Ludwig Peters - Das Schicksal Der Deutschen Kriegsgefangenen
Ludwig Peters - Das Schicksal Der Deutschen Kriegsgefangenen
LUDWIG PETERS
GRÄBERT-VERLAG-TÜBINGEN
Druck und Bindung: Kösel-Druck, Kempten
Satz und Schutzumschlaggestaltung: Grabert-Verlag, Tübingen
Umschlagmotive. Vorderseite: Foto aus J. Piekalkewicz, ‚Der Zweite Weltkrieg‘
Rückseite: I. v. Leistner, ‚Heimkehrer mit Mutter‘, 1955
Seite 2: Zeichnung von W. Petersen
© 1995 by Grabert-Verlag,
Postfach 1629, D-72006 Tübingen
Gedruckt in Deutschland
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Umso mehr ist es zu begrüssen, dass nun auf private Initiative hin dieses
Werk zusammengestellt wurde. Da nicht von einem Fachmann geschrieben,
erfüllt es nicht überall die hohen Ansprüche wissenschaftlicher Methodik.
Bei dem begrenzten Umfang mussten notwendigerweise auch Lücken hin-
genommen werden. Das Buch kann aber die bisherigen wissenschaftlichen
Erkenntnisse in manchen Punkten als nicht mehr haltbar aufzeigen und
neue Ergebnisse, insbesondere auch aus nun zugänglich gewordenen Quel-
len, anbieten. Sie sollten der Forschung als Herausforderung und Anregung
dienen.
Das sehr berechtigte Hauptanliegen des Verfassers war es – und darin
stimmt der Verlag mit ihm voll überein –, einer kaum noch darüber unter-
richteten Generation Nachgewachsener die schweren Völkerrechtsverlet-
zungen der Alliierten im Zusammenhang mit den deutschen Kriegsgefan-
genen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewusst zu machen. In einer
Zeit verstärkter Vergangenheitsbewältigung mit oft weit übertriebener
Schuldzuweisung an Deutsche ist dieses Kapitel der Zeitgeschichte unver-
zichtbar, wenn man zu einer gerechten Beurteilung kommen will.
Ähnlich dem schweren Los der Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem
deutschen Osten und Südosten haben die Kriegsgefangenen ein überaus
hartes Schicksal erleiden müssen, verübten die Alliierten Kriegsverbrechen
in Friedenszeiten an Hunderttausenden. Das darf nicht vergessen werden.
Das gehört auch zur Würde und zur Identität einer ganzen Generation
Deutscher.
Deshalb steht der Verlag, der sich sonst der wissenschaftlichen Aufberei-
tung der Zeitgeschichte verpflichtet weiss, auch hinter diesem Werk und
erhofft dafür eine weite Verbreitung im deutschen Volk. Da die amtlichen
und öffentlichen Gedenken zum 50. Jahrestag des Kriegsendes das Schick-
dal der Kriegsgefangenen kaum berührten und noch weniger würdigten,
war eine solche Darstellung überfällig. Möge sie den Weg in die deutschen
Familien finden, die Politiker an ihre Fürsorgepflicht erinnern und die Histo-
riker zu weiterer Forschung anregen.
Grabert-Verlag Tübingen, den 15. Oktober 1995
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Vorwort
«Geschichte ist etwas Wahres,
was sich einstellt,
und Legende etwas Falsches,
was sich einprägt.»
Jean Cocteau
N
ach den zahllosen Medienauftritten sogenannter Fachleute, His-
toriker und auch einiger Zeitzeugen des Dritten Reiches im Früh-
jahr 1995 anlässlich des 50. Jahrestages der deutschen Kapitula-
tion musste ich dieses Buch schreiben, um nicht vor Scham und Wut im
Boden zu versinken.
Für mich gipfelte in den vergangenen Tagen diese monatelang wäh-
rende Verunglimpfung des deutschen Volkes und seiner Soldaten in den
Äusserungen von Teilnehmern der Sendung «Talk im Turm» in SAT 1 und
eines Herrn Giordano, seines Zeichens Schriftsteller und früher Kommunist,
der sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei eines Diskussionsrunde, in
deren Rahmen sich Deserteure aus dem Zweiten Weltkrieg zu Helden auf-
spielen wollten, dazu hinreissen liess, alle Angehörigen der Wehrmacht als
Verbrecher zu bezeichnen.
19 Millionen deutscher Wehrpflichtiger sollen nun also alle Verbrecher
sein?
Mit solch einer Äusserung in einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung hat
dieser sogenannte Journalist und Schriftsteller nicht nur meinen Vater (Su-
detendeutscher und von 1943 bis Kriegsende Soldat der Waffen-SS), son-
dern auch dessen Vater (im Frühjahr 1945 noch Obergefreiter in einer In-
fanterie-Division und bis Kriegsende in diversen Kampfgruppen), meine
Mutter (von 1943 bis Kriegsende Flakhelferin), ihren Bruder (von 1944 bis
Kriegsende Flakhelfer), ihren Vater (SPD-Mitglied seit 1922, auch während
des Verbots aktiv und deshalb mehrfach für kürzere Zeit in Konzentrations-
lagern festgehalten, aber im Frühjahr 1945 als Unteroffizier in einer Nach-
schubeinheit eingesetzt) und Millionen andere Väter, Mütter, Onkel, Tanten
und Grosseltern ebenso beleidigt wie beispielsweise auch unseren früheren
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Bundeskanzler Helmut Schmidt oder den inzwischen verstorbenen ehema-
ligen Ministerpräsidenten von Bayern, Franz Josef Strauss. Auch diese bei-
den in aller Welt geachteten deutschen Politiker waren im Krieg Angehörige
der Wehrmacht und somit laut Herrn Giordano Verbrecher.
Mit einer so unqualifizierten und vor Unwissenheit strotzenden Äusse-
rung werden auch Millionen gefallener deutscher Soldaten über ihren Tod
hinaus beleidigt, die tapfer, gehorsam und entbehrungsreich, von den mei-
sten ihrer Gegner an allen Fronten geachtet, ihr Leben lassen mussten, weil
sie einzig das taten, wozu man sie von klein auf erzogen hatte – ihre Pflicht!
Mit dieser Äusserung werden mehr als 80 Prozent aller deutschen Fami-
lien beleidigt, und niemand steht bei dieser Fernsehsendung auf und stellt
solch eine ungeheuerliche Lüge richtig!
Die Nestbeschmutzer dürfen in diesem Staat anscheinend jeden Unsinn
und geistigen Müll von sich geben, während die sorgfältig recherchieren-
den Autoren und Journalisten in der ebenso sorgfältig kontrollierten deut-
schen Medienlandschaft kaum zu Worte kommen oder gleich in eine
rechtsradikale Ecke gestellt werden, aus der sie dann nicht mehr oder nur
äusserst schwer wieder herauskommen können.
Dies erinnert leider immer mehr an die Auswüchse der McCarthy-Ära im
Amerika der fünfziger Jahre oder an die Presse- und Meinungskontrolle in
der ehemaligen DDR, die wir doch heute so sehr verdammen.
Das ist ebenso perfekt gemacht, wie es einst Goebbels mit seinem Pro-
pagandaministerium recht erfolgreich praktiziert hat, doch ist leider ebenfal
Is weitab von jeder freien, demokratischen Berichterstattung, wie sie eigent-
lich unser Grundgesetz fordert.
Da kann ein engagierter Autor, dem man von allen Seiten bisher seine
unbedingte Neutralität bestätigt hat, nicht ruhig bleiben.
Es wäre ebenso, als würde man heute alle Bürger der ehemaligen DDR –
ohne Ausnahme – als Verbrecher bezeichnen, nur weil sie unter dem Re-
gime von Ulbricht, Honecker und Co. nicht aus ihrem Heimatland flüchteten
und stattdessen weiter dort lebten, arbeiteten, sich an das dort geltende
Recht hielten und meist ebenfalls nur eins taten – ihre Pflicht!
Normalerweise sollte jetzt jeder einzelne durch solche diffamierenden
Äusserungen Betroffene – und das dürften derzeit immerhin rund 60 Millio-
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nen Bundesbürger sein – hingehen und solche Menschen wie diesen Herrn
Giordano und seine Gesinnungsgenossen verklagen, doch das würde nur
unsere Gerichte überlasten und in der Praxis auch zu keinem zählbaren Er-
folg führen.
Auch heute, 50 Jahre nach Kriegsende, ist unser Staat, der von sich selbst
behauptet, die Rechtsnachfolge des Dritten Reiches angetreten zu haben,
noch nicht in der Lage, die eigene, sicher nicht unbefleckte und problemlose
Vorgeschichte offen, ehrlich, neutral und objektiv zu verarbeiten.
Dass dies im Ausland Gott sei Dank völlig anders gesehen und auch ver-
arbeitet wird, hat die Rede des französischen Präsidenten François Mitter-
rand anlässlich des Staatsaktes im Berliner Schauspielhaus zum 50. Jahres-
tag des Kriegsendes gezeigt.
Mitterrand, der im Zweiten Weltkrieg selber französischer Soldat war und
1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, war es, der den 1‘400 gela-
denen Gästen erklärte, dass er in seiner Gefangenschaft sehr viele deutsche
Soldaten kennengelernt habe, die «ganz einfache ehrliche Menschen wa-
ren».
Nicht unser Präsident Roman Herzog sagte dies, denn der hatte wieder
nichts Besseres zu tun als die meisten seiner Vorgänger in den vergangenen
46 Jahren zu solchen Anlässen auch, nämlich die vergangene Generation zu
schmähen, sondern der Präsident des Landes, das rund ein halbes Jahrtau-
send lang als sogenanntes ‚Erbfeindland’ angesehen wurde und das sich mit
uns in diesem Zeitraum in allen nur erdenklichen kriegerischen Situationen
befand.
Das ist doch wohl mehr als bezeichnend für den Umgang mit der Ver-
gangenheit durch unsere deutschen Politiker.
Aber es ist ja auch verständlich.
Wer heute auch nur im Ansatz national denkt oder immer wieder vorge-
brachte Geschichtsfälschungen anzweifelt, ist in diesem Land sofort ein
Rechtsradikaler.
Eine natürliche Rechte wird unserem Politspektrum gar nicht mehr zuge-
standen, denn politisch rechts wird in Deutschland seit mehr als vier Jahr-
zehnten gleich als rechtsradikal abgewertet, und dahin möchte natürlich
kein amtierender Politiker abgedrängt werden.
Da benutzt er lieber dieselben Lippenbekenntnisse, die seine Vorgänger
bereits geprägt und oft genug verwendet haben, und widmet sich weiter
seiner Karriere. So kann aber keine korrekte Vergangenheitsbewältigung er-
folgen.
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Ein weiterer Hauptgrund für diesen Zustand liegt meiner Meinung nach
auch in den Menschen, die sich bisher mit den Ereignissen dieser Vorge-
schichte befasst haben.
Seit 50 Jahren sind es immer dieselben Historiker, die mit zwar optisch
ständig neuen, aber inhaltlich doch ewig gleichen sogenannten Erkenntnis-
sen und Fakten aufwarten.
Naturgemäss können diese Menschen nicht neutral und unvoreinge-
nommen über die Jahre berichten, die ihnen selbst ihren eigenen Stempel
aufgedrückt haben.
Wir sind alle nur Menschen und keine gefühllosen Roboter. Wir werden
alle von Gefühlen, Empfindungen, Erlebnissen und all den anderen Einflüs-
sen geprägt, die man unter dem so oft zitierten Begriff der Lebenserfahrung
zusammenfassen kann. Diese Lebenserfahrung aber ist es, die uns nie ob-
jektiv, sondern meist unbewusst subjektiv an die unangenehmen Dinge her-
angehen lässt.
Wenn man aber beim Recherchieren nicht so objektiv wie nur eben mög-
lich an eine Sache herangeht, sucht man ja stets nach den Fakten, die in der
Lage sind, die eigene Subjektivität zu untermauern, und verdrängt – meist
im Unterbewusstsein und seltener aus bewusster Bösartigkeit heraus – alle
anderen Erkenntnisse.
Bei einer Suche, und nichts anderes stellt die Forschung über das Dritte
Reich und seine Folgen dar, darf man sich nicht vorher Gedanken darüber
machen, was man finden will, und dann alle seine Bemühungen darauf ab-
stellen, sondern man muss unvoreingenommen nach allem suchen, was
Licht ins Dunkel bringen kann – egal, ob es einem persönlich angenehm ist
oder nicht!
Es verwundert mich von Tag zu Tag mehr, dass man zwar die Beweg-
gründe und Leistungen des deutschen Soldaten, sowohl im Verlaufe des
Zweiten Weltkrieges als auch danach, weltweit anerkannte und dass man
den ‚Männern in Feldgrau’ überall auf der Welt auch heute noch grosse An-
erkennung zollt – aber nicht im eigenen Lande!
Wir Deutschen sollten deshalb auch unbedingt ins Guiness-Buch der Re-
korde aufgenommen werden, als das einzige Volk der Welt, das-seit Beste-
hen der Menschheit einmalig-einzigartige militärische Leistungen und Hel-
dentaten seiner eigenen Landsleute nicht anerkennt, sondern am liebsten
leugnen möchte.
Diese Art der dauernden Nestbeschmutzung durch einige Teile der Be-
völkerung, die von der grossen Masse anscheinend schweigend geduldet
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wird, macht auf mich den Eindruck, als ob die Kriegspropaganda der Alli-
ierten über das Jahr 1945 hinaus ohne ihr eigenes Zutun weiter fortge-
setzt wird, und zwar von Deutschen selbst!
Doch anscheinend lernen wir Deutschen nie die wirklich wichtigen
Dinge aus der Geschichte.
Bereits Napoleon I. erkannte uns, wie wir als Volk reagieren, und
brachte dies auch klar zum Ausdruck:
«Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als
das deutsche. Zwiespalt brauchte ich unter ihnen nicht zu säen. Ich
brauchte nur meine Netze auszuspannen, dann liefen sie wie ein scheues
Wild hinein. Untereinander haben sie sich gewürgt, und sie glaubten da-
mit ihre Pflicht zu tun. Dümmer ist kein anderes Volk der Erde. Keine Lüge
kann derb genug ersonnen sein, die Deutschen glauben sie. Wegen einer
Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit grösserer
Erbitterung als ihre wirklichen Feinde.»
Es kann aber doch nicht angehen, dass ein gesamtes Volk, mein Volk,
sich weiter für dumm verkaufen lässt und dies nicht erkennt!
Wir können doch nicht so einfach akzeptieren, dass irgendwelche an-
deren Menschen, aus welchen Beweggründen auch immer, unsere Eltern
und Grosseltern nur deshalb zu Verbrechern machen wollen, weil sie
nichts anderes taten, als den Gesetzen und Anordnungen einer frei ge-
wählten Regierung zu folgen, wie wir auch!
Die NSDAP und somit Hitler hat die Macht in Deutschland im Jahre
1933 nicht durch einen Staatsstreich errungen, wie man heute manchmal
meinen kann, wenn man Berichte über jene Zeit in den Medien verfolgt.
Hitler wurde nach ordentlichen Wahlen und den darauffolgenden
Koalitionsverhandlungen zum Kanzler des Deutschen Reiches ernannt:
ein rechtsstaatlich in jener Zeit vollkommen demokratisches und fort-
schrittliches Verfahren.
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Die anderen Stimmen gingen an mehr als 20 andere Parteien und Split-
tergruppen.
Herr Kohl und seine CDU/CSU wären froh, derzeit mit solch einem Votum
des deutschen Volkes regieren zu können!
Noch überwältigender fiel die Zustimmung für Hitler am 12. November
1933 aus, als er dem deutschen Volk den von ihm einseitig erklärten Austritt
aus dem Völkerbund zur Wahl präsentierte und – was heute in unserer so
gelobten Demokratie gar nicht mehr möglich ist – dem gesamten Volk die
Möglichkeit gab, sich für oder gegen seinen Kanzler Hitler zu entscheiden,
und nicht nur für oder gegen eine Partei.
Die Wahlbeteiligung mit 95% der Wahlberechtigten, und das waren da-
mals immerhin rund 43,5 Millionen Deutsche, lag in einer Grössenordnung,
von der die heutige Regierung nur träumen kann! Von diesen mehr als 43
Millionen Wahlberechtigten kreuzten bei dieser freien Wahl 95% die Frage,
ob sie der Aussenpolitik Hitlers zustimmen, mit ‚Ja’ an, und 92,2% waren mit
der Einheitsliste der NSDAP einverstanden, wollten also das ganze Partei-
engerangel nicht mehr, das in den Jahren zuvor geherrscht hatte.
Das sind unumstössliche, weltweit gesicherte Geschichtsfakten, die man
heute nicht weglügen kann, da sie auch in ausländischen Zeitungen ge-
druckt wurden und in den Archiven heute noch jederzeit nachgelesen wer-
den können!
Das soll bereits 1933 eine sogenannte Unrechtsregierung gewesen sein?
Wer weiterhin so etwas behauptet und verbreitet, sollte sich einmal Ge-
danken darüber machen, was beispielsweise dann geschieht, wenn wir in
einigen Jahren eine neue Regierung bekommen, die dann plötzlich behaup-
tet, die Regierungen unter Adenauer, Brandt, Schmidt oder Kohl seien Un-
rechtsregierungen gewesen, weil sie alle gegen die Menschenrechte
verstossen hätten!
Dies ist gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag,
denn erst im Mai dieses Jahres hat die Organisation ‚Amnesty International‘
der Regierung Kohl öffentlich und mit weltweitem Medienaufwand vorge-
worfen, schwere Verstösse gegen die Menschenrechte zu begehen, und
man hatte auch gleich mehr als 1’000 Fälle bereit!
Sind dann, unter einer neuen Regierung, die eventuell aus Mitgliedern
von ‚Amnesty International‘ im Jahre 2000 besteht, auf einmal alle Beamten,
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Soldaten, ja alle Bundesbürger, die jetzt ihre Pflicht tun, plötzlich auch Ver-
brecher?
Werden dann auch die Insassen von Gefängnissen, Anarchisten und De-
serteure der Bundeswehr zu Helden hochstilisiert?
Werden dann möglicherweise auch noch den Mitgliedern der ehemali-
gen Baader-Meinhoff-Gruppe in Berlin und anderen Grossstädten Denkmä-
ler als Widerstandskämpfer gegen den Unrechtsstaat Bundesrepublik auf-
gestellt?
Wer an dieser Stelle den Kopf schüttelt oder gar lacht, sollte sich einmal
die Mühe machen und ausländische Medienarchive aufsuchen, um einmal
wirklich zu sehen, wie die Weltpresse im Jahre 1933 über Hitler und seine
NSDAP schrieb, von den unabhängigen einheimischen Zeitungen, die es
damals sehr wohl noch gab, einmal ganz abgesehen, und wie heute darüber
berichtet wird.
Wie soll ein Volk in seiner Gesamtheit und der einzelne Bürger als Indivi-
duum denn eigentlich erkennen, ob seine Regierung Rechtens oder Un-
rechtens ist?
Wenn wir die heutige Ausgabenpolitik und die ständigen Erhöhungen
der vom Staat den Bundesbürgern aus der Tasche gezogenen Beträge zu-
grunde legen würden, müssten wir zu dem Ergebnis kommen, dass auch
unsere Regierung eine unrechte ist, denn sie predigt ständig Wasser,
schenkt sich selber aber nur den allerbesten Wein ein. Dazu käme noch die
Anklage wegen der Verstösse gegen die Menschenrechte.
Das ist auch eine Form von Unrechtsregierung, will man diesen über-
schlauen Historikern Glauben schenken!
Sollen wir uns nun deshalb alle gegen unsere Regierung stellen, den
Wehrdienst verweigern, die Steuerzahlungen einstellen und unseren eige-
nen Staat und seine Politiker bekämpfen?
Jeder, der gegenwärtig dazu aufrufen würde, käme mit Sicherheit nicht
vor Gericht, sondern eher in eine geschlossene Anstalt, wo man ihn dann
zuerst auf seinen geistigen Zustand hin untersuchen würde.
Doch für die Jahre zwischen 1933 und 1945 will man heute, im Nachhin-
ein, genau dieses den damals in Deutschland lebenden Bürgern zum Vor-
wurf machen. Ständig heisst es, sie hätten Hitler und seine NSDAP gewäh-
ren lassen und ‚nichts dagegen getan‘.
Ja, in Gottes Namen, wir lassen doch Kohl, Scharping und all die anderen
Politiker heute auch gewähren und tun nichts, obwohl es nach den neue-
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sten Umfragen mehr als 60% aller Bundesbürger ‚zum Himmel stinkt’, was
dort in Bonn getrieben wird.
1933 waren knapp 5% der Deutschen mit ihrer Regierung nicht zufrieden
– heute sind es 60% –, darüber sollten wir alle einmal nachdenken!
Folglich waren auch alle Gesetze und Weisungen, die Hitler in seiner
Funktion als ‚Führer‘ und Reichskanzler erliess, und dank einiger politischer
Tricks dann auch völlig diktatorisch und alleinherrlich erlassen konnte, für
jeden Deutschen absolut bindend, so wie unsere Gesetze es heute für uns
sind.
Dass Hitler damals als ‚der starke Mann an der Spitze’ allein und diktato-
risch regieren konnte, war für das Volk jener Zeit nicht so ungewöhnlich, wie
es auf uns heute wirken mag, denn bis 1918 hatte ja zuvor ein Kaiser als
starker Mann den deutschen Staat regiert, und in vielen europäischen Staa-
ten herrschten Diktatoren.
So waren die meisten Deutschen erzogen worden.
Die Versuche mit einer demokratischen Regierungsform in der Weimarer
Republik hatten dann, auch wegen der Unfähigkeit der demokratischen Par-
teien, in jenem Chaos geendet, das erst den Boden für Hitler und seine
NSDAP bereitete.
Machtkämpfe, Arbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise, Armut, Verbrechen
und Strassenschlachten prägten die Weimarer Republik, und es kehrte für
den Bürger erst wieder Ruhe ein, als Hitler an der Macht war.
So sah das Alltagsleben in Deutschland aus, und so war es auch nicht
weiter verwunderlich, dass die Masse der Deutschen zu Beginn des Dritten
Reiches voll und ganz hinter ihrem anscheinend allmächtigen Führer stand.
Das war eine ganz normale und verständliche menschliche Entwicklung,
aus der heraus auch alle nachfolgenden Massnahmen Hitlers bis hin zum
Krieg gesehen werden müssen, um die Vorgänge überhaupt verstehen zu
können. Das alles band das Volk – und hierzu trug die zur Perfektion ge-
brachte Propaganda unter Goebbels den grössten Anteil bei – nur noch fe-
ster an Hitler.
Noch bindender aber war für einen Soldaten bis 1945 – und für viele auch
noch über den 8. Mai 1945 hinaus – der Eid, den er mit Gesetz vom 2. August
1934 – ebenso wie übrigens auch alle Beamte – nun nicht mehr auf das Volk
allein, sondern auch auf den ‚Führer des Deutschen Reiches’ ablegen muss-
te.
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Ebenso wie heute bei Gericht jeder Zeuge vereidigt werden kann und
dann darüber belehrt wird, dass ein Meineid eine strafbare Handlung ist, so
war auch allen Wehrmachtangehörigen klar, dass der Bruch ihres Soldaten-
eides eine Straftat und mit Sicherheit nichts besonders Ehrenhaftes war,
aber auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich zog.
Wie kann sich heute auch nur ein normal denkender Mensch erdreisten,
diese meist untadeligen deutschen Soldaten, die sich an ihren Eid hielten
und ihre Pflicht bis zum bitteren Ende taten, ganz pauschal als Verbrecher
zu bezeichnen? Solchen Menschen kann man nur zurufen: «Pfui und noch-
mals pfui! Schämt Euch!»
Gerade die deutschen Soldaten waren es, auf deren Schulter der Zweite
Weltkrieg auch nach dem 8. Mai 1945 noch weiter ausgetragen wurde.
Für Millionen deutscher Kriegsgefangener begann mit diesem Datum ein
Leidensweg, der bis heute mehr deutsche Soldatenopfer als der gesamte
Krieg im Osten gefordert hat.
Im Oktober 1955, als der angeblich letzte deutsche Soldat aus den Wei-
ten Russlands per Zug heim nach Deutschland kam, galt auch diese Nach-
wirkung des Krieges – die Kriegsgefangenschaft – offiziell als beendet, doch
das ist ebenso unwahr wie viele andere Dinge über dieses Thema auch,
denn über das Schicksal von 1,2 Millionen deutscher Wehrmachtangehöri-
ger, die in russische Gefangenschaft gerieten, ist bis heute nichts Genaues
bekannt.
Es kam sicher nicht von ungefähr, dass die Regierung unter Adenauer
genau in jenem Jahr, in dem die Bundeswehr entstand und deutsche Solda-
ten wieder in Uniform und mit der Waffe in der Hand ihren Dienst versahen,
dieses unangenehme Überbleibsel des vergangenen Krieges abschliessen
wollte.
Es kamen auch nach 1955 noch Kriegsgefangene nach Deutschland zu-
rück, und diese berichteten von weiteren Zigtausenden Leidensgenossen,
die weiterhin in der Sowjetunion festgehalten würden, doch Moskau de-
mentierte, und unsere Regierung machte den Bückling und schwieg, so wie
immer, wenn es um Wahrheiten geht, die mit dem Dritten Reich und dem
Zweiten Weltkrieg Zusammenhängen.
Die politischen Beziehungen zu den ehemaligen Gegnern waren wieder
einmal, wie auch heute noch, wichtiger als menschliche Schicksale.
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Ich habe in den vergangenen nunmehr 32 Jahren meiner eigenen Ge-
schichtsforschung mit mehreren Hunderten von ehemaligen Kriegsgefan-
genen sowohl in Deutschland als auch im benachbarten Ausland gespro-
chen und feststellen müssen, dass jeder Mensch sein eigenes Schicksal er-
lebt hat, doch dass – bis auf wenige Ausnahmen – für niemanden die Kriegs-
gefangenschaft einfach war, sondern meist grosse Qualen bedeutete.
Um meiner Generation, aber auch den nachfolgenden, ein möglichst ge-
naues Bild vermitteln zu können, wie es in den Jahren der Gefangenschaft
sowohl physisch als auch psychisch um die Gefangenen stand, habe ich ver-
sucht, sowohl die Beweggründe als auch die Auswirkung ihres Tuns nieder-
zuschreiben.
Nur wenn man weiss, was einen Menschen zu einer Handlung bewogen
hat, kann man im Nachhinein diese Handlung auch betrachten, für sich wer-
ten und daraus ein eigenes Bild zusammenstellen.
Ich bin mit Sicherheit kein Altnazi (Jahrgang 1949) und für einen Neonazi
viel zu alt. Ich bin auch kein Rechtsradikaler, da völlig parteilos und in keiner
politischen Vereinigung oder Gruppierung, und radikal bin ich schon gar
nicht, doch ich bin der Sohn meines Vaters und der Enkel meiner Grossväter,
und von allen habe ich stets eine sehr gute Meinung gehabt.
Ich kenne diese Männer besser als ein Herr Giordano und seine Sinnes-
genossen, und ich weiss, dass diese Männer als Soldaten keine schändlichen
Greueltaten vollbracht, stattdessen aber stets ihre Pflicht erfüllt haben, und
ich weiss auch, was sie und Millionen andere Kriegsgefangene vor und nach
dem 8. Mai 1945 erdulden mussten.
Dies aufzuzeigen und für meinen Sohn und dessen Nachfahren als Teil
der deutschen Geschichte zu bewahren, sehe ich als eine meiner vordring-
lichsten Aufgaben an, und ich hoffe, dass dieses Buch einen kleinen Teil
dazu beitragen kann.
August 1995 Ludwig Peters
21
Einführung
25
der polnischen Regierung auf Anfrage aus Moskau erklärt, dass die Offiziere
nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR in deutsche Hand gefallen und
dort umgebracht worden seien.
«Die Mordtaten an Obwohl bereits seit den fünfziger Jahren öffentlich bekannt war, dass die
deutschen Kriegsge- Wehrmacht an diesem Kriegsverbrechen völlig unschuldig war, wurde noch
fangenen setzten be- im Jahre 1985 ein Mahnmal für die «polnischen Opfer des Hitler-Faschismus
reits am ersten in Katyn» erstellt, an dem auch deutsche Politiker, wider besseres Wissen,
Kriegslage ein, am
Kränze niederlegten.
22. Juni 1941, spon-
tan und auf der gan-
Erst im Jahre 1990 bestätigten die offiziellen Stellen der im Zerfall begrif-
zen Linie der Front fenen UdSSR die sowjetische Schuld. Leider steht aber in zahlreichen Nach-
und nicht etwa, wie schlagewerken, die weltweit aufliegen, auch heute noch der Name Katyn für
behauptet, als an- eine deutsche Kriegsschuld, die nie eine war.
gebliche Reaktion Auch weitere grosse Kriegsverbrechen an gefangenen Soldaten sind der
auf die sowjetischer- ehemaligen Sowjetunion anzulasten.
seits anfangs über- Nach der Kapitulation der deutschen 6. Armee in und um Stalingrad ge-
haupt nicht bekann-
rieten mehr als 90’000 deutsche und mit ihnen verbündete Soldaten in sow-
ten und im Übrigen
jetische Kriegsgefangenschaft.
im Mai 1942 auf
Druck des deutschen Auf unmenschlichen Todesmärschen wurden diese völlig unterernährten
Heeres hin wieder und ausgemergelten Soldaten, bei Temperaturen weit jenseits der Minus-
aufgehobenen Kom- 20-Grad-Marke, kreuz und quer durch das Land gehetzt. Durch Erschöp-
missarrichtlinien.» fung, Unterernährung, Erfrierungen und dank der ständig schiessenden und
J. Hoffmann, in ‚Sta- schlagenden Wachmannschaften wurden diese Elendskolonnen so weit de-
lins Vernichtungs- zimiert, dass nur noch knapp 18’000 letztendlich die für sie bestimmten Ar-
krieg 1941-1945’, beitslager erreichten. Heim nach Deutschland kamen nach Kriegsende gar
S. 303.
nur 6’000 der Stalingradgefangenen, 94 Prozent überlebten ihre Gefangen-
schaft nicht!
Als ab Frühjahr 1944 auf der Krim etwa 65’000, dann im Mittelabschnitt
der Ostfront rund 150’000 und in Rumänien rund 115’000 Deutsche in Ge-
fangenschaft gerieten, wurden auch sie zu riesigen Marschkolonnen zusam-
mengestellt und marschierten, wieder scheinbar ziellos, kreuz und quer
durch Russland, wobei sie vier Wochen und länger unterwegs waren.
War es bei den Märschen der Stalingrad-Gefangenen zu Beginn des Jah-
res die beissende Winterkälte, die zahllose Opfer forderte, traf die Gefan-
genen des Sommers 1944 eine mörderische Hitze. Da es kaum Wasser ent-
lang der Marschrouten gab, wurde der Tod von mehr als 40% dieser Gefan-
genen von der Sowjetführung nicht nur in Kauf genommen, sondern be-
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wusst geplant, auch wenn dies einige deutsche Nachkriegshistoriker anders
darstellen wollen.
Fünfzig oder sechzig Prozent sind wesentlich leichter unterzubringen und
zu versorgen als einhundert Prozent. Ausserdem stellten die Überlebenden
die kräftigsten und arbeitsfähigsten Gefangenen dar, da die Kranken und
Schwachen durch übergrosse Strapazen im wahrsten Sinne des Wortes ‚auf
der Strecke blieben’.
Die Vernichtungsmärsche waren also eigentlich Selektionsmärsche. Dies
zeigt auch, dass die Wachmannschaften selten starke oder marschfähige
Gefangene exekutierten, sondern die nicht mehr marschfähigen, die zu Bo-
den stürzten oder einfach nicht mehr weiter konnten.
Diese Märsche waren klar von der Sowjetführung befohlen worden, das
zeigt sich auch im stets gleichen Ablauf bis zum Herbst 1945.
Da wohl niemand der Führung der UdSSR, die letztendlich den Krieg ge-
wann, ein zielloses Handeln unterstellt, ergibt sich aus der anscheinenden
Ziellosigkeit der Märsche nur ein einziger Grund – die Marschstrecke zu den
«Jedes Volk, das
Sammel lagern und Verladestellen so lang wie nur eben möglich zu gestal- die Gefangenen
ten. länger als zwei
Welcher Zweck diesen Befehlen zugrunde lag, kann jeder Mensch mit Jahre nach dem
klarem Verstand auch dann erkennen, wenn er keinen Einblick in die Waffenstillstand
Marschbefehle genommen hat. Humanitäre Gründe waren es mit Sicherheit zurückhält, macht
nicht! sich der Sklaverei
Vielen erscheint der Hass, mit denen die Wachmannschaften die Gefan- schuldig.»
Lenin, 1917
genen behandelten und quälten, als von den Spätheimkehrern übertrieben
dargestellt. Da ich nicht selbst an diesen Märschen teilgenommen habe,
kann ich mich auch nurauf die Aussagen der Betroffenen verlassen, doch ist
es bedenkenswert, dass sich diese Aussagen von mehreren tausend Befrag-
ten in vielen Punkten glichen. Bei so vielen Menschen, die sich teilweise gar
nicht kannten, können wohl kaum diese Aussagen erdacht oder abgespro-
chen sein.
Wozu Bewacher auch in unserer angeblich so fortschrittlichen und hu-
manen Zeit fähig sind, haben die mehr als 2 Millionen Opfer der Roten
Khmer in Kambodscha ebenso gezeigt wie erst in den jüngsten Tagen die
bekannt gewordenen Lager und Massengräber in Restjugoslawien.
Der grösste Feind des Menschen ist der Mensch, und er beweist es jeden
Tag aufs Neue.
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Dieser Hass gegen die deutschen Soldaten, ja gegen alle Deutschen, der
sich seitens der Roten Armee und ihrer Verbündeten gegen alle Gefange-
nen entlud und sich bis zum Kriegsende noch weiter steigerte, wurde seit
50 Jahren stets mit den Greuelberichten über die Befreiungen der Überle-
benden der Konzentrationslager begründet und als ‚verständliche Reaktion
auf die dort vorgefundenen Greuel’ zu erklären versucht.
Dass dies aber nur eine Schutzbehauptung aus politischen Gründen sein
kann, ergibt sich ganz einfach aus der Tatsache, dass in den Jahren 1943/44
bereits mindestens 200’000 deutsche und verbündete Kriegsgefangene die
ersten Tage und Wochen ihrer Gefangenschaft nicht überlebten. Zu einem
Zeitpunkt also, als die Weltöffentlichkeit – und somit auch die sowjetischen
Soldaten – von Auschwitz oder Dachau noch nichts wussten, da diese Lager
noch nicht befreit waren.
Die Brutalität der Wachmannschaften, die sich bei den Märschen und
Transporten zeigte, entsprang einer Mischung aus befohlener Brutalität,
verständlichem Hass über den deutschen Angriff auf die Sowjetunion und
einem durch die Propaganda eines Ilja Ehrenburg und seiner Sinnesgenos-
sen tagtäglich geschürten Volkszorn.
Waren die überlebenden Kriegsgefangenen dann endlich in ihrem Be-
stimmungslager angekommen, registriert, entlaust und zur Zwangsarbeit
eingeteilt, wurden sie auch während des Kriegsverlaufes einigermassen im
Rahmen der international anerkannten Bestimmungen behandelt.
Dies war auch einigermassen logisch. Zum einen waren sie nun Arbeits-
kräfte, die am Wiederaufbau der UdSSR beteiligt werden sollten, weshalb
ihre neuen Bewacher auch andere Befehle hatten als die Wachmannschaf-
ten beim Transport; zum anderen hätten grössere Drangsale und Quäle-
reien von Kriegsgefangenen der einen Seite zwangsläufig zu Repressalien
an den Gefangenen der anderen Seite geführt.
Es bestand also auf diesem Gebiet bis zum Kriegsende eine Art Pattsitua-
tion.
Hinzu kam dann für die westlichen Alliierten noch die Kontrollfunktion
des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, kurz IKRK genannt, die mit
der Unterzeichnung der Genfer Konventionen von den kriegführenden Par-
teien bereits vor dem Krieg anerkannt wurde.
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Das IKRK hatte demgemäss die Aufgabe, die Gefangenen in ihren Lagern
zu besuchen und die Ergebnisse dieser Inspektionen dann der entsprechen-
den Schutzmacht – während des Krieges war dies für in Gefangenschaft be-
findliche deutsche Soldaten die deutsche Regierung – unter Wahrung der
Geheimhaltung mitzuteilen.
Nach diesen Berichten konnte eine Schutzmacht dann mit Gegen-
massnahmen auf Missstände aufmerksam machen, etwa durch Veröffentli-
chungen die öffentliche Meinung aufrütteln oder aber auch Vergeltung
üben.
Als im Frühjahr 1945 die Auflösungserscheinungen des Deutschen Rei-
ches und seiner Regierung unübersehbar wurden, bevollmächtigte die US-
Regierung die Schweiz, nunmehr als Schutzmacht für die deutschen Kriegs-
gefangenen zu wirken.
Mit dieser Massnahme wollte man garantieren, dass die deutschen Ge-
fangenen auch über das Kriegsende und die Zerschlagung der deutschen
Regierung hinaus über eine Schutzmacht verfügten.
Am 8. Mai 1945 war es dann auch soweit. Eine deutsche Regierung exi-
stierte nach Meinung der Amerikaner nicht mehr, obwohl eine solche, legal
eingesetzt, unter Reichspräsident Grossadmiral Dönitz in Flensburg-Mürwik
sass und noch amtierte.
Mit Datum desselben Tages erhielt am 12. Mai 1945 der Schweizer Ge-
sandte in Washington dann die Mitteilung, dass seine Regierung als Schutz-
macht für deutsche Kriegsgefangene entlassen worden sei.
Der nächste Schritt, die deutschen Kriegsgefangenen nun völlig rechtlos
zu machen, war die alliierte Mitteilung an das IKRK, dass man keine weiteren
Lagerbesuche mehr durchzuführen hätte, da es ja keine Schutzmacht mehr
gab, an die das IKRK seinen Bericht hätte geben können.
Das war zwar juristisch nicht Rechtens, da die Schweiz sehr wohl noch als
Schutzmacht weiter existierte und es auch offiziell noch eine deutsche Re-
gierung gab, doch in der Praxis sah es nach dem 8. Mai 1945 so aus, dass
die deutschen Kriegsgefangenen keinen Ansprechpartner mehr hatten, dem
sie ihre Nöte und Sorgen hätten berichten können. Sie waren nun völlig auf
die Menschlichkeit ihrer Bewacher und auf die so leicht manipulierbare öf-
fentliche Meinung angewiesen.
Kriegsgefangene, die sich zu jenem Zeitpunkt im Gewahrsam von aktiven
Kampfeinheiten der Alliierten befanden, hatten da noch das bessere Los ge-
29
zogen, denn sie wurden meist den Umständen entsprechend recht ordent-
lich behandelt.
Viele erzählten von der Neugier und dem Interesse ihrer vorherigen Geg-
ner, die meist mit grosser Anerkennung über die Leistungen und das diszi-
plinierte Verhalten der deutschen Soldaten sprachen und nun mehr von ih-
nen wissen wollten.
Dies traf vor allem auf diejenigen deutschen Soldaten zu, die sich in den
Händen von amerikanischen, britischen und kanadischen Kampftruppen
befanden.
Bereits im Jahre 1944, noch vor der Invasion in Frankreich, machte man
sich auf amerikanischer Seite eine Menge Gedanken darüber, auf welchen
Gegner man in Europa treffen würde.
Direkte Kampferfahrung hatte man bis zu jenem Zeitpunkt eigentlich nur
mit den japanischen Einheiten, und dabei hatten die US-Generäle feststellen
müssen, dass es nicht ausreicht, über genügend Soldaten und massenweise
Material zu verfügen, um damit einen Sieg erringen zu können.
Wichtige weitere Faktoren waren Taktik, Führung und Kampfkraft der
Soldaten. So wurde eine Studie über die Kampfkraft der Verbände in Europa
erstellt, die auch heute noch einzusehen ist. Hierbei stand auf dem ersten
Platz die Waffen-SS, und ganz oben die SS-Panzer-Division ‚Totenkopf’. Auf
dem zweiten Platz folgten die deutschen Fallschirmjäger, dann die Panzer-
verbände der Wehrmacht.
Diese Einschätzung zeigt auf, welchen Stellenwert man in den USA den
deutschen Eliteverbänden zumass.
Nach Beendigung des Krieges wurde der deutsche Soldat – und vor al-
lem die Waffen-SS als deutsche Eliteeinheit – weltweit sogar noch höher
eingeschätzt, und das von den Siegern!
Nicht aber im eigenen Land, wo es ab Mai 1945 in vielen Kreisen, beson-
ders den politisch führenden, plötzlich zum Makel wurde, wenn man vorher
einer Eliteeinheit angehört hatte.
Der französische Buchautor André Bayle, einst selber Angehöriger der
Waffen-SS, später dann Fallschirmjäger in der französischen Armee, berich-
tet über einen Besuch in der amerikanischen Militärakademie von West-
Point, an der auch heute die US-Militärelite des Offizierskorps ausgebildet
wird, und er war nicht wenig verwundert über das, was er dort sah und
hörte.
Bayle schrieb hierzu:
30
«Meine Überraschung war nicht gering, als ich durch die Gänge und Un-
terrichtsräume ging, die mit Fotos und Gemälden über die Waffen-SS, so
hatte es den Anschein, bewusst bedacht waren. Darunter befand sich ein
1942 entstandenes Gemälde, das einen SS-Unterscharführer in Tarnklei-
dung mit Maschinenpistole und umgehängtem Feldstecher darstellte. Ein
weiteres von Eduard Thöny aus dem Jahre 1943 zeigte den SS-General und
Kommandeur der SS-Division ‚Wiking’, Felix Steiner, wie er im Schnee neben
seinem Kübelwagen und einem Panzer seine Befehle erteilte. ... Angesichts
meiner Verwunderung wurde mir erklärt, dass in West-Point ebenso wie in
anderen Armeen (beispielsweise UdSSR und Israel) die Ausbildungs- und
Kampfmethoden sich an denen der Waffen-SS orientierten und diese nur
aufgrund des neuen einzusetzenden Kriegsmaterials überarbeitet worden
seien.»
Nachdem Bayle sich dann als ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS zu
erkennen gab, wurde er mehr als nur freudig aufgenommen.
«Daraufhin wurde ich mit Fragen und Gratulationen bestürmt, als wenn
ich ein Held von der Guadalcanal-Insel wäre! Jeder wollte möglichst viel
über die Waffen-SS sowie über die Sowjets erfahren. Solche Befragungen
kannte ich bereits durch die Fallschirmjäger in Pau. Welch ein Interesse kann
eine Elitearmee doch weltweit hervorrufen! Das Goldene Gästebuch, in das
ich mich mit Namen und SS-Dienstgrad eintrug, enthielt übrigens die Na-
men zahlreicher SS-Angehöriger sämtlicher Dienstränge. ..»
Die amerikanischen Offiziere wollten alles Mögliche von Bayle erfahren.
«Ihr Interesse galt insbesondere der Invasion in der Normandie und der
Schlacht in den Ardennen. Die Kampfmoral und die bewundernswerte, vor-
bildliche soldatische Haltung der deutschen Soldaten im Allgemeinen, aber
die der Waffen-SS im Besonderen, wurde lobend hervorgehoben...»
Im Rahmen des West-Point-Besuches konnte Bayle dann auch nachlesen,
wie führende alliierte Generale und Politiker während des Zweiten Weltkrie-
ges und danach wirklich über die deutschen Soldaten dachten. Er führte
einige dieser auch heute noch nachzulesenden Meinungen an:
«US-General Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaberder alliierten Ar-
meen in Europa: Ich muss meine früheren abfälligen Urteile revidieren,
31
nachdem ich mir die Deutschen aus der Nähe angesehen habe. In der Tat,
sie kämpften ehrlich und tapfer.
US-General George S. Patton: Ich habe einen grossen Respekt vor den
Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die mich im Laufe des Krieges durch
ihren Mut und ihr Ehrgefühl immer wieder erstaunt haben.
Der britische Marschall Lord Alanbrooke: Die Soldaten der deutschen
Wehrmacht sind zweifelsohne die besten.
US-General George C. Marshall: Wir müssen zugeben, dass die Deut-
schen ausgezeichnete, sehr gut ausgebildete Soldaten sind, vor allem die
Unteroffiziere. Ihre Disziplin ist unerschütterlich.»
Umso befremdlicher lesen sich diese Sätze von Siegern, die voller Aner-
kennung über ihre einstigen Gegner sind, wenn man dann an all die Verun-
glimpfungen denken muss, die dem deutschen Soldaten – und vor allem
den Angehörigen der Waffen-SS – nach Kriegsende im eigenen Land wider-
fahren sind.
Sogar der israelische Generalstab, dem wohl niemand einen besonderen
Grund unterstellen kann, die deutschen Soldaten zu loben, musste den ho-
hen Stellenwert des deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg anerkennen.
Eine Studie im Auftrag des israelischen Generalstabes, in deren Rahmen
mehr als tausend Militärspezialisten aus aller Welt befragt wurden, brachte
folgende Ergebnisse:
Frage 1: Welche Armee halten Sie für die beste im Zweiten Weltkrieg?
Antwort: 1. die deutsche mit 93 Punkten.
2. die japanische mit 86 Punkten.
Frage 2: Welcher Soldat hat am tapfersten gekämpft?
Antwort: Sowohl einzeln als auch im Verband war der deutsche Soldat
der disziplinierteste und der tapferste.
Frage 3: Welches waren die Eliteeinheiten?
Antwort: USA: die Navy
England: die Kommandos
Frankreich: die Fremdenlegion Deutschland: die Waffen-SS
Japan: die Marine
UdSSR: die Arbeitermilizen
sowie die Fallschirmjäger im Allgemeinen.
32
Dies zeigt überdeutlich, wie die gesamte Welt – ausser einigen deutschen
Politikern und sogenannten Historikern – wirklich über die deutschen Wehr-
machtangehörigen denkt.
Es ist auch nicht so, wie heute den jungen Menschen in unserem Land oft
eingetrichtert wird, dass es sich bei den Angehörigen der Waffen-SS um
verblendete Nationalsozialisten gehandelt habe.
Wer sich einmal wirklich mit jener Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
und hin bis zur Entstehung der Bundesrepublik beschäftigt und dabei ver-
sucht hat, die Gedankengänge und Beweggründe der Menschen jener Jahre
zu verstehen, der wird rasch erkannt haben, dass sich unter dem Namen
‚Waffen-SS’ vor allem ab 1943 eine europäische Armee zu formieren be-
gann, die nicht für Hitler und die NSDAP, sondern gegen den damaligen
Bolschewismus kämpfte, der ganz Europa bedrohte.
Man weiss heute, dass höchstens zehn Prozent der deutschen Waffen-
SS-Angehörigen überhaupt Parteimitglieder waren und dass an ihrer Seite
junge Männer und Frauen aus rund 40 europäischen Nationen kämpften.
Ähnlich wie bereits einige Jahre zuvor im Spanischen Bürgerkrieg hatten
auch sie sich zu einer Freiwilligenarmee gegen den Kommunismus zusam-
mengeschlossen, und mit den Greueln, die von Einsatzgruppen und
Sonderkommandos unter dem Befehl von Himmlers SS durchgeführt wur-
den, darf man die Waffen-SS nicht in einen Topf werfen, wie es seit Kriegs-
ende immer wieder gemacht wird. Wie europäisch die Waffen-SS war, drü-
cken Zahlen weit besser aus als viele Worte (siehe Übersicht auf der näch-
sten Seite). Mehr als die Hälfte dieser Armee bestand aus nichtdeutschen
Europäern, und sie alle kämpften im Rahmen der deutschen Wehrmacht.
Weltweit weiss man, dass die Wehrmachtangehörigen Soldaten und
keine Verbrecher waren, die ehrenvoll und tapfer bis zum bitteren Ende ihre
Pflicht taten, und das meist weitaus besser und disziplinierter als ihre Geg-
ner, nur gewisse politische Strömungen in diesem Land wollen auch heute
noch, 50 Jahre nach Kriegsende, diese Männer und Frauen pauschal zu Ver-
brechern abstempeln. Da kann man als denkender Mensch mit etwas Inter-
esse an der deutschen Geschichte nicht länger ruhig bleiben.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass meine Eltern und Grosseltern,
ebenfalls Angehörige der deutschen Wehrmacht, mit Sicherheit keine Ver-
brecher waren!
33
Nationalitäten in der Waffen-SS
Albanier 16.000 Kroaten 8.000
Armenier 7.000 Letten 35.000
Bosnier 20.000 Liechtensteiner 100
Bulgaren 3.000 Litauer 4.000
Dänen 8.000 Norweger 10.000
Deutsche 400.000 Rumänen 5.000
Engländer 100 Russen 42.000
Esten 25.000 Schweden 300
Finnen 4.000 Schweizer 1.350
Flamen 22.000 Serben 4.000
Franzosen 12.000 Slowenen 6.000
Georgier 4.000 Spanier 1.000
Griechen 1.000 Tataren 10.000
Hindustani 3.000 Tschechen 5.000
Holländer 40.000 Turkestani 8.000
Italiener 10.000 Ukrainer 25.000
Kalmücken 2.000 Ungarn 40.000
Kaukasier 1 8.000 Usbeken 2.000
Kirgisen 2.000 Wallonen 16.000
Kosaken 35.000 Gesamt: 854.850
Es würde den Rahmen dieses Buches bei Weitem sprengen, wollte man
alle Gründe dafür aufzählen, warum diese Menschen damals so und nicht
anders gehandelt haben. Deshalb habe ich mich darauf konzentriert, zu Be-
ginn des Buches einmal aufzuzeigen, welche Gefühle und Beweggründe
eine Rolle gespielt haben, dass Millionen Angehörige der Wehrmacht bis
zum 8. Mai 1945 und auch darüber hinaus noch ihre Pflicht taten und nicht
feige ihre Kameraden im Stich liessen und davonliefen.
Ich versuche auf den folgenden Seiten zu vermitteln, wie diese letzten
Tage abliefen, wie unterschiedlich die Gefangennahme sich für die Betroffe-
nen darstellte und welche Leidenswege sich für viele dann auftaten, von
denen einige erst 1955 und noch später zurückkamen, Millionen gar nicht
mehr!
34
Verständnis
fiir die
Situation
«... Sie sind verrückt! Ein Krieg zwischen Europäern
ist ein Bürgerkrieg! Das ist die grösste Dummheit,
die die Welt jemals gesehen hat!»
Lyautey, französischer Marschall und
Begründer Marokkos, als er vom Beginn
des Ersten Weltkrieges erfuhr
U
m zu verstehen, warum die deutschen Soldaten auch zu Beginn
des Jahres 1945 noch weiter kämpften, obwohl der Krieg für
Deutschland bereits verloren war, muss man versuchen, sich in
ihre Situation zu versetzen.
Es war bereits das sechste Kriegsjahr, und aus den Volksempfängern
hörte man im Deutschen Reich bis dahin eigentlich hauptsächlich Meldun-
gen über Siege.
Goebbels und seine Mannen verstanden es, auch eine schwere Nieder-
lage noch als «taktische Rücknahme der eingesetzten Verbände für einen
folgenden Grossangriff» darzustellen, und seit Monaten hörte man von den
neuen ‚Wunderwaffen’, die den so oft erwähnten Endsieg demnächst brin-
gen würden.
Wir haben es heute einfach, uns Informationen aus dem Ausland zu ver-
schaffen. Wir schalten den Fernseher an und wählen über Kabel oder Satel-
liten CNN, Sky News oder sonst einen Nachrichtensender aus dem Ausland,
wenn man der Meinung ist, die Nachrichten der inländischen Sender seien
nicht ausführlich genug.
Das war im Dritten Reich völlig unmöglich.
Es gab kein privates Fernsehen, keine private Rundfunkstation und auch
keine freie ausländische Zeitung in Deutschland.
Alle Medien wurden zentral von Goebbels und seinem Reichspropagan-
daministerium gesteuert.
Jedes Buch, jeder Film, alle Zeitungen und Nachrichtensendungen wur-
den genau geprüft, jedes Wort überarbeitet, und dann gab man diese In-
formationen aus Berlin erst zur Veröffentlichung frei.
37
So wusste kaum ein deutscher Normalbürger, wieviele Opfer der Krieg
bis 1945 wirklich gefordert hatte.
Einzig die genormten Todesfallanzeigen in den Zeitungen vermittelten
einen kleinen Einblick in die Verlustzahlen.
Die Soldaten an der Front wussten es da besser. Sie erlebten jeden Tag,
wie sich ihre Reihen lichteten, Kameraden plötzlich nicht mehr an ihrer Seite
waren und wie sich die Berge heranstürmender gegnerischer Soldaten vor
ihren Abwehrfronten plötzlich türmten und alle Lazarette völlig überfüllt
waren.
Doch sie durften darüber nicht nach Hause schreiben, denn ihre Post
wurde ebenfalls zensiert.
Der Zweite Weltkrieg forderte von allen beteiligten Völkern einen hohen
Blutzoll.
Die meisten Opfer hatte mit mehr als 20 Millionen die Sowjetunion zu
beklagen.
Genaue Angaben über die deutschen Opfer sind heute kaum noch er-
mittelbar. Dies liegt ebenso an den Wirren des raschen deutschen Zusam-
menbruchs im Frühjahr 1945 wie auch an dem völlig planlosen und unge-
ordneten Umgang der Siegermächte mit den in Deutschland erbeuteten
Unterlagen.
Bis zum 31. Januar 1945 konnten von der Seite der Wehrmacht noch ei-
nigermassen genaue Angaben gemacht werden.
38
■X
Von Februar 1945 bis Kriegsende ist man dann auf die unterschiedlichsten Schätzun-
gen angewiesen, die insgesamt bis zu 9 Millionen Wehrmachtstoten reichen.
Als zu Beginn der neunziger Jahre dann zahlreiches Material aus dem Osten auf-
tauchte, konnten einige Zahlen bis heute weitgehend revidiert werden.
So weist der Arbeitsbericht der Deutschen Dienststelle in Berlin im Jahre 1993 nach-
folgende Zusammenstellung über die Wehrmachtsverluste aus:
Beurkundete Wehrmachtssterbefälle
(einschl. Österreicher 3‘100’000
Vermisste Wehrmachtangehörige,
mit deren Tod sicher zu rechnen ist 1‘200’000
Gesamt: 4‘300’000
Es sind also vom 31. Januar 1945 bis zum Kriegsende noch rund 400.000 deutsche
Wehrmachtangehörige ums Leben gekommen, wenn man die addierten Zahlen für Tote
und Vermisste vergleicht.
Ebenso war man leider auch bei den Zahlen für deutsche Kriegsgefangene jahrzehn-
telang auf reine Schätzungen angewiesen und ist es auch heute teilweise noch.
Während die Deutsche Wehrmacht wegen des straff durchorganisierten Gefangenen-
wesens und der bereits vor Kriegsbeginn eingerichteten Wehrmachtauskunftstelle bis
Kriegsende stets exakte Angaben machen konnte, wurde dies aufseiten der Alliierten
meist wesentlich ungenauer gehandhabt.
Noch waren die deutschen Feldzüge nicht beendet, von Polen bis Russland, da wur-
den von der Wehrmacht direkt nach Abschluss der Kampfhandlungen an vorher bereits
festgelegten Plätzen rasch Kriegsgefangenenlager erstellt, die aus Fertigbaracken errich-
tet und mit Stacheldraht eingezäunt wurden.
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Die deutschen Wachmannschaften waren in eigenen Bereichen unterge-
bracht.
Die Kriegsgefangenen, gleich welcher Nationalität, waren für die Ord-
nung und Sauberkeit in ihren Lagern selber verantwortlich und mussten
darüber den Bewachern stets Meldung machen, wenn dies gefordert wurde.
Neben den Instandhaltungsarbeiten wurden die Kriegsgefangenen zu
Arbeitseinsätzen herangezogen, wie in allen anderen Ländern der Welt zu
jener Zeit auch.
Zu Arbeitseinsätzen wurden die Kriegsgefangenen aber nicht, wie oft
falsch dargestellt, aus den Kriegsgefangenenlagern heraus eingesetzt, son-
dern erst dann, wenn sie ihrem Kriegsgefangenenstammlager zugeteilt wa-
ren, das sich meist auf deutschem Reichsgebiet befand, ab 1941 auch in den
besetzten Ländern.
Nach ihrer Registrierung und der Untersuchung durch eine Ärztegruppe
wurden sie auf die entsprechenden Stammlager verteilt.
Dieses System funktionierte bis zu Beginn des Jahres 1945, und rund 2
Millionen westalliierter und mehr als 4 Millionen sowjetischer Soldaten wur-
den so behandelt.
Erst als auf deutscher Seite die Probleme des eigenen Rückzuges und der
immer rascher vordringenden alliierten Truppen kaum noch lösbar waren,
konnten auch die Lager mit den Kriegsgefangenen nicht mehr geordnet be-
wacht, verwaltet und rückgeführt werden.
Auch brach in den letzten Wochen vor Kriegsende jegliche Möglichkeit
geregelter Versorgung völlig zusammen. Das betraf nicht nur die Insassen
von Gefangenen- oder Konzentrationslagern, das betraf alle Menschen, die
damals in Deutschland und in den noch von deutschen Truppen besetzten
Gebieten lebten.
Lastwagen- oder Bahntransporte bei Tag waren wegen der nun ständig
in grosser Zahl über deutschem Gebiet fliegenden alliierten Bomber, Jäger
und Schlachtflieger kaum noch durchführbar. Ein Lastwagen benötigte in
jenen Tagen oft für eine Fahrtstrecke von 20 Kilometern Luftlinie ein bis zwei
Tage oder auch noch mehr.
Strassen waren wegen Trümmerbergen und Bombentrichter häufig un-
passierbar, Brücken waren gesprengt oder zerschossen und zerbombt, Un-
terführungen dienten als Notlazarette, und war eine Strasse oder ein Weg
noch einigermassen befahrbar, verstopften ihn meist Kolonnen der Millio-
nen deutscher Flüchtlinge, die zwischen Freund und Feind in dichten Trau-
ben Richtung Westen trotteten.
40
Dies alles wurde untermalt von dem ständigen Grummeln und Ru-
moren der immer näherrückenden Front.
Noch schlimmer sah es aber in den grossen Städten aus, die seit dem
Jahre 1943 unter der Wucht der alliierten Flächenbombardierungen mit
1’000 Bombern und mehr rund um die Uhr zu leiden hatten.
Tagsüber kamen die amerikanischen ‚Fliegenden Festungen‘, in der
Nacht orientierten sich die Bristol- und Halifax-Bomber der Briten an
den weithin sichtbaren Feuersäulen der brennenden deutschen Städte.
Den Bomben war es völlig egal, wen sie trafen, ob Soldaten oder Zi-
vilisten, Kriegsgefangene oder Häftlinge, Frauen oder Männer. Alles
wurde von ihrer Sprengkraft zermalmt.
Die Heimat war für die meisten Deutschen zur eigenen Front gewor-
den. Zu einer völlig einseitigen Front, an der man nicht zurückschlagen,
sondern nur erdulden konnte. Eine Front ohne jede Hoffnung auf Hilfe
oder Ersatz, und es war jedem klar, der dort lebte, dass das Ende immer
näher kam, doch was würde dieses Ende ihnen bringen?
Mit dem Chaos, in dem alle Ordnung zu versinken drohte, kamen na-
türlich auch zahlreiche Transporte nicht dort an, wo sie hinbeordert wor-
den waren, sondern wurden unterwegs gestoppt.
Wenn sich Lebensmittel, Wasser, Benzin oder Kleidung auf einem
Lastwagen befand, der von einer Kampfeinheit angehalten wurde, die
bereits seit Tagen und Wochen auf sich gestellt war und keinerlei Hoff-
nung auf geregelte Versorgung hatte, war es um die Ladung und den
LKW meist geschehen, da viele Einheitsführer in den letzten Kriegstagen
selber Sorge dafür trugen, dass ihre Soldaten, die sie vom Ural, aus
Afrika oder von der Krim heil bis hier an die deutschen Grenzen gebracht
hatten, nicht so kurz vor ‚Toresschluss’ noch verhungerten oder verdur-
steten.
So wurde manch ein Befehl ignoriert, und es kam auch zu Gewaltan-
wendungen, wenn ein diensteifriger Fahrer sich nicht von seinem Last-
wagen trennen oderein ‚Versorgungsbulle’ sich aufspielen wollte.
Dennoch, und das mag heute mehr als verwunderlich erscheinen,
herrschte aber keine Anarchie. Der Befehl, eine Brücke zu sichern, den
Feind hinhaltend kämpfend zu binden, einen begrenzten Gegenstoss
durchzuführen oder welcher andere Auftrag es auch noch sein mochte,
41
wurde bis zum 8. Mai 1945 und auch noch Tage und Wochen danach aus-
geführt.
Es war ein eigener Ehrenkodex unter den deutschen Soldaten und ihren
noch treuen Verbündeten, der sich da zum Kriegsende hin entwickelt hatte.
Es war eine merkwürdige Mischung aus Vertrauen zur Obrigkeit, aber ge-
paart mit einem gesunden Misstrauen. Dazu kam der Kameradschaftgeist
der Kampfeinheiten, die bereits durch dick und dünn gegangen waren, und
der Wille zum Überleben sowie die Angst um die Familie und die ungewisse
Zukunft, in die diese meist blutjungen Soldaten nun marschierten.
Nicht der Dienstgrad eines Offiziers und der von ihm gegebene Befehl
allein waren es, die sie jetzt auch eine schier unlösbare Aufgabe ausführen
liessen, sondern es musste auch das Vertrauen dem Befehlenden gegen-
über dazugehören.
Da auch die meisten Telefon- und Fernschreiberleitungen zerstört waren
und Rückrufe somit zu einem seltenen Erlebnis wurden, war es schon wich-
tig, dass man sich auf den Offizier verlassen konnte, der diesen Befehl gab.
Hier trug auch der 20. Juli 1944 seinen Anteil dazu bei, dass man den
Offizieren nicht mehr bedingungslos Glauben schenkte. Schliesslich hatten
deutsche Offiziere versucht, den Führer zu ermorden, wie man es tagelang
aus den Radios so hören konnte, und zwar in der Form, wie Goebbels es mit
den Resten seines Propagandaministeriums für richtig hielt.
Das war für einen Soldaten damals der Gipfel an Ehrlosigkeit, und man
hatte es ihnen oft genug eingepaukt.
Und da waren die feindlichen Truppen, vor allem im Osten, die mit un-
geheurer Gewalt und unvorstellbarer Brutalität auf Deutschland und seine
Menschen zustürmten.
Allen Deutschen war damals klar, dass diese Millionen von gegnerischen
Soldaten, die aus Osten, Westen und Süden auf das Reichsgebiet immer
stärker zumarschierten, nicht den Auftrag hatten, die Deutschen von Hitler
und seinen Schergen zu befreien, wie es heute von vielen Politikern völlig
falsch dargestellt wird.
Nein, die feindlichen Soldaten kämpften sich mit dem ihnen zur Verfü-
gung stehenden Waffenpotential nach Deutschland, um dieses Land zu be-
siegen, das Gebiet des Landes zu besetzen, sich ihre Siegesbeute zu holen
und das Deutsche Reich ein für alle Mal als Weltmacht auszuschalten.
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Diese Kriegsziele finden sich in der Direktive JCS 1067 vom 23. März 1945
auch klar dargestellt wieder:
«Deutschland wird nicht besetzt werden zum Zweck der Befreiung, son-
dern als eine besiegte Feindnation...»
Das wussten damals nicht nur die deutschen Soldaten, das war der ge-
samten Welt bekannt, ausser möglicherweise einigen Deutschen, wie etwa
der Frau Süssmuth, die damals noch zu jung waren, um überhaupt zu be-
greifen, was da um sie herum geschah.
Auch scheint sie bis heute noch nicht erkannt zu haben, dass die alliierten
Siegermächte überall nach Kriegsende Sieges- und keine Befreiungspara-
den abhielten, bei denen, vor allem im Osten, die deutschen Kriegsgefan-
genen vorgeführt wurden, wie einst im alten Rom die besiegten Barbaren,
und die Proklamation Nr. 1 der deutschen Militärregierung im Mai 1945 hat
sie mit Sicherheit nicht gelesen (siehe Seite 43).
Auch sei jenen Politikern und anderen Zeitgenossen, die da so leichtfer-
tig von Befreiung reden, einmal angeraten, in alten Zeitungen aus den Jah-
ren nach Kriegsende zu blättern, als die Erinnerung an das Erlebte noch
frisch und nicht so verwaschen wie heute war. Zu empfehlen sei da bei-
spielsweise der Schwarzwälder Bote Nr. 82 des Jahres 1955:
«Die Befreiung erstreckte sich auf Wertgegenstände, Fotos und Uhren,
Handtaschen und Geldbeutel. Calw (die schwäbische Stadt) musste den Lei-
denskelch des Krieges bis zur Neige leeren.»
Bei weiterem Studium des Artikels erfahren diese Zeitgenossen auch, wie
die französische Heeresleitung die Stadt der einmarschierenden Truppe,
vorwiegend Marokkaner und Kolonialtruppen, freigegeben hat und dass die
dann stattgefundenen tagelangen Vergewaltigungen in die Zehntausende
gegangen sind.
Benehmen sich etwa so Befreier?
Die Stadt Calw war aber beileibe kein Einzelfall; in Freudenstadt und
Stuttgart geschah ähnliches, und überall im Osten. Das war die Normalität
des Kriegsendes in Deutschland.
Dass die verbündeten Russen, Amerikaner, Engländer, Franzosen und alle
anderen Nationen ihrem Ziel, Deutschland zu besiegen, täglich näherka-
men, konnte man an allen Frontabschnitten sehen und hören.
Die Waffen- und Munitionslage wurde auf deutscher Seite immer dra-
matischer, und sowohl den meisten Offizieren als auch den noch lebenden
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länger dienenden Soldaten war klar, dass es nichts mehr zu gewinnen gab.
Einzig die jungen, begeisterten Freiwilligen oder Wehrpflichtigen hatten
die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Sie waren 17, 18 oder 19 Jahre alt, hatten ihre Feuertaufe in den Weiten
Russlands erlebt und schon mehr gesehen als viele andere Menschen in ih-
rem gesamten Leben.
Sie waren zwar noch jung an Lebensjahren, aber durch die Erfahrung des
Krieges bereits zu erwachsenen Männern gereift.
Seit Monaten gab es aber nur noch eine Marschrichtung für sie, heim ins
Reich!
Parolen wie:
«Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück!» oder
«Heim, uns reichts!» machten bei den Feldgrauen die Runde.
Die Soldaten, die im Osten standen und versuchten, die Rote Armee auf-
zuhalten, hatten das Schlimmste zu befürchten. Sie alle kannten die Flug-
blätter des sowjetischen Schriftstellers und Propagandisten Ilja Ehrenburg,
der mit seinen hasserfüllten Hetzschriften bereits seit dem deutschen An-
griff auf die UdSSR im Jahre 1941 pausenlos zum brutalsten Kampf gegen
das gesamte deutsche Volk auf rief.
Seine Hetzpropaganda gipfelte in einem Aufruf zum totalen Völkermord,
der Ende 1944 an alle Sowjetsoldaten verteilt wurde. Wörtlich übersetzt lau-
tete er:
«Wir haben jetzt be-
«Tötet! Tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die
schlossen, alle Deut-
Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht! Folgt der Weisung des Genos- schen zu töten, die
sen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. in unser Land einge-
Brecht mit Gewalt den Rassehochmut der germanischen Frauen! Nehmt sie drungen sind... Wir
als rechtmässige Beute!» beabsichtigen, sie
Es ist bezeichnend für die Vergangenheitsbewältigung der Nachkriegs- ganz einfach zu ver-
zeit, dass Ehrenburg für diesen Aufruf ebenfalls mit Orden und Ehrenbezei- nichten. Es ist unse-
gungen überhäuft wurde, wie auch jene amerikanischen Soldaten, die zwei rem Volk zugefallen,
diese menschen-
Atombomben auf japanische Städte abwarfen.
freundliche Mission
Auch Ehrenburg wurde später wegen seines Aufrufes zum Völkermord
zu erfüllen.»
nie zur Rechenschaft gezogen, ebenso nicht die Piloten, die mehr als I. Ehrenburg am
200’000 Zivilisten direkt getötet und weitere Hunderttausende für Jahr- 3. Dezember 1941,
zehnte geschädigt hatten. nach Hoffmann,
Dass dieser Aufruf von zahlreichen Rotarmisten, aber auch von ihren Ver- ‚Stalins Vernich-
bündeten in die Tat umgesetzt wurde, erlebten viele Soldaten der Ostfront tungskrieg 1941-
1945’, S. 236.
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immer wieder, wenn sie zu einem begrenzten Gegenangriff antraten und
Ortschaften für kurze Zeit zurückeroberten, in denen die Sowjetarmee be-
reits vergewaltigt, gemordet, geplündert und gequält hatte. Nemmersdorf
oder Metgethen in Ostpreussen sind dafür Beispiele.
Die Meldungen über diese Untaten machten natürlich sofort die Runde
bei der kämpfenden Truppe, und auch der Propagandaapparat unter Go-
ebbels' Leitung verbreitete die an solchen Orten gemachten Fotos und
Filmaufnahmen im gesamten Reich.
46
enangehörige, wirklich zukommen würde. Dies alles, dazu dann noch das
Gefühl, seit Jahren betrogen worden zu sein, mischte sich mit den seit frü-
hester Jugend anerzogenen Werten wie Ehre, Treue, Gehorsam und Vater-
landsliebe zu eben jenem letzten Durchhaltewillen, der ihnen die Kraft gab,
schier unmöglich erscheinende körperliche Leistungen zu vollbringen, und
der ihre Handlungen für uns heute etwas verständlicher machen sollte.
So mancher Landser mag sicherlich mit dem Gedanken gespielt haben,
seine Einheit zu verlassen und sich in einem Wald zu verstecken oder ein-
fach die Arme zu heben und sich in sein Schicksal zu ergeben, doch die
meisten verwarfen diese Gedanken rasch wieder, griffen nur noch fester
nach dem Gewehr und der letzten Munition.
Natürlich spielte auch die persönliche Angst jedes Soldaten eine Rolle,
doch wenn man tagtäglich dem Tod ins Anblick schaut, schreckt einen die-
ser Anblick bald nicht mehr so sehr.
Ich habe mit ehemaligen Soldaten gesprochen, die damals weitaus mehr
Angst vor den eigenen Gerichtsbarkeiten als vor den Gegnern hatten.
Es waren die plötzlich überall auftauchenden ‚fliegenden Standgerichte’,
auch ‚Sondergerichte’ genannt, die im rückwärtigen Frontgebiet bald Angst
und Schrecken verbreiteten.
Sie entstanden auf Grund eines Hitler-Erlasses vom 9. März 1945. Hierbei
handelte es sich meist um einen Kriegsgerichtsrat, der von einem Schreiber
und einem Fahrer begleitet wurde und an Ort und Stelle Urteile verhängen
konnte.
Eine Vielzahl der Todesurteile im Bereich der Wehrmacht kurz vor Kriegs-
ende ging auf das Konto dieser Schnellrichter, und mancher deutsche Sol-
dat kann sich auch heute, 50 Jahre danach, noch gut an den Anblick er-
schossener oder aufgehängter Kameraden erinnern.
Ab März 1945 war es für einen einzelnen Soldaten, aber auch für kleinere
Gruppen sowohl an der Front selber als auch im rückwärtigen Bereich äus-
serst gefährlich.
An der Front war es der Gegner, dahinter die Sondergerichte, übereifrige
Offiziere und der sogenannte ‚Heldenklau’.
Dies war im Landserjargon die Bezeichnung für Offiziere, die in der letz-
ten Kriegsphase die Stäbe, Nachschubeinheiten und sogar die Lazarette
nach noch waffenfähigen Männer durchforsteten.
47
Wer in ihre Finger geriet, hatte meist keine Chance.
Da halfen auch keine anderslautenden Marschpapiere
oder sonstige Bescheinigungen.
Alles, was noch in der Lage war, eine Waffe abzu-
feuern, wurde zusammengefasst. Kampfgruppe war
die neue Bezeichnung für die auf solche Art zusam-
mengewürfelten Haufen, die meist als eine Art Feuer-
wehr an den brisantesten Brennpunkten eingesetzt
wurden.
Auch bot die früher so schützend angesehene Hei-
mat nicht mehr den Ort der Zuflucht wie noch in den
ersten Kriegsjahren, als man sich dort auf Fronturlaub
erholen konnte.
Die meisten deutschen Städte waren durch den
Bombenkrieg der Engländer und Amerikaner grös-
stenteils zerstört.
Die einst so prunkvollen Massenaufmärsche fan-
den schon lange nicht mehr statt, und ein Grossteil
Waffenproduktion des Lebens in Deutschland spielte sich inzwischen unter der Erde ab.
in einem
unterirdischen In Bunkern, Höhlen, Stollen und Tunneln wurde gearbeitet, und in Not-
Stollen.
unterkünften lebte man.
Glücklich der Soldat, der bei einem der immer seltener gewordenen
Fronturlaube seine Familie auf dem Lande besuchen konnte.
Dort gab es keine grossen Flächenbombardierungen mit tausend Bom-
bern oder mehr.
In den ländlichen Gegenden Deutschlands musste man sich im Frühjahr
1945 weitaus mehr vor den häufig am Himmel auftauchenden britischen,
amerikanischen oder im Osten auch sowjetischen Tieffliegern vorsehen, die
sich oft einen Spass daraus machten, einzelne Fussgänger oder Radfahrer
aus ihren Bordwaffen zu beschiessen.
In der Heimat schien es damals oft gefährlicher als an manchen Frontab-
schnitten zu sein.
So fühlten sich dann die meisten Soldaten bei ihren Einheiten am wohl-
sten. Das war die Umgebung, die sie seit Monaten oder Jahren kannten; da
waren die Kameraden und auch die Vorgesetzten, und alle hatten einen ge-
meinsamen Feind.
Auch Offiziere dachten da nicht anders und sahen zu, dass ihre Verbin-
dung zur nächst grösseren Einheit nicht abriss, denn wer ohne Verbindung
war, konnte auf keinerlei Versorgung mehr hoffen und wusste auch nicht,
wie weit der Feind bereits vorgestossen war.
Am sichersten war man immer noch in einem Grossverband aufgehoben.
Dort funktionierte die Versorgung meist noch bis über das Kriegsende
hinaus.
Die Heeresgruppe Mitte, der stärkste noch an der Ostfront stehende
deutsche Verband, unter dem Kommando des Generalfeldmarschalls Ferdi-
nand Schörner meldete noch am 2. Mai 1945 an Dönitz, dass man inzwi-
schen mit der selbständigen Herstellung von Treibstoff und Munition be-
gonnen habe.
Bereits im April 1945 machte eine Parole die Runde bei den Truppen an
der Ostfront, die auch dem jüngsten Soldaten noch einmal einen neuen Mut
gab.
«Wir weichen hinhaltend kämpfend bis zu den Westalliierten zurück, wer-
den dort neu ausgerüstet und kämpfen dann zusammen mit den Englän-
dern und Amerikanern die Russen nieder!»
Dass es sich hierbei nicht nur um eine der zahlreichen ‚Latrinenparolen‘
gehandelt hatte, zeigte die überraschende Enthüllung des britischen Premi-
erministers Winston Churchill im Jahre 1954.
49
Sensationelle
Enthüllung Ob nun wirklich durchführbar oder nicht, die meisten
deutschen Soldaten, die von dieser Parole hörten, sahen
Winston Churchills plötzlich einen neuen Sinn in ihrem Abwehrkampf gegen die
23. November. Starke Resonanz Rote Armee.
findet die Bemerkung des britischen Der deutschen Führung war allerdings nach Hitlers Tod
Premierministers Winston Church-
ill anlässlich einer Rede in Wood- völlig klar, dass der Krieg nur in einer Kapitulation der Wehr-
ford, dass er in der Endphase des macht enden konnte.
Zweiten Weltkrieges daran gedacht
habe, die deutschen Kriegsgefange-
Grossadmiral Karl Dönitz, der nach Hitlers Selbstmord die
nen wieder zu bewaffnen, um einen Geschäfte des letzten deutschen Reichspräsidenten ausübte,
weiteren Vormarsch der Sowjet- hatte sich bereits wenige Stunden nach Übernahme der
union zu verhindern. Vorbereitend
habe er schon General Montgome- Staatsführung dazu entschlossen, den Versuch zu unterneh-
ry angewiesen, die deutschen Waf- men, eine Teilkapitulation vor den Westalliierten zu errei-
fen zu sammeln und zu stapeln. In
der Bundesrepublik wird diese chen.
Äusserung von vielen als Bestäti- Zwar waren auch ihm die Absprachen zwischen den West-
gung der schon im Kriege verschie-
mächten und Stalin bekannt, dennoch wollte er alles nur Er-
dentlich geäusserten Meinung ge-
deutet, dass der gemeinsame Feind denkliche unternehmen, um zumindest so viele Soldaten
im Osten stehe. Churchill engt und Zivilisten wie nur möglich vor den Sowjettruppen zu ret-
jedoch später seine Darstellung ein;
seine Überlegungen haben sich nur ten, ohne dabei aber die völlige Auflösung der Ostfront zu
auf den Stalinschen Expansionis- riskieren.
mus bezogen. Im Moment sei es
wichtiger, die Absichten der Mos-
Es war kein leichtes Unterfangen, wie man heute weiss.
kauer Führung zu ergründen und So schrieb er am 2. Mai 1945 unter anderem in sein Tage-
zu fragen, ob nicht doch ein grund- buch: «Die militärische Lage ist hoffnungslos. Im gegenwär-
legender Wandel der Ziele stattge-
funden habe. Dies herauszufinden, tigen Stadium muss es Hauptziel der Regierung sein, mög-
betrachte er als die grosse Aufgabe lichst viele deutsche Menschen vor der Vernichtung durch
seiner letzten Jahre.
den Bolschewismus zu retten... alle militärischen und politi-
schen Massnahmen haben der Erhaltung des Volkstums zu
Aus der ‚Chronik dienen. Da hieran der Russe keinerlei Interesse hat, im Gegenteil seine Ver-
des 20. Jahrhun- nichtung anstrebt, ist dem Osten gegenüber Fortsetzung des Kampfes mit
derts’, S. 800. allen Mitteln erforderlich. Einstellung des Kampfes gegenüber den Angels-
achsen jedoch erwünscht, um bei der Aussichtslosigkeit weitere Opfer
durch Bombenterror und fortschreitende Kampfzonen zu ersparen.
Der Dringlichkeit dieses Gedankens steht die Forderung der Feind-
mächte nach bedingungsloser Gesamtkapitulation entgegen. Sie ist un-
möglich, weil damit schlagartig Millionen deutscher Soldaten und Zivilisten
dem Russen ausgeliefert würden...»
Noch am selben Tag beauftragte er den Generaladmiral von Friedeburg,
sich mit dem Befehlshaber der britischen Verbände, Marschall Montgomery
50
Das Vorrücken der Westalliierten im April-Mai 1945. Karte aus Dokumentation.
Das Dritte Reiche Bd. 4, Hamburg 1989.
51
in Verbindung zu setzen. Bereits am Abend des 3. Mai 1945 kam von Frie-
deburg aus dem britischen Hauptquartier zurück und erstattete am Morgen
des 4. Mai 1945 seinen Bericht.
So erfuhr Dönitz, dass Montgomery die bedingungslose Kapitulation al-
ler deutschen Streitkräfte in Holland, Friesland, Schleswig und Dänemark
forderte.
Alle deutschen Soldaten, die, vom Osten kommend, sich den Briten er-
geben, würden zu Kriegsgefangenen gemacht. Ausserdem versicherte
Montgomery, dass deutsche Kriegsgefangene von ihm nicht an die Sowjets
ausgeliefert würden.
Dönitz genehmigte nach reiflichen Überlegungen am 4. Mai 1945 die
Unterzeichnung dieser Bedingungen und wies darauf hin, dass eine ehren-
hafte Behandlung der Kriegsgefangenen und ein «würdiger Modus der
Übergabe» von britischer Seite eingehalten werden müsse.
Von Friedeburg wurde dann auch damit beauftragt, sich mit Eisenhower
wegen einer Teilkapitulation vor den US-Truppen in Verbindung zu setzen.
Am 5. Mai 1945 um 8.00 Uhr trat der Waffenstillstand mit den Briten in
Kraft.
Am darauffolgenden Tag um 9.00 Uhr traf endlich auch Nachricht aus
Eisenhowers Hauptquartier ein, doch seitens der Amerikaner blieb man stur
und forderte die «sofortige, gleichzeitige, bedingungslose Übergabe aller
Fronten».
Dönitz notierte hierzu in seinem Tagebuch:
«... diese Bedingungen sind unannehmbar, weil wir die Armeen im Osten
nicht den Russen ausliefern können. Sie sind undurchführbar, weil kein Sol-
dat der Ostfront sich an den Befehl, die Waffen niederzulegen und stehen-
zubleiben, halten wird...»
Nun wurde Jodl von Dönitz beauftragt, Eisenhower klarzumachen, dass
eine Gesamtkapitulation unmöglich erscheine, eine Kapitulation nach We-
sten aber sofort angenommen werde.
Kurz nach Mitternacht, exakt um 00.15 Uhr am 7. Mai 1945 traf der Funk-
spruch von Jodl bei Dönitz ein. Er war bereits am 6. Mai um 21.45 Uhr ab-
gezeichnet worden und lautete:
«General Eisenhower besteht darauf, dass wir heute noch unterschreiben.
Andernfalls werden die alliierten Fronten auch gegenüber denjenigen Per-
sonen geschlossen werden, die sich einzeln zu ergeben versuchen, und alle
52
Verhandlungen werden abgebrochen.
Ich sehe keinen anderen Ausweg als Chaos oder Unterzeichnung.
Erbitte sofortige drahtlose Bestätigung, ob ich Vollmacht habe, die Kapi-
tulation zu unterzeichnen. Die Kapitulation kann dann wirksam werden.
Feindseligkeiten werden dann am 9.5.45 00.00 Uhr deutscher Sommerzeit
aufhören.
gez. Jodl»
Wie wir heute wissen, entschied Dönitz sich damals, die Vollmacht zur
Unterzeichnung zu erteilen.
Am selben Tag traf um 10.55 Uhr die Kapitulationsurkunde in Abschrift
bei Dönitz ein, um 16.00 Uhr folgte Jodl und erstattete Bericht.
So erfuhr Dönitz, dass Eisenhower durch Erpressung und Drohungen, so-
wohl alle Soldaten, die sich nach Westen durchschlugen, wieder nach Osten
zu schicken, als auch sofort einsetzende grossflächige Bombardierungen
Norddeutschlands zu befehlen, die Unterschrift geradezu erzwungen hatte.
Dönitz notierte hierzu nur in seinem Tagebuch:
«Es ging nicht anders.»
Am 8. Mai 1945 um 12.30 Uhr sprach Dönitz dann über den Flensburger
Sender an das deutsche Volk und gab die Kapitulation bekannt.
Nun war der Krieg in Europa offiziell beendet, und am 9. Mai 1945 um
00.00 Uhr sollten die Waffen an allen Fronten schweigen.
In den Ländern der Allianz gegen Hitler und das Deutsche Reich feierte
man überschwenglich den Sieg und das Kriegsende in Europa, doch an den
Fronten sah in der Praxis vieles ganz anders aus.
Dort war der Krieg noch lange nicht zu Ende.
53
Das Ende
aus der Sicht
der Soldaten
«Der Krieg ist das Massaker von Leuten,
die sich nicht kennen,
zugunsten von Leuten,
die sich kennen,
sich aber nicht gegenseitig abschlachten.»
Paul Valéry
B
ei den Recherchen zu diesem Buch wurden von mir nicht nur die
sonst üblichen Quellen und Zeitzeugen befragt, sondern vor un-
gezählte sogenannte ‚kleine Leute’, denn mir ist es ungeheuer
wichtig, einmal wirklich aufzuzeigen, wie sich das Dritte Reich, der Zweite
Weltkrieg und auch die direkt darauffolgenden Nachkriegsjahre aus der
Sicht dieser einfachen Menschen darstellten.
Für Privilegierte war es immer und zu allen Zeiten wesentlich einfacher,
auch Notzeiten zu überstehen, das hat die Menschheitsgeschichte oft ge-
nug bewiesen.
Sie verfügten oft über Geld im Ausland, über Sachwerte, Beziehungen
und andere Möglichkeiten, sich auch in einem so gewaltigen Zusammen-
bruch wie dem des Dritten Reiches ihre persönlichen Vorteile zu verschaf-
fen.
Auch im Bereich der Wehrmacht war es ein grosser Unterschied, ob man
bei Kriegsende in einem Stab oder etwa dem OKH oder OKW sass oder als
kleiner Gefreiter in einem Schützenloch lag.
Die meisten der sogenannten Zeitzeugnisse, Tagebucheinträge und ähn-
liches, alles, was in den vergangenen 50 Jahren verbreitet wurde, stammen
nicht aus der Feder von Gefreiten oder Unteroffizieren, sondern wurden von
ehemaligen Politikern, höheren Offizieren oder deren Personal veröffent-
licht.
Diese, ich nenne sie weiter ‚Privilegierte’, haben das Kriegsende in Bun-
kern, tief unter der Erde und meist relativ sicher vor Bomben, Granaten und
Infanteriebeschuss, erlebt.
61
Auch mussten sie selten ihr eigenes Leben mit der Waffe in der Hand
verteidigen und haben so natürlich einen völlig anderen Eindruck von den
wirklichen Ereignissen an den verschiedenen Fronten als die Frontoffiziere
und ihre Soldaten.
Ein weiterer grosser Unterschied für die Beteiligten ergab sich auch aus
ihren Uniformen.
Ob man als Soldat die einfache Uniform der Wehrmacht oder die der
Waffen-SS trug, war oft lebensentscheidend, denn nach dem Erscheinen der
ersten Greuelbilder von befreiten Konzentrationslagern und der daraufhin
einsetzenden weltweiten Erschütterung wurden die beiden Buchstaben SS
gleichgesetzt mit allen schrecklichen Ereignissen zwischen 1933 und 1945.
Hierbei wurde kein Unterschied zwischen den verschiedenen Bereichen
der SS gemacht. Das zeigte auch der Umgang mit diesem Bereich nach
Kriegsende, indem man die SS pauschal als ‚verbrecherische Organisation’
erklärte und alle Deutschen, die jemals irgendwie mit diesen beiden Buch-
staben in Berührung kamen, somit als Verbrecher abstempelte.
Merkwürdig wirkt auf mich heute allerdings, dass die direkten Gegner
der meisten Waffen-SS-Verbände auch heute noch mit grosser Hochach-
tung von diesen Männern mit den beiden Runen auf der Uniform und ihren
Leistungen sprechen und sich auch bis heute noch zahlreiche Freundschaf-
ten über alle Grenzen hinweg gehalten haben, während die Politiker, Histo-
riker und Juristen im In- und Ausland, die nie direkten Kontakt zu Männern
der Waffen-SS hatten, ausser bei den häufig inszenierten Nachkriegspro-
zessen, alles genau anders sehen wollen.
Um einen wirklichen Eindruck dieser letzten Tage und Wochen des Drit-
ten Reiches zu bekommen, muss man aber alle Eindrücke möglichst objektiv
verarbeiten, und das habe ich mit den nachfolgenden Zeilen versucht.
Wie sehr sich die Soldaten mit ihren Einheiten auch noch bei Kriegsende
verbunden fühlten und wie sehr sie sich an ihren Fahneneid gebunden hiel-
ten, zeigt wohl nachfolgender Sonderurlaubsschein, der am 7. Mai 1945 für
einen Tag ausgestellt wurde (siehe Seite 63).
Beide Soldaten befanden sich, wie der handschriftliche Zusatz ausweist,
am 8. Mai wieder bei ihrer Truppe!
62
Das Ende der 9. SS-Panzerdivision «Hohenstaufen»
64
Glücklicherweise wurde niemand verletzt, und sie preschten mit Vollgas
zum vereinbarten Treffpunkt weiter.
Stadler beschwerte sich dann später in der Baracke über diese Nichtein-
haltung der Absprachen.
Dies schien die Amerikaner nicht gross zu beeindrucken. Zwar entschul-
digten sie sich für den Vorfall, blieben aber ansonsten recht frostig. Sie ver-
langten kategorisch die bedingungslose Kapitulation der gesamten Divi-
sion.
Stadler erklärte daraufhin, dass er zu einer solchen Entscheidung nicht
berechtigt sei und dass ausserdem bereits Übergabeverhandlungen auf hö-
herer Ebene laufen würden. Er bat um einige Tage Geduld.
Nun verlangten die Amerikaner eine bindende Zusage von Stadler, dass
die Ennsbrücken nicht gesprengt würden. Man einigte sich schliesslich auf
diesen Kompromiss. Tatsächlich wurden dann auch die bereits zur Spren-
gung installierten Sprengladungen am 7. Mai 1945 auf Stadlers Befehl hin
entschärft.
Später konnte man dann aber in der regionalen Presse nachlesen, dass
örtliche Widerstandskämpfer die deutschen Soldaten an der Sprengung ge-
hindert hätten.
Wer sich einmal mit einem der Überlebenden der Division ‚Hohenstau-
fen’ unterhalten hat, wird solche Zeitungsenten sofort ins Reich der Fabel
verweisen können, denn eine Handvoll Widerstandskämpfer hätte diese
noch intakte, infanteristisch gut ausgerüstete und zu allem entschlossene
Division wohl kaum zu irgendeiner Handlung vor der Kapitulation zwingen
können.
Doch leider ziehen sich solche Falschmeldungen wie ein roter Faden
durch die Geschehnisse vor und nach dem Kriegsende.
Am 8. Mai 1945 wurden dann auf Stadlers Befehl Waffen und Gerät zer-
stört, damit es nicht dem Gegner in die Hände fiel. Auch die Geschütze, die
man unter grössten Mühen bis zur Enns geschafft hatte und die letzten 35
noch fahrbaren Panzer. Einzig die Kraftwagen verblieben bei den Einheiten,
um so einen möglichst raschen Marsch auch der verwundeten Soldaten hin-
ter die amerikanischen Linien zu ermöglichen.
Die letzte Verpflegung wurde unter den Männern aufgeteilt, ebenso die
Divisionskasse, dann, nach einem allerletzten Schlussappell, traten die Ein-
heiten an ihren jeweiligen Sammelpunkten an.
65
Die Stimmung der Soldaten war gedrückt. Zwar war es eine Wohltat, ein-
mal nicht mehr im Dreck zu liegen und mit der Waffe im Anschlag auf den
nächsten feindlichen Angriff zu warten, doch was ihnen die Zukunft bringen
würde, darüber hatte jeder der meist noch jungen Soldaten seine eigenen
Vorstellungen, und die waren nicht gerade rosig.
Stadlerfuhr, wie die meisten deutschen Frontoffiziere bei Kriegsende, an
der Spitze der Divisionsführungsstaffel zu den amerikanischen Linien.
Kurz vor dem vereinbarten Treffpunkt schlug plötzlich knatterndes Ge-
wehrfeuer aus den Feldern beiderseits der Marschstrasse in die Lastwagen
der nahezu unbewaffneten Führungsstaffel. Nur mit den wenigen verblie-
benen Pistolen konnte das Feuer kaum wirkungsvoll erwidert werden.
Aus den Feldern stürmten dann Hunderte bewaffnete ehemalige KZ-ln-
sassen auf die Führungsstaffel zu. Mit Waffengewalt wollten die Exhäftlinge
die Kolonne in ihr Lager abdrängen.
Stadler liess geistesgegenwärtig weiter auf die Brücke zufahren.
Die wütenden KZ-lnsassen stürmten wild um sich schiessend hinterher,
wurden aber von den an der Brücke bereits wartenden Amerikanern sofort
festgenommen und entwaffnet. Ausserdem sicherte ab sofort eine US-
Kompanie den Marschweg der noch folgenden Hauptkolonne.
So begann für die meisten Männer der Division ‚Hohenstaufen’ der Weg
in die Kriegsgefangenschaft.
Der Rentner Karl-Heinz Müller, der heute in einem kleinen Ort im Norden
unserer Republik lebt und einer der zahlreichen Menschen ist, die einen
grossen Anteil am Entstehen dieses Buches haben, kann sich auch heute
66
noch genau an seine Gefangennahme erinnern.
Eigentlich war Fliegen nur sein Hobby, doch 1939, als er mitten im 2.
Semester eines Medizinstudiums steckte, wurde er zur Luftwaffe eingezo-
gen und fand sich bald im Flieger-Ausbildungs-Regiment 53 wieder.
Nach Grundausbildung, Flugausbildung und verschiedenen Lehrgängen
dann die ersten Einsätze in einer Ju 88.
Bis 1944 war er über Frankreich, England und Russland im Einsatz. Dort,
im Osten, wurde er 1944 auch zum Oberleutnant befördert.
Das Ende erlebte der junge Oberleutnant aber nicht in der Luft, sondern
auf dem Boden wie Millionen anderer deutscher Soldaten auch.
In Ermangelung von Treibstoff, Munition und Bomben musste auch seine
Staffel im Frühjahr 1945 die letzten Flugzeuge sprengen und sich mit der
Waffe in der Hand im Rahmen einer Luftwaffenfelddivision infanteristisch
einsetzen.
So war es in diesen Zeiten, und er fand sich im April 1945 zusammen mit
seinen Fliegerkameraden und dem Bodenpersonal in zusammengewürfel-
ten Kampfgruppen im noch besetzten Teil Hollands wieder.
«Wir sollten am nächsten Tag eine heranrückende kanadische Panzerein-
heit mit Handgranaten, Panzerfäusten und Minen aufhalten», erzählte er
mir bei unserem ersten Treffen, und man konnte ihm ansehen, dass die Ein-
drücke jener Tage noch einmal vor seinen geistigen Augen abliefen.
«Da stand ich dann mit drei Mann. Es war hei lichter Tag, und am Himmel
flogen die amerikanischen Jabos in Massen. So legten wir uns in einer
Scheune zur Ruhe. Zwischen unserem Standort und der Front lag ja noch
mehr als ein Kilometer, und an einen Tagesmarsch war nicht zu denken...
Anscheinend hatten uns aber einige holländische Partisanen beobachtet,
wovon wir natürlich nichts bemerkten.
Die Partisanen schalteten unseren Posten aus und umstellten am Nach-
mittag leise die Scheune.
Als wir dann aufstanden und uns auf den Marsch an die Front machen
wollten, starrten wir in die Läufe von Gewehren und die Augen von ent-
schlossen dreinblickenden Zivilisten, die Mäntel mit Armbinden trugen, um
67
sich so einen halbmilitärischen Anstrich zu geben.
Wir erkannten, dass wir in dieser Situation keine Chance mehr hatten,
uns ohne grössere Verluste aus dieser Lage zu befreien, und streckten wi-
derwillig die Waffen.
Kurze Zeit darauf bereuten wir diese Entscheidung aber wieder, da die
Holländer Anstalten trafen, uns einfach zu erschiessen.
Einer der verwildert aussehenden Burschen erklärte uns zynisch in ge-
brochenem Deutsch, dass wir bereits als Kriegsverbrecher abgeurteilt seien
und, ebenso wie alle anderen ‚Moffen’ auch, in kurzer Zeit erschossen wür-
den.
Ein Wort von mir in diesem Moment, und wir wären mit blossen Händen
auf diese Partisanen losgegangen.
Während wir mit über dem Kopf verschränkten Armen dastanden und
krampfhaft nach einem Ausweg suchten, begann der Boden unter unseren
Füssen leicht, dann immer heftiger zu vibrieren.
Dieses Geräusch kannten auch wir Flieger inzwischen, und bald bestä-
tigte das dumpfe Grummeln in der Luft, dass gepanzerte Fahrzeuge auf uns
zukamen.
Auf der Strasse, die wir in Richtung Front marschieren wollten, kam uns
die kanadische Panzereinheit entgegen, die wir eigentlich hätten aufhalten
sollen.
Der kanadische Kommandeur erkannte die Situation sofort, liess zwei
seiner Panzer vor der Scheune auffahren und die Kanonen auf die Partisa-
nen richten. Durch einen Dolmetscher erklärte er dann, dass wir ab sofort
Kriegsgefangene der kanadischen Armee seien und als solche nun seiner
Befehlsgewalt unterstünden. Dann lobte er die Partisanen noch, weil sie uns
gefangengesetzt hatten, verteilte ein paar Zigaretten an die wilden Bur-
schen und liess uns, von einem seiner Leute bewacht, in Richtung der alli-
ierten Truppen abmarschieren.
Die Holländer fügten sich mürrisch, warfen uns noch hasserfüllte Blicke
zu, weil sie sich um ihre Rache betrogen fühlten, und trotteten mit unserer
Ausrüstung und den bei uns erbeuteten Waffen davon.
Innerlich dankten wir Gott dafür, dass er die Kanadier rechtzeitig hatte
auftauchen lassen, denn sonst hätte ich diese Episode nie jemandem erzäh-
len können.»
68
Der Krieg war zu Ende und Karl Gruber immer noch kein Held
Karl Gruber (Name auf Wunsch des Befragten geändert) erlebte das Ende
seiner Einheit im Osten, genauer gesagt in der Tschechoslowakei.
Der bei Kriegsende Neunzehnjährige hatte sich bereits gegen Ende des
Jahres 1943 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet.
Auf meine Frage, warum er sich denn freiwillig zum Dienst an der Waffe
gemeldet hatte, war seine ehrliche, aber für mich überraschende Antwort:
«Ich hatte Angst, der Krieg sei vorbei, und ich war noch kein Held!»
So oder ähnlich dachten viele der jungen Burschen in jenen Jahren, denn
Helden wurden ihnen von den gelenkten Medien nahezu täglich vorgesetzt.
Vor allem der Reichsrundfunk mit seinen zahllosen Sondermeldungen
und Namensnennungen von besonders tapferen Soldaten trug hierzu einen
grossen Anteil bei.
Im Frühjahr 1945 war von diesem Jungenwunsch auf Heldentum aller-
dings nicht mehr viel übriggeblieben, denn nach knapp zwei Jahren härte-
sten Abwehrkampfes an der Ostfront und im Partisaneneinsatz in Jugosla-
wien galten die Gedanken der letzten Monate doch mehr dem Überleben
als den forschen Taten.
«Ich kann mich noch genau an eine Episode erinnern, die sich wenige
Tage vor meiner Gefangennahme ereignete», erzählte der heute im Ruhe-
stand lebende Beamte, und seine Augen bekamen dabei einen feuchten
Glanz.
«Wir hatten den, ich weiss nicht, wievielten russischen Angriff auf unsere
Abwehrstellung abgewiesen. Ich war damals in einer Kampfgruppe, die sich
hauptsächlich aus Teilen der Division ‚Wiking’ und Wehrmachtsoldaten ver-
schiedener Einheiten zusammensetzte, die wir unterwegs quasi aufgelesen
hatten.
Kampfgruppenführer war ein Major der Infanterie.
Wir waren zuvor angetreten, um Budapest wieder freizukämpfen, dann
wurde ich mit Teilen unserer ehemaligen Division nach Norden abgedrängt,
und so fand ich mich in dieser Kampfgruppe mit Teilen der Division ‚Das
Reich’ nun südöstlich von Dresden, auf dem Gebiet der ehemaligen Tsche-
choslowakei, wieder.
Es war gar nicht soweit von meiner eigentlichen Heimat im Sudetenland
entfernt.
69
Wir waren die letzten unserer Einheit und sicherten den Abzug grösserer
Teile der Division ‚Das Reich’, die nach Westen zu den Amerikanern durch-
kommen wollten.
Dies war sowieso der Hauptgedanke, der meine Kameraden und mich
damals überhaupt noch zum Kämpfen brachte, denn seit Wochen hiess es,
dass wir uns zu den Amerikanern durchschlagen sollten, da gäbe es dann
etwas Ruhe und Verpflegung, neue Waffen, und dann würden wir mit den
Amis, den Briten und den anderen Westtruppen wieder antreten, um nun
Russland endgültig in die Knie zu zwingen.
Nach dem, was wir auf dem Rückzug alles gesehen hatten, vor allem, wie
die Russen in polnischen und deutschen Dörfern gewütet hatten, wären wir
alle wieder nach Osten marschiert, und die Amerikaner hätten uns nur ihre
Ausrüstung zu geben brauchen und den Rücken im Westen freihalten müs-
sen, dann wären wir bis zum Ural marschiert, so stark war der Hass über die
Greuel an den Frauen, Kindern und alten Leuten.
Während wir noch mit müden Augen nach Osten starrten und auf den
nächsten Angriff warteten, kam der Befehl zum Abrücken. Wir sollten uns
leise und unauffällig vom Feind lösen, in das kleine Dorf in unserem Rücken
marschieren und dort auf einige Fahrzeuge und die vier letzten Tigerpanzer
aufsitzen.
So schlichen wir uns möglichst leise nach hinten und beeilten uns, in das
Dorf zu kommen, denn wer zu spät kam, hatte bei der Geschwindigkeit un-
seres Rückzuges der vergangenen Wochen und Monate meist das Nachse-
hen.
Natürlich bekamen mein Freund Franz und ich den Platz auf einem der
Panzer zugewiesen, was in der Praxis bedeutete, dass wir den Schluss der
Marschgruppe bildeten und nach hinten sichern mussten.
Während wir auf die Panzer kletterten, kam eine ältere Bäuerin aus einem
noch intakten Haus und schleppte eine grosse Milchkanne zu uns herüber.
‚Da, a bisserl Milch für Euch. Trinkt's, sonst holen's e blos die Russen!’ rief
sie uns traurig zu und wollte noch etwas sagen, doch die in diesem Moment
anspringenden Panzermotoren übertönten ihre dünne Stimme.
‚Her mit den Kochgeschirren!’, kommandierte Franz und sprang schon zu
der Bäuerin hinunter.
70
Rasch warf ich ihm mein Feldgeschirr zu, und die anderen Kameraden
taten es mir nach.
Vorne fuhren bereits die ersten Fahrzeuge unserer Kampfgruppe los, und
ich rief ihm zu, sich zu beeilen.
‚Ja, ja, gleich, aber ohne die Milch zu trinken, sterbe ich vor Kummer über
die vertane Chance, mal wieder etwas Reines und Ungepanschtes in meinen
Magen zu kriegen’, lachte er und reichte uns die gefüllten Kochgeschirre
zum Panzer hoch.
Als wir alle unseren Anteil bekommen hatten, auch die Panzerbesatzung
wurde nicht vergessen, nahm Franz die grosse Kanne in beide Hände, stellte
sich breitbeinig hin und setzte dann das übergrosse Gefäss an seinen Mund.
Mit gierigen Zügen liess er die Milch in sich hineinlaufen.
Das war das letzte Bild vom lebenden Franz, das noch heute in meiner
Erinnerung festsitzt, denn in diesem Moment brachen zwischen den Häu-
sern und Schuppen des Dorfes wild um sich schiessende tschechische Par-
tisanen hervor, und unser Fahrer gab instinktiv Gas, denn die Partisanen
wollten unseren Panzer mit Molotow-Cocktails ausser Gefecht setzen.
Während der Panzer also losfuhr und wir ebenfall wild um uns ballerten,
sah ich immer noch Franz mit der Kanne in den Händen.
Er setzte nicht ab, sondern trank, als ob ihn das ganze Geschiesse und
unsere wilde Flucht nichts angingen.
Ich rief noch ein paarmal nach ihm, doch dann musste ich mich meiner
Haut wehren, weil die Partisanen versuchten, auf die Panzer zu springen.
Glücklich kamen wir dann aus dem Ort hinaus und fuhren in Richtung
Westen, doch nach wenigen Kilometern hielt die Kolonne plötzlich an.
Vorne setzte wildes Schiessen ein, und der Ruf wurde laut:
‚Alles kehrt, der Iwan ist durchgebrochen und hat eine Brücke gesperrt!
Wir müssen zurück und zu einem anderen Übergang!’
Ich dachte an Franz und hoffte, dass er sich inzwischen irgendwo ver-
steckt hatte. So könnte er sich uns wieder anschliessen.
Da wir ja wussten, dass der kleine Ort mit Partisanen besetzt war, spran-
gen wir vorher von unseren Panzern und schwärmten aus.
Wie wir es schon oft hinter uns gebracht hatten, drangen wir vorsichtig
in das Dorf ein. Die Partisanen hatten sich anscheinend rasch zurückgezo-
gen, als sie unsere Panzer wieder auftauchen sahen.
71
Dann fanden wir Franz.
Nicht weit von der Stelle, an der er etwa zwei Stunden zuvor noch die
Milch getrunken hatte, war er aufrecht hängend mit einem Stück Stachel-
draht an ein geöffnetes Scheunentor gebunden worden.
Man hatte ihm beide Augen ausgestochen, die Zunge herausgeschnitten,
seinen Penis abgeschnitten und stattdessen in den Mund gesteckt. Auf der
Stirn waren mit einem groben Messer die SS-Runen tief eingeschnitten. So
war er verblutet.
In der Scheune fanden wir auch die nette Bäuerin. Anscheinend war sie
den Partisanen zum Vergewaltigen zu alt, denn sie hatten ihr gnädigerweise
‚nur die Kehle durchgeschnitten’.
Wir beerdigten beide nebeneinander.
Für viele deutsche Frauen, die wir beim Rückzug gesehen hatten, wäre so
ein Tod eine echte Erlösung gewesen.
Bevor wir dann einige Stunden später, die Abenddämmerung setzte be-
reitsein, wieder abrückten, hatten sich rund 20 Freiwillige gemeldet, die sich
heimlich in den Schuppen und Scheunen versteckten.
Als die Partisanen wieder erschienen, um noch möglichst viele von uns
bei der Abfahrt zu töten, erlebten sie diesmal eine böse Überraschung. Die
letzten beiden Panzer machten kehrt, und wir Freiwilligen brachen aus un-
seren Verstecken hervor.
Ich brauche wohl nicht extra zu erklären, dass wir keine Gefangene ge-
macht haben. Einige Partisanen konnten flüchten, doch mehr als 30 fielen
in unserem Kreuzfeuer.
Vier Tage später hatten wir dann endlich die ersten amerikanischen Trup-
pen erreicht und wurden mit lautem ‚Hands up!’ empfangen.
Wir sassen von den Fahrzeugen ab, warfen unsere Waffen auf einen Hau-
fen und durften uns direkt daneben auf einer Wiese, von US-Posten mit
Maschinenpistolen bewacht, zur Ruhe hinlegen.
Was dann noch auf uns zukommen würde, hat zu jenem Zeitpunkt noch
niemand ahnen können.
Der erste Schritt in die Gefangenschaft stellte sich nahezu für jeden Sol-
daten anders dar. Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass für die meisten
der Begriff Gefangenschaft zu einem anderen Zeitpunkt Eingang in ihr Ge-
hirn fand.»
72
Man muss erst einmal erklären, zu welchem Zeitpunkt jemand ein Gefan-
gener oder Kriegsgefangener war und als solcher geführt und registriert
wurde. Dies sah nämlich bei den am Zweiten Weltkrieg beteiligten Armeen
und Nationen oft völlig unterschiedlich aus.
Bei der deutschen Wehrmacht, das wurde mir ohne Ausnahme von allen
Befragten bestätigt, wurden Kriegsgefangene sofort bei ihrer Gefangen-
nahme durch die jeweilige Einheit, also durch die Kompanie, dann später
beim Bataillon, registriert. Kamen danach, egal ob durch eigene oder Feind-
einwirkung, noch Gefangene ums Leben, so wurden sie in der Rubrik der
toten Gefangenen oder der Abgänge durch Todesfall registriert, erschienen
so aber in den Gefangenenlisten.
Selbst bei den raschen Vorstössen der ‚Blitzkriege’ von 1939 bis 1941, als
Millionen polnischer, französischer, britischer, sowjetischer und anderer Sol-
daten von den deutschen Panzerspitzen überholt wurden und die deut-
schen Kampfverbände sie einfach entwaffneten und, teilweise völlig ohne
Bewachung, ins rückwärtige Frontgebiet schickten, wurden sie dort von den
nachfolgenden Verbänden aufgenommen, registriert und gesammelt.
Gefangene waren sie nach der deutschen Vorstellung in dem Augenblick,
in dem sie ihre Waffen wegwarfen und die Hände hoben, um sich zu erge-
ben. Von da an unterstanden sie den Regeln der Genfer Konventionen und
der Haager Landkriegsordnung und wurden auch dementsprechend be-
handelt.
Entgegen zahlreichen anderslautenden Meldungen der Nachkriegszeit
wurden die in deutschem Gewahrsam befindlichen alliierten Gefangenen
bis zum Kriegsende nach den international gültigen Bestimmungen behan-
delt. Dies haben zahlreiche Aussagen von ehemaligen deutschen Gefange-
nen, so auch des französischen Ministerpräsidenten François Mitterrand
noch in diesem Jahr, eindeutig bestätigt.
Dies galt auch für die meisten internationalen Verbände der Waffen-SS,
die der deutschen Wehrmacht unterstanden und sich an die gleichen Rege-
lungen hielten.
Etwas anders sah es allerdings bei Verbänden aus, die sich aus Soldaten
der Balkanvölker und sowjetischer Völker zusammensetzten, die ebenfalls
recht zahlreich in deutscher Uniform gegen die Rote Armee kämpften.
73
Vor allem ab 1944, als ihre eigenen Heimatländer bereits von der Sowjet-
armee besetzt und die ersten Greueltaten von dort an ihre Ohren drangen,
wurden oft nicht mehr viele Gefangene gemacht. Hass wurde mit Gegen-
hass beantwortet, und statt Gefangener gab es in diesen Frontgebieten oft
nur noch Tote.
Nicht als Kriegsgefangene, und das ist auch heute noch so, wurden Par-
tisanen und andere Widerständler behandelt, die bewaffnet im Rücken der
deutschen Verbände operierten und dort ab 1943 eine Vielzahl von ab-
scheulichen Greueltaten vollbrachten.
Nachdem die alliierte Invasion im Juni 1944 erste Erfolge gezeigt hatte,
machte sich auch im Westen ein bewaffneter Widerstand bemerkbar, und
vor allem Franzosen und Holländer besannen sich nun darauf, aktiven Wi-
derstand zu leisten.
Zwar hatten die meisten dieser Widerständler vier Jahre lang recht gut
gelebt und sich mit den deutschen Besatzern einigermassen arrangiert,
doch beim Herannahen der alliierten Truppen wollte jeder noch schnell ein
Held im Kampf gegen die ‚verhassten Deutschen’ werden, mit denen man
vorher meist recht gut kooperiert hatte.
So setzten auch im Westen bald Greueltaten ein, die sich bis Kriegsende
sowohl gegen eigene Landsleute als auch gegen die nach Osten hin aus-
weichenden deutschen Truppen richteten.
Diesen ungezählten Partisanenverbänden und Widerstandsgruppen fie-
len bis zum Kriegsende und auch noch Monate danach Hunderttausende
deutscher Soldaten und Zivilisten in die Hände. Meist waren es einzelne
Soldaten oder kleinere Gruppen, die gefangen, drangsaliert und in den mei-
sten Fällen grausam getötet wurden, wenn nicht von irgendwo her reguläre
Einheiten auftauchten, die solche Hasstiraden meist rasch beendeten.
Alle diese Ermordeten hatten sich auch ergeben und waren eigentlich
Kriegsgefangene nach internationalem Recht, doch niemand registrierte
sie. Heute füllen sie meist die Karteien des Roten Kreuzes in der Rubrik ‚Ver-
schollene’.
Als zu Beginn des Jahres 1945 die deutschen Fronten zusammenbrachen
und sich so die Gefangenenzahlen für die Alliierten drastisch erhöhten, war
man weder im Westen noch im Osten wirklich darauf vorbereitet, wie sich
bald zeigen sollte.
So kam es, dass deutsche Einheiten, die sich geschlossen ergaben, zuerst
einmal entwaffnet und dann auf Feldern und Wiesen zusammengetrieben
74
wurden. Dort überliess man sie dann, meist auch mit den Zivilisten, die sich
aus Angst den Verbänden beim Rückzug angeschlossen hatten, mehr oder
weniger ihrem Schicksal.
Weitere Verbände und kleinere Einheiten, die sich an anderen Stellen
ergaben, wurden dann in Märschen zu diesen improvisierten Gefangenen-
lagern geschafft.
Diese Märsche, vor allem in den Ostgebieten wie Polen, der Tschecho-
slowakei und Jugoslawien, waren für diese Soldaten in der feldgrauen Uni-
form oft genug reine Todesmärsche.
Rechts und links der Marschstrassen standen die Widerständler, schrei-
ende Frauen und johlende Kinder, die wild auf die Landser einschrien, mit
Steinen warfen, sie bespuckten oder einfach aus der Marschkolonne zerrten
und neben der Strasse totschlugen.
Vor allem in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien spielten sich Sze-
nen ab, deren Grauen man gar nicht in Worte fassen kann.
In Prag wurden nach dem 5. Mai 1945 die Deutschen zu Tausenden zu-
sammengetrieben und ermordet.
Gefangene, die unter russischer Bewachung durch die Stadt marschier-
ten, berichteten von zahllosen an den Füssen aufgehängten deutschen und
befreundeten Soldaten, die man einfach mit Benzin übergossen und ange-
zündet hatte.
Hitlerjungen, gerade 12 oder 13 Jahre alt, wurden auf dem Marktplatz
zusammengetrieben und von der johlenden Meute totgeschlagen; deut-
sche Frauen waren sowieso Freiwild für jeden, ehe man sie endlich erschoss,
erstach oder einfach erschlug.
Doch alle diese Hunderttausende waren auch Gefangene, denn sie hat-
ten sich den Siegern ergeben, in der Hoffnung, nach den internationalen
Regeln behandelt zu werden.
Niemand hat sie gezählt, niemand hat sie registriert, und so tauchen sie
auch in keiner der Gefangenen listen auf, die nach dem Krieg erstellt wur-
den.
Registriert wurden Gefangene erst, wenn sie in einem Lager angekom-
men waren.
Das war die Grundlage, auf der die Alliierten ihre Gefangenenzahlen auf-
bauten, und man kann nach neuen Schätzungen davon ausgehen, dass
rund ein bis eineinhalb Millionen Menschen deutscher oder im Krieg be-
freundeter Nationalität auf diese Art zwar in Gefangenschaft gerieten, aber
nie als Gefangene registriert wurden, weil sie vor ihrer bürokratischen Erfas-
sung getötet wurden. Dies betrifft Männer, Frauen, Alte und Kinder glei-
75
chermassen, denn der rasende Mob machte ab April/Mai 1945 vor nieman-
dem halt.
Dies alles machte es den Historikern sehr schwer, als sie sich dann auf
deutscher Seite in den sechziger Jahren zusammensetzten, um unter der
Leitung von Professor Dr. Erich Maschke eine mehr als zwanzigbändige En-
zyklopädie über die deutschen Kriegsgefangenen zu erstellen.
Leider haben sich diese Historiker aber grösstenteils auf die Zahlen ver-
lassen, die ihnen von den beteiligten Nationen oder durch Aussagen von
Heimkehrern und aus noch vorhandenen deutschen Militärquellen zugäng-
lich gemacht wurden. Auch unterstellten sie (in Band VIII nachzulesen), dass
die deutschen Berichte über Verluste stets den Berichten anderer, vor allem
den russischen, vorzuziehen und als glaubwürdiger anzusehen seien.
Doch meiner Meinung nach machten sie dabei einen schweren Fehler,
sie zählten nur die registrierten Gefangenen und massen den Auswüchsen
mit vielen Todesopfern bei Märschen, Fahrten oder sonstigen Überführun-
gen keine besondere Bedeutung bei, wie mehrfach in der genannten Enzy-
klopädie angeführt wurde.
Ebenso haben meine Recherchen ergeben, dass alles, was deutsch
sprach und eine Uniform anhatte, zuerst einmal als Kriegsgefangener be-
handelt wurde.
Es spielte keine grosse Rolle, ob es sich dabei um BDM-, HJ-, Forst- oder
andere Uniformen handelte. Was gefärbtes Tuch anhatte und auch noch
Kragenspiegel darauf, war erst einmal ‚Militär’.
Wer aber weiss, wie sehr man im Dritten Reich auf die Uniformierung
Wert legte, kann sich vielleicht einigermassen vorstellen, wieviele Zivilisten
in Dienstuniformen sich plötzlich als Kriegsgefangene in den alliierten La-
gern wiederfanden.
Auf der anderen Seite versuchten zahlreiche Soldaten und SS-Angehö-
rige, auch Offiziere, in Zivilkleidung den alliierten Häschern zu entgehen.
Als die ersten höheren Dienstgrade, von denen man Fotos für die Fahndung
hatte, in Zivil aufgegriffen wurden, entschied man, sowohl im Osten als auch
im Westen, erst einmal alles gefangenzunehmen und einzusammeln, was
einigermassen deutsch wirkte und noch laufen oder wenigstens kriechen
konnte.
In diesem organisatorischen Durcheinander des Jahres 1945 auch nur
annähernd schätzen zu wollen, wieviele Gefangene von den Alliierten wirk-
lich eingebracht wurden, ist ein schier unmögliches Unterfangen, wenn man
76
sich dabei rein auf die militärischen Zahlen verlässt. Man muss einfach wis-
sen, dass auch Hunderttausende Zivilisten mitgefangen wurden, die eben-
falls in die Lager und auf die Transporte kamen. Das haben mehr als 90%
aller von mir befragten Heimkehrer bestätigt. Männer, Frauen, Kinder und
Greise wurden in die Sammellager getrieben.
Auch sie sind als Kriegsgefangene anzusehen, obwohl sie in keiner deut-
schen Militärliteratur auftauchen und auch später in den alliierten Kriegsge-
fangenenberichten nicht erwähnt wurden.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Zahlen dieser in allen deut-
schen Universitätsbibliotheken heute noch verwendeten Enzyklopädie, die
reine Schätzungen darstellen, nach dem Öffnen der internationalen Archive,
vor allem seit der Öffnung der Archive des Ostens, für die wirkliche Ge-
schichtsschreibung nur noch bedingtverwendet werden können.
77
Das Ende nach dem Ende
Eine kleine Chronik wichtiger Ereignisse
des Jahres 1945 nach dem 8. Mai
78
Titos Partisanenarmee ausgeliefert. Auf dem Fussmarsch nach
Marburg an der Drau werden dabei rund 80.000 kroatische Sol-
daten ermordet, ausserdem etwa 30.000 Frauen, Kinder und alte
Leute.
15. 5. Als erste deutschsprachige Zeitung nach Kriegsende erscheint in
der sowjetischen Besatzungszone in Berlin die Tägliche Rund-
schau.
21.5. In London wird die Europäische Kohlekommission gebildet.
23. 5. Die noch amtierende deutsche Regierung unter dem Reichsprä-
sidenten Dönitz wird in Flensburg-Mürwik vonden Briten verhaf-
tet. Himmler begeht in Gefangenschaft Selbstmord.
31. 5. Die US-Militärregierung verkündet ein Gesetz über die Auflösung
der NSDAP.
1.6. Die drei Regimenter der serbischen Staatswache, die sich am 12.
5.1945 der britischen 8. Armee ergeben hatten, werden an die-
sem Tag den Tito-Partisanen ausgeliefert und zusammen mit
rund 11’000 slowenischen Soldaten und Hilfskräften in den Wäl-
dern der Gottschee ermordet.
79
Die ersten Lager
«Nach der Schlacht gibt es keine Feinde
mehr, es gibt nur noch Männer. Man muss
Verwundete, ob Freund oder Feind,
gleichermassen pflegen».
Napoleon 1812 zu seinen Soldaten in Russland
1941/42
Die ersten deutschen Gefangenen, von abgeschossenen Fliegern und auf-
gebrachten Schiffsbesatzungen ausgenommen, gerieten 1941 in sowjeti-
sche Gefangenschaft.
Auch hierbei handelte es sich meist nicht um grössere geschlossene Ein- «So hatte noch vor
heiten, sondern häufig um einzelne Soldaten oder kleine Gruppen, die hin- dem 28. Juni 1941
ter den sowjetischen Linien in Sammellager kamen und von dort in rück- der sowjetische
Kommandeur des
wärtige Gebiete geschafft wurden.
MG-Bataillon 36 die
So entstanden die ersten Lager im Osten, die dann im weiteren Kriegs-
Erschiessung aller
verlauf ausgebaut wurden. Gorkij, Krasnogorsk, Oranki und Tambov waren deutschen Kriegsge-
nur einige Namen, die in den kommenden Jahren noch für ungezählte deut- fangenen bei Rava
sche und verbündete Soldaten zu festen Begriffen werden sollten. Auch das Ruska befohlen.»
Offizierslager Grajazovec entstand Ende 1941. J. Hoffmann, in ‚Sta-
Nach und nach wurden die Gefangenen dann weiter ins Landesinnere lins Vernichtungs-
verbracht, und ab 1942 entstanden Kriegsgefangenenlager am Ural, wie krieg 1941-1945’,
S. 225.
Celjabinsk, Magnitogorsk, Sverdlovsk und Ufa.
Gegen Ende des Jahres 1942 schloss sich der Kessel von Stalingrad, rund
280’000 deutsche und verbündete Soldaten sassen in der Falle. Bereits bei
der Einkesselung wurden grössere deutsche und rumänische Einheiten
überrannt, und erstmals gerieten so auch grössere Gefangenenkontingente
in sowjetische Hand.
83
1943
Als die 6. Armee unter dem Kommando von Generalfeldmarschall Paulus
am 2. Februar 1943 kapitulieren musste, war sie bereits arg dezimiert. Von
den ursprünglich 280’000 eingekesselten Soldaten waren bereits etwa
146’000 gefallen, weitere 34’000, meist schwer Verwundete, hatte man noch
ausgeflogen. Einige Tausend versuchten, sich auf eigene Faust zu den deut-
schen Linien durchzuschlagen, den wenigsten gelang es. So gerieten mehr
als 90’000 deutsche und verbündete Soldaten in sowjetische Kriegsgefan-
genschaft.
Das war die grösste Anzahl an Gefangenen, die von der Roten Armee bis
dahin im Kriegsverlauf an einem Frontabschnitt eingebracht wurde.
Darauf war man auf sowjetischer Seite weder in Stalingrad noch in Mos-
kau vorbereitet. Was nun folgte, sollte sich im Frühjahr 1945 noch vielfach
wiederholen.
Lage um Stalin-
grad im Winter
1942-43. Karte aus
‚Dokumentation.
Das Dritte Reich’,
Bd. 4, Hamburg
1989.
84
Zuerst wurden die völlig unterernährten Soldaten von den Rotarmisten
gründlich gefilzt. Uhren, Eheringe, Kameras, Kochgeschirre, alle Wertge-
genstände und der grösste Teil der persönlichen Ausrüstung wechselten
auf diese Art die Besitzer. Nun stellte man die in Lumpen gehüllten, völlig
unterernährten und entkräfteten Gefangenen zu endlosen Marschkolonnen
zusammen und schickte sie, von gutgenährten, warm gekleideten und
schwer bewaffneten Wachmannschaften begleitet, auf einen ziellos schei-
nenden Marsch.
Der Schnee lag meterhoch, die Temperaturen pendelten zwischen 20
und 30 Grad – minus natürlich.
Nicht auf den festgefahrenen Rollbahnen wurde marschiert, sondern im «In die Gefan-
meist brusthohen Schnee, der den ersten einer Marschkolonne bereits nach genschaft bega-
wenigen Minuten das Letzte abverlangte. ben sich etwa
Wer nicht mehr weiter gehen oder kriechen konnte, wurde von den grö- achtzig Men-
lenden Bewachern erschlagen oder erschossen. Sterbende liess man ein- schen, die
erschossen
fach liegen.
wurden.»
Zu Beginn der siebziger Jahre konnte ich mich mit einem der wenigen
Aus dem sowjeti-
Überlebenden von Stalingrad unterhalten, der leider inzwischen verstorben schen Operations-
ist und in seiner Heimatgemeinde in der Nähe von Stuttgart seine letzte bericht Nr. 11
Ruhe fand. vom 13. Juli
Wir unterhielten uns tagelang, und er beschrieb mir jeden einzelnen 1941, nach
schneebedeckten Kilometer von Stalingrad bis zum provisorischen Sammel Hoffmann, ‚Sta-
lager Beketovka im Detail. lins Vernichtungs-
«Nach vier oder fünf Tagen hörten wir gar nicht mehr hin, wenn es rechts, krieg 1941-
1945’, S. 226.
links oder hinter uns wieder einmal knallte und ein Kamerad von einer MP-
Salve hingerafft wurde. Wir waren völlig apathisch und trotteten wie Schafe
hintereinander her; Schafe, die zur Schlachtbank geführt wurden.
Uns war allen klar, dass die Bolschewiken auf diese Art vollenden wollten,
was ihnen in Stalingrad nicht gelungen war. Die Kerle wollten uns umbrin-
gen, doch vorher sollten wir noch durch Russland marschieren, bis uns die
Gedärme rausfielen.
Wenn sich der gekrümmte Rücken mit den tiefhängenden Schultern vor
mir nach links oder rechts bewegte, marschierte ich unbewusst auch in
diese Richtung, um nicht auf einen sterbenden Kameraden zu treten, der
irgendwo vor uns im niedergetrampelten Schnee zusammengebrochen
war.
Einmal marschierten wir an einem russischen Lastwagen vorbei, von des-
sen Ladefläche herunter uns ein Kameratrupp filmte. Das war für Tage die
85
einzige Abwechslung. Ab und zu bekamen wir angeschimmeltes Brot und
etwas matschigen Mais. Den Durst löschten wir mit Schnee, denn davon
gab's genug. Nachts kauerten wir eng aneinandergepresst in einem rasch
gescharrten Schneeloch. Wenn morgens einer erfroren sitzenblieb, störte
es uns nicht, und wir marschierten einfach weiter.
Manchmal, wenn der Wind den Schnee in unsere verfrorenen Gesich-
ter trieb und wir uns mit letzter Kraft gegen ihn stemmten, um nicht um-
zufallen und einfach zugeschneit zu werden, wollte ich mich einfach fal-
lenlassen. Lieber hier erfrieren, als noch ein paar Tage weitermarschieren,
um dann möglicherweise erschossen zu werden, dachte ich, doch der Le-
benswille war stets stärker.
Wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich sagen, dass mich eigent-
lich die russische Prawda gerettet hat», schloss er seinen Bericht und lä-
chelte dabei still in sich hinein, während er meinen erstaunten Blick zur
Kenntnis nahm.
86
ihr Schuhwerk waren angesichts der eisigen Kälte meist völlig unzulänglich, Marsch in die
viele Gefangene waren ausserdem verwundet oder krank. Das Kampfgebiet, Gefangenschaft.
nicht nur die Stadt Stalingrad selbst, war stark zerstört, es gab kaum noch ein
Dach über dem Kopf, geschweige denn Häuser oder Hallen, in denen die Ge-
fangenen hätten Schutz vor dem barbarischen Winter finden können. Wären sie
nicht durch die Märsche ‚gewaltsam bewegt’ worden, wie es ein Stalingradarzt
ausdrückte, so hätten viel mehr den Erfrierungstod erlitten, als tatsächlich auf
den Märschen ums Leben gekommen sind, denn bei der Masse stellte sich nach
der Kapitulation eine tiefe Resignation ein, die den Selbsterhaltungstrieb ent-
scheidend schmälerte...»
87
kurz DAK, bekannt und in den deutschen Unterlagen zu jenem Zeitpunkt
als Heeresgruppe Afrika geführt wurden.
Rund 150’000 deutsche Soldaten mussten die Waffen niederlegen
«Ein Jammer, dass und sich in der Glutofenhitze Nordafrikas versammeln, ehe sie in die da-
wir nicht mehr für vorgesehenen Gefangenenlager abtransportiert wurden.
umgebracht Obwohl die meisten Gefangenen von der britischen 8. Armee einge-
haben.» bracht worden waren, kamen doch mehr als 130’000 deutsche Kriegsge-
Eisenhower in
fangene per Schiff in die USA und wurden dort dem amerikanischen
einem Brief vom
24. Mai 1943 über Kriegsgefangenenwesen übergeben, das über eine eigene Organisation
die deutschen verfügte.
Gefangenen in Auch die Franzosen brachten im Jahre 1943 ihre ersten deutschen
Afrika. Kriegsgefangenen ein, und es entstanden Lager in Algerien, Marokko
und Tunesien, in denen insgesamt 25’000 deutsche und 40’000 italieni-
sche Gefangene untergebracht wurden.
1944
Mit der grossen sowjetischen Frühjahrsoffensive des Jahres 1944 stieg
auch die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen im Osten rasch an.
Waren es im Kessel von Cerkassy noch 11’000, gingen auf der Krim
bereits 65’000, im Mittelabschnitt der Ostfront rund 150'000 und in Ru-
mänien rund 115’000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft.
Wieder wurden sie zu Marschkolonnen zusammengetrieben und nach
bereits bewährtem Muster kreuz und quer durch die UdSSR getrieben,
bis sich ihre Zahl auf diese Art beträchtlich reduziert hatte.
Beispielsweiseerreichten von den in Rumänien in Gefangenschaft ge-
ratenen 115’000 deutschen Soldaten nur etwa 50’000 die für sie be-
stimmten Lager:
88
Das entspricht einer Todesrate von 56,5% auf dem Weg vom Ort der Gefan-
gennahme bis zum vorbestimmten Lager!
Erst dann setzte eine ordentliche Registrierung ein, und der Weg der ange-
kommenen Gefangenen konnte in der Nachkriegszeit einigermassen rekon-
struiert werden.
Mit der Landung der Westalliierten im Juni 1944 in der Normandie gerieten
nun auch grössere deutsche Kontingente in amerikanische, britische und kana-
dische Kriegsgefangenschaft.
Bis zum November des Jahres stieg die Zahl der Kriegsgefangenen im We-
sten auf rund 306’000 an, die anfänglich grösstenteils auf Schiffen in die USA,
dann in Camps auf die britische Insel gebracht wurden.
Der Umgang mit den Gefangenen war trotz der strengen amerikanischen
Überbürokratie auf allen Gebieten äusserst schlecht organisiert, und es gab ge-
gen Ende des Jahres 1944 führende Offiziere, wie beispielsweise den General
Bruce Clark, Kommandeur in der 3. US-Armee unter General Pattons Kom-
mando, der zu wenig Soldaten hatte, um auch noch Bewachungspersonal für
Kriegsgefangene abzustellen.
So liess er einfach die in seinem Bereich eintreffenden Gefangenen entwaff-
nen, die Gewehre, Maschinengewehre und Pistolen unter die Ketten von Pan-
zern legen und so zerstören. Dann setzte er die Gefangenen allein und ohne
Bewachung quer durch Frankreich in Richtung Westen in Marsch.
Zuerst waren die deutschen Soldaten erleichtert darüber, dass sich ihre Ge-
fangenschaft so unkompliziert darstellte, doch bald merkten sie, dass sie ohne
ihre Waffen und ohne jegliches Bewachungspersonal auch keine Schutzmög-
lichkeit vor dem Zorn und der Rache der Franzosen hatten, durch deren Land
sie nun marschierten.
Immer wieder kam es zu brutalen Übergriffen durch sogenannte Wider-
ständler, die sich aber meist mehr als marodierende Banden zeigten, die den
Landsern auch noch die allerletzten Habseligkeiten abnahmen, ehe sie die hun-
gernden und ausgemergelten Männer zusammenschlugen oder auch erschos-
sen.
Bis zum Frühjahr 1945 stieg diese Zahl der Gefangenen nur um wenige Tau-
send an, da die deutsche Front im Westen sich etwas stabilisierte.
89
1945
Das Frühjahr 1945 brachte den Zusammenbruch der deutschen Fronten so-
wohl im Osten als auch im Westen, und man muss der Fairness halber sagen,
dass die darauf unzureichend vorbereiteten alliierten Kriegsgefangenenorgani-
sationen mit diesem millionenfachen Ansturm völlig überfordert waren.
Im Rheinland fielen rund 250’000 Soldaten den westalliierten Truppen in die
Hände; im April löste sich der Ruhrkessel auf, und 325’000 deutsche Gefangene
traten den Weg mit erhobenen Händen zu den Briten und Kanadiern an.
Im gesamten Osten begann eine Art von Wettrennen, das sich bereits we-
nige Wochen später schon als für viele der beteiligten deutschen und mit ihnen
verbündeten Soldaten als sinnlos erweisen sollte. Die Verbände leisteten hin-
haltend Widerstand den anstürmenden Russen gegenüber, um auf diese Art so
vielen Soldaten und Zivilisten wie nur möglich die Gelegenheit zu geben, sich
zu den Amerikanern durchzuschlagen.
Die Ziele der flüchtenden Menschen hiessen nun nicht mehr Berlin, München
oder Frankfurt, sondern nur noch amerikanische Einheiten’.
Schliesslich hatte man schon vor den Zeiten des Dritten Reiches ständig von
der amerikanischen Demokratie, von der Freiheit und den Menschenrechten in
jenem Land auf der anderen Seite des Atlantiks gehört, in das so viele Deutsche
ausgewandert waren.
Sowohl die einfachen Soldaten, Unteroffiziere wie auch die niedrigen Offi-
ziersdienstgrade sahen in der Kriegsgefangenschaft bei den Amerikanern die
erstrebenswerteste Möglichkeit jener Wochen und Monate.
Wie bitter sie enttäuscht werden sollten, begann sich bereits im April und
Mai des Jahres 1945 abzuzeichnen, denn die deutschen Soldaten wurden, so
wie sie sich ergaben, nur auf eingezäunte Wiesen auf der linken Rheinseite zu-
sammengepfercht und mehr oder weniger sich selbst überlassen. Weder Hüt-
ten, noch Zelte oder Decken wurden verteilt, und so lagen und kauerten die
Soldaten, unter ihnen auch eine Menge Zivilisten, unter freiem Himmel, bei
Wind und Wetter, Sturm und Regen ausgesetzt, und versuchten, sich so gut wie
möglich vor diesen Unbilden zu schützen.
Die geschwächten und völlig ausgelaugten Landser, die bereits seit Wochen
90
nichts Richtiges mehr im Magen hatten, dachten anfangs, dass es nur einige
Tage so gehen würde, bis die Lager, in die sie kommen sollten, fertiggestellt
wären, und dann ein geordnetes Lagerleben beginnen würde.
Dies hatten viele von ihnen ja von Beginn des Krieges an auf der anderen
Seite des Zaunes in den deutschen Kriegsgefangenenlagern erlebt, und kaum
einer konnte sich vorstellen, dass die Amerikaner anders handeln könnten, als
die Genfer Konventionen es vorsahen.
Doch sie konnten!
91
reitet auf den Gefangenenzustrom war, wie man auf offizieller Seite noch in den
sechziger und siebziger Jahren behaupten sollte.
Bei Kriegsende befanden sich allein auf den Rheinwiesen mehr als 1,3 Mil-
lionen Gefangener, die so gut wie möglich zu überleben versuchten.
Klaus G. aus Berlin, der im Mai 1945 zusammen mit den Überlebenden seiner
Einheit in eines dieser Rheinwiesenlager kam, berichtete mir sehr anschaulich
über seine Ankunft und die ersten Tage im Lager Rheinbergen.
«Zuerst mussten wir den obligatorischen ‚Eintritt bezahlen’. Das heisst, die
amerikanischen Soldaten nahmen uns alles ab, was in ihren Augen als wertvoll
angesehen wurde. Ich sehe heute noch die glänzenden Augen des schwarzen
Gis vor mir, der sich mein Schweizer Taschenmesser als Kriegsbeute sicherte.
Es gefiel ihm so gut, dass er mir spontan eine Zigarette gab. Sein Kollege, dem
meine Wehrmachtuhr gefiel, war nicht so freundlich. Er schlug mir den Kolben
seiner MP in die Seite, als ich mit meinen zitternden Fingern die Uhr nicht rasch
genug vom Handgelenk bekam.
Auch mein EK 1 und die Nahkampfspange sowie das Panzervernichtungsab-
zeichen waren heissbegehrte Trophäen, und ich warfroh, dass sie mir wenig-
stens meinen zerschlissenen Wehrmachtsmantel liessen.
Dann stand ich inmitten von mehreren tausend Leidensgenossen auf einer
ehemaligen Wiese, die sich inzwischen durch den anhaltenden Regen in einen
Schlammacker verwandelt hatte. Überall standen, kauerten oder lagen ver-
dreckte Gestalten in dreckstarrenden Uniformresten herum, die man auf den
ersten Blick kaum als Soldaten erkennen konnte.
Während ich mich vorsichtig umsah, entdeckte ich auch zahlreiche Frauen
und Kinder unter den Lagerinsassen.
Die nachdrängenden Kameraden schoben mich weiter in das Lager hinein;
erst da bemerkte ich den stechenden Gestank, der über allem lag. Es war eine
Mischung aus Kot, Urin und Eiter, die alles zu überdecken schien.
Erst da fielen mir die zahlreichen verdreckten Verbände auf, die Arme, Beine
und Köpfe mehrerer hundert Gefangener umschlossen. Durch den Lehmbelag
waren sie nur bei genauerem Hinsehen zu identifizieren, und mir war klar, dass
92
diese Verbände seit Tagen oder Wochen nicht mehr gewechselt worden
waren. Einige Tage später erfuhr ich, dass es sich um gehfähige Insassen
eines ehemaligen Wehrmachtslazarettes handelte, die man auch auf die
Rheinwiesen geschafft und dort sich selbst überlassen hatte. Von ärztlicher
Versorgung war weit und breit nichts zu sehen.
Zusammen mit zwei Kameraden meiner Kompanie schaufelte ich dann
eine kleine Mulde im Schlamm, die uns zwar nicht alle drei gleichzeitig auf-
nehmen konnte, doch für die kommenden Wochen so eine Art Zuhause
darstellte.
Mit Hilfe eines abgebrochenen Astes, den ein Kamerad anschleppte, und
«Alle Personen,
unserer Mäntel gelang es uns, ein primitives Dach herzustellen, unter dem die. .. die Errei-
sich zwei Mann zusammengekauert etwas vor dem Regen schützen konn- chung Ihrer Ziele
ten. Der dritte ging dann meist rund um das Loch, um sich durch Bewegung gefährden wür-
warm zu halten. Während der Nacht und bei starken Schauern wechselten den, sollen eben-
wir uns etwa stündlich ab. falls verhaftet und
Zuerst verfluchten wir den Regen, doch bereits am zweiten Tag waren in Gewahrsam
wir dankbar darüber, denn wir erhielten weder Verpflegung noch Wasser, gehalten werden
bis zur Verurtei-
und der Durst machte sich bemerkbar. So formten wir unser Notdach zu
lung durch eine
einem Wasserauffangbecken und schlürften die Regenbrühe in Ermange- geeignete halb-
lung von geeigneten Behältnissen mit den Händen. amtliche Behörde,
Natürlich kam es, wie es kommen musste. Mit dem Regenwasser tranken die von Ihnen zu
wir auch Dreck, ausserdem versuchten wir, die wenigen noch vorhandenen errichten ist.»
Grashalme zu essen, und es stellte sich ein permanenter Durchfall ein, der Aus der US-
so weit ging, dass ich nicht mehr bis zu den Gräben am Lagerzaun kam, die Direktive JCS 1067
als Latrinenersatz dienten. Bald lief mir die stinkende braune Brühe an den an den Oberkom-
mandierenden in
Beinen herunter, und mir ist heute noch nicht klar, wie mir dieser Zustand
Deutschland zur
damals so
Behandlung
völlig egal sein konnte. Höchstwahrscheinlich lag es daran, dass es uns allen Deutscher, 1945.
so erging.
Nach drei Tagen kamen die ersten halbverfaulten Kartoffeln und ein
durchweichtes Weissbrot bei uns an. Das war für unsere ausgehungerten
und geschundenen Mägen natürlich die richtige Schonkost, und bald fiel
uns alles wieder aus dem Gesicht. Zum Kot und Urin überall um uns gesellte
sich nun auch noch der Gestank von Erbrochenem. Es war schrecklich.
Als dann der Regen nachliess und die Sonne durchbrach, erstarrte der
Schlamm, und der Gestank wurde noch durchdringender.
93
Täglich schleppten rund um uns irgendwelche Soldaten ihre toten Kamera-
den zum Zaun, wo sie dann auf Lastwagen geworfen wurden.
Einige Meter von unserem Loch entfernt kauerte eine junge Mutter neben
einer Mulde und presste zwei Tage lang ihren toten Säugling an sich, bis sie
sich endlich dazu bewegen liess, den bereits stark riechenden Leichnam loszu-
lassen.
Ich kann heute nicht mehr sagen, wieviele Tage oder Wochen wir so vor uns
hinvegetiert haben, bis wir endlich diesem Todeslager entkamen und mit Last-
wagen nach Frankreich hineingeschafft wurden, doch mir kam es wie eine
Ewigkeit vor.»
94
Welche Menschenmassen sich da in den amerikanisch geleiteten ersten La-
gern ansammelten, zeigt wohl am eindrucksvollsten der offizielle SHAEF-Be-
richt vom 11. Juni 1945:
95
Mehr als 7,6 Millionen deutscher Gefangener waren demnach allein in west-
alliierter Hand. Dies ist eine Zahl, die man sich als normaler Mensch, der nicht
täglich mit mathematischen Problemen beschäftigt oder bei einer italienischen
Bank mit Liresummen rechnen muss, nicht ohne Weiteres wirklich vorstellen
kann, zumal es sich hierbei nicht um Geldnoten oder andere Ware, sondern um
Menschen handelt!
Der aufmerksame Leser wird in dieser offiziellen Aufstellung die beiden Be-
griffe PW und DEF entdeckt haben, nach denen die Gefangenen in zwei Grup-
pen eingeteilt wurden.
PW, auch PoW, war die offizielle englische Bezeichnung für Kriegsgefangene
und nur die Abkürzung für ‚Prisoner of War’.
DEF war die Abkürzungsform von Disarmed Enemy Forces und bedeutete
übersetzt ‚Entwaffnete feindliche Streitkräfte’.
Auf den ersten Blick mag der in Militär- und Völkerrecht nicht sehr bewan-
derte Betrachter in diesen beiden Begriffen keinen grossen Unterschied sehen,
denn entwaffnete Streitkräfte waren schliesslich auch nichts anderes als im
Krieg gefangengenommene Soldaten. Doch da irrt er sich ebenso, wie die rund
3,4 Millionen deutscher Soldaten sich damals auch irrten, die plötzlich unter
diesem neugebildeten Begriff geführt wurden.
Diese neue Gefangenenkategorie entstand bereits im März des Jahres 1945,
als feststand, dass Deutschland besiegt war.
Der amerikanische Fünf-Sterne-General Dwight D. Eisenhower, ein echter
Deutschenhasser, der bis zu seinem Tode unter der Deutschstämmigkeit seines
Namens litt und auch nie einen Hehl aus diesem Hass machte, hatte die Leitung
der Invasionstruppen in Frankreich inne und war somit Oberkommandierender
der westalliierten Truppen in Europa.
In dieser Funktion gab er bereits am 10. März 1945 eine schriftliche Erklärung
heraus, von ihm handsigniert und heute noch einsehbar, in der er vorschlug,
das nun auf die Alliierte zukommende Problem der Ernährung von Millionen
Gefangener zumindest teilweise den geschlagenen Deutschen selber aufzula-
sten.
Der kanadische Autor James Bacque, der diese Schriften einsah, gab den
Wortlaut wie folgt wieder:
«Obwohl die Absicht besteht, die Verantwortung für die Ernährung und son-
stige Versorgung aller Kriegsgefangenen der Alliierten und der verschleppten
96
Personen den deutschen Behörden zu übertragen, wird damit gerechnet, dass
diese Aufgabe in dem wahrscheinlich herrschenden Zustand des Chaos ihre
Möglichkeit überschreitet und dass die Alliierten vor der Notwendigkeit stehen
werden, sehr grosse Mengen an Nahrungsmitteln bis zu deren Repatriierung
bereitzustellen. Die zusätzliche Versorgungsverpflichtung, die mit der Erklärung
der deutschen Streitkräfte zu Kriegsgefangenen verbunden ist und die die Be-
reitstellung von Rationen in einem Ausmass erforderlich machen würde, die
dem Bedarf der eigenen regulären Truppen entspricht, würde sich als weit jen-
seits der Möglichkeiten der Alliierten erweisen, selbst wenn alle deutschen
Quellen angezapft würden. Darüber hinaus wäre es nicht wünschenswert, den
deutschen Streitkräften Rationen zuzuteilen, die weit über das für die Zivilbe-
völkerung verfügbare Mass hinausgingen.»
Weiter schlug Eisenhower vor, die nach dem Tag der bevorstehenden Kapi-
tulation eingebrachten Gefangenen als ‚DEF’ zu bezeichnen und sie bis zu ihrer
Entlassung unter die Verwaltung und Versorgungspflicht der Deutschen Wehr-
macht zu stellen, wobei sie von alliierten Streitkräften bewacht werden sollten.
Als Schlusssatz fügte er dann seinem Schreiben an: «Bestehende Pläne sind
auf dieser Basis ausgearbeitet worden.»
Eisenhower war klar, dass seine neue Idee im amerikanischen Hauptquartier
auf fruchtbaren Boden fallen und sich bei den Kombinierten Stabschefs (CCS =
Combined Chiefs of Staff Committee = westalliierter Führungsstab) durchset-
zen würde, und so war es auch.
Am 29. April 1945 kam die Antwort der CCS per Fernschreiben in Reims an.
Die Zusage für die neue DEF-Kategorie von Gefangenen wurde erteilt, obwohl
die britischen Mitglieder des CCS dies abgelehnt hatten und auch klar machten,
diesen Status auf von ihren Truppen eingebrachte Gefangene nicht anzuwen-
den.
Eisenhower bekam einige Bedingungen auferlegt, die sich wie folgt darstell-
ten:
«A) Das Verfahren darfeine Auflösung der deutschen Streitkräfte in einer
später zu regelnden Weise nicht behindern.
B) Deutsche sind verantwortlich für die Ernährung und sonstige Versorgung
entwaffneter deutscher Truppen.
C) Das angewandte Verfahren gilt nicht für Kriegsverbrecher, nicht für an-
dere Kategorien deutschen Personals, nach denen gefahndet wird, auch nicht
für andere Personen, die bei den deutschen Streitkräften gefunden worden sind
97
und die aus Sicherheitsgründen festgehalten werden. Sie werden alle der-
artigen Personen weiterhin gefangensetzen unter dem Verdacht, Kriegs-
verbrechen begangen zu haben, oder aufgrund militärischer Sicherheit,
nicht jedoch als Kriegsgefangene. Sie werden von alliierten Streitkräften
ernährt, untergebracht und verwaltet. Deutsche Behörden werden keiner-
lei Kontrolle über sie ausüben.
D) Eine öffentliche Erklärung bezüglich des Status von deutschen Streit-
«Wenn ein kräften oder entwaffneten Truppen wird nicht abgegeben.»
Gefangener trotz Wie unsinnig dieses Verfahren für die Praxis war, kann man heute nur
Verbots einen noch erahnen, denn wie sollte eine geschlagene Streitmacht nach einer
Brief schreiben bedingungslosen Kapitulation, die ja oberstes Ziel der Alliierten war, noch
und auf irgendei- eine Ernährung der eigenen, nun gefangenen Truppe aufrechterhalten, so
nem Weg nach
wie es Eisenhower sich vorstellte?
draussen schmug-
Bei ihrer Gefangennahme wurden die deutschen Soldaten alle samt
geln sollte, so
wird der Empfän- und sonders von ihren Gegnern ‚gefilzt’, mussten also alles abgeben, auch
ger (!) eines ihre noch vorhandene Reservenahrung, ja meist auch die Kochgeschirre.
solchen Briefes Alles Gerät und natürlich auch die Lastwagen, Zelte, Baracken, medizi-
bis zu sechs nischen Einrichtungen sowie die Lagerhäuser mit Nahrungsmitteln und
Wochen bestraft! die Treibstofflager wurden von den Siegern sofort mit Beschlag belegt
Wer einen Brief und den eigenen Materialien zugeführt.
nach draussen Die deutschen Dienststellen wurden ausgeräumt, alle Unterlagen sofort
schreibt oder
beschlagnahmt und entfernt, die Soldaten und Helferinnen verhaftet und
irgendwelches
Werkszeug
ebenfalls in Lager verbracht.
besitzt, wird mit Wie stellte sich Eisenhower, der Erfinder des DEF-Status, die praktische
einer Woche Durchführung seiner neuesten geistreichen Errungenschaft auf dem Ge-
Bunkerarrest bei fangenensektor eigentlich wirklich vor?
Wasser und Brot Heute wissen wir wie. Er wollte die meisten Kriegsgefangenen schlicht
bestraft.» und einfach verhungern lassen!
Gert Naumann, in Dass er mit dieser Einstellung auf amerikanischer Seite nicht allein da-
Besiegt und
stand, lässt sich heute einfach durch Zahlen belegen.
‚befreit’ über eine
Hierbei wirkt der DEF-Trick natürlich hervorragend, um die Realität um
neue Verfügung
im US-Lager die Versorgungslage zu verschleiern. Die ausgegebenen Rationen wurden
Dachau, Novem- verwaltungsmässig natürlich nur auf die Zahl der offiziellen Kriegsgefan-
ber 1945 genen angewendet. Für die DEF sollten die deutschen Stellen ja selber
sorgen.
In der Praxis waren die DEF aber in den amerikanischen Sammellagern
eingeschlossen, kauerten dort herum und warteten sehnsüchtig tagelang
98
darauf, dass ihre Bewacher endlich einmal Wasser und etwas zu essen brach-
ten.
Wie zahlreiche Augenzeugen dieser Lager bestätigt haben, kam die Verpfle-
gung und auch das Wasser stets auf amerikanischen Fahrzeugen und mit ame-
rikanischen Fahrern. Nichts da von Selbstversorgung durch deutsche Stellen.
Das war nur Augenwischerei für die Weltöffentlichkeit und ein übler Versuch,
bestehendes Recht und die Genfer Konventionen wieder einmal zu umgehen.
Wie gut das alles funktionierte, hat uns dann die jüngste Geschichte gelehrt.
Es dauerte bis zur Mitte der achtziger Jahre, ehe dieses amerikanische Kriegs-
verbrechen entdeckt und an die Öffentlichkeit gebracht wurde.
Bereits in diesen ersten Sammel lagern verhungerten die deutschen Kriegs-
gefangenen und die mit ihnen gefangenen Zivilisten zu Tausenden, weil es ei-
nige führende Amerikaner so wollten.
Wie man die deutschen Gefangenen auf westalliierter Seite verhungern
liess, zeigen bereits die Zahlen des ‚US-Quartermaster Corps’, das für die Er-
nährung verantwortlich war. Dort gab man folgende Verpflegungssätze an:
(Qu: Enz/X/Il)
X
Jahr
Datum des Berichts Verpflegungsrationen
1944 16. Dezember 207 796
1945 13. Januar 247 668
1945 10. Februar 254 700
1945 10. März 314 685
1945 7. April 622 392
1945 5. Mai 1 751 513
1945 19. Mai 2 425 532
Zu einem Zeitpunkt, als sich also bereits mehr als 5,8 Millionen Deutsche in
US-Gefangenschaft befanden, davon 5,2 Millionen in Europa, wurden nach
amerikanischen offiziellen Angaben weniger als 2,5 Millionen Verpflegungsra-
tionen ausgegeben!
So stellen sich auch die zahlreichen falschen Nachkriegszahlen über deut-
sche Kriegsgefangene, die sogar von einer Historikerkommission im Auftrag
der Bunderegierung in den sechziger und siebziger Jahren angeblich wissen-
schaftlich untermauert wurden, heute in einem völlig anderen Licht dar.
99
Wenn man, wie diese Kommission unter der Leitung des Professors Dr.
Erich Maschke, statt die wirklichen Gefangenenzahlen zu berücksichtigen, die
sich aus den Protokollen und Berichten Tausender Überlebender dieser Lager
in den Jahren der Kommissionstätigkeit hätten wesentlich leichter ermitteln
lassen als heute, nur mit den von den Amerikanern angegebenen Verpfle-
gungssätzen herumspekuliert, ist das in meinen Augen nicht nur ‚blauäugig
gehandelt’. Es drängt sich einem als unvoreingenommenem Rechercheur
schon der Verdacht der Methode auf. Doch dieses wird das Thema eines noch
folgenden Buches sein.
Gesicherte Erkenntnisse geben für das Kriegsende, also für die Zeit nach dem
8. Mai 1945, nachfolgende Zahlen für deutsche Kriegsgefangene an:
Nordafrika 371 000
Nordwesteuropa 7 244 839
Österreich-Italien 1 425 000
Ostfront 3 350 000
Gesamt: 12 390 839
Hinzu kommt noch eine nicht ermittelbare Zahl von Menschen, die zwi-
schen Gefangennahme und Registrierung getötet und somit nicht zu den Ge-
fangenen und ebenfalls nicht zu den Todesfällen gezählt wurden. Viele von
ihnen tauchen dann unter dem Begriff ‚Verschollene’ oder ‚Vermisste’ auf, an-
dere wiederum wurden zu den Toten des Zweiten Weltkrieges später hinzu-
gezählt, weil ihre Leichen irgendwo registriert wurden und die Unterlagen dar-
über in jüngster Vergangenheit erst auftauchten.
Ebenfalls nicht registriert und somit nicht mehr ermittelbar ist die grosse
Zahl von verschleppten Zivilisten aus Deutschland und der deutschen Volks-
gruppen im Osten, die man in sogenannten ‚gemischten Transporten‘ oder
auch ‚gemischten Märschen’ zusammen mit den Kriegsgefangenen aus den
Sammellagern nach Osten abtransportierte und die dann nicht als Kriegsge-
fangene eingestuft wurden, aber dennoch in den Arbeitslagern ihr Dasein fris-
sten mussten. Auch diese Zahl geht in die Hunderttausende.
Von Gefangenschaft als Folge des Zweiten Weltkrieges unmittelbar betrof-
fen waren also nahezu 14 Millionen Deutscher über einen längeren oder kür-
zeren Zeitraum hinweg, und mit den Schicksalen dieser Menschen, den wirk-
100
chen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges, beschäftigt sich dieses Buch.
Unterschiede nach den verschiedenen Statuseinteilungen der Alliierten blie-
ben hierbei unberücksichtigt, da sie nicht den Genfer Konventionen entspra-
chen, nachträglich eingeführt wurden und ihr eigentlicher Sinn ja nur darin be-
stand, mit den neu deklarierten Kriegsgefangenen nach eigenem Gutdünken
umspringen zu können.
Alle Menschen, die nicht ausdrücklich als Zivil internierte bezeichnet waren,
aber von den Alliierten gefangengenommen wurden, waren schliesslich Kriegs-
gefangene.
Auch im Osten trieb die Rote Armee ihre Gefangenen in rasch improvisierte
Sammel lager, die meist aus grösseren Geländeteilen bestanden, die einfach
mit Stacheldraht eingezäunt wurden. Dort befanden sich ebenfalls selten Ge-
bäude, so dass die Gefangenen es ihrer eigenen Improvisationskunst zu ver-
danken hatten, wenn sie sich wenigstens zu zweit oder zu dritt unter irgendei-
ner Decke zusammendrängen konnten, wenn der Frühlingsregen auf sie her-
unterprasselte oder die Nachtfeuchte sie auskühlte.
In den Sammellagern im Osten befanden sich wesentlich mehr Zivilisten als
im Westen unter den Gefangenen, die mit den Soldaten zusammen versucht
hatten, den sowjetischen Truppen zu entkommen, und dabei auch mit ihnen
von den rasch vorstossenden Panzerverbänden der Roten Armee überrollt und
‚einkassiert’ wurden.
Im Gegensatz zu denjenigen Frauen, die in den von der Roten Armee er-
oberten Dörfern vergewaltigt und danach häufig umgebracht wurden, mussten
zahlreiche Frauen in den Sammel lagern immer wieder Vergewaltigungen über
sich ergehen lassen, und es war in jenen Tagen, anders als heute, nicht von
besonderem Vorteil, wenn man hübsch aussah und eine gute Figur hatte.
Aus diesem Grund unterschieden sich die meisten Frauen bald kaum noch
von den mitgefangenen Männern. Sie trugen ebenfalls zerschlissene Hosen,
wuschen sich die Gesichter kaum und waren froh, wenn man unter dem Dreck
ihre weiblichen Formen nicht richtig erkannte. Das konnte oft eine Lebensver-
sicherung sein, und vor Vergewaltigungen und anderen Quälereien in den er-
sten Tagen und Wochen der Gefangenschaft schützte es manchmal recht gut.
101
Im Gegensatz zu den Westalliierten liessen die Sowjets ihre Gefangenen al-
lerdings nicht so lange in den Sammellagern verbleiben, sondern setzten sie
meist ziemlich rasch auf den Marsch mit grober Richtung Ost.
Meist zu Hundertschaften aneinandergereiht, wurden Marschkolonnen zu-
sammengestellt, die scheinbar ziellos, wie bereits in den Jahren zuvor prakti-
ziert, Marschleistungen erbrachten, die bei 40 Kilometern am Tag und mehr
lagen.
So mussten beispielsweise die in Ungarn gefangenen deutschen und ver-
bündeten Soldaten erst einmal 200 Kilometer und mehr hinter sich bringen,
ehe sie eines der 12 Sammellager erreichten.
Ihr Marsch führte dabei häufig durch Rumänien, wo sie in Durchgangsla-
gern zu neuen Transporten zusammengestellt und wieder in Marsch gesetzt
wurden.
So musste beispielsweise der Obergefreite Hans-Hubert K., der bei Buda-
pest in sowjetische Gefangenschaft geriet, nicht etwa direkt in das Sammella-
ger Budapest marschieren, sondern lief erst zusammen mit seinen Kameraden
ins rumänische Temesvar, wo ihnen eine Marschkolonne, bestehend aus ge-
fangenen reichsdeutschen und österreichischen Freiwilligen einer Waffen-SS-
Einheit, angegliedert wurde, ehe es dann nach Szeged fast ganz wieder zu-
rückging.
Erst im Lager Szeged kam Hans-Hubert für einige Wochen zur Ruhe, dann
ging es per Bahntransport in Richtung Osten weiter.
Solche und ähnliche Berichte habe ich in den vergangenen Jahren zu Hun-
derten gehört und mich erst im Innern ein wenig belustigt über die anschei-
nende Planlosigkeit der sowjetischen Gefangenenorganisation gefühlt, doch
dann erhielt ich 1986 die Bestätigung, dass es überhaupt keine Planlosigkeit,
sondern ein gut ausgeklügeltes System war, das hinter diesen Märschen
steckte und über das im folgenden Kapitel berichtet wird.
Abschliessend zum Thema «erste Lager» ist festzustellen, dass für die Masse
der gefangenen Deutschen, ob Soldaten oder Zivilisten, das erste Lager ein
Sammellager war, das meist aus einer mehr oder weniger schlammigen Wiese,
einigen Erdlöchern, schmalen Zeltbahnen oder halbverfallenen Gebäuden be-
stand.
Diese Sammel lager dienten – im Osten wie im Westen – einzig der Zusam-
menführung von möglichst grossen Gefangenenmassen, um diese dann durch
möglichst wenig Wachpersonal möglichst effektiv bewachen zu können. Be-
reits auf dem Weg zu diesen ersten Sammellagern, aber dann auch während
102
des Aufenthalts dort wurden die Gefangenen nach
verschiedenen Kriterien selektiert, aufgeteilt und für
ihren weiteren Bestimmungsort verfrachtet.
103
/
104
Todesmärsche,
Sühnemärsche,
Auslieferungen,
Transporte
107
Wie zuvor in diesem Buch bereits angesprochen, begannen die Sowjets
im Jahr 1943 mit diesen zuerst als ziellos angesehenen Märschen deutscher
Kriegsgefangener.
Es waren die rund 91’000 Überlebenden von Stalingrad, die bei minus 30
Grad und mehr in schier endlos erscheinenden Kolonnen in Marsch gesetzt
wurden und sich ihren Weg durch die Schnee- und Eiswüste bahnen
mussten, bis sie entweder unterwegs zusammenbrachen und erfroren, von
ihren Bewachern erschossen wurden oder dann schliesslich doch noch die
für sie vorbestimmten Verladestellen erreichten.
Wer diese Todesmärsche Überstand, da war sich die Sowjetführung si-
cher, war zäh und abgehärtet genug, um auch in den Lagern hinter dem
Ural noch einige Zeit lang arbeiten zu können.
Gefangene auf
einem Todes-
marsch.
108
Nicht erst seit dem Erscheinen des Buches Archipel Gulag von Alexander
Solschenizyn im Jahre 1973 weiss man, wie es in sowjetischen Straflagern
jener Zeit zuging.
Dies soll keine Entschuldigung für die Qualen sein, unter denen die ge-
fangenen Soldaten und Zivilisten bis in die fünfziger Jahre hinein zu leiden
hatten, sondern dazu dienen, die gesamte Situation der in sowjetische Ge-
fangenschaft geratenen Deutschen verständlicher zu machen.
Ein Strafgefangener in der UdSSR hatte nur noch ein einziges Recht-das
Recht zu arbeiten und das ihm auferlegte Arbeitssoll zu erfüllen. Andere
Rechte standen ihm während der Zeit seiner Gefangenschaft nicht mehr zu.
Das Recht auf Arbeit, und die damit verbundene Unterbringung und Er-
nährung, mussten sich die deutschen Gefangenen aber erst einmal verdie-
nen, oder besser gesagt, sie mussten sich zum Arbeiten tauglich zeigen. «Jeder von uns muss
Hierzu dienten die anscheinend so unsinnigen Todesmärsche der Kriegs- den Befehl des Ge-
gefangenen, und sie bekamen durch diese Erklärung plötzlich einen orga- nossen Stalin in Eh-
nisatorisch wichtigen Sinn. ren erfüllen und alle
Als ich im Jahre 1986 für zwei Wochen in Moskau weilte, lernte ich dort Deutschen Okkupan-
einen russischen Journalisten kennen, der mir diese These dann auch bestä- ten bis zum letzten
tigte. Mann vernichten.
Zehn, zwanzig, hun-
Igor, so heisst er, erzählte mir von seinem Vater, der von 1943 bis 1946
dert faschistische
Unterleutnant in einem Wachregiment war und selber an den Märschen der
Schurken zu töten –
deutschen Kriegsgefangenen von der Krim teilgenommen hatte. das wird von jedem
So erfuhr ich auch, dass die sowjetischen Wachmannschaften nicht, wie Kämpfer, Offizier und
nach Kriegsende stets berichtet wurde, recht selbstherrlich agierten, son- Politarbeiter jetzt ge-
dern auf Anweisungen ihrer Offiziere, die dazu exakte Befehle bekommen fordert.»
hatten. Sowjetische Armee-
Diese Befehle liefen stets auf Selektion hinaus, die Marschrouten waren zeitung ‚Leninskij Put’
vom 30. November
nicht willkürlich von den kommandierenden Offizieren ausgewählt, sondern
1941, nach J. Hoff-
wurden von Moskau aus befohlen. Überwacht wurde die Ausführung dieser
mann, ‚Stalins Ver-
Befehle durch die Politkommissare, die auch den Wacheinheiten angeglie- nichtungskrieg 1941-
dert waren und deren Machtbefugnis manch ein Kapitän oder Major zu spü- 1945’, S. 237.
ren bekam, wenn er aus eigener Trägheit oder Lustlosigkeit die vorgeschrie-
bene Marschleistung nicht einhielt oder sonstwie gegen die Moskauer
Marschbefehle verstiess.
109
Eine für die politische Führung der UdSSR wichtige Nebenwirkung dieser
Märsche war auch, möglichst vielen Sowjetbürgern die geschlagenen und
nun völlig zerlumpten und verhungerten deutschen Feinde vorzuführen,
um so zu zeigen, wie es allen Feinden des Kommunismus, der KPdSU und
natürlich Stalins ergehen würde. Hierzu dienten auch die grossen Aufmär-
sche deutscher ‚Gefangenenheere’ gegen Kriegsende und danach bei ver-
schiedenen Moskauer Paraden.
Im Frühjahr des Jahres 1944 traf es dann die Überlebenden der Kessel-
schlacht von Cerkassy-Korsun. Mehr als 11’000 deutsche Soldaten mar-
schierten tagelang, ehe sie in sogenannten provisorischen Sammellagern
ankamen, die, wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, aus ein paar zusam-
mengeknüpften Zeltbahnen und Decken und sonst nur aus Wiese bestan-
den.
Der sowjetische Vormarsch auf der Halbinsel Krim erhöhte das Gefange-
nenpotential auf sowjetischer Seite nun beträchtlich. Mehr als 65’000 deut-
sche und verbündete Soldaten mussten den Weg zu den Sammel lagern
antreten.
Eine grosse Marschkolonne wurde von Sewastopol aus über Bachcisaray
nach Dzankoj in Marsch gesetzt. Hierbei legten die Gefangenen zwei Wo-
chen lang mehr als 40 Kilometer pro Tag zurück, wobei Durst, Hunger und
Entkräftung die von der Sowjetführung gewünschten Opfer forderten.
Noch schlimmer erging es einer anderen Kolonne, die von Belogorsk aus
in Bewegung gesetzt wurde.
Der Weg dieses Elendszuges führte über Feodossija, dann an Kertsch
vorbei über Krasnodar und bis hin zum Kaukasus, wo die Überlebenden in
das Lager Armavir kamen. Rund vier Wochen lang dauerte dieser Marsch,
der auch die Wachmannschaften oft an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit
brachte, obwohl diese sich beim Marschieren ablösen konnten und, im Ge-
gensatz zu den Gefangenen, über genug Wasser und Verpflegung verfüg-
ten.
Die bei Kertsch Gefangenen hingegen liess man entgegengesetzt mar-
schieren und bewegte sie über Feodossija und Krasnoperekopsk nach Me-
litopol. Also liess man die eine Kolonne von Ost nach West, die andere ge-
nau entgegengesetzt marschieren, was die Aussagen von Igor aus dem
Jahre 1986 untermauert.
110
Als im Sommer des Jahres 1944 rund 150’000 Soldaten der deutschen
Heeresgruppe Mitte im Grossraum Gomel in sowjetische Gefangenschaft
gerieten, wurden diese in langen Marschkolonnen kreuz und quer durch
das Sumpfgebiet rund um Gomel gejagt, ehe sie dann in Richtung der Sam-
mellager von Smolensk, Minsk, Brjansk und anderen Orten getrieben wur-
den.
Der ständige Wassermangel, fehlende Verpflegung und die unbarmher-
zige russische Sommersonne forderten einen hohen Blutzoll von den ge-
schundenen Gefangenen.
Rund 10’000 der sich bald nur noch mühsam voranschleppenden deut-
schen Gefangenen wurden durch Kiew getrieben und der dortigen Bevöl-
kerung in einem Propagandamarsch vorgeführt.
Wie mir ein Beteiligter dieses Marsches vor einigen Jahren glaubhaft be-
richtete, wurde aber eher das Gegenteil bei der russischen Bevölkerung er-
reicht.
Die Gefangenenkolonne wurde in Kiew nicht, wie von Stalin und seinen
Vasallen erwartet, beschimpft oder bespuckt. Die Kiewer hatten Mitleid mit
den ausgemergelten Deutschen, die sie drei Jahre zuvor noch mit Blumen
als die Befreier vom stalinistischen Joch empfangen hatten.
Mehr als 50’000 Gefangenen erwies die Sowjetführung dann noch eine
besondere Ehre, indem sie diese entkräfteten Männer auch noch an einem
Propagandamarsch in Moskau teilnehmen liess. Es war sicherlich nur für die
Parteibonzen der KPdSU ein besonderes Vergnügen, die deutschen Gefan-
genen hohlwangig in ihren Lumpen und zerfetzten Schuhen über den Roten
Platz schlurfen zu sehen.
Zu krass warder Unterschied zwischen den wohlgenährten Wachsoldaten
mit ihren kurz zuvor noch rasch polierten Stiefeln und diesen Elendsgestal-
ten, und so manchen Moskauer fragte sich bei diesem Anblick, wie es dieser
armselige Haufen zerlumpter Deutscher wohl drei Jahre zuvor geschafft
hatte, die Rote Armee beinahe vernichtend zu schlagen.
Mein russischer Freund Igor hat mir mehrfach erkärt, dass diese Propa-
gandamärsche von Kriegsgefangenen einzig auf Befehl Stalins hin insze-
niert worden waren und dass sich führende Regierungsmitglieder bereits
1944 dagegen aussprachen, aber meist nur hinter vorgehaltener Hand,
denn was in der UdSSR jener Jahre geschah, das bestimmte einzig und allein
Stalin.
111
Von den rund 150’000 Gefangenen zu Beginn der Märsche aus dem
Raum Gomel kamen nur etwa 73’000 in den für sie bestimmten Lagern an.
Mehr als 50 Prozent überlebten diese Märsche nicht.
Das nächste Gefangenenschicksal sollte dann die Heeresgruppe Süd-
ukraine im August und September 1944 treffen.
Am Sonntag, dem 20.8.1944, griff die Rote Armee zwischen Jassy und
Tiraspol an, um die neu aufgestellte 6. deutsche Armee im Raum Kischinjow
einzukesseln. Bis zum Donnerstag, dem 24.8.1944, war das dann auch ge-
lungen, und eine zweite deutsche Armee mit der Bezeichnung ‚6.’ war ein-
geschlossen. Bis Ende August 1944 wurde die Armee völlig aufgerieben. Die
letzten Reste gingen am 2.9.1944 in sowjetische Gefangenschaft. Insgesamt
gerieten so rund 115’000 deutsche Soldaten der Heeresgruppe Südukraine
in sowjetische Hand.
Auch sie mussten erst einmal kreuz und quer hinter der immer weiter
vorstossenden sowjetischen Front marschieren, ehe sie auf Wiesen zusam-
mengetrieben wurden, denen man dann den hochtrabenden Namen ‚Sam-
mellager’ gab.
Bei Focsani am Rand der Ostkarpaten landeten etwa 25’000, im moldaui-
schen Jassy waren es 20’000, und in den beiden Lagern Belcy und Tiraspol
in Bessarabien kamen rund 30’000 und 40’000 Mann an, die sich völlig er-
schöpft einen Platz auf einer Wiese unterfreiem Himmel suchten und nach
den wochenlangen Märschen über mehrere hundert Kilometer hinweg erst
einmal nur ausruhen wollten.
Die Verluste auf diesen Märschen lagen bei mehr als 35 Prozent. Viele
Gefangene waren danach aber auch dermassen erschöpft und unterernährt,
dass auf den folgenden Bahnfahrten in Viehwaggons zu ihren Bestim-
mungslagern weitere 15% verstarben und so rund die Hälfte aller Rumä-
niengefangenen den Weg in die Gefangenenlager nicht überlebte.
Der Sommer des Jahres 1944 brachte aber auch an einer anderen Stelle
der Front deutschen Soldaten die Gefangenschaft. Die Westalliierten Ver-
bände waren am 6. Juni in Frankreich gelandet, und in den kommenden
Wochen mussten dort etwa 110’000 deutsche Soldaten die Waffen strek-
ken. So erhöhte sich die Zahl der Kriegsgefangenen im Westen langsam,
aber stetig bis zum November des Jahres auf rund 306’000, die anfänglich
grösstenteils auf Schiffen in die USA, dann in Camps auf die britische Insel
112
gebracht wurden. Ihnen blieben die sowjetischen Selektionsmärsche er-
spart. Nicht aber ihren Kameraden, die im Frühjahr 1945 in Ungarn, dann in
Österreich in Gefangenschaft gerieten. Hierbei spielte es auch keine grosse
Rolle, ob sie sich in Ungarn den Sowjets oder in Österreich den Briten erga-
ben, wie später in diesem Kapitel noch zu erklären sein wird. Marschieren
mussten sie alle!
Es ist müssig, darauf hinzuweisen, dass die Marschrouten wieder einmal
in allen möglichen Windungen, nur nicht gerade von einem Ziel zum ande-
ren wiesen, um auf diese Art einen äusserst langen Marsch zu erreichen.
Auch wurden wieder Gefangene von Nord nach Süd und umgekehrt verlegt,
statt in die nächstliegenden Sammellager getrieben zu werden.
Immer das gleiche sowjetische Selektionsschema: marschieren bis zum
Umfallen. Die Marschstrecken lagen im Schnitt bei 200 Kilometern und «Offiziere und Solda-
mehr, bis endlich Rast in einem der zahlreichen Sammel lager gemacht ten in den grünen
wurde. Mänteln sind keine
Einige Kolonnen gingen auch von Ungarn erst nach Rumänien, um dann Menschen, sondern
doch in Ungarn verladen zu werden. wilde Tiere... Ver-
Die Gefangenen wurden nicht registriert, aber ständig gezählt, denn das nichtet deutsche Offi-
erschien der Sowjetführung die einzige Möglichkeit, wenigstens einen un- ziere und Soldaten,
wie man tolle Hunde
gefähren Überblick über das immer grösser werdende Arbeitsheer zu be-
erschlägt.»
kommen, das für den Arbeitseinsatz in der UdSSR vorgesehen war.
Flugblatt der politi-
Auch hier war das Selektionsschema deutlich erkennbar, denn wurde die schen Verwaltung
Gefangenenzahl beim Beginn eines Marsches nur grob von der Wachmann- der sowjetischen
schaft überflogen, wurden diejenigen Kolonnen, die dann zu einem weite- Nordwestfront vom
ren Marsch ein Sammellager verliessen, genauer gezählt und mussten meist 25. März 1942, nach
in Hundertschaften antreten. Die erste Selektion mit den zu erwartenden Hoffmann, ‚Stalins
hohen Verlustzahlen lag ja dann bereits hinter ihnen, und wer den ersten Vernichtungskrieg
1941-1945‘.
Marsch von hundert oder zweihundert Kilometern überstanden hatte, wür-
de auch noch weitere hundert Kilometer zurücklegen können.
So kam es dann bei diesen Kolonnen oft zu den kuriosesten Ereignissen,
die von den Betroffenen aber selten als lustig empfunden wurden, wenn
dennoch unterwegs ein Gefangener seinen Qualen erlag oder gar mehreren
bei Nacht die Flucht gelang.
Verschiedene Heimkehrer berichteten, wie die sowjetische Wachmann-
schaft es immer wieder schafften, die übernommene Gefangenenzahl auch
beim nächsten Lager wieder abzuliefern.
113
Sie machten es sich recht einfach. Waren zwei Gefangene verstorben
oder geflüchtet, griffen sie sich einfach zwei Leute von der Strasse und reih-
ten sie in die Kolonne ein. Hierbei spielte es keine Rolle, ob es sich um Deut-
sche handelte oder nicht; ob es sich um gerade aus deutscher Gefangen-
schaft befreite alliierte Gefangene, Zivilisten oder sogar befreite Insassen
von Konzentrationslagern handelte, war den sowjetischen Wachposten völ-
lig egal.
Tausend gefangene Faschisten waren übernommen worden, und tau-
send Gefangene wurden auch wieder übergeben. So einfach dachten die
sowjetischen Unterführer, und danach handelten sie auch.
Erstmals trat bei diesen Märschen aus Ungarn und Österreich aber eine
Änderung ein, die für die kommenden Monate häufiger angewendet wer-
den sollte. Verschiedene Marschkolonnen aus unterschiedlichen Richtun-
gen trafen sich an bestimmten Sammelstellen, die Gefangenen wurden ge-
mischt und zu neuen Kolonnen wieder zusammengestel It.
Nun kamen auch die kriegsgefangenen Deutschen aus der Tschechoslo-
wakei hinzu und wurden mit ihren Kameraden aus Ungarn und Österreich
ebenfalls durcheinandergemischt.
Diese Neuzusammenstellungen wirkten auf den ersten Blick völlig plan-
los und dem Zufall überlassen, doch wer die sowjetische Führungsmentali-
tät jener Zeit etwas genauer betrachtet, wird zwar häufig Befehle und An-
weisungen entdecken, die auf uns unsinnig wirken, doch gerade diese of-
fensichtliche völlige Planlosigkeit deutete dabei meist auf ein bestimmtes,
raffiniertes und etwas verbergendes System hin.
Einer der Gründe für dieses Verfahren war mit Sicherheit in der Vorsicht
der sowjetischen Führung zu suchen. Ab 1944 gingen ganze deutsche Trup-
penteile in Gefangenschaft. Kompanien, Bataillone und Regimenter wurden
geschlossen gefangengenommen und waren so, zwar ohne Waffen und Ge-
rät, organisatorisch noch völlig intakt. Die Offiziere und Unterführer hatten
immer noch das Kommando über die Soldaten, und trotz aller Widrigkeiten
durch Gefangenschaft, Märsche und Sammellager funktionierte das deut-
sche Befehls- und Gehorsamprinzip auch bei den Kriegsgefangenen noch
einigermassen.
Vielen sowjetischen Offizieren, die mit ihren Wachmannschaften die un-
endlichen langen Marschkolonnen begleiteten, war es oft nicht ganz wohl
114
in ihrer Haut, wenn sie über das Zahlenverhältnis nachdachten, das meist
bei 200 oder 300 zu 1 zugunsten der Gefangenen lag.
Befanden sich die Verteidiger von Stalingrad bei ihrer Gefangennahme
fast alle in einem körperlich erbärmlichen Zustand, gerieten nach der deut-
schen Kapitulation immer mehr noch einigermassen gesunde und kampf-
fähige Soldaten in Gefangenschaft, die noch in den Stunden vor der Kapi-
tulation, ehe sie ihre Waffen auf Befehl ihrer Offiziere hin niederlegten, hef-
tigsten Widerstand gegen einen zahlenmässig weit überlegenen Gegner
geleistet hatten.
Hier entstand eine Gefahr, die nicht zu unterschätzen war, und so re-
agierte man auf sowjetischer Seite darauf, indem man die Kompanien und
Bataillone zerriss, völlig fremde Soldaten nebeneinander stellte und die Of-
fiziere in separate Offizierslager schaffte.
Mit Aufständen hatte man in der Sowjetunion ja in der Praxis die grösste
Erfahrung, beruhte doch die Staatsgründung auf dem kommunistischen
Aufstand im Russland des Jahres 1917, der noch nicht weit genug zurücklag,
dass man sich nicht daran erinnerte.
Auf diese Art wurde die theoretisch noch vorhandene Kampfkraft der
Gefangenenkolonnen so weit gemindert, dass es zu keinen grossen Auf-
ständen oder Ausbruchsversuchen kam.
Ein weiterer Gedanke der Moskauer Führung, die deutschen Führungs-
strukturen der Gefangenenmassen so weit wie möglich zu schwächen, lag
in dem Verhältnis zu den Westalliierten begründet.
Je näher das absehbare Kriegsende heranrückte, desto stärker traten die
Differenzen der sowjetischen Führung mit ihren westlichen Verbündeten in
den Vordergrund für alle alliierten Politiker.
Es war dies der alte Streit des Kommunismus mit dem Kapitalismus um
die Weltherrschaft.
Im Kampf gegen das anfänglich so übermächtige Dritte Reich hatte man
diese Differenzen kurzzeitig begraben und war auf beiden Seiten Kompro-
misse eingegangen.
Nun aber, da die Tage des Dritten Reiches als Machtfaktor gezählt waren,
kamen diese verdrängten politischen Aspekte in allen Köpfen wieder hoch;
das millionenfache Gefangenenheer begann, zu einer immer wichtiger wer-
denden Figur im Schachspiel der Weltpolitik zu werden.
Es ist inzwischen bewiesen, dass Stalin jahrelang von der panischen Angst
verfolgt wurde, Hitler hätte das Kriegsende überlebt und sich ins Ausland
115
absetzen können. Ein Grossteil seiner Mitstreiter im Politbüro teilte diese
Angst. Man befürchtete bei den immer offensichtlicher werdenden Kontro-
versen mit dem Westen, dass Briten und Amerikaner möglicherweise Hitler
versteckt hielten und ihn nach Kriegsende gegen die Sowjets einsetzen
könnten, wie der Sowjetmarschall Grigori K. Schukow, der ab Juni 1945
Oberbefehlshaber der sowjetischen Heeresgruppe Deutschland und ab
1955 sowjetischer Verteidigungsminister war, wenige Jahre nach Kriegs-
ende bereits öffentlich erklärte.
Dass es bereits kurz nach dem Ende des Dritten Reiches zu einer grossen
Konfrontation zwischen der Sowjetunion und dem ‚Kapitalismus und Impe-
rialismus der Anglo-Amerikaner’ kommen würde, war die feste Überzeu-
gung nahezu aller Verantwortlichen auf politischer und militärischer Ebene
in Moskau.
Marschall Nikolai A. Bulganin, späterer Kriegsminister der UdSSR, schrieb
darüber nach Kriegsende eine Prüfungsarbeit, die er an der russischen Mi-
litärakademie einreichte und die Grundlage für seine Beförderung zum
Marschall wurde.
Titel der Arbeit: Die Probleme von Krieg und Frieden in der Periode des
Ultra-Imperialismus.
In diesem Werk, das die politische und militärische Einstellung Stalins
und seiner Regierungsmitglieder treffend wiedergab, vertrat Bulganin die
These, dass eine besiegte Regierung stets ‚physisch’ völlig ausgerottet wer-
den muss, um nicht sofort wieder einen folgenden Krieg zu provozieren. Er
schrieb hierzu:
«Als dann nach dem Krieg die Frage des Friedensschlusses auftauchte,
konnte sich ein solcher allein auf die bedingungslose Kapitulation des Drit-
ten Reiches, ein Gerichtsverfahren gegen seine Führer und deren Hinrich-
tung sowie die Beseitigung des ganzen Regimes begründen. Unsere Betei-
ligung macht jede andere Lösung absolut unmöglich. Jede andere Lösung
hätte nämlich unweigerlich den Zweiten Weltkrieg automatisch in den drit-
ten Weltkrieg verwandelt, in dem sich dann die Sowjetunion und die angel-
sächsischen Länder gegenübergestanden hätten...»
Und weiter:
«.. Wenn es zu einem neuen Kriege käme, so würden am Schluss die glei-
chen Bedingungen mit noch unbarmherzigerer Nacktheit gegeben sein: es
würde keinerlei Möglichkeit bestehen, zwischen den Regierungen, von de-
nen der Krieg ausging, zu einem Frieden zu gelangen. Die Niederlage des
116
einen der Gegner würde vielmehr bedeuten, dass seine Regierung physisch
zu verschwinden hätte und dass eine neue Regierung an ihre Stelle träte,
die jene sozialen Schichten repräsentierte, die dem Sieger genehm sind.»
Wie recht Bulganin hatte, haben wir in den vergangenen 50 Jahren alle
selber feststellen können, denn nach Kriegsende entstanden in Deutschland
zwei Staaten mit den Regierungen, die ihren Besatzungsmächten genehm
waren, die Bundesrepublik Deutschland nach dem Willen der Anglo-Ameri-
kaner und die Deutsche Demokratische Republik nach dem Willen der
UdSSR.
Dass man sich auf Seiten der Amerikaner, Briten und Franzosen ähnliche
Gedanken machte, zeigten der Umgang mit den Gefangenen durch diese
Länder ebenso wie die folgenden Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse
und die Gründung der Bundesrepublik.
Bei Kriegsende herrschte jedenfalls in der sowjetischen Führung, voran
Stalin, die Angst, dass sich ein neuer ‚Mythos Hitler’ in Deutschland entwi-
ckeln könnte, wenn man diesen Mann nicht vor ein Gericht stellte, in einem
grossangelegten Schauprozess in Moskau aburteilte und dann hinrichtete.
Als Stalin die Meldung erhielt, Hitler und Eva Braun hätten Selbstmord
begangen, war er ausser sich vor Wut.
Wenn man diesen deutschen Führer nicht aburteilen konnte, dann
musste man dem deutschen Volk, und natürlich als Siegesbeute auch dem
eigenen, zumindest seine Leiche präsentieren können.
So wurde Marschall Schukow in Berlin mit der Aufgabe betraut, diese
Leiche zu finden. Das Ergebnis der Bemühungen seiner Spezialistenkom-
mission schilderte Marschall Schukow im Jahre 1949 selber:
«Etwa Mitte 1945 legte mir diese Kommission ihren abschliessenden Be-
richt vor. Sie war darin zu den nachstehenden Ergebnissen gelangt:
Von den Leichen Hitlers und Eva Brauns sind nicht die geringsten Über-
reste gefunden worden.
Es konnte ebenfalls nicht die Grube mit den Überresten von Benzin fest-
gestellt werden, in der nach Angabe verschiedener Zeugen die Leichen des
Führers und seiner Frau verbrannt worden sein sollen.
Eine Reihe von Zeugen hat erklärt, dass sie vor Hitler einen Eid folgenden
Inhalts hätten ablegen müssen: falls sie dem Feind in die Hände fielen, soll-
117
ten sie angeben, sie hätten mit eigenen Augen gesehen, dass die Leichen
von Hitler und Eva Braun von den Flammen des Scheiterhaufens verzehrt
wurden, der im Garten der Reichskanzlei angezündet worden sei.
Von allen Befragten ist unserer Untersuchungskommission versichert
worden, dass sie niemals weder einen Scheiterhaufen noch die Leichen von
Hitler und Eva Braun gesehen haben.»
Weiter berichtet Schukow dann von einer abenteuerlichen These, die in-
zwischen historisch als widerlegt gilt:
«Andererseits ist in nicht zu widerlegender Weise festgestellt worden,
dass im Morgengrauen des 30. April ein kleines Flugzeug vom Tiergarten
abgeflogen ist. Es soll Kurs auf Hamburg genommen haben. In diesem Flug-
zeug hatten drei Männer und eine Frau Platz genommen.
Weiterhin hat sich ergeben, dass ein grosses Unterseeboot Hamburg vor
dem Eintreffen der britischen Truppen verlassen hat. An Bord haben sich
verschiedene nicht identifizierte Personen, darunter eine Frau, befunden.»
Mit diesem Untersuchungsergebnis der von Schukow eingesetzten Kom-
mission wurde noch im Jahre 1945 die Mär einer angeblichen Flucht Hitlers
in die Welt gesetzt, die jahrzehntelang zahlreiche Historiker beschäftigte,
aber auch zeigte, welche Ängste Stalin und sein Politbüro wirklich mit der
Person Hitlers verbanden.
Schukow erklärte noch im Jahre 1950:
«Ich habe meine Schlussfolgerungen daraus (gemeint ist der Bericht der
Untersuchungskommission) gezogen. Für mich befinden sich Hitler und Eva
Braun noch am Leben. Sie konnten im Jahre 1945 Deutschland verlassen
und auf irgendeiner öden Insel in unerforschten Gegenden leicht Zuflucht
finden und verschwinden.»
Als der britische Intelligence Service im Rahmen einer eigenen Untersu-
chung zu einem völlig anderen Ergebnis kam, wurde dies auf sowjetischer
Seite als «anglo-amerikanische Finte» eingeschätzt und eher noch als Un-
termauerung der eigenen Untersuchung gewertet.
So war es in jenen Zeiten und auch noch Jahrzehnte danach. Der Kalte
Krieg zwischen der UdSSR und den Westmächten hatte bereits begonnen,
obwohl der Zweite Weltkrieg noch gar nicht zu Ende war.
Was bedeutete das aber für die deutschen Gefangenen in sowjetischer
118
Hand im Jahre 1945? Nun, wir wissen es inzwischen, es hiess ‚marschier und
krepier’ in immer neuen Kolonnen Zusammensetzungen.
Doch nicht allein die Angst vor einem durch die Westalliierten provozier-
ten Aufstand des deutschen Gefangenenheeres in der Sowjetunion in Ver-
bindung mit der Person Hitlers war Grund für die neue Form der Märsche,
auch Gedanken von Spionage und Gegenspionage spielten dabei bereits
eine grosse Rolle, wie wir heute wissen.
Zwar hatten die Siegermächte bereits in verschiedenen Konferenzen seit
1943 ihre Einflussgebiete in Deutschland und Europa festgelegt; doch, als
es dann soweit war – das Dritte Reich hatte kapituliert –, war keiner der drei
Grossen so richtig zufrieden.
Bereits nach der Gipfelkonferenz in Jalta im Februar 1945 zwischen
Churchill, Roosevelt und Stalin sprachen das britische Unterhaus und der
US-Kongress ihre Kritik an der Machtstellung aus, die der UdSSR zugebilligt
worden war.
Mein Freund Igor in Moskau drückte diese Querelen von damals mit ein-
fachen Worten aus:
«Es war wie nach einem gelungenen Raubzug, wenn sich die Räuber dann
um die Beute streiten und über ihre Anteile nicht einig werden können.»
Die Allianz gegen das Dritte Reich hatte mit dessen Beendigung auch ihre
einzige Grundlage verloren; nun verfolgte jedes Land wieder seine eigenen
nationalen und internationalen Interessen.
Aus Zweckfreunden waren Feinde geworden, die sich bereits vor dem 8.
Mai 1945 argwöhnisch belauerten.
Erstes Ziel jeder Regierung, die sich plötzlich einem neuen Feind gegen-
übersieht, ist es, möglichst zahlreiche Informationen über diesen neuen
Gegner zu sammeln. Hierzu dienen Spionage und Gegenspionage
Noch vor Kriegsende entstanden deshalb sowohl auf sowjetischer als
auch aufwestalliierter Seite Spionageabteilungen, die sich deutsche Gefan-
gene zunutze machten – und an denen mangelte es im Jahre 1945 sicher
nicht.
Auf der Seite der Amerikaner boten im Frühjahr 1945 vor allem die in
Gefangenschaft geratenen Freiwilligen der Waffen-SS eine Möglichkeit, ei-
nige von ihnen gegen den Kommunismus einzusetzen, gegen den sie ja be-
reits in den Krieg gezogen waren.
119
In der Sowjetunion verfolgte man bereits seit dem Jahre 1942 ganz ge-
zielt den Einsatz von deutschen Kommunisten, die man in Moskau schulte
und für ihre Aufgaben bestens ausbildete.
Ausserdem verfügte man dank der weltweiten kommunistischen Verbin-
dungen bereits seit Beginn der dreissiger Jahre in Moskau über drei hervor-
ragend operierende Spionagenetze.
Laut Aussagen des für die Koordination in der Abteilung 9 des Nachrich-
tendienstes der Roten Armee in jenen Jahren zuständigen Generals Pawlow
waren die Hauptlieferanten für alle Nachrichten über die Westmächte in
den drei Spionagenetzen
A) Schweiz
B) Italien
C) Japan
zusammengefasst.
Das Netz in der Schweiz wurde in Moskau unter dem nach Kriegsende
oft gehörten Namen ‚Rote Kapelle’ geführt und konnte sich bis kurz vor
Kriegsende der Schweizer Bundespolizei entziehen. Geleitet wurde dieses
Netz von dem gebürtigen Ungarn Rado.
In Italien war der Sowjetoberst Usdansky Leiter des Spionagenetzes, das
von den italienischen Kommunisten unterstützt wurde.
Am ergiebigsten aber war das Spionagenetz in Japan, das unter dem
Tarnnamen ‚Hirse’ geführt wurde. Dort war es den Sowjets gelungen, ihre
Informanten in direkte Nähe des Ministerpräsidenten, des Kriegsministers
und der Generalstabschefs zu bringen. Die Informationen aus diesem Netz
waren zwischen 1941 und 1945 für die Rote Armee oft schlachtentschei-
dend und haben mit Sicherheit den Kriegsausgang im Osten stark beein-
flusst.
Aber nicht nur über die Deutschen, sondern auch über die anderen West-
mächte kamen zahlreiche wichtige Informationen nach Moskau, und nun,
da das Dritte Reich am Boden lag, die Amerikaner und Briten mit Italien
zusammenarbeiteten und die Niederlage Japans nur noch eine Frage von
Monaten sein konnte, waren alle drei Spionagenetze in Auflösung begriffen
oder bereits verstopft.
Mit allen Mitteln versuchten nun der militärische Nachrichtendienst
ebenso wie der politische, ‚INO’ abgekürzt, neue Informationsnetze aufzu-
bauen. Hierbei war allen klar, dass Deutschland in den kommenden Jahren
quasi ein Frontstaat zwischen Ost und West bliebe und gerade Informatio-
nen von dort äusserst wichtig werden würden.
120
Diese Gedankengänge, die im Zweiten Weltkrieg auf sowjetischer Seite
entstanden, sollten dann auch bis zur Auflösung der UdSSR stets Vorrang
bei allen Spionagetätigkeiten des Ostblocks haben, wie unsere jüngste Ver-
gangenheit gezeigt hat.
So schleuste man bereits ab 1943 gezielt junge deutsche Kommunisten
in die Reihen der Kriegsgefangenen ein oder schulte auch Gefangene in den
Lagern direkt um.
Oft wurden diese Spitzel aber rasch von den anderen Gefangenen er-
kannt und waren so nicht besonders produktiv für ihre Auftraggeber. Den-
noch funktionierte dieses System nach russischen Angaben recht gut, da es
sich meist um wild zusammengewürfelte Gefangenengruppen handelte.
Als sich der Krieg dem Ende entgegenneigte und die deutschen Gefan-
genen in grösserer Zahl in die Lager strömten, konnte man auch mehr Spit-
zel mit einschleusen, doch war es nicht so einfach, diese bei geschlossenen
Zügen oder Kompanien unterzubringen, da sich diese Soldaten bereits seit
Monaten oder Jahren kannten und eine verschworene Kampfgemeinschaft
bildeten. Jeder Fremde wurde automatisch zum Eindringling und war mit
besonderer Vorsicht zu behandeln.
Also zerriss man grössere Verbände und führte sie mit anderen und Ein-
zelgefangenen zusammen. Auf diese Art fiel es nicht mehr auf, wenn man
Spitzel untermischen wollte.
Als die ersten Auslieferungen deutscher Soldaten durch die Briten und
Amerikaner an die Sowjets erfolgten, befanden sich unter diesen ebenfalls
Spitzel, die aber ihrerseits für die Westalliierten arbeiteten und über die Zu-
stände in der Sowjetunion berichten sollten.
Diesen Spionen stand sogar ein noch funktionsfähiges Agentennetz in
der Sowjetunion zur Verfügung, dass von einer deutschen Dienststelle ge-
führt wurde, der 3. Abteilung des Generalstabs des Heeres mit der Bezeich-
nung ‚Fremde Heere/Ost’.
Chef der Abteilung war seit 1942 der deutsche General Reinhard Gehlen,
der sich bei Kriegsende in Bayern mit seinem gesamten Material den Ame-
rikanern zur Verfügung stellte und natürlich sofort übernommen wurde.
Gehlen, dem neben der UdSSR auch das Baltikum, die skandinavischen
Staaten und der Ferne Osten unterstand, verfügte über ein weitverzweigtes
und gut funktionierendes Agentennetz in der Sowjetunion und war zu je-
121
nem Zeitpunkt wohl der einzige Mensch, der Nachrichten sicher nach Russ-
land hinein und auch wieder herausbringen konnte.
Seine Abteilung blieb voll in Funktion, und daraus entwickelte sich später
die «Organisation Gehlem, aus der wiederum der heutige Bundesnachrich-
tendienst hervorging.
Selbstverständlich war man auf amerikanischer Seite überglücklich, solch
eine Organisation übernehmen und weiter ausbauen zu können. Die ein-
fachste Möglichkeit, Agenten nach Russland hineinzubekommen, boten die
relativ ungeordneten und unkontrollierten Gefangenenströme, und der US-
Geheimdienst nutzte diese sich bietenden Chance ebenso wie der britische.
Wie auch heute im Spiel der Geheimdienste untereinander stets Spione
enttarnt werden, so gelang es Ende Mai auch dem sowjetischen Geheim-
dienst, einige deutsche Gefangene als US-Agenten zu enttarnen. Sofort
setzte eine den Sowjetorganen auch heute noch anhängende Überreaktion
ein.
Hinter jedem zweiten deutschen Kriegsgefangenen, der ausgeliefert
wurde, sah man plötzlich einen potentiellen Westagenten, und dement-
sprechend setzte man noch mehr sogenannte «Vertrauensleute’ in den Rei-
hen der Gefangenen ein, die so plötzlich immer mehr zu politischen Fakto-
ren im Kampf Ost gegen West wurden.
Diese politischen Entwicklungen sollten von nun an das Gefangenen-
schicksal in Ost und West stark beeinflussen.
Die immer wieder wechselnden Zusammensetzungen von Gefangenen-
kolonnen und daraufhin der weit verstreute Aufbau der Lager waren das
erste Ergebnis dieser Entwicklungen auf sowjetischer Seite.
122
1945 über staubige Strassen und Schotterwege.
Besonders schlimm wurden dabei die Rumänen, Ungarn oder Jugosla-
wen behandelt, die auf deutscher Seite gekämpft hatten. In ihren Heimat-
ländern waren sie plötzlich vogelfrei und wurden auf Märschen wie Vieh
durch die Dörfer ihrer Heimatregionen getrieben.
‚Sühnemärsche’ nannten es die Sieger, ‚Todesmärsche’ die wenigen
überlebenden Gefangenen, denn diese Form von Gefangenenmärschen
verfolgte nur einen einzigen Zweck: Hier wurde sinnlose Rache geübt, die
sich in allen nur erdenklichen Grausamkeiten austobte.
Es war auch völlig egal, wer in der Kolonne mitlief: Gequält wurden alle,
deutsche und verbündete Soldaten, Zivilisten, Frauen und Kinder. Vor dem
sogenannten ‚Volkszorn’ konnten sich nur wenige retten.
Am 12. Mai 1945 ergaben sich die drei Regimenter der serbischen Staats-
wache, die zuvor an deutscher Seite gegen den Kommunismus gekämpft
hatten, den britischen Truppen, zu denen sie sich unter grossen Verlusten
durchgekämpft hatten, weil sie wussten, was ihnen bei Titos Partisanenhau-
fen bevorstand.
Die Freude der Männer, dem drohenden Untergang noch entronnen zu
sein, währte aber nicht lange.
Bereits am 1. Juni 1945 lieferten die Briten die Staatswache komplett an
Titos Partisanenarmee aus. Nach einem kurzen ‚Sühnemarsch’ durch einige
Dörfer wurden alle gefangenen Serben, zusammen mit 11’000 slowenischen
Soldaten und Zivilisten in den Wäldern der Gottschee ermordet, nachdem
die meisten vorher noch grausam misshandelt und verstümmelt worden
waren.
Ein ähnliches Schicksal war auch der Masse des kroatischen Heeres be-
schieden, das sich der britischen 8. Armee ergab, nachdem die Truppen, bei
denen sich auch mehr als 40’000 alte Leute, Frauen und Kinder befanden,
bis dahin erbittert Widerstand nach Osten geleistet hatten.
Zwar liess man sie bei den Kapitulationsverhandlungen in dem Glauben,
dass die Männer nun in britische Gefangenenlager kämen, doch nur ein paar
Tage später, am 15. Mai 1945, lieferten die Briten das komplette kroatische
Restheer an die Titopartisanen bei dem Ort Bleibtreu aus.
123
Von dort starteten die Partisanen dann mit ihren Gefangenen einen ‚Süh-
nemarsch’ nach Marburg an der Drau. Auf dem Weg dorthin wurden rund
80’000 kroatische Soldaten und etwa 30’000 Zivilisten grausamst gequält
und ermordet.
Wer heute, 50 Jahre nach Kriegsende, die Bilder betrachtet, die täglich
im Fernsehen aus Kroatien und Bosnien gesendet werden, wird mit Be-
stimmtheit den Schilderungen der wenigen Überlebenden dieser Todes-
märsche Glauben schenken müssen, denen bei Befragungen oft die Worte
gefehlt haben, um die Realität der Quälereien wirklich beschreiben zu kön-
nen.
Doch es waren nicht nur bestimmte Volksgruppen, die unter dem tödli-
chen Hass ihrer Nachbarn oder der eigenen Landsleute bei Kriegsende zu
leiden hatten.
Die Deutschen, ob Soldaten oder Zivi listen, waren bei Kriegsende quasi
weltweit von den Siegern zu Vogelfreien erklärt worden, und in vielen Län-
dern Europas entlud sich dann echter oder vorgetäuschter Hass auf alles,
was Deutsch sprach oder aussah.
Besonders schlimm traf es meist die Männer der Waffen-SS. Es spielte
hierbei auch keine Rolle, welcher Nationalität sie angehörten. Dies erkann-
ten die meist jungen Angehörigen dieser Verbände recht schnell und ver-
suchten, ihre Uniformen bei den Märschen mit denen getöteter oder vor
Schwäche umgekommener Soldaten anderer Waffengattungen zu tau-
schen. Auch warfen viele alle Papiere weg, die auf ihre Zugehörigkeit zu
einer Waffen-SS-Einheit hätten deuten können, doch das half auch nicht
lange.
Die eintätowierte Blutgruppe auf ihren Oberarmen wurde zum Kainsmal
hochstilisiert.
Ein besonders schlimmes Schicksal erlitt hierbei wohl die 7. SS-Gebirgs-
Division ‚Prinz Eugen‘, die in der Masse aus der deutschen Volksgruppe des
Banats im Jahre 1942 aufgestellt und dann im weiteren Kriegsverlauf durch
Siebenbürgendeutsche verstärkt worden war.
Obwohl als ‚Freiwilligen-Division’ gegründet, bestand die Masse dieser
Division bei Kriegsende aus eingezogenen Wehrpflichtigen.
Auch täuschte die Bezeichnung ‚Gebirgs-Division’ völlig, denn jeder, der
sich ein wenig auf dem Atlas auskennt, wird leicht feststellen können, dass
Banater und Siebenbürger reine Flachlandbewohner sind. Dennoch wurde
gerade diese Division in den Schluchten und Bergwäldern Bosniens, Dalma-
124
tiens und Herzegowinas eingesetzt.
Hier standen sie Tag und Nacht im harten Einsatz gegen Titos Partisanen,
die sich stets durch besondere Brutalität ausgezeichnet hatten.
Alle Männer der Division hatten in den hinter ihnen liegenden Kämpfen
selbst miterlebt, dass die Partisanen keine Gefangenen machten. Wenn sie
nachts Posten oder Streifen verschleppten, fand man diese Soldaten meist
einige Tage später grausam verstümmelt wieder. Sie wussten auch, dass die
Partisanen vor keinem Hospital halt machten und Genfer Konventionen
oder Haager Landkriegsordnung Vokabeln waren, die in ihrem Partisanen-
lexikon nicht vorkamen.
Als dann die Rote Armee ihre Heimatländer überrannte und Titos Parti-
sanen sich danach als Herren in Siebenbürgen und im Banat aufspielten und
grausam wüteten, konnten sich die Männer der Division unschwer vorstel-
len, was mit ihnen geschehen würde, sollten sie je in Partisanengefangen-
schaft geraten.
Dennoch musste die Division, zusammen mit anderen, im Raum Cilli ka-
pitulieren, wobei den Männern mehrfach Zusagen seitens der Sieger ge-
macht wurden, dass sie als Kriegsgefangene nach bestehendem Recht be-
handelt werden. Erst dann legten die Männer die Waffen nieder und wurden
kurz darauf bitter enttäuscht. Wie in jenen Tagen üblich, galt das Wort eines
Siegers plötzlich nichts mehr.
Wie zahlreiche Zeugen und Überlebende immer wieder berichteten, wur-
den Tausende der Soldaten unmittelbar nach ihrer Gefangennahme grau-
sam ermordet. In einer Nachkriegsdokumentation heisst es dazu:
«... in eine Schlucht getrieben und durch Absprengung der Felswand ver-
schüttet, nach Aushebung eines Grabens reihenweise durch Genickschuss
liquidiert, zu 5 oder 6 an den Händen zusammengeknüpft und in die reis-
sende Save geworfen, jammervoll ertrunken, lebend in Felshöhlen einbeto-
niert.»
Nach diesen Morden an ihren Kameraden mussten die Überlebenden zu
den sogenannten ‚Sühnemärschen’ antreten, die sie bis hinter Belgrad füh-
ren sollten. Rund 800 Kilometer, fast ohne Kleidung, nur selten verpflegt,
pausenlos angetrieben und unterwegs immer wieder von Partisanenhaufen
überfallen und der letzten Sachen beraubt, kamen rund 60 Prozent der ab-
125
marschierten Soldaten nicht an ihren Bestimmungsorten, den Kupferberg-
werken im serbischen Bor, an.
Die Propaganda, die während des gesamten Krieges nicht nur in
Deutschland, sondern ebenso im Ausland bis zum Exzess betrieben worden
war, trug natürlich auch zu den unzähligen Greueltaten gegen die unterle-
genen Deutschen bei.
Stets wurde in den Jahrzehnten nach Kriegsende die deutsche Propa-
ganda unter Goebbels als kriegstreibend und daher gefährlich dargestellt.
Dass aber auf Seiten der Alliierten – ob im Westen oder Osten – die Propa-
ganda gegen Deutschland und die Deutschen noch weitaus stärker als
Waffe auch noch nach Kriegsende und in letzter Konsequenz noch bis heute
eingesetzt wurde und wird, ist stets totgeschwiegen worden.
Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, auf alle Bereiche der Pro-
paganda gegen Deutschland und die Deutschen näher einzugehen, doch
erscheint es mir gerade für diesen Themenbereich äusserst aufschlussreich,
wenigstens die wichtigsten Gesichtspunkte der Ostpropaganda anzuführen.
Dann erscheinen auch dem letzten Zweifler mit Sicherheit einige weitere
Gründe für diese Sühne- und Todesmärsche klar ersichtlich.
In der Sowjetunion hatten führende Politiker und Militärs ebenso wie ihre
Kollegen auf der ganzen Welt bereits vor Kriegsbeginn erkannt, wie wichtig
die Propaganda als Kampfmittel sowohl gegen den Feind als auch für die
eigene Truppenmoral und -stärke war.
In der bereits angeführten Prüfungsarbeit des Marschalls Nikolai A. Bul-
ganin aus dem Jahre 1945 war ein Kapitel ganz diesem Thema gewidmet.
Er schrieb hierzu unter anderem:
«... da der Raum, in dem sich militärische Operationen entwickeln, ausser-
ordentlich weiträumig ist, erscheint es schwierig, eine Methode zu finden,
um den bewaffneten Konflikt mit ausschliesslich militärischen Mitteln zu lö-
sen. Die politischen Mittel, besonders die Propaganda, gewinnen dadurch
erheblich an Bedeutung und werden prinzipiell zu einer Waffe, die den Ka-
nonen, den Panzern und den Flugzeugen an Wirksamkeit nicht nachsteht.
Diese politischen Mittel werden eingesetzt, um die Heere des Feindes zu
lähmen, die Kampfkraft seiner Soldaten zu zermürben und die Autorität sei-
ner Generalstäbe zu unterhöhlen. Der gegnerischen Armee wird damit das
Rückgrat ihrer gesamten Organisation und auf diese Weise das wesentliche
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Prinzip ihrer Daseinsberechtigung als ‚nationale Waffe’ gebrochen, nämlich
die bedingungslose hierarchische Disziplin.
Aus alledem ergibt sich eindeutig, dass die Vorbereitung des Krieges
mehr umfassen muss, als das, was auf dem rein militärischen Sektor zu ge-
schehen hat... es kommt vielmehr im gleichen Masse darauf an, auf unserer
Seite ein System der politischen Propaganda aufzuziehen, das darauf abge-
stellt ist, unsere Soldaten zu einer festen Einheit zusammenzuschweissen
und ihnen die Bereitschaft mit auf den Weg zu geben, bis zum letzten Atem-
zug zu kämpfen, mag mit der Heimat auch passieren, was da wolle.»
Dieses Prinzip der, wie er es nannte, «konstruktiven Propaganda’ wen-
dete die Sowjetführung ab 1942 dann auch verschärft im Kampf gegen
Deutschland an. Ständig wurde den Sowjettruppen und ihren Verbündeten
im Osten eingehämmert, welche «faschistischen Herrenmenschen ohne Ge-
fühl’ da ihr Land überfallen hatten.
Leute wie der bereits erwähnte Propagandist Ilja Ehrenburg entwarfen
immer neue Schimpf- und Greuelpamphlete, die an Soldaten, Partisanen
und Zivilisten verteilt wurden. Hinzu kamen ständige Berichte in den Sow-
jetmedien über deutsche Greueltaten, ob wahr oder nicht, spielte hierbei
erst einmal keine grosse Rolle.
Wie erfolgreich diese Form der alliierten Greuelpropaganda wirklich war,
zeigt die Katyn-Lüge am deutlichsten, die bis zum Jahre 1990 weltweit an-
hielt und als geschichtliche Tatsache von den Historikern anerkannt wurde.
Sie stand und steht auch heute noch in den meisten Geschichtsbüchern, es
wurden Kränze an dem Mahnmal bei Katyn von allen Politikern weltweit
niedergelegt, die niemand mehr zurückholen wird.
Die deutschen Soldaten aber, die wegen dieser sowjetischen Lüge unter-
anderem in Leningrad als Kriegsgefangene verurteilt und nach Kriegsende
hingerichtet wurden, macht die Aufdeckung der Wahrheit nach rund 45
Jahren auch nicht wieder lebendig.
Es zeigt uns aber neben zahlreichen anderen Beispielen auch, wie sehr
die Propaganda alle Medien beherrschte. Was Propaganda alles bewirken
kann, erleben wir alle tagtäglich, wenn wir im Fernsehen die Werbung an-
schauen, denn die ist nichts anderes als Propaganda für ein bestimmtes
Produkt.
Damals, in den dreissiger bis fünfziger Jahren machte man verstärkt Pro-
paganda für oder gegen eine Weltanschauung, eine Politik oder ein Volk.
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Zumeist war die sowjetische Propaganda recht simpel und so zugeschnit-
ten, dass sie mit einfachen Worten und Bildern die Masse des Volkes be-
wegte und manipulierte. Dass aber auch bei der Intelligenz des Landes und
der befreundeten Nationen diese ständige Beeinflussung der Meinung nach
einigen Jahren Früchte zeigte, drückte sich in vielen Bereichen der Nach-
kriegszeit aus, so auch im Umgang mit den deutschen Gefangenen, vor al-
lem bei Kriegsende und unmittelbar danach.
Es ist bezeichnend, wenn der Sowjetmarschall Wassili D. Sokolowski, der
studiert hatte und neben russisch auch noch englisch, französisch und
deutsch sprach, also sicherlich nicht als ungebildeter Bauer abgetan werden
kann, in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der sowjetischen Streit-
kräfte in Deutschland und Chef der dortigen sowjetischen Militärverwaltung
nach Kriegsende in einem Interview zu diesem Thema erklärte:
«Die Losung, die unser Genosse Stalin und Schtscherbakow ausgegeben
haben, lautet: ‚Tod den Eindringlingen’. Diese Losung muss bis zum letzten
Buchstaben getreu befolgt werden. Den Soldaten muss unmissverständlich
klargemacht werden, dass es ihre Pflicht und Schuldigkeit ist, mit allen Mit-
teln eine möglichst grosse Zahl dieser Deutscher auszurotten, die über un-
ser Land hergefallen sind... unsere Sorge muss es sein, dass von ihnen nichts
als Dünger nachbleibt, der unsere künftige Ernte reicher und schöner
macht.»
Um diesen unbedingten Tötungswillen auch dem letzten Sowjetsoldaten
einzuprägen und ihm die eigene Angst zu nehmen, wurden tägliche Wodka-
rationen von 500 Gramm, das ist nach unserem Masssystem ein halber Liter,
pro Mann ausgegeben.
Der Sowjetgeneral Konowalow musste im Frühjahr einmal kurzfristig die
Wodkarationen auf 100 Gramm pro Tag kürzen und begründete dies wie
folgt:
«Mir stehen fast keine Tankwagen mehr für den Schnaps zur Verfügung.
Ich brauche sie dringend für Brennstoff.»
Die Sowjetsoldaten, an ihre Tagesration gewöhnt, verlängerten den
Schnaps daraufhin einfach mit Benzin. Sie waren bereits süchtig und nah-
men das Bauchweh und die Krämpfe nach dem Genuss dieses Gemisches in
Kauf.
Marschall Schukow, der diese Mischung im April 1945 selbst einmal aus-
probierte, musste nach dem Genuss nach eigener Aussage «noch eine halbe
Stunde wie wild spucken».
129
Dies zeigt deutlich, welche Menge Schnaps da jeden Tag an die kämp-
fende Truppe ausgegeben wurde, um die eigene Angst der Soldaten zu läh-
men und sie willenlos gegen alle propagandistischen Phrasen zu machen.
Der Erfolg gab der Sowjetführung ja auch Recht, doch, was eine volltrun-
kene Soldateska im Osten bei Kriegsende und in den Wochen danach alles
anstellte, mussten Millionen Deutscher, Männer, Frauen und Kinder, auf
äusserst blutige und vernichtende Weise erfahren.
Diese Propaganda war es letztendlich auch, die Pogrome gegen die
Deutschen in der Tschechoslowakei und Polen, die Misshandlungen und
Vergewaltigungen von Flüchtlingen, die Tötungen und Quälereien von
Kriegsgefangenen und solche Auswüchse wie die Todes- und Sühnemär-
sche in Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien provozierte.
Als Folgen dieser Propaganda kamen nach Kriegsende weitaus mehr
Deutsche ums Leben als im gesamten Kriegsverlauf, und man weiss heute
recht genau, dass es rund 6 Millionen Deutsche waren, die so nach Kriegs-
ende ihr Leben lassen mussten, die Vergewaltigten und Verstümmelten
nicht eingerechnet.
Zusammenfassend ist zu den Märschen deutscher Kriegsgefangener im
Osten zu sagen, dass sie von 1942 bis kurz vor Kriegsende einzig der Selek-
tion arbeitsunfähiger Gefangener dienten. Ab Frühjahr 1945. waren sie auch
Mittel zur Schwächung deutscher Kommandostrukturen innerhalb der Ge-
fangenenverbände, dienten der Erkennung feindlicher Agenten und dem
Einschleusen eigener Agenten und Spitzel und dienten in den Satelliten-
staaten der Befriedigung des dort durch die fortwährende Propaganda auf-
gestauten Hasses gegen alles Deutsche. Den Erklärungen der «wissen-
schaftlichen Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte’ unter
der Leitung von Erich Maschke zum Thema Gefangenenmärsche kann ich
nicht zustimmen.
Mag für die kleineren Märsche der Jahre 1942/43 noch ein Transportpro-
blem mit anzuführen sein, so lagen den Todesmärschen der Stalingradge-
fangenen im Februar 1943 nicht humanitäre sowjetische Gedanken zu
Grunde, wie uns besagter Professor Dr. Maschke und sein Autor Böhme
weismachen wollen, sondern rein selektive.
Auch können die angeführten Transportprobleme für die Jahre 1944/45
und vor allem nach Kriegsende sicher nicht mehr gelten, wie sich leicht
130
durch die Zahlen der von den Amerikanern und Briten bis 1945 gelieferten
und der in der UdSSR selber gefertigten Fahrzeuge ergibt. Hinzu kommen
von 1943 bis Kriegsende auch noch die erbeuteten Fahrzeuge.
Die Zahlen stellten sich wie folgt dar und waren der Kommission, da be-
reits 1950 veröffentlicht, jederzeit zugänglich:
131
Ebenso wie bei den Amerikanern und Briten hätte man die deutschen
Gefangenen auch im Osten mit Fahrzeugen zu den Sammellagern bringen
können, wenn man dies auf sowjetischer Seite gewollt hätte.
Die Pogrome bei der Gefangennahme von deutschen und verbündeten
Soldaten in der Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien und Jugo-
slawien waren ein Ergebnis der seit 1942 gezielt aufgebauten sowjetischen
Greuelpropaganda, deren Auswüchse teilweise bis heute noch als andere
historische Taten gewertet werden, wie etwa die Kapitulation der 7. SS-Ge-
birgs-Division ‚Prinz Eugen‘ im Raum Cilli und die anschliessenden Greuel-
taten an den wehrlosen Kriegsgefangenen, die heute noch in jugoslawi-
schen Geschichtsbüchern als «Schlacht von Cilli» und grosser militärischer
Erfolg der ‚Befreiungsarmee’ unter Tito bezeichnet werden.
Dank der Öffnung der Archive des Ostens seit 1990 sind wir heute in der
Lage, diese historischen Falschmeldungen neu zu bewerten und die Ge-
schichtsbücher dahingehend umzuschreiben.
Auslieferungen, Transporte
In den Wochen und Monaten vor Kriegsende wurden Millionen von deut-
schen Soldaten, ihre Verbündeten und flüchtende Zivilisten der unter-
schiedlichsten Nationalitäten im Osten Europas nur noch von einem Gedan-
ken beseelt:
«So schnell wie möglich nach Westen!»
Dies war der Motor, die Kraft, die sie aufrecht hielt und die sie zu un-
menschlich scheinenden Leistungen antrieb.
Alles, was sich bewegen liess und in der Lage war, Lasten zu tragen,
wurde als Transportmittel eingesetzt, um wenigstens das Allernötigste vor
der heranstürmenden Roten Armee zu retten.
Die Völkerwanderung jener Wochen war schlimmer als beim Einfall der
Tataren nach Westeuropa.
Die Menschen, ob Soldaten oderZivilisten, hatten auch die Parolen gele-
sen, die von den Sowjetpropagandisten seit Jahren verbreitet wurden, und
die deutsche Propaganda hatte das Ihrige dazu beigetragen. Jeder hatte
Angst vor dem, was da so unaufhaltsam aus den Weiten Russlands auf ihn
zukam.
Als die Rote Armee dann das Reichsgebiet erreicht hatte und die ersten
Nachrichten über Vergewaltigungen, Plünderungen und Massenermordun-
132
gen die Runde machten, steigerte sich diese Angst ins Unermessliche.
Die noch erscheinenden deutschen Zeitungen untermauerten ihre stän-
dig gleichen Durchhalteparolen mit Fotos von kurzzeitig zurückeroberten
deutschen Ortschaften, in denen die Sowjets gehaust hatten, und spornten
so die schon mit letzter Kraft sich dem übermächtigen Druck entgegenstel-
lenden jungen Soldaten zu übermenschlichen Leistungen an.
Als Anfang März 1945 bei einem der wenigen deutschen Gegenangriffe
in Schlesien die Stadt Lauban kurzzeitig zurückerobert wurde, bot sich den
deutschen Truppen ein Bild des Grauens. Überall verstümmelte Leichen,
vergewaltigte und dann getötete Frauen und Mädchen aller Altersgruppen,
Plünderung, Verwüstung und Zerstörung in allen Häusern.
Reichspropagandaminister Goebbels fuhr mit Film- und Fotoleuten so-
fort dorthin und redete vor den Soldaten.
Die Filme und Fotos von Lauban gingen in den darauffolgenden Wochen
nicht nur durch die deutschen Medien und zeigten so auch dem letzten
noch Ungläubigen, was ihn als Deutscher oder auch nur Deutschenfreund
im Osten erwartete.
Hinzu kam dann noch die Parole: «Zurück in den Westen und dann mit
den Briten und Amis wieder nach Osten.»
Dies alles zusammen wirkte wie eine Droge, die da hiess: «Im Westen
wird alles wieder gut!»
Auch als das offizielle Kriegsende mit dem 8./9. Mai 1945 herangekom-
men war, wirkte diese Droge noch, und die Verbände im Osten setzten sich
weiter in Richtung auf die Amerikaner und Briten hin ab, bei denen ja die
Kriegsgefangenen bisher-so hatte man jedenfalls gehört – einigermassen
menschlich behandelt worden waren.
Fast alle Soldaten waren froh, wenn sie dann endlich das für sie befrei-
ende ‚Hands up’ hörten und auf die kaugummikauenden Soldaten in den
olivgrünen Kampfanzügen trafen, die sie meist neugierig musterten.
«So schnell», erzählte mir Kurt H. aus Gelsenkirchen, «hatte ich meinen
Karabiner noch nie weggeworfen wie zu dem Zeitpunkt, da ich erstmals in
den Lauf einer amerikanischen MP blickte, und ich war auch noch nie so
froh gewesen, in den Lauf einer feindlichen Waffe zu schauen wie damals,
133
im Mai 1945. Dass ich mich furchtbar irrte, konnte ich zu jenem Zeitpunkt
ja noch nicht wissen.»
Alle waren wie erleichtert, die deutschen Soldaten, ihre Waffenbrüder aus
West- und Osteuropa und die zahllosen Zivilisten, die mit und zwischen den
Marschkolonnen einhergetrottet waren.
Für einige der Gefangenen sollte die anfängliche Freude aber nur wenige
Stunden oder Tage dauern.
Karl Gruber, der bereits über den Beginn seiner Gefangenschaft berichtet
hat, konnte sich ganze vier Stunden lang freuen, denn dann wurde er mit
den Angehörigen seiner Einheit direkt von den Amerikanern an einen be-
waffneten Haufen ausgeliefert, der sich selber als ‚Tschechoslowakische Be-
freiungsarmee’ bezeichnete und eher einer Räuberbande denn einer mili-
tärischen Einheit glich.
«Als die Amis einfach wegfuhren und uns den Tschechen überliessen,
waren wir kurz davor, uns auf unsere Waffen, die nur wenige Meter von uns
entfernt auf einem Haufen lagen, zu stürzen und uns den weiteren Weg
nach Westen freizukämpfen», schilderte er den Moment seiner Ausliefe-
rung unmittelbar nach der Gefangennahme durch US-Truppen. «Nur die
beiden schweren Maschinengewehre, die von den Tschechen noch kurz vor
dem Abrücken der Amis aufgestelIt worden waren, hinderten uns daran.
So lagen wir dann da auf der Wiese, ein Haufen müder, waffenloser Waf-
fen-SSIer, umringt von grimmig blickenden Tschechen, von denen wir Su-
detendeutsche, und aus denen bestand die Masse unseres Haufens, schon
vor dem Krieg nicht viel erwartet hatten, und unsere Waffen zum Greifen
nahe. Es war eine so hoffnungslose Situation für mich, wie ich sie zuvor noch
nicht erlebt hatte, und ich musste in diesem Augenblick unwillkürlich an
meinen Vater und meine Schwester denken, die sich auf dem Weg nach
Bayern befanden. Ich hoffte, dass sie nicht auch in die Hände so einer Bande
gefallen waren.
Mit der Ruhe war es für uns auch sofort vorbei, als der letzte amerikani-
sche Lastwagen ausser Sicht war.
«Aufstehen, deitsche Schweine, sofort, und Hände hinter Kopf, sonst
tott!’ schrie uns auch sofort ein bärtiger untersetzter Tscheche an, dessen
schmierige Haare vor Fett nur so trieften.
Wir mussten uns in Zweierreihen nebeneinander aufstellen, die Hände
hinter dem Kof verschränkt, und wurden dann gründlich gefilzt. Alle Wert-
sachen, Uhren, Eheringe, Ferngläser oderTaschenmesser wechselten eben-
134
so den Besitzer wie Orden und Ehrenzeichen. Trennte sich ein Gefangener
nicht schnell genug von einem Ring oder einem liebgewordenen Foto, tra-
fen ihn sofort ein oder mehrere Kolbenschläge, bis er zusammenbrach.
‚Aufstehn, Schwein!‘ oder ‚Dawai, Swinja‘. tönte es dabei, untermalt von
einem grässlichen Gelächter der anderen Tschechen.
Dann liessen sie von uns ab und machten sich erst einmal über unsere
Papiere her. Die meisten verstanden ein paar Brocken Deutsch; zwei spra-
chen und lasen unsere Sprache fast perfekt.
Es dauerte knapp eine Stunde, wir standen immer noch mit erhobenen
und langsam steif werdenden Armen da, da kamen fünf unserer Bewacher
herüber. Vier stellten sich mit Maschinenpistolen im Hüftanschlag vorun-
saufund luden die Waffen durch. Der fünfte kramte einen fleckigen Zettel
aus seiner Jackentasche und begann Namen vorzulesen. Nach jedem Na-
men schaute er auf den Betreffenden, der sich mehr oder minder vorsichtig
meldete, und winkte ihn zur Seite. Bald standen 14 meist ältere Männer dort.
‚Ihr gutt Deitsche, ihr kommt zu Fiehrer’, lachte der Vorleser dann hä-
misch, während seine Begleiter die vierzehn Männer seitlich von uns in einer
Reihe aufstellten.
‚Dies Faschiste, alles Faschiste kaput!’, schrie der Vorleser, und schon be-
gannen zwei Maschinenpistolen zu rattern, während die anderen beiden
uns in Schach hielten.
Die Tschechen hatten die 14 Männer erschossen, weil diese Schreiben
oder sonstige Papiere mit dem Kopf der NSDAP bei sich hatten. Ich weiss
definitiv, dass zwei dieser Erschossenen nur Briefe der Kreisleitung bei sich
hatten, die sich auf Wohnungsbeschaffung nach Ausbombung bezogen.
Beide waren nicht in der Partei gewesen. Wir hatten uns noch wenige Tage
zuvor darüber unterhalten. Sie wurden nur erschossen, weil ihre Mörder
nicht richtig Deutsch lesen konnten oder wollten und ihrem Hass unbedingt
freien Lauf lassen wollten.
Zwei Kameraden, die ebenso wie ich auch erst 19 oder 20 Jahre alt waren,
wurden in der ersten Nacht ohne Grund erschlagen. Einem siebzehnjähri-
gen Kameraden, der erst zwei Monate zuvor Soldat geworden war, wurde
der Schädel zertrümmert, weil er einem unserer neuen Bewacher, der wohl
ein wenig abartig veranlagt war, nicht zu Willen sein wollte, und ein paar
andere waren am nächsten Morgen einfach nicht mehr da.
135
Ich weiss nicht, ob ich heute noch leben würde oder ob einer unseres
Haufens überhaupt lebend davonkam, wenn mir nicht in der zweiten Nacht
zusammen mit drei anderen Kameraden die Flucht gelungen wäre. Wir hat-
ten abgewartet, bis die Tschechen sich wieder mit billigem Fusel vollaufen
liessen, dann robbten wir von der Wiese weg und liefen, bis wir vor Erschöp-
fung zusammenbrachen.»
Auf meine Frage, wie er dann heimkam, antwortete er: «Überein ameri-
kanisches Gefangenenlager, denn nur drei Tage nach der Flucht liefen wir
einer US-Patrouille in die Arme und landeten wieder auf einer Wiese, nur
lag die etwas weiter Richtung Bayern, was sich bald als Glücksfall für uns
erweisen sollte.»
So war das nach dem Kriegsende. Es spielte keine Rolle, wem man sich
als deutscher Soldat im Westen ergab, sondern wo und wann man dies tat,
doch das konnte der einfache Soldat nicht wissen.
Briten, Amerikaner und Russen hatten bereits vor Kriegsende festgelegt,
welche Gebiete Deutschlands sie beanspruchen würden und sich auch
dementsprechend über die Gefangenen, die in diesen Gebieten gemacht
wurden, geeinigt.
Da zur sowjetischen Verärgerung die Westalliierten bis zum Kriegsende
wesentlich weiter vorgestossen waren, als man es auf dem Papier festgelegt
hatte, forderte man aus Moskau die Herausgabe dieser Gefangenen und
erhielt sie dann auch.
Den Amerikanern war das ganz recht so, denn sie hatten weitaus mehr
Gefangene eingebracht, als zuvor angenommen und kalkuliert worden war.
Zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Kriegsgefangenen für die
amerikanischen Militärs und Politiker ein Belastungsfaktor, den man nur zu
willig abbaute, wenn man eine Gelegenheit dazu sah, und die beste Gele-
genheit bot sich durch die geforderten Auslieferungen.
Auslieferungsersuchen lagen den Amerikanern bei Kriegsende reichlich
vor, wollten sich doch alle von Deutschland im Kriegsverlauf besetzten Län-
der die dort angerichteten Zerstörungen – auch wenn sie Folgen des bri-
tisch-amerikanischen Bombenkrieges waren – durch die Arbeitskraft der
Kriegsgefangenen bezahlen lassen, denn, ob Deutschland jemals wieder in
der Lage sein würde, Reparationen in Form von Geld- oder Sachleistungen
erstatten zu können, stand am 8. Mai 1945 noch gar nicht fest.
136
Sollte der amerikanische Morgenthau-Plan zum Zuge kommen, würde
Deutschland für die nächsten einhundert Jahre kaum in der Lage sein, sich
ohne fremde Hilfe selbst zu ernähren, geschweige denn noch Beträge oder
Waren an andere Länder als Wiedergutmachung zu liefern.
Hinzu kam auch noch der logische Gedanke eines jeden Kriegssiegers,
der da Kriegsbeute hiess. Diese würden sich die ‚Grossen Drei’, also USA,
Grossbritannien und die UdSSR, teilen, das war den kleineren Ländern klar.
So bot das Millionenheer der Kriegsgefangenen die Möglichkeit, sie als Ar-
beitssklaven einzusetzen, um so wenigstens zu einem Teil der Kriegsbeute
zu gelangen.
Und die Länder griffen sofort und eifrig zu, wie die offiziellen Zahlen der
Auslieferungen beweisen.
Dies sind Zahlen, die teilweise der offiziellen Buchreihe zur Geschichte
der deutschen Kriegsgefangenen entnommen sind. Wie inzwischen aber
bekannt ist, sind dies wesentlich niedrigere Zahlenwerte, als sich tatsächlich
nachweisen lassen.
Die niedrigen Zahlenwerte, die von der Wissenschaftlichen Kommission
unter Professor Dr. Erich Maschke ‚ermittelt’ wurden, kamen dadurch zu-
stande, dass sich diese Kommission hierbei hauptsächlich auf die Unterla-
gen berief, die ihr von den Siegermächten zur Verfügung gestellt wurden.
Vor allem die offiziellen französischen Zahlen werden heutzutage in den
Bereich der Fabel verwiesen, weil man inzwischen weiss, wie und warum sie
137
so und nicht anders zustande kamen, wie später in diesem Buch noch er-
klärt wird.
Dies ist natürlich keine wissenschaftliche Vorgehensweise, sondern eine
Farce. Es ist genauso, als ob sich der Geschäftsführer einer Supermarktkette
bei der täglichen Abrechnung einzig auf die Zahlenwerte verlässt, die ihm
von den verschiedenen Kassierern angegeben werden, ohne die Kontroll-
streifen der Kassen zu überprüfen.
Forschen heisst hinterfragen, recherchieren und ermitteln, nicht aus Ge-
fälligkeit nachplappern, wie hier offensichtlich geschehen.
Ob diese unwissenschaftliche Vorgehensweise nur aus Unfähigkeit oder
Gleichgültigkeit entstand oder bestimmte Zwecke verfolgte und auch heute
noch verfolgt, wird Inhalt meines folgenden Buches sein und soll hier und
jetzt nicht näher erläutert werden.
Tatsache ist, dass weder die Zeugenaussagen von entlassenen Gefange-
nen und Spätheimkehrern noch die Nachkriegsberichte über Auslieferun-
gen der Westalliierten an tschechische und jugoslawische Partisanen richtig
gewürdigt wurden und dass die Aussagen der Spätheimkehrer über die
nicht registrierten Auslieferungen überhaupt nicht in die Arbeit aufgenom-
men wurden.
Auch wurde der Begriff der Auslieferung von dieser Kommission völlig
neu definiert.
So wurden etwa die 135’000 von den Amerikanern in der ehemaligen
CSR gefangengenommenen und dann an die Sowjetunion ausgelieferten
deutschen Soldaten nicht in der Rubrik ‚Auslieferungen’ erwähnt. Als Be-
gründung hierfür liest man dann auf Seite 67 im Band X/2, Titel Die deut-
schen Kriegsgefangenen in amerikanischer Hand, Europa die neuen Begriffe
wie folgt:
«Bei objektiver Bewertung der hier geschilderten Vorgänge kann daher
zweierlei nicht behauptet werden: dass die Heeresgruppe Mitte aus zwei-
felhaften Gründen die Kapitulationsbedingungen absichtlich gebrochen
habe und dass die Amerikaner 135’000 Kriegsgefangene an die Sowjet-
union ‚ausgeliefert’ hätten. Die Überlassung dieser Gefangenen kann auch
nicht mit der Übergabe von Kriegsgefangenen an Frankreich und andere
Weststaaten verglichen werden, da sie auf ganz anderen Voraussetzungen
beruhte...»
Die deutschen Soldaten, die sich unter letztem Einsatz zu den amerika-
nischen Linien durchgekämpft hatten, wurden also nicht ausgeliefert, son-
dern ‚überlassen’; ihre Kameraden im Westen wurden laut Kurt W. Böhme
138
‚übergeben’. Das liest sich für mich so ähnlich wie: «Ich habe meinem Nach-
barn mein Auto überlassen und ihm den Schlüssel dazu übergeben».
Für das, was sich da in Ost und West nach Kriegsende abspielte und für
mehrere Millionen Menschen zum Schicksal wurde, weil es ihr restliches Le-
ben vollkommen veränderte oder zerstörte, gibt es nur ein zutreffendes
Wort und das heisst: Auslieferung!
Diese Auslieferungen fanden im Westen in verschiedenen Ausformungen
statt.
Bei den direkten Auslieferungen nur wenige Stunden oder Tage nach der
Gefangennahme wurden die Gefangenen einfach auf den Wiesen, auf de-
nen sie sich gerade befanden, meist von den Westalliierten, belassen. Die
Wachmannschaften zogen ab, und neue Posten nahmen ihre Plätze ein.
Es gab keinerlei Zählungen, Übergabeprotokolle, Gesundheitsuntersu-
chungen oder ähnliches, so dass man hierfür keine Zahlenwerte angeben
kann. Auch Schätzungen sind nur äusserst schwierig, weil es keinerlei Be-
zugs- oder Durchschnittswerte gibt, mit denen man echte Kalkulationen
durchführen könnte.
Man kann aber davon ausgehen, dass diese Direktübergaben in ihrer Ge-
samtheit zumindest eine sechsstellige Dimension erreichen.
In der zweiten Phase wurden dann ganze Lager, wie etwa bei Marseille
oder die Rheinwiesenlager und andere, von den Amerikanern ausgeliefert,
wobei das gleiche Prinzip wie zuvor angewandt wurde: Die eine Wachmann-
schaft zog ab, die andere nahm ihren Platz ein. Diese Auslieferungen be-
gannen ab Februar 1945.
In der dritten Variante wurden dann die Gefangenen per Bahntransport
ausgeliefert. Selten kam es zu Transporten auf Lastkraftwagen.
Hieraus folgt dann auch die nächste Verwirrung beim Umgang mit den
Gefangenenzahlen auf alliierter Seite. Denn so, wie die für die Verladung
zuständigen alliierten Stellen ihre auszu liefernden Gefangenen beim Verla-
den zählten, wurden sie auf der anderen Seite beim Eintreffen im Lager er-
neut gezählt.
Die während des Transportes Verstorbenen tauchten in den meisten Sta-
tistiken nicht mehr auf oder wurden unter ‚other losses’ also ‚andere Verlu-
ste’ registriert, doch waren es auch Menschen, Soldaten und Zivilisten, die
das Unglück hatten, in krankem und völlig unterernährtem Zustand auf eine
139
Bahnfahrt in Viehwaggons geschickt zu werden, die im Winter eiskalt und
zugig und im Sommer völlig überhitzt und stickig waren.
Die Verlustzahlen bei Transporten im Jahre 1945 standen auf westalliier-
ter Seite denen der sowjetischen Transporte in nichts nach.
So fanden US-Posten immer wieder beim Öffnen von Waggons zahlrei-
che Tote.
James Bacque berichtet in seinem Buch über einen US-Oberst R. J. Gill
vom Stab des TPM, also des Chefs des militärischen Justizwesens auf dem
Kriegsschauplatz Europa, der sich im Februar 1945 darüber beklagte, dass
von einem Transport mit 17 417 Gefangenen nur 7 004 angekommen seien.
Auch befanden sich die solcherart Transportierten meist in einem fürch-
terlichen Zustand, so dass zahlreiche noch nach der Ankunft in dem für sie
bestimmten Lager verstarben.
Auch hier kann man ein Selektionssystem nicht ableugnen, denn es han-
delte sich bei den Kriegsgefangenen ja in allen Kalkulationen um Arbeits-
kräfte, die man einsetzen wollte. Warum sollte man da ausgerechnet die
Kräftigsten und Arbeitsfähigsten einer anderen Macht ausliefern und die
Schwachen und Kranken behalten?
Vor allem bei den Auslieferungen der Amerikaner an die Franzosen
spielte diese Überlegung eine grosse Rolle, wie die Praxis gezeigt hat.
In drei Lagern rund um Dietersheim, die von den Amerikanern komplett
an die Franzosen übergeben wurden, zählten die Offiziere der französischen
7. Kompanie, die das Lager übernahmen, bei 103‘500 Übernommenen ins-
«Der Transport von
gesamt 32 640 alte Männer, Frauen und kleine Kinder unter 8 Jahren sowie
Verhafteten wurde
häufig benutzt, um Krüppel und Kranke im Endstadium. Ein rundes Drittel dieser als Arbeits-
Verbrechen zu bege- sklaven von den Amerikanern Ausgelieferten war also absolut arbeitsunfä-
hen, die man in den hig.
Gefängnissen und Weiterhin stellten die französischen Offiziere fest, dass sich bei der Über-
Lagern nicht zu gabe kein Stück Lebensmittel im gesamten Lager befand, und nur der ra-
begehen wagte. schen Hilfe der Dietersheimer Bürger hatten es zahlreiche Gefangene zu
Unterwegs konnte
verdanken, dass sie die kommenden Tage überhaupt überlebten.
sich der Sadismus
Dies war aber beileibe kein Einzelfall. Französische Unterlagen weisen
verbrecherischer Na-
turen ungehindert aus, dass sich in den ihnen von den Amerikanern übergebenen Lagern ins-
austoben.» gesamt 166’000 Menschen befanden, die absolut arbeitsunfähig waren und
Urteil über französi- sich sämtlich in einem bedauernswerten Zustand befanden.
sche Transporte, in
‚Die Internierung im
Deutschen Süd-
westen‘.
140
Von 1’000 Gefangenen in Marseille waren nur 287 arbeitsfähig, von 700
im Lager St. Marthe gar nur noch 85, rund ein Viertel der Lagerinsassen von
Erbiseul beim belgischen Ort Mons wurden als «déchets», also ‚Abfall’, be-
zeichnet.
Wie die zuständigen alliierten Stellen über die Gefangenen dachten, die
ihrer Obhut übergeben wurden, zeigt allein schon der Sprachgebrauch. Ein
arbeitsunfähiger Deutscher war in jenen Jahren kein Mensch mehr, sondern
nur noch ‚Abfall’.
So war es nur logisch, dass beispielsweise die Franzosen ihren ‚Abfall’
wieder loswerden wollten. Wie bei einem normalen Kauf reklamiertem sie
die erhaltene ‚Ware Mensch’ beim Absender wieder, als sie feststellten, dass
sie rund ein Drittel ‚Ausschussware’ erhalten hatten.
So traten sie mit den Amerikanern in Verhandlungen ein und liessen sich
über 100’000 auf 52’000 runterhandeln, die dann wieder den Amerikanern
überstellt wurden. Es war ein verachtenswerter Menschen- und Sklavenhan-
del, der da in den Jahren ab 1945 mit den Kriegsgefangenen getrieben wur-
de.
Als die ersten Informationen hierüber an die Weltöffentlichkeit drangen,
wurde überall Kritik an diesem Umgang mit Menschen laut; sogar die New
York Times brachte am 1. Mai 1947 einen ausführlichen Artikel darüber.
Dies war dann auch der Auslöser dafür, dass man auf westalliierter Seite
langsam daran ging, die Zahlenwerte zu ‚schönen’, wie es heute so fein ge-
nannt wird, wenn Zahlenwerte im Auftrag von Regierungen gefälscht wer-
den. Die Zahlen der Auslieferungen und die der Transporte boten hierfür
die besten Möglichkeiten. Also begann man in Washington, Paris und Mos-
kau mit dem ‚Schönen’.
Doch noch schlimmer als den deutschen Gefangenen, die ausgeliefert
wurden, erging es meist den Menschen anderer Nationen, die an deutscher
Seite gekämpft oder auch nur mit den Deutschen sympathisiert hatten.
«Special Nations»
So lautete die offizielle amerikanische Bezeichnung für diejenigen Gefange-
nen, die in irgendeinem Zusammenhang mit den Deutschen standen. Sie
wurden in drei Klassen eingeteilt:
141
A) Angehörige von deutschen Wehrmachtverbänden.
B) Angehörige nichtdeutschen Ursprungs, die in feindlichen Organisa-
tionen gedient hatten. (Hiermitwaren die Divisionen der Waffen-SS ge-
meint.)
C) Angehörige, die ohne Waffe mit den Deutschen zusammengearbei-
tet hatten, also sogenannte Kollaborateure.
Für sie wurden verschiedene Concentration Points’ eingerichtet, man ver-
mied dabei das Wort ‚Camp’ bewusst, damit kein Zusammenhang mit den
deutschen Concentration Camps’, den ‚Konzentrationslagern’, konstruiert
werden konnte.
Hier fasste man die ausländischen Gefangenen zusammen, überprüfte
ihre Nationalität und schickte sie dann in ihr entsprechendes Heimatland
zurück.
Dort wurden die armen Männer und Frauen von ihren meist neuen Re-
gierungen bereits erwartet, verhaftet und in Schauprozessen abgeurteilt. So
fanden Tausende dieser Männer und Frauen nach allen überstandenen
Schrecken des Krieges und der Gefangenschaft dann nach der Rückkehr im
Heimatland den frühen Tod.
So auch die Freiwilligen der 5. SS-Panzer-Division ‚Wiking’, die am 8. Mai
1945 südlich der bayerischen Stadt Fürstenfeldbruck in amerikanische Ge-
fangenschaft ging. Die Flamen, Holländer, Norweger und Dänen wurden an
ihre Heimatländer ausgeliefert und dort nach Urteilen in Schauprozessen
hart bestraft.
Noch schlimmer traf es aber, wie bereits erwähnt, ganze ausländische
Verbände, die auf deutscher Seite gekämpft hatten und im Osten und Süd-
osten ausgeliefert wurden, wie die Serbische Staatswache oder die kroati-
sche Armee.
Auch die Angehörigen der 33. Waffen-SS-Grenadier-Division ‚Charlema-
gne’, hauptsächlich Franzosen, wurden von den Amerikanern ausgeliefert.
Besser erging es ihren Kameraden, die in sowjetische Gefangenschaft ge-
raten waren, denn sie verblieben dort und wurden nicht ausgeliefert. Die
Sowjetunion führte bei und nach Kriegsende nur wenige Auslieferungen
durch.
Rund 70’000 deutsche Kriegsgefangene wurden in Polen belassen und
den dortigen, inzwischen sowjethörigen Machthabern ausgeliefert.
65’000 Gefangene verblieben in der CSR, wo sich inzwischen auch eine
den Sowjets und Stalin genehme Regierung die Macht verschafft hatte. Wie
142
die Handhabung der Sowjetarmee mit den in Jugoslawien in Gefangen-
schaft geratenen deutschen Soldaten sich tatsächlich abgespielt hat, wird
wohl erst in Zukunft genau ermittelt werden, da der momentane Krieg dort
derzeit alle Nachforschungen unmöglich macht und die Ausarbeitung von
Böhme zu diesem Thema, als Band 1/1 der Maschke-Reihe im Jahre 1962
erschienen, heute nicht mehr als gesicherte Informationsquelle gelten kann.
Wie aus anderen Quellen und durch Heimkehreraussagen belegt, hat die
Rote Armee Gefangene in die UdSSR transportieren lassen, andere den Par-
tisanen unter Tito übergeben.
Dies gilt auch für die britische 8. Armee, die sowohl deutsche als auch
jugoslawische Soldaten und Zivilisten an die Tito-Verbände ausgeliefert hat,
wie bereits in diesem Kapitel erwähnt wurde.
Wieviele Menschen dabei tatsächlich ums Leben kamen, wird wohl im-
mer ein Geheimnis der Weltgeschichte bleiben, da heute keine genauen
Angaben über die dortigen Auslieferungen mehr beibringbar sind. Um we-
nigstens einen einigermassen vertrauenswürdigen Annäherungswert ermit-
teln zu können, bedarf es zuerst der genauesten Archivstudien in Restjugo-
slawien, Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina sowie der dazuge-
hörigen Quervergleiche mit britischen und sowjetischen Quellen.
143
Die für eine Auslieferung nötigen Transporte entsprachen ebenfalls nicht
den international vereinbarten Spielregeln, und eine hohe Sterblichkeit
wurde von allen Seiten in Kauf genommen.
Das, was man dem Dritten Reich an menschenverachtender Behandlung
von Gefangenen vorwarf, praktizierte man bei den Siegermächten des
Zweiten Weltkrieges noch bis in die fünfziger Jahre hinein.
144
Normalisierung unter alliierter Kontrolle
Kleine Chronik von Sommer 1945
bis zum Jahresende 1945
145
14. 10. Der Alliierte Kontrollrat beschlagnahmt den deutschen IG-
Farben-Konzern.
17. 10. In der amerikanischen Zone werden Wohnungen zugunsten
von NS-Opfern beschlagnahmt.
18. 10. Prozesseröffnung gegen die 24 Angeklagten des Haupt-
kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg.
19. 11. Die deutschen Atomwissenschaftler kommen in die USA.
20. 11. Die britische Militärregierung eignet sich die Krupp-Werke
an.
21.11. In Berlin nimmt der RIAS sein Programm auf.
20. 12. Der Alliierte Kontrollrat ermächtigt die Militärgouverneure
zu Kriegsverbrecherprozessen in eigener Verantwortung.
26. 12. Die französische Regierung beschlagnahmt die deutschen
Saargruben.
146
Gefangene
im Westen,
schlimmer als
befürchtet
149
Zuerst wurden sie von den westalliierten Soldaten ebenso gründlich aus-
geplündert wie ihre Leidensgenossen in sowjetischer Gefangenschaft.
Die Sieger wollten ihre Kriegsbeute, und der kleine Soldat wollte auch
seinen Anteil daran. Schliesslich war es ja seinen Leistungen zu verdanken,
dass der Faschismus in Deutschland nun besiegt war.
Nachdem also alle Wertgegenstände, Orden, Ehrenzeichen und persön-
lichen Dinge den Besitzer gewechselt hatten, wurden die Gefangenen auf
grossen Wiesen zusammengetrieben, die als Stacheldrahtvierecke einge-
zäunt waren und den hochtrabenden Namen ‚PWTE = Prisoner of War Tran-
sient Enclosure’, direkt übersetzt ‚Vorläufiges Gehege für Kriegsgefangene’,
trugen.
Dass es sich nicht um wirkliche Lager handelte, ergab sich bereits aus
dem englischen Begriff ‚enclosure’, den man heute in jedem Wörterbuch
mit den Übersetzungen ‚Koppel’, ‚Gehege’ oder ‚Anlage’ nachlesen kann.
Da aber keinerlei Anlagen ausser der Stacheldrahtumzäunung und den höl-
zernen Wachtürmen oder Baracken der Wachmannschaften ausserhalb der
Einfriedung vorhanden waren, handelte es sich um Koppeln oder Gehege,
wie man sie auf der ganzen Welt verwendet, um Vieh einzuschliessen.
Hätte es sich um wirkliche Lager mit festen Gebäuden gehandelt wie die
Lager, in welche die überlebenden Gefangenen später verbracht wurden,
hätte man logischerweise den bereits seit Jahrhunderten benutzten engli-
schen Begriff ‚camp’ für ‚Lager’ verwendet.
Alles, was ein Lager ausser seiner Umzäunung ausmacht, war nicht vor-
handen. Es gab keinerlei Behausung, keine Baracke, keine Hütte, ja nicht
einmal ein ordentliches Zelt.
Sanitäre Einrichtungen waren ebenfalls nicht vorhanden, und an eine
Krankenstation wagte in den ersten Tagen und Wochen niemand auch nur
zu denken.
So begannen die Gefangenen, unter ihnen Tausende von Frauen, kleinen
Kindern und alten Männern, sich so gut einzurichten, wie es unter den Um-
ständen nur möglich war.
Mit blossen Händen und abgebrochenen Ästen wurden Erdlöcher zum
Schutz gegen die Unbilden der Witterung gegraben.
Wenn zwei Soldaten noch ihre Mäntel hatten, banden sie diese meist
zusammen und improvisierten ein Dach gegen den Regen. Wer eine Decke
oder Zeltplane sein eigen nennen konnte, war fast schon ein Privilegierter
in jenen Lagern.
150
Gab es in den ersten Tagen des Entstehens so eines Sammellagers noch
einige kleine Bäume oder Büsche auf der Lagerwiese, deren Holz man
nachts als Feuer gegen die Kälte benutzen konnte, war ab Mai 1945 meist
auch diese Aufwärmmöglichkeit aufgebraucht, und Hunderttausende froren
bei Nacht in feuchter Kleidung vor sich hin.
Je näher das Kriegsende kam, desto mehr füllten sich auch diese Lager,
die man wegen ihrer Lage im Volksmund ‚Rheinwiesenlager’ nannte. Be-
zeichnet wurden sie dann nach der nächsten Ortschaft, die Amerikaner ga-
ben ihnen taktische Kennzeichnungen, die mit dem Buchstaben A und C
begannen.
151
Eines der sogenannten Rheinwiesenlager, hier bei Sinzig am Rhein.
Die Aufnahme entstand im Frühjahr 1945. Aus James Bacque,
‚Der geplante Tod’.
152
Wenn die Frühlingssonne schien, liess es sich ja noch einigermassen auf
den Wiesen aushalten, doch wenn es regnete oder die Nacht kalt wurde,
waren Unterkühlung, Lungenentzündungen und Kreislaufversagen vorpro-
grammiert.
Den Tod Tausender von Gefangenen nahmen die amerikanischen Bewa-
cher und ihre Befehlshaber nicht nur in Kauf, sie schienen ihn geradezu zu
provozieren, denn die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln wurde nur
schleppend und oft tagelang gar nicht durchgeführt.
Nachts wurden die Lager von den Scheinwerfern der Wachtürme grell
erleuchtet, so dass ein richtiges Schlafen nur aus völliger Erschöpfung mög-
lich war.
Als nach Kriegsende die Gefangenen zu Hunderttausenden in diese
Durchgangsgehege strömten, wurde die Enge dort kaum noch erträglich.
Immer wieder berichteten ehemalige Gefangene, die in jenen Lagern ge-
wesen waren, dass es im Mai 1945 kaum möglich war, sich in Lagern wie
Rheinbergen oder Sinzig überhaupt noch lang ausgestreckt hinzulegen.
Meist schliefen die Gefangenen, die sich zu kleinen Gruppen und Grüpp-
chen zusammengeschlossen hatten, abwechselnd, um so wenigstens ein
paar Stunden Ruhe und Entspannung zu bekommen. Wenn man schlief,
quälten Hunger und Durst nämlich nicht so wie in den Stunden, in denen
man wach war und kaum noch an etwas anderes als Trinken und Essen den-
ken konnte.
So waren in 17 amerikanischen Lagern im Mai 1945 mehr als 2 Millionen
Gefangene zusammengepfercht, die mit Wasser- und Verpflegungsratio-
nen versorgt wurden, die grossenteils unter dem Existenzminimum lagen.
Nach amerikanischen Angaben sah die Belegung wie folgt aus:
(Quelle: Maschke-Reihe, Band X/2, Die deutschen Kriegsgefangenen in
amerikanischer Hand, Europa, Seite 15)
153
PWTE-Nr. Standort Gefangenenanzahl
Stand 8.5.45
A-1 Rheinberg 90 248
A-2 Remagen 134 029
A-3 Bad Kreuznach 56 309
A-4 Büderich 76 924
A-5 Sinzig 118 563
A-6 Winzenheim 102 597
A-7 Biebelsheim 40 029
A-8 Dietersheim 1 977
A-9 Wickrathberg 16 008
A-10 Koblenz (im Aufbau)
A-11 Andernach 39 570
A-12 Heidesheim 65 453
A-13 Urmitz (im Aufbau)
C-1 Böhl 30 713
C-2 Ludwigshafen 80 091
C-3 Heilbronn 49 862
C-4 Heilbronn (im Aufbau)
154
Es wäre sicherlich sehr interessant, sowohl die amerikanischen Verfasser
dieser Tabelle als auch ihre deutschen Weiterverbreiter Böhme und
Maschke dahingehend zu befragen, wie sie sich die Belegungskapazität ei-
ner von Erdlöchern und Mulden zerfurchten Wiese oder eines zertrampelten
Ackers eigentlich vorstellen.
Normalerweise wird die Belegungskapazität eines Lagers anhand der
vorhandenen Schlaf- oder Liegemöglichkeiten gemessen, und nicht an der
Grundfläche des Lagerbodens.
‚Gefangene auf
freiem Feld’,
Aquarellskizze
des Malers Wil-
helm Götting
aus dem Lager
Rheinberg,
Juni 1945.
155
Mensch dort wirklich ausstrecken konnte, ohne nicht gleich mehrere andere
in ihren Räumen einzuengen.
Die Berichte ehemaliger Gefangener der sogenannten Rheinwiesenlager
ähnelten sich erschreckend.
«... wir sassen in den völlig überfüllten Stacheldrahtkäfigen, hatten kein
Dach über dem Kopf und hungerten vor uns hin. Baumstämme, über Grä-
ben und Zaun geworfen, waren unsere Latrinen. Wer konnte, grub mit den
blossen Händen irgendwo ein Loch, meist gesellten sich dann noch zwei
oder drei Kameraden hinzu, und wir drängten uns zum Schlaf eng aneinan-
der in dem Loch zusammen. Anfangs gab es gar kein Wasser, und wir be-
gannen, den Regen irgendwie mit Jacken und Mänteln aufzufangen, um
nicht zu verdursten. Andere tranken aus den Pfützen, die sich überall rasch
bildeten, weil es in jenen Wochen am Niederrhein ständig regnete. Wenn
wir anfänglich etwas zu essen bekamen, dann meist nur jeden zweiten oder
dritten Tag.
Auch später, als wir täglich etwas zu essen bekamen, waren die Mengen
so gering, dass sie eigentlich nur für kleine Kinder ausgereicht hätten, nicht
für erwachsene, kranke und geschwächte Menschen. Da viele Kameraden
anfangs auch das Gras der Wiese assen, um überhaupt etwas in den Magen
zu bekommen, dann noch das dreckige Regenwasser dazu, so war für
Durchfall und ruhrähnliche Erkrankungen der Boden bereitet, und bald lag
überall im Lager die Notdurft herum, weil es die entkräfteten Menschen
nicht mehr bis zur improvisierten Latrine schafften. Auch konnten viele die
Notdurft nicht mehr halten und besudelten die Kleidung, die sich bald nicht
mehr von dem Boden unterschied, auf dem wir Tag und Nacht kauerten.
Unsere Bewacher betrachteten diese Elendsbilder täglich ohne jede Ge-
fühlsregung...»
James Bacque berichtet in seinem Buch auch über diese Verhältnisse und
führt an, dass im Lager Bad Kreuznach zu jenem Zeitpunkt etwa dreimal so
viele Gefangene untergebracht waren, als man für diese Fläche eigentlich
geplant hatte.
Legt man nun die Tabelle von Böhme zugrunde, hätten sich dort zum
entsprechenden Zeitraum nicht nur 56‘309 Gefangene, wie dort verzeich-
net, sondern weit mehr als 80’000 aufhalten müssen. Dies entspricht auch
eher der Realität, wenn man die amerikanischen Luftbilder betrachtet und
die Aussagen der Augenzeugen richtig wertet.
156
Lageskizze des
Gefangenenlagers
Rheinberg am
Niederrhein.
Aus James Bacque,
‚Der geplante Tod’.
Informationen über diese Lager drangen in jenen Tagen nur recht spär-
lich nach aussen. Meist waren es kleine Nachrichten oder Bitten um Nah-
rung, die mit Bleistift auf Papierfetzen gekritzelt waren und über die Zäune
geworfen wurden.
«Lieber Leser:
Bitte, bitte Uffz. Hermann Feld-
schicke für uns haus Lager E 5/4.
2 Kameraden Ich bitte Sie nicht
ein Päckchen nur um Esswaren,
mit gekochten sodern auch um et-
Kartoffel[n] und was Lektüre (Goe-
etwas Salz. Wir the, Schiller, Nietz-
haben grossen sche oder... [unle-
Hunger. Wir serlich] Bitte nieder-
warten beim legen am MG-Po-
Posten am Turm sten am Zaun, oder
an der Strasse. am Hauptlagerein-
Schreiben Sie gang.
bitte auf das Herzlichen Gruss
Päckchen den Hermann Feldhaus
Namen Uffz.
Jakob Lohr
Camp E.
157
Immer wieder versuchten Gefangene gegen diese Art der Unterbringung
zu protestieren, doch redeten sie dabei stets gegen Wände. Die amerikani-
schen Bewacher winkten nur ab.
Mehrfach wurde der Hinweis auf die Genfer Konventionen und die dar-
aus resultierenden Rechte der Gefangenen mit dem Satz beantwortet: «Du
hast keine Rechte...!»
Und so war es auch. Die Gefangenen der Rheinwiesenlager befanden sich
wegen zweier amerikanischer ‚Tricks’ in einer Art rechtlosem Raum, denn
zum einen hatten die USA, wie bereits angesprochen, der Schweiz als
Schutzmacht für die deutschen Kriegsgefangenen quasi ‚gekündigt’, und
zum anderen hatte die Einführung des im Kapitel «Die ersten Lager» be-
schriebene DEF-Status diese Gefangenen von den Genfer Konventionen
ausgeklammert, da man sie auf amerikanischer Seite nicht mehr als offizielle
Kriegsgefangene, sondern als ‚Entwaffnete feindliche Streitkräfte» führte,
eine Formulierung, die es in den Genfer Konventionen nicht gab, und für
Zustände, die es noch nicht gab, konnten auch noch keine gesetzlichen
Vorschriften bestehen.
Bis Ende April 1945 hatte die US-Armee insgesamt bereits 2‘062‘865 Ge-
fangene eingebracht, und man weiss heute, dass diese Zahl bis auf 99 Pro-
zent genau vorausberechnet werden konnte, man also auf amerikanischer
Seite gar nicht so unvorbereitet auf den Gefangenenzustrom war, wie man
von offizieller Seite noch in den sechziger und siebziger Jahren behaupten
sollte.
Im Juni und Juli 1945 wurden die ersten Rheinwiesenlager dann von den
Amerikanern übergeben
Am 12. Juni 1945 gingen die Lager Rheinberg und Wickrathberg mit rund
180’000 Gefangenen an die Briten.
Am 10. Juli 1945 folgten die Lager Andernach, Bretzenheim, Dietersheim,
Dietz, Koblenz, Hechtsheim, Siershahn und Sinzig mit mehr als 200’000 Ge-
fangenen.
Diese Übergaben der kompletten Lager zeigen ebenso deutlich, dass die
Erklärungen von Böhme im bereits erwähnten Buch über die deutschen
Kriegsgefangenen in amerikanischer Hand zu diesem Themenkomplex
ebenso unrichtig sind wie andere Ungereimtheiten auch.
Böhme erklärt den Grund für die Anlage der Rheinwiesenlager wie folgt:
«Als sich die amerikanischen Streitkräfte Anfang 1945 dem Rhein näherten,
wurde entschieden, dass die Kriegsgefangenen über Namur in Belgien und
158
Stenay in Nordfrankreich in das rückwärtige Kampfgebiet geschafft würden,
so lange sich die amerikanischen Armeen westlich des Stromes befänden.
Nach Überschreiten des Stromes waren die Wege dorthin zu weit, auch gab
es keine intakten Eisenbahnlinien, so dass die Kriegsgefangenen mit Last-
kraftwagen abtransportiert werden mussten, um die Verladebahnhöfe west-
lich des Rheins zu erreichen. Der Provost Marshall befahl daher, entlang des
Westufers drei neue Sammel lager bei Rheinbergen, Remagen und Bad
Kreuznach mit einer Kapazität von je 50’000 Mann anzulegen.
Auch diese sollten sich als zu klein erweisen. So steckten allein im Lager
Remagen Ende April 169‘036 Gefangene. Die Prisoner of War Transient En-
closures (PWTE) mussten vergrössert und vermehrt werden ...»
Wenn man wirklich einen raschen Abtransport der Gefangenen zu den
von Böhme erwähnten «Verladebahnhöfen» beabsichtigt hätte, wäre es
wohl am einfachsten gewesen, zuerst die noch marschfähigen Soldaten zu
Fuss auf den Weg zu diesen Bahnhöfen zu schicken, um so die abzusehende
und bereits errechnete Überfüllung der Drahtkäfige zu vermeiden. An nor-
male Marschleistungen bei ausreichender Verpflegung waren die ‚Landser’
gewöhnt. Nur die Schwachen und Kranken hätte man mit Lastwagen trans-
portieren müssen.
Die dann folgende Übergabe dieser Lager zeigt, dass man auf amerika-
nischer Seite grossangelegte Transporte überhaupt nicht eingeplant hatte,
denn weiter unten auf Seite 15 von Böhmes Buch kann man nachlesen, wie
gross die Transportkapazität der Amerikaner wirklich war, denn dort gibt er
für die «Verladeorte» Namur und Stenay folgende Zahlenwerte als Beispiel
an:
«In Namur wurden beispielsweise zwischen dem 1. und 18.4.1945
194‘042 Kriegsgefangene, in Stenay im März 1945 innerhalb von 11 Tagen
85‘239 Gefangene von der Mosel-Front aufgenommen.»
Wenn man also in der Lage war, in nur zwei Wochen knapp 200’000 Ge-
fangene über die beiden geplanten «Verladeorte» zu schleusen, warum
beliess man dann die Gefangenen auf den Rheinwiesen ihrem Schicksal?
Das Argument Böhmes, dass für die Amerikaner «nach Überschreiten des
Stromes» die Wege zu weit waren, widerlegt er im folgenden Satz selber,
159
wenn er die Anlage der Rheinwiesenlager auf der Westseite des Flusses an-
spricht.
Wieso war durch das Überschreiten des Flusses durch die Amerikaner
von Westen nach Osten der Weg für die Gefangenen weiter, die man so-
wieso auf der Westseite des Rheins in Drahtkäfige sperrte?
Um das nachvollziehen zu können, bedarf es schon einer eigenartigen
«In einer Nacht... auf Logik.
den Rheinwiesen bei Ein weiterer Punkt, der die hohe Sterblichkeit zwar nicht beweisen kann,
Remagen im April
aber zumindest erahnen lässt, ergibt sich aus den bei Böhme angegebenen
1945 wurde ich... auf-
geschreckt. Ich Zahlenwerten für das Lager Remagen.
sprang auf und sah in Er gibt auf Seite 15 seines Buches an, dass Ende April 1945 bereits
einiger Entfernung... 169‘036 Gefangene dort verzeichnet wurden, und am 8. Mai 1945 gibt er
die Scheinwerfer für dasselbe Lager nur noch 134‘029 Gefangene an.
eines Bulldozers. Obwohl nachgewiesenermassen der Zustrom an Gefangenen in diese La-
Dann sah ich, wie
ger bei Kriegsende von Tag zu Tag zunahm, weist er nach zwei weiteren
dieser Bulldozer sich
vorwärts durch die Wochen rund 35’000 Gefangene weniger für dasselbe Lager aus, das sich
dicht liegenden Ge- nach Augenzeugenaussagen bis Ende Mai täglich ständig weiter füllte.
fangenen bewegte. Man muss bei diesem Umgang mit Zahlen wohl davon ausgehen, dass
Vorne hatte er eine Böhme hier nur US-Quellen als Grundlage verwendet hat, deren grosse Un-
Planierschaufel. Der terschiede bei Zahlenwerten für gleiche Vorgänge heute noch leicht nach-
Bulldozer bahnte sich
vollziehbar, weil einzusehen sind.
einen Weg. Wie viele
der Gefangenen da- Als Gesamtkapazität gibt Böhme in seinem Buch für die Rheinwiesenla-
bei in ihren Erdlö- ger, mit Ausnahme von Koblenz, Urmitz und einem Lager bei Heilbronn,
chern lebendig be- 902‘373 Gefangene an und erwähnt, dass diese sich in Lagern befanden, die
graben wurden, für eine Gesamtkapazität von 1‘295’000 Mann ausgelegt seien.
weiss ich nicht.»
Das ist eine Verfälschung der tatsächlichen Situation sondergleichen.
Erlebnisbericht, bei
Bei Kriegsende befanden sich allein auf den Rheinwiesen mehr als 1,3
James Bacque,
‚Der geplante Tod’. Millionen Gefangener, die so gut wie möglich zu überleben versuchten. Sie
befanden sich auf einer Lagerfläche, die bei günstigster Beurteilung maxi-
mal für die Hälfte dieser Gefangenen ausgereicht hätte.
Betrachten wir einmal verschiedene Lagerskizzen des Lagers Rheinberg
im Flächenplan, so stellen wir rasch fest, dass die Ausdehnung des Lagers
im Mai 1945 etwa 300’000 bis 350’000 Quadratmeter betrug.
160
Ziehen wir nun 10 Prozent für Wege, Gänge und improvisierte Latrinen
ab, so verbleiben noch, bei günstigster Schätzung, etwa 280’000 Quadrat-
meter Lagerfläche. Teilen wir diese nun durch die 4 Quadratmeter, die heute
jedem Schäferhund als Zwingerfläche zusteht, so kommen wir auf eine ma-
ximale Flächenbelegung von 70’000.
Böhme selber gibt für den Stichtag 8. Mai 1945 eine Belegung von 90
248 an, was bereits eine Überbelegung von mehr als 25% entspricht.
Eine angegebene Lagerkapazität von 100’000, wie Böhme sie in dersel-
ben Tabelle anführt, ist somit in das Reich der Fabel zu verweisen.
Bereits im April des Jahres 1945 wollte das IKRK diese Lager besuchen und
begutachten, da die Kunde über die schrecklichen Dinge von den Rheinwie-
sen bis in die Schweiz gedrungen war und sich in Genf zahlreiche Hilferufe
von dort stapelten.
Bis zum 8. Mai 1945 konnten die zuständigen amerikanischen Stellen
diese Besuche immer wieder hinauszögern.
Mit dem Tag des Kriegsendes dann wurde die Schweiz, wie bereits er-
wähnt, als deutsche Kriegsgefangenenschutzmacht ‚entlassen’, und der
Weg zur weiteren Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen in bereits
praktizierter Weise konnte weiter gehen.
Zwar hatte man ‚vergessen’, dass die Schweiz offiziell noch immer Schutz-
macht war, denn kein einzelner Staat kann eine Schutzmacht so einfach ent-
lassen, doch die Verantwortlichen beim IKRK akzeptierten dies anscheinend
erst einmal und hielten sich mit Inspektionen im Jahre 1945 auf den Rhein-
wiesen zurück.
Die Öffentlichkeit erfuhr noch nicht, was sich dort unter amerikanischer
Obhut abspielte.
Es lässt sich heute nicht mehr mit letzter Gewissheit feststellen, wieviele
Menschen so auf den Rheinwiesen zwischen April und Juni des Jahres 1945
ums Leben kamen.
Auch hier ist man auf Schätzungen, Hochrechnungen und Vermutungen
angewiesen, die nie genau sein können, doch kann man davon ausgehen,
dass in den amerikanischen und französischen Lagern ab April 1945 minde-
stens 700’000, möglicherweise aber auch mehr als 900’000 Menschen ge-
storben sind, weil man sie zum Sterben verdammt hatte.
161
Ihr Tod wurde nicht nur ‚in Kauf genommen‘, sondern geplant durchge-
führt, indem man sie ohne Behausung den Unbilden der Witterung aus-
setzte, ihnen jegliche Hygiene verweigerte, sie unter dem Lebensminimum
mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgte und Kranken und Schwachen
die nötige Pflege nicht zukommen liess.
Diese brutale Einstellung zu den deutschen Kriegsgefangenen, und da
widerspreche ich James Bacque, war mit Sicherheit nicht erklärtes Ziel der
amerikanischen Politik in ihrer Gesamtheit, sondern vielmehr das Ergebnis
einzelner amerikanischer ‚Deutschenhasser’, an ihrer Spitze General Eisen-
hower.
Wie sehr aber einzelne Menschen die Gesamtpolitik eines Landes beein-
flussen und lenken können, vor allem, wenn sie an der Spitze eines Staates
stehen, haben die Beispiele Hitler und Stalin in erschreckender Weise ge-
zeigt.
Sie haben ihre eigene, subjektive Politik ihren Völkern aufzwingen kön-
nen.
Das trifft im Fall der deutschen Kriegsgefangenen auf Eisenhower eben-
falls zu, der zeitlebens unter seinem deutschstämmigen Namen litt und
auch kein Hehl daraus machte.
Er war Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa und gleichzeitig
SHAEF-Oberbefehlshaber, nach Kriegsende Oberkommandierender der
US-Besatzungstruppen in Deutschland. In diesen Funktionen war er in Eu-
ropa für alle amerikanischen Dienststellen und Behörden ‚der liebe Gott’
oder, wie es die Amerikaner ausdrückten: ‚Godfather’.
Sein Befehl war in Europa in den Jahren 1944/45 für die ihm unterstellten
Amerikaner ebenso bindend, wie eine Weisung Hitlers für die Deutschen
oder Stalins Anweisungen für alle Sowjetbürger.
Der US-Präsident und der amerikanische Senat waren weit weg, und zu
jener Zeit verfügte man noch nicht über Faxgeräte oder Satel I itenfernse-
hen.
Meldungen, auch militärischer und politischer Natur, wurden je nach
Dringlichkeit und Geheimhaltungsstatus auf bestimmten Transportwegen
befördert, mussten dann meist erst entschlüsselt werden und landeten,
wenn sie nicht überaus dringlich waren, in einer Verteilerstelle.
So konnten Wochen vergehen, ehe Meldungen über Gefangenenlager
162
und ähnliche, für die direkte amerikanische Kriegführung nicht mehr dring-
liche Dinge beim Präsidenten landeten. Antworten und Anweisungen waren
dann meist noch länger unterwegs. Ausserdem kam es immer wieder vor,
dass Sendungen verschwanden.
Hier boten sich genügend Möglichkeiten, Befehle zu erteilen, ohne sie
erst lange durch übergeordnete Stellen absegnen zu lassen.
Wenn dann noch Politiker vom Schlag des amerikanischen Finanzmi-
nisters Henry C. Morgenthau hinzukamen, der aus Deutschland, der damals
wohl fortschrittlichsten Industrienation der Welt, einen grossen Agrarstaat
machen wollte, obwohl alle Welt wusste, dass die landwirtschaftliche Fläche
Deutschlands in den Ausmassen von 1937 nicht gross genug war, um das
gesamte Volk zu ernähren, war das Verhungern von Hunderttausenden vor-
programmiert, ohne dass man dies erst zu einem politischen Ziel erklären
musste.
Zwar waren die Beweggründe dieser deutschfeindlich eingestellten ame-
rikanischen Politiker und Militärs unterschiedlichster Natur, doch bei der
Verwirklichung ihrer Pläne waren sie sich meist rasch einig, auch ohne lange
darüber konferieren zu müssen.
So war es auch Eisenhower, und nicht der amerikanische Präsident, der
am 15. Mai 1945 mit dem britischen Premierminister Churchill über eine
Senkung der täglichen Verpflegungsrationen der Kriegsgefangenen beriet.
In Grossbritannien zeichnete sich bereits für die britische Bevölkerung ab,
dass die Fleischrationen als Folgen des Krieges gekürzt werden mussten,
was dann auch geschah.
In den USA hatte man keinerlei Versorgungsprobleme und konnte aus
dem vollen schöpfen, wie die 4’000 Kalorien bewiesen, die den US-Truppen
pro Tag zugebilligt wurden. Diese Kalorienmenge war genau doppelt so
hoch, wie die vom US Army Medical Korps für nichtarbeitende, normal be-
kleidete, gesunde und gut untergebrachte Erwachsene ermittelt worden
war.
Churchill wollte sicherstellen, dass man die Gefangenen zwar gleich er-
nährte, aber dazu Bestände verwendete, «die noch am ehesten zu entbeh-
ren seien».
Eisenhower erklärte daraufhin, dass er sich diesem Thema bereits gewid-
met und die zuerst vorgeschlagene Menge von 2‘150 Kalorien bereits auf
2’000 gesenkt habe. Er sagte zu, sich aber für weitere Senkungen stark zu
machen.
163
Was Eisenhower allerdings verschwieg, war die Anzahl der Gefangenen,
für die diese 2’000 Kalorien täglich gedacht waren.
Nach seiner Anordnung und nach der Einführung des bereits erwähnten
DEF-Status bezogen sich die auszugebenden Rationen nur auf die ‚PWs’,
also auf die vor Kriegsende eingebrachten Kriegsgefangenen, nicht aber auf
die «Entwaffneten feindlichen Streitkräfte’, die beispielsweise in den Rhein-
wiesenlagern und anderen zusammen eingepfercht waren.
So wurden beispielsweise für rund 3‘300’000 Personen, die sich tatsäch-
lich am 2. Juni 1945 in den Lagern der 4. Armee befanden insgesamt
1‘421‘559 Rationen ausgegeben. Hieraus resultierte dann ein realer Kalori-
ensatz von etwas mehr als 800 pro Tag für diese Gefangenen.
So sah die Wirklichkeit im Frühjahr und Sommer des Jahres 1945 für die
deutschen Kriegsgefangenen in amerikanischer Hand aus.
Was Eisenhower dabei wirklich empfand, wird wohl stets ein Geheimnis
der Geschichte bleiben, doch dass der Erfinder des DEF-Status immer noch
nicht mit seinen bisherigen ‚Leistungen’ zufrieden war, zeigte er uns, indem
er bereits als PW deklarierte deutsche Gefangene nachträglich zu DEF um-
benennen liess.
Dies geht aus verschiedenen Unterlagen hervor, die in Washington ein-
sehbar sind.
So weisen unter anderem SHAEF-Berichte diese Verschiebungen direkt
aus. Es wurden beispielsweise am 19. Mai 1945 2‘880’000 PW und 1’000’000
DEF registriert, am 29. Mai 1945, also nur zehn Tage später, dann 2‘090’000
PW, aber 1‘208’000 DEF.
Das nächste Geheimnis, das wir wohl nie mehr exakt aufklären können,
findet sich ebenfalls in den SHAEF-Zahlen wieder, denn am 2. Juni 1945 gibt
man dort nur noch eine Gesamtzahl von PW und DEF in Höhe von 2‘927‘614
Mann an. Es fehlt plötzlich eine knappe Million!
Dies fiel auch dem amerikanischen General Lee auf, der für denselben
Tag die Zahl 3‘878‘537 PW und DEF angibt.
Wie kann plötzlich eine knappe Million Menschen verschwinden? Entlas-
sungen in dieser Grössenordnung hatte es in jenem Zeitraum nicht gege-
ben.
Diese fehlende Million bekommt erst dann einen Sinn, wenn man weiss,
dass die Verpflegung der Gefangenen und die Anzahl der ausgegebenen
Rationen auf den SHAEF-Berichten beruhten.
164
General Lee, dem jeder einen gewissenhaften und korrekten Umgang mit
Zahlen bescheinigte, wurde einfach ignoriert; von da an galten nur noch die
SHAEF-Zahlen.
Eine Anordnung von so grosser und ungeheuerlicher Tragweite konnte
aber nur der Oberkommandierende erteilen, und das war zu jenem Zeit-
punkt unbestreitbar Eisenhower.
Es zeigte sich im Nachhinein, dass diese 1 Million einfach gestrichen
wurde. James Bacque, der diese Ungeheuerlichkeit als erster entdeckte, sah
die Unterlagen in Washington im Jahre 1988 ein und stellte fest, dass der
letzte Bericht am 2. Juni 1945 noch 2‘870‘400 PW auswies, der folgende
Bericht aber, mit demselben Datum, nur noch 1‘836’000.
Mit einem Übertrag verschwand eine Million Menschen. Das war sicher-
lich nicht der Fehler einer Schreibkraft, denn die Berichte wurden ja damals
ständig überprüft, und so ein ‚Schwund’ wäre mit Sicherheit sofort aufge-
fallen, wenn er nicht auf bestimmte Anweisung befohlen worden wäre.
Wieder wurden die ausgegebenen Rationen gekürzt, denn die neue Ba-
siszahl für die Ausgabe war ja jetzt um eine Million niedriger.
Weiterhin entdeckte Bacque beim Studium der Unterlagen in Washing-
ton, dass in der Zeit vom 2. Juni bis zum 28. Juli 1945 in den SHAEF-Berich-
ten die Anzahl der DEF-Gefangenen um jenen Betrag zunahm, in dem sich
die Zahl der PW-Gefangenen verringerte.
In knapp vier Wochen verringerten sich die PWs um 586‘003, und die
DEFs erhöhten sich um 588‘533, das zu einem Zeitpunkt, als mit Sicherheit
keine deutschen Streitkräfte mehr in grosser Zahl entwaffnet wurden.
Dass aber nicht alle Amerikaner so deutschfeindlich dachten und handel-
ten, zeigte uns das Beispiel des Generals Patton, der in knapp vier Wochen
nach Kriegsende rund 500’000 Gefangene entlassen hatte, die als DEF regi-
striert waren. Dann hinderte ihn ein Befehl Eisenhowers daran, weitere Ent-
lassungen durchzuführen.
Wenn, wie Eisenhower sich später immer wieder rechtfertigen wollte, die
Ernährungslage in Europa wirklich so schlecht gewesen wäre, dass man die
grosse Zahl der eingebrachten Gefangenen nicht ausreichend versorgen
konnte, warum hat er dann die Entlassungen unterbunden?
165
Jeder entlassene Gefangene hätte doch die Ernährungslage zugunsten
der anderen verbessert!
Auch gibt es zahlreiche Aussagen von amerikanischen Offizieren, die be-
legen, dass es bei den US-Truppen im Frühjahr und Sommer 1945 Lebens-
mittel im Überfluss gab und niemand etwas von einem Mangel oder einer
angeblichen Rationskürzung bemerkte.
Die amerikanischen Quartiermeister-Berichte weisen für die Monate Mai
bis Juli 1945 Überschüsse bis zu 100 Tagessätzen aus, also für jene Zeit, in
der Eisenhower offiziell Rationskürzungen für Amerikaner anordnete, die
nie bis zur Truppe weitergegeben wurden.
Die Ungereimtheiten der amerikanischen Gefangenenbuchhaltung zie-
hen sich wie ein roter Faden durch die Zahlen für Gefangene und Verpfle-
gungsrationen, und man muss dabei auch bedenken, dass es genügend Of-
fiziere gab, die sich bei diesem Durcheinander durch falsche Meldungen
und Anforderungen bereicherten.
Im Jahre 1990 lernte ich in England einen etwa gleichaltrigen Amerikaner
kennen, der mit teueren britischen Oldtimern handelte und mir bei einem
Gespräch über unsere Väter ganz beiläufig erklärte, dass sein Vater ein nicht
unbeträchtliches Vermögen während des vergangenen Weltkrieges in Eu-
ropa gemacht habe.
Als ich ganz vorsichtig nachhakte, bei welcher Einheit so etwas denn
möglich gewesen war, erklärte er augenzwinkernd: «Quartermaster, you
know?»
Dies war mit Sicherheit nicht die Regel, aber auch nicht nur eine einzelne
Ausnahme, wie verschiedene Ermittlungen der amerikanischen Militärjustiz
nach Kriegsende beweisen.
Tatsache ist, dass zahlreiche führende amerikanische Offiziere die
Massnahmen zur Reduzierung der Zahl der deutschen Kriegsgefangenen
frei nach Eisenhowers Vorgabe durchführten und dadurch den Tod von
mehreren Hunderttausend deutscher Kriegsgefangenen und Zivilisten, die
sich unter den Gefangenen in den Lagern befanden, nicht nur hinnahmen,
sondern verursachten.
Tatsache ist aber auch, dass zahlreiche andere Offiziere, vor allem, wenn
sie direkt mit dem Elend der deutschen Kriegsgefangenen konfrontiert wa-
ren, nicht einfach zusehen wollten. Auch war es einigen der untergeordne-
ten Offiziere im Gefangenenwesen sicher nicht ‚ganz wohl in ihrer Haut’,
denn sie fertigten Berichte an und wiesen auf die schlechte Ernährungslage
hin.
166
Diese Berichte und Unterlagen sind in Washington heute noch einsehbar.
Während also einige amerikanische Offiziere erste Versuche unternah-
men, die Lage der in ihrer Hand befindlichen Gefangenen zu verbessern,
liessen Eisenhower und seine Clique keine Möglichkeit aus, sie noch weiter
zu verschlechtern. So wurde deutschen Angehörigen von Gefangenen meist
untersagt, Nahrungsmittel in die Lager zu bringen. Der Regierungspräsident
von Koblenz musste mit Schreiben vom 9.5.1945 dem Landrat von Bad
Kreuznbach streg verbieten, dass Lebensmittel für die Gefangenen gesam-
melt würden, und bei Zuwiderhandlung Erschiessungen ankündigen. Man
verbot jeglichen Postverkehr für die Gefangenen. Hierbei durfte keine Post
aus den Lagern versendet werden, damit die Kunde über die Zustände nicht
nach aussen drang, aber es durfte auch keine Post empfangen werden.
Dies aber bedeutete wiederum den Tod vieler Menschen, da das Rote
Kreuz Pakete mit Lebensmitteln in die Lager schickte, deren Annahme nun
in den Rheinwiesenlagern verboten wurde.
Obwohl Eisenhower seine Handlungen mit der schlechten Versorgungs-
lage entschuldigen wollte, unterbanden seine Anweisungen so jede zusätz-
liche Möglichkeit, Nahrungsmittel in die Lager zu schaffen. Diese Massnah-
men gingen so weit, dass auch Hilfssendungen von deutschen Gefangenen
aus Lagern in den USA untersagt wurden, die ihre leidenden Kameraden in
Deutschland unterstützen wollten, weil es ihnen wesentlich besser ging.
Den zu Millionen in den USA lebenden Deutschen, die nach ihrer Aus-
wanderung amerikanische Bürger geworden waren, verbot das amerikani-
sche Finanzministerium, dass ihre Spenden, die sie zahlreich an das Rote
Kreuz leiteten, für die Gefangenen in europäischen Lagern verwendet wer-
den durften.
Es gibt auch Meldungen darüber, dass das SHAEF einige Lager mit ange-
sammelten Hilfsgütern einfach beschlagnahmte.
Aber die Erfinder des ‚Krieges nach Kriegsende’ gegen die deutschen Ge-
fangenen waren immer noch nicht auf dem Höhepunkt angelangt. Diesen
sollte dann der 4. August 1945 bringen, als mit einem einzigen Befehl Ei-
senhowers der Status aller noch in den deutschen Lagern vor sich hinvege-
tierenden Kriegsgefangenen geändert wurde. Der Befehl lautete: «Mit so-
fortigerWirkung sind alle in US-Gewahrsam in der amerikanischen Besat-
167
zungszone in Deutschland befindlichen Angehörigen der deutschen Streit-
kräfte als ‚disarmed enemy forces’ (entwaffnete feindliche Streitkräfte) zu
betrachten, und nicht als Personen mit Kriegsgefangenenstatus.»
Wie bereits angesprochen, hatte Eisenhower ja diesen Status erfunden,
um seine Massnahmen des Nahrungsmittelentzuges durchführen zu kön-
nen. Nun hatte er damit erreicht, dass sich alle noch in seiner Hand befind-
lichen Gefangenen in einem neuen, nicht durch internationale Regeln ab-
gesicherten Status befanden, den er nach eigenem Gutdünken verwalten
und ändern konnte.
Die Gesamtheit dieser Massnahmen hat den Tod von mindestens
700’000, aber eher 900’000 oder noch mehr deutscher Gefangener in ame-
rikanischer Hand verursacht; dennoch sehe ich diese Massnahmen nicht als
Ergebnis einer allgemeinen, gegen die Deutschen gerichteten amerikani-
schen Politik an, sondern als traurigen Rachezug einiger führender ameri-
kanischer Politiker und Militärs, aus welchen Gründen auch immer.
Viele Menschen in ganz Europa haben sich nach Kriegsende an deut-
schen Gefangenen, wegen tatsächlicher oder angeblicher Verbrechen,
grausam gerächt, doch niemand hatte eine solche Machtbefugnis in jener
Zeit wie Eisenhower und seine Clique über den grössten Teil der deutschen
Gefangenen.
Doch zum Glück für die Betroffenen gab es auch genügend Menschen,
die anders dachten, denn sonst wären nach Abschluss dieser menschenver-
achtenden Massnahmen noch mehr Opfer zu beklagen gewesen.
Dass es auch anders möglich war, mit Kriegsgefangenen umzugehen,
zeigt das Beispiel der Briten und Kanadier.
168
Gab es in den ersten Tagen dieser Lager dort auch keine Behausungen,
wurden den Gefangenen aber bereits wenige Tage später Zelte übergeben,
damit sie sich vor der Witterung schützen konnten.
Auch gab es vom ersten Tag an Wasser und Verpflegung, obwohl die
britische Ernährungslage weitaus schlechter war als die amerikanische, wie
die Rationierungen von Fleisch und anderen Grundnahrungsmitteln für alle
Bewohner Grossbritanniens bald zeigte.
Die seit Jahren an Improvisation gewöhnten deutschen Landser richteten
sich in Scheunen, zerstörten Gebäuden und Wäldern so gut wie möglich ein
und harrten der Dinge, die da auf sie zukommen würden.
Das britische Kriegsgefangenenwesen war weitaus besser organisiert als
das amerikanische. Da man bereits seit Kriegsbeginn deutsche Soldaten in
Gewahrsam nahm, hatte man auch wesentlich mehr praktische Erfahrung.
Da das britische Empire sich in jenen Jahren noch über die ganze Welt
erstreckte und auch Kanada sowie Australien und Teile Nordafrikas dazu-
zählten, wurden die Kriegsgefangenen auf fünf Gewahrsamsbereiche ver-
teilt. Hinzu kamen noch einige kleinere Kontingente in anderen Ländern, die
anfänglich unter dem Begriff ‚Sonstige’ geführt wurden.
Grossbritannien, Australien, Kanada, Nordafrika und Naher Osten waren
diese Gewahrsamsbereiche.
Für den Sommer 1944 weisen die offiziellen britischen Gefangenenzahlen
folgende Verteilung aus:
Grossbritannien 7 922
Australien 1 585
Kanada 24 633
Nordafrika 3 580
Naher Osten 16 876
Sonstige 639
Gesamt: 55 235
169
Grossbritannien 144 439
Australien 1 567
Kanada 33 783
Nordafrika 5 458
Naher Osten 34 664
Nord Westeuropa 50 011
Sonstige 639
270 561
Gesamt: y
Bei genauer Betrachtung der offiziellen Statistiken fällt auf, dass die Zahl un-
ter ‚Sonstige’ konstant blieb. Man kann davon ausgehen, dass es sich hier um
irgendwelche Spezialisten handelte, die an bestimmten Forschungs- und Ent-
wicklungsplätzen untergebracht waren.
Auch blieb die Zahl der nach Australien verschifften Gefangenen stets kon-
stant. Dies lag wohl am weiten Transportweg und den dadurch entstehenden
Kosten nach Kriegsende. Die Gefangenen, die auf die britische Insel gebracht
wurden, bezeichnete man als ‚held for UK’, also ‚festhalten für Grossbritannien‘.
Die Höchstzahl der auf der britischen Insel untergebrachten Kriegsgefangenen
betrug im Herbst des Jahre 1946 etwas mehr als 400’000 Mann.
Bezeichnend ist aber, dass sich bei Kriegsende erst rund 180’000 Mann auf
der Insel befanden und danach ein Kontingent von 220’000 arbeitsfähigen Ge-
fangenen nach England gebracht wurde.
Auch hier fand natürlich, wie mir von Exgefangenen bestätigt wurde, eine
Selektion der arbeitsfähigen Kräfte statt. Doch anders als bei den Sowjets und
Amerikanern wurden die nicht Arbeitsfähigen nicht physisch eliminiert, sondern
kamen entweder in Krankenstationen auf dem europäischen Festland oder
wurden einfach von den Briten entlassen und nach Hause geschickt, noch ehe
die offizielle ‚Repatriierung’ begann.
Am 20. September 1946 berichtete die überregionale britische Zeitung für
deutsche Kriegsgefangene, Wochenpost, stolz, dass bis zu diesem Zeitpunkt be-
reits 3 181 912 deutsche Wehrmachtangehörige entlassen worden seien, dies
zu einem Zeitpunkt, da die offizielle Entlassung von Kriegsgefangenen noch gar
nicht begonnen hatte.
Es ist unschwer zu erahnen, dass hiermit in der Masse die DEF gemeint sein
müssen, die von den Briten als SEP bezeichnet wurden, also jene Gefangenen,
170
die laut amerikanischer Anweisung nicht als Kriegsgefangene zu behandeln
waren.
Die Zahlen für ‚echte’ Kriegsgefangene auf der Insel lesen sich in den briti-
schen Statistiken wie folgt:
171
Dies sind noch einigermassen genaue Zahlenangaben der zuständigen
Stellen, doch wenn es darum geht, genau feststellen zu wollen, wieviele
deutsche Soldaten im Kriegsverlauf nun wirklich britische Stellen durch-
laufen haben, steht der Historiker wieder vor dem gleichen Phänomen
wie bei allen anderen Siegermächten auch.
Es gibt stets dann keine genauen Zahlen, wenn es um Menschen geht.
Zwar kann man auch heute noch in den meisten Statistiken nachlesen,
«Die britischen wieviel Tonnen Bomben geworfen wurden, wieviele Panzer gebaut und
Quäker und die wieviele Granaten abgefeuert wurden, doch bei den Zahlen für Gefan-
nationalen gene, Getötete oder Vermisste werden immer nur Schätzungen angebo-
Organisationen ten, die oft jegliche Wirklichkeitsnähe entbehren.
des Roten So auch bei der Gesamtzahl der in britischer Hand sich befindenden
Kreuzes in
deutschen Gefangenen.
Grossbritannien,
Hinzu kommt natürlich auch der Faktor der Unübersichtlichkeit, der
Frankreich und
Kanada hatten sich aus alliierten Absprachen über die Verteilung von Gefangenen nach
inzwischen Gebieten ergab, in denen sie eingebracht wurden und aus der Abfolge
Beobachter und des Kriegsverlaufes, wie bereits im Kapitel über die Auslieferungen an-
Personal ent- gesprochen.
sandt, um Weiterhin hatten Briten und Amerikaner ein Abkommen getroffen, die
Zivilisten in auf ihrer Seite gemeinsam eingebrachten Gefangenen dann nach dem
ihren Besat-
Verhältnis 50:50 zu verteilen, doch ab 1944 hatten die Briten kein grosses
zungszonen
Interesse mehr, auch tatsächlich die Hälfte der nun in grosser Zahl ein-
Deutschlands zu
helfen. Die US- gebrachten deutschen Gefangenen zu übernehmen, und sie nutzten jede
Army jedoch sich nur bietende Chance, um sich bei geplanten Übernahmen davor zu
teilte den ameri- drücken.
kanischen Dennoch konnten sie nicht verhindern, dass ihnen und den ange-
Hilfsmannschaf- schlossenen Kanadiern bei Kriegsende allein im norddeutschen Raum
ten mit, dass sie rund 2’000’000 Gefangene zufielen.
nicht in die US- Wie bei allen anderen Siegermächten auch wurden die deutschen Ge-
Zone einreisen
fangenen von ihren Besiegern erst einmal ‚gefilzt’. Das war bei Kriegsen-
dürften.»
de so üblich.
James Bacque,
‚Der geplante Danach wurden die Kriegsgefangenen aber meist hart, jedoch
Tod’. menschlich behandelt.
Ein Streit entbrannte zwischen Briten und Amerikanern dann dahinge-
hend, dass man die DEFs auf britischer Seite nicht übernehmen wollte,
da man diesen Status ja nicht anerkannt hatte. Nach Besichtigungen der
172
Rheinwiesenlager entschlossen sich aber doch die verantwortlichen britischen
Offiziere, Hunderttausende der dort vor sich Hinsiechenden zu übernehmen.
Dies war einer der wenigen grossen humanitären Akte an deutschen Kriegs-
gefangenen nach Kriegsende und rettete mit Sicherheit Hunderttausenden das
Leben, die von Eisenhower und seiner Clique bereits zum Tode in den Lagern
verurteilt waren.
Vor allem aus dem Lager Rheinberg, das am 12. Juni 1945 von den Briten
zusammen mit dem Lager Wickrathberg übernommen wurde, haben dank der
raschen medizinischen Hilfe durch die Briten zahlreiche Menschen überlebt, die
auch heute noch von den Umständen ihrer Gefangenschaft und der Über-
nahme durch die Briten berichten können.
So erfuhr die Weltöffentlichkeit nach und nach, dass die Gefangenen in
Rheinberg an 35 Tagen nur geringste Hungerrationen bekommen und 15 Tage
völlig gehungert hatten. Auch gaben die Aussagen ehemaliger Insassen Aus-
kunft über die Sterblichkeitsrate in jenem Lager, die bei rund 30 Prozent im Jahr
lag. Auf amerikanischer Seite hatte man hierzu stets Zahlenwerte bis zu 13 Pro-
zent angegeben.
Um diese Zahlen zu untermauern, benutzte man jahrzehntelang einen ein-
fachen Trick. Man verwendete nur die Zahlen, die auf die offiziellen ‚PW’ zutra-
fen, und liess in allen Statistiken über Todesfälle die ‚DEF’ einfach weg.
Bei den Briten war das Zählen von Gefangenen in den Tagen und Wochen
nach Kriegsende zu einer reinen Manie geworden, denn nahezu alle Exgefan-
genen berichten, dass sie bei der Übernahme durch Briten mindestens sechs-
oder siebenmal in kurzen Abständen gezählt worden seien.
Auch kann man den Berichten der Gefangenen von Rheinberg entnehmen,
dass die ‚Tommies’ sich bei der Übernahme des Lagers entsetzt über die Zu-
stände zeigten, doch an die Öffentlichkeit haben sie es dann auch nicht ge-
bracht, wohl um ihre Verbündeten, denen sie damals Millionen schuldeten,
nicht zu brüskieren.
So schwiegen die Briten und widmeten sich stattdessen den Überlebenden
der übernommenen Lager.
Die Kranken und Schwachen wurden sofort in britische Hospitäler eingelie-
fert, doch auch dort verstarben die völlig geschwächten und unterernährten
Männer noch zu Tausenden. Dass diese Opfer natürlich auch nicht in den ame-
rikanischen Statistiken auftauchten, versteht sich inzwischen von selbst. Nach
173
einigen Wochen liess die Sterblichkeit nach, und die geschwächten Gefangenen
kamen wieder zu Kräften.
Da ich selber im Norden unserer Republik lebe, hatte ich in den vergangenen
Wochen und Monaten die Möglichkeit, mich mit zahlreichen ehemaligen Ge-
fangenen der Briten, aber auch mit einigen ihrer Wächter zu unterhalten, die
nach dem Ende ihrer Dienstzeit in Deutschland blieben und noch heute hier
leben.
Die Aussagen decken sich grösstenteils. Stets wird berichtet, dass die Gefan-
genen, ob PW oder DEF, in den britischen Lagern gut versorgt wurden, ständig
Wasser und Verpflegung hatten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten von weni-
gen Tagen standen meist auch Zelte oder andere Unterkünfte zur Verfügung,
und kein Gefangener musste mehr unter freiem Himmel nächtigen wie weiter-
hin die Menschen in den amerikanischen Grosslagern.
Niemand berichtete von grösseren Misshandlungen; einzig die in britischen
Lagern noch bis 1948 angewendete Prügelstrafe fanden die meisten Befragten
als unangenehm und einige die später häufig verhängte Einzelhaft.
Auch Nahrungsentzug über einen oder zwei Tage hin gehörte in einigen La-
gern zum Strafmass.
Was sich für die deutschen Gefangenen in britischen Lagern ab Sommer 1945
aber noch viel positiver auswirken sollte, war der Postverkehr.
Im August 1945, zu einem Zeitpunkt, als man auf amerikanischer Seite noch
jegliche Postsendungen an die Gefangenen unterband, richteten die Briten den
Postverkehr der Gefangenen mit der Heimat ein, und besorgte Mütter erfuhren
endlich, wo ihre Söhne sich befanden, oder Ehefrauen erhielten eine Nachricht
von ihren Männern und konnten ihnen zum Hochzeits- oder Geburtstag einen
kleinen selbstgebackenen Kuchen auf diesem Wege zukommen lassen. Das war
schon viel in jener Zeit.
Einzige Ausnahme war im Jahre 1945 das Lager Overijse in Belgien.
Als Folge eines bürokratischen Fehlers kam zu wenig Verpflegung dort an,
und es verhungerten einige hundert Gefangene.
Als sich das IKRK und einige deutsche Stellen einschalteten, wurden diese
Missstände sofort beseitigt, und ab Jahresende galt auch Overijse als britisches
Standardlager.
174
Eine weitere Marotte der Briten schien es zu sein, ihre Gefangenen ständig
zu verlegen.
So berichtete der Oberleutnant Karl-Heinz Müller, über dessen Gefangen-
nahme Anfang April 1945 bereits berichtet wurde, dass er vom Moment seiner
Gefangennahme an bis zum September des Jahres 1945 in nicht weniger als 11
Lagern untergebracht war.
Zum Beweis zeigte er mir seine heimlichen Aufzeichnungen, die er durch alle
Lager mitschleppte und auch heute noch hat.
Gerettete Auf-
listung der ver-
schiedenen
Lager des
Gefangenen
Karl-Heinz
Müller.
Wie man der Liste unschwer entnehmen kann, ging es im Jahr 1946 mit den
Verlegungen weiter und setzte sich in gleicher Weise bis 1947 fort. Auf meine
Frage, warum man ihn so oft verlegt habe, zuckte er nur die Schultern und sagte:
«Wie soll ich das wissen, wenn es die Engländer höchstwahrscheinlich selber
nicht gewusst haben?»
Auch erfuhr ich von ihm, dass es mit der Post nicht ganz so einfach war, wie
man heute glauben möchte.
«Selbstverständlich war unsere Post zensiert, und ich habe nach meiner Ge-
fangenschaft selber erfahren, dass zahlreiche meiner Briefe, vor allem, wenn
175
ich über Verlegungen oder kleine Querelen des Lagerlebens schrieb, einfach
nicht befördert worden waren. Dennoch war alles einigermassen erträglich,
wenn man erst einmal auf der Insel war.»
Auf ‚die Insel’ kamen aber nur PWs, doch was geschah auf britischer Seite
mit den als ‚SEP’ bezeichneten Gefangenen?
Nun, wie wir heute wissen, hatten sowohl die britischen SEP als auch die
amerikanischen DEF, also die auf westalliierter Seite offiziell nach dem 8. Mai
1945 eingebrachten Gefangenen, es einem Glücksumstand der Weltgeschichte
zu verdanken, dass sie nicht völlig umkamen.
Der Bruch zwischen den Westalliierten und den Sowjets wurde im Jahre 1945
von Monat zu Monat grösser, und ebenso, wie man sich auf sowjetischer Seite
bereits Gedanken über einen dritten Weltkrieg machte, geschah dies auch in
den Schalt- und Denkzentralen der westlichen Welt.
Politiker und Militärs in den USA, Grossbritannien und Frankreich entwickel-
ten bereits Pläne für den Ernstfall. In diesen Plänen bekamen die deutschen
Gefangenen plötzlich ihre Plätze zugewiesen.
Waren es bei den Franzosen meist die Arbeitsplätze oder die Fremdenlegion,
die man für die deutschen Kriegsgefangenen auserkoren hatte, dachten Ame-
rikaner und Briten bereits wieder an deutsche Soldaten unter Waffen.
Man wusste, dass man einen Kampf gegen die Sowjetunion ohne deutsche
Mitwirkung wohl kaum rasch und siegreich beenden könne. Die deutschen Ge-
fangenen durch übertrieben schlechte Behandlung geistig den Sowjets in die
Arme zu treiben lag ebenso wenig im Interesse der britischen Führung, wie sie
körperlich zu schwächen. Dies erklärte Churchill einige Jahre später offen und
gab auch das zu, was er in den Tagen nach Kriegsende Stalin gegenüber ent-
schieden geleugnet hatte.
Die Briten hatten die mehr als 300’000 deutschen Soldaten in Norwegen
noch bis in den Frühherbst des Jahres 1945 hinein nicht gefangengenommen,
sondern unter voller Bewaffnung in ihren Stützpunkten belassen und versorgt.
Sie waren so jederzeit zum Kampf einsatzbereit und hätten an britischer Seite
und unter dem Kommando westalliierter Offiziere direkt nach Russland mar-
schieren können. So verfuhr man mit dem Surrender Enemy Personei ebenso,
176
wie es der amerikanische General Patton bereits vorexerziert hatte. Man entliess
sie so schnell wie möglich und hatte dies bis zum Frühjahr 1946 fast abge-
schlossen.
Wenn man selber schon nicht in der Lage war, Millionen gefangener Deut-
scher zu verpflegen, gab man ihnen so wenigstens die Möglichkeit, sich selber
ernähren zu können.
Selbst wenn die Gedanken, die zu diesen Entlassungen führten, laut Bacque
«zynisch» waren, so brachten sie dennoch höchst humane Ergebnisse, und nur
das zählt letztendlich in den Annalen der Weltgeschichte.
Natürlich liessen auch die Briten ihre deutschen Kriegsgefangenen arbeiten
und Minen räumen, doch wer tat das nicht nach Kriegsende?
Die Franzosen
Im Konzert der alliierten Koalition, der es schliesslich gelang, das Dritte Reich
vernichtend zu schlagen, spielte Frankreich bis ins Jahr 1946 hinein nur die
vierte und somit letzte Geige.
Frankreich war das einzige Land der grossen Vier, das von Deutschland in
einem Landkrieg besiegt worden war, und das in nur 40 Tagen. Restfrankreich
hatte kapituliert und arbeitete mehr oder weniger mit der deutschen Besat-
zungsmacht zusammen. Die französische Flotte-von Deutschland nicht be-
schlagnahmt – wurde von der britischen überfallen und schwer geschlagen, weil
sie sich weigerte, an alliierter Seite offen in den Krieg gegen Deutschland ein-
zutreten.
General Charles de Gaulle wurde Anführer der nach Grossbritannien ge-
flüchteten französischen Restverbände, die sich «freifranzösische Streitkräfte’
nannten.
Die mit Deutschland zusammenarbeitende Vichy-Regierung verurteilte ihn
in Abwesenheit zum Tod.
Dennoch war es de Gaulles Verdienst, dass Frankreich wenigstens in dem
vorgenannten Konzert mitspielen durfte. Auch gelang es ihm, wieder reguläre
Streitkräfte aufzubauen, die an alliierter Seite zuerst in Nordafrika gegen die
Deutschen kämpften und sich dann auf die Invasion vorbereiteten.
Am 15. Mai 1944 wählte man ihn zum Regierungschef der französischen
Exilregierung.
177
Bereits im August 1944 konnte er an der Spitze seiner Truppen ins befreite
Paris einziehen, und von da an hatte ganz Frankreich auch wieder eine einheit-
liche Regierung.
Während die Militärs dieser neuen Regierung sich noch weiter an der Zer-
schlagung Deutschlands im Rahmen der alliierten Streitkräfte beteiligten, be-
gannen die politischen Kräfte, sich mit dem Neuaufbau des Staates zu beschäf-
tigen.
Neuaufbau nach den Zerstörungen durch den deutschen Westfeldzug, den
anglo-amerikanischen Bombardierungen, der Invasion und den Rückzugs-
kämpfen der Wehrmacht bedeutete eine Menge Arbeit; dazu bot sich mit den
nun ständig zahlreicher werdenden deutschen Kriegsgefangenen ein beträcht-
liches Heer von Arbeitskräften an. Doch wie sollte man Gefangene bekommen,
wenn diese stets von den Briten und Amerikanern eingebracht wurden? Nun,
man musste sie eben fordern, und so geschah es auch.
1‘750’000 Kriegsgefangene forderte Frankreich von seinen Bundesgenossen
zur Wiedergutmachung.
In guter anglo-amerikanischer Manier beantwortete man dieses französische
Ersuchen erst einmal positiv, denn es war ja noch Krieg, und die Deutschen wa-
ren noch nicht völlig besiegt.
Die ersten Übergaben von Kriegsgefangenen an die Franzosen fanden be-
reits im Februar 1945 statt.
Nach offiziellen Quellen sollen bis zum Mai 1945 insgesamt 15’000 Gefan-
gene aus britischen Lagern in Frankreich und Belgien sowie 35’000 Gefangene
aus amerikanischen Sammellagern übergeben worden sein.
Als dann der Krieg offiziell zu Ende war, sah alles plötzlich ganz anders aus.
Es musste erneut verhandelt werden. Am 10. Juli 1945 wurden die Lager An-
dernach, Bretzenheim, Dietersheim, Dietz, Koblenz, Hechtsheim, Siershahn und
Sinzig mit mehr als 200’000 Gefangenen von US-Streitkräften an Frankreich
übergeben.
Bereits bei der Übergabe dieser Lager kam es zu neuen Kontroversen zwi-
schen amerikanischen und französischen Militärs.
Die Franzosen protestierten gegen den miserablen Zustand der Gefangenen
und verwiesen darauf, dass nahezu die Hälfte der übernommenen Lagerinsas-
sen in einem solch katastrophalen Gesundheitszustand sei, dass an eine Ar-
beitsaufnahme wohl monatelang nicht zu denken sei.
178
Auch warfen die Franzosen den Amerikanern vor, ihre Gefangenen nicht nach
den Regeln der Genfer Konventionen zu behandeln. Über die drei Lager bei
Dietersheim wurde nach der Übernahme durch die Franzosen bekannt, dass die
eintreffenden Truppen dort keinerlei Lebensmittel mehr vorfanden. Auch waren
die wenigen inzwischen erstellten Zelte, die für die Todkranken genutzt wurden,
abgebaut worden. Man konnte nur noch die Umrisse im Matsch des Lagers er-
kennen.
Ausserdem wurden mehr als 32’000 Alte, Frauen und Kinder unter etwas
mehr als 100’000 Gefangenen gezählt, die man sicherlich im Normalfall nicht
als Kriegsgefangene einstufen konnte, auch wenn man sie im Krieg gefangen
hatte.
Zur selben Zeit aber häuften sich die Meldungen über ähnlich schlechte Zu-
stände in den französischen Lagern, die bereits seit 1944 bestanden, aber auch
in denen, die neu angelegt waren.
Genaue Zahlenwerte über die dann folgenden Überstellungen von deut-
schen Gefangenen an Frankreich lassen sich heute nicht mehr ermitteln, da als
Hauptquellen hierfür nur noch die französische Ausarbeitung mit dem Titel Hi-
storique du Service des Prisonniers de Guerre de l'Axe, die im Auftrag des fran-
zösischen Verteidigungsministeriums im Jahre 1948 fertiggestellt wurde und
der Band XIII der Maschke-Reihe mit dem Titel Die deutschen Kriegsgefangenen
in französischer Hand zur Verfügung stehen. Inhaltlich stellt das von Böhme ge-
schriebene Buch eigentlich nichts anderes dar als die deutsche Ausgabe der
französischen Ausarbeitung, die von Vertuschungen und Täuschungen nur so
strotzt.
Es ist klar ersichtlich, dass man auf französischer Seite bereits 1946 erkannte,
welche Fehler man im Umgang mit den deutschen Kriegsgefangenen gemacht
hatte, und es war abzusehen, wie die Weltöffentlichkeit auf Veröffentlichungen
reagieren würde, in denen man nachweisen konnte, dass Hunderttausende
deutscher Gefangener unmenschlich behandelt und dadurch getötet worden
waren. Dem galt es einen Riegel vorzuschieben; dieser Riegel bekam den Na-
men Buisson und war General des französischen Armee-Korps. Er leitete in
Frankreich das Kriegsgefangenenwesen und eine ähnliche Kommission wie
Maschke in den sechziger und siebziger Jahren in Deutschland.
In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Historiker mit dieser fran-
zösischen Ausarbeitung beschäftigt, und es würde den Rahmen dieses Buches
179
sprengen, alle Fehler und Täuschungsversuche, die inzwischen entdeckt
worden sind, hier wiederzugeben.
Wie sehr diese Ausarbeitung, die eine der Grundlagen für ein angeblich
wissenschaftliches deutsches Buch darstellte, das auch heute noch in den
deutschen Universitäts- und Staatsbibliotheken steht und als Standard-
werk angesehen wird, von der Wirklichkeit abweicht, hat James Bacque
(S. 151) so ausgedrückt:
«Die Verpflegung «Buisson neigt dazu, seiner eigenen Propaganda zu erliegen. Nachdem
der Internierten er mitgeteilt hat, dass im März 1946 die ‚Zahl der Kriegsgefangenen mit
war 1945 und knapp über 800’000 ihren Scheitelpunkt erreichte’, sind zum Beispiel nur
1946 völlig noch 39 weitere Seiten seiner Prosa erforderlich, um diese Zahl vollstän-
ungenügend und dig aus dem Gedächtnis zu löschen. Dann erklärt er uns, dass der ‚Oktober
reichte auch
1945 den äusseren Gipfelpunkt in der Zahl der Gefangenen in französi-
1947 und 1948
scher Hand brachte: 870’000.. .’. Weitere 174 Seiten später finden wir eine
nicht aus. Die
sogenannte andere Gesamtzahl für Oktober, diesesmal 741‘239.
‚Hungerstrafe’ Er fügt zwei Gefangenenmengen zusammen, die eine von 380’000 und
kam vielfach die andere von 275’000 Mann, was, wie er uns mitteilt, insgesamt 638’000
versuchtem Mord Mann ergibt. Das verringert in erfreulicher Weise die Gesamtzahl der ein-
gleich. Die bös- gebrachten und übernommenen Gefangenen, womit die mögliche Zahl
willige Vernich- der Todesfälle reduziert wird, die, wie er 1948 offensichtlich zu fürchten
tung von Lebens- anfängt, seine Regierung in Verlegenheit bringe. Für alle Fälle präsentiert
mitteln war ein
er, auf Seite 221, einige beruhigende Todes-Gesamtzahlen. In den fünf
Ausdruck des
zügellosen Sadis-
Jahren von 1944 bis 1948, schreibt er, seien 24‘161 Gefangene gestorben.
mus, der einen Berücksichtigt man, dass er Rechnung legt für mehr als
Teil der fremden 2’000’000 Gefangenenjahre (d.h. eine Million zwei Jahre lang in Gefan-
Machthaber genschaft gehalten), würde sich diese Zahl der Sterbefälle auf 1,2% pro
beherrschte.» Jahr belaufen, was Bände für die Fähigkeit der Gefangenen spricht, ohne
Urteil über die Nahrung, Kleidung, Medikamente und anderem zu leben. Aber Buisson
Verpflegung in ist nicht zufrieden mit 1,2%; er führt 18‘416 der Todesfälle auf Kriegsver-
französischen
letzungen zurück, womit die Gesamtzahl der Nicht-Verwundeten auf
Lagern, in ‚Die
5‘745 zurückgeführt wird. Damit ist eine Zahl hervorgebracht, die Buisson
Internierung im
Deutschen Süd- als sehr befriedigend, alle anderen aber als unglaublich empfinden müs-
westen‘. sen, nämlich eine Sterblichkeitsrate von 0,28% pro Jahr für diese unver-
wundeten Gefangenen. Wie wir gesehen haben, betrug die vergleichbare
Sterblichkeitsrate für ruhendes US-Army-Personal 0,38%. Jeder also, der
Buisson glaubt, muss auch glauben, dass hungernde, kranke Männer in
180
zerlumpter Kleidung ohne Medikamente, fern von zu Hause in der Verzweiflung
der Niederlage und ohne Nachricht von ihren Familien, verdammt zu einer Ge-
fangenschaft, deren Ende sie nicht sehen konnten, länger lebten als ausgeruhte,
siegreiche, gutgenährte US-Soldaten in Friedenszeiten. Es ist ein ganz neues
Argument gegen den Krieg, dass der Verlierer ihn gewinnt.»
Bezeichnend für den Umgang mit geschichtlichen Daten und Fakten in der
Nachkriegszeit ist auch, dass Autor Böhme beispielsweise die ‚niedrige Zahl’ der
Verstorbenen in leicht ‚modifizierter’ Form einfach übernimmt und auf Seite 15
wie folgt angibt:
Von den Verstorbenen waren
21‘886 Deutsche
2‘292 Nicht-Deutsche (allogènes;
davon 716 Italiener) ________________________
insgesamt 24‘178 Mann
Dass aber auch rund 167’000 Menschen als «Perdus Pour Raisons Diverses»,
‚Verschollen aus verschiedenen Gründen‘, geführt werden, das verschweigt uns
der Autor Böhme bei dieser Aufstellung, obwohl er hätte wissen müssen, dass
weitaus mehr deutsche Gefangene in diese Rubrik einzurechnen sind, doch
dann hätte ja wieder seine niedrige Gesamtzahl nicht gestimmt.
Buisson gibt für repatriierte Gefangene die Zahl 628‘388 an und bezeichnet
die als freie Arbeiter entlassenen mit 130’000, was eine Summe von 758‘388
ergibt. Zieht man diese nun von Böhmes Gesamtzahl von 1‘065’000 Mann ab,
verbleiben 306‘612 Menschen, deren wirkliches Schicksal bis heute grössten-
teils ungeklärt ist.
Die Versuche von Buisson und Böhme, beispielsweise 71‘810 Deutsche und
10‘060 Nicht-Deutsche, also insgesamt 81‘870 Mann als Entflohene zu dekla-
rieren, können nur als zynischer Scherz angesehen werden, wenn man Zeitzeu-
gen zu diesem Thema befragt.
Selbstverständlich sind Gefangene entflohen, doch in minimaler Anzahl. Je-
der Befragte gab zu bedenken, dass Flucht in den anfänglichen ‚Drahtkäfigen’
völlig unmöglich war, da der Stacheldraht und die Wachposten dies verhinder-
ten.
Die Transportzüge waren ebenso verschlossen und bewacht wie bei den So-
wjets. Später aus den Lagern in Frankreich zu entfliehen war gefährlicher, als
181
sich seinem Lagerschicksal zu ergeben, denn einzelne Deutsche oder auch
kleine Gruppen konnten immer noch dem ‚Volkszorn’ zum Opfer fallen.
Anders lesen sich da beispielsweise die Sterblichkeitszahlen einzelner Lager:
In Thorée-les-Pins starben in einem halben Jahr 2‘520 der 12’000 Gefange-
nen, in Buglose 250 von 800 in 10 Monaten, in Daugnague 400 von 800 in
einem halben Jahr und in Rivesaltes 1‘350 von 2‘400.
Das waren Zahlenwerte, die zwischen 22% und 55% der Belegschaft variier-
ten oder, auf jährliche Quoten umgerechnet, 42% bis 100% betrugen.
In den siebziger Jahren lernte ich in Tübingen zwei ehemalige Fremdenle-
gionäre kennen. Leider sind sie inzwischen beide verstorben. Sie erzählten mir,
dass es nur drei Möglichkeiten gab, 1945/46 aus einem französischen Lager zu
entkommen: freiwillig zur Fremdenlegion, arbeiten im Bergbau oder bei der
Minenräumung und drittens waagerecht als Leiche.
Die beiden hatten sich für die Legion entschieden, kamen zuerst nach Alge-
rien, dann nach Indochina (heute Vietnam), erlebten die französische Nieder-
lage dort und wurden 1956 nach Hause entlassen. So hatte der Krieg für diese
beiden insgesamt 17 Jahre gedauert.
Tatsache ist, dass Böhme bei seiner Untersuchung ein Zahlenmachwerk-
übernommen hat, dessen Richtigkeit jeder ehemalige Gefangene leicht hätte
widerlegen können.
Tatsache ist aber auch, dass ein Reporter der französischen Zeitung Le Fi-
garo besagten General Buisson im September 1945 interviewte und dabei von
diesem erfuhr, dass die Gefangenen nur 900 Kalorien pro Tag bekamen.
Zum Zustand schrieb der Reporter dann unter anderem:
«Die Leute sprachen von einer erschreckenden Sterblichkeit, verursacht
nicht nur durch Krankheit, sondern durch Hunger, und von Männern mit einem
Durchschnittsgewicht von 35 bis 40 Kilogramm. ..»
Die Rückfrage bei einem befreundeten Arzt ergab dann, dass solcherart ab-
gemagerte Männer bei einer Tagesration von nur 900 Kalorien nur wenige Mo-
nate überleben können. Ausserdem würde bei den Überlebenden, wenn man
sie dann mit 5’000 Kalorien und mehr wieder ‚hochfüttern’ könnte, mit Sicher-
182
heit eine grosse Zahl mit schlimmsten Folgeerscheinungen dieses Nahrungs-
mittelmangels belastet, und es würde auch noch nach Monaten und Jahren zu
Todesfällen als Folge dieses monatelangen gesundheitsschädigenden Zustan-
des kommen.
183
Als die Kunde von wilden Erschiessungen durch angetrunkene Offiziere
in einem Lager bei Andernach nach aussen drang, wollte das Rote Kreutz
helfen, wurde aber abgewiesen.
«Das erste Halb- Auch die Überlebenden anderer Lager berichteten von grundlosen Er-
jahr Internierung schiessungen, meist an Wochenenden und unter Alkoholeinfluss, doch
bis Herbst 1945 von Bestrafungen der Täter, wie es bei der deutschen Wehrmacht bis zur
ist durch die Kapitulation üblich war, ist nie etwas berichtet worden.
völlige Rechtlo-
Es war für das Wachpersonal auch recht einfach, sich jeglicher Strafe
sigkeit der Inter-
zu entziehen. Man musste das Ganze nur als ‚Fluchtversuch’ deklarieren,
nierten und die
radikale Missach- und alles war erledigt. Die Opfer trug man einfach in die entsprechenden
tung der gepriese- Rubriken ein, ‚other losses’ bei den Amerikanern und «Perdus Pour Rai-
nen Grundsätze sons Diverses» bei den Franzosen, dann waren die Opfer verbucht und
des Rechts und von Tod oder Mord nirgendwo die Rede.
der Menschen- Beim Lesen der zahlreichen Berichte über diese Untaten stellte ich mir
würde gekenn- mehrmals die Frage, warum die Franzosen eigentlich ihre Gefangenen so
zeichnet. In schlecht behandelten, dass Hunderttausende umkamen, wenn sie doch
einzelnen Blut-
ständig bei den Amerikanern um weitere Überstellungen von Gefangenen
und Schreckens-
nachsuchten.
lagern hielt diese
Rechtlosigkeit bis Auch wollte mir nicht einleuchten, warum sie ihren Gefangenen nur
weit in das Jahr 800 oder 900 Kalorien pro Tag gaben, wenn sie Arbeitskräfte wollten.
1946 an.» Dann musste ich unwillkürlich wieder an das Selektionsprinzip denken,
Zur Lage in den mit dem die deutschen Kriegsgefangenen von den Sowjets, Jugoslawen
Internierungsla- und Amerikanern aussortiert worden waren.
gern der französi- Wer bei 900 Kalorien pro Tag über mehrere Monate hinweg überlebte,
schen Zone, in
der war mit Sicherheit, wenn wieder besser ernährt, ein äusserst zäher Ar-
‚Die Internierung
im Deutschen beiter, wer dabei umkam, den musste man schon nicht weiter durchfüt-
Südwesten‘. tern. Das sind für mich zwar menschenverachtende, aber logisch klin-
gende Argumente.
Als ich von den 13‘500’000 Lebensmittelpaketen las, die im Mai 1945
vom IKRK zwar für die Gefangenen übernommen wurden, aber nie zur
Austeilung kamen, weil dies die französische und amerikanische Seite
stets zu verhindern verstanden, untermauerte das meine These noch.
Als sich dann noch die Information über die 200’000 Gefangenen hin-
zugesellte, die von den Franzosen an die Amerikaner im September zu-
184
rückgegeben werden sollten, weil sie todkrank waren und es absolut unmöglich
erschien, sie jemals wieder arbeitsfähig zu bekommen, war dies nur ein weiterer
Beweis für meine These der Selektion.
Obwohl das IKRK im Frühjahr 1946 auf die schlechten Zustände in den La-
gern öffentlich hinwies, gingen die Überstellungen von den Amerikanern an die
Franzosen weiter.
Doch bei überstellten rund 750’000 stoppten die Gefangenentransporte
dann, so sehr die Franzosen auch reklamierten.
Inzwischen waren unter französischer Obhut rund 1‘600 Lager entstanden, in
denen die deutschen Gefangenen zumindest nicht mehr unter freiem Himmel
schlafen mussten, doch auch 1946, als das IKRK einige ausgewählte Lager in-
spizieren durfte, hatte sich die Ernährungslage nur unwesentlich gebessert.
Ebenso schlecht sah es mit der Bekleidung der Gefangenen aus, die in den Wo-
chen und Monaten unter freiem Himmel in amerikanischer Gefangenschaft
schwer gelitten hatte.
Es sollte noch bis 1947 dauern, ehe auch auf diesen Gebieten spürbare Bes-
serung eintrat.
Das Leid und den Tod Hunderttausender Gefangener in französischer Hand
haben Charles de Gaulle und sein Stabschef Marschall Juin zu verantworten, für
die offensichtliche Statistiken – und somit Geschichtsfälschung ist General Buis-
son verantwortlich, der sehr rasch vergessen hatte, wie zuvorkommend er als
Kriegsgefangener in deutscher Hand bis 1945 behandelt worden war.
185
Der Kalte Krieg tritt in eine heisse Phase
Kleine Chronik des ersten Halbjahres 1946
12.1. Nach einem Kontrollratsbeschluss sind alle Beamten, die vor dem
1. Mai 1937 Mitglieder der NSDAP geworden sind, zu entlassen.
21.1. Adenauer wird zum 1. Vorsitzenden der CDU in der britischen Zone
gewählt.
7.2. Bei der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sind
53’000 Betriebe mit 2,6 Millionen Hektar an Neubauern aufgeteilt
worden.
9.2. Bundeskongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB)
in der Sowjetischen Besatzungszone.
19.2. Die britische und die polnische Regierung vereinbaren die Umsied-
lung von mehr als 1,5 Millionen Deutschen aus den Ostgebieten.
21.2. Gründung der Wochenzeitung Die Zeit in Hamburg.
28.2. Die Lebensmittelrationen in der britischen Zone Deutschlands wer-
den auf täglich 1014 Kalorien pro Kopf herabgesetzt.
16.3. Die Sowjetunion beginnt mit der Räumung Bornholms, das am 11.
Mai 1945 von sowjetischen Truppen besetzt worden war.
1.4. Die deutschen Gerichte, auch die Oberlandesgerichte, nehmen ihre
Tätigkeit wieder auf.
10.4. Der Alliierte Kontrollrat erlässt ein Betriebsrätegesetz für Deutsch-
land.
5.5. 213 Industriebetriebe in der sowjetischen Besatzungszone gehen in
den Besitz der UdSSR über.
13.5. 58 Angehörige der Wachmannschaft des Konzentrationslagers Maut-
hausen werden von einem US-Kriegsgericht zum Tode verurteilt.
17.5. Gründung der Deutschen Film AG (DEFA) in Ost-Berlin.
Der rumänische Marschall Antonescu wird von einem Gericht seines
Heimatlandes zum Tode verurteilt.
186
22.5. In Sachsen wird eine Verordnung zur Demokratisierung der Schu-
len erlassen.
25.5. Der amerikanische Militärgouverneur Clay verfügt in der US-Zone
einen Demontagestopp, der so lange anhalten soll, bis die Frage,
ob Deutschland weiterhin als wirtschaftliche Einheit behandelt
wird, geklärt ist.
5.6. Der britische Premierminister Churchill befürchtet, die UdSSR be-
reite einen neuen Weltkrieg in Osteuropa vor.
15.6. Beginn der Aussenministerkonferenz in Paris zur Deutschen Frage;
sie endet ergebnislos.
17.6. Der US-Ankläger in Japan erklärt, aus politischen Gründen werde
kein Prozess gegen den Tenno geführt.
18.6. Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen in der britischen Besat-
zungszone.
30.6. 77,6% der Einwohner Sachsens sprechen sich für
die Enteignung der Grossbetriebe von ehemaligen Nationalsozia-
listen aus.
187
Die ersten
kommen heim
191
Scherzhaft erklärte mir ein ehemaliger britischer Offizier bei einem Ge-
spräch im Jahre 1993, dass er dies für die ersten Entlassungen gehalten
habe, denn von einer Gruppe, die er mit seiner Einheit in Norddeutschland
am 2. Mai 1945 gefangengenommen und hinter die eigenen Linien ge-
schickt hatte, sei dort kein einziger Gefangener je angekommen.
Doch bei dieser Einschätzung hat er sich geirrt. Die ersten deutschen Ge-
fangenen kamen bereits 1939 nach dem Polenfeldzug heim. Hierbei han-
delte es sich um eine kleine Anzahl von deutschen Gefangenen aus den
ersten Tagen des Feldzuges, die nach der polnischen Kapitulation wieder
freikamen. Dies waren wirklich die ersten ‚Heimkehrer’ aus Kriegsgefangen-
schaft, die nur wenige Tage gedauert hatte.
Ebenso erging es wenigen deutschen Soldaten, die im Westfeldzug des
Jahres 1940 in französische Gefangenschaft gerieten und dann wieder frei-
kamen.
Kaum bekannt ist heute, dass auch 1943 und 1944 deutsche Gefangene
heimkehrten. Hierbei handelte es sich meist um Verwundete oder Kranke,
die mit britischen Gefangenen ausgetauscht wurden. Insgesamt beträgt die
Zahl der solcherart ausgetauschten Gefangenen auf deutscher Seite knapp
14’000 bis Januar 1945. Danach lehnten die Briten weitere Austausch-
massnahmen ab, da ja abzusehen war, dass alle britischen Gefangenen in
deutscher Hand durch das bevorstehende Kriegsende bald befreit würden.
So kamen die ersten deutschen Kriegsgefangenen heim, noch ehe der
Krieg beendet war, doch handelte es dabei um keine grossen Zahlen.
Die erste grosse Heimkehrerwelle umfasste rund eine halbe Million deut-
scher Soldaten, die zusammen mit anderen von dem amerikanischen Ge-
neral Patton und seinen Truppen bei Kriegsende gefangengenommen wur-
den. Wie bereits angesprochen, liess er ihre Waffen vernichten und schickte
die Soldaten bis Ende Mai heim. Dann verbot ihm sein oberster Vorgesetz-
ter Eisenhower weitere Entlassungen.
Patton nahm die Entlassungen nicht vor, weil er gegenüber den Deut-
schen besonders entgegenkommend war, sondern aus einer praktischen
Erwägung heraus. Ihm war klar, dass er mit seinem Verband in den kom-
menden Tagen und Wochen nicht in der Lage sein werde, eine dermassen
192
grosse Zahl an Kriegsgefangenen zu ernähren. Also gab er ihnen die Mög-
lichkeit, sich selber zu versorgen. So einfach war das.
Auch die Briten begannen bereits im Mai 1945 mit Entlassungen. Als sie
dann die ersten Rheinwiesenlager übernahmen und die grosse Zahl von ab-
gemagerten, ausgehungerten und völlig geschwächten Menschen vorfan-
den, entschlossen sie sich auch, die noch Gehfähigen, aber für jede normale
Arbeit Untauglichen nach Hause zu schicken.
Auch dieser Entscheidung lagen äusserst praktische Überlegungen zu-
grunde. Zwar versorgte man die von den Amerikanern übernommenen
Kranken sofort, wollte sich aber nicht zusätzlich mit Zigtausenden von Pati-
enten belasten. Dies sollten die deutschen Stellen tun, meinten Montgo-
mery und sein Stab, und sie schickten die Männer einfach heim und waren
so die Problemfälle los.
Als die Franzosen einen Monat später ebenfalls einige Rheinwiesenlager
übernahmen und in einem dort mehr als 30’000 Alte, Frauen und Kinder
vorfanden, die arbeitstechnisch gesehen völlig wertlos für sie waren, wur-
den auch diese heimgeschickt, dazu die Krüppel und Kranken.
So war es nicht weiter verwunderlich, dass man in den Jahren 1945 bis
1949 in Deutschland eine so grosse Zahl von amputierten und anderweitig
körperlich beschädigten Männern auf den Strassen sehen konnte wie später
nie wieder.
Es waren die wegen Arbeitsunfähigkeit entlassenen Kriegsgefangenen
der ersten Tage und Wochen, die das Bild der Städte nach dem Krieg präg-
ten, denn auch die Sowjets, die ansonsten ihre eigene Selektionspolitik bei
den Kriegsgefangenen anwandten, fanden es nicht besonders sinnvoll,
Kriegsinvaliden und Verwundete in die Sowjetunion zu befördern, wo man
sie dann nicht wie gewünscht einsetzen konnte.
Natürlich erkannten die Gewitzten unter den Gefangenen bald, welche
Möglichkeit sich ihnen da bot, wenn sie nicht arbeitsfähig waren, und es
kam zu den originellsten Tricks, mit denen man hoffte, ebenfalls bald heim-
geschickt zu werden.
Krankheitssymptome wurden erlernt, und Krankheiten improvisiert, die
so manchen alliierten Arzt täuschten, doch auch das waren nur Ausnahme-
fälle. Da keines der alliierten Länder ein wirkliches System erarbeitet hatte,
nach dem die Gefangenen auf ihre Entlassung hin registriert werden konn-
ten, und weil man nach Kriegsende in ganz Europa krampfhaft nach deut-
193
schen Kriegsverbrechern suchte, fanden die folgenden Entlassungen recht
willkürlich statt.
Bei den Entlassungen machte sich der DEF- oder SEP-Status dann aller-
dings für die Betroffenen recht positiv bemerkbar.
Vor allem auf britischer Seite machte man sich schnell daran, diese Ge-
fangenen, die eigentlich in kein Statusschema passen wollten, so rasch wie
möglich wieder loszuwerden.
Wenn man den offiziellen Zahlen zu diesem Thema glauben will, so wur-
den von den 2‘400’000 SEP der Briten im Mai des Jahres 1945 bis zum Ende
desselben Jahres rund 1,9 Millionen entlassen.
Doch unverständlicherweise setzte man die Entlassungen jener Katego-
rie nicht in gleicher Weise fort, und so dauerte es bis zum Sommer 1947,
ehe der letzte SEP-Gefangene heimkam.
Die als Kriegsgefangene eingestuften Soldaten waren von diesen Entlas-
sungen allerdings nicht betroffen. Sie verblieben erst einmal in ihren Lagern.
Knapp 40’000 von ihnen wurden von britischer Seite bis Ende 1945 entlas-
sen, wobei es sich grösstenteils auch um Kranke und Verwundete handelte.
Auch die Sowjetunion entliess bereits 1945 deutsche Kriegsgefangene.
Hier handelte es sich ebenfalls ausschliesslich um Kranke, Verwundete und
Arbeitsunfähige.
So wurden von den in Polen und Schlesien eingebrachten Kriegsgefan-
genen etwa 30’000 noch im Jahre 1945 entlassen, alles Verwundete und
Kranke.
Im Sommer 1945 entliessen die Sowjets rund 40’000 Arbeitsunfähige, die
im Raum Berlin in Gefangenschaft geraten waren.
Ebenfalls im Sommer 1945 konnten auch 75’000 in Sachsen und der CSR
gefangene deutsche Soldaten, die nicht mehr arbeitsfähig waren, den
Heimweg antreten.
In allen Fällen hat es sich um Arbeits- und somit auch Marschunfähige
gehandelt, die statt nach Osten in Hospitäler nach Deutschland geschafft
wurden. Der Weg war auch wesentlich kürzer; dann konnten sich deutsche
Ärzte um ihre Landsleute kümmern.
Man kann also durchaus davon ausgehen, dass die ersten Entlassungen,
ob im Krieg oder nach Kriegsende, fast ausschliesslich kranke, verwundete
und arbeitsunfähige deutsche Kriegsgefangene betrafen sowie nach Kriegs-
ende auch Kriegsgefangene, die man mit dem SEP- oder DEF-Status belegt
hatte.
194
Die Gründe, warum bereits im Krieg und in den ersten Wochen danach
so viele deutsche Kriegsgefangene entlassen wurden, ergeben sich aus der
Art der Gefangenen von selbst. Sie wären, weiter in Gefangenschaft verblie-
ben, nur eine Belastung für die Alliierten gewesen.
Es kam aber auch vor, dass Gefangene zuerst freigelassen und später da-
heim erneut verhaftet und eingesperrt wurden.
Auch bereits aus Altersgründen oder wegen Verwundung entlassene Sol-
daten wurden teilweise erneut festgesetzt, wenn ihre Entlassung nicht vor
dem 6. Juni 1944 lag. Diese Gefangenen wurden dann aber häufig als poli-
tische Gefangene inhaftiert und behandelt. Es gab aber nur eine kleine Zahl
solcher mehrfach Inhaftierter.
195
Es war bestimmt kein einfaches Leben für diese Männer, die nur ihre
Pflicht getan hatten und nun vor dem wirtschaftlichen und persönlichen
Nichts standen.
Auch mussten viele von ihnen zu ihrer gelinden Überraschung plötzlich
sehen, wie gross der Widerstand gegen Hitler und seine NSDAP gewesen
sein musste, denn zahlreiche Parteibonzen arbeiteten bereits mit den Be-
satzern ganz gut zusammen und hatten es wieder einmal geschafft, sich
‚das dickere Ende der Wurst abzuschneiden’.
Für den einfachen Soldaten, der häufig auch noch Invalide war, gab es
nicht viele Hoffnungen in jenen Jahren.
Er sah, wie die Sieger damit begannen, die deutsche Industrie zu demon-
tieren und alles, was noch einigermassen von Wert war, in ihre Heimatlän-
der abzutransportieren.
Er erfuhr, dass man am 31. Oktober 1946 die Zwangsarbeitspflicht für alle
Deutschen im Alliierten Kontrollrat diskutierte, hörte von einer kommenden
Entnazifizierung, und einige von ihnen konnten sich eigentlich nur am Hei-
ligen Abend des Jahres 1946 einmal kurz freuen.
Denn der amerikanische General McNarney amnestierte etwa 800’000
Deutsche der unteren Einkommensgruppen, indem er sie in die Kategorie
der ‚Mitläufer’ einstufte. Das war für die Betroffenen wenigstens ein kleiner
Trost, mussten sie nun nicht auch noch darum bangen, vor ein Militärtribu-
nal gestellt zu werden wie die führenden Männer des Dritten Reiches in
Nürnberg.
Als ich vor einigen Wochen mit einem jener ‚Frühheimkehrer’ sprach, er-
zählte er mir, dass es ihn entsetzt habe, wie schnell nach so einem grossen
Zusammenbruch die Wirtschaftsmächte wieder miteinander kooperierten.
«Ich war am meisten überrascht, als ich erfuhr, dass die Münchner Börse
bereits am 10. August 1945 ihre Arbeit wieder aufnahm. Nur drei Monate
nach Kriegsende, wir hatten an keinem Tag genügend zu essen, und die
Grossfinanz begann bereits wieder Geschäfte zu machen. Das hat mir die
Augen geöffnet und gezeigt, was Krieg in unserer Zeit wirklich bedeutet –
neue Märkte schaffen – mehr nicht!»
So oder ähnlich empfanden die meisten, die bis zur bitteren Neige im
Osten und Westen gekämpft und dennoch verloren hatten. Jetzt, krank, ver-
letzt, geschlagen und aus Gefangenschaft gekommen, erkannten sie erst,
196
wie sehr man sie von allen Seiten belogen, betrogen und um ihre besten
Jahre gebracht hatte.
Sie konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass es Millionen ih-
rer Kameraden noch wesentlich schlechter ergehen würde.
197
nes, die polnische Westgrenze sei bereits in Potsdam festge-
legt worden.
19.9. Die Gesetze über die Bodenreform treten in der amerikani-
schen Besatzungszone in Kraft.
23.9. Die USA verzichtet auf volle Kriegsentschädigung durch Ru-
mänien.
1.10. Die Urteile im ‚Nürnberger Kriegsverbrecherprozess’ werden
verhängt.
7.10. Der amerikanische Chefankläger Jackson erklärt in Nürnberg,
dass er viele Deutsche für ebenso schuldig halte wie die be-
reits Verurteilten.
31.10. Im Alliierten Kontrollrat wird die Zwangsverpflichtung der
deutschen Arbeiter erörtert.
6.11. Wiedereröffnung der Universitäten in Hamburg und Köln.
16.11. Die SED legt ihren ersten Verfassungsentwurf nach sowjeti-
schem Muster vor.
21.11. Beschluss eines Dreijahresplanes für die vereinigte amerika-
nische und britische Besatzungszone in Deutschland, die nun
‚Bizone’ genannt wird.
1.12. Ein amerikanischer Senatsbericht wirft den US-Truppen in
Deutschland schlechtes Benehmen und eine geringe Moral
vor.
24.12. Der amerikanische General McNarney erklärt rund 800’000
Deutsche der niedrigen Einkommensgruppen offiziell zu Mit-
läufern und amnestiert sie so.
198
Ab nach
Sibirien!
201
Im Gegensatz zu den Westalliierten kannten die Sowjets nur einen Sta-
tus, das war der des ‚Kombattanten’, sprich Gefangenen. Sie machten kei-
nen Unterschied zwischen vor und nach dem 8. Mai 1945 gefangenen Sol-
daten und oft auch keinen zwischen Soldaten und Zivilisten.
Alles, was deutsch war, eine Uniform anhatte oder zusammen mit Solda-
ten aufgegriffen wurde, kam erst einmal ins Lager.
In welch grosser Zahl es auch Zivilisten betraf, zeigt eine Aufstellung der
«gemischten Transports des Jahres 1945 (im Anhang).
So fuhren Züge ab, wie beispielsweise jener am 28. Mai 1945 von Ausch-
witz nach Karaganda in Kasachstan, in denen 40 Prozent Zivi I isten sassen,
aber auch solche, wie jener am 27. April 1945 von Deutsch-Eylau nach Smo-
lensk in der Zentralregion, bei dem auf 300 Soldaten 1‘200 Zivilisten kamen,
oder jener am 22. Juni 1945 von Frankfurt/Oder nach Pitkjaranta in Karelien,
bei dem 300 Soldaten und 2‘200 Zivilisten verladen wurden.
Man machte sich auf sowjetischer Seite bei Transporten keine besondere
Mühe damit, wen man nun eigentlich wohin brachte. Alles würde geregelt,
wenn die Leute erst einmal in irgendwelchen Lagern waren.
So scheinen uns auch heute die Berichte von ehemaligen Kriegsgefan-
genen nicht mehr so utopisch, die berichteten, dass die Wachmannschaften
der Züge, wenn unterwegs jemand floh oder sonstwie abhanden kam, ein-
fach die nächstbesten Zivilisten auf einem Bahnhof griffen und in den Wag-
gon steckten, in dem jemand fehlte.
Dies lag an der sowjetischen Kommandostruktur, bei der jeder Offizier
für den ihm gestellten Befehl verantwortlich war, ohne dass er gross über
den weiteren Sinn des Befehls nachzudenken hatte.
Der zuständige Transportoffizier hatte also nur die Aufgabe zu erfüllen,
tausend oder zweitausend Personen, die er am Abgangsbahnhof übernom-
men hatte, am Zielbahnhof auch wieder abzuliefern – tot oder lebendig –,
Hauptsache, sie waren in irgendeiner Form zählbar, dann war für ihn der
Befehl ordnungsgemäss ausgeführt.
Welche Personen er aus welchen Gründen und zu welchen Zwecken
transportieren sollte, darüber wurde er erst gar nicht informiert, denn das
ging ihn ja nichts an, das war Sache der Offiziere, die am Zielort diese Per-
sonen übernahmen.
202
Also sorgte jeder Verantwortliche bei dem ihm unterstellten Transport
dafür, dass seine Zahlen stimmten und er so sein Soll erfüllt hatte. Eine ver-
ständliche Handlungsweise, wenn man die Befehle unter diesem Gesichts-
punkt betrachtet. Hinzu kam noch die Angst davor, bei Nichteinhaltung ei-
nes Befehls, also bei falscher Stückzahl, eventuell bald selber in einem sol-
chen Waggon zu sitzen und nach Sibirien abzufahren, denn mit den eigenen
Landsleuten sprang die sowjetische Justiz, vor allem die Militärjustiz, auch
nicht wesentlich besser um als mit den gefangenen Deutschen.
Wie bereits erwähnt, kamen Offiziere in besondere Lager, um sie so von
ihrer Truppe zu trennen, was aber nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie
nun auch besser untergebracht oder behandelt wurden.
203
Grösste Region war die Zentral-Region mit 45 Lagerverwaltungen, denen
wiederum 655 Einzellager in 564 Standorten unterstanden. Die kleinste die-
ser Verwaltungseinheiten bildete die Region ‚Südliches Zentralasien’ mit 5
Lagerverwaltungen, denen 13 Einzellager unterstanden.
Auch wenn die Gefangenen über den gesamten Bereich der UdSSR ver-
teilt waren, ergaben sich dennoch drei grosse Schwerpunkte.
Zum einen die mit Abstand stärkste Zentralregion mit 655 Einzellagern
in 564 Standorten, dann die Südregion mit 515 Einzellagern in 421 Stand-
orten und die Westregion mit 315 Einzellagern in 326 Standorten. In diesen
drei Regionen befanden sich auch mit Abstand die meisten Zentral-Hospi-
täler für Kriegsgefangene, nämlich 96 von insgeamt 144.
In Westsibirien mit 54 Einzellagern gab es nur 2 Hospitäler für Kriegsge-
fangene, im Südlichen Zentralasien bei 13 Einzellagern nur 1 und in Kasach-
stan, bei 50 Einzellagern, nicht mal ein einziges Kriegsgefangenen-Hospital.
Als mit dem Kriegsende im Mai 1945 der Zustrom von Gefangenen im-
mer stärker zunahm, erweiterten sich auch die angelegten Lager rasch. Es
entstanden an zahlreichen Standorten auch mehrere Lager, die in der Nach-
kriegszeit bei Befragungen von Spätheimkehrern manchmal zu kleineren
Verwirrungen geführt haben.
204
Auch in der sowjetischen Besatzungszone entstanden Gefangenenlager.
Vor allem waren es die ehemaligen Konzentrationslager und Gefängnisse,
die den Sowjets als idealer Unterbringungsort für deutsche Gefangene er-
schienen.
Bei heutiger Betrachtung fällt zu diesem Komplex auf, dass weder in den
offiziellen sowjetischen Berichten noch in der Maschke-Reihe diese Lager in
Mitteldeutschland berücksichtigt werden, obwohl ihre Existenz bis in das
Jahr 1950 hinein nicht wegzuleugnen ist, da es trotz der hohen Sterblich-
keitsrate dort noch genügend Überlebende gab und gibt, die berichten
konnten und es auch heute noch können.
Vor allem der Bericht des Obersten der Bundeswehr a.D. Gerhart Schir-
mer, der bei Kriegsende als Oberstleutnant und la einer Fallschirmjäger-
Ausbildungsdivision zuerst in britische und dann in sowjetische Gefangen-
schaft geriet, ist, weil er auch in gedruckter Form vorliegt, heute sehr auf-
schlussreich.
Schirmer gibt auch die Todeszahlen für diese sonst nicht als sowjetische
Gefangenenlager erwähnten und somit in den Statistiken ‚vergessenen’
Orte an und berichtet über die rund 200’000 Toten, die das Ergebnis der
Verhöre, Folterungen und Morde der sowjetischen Geheimpolizei GPU in
Lagern in Mitteldeutschland waren.
So wurden für die vorgenannten Lager von Schirmer nachfolgende Zah-
len für Todesopfer ermittelt:
Sachsenhausen/Oranienburg 24 600
Buchenwald 21 000
Bautzen 16 000
Hohenschönhausen 9 000
Ketschendorf 19 000
Jamlitz 12 000
Neubrandenburg 18 000
Mühlberg 9 000
Torgau 12 700
Dost 18 400
Schwerin 3 500
Gesamt: 163 200
Die Todeszahlen beziehen sich auf den Zeitraum von Mai 1945 bis Ende
1949.
205
Schirmer spricht so das Schicksal von mehr als 300’000 Deutschen an,
die als Kriegsgefangene in sowjetische Hand kamen, aber nirgendwo wirk-
lich registriert oder vermerkt wurden. Ein Menschenleben, vor allem ein
deutsches, galt nicht besonders viel in jenen Tagen.
Als ich mit meinem russischen Freund Igor 1986 aus anderen Gründen
über die GPU sprach, gab er freimütig zu, dass sicherlich mehrere Millionen
tote Sowjetbürger auf das Konto dieser äusserst brutalen Einheiten gingen,
Menschen, die auch ohne jede Art der Registrierung verschwunden waren.
Auf meine Frage, ob denn nicht die Angehörigen von Verschwundenen
nachgefragt oder öffentlichen Druck ausgeübt hätten, konnte er sich ein
leichtes Lachen nicht verkneifen, ehe er antwortete.
«Wer sich damals bei der GPU einfand, tat das nie freiwillig, und wenn
doch, verschwand er ebenfalls spurlos. Auf diese Art sind ganze Familien
verschwunden, und sogar ihre Geburtsurkunden wurden gelöscht. So ein-
fach war das für Menschen, die alle Machtbefugnisse hatten und haben.»
Damals hielt ich Igors Erklärung für reichlich übertrieben, doch heute,
nach dem Studium der neu aufgetauchten Unterlagen über die Kriegsge-
fangenen und den Aufdeckungen der bisherigen ‚Beschönigungen’, glaube
ich jedes seiner Worte.
Mit dem Jahr 1948 traten die deutschen Kriegsgefangenen in den sowjeti-
schen Lagern in eine neue Phase ein.
Ermittlungen begannen, in deren Zentrum sich plötzlich und ohne jede
Vorwarnung die Angehörigen bestimmter deutscher Einheiten wiederfan-
den. Hierbei spielte es keine Rolle mehr, ob man zuvor bei der Waffen-SS
war oder nicht.
In der UdSSR hatte man inzwischen eine Liste sogenannter ‚gesperrter
Einheiten’ zusammengestellt. Wer nun einer dieser Einheiten zwischen 1941
und 1945 angehört hatte, fand sich plötzlich auf einer besonderen Kriegs-
verbrecherliste wieder.
Als die Kunde dieser Liste in die Gefangenenlager vordrang, entstand
dort bald der Spitzname ‚gesperrte Einheiten’. Der Grund hierfür war ein-
fach, aber für die Betroffenen grausam. Die solcherart ausgesonderten Sol-
daten wurden von der Möglichkeit, bald wieder nach Hause zu kommen,
völlig ausgesperrt. (Liste der ‚gesperrten Einheiten‘ im Anhang)
206
Bald fanden sich zigtausend deutsche Kriegsgefangene nahezu aller
Dienstgrade für eine baldige Heimkehr gesperrt und als politische Verbre-
cher ausgesondert wieder.
Sie wurden aus ihren Lagern verschleppt und in besondere ‚politische
Lager’ oder ‚politische Abteilungen’ anderer Gefangenenlager verfrachtet,
wo sie dann wieder einmal besonderen sowjetischen Verhörtechniken aus-
gesetzt wurden. Die sowjetischen Justizmühlen begannen zu arbeiten. Man
ermittelte gegen diese Kriegsverbrecher, deren einziges Verbrechen es ge-
wesen war, zum falschen Zeitpunkt der falschen Einheit angehört zu haben.
Ab 1949 wurden mehr als 50’000 deutsche Kriegsgefangene in lächerlich-
sten Schauprozessen angeklagt und meist auch verurteilt.
Verfahren oder Prozess sind aber überhaupt keine zutreffenden Begriffe
für das, was man auf sowjetischer Seite darunter verstand.
Bereits die sogenannten ‚Ermittlungen’ waren schlechthin ein Hohn. Zwar
wurden die Beschuldigten durch NKWD- und GPU-Angehörige ständig ver-
hört, doch war es bei den angewandten Verhörmethoden und dem, was
dann als Aussage aufgezeichnet wurde, völlig egal, was ein Gefangener zu
Protokoll gab.
Die Tatsache, dass er einer der ‚gesperrten Einheiten’ angehört und sich
zwischen 1941 und dem Kriegsende irgendwann einmal auf dem Gebiet der
ehemaligen Sowjetunion aufgehalten hatte, genügte völlig, ihm den Pro-
zess zu machen.
Für die sowjetische Justiz stand dann fest, dass der Betroffene «an krie-
gerischen Geschehnissen zustimmend teilgenommen hatte».
Andere Gefangene, die ebenfalls in den Listen auftauchten, aber mög-
licherweise zur betreffenden Zeit an einem anderen Kriegsschauplatz ein-
gesetzt waren, bezichtigte man dann einfach der Spionage. Grund hierfür
war in zahlreichen Fällen einzig die Tatsache, dass der Betroffene zuerst in
amerikanische Gefangenschaft ging und dann an die Rote Armee ausgelie-
fert wurde.
Lag keiner der bereits genannten Gründe vor und wollte man einem Ge-
fangenen dennoch den Prozess machen, war er plötzlich ein Saboteur, der
sein Arbeitssoll nicht erfüllt hatte.
Gründe für die Schauprozesse fand die sowjetische Justiz jener Tage ge-
nug, um einen Deutschen für ewig festhalten zu können.
Die Verhandlungsdauer jener Prozesse betrug selten mehr als zehn Mi-
nuten. Die Urteile standen vorher bereits fest, und einen Verteidiger erhiel-
ten die Angeklagten auch nicht zugeteilt.
207
Der Ablauf einer solchen ‚Gerichtsverhandlung’ war fast immer gleich.
Das ‚Gericht’ bestand meist aus einem höheren Offizier, häufig einem Major,
als Vorsitzendem und zwei Leutnants oder Unterleutnants als Beisitzern.
Weiterhin sassen noch zwei Personen in den Gerichtsbaracken, der Schrei-
ber und ein Dolmetscher. Diese Funktionen wurden häufig von Frauen be-
kleidet.
«Briefsperre und Nach Fragen zur Person hiess es dann meist:
Zwangsarbeit, die «Bei welcher Einheit waren Sie?
den Gefangenen in
Wann waren Sie in der Sowjetunion?»
den Ländern der
Diktatur zusätzlich Die Antworten interessierten dabei eigentlich niemanden in dem Raum.
auferlegt werden, «Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück!»
sind Grausamkei- Das war es dann. Der Gefangene wurde aus dem Raum geführt, wenige
ten, gegen die das Minuten später wieder hinein und bekam sein Urteil verlesen:
Gewissen der in
«Als Angehöriger der ... das sowjetische Territorium betreten und Beihilfe
Freiheit befindli-
chen Menschen
zu Greueltaten gegen das friedliche sowjetische Volk geleistet... hiermit die
nicht stumpfer wer- Todesstrafe! Weil diese abgeschafft ist, wird die Strafe auf 25 Jahre Arbeits-
den sollte, je länger besserungslager festgelegt!»
sie verübt werden.» Der Angeklagte hatte dann noch ein letztes Wort. Fragte einer nach der
Kurt Schumacher Art der Verbrechen, deren er beschuldigt wurde, hiess es meist, «die sind
der ganzen Welt bekannt und müssen hier nicht extra erläutert werden!»
Dann war der nächste ‚Kriegsverbrecher’ an der Reihe.
All das, was man der Justiz im Dritten Reich vorwarf und auch heute noch
vorwirft, praktizierten die Sieger mit noch viel grösserer Perfektion und in
einem von der Weltgeschichte zuvor nie gekannten Ausmass.
«25 Jahre Arbeitsbesserungslager» waren wohl die meistgebrauchten
Worte jener Jahre, und die Verurteilten erfuhren bald darauf meist durch
Kameraden, die ‚Beziehungen’ hatten, aber auch durch Deutsch sprechende
Bewacher, dass es mit den 25 Jahren noch lange nicht abgetan sei.
Wenn diese Strafe als verbüsst galt, wurde gleich eine nächste Strafe von
mindestens 10 Jahren ‚administrativ’ angehängt, überlebte man auch das,
folgte die nächste ‚administrative’ Strafe und so weiter.
Den Gedanken daran, jemals wieder die Heimat zu sehen, konnten die
meisten Verurteilten rasch wieder vergessen, denn ihre Chancen darauf wa-
208
ren nach diesen Schandurteilen als äusserst gering anzusetzen. Das war bald
auch dem letzten Optimisten klar.
So verfuhr die sowjetische Justiz bereits seit dem Sieg der Kommunisten
mit allen unliebsamen Menschen, nicht nur mit den Kriegsgefangenen.
Viele der in den Jahren 1949/50 verurteilten deutschen Kriegsgefange-
nen traten bald darauf die lange Reise nach Sibirien an. Dort lagen die Edel-
metallvorkommen der Sowjetunion; die primitiven Arbeitsbedingungen
dort forderten täglich ihre Opfer, für die man menschlichen Nachschub be-
nötigte.
Für die verhassten Deutschen genau der richtige Ort, um ihre ‚Greuel am
friedliebenden Sowjetvolk’ zu büssen.
Doch wie konnten die Betroffenen diese neue Situation überhaupt ver-
arbeiten?
Wie konnte man mit dem Gedanken leben, nie wieder die Heimat zu se-
hen, und unter schlimmsten Bedingungen, bei einem Verpflegungssatz von
800 Kalorien am Tag, die Gefangenschaft eigentlich überstehen?
Ich habe mir selber, aber auch zahlreichen Spätheimkehrern diese Frage
immer wieder gestellt und bin dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich
diese Gefangenen nach den Verurteilungen grob in drei Gruppen spalteten.
Da war die Masse derjenigen, die sich diesem neuen Schicksal einfach
ergaben und jeden neuen Tag so nahmen, wie er sich ihnen bot.
Die zweite, wohl etwas kleinere Gruppe, gab auch in dieser ausweglos
erscheinenden Lage die Hoffnung, dass sich alles irgendwann zum Besseren
wenden müsse, nicht auf und achtete darauf zu überleben.
Die dritte Gruppe, wohl nur eine Randgruppe, wollte ‚um jeden Preis’
überleben und irgendwie dieser Situation entkommen. Hierbei sah sie ihre
einzige Möglichkeit in einer Zusammenarbeit mit den Sowjets.
Hinzu kamen noch die Einzelgänger, die immer wieder von Fluchtgedan-
ken getrieben wurden und manchmal auch die wahnwitzigsten Fluchtver-
suche starteten.
Davon, dass jemand nach 1948 einfach aufgab und beispielsweise Selbst-
mord beging, ist mir nichts bekannt geworden. Der Lebenswille war stets
stärker.
209
1950 traten zahlreiche Gefangene in der Sowjetunion wiederum in eine
neue Phase ihrer Gefangenschaft ein. Die Lager in Mitteldeutschland wur-
den endgültig geräumt und die meisten der dort noch Einsitzenden kamen,
entgegen allen anderen Meldungen jener Jahre, in die Lager nach Sibirien,
in die Tundra oder nach Asien, also möglichst weit weg.
Die Bundesrepublik und die DDR existierten bereits. Beide Staaten
schielten schon wieder auf die Weltbühne, um sich ihren Platz dort zu si-
chern, doch für die eigenen Landsleute in Kriegsgefangenschaft schien sich
niemand mehr zu interessieren.
210
werden in der amerikanischen und der britischen Besatzungszone
einige hundert ehemalige Nationalsozialisten verhaftet.
Werner Heisenberg erklärt öffentlich, die UdSSR habe nach Kriegs-
ende mit hohen Geldversprechen deutsche Atomphysiker ange-
worben.
25.2. Der Alliierte Kontrollrat löst das Land Preussen auf.
1.3. Die SED ruft zu einem ‚Volksentscheid für die Einheit Deutschlands’
auf.
Vier Betriebe der deutschen Stahlindustrie werden aus britischer
Kontrolle entlassen und unter britischer Mitbestimmung als deut-
sche Unternehmen weitergeführt.
22.3. Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Biele-
feld.
27.3. Der österreichische Aussenminister Gruber erklärt, dass ein Frie-
densvertrag, der die Abtretung Kärntens an Jugoslawien beinhaltet,
für sein Land unannehmbar sei.
29.3. Die Lebensmittelzuteilung in der britischen Zone beläuft sich nur
auf 1050 Kalorien pro Tag, weshalb es im Ruhrgebiet zu Demon-
strationen der hungernden Arbeiter kommt.
4.4. Jugoslawien fordert von Österreich die Zahlung von 150 Millionen
Dollar an Reparationsleistungen.
10.4. Die USA erklären sich damit einverstanden, dass Frankreich das
Saargebiet wirtschaftlich integriert, für das Ruhrgebiet wird dies ab-
gelehnt.
18.4. Die britische Marine sprengt die Befestigungen und den Hafen auf
Helgoland
21.4. Die drei Westalliierten vereinbaren Kohlelieferungen als Entschädi-
gung vom Saargebiet und vom Ruhrgebiet an Frankreich.
24.4. Sechs ehemalige Angehörige der Waffen-SS, denen man unge-
rechtfertigt die Zerstörung von Lidice vorwirft, werden hingerichtet.
211
9.5. Im Hamburger Hafen treten die Arbeiter in einen Streik, da die
Lebensmittelrationen unter 1‘500 Kalorien pro Tag liegen. In an-
deren deutschen Grossstädten, wie etwa in Wuppertal, liegen
die Kalorienwerte bei 650 und weniger pro Tag.
27.5. Im bayerischen Landsberg werden 22 der im Mauthausen-Pro-
zess Verurteilten hingerichtet.
29.5. Die Wirtschaftsverwaltung der Bizone geht in deutsche Hände
über.
30.5. Abschluss der Verstaatlichung aller Bergwerke in der sowjeti-
schen Besatzungszone.
5.6. George Marshall kündigt in der Harvard-Universität den Beginn
des Marshall-Planes an, der einen Hilfsplan für Europa darstellt.
6.6. Die Konferenz der deutschen Ministerpräsidenten beginnt in
München.
14.6. Die sowjetische Militärverwaltung überträgt der Deutschen
Wirtschaftskommission wirtschaftliche Befugnisse in der Ostzo-
ne.
25.6. Der Wirtschaftsrat der Bizone konstituiert sich.
21.7. In der sowjetischen Besatzungszone erhalten die ehemaligen
Provinzen Brandenburg und Sachsen-Anhalt den Status von
Ländern.
6.8. Das nordrhein-westfälische Gesetz zur Sozialisierung des Koh-
lebergbaus wird angenommen und von der Militärregierung
genehmigt.
10.8. Der amerikanische Militärgouverneur Clay gibt offiziell bekannt,
die deutsche Rüstungsindustrie in der US-Zone sei abgebaut
und acht Millionen deutscher Kriegsgefangener seien wieder
frei.
30.9. Gründung der Kominform in Warschau.
10.10. Die sowjetische Militärverwaltung befiehlt höhere Arbeitspro-
duktion in ihrer Besatzungszone und kündigt den Kampf gegen
sogenannte ‚Bummelanten’ an.
212
16.10. In der Bizone wird eine neue Demontageliste veröffentlicht.
3.11. Beginn des sogenannten ‚Wilhelm-Strasse-Prozesses’ vor dem
amerikanischen Militärgericht in Nürnberg.
17.11. In Nürnberg beginnt der Prozess gegen Alfried Krupp von Boh-
len und Halbach.
27.11. In Berlin wird zwischen der Bizone und der sowjetischen Besat-
zungszone ein Abkommen über Warenaustausch abgeschlos-
sen.
6.12. Tagung des ‚Ersten Deutschen Volkskongresses’ in Berlin.
10.12. Der amerikanische Aussenminister George Marshall fordert die
UdSSR auf, die Demontage deutscher Firmen in der sowjeti-
schen Besatzungszone sofort zu beenden.
11.12. Auf der Aussenministerkonferenz der Siegermächte in London
wird die deutsche Stahlproduktion auf 11,5 Millionen Tonnen
jährlich festgesetzt.
213
Gulag
und was dann?
217
Die westalliierte Nachkriegspropaganda hatte ihr Ziel der krassen
Schwarz-Weiss-Malerei erreicht. Die Westmächte waren die Guten, und im
Osten sassen die Bösen, während man mit dem Dritten Reich die Abartigen
besiegt hatte. So sei es! Oder so sollte es zumindest nach amerikanischer
Vorstellung sein.
Doch dann, Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre, kam
der wirtschaftliche und in seiner Folge auch der politische Zusammenbruch
des Kommunismus. Archive im Osten öffneten sich und brachten plötzlich
Informationen an den Tag, die vieles in unserer jüngeren Vergangenheit auf
einmal völlig anders aussehen lassen und in den kommenden Jahren auch
noch aussehen lassen werden.
Jetzt, dank neuer Informationsquellen, setzte auch wieder ein historischer
Forscherdrang ein, der Jahrzehntelang, mangels neuer Beweise, einfach
brachgelegen hatte.
Heute wissen wir nun, dass die zahlreichen Erlebnisberichte aus den La-
gern, ebenso wie Solschenizyns Buch, der Wirklichkeit des ‚Gulag-Lebens’
entsprachen und dass wir über tatsächliche Zahlen von Gefangenen, De-
portierten, Misshandelten, Getöteten und Verschleppten seit Kriegsende
stets so informiert wurden, wie es unseren Besatzern und späteren Freun-
den, den Amerikanern, Briten und Franzosen, genehm war.
Als mit der deutschen Annäherung an den Osten unter den Regierungen
Brandt und Schmidt auch in diese Richtung freundlichere Töne angebracht
waren, drückte sich dies wieder in Zahlen aus, in Zahlen, die Menschen be-
trafen, genauer gesagt Kriegsgefangene.
Es entstand eine wissenschaftliche Buchreihe im Auftrag der Regierungen
in Deutschland, der man mit dem heutigen Wissensstand unschwer anse-
hen kann, dass sie bei nahezu allen Zahlenwerten, die einer der Sieger-
mächte wehtun könnten, ‚geschönt’ wirkt, wie man das in unserer Zeit so
vornehm ausdrückt.
Zur weiteren Verwirrung der bereits nichtrealen Zahlen tragen auch noch
zahlreiche Änderungen und Nachträge bei, so dass der Student, der in sei-
ner Universitätsbibliothek diese als «Standardwerk zur Geschichte der deut-
schen Kriegsgefangenen» bezeichnete Buchreihe als Grundlage für seine
Arbeiten benutzt, bald nicht mehr weiss, welche der angegebenen Zahlen
denn noch stimmt und welche nicht.
218
Noch verwirrter wird er dann, wenn er zu den gleichen Themen auf ver-
schiedenen Seiten auch noch unterschiedliche Zahlenwerte findet oder Pro-
zentangaben verarbeiten soll, bei denen jede zeitliche Zuordnung fehlt.
ERRATA
Seite 47, Zeile 22: Lies statt 2,9%: 42,9%; Zeile 29: Lies statt 13,1%: 16,7%; Zeilen 31-33: Setze
nach «Zwischenergebnissen* den Schlusspunkt des Satzes und streiche den Rest
des Satzes bis einschliesslich ‚anzusehen ist‘ in Zeile 33.
Seite 49, Zeile 18: Lies statt 170’000: 100’000: Zeile 26: Lies statt 3‘460’000: 3‘390’000) Zeile
27: Lies statt 305’000: 235’000) Zeile 28: Lies statt 8,7%: 6.9%.
Versehentlich wurde an drei Stellen der Prozentsatz 35 auf die West-Heimkehrer bezogen statt
auf die Gesamttransporte (Seite 145, Zeile 1/2, Zeile 42 und Seite 148, Zeile 13). Daraus ergeben
sich im Einzelnen folgende Berichtigungen:
Seite 145, Zeile 1: 22‘400 statt 14 560; Zeile 2: 64’000 statt 41‘600; Zeile 3: 64’000 statt 56‘160;
Zeile 7: 64’000 statt 56‘160; Zeile 8: 1‘106‘418 statt 1‘098‘578; Zeile 12: 832‘645 (rd.
833’000) statt 840‘485 (rd. 840’000); Zeile 13; 1‘106‘418 statt 1‘098‘578; Zeile 42:
156‘370 statt 101‘640 und 446‘770 statt 290‘400; Zeile 43: 446‘770 statt 392‘040. Fer-
ner in Fussnote 4 (Zeilen 3/4): rd. 1‘800 mehr statt rd. 5‘500 weniger.
Seite 146, Zeile 3; 833'000 statt 840’000; Zeile 4: 447'000 statt 392’000;
Zeile 5; 386'000 statt 448’000; Zeile 27:386'000 statt 448’000.
Seite 147, Zeile 3: 386'000 statt 448’000; Zeile 21: 447'000 statt 392’000;
Zeile 23: 616’000 statt 561’000; Zeile 25: 388'000 statt 443’000.
Seite 148, Zeile 8: 64’000 statt 56 160; Zeile 13: 29 221 statt 18 994 und 10 227 statt 6 648; Zeile
14: 966 120 statt 954 701; Zeile 15: 966’000 statt 955’000; Zeile 24: 966’000 statt
955’000 und 76’000 statt 64’000; Zeile 25: 18’000 statt 6’000.
Seite 149, Zeile 19: 616’000 statt 561’000; Zeile 20: 966’000 statt 955’000; Zeile 21: 1‘582’000
statt 1‘516’000; Zeile 27: 1‘582’000 statt 1‘516’000 und 479‘003 statt 545’000; Zeile
29: 833’000 statt 840’000 und 447’000 statt 392’000; Zeile 31: 386’000 statt 448’000
und 93’000 statt 97’000; Zeile 33: 966’000 statt 955’000; Zeile 34: 1‘970‘094 = rund
1‘970’000 statt 1‘958‘974 = rund 1‘959’000; Zeile 35: 91’000 statt 102’000; Zeile 38: Vergrösserte Kopie
29‘221 statt 25‘642 und 1‘968‘284 statt 1964 705; Zeile 39: 92‘716 (rund 93’000) statt der nachträglichen
96‘295 (rund 96’000).
Zahlenänderungs-
Seite 150, Zeile 6: I‘970’000 statt 1‘959’000. beilage zu Band VII
Seite 151, Zeile 9; 1‘970’000 statt 1‘959’000) Zeile 11: 75’000 Mann (rd. 2,4 Prozent) statt 86’000 der Maschke-Reihe
Mann (rd. 2.7 Prozent). mit dem Titel ‚Die
deutschen Kriegs-
gefangenen in sow-
jetischer Hand.
‚Eine Bilanz’ von
Kurt. W. Böhme
219
Doch diese Desinformation über echte Zahlenwerte zieht sich, wie bereits
mehrfach in diesem Buch angesprochen, wie ein roter Faden durch alle Zah-
len, die sich auf Menschen und ihre Schicksale während des Zweiten Welt-
krieges und danach beziehen. Fairerweise muss man aber auch erwähnen,
dass in der vorgenannten Buchreihe die Erfassung und Beschreibung der
Lagerstandorte der sowjetischen Gefangenenlager recht gelungen ist.
Diese Informationen, zusammen mit dem neuen Wissensstand, geben
uns auch einen Überblick über den gewaltigen Moloch ‚Gulag’, der in der
UdSSR nicht erst während des vergangenen Krieges entstand, sondern be-
reits wenige Jahre nach der Machtübernahme in Russland durch die Kom-
munisten.
Während die Lager bis 1943 noch relativ klein waren und meist hinter
dem Ural oder im Nordosten versteckt vor der Umwelt lagen, entstanden
ab 1944 durch den immer grösser werdenden Anfall von Kriegsgefangenen
riesige Sammel- und Verteilerlager, die bald eine Welt für sich bildeten.
Wie sehr die Kriegsgefangenen das Lagerwesen dann ab 1945 beeinflus-
sten, gibt Solschenizyn in seinem Buch wie folgt wieder:
«Jenes Frühjahr 1945 war in unseren Gefängnissen vornehmlich ein Früh-
jahr der Kriegsgefangenen. Wie die Heringszüge im Ozean, so durchzogen
sie, ein unübersehbarer dichter grauer Strom, die Gefängnisse der Union.»
Weiter unten berichtet er dann auch, dass es nicht nur gefangene Solda-
ten waren, die nun in die Lager und Gefängnisse kamen, sondern eigentlich
alle, die Stalin unbequem werden konnten:
«Nicht nur Kriegsgefangene passierten die Zellen, ein Strom hatte zu
fliessen begonnen, der alle erfasste, die in Europa gewesen: die Emigranten
der Bürgerkriegszeit; die Ostarbeiter des Krieges mit Deutschland; die Offi-
ziere der Roten Armee, die in ihren Schlussfolgerungen zu scharf waren und
zu weit damit gingen...»
Somit liefert Solschenizyn hiermit auch bereits unbewusst die Bestäti-
gung für die Aussagen zahlreicher Spätheimkehrer, dass sich nicht nur
Kriegsgefangene in den endlosen Zügen befanden, die 1945 und 1946 nach
Osten rollten, sondern auch zahlreiche ehemalige Gefangene der Wehr-
macht, deren Tod man uns heute noch ‚in die Schuhe schiebt’.
Ebenso haben sich in den Transporten auch zahlreiche ehemalige Insas-
sen von Konzentrationslagern befunden, die sich durch die Rote Armee ei-
220
gentlich ihre Befreiung erhofft hatten, doch statt in die Heimat dann nach
Osten verladen wurden.
Bei einem meiner Gespräche 1986 in Moskau wurde mir das auch bestä-
tigt, denn nach den Greuelmeldungen über die ersten Konzentrationslager
wurden die Sowjets allen Überlebenden gegenüber besonders misstrauisch,
und das genügte bereits, sie erst einmal weit ins Landesinnere zu verbrin-
gen.
Besassen sie ausserdem noch die Nationalität eines zur UdSSR gehören-
den Landes, kamen sie sowieso in ein Gefängnis. Dies bestätigt ja auch Sol-
schenizyn aus eigenen Erfahrungen.
So ist davon auszugehen, dass weitaus mehr Menschen aus Deutschland
als die bisher stets mit 3,7 oder 3,8 Millionen angegebenen Kriegsgefange-
nen wirklich nach Osten kamen.
Nachdem das Oberkommando der Roten Armee in eigenen Statistiken –
«Es gibt keine Ent-
sie sind inzwischen in Moskau grossenteils einzusehen – bereits am 4. Mai
schuldigung dafür,
1945 eine Gesamtzahl von 3‘180’000 Kriegsgefangenen angegeben hatte, dass noch im achten
danach aber noch mindestens 1,4 Millionen weitere Gefangene eingebracht Jahr nach der Been-
wurden, kann man heute davon ausgehen, dass mehr als 4,5 Millionen Men- digung der Kriegs-
schen – Soldaten und Zivilisten – aus Deutschland in die UdSSR verbracht handlungen Kriegs-
wurden und so dem ‚Gulag’ eine völlig neue Dimension gaben. gefangene zurück-
Die Kommandowege wurden immer weiter und verzweigter, ebenso die gehalten werden.»
Versorgungswege, und wer sich auch nur ein wenig über die sowjetischen Kurt Schumacher
Kommandostrukturen in der Stalinära informiert hat, der weiss, dass ohne
schriftlichen Befehl, mit möglichst vielen Stempeln aus Moskau, meist gar
nichts ging.
Ebenso erfährt man dann auch, dass die einzelnen Lagerkommandanten
in ihren Bereichen wie kleine Herrgötter regieren konnten, denn eine Be-
schwerdemöglichkeit am Kommandanten vorbei gab es nicht, und das
Wachpersonal, meist einfache Arbeiter und Bauern, tat alles, was der Vor-
gesetzte anordnete, meist, ohne lange darüber nachzudenken. Das grösste
Problem stellte sich in den Jahren 1945/46 in Form der Ernährung dar.
Gerechterweise muss man anerkennen, dass nicht nur die Gefangenen in
vielen Lagern hungerten, sondern häufig auch ihre Wächter: Wenn aus or-
ganisatorischen Gründen ein Verpflegungstransport ausblieb, so fehlten
diese Nahrungsmittel natürlich in allen Bereichen.
Selbstverständlich sorgten die Bewacher zuerst für sich selbst.
221
Das ist nur natürlich in der menschlichen Gedankenwelt, schliesslich waren
sie ja die Sieger und die Gefangenen die Besiegten.
Gerade im Jahr 1945 war die Versorgungslage in der UdSSR auf einem
Tiefpunkt angelangt.
«‚Kategorisierung’ Über die Ukraine, die Kornkammer der Sowjetunion, war der Sturm des
bedeutete die Eintei- Krieges hinweggefegt, und die Panzerschlachten hatten das Ackerland
lung der Gefangenen schwer geschädigt. Die Speicher und Kornkammern waren von verblende-
in Gesundheitsstu- ten deutschen Versorgungsoffizieren beim Rückzug angezündet, von den
fen, die von einem vorpreschenden sowjetischen Panzerspitzen in Brand geschossen oder von
russischen Arzt vor-
der Roten Luftwaffe zerbombt worden.
genommen wurde,
um die Tauglichkeit
Zurückgeblieben war das, was wir heute als ‚verbrannte Erde’ bezeichnen.
zum Arbeitseinsatz Dazu noch die Belastung mit mehr als 4,5 Millionen zusätzlichen Men-
festzustellen. Katego- schen, die als Arbeitskräfte auch irgendwie ernährt werden mussten. Da
rie 1 = sehr guter Zu- konnten schon Engpässe entstehen, doch hier zeigte sich auch das mensch-
stand; 2 = brauchbar; liche Improvisationstalent in vielen Bereichen.
3 = genügend. ‚O.k’ Aus Kartoffelschalen wurde ein Eintopf gekocht, den wenigen Wodka
hiess soviel wie: verlängerte man mit heimlich abgezapftem Sprit, und Teesatz wurde ge-
‚Ab zum Erholungs-
raucht, selbst Gras erwies sich als essbar und, wenn man es nur lange genug
kommando!’ Die so
an der Sonne trocknete, auch noch rauchbar. Alles Dinge, die wir uns heute
Eingestuften litten
häufig unter Dystro- kaum noch vorstellen können; dennoch halfen sie in jenen Jahren vielen
phie. .., die unter den Gefangenen, die schlimmsten Hungertage zu überstehen.
gegebenen Umstän- Der Hunger war der Feind und gleichzeitig der Todesbringer Nummer 1
den oft zum Tode im Gulag, es folgten mangelnde Hygiene und überharte Arbeitsbedingun-
führte.» gen.
Gert Schwager, in Die Sterblichkeit der Kriegsgefangenen war in den Jahren 1945/46 in den
‚lm Herzen die sowjetischen Lagern am höchsten. Dies war ein Ergebnis der Strapazen und
Heimat’.
der daraus resultierenden Schwächungen durch Märsche und Transporte
und der dann weiterhin folgenden Unterernährung. In zahlreichen Lagern
betrug die tägliche Kalorienmenge oft wochenlang 600 bis 800 Kalorien;
diese setzten sich noch meist aus den Fettaugen zusammen, die in der un-
definierbaren Eintopfbrühe schwammen, die es fast täglich gab.
Hinzu kam die miserable ärztliche Versorgung in der Sowjetunion im All-
gemeinen und der Kriegsgefangenen im Besonderen.
Für mehr als 4,5 Millionen Gefangene gab es insgesamt 166 Kriegsgefan-
genenhospitäler, von denen 90% aber diese Bezeichnung nicht verdient
222
hatten, denn es waren reine Sterbehäuser, wie alle befragten Spätheimkeh-
rer einhellig berichteten.
Die wenigen Ärzte und Pfleger waren meist damit beschäftigt, die
Schmerzen der Kranken ein wenig zu lindern, bis sie verstarben. Für
grössere Operationen oder Heilprozesse fehlte nahezu jegliches Material,
und auch an Schmerzmitteln wurde überall gespart. Die chirurgische Tätig-
keit beschränkte sich in vielen Fällen auf Amputationen als letztes Mittel,
um so die eiternden und von Wundbrand angegriffenen Körperteile Ver-
letzter zu entfernen, ehe sich die Infektion weiter ausbreiten konnte.
Da auch in den Hospitälern die Ernährung nicht mit der heutiger Kran-
kenhäuser zu vergleichen war, kann sich auch ein medizinischer Laie leicht
ausrechnen, welche Überlebenschance ein unterernährter Patient mit ho-
hem Fieber nach einer Amputation noch hatte, wenn er mit 800 bis 900
Kalorien pro Tag ernährt wurde.
Anhand der offiziellen Statistik eines Gefangenenlagers in Estland kann
man bereits unschwer erkennen, welche lebensbedrohenden Umstände als
häufigste Krankheitsauslöser auftraten.
Auflistung der Todesursachen in den sowjetischen Gefangenenlagern am
Beispiel des Lagers Achtme/Estland:
Todesursache Prozentzahl
Apoplexie 0,3
Diphtherie 0,1
Dysenterie 12,8
Dystrophie 26,0
Erschossen 5,0
Herzkrankheiten 0,6
Ileus, App. 1,8
Lebererkrankungen 0,1 «□ c
cö co
Meningitis 5,0
Nephritis 1,1 o _C
Pneumonie 24,3
’o
Selbstmord 0,3
Sepsis 5,1
-C u
C0
Tuberkulose 10,5
s
Tumore 0,5
ö
C
Typhus 1,5 D□
o
X. ___
Unfälle 5,0
223
Mit 26,0% lag als Todesursache die Dystrophie, also die völlige Unterer-
nährung, an erster Stelle, gefolgt von Pneumonie, also Lungenerkrankung
durch Bakterien, Viren, Allergien, aber auch toxikologisch mit 24,3%, an drit-
ter Stelle folgte die Dysenterie, auch als bakterielle Ruhr bezeichnet, mit
12,8%.
63,1% der Todesfälle waren also Folgen von Unterernährung, schlechten
Lebensmitteln und absolut tödlichen hygienischen Lebensbedingungen.
War ein Gefangener erst einmal stark erkrankt, und bei leichteren Krank-
heitszuständen erfolgte selten eine Verlegung in ein Hospital, endete seine
Hunger- oder Infektionserkrankung häufig mit dem Tod.
Natürlich kann man dies eine Krankenhaus nicht als repräsentativen
Querschnitt ansehen, denn es lag in Estland und nicht in Sibirien oder Asien,
wo die Bedingungen in jenen Hospitälern noch weitaus schlechter als in
Estland waren. Im Baltikum wurden von der Roten Armee meist ehemalige
Krankenhauseinrichtungen der Wehrmacht komplett übernommen, und die
Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen waren dort auch wesentlich
besser als östlich von Moskau.
224
Hinzu kam, dass in vielen Lagern in den Krankenstationen in Gefangen-
schaft geratene deutsche Ärzte mitarbeiteten; zu denen hatten die Kriegs-
gefangenen oft mehr Vertrauen als zu den Sowjetärzten, und so blieben sie
lieber im Lager, um dann dort dennoch zu sterben, denn Medikamente wa-
ren äusserst rar.
Auch war in anderen Hospitälern, vor allem in Regionen, in denen die «In Tambow. . .
Gefangenen im Bergbau, bei Waldarbeiten oder mit anderen gefährlichen überlebten nur fünf-
Tätigkeiten beschäftigt wurden, die Prozentzahl für Unfälle wesentlich hö- zig (50) Italiener
her. von fünfzehntau-
send (15’000), und
Langzeiterkrankungen, wie etwa Folgen von Verstrahlung im Uranberg-
fast zwanzigtau-
bau, wurden gar nicht berücksichtigt, weil in jenen Jahren noch kaum er-
send (20’000) Fran-
forscht. Auch starben weitaus mehr Kranke in den Lagern selber als in den zosen, die aus ver-
Hospitälern, weil die Krankheit nicht gleich erkannt wurde oder die Verant- schiedenen Grün-
wortlichen den Erkrankten als Simulanten einstuften und dann meist noch den in Gefangen-
mit Bestrafungen bedachten, die den vorzeitigen Tod förderten. schaft gerieten, ka-
Wegen der hohen Sterblichkeitsrate war auch jedem Kriegsgefangenen- men in Russland
hospital ein eigener Friedhof angegliedert, der bis Ende 1946 häufig erwei- um, ohne dass sie
tert werden musste. als solche verzeich-
net wurden.»
Da diese Todeszahlen nicht gesamtstatistisch erfasst wurden und man in
André Bayle, in
den Kriegsgefangenen-Hospitälern nach sowjetischer Auskunft auch Zivili- ‚Von Marseille bis
sten und manchmal Wachpersonal behandelte, lässt sich heute nicht mehr Nowosibirsk‘.
genau feststellen, wieviele Kriegsgefangene dort ihr Leben liessen und hin-
ter den Hospitälern begraben wurden. Die Gesamtzahl dürfte auf alle Fälle
sechsstellig sein.
Listen der Hospitäler und der Gefangenenfriedhöfe befinden sich im An-
hang. Sie wurden dem Band VII der Maschke-Reihe mit dem Titel Die deut-
schen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand, Eine Bilanzvon Kurt W. Böhme
entnommen: Allerdings wurden die dort angegebenen Zahlen über Gräber
und Tote teilweise überarbeitet, da sich bereits nach einer ersten oberfläch-
lichen Überprüfung ergab, dass zumindest die stichpunktartig überprüften
Zahlen wesentlich zu niedrig lagen.
Im Jahr 1947 trat laut Aussagen von Heimkehrern und Spätheimkehrern
dann vorübergehend eine leichte Verbesserung der Versorgungslage in den
sowjetischen Lagern ein.
Hierzu trug in vielen Fällen auch das freundschaftliche Verhältnis bei, das
sich zwischen Kriegsgefangenen und den Bewohnern der umliegenden Ort-
schaften angebahnt hatte.
225
Vor allem in der Westregion arbeiteten zahlreiche Gefangene im Som-
mer auch im Ernteeinsatz oder halfen in anderen Bereichen der Landwirt-
schaft mit. In anderen Regionen wurden Gefangene zu Strassen- oder an-
deren Bauarbeiten herangezogen und bekamen so Kontakt zu der Bevölke-
rung, die auch nicht wesentlich besser lebte als die Menschen in den Lagern,
denn zahlreiche der Dörfer in Lagernähe, vor allem im hohen Norden, in
Kasachstan und Asien waren von den sogenannten ‚Freien’ erbaut worden.
Dies war die Bezeichnung für entlassene Gefangene aus den Lagern, de-
nen man aber die Heimreise untersagt hatte. Das gab es bereits seit den
zwanziger Jahren in der Sowjetunion.
Hier entstanden dann menschliche Bindungen, die nicht nur Leben ret-
teten, sondern auch über Jahrzehnte hin, weit über das Gefangenen leben
hinaus, hielten.
So beispielsweise auch bei dem Journalist und Autor Horst Schüler, der
im Jahre 1992 zusammen mit einer Journalistengruppe nach Workuta reiste,
wo er die Jahre von 1951 bis 1955 in Gefangenschaft verbracht hatte.
Gerade die Öffnung der UdSSR nach 1990 zeigt uns heute, dass die zahl-
reichen Berichte und Veröffentlichungen der Spätheimkehrer von einer be-
stechenden Genauigkeit sind, die sich auch heute, 40 Jahre danach, noch
nachvollziehen lässt.
Vier Jahrzehnte lang haben zahlreiche Historiker und Politiker in unserem
Land diese Berichte und Veröffentlichungen als «übertrieben und aus der
Situation des Gefangenen entstellt» angesehen und auch dementspre-
chend gewertet.
Heute weiss man, dass diese Berichte weitaus realistischer und glaubhaf-
ter sind als das meiste, was nach Kriegsende über diesen traurigen Bereich
der deutschen Geschichte je von offizieller Seite gedruckt und veröffentlicht
wurde.
Natürlich stellt jeder dieser Berichte das Erleben eines einzelnen Men-
schen dar, doch in vielen Punkten gleichen sich Aussagen so oft, dass man
sie einfach als repräsentativ werten muss.
Wenn beispielsweise hundert oder mehr Befragte aussagen, dass es an
einem bestimmten Tag in einem bestimmten Lager kein Essen gegeben hat
und sich nicht eine anderslautende Aussage eines Zeitzeugen beibringen
lässt, dann kann man davon ausgehen, dass es an diesem Tag dort wirklich
nichts zu essen gab, auch wenn offizielle russische Berichte das Gegenteil
belegen und sogar noch einen Speiseplan für den Tag abdrucken. Es ändert
226
auch nichts an der Tatsache, wenn offizielle deutsche Stellen diesen Speise-
plan der Sowjets dann in einem Archiv bewahren und eine wissenschaftliche
Kommission dies dann auch noch mit Statistiken und anderen Dokumenten
untermauert.
Die Tatsache, dass es an diesem Tag dort nichts zu essen gab, wird den-
noch stets eine Tatsache bleiben und sich aus der Geschichte nicht ‚hinweg-
dokumentieren’ lassen.
Dieses Verfahren des offiziellen ‚Hinwegdokumentierens’ ist es aber, das
meiner Generation und der nachfolgenden eine wirkliche Wahrheitsfindung
immer schwieriger macht.
Was oder wem soll man denn noch glauben, wenn man erfahren will, wie
und wo der nach seiner Heimkehr inzwischen verstorbene Vater von 1945
bis 1955 gelebt hat?
Was soll ich meinem eigenen Sohn sagen, wenn er mich beim zufälligen
Hören des Wortes Tambow in der Schule dann fragt:
«Du, Papa, dort war doch auch Opa. Warum war er da, und was hat er
dort eigentlich gemacht?»
Soll ich ihm sagen:
«Dein heissgeliebter Opa war ein Kriegsverbrecher, weil er als Soldat sei-
ne Pflicht tat, und deshalb wurde er zu 25 Jahren Haft in der UdSSR verur-
teilt, von denen er zehn Jahre absitzen musste.»
Das würde er mir mit Sicherheit nicht glauben, obwohl es die offiziellen
Berichte so ausdrücken, denn er kennt seinen Opa, und dann würde er den
fragen. Opa würde ihm dann natürlich erzählen, wie er nach Tambow kam,
was er dort erlebte, wie er in anderen Lagern gequält und geschlagen und
dann heimgeschickt wurde.
Und was würde mein Sohn dann über mich denken?
Das Gleiche, was inzwischen Tausende von Jugendlichen über ihre Eltern
denken:
«Die lügen doch! Der Opa, die Oma oder der Onkel haben das alles doch
ganz anders erzählt!»
Mich würde dann, bei dieser immer schlimmer werdenden offiziellen
Fehlinformation wider besseren Wissen, nicht verwundern, meinen Sohn ir-
gendwann einmal mit kahlgeschorenem Kopf und erhobenem rechten Arm
einem falschen und gefährlichen Mythos nachrennen zu sehen, der nur wei-
terlebt, weil wir, die Menschen der Nachkriegsgeneration, nicht in der Lage
227
sind, die Wahrheit aus diesem Wust von Verfälschungen, Falschinterpreta-
tionen und gezielten Verheimlichungen herauszufiltern und klar zu machen
–, so war die Geschichte wirklich – so, und nicht anders!
Dies betrifft auch und vor allem den Bereich des Lagerlebens der Kriegs-
gefangenen in allen Ländern, und darüber ist im Westen, wie wir inzwischen
wissen, noch weitaus mehr gelogen worden als im Osten. Doch auch hier
weisen die offiziellen Quellen erschreckende Verharmlosungen auf, die
beim nicht ausreichend informierten Leser den Eindruck erwecken sollen,
dass so ein Lagerleben eigentlich gar nicht so schlimm war, wie die Spät-
heimkehrer behauptet haben.
Von Freizeitgestaltung ist dort die Rede, Büchereien werden aufgezählt,
über Erholungsheime wird berichtet und so der Eindruck eines Lagerlebens
gezeichnet, bei dem die Gefangenen nach dem Frühstück zu ihrem Arbeits-
platz gingen, dann acht Stunden dort arbeiteten, gegen 18 Uhr wieder
heimkamen und sich dann ihrer Freizeit oder der Post der Lieben von da-
heim widmeten.
An den Wochenenden fanden Freizeitgestaltungen in Form von musika-
lischen Abenden, Theaterveranstaltungen oder Chorvorträgen statt. Wer
dazu keine Lust hatte, konnte eines der zahlreich aufgeführten Spiele nut-
zen oder ein gutes Buch aus der Lagerbibliothek lesen, wenn er die Lager-
zeitung bereits auf die neuesten Nachrichten hin durchgeblättert hatte. War
ihm dann nicht ganz wohl oder fühlte er sich krank, konnte er eines der
angebotenen Krankenhäuser oder Erholungsheime nutzen.
Wie wir heute wissen, ist es mehr als nur zynisch, ein solches Bild von der
Kriegsgefangenschaft im Allgemeinen und besonders im Osten zu malen;
ein solches Bild ist ein Schlag ins Gesicht jedes ehemaligen Gefangenen.
Wie sich das Leben im ‚Gulag’ für die Betroffenen zwischen 1945 und 1955
wirklich abspielte, liest sich in den zahlreichen Veröffentlichungen wie folgt:
228
Erfrierungen Gezeichneten, an die von Brandwunden Entstellten und von
Wachhunden übel Zugerichteten, an die geröteten Gesichter und ängstlich
geweiteten Augen der Herzkranken und an die Kopfverbände derer, die sich
bei Arbeitsunfällen den Schädel verletzten. Ich habe hier im Pavillon 1 b
Männer gesehen, die nur aus einem einzigen riesigen, schwappenden
Phlegmon zu bestehen schienen, Männer, die bereits verfault, aber ihrer
Sinne noch mächtig waren. Es gibt Kranke unter uns, deren ganze Haut der
eines Fisches ähnelt, Schuppe an Schuppe. Unter uns sind auch solche, die
nur dann etwas verstehen, wenn man ihnen ins Ohr schreit. Sie sind schwer-
hörig geworden und voller Misstrauen gegenüber ihrer Umwelt. Dem Plenni
Georg Küppers hat man in einem Elendslager bei Woroschilowsk mit der
Kneifzange erfrorene Zehen amputiert...»
Das zeigt uns, wann man wirklich in ein Hospital kam, dann, wenn die
Krankheit so weit fortgeschritten war, dass kaum noch Aussicht auf Rettung
bestand. Dies deckt sich mit zahlreichen Aussagen, in denen die Kriegsge-
fangenen-Hospitäler als reine ‚Sterbeanstalten’ bezeichnet werden.
Gert Schwager gibt in seinem Buch Im Herzen die Heimat zum Thema
Krankheit und Therapie an:
«Eines Nachts bekam ich einen schweren Fieberanfall mit heftigem
229
Schüttelfrost. Die Kameraden holten den deutschen Lagerarzt, doch der
konnte mich erst am nächsten Morgen der russischen Lagerärztin vorstel-
len.
Die Lagerärztin war eine grosse blonde Frau, gut gewachsen und ge-
pflegt. Ihre Lippen waren messerscharf und der Blick ihrer blauen Augen
eiskalt. Sie sah mich angeekelt an, wohl weil sie in mir ein Individuum wit-
terte, das durch sein körperliches Versagen den Fortschritt des vaterländi-
schen Aufbauprozesses störte.
Als ich sie überzeugt hatte, dass ich über 40 Grad Temperatur hatte, ver-
ordnete sie ein fiebersenkendes Mittel. Ausserdem wurde ich in ein Lazarett
eingewiesen. Dort schlief ich in meinem Bett sofort ein. Mittags wurde fest-
gestellt, dass das Fieber bis auf 37,8 Grad zurückgegangen war. ‚Steh auf
und mach die Krankenzimmer sauber!‘ Das war die nächste ärztliche Ver-
ordnung, und als ich am Abend ganz fieberfrei war, wurde ich für den näch-
sten Tag bereits wieder meiner Arbeitsgruppe zugeteilt.»
Dass sich diese Szene in einem Lager bei Moskau abgespielt hat, zeigt
auch, dass die wirkliche Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen nicht
das Ziel der sowjetischen Ärzte war, sondern die Wiederherstellung der Ar-
beitsfähigkeit so schnell wie möglich – wenn noch möglich.
Elfi Hartenstein schreibt in ihrem Buch ... und nachts Kartoffeln schälen
zum Thema Sterblichkeit in Lagern auf deutschem Boden:
«Zwei von sieben treten die Heimkehr an – das ist die Norm».
Weit schlimmer sieht es im Männerlager aus. In Ketschendorf stirbt jeder
zweite an Ruhr, Tuberkulose und Entkräftung. Nachts werden die Toten von
Häftlingen auf Karren aus dem Lager hinausbefördert und in Massengrä-
bern unweit des Lagergeländes verscharrt. In Ketschendorf sind es etwa
6’000, in Jamlitz 5’000 und in Mühlberg über 7’000 Tote.»
Dies zeigt auf, dass die Bedingungen der sowjetischen Lager auf deut-
schem Boden nicht besser, sondern eher schlechter waren. Es zeigt aber
auch, dass sich diese Aussage inhaltlich mit einer anderen deckt, die weitaus
höhere Todeszahlen für Ketschendorf und Jamlitz angibt, aber mit 9’000 für
Mühlberg richtig liegt, da die vorgenannte Aussage aus dem Buch sich auf
den Juli 1948 bezieht und die Zahlenaufstellungen, die zum Vergleich her-
angezogen wurden, auf die Gesamtzeit von 1945 bis Ende 1949.
230
Gerhart Schirmer führt in seiner Broschüre Sachsenhausen – Workuta zum
Thema Ernährung im Lager an:
«Die Ernährung im Lager Sachsenhausen – nur von dem kann ich ver-
bindlich aussagen – war unzureichend. Nach einigen Monaten waren die
meisten wirklich am Verhungern. Es gab nur wenige, deren Verdauung so
arbeitete, dass sie mit den etwa 800 Kalorien – 300 g schlechtes Brot, fast
kein Fleisch und Fett – auskommen konnten. So gab es zum Beispiel den Dr.
Wernicke, bis 1945 Oberbürgermeister von Stendal, oder Forstmeister Hei-
nicke aus den Wäldern südostwärts Berlins, die bewusst verhungerten und
vorher noch ihre Essensportionen etwa 14 Tage an andere, ihnen erhaltens-
wert erscheinende Männer abgaben.»
Auch hier finden wir bestätigt, dass neben Soldaten auch Zivilisten in den
Kriegsgefangenenlagern steckten, denn der Autor war bei Kriegsende
Oberstleutnant, später dann Oberst der Bundeswehr, während die beiden
Mitgefangenen, ein Förster und ein Oberbürgermeister, Zivilisten waren.
Ebenso finden wir die Angaben über die Verpflegung, Kalorienmengen und
Zusammensetzung bestätigt, wenn wir andere Angaben darüber verglei-
chen, wie etwa die folgende:
Hermann Melcher hält in seinem Buch Die Gezeichneten zum Thema Er-
nährung im Lager fest:
«... erst beim Studium der neuen Verordnung über die prozentuale Auf-
teilung der Verpflegung, angeschlagen am Schwarzen Brett, wird einmal mit
aller Deutlichkeit klar, welch miesen Zeiten wir entgegengehen:
Verpflegungssystem
Unter 71% Normerfüllung von 71%-81% Normerfüllung
400 g Brot 500 g Brot
Suppe Kategorie A Suppe Kategorie B
231
300 g Brot und zweimal täglich dünne Suppe.»
Vergleichen wir nun beispielsweise diesen Bericht mit dem vorangegan-
genen, stellen wir sogleich die Übereinstimmung fest, obwohl diese beiden
Lager, zum gleichen Zeitpunkt, mehr als 6’000 Kilometer voneinander ent-
fernt gelegen haben.
Schirmer, der in strenger Haft sass, berichtet von «300 g Brot und fast
kein Fleisch», Melcher, tief im Osten in einem Arbeitslager, spricht ebenfalls
von «300 g Brot und zweimal täglich dünne Suppe» als Karzerhaft.
Da auch andere Berichte ähnliche Werte ausweisen, können wir uns dann
ein Bild über die Ernährung der Kriegsgefangenen machen, denn diese Ver-
pflegungssätze waren nicht, wie oft falsch dargestellt, willkürliche Sätze der
einzelnen Lagerkommandanten, sondern von der GULag, der obersten Ver-
waltungsbehörde, für alle Lager angeordnet.
Und wie dann die Praxis des Essenausteilens in einigen Lagern aussah,
erfahren wir beim Studium des Buches Verworrene Heimkehr von Helmut
Schwabe:
«Tief fährt die Schöpfkelle auf den Grund des Eimers und nimmt den Bo-
densatz auf. Das Umrühren unterbleibt. Durch eine geschickte Drehung der
Kelle beim Hochgehen fällt das Dicke wieder heraus, und lediglich dünne
Brühe kommt ans Tageslicht. Die Fettschicht war bereits vorher entfernt.
‚Na, denke ich, einmal muss er doch bei dem Dicken da unten anlangen,
dann ist da ja der reine Kascha.’ Weit gefehlt! Der Rest wird in ein anderes
Gefäss entleert.
Zwei russische Offiziere von auswärts haben den Campus besucht. Ihre
Mienen drücken das aus, was sie beim Anblick unserer Verpflegung geäus-
sert haben und von einem des Russischen kundigen Kameraden mitgehört
wurde:
‚Wenn ihr diesen Menschen ein solches Essen gebt, können sie nicht an-
ders aussehen.’
Man muss dazu noch anmerken, dass der Essenausgeber ein deutscher
Mitgefangener war, um zu verstehen, dass es – wie in jedem anderen Lager
auf dieser Welt – auch in den Kriegsgefangenenlagern sogenannte ‚Privile-
gierte’ gab, die entweder wegen ihrer Verbindungen aus materiellen, sexu-
ellen und sonstigen Gründen oder einfach, weil sie als Spitzel arbeiteten,
ein wesentlich besseres Leben als alle anderen fristen konnten.»
232
Dies war, um es kurz anzumerken, auch eine Methode der westlichen
Geheimdienste, um bei den Heimkehrern nach Möglichkeit gleich die
Ostagenten an den Bahnhöfen zu registrieren und unter Beobachtung zu
nehmen, und so mancher Spion, der in den fünfziger und sechziger Jahren
verhaftet wurde, verdankt seine Entdeckung dieser ersten Feststellung sei-
nes für einen heimkehrenden Gefangenen völlig untypischen Zustandes.
Wir erfahren aus dieser Buchpassage aber auch, dass die Sowjetorgane
Kontrollen durchführten und oft gar nicht wussten, wie ihre Anordnungen
in der Praxis durchgeführt wurden.
Es war dies der ewige Unterschied zwischen den theoretischen Planun-
gen und der praktischen Durchführung, der einen zentralgesteuerten Staat
mit seiner Planwirtschaft, wie es das kommunistische System vorsah,
schliesslich zum Scheitern bringen musste; und auch wir in unserer Bundes-
republik nähern uns heute zunehmend diesem System, da immer mehr stu-
dierte Theoretiker das entscheiden, was die gelernten Kräfte dann in der
Praxis ausführen sollen. Dieser Weg ist, wie die jüngste Geschichte der kom-
munistischen und sozialistischen Staaten es uns gelehrt haben sollte, aber
ein völlig falscher, der letztendlich ins Chaos führen wird, wenn nicht recht-
zeitig eine Rückbesinnung einsetzt.
Wenn wir uns also weiter den ‚Praktikern’ widmen, die das Leben in den
Kriegsgefangenenlagern am eigenen Leib erlebt haben, und die ‚Theoreti-
ker’ aus unseren Bücherregalen und Köpfen verbannen, die in klimatisierten
oder zumindest gut geheizten Räumen in den fünfziger bis siebziger Jahren
alles das zusammengestellt haben, was man uns als unsere jüngste Ge-
schichte dann eingetrichtert hat, so erfahren wir eine Menge über das wirk-
liche Leben unserer Väter und Grossväter in Kriegsgefangenschaft.
So beispielsweise, dass die Sowjets bereits in den Kriegsjahren damit be-
gonnen hatten, Gefangene politisch umzuschulen, um ihnen den ‚prakti-
zierten Kommunismus’ beizubringen. Das Gleiche taten Amerikaner und
Briten mit ihren politischen Vorstellungen natürlich auch.
Die Lagerbüchereien, die es teilweise wirklich gab, waren natürlich
ebenso nach diesen erzieherischen Kriterien ausgewählt wie die wenigen
Filme, die man den Gefangenen hin und wieder vorführte. Es handelte sich
zumeist um Propagandafilme, die noch während des Krieges als wirksames
233
Mittel zur Einstimmung des sowjetischen Volkes auf einen harten Kampf
gedreht und dann mit einigen Szenen des Kriegsendes versehen worden
waren.
Auch gab es historische Filme, die aber durchwegs den Kommunismus
lobten. Eine echte Unterhaltung für inzwischen völlig unpolitisch gewor-
dene Kriegsgefangene konnten weder diese Bücher noch die Filme bieten.
Auch die sogenannte Antifa-Schulung brachte keinen besonderen Un-
terhaltungswert zustande, entsprach sie doch in groben Zügen der politi-
schen Schulung durch die NSDAP, nur mit anderen Vorzeichen.
Dennoch meldeten sich verhältnismässig viele Gefangene zu diesen Kur-
sen und Schulungen und traten auch den sich überall rasch bildenden An-
tifa-Gruppen bei.
Hier boten sich Möglichkeiten, einige Vorteile zu erringen. Alle, die den
Sowjets zeigten, dass sie umdenkfähig waren und plötzlich den Kommunis-
mus als erstrebenswerte Lebensform ansahen, wurden von den meisten So-
wjetorganen wohlwollend betrachtet und gefördert.
Dies war auch der Grund dafür, dass in einigen Büchereien die Werke
von Marx und Engels oft vergriffen waren. Sie wurden zwar nicht gelesen,
es machte sich aber recht gut, wenn man mit dem dicken Buch im roten
Einband vor der Bücherei von den Bewachern gesehen wurde.
Ausserdem boten die dicken Bücher denjenigen Gefangenen, die keine
Kopfunterlage hatten, die Möglichkeit, einmal bei Nacht wenigstens mit so
einem Kopfkissenersatz zu schlafen. Doch echte Unterhaltung war auch das
nicht.
Hatte man sich aber erst einmal in einem Lager eingelebt und bildeten
sich Interessengruppen, kam meist auch die Unterhaltung nicht zu kurz.
In fast allen Lagern befanden sich auch irgendwelche Künstler; Angehö-
rige von Orchestern, Kleindarsteller oder reine Amateure mit parodistischen
oder musikalischen Begabungen fanden sich zusammen, und es entstanden
eigene Lagerorchester, -chöre und -theatergruppen, die sich bald mit im-
mer neuen Vorführungen Überboten.
Dies war die einzige Möglichkeit, sich nach einem harten Arbeitstag we-
nigstens für eine oder zwei Stunden zu unterhalten und von der immer
quälender werdenden Frage ablenken zu lassen:
234
«Komme ich jemals wieder heim?»
Dies war die einzige Frage, die jeden Kriegsgefangenen wirklich bewegte.
Durch die in der Nachbarschaft der Lager wohnenden Russen hatte man ja
inzwischen erfahren, dass es eigentlich völlig egal war, ob man verurteilt
worden war oder nicht, und auch wenn man verurteilt war, spielte das aus-
gesprochene Strafmass eigentlich keine Rolle.
Der GULAG behielt jeden so lange in seinen Krallen, wie er wollte, und
wenn es sein musste, auch noch darüber hinaus.
Die erste positive Meldung für die meisten Gefangenen kam dann im
Frühjahr 1946.
Hermann Melcher erinnert sich noch genau an den Tag, an dem er erst-
mals nach Hause schreiben durfte:
«Grosse Überraschung am 8. Juni 1946. An alle Plennis werden Postkar-
ten ausgegeben, die nach Hause geschrieben werden dürfen. Es sind Dop-
pelkarten, die russisch und französisch beschriftet sind: ‚Sojus Bschtschest
Krasnogo Kresta i Krasnogo Polumesjaza SSSR. Potschtowaja Kartotschka
Wojennoplenogo’. Die obere Karte ist für Mitteilungen an den Empfänger,
die untere gilt als Rückantwortkarte für die Angehörigen. Der für uns be-
stimmte Teil darf mit nicht mehr als 25 Worten an den Empfänger beschrie-
ben werden. Die meisten sind überglücklich, endlich die offizielle Möglich-
keit zu haben, ein Lebenszeichen geben zu dürfen.»
Auch hier zeigt sich wieder die Planungspsychose der Sowjets, die alles
bis ins kleinste Detail festlegen wollten und sogar die Wortanzahl auf einer
Postkarte begrenzten.
Etwas weiter unten in der Schilderung jener ersten Postkartenaktion bei
Melcher finden wir auch gleich einen weiteren Hinweis auf die rein theore-
tischen Planungsmethoden, die sich durch den GULAG ebenso zogen wie
durch das gesamte Leben der UdSSR.
Zwar hatte bald jeder Kriegsgefangene seine Postkarten, doch gab es für
das gesamte Lager nur vier Füllhalter zum Schreiben. Dies bedeutete für die
Gefangenen, so lange in Schlange anzustehen, bis man endlich eines jener
an diesem Tag so heiss begehrten Schreibgeräte in der Hand hielt und sein
kurzes Lebenszeichen an daheim niederkritzeln konnte.
Fünfundzwanzig Wörter, mit denen alle Hoffnungen, Sehnsüchte, aber
auch Ängste der Gefangenen in die Heimat gingen.
Gerade diejenigen Kriegsgefangenen, deren Heimat im Osten lag, die
235
Schlesier, Pommern, Ostpreussen und Sudetendeutschen, hofften wochen-
lang, dass die von ihnen abgesandte Karte nicht als unzustellbar wieder zu-
rückkommen würde, denn, was sich dort, wo sie ihre Familien zurücklassen
mussten, bei Kriegsende abgespielt hatte, war inzwischen allen bekannt.
Teilweise waren es die siegestrunkenen Bewacher selber, die ihnen nicht
ohne Stolz genau erklärt hatten, wie ihre Kameraden der siegreichen Roten
Armee zum Ende des ‚Grossen Vaterländischen Krieges’ die «faschistischen
Schweine abgeschlachtet hatten». Teilweise hatten sie aber auch detaillierte
Kenntnisse der Ereignisse durch eigene Kameraden, die erst später aus den
Lagern auf deutschem Boden in die UdSSR transportiert worden waren.
Hinzu kam noch ein kleiner ‚Nachrichtendienst’, wie er auch heute noch
in fast allen Gefängnissen zu finden ist, der auf dem Informationsaustausch
zwischen Gefangenen, Bewachern und Arbeitspersonal beruht und dessen
Wege durch kleinere Geschenke oder Gefälligkeiten stets offengehalten
werden.
Bald wurde aus der ersten Karte eine Art von regelmässigem Postverkehr,
und alle drei Monate wanderten Briefe zwischen Deutschland und den
Kriegsgefangenen hin und her. So erfuhren die Männer und Frauen in den
Lagern auch, wie es daheim weiterging und wie sich das Leben dort ohne
sie gestaltete.
Dies waren die wirklich angenehmen Unterbrechungen im ständig glei-
chen Einerlei des Lagerlebens gegen Ende der vierziger Jahre in den Weiten
der UdSSR.
Die Bewacher, teilweise seit Jahrzehnten bereits an den Lagerorten an-
sässig, hassten nichts mehr als Unterbrechungen im Lagertrott. Sie liebten
es, ihren Dienst mit stoischer Regelmässigkeit zu versehen, und waren den
Gefangenen auch dankbar dafür, wenn es so blieb.
Solschenizyn drückt dies in dem Folgeband des Archipel Gulag äusserst
treffend aus:
«Richtige Aufseher sind jene, die in den Lagern fünfzehn, zwanzig, fünf-
undzwanzig Jahre abgedient haben. Die, einmal in jene fernen, verfluchten
Orte übersiedelt, nicht mehr fortkommen von dort. Die Dienst- und Lager-
ordnung haben sie ein für allemal eingetrichtert bekommen und brauchen
ihr Leben lang nichts anderes mehr zu lesen, nichts anderes mehr zu wissen,
nur regelmässig das Radio einzuschalten und das Moskauer Erste Pro-
gramm zu hören.
236
Und dieses Fähnlein ist's genau, was für uns das ausdruckslosstumpfe, un-
erschütterlich-sture, jedem Gedanken verschlossene Gesicht des GULAG
ausmacht.»
Auch die Gefangenen begannen, sich langsam diesem System anzupas-
sen. Sie mussten es, wollten sie nicht ‚vor die Hunde gehen‘.
Doch mitten in diese Phase der Anpassung platzten die ersten freudigen
Gerüchte hinein.
«Weisst Du schon? Die ersten kommen heim! Ich habe das von Igor ge-
hört, der den Krankentransporter fährt.»
So und ähnlich schwirrten die leise geflüsterten Meldungen im Frühsom-
mer 1946 durch die Lager, und bald zeigte sich, dass es nicht nur Gerüchte
waren.
Im Juli fuhren die ersten, meist kranke und schwache Gefangene, mit den
gleichen Zügen wieder nach Westen, mit denen sie vor mehr als einem Jahr
angekommen waren.
Zwar waren es keine Massen, wie damals, als es in Gefangenschaft ging,
doch hier und da packte einer überglücklich seine wenigen Habseligkeiten
zusammen, verschenkte das, was er unterwegs nicht unbedingt benötigte,
an seine Kameraden und verabschiedete sich oft tränenreich von denen, die
Zurückbleiben mussten.
Natürlich fragten sich viele der Gefangenen: «Warum ausgerechnet der
Kamerad neben mir und nicht ich?»
Doch gleich darauf machte sich jeder wieder selber Mut.
«Dann eben mit dem nächsten oder übernächsten Transport, Hauptsa-
che, es geht endlich heim!»
Bis Mai 1950 fuhren die Transporte und brachten so knapp 1,3 Millionen
deutscher Gefangener heim, doch dann, ohne ersichtlichen Grund, wurden
die letzten noch Verbliebenen enttäuscht.
Von den Sowjets erfuhren sie, dass es für sie keine Heimreise mehr gab,
und die spärlichen Meldungen aus Deutschland zeigten ihnen, dass man sie
wohl aufgegeben hatte.
Am 4. Mai 1950 meldete die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, dass
die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen nun abgeschlossen sei
und sich nur noch 9 717 «Kriegsverbrecher» in sowjetischen Gefängnissen
aufhalten würden.
Welch ein Hohn für die noch zu Hunderttausenden in den Lagern des
GULAG steckenden Gefangenen. Wie mussten sie sich plötzlich fühlen? So
237
kurz vor der erhofften Heimfahrt und dann von aller Welt durch eine einzige
offizielle Meldung einfach abgeschrieben!
Die psychischen Schäden, die gerade jener Gruppe der Spätheimkehrer
auf diese Art zugefügt wurden, sind wohl nie mehr wiedergutzumachen ge-
wesen. Sie waren die Hoffnungslosen, und viele von ihnen starben in den
folgenden Jahren, weil sie keinen richtigen Lebensmut mehr aufbringen
konnten.
Als dann nach der Moskaureise Adenauers Anfang September 1955 noch
einmal rund 18’000 Kriegsgefangene aus Russland heimkamen, sah man
auch bei den bundesdeutschen Behörden die Rückführung aller Kriegsge-
fangenen offiziell als abgeschlossen an.
Am 6. Oktober 1955 gingen die Bilder der ‚letzten Kriegsgefangenen‘ aus
der Sowjetuniom durch die Medien.
Letzte Heimkehrer
6. Oktober. Zu erschütternden Sze- der und Namen von Vermissten zei-
nen führt die Heimkehr der letzten gen, über deren Schicksal sie Auskunft
Kriegsgefangenen aus der Sowjet- zu erhalten hoffen.
union (→September 1955). Nach zehn Unter den Zurückkehrenden befinden
und mehr Jahren werden von glückli- sich neben vielen einfachen Soldaten
chen Familien die verlorengeglaubten auch zahlreiche Männer, die hohe Po-
Väter, Söhne und Brüder in Empfang sitionen in der NSDAP und auch im na-
genommen, während am Bahnhof und tionalsozialistischen Staat eingenom-
auf dem Weg zum Lager Friedland bei men haben.
Göttingen verzweifelte Angehörige Bil-
der
238
Horst Schüler sass zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in seinem Zug,
denn er kam erst am 18. Oktober 1955 im Lager Friedland an.
Doch auch das war noch nicht das wirkliche Ende der Heimkehr deut-
scher Kriegsgefangener aus dem sowjetischen Gulag.
Bis 1957 kehrten noch einmal etwa 6’000 Männer aus den Weiten der
UdSSR heim, und über den letzten, der einen Versuch machte, endlich noch
einmal seine Heimat wiederzusehen, bevor er sterben musste, berichtete
das deutsche Fernsehen im vergangenen Jahr.
Wie die deutschen Soldaten, die vom Moloch GULAG verschlungen wur-
den, über ihre Lage dachten, drückt Helmut Schwabe in seinem Buch treffen
so aus:
«Wir vergleichen unser Los mit dem der Zuchthäusler, die im Gegensatz
zu uns wegen sühneheischender Verbrechen gefangengesetzt wurden und
nach sorgfältiger Abwägung ihrer Schuld ein genau festgesetztes Mass von
Strafe auf sich zu nehmen haben, das sie sich bereits vor Ausführung ihrer
Tat an Hand der bestehenden Gesetze haarscharf bestimmen können. Dafür
haben sie für eine gewisse Zeit ihre Freiheit verloren, wissen aber Tag und
Stunde, da sie ihnen zurückgegeben wird. Sie erhalten ausreichende Ver-
pflegung, dürfen sich beschäftigen und wissen, warum sie im Zuchthaus
sitzen.
Und wir?..»
239
Letzte Heimkehrer aus dem Westen
Kleine Chronik 1948
240
8.4. Luftpostbriefe und Drucksachen sind die ersten Poststücke, die
aus der Bizone wieder ins Ausland verschickt werden dürfen.
20.4. Die Londoner Konferenz über das deutsche Schicksal wird wieder
aufgenommen.
23.4. Gründung der ‚Vereinigten Volkseigenen Betriebe’ (VEB) in der
sowjetischen Besatzungszone.
6.5. In London werden die Verhandlungen über einen Frieden mit
Österreich auf unbestimmte Zeit vertagt.
15.5. Gründung des Staates Israel auf ehemals palästinensischem
Territorium.
23.5. Eine Unterschriftensammlung für ein sogenanntes ‚Volksbegehren
für Einheit und gerechten Frieden‘ beginnt auf Initiative treibender
Kräfte der Ostzone in den Westzonen.
7.6. In London wird eine sogenannte ‚Empfehlung’ für eine Verfas-
sungs- und Regierungsbildung der drei deutschen Westzonen
erlassen.
19.6. Als dritte bürgerliche Partei wird in der sowjetischen Besatzungs-
zone, neben LDP und CDU, die NDPD gegründet.
20.6. Wegen des ständig rascher fortschreitenden Verfalls der Reichs-
mark wird eine Währungsreform erforderlich, um so die deutsche
Wirtschaft wieder zu beleben. Die UdSSR lehnt dies für die Ost-
zone ab und führt dort am 23.6. eigenes Geld ein.
24.6. Die Berlin-Blockade durch die Sowjets beginnt.
8.7. In den westdeutschen Besatzungszonen werden alle Reparations-
leistungen an die UdSSR eingestellt.
12.7. Laut Pressemeldungen sind bis auf 37‘500 Gefangene im Nahen
Osten alle deutschen Soldaten aus britischen Lagern entlassen.
23.7. Walter Ulbricht verlangt die Einführung der Planwirtschaft in der
sowjetischen Besatzungszone bei den führenden Organen der
SED.
241
In der sowjetischen Besatzungszone beginnt die Verfolgung
ehemaliger Sozialdemokraten.
6.8. Wegen der völlig übertriebenen französischen Reparationsfor-
derungen tritt die Regierung von Württemberg-Hohenzollern
zurück.
8.8. Erste deutsche Fussballmeisterschaft nach Kriegsende endet
mit einem 2:1 Endspielsieg des 1. FC Nürnberg über den 1. FC
Kaiserslautern.
20.8. Die Kontrolle von Reisenden zwischen der Bizone und der fran-
zösischen Besatzungszone wird eingestellt.
25.8. Nach deutscher Rechnung beträgt die bisherige Reparations-
leistung bereits 418 Millionen Dollar.
1.9. Der deutsche Parlamentarische Rat konstituiert sich in Bonn.
3.9. Der ehemalige deutsche Reichswirtschaftsminister und
Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht wird von einer würt-
tembergischen Berufungskammer als entlastet eingestuft und
entlassen.
11.9. SPD-Parteitag in Düsseldorf.
1.10. Gründung des deutschen Patentamtes in München.
2.10. Der deutsche Industrielle Fritz Thyssen wird von einer Spruch-
kammer als minderbelastet eingestuft, dafür nimmt man ihm
20% seines Vermögens ab.
Der Hessische Rundfunk wird als Anstalt des öffentlichen
Rechts gegründet.
14.10. Der deutsche Bischof Wurm protestiert gegen die Weiterfüh-
rung der Kriegsverbrecherprozesse.
24.10. Annahme einer auf sowjetischer Grundlage basierenden
‚Gesamtdeutschen Verfassung’ in der Ostzone.
30.10. Der Südwestfunk entsteht als Anstalt des öffentlichen Rechts.
1.11. Die Lebensmittelrationen in West-Berlin werden von
1‘600 auf 1‘800 Kalorien täglich erhöht.
8.11. In West-Berlin nimmt die Freie Universität ihren Betrieb auf.
12.11. In der britischen Zone wird Hjalmar Schacht verhaftet.
242
243
«Nationalkomitee
Freies
Deutschland»
247
Betreiber und Organisator auf deutscher Seite waren Walter Ulbricht und
der Schriftsteller Erich Weinert. Zum Abschluss wurde der kommunistische
‚Appell der 158’ unterzeichnet.
Treu der kommunistischen Lehre wurde zuerst die Arbeiterklasse akti-
viert. Im militärischen Bereich sind das die Mannschaftsdienstgrade, die
plötzlich nicht mehr ‚Plennis’, sondern «Genossene hiessen.
Im Februar 1942 folgte als logischer zweiter Schritt die Unteroffizierskon-
ferenz im Lager Elabuga.
Ehe man sich nun daran machte, auch die deutschen Offiziere mit dem
real existierenden Kommunismus zu befreunden, entstand im April 1942 im
Lager Oranki eine eigene Antifa-Schule, die bis zum Frühjahr 1943 nach
Krasnogorsk verlegt wurde.
Ende Mai 1942 folgte die 1. Offizierskonferenz, ebenfalls im Lager Elabu-
ga.
Bereits an den Teilnehmerzahlen war unschwer erkennbar, wie wenig Re-
sonanz diese Antifa-Bewegung tatsächlich bei den Kriegsgefangenen fand.
Ganze 158 Mannschafts- und 23 Offiziersdienstgrade hatten die Sowjets für
ihre Umerziehungsbemühungen aktivieren können.
Da man bei der Erfassung der Kriegsgefangenen im jeweiligen Stammla-
ger Befragungen durch geschultes Politpersonal durchgeführt hatte, ver-
fügte man auf sowjetischer Seite über ausreichende Informationen, um die
Gefangenen in vier Kategorien einteilen zu können.
Kategorie 1 = Antifaschist.
Hier hatte man alle ehemaligen deutschen Kommunisten zusammen-
gefasst.
Kategorie 2 = dem Antifaschismus aufgeschlossen.
In diese Gruppe wurden alle Gefangenen eingestuft, die nicht in der
NSDAP und einer der angeschlossenen Organisationen waren.
Kategorie 3 = durch Nationalsozialismus beeinflusst.
Dies war die Bezeichnung für die Masse der deutschen Kriegsgefan-
genen.
Kategorie 4 = Faschist.
Diese Bezeichnung erhielten alle Parteimitglieder, Inhaber von Ehren-
ämtern, aber auch HJ-Führer und ähnlich ‚faschistoide’ Kriegsgefan-
gene.
248
Diese Einteilung war in der jeweiligen Stammakte der Gefangenen ver-
merkt und hatte natürlich dazu geführt, dass sich die ersten Antifa-Bemü-
hungen auf die Kategorie 1 beschränkten.
Obwohl man also auf sowjetischer Seite einigermassen über die politi-
sche Einstellung der einzelnen Gefangenen informiert war und sich die ge-
eignetsten ausgesucht hatte, waren anfänglich wenig mehr als 200 Kriegs-
gefangene insgesamt bereit, sich politisch ‚umdrehen’ zu lassen.
Natürlich war ein Grund hierfür in den Jahren 1942/43 die immer noch
von Neuankömmlingen in den Lagern verbreiteten Meldungen deutscher
Siege. Ein weiterer, möglicherweise weitaus wichtigerer Grund, lag in der
Primitivität der Sowjetpropaganda.
Phrasen wie: «Schiesst nicht auf eure proletarischen Brüder!» oder:
‚Komm ins Land der Arbeiter und Bauern und Du wirst mit offenen Armen
aufgenommen!’ konnten den gefangenen Landsern nur ein müdes Lächeln
abringen, denn Phrasen hatten sie in den vergangenen Jahren genug zu hö-
ren bekommen.
Selbst als sich die Niederlage von Stalingrad abzeichnete, blieb der so-
wjetischen Propaganda die erwartete Wirkung versagt, und es gibt Aussa-
gen von hohen Offizieren mit dem Inhalt, dass mehr Sowjetsoldaten in den
Kessel von Stalingrad hinein als deutsche Soldaten hinaus desertiert seien.
Auf sowjetischer Seite hatte man sich durch den Einsatz der deutschen
Exilkommunisten einen grösseren Erfolg ausgerechnet, doch hatten die Ver-
antwortlichen beim NKWD nicht bedacht, dass sich die bereits seit mehr als
einem Jahrzehnt oder noch länger in Russland lebenden Exilkommunisten
bereits den russischen Verhältnissen angepasst hatten. Dies galt auch für
ihre Sprache und die stets verwendeten Phrasen.
«Die sowjetische
Auch die an der Front eingesetzte Propaganda, bei der man sich auf so- Gewahrsamsmacht
wjetischer Seite der willigen deutschen Kriegsgefangenen in unterschied- erreichte trotz –
lichster Weise bediente, brachte keinen zählbaren Erfolg, und die Desertio- oder vielmehr ge-
nen auf deutscher Seite hielten sich nach wie vor in Grenzen. rade – wegen ihrer
So musste man umdenken und stellte im Jahre 1943 die Propaganda- massiven, von Kor-
massnahmen um. Vor allem Stalin war es, der persönlich auf die Bildung ruption und Zwang
eines deutschen Nationalkomitees hindrängte. unterstrichenen Pro-
paganda genau das
Hierbei drehten sich seine Gedankengänge nicht nur um den Bereich Pro-
Gegenteil dessen,
paganda, sondern vor allem um die gesamtpolitischen Möglichkeiten, die
was sie eigentlich
anstrebte.»
K.-H. Frieser
249
sich ihm mit solch einer sowjetisch-deutschen Vereinigung in seiner Hand
boten.
Nach dem Ende des Kampfes um Stalingrad sah die sowjetische Lage bei
Weitem nicht so rosig aus, wie es in den meisten Geschichtsbüchern darge-
stellt wurde, denn Stalingrad war keineswegs die Entscheidungsschlacht des
Zweiten Weltkrieges, sondern der Wendepunkt des Kampfes im Osten,
denn die Rote Armee hatte ihr erklärtes Ziel, die Zerschlagung der Heeres-
gruppe Süd, nicht erreicht.
Eine weitaus wichtigere und entscheidendere Schlacht, die von Kursk,
stand bevor, und man war auf sowjetischer Seite nicht so siegessicher, wie
es den Anschein hatte, denn die deutschen Fronten hatten sich wesentlich
rascher stabilisiert und verstärkt, als man im Kreml erhofft hatte.
In dieser Situation war Stalin mit seinen westlichen Alliierten höchst un-
zufrieden, denen er immer wieder vorwarf, ihn ‚die Kastanien aus dem Feuer’
holen zu lassen.
Zwar waren die Amerikaner in Nordafrika gelandet, doch seine ständige
Forderung, eine zweite Front in Europa aufzumachen, die dann die Rote Ar-
mee entlasten sollte, war noch nicht durchgeführt worden.
Nun sah er in den deutschen Kriegsgefangenen ein direktes Druckmittel
gegen seine Westverbündeten und nutzte es auch in seiner typischen Art
sofort politisch aus.
Mit der Gründung des Nationalkomitees deutete er eine deutsch-sowje-
tische Annäherung an, und somit die Möglichkeit, einen ähnlichen Zustand
mit dem Deutschen Reich wiederherzustellen, wie er vor 1941 bereits be-
standen hatte.
Gerade weil sich die Westalliierten im Januar 1943 auf der Casablanca-
Konferenz noch auf die bedingungslose Kapitulation Deutschlands als er-
klärtes Kriegsziel geeinigt hatten, schlugen dann die ersten Meldungen über
das Nationalkomitee in London und Washington wie Bomben ein. Doch
Stalins Gedankengänge gingen noch weiter.
Mit dem Nationalkomitee wollte er eine Brücke zu den mit Hitler unzu-
friedenen Kräften in Deutschland selber schlagen und gleichzeitig eine so-
wjetisch geführte Möglichkeit für einen Staatsstreich und die Regierungs-
übernahme danach im Deutschen Reich eröffnen. Doch dafür, und das war
ihm auch klar, benötigte er mehr als 158 Soldaten und 23 Offiziere, dazu
benötigte er eine in die Tausende gehende ‚Bewegung’ unter den Kriegsge-
250
Die sogenannte ‚Vernichtungskirche’, Schauplatz
des ‚Kirchgangs von Elabuga’ am 9./10. Dezember
1944. Aus K.-H. Frieser, ‚Krieg hinter Stacheldraht‘.
Gründungsmitglie-
der des NKFD.
Von links (sitzend):
General v. Seydlitz,
Erich Weiner;
(stehend) Oberst
van Hooven,
Leutnant Graf v.
Einsiedel, Major
Hetz, Gefreiter
Zippel, Oberst
Steidle, General-
major Lattmann.
Aus K.-H. Frieser,
‚Krieg hinter
Stacheldraht‘.
251
fangenen, die aus dem Nationalkomitee entstehen sollte.
So wurde zu Beginn des Jahres 1943 die gesamte Sowjetpropaganda
umgestellt.
Man appellierte nicht mehr an die ‚Solidarität der Werktätigen‘, was bis
dahin keinen nennbaren Erfolg gezeigt hatte, sondern sprach nun das deut-
sche Nationalbewusstsein an.
Die meisten Propagandaaufrufe begannen nun mit den Worten ‚Deut-
sche Soldaten‘ oder ‚Deutsche Männer und Frauen‘, und nicht mehr mit
«Proletarier aller Länder’ oder ähnlich abgedroschenen kommunistischen
Parolen.
Auch wandte sich die gezielte Propaganda für das Nationalkomitee in
den Gefangenenlagern nun mehr den Offizieren und Unterführern zu, denn
«Deutsche
auch bei dieser Art der Propaganda ist es, wie mit jeder anderen Werbung
Soldaten und Offi-
ziere an allen Fron- heute auch. Man benötigt populäre Menschen und deren Namen, um seine
ten! Ihr habt die Waf- Sache für eine grosse Menschenmasse interessant zu gestalten.
fen! Bleibt unter Waf- So liess Stalin die Gründung des Komitees so rasch wie möglich voran-
fen! Bahnt Euch mu- treiben, und am 12. Juli 1943 war es dann auch soweit. In Krasnogorsk fan-
tig unter verantwor- den sich rund 300 Personen ein, die sich aus deutschen Exilkommunisten,
tungsbewussten Füh- Kriegsgefangenen und russischen Gästen zusammensetzten.
rern, die eins sind mit
Zwei Tage dauerte diese Gründungsversammlung, auf der ein 33 Mitglie-
Euch im Kampf
der umfassendes Komitee gewählt wurde, welches dann das von Weinert
gegen Hitler, den
Weg zur Heimat, am ersten Tag verlesene Manifest unterschrieb. Das «Nationalkomitee
zum Frieden.» Freies Deutschland’ war gegründet.
Aus einem Aufruf des Unschwer ist bereits an der Form des Manifestes zu erkennen, dass es
‚Nationalkomitees direkt vom NKWD in Moskau vorbereitet war und nicht, wie man später vor
Freies Deutschland’. allem in der ehemaligen DDR behaupten sollte, der Ausdruck des Willens
der deutschen Kriegsgefangenen im Osten war.
Zwar befanden sich unter den Gründern auch 12 Offiziere, doch der
höchste vertretene Dienstgrad war der des Majors, und das hatte bei den
Gefangenen, aber auch in Hinsicht auf die Frontpropaganda, kaum Gewicht.
Stalin forderte deshalb, dass man unbedingt einen oder mehrere Gene-
rale zur Unterzeichnung weiterer Manifeste und Propagandaschreiben be-
wegen müsse. So entstand in Moskau die Idee des Offiziersbundes.
252
In der Praxis liess es sich aber nicht so leicht, wie erwartet, an, um hohe
deutsche Offiziere für eine Beteiligung an sowjetischer Propaganda zu ge-
winnen.
Zwar sass bei vielen Offizieren der «Schock von Stalingrad’ noch tief in
ihren Gedanken, und der Zweifel an Hitlers Person sowie an seiner Füh-
rungsqualität machte sich breit, doch übersahen die Sowjetkommissare,
dass gerade die höheren Offiziere in den seltensten Fällen Anhänger Hitlers
und der NSDAP waren. Sie hatten ihre militärische Grundausbildung, und
somit auch ihren eigenen Ehrenkodex, noch in der kaiserlichen Armee er-
halten, die auch nach 1918 und der Abdankung des Kaisers nicht geändert
worden waren.
Die meisten dieser Offiziere waren sogenannte «Deutschnationale’, hat-
ten Hugenberg gewählt und waren Mitglied im «Stahlhelmbund’.
National und nationalsozialistisch, und das ist heute kaum noch bekannt,
waren in jenen Jahren gewaltige Unterschiede, und nicht jeder national ein-
gestellte Deutsche war, wie es nach 1945 meist dargestellt wurde, auch ein
Anhänger Hitlers, ganz im Gegenteil.
Zudem sassen sie in den Offizierslagern und genossen bereits eine bes-
sere Behandlung und Verpflegung als der einfache Soldat, und es genügte
nicht, ihnen eine zusätzliche Essensration oder einen arbeitsfreien Tag zu
versprechen, um sie zu einer Unterschrift zu verleiten, über deren Tragweite
sie sich voll bewusst waren.
So unternahmen die sowjetischen Initiatoren des Offiziersbundes die un-
terschiedlichsten Versuche, endlich einige höhere Offiziere zur Mitarbeit zu
bewegen.
Man kann heute nicht mehr genau nachvollziehen, wie der Bund deut-
scher Offiziere, kurz BDO genannt, wirklich entstanden ist, denn dazu gibt
es die unterschiedlichsten Aussagen und Berichte.
Tatsache ist, dass verschiedene deutsche Offiziere, darunter auch der
Oberstleutnant Bredt, vorbereitende Gruppen bildeten, die sich mit diesem
Problem beschäftigten.
Wer nun dann an wen herangetreten ist, schilderten die meisten der Be-
teiligten später in ihren eigenen Versionen.
Tatsache ist jedoch, dass alle Bemühungen, die Generale zur Mitarbeit zu
bewegen, bis zu jenem Moment scheiterten, da sich der sowjetische Gene-
ralmajor Melnikov einschaltete.
Er unterbreitete den Generalmajoren Dr. Korfes und Lattmann sowie dem
253
General der Artillerie von Seydlitz-Kurzbach ein Angebot:
«Wenn es dem Bund Deutscher Offiziere gelingt, die Wehrmachtführung
im Deutschen Reich zu einem Aufstand gegen Hitler zu bewegen, wird sich
die Sowjetführung nach Kriegsende für die Erhaltung eines Deutschlands in
den Grenzen von 1937 einsetzen.»
Dies war natürlich ein Argument, dem jeder national eingestellte General
kaum noch etwas entgegensetzen konnte, und so stimmten die drei Ge-
nannten zu, obwohl sie keinerlei schriftliche Garantien über dieses Angebot
erhielten. Man glaubte noch an das Offizierswort, ohne zu ahnen, dass Stalin
und seinen Lakaien jedes Mittel recht war, ein gestecktes Ziel zu erreichen.
Nun konnte der BDO gegründet werden. Die Gründungsversammlung fand
am 11./12. September 1943 in Lunovo, etwa 30 km nördlich von Moskau,
statt.
Dass der BDO nur Mittel zu dem Zweck war, endlich einige Generale für
das Nationalkomitee zu gewinnen, zeigte sich bereits bei der Gründungs-
versammlung, die von den Sowjets wohlweislich mit einer grossen Menge
an alkoholischen Getränken ausgestattet worden war. Treu der sowjetischen
Devise «Alkohol ist der beste Verbündete bei schwierigen Verhandlungen’
kam es dann soweit, dass von Seydlitz-Kurzbach alle Bedenken vergass und
am späten Abend den Wünschen einiger Offiziere, vorgetragen von Major
Hetz, nachgab und die führenden Mitglieder des BDO auch in das National-
komitee eintreten liess.
Somit war das sowjetische Ziel erreicht, und der BDO hatte schon bei der
Gründung wieder seine Existenzberechtigung verloren.
Bereits am 14. September 1943 erfolgte der Zusammenschluss der bei-
den Organisationen. Nun konnte das Nationalkomitee stolz den Zugang der
Generale von Seydlitz-Kurzbach, Lattmann, Dr. Korfes und Edler von Daniels
vermelden, hinzu kamen noch die Obersten van Hooven und Steidle sowie
eine ganze Anzahl weiterer Offiziere. Auch der Kriegsgerichtsrat von Kno-
belsdorff-Brenkenhoff und die Wehrmachtpfarrer Schröder und Kayser wa-
ren jetzt Mitglieder des «Nationalkomitees Freies Deutschland».
Nun formte sich das Nationalkomitee im sowjetischen Sinn, um die ge-
plante Propagandaarbeit aufnehmen zu können.
Es entstand ein 40köpfiges Plenum an der Spitze, dem ein Exekutivorgan
in Form eines Ausschusses beigefügt wurde.
254
Die tatsächliche Befehlsgewalt aber hatteeinzig Erich Weinert, der gleich-
zeitig Präsident des Nationalkomitees und Vorsitzender des Geschäftsfüh-
renden Ausschusses war. Auch war nur er allein befugt, die Kommunikation
mit den sowjetischen Dienststellen durchzuführen.
Er war also das direkte Sprachrohr Moskaus und leitete alle Aktivitäten
des Nationalkomitees.
Als ‚Graue Eminenz’ stand Walter Ulbricht meist im Hintergrund, doch
verlor er nie, treu seiner Schulung als Politkommissar, den Überblick über
alles. Er leitete auch die Werbung in den Lagern und die Frontpropaganda.
Unter dem Namen ‚Freies Deutschland’ wurden eine Zeitung und ein
Rundfunksender gegründet. Um ein wenig von der Propaganda abzulenken,
entstand eine Kommission, die sich in Fachgruppen und Arbeitskreise glie-
derte, die sich mit Wirtschaft, Sozialwesen, Politik, Recht, Kultur, aber auch
mit kirchlichen Fragen befassten.
In Moskau war man zuversichtlich, nun eine neue Waffe in die Hand be-
kommen zu haben, die den Krieg mit Deutschland in kürzester Zeit ent-
scheidend zugunsten der UdSSR beeinflussen könnte. Mit ungeheurem Ma-
terialaufwand wurden Werbeschriften in grosser Zahl gedruckt und über
deutschen Stellungen abgeworfen.
Allein das Gründungsmanifest erreichte eine Gesamtauflage von mehr
als 6 Millionen Exemplaren, doch in der Praxis zeigte sich, dass alle diese
Bemühungen, die Soldaten an der Front und die Deutschen in der Heimat
zu einem Umsturz zu bewegen, völlig sinnlos waren.
Rasch wurden die Männer um von Seydlitz-Kurzbach von den deutschen
Fronteinheiten als Verräter angesehen. Dementsprechend hatten auch ihre
Aussagen eher negative Wirkungen auf die deutschen Soldaten, und man-
cher Landser nahm die Waffe nur noch fester in die Hand, wenn er einen
solchen Aufruf des Nationalkomitees gelesen hatte.
Etwas anders sah es allerdings in den Kriegsgefangenenlagern mit dem
Interesse für das Nationalkomitee aus, und bald gab es Lager, in denen
mehr als Prozent der Soldaten dem Komitee beitraten.
Dies aber nicht, wie man auf sowjetischer Seite annahm, weil diese Sol-
daten plötzlich alle vom real existierenden Kommunismus überzeugt waren,
255
sondern weil sie erkannt hatten, welche Vorteile in diesem Beitritt lagen.
Weniger Arbeit, bessere Verpflegung, mehr Freizeit für politische Schu-
lungen und zahlreiche andere Vergünstigungen waren es, die bei den mei-
sten Gefangenen als Auslöser für den Beitritt zum Nationalkomitee wirkten,
denn diese Dinge waren für viele oft lebenswichtig.
Ich habe dies in zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Gefangenen im-
mer wieder zu hören bekommen:
«Die meisten Offi- «Ohne die Antifa-Vergünstigungen hätte ich in meinem Zustand die Ge-
ziere und Soldaten fangenschaft sicher nicht überlebt.»
des Komitees wa- Ein ehemaliger Gefangener, der bereits 1949 aus der UdSSR entlassen
ren. . . aus der kom- worden war und dann bis 1953 in der ehemaligen DDR lebte, ehe er in den
munistisch gelenk-
Westen kam, erklärte mir erst vor wenigen Wochen zu diesem Thema:
ten Antifa hervorge-
«Nu, es war im Lager, wenn man im NKFD war, so wie vorher zu Hause
gangen. So war
durch das Überge- bei der Reichsbahn oder auf einer anderen Beamtenstelle. Du hast ein war-
wicht der Emigran- mes Pöstchen bekommen, warst der erste in der Kantine, hast bei Regen im
ten und der ehemali- Trockenen gesessen und auf den nächsthöheren Posten gewartet. Da gab's
gen Antifa-Aktivisten dann noch mehr Bequemlichkeit und statt Muckefuck 'nen richtigen Boh-
gewährleistet, dass nenkaffee und Machorka zum Qualmen. Was will der Gefangene denn
alle Tätigkeiten des mehr?»
NKFD in sowjeti- Natürlich gab es auch unter den Gefangenen wirkliche Anhänger des Na-
schem Sinne
tionalkomitees, die aus Überzeugung beigetreten waren, doch diese bilde-
erfolgten.»
ten, wie mir nahezu alle ehemaligen Gefangenen in den bisher zu diesem
K.-H. Frieser, in
‚Krieg hinter Stachel- Thema geführten Gesprächen berichteten, ganz klar die Minderheit.
draht’, Seite 73. Es wurde in den fünfziger und sechziger Jahren in der ehemaligen DDR
immer wieder über Aktionen und Unternehmungen des Nationalkomitees
während des Krieges berichtet. So auch in dem Buch An der Seite der Roten
Armee des ehemaligen DDR-Historikers Friedrich Wolf, doch ist es nie wirk-
lich zu spektakulären Einsätzen gekommen.
So beispielsweise der Versuch des Leutnants Augustin im Jahre 1943, als
er an der Spitze eines Kommandotrupps der Roten Armee bei Welikije Luki
den Oberstleutnant von Sass aus seinem Regimentsbunker entführen
wollte. Das Unternehmen misslang, doch Augustin wurde hierfür 1944 in
Moskau mit einem hohen Sowjetorden ausgezeichnet. Beim Versuch, den
256
Polizeipräsidenten in Minsk, von Gottberg, zu ermorden, wurde Augustin
verhaftet, zum Tode verurteilt und erschossen.
Auch gibt es weitere Berichte über Sabotageeinsätze hinter den deut-
schen Linien, doch waren diese für den Kriegsverlauf unerheblich und hät-
ten sicher auch ohne die Existenz eines Nationalkomitees stattgefunden.
Bis zum Beginn des Jahres 1945 hin durchlief die Führung des National-
komitees dann verschiedene Machtkämpfe, die zwischen dem linken Flügel
und den Nationalisten ausgetragen wurden. Man stritt sich in den Gefan-
genenlagern bereits über die Posten und Ressorts in einer bald zu bilden-
den deutschen Nachkriegsregierung und nahm gar nicht wirklich wahr, was
rundherum geschah.
Wie bitter dann das Erwachen im Frühjahr 1945.
Gegen Kriegsende, als die ersten Meldungen über sowjetische Greuel-
taten in die Gefangenenlager vordrangen, wandelte sich die Einstellung der
führenden Männer im Nationalkomitee, denn was dort unter ihrem Namen
geschah, damit waren sie nicht mehr einverstanden.
Die Sowjets verstanden es zwar, die deutschen Frontbeauftragten zurück-
zuziehen, um unnötige Zeugen zu vermeiden, doch die Greueltaten waren
zu gewaltig, um nicht doch an die Öffentlichkeit vorzudringen.
Nun war den meisten Mitgliedern des Nationalkomitees schlagartig be-
wusst, wofür man sie benutzt hatte und was sie, und vor allem andere in
ihrem Namen, alles angerichtet hatten.
Was würde nach dem Kriegsende und der zu erwartenden Entlassung aus
der Gefangenschaft auf sie in Deutschland warten?
Sollten oder konnten sie in Russland verbleiben?
Von Seydlitz-Kurzbach war bereits in Deutschland in Abwesenheit zum
Tode verurteilt worden, und der Sowjetführung wurde er immer mehr ein
Dorn im Auge, weil er nicht, wie zahlreiche andere, zum überzeugten Kom-
munisten geworden war.
Auch auf Männer wie Oberst Steidle, der es stets abgelehnt hatte, eine
Antifa-Schulung zu besuchen, wartete nun keine rosige Zukunft mehr.
Was in jenen Tagen durch die Köpfe dieser Männer ging, drückte Theo-
dor Plivier wie folgt aus:
«Gedemütigt und verworfen, und einmal hatten sie sich, das war in der
ersten Phase des ‚Nationalkomitees’ und noch in den Flitterwochen mit der
257
Sowjetmacht, fast als gleichberechtigte Partner und bereits als künftige
deutsche Regierung betrachtet und schon Resortstreitigkeiten unter sich
ausgetragen, um zu spät zu erkennen, dass sie nichts als eine sowjetische
Propagandakohorte darstellten, deren Verwendung entfiel, als die deutsche
Wehrmacht geschlagen und der Krieg zu Ende war. Die befohlene Selbst-
auflösung des Komitees bedeutete für jedes seiner Mitglieder fast die
Selbstentleibung.»
Am 2. November 1945 war es dann soweit. Das ‚Nationalkomitee Freies
Deutschland’ trat letztmals zusammen, um sich selber aufzulösen.
Nun verloren auch alle ehemaligen Komiteemitglieder, ob Offiziere, Un-
terführer oder Mannschaftsdienstgrade, ihre Lagerprivilegien, und diejeni-
gen, die nicht noch rasch zu ‚überzeugten Kommunisten’ geworden waren,
wurden nun doppelt gehasst: einmal von den anderen Lagerinsassen wegen
«Wir brauchten diese
ihrer jahrelangen Privilegien und von den Sowjets, weil sie sich nicht hatten
Vertreter, solange
der Krieg dauerte.
umerziehen lassen.
Jetzt können wir ih- So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass von Seydlitz-Kurzbach
nen zeigen, dass wir 1950 in der UdSSR zum Tode verurteilt und dann zu einer langjährigen Haft-
sie immer verachtet strafe begnadigt wurde. Er gehörte im Oktober 1955 einem der letzten
haben.» Heimkehrertransporte an.
Ein sowjetischer Es erging diesen Männern nicht anders als allen anderen Verrätern in der
Armeegeneral am 10. Weltgeschichte auch: Man liebt den Verrat, doch niemand den Verräter!
Mai 1945 über Ange-
hörige des ‚National-
komitees Freies
Deutschland’.
258
Repatriierung
«Der Unterschied zwischen Freiheit und Freihei-
ten ist so gross wie zwischen Gott und Göttern.»
Ludwig Börne
R
epatriierung hiess das Zauberwort für Millionen deutsche Kriegs-
gefangene ab 1946, und es spielte dabei keine Rolle, ob sie im We-
. sten oder im Osten in den Lagern sassen.
Nach den Entlassungen des Jahres 1945 und bis zum Sommer 1946 hin,
bei denen hauptsächlich kranke, schwache, arbeitsunfähige oder solche
Soldaten entlassen worden waren, die offiziell nicht dem Kriegsgefange-
nenstatus unterstanden, machte ab Mitte 1946 dann das Zauberwort über-
all die Runde.
Im Rahmen des immer schlimmer werdenden Kalten Krieges hatte man
aufwestalliierter Seite endlich erkannt, dass es ohne den ‚Frontstaat
Deutschland’ bei einem zu erwartenden Kampf mit dem Kommunismus
nicht gehen würde.
Zwar wurden immer noch Ängste bei den Nachbarstaaten ausgespro-
chen, die in einem wiedererstarkten Deutschland nun auch einen mögli-
chen Gegner sahen, doch die Argumente der Vernunft überwogen.
So verschwand dann auch der völlig schwachsinnige amerikanische
‚Morgenthau-Plan’ endlich im Papierkorb, und den Deutschen blieb das
Schicksal des Agrarstaates ohne Land und der völligen Entindustrialisierung
erspart.
Dennoch hatte man auf alliierter Seite auch kein Interesse daran, nun alle
deutschen Soldaten im Rahmen einer Generalamnestie einfach so zu ent-
lassen.
Da standen ja noch die geplanten Arbeitseinsätze im Raum, zu denen
man die Deutschen verurteilt hatte, und dazu kam, wie mir von Briten
glaubhaft versichert wurde, auf westalliierter Seite die Angst davor, eine zu
261
grosse Zahl von Männern zu rasch aus der Gefangenschaft zu entlassen, da
sie weder vom damaligen Arbeitsmarkt noch von der Wohnungslage hätten
aufgefangen werden können. Dass heimkehrende Männer, seien es Kriegs-
gefangene oder Soldaten, in grosser Zahl zu einem wirtschaftlichen und po-
litischen Problem werden konnten, hatten die Amerikaner in ihrem eigenen
Lande direkt nach Kriegsende erlebt, obwohl die USA nicht, wie die Staaten
Europas, unter den unmittelbaren Kriegsfolgen gelitten hatten und ihr wirt-
schaftliches Potential während des Krieges verdoppeln konnten.
Selbst dieses grosse Land konnte die Rückkehr von mehreren Millionen
Soldaten nicht so einfach verkraften. Dies zeigte sich dann Jahrzehnte spä-
ter auch nach dem Ende des Vietnam-Krieges wieder.
Wie in allen anderen Staaten, so hatten auch in den USA und Deutsch-
land in den Kriegsjahren immer mehr Frauen die Männerarbeit in der Hei-
mat übernommen und verspürten nach Kriegsende meist wenig Lust, ihre
Arbeitsplätze den heimkehrenden Männern zu räumen.
In Deutschland sah es aber noch weitaus ungünstiger aus.
Die Städte waren grösstenteils zerbombt, die Wirtschaftsbetriebe wur-
den demontiert, das Land war in vier Besatzungszonen aufgeteilt, und in
den wenigen unzerstörten Häusern hatten sich direkt nach Kriegsende die
Besatzer eingerichtet.
Hinzu kam, dass es keine einheitliche, geordnete deutsche Verwaltung
gab.
Je nach Lust und Laune hatten die Besatzungsmächte sich in ihrer jewei-
ligen Besatzungszone zu einer Zusammenarbeit mit deutschen Behörden
unter ihrer Aufsicht durchgerungen.
In der britischen Besatzungszone wurde beispielsweise das deutsche
Kriegsrecht noch bis zum Herbst 1945 hindurch weiter in Kraft gelassen und
von der deutschen Marinejustiz in der Praxis durchgeführt. Das galt auch
für die in Norwegen noch bis zum September 1945 hin unter Waffen ge-
bliebenen deutschen Soldaten.
So kam es dazu, dass später Unterlagen auftauchten, in denen deutsche
Marinerichter auch nach dem 8. Mai 1945 noch Urteile, auch Todesurteile,
erlassen hatten, die dann-von den Briten gefordert – vollstreckt worden wa-
ren.
Dann führte man das deutsche Recht von vor 1933 wieder ein.
262
In der US-Besatzungszone wurde durch Gesetz vom 31. Mai 1945 die
NSDAP aufgelöst, somit auch ihre Organisationen, ohne dass man sich auf
amerikanischer Seite Gedanken darüber machte, dass bis Kriegsende und
darüber hinaus auf regionaler Ebene auch das deutsche soziale Netz von
den Partei-Organisationen getragen wurde.
Sozialhilfen, Alten- und Verwundetenbetreuung, Mütterhilfswerk und
alle anderen sozialen Hilfsdienste waren nach 1933 zur Parteisache gewor-
den und nun mit einem Federstrich aufgelöst, ohne dass man von alliierter
Seite einen Ersatz oder Überbrückungsmöglichkeiten anbieten konnte.
Gerade in einer Zeit, als die Besatzungszonen von Ostflüchtlingen, Ver-
letzten, Verwundeten, Kranken, Obdachlosen und elternlosen Kindern über-
schwemmt wurden, entzog man den diese Menschen betreuenden Organi-
sationen die Rechtsgrundlage und den Status und somit auch die Möglich-
keiten, weiter in vollem Umfang tätig zu bleiben.
Dafür, dass es durch dieses Gesetz nicht zu Hunderttausenden weiterer
sinnloser Todesfälle gekommen ist, müssen wir noch heute den zahllosen
ungenannten Menschen danken, die ohne grosse Organisation im Rücken
selbstlos weiter ihre Pflicht taten und ihren Mitmenschen halfen. Auch dem
Roten Kreuz und allen anderen Hilfsorganisationen gilt ein Dank für die hu-
manitäre Hilfe in jener Zeit. Sie war nicht immer einfach durchzuführen, da
sie von alliierten Anordnungen ständig behindert oder sogar bewusst sabo-
tiert wurde.
Im Jahre 1990 unterhielt ich mich im Schwarzwald mit einer Gruppe von
ehemaligen BdM-Führerinnen, die sich dort zu einem Nachkriegstreffen
verabredet hatten, um sich nach Jahrzehnten einmal wiederzusehen.
Im Rahmen dieser Unterhaltungen kam das Gespräch natürlich auch auf
die Nachkriegszeit, denn die meisten dieser Frauen waren damals in der Be-
treuung von Verwundeten und Kranken tätig. Alle bestätigten, dass man
gerade in den Westzonen weitaus mehr behindert wurde als in der damali-
gen Ostzone.
«Wissen Sie», erklärte mir eine rüstige Siebzigjährige damals im Schwarz-
wald, und man sah ihr an, dass ihr die Worte nicht leichtfielen, «zwar sind
wir Frauen im Osten alle vergewaltigt worden, und wer von sich behauptet,
263
dass es nicht stimmt, war entweder zu hässlich oder gerade nicht dort, wo
die russischen Kampftruppen auftauchten, doch danach liessen sie uns we-
nigstens unsere sozialen Tätigkeiten verrichten, denn eine Frau, die sich um
Kranke kümmerte, Verwundete pflegte oder Essen kochte war eine ‚Matka’,
und die hatte man ja selber daheim, oder sie war verrückt, und vor den Irren
hatten die Russen einen Mordsrespekt.»
Diese Behinderungen des sozialen Gefüges betrafen natürlich auch zahl-
lose Kriegsgefangene, die man wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit 1945 und
1946 entliess und die auch auf die Hilfe von Organisationen angewiesen
waren, da sie ihre Verwandten und Freunde im Osten verloren hatten oder
nicht wussten, wo diese sich aufhielten.
Eines war für die anfängliche Besatzungspolitik der Alliierten direkt nach
Kriegsende, aber auch für ihren Umgang mit den Kriegsgefangenen be-
zeichnend: Zwar gab es kaum etwas zu essen, auch wurde an allen hygieni-
schen und medikamentösen Dingen gespart, doch für Propaganda hatte
man stets und überall genügend Mittel zur Verfügung.
Auf britischer Seite nannte man diese Form des Umgangs mit den Kriegs-
gefangenen bezeichnenderweise ‚Re-education’, also ‚Umerziehung’, und
die Umerziehung der Deutschen, da waren sich alle Alliierten völlig einig,
war das Wichtigste nach dem Krieg.
Bei den Amerikanern sprach man offen darüber, den Deutschen nun
endlich ‚eine Lektion in Demokratie beizubringen’, und die Sowjets hatten
bereits ab 1943 damit begonnen, aus in Gefangenschaft geratenen deut-
schen Soldaten und emigrierten Kommunisten eine deutsche ‚Propaganda-
Elite’ aufzubauen, die noch vor dem offiziellen Kriegsende ihre Tätigkeit zur
deutschen Umerziehung nach sowjetischem Muster aufnehmen sollte.
Während die Westalliierten noch ihre Landung in der Normandie planten
und sich alle Gedanken über Deutschland und die Deutschen meist in mili-
tärischen Bahnen bewegten, entstanden in den sowjetischen Lagern bereits
sogenannte ‚ANTIFA’-Gruppen und -Schulungen.
ANTIFA war nur die Kurzform für Anti-Faschismus und nichts anderes als
der Deckname für jede nach Deutschland gezielte kommunistische Propa-
ganda, und auch sie zeigte ihre Wirkung.
Wer sich dieser ANTIFA-Bewegung in irgendeiner Form anschloss, konn-
te stets mit einigen Vergünstigungen rechnen, und sei es nur ein etwas bes-
264
seres Essen oder einige Freistunden bei der Arbeit, was beides lebensver-
längernd wirken konnte.
Dass die sowjetische und die anglo-amerikanische Propaganda aber bis
zum Kriegsende hin, trotz aller Probleme miteinander, gegen Deutschland
noch recht gut zusammenarbeiten konnte, zeigt die nachfolgende Seite 2
der von den Amerikanern abgeworfenen Nachrichten für die Truppe vom
16. April 1945 (s. nächste Seite).
Diese wie eine offizielle deutsche Zeitung aufgemachte Propagan-
daschrift wurde von Grossbritannien aus per Flugzeug über Deutschland
regelmässig in grosser Zahl abgeworfen, um so mit Hilfe von gezielten
Falschmeldungen die Moral der Zivilbevölkerung und die Kampfkraft der
aktiven Truppe zu herabzusetzen.
Zahlreiche dieser bewussten und von psychologisch geschulten Experten
ausgearbeiteten Artikel und ebensovielederzu Propagandazwecken ange-
fertigten Fotomontagen wurden in der Nachkriegszeit als angebliche Be-
lege – als falsch erwiesener – geschichtlicher Behauptungen benutzt und
werden noch heute in zahlreichen Archiven als ‚echte Zeitdokumente’ auf-
bewahrt.
Aus den Reihen des oben bereits behandelten ‚Nationalkomitees Freies
Deutschland’ setzten sich dann die Deutschen zusammen, die auf Anord-
nung Stalins bereits im April 1945, während überall in Deutschland noch
gekämpft wurde, nach Berlin flogen und die Verwaltung in den sowjetisch
besetzten Gebieten aufbauten.
Leiter der Gruppe war der damals 51jährige Walter Ulbricht. Einer, der
mit ihm flog, war der Journalist Wolfgang Leonhard, der am 8. Mai 1995
darüber in der Nordsee Zeitung berichtete.
So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass die erste Zeitung, die in
Deutschland nach Kriegsende erschien, die Berliner Tägliche Rundschau in
der sowjetischen Besatzungszone war. Die Erstauflage datiert vom 15. Mai
1945, also bereits 7 Tage nach Kriegsende!
Dies zeigt uns aber auch, dass es nicht eine organisatorische Meisterlei-
stung der Redakteure war, so schnell eine Zeitung herauszubringen, son-
dern dass man auf sowjetischer Seite bereits alles bis ins kleinste Detail vor-
bereitet hatte, denn bereits am 10. Mai 1945 wurde in der Ostzone das so-
genannte ‚Deutsche Friedenskomitee’ gegründet, aus dem sich später die
sogenannte Friedensbewegung in Westdeutschland bilden sollte.
265
Beispiel
alliierter
Desinformation.
266
Von unserem Mitarbeiter
Wolfgang Leonhard
Berlin. Am 30. April 1945 morgens –
eine Woche vor Kriegsende – flog aus
Moskau ein Flugzeug mit den zehn Mit-
gliedern der «Gruppe Ulbricht* ab. Die
Gruppe stand unter Leitung des damals
51jährigen Walter Ulbricht Von den
zehn Funktionären war ich – damals 24
– der jüngste.
Bis heute weiss ich nicht, von wem
und nach welchem System die Funktio-
näre ausgesucht worden waren? Aber
eines war deutlich: Walter Ulbricht war
der unbestrittene Çhe£ Am 30. April
1945 um 6 Uhr früh fuhren wir in einem
kleinen Bus zum Moskauer Hughaien.
Das Flugzeug mit den Mitgliedern
der «Gruppe Ulbricht» landete auf ei-
Wolfgang Leonhard
nem improvisierten Flugplatz in Calau, wie möglich in allen zwanzig Bezirken
dem heutigen polnischen Kalawa, im Berlins funktionierende antifaschi-
Kreis Meseritz (Miedzyrzecz), etwa 60 stisch-demokratische Bezirksverwal-
Kilometer östlich von Frankfurt/Oder. tungen zu bilden. Lediglich die Schlüs-
Nach einer Übernachtung – niemand selpositionen – der Stellvertretende
teilte uns mit, wohin die Reise weiter Bürgermeister sowie die Dezernenten
geht – kamen wir nach mehreren Stun- für Personalangelegenheiten und für
den Fahrt schliesslich in Bruchmühle Volksbildung – sollten in den Händen
an, etwa 35 Kilometer Östlich von Ber- «unserer Genossen» liegen. Ulbricht:
lin. «Es muss demokratisch aussehen,
Bruchmühle war nicht zufällig ge- aber wir müssen alles in der Hand ha-
wählt, denn hier befand sich die Politi- ben.»
sche Hauptverwaltung der I. Bjelorussi- Danach folgte die Aufteilung der ein-
schen Front, d.h. der Armeen Marschall zelnen Bezirke. Nach manchen
Shukows. Wir wurden von den politi- Schwierigkeiten gelang es mir, für Wil-
schen Offizieren der Hauptverwaltung mersdorf einen «Bürgerlichen» zu fin-
äusserst freundlich empfangen. Am den: Dr. Willenbücher, in der Weimarer
Abend des 1. Mai gab uns Ulbricht die Republik Mitglied der deutschen Volks-
erste Direktive: Wir sollten in den 20 partei, nach dem 20 Juli 1944 von den
Berliner Bezirken neue antifaschistisch- Nazis verhaftet Seit dem 10. Mai erwei-
demokratische Verwaltungen aufbauen. terte sich die «Gruppe Ulbricht» durch
Am Morgen des 2. Mai fuhren wir kommuni* stische Funktionäre, die ille-
nach Berlin. Bei dieser Fahrt wurde mir gal in Deutschland tätig gewesen bzw.
das volle Ausmass der Zerstörung und au: Nazi-Gefängnissen befreit worden
des Grauens bewusst. Brennende waren – Erich Honecker gehörte zu-
Trümmer, umherirrende Menschen in nächst nicht dazu.
zerfetzten Kleidern, ratlose deutsche Ich hoffte glaubte damals an di J an-
Soldaten, die nicht zu begreifen schie- tifaschistisch-demokratische Republik,
nen, was vor sich ging, singende, ju- an die Freiheit des Geister Immer mehr,
belnde und oft auch betrunkene Rotar- vor allem seit Herbst 1947, wurde aber
misten. das wahre Ziel deutlich: die Errichtung Wolfgang Leonhard erin-
Ulbricht gab uns die Aufgaben be- eines dikta torischen Stalin-Systems nert sich. Aus der ‚Nord-
kannt Es komme darauf an, so schnell auf deutschem Boden.
see-Zeitung’, 8. Mai 1995.
267
So weit war man in den Westzonen noch nicht, denn man hatte es ver-
säumt, sich die geeigneten Deutschen aus dem eigenen Gefangenenpoten-
tial heranzuziehen, und musste nun erst einmal die richtigen Partner in dem
besiegten Land finden.
Erst im Herbst erschien als erste echte westdeutsche Zeitung mit ameri-
kanischer Lizenz und natürlich unter alliierter Aufsicht in München mit Da-
tum 6. Oktober 1945 die Süddeutsche Zeitung, die auch heute noch einen
wichtigen Teil unserer Medienlandschaft darstellt.
Selbstverständlich waren dies keine Zeitungen, wie wir sie heute kennen,
denn die gedruckten Informationen waren eigentlich nichts anderes als die
Nachrichten, Anweisungen und Propagandalektionen der Alliierten, eine
unabhängige Presseagentur gab es nicht. Alle Informationen kamen von
den Siegermächten, wurden in deutsch geschriebene Artikel umgesetzt und
mussten auch noch jahrelang jeweils vor dem Druck genehmigt werden.
Erst 1949 entstand die Deutsche Presseagentur GmbH, die dpa; dennoch
war die Berichterstattung in Deutschland noch lange nicht frei, denn über
allem schwebte stets die Drohung des Entzugs der Lizenz, ohne die eine
Zeitung nicht erscheinen durfte; private Radio- oder Fernsehsender waren
verboten.
Wie wichtiges den Amerikanern war, auch auf die deutsche Kultur Ein-
fluss zu nehmen, zeigt uns ein Gesetz vom 18. Juni 1945 in der US-Zone
Deutschlands, in dem alle deutschen Künstler ab sofort zur weiteren Aus-
übung ihrer Tätigkeit ebenfalls eine Lizenz benötigten.
Auch die Briten legten grössten Wert darauf, dass ihre Form der Re-
education möglichst vielen Deutschen zu Augen und Ohren kam.
Noch während des Krieges entstanden so in den britischen Kriegsgefan-
genenlagern eigene Lagerzeitungen, die, nachdem der Postverkehr einge-
richtet worden war, auch nach Hause gesandt werden durften.
Eine Liste der bekanntesten dieser Lagerzeitungen befindet sich im An-
hang zu diesem Kapitel.
Leicht erkennbar ist aus dieser Liste, dass es zwar zahlreiche Zeitungen
mit den unterschiedlichsten Titeln gab, dass aber die von den Briten als Um-
erziehungsmassnahme geförderten Zeitungen wie etwa Brücke und Die
268
Brücke gleich in insgesamt 13 Lagern, Echo und Lagerecho zusammen in 11
Lagern und die Lagerzeitung in 12 Lagern erschienen.
Hier wurden meist den Briten genehme ‚Lagerjournalisten‘ als Redak-
teure eingesetzt, die dann ihre Botschaft auch in andere Lager brachten.
Dies geschah meist auf dem einfachen Wege der Verlegung von Gefange-
nen.
Bemerkenswert ist es auch, dass für andere Zwecke das Papier meist nur
sehr schwer zu bekommen waren, aber die Zeitungen stets mit genügend
Material ausgerüstet wurden, um erscheinen zu können.
Wie sehr diese britische Propaganda und das Eigenlob, das man in Bezug
auf die Kriegsgefangenschaft so verbreitete, auch heute noch das Bild prä-
gen, das man uns über die Zeit der Gefangensetzung weismachen will, zeigt
sich in dem Band XI/1 der bereits mehrfach erwähnten Maschke-Reihe vom
Autor Helmut Wolff mit dem Titel Die deutschen Kriegsgefangenen in briti-
scher Hand. Ein Überblick.
Auf den Seiten 466 bis 485 wird ein angebliches «Erinnerungsbuch» eines
ehemaligen Kriegsgefangenen mit zahlreichen Zeichnungen veröffentlicht,
das quasi als Muster für die Kriegsgefangenschaft in britischen Lagern die-
nen soll.
Ich habe dieses ‚Musterbeispiel’ mit dem Exgefangenen Nummer
635855, Karl-Heinz Müller, besprochen, der sich von 1945 bis 1948 in nicht
weniger als 16 britischen Gefangenenlagern aufgehalten hat und beinahe
einen Lachkrampf bekam, als er diese Darstellung betrachtete.
«Ich habe nicht ein einziges solches Lager erlebt. Unser Leben hat sich
auch weder so sauber, ja fast steril, noch so freundlich dargestellt. Wäre es
wirklich so ein Urlaub gewesen, wie der Verfasser dieses Machwerkes dar-
stellen will, wäre ich doch gleich dortgeblieben.
In allen Lagern, in denen ich mich aufgehalten habe, gab es sowohl die
Prügelstrafe als auch den Karzer, also die Einzelhaft, in kleinen Räumen, in
denen man nicht stehen konnte.
Von reichlicher Verpflegung habe ich bis zum Ende meiner Gefangen-
schaft nichts bemerkt, denn wir haben ständig gehungert und waren des-
halb froh, wenn wir zu Arbeitseinsätzen aus dem Lager kamen, denn dann
gab es meist irgendeine Möglichkeit, sich etwas ‚zu besorgen‘.
269
Natürlich haben wir in Eigenregie auch Unterhaltungsprogramme, Ge-
sangs- und Theaterabende und andere Freizeitbeschäftigungen durchge-
führt, doch war dies nicht der Inhalt unseres Lagerlebens, wie in diesem an-
geblichen Bericht dargestellt wird.
Alles in allem kann ich nur sagen, dass die Gefangenschaft zu den härte-
sten Abschnitten meines Lebens zu zählen war und ich mich glücklich
schätzte, als ich endlich 1948 entlassen wurde. Ich habe Kameraden verhun-
gern sehen und wegen Magenschmerzen stundenlang schreien hören, und
wenn ich jetzt lese, wie ruhig und ausgeglichen dieses Lagerleben angeblich
gewesen sein soll, kribbelt es mir im Nacken, ich fühle förmlich, wie sich die
toten Kameraden wegen solcher Falschdarstellungen im Grabe umdrehen.»
Dies war aber die Art, in der die britischen Lagerzeitungen ihre Botschaft
von der neuen Zukunft nicht nur in den Lagern, sondern auch in die Heimat
verbreiten sollten.
Nachdem man so auf Seiten der Alliierten den geistigen Boden in
Deutschland, je nach seinen eigenen Interessen, bereitet hatte, konnte man
nunmehr auch an die Entlassung der ersten Kriegsgefangenen gehen, die
man nicht für den eigenen Arbeitseinsatz unmittelbar benötigte und auch
nicht für Kriegsverbrecher oder sonstwie belastet hielt.
Bei den Briten und Amerikanern ging man nun nach einem recht einfa-
chen Auswahlkriterium bei den Entlassungen ab Herbst 1946 vor. Zuerst
waren es alle in der Landwirtschaft tätigen Gefangenen, die nach Hause ge-
hen konnten, denn mit den Problemen des Nahrungsmittelmangels hatte
man vor allem auf britischer Seite zu kämpfen. Ihnen folgten dann die Berg-
leute für das Ruhrgebiet, denn die Kohle war einer der wichtigsten Energie-
träger für die Schwerindustrie.
Dies zeigte den Kriegsgefangenen in den britischen Camps aber auch,
dass man nicht vorhatte, die Deutschen verhungern und erfrieren zu lassen,
und es waren für viele beruhigende Gedanken, die sich unter jene an ihre
Familien daheim mischten.
Bei den Franzosen verfuhr man nach völlig anderen Kriterien. Dort
schickte man erst einmal nur Arbeitsunfähige heim, denn gerade Bergleute
benötigte man für den inzwischen konfiszierten Saarbergbau, und für billige
landwirtschaftliche Helfer fand sich ein reicher Bedarf in Südfrankreich.
270
Spezialisten, wie etwa ehemalige Pioniere, wurden überall zum Minen-
räumen eingesetzt, wobei häufig die kostspieligen Minensuchgeräte durch
einfache Stäbe oder Holzstangen ersetzt wurden und zahlreiche Minen so
auch nach Kriegsende noch ihre Opfer fanden.
Ausserdem deuteten sich für Frankreich in den Kolonien, vor allem in Al-
gerien und Indochina, bereits Probleme an, die ein neues Soldatenpotential
benötigten. So lockte man ständig in den Reihen der Kriegsgefangenen mit
dem ‚freien Leben’ in der Fremdenlegion.
Es gibt beeidete Gefangenenberichte darüber, dass die Werber der Le-
gion in einigen Lagern, in denen die Gefangenen zu Hunderten an Unterer-
nährung starben, gedeckte Tische mit allen nur erdenklichen Kostbarkeiten
der französischen Küche aufbauen liessen, und jeder Gefangene, der den
Legionsvertrag unterschrieben hatte, durfte sich dann dort bedienen.
Jedem Menschen, der sich nur einigermassen vorstellen kann, wie Hun-
ger schmerzt, kann sich ebenfalls vorstellen, wie rasch die oft noch jungen
Gefangenen bei solchen Anblicken unterschrieben haben. So war es dann
auch nicht weiter verwunderlich, dass sich in den fünfziger Jahren grosse
Teile der französischen Fremdenlegion aus ehemaligen deutschen Kriegs-
gefangenen zusammensetzten, und es war nicht, wie dann oft behauptet,
der besondere Kampfeswille oder übergrosse Mut, die die jungen Deut-
schen ‚in Scharen in die Reihen der Legion trieben’, sondern in den meisten
Fällen schlicht und einfach der Hunger oder die Angst vor dem Saarberg-
bau, der wegen seiner schlechten Sicherheitsbestimmungen unter der fran-
zösischen Leitung in ganz Europa einen miserablen Ruf hatte.
Auch in der Sowjetunion ging man nach völlig anderen Auswahlkriterien
vor, wie man inzwischen weiss. Dort hatte man ebenfalls kein Interesse dar-
an, Landwirte, Bergleute und Facharbeiter zu entlassen, denn für diese
Gruppen gab es Arbeit genug in der UdSSR.
Natürlich schickte man erst einmal die Schwachen und Arbeitsunfähigen
nach Hause. Nun kamen die propagandistischen Auswahlkriterien hinzu, die
sich aus der Liste der ‚Gesperrten Einheiten» ergaben. Alle deutschen Ge-
fangenen, die jemals in einer dieser Einheiten gedient hatten, sollten ja in
den Schauprozessen verurteilt werden und konnten folglich nicht entlassen
werden.
271
Also mussten die zur Entlassung freigegebenen Gefangenen aus anderen
Einheiten herausgesucht werden.
Dann kam eine weitere, für die Sowjetführung äusserst wichtige Gruppe
hinzu, die unbedingt entlassen werden musste.
Es waren dies ausgesuchte ANTIFA-Leute zu Tausenden, die dann, nicht
nur in der Ostzone, sondern vor allem in den Westzonen, den Boden für
eine angestrebte politische Beeinflussung des Volkes bereiten sollten.
Natürlich wurden auf diese Art im Laufe von Jahren auch einige hundert
echte Agenten in den Westen geschleust, doch handelte es sich in der
Masse mehr um Gefangene, die sich bei den ANTIFA-Schulungen so weit
vom stalinistisch-kommunistischen Gedankengut hatten überzeugen las-
sen, dass sie als «Botschafter des realen Sozialismus’ die Menschen in den
Westzonen überzeugen konnten. So dachte man jedenfalls damals in Mos-
kau, vor allem, nachdem am 21. November 1946 aus der britischen und der
amerikanischen Zone durch Zusammenschluss die Bizone entstand und so
bereits ein starkes politisches und auch wirtschaftliches Gegenstück zur
Ostzone innerhalb Deutschlands bildete.
Dass Menschen, die ausser ihrem eigenen Leben eigentlich nichts mehr
haben, am ehesten mit «politischen Hoffnungen’ zu ködern sind, hatte die
Sowjetführung aus der eigenen Revolution des Jahres 1917 gelernt. Dass
kaum jemand im Deutschland der Jahre 1945/46 noch etwas hatte, was man
ihm noch nehmen konnte, sah man in jeder Stadt, in jedem Dorf.
So spielten also bei der ‚Repatriierung’ der Kriegsgefangenen aus Osten
und Westen die verschiedensten Überlegungen politischer und wirtschaft-
licher Natur eine Rolle, die wir heute nicht mehr alle nachvollziehen können.
Den einfachen Exgefangenen, der auf Grund alliierter Überlegungen
dann endlich in die Heimat fahren durfte, interessierte dies aber recht we-
nig.
Wichtig war erst einmal, wieder daheim zu sein, auch wenn die Freiheit,
die man sich erhofft hatte, bei Weitem nicht so gross wie erwartet war, denn
eine Menge neuer Gesetze, alliierter Verordnungen und deutscher Ausfüh-
rungsbestimmungen wartete in der Heimat auf ihn, und nach Weltkrieg und
Gefangenschaft begann nun der Krieg mit Ämtern und Behörden und der
Kampf allgemein ums tägliche Leben.
272
Ausser den Erkennungsmarken und Entlassungspapieren waren den mei-
sten Kriegsgefangenen kaum persönliche Unterlagen oder Ausweise ver-
blieben. Sie hatten ihren Entlassungsschein, auf dem ihr Name und Geburts-
datum standen, und das war es dann.
Nun wieder ‚richtige Papiere’ zu erhalten, war erst einmal besonders le-
benswichtig, denn ohne Papiere keine Lebensmittelmarken und ohne diese
nichts zu essen, ohne Ausweis keine finanzielle Beihilfe, keine Wohnungs-
zuteilung, ja noch nicht einmal das Überqueren der Sektorengrenzen war
ohne Ausweis auf legalem Wege möglich.
Um aber wieder in den Besitz der Privilegien eines normalen Bürgers zu
kommen, musste man auch noch ‚entnazifiziert’ werden. Auf diesem Gebiet
gab es dann auch die irrwitzigsten Auswüchse, da man auf alliierter Seite
kaum einen durchdachten Plan oder eine Organisation dafür erstellt hatte.
Erschöpfte Heimkehrer
werden vom Deutschen
Roten Kreuz empfangen
und betreut.
273
Ein ehemaliger britischer Offizier, der ab 1948 im Ruhrgebiet mit der Ent-
nazifizierung zu tun hatte, sagte mir 1994 wörtlich:
«Erst habe ich Hitler gehasst, doch nach 1948 habe ich angefangen, ihn
zu bewundern.»
Auf meine verdutzte Frage: «Aber wieso denn bewundern?» antwortete
er mit einem schelmischen Grinsen:
«Nun, er hat fast ganz Europa besetzt, und das mit einem Volk, von dem
ein Drittel emigriert war, ein weiteres Drittel in den Konzentrationslagern
sass und ein Drittel im Widerstand war. Das soll dem Mann erst einmal je-
mand nachmachen!»
Danach verschwand der Schalk sofort wieder aus seinem Gesicht, und er
berichtete, ohne Namen zu nennen, von einigen Fällen, in denen sich füh-
rende Parteigrössen nach Kriegsende ihre Entnazifizierung erkauft hatten.
«Diese Fälle», erklärte er hierzu, «hat es überall gegeben, bei den Yan-
kees und bei uns, und es gab auch Fälle, bei denen sich Regierungsmitglie-
der eingeschaltet haben, um einen ehemaligen Geschäftspartner aus der
Vorkriegszeit oder einen wichtigen Partner für die zukünftige wirtschaftliche
Zusammenarbeit so wieder zu einem ‚good man’ zu machen. Wir kleinen
Beamten haben damit leben können, denn ab 1948 wussten wir spätestens,
dass nicht alle Deutschen, die in der Partei waren, auch gleichzeitig als ein-
geschworene Nazis anzusehen waren. Es war im Deutschland jener Jahre
nicht anders als bei uns im UK. Wenn man Geschäfte machen will, muss man
die richtigen Leute kennen und in der richtigen Partei sein, that's business.»
Natürlich bot die Entnazifizierung in der Bizone auch die Möglichkeit,
‚alte Rechnungen’ zu begleichen, und öffnete allen Denunzianten Tür und
Tor, denn wer einmal als ‚Nazi’ angeprangert war, der sass erst einmal im
‚automatic arrest’, wie man die Verhaftung solcherart Beschuldigter ohne
richterliche Verfügung aufwestalliierter Seite bezeichnete.
Was man in Deutschland von den ‚Persilscheinen’ hielt, wie das Entnazi-
fizierungsdokument scherzhaft genannt wurde, zeigen die beiden nachfol-
genden Artikel aus den Jahren 1948 und 1950.
Wie gefährlich es war, in jenen Jahren als ‚Nazi’ denunziert zu werden
oder auch wirklich dazugehört zu haben, zeigten die nahezu täglichen Mel-
dungen über langjährige Haftstrafen oder Todesurteile in den Zeitungen.
274
So war es meiner Meinung nach nur menschlich und deshalb durchaus
verständlich, wenn jeder seine Haut retten wollte und bereit war, nahezu
alles dafür zu tun.
In diese, für sie völlig neue Welt hinein wurden die Kriegsgefangenen
ab 1946 dann offiziell entlassen und hatten erst einmal grösste Probleme,
sich mit diesen neuen Umständen auseinanderzusetzen.
Da hatte man jahrelang als kleiner Pimpf ehrfurchtsvoll zu einem HJ-
Führer oder einem Kreisleiter aufgeblickt, der noch wenige Tage vor
Kriegsende vom Endsieg geredet hatte, und nun kam man heim und sah
Aus der ‚Chronik
denselben Menschen als Bürgermeister, Amtsleiter oder in amerikani- des 20. Jahrhun-
scher Uniform als Dolmetscher wieder und musste erfahren, dass er an- derts’. Seite 704 u.
geblich schon immer im Widerstand gegen 734.
Hitler tätig gewesen war und jetzt dafür von den Siegern mit
neuem Posten und neuer Machtfülle belohnt wurde, während
andere, die schon vor dem Krieg Streit mit jenem Typ hatten, Entnazifizierung
weil sie nicht in die Partei eintreten wollten, jetzt auf seine Aus- gegen
sage hin als ‚Nazis’ im Arrest sassen. Bezahlung
Was sollten die Heimkehrer von dieser Welt halten, die sie
noch nicht kannten?
Hatte man ihnen zwischen 1933 und 1945 nicht andere
Wertmassstäbe beigebracht?
Ob in der Schule, bei der HJ, dem Arbeitsdienst, der OT oder
dann als Soldat der Wehrmacht, stets hiessen die Werte: Ehre,
275
Treue, Gehorsam, Recht und Ehrlichkeit. Nun aber mussten sie feststellen,
dass Unehrlichkeit, Lug und Betrug die Oberhand gewannen und sowohl
geschriebenes als auch moralisches Recht nichts mehr galt, sondern nur
noch die Macht der Sieger und ihrer neuen Freunde.
Das waren die neuen Werte, die mit den Siegern nach Deutschland kamen
und sich dann rasch weiterentwickelten. Sie bildeten plötzlich die Grund-
lage nach dem Krieg für den Aufbau des Landes, der Wirtschaft und sogar
der Verwaltung, wie die ersten Korruptionsfälle zeigten, und damit galt es
erst einmal fertig zu werden.
Manche heimkehrenden Kriegsgefangenen konnten sich umstellen, doch
die Masse schaffte es nicht und hat es bis heute noch nicht richtig verarbei-
tet.
Sie sahen die Warnungen ihrer NS-Lehrer bestätigt, die stets auf solche
Auswüchse und den ‚Verfall jeglicher Moral’ hingewiesen hatten, wenn es
zum Endsieg nicht reichen würde.
276
Sie sahen die Schieber und Schwarzhändler reich werden und die ehrli-
chen Leute hungern, sie hörten die neuen Parolen der Politiker und sahen
die Trümmer, und sie konnten sich nicht denken, dass sich aus diesem wirt-
schaftlichen, politischen und moralischen Chaos jemals wieder ein normaler
Staat entwickeln könnte.
Sie sahen aber auch die Bilder der NS-Greuel, die nahezu täglich in immer
schrecklicheren Grössenordnungen über sie hereinbrachen. Sie sahen die
Fotos von Auschwitz in der Zeitung und hatten gleichzeitig die Bilder der
Leichen von Dresden noch nicht vergessen, sie hörten von Gefangenener-
schiessungen in deutschen Lagern und dachten an die zahlreichen eigenen
Toten in alliierter Gefangenschaft. Sie lasen von der Hinrichtung des Gene-
ralbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Sauckel, der wegen ‚Sklavenar-
beit von alIierten Kriegsgefangenen in deutscher Hand’ am 30. September
1946 in Nürnberg zum Tode verurteilt worden war, und dachten an die
Bergwerke und Steinbrüche zurück, in denen sie jahrelang noch danach un-
ter unmenschlichen Bedingungen vegetiert und gearbeitet hatten, und sie
verstanden diese Doppelmoral der Sieger immer weniger, die sie jahrelang
am eigenen Leib verspürt hatten.
Alles das, was die Alliierten nach Kriegsende selber getan hatten, warfen
die Alliierten den Deutschen als menschenverachtende Verbrechen vor, und
niemand stand auf und protestierte gegen diese offensichtliche Doppelmo-
ral der Sieger.
Die Heimkehrer und Vertriebenen versuchten, sich dagegen zu wehren,
doch die deutsche Lizenzpresse und die ebenso von den alliierten Lizenzen
abhängigen Verlage wollten oder konnten sie nicht hören, und so schwie-
gen sie in der Öffentlichkeit und redeten nur noch in der Familie oder unter
wirklichen Freunden über ihre Erlebnisse, ihre Ängste und die neue Zeit, die
angebrochen war und mit der sie nicht so richtig fertig werden konnten.
Sie sagten vor wissenschaftlichen Kommissionen aus und verfertigten
Fragebögen, um dann festzustellen, dass man sie völlig falsch verstanden
oder ausgelegt hatte. Dann schwiegen sie endgültig.
Sie schwiegen jahrelang, wie die meisten Deutschen jener Jahre, bis
heute, bis ihnen endlich jemand zuhört und man ihren Erzählungen und
Berichten das Gewicht beimisst, das ihnen im Rahmen der Geschichtsbewäl-
tigung unserer jüngsten Vergangenheit wirklich zukommt.
277
Die Hexenjagd beginnt
Kleine Chronik 1949
278
Das offizielle
Ende der
Gefangenschaft
«Es gibt kaum ein Wort heutzutage, mit
dem mehr Missbrauch getrieben wird,
als mit dem Wort ‚frei’.
Ich traue dem Wort nicht, aus dem Grunde,
weil keiner die Freiheit für alle will;
jeder will sie für sich.»
Otto von Bismarck im Reichstag, 15.3.1884
M
it der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, und kurz
darauf der DDR, im Jahre 1949 verfügten die deutschen Kriegs-
gefangenen auch wieder über eine Schutzmacht. So hofften die
hauptsächlich noch im Osten festgehaltenen Gefangenen, ebenso wie ihre
Kameraden in den Jahren zuvor nun endlich entlassen zu werden.
Es schien sich auch alles in ihrem Sinn zu entwickeln, denn bis Jahres-
ende 1949 kamen rund 400’000 Deutsche aus den UdSSR-Lagern heim.
Aus den Westlagern waren offiziell auch alle entlassen worden, und so
wartete man im Osten hoffnungsvoll auf jede diesbezügliche Information.
Man sehnte sich überall nach der Heimfahrt, und die matten Augen be-
kamen hier und da einen freudig-feuchten Glanz.
Bis zum Mai 1950 machten sich auch noch etwa 56’000 deutsche Kriegs-
gefangenen auf den langen und beschwerlichen Heimweg. Dann tauchte
jene Meldung am 4. Mai 1950 in der TASS, dem offiziellen sowjetischen
Organ, auf, die jeden Hoffnungsschimmer im Keim zu ersticken drohte.
«... ist die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen nun- mehr ab-
geschlossen. Es befinden sich nur noch 9 117 Kriegsverbrecher in sowjeti-
schem Gewahrsam...»
Die hohlwangigen Männer mit den gebeugten Rücken, die in den Wei-
ten der Tundra, in Asien, Sibirien oder Kasachstan die ihnen auferlegte
Zwangsarbeit bisher ohne Murren ertragen hatten, ständig beseelt von
283
dem einzigen Gedanken, irgendwann doch noch heimzukommen, sahen
sich nun auch um diesen letzten Hoffnungsschimmer betrogen.
Welche Perversion in diesem sowjetischen Versuch, die Weltgeschichte
zu verfälschen, eigentlich wirklich steckte, kann man sich heutzutage kaum
noch vorstellen.
Es war nicht nur diese Zeitungsmeldung allein, sondern es waren auch
die direkten Massnahmen, die in der Sowjetunion darauf folgten, die die
Gefangenen schwer trafen.
Natürlich konnte, wenn es offiziell keine Kriegsgefangenen in der UdSSR
mehr gab, auch keine Post mehr an die immer noch in den Lagern Schmach-
tenden weitergeleitet werden, auch konnte keine Post mehr aus den Lagern
nach Hause befördert werden.
Wer nicht mehr existierte, konnte sich auch nicht mehr melden.
Gerade diese Briefe und kleinen Päckchen aber waren es, die über Jahre
hinweg die einzige Verbindung zwischen den gefangenen Männern und ih-
ren Familien in der Heimat ausgemacht hatten, und per Post kamen auch
Nahrungsmittel aus Deutschland, die man im Gulag zum Überleben drin-
gend benötigte.
Es war der Lebensstrick, der einem gequälten und durch Zwangsarbeit
geschundenen Menschen überall auf dieser Welt jene Kraft gibt, die ihn so-
wohl physisch als auch psychisch alles Leid überstehen lässt, und diesen
letzten Faden, an den sich jeder klammerte, zerschnitt man nun ohne sicht-
baren Grund.
Hunderttausende sahen jetzt ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Es waren vor allem jene Soldaten, die man in den Schauprozessen 1948 und
mit den vorgefertigten Urteilen zu 15 und 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt
und meist weit hinter den Ural geschafft hatte.
Die spärlichen Meldungen, die von da an noch in die Lager vordrangen,
zeigten den Gefangenen bald, dass man auch in der Heimat sie langsam zu
vergessen begann.
Die westdeutsche Lizenzpresse veröffentlichte nun ebenfalls das von den
Alliierten gelieferte Zahlenmaterial zur Kriegsgefangenschaft, andere Quel-
len gab es für deutsche Journalisten in jenen Jahren noch nicht, und somit
schien für die Weltöffentlichkeit dieses Kapitel ein für allemal abgeschlos-
sen, nicht aber für die betroffenen Gefangenen.
Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchten die meisten,
einen neuen Kontakt zur Heimat herzustellen, um auf sich aufmerksam zu
284
machen, was ihnen schliesslich auch gelang. In Asien entwickelte sich der
Korea-Krieg als erster neuer grosser Ausbruch des kommunistischen Welt-
kampfes, es wurden neue Kriegsgefangene eingebracht, und in den Schlag-
zeilen der Weltpresse hatte man keinen Platz mehr für jene Verlorenen in
der UdSSR.
In Deutschland wurden noch weitere Todesurteile aus den Nürnberger
Prozessen vollstreckt und andere Verurteilte jener Prozesse vorzeitig ent-
lassen. Auch dadurch wollte man allerseits einen Abschluss mit dem Krieg
und seinen Folgen herstellen, und bereits im Sommer regten die Franzosen
an, endlich einen offiziellen Friedenszustand mit der Bundesrepublik herzu-
stellen.
In Westdeutschland wuchs bereits wieder der Wunsch nach neuer Be-
waffnung und neuen Soldaten, die alten in Kriegsgefangenschaft hatte man
auf offizieller Seite völlig vergessen.
Aufrüstungs-Vorstoss
9. August. Die Ereignisse in Korea geben auch viele Menschen in Deutschland sich
auch den Verhandlungen in Europa über nach der Niederlage von 1945 nicht an den
die Möglichkeiten eines Zusammen- Gedanken einer neuen Armee gewöhnen
schlusses eine neue Note. War bislang nur könnten und dass die Sowjetunion nicht
von Integration auf wirtschaftlichem und noch provoziert werden solle. Doch am 11.
politischem Gebiet die Rede, so verlagert wird eine Resolution verabschiedet, die die
sich die Diskussion zunehmend auch auf Bildung einer europäischen Armee unter
militärische Themen. Auf einer Tagung deutscher Beteiligung fordert. Besonderen
des Europarates in Strassburg wird zum Anklang findet die Idee der deutschen Be-
erstenmal vom früheren britischen Premi- teiligung bei Bundeskanzler Konrad Aden-
erminister Winston Churchill der Vor- auer. Schon am 17. fordert er in einer Be-
schlag einer europäischen Armee ge- sprechung mit den Hohen Kommissaren
macht, die auch auf deutsche Kontigente die schnelle Aufstellung einer deutschen
nich verzichten könne. In der Auffassung, Truppe und geht mit diesem Gedanken ei-
nur mit gemeinsamen und koordinierten nen Tag später auch an die Öffentlichkeit in
militärischen Anstrengungen die Bedro- einem Interview mit der «New York
hung aus dem Osten abwenden zu können, Times». Der amerikanische Hohe Kommis-
stimmen fast alle Delegierte überein, doch sar McCloy sieht sich am 24. gezwungen,
der Gedanke einer neuen deutschen Ar- Adenauers unermüdliche Vorstösse unter
mee findet auch viele Kritiker. Besonders Hinweis auf den noch andauernden Besat-
die französischen Politiker können sich zungsstatus der Bundesrepublik zu rügen,
bestenfalls mit der Aufstellung kleinerer doch noch am Ende des Monats übergibt
deutscher Einheiten anfreunden, die aber Adenauer den Alliierten ein vorerst gehei-
kein gemeinsames Oberkommando erhal- mes Memorandum, in dem er ohne die Be-
ten dürften. Die Bedenken vieler Deut- ratungen mit den zuständigen Ministern ab-
scher macht am 10. der SPD-Politiker zuwarten, relativ detailliert seine Vorstel-
Carlo Schmid deutlich. Er betont, dass lungen einer deutschen Bewaffnung dar-
legt.
285
In ganz Europa begann man, sich, nur fünf Jahre nach Ende des gewal-
tigsten Krieges unserer Menschheitsgeschichte, bereits wieder für Aufrü-
stung zu begeistern.
Dass wir Menschen anscheinend auf diesem Gebiet völlig unfähig sind,
aus unseren eigenen Fehlern zu lernen, haben uns die Kriege seit 1945 bis
hin zum Jugoslawienkrieg unserer Jahre deutlich gezeigt.
Im Rahmen des immer stärker auf das politische Leben einwirkenden Kal-
ten Krieges zwischen der UdSSR und den Westmächten, unterbanden die
Sowjets nun alles, was dem Westen in irgendeiner Weise nützlich sein
konnte.
Vor allem setzte überall die Angst vor Spionen und Agenten ein, und je
mehr Spione man selber im feindlichen Lager einsetzte, desto mehr feind-
lichen Untergrund vermutete man im eigenen Land.
Die UdSSR liess den ‚Eisernen Vorhang’ nun endgültig herunter, um je-
den Informationsfluss aus dem Land heraus zu unterbinden. Alles, was in
den Weiten der sowjetischen Föderation geschah, sollte verborgen sein, um
so den Informationsstand eines potentiellen Feindes so niedrig wie möglich
zu halten.
Von diesen Massnahmen waren natürlich auch die deutschen Kriegsge-
fangenen in der Sowjetunion betroffen, denn diejenigen, die in den wichti-
gen Erzgruben, den Uranbergwerken oder der Stahlproduktion arbeiteten,
konnte man natürlich nicht entlassen. Es war klar, dass sie sofort von den
westlichen Geheimdiensten ausgefragt würden und sich so durch das Zu-
sammensetzen vieler Einzelaussagen bald ein grosses Bild über bestimmte
Teile der Sowjetwirtschaft, aber auch über militärische Einrichtungen und
andere kriegswichtige Bereiche ergeben würde.
Das konnte und wollte der NKWD, später der KGB, nicht zulassen, wie
man heute weiss.
So wurde diese weltweite Auseinandersetzung des Kommunismus mit
dem Westen, die Millionen deutscher Kriegsgefangener dadurch gerettet
hatte, dass sie plötzlich wieder als wichtiger Faktor der Politik erschienen,
für die nach 1950 noch in der UdSSR Festgehaltenen zum Grund, ihre Rück-
führung zu verhindern.
Wie intensiv man auf beiden Seiten die Spionage führte und wie weit
man mit den Mitteln ging, diese Möglichkeiten des unkontrollierten Infor-
mationsflusses an den erklärten Feind zu unterbinden, zeigen auch die Aus-
wüchse des McCarthy-Ausschusses in den USA, der ebenfalls im Jahre 1950
286
seine Tätigkeit aufnahm und durch den bis 1954 zahlreiche Amerikaner dif-
famiert, verhaftet und um Hab und Gut gebracht wurden.
In dieser so bezeichneten McCarthy-Ära genügte es in den USA, wenn
man jemanden, den man nicht leiden konnte, bezichtigte, ein Kommunist
zu sein. Schon wurde er überwacht, sein Umfeld erforscht, und er bekam
eine Menge Ärger überall.
Künstler wurden auf ‚Schwarze Listen’ gesetzt und hatten dann noch
Jahre, nachdem der Ausschuss wieder abgesetzt worden war, grösste Pro-
bleme, ihre Arbeit zu tun.
Jeder Radiosender, jede Zeitung und jede TV-Anstalt in den USA führte
solche Listen, die völlig gegen die amerikanische Verfassung verstiessen,
aber was gilt in einem Land schon die eigene Verfassung, wenn politische
Gründe vorliegen? Wir erleben es in der Bundesrepublik ja auch oft genug.
Verfassungen auf dieser Welt scheinen stets nur für die Bürger geschrieben
zu sein, damit diese sich danach richten, selten für Regierende, denn die
biegen sie sich meist so zurecht, wie sie es brauchen.
Da also die Weltpolitik mit neuen Krisen und Spionagefällen, der Kalte
Krieg und die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik in den Vordergrund
der Medienberichterstattung traten, die Sowjets den Eisernen Vorhang auch
für die Kriegsgefangenen dicht geschlossen hatten und das offizielle Ende
der Kriegsgefangenschaft lauthals proklamierten, waren die Hoffnungen der
in der UdSSR Zurückgebliebenen auf den Nullpunkt gesunken. Sie blieben
fast fünf Jahre lang dort unten.
Alles sollte sich dann aber 1955 ändern.
Mit einem formellen Akt wurde am 5. Mai 1955 die Besatzungszeit in
Westdeutschland offiziell für beendet erklärt. Die alliierten Dienststellen
wurden abgeschafft, die Hohen Kommissare zu Botschaftern umbenannt,
die dann offiziell in Bonn ihre Beglaubigungsschreiben überreichten.
Die Bundesrepublik war nun ein eigenständiger Staat. Die Grossmächte
machten sich ihre Gedanken darüber, welchen militärischen Platz diese
‚neuen Deutschen‘ nun einnehmen sollten, da sich ein neuer Weltkrieg im-
mer bedrohlicher anzubahnen schien.
Während man bei den Westmächten am liebsten gesehen hätte, dass das
wirtschaftlich ständig stärker werdende Westdeutschland bald der NATO
beitrat, wollten die Sowjets eine völlige Entmilitarisierung Westdeutsch-
287
Aus der ‚Chronik des 20. Jahrhunderts’. Seite 807.
288
lands, obwohl sie bereits seit dem Ende des Vorjahres mit dem Aufbau einer
Volksarmee in der DDR beschäftigt waren. Man konnte sich nicht einigen,
und das Problem wurde, wie in solchen Fällen üblich, wieder einmal vertagt.
Im September 1955 reiste dann Bundeskanzler Konrad Adenauer nach
Moskau. Es war dies der erste Besuch eines deutschen Politikers nach
Kriegsende in der sowjetischen Hauptstadt.
Adenauer wollte neben den Fragen einer Wiedervereinigung der beiden
deutschen Staaten und der Aufnahme offizieller Beziehungen mit der
UdSSR auch das Problem der noch festgehaltenen Kriegsgefangenen re-
geln.
Mit einem Schlag waren die deutschen Kriegsgefangenen, die schon
nicht mehr damit gerechnet hatten, wieder in den Medien zu finden, und
ihr Schicksal bewegte plötzlich Millionen.
Natürlich war es für Adenauer wichtig, sich um den Verbleib der noch in
der UdSSR befindlichen ehemaligen Wehrmachtangehörigen zu kümmern,
war doch der Aufbau der neuen Bundeswehr bereits in vollem Gange, und
dazu benötigte man zahlreiche Offiziere, die im vergangenen Krieg noch
aktiv waren. Sie waren die besten Ausbilder, sie hatten zehn Jahre zuvor das
‚Kriegshandwerk’ ja noch in der Praxis erlernt und ausgeübt.
Diesen, aber auch den neuen Rekruten musste man deutlich zeigen, dass
es nun nicht mehr etwas Schlechtes war, wieder eine deutsche Uniform zu
tragen, sondern, dass dies bald neue deutsche Pflicht sein würde. Natürlich
musste man dann auch deutlich machen, dass das Schicksal von Soldaten
in Gefangenschaft wieder ein aktuelles Thema war, dem man sich zuwen-
dete.
Als Ergebnis von Adenauers zähen Verhandlungen in Moskau, die mehr-
fach bis kurz vor einen Abbruch und vorzeitige Rückreise geführt hatten,
kamen dann im Oktober 1955 noch einmal einige tausend Männer aus den
russischen Weiten heim, und die Medien feierten erneut das offizielle Ende
der Kriegsgefangenschaft.
Dass es aber auch nach dem Oktober 1955 noch deutsche Wehrmacht-
angehörige in sowjetischen Lagern in grosser Zahl gab, berichteten die
Spätheimkehrer einhellig, und so sah die UdSSR sich bis 1957 gezwungen,
noch weitere Gefangene nach Deutschland zu entlassen.
Der letzte Spätheimkehrer kam im Herbst 1957 im Durchgangslager
Friedland an, und dies gilt bis heute als offizielles Ende.
289
Adenauer in Moskau
Adenauer bei seiner Ankunft in Moskau: (von links) Ministerpräsident Bulganin. Kanzler
Adenauer, Vizekanzler Blücher, stellvertr. Aussenminister Gromyko.
13. September. In Moskau enden Ver- reits eine vorzeitige Rückreise erwogen
handlungen zwischen Bundeskanzler hat, kommt es am Abend des 13. Sep-
Konrad Adenauer und der sowjetischen tember zu einer Einigung. Der Bundes-
Führung. Wichtigste Themen sind die kanzler stimmt der Aufnahme diploma-
Frage der Wiedervereinigung Deutsch- tischer Beziehungen zwischen der Bun-
lands, der Aufnahme diplomatischer desrepublik und der Sowjetunion zu
Beziehungen und die Freilassung der und erreicht dafür die Zusage, dass die
noch in der Sowjetunion befindlichen 9‘626 noch gefangengehaltenen Solda-
Kriegsgefangenen. ten freigelassen werden. Gegen die
Schon die ersten Erklärungen beider Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Seiten lassen eine äusserst gespannte hat sich Adenauer lange gewehrt, weil
Atmosphäre erkennen. Der sowjetische der Alleinvertretungsanspruch der Bun-
Ministerpräsident Nikolai Bulganin er- desrepublik diplomatische Beziehun-
klärt die Wiedervereinigung zu einer gen zu solchen Staaten verbietet, die die
Frage, die von den beiden deutschen DDR offiziell anerkannt haben (Hall-
Staaten gemeinsam geregelt werden steindoktrin). In der ausländischen
müsse und fordert damit von den bun- Presse wird positiv vermerkt, dass Ade-
desrepublikanischen Vertretern die An- nauer die seit dem Zweiten Weltkrieg
erkennung der DDR. entstandenen Realitäten offenbar bis zu
Harte Auseinandersetzungen gibt es einem gewissen Grade respektiere.
auch über das Schicksal der noch in der Schon eine Woche nach der Abreise
Sowjetunion festgehaltenen ehemaligen Adenauers, am 20. September, wird
deutschen Wehrmachtsangehörigen. zwischen der DDR und der Sowjet-
Die Sowjets lehnen es ab, sie überhaupt union ein Vertrag über die gegenseiti-
als Kriegsgefangene zu bezeichnen, da gen Beziehungen abgeschlossen, in
es sich um rechtmässig verurteilte Mör- dem die Souveränität der DDR auf allen
der und Kriegsverbrecher handele. Ade- politischen Gebieten, vor allem im Ver-
nauer erinnert an den menschlichen As- hältnis zur Bundesrepublik, betont
pekt des Problems und fügt hinzu, dass wird. Damit macht die Sowjetunion ihre
auch die sowjetischen Soldaten beim Absicht deutlich, die beiden deutschen
Einmarsch in Deutschland «entsetzliche Staaten als voneinander unabhängige
Dinge» getan hätten. politische Einheiten zu betrachten.
Nachdem die deutsche Delegation be-
Aus der ‚Chronik
des 20. Jahrhun-
derts’. Seite 813.
290
Ein Fernsehbericht im Jahre 1994, den eine deutsche Fernsehgruppe in
der UdSSR verfasste, brachte dann aber ans Tageslicht, dass selbst heute
noch ehemalige deutsche Wehrmachtangehörige in der UdSSR leben.
Wie in Solschenizyns Der Archipel Gulag beschrieben, hatten sie sich nach
ihrer Entlassung aus den Lagern in deren Nähe angesiedelt, da ihnen, ohne
Ausweispapiere und Kontakte nach Deutschland, jegliche Möglichkeit der
Heimreise entzogen war.
Heimkehr! Die Be-
Als offizielles Ende der Kriegsgefangenschaft für ehemalige deutsche Wehr- völkerung begrüsst
machtangehörige nennen wir heute den Oktober 1955, doch in Wirklichkeit heimgekehrte
ist dieses Kapitel des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen erst dann be- Kriegsgefangene
endet, wenn der allerletzte noch in Russland Verbliebene gestorben ist, des Kreises Tübin-
denn erst dann ist auch seine Gefangenschaft zu Ende. gen.
Tübinger Marktplatz
im September 1955.
291
Der neue Staat mausert sich
Kleine Chronik 1950
292
7.4. Die USA protestieren gegen die britischen Demontagen in der
Bundesrepublik.
1.5. Die KPD-Führung des Saarlandes wird verhaftet.
4.5. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS meldet, dass alle
deutschen Kriegsgefangenen entlassen und nur noch 9‘717 so-
genannte Kriegsverbrecher in Haft in der UdSSR seien.
10.5. DDR-Ministerpräsident Grotewohl bittet die UdSSR, die Repa-
rationsforderungen zu mindern.
16.5. Die UdSSR kürzt die Reparationsleistungen der DDR von 6,3 auf
3,2 Milliarden Dollar.
2.6. Das Aussenministerium der USA gibt offiziell bekannt, Bundes-
kanzler Adenauer um die Aufstellung einer 25’000 Mann star-
ken Polizeitruppe gebeten zu haben.
6.6. Polen und die DDR schliessen einen Vertrag über die Anerken-
nung der Oder-Neisse-Linie als Grenze ab.
15.6. Der Rat der Alliierten Kommission gibt bekannt, dass gegen
ausländische Investoren in Deutschland keine Einwände mehr
erhoben werden.
Mit 220 gegen 152 Stimmen beschliesst der Bundestag den
Beitritt zum Europarat.
21.6. Frankreich kündigt eine Initiative der drei Westmächte an, den
Kriegszustand mit Deutschland einseitig zu beenden.
25.6. Der Korea-Krieg beginnt; Truppen der ‚Koreanischen Volksre-
publik‘ überschreiten den 38. Breitengrad.
12.7. Das erste deutsche Fernsehtestbild wird gesendet.
19.7. In Frankfurt/M. gründen verschiedene jüdische Organisationen
den ‚Zentralrat der Juden’.
25.7. Neuer Generalsekretär der SED wird Walter Ulbricht.
15.8. Die Alliierte Hohe Kommission verbietet in der Bundesrepublik
elf kommunistische Zeitungen.
16.8. Acht der in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen Verur-
teilten werden vorzeitig entlassen, darunter auch Flick und Dar-
ré.
293
17.8. Konrad Adenauer fordert von der Alliierten Hohen Kommission
die Genehmigung für die schnelle Aufstellung einer deutschen
Abwehrtruppe.
18.8. Die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik ist auf 1,409 Millio-
nen zurückgegangen.
29.8. Die Alliierten erkennen die neue Westberliner Verfassung an.
19.9. Die Bundesregierung beschliesst die Entfernung aller Mitglie-
der von verfassungsfeindlichen Organisationen aus dem öf-
fentlichen Dienst.
25.9. In Hamburg-Heiligengeistfeld nimmt der erste deutsche Fern-
sehsender in einem ehemaligen Bunker seinen Betrieb auf.
28.9. Seoul wird von UNO-Truppen zurückerobert.
9.10. Innenminister Gustav Heinemann tritt nach Differenzen mit
Adenauer zurück.
8.11. Grosse Bundestagsdebatte über eine deutsche Wiederbewaff-
nung.
30.11. Rekordkartoffelernte in der Bundesrepublik.
1.12. DDR-Ministerpräsident Grotewohl schlägt Adenauer in einem
Brief einen Gesamtdeutschen Rat vor.
3.12. Der NWDR nimmt als erster deutscher Sender ein UKW-Netz in
Betrieb.
294
Zehn Jahre
verschenkt –
und noch mehr
«In Deutschland lügt man,
wenn man höflich ist.»
Johann Wolfgang von Goethe
W
enn man in den Nachkriegsveröffentlichungen über das Kriegs-
ende nachblättert, wird meist auf die Hitlerjungen, den Volks-
sturm oder die Verbände der Waffen-SS hingewiesen.
Die zahlreichen Bilddokumente zeigen häufig blutjunge oder ältere Sol-
daten, und die Bildunterschriften sprechen meist vom «letzten Aufgebot
des Dritten Reiches».
Dies entspricht aber keineswegs der Wirklichkeit jener Jahre, denn es war
nicht nur der Volkssturm oder die HJ, die bei Kriegsende in die Gefange-
nenlager der Alliierten marschierten, es war die Masse der rund 19 Millionen
deutschen Wehrpflichtigen der Jahre 1939 bis 1945, die sich dann hinter
Stacheldraht wiederfanden.
Es waren keine verblendeten Nazis oder Kriegsfreiwillige aus Überzeu-
gung, es waren einfach Männer, die ihre Pflicht getan hatten und dafür mit
dem Verlust ihrer Jugend, der Familie und oft auch ihrer Existenz bezahlen
mussten.
Vor allem die Jahrgänge zwischen 1910 und 1928 waren am meisten be-
troffen und büssten zehn Jahre ihrer Jugend und mehr als direkte Folgen
des Krieges ein.
Sie waren die wirklichen Verlierer des Krieges. Dies wurde dennoch in der
Nachkriegszeit kaum gewürdigt, ja heute müssen sie sich in den Medien
noch als Kriegsverbrecher bezeichnen lassen, ohne sich dagegen wehren zu
können. Und wenn dann noch die Deserteure, in den Augen aller ehemali-
ger Soldaten nur als Feiglinge, Kameradenverräter und Drückeberger ange-
sehen, sich heute als politische Helden des vergangenen Krieges aufspielen
297
wollen, ist das ein weiterer Schlag in das Gesicht jedes ehemaligen Wehr-
machtangehörigen.
Ich habe während meiner zahllosen Gespräche mit ehemaligen Soldaten
und Kriegsgefangenen immer wieder das Thema der Desertion aus Gewis-
sensgründen angesprochen und dabei stets das Gleiche zu hören bekom-
men:
«Wer wirklich aus Gewissensgründen nicht Soldat der Wehrmacht wer-
den wollte, und es hat zahlreiche solcher Fälle gegeben, der verliess die
Heimat, noch bevor er den feldgrauen Waffenrock anzog und den Fahnen-
eid ablegte. Es hat auch während des Krieges zahlreiche Emigranten nach
Osten und Westen gegeben, und bei denen muss man die Gewissens-
gründe oder aber auch die politische Einstellung anerkennen, nicht aber bei
denjenigen, die so lange die deutsche Uniform trugen, wie es ihnen ange-
nehm erschien, und dann auf Kosten ihrer Kameraden flüchteten, als abzu-
sehen war, dass das Kriegsende für jeden uniformierten Deutschen mit
Nachteilen bis zum Tode hin verbunden war. Das ist nichts anderes als Feig-
heit, und der einzige Gewissensgrund hierfür war es, die eigene Haut zu
retten.»
Ausserdem, so der Tenor der Befragten, hatten die Deserteure, nach
Kriegsende als «Widerstandskämpfen gefeiert, sofort wieder die Möglich-
keit, sich eine eigene Existenz aufzubauen, während ihre Kameraden, die
ihre Pflicht getan hatten, nach Kriegsende hinter Stacheldraht kamen.
«Eigentlich», so erklärte mir einer der Spätheimkehrer des Jahres 1956,
der recht verbittert war, «müssten wir Langzeitgefangenen im Osten heute
noch eine Entschädigung von diesen ehrlosen Wichten einklagen.»
Erst im weiteren Verlauf des Gesprächs erfuhr ich den Grund des Mannes
für die Verbitterung. Er war selber Opfer eines solchen Deserteurs, der, bei
Nachtals Wachposten eingeteilt, seinen Unterstand verlassen hatte, sich der
Roten Armee ergab und die Stellungen seiner Kameraden dort verriet.
Noch in derselben Nacht wurde die gesamte Kampfgruppe des Mannes
von den Russen überrannt. Zahlreiche Kameraden wurden dabei getötet
und verwundet, der Rest ging in russische Gefangenschaft. So lautete das
direkte Ergebnis dieser einen Desertion:
84 Gefallene, 16 Vermisste, 33 Verwundete, 91 Gefangene für einen De-
serteur!
298
Dass man bei solchen eigenen Erlebnissen nicht gerade gut auf Deser-
teure zu sprechen sein kann, ist nur eine gut verständliche menschliche Re-
aktion, zumal, wenn man selber deswegen fast zehn Jahre in einer sowjeti-
schen Erzgrube zubringen musste.
Das Ansteigen der Desertionen zum Kriegsende hin zeigt auch deutlich,
wo die wirklichen Beweggründe der meisten dieser Männer lagen, auch
wenn man heute noch versucht, dies in einem anderen Licht erscheinen zu
lassen.
Wie sehr man aber auch heute noch alles, was sich in irgendeiner Form
gegen das Dritte Reich richtete, im Nachhinein als Widerstand oder Helden-
tat verherrlichen und damit eine völlig eigene Moral für diese Zeit schaffen
will, zeigen die Aussagen des schon genannten Herrn Giordano im Mai 1995
im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der nicht nur alle Wehrmachtsangehö-
rigen als Verbrecher beschimpfte, sondern auch noch die «Desertion aus
Gewissensgründen» während des Zweiten Weltkrieges mit Zahlenmaterial
untermauern wollte.
Er führte an, dass im Ersten Weltkrieg weitaus weniger Desertionen ver-
merkt wurden als im Zweiten.
Dies allein zeigt, wie wenig Ahnung dieser Mann von den beiden Kriegen
und dem Soldatendasein wirklich hat.
Natürlich konnten im Ersten Weltkrieg wesentlich weniger Soldaten aller
Seiten desertieren, da er sich, nach den ersten deutschen Angriffen, vor al-
lem als reiner Stellungskrieg entwickelte.
Wie soll denn ein Soldat zum Gegner desertieren, wenn er dabei zuerst
einmal den eigenen Stacheldraht, dann das eigene Minenfeld, danach das
von Maschinengewehren beider Parteien ständig belegte Niemandsland,
danach das feindliche Minenfeld und dann noch den feindlichen Stachel-
draht überwinden musste?
Das war die Praxis des Ersten Weltkrieges für alle deutschen Soldaten im
Westen, wo sich dieser Krieg hauptsächlich abgespielt hat.
Der Zweite Weltkrieg aber war kein Stellungs-, sondern ein Bewegungs-
krieg, und die Anlage aller Verteidigungsanlagen wurde ad absurdum ge-
führt.
Bei einer ständig in Bewegung befindlichen Front ist es aber auch we-
sentlich einfacher zu desertieren, am einfachsten natürlich in den ständigen
Rückzugsbewegungen der Jahre 1944/45, in denen auch die meisten De-
sertionen vermerkt wurden.
299
Mit sich aus völlig anderen Gründen ergebenden Zahlen dann auch noch
angebliche Gewissensgründe untermauern zu wollen ist nicht nur äusserst
plump, sondern auch ausserordentlich zynisch.
Ich kann und will hier nicht alle Deserteure ‚über einen Kamm scheren‘,
wie der Volksmund sagt, denn es mag sicher auch einige Soldaten gegeben
haben, deren Gewissen sich beim Anblick von Untaten erst regte; ich spre-
che diesen Menschen ihre berechtigten Gewissensgründe nicht ab. Den-
noch können sie nicht leugnen, zum Zeitpunkt ihrer Desertion bestehendes
Recht missachtet und eine Straftat begangen zu haben, und das müssen sie
mit ihrem eigenen Gewissen ausmachen, zumal, wenn sie durch diese Straf-
tat auch noch den Tod von Kameraden auf ihre Schultern geladen haben.
Doch als deutsche Widerstandskämpfer kann ich alle Deserteure nicht
akzeptieren, denn Widerstand leistet man nicht, indem man ins Ausland
flüchtet, sondern in dem Land, für das man sich als Widerständler einsetzen
will, in diesem Fall also in Deutschland, wie die Beispiele zahlreicher wirkli-
cher Widerstandskämpfer gezeigt haben.
Bewiesen ist heute aber auch, dass zahlreiche Deserteure im Osten dann
für den NKWD gearbeitet haben, der in Moskau eine eigene Abteilung zu
diesem Zweck unterhielt. Aus diesen Deserteuren wurden dann häufig die
‚Kapos’ der Kriegsgefangenenlager gebildet, die sich meist noch schlimmer
unter den Gefangenen aufführten als die sowjetischen Bewacher.
Auch dies ist sicher kein Ruhmesblatt in der Geschichte der deutschen
Deserteure des Zweiten Weltkrieges.
Abschliessend sei zu diesem Thema noch angeführt, dass man zwar von
altersher stets den Verrat liebte, aber selten den Verräter, und so waren
auch die Deserteure, vor allem bei den Westalliierten, zwar entscheidend
für manche militärischen Erfolge, aber niemals besonders beliebt.
Genaue Zahlen zu Desertionen gibt es heute nicht, da vor allem bei
Kriegsende manche Soldaten und vor allem Volkssturmmänner die Waffen
wegwarfen, zum Gegner marschierten und sich dort ergaben. Juristisch ge-
sehen mag auch das bereits eine Desertion sein, doch wer will diesen Män-
nern verdenken, den Zeitpunkt ihrer bereits feststehenden Gefangennahme
um einige Tage vorverlegt zu haben?
300
Hier kann sich niemand anmassen, eine korrekte Grenze zwischen Deser-
tion und gewollter Gefangennahme zu ziehen, auch wenn wieder einige
überschlaue Juristen oder Historiker irgendwelche Gesetze, Weisungen
oder Dienstvorschriften zu diesem Thema ausgraben werden.
Man kann nun einmal die Vielfalt menschlichen Verhaltens nicht immer
in irgendwelche schriftlich festgelegte Rahmen zwängen.
Die wirklichen Desertionen bis zum Frühjahr 1945 hielten sich, bei mehr
als 19 Millionen Wehrpflichtigen auf deutscher Seite einigermassen in Gren-
zen. Sie werden bei etwa 0,1%o gesehen und lagen somit wesentlich unter
den Prozentzahlen der alliierten Truppen. Auch das sagt etwas über das Ge-
wissen der deutschen Soldaten aus, die in der Masse ihre Pflicht bis zum
bitteren Ende und weit darüber hinaus erfüllten. Hierbei sahen sie in der
Kriegsgefangenschaft auch einen Teil dieser Pflichterfüllung, wenn auch ei-
nen sehr unangenehmen.
Doch wie dankte man ihnen diese Pflichterfüllung nach ihrer Heimkehr
im eigenen Lande?
Dieses Thema nur einigermassen erschöpfend abzuhandeln würde ganze
Bücherschränke füllen.
So sagte mir der britische Exgefangene Nummer 635 885, Karl-Heinz
Müller:
«Hitler hat mir 10 Lebensjahre gestohlen und Adenauer und seine Nach-
folger den Rest meines Lebens.»
Als ich dann wissen wollte, weshalb er, neben Hitler, denn auch die Bun-
deskanzler unseres Staates für die Kriegsfolgen und ihre Auswirkungen auf
sein Leben verantwortlich mache, erzählte er mir in knappen Worten seine
Lebensgeschichte, die ich hier kurz als ein Beispiel aufzeigen möchte.
301
und Fliegen ausgebildet und fand mich bald im Cockpit einer Ju 88 wieder,
mit der ich über Frankreich, England und dann im Osten flog.
Nachdem wir von unseren letzten 8 Maschinen kurz vor Kriegsende noch
4 enttanken mussten, um mit diesem Sprit von unserem Feldflugplatz, der
bereits unter dem Feuer russischer Panzer lag, noch zu entkommen, war
uns Fliegern klar, dass es bald zu Fuss weitergehen würde, und so geriet ich
bei Kriegsende auch im Westen als Infanterist in Gefangenschaft.
Nachdem ich mehr als zwölf britische Gefangenenlager durchwandert
hatte, landete ich im Camp 23 und konnte dort zu meiner grossen Freude,
neben der Arbeit, ein von gefangenen deutschen Medizinern initiiertes Me-
dizinstudium aufnehmen, das von den Tommies gefördert wurde.
‚Medizinische Akademie für Deutsche Kriegsgefangene’ nannte sich un-
sere Studienstätte im Camp 23.
Zwar hatten wir kaum Schulbücher, und es herrschte auch ständiger Pa-
piermangel, doch dank der hervorragenden Kenntnisse unserer Professo-
ren, die alles aus dem Gedächtnis nachvollzogen, gelang es uns doch, einen
einigermassen umfassenden Studiengang abzuschliessen, den wir dann in
Form von selbstgebundenen Büchern schriftlich niederlegten.
Selbst die englischen Ärzte zeigten sich erstaunt über die Vielfalt und
Korrektheit des behandelten Lehrstoffes und bescheinigten uns dieses Stu-
dium.
Nun schien es, als ob ich trotz des Krieges und der anschliessenden Ge-
fangenschaft meinem Ziel endlich wieder etwas näher kommen würde.
Als ich dann endlich im Jahre 1948 mit einem der letzten Transporte aus
England entlassen wurde, wollte ich natürlich mit meinen Studienunterla-
gen und einem kurzen Reststudium in Deutschland bald als Arzt tätig wer-
den, und so traf es mich doppelt hart, als mir die deutschen Behörden mit
dem Vermerk «Semester nicht anerkannte einfach einen Strich durch mein
Gefangenenstudium machten und mir nach monatelangem Kampf mitteil-
ten, dass ich, wenn ich Arzt werden wollte, alles noch einmal von vorn stu-
dieren müsste, denn auch das Semester vor dem Krieg wurde plötzlich nicht
mehr anerkannt.
Nun, nach rund 6 Jahren Krieg und knapp 4 Jahren Gefangenschaft, völlig
mittellos und ohne die Aussicht auf eine Einkommensmöglichkeit, sollte ich
302
wieder als Medizinstudent im ersten Semester anfangen, welch eine Perver-
sion der Geschichte! Wir schrieben inzwischen 1949, ich war 30 Jahre alt,
und die Bundesrepublik war entstanden und nahm mir meine Semester so
einfach weg, wie Hitler zehn Jahre zuvor einfach mein Studium abbrechen
liess.
Da ich in Deutschland keine Arbeit fand, die war bereits unter jene auf-
geteilt, die nicht in Gefangenschaft waren oder eher nach Hause kamen, an
ein Studium nicht zu denken war und die Zukunft nicht besonders rosig
aussah, lieh ich mir das Geld für die Überfahrt in die USA, arbeitete dort
wirklich als Tellerwäscher, Botenjunge, Lagerarbeiter und in allen möglichen
Jobs, mit denen man sich damals durchschlagen konnte, bis ich etwas Glück
hatte und bei einem kanadischen Getränkekonzern unterkam.
Nur Arzt, wie ich es mir immer gewünscht hatte, bin ich leider nie gewor-
den, und das habe ich Hitler und Adenauer zu verdanken, denn sie waren in
meinen Augen für die Gesetze verantwortlich, die mich um mein Medizin-
studium gebracht haben.»
303
ses und der Strasse, in der man aufgewachsen war, und dann kamen sie
heim und fanden sich nicht mehr zurecht.
Die Strassen und Plätze hiessen nicht mehr ‚Adolf-Hitler-Platz’ oder ‚Gö-
ringallee’, sondern ‚Stalinallee’ oder ‚Waterloostrasse’.
Auch gab es viele Häuser einfach nicht mehr, oder es waren völlig neue
entstanden.
Arbeitslose fanden sich wieder ein – wie vor 1933 –, und die Alliierten
demontierten überall die deutschen Industriebetriebe. Die Heimkehrer wur-
den so nur zu einer zusätzlichen Belastung, so empfanden es jedenfalls da-
mals die meisten von ihnen.
Jahrelang hatte man sich in der Gefangenschaft vorgestellt, wie man nach
der Heimkehr am Aufbau eines neuen Deutschlands teilnehmen würde,
doch als man dann 1948, 1949 oder noch später heimkam, musste man
rasch feststellen, dass die wenigen Arbeitsstellen bereits besetzt waren.
Zwar versuchten die deutschen Politiker durch die Schaffung eines Heim-
kehrergesetzes, das am 16. September 1950 in Kraft trat, das Los der Heim-
kehrer etwas erträglicher zu machen, so wurden allen, die nach dem 8. Mai
1950 zurückkamen, Ausbildungsbeihilfen zugesagt, und denen, die nach
dem 31. Dezember 1947 heimkehrten, sprach man einen Anspruch auf be-
vorzugte Arbeitsvermittlung oder bevorzugte Einstellung in den Öffentli-
chen Dienst zu, doch wie sah es damit in der Praxis aus?
Welche bevorzugte Arbeitsvermittlung sollte man betreiben, wenn es
noch keine Arbeit zu verteilen gab?
Später dann, in der Fassung vom 2. September 1971, finden wir auch eine
Entschädigung für diejenigen, die nach dem 31. Dezember 1948 erst heim-
kamen, aber die Entschädigung wurde nur für die Zeit nach dem vorge-
nannten Stichtag gewährt, und nur bei denen, die nach dem 30. September
1948 heimkamen, wurden damals Steuerfreibeträge anerkannt.
So versuchte die neugeschaffene Bundesrepublik zumindest auf dem
Verwaltungssektor, mit den heimkehrenden Kriegsgefangenen fertig zu
werden, doch als besonders existenzfördernd erwiesen sich diese Massnah-
men in der Praxis nicht.
Ebenso wie die existenziellen zerrannen dann auch oft die familiären
Träume rasch, wenn man erst einmal daheim war.
Für die Kinder, vor allem, wenn sie noch klein waren, war der heimkehren-
304
de Vater oft ein Fremder. Nicht alle Ehen hatten über die Jahre hinweg ge-
halten, und vor allem die Ferntrauungen konnten nicht den Halt geben, den
es bei einer langjährigen Trennung für eine Ehe bedarf, um sie nicht zerbre-
chen zu lassen.
So standen plötzlich Tausende vor den Scherben ihrer Familie und der
gesamten Existenz und benötigten alle innere Kraft, um daran nicht zu zer-
brechen.
Millionen von Familien waren schliesslich von diesen Nachwirkungen des
Krieges noch über Jahrzehnte hinweg betroffen, und man kann selber nur
sehr schwer nachvollziehen, welche menschlichen Dramen sich da abge-
spielt haben.
Ich habe mit Menschen gesprochen, deren Familien noch acht oder zehn
Jahre nach ihrer Rückkehr an den Folgen der Gefangenschaft zerbrachen,
weil es den Heimkehrern nicht mehr gelang, sich an Frau und Kinder so an-
zupassen, so dass ein normales Familienleben möglich gewesen wäre.
Es sind dies die zahllosen kleinen Schicksale, die, von der Umwelt meist
unbemerkt, das Leben der Bundesrepublik in allen Schichten durchzogen.
Hinzu kam der öffentliche Druck auf die Heimkehrer durch die Publika-
tionen der Nachkriegszeit über die deutschen Greueltaten, die man ihnen,
da sie Ja erst so spät aus der Gefangenschaft kamen, bewusst oder unbe-
wusst als persönliche Verfehlungen vorwarf.
Hier entstand diese überdimensionale Schere zwischen Vätern und Söh-
nen, die über Jahrzehnte immer weiter auseinanderklafft und deren Auswir-
kung wir heute immer stärker verspüren.
Den alliierten Direktiven entsprechend, wurde in den deutschen Schulen
der Unterricht gestaltet. Bereits am 11. Juli 1945 mussten auf amerikanische
Anordnung hin in Bayern rund 4 Millionen Schulbücher neu gedruckt wer-
den.
Wer selber weiss, wie lange es dauert, ein Fach- oder Sachbuch zu schrei-
ben, es zu korrigieren, zu setzten, zu drucken und dann zu binden, der weiss
auch, dass diese Bücher nicht erst nach dem 8. Mai 1945 entstanden sind,
sondern zumindest im Entwurf von den Amerikanern bei Kriegsende bereits
mitgebracht und dann nur noch rasch überarbeitet wurden.
So wissen wir heute, dass die bundesdeutsche Form der Vergangenheits-
bewältigung bereits vor dem Kriegsende in den USA und Grossbritannien
festgelegt wurde.
305
Die Spätheimkehrer, die sich selbst logischerweise als Opfer des Krieges
fühlten, wurden so plötzlich zu Tätern abgestempelt, und das konnten und
wollten sie nicht verstehen.
Was hatten sie sich denn wirklich vorzuwerfen?
Sie waren in der Masse als Wehrpflichtige eingezogen und zu Soldaten
gemacht worden. Sie hatten Befehlen gehorcht, wie man es ihnen beige-
bracht hatte, sie mussten dafür nach dem Kriegsende in der Gefangenschaft
bitter büssen und sollten auch jetzt, nach ihrer Heimkehr, immer noch nicht
zur Ruhe kommen.
Bundesdeutsche Justizbehörden begannen, sich mit ihnen zu beschäfti-
gen, ebenso alliierte Behörden, weil man überall immer noch nach deut-
schen Kriegsverbrechern suchte.
Es gab auch Fälle zu Hunderten, bei denen entlassene Kriegsgefangene
in der Besatzungszone, in die man sie entlassen hatte, gleich wieder verhaf-
tet wurden. Dies traf vor allem auf die französische und die sowjetische Be-
satzungszone zu.
Mir hat ein ehemaliger Gefangener seine Geschichte erzählt, der 1946
aus britischer Haft in den Raum Stuttgart entlassen und dort von den Fran-
zosen erneut verhaftet, dann 1948 wieder entlassen wurde. 1949 fand er
dann seine Familie wieder, die bei Dresden lebte, und nach seinem Übertritt
in die Ostzone wurde er dann erneut verhaftet. Mit einem Transport kam er
1950, als angeblich der letzte Kriegsgefangene aus der UdSSR entlassen
wurde, nach Workuta und wurde erst Mitte 1956 endgültig entlassen.
Und das alles nur, weil er 1943 zu einem mehrwöchigen Pionierlehrgang
in die Nähe von Auschwitz abkommandiert war. Allein das Wort Auschwitz
in seinen persönlichen Papieren hatte für diese Verhaftungswelle ausge-
reicht, ohne dass er je etwas mit dem dortigen Konzentrationslager zu tun
hatte.
«Noch bis in die 70er Jahre hinein habe ich mich davor gefürchtet, an die
Haustür zu gehen, und auch heute noch zucke ich stets zusammen, wenn
es an der Tür läutet,» schloss der Mann seinen Bericht. Ich kann diese tief
im Unterbewusssein verankerten Ängste nach solchen Erlebnissen durchaus
verstehen.
Heute steht jedem Strafgefangenen ein Psychologe zur Seite, und ganze
Organisationen befassen sich in unserem Land mit der Wiedereingliede-
rung von Strafgefangenen, also von rechtmässig verurteilten Straftätern,
nach dem Verbüssen ihrer Strafe.
Die Heimkehrer waren aberdamals völlig auf sich allein gestellt, und nie-
306
mand stand ihnen zur Seite, um sie psychologisch zu unterstützen und eine
Eingliederung in das neue Leben in Deutschland zu ermöglichen.
Dies galt auch für die berufliche Situation, denn wer zehn Jahre oder
mehr aus seinem Beruf herausgerissen war, der konnte nicht einfach wieder
dort weitermachen, wo er 1939 oder 1940 aufgehört hatte.
Die technische Entwicklung war über ihn hinweggerollt, und wer selbst
noch im Krieg als Automechaniker tätig war, konnte mit der Technik der
neuen Automobile der fünfziger Jahre nicht mehr allzuviel anfangen.
Die alten Firmen waren demontiert, die neuen meist mit amerikanischen
Maschinen aufgebaut und bedurften ebenfalls eines neuen Fachwissens,
und das hatte man sich in einer Kohlengrube hinter dem Ural nicht aneignen
können.
Was sich den Heimkehrern auf dem begrenzten deutschen Arbeitsmarkt
damals bot, waren dann häufig nur einfachste, ihren Fähigkeiten nicht ge-
rechte Arbeitsstellen.
«Irgendwie kam ich mir wie ein Bettler vor, wenn ich mich nach meiner
Entlassung um eine Arbeit bewarb und bei einer Firma vorstellte. Schon
meine Kleidung, ein geliehener Anzug, der viel zu gross war, meine vom
Holzschleppen im Lager gebeugten Schultern und mein damals unterwür-
figes Wesen haben sicher manchen Chef abgestossen, und es gab eine Zeit,
so etwa zwei Monate nach meiner Entlassung, da wäre ich am liebsten wie-
der freiwillig ins Lager zurückgegangen, denn da war ich wenigstens von
den Mitgefangenen, ob Russen oder Deutschen, wie ein Gleichgestellter be-
handelt worden. In meiner Heimatstadt kam ich mir aber eher wie der ver-
armte Onkel vor, der allen nur zur Last fällt», so schilderte einer der Spät-
heimkehrer mir noch vor einiger Zeit seine persönliche Situation in den Ta-
gen und Wochen nach seiner Entlassung, und ich bin der Überzeugung,
dass es vielen Heimkehrern so oder ähnlich ergangen ist.
Seit 50 Jahren versuchen die Politiker unseres Landes, das Leid zu würdi-
gen, das von deutscher Hand im Krieg, in den Konzentrationslagern und
den Gefängnissen angerichtet wurde. Milliarden an ‚Wiedergutmachungs-
leistungen’ wurden bereits ausgegeben, und dennoch kann man persönli-
ches Leid damit nie wirklich entschädigen oder gar vergessen machen, son-
307
dern nur anerkennen und bestenfalls würdigen. Aber für die jahrelang hin-
ter Stacheldraht gezwungenen deutschen Kriegsgefangenen gab es nur lä-
cherliche ‚Wiedergutmachungen’.
Auf alliierter Seite hat man jahrzehntelang versucht, die eigenen Greuel-
taten zu verbergen oder, was noch viel schlimmer ist, gegen deutsche
Greuel aufzurechnen. Auch das ist in meinen Augen keine Art, mit den
schrecklichsten Jahren unserer Geschichte umzugehen.
Wenn wir diese Kapitel der deutschen Geschichte wirklich abhandeln und
die geschichtlichen Fakten zu den Akten legen wollen, dann müssen wir
alles Leid würdigen, das, was wir anderen zugefügt haben, ebenso wie je-
nes, was uns von anderen zugefügt wurde.
Würdigen können wir alles Leid aber nur, wenn wir endlich dazu fähig
sind, auch die schrecklichen Ereignisse rund um das Kriegsende, von denen
die Deutschen insgesamt und die Kriegsgefangenen besonders betroffen
waren, offenzulegen und nicht, wie bisher geschehen, als ‚Folgen des von
Hitler verursachten Krieges’ einfach abzulegen.
Hierzu bedarf es natürlich auch der vollen Offenheit unserer ehemaligen
Gegner im Umgang mit ihren Archiven und der schonungslosen Veröffent-
lichung dieser Fakten in den Medien mit der gleichen Intensität, mit der
bisher die von Deutschen angerichteten Greueltaten – angebliche oder
wirkliche – dargestellt werden.
Erst dann, wenn man ihrem Schicksal auch in den Geschichtsbüchern den
Platz eingeräumt hat, der ihnen zukommt, können sich die deutschen
Kriegsgefangenen wirklich daheim fühlen und auch für sich möglicherweise
die verschenkten Jahre vergessen.
308
Kriege und Kriege ohne Ende
Eine kleine Chronik der Jahre 1951-1955
1951
309
9.7. Die drei Westalliierten teilen durch ihre Hohen Kommissare
mit, dass sie den Kriegszustand mit Deutschland als beendet
ansehen.
3.8. Die USA heben alle Zollvergünstigungen für die kommunisti-
schen Staaten auf.
26.8. 17 Staaten haben bisher den Kriegszustand mit Deutsch
land beendet, teilt das Auswärtige Amt mit.
5.9. Mit alliiertem Gesetz werden alle deutschen Auslandsvermö-
gen konfisziert.
28.9. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird eröffnet.
7.11. Bundespräsident Heuss lehnt es ab, weiteren Briefwechsel mit
dem DDR-Präsidenten Pieck zu führen, da dieser in seinen
Schreiben die Bundesregierung beleidigt.
1.12. In London wird das Sinfonieorchester des NWDR bei seinem
ersten Nachkriegsauftritt begeistert gefeiert.
3.12. Der britische Premierminister Churchill empfängt als ersten
bundesdeutschen Regierungschef den Kanzler Adenauer.
1952
310
8.10. In Hessen entdeckt man eine Untergrundorganisation, die
schwarze Listen führender Politiker führt, die liquidiert werden
sollen.
30.10. Der Bundestag lehnt die Wiedereinführung der Todesstrafe
ab.
1.11. Die USA zünden die erste H-Bombe auf dem Atoll Eniwetok.
30.11. Wahlen zum Landtag des Saarlandes mit umstrittenem Ergeb-
nis.
3.12. Die DDR-Volkspolizei beschlagnahmt in Ost-Berlin Fahrzeuge
mit Westkennzeichen.
10.12. Der DDR-Versorgungsminister Hamann wird wegen akuten
Nahrungsmittelmangels seines Postens enthoben.
1953
4.1. Die Bewaffnung der Polizei in West-Berlin wird von den Alliier-
ten abgelehnt.
8.1. In Hessen wird der rechtsstehende Bund deutscher Jugend
verboten.
14.1. Die britische Militärpolizei verhaftet in der Bundesrepublik sie-
ben ehemalige Nationalsozialisten wegen eines angeblichen
Putschversuches, ohne die deutschen Dienststellen vorher
darüber zu informieren.
7.2. In Bonn findet eine Konferenz zum Flüchtlingsproblem statt.
10.2. Das rechtsstehende ‚Freikorps Deutschland’ wird verboten.
21.2. Ein neues Interzonenabkommen zwischen der Bundesrepublik
und der DDR tritt in Kraft.
27.2. In London wird ein Schuldenabkommen unterzeichnet, in dem
die Bundesrepublik alle deutschen Auslandsschulden seit dem
Ersten Weltkrieg übernimmt.
2.3. Stalin stirbt an den Folgen eines Gehirnschlags.
312
3.8. Grosser Lohnstreik städtischer Beschäftigter in Hamburg. 9.8. In
Bayern streiken 200’000 Arbeiter der Metallindustrie.
11.9. Bundesarbeitsminister Storch eröffnet in Kassel das Bundessozi-
algericht.
17.9. In Berlin wird die Amerika-Gedenkbibliothek eröffnet.
2.10. Die Londoner Aussenministerkonferenz beschliesst die Wieder-
bewaffnung der Bundesrepublik und deren Aufnahme in die
NATO.
14.11. Nachkriegsrekord in Deutschland bei der Kartoffelernte mit 12,4
Millionen Tonnen.
23.11. Sensationelle Enthüllung Churchills über eine mögliche Wieder-
bewaffnung deutscher Gefangener vor Kriegsende und deren
Einsatz gegen die Sowjets.
17.12. Streik der Angestellten der Arbeitsämter für mehr Geld.
1955
9.1. Die DDR schränkt den Verkauf von Lebensmitteln an westdeut-
sche Bürger ein.
25.1. Der Oberste Sowjet der UdSSR beendet den Kriegszustand mit
Deutschland.
29.1. Unter dem Motto: «Rettet Einheit, Freiheit, Frieden. Ge
gen Kommunismus und Nationalismus», wird in der Frankfurter
Paulskirche ein ‚Deutsches Manifest’ ver – abschiedet.
3.2. Die CSSR beendet den Kriegszustand mit Deutschland.
18.2. Polen beendet den Kriegszustand mit Deutschland.
27.2. Nach über vierzigstündiger Debatte nimmt der Bundestag die
Pariser Verträge an.
1.3. Bulgarien beendet den Kriegszustand mit Deutschland.
1 7.3. Die Veröffentlichung der bis dahin geheimen ‚Jalta-Papiere’
zeigt, welche Zugeständnisse Roosevelt damals Stalin machte.
18.3. Der Bundesrat bestätigt die Annahme der Pariser Verträge.
315
Wohin sie gingen
und wo sie
blieben
«Es gibt drei Arten von Lügen:
Lügen, infame Lügen und Statistik.»
Benjamin Disraeli
J e langer ich an diesem Buch arbeitete, je mehr Ungereimtheiten im Um-
gang mit geschichtlichen Zahlen und Fakten ich dabei entdeckte, desto
häufiger kamen in mir die Fragen hoch:
«Interessiert es heute eigentlich noch einen Menschen in unserem Land,
die noch lebenden Betroffenen natürlich ausgenommen, was mit den Mil-
lionen deutscher Gefangener bei und nach Kriegsende wirklich geschah,
wohin sie gingen und wo sie blieben? Haben sich die Nachkriegsgeneratio-
nen nicht schon längst mit den bisher gültigen Geschichtsvorgaben abge-
funden? Ist überhaupt irgend jemand dazu bereit, ein seit rund 50 Jahren
durch die Medien geprägtes Bild aufgrund neuer Erkenntnisse anders zu
betrachten?»
Nun, Gründe des Für und Wider habe ich zahlreiche gefunden, doch die
Fragen sind sicherlich auch noch dann unbeantwortet, wenn der letzte
Buchstabe geschrieben und der allerletzte Punkt in diesem Buch gesetzt ist.
Solange sich Legionen von Schülern in diesem Land in ungezählten Un-
terrichtsstunden durch die Punischen oder die Gallischen Kriege kämpfen
müssen, haben sie meiner Meinung nach auch ein Recht darauf, alles ge-
schichtlich wirklich Gesicherte auch über ihre eigene Vergangenheit zu er-
fahren, denn nur aus offengelegten Fehlern können nachfolgende Genera-
tionen praktische Lehren ziehen.
Wer die Vergangenheit verfälscht, Teile der Geschichte ändert oder ein-
fach weglässt, bringt alle nachfolgenden Generationen um diese für ihre
weiteren Entwicklungen wichtigen Tatsachenerkenntnisse, und somit soll-
ten auch auf dem geschichtlichen Teilgebiet der Kriegsgefangenen alle Un-
319
gereimtheiten aufgedeckt und neue Erkenntnisse eingebracht werden,
denn nur aus allen, auch noch so kleinen Mosaiksteinen setzt sich eine Ge-
samtgeschichte schliesslich zusammen.
Eine weitere Frage beschäftigt mich seit mehr als 30 Jahren: «Wieso ak-
zeptieren in der Masse die Nachkriegsgenerationen alles, was man ihnen in
Bezug auf ihre Väter und Grossväter an Belastendem auftischt, ohne zu er-
forschen, was wirklich Realität war oder aus Propaganda und bewussten
Fälschungen heraus entstanden ist?»
Einen Hauptgrund hierfür sehe ich in den falschen Darstellungen sowohl
des Krieges als auch seines Endes und der folgenden Nachkriegszeit in den
Medien der Welt bis heute.
Diese dauernde Schwarz-Weiss-Malerei der gesteuerten Lizenzpresse im
Deutschland direkt nach dem Kriegsende musste doch den Menschen jener
Jahre, die alles am eigenen Leib erlebt hatten, wie ein einziges Lügenmär-
chen vorgekommen sein.
Alles, was die Siegermächte für erwähnenswert hielten, wurde gedruckt,
andere Meinungen wurden nicht berücksichtigt, und eine unbequeme
Presse wurde einfach nicht zugelassen oder verboten.
Die Sieger waren die Guten, die Verlierer die Bösen, so einfach stellte
man es sich bei den Verantwortlichen vor. Doch so einfach ist es nicht, die
Weltgeschichte zurechtzurücken, wie man sie auf alliierter Seite gern ge-
habt hätte.
Noch am 8. Mai 1945 hatte der neue amerikanische Präsident Harry S.
Truman eine Proklamation erlassen, in der die Geschichte des Krieges im
Grundsatz so dargestellt wird, wie man sie in Amerika gern auch heute noch
sieht.
Diese Proklamation beginnt mit den Worten:
«The Allied armies, through sacrifice and devotion and with God's help,
have wrung Germany a final and unconditional surrender. The western
world has been freed of the evil forces which for five years and longer have
imprisoned the bodies and broken the lives of millions upon millions free-
born men...»
(«Die alliierten Armeen haben, dank Aufopferung und Hingabe und mit
Gottes Hilfe, Deutschland eine letzte und bedingungslose Kapitulation ab-
gerungen. Die westliche Welt ist von den bösen Streitkräften befreit wor-
den, die fünf Jahre und länger die Körper von Millionen über Millionen frei-
geborener Menschen eingesperrt und die Leben zerbrochen haben...»)
320
Diese Worte drückten bereits an jenem Tag, den einige deutsche Politiker
des Jahres 1995 noch immer als einen Tag der deutschen Befreiung’ sehen
wollen, aus, wie man in Amerika den Krieg sehen und dem eigenen Volk
sowie der Weltöffentlichkeit ‚verkaufen’ wollte.
Die guten alliierten Truppen, von Gott unterstützt, hatten die bösen deut-
schen Streitkräfte zur Kapitulation gezwungen und somit die gesamte west-
liche Welt befreit. Ausserdem stand an jenem Tag bereits fest, dass die
Deutschen Millionen über Millionen Männer eingesperrt und umgebracht
hatten, ohne dass auch nur der Ansatz gemacht worden war, irgendwelche
Greuel und das dazugehörige Zahlenmaterial zu sichten, zu untersuchen
und zu werten.
Die Vorgaben für alles, was dann an wirklichen und verfälschten Informa-
tionen entstand, war somit erstellt, und alle Mittel, die man auf alliierter
Seite anwandte, waren auch legalisiert, da ja im ‚Kampf gegen das Böse
schlechthin’ jedes Mittel erlaubt ist.
Und die deutschen Kriegsgefangenen waren ja nichts anderes als die ‚ge-
fangengesetzten bösen Streitkräfte’.
Das Grundprinzip nahezu aller bekannten Religionen, der Kampf des Gu-
ten gegen das ewige Böse, wurde so in einer für alle verständlichen Weise
auf den Zweiten Weltkrieg übertragen, und mit der Rolle des Bösen be-
dachte man logischerweise Deutschland und Japan, die beiden Verlierer des
Krieges.
Es verwundert mich immer wieder aufs neue, wie gerade die schlimmsten
Diktatoren und Menschenfänger oft die Religion und Gott in ihre Siegesre-
den einbauen.
Auch Hitler sprach ständig von der ‚Vorsehung’, die ihn auserwählt und
zu den Anfangssiegen des Krieges inspiriert hatte. Auch die Führer der Mos-
lemtruppen in Slowenien sprechen heute vom ‚Heiligen Krieg’ gegen die
Serben.
Für mich hat ein Krieg, stets mit dem grausamen Tod zahlreicher Un-
schuldiger verbunden, gar nichts Religiöses an sich und wird mit Sicherheit
nicht durch einen Gott unterstützt oder gefördert.
Dieses Vokabular benutzen stets nur die Sieger von Auseinandersetzun-
gen, um ihre eigenen Greueltaten nachträglich als für den ‚heiligen Sieg nö-
tig’ darzustellen.
Jeder, der selber schon einmal einen Streit miterlebt hat, wird wissen,
dass es bei Auseinandersetzungen nie nur ein Recht und eine Schuld gibt.
321
Ob in der Ehe, in einer Gruppe oder auch zwischen Völkern: Für Ausein-
andersetzungen benötigt man mindestens zwei verschiedene Parteien mit
unterschiedlichen Standpunkten.
Was für den einen Recht, erweist sich dann logischerweise für den ande-
ren als Unrecht. Hinzu kommt dann noch die Wahl der Mittel für die Aus-
einandersetzung und die Eskalation der Waffen, wobei sich stets jeder sel-
ber in den Besitz der grösseren oder schlagkräftigeren Waffe bringen will.
Alles dies trifft selbstverständlich auch auf alle Kriege der Weltgeschichte
zu.
Stets entwickelten sie sich aus Forderungen oder Notwendigkeiten, die
sich für die beteiligten Parteien und ihr eigenes Rechtsempfinden unter-
schiedlich darstellten.
Mal ging es um die Erweiterung des Lebensraumes, dann wieder um be-
stimmte Völkergruppen, Religionen oder Weltanschauungen, doch immer
prallten gegensätzliche Meinungen aufeinander, die jede Partei von ihrem
eigenen Standpunkt aus als richtig betrachtete.
Nur für den Zweiten Weltkrieg will man diese historischen Fakten nicht
gelten lassen. Dies war, laut inzwischen seit 50 Jahren vorgefasster Meinung,
der einzige Krieg im Verlauf der Menschheitsgeschichte, in dem es nur einen
zu 100% Schuldigen gab, nämlich das Deutsche Reich.
Folglich waren auch alle Soldaten, ob kämpfend oder in Gefangenschaft,
Schuldige dieses Krieges, und so verfuhr man mit ihnen, auch über das
Kriegsende hinaus.
Es gibt in Deutschland keine exakten Zahlen mehr über die tatsächlichen
Kriegsgefangenen, stattdessen eine Vielzahl der unterschiedlichsten Hoch-
rechnungen und Schätzungen.
Es ist für mich ein immer wiederkehrendes Phänomen, dass alle Zahlen-
werte des Zweiten Weltkrieges, die sich mit Menschen beschäftigen, völlig
verwirrend sind. Es gibt keine genauen Zahlen mehr, und das betrifft nahezu
alle Bereiche. Ob über Gefangene, Tote, Vermisste oder Internierte, stets
findet der Sucher in den verschiedenen Ausarbeitungen oder bei unter-
schiedlichen Informationsstellen andere Zahlenwerte angegeben.
Obwohl man weiss, dass gerade in Deutschland, Grossbritannien und den
USA dem Bereich der Verwaltung stets eine grosse Aufmerksamkeit gewid-
met wurde und wird, erscheint diese Art der Verwirrspiele und Irrungen bei-
322
leibe kein Zufall mehr zu sein, wie im Verlaufe dieses Buches bereits mehr-
fach angesprochen.
Erst im Februar 1950 erliess die Regierung der im Jahr zuvor gegründeten
Bundesrepublik einen «Aufruf zur Registrierung der Kriegsgefangenen und
Vermisstem, also knapp fünf Jahre nach dem Kriegsende.
Allein dieser Aufruf zeigt, wie wenig Zahlenmaterial unseren offiziellen
Stellen in jenen Jahren wirklich zur Verfügung stand.
Der Verdacht, dass hier in den Jahren nach Kriegsende besonders me-
thodisch vorgegangen wurde, bestätigt sich für den neutralen Beobachter
nur noch mehr, wenn er heute einmal nachliest, wie in den Monaten nach
Kriegsende in Deutschland Unterlagen, die man bis dahin von deutscher
Seite peinlich genau führte und verwaltete, von den Siegermächten ent-
fernt, untereinander verteilt und gegenüber deutschen Archiven zurückge-
halten wurden.
So beispielsweise bei der Wehrmachtauskunftstelle (WASt), die im Au-
gust 1943 von Berlin nach Thüringen verlagert wurde, damit die dort ver-
walteten Unterlagen über Kriegsverluste und Kriegsgefangene nicht in
Folge der ständigen Bombenangriffe auf die Hauptstadt beschädigt oder
ganz vernichtet wurden.
Die Unterlagen über «Fremdländische Kriegsgefangene’ wurden im April
1945, genau nach Nationen geordnet, in Meiningen, in der dortigen Dra-
chenberg-Kaserne untergebracht.
Die Wehrmachtauskunftstelle wurde bereits vor Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges aufgrund des Genfer Abkommens über die Kriegsgefangenen
vom 27. 07. 1929 errichtet und nahm am 26. August 1938 unter der offizi-
ellen Bezeichnung ‚Wehrmachtauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegs-
gefangene (WASt)’ ihre Tätigkeit auf.
Der Aufgabenbereich dieser Dienststelle erstreckte sich, neben der Aus-
kunfterteilung über fremdländische Kriegsgefangene, zu einem grossen Teil
auch auf die Erfassung der deutschen Wehrmachtverluste und die Bearbei-
tung dieser Fälle sowie auf den amtlichen Gräberdienst.
Nach Artikel 77 des Genfer Abkommens hatten sich nämlich alle Unter-
zeichnerstaaten verpflichtet, bei Beginn von Feindseligkeiten amtliche Aus-
kunftstellen zu errichten, um auch über die auf ihrem Gebiet befindlichen
Kriegsgefangenen jederzeit Auskünfte erteilen zu können.
323
Das Deutsche Reich richtete sich streng nach diesem Abkommen und
konnte mit Hilfe der Wehrmachtauskunftstelle auch bis Kriegsende darüber
exakt Rechenschaft ablegen.
Da alle Unterlagen über alliierte Kriegsgefangene in deutscher Hand hier
zentral verwaltet wurden, hätte zumindest dieser Bereich auch heute noch
korrekt nachvollziehbar sein können, wenn -ja wenn die Siegermächte
daran wirklich Interesse gehabt hätten. Doch dem war nicht so, wie sich bald
zeigen sollte.
Die Unterlagen über fremdländische Kriegsgefangene’ wurden von den
Amerikanern unmittelbar nach Kriegsende beschlagnahmt und später ver-
lagert.
Nun wurde dieses komplette Material nicht etwa, wie normalerweise zu
erwarten war, von einer alliierten Stelle übernommen, weiter verwaltet, und
die jedes Land betreffenden Unterlagen wurden nicht dann in Kopien dem
entsprechenden Land zugestellt.
Nein, eine alliierte Offiziers-Kommission besichtigte diese Unterlagen
und verteilte sie. Ende 1945 wurde das Material über die westalliierten Ge-
fangenen dann abtransportiert, und das Aufteilen der Dienststelle begann.
Am 1. Juli 1945, kurz vor der Besetzung Thüringens durch die Rote Ar-
mee, verlagerten die Amerikaner Teile des Materials und die Dienststelle
selber nach Fürstenhagen bei Kassel.
Am 5. Juli 1945 tauchten die Sowjets dann in Meiningen auf und packten
die umfassenden Unterlagen der gefangenen Sowjetsoldaten ein. So wur-
den bis Mitte August 1945 insgesamt 377 Kisten aus Meiningen ‚mit unbe-
kanntem Ziel‘ fortgeschafft.
Laut Auskunft der deutschen Dienststelle ist über den Verbleib dieser
Unterlagen nichts mehr bekannt.
Ende Januar 1946 verlegten die Amerikaner den Sitz der Dienststelle
dann wieder nach Berlin, und mit Kontrollratsbeschluss der Alliierten vom
14. Juni 1946 wurde die WASt damit beauftragt, die «aus den internationa-
len Verpflichtungen und reichsgesetzlichen Aufgaben entstehenden Arbei-
ten weiter fortzuführen». Gleichzeitig stellte man die Dienststelle unter die
Aufsicht der französischen Gruppe des Kontrollrats. So hatten dann alle vier
alliierten Mächte die Gelegenheit, die ihnen wichtigen Unterlagen zu son-
dieren und ihrer Meinung entsprechend zu verwenden.
Auf Anfrage gibt die nunmehr auf Grund der Übersetzung aus dem Ame-
rikanischen offiziell ‚Deutsche Dienststelle’ genannte WASt wie folgt über
324
das vorhandene Material Auskunft: «Unserer Dienststelle stehen leider nur
noch die nach dem Krieg angefallenen und die von aufgelösten Dienststel-
len übersandten oder anderweitig zugegangenen Meldungen aus der
Kriegszeit über fremdländischen Kriegsgefangene zur Verfügung, die inzwi-
schen verkartet und nach Namen alphabetisch – nicht nach Lagern – geord-
net sind...»
So war es nach dem Krieg natürlich ein leichtes, von alliierter Seite alle
möglichen Dinge über die Behandlung von Kriegsgefangenen in deutscher
Hand, über Todesfälle in deutschen Lagern u.a. zu verbreiten, war man doch
im Alleinbesitz aller Unterlagen. Kopien, wie es üblich gewesen wäre, um
eine korrekte Weiterführung bestehender militärisch, politisch, geschicht-
lich und vor allem menschlich wichtiger Nachweise zu ermöglichen, erstellte
man nicht.
Das hätte natürlich die Möglichkeit einer Überprüfung aller Anschuldi-
gungen und Vorwürfe ermöglicht, und das lag nun wirklich nach Kriegs-
ende, als man Gründe und Entschuldigungen für eigenes Fehlverhalten su-
chen musste, nicht im alliierten Interesse.
Wie sehr diese Nachkriegsverfälschungen auch heute noch von offizieller
Seite verbreitet und somit zu ‚geschichtlichen Fakten’ gemacht werden,
zeigt das Beispiel der deutschen Kriegsgefangenen- und Internierungslager
für Alliierte, über die nach Kriegsende ja unzählige Schauergeschichten be-
richtet wurden.
Auf Anfrage nach einer Aufstellung der deutschen Kriegsgefangenenla-
ger im August dieses Jahres bei der Deutschen Dienststelle bekam ich eine
zwölfseitige Zusammenstellung der Lager zugesandt, die im Anhang zu die-
sem Kapitel angeführt ist.
Bereits beim Überfliegen der ersten Seite fiel mir der englische Begriff
‚Punish-Camp’ (Straflager) auf.
Eine englische Bezeichnung für deutsche Lager hat es aber bis zum Ende
des Zweiten Weltkrieges ebenso wenig gegeben wie SA-Posten vor Schau-
fenstern in Deutschland 1933 mit Schildern in deutscher und englischer
Sprache, wie in manchen Umerziehungsdarstellungen zu sehen.
Gerade im Dritten Reich mit seinem hoch gehaltenen Nationalstolz hatte
man Fremdwörter, so gut es ging, vermieden, und im Amtsgebrauch wur-
den lieber die längsten deutschen Bezeichnungen gewählt, als dass man
dafür ein ‚fremdländisches’ Wort verwendet hätte. Zuerst forschte ich also
325
in anglo-amerikanischen Quellen nach und fand so heraus, dass die Ameri-
kaner diese Bezeichnung in den vierziger und fünfziger Jahren für ‚Strafla-
ger’ verwendeten.
Eine weitere amerikanische Bezeichnung in der vorgenannten Aufstel-
lung ‚Branch-Camp’ erwies sich dann als die Übersetzung für ‚Zweiglager’
oder ‚Nebenstelle’. Als ich für das Lager Bremen ebenfalls die Bezeichnung
‚Punish-Camp’ fand und da ich selber im Norden unserer Republik wohne,
begann ich vor Ort nachzuforschen und bekam heraus, dass Bremen bis
1945 nie ein Straflager war. Was sollte dann diese amerikanische Bezeich-
nung?
Ferner fiel mir auf, dass die amerikanischen Bezeichnungen nicht als An-
merkungen entstanden sein konnten, weil sie ‚Deutsch wiedergeben’ sind.
Dies erkennt man unschwer daran, dass sie mit Grossbuchstaben beginnen
und dann klein weitergeschrieben sind, während man beim Studium ame-
rikanischer Unterlagen erkennen kann, dass man damals ‚camp’ entweder
ganz in kleinen Buchstaben schrieb, wie es die englische Sprache übrigens
auch vorsieht, oder, zur besseren Kenntlichmachung, dann komplett in
Grossbuchstaben.
Ein älterer Mann, der nicht genannt sein will, half mir dann weiter. Er war
1945 als deutscher Kriegsgefangener selber in diesem Lager eingesperrt
und machte mich darauf aufmerksam, dass etwa im Juni 1945 ein amerika-
nisches Journalistenteam in Uniformen dort aufgetaucht sei und zahlreiche
Fotos gemacht habe.
«Möglicherweise haben die uns damals als von den Deutschen misshan-
delte Gefangene fotografiert oder sonstwas», deutete der Mann an und
schwieg dann rasch wieder. Weitere Fragen zu diesem Thema wollte er nicht
mehr beantworten und bat mich auch, seinen Namen nicht zu nennen.
Ob sich hinter dieser Vermutung eines der zahlreichen Bilddokumente
zu ‚deutschen Kriegsverbrechen’ verbirgt, hoffe ich im Frühjahr des kom-
menden Jahres u.a. in amerikanischen Archiven auch zu entdecken, wie
auch das Geheimnis, das sich für mich hinter den anderen als ‚Punish-Camp’
bezeichneten Kriegsgefangenenlagern verbirgt, die meiner Meinung nach
durch diesen Begriff erst nach dem Kriegsende zu Straflagern ‚umdeklariert’
wurden. Doch, wie gesagt, das ist momentan noch eine persönliche Mei-
nung und kein bewiesener Fall.
326
Mysteriös bleibt es für mich ausserdem immer noch, wie diese amerika-
nischen Nachkriegsbezeichnungen auch heute, im Jahre 1995, noch in offi-
ziellen deutschen Unterlagen über deutsche Organisationen im Zweiten
Weltkrieg weiterverbreitet werden.
So wie mit den kompletten Unterlagen der Wehrmachtauskunftstelle ver-
fuhren die Alliierten mit allen Unterlagen, die ihnen bei und nach Kriegs-
ende in die Hände fielen. Die wichtigsten, weil politisch mit Sicherheit bri-
santen Unterlagen behielten die Sowjets in ihren Geheimarchiven, die sich
jetzt erst, oft gegen gute Bezahlung in Devisen, wie man mir unmissver-
ständlich in Moskau andeutete, langsam öffnen, und die Amerikaner ver-
walten sie ebenfalls, mit dem Stempel ‚Top Secret’ versehen.
So wurden beispielsweise die meisten Unterlagen über die SS, die heute
sicherlich recht aufschlussreich wären, im Berliner ‚Document Center’ fest-
gehalten, das bis vor wenigen Jahren von den Amerikanern unter Verschluss
gehalten wurde und nur ausländischen Journalisten und Wissenschaftlern
zugänglich war. Als Deutscher erhielt man keinen Zutritt und musste sich
schon einiger Tricks bedienen, um wenigstens einen kleinen Blick hinein-
werfen zu können.
Nach der Übergabe an die Bundesrepublik wurde diese, wenn man die
Wahrheit sucht, wohl wirklich einmalige Informationsquelle nicht etwa dem
deutschen Volk zugänglich gemacht – dem es ja schliesslich gehört-und
geöffnet. Nein, heute kommt niemand mehr hinein, der nicht den Herren in
Bonn genehm ist.
Dies ist auch ein Punkt, den man heute genau unter die Rubrik ‚Political
correctness’ einreihen kann, denn es ist schon merkwürdig, dass stets da die
Informationspflicht und die politische Korrektheit in unserem Staat aufhö-
ren, wo es um Belange des Dritten Reiches, des Zweiten Weltkrieges und
der direkten Nachkriegszeit geht.
Leider hat auch Helmut Kohl, in dessen Erstwahl ich grosse Hoffnungen
gesetzt hatte, in meinen Augen als Bundeskanzler auf dem Gebiet der ge-
schichtlichen Klärung – und er ist selbst ausgebildeter Historiker – ebenso
versagt wie alle seine Vorgänger.
Er hat mit Sicherheit auch auf diesem Gebiet das Erbe Adenauers ange-
treten, ohne zu erkennen, dass sich ihm gerade nach der Öffnung der Ostar-
chive auf geschichtlichem Gebiet eine Möglichkeit bot, für uns Deutsche
nach der kleinen Wiedervereinigung im Jahre 1990 nun auch eine Wieder-
vereinigung unseres ‚geschichtlichen Erbes‘ herbeizuführen, indem neutra-
327
len Forschern, Journalisten und Wissenschaftlern endlich ein Einblick in alle
Archive, auch in die noch immer verschlossenen, gewährt wird.
Dies wäre für Millionen von Menschen ein ebenso freudiges Ereignis wie
die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, und ich habe die Hoffnung
noch immer nicht aufgegeben, dass es einmal so sein wird, und wenn es
auch erst mein Sohn oder mein Enkel erleben werden.
So bietet sich für uns auch heute, 50 Jahre nach Kriegsende, ein recht
chaotisches Bild, wenn wir genau angeben sollen, wieviele deutsche Solda-
ten wohin in Gefangenschaft gingen, wieviele wann zurückkamen und wo
die anderen blieben.
Obwohl wir auch heute nur unwesentlich genauere Zahlenwerte haben,
hat aber die neue Informationsflut nach dem Öffnen einiger Archive im We-
sten und zahlreicher Archive im Osten zu völlig neuen Kenntnissen geführt,
und wir können bisher bekannte Zahlen anders werten und völlig neu ein-
ordnen, so dass die Hochrechnungen und Schätzungen, auf denen sich un-
ser bisheriges statistisches Wissen aufbaut, eine neue, etwas wirklichkeits-
nähere Dimension erreicht.
Verträge mit russischen Partnern und der Deutschen Dienststelle werden
bis über das Jahr 2000 hinaus das Schicksal zahlreicher der bisher im Osten
noch rund 1,4 Millionen Vermissten aufklären, und seit 1992 fliessen die
dazugehörigen Informationen bereits aus Moskau.
1990 kamen Mengen von Originalunterlagen aus dem ehemaligen Hee-
resarchiv in Potsdam ans Tageslicht, die in Lagern in Domburg unter dem
DDR-Regime vor sich hin verstaubten.
Allein aus der ehemaligen DDR kamen nach 1990 rund 45 Tonnen unge-
ordnetes Aktenmaterial mit etwa 10 Millionen Einzelmeldungen bei der
Deutschen Dienststelle an.
Dies sei hier nur erwähnt, um dem geneigten Leser einmal zu veran-
schaulichen, in welchen Massen jetzt Material auf uns zukommt, mit dem
man etwas mehr Licht in unsere ‚dunkelsten Tage’ bringen kann.
Von diesem neuen Ostmaterial profitiert seit 1989 auch eine Stelle, der
wir seit 1945 mehr echte Informationen über Menschenschicksale als
Kriegsfolgen zu verdanken haben als den meisten offiziellen staatlichen
328
Dienststellen zusammen. Die Rede ist vom Deutschen Roten Kreuz und dort
speziell vom DRK-Suchdienst München.
Was dort seit nunmehr 50 Jahren ermittelt wurde und heute noch wird,
ist mit Sicherheit eine weltweit einzigartige Leistung auf dem Gebiet der
Nachforschung und Vergangenheitsbewältigung.
Und alles begann bereits im Mai 1945, kaum dass der Kanonendonner in
Europa völlig verstummt war.
Millionen Deutsche waren, durch den Bombenkrieg und die Vertreibun- «Die Stärke einer
gen aus den Ostgebieten ihrer eigentlichen Heimat beraubt, in irgendeinem Volksgemeinschaft
Teil Restdeutschlands gestrandet und suchten nun ihre Familienangehörige, bewährt sich in der
die an der Front waren, in Gefangenschaft sassen oder bei der Flucht verlo- Sorge für ihre
Kriegsopfer und
rengingen.
Heimkehrer.»
Das Bayerische Rote Kreuz in München richtete eine Auskunftstelle ein,
Heinrich Weitz,
und bald standen dort Tag um Tag lange Schlangen hoffnungsvoll Suchen- ehem. Präsident des
der. Deutschen Roten
Im August 1945 rief das Bayerische Rote Kreuz (BRK) in München dann Kreuzes
zu einer ersten Registrierung von Flüchtlingen und Vermissten auf, und
noch im Dezember desselben Jahres strahlte der Rundfunk im amerikani-
schen Sektor die ersten Suchmeldungen aus.
Im Januar 1946 schlossen sich dann das DRK, der Deutsche Caritasver-
band und das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen zu einer Suchdienstar-
beitsgemeinschaft zusammen, der später auch die Arbeiterwohlfahrt und
der Suchdienst Bethel beitraten.
Bis Mai 1948 arbeiteten diese Verbände zusammen, dann trennten sie
sich wieder und arbeiteten eigenständig weiter.
Im Februar 1950 wurde eine eigene Suchdienst-Zeitung ins Leben geru-
fen, deren erste Ausgabe am 15. April 1950 erschien.
Im Februar 1950 erliess die Bundesregierung dann einen Registrierungs-
aufruf, um wenigstens einen ungefähren Überblick über die Zahlen der Ver-
missten und Verschollenen zu bekommen.
Es wurden zwischen dem 1. und 11. März 1950 insgesamt gemeldet:
69’000 Kriegsgefangene (noch in Gefangenschaft)
11‘148’000 Wehrmachtverschollene
190’000 Zivilverschollene
Allein diese Aufstellung zeigt bereits, wie wenig man über die wirklichen
Gefangenenzahlen wusste und damals erfuhr.
Noch fünf Jahre nach Kriegsende war das Schicksal von mehr als 11,3
Millionen deutscher Menschen nicht völlig geklärt!
329
Im April 1950 entstand dann durch Zusammen-
führung der DRK-Zentralen in der britischen und
amerikanischen Zone die Zentrale Namenskartei
in München.
Vom Mai 1945 bis zum Mai 1950 wurden ins-
gesamt 16 Millionen Suchanträge gestellt, was uns
das echte Ausmass zeigt, wieviele Menschen in
Deutschland wirklich von den Folgen des Krieges
und des Kriegsendes betroffen waren.
Bis zum Ende des Jahres 1950 hatte der Such-
dienst auch 1‘921’000 Heimkehrer befragt und die
daraus gewonnenen Erkenntnisse aufgelistet. Es
entstand Ende 1950 eine Vermisstenliste in Buch-
form, die in 38 Bänden in Druck ging.
Das Jahr 1950 hatte aber für die deutschen
Kriegsgefangenen auch noch eine andere Bedeu-
tung, denn die Vereinten Nationen begannen, sich
Titelseite der er- ab diesem Jahr verstärkt mit dem Kriegsgefangenenproblem zu befassen.
sten Ausgabe Im Jahre 1952 eröffnete eine Resolution der Internationalen Konferenz
der Deutschen des Roten Kreuzes im kanadischen Toronto dem Deutschen Roten Kreuz
Suchdienst-Zei- völlig neue Wege zur Lösung der Frage der deutschen Kriegsgefangenen.
tung vom 15.
April 1950.
Diese als Nr. XX bezeichnete Resolution bildete dann auch in den Jahren
von 1952 bis 1955 die Grundlage für die dann folgende Repatriierung deut-
scher Kriegsgefangener.
Seitens der UdSSR wurde durch die Meldung der Staatsagentur Tass vom
5. Mai 1950 erklärt, nun sei mit der Rückkehr von rund 1,9 Millionen deut-
scher Kriegsgefangener die Repatriierung völlig abgeschlossen, und es wür-
den sich nur noch einige tausend Kriegsverbrecher in sowjetischen Gefäng-
nissen befinden.
Da man aber immer noch nahezu 2 Millionen deutscher Soldaten und
Zivilisten vermisste, die man bei Kriegsende der Ostfront zurechnete, gaben
sich die westlichen Aussenminister mit dieser Erklärung nicht zufrieden.
Es war die Zeit des ‚Kalten Krieges’, und man wusste auf allen Seiten, was
man von derartigen Meldungen zu halten hatte.
330
So entschieden die Aussenminister auf ihrer Konferenz am 12. Mai
1950 in London, nun alles zu unternehmen, um ausführliche Auskunft
über das Schicksal aller Zivilisten und Kriegsgefangenen zu erhalten,
die noch nicht aus der Sowjetunion repatriiert waren.
Die deutsche Regierung unter Adenauer tat ein Übriges und liess
den Vertretern der USA und Grossbritanniens bei den Vereinten Na-
tionen ein Memorandum überreichen, das die «Zurückhaltung deut-
scher Kriegsgefangener durch die UdSSR’ beinhaltete.
Dieses Memorandum bildete dann die Grundlage für eine UNO-
Entschliessung vom Dezember 1950, mit dem eine Kommission für
Kriegsgefangene bei den Vereinten Nationen gebildet und «Mass-
nahmen zur friedlichen Lösung der Kriegsgefangenenfrage’ be-
schlossen wurden.
Diese Entscheidungen und Beschlüsse wurden gegen den Ein-
spruch der UdSSR gefasst.
Da der «Kalte Krieg’ in jenen Jahren immer stärker zu eskalieren
begann, fasste die Sowjetunion dieses Ignorieren ihrer Einsprüche als
klare Provokation auf, und die Kriegsgefangenen waren wieder ein-
mal zu einem Spielball von politischen Querelen gewor-
den.
In der Praxis sah es nun so aus, dass alle weiteren Ver-
handlungen über die Rückführung deutscher Kriegsge-
Zusammenfassungdes Standes
fangener aus dem Osten blockiert waren.
der Nachforschungen am
Es ist heute davon auszugehen, dass gerade die Ver-
31.12.1982
treter der USA mit diesem Stand der Dinge im Jahre
1950 recht zufrieden waren, denn auf amerikanischer Wehrmachtverschollene
abgeschlossene Fälle
Seite war man gar nicht so sehr darauf bedacht, eine ra- 1 480 384 84,8%
sche Klärung der wirklichen deutschen Kriegsgefange- insgesamt
offene Fälle 265 777 15,2%
1 746 161 100,0%
nenzahlen zu erreichen.
Verschollene Zivilgefangene
Das Wissen um die eigenen Verfehlungen in den abgeschlossene Fälle
amerikanischen Lagern, vor allem in den «Rheinwiesen- offene Fälle 274 143
145 499
65,3%
34,7%
lagern» war noch sehr frisch in den Köpfen der Verant- insgesamt 419 642 100,0%
wortlichen und wäre dem Ansehen der USA in den Au- Suchanfragen von und nach
gen der Weltöffentlichkeit sehr abträglich gewesen. Kindern
abgeschlossene Fälle
Dies ergibt sich aus zahlreichen Gespächsaufzeich- 290 819 99,1%
nungen und Dokumenten jener Jahre. offene Fälle 2 643 0,9%
insgesamt 293 462 100,0%
In Deutschland war das Thema der noch immer in Ge- Verschollene insgesamt
fangenschaft befindlichen Söhne, Töchter, Väter und abgeschlossene Fälle
2 045 346
offene Fälle 413 919 83,2%
insgesamt 2 459 265 16,8%
100,0%
331
Brüder im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende äusserst aktuell, da Millionen
Familienangehörige direkt davon betroffen waren und um die Lieben bang-
ten, von denen sie nun nichts mehr hörten.
Im März des Jahres 1952 wurde Heinrich Weitz zum Präsidenten des im
Vormonat formell neu gegründeten Deutschen Roten Kreuzes gewählt.
Der Sohn des Ehepaares Weitz gehörte zu den noch im Osten vermissten
deutschen Soldaten, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass Herr
Weitz neben seinem unbestrittenen ideellen Engagement auch ein persön-
liches in die Waagschale warf und die Massnahmen des Deutschen Roten
Kreuzes in Sachen Rückführung von Kriegsgefangenen und Aufklärung über
den Verbleib der Vermissten vorantrieb.
Das Glück war ihm und der Organisation, die er nun leitete, hold, da quasi
in allerletzter Sekunde vor dem Beginn der Internationalen Rotkreuzkonfe-
renz in Toronto am 26. Juni 1952 das DRK offiziell anerkannt und in die Liga
aufgenommen wurde.
So konnten die deutschen Interessen dort direkt vorgetragen werden.
Auf deutscher Seite nahmen neben Weitz auch noch die Vizepräsidentin
des DRK, Etta Gräfin Waldersee, der Generalsekretär Hartmann und der Ju-
rist Dr. Schlögel teil.
Bis zum 7. August 1952 drehte sich nahezu alles auf der Konferenz um
das Schicksal der Kriegsgefangenen, die Familienzusammenführung und
den Aufbau guter Kontakte zu den östlichen Rotkreuzorganisationen.
Weitz und seine Mitstreiter waren nach der Rückkehr von der Konferenz
davon überzeugt, nun wirklich etwas für die Gefangenen im Osten tun zu
können.
Als im Dezember 1952 die Meldungen von der Repatriierung der rund
30’000 japanischen Kriegsgefangenen aus China durch die Weltpresse gin-
gen, machte sich auch bei den Betroffenen in Deutschland die Hoffnung
breit, bald alle noch in sowjetischen Gefangenenlagern befindlichen Men-
schen heimholen zu können.
Bereits wenige Tage nach diesen Pressemeldungen informierte Weiz
deshalb Staatssekretär Hallstein vom Auswärtigen Amt über seinen Plan,
persönlich in die UdSSR zu reisen, um dort einen direkten Kontakt zum Prä-
sidenten der sowjetischen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaft aufzu-
332
nehmen. Staatssekretär Hallstein war sofort von dieser Idee angetan und
informierte seinen obersten Chef Adenauer.
Dieser zeigte sich dann aber wenig begeistert von dieser Idee. Welche
Gedankengänge ihn nun dazu anleiteten, die Weitz-Idee zu torpedieren,
wird für immer sein Geheimnis bleiben. Doch kann man heute davon aus-
gehen, dass es rein politische Erwägungen waren. Zwar war die Bundesre-
publik Deutschland bereits ein eigenständiger Staat, doch in der Praxis jener
Jahre hing das Wohl und Wehe des Landes immer noch von der Gunst der
westlichen Siegermächte ab, deren Soldaten als Besatzungstruppen im ge-
samten Land stationiert waren. Eigene Schutztruppen gab es noch nicht.
Der wirtschaftliche Aufbau jener Jahre war noch vom amerikanischen Ka-
pital abhängig, und aussenpolitisch benötigte man ständig die Zustimmung
der Westmächte.
Das noch recht zierliche Pflänzchen der deutschen politischen Eigenstän-
digkeit konnte durch einen einzigen unbedachten Schritt rasch zertreten
werden.
Vor allem der politische Einfluss der USA beherrschte die ersten zwei
Jahrzehnte der deutschen Politik, und mit den Amerikanern will es sich auch
bis heute noch kein deutscher Bundeskanzler verderben. So ist und war der
amerikanische Einfluss auf die deutsche Innen- und Aussenpolitik ein nicht
von der Hand zu weisender Faktor, der auch in jenen Jahren eine grosse
Rolle spielte.
Die Amerikaner waren aber in jenen Jahren nicht daran interessiert, die
Frage der deutschen Kriegsgefangenen wirklich zu klären. Diese Erkenntnis
machte sich auch im Jahre 1952 beim Deutschen Roten Kreuz breit
Man drückte sich in jenen Jahren zwar recht vorsichtig aus, dennoch
konnte man aber Erklärungen lesen, die über «möglicherweise dahinterste-
hende amerikanische Stellen» berichteten, die das «Kriegsgefangenenpro-
blem in ungelöstem Zustand zu halten» versuchten.
Zu welchem politischen Druckmittel die deutschen Kriegsgefangenen
plötzlich geworden waren, zeigte sich auch in den immer lauter werdenden
Beschuldigungen der UdSSR durch die Amerikaner und die NATO, die dies
auf amerikanischen Druck hin tat. Öffentlich wurde der Sowjetunion vorge-
worfen, Millionen von Gefangenen widerrechtlich zurückzuhalten.
333
Die Amerikaner sahen hierin auch eine Möglichkeit, die mehr als eine
Million deutscher Gefangener, die in den amerikanischen Lagern elendig
umgekommen waren, nun der sowjetischen Seite anzulasten. Wie gut dies
über Jahrzehnte hinweg auch funktioniert hat, zeigt die Tatsache, dass die
amerikanischen Verfehlungen auf diesem Gebiet erst 1989 wirklich aufge-
deckt wurden.
Man kann heute davon ausgehen, dass Adenauer seitens der amerikani-
schen Administration dahingehend informiert worden war, dass von dieser
Seite keine grossen deutschen Aktivitäten in Sachen Kriegsgefangene er-
wartet würden.
So wird dann auch seine Reaktion auf die Weitz-Initiative verständlich.
Am 10. Januar 1953 teilte er dem Präsidenten des DRK in einem persön-
lichen Gespräch mit, dass er «ernsthafte Bedenken hätte» und die «Reise in
die UdSSR für aussichtslos halte».
Weitz selber drückte die Ergebnisse dieses Gesprächs in einem Brief vom
12. Januar 1953 an Hans Fuchs aus, einen persönlichen Freund und Präsidi-
alrat des DRK.
«Lieber Freund!
Ich möchte Dich doch über den Fortgang der Frage Besuch des russi-
schen Roten Kreuzes auf dem Laufenden halten. Inzwischen hatte ich zwei
Unterredungen mit dem Staatssekretär Dr. Hallstein vom Auswärtigen Amt.
In der ersten Unterredung sprach sich Dr. Hallstein durchaus positiv für das
Vorhaben aus, wollte aber, auch meinem Vorschlag gemäss, die Frage über
die Feiertage noch beschlafen. Ich habe ihm dann am 2. Januar das beilie-
gende Schreiben geschickt. Darauf antwortete er, dass er dem Bundeskanz-
ler Vortrag gehalten habe und mit mir die Frage noch einmal besprechen
wollte. Diese Unterredung hat am 10. d.M. in der Villa Schaumburg stattge-
funden. Es war genau so, wie ich mir gedacht hatte, dass Herr Adenauer
zunächst mal alles ablehnt, was nicht auf seinem Humusboden gewachsen
ist. Das habe ich Herrn Staatssekretär Hallstein auch gesagt, als er mitteilte,
dass der Kanzler ernsthafte Bedenken hätte und die Reise an sich für aus-
sichtslos halte. Begründet wurde die Stellungnahme in erster Linie mit Rück-
sicht auf Amerika. Ich habe dargelegt, dass ein negativer Ausgang meiner
Reise gerade die Politik des Kanzlers stärken müsse. Dann habe ich darauf
hingewiesen, dass das Deutsche Rote Kreuz überhaupt mit Politik nichts zu
tun habe und dass wir nach den Beschlüssen von Toronto verpflichtet seien,
334
mit den massgebenden russischen RK-Gesellschaften Tuchfühlung zu hal-
ten. Im Übrigen erwarteten unsere Kriegsgefangenen und ihre Angehöri-
gen, dass vom Deutschen Roten Kreuz etwas Positives über Worte hinaus
geschehe. Schliesslich habe Amerika in Moskau ja sogar eine Botschaft, so
dass es den Deutschen mindestens nicht verwehrt werden könnte, in huma-
nitären Fragen mit den Parailel-Gesellschaften des Roten Kreuzes zu spre-
chen. Evtl, könne ja das Auswärtige Amt dem Amerikanischen Hohen Kom-
missar oder dem Botschafter Nachricht von dem Vorhaben geben. Herr Dr.
Hallstein meinte gleich eingangs der Unterredung, dass ich mit dem Bun-
deskanzler selber sprechen sollte. Ich erklärte aber, dass ich von mir aus
einen solchen Wunsch nicht äussern könne, nachdem der Bundeskanzler
vor Jahr und Tag meine zweifache Bitte um eine Besprechung unberück-
sichtigt gelassen habe. Das Ergebnis der Besprechung war schliesslich, dass
Herr Dr. Hallstein mit dem Bundeskanzler noch einmal sprechen und die
Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vor dem 27. d.M., also dem Tag
nach der Sitzung des Präsidiums, mitteilen will. Ich habe noch darauf hin-
gewiesen, dass diese Frage selbstverständlich mit massgebenden Persön-
lichkeiten des Präsidiums des DRK besprochen worden sei und dass es be-
stimmt nicht verstanden werden würde, wenn die Regierung sich rein ne-
gativ einstelle.
Wir werden ja über diese Frage noch sprechen. Ich glaube, dass eine
kluge Frau vor der Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers dessen Einstel-
lung richtig wiedergegeben hatte, die ich Dir mitteilen werde.
Im Übrigen ist alles in Bonn z.Zt. in bester Ordnung. Morgen kommt Ge-
neraloberin v. Oertzen zu einer Besprechung hierher. Ich werde Dir evtl,
noch darüber berichten.
Herzlichste Grüsse und vielen Dank für Deinen lieben Weihnachtsbrief,
auch eine schöne Empfehlung an Deine verehrte Gattin
stets Dein
Dr. Weitz»
Dennoch gab Weitz nicht auf und verhandelte weiter mit Hallstein über die
Moskaureise. Adenauer stellte sich weiter quer.
Dass es sich hier nicht nur um subjektiv gefärbte Empfindungen oder
Gefühle des Dr. Weitz gehandelt hatte, die er in seinen Briefen zu diesem
Thema zum Ausdruck brachte, beweist ein Antwortschreiben Adenauers
335
selber, das er am 23. Januar 1953 datierte und Herrn Weitz zusenden liess.
Es kann jederzeit in dem 1987 von H.P. Mensing überarbeiteten Buch Ade-
nauer. Rhöndorfer Ausgabe, Briefe 1951-1953 nachgelesen werden.
336
schen Glieder der atlantischen Gemeinschaft erregt worden sind, alles un-
terlassen werden sollte, was Anlass gibt, Fragen und Zweifel in Bezug auf
die Einstellung der deutschen öffentlichen Meinung auszulösen. Gerade die
Amerikaner, die an eine Beobachtung der öffentlichen Meinung gewöhnt
sind und dieser grosses Gewicht beilegen, werden das Verhalten eines Gre-
miums, wie der nationalen Repräsentanz des Roten Kreuzes, das nicht durch
Weisung der Regierung gelenkt wird, eine grosse repräsentative Bedeutung
für die Volksstimmung und Volksmeinung beizulegen geneigt sein.
Ich möchte Sie aus diesen Gründen bitten, Ihre Überlegungen noch ein-
mal zu überprüfen und wäre sehr beruhigt, wenn Sie mich wissen lassen
könnten, dass Sie von dem Plan Abstand nehmen.
Selbstverständlich stehe ich Ihnen und auch den anderen Mitgliedern des
Präsidiums des Deutschen Roten Kreuzes zu einer gewünschten Aussprache
gern zur Verfügung.
Mit verbindlichen Grüssen
Ihr ergebener
Adenauer»
Wenn man bei diesem Brief einmal die politisch vorsichtigen Formulierun-
gen weglässt, handelte es sich um die Anweisung des Kanzlers Adenauer an
den Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, seine geplante Reise nach
Moskau, um sich dort für die Rückkehr der noch in sowjetischen Lagern be-
findlichen Kriegsgefangenen einzusetzen, nicht durchzuführen.
Dies lässt Adenauers Beitrag an der Repatriierung der Kriegsgefangenen
in einem völlig anderen Licht dastehen, als es seit Jahrzehnten in den bun-
desdeutschen Geschichtsbüchern der Fall ist.
Adenauer, in jenen Jahren ein williger Verbreiter amerikanischer Politik in
Deutschland, hatte überhaupt kein Interesse an der Klärung der deutschen
Kriegsgefangenenfrage.
Dennoch konnte er die für ihn wichtigen innenpolitischen Aspekte nicht
so einfach von der Hand weisen.
Die Bundestagswahlen standen an und die Vertriebenenverbände, die in
jenen Jahren einen beträchtlichen Teil der Bundesbürger repräsentierten,
sowie das Rote Kreuz und alle anderen Organisationen und Verbände, die
sich mit dem Schicksal von Gefangenen und Vermissten beschäftigten, lies-
sen sich auf Veranstaltungen und in den Medien lauthals über die Unfähig-
keit der politisch Verantwortlichen aus.
337
Dies schien dann auch endlich auf Adenauer zu wirken, denn die Bun-
desregierung ordnete unter seiner Führung eine Erhebung an, um wenig-
stens annähernd richtige Zahlen zu den Vertriebenen- und Gefangenen-
problemen zu bekommen.
Später reiste er dann, wie wir inzwischen wissen, selber nach Moskau und
konnte die Ehre und Anerkennung für die Rückholung derangeblich letzten
Kriegsgefangenen aus sowjetischem Gewahrsam auf sein persönliches
Konto verbuchen.
Natürlich waren alle diejenigen Gefangenen, die nach Adenauers Mos-
kaureise heimkehren durften, dem deutschen Kanzler überaus dankbar. Das
traf auch auf ihre Familienangehörigen zu, und so entstand eine Mär, wie
sie die Menschheitsgeschichte häufig erlebt hat.
Nach der ‚Gesamterhebung zur Feststellung der Verluste der deutschen Be-
völkerung in den Vertreibungsgebieten’, die von der Bundesregierung auf
Druck der Vertriebenenverbände im Wahljahr 1953 beschlossen und 1955
durchgeführt wurde, erhielt das DRK rund 7 Millionen Kontrollkarten für die
Zentrale Namenskartei.
Im Januar 1957, also fast 12 Jahre nach Kriegsende, konnte dann endlich
mit dem Aufbau einer Zentralen Heimkehrerkartei begonnen werden.
Bereits im Dezember 1957 erschien dann die aus 199 Bänden beste-
hende Vermisstenbildliste mit 900’000 Lichtbildern und den Personalanga-
ben von 1,4 Millionen verschollener Menschen.
Im September 1959 wurde auf Grund eines neuen Vertrages zwischen
DRK und Bundesregierung der Suchdienst auch auf die in der sowjetischen
Besatzungszone verschleppten und vermissten Personen ausgedehnt.
Ab Januar 1966 begann der Suchdienst mit Gutachtenerarbeitungen, ab
Juni 1975 oblagen die Nachforschungen nach verschollenen Zivilgefange-
nen und -verschleppten nur noch dem Suchdienst München.
Bis 1982 konnte eine recht ansehnliche Erfolgsbilanz vorgewiesen wer-
den.
Nach der Öffnung der ungarischen Grenzen im September 1989 wurden
auch die Aussagen geflüchteter DDR-Bürger gesammelt.
1990 führte man dann endlich die Elektronische Datenverarbeitung ein.
338
Im Januar 1991 wurde der zentrale Suchdienst des Roten Kreuzes der
DDR angeschlossen.
Von 1957 bis 1991 hatte man auf Vertragsbasis mit dem Sowjetischen
Roten Kreuz zusammengearbeitet und in diesem Zeitraum rund 445’000
Auskünfte erhalten.
Seit Juni 1992 besteht nun aufgrund von Verträgen mit den russischen
Behörden ein Datentransfer mit dem militärischen Sonderarchiv in Moskau.
Die erste Datendiskette über das Schicksal von Kriegsgefangenen im Osten
kam im Oktober 1992 nach München. Im Dezember 1992 folgten die Un-
terlagen der NKWD-Sonderlager und im November 1994 die erste Diskette
mit Daten über verstorbene Zivilisten.
Es werden in den kommenden Jahren mit Sicherheit noch zahlreiche Dis-
ketten folgen und damit auch Aufschluss über das Schicksal Tausender
heute noch in der Rubrik ‚Verschollene’ Geführter bringen. Im Informations-
papier über den DRK-Suchdienst München vom Mai des Jahres 1995 finden
wir auch die Zahlen für das Kriegsende in Deutschland, die annähernd den
wirklichen Verhältnissen entsprechen:
15 Millionen Flüchtlinge
Millionen Evakuierte
11,5 Millionen in Kriegsgefangenschaft, dazu
1,4 Millionen Verschollene
Dies sind neue Zahlen, die sich so ganz anders lesen als bisher in den
meisten offiziellen Ausarbeitungen, in denen die Zahlen über Kriegsgefan-
gene stets zwischen 7 und 9 Millionen schwankt.
Ich muss noch einmal auf die bereits angeführten, selber ermittelten Zah-
lenwerte über deutsche Kriegsgefangene zurückkommen:
Nordafrika 371’000
Nordwesteuropa 7‘244‘839
Österreich-Italien 1‘425’000
Ostfront 3‘350’000
Gesamt: 12‘390‘839
Zieht man nun von meiner ermittelten Gesamtzahl von rund 12,3 Millionen
die ebenfalls bereits angesprochenen, nicht registrierten Todesfälle sowohl
bei der Gefangennahme als auch später auf den Märschen und in den Sam-
mellagern im Osten und Westen, dann die mehr als 200’000 Opfer der
NKWD-Gefängnisse in der Ostzone, insgesamt rund 900‘000, ab, dann se-
339
hen wir rasch, dass die DRK-Zahl mit 11,5 Millionen ermittelter, also in ir-
gendeiner Form registrierter oder nachvollziehbarer Kriegsgefangener sich
mit meinen eigenen Recherchen völlig deckt.
Nehmen wir nun noch die Zivilgefangenen und Zivilverschleppten, die
mit den Soldaten in die Kriegsgefangenenlager kamen und von den Alliier-
ten erst einmal wie alle anderen Kriegsgefangenen auch behandelt wurden,
sowie die nichtregistrierten Todesfälle dieser von den meisten Historikern
nicht oder falsch gewerteten Gruppe hinzu, so ergibt sich die ebenfalls be-
reits zu Beginn dieses Buches erwähnte Zahl von 14 Millionen direkt von
der Kriegsgefangenschaft betroffener Menschen.
In dieser grossen Gesamtzahl finden wir natürlich auch einen Grossteil
der Masse der bis heute immer noch verschollenen 1,4 Millionen Menschen
des vergangenen Krieges wieder, und es zeigt sich auch hier und heute,
dass sich 50 Jahre nach dem Kriegsende und 40 Jahre nach dem offiziellen
Ende der Kriegsgefangenschaft noch Schicksale ermitteln lassen, wenn man
weiter Nachforschungen betreibt.
Es wird sich aber auch zeigen, dass man 700’000 bis eine Million der Ver-
schollenen, die man seit 50 Jahren vergebens im Osten sucht, in den ame-
rikanischen Unterlagen finden wird, denn das sind die Soldaten und Zivili-
sten, die den US-Verbänden zwar im östlichen Teil Deutschlands in die Hän-
de fielen, also an der sogenannten Ostfront, aber dann in die Rheinwiesen-
lager und ähnliche Käfige verbracht wurden.
Auch die Tausenden, die sich zu den amerikanischen Linien durchschlu-
gen, obwohl ihre Einheiten in sowjetische Gefangenschaft kamen und sie
deshalb im Osten als verschollen geführt werden, sind hierbei zu bedenken.
Hier würde sich dann auch die ‚fehlende Million’ wiederfinden, die James
Bacque in den Washingtoner Archiven entdeckte, doch das ist bisher nur
eine These und muss erst noch genauer untersucht werden, ehe man Fakten
aufzeigen kann.
Wie der vorangegangene DRK-Bericht, der zum Zeitpunkt der Fertigstel-
lung dieses Buches der aktuellste war, aufzeigt, kommen ständig neue In-
formationen zu Verschollenenschicksalen aus den Ostarchiven und formen
sich immer mehr zu einem Gesamtbild der Kriegsgefangenen, das nun auch
340
in den sogenannten Standardwerken zu diesem Thema völlig neu gezeich-
net werden muss, will man nicht weiter geschichtlich falsche Zahlen den
nachfolgenden Generationen übermitteln.
Dass bis zum heutigen Tage, rund 50 Jahre nach Kriegsende und 40 Jahre
nach dem offiziellen Ende der Kriegsgefangenschaft, für zahlreiche der Be-
troffenen dieser Abschnitt ihres Lebens, den sie hinter Stacheldraht ver-
brachten, immer noch nicht als abgeschlossen und psychisch verarbeitet
anzusehen ist, zeigen die angestrengten, bereits aufgearbeiteten und teil-
weise noch laufenden Rehabilitierungsverfahren ehemaliger Kriegsgefan-
gener und zu Unrecht verurteilter deutscher Soldaten.
Wie man aber auch inzwischen das eigene, den Kriegsgefangenen ange-
tane Unrecht im Ausland erkannt hat und dementsprechend dort nun neu
wertet, zeigt das Beispiel des Walther Johann Gross, der genau 3‘102 Tage
in insgesamt mehr als 20 Gefangenenlagern zubrachte.
Am 27. Dezember 1949 wurde auch er, ehemaliger Obersturmführer ei-
ner Einheit der Waffen-SS, die auf der Liste der ‚gesperrten Einheiten‘ stand,
in einem der angesprochenen Schnellverfahren zur Todesstrafe und – weil
sie damals gerade in der Sowjetunion abgeschafft war und 1950 erst wieder
eingeführt wurde – ersatzweise zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt.
Nach dem Zerfall der UdSSR machte sich Gross daran, seine Rehabilitie-
rung in die Wege zu leiten, und richtete im März 1992 an die Regierungen
von Russland und Weissrussland zwei gleichlautende Ersuchen.
Er tat dies in doppelter Ausführung, da beide Regierungen verwaltungs-
technisch an seiner Gefangenschaft damals beteiligt waren.
Bereits am 22. Juni 1992, also 43 Jahre nach dem Urteilsspruch, erschien
dann die nachfolgend abgedruckte offizielle Rehabilitierung des Soldaten
Gross «wegen Fehlen des Tatbestandes eines Verbrechens in seinen Hand-
lungen» durch die Weissrussische Republik.
Diese Rehabilitierung eines ehemals verurteilten deutschen Kriegsgefan-
genen aus dem Jahre 1992 zeigt uns ebenfalls, dass man zumindest in
Weissrussland die ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS nicht mehr pau-
schal, wie es heute noch in unserem eigenen Land dargestellt wird, als ‚Ver-
brecher‘ abstempelt, sondern erkannt hat, dass jeder Soldat, egal, bei wel-
342
cher Einheit er gedient hat, ein eigener Mensch ist und nicht nur Be-
standteil irgendeiner dumpfen Masse. Somit hat jeder Soldat, jeder
Mensch sein eigenes Schicksal und auch sein eigenes Recht sowie
sein eigenes Unrecht zu tragen und zu verantworten.
Er ist also nicht – wie im Vorwort bereits angesprochen – nur ein
Teil von mehr als 19 Millionen ‚Pauschalverbrechern’, sondern in er-
ster Linie ein Mensch mit allen Stärken und Schwächen, die uns an-
haften.
Eine ‚Kollektivschuld‘, die man seit mehr als 50 Jahren dem deut-
schen Volk in seiner Gesamtheit und den ehemaligen Wehrmachts-
angehörigen und späteren Kriegsgefangenen insbesondere auferle-
gen will, kann es nicht geben!
Allein die Behauptung, dass Menschen kollektiv, also allein durch
ihre blosse Anwesenheit oder Zugehörigkeit, oder weil sie zufällig in
der gleichen Region oder dem gleichen Land gelebt haben, schuldig Kopie der Rehabilitie-
an Verbrechen sein könnten, von denen sie grösstenteils weder rungsurkunde des
Walther Johann
Cross.
343
Kenntnis hatten, noch daran selber beteiligt waren, ist ein Schlag ins Gesicht
jedes mit einem normalen Rechtsempfinden ausgestatteten Menschen.
‚Griff in die Freiheit‘, Wenn sich Soldaten oder Kriegsgefangene, auch in Gruppen, schuldig ge-
Prof. Fritz Theil- macht haben, so taten sie dies nicht kollektiv, sondern bestenfalls gemein-
mann, Durchgangs- sam und haben dann eine gemeinsame Schuld an einer bestimmten Sache,
lager Friedland.
an der sie beteiligt waren, auf sich geladen, was selbstverständlich im Zwei-
ten Weltkrieg auch vorgekommen ist, wie die zahlreichen diesbezüglichen
Strafverfahren der Wehrmacht beweisen.
Auch die Amerikaner, Briten, Franzosen oder Sowjets tragen keine ‚Kol-
lektivschuld‘ am Tode von Millionen ihrer Obhut unterstellten Kriegsgefan-
genen, sondern nur die Politiker und Militärs, die diesbezügliche Befehle
und Anweisungen erteilten und solche Untergebene, die diese Befehle noch
strenger auslegten oder aus eigener Verantwortung heraus den Tod von
Gefangenen verschuldeten.
344
Man kann eine derartige Schuld, sei es die uns von den Verantwortlichen
der Konzentrationslager auferlegte wie die an unseren Menschen nach
Kriegsende begangene, nie wirklich wiedergutmachen, denn auch die
schärfste Haftstrafe, die Todesstrafe oder die höchste Geldstrafe vermag
nicht, einen unschuldigen Toten wieder lebendig zu machen.
Man kann diese Art von Schuld nur richtig würdigen und der Nachwelt
erhalten, um das Bild der Toten in den Herzen der Hinterbliebenen wieder
in ein rechtes Bild zu rücken und der Nachwelt eine Mahnung mit auf den
weiteren Weg zu geben, dass solche grausamen Dinge nie wieder gesche-
hen mögen.
345
Ein persönliches Fazit
Wissenschaft ist – was Wissen schafft!
Diesen Leitsatz gab mir vor mehr als 30 Jahren mein alter Physikprofessor
auf dem Gymnasium mit auf den Weg, und er verwies darauf, dass sowohl
alles, was durch Wissen erschaffen wird, als auch alles, was ein Wissen er-
schafft, unter den Begriff der Wissenschaft einzureihen sei.
Man hat mir in den vergangenen mehr als vierJahrzehnten meines Den-
kens beibringen wollen, dass sich viele Dinge vor, während und nach Kriegs-
ende völlig anders abgespielt hätten, als es meine Eltern und Grosseltern mir
auf meine Fragen hin erklärten.
Stets waren es auf «wissenschaftlichen Untersuchungem beruhende Aus-
arbeitungen, Erklärungen, Medienberichte, literarische Werke und Unter-
richte, die diese Themen zum Inhalt hatten.
Doch heute, nachdem ich mehr als drei Jahrzehnte lang mir selber mein
Wissen schaffte und nicht einfach alles glaubte, was man mir von offizieller
Seite vorsetzte, weiss ich erst, wie man sich in unserer heutigen Zeit wirklich
sein Wissen verschaffen muss, wenn es um die jüngere deutsche Geschichte
geht.
Man muss alles, was man dazu vorgesetzt bekommt, erst einmal auf Un-
gereimtheiten hin durchsuchen, die man in solchen Machwerken meist zu-
hauf findet.
Diese Überhäufung an Ungereimtheiten hat bei mir – und bei vielen Men-
schen meiner Generation – eigentlich dazu geführt, dass wir uns nun zwei
Fragen stellen:
1. Wie sieht die geschichtliche Wahrheit unserer jüngsten Vergangenheit
eigentlich wirklich aus?
2. Wer will und vor allem warum will man uns diese Ungereimtheiten und
Geschichtsverfälschungen eigentlich ständig als geschichtliche Tatsachen
aufdrängen?
Erst wenn ich diese Fragen für mich und alle anderen Mitmenschen mei-
ner Generation wirklich beantworten kann, habe ich mir das volle Wissen
verschafft.
347
Dann kann ich mit Sicherheit auch noch die für mich persönlich wohl
wichtigste Frage zum Thema Zweiter Weltkrieg und seine Folgen klären, die
da lautet:
Waren meine Eltern und Grosseltern, ihre Verwandten und Freunde, ja
alle Deutschen, die zwischen 1933 und 1945 in diesem Land gelebt haben,
wirklich Verbrecher – oder einfach nur Verlierer?
Mein besonderer Dank für die geleistete Mithilfe, ohne die dieses Buch
nie entstanden wäre, gilt:
dem Bundesarchiv in Koblenz und dort besonders der Frau Booms vom
Bildarchiv;
der Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs in Aachen-Kornelimünster;
der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin und dort besonders dem
Herrn Gerhardt und der Frau Jung;
dem Suchdienst München des Deutschen Roten Kreuzes;
Herrn Karl-Heinz Müller und Herrn Karl Gruber in Stellvertretung für alle
anderen ehemaligen Kriegsgefangenen und Zeitzeugen, ohne deren Aus-
sagen, Informationen und Unterlagen sich das wirkliche Bild der Kriegsge-
fangenschaft nie hätte so plastisch nachzeichnen lassen können.
Ihnen und allen, die mir in der kommenden Zeit bei meinen weiteren
Recherchen behilflich sein werden, sei hier an dieser Stelle aufrichtig für Ihre
Mitarbeit gedankt.
348
Literatur
349
Der Zweite Weltkrieg Piekalkiewicz, Janusz
ECON Verlag Düsseldorf
Die Gezeichneten
Melcher, Hermann
Druffel Verlag Leoni
Die Diffamierten
Wolfgang Mallebrein
Ostmarken-Verlag, Tübingen
350
Lexikon Deutsche Geschichte
Schütz, Waldemar
Kultur- und Zeitgeschichte Rosenheim
Sachsenhausen-Workuta
Gerhart Schirmer
Grabert Verlag Tübingen
Verworrene Heimkehr
Schwabe, Helmut
G.A. Ulmer Verlag Tuningen
351
Dokumenten
anhang
‚Stalingrad-Madonna’
von Kurt Reuber
352
Glossar
Begriffe/
Abkürzungen Erklärung
353
gal. galizisch
GB Grossbritannien
Geb.-Div. Gebirgs-Division
Genfer Konventionen 1. Die auf Anregung von Henri Dunant 1864 abgeschlossene
erste Konvention über «die Verbesserung des Loses der Kranken u. Verwunde-
ten bei den Armeen im Felde». Dieses Abkommen führte zur Gründung der Rot-
Kreuz-Organisationen, insbes. des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Weitere Kodifikationen des Verwundeten- u. Kriegsgefangenenrechts folgen in
den Verträgen von 1899 (I. Haager Friedenskonferenz), 1906/07 (II. Haager Frie-
denskonferenz) sowie 1929 (Genfer Verwundeten- u. Kriegsgefangenen-Ab-
kommen).
GH General Hospital
GLOS Gloucestershire, britische Grafschaft
GULag Abkürzung für: Glawnoje UprawlenijeLagerej
= Hauptverwaltung der Zwangs- und Straflager (in der Sow-
jetunion)
Haager Landkriegsordnung, Abk. HLKO, Haager Konvention betr. die Gesetze u.
Gebräuche des Landkrieges vom 29.7.1899, etwas abgeändert durch ein Ab-
kommen vom 18.10.1907. Sie enthält die wichtigsten Bestimmungen des Land-
kriegsrechts und der kriegerischen Okkupation. Die Regelungen erwiesen sich
jedoch in den beiden Weltkriegen als unzulänglich; sie wurden bezüglich der
Rechtsstellung der Soldaten und der Zivilbevölkerung ergänzt durch die Genfer
Konventionen vom 12.8.1949 betr. Verwundeten und Gefangenenrecht sowie
zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten, doch bereits der Krieg in Jugo-
slawien seit 1992 zeigt, dass sich im Kriegsfall kaum eine beteiligte Partei wirk-
lich daranhält.
354
geraten). Die Rechtsstellung der Kriegsgefangenen ist geregelt im Abkommen
der I. Haager Friedenskonferenz (1899), der Haager Landkriegsordnung von
1907 sowie den Genfer Gefangenen-Konventionen von 1929 u. 1949....
Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz vom 30.1.1954 in der Fassung vom 2.9.
1971
355
SER Serbien
SHAEF alliiertes Oberkommando
SHO Schleswig-Holstein
SHRO Shropshire, britische Grafschaft
SLO Slowenien
SOM Somersetshire, britische Grafschaft
sowj. sowjetisch
SPAN Spanien
356
Offizielle Liste der deutschen Wehrmachtvermissten in Europa
Aufstellung nach Ländern, in denen sie vermisst werden
Land Anzahl
Abessinien 5
Albanien 902
Algerien 66
Österreich 11 870
Belgien 2 303
Bulgarien 1 202
CSR 43 843
Dänemark 1 608
Deutschland 106 910
Finnland 1 614
Frankreich 26 975
Grossbritannien 864
Griechenland 3 686
Ungarn 34 119
Italien 16 596
Jugoslawien 28 662
Luxemburg 435
Niederlande 3 820
Norwegen 1 937
Polen 272 444
Portugal 1
Rumänien 83 604
Spanien 11
Schweden 5
Schweiz 5
Triest 1 247
Türkei 6
UdSSR 620 929
Auf See vermisst 2 356
Sonstige Vermisste 50 736
Gesamt: 1 318 761
(Quelle: Enz/Vll)
357
Zum Kapitel «Verständnis für die Situation»
Bombenkrieg. Anfänglich als Mittel gedacht, der Nacht zum 15.11.1940 zerstörte die deutsche
feindliche Versorgungsbasen, Industriebetriebe Luftwaffe die Industriestadt Coventry zum Grossteil.
und Bereitstellungsräume aus der Luft wirkungs- Dieser gezielte Nachtangriff war nur mit dem neu ent-
voll zu bekämpfen, richtete sich im Verlaufe des 2. wickelten X-Gerät möglich. Im 2. Halbjahr 1941 lies-
Weltkrieges der Einsatz von Bomben immer mehr sen dann die deutschen Bombenangriffe merklich
gegen die Zivilbevölkerung und eskalierte völlig nach, da die Luftwaffe in Russland beim Unterneh-
im Abwurf der beiden US-Atombomben am 6.8.1945 men «Barbarossa» im Einsatz war. Die RAF flog wei-
auf Hiroshima (mehr als 100’000 Tote) und am 9. ter, fast nur nachts, Störangriffe gegen deutsche Städ-
8.1945 auf Nagasaki (mehr als 60’000 Tote), ohne te. Mit dem offiziellen Kriegseintritt der USA an der
dass man damals in den USA auch nur annähernd Seite Englands zum Jahresende 1941 kamen viermo-
die Folgeschäden überblicken konnte. Die erste torige Bomber in grosser Stückzahl aus den amerika-
Stadt, die im 2. Weltkrieg bombardiert wurde, war nischen Arsenalen auf die britische Insel und läuteten
Wilhelmshaven, durch die britische Luftwaffe, die eine neue Form des Bombenkrieges für das Jahr 1942
erste Metropole war Warschau, durch die deutsche ein, den «1’000-Bomber-Angriff». Am 22.2.1942
Luftwaffe. In beiden Fällen wurden aber nur mili- übernahm der britische Luftmarschall Arthur T. Harris,
tärische Ziele angegriffen, und erst als sich im Spitzname «Bomber-Harris», den Oberbefehl über
Falle Warschaus die Soldaten unter die Zivilisten die RAF. Bei seinem Dienstantritt erhielt er von
mischten, kam es auch zu nichtmilitärischen Op- Churchill den Befehl, «die Moral der feindlichen Zi-
fern. Den ersten Luftangriff, der sich rein gegen die vilbevölkerung, vor allem der Arbeiterschaft, als
Zivilbevölkerung richtete, flog die britische RAF Hauptziel anzusehen». Diese neue Bombertaktik er-
am 11.5.1940 auf Mönchengladbach, einen Tag, nach- lebte als erste deutsche Stadt am 28.3.1942 Lübeck
dem Churchill britischer Premier geworden war. Den mit dem ersten grossen Brandbombenangriff. Den er-
deutschen Luftangriff auf militärische Ziele in sten 1’000-Bomber-Angriff der Kriegsgeschichte
Rotterdam drei Tage später, am 14.5.1940, nahm musste Köln in der Nacht zum 31.5.1942 über sich
Churchill dann für die Öffentlichkeit als Anlass, ergehen lassen. Danach steigerten sich die Angriffe
um am 17.5.1940 offiziell den Luftkrieg gegen gegen deutsche Städte von Tag zu Tag. Britische
Deutschland zu befehlen. Da aber die deutsche Bomber kamen in der Nacht und die «Fliegenden Festun-
Luftüberlegenheit noch zu gross war, flog die RAF gen» der Amerikaner am Tage. Den Höhepunkt der
nur nachts ein und warf recht wahllos ihre Bomben Vernichtung von Zivilisten durch die Westalliierten
auf deutsche Städte und Dörfer. Darauf reagierte aus der Luft bildete der Bombenangriff auf das völlig
Hitler am 1.8.1940 mit der «Weisung Nr. 17», die mit Flüchtlingen vollgestopfte Dresden am 13.2.1945,
den verschärften Luftkrieg gegen England vorsah. nur wenige Wochen vor dem klar erkennbaren
Hierbei wurde auch das geplante Unternehmen Kriegsende. Die genaue Zahl der Opfer konnte bis
«Seelöwe» berücksichtigt. Deshalb richteten sich heute nicht ermittelt werden, und so bleiben nur
während des Monates August 1940 die deutschen Schätzungen. Sie liegen bei den Unterschiedlichesten
Luftangriffe gegen die britische Jagdwaffe und Quellen zwischen 35’000 bei Kurt Zentner, über
ihre Bodenorganisationen. In der ersten Septem- 60’000 beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden
berwoche war die Zerstörung der britischen Jagd- bis zu 245’000 bei Piekalkiewicz. Schätzungen von
waffe nahezu abgeschlossen. Seit dem 25.8.1940 Augenzeugen gehen sogar über die Zahl 300’000 hin-
flogen aber unterdessen britische Bomber allnächt- aus. Tatsache ist, das es sich bei den Opfern zum
lich nach Berlin und luden dort ihre Bomben ab. In Grossteil um Frauen, Kinder und alte Leute handelte,
dieser Situation befahl Hitler am 7.9.1940, den wie sie damals die Flüchtlingstrecks aus dem Osten bil-
Luftangriff auf London aufzunehmen. Mit diesem deten. Nimmt man einen nach unten gerundeten Mit-
Zielwechsel auf die englische Metropole rettete telwert an, so kommt man immer noch zu dem Ergeb-
Hitler die britische Jagdwaffe vor der Vernichtung. nis, dass bei der Bombardierung Dresdens mehr Men-
Mit 625 deutschen Bombern begannen die rollen- schen an einem Tag ums Leben kamen als bei dem
den Angriffe auf London, die sich bis zum Früh- Atombombenabwurf auf Hiroshima.
jahr 1941 hinstreckten. Neben London wurden
dann auch andere britische Städte angegriffen. In Aus Ludwig Peters, Volkslexikon des Dritten Reichs,
Tübingen 21994
358
Das Ergebnis des Bombenkrieges: allgemeine Trostlosigkeit.
359
Das Ende der Waffen-SS-Verbände
360
3. SS-Pz.-Div. «Totenkopf» Oktober 1939
Kapitulation 9.5.1945 bei Linz
vor US-Truppen, am 12.5.1945
an die UdSSR ausgeliefert
2.5.1945 an der Elbe in US-
4. SS-Polizei-Pz.-Gren.-Div. 1.10.1939 als Polizei-Div. Gefangenschaft
5. SS-Pz.-Div. «Wiking» 1.12.1940 als 13.5.1945 Reste in US-Gefan-
«Germania» genschaft, ab Juli 1945 Auslie-
ferung an die jeweiligen Heimat-
länder
6. SS-Geb.-Div. «Nord» 1.3.1941 als SS-Kampf- Mai 1945 Reste in Thüringen
gruppe Nord und Bayern in US-Gefangen-
schaft
7. SS-Freiw.-Geb.-Div. «Prinz 1.3.1942 Mai 1945 Reste in britische
Eugen» Gefangenschaft, dann an
Tito-Partisanen ausgeliefert
8. SS-Kav.-Div. «Florian 2.8.1941 12.2.1945 bei Budapest aufge-
Geyer» rieben
31.12.1942 als Kapitulation Mai 1945 bei Steyr
9. SS-Pz.-Div. «Hohenstaufen» Pz.-Gren.-Div. vor US-Truppen
10. SS-Pz.-Div. «Frundsberg» Januar 1943 Kapitulation Mai 1945 bei
Teplitz-Schönau vor Sowjet-
truppen
11. SS-Freiw.-Pz.-Gren.-Div. 17.3.1943 Reste Mai 1945 bei Berlin auf-
«Nordland» gerieben
Juni 1943 Reste Mai 1945 bei Linz in US-
12. SS-Pz.-Div. «Hitlerjugend» Gefangenschaft
13. Waffen-Geb.-Div. der SS 10.2.1943 Kapitulation 7.5.1945 bei
«Handschar» (kroat.) St.Veith vor den Briten
14. Waffen-Gren.-Div. der September 1943 Mai 1945 bei Judenburg in US-
SS (gal.) Gefangenschaft
15. Waffen-Gren.-Div. der SS Februar 1943 ab 8.9.1944 16.7.1944 aufgerieben Mai
(lett.) Neuaufstellung in West- 1945 Reste bei Schwerin in US-
preussen Gefangenschaft
16. SS-Pz.-Gren.-Div. «Reichs- Februar 1943 als Sturm- Mai 1945 in Österreich in west-
führer SS brigade alliierte Gefangenschaft
17. SS-Pz.-Gren.-Div. 3.10.1943 in Westfrank- Kapitulation Mai 1945 in Bayern
«Götz von Berlichingen» reich vor US-Truppen
18. SS-Freiw.-Pz.-Gren.-Div. Januar 1944 durch Umglie- Kapitulation der Masse Mai
«Horst Wessel» derung 1945 vor den Sowjets, Teile
brachen aus und gerieten in
US-Gefangenschaft
19. Waffen-Gren.-Div. der SS Januar 1944 durch Umglie- Kapitulation Mai 1945 im Rah-
(lett.) derung men der Kurland-Armee
361
20. Waffen-Gren.-Div. der SS August 1942 Kapitulation Mai 1945 in Schle-
(est.) sien – Teile schlugen sich nach
Westen durch
21. Waffen-Geb.-Div. der 17.4.1944 Februar 1945 aufgelöst
SS «Skanderberg» (alban.)
22. SS-Freiw.-Kav.-Div 29.4.1944 in Ungarn 1 5.2.1945 bei Budapest aufge-
rieben
23. SS-Freiw.-Pz.-Gren.- Div. 19.7.1943 als Brigade Mai 1945 im Kessel von Halbe
«Nederland» aufgerieben
24. Waffen-Geb.-Div. der SS August 1942 Kapitulation Mai 1945 bei Isonzo
vor den Briten
25. Waffen-Gren.-Div. 10.11.1944 in Ungarn Reste April 1945 in Österreich
der SS «Hunyadi» (ung.) aufgerieben
26. Waffen-Gren.-Div. 30.11.1944 April 1945 aufgerieben
der SS «Hungaria» (ung.)
Ung. Waffen-Alarm-Rgt. der 6.1.1945 in Ungarn Februar 1945 aufgerieben
SS
27. SS-Freiw.-Gren.Div. Mai 1943 April 1945 an der Oder aufge-
«Langemarck» rieben, Reste in sowj. Gefan-
genschaft
28. SS-Freiw.-Pz.-Gren.-Div. 1.6.1943 der Waffen-SS Restkapitulation 3.5.1945 bei
«Wallonie» unterstellt Schwerin
29. Waffen-Gren.-Div. der SS Februar 1944 Aufstellung nie beendet
(ital.)
30. Waffen-Gren.-Div. der SS 1.8.1944 aus Brigade Sieg- April 1944 aufgelöst
(russ.) ling
31. SS-Freiw.-Gren.-Div. Sommer 1944 8.5.1945 Auflösung bei König-
grätz
32. SS-Freiw.-Gren.-Div. 30.1.1945 Mai 1945 im Kessel von Halbe
«30. Januar» aufgerieben
33. Waffen-Gren.-Div. der SS 10.2.1945 in Westpreussen April 1945 bei Köslin in sowj.
«Charlemagne» Gefangenschaft, Teilen gelang
der Ausbruch nach Westen
34. SS-Gren.-Div. «Landstorm Februar 1945 Mai 1945 im Kessel von Halbe
Nederland» vernichtet
35. SS-Polizei-Gren.-Div. Mai 1945 im Kessel von Halbe
Februar 1945 an der Oder vernichtet
Dezember 1944 Mai 1945 im Kessel von Halbe
36. Waffen-Gren.-Div. der SS vernichtet
37. SS-Freiw.-Kav.-Div. 20.2.1945 bei Pressburg Aufstellung nie beendet
38. SS-Pz.-Gren.-Div. «Nibe- April 1945 aus Junkerschule Kapitulation Mai 1945 bei
lungen» Bad Tölz gebildet Landshut vor US-Truppen
362
Zum Kapitel ‚Die ersten Lager’
363
Die Dépôts in Tunesien
364
365
Zum Kapitel ‚Gefangene im Westen‘, schlimmer als befürchtet
366
370
371
372
373
Die Dépôts in der französischen
Besatzungszone Österreichs
Lagerstandorte in den USA
Zum Kapitel ‚Die Ersten kommen heim’
379
Zum Kapitel ‚Ab nach Sibirien‘
1. ID 1941/6-1944
7. ID 1941/6-1945/1
8. ID 1941/6-1941/11 (dann 8Jg.Div.)
9. ID 1941/6-1944
10. ID 1941/6-1943/7 (dann Pz.Gr.Div:)
11. ID 1941/6-1945
15. ID 1941/6-1945
17. ID 1941/6-1942, 1943/4-1944
21. ID 1941/6-1944/9
24. ID 1941/6-1945
28. ID 1941/6-1941/10 (dann28. Jg.Div.)
29. ID 1941/6-1943/1 (dann Pz.Gren.Div.)
30. ID 1941/6-1945
31. ID 1941/6-1944/7
32. ID 1941/6-1945
35. ID 1941/6-1944/7
36. ID 1941/6-1944/7
44. ID 1941/6-1943/2
45. ID 1941/6-1944/7
46. ID 1941/6-1945
50. ID 1941/6-1944/5
52. ID 1941/6-1944
56. ID 1941/6-1945
57. ID 1941/6-1944/7
59. ID Westfront (? auf Liste)
60. ID 1941/6-1943/2, (dann Pz.Gren.Div.)
61. ID 1941/6-1944/10
68. ID 1941/6-1945
71. ID 1941/6-1941/10, 1942/5-1943/2
78. ID 1941/6-1943/1
79. ID 1941/6-1944/8
81. ID 1941/12-1945
83. ID 1942/1-1944/12
86. ID 1941/6-1943/11
87. ID 1941/6-1945
88. ID 1941/12-1945
95. ID 1941/6-1945
102. ID 1941/6-1945
106. ID 1941/6-1942/5, 1943/3-1944/8
110. ID 1941/6-1944/7
111. ID 1941/6-1944/5
113. ID 1941/6-1943/2
380
121.ID 1941/6-1945
122. ID 1941/6-1944/6
123. ID 1941/6-1944/8
126. ID 1941/6-1945
131. ID 1941/6-1945
132. ID 1941/6-1945
134. ID 1941/6-1944/6
155. ID nur in Italien (? auf Liste)
157. ID nur im Westen (? auf Liste)
168. ID 1941/6-1945
183. ID 1941/8-1944/7
203. Sich.Div. 1944/7 dann (203. ID)
203. ID 1944/7-1945
205. ID 1941/12-1945
206. ID 1941/6-1944/7
207. Sich.Div. 1941/6-1945
210. ID Finnland + Norwegen
212. ID 1942/2-1944/7
213. Sich.Div. 1941/8-1944
216. ID 1942/1-1944/7
223. ID 1941/11-1943/12
225. ID 1942/1-1945
246. ID 1942/2-1944/7
251.ID 1941/6-1944
252.ID 1941/6-1944/6
256.ID 1941/6-1944/7
257. ID 1941/6-1941/8, 1943/4-1944/8
258. ID 1941/6-1944/8
260.ID 1941/6-1944/7
263.ID 1941/6-1944/7
267. ID 1941/6-1944/7
268. ID 1941/6-1943/11
271.ID 1944-1945 in Westungarn/Böhmen (?Liste)
281.ID 1941/6-1945
290. ID 1941/8-1945
296. ID 1941/6-1944/7
299.ID 1941/6-1945
300 Div. z.b.V. 1944-1945
302.ID 1943/1-1944/8
304.ID 1942/12-1945
325. Sich.Div. nur Westfront (? auf Liste)
326. ID nur Westfront (? auf Liste)
331.ID 1942/1-1944/3
337. ID 1942/10-1944/7
362.ID nur in Italien (? auf Liste)
367. ID 1944 Polen, Ostpreussen (? auf Liste)
383. ID 1942/4-1944/7
384. ID 1942/6-1943/2
563. V.G.D. 1944/9-1945
381
707. ID 1941/101944/7
1. Geb. Jg.Div. 1941/6-1943/4
3. Geb. Jg.Div. 1942/9-1945
8. Jg.Div. 1942/2-1945
28. Jg.Div. 1942/3-1945
101. Jg.Div. 1941/6-1945
1. Pz.Div. 1941/6-1943/1, 1943/11-1945
4. Pz.Div. 1941/8-1945
5. Pz.Div. 1941/9-1945
6. Pz.Div. 1941/6-1944/12
7. Pz.Div. 1941/6-1945
8. Pz.Div. 1941/6-1945
9. Pz.Div. 1941/6-1944/4
10. Pz.Div. 1941/6-1942/4
11. Pz.Div. 1941/6-1944/5
12. Pz.Div. 1941/6-1945
13. Pz.Div. 1941/6-1944/8
14. Pz.Div. 1941/6-1943/2, 1943/10-1945
16. Pz.Div. 1941/6-1943/2, 1943/12-1945
19. Pz.Div. 1941/6-1945
20. Pz.Div. 1941/6-1944/9
24. Pz.Div. 1941/6-1943/2, 1943/10-1945
25. Pz.Div. 1943/10-1944/3
78. Sturm-Div. 1941/6-1943/1-1944/8
Führer-Begleit Div. 1945 in Pommern
Führer-Gren. Div. 1945 in Pommern
ID ‚Friedrich Ludwig Jahn’ 1945 Mark Brandenburg
ID ‚Theodor Körner‘ 1945 Mark Brandenburg
ID ‚Ulrich von Hutten’ 1945 Mark Brandenburg
Pz.Div ‚Müncheberg’ 1945 Mark Brandenburg
Pz.G-D ‚Brandenburg’ Sondereinsätze im Osten
Pz.G-D ‚Grossdeutschland’ 1941/6-1944/12
Pz.G-D ‚Kurmark’ 1945/2-1945/4
Pz.Lehr-Div. 1942/12-1943/1
5. Flak-Div. nur Rumänien
6. Fallsch.Pz.Div. ‚Hermann Göring’ 1944 Polen, Schlesien
5. Luftwaffen-Feld-Div. 1942/12-1944/5
6. Luftwaffen-Feld-Div. 1942/9-1944/6
21. Luftwaffen-Feld-Div. 1942/2-1945
1. SS-Pz.Div. ‚Leibstandarte Adolf Hitler’ 1941/8-1944/4
2. SS-Pz.Div. ‚Das Reich’ 1941/6-1944/5
3. SS-Pol-Pz.Gren.Div. 1941/6-1943/8
5. SS-Pz.Div. ‚Wiking’ 1941/6-1945/1
6. SS-Geb.Div. Nord Finnland und Westfront (? auf Liste)
8. SS-Kav.Div. ‚Florian Geyer’ 1941/6-1944/12
9. SS-Pz.Div. ‚Hohenstaufen’ 1944/3-1944/6
10. SS-Pz.Div. ‚Frundsberg’ 1944/3-1944/6
11. SS-Pz.Gren.Div. ‚Nordland’ 1943/12-1945
12. SS-Pz.Div. ‚Hitlerjugend’ Westfront und Ungarn
382
13. SS-Geb.Div. «Handschar» Jugoslawien und Ungarn
14. SS-Gren.Div. Ukrainische Nr. 1 1944/6-1945
15. SS-Gren.Div. Lettische Nr. 1 1943/6-1944/7
16. SS-Pz.Gren.Div. ‚Reichsführer SS’ 1945 in Ungarn
18. SS-Pz.Gren.Div. ‚Horst Wessel‘ 1944/7-1944/11
19. SS-Gren.Div, Lettische Nr. 2 1941/6-1945
20. SS-Gren.Div. Estnische Nr. 1 1944/8-1944/10
22. SS-Kav.Div. 1944-1945 in Ungarn
23. SS-Pz.Gren.Div. ‚Nederland’
1942/1-1944/12
25. SS-Gren.Div. Ungarische Nr. 1
1945 Schlesien
27. SS-Freiw.Gren.Div. ‚Langemarck’
1945 Pommern
28. SS-Freiw.-Gren.Div. ‚Wallonie’
31. SS-Freiw.-Gren.Div. 1945 Pommern
32. SS-Freiw.-Gren.Div. ‚30. Januar’ 1945 1944/45 Ungarn, Schlesien
33. SS-Gren.Div. ‚Charlemagne’ Oderfront
35. SS-Pol.Gren.Div. 1945 Pommern 1945 Oderfront 1943-
1. Kosaken-Kav.Div 1945 Jugoslawien (? auf Liste)
2. Kosaken-Kav.Div. 1944/45 Jugoslawien (? auf Liste)
383
Zum Kapitel ‚Gulag – und was dann?’
Die Kriegsgefangenen-Hospitäler
384
Dzerzinsk 6028 SR
Enakievo 3081 SR
Falenki 3169 ZR
Gajsin 3641 SR
Galic 1401 ZR
Gantiadi 2846 TKA
Glazov 3779 URA
Golubovka 6009 SR
Gorlovka 1242 SR auch unter Nr. 6027 geführt
Grigorevskoe 5939 URA
Heydekrug 2652 WR
Inza 2091 WOL
Isimbaj 5920 URA
Izevsk 5122 URA
Kabanovka 3285 WOL
Kameskovo 2989 ZR
Kamsyn 5772 WOL auch unter nr. 5773 geführt
Kaunas 1245 WR
Kem 1755 NWR
Kiew 3201 SR
Kiviyli 1011 WR
Kobeljaki 3789 SR
Kokand 3670 SZA
Kowel 2688 SR
Kozlovka 3064 ZR
Kupjansk 5366 SR auch unter Nr. 5984 geführt
Kuzneck 2738 ZR auch unter Nr. 2917 aufgeführt
Lemberg 1241 SR
Leninakan 1474 TKA
Leningrad 1261 NWR
Letcy 2813 WR
Leznovo 3398 ZR
Linda 2861 ZR
Ljublino 2658 ZR
Makeevka 3099 SR
Mednogorsk 5888 URA
Minsk 2035 WR
Morsansk 2022 ZR
Moskau 1 3773 ZR
385
Moskau II 5850 ZR
Mozga 3888 URA
Nikitovka 5925 SR
Nikolaev 4564 SR
Niznij Lomov 2741 ZR
Niznij Tagil 2929 URA
Novocerkassk 5351 NKA
Novograd-Volynskij 5953 SR
Novosibirsk 2494 WSI
Novozybkov 5799 ZR
Nucha 5030 TKA
Odessa 3986 SR
Oger 2040 WR
Orici 1952 ZR
Orsa 4660 WR
Orsk 3922 URA
Ostaskov 1246 ZR
Pacelma 2916 ZR
Parischkaja Kom. 5929 SR
Pavlovka 1512 SR
Petrozavodsk 5879 NWR
Pinjug 2074 ZR
Plast 1652 URA
Plotina 5921 URA
Poltava 2071 SR
Pusca Vodica 4035 SR
Rakitjanka 5889 URA auch unter Nr. 5913 geführt
Razvilka 4615 SR
Recica 3903 WR
Riga 3338 WR auch unter Nr. 4379 geführt
Rjazan 5963 ZR
Roja 6031 SR
Roslavl 1731 ZR
Rubecnoi 6011 SR
Sapogovo 3604 ZR
Saporosde 1149 SR
Saratov 3631 WOL auch unter Nr. 5138
Sergo 2021 SR auch unter Nr. 5931 geführt
Serpuchov 2664 ZR
386
Sewastopol 3318 SR
Skopin 4791 ZR
Sofievka 5374 SR
Stalingrad 5771 WOL
Stryj 5998 SR
Suja 3840 ZR
Sumicha 3757 WSI
Svatovo 5924 SR
Swerdlowsk 5927 SR
Talicy 2041 ZR
Tiflis 1563 TKA
Torzok 2501 ZR/auch unter Nr. 3051 geführt
Tula 5385 ZR
UFA 5918 URA
Urjupinsk 5770 WOL
Usta 2851 ZR
Verchnij Ufalej 1651 URA
Vetluzskij 5379 ZR
Vinnica 2081 SR
Volkovysk 3470 WR
Volosnica 3007 ZR
Volsk 1691 WOL/auch unter Nr. 5134
Vozega 3732 NR
Vysnij Volocek 3052 ZR
Vysokij 5367 SR
Woroschilowgrad 1243 SR/auch die Nrn: 5928, 6014
Zelenodolsk 3656 WOL
Zubova Poljana 1631 ZR
387
Zum Kapitel ‚Repatriierung’
388
389
19 20
Liste der Lagerzeitungen in britischen Lagern
392
Die Umschau 176 Larkhill-Bügel 672
Die Windmühle 653 Laterne 280/408
Die Woche 135 Leuchtfeuer 44
Die Zeit 96 Leuchtturm 199/677
Die Zeit am Tyne 18 Litfasssäule 298
Drinnen und Draussen 90/265 Llanmartin Echo 184
Echo 31/41/53/62/ Llanover Park-Echo 200
112/184/263 Lotse 692
Evangelischer Kirchenbote 411 Lug ins Land 402
Fährmann 15/25 Lupe 129
Feierabend 68/153 Mitteilungen für die dtsch.
Flamme 56 Ärzte in Kriegsgefangensch. 99
Forum 47/129 Nachrichten aus aller Welt 137
Freie Meinung 614 Nachrichtenblatt 72/1025
Freier Wille 668 Neuer Tag 120
Garswood Park Stimme 50 Neues Leben 114/166
Glandulas Post 101 Nordhöhe 75
Glaube und Leben 286 Nordlicht 110/165
Glocken 82 Notizen 81
Glück auf 76 Optimist 242
Halbzeit 296 Penleigh Post 107
Harperley-Post 93 Pfadfinder 633
Heide-Rundschau 156 Pflugschar 250
Heimat und Wir 36 Posaune 246
Heimpfad 109 Postillon 634
Heimwärts 171 Pressespiegel 17
Hüttenbote 63 Querschnitt 77/186/240
Hüttenzeitung 695 Richtstrahler 407
Im Querschnitt 238 Ruf 194
Kiebitz 9 Rundblick 153/230
Knirps 66 Rundschau 59/263/403/
Lager-Echo 679 675/693
Lager-Spiegel 241 Scheinwerfer 256
Lagerbote 4/683 Schlackenweg 651
Lagerbrille 249 Seemöve 412
Lagerecho 54/85/260/297/670 Seesack 15
Lagerkurier 141/1003 Sendung 682
Lagerpost 51 Sense 55
Lagerschau 1001 Skizze der Zeit 37
Lagerspiegel 151/272/273/ Spatz 16
280/658/698 Spiegel 89/294/652/686
Lagerstimme 8/38 Spiegel der Zeit 233/237
Lagerstimme 128/154 Sprachrohr 13/43
Lagerzeitschrift 1021 Sprechstunde 252
Lagerzeitung 19/33/35/60/ Stacheldraht 67
94/99/115/155/ Stacheldraht-Post 285
236/291/691/1012 Stimme 30
393
Stimmen aus aller Welt 23 Weg und Ziel 235
Storwood-Stimme 73 Wegweiser 70/76/136/251
Tagesspiegel 240 Welle 69/69
Tarporley-Express 74 Welt-Laterne 699
The Onlooker 184 Welton-Rundschau 264
Umschau 29/71/156/278 Wille und Weg 45/162
Unser Bote 118 Windmühle 632
Unser Lagerblatt 60 Wir gehen mit 49
Unser Lagerspiegel 255 Wir schaffen mit 124
Unser Postillon 268 Wir und die Welt 26/40/85/254
Unsere Lagerzeitung Zaungast 13
250
Unsere Stimme Zeit 296
661
Unsere Stunde Zeitspiegel 67/274
663
Unsere Welt Zu neuen Ufern 17
293
Unsere Zeit Zukunft 175
253
Unsere Zeitung Zuspruch 674
Vorwärts 671 185
Zwischenruf
Wahrheit 266
41
394
Zum Kapitel ‚Gefangene im Westen‘ – schlimmer als befürchtet
Der kanadische Historiker James Bacque hat in seinem Buch Der geplante Tod
zahlreiche Beweise und Dokumente dafür gebracht, dass die Westalllierten, insbe-
sondere die Amerikaner, nach Kriegsende einen grossen Teil der Millionen deut-
scher Gefangener bewusst und systematisch verhungern liessen. Während das In-
ternationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu den alliierten Gefangenen in deut-
schen Lagern während des Krieges Zugang hatte und Millionen von Paketen an
diese befördern konnte, haben die Westalliierten sofort nach dem 8. Mai 1945 dem
IKRK untersagt, ihre Lager mit deutschen Gefangenen zu besuchen und diesen Le-
bensmitteln zukommen zu lassen. Fadenscheinig wurde das damit begründet, dass
es mit dem Verschwinden der Reichsregierung keine Schutzmacht für die Deut-
schen mehr gebe. Nur der kanadische Premierminister Mackenzie King protestierte
dagegen, wenn auch erfolglos, dass den deutschen Gefangenen damit der einzige
Rechtsschutz entzogen werde.
Während die deutsche Bevölkerung schon stark hungerte und in den Rheinwiesen-
lagern Zehntausende deutscher Gefangener verhungerten, liessen die Amerikaner
im Juni 1945 zwei Güterzüge voller Lebensmittel aus den gefüllten Lagerhäusern
der Schweiz – vom IKRK nach Augsburg und Mannheim entsandt – von dort voll
wieder in die Schweiz zurückfahren, wobei die US-Offiziere den verwunderten
Schweizer Begleitern erklärten, dass ihre Vorratsdepots voll seien und die Deut-
schen keine weiteren Nahrungsmittel brauchten. Selbst als Max Huber, der dama-
lige Präsident des IKRK, deswegen an das amerikanische Aussenministerium
schrieb und um Abhilfe bat, blieben die Amerikaner hart, und Eisenhower, der US-
Oberbefehlshaber in Deuschland, teilte (wahrheitswidrig) mit, dass gemäss der von
der Armee mit dem Amerikanischen und Britischen Roten Kreuz getroffenen Ver-
einbarung die Verwendung von Lebensmitteln (des Roten Kreuzes) für Feindperso-
nen verboten sei. Eine solche Verfügung enthielt die Vereinbarung aber überhaupt
nicht. Eisenhower wollte eben Hunderttausende Deutscher dem Hungertod auslie-
fern.
Aber auch den darbenden Deutschen wurde von den ‚Befreiern’ strikt verboten, aus
ihren kargen Beständen den hungernden Kriegsgefangenen etwas abzugeben. Auf-
schlussreich hierzu ist eine Verfügung, die die betreffenden deutschen Stellen auf
Anordnung der Besatzungsmacht weitergeben mussten und die im folgenden Wort-
laut heisst:
395
Seiten des verharmlosenden «Erinnerungsbuchs»
vom Lager Nr. 132
Von der Huotto 1st oa nur ein Sprung cur Kuocho.
Die Baracken waren aus Holz und zweistöckig, mit etwa 250 Mann
..Die Verpflegung war sehr gut .. . Wir lebten in Kanada wie in einem Schlaraffenland. Man
kann nicht sagen, was es gab an einem Tag, denn es gab alles . . Was nicht vorhanden war,
gefehlt und dann wäre alles OK gewesen.
konnten wir in Kantinen kaufen.» (WKG-042)
(WKG-131-tb)
469
468
Das fliessende warue Wasser und BO
manche andere kleine Bequemlich-
keit in Alltag des Prisonerlab ens ver-
danken wir dem Erdgas.
Wir sind jotzt rdtten ir. Gefan^nonleben. Im Anfang hat nan sich erst ral richtig nus-
gvruht. Dann glngs daran,aus dor Boxe eine Stube zu rachen und aus der Koje ein Bott
mit eingebauten Schranken und Regalen.
Da es Prisoner gibt, fuer die der Tag noch zu wenig Stunden hat,gibt es natürlich auch
solcho,dio moist nur auf dor Koje liegen,und erst wieder in Bewegung geraten,wenn
Tabak und Zigaretten ausgegangen sind.
.In den Kantinen gab es Zigaretten, Tabak, Esswaren. Allerdings wurden Ess-
waren praktisch nie gekauft, weil ja die Verpflegung sehr reichlich war ... Es .Das Lager war ordentlich und sauber angelegt. Es war mit allen sanitären
war alles da, nur Bier war beschränkt, in der Woche einmal. Schnaps usw. Anlagen ausgestattet. Besser hätte es eine Kaserne in der Heimat nicht bieten
war verboten.» können.»
(WKG-131-tb) (WKG-042)
471
Die Zaehlung ist die Einrichtung, die einem taeglich In Erin-
nerung bringt,dass man nur der Kriegsgefangene Nr
..................... 1st, besonders wenn sie wiederholt wird.
Ü
b Winter oder Som-
her, so lange es Kriegs-
gefangene gibt, lumen
vlrd Die Runde
un hior aufwerden.
begangen olnnr stil
DerIon Ibond-oder
eine Morgonrundo
entflieht den Lärm solnor übor etwas
Huotto,
nachzudonkcn,vlolloicht auch un sich mit so Inon Godankun in
ejo Holnat zu vorsotzon.Dor andoro will otwas für soino Ge-
sundheit tun, den dritten vorlangt os, sich mit seinem Hund
odor solnor neugebauten Hose dor Oefföntlichtolt zu zeigen.
Maior, Mueller und Schulze ziehen aus, um
unter freiem Himel mal richtig zu ree een.
.[Die Bekleidung) . . . war aus blauem Leinen, aut einem Bein ein roter General-
streifen, im Rock einen grossen, roten Kreis im Rückenteil und über die Mütze .Gezählt wurde jeden Tag. Im Winter bei schlechtem Wetter in den Unterkünften. Alle
auch einen roten Streifen. Wir sahen toll aus und mussten uns erst an die paar Tage wurden die Unterkünfte durch einen Offizier mit
Gefolge inspiziert. An Schikanen ... kann ich mich nicht erinnern.»
Maskerade gewöhnen.» (WKG-042)
(WKG-042)
473
472
Kein» leere Ttibe, keine alte Zahn-
Verwendungsmöglichkeiten des
474 475
Arbeitsgemeinschaften und Un-
terrichtsklassen bringen jedem
weiter zu bilden.
Dio lange Roiho der Kopfbarsckon nimnt alles in sich auf, was
Die Schularbeiten sind auch hier,
fuer die innere Verwaltung dos Lagers nötig ist: Schroibsturon,
wie in unserer Jungenszeit, gerade
Woikstaot ton, Schneidereien, Friseurstuhon, Unterrichtsra-
dann am dringlichsten,wenn neben-
cume , Buochoroi usw.
an ein Schachkampf tobt, boi dom
wieder die garœo Stube mltspiolt
Es waren gute Fortbildungsmöglichkeiten. In Sprachen und auf vielen anderen Gebieten. Wie
«Die Lagerführung . . . hatte . . . einen grossen Stab um sich. Wir hatten sämtlich Schreibma- ich mich noch erinnern kann, hätte einer ohne Weiteres das \bitur machen können.»
schinen und alles, was benötigt wurde.»
(WKG-131-tb) (WKG-042)
476 477
Die beiden Hallen, die Rheinhalle iri Westen
ten Frauen -keinen echten- begönnest du Wir orinnorn uns dor TLeatorstuocko wlo «Fridericus», «Ma-
coaroni» und «Der Stappenhaao*’. Aber auch Konzerte dos
hier. grossen odor kleinon Orchesters und dor Militärkapelle haben
uns oft den Stacholdraht vergessen lesson.
.Auch auf künstlerischem Gebiet war man sehr rührig. Ging es doch stets darum, keine Lange-
weile aufkommen zu lassen ... Ich weiss nur, dass schwere und leichte Musik geboten wurde
.... fünf grosse Aufenthaltsräume, wo jeder 2’000 Mann fasste, ausserdem zwei und auch viele Unterhaltungsabende mit Lustspielen usw.»
Sporthallen mit à 5’000 Mann. Es war alles da .. (WKG-042)
(WKG-131-tb)
478 479
In iTonatelangpr Arbeit ist uns or Stadion entstanden.
.Konzerte, Kammermusik. Jazz. Blasorchester wurden von hervorragenden -Wir bauten zu dieser Zeit [1944] ein grosses Stadion mit Kampfbahnen und
Kräften geboten. Instrumente wurden von dem Verein Christlicher Junger jllem. Die Kanadier halfen uns mit grossen Schieberaupen. Der Tag der Ein-
weihung war ein schönes Sportfest...»
Männer gespendet.» (WKG-042)
(DCV-1047)
481
480
Vielseitiges Treiben herrscht in der Rhein-
'ch selber habe mich ... auf sportlichem Gebiet betätigt ... Sport- und Turn-
geräte wurden vom RK und IRK beschafft. Auch dem Christlichen Verein
«Dem Sport wurde stark gehuldigt. Es gab eine riesige Turnhalle mit allen möglichen Geräten,
;unger Männer sind wir heute noch zu Dank verpflichtet ... Bei schlechtem
dazu eine Reihe von. Sportplätzen, sogar ein Stadion, freilich alles von den Prisonern angelegt.»
.Vetter stand uns eine riesenhafte Turnhalle zur Verfügung.'
(DCV-1047)
(WKG-042)
483
482
i 11 l
–-
Lebewesen Im Lager
vorhanden 1st,ent
behrt nicht der Vielfältig- dio Ihre Reise nach der Heimat
«Eine Hundezucht wurde aufgezogen, und die Spaniels wurden beim sonntäglichen .Die Briefe in die Heimat (jeden Monat 2 Karten und 2 Briefe) waren aber immer noch
Rundengang von Zivilisten erspäht und über die Lagerleitung abgekauft.* (Lethbridge recht zuversichtlich. Wollte sicher keiner seinen Kummer zeigen.” (WKG-042)
/ WKG-059)
485
184
Auflistung deutscher Lager für alliierte Kriegsgefangene
407
Informationspapier über den
DRK-Suchdienst München
Überblick in Zahlen
Stand: Mai 1995
Kriegsende 1945:
über 30 Millionen Deutsche disloziert
davon
- 11.5 Millionen in Kriegsgefangenschaft
oder Zivilinternierung
- 15 Millionen Flüchtlinge
- Millionen Evakuierte
Suchanträge:
17 Millionen, davon 300.000 Kindersuchfälle
davon 33.000 Findelkinder
Klärungsmassnahmen:
1/2...
408
-2-
'’Wiedersehensfälle'’:
4.600 Kindersuchfälle
75.000 →- Zivilinternierte
2/3.
409
Materialbestände des Deutschen Roten Kreuzes
Suchdienst München
450.000 Rotkreuznachrichten
(Family Messages) seit Kriegsbeginn 1992
zwischen BRD und Bosnien/Herzegowina
und vice versa übermittelt
Mitarbeiter
München: 77
Aussenstelle Berlin: 14
410
Zum Kapitel ‚Wohin sie gingen und wo sie blieben’
Ortsverzeichnis
Alliierte Gefangenenlager in Deutschland
423
Bruchsal BDW USA Flossenbürg BAY USA
Bruck BAY USA Frankenberg DDR USA
Bruckberg BAY USA Frankenberg HES USA
Büderich NRW BRIT Frankf.-Niederrad HES USA
Budesheim RPF USA Frankf.-Zeilsheim HES USA
Bünde NRW BRIT Frankfurt/Main HES USA
Burgau BAY USA Frankfurt/Oder DDR SOW
Burghausen BAY USA Frauendorf BAY USA
Butzbach HES USA Freising BAY USA
Cleve NRW BRIT Friesdorf NRW USA
Coburg BAY USA Fürstenfeldbruck BAY USA
Cranz OPR SOW Fürth BAY USA
Cuxhaven NDS BRIT Gabersee BAY USA
Dachau BAY USA Garmisch-
Darmstadt HES USA Partenkirchen BAY USA
Detmold NRW BRIT Gars BAY USA
Diez RPF USA Geilenkirchen NRW BRIT
Domnau OPR SOW Gemünd NRW BRIT
Dortmund NRW BRIT Gemünden BAY USA
Dörverden NDS BRIT Georgenburg OPR SOW
Dreiborn NRW BRIT Gerdauen OPR SOW
Düren NRW BRIT Giebelstadt BAY USA
Düsseldorf NRW BRIT Giessen-Wieseck HES USA
Eickelborn NRW BRIT Gladbeck NRW BRIT
Elsenfeld BAY USA Göggingen BAY USA
Enger NRW BRIT Göppingen BDW USA
Erding BAY USA Goslar NDS BRIT
Erlangen BAY USA Gotha DDR SOW
Eschborn HES USA Göttingen NDS BRIT
Eschwege HES USA Götzendorf OPR SOW
Essen NRW BRIT Griesheim HES USA
Essen-Kettwig NRW BRIT Gross-Baum OPR SOW
Falkenstein HES USA Gross-Droosten OPR SOW
Fallingbostel NDS BRIT Gross-Gnie OPR SOW
Fehmarn SHO BRIT Gross-Heydekrug OPR SOW
Feucht BAY USA Gross-Lindenau OPR SOW
Fischbek HH BRIT Grossauheim HES USA
Fischhausen OPR SOW Gudwallen OPR SOW
Flensburg SHO BRIT Gütersloh NRW BRIT
424
Haar BAY USA Iggelheim RPF USA
Halle/Westf. NRW BRIT Ingolstadt BAY USA
Hambühren NDS BRIT Insterburg OPR SOW
Hamburg HH BRIT Ipsheim BAY USA
Hamburg-Harburg HH BRIT Iserlohn NRW BRIT
Hameln NDS BRIT Jesau OPR SOW
Hamm NRW BRIT Kamp-Lintfort NRW BRIT
Hammelburg BAY USA Karlsfeld BAY USA
Hannover NDS BRIT Karlsruhe BDW USA
Hannover-Steinkrug NDS BRIT Katzenfurt HES USA
Happurg BAY USA Kaufbeuren BAY USA
Harth-Ringelstein NRW BRIT Kaukehmen OPR SOW
Hausham BAY USA Kelsterbach HES USA
Hechtsheim RPF USA Kiel SHO BRIT
Heidesheim RPF USA Klein Heidorn NDS BRIT
Heilbronn B DW USA Kleingnie OPR SOW
Heiligenbeil OPR SOW Koblenz RPF USA
Heiligenhafen SHO BRIT Koblenz-Lützel RPF USA
Heimbach H ES USA Kolkhagen NDS BRIT
Helmstedt NDS BRIT Köln NRW BRIT
Hemer NRW BRIT Köln-Deutz NRW BRIT
Herborn HES USA Königsberg OPR SOW
Herford NRW BRIT Königstein HES USA
Herrsching BAY USA Korbach HES USA
Hersbruck BAY USA Kornwestheim BDW USA
Hessisch-Lichtenau HES USA Krefeld NRW BRIT
Hildesheim NDS BRIT Kuckerneese OPR SOW
Hirschberg HES USA Laasphe NRW BRIT
Hirschberg NRW BRIT Labiau OPR SOW
Hof BAY USA Landsberg BAY USA
Hof-Moschendorf BAY USA Landshut BAY USA
Hohenbrunn BAY USA Langelsheim NDS BRIT
Hohenlimburg NRW BRIT Langenzenn BAY USA
Hövelhof- Langlau BAY USA
Staumühle NRW BRIT Lauenau NDS BRIT
Hundstadt HES USA Lehrte NDS BRIT
Hussehnen OPR SOW Limburg HES USA
Husum SHO BRIT Lingen NRW BRIT
Idstedt SHO BRIT Lohr BAY USA
425
Löwen hagen OPR SOW München-Freimann BAY USA
Ludwigsburg BDW USA Münster/Westf. NRW BRIT
Ludwigshafen RPF USA Munsterlager NDS BRIT
Ludwigshafen- Nattern berg BAY USA
Rheingönheim RPF USA Neu-Ulm BAY USA
Lüneburg NDS BRIT Neuengamme HH BRIT
Luthe NDS BRIT Neuenkirchen NRW BRIT
Mainz RPF USA Neukirch OPR SOW
Mainz-Kastel RPF USA Neumarkt BAY USA
Mainz-Zahlbach RPF USA Neumünster SHO BRIT
Maisach BAY USA Neustadt NDS BRIT
Manching BAY USA Niederroden BDW USA
Mannheim BDW USA Nienburg NDS BRIT
Mannheim-Käfertal BDW USA Nordstrand SHO BRIT
Mannh.-Sandhofen BDW USA Nortorf SHO BRIT
Mannh.-Schönau BDW USA Nürnberg BAY USA
Mannh.-Waldhof BDW USA Nürnb.-Erlenstegen BAY USA
Marburg H ES USA Nürnb.-Langwasser BAY USA
Markt Bibart BAY USA Nürnb,-Schweinau BAY USA
Marktheidenfeld BAY USA Ober-Eisseln OPR SOW
Marl-Hüls NRW BRIT Obernkirchen NDS BRIT
Matheningken OPR SOW Oberursel HES USA
Mecklenbeck NRW BRIT Oberursel-
Memmingen BAY USA Hohenmark HES USA
Menden NRW BRIT Oberwengern NRW BRIT
Mennighüffen NRW BRIT Ochsenfurt BAY USA
Metgethen OPR SOW Oker NDS BRIT
Meyken OPR SOW Oldenburg NDS BRIT
Miesenheim RPF USA Osnabrück NDS BRIT
Minden NRW BRIT Palmnicken OPR SOW
Mittenwald BAY USA Pam letten OPR SOW
Moers NRW BRIT Petershagen NRW BRIT
Mohlsdorf DDR USA Pillau OPR SOW
Moosburg BAY USA Plaidt RPF USA
Mulden OPR SOW Plankstetten BAY USA
Münchberg BAY USA Piatti ing BAY USA
München BAY USA Pöcking-
München-Allach BAY USA Possenhofen BAY USA
München-Daglfing BAY USA Preuss. Oldendorf NRW BRIT
426
Preussisch-Eylau OPR SOW Stadt Allendorf HES USA
Radbruch NDS BRIT Stallupönen OPR SOW
Ragnit OPR SOW Stein BAY USA
Ramersdorf NRW BRIT Stephanskirchen BAY USA
Recklinghausen NRW BRIT Straubing BAY USA
Regensburg BAY USA Stukenbrock-
Reinhartshausen BAY USA Eselheide NRW BRIT
Remagen RPF USA Stuttgart-Zuffenh. BDW USA
Rheinberg NRW BRIT Sulzbach-Rosenberg BAY USA
Rheinheim BDW USA Tann BAY USA
Rinteln NDS BRIT Taplau OPR SOW
Rockenberg HES USA Telgte NRW BRIT
Romau OPR SOW Teugn BAY USA
Rominten OPR SOW Tharau OPR SOW
Rosenheim BAY USA Tilsit OPR SOW
Rossitten OPR SOW Trier RPF USA
Rotenburg NDS BRIT Trostberg BAY USA
Roth BAY USA Tutzing BAY USA
Rothenstein OPR SOW Ulm BDW USA
Salzgitter NDS BRIT Unterlüss NDS BRIT
Sandbostel NDS BRIT Urmitz RPF USA
Schloss Neuhaus NRW BRIT Varrelbusch NDS BRIT
Schloss Velen NRW BRIT Vilshofen BAY USA
Schmidtheim NRW BRIT Vlotho NRW BRIT
Schnuttenbach BAY USA Walheim-
Schönfliess OPR SOW Friesenrath NRW BRIT
Schugsten OPR SOW Walsrode NDS BRIT
Schützenhof OPR SOW Warendorf NRW BRIT
Schwabach BAY USA Wedel SHO BRIT
Schwäbisch Hall BDW USA Wehlau OPR SOW
Schwabmünchen BAY USA Wehmingen NDS BRIT
Schwarzenborn RPF USA Weiden BAY USA
Schweiklberg BAY USA Welda NRW USA
Sennelager NRW BRIT Wendelhöfen BAY USA
Siershahn RPF USA Wenzendorf NDS BRIT
Sinzig NRW USA Werneck BAY USA
Slevershausen NDS BRIT Wesel NRW BRIT
Soltau NDS BRIT Westhofen NRW BRIT
Stablack OPR SOW Wickelsgreuth BAY USA
427
Wickrath NRW BRIT Wolfratshausen BAY USA
Wiehl NRW BRIT Wuppertal NRW BRIT
Wiesbaden- Würzburg BAY USA
Dotzheim HES USA Würzburg-
Wiesloch BDW USA Heidingsfeld BAY USA
Winzenheim RPF USA Ziegenhain HES USA
Wolfenbüttel NDS BRIT
428
Alliierte Gefangenenlager in Belgien
429
Alliierte Gefangenenlager in Frankreich
430
Erquy Le Mans (USA Nr. 13)
Etamps Le Molay
Evrons Le Pargo
Fleury-sur-Orne (BRIT/FRA) Le Petit-Quevilly
Fontainebleau Le Vernet
Forêt-de-Montgeon Forges-les- Le Vernet d'Ariège
Eaux Lens
Fort d'Hauteville Les Défens-Chateauroux
Fort de Tourneville Les Milles (USA
Fort-de-Feyzin/Lyon Fort-de-la- Nr. 404 bis Dez. 1944)
Motte-Giron Foucarville Les Sables Portet
Foucarville (USA Nr. 19) Lison
Gainneville Lithaire
Gap Longeville-les-St.-Avold (USA
Gennevilliers No. 27)
Germignan Lons-le-Saunier
Granville Lunéville
Guéret Mailly-le-Camp (USA Nr. 16)
Gurs Marignane
Haguenau Marignane
Haute-Gringor (USA Nr. 20) Marseille
Haute-Quevillon (USA Nr. 24) Mauriac
Haye-du-Puits Mazargue
Hyères Mazeray
lle-de-Saint-Germain Metz
La Loge Metz
La Roche-sur-Yon Montendre
La Rochelle Montai r-de-Bretagne
La Trémouille Montpellier
La Valette Montreuil-Bellay
Labouheyre Montrouge
Lamballe Mortain
Langres Mosles
Lanniron Mourmelon-le-Grand
Laon Mouson
Le Coudray Mulhouse
Le Grand-Quévilly Mulsanne
Le Havre Mutzig
Nacqueville
431
Nancy St. Bonnet-Tronçais
Neufchatel-sur-Aisne St. Etienne
Nevers St. Germain-la-Poterie
Nice St. Louis
Nizza St. Martin-de-Ré
Orléans St. Maur-des-Fossés
Pavilly St. Médard-en-Jalles
Pissos St. Paul-d'Eyjeaux
Pleyber-Christ St. Pierre-Eglise
Poitiers St. Servan-sur-Mer
Pouxeux St. Thégonnec (USA Nr. 12)
Prin-Deyrancon Ste. Marthe/Marseille
Querqueville Ste. Menehould
Quevillon Ste. Ménehould
Reims Stenay (USA Nr. 17)
Rennes (USA No. 11) Strasbourg
Rivesaltes Thol
Romily-sur-Seine (USA Nr. 28) Thorée-les-Pins (USA Nr. 22)
Rouen (BRIT) Tourlaville
Rouillé Valence
Royan Valenciennes
Saleux Valognes
Sarralbe Vaubadon
Sarrebourg Vaucelles (BRIT)
Sarrebourg (USA Nr. 455) Vaucou leurs
Satory Versailles
Septèmes-les-Val Ions (USA Villejuif
Nr. 404) Vincennes
Sou lac Vitry-le-François
Soulac-sur-Mer Voves (USA Nr. 25)
St. Avoid Zimming
432
Britische Gefangenenlager
433
Carlisle Didcot
Carlton Dingwall
Carmarthen Diss
Carronbridge Doncaster
Castlethorpe Donnington
Catterick Doon Foot (USA/BRIT)
Catt i stock Douglas
Chaiford Dover
Chandler's Ford Dovercourt
Chatham Droitwich
Chepstow Dumfries
Chirnside Dundee
Chislehurst East Boldon
Cholderton Eastleight
Clapham Edinburgh
Clay Cross El burton
Clyst Honiton Ely
Cobham Enfield
Cockermouth Epping
Cod sa II Eynsham
Colchester Fakenham
Coleshill Fareham
CoImworth Fir Tree
Comrie Fladbury
Coven Flaxley Green (USA/BRIT)
Coventry Flixton
Craigavad Folkestone
Craigellachie Friday Bridge
Crewe Friockheim
Cruwys Gilford
Cuckney Gilling West
Cumnock (USA/BRIT) Glasgow
Dalkeith Glenn Mill Camp (USA/BRIT)
Darlington Gloucester
Debach Gosforth
Denny Great Haywood
Derby Great Malvern
Devizes (Verteilerlager) Greenford
(USA/BRIT) Grimsby
434
Guernsey Kirkwall
Guildford Kirmington
Haddington Knaresborough
Halfpenny Green Knutsford
Halstead Ladybank
Haltwhistle (USA/BRIT) Lambourn
Harpenden Langar
Harrow-on-the-H i 11 Langdon Hills
Harwich Larkhill
Hatch End Launceston
Hatfield Heath Laurencekirk
Hawkshead Law
Hayes Camp (USA/BRIT) Leamington
Hemel Hempstead Leckhampton
Henllan Ledbury
Hexham Ledsham
High Garrett Leeds
High Green Little Addington
Hightown Little Rissington
Histon Liverpool
Holsworthy Llanddarog
Holy wood Llandudno Junction
Horbling Llanmartin
Huddersfield Llanover
Hursley Lockerbie
Huyton London
Inverness Long Ashton
Ivybridge Long Marston
Jersey Longtown
Johnstone Loughborough
Kelso Loughton
Kwempton Park Ludlow
Kew Luton
Kimberley Lydiard Millicent
King's Cliffe Madeley
King's Lynn Malmesbury
Kinnerley Malton
Kirkham Manchester
Kirknewton Mardy
435
Market Harnborough Pangbourne
Markethill Par
Market Rasen Penarth
Mauchline Penclawdd
Meesden Penkridge
Melbourne Penrith
Mereworth Peterhead
Mildenhall Pinhoe
Milnthorpe Pontypool
Monymusk Popham
Moorby Portland (Durchgangslager)
Moreton-on -Lugg (USA/BRIT)
Mortimer Potton
Much Hadham Presteigne
Naburn Preston
Nantwich Purfleet
Neath Purton
Nettlebed Quedgely
Newark-on-Trent Queen's Ferry
Newbould Quorn
Newcastle Retford
Newmarket Richmond
Newton Stewart Ripley
Newtown Ripon
North Burton (USA/BRIT) Romford
North Hinksey Romsey
North Somme4rcotes Rotherham
North Tidworth Royston
Northwhich Rudstone
Norton Fitzwarren Rugby
Norwich Rugeley
Nottingham Ruthin
Nuneaton Saffron Walden
Odiham Salisbury
Old Dalby Sark
Oldham Sawtry
Ormskirk Scraptoft
Osweatry Seething
Otley Selby
436
Sennybridge Talgarth
Shaftesbury Tarporley
Shalstone Thames Ditton
Shandon Thankerton
Shap Thatcham
Sheffield Thirkleby
Shepshed Thorney
Sheriffhales Thornliebank
Shipley Tiverton
Shipton Bellinger Tollerton
Shotley Bridge Tonbridge
Shrewsbury Trumpington
Shrivenham Uckfield
Skipton Uttoxeter
Snaith Walgherton
Snettisham Warth Mill Camp (USA/BRIT)
Southampton Warwick
South Cerney Watten
South Littleton Weedon Beck
South Mimms Weekley
Spalding Well ingore
Spencers Wood Wellington
Stamford Wells
Stave rton Welton
St. Columb Major Wem
St. Martin's West Lui worth
St. Neots Westbury
Stoughton Weston
Stranraer Weston-on-Trent
Stratford Wheatley
Stuartfield Whiston
Sudbury Whitchurch
Sunbury-on-Thames Whittingham
Sutton Bridge Widnes
Swanscomb Willoughby
Swanwick Wimbledon
Swindon Wimborne Minster
Syerston Winchcombe
Tadcaster Winterton
437
Wolviston Worcester
Woodchurch Worfield
Woodmansterne Wouldham
Wookey Hole Yate
Wooler Yaxley
Woolwich Yelverton
438
Alliierte Kriegsgefangenenlager in Afrika
439
Alliierte Gefangene in sonstigen Ländern
440
Alliierte Gefangenenlager in Italien
441
Padua BRIT Santa Fara USA
Palmanova BRIT Santo Spirito BRIT
Passo Corese BRIT Scandicci (Nr. 334) USA
Piacenza BRIT Schabs ÛSA
Pisa 1 (Nr. 336, ab Taranto BRIT
April 1945) USA Tarcento USA/BRIT
Pisa II (Nr. 337, ab Tarvisio USA
Mai 1945) USA Tavernanova BRIT
Pisa III (Nr 338, ab Terlizzi BRIT
Mai 1945) USA Toblach USA
Pomigliano d'Arco BRIT Tolmezzo BRIT
Pontecagnano BRIT Torrette BRIT
Portici BRIT Treviso BRIR
Pozzuolo del Friuli BRIT Triest BRIT
Riccione BRIT Tuturano BRIT
Rimini BRIT Udine BRIT
Rom USA/BRIT Venedig BRIT
Rovigo BRIT Verona BRIT
Salerno USA/BRIT Villa Vicentina BRIT
Vipiteno USA
San Lazzaro di Savena BRIT Visco BRIT
Viserba BRIT
San Rossore (Nr. 339) USA
442
Alliierte Gefangene in Dänemark
443
Lyngdal BRIT Rorvik BRIT
Mandal BRIT Rygge BRIT
Melbo BRIT Skaudasjoen BRIT
Me Ikep lassen BRIT Skien BRIT
Minnesund BRIT Setermoen BRIT
Myrer BRIT Singsas BRIT
Namsos BRIT Slettebo BRIT
Nervik BRIT Spillum BRIT
Nyborgmoen BRIT Starum BRIT
Nydal BRIT Stavern BRIT
Nypan BRIT Steinkjer BRIT
Oksenmoen BRIT Stören BRIT
Oppdal BRIT Terningmoen BRIT
Orkanger BRIT Tromsoe BRIT
Overhalla BRIT Trondheim BRIT
Porsgrunn BRIT Vardo BRIT
Poth us BRIT Vatne BRIT
Prestemoen BRIT Vikhammer BRIT
Rinnan BRIT
444
Sowjetische Gefangenenlager und -orte
445
Archangelskoi ZRU Bajdaevka WSI
Archipo-Osipowka NKA Bajkonur KAS
Aref i no ZRU Bajkowo ZRU
Arljuk WSI Bakal URA
Armavir NKA Baksan NKA
Arsenevo ZRU Bakseevo ZRU
Arsk WOL Baku TKA
Artemovsk SRE Balachna ZRU
Artemovskij NKA Balaklava SRE
Artemowskij URA Balakleja SRE
Artik TKA Balakovo WOL
Asbest URA Balaschicha ZRU
Ascha URA Baldohn LET
Aschabad SZA Balozi LET
Aseevskaja ZRU Baltmuiza LET
Aseri EST Banische ZRU
Assaurowo ZRU Baraki ZRU
Astrachan WOL Barakovo URA
Atbasar KAS Baranovici BER
Atig URA Baranovo ZRU
Atkarsk WOL Barmaksis TKA
Atm is ZRU Barmino ZRU
Atrat ZRU Barnaul WSI
Autz LET Bartau LET
Azanka URA Barvenkovo SRE
Azov NKA Barysevka SRE
Azovka NKA Baschjanovskij URA
Azovskaja NKA Baschkarskaja URA
Babaevo NRU Baskaja URA
Babite LET Bataevka WOL
Babtai LIT Batajsk NKA
Babuschkin ZRU Batalino ZRU
Bachcisaraj SRE Batamschinskij KAS
Bachilovo WOL Batjuschkovo ZRU
Bachmaro TKA Batraki WOL
Baevo BEL Batumi TKA
Bagowskaja NKA Bauer WOL
Bairn WSI Bauske LET
Bajan TKA Bazenovo URA
446
Begicevskij ZRU Berislav SRE
Begovat SZA Berzupe LET
Behnen LET Beschenkovici BER
Beketovka WOL Beskudnikovo ZRU
Belaja Berezka ZRU Beslan NKA
Belaja Cerkov SRE Bezborodovo ZRU
Beley SRE Bezeck ZRU
Belebej URA Bezica ZRU
Belgorod ZRU Bezmelovka SRE
Belgorod- Bezymjanka WOL
Dnjestrovskij SRE Bilderl ingshof LET
Belica BER Bilgja TKA
Belinskij ZRU Birkenfeld OPR
Beljaninovo ZRU Bischkil URA
Belo-Volzsk WOL Bistritz MOL
Belobereschkaja ZRU Blagodatka ZRU
Belocholunickij ZRU Blidene LET
Belogolovl ZRU Bobr BER
Belogorsk SRE Bobrik Donskoj ZRU
Belojarskij URA Bobrujsk BER
Belomorsk KAR Bocilovo KAR
Beloreck URA Bogdanovka NKA
Beloreschenskaja NKA Bogorodick ZRU
Belovo WSI Bogorodsk NRU
Bendery MOL Boguraev NKA
Berdicev SRE Bokellen OPR
Berdjanka SRE Bokovo-Antracit SRE
Berdsk WSI Boksitogorsk NWR
Beregomet SRE Boldino ZRU
Berendeevo ZRU Bolnisi TKA
Berestovenki SRE Bolochovo ZRU
Bereza BER Bologoe ZRU
Berezajka ZRU Bolotnovo ZRU
Berezan SRE Bolotskij ZRU
Berezino BER Bolschaja Izora NWR
Berezniki URA Bolschevo ZRU
Berezovka BEL Bolschoj ZRU
Berezovskij URA Bolschoj Bor WOL
Berikulskij WSI Bolschoj Log NKA
447
Bolschoj Suchodol SRE Butovo ZRU
Bondjuschkij WOL Butyrki ZRU
Borbalo TKA Buzuluk URA
Borislav SRE Bykovo ZRU
Borisov BER Bykowo ZRU
Borispol SRE Bystrucha ZRU
Borodino ZRU Bytosch ZRU
Borok NWR Bzov SRE
Borovici NWR Caca WOL
Borovoi KAS Cadaevka ZRU
Borovsk URA Cagoda NRU
Borovskoi SRE Cajka NRU
Borovucha BER Calka TKA
Borschev SRE Capurniki WOL
Borzomi TKA Caricyno ZRU
Brantovka ZRU Casnikovo ZRU
Brateevo ZRU Casov Jar SRE
Brest BER Cebakovo ZRU
Brjansk ZRU Ceboksary ZRU
Brjanskij SRE Cecevici BER
Brody SRE Cegem NKA
B rotzen LET Cekule LET
Brovary SRE Celjabinsk URA
Bubiai LIT Cementnyj ZRU
Buca SRE Cency ZRU
Budennovka SRE Cerdakly WOL
Budy SRE Ceremuschki ZRU
Buguruslan URA Cerepet ZRU
Buj ZRU Cerepovec NRU
Bulacauri TKA Cerkassy SRE
Bulanas URA Cerkessk NK
Bulganak SRE Cermoz URA
Bulkovo BER Cem ZRU
Bui li LET Cernaja NWR
Burenino ZRU Cerncy ZRU
Burinovo ZRU Cernevka BER
Burma KAS Cernigov SRE
Busk SRE Cernigovskoi NKA
Butovka SRE Cernikovsk URA
448
Cernitovo ZRU Chutorok NKA
Cernovcy SRE Chyrov SRE
Cernovo ZRU Ciatura TKA
Ceroskoi ZRU Cigirin SRE
Chabarschicha URA Ciglomen NRU
Chadyzensk NKA Ciriklej ZRU
Chaltubo TKA Cirikovo ZRU
Chalturin ZRU Cismena ZRU
Chanzenkovo SRE Cistjakovo SRE
Charcysk SRE Cistoi ZRU
Charenka URA Ckalovskaja ZRU
Chari TKA Cracking WOL
Charkow SRE Cranz OPR
Chasupa TKA Cuama SZA
Chasuri TKA Cuchlinka ZRU
Cherson SRE Cuguev SRE
Chersonesskij SRE Cukuricha SRE
Chimki ZRU Curbaj-Nura KAS
Chlebnikovo ZRU Cusovoi URA
Chlusovo BEL Cusovoj URA
Chodjasevo- Dahlen LET
Tatarskoi WOL Danilov ZRU
ChodorowSRE Darnica SRE
Cholmy BER Daschkesan TKA
Cholodnaja Balka (1) SRE Daudzeva LET
Cholodnaja Debalcevo SRE
Balka (II) NKA Dedovici NRU
Chomjakovo ZRU Degtjarsk URA
Chorol SRE Dema URA
Chorosevo SRE Demidovo SRE
Chosta NKA Derbyschki WOL
Chotcy NWR Derevenicy NWR
Chotkovo ZRU Dergaci SRE
Chovrino ZRU Derjugino ZRU
Christische SRE Devan isova NWR
Chrom-Tau KAS Digora NKA
Chromcovo URA Djadkovskaja NKA
Chudjakovo URA Djagi levo ZRU
Churdalan TKA Djatkovo ZRU
449
Dmitrievka ZRU Dulice BER
Dmitrov ZRU Duljapino ZRU
Dnjeprodzerzinsk SRE Dünaburg LET
Dnjeproges SRE Duro vo ZRU
Dnjepropetrowsk SRE Dviri TKA
Doblen LET Dzauschikau NKA
Dobrjanka URA Dzerschinsk ZRU
Dobromil SRE Dzoragetskaja TKA
Dobrus BEL Dzukste LET
Dolgoi Ozero ZRU Eglaine LET
Dolgoprudnyj ZRU Egorevsk ZRU
Dolinskoi KAS Egorsino URA
Domazova ZRU Ejsk NKA
Domnau OPR Ekaterinovka (1) WOL
Domodedovo ZRU Ekaterinovka (II) NKA
Donguziej ZRU Elabuga WOL
Donskoj NKA Elar TKA
Dorstroj ZRU Elbrus NKA
Doskino ZRU Elec ZRU
Dotnuva LIT Elektrostal ZRU
Dretun BER Elenovka SRE
Drissa BER Elino ZRU
Dronovo SRE Elizavetinskaja NKA
Drovnino ZRU Elniki ZRU
Druzkovka SRE Elnja ZRU
Druznaja Gorka NWR Elsanka (1) WOL
Dschambul KAS Eisanka (II) WOL
Dschamili TKA Elstes LET
Dschankoj SRE Emanzelinsk URA
Dschezkazgan KAS Enakievo SRE
Dubna ZRU Engels WOL
Dubno SRE Epifan ZRU
Dubovka WOL Ereda EST
Dubowka ZRU Erevan TKA
Dubrovka SRE Ergli LET
Duchova SRE Ermolovka NKA
Dudkin NKA Ertil ZRU
Dujas LET Esli KAS
Dukora BER Esino ZRU
450
Essentuki NKA Gavrilov-Jam ZRU
Evlach TKA Gejgel TKA
Evlaschevo ZRU Gelsendorf SRE
Evpatorija SRE Georgenburg OPR
Escherelis LIT Georgie-Afipskaja NKA
Ezerischce BER Georgievka SRE
Falenki ZRU Georgievsk NKA
Fanipol BER Gerdauen OPR
Fastoiv SRE Gesdania TKA
Fatesch ZRU Gigant NKA
Fedorovka (I) SRE Glazov URA
Fedorovka (II) URA Gldani TKA
Fedoseeva WSI Gluchovcy SRE
Fedulovo ZRU Gluchovo ZRU
Feodosija SRE Gnivan SRE
Fergana SZA Goldingen LET
Fili ZRU Golicyno ZRU
Firovo ZRU Golmovskij SRE
Fischhausen OPR Golovinka NKA
Fokina ZRU Golubovka SRE
Foros SRE Golyschi ZRU
Fosforitnaja ZRU Gomel BEL
Fosforitnyj ZRU Gorbacevo ZRU
Frauenburg LET Gori TKA
Frjazino ZRU Gorka NWR
Frolischci ZRU Gorki ZRU
Fro Io vo WOL Gorkij ZRU
Frolovskij ZRU Gorlovka SRE
Frunze SZA Gornjackij NKA
Frunzenskoi OPR Gornyj WOL
Gaevka NKA Gorodischce ZRU
Gagra NKA Gorodok BER
Gajsin SRE Gorskoi SRE
Galcina NWR Götzendorf OPR
Galic ZRU Grebenka SRE
Galvidsiszki LIT Gremjaca URA
Gamovo ZRU Gremjacinsk URA
Gantiadi TKA Grigorevka SRE
Garoza LET Grigorevskoi URA
451
Grivno ZRU Iksa ZRU
Grjazovec NRU Ile LET
Grodno BER llica SRE
Gromki WOL llinskij NWR
Gross-Baum OPR lllarinovo SRE
Gross-Droosten OPR Urnen WOL
Gross-Gnie OPR llskij NKA
Gross-Heydekrug OPR Inguri TKA
Gross-Lindenau OPR Inkerman SRE
Grotovskij ZRU Insterburg OPR
Groznyj NKA Inza WOL
Grüntal WOL Irbit URA
Gruschka SRE Irmino SRE
Gschatsk ZRU Irmlau LET
Gubacha URA Isakogorka NRU
Gudauta TKA Ischim ZRU
Gudwallen OPR Ischimbaj URA
Gukovo NKA Ischnja SRE
Gulbene LET Istra ZRU
Gumarino NWR Itschora NWR
Gumrak WOL Ivacevici BER
Gundorovka NKA Ivan-Gorod NWR
Gus-Chrustalnyj ZRU Ivankovo ZRU
Guschkovo ZRU Ivanovka (1) ZRU
Gusino ZRU Ivanovka (II) SRE
Gusjatin SRE Ivanovo ZRU
Gusjatino ZRU Ivanovskoi ZRU
Gvardeskoe SRE Ivanteevka ZRU
Harlu KAR Ivdel URA
Heiligenbeil OPR Ivot ZRU
Helenendorf TKA Izdeschkovo ZRU
Heydekrug LIT Izevka WOL
Hussehnen OPR Izevsk URA
Idel NWR Izjum SRE
Idolga WOL Izmajlovo ZRU
Ignatopol SRE Izoplit ZRU
Igomel NWR Izvarino SRE
Igumnovo ZRU Jablonka WOL
Ikovka WSI Jägel LET
452
Jagodnoi ZRU Kadada ZRU
Jagotin SRE Kadievka SRE
Jajva URA Kadnikov NRU
Jakovlevskoe ZRU Kagan SZA
Jakuschovo ZRU Kaganovic ZRU
Jalta SRE Kajdaki SRE
Jalutorovsk WSI Kalaus NKA
Jama SRE Kalinin ZRU
Jampol SRE Kaliningrad ZRU
Jangarka ZRU Kalinino TKA
Jarcevo ZRU Kalinokovici BER
Jaroslawl ZRU Kallweitschken LIT
Järvakandi EST Kalmius SRE
Jasen BER Kaltan WSI
Jasinovataja SRE Kaluga ZRU
Jaunelgava LET Kalvarija LIT
Javas ZRU Kamenec-Podolskij SRE
Javenga NRU Kamenka (1) SRE
Jegla NWR Kamenka (II) BER
Jesau OPR Kamenka (III) ZRU
Jewe EST Kamenka (IV) NWR
Joschkar-Ola ZRU Kamennaja Palatka URA
Jovlevo ZRU Kamenolomni NKA
Jubarkas LIT Kamensk-
Judino WOL Schachtinskij NKA
Jugo-Kamskij URA Kamensk-Uralskij URA
Juma NWR Kameschkovo ZRU
Junych Kommunarov SRE Kamysch-Burun SRE
Juratischki BER Kamyschin WOL
Jure LIT Kanadej WOL
Jurevec ZRU Kanaevka ZRU
Jurga WSI Kanasch ZRU
Jurkino ZRU Kandalaksa NWR
Jurkovka SRE Kankrinovka SRE
Jurlovo ZRU Kapitalnaja SRE
Jutscha ZRU Karabanovo ZRU
Jutschno-Suschary NWR Karabas KAS
Jutschnyj Kospasch URA Karabasch URA
Kabanovka WOL Karacaevsk NKA
453
Karacev ZRU Kelassuri TKA
Karachasch SRE Kem NWR
Karadag TKA Kemerovo WSI
Karaganda KAS Kemmern LET
Karascha NKA Kentsche NKA
Karataban URA Kerc SRE
Karbonit SRE Kerest NWR
Karcevici BER Kerstovo NWR
Karier SRE Kertschenec ZRU
Karintorf ZRU Kiew SRU
Karla Marksa SRE Kiiu EST
Karlaman URA Kikerino NWR
Karlovka SRE Kildinstroj NWR
Karnak KAS Kiltenevo ZRU
Karpinsk URA Kinesma ZRU
Kartaly URA Kingisepp NWR
Kaschira ZRU Kirilenko NKA
Kaschpirovka WOL Kirov ZRU
Kaschtak URA Kirova KAS
Kasli URA Kirovabad TKA
Kaspijsk NKA Kirovakan TKA
Kastornoe ZRU Kirovo-Cepeckij ZRU
Katharinenfeld TKA Kirovograd SRE
Katuar ZRU Kirow ZRU
Katyk SRE Kirowa URA
Kaukehmen OPR Kirowgrad URA
Kaunas LIT Kirpicevo SRE
Kavkazskaja NKA Kirsanov ZRU
Kazan WOL Kischinew MOL
Kazanovka ZRU Kiscina-Slobodan BEL
Kazatin SRE Kiselev WOL
Kazbegi TKA Kiselevka URA
Kazimirovo BEL Kiselevo ZRU
Kazlu-Ruda LIT Kiselevsk WSI
Kedainen LIT Kisljakow WOL
Keeni EST Kislovodsk NKA
Keggum LET Kivioja NWR
Kegicevka SRE Kiviyli EST
Keipene LET Kizel URA
454
Kizijar NKA Koltubanovskij URA
Kizner URA Komarno SRE
Kladovka URA Komarovo NWR
Klara Cetkin SRE Komissarovo ZRU
Klatschmenskoi Kommunarka ZRU
Boloto ZRU Komsomolsk (1) ZRU
Kleingnie OPR Komsomolsk (II) SRE
Kiemenhof LIT Komsomolskoe SRE
Kletnja ZRU Konakovo ZRU
Klimkovka ZRU Kondol ZRU
Klin ZRU Kondopoga NWR
Klincy ZRU Kondratevka SRE
Knjaginino BER Kondrovo ZRU
Knjatschica BER Königsberg OPR
Kobeljaki SRE Königssaal MOL
Kober TKA Konju EST
Kobrin BEL Konotop SRE
Kochavina SRE Konstantinovka SRE
Kochma ZRU Kopejsk URA
Kochtel EST Koppel EST
Kockoma NWR Koptevo ZRU
Kodnja SRE Kordon URA
Kok-Jangak SZA Koreiz SRE
Kokand SZA Korkino URA
Kokenhusen LET Kornin SRE
Koktschan WOL KorostenSRE
Kolaj SRE Korsakovo ZRU
Kolcugino ZRU Korsun-
Kolesniki ZRU Tschevschenkovskij SRE
Koletschma NWR Kosaja Gora ZRU
Koloc ZRU Koschaj URA
Kologrivovka WOL Koscharovo ZRU
Kolomak SRE Kospas URA
Kolomenskoe ZRU Kostino ZRU
Kolomna ZRU Kostjukovka BER
Kolomyja SRE Kostroma ZRU
Kolovo NWR Kostu sovo URA
Kolpino NWR Kosulino URA
Koltubanka URA Kosyl-Tau WOL
455
Kotei ni kovo WOL Krasnokamsk URA
Kotjandy KAS Krasnolesnyj ZRU
Kotluban WOL Krasnomajskij ZRU
Kotovsk SRE Krasnopole SRE
Kovrov ZRU Krasnotufinsk URA
Kowel SRE Krasnoufimsk URA
Kozlovka ZRU Krasnouralsk URA
Kozlovo ZRU Krasnyj Bor (1) NRU
Kozlowka ZRU Krasnyj Bor (II) ZRU
Kramatorsk SRE Krasnyj Brod WSI
Krasjukovskaja NKA Krasnyj Klin ZRU
Kraskovo ZRU Krasnyj Kut SRE
Kras lava LET Krasnyj Liman SRE
Krasna SRE Krasnyj Luc SRE
Krasnaja Glinka WOL Krasnyj Oktjabr SRE
Krasnaja Golubovka SRE Krasnyj Pereval ZRU
Krasnaja Myza NWR Krasnyj Profintern SRE
Krasnaja Poljana NKA Krasnyj Stroitel ZRU
Krasnaja Sloboda (l) WOL Krasnyj Sulin NKA
Krasnaja Sloboda (ll) ZRU Krasnyj Ugolschcik WSI
Krasnaja Zvezda SRE Kremencug SRE
Krasnenkaja ZRU Kremennaja SRE
Krasno-Perekopsk SRE Krestilschce SRE
Krasnoarmejsk WOL Kresty NWR
Krasnoarmejskoi SRE Kreuz-Pass TKA
Krasnoborsk NRU Kreuzburg LET
Krasnodar NKA Kricev BER
Krasnodon SRE Krimunas LET
Krasnoe (1) ZRU Kriuscha ZRU
Krasnoe (II) SRE Krivoj Rog SRE
Krasnoe (III) ZRU Krivoluce SRE
Krasnoe Echo ZRU Krivorotsche SRE
Krasnoe Selo NWR Krjazim ZRU
Krasnogorovka SRE Krjukovo ZRU
Krasnogorsk ZRU Kromy ZRU
Krasnogorskaja NK Kropotkin NKA
Krasnograd SRE Kruticha URA
Krasnogvardejsk ZRU Krymok SRE
Krasnoi URA Krymskaja NKA
456
Ksani TKA Kiittejou EST
Kstovo ZRU Kuusalu EST
Kuba TKA Kuvschinovo ZRU
Kubanskaja NKA Kuzminki ZRU
Kuces LET Kuzneck ZRU
Kucino ZRU Kvezani TKA
Kuckerneese OPR Kviesi LET
Kudra LET Kyschtym URA
Kujbyschev WOL Kyzyl-Kija SZA
Kukas LET Labiau OPR
Kukovka NWR Lachta NWR
Kukruse EST Ladan SRE
Kukuri LET Lakinskij ZRU
Kulebaki ZRU Laptevo ZRU
Kungur URA Lata URA
Kupanskoe ZRU Lavrovka SRE
Kupcino NWR Lawasar EST
Kupitschki LIT Lebedjan ZRU
Kupjansk SRE Lebjatsche NWR
Kuprino ZRU Lehtse EST
Kurachovka SRE Leipzig SRE
Kurachovstroj SRE Lemberg SRE
Kurakino ZRU Leninabad SZA
Kuraschasaj KAS Leninakan TKA
Kurgan WSI Leningrad NWR
Kurja URA Leninka SRE
Kurkino ZRU Lenino WSI
Kurlovskij ZRU Leninogorsk KAS
Kurschany LIT Leninstroj NWR
Kursk ZRU Leontevo ZRU
Kurumoc WOL Lepscha NRU
Kuschcevskaja NKA Lesch i no ZRU
Kuschljany BER Lesmaschin ZRU
Kuschmurun KAS Lesnaja WRU
Kuschva URA Lesnoj ZRU
Kuskovo ZRU Lesobaza WOL
Kutaisi TKA Lesok ZRU
Kutaisskaja NKA Letcy WRU
Kutor SRE Letnerecenskij NWR
457
Levasevo NWR Loschnica BEL
Levicha URA Losinyj URA
Levinka NKA Löwenhagen OPR
Leznovo ZRU Lozovaja SRE
Lgov ZRU Lozovatka SRE
Libau LET Lubjanka SRE
Lida BER Lubjany WOL
Lidievka SRE Lubny SRE
Ligat LET Lucino ZRU
Ligovo NWR Luck SRE
Lilo TKA Luga NWR
Linda ZRU Luganskoe SRE
Linovica SRE Luginino ZRU
Lipen BER Luisdorf SRE
Lipsk BER Luninec BER
Lisicansk SRE Lunino ZRU
Lisicanskaja SRE Lunovo ZRU
Lisij Nos NWR Lupolovo BER
Litin SRE Lutschesno BER
Livadija SRE Lutugino SRE
Lizino ZRU Luza ZRU
Ljachovo ZRU Lynga URA
Ljangasovo ZRU Lyschva URA
Ljaskelja NWR Lytkarino ZRU
Ljuban NWR Maardu EST
Ljubercy ZRU Machackala NKA
Ljubimivka SRE Machalino ZRU
Ljublino ZRU Machindzauri TKA
Ljubotin SRE Magnitka URA
Ljubysch ZRU Magnitogorsk URA
Ljubytino NWR Majkop NKA
Ljudinovo ZRU Majori LET
Lobnja ZRU Makeevka SRE
Lodejnoi Pole NWR Maksarovo URA
Loksa EST Maksaticha ZRU
Lomovka ZRU Maksimovka SRE
Lomovoe NRU Malaja Bystraja ZRU
Loodi EST Malaja Devica SRE
Lopasnja ZRU Malaja Golubovka SRE
458
Malaja Kolpenica BER Metgethen OPR
Malaja Rjazan WOL Meyken OPR
Malaja Segeza NWR Mezinovskij ZRU
Malenga NWR Mga NWR
Malgobek NKA Miass URA
Malin SRE Michajlovka (1) KAS
Malka NKA Michajlovka (II) SRE
Malyj Istok URA Michajlovo ZRU
Malyschevo ZRU Michajlovskoi ZRU
Maminskoe URA Michanovici BER
Mamut SRE Mickunai LIT
Marevka SRE Micurinsk ZRU
Marfino ZRU Mikaservici BER
Marganec SRE Mincenok SRE
Mariampol LIT Mineralnye Vody NKA
Marina NRU Mingecaur TKA
Marinovka SRE Mingecaurskaja TKA
Marjanskoe SRE Mi novo ZRU
Mark ZRU Minsk BER
Markovo ZRU Mirgorod SRE
Markovskaja NRU Mirskaja NKA
Marks WOL Misa LET
Marlinsk WSI Mischor SRE
Maschuk NKA Mitau LET
Maslovo ZRU Mitino (1) ZRU
Massandra SRE Mitino (II) ZRU
Matheningken OPR Mitino (III) ZRU
Maturino NRU Mjatschkovo ZRU
Mccheta TKA Mocalisce ZRU
Mcensk ZRUI Mochovaja ZRU
Mecebilovo SRE Modohn LET
Mednogorsk URA Mogilev BER
Medvetschegorsk NWR Mogilna SRE
Melechovo ZRU Mokraja SRE
Melitopol SRE Mokrobalkovskij NKA
Memel LIT Moksan ZRU
Mena SRE Mokvi TKA
Merefa SRE Molocnoi NRU
Messer WOL Molocnyj Kombinat ZRU
459
Molodecno NRU Mustamjaki NWR
Molotov URA Mylinka ZRU
Molotovka ZRU Myschega ZRU
Molotovo TKA Mytischci ZRU
Molotovsk NRU Nachicevan NKA
Monaenki ZRU Nadetschdino SRE
Monastyrka (1) URA Nagornovo ZRU
Monastyrka (II) ZRU Nagornskij URA
Moncegorsk NWR Nalcik NKA
Monetnyj URA Naro-Fominsk ZRU
Monino ZRU Nartan NKA
Mordovskaja ZRU Narwa EST
Mordovskoe WOL Naujas Vinia LIT
Mordves ZRU Nazarovka ZRU
More NWR Nazran NKA
Morschansk ZRU Negoreloe BER
Morsi n SRE Neja ZRU
Moschga URA Nelidovo NWR
Moskau ZRU Neukirch OPR
Moskvoreckaja ZRU Neumoor WOL
Mospino SRE Nevinnomyssk NKA
Mostovaja ZRU Nevjansk URA
Mosty BER Nezdannaja NKA
Mozajsk ZRU Nikeltau KAS
Mozajskij NWR Nikita SRE
Mozdok NKA Nikitovka SRE
Mozyr BER Nikolaev SRE
Mozzucha WSI Nikolaevka (1) ZRU
Mstera ZRU Nikolaevka (II) NWR
Mstinskij Most NWR Nikolaevka (III) SRE
Mugajskij URA Nikolskoi NRU
Mühlgraben LET Nikolskoi-Urjupino ZRU
Mukacevo SRE Nikopol SRE
Mulden OPR Niskovicy NWR
Muljanka URA Nizne-Dzerzinsk URA
Murjani LET Nizne-lsetskij URA
Murmansk NWR Niznij Baskuncak WOL
Murmino ZRU Niznij Cegem NKA
Museri TKA Niznij Lomov ZRU
460
Niznij Tagil URA Novoe Zaporoschde SRE
Niznij Ufalej URA Novoekonomiceskoi SRE
Niznjaja Dobrinka WOL Novograd-Volynskij SRE
Niznjaja Tura URU Novogrigorevka SRE
Niznjaja Vajenga NWR Novoierusalimskaja ZRU
Njandoma NRU Novoleuskovskaja NKA
Noeme EST Novomarevka SRE
Noginsk ZRU Novomoskovsk SRE
Nömme EST Novopavlovka SRE
Norinsk SRE Novopetrovskoe ZRU
Norio TKA Novorossijsk NKA
Nosovka SRE Novoschachtinsk NKA
Novaja SRE Novosibirsk WSI
Novaja Bavarija SRE Novospasskoe WOL
Novaja Novostalinsk WSI
Drutschkovka SRE Novostroj (I) URA
Novaja Kievka SRE Novostroj (II) ZRU
Novaja Konratevka SRE Novotroick URA
Novaja Ljalja URA Novotulskij ZRU
Novaja Mysch BEL Novozybkov ZRU
Novaja Tavolzanka ZRU Novye Beljary SRE
Novaja Zemlja BER Novyj Donbass SRE
Novasady BER Nucha TKA
Novgorod NWR Nurma NWR
Novgorod-Severskij SRE Ober-Eisseln OPR
Novikovka NKA Obidimo ZRU
Novinka NRU Obljaniscevo ZRU
Novo-Butovka SRE Obninsk ZRU
Novo-Calkino SRE Obojan ZRU
Novo-Golubovka SRE Obol BER
Novo-Grigorevka SRE Obolcy BER
Novo-Kramatorsk SRE Ocamcire TKA
Novo-Mospino SRE Odessa SRE
Novo-Stalino SRE Oger LET
Novo-Stekljannoi NWR Ogorodnyj KAS
No vo-Tro ickoe ZRU Ogulcy SRE
Novobelica BER Oktjabrskij URA
Novocerkassk NKA Okulovka NWR
Novodruzenka SRE Olaine LET
461
Olchovka SRE Otvaznoi WOL
Olenij Ostrov NWR Ozerce BER
Olesko SRE Ozerele ZRU
Olsanica ZRU Ozery ZRU
Olsufevo ZRU Ozoli LET
Omsk WSI Pacelma ZRU
Opocno NWR Pachta-Aral KAS
Optucha ZRU Palcevo NWR
Oranki ZRU Paldiski EST
Orantscherei WOL Palemonas LIT
Ordzonikidzegrad ZRU Palesch ZRU
Oreanda SRE Palkino URA
Orechovo-Zuevo ZRU Palmnicken OPR
Orel (1) ZRU Pam letten OPR
Orel (II) URA Pampali LET
Orenburg URA Panfi lovo ZRU
Orici ZRU Panfily SRE
Orlovka WOL Panino ZRU
Orlovo-Rozovo WSI Panki ZRU
Orlowka SRE Panovka (1) ZRU
Orscha BER Panovka (II) NRE
Orsk URA Pansino WOL
Osecenka ZRU Paporotskaja NWR
Osinniki WSI Parachino-
Osinovka BER Poddube NWR
Osintorf BER Paritzskaja
Osipenko SRE Kommuna SRE
Osipovici BER Partizany SRE
Osnova SRE Pasanauri TKA
Ostankino ZRU Paschilja URA
Ostaschkov ZRU Paschino ZRU
Ostaschkovo ZRU Paschkovskaja NKA
Ostradnaja NKA Pavencaj LIT
Ostrov (1) NWR Pavlograd SRE
Ostrov (II) NWR Pavlovka (1) SRE
Ostrov (III) BER Pavlovka (II) ZRU
Otradnovo URA Pavlovsk NWR
Otrschev SRE Pavschino ZRU
Otuzi SRE Pdsolnecnaja ZRU
462
Pecatkino NRE Piket KAS
Penizevici SRE Pillau OPR
Penza ZRU Pinjug ZRU
Peoletarij NWR Pinsk BER
Perekop SRE Pirita EST
Perescepino SRE Pirjatin SRE
Pereslavi-Zalesskij ZRU Pi sco vo ZRU
Perevoloki WOL Pitkäranta KAR
Permisküla EST Pjatichatki SRE
Pernau EST Pjatigorsk NKA
Pernica NWR Pjazieva Selga NWR
Perovo ZRU Planernaja ZRU
Pervitino ZRU Plast URA
Pervomajsk SRE Plavni SRE
Pervomajskoi URA Plavsk ZRU
Pervouralsk URA Pleskau NWR
Pescanyj Umet WOL Pljussa NWR
Peski ZRU Plotina (1) URA
Peskovatka WOL Plotina (II) TKA
Pestovo NWR Pocep ZRU
Petrasiunai LIT Pochvistnvo WOL
Petro-Michajlovka SRE Podchvatilovka ZRU
Petrodvorec NWR Podkumok NKA
Petrokamenskoi URA Podlipki Dacnye ZRU
Petropavlovka (1) URA Podol SRE
Petropavlovka (II) WOL Podoljan ZRU
Petropavlovsk KAS Podolsk ZRU
Petroven ki SRE Podporotsche NWR
Petrovka (1) SRE Pokotilovka SRE
Petrovka (II) SRE Pokrovskaja NWR
Petrovsk WOL Pokrovskoe-
Petrovskij Jam NWR Guckovo ZRU
Petrovskoi (1) ZRU Pokrovskoe-
Petrovskoi (II) ZRU Zasekino ZRU
Petrovskoi (III) SRE Polesakovka SRE
Petrozavodsk NWR Polga NWR
Pfeiffer WOL Poljany ZRU
Picugovo ZRU Polock BER
Pikalevo NWR Polom URA
463
Polonecka BER Puti LET
Polonnoe SRE Pyschma URA
Polotnjannyj ZRU Rada ZRU
Polovinka URA Radomysl SRE
Poltawa SRE Radviliskis LIT
Polutsche ZRU Ragnit OPR
Ponewesk LIT Rakitjanka URA
Pontonnyj NWR Rakitnoi ZRU
Popasnaja SRE Rakvere EST
Popelnja SRE Ramasucha ZRU
Popov WOL Ramenskoe ZRU
Popovka NKA Rampa LET
Porchov NWR Rancevo ZRU
Porece URA Rapica TKA
Pormali LET Raudondvaris LIT
Porsta NRE Ravnopol NKA
Postnikovo SRE Rawa Ruska SRE
Potanino URA Razvilka SRE
Potma ZRU Rebovo NRE
Povarovka ZRU Recica BER
Pozoga ZRU Redkino ZRU
Pozva URA Repevka WOL
Pravaja Wolga WOL Repino NWR
Pravdinsk ZRU Retsch URA
Preussisch-Eylau OPR Retschetnikovo ZRU
Priedaine LET Reutov ZRU
Priluki SRE Revda URA
Prokopevsk WSI Riga LET
Proletarsk SRE Riga-Kaiserwald LET
Proskurov SRE Riga-Strand LET
Prostornoi KAS Rj above URA
Providankar SRE Rjabuschka-
Prozersk NWR Rumjancevo ZRU
Pudoz NWR Rjazan ZRU
Pugacev WOL Rodakovo SRE
Pusca Vodica SRE Rodniki (1) ZRU
Puschkin NWR Rodniki (II) ZRU
Puschkino ZRU Rodniki (III) KAS
Pustoscha ZRU Rogacev BER
464
Rogan SRE Ruza ZRU
Rogotschkij ZRU Rybstroj NWR
Rogovka LET Ry levo ZRU
Rogozinino ZRU Rylo ZRU
Rogozno SRE Ryschkovo ZRU
Roja SRE Rzew ZRU
Rokitno SRE Saaremaa EST
Romau OPR Sabirabad TKA
Rominten OPR Sabunci TKA
Roschkovka SRE Saburovo ZRU
Rositten LET Sachty NKA
Roslawl ZRU Sadrinsk WSI
Ross BER Sagaredzo TKA
Rossitten OPR Sagurano TKA
Rostokino ZRU Sajtan URA
Rostov-na-Donu NKA Saki SRE
Rothenstein OPR Sakiaki LIT
Rotovka NKA Salaspi Is LET
Rovenki SRE Sali ko vo ZRU
Rovno SRE Saljany TKA
Roza URA Salmi NWR
Rozanka BER Salsk NKA
Rozdestvenskoe ZRU Salskij NWR
Rozny SRE Sama URA
Rozovka SRE Samarkand SZA
Rschava ZRU Samarskoe KAS
Ruba BER Sambor SRE
Rubcovsk WSI Samchor TKA
Rubeznoi SRE Samocvet URA
Rucenkovo SRE Samuch TKA
Ruda SRE Samusch WSI
Rudnevo ZRU San-Donato URA
Rudnicnaja NWR Sangaste EST
Rudnja- Sanino ZRU
Kamysinskaja WOL Sapernaja NWR
Rudnja-Mecnaja SRE Sapogovo ZRU
Russkaja-Lozovaja SRE Sarabus SRE
Rustavi TKA Saransk ZRU
Ruu EST Saratov WOL
465
Sarja ZRU Segeza NWR
Sarkuz URA Seit-Dzeut SRE
Sarny SRE Sejm a ZRU
Sars URA Seksna NRU
Sarticala TKA Selco ZRU
Saschino ZRU Selecnja ZRU
Satka URA Seliksa ZRU
Satura ZRU Selitscharovo ZRU
Saturtorf ZRU Semanicha ZRU
Sausgallen LIT Semenov ZRU
Savici BER Semenovskoe ZRU
Sazonovo ZRU Semikarakorskaja NKA
Sceglovka SRE Semlevo SRE
Scekino ZRU Serais SRE
Scerbakov ZRU Serebrjanka ZRU
Schapnavolok NWR Serebrjanye Prudy ZRU
Schau len LIT Serebrjanyj Bor ZRU
Schelomovo NRU Serezdius LIT
Schestichino ZRU Serpuchov ZRU
Schevcenko SRE Sestroreck NWR
Schirjaevo WOL Sevan TKA
Schirokij Buerak WOL Severnyj SRE
Schlock LET Severomorsk NWR
Schlüsselburg NWR Severskij URA
Schochovo ZRU Sewastopol SRE
Schönfliess OPR Sibotovo NWR
Schrunden LET Sidlovskaja SRE
Schterges SRE Silikatnaja ZRU
Schugsten OPR Silnicy ZRU
Schuja ZRU Silno SRE
Schuk WOL Simeiz SRE
Schulzenhof OPR Simferopol SRE
Schumicha WSI Simonovo ZRU
Schumnovo ZRU Sinelnikovo SRE
Schurkovo NWR Sinjacicha URA
Schuschary NWR Sinjavino NWR
Schuschtulep WSI Sinop TKA
Scurovo ZRU Siscicy BER
Sebekino ZRU Siverskij NWR
466
Sjaglicy NWR Solenyj SRE
Sjasstroj NWR Solikamsk URA
Skalnyj URA Solnecnogorsk ZRU
Skelevatyj SRE Solombala NRU
Skole SRE Solomennoe NWR
Skopin ZRU Sompa EST
Skorochodovo SRE Sonda EST
Skriveri LET Sora ZRU
Skrjabino ZRU Sortavala AR
Slancy NWR Soschva URA
Slavgorod WSI Sosnovka (1) WOL
Slavjansk SRE Sosnovka (II) ZRU
Slavkino WOL Sosnovo NWR
Slavsko SRE Sotnicyno ZRU
Slavuta SRE Sovetskaja NKA
Slepcovskaja NKA Sovetskij NWR
Slobodka SRE Sovetskij Sever URA
Sluck BER Spas-zaulok ZRU
Smela SRE Spass SRE
Smirnovka ZRU Spasskij Zavod KAS
Smolensk ZRU Stablack OPR
Smolevici BER Stalingrad WOL
Smoljaninovo SRE Stalino SRE
Smorodino ZRU Stalinogorsk ZRU
Snetschnoi SRE Stalinsk WSI
Snigiri ZRU Stalinskij ZRU
Sobinka ZRU Stallupönen OPR
Socgorod URA Stanislau SRE
Socgorodok SRE Staraja Binaradka WOL
Soci NKA Staraja Kulatka WOL
Sofievka (1) SRE Staraja Monja
Sofievka (II) SRE Udmurtskaja URA
Sofrino ZRU Staraja Otrada WOL
Sokol NRU Staraja Toropa NWR
Sokolniki ZRU Starobelsk SRE
Sokologornoe SRE Staroterecnyj NKA
Sokologorovka SRE Starozilovo ZRU
Sokolovo-Kundr. NKA Stary Oskol ZRU
Sokovka BER Staryj Krym SRE
467
Staryj Les ken NKA Svatovo SRE
Staryj Sambor SRE Svecinskaja ZRU
Stavok SRE Sviljazsk WOL
Stavropol WOL Sviscevo ZRU
Stawropol NKA Svjastoschino SRE
Stekljannoi NWR Svoboda BER
Stende LET Swerdlowsk (1) URA
Stepanovka SRE Swerdlowsk (II) SRE
Stepanowka SRE Syktyvkar NRU
Sterlitamak URA Syzran WOL
Stobcy BER Tacinskaja NKA
Stopini LET Taganrog NKA
Streleckoe SRE Talagi NRU
Strelki SRE Talica URA
Strelna NWR Talicy ZRU
Strugi Krasnye NWR Tallinn EST
Stryj SRE Talnoi SRE
Studeniki SRE Tambov ZRU
Stupino ZRU Tamischi ZRU
Suchanovo ZRU Tammiku EST
Suchinici ZRU Taplau OPR
Suchobezvodnoe ZRU Taps EST
Suchodol SRE Tarasovka ZRU
Suchoj Log URA Tarnovoi WOL
Suchumi TKA Tartaulskij KAS
Suda NRU Tartu EST
Sudak SRE Tarusa ZRU
Sudilkov SRE Taschelga WSI
Sukreml ZRU Taschkent SZA
Sulatsch-Gora NWR Taschla WOL
Sumgait TKA Taschtagol WSI
Sumy SRE Taseimka KAS
Sumz URA Tasinskij Bor ZRU
Sungul URA Tatischcevo ZRU
Suntazi LET Tauroggen LIT
Suojarvi KAR Tavda URA
Surami TKA Teberda TKA
Suslovo WSI Tegozero NWR
Suzdal ZRU Telavi TKA
468
Telschen LIT Troikurovo ZRU
Temir-Tau KAS Trosna ZRU
Temnbikov ZRU Trubeckaja NKA
Tempy ZRU Trudovaja (1) ZRU
Terebutinec NWR Trudovaja (II) SRE
Ternopol SRE Trusovo WOL
Ternovka SRE Tsel BER
Terpenie SRE Tuapse NKA
Tescha ZRU Tuchun NWR
Teterev SRE Tuckovo ZRU
Tetkino ZRU Tuckum LET
Tharau OPR Tugolesskij Bor ZRU
Tichmenevo ZRU Tugolica BER
Tichoreck NKA Tujmazy URA
Tichvin NWR Tula ZRU
Tiflis TKA Tuma ZRU
Tilsit OPR Tumanovo ZRU
Tiraspol SRE Tumskaja ZRU
Titenki BER Tundutovo WOL
Titovka NKA Turba EST
Titovka-Krupskaja SRE Turbov SRE
Tjumen WSI Turgenevka WOL
Tkibuli TKA Turgosch NWR
Tkvarceli TKA Turinsk URA
Toila EST Turinskaja Slobodan URA
Tolocin BER Turovo ZRU
Tolokonnoi ZRU Tuschino ZRU
Tomilino ZRU Uaz URA
Tomsk WSI Udarnik WOL
Tondi EST Udelnaja NWR
Tori EST Udomlja ZRU
Toro pec NWR Ülemiste EST
Toroschino NWR Ufa URA
Torzok ZRU Uglic ZRU
Toschkovskij SRE Ugovka NWR
Tosno NWR Ukri LET
Trieckoe NWR Uktus URA
Trituznaja SRE Uljanovka WOL
Trofimovka ZRU Ullila EST
469
Uman SRE Varvarovka SRE
Uneca ZRU Vasilevici BER
Ungeny SRE Vasilevka SRE
Ungrat ZRU Vasilevskij Moch ZRU
Uren ZRU Vasilevskoe ZRU
Urick NWR Vasilkov SRE
Urickij ZRU Vasilkovo ZRU
Urjupinsk WOL Vjazniki ZRU
Urussu WOL Vladimir ZRU
Urzumka URA Vladimir-Volynskij SRE
Uschva URA Vlasovo ZRU
Usman ZRU Vlasovo-Ajuta NKA
Usole ZRU Vodogon NWR
Uspenskoe ZRU Vodolaga SRE
Ust-Dolyssy NWR Vojkovo ZRU
Ust-Kacka URA Volcanka URA
Ust-Kamenogorsk KAS Volkuscha ZRU
Ust-Labinskaja NKA Volmer WOL
Ust-Pozva URA Volnoi SRE
Usta ZRU Volodarsk SRE
Uste NWR Volodarskij NWR
Ustjuzna NRU Vologda NRU
UVA URA Volokolamsk ZRU
Uvarovka ZRU Volosnica ZRU
Uzel SRE Volosovo NWR
Uzenbas SRE Volsk WOL
Uzlovaja ZRU Voltschsk ZRU
Uzomir SRE Vormsi EST
Vachtan ZRU Vorobina URA
Vaduluj-Voda SRE Voroncovka ZRU
Vagonzavod URA Vorone Boloto ZRU
Vahastu EST Voronovo ZRU
Vai vara EST Voskresensk ZRU
Valdaj NWR Vozega NRU
Valdeki LET Vruda NWR
Valujki ZRU Viipuri NWR
Va rego vo ZRU Vypolzovo ZRU
Varenicy ZRU Vyscha ZRU
Varvaropole SRE Vyschnij Volocek ZRU
470
Vysokij SRE Zdanov SRE
Vytegra NRU Zdolbunovo SRE
Wainoden LET Zelannaja SRE
Walk (I) EST Zemtala NKA
Walk (II) LET Zenkovo WSI
Wassalem EST Zestafoni TKA
Wehlau OPR Zichar SRE
Wenden LET Zicharevo NWR
Wjasma ZRU Zidacov SRE
Wolchow NWR Zimogore SRE
Wolga ZRU Zirnov NKA
Wolmar LET Zitomir SRE
Woronesch ZRU Zjuzelskij URA
Woroschilowgrad SRE Zjuzino ZRU
Woroschilowsk (I) SRE Zlatoust URA
Woroschilowsk (II) NKA Zlobin BER
Woroschilowsja ZRU Zmejka NKA
Zabinka BER Zmerinka SRE
Zaborove ZRU Zodino BER
Zabujane SRE Zolnoe WOL
Zadanie URA Zolocev SRE
Zagorsk ZRU Zolymbet KAS
Zagube NWR Zovnino SRE
Zajcevo SRE Zubova Poljana ZRU
Zakamsk URA Zürichtal SRE
Zaleskij Rudnik URA Zugdidi TKA
Zaporozde SRE Zugres (I) SRE
Zaporozde Levoe SRE Zugres (II) URA
Zaprudy BEL Zukovec BER
Zarubino NWR Zukovskij ZRU
Zasule SRE Zuralevka ZRU
Zavale SRE Zvenigirod ZRU
Zavidovo ZRU
471
Die bekannt gewordenen Kriegsgefangenen-Friedhöfe
in der ehemaligen UdSSR
472
Kiew 1 20’000 Ljudinovo 1 500
Kiew II 1 5’000-20’000 Lodi 430
Kiew III ? Lemberg 10’000
Kilkerino ? Machackala 50-60
Kinesma ? Magnitogorsk I 2’000
Kirovabad 4 500 Magnitogorsk II ?
Kirova kan 200-300 Michajlovo 2’000
Kisinev ? Mingecaur I 2’000
Kiviyli ? Mingecaur II 6’000
Klajpeda ? Mingecaur III ?
Kobrin ? Minsk 4’000-5’000
Kochtla-Jarve 1’000 Molotov 130
Kolomna 250 Moncegorsk ?
Kolpino 1 100 Monetnyj 300
Kolpino II ? Morsansk I 1 5’000-20’000
Kommunarka ? Morsansk II ?
Korosten 6’000 Moskau I 500-600
Kovel 60’000 Moskau II ?
Kramatorsk 1 500 Moskau III ?
Krasnaja Poljana 200 300 Mozajsk I 200
Krasnodar 300-500 Mozajsk II 4’000
Krasnogorsk 1’000 Mozajsk III ?
Krasnoturinsk 500 Mozga 2’000
Krasnyj Luc 200 Narva 400-500
Kricev 50 Niznij Tagil I ?
Kujbysev 25 Niznij Tagil II ?
Kuprino 150 Novocerkassk I 1’000
Kusva 1 100 Novocerkassk II 200
Kusva II 500 Novosachtinsk 1 200
Kuvsinovo 160 Novosibirsk 20’000
Kuzneck ? Novostroj 1’000
Kvezani 300 Ocamcire 60-70
Lebedjan 4’000 Oranki 1 400
Leningrad 1 300 Orel I 3’000
Leningrad II 500 Orel II ?
Leningrad III ? Orsa I 1’000
Leninogorsk 150 Orsa II ?
Lidievka 150 Ostaskov 1 800
Libau 60-70 Ozery 30
473
Pavlograd 15 Slaney II 300
Pervomajsk 1’000 Slaney III 500
Petroven ki 2 300 Slavjansk 1 500
Pillau 1 150 Smolensk! 3’000
Pillau II 180 Smolensk II 140
Pinjug ? Sobinka 40-45
Plotina 600 Sokol 2’000
Popasnaja 450 Sosva 1’000
Pleskau 400 Spasskij Zavod I ?
Ragnit 150-180 Spasskij Zavod II 11’000
Revda 800 Stalingrad 45’000-60’000
Roslavl 650 Stalino I ?
Ross 25 Stalino II 500
Rostov 300 Stalinsk 800-1’000
Rubeznoi 1’000 Stanislav 1 500
Rustavi 1 2’000-14’000 Sumgait 500
Ryskovo 80-100 Taganrog ?
Sachty 1 120 Tallinn 500
Sachty II 190 Taschkent 14 500
Saki 1 400 Tiflis I 800
Saki II 500 Tiflis II 3 400
Salaspi Is 800-1’000 Tiflis III ?
Saratov 1 70’000 Tiraspol 1’000
Saratov II 2’000 Tkibuli ?
Satura ? Torzok 50’000
Scekino 50-60 Troekurovo 36
Scerbakov 2’000 Tuckovo 100
Semenovskoe 200 Tula I 350
Serais 700 Tula II 500
Serpuchov 240 Tumanovo 60
Sevan 1 150 Turba 300
Sevan II 120 Tusino ?
Sewastopol 1 2’000 Ust-Kacka 32
Sewastopol II 20’000 Ust-Kamenogorsk 11
Sewastopol III ? Uvarovka 350
Severskij ? Vjazniki 40’000
Simferopol ? Vlasovo-Ajuta 100
Sjasstroj 800 Volcanka ?
Slaney 1 400 Volokolamsk 50
474
Volosnica 8’000 Zaporozde I 1 200
Volsk 100 Zaporozde II 3’000
Voronez 1 600 Zaporozde III 20’000
Voronez II ? Zaporozde IV ?
Voroschilovgrad 1 4’000 Zaporozde V ?
Voroschilovgrad II 150 Zicharevo 1 500
Vozega 1 500 Zugdidi 15
Vysnij Volocek 1 2’000 Zugres 150
Vysnij Volocek II 5’000
(Quelle: Band VII der Maschke-Reihe, überabeitet 1995)
Obwohl bereits seit Ende der 50er Jahre, durch die Russlandheimkehrer, be-
kannt ist, dass sich bei jedem sowjetischen Gefangenenhospital auch min-
destens ein Friedhof befunden hat, wurde dies in der Aufstellung der
Maschke-Enzyklopädie nicht berücksichtigt. Nachfolgend die nicht aufge-
führten Hospitäler, zur Vervollständigung der Liste der Gefangenenfried-
höfe:
475
Kem ? Odessa ?
Kobeljaki ? Oger ?
Kokand ? Orici ?
Kozlovka ? Orsk ?
Kupjansk ? Pacelma ?
Leninakan ? Parischk. Kommuna?
Letcy ? Pavlovka ?
Leznovo ? Petrozavodsk ?
Linda ? Plast ?
Ljublino ? Poltava ?
Makeevka ? Pusca Vodica ?
Mednogorsk ? Rakitjanka ?
Nikitovka ? Razvilka ?
Nikolaev ? Recica ?
Niznij Lamov ? Riga ?
Novograd-Volynskij? Rjazan ?
Novozybkov ? Roja ?
Nucha ? Sapogova ?
Saporosde ?
Sergo ?
Skopin ?
Sofiefka ?
Stryj ?
Suja ?
Sumicha ?
Svatovo ?
Swerdlowsk ?
Talicy ?
Ufa ?
Urjupinsk ?
Usta ?
Verchnij Ufalej ?
Vetluzskij ?
Vinnica ?
Volkovysk ?
Vysokij ?
Woroschilowgrad?
Zelenodolsk ?
Zubova Poljana ?
476
Adenauer im
September
1955 in
Moskau.
477
Die Jahre 1933-1945 in Wort und Bild!
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vergangen. Doch diese zwölf Jahre beeinflussen immer noch vielfältig unsere Ge-
genwart und sicher auch die Zukunft. Viele Zeitzeugen sind inzwischen gestor-
ben, und die meisten Quellen sind ausgewertet. Eine unübersehbare Menge von
Sekundärliteratur ist erschienen und erscheint weiterhin. Es gibt politische, mili-
tärische und fachspezifische Lexika über diese Zeit. Erstmals wird hier ein Volks-
lexikon über jene Jahre vorgelegt, das vor allem die den Laien interessierenden
Gebiete des täglichen Lebens mit einbezieht: Sport und Technik, Film und Rund-
funk, Theater und Wissenschaften, Arbeit und Freizeit werden neben den wichti-
gen politischen Ereignissen und dem militärischen Geschehen im Zweiten Welt-
krieg behandelt. Die Ergebnisse und Teilnehmer der Fussballendspiele, die Me-
daillengewinner der Olympischen Spiele, die beliebtesten Filme mit ihren Stars,
die Autotypen und Motorradmarken, die Sportidole und Publikumslieblinge wer-
den ebenso aufgeführt wie die hochdekorierten Soldaten und die Heerführer an
allen Fronten. Sachlich und objektiv werden die Geschehnisse unter Vermeidung
jeder Polemik so dargestellt, wie sie waren, so dass eine zuverlässige Information
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GRABERT