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Das Grosse Aufsatzbuch 10.-12.13.klasse LPR 0

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Christine Friepes, Annett Richter

Das große Aufsatzbuch –


von der 10. Klasse
bis zum Abitur
33 bewertete Beispiele zu allen
wichtigen Aufsatzarten
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich
zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a
UrhG: Die öffentliche Zugänglichmachung eines für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten
Werkes ist stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig.

1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8044-1584-3
PDF: 978-3-8044-5584-9
© 2014 by C. Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld
Lektorat: Peter Süß, Heidelberg
Herstellung: Karin Schmid, Baldham
Druck und Weiterverarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín
Tipps zum Training
mit diesem Buch
Dieses Buch ist eine Sammlung mit 18 verschiedenen Aufsatzthemen und 33 Beispielen.
Alle wichtigen Aufsatzformen – auch gemischte Aufgabentypen – ab dem 10. Schuljahr
sind berücksichtigt.

So sind die einzelnen Kapitel aufgebaut:

Zuerst finden Sie wichtige Tipps zur Aufsatzform und Hinweise auf die häufigsten
Fehler.
Danach folgen unterschiedliche Aufsatzthemen aus dem Unterricht, meist mit
zwei Lösungsbeispielen.
Zu jedem Beispiel gibt es einen Kurzkommentar mit Einschätzung der Qualität
des Aufsatzes. Dadurch erkennen Sie, was einen guten von einem mittelmäßigen
Aufsatz unterscheidet.

Die Aufsatzthemen sind nach Schwierigkeitsgrad geordnet. Es ist empfehlenswert, Teile


oder sogar ganze Fragestellungen zunächst selbst zu bearbeiten und anschließend
die eigenen Ergebnisse mit den Vorschlägen im Buch zu vergleichen. So gewinnen Sie
einen Blick für das Wesentliche der jeweiligen Aufsatzart.

Mit diesem Buch können Sie sich einen Überblick über die gängigen Aufgabentypen
verschaffen und sich sinnvoll auf das Abitur vorbereiten.

Unser Dank geht an alle Schülerinnen und Schüler, die die Aufsatzbeispiele dieses
Buches verfasst haben. Sie haben uns ihre guten Ideen und gedanklichen Leistungen
zur Verfügung gestellt.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und gute Ideen für Ihre eigenen Aufsätze.
Inhalt

A Kurze Tipps zum Aufsatz


Was sollten Sie vorher wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Wie finden Sie das richtige Thema? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

B Problemerörterung
Was müssen Sie über die Erörterung wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Alte Menschen in unserer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

C Literarische Erörterung
Was müssen Sie über die literarische Erörterung wissen? . . . . . . . 21
P. Süskind: Das Parfum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
M. Frisch: Homo faber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

D Argumentierendes Schreiben
Was müssen Sie über das argumentierende
Schreiben wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
J. Kaiser: Was wird aus dem Wort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
C. Nürnberger: Ein Bild von einem Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
G. Büchner: Woyzeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Essay über Kommunikation im digitalen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . 66
R. Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Inhalt

E Sachtextanalyse
Was müssen Sie über die Analyse von Sachtexten wissen? . . . . . 85
G. E. Lessing: Über die Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
S. Rückert: Der Mensch und das Korrekturprogramm . . . . . . . . . . 92

F Erschließung eines Erzähltextes


Was müssen Sie über die Erschließung
eines Erzähltextes wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
B. Brecht: Wenn die Haifische Menschen wären . . . . . . . . . . . . . . . . 100
G. Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
M. Walser: Ein fliehendes Pferd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

G Erschließung eines Dramentextes


Was müssen Sie über die Erschließung
eines Dramentextes wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
J. W. Goethe: Faust I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

H Gedichtinterpretation
Was müssen Sie über die Gedichtinterpretation wissen? . . . . . . . 141
U. Hahn: Mit Haut und Haar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
C. Brentano: Der Spinnerin Nachtlied –
J. v. Eichendorff : Das zerbrochene Ringlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
G. Benn: Ein Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

Quellenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
A Kurze Tipps zum Aufsatz

Was sollten Sie vorher wissen?

Egal, wie die Themenstellung lautet: Sie können zu jedem Thema etwas schrei-
ben, wenn Sie sich mit den Regeln für die einzelnen Aufsatzarten vertraut ge-
macht haben.
Bei Erörterungsformen muss man seine Meinung logisch begründen und
fundiertes Sachwissen besitzen.
Bei literarischen Erörterungen kommt die Notwendigkeit einer genauen Text-
kenntnis hinzu.
Bei den Analyseformen muss man den Text genau durcharbeiten. Epochen-
kenntnisse und Informationen zum Autor sind dabei sehr hilfreich.
Bei textgebundenen Erörterungen sind Kenntnisse aus den Bereichen Erörte-
rung und Textanalyse erforderlich.

Generell gilt: Das Schreiben von Aufsätzen ist erlernbar. Die Beherrschung grund-
legender Erörterungs- und Analysetechniken sowie eine korrekte und klare
sprachliche Darstellung sollten zum Erfolg führen. Und wer die „reinen“ Aufsatz-
formen beherrscht, kann auch gemischte Aufgabentypen sehr gut bearbeiten.

6
Wie finden Sie das richtige Thema?

Wie finden Sie das richtige Thema?

Wenn ein Thema Sie anspricht, sollten Sie zunächst überlegen, welche Teilaspek-
te die Aufgabenstellung beinhaltet. Wenn ein Text vorliegt, lesen Sie diesen
mehrmals genau und kritisch durch. Legen Sie sich nicht sofort auf ein Thema
fest, sondern ziehen Sie zunächst einmal alle Aufgabentypen in Betracht. Dazu
können Sie sich folgende Fragen stellen:
Zu welchem Thema wissen Sie am meisten?
Werden Probleme angesprochen, zu denen Sie Sachkenntnis besitzen?
Haben Sie ausreichende Kenntnisse zu Autor und Epoche?
Welche Textgattung spricht Sie am meisten an?

Nehmen Sie sich also ein paar Minuten Zeit, um in Ruhe über die gestellten The-
men nachzudenken. Diese Zeit ist sinnvoll angelegt, wenn man danach einen
guten Aufsatz schreibt. Außerdem vermeiden Sie eine gefährliche Falle: Wenn Sie
sofort mit dem Schreiben beginnen, merken Sie erst nach einiger Zeit, dass die
Wahl eines anderen Themas vermutlich sinnvoller gewesen wäre. Wenn Sie dann
noch wechseln, haben Sie bereits wertvolle Zeit verloren.

7
B Problemerörterung

Was müssen Sie über die Erörterung wissen?

Erörtern bedeutet, sich über den eigenen Standpunkt zu einer Fragestellung klar
zu werden, ihn zu formulieren und dann in einen größeren Gesamtzusammen-
hang zu stellen.
Erörterungen helfen dem Verfasser und dem Leser, einen Sachverhalt oder ein
Problem von allen Seiten zu beleuchten. Der Leser bekommt bei dem Unterneh-
men, zu einer bestimmten Frage eine fundierte Position zu beziehen, vom Verfas-
ser des Textes eine Hilfestellung.
Der Verfasser gibt kein persönliches Bekenntnis ab, sondern stellt Behauptungen
auf. Diese Behauptungen stehen nicht allein, sie werden durch nachvollziehbare
Begründungen und anschauliche Beispiele gestützt. So werden sie für den Leser
annehmbar und können eine Entscheidungshilfe sein.
Als Aufsatzart gibt es lineare und dialektische Erörterungen. In der linearen oder
steigernden Erörterung werden Sachfragen abgehandelt, bei der dialektischen
Erörterung geht es um Entscheidungsfragen.

Die Vorgehensweise bei der Erörterung


Erfassen des Themas:
– Welcher Aufgabentyp liegt vor?
– Welche Schlüsselbegriffe enthält das Thema?
– Wie lautet die Themafrage?
Sammlung und Ordnung von Ideen:
– Welche Gesichtspunkte passen zum Thema?
– Welche Punkte lassen sich zusammenfassen?
– Welche Ober- und Unterpunkte können gefunden werden?
Erstellung einer Gliederung des Hauptteils:
– Welches Argument ist das schwächste, welches das stärkste?
– Welche Gliederungsform soll gewählt werden?
– Kann man in den Gliederungspunkten die Argumente erkennen?

8
Was müssen Sie über die Erörterung wissen?

Ideen für Einleitung und Schluss:


– Wie wird das Interesse des Lesers geweckt?
– Wie rundet man den Aufsatz durch einen weiterführenden Gedanken ab?
– Wie verbindet man Einleitung und Schluss organisch mit dem Hauptteil?
Vertextung des Hauptteils:
– Sind die Argumente jeweils durch Beleg und Beispiel gestützt?
– Ist der Themabezug immer gewahrt?
– Entsteht ein in sich geschlossener Text durch Überleitungen?

Der Aufbau der Erörterung


Einleitung:
– Zitat, Statistik, Begriffserklärung, historischer Abriss oder aktueller Bezug
– Hinführung zur Themafrage
– Themafrage
Hauptteil:
– Formulierung der These
– Ausarbeitung der Argumentation nach dem Schema Argument – Beleg –
Beispiel – Themabezug oder Beispiel – Beleg – Argument – Themabezug
Schluss:
– Anknüpfung an die Einleitung, Ausblick auf die Zukunft, Anregung oder
Problemerweiterung

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die bei der Erörterung gemacht werden, sind:
Der Aufgabentyp wird nicht klar erkannt und ein falscher Aufbau gewählt.
Der Bezug zum Thema bleibt nicht gewahrt; die Themafrage wird nicht
ausreichend beantwortet.
In der Gliederung werden die Argumente nicht nach ihrer Wichtigkeit
geordnet; die Formulierungen sind uneinheitlich oder unverständlich.
In der Ausarbeitung sind die Argumente nur wenig länger als in der
Gliederung; die gedankliche Struktur wird nicht durch Absätze unterstützt.
Die Sprache ist unsachlich oder phrasenhaft.
Es werden Pauschalurteile statt nachvollziehbaren Begründungen geliefert.

9
B
Problemerörterung

Alte Menschen in unserer Gesellschaft

1 Alte Menschen werden in unserer Gesellschaft häufig an den Rand


geschoben.
Zeigen Sie, mit welchen Problemen sich Senioren in unserem hoch
industrialisierten Land auseinandersetzen müssen und welche
Möglichkeiten der Abhilfe es gibt.

Beispiel

A Alte Menschen werden medizinisch immer länger am Leben gehalten,


von der Gesellschaft ansonsten aber vernachlässigt.
B Mit welchen Problemen müssen sich Senioren in unserem Land
auseinandersetzen, welche Möglichkeiten zur Abhilfe gibt es?
I. Probleme der Senioren
1. Gesundheitliche Probleme
a) körperliche Gebrechen
b) geistige Einschränkungen
2. Finanzielle Probleme
a) hohe Pflegekosten
b) niedrige Renten
3. Gesellschaftliche Probleme
a) Pflegenotstand
b) Auflösung von Familienstrukturen
c) Stellenwert des Alters in der Gesellschaft
4. Individuelle Probleme
a) Selbstzweifel
b) Unterforderung
c) Demütigungen
d) Entwurzelung und Vereinsamung
II. Möglichkeiten der Abhilfe
1. Minderung des Pflegenotstands durch soziales Engagement
von Jugendlichen
2. Staatliche Versorgungsprogramme
3. Freizeitangebote
4. Steigerung des gesellschaftlichen Ansehens
von alten Menschen
C Hoffnung auf bessere Integration der Senioren

10
Alte Menschen in unserer Gesellschaft

Einerseits versuchen wir, das Leben unserer älteren Mitbürger mit immer
komplizierteren technischen Apparaten und medizinischen Eingriffen
zu verlängern, auf der anderen Seite lassen wir alte Menschen ins gesell-
schaftliche Abseits gleiten.
Es ist deshalb angebracht, sich einmal mit der Frage auseinanderzusetzen,
mit welchen Problemen alte Menschen, denen es laut einem „Zeit“-Artikel
eigentlich besser gehen müsste als je zuvor, in unserer Gesellschaft
konfrontiert werden und wie Abhilfe geschaffen werden könnte.

Begonnen werden soll mit dem offensichtlichsten Problem vieler alter


Menschen, nämlich den gesundheitlichen Schwierigkeiten, die sich mit
fortschreitendem Alter einstellen. Viele Ältere haben mit Gelenkverschleiß
oder ähnlichen Beschwerden zu kämpfen und verlieren dadurch oft die
Fähigkeit, sich selbst zu versorgen oder werden zumindest darin eingeschränkt,
ihren Lebensabend richtig zu genießen.
Auch Krankheiten, die die geistige Präsenz beeinträchtigen, treten nicht
selten auf. So leidet eine steigende Anzahl von über 70-Jährigen an der
Alzheimerschen Krankheit, wodurch sie nach und nach zu Pflegefällen werden
und am Ende nicht einmal mehr ihre Angehörigen erkennen. Dies schockiert
manche Verwandte so sehr, dass sie sich nicht mehr um ihre älteren
Familienmitglieder kümmern wollen und diese abschieben.

Ein weiteres Problem, das einigen Rentnern zu schaffen macht, sind finanzielle
Schwierigkeiten. Für die Miete in Altersheimen oder die Monatsbeiträge in
Pflegeeinrichtungen fallen hohe Kosten an, die beglichen werden müssen. Bei
manchen älteren Menschen übersteigt dieser Aufwand die Höhe der Rente.
Somit sind sie auf Zuwendungen des Staates oder ihrer Kinder angewiesen.
Aber auch ein Pensionist, der nicht im Altenheim wohnt, hat es oft schwer,
finanziell über die Runden zu kommen. Viele fühlen sich angesichts der
gestiegenen Lebenshaltungskosten als arm, wobei den größten Anteil dieser
Bevölkerungsgruppe Frauen ausmachen. Es geht sogar so weit, dass einige
dieser Frauen auf Sozialhilfe angewiesen sind, obwohl sie ihr Leben lang
gearbeitet haben.

Manche dieser Schicksale mögen persönlich begründet sein, viele Probleme


älterer Menschen sind aber auch gesellschaftlich bedingt. In sozialen
Einrichtungen gibt es selten genügend Pflegepersonal. In Krankenhäusern
fehlt es auf Stationen, in denen alte Menschen auf den Tod warten, an Pflegern,
weil sie für diese anstrengende Arbeit schlecht bezahlt werden. Hinzu kommen
die psychische Belastung und der ständige Stress, sodass das Pflegepersonal
schnell auf andere Stationen abwandert, was sich nicht gut auf das Befinden der
alten Menschen auswirkt, da ihre Bezugspersonen öfters wechseln. 

11
B
Problemerörterung

Eine weitere Schwierigkeit für alte und pflegebedürftige Menschen ist die
Auflösung von Familienstrukturen. Noch vor 50 Jahren war es ganz
selbstverständlich, dass alte Menschen bis zu ihrem Tod in der Familie gepflegt
wurden. Heute aber, in Zeiten von Patchwork- und Kleinfamilie, fällt die Sorge
um alte Menschen immer mehr staatlichen und privaten Pflegeeinrichtungen
zu, was dazu führt, dass der Pflege oft Menschlichkeit und Wärme fehlt.

Das größte Problem ist allerdings das geringe Ansehen des Alters in der
Gesellschaft. Dies liegt daran, dass das Alter und seine typischen
Erscheinungen nicht mit unseren heutigen Wertvorstellungen in Einklang zu
bringen sind. In Zeiten, in denen jeder nach Jugend, Dynamik, Gesundheit
und Sportlichkeit strebt, will niemand an das Altern, die Abnahme der
Leistungsfähigkeit und den körperlichen Verfall erinnert werden. Deshalb
hält man Abstand von alten Menschen, die einem bewusst machen, dass ihr
Los einen selbst auch einmal trifft. Die Abneigung der Gesellschaft gegen
Gedanken an das Alter geht sogar so weit, dass Altersheime laut einem
Gerichtsurteil aus Wohngebieten verbannt werden dürfen. So geraten Alte
immer mehr ins gesellschaftliche Abseits.

Sind schon die äußeren Bedingungen für Senioren nicht ermutigend, so werden
sie noch dadurch verstärkt, dass ältere Menschen sich das Negativbild, das die
Gesellschaft vom Alter entwirft, zu eigen machen. Zum einen befallen sie
Selbstzweifel, da im Alter ihre Schaffenskraft nachlässt. Viele haben sich ihr
Leben lang nur über ihre Arbeitskraft definiert, für andere gesorgt und anderen
geholfen. Dass nun sie diejenigen sind, die Hilfe brauchen, oder auch die
Tatsache, dass sie Schwierigkeiten bei der Fortbewegung haben, nagt an ihrem
Selbstbewusstsein. Oft kommen noch entwürdigendere Situationen hinzu,
wie beispielsweise, wenn man Hilfe benötigt, um auf die Toilette zu gehen oder
sich zu waschen.

Häufig wissen alte Menschen nichts mehr mit ihrer Zeit anzufangen. Sie haben
in jungen Jahren immer nur gearbeitet; für Hobbys war wenig Zeit. Nun, da sie
sich im Ruhestand befinden, haben sie nichts, was an die Stelle des Berufs
rücken könnte. Sie fühlen sich nutzlos und überflüssig.

Zu diesen Problemen kommt gerade bei Frauen mit niedriger Rente die
Demütigung hinzu, beim Staat „betteln“ gehen zu müssen. Viele waren ihr
Leben lang stolz darauf, alles alleine geschafft, ihre Kinder groß gezogen zu
haben und niemandem zur Last zu fallen. Sie hatten gehofft, sich im Alter in
Sicherheit zur Ruhe setzen zu können. Doch nun müssen sie sich über ihren
Stolz hinwegsetzen und Sozialhilfe beantragen. Dies wirkt sich oft sehr
negativ auf ihre Psyche aus. 

12
Alte Menschen in unserer Gesellschaft

Am gewichtigsten aber sind die Schäden, die der Seele alter Menschen
zugefügt werden, wenn man sie ins Altersheim abschiebt. Sie fühlen sich aus
der Gesellschaft ausgeschlossen und verbannt hinter die Mauern einer solchen
Einrichtung. Nicht selten haben sie für ihre Kinder auf viele Dinge verzichtet in
der Hoffnung, dass im Alter auch jemand da sein wird, der sich um sie kümmert.
Stattdessen werden sie aus ihrer angestammten Umgebung herausgerissen
und in oft wenig ansprechende Heime gebracht. Jeder, der schon einmal in
einem Altersheim war, weiß, wie trostlos die Atmosphäre dort ist. Ein Bewohner
eines solchen Heims hat es einmal so formuliert: „Die Alten sitzen auf dunklen
Fluren in einem Kreis schweigend da und starren blicklos vor sich hin.“ Von
einem glücklichen Lebensabend kann da nicht die Rede sein.

Damit die alten Menschen in unserer Gesellschaft ihren verdienten Ruhestand


genießen können, gibt es viele Möglichkeiten, die Situation zu verbessern.

Zur Minderung des Pflegenotstandes wäre die Einführung eines sozialen


Pflichtjahres für junge Menschen sinnvoll. Sie könnten in Krankenhäusern und
Altenheimen Aufgaben wie Essensausgabe, Vorlesen oder die Begleitung bei
Spaziergängen übernehmen. Diese Dinge erfordern keine besondere berufliche
Qualifizierung. Krankenschwestern und Pflegepersonal bliebe mehr Zeit für die
medizinische Betreuung. Auch hätte das ausgebildete Personal mehr Freiraum
für persönliche Zuwendung.

Ein Mittel gegen die Entwurzelung von Menschen, die nicht mehr allein für sich
sorgen können, ist der Ausbau von sozialen Hilfsdiensten wie „Essen auf
Rädern“. Dadurch, dass den alten Menschen, die nicht mehr kochen können,
täglich eine warme Mahlzeit ins Haus geliefert wird, ist es ihnen möglich,
weiterhin in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. So erhalten sie sich einen
Teil ihrer Selbstständigkeit.

Abhilfe gegen die gesellschaftliche Isolation schaffen auch spezielle Freizeit-


angebote. Viele Gemeinden oder kirchliche Einrichtungen bieten Altenclubs an,
wo Senioren die Möglichkeit haben, sich zu treffen, Ausflüge zu planen,
handwerklich tätig zu sein oder sich Vorträge anzuhören. Damit wirkt man zwei
Problemen entgegen: Die Menschen kommen aus ihren Wohnungen heraus
und sie haben keine Langeweile mehr.

Das gesellschaftliche Ansehen der Senioren könnte dadurch gesteigert werden,


dass man ihre Erfahrungen stärker nutzt und sie in einer Art Nachbarschaftshilfe
mitarbeiten lässt. Konzepte wie die „Kompanie des guten Willens“, bei der
Pensionisten jüngeren Existenzgründern mit ihrer Erfahrung beim Aufbau von
Unternehmen helfen, sollten weiter ausgebaut werden. 

13
B
Problemerörterung

Man kann auch im sozialen Bereich und bei kirchlichen Organisationen die
Einsatzbereitschaft alter Menschen stärker nutzen und ihnen damit das Gefühl
geben, noch gebraucht zu werden. Es gibt also durchaus Möglichkeiten, die
Würde alter Menschen zu wahren und ihre Fähigkeiten für die Gesellschaft
nutzbar zu machen.

Zum Schluss bleibt zu hoffen, dass es uns in Zukunft gelingen wird, ältere
Mitbürger besser zu integrieren. Dies ist auch dringend notwendig, denn bis
zum Jahr 2050 wird laut einer Prognose der Zeitschrift „Geo“ der überwiegende
Anteil der Bevölkerung älter als 50 Jahre alt sein. Die über 60-Jährigen werden
die größte Bevölkerungsgruppe bilden. Daher ist es von größter Wichtigkeit –
wollen wir in einer gut funktionierenden Gesellschaft leben –, das Potenzial der
Alten zu nutzen und sie nicht auszugrenzen.



Bel diesem Beispiel wird ein hoher Standard des Erörterns durch vielschichtiges
sachliches Wissen erreicht. Die Verfasserin bezieht sich auf Presseveröffent-
lichungen und weiß über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen Bescheid.
Man hätte erwartet, dass die Gliederung vom Speziellen zum Allgemeinen fort-
schreitet; die subjektive Anordnung der Gliederungsaspekte ist aber wegen der
Gewichtigkeit der Argumente im individuellen Bereich überzeugend.

14
C Literarische Erörterung

Was müssen Sie über die


literarische Erörterung wissen?

Bei der literarischen Erörterung gehen Sie im Prinzip wie bei der Problemerörte-
rung vor. Auch hier gibt es eine lineare und eine dialektische Form, die jeweils aus
der Fragestellung ersichtlich ist. Der Unterschied besteht darin, dass die Themen
sich auf literarische Werke/fiktionale Texte und nicht auf politisch-gesellschaft-
liche Wert- oder Sachfragen beziehen.
Außerdem werden die eigenen Behauptungen nicht durch Beispiele, sondern
durch Textzitate belegt. Korrektes Zitieren ist also eine wichtige Voraussetzung
für eine gelungene literarische Erörterung.

Zusätzliche Anforderungen sind:


genaue Lektüre des literarischen Werks,
Kenntnisse zum Hintergrund des Werks,
Anwendung von Fachbegriffen der Literaturwissenschaft,
sinnvoller Einbau von Zitaten zum korrekten Nachweis der Argumente.

21
C
Literarische Erörterung

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die bei literarischen Erörterungen gemacht
werden, sind:
Der Aufgabentyp wird nicht klar erkannt, ein falscher Aufbau wird gewählt
und nicht alle Aspekte der Aufgabenstellung werden erfasst.
In der Gliederung werden die Argumente nicht nach ihrer Wichtigkeit
geordnet; die Formulierungen sind uneinheitlich oder unverständlich;
es fehlen Ober- und Unterpunkte.
In der Ausarbeitung sind die Argumente nur wenig länger als in der
Gliederung; die gedankliche Struktur wird nicht durch Absätze unterstützt.
Die Zitierweise ist ungenau oder falsch; es wird nur mit indirekten
Textverweisen gearbeitet.
Es werden Pauschalurteile statt nachvollziehbarer Begründungen geliefert;
Behauptungen sind nicht ausreichend am Text belegt.
Es findet eine Identifikation mit einer der handelnden Personen statt,
was zu emotional bedingten Fehlurteilen führt.

22
Süskind: Das Parfum

P. Süskind: Das Parfum

1 Erörterung nach einem Roman: Stellen Sie dar, inwiefern mit der Figur des
Marquis de la Taillade-Espinasse der aufgeklärte Wissenschaftler karikiert wird.

Beispiel 1

A Vorstellung des Romans


B Literarische Erörterung über den Marquis als
Karikatur des aufgeklärten Wissenschaftlers
I. Wissenschaftler in der Aufklärung
II. Inhalt des Romans
III. Methoden und Einstellungen des Marquis
1. Fehlerhafte Hypothesen
2. Selbstbezogene Einstellung zur Religion
3. Dubiose Vorgehensweise
IV. Ziele des Marquis
1. Falsches Fortschrittsstreben
2. Erlangen von Ruhm und Einfluss
V. Egozentrik
1. Hervorhebung seines hohen Standes
a) Verhalten gegenüber Grenouille
b) gehobene Sprache
2. Selbstverherrlichung
3. Fanatismus für eigene Theorie
C Vergleich mit heutiger Wissenschaft

In seinem erfolgreichen Roman „Das Parfum“ schildert Patrick Süskind das


außergewöhnliche Leben des Jean-Baptiste Grenouille, einer der „genialsten
und abscheulichsten Gestalten“ (S. 5) seiner Zeit. Schauplatz ist Frankreich in der
Epoche der Aufklärung. Auf seiner Reise macht Grenouille Bekanntschaft mit
einem der zahlreichen Wissenschaftler dieser Zeit. Da Süskind jenen Charakter
für den Leser jedoch eher belustigend und lächerlich erscheinen lässt, ist leicht
festzustellen, dass diese Figur den aufgeklärten Wissenschaftler karikiert.

In der Aufklärung wurde die Vernunft ins Zentrum allen Denkens und Handelns
gerückt. Während sich zunächst nur einige Philosophen mit jenem neuartigen
Gedankengut beschäftigten, waren später immer mehr Menschen bestrebt, sich
auf nichts als nur ihren Verstand zu verlassen. Man wollte die Geschehnisse in
der Natur verstehen und vor allem erklären können. Dies bedingte 

23
Frisch: Homo faber

M. Frisch: Homo faber

2 Erörterung nach einem Roman: Walter Faber ist am Ende seines Berichts
ein anderer als zu Beginn.
Diskutieren Sie die Stimmigkeit dieser Aussage anhand geeigneter
Einstellungen und Verhaltensweisen Fabers.

Beispiel

A Kurze Einführung zu Autor und Werk sowie Zusammenfassung


der Handlung
B Fabers Einstellungen und Verhaltensweisen im Verlauf der Handlung
I. Verhalten gegenüber Frauen und Mitmenschen
1. Zunächst bewusste Abschottung gegenüber allen Menschen
2. Später freiwillige Suche nach Kontakt
II. Haltung zum Metaphysischen
1. Erklärung der Welt durch Statistik und Wahrscheinlichkeit
2. Am Schluss keine generelle Ablehnung einer überirdischen
Instanz
III. Verhältnis zur Natur
1. Beruflich bedingte Ablehnung vor der Bekanntschaft mit Sabeth
2. Positive Betrachtung der Natur nach der Bekanntschaft mit Sabeth
IV. Einstellung zum Leben allgemein
1. Rationalistische und einseitige Weltsicht vor der Cuba-Episode
2. Zulassen von Gefühlen nach Cuba
V. Beurteilung von Fabers Persönlichkeitswandel: kein völliger Wandel,
Erhalt von Grundeinstellungen
C Einschätzung von grundsätzlichen Wandlungsmöglichkeiten eines
Menschen wie Faber

Der Schweizer Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb
dort am 4. April 1991. Er wurde durch Werke wie „Biedermann und die
Brandstifter“, „Andorra“ oder „Stiller“ bekannt. In dieser Arbeit soll es um den
„Homo faber“ gehen. Bei diesem Roman handelt es sich um die
Auseinandersetzung Frischs mit dem Menschentypus des Technikers.

In Aufzeichnungen in einem Hotel in Caracas und kurz vor seiner wahrscheinlich


aussichtslosen Operation in einem Athener Krankenhaus rekonstruiert der
Ingenieur Walter Faber entscheidende Situationen und Ereignisse seines 

33
C
Literarische Erörterung

Lebens. Eine Reihe von Vorfällen, die Faber immer als Zufälle abtut, wirft den
Rationalisten aus der Bahn seines gewohnten, von Technik dominierten Lebens.

Auf einem Flug nach Caracas, den er in Ausübung seiner Funktion als
Mitarbeiter der UNESCO macht, lernt er den Bruder eines Freundes aus seiner
Jugendzeit kennen. Durch ihn gelangt er nach Guatemala, wo er seinen alten
Freund tot auffindet, wodurch er jedoch kaum berührt wird. Dann aber verliebt
er sich auf einer Schiffsreise nach Europa in ein kaum zwanzigjähriges Mädchen,
Sabeth. Sie ist die Tochter von Hanna, die er vor 20 Jahren aus beruflichen
Gründen verlassen hatte. Er macht sie in Unkenntnis seiner Vaterschaft zu seiner
Geliebten und begleitet sie nach Italien und Griechenland, wo Sabeth tödlich
verunglückt. In Athen bestätigt Hanna, die Faber dort antrifft, seine
Vorahnungen, dass er der Vater des jungen Mädchens ist. Danach macht Walter
Faber, in dessen Leben vorher Gefühle, Religion, alles Irrationale niemals Platz
gefunden hatten, einen Wandel durch.

Im Folgenden soll nun erörtert werden, inwieweit er diesen Wandel tatsächlich


vollzieht.

Anfänglich ist Walter Faber ein absoluter Einzelgänger. Er ist überhaupt nicht
auf der Suche nach Bekanntschaft mit anderen Menschen, er schüttelt sogar
jeden Versuch der Kontaktaufnahme anderer rigoros ab. Dies zeigt sich
beispielsweise direkt zu Beginn der Handlung. Als ihm auf dem Flug nach
Caracas sein Sitznachbar Zigaretten anbietet, lehnt er ab und raucht seine
eigenen, nimmt seine Zeitung, seinerseits besteht „keinerlei Bedürfnis nach
Bekanntschaft“ (S. 8). Er liebt das Schachspiel, da, wie Faber behauptet, „man
Stunden lang nichts zu reden braucht (…) und es keineswegs unhöflich (ist),
wenn man kein Bedürfnis nach persönlicher Bekanntschaft zeigt (…)“ (S. 23).

Im Bezug auf Frauen verhält Faber sich äußerst eigenartig. Er lehnt Heirat
grundsätzlich ab (vgl. S. 7, 31, 33) und ist unfähig, Frauen gegenüber Gefühle
zu zeigen. Er beendet das Verhältnis mit Ivy, weil er „nicht verliebt ist“ (S. 59).
Seine Gefühllosigkeit dieser Frau gegenüber wird deutlich, als er sagt: „(…)
und es ekelte mich ihre Zärtlichkeit, ihre Hand auf meinem Knie (…) es war
unerträglich (…)“ (S. 62).

An anderer Stelle sagt er, dass „(…) drei oder vier Tage zusammen mit einer
Frau (…) für (ihn) offen gestanden stets der Anfang der Heuchelei (…)“ (S. 91)
sind. Im Verhältnis zu Frauen ist auch sein Drang, allein zu sein, deutlich zu
erkennen. Alle Frauen sind für ihn gleichbedeutend mit Ivy, deren englischer
Name mit „Efeu“ zu übersetzen ist. Er setzt sie also gleich mit einer Schling-
pflanze, die ihn umfängt, einschnürt und so seiner Freiheit beraubt. Immer
wieder fordert er: „Ich will allein sein!“ (S. 91). 

34
D Argumentierendes
Schreiben
Was müssen Sie über das
argumentierende Schreiben wissen?

Beim argumentierenden Schreiben geht es um Erörterungen, Kommentare oder


Essays, die im Anschluss an die genaue Lektüre eines Sachtextes erfolgen. Das
kann ein aktueller Bericht aus einer Zeitung, eine politische Rede oder auch eine
Glosse sein. Da eine Glosse viele sprachliche Besonderheiten aufweist, ist sie als
Textgrundlage sehr beliebt. Dazu kommt, dass Glossen oft Aktualität des Themas
und Kritik an Zeitgeisterscheinungen vereinen. Es gilt, den Sachtext an sich zu
würdigen und anschließend die dort vertretenen Thesen zu diskutieren.

Dies kann auf verschiedene Arten geschehen:


Kommentar zu einem Sachtext
Essay zu einem im Sachtext aufgeworfenen Problem
materialgestützte Erörterung

In diesem Kapitel erfahren Sie mehr zur Textart Kommentar im Anschluss an eine
Texterschließung. Danach können Sie Beispiele zum Essay lesen.
Der Kommentar enthält meist eine persönliche Stellungnahme zu einer aktuel-
len Frage. In einem guten Kommentar sollten der Hintergrund des Problems ana-
lysiert und die Meinung des Schreibers deutlich werden. Er soll die Leser dazu
anregen, sich eine eigene Meinung zum Thema zu bilden.
Zuerst wird das Thema, das kommentiert werden soll, kurz angesprochen, dann
folgen eine Erklärung der Zusammenhänge und eine Darstellung der Hinter-
gründe aus der Sicht des Verfassers. Er bewertet also das Thema und begründet
seine Meinung. Oft endet der Kommentar mit einer Schlussfolgerung, einer Kritik
oder einer Empfehlung.
Diese Textsorte ist in einer gut verständlichen Sprache abgefasst. Als Stilmittel
werden häufig Fremd- und Fachwörter, Bilder und ironische Wendungen einge-
setzt. Ein Kommentar kann sachlich oder leicht aggressiv verfasst sein. Der Autor
möchte, dass der Leser seines Kommentars ein Ereignis oder Entwicklungen bes-
ser versteht; er will seinen persönlichen Standpunkt verdeutlichen, die Meinung
des Lesers beeinflussen und ihn zum Weiterdenken anregen.

39
D
Argumentierendes Schreiben

Bearbeitung der Fragestellung


Wichtig ist, genau zu beachten, was in der jeweiligen Aufgabe tatsächlich ver-
langt ist. Sie ist immer auf den gegebenenText abgestimmt und muss nicht
immer alle unten genannten Bestandteile enthalten. Die Aufgabenstellung kann
verschiedene Varianten der Bearbeitung anbieten:
1. Zusammenfassung des Textinhalts/strukturierte Textwiedergabe;
2. Darlegung des Argumentationsaufbaus und der Gedankenführung;
3. Analyse sprachlicher und rhetorischer Mittel (wenn verlangt);
4. Herausarbeiten der Autorintention (wenn in der Aufgabenstellung verlangt);
5. kritische Bewertung/Kommentierung des vom Autor geäußerten Stand-
punkts.

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die beim argumentierenden Schreiben gemacht
werden, sind:
Die Aufgabenstellung wird nicht richtig analysiert; nicht alle Teile
erscheinen in der Gliederung.
Der Text wird missverstanden; die Kernaussage wird nicht richtig
herausgearbeitet.
Wichtige sprachliche Mittel (wie zum Beispiel Ironie) werden nicht erkannt.
Die eigene Stellungnahme zu den im Text vertretenen Thesen ist für eine
sachliche Auseinandersetzung, also beispielsweise eine materialgestützte
Erörterung, zu polemisch.
Der Kommentar oder Essay ist im Stil zu nüchtern und sachlich.
Der Aufsatz ist unausgewogen, da dem Kommentarteil zu wenig
Aufmerksamkeit geschenkt wird.

40
Kaiser: Was wird aus dem Wort?

J. Kaiser: Was wird aus dem Wort?

1 Untersuchen Sie den vorliegenden Text nach Inhalt, Aufbau und sprachlichen
Mitteln. Kommentieren Sie anschließend die im Text aufgestellten Thesen.

Joachim Kaiser: Was wird aus dem Wort?

Wie der Bierkonsum beim Münchner Oktoberfest diesmal nicht die Rekordhöhe
des Vorjahres zu erreichen scheint, so ist auch von der Frankfurter Buchmesse
Rückläufiges zu melden. Zwar werden 8300 Aussteller aus 90 Ländern zwischen
dem 9. und 14. Oktober die Kojen füllen, aber die Zahlen der deutschen Messe-
5 teilnehmer liegen unter denen des Vorjahres.
Trotzdem signalisiert der völlig unübersehbare Frankfurter Bücherberg eine
Hoch-Zeit der Druckbranche. Und auch die endlich erfolgte Nobelpreis-Ehrung
der Nadine Gordimer dürfte das Auge der Öffentlichkeit wenigstens für einen
Augenblick auf Literarisches lenken. Dabei darf freilich nicht übersehen werden,
10 dass sowohl Buchmesse wie Nobelpreis-Verleihung von Politischem über-
schattet sind.

Wer aus alledem folgert, dass es bei großen Messen und gewichtigen
Literaturpreisen nicht nur um Qualität geht, sondern um politisch-taktische
Erwägungen, hat natürlich Recht. Nur ist die Krise, die Entleerung, die
15 Privatisierung und „Instrumentalisierung“, die der gebundenen Sprache, dem
persönlichen und ausdrucksvoll gesetzten Wort, der literarischen wie
theatralischen Kunst gegenwärtig widerfährt, damit wahrlich noch nicht
bezeichnet. In einer Welt von Videotheken, Piktogrammen, flächendeckender
TV-Kabelvernetzung und pfiffigen Comic-Heften wirkt das Beharren auf dem
20 guten Ausdruck oder gar die Sorge um „Lese-Kultur“ zunehmend sektiererisch.
Wer sich über das Verlautbarungskauderwelsch von Politikern, den aus-
sterbenden Genitiv oder die Reduktion des Lebens auf computergeeignete Ja/
Nein-Entscheidungen Gedanken macht, hat mittlerweile etwas vom
Sonderling. (…)

25 Aber unsere These von der allmählichen Auszehrung der Wortkultur ist
gleichwohl nicht nur ein Anfall kulturpessimistischen Katzenjammers. Man
kann das dort, wo Worte entscheidend wichtig sind und staatlich subventioniert
ernstgenommen werden sollen, beobachten: nämlich auf unseren Schau-
spielbühnen.
30 Am Anfang dieses Jahrhunderts war es selbstverständlich, dass verantwor-
tungsbewusste deutsche Bühnen die großen Chorpassagen in 

41
D
Argumentierendes Schreiben

griechischen Tragödien zu verstehen und darzubieten versuchten. Damit


rechnet heute niemand mehr; diese Kunst ist ausgestorben wie die Falknerei,
ist Spezialistensache. Mittlerweile geht es auf unseren Sprechtheatern nicht
35 nur den Chören, sondern auch den Versen, also dem rhythmisch gebundenen
gedichteten Deutsch, an den Kragen. Es ist eine Ausnahme, wenn Schauspieler
noch Verse sprechen können, überpersönlich  – statt alles in neutrale
Konversationsprosa zu verwandeln. Noch gravierender: Die Regisseure
verhalten sich weithin zu den großen Klassikern so wie die Griechen zu ihren
40 Mythen. Aus dem gegebenen Mythos konnten Sophokles oder Euripides
machen, was sie wollten. Der Fall Trojas, der Konflikt Antigones band sie an
keine Kunstsprache. So, als wären alle diese Stoffe nicht von Shakespeare,
Schiller, Goethe und den übrigen „Klassikern“ in prägnante Kunstsprache
übersetzt worden, halten fortschrittliche Regisseure sich nur noch an den Stoff,
45 an den Plot. Mal sehen, was sich daraus machen, wie er sich in die Gegenwart
transportieren, wie er sich aufmöbeln lässt. Was sich in alledem, vom
Buchmesseskandal bis zur Klassiker-Umfunktionierung, spiegelt? Nun, eine
Flucht vor der Sprachverantwortung, Lese-Unlust, Inhumanität – solange man
die Sprache als Medium begreift, in dem Geistiges seiner selbst innewird.

Beispiel 1

A Die Bezeichnungen für Dinge und die daraus resultierende


Bedeutung der Sprache
B Untersuchung und Kommentierung des Textes „Was wird aus
dem Wort?“ von Joachim Kaiser
I. Zusammenfassung des Inhalts
II. Struktureller Aufbau
III. Verwendung sprachlicher Mittel im Textzusammenhang
IV. Kommentar zu Kaisers These zum Sprachverfall
1. Zunehmender Verfall der Sprachkultur
a) vornehmlicher Verkauf billiger Trivialliteratur
b) größere Bedeutung der „Bildung“ in anderen Bereichen
c) Lese-Unlust bei Kindern
d) Schwierigkeiten von Schriftstellern
e) Grenzen der Sprache
2. Aufrechterhaltung der Sprachkultur durch große Bedeutung
der Sprache
a) Kommunikationsmittel und Ausdrucksmedium
b) Sprache als Heimat
c) Wesensmerkmal des Menschen 

42
Kaiser: Was wird aus dem Wort?

3. Verlust der Menschlichkeit und Veränderung der Gesellschaft


durch Verlust der Sprachkultur
C Natur und Metaphysik der Sprache

In einem kurzen Aufsatz mit dem Titel „Der wahre Name“ setzt sich Michael
Ende mit der großen Bedeutung des Wortes, der Literatur und damit der
Aufgabe der Schriftsteller auseinander. Das Erste, was Adam im Paradies tut,
nachdem er von Gott eine lebendige Seele erhalten hat – so erklärt Ende –, ist,
den Dingen, die er um sich hat, einen Namen, den wahren Namen zu geben.
Er setzt sich damit zu den Dingen in Bezug, verschafft sich ein Weltbild, eine
Wirklichkeit, in der er als Person leben kann. Das Namengeben ist also eine
urmenschliche Fähigkeit; die Aufgabe des Schriftstellers ist es, dem noch
Namenlosen Namen zu geben, mit den Worten zu spielen und Wirklichkeit zu
schaffen durch wahre Namen, denn falsche Namen sind Lügen und verfälschen
die Welt. Der Literatur sollte demnach große Bedeutung beigemessen werden,
doch wie Joachim Kaiser in seinem Text „Was wird aus dem Wort?“ darlegt,
scheint die Sprache in unserer modernen Gesellschaft zusehends dem Verfall
preisgegeben zu sein.

Kaiser vergleicht zunächst die Frankfurter Buchmesse mit dem Bierkonsum


auf dem Münchener Oktoberfest und stellt fest, dass das Interesse an beidem
nachzulassen scheint. Obwohl sich in Frankfurt die Bücher stapelten und die
Druckbranche eine Hochkonjunktur erfahre, interessiere sich die Öffentlichkeit
nur sehr befristet für Nobelpreisehrungen, die ohnehin nur politische
Veranstaltungen seien.
Dem Autor zufolge steckt die Sprache in einer Krise: bei persönlicher als
auch literarisch gebundener Ausdrucksfähigkeit. Angesichts moderner
Unterhaltungsmedien wirke die Sorge um guten Ausdruck und Lesekultur
zunehmend abwegig.
Im letzten Abschnitt seines Artikels führt Kaiser ein weiteres Beispiel für den
Verfall der Sprachkultur an. Selbst auf Schauspielbühnen gingen Schauspieler
und Regisseure nicht mehr verantwortungsbewusst mit Sprache um, sondern
legten vor allem Wert auf den Inhalt und die Umsetzbarkeit in unsere Zeit.
Zuletzt folgert Kaiser aus seiner Analyse der gegenwärtigen Situation, dass die
Gesellschaft im Begriff sei, vor der Verantwortung für die eigene Muttersprache
zu fliehen. Im letzten Satz bekräftigt der Autor noch einmal seine Position,
dass Sprache ein Vehikel des Geistes sei.

Der Text ist logisch aufgebaut und in drei Abschnitte gegliedert. Zunächst
wird das Problem der Lese-Unlust anhand der Situation auf dem Buchmarkt
dargestellt und die These, wonach die Sprache in einem zunehmenden
Verfall  begriffen sei, formuliert. Im zweiten Absatz erläutert Kaiser die 

43
D
Argumentierendes Schreiben

mit dem Verlust der Ausdrucksfähigkeit stark verändern und wichtige Aspekte
des Menschseins aufgeben. Da diese Veränderungen nicht unbedingt
wünschenswert erscheinen, sollte alles getan werden, um dem bereits
einsetzenden Sprachverfall entgegenzuwirken. Insofern sollte man einen Autor
wie Joachim Kaiser in seinem Kampf gegen die Windmühlen des Sprachverfalls
unterstützen.

Sprache ist ein vielschichtiges Thema. Sie trägt zur Identifikation bei und
schließt gleichzeitig aus; sie definiert Gesellschaftsschichten und ermöglicht
die Kommunikation zwischen allen Menschen. Es gehört zur menschlichen
Kultur, dass die Sprache Entwicklungen unterworfen ist. Aber selbst wenn
Politiker weiterhin schlechte Redner bleiben und Werbeslogans nicht von
hohem Sprachniveau zeugen müssen, wird die Sprache in ihrer Bedeutung
bestehen bleiben.



Die Arbeit erfüllt alle an diese Textart zu stellenden Kriterien und ist der Themen-
stellung entsprechend aufgebaut. Sie beweist ein hohes gedankliches Niveau;
Allgemeinwissen und Kenntnisse zu Literatur und Sprache werden geschickt ein-
gebaut. Der Stil des Aufsatzes ist gut lesbar. Besonders hervorzuheben ist vor
allem die gedankliche Tiefe im Kommentarteil, verbunden mit pointierten For-
mulierungen.

Beispiel 2

A Definition der Sprache


B Untersuchung und Kommentar von „Was wird aus dem Wort?“
von J. Kaiser
I. Inhaltliche und sprachliche Analyse des Textes
II. Kommentierung des Textes und der Bedeutung
der Sprache
1. Rückgehende Bedeutung der Sprache in unserer Zeit
2. Bedeutung der Sprache für Emigranten und Exilanten
3. Bedeutung der Sprache in der Literatur nach dem
Zweiten Weltkrieg
C Wichtigkeit der Sprache für alle Menschen 

46
D
Argumentierendes Schreiben

C. Nürnberger: Ein Bild von einem Kind

INFO In diesem Kapitel geht es darum, einen journalistischen Text zum Thema „Kinder-
erziehung heute“ zu untersuchen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Ausein-
andersetzung mit den Ideen, die der Autor zu einer gesellschaftlich relevanten
Erscheinung, einem Zeitgeistproblem, entwickelt. Danach wird gezeigt, wie man
1. eine Erörterung nach einem Sachtext angeht;
2. eine oder mehrere Thesen des Autors kommentiert.
Bei solchen gemischten Themenstellungen sind die genaue Erfassung des
Verlangten und das Verstehen der Aufgabenstellung ganz besonders wichtig.

2 Fassen Sie den Zeitungsartikel von Christian Nürnberger in Bezug auf seine
Kernaussagen zusammen und zeigen Sie seine Argumentationsstruktur auf.
Variante 1: Erörtern Sie anschließend die im Text aufgeworfene Problematik
der Kindererziehung, indem Sie die Thesen kritisch bewerten.
Variante 2: Nehmen Sie den Text zum Anlass für einen Kommentar zum
Thema „Kindererziehung“.

Christian Nürnberger: Ein Bild von einem Kind

Manche Eltern loben ihren Nachwuchs für den größten Mist. Das ist zwar
nett, führt allerdings dazu, dass die Kinder noch mehr Mist machen.

Jenny und Theo kriegen viel zu viel Lob von mir. Praktisch für nichts. Ich lobe
sie am Morgen, ich lobe sie am Mittag, ich lobe sie am Abend und vor dem
5 Schlafengehen noch einmal, obwohl Jenny und Theo nichts, aber auch gar
nichts können oder tun, was über das normale Hunde- und Katerkönnen
oder die normale Hunde- und Katertätigkeit hinausgeht. Ich lobe sie für ihre
bloße Existenz, wie ich zuweilen Gott lobe, wenn ich ausnahmsweise mal mit
seiner Schöpfung einverstanden bin. Die Schöpfung wird dadurch kaum
10 besser, aber die Lobhudelei der Tiere kann ich wärmstens empfehlen. Sie
gedeihen prächtig und funktionieren problemlos.

Der Kater fängt Mäuse, wie sich’s gehört, hält die Stube rein, verbringt viel
Zeit an der frischen Luft, lässt sich in der Ablage meines Schreibtischs häuslich
nieder. Er schnurrt gemütlich zu mir herüber und löst höchstens mal während
15 meiner Abwesenheit im Büro durch einen gekonnten Sprung auf die 

50
D
Argumentierendes Schreiben

Essay über Kommunikation


im digitalen Zeitalter
INFO Was müssen Sie über das Schreiben von Essays wissen?
Der Essay ist eine Abhandlung, die eine literarische oder gesellschaftspolitische
Frage in knapper und anspruchsvoller Form behandelt. Einen Essay schreiben
heißt also: eine kritische Auseinandersetzung führen. Das Thema wird aktuell
und zugleich persönlich abgehandelt.
Ausgangspunkt für einen Essay ist meist eine strittige Frage, oft in einem argu-
mentativen Text präsentiert, die bewusst subjektiv diskutiert werden soll. Die
Darstellung ist präzise und pointiert; es muss kein Überblick über die Gesamtpro-
blematik erreicht werden.
Der Einstieg in den Essay braucht einen Aufhänger; er darf provokativ sein. Es
muss klar werden, weshalb Sie dem Thema eine gewisse Relevanz zuspre-
chen.
Beziehen Sie persönlich Position, stellen Sie deutlich Ihre Meinung dar. Als
Motivation sollten Sie sich immer vor Augen halten, dass der Leser durch die
Lektüre Ihres Essays einen Denkanstoß erhalten möchte.
Die Argumentation im Essay ist geradlinig; die Hauptlinie, der rote Faden, darf
beim Schreiben nicht verloren gehen. Obwohl man angesichts des begrenz-
ten Umfangs zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden sollte,
darf nicht auf interessante Details verzichtet werden.
Der Text soll gut lesbar, locker und flüssig geschrieben sein, jedoch nicht ins
Umgangssprachliche abgleiten. Stilbrüche werden an einigen Stellen be-
wusst als sprachliche Mittel eingesetzt, wie überhaupt Stilmittel einen Essay
auszeichnen. Natürlich kann der Essay stellenweise auch ironisch sein, sollte
aber nicht beleidigend wirken.
Die vorangestellte Gliederung skizziert kurz die Gedankenführung. Die den
Gliederungspunkten entsprechenden Absätze erscheinen in der Ausführung.

66
Essay über Kommunikation im digitalen Zeitalter

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die bei einem Essay gemacht werden, sind:
Die Ausführung ist sachlich und am Erörterungsstil orientiert.
Nominalstil wird verwendet. Es fehlt an bildhaften Wendungen und
Wortwitz.
Englische Fachtermini werden überstrapaziert oder lateinische Fremdwörter
falsch verwendet.
Die Sätze sind lang und unübersichtlich; die Aussage bleibt unklar.
Sie kennzeichnen nicht, was Sie von anderen Autoren übernehmen.
Sie denken sich zu sehr in eine Rolle ein, werden polemisch oder banal;
dabei verlieren Sie den Abstand zum Thema.

67
D
Argumentierendes Schreiben

4 Die Journalistin Sherry Turkle behauptet in ihrem Artikel „Wir müssen reden“,
die digitale Technik verändere nicht nur unsere Kommunikation, sondern
den Menschen selbst.
Verfassen Sie einen etwa 600 bis 700 Wörter langen Essay zu dieser
Problematik, der eine Art Antwort auf den Artikel von Sherry Turkle
darstellen kann.

Sherry Turkle: Wir müssen reden. Laptops,


Smartphones, Tablets: Die digitale Technik verändert
nicht nur unsere Kommunikation – sie verändert uns
Wir leben in einer digitalen Welt, in der wir uns ständig mitteilen. Für diese
permanente Vernetzung haben wir ein großes Opfer gebracht: das echte
Gespräch. Familien sitzen zu Hause zusammen, schreiben SMS und lesen
E-Mails. Wir simsen, wenn wir in Konferenzen sitzen, oder checken während
5 einer Verabredung, was es Neues auf unserer Facebook-Seite gibt. Meine
Studenten haben mir kürzlich von einer neuen, bedeutsamen Fähigkeit
erzählt: seinem Gegenüber in die Augen schauen zu können, während man
in sein Handy tippt. Schwierig, aber machbar.
Ich habe in den vergangenen Jahren Hunderte Menschen über ihr digitales
10 Nutzerverhalten befragt. Dabei habe ich gelernt, dass die kleinen Geräte, die
die meisten von uns mit sich tragen, nicht nur unsere Verhaltensweisen,
sondern auch uns selbst verändern: Wir haben uns daran gewöhnt,
gemeinsam einsam zu sein. Dank der Technik können wir bei einer Person
sein und uns gleichzeitig an einen anderen Ort versetzen. Wir überprüfen
15 ständig, wer oder was unsere Aufmerksamkeit gerade am meisten verdient.
Das führt jedoch dazu, dass wir uns, obwohl wir permanent miteinander in
Verbindung stehen, voreinander verstecken. Wir sind zusammen, und doch
ist jeder von uns in seiner eigenen Welt, verkabelt mit Tastaturen, winzigen
Touchscreens und riesigen Kopfhörern. Solange wir unser Gegenüber mit
20 technischen Mitteln auf Distanz halten können, können wir nicht genug
voneinander bekommen.
Beim Simsen, E-Mail-Schreiben und Kommentare-Posten können wir uns
genau so darstellen, wie wir gerne wären. Wir können uns jederzeit
korrigieren, Teile von uns löschen. Wir können retuschieren: unsere Stimme,
25 unser Gesicht, unseren Körper – wir entscheiden, welche „Ausgabe“ unseres
Selbst der andere zu sehen bekommt.
Menschliche Beziehungen sind vielschichtig. Sie sind verwirrend und
fordernd. Doch wir haben uns antrainiert, sie mit technischen Mitteln zu
säubern. Der Übergang von echten Gesprächen zu digitalen Verbindungen
30 ist Teil davon  – ein Prozess, der einen hohen Preis hat. Wenn wir uns 

68
E Sachtextanalyse

Was müssen Sie über die Analyse


von Sachtexten wissen?

Die Analyse eines Sachtextes hat entweder einen Gebrauchstext (z. B. Kommen-
tar, Glosse, Rede), eine wissenschaftliche oder eine philosophische Abhandlung
zum Gegenstand.
Der Grund für die Beschäftigung mit solchen Texten ist seine systematische
Durchdringung und daraus resultierend ein tiefer gehendes Textverständnis.
Diese Aufsatzart besteht normalerweise aus den beiden Blöcken Inhaltswieder-
gabe und Analyseteil. Bei der Bearbeitung des Themas sollten Sie genau darauf
achten, was die Aufgabenstellung verlangt.

Meistens sind folgende Punkte zu bearbeiten:


Zusammenfassung des Textinhalts/strukturierte Textwiedergabe
Darlegung des Argumentationsaufbaus und der Gedankenführung
Analyse sprachlicher und rhetorischer Mittel
Herausarbeiten der Intention des Autors

85
E
Sachtextanalyse

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die bei der Analyse von Sachtexten gemacht
werden, sind:
Die Textwiedergabe ist unvollständig; die Kernaussage wird nicht richtig
herausgearbeitet.
Der Verfasser löst sich nicht von der Vorlage und gestaltet seinen Aufsatz
im Stil des Originals – eine Gefahr vor allem bei humoristischen Texten.
Die Argumentationsstruktur des Sachtextes wird nicht vollständig
durchschaut.
Der Aufsatz wird ungleichgewichtig, da einer Teilfrage zu viel
Aufmerksamkeit geschenkt wird – zum Beispiel Betonung der
Sprachanalyse zu Ungunsten der Deutung.
Sprachlich-stilistische Mittel werden aneinandergereiht, ohne dass
ihre Bedeutung erkannt wird.
Es werden Behauptungen aufgestellt, die nicht mit Textzitaten
belegt werden.

86
Lessing: Über die Wahrheit

G. E. Lessing: Über die Wahrheit

1 Geben Sie das Thema und die Kernaussagen des folgenden Textes wieder.
Untersuchen Sie genau den gedanklichen Aufbau und die
Argumentationsstruktur. Analysieren Sie die sprachliche Gestaltung des
Textes und bestimmen Sie – davon ausgehend und unter Berücksichtigung
der textexternen Faktoren – die Intention des Autors.
Zusatzinformationen:
Der Kritiker, Dramatiker und philosophisch-theologische Publizist Gotthold
Ephraim Lessing (1729 –1781) repräsentiert den Höhepunkt der Aufklärung
in Deutschland. Lessings Worte über die Wahrheit stammen aus einer
theologischen Kontroverse im Jahre 1777.

Über die Wahrheit

Ein Mann, der Unwahrheit unter entgegengesetzter Überzeugung in guter


Absicht ebenso scharfsinnig als bescheiden durchzusetzen sucht, ist un-
endlich mehr wert als ein Mann, der die beste, edelste Wahrheit aus Vorurteil,
mit Verschreiung seiner Gegner, auf alltägliche Weise verteidiget.

5 Will es denn eine Klasse von Leuten nie lernen, dass es schlechterdings nicht
wahr ist, dass jemals ein Mensch wissentlich und vorsätzlich sich selbst
verblendet habe? Es ist nicht wahr, sag ich; aus keinem geringen Grunde, als
weil es nicht möglich ist. Was wollen sie denn also mit ihrem Vorwurfe
mutwilliger Verstockung, geflissentlicher Verhärtung, mit Vorbedacht ge-
10 machter Pläne, Lügen auszustaffieren, die man Lügen zu sein weiß? Was
wollen sie damit? Was anders, als – Nein; weil ich auch ihnen diese Wahrheit
muss zugutekommen lassen; weil ich auch von ihnen glauben muss, dass sie
vorsätzlich und wissentlich kein falsches verleumderisches Urteil fällen
können: so schweige ich und enthalte mich alles Widerscheltens.

15 Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein
vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die
Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den
Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine
Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der
20 Besitz macht ruhig, träge, stolz. 

87
E
Sachtextanalyse

Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen
immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer
und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele
ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! Die reine Wahrheit ist ja
25 doch nur für dich allein!

Beispiel 1

A Theologische Kontroversen heute und zur Zeit Lessings


B Analyse des Textes „Über die Wahrheit“ von G. E. Lessing
I. Thema des Textes
II. Wiedergabe der Kernaussagen
1. Verteidigung der Unwahrheit in bestimmten Fällen
2. Unmöglichkeit einer bewussten Entscheidung gegen
die Wahrheit
3. Streben nach Wahrheit als wesentliche Aufgabe des Menschen
III. Gedankenführung
IV. Untersuchung der Argumentationsstruktur
V. Analyse der sprachlichen Gestaltung
VI. Intention des Autors
C Persönliche Beurteilung von Lessings Thesen

Religiöse und weltanschauliche Diskussionen sind heutzutage nicht selten.


Meist versuchen zwei Parteien, sich gegenseitig „ihre Wahrheit“ aufzudrängen,
ohne darauf zu achten, dass es unter Menschen keine absolute Wahrheit geben
kann und keiner von uns im Besitz der Wahrheit ist. Auch der Aufklärer Lessing
beschäftigt sich mit diesem Themenkomplex in seinem Aufsatz „Über die
Wahrheit“, der ein Ausschnitt aus einer theologischen Kontroverse aus dem Jahr
1777 ist. Das Thema des vorliegenden Textausschnitts ist Wahrheit im religiösen
Bereich und der Umgang des Menschen mit ihr.

Zuerst behauptet Lessing, dass ein Mann als besser einzuschätzen sei, der
Unwahrheit in bester Absicht verteidigt, als einer, der die Wahrheit ideologisch
verblendet gegen seine Mitmenschen einsetzt. Dann meint Lessing, es sei
unmöglich, dass ein Mensch absichtlich die Unwahrheit der Wahrheit vorziehe.
Ferner mache den Wert des Menschen nicht die Kenntnis der Wahrheit, sondern
das Streben nach ihr aus.

Hinsichtlich der Gedankenführung Lessings ist festzustellen, dass er offenbar


auf den Vorwurf „mutwilliger Verstockung, geflissentlicher Verhärtung, 

88
F Erschließung eines
Erzähltextes
Was müssen Sie über die Erschließung
eines Erzähltextes wissen?

Diese Aufsatzform beschäftigt sich mit epischen Texten. Hierbei kann es sich um
eine epische Kurzform wie Parabel oder Kurzgeschichte handeln. Möglich ist
aber auch ein Ausschnitt aus einem Roman, einer Novelle oder Erzählung. Not-
wendig sind neben Analysetechniken gattungsspezifische Kenntnisse (Erzähl-
situation, Darstellungsweise, Raum-Zeit-Struktur), Epochenwissen (soziokultu-
reller und geistesgeschichtlicher Hintergrund) sowie Informationen zum Autor.

Wie bei der Sachtextanalyse auch gibt es bei der Erschließung eines literarischen
Textes zwei große Teile:
Erfassung des Textinhalts
Untersuchung der formalen Elemente des Textes in ihrer Funktion mit dem
Ziel einer Gesamtdeutung

Bei der Bearbeitung des Themas sollten Sie darauf achten, was die Aufgaben-
stellung im Besonderen verlangt. Meistens sind folgende Punkte zu behandeln:
Zusammenfassung des Textinhalts/strukturierte Textwiedergabe
Darlegung des Aufbaus und der Textkomposition
Analyse sprachlicher und erzähltechnischer Mittel
Herausarbeiten der Textaussage mit Autorintention

98
… über die Erschließung eines Erzähltextes wissen?

Vorsicht, F lle!
Die sechs häufigsten Fehler, die bei der Erschließung eines Erzähltextes
gemacht werden, sind:
Die Textwiedergabe ist unvollständig; die Kernaussage wird nicht richtig
herausgearbeitet.
Erzählperspektive und Raum-Zeit-Struktur werden falsch eingeschätzt.
Besonderheiten wie Rahmenhandlung versus Binnenhandlung oder
erlebte Rede versus innerer Monolog werden nicht erkannt.
Zwischen Autor und Erzähler wird nicht unterschieden.
Der Aufsatz wird ungleichgewichtig, da einer Teilfrage zu viel
Aufmerksamkeit geschenkt wird, zum Beispiel Betonung der
Sprachanalyse zu Ungunsten der Deutung.
Sprachlich-stilistische Mittel werden aneinandergereiht, ohne in ihrer
Funktion bestimmt zu werden.
Es werden Behauptungen aufgestellt, die nicht mit Textzitaten belegt
werden.

99
F
Erschließung eines Erzähltextes

B. Brecht: Wenn die Haifische Menschen wären

1 Interpretieren Sie den folgenden Text von Bertolt Brecht aus den
„Geschichten vom Herrn Keuner“ nach Inhalt und Aufbau sowie Sprache
und Deutung.

Wenn die Haifische Menschen wären

„Wenn die Haifische Menschen wären“, fragte Herrn K. die kleine Tochter
seiner Wirtin, „wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?“ „Sicher“, sagte
er. „Wenn die Haifische Menschen wären, würden sie im Meer für die kleinen
Fische gewaltige Kästen bauen lassen, mit allerhand Nahrung drin, sowohl
5 Pflanzen als auch Tierzeug. Sie würden sorgen, daß die Kästen immer frisches
Wasser hätten, und sie würden überhaupt allerhand sanitäre Maßnahmen
treffen. Wenn zum Beispiel ein Fischlein sich die Flosse verletzen würde, dann
würde ihm sogleich ein Verband gemacht, damit es den Haifischen nicht
wegstürbe vor der Zeit. Damit die Fischlein nicht trübsinnig würden, gäbe es
10 ab und zu große Wasserfeste; denn lustige Fischlein schmecken besser als
trübsinnige. Es gäbe natürlich auch Schulen in den großen Kästen. In diesen
Schulen würden die Fischlein lernen, wie man in den Rachen der Haifische
schwimmt. Sie würden zum Beispiel Geographie brauchen, damit sie die
großen Haifische, die faul irgendwo liegen, finden könnten.

15 Die Hauptsache wäre natürlich die moralische Ausbildung der Fischlein. Sie
würden unterrichtet werden, daß es das Größte und Schönste sei, wenn ein
Fischlein sich freudig aufopfert, und daß sie alle an die Haifische glauben
müßten, vor allem, wenn sie sagten, sie würden für eine schöne Zukunft
sorgen. Man würde den Fischlein beibringen, daß diese Zukunft nur gesichert
20 sei, wenn sie Gehorsam lernten. Vor allen niedrigen, materialistischen,
egoistischen und marxistischen Neigungen müßten sich die Fischlein hüten
und es sofort den Haifischen melden, wenn eines von ihnen solche Neigungen
verriete.

Wenn die Haifische Menschen wären, würden sie natürlich auch untereinander
25 Kriege führen, um fremde Fischkästen und fremde Fischlein zu erobern. Die
Kriege würden sie von ihren eigenen Fischlein führen lassen. Sie würden die
Fischlein lehren, daß zwischen ihnen und den Fischlein der anderen Haifische
ein riesiger Unterschied bestehe. Die Fischlein, würden sie verkünden, sind
bekanntlich stumm, aber sie schweigen in ganz verschiedenen Sprachen
30 und können einander daher unmöglich verstehen. Jedem Fischlein, das 

100
Brecht: Wenn die Haifische Menschen wären

im Krieg ein paar andere Fischlein, feindliche, in einer anderen Sprache


schweigende Fischlein, tötete, würden sie einen kleinen Orden aus Seetang
anheften und den Titel Held verleihen.

35 Wenn die Haifische Menschen wären, gäbe es bei ihnen natürlich auch eine
Kunst. Es gäbe schöne Bilder, auf denen die Zähne der Haifische in prächtigen
Farben, ihre Rachen als reine Lustgärten, in denen es sich prächtig tummeln
läßt, dargestellt wären. Die Theater auf dem Meeresgrund würden zeigen,
wie heldenmütige Fischlein begeistert in die Haifischrachen schwimmen,
40 und die Musik wäre so schön, daß die Fischlein unter ihren Klängen, die
Kapelle voran, träumerisch, und in allerangenehmste Gedanken eingelullt, in
die Haifischrachen strömten.

Auch eine Religion gäbe es da, wenn die Haifische Menschen wären. Sie
würde lehren, daß die Fischlein erst im Bauch der Haifische richtig zu leben
45 begännen.

Übrigens würde es auch aufhören, wenn die Haifische Menschen wären, daß
alle Fischlein, wie es jetzt ist, gleich sind. Einige von ihnen würden Ämter
bekommen und über die anderen gesetzt werden. Die ein wenig größeren
dürften sogar die kleineren auffressen. Das wäre für die Haifische nur
50 angenehm, da sie dann selber öfter größere Brocken zu fressen bekämen.
Und die größeren, Posten habenden Fischlein würden für die Ordnung unter
den Fischlein sorgen, Lehrer, Offiziere, Ingenieure im Kastenbau usw. werden.
Kurz, es gäbe überhaupt erst eine Kultur im Meer, wenn die Haifische
Menschen wären.“

Beispiel 1

A Keuner-Geschichten
B Interpretation der Parabel „Wenn die Haifische Menschen
wären“ von Bertolt Brecht
I. Inhalt und Aufbau
II. Sprachanalyse
1. Satzbau
2. Wortwahl
III. Deutung
1. Vergleich von Bild- und Sachebene
2. Aussage
C Verbindung zum Ausdruck „wohl wie ein Fisch im Wasser“ 

101
F
Erschließung eines Erzähltextes

Der Autor lässt in seiner Novelle keine Lebensstrategie über die andere siegen.
Klaus Buchs Scheinwelt wird von ihm selbst im achten Kapitel und vor allem
durch seine Frau Helene im neunten entlarvt. Helmut hat seiner Schein- und
Schutzwelt einen Riss versetzt, indem er seine Wut und Angst uneingeschränkt
herausgelassen hat und Klaus in diesem Moment den wahren Helmut Halm
erkennen konnte. Beide haben in ihrem antagonistischen Kampf eine
Niederlage erlitten, beiden bleibt am Ende nur noch die Flucht. Die Halms
reisen nach Montpellier ab, auch Buchs verlassen die Ferienwohnung in der
Hoffnung, die Scheinwelt anderswo wieder aufbauen zu können.

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Die Sprachanalyse erscheint hier relativ kurz, was auch daran liegt, dass der
literarische Text in einer modernen Alltagssprache verfasst ist, die für den Leser
keine Besonderheit darstellt, die aber als charakterisierend für die sprechenden
Personen erwähnt werden muss. Bei Erzähltexten ist es oft der Fall, dass zur Spra-
che weniger zu sagen ist als zu anderen Gesichtspunkten.
Die übrigen Punkte sind hier erschöpfend behandelt. Die Arbeit ist sehr gut,
unter anderem wegen der gewandten sprachlichen Darstellung.

Beispiel 2

A Der Autor und die Thematik der Novelle


B Analyse des Textabschnitts
I. Einordnung des Geschehens in den Handlungszusammenhang
II. Buchs Einstellung zum Leben
1. Metapher Leben
2. Personifikation
3. Übertreibungen
III. Darstellung von Klaus’ Verhältnis zu Helmut und Bewertung
seiner  Pläne
C Werte und Normen der 70er- und 80er-Jahre

Der Autor Martin Walser wurde 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren.


Er bekam bereits zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Georg-
Büchner-Preis. Neben Reden und Essays schrieb er zahlreiche Novellen,
darunter auch „Ein fliehendes Pferd“, worin die Konkurrenz zwischen zwei
Männern in ihrer Lebensmitte und deren unterschiedliche Lebensweisen
thematisiert wird. 

122
Walser: Ein fliehendes Pferd

Zwei Ehepaare, Helmut und Sabine Halm sowie Klaus und Helene Buch, die sich
beide im Urlaub am Bodensee befinden, treffen zufällig auf der Promenade
aufeinander. Auch als sich herausstellt, dass Klaus und Helmut alte Schulfreunde
sind, reagiert Helmut zurückhaltend auf die Annäherung des Ehepaars Buch.
Bei mehreren gemeinsamen Unternehmungen greift Klaus oft die gemeinsame,
von Helmut verdrängte Vergangenheit auf und gewinnt schnell Sabines
Sympathie für sich, da Klaus im Gegensatz zu ihrem lethargischen, unsport-
lichen Mann jung und attraktiv wirkt. Unmittelbar vor dem zu analysierenden
Textabschnitt finden sich die zwei Männer auf Anregung von Klaus ohne die
Frauen zum Segeln ein. Da der nur schwache Wind das Segeln kaum zulässt,
beginnt Klaus ein Gespräch mit Helmut. Der von Klaus dominierte Dialog, der
von Helmut durch bloßes Nicken begleitet wird, führt zu Klaus’ Sichtweise über
das Leben. Für ihn muss es Reize bieten, „sonst erlischt es“. Er benutzt das Wort
„Leben“ als Metapher für eine Kerze, die, wenn sie nicht mehr brennt, erlischt
und so keine Wärme oder Licht mehr spendet.

Klaus hat Angst davor, schon zu Lebzeiten tot zu sein. Seiner Meinung nach
braucht das Leben „den Stoß“, immer wieder neue Impulse. Dies wird durch die
Personifikation „Das Lebendige braucht überhaupt das ganz Neue“ besonders
deutlich. Nichts in Klaus’ Leben darf geplant oder festgelegt sein. Alles muss neu
und unvorhersehbar bleiben. Er braucht den „challenge“, die Herausforderung,
die er auch in seiner jungen Frau Helene sieht, um sich „fit“ zu halten. Dazu
gehört für ihn der ständige Kampf, dieses Sich-Fit-Halten, auch mit sportlicher
Aktivität. So wie man ohne Bewegung an Muskelkraft verliert, so verliert man
ohne Herausforderung und Aktivität die Lebenskraft. Um seine Faszination und
Begeisterung für das Leben auszudrücken, benutzt Klaus Übertreibungen wie
„schreien vor Begeisterung“ oder „aufschreien vor Liebe“. Um seine Ziele
auszudrücken, nutzt er Hyperbeln wie „brillant, glänzend, großartig“.

Klaus führt das Gespräch weiter, indem er auf die Beziehung zwischen sich
und Helmut kommt. Schon bald gibt er zu, dass er Helmut braucht. Klaus’
Bewunderung für Helmuts geistige Überlegenheit wird deutlich: „die große
Problemschraube Zarathustra in der Badehose gelesen“ sowie seine eigene
Abwertung: „Ich, die alte Küchenschabe (…)“.

Gleichzeitig sieht Klaus sich jedoch in der Rolle, dass er Helmut retten muss –
und nicht umgekehrt. Diese Aufgabe erscheint Klaus als eine weitere
Herausforderung. Später redet er jedoch von der gemeinsamen Rettung. Dabei
bedeutet Rettung für ihn der Ausstieg aus dem alten, spießigen Leben in ein
neues Leben, das für Klaus auf den Bahamas liegt. Er ist überzeugt, dass dieses
Ziel, wenn beide sich gegenseitig helfen würden, erreichbar wäre. Doch Klaus
wird sich bewusst, dass dieses neue Leben ein großes Risiko ist: „(…) laß es uns
groß spielen.“ Trotzdem sieht Klaus seine Aufgabe darin, Helmut „vorm 

123
F
Erschließung eines Erzähltextes

Versacken“ zu bewahren. Die „Gefahr der Stagnation“, die für Klaus gleichbe-
deutend mit dem Tod ist, sieht er als Herausforderung an, die er sich zutraut, zu
bewältigen. Klaus fordert von Helmut größte Offenheit, um ihr gemeinsames
Ziel erreichen zu können. Er stehe Helmut immer zur Seite, auch wenn es um
die Trennung von Helmuts Frau Sabine gehe. Klaus hält eine Trennung für
ratsam, da Sabine nach seiner Ansicht keine Herausforderung für Helmut mehr
sei und ihn deshalb in seinem neuen Leben nur behindern würde.

Am Ende der Novelle zeigt sich die Undurchführbarkeit von Klaus Buchs
Zukunftsplänen, da dieser persönlich und finanziell nicht in der Lage wäre,
diese zu verwirklichen. Vielmehr verkörpern sie Klaus’ Suche nach dem
Abenteuer, die Flucht vor der Wirklichkeit in eine Scheinwelt, um seinen
Ängsten zu entkommen.

Die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ spiegelt die Problematik der Midlifecrisis
wider, zeigt aber auch die Erwartungen der Gesellschaft in den 70er- und 80er-
Jahren bezüglich der Normen und Wertvorstellung, die die einen anziehend,
die anderen unmoralisch oder sittlich abstoßend fanden.

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Die Arbeit ist sprachlich ordentlich, aber es gibt keine Einordnung in den Ge-
samtzusammenhang, da der Inhalt der Novelle nur bis zur vorgelegten Textstelle
erzählt wird. Der Schluss bleibt unerwähnt; es wird sofort in den Analyseteil ein-
gestiegen. Auf den wichtigen Segelunfall wird nicht eingegangen. So entsteht
keine Gesamterschließung der Novelle, was die Aufgabenstellung jedoch ver-
langt.
Der Fachbegriff „Metapher“ wird zum Teil falsch verwendet („Leben“ steht nicht
für „Kerze“, sondern umgekehrt).
Der Schluss spricht von Normen und Wertvorstellungen, die nicht erläutert wer-
den. Das ist viel zu vage und beinhaltet letztendlich keine Aussage. Dies ist eine
Schwäche, die die gesamte Arbeit durchzieht; sie bietet viel Paraphrase, aber
kaum eigene Gedanken. Außerdem ist kein einziges Zitat belegt.

124
G
Erschließung eines Dramentextes

zunächst einmal die Existenzgrundlage für seine Familie sichern, bevor er einen
Gedanken daran verschwenden könne, ob sein Verhalten moralisch sei oder
nicht. Mit diesem Einwand stößt er beim Hauptmann aber auf taube Ohren.
Zusammen mit dem Doktor bildet Woyzecks Vorgesetzter ein Gespann, das den
Protagonisten fortwährend demütigt, unterdrückt und ausnützt, also selbst
keineswegs moralisch handelt. Woyzecks Bemühungen, ein guter Mensch zu
sein, werden von der Gesellschaft nie gewürdigt, obwohl er alles für seine
geliebte Marie und ihr Kind tut. Als Marie ihn dann in ihrem Wunsch,
gesellschaftlich aufzusteigen, betrügt, weiß er sich nicht mehr zu helfen und
bringt sie um.
Anders als Gretchen, die das durch gesellschaftliche Moralansprüche bedingte
Leid in sich verschließt, versucht Woyzeck, seinem Gefühlsstau ein Ventil zu
verschaffen. Dies gelingt ihm zwar mit seiner Mordtat, jedoch nur um den Preis
der kompletten Selbstzerstörung. Beide Protagonisten können die
gesellschaftlich bedingten Fesseln also nur im Tod abstreifen.

Um die Betrachtung abzurunden, soll nun noch der Blick auf den historischen
Faust gelenkt werden. Die Figur des Dr. Faust geht auf eine reale Person, einen
gewissen Johann Gregorius Faustus aus der Reformationszeit, zurück. Der 1540
in Knittlingen geborene hochbegabte Autodidakt beschäftigte sich mit
Astrologie, Wahrsagerei und Alchemie. Schon zu Lebzeiten rankten sich viele
Spekulationen und Gerüchte um diesen Mann. Sein Tod erscheint ebenso
mysteriös. Er starb bei einem seiner geheimen Experimente. Wissenschaft,
Experiment und antibürgerliche Lebensführung verbinden ihn mit der Figur
aus Goethes Drama.

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Diese Arbeit ist gekennzeichnet durch einen musterhaften Aufbau auf der Basis
einer sehr guten Gliederung. Die Verfasserin schafft durch – freilich manchmal
etwas formelhafte – Überleitungen ein organisches Ganzes. Auch der Vergleich
mit Büchners „Woyzeck“ gelingt, da ein deutlicher Bezug zum „Faust“ hergestellt
wird.
Deutlich wird hier auch, wie wichtig eine umfassende Textkenntnis ist. Daneben
besitzt die Verfasserin eine sehr gute Zitiertechnik und bringt reichlich Textbele-
ge, die sinnvoll und abwechslungsreich angewendet werden.

136
Goethe: Faust I

Beispiel 2

A Goethe als Meister der deutschen Dichtkunst


B Analyse der Szene „Nacht. Straße vor Gretchens Türe“
1. Inhalt
a) Valentins Bericht
b) Begegnung Valentins mit Faust und Mephisto
c) Valentins Vorwürfe gegen Gretchen
2. Sprachliche Gestaltung
a) Monologe und Dialoge
b) lyrische Sprache
3. Bedeutung für den Gesamtzusammenhang
4. Unterschiedliche Einstellungen zu Sitte und Moral
a) Valentin
b) Marthe
c) Woyzeck
C „Faust“ als faszinierendes Thema

J. W. von Goethe ist für viele Menschen der Inbegriff hervorragender deutscher
Dichtkunst. Auch wegen seiner Werke wurde Deutschland das Land der Dichter
und Denker genannt. Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. Er
studierte Jura, wurde jedoch durch seine Dichtungen weltbekannt. In Weimar
pflegte Goethe Umgang mit einem weiteren deutschen Dichter, Friedrich von
Schiller. 1832 starb Goethe dann in Weimar.
Ein Werk hat ihn sein ganzes Leben über beschäftigt – sein Faust-Drama ist das
bis heute wohl bekannteste Werk von Goethe. Bereits als Kind hatte er ein
Puppenspiel über Dr. Faustus gesehen, doch es dauerte bis kurz vor seinem Tod,
bis er sein Lebenswerk vollenden konnte.

Im Folgenden soll eine Szene aus „Faust I“ analysiert werden. Es handelt sich
dabei um die Szene „Nacht. Straße vor Gretchens Türe“. Diese soll hinsichtlich
des Inhalts, der sprachlichen Gestaltung, der Bedeutung für den Gesamt-
zusammenhang und der unterschiedlichen Einstellung zu Sitte und Moral
untersucht werden.

Im ersten Abschnitt der Szene erzählt Gretchens Bruder Valentin zunächst von
seiner Zeit beim Militär. Er berichtet von den Gelagen, die er mit anderen
Soldaten hatte, und vergleicht die Mädchen, die ihnen dabei Gesellschaft
leisteten, mit seiner Schwester Margarete. Keine andere Frau sei so tugendhaft
gewesen wie seine Schwester. Doch als er vom Militär heimkehrt, muss er sich
die Lästereien über den veränderten Lebenswandel seiner Schwester anhören
und kann trotz seiner Wut nicht behaupten, dass das Lügen seien. 

137
Benn: Ein Wort

Beispiel 1

A Kommunikation und Sprache als wesentliche Faktoren menschlichen


Zusammenlebens
B Analyse des Gedichts „Ein Wort“ von Gottfried Benn mit Diskussion
über Benns Auffassung vom Dichtungsprozess
I. Inhalt
1. Bedeutung des Wortes in der ersten Strophe
2. Entwicklung des Wortes in der zweiten Strophe
II. Aufbau
1. Formaler Aufbau
2. Häufung von Nomen
III. Stilmittel und sprachliche Auffälligkeiten
IV. Einordnung in die Epoche des Expressionismus
1. Ausdruckskunst
2. Betonung des Wesentlichen
3. Aussagekraft des Wortes
4. Motiv des Unheils im Expressionismus
V. Erläuterung zweier Aussagen Benns zum Dichtungsprozess
1. Gedichte als Kunstprodukt
2. Gedichte als Eingebung
C Eigener Eindruck

Kommunikation und Sprache bestimmen und beeinflussen das menschliche


Zusammenleben so sehr wie kaum ein anderer Faktor. In beinahe jeder
Situation ist das Gespräch Grundlage der Verständigung. Das Gesagte spiegelt
unsere Ansichten, Hoffnungen, Ängste und Gefühle wider. Welche Bedeutung
hierbei einem einzelnen Wort zukommt, welche enorme Aussage ein einzelner
Satz haben kann, ist uns oftmals nicht bewusst. Gottfried Benn hat sich dieser
Thematik gewidmet und legt in seinem Gedicht „Ein Wort“ die omnipräsente
Bedeutung des dichterischen Wortes dar.

Bereits in der ersten Strophe wird deutlich, wie wichtig das Wort ist, denn alles
läuft darauf hinaus – sogar der Himmel verstummt. Dabei werden existenzielle
Begriffe angesprochen und zum Wort in Beziehung gesetzt. In der zweiten
Strophe zeigt Benn eine Entwicklung auf. Handelt es sich in den ersten beiden
Zeilen noch darum, was ein Wort alles sein kann, so erfährt man in den letzten
beiden Zeilen, wie die Welt nach dem Aufscheinen des Wortes wieder dunkel
wird. 

161
H
Gedichtinterpretation

„Ein Wort“ besteht aus zwei Strophen zu je vier Versen. Man erkennt eindeutig
das Reimschema des Kreuzreims. Vierhebige Jamben bestimmen das Metrum,
wobei die Endsilbe der Zeilen abwechselnd weiblich und männlich ist. In den
Zeilen eins, drei, fünf und sieben findet man unbetonte Endsilben wie etwa
„steigen“ (V. 1) und „Feuer“ (V. 5). Betonte Endsilben gibt es in den Zeilen zwei,
vier, sechs und acht, zum Beispiel „Sinn“ (V. 2) oder „Ich“ (V. 8).

Schon an den beiden zuletzt genannten Beispielen lässt sich beobachten,


dass das Gedicht viele Nomen beinhaltet. Bei genauerem Hinsehen findet man
18 Nomen in acht Zeilen; man kann also von einer Nomenhäufung sprechen.
Besonders auffällig ist dabei, dass die zweite Strophe ganz ohne Verben
auskommt.

„Ein Wort“ ist nicht nur der Titel des Gedichts, auch die Verse eins und fünf
beginnen mit diesem Begriff, was eine Anapher darstellt. Wird in der ersten Zeile
„Ein Wort“ noch von einem „Satz“ ergänzt, um dann personifiziert „aus Chiffren“
zu „steigen“, was darauf schließen lässt, dass dem Wort bzw. Satz eine höhere
Bedeutung zukommen soll, zeigt sich in Zeile vier schon sehr deutlich, dass es
das Zentrum darstellt, denn „alles ballt sich zu ihm hin“ (V. 4). Die Formulierung
„hinballen“ ist außergewöhnlich, stellt sie doch einen Neologismus dar, der
zeigt, wie eng sich alles an das Wort bindet. Die Zeilen zwei und drei bilden
jeweils in sich Parallelismen. Durch das Wort erkennt man den Sinn des Lebens;
die Sonne und das Weltall bilden den Raum für den Vorgang des Zusammen-
ballens von Wort und Sinn.

Auch die zweite Strophe beginnt, wie oben erwähnt, mit dem „Wort“. Doch nach
einem Gedankenstrich, der ein „ist“ ersetzt, nennt der Dichter mit jedem neuen
Begriff eine neue Metapher für das Wort. So ist dieses „ein Glanz, ein Flug, ein
Feuer“ (V. 5) und man erkennt bereits hier eine Steigerung, die sich in Vers sechs
zum „Flammenwurf“ erhöht und im Neologismus „ein Sternenstrich“ gipfelt. Als
wären diese Metaphern nur ein kleiner Einblick gewesen, beendet ein erneuter
Gedankenstrich am Ende von Vers sechs diese Überlegungen und man befindet
sich wieder im Dunkeln, es ist „ungeheuer“ (V. 7). Dieser Eindruck findet seine
Ergänzung eine Zeile später, wo der Leser erfährt, wo es dunkel und ungeheuer
ist, nämlich „im leeren Raum um Welt und Ich“ (V. 8). Der Raum ist leer von
Worten, weil die Sphären schweigen.

Gottfried Benns Werk ist dem Expressionismus zuzuordnen. Die Künstler dieser
Epoche verstanden sich selbst als Antwort auf Strömungen wie Naturalismus,
Materialismus und Impressionismus. Ganz im Gegensatz zum Künstler des
Impressionismus, der versuchte, eigene Eindrücke darzustellen, geht es im
Expressionismus um den Ausdruck. Dabei sollte vielfach das Individuelle
zurücktreten und das Wesentliche, das Gemeinsame betont werden. 

162
Benn: Ein Wort

Eine wichtige Forderung der Expressionisten, die Sprache solle „selbstredend“


sein, wird in „Ein Wort“ erfüllt. Besonders in den Versen fünf und sechs, wo die
Häufung der Nomen auftritt, spricht die Sprache für sich selbst. Ein weiterer
Beleg für die Einordnung des Gedichts als expressionistisch ist die Tatsache,
dass gerade in jener Kunstrichtung das Bedrohliche eine wesentliche Rolle
spielt, was auch in Gottfried Benns Gedicht zur Sprache kommt: „und wieder
Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich“ (V. 7 f.). Nur das Wort
kann, der expressionistischen Theorie entsprechend, das Ungeheure, das Welt
und Leben darstellen, erklären.

Benn selbst sagt, ein Gedicht entstehe sehr selten, es werde „gemacht“. Hier
meint er sicherlich den Aufbau eines Gedichts, der in den meisten Fällen
konstruiert ist. In „Ein Wort“ spricht die Regelmäßigkeit von Reim, Metrum,
Kadenzen und Strophenbau dafür, dass es nicht einfach entstand, sondern
gemacht wurde und somit ein eigenständiges „Kunstprodukt“ ist.

Wenn Benn nun auch meint, das Rätselhafte sei, dass das Gedicht schon fertig
sei, ehe der Verfasser es begonnen habe – der Autor wisse nur den Text noch
nicht –, so macht er diese Aussage wohl, um die inneren Vorgänge des Dichters
zu beschreiben. Dieser ist sich wahrscheinlich bereits sicher, dass er in seinem
Werk die bedeutende Grundlage eines Wortes beschreiben werde und darauf
eingehen möchte, was ein Wort sein kann und welche Leere den Raum erfüllt,
wenn dieses Wort nicht mehr vorhanden ist. Doch auch wenn der Autor bereits
detaillierte Vorstellungen vom Inhalt des Gedichts hat, weiß er eventuell noch
nicht, welche Form er ihm geben wird. Die Inspiration des Dichters ist die
notwendige Voraussetzung seines Schaffens, alles Nachfolgende ist Handwerk.

Meiner Meinung nach versucht Gottfried Benn, fasziniert vom Wort, in diesem
Gedicht zu zeigen, dass wir uns der enormen Bedeutung des Wortes nicht
bewusst sind. Der Mensch macht sich zu wenig Gedanken über die Grundlagen
der menschlichen Gesellschaft und Kultur und geht zu unreflektiert mit dem
Instrument um, das ihn von anderen Lebewesen unterscheidet.

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Die Verfasserin geht sehr systematisch vor: Es gelingt ihr eine genaue Stilmittel-
analyse mit Funktion und erster Deutung. Genaue Epochenkenntnisse werden
differenziert angewendet.
So entsteht eine umfassende Gesamtwürdigung des Gedichts, die den Text auch
einem uninformierten Leser entschlüsselt. Es besteht eine Neigung zu Schachtel-
sätzen, die die Schülerin aber beherrscht.

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