Monotheismus 21.01.2021 Ebook
Monotheismus 21.01.2021 Ebook
Erscheinungsdatum: 01/2021
©
2021 im Eigenverlag
Format: 6“ x 9“ / 208 Seiten
Gestaltung von Titelseite und Innenlayout: www.islamwissenschaft.net
Inhalt
Umschrift-Tabelle 12
Einführung 25
Hinweise zu diesem Buch 27
Die essentielle Rolle der Überlieferung in allen Religionen 28
Judentum und Christentum im Hinblick auf authentische Überlieferung –
Textkritik, Bart D. Ehrman und seine Kritiker 29
Der Islam in diesem Bezug 34
Die islamischen Quellen: Koran, Sunnah und Konsens 41
Die Überlieferer der islamischen Quelltexte und die Bedeutung des Ausdrucks
ahlu s-sunnati wa-l-ǧamāʿah 45
Die Entstehung von Abspaltungen - Der ḥadīṯ über die firaq/Sekten 47
Die zunehmende Veränderung religiöser Lehren im Allgemeinen 50
Die eigentliche Aussage des Monotheismus im Islam und das weitverbreitete
Missverständnis darüber 52
7
Die Lehre des Monotheismus
8
Die Lehre des Monotheismus
Was durch das bereits beschriebene Fehlverständnis aus diesem Vers folgen
müsste 92
Die sprachliche Bedeutung des Wortes Islam und wie sich diese
aus dem Verb und der Wortwurzel ergibt 95
Die Bedeutung des Verbs aslama 95
Der Zusammenhang zwischen der Wortwurzel salima und dem davon
abgeleiteten Verb aslama 96
9
Die Lehre des Monotheismus
Allah vergibt die Sünde des širk nicht – außer durch reuige
Umkehr 142
Ein Polytheist kann nur durch taubah vom širk in den Islam
eintreten 147
10
Die Lehre des Monotheismus
Schlusswort 196
11
Die Lehre des Monotheismus
Umschrift-Tabelle
DMG- Arabischer
Name Aussprachehilfe
Umschrift Buchstabe
wie deutsches h,
h ه hāʾ
aber immer konsonantisch und behaucht
12
Die Lehre des Monotheismus
DMG- Arabischer
Name Aussprachehilfe
Umschrift Buchstabe
13
Die Lehre des Monotheismus
14
Die Lehre des Monotheismus
2 Hierbei muss man sich darüber im Klaren sein, dass Muslime durch derar-
tige Methoden letztlich daran gehindert werden, die eigene Religion anhand
ihrer Quellen theologisch zu untersuchen. Gleichzeitig wird – vor allem in der
westlichen Welt – vermehrt ein völlig ahistorischer und quellenfremder Is-
lam forciert.
…--
15
Die Lehre des Monotheismus
Unter solchen Umständen stellt sich die Frage, was nun mit „Religions-, Glau-
bens-, und Meinungsfreiheit“ in Bezug auf den Islam und die Muslime ge-
meint sein soll. Diese Frage werden sich Muslime und Nicht-Muslime in die-
sen Ländern in der kommenden Zeit wohl vermehrt stellen müssen.
16
Die Lehre des Monotheismus
Nicht jedoch ist der takfīr von Grund auf gleichzusetzen mit einem bin-
denden rechtlichen Dekret, das in der gesamten Gesellschaft rechtliche
Gültigkeit hat.
17
Die Lehre des Monotheismus
18
Die Lehre des Monotheismus
4 Das arabische Wort kufr wird im Deutschen gemeinhin als „Unglaube“ über-
19
Die Lehre des Monotheismus
20
Die Lehre des Monotheismus
21
Die Lehre des Monotheismus
Hieran sieht man, dass es sich also um eine innerislamische Debatte han-
delt, die letztlich unausweichlich ist und mit Sicherheit nicht von Juristen
oder Politikwissenschaftlern gelöst werden kann, die den Islam nur von
außen betrachten. Entsprechend lächerlich und naiv ist der Versuch man-
cher Nicht-Muslime, Muslimen hierbei eine spezielle Gesinnung aufzu-
zwingen.
Genau dies geschieht aber zunehmend, wenn versucht wird, grundle-
gende Fragen der islamischen Theologie zu kriminalisieren. Nicht selten
läuft es nach folgendem, bereits erörterten Schema ab:
spricht über takfīr = exkommuniziert jeden = zwingt jeden, es
ihm gleich zu tun8 = Tötungsauftrag
Wie im bisher Gesagten gezeigt wurde, handelt es sich hierbei also um
eine irrsinnige Schlussfolgerung, die an mehreren Stellen Fehler aufweist,
und keinesfalls um einen stringenten Gedankengang.
Genau so wird – nach so einer Logik – aus jemandem, der eine theologi-
sche Frage erörtert, ganz schnell jemand, der, sobald die praktische Mög-
lichkeit dazu besteht, angeblich seine vermeintlichen Genozidgelüste
umzusetzen versucht.
Diesem Schema entsprechend kommt es zu Aussagen wie der folgenden
von Guido Steinberg, welcher – ohne entsprechende Ausbildung – sehr
oft das letzte Wort hat, wenn es darum geht, Leute aufgrund theologi-
scher Belange abzuurteilen:
„Takfiristen sind Muslime, die andere Muslime besonders leicht-
fertig des Unglaubens bezichtigen, sie so aus der Gemeinschaft
der Gläubigen ausschließen und ihre Tötung legitimieren.“9
Ein Takfirist ist dabei – gemäß Steinberg – jemand, der viel exkommuni-
ziert, womit der absurde Gedankengang seinen Lauf nehmen kann.
22
Die Lehre des Monotheismus
23
Die Lehre des Monotheismus
Auf diesem Wege wolle man letztlich alle anderen Menschen, die
nicht Teil der „eigenen Gruppe“ sind, als minderwertig einstufen und
sich daraufhin von ihnen segregieren.
2) Man wolle dadurch in weiterer Folge nur umso mehr Leute „vom Is-
lam ausschließen“, um auf diese Art ihre Tötung zu legitimieren und
der Verwirklichung krankhafter Mord- oder gar Genozidgelüste näher
zu kommen.
Hinter dem vorliegenden Buch steht aber keine dieser beiden Motivatio-
nen. Aus dem bisher Gesagten sollte klar sein, dass es in diesem Buch
vielmehr um eine theologische innerislamische Debatte geht, die aus is-
lamischer Sicht auch zu führen ist, ganz ungeachtet der Frage, ob diese
Debatte für manche Menschen nun sinnvoll erscheint oder nicht.
Im Hauptteil des Buches wird auch klar darauf hingewiesen10, dass sich
der muslimische Leser hüten muss, die hier erörterten Grundprinzipien
für falsche Analogieschlüsse oder nicht gerechtfertigte Verallgemeine-
rungen zu missbrauchen.
Auf Übertreibungen von Muslimen im Bereich des takfīr wurde bereits
weiter oben in diesem Vorwort, aber auch mehrfach in anderen Publika-
tionen von mir hingewiesen. Dieses Buch ist nicht dazu gedacht derartige
Übertreibungen zu fördern.
Demgegenüber verdeutlicht das Buch jedoch auch, dass das islamische
Glaubensbekenntnis nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis ist, das jeden,
der es lediglich ausspricht, direkt ins Paradies befördert, was auch immer
er glaubt, sagt oder tut.
Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die vorliegende Schrift nur ei-
nen allgemeinen Überblick anstrebt und deshalb auch nicht als Anleitung
für die Beurteilung aller möglichen Gesellschaften, Personen oder Einzel-
fälle angesehen werden kann.
10 Siehe dazu vor allem das Kapitel „Das unerlaubte Ausschließen eines Mus-
lims aus dem Islam“.
24
Die Lehre des Monotheismus
Einführung
Bekanntermaßen werden im Allgemeinen drei Religionen als monotheis-
tisch bezeichnet, in chronologischer Reihenfolge sind diese das Juden-
tum, das Christentum und der Islam. Diese drei Religionen werden auch
als die sogenannten abrahamitischen Religionen bezeichnet, weil sich
jede davon auf Abraham11 12 zurückbesinnt.
Wie aus dem Titel ersichtlich, dient das vorliegende Buch dem Zweck, das
islamische Monotheismus-Verständnis – im Arabischen als tauḥīd be-
zeichnet13 – möglichst authentisch aus den frühesten Quelltexten des Is-
lam herauszuarbeiten.
11Im Arabischen Ibrāhīm, welcher von den Muslimen „Vater der Propheten“
genannt wird.
12 Arabisches Schriftsymbol. Zu Deutsch etwa: „Friede und Heil seien auf
ihm“. Muslime erweisen allen Propheten – wie z. B. auch Abraham, Moses,
Jesus und vielen anderen – ihren Respekt durch Nennung dieser oder ähnli-
cher Formulierungen.
13 Es ist bei Übersetzungen ganz allgemein klarerweise nicht möglich, einen
in jeder Hinsicht passenden Begriff in der anderen Sprache zu finden. Des-
halb soll hier zu Beginn verdeutlicht werden, wie der Begriff Monotheismus
in diesem Buch gebraucht und verstanden wird.
Die Bedeutung des deutschen Wortes Monotheismus (gesprochen Mono-te-
ismus) wird im Allgemeinen als „Eingottglaube“ wiedergegeben. Das Wort
setzt sich aus zwei ursprünglich griechischen Begriffen zusammen, wobei
„monos“ für „allein/einzig“ steht und „theos“ für Gott. Im Deutschen wird
dieser Begriff seit einigen Jahrhunderten allgemein dafür verwendet, um zu
zeigen, dass eine Religion frei von der Verehrung mehrerer verschiedener
Gottheiten ist.
Wie bei anderen Begriffen auch findet man für das Wort Monotheismus un-
terschiedliche Definitionen. Es ist allgemein bekannt, dass z. B. die christliche
und die islamische Vorstellung bezüglich des Schöpfers der Welt und Seiner
Eigenschaften in mehreren Punkten auseinandergehen – trotzdem werden
beide als „Monotheismus“ bezeichnet. Die Frage ist also letztlich, wie man
das Wort definiert, wenn man es gebraucht.
…--
25
Die Lehre des Monotheismus
Das primäre Ziel dieses Buches besteht darin, das islamische Monotheismus-
Verständnis aus den frühesten Quellen des Islam zu erarbeiten. Wenn in die-
sem Buch also von „Monotheismus“ gesprochen wird, so ist damit im Allge-
meinen der islamische Monotheismus gemeint, der dem arabischen Wort
tauḥīd entspricht. Was dieser Monotheismus tatsächlich bedeutet und wie
sich diese Bedeutung aus den islamischen Quelltexten ergibt, soll in diesem
Buch untersucht werden. Für diese Zielsetzung ist es also belanglos, welche
weiteren Definitionen daneben bei manchen Religionsforschern und Histori-
kern existieren. Dasselbe ist in Bezug auf den „Polytheismus“ und das arabi-
sche Wort širk zu sagen.
Dieselbe Problematik der Übersetzung ergibt sich z.B. auch bei dem Begriff
„Religion“ für das arabische dīn sowie beim Wort „Gott“ – wie sich bereits an
den unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Islam und Christentum zeigte.
Im vorliegenden Buch werden solche Wörter immer im Sinne des allgemei-
nen Begriffs verwendet oder es wird ihre Bedeutung für einen gewissen Kon-
text verdeutlicht. Was also der islamische „Monotheismus“, den der Koran
beschreibt, und die islamische „Religion“ sind und wie sie sich von anderen
Vorstellungen unterscheiden, genau das soll im Verlauf dieses Buches er-
schlossen werden.
26
Die Lehre des Monotheismus
Im Gegensatz zu den Juden ist Jesus aus Sicht der Muslime aber ein aner-
kannter Prophet, jedoch nicht der Sohn Gottes, wie dies wiederum viele
Christen glauben, wenn auch bei weitem nicht alle.
Darüber hinaus bezeugen Muslime bekanntermaßen auch das Prophe-
tentum von Muḥammad . Der Islam hält also Noah, Abraham, Ismael,
Isaak, Jakob, Josef, Moses, Jesus und Muḥammad14, sowie weitere hier
nicht namentlich erwähnte Persönlichkeiten, als Propheten des einen
Schöpfers in ehrenvoller Erinnerung.
14
Im Arabischen Nūḥ, Ibrāhīm, Ismāʿīl, Isḥāq, Yaʿqūb, Yūsuf, Mūsā, ʿĪsā und
Muḥammad
27
Die Lehre des Monotheismus
Alle zitierten Quelltexte dieses Buches wurden vom Verfasser direkt aus
dem Arabischen ins Deutsche übersetzt und nicht von anderen Quellen
übernommen, noch aus einer Zweitsprache übersetzt.15
Abschließend sei auf eine umfassendere, arabische Abhandlung dieses
Themas hingewiesen16, in der zu den im Folgenden erwähnten Themati-
ken zahlreiche weitere Quelltexte zitiert werden. Um die Aufarbeitung
des Themas für den deutschsprachigen Leser nicht in die Länge zu ziehen,
wurde darauf verzichtet, jene Quelltexte in ihrer Gesamtheit in die deut-
sche Sprache zu übertragen.
15Dies bezieht sich auch auf die zitierten Koran-Verse. Die Übersetzung
wurde vom Verfasser nach Betrachtung der im Deutschen vorliegenden
Übersetzungen vorgenommen.
Dass es sich dabei - wie häufig erwähnt wird - um eine bloße Übertragung
der Bedeutung des Originaltextes ins Deutsche handelt, ist an sich eine
Selbstverständlichkeit. Da dies jedoch in Wirklichkeit auf jede Übersetzung
zutrifft, müsste dies nicht explizit erwähnt werden.
Auch wenn die Verwendung des Wortes „Koran-Übersetzung“ von Autoren
im nichtarabischen Raum ungern verwendet und teilweise abgelehnt wird,
ist der Begriff an sich nicht falsch.
16 Siehe dazu im arabischen Originaltitel:
رسالة ىف بيان ى
عىل طريقة أهل األثر- معن اإلسالم من الكتاب والسنة ي
(Eine Schrift zur Erklärung des Islam aus dem Koran und der Sunnah nach der
Methode der Leute des ḥadīṯ)
28
Die Lehre des Monotheismus
alles für die eigene Religion halten kann, aus dem einfachen Grund, dass
es einem gesagt wurde, wobei es mit der ursprünglichen Lehre vielleicht
kaum etwas oder gar nichts mehr zu tun hat.
Es ist auch allgemein bekannt, dass es in allen Religionen mit zunehmen-
dem zeitlichen Abstand von der ursprünglichen Lehre zu einer Vielzahl
von Ausrichtungen kam, die sich in grundlegenden Inhalten stark unter-
scheiden. Demgemäß ist es nicht möglich, dass all diese unterschiedli-
chen Überzeugungen die eine ursprüngliche Lehre widerspiegeln und
sich mit ihr decken - weder im Judentum, noch im Christentum, noch im
Islam.
Auch in diesem Bezug zeigt sich die tragende Rolle der Überlieferung in
der Religion. Die Authentizität der Quellen ist also eine äußerst wichtige
Frage, mit der sich jeder auseinandersetzen muss, der seiner eigenen re-
ligiösen Überzeugung auf den Grund gehen will.
29
Die Lehre des Monotheismus
Jeder, der auch nur eine sehr grundlegende Einsicht in die islamischen
Überlieferungswissenschaften hat, steht verwundert vor dieser und vie-
len anderen gleichlautenden Aussagen der renommiertesten Wissen-
schaftler in Bezug auf die alten Schriften des Juden- und Christentums.
Sie alle sagen klar aus, dass die Problematik der jüdischen und christli-
chen Quellen eine unbestreitbare Tatsache ist.
Vielmehr erfordert dies eine eigene Abhandlung über die Grundlagen der
Überlieferungswissenschaften im Allgemeinen und in Bezug auf religiöse
Überlieferungen im Speziellen.
Es muss jedoch klar sein, dass es sich bei der fehlenden Authentizität der Bi-
bel nicht um eine neuartige These Ehrmans handelt, sondern um eine altbe-
kannte historische Tatsache. In Kürze soll dies auch an einem weiteren Zitat
deutlich gezeigt werden.
18 Originaltitel „Misquoting Jesus: The Story Behind Who Changed the Bible
and Why“, 2005 von Bart D. Ehrman. Deutsche Ausgabe, Gütersloher Ver-
lagshaus, 2008, 1. Auflage.
30
Die Lehre des Monotheismus
31
Die Lehre des Monotheismus
Bei der Diskussion mit Christen werden oft die Qumran-Schriftrollen als
Argument für eine angebliche Authentizität der (christlichen) Bibel er-
wähnt. Diese Schriftrollen haben aber nichts mit dem christlichen Evan-
gelium zu tun. Des Weiteren entstanden diese Abschriften, gemäß dem
obigen Zitat, erst etwa eintausend Jahre (!) nach der eigentlichen Zeit der
Offenbarung zu Moses – zumindest nach den allgemeinen Erkenntnissen
der Bibelforschung.
Demgegenüber wird in der islamischen Überlieferungswissenschaft eine
Überlieferung bereits als schwach und damit grundsätzlich als nicht au-
thentisch eingestuft, wenn nur ein einziger Überlieferer in der Überliefe-
rungskette fehlt oder den früheren Biografen nicht ausreichend bekannt
war!
Man sei sich hier also des gewaltigen Unterschieds bewusst – auch wenn
eine genaue Darlegung dieser Thematik, wie bereits erwähnt, eine geson-
derte Befassung erfordert.
Christliche Kritiker, wie James White und andere, die gegen Ehrman ar-
gumentieren, versuchen natürlich irgendwie darzulegen, warum Christen
im Großen und Ganzen auf die hauptsächliche Aussage der Bibel ver-
trauen könnten. Dabei erwähnen White und Seinesgleichen z. B. das Zu-
geständnis Ehrmans, dass die etwa 400.000 Textvarianten, also Unter-
schiede im Text (!), zu 99 Prozent nicht sinnverändernd sind und der
Erhalt des Textes über die Jahrhunderte trotzdem eine bemerkenswerte
Leistung vieler Kopisten wäre.
Die teilweise grundlegende Veränderung tragender Inhalte von Thora
und Evangelium ist aus Sicht der islamischen Theologie jedoch ein Fak-
tum, welches im Koran21 auch ausdrücklich erwähnt wird.
21 Wie am Ende des vorliegenden Buches in den Hinweisen zur Umschrift und
32
Die Lehre des Monotheismus
33
Die Lehre des Monotheismus
22Ein ḥadīṯ ist eine Überlieferung vom bzw. über den Propheten . Die Ge-
samtheit solcher Überlieferungen wird Sunnah genannt und stellt neben
dem Koran die zweite primäre Rechtsquelle des Islam dar. (Der Plural von
…--
34
Die Lehre des Monotheismus
Aus folgender Schilderung über ein persönliches Gespräch mit einem ni-
gerianischen Christen, der sich in missionarischer Arbeit bei Muslimen
bemühte, wird ziemlich deutlich, dass es bei den meisten Nicht-Muslimen
nicht einmal eine rudimentäre, sondern eigentlich gar keine konkrete
Vorstellung über die islamische Überlieferungsmethodik gibt.
Im Verlauf des Gesprächs fragte ich jenen Mann an einem Punkt, ob er
tatsächlich denkt, dass beispielsweise al-Buḫārī23 die von ihm überliefer-
ten ḥadīṯe auf irgendwelchen Steinen oder Pergamenten in der Wüste
fand. Er meinte dazu lediglich: „Ja. Sicher. Etwa in dieser Art wird es wohl
gewesen sein“.
Wobei es vor dieser Begebenheit über Jahrzehnte hinweg natürlich schon
viele Gespräche mit Vertretern anderer Meinungen gab, war ich über
diese Antwort erstaunt. Handelte es sich doch um jemanden, der in sei-
ner Tasche einige vereinzelte Texte aus dem Ṣaḥīḥ-Werk al-Buḫārīs für
die Diskussion mit Muslimen bereithielt, um bei passender Gelegenheit
eines der mehr oder weniger bekannten Scheinargumente zu zücken.
ḥadīṯ lautet aḥādīṯ, wird aber häufig – wie auch in diesem Buch – dem deut-
schen Sprachgebrauch angepasst, z. B.: die ḥadīṯe.)
Dabei ist zu beachten, dass es in der Frühzeit des Islam gängig war, auch
Überlieferungen von den ersten nachfolgenden Generationen als ḥadīṯ zu
bezeichnen. Die Unterscheidung zwischen ḥadīṯ für eine Überlieferung vom
Propheten im Speziellen und aṯar (Pl. āṯār) für sonstige Überlieferungen ma-
nifestierte sich erst später, wurde aber auch nicht von allen ḥadīṯ-Wissen-
schaftlern übernommen.
In diesem Sinne ist es nicht falsch, in Bezug auf die Überlieferungen der ers-
ten Generationen ganz allgemein von ḥadīṯ-Überlieferung, ḥadīṯ-Wissen-
schaft bzw. ḥadīṯ-wissenschaftlichen Werken zu sprechen.
23 Der Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī (194-256 n. H./810-870 n. Chr.) ist das wohl be-
kannteste Werk der ḥadīṯ-Überlieferung. Al-Buḫārī wurde etwa 60 Jahre alt.
Die Überlieferungen im Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī werden bei den Muslimen (Sun-
niten) als die authentischsten ḥadīṯ-Überlieferungen überhaupt angesehen.
Von ähnlichem Rang ist das Ṣaḥīḥ-Werk des ḥadīṯ-Gelehrten Muslim ibnu l-
Ḥaǧǧāǧ (204-261 n. H./820-875 n. Chr.). Muslim wurde etwa 55 Jahre alt.
35
Die Lehre des Monotheismus
Wenn es um solche Zwecke geht, ist al-Buḫārī also dem einen oder ande-
ren ein Begriff. Über die tatsächliche Natur der Überlieferung herrscht
jedoch völlige Unkenntnis.
Bei der eben zitierten Annahme über die frühe ḥadīṯ-Wissenschaft, es
handle sich vielleicht um irgendwelche Ausgrabungen in der Wüste, wird
sehr deutlich, dass die betreffende Person überhaupt keine Vorstellung
von dieser Thematik besitzt.
Besonders seit sich Christen vermehrt der Textkritik durch Leute wie Bart
Ehrman ausgesetzt sehen, beginnen sie – erwartungsgemäß – im Gegen-
zug auch nach möglichen Schwächen bei der Authentizität der islami-
schen Überlieferung zu suchen, nach dem Schema: Wenn man schon das
eigene Problem der fehlenden Authentizität nicht lösen kann, dann ver-
sucht man zumindest, dasselbe Problem, wenn auch in stark abge-
schwächter Form, beim anderen zu finden.
Dabei wird von Christen stellenweise auch der Koran selbst thematisiert.
In diesem Zuge werden einige Behauptungen vorgebracht, die schon bei
bloßem Grundlagenwissen als fehlerhaft zu erkennen sind.
Es ist natürlich klar, dass diese Vorgehensweise von christlicher Seite
nichts an der Problematik rund um die eigene fehlende Authentizität der
Bibel ändert.
Dies, neben der schon erwähnten Tatsache, dass der Unterschied zwi-
schen der islamischen Überlieferung und anderen Überlieferungsmetho-
den enorm ist. Man muss sich vergegenwärtigen, dass alleine die Tatsa-
che, dass keine andere Tradierung durch Überlieferungsketten stattfand,
jeden Vergleich absurd erscheinen lässt.
Die muslimischen Überlieferer waren bei der Tradierung der Texte so ge-
nau, dass sie unzählige Male sogar den bloßen Zweifel bezüglich einzelner
Wörter oder einzelner Stellen in Überlieferungsketten mitüberlieferten,
wobei dadurch häufig überhaupt kein Unterschied in der Bedeutung zu-
stande kam. Wer also der Meinung ist, dafür eine geschichtliche Analogie
finden zu können, dem sei hiermit der Nachweis abverlangt.
Auch unter Nicht-Muslimen kamen deshalb manche Fachleute nicht um-
hin, ziemlich unvoreingenommen ihre Bewunderung für die islamische
Überlieferung zu zeigen.
36
Die Lehre des Monotheismus
37
Die Lehre des Monotheismus
Wert für die exakte Arbeit27 nicht in Frage gestellt werden, und die
Muslime können mit Recht stolz auf ihre Wissenschaft der Überlie-
ferung sein.
Bei anderen historischen Aufzeichnungen müssen wir das nehmen,
was uns durch die bloße Behauptung des Autors mitgeteilt wurde:
Es ist selten, dass ein griechischer oder römischer Historiker uns die
Quelle seiner Informationen mitteilt.
Vor allem deutsche Forscher haben viel über die „Kritik der Quellen“
geschrieben und sich bemüht, die Erzählungen von Bibelschreibern
38
Die Lehre des Monotheismus
und anderen auf die Quellen zurückzuführen, aus denen sie stam-
men.
Wo dieses Quellenmaterial nicht mehr existiert, können solche Be-
mühungen bestenfalls plausible Hypothesen liefern. In den Werken
von Tabari, Baladhuri und Tanukhi ersparen uns die Autoren selbst
diese Mühe. […]
39
Die Lehre des Monotheismus
and the fabrication of traditions was a familiar and at times easily tolerated
practise, its value in making for accuracy cannot be questioned, and the Mus-
lims are justified in taking pride in their science of tradition.
In other ancient records we have to take what is told us on the author’s as-
sertion: It is rare that a Greek or Roman historian tells us the source of his
information.
German researchers especially have written „much on criticism of the
sources,” endeavouring to trace the narrative of Biblical writers and others
to the materials whence they were obtained. Where those materials no
longer exist, such endeavours can at best provide plausible hypotheses. In the
works of Tabari, Baladhuri and Tanukhi the writers themselves spare us this
trouble. […]
Nevertheless the veracity of the most eminent among the Arab historians at-
tains a high standard and renders their works of great service to humanity.”
30 Dies wirft z.
B. auch die Frage auf, wie es kommt, dass diese Thematik beim
Studium der Geschichte in Universitäten weltweit, vor allem in westlichen,
kaum oder gar keine ernsthafte Erwähnung findet.
40
Die Lehre des Monotheismus
41
Die Lehre des Monotheismus
Als Beispiel für die Überlieferung des Konsenses durch die frühen ḥadīṯ-
Gelehrten, also die Fachleute der islamischen Überlieferung, soll uns hier
die folgende Aussage des wahrscheinlich bekanntesten ḥadīṯ-Gelehrten
überhaupt dienen, Muḥammad ibnu Ismāʿīl al-Buḫārī.
So überliefert Abū l-Qāsim Hibatuḷḷāh al-Lālakāʾī in seinem Buch Šarḥu
Uṣūli ʿtiqādi Ahlissunnati wa-l-Ǧamāʿah folgende Aussage von al-Buḫārī.
Anzumerken ist dabei, dass auch al-Lālakāʾī selbst ein ḥadīṯ-Gelehrter war
und nach der gängigen Tradition seines Wissensgebietes diese Aussage
von al-Buḫārī ebenfalls mit einer Überlieferungskette tradierte33:
َ َ َُ
ْح َد بْ ِن ُم َّم ِد بْ ِن َسل َمة َ ْ َ َح َّد َثنَا ُُمَ َّم ُد ْب ُن أ: قَ َال, ْح ُد ْب ُن ُُمَ َّمد بْن َح ْفص ال ْ َه َرو ُّيَ ْ ََبنَا أ
ََخ ْ َ
أ
ِ ٍ ِ ِ
َ َ ُّ َ ْ ُ ْ َ َ ُ ْ
َ ْ َ ُ ُ َ َّ َ َ َ َ َ
:ْي ُم َّم ُد ْب ُن ِع ْم َران ب ْ ِن ُموس اْلرج ِاِن قال ِ حدثنا أبو اْلس: قال,
ُ َسم ْع:ولُ َُ َّ َّ خَ ُ ْ َ ْ َّ ْ َ ْ َّ َ ُ َ ْ َ ْ َّ َ ْ َ َّ َ ُ َ َ ُ ْ َ
ت ِ اش يق ِ اري بِالش ِ س ِمعت أبا ُمم ٍد عبد الرْح ِن بن ُمم ِد ب ِن عب ِد الرْح ِن اْل
ْ ْ َْ ْ ُ َ ْ َ ْ َ َ ْ َ ُ َ ُ ُ َ َّ َ ُ ْ َ َ ْ َ ْ َ َّ َ ُ َّ ْ َ َ َ
ل ِقيت أكَث ِمن أل ِف رج ٍل ِمن أه ِل ال ِعل ِم:اري يقول ِ اَّلل ُممد بن إِسما ِعيل اْلخ ِ أبا عب ِد
َْ َ َّ َ َ َ ْ َ َ َ َ َ َ ْ َ ْ َ َ ُ ْ َ َ َ ْ َ َ َّ َ َ َ ْ
ْْص لَقيتُ ُهم َْ
ِ اسط وبغداد والشامِ و ِم ِ از ومكة والم ِدين ِة والكوف ِة واْلْص ِة وو ِ ج اْل
ِ ل ِ أ ه
ٍَّث م ْن ست ََ ْ َ ُ ْ ُ َ ُ َ َ ُ ْ ُ َ ْ ُ ُ ْ َ ْ َ َْ َ ْ َ ً ْ َ َّ ُ ْ َ َ ْ َ ً ْ َ َّ َ
ِ ِ أدركتهم وهم متوافِرون منذ أك, ات قرنا بعد قر ٍن ثم قرنا بعد قر ٍن ٍ كر
َ َ
ْي ذ ِوي َع َد ٍد ات ِِف ِس ِن َّ َ َ َ ْ َ َ ْ َ ْ ير ِة َم َّرتَ ْْي َو َ اْلَزْ َ َ ْ َ َّ َ ْ َ ً َ َ َ َ ْ َ َ
ٍ اْلْص ِة أربع مر ِ ِ َ أهل الشامِ ُو ِمْص و, وأرب ِعْي سنة
َ َ َ ُ َْ َُ َ َ َ َ ََْ ََ ُ ْ ُ ْ َ َ ْ َ ْ َ ْ َ َ ْ ب
, َوَل أح ِِص كم دخلت الكوفة وبغداد مع ُمد ِِث أه ِل خراسان, ٍاز ِس َّتة أع َوام ِ اْلج ِ ِ
َْ َ ُ ْ َ ْ َ َ َ َ ْ ُ ْ ُّ َ ْ ُ ُ ْ
... وَيَي بن َيَي, ِمنهم المِّك بن ِإبرا ِهيم
Ich habe Abū ʿAbdillāh Muḥammad ibnu Ismāʿīl al-Buḫārī gehört als
er sagte: Ich habe mehr als eintausend Männer von den Leuten des
42
Die Lehre des Monotheismus
Wissens getroffen, von den Leuten des Ḥiǧāz, von Mekka, Medina,
Kufa, Basra, Wāsiṭ, Bagdad, aš-Šām34 und Ägypten.
Ich habe sie immer wieder getroffen, von Generation zu Generation
und wieder von Generation zu Generation. Ich habe sie erlebt, sehr
zahlreich vorhanden, seit mehr als 46 Jahren35.
Die Leute des Šām, Ägyptens und der arabischen Halbinsel zwei Mal
und (die Leute von) Basra vier Mal innerhalb mehrerer Jahre, im
Ḥiǧāz sechs Jahre.
Und ich kann kaum aufzählen, wie oft ich Kufa und Bagdad gemein-
sam mit den ḥadīṯ-Gelehrten von den Leuten aus Ḫurāsān36 betre-
ten habe.
Unter ihnen (war) al-Makkiyy ibnu Ibrāhīm und Yaḥyā ibnu Yaḥyā
…
Gelehrten über diesen Zeitraum erlebte, sie bei seinen Reisen antraf, mit
ihnen studierte und ihre bekannten Ansichten und Äußerungen kennen-
lernte. Im Folgenden zählt er einige dieser Reisen auf.
36 Im Deutschen auch als Chorasan bekannt. Eine historische, für die islami-
sche Geschichte und vor allem für die ḥadīṯ-Wissenschaft sehr bedeutsame
Region in Zentralasien, die große Gebiete der heutigen Länder Afghanistan,
Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan umfasste. Es handelt sich
dabei um jene Region, die auch unter dem Namen „Ḫurāsān al-kubrā“, also
„das große Ḫurāsān“ bekannt ist.
43
Die Lehre des Monotheismus
َ ْ ُ َ َ َ َ َّ ُ ْ ُ َ َ َ َّ ََُ َ َُ َ ْ ُ َ َّ
]5 :ين القي َم ِة} [اْلينة ُ اء َو ُيق
يموا الصَلة ويؤتوا الزَك ِة وذلِك ِد ِ َ اَّلل ُم ِل ِصْي َل ادلين حنف
ُ ْ َ ُ ْ َ َّ ُ َ َ َ ْ ُ ْ َّ َ َ
وق
ٍ اَّلل غْي ُمل ِ وأن القرآن َكم
[…] Wir haben uns mit den Namen dieser Leute begnügt, um es kurz
zu fassen und nicht in die Länge zu ziehen. Bei all diesen Leuten
habe ich keinen einzigen gesehen, der in den folgenden Dingen eine
(von den anderen) abweichende Meinung gehabt hätte:
• Dass der dīn37 Aussage und Tat ist. Dies, aufgrund der Aussage
Allahs: „Und doch war ihnen nichts anderes befohlen worden, als
nur Allah alleine anzubeten, das Gebet zu verrichten und die Zakat38
zu entrichten. Und dies ist die Religion der Geradlinigkeit.“ (al-
bayyinah:5)
• Und dass der Koran das Wort Allahs ist und nicht erschaffen
wurde. […]
Die hier von al-Buḫārī erwähnten Personen waren nicht irgendwelche un-
bekannten Menschen, mit denen er selbst persönliche Kontakte pflegte.
Diese Leute waren allesamt in der gesamten islamischen Welt bekannte
Persönlichkeiten, Gelehrte und ihrerseits Überlieferer des ḥadīṯ. Abgese-
hen von diesen beispielhaft aufgezählten Personen gab es wie gesagt un-
zählige ebenfalls bekannte Überlieferer und Gelehrte, die die erwähnten
Glaubensgrundlagen ebenso in genau dieser Weise überlieferten.
Neben diesen Gelehrten der Überlieferung, begannen sich in den ersten
Jahrhunderten des Islam, auch unter dem Einfluss der griechischen Phi-
losophie, viele neue Meinungen herauszubilden. Diejenigen, die sich von
der Philosophie beeinflussen ließen, begannen mehr und mehr, ihren ei-
genen Intellekt als Quelle der Religion zu betrachten. Schließlich fingen
sie auf diesem Weg bald damit an, die eigenen Meinungen der textuell
überlieferten Aussage vorzuziehen. Je nachdem, wie weit die genannten
37Das Wort dīn wird im Deutschen häufig als Religion oder umfassender Le-
bensweg beschrieben. In diesem Buch wird es in der Regel mit Religion über-
setzt. Auf die allgemeine Problematik bei der Übersetzung solcher Begriffe
wurde zuvor bereits eingegangen.
38 Das ursprüngliche Wort schreibt sich im Arabischen zakāh (bzw. in der Kon-
textform zakātun).
44
Die Lehre des Monotheismus
45
Die Lehre des Monotheismus
46
Die Lehre des Monotheismus
39
Arabisches Schriftsymbol. Zu Deutsch etwa: „Möge Allah sich ihrer erbar-
men.“
40 Wie bereits erwähnt, wurde der hier erwähnte ḥadīṯ der firaq sehr zahl-
reich von den frühen Gelehrten überliefert, wobei auch klar ist, dass diese
Gelehrten mit dem Text argumentierten, ihn also im Allgemeinen als authen-
tisch befanden.
Hierbei sei allgemein darauf hingewiesen, dass nicht jede einzelne Überlie-
ferung dieses ḥadīṯ oder eines ḥadīṯ ganz allgemein als authentisch (ṣaḥīḥ)
eingestuft werden muss, damit die Überlieferungen in ihrer Gesamtheit ak-
zeptiert werden. Bei manchen ḥadīṯen können die einzelnen Überlieferungs-
ketten Mängel aufweisen, die sich in Grenzen halten, während der ḥadīṯ in
seiner Gesamtheit bei den frühen Gelehrten durchaus als authentisch galt.
Dies ist auch einer der Hauptgründe, warum schwache Überlieferungen wei-
tergegeben wurden, da diese nämlich durch andere Überlieferungen ge-
stärkt werden können.
Dass eine Überlieferung als „schwach“ (ḍaʿīf) eingestuft wurde, hieß übri-
gens nicht, dass dieser Wortlaut definitiv als erlogen oder falsch beurteilt
wird, denn so etwas müsste erst durch eine „erhebliche Schwäche“ (šadīdu
ḍ-ḍaʿf) belegt werden. Vielmehr sagt die Beurteilung „schwach“ nur aus, dass
man diese Aussage nicht mit Sicherheit dem Propheten bzw. der jeweili-
gen Person zuschreiben kann. Jedoch kann man auch nicht mit Sicherheit
…--
47
Die Lehre des Monotheismus
48
Die Lehre des Monotheismus
Die offene Ablehnung des Koran war zur damaligen Zeit ein deutliches
Eingeständnis des Unglaubens und deshalb nicht ohne weiteres möglich.
Die teilweise Ablehnung der Sunnah hingegen war eher durchführbar,
weshalb die einzelnen Überlieferungen mehr und mehr diskutiert wur-
den.
Häufig behaupteten die verschiedenen Sekten sogar, dem Islam einen
Dienst zu erweisen und die Religion durch die Ablehnung gewisser Texte
schützen zu wollen. Trotz ihrer deutlichen Unwissenheit über die Über-
lieferungen, Überlieferungsketten und die ḥadīṯ-Wissenschaften, lehn-
ten sie manche Überlieferungen mit dem Vorwand neuer, von ihnen er-
dachter Voraussetzungen ab, andere verwarfen sie grundlos.
Auf diesem Wege entstanden schließlich Strömungen, wie die sogenann-
ten qurʾāniyyūn und die Schiiten, die der Sunnah ganz grundsätzlich mit
Ablehnung begegnen und bis zum heutigen Tage bestehen.
Weitere Gruppen, wie die ḫawāriǧ, muʿtazilah, ašʿariyyah, māturīdiyyah
und andere lehnten hingegen jene Teile ab, die mit ihren philosophischen
Lehren nicht zu vereinbaren waren. Dabei verwarfen sie manche Texte
von Grund auf, während sie andere Texte nicht gänzlich ablehnten, son-
dern versuchten, sie durch theologisch und/oder sprachlich unzulässige
Auslegungen zu entkräften.
Je deutlicher die Abweichungen wurden, umso mehr betonten die Leute
des ḥadīṯ ihr Festhalten an der Sunnah. Aus diesem Grund sieht man, dass
zahlreiche alte Bücher über die Glaubensgrundlagen als „Buch der Sun-
nah“ oder in ähnlicher Weise betitelt wurden. So z. B. die Werke bekann-
ter früher Gelehrter, wie ʿAbduḷḷāh (gest. 290 n. H.) dem Sohn des bedeu-
tenden Gelehrten Aḥmad ibnu Ḥanbal41, Ibnu Abī ʿĀsim (gest. 287 n. H.),
49
Die Lehre des Monotheismus
und Abū Bakr al-Ḫallāl (gest. 311 n. H.) , welche alle in dieser Weise
betitelt wurden.
50
Die Lehre des Monotheismus
51
Die Lehre des Monotheismus
42
Im Sinne des zu Beginn bei der Begriffserklärung des Wortes „Monotheis-
mus“ schon Gesagten kann hier Folgendes angemerkt werden:
Das Wissen oder die bloße Anerkennung der Existenz des einen Schöpfers
erfüllt vielleicht die Monotheismus-Definitionen mancher westlicher Religi-
onswissenschaftler und Historiker, jedoch noch lange nicht diejenige des is-
lamischen Monotheismus.
Wie zuvor bereits gesagt, geht es hier nicht um irgendein beliebiges Ver-
ständnis und auch nicht um die Frage der jeweiligen Definition, sondern da-
rum, zu welcher Vorstellung des Monotheismus (tauḥīd) der Koran aufruft
und welchen Polytheismus (širk) er anprangert.
52
Die Lehre des Monotheismus
Die heutige Vorstellung vieler Menschen in Bezug auf die tatsächliche Be-
deutung des Wortes Islam und des Glaubensbekenntnisses weicht von
der ebengenannten Erklärung jedoch stark ab. Sie meinen, dass der im
Glaubensbekenntnis bezeugte Monotheismus bedeute, es gäbe nur ei-
nen Schöpfer.
In dem Moment, wo ein Mensch diese Überzeugung in sich trägt, ist er
nach dieser Auffassung sicher als Muslim einzuordnen, selbst wenn er
gleichzeitig verschiedene Formen des Polytheismus in der Anbetung
praktiziert.
Die islamischen Quellen zeigen aber, dass es vor allem diese Beigesellung
in der Anbetung ist, die einen Menschen zum Polytheisten macht, wes-
halb ebendiese Beigesellung im Islam auch aufs Schärfste verurteilt wird.
Damit ein Mensch aus islamischer Sicht wirklich zum Muslim wird, erfor-
dert es weit mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis. In diesem Sinne ist es
nicht denkbar, dass ein Mensch Polytheismus betreibt, aber aufgrund sei-
nes bloßen Bekenntnisses dennoch ein tatsächlicher Monotheist ist. Ein
polytheistischer Muslim bzw. ein polytheistischer Monotheist wäre
schließlich eine absurde Annahme43.
Genau dieser völlig widersprüchliche Gedanke ist aber heute weit ver-
breitet. Deshalb ist es ein zentrales Anliegen des vorliegenden Buches
auch diese Problematik aufzuarbeiten.
______
43Hier sei nochmal an den im Vorwort dieses Buches erwähnten Hinweis er-
innert:
Nicht nur für Muslime ist die Vorstellung eines „polytheistischen Muslims“
eine Absurdität. So antwortete mir ein namhafter, mir bekannter christlicher
Theologe aus Österreich beipflichtend auf eine Abhandlung, in der ich auf
genau diesen Punkt einging: „Aussagen […] ohne Verständnis des Sinns (po-
lytheistischer Muslim) ... sind wirklich erschreckend.“
Man bedenke also: Hier ist die Rede von Gesichtspunkten der islamischen
Theologie, die auch für viele nicht-muslimische Theologen als Selbstver-
ständlichkeit der islamischen Sicht gelten, und keineswegs um irgendwelche
überhaupt nicht nachvollziehbaren Standpunkte, die es unbedingt zu krimi-
nalisieren gilt – wie dies jetzt z. B. in Österreich vorangetrieben wird.
53
Die Lehre des Monotheismus
Mit dieser mehrfach wiederholten Aussage wurde der Begriff durch den
Propheten des Islam selbst also deutlich erklärt. Wie daraus ersichtlich,
besteht die Essenz dieser Religion in der Anbetung des einen und einzigen
Schöpfers der Menschheit.
Da es sich hier um den zentralsten Inhalt des Islam handelt, muss die
Frage „Was ist der Islam?“ durch die islamischen Quellen ausreichend ge-
klärt sein. Es sollte dafür also nicht mehr notwendig sein, als zu den Tex-
ten des Koran und der Sunnah zurückzukehren. Mit der genannten Defi-
nition des Propheten ist die erste Grundfrage dieser Religion an sich
44Es hat sich in der deutschen Schreibung bei Muslimen die Großschreibung
der auf Allah bezogenen Personalpronomen als angemessen gezeigt und ent-
sprechend verbreitet.
45Die ursprünglichen Worte für Zakat und Ramadan schreiben sich im Arabi-
schen zakāh und ramaḍān.
54
Die Lehre des Monotheismus
55
Die Lehre des Monotheismus
56
Die Lehre des Monotheismus
Das Wort dīn wird im Deutschen häufig als Religion oder umfassender
Lebensweg beschrieben. In dieser Aussage sind damit das Fundament
und die Essenz gemeint, nämlich der Monotheismus.
Ebenso wird im Koran-Vers46 5:48 (Sure al-Māʾidah) auf diesen Umstand
hingewiesen. In den Koran-Exegesen (tafsīr, Pl. tafāsīr) von Ibnu Abī
Ḥātim47 und aṭ-Ṭabarī48 wird bei der Erklärung dieses Verses von den frü-
hesten Gelehrten ausdrücklich überliefert, dass sich die Rechtssysteme
und Rechtsnormen unterschieden, die Grundlage der Religion, der Mo-
notheismus, jedoch immer einer war.
46 Die Verse des Koran werden im Arabischen āyāt (Sg. āyah) genannt, was
im Arabischen unter anderem die Bedeutung „Zeichen“ hat. Um die Leser-
lichkeit im Deutschen zu erleichtern, wurde dafür in diesem Buch die deut-
sche Entsprechung Vers bzw. Koran-Vers gebraucht.
47Ibnu Abī Ḥātim ar-Rāzī (240-327 n. H./854-939 n. Chr.) war ein herausra-
gender ḥadīṯ-Gelehrter. Sein Name ist von großer Bedeutung in der Wissen-
schaft der Beurteilung der Überlieferer (al-ǧarḥu wa-t-taʿdīl). Er verstarb im
Alter von etwa 85 Jahren (Altersangaben immer nach greg. Kalenderjahren).
Er zeichnete sich zudem vor allem durch ein umfassendes Werk der Koran-
Exegese (im Arabischen tafsīr genannt) aus, in welchem er sich bei der Erklä-
rung der Verse ausschließlich auf Überlieferungen beschränkte, ohne diesen
eigene Erklärungen hinzuzufügen.
Gemeinsam mit dem Werk von Ibnu Ǧarīr aṭ-Ṭabarī gehört das Werk von
Ibnu Abī Ḥātim zu den frühesten umfassenden und heute noch vollständig
oder zu einem großen Teil erhaltenen Werken des tafsīr.
48 Wie erwähnt zählte auch Abū Ǧaʿfar ibnu Ǧarīr aṭ-Ṭabarī (224-310
n. H./839-922 n. Chr.) zu den frühen tafsīr-Gelehrten der islamischen Ge-
schichte. Er zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sein umfassendes Werk
der Koran-Exegese noch heute vollständig erhalten ist.
Auch aṭ-Ṭabarī baute seinen tafsīr primär auf Überlieferungen auf, die er
stets mit der Überlieferungskette auf ihren Ursprung zurückführte. Im Ge-
gensatz zu Ibnu Abī Ḥātim fügte er diesen Überlieferungen jedoch häufig
auch eigene Erklärungen hinzu. Aṭ-Ṭabarī erreichte ein Alter von etwa 86 Jah-
ren.
57
Die Lehre des Monotheismus
Danach wird von Qatādah als Erklärung noch folgende Aussage überlie-
fert:
ً َّ ً ُ َُ ً ِش َع ًة َومنْ َه ُ ْ َ ْ َ َ ٍّ ُ ُ َ ْ َ َ َ َ َ ْ َ
، َس ِبيَل َو ُسنة:] يقول48 :اجا} [املائدة ِ ْ ك ْم
ِ { ِلُك جعلنا ِمن: قوَل،عن قتادة
ُّ
ُ َّ َيل،يعة ُ ٌ َ ُ َ ُ ْ ٌ َ ْ ْ ٌ َّ َن ُُمْتَ ِل َف ٌة ِف
َ اَل ْو َراة َِش ُ َ الس
اَّلل ِفي َها َما ِ
َ َوالف ْرقان ِش،يعة
ِ
َ َولْلْنيل ِش،يعة
ِ ِ ِ ِ ِ ِ ِ ِ
ُّ َو
ُ اَل ْوح ُ ُ ْ اَّلي ََل ُي ْقبَ ُل َغ َّ ُ َ َْ ُُ ُ ْ َ َََْ َ َ َ ُ َُ َ َ َ
يد ِ َّ ْيه ِ ين وادل،يعه ِم َّم ْن يع ِصي ِه ِِلعلم من ي ِط،شاء وَيرم ما شاء
ُ ُّ ْ َ َ َّ ُ َ ْ ْ َ
الر ُسل اءت بِ ِه اَّلي ج
ِ اْلخَلص ِ و
[…] und derjenige dīn, außer dem kein anderer akzeptiert wird, ist
der tauḥīd und der iḫlāṣ, mit welchem die Gesandten gekommen
sind.
Hier erwähnt er also ausdrücklich, dass sich alle Propheten im tauḥīd, also
im Monotheismus-Verständnis einig waren.
Abgesehen davon erwähnte dieser frühe tafsīr-Gelehrte im ebengenann-
ten Zitat noch eine wichtige Sache, die später in diesem Buch noch weiter
verdeutlicht wird und deshalb hier schon bewusst wahrgenommen wer-
den sollte.
Qatādah erklärt hier nämlich, dass der Monotheismus darin besteht, den
sogenannten iḫlāṣ umzusetzen, also die alleinige Anbetung Allahs 49.
Diese eine Aussage eines der frühesten Gelehrten des tafsīr ist an sich
58
Die Lehre des Monotheismus
Die Tatsache, dass als erstes zum tauḥīd aufgerufen wird und erst
danach zu den einzelnen Riten, Geboten und Verboten
Al-Buḫārī überliefert von Ibnu ʿAbbās :
َ َ َ ْ َ َ َ َ َ ْ ُ ُ ْ َ َ َ َ َ ْ َ ُ ْ َ ُ َّ َ َ ً َ ُ َ َ َ
ُ َّ َل إ ََّل
اَّلل َّ أَ َّن
َّ انل
ِ ِب ﷺ بعث معاذا ر ِض اَّلل عنه إِل اِلم ِن فقال ادعهم إِل شهاد ِة أن َل إ ِ
َ َ َ َ ْ َ ْ ْ َ َ َ َ َ ْ ْ َ َ َّ َّ َ ْ ُ ْ ْ َ َ َ َ ُ َ َ ْ ُ ْ َ َّ ُ ُ َ َ َ
ات ٍ اَّلل فإِن هم أطاعوا َِّللِك فأع ِلمهم أن اَّلل قد افَتض علي ِهم َخس صلو ِ وأِن رسول
َْت َض َعلَيْه ْم َص َدقَ ًة ِف أَ ْم َوالهم
َ َ ْ َ َّ َّ َ ْ ُ ْ ْ َ َ َ َ ُ َ َ ْ ُ ْ َ َ ْ َ َ ْ َ ُ
ِِ ِ ِ ِِف ك يومٍ وِلل ٍة فإِن هم أطاعوا َِّللِك فأع ِلمهم أن اَّلل اف
َ ُ َ ُّ ُ ْ َ ُ َ ُْ
.تؤخذ ِم ْن أغ ِنيَائِ ِه ْم َوت َرد َلَع فق َرائِ ِه ْم
Der Prophet sandte Muʿāḏ in den Jemen und sagte zu ihm:
„Rufe sie auf zur Bezeugung von lā ilāha illa-ḷḷāh50 und dass ich der
Gesandte Allahs bin.
Wenn sie dir darin folgen, dann lehre sie, dass Allah ihnen fünf Ge-
bete am Tag und in der Nacht auferlegt hat. Wenn sie dir darin fol-
gen, dann lehre sie, dass Allah für sie eine geldliche Abgabe ver-
bindlich gemacht hat, die von ihren Reichen genommen und ihren
Armen zurückgegeben wird.“
59
Die Lehre des Monotheismus
Das Gebot des tauḥīd/Monotheismus und der Aufruf dazu kommt also
vor dem Gebet, der Zakat und allem anderen. Ebenso ist laut den islami-
schen Quellen auch der širk/Polytheismus stets das Erste, was untersagt
wird.
Im Koran ist dies an vielen Stellen ersichtlich:
51Im Arabischen: „an yuwaḥḥidu-ḷḷāh“ also, dass sie Allah mit ihrer ʿibādah
zu einem einzigen Angebeteten machen und Ihm nichts beigesellen.
60
Die Lehre des Monotheismus
Auch wird im Koran zahlreich erklärt, dass jeder Prophet seine Gemein-
schaft als erstes zum Monotheismus aufrief:
ُ ْ ك ْم ِم ْن إ َ ٍَل َغ
﴾ْيه
ُ َ َ َ َّ ْ
﴿اعبُ ُدوا اَّلل ما ل
ِ
Betet Allah an, ihr habt keinen anderen Anbetungswürdigen.
[Sure al-Aʿrāf, 7:59]
61
Die Lehre des Monotheismus
Auch hier wird also klar, dass der Islam ohne das Fundament nicht vor-
stellbar ist, da die ganze Religion auf diesem Fundament basiert.
In einer anderen Überlieferung dieses ḥadīṯ bei al-Buḫārī heißt es:
ْ َ َّ َ َّ َْ ََ
الصَل ِة اْل َ ْم ِس ُ
ِ ِ اَّلل َو َرس
وَل و ِ ِان ب
َ
ٍ لَع َخ ٍس إِيم
Der Islam wurde auf fünf (Säulen) gebaut: Dem īmān an Allah und
seinen Propheten, den fünf Gebeten...
In einer weiteren Überlieferung des ḥadīṯ bei Muslim52 liest man folgende
Wortlaute:
ُ َّ لَع أَ ْن يُ َو َّح َد
اَّلل
ََ
62
Die Lehre des Monotheismus
..., dass man (nur) Allah anbetet und alles andere verleugnet54, das
außer Ihm angebetet wird.
Es handelt sich hierbei also ohne Zweifel um das Fundament, auf wel-
chem der Islam aufgebaut ist – worüber bei Muslimen von Anbeginn ein
Konsens herrscht. Wie dies häufig bei verschiedenen Überlieferungen der
Fall ist, sind die Wortlaute von der Bedeutung her deckungsgleich und
erläutern sich gegenseitig.
53Im Arabischen wird hier das Verb „yuwaḥḥadu“ verwendet. Es kommt aus
derselben Wurzel wie das Wort „wāḥid“ also „Eins bzw. Einer“. Das Wort
tauḥīd ist der maṣdar, also das Verbalsubstantiv dieses Verbs. Wie bereits
erläutert, bedeutet tauḥīd also „das Vereinen“ bzw. „das zu Einem machen“.
Auch aus diesem ḥadīṯ und seinem Wortlaut ist also ersichtlich, dass der
tauḥīd die Grundlage des Islam darstellt.
54Wörtlich: „den kufr gegen alles andere vollzieht“. Gegen eine Sache kufr
zu begehen bedeutet, es völlig zu verleugnen und sich davon loszusagen.
63
Die Lehre des Monotheismus
64
Die Lehre des Monotheismus
Der Aspekt der Anbetung und des Gehorsams gegenüber diesem Schöp-
fer wird bei diesem Verständnis und der entsprechenden Übersetzung
hingegen völlig ausgespart.
Auf diesem Weg entstand auch die Annahme, die vorislamischen Götzen-
diener der Mekkaner und anderer arabischer Stämme müssten klarer-
weise völlig unwissend über die Existenz dieses Schöpfers gewesen sein,
oder sie hätten neben Diesem noch weitere Schöpfer vermutet. Andern-
falls wäre es schließlich nicht erklärbar, warum diese Götzendiener über-
haupt Götzendiener waren. Hätten sie nämlich gewusst, dass es nur ei-
nen einzigen Schöpfer gibt, hätten sie dadurch automatisch das
Glaubensbekenntnis erfüllt und wären somit Monotheisten.
Genau hier zeigt sich ein fundamentales Problem. Nämlich, dass die frü-
hen islamischen Quellen eindeutig zeigen, dass ebenjene Götzendiener
klar und deutlich davon überzeugt waren, dass Allah der Schöpfer allen
Seins ist und es darüber hinaus auch keinen anderen Schöpfer gibt.
Wenn dem so ist – und dies wird sich durch folgende Texte klar zeigen –,
offenbart sich dadurch ein allgemein vorherrschender, eklatanter Wis-
sensmangel, zum einen über die frühen Quellen des Islam, allen voran
den Koran und seine frühen Erläuterungen, die diese Aussage im Konsens
wiedergeben. Zum anderen jedoch auch über das islamische Glaubens-
bekenntnis.
Dies wiederum bedeutet ein fundamentales Missverständnis über die
Grundaussage der Religion und ein solches kann klarerweise nicht ohne
Folgen bleiben, da weitere Auffassungen und Konzepte dieser Religion,
wie bereits gezeigt wurde, auf diesem Fundament aufbauen.
65
Die Lehre des Monotheismus
diese Texte bei den Muslimen von Anbeginn auch nur so verstanden wur-
den. Für die frühen Muslime war es eine Selbstverständlichkeit, dass die
arabischen mušrikūn/Götzendiener um die Existenz eines einzigen Schöp-
fers Bescheid wussten. Ihnen war klar, dass der Koran sie im Speziellen
dafür rügt, dass sie trotz dieses Wissens neben Ihm andere anbeteten.
56 Im Arabischen wird hier das Wort ālihah, der Plural von ilāh, verwendet.
Es ist jenes Wort, das auch im Glaubensbekenntnis enthalten ist und dessen
falsches Verständnis, wie kürzlich beschrieben, zur falschen Deutung des
Glaubensbekenntnisses geführt hat.
Im Glaubensbekenntnis wird nämlich die Existenz aller (zu Recht) Angebete-
ten verneint, außer in Bezug auf den einen zu Recht Angebeteten. Deshalb
auch der Wortlaut: „Es gibt keinen (rechtmäßigen) ilāh, außer Allah“, lā ilāha
illa-ḷḷāh.
66
Die Lehre des Monotheismus
anbetet von uns?! Gewiss, dies ist doch eine sehr merkwürdige Sa-
che.“ …
67
Die Lehre des Monotheismus
Der Aufruf der Propheten und die Antwort ihrer Völker darauf
Im Koran wird immer wieder die folgende Aussage der Propheten zu
ihren Völkern erwähnt. Sie wird an verschiedenen Stellen im selben
Wortlaut wiederholt – häufig auch in derselben Sure mehrmals, vor allem
in Sure al-Aʿrāf:
ُ ْ ك ْم ِم ْن إ َ ٍَل َغ
﴾ْي ُه
ُ َ َ َ َّ ْ َ
﴿يَا ق ْومِ اعبُ ُدوا اَّلل ما ل
ِ
Oh mein Volk! Betet Allah (alleine) an. Es gibt für euch nichts
anderes Anbetungswürdiges.
[Sure al-Aʿrāf, 7:59, 65, 73, 85; Sure Hūd, 11:50, 61, 84;
Sure al-Muʾminūn, 23:23, 32]
Hier wird wiederum das Wort ilāh verwendet. Jedoch zeigt die Antwort
jener Völker auf diesen Aufruf überaus deutlich, dass sie diesen als Aufruf
zur alleinigen Anbetung des Schöpfers verstanden und deshalb in weite-
rer Folge auch häufig ablehnten.
So lautete die Antwort des Volkes von ʿĀd gegenüber ihrem Propheten
Hūd beispielsweise:
َُ َْ َ َ َ َ َ ْ َ َّ َ ُ ْ َ َ َ ْ َ ُ َ
﴾اَّلل َوحد ُه َونذ َر َما َكن يعبُ ُد آبَاؤنا ﴿قالوا أ ِجئتنا ِنلعبد
Sie sagten: Bist du etwa zu uns gekommen, auf dass wir nur Allah
alleine anbeten und das lassen, was unsere Väter angebetet
haben?! [Sure al-Aʿrāf, 7:70]
Sie verstanden also klar und deutlich, dass sich der Aufruf auf den Mono-
theismus in der Anbetung bezieht und mit dem Wort ilāh „Angebeteter”
gemeint ist und nicht etwa „Schöpfer”. Dies, weil sie über den Monothe-
ismus in Belangen der Schöpfung, Versorgung und Ähnlichem ohnehin
von Geburt an Kenntnis hatten.
68
Die Lehre des Monotheismus
Äußerst klar also wiederum auch die Erklärung des tafsīr-Gelehrten aṭ-
Ṭabarī darin, dass diese Götzendiener eines früheren, im Koran erwähn-
ten Volkes sehr wohl Kenntnis von Allah als dem einzigen Schöpfer hatten
und Diesen auch anbeteten, Ihm aber in der Anbetung und im Gehorsam
andere beigesellten.
Der Vers: „So gesellt Allah keine Ebenbürtigen bei, wo ihr (es) doch
(besser) wisst.”
Als weiteres Beispiel lässt sich der folgende Vers in Sure al-Baqarah an-
führen. Darin heißt es:
ْ َ َ ً َ َ َّ َ َ َ ْ َ َ ً َ َ َ َّ َ ً َ َ ْ َ ْ ُ ُ َ َ َ َ َّ
اء فأخ َر َج بِ ِه ِم َن اَّلي جعل لكم اْلرض فِراشا والسماء بِناء وأنزل ِمن السما ِء م
ِ ﴿
َ َ ْ َ ْ َ ً ْ َ َّ ُ َ ْ َ َ َ ْ ُ َ ً ْ
﴾َّلل أن َدادا َوأنتُ ْم تعل ُمون َ َّ
ِ اثلم َر
ِ ِ ات ِرزقا لكم فَل َتعلوا
… So setzt Allah keine Gleichgestellten57 bei, wo ihr (es) doch
(besser) wisst. [Sure al-Baqarah, 2:22]
57 Häufig übersetzt mit: „So setzt Allah nichts als Ebenbürtige bei“. Gemeint
ist damit: „So gesellt Allah keine Ebenbürtigen bei“. Diese Übersetzung wird
…--
69
Die Lehre des Monotheismus
Wenn man diese Aussage alleine betrachtet, so ist sie völlig ausreichend
zur endgültigen Widerlegung der wirren Ideen über die Bedeutung des
Wortes ilāh und des islamischen Glaubensbekenntnisses, die heute welt-
weit vorherrschen. Hierbei ist auch zu bedenken, dass es sich um die
überlieferte Aussage eines sehr bekannten Prophetengefährten und dar-
über hinaus eines der bedeutendsten Gelehrten des Islam überhaupt
handelt.
Gleiches gilt für die folgende Aussage von Qatādah, welche von Ibnu Abī
Ḥātim in seinem tafsīr über denselben Koran-Vers überliefert wird:
ُ َ َ َ َ َّ َّ َ َ ُ َ ْ َ ْ ُ ْ َ َ ً َ ْ َ َّ ُ َ ْ َ َ َ َ َ َ ْ َ
َّ ك ْم َو َخلَ َق
َ الس َم
ات
ِ او َّلل أندادا وأنتم تعلمون} أن اَّلل خلق ِ ِ {فَل َتعلوا:عن قتادة
ً ْ َ َ ُ َ ْ َ ْ ُ ْ َ َّ ُ َ ْ َ َ
ُ َ ون
.َل أن َدادا ثم أنتم َتعل،واْلرض
„So setzt Allah nichts als Ebenbürtige bei, wo ihr doch wisst”, dass
Allah euch und ebenso die Himmel und die Erde erschaffen hat, und
dennoch gesellt ihr Ihm Ebenbürtige bei!
jedoch vermieden, damit nicht der Eindruck entsteht, diese Beigesellten wä-
ren tatsächlich ebenbürtig. Im Arabischen wird diese Stelle etwa so verstan-
den: „So macht neben Allah keine (angeblich) Ebenbürtigen“. Das Wort
„Gleichgestellte“ schien deshalb hier passender zu sein.
70
Die Lehre des Monotheismus
Durch die vorausgehenden Zitate ist also eindeutig und unzweifelhaft be-
legt, dass die Götzendiener zur Zeit der Herabsendung des Islam an einen
Schöpfer, Lebensspender und Versorger glaubten, Diesem aber andere in
der Anbetung, im Gottesdienst und im Gehorsam beigesellten.
Die mekkanischen mušrikūn glaubten also an einen Schöpfer und gesell-
ten Ihm auch keinen anderen bei in Bezug auf Seine Eigenschaft als
Schöpfer und Lebensspender.
Demzufolge konnte also ihr Problem mit dem Glaubensbekenntnis nicht
darin liegen, Allah als den einzigen Schöpfer anzuerkennen. Vielmehr
verstanden sie – im Gegensatz zu vielen Menschen heutzutage, die sich
zum Islam bekennen (!) – sehr genau die Bedeutung des Glaubensbe-
kenntnisses und dadurch auch die Kernaussage des Islam, zu der sie auf-
gerufen wurden.
Und gerade weil sie diese Bedeutung so genau verstanden hatten, lehn-
ten sie den Islam ab. Sie wussten nämlich, dass der Prophet sie nicht
in erster Linie zur Anerkennung eines einzigen Schöpfers aufrief, sondern
zu dessen alleiniger Anbetung! Diese letztere Forderung wollten sie kei-
nesfalls erfüllen. Genau darin bestand ihr Grundproblem.
Der Vers: „Mache uns einen Angebeteten (ilāh), wie diese hier auch
Angebetete (ālihah) haben“
Ein weiteres Beispiel für das Gesagte ist die im Koran geschilderte Ge-
schichte, als Mūsā/Moses mit seinem eigenen Volk an einem anderen
Volk von Götzendienern vorbeikam und einige seiner Leute sagten:
َ َ َ َ ْ ْ
﴾﴿اج َعل نلَا إِل ًها ك َما ل ُه ْم آل ِ َهة
… Mache uns einen Angebeteten (ilāh), wie diese hier auch
Angebetete (ālihah) haben. [Sure al-Aʿrāf, 7:138]
Das Wort „ilāh“ kann hier an sich nicht „Schöpfer“ bedeuten. In dem Fall
wäre die Bedeutung des Verses nämlich: „Mache uns einen Schöpfer, so
wie sie auch mehrere Schöpfer haben.“
Es muss also vielmehr heißen: „Mache uns einen Angebeteten, so wie sie
auch mehrere Angebetete haben.“
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Die Lehre des Monotheismus
Der Vers: Und wenn du sie fragst: „Wer hat die Himmel und die
Erde geschaffen …“
Eine weitere wichtige koranische Aussage in diesem Bezug ist folgender
Ausdruck, der sich im Koran mehrfach in ähnlicher Weise wiederholt:
اَّلل
َّ َ َّ َ َ َ ْ َ ْ َ
ُ َّ الش ْم َس َوالْ َق َم َر َِلَ ُقولُ َّن ات واْلرض وسخر َّ ِئ َسأَ ْ ََل ُه ْم َم ْن َخلَ َق
َ الس َم ْ َ﴿ َول
ِ او ِ
َ ُ َ ْ ُ َّ َ َ
﴾فأَّن يؤفكون
Und wenn du sie fragst: „Wer hat die Himmel und die Erde ge-
schaffen und euch die Sonne und den Mond dienstbar gemacht?“ -
dann sagen sie gewiss: „Allah.“ Wieso lassen sie sich dann
abwenden? [Sure al-ʿAnkabūt, 29:61]
Auch bei diesem und vielen anderen Versen des Koran kann man, wie
bereits erwähnt, in den frühen Koran-Exegesen die deutliche Erklärung
des Wortes ilāh und damit des islamischen Glaubensbekenntnisses fin-
den.
Gemäß diesen Erklärungen der frühen Exegeten – wie aṭ-Ṭabarī und Ibnu
Abī Ḥātim sowie jenen noch früheren Gelehrten, die von diesen beiden
zitiert werden – ist die letzte Aussage in diesem Vers in folgender Weise
zu beschreiben: „Wieso lassen sich jene Götzendiener dann von Allah und
Seiner alleinigen Anbetung abwenden?“
Im tafsīr zum quasi gleichlautenden Vers 43:87 des frühen mufassir/Ko-
ran-Exegeten Muqātil ibnu Sulaimān58,
58Abū l-Ḥasan Muqātil ibnu Sulaimān al-Balḫī (gest. 150 n. H./767 n. Chr.) ist
einer der frühesten Exegeten, deren schriftlich festgehaltener tafsīr bis
heute vorhanden ist.
Über die Person von Muqātil ibnu Sulaimān selbst wurde viel geredet, wobei
er von einigen Personen vehement kritisiert und der groben Abirrung in
Glaubensfragen bezichtigt wurde. Demgegenüber verneinten einige andere
Gelehrte diese Behauptung. In der hadīth-Überlieferung wurde er darüber
hinaus allgemein als schwach befunden.
…--
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Die Lehre des Monotheismus
der zu den sog. atbāʿu t-tābiʿīn59 gezählt wird, findet sich dies z. B. in äu-
ßerster Deutlichkeit, als er sagt:
Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass ihm sein umfassendes Wissen
über den tafsīr ganz allgemein bekundet wurde. Gleichzeitig wurde der In-
halt seines tafsīr-Werkes an sich von namhaften Gelehrten sehr positiv be-
wertet, wie z. B. von ʿAbdullāh ibnu l-Mubārak überliefert wird, dass er sagte
„Was für ein Wissen, hätte es doch nur eine Überlieferungskette“ (yā lahu
min ʿilmin, lau kāna lahu isnād) [siehe dafür vor allem: Tārīḫu Baġdād].
Ibnu ʿAdiyy al-Ǧurǧānī (gest. 365 n. H./976 n. Chr.) überliefert in seinem Buch
al-Kāmilu fī Ḍuʿafāʾi r-Riǧāl:
َ ُ ْ َّ َ قَال يل نعيم بْن...
ْحاد رأيت عند ُسفيَان بْن عيَينة كتابا ملقاتل بْن ُسليْ َمان فقلت
َ َ َُ َ
. َل ولكن أستدل بِ ِه وأستعْي بِ ِه:لسفيان يَا أبَا ُممد تروي ملقاتل ِِف اَلفسْي؟ قال
[Überlieferungskette] Es sagte zu mir Nuʿaim ibnu Ḥammād: „Ich sah bei Sufyān
ibnu ʿUyainah ein Buch von Muqātil ibnu Sulaimān, worauf ich zu ihm sagte: ‚Oh
Abū Muḥammad. Du überlieferst von Muqātil im tafsīr?‘ Er sagte: ‚Nein, aber ich
argumentiere damit und nehme ihn zur Hilfe‘“.
Ibnu ʿAdiyy erwähnt darüber hinaus, dass Muqātil den tafsīr gut kannte (kāna
ḥāfiẓan li-t-tafsīr), aber von Überlieferungsketten nicht viel verstand. Wie be-
reits erwähnt, fand das Wissen von Muqātil im Gebiet des tafsīr bei der Ge-
lehrsamkeit also allgemeine Anerkennung.
Wenn einige wenige Texte von Muqātil ibnu Sulaimān in diesem Buch über-
liefert werden, geht es also nicht darum, von der Person ḥadīṯe zu überlie-
fern. Vielmehr soll dadurch gezeigt werden, dass schon die frühesten Auf-
zeichnungen über den tafsīr das in diesem Buch Gesagte voll und ganz
bestätigen und keinesfalls davon abweichen sowie, dass die frühen Gelehr-
ten diese von Muqātil überlieferten Erklärungen keinesfalls ablehnten, son-
dern sie bestätigten.
59Die tābiʿūn (die Folgenden) sind die Generation nach der Generation der
Prophetengefährten . Die darauffolgende (zweite) Generation wird als
atbāʿu t-tābiʿīn bezeichnet.
Diesen drei Generationen – angefangen mit jener der Prophetengefährten –
kommt eine besondere Bedeutung in der islamischen Theologie und auch in
der islamischen Überlieferung zu, da ihre Güte in einem Ausspruch des Pro-
pheten bestätigt wurde.
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Die Lehre des Monotheismus
َّ َ ُ َ ْ َّ َ َ
{فأَّن يُؤفكون} يقول ِمن أين يكذبون بأنه واحد َل:قال اهلل تعال نلبيه ﷺ قل هلم
ّ ّ وأنتم،ِشيك َل
ولم يشاركه أحد ِف ملكه فيما،مقرون أن اهلل خالق اْلشياء وخلقكم
خلق؟ فكيف تعبدون غْيه؟
Allah der Erhabene sagte zu Seinem Propheten : „Sag ihnen:
‚Wieso lassen sie sich dann abwenden?‘, d. h.:
‚Warum leugnen sie dann, dass Er ein Einziger ist, Der keinen Teil-
haber hat?‘, wo ihr doch bestätigt, dass Allah der Schöpfer aller
Dinge ist, Er euch ebenso erschaffen hat und keinen Teilhaber in
Seiner Herrschaft hat, in dem was Er erschuf?
Wie könnt ihr also andere außer Ihm anbeten?“
Nach den bisher erwähnten Beispielen zeigt sich bei einem vergleichen-
den Blick in die bereits angesprochene heutige Realität also deutlich, wie
weit viele Menschen über Jahrhunderte hinweg von einem richtigen Ver-
ständnis verschiedener Grundfragen des Islam entfernt waren und sind.
Wer die Kommentare mancher philosophie-beeinflusster Gelehrten liest,
wird finden, dass diese bei ihren Erläuterungen zu derartigen Quelltexten
wirre und widersprüchliche Aussagen trafen.
Dennoch wirkt der starke Einfluss der Philosophie weiter in der gesamten
islamischen Welt, weshalb an den meisten Universitäten solche fehler-
haften Verständnisse über das Glaubensfundament als Standardlehrmei-
nung unterrichtet werden.
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Die Lehre des Monotheismus
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Die Lehre des Monotheismus
Anders ausgedrückt: Der ilāh, der die Anbetung aufgrund seiner Eigen-
schaften tatsächlich verdient, und bei dem dies nicht bloß behauptet
wird, dieser ilāh ist zwingend auch der tatsächliche rabb/Herr.
Bei einer solchen Nähe der Bedeutungen zweier Wörter kommt es im
Arabischen häufig zu einer Verbindung beider Bedeutungen in einem
Wort. Treffender gesagt, ist es in der arabischen Sprache nicht unge-
wöhnlich, dass – aufgrund der Nähe der Bedeutung – der eine Begriff ver-
wendet wird und ihm dabei die Bedeutung des anderen Begriffs hinzuge-
fügt wird. Man sagt also ein Wort, meint damit aber beide Bedeutungen.
Die islamischen Gelehrten sagten bei solchen Wörtern:
َّ وإذا،تفرقا
تفرقا اجتمعا َّ إذا اجتمعا
Wenn sich die beiden Wörter an einer Stelle vereinen, gehen ihre
Bedeutungen auseinander. Und wenn sich die beiden Wörter tren-
nen, kommen ihre Bedeutungen zusammen.
Sie meinten damit, dass jedes Wort zwar grundsätzlich seine Bedeutung
hat, wenn es jedoch alleine steht – und der Kontext nicht klar auf etwas
anderes hindeutet –, tritt die Bedeutung des anderen Wortes in die Be-
deutung des ersten ein. Werden jedoch beide Begriffe ausdrücklich im
selben Satz erwähnt, dann ist dies ein Umstand im Kontext, der anzeigt,
dass hier jede spezielle Bedeutung für sich gemeint ist.
Ebenso verhält es sich z. B. auch mit den Wörtern īmān und Islam. Der
īmān ist ursprünglich das, was sich im Inneren abspielt, während der Is-
lam das Äußere beschreibt. Wie gesagt ist diese Erscheinung im Arabi-
schen keine Seltenheit.
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Die Lehre des Monotheismus
Der Koran spricht aus diesem Grund in erster Linie Leute an, die zwar an
einen Schöpfer glauben, Sein Recht auf Anbetung und Gehorsam aber an-
deren zukommen lassen. Deshalb sieht man im Koran immer wieder die
Argumentation gegen die Götzendiener mit der Tatsache, dass sie den
einen Schöpfer ja anerkennen.
Die Frage, die darauf dann mehrfach im Koran formuliert wird, lautet
etwa wie folgt: Wenn die Götzendiener wissen, dass Allah ihr einziger
Schöpfer ist und neben Ihm nichts Ebenbürtiges existiert, warum behan-
deln sie Ihn und einige Seiner Geschöpfe dann im Hinblick auf die Anbe-
tung und den Gehorsam gleich?
Dies ist eine der zentralen Fragen des Koran an die Götzendiener.
Dennoch erfordert das islamische Glaubensbekenntnis natürlich implizit
auch die feste Überzeugung von der Einheit und Einzigkeit des Schöpfers
und dessen absoluten Eigenschaften.
Aus dem bisher Gesagten sehen wir also, dass es schon in den Versen des
Koran und ebenso in den Aussagen der frühesten Gelehrten – schon zur
Zeit der Prophetengefährten selbst – faktisch eine Unterteilung des
tauḥīd/Monotheismus gibt, die folgendermaßen beschrieben werden
kann:
1) Die Einzigkeit Allahs in Seinem Wesen und Seiner Eigenschaft als
Schöpfer, Lebensspender und Versorger (Arabisch: ar-rubūbiyyah)
2) Die Einzigkeit Allahs in Seinen Namen und Eigenschaften (Arabisch:
al-asmāʾu wa-ṣ-ṣifāt)
3) Die Einzigkeit Allahs in Bezug auf die Anbetung, welche von Seinen
Geschöpfen Ihm gegenüber erbracht wird. (Arabisch: al-ulūhiyyah)
Wie wir bereits gesehen haben, gibt es jedoch bei vielen Menschen der
islamischen Welt schon seit Jahrhunderten ein Fehlverständnis zur ei-
gentlichen Aussage des Glaubensbekenntnisses. Sie dachten nämlich,
dass dadurch lediglich der erste oben beschriebene Teil des tauḥīd ge-
meint wäre. Wer diesen erfüllt, ist gemäß dieser Sichtweise ein Mono-
theist – was sich mit dem eigentlichen und authentischen Inhalt des Glau-
bensbekenntnisses nicht deckt.
Ebensolche Leute lehnen deshalb die Einteilung des tauḥīd nach dem
oben beschriebenen Muster vehement ab.
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Die Lehre des Monotheismus
Dieser Ablehnung liegt die falsche Annahme zugrunde, man könne diese
Unterteilung verhindern, indem man einfach die Benennung der einzel-
nen Teile anzweifelt bzw. ablehnt.
In diesem Sinne hört man immer wieder die Behauptung, die Einteilung
des tauḥīd in dieser Weise hätte keine Berechtigung und wäre eine uner-
laubte Neueinbringung, eine sogenannte bidʿah, die erst ab dem achten
Jahrhundert nach islamischer Zeitrechnung erfunden wurde.
Wie aber aus den frühesten Quellen des Islam bereits ausreichend ge-
zeigt wurde, ist dies ein naiver Trugschluss. Die tatsächliche Einteilung
des tauḥīd in diese Teile findet sich unweigerlich im Koran und in den
konsensualen Erklärungen der frühesten Gelehrten der Muslime. Die
Idee, man könne diese Einteilung durch das Anzweifeln der Benennung
der einzelnen Teile verhindern, ist also absurd und geht auf eine klare
Unwissenheit über die islamischen Quelltexte zurück.
Die Benennung der drei genannten Teile ist somit nicht das eigentliche
Thema. Sie wurde von späteren Gelehrten nur deshalb vorgenommen,
um den Sachverhalt zu verdeutlichen, nicht um neue Bedeutungen zu er-
finden.
Darüber hinaus gibt es nicht die eine bindende und exklusive Bezeich-
nung für die einzelnen Formen des tauḥīd. Der tauḥīd der Anbetung wird
deshalb sowohl „tauḥīd der ulūhiyyah“ wie auch „tauḥīd der ʿibādah“ ge-
nannt, da diese Begriffe gleichbedeutend sind, wie sich z. B. auch aus der
Erklärung des frühen Exegeten aṭ-Ṭabarī bei der ersten Erklärung des
Verbs ʿabada am Anfang seines tafsīr-Werkes deutlich verstehen lässt.
Nach dieser Erklärung lässt sich also zusammenfassend formulieren:
Im Koran wird mit dem tauḥīd in der rubūbiyyah, welchen die Götzen-
diener grundsätzlich annahmen, für den tauḥīd in der ulūhiyyah argu-
mentiert.
Zur zweiten Form der oben erwähnten Einteilung des tauḥīd (tauḥīdu l-
asmāʾi wa-ṣ-ṣifāt) ist zu erwähnen, dass viele frühislamische Sekten spe-
ziell im Bereich der Namen und Eigenschaften Allahs neuartige Konzepte
in den Islam einbrachten. Aus diesem Grund wurde der Bereich der Na-
men und Eigenschaften von den frühen Gelehrten der Muslime als eige-
ner Teil behandelt.
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Die Lehre des Monotheismus
Bei der Einteilung nach dem oben erklärten Muster handelt es sich somit
auch aus dieser Hinsicht gewiss nicht um eine bidʿah (unerlaubte Neuein-
bringung in den Islam), da diese Einteilung schon von den frühesten Ge-
lehrten des Islam vorgenommen wurde.
Die Bezeichnungen dienten lediglich der besseren Erklärung und dazu,
auf neue Irrmeinungen gesondert eingehen zu können. Solange auf sol-
che Benennungen keine falschen Schlussfolgerungen und Prinzipien auf-
gebaut werden, ist dagegen also grundsätzlich nichts einzuwenden.
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Die Lehre des Monotheismus
َْ َ َ َ ْ
َ اْل َّول
﴾ْي ِ ﴿ َما َس ِمعنَا بِ َهذا ِِف آبائِنا
Wahrlich, wir haben nichts von dem jemals von unseren Vorfahren
gehört. [Sure al-Muʾminūn, 23:24]
ٌ َ ْ َّ َ َ ْ ْ َّ ْ َ ْ
﴾﴿ َما َس ِمعنَا بِ َهذا ِِف ال ِمل ِة اْل ِخ َر ِة إِن هذا إَِل اخ ِتَلق
Wahrlich, wir haben so etwas in der Religion unserer Väter noch
nie gehört. Das ist nichts als eine Erfindung. [Sure Ṣād, 38:7]
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Die Lehre des Monotheismus
So liest man dazu im Koran, wie die Gelehrten und gebildeten Personen
von hohem Rang ihre Anhänger auf die Gegnerschaft zum Prophetentum
einschworen:
ُ ُ َ ََ ُ ْ َ ُ ْ َ ْ ُْ ُ َ َْ ََ َْ َ
ْ َ َ ك ْم إِ َّن َه َذا ل
﴾َش ٌء يُ َراد ﴿وانطلق المَل ِمنهم أ ِن امشوا واص َِبوا لَع آلِه ِت
Geht weiter so, und haltet beharrlich an euren Angebeteten fest!
Gewiss, dies ist eine Sache, die doch erstrebt wird. [Sure Ṣād, 38:6]
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Die Lehre des Monotheismus
60 Es handelt sich hier um eine wörtliche Übersetzung. Gemeint ist, dass die
Leute, die diese Fremde erleben und doch am Islam festhalten, in den Augen
der Menschen Fremde sein werden. Sodann lobt sie der Gesandte mit den
zitierten Worten für ihr Festhalten an der unverfälschten Religion in jener
Zeit der Unwissenheit (ǧāhiliyyah).
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Die Lehre des Monotheismus
61Der maṣdar ist das sogenannte Verbalsubstantiv, also das dem Verb ent-
nommene Nomen. Die arabischen Sprachwissenschaftler sagen: „Der
maṣdar ist das Nomen, das die Bedeutung des Verbs in sich trägt, während
es jedoch keine spezielle Zeit anzeigt.“
Das Verb aslama bedeutet „er hat sich völlig hingegeben“. Der Islam ist also
„das sich völlig Hingeben“.
62Siehe dazu die frühen arabischen Wörterbücher der arabischen Sprache
um das zweite bis vierte Jahrhundert n. H., wie z. B.: Kitāb al-ʿAin, Tahḏību l-
Luġah, aṣ-Ṣiḥāḥ, Maqāyīsu l-Luġah.
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Die Lehre des Monotheismus
َ ًَ َ ً َ َُ َْ
. بَ ِرئ: أي،َلمة والعيوب يسلم سَلما وس
ِ اْلفات
ِ • س ِلم ِمن
َّ دار َّ
ُ لجن ِة ُ َّ َ ُ َّ َُ َ َُ َ ُ َ
، ِالسَلم ِ ومنه قيل ل، السَلمة: والسَلم ِف اْلصل،اءة الَب:• والسَلم والسَلمة
ُ ْلنّها
َّ دار َ
.السَلم ِة ِم َن اْلفات
• salima min: er/es ist frei/verschont/unversehrt von Dingen wie
Krankheiten, Fehlern oder Mängeln.
Die Wörter „as-salāmu“ und „as-salāmatu“ bedeuten „die Freiheit
bzw. Unversehrtheit“. Es handelt sich dabei um den maṣdar [Ver-
balsubstantiv] von salima. Deshalb wird das Paradies auch als
„dāru s-salām“, also „Haus der Unversehrtheit“ bezeichnet, weil es
sich als ein Ort der Freiheit von Krankheiten und schlechten Dingen
definiert.
َ ٌ َ
ٌ وسل
.يم َ َ َ َ َ
ِ • س ِلم َل كذا أي خلص فهو سال ِم
• salima lahu: es ist rein/nur für ihn.
Ein Gegenstand bzw. eine Sache, die nur dieser Person gehört, wird mit
der Eigenschaft sālim oder salīm beschrieben.
Um den Inhalt des Wortes Islam richtig erfassen zu können, ist es wichtig,
diese hier erläuterte Grundbedeutung des Wortes Islam im Kopf zu be-
halten und zu verinnerlichen.
Wie sich an den obigen Erklärungen gezeigt hat, dreht sich das Wort Islam
also um das Frei-Sein von negativen Einflüssen, wie Krankheiten, Män-
geln und Ähnlichem. In den folgenden Kapiteln wird sich klar zeigen, dass
damit im Besonderen ein spezieller negativer Einfluss gemeint ist, und
zwar der Polytheismus, welcher im Arabischen mit dem Wort širk be-
nannt wird.
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Die Lehre des Monotheismus
ان َ َ َْ َْ ُ َ ًَ َ ً ُ ََ َ ُ َ َُ ُ ََ ُ ً ُ َ ً َ َ ُ َّ َ َ َ
ِ ﴿َضب اَّلل مثَل رجَل ِفي ِه ِشَكء متشا ِكسون ورجَل سلما لِرج ٍل هل يست ِوي
َ َ ْ َ َ ُ ُ َ ْ َ ْ َ َّ ُ ْ َ ْ ً َ َ
﴾َثه ْم َل يعل ُمون َّلل بل أك
ِ ِ مثَل اْلمد
Allah hat ein Gleichnis geprägt: Ein Mann64, der mehreren, unter-
einander zerstrittenen65 Herren gehört, und ein Mann, der aus-
schließlich einem einzigen Herrn gehört. Sind diese beiden etwa
einander gleich?! Gepriesen sei Allah! Die meisten aber wissen
es nicht. [Sure az-Zumar, 39:29]
63Im Folgenden wird noch die Ansicht von aṭ-Ṭabarī gezeigt, dass salām
ebenfalls ein maṣdar von salima ist, also genau wie salām und salāmah. Für
uns ist jedoch völlig unerheblich, welcher Wortgruppe die Gelehrten das
Wort salām nun genau zugeordnet haben, da die Bedeutung des Wortes und
damit des Verses in jedem Fall klar ist.
64 Ein Leibeigener.
65 Im Arabischen: mutašākisūna, was neben der bloßen Uneinigkeit auch ihre
schlechte Art ausdrückt. Siehe z. B.: Tafsīr aṭ-Ṭabarī bei diesem Vers.
66Siehe dazu von den frühen arabischen Wörterbüchern der ersten Jahrhun-
derte bei der Wortwurzel s-l-m: Tahḏību l-Luġah. Darin findet sich der im Fol-
genden zitierte Text in ähnlicher Weise.
67 Bei der Wortwurzel s-l-m.
…--
86
Die Lehre des Monotheismus
Lisānu l-ʿArab ist wohl das bekannteste ältere Wörterbuch über die arabische
Sprache. Der nordafrikanische Verfasser Ibnu Manẓūr (630-711 n. H./1232-
1311 n. Chr.) versuchte in diesem Buch möglichst alle wichtigen Wörterbü-
cher vor ihm zusammenzufassen.
68 Es gibt also bei diesem Vers verschiedene Lesarten. Die verschiedenen Les-
arten des Koran (al-qirāʾāt) sind keine unterschiedlichen Ausgaben des Ko-
ran, wie dies vielleicht fälschlicherweise verstanden werden kann. Manche
Leute wollen es auch genau so darstellen, um an der Authentizität des Koran
Zweifel hervorzurufen. Wie bereits erwähnt, sind sich ernstzunehmende His-
toriker aber völlig darüber im Klaren, dass dies ein sinnloses Unterfangen ist.
Die Tatsache, dass der Prophet einige Stellen des Koran auf unterschiedli-
che Weise las und dies auch erlaubte, ist in zahlreichen Überlieferungen aus-
drücklich erwähnt. Diese verschiedenen ḥadīṯe sind so häufig, dass es sich
dabei ohne Zweifel um völlig authentische Überlieferung (auch als tawātur
maʿnawī bezeichnet) handelt.
In der Regel unterscheiden sich die Lesarten in der Vokalsetzung. Die Bedeu-
tung ist dabei meistens gleich oder sehr ähnlich. Bei Vorhandensein unter-
schiedlicher Bedeutungen in den authentischen Lesarten umfasst der Vers
alle Bedeutungen dieser Lesarten.
Dieser Vers ist auch ein gutes Beispiel, um dies zu veranschaulichen. Die ver-
breiteten sieben mutawātir-Lesarten wurden nach den Namen folgender
Leute bekannt: Nāfiʿ, Ibnu Kaṯīr, Abū ʿAmr, Ibnu ʿĀmir, ʿĀṣim, Ḥamzah, al-
Kisāʾī. Die häufigste Leseart ist jene von ʿĀṣim, welche auch in diesem Buch
immer als Grundlage verwendet wird.
Dabei sind die genannten Personen keinesfalls die Urheber dieser Lesarten,
noch die Begründer von Schulen. Es handelt sich dabei auch nicht um Einzel-
personen, die diese Lesarten mit einer einzelnen Überlieferungskette über-
…--
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Die Lehre des Monotheismus
Ibnu Manẓūr zählt mit seinem umfassenden Wörterbuch über die arabi-
sche Sprache wohl zu den bekanntesten Sprachgelehrten der islamischen
Geschichte. Jedoch lebte er relativ spät, gehörte also zu den späten Au-
toren, den sogenannten mutaʾaḫḫirīn. Da er den meisten Leuten jedoch
ein Begriff ist, wurde er hier erwähnt, woraus nicht zu schließen ist, dass
die Glaubenslehre, welcher Ibnu Manẓūr folgte, sich in jeder Hinsicht mit
jener authentischen Lehre der frühen Generationen deckte.
Jedoch lässt sich gerade aus diesem Aspekt eine interessante Tatsache
ersehen. Die Aussage von Ibnu Manẓūr zeigt nämlich, dass die eigentliche
sprachliche Bedeutung des Wortes Islam auch für die späten Sprachge-
lehrten noch eine ziemliche Selbstverständlichkeit war.
Auch wenn zumindest dieses Verständnis damals im Allgemeinen noch
vorhanden war, schlichen sich dennoch schon seit vielen Jahrhunderten
zahlreiche falsche Inhalte in die Glaubenslehre der Menschen in der isla-
mischen Welt ein. Dass die primäre sprachliche Bedeutung des Wortes
Islam dennoch allgemein so wiedergegeben wurde, bekräftigt diese Be-
deutung.
88
Die Lehre des Monotheismus
Völlig klar ist natürlich, dass Ibnu Manẓūr nichts Neues von sich aus er-
fand, sondern ausschließlich die Inhalte der überlieferten arabischen
Sprache wiedergab. Wenn er diese Bedeutung also erwähnt hat, kann
man sie zweifelsohne auch in den früheren Wörterbüchern finden. Der
Kürze halber soll hier aber die Aussage von Ibnu Manẓūr genügen, zuzüg-
lich der zuvor schon aus verschiedenen Wörterbüchern zusammengetra-
genen Erklärungen jener Wörter und Wortwurzeln, die hier von Belang
sind.
70 Das arabische Wort muwaḥḥid ist der ismu l-fāʿil, also das Partizip aktiv
zum Wort tauḥīd. Es handelt sich dabei um jene Person, die den tauḥīd aus-
führt, wörtlich „der Vereinende bzw. zu eins Machende“. Mit dem Wort ist
also der Monotheist gemeint, der seinem Schöpfer weder in der Anbetung
noch in anderen Belangen etwas beigesellt.
Dass aṭ-Ṭabarī dies hier nochmals ausdrücklich erwähnt, ist eine weitere Be-
kräftigung dieser Bedeutung. Daneben zeigt es auch die Tatsache, dass die
Begriffe tauḥīd und muwaḥḥid bzw. im Plural muwaḥḥidūn geläufige Wörter
bei der frühen islamischen Gelehrsamkeit waren.
71Es ist also ersichtlich, dass diese beiden Sätze bzw. Wörter gleichbedeu-
tend sind „salima salāman = ḫalaṣa ḫulūṣan“. Beides bedeutet also: „Er ge-
hört rein (nur) Allah und fügt sich nur Ihm.“
89
Die Lehre des Monotheismus
Aṭ-Ṭabarī erwähnt hier also auch ausdrücklich, dass die eine Person in
diesem Beispiel ein Muslim und muwaḥḥid ist, welcher seine Taten alle-
samt für Allah tut und sie vom širk/Polytheismus reinigt. Für so jeman-
den gibt es keinen weiteren ilāh und keinen weiteren šarīk/Teilhaber.
In diesem Koran-Vers liegt also ein Beispiel für diese beiden Gegensätze,
den Muslim und den mušrik. Danach heißt es nochmals deutlich: „Sind
diese beiden etwa einander gleich?!“
Abgesehen davon wird hier wiederum deutlich der iḫlāṣ als Bedeutung
des Islam erwähnt. Es wurde bereits zuvor auf diesen bedeutenden Zu-
sammenhang hingewiesen. Die beiden Wörter sālim und ḫāliṣ beschrei-
ben sprachlich und inhaltlich gleichermaßen die Eigenschaft eines Men-
schen, frei und unversehrt vom Polytheismus zu sein. Ebenso verhält es
sich mit den beiden Wörtern „Islam“ und „iḫlāṣ“, welche sich in derselben
Weise vom jeweils zuvor genannten, entsprechenden Wort ableiten.
Aṭ-Ṭabarī überliefert die von ihm erwähnte Erklärung dieses Verses auch
von einigen salaf, also von den bedeutenden Gelehrten der ersten Gene-
rationen der Muslime.
Darunter folgende Aussage von ʿAbdurraḥmān ibnu Zaid ibni Aslam ,
der über diesen Vers sagte:
ً ً َ ُ َّ َ َ َ َ ْ قَ َال: قَ َال،َبنَا ْاب ُن َو ْهب ْ َ َ َ ُ ُ ُ َ َّ َ
اَّلل َمثَل َر ُجَل {َضب: ِِف ق ْو ِ َِل،اب ُن َزيْ ٍد ٍ
ََخ أ: قال،حدث ِن يونس
َّ ُ َ َ َ ٌ َ َ َ َ َ َّ َ َ ً َ َ َ ََ ُ
ُاَّلل فإِنما هذا مثل َضبه... ]29 :ِشَك ُء ُمتشا ِك ُسون َورجَل سلما ل ِ َرج ٍل} [الزمر
ُ ً َ ُ َ ِفي ِه
َّ َ ْ ُ َ ً َ َ ُ َّ ُ َ َ َ َ ً ُ ُ ْ َ ْ َ َ َ ُ َ َ َ َ َ ْ َ ُ ُ ْ َ َ َّ َ ُ َ
َّلي ِ ِ ول، فُضبه اَّلل مثَل لهم، وجعلوا لها ِِف أعناقِ ِهم حقوقا،اَّلين يعبدون اْللِهة ِ لِهؤَل ِء
ْ َ َ َ ُ َ ْ َ َ ْ ُ ُ َ ْ َ ْ َ َّ ُ ْ َ ْ ً َ َ َ َ ْ َ ْ َ ُ َ ْ َ ُ ُ ُ ْ َ
:]» و ِِف قو ِ َِل29 :َّلل بل أكَثهم َل يعلمون} [الزمر ِ ِ ان مثَل اْلمد ِ يعبده وحده {هل يست ِوي
ٌ»ِشك ْ «لي َس معه:«و َر ُج ًَل َسال ًما ل َر ُجل» َي ُقول
ُ َ َ ْ َ ُ َ
ِ ٍ ِ ِ
90
Die Lehre des Monotheismus
Dies ist ein Gleichnis, das Allah gab, für jene, die die ālihah72 anbe-
ten. Sie glaubten, dass (diese ālihah) ein Anrecht73 auf sie hätten…
und für jenen, der nur Allah alleine anbetet. „Sind diese beiden
etwa einander gleich?! Gepriesen sei Allah! Die meisten aber wis-
sen es nicht“.
(…und ein Mann, der ausschließlich einem einzigen Herrn gehört)
d.h. Jemand, der (grundsätzlich und ausnahmslos) keinen širk
begeht.
72Auf das wichtige Wort ālihah bzw. im Sg. ilāh, wurde zuvor schon bei der
Bedeutung des Glaubensbekenntnisses eingegangen. Es geht hier also um
die Angebeteten bzw. Gottheiten in diesem Sinne, welche sich die mušrikūn
zur Verehrung nahmen.
73Durch ihre Überzeugungen erteilten sie den Götzen also Rechte über sich
selbst. Die mušrikūn glaubten, diese Rechte erfüllen zu müssen. Alle Über-
zeugungen und Taten, die damit verbunden waren, sind Formen der Anbe-
tung, welche ausschließlich dem einen Herrn gebührt.
74Im Arabischen sagt er hier „al-mušrikūna bi-llāh“. Das Wort mušrik ist wie
bereits erklärt der ismu l-fāʿil (Partizip aktiv) zum Verb ašraka, also „der Bei-
gesellende“. Es kann im Grunde nicht eindeutiger gesagt werden, dass es sich
hier um Leute handelt, die die Tat des širk tun und deshalb als mušrikūn be-
zeichnet werden müssen. Auf diese Aussage von aṭ-Ṭabarī wird im späteren
Verlauf nochmals eingegangen.
91
Die Lehre des Monotheismus
75 Es geht
hier nicht um die Frage, ob jemand heutzutage tatsächlich all diese
Konsequenzen annimmt und bei der irrigen Behauptung bleibt, ein Mensch,
…--
92
Die Lehre des Monotheismus
der neben Allah andere anbetet, könne gemäß islamischer Sichtweise trotz-
dem als Muslim gelten.
Tatsächlich sind sich die allermeisten Menschen heute dieser angesproche-
nen, widersprüchlichen Konsequenzen (al-lawāzimu l-bāṭilah) gar nicht be-
wusst – einer der Gründe, warum diese hier verdeutlicht werden sollen.
93
Die Lehre des Monotheismus
Wie bereits gesagt, widerspricht diese Denkweise aber klar und deut-
lich dem genannten Vers, ebenso wie zahlreichen anderen islami-
schen Quelltexten.
• Ebenso müssten, gemäß dieser fehlerhaften Denkweise, die frühen
Autoren und Koran-Exegeten, wie z. B. Ibnu Abī Ḥātim und aṭ-Ṭabarī
– ebenso wie die noch früheren und bedeutendsten Gelehrten der
Muslime, von denen diese beiden in ihren Werken überliefern – alle-
samt des Fehlers bezichtigt werden. Auch diese Annahme wäre na-
türlich in hohem Maße absurd.
Auch diesem Widerspruch könnte man nicht aus dem Weg gehen, da
die Aussagen all dieser frühen Gelehrten nicht anders zu interpretie-
ren sind. Aus ihren Aussagen ist klar zu sehen, dass sie sicherlich nicht
die Möglichkeit erwogen haben, es gäbe einige mušrikūn, die trotz
ihrer polytheistischen Handlungen Muslime wären. Es ist überaus
deutlich, dass dies jenen Gelehrten nicht einmal in den Sinn kam.
Dieser Umstand zeigt einmal mehr, dass die frühen Persönlichkeiten
der islamischen Wissenschaften solche Grundfragen des tauḥīd als
völlige Selbstverständlichkeit ansahen.
Wie bereits erwähnt, waren sogar die verschiedenen Sekten der da-
maligen Zeit nie auf die Idee gekommen, einen Polytheisten als Mus-
lim zu bezeichnen, wobei sich diese Gruppen und Abspaltungen zwei-
felsohne in vielen Fragen auf deutliche Irrwege begeben hatten.
94
Die Lehre des Monotheismus
95
Die Lehre des Monotheismus
fügt. Die Grundbedeutung ist also: Die Sache gehört jetzt „rein“ und
ausschließlich dieser Person.
• jemandem eine Angelegenheit übergeben/übertragen
• eine Sache völlig rein machen. Wenn man eine Tat für jemand
anderen als sich selbst ausgeführt hat, bedeutet dies, man hat
diese Tat „nur ihm gegenüber / nur für ihn /die Sache für ihn reini-
gend“ getan.77
96
Die Lehre des Monotheismus
97
Die Lehre des Monotheismus
ُ َ ُْ َ َ ْ َ َ َ ْ َ ً ُ َ َ ْ َ َّ َ َّ ْ َ ُ ْ َ ْ َ ُ َ َ
ارى تِلك أ َما ِن ُّي ُه ْم قل هاتوا ﴿وقالوا لن يدخل اْلَنة إَِل من َكن هودا أو نص
َ ك ْم إ ْن ُكنْتُ ْم َصادق
﴾ْي
ُ َ َ ُْ
برهان
ِِ ِ
Sie80 sagten: „Niemand wird ins Paradies eingehen, außer wer
Jude oder Christ war.“ Dies sind ihre Wunschvorstellungen.
Sprich: „Bringt euren Beweis, wenn ihr wahrhaftig seid.“
[Sure al-Baqarah, 2:111]
98
Die Lehre des Monotheismus
81 Siehe für die Erklärungen zu diesem und dem darauffolgenden Vers die
tafsīr-Werke von Ibnu Abī Ḥātim und aṭ-Ṭabarī, welche diese Bedeutungen
von den frühen Gelehrten zitieren.
Wie im Vorwort bereits erwähnt, sind diese Inhalte in einigem Detail auch im
“رسالة ىف بيان ىzu
arabischen Buch „ عىل طريقة أهل األثر- معن اإلسالم من الكتاب والسنة ي
finden.
82Also der „Muslim/Monotheist“, denn genau dies ist die allgemeine Bedeu-
tung des Wortes „Muslim“, wie bereits auf verschiedene Arten gezeigt
wurde.
99
Die Lehre des Monotheismus
ْ ْ َ ََُ ْ ُ ُ َّ ُ َ ْ َ َ َ ْ َ ْ َ َ َ
َّلل َوه َو ُم ِس ٌن فله أج ُر ُه ِعن َد َرب ِه
ِ ِ ﴿بَّل من أسلم وجهه
َ ََُْ ْ ُ ََ ْ َْ َ ٌْ َ ََ
﴾وَل خوف علي ِهم وَل هم َيزنون
Doch! Wer sein Gesicht Allah hingibt83, während er muḥsin84 ist,
dieser hat seine Belohnung bei seinem Herrn, und um sie gibt es
weder Angst, noch werden sie traurig sein. [Sure al-Baqarah, 2:112]
83Im arabischen Text: „man aslama waǧhahu li-llāhi“. Es wird also das Wort
aslama verwendet. Die Bedeutung ist also: „der sein Gesicht Allah hin-
gibt/ergibt/fügt/unterwirft“.
Das Wort Muslim ist dabei der sog. ismu l-fāʿil, also das Partizip aktiv. Es trägt
also genau dieselbe Bedeutung. Der Muslim ist „der Hingebende“. „al-mus-
limu waǧhahu li-llāhi“ ist also „der sein Gesicht Allah Hingebende“.
84 Wörtlich: Jemand der seine Sache gut tut.
100
Die Lehre des Monotheismus
Hierin befindet sich also eine deutliche Erklärung des Wortes Islam.
• Die Belohnung, die hier angesprochen wurde, ist natürlich das Para-
dies, da dies Gegenstand der Behauptung war.
• Diese Muslime/Monotheisten werden im Jenseits weder wegen dem
Angst haben, was ihnen bevorsteht, noch werden sie traurig sein über
das, was sich im Diesseits ereignete.
Wie zuvor erklärt wurde, bedeutet aḫlaṣa „rein machen bzw. reinigen“.
Somit bedeutet dieser von ihm gebrauchte Ausdruck hier: „Wer sein Ge-
sicht Allah hingibt“, d. h. „Wer den iḫlāṣ für Allah durchführt“, also „Wer
(seine Taten) für Allah völlig reinigt“.
In allen frühen Werken des tafsīr findet man zu diesem Ausdruck Erklä-
rungen dieser Art vor. Wie bereits verdeutlicht wurde, sagt der Begriff
aḫlaṣa li-llāh aus, dass der Mensch seine Taten, seine ʿibādah, seinen dīn,
85 Siehe dazu Tafsīr aṭ-Ṭabarī bei der Erklärung der beiden erwähnten Verse.
101
Die Lehre des Monotheismus
seinen Gehorsam usw. für Allah reinigt und diese Dinge somit nieman-
dem zukommen lässt außer Ihm.
Es geht also um den mehrfach erwähnten iḫlāṣ, jene Reinigung, die im
Grunde nur ein weiteres Wort zur Beschreibung des reinen und tatsäch-
lichen Monotheismus in den frühen Quellen des Islam darstellt.
Sodann sagt aṭ-Ṭabarī:
َُ َ َ َ َ
:َوك َما قال َزيْ ُد ْب ُن ع ْم ِرو ب ْ ِن نفيْ ٍل
َ َ ْ ُ َْ ُ ْ َُ ْ َ َ ْ َ ْ َ ْ ُ ْ َ ْ ََ
َل ال ُم ْزن َت ِمل َعذبًا ُزَلَل ... ت َوج ِِه لِمن أسلمت وأسلم
.َلَُ ت ْ َ َْ َ ُ ْ ُْ َ َ َ َ ْ َ ْ َ َ َ ْ ََ ْ َ ْ َ َ
استسلمت ِلطاع ِة م ِن استسلم ِلطاع ِت ِه المزن وانقاد:يع ِن بِذلِك
َْ
َّ ُ َ ْ َ َ َ ْ َ ْ َ َ َ ْ َ ُ ْ َ َ َ ْ َ ْ َّ َ َ َ اْل ْ ُ ُ َ َ َّ َ ُ َّ َّ َ َ
:َّلل} [اْلقرةِ ِ {بَّل من أسلم وجهه:َب عمن أخَب عنه بِقو ِ َِل ِ ِوخص اَّلل جل ثناؤه ب
ُُْ َ َ َ َ َ ْ َ ْ َ َ ْ َ َّ َ َ َ َ َ ُ َُ ْ َ َ ْ
،ار ِح ِه وجهه َ َ
ِ ار ِح ِه؛ ِْلن أكرم أعضا ِء اب ِن َآدم وج َو ِ َ] بِإِسَلمِ وج ِه ِه َل دون سائِ ِر جو112
َ َ ْ ُ ْ ُ َّ ُ ُ ْ ْ َ ِ فَإ َذا َخ َض َع ل،َو ُه َو أ ْع َظ ُم َها َعلَيْ ِه ُح ْر َم ًة َو َح ًّقا
ِاَّلي ه َو أك َرم أج َزا ِء جس ِده ِ َش ٍء َوجهه ِ
ُ.خ َض َع ََلْ َ َ ُ َ ْ َ َ ْ َ َ َ َ ْ َ ْ ُُْ َ َ َْ َ
علي ِه فغْيه ِمن أجزا ِء جس ِدهِ أحرى أن يكون أ
َْ َ َ ْ َ َ َ ْ َ َ ُ ُ ُ َ ْ َّ ْ َ َْ
َ َ َ َ اْل ْ ُ َْ َ َ
ِه تع ِن بِذلِك نف َس ِ َب ع ِن الَش ِء فت ِضيفه ِإل وج ِه ِه و َو َِّللِك تذك ُر ال َع َر ُب ِِف من ِط ِقها
ُ َ ْ َّ
... الَش ِء َوعيْنَه
َ َ ْ ْ ُ ُ َ ُ َ َ َ َ َّ ُ َ َ َ َ َ ْ َ ْ َ َ َ َ َ ْ ُ ْ َ َ
.َل ُم ِسنًا ِِف فِع ِل ِه ذلِك َّلل و ِعبادته
ِ ِ بَّل من أخلص طاعته: ِوتأ ِويل اللَكم
Genau wie auch Zaid ibnu ʿAmr ibni Nufail sagte86:
„Ich habe mein Gesicht dem hingegeben87, dem sich
auch die reines Wasser tragenden Wolken ergaben.“
Er meinte damit: „Ich habe mich dem unterworfen, dem sich auch
die Wolken unterworfen und gefügt haben.“
Wort „ergaben“, das Verb aslama. In dem Gedicht wird also das Prinzip des
Islam, die Hingabe zum Schöpfer, ausdrücklich erwähnt.
102
Die Lehre des Monotheismus
Allah, gepriesen sei Er, erwähnt in diesem Vers speziell das Gesicht,
weil es das Edelste, Wichtigste und Schützenswerteste am ganzen
Körper ist.
Wenn der Mensch also jemandem sein Gesicht hingibt88, dann ist
es klar, dass der Rest seines Körpers sich erst recht hingibt. Deshalb
gehörte es zum Sprachgebrauch der Araber, durch die Erwähnung
des Gesichts auf den ganzen Körper hinzuweisen …
Die Bedeutung des Verses ist somit wie folgt: Doch! Derjenige, der
seinen Gehorsam und seine Anbetung völlig rein macht für Allah,
und dies auf beste Weise durchführt.
88 Dies kann auch folgendermaßen gelesen werden: „Wenn sich das Gesicht
also jemandem unterwirft ...“.
Allgemein soll hier darauf hingewiesen werden, dass die wortwörtliche Über-
setzung der Texte von aṭ-Ṭabarī im Grunde undurchführbar ist. Es handelt
sich um sehr altes Arabisch und speziell aṭ-Ṭabarī hatte die Angewohnheit in
sehr stark verschachtelten Sätzen zu sprechen. Dies abgesehen davon, dass
eine tatsächlich wortwörtliche Übersetzung zwischen zwei Sprachen ohne-
hin generell nicht durchführbar ist.
89 Siehe vor allem die sīrah von Ibnu Isḥāq und jene von Ibnu Hišām.
103
Die Lehre des Monotheismus
Er breitete sie aus und als sie eben wurde, festigte Er sie
als Ganzes und verankerte in ihr die Berge.
Und ich habe mein Gesicht dem gefügt, dem sich
auch die reines Wasser tragenden Wolken ergaben.
Sobald sie zu einem Land geführt werden,
gehorchen sie und gießen auf es Massen an Wasser.
In all diesen Versen verwendete Zaid ibnu ʿAmr stets das Wort aslama,
als er sagte „aslamtu waǧhiya/ich habe mein Gesicht hingegeben“. Das
Interessante bei diesen Gedichtversen ist, dass es sich dabei um ein vor-
islamisches Gedicht handelt!
Es ist also ein Gedicht, welches aus der Zeit vor dem speziellen Islam 90
stammt. Der allgemeine Islam, der tauḥīd, war jedoch vorhanden, denn
er bildet die Botschaft aller Propheten .
Zaid ibnu ʿAmr lernte den Propheten zwar kennen, jedoch vor seiner
Entsendung. Er verstarb also vor der ersten Offenbarung. Trotzdem ge-
hörte er den sog. ḥunafāʾ an, einer Gemeinschaft von Leuten, die sich
schon vor dem Aufkommen des Islam auf die reine monotheistische
Lehre Abrahams bezogen hatten.
Die ḥunafāʾ waren in diesem Sinne also schon vor der Lehre Muḥammads
Monotheisten und somit Muslime, im allgemeinen Sinne des Wortes,
weshalb sie den Götzendienst ablehnten. Aus diesem Grund wird die
reine und unverfälschte monotheistische Lehre Abrahams im Arabischen
auch als al-ḥanīfiyyah bezeichnet.
Diese Leute kannten also den Islam, ohne auch nur einen Vers des Koran
gehört zu haben. Wie man am obigen Beispiel sehen kann, verkündeten
sie ihre Überzeugung auch in ihren Gedichten. Die ḥunafāʾ lehnten die
Götzendienerei ab und waren sich ihrer Falschheit völlig bewusst.
Weiters zeigt sich aus dem erwähnten Gedicht klar die sprachliche Be-
deutung des Wortes Islam bzw. aslama, da es sich um ein Gedicht aus der
Zeit vor dem (speziellen) Islam handelt.
104
Die Lehre des Monotheismus
Das Wort konnte zur damaligen Zeit nur in seiner sprachlichen Bedeutung
verwendet worden sein, weshalb sich der Text gut eignet, um ebendiese
sprachliche Bedeutung zu verdeutlichen.
Der Polytheismus
Das arabische Wort širk steht für die Beigesellung bzw. den Polytheismus
im Allgemeinen. Die Person, die den širk ausführt, wird als mušrik be-
zeichnet. Jedoch ist die Bedeutung im arabisch-islamischen Sprachge-
brauch umfassender als dies im gewöhnlichen deutschen Sprachge-
brauch unter dem Wort Polytheismus verstanden wird.
So kann ein Mensch verschiedenen Dingen, Personen oder sonstigen We-
sen durch rituelle Handlungen oder durch Anrufung auf diverse Arten An-
betung entgegenbringen. Auf diese Formen des Polytheismus wird auch
im vorliegenden Buch vermehrt eingegangen.
Ebenso kann ein Mensch aber auch einen anderen Menschen anbeten,
indem er von diesem Gesetze akzeptiert, die dem Gesetz Allahs wider-
sprechen.
Auch dem Schöpfer einen Sohn oder eine Mutter beizugesellen oder ei-
nem Geschöpf die Eigenschaften Allahs zuzusprechen wird in der islami-
schen Theologie als širk betrachtet.
Die meisten heutigen Anhänger des Christentums z. B. begehen in dieser
Hinsicht gemäß islamischer Auffassung Polytheismus, auch wenn sie
selbst sich als Monotheisten betrachten.
Im Koran wird der Polytheismus vor allem durch die Begriffe nidd, ʿadl,
naẓīr, miṯl, kufʾ, šarīk angezeigt. Die genannten Wörter umschreiben da-
bei jeweils den „Beigesellten“, also das, was von den Götzendienern ne-
ben dem einen Schöpfer angebetet wurde.
So findet sich in einem ḥadīṯ, der in den beiden Ṣaḥīḥ-Werken von al-
Buḫārī und Muslim überliefert wird – hier im Wortlaut von al-Buḫārī –,
folgende Beschreibung des Propheten für die Bedeutung des širk:
َ َ َّ َ ْ ُ َ ْ َ ْ َّ ُّ َ َ َّ َ َ ْ َ َ ُ َّ َ َّ َّ ُ ْ َ َ َ َ َّ ْ َ ْ َ
:اَّلل؟ قال
ِ ب أعظم ِعند ِ ن اَّل يأ : م ل س و ه
ِ يل ع اهلل َّل سألت انل ِب ص:اَّلل قال
ِ عن عب ِد
ٌ ك ل َعظ َ َ
َ َّ ُ ْ ُ َ َ َ ُ ًّ َّ َ َ ْ َ ْ َ
َ
يم ِ ِ إِن ذل: قلت.»َّلل نِدا َوه َو خلقك
ِ ِ «أن َتعل
105
Die Lehre des Monotheismus
Von ʿAbduḷḷāh wird überliefert, dass er sagte: „Ich fragte den Pro-
pheten : ‚Welche Sünde ist die schlimmste bei Allah?‘ Er antwor-
tete darauf: ‚Dass du Allah einen Gleichgestellten91 beigesellst, wo-
bei Er dich erschaffen hat.‘ Darauf sagte ich: ‚Dies ist wahrlich
gewaltig (an Sünde).‘“
In diesem ḥadīṯ wurde also das Wort nidd verwendet. Das arabische Wort
nidd (Pl. andād) bedeutet Ebenbürtiger bzw. Gleichgestellter. Die Tat des
Beigesellens wird deshalb auch als tandīd bezeichnet.
Im Koran kommt der Begriff andād häufig vor, um die Bedeutung des širk
auszudrücken. So auch bei folgender Stelle am Anfang des Koran, die als
erstes ausdrückliches Gebot und Verbot im Koran gilt:
َ ُ َ ُ َّ َ ُ َ
ين ِم ْن قبْ ِلك ْم ل َعلك ْم ت َّتقون
َّ ْ ُ َ َ َ َّ ُ َّ ُ ُ ْ ُ َّ ﴿يَا أَ ُّي َها
َ اَّل
ِ اَّلي خلقكم َو ِ انلاس اعبدوا َربك ُم
ْ َ َ ً َ َ َّ َ َ َ َ َ َ َ َّ َ ً َ َ ْ َ ُ ُ َ َ َ َ َّ
اء فأخ َر َج بِ ِه اَّلي جعل لكم اْلرض فِراشا والسماء بِناء وأنزل ِمن السما ِء م ِ )21(
َ َ ْ َ َ ً َ َ ّ ْ ُ َ ْ َ َ ْ ُ َّ ً ْ
﴾ندادا َوأنتُ ْم تعل ُمون َّلل أ َ َّ َ
ِ ِمن اثلم َر
ِ ِ ات ِرزقا لكم فَل َتعلوا
Oh ihr Menschen! Dient eurem Herrn92, Der euch erschuf und die-
jenigen vor euch, damit ihr gottesfürchtig sein möget. (Dient
Dem), Der euch die Erde als Ruhebett93 und den Himmel als Über-
dachung94 machte und vom Himmel Wasser fallen ließ, dann damit
Früchte hervorbrachte als Versorgung für euch. So setzt Allah
nichts als Ebenbürtige bei, wo ihr doch wisst.
[Sure al-Baqarah, 2:21-22]
Ebenso wird die Beigesellung durch das Verb yaʿdilūn ausgedrückt, wie
aus dem folgenden Koran-Vers ersichtlich ist:
91 Im Arabischen: nidd
92 bzw. betet euren Herrn an …
93 auch Bett, Ruhestätte …
94 bzw. Gebäude
106
Die Lehre des Monotheismus
Das Verb yaʿdilu heißt „etwas gleichstellen“ und ʿadl hat in dieser Bezie-
hung dieselbe Bedeutung wie das Wort nidd, also der/das Beigesellte.
95Die Satzzeichen an dieser Stelle beziehen sich auf die Frage davor. Der ein-
geschobene Satz wurde in Gedankenstriche gesetzt.
96Das Wort yaʿdilu hat auch die sprachliche Bedeutung „abweichen“. In die-
sem Vers kann es auch in diesem Sinne verstanden werden, da die Bedeu-
tung hier nicht konkretisiert wurde. Das Wort wird jedoch vielfach in der Be-
deutung des Beigesellens verwendet.
107
Die Lehre des Monotheismus
In dem hier zitierten Vorfall ging es also nicht darum, dass dieser Mann
den Propheten tatsächlich anbeten wollte. Vielmehr handelt es sich um
einen eindringlichen Hinweis des Propheten , dass solche Formulierun-
97 Das arabische Wort širk beschreibt den Polytheismus und das Wort kufr
umschreibt eine Handlung oder Aussage, die dem Islam so stark widerstrebt,
dass sie – sofern es für die Äußerung oder Handlung keine Entschuldigung
gibt – den Islam einer Person ungültig macht.
Beim Wort kufr ist zu beachten, dass z. B. auch innerliche Überzeugungen,
Gefühle und Absichten in der islamischen Theologie als „innere Taten bzw.
Aussagen“ angesehen werden.
Das arabische Wort kufr wird im Deutschen gemeinhin als „Unglaube“ über-
setzt. Dabei ist das zu Beginn dieser Schrift in Bezug auf die Begriffe īmān und
„Glaube“ Erwähnte zu berücksichtigen. Ebenso wie der īmān nicht auf das
bloße „Glauben“ beschränkt werden kann, kann auch der kufr nicht auf das
bloße „Nicht-Glauben“ bzw. auf die bloße Unkenntnis der Wahrheit redu-
ziert werden. Ein Mensch kann für sich selbst die Richtigkeit des Islam voll
und ganz erkannt haben, gleichzeitig aber den Islam als Ganzes oder Teile
davon ablehnen.
108
Die Lehre des Monotheismus
109
Die Lehre des Monotheismus
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Araber im Bereich der rubūbiyyah
keinen širk begingen. Vielmehr wird im Koran auch mehrfach beschrie-
ben, dass unter den vorislamischen Arabern durchaus auch der širk in der
rubūbiyyah vertreten war, auch wenn dies nicht auf alle Götzendiener im
gleichen Maße und in derselben Art zutraf.
Das eben Gesagte zeigt auch den klaren Fehler in der Aussage, die Araber
hätten „die gesamte“ rubūbiyyah Allahs voll und ganz verstanden und ihr
nicht zuwidergehandelt. Diese Formulierung deckt sich nicht mit den his-
torischen Fakten und auch nicht mit den zahlreichen Schilderungen im
Koran, weshalb sie unterlassen werden sollte – wa-ḷḷāhu aʿlam/und Allah
weiß es am besten.
Es gab einige Araber, die Allah z. B. angebliche Töchter beigesellten, je-
doch war dies nicht der Glaube aller, sondern nur einiger Araber. Ebenso
begingen die Araber širk im tašrīʿ, also in der Gesetzgebung, als sie ohne
Anlehnung an irgendeine Offenbarung eigene Riten festlegten und diese
als Religion der Menschen definierten bzw. sie dem dīn Allahs zuschrie-
ben. Über diese letztgenannte Form des širk bei den Arabern wird z. B. in
der sechsten Sure des Koran, Sure al-Anʿām, vermehrt berichtet.
Was diesen širk in der rubūbiyyah betrifft, so ist er im Vergleich relativ
deutlich erkennbar, sobald er in klaren Aussagen und Taten geäußert
wird. Die Gleichstellung eines Geschöpfes mit dem Schöpfer in diesen Be-
langen ist meist ziemlich deutlich durch ausgedrückte Glaubensinhalte
ersichtlich.
Betrachtet man alle Ausrichtungen der vorislamischen Araber im Detail,
so kann man auch bei ihnen fast alle Formen des širk in der rubūbiyyah
finden, aber wie erwähnt war nicht jede Form davon bei allen Arabern
vorzufinden.
Die Allgemeinheit der Araber betete die Götzen an, glaubte aber nicht,
dass diese etwas aus dem Nichts erschaffen könnten oder irgendwelche
göttlichen Eigenschaften dieser Art hätten.
Dennoch wird es aus den islamischen Quellen ziemlich deutlich, dass die
damaligen Götzendiener bezüglich ihrer Götzen häufig einen gewissen
Glauben und diverse Überzeugungen hatten – auch wenn diese Überzeu-
gungen im Allgemeinen vom eben erwähnten Maß des Erschaffens und
Ähnlichem deutlich entfernt waren.
110
Die Lehre des Monotheismus
Die einzigen Araber, die sich diesem Götzendienst nicht hingaben, waren
– neben einigen zum Juden- und Christentum konvertierten Arabern – die
bereits erwähnten ḥunafāʾ, die tatsächlichen Anhänger des von Ibrāhīm/
Abraham gelehrten Monotheismus. Die ḥunafāʾ waren also keine
mušrikūn, sondern Muslime.
111
Die Lehre des Monotheismus
112
Die Lehre des Monotheismus
bzw. Diener machen) wie das Wort taḏlīl (jmdn. sich fügen lassen/niedrig
sein lassen).
Der mufassir/Exeget aṭ-Ṭabarī erwähnt deshalb bei der Erklärung des
Wortes ʿibādah für diese Bedeutung einige alte Gedichtverse, in denen
der Weg als muʿabbad, also als „geebnet bzw. niedrig gemacht“ bezeich-
net wird. Die Araber benannten den Weg dann so, wenn dieser Weg viel
begangen und deshalb durch die Füße der Menschen geebnet wurde.
In der šarīʿah ist die rechtliche Bedeutung jedoch spezifischer. Unterwür-
figkeit und Fügung sind erst dann ʿibādah wenn diese mit Einsicht, Hin-
gabe und Liebe erfüllt werden. Dies ist insofern leicht verständlich, da es
nicht vorstellbar ist, dass jemand Allah anbetet, während er Ihm aber
überhaupt keine Liebe entgegenbringt oder Ihm sogar abgeneigt ist. Eine
solche Haltung wäre keine Fügung im Sinne der vom Islam verlangten
ʿibādah.
Die ʿibādah ist in der islamischen Lehre im Grunde ein umfassender Be-
griff für alles, was Allah an äußerlichen und innerlichen Taten und Aussa-
gen der Geschöpfe liebt.
Dies, weil Allah nur das anordnet, was er liebt. Eine jede Handlung, der
die Absicht zugrunde liegt, sich Allah dadurch zu nähern98, ist demgemäß
als ʿibādah zu bezeichnen. Genau dieser taqarrub (Näherung) ist es, der
niemandem entgegengebracht werden darf außer Allah.
Die innerlichen Taten und Aussagen werden hierbei deshalb erwähnt,
weil auch diese verborgenen Aspekte eine ʿibādah sind. Liebe, Furcht,
Verehrung usw. werden in der islamischen Theologie allesamt als Formen
der ʿibādah beschrieben. Vielmehr dreht sich letztlich sogar alles um
diese Taten des Herzens – im Arabischen: aʿmālu l-qulūb.
Die äußerlichen Taten und Aussagen sind immer eine Folge von diesen
innerlichen Taten und Aussagen – wie es im islamisch-arabischen Sprach-
gebrauch ausgedrückt wird.
113
Die Lehre des Monotheismus
Der große širk ist die Gleichstellung Allahs und Seiner Geschöpfe
in Dingen, die dem Schöpfer zu eigen sind
Beim širk handelt es sich also um die Gleichstellung des Schöpfers mit
Seinen Geschöpfen. Diese Gleichstellung kann in Bezug auf Seine Taten,
Eigenschaften und Namen stattfinden, oder – und vor allem – in Anbe-
tung und Gehorsam.
Die Gleichstellung bzw. das Ebenbürtig-Machen bedeutet hier, dass man
einem Geschöpf eine Sache beimisst, die ausschließlich dem Schöpfer ge-
bührt. Deshalb wird der širk auch damit definiert, dass man einem Ge-
schöpf etwas von den Eigenheiten Allahs (Im Arabischen: ḫaṣāʾiṣ) zu-
schreibt.
Die beschriebene Gleichstellung, im Arabischen auch als taswiyah be-
zeichnet, wird im Koran z. B. im folgenden Vers ausdrücklich erwähnt:
َ َُْ َ َ ْ ُ ُُ َ
َ ) قَالُوا َو ُه ْم ف95( ون َ ُ َْ َ ْ ُ َ ُْ َ
يها ِ ) وجنود إِب ِليس أَجع94( اوون كبُوا ِفيها هم والغ
ِ ﴿فكب
َ يك ْم ب َرب الْ َعالَم
﴾ْي
ُ ُ ْ
) إِذ ن َسو97( ْي ُ َ َ َ َّ ُ ْ َّ َ) ت96( ون َ ُ ََْ
ِ ِ ٍ اَّلل إِن كنا ل ِف ضَل ٍل م ِب
ِ َيت ِصم
Dann wurden99 sie immer wieder in sie [die Hölle] hineingewor-
fen, sie und die Abgeirrten, und die Heerscharen von lblīs [d.h.
des Satans] alle zusammen. Sie sagten, während sie darin mitei-
nander stritten: „Bei Allah! Wir waren gewiss in einem eindeuti-
gen Fehlgehen, als wir euch dem Herrn aller Schöpfung
gleichstellten.“ [Sure aš-Šuʿarāʾ, 26:94-98]
99bzw. „werden“. In dieser Passage wird – wie sehr oft im Koran – mehrfach
das Vergangenheitsverb verwendet, um einen Vorgang in der Zukunft zu be-
schreiben. Im Arabischen wird dieser Stil benutzt, um zu zeigen, dass eine
Sache so sicher vorfallen wird, dass man sie sprachlich als bereits eingetreten
behandeln kann.
114
Die Lehre des Monotheismus
Ebenso, wie nicht jede Sünde als Polytheismus gilt, ist klar, dass nicht jede
Liebe oder Unterwürfigkeit einem Geschöpf gegenüber Polytheismus in
der Anbetung sein kann. So ist z. B. die Liebe zu den Propheten sowie die
natürlich veranlagte Liebe zu anderen Menschen und Ähnliches nicht ge-
meint, wenn von polytheistischer Beigesellung die Rede ist – solange
diese Liebe in einem annehmbaren Maß bleibt.
Im Koran wird z. B. im folgenden Vers über das grundsätzliche Verhalten
gegenüber den Eltern gesagt:
ُّ َ َ ْ َ َ َّ َ ّ َ َاَّلل أ
ُ َ ْ ُ َ ُّ ُ ً ندادا ّ ُ ُ َّ َ َ
آمنُوا أشد اَّلين
ِ اَّلل و
ِ َيبونهم كحب ِ ِ ون ِ اس من يت ِخذ ِمن د
َّ ﴿ َو ِم َن
ِ انل
ً َ ّ َ َّ ُ ْ َّ َ َ َ َ ْ َ ْ َ َ ْ ْ ُ َ َ َ َّ َ َ ْ َ َ َّ ًّ ُ
َجيعا
ِ َّلل
ِ ِ اَّلين ظلموا إِذ يرون العذاب أن القوة ِ َّلل ولو يرى
ِ ِ حبا
َ َ ْ ُ َ َ ّ َّ َ َ
﴾ابِ وأن اَّلل ش ِديد العذ
100 Im Arabischen
wird hier das zuvor bei der Verdeutlichung der ʿibādah/An-
betung genannte Wort ḏull verwendet.
115
Die Lehre des Monotheismus
Und unter den Menschen sind einige, die sich neben Allah101 etwas
als Ebenbürtige102 nehmen. Sie empfinden für sie Liebe wie die
Liebe zu Allah. Doch diejenigen, die den īmān verinnerlicht
haben, lieben Allah noch viel mehr… [Sure al-Baqarah, 2:165]
Aus dem zuvor über die Unterteilung des širk Gesagten wird auch klar,
warum der Prophet die Begriffe širk und ʿadl auch für den kleinen širk
verwendet hat. Zuvor wurde diese Verwendung der Begriffe schon aus
der zitierten Aussage des Propheten „Hast du mich und Allah gleichge-
stellt?“ ersichtlich, da im arabischen Text dieses ḥadīṯ das Wort ʿadl ver-
wendet wurde.
Auch in dem folgenden ḥadīṯ, in dem die Augendienerei (riyāʾ) themati-
siert und als širk bezeichnet wird, verdeutlicht sich diese Unterteilung. Es
wird das Wort širk gebraucht, wobei der riyāʾ bei einem Muslim im Allge-
meinen nicht das Ausmaß des großen širk erreichen wird.
Im Gegensatz zu den eigentlichen und tatsächlichen Heuch-
lern/munāfiqīn würde ein Muslim eine Tat nicht ausschließlich für einen
anderen Menschen tun. Deshalb ist also ziemlich offensichtlich, dass der
Prophet im Folgenden den kleinen širk meinte, als er sagte:
يحَ اك ُر ال ْ َمسَ َ َ َ ُ ْ َ َ َ َّ َ َ ْ َ َ ُ َّ َ َّ ُ ُ َ َ ْ َ َ َ َ َ َ َ
اَّلل صَّل اهلل علي ِه وسلم وَنن نتذ َ َ ْ َ
ِ ِ خرج علينا رسول: قال،يد ٍ عن أ ِِب س ِع
َ َ َّ َّ َْ َ ْ ْ ُ ْ َ َ ُ َ ْ َ َ ُ َ ْ ُ ُ ْ ُ َ َ َ َ َ َ َّ َّ
:ال؟» قال ِ يح ادلج ِ «أَل أخ َِبكم بِما هو أخوف عليكم ِعن ِدي ِمن الم ِس: فقال،ادلجال
ََ َُ َ
ل ِ َما يَ َرى ِم ْن نظ ِر،ُيي ُن َصَلته َ ُ َ ف،الر ُج ُل يُ َصِّل َ أَ ْن َي ُق،ف
َّ وم ْ
ُّ ِ َ «الْش ُك اْل
ْ َ ََ َ ُْ
: فقال، بََّل:قلنَا
»َر ُج ٍل
116
Die Lehre des Monotheismus
Von Abū Saʿīd, dass er sagte: Der Prophet kam zu uns heraus,
während wir uns (gemeinsam) an den al-Masīḥu d-Daǧǧāl erinner-
ten103, da sagte er: „Soll ich euch nicht berichten, was ich noch mehr
um euch fürchte?“ Wir sagten: „Doch“.
Darauf sagte er: „Der verborgene širk. Dass ein Mensch sich hin-
stellt und betet und dabei sein Gebet verschönert wegen des Blickes
eines (anderen) Menschen.“104
103Der Daǧǧāl ist der Lügenprophet, welcher sich laut den islamischen Quel-
len als der wiederkehrende Messias ausgeben wird. Mit der Erinnerung ist
hier gemeint, dass sie gemeinsam über diesen Daǧǧāl nachdachten und über
die diesbezüglichen prophetischen Worte und Warnungen.
104
Überliefert bei Aḥmad und Ibnu Māǧah, wobei in ihrer Überlieferung der
Ausdruck „der verborgene širk“ ausdrücklich erwähnt wird. Der hier angege-
bene Wortlaut entstammt der Überlieferung von Ibnu Māǧah.
117
Die Lehre des Monotheismus
In der Fürsprache bestand also ein Scheinargument für die Araber, den
Polytheismus zu rechtfertigten. Sie hatten zwar die Überzeugung, dass
Allah der Schöpfer aller Dinge ist, dachten jedoch, die angebeteten ālihah
könnten ihnen durch die Fürsprache nützen und schaden.
Diese zentrale Rolle der šafāʿah ist schließlich auch der Grund für die häu-
fige Erwähnung davon im Koran:
zuvor in Bezug auf den Begriff kufr Erwähnte zu berücksichtigen, dass dieser
nämlich umfassender ist als das bloße Nicht-Glauben.
118
Die Lehre des Monotheismus
َّ َ ْ َ ُ َ َ ُ َ ُ َ َ ُ ُ َ َ ْ ُ ُ َ ْ َ َ َ ْ ُ ُّ ُ َ َ َ َّ ُ ْ َ ََُُْ
اَّلل
ِ اَّلل ما َل يُضهم وَل ينفعهم ويقولون هؤَل ِء شفعاؤنا ِعند ِ ون ِ ﴿ويعبدون ِمن د
َ َ َ َُ َ ْ ُ َْ َ َّ اَّلل ب َما ََل َي ْعلَ ُم ِف
َ َّ ونَ ُ ََُ ُْ
حانه َوت َعال ع َّما ات َوَل ِِف اْل ْر ِض سب َ الس َم
ِ او ِ ِ قل أتنبئ
َ ُ ُْ
﴾ْشكونِ ي
Und sie beten anstelle von Allah an, was ihnen weder Schaden
noch Nutzen bringen kann, und sagen: „Diese sind unsere Für-
sprecher bei Allah.“ Sag: „Setzt ihr Allah etwa in Kenntnis über
etwas, was Er weder in den Himmeln noch auf der Erde kennt?!“
Gepriesen und hocherhaben ist Er über das, was sie Ihm
beigesellen. [Sure Yūnus, 10:18]
ْ
ات َو َما ِِف ِ او
َّ َل َما ِف
َ الس َم
ِ
ُ َ وم ََل تَأ ُخ ُذ ُه سنَ ٌة َو ََل نَ ْو ٌم
ِ ُّ َ َْل إِ ََّل ُه َو ال
ُ ح الْ َق ُّي َ َ اَّلل ََل إ
ُ َّ ﴿
ِ
َ َْ َ
يه ْم َو َما خلف ُه ْم َوَل ْ َ َ ْ َ َ ُ َ ْ َ ْ َّ ُ َ ْ ُ َ ْ َ َّ اْل ْرض َم ْن َذا َْ
ِ اَّلي يشفع ِعنده إَِل بِإِذنِ ِه يعلم ما بْي أي ِد ِ ِ
ُ َ َ َ َْ َّ اء َوس َع ُك ْرس ُّي ُه َ َ َّ ْ ْ ْ َ ون ب َ ُ ُ
ات َواْل ْرض َوَل يئُود ُه َ الس َم
ِ او ِ ِ َ َش ٍء ِمن ِعل ِم ِه إَِل بِما ش ِ َييط ِ
ُ َ ْ َْ ََُ َ ُ ُْ
﴾ِّل الع ِظيم ُّ ِحفظهما وهو الع
ِ
… Wer ist dieser, der bei Ihm Fürsprache einlegen könnte, außer
mit Seiner Zustimmung?! … [Sure al-Baqarah, 2:255]
119
Die Lehre des Monotheismus
120
Die Lehre des Monotheismus
121
Die Lehre des Monotheismus
Wie sich an solchen Beispielen ersehen lässt, wird das „machen“ bzw.
„machen lassen“ im Arabischen häufig im übertragenen Sinne verwen-
det.
Ebenso ist es bei kafara also „kufr begehen“ und kaffara „jemanden den
kufr machen lassen“. Dieses Verb wird auch tatsächlich in dieser Art ver-
wendet und umschreibt dann, dass jemand eine andere Person zum kufr
anstiftet und sie somit dazu führt zum kāfir zu werden. Natürlich ist es
nicht möglich, einen Menschen gegen seinen Willen zum kāfir zu machen,
weshalb damit in erster Linie gemeint ist, dass man jemanden dazu ver-
anlasst den kufr zu begehen, also daran arbeitet, dass er diesen tut und
dadurch zum kāfir wird.
Häufiger ist mit dem Wort kaffara jedoch gemeint, dass man den anderen
Menschen in der eigenen Ansicht „zum kāfir macht“, ihn also als solchen
ansieht bzw. bezeichnet. Die arabischen Gelehrten sagen hierbei „er
schreibt ihn dem kufr zu“ (yansubuhu ilā l-kufr), was entweder durch die
bloße innere Sichtweise geschehen kann oder durch die Bezichtigung des
anderen. Hierbei handelt es sich um die häufige und bekannte Anwen-
dung des Wortes takfīr.
Wie im Vorwort über die zunehmende Kriminalisierung islamisch-theolo-
gischer Inhalte bereits ausführlich besprochen wurde, lässt sich das Wort
takfīr nicht grundsätzlich mit dem Wort „Exkommunikation“ gleichstel-
len. Weit absurder ist die Behauptung mancher Politikwissenschaftler,
wie z. B. des in diesem Bezug schon genannten Guido Steinberg, der takfīr
wäre immer als Tötungslegitimation zu verstehen. Im Vorwort wurde dies
bereits ausreichend besprochen.
122
Die Lehre des Monotheismus
Dieser falsche Gedanke des takfīr aufgrund von großen Sünden (at-
takfīru bi-l-kabāʾir) bildet den Grundsatz aller Splittergruppen der soge-
nannten ḫawāriǧ. Heute ist für diesen Gedanken vor allem eine Gruppe
bekannt, die in den letzten Jahrzehnten als ǧamāʿatu t-takfīri wa-l-hiǧrah
bezeichnet wurde. Eine weitere große Glaubensgemeinschaft, die diesen
Gedanken trägt, ist die sogenannte ʿibādiyyah, welche z. B. im heutigen
Oman quasi die Staatsreligion ausmacht, diesen Gedanken aber nur als
sehr theoretischen Glaubensinhalt behandelt.
123
Die Lehre des Monotheismus
In so einer Situation ist der Sachverhalt so klar, dass kein einziger Muslim
diese Person als Glaubensbruder betrachten dürfte. Würde man einen
Menschen trotz seines klaren Polytheismus dennoch als Muslim bezeich-
nen, wäre dies ein Indiz dafür, dass man die Kernaussage des Islam selbst
nicht richtig verstanden hat. Wie sonst sollte jemand einen Menschen
trotz Götzenverehrung oder ähnlicher Dinge zum Muslim erklären.
Jedoch wird in der Realität von manchen Muslimen der takfīr aufgrund
der bloßen Befolgung der eigenen Neigungen praktiziert. Hier geht es da-
rum, auf ebendiesen Missstand hinzuweisen.
In einer weiteren Überlieferung des obengenannten ḥadīṯ, die al-Buḫārī
in seinem Buch al-Adabu l-Mufrad erwähnt, heißt es:
ُ َ َ َ َف َق ْد ب،ك َّف َر أَ َخ ُاه
َ ْ َ َ َ َّ َعن،َعن ابْن ُع َم َر
»اء بِ َها أ َح ُده َما انل ِب ﷺ قال «من ِ ِ ِ
Wer seinen Glaubensbruder des kufr bezichtigt, so kehrt einer von
beiden damit zurück.
Hier wird also ausdrücklich das Verb „kaffara“ verwendet, was umso
deutlicher den Bezug dieser Überlieferungen zur hier besprochenen The-
matik aufzeigt.
Die Urteile der šarīʿah beziehen sich nur auf das äußerlich
Sichtbare
An dieser Stelle kann ein weiterer Punkt erwähnt werden, der bei man-
chen Muslimen zur übertriebenen Anwendung des takfīr führt.
Dabei handelt es sich um das mangelnde Verständnis darüber, dass die
Urteile im Islam sich natürlich nur auf das äußerlich Sichtbare und Nach-
weisbare beziehen. Kein Mensch kann von sich aus wissen, was im Herzen
eines anderen vorgeht, weshalb ein jeder Muslim verpflichtet ist, nur
nach dem Äußeren zu urteilen. Aus diesem Grund bauen die Beurteilun-
gen der šarīʿah stets auf wahrnehmbaren Taten und Aussagen auf.
So ist es natürlich auch möglich, dass ein Mensch rein äußerlich als Mus-
lim in einer islamischen Gesellschaft aufwächst, wobei er den tauḥīd in
Wirklichkeit gar nicht verstanden hat. Ebenso ist vorstellbar, dass so eine
Person aufgrund ihrer Unwissenheit schließlich Polytheismus praktiziert.
124
Die Lehre des Monotheismus
Solange dies aber niemandem bekannt ist, kann die Person von anderen
Menschen klarerweise nur als Muslim betrachtet werden.
Auf der anderen Seite kann es sein, dass die Person den Islam innerlich
gar nicht akzeptiert hat, auch wenn sie dies äußerlich nicht zeigt. Hierbei
wird also der Islam innerlich abgelehnt, während nach außen hin vorge-
geben wird, ein Muslim zu sein. Ein solcher Mensch wird im islamischen
Sprachgebrauch als munāfiq/Heuchler bezeichnet. Die Erscheinung des
munāfiq ist in den islamischen Quellen häufig thematisiert und wohlbe-
kannt, weshalb sich der Begriff im Koran auch zahlreich wiederfindet.
In einigen ḥadīṯen wird auch darauf hingewiesen, dass es gewisse Anzei-
chen gibt, die den Muslim zur Vorsicht vor der Heuchelei mahnen. Jedoch
ist es nach islamischer Lehre nicht erlaubt, jemanden des kufr zu bezich-
tigen, solange von dieser Person keine eindeutige Handlung oder Aussage
des kufr wahrgenommen wurde.
Zudem könnte es in gewissen Fällen sein, dass die Person zwar etwas
sagte, dass dem Islam widerspricht, aufgrund von Unwissenheit aber ent-
schuldigt ist – wozu im Folgenden einige kurzgefasste Hinweise gegeben
werden sollen.
110Vor allem von den sogenannten muʿtazilah, die im Deutschen auch als
„Rationalisten“ bezeichnet werden, da sie vorgaben, die Vernunft (Ratio)
zum höchsten Maßstab zu erheben.
125
Die Lehre des Monotheismus
Auf der anderen Seite kann dieser Grundsatz auch nicht auf jede belie-
bige Situation ausgeweitet werden, was an sich ebenso offensichtlich
sein sollte. Jede andere Annahme würde zu irrationalen Schlussfolgerun-
gen führen.
Dass die Unwissenheit aus einem Polytheisten keinen Monotheisten ma-
chen kann, wird in diesem Buch ausführlich behandelt und dargelegt. Aus
zahlreichen Gründen kann sich der Grundsatz der Entschuldigung durch
Unwissenheit also nicht auf den großen širk beziehen. Alleine die Tatsa-
che, dass ein Mensch über das Fundament des Islam unwissend ist, macht
seinen Eintritt in den Islam schon unmöglich.
Schon an diesem Umstand sieht man, dass der Grundsatz der Entschuldi-
gung durch Unwissenheit sich nicht auf jede beliebige Situation beziehen
kann. Wäre es so, könnte ein Mensch, der nicht an die Existenz eines
Schöpfers glaubt, ein durch Unwissenheit entschuldigter Muslim sein –
eine völlig absurde Vorstellung.
Genauso wie einige philosophische Gruppen also übertrieben hatten und
die Entschuldigung durch Unwissenheit völlig verneinten, verfielen an-
dere Menschen in die Ausweitung dieses Grundsatzes auf jeden erdenk-
lichen Fall, sie bewegten sich dadurch also in das andere Extrem in dieser
Frage.
126
Die Lehre des Monotheismus
127
Die Lehre des Monotheismus
128
Die Lehre des Monotheismus
Von Abū l-ʿĀliyah wird überliefert, in Bezug auf den Koran-Vers „Ge-
wiss, die Regentschaft gehört nur Allah. Er trug euch auf, nur Ihn
anzubeten“, dass er sagte: „Die gesamte Religion (dīn) wurde auf
den iḫlāṣ gegenüber Allah gegründet, gegenüber Ihm alleine, ohne
irgendeinen Partner.“
Die alleinige Anbetung des Schöpfers ist für einen Menschen somit eine
unerlässliche Bedingung, um Muslim zu sein. Deshalb ist der Muslim im-
mer auch ein muḫliṣ111. Wer diesen iḫlāṣ nicht erfüllt, kann keinesfalls als
Muslim angesehen werden.
Aus diesem Grund verstand die islamische Gelehrsamkeit den iḫlāṣ im-
mer schon als eine Bedingung des Glaubensbekenntnisses (šahādah). Ist
die Bedingung nicht erfüllt, kann die šahādah nicht aufrecht sein.
Eine gegenteilige Behauptung würde zwangsläufig zur Möglichkeit eines
„Muslim mušrik“ bzw. eines „muḫliṣ mušrik“, also eines „polytheistischen
Monotheisten“ führen – eine offensichtlich absurde Konstruktion.
Viele Menschen heute hängen jedoch bewusst oder unbewusst genau
dieser widersprüchlichen Irrmeinung an. Dies offensichtlich deshalb, weil
ihnen das Bewusstsein fehlt, dass der Islam gerade darin besteht, nur
Allah alleine anzubeten und nicht bloß die Existenz eines einzigen
Schöpfers anzuerkennen.
Tatsächlich verbreitete sich so die Vorstellung, der wahre Islam bestünde
lediglich im bloßen Bekenntnis zur Religion. Wer bloß behauptet ein Mus-
lim zu sein, ist somit auch tatsächlich ein Muslim – was den Islam seines
Kerninhalts beraubt und das Glaubensbekenntnis auf ein bloßes Lippen-
bekenntnis reduziert.
Analog hierzu verhält sich das Beispiel eines Blinden, der behauptet, se-
hen zu können. Nun behaupten Außenstehende: „Wir wissen zwar, dass
diese Person blind ist, meinen aber trotzdem, dass sie gleichzeitig auch
sehen kann.“
Die Schlussfolgerung aus einer solchen Aussage kann im Grunde nur sein,
dass so jemand die Bedeutung der Blindheit oder des Sehens nicht kennt
111 Das Partizip aktiv des Wortes iḫlāṣ, also „der Reinigende“.
129
Die Lehre des Monotheismus
und deshalb nicht unterscheiden kann – oder aber mutwillig auf diesem
Widerspruch beharrt.
Wie aus dem bisher Gesagten also klar wurde, beschreibt das Wort „Mus-
lim“ eine gewisse Bedeutung, die Taten und Eigenschaften beinhaltet,
welche ein mušrik unmöglich verwirklichen kann.
Dies ist auch insofern völlig klar, da es sich beim širk um den exakten Ge-
gensatz zum Islam handelt, weshalb sich diese beiden Dinge auch nie in
einer Person vereinen können.
„Ein Mensch, der nur Allah anbetet“, kann nicht gleichzeitig „ein
Mensch, der neben Allah etwas anderes anbetet“ sein.
Der Islam ist die ḥanīfiyyah - Ein Polytheist ist kein ḥanīf
Wie zuvor schon erwähnt wurde, bekannten sich die sogenannten ḥun-
afāʾ zur monotheistischen Lehre Abrahams, weshalb der Islam auch als
„al-ḥanīfiyyah“ bekannt ist.
Einer dieser ḥunafāʾ wurde bereits erwähnt. Es handelt sich dabei um
Zaid ibnu ʿAmr ibni Nufail, welcher seine Überzeugung auch in Gedichten
und bei diversen Gelegenheiten verkündete.
In mehreren Überlieferungen wird berichtet, wie Zaid ibnu ʿAmr auf der
Suche nach der wahren Religion auszog und auf seinem Weg einen jüdi-
schen und einen christlichen Priester antraf. Als er jeden von ihnen nach
der wahrhaften Religion fragte, verwiesen ihn beide letztlich auf die
ḥanīfiyyah, worauf Zaid fragte:
ْ َ َ ًّ ُ َ ْ ُ َ ْ َ َ َ ْ ُ َ َ ُ َ ْ َ َ ٌ ْ َ َ َ
َ َّ ْصان ًّيا َو ََل َي ْعبُ ُد إ ََّل
اَّلل ِ ِ َ يم لم يكن يهو ِديا َوَل ن قال زيد وما اْل ِنيف قال ِدين إِبرا ِه
Zaid sagte: „Und was ist ein ḥanīf?“ Er [der jüdische bzw. christliche
Priester] sagte: „Der dīn von Ibrāhīm. Er war weder Jude noch Christ
und betete niemanden an als Allah.“112
Der ḥanīf ist also jemand, der nur Allah anbetet, im Gegensatz zum
mušrik. Einen „ḥanīf mušrik“ kann es also genauso wenig geben, wie ei-
nen „Muslim mušrik“ oder „muḫliṣ mušrik“.
130
Die Lehre des Monotheismus
In zahlreichen Versen im Koran wird eindeutig gezeigt, dass der Islam die
ḥanīfiyyah, und jeder Muslim ein ḥanīf ist:
113Pl. von muḫliṣ. Es ist das Wort, das auch im zuvor genannten Koran-Vers
gebraucht wurde im Ausdruck „muḫliṣīna lahu d-dīn“.
131
Die Lehre des Monotheismus
َ َ ً َ َ َ ًّ َ ْ َ َ ًّ ُ َ ُ ْ َ َ َ
ك ْن َكن َح ِنيفا ُم ْس ِل ًما َو َما َكن ِم َن
ِ ﴿ما َكن إِب َرا ِهيم يهو ِديا َوَل نْصا ِنيا َول
َ ال ْ ُم ْْشك
﴾ْي ِِ
Ibrāhīm war kein Jude und kein Christ, sondern er war ein ḥanīf,
ein Muslim, und er war nicht von den mušrikīn.
[Sure Āli ʿImrān, 3:67]
Auch in diesem Vers findet sich das oben Gesagte exakt wieder. Wiede-
rum werden hier drei Dinge erwähnt, wobei jeder einzelne Begriff den
jeweils anderen erklärt und bekräftigt. „Muslim“, „ḥanīf“ und „nicht von
den mušrikīn" sind drei gleichbedeutende Dinge.
Der Islam ist die Religion von Abraham (millatu Ibrāhīm) - Der
Polytheist widerspricht dieser fundamental
Wie sich an den obigen Versen bereits klar gezeigt hat, ist der Islam die
Religion von Abraham, die im Koran mehrfach mit dem Begriff millatu
Ibrāhīm erwähnt und auf verschiedene Arten erläutert wird.
Die Religion von Ibrāhīm bedeutet, nur Allah anzubeten. Sie ist der allge-
meine Islam mit dem alle Propheten entsandt wurden. Deshalb ist es
eine Selbstverständlichkeit, dass dem Propheten des Islam und ebenso
seinen Anhängern das Befolgen dieser Religion aufgetragen ist. Trotzdem
wird dieser Umstand im Koran ausdrücklich erwähnt und bekräftigt. So
heißt es hierzu im Koran:
132
Die Lehre des Monotheismus
ً َ َ َ ْ َ َّ ْ َّ َ َ ْ َ َ ْ َ ْ َ َّ ُ
َ يفا َو َما ََك َن م َن ال ْ ُم ْْشك
﴾ْي ِِ ِ ﴿ثم أوحينا إِِلك أ ِن ات ِبع ِملة إِبرا ِهيم ح ِن
Sodann trugen wir dir auf: Folge dem dīn von Ibrāhīm, als ḥanīf,
und er war nicht von den mušrikīn. [Sure an-Naḥl, 16:123]
Auch hierdurch zeigt sich, dass ein Polytheist die Religion von Ibrāhīm und
damit auch den islamischen Monotheismus nicht erfüllt haben kann. Wie
gesagt zeigt sich dies an zahlreichen Stellen des Koran. Das bisher Ge-
nannte soll uns jedoch im Hinblick auf den Umfang dieses kurzgefassten
Buches genügen.
133
Die Lehre des Monotheismus
also Polytheismus betreibt, oder nur Allah anbetet und somit den Mono-
theismus umsetzt.
114 Bei diesen Bedingungen geht es nicht in erster Linie um eine eindeutige
Definition. Wer ihren Inhalt versteht, der weiß, dass die Richtigkeit und Gül-
tigkeit der šahādah von diesen Dingen abhängt. Dabei ist es jedoch gleich-
gültig, wie man diese Bedingungen nun benennt oder klassifiziert.
Klarerweise überlagern sich die genannten Bedingungen auch häufig. Ein
Mensch, der den kufr gegen den ṭāġūt nicht erfüllt, hat klarerweise auch den
iḫlāṣ nicht erbracht. Diese von den Gelehrten als Bedingungen angeführten
Punkte sind also entweder gleichbedeutend oder ihre Bedeutungen überla-
gern sich. In jedem Fall sind sie völlig voneinander abhängig.
134
Die Lehre des Monotheismus
Solche Leute argumentieren nämlich in der Regel mit zwei Punkten, die
einen Polytheisten zum Muslim machen sollen:
1) Das äußerliche Bekenntnis der Person zum Islam
2) Die Unwissenheit und das fehlende Bewusstsein der Person darüber,
dass die eigenen Taten dem Islam fundamental widersprechen
Für Leute, die so argumentieren, entsteht hierdurch aber ein weiteres
unlösbares Problem, und zwar die Frage: Wie soll jemand, der sich der
Realität des Monotheismus und Polytheismus und des Unterschieds zwi-
schen diesen beiden Dingen nicht bewusst ist, als Muslim gelten, wo er
doch den Hauptinhalt seines Glaubensbekenntnisses nicht verstanden
hat?
Im weiteren Verlauf dieses Buches soll dieser Widerspruch noch geson-
dert ausgeführt werden. Hier soll uns vorerst der Hinweis genügen, dass
das Wissen über die Grundbedeutung des Glaubensbekenntnisses zwei-
felsohne eine Voraussetzung ist, um Muslim zu sein oder in den Islam
einzutreten.
Rückkehrend zum hier besprochenen Prinzip der Lossagung vom ṭāġūt
kann also abschließend gesagt werden, dass es islam-theologisch nicht
denkbar wäre, sich einen Muslim vorzustellen, der etwas neben Allah an-
betet, sich aber gleichzeitig von der Anbetung aller anderen Dinge los-
sagt.
Am Anfang dieses Buches wurden bereits mehrere Überlieferungen des
bekannten ḥadīṯ über die fünf Säulen des Islam angeführt. Dabei wurde
klar, dass der Islam auf dem Prinzip des Monotheismus aufgebaut ist.
In einigen dieser Überlieferungen aus dem Ṣaḥīḥ-Werk von Muslim ibnu
l-Ḥaǧǧāǧ war dabei Folgendes deutlich zu sehen:
ُ َّ لَع أَ ْن يُ َو َّح َد
اَّلل
ََ
In dieser Überlieferung heißt es, der Islam baut sich darauf auf, „..., dass
Allah zu einem Einzigen gemacht wird115.“
115Wie schon zuvor erklärt, wird hier im Arabischen das Verb „yuwaḥḥadu“
verwendet.
135
Die Lehre des Monotheismus
In beiden ḥadīṯen wird also ausdrücklich der tauḥīd mit dem kufr gegen
den ṭāġūt gleichgesetzt.
Der kufr gegen den ṭāġūt besteht also gerade darin, diesen nicht anzube-
ten. Wer dies durch polytheistische Handlungen dennoch tut, kann aus
Sicht der islamischen Theologie kein Muslim sein.
_____
116Selbst wenn also ein Nicht-Muslim während einer Kampfhandlung den Is-
lam annimmt, ist es nicht erlaubt, ihn weiter zu bekämpfen und jegliche
Feindschaft ist durch seinen Eintritt in den Islam getilgt.
117 Auch hier wird das Wort waḥḥada verwendet. Also: „Wer Allah zu Einem
in der Anbetung macht.“
136
Die Lehre des Monotheismus
Durch die vorausgehenden Kapitel wurde also gezeigt, dass es für den Is-
lam einer Person unerlässlich ist, die genannten Grundsätze zu erfüllen:
• Den iḫlāṣ, also die Reinigung der eigenen Taten von polytheistischer
Anbetung
• Die Umsetzung der ḥanīfiyyah, die im reinen Monotheismus besteht
• Die Befolgung des abrahamitischen Monotheismus (millatu Ibrāhīm)
• Das Prinzip der Lossagung vom ṭāġūt
Wer diese von der islamischen Theologie im Konsens geforderten Prinzi-
pien aussetzt, begibt sich in zahlreiche fundamentale Widersprüche,
nicht nur in Bezug auf die obengenannten Prinzipien.
Im Folgenden sollen deshalb weitere islamische Quelltexte genannt wer-
den, die das bisher Gesagte weiter erhärten.
137
Die Lehre des Monotheismus
Wörter, die gewisse Taten beschreiben118. Ebenso wie bei den Wörtern
Islam, iḫlāṣ usw. zeigt sich auch hier also, dass es keinen Einfluss auf die
Tat hat, ob die Person sich nun der Schlechtigkeit dieser Tat bewusst ist
oder nicht.
Ebenso verhält es sich bei einem Menschen, der etwas gestohlen hat,
oder Ehebruch begeht. Durch die entsprechende Entwendung eines
fremden Gegenstandes wird ein Mensch zum Dieb, egal ob er nun
wusste, dass das Stehlen im Islam verboten ist oder nicht. Die Frage, ob
er dafür nun bestraft wird, ist eine völlig andere. In jedem Fall wäre es
aber irrsinnig zu behaupten, dass ein solcher Mensch nicht gestohlen hat,
nur weil aufgrund der Entschuldigung durch Unwissenheit die Strafe aus-
bleibt.
Genauso verhält es sich mit einem Ehebrecher (zānī). Im Moment als die-
ser zu einer Frau ging, auf die er kein Anrecht hatte, wurde er zum Ehe-
brecher. Es wäre unsinnig zu behaupten, er wäre kein Ehebrecher, weil
er nicht wusste, dass der Ehebruch eine im Islam verbotene Handlung
darstellt.
Auf dieselbe Weise ist auch derjenige, der etwas anderes als Allah anbe-
tet, ein „etwas anderes als Allah Anbetender“119. Wer also širk begeht,
muss zwingend auch als mušrik bezeichnet werden. Dies ist eine sprach-
liche Selbstverständlichkeit.
Wenn man heute aber einige Leute damit konfrontiert, widersprechen
sie diesen Grundlagen der arabischen Sprache und jeglicher Vernunft.
Sagt man ihnen z. B. „Jene Person ist ein Ehebrecher“, antworten sie tat-
sächlich, dass man die Person nicht als Ehebrecher bezeichnen solle, da
sie ja nicht wusste, dass diese Tat im Islam verboten ist!
118Im Arabischen werden die zuvor genannten negativen Begriffe wie širk
usw. öfter auch als asmāʾu ḏammi l-afʿāl bezeichnet. Hiermit ist ausgesagt,
dass diese Begriffe jeweils die negative Tat selbst beschreiben.
119Diese Ausdrucksweise wurde hier an einigen Stellen gewählt, um dem Le-
ser die Übereinstimmung der Wörter in ihrer sprachlichen Bedeutung im
Arabischen näher zu bringen. Weil sie dem deutschen Sprachbild nicht ent-
spricht, wurde sie deshalb stets in Anführungszeichen gesetzt.
138
Die Lehre des Monotheismus
120
Hier ist in erster Linie die Beschreibung zum Zeitpunkt der Tat selbst ge-
meint.
139
Die Lehre des Monotheismus
Diese Person ist also sprachlich gesehen unweigerlich ein šārib. Der ḥukm
des šurb, also das nachfolgende Urteil im islamischen Rechtssystem, in
diesem Fall die Bestrafung, ereilt die Person aber nicht.
Wenn wir nun über eine Person sagen „ašraka bi-llāh“ also „er hat Allah
etwas beigesellt bzw. etwas neben Ihm angebetet“, würde niemand et-
was einwenden. Selbst die Vertreter jener Irrmeinung stimmen hier zu,
dass dieser Mensch etwas neben Allah anbetet.
Der Mensch in diesem Beispiel wird im Arabischen aber auch im Konsens
mit den Worten „mušrikun bi-llāh“ beschrieben. Wer dies ablehnt, hat
sowohl der Sprache als auch der Vernunft deutlich widersprochen. Es
gäbe für jemanden, der so argumentiert, keinen Ausweg, als eine solche
hypothetische Person „muslimun mušrikun bi-llāh“ zu nennen – eine völ-
lig absurde Bezeichnung.
Aṭ-Ṭabarī sagte bei seiner zuvor schon zitierten Erklärung des Verses in
Sure az-Zumar [39:29]:
ُ َ بَ ْل أَ ْك،اح ٍد
َث
ُ ُ ْ ُ ٌ َُْ ُ
ِ اَّلي ه َو منف ِرد ملكه ل ِ َو
َّ ُ َ َ َو َما ي َ ْستَوي َه َذا ال ْ ُم ْش:اؤ ُه
ِ َو،َتك ِفي ِه
ُ َ َ َّ َ ُ ُ َ
يقول جل ثن
َ ِ
َ ً َ َْ َ َ ْ َ َ َ ُ َّ َ ُ ْ َ َ َ َّ َ ْ ُ ْ َ ُ َ
ف ُه ْم ِِبَه ِل ِه ْم بِذلِك يعبُ ُدون آل ِ َهة ش ََّّت،ان َ َ َْ
ِ َّلل َل يعلمون أنهما َل يست ِوي ِ ْش ِكْي بِا ِ هؤَل ِء الم
َّ ُ ْ
اَّلل
ِ ون ِ ِمن د
Aber die meisten dieser „Allah etwas Beigesellenden“ wissen nicht,
dass die beiden sich nicht gleichen. In ihrer Unwissenheit darüber
beten sie etliche unterschiedliche ālihah neben Allah an.
140
Die Lehre des Monotheismus
Die Anhänger jener Irrmeinung müssen sich somit fragen, ob die folgen-
den Bezeichnungen wirklich auf einen Muslim zutreffen können:
• mušrikun bi-llāhi ilāhan āḫar: Allah einen anderen ilāh beigesellend
• ʿābidun maʿa-ḷḷāhi ilāhan āḫar: Neben Allah einen weiteren ilāh an-
betend
• muttaḫiḏun maʿa-ḷḷāhi ilāhan āḫar: Neben Allah einen weiteren ilāh
annehmend.
• ʿādilun bi-rabbihi ilāhan āḫar: Seinem Herrn einen weiteren ilāh
gleichstellend.
Durch die nähere Betrachtung der Wörter Islam und širk bzw. Muslim und
mušrik hat sich also sehr deutlich gezeigt, dass der Islam und der širk
zwei völlige Gegensätze sind, die sich niemals in ein und derselben Per-
son zum selben Zeitpunkt vereinen können.
Sehr wohl möglich ist jedoch, dass ein mušrik durch reuige Umkehr und
völliges Ablassen vom Polytheismus in den Islam eintritt und dadurch
zum reinen Monotheisten wird.
141
Die Lehre des Monotheismus
Wer demgegenüber meint, dass ein Mensch etwas anderes als Allah an-
beten und ungeachtet dessen ein Muslim sein könne, sagt das genau Ge-
genteil dieses Verses aus. Nach dieser verzerrten Sichtweise müsste der
Vers genau umgekehrt lauten, nämlich: „Allah vergibt, dass Ihm etwas
beigesellt wird.“
In dieser Behauptung liegt also eine klare Zurückweisung dieser korani-
schen Aussage. Merkwürdiger ist aber, dass es manche Leute gibt, die die
genannte Konsequenz tatsächlich annehmen und vertreten. Wenn solche
Personen mit dem genannten, deutlichen Widerspruch konfrontiert wer-
den, erklären sie, dass dem Unwissenden seine polytheistischen Hand-
lungen aufgrund seiner Unwissenheit vergeben werden. Gemäß ihrer Be-
hauptung handelt es sich also in jeder Hinsicht um einen Muslim.
Manche versteifen sich dabei derart auf ihre Position, dass sie allen Erns-
tes behaupten, ein Mensch könne durchaus Jesus anbeten und ihn sogar
als Sohn Gottes erachten, aufgrund seiner Unwissenheit aber dennoch
ein Muslim sein.
122Wie gesagt ist hier natürlich gemeint, solange ein Mensch davon nicht
reuig umkehrt, also die sogenannte taubah vollzieht. Wendet sich der
Mensch von diesem širk jedoch vor seinem Tod völlig ab und bereut die
frühere Beigesellung, so vergibt Allah auch diese Sünde.
123 Im Arabischen steht hier „yušraka“, das entsprechende Verb zum Wort
širk.
142
Die Lehre des Monotheismus
Dieses Beispiel aus der realen Welt zeigt, welche Verwirrung über das is-
lamische Monotheismus-Verständnis heute herrscht und zu welch absur-
den Aussagen es deshalb in der Diskussion kommt.
Ebenso kann hier angemerkt werden, dass man Behauptungen dieser Art
niemals mit islamischen Quelltexten oder auch nur irgendwelchen Aus-
sagen der Gelehrten der frühen Jahrhunderte (as-salaf) stützen könnte.
Für jeden, der auch nur rudimentäre Kenntnisse über die frühen islami-
schen Texte besitzt, ist dies eine Selbstverständlichkeit.
124Siehe für eine Sammlung solcher Texte des Koran das bereits erwähnte
Buch in arabischer Sprache (im Originaltitel):
رسالة ىف بيان ى
عىل طريقة أهل األثر- معن اإلسالم من الكتاب والسنة ي
143
Die Lehre des Monotheismus
Das Wort „muslimah“ wird hier also als Eigenschaft im Sinne von „mono-
theistisch“ und „voll und ganz gottergeben“ gebraucht. Auf den Polythe-
isten trifft diese Beschreibung klarerweise nicht zu.
Der Polytheist erfüllt den Sinn der Schöpfung und Religion nicht
Auch diese Feststellung wird im Koran deutlich formuliert. So heißt es in
Sure aḏ-Ḏāriyāt:
ْ َ ُ ُ ََ ْ ْ ْ ُْ ُ ُ َ ْ ُ َْ َ ََ
ُ ُ ْ َ َّ َ ْ ْ اْل َّن َو
يد أن ) ما أ ِريد ِمنهم ِمن ِرز ٍق وما أ ِر56( ون ِ اْلنس إَِل ِِلعبد ِ ِ ﴿وما خلقت
﴾ْيُ اق ُذو الْ ُق َّوة ال ْ َمت
ُ َّ َّ َ ُ َ َّ َّ
) إِن اَّلل هو الرز57( ون ُ ُْ
ِ ِ ِ يط ِعم
Und ich habe die ǧinn und die Menschen nur erschaffen, um Mir
zu dienen125. Ich wünsche keine Versorgung von ihnen, noch wün-
sche Ich, dass sie Mich speisen. Wahrlich Allah, Er ist der Versor-
ger, der Inhaber der Macht, der absolut Solide.
[Sure aḏ-Ḏāriyāt, 51:56-58]
125Im Arabischen wird das Wort yaʿbudūn verwendet. Also: „damit sie nur
Mir ʿibādah/Gottesdienst/Anbetung entgegenbringen.“
144
Die Lehre des Monotheismus
Bei dieser Erklärung wurde also abermals das Wort tauḥīd bzw. das Verb
waḥḥada gebraucht, wodurch ausgedrückt ist, dass Allah in der Anbe-
tung zu einem gemacht wird.
Dies ist auch der Grund dafür, dass von der islamischen Gelehrsamkeit
darauf hingewiesen wird, dass jede Aufforderung im Koran, Allah anzu-
beten, eine Aufforderung zum tauḥīd, also zum Monotheismus in der An-
betung ist.
Dies ist auch insofern völlig klar, weil der ganze Koran erklärt, was mit
dieser Aufforderung zur Anbetung gemeint ist. Es könnte damit unmög-
lich gemeint sein, man solle an die Existenz eines Schöpfers glauben und
diesen anbeten, selbst wenn man daneben auch andere Dinge oder We-
sen anbetet. Dies wäre der Gegensatz zur zentralen Botschaft des islami-
schen Monotheismus.
Der Aufruf der Götzendiener zur Anbetung an sich, ohne den zugehörigen
Monotheismus darin, wäre darüber hinaus absurd, da die vorislamischen
Götzendiener Allah ohnehin anbeteten. Wie bereits zuvor schon darge-
legt, ist dies eine unbestreitbare theologische und auch historische Tat-
sache.
Wäre also die bloße Anbetung ohne den tauḥīd und ungeachtet der An-
betung anderer gemeint, dann hätten die Götzendiener die Forderung
bereits erfüllt, womit die ganze Botschaft sinnlos wäre.
Die alleinige Anbetung Allahs ist also das, was die Geschöpfe erbringen
sollen. Stellt sich nun die Frage, wie der Polytheist nun als Muslim gelten
kann, der Allahs Wohlgefallen erlangt und schließlich ins Paradies ein-
geht, wobei er diesen Sinn nicht erfüllt?
145
Die Lehre des Monotheismus
146
Die Lehre des Monotheismus
َ َ َ ُ َّ َ ْ َ ْ َ
ُ َّ َل إ ََّل
﴾اَّلل ِ ِ﴿فاعلم أنه َل إ
Wisse, dass es nichts Anbetungswürdiges außer Allah gibt126.
[Sure Muḥammad, 47:19]
َ ََْ ُ ْ َ َّ
﴾﴿إَِل َم ْن ش ِه َد بِاْلَق َوه ْم يعل ُمون
… außer denjenigen, die die Wahrheit bezeugen, während sie
wissen. [Sure az-Zuḫruf, 43:86]
Die Aussage „während sie wissen“ ist hier so zu verstehen, dass jene hier
beschriebenen Personen die Wahrheit bezeugen, im Wissen über die tat-
sächliche Bedeutung.
Des Weiteren impliziert das arabische Wort „šahādah“ also „Bezeugung“,
dass man genau weiß, was man bezeugt. Dies ist eine Voraussetzung für
die Richtigkeit eines Zeugnisses, andernfalls handelt es sich um eine Lüge.
Die šahādah von lā ilāha illa-ḷḷāh ist also ohne das notwendige Wissen
und Verständnis des Inhaltes unvorstellbar.
147
Die Lehre des Monotheismus
Mit dem arabischen Wort taubah wird die reuige Umkehr von einer
Sünde beschrieben. Diese Reue erfordert das völlige Ablassen von dieser
Sünde. Die hier gemeinte Sünde ist der Polytheismus.
Dies wird auch ausdrücklich von den frühen tafsīr-Gelehrten überliefert.
So überliefert z. B. Ibnu Abī Ḥātim in seinem tafsīr von Muqātil ibnu
Ḥayyān und von aḍ-Ḍaḥḥāk folgende Erklärung dieses Verses:
ْ فَإ ْن تَابُوا ِم َن
... الْش ِك ِ
D.h.: Wenn sie taubah vom širk machen …
Nur Allah anzubeten und die Anbetung anderer zu unterlassen, ist der
grundlegendste Inhalt des Islam. Das islamische Glaubensbekenntnis hat
genau diese Bedeutung.
Ein Mensch kann also überhaupt erst in den Islam eintreten, wenn er frei
vom širk ist. Wie könnte es also sein, dass ein Mensch diese Vorausset-
zung für den Islam nicht erfüllt, aber dennoch ein Muslim ist?
Dieselbe Bedeutung lässt sich auch aus dem folgenden Vers ersehen:
َ َ ُ َ ّ ْ ُ َ ْ ُ َ ْ َ َ ّ ْ ُ َ َ ْ َ ْ ُ َ ْ َ َ ْ ُ َ َ َّ َّ
َّلل فأ ْولـئِك َم َع
ِ ِ اَّلل وأخلصوا ِدينهم
ِ ِاَّلين تابوا وأصلحوا واعتصموا بِ ﴿إَِل
ً َ ً ْ َ َ ْ ُْ ُّ ُْ َْ َ َ َ ْ ُْ
﴾المؤ ِم ِنْي وسوف يؤ ِت اَّلل المؤ ِم ِنْي أجرا ع ِظيما
Außer jenen, die bereuen, korrigieren, an Allah festhalten und ih-
ren dīn für Allah rein machen127, diese sind mit den muʾminīn. Und
Allah wird den muʾminīn eine gewaltige Belohnung zuteil werden
lassen. [Sure an-Nisāʾ, 4:146]
Wenn ein mušrik also das Bekenntnis zum Islam bezeugt, betet und fas-
tet, aber den širk nicht unterlässt, kann er im Konsens nicht in den Islam
eintreten.
Hätte zur damaligen Zeit z. B. einer der vorislamischen Götzendiener der
Araber den Islam bezeugt, aber weiterhin die bei ihnen bekannten
127 Im Arabischen wird das zuvor erklärte Verb aḫlaṣa im Plural verwendet,
also aḫlaṣū. Hier wird also wiederum der iḫlāṣ als Bedingung für den Eintritt
in den Islam vorausgesetzt.
148
Die Lehre des Monotheismus
َ ُ َ ْ َ َ ْ َ ْ َ ْ َ َ ْ َ ْ َ َّ َ َ َ ْ َ َ ُ ْ َ َ َ
ت ِلَحبَ َط َّن ع َملك اَّلين ِمن قب ِلك ل ِِئ أِشك ِ وح إِِلك وإِل
ِ ﴿ولقد أ
َ ْ َ ُ َ
َ َو ََلكون َّن ِم َن اْلاِس
﴾ين ِ ِ
Und es wurde dir bereits eingegeben, und denen vor dir: Wenn du
den širk begehen würdest, dann würden alle deine Taten sicher128
verloren gehen und du würdest sicher von den Verlierern sein.
[Sure az-Zumar, 39:65]
Hier ist also der Gesandte direkt angesprochen, wobei er aber im Kon-
sens der islamischen Gelehrsamkeit vor dem širk bewahrt war. In dem
Vers wird also zur Verdeutlichung eine Sache angenommen, von der völ-
lig klar ist, dass sie nicht vorfällt. Die arabischen Gelehrten nannten dies
auch farḍu l-mustaḥīl. Es ist also offensichtlich, dass diese Botschaft nicht
128Die Aussage wurde im Vers zwei Mal mit dem schweren nūn der Bekräfti-
gung (nūnu t-taukīdi ṯ-ṯaqīlah) bekräftigt, was im Deutschen mit „sicher“ wie-
dergegeben wurde.
149
Die Lehre des Monotheismus
in erster Linie an ihn gerichtet ist, sondern an jene Menschen, die durch
die Botschaft des Koran angesprochen sind129.
Die Bedeutung ist demnach: „Wenn sogar der Prophet alle seine (gu-
ten) Taten durch eine einzige širk-Tat verlieren und infolgedessen sicher
zu den Verlierern gehören würde, dann wird dieser Verlust alle anderen
Menschen sicherlich viel eher treffen.“
Aus den islamischen Quelltexten ist zu entnehmen, dass die Propheten
als die am schwersten geprüften Menschen überhaupt gelten. Ihre
Taten sind die besten Handlungen, die überhaupt von Menschen unter-
nommen wurden.
Muḥammad nimmt darüber hinaus nochmals eine besondere Stellung
unter den Propheten ein. Er ist das Siegel der Propheten. Erst wenn man
dies alles bedenkt, wird einem das Ausmaß der Aussage im Vers klar. Das
ganze Leben des Siegels der Propheten wäre durch eine einzige Tat des
Polytheismus hinfällig. Das Ertragen der schweren Offenbarung, sein Auf-
ruf zu dieser Religion, seine Standhaftigkeit gegenüber der Feindschaft
der Götzendiener.
Wenn also all diese Taten durch den širk verloren gehen würden, werden
dann die weniger bedeutenden Taten irgendwelcher Polytheisten erhal-
ten bleiben und ihnen in weiterer Folge den Eintritt ins Paradies ermögli-
chen?
In einem weiteren Vers wird genau dieser Gedanke nochmals deutlich in
derselben Art und Weise über die anderen Gesandten formuliert:
ٌ ك َحك َ َّ َ َّ ُ َ َ ْ َ َ َ َ ُ َ َْ َْ ََ َ ْ َ َ ْ َ َ ُ َّ ُ َ ْ
يم ِ ات من نشاء إِن رب ٍ ﴿ َوتِلك حجتنا آتيناها ِإب َرا ِهيم لَع قو ِم ِه نرفع درج
ُ ُ َ ْ َ ً ُ َ َ ْ َ َ ًّ ُ َ ُ ْ َ َ َ َ ْ ُ َ َ ْ َ َ َ
وحا ه َدينَا ِم ْن قبْل َو ِم ْن ذر َّي ِت ِه ) ووهبنا َل إِسحاق ويعقوب َك هدينا ون83( يم ٌ َعل
ِ
َ ْ ُْ ْ َ َ َ َ َ َ ُ َ َ َ ُ َ َ ُ ُ َ َ ُّ َ َ َ َ ْ َ ُ َ َ ُ َ
)84( داوود وسليمان وأيوب ويوسف وموس وهارون وكذلِك ْن ِزي المح ِس ِنْي
ُ ْ َ َ َ َ َّ َ َ ْ َ َ َ َ ْ َ َ ُ ل
) َوإِ ْس َما ِعيل َواليَ َس َع َو ُيون َس85( ْي ِِ
َّ ك م َن
َ الصاْل
ِ وزك ِريا وَيَي و ِعيَس وإِِلاس
ُ َ ْ َ َ ْ َ ْ َ ْ َ ْ َّ ُ َ ْ َ ْ َ َ ْ َ ْ َّ َ ًّ ُ ً ُ َ
ْاهم ) و ِمن آبائِ ِهم وذرياتِ ِهم وإِخوانِ ِهم واجتبين86( وطا َولُك فضلنَا َلَع ال َعال ِمْي
َ ول
129Gemäß der Aussage des Koran selbst (siehe 7:158) richtet sich die Bot-
schaft des Islam seit der Entsendung des Propheten an die ganze Mensch-
heit.
150
Die Lehre des Monotheismus
151
Die Lehre des Monotheismus
ْ َ َ ُ َُ َ َ ْ ُ ْ ُ َ ُ َّ َ َ َّ َ َ ُ
اَّلل ف ِب ُه َداه ُم اقتَ ِدهْ قل َل أ ْسألك ْم َعليْ ِه أج ًرا ين ه َدى اَّل
ِ وَلك
ِ ﴿أ
َ ْ ْ َّ
َ إن ُه َو إَل ذك َرى لل َعالم ْ
﴾ْي ِ ِ ِ ِ ِ
Diese sind diejenigen, die Allah rechtleitete, so folge ihrer Recht-
leitung! Sag: „Ich erbitte von euch dafür keinen Lohn.“ Es ist nur
eine Ermahnung für die Weltenbewohner. [Sure al-Anʿām, 6:90]
Diese Propheten sind also die Rechtgeleiteten und ihre Rechtleitung soll
man sich als Vorbild und zum Leitfaden nehmen.
Jedoch beschreibt diese Passage im Koran, wie bereits gezeigt wurde,
deutlich, dass ebendiese Rechtleitung jener Propheten im Ablass vom širk
besteht.
Hätten sie demgegenüber eine einzige polytheistische Handlung began-
gen, wären dadurch all ihre guten Taten verloren. In diesem Fall wären
sie also völlig Irregehende und keinesfalls rechtgeleitet.
Diese Bedeutung findet sich auch an anderen Stellen im Koran, z. B.:
َ ْ َ َ ُ َّ ْ َ َّ ْ َ ً ُ ُ ْ ْ ََ
الطاغوت ف ِمن ُه ْم َم ْن ه َدى اَّلل َواجتَنِبُوا ﴿ َولقد َب َعثنَا ِِف ك أ َّم ٍة َر ُسوَل أ ِن اعبُ ُدوا
ُ َ َ َ َ ُْ َ َْ ُ الض ََللَ ُة فَس
َّ ْ َ َ ْ َّ َ ْ َ ْ ُ ْ َ ُ َّ
ْيوا ِِف اْل ْر ِض فانظ ُروا كيْف َكن ََعقِبَة ِ اَّلل و ِمنهم من حقت علي ِه
َ َ ُْ
﴾المكذبِْي
Und Wir haben doch zu jeder Gemeinschaft einen Propheten ent-
sandt (auf dass er zu ihnen sagt:) „Betet Allah allein an und haltet
euch fern vom ṭāġūt!“ Und von ihnen waren welche, die Rechtlei-
tung von Allah erfuhren, und von ihnen waren welche, die
152
Die Lehre des Monotheismus
wahrlich Irre gingen. Also reist auf der Erde herum und seht wie
das Ende der Leugner war. [Sure an-Naḥl, 16:36]
Auch bei diesem Vers käme es zu einer Umkehrung der Bedeutung. Ein
Polytheist hat seinem Schöpfer in der Anbetung andere beigesellt, hat
also den ṭāġūt angebetet und die Abkehr von ihm nicht umgesetzt. Die-
jenigen, die der Rechtleitung der Propheten folgten und diese annahmen,
unterließen die Anbetung anderer Dinge völlig.
Schließlich bestand genau in dieser Sache jene im Vers erwähnte Recht-
leitung, die den beschriebenen Menschen zuteil wurde.
Widersprüchliche Folgen
Die Konsequenz der Gleichbehandlung aller unwissenden
Polytheisten
Wie zuvor schon angesprochen wurde, muss die fehlerhafte Einschätzung
des Glaubensbekenntnisses auch weitere fehlerhafte Konsequenzen
nach sich ziehen.
Auch wurde dies bereits bei der Besprechung der Religion Abrahams (mil-
latu Ibrāhīm) an einem Beispiel demonstriert. Die vorislamischen, arabi-
schen Götzendiener zählten sich zum dīn von Ibrāhīm und waren dar-
über hinaus sogar davon überzeugt bei Allah eine besonders hohe
Stellung zu haben, weil sie die Hüter der kaʿbah, des von Ibrāhīm er-
bauten Hauses waren.
Jene Götzendiener glaubten auch an die Existenz Allahs, beteten Ihn an
und verrichteten einige ihrer rituellen Handlungen (ʿibādāt) sogar nur für
Ihn. Sie bekannten sich also zum allgemeinen Islam und glaubten sich
selbst auf dem dīn von Ibrāhīm . Dies alles machte sie aber im Konsens
nicht zu Muslimen.
Wer also einen Polytheisten aufgrund seines Bekenntnisses zum speziel-
len Islam von Muḥammad als Muslim betrachtet, kommt keinesfalls
umhin, jene früheren Polytheisten ebenso als Muslime zu bezeichnen.
153
Die Lehre des Monotheismus
Die damaligen Polytheisten müssten dann sogar noch eher Muslime ge-
wesen sein, da die Unwissenheit bei ihnen viel stärker verbreitet war, als
in der Zeit nach der Entsendung des Propheten bis zum heutigen Tage.
Immerhin gab es damals kein vollständiges unverfälschtes Buch von
Ibrāhīm wie den Koran heute. Die Menschen kannten zu jener Zeit,
wenn überhaupt, nur die Überreste der Religion von Ibrāhīm , ohne
auch nur einen niedergeschriebenen Vers von diesem Propheten zu be-
sitzen.
Wer eine Art des širk ignoriert, muss alle anderen auch
ignorieren
Auch müssten die Vertreter dieser Irrmeinung sagen, dass man bei allen
Formen des Polytheismus gleichermaßen Muslim sein könne. Wenn ein
Mensch dem Schöpfer also einen zweiten Schöpfer, ein Kind oder eine
Mutter beigesellt, oder die Eigenschaft des göttlichen allumfassenden
Wissens jemand anderem beimisst, müsste er demnach ohne Weiteres
ebenso ein Muslim sein können. Wie die Vertreter dieser fehlerhaften
Ansicht auch beim Polytheismus in der Anbetung meinen, wären dafür
wiederum nur zwei Voraussetzungen notwendig:
1) dass dieser mušrik sich zum Islam – in diesem Fall also zum allgemei-
nen Islam, der Religion von Abraham – zählt.
2) dass er nicht wusste, dass der von ihm praktizierte Polytheismus der
Kernaussage dieses allgemeinen Islam widerspricht.
Dasselbe müsste auch für Menschen gelten, die einen Propheten wie ʿĪsā/
Jesus oder die Engel anbeten. Auch sie müssten aufgrund ihres Be-
kenntnisses und der gleichzeitigen Unkenntnis zweifelsohne als Muslime
gelten.
Wenn ein Vertreter jener falschen Sichtweise diese Konsequenzen nun
als völlig absurd ablehnt, so hat er dadurch den Widerspruch nur bestä-
tigt, da es nicht zulässig wäre, ohne irgendeinen Beweis zwischen dem
einen Polytheisten und dem anderen zu unterscheiden.
Letztlich müsste so jemand sagen, dass der islambekennende Polytheist
ein Muslim sein könne, im Gegensatz zu Polytheisten, die sich zu anderen
Religionen bekennen. Es wäre eine willkürliche Unterscheidung, die jeder
plausiblen Argumentation entbehrt.
154
Die Lehre des Monotheismus
Viele Polytheisten müssten noch eher Muslime sein als jene, die
sich heute zum Islam bekennen
Tatsächlich müsste nach dieser Meinung auch ein Mensch, der diverse
Propheten oder Engel anruft, noch eher ein Muslim sein als jemand, der
beliebige andere Tote anfleht. Dies, da die Propheten in allgemeiner
Übereinstimmung der Muslime sicher besser waren als alle anderen
Menschen.
Wenn ein Mensch also einen Nicht-Propheten anbetet und trotzdem
Muslim sein kann, muss jemand, der einen Propheten anbetet, viel eher
entschuldigt sein können. In Wirklichkeit ist es jedoch völlig gleich, was
oder wen diese Leute anbeten, aus Sicht der ursprünglichen islamischen
Lehre können solche Leute mit Sicherheit nicht als Muslime gelten.
Auch hier ist es gut möglich, dass die Vertreter jener verzerrten Meinung
solche Konsequenzen nicht annehmen wollen. Wiederum lautet dann
aber die Frage, wie der Unterschied zwischen diesen Polytheisten defi-
niert werden könnte, wo doch alle davon gleichsam eine Anbetung zu je-
mand anderem als Allah verrichten?
Ebenso müsste es sich bei den verschiedenen Arten der Anbetung verhal-
ten. Wenn der Islam einer Person, trotz der Anrufung der Toten um
Dinge, die nur Allah erfüllen kann, weiterbestehen könnte, so würde
er ebenso mit jeder anderen Art des širk weiterbestehen.
Würde ein Mensch sich also vor Götzen niederwerfen, sie küssen und in
Wort und Tat verehren und anbeten, müsste er gemäß dieser Sichtweise
sicher ein Muslim sein können. Er müsste dazu lediglich a) unwissend sein
und b) sich zum Islam bekennen.
Wenn jemand jedoch bei einer speziellen Art des širk meint, so ein
Mensch könne unmöglich als entschuldigter Muslim gelten, bei einer an-
deren aber wäre dies möglich, so müsste er für diese Unterscheidung
155
Die Lehre des Monotheismus
156
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Die Lehre des Monotheismus
َْ َ َ ُ َّ َ َ ُ َ َ ََ ُ َ َ ََ ْ
وح فل َّما هلكوا أ ْوح الشيْ َطان إِل ق ْو ِم ِه ْم أن َ اء ر َجال َصاْل
ٍ ْي ِم ْن ق ْومِ ن ِِ ُ َ ْ
ٍ ِ اللَك ِع أسم
ْ ُْ ََ ُ ََ َ َ َْ َ ْ َ ُ َ َّ ََ َ ْ
ان ِصبُوا إِل َمال ِ ِس ِه ْم ال ِت َكنوا َي ِل ُسون أن َصابًا َو َس ُّموها بِأ ْس َمائِ ِه ْم فف َعلوا فل ْم تعبَد َح ََّّت
ْ ْ ْ َ ََ َ َ ُ َ َ َ َ
وَلك َوتن َّسخ ال ِعل ُم ُع ِب َدت ِ ِإذا هلك أ
(Es sind) die Namen von rechtschaffenen Männern, vom Volk von
Nūḥ. Als diese starben, gab ihnen der Satan ein, Statuen mit ihren
Namen zu benennen und (diese) in ihren Sitzungen aufzustellen.
Schließlich taten sie dies auch. Diese Statuen wurden aber nicht an-
gebetet, bis diese Leute starben und das Wissen ausgelöscht
wurde. Erst danach wurden sie angebetet.
ُ َ َ ُ ْ ك ْم ِم ْن إ َ ٍَل َغ
ُ َ َ َ َّ ْ َ َ ََ َ َ ً ُ َْ َ َْ ْ ََ
ْي ُه إِِن أخاف ِ وحا إِل ق ْو ِم ِه فقال يَا ق ْومِ اعبُ ُدوا اَّلل ما ل ﴿لقد أرسلنا ن
َ
َ َْ َ َ ْ ُ ْ َ َ
﴾يم ٍ عليكم عذاب يومٍ ع ِظ
Wir hatten bereits Nūḥ zu seinem Volk geschickt. Da sagte er: Oh
mein Volk! Betet Allah (alleine) an. Es gibt für euch nichts ande-
res Anbetungswürdiges. Ich fürchte um euretwillen einen Tag von
gewaltiger Strafe. [Sure al-Aʿrāf, 7:59]
158
Die Lehre des Monotheismus
Dieses eine Beispiel soll an dieser Stelle genügen. Wer den Koran auf-
merksam liest, wird definitiv feststellen, dass der Monotheismus als ei-
gentliche Botschaft aller Propheten immer wieder in dieser Art verdeut-
licht wird.
Auch sei hier an die Aussage des frühen Koran-Exegeten Ibnu Ǧarīr aṭ-
Ṭabarī über den Vers in Sure az-Zumar [39:29] erinnert, als er sagte:
ُ َّ ُ َ َ َو َما ي َ ْستَوي َه َذا ال ْ ُم ْش:اؤ ُه ُ َ َ َّ َ ُ ُ َ َ ُ َ ْ َ ْ ُ ُ َ ْ َ ْ َ
اَّلي ه َوِ َو،َتك ِفي ِه ِ ﴿بل أكَثهم َل يعلمون﴾ يقول جل ثن
َ َ َّ َ
َ ون أن ُه َما َل ي َ ْستَو َ ُ ْ َ َ َ َّ َ ْ ُ َ بَ ْل أَ ْك،اح ٍد
ُ ْ َث َه ُؤ ََل ِء ال ُ ُ ْ ُ ٌ َُْ
ف ُه ْم،ان
ِ ِ ي م ل ع ي َل َّلل
ِ اِ ب ْي كِ ْش
ِ م ِ منف ِرد ملكه ل ِ َو
َّ ُ ْ َّ َ ً َ َ ُ ُ ْ َ َ َ ْ ْ َ
.اَّلل
ِ ون ِ ِِبه ِل ِهم بِذلِك يعبدون آلِهة شَّت ِمن د
„Die meisten aber wissen es nicht“, d.h.: Dieser unter mehreren
(Herren) Aufgeteilte und derjenige, der nur einem Herrn gehört,
sind sich nicht gleich.
Aber die meisten dieser „Allah etwas Beigesellenden“ wissen nicht,
dass diese beiden sich nicht gleichen. In ihrer Unwissenheit darüber
beten sie etliche unterschiedliche ālihah neben Allah an.
ْ َ ُ ُ ُ َ ْ َ َ َ ْ ُ ْ ُ ْ َ ْ َ ْ َ ُ َ َ َّ َ َّ َ َ َ
وِل ق ْرَب ِم ْن َبع ِد َما
ِ ْش ِكْي ولو َكنوا أ
ِ اَّلين آمنوا أن يستغ ِفروا لِلم
ِ ﴿ما َكن لِلن ِب و
َْ ُ َ ْ َ ْ ُ َّ َ ْ ُ َ َ َّ َ َ
﴾يمِ تبْي لهم أنهم أصحاب اْل ِح
159
Die Lehre des Monotheismus
Es gebührt dem Gesandten und den muʾminīn nicht130, dass sie für
die mušrikīn um Vergebung bitten – selbst wenn diese Verwandte
sein sollten – nachdem ihnen deutlich wurde, dass sie doch die
Weggenossen der Hölle sind. [Sure at-Taubah, 9:113]
Die Aussage des Koran ist also, dass der Muslim für den mušrik nicht um
Vergebung bitten131 darf. In den Aussagen der frühen Gelehrten (as-salaf)
wird dies dahingehend konkretisiert, dass es hier um das Verbot des
istiġfār für einen bereits verstorbenen Polytheisten geht. Überlieferun-
gen hierzu werden z. B. in den beiden tafsīr-Werken von Ibnu Abī Ḥātim
und aṭ-Ṭabarī bei der Erklärung dieses Koran-Verses erwähnt.
Wie deutlich zu sehen ist, wird in dem Vers ein allgemeines islamrechtli-
ches Urteil formuliert. Dabei wird das Wort mušrikūn verwendet, welches
ausnahmslos alle Polytheisten umfasst. Es wäre ein falsches Verständnis
dieses Verses, anzunehmen, dass sich dieses Verbot nur auf jene Polythe-
isten beziehen würde, von denen man sicher weiß, dass die Botschaft sie
erreichte und sie ausreichende Kenntnis über ihren Inhalt besaßen.
Deshalb entnahmen die frühen muslimischen Rechtsgelehrten aus die-
sem Vers auch ein allgemeines Verbot. Jene Rechtsgelehrten (fuqahāʾ)
behaupteten also nicht, dass man unterteilen müsse und für manche, be-
reits verstorbene Polytheisten aufgrund deren Unwissenheit um Verge-
bung bitten dürfe.
Ein weiteres Beispiel aus dem Koran ist folgender Vers:
130 Bzw. „es gehört sich nicht“. Eine Stilform im Arabischen, mit der gemeint
ist: „er darf nicht“ bzw. „es ist ausgeschlossen, dass er das macht“.
131 Im Arabischen: istiġfār
160
Die Lehre des Monotheismus
Auch hier ist mit dem allgemeinen Wort mušrikūn sicherlich jeder mušrik
gemeint. Wiederum wird an dieser Stelle deutlich der Grund für die Be-
zeichnung dieser Menschen als mušrikūn erwähnt. Die Ursache für diese
Bezeichnung war, dass diese Menschen sich šurakāʾ neben Allah nahmen,
welche sie neben Ihm zu Teilhabern in der Anbetung machten – ungeach-
tet dessen, ob diese Menschen sich ihrer verwerflichen Handlungen und
deren Konsequenzen nun bewusst waren oder nicht.
Ein weiteres Beispiel ist der folgende Vers:
َ َ ُ ْ ُ ْ َ ُ َّ َ َ َ َ َ ْ َ َّ َ ُ ْ َ َ َ َ َ َ ْ َ ْ ُ ْ َ ٌ َ َ ْ َ
اَّلل ث َّم أبْ ِلغه َمأ َمنَه ذلِك
ِ ْش ِكْي استجارك فأ ِجره حَّت يسمع َكم
ِ ﴿وإِن أحد ِمن الم
َ ُ َ ْ َ َ ٌ ْ َ ْ ُ َّ َ
﴾بِأنهم قوم َل يعلمون
Und wenn einer von den mušrikīn dich um Asyl bittet, dann ge-
währe ihm Asyl, bis er die Worte Allahs vernommen hat133, sodann
geleite ihn zum Ort seiner Sicherheit. Dies, weil sie Menschen
sind, die nicht wissen. [Sure at-Taubah, 9:6]
132Dieser Satz lässt sich unter Beibehaltung der Satzstellung kaum oder gar
nicht in richtiges Deutsch übertragen, weshalb er in der obengenannten Art
formuliert wurde. Die Bedeutung lässt sich folgendermaßen verdeutlichen:
„Ebenso ließen jene Beigesellten, welche von den Götzendienern angebetet
wurden, diesen Götzendienern das Töten ihrer Kinder schön erscheinen.“
133 bzw.: „bis er das Wort Allahs vernimmt“ oder auch „vernehmen kann“.
161
Die Lehre des Monotheismus
134 Also: Sie richteten Bittgebete an Allah und wandten sich nur an Ihn, mach-
ten dabei also keinen širk. Es wird im Arabischen wieder das Wort muḫliṣīn
verwendet, das – wie zuvor schon mehrfach ausgeführt – aussagt, dass man
seine Religion, Riten und gottesdienstlichen Handlungen vom Polytheismus
reinigt.
162
Die Lehre des Monotheismus
Auch dieser Koran-Vers ist von äußerster Deutlichkeit. Hier wird zudem
nicht der ismu l-fāʿil (Partizip aktiv) „mušrikūn“ verwendet, sondern das
Verb „yušrikūn“. Es kann also keinen Zweifel geben, dass es sich hierbei
in jedem Fall um Leute handelt, die širk praktizieren, da hier ausdrücklich
die Tat selbst genannt wurde.
Auch an folgender Stelle wird dieser Sachverhalt wiederum augenschein-
lich:
In diesem und den folgenden beiden Versen ist erwähnt, dass die darin
genannten Vorfahren den širk praktizierten. Dabei wird wieder das Verb,
in diesem Fall in der Vergangenheitsform ašraka, verwendet.
Kein Zweifel also, dass diese Leute aufgrund ihrer polytheistischen Hand-
lungen mušrikūn waren. Wären jene Vorfahren keine mušrikūn gewesen,
würde die beschriebene Argumentation der im Vers erwähnten Nachfah-
ren und somit der ganze Vers seinen Sinn verlieren.
Wer auch immer den Polytheismus praktiziert, ist demgemäß ein mušrik,
ungeachtet seines Wissensstandes über die Inhalte der prophetischen
Botschaft.
Dasselbe ist über die beiden folgenden Verse zu sagen:
َّ ُ َ ُُ ْ َ َ َّ َ َْ َ َ َْ ُ َ ََ
﴿فَل تك ِِف ِم ْر َي ٍة ِم َّما يعبُ ُد ه ُؤَل ِء َما يعبُ ُدون ِإَل ك َما يعبُ ُد آبَاؤه ْم ِم ْن قبْل َوإِنا
ُ ْ َ ْ َ ْ ُ َ َ ْ ُ ُّ َ ُ َ
﴾ْي َمنقوص لموفوهم ن ِصيبهم غ
So sei nicht im Zweifel über das, dem diese dienen. Sie dienen nur,
wie ihre Väter zuvor gedient haben. Und Wir werden ihnen ihren
Anteil fürwahr unvermindert zukommen lassen. [Sure Hūd, 11:109]
163
Die Lehre des Monotheismus
َ َْ
( َما تعبُ ُدون39) ار ُ َّ ِْي أَم
ُ اَّلل ال ْ َواح ُد الْ َق َّه َ ُ َ َ ُ ٌ َ ْ ََ ْ
ٌ ْ ون َخ اح َ ِب السج ِن أأرباب متفرق َ َ
ِ ِ ﴿يا ص
ْ ْ
ان إِ ِن اْلُك ُم َ ْ ُ ْ َ ُ َّ َ َ ْ َ َ ْ ُ ُ َ َ ْ ُ ْ َ َ ُ ُ ْ َّ َ ً َ ْ َ َّ ُ ْ
ٍ ِمن دونِ ِه إَِل أسماء سميتموها أنتم وآباؤكم ما أنزل اَّلل بِها ِمن سلط
َ ََْ َ
﴾اس َل يعل ُمون َّ َث
ِ انل َ َ ين الْ َقي ُم َولَك َّن أَ ْك َ َ ُ َّ َّ ُ ُ ْ َ َّ َ َ َ َ َّ َّ
ُ ك ادل ِ َّلل أمر أَل تعبدوا إَِل إِياه ذل
ِ ِ ِ ِإَل
Oh ihr beiden Kerkergenossen! Sind verschiedene (angebetete)
Herren besser, oder Allah, der Eine, Der Allbezwingende?! (39)
Ihr dient135 anstelle von Ihm eigentlich nichts außer Namen, die ihr
und eure Ahnen vergaben, für die Allah niemals eine Ermächti-
gung herabsandte. Die Entscheidung136 liegt doch nur bei Allah.
Er hat geboten, dass ihr nichts dient außer Ihm. Dies ist die gerad-
linige Religion; doch die meisten Menschen wissen es nicht.
[Sure Yūsuf, 12:39-40]
164
Die Lehre des Monotheismus
165
Die Lehre des Monotheismus
Dieses theologische Faktum ist für manche Menschen heute schwer an-
nehmbar, verändert es doch ihr Weltbild und ihre Vorstellung von der
eigenen Religion in mehrerlei Hinsicht. Schließlich können es die eigenen
Verwandten und Vorfahren sein, die gemäß diesem Verständnis nicht als
Muslime bezeichnet werden können.
Diese unangenehme Situation veranlasste manche Menschen, irgend-
welche Erklärungen zu finden, um die authentische Aussage der islami-
schen Quelltexte zu entkräften – bei der Vielzahl und Deutlichkeit dieser
Quelltexte ein aussichtsloses Unterfangen.
Ein großes Problem hierbei ist die grundlegend fehlerhafte Herangehens-
weise an die islamischen Quellen. So findet man viele Menschen, die sich
mit mehrdeutigen oder auch klar fehlerhaften Aussagen späterer Gelehr-
ter begnügen wollen, um mit ihrer – oft nur scheinbaren – Bedeutung die
Kernaussage des islamischen Monotheismus zu entkräften.
Andere wiederum klammern sich bewusst an mehrdeutige Aussagen,
seien diese auch vom Koran selbst, um den ihnen unangenehmen Er-
kenntnissen zu begegnen.
Aus diesem Grund soll im Folgenden auf derartige Fehler in der Vorge-
hensweise kurzgefasst eingegangen werden.
166
Die Lehre des Monotheismus
ٌ َ َ َ ُ ٌ َ َ ْ ُ ٌ َ ُ ْ َ َ ْ َ ْ َ َ َ َ ْ َ َّ َ ُ
َات ُه َّن أُ ُّم الْكت
اب َوأخ ُر ُمتشابِ َهات ِ ِ كتاب ِمنه آيات ُمكمِ اَّلي أنزل عليك ال ِ ﴿هو
ْ َ َ ْ َ ْ ْ َ ْ ُ ْ َ َ َ َ َ َ ُ َّ َ َ ٌ ْ َ ْ ُ ُ َّ َّ َفَأ
َ اء ال ِفتن ِة َواب ِتغ
﴾اء تأ ِوي ِل ِه َ اَّلي َن ِف قلوبهم زيغ فيتبعون ما تشابه ِمنه اب ِتغ
ِ ا م
ِ ِِ ِ
Er ist Derjenige, Der auf dich die Schrift hinabgesandt hat, in der
eindeutige Verse (āyāt muḥkamāt) sind – sie sind der Kern des Bu-
ches137 – und andere mehrdeutige (mutašābihāt). Was jene betrifft,
in deren Herzen Abweichung ist, so folgen sie dem, was darin
mehrdeutig ist138, im Streben nach Irreführung (fitnah) und in
Bestrebung nach (irriger) Auslegung. [Sure Āli ʿImrān, 3:7]
137 Im Arabischen „ummu l-kitāb“, was wörtlich „Mutter“, oder eher „Quelle/
167
Die Lehre des Monotheismus
In einer weiteren Überlieferung dieses ḥadīṯ bei Muslim findet sich der-
selbe Wortlaut, wobei die Ansprache aber im Plural gehalten ist:
َّ ْ َ َ
ِ إِذا َرأيتم
َ اَّل
... ين
Wenn ihr diejenigen seht…
Der Prophet warnte demgemäß seine Frau und seine gesamte Gemein-
schaft vor jenen, die den mehrdeutigen Texten folgen. Die Anweisung,
sich vor diesen Leuten zu hüten, ist offensichtlich an alle Muslime gerich-
tet, weshalb die Ansprache in der zweitgenannten Überlieferung auch im
Plural formuliert wurde.
Des Weiteren wurde im Zusammenhang mit dem zuvor genannten Vers
der Sure Āli ʿImrān eine Begebenheit überliefert, an der sich der gesamte
Sachverhalt sehr gut veranschaulichen lässt.
168
Die Lehre des Monotheismus
Ibnu Hišām erklärt hier also, wie jene christlichen Abgesandten mit mehr-
deutigen Texten des Koran argumentierten. Gemäß ihrer Argumentation
spricht Allah von Sich selbst im Plural, worin sie eine Bestätigung für
die Dreifaltigkeit erkennen wollten.
Tatsächlich kann das Wort „Wir“ in der arabischen Sprache jedoch zwei
Bedeutungen haben:
1) Jemand, der von einer Gruppe von Personen berichtet, der er selber
angehört – also eine tatsächliche Mehrzahl von Personen.
2) Der sogenannte Majestätsplural, bei dem eine einzelne Person von
sich selbst in der Mehrzahl spricht. Diese Form ist auch im Deutschen
geläufig und wurde bekanntermaßen z. B. für Monarchen verwendet.
Das Wort „Wir“ ist somit mutašābih, also mehrdeutig. Wie man hier auch
deutlich sieht, ist das Wort bei seiner Verwendung im Koran, selbst bei
Grundkenntnissen über den Islam, sicher nicht unklar, auch wenn es in
der Sprache an sich zwei unterschiedliche Bedeutungen trägt.
169
Die Lehre des Monotheismus
Der Leser des Koran ist verpflichtet, das Mehrdeutige auf das Eindeutige
zurückzuführen139. Tut er dies nicht, wird dies sicher zu starken Wider-
sprüchen und völlig falschen Schlussfolgerungen führen.
In Bezug auf den oben erwähnten Fall des Wortes „Wir“ liest man im Ko-
ran z. B. in einem Vers, den so ziemlich jeder Muslim kennen dürfte:
ٌ َ ُ َّ َ ُ ْ ُ
﴾اَّلل أ َحد ﴿ق ل ه و
Sag: Er ist Allah, ein Einziger. [Sure al-Iḫlāṣ, 112:1]
Des Weiteren gibt es unzählige Stellen im Koran, die diesen Inhalt unzwei-
felhaft und explizit ausdrücken. Das Problem jener christlichen Abgesand-
ten lag nicht daran, dass sie überhaupt keine Kenntnis über diese Stellen
besaßen. Es ist auszuschließen, dass sie noch nie von der Ablehnung der
Dreifaltigkeit im Koran gehört hatten und ihnen darüber hinaus auch kein
einziger Text im Rahmen der Diskussionen über den Islam mitgeteilt
wurde.
Spätestens in den von Ibnu Hišām beschriebenen Gesprächen hätten sie,
ob der Klarheit des Sachverhalts, sofort einlenken müssen. Jedoch hielten
sie in irrationaler Weise an ihrer falschen Auslegung fest, um die eigene
Argumentation nicht aufgeben zu müssen. Genau diese Vorgehensweise
legten auch viele Sekten der frühislamischen Geschichte an den Tag.
170
Die Lehre des Monotheismus
Ebenso sieht man diese falsche Methodik bei der in diesem Buch disku-
tierten Frage, ob ein Mensch trotz Polytheismus als Muslim bezeichnet
werden könne. Die eindeutigen und zahlreichen islamischen Texte dazu
verneinen dies ausdrücklich.
Bei der muslimischen Gelehrsamkeit gilt es seit jeher als theologisches
Grundprinzip, dass man mehrdeutige Stellen nie gegensätzlich zu den fes-
ten und unumstößlichen Grundsätzen der Religion, den sog. kulliyyāt aus-
legen darf. Wie sollte es sich dann beim Fundament verhalten, auf dem
die gesamte Religion aufgebaut ist und um welches sich all ihre weiteren
Gesetze und Angelegenheiten drehen?
Wer jedoch irgendwelche vereinzelten Texte unbedingt isoliert betrach-
ten und aus dem Kontext reißen will, der wird dazu – ebenso wie jene
christlichen Abgesandten oder diverse frühislamische Sekten – immer
eine Möglichkeit finden.
Unter den tausenden Überlieferungen vom Propheten findet man na-
türlich nicht selten mehrdeutige Texte, die sich hierfür missbrauchen las-
sen.
Die frühen Gelehrten der Muslime waren sich voll über die Grundlage des
Islam und seine grundlegenden Prinzipien (kulliyyāt) im Klaren. Aus die-
sem Grund war es für sie selbstverständlich, dass solche Texte in jedem
Fall im Einklang mit dem Koran und der Sunnah ausgelegt werden müs-
sen. Wenn ein solcher mehrdeutiger Text eine für sie unklare Aussage
hatte, versuchten die muslimischen Gelehrten diesen auf verschiedenste
Art und Weise auszulegen, jedoch bewusst nicht auf die eine Art, die mit
dem Glaubensfundament in Konflikt gerät. Die verschiedenen überliefer-
ten Auslegungsmöglichkeiten zu einigen solchen Texten zeigen dieses Be-
streben der islamischen Gelehrsamkeit ausgesprochen deutlich.
Je mehr die Zeit jedoch voranschritt und je größer die Unwissenheit über
die ursprünglichen Texte wurde, umso öfter kam es bei den Anhängern
des Islam auch zu Unklarheiten über das Fundament und die grundlegen-
den Prinzipien. Aus diesem Grund tun sich viele Menschen heute schwer,
solche mehrdeutigen Texte in der richtigen Art und Weise auszulegen. Es
ist schwer möglich, derartige Texte im Einklang mit den islamischen
Grundprinzipien auszulegen, wenn man die Grundprinzipien an sich nicht
richtig verstanden hat.
171
Die Lehre des Monotheismus
Merkwürdig ist, dass manche Personen, die heute als Gelehrte angese-
hen werden, ebendiese Regel bei deutlichen Grundfragen der Glaubens-
lehre außer Kraft setzen, während sie dieselbe Regel bei untergeordne-
ten Fragen der ḥadīṯ-Wissenschaften und des islamischen Rechts lehren
und ihre Umsetzung vehement einfordern – ein überaus klarer Wider-
spruch.
Viele nichtstudierte Menschen wiederum nehmen solche Scheinargu-
mente dankend an. Bei den meisten davon scheint es ziemlich gleichgül-
tig zu sein, wie absurd eine Aussage ist, solange sie von einem ihrer an-
gesehenen Großgelehrten kommt. Die Möglichkeit des Fehlers wird bei
Personen mit einer solchen Denkweise in Bezug auf solche Gelehrte im
140Im Arabischen bei der Gelehrsamkeit oft als „naṣṣ bzw. an-naṣṣ“ bezeich-
net.
172
Die Lehre des Monotheismus
173
Die Lehre des Monotheismus
174
Die Lehre des Monotheismus
delt sich dabei in erster Linie um Muslime, die erst vor sehr kurzer Zeit in den
Islam eingetreten waren. Dies, weil die meisten davon erst bei der friedlichen
Eroberung Mekkas zum Islam kamen, welche vor diesem Auszug stattfand.
146 Sure al-Aʿrāf, 7:138
147Bei dieser letztgenannten Feststellung handelt es sich um die Einschät-
zung dieses ḥadīṯ von at-Tirmiḏī, welcher diesen ḥadīṯ in seinem Werk über-
…--
175
Die Lehre des Monotheismus
lieferte. Die Wörter ḥasan (gut) und ṣaḥīḥ (gesund) sind Fachbegriffe aus der
ḥadīṯ-Wissenschaft und beschreiben die Güte bzw. den Grad der Authentizi-
tät eines ḥadīṯ.
176
Die Lehre des Monotheismus
So etwas würde nur jemand machen, der es ganz bewusst darauf anlegt,
diesen ḥadīṯ im Gegensatz zur islamischen Glaubenslehre auszulegen.
In Wirklichkeit beabsichtigten jene Gefährten, dass der Prophet seinen
Herrn darum bitten solle, einen Baum zu segnen – ähnlich dem Baum,
den sie selbst aus ihrer Zeit vor dem Islam kannten. Durch den Segen
Allahs sollten auch ihre Waffen gesegnet werden.
Dass Allah nun einen speziellen Ort oder Gegenstand segnet, ist gemäß
der islamischen Lehre grundsätzlich nichts Abzulehnendes. Schließlich
gibt es bekannte Orte wie die Moscheen von Mekka, Medina und Jerusa-
lem, auf die genau das zutrifft – für Muslime ist dieser Umstand also
nichts Ungewöhnliches.
177
Die Lehre des Monotheismus
178
Die Lehre des Monotheismus
148 Zwei Orte. Durch die dort abgehaltenen Märkte waren diese Orte wichtige
179
Die Lehre des Monotheismus
ten des Propheten dies nicht wussten, wobei sie von den anderen
Muslimen umgeben waren, die schon länger im Islam waren. Nicht zu
vergessen, dass sich seit ihrem Übertritt zum Islam auch der Prophet
selbst unter ihnen befand.
Aus dem Gesagten wurde also deutlich, dass es keinen Grund gibt, davon
auszugehen, dass diese Prophetengefährten den tatsächlichen Polytheis-
mus verlangten.
Sollte man dennoch Aussagen von späteren Autoren finden, die meinen,
es wäre in dem ḥadīṯ der große širk verlangt worden, so ist dazu Folgen-
des zu sagen:
1) Die Aussage eines späteren Gelehrten und sein Verständnis eines
Textes sind überhaupt kein Maßstab. Solche Aussagen haben keiner-
lei Beweiskraft in der Religion und müssen deshalb immer hinterfragt
und an den Quelltexten der šarīʿah gemessen werden. Letztlich kann
es sich bei der Aussage eines solchen Gelehrten immer um einen kla-
ren Fehler handeln.
2) Selbst bei der Annahme, jene Prophetengefährten hätten den gro-
ßen širk verlangt, wäre dies keinesfalls ein Argument, um die Grund-
aussage des Islam außer Kraft zu setzen.
In so einem Fall wäre es evident, dass diese im ḥadīṯ erwähnten Per-
sonen bis zu jenem Zeitpunkt innerlich den Islam noch nicht verstan-
den hatten. Da dies in dem angenommenen Fall äußerlich nicht sicht-
bar gewesen wäre, hätte niemand von ihrer Unkenntnis gewusst. Wie
der ḥadīṯ zeigt, waren sie selbst sich ihrer eigenen Unkenntnis nicht
bewusst, weshalb sie die Frage auch offen formulierten.
Zu einem tatsächlichen Abfall vom Islam wäre es in so einem Fall also
gar nicht gekommen, da diese Personen den Fehler aufgrund ihrer
Unwissenheit begingen und nach dem Hinweis sofort einsichtig wa-
ren und von ihrer Bitte reuig abließen.
Gemäß so einer Vorstellung über den ḥadīṯ, bekannten sich diese
Leute zum Islam und waren demzufolge vor ihrer im ḥadīṯ erwähnten
Aussage rechtlich Muslime. So gesehen wären sie also innerlich noch
nicht in den īmān eingetreten, auch wenn sie äußerlich als Muslime
galten. Sie mussten auch als solche betrachtet werden, da niemand
180
Die Lehre des Monotheismus
149Wie zuvor bereits angemerkt: aš-Šām, die Länder im Norden der arabi-
schen Halbinsel.
150Warf sich also vor dem Propheten nieder. Das arabische Wort suǧūd
bedeutet Niederwerfung. Es wird jedoch stellenweise darauf hingewiesen,
dass dieses Wort in seinen sprachlichen Bedeutungen auch ähnliche Gesten
beschreiben kann.
181
Die Lehre des Monotheismus
Muʿāḏ antwortete darauf: „Ich sah im Šām, wie die Leute sich vor
ihren Priestern niederwarfen. Da empfand ich den Wunsch, dies dir
gegenüber ebenfalls zu tun.“
Der Prophet erklärte ihm daraufhin: „Tut das nicht! Wenn ich je-
mandem befehlen würde, sich vor etwas anderem als Allah nieder-
zuwerfen, dann würde ich der Frau befehlen, sich vor ihrem Ehe-
mann niederzuwerfen.“
Auch dieser ḥadīṯ wird von manchen Menschen für die mehrfach ge-
nannte fehlerhafte Argumentation herangezogen. Wiederum wird be-
hauptet, ein Prophetengefährte, in dem Fall Muʿāḏ ibnu Ǧabal , hätte
zu diesem Zeitpunkt den Islam nicht verstanden und durch diese Nieder-
werfung den Propheten angebetet. Das Ziel davon ist wiederum, zu
zeigen, dass ein Mensch, trotz der Anbetung anderer Dinge neben Allah,
ohne weiteres ein Muslim sein könne.
Jemand, der die tatsächliche Bedeutung des tauḥīd verstanden hat, muss
dies aber ohne zu zögern ablehnen und sicher sein, dass es eine andere
Auslegung für diesen ḥadīṯ gibt, auch wenn er selbst bislang diese Ausle-
gung nicht kennt.
Auch bei diesem ḥadīṯ wird man keinen namhaften frühen Gelehrten fin-
den, der diese beschriebene, falsche Schlussfolgerung formuliert hätte.
182
Die Lehre des Monotheismus
183
Die Lehre des Monotheismus
153 Hierbei handelt es sich um einen Zweifel eines der Überlieferer, der eben-
184
Die Lehre des Monotheismus
Da sah er wie die Christen sich vor ihren Bischöfen und Priestern
niederwarfen. So kam in ihm die Überlegung auf, dass der Prophet
mehr Recht dazu hätte, geehrt zu werden.
Als er zurückkam, erzählte er dem Propheten davon und sagte
ihm: „Da wollte ich dasselbe für dich tun, weil ich dachte, dass du
mehr Recht darauf hättest, geehrt zu werden.“
Der Prophet antwortete ihm: „Wenn ich jemandem befehlen
würde, dies zu tun, dann würde ich der Frau befehlen, sich vor ih-
rem Mann niederzuwerfen.“
185
Die Lehre des Monotheismus
Diverse Behauptungen
„Die Fehler sind den Muslimen verziehen“
Manche Leute wollen die irrige Vorstellung eines polytheistischen Mus-
lims durch die Behauptung erhärten, der Gemeinschaft Muḥammads ,
also den Muslimen, würden all ihre Fehler von Allah nachgesehen, so-
fern sie es nicht besser wussten. Hierzu führen sie folgenden Vers an:
ُ ُ ُ ُ ْ َ َّ َ َ َ ْ َ َ ْ ُ ْ َ ْ َ َ ٌ َ ُ ْ ُ ْ َ َ َ ْ َ َ
﴾وبكم كن ما تعمدت قل ِ ﴿وليس عليكم جناح ِفيما أخطأتم بِ ِه ول
Es ist für euch keine Sünde in dem, worin ihr einen Fehler ge-
macht habt, sondern was eure Herzen vorsätzlich anstreben.
[Sure al-Aḥzāb, 33:5]
186
Die Lehre des Monotheismus
Aus islamischer Sicht stellt sich die Frage, wie diesen Menschen ihr širk
vergeben werden soll, wo im Koran doch ausdrücklich gesagt wird, dass
ebendieser širk nicht vergeben wird?
Solche Gedanken erinnern stark an die Idee des auserwählten Volkes im
heutigen Judentum. Wer mit der Bezeichnung „Muslim“ geboren wurde,
bzw. wer dies im Pass stehen hat, genießt das Privileg, zur auserwählten
Gruppe zu gehören. Egal was er macht, am Ende wird er schließlich als
etwas besserer oder schlechterer Auserwählter ins Paradies eingehen.
Diese eigenartige Idee ist natürlich absurd und dem Islam völlig fremd.
Umso bezeichnender für die vorherrschende Unwissenheit der Leute, die
sich heute als Muslime ansehen, dass sehr viele von ihnen dieser Theorie
des auserwählten Volkes bewusst oder unbewusst anhängen.
Das ist auch der Grund, warum sich Leute mit so einer Einstellung kaum
anstrengen, um das Paradies zu erlangen. Der Platz im Paradies ist ihm
oder ihr ohnehin sicher. Die einzige Frage ist vielleicht noch, ob er gleich
seinen Platz im Paradies einnehmen darf oder vorher noch einige wenige
Sünden abbüßen muss. Aus islamischer Sicht also eine Lebensauffassung
mit verheerenden Folgen.
Dieses Scheinargument braucht, nach den bisher schon zahlreich er-
wähnten Beweisen, also keine weitere Erklärung. Wer ein Grundver-
ständnis für den Islam mitbringt, kann so eine Behauptung im Grunde
nicht vorbringen. Bei einem Polytheisten handelt es sich keinesfalls um
einen Angehörigen der „ummah Muḥammads “, deshalb beziehen sich
diese Texte von Grund auf nicht auf solche Leute.
Zusätzlich ist zu sagen, dass ein Muslim nicht einfach aus Vergesslichkeit
oder einem einfachen Fehler Polytheismus betreibt. Diese Vorstellungen
sind absurd. Ebenso ist ein Mensch, der zum „Unglauben“ gezwungen
wird, nicht mit jemandem gleichzusetzen, der Handlungen des Polytheis-
mus aus freien Stücken begeht. Dies ist an sich eine Selbstverständlich-
keit. Das Thema des Zwanges wird in Kürze noch in einem eigenen Kapitel
angesprochen.
187
Die Lehre des Monotheismus
188
Die Lehre des Monotheismus
kein muḫliṣ, kein ḥanīf, folgt nicht der millah von Ibrāhīm und hat
auch das Prinzip der Verleugnung des ṭāġūt nicht umgesetzt.
• Er glaubte darüber hinaus, dass die Toten anbetungswürdig wären
und verlangte deshalb Dinge von ihnen, zu denen nur der Schöpfer
im Stande ist.
• Dass dieser Mann sich zum Islam zählt, ändert nichts an den obenge-
nannten Tatsachen. Genau wie es auch bei den Götzendienern der
Araber keinerlei Unterschied machte, dass sie sich zu Ibrāhīm und
seinem dīn zählten.
• Die Tatsache, dass er diesem erlogenen ḥadīṯ Glauben schenkte, be-
stätigt nur das Gesagte. Hätte er die Grundlage des Islam wirklich ge-
kannt, wäre es undenkbar, dass er sie wegen irgendeiner völlig ge-
gensätzlichen Behauptung einfach verwirft.
Andernfalls wäre es auch möglich, dass ein Muslim jeder beliebigen
Behauptung Glauben schenkt, ohne dass dies irgendeinen Einfluss
hätte. Ein Beispiel hierfür wäre, dass jemand einen Muslim von einem
ḥadīṯ überzeugen will, der angeblich belegt, dass Allah einen Sohn
hätte.
Wäre es denkbar, dass ein Muslim einem solchen ḥadīṯ Glauben
schenkt? Würde man so jemanden auch ohne weiteres als Muslim
bezeichnen, nur weil er sich zum Islam bekennt? Würde man hierbei
auch sagen: „Der Mann ist ein Muslim, denn er wollte ja nur dem Pro-
pheten folgen.“?
Ohne Zweifel würde jeder sofort einwenden, dass dieser Mensch un-
möglich den Islam verstanden haben kann. Dieselbe Reaktion müsste
es auch bezüglich der Person im vorherigen Beispiel geben.
• Dies alles abgesehen von der Tatsache, dass dieses Beispiel weit von
der heutigen Realität entfernt ist. Das Problem ist, dass es den Anhä-
ngern jener Irrmeinung in Wirklichkeit gar nicht um solche vereinzel-
ten, angeblichen Ausnahmesituationen wie im erwähnten Beispiel
geht. Es wird hier also auch eine gewisse Unaufrichtigkeit sichtbar.
Denn solche Leute wenden ihre Schlussfolgerungen nicht nur auf ei-
nen solchen Extremfall an, sondern schließen davon auf alle anderen
189
Die Lehre des Monotheismus
„Jemand, der unter Zwang širk begeht, ist auch kein mušrik“
Bei dieser Behauptung wird der sogenannte ikrāh-Zustand herangezo-
gen, um die eigene Meinung zu stützen. In den islamischen Quellen wird
das Prinzip der Entschuldigung aufgrund von Zwang erwähnt, die auch
durchaus ihre Berechtigung und Gültigkeit hat. Danach ist es unter gewis-
sen Umständen einem Muslim erlaubt, rein äußerlich polytheistische
Aussagen von sich zu geben.
Die Behauptung hierbei ist folgendermaßen: „Wenn der mukrah/Ge-
zwungene trotz seines Polytheismus kein mušrik wird, so bedeutet dies,
dass auch der unwissende mušrik als Muslim gelten kann.“
Tatsächlich verhält es sich jedoch folgendermaßen: Das äußerlich Wahr-
nehmbare bei einem gezwungenen Menschen ist, dass er etwas anderes
als Allah anbetet bzw. dem Islam abschwört oder Ähnliches.
Bei einer kufr-Aussage wäre der Normalfall im islamischen Recht, die Per-
son als Nicht-Muslim zu betrachten. Es wäre nicht zulässig, zu spekulie-
ren: „Diese Person äußerte zwar eine deutliche kufr-Aussage, könnte
aber innerlich den īmān verwirklicht haben.“
Für die frühen Muslime galt im Konsens der Grundsatz der Verbunden-
heit des Inneren und des Äußeren (at-talāzumu baina ẓ-ẓāhiri wa-l-bāṭin).
Würde man diese Verbundenheit nach Belieben trennen können, bliebe
keine Gesetzmäßigkeit der šarīʿah und keine islamrechtliche Beurteilung
mehr aufrecht. Wann immer jemand etwas äußert, könnte die Aussage
annulliert werden, mit der Begründung, die Person könnte ja im Herzen
etwas anderes glauben.
Zu dieser absurden Aussage gelangten nur einige Sekten der Frühzeit des
Islam, vor allem die sogenannten ǧahmiyyah. Es würde im Umfang und
Thema dieses Buches zu weit führen, im Detail auf diese Gruppe einzuge-
hen. Jedoch ist zu bemerken, dass selbst diese abgeirrte Sekte nicht so
weit ging, einen Polytheisten als Muslim zu bezeichnen.
190
Die Lehre des Monotheismus
ك ْن َم ْن
َ َ ْ ِئ ب َّ َ ْ ُ ْ َ َ َ ْ ُ ُ ُ ْ َ ل َ ْ َ ْ َّ َ َ َ ْ َ
ِ ان َولِ اْليم
ِ ِ ِ اَّلل ِمن بع ِد إِيمانِ ِه إَِل من أك ِره وقلبه مطم
ِ ِ﴿من كفر ب
ٌ اب َعظ َ َّ َ ٌ َ ْ ْ َ َ ً ْ َ ْ ُ ْ َ َ َ
ٌ اَّلل َول ُه ْم َع َذ َ َ
﴾يم ِ ِ ِشح بِالكف ِر صدرا فعلي ِهم غضب ِمن
Wer – nach seinem īmān – Allah gegenüber kufr durchführt, außer
derjenige, der (dazu) gezwungen wird, während (jedoch) sein Herz
ruhig mit dem īmān ist155. Wer jedoch die Brust dem kufr öffnet,
auf dem lastet Zorn von Allah. Und für sie ist eine gewaltige
Peinigung bestimmt. [Sure an-Naḥl, 16:106]
155 Es ist
eine Stilform der arabischen Sprache, einen offensichtlichen Satzteil
zu kürzen. Dies geschieht z.B. – wie auch in diesem Fall hier – bei dem Satz-
gefüge: „Wer dies und jenes tut, … (der ist so und so).“
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Die Lehre des Monotheismus
Würde ein Mensch auch ohne die Zwangssituation trotz der deutlichen
Äußerung von kufr oder širk als Muslim bezeichnet werden können, hätte
dieser Vers keinen Sinn. Wäre es so, müsste für den ikrāh-Zustand von
Vornherein keine Ausnahme formuliert werden.
In diesem Vers ist also sowohl die Ausnahme des ikrāh erwähnt als auch
die Verbundenheit zwischen dem Äußeren und dem Inneren.
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Die Lehre des Monotheismus
Wie schon vorher gezeigt wurde, kommt es aber von Vornherein nicht
zum kufr, wenn eine Person z. B. einen Offenbarungstext aus völliger Un-
wissenheit verneint, eine Aussage des Unglaubens im Schlaf tätigt oder
Ähnliches.
Mit solchen Situationen ließe sich also keinesfalls begründen, wie ein Po-
lytheist aufgrund seiner Unwissenheit zum Monotheisten werden sollte.
Wie in diesem Buch mehrfach erklärt wurde, macht schon die bloße Un-
wissenheit einer Person über den Monotheismus ein Zustandekommen
des Islam unmöglich. Deshalb könnte ein Polytheist auch nicht aufgrund
seiner Unwissenheit als Monotheist deklariert werden.
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Die Lehre des Monotheismus
All diese Leute haben aus islamrechtlicher Sicht eines gemeinsam: Sie
sind für ihre Aussage in keinster Weise verantwortlich.
Derartige Aussagen solcher Personen sind gemäß der šarīʿah so zu be-
werten, als wären sie nie vorgefallen. Dies, weil die Person:
• die Aussage oder Tat entweder grundsätzlich nicht beabsichtigte –
wie beim Schlafenden, bei jemandem, der sich verspricht und Ähnli-
chem –,
• oder ihre Absicht nicht insoweit zählt, dass die Person dafür zur Ver-
antwortung gezogen werden könnte, wie beim Kind und beim Unzu-
rechnungsfähigen.
Es wäre absurd, diese Situation auf Menschen zu übertragen, die vollver-
antwortlich und bei vollem Bewusstsein etwas anderes als Allah anbe-
ten. Wie bereits erklärt wurde, findet sich die sprachliche Bedeutung des
širk zweifelsohne in jedem Polytheisten.
Die obengenannte Argumentation bedeutet letztlich, von einer Person,
die etwas gar nicht beabsichtigte, auf eine andere Person zu schließen,
die dieselbe Tat in vollem Bewusstsein begeht!
Als würde man sagen: „Der Mensch im Wachzustand ist entschuldigt, da
der Schlafende auch entschuldigt ist.“, – eine Aussage von offensichtli-
cher Absurdität. Dies lässt sich an einem ḥadīṯ verdeutlichen, der von
manchen Leuten für diese falsche Argumentation herangezogen wird.
َ ْ َّ َ ْ َ َ ََ َ َ ْ َ َّ ُ َّ َ ْ َّ َ َ ُ
أخ َطأ ِم ْن ِشد ِة الف َر ِح،ت عبْ ِدي َوأنا َر ُّبك ث َّم قال ِم ْن ِشد ِة الف َر ِح اللهم أن...
… Sodann sagte er vor lauter Freude: „Oh Allah, du bist mein Diener
und ich bin dein Herr.“ Er machte einen Fehler vor lauter Freude.156
Es ist eindeutig, dass die hier genannte Person die Aussage an sich gar
nicht beabsichtigte.
Es gibt nun Leute, die argumentieren, dieser Mensch wäre für eine ein-
deutige kufr-Aussage entschuldigt, was somit auch für den Polytheisten
gelten müsste.
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Die Lehre des Monotheismus
Wie bereits klar wurde, ist diese Aussage in hohem Maße absurd, weil
damit im Grunde ausgesagt wird: „Da dieser Mensch für seine unabsicht-
liche Aussage entschuldigt ist, können andere für ihre absichtlichen Aus-
sagen ebenso entschuldigt sein.“
Gemäß dieser Behauptung wäre es sogar möglich, dass eine Person für
genau denselben, in diesem ḥadīṯ erwähnten Satz entschuldigt wäre,
wenn sie ihn mit voller Absicht und Überzeugung sagen würde!
Ebenso banal wie die oben erwähnten Entschuldigungsgründe ist der Fall
des bloßen Berichtens solcher, dem Islam widersprechender Aussagen.
Wenn eine Person eine Aussage bloß zitiert, kann ihr dies nicht als eigene
Aussage zugeschrieben werden. Wäre es anders, könnte kein Muslim den
Koran lesen, weil darin stellenweise die Aussagen der Götzendiener zi-
tiert werden.
Ebenso selbstverständlich ist auch die Entschuldigung dessen, der die Re-
alität einer Sache nicht kennt und sie deshalb falsch beurteilt. Wenn z. B.
ein Blinder eine Niederwerfung (suǧūd) durchführt, ohne zu wissen, dass
sich vor ihm ein Götze befindet, so verlässt er dadurch klarerweise nicht
den Islam.
Man müsste schon äußerst verwirrt sein, um zu meinen:
„Dieser Blinde hat einen Götzen neben Allah angebetet, trotzdem war er
entschuldigt. Er hat also den širk praktiziert, dennoch hat Allah ihm diesen
širk vergeben.“
Noch grotesker wäre dann die Schlussfolgerung:
„Deshalb ist also jemand, der einen Götzen tatsächlich anbetet und dazu
auch steht, ebenso ein entschuldigter Muslim, wenn er es nicht besser
wusste.“
Es zeigt sich also, dass es zu schweren Missverständnissen und falschen
Schlussfolgerungen kommt, wenn Leute die banalsten Grundlagen in sol-
chen Thematiken nicht verstanden haben.
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Die Lehre des Monotheismus
Schlusswort
Anhand zahlreicher islamischer Quelltexte konnte in diesem Buch das ur-
sprüngliche Monotheismus-Verständnis der Muslime verdeutlicht wer-
den. Dabei zeigte sich, dass die Texte des Koran, jene der Sunnah und die
Aussagen der frühen Gelehrten bei der Erklärung der grundlegenden
Glaubenslehre des Islam deckungsgleich sind.
All diese Quellen beschreiben die alleinige Anbetung des Schöpfers und
den Gehorsam Ihm gegenüber als die Grundaussage des Islam, ohne die
ein praktisch gelebter Islam nicht vorstellbar ist.
Ein Muslim, der neben Allah andere Dinge, Wesen oder Personen an-
betet oder diesen bedingungslos gehorcht, ist aus Sicht der islamischen
Quellen nicht denkbar.
Scheinargumente, die heutzutage stellenweise vorgebracht werden, um
das Gegenteil dieser Grundsätze zu belegen, fußen auf einer grundfal-
schen Methode in der Beweisfindung, die von den islamischen Quellen
und vom klaren Menschenverstand abgelehnt werden müssen. Auch in
den Naturwissenschaften oder anderen Lebensbereichen würden solche
Vorgehensweisen deshalb als irrational eingestuft werden.
Dieses Buch sollte eine wissenschaftliche und nüchterne Diskussion der
theologischen Quelltexte ermöglichen, fernab davon, jegliche Neigungen
oder persönliche Meinungen zu verteidigen. Wenn dies gelungen ist, so
gebührt der Dank am Anfang und am Ende voll und ganz dem Herrn der
Welten.
Ihm danke ich an dieser Stelle auch ganz allgemein für all Seine Gnaden
und im Speziellen dafür, dass Er das Verfassen dieses Buches ermöglicht
hat. Sodann gilt der Dank meiner Familie für ihre Unterstützung sowie all
jenen Personen, die beim Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt
haben und durch deren Zutun das Buch erst in dieser ausgereiften Form
erscheinen konnte.
Bleibt abschließend zu hoffen, dass dieses Buch einen nützlichen Beitrag
zur Verdeutlichung der ursprünglichen islamischen Glaubenslehre im
deutschsprachigen Raum liefert.
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Die Lehre des Monotheismus
واهلل أعلم
ورحم اهلل علماء املسلمْي
ّ نبينا ّ
ّ وصَّل اهلل لَع
ُممد وآَل وصحبه ومن واَله
ّ واْلمد هلل
رب العاملْي
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Quellenverzeichnis
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Die Lehre des Monotheismus
Der Koran
IBNU ABĪ ḤĀTIM AR-RĀZĪ, ʿAbdu r-Raḥmān (gest. 327/939): Tafsīru l-
Qurʾāni l-ʿaẓīm
أب حاتمتفسي القرآن العظيم ىالبن ي
ر الكتاب:
مصطف الباز -المملكة العربية السعودية، ر
الناش :مكتبة نزار
المحقق :أسعد محمد الطيب ،الطبعة :الثالثة 1419 ،ه 1999 -م
203
Die Lehre des Monotheismus
الكتاب :الجامع المسند الصحيح المخترص من أمور رسول هللا صىل هللا
عليه وسلم وسننه وأيامه = صحيح البخاري
ر
الناش :دار طوق النجاة ،المحقق :محمد ر
زهي بن نارص النارص،
الطبعة :األوىل1422 ،ه 2001 -م ،عدد األجزاء9 :
204
Die Lehre des Monotheismus
205
Die Lehre des Monotheismus
Sonstige Quellen:
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