Wer die Wahrheit sagt oder geschickter lügt und sich in keinen Widerspruch verwickelt, bleibt
konsistent. Auch dies ist eine Satzbeziehung, wenn auch weniger interessant: „Ich kenne das
Opfer“ und „Ich liebe die Musik von Brahms“ – das sind zwei Sätze, die sich nicht ins Gehege
kommen und darum konsistent sind. Eine dritte, recht spezielle Satzbeziehung ergibt sich, wenn
Sätze gleichbedeutend oder äquivalent sind. Ein triviales Beispiel wäre „Anna ist intelligenter als
Otto“ und „Otto ist dümmer als Anna“. Äquivalent sind auch Definitionen und die von ihnen
definierten Begriffe: „Eine von drei geraden Linien begrenzte Fläche mit einer Winkelsumme von
180 Grad“ und „Das ist ein Dreieck“ – wobei besonders interessant ist, dass sich Definitionen
ändern können und somit auch, was äquivalent ist.
Wir schließen immer mal wieder einen Vertrag, wenn wir etwas kaufen oder mieten oder
Dienstleistungen erbringen. Der Vertrag besteht aus einer ganzen Reihe von Bestimmungen. Nun
tritt ein konkreter Fall ein und wir wollen wissen, ob der Vertrag ihn verbietet oder erlaubt. Steht
der Tatbestand „Die Mieter haben mit einem elektrischen Grill auf dem Balkon Fleisch zubereitet“
im Widerspruch zum Vertragstext? Über diese logische Beziehung zwischen einem Text und dem
Satz, der den Tatbestand ausdrückt, muss im Zweifelsfall ein Gericht entscheiden. Ein weiteres
Beispiel entstammt der Wissenschaftsgeschichte. Im Experiment wurde etwas beobachtet und zu
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Papier gebracht: „Mit diesem Verfahren wird Wasser in zwei Gase zerlegt.“ Nun gab es aber eine
Theorie, die besagt, dass Erde, Wasser, Feuer und Luft die vier Elemente sind, aus denen alles
besteht und die selbst nicht zusammengesetzt sind. Wenn jetzt also ein Widerspruch zwischen
Theorie und Experiment entstand, musste die Theorie nicht verworfen werden? In der Mathematik
oder der Kunst der Computerprogrammierung würden sich noch weitere Beispiele finden, aber
auch in zwischenmenschlichen Beziehungen spielen derartige Fragen eine Rolle: „Ich liebe dich“
und „Ich habe die Nacht mit jemand anderem verbracht“ – verträgt sich oder widerspricht sich
das, und welche Rolle spielen dabei auch noch die vielen anderen Beteuerungen, die im Laufe einer
Liebesbeziehung gemacht wurden?
Für die Logik ganz besonders interessant sind die unterschiedlichen Folgebeziehungen
zwischen Sätzen. Wie der Name schon sagt, geht es hier um eine Anordnung oder Abfolge von
Sätzen, die aber keine zeitliche Folge sein muss. Hier ein Beispiel, wo zunächst berichtet wird, was
zuletzt geschehen ist.
Die Erklärung für das Ereignis wird hier gewissermaßen nachgeliefert, obgleich sie die Umstände
benennt, aus denen sich das Ereignis ergab. Hier unterscheidet sich die logische Folgebeziehung
von der Abfolge, in der die Sätze auf dem Papier erscheinen. Um von einer logischen
Folgebeziehung reden zu können, müssen wir erst einmal das Vorausgesetzte oder Gegebene - die
Prämissen – von dem Resultierenden, der Folge oder dem Abschluss – der Konklusion –
unterscheiden. Indem wir dies tun, formulieren wir ein Argument, wobei ein Argument hier nichts
anderes ist als die implizite Behauptung, dass eine spezifische Konklusion aus den angeführten
Prämissen folgt. Wenn das Argument auf diese Weise einmal im Raum steht, kann es logisch
untersucht werden: Besteht die behauptete Folgebeziehung wirklich? Nun gibt es
umgangssprachlich viele Möglichkeiten, die Bestandteile eines Arguments auszuzeichnen. So kann
die Konklusion eines Arguments beispielsweise mit dem Wörtchen „also“ oder seine Prämissen
mit dem Wort „weil“ eingeführt werden: „Das Seil ist gerissen, also fällt der Fahrstuhl“ oder „Der
Fahrstuhl fällt, weil das Seil gerissen ist“ – in beiden Fällen wäre die Prämisse des Arguments „Das
Seil ist gerissen“ und seine Konklusion „Der Fahrstuhl fällt“. Wenn es umgangssprachlich somit
ziemlich willkürlich ist, wie im Argument Folgebeziehungen behauptet werden, bedienen wir uns
der Konvention, in getrennten Zeilen immer erst die Prämissen hinzuschreiben und sinnigerweise
erst zum Schluss die Konklusion. Umgangssprachliche Argumente müssen entsprechend
umformuliert werden:
5
So weit, so gut – und doch stehen wir erst ganz am Anfang. Hier wird eine Folgebeziehung
behauptet, die uns ganz einsichtig erscheint. Und doch könnten andere Argumente mit den
gleichen Sätzen andere Folgebeziehungen behaupten.
Schauen wir uns das vorliegende Argument darum etwas näher an – worin besteht die
Folgebeziehung hier? Der Übergang von den Prämissen zur Konklusion ergibt sich so spontan
und offensichtlich und so ganz von allein, dass die Konklusion den Prämissen eigentlich gar nichts
mehr hinzufügt. Sind die Prämissen gegeben, stellt sich die Konklusion geradezu unweigerlich ein
– die Prämissen liefern sie schon mit. Dies ist charakteristisch für eine deduktive Folgebeziehung,
wobei das De-duzieren dem lateinischen Wortsinn nach bloß heraus-zieht oder ableitet, was in den
Prämissen schon enthalten und mit ihnen gegeben ist. Die Konklusion einer deduktiven
Folgebeziehung macht nur explizit, was implizit schon gesagt oder impliziert wurde. Insofern haftet
deduktiven Satzbeziehungen etwas Zwingendes an, wobei uns später noch beschäftigen wird, was
es mit dem so genannten „logischen Zwang“ auf sich hat. Zunächst einmal können wir sagen: Die
Prämissen eines deduktiven Arguments gewähren als ihre Folge eine Implikation oder Ableitung.
Deduktive Logik ist Ableitungslogik.1
Nun können wir uns ein Argument ausdenken, das diese Sätze anders anordnet und somit eine
andere Folgebeziehung behauptet. Dazu stellen wir uns vor, dass irgendwelche nicht besonders
intelligenten außerirdischen Wesen versuchen, die Funktions- und Verhaltensweisen von
Fahrstühlen zu verstehen. Sie wollen wissen, ob Fahrstühle eigentlich immer abstürzen, wenn das
Seil reißt. Dazu sammeln sie Beobachtungen und machen Experimente.
Auch dieses Argument bedarf einer näheren Betrachtung – worin besteht die behauptete
Folgebeziehung hier? Der Übergang von den Prämissen zur Konklusion ist etwas mutiger und die
Konklusion geht in ihrer Allgemeinheit deutlich über den Einzelfall hinaus, der in den Prämissen
beschrieben wird. Die Konklusion stellt sich keineswegs unweigerlich ein – wir können uns
beispielsweise vorstellen, dass schließlich nur ein bestimmter Typ von Fahrstühlen bei reißendem
Seil abstürzt. Aber wir sehen auch: Wenn ich mich frage, ob die Konklusion in ihrer Allgemeinheit
stimmt, dann liefern die Prämissen immerhin einen Fall, der die Annahme bestätigt. Diese
Bestätigung ist vielleicht nicht hinreichend, aber eine Bestätigung ist es doch. Und das ist
charakteristisch für eine induktive Folgebeziehung, wobei das In-duzieren dem lateinischen
1 Eine gelegentliche Fußnote dient dazu, Merkwürdigkeiten oder Probleme auszuflaggen, die uns später noch
beschäftigen sollten. Wer die Geschichte des Fahrstuhls und seiner Sicherheitssysteme kennt, weiß, dass die erste
Prämisse nicht stimmt: Die meisten Fahrstühle fallen nicht, wenn das Seil reißt, sondern verkeilen sich stattdessen im
Schacht. Interessant für uns ist dabei, dass das Beispiel trotzdem perfekt funktioniert. Die Prämissen führen auf die
Konklusion, die Folgebeziehung besteht ganz offenbar. Dafür kann uns egal sein, ob die Prämissen faktisch korrekt
sind oder nicht.
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Wortsinn nach dazu dient, der in der Konklusion angeführten Hypothese etwas zu-zuführen und
auf die Festigung unserer Überzeugungen einzuwirken. Die Konklusion einer induktiven
Folgebeziehung wird durch die Prämissen nicht etwa bewiesen, wohl aber gestärkt – und das heißt,
durch Evidenz oder Erfahrung beglaubigt. Im Gegensatz zu den deduktiven Folgebeziehungen,
die sich nur auf das beziehen, was schon in den Prämissen enthalten, also impliziert ist, geht es bei
induktiven Folgebeziehungen darum, aus der Erfahrung zu lernen. Zunächst einmal können wir
sagen: Die Prämissen eines induktiven Arguments gewähren als ihre Folge eine Bestätigung.
Induktive Logik ist Bestätigungslogik.
Eine dritte Folgebeziehung ergibt sich aus einem dritten Zusammenhang, den wir uns wieder
erst zurechtfantasieren müssen. Die Feuerwehr erhält einen aufgeregten Anruf – eben sei ein
Fahrstuhl abgestürzt. Glücklicherweise waren keine Menschen drin. Und doch fragen sich die
Feuerwehrleute verwundert und bestürzt: wie kann das sein, wie konnte das passieren. Nun kann
die Geschichte auf zweierlei Weise weitergehen. Einige von ihnen wissen bereits, dass es sich um
einen Typ von Fahrstuhl handelt, bei dem die Kabine buchstäblich an einem Seil hängt. So
kommen sie auf die Vermutung, dass ein Abriss des Seils stattgefunden hat. Andere kennen
derartige Fahrstühle gar nicht, kommen aber auf die Idee, dass es sich womöglich um so eine
Konstruktion gehandelt hat, bei der das Seil gerissen ist. Dieses Argument liegt also in zwei
Varianten vor.
In beiden Fassungen, welcher Art ist hier die Folgebeziehung? Wiederum ist die Konklusion
keineswegs offensichtlich, sondern geht über die Prämisse oder die Prämissen deutlich hinaus.
Wenn etwas passiert ist, wofür ich eine Erklärung brauche, gibt es oft mehrere Vorschläge, wie
eine Erklärung lauten könnte. Auch in diesem Fall gibt es verschiedene Kandidaten: Sabotage
könnte einen in Schienen fahrenden Fahrstuhl zum Absturz bringen, aber auch eine an einem Seil
hängende Kabine kann darum abstürzen, weil ein defektes Seilgewinde ungebremst abrollt. Mit den
hier aufgeführten Argumenten wird ein Hergang für das Geschehen überhaupt erst einmal nur
ausgedacht, als Hypothese eingeführt, zur weiteren Prüfung vorgelegt. Dieser Aspekt des
Ausgedachten und der bloßen Einführung einer Idee unterscheidet diese Argumente von der
induktiven Bestätigungslogik. Damit etwas bestätigt werden kann, muss die Hypothese bereits im
Raum stehen, während hier womöglich ganz verrückte neue Verursachungsweisen postuliert
7
werden. Insbesondere in der zweiten Variante sind die Prämissen nur ein Anstoß oder ein Anlass,
der eine neue Idee provoziert. Dies ist charakteristisch für eine abduktive Folgebeziehung, wobei
uns das Ab-duzieren dem lateinischen Wortsinn nach ent-führt: Sie führt uns fort vom bereits
Bekannten und Erkannten, präsentiert eine Idee, die es allererst einmal zu entwickeln und zu prüfen
gilt. Wir können somit sagen: Die Prämissen eines abduktiven Arguments gewähren als ihre Folge
eine Idee, eine Hypothese, eine Ursächlichkeit. Abduktive Logik ist Erfindungslogik, Logik des
kreativen Einfalls oder Heuristik.
Deduktion Induktion Abduktion
Prämissen „Wenn dieses besondere „Dieses besondere „Wenn dieses besondere
Ereignis eintritt, dann lässt Ereignis tritt ein.“ (3) Ereignis eintritt, dann lässt
sich jenes besondere sich jenes besondere
Ereignis beobachten.“ (2) Ereignis beobachten.“ (2)
Wie verhalten Die beiden Prämissen Die Konklusion wird von Die Prämissen bewirken
sich die implizieren die Konklusion. den Prämissen bestätigt. den Einfall der Konklusion.
Prämissen und
Konklusionen
zueinander?
Beispiel Alle Bohnen aus diesem Die Beobachtung, dass Die Tatsache „Alle Bohnen
(Peirce, 1878): Sack sind weiß. Und wir diese Bohnen aus diesem aus diesem Sack sind
wissen, dass diese Bohnen Sack weiß sind, bestätigt weiß.“ und die
aus diesem Sack sind. Dies die Annahme, dass alle Beobachtung „Diese
impliziert, dass diese Bohnen aus diesem Sack Bohnen sind
Bohnen weiß sind. weiß sind. weiß.“ bewirken den Einfall,
dass diese Bohnen aus
diesem Sack sind.
Oder auch:
„Diese Bohnen sind weiß.“.
Wir vermuten, dass sie aus
diesem Sack sind und dass
alle Bohnen aus diesem
Sack weiß sind.
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Die Tabelle veranschaulicht die unterschiedlichen Folgebeziehungen, die sich aus den
Anordnungen der selben drei Sätze ergeben können:
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Übungsaufgaben
3. Forme aus den folgenden drei Sätzen einen induktiven, einen deduktiven und einen abduktiven Schluss.
10
Teil I – Deduktive Logik
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Im Erkenntnisprozess kommt die deduktive Logik an zweiter Stelle. Sie buchstabiert aus, was
unsere Hypothesen und vorgefassten Annahmen beinhalten, damit ihre Implikationen geprüft
werden können. In der Geschichte der Philosophie hingegen kommt die deduktive Logik zuerst –
sowohl zeitlich als auch von ihrer Bedeutung her und ihrem Prestige. Seit 2000 Jahren ist sie im
Wesentlichen gleich geblieben, hat sich seit dem 19. Jahrhundert nur ausdifferenziert und
verfeinert, technisiert und professionalisiert. Dass sie im Kern unverändert fortbesteht, hat schon
etwas damit zu tun, dass sie sich anders als die Natur- und Geisteswissenschaften oder unsere
Alltagsmeinungen nicht für besondere Inhalte und Aussagen interessiert, sondern allgemein für
Satzbeziehungen, die schon dank ihrer Form oder Konstruktionsweise gültig sind.
Eine Folgebeziehung ist gültig, hieß es, wenn die Prämissen die Konklusion gewährleisten,
wenn somit die Anerkennung der Prämissen zuverlässig zur Anerkennung der Konklusion führt.
Diese Definition bezieht sich gleichermaßen auf deduktive, induktive und abduktive Gültigkeit.
Jetzt soll es aber nur um deduktive Gültigkeit gehen, dafür bedarf es einer spezifischeren, wenn
auch immer noch sehr allgemein gehaltenen Definition: Eine Folgebeziehung ist deduktiv gültig,
wenn die Gesamtheit der Prämissen die Konklusion impliziert, wenn unter Annahme der
Prämissen die Konklusion zwingend anerkannt werden muss. Woher wissen wir nun aber, ob dies
der Fall ist, ob diese objektive Satzbeziehung tatsächlich besteht?2
Es gibt mehr als eine Antwort auf diese Frage und jede dieser Antworten expliziert den Begriff
der deduktiven Gültigkeit anders. Wir werden im Folgenden insgesamt sechs solcher Verfahren
kennenlernen und dabei das Diskussionsfeld der deduktiven Logik philosophisch erkunden.
Natürlich werden wir darauf achten müssen, dass die sechs Verfahren auch wirklich den einen
einzigen gleichbleibenden Begriff der deduktiven Gültigkeit erschließen.
2 Da es in diesem Kapitel um deduktive Logik geht, wird im Folgenden bisweilen nur “gültig” gesagt, wenn ohnehin
klar ist, dass nur “deduktiv gültig” gemeint sein kann.
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1. Gedankenexperimente
Ein erstes Verfahren kennen wir schon, haben es gewissermaßen unter der Hand eingeführt.
Es ergibt sich ganz unmittelbar aus der Bestimmung der deduktiven Logik selbst.
Wie schon das Argument vom fallenden Fahrstuhl wird auch dieses hier mit einer Geste präsentiert,
wonach wir unmittelbar beeindruckt sein dürfen: Es handelt sich wirklich und wahrhaftig um eine
deduktive Folgebeziehung. Dieser unmittelbare Eindruck lässt sich nicht wirklich begründen.
Darum heißt es, dass niemand umhinkommt, die Konklusion anzuerkennen, wenn sie nur die
Prämissen verstehen. Wer sie versteht, sieht sofort, dass die Konklusion eigentlich gar nicht mehr
eigens ausgesprochen werden muss, weil sie von den Prämissen impliziert ist. Wir leiten nur ab,
was den ersten beiden Sätzen bereits enthalten ist.
All diese Formulierungen umkreisen die Idee des Unweigerlichen, des nicht-Umhin-Könnens,
dass wir nämlich gar nicht anders können, als die Konklusion anzuerkennen. Dies verdeutlicht
nicht nur, was Logik der Ableitung oder Implikation überhaupt heißt, es beinhaltet auch ein
Kriterium, mit dem wir den Nachweis für deduktive Gültigkeit erbringen können. Wenn wir
nämlich wirklich gezwungen sind, unter Annahme der Prämissen auch die Konklusion
anzunehmen, muss dieser Zwang ja spürbar sein – und spürbar ist er, wenn wir gar nicht anders
können und wenn es uns ganz und gar unmöglich ist, die Konklusion zu verneinen oder ein
Gegenbeispiel zu konstruieren. Ein Gegenbeispiel ist ein fiktiver oder realer Fall, für den die
Prämissen gelten, nicht aber die Konklusion. Kann es eine Situation, eine Geschichte oder ein
science fiction Szenario geben, in dem Tanja zwar Walzer oder Tango tanzt, aber keinen Walzer – und
dennoch auch keinen Tango? Das hieße ja, dass sie Tango oder Walzer tanzt und gleichzeitig weder
Tango noch Walzer tanzt. So etwas passiert nicht einmal in surrealen Träumen. Diese Situation
kriegen wir nicht auf die Reihe, sie ist nicht erzählbar. Solange wir daran festhalten, dass sie wirklich
Walzer oder Tango tanzt, muss es Tango sein, wenn es kein Walzer ist. Eine Verneinung der
Konklusion sprengt unsere Vorstellungskraft, weil sie nicht vorstellbar ist – wir können das nicht,
weil wir gezwungen sind, weil die Prämissen uns festlegen.
Schauen wir uns zum Vergleich ein weiteres Argument an, das eine deduktiv gültige
Folgebeziehung behauptet.
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Vielleicht neigen wir spontan zu der Annahme, dass sich auch in diesem Argument die Konklusion
deduktiv aus den Prämissen ergibt. Hier fällt es uns aber nicht schwer, ein Gegenbeispiel zu
konstruieren und uns vorzustellen, dass Horst zwar immer tanzt, wenn Tanja Tango tanzt, dass er
gelegentlich aber auch dann tanzt, wenn sie es nicht tut. Dieses Argument ist somit nicht deduktiv
gültig, seine Konklusion ist keineswegs unausweichlich, weil auch ihr Gegenteil, ihre Verneinung
denkbar bleibt.3
Ein erstes Verfahren zum Nachweis deduktiver Gültigkeit nimmt somit die Form eines
Gedankenexperiments an, das sich direkt aus der Bestimmung deduktiver Gültigkeit ergibt:
Versuche, die Prämisse(n) anzunehmen und gleichzeitig die Konklusion zu bestreiten. Versuche also, ein
Gegenbeispiel zu konstruieren. Wenn der Versuch scheitert und unmöglich gelingen kann, besteht eine
zwingende Folgebeziehung und ist das Argument deduktiv gültig.
Dieses Verfahren ist einfach und überzeugend, in seiner Anwendbarkeit aber leider beschränkt.
Betrachten wir ein weiteres Beispiel, das logisch ungeübte Menschen verunsichern wird: Haben wir
hier noch den Überblick? Vielleicht gelingt es uns nicht, ein Gegenbeispiel zu konstruieren, aber
bedeutet der gescheiterte Versuch wirklich, dass er unter keinen Umständen gelingen kann? Hier
sind wir uns nicht ganz sicher:
Manche sehen es sofort, andere finden es heraus, weitere vermuten es zwar, sind sich aber nicht
ganz sicher: Auch hier kann es kein Gegenbeispiel geben. Können wir dies mit der gleichen
3 Ist es nun falsch, so zu denken oder zu folgern? Nicht unbedingt, denn wir könnten die Prämissen als einen
Anhaltspunkt oder Beleg dafür verstehen, dass Horst vielleicht oder vermutlich auch seinerseits nicht tanzt. Falsch ist
es allerdings, die Konklusion für eine Ableitung aus den Prämissen zu halten oder das Argument für deduktiv gültig.
Nur die Hinzufügung einer weiteren Prämisse könnte dem Argument zu deduktiver Gültigkeit verhelfen: „Wenn Horst
tanzt, dann immer nur mit Tanja“. Ohne diese zusätzliche Information, ist die Konklusion nichts weiter als eine mehr
oder weniger gut begründete Vermutung. Mit dieser zusätzlichen Information ist die Konklusion, dass auch Horst
nicht tanzt, zwingend.
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Sicherheit ausschließen wie im Fall der Tangotänzerin, die keinen Walzer tanzt? Und was, wenn
Argumente noch sehr viel unübersichtlicher und komplizierter werden als dieses hier – wissen wir
dann wirklich noch so genau, ob ein Gegenbeispiel konstruierbar ist?
An dieser Grenze des ersten Verfahrens, entsteht das Bedürfnis nach weiteren. Und an dieser
Stelle kann auch eine weitere Bestimmung der deduktiven Logik als einer formalen Logik
vorgenommen werden.
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2. Formalisierbarkeit
Der fallende Fahrstuhl, die tanzende Tanja, die kullernde Kugel – insgesamt haben wir jetzt drei
Beispiele für deduktiv gültige Folgebeziehungen und ein Testverfahren entwickelt, wonach es
angesichts deduktiver Gültigkeit unmöglich sein muss, ein Gegenbeispiel zu konstruieren. Unser
Unvermögen, die Prämissen anzunehmen und gleichzeitig die Konklusion zu bestreiten, gilt uns
als Symptom oder Zeichen des logischen Zwangs: Angesichts der Prämissen können wir nicht
anders, als auch die Konklusion anzuerkennen.
Nun ist aber eine Besonderheit der deduktiven Logik, dass es nicht wirklich nötig ist, jedes
Argument einzeln diesem Test zu unterziehen. Hier ist es die Form des Arguments, die eine gültige
Folgebeziehung verbürgt. Dies lässt sich durch den Vergleich von deduktiven und induktiven
Argumenten schön verdeutlichen.
Betrachten wir drei induktive Argumente, die sehr ähnlich aussehen, deren Prämissen eine
Konklusion bestätigen und die wir dennoch für sehr ungleich halten. Das eine davon ist das
vielleicht berühmteste induktive Argument aller Zeiten und stammt schon aus dem 17.
Jahrhundert:
Prämisse Heute ist die Sonne Heute habe ich unentdeckt Heute hat Anton F. im
aufgegangen. gestohlen. Park eine Brezel gegessen.
Gestern ist die Sonne Gestern habe ich unentdeckt Die Brezeltüte hat er ins
aufgegangen. gestohlen. Gebüsch geworfen.
Vorgestern ist die Sonne
aufgegangen. Bisher bin ich beim Stehlen
nie erwischt worden.
Bisher ist die Sonne jeden
Tag aufgegangen.
Konklusion Die Sonne geht jeden Tag Bei allen meinen Diebstählen Anton F. ist ein
auf. bleibe ich unentdeckt. Umweltverschmutzer.
Obwohl diese drei Argumente sämtlich darin bestehen, dass gemachte Erfahrungen oder
Beobachtungen von heute eine allgemeine Aussage bestätigen, die immer oder jeden Tag zutrifft,
schätzen wir diese drei Argumente doch sehr unterschiedlich ein. Sie sind nicht gleich gut:
Offensichtlich reichen Bestätigungen nicht immer aus, um zu einer überzeugenden Konklusion zu
gelangen. Ja, die Sonne wird auch morgen aufgehen. Aber ist ein unentdeckter Diebstahl auch für
morgen garantiert? Hier gibt es offenbar ein Mehr oder Weniger der Bestätigungsgrade. Und
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warum können wir uns so sicher sein, dass eine einzige entlarvende Tat den Charakter eines
Menschen offenbart? Die drei formal gleichen Argumente führen uns auf herausfordernde Fragen,
mit denen wir uns später befassen werden.
Ganz anders steht es um die deduktive Logik. Auch hier können wir verschiedene Argumente
nebeneinanderstellen, auch hier einschließlich des vielleicht berühmtesten deduktiven Arguments
aller Zeiten, das bis in die Antike zurückreicht. Und obwohl wir das eine für ernsthaft, das andere
für albern halten, sind sie gleich gut.
In beiden Argumenten ist die Konklusion in den Prämissen enthalten, sie sind gleichermaßen
zwingend und deduktiv gültig: Ein Gegenbeispiel lässt sich hier und da nicht konstruieren. Keine
Rolle spielt dabei, dass „Alle Menschen sind sterblich“ unserem gesunden Menschenverstand
entspricht, während wir „Alle Kreise sind eckig“ für bloßen Unsinn halten. Dennoch besteht in
beiden Fällen zwischen den Prämissen und der Konklusion die objektive Satzbeziehung der
Implikation. Wer die Prämissen anerkennt, muss auch die Konklusion anerkennen, auch wenn es
auf der ganzen Welt tatsächlich niemanden gibt, der an eckige Kreise glaubt. Zwei weitere Beispiele
bestätigen diesen Eindruck:
Auch so zeigt sich die deduktive Logik als Logik der Ableitung, als Logik der zwingenden Folge
oder Implikation. Sie verdankt sich der Form oder Konstruktionsweise gegebener
Satzbeziehungen, ist in diesem Sinne formale Logik. Später werden wir Symbole verwenden, um
diese Satzbeziehungen darzustellen, hier und da begegnen wir dann Symbolfolgen, die wie
Gleichungen oder Formeln aussehen. Dabei ist deduktive Logik nicht darum formale Logik, weil
sie abstrakt mit Symbolen und Formalisierungen operiert, vielmehr umgekehrt: Deduktive Logik
lässt sich nur darum formelhaft darstellen, weil ein deduktives Argument gültig ist, wenn es der
Form nach gültig ist. Wir sehen den Argumenten an, dass ihre Prämissen aus Sätzen einer
bestimmten Form bestehen und dass dies allein schon die Implikation der das Argument
abschließenden Konklusion gewährleistet, weshalb diese Formen als Schlussformen bezeichnet
werden.
So können wir von sterblichen Menschen und eckigen Kreisen sagen, dass die erste Prämisse
einen All-Satz aufstellt, der etwas über alle Menschen oder alle Kreise sagt. Die zweite Prämisse
benennt etwas, das als besonderer Mensch oder Kreis unter den Allsatz fällt. Die Konklusion
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überträgt nun das, was für alle gilt auf den Einzelfall. Jedes Argument dieser Art ist deduktiv gültig.
Die Argumente vom Polizisten und dem Mond beginnen mit einer wenn-dann Aussage, also einem
Verhältnis von einem Antezedens genannten Vorbedingung und einem Konsequens. Die zweite
Prämisse verneint, dass sich das Konsequens einstellt. Die Konklusion stellt dann nur fest, dass die
Vorbedingung, bzw. das Antezedens offenbar nicht gegeben ist, wenn sich das Konsequens nicht
einstellt. So formal lässt sich auch das deduktive - nur das deduktive! – Fahrstuhlargument
beschreiben oder das Argument über die Tango-oder-Walzer-tanzende Tanja.4
Dass es eine formale Beschreibung dieser deduktiv gültigen Argumente gibt, erlaubt uns, das
Verfahren des Gedankenexperiments auch auf dieser abstrakten Beschreibungsebene anzuwenden.
Kann es ein Gegenbeispiel geben und wäre es beispielsweise denkbar, dass etwas für alle Menschen
oder Kreise gilt, nicht aber auch für einzelne Menschen und Kreise? Wenn es undenkbar ist,
Gegenbeispiele zu finden für Satzbeziehungen einer bestimmten Form, können wir sagen, dass
jedes Argument, das diese Form aufweist, deduktiv gültig ist. Umgekehrt kann uns ein auf der
formalen Ebene gefundenes Gegenbeispiel helfen, Gegenbeispiele für jedes spezifische dieser
Form entsprechende Argument zu konstruieren. Beginnt beispielsweise ein Argument mit einer
wenn-dann Aussage, also einem Verhältnis von Antezedens und Konsequens, und besagt nun die
zweite Prämisse, dass das Antezedens nicht gegeben ist, bietet sich als Konklusion an, dass nun
auch das Konsequens nicht eintritt. Das muss aber keineswegs so sein, hier herrscht kein logischer
Zwang: Es ist ja nicht gesagt, dass das Konsequens nur auf Grund der im Antezedens genannten
Vorbedingung eintritt. Es ist somit möglich, dass das Antezedens zwar nicht gegeben ist, dass sich
das Konsequens aus anderen Gründen aber dennoch einstellt. Dies wäre ein Gegenbeispiel auf der
formalen Ebene, nach dem sich viele konkrete Beispiele konstruieren lassen.
4 Schwierig bleibt das Argument mit der kullernden Kugel – hier ist auch die formale Beschreibung nicht leicht
nachvollziehbar.
5 Wiederum bedarf es lediglich des kleinen Worts „nur“, um aus der deduktiv nicht gültigen eine gültige Folgebeziehung
zu machen: „Nur wenn es regnet, wird die Straße nass.“ Diese drei Buchstaben allerdings verändern die Prämisse ,
denn nunmehr sind Schläuche und Rohrbrüche kategorisch ausgeschlossen. Was also, wenn das kleine „nur“ in einem
Vertragstext fehlen sollte? „Wenn die Vorgesetzte zustimmt, darf die Angestellte das Werk verlassen“ – und was, wenn
sie es ohne Zustimmung tut, hat sie dann gegen den Vertrag verstoßen?
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Wir sind somit beim zweiten Verfahren zum Nachweis deduktiver Gültigkeit angelangt. Über viele
Jahrhunderte war es das übliche Verfahren:
Ein Argument, das einer gültigen Form entspricht, ist deduktiv gültig. Oder, anders formuliert:
Wenn die Form eines Arguments eine gültige Form ist, dann ist es deduktiv gültig.
Dieses Verfahren setzt natürlich voraus, dass die gültigen Formen bereits bekannt sind oder die
Gültigkeit der Form schon erwiesen wurde. Wenn es sich hier um ein übliches, weit verbreitetes
Verfahren handelt, dann darum weil viele Formen schon von der aristotelischen Logik in der
Antike bekannt und benannt wurden, so dass alle Schulkinder im Mittelalter bis in die Neuzeit
hinein diese Formen brav nachbeten konnten. Dabei handelte es sich um etwa 20 namhaft
bekannte Schlussformen. Und da sie aus der Antike stammen, kommen die Beispiele meist
antikisierend einher. Römer, Spartaner, Griechen wimmeln sich in ihnen. Siehe zum Beispiel das
folgende Argument:
Diese Schlussform lässt sich nun so beschreiben: Es handelt sich um drei bejahende Allsätze. Dem
Oberbegriff „Gallier“ wird in der ersten Prämisse etwas zugeschrieben. Und was da zugeschrieben
wird, ist der Mittellbegriff „Mut“, dem im zweiten Allsatz mit dem Unterbegriff „Liebe zur Gefahr“
wiederum etwas Allgemeines zugesprochen wird. Der Mittelbegriff schafft somit den Übergang
vom Ober- zum Unterbegriff, die nun in der Konklusion zusammengeführt werden. Als Bindeglied
fällt der Mittelbegriff in der Konklusion weg, nachdem er sie ermöglicht hat. Modern gesprochen
würden wir dies eine transitive Beziehung nennen, manchmal ist hier auch von einem
Kettenschluss die Rede. Die Schulkinder haben diese Form jedoch als „modus barbara“
memorisiert. Bejahende Allsätze wurden mit dem Buchstaben „A“ belegt, dieses Argument
besteht aus drei „A“-Sätzen, und im Namen Barbara kommt dieser Vokal dreimal vor. So ließ sich
das leichter lernen, ging ins Fleisch und Blut der Gebildeten über. Argumente dieser Art waren
entsprechend schnell erkannt und benannt.
Eine andere Form weist das schon zitierte Argument auf:
Auch hier findet sich ein bejahender Allsatz (alle sind - A) zu dem sich hier als zweite Prämisse und
in der Konklusion bejahende Sätze über etwas Besonderes oder Partikulares, nämlich Sokrates
gesellen (eines oder einige sind - I). Die Abfolge ist nun A-I-I – also „modus darii“.
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bejahend verneinend
allgemein A-Urteil E-Urteil
Die Reihe der Beispiele wird vorerst beschlossen vom „modus ferison“, also E-I-O. Dieser Modus
enthält den verneinenden Allsatz (keine sind – E) und die Verneinung, dass etwas Besonderes oder
Partikulares zutrifft (eines oder einige sind nicht - O):
Zehn bis zwanzig geläufige Schlussformen sind genug für spitzfindige Denker, wenn es darum
geht, philosophische oder juristische oder politische Argumente zu identifizieren oder als deduktive
Scheinargumente zu überführen. Darin kommt auch die historische Nähe von Logik und Rhetorik
und die Logik als Kritik rhetorischer Stilmittel zum Vorschein.
Nun passen nicht alle bisher angeführten Beispiele deduktiv gültiger Folgebeziehungen in
dieses Schema. „Wenn Tanja Tango tanzt, dann tanzt auch Horst“ ist kein einfacher Satz des Typs
A, E, I oder O. Vielmehr fügt dieser Satz zwei Teilsätze zusammen und versetzt sie in eine Wenn-
Dann- oder Konditional-Beziehung zueinander. Wird dem nun hinzufügt „Und übrigens: Tanja
tanzt jetzt wirklich“ so gilt das Antezedens, also die Wenn-Bedingung als gesetzt. Ist nun das
Antezedens eines Konditionals gesetzt, impliziert dies das Konsequens des Konditionals, in
diesem Fall also die Konklusion, dass auch Horst tanzt. Auch diese Schlussform ist leicht erkennbar
und hat ihrerseits einen lateinischen Namen, der auf das Prozesshafte setzt: modus ponendo ponens
(MPP) – das zu Setzende wird gesetzt. Komplementär zu dieser Schlussform ist der modus tollendo
tollens (MTT). Wird das Konsequens oder der Nachsatz eines Konditionals verneint und somit die
Verneinung des Antezedens impliziert, dann ist das zu Bestreitende bestritten worden. Beispielen
für MTT begegneten wir oben, als wir den Polizisten mit den Fingerabdrücken und den orangenen
Mond betrachteten.
Es ist zwar möglich, durchwegs bei lateinischen Namen zu bleiben, aber es gibt auch
Schlussformen, deren gebräuchliche Namen sprachlich vermischt sind. Ein Beispiel hierfür soll
genügen – der disjunktive Schluss, wobei das Wort „Disjunktion“ eine oder-Verknüpfung benennt,
so wie „Konjunktion“ für die und-Verknüpfung steht. Auch den disjunktiven Schluss kennen wir
schon: Wenn Tanja Tango oder Walzer tanzt und wir nun die eine der angebotenen Möglichkeiten
verneinen, indem wir hinzufügen, dass sie keinen Walzer tanzt, dann ergibt sich zwingend die
Konklusion, dass die andere Option (Tango!) gegeben ist. Aus der Verneinung des einen Disjunkts
ergibt sich disjunktiv somit das andere.
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[LEHRBUCHAUSZUG MIT GÜLTIGEN SCHLUSSFORMEN]
21
Ohne alle benannten und für das zweite Verfahren beglaubigten Schlussformen durchzusprechen,
sollte schließlich die Kehrseite dieses Verfahrens zur Sprache kommen, und damit auch schon ein
Anreiz gegeben, ein drittes, viertes, fünftes Verfahren aufzusuchen: Es gibt komplexe Argumente,
die keiner einfachen, leicht wiedererkennbaren Form entsprechen, und doch deduktiv gültig sein
können. Das gilt schon für das noch relativ einfache Beispiel von der Kugel, die aus der Bahn gerät
oder nicht.
Eine Begrenzung ergibt sich auch aus dem Verhältnis der ersten beiden Verfahren zueinander.
Es ist ziemlich klar, dass beide Verfahren das Gleiche meinen, also unter dem Begriff einer
„deduktiv gültigen Folgebeziehung“ das Gleiche verstehen. Das scheint schon darum so zu sein,
weil wir die deduktiv gültigen Schlussformen ermittelt haben, indem wir das Verfahren des
Gedankenexperiments und der Suche nach einem Gegenbeispiel auf die formale Beschreibung des
Arguments angewandt haben. Somit hätten die beiden Verfahren oder Kriterien deduktiver
Gültigkeit also die gleiche Intension. Und dennoch haben sie nicht die gleiche Ausdehnung oder
Extension – sie zeichnen nicht die gleichen Argumente als deduktiv gültig aus und die Klasse der
dem Kriterium entsprechenden Argumente ist beim ersten Verfahren umfassender als beim
zweiten. Zum Beispiel ist „Anna ist klüger als Otto, also ist Otto dümmer als Anna“ nur nach dem
ersten Verfahren gültig, weil für dieses Argument keine eigene, benennbare, memorierbare Form
vorliegt, der es entsprechen würde. Dies gilt auch für:
Das Argument ist nach dem ersten Verfahren logisch zwingend: Es ist so und also ist es so – ein
Gegenbeispiel dazu wird sich nicht finden lassen. Aber soll sich ein Aristoteles die Mühe machen,
diese ganz banale Folgebeziehung als eigenständige deduktiv gültige Schlussform zu würdigen und
eigens zu benennen? Es gibt allenfalls den lapidaren Spruch dazu, dass die Wiederholung den Satz
auch nicht besser macht, oder: Wer A sagt, muss nicht immer B sagen, wohl aber A.
Um derartige Schwierigkeiten aufzulösen, wird nun die Idee einer formalen Logik
weiterentwickelt oder entfaltet. Und in Vorbereitung darauf muss es zunächst darum gehen, erst
einmal die Sprachen der formalen Logik näher zu betrachten. Mit welchen Symbolen, Zeichen,
Begriffen beschreiben wir eigentlich die logische Form eines Satzes und eines Arguments? Dies ist
gleichzeitig eine sehr lückenhafte, ganz oberflächliche Geschichte der Logik in nur vier Stationen.
22
Übungsaufgaben
1. Wann nennen wir ein Argument gültig? Wann nennen wir ein Argument deduktiv gültig? Mache dir den Unterschied
klar und versuche, ihn möglichst präzise zu formulieren.
2. Welches Verfahre zum Nachvollziehen von deduktiver Gültigkeit haben wir bereits kennengelernt? Überlege dir
unterschiedliche Beispiele, an denen du das Verfahren testen kannst: mindestens eins, in dem das Verfahren Gültigkeit
zeigt und eins, in dem es Ungültigkeit zeigt.
3. In welchen Fällen scheitert unser erstes Verfahren? Gelingt es dir, auch dafür ein Beispiel zu konstruieren?
23
3. Die Sprachen der formalen Logik
Die Syllogistik gilt als erster Versuch einer Formalisierung der Logik in der Tradition der
westlichen Philosophie. Von Aristoteles‘ Analytik bis über Kants Urteilstafel hinaus war sie der
Bezugspunkt des Argumentierens. Sofern Logik sich für Satzbeziehungen interessiert, handelt es
sich bei den Sätzen der Syllogistik um Urteile, nämlich um Feststellungen oder Festlegungen, was
für Eigenschaften oder Charakterzüge den Dingen zukommen. Die vier Urteils- und etwa 20
gültigen Schlussformen der Syllogistik haben wir schon kennengelernt.
Allsätze des Typs A fällen ein bejahendes allgemeines Urteil der Form „Alle … sind … “,
entsprechen somit der Feststellung, dass einem Allgemeingegenstand, einem Genus, einer
Universalie – z.B. Römer, Lehrer*innen, Menschen – eine bestimmte Eigenschaft oder
Charakteristikum zukommt – z.B. Bürger, klug, sterblich.
Allsätze des Typs E fällen ein verneinendes allgemeines Urteil der Form „Keine … sind
…“, entsprechen somit der Feststellung, dass einem Allgemeingegenstand, einem Genus,
einer Universalie – z.B. Römer, Lehrer*innen, Menschen – eine bestimmte Eigenschaft
oder Charakteristikum nicht zukommt – z.B. Sklaven, dumm, Kaltblüter.
Partikuläre Sätze des Typs I fällen ein bejahendes besonderes Urteil der Form „Einzelne
(manche, wenigstens dieser eine) … sind …“, entsprechen somit der Feststellung, dass
einem oder mehreren besonderen Gegenständen, Exemplaren einer Gattung eine
bestimmte Eigenschaft oder Charakteristikum zukommt.
Partikuläre Sätze des Typs O fällen ein verneinendes besonderes Urteil der Form „Einzelne
(manche, wenigstens dieser eine) … sind nicht (sind kein) …“, entsprechen somit der
Feststellung, dass einem oder mehreren besonderen Gegenständen, Exemplaren einer
Gattung eine bestimmte Eigenschaft oder Charakteristikum nicht zukommt.
Wenn nun in zwei Urteilen der gleiche Begriff vorkommt, treten diese Urteile in Beziehungen
zueinander, von denen einige als gültige Schlussformen, bzw. Syllogismen ausgezeichnet werden
können – zu denen die oben bereits vorgestellten modi barbara, darii und ferison gehören. In dieser
Bestimmung deduktiver Folgebeziehungen erschöpft sich die logische Untersuchung der vier
Urteilsformen jedoch nicht. Im sogenannten logischen Quadrat werden die Beziehungen
zwischen A, E, I und O-Urteilen benannt.
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Oben wurde bereits erwähnt, dass Sätze einander widersprechen können, also in einer
kontradiktorischen Beziehung zueinander stehen: sie können unmöglich gleichzeitig behauptet,
aber auch nicht gleichzeitig verneint werden – für eines dieser beiden Urteile müssen wir uns
entscheiden. Diese Beziehung besteht einerseits zwischen A und O-Urteilen, andererseits zwischen
E und I-Urteilen. Das Urteil „Alle Lehrer*innen sind klug“ widerspricht dem Urteil, dass es
Lehrer*innen gibt, die nicht klug sind – es muss dies oder jenes sein und es kann nicht beides
gelten. Diese Beziehung herrscht auch zwischen dem Urteil „Kein Römer ist ein Sklave“ und dem
Urteil, dass es Römer gibt, die Sklaven sind.
Nicht kontradiktorisch, vielmehr konträr sind die Beziehungen zwischen A und E-Urteilen.
Zwar können die Urteile „Alle Lehrer*innen sind klug“ und „Keine Lehrer*in ist klug“ nicht
gleichzeitig behauptet, wohl aber gleichzeitig bestritten werden. Wie so oft bei zugespitzten
Formulierungen wäre es vermutlich richtiger zu urteilen, dass einige Lehrer*innen klug sind, andere
nicht. Wenn das so ist, wären das A und das E-Urteil gleichermaßen verfehlt und „die Wahrheit
liegt in der Mitte“. Dass manche Lehrer*Innen klug sind (I) und andere nicht (O) ist zwar
gegensätzlich formuliert, diese Urteile sind aber einfach nur konsistent, also einfach miteinander
verträglich, werden im logischen Quadrat als subkonträr bezeichnet. In Umkehrung der konträren
Beziehung gilt hier, dass beide Urteile gleichzeitig bejaht, nicht aber gleichzeitig verneint werden
können.
Damit verbleibt im logischen Quadrat nur noch die subalterne oder unterordnende
Beziehung zwischen A und I-Urteilen und zwischen E und O-Urteilen. Das besondere Urteil
„Manche Römer sind tapfer“ ist dem allgemeinen Urteil „Alle Römer sind tapfer“ untergeordnet.
Tatsächlich möchte es scheinen, dass der Allsatz das Existenzurteil impliziert, dass die
untergeordneten Urteile unter den Allgemeinbegriff des Allsatzes fallen: Es genügt schon, dem
Allsatz zuzustimmen, um ein Urteil über zahllose Einzelfälle zu treffen. Genauso würde die
Feststellung, dass keine Lehrer*in geizig ist das abgeleitete Urteil einschließen, dass somit natürlich
auch jede einzelne Lehrer*in nicht geizig ist.
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Venn-Diagramme
Sei es auch nur, um die Vielfalt, gewissermaßen auch die Beliebigkeit der logischen
Darstellungsweisen oder Repräsentationssysteme zu verdeutlichen, soll neben die Aristotelische
Syllogistik eine Erfindung John Venns aus dem Jahr 1880 treten. In seinem Aufsatz “On the
Diagrammatic and Mechanical Representation of Prepositions and Reasonings” wendet er unsere aus der
Technik abgeleitete Auffassung der Affordanzen auf syllogistische Satzbeziehungen an: Die
Prämissen müssen in seinem System nur diagrammatisch eingetragen werden, und schon
gewährleisten sie ganz mechanisch oder automatisch die Konklusion, ohne dass diese eigens noch
markiert werden muss.
Er beginnt damit, dass er Begriffe als Bezeichnungen für Gegenstandsmengen auffasst, die sich
einschließen, ausschließen oder Schnittmengen bilden können. Drei begriffliche
Gegenstandsbereiche lassen sich demnach als drei überlappende Kreise darstellen. Allsätze
entsprechen dem Urteil, dass bestimmte Felder voll, andere leer sind. Partikuläre Sätze werden als
Punkte dargestellt, weil sie besagen, dass es hier oder da etwas gibt. Werden die Prämissen
entsprechend markiert, können alle deduktiv gültigen Konklusionen ausgelesen werden. So sehen
die drei oben vorgestellten Syllogismen in der Sprache der Venn Diagramme aus:
modus barbara
Alle Menschen sind sterblich.: Diejenige Fläche im Kreis M, welche sich
nicht mit S überschneidet, ist leer und wird daher dunkel markiert. .
Alle Römer sind Menschen.: Diejenige Fläche des Kreises R, welche sich
nicht mit M überschneidet, ist leer und wird daher dunkel markiert.
modus darii
Alle Römer lieben Athen.: Diejenige Fläche im Kreis R, welche sich
nicht mit A überschneidet, ist leer und wird daher dunkel markiert.
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modus ferison
Kein Grieche zweifelt an Zeus.: Die Überschneidung von G und Z ist
leer und wird daher dunkel markiert.
Einige Philosophen zweifeln nicht an Zeus.: Die Position des Punktes zeigt
Kein Grieche zweifelt an Zeus. uns nun, dass es einige Philosophen gibt, die nicht an Zeus zweifeln.
Einige Griechen sind Philosophen.
Einige Philosophen zweifeln nicht
an Zeus.
Venn-Diagramme können auch aufzeigen, dass ein Argument nicht deduktiv gültig ist.
Fehlschluss I
Alle Händler sind klug.: Diejenige Fläche im Kreis H, die sich nicht mit
Kreis K überschneidet, ist leer und wird dunkel markiert.
Alle Händler sind geizig.: Diejenige Fläche im Kreis H, die sich nicht
mit Kreis G überschneidet, ist leer und wird dunkel markiert.
Alle Klugen sind geizig.: Der Kreis der Klugen hat noch viel Platz –
dort wo er sich mit dem Kreis G der Geizigen überschneidet, aber
auch dort wo er sich mit keinem anderen Kreis überschneidet.
Alle Händler sind klug.
Hiernach kann es durchaus Kluge geben, die nicht geizig sind. Sie
Alle Händler sind geizig.
wären ein Gegenbeispiel zur Konklusion und zeigen, dass das
Alle Klugen sind geizig. Argument nicht gültig ist.
Fehlschluss II
Einige Politiker sind Händler.: Wir visualisieren diese partikuläre
Aussage, indem wir im Bereich des Kreises H einen Punkt auf dem
Kreis P markieren. Dieser könnte aber auch im Bereich R liegen
oder auch nicht.
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Aussagenlogik – und ihre Metasprache
Auf der Beliebtheitsskala abgelöst wurde die syllogistische Urteilslogik erst im 20. Jahrhundert
von der Aussagenlogik. Weil sie besonders einfach ist, werden wir mit ihr im Folgenden vor allem
befasst sein. Darum soll diese Sprache der Logik hier besonders gründlich vorgestellt werden.
Sofern Logik sich für Satzbeziehungen interessiert, werden Sätze in dieser Sprache als Aussagen
aufgefasst. Als Aussage gilt dabei jeder Satz, dem ein „Es ist der Fall, dass …“ oder „Es ist nicht
der Fall, dass …“ vorangestellt werden kann. Damit sind Fragen und Bitten, Ausrufe und Befehle
ausgeschlossen, damit verbleiben Feststellungen aller Art – Tanja tanzt, die Kugel rollt, Gallier sind
mutig, die Straße ist nass, Picasso war ein großer Künstler, der Mond besteht aus Käse. Wenn sich
eine Aussage dadurch auszeichnet, dass ihr ein „Es ist der Fall, dass …“ oder „Es ist nicht der Fall,
dass …“ vorangestellt werden kann, ist ein wesentliches Merkmal aller Aussagen, dass sie bejaht
oder verneint, behauptet oder bestritten werden können. Für Aussagen können Variablen
eingesetzt werden, die so etwas wie eine abkürzende Sprache bilden: p, q, r, s stehen jeweils für
eine Aussage und bilden das Grundvokabular der Aussagenlogik.
Warum werden p, q, r nun aber „Aussagen“ genannt und nicht „Urteile“? In dieser Frage steckt
sehr viel Philosophiegeschichte. Als vorläufige Antwort mag gelten, dass hier kein Urteil die Gallier
zu den Mutigen zählt und nicht geurteilt wird, dass dem Mond zu den Dingen gehört, die aus Käse
bestehen. Aussagen sind keine Akte unseres Bewusstseins, sondern beliebige sprachliche Artefakte
oder vorfindbare Sätze, die bejaht und verneint, behauptet und bestritten werden können. Sie
sagen, dass etwas der Fall ist. Wer sie annimmt oder behauptet, sagt dies dann auch, und wer sie
bestreitet, verneint, dass das im Satz Ausgesagte der Fall ist.
p kann beispielsweise für „Tanja tanzt“ oder für „Der Polizist hat recht“ stehen, und q für
„Horst tanzt“ oder für „Die Fingerabdrücke stammen von Georg“. Wenn es der Fall ist, dass Tanja
tanzt, drücken wir das normalerweise aus, indem wir „Tanja tanzt“ sagen oder, abgekürzt, p. Wenn
es nicht der Fall ist, dass Tanja tanzt, drücken wir das normalerweise aus, indem wir sagen „Tanja
tanzt nicht“ oder ¬p. Die Aussage wäre hiernach in jedem Fall p und ihre Verneinung oder
Negation wird durch ¬p als Zeichen für die Verneinung ausgedrückt. Auch dieses Zeichen gehört
somit zum Vokabular der Aussagenlogik.
Nach den bisherigen Auskünften wäre denkbar, dass auch dies eine Aussage ist: „Der Himmel
ist blau und die Temperatur angenehm“. Fraglos könnte diesem Satz ein „Es ist der Fall, dass …“
vorangestellt werden, wodurch er dem Kriterium genügen würde. Nun fällt aber sogleich auf, dass
dies auch einzeln für die beiden Satzbestandteile „Der Himmel ist blau“ und „Die Temperatur ist
angenehm“ gilt. Hier handelt es sich letztlich also um zwei Aussagen p und q, die in einem Satz
zusammensetzt und in diesem Fall durch „und“ verknüpft werden. Ein solcher Satz nennt sich
Konjunktion, wird manchmal p ∧ q oder p & q geschrieben, für uns & das zum Grundvokabular
gehörige Zeichen für die Konjunktion, das heißt und-Verknüpfung ist. Neben dem ¬ und dem &
gibt es noch ein paar weitere Konnektive, also Zeichen, die eine Aussage modifizieren, indem sie
28
sie negieren oder mit einer anderen Aussage verknüpfen.6 So können die Aussagen p und q auch
durch ein „oder“ verknüpft werden und bilden somit die Disjunktion p ∨ q. Ein weiteres
Konnektiv erzeugt das Konditional, also den Satz „wenn p dann q“, in dem p eine Bedingung
oder Kondition für q ist – wobei der Pfeil → für das „wenn-dann“ steht. Schließlich gibt es noch
das vor allem für die Logik, das Definieren und die Frage nach gleicher oder unterschiedlicher
Bedeutung nützliche Bikonditional, das den Satz „p dann und nur dann wenn q“ oder „p genau
dann wenn q“ bildet. In diesem Satz bedingen sich p und q gegenseitig. So könnte im Bikonditional
p ↔ q die Variable p für „Der Satz ist eine Aussage“ stehen und die Variable q für „Dem Satz
kann ‚Es ist der Fall dass …‘ vorangestellt werden“. Jetzt ergibt sich unsere Definition „Der Satz
ist eine Aussage genau dann wenn ihm ‚Es ist der Fall dass …‘ vorangestellt werden kann“.
Jetzt fehlt nur noch ein letztes Element im Grundvokabular der Aussagenlogik. Wenn nun
einfache Aussagen in beliebig komplexe Satzgefüge gebracht werden können, bedarf es Klammern,
um Haupt- und Nebensätze voneinander zu unterscheiden. Bei dem Satz „Wenn der Himmel blau
und die Temperatur angenehm ist, gehen wir ins Schwimmbad oder an den Strand“ handelt es sich
vornehmlich um ein Konditional, für das zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir ins
Schwimmbad oder an den Strand gehen können: (p & q) → (r ∨ s). Klammern werden verwendet,
um Zweideutigkeit auszuschließen, wobei Nebensätze beliebig geschachtelt in Klammern stehen.
Eine kleine Erweiterung des Beispiels verdeutlich dies: „Wenn der Himmel blau und die
Temperatur angenehm ist, gehen wir ins Schwimmbad oder setzen uns ins Auto und fahren an den
Strand“ wäre nun (p & q) → (r ∨ (s & t)). Hierzu lassen sich einfache Klammerregeln festlegen,
die vor allem dazu dienen, eine übersichtliche Rangordnung der Konnektive zu gewährleisten:
1) Das Hauptkonnektiv eines zusammengesetzten Satzes (immer nur eines!) ist nicht
eingeklammert;
2) wie im Beispiel (p & q) → (r ∨ s) sind die Konnektive der ersten darunter liegenden
Ebene (auch hier, immer nur jeweils eines) einfach eingeklammert;
3) mit jeder weiter darunter liegenden Ebene werden die Konnektive zweifach, dreifach,
vierfach eingeklammert – wie in diesem Beispiel das dreifach umklammerte
Konditional: p & (q ∨ ((¬r & (s → t)));
4) und wie sich aus dem letzten Beispiel auch schon ergibt, ist die Negation immer
eindeutig auf eine Aussage oder einen eingeklammerten Ausdruck bezogen und muss
daher nicht eigens eingeklammert werden: p → ¬(r v s).
Schauen wir das scheinbar komplizierteste Gebilde näher an: Als Ganzes handelt es sich bei dem
aus vier Aussagen zusammengesetzten Beispielsatz p & (q ∨ ((¬r & (s → t))) um eine Konjunktion,
die eine und-Verbindung herstellt zwischen p und einer Disjunktion von q einerseits, einer
6Auf den ersten Blick mag es merkwürdig erscheinen, dass auch das ¬ ein Konnektiv sein soll. Aber auch die Aussage
und ihre Negation stellen eine Verbindung dar, sodass durch ihre Zusammenfügung eine neue Gesamtheit entsteht,
nicht anders als wenn zwei Aussagen mit einem v verbunden werden.
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Konjunktion andererseits, wobei diese Konjunktion wiederum aus einer Negation und einem
Konditional besteht. Klingt kompliziert, sieht vielleicht auch kompliziert aus, ist es aber nicht: Die
Klammern zeigen den Weg vom nicht eingeklammerten Hauptkonnektiv zu den Neben- und
Nebennebensätzen: Ganz oben in der Hierarchie steht das &, auf der ersten untergeordneten
Ebene ∨, auf der zweiten &, auf der dritten →. Dieses kleine Regelwerk soll uns helfen, ansonsten
verwirrend komplexe Sätze zu entwirren, wie jedes Regelwerk hat es allerdings gelegentlich auch
lästige Folgen. Der Satz „Der Himmel ist blau, das Wetter ist angenehm und der Strand lockt“
besteht ganz einfach aus drei mit „und“ verbundenen Aussagen: p & q & r. Unser Regeln verlangen
nun aber, dass wir hier etwas willkürlich eine Klammer hinzufügen: p & (q & r) oder (p & q) & r
– wir brauchen immer (auch in jeder Klammer) ein einziges Konnektiv.
Nun haben wir eine vollständige Sprache, mit der unterschiedliche Satzbeziehungen und gültige
Schlussformen dargestellt werden können. p, q, r, s, … bilden unser aus Aussagen bestehendes
Grundvokabular. Die Konnektive ¬, &, ∨, →, ↔ erlauben uns, mit dem Grundvokabular
zusammengesetzte Sätze zu formulieren. Die Klammerregeln fungieren schließlich wie eine
Grammatik, die dafür sorgt, dass beliebig komplizierte Sätze korrekt gebildet werden und
nachvollziehbar bleiben. Hiermit lassen sich gültige Schlussformen wie modus ponendo ponens kurz
und knapp darstellen – wobei ab jetzt ein einfacher Strich die Auflistung der Prämissen von der
darunter stehenden Konklusion absetzt.
p→q
Hier haben wir nicht mehr nur ein Beispiel, das die Schlussform illustriert, und erzählen dazu, dass
auch jedes andere Argument mit dieser Form gültig ist. Stattdessen gibt es jetzt eine abstrahierte
Darstellung der Form und es ist ganz egal, welche Aussagen für p und q eingesetzt werden – das
Argument ist gültig, weil die Form gültig ist. Hier stand p nun für „Tanja tanzt“ und q für „Horst
tanzt“, aber für p lässt sich ganz absurd auch einsetzen „Das Atom ist blau“ und für q „Die
Hoffnung ist grün“: Wenn die Beziehungen zwischen diesen beiden Aussagen nun derart sind, dass
p → q gegeben ist und p angenommen wird, dann implizieren diese beiden vorgefundenen Sätze,
dass die Hoffnung grün ist.
Diese elegante, sparsame Darstellung kommt auch den anderen gültigen Schlussformen der
Aussagenlogik zugute:
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p→q
¬q
¬p
. p∨q
¬p
Ehe wir weitere Schlussformen der Aussagenlogik betrachten, muss noch ein Problem bedacht
werden, dass nämlich die wirkliche Allgemeinheit der gültigen Form immer noch nicht voll und
ganz zum Tragen kommt. Die Prämissen des modus ponendo ponens seien p → q und p, dann ist die
Konklusion p. Das Beispiel von Tanja und Horst passt hier genau: Nach dem zweiten Verfahren
dürfen wir sagen, dass dieses Argument gültig ist, weil es einer gültigen Schlussform entspricht.
Schon für das folgende Argument funktioniert dies aber nicht mehr:
Die erste Prämisse dieses Arguments vereinigt drei Aussagen: (p & q) → r, die zweite Prämisse
besagt, dass das Antezedens des Konditionals erfüllt ist: p & q. Dies impliziert die Konklusion r.
Ist dies nicht auch ein modus ponendo ponens, entspricht es nicht auch dieser gültigen Schlussform?
Solange p, q, r, s, … abkürzend für beliebige einzelne Aussagen stehen, ist p → q offensichtlich
etwas anderes als (p & q) → r.
Hier kommt nun die Idee einer Metasprache ins Spiel. Diese Sprache zeichnet sich dadurch
aus, dass ihre Ausdrücke nicht verwendet werden, um etwas auszusagen, dass sie vielmehr
objektsprachliche Ausdrücke nur erwähnt, beziehungsweise repräsentiert. Während p, q, r,
s, … der Objektsprache abkürzend für beliebige Aussagen darüber stehen, was der Fall oder nicht
der Fall ist, repräsentieren die metasprachlichen Ausdrücke φ, χ, ψ, … (phi, chi, psi, …) beliebige
Formeln der Objektsprache. φ (phi) steht somit für das p der aussagenlogischen Objektsprache, φ
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kann aber auch für p & q stehen oder für (p v q) & ¬r. Erst jetzt erhalten wir eine wirklich
allgemeine Darstellung der gültigen Schlussform:
(p & q) → r χ→ψ
p&q φ
∴
r χ
Während p, q, r abkürzend für Aussagen stehen (der Himmel ist blau, die Temperatur ist
angenehm, wir gehen ins Schwimmbad), stellen φ und χ die aussagenlogischen Formeln p & q und
r dar. Der modus ponendo ponens ist hiernach ein Argument, das einer metasprachlichen Form
entspricht, die aus der konditionalen Verknüpfung zweier Formeln besteht und als weitere
Prämisse die dem Antezedens entsprechende Formel enthält, was die in dem Konsequens des
Konditionals gegebene Formel impliziert. Und auch den Begriff der Implikation selbst symbolisiert
die Metasprache: ∴ („also“, „daher“, „somit“), was uns erlaubt, die Schlussform modus ponendo ponens
ganz unaufwändig aufzuschreiben: φ → χ, φ ∴ χ
Manche Logiker*innen und Philosoph*innen meinen demgemäß nun, dass eine formale Logik
schlussendlich allemal metasprachlich formuliert werden muss und dass die Metasprache
gewissermaßen die eigentliche Sprache der Logik sei. Insofern sie Satzbeziehungen untersucht,
bedürfe die Logik einer Sprache über die Sprache. Wir werden aber auch Anderen begegnen, die
die Notwendigkeit einer Metasprache grundsätzlich infrage stellen. Hier sei schon verraten, dass
dieses Buch auf der Seite der Zweifler steht: Die Logik ist viel zu einfach als dass sie einer
Metasprache bedürfte. Entsprechend selten oder nur um der Tradition Respekt zu zollen, werden
wir im Folgenden den Symbolen φ, χ, ψ und ∴ begegnen.
Hierfür jedoch soll die metasprachliche Ausdrucksweise gut sein, weitere gültige Schlussformen
aufzuschreiben, auf die sich das zweite Verfahren zur Prüfung deduktiv logischer Gültigkeit
beziehen kann.
32
Liste gültiger aussagenlogischer Schlussformen
33
Die Gültigkeit dieser Schlussformen ist leicht erkennbar. Im Zweifelsfall kann der Versuch
unternommen werden, sich mit Hilfe des ersten Verfahrens auch nur ein einziges Gegenbeispiel
auszudenken, in dem die Prämissen gelten und die Konklusion verneint wird. Anders sieht es mit
einer Reihe von ihrerseits namhaften „Fehlschlussformen“ aus. Hier lässt sich mit Hilfe eines
Gedankenexperiments allemal ein Gegenbeispiel finden, sodass die Prämissen die Konklusion
gerade nicht implizieren und kein deduktiv gültige Folgebeziehung besteht:
¬q Der Himmel ist nicht mit Wolken (q & s) Ich steige aus und biete nicht
bedeckt. höher als geplant.
34
Prädikatenlogik
Auch in der historischen Abfolge ist die nächste, umfassendere Sprache der Logik die so genannte
Prädikatenlogik. Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass sie eine Verbindung von Syllogistik
mit ihren Urteilsformen A, E, I, O und der Aussagenlogik mit ihren Konnektiven und Klammern
ist – und diese dann noch erweitert. Dies wird der Sache aber nicht gerecht, da die Prädikatenlogik
nicht von Urteilen ausgeht, in denen es um die Zu- und Unterordnung von Begriffen geht, was
eingeschlossen, was ausgeschlossen ist. Die Prädikatenlogik geht auch nicht von Aussagen aus, die
nur in der Feststellung bestehen, dass etwas der Fall ist oder nicht.
Die Prädikatenlogik beruht vielmehr auf einer Analyse zumindest indogermanischer Sprachen,
wonach die gewöhnlich aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehenden Sätze etwas tun. Das Verb
eines Satzes leistet etwas, was als Prädikation bezeichnet wird: Es bezieht das Objekt des Satzes
auf sein Subjekt. Das Verb kann mit einer mathematischen Funktion verglichen werden, die einer
Variablen einen Wert zuweisen – im einfachsten Fall so etwas wie „Die Farbe ist …“ wobei das
Verb „ist“ einen der Farbwerte „rot, gelb, grün, blau, usw.“ zuordnet. Der Satz entsteht durch
diesen Vorgang der Prädikation, wenn nämlich das funktionale Gerüst mit Namen oder
Bezeichnungen gefüllt wird. Hier ließe sich auch sagen: Die Prädikation erzeugt Relationen
zwischen Worten, die den Relationen zwischen bezeichneten Dingen entsprechen sollen.
Bei näherer Betrachtung lassen sich ein-, zwei- oder auch dreistellige Prädikate unterscheiden
werden. In dem Satz „Romeo kommt aus Verona“ lässt sich „… kommt aus Verona“ als ein
einstelliges Prädikat „jemand ist Veroneser“ formalisieren. Wenn nun Romeo das Individuum a
aus der Klasse von Objekten a,b,c ist, lässt sich die Individuenkonstante a mit dem Prädikat V
verbinden und Va schreiben. In dem Satz „Romeo liebt Julia“ ist „jemand lieb jemanden“ ein
zweistelliges Prädikat. Wenn Romeo und Julia zwei verschiedene Individuen aus der Klasse von
Objekten a,b,c sind, könnten wir Lab schreiben. In dem Satz „Romeo schenkt Julia einen
Blumenstrauß“ ist „jemand schenkt jemandem etwas“ ein dreistelliges Prädikat. Wenn Romeo,
Julia, ein Blumenstrauß drei verschiedene Dinge aus der Klasse von Objekten a,b,c sind, können
wir Sabc schreiben.
Hieran zeigt sich bereits, dass die Prädikatenlogik differenzierter formalisieren kann als die
Aussagenlogik. Es deutet sich auch schon an, dass sich nun auch kompliziertere Sätze bilden lassen:
Nun kann die Prädikatenlogik noch mehr, indem sie wie die Syllogistik nicht nur Sätze über
konkrete Sachverhalte, sondern auch Allsätze und partikuläre Sätze bilden lässt.
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x (Px → Rx)
. Pa & ¬Ka
Das auf den Kopf gestellte A bedeutet also „für alle“ und das seitwärts gedrehte E bedeutet „es
gibt (wenigstens) ein“. Diese Zeichen werden als Quantoren bezeichnet, im Gegensatz zu den
Individuenkonstanten a,b,c sind x,y,z nun Individuenvariablen – wobei die Konstanten den
spezifischen Werten entsprechen, die die Variablen annehmen können. Die Bejahung des „alle“
und die Verneinung des „es gibt ein“ entspricht den aus dem logischen Quadrat bekannten
Allsätzen A und E: x (für alle x gilt) und ¬x (für kein x gilt). Und deutlicher noch als im
logischen Quadrat steht der partikuläre Satz I in einem kontradiktorischen Verhältnis zu E, und
der partikuläre Satz O im Widerspruch zu A: „Es gibt ein Ding x : x“ widerspricht dem Allsatz
„Es gibt kein Ding x : ¬x“; und „Für manche Dinge x gilt nicht : ¬x“ widerspricht dem Allsatz
„Für alle Dinge x gilt : x“.
Aber selbst wenn wir mit partikulären Sätzen sagen, dass es manche Dinge gibt und andere
nicht, ist das immer noch eine allgemeine Redeweise darüber, was in dem x,y,z umfassenden
Gegenstandsbereich vorkommt. Davon unterscheidet sich das Reden über besondere, konkrete,
im Individualfall vorkommende a,b,c.7 So stellten wir beispielsweise über einen gewissen Romeo
fest, dass wenn er Veroneser ist und er Julia liebt, er ihr dann einen Blumenstrauß schenkt. Nun
mag es sein, dass dieser besondere Fall, einer allgemeinen Regel entspricht:
7 Im Gegensatz zur obigen Einführung in die aussagenlogische Sprache bleibt diese Kurzdarstellung der sehr viel
aufwändigeren Prädikatenlogik unvollständig. Beispielsweise bleibt offen, wie ein Gegenstandsbereich oder universe of
discourse definiert wird. Darüber hinaus werden hier keine Regeln für die grammatikalisch richtige Bildung
prädikatenlogischer Sätze angegeben, wobei vielleicht unmittelbar einsichtig ist, dass es den Ausdruck x (Pa) nicht
geben kann, weil er die Ebenen des Konkreten (Individuenkonstanten) und Allgemeinen (Individuenvariablen)
vermischt.
36
Hier wäre nun die Feststellung über Romeo ein Spezialfall des mit Quantoren formulierten
allgemeinen Satzes. Auch wenn dies hier nicht im Detail gezeigt werden kann, ist (Va & Lab) ->
Sabc eine konkrete Instanz, Exemplifikation oder logische Folge des penibel ausbuchstabierten
Allgemeinsatzes x y z [((Vx & Py) & Lxy) -> (Sxyz & Bz)]. Tatsächlich bietet die
Prädikatenlogik eine ganz Reihe weiterer gültiger Schlussformen, die sich aussagenlogisch nicht
formulieren lassen:
Ma
. x (Mx)
x (Mx)
x (Mx)
x (Mx → Sx)
x (Mx → Sx)
Von diesen neu hinzugekommenen, nach dem ersten Verfahren per Gedankenexperiment leicht
prüfbaren deduktiv gültigen Schlussformen ist die erste besonders instruktiv. Hier ist es nämlich
ein besonderer Fall, der eine allgemeinere Feststellung impliziert. Das ist darum wichtig, weil
manche Darstellungen irreführend definieren, der deduktiven Logik ginge es um Schlüsse vom
Allgemeinen auf das Besondere.
Zuletzt sei noch eine prädikatenlogische Schlussform genannt, die das philosophische Problem
der „existenziellen Implikation (existential import)“ aufwirft. Was im logischen Quadrat als
Unterordnung oder Subalternation bezeichnet wird, besagt ja, dass das, was für alle Objekte eines
Gegenstandsbereichs gilt, auch für die einzelnen Objekte eines Gegenstandsbereichs gelten muss.
x (Mx → Sx)
Tatsächlich argumentieren wir intuitiv ja so: „Wenn alle Menschen sterblich sind, dann ist es
natürlich auch jeder besondere Mensch, einschließlich diesem hier“. Entsprechend: „Wenn alle
Einhörner genau ein Horn haben, dann hat natürlich auch jedes besondere Einhorn genau ein
Horn, einschließlich diesem hier“. Irgendetwas stimmt hier aber nicht. Wir bestreiten nicht, dass
Menschen sterblich sind, und auch nicht, dass Einhörner genau ein Horn haben. Aber folgt daraus
37
etwas für einzelne Einhörner, da es Einhörner bekanntlich gar nicht gibt? Insofern wir eine
Schlussform nicht für gültig halten, wenn die Prämisse bejaht werden kann und die Konklusion
verneint werden muss, müssten wir diesen eigentlich ganz plausiblen Übergang von allen
sterblichen Menschen auf jeden einzelnen aus unserem Katalog gültiger Schlüsse herausnehmen.
Insofern wir diese Schlussform aber weiterhin für gültig halten wollen, bräuchten wir einen
Mechanismus oder Schutzwall, der verhindert, dass die Definition des Einhorns auch schon die
Existenz von Einhörnern impliziert. Wie soll das aber gehen?8
So interessant dieser philosophische Streitpunkt auch sein mag, er kann nicht ablenken von
dem Befund, dass unter den hier behandelten Sprachen der formalen Logik die Prädikatenlogik
besonders ausdrucksstark ist. Insofern sie aber deutlich komplizierter ist als die Aussagenlogik,
bleibt sie im Hintergrund, während sich dieses Buch vor allem der Sprache der Aussagenlogik
bedient.
Syllogistik, Aussagenlogik, Prädikatenlogik – das ist erst die Spitze des Eisbergs, wenn wir uns die
heutige vor allem auch mathematische Logik anschauen: Intuitionistische Logik, Modallogik,
Quantenlogik, „fuzzy logic“ sind einige der bekannteren Varianten, die in diesem Buch nicht
behandelt, allenfalls, wie eben gerade, beiläufig erwähnt werden. (Nur die Dialogische Logik wird
in diesem Kapitel noch ausführlicher vorgestellt.)
Auch wenn es anders klingen mag, ist „intuitionistische“ und „fuzzy“ Logik für den
menschlichen Geist in etwa so herausfordernd, wie es die vierdimensionale Geometrie ist. So wie
wir in Fragen der Geometrie nur schwer aus dem Schuhkarton des euklidisch dreidimensionalen
Raums herauskommen, so schwer fällt es auch, eine zwar umfassendere, weniger
voraussetzungsreiche Logik zu begreifen. Intuitionistische Logik ist nicht etwa intuitiv einsichtig,
sondern geht davon aus, dass mathematische und logische Gegenstände durch Intuition oder
unmittelbare Setzung überhaupt erst entstehen, also nicht etwas quasi-natürlich Gegebenes sind.
Gewisse Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Argumentierens können hier nicht vorausgesetzt
werden, was das formale Geschäft der Logik aber eher noch verkompliziert.
Wie im Fall der drei- oder vierdimensionalen Geometrie eröffnet die erweiterte oder alternative
Sichtweise insbesondere der Modallogik eine philosophisch aufschlussreiche Perspektive. An die
Stelle der behauptenden Aussagen „Es ist der Fall, dass …“ oder „Es ist nicht der Fall, dass …“
treten in der Modallogik die qualifizierten Aussagen „Es ist möglicherweise der Fall, dass …“, „Es
ist wirklich der Fall, dass …“ und „Es ist notwendigerweise der Fall, dass …“ Die
aussagenlogischen Schlussformen machen nun nur einen Ausschnitt dessen aus, was in der
8
Wir könnten ein Verbot formulieren, das den unmittelbaren Übergang verhindert von einer definitorischen
Feststellung wie „Einhörner haben ein Horn“ zu einem quantifizierenden Satz wie „Alle Einhörner haben ein Horn“.
Demnach soll das Quantifizieren nur dann möglich sein, wenn es auch Dinge gibt, die quantifiziert werden können.
Nur auf der Grundlage von (Ex → Hx) und x (Ex) dürfen wir hiernach x (Ex → Hx) überhaupt annehmen. Wenn
dies dann aber gegeben ist, erhalten wir ganz selbstverständlich die Implikation x (Ex & Hx). Wer weiß, welche
Schwierigkeiten wir uns mit diesem Verbot aber einhandeln – wie, wann, was soll die Prädikatenlogik mithilfe von
Individuenvariablen als nicht quantifizierende definitorische Feststellung darstellen? Hier verbirgt sich harte Arbeit
und manche Debatte für die Logik und Sprachphilosophie.
38
Modallogik nicht nur assertorisch (behauptend), sondern auch problematisch (im Bewusstsein
der Möglichkeit) und apodiktisch (mit unbestreitbarer Notwendigkeit) geurteilt werden kann.
Hiermit soll die bloße Erwähnung anderer Logiken enden, zu denen auch noch Bereichslogiken
wie die Quantenlogik oder eine Logik genetischer Schaltkreise treten. Nicht alle sind von
grundlegendem Interesse, viele erweisen ihren Nutzen durch Anwendbarkeit in bestimmten
Problemzusammenhängen, weswegen wir ihnen hier nicht nachgehen müssen. Im Verhältnis
allerdings zu unserem „natürlichen“ Denken und Sprechen – wie im Vergleichsfall unserer
„natürlichen“ dreidimensionalen Raumvorstellung – ist vor allem von Bedeutung, dass es diese
Vielfalt überhaupt gibt und keine Logik Vorrang vor den anderen reklamieren kann.
39
Übungsaufgaben
1. Vervollständige zu dem Satz „Alle Eichhörnchen sind braun.“ ein logisches Quadrat.
2. Um welche Art von Urteil (A, E, I, O) handelt es sich bei der Aussage „Nicht alle Vögel können fliegen.“?
3. Was unterscheidet eine Aussage von anderen Satzarten? Überlege dir Beispiele für Aussagen und für Sätze, die keine
Aussagen sind.
4. Welche der folgenden Sätze sind auch eine Aussage? Warum? Und spannender noch: welche sind es warum nicht?
5. Wie unterscheiden sich die beiden Aussagen inhaltlich und welches ist das Hauptkonnektiv?
i. (Die Sonne scheint oder ich gehe nicht spazieren) und trinke einen Tee.
ii. Die Sonne scheint oder (ich gehe nicht spazieren und trinke einen Tee).
Warum brauchen wir in der Alltagssprache normalerweise keine Klammern und schaffen es trotzdem, meistens so
verstanden zu werden, wie wir es meinen? Wie würden wir die beiden Aussagen im Alltag so ausdrücken, dass der
Unterschied deutlich wird?
6. Modelliere die folgende Aussage möglichst feinteilig in der Sprache der Aussagenlogik. Halte fest, welche Teilaussage
mit welchem Buchstaben identifiziert wird. Achte auf die Klammern!
Es ist Herbst und die Rückstauklappe funktioniert oder wenn es stark und lange regnet und die Kanalisation
deswegen übervoll ist, dann laufen einige Keller voll.
7. Modelliere die folgenden Aussagen in der Sprache der Prädikatenlogik. Gib an, mit welcher Variablen du welche
einfache Aussage codierst.
9. Gibt es einen Unterschied zwischen den Sätzen „Einhörner haben ein Horn.“ und „Alle Einhörner haben ein
Horn.“? Versuche das philosophische Problem zu erklären, mit dem wir es hier zu tun haben.
10. Welche Satztypen lassen sich mit der Aussagenlogik schlecht darstellen, mit der Prädikatenlogik aber besser?
Überlege dir ein Beispiel.
11. Überlege dir Beispiele, in denen natürlichsprachliche Signalwörter (z.B. weil, aber, trotz) unterschiedlich zu
verstehen (und zu formalisieren) sind.
40
4. Natürlich und künstlich
Analyse
Im 20. Jahrhundert entstand eine Teilung der Philosophie in zwei feindliche Lager, die sich in den
letzten Jahren glücklicherweise wieder versöhnen konnten. Da war einerseits die „analytische“
Philosophie, die in England entstand, sich englischsprachig internationalisierte und auf Logik und
Sprache bezogen ist. Da war andererseits auf dem westeuropäischen Festland die „kontinentale“
Philosophie mit ihrer metaphysischen, ontologischen, phänomenologischen Ausrichtung. Dabei
geht das „analytisch“ der „analytischen Philosophie“ auf die Idee einer logischen Analyse der
Sprache zurück, bezieht somit Stellung in der Streitfrage nach dem Verhältnis von Logik und
Sprache. „Logische Analyse der Sprache“ heißt nämlich, dass die Logik so etwas wie eine
Elementargrammatik oder Tiefenstruktur der natürlichen Sprachen freilegt. Dabei führt die
Analyse unserer Umgangssprache auf ein Skelett von Elementarsätzen oder Gedanken, das im
täglichen Sprachgebrauch ausgeschmückt und eingekleidet, somit aber auch verschleiert wird.
So wie die Naturwissenschaft die molekularen und atomaren Strukturen aufsuchen, die
gewissermaßen „hinter“ den äußeren Erscheinungen der Dinge liegen, so soll hiernach die Logik
die Strukturen aufdecken, die „hinter“ der sprachlichen Oberfläche liegen. Und so wie ich eine
chemische Reaktion zunächst wahrnehme und beschreibe, dies dann aber in eine
Reaktionsgleichung „übersetzen“ kann, so sollte es möglich sein, die oft zweideutigen,
unbestimmten, vagen Ausdrücke der Umgangssprache in die reine Formensprache der Logik zu
übersetzen. Hiernach ist die Abfolge von der Syllogistik über die Aussagenlogik hin zur
Prädikatenlogik eine Geschichte des unaufhaltsamen wissenschaftlichen Fortschritts – von
einfachen, aber ärmeren Sprachen zu komplexeren, erweiterbaren Sprachen, die darum reicher
erscheinen, weil sie der Differenziertheit unserer Umgangs- und Schriftsprache näherkommen. Es
scheint nur eine Frage des Aufwands, um schließlich auch die gültige Folgebeziehung von „Anna
ist klüger als Otto“ und „Otto ist dümmer als Anne“ formal darstellen zu können.
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Der Philosoph, Mathematiker und Logiker Gottlob Frege gilt als ein Gründungsvater der
analytischen Philosophie – und er bietet ein praktisches Beispiel dafür, was logische Analyse und
sogar „Übersetzung“ für die Leser*innen philosophischer Texte leisten kann. In seinem Aufsatz
„Der Gedanke“ formuliert er ein ehrgeiziges Programm für die philosophische Logik. Gegenstand
der Logik seien nicht empirische Gegebenheiten der physischen Außenwelt, aber auch nicht etwa
das Meinen und Denken unserer inneren, psychologischen oder mentalen Vorstellungswelt.
Gegenstand der Logik seien vielmehr Gedanken, deren Geltung nicht davon abhängt, ob sie
tatsächlich gedacht werden oder nicht. Der Satz des Pythagoras wäre so ein Gedanke – er ist
„zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgendjemand ihn für wahr hält“.9 (Aufmerksame Leser
werden sich übrigens erinnern, dass auch die Bestimmung der Logik als Untersuchung objektiv
gegebener Satzbeziehungen darauf zielte, vom Denken, Meinen und Sagen abzusehen. In dieser
Hinsicht zumindest besteht eine offenbare Übereinstimmung mit Gottlob Freges Ansichten.)
Für Freges Programm ist ganz offenbar wichtig, dass es möglich ist, über die menschliche
Vorstellungswelt hinauszugehen. So stoßen wir auf diese Darlegung:
„Entweder der Satz ist falsch, dass nur das Gegenstand meiner Betrachtung sein kann, was meine
Vorstellung ist; oder all mein Wissen und Erkennen beschränkt sich auf den Bereich meiner
Vorstellungen, auf die Bühne meines Bewusstseins. In diesem Falle hätte ich nur eine Innenwelt,
und ich wüsste nichts von andern Menschen.“
Dies ist dicht formuliert. Hier wäre es hilfreich, die Struktur des Arguments mittels logischer
Analyse freizulegen. Die Aussagenlogik befähigt uns dazu. Hierzu müssen nur die einzelnen
Aussagen identifiziert werden, die in der Textpassage vorkommen und in einer Folgebeziehung
zueinanderstehen. Dabei müssen wir darauf achten, dass jeder Aussage „es ist der Fall, dass“
vorangestellt werden kann und dass in einfachen Aussagen kein „und“, „oder“, „wenn/dann“ oder
„nicht“ vorkommen darf. In einem zweiten Schritt werden mit Hilfe der Konnektive aus den
einfachen Aussagen die dem Text entsprechenden zusammengesetzten Aussagen erzeugt, werden
Prämissen und Konklusion kenntlich gemacht.
Entweder der Satz ist falsch, dass nur Aussagen: Freges Argument:
das Gegenstand meiner Betrachtung
sein kann, was meine Vorstellung ist; p: Alle Gegenstände der Betrachtung ¬p v q
oder all mein Wissen und Erkennen sind Vorstellungen.
q → (r & ¬s)
beschränkt sich auf den Bereich q: Alles Wissen und Erkennen
meiner Vorstellungen, auf die Bühne beschränkt sich auf den Bereich s
meines Bewusstseins. In diesem Falle meiner Vorstellungen.
hätte ich nur eine Innenwelt, und ich ¬p
wüsste nichts von andern Menschen. r: Ich habe nur eine Innenwelt.
s: Ich weiß von andern Menschen.
9 Unsere Alltags- und Umgangssprache erfasst Gedanken und kleidet sie ein. Darin sieht Frege eine Schwierigkeit und
Herausforderung für die Philosophie: „Ich bin hier nicht in der glücklichen Lage eines Mineralogen, der seinen
Zuhörern einen Bergkristall zeigt. Ich kann meinen Lesern nicht einen Gedanken in die Hände geben mit der Bitte,
ihn von allen Seiten recht genau zu betrachten. Ich muß mich begnügen, den an sich unsinnlichen Gedanken in die
sinnliche sprachliche Form gehüllt dem Leser darzubieten. Dabei macht die Bildlichkeit der Sprache Schwierigkeiten.
Das Sinnliche drängt sich immer wieder ein und macht den Ausdruck bildlich und damit uneigentlich. So entsteht ein
Kampf mit der Sprache“.
42
Nicht oft ist es so leicht, ein philosophisches Argument in die Schreibweise der Aussagenlogik zu
überführen. Und doch müssen wir uns hier schon fragen, inwiefern es sich dabei um eine
Übersetzung handelt. So ist der Ausdruck „auf der Bühne meines Bewusstseins“ unübersetzt
geblieben, wurde als bloße sprachliche Ausschmückung von „Bereich meiner Vorstellungen“
vernachlässigt. Aber es ist auch etwas hinzugekommen: Die dritte Prämisse und die Konklusion
des Arguments finden sich nicht im Ausgangstext, jedenfalls nicht explizit. Sie wurden ergänzt,
stellen sich dem verständigen Lesen als implizit vorausgesetzter Gemeinplatz und als implizit
gesetzte Stoßrichtung oder Pointe des Arguments dar. Somit wäre die aussagenlogische
Formulierung des Arguments ohne die Kunst des Lesens nicht gelungen oder zumindest
unvollständig geblieben.
Nun kann sich erweisen, wozu diese ganze Prozedur der „Übersetzung“ gut ist. Für die
Philosophie, das Recht, aber auch die theologische Hermeneutik ist sie ein Instrument, um Texte
kritisch zu hinterfragen: Ist das Argument gültig, ist diese Handlung vertragskonform, ist dieser
Gottesbeweis überzeugend? Bei einer derartigen kritische Untersuchung eines Texts spielt aber
nicht nur eine Rolle, ob die aussagenlogische Formulierung einer deduktiv gültigen Folgebeziehung
entspricht. Auch wenn wir das mit den ersten beiden Verfahren noch nicht nachweisen können,
wäre dies bei Freges Argument gegeben. Für die kritische Analyse des Fregeschen Texts ist jedoch
von ebenso großer Bedeutung, dass wir die Prämisse „s“ ergänzen mussten. Haben wir das richtig
gemacht, nimmt Frege das wirklich an, ist diese stillschweigende Vorannahme Freges womöglich
der wunde Punkt seines Arguments? So hilft die logische Analyse dem kritischen Verstehen,
Annahmen kenntlich zu machen, unterschiedliche Interpretationen auszuprobieren.
An einer Passage aus Freges Text haben wir nun Freges Pointe vorgeführt: Mittels
aussagenlogischer Analyse ließ sich ein Gedanke aus seinem Text herauspräparieren und einer
Prüfung zuführen. Der Wissenschaftstheoretiker Rudolf Carnap gab diesem Ansatz eine weitere
Wendung: Dort wo es der logischen Analyse gelingt, einen Gedanken herauszuarbeiten, haben wir
es mit einem gehaltvollen Text zu tun, wo sie jedoch scheitert, da war auch nichts Sinnvolles, was
sich hätte diskutieren lassen. In anderen Worten: Wenn ein natürlichsprachlicher Satz nicht
aussagen- oder prädikatenlogisch reformuliert werden kann, dann handelt es sich nicht wirklich um
einen Satz, sondern nur um einen Scheinsatz. Solche Scheinsätze verführen gerne zu einem
philosophischen Denken, das dann aber nicht mit einem Problem, sondern einem Scheinproblem
befasst ist – wobei sich zeigt, dass große Teile der Philosophie nur aus Scheinproblemen besteht.
Wiederum erbringt die philosophische Analyse den Nachweis hierfür, jetzt aber, indem sie den
Konstruktionsfehler des Problems aufzeigt.
In seinem Aufsatz „Die Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“
nimmt sich der analytische Philosoph Carnap den kontinentalen Philosophen Martin Heidegger als
Zielscheibe, vermutlich weil auch Heidegger die Überwindung der Metaphysik anstrebt, wenn auch
mit ganz anderen Mitteln. Carnaps Aufsatz ist heute noch lesenswert und lässt bei aller Kritik auch
eine Wertschätzung Heideggers erkennen. Statt einer Zusammenfassung wird hier nur am Beispiel
der Nominalisierung oder Substantivierung gezeigt, wie sich ein augenscheinlich ganz normaler
Satz der deutschen Sprache als Scheinsatz entlarvt, der dann zu metaphysischen Scheinproblemen
der Philosophie führt.
43
Der Stuhl ist hart. Prädikation: empirische Fragen:
Der Himmel ist blau. Das Verb entspricht einer Stimmt das? Nach welchen
mathematischen Funktion, Kriterien?
In dem Haus leben 5 Personen. indem es ein Prädikat auf ein
Der Blitz verursacht das Feuer. grammatisches Subjekt bezieht.
44
Modellierung
Das philosophisch ehrgeizige und provokative Programm der logischen Analyse geht davon aus,
dass mit den Mitteln der Aussagen- oder Prädikatenlogik die elementare logische Struktur einer
sinnvollen Äußerung freigelegt wird - der vom Satz sprachlich eingekleidete Gedanke. In der
Auseinandersetzung mit der „kontinentalen“ Philosophie leistete sie sogar die Überwindung nicht
nur der Metaphysik durch die logische Analyse der Sprache.
Es gibt aber viele Gründe, dieses Programm in Frage zu stellen und das Verhältnis von
künstlichen und natürlichen Sprachen anders zu bestimmen.10 Sprachkritisch fungieren Aussagen-
oder Prädikatenlogik auch, wenn wir nicht von Übersetzung sprechen und auch nicht von
analytischer Freilegung der Strukturen, die gewissermaßen hinter den sprachlichen Äußerungen
stehen, sondern auch wenn es stattdessen nur heißt, dass die natürlichsprachlichen Äußerungen
mittels der künstlichen Formalsprachen modelliert werden, wobei jedes Modell immer nur einseitig
einige Aspekte des modellierten Texts erfasst. Jede künstliche Sprache ist hiernach ein mehr oder
weniger mächtiges Darstellungssystem, das wie ein mehr oder weniger feinmaschiges Netz gewisse
Aspekte natürlichsprachlicher Argumente erfassen oder erschließen kann - somit nicht „übersetzt“,
sondern „formalisiert“ im Sinne von „in einer formalen Sprache modelliert“.
Wenn wir die Aussagen- und Prädikatenlogik als formale Darstellungssysteme auffassen, tritt
ein Unterschied zu den natürlichen Sprachen deutlich hervor: In den künstlichen Sprachen ist
mittels klarer grammatischer Regeln von vornherein entscheidbar, was ein zulässiger, wohl-
geformter Satz ist und was nicht. In unserer natürlichen Sprache lassen sich Sätze formulieren, die
ein Carnap als Scheinsätze betrachten würde, die als solche aber gar nicht kenntlich sind, die unserer
Verständigungsprozesse bedürfen, um als sinnvoll oder unsinnig zu gelten. Egal wie der
natürlichsprachige Text aussieht, besteht seine formale Modellierung immer aus wohlgeformten
Sätzen der künstlichen Sprache. Und auch dies: Egal wie die natürlichsprachigen Sätze gebildet
sind, werden sie von der Aussagenlogik immer nur als durch „und“, „oder“, „wenn-dann“ und
„nicht“ verbundene Aussagen repräsentiert. Desgleichen „sieht“ die Syllogistik nur viererlei Urteile
und „sieht“ die Prädikatenlogik nur Funktionen, die den Individuenkonstanten oder
Individuenvariablen etwas zuschreiben oder prädizieren.
10Der wichtigste Grund ist vermutlich, dass auch die beste „Übersetzung“ immer noch schlecht erscheint. Aber auch
das wichtigste Anwendungsfeld der logischen Analyse der Sprache ist weggebrochen. Zunächst erschien sie
unverzichtbar für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, der Spracherkennung, der Suchmaschinen, der
automatisierten Sportberichterstattung oder der Apps, die eine leserfreundliche Synopse aus allen wichtigen
Tageszeitungen erstellen. Inzwischen musste die logische Analyse aber statistischen Verfahren und selbst-lernenden
Algorithmen weichen, denen sich die jetzigen Erfolge von Übersetzungssoftware, Expertensystemen, maschinellem
Lernen verdanken.
45
Anna ist klüger als Otto, also ist Otto dümmer als Anna.
Die Syllogistik oder Manch eine(r) ist klüger als Otto. Den beiden Urteilen fehlt ein
Urteilslogik sieht hier gemeinsamer Mittelbegriff, der sie
Manch eine(r) ist dümmer als Anna.
zwei Urteile der Form I. in Beziehung zueinander setzen
würde. Ein Syllogismus ist nicht
ersichtlich.
Die Aussagenlogik sieht p: Anna ist klüger als Otto. Dies ist eine aussagenlogische
hier zwei Aussagen. Modellierung, sie stellt aber keine
q: Otto ist dümmer als Anna. deduktiv gültige Folgebeziehung
dar. Wer andere Sätze für p und q
einsetzt, findet schnell ein
P
Gegenbeispiel.
q
Die Prädikatenlogik sieht Kxy: x ist klüger als y. Die Prädikatenlogik kann die
hier zwei Prädikationen gültige Folgebeziehung
und ihre reziproke Dxy: x ist dümmer als y. modellieren, weil sie die
Beziehung zueinander. a: Anna Bedeutung und das reziproke
Verhältnis der Prädikate „ist
b: Otto klüger als“ und „ist dümmer als“
als Voraussetzung ausformulieren
kann.
∀x ∀y (Kxy ↔ Dyx)
Kab
Dba
Wer sich – wie auch wir im weiteren – der Aussagenlogik als Darstellungssystem für die formale
Modellierung bedient, entscheidet sich dafür, mit einer einfachen, leicht überschaubaren
künstlichen Sprache zu arbeiten. Das erfordert einen beherzten Umgang mit natürlichsprachigen
Ausdrücken. „Obwohl mein Onkel Millionär ist, bin ich arm wie eine Kirchenmaus“ und
„Natürlich ist jetzt mein Onkel Millionär und ich immer noch arm wie eine Kirchenmaus“ – zwei
recht unterschiedliche Sätze, aber nur zwei durch „und“ verbundene Aussagen p und q: „Mein
Onkel ist Millionär und ich bin arm wie eine Kirchenmaus“. Oft ist auch Urteilskraft gefragt und
darf gestritten werden: Wann muss beispielsweise ein „weil“ in ein „und“, wann darf es in ein
„wenn-dann“ überführt werden? „Weil die Temperatur auf 100 Grad stieg, fing das Wasser an zu
kochen“ oder „Ich werde dick, weil der Kuchen immer so gut aussieht“ – sollen wir den ersten
Satz als [(p & q) & (p → q)] modellieren und belassen es beim zweiten Satz mit (p & q)? Schnell
stellt sich hier der Eindruck ein, dass die aussagenlogische Modellierung die Folgebeziehung nicht
darzustellen vermag: „Weil wir so unvernünftig sind, werden wir den Klimawandel nicht aufhalten
können.“ (Philosophisch gesprochen stoßen wir hier auch auf das Problem, dass mit „weil“ sowohl
Gründe als auch Ursachen benannt werden.)
46
[ÜBUNGSAUFGABEN]
47
Zwischenbilanz
Es gibt viele künstliche Sprachen der deduktiven Logik. So unterschiedlich sie sein mögen, ist ihnen
gemeinsam, dass sie deduktive Folgebeziehungen formal erfassen. Ob eine deduktive
Folgebeziehung gültig ist oder nicht, ist reine Formsache schon in der Syllogistik oder Urteilslogik,
die mit dem modus barbara oder modus ferison gültige Schlussformen identifiziert, auch ohne dafür
eine Formelsprache zu verwenden. Doch obwohl sich der Abstand zur Umgangssprache durch die
Variablen und Konstanten, die abkürzenden Symbole für Aussagen und Konnektive und die
metasprachlich griechischen Buchstaben erhöht, belohnt uns eine aufwändigere Formelsprache mit
einer nuancierten Modellierung natürlichsprachlicher Aussagen – das haben diese
Darstellungssysteme mit naturwissenschaftlichen Modellbildungen gemein.
So können wir nun also festhalten: Egal in welcher dieser Sprachen eine gültige Schlussform
wie modus barbara oder modus tollendo tollens modellhaft dargestellt wird, nach unserem zweiten
Nachweisverfahren ist jeder Schluss ist gültig, der dieser Schlussform entspricht – somit auch jedes
umgangssprachliche Argument, dessen beispielsweise aussagenlogische Modellierung dieser
Schluss entspricht. Und wenn wir fragen, was damit gemeint ist, gehen wir noch einen Schritt
zurück: Bei einer gültigen Folgebeziehung gewährleisten die Prämissen die Konklusion, führt die
Annahme der Prämissen zuverlässig auf die Anerkennung der Konklusion. Dass die deduktive
Logik und die gültigen Schlussformen eine Ableitung gewährleisten, ergibt das erste
gedankenexperimentelle Verfahren: Wir können uns kein Gegenbeispiel ausdenken, wonach wir
beliebige, in eine Schlussform eingepasste Prämissen annehmen und die der Schlussform
entsprechende Konklusion verneinen können. Ob modus ponendo ponens, ein disjunktiver Schluss
oder doppelte Verneinung – für kein spezifisches Argument dieser Formen lässt sich ein
Gegenspeispiel finden, nicht einmal ein ausgedachtes.
Nun wissen wir aber auch schon, sahen es zuletzt bei Freges Argument, dass nicht jede
Folgebeziehung einer bekannten Schlussform entspricht. Das zweite Verfahren zum Nachweis der
Gültigkeit bietet zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium: Wenn ein Argument
diesem Kriterium entspricht, ist das ein hinreichender Grund, es definitiv als deduktiv gültig zu
erachten, aber es ist damit nicht gesagt, dass es darüber hinaus nicht noch viele weitere gültige
Argumente gibt. Und unsere Vorstellungskraft ist nicht gut genug, um auch komplexe Argumente
dem Gedankenexperiment zu unterwerfen. Hier muss nun also weitergedacht werden, bedarf es
weiterer Verfahren zur Untersuchung von Folgebeziehungen und zum Nachweis ihrer deduktiven
Gültigkeit.
48
5. Ableitung im Kalkül
Ein sehr kleiner Schritt führt von unserem zweiten Verfahren zu einem dritten, sehr viel
mächtigeren. Auch sein Grundgedanke ist einfach: Wenn ein Argument zu komplex ist, um auf
einmal und als Ganzes auf seine Gültigkeit hin geprüft zu werden, dann geht es vielleicht
schrittweise, indem wir die Übergänge von den Prämissen zur Konklusion einzeln aufzeigen und
prüfen. Und wenn wir schrittweise, in kleinen Schritten vorgehen wollen, worin bestehen dann die
einzelnen Schritte? Die uns schon bekannten gültigen Schlussformen gewährleisten einen gültigen
Übergang nicht nur von Prämissen zu Schlussfolgerungen, sondern auch von Zwischenergebnissen
zu Zwischenergebnissen in einer längeren Argumentationskette. Wir sagen also einfach: Wir
nehmen die uns bekannten Schlussformen als Schlussregeln, um uns Schritt für Schritt von den
Prämissen zur Konklusion vorzuarbeiten. Und wie beim Rechnen: wenn wir die Schritte nur klein
genug machen, sind wir auf der sicheren Seite und kann sich kein Fehler einschleichen. Das ist eine
großartig einfache, aber auch verführerische Idee: Sobald wir ein System erstellen, ein Kalkül
entwickeln, in dem wir Folgebeziehungen effektiv nachweisen können, stellt sich auch die
Überzeugung sein, wir hätten es hier mit einer ganz eigenen Wissenschaft zu tun, die nicht nur
Nachweise erbringt, sondern auch Rechtfertigungen liefert. Ob diese Überzeugung allerdings
haltbar ist und ob die Logik ihrerseits eine Wissenschaft sein kann, werden wir hinterfragen,
nachdem wir uns mit dem Verfahren einer Ableitung im Kalkül vertraut gemacht haben.
Eine Folgebeziehung ist deduktiv gültig, wenn die Gesamtheit der Prämissen die Konklusion impliziert,
wenn unter Annahme der Prämissen die Konklusion zwingend anerkannt werden muss, also:
wenn der Versuch scheitert, ein Gegenbeispiel zu konstruieren (erstes Verfahren),
wenn ein Argument die Form einer aussagenlogisch gültigen Schlussform hat (zweites Verfahren),
wenn sich die Konklusion nach anerkannten Schlussregeln im aussagenlogischen Kalkül ableiten
oder berechnen lässt (drittes Verfahren).
Wir sind bisher zwei Argumenten begegnet, deren deduktive Gültigkeit wir mit den ersten beiden
Verfahren noch nicht nachweisen konnten – das Argument von der Kugelbahn und das Fregesche
Argument aus dem letzten Abschnitt.
49
Die Kugelbahn Freges Argument
Prämissen: p: Die Kugel kullert. Prämissen: p: Es gibt nur
Wenn die Kugel kullert, Entweder der Satz ist falsch, unsere
kommt sie ans Ziel oder q: Die Kugel kommt dass es nur unsere Vorstellungswelt.
gerät aus der Bahn. ans Ziel. Vorstellungs-welt gibt; oder all
q: Mein Wissen
Ein Alarm wird ausgelöst, r: Die Kugel gerät aus mein Wissen und Erkennen
beschränkt sich auf den beschränkt sich
falls die Kugel aus der der Bahn.
Bereich meiner Vorstellungen. auf meine
Bahn gerät. s: Ein Alarm wird Vorstellungen.
Das Baby wacht auf, ausgelöst. In diesem Falle wüsste ich
nichts von anderen Menschen. r: Ich weiß von
wenn der Alarm t: Das Baby wacht auf. anderen
ausgelöst wird. Ich weiß aber von anderen Menschen.
Die Kugel kullert und das p → (q ∨ r) Menschen.
Baby wacht nicht auf. ¬p ∨ q
r→s Konklusion:
Konklusion: s→t Es ist nicht der Fall, dass es nur q → ¬r
Die Kugel kommt ans unsere Vorstellungswelt gibt. r
p & ¬t
Ziel.
q ¬p
Wenden wir uns zunächst Freges Argument zu und versuchen eine schrittweise Ableitung der
Konklusion aus den Prämissen. Dazu werden wir die Prämissen erst einmal hinschreiben müssen
und dafür brauchen wir in einem Kalkül bereits eine erste Regel, die uns eben dies erlaubt. Die
Regel Pr-I nennt sich „Prämisseneinführung“: Jederzeit kann eine beliebige Prämisse
aufgeschrieben werden, wichtig ist nur, dass sie als bloße Annahme kenntlich gemacht, sprich: dass
sie nummeriert wird und dass immer kenntlich bleibt, welche Ableitungen von ihr abhängig sein
werden. In diesem Fall haben wir drei Prämissen und erwarten, dass die Konklusion von eben
diesen drei Prämissen abhängt.
Abhängigkeit von mit Zeilen- Aussage Rechtfertigung: Regel, nach der die Aussage
Pr-I eingeführten An- nummer abgeleitet wurde unter Angabe der Zeile(n),
nahme(n) aus Zeile(n) auf die die Regel angewandt wurde
1 1 ¬p ∨ q Pr-I 1
2 2 q → ¬r Pr-I 2
3 3 r Pr-I 3
4 …
1,2,3 letzte ¬p
So lässt sich das Argument Freges erst einmal hinschreiben. Drei Zeilen brauchen wir, um drei
Prämissen anzunehmen und aufzuschreiben, was die Regel der Prämisseneinführung erlaubt. Diese
Regel wird auf die Zeile angewandt wird, in der die Prämisseneinführung auch stattfindet – die
Prämisse beruht auf sich selbst, ist eine Annahme, die von sich selbst abhängig ist. Ein paar Zeilen
später werden wir hoffentlich die Konklusion hinschreiben können, sie soll sich als Implikation
oder Ableitung aus eben diesen drei Prämissen ergeben und wird von diesen drei Prämissen
abhängig sein. Noch wissen wir aber nicht, ob es einen nahtlosen Übergang in der Schlusskette
gibt, der von den Prämissen auf die Konklusion führt. Wie finden wir nun diesen Übergang? Wer
sich im Ableitungskalkül und seinen Regeln schon auskennt und etwas Übung hat, wird strategisch
überlegen, was es braucht, um an die Konklusion zu gelangen. Wer sich nicht auskennt, kann
einfach ausprobieren, was die vorhandenen Regeln alles so erlauben – vielleicht führt das ja zum
Ziel. So unsystematisch das erscheinen mag, verfahren wir dabei mit dem sicheren Wissen, dass
wir nichts falsch machen können, solange wir uns an die Regeln halten.
50
Einige der wesentlichen Regeln im Kalkül des natürlichen Schließens
A (h) 𝜑
B (i) 𝜓
A, B (k) 𝜑&𝜓 &-I (h) (i)
51
Die schon bekannten Schlussformen, hieß es, können nun als Schlussregeln dienen. Wenn wir die
drei Prämissen betrachten und mit den uns zur Verfügung stehenden Regeln abgleichen, gibt es
nur eine Regel, die wir überhaupt anwenden können, und das ist die doppelte Verneinung. Mit
ihrer Hilfe können wir aus der Prämisse 3 ein ¬¬r ableiten – und erhalten somit die Verneinung
von ¬r.11 Das hilft uns weiter, legt wenigstens die Anwendung einer weiteren Schlussregel nahe.
Wie uns der schon bekannte modus tollendo tollens vorführt: Wenn eine Zeile im Kalkül ein
Konditional ist und in einer anderen Zeile das Konsequens dieses Konditionals verneint wird, so
impliziert dies die Verneinung des Antecedens. In diesem Fall ist ¬¬r die Verneinung des
Konsequens des Konditionals q → ¬r. Die dem modus tollendo tollens entsprechende Regel MT
erlaubt uns nun, die Implikation ¬q hinzuschreiben. Jetzt sind wir fast schon da, denn dieses auf
den Annahmen 2 und 3 beruhende ¬q ist die Verneinung eines der Disjunkte in der Aussage
¬p ∨ q. Jetzt müssen wir nur noch erkennen, dass so die Voraussetzung für einen disjunktiven
Schluss erfüllt sind: Steht in einer Zeile eine Disjunktion, in einer anderen Zeile die Verneinung
eines der Disjunkte, können wir in eine dritte Zeile das andere Disjunkt schreiben – und das wäre
in diesem Fall schon die gesuchte Konklusion.
So sieht dann nun also die gesamte Ableitung aus:
Die tabellenförmige Darstellung ermöglicht es, jede Aussage in jeder Zeile als Anwendung einer
Regel, bzw. Konklusion einer bekanntlich gültigen Schlussform zu rekonstruieren.
1. Die Aussage in Zeile 4 resultiert aus der Anwendung auf die Zeile 3 der Regel ¬¬-I zur
Einführung einer doppelten Verneinung – und ist somit von eben den Prämissen abhängig,
von der auch Zeile 3 abhängig ist.
2. Die Aussage in Zeile 5 resultiert aus der Anwendung der Regel MT modus tollens auf die
Zeilen 2 und 4 – und ist somit von all den Prämissen abhängig, von denen die Zeilen 2 und
4 abhängig sind.
3. Die Aussage in Zeile 6 resultiert aus der Anwendung der dem disjunktiven Schluss
entsprechenden Regel disj auf die Zeilen 1 und 5 – und ist somit von all den Annahmen
abhängig, von denen die Zeilen 1 und 5 abhängig sind.
11
Freilich ließen sich auch die Prämissen 1 oder 2 doppelt verneinen. Wenn wir nun schnurstracks auf die 3 zugehen,
dann weil wir den Verdacht haben, dass es hier am besten weitergeht. Mit ¬¬(¬p ∨ q) oder ¬¬(q → ¬r) können wir
nichts anfangen, die Verneinung des ¬r lässt sich aber auf die Aussage q → ¬r beziehen und erscheint darum
vielversprechend.
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Zeile 3 impliziert Zeile 4, die Zeilen 2 und 3 implizieren Zeile 5, die drei Prämissen aus Zeilen 1, 2
und 3 implizieren die Konklusion in Zeile 6. Quod erat demonstrandum – also ganz buchstäblich „was
zu zeigen war“, da unsere selbst gestellte Aufgabe darin bestand, die Argumentationskette
aufzuzeigen, die von den drei Prämissen auf die Konklusion führt.
So einfach ist das und verlangt nun nur noch recht viel Übung mit dem ganzen Regelwerk.
Ganz vollständig ist es noch nicht – wir werden es in den folgenden Abschnitten noch um einige
Tricks und Kniffe erweitern und die vorläufige Übersicht in Tabelle/Tafel xx wird später durch
eine vollständige Übersicht ersetzt.
Die Ableitung der Konklusion des Kugelbahn-Arguments ist etwas aufwändiger. Aber auch hier
kommen wir früher oder später gut ans Ziel.
So einfach ist das? Tatsächlich ist es leicht, angesichts eines irgendwie mathematisch
anmutenden Kalküls übermütig zu werden und auch der einfachen Aussagenlogik sehr viel
zuzutrauen. So hatte ja schon Frege davon gesprochen, dass die Logik einen ganz eigenen
Gegenstandsbereich hat, der weder zur empirischen Außenwelt, noch zur psychologischen
Vorstellungswelt gehört – nämlich die Gedanken. Sein Beispiel für einen Gedanken ist der Satz des
Pythagoras, also das berühmte a2 + b2 = c2 in rechtwinkligen Dreiecken. Ein Gedanke ist hiernach
auch, dass die Folgebeziehung φ → χ, φ ∴ χ deduktiv gültig ist. Die Logik wäre hiernach so etwas
wie eine Wissenschaft, die die Gedanken untersucht, darin den Naturwissenschaften ähnlich.
Zwar haben alle Wissenschaften Wahrheit als Ziel; aber die Logik beschäftigt sich noch in ganz anderer Weise
mit ihr. Sie verhält sich zur Wahrheit etwa so wie die Physik zur Schwere oder zur Wärme. Wahrheiten zu
entdecken, ist Aufgabe aller Wissenschaften: der Logik kommt es zu, die Gesetze des Wahrseins zu erkennen.
Man gebraucht das Wort „Gesetz“ ähnlich wie „Naturgesetz“ und meint dabei das Allgemeine im seelischen
Geschehen des Denkens. Ein Denkgesetz in diesem Sinne wäre ein psychologisches Gesetz. […] Um jedes
Mißverständnis auszuschließen und die Grenze zwischen Psychologie und Logik nicht verwischen zu lassen,
weise ich der Logik die Aufgabe zu, die Gesetze des Wahrseins zu finden, nicht die des Fürwahrhaltens oder
Denkens. (Frege, Der Gedanke)
Nun gehört zu einer Wissenschaft mehr als ein Gegenstandsbereich, über den Aussagen getroffen,
Gesetze formuliert werden können. Zur Wissenschaft gehören auch akzeptierte Methoden
einerseits, eine technische Fachsprache andererseits. Auch hier haben wir anscheinend nun alles zu
bieten: Da ist erst einmal ein Kalkül, in dem wir die Konklusion aus den Prämissen errechnen und
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somit auch rechtfertigen können, dass diese Konklusion tatsächlich aus den Prämissen ableitbar
ist. Da ist zweitens nicht nur die abkürzende Notation mit deren Hilfe wir natürlichsprachliche
Aussagen durch Variablen ersetzen, sondern auch eine Metasprache für die allgemeine Darstellung
von Folgebeziehungen und die „gesetzliche“ Formulierung deduktiv gültiger Folgebeziehungen.
Die bedeutenden Mathematiker David Hilbert und Wilhelm Ackermann weisen 1928 mit gewissem
Stolz darauf hin:
Die theoretische Logik, auch mathematische oder symbolische Logik genannt, ist eine Ausdehnung der
formalen Methode der Mathematik auf das Gebiet der Logik. Sie wendet für die Logik eine ähnliche
Formelsprache an, wie sie zum Ausdruck mathematischer Beziehungen schon seit langem gebräuchlich ist.
[…] Was durch die Formelsprache in der Mathematik erreicht wird, das soll auch in der theoretischen Logik
durch diese erzielt werden, nämlich eine exakte, wissenschaftliche Behandlung ihres Gegenstandes. Die
logischen Sachverhalte, die zwischen Urteilen, Begriffen usw. bestehen, finden ihre Darstellung durch
Formeln, deren Interpretation frei ist von den Unklarheiten, die beim sprachlichen Ausdruck leicht auftreten
können. Der Übergang zu logischen Folgerungen, wie er durch das Schließen geschieht, wird in seine letzten
Elemente zerlegt und erscheint als formale Umgestaltung der Ausgangsformeln nach gewissen Regeln, die
den Rechenregeln in der Algebra analog sind; das logische Denken findet sein Abbild in einem Logikkalkül.
Dieses Kalkül macht die erfolgreiche Inangriffnahme von Problemen möglich, bei denen das rein inhaltliche
Denken prinzipiell versagt. (Hilbert/Ackermann, Grundzüge der Theoretischen Logik)
Auf das „inhaltliche Denken“ haben wir uns in unserem ersten Verfahren zum Nachweis von
Gültigkeit gestützt. Da waren wir gefordert, uns ein Gegenbeispiel auszudenken, also einen Fall, in
dem wir Prämissen annehmen und die Konklusion verneinen. Damit können komplexere
Probleme „auf dem Gebiet der Logik“ jedoch nicht in Angriff genommen werden. Zwei Beispiele
haben jetzt gezeigt, dass die gültigen Folgebeziehungen auch schwer überschaubarer Argumente
aufgewiesen werden können – dabei dient der Nachweis der Folgebeziehung auch als
Rechtfertigung. Für Freges Argument und das Kugelbahnargument steht nun fest, dass die
Konklusion abgeleitet werden darf, weil diese Schlussregel diesen Zwischenschritt impliziert, weil
jene Schlussregel auf einen nächsten Zwischenschritt führt und jeder Schritt ein guter Grund dafür
ist, warum schlussendlich die Konklusion abgeleitet werden kann. Und was mehr kann eine
Wissenschaft leisten? Die Logik beschreibt nicht nur den Weg von den Prämissen zur Konklusion,
sondern bietet anscheinend auch eine Erklärung dafür, dass die Konklusion am Ende
herauskommt.
Nicht nur in Bezug auf die Bearbeitung komplexerer Probleme und die Rechtfertigung der
einzelnen Argumentationsschritte erscheint nun die Aussagenlogik als Wissenschaft der wahren
Gedanken oder gültigen Folgebeziehungen. Sie vermittelt auch Einsichten, ermöglicht die
Entdeckung von Unvermutetem, hält sogar Überraschungen bereit. Das kann mancherlei Form
annehmen:
o Gegeben sind drei Prämissen und eine Konklusion. Im Kalkül wird die Konklusion
abgeleitet, wobei sich aus der linken Spalte ergibt, dass sie nur von zwei der drei
Prämissen abhängt: Wir dachten, dass die Konklusion auf drei Prämissen beruht, jetzt
haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass die Konklusion schon von den zwei
Prämissen impliziert wird und dass es der dritten gar nicht bedarf.
o Vielleicht lassen sich die von Frege in Aussicht gestellten Gesetze des Wahrseins
aufweisen. Bei „Gesetzen“ müsste es sich eigentlich um Aussagen handeln, deren
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Geltung den Dingen vorausgeht und die von keinen Prämissen abhängen. Wir werden
in einem der nächsten Abschnitte sehen, ob und wie sich solche Aussagen finden lassen.
o Noch fundamentaler wäre die Frage, ob bewiesen werden kann, dass unsere Kalküle
vollständig und widerspruchsfrei sind. Gibt uns die formale Logik die Mittel an die
Hand, um die Logik selbst auf diese grundlegenden Eigenschaften hin zu befragen –
also ohne eine Außenperspektive auf die Logik einzunehmen? Diese insbesondere mit
Kurt Gödel verbundene Problematik sprengt den Rahmen einer Einführung in die
Logik. Wir können allenfalls fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, solche
Grundlagenprobleme aufzuwerfen und Lösungen zu erwarten.
o Die weitreichende Bedeutung eines auf den ersten Blick überraschenden Befundes
kann allerdings jetzt schon skizziert werden: Jeder beliebige Satz lässt sich aus einer
widersprüchlichen Aussage ableiten. Der Widerspruch p & ¬p müsste hiernach den
beliebigen Satz q implizieren, was sich leicht zeigen lässt.
Die Aussage p & ¬p – ein Widerspruch – ist etwas Widersinniges, Unmögliches, geradezu
Verrücktes. Wer so etwas als Prämisse annimmt, darf sich aber nicht wundern, wenn alles Mögliche
daraus folgt. Wird ein Widerspruch angenommen, ist ein Damm gebrochen. So ist der Befund
allenfalls auf den ersten Blick überraschend. Gleichzeitig wird deutlich, warum sich ein Kurt Gödel
um die Widerspruchsfreiheit des logischen Kalküls oder jeglichen anderen Systems und
Gedankengebäudes sorgt. Egal ob es sich um ein Vertragswerk, ein Axiomensystem oder eine
wissenschaftliche Theorie handelt – sollte sich ein Widerspruch eingeschlichen haben, lässt sich
alles und jedes und die Verneinung von allem und jedem ableiten, dann wird gar nichts festgelegt
oder festgestellt, dann werden diese Systeme belanglos – und bedeutungslos.
Diese Folgeziehung ist deduktiv gültig: φ & ¬φ ∴ χ Es könnte sein, dass dies eine
wissenschaftliche Erkenntnis der zum Kalkül aufgewachsenen Logik ist. Aber es könnte auch sein,
dass sich das angebliche Problem allein dem wissenschaftlichen Gebaren der Logik verdankt.
Denn auch so viel ist klar: Hier haben wir eine nach dem dritten Verfahren gültige Folgebeziehung,
auf die sich das erste Verfahren gar nicht anwenden lässt. Wir sollen den Versuch unternehmen,
hieß es dort, die Prämissen zu bejahen und die Konklusion zu verneinen. In diesem Fall jedoch -
lässt sich die Prämisse überhaupt bejahen? Und in diesem Fall, impliziert die Prämisse nicht auch
die Verneinung der Konklusion? Das Gedankenexperiment ist in diesem Fall unmöglich, inhaltlich
gedacht werden kann diese Folgebeziehung gar nicht, sie ergibt sich erst aus den formalen
Konstruktionsregeln des Kalküls. Diese Regeln erlauben es mir nämlich, etwas mit der Prämissen-
Einführungsregel hinzuschreiben, ohne dass ich es mitdenken, hypothetisch annehmen oder
ausdrücklich bejahen müsste. So stolz also Hilbert und Ackermann die Errungenschaft des Kalküls
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als quasi-mathematischen Rechenverfahrens auch betrachten, sind wir nicht etwa schon am Höhe-
oder Endpunkt der Logik angekommen. Die Frage nach den angemessenen Verfahren des
Nachweises der Gültigkeit steht immer noch im Raum.
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[ÜBUGNSAUFGABEN]
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Glossar
ABLEITUNG → DEDUKTION
ALLSATZ → SYLLOGISTIK
ÄQUIVALENZ Zwei Sätze sind äquivalent, wenn sie gleichbedeutend sind. Dies
wird ausgedrückt durch das BIKONDITIONAL
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DEDUKTION Ableitungslogik. Eine deduktive FOLGEBEZIEHUNG
besteht, wenn die PRÄMISSEN die KONKLUSION
implizieren, die Konklusion also bereits in den Prämissen
enthalten ist.
FORMALE LOGIK Allein DEDUKTION ist formale Logik, da sich die Gültigkeit
von FOLGEBEZIEHUNGEN allein der Form unter Absehung
des Inhalts verdankt.
GEGENBEISPIEL Ein fiktiver oder realer Fall, für den die PRÄMISSEN einer
FOLGEBEZIEHUNG gelten, nicht aber die KONKLUSION.
GEWÄHRLEISTUNG → AFFORDANZ
HYPOTHESE → ABDUKTION
INKONSISTENZ → WIDERSPRUCH
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IMPLIKATION → DEDUKTION. Das METASPRACHLICHE Zeichen für
die Implikation „∴“ drückt die Folgebeziehung aus.
→ VERNEINUNG → KONJUNKTION
→ DISJUNKTION → KONDITIONAL
→ BIKONDITIONAL
KONSISTENZ Zwei Sätze sind konsistent, wenn sie nicht widersprüchlich sind,
also gleichzeitig bejaht werden können. Siehe auch:
→ SUBKONTRÄR
KONTRÄR Zwei Sätze sind konträr, wenn sie nicht gleichzeitig bejaht, aber
gleichzeitig verneint werden können.
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LOGIK Untersuchung von SATZBEZIEHUNGEN.
→ KONTRADIKTION → KONTRÄR
→ SUBKONTRÄR → SUBALTERN
ODER → DISJUNKTION
PARTIKULARSATZ → SYLLOGISTIK
PEIRCE, CHARLES SANDERS Begründer des Pragmatismus. Für unsere Vorlesung besonders
wichtig durch seine Arbeit an der Vergleichbarkeit deduktiver,
induktiver und abduktiver Logik.
→ ALLQUANTOR → EXISTENZQUANTOR
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SATZBEZIEHUNG → KONSISTENZ → WIEDERSPRUCH
→ FOLGEBEZIEHUNG
SUBALTERN Ein Satz ist subaltern für einen anderen, wenn er diesem
untergeordnet ist und bereits durch ihn impliziert wird, letzterer
also HINREICHENDE Bedingung für ersteren ist.
SUBKONTRÄR Zwei Sätze sind subkonträr, wenn sie KONSISTENT sind, aber
nicht gleichzeitig verneint werden können.
bejahend verneinend
allgemein A-Urteil E-Urteil
UND → KONJUNKTION
URTEILSLOGIK → SYLLOGISTIK
VERNEINUNG → NEGATION
→ KONTRADIKTION → KONTRÄR
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