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Franz Brentano

Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles


Franz rentano
Sämtliche veröffentlichte
Schritte

Dritte Abteilung
Schriften zu Aristoteles

Herausgegeben von
Thomas Binder und Arkadiusz Chrudzimski

Band IV

Wissenschaftlicher Beirat
Mauro Antonelli, Mailand; Wilhelm Baumgartner, Würzburg;
Johannes Brandt, Salzburg; Wolfgang Huemer, Parma;
Robin Rollinger, Salzburg; Werner Sauer, Graz
Franz Brentan
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Mit einem Vorwort von Thomas Binder
und Arkadiusz Chrudzimski zur Ausgabe
der veröffentlichten Schriften,
eingeleitet von Mauro Antonelli und Werner Sauer

Herausgegeben von
Werner Sauer

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
DE GRUYTER E0698875
ISBN 978-3-11-033710-5
e-lSBN 978-3-11-034286-4

Library of Congress Cataloging-in~Publication Data


A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston


Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
oo Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
DFSC
www.f=o,g
MIX
Papier aus verantwor•
tungsvollon Quellen
FSC- C016439
www.degruyter.com
Inhalt
Vorwort der Herausgeber .............................. VII

Mauro Antonelli, Werner Sauer: Einleitung . ................ XI


I. Präliminarien ........................................ XI
II. Das Seiende nach den Figuren der Kategorien ............. XXII
II. l. Der ontologische Charakter der Kategorien .......... XXII
II.2. Die Kategorien und die Analogie des Seienden ........ XXX
II.3. Die Ableitung der Kategorientafel .................. XLI
III. Das Seiende im Sinne des Wahren ...................... XLV
III. l. Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIX
III.2. Alexander von Aphrodisias ........................ LV
III.3 Thomas von Aquin .............................. LIX
III.4. Brentano .................................. LXVIII
IV. Zu dieser Ausgabe ................................. LXXVI

Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden


nach Aristoteles ....................................... 1

Stellenregister ....................................... 197

Personenregister ..................................... 203


Vorwort der Herausgeber
Die vorliegende Ausgabe von Brentanos Dissertation Von der mannigfachen
Bedeutung des Seienden nach Aristoteles ist der vierte Band einer neuen Edi-
tion der Werke Franz Brentanos. Diese Edition unternimmt es zum ersten
Mal, alle Schriften, die von Brentano selbst publiziert wurden, in einer hand-
lichen, zehnbändigen Studienausgabe dem Leser zugänglich zu machen.
Dazu gehören neben seinen bahnbrechenden systematischen Werken wie
der Psychologie vom empirischen Standpunkte und ¼m Ursprung der sittlichen
Erkenntnis auch seine wichtigen Studien zu Aristoteles, dem Brentano ins-
gesamt vier Monographien widmete, sowie viele kleinere bedeutende Auf-
sätze zur Psychologie (und speziell zur Sinnespsychologie), zur Geschichte
der Philosophie und zu anderen Themen. Die nicht-philosophischen Schrif-
ten Brentanos (darunter neben kirchengeschichtlichen und juristisch-poli-
tischen Werken auch Abhandlungen zur Schachtheorie, Rätsel und Lyrik)
sollen in einem Ergänzungsband publiziert werden, um damit die Persön-
lichkeit des großen Denkers abzurunden.
Auf zwei Einschränkungen sei hingewiesen: 1. Nicht aufgenommen
wurde unter die Druckschriften Brentanos Gutachten zur päpstlichen
Unfehlbarkeit, da dieses nur in einem nicht von Brentano selbst besorgten
Privatdruck vorliegt, von dem lediglich ein einziges Exemplar überliefert ist.
2. Diese Ausgabe vereint die Druckschriften, soweit sie den Herausgebern
bekannt sind. Es kann nicht mit völliger Gewissheit ausgeschlossen werden,
dass Brentano noch weitere Schriften veröffentlicht hat. Als Beispiel sei hier
auf eine im Oktober 1876 in der Wiener Neuen Freien Presse von Bren-
tano anonym publizierte Rezension hingewiesen, die den Herausgebern nur
durch einen Zufall bekannt wurde und die im dritten Band dieser Ausgabe
erstmals als Werk Brentanos veröffentlicht wurde. Wenig wahrscheinlich ist
es allerdings, dass es sich bei einem solchen „verschollenen" Werk um eine
bedeutendere philosophische Schrift handeln sollte; dass auch in Zukunft
die eine oder andere bisher unbekannte Gedicht- oder Rätselpublikation
Brentanos entdeckt werden könnte, ist aber durchaus vorstellbar.
Die Druckschriften werden wie folgt auf die zehn geplanten Bände ver-
teilt, wobei die Texte in Sammelbänden chronologisch angeordnet sind:

1. Band: Psychologie vom empirischen Standpunkte


Von der Klassifikation der psychischen Phänomene
2. Band: Schriften zur Sinnespsychologie
VIII VORWORT DER HERAUSGEBER

3. Band: Schriften zur Ethik und Ästhetik


4. Band: Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles
5. Band: Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom
NOT2: TIOIHTIK02:
6. Band:Aristoteles Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes
7. Band:Aristoteles und seine Weltanschauung
8. Band: Kleinere Schriften zu Aristoteles
9. Band: Vermischte Schriften
10. Band: Nicht-philosophische Schriften

Die Neuausgabe der veröffentlichten Schriften basiert ausschließlich auf


den Erstpublikationen. Bei Texten, die in inhaltlich wie auch immer verän-
derter Form wiederholt publiziert wurden, werden alle Varianten vollständig
abgedruckt. Da es sich um keine Edition mit kritischem Anspruch handelt,
wurde auf textkritische und erläuternde Anmerkungen weitgehend, wenn
auch nicht vollständig, verzichtet (dass die Texte dennoch akribisch mit den
Originaltexten verglichen wurden, versteht sich von selbst). Genauere edi-
torische Hinweise zum Text finden sich in diesem Band abweichend von
den bisherigen Gepflogenheiten nicht in einer separaten, der Einleitung
und dem Haupttext vorangestellten editorischen Vorbemerkung, sondern
wurden wegen ihres Umfanges in die Einleitung integriert. Eine besondere
Erwähnung verdient die Handhabung der Rechtschreibung. Da Brentanos
Texte sowohl vor als auch nach der II. Berliner Orthographischen Konfe-
renz von 1901 publiziert wurden, und da auch in den nachfolgenden Jahr-
zehnten die Rechtschreibung immer wieder „reformiert" wurde, schien es
wenig sinnvoll, diese auf einem bestimmten Stand zu vereinheitlichen: die
Texte werden also allesamt in der historischen Form abgedruckt, in der sie
ursprünglich publiziert wurden. Jedem Band wird eine Einleitung vorange-
stellt, die den aktuellen Stand der Forschung reflektiert; schließlich sollen
ein Sach- und ein Personenregister den thematischen Zugang erleichtern (da
es sich beim vorliegenden Band doch in erster Linie um eine Arbeit zu Ari-
stoteles handelt, wurde das Sachregister durch ein Register der Aristoteles-
Stellen ersetzt).
Die Hauptmotivation für diese Edition liegt sicher darin, dass diese
sowohl für die Geschichte der Philosophie als auch für die systematische
Forschung so wichtigen Schriften schon seit Jahren aus dem Buchhandel
verschwunden und damit nur noch schwer zugänglich sind. Zum Teil sind
sie seit ihrer Erstveröffentlichung nicht mehr verlegt worden, zum Teil liegen
VORWORT DER HERAUSGEBER IX

sie aber auch in Ausgaben vor, die weder zeitgemäßen editorischen Standards
noch dem aktuellen Stand der philosophischen Forschung entsprechen. Da
die Herausgeber der festen Überzeugung sind, dass das Studium der Philo-
sophie Brentanos auch heute nicht nur wichtig, sondern außerordentlich
lohnend ist, soll die Lücke mit dieser Ausgabe geschlossen werden. Selbstver-
ständlich können die 10 Bände dieser Edition den Reichtum an Einzelfragen
und Lösungsansätzen nicht präsentieren, die Brentanos Philosophieren in
mehr als 50 Jahren intensiver Forschertätigkeit geprägt haben - diese Auf-
gabe muss einer kritischen Edition des äußerst umfangreichen Nachlasses
vorbehalten bleiben, die aufgrund der damit verbundenen großen edito-
rischen Herausforderungen bedauerlicherweise noch immer auf sich warten
lässt. Bei den vorliegenden von Brentano selbst veröffentlichten Schriften
handelt es sich aber dennoch um jene Werke, die seine Bedeutung für die
Philosophie zuallererst begründet haben.

Mai 2013 Thomas Binder, Arkadiusz Chrudzimski


Einleitung
Mauro Antonelli und Werner Sauer

Vom Seienden spricht man in mehreren Weisen (to on legetai


pollachös), aber immer in Bezug auf ein Prinzip.
Aristoteles, Metaphysik f.2 100365 f.

Und so läuft die wie seit alters so auch jetzt und immer wieder
aufgeworfene, doch auch immer wieder in Schwierigkeiten
führende Frage, nämlich, was das Seiende ist (tf to on), auf
diese Frage hinaus, was die Substanz ist (tfs he ousia).
Aristoteles, Metaph. Z.l 102862-4.

Ich hatte mich zunächst als Lehrling an einen Meister


anzuschließen und konnte, in einer Zeit kläglichsten Verfalles
der Philosophie geboren, keinen besseren als den alten
Aristoteles finden, zu dessen nicht immer leichtem Verständnis
mir oft Thomas von Aquin dienen mußte.
BriefBrentanos an Oskar Kraus vom 21.3.1916. 1

I. Präliminarien
Franz Brentano gilt gewöhnlich als der ,Philosoph der Intentionalität',
als jener Denker, dem die Wiederbelebung des klassischen Intentionali-
tätsgedankens in der neueren Philosophie zu verdanken ist; in den Wor-
ten eines ganz rezenten Artikels über ihn, er „is mainly known for his
work in the philosophy of psychology, especially for having introduced
the notion of intentionality to contemporary philosophy". 2 Immer wie-
der wird aus seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt von 1874
die berühmte Intentionalitätspassage3 zitiert (und durchwegs mißver-

Die Abkehr vom Nichtrealen, mit einer Einleitung hrsg. v. F. Mayer-Hillebrand,


Hamburg: Meiner 2 1977 (Abkürzung: AN), 291.
2 Wolfgang Huemer, ,,Franz Bremano", Stanford Encyclopedia of Philosophy (im
Internet), 2010.
3 Psychologie vom empirischen Standpunkt, Leipzig: Duncker & Humblot 1874;
3 Bde., mit Einleitung, Anmerkungen und Register hrsg. v. 0. Kraus, Leipzig:
Meiner 1924-1928, I, 124 f. Neuausgabe: Franz Bremano: Psychologie vom empi-
rischen Standpunkte. In: Th. Binder u. A. Chrudzimski (Hrsg.), Franz Bremano,
XII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

standen). 4 Doch davon abgesehen gilt für seine Philosophie immer noch,
wenngleich nicht mehr in demselben Ausmaß, Wolfgang Stegmüllers vor
60 Jahren getroffene Feststellung, nicht die ihr gebührende Beachtung zu
finden. 5 Das betrifft zumal auch diejenigen Arbeiten Brentanos, die in das
Gebiet der Metaphysik oder der Ontologie fallen, der Ersten Philosophie
(pröti philosophia), Weisheit (sophia) oder Theologie (theologike [epistemi]),
wie Aristoteles diese Wissenschaft nannte, deren Gegenstand zugleich das
höchste Seiende und das Seiende überhaupt, als Seiendes oder als solches (on
hii on) sein sollte: Und in diesen Bereich fallt auch Brentanos Erstlingswerk,
seine 1862 veröffentlichte Dissertation Von der mannigfachen Bedeutung des
Seienden nach Aristoteles, die hier in einer Neuauflage vorgelegt wird. 6
Die Hinwendung des jungen Brentano zu Aristoteles ist in den Rahmen
jener Aristoteles-Renaissance zu stellen, die nach dem ,Zusammenbruch des
deutschen Idealismus' eine der Neuorientierungen in der deutschen Philo-
sophie des 19. Jahrhunderts darstellt7 und zu deren herausragendsten Ver-
tretern Friedrich Adolf Trendelenburg zählt, bei dem Brentano von 1858
bis 1859 in Berlin zwei Semester lang studierte. Brentano widmete ihm die
Dissertation - die er allerdings nicht in Berlin bei Trendelenburg, sondern in
Tübingen einreichte - ,,in Ehrfurcht und Dankbarkeit", und schreibt dan-
kend im Vorwort, sofern sich „in ihr etwas Gutes" finde, ,,so möge man es
[... ] besonders dem verdienstvollen Forscher danken, von dem ich mich
freue zuerst in das Studium des Aristoteles eingeführt worden zu sein". Der-
artige Dankesbezeugungen des Schülers für einen berühmten Lehrer ent-
sprechen freilich selten der ganzen Wahrheit, und so auch nicht in diesem

Sämtliche veröffentlichte Schriften Bd. 1. Frankfurt et al.: ontos 2008, 106 f.


(Abkürzung: PeS).
4 Ausführlich dazu M. Antonelli, Seiendes, Bewußtsein, Intentionalität im Frühwerk
von Franz Brentano, Freiburg i. Br.; München: Alber 2001 (Abkürzung: Anto-
nelli), 368-417. Vgl. auch W Sauer, ,,Die Einheit der Intentionalitätskonzeption
bei Brentano", Grazer Philosophische Studien 73 (2006), 1-26.
5 W Stegmüller, ,,Philosophie der Evidenz: Franz Brentano", in: ders., Haupt-
strömungen der Gegenwartsphilosophie, 2 Bde., Stuttgart: Kröner 6 1978 (1. Aufl.
1951), I, 1.
6 Freiburg i. Br.: Herder 1862; photomech. Nachdruck, Darmstadt: Wissenschaft-
liche Buchgesellschaft 1960 (Abkürzung: MBS). Seitenangaben beziehen sich auf
die vorliegende Neuauflage.
7 Für einen Überblick über die deutsche nachidealistische Philosophie vgl. K. Ch.
Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitäts-
philosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986.
füNLEITUNG XIII

Fall, denn seinen Zugang zu Aristoteles hatte Brentano keineswegs nur


durch seinen Berliner Lehrer Trendelenburg gefunden, sondern als Katholik,
der sich zum Priesteramt berufen sah (Priesterweihe 1864), auch durch den
Rückgriff auf Thomas von Aquin: Zur Aristoteles-Renaissance in der akade-
misch-philosophischen Gelehrtenrepublik kommt als zweites wichtiges, in
der Brentano-Forschung freilich in der Regel sehr ungenügend berücksich-
tigtes Kräftefeld, das Brentano zu Aristoteles führte, die innerkatholische
Bewegung der Neuscholastik bzw. des Neuthomismus hinzu; er studierte
auch drei Semester lang (1859-1861) in Münster bei FranzJalcob Clemens,
einem der Hauptvertreter des Neuthomismus im Deutschland des 19. Jahr-
hunderts, und wie Dieter Münch gezeigt hat, hatte er auch „sehr enge Bezie-
hungen zur ultramontanen Bewegung in Deutschland" 8 und zu der ihr zuge-
hörigen Zeitschrift Katholik, die nach den Worten des antithomistischen,
1862 kirchlich verurteilten und darauf 1863 seiner Professur enthobenen
Münchner Philosophen Jakob Frohschammer „eifrig und fanatisch für Scho-
lastik und Thomismus" wirkte. 9
Wie für Pico della Mirandola gilt auch für den jungen Brentano: Sine
7homa mutus esset Aristoteles (MBS 163). Der Einfluß des Aquinaten auf sein
Denken, in seiner ganzen Tragweite in der oben angeführten Stelle aus dem
Brief an Kraus vom 21.3.1916 nicht mehr als nur angedeutet, kann nicht
überschätzt werden. Im Brief an Hugo Bergmann vom 22.1.1908 schreibt
Brentano:

Daß er [Thomas] einst mein Lehrer war, bin ich fern, zu verleugnen. Ja, er war
es, der mich zu Aristoteles führte. Und als ich in Berlin an den Trendelenburg-
schen Lesungen des Aristoteles teilnahm, verglich ich auf der Bibliothek die
Kommentare des großen Scholastikers und fand da manche Stellen glücklich
geklärt, die Trendelenburg nicht verständlich zu machen vermochte (zit. nach
Antonelli 38 Anm. 19).

8 D. Münch, ,,Die Einheit von Geist und Leib. Brentanos Habilitationsschrift


über die Psychologie des Aristoteles als Antwort auf Zeller", Brentano-Studien 6
(1995/96), 126.
9 J. Frohschammer, Die Philosophie des Thomas von Aquino, Leipzig: Brockhaus
1889, IX. - Zur Verurteilung und Amtsenthebung Frohschammers vgl. H. Den-
zinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et
morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen,
37
hrsg. v. P. Hünermann, Freiburg i. Br.; Basel; Rom; Wien: Herder 1991, 784-
89.
XIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Hier hat „der Fürst der Scholastik", wie er Thomas 1867 in seiner Psychologie
des Aristoteles nennt, der „mehr als jeder Andere" es verdient, ,,Schüler des
Aristoteles" genannt zu werden, 10 die Führung auf seinem Weg in die Philo-
sophie des Stagiriten übernommen. Der größte Schüler aber ist der, welcher
über seinen Lehrer hinausgeht, und ein solcher war Thomas in den Augen
des frühen Brentano: Mit Albertus Magnus „und seinem großen Schüler"
Thomas von Aquin, schreibt Brentano ebenfalls 1867 in seiner Abhandlung
über die Geschichte der kirchlichen Wissenschaften,

allein ist denn auch die mittelalterliche Spekulation wirklich über die philo-
sophischen Leistungen des Altertums hinausgegangen und zu einer solchen
Höhe angestiegen, wie sie weder vorher noch auch vielleicht nachher jemals
wieder erreicht worden ist,

denn durch den Offenbarungsglauben über die Resultate der wahren Philo-
sophie (Existenz eines Schöpfergottes etc., die sog. praeambula ftdei) belehrt
und vor Verirrungen geschützt, vermochten diese beiden Großen der Ari-
stotelischen Hochscholastik die Lehre des Aristoteles „fortzubilden und das
Irrige an ihr zu berichtigen, ohne das Wahre an ihr preiszugeben"; 11 übrigens
sieht Brentano in dieser Abhandlung in Thomas' Summa Theologiae „das
systematische Meisterwerk aller Zeiten".

10 Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom NOT~ IIOIHTIKO~,
Mainz: Kirchheim 1867; photomech. Nachdruck, Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1960, 229.
11 „Geschichte der kirchlichen Wissenschaften", in: J. A. Möhler, Kirchengeschichte,
II, Regensburg: Manz 1867, 551. Vgl. auch Brentanos Geschichte der mittelalter-
lichen Philosophie im christlichen Abendland, hrsg. v. K. Hedwig, Hamburg: Meiner
1980, 2. Eine präzise Darlegung seiner (mit Thomas und der offiziellen Kirchen-
lehre konformen) Auffassung über das Verhältnis der Philosophie zum Offenba-
rungsglauben bzw. zur (Offenbarungs-)Theologie gibt der frühe Brentano in der
zweiten und dritten seiner Habilitationsthesen von 1866 (in: Über die Zukunft der
Philosophie, mit Ein!. u. Anmerkungen hrsg. v. 0. Kraus, Leipzig: Meiner 1929;
neu eingeleitetv. P. Weingartner, Hamburg: Meiner 2 1968, 133-141): Nach These
II hat die Philosophie der Theologie keine Beweisgründe zu entnehmen und ist sie
unabhängig von dieser ein fruchtbares Forschungsunternehmen, doch nach These
III gibt die Theologie der philosophischen Forschung stellae rectrices vor. Vgl. dazu
Antonelli 136 f. Anm. 5, und W Sauer, ,,Erneuerung der Philosophia Perennis.
Über die ersten vier Habilitationsthesen Brentanos", Grazer Philosophische Studien
58/59 (2000), 119-149. - Folgendes Zitat: ,,Geschichte der kirchlichen Wissen-
schaften", 554.
EINLEITUNG X.V

Diese Einstellung des frühen, noch an die kirchliche Glaubenslehre


gebundenen Brentano zum Verhältnis Thomas-Aristoteles ist freilich nur
der Normalfall in der Welt des katholischen Denkens, soweit in ihm der
Gedanke einer Aristotelisch-Thomistischen Philosophia Perennis lebendig ist.
Und man muß vorgängig annehmen, daß Brentanos Aristoteles-Auslegung
in seiner Dissertation Vrm der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach
Aristoteles noch weitaus stärker und tiefer von Thomas' Aristoteles-Kommen-
tierung bzw. von dessen Philosophie überhaupt geprägt ist, als das Lob für
Thomas in Kap. V § 14 dafür, in seinem Metaphysik-Kommentar das Prin-
zip der Einteilung des kategorialen Seienden mit „vollkommener Klarheit"
bestimmt und angewendet zu haben (MBS 163), zu erkennen gibt. 12
Als Beispiel dafür mag gleich die Einleitung der Dissertation dienen. Tho-
mas hatte das Prooemium seiner Frühschrift De Ente et Essentia mit diesen
Worten begonnen:

Weil nach einem Wort des Philosophen in Buch I der Schrift Über den Him-
mel und die Welt ein kleiner Fehler am Anfang am Ende ein großer ist, ens und
essentia aber das sind, was zuerst vom Verstand erfaßt wird, wie Avicenna am
Anfang seiner Metaphysik sagt, muß man daher, damit uns nicht aus Unkennt-
nis über sie ein Irrtum zustößt, zur Darlegung der in ihnen liegenden Schwie-
rigkeit erklären, was mit den Worten der essentia und des ens bezeichnet wird
und wie sie sich in verschiedenen Bereichen vorfinden [... ] 13

Der flüchtigste Vergleich mit Brentanos Einleitung zeigt, daß diese bis in
die ersten Zeilen des dritten Absatzes hinein nur eine - die essentia auslas-
sende, die aber auch bei Thomas dann im Prooemium gegenüber dem ens als
sekundär zurücktritt, so daß die Untersuchung zuerst beim ens anzusetzen
habe 14 - erweiterte Paraphrase von Thomas' Worten ist. Und es zeigt sich
darin auch schon eine über die bloße Darstellungsweise hinausgehende sach-
liche Abhängigkeit vom Aquinaten. Ihm folgend aber ihn nicht nennend
12 Brentanos langes Zitat MBS 164 f.: S. Thomae Aquinatis in duodecim libros Meta-
physicorum Aristotelis Expositio, editio iam a M.-R. Cathala, O.P. exarata retracta-
tur cura et studio Raymundi M. Spiazzi, O.P., Turin; Rom: Marietti 1964 (Abkür-
zung: Th. in Met.), V, lect. 9, 889-893.
13 Die verwendete Ausgabe: Thomas von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit. De
Ente et Essentia, mit Ein!., Übers. u. Kommentar hrsg. v. H. Seidl, Hamburg: Mei-
ner 1988. (Abkürzung: EE). (Die Übers. ist aber nicht die Seidls).
14 An anderen Stellen beschränkt sich Thomas von vornherein auf das ens als das, was
wir als erstes im Verstand erfassen: vgl. Quaest. disp. de Veritate qu. l art. l eo (auch
hier mit Berufung auf Avicenna), und Summa Th. IaIIae qu.94 art.2 eo.
XVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

sagt Brentano, ,,das Seiende ist das Erste, was wir geistig erfassen" (MBS
11). Doch Thomas beruft sich dafür auf Avicenna, nicht auf Aristoteles, und
auch Brentano führt dafür keine Aristoteles-Stelle an, sondern bringt nur
dieses Aristotelisch gesehen unschlüssige Argument, daß das Seiende das All-
gemeinste und nach Aristoteles (Metaph. L'.1.11 1018632 f) das Allgemeine
„kata ton logon", der Formel nach oder begriffiich, gegenüber dem weniger
Allgemeinen primär ist: Das non sequitur des Arguments ist dies, daß für
seine Schlüssigkeit das Seiende gegenüber allem anderen in der Weise primär
sein müßte wie z. B. das Allgemeine, welches die Gattung Tier ist, gegen-
über ihren Spezies, was aber nach Aristoteles gerade nicht der Fall ist, denn
to on legetai pollachös, vom Seienden spricht man in mehreren Weisen, ou gar
genos to on, das Seiende ist keine Gattung (An. Post. II.7 92614) d. h. es gibt
keinen einheitlichen Begriff des Seienden. Dann in später Zeit hat Brentano
diese prekäre Verbindung der Aristotelischen Position mit dem Satz vom
Seienden als dem primär Erfaßten, die er von Thomas übernommen und
auf Aristoteles übertragen hatte, ausdrücklich als Inkonsequenz hingestellt.
Der allgemeinste und doch einheitliche Begriff, schreibt er im Brief an Kraus
vom 9.1.1915, ist vom Standpunkt des „Reismus" aus der

Begriffdes Realen als solchen[ ... ] Auch Thomas v. Aquin bezeichnete darum in
seiner Summa theologica das ens im Sinne des Realen als allgemeinen Begriff,
unter welchen alle Objekte des Intellekts fallen, während für jeden der Sinne
die Beschränkung auf eine Gattung von minderer Allgemeinheit gegeben ist.
Daß er sich freilich nicht recht konsequent bleibt, wenn er mit Aristoteles
die Akzidenzien nicht im selben Sinne seiend sein läßt wie die Substanz, ist
unleugbar. Ich war genötigt, mich hier von beiden hochachtbaren Meistern
loszusagen (AN, 272):

von Aristoteles wegen dessen falscher These, daß das Reale (d. h. das in die
Kategorien fallende Seiende) unter keinen einheitlichen Begriff falle, von
Thomas aber, weil er die richtige These vom ens als dem allgemeinsten Begriff
mit der falschen Aristotelischen in inkonsequenter Weise verbunden habe -
worin er selbst in der Dissertation dem Aquinaten gefolgt war.
Bringen wir hier noch ein kleines, anders als das vorige sachlich unbe-
denkliches Beispiel, das gleichwohl sehr gut geeignet ist zu zeigen, wie sehr
der junge Brentano sogar bis in die Ausdrucksweise hinein von Thomas
geprägt ist. Das andere Seiende außer der Substanz, d. h. die Akzidenzien,
sagt er mit Berufung auf Metaph. Z 1 1028al 8-20, ist „eigentlich mehr eines
Seienden als ein Seiendes zu nennen" (MBS 19 5): Wenn auch der Sache nach,
EINLEITUNG XVII

so steht das doch wörtlich so bei Aristoteles nicht, es ist aber auch keine
selbständige Formulierung Brentanos, sondern im Kern nur die Wiedergabe
einer glücklichen Wendung von Thomas:

secundum philosophum accidens magis proprie dicitur entis quam ens (Summa
7h. Ia qu.45 art.4 eo).

Wir werden im weiteren, und besonders dann in Teil III dieser Einleitung,
wiederholt sehen, wie sehr der frühe Brentano in seiner Aristoteles-Kom-
mentierung von Thomas von Aquin abhängig ist. Vorderhand ist nur noch
auf diesen allgemeinen Zug in der Aristoteles-Kommentierung aufmerksam
zu machen, den Brentano mit dem Aquinaten teilt. Der junge Brentano
wendet sich keineswegs aus rein historischem Interesse Aristoteles zu, viel-
mehr dominiert in seinem Zugang zum Stagiriten stets die systematische
Absicht, sich dessen theoretisches Erbe anzueignen, um auf dieser Basis die
Philosophie als Wissenschaft voranbringen zu können. Das unterscheidet
Brentanos Aristoteles-Exegese eindeutig von derjenigen seiner Zeitgenossen,
und zwar insbesondere von der Eduard Zellers. 15 Denn im Unterschied zur
Geschichtsschreibung Hegelscher Prägung, die die Geschichte der Philo-
sophie als Geschichte von Systemen betrachtet und diese aus ihrem histo-
rischen Zusammenhang interpretiert, hat für Brentano „das Studium der
Geschichte der Philosophie nur dann eine Berechtigung, wenn es in den
Dienst der sachlichen Forschung tritt". 16 Und auch darin ist er ein guter
Schüler von Thomas, dessen Aristoteles-Exegese demselben Ziel unterstellt
war, wie er in seinem Kommentar zu De Caelo schreibt: studium philosophiae
non est ad hoc quod sciatur quid homines senserint, sed qualiter se habet veritas
rerum 17 - in Brentanos Worten: ,,Letztes Ziel der Geschichte der Philosophie
muß stets die Herausstellung der Wahrheit sein".

15 Zeller ist hinsichtlich der Aristoteles-Exegese Brentanos Hauptgegner, mit dem


er jahrelang polemische Auseinandersetzungen hatte. Für eine Darstellung die-
ser Polemik, die sich vor allem auf das heikle Problem des Aristotelischen nous
poietikos bezog, vgl. R. Georges Einleitung zu Brentanos Schrift Aristoteles' Lehre
vom Ursprung des menschlichen Geistes, eingel. v. R. George, Hamburg: Meiner
2
1980 (1. Aufl. 1911), VII*-XIV*.
16 Geschichte der griechischen Philosophie, hrsg. v. F. Mayer-Hillebrand, Hamburg:
Meiner 2 1988, 16. Nächstes Brentano-Zitat ebda.
17 In libros de Caelo et Mundo (in: S. lhomae Aquinatis Opera Omnia, cur. R. Busa
SJ., Stuttgart; Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1980, IV: Commentarii in
Aristotelem et alios), I, lect.22, n.8.
XVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

In dieser methodischen Absicht also wendet sich der junge Brentano in


seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles sogleich der fundamentalen Frage
der Aristotelischen Philosophie zu: Was ist das Seiende? Diese Frage ist der
Schwerpunkt der seinem Lehrer Trendelenburg gewidmeten und von die-
sem hochgeschätzten Dissertation Von der mannigfachen Bedeutung des Sei-
enden nach Aristoteles, 18 die in kurzer Zeit einen hohen Stellenwert inner-
halb der Aristoteles-Literatur einnahm, nicht nur ihrer für die zeitgenös-
sische Fachwelt originellen Lösungen wegen, sondern auch weil sie wertvolle
Anregungen für die systematische Forschung gab. Kurz und bündig faßte
Heidegger die Stellung des frühen Brentano in der Aristoteles-Forschung in
diese Worte: ,, Trendelenburg und Bonitz: historische Erforschung des Aristo-
teles. Brentano: Systematische Auswirkung der aristotelischen Philosophie
beginnt". 19
18 Wie A. Kastil (Die Philosophie Franz Brentanos, München: Lehnen 1951, 10)
berichtet, gab Trendelenburg öffentlich bekannt, er habe seinen eigenen Stand-
punkt bezüglich der Aristotelischen Kategorienlehre aufgrund der Ergebnisse sei-
nes jungen Schülers Brentano revidiert. Und als sich Ernst Mach in seiner Zeit
als Professor der Physik an der Universität Graz bei Trendelenburg nach einem
geeigneten Kandidaten für einen neu zu besetzenden Philosophielehrstuhl in Graz
erkundigte, empfahl ihm dieser ausdrücklich seinen früheren Schüler Brentano,
,,dessen Schrift: Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles[ ... ]
in klarer Sprache neue Forschungen enthält, welche ich, obzwar sie zum Teil gegen
mich gerichtet sind, von manchen Seiten anerkennen und in einzelnen Partien für
gelungen erklären muß". BriefTrendelenburgs an Mach, in: J. TI1iele (Hrsg.), Wis-
senschaftliche Kommunikation. Die Korrespondenz Ernst Machs, Kastellaun: Henn
1978, 205.
19 M. Heidegger, Die Gnmdbegrijfe der antiken Philosophie, Frankfurt a. M.: Kloster-
mann 1993 (Gesamtausgabe Bd. 22), 285. Bekanntlich übte Brentanos Disserta-
tion einen großen Einfluß auf die philosophische Entwicklung des jungen Martin
Heidegger aus. Nach Heidegger selbst war sie „seit 1907 Stab und Stecken meiner
ersten unbeholfenen Versuche, in die Philosophie einzudringen". M. Heidegger,
Zur Sache des Denkens, Tübingen: Niemeyer 1969, 81. Über die Beziehung von
Heidegger zu Brentano vgl. F. Volpi, Heidegger e Brentano. L'aristotelismo e il pro-
blema dell'univocita dell'essere nella formazione filosofica del giovane Martin Heide-
gger, Padova: Cedam 1978. Im weiteren sei angemerkt, daß diese Brentanosche
Schrift für Heidegger der Ausgangspunkt war, um zu einer Versöhnung zwischen
Aristotelischer Ontologie und Kantscher Transzendentalphilosophie zu gelangen.
Ausgehend vom Konnex von Logik und Urteilslehre strebt Heidegger eine „Hinein-
stellung des Kategorienproblems in das Urteils- und Subjektproblem" an. M. Heide-
gger, Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Dum Scotus, Tübingen: Mohr 1916;
jetzt in: Gesamtausgabe (I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften: 1910-1976), Bd.
1, Frankfurt a.M.: Klostermann 1978, 401. Dazu vgl. auch E. Lask, Die Logik der
Philosophie und die Kategorienlehre sowie Die Lehre vom Urteil (in: ders., Gesam-
EINLEITUNG XIX

Aristoteles konzipiert in der Metaphysik jene oben schon angesprochene


Wissenschaft, die „das Seiende als Seiendes (to on hei on) und das ihm für sich
Zukommende (ta toutöi hyparchonta kath' hauto)" 20 zum Gegenstand hat.
Diese Wissenschaft, später dann Metaphysik (Meta ta physika) genannt, 21
ist aber mit einer grundlegenden Schwierigkeit behaftet. Denn jede Wis-
senschaft behandelt ein homogenes und eindeutig festgelegtes, durch eine
Definition aus einem höheren eingegrenztes genos; als das allgemeinste, das
„von allem prädiziert wird" (Metaph. K2 106064 f.), kann aber das Seiende
von vornherein nicht definiert werden, denn dazu müßte es an einer höheren
Gattung partizipieren.
So bleibt nur der Ausweg, die Klärung der Frage nach dem Seienden
in obliquo, d. h. durch die Sprache in Angriff zu nehmen, indem man vor
allem fragt, was „Seiendes" im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet. 22 Die
Sprache, der logos, wird daher der privilegierte Zugang zum on. Das Seiende
gibt sich durch Sprache kund; und der Logos gewinnt seine Legitimation
dadurch, daß er Ausdruck des Seienden ist.
Die komplexe Beziehung zwischen logos und on verlangt jedoch, die
onto-logische Analyse mit äußerster Vorsicht durchzuführen. Die sprachliche

me!te Schriften, hrsg. v. E. Herrigel, 2 Bde., Tübingen: Mohr 1923-1924), worin


er ausdrücklich aufBrentanos Dissertation Bezug nimmt (vgl. v. a. II, 227 Anm. 2,
317 Anm. 3,319 Anm. 2,348 f.). Vgl. dazu Galt Crowell, ,,Emil Lask: Aletheiol-
ogy as Ontology", Kantstudien 87 (1996), 69-88.
20 Metaph. I'.l 1003a21 f. Vgl. E.l 1026a31 f.; K.3 1060b31 f., 106lb4-6. (Vgl.
MBS 11 f.).
21 Dieser Ausdruck als Bezeichnung einer Wissenschaft (und nicht bloß als Buchtitel)
findet sich bereits bei Alexander von Aphrodisias zu Beginn seines Kommentars zu
Metaph. B: ,,Die Wissenschaft (episteme), die der Gegenstand der Untersuchung ist
und hier vorgelegt wird, ist die Weisheit (sophia) d. h. die Theologie (theologike),
die er auch Meta ta physika betitelt, weil sie in der Ordnung für uns (tei taxei
pros hemas) nach (meta) jener [der Physik] kommt". Alexandri Aphrodisiensis in
Aristotelis Metaphysica commentaria, Commentaria in Aristotelem Graeca (CAG) I.
Ed. M. Hayduck, Berlin: Reimer 1891 (Abkürzung: Al. in Met.), 171.5-7. Vgl.
dazu Hans Reiner, ,,Die Entstehung und ursprüngliche Bedeutung des Namens
Metaphysik", Zeitschrift für philosophische Forschung 8 (1954), 210-3 7; ders., ,,Die
Entstehung der Lehre vom bibliothekarischen Ursprung des Namens Metaphysik.
Geschichte einer Wissenschaftslegende", Zeitschrift für philosophische Forschung 9
(1955), 77-99.
22 MBS 11-14. Vgl. E. Melandri, ,,Tue ,Analogia Entis' according to Franz Brentano.
A Speculative-Grammatical Analysis of Aristot!e's ,Metaphysics"', Topoi 6 (1987),
51-58; ders., Le „Ricerche logiche" di Husserl. lntroduzione e commento alla Prima
ricerca, Bologna: II Mulino 1990, 39-45.
XX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Objektivierung ist nämlich keine einfache Repräsentation der Wirklichkeit


auf der Ebene des logos der Objektivität, die deren innere Konstitution ent-
hüllen würde. Unser Sprechen vom Seienden und unser Gebrauch von „ist",
findet Aristoteles, ist ein vielgestaltiges Phänomen, das sich auf keine gat-
tungsmäßige Einheit bringen läßt, in seinem berühmten Wort: Vom Sei-
enden spricht man in mehreren Weisen - to on legetai pollachös -, gerade so,
wie wir auch ganz heterogene Dinge gesund nennen (Metaph. I'.2 1003a33-
bl). So ist es die erste Aufgabe des Metaphysikers, eine genaue Analyse des
Ausdrucks „Seiendes" durchzuführen, um seine eigentlichen Bedeutungen
von den uneigentlichen abzugrenzen und letztere von der metaphysischen
Betrachtung auszuschließen. ,,So bildet die Erörterung der mehrfachen
Bedeutung des Seienden die Schwelle der Aristotelischen Metaphysik"
(MBS 14). Der Weg zur Seinsanalyse führt also zu keiner direkten Kon-
frontation weder mit den Erfahrungsgegenständen noch mit den Begriffen,
gemäß denen unsere Erkenntnis der Realität strukturiert ist; er führt viel-
mehr zur Analyse des logos, der Rede und der Formen der Prädikation, durch
die sich das Seiende offenbart und manifestiert. Worauf Brentano abzielt, ist
also eine logische Grammatik des Seinsbegriffes. Ausgehend von dessen modi
significandi soll diese logische Grammatik jene Aspekte des on hervorheben,
welche den Kategorien des logos angeglichen werden können, und umge-
kehrt jene Aspekte des logos betonen, die einen Zugang zum realen Seienden
ermöglichen.
Brentano setzt daher in seine Untersuchung bei der von Aristoteles
beschriebenen Mehrdeutigkeit des Ausdrucks „Seiendes" an. Für diese
Mehrdeutigkeit - die Weisen, in denen vom Seienden gesprochen wird -
gibt Aristoteles in Metaph. L:1. 7 eine vierfache Gliederung, in der Reihenfolge
der kurzen Rekapitulation zu Beginn von E.2 (1026a33-b2):

on kata symbebekos (lat. ens per accidens), akzidentell Seiendes, 23


on hös alethes, ,,Seiendes im Sinne des Wahren",
on kata ta schemata tön kategoriön (der Ausdruck exakt so in 6>.10 105 la34 f.),
„Seiendes nach den Figuren der Kategorien", und

23 Brentano, MBS 18, merkt zurecht an, daß sich für diesen Aristotelischen Aus-
druck, mit dem solche Komposita wie gebildeter Baumeister oder gebildeter Mensch
gemeint sind, im Deutschen „schwerlich ein recht eigentlich entsprechender Aus-
druck sich finden lassen" werde; unter den in den Metaphysik-Übersetzungen
anzutreffenden am besten geeignet, so scheint es, wäre der in Friedrich Bassenges
Metaphysik-Übersetzung (Berlin: Akademie-Verlag 1990): ,,das hinzugekommen-
erweise Seiende".
EINLEITUNG XXI

on dynamei kai energeiäi, ,,dem Vermögen und der Wirklichkeit nach (poten-
zial, in Potenz, und aktual, im Akt) Seiendes".

Neben dieser vierfachen Einteilung findet Brentano in der Metaphysik auch


noch andere, von denen er aber überzeugt ist, daß sie sich der vierfachen
Gliederung in L'.l. 7 / E.2 „als minder allgemein oder minder vollständig unter-
ordnen oder einreihen lassen", 24 so daß er diese vierfache Gliederung seiner
Untersuchung als Rahmen zugrundelegt.
In den folgenden beiden Teilen dieser Einleitung werden nun Brentanos
Untersuchung des Seienden nach den Figuren der Kategorien, d. h. des in
die Kategorien gegliederten Seienden, sowie seine Analyse des Seienden im
Sinne der Wahren näher beleuchtet werden.

24 MBS 16. Er verweist auf die Einteilungen in I'.2 100366-10, Z 1 1028a10-13,


8.10 105 la34-62. Die Einordenbarkeit in die vierfache L:l. 7 / E.2-Gliederung ist
klar bei der Z 1-Gliederung, die nur die Mehrdeutigkeit innerhalb des Seienden
nach den Figuren der Kategorien d. h. des in die Kategorien fallenden Seien-
den anspricht, und desgleichen bei der 8.10-Gliederung, die von der LJ.7/E.2-
Gliederung das on kata symbebekos entfallen läßt. Weniger klar ist dies bei der
I'.2-Gliederung, weil diese ganz anders strukturiert ist. Übrigens ist Brentanos
Kommentar zu dieser Stelle (MBS 15) nur eine kondensierte Wiedergabe des
Schlußteils des Kommentars z.St. von der Hand des, freilich ungenannt bleiben-
den, Thomas von Aquin (Th. in Met. IV, lect.l, 540-543), selbst der Verweis auf
Buch III der Physik in Brentanos Kommentar ist auch bereits in dem des Aqui-
naten:
Man muß aber wissen, daß die [in I'.2 100366-10] genannten Weisen des
Seins sich auf vier zurückführen lassen. Denn eine von ihnen, welche die
schwächste ist, ist nur im Verstand, nämlich Negation und Privation[ ... ]
Eine andere, die der vorigen an Schwäche am nächsten steht, ist die, nach
der Generation, Korruption und Bewegung Seiendes genannt werden. Sie
haben nämlich eine gewisse Beimischung von Privation und Negation,
denn die Bewegung ist eine unvollkommene Wirklichkeit [actus = energeia],
wie in Physik III gesagt wird.
Die dritte Weise hat keine Beimischung des Nichtseienden, dennoch aber
handelt es sich um ein schwaches Sein, weil es nicht selbständig (per se),
sondern in einem anderen ist, wie es bei den Qualitäten, Quantitäten und
den proprietates [eigentümlichen Affektionen] der Substanzen der Fall ist.
Die vierte Weise aber ist die vollkommenste [... ] Das ist die Weise des Seins
der Substanzen[ ... ].
(Zu Brentanos Übers. der I'.2-Stelle, in der nur wieder der Einfluß des Aquinaten
manifest ist, s. u., Teil IV dieser Einleitung, LXXXVI).
XXII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

II. Das Seiende nach den Figuren der Kategorien


Nach Brentano ist die kategoriale Bestimmung des Seienden die Hauptbe-
deutung. 25 Er bezeichnet sie als „die wichtigste von allen" (MBS 73) und
betrachtet sie als das Fundament der drei anderen. Akzidentell Seiendes und
Seiendes im Sinne des Wahren drücken nur uneigentliche Bedeutungen des
Seienden aus. Ersteres gründet in der zufilligen Verknüpfung zweier Ter-
mini und kann daher nicht Gegenstand einer Wissenschaft sein, letzteres
beruht auf der urteilenden Tätigkeit des Verstandes, und „beide gehen auf
die übrige Gattung des Seienden und zeigen keine über sie hinausgehende
Natur des Seienden", so daß für die Wissenschaft des Seienden als solchen
,,beides beiseite gesetzt sei" (Metaph. E.4 1028al-3); während aber das akzi-
dentell Seiende „gar keiner wissenschaftlichen Behandlung fähig" ist (MBS
43), sieht Brentano im Seienden im Sinne des Wahren das, was „die Logik
als bloß formale Wissenschaft" zum Gegenstand hat (MBS 44). Und schließ-
lich das dem Vermögen und der Wirklichkeit nach Seiende ist zwar „wie das
Seiende, das in die Kategorien zerfallt, ... ein on kath' hauto" (MBS 45) -
Seiendes, das „von sich selbst her" (per se) ausgesagt wird-, wird aber seiner-
seits in mehrfacher Weise ausgesagt, welche Weisen aber ihrerseits durch die
Kategorien vorgegeben sind: 26 Es sind also die Kategorien - bzw. die Figuren
der Kategorien oder der Prädikation -, auf die letzten Endes die Mannigfal-
tigkeit der Bedeutungen des Seienden zurückgeführt werden kann. Somit
ist es nicht überraschend, daß Brentano der Kategorialanalyse mehr als zwei
Drittel seiner Dissertation widmet (MBS 73-196).

II. l. Der ontologische Charakter der Kategorien


Die Diskussion der Aristotelischen Kategorienlehre stellt übrigens den
Schwerpunkt dar, an dem die Aristotelesrenaissance des 19. Jahrhunderts
ansetzt. Nach den Vorwürfen der Willkürlichkeit und des Rhapsodismus,
die Kant und Hegel27 an der Aristotelischen Kategorientafel geübt hatten,
wurde von verschiedenen Seiten der Ruf nach einer neuen Untersuchung
der Aristotelischen Lehre laut, wodurch sich eine weitreichende Diskussion

25 Vgl. F. A. Trendelenburg, Geschichte der Kategorienlehre, Berlin: Bethge 1846; pho-


tomech. Nachdruck, Hildesheim: Olms 1963 (Abkürzung: GK), 167.
26 Metaph . ..d.71017a35-b2; 6>.31047a20-24; 6>.10105la34-bl (MBS52-54).
27 I. Kant, Ki·V, A81, Bl07. G. W F. Hegel, Vorlesungen über Geschichte der Philo-
sophie, II, in: ders., Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, hrsg. v. H. Glockner, 20
Bde., Stuttgart: Frohmmann 1927-1930, XVIII, 406.
EINLEITUNG XXIII
eröffnete, die bis ins 20. Jahrhundert reicht. 28 Brentanos Zugang zu die-
sem Thema ist freilich nicht primär von historischem Interesse geleitet, son-
dern vom Streben, die ursprüngliche Übereinstimmung von logos und on in
der Aristotelischen Philosophie wiederherzustellen, also die sprachlogischen
Strukturen, nach denen sich die menschliche Rede organisiert, als Selbst-
Explikation der Struktur des faktischen Daseins zu verstehen und zu recht-
fertigen.
Diese Einstellung wird besonders da deutlich, wo Brentano sich bemüht,
jegliche Interpretation der Aristotelischen Kategorien zu umgehen, die zu
einer subjektivistischen Auffassung derselben führen könnte (MBS 75).
Implizit richtet er sich gegen die neuzeitliche, v. a. aber Kantsche subjek-
tivistische Interpretation der Kategorien, nach der diese keine objektiven
Bestimmungen, keine Seins- und zugleich Denkweisen sind, sondern rein
subjektive, inhaltsleere und formale Schemata, anhand derer sich das Den-

28 Trendelenburg kann aufgrund seiner Schriften De Aristotelis Categoriis prolusio


academica (Berlin: Logier 1833) und Geschichte der Kategorien/ehre mit gutem
Recht als Initiator betrachtet werden. Es sei hier außerdem auf folgende grundle-
gende Beiträge verwiesen: H. Bonitz, ,,Über die Kategorienlehre des Aristoteles",
Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philos.-hist. Classe,
Bd.X, Heft 5, Wien 1853; photomech. Nachdruck, Darmstadt: Wissenschaftli-
che Buchgesellschaft 1967, 591-645; C. Prantl, Geschichte der Logik im Abend-
lande, 2 Bde., Leipzig: Hirzel 1855; photomech. Nachdruck, Graz: Akademische
Druck- und Verlagsanstalt, I, 182-210; E. Zeller, Die Philosophie der Griechen
in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Leipzig: Reisland 31879, II/2, 258-273;
0. Apelt, Die Kategorien/ehre des Aristoteles, in: ders., Beiträge zur Geschichte der
griechischen Philosophie, Leipzig: Teubner 1891; photomech. Nachdruck, Aalen:
Scientia 1975, 101-216. Vgl. auch W. Schuppe, Die aristotelischen Kategorien,
Berlin: Weber 1871; W. Luthe, Die aristotelischen Kategorien, Ruhrort, 1874; G.
Zillgenz, De praedicamentorum quae ab Aristote!e auctore categoriae nominaban-
tur, Jonte atque origine, Würzburg: Stahel'sche Universitäts-Buchhandlung 1881;
G. Bauch, Aristotelische Studien. I. Der Ursprung der Aristotelischen Kategorien; II.
Zur Charakteristik der aristotelischen Schrift KATHrORIAI, Doberan, 1884; A.
Gercke, ,,Ursprung der Aristotelischen Kategorien", Archiv far Geschichte der Phi-
losophie 4 (1891), 424-441; K. Wotke, ,,Über die Quelle der Kategorienlehre des
Aristoteles", Serta Harteliana, 1896, 33-35; R. Witten, ,,Die Kategorien des Ari-
stoteles", Archiv für Geschichte der Philosophie 12 (1904), 52-59. Eine historische
Darstellung liefern u. a. J. Geyser, Die Erkenntnistheorie des Aristoteles, Münster
i.W.: Schöningh 1917; photomech. Nachdruck, Aalen: Scientia 1980, 112-118;
C. M. Gillespie, ,,TheAristotelian Categories", The Classical Quarterly 19 (1925),
75-84; G. Reale, ,,Filo conduttore grammaticale e filo conduttore ontologico nella
deduzione delle categorie aristoteliche", Rivista di filosofia neoscolastica 49 (19 57),
423-458.
XXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

ken und die menschliche Rede strukturieren. Um seine eigene Position


herauszustellen, bietet Brentano zuerst einen Überblick über die wichtigsten
Interpretationen der Natur und Bedeutung der Kategorien in der Aristo-
teles-Forschung. Er teilt diese Darstellungen in drei Gruppen ein, die den
Gründen und Kriterien, nach denen Aristoteles seine Kategorientafel ausge-
arbeitet hat, entsprechen (MBS 7 6-81).
Die erste Interpretation, die u. a. von Zeller vertreten wurde, betrachtet
die Kategorien nicht als „reale Begriffe", sondern lediglich als ein „Fach-
werk", in das reale Begriffe eingepaßt werden. Kategorien werden hier nicht
als echte Prädikate, sondern als begriffliche Schemata aufgefaßt, als 'Weisen
der Prädikation, nicht aber des Prädizierten.
Die zweite These betrachtet die Kategorien nicht als Weisen oder Formen
der Prädikation, sondern als Begriffe. Die Begriffe werden dabei aber nicht
als einfache Vorstellungen aufgefaßt, sondern als - aus der Zergliederung des
Urteils entstandene - konstitutive Elemente desselben. Hiernach sind die
Kategorien die allgemeinsten Prädikate; diese werden aber nicht aufgrund
ihres Inhaltes, sondern aufgrund der unterschiedlichen grammatikalischen
Beziehungen klassifiziert, die sie innerhalb des Satzes aufweisen und die wie-
derum stillschweigend als Ausdruck entsprechender logischer Verhältnisse,
aufgefaßt werden. Dies ist die bekannte These Trendelenburgs, 29 die schon

29 ,,[ ... ] die Kategorien [sind] die aus der Auflösung des Satzes entstandenen Ele-
mente [... ]": F. A. Trendelenburg, GK 13. ,,So tragen die Kategorien Zeichen
ihres Ursprunges an sich und treiben ihre Wurzeln in den einfachen Satz zurück"
(ebda). ,,Wenn auch die einzelnen Begriffe als Materie des Satzes früher gesetzt
werden, so haben sie doch stillschweigend an der Satzverbindung ihr Maß und sie
sind nicht zu verstehen, wenn diese nicht verstanden ist" (ebda 12). ,,Wie Aristote-
les mit der Betrachtung des Ganzen, das früher als die Teile ist, beginnt, so fordert
er, das Zusammengesetzte in seine einfachen Elemente zu zerlegen. Wenn nun das
Urteil das logische Ganze ist, das zuerst auf Wahrheit Anspruch macht: so führt
die Auflösung des Satzes auf die Kategorien. Sie sind die allgemeinsten Prädikate"
(ebda 209). Gerade die Verwurzelung im Urteil garantiert die reale Bedeutung der
Kategorien: ,,Aber da sie Elemente des Urteils sind und im Urteil dazu dienen,
das Wirkliche und dessen Verhältnisse zu bezeichnen: so tragen sie den Bezug auf
das Reale und eine objektive Bedeutung in sich" (ebda 17). ,,Hiernach will zwar
erst der Satz das Wirkliche in seiner Verbindung oder Trennung nachbilden; und
die einzelnen Begriffe sprechen dies für sich nicht aus. Inwiefern sie jedoch als die
Materie des Satzes den Inhalt dessen bezeichnen, was sich verbindet oder trennt:
so haben sie insofern einen Bezug auf die Dinge und diese reale Bedeutung beglei-
tet daher die Kategorien trotz ihres Ursprungs aus der aufgelösten Satzverbindung
(kata medemian symploken legomena)" (ebda 18). Diese Bemerkungen zeigen, wie
fern es Trendelenburg liegt, die logische und ontologische Tragweite der Katego-
EINLEITUNG XXV

von den antiken Aristoteles-Kommentatoren und den frühen lateinischen


Übersetzern vorweggenommen wurde, indem sie den Ausdruck kategoriai
mit praedicamenta wiedergaben.
Die dritte These stimmt mit der zweiten insofern überein, als sie die Kate-
gorien als Begriffe schlechthin und nicht als bloßes Gerüst für die Klassi-
fizierung von Begriffen sieht. Sie unterscheidet sich aber durch die starke
Betonung des ontologischen Charakters der kategorialen Begriffe. Nach dieser
Interpretation, die insbesondere von H. Bonitz vertreten wurde, sind die
Kategorien kein einfaches Ergebnis einer logisch-grammatikalischen Zerglie-
derung des Urteils in seine Bestandteile, sondern „die obersten Geschlechter
des Seienden". 30
Brentanos Stellungnahme zu diesen drei Thesen macht deutlich, daß er
eindeutig die dritte bevorzugt, wenngleich er sie auch mit Elementen der
beiden anderen ergänzt.31 Die Kategorien geben die mannigfaltigen Bedeu-

rien zu bestreiten, was ihm jedoch oft zugeschrieben wird. Selbst sein Versuch
einer grammatikalischen Ableitung der Kategorien spielt im Aufbau der Geschichte
der Kategorien/ehre nicht jene zentrale Rolle, die oft behauptet wird. Denn Trende-
lenburg betont wiederholt die heuristische und methodologische Funktion seiner
Absichten: ,,Wenn es uns zwar aus manchen Anzeichen wahrscheinlich wurde,
dass Aristoteles in der Tat der Erfindung einem grammatischen Leitfaden, der
Zergliederung des Satzes folgte, um die allgemeinsten Prädikate zu bestimmen:
so haben wir dadurch doch nicht mehr, als eben nur einen Leitfaden, einen allge-
meinen umfassenden Gesichtspunkt, und wir bleiben dabei über Fragen ungewiß,
welche für die Sache und für Aristoteles eigentümliche Betrachtungsweise von
großer Bedeutung sind" (ebda 180). ,,Gesichtspunkte der Sprache leiteten den
erfindenden Geist, um sie zu bestimmen.[ ... ] Aber die grammatischen Beziehun-
gen leiten nur und entscheiden nicht" (ebda 209). Selbst in§ 7, der ausdrücklich
der grammatikalischen Ableitung der Kategorien gewidmet ist, spricht Trendelen-
burg von dem „über die grammatische Form hinausgehende[n] Gesichtspunkt der
Sache" (ebda 25). Trendelenburgs Betonung der Sprachanalyse ist also weit davon
entfernt, den Kategorien den ontologischen Gehalt bzw. die universelle Bedeu-
tung absprechen zu wollen; sie will hingegen deren reale (im Gegensatz zur bloß
idealen) Genese hervorheben. Im Aufbau der Logischen Untersuchungen nimmt
nämlich die Sprache als Ausdruck der geistigen Bewegung die Hauptfunktion ein,
die Trennung zwischen logischer und realer Ebene zu überwinden und die Zusam-
mengehörigkeit von Denken und Sein, Logik und Metaphysik wiederherzustellen.
30 H. Bonitz, ,,Über die Kategorienlehre des Aristoteles", a. a. 0., 623 (MBS 78).
31 Um die Priorität der ontologischen Tragweite der Kategorien gegenüber ihrer
sprachlogischen Bedeutung zu betonen, kehrt Brentano das Prinzip der Kategori-
entafel den Ersten Analytiken (An. Pr. I.37 49a6-8): to d' hyparchein tode töide [. ..]
tosautachös lepteon hosachös hai kategoriai dieirentai, folgendermaßen um (,,diesep
Satz kann man umkehren"): hai kategoriai diairountai tosautachös, hosachös tode
XXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

tungen wieder, nach denen das „von sich selbst her", kath' hauto, ausgesagte
on ausgedrückt wird; die Kategorien sind die obersten gene, in die sich das
Seiende in seiner sachlichen Fülle aufteilt, so sind sie als reale Begriffe zu
betrachten. 32 Sie können aber zugleich auch die Funktion begrifflicher Sche-
mata übernehmen, nach denen die realen Begriffe einteilbar sind. Es steht
somit außer Frage, daß „Logik und Metaphysik[ ... ] bei der Kategorienein-
teilung interessiert" sind, ,,allein nicht als ob sie sich um das Recht der Herr-
schaft stritten", denn bei richtiger Analyse entsprechen die „Weisen des Seins
[... ] naturgemäß den Weisen der Prädikation" (MBS 174). Für Brentano hat
jedoch die ontologische Deutung der Kategorien eindeutig Vorrang (MSB
81-83). Denn bevor man den Kategorien eine sprachlogische Bedeutung
beimessen kann, muß die ontologische Dimension des kategorialen Aufbaus
festgestellt werden. Die modi praedicandi und die modi intelligendi müssen
von den modi essendi aus untersucht werden; die logischen Prädikations-
formen reflektieren eine ontologische Grundstruktur, die für Denken und
Sprache maßgebend ist. Die Kategorien drücken logische Strukturen nur in
dem Maße aus, in dem sie Realstrukturen in der Sprache darstellen. Der Phi,..
losoph, für den die Sprache bevorzugter Zugang zum Seienden ist, kann sich
nicht - wie es die moderne Sprachanalytik annimmt - auf eine bloße Spra-
chanalyse beschränken, sondern er muß zu den ontologischen Strukturen
gelangen, die den Sprachgebrauch fundieren. Die sprachlogische Bedeutung
der Kategorien ist daher der ontologischen Bedeutung untergeordnet - und
zwar als deren integraler, fundierender Bestandteil.
Brentano bezeichnet die Kategorien als „reale Begriffe", um die unter-
schiedliche Funktion der Begriffe auf metaphysischem und auf logischem
Gebiet auszudrücken. ,,Real" sind jene Begriffe, mit deren Hilfe das Denken
Aspekte und Bestimmungen, die den Dingen selbst anhaften, erfaßt. Sie
betreffen nicht die Eigenschaften und Modalitäten der gedachten Dinge, da
man für diese keine Entsprechung in der Wirklichkeit finden kann.
In der mittelalterlichen Philosophie wird dieses Problem anhand der
sogenannten Theorie der doppelten Intention behandelt. Ungeachtet der
unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Autoren und Schulen, ist
diese Theorie der gesamten Scholastik gemein, die hierbei auf die arabischen

töide hyparchei, ,,es gibt so viele Kategorien, als es Weisen gibt, in denen die Dinge in
ihrem Subjekte existieren" (MBS 107).
32 MBS 81, mit Verweis u. a. auf Metaph. Z.4 1030611 f.: ,,Von dem Seienden
bedeutet das eine eine Substanz (tode ti), das andere ein Quantum (poson), das
andere ein Quale (poion)" (Brentanos Übersetzung).
EINLEITUNG XXVII

Aristoteles-Kommentatoren, vor allem auf Avicenna, zurückgreift. In seinem


Bestreben, die Logik von den „realen Wissenschaften" abzugrenzen, redu-
ziert Avicenna die Logik auf das Gebiet der „zweiten Intentionen (inten-
tiones intellectae secundo)", d. h. auf Begriffe, die sich nicht unmittelbar auf die
realen Dinge, sondern auf andere Begriffe beziehen. Die Logik beschäftigt sich
mit den secundae intentiones oder metasprachlichen Begriffen, die trotzdem
eine - wenn auch indirekte - Bindung an die Realität beibehalten, da sie
nicht als selbständig gegeben sind, sondern als adiunctae primis. 33 Diese The-
orie behält ihre Gültigkeit bis zum Nominalismus des 14. Jahrhunderts, der
schließlich jegliche Unterscheidung zwischen logischen und metaphysischen
Begriffen hinfällig macht.
Bei seiner Bestimmung des Wesens und der Bedeutung der kategorialen
Begriffe bezieht sich Brentano auf diese traditionelle Unterscheidung. Dies
verdeutlichen vor allem seine Bemühungen, die Kategorien von den soge-
nannten Prädikabilien (die peri tinos kategoroumena des Aristoteles, d. h.
Definition, Proprium, Akzidens, Gattung und Art) streng getrennt zu hal-
ten. 34 Die These, daß sich die Kategorien nach den verschiedenen Prädikati-
onsweisen unterscheiden (MBS 107-114), könnte zu einem Mißverständnis
führen, nämlich zur Gleichstellung der Kategorien mit den Prädikabilien.
Der grundlegende Unterschied zwischen beiden ist jedoch nicht schwer zu
erkennen. Die Kategorien, wie oben schon erwähnt, drücken nur insofern
logische Prädikationsweisen aus, als sie Formen des Realen in der Sprache
darstellen, dagegen

sind die Glieder jener anderen Einteilung lauter zweite Intentionen und somit
alle bloße onta hös alethes, von denen wohl eine wahre affirmative Behauptung
ausgesagt werden kann, die aber keinerlei Bestand außerhalb des denkenden
Geistes in den Dingen selbst haben (MBS I 15 f.).

33 „Subiectum vero logicae [...] sunt intentiones intellectae secundo, quae appo-
nuntur intentionibus primo intellectis [...]." Avicennae [ ..} Opera, Venetiis, 1508
(photomech. Nachdruck, Frankfurt a.M.: Minerva 1961), Philosophia prima, I,
2 70 v. A. Zum Ursprung dieser Unterscheidung im arabischen Aristotelismus,
sowie zu ihren Aristotelischen Quellen vgl. Antonelli 83 Anm. 32.
34 MBS 115-117. Zur Stellung der Kategorienlehre in der Aristotelischen Topik
sowie zum Verhältnis Kategorien-Prädikabilien vgl. die grundlegende Arbeit von
E. Kapp, Die Kategorien/ehre in der aristotelischen Topik (1920), in: ders., Ausge-
wählte Schriften, Berlin: de Gruycer 1968, 215-253.
XXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Die sogenannten Prädikabilien bieten also keine Klassifikation von Begrif-


fen, sondern ihre Funktion beschränkt sich auf die rein logische Aufgabe, die
Attributionsweisen von Begriffen untereinander zu klassifizieren. Dadurch
gehören sie zum Bereich der secundae intentiones und weisen nur indirekt
eine Bindung zur Wirklichkeit auf; die Grundlage für ihre Subsumption
unter das Seiende im Sinne des Wahren aber wird dann in Teil III.4 zum
Vorschein kommen.
Was aber die Priorität der ontologischen Dimension der Kategorien
gegenüber ihrer sprachlogischen letztlich verbürgt, ist die individuelle Sub-
stanz, die pröte ousia, als Fundament im Gesamtgefüge des Seienden (vgl.
Cat. cp.5 265 f.). Von einem logischen Standpunkt aus betrachtet bürgen die
Kategorien für die Richtigkeit des Prädikationsverfahrens. Als „Gattungen
(gene)" oder „allgemeine Begriffe (koina)" begrenzen sie Prädikationsreihen,
deren einzelne Glieder durch wesentliche oder synonyme Prädikationsver-
hältnisse aufeinander bezogen sind: ,,Sokrates ist ein Mensch" in der Sub-
stanz-, ,,Weiß ist eine Farbe" in der Qualitätskategorie; in beiden Fällen wird
sowohl der Name des Prädizierten (,,Mensch", ,,Farbe") als auch seine Defi-
nition prädiziert (vgl. Cat. cp.l la6-8). So gesehen drücken die Kategorien
die allgemeinste Bedeutung aus, die univok (intralcategorial) von den unter-
geordneten Gliedern prädiziert wird (MBS 95-97).
Dies erklärt die zweifache Bedeutung, die das Wort „Kategorie" aufweist:
Die Kategorien als „Schemata der Prädikation (schemata tes kategorias)" 35
grenzen Prädikationsreihen ab, die die Richtigkeit des prädikativen Verhält-
nisses regeln; als „Gattungen der Prädikate (gene tön kategoriön)" 36 drücken
sie die Bedeutung aus, die den in solchen Kolumnen eingeschlossenen Prä-
dikaten gemeinsam zukommt. Diese Bedeutung fungiert wiederum als Prä-
dikat, d. h. als höchste Gattung, wovon die untergeordneten Gattungen und
Arten lediglich innere Gliederungen darstellen (MBS 82 f., 112 f.).
In Bezug auf solche Prädikationskolumnen spielt die individuelle Sub-
stanz die entscheidende Rolle als Fixpunkt des ganzen Prädikationsverfah-
rens. Denn sie ist einerseits letztes Substrat der Prädikationen, die sich inner-
halb der Substanzkategorie bewegen, also zwischen substantiellen Arten und
Gattungen stattfinden; andererseits ist sie notwendiger Bezugspunkt jeder
anderen (akzidentellen) Prädikation, da die akzidentellen Bestimmungen
35 Metaph. Ll.7 1017a23 (vgl. MBS 116).
36 MBS 96 f. (zahlreiche Belegstellen). Vgl. F. A. Trendelenburg, GK 6 f. Über diese
zweifache Funktion der Kategorien siehe L. Lugarini, ,,Il problema delle categorie
in Aristotele", Acme 8 (1955), 11 ff.
EINLEITUNG XXIX

nicht für sich selbst bestehen können, sondern sich immer auf eine substan-
tielle Bestimmung stützen müssen - letzten Endes also auf eine erste Sub-
stanz (MBS 98 f., 108 f.). Somit ergeben sich zwei prädikative Strukturen.
Die eine bewegt sich innerhalb der Kategorie und ist durch wesentliche
oder synonyme Verhältnisse charakterisiert (synönymös kategoreisthai), siehe
die Beispiele von vorher. Die zweite prädikative Struktur stellt die bloße
Inhärenz dar, wobei das Prädikat seine Bedeutung durch seine Beziehung
zu einem (substantiellen) Subjekt erlangt, das sich außerhalb seiner eigenen
Prädikationskolumne befindet (parönymös kategoreisthai), z. B. ,,Sokrates ist
weiß". 37 Eine solche transkategoriale oder paronyme Prädikation gestaltet
sich in ebenso vielen Weisen wie es nicht-substantielle Kategorien gibt.
Dies macht nun den Primat der ontologischen Auffassung der Kategorien
gegenüber ihrer logischen Bedeutung verständlich. Das kategoriale Schema
mit seiner gestalteten Vielheit von Prädikationsverhältnissen offenbart sich
zwar auf sprachlicher Ebene, für seine Gültigkeit kann aber nur die reale
Vielfältigkeit der Dinge garantieren, und diese Vielfältigkeit wieder wurzelt
im unterschiedlichen Verhältnis der ontischen Kategorien zu jenem Einen,
auf das sie sich alle beziehen und mit dem sie untrennbar verbunden sind:
die pröte ousia, denn „was immer sonst ist, ist, weil es irgendwie in ihr sich
findet" (MBS 104); es ist nur durch dieses Verhältnis zu Einern, pros hen,
d. h. zur pröte ousia, daß alles andere überhaupt Seiendes genannt werden
kann (Metaph. I'.2 1003a33, b5 f.).
Die pröte ousia, das was konkretes individuelles tode ti, dies-von-der-
Art38 ist, ist somit der Fixpunkt für die Verknüpfung der ontologischen und
sprachlogischen Dimension der Kategorien. Individualität ist für Brentano

37 MBS 167: Aristoteles hat „bemerkt, daß wenn ein Ding von einem andern essen-
tiell prädiziert werde, so daß diesem Name und Begriff des Prädikats zukomme,
dies auch grammatisch in einer andern Form geschehe, als wenn das Prädikat
dem Subjekte nur den Namen gebe, ohne selbst seines Wesens zu sein. Ich sage:
das Weiß ist eine Farbe, das Holz ist farbig [... ] Regelmäßig geschieht es bei der
essentiellen Prädikation, daß Subjekt und Prädikat dieselbe grammatische Form
haben [... ] Ebenso geschieht es in der Regel bei der akzidentellen Prädikation,
daß das Prädikat in der grammatischen Form sich vom Subjekte unterscheidet
und ein parönymon jenes Wortes ist, das der grammatischen Form nach dem Sub-
jekte gleichsieht. Aristoteles nennt darum die akzidentelle Prädikation parönymös
kategoreisthai im Gegensatz zum synönymös kategoreisthai der essentiellen".
38 Wir folgen der Übersetzung des Ausdrucks tode ti von Michael Frede und Gün-
ther Patzig: Aristoteles ,Metaphysik Z'. Text, Übersetzung und Kommentar, 2 Bde,
München: C. H. Beck 1988.
XXX MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

der Grundzug der Substanz. 39 Nur die Substanz kann für sich selbst indivi-
duell - tode, Dies - sein, während die anderen Kategorien ihren Gegenstand
nicht individuieren können, so sehr man auch ihre Spezifizierung weiterführt;
trotzdem verdienen diese Kategorien die Bezeichnung „reale Begriffe", denn
sie haben neben ihrem logisch-analytischen Charalcter auch eine ontolo-
gische Dimension, die in ihrem notwendigen Bezug zur pröte ousia liegt,
d. h. zu dem sie individuierenden Moment. 40 Dies geschieht beim Über-
gang von der synonymen (intrakategorialen) zur paronymen (transkatego-
rialen) Prädikation. 41 Und nur so entzieht sich der logos einer rein logischen
Betrachtung und gewinnt er seine eigentliche Funktion zurück- das Seiende
in der Sprache zu offenbaren: Denn das, worauf er sich in letzter Analyse
bezieht, die pröte ousia, ist etwas, das, insofern es tode, individuelles Dies ist,
durch keine logisch-begriffiiche Prozedur herausgestellt werden kann, son-
dern durch Deixis aufzuweisen ist.

II.2. Die Kategorien und die Analogie des Seienden


Die Kategorien geben die mannigfaltigen Bedeutungen des „von sich selbst
her (kath' hauto)" ausgesagten on wieder. Das Seiende wird durch die Katego-

39 Gegen die wesensmäßige Individualität der Substanz scheint zwar zu sprechen,


daß Aristoteles gelegentlich von „zweiten Substanzen" spricht, d. h. von den Gat-
tungen und Arten der „ersten Substanzen", der prötai ousiai. Aber die Art und
in noch höherem Maße die Gattung ist immer allgemein, daher fehlt ihnen der
Grundcharakter der Substanz. Die sogenannten zweiten Substanzen sind bloße Ver-
standesdinge, also rein logische Begriffe, die nur mittelbar auf die Realität bezogen
sind (MBS 180 f.).
40 Dies, daß die Substanz ihre Akzidenzien individualisiert, wird Brentano in seiner
späteren Ontologie noch stärker betonen. Siehe F. Brentano, Kategorien/ehre, mit
Einleitung u. Anmerkungen hrsg. v. A. Kastil, Leipzig: Meiner 1933; Hamburg:
Meiner 2 1974 (Abkürzung: K). Vgl. hierzu R. M. Chisholm, ,,Brentano's Concep-
tion ofSubstance andAccident", Grazer philosophische Studien 5 (1978), 197-210;
wiederabgedruckt in: ders., Brentano and Meinong Studies, Amsterdam-Atlanta:
Rodopi 1982, 3-16; B. Smith, ,,Tue Substance ofBrentano's Ontology", Topoi 6
(1987), 39-49; P. Simons, ,,Brentano's Theory of Categories: A Critical Appraisal",
Brentano Studien 1 (1988), 47-61; W. Galewicz, ,,Substanz und Individuation in
Brentanos Kategorien/ehre", Brentano Studien 4 (1992/93), 79-88.
41 MBS98-100. Ein Paronymon ist ja ein Hypokeimenon, das nach einer ihm inhä-
rierenden Eigenschaft benannt wird. So ist das Paronymon „der Mutige" als „X ist
mutig" zu verstehen, d. h. die Eigenschaft „Mut" inhäriert dem Hypokeimenon
X, das nach dieser Eigenschaft benannt wird und zugleich diese Eigenschaft indi-
vidualisiert.
EINLEITUNG XXXI

rien per analogiam ausgesagt, und zwar in doppelter Weise - nach Analogie
der Proportionalität und nach Analogie zu demselben Terminus. Das heißt:
1) Das nach den Kategorien unterteilte on wird von den Kategorien nicht als
synonymer, sondern als homonymer Begriff ausgesagt, der sich nach seinen
mannigfaltigen Bedeutungen unterscheidet. 2) Eine solche ursprüngliche
Mannigfaltigkeit des on ist nicht völlig beziehungslos, sondern läßt eine Ein-
heit der Analogie zu. 3) Schließlich ist eine solche Analogie zweifacher Art;
sie ist nicht bloß eine Analogie der Proportionalität, sondern auch eine Ana-
logie zum selben Terminus. Der Untersuchung dieser drei Thesen widmet
Brentano einen Gutteil seiner Analysen (MBS 84--94).
Die Mehrdeutigkeit des Seienden betrifft dessen mannigfachen Bedeu-
tungen - to on legetai pollachös; diese Vielfältigkeit betrifft aber nicht nur
die vier Hauptbedeutungen, sondern innerhalb dieser vierfachen Gliederung
wiederum auch die Kategorien selbst. 42 Da die verschiedenen Kategorien die
höchsten Gattungen des Seienden darstellen, sind sie nicht aufeinander und
schon gar nicht auf ein höherliegendes genos zurückführbar; denn oberhalb
der Kategorien liegt nur noch das Seiende selbst; dieses ist aber ist kein
Genus, sondern „ein unbestimmter Ausdruck[ ... ], der erst durch die Kate-
gorien Bestimmtheit" empfängt. 43
Im ersten Kapitel der Kategorien führt Aristoteles die drei Bezeichnungen
„homonym", ,,synonym" und „paronym" ein, von deren beiden letzten wir
bereits im Zusammenhang mit der Prädikation (synonyme vs. paronyme
Prädikation) Gebrauch zu machen hatten. Zuerst bringt er die Unterschei-
dung zwischen homonymen oder „äquivoken" und synonymen oder „univo-
ken" Termen. Seine Unterscheidung geht allerdings über die rein gramma-
tikalische und sprachliche Ebene hinaus, denn sie hat zugleich auch eine
ontologische Dimension. Sie bezieht sich auf jene Entitäten (pragmata), die
bloß dem Namen nach eine Gemeinsamkeit aufweisen, doch ganz unter-
schiedlich zu definieren sind, und auf solche Entitäten, die gleichen Namen

42 Diese Doppelung des pollachös des Seienden wird deutlich im Vergleich des vierfa-
chen pollachös von Metaph. E.2 1026a33-b2, worin das Seiende nach den Figuren
der Kategorien eines der vier Glieder ist, mit dem Ende von E.4, 1028a4-6, und
dem Anfang von Z 1, 1028al 0, an welchen Stellen nach Ausschluß des akzidentell
Seienden und des Seienden im Sinne des Wahren nun von dem in die Kategorien
geteilten Seienden gesagt wird, es sei ein pollachös legomenon. Brentano macht auf
diese Doppelung aufmerksam MBS 16, 73, und bes. 84; nach Brentano wird sie
von Heidegger, wohl aufgrund seiner Brentano-Lektüre, nachdrücklich hervorge-
hoben. Vgl. Heidegger, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie, a. a. 0., 291.
43 MBS 86. Vgl. Metaph. Ll.28 102469-16.
XXXII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

und gleiche Definition haben (Cat. cp.l lal-12; MBS 88). Die Trennung
taucht dann in der Nikomachischen Ethik wieder auf. Auch in diesem Werk
wird die Disjunktion von Synonymie und Homonymie als grundlegend
angesehen, wobei das Gebiet der Homonymie nochmals in zwei Unterbe-
reiche geschieden wird: in den Bereich der Dinge, die „zufällig (apo tyches)"
denselben Namen tragen, und in jenes Gebiet der Dinge, die nicht zufällig,
sondern „aufgrund einer Analogie (kat' analogian)" einen Namen gemein
haben. 44 Zur Synonymie und Homonymie tritt die Paronymie hinzu ( Cat.
cp.l la12-15). Sie betrifft diejenigen Dinge, die nach etwas benannt wer-
den und sich dabei der „Flexion (ptösis)" nach unterscheiden, wobei sie aber
immer einen wesentlichen Bezug zur Hauptbedeutung aufweisen - wie etwa
mutig zu Mut, gerecht zu Gerechtigkeit usw. Bezogen auf die Frage nach den
Kategorien, drückt die Paronymie jenes schon besprochene pros-hen-Ver-
hältnis aus, das die Verbindung der (akzidentellen) Kategorien zur Substanz
ermöglicht; dadurch sind die Kategorien von der Substanz abhängig, ohne
aber mit dieser zusammenzufallen. Es handelt sich demnach nicht um ein
rein logisches oder sprachliches Verhältnis, obwohl die Grammatik durch
verschiedene Flexionen eines Wortstammes die Einheit-Verschiedenheit
reflektiert, die das Seiende je nach Betrachtungsweise entweder als einheit-
lich oder als mannigfaltig erscheinen läßt. 45

44 Eth. Nie. I.4 1096626-28 (MBS 88).


45 Nicht nur die antiken Kommentatoren, sondern auch viele moderne Forscher plä-
dieren dafür, die Paronymie, die der „variablen Flexion (ptösis)" eines Namens
in Bezug auf eine Bedeutungsveränderung entspricht, so zu interpretieren, daß
diese nicht auf einer rein linguistischen, sondern auf der Ebene der „Dinge (res,
pragmata)" ansetzt und auf die pros-hen-Struktur rückführbar ist. Siehe hierzu J.
Owens, The Doctrine ofBeingin the Aristotelian Metaphysics. A Study in the Greek
Background ofMediaeval Thought, Toronto: Pontifical Institute ofMedieval Studies
1951, 118-123; J. Hintikka, ,,Aristotle and theAmbiguityof Ambiguity", Inquiry
2 (1959), 137-151; E. K. Specht, ,,Über die primäre Bedeutung der Wörter bei
Aristoteles", Kantstudien 51 (1959/60), 102-113; J. Hirschberger, ,,Paronymie
und Analogie bei Aristoteles", Philosophisches Jahrbuch 68 (1960), 191-203; G.
Patzig, ,,Theologie und Ontologie in der Metaphysik des Aristoteles", Kantstudien
52 (1960/61), 185-205; E. Berti, L'unita de! sapere in Aristotele, Padova: Cedam
1965, 127 f. In diese Richtung bewegt sich die gesamte Untersuchung Brentanos.
Vgl. MBS 83, 92 f., 99 Anm. 104, 167. Auf die zentrale Stellung der Paronymie
innerhalb der Aristotelischen Kategorienlehre hatte zuvor schon Trendelenburg
hingewiesen ( GK 27-37). Für ihn bedeutet ptösis bei Aristoteles „die Biegungs-
und Ableitungsendung im weitesten Sinne", also nicht bloß die Flexion eines
Namens.
EINLEITUNG XXXIII
Hier stellt sich nun die Frage, ob sich die Paronymie mit der oben bespro-
chenen nicht zufalligen oder analogen Homonymie deckt. Brentano scheint
dies eindeutig zu bejahen. Denn er betrachtet die Trennung von Synonymie
und Homonymie als die Hauptunterscheidung. Zugleich erkennt er aber auch
die Zweckmäßigkeit einer Scheidung von reiner und partieller Homonymie
an und tritt somit für eine Form der Homonymie ein, die sich der Synony-
mie annähert, ohne sich dabei jedoch mit dieser zu vermischen (homönymon
kat' analogian) (MBS 88). Diese analoge Homonymie, die sozusagen eine
Versöhnung der Univozität des Seienden mit seinen vielfachen Bedeutungen
darstellt, zeigt wiederum eine doppelte Natur. Sie ist eine Analogie der Pro-
portionalität und eine Analogie zum selben Terminus (pros hen).
Ob man diese Deutung Brentanos als korrekt werten kann, hängt davon
ab, wie man seinen Ausdruck ,,Analogie der Proportionalität und Analo-
gie zum selben Terminus" versteht. Was meint Brentano mit „Analogie zum
selben Terminus"? Versteht er darunter vielleicht die scholastische „Analo-
gie der Attribution", die gerade den Bezug ad unum (analogatum primum)
impliziert?46

46 Thomas von Aquin unterscheidet bekanntlich zwei Formen der Analogie: die
Analogie der Proportion (auch der Attribution genannt) und die Analogie der
Proportionalität (vgl. Quaest. disp. de Veritate qu.2, art.11). Obwohl er sich nicht
immer streng an diese Zweiteilung hält, ist sie für ihn grundlegend, da er alle ande-
ren Unterteilungen auf ihr aufbaut. Gerade auf diese dichotomische Einteilung
nimmt Brentano Bezug. Nach der sogenannten Analogie der Proportion erhalten
für Thomas mehrere Dinge (minora analogata) dasselbe Attribut, da sie sich alle
auf ein anderes Ding (analogatum princeps) beziehen, dem allein das Attribut im
eigentlichen Sinne (eminenter) zukommt. Das klassische, auf Aristoteles zurückge-
hende Beispiel hierfür ist das der Gesundheit, die analog der Nahrung, dem Urin
und dem Tier zukommt: Nahrung und Urin werden aufgrund ihrer Beziehung
zur Gesundheit des Tieres gesund genannt, das im eigentlichen Sinne allein als
gesund bezeichnet werden kann. Die sogenannte Analogie der Proportionalität
definiert sich hingegen als Ähnlichkeit zweier Verhältnisse, die voneinander unab-
hängig sind. Das klassische Beispiel hierfür ist das Sehen, das sowohl dem Auge
als auch dem Geist zugesprochen wird: Die Sehkraft verhält sich zum Auge wie
der Verstand zum Geist. Die verschiedenen thomistischen Schulen unterscheiden
sich nach der Präferenz, die sie der einen oder anderen Form der Analogie geben.
Zur thomistischen Analogie vgl. G. P. Klubertanz, St. Thomas Aquinas on Anal-
ogy. A Textual Analysis and Systematic Synthesis, Chicago: Lojola University Press
1960; H. Lyttkens, The Analogy between God and the World. An lnvestigation ofits
Background and Interpretation of its Use by Thomas ofAquino, Uppsala: Almqvist
& Wiksells 1952; R. M. Mclnerny, The Logic ofAnalogy. An Interpretation ofSaint
Thomas, Tue Hague: Nijhoff 1961; B. Montagnes, La doctrine de l'analogie de letre
d'apres Saint Thomas d'Aquin, Louvain: Publications Universitaires 1963.
XXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Brentano unterscheidet in seiner Exegese des Aristotelischen Textes


ganz korrekt zwischen der Analogie, die für ihn - wie auch für Trendelen-
burg - in der Proportionalität besteht, und der pros-hen-Mehrdeutigkeit,
die Aristoteles ausdrücldich den Kategorien zuschreibt. Die Analogie, wie
Brentano im Anschluß an Trendelenburg behauptet, ist in ihrer ursprüng-
lichen Bedeutung etwas Quantitatives, da sie sich als Gleichheit zweier logoi
oder Verhältnisse definiert. 47 Als Proportion setzt die Analogie vier Glieder
voraus, wobei sich das erste zum zweiten wie das dritte zum vierten verhält.
Sie kann sogar über das Gebiet der Quantität hinausragen und den Bereich
der Qualität betreffen. 48 Nach Brentano, der in diesem Punkt über Tren-
delenburg hinausgeht, kann sich eine solche qualitative Analogie in zwei-
facher Weise gestalten. Einerseits kann dieselbe Qualität in gleicher oder
verschiedener Weise unterschiedlichen Dingen zukommen: A ist wärmer
als B, wie B wärmer als C ist. In diesem Fall ist die Proportion gewisser-
maßen noch quantitativer Natur, wobei aber das Verhältnis lediglich durch
einen Vergleich zustandekommen kann. Andererseits können verschiedene
Qualitäten in derselben Weise mehreren Dingen zukommen, wenn wir etwa
sagen: ,,Wie dieses warm ist, so ist jenes weiß". 49 In diesem Falle sind Qua-
lität und Subjekt verschieden, so daß sich die Analogie als Synthese zweier
logoi gestaltet, wobei die Proportion selbst als medium proportionis fungiert.
Dies stellt für Brentano die Analogie in echt Aristotelischem Sinne dar, es ist
nach ihm „die Analogie, die Aristoteles ausschließlich mit diesem Namen
bezeichnet" (MBS 89).
Diese Form der Analogie reicht allerdings nicht aus, um die verschiedenen
Bedeutungen des Seienden in ein und demselben Wissenschaftsgebiet zu ver-
einen. Wenn Aristoteles von den mannigfachen Bedeutungen des Seienden
spricht, meint er, daß diese ihre gemeinsame Bezeichnung durch den schon
angesprochenen Bezug „zu Einern (pros hen) und zu einer einzigen Natur" 50
erhalten, welches Eine, die primäre Bedeutung des Seienden, die Substanz
(ousia) ist; er kommt hierbei jedoch niemals auf eine Analogie der Propor-
tionalität zu sprechen. Die Analogie als quantitativ-qualitative Proportion
entspricht nicht dem durch einen Bezug pros hen gestifteten Gefüge, wie

47 isotes logön, Eth. Nie. V.6 l 13la31 (MBS 89).


48 „Wie in dem Leibe die Sehkraft, so ist in der Seele der Verstand". Eth. Nie. I.4
1096628 f. (MBS 89).
49 De Gen. et Corr. II.6 333a28 f. (MBS 89).
50 Metaph. I'.2 1003a33 f. (MBS91).
EINLEITUNG XXXV

die von Aristoteles in Metaph. I'.2 (1003a33-b3) angeführten Erläuterungs-


beispiele für pros-hen-Strukturen zeigen: Das Arzneimittel ist gesund, weil
es Gesundheit fördert, die Gesichtsfarbe, weil sie Gesundheit zeigt. Arznei-
mittel und Gesichtsfarbe haben durch ihren gemeinsamen Bezug auf die
Gesundheit auch eine Beziehung zueinander, ohne daß zwischen ihnen
überhaupt eine Proportion besteht (MBS 91 f.).
Analogie im proportionalen Sinne und pros-hen-Mehrdeutigkeit befinden
sich auf verschiedenen Ebenen, obwohl sie in keinem Widerspruch zuei-
nander stehen. Das pros hen als Seiendes Bezeichnete bezieht sich im gesam-
ten auf die „Brennpunktbedeutung (focal meaning)" 51 der ousia, ohne daß
dadurch die Mannigfaltigkeit der Bedeutungen des Seienden aufgehoben
würde. Die analoga gründen dagegen auf einer bloßen Ähnlichkeit von Ver-
hältnissen zwischen wesentlich verschiedenen Dingen, die aber zu keiner
wirklichen Einheit gebracht werden. Aus diesem Grund ist für Brentano
die pros-hen-Einheit viel geeigneter, um eine Wissenschaft des Seienden zu
garantieren. Denn die pros-hen-Struktur stiftet zwischen den verschiedenen
Bedeutungen des Seienden eine prinzipielle Einheit, während die Analogie
eigentlich der Homonymie zuzuordnen ist (MBS 103 f.). Brentanos Ana-
lyse kommt also zu dem Schluß, daß Aristoteles bei seiner Verteidigung der
Möglichkeit einer Wissenschaft des Seienden nicht zur Analogie (im pro-
portionalen Sinn) greift, sondern zur pros-hen-Mehrdeutigkeit. Die Analogie
zeigt sich nämlich höchstens als äußerlich vereinheitlichender Faktor, sofern
sie Ausdruck einer bloßen Ähnlichkeit von Beziehungen zwischen wesent-
lich heterogenen Dingen ist; die pros-hen-Struktur, als eine in sich differen-
zierte Einheit, garantiert hingegen ein Ganzes, das in organischer Weise die
Vielfalt der kategorialen Bestimmungen in sich trägt (MBS 104).
Aristoteles bezeichnet das pros-hen-Verhältnis nicht als Analogie. Das hin-
dert aber Brentano nicht, dieses Verhältnis, wie wir gesehen haben, Analogie
zum selben Terminus zu nennen und in seiner Exegese einen Analogiebegriff
zu verwenden, der für ihn - unter deutlichem Einfluß seiner scholastischen
Ausbildung- sowohl die Proportionalität als auch die Beziehung zum selben
Terminus umfaßt.

51 Der Ausdruck „focal meaning" wurde in die Aristoteles-Forschung eingeführt von


G. E. L. Owen, ,,Logic and Metaphysics in Some Earlier Works of Aristotle", in:
I. Düring, G. E. L. Owen (eds.), Aristot!e and Plato in the Mid-Fourth Century.
Papers ofthe I SymposiumAristotelicum, Göteborg: Studia graeca 1960, 169-190.
XXXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Aber deckt sich diese sogenannte Analogie der Attribution wirklich mit
der pros-hen-Einheit? Unterscheiden sich diese beiden Doktrinen nur dem
Namen nach, oder handelt es sich trotz ihrer Ähnlichkeit um verschiedene
Begrifflichkeiten, die ihre Wurzeln in ganz unterschiedlichen theoretischen
Kontexten haben? Die heutige Geschichtsschreibung neigt eindeutig zu letz-
terer Auffassung. Sie hat nachgewiesen, daß die sogenannte Analogie der
Attribution weder dem Wortlaut noch dem Geist des Aristotelismus ent-
spricht. Diese ist nur im scholastischen metaphysischen Kontext möglich,
wo das ursprüngliche Aristotelische Problem der Verbindung von Einheit
und Mannigfaltigkeit von der Frage nach der ontologischen Differenz zwi-
schen Schöpfer und Geschöpf überlagert wird. 52 Denn in der scholastischen
Auffassung ist die Analogie untrennbar mit dem theologischen Kontext ver-
woben, in den die Aristotelische Frage nach dem Seienden und den Katego-
rien gesetzt wird, und in diesem theologischen Rahmen drückt die Analogie
die Teilhabe des Unter- am Übergeordneten aus. Diese Teilhabe ist inso-
fern abgestuft, als sie sich zum Wesen, d. h. zur Perfektion der teilhabenden
Dinge proportional verhält.
Seit den frühesten Formulierungen der Thomistischen Ontologie gestaltet
sich diese analoge Struktur als geordnete Einheit, die durch das Prinzip des
ungleichen Besitzes derselben Perfektion - des Seins nämlich, welches Akt
ist (daher die Wendung actus essendi, z. B. Summa Th. 1a qu.3 art.4 ad 2)
und nicht mehr in Potenz zu einem weiteren Akt stehen kann (daher ist es
die actualitas omnium actuum, Quaest. disp. de Potentia qu.7 art.2 ad 9) -
beherrscht wird. Nur in Gott koinzidieren Sein (esse) und Wesen (essentia);
jedes andere Seiende (ens) hat am Sein teil proportional zu seinem sich zum
Sein als Potenz zum Akt verhaltenden Wesen, ihr esse ist limitatum et fini-

52 Zum status quaestionis siehe: G. L. Muskens, De vocis analogia significatione et usu


apud Aristotelem, Groningae: Walters 1943; J. Hirschberger, a. a. O.; J. Owens,
,,Analogy as a Thomistic Approach to Being", Medieval Studies 24 (1962), 303-
322; P. Aubenque, Le probleme de l'etre chezAristote, Paris: Presses Universitaires de
France 1962, 198-206; ders., ,,Les origines de la doctrine de l'analogie de l'etre",
Les Etudes philosophiques, 1978, Nr.1, 3-12; ders., ,,Tue Origins of the Doctrine
of the Analogy of Being", Graduate Faculty Philosophy Journal 11 (1986), 35--45;
E. Berti, L'unita de! sapere in Aristotele, a. a. 0., 127 f.; F. Volpi, Heidegger e Bren-
tano, a. a. 0., 53-57; F. Modenato, Coscienza ed essere in Franz Brentano, Bologna:
Patron 1978, 24-34; E. Melandri, ,,Tue ,Analogia Entis' according to Franz Bren-
tano. A Speculative-Grammatical Analysis of Aristotle's ,Metaphysics"', a. a. 0.,
54-58.
EINLEITUNG XXXVII

tum ad capacitatem natttrae [= essentiae] recipientis, 53 in anderen Worten: Das


Wesen bedingt, proportional zu seiner Vollkommenheit, die Aufnahme von
esse <lurch das ens. Thomas von Aquin wendet dieses Schema aber nicht nur
auf die transzendentale Einheit des Seienden an - von Gott, bei dem esse =
essentia, so daß er acttts purus ist und folgt, quod ipse non sit in genere, daß
er außerhalb der Kategorien steht, über die separaten d. h. von der Mate-
rie abgetrennten, gleichwohl aber eine Zusammensetzung aus essentia und
esse und damit ein Potenz/Akt-Verhältnis aufweisenden Substanzen hinab
zu den aus Materie und Form zusammengesetzten und daher eine Doppe-
lung des Potenz/Akt-Verhältnisses (von Materie und Form einerseits und
von essentia und esse andererseits) aufweisenden körperlichen Substanzen -,
sondern verwendet es auch ausdrücklich für die „prädikamentale" Einheit,
d. h. für die Einheit der kategorialen Bedeutungen des Seienden:

Da aber in jeder Gattung dasjenige Merkmal, das im höchsten und wahrsten


Sinne ausgesagt wird, die Ursache für das Nachgeordnete in jeder Gattung ist,
[... ] so hat die Substanz, die das Prinzip in der Gattung des Seienden ist, im
wahrsten und höchsten Sinne Wesenheit und muß deshalb die Ursache der
Akzidentien sein, die nur sekundär und in gewisser Hinsicht am Wesen des
Seienden teilhaben (EE Kap. VI, 61).

Die kategoriale Einheit gründet demnach für Thomas nicht auf jener „focal
meaning" der ousia, von der die übrigen Bedeutungen des Seienden abhän-
gen. Die Abhängigkeit gestaltet sich viel tiefer, da sie im abgestuften Besitz
derselben, zwischen Substanz und Akzidenzien unterschiedlich verteilten
Vollkommenheit - der ratio entis - liegt.
Man kann sich nun fragen, ob es hierbei überhaupt noch Sinn macht,
von Proportion bzw. Analogie der Proportion zu sprechen. Denn die Attri-
bution ist in diesem Falle qualitativer Natur und kann deshalb nicht auf eine
Proportion im engeren Sinne, weder quantitativer noch komparativer Art,
reduziert werden. In gewisser Weise bleibt jedoch die Analogie proportional,
da die Einheit des Seienden gerade auf die proportionale Beziehung jeder
essentia zum jeweiligen esse gründet. Die Ausweitung des analogen Schemas
auf die kategoriale Einheit ist allerdings nur unter zwei Bedingungen mög-
lich, die bei Aristoteles gar nicht zu finden sind: Erstens ist der absolute Pri-
mat des actus essendi anzunehmen und zweitens, eng damit verbunden, die

53 Thomas von Aquin, EE Kap.V, 52. Das ganze Kap. V ist der Darstellung dieser
Gradation gewidmet. Folgendes Zitat: ebda., 48.
XXXVIII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

Unterscheidung (außer bei Gott) von essentia und esse, die sich zueinander
als Potenz zum Akt verhalten.
Der Thomistische und scholastische Begriff der Analogie setzt eine hierar-
chisch geordnete Weltauffassung voraus, innerhalb derer dieser Begriff ver-
wendet wird, um das Sein Gottes und dasjenige des Geschöpfes zu trennen,
zugleich aber auch in Verbindung zu setzen. Diese Konnexion wird im Lichte
des vom Neuplatonismus übernommenen Teilhabe-Gedankens gedeutet. 54
Die „vertikale" Verwendung der Analogie ist in der Tat ein Wesenszug der
ganzen platonischen und neuplatonischen Denkrichtung. 55 Sie ist hinge-
gen dem Geist und Wortlaut der Aristotelischen Philosophie ganz fremd.
Denn Aristoteles verwendet die Analogie immer „horizontal"; die Aristote-
lische Analogie setzt keine Hierarchie zwischen den in Verbindung gesetz-
ten Dingen voraus, sondern hebt lediglich eine Gleichheit von Verhältnissen
zwischen verschiedenen Dingen, sowohl in quantitativem als auch quali-
tativem Sinne, hervor. Das platonische transzendentale Analogieverhältnis
wird also von Aristoteles durch ein pros-hen-Verhältnis ersetzt. Hierbei wer-
den die verschiedenen Gattungen durch ihren Bezug auf einen primus inter
pares zusammengehalten, d. h. auf etwas, das ihnen gleichgeordnet ist. Wie
schon gesagt, bezeichnet Aristoteles dieses Verhältnis nicht als Analogie. Es
ist anzunehmen, daß Aristoteles' strikt horizontale Anwendung der Analogie
seine bewußte Ablehnung jeglichen Platonischen Dualismus verdeutlicht. 56
Brentanos Interpretation der Aristotelischen Ontologie weist also ein-
deutig platonisierende Züge auf, die ihm durch seinen Zugang zu Aristoteles
durch den Filter seiner scholastischen bzw. thomistischen Ausbildung ver-
mittelt wu;den. Denn gerade durch die Vermittlung des sowohl griechischen

54 Vgl. C. Fabro, La nozione metajisica di partecipazione secondo Tommaso d'Aquino,


Torino: SEI 2 1950; L. B. Geiger, La participation dans la philosophie de 1homas
d'Aquin, Paris: Vrin 2 1952. Zur Platonischen Analogie vgl. P. Grenet, Les origines
de l'analogie philosophiques dans !es dialogues de Platon, Paris: Boivin 1948.
55 Vgl. W. Kluxen, H. Schwarz, A. Remane, ,,Analogie", in: J. Ritter, K. Gründer
(Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel: Schwabe & Co. 1971, Bd. I,
218 f.; H. H. Holz, ,,Analogie", in: H. Krings, H. M. Baumgartner, Ch. Wild
(Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd.I, München: Kösel 1973,
57 f.
56 Vgl. E. Berti, ,,II problema della sostanzialita dell'essere e dell'uno nella metafi-
sica di Aristotele", in: ders., Studi aristotelici, ~Aquila: Japadre 1975, 181-208;
ders., ,,Aristotelismo e neoplatonismo nella dottrina tomistica di Dio come ,ipsum
esse"', ebda., 347-351; A. Poppi, ,,Sulla sostanzializzazione dell'ente e dell'uno in
Tommaso", Rivista di jilosojia neoscolastica 66 (1974), 590-612.
EINLEITUNG XXXIX

als auch arabischen Neuplatonismus dringt - wie bekannt - der Aristotelis-


mus ab dem 12. Jahrhundert ins Abendland ein und beeinflußt das ganze
mittelalterliche Denken. 57
Dieses vielschichtigen Erbes ist sich Brentano auch ganz bewußt. Hin-
sichtlich der ,,Aristotelischen Theologie" bzw. der im Buch Ader Metaphysik
vorgenommenen Einteilung der Substanzen „in drei Spezies, in die der sinn-
lich-korruptiblen, in die der sinnlich-inkorruptiblen und in die der separa-
ten Substanzen" (MBS 132) stimmt Brentano der Kritik Plotins zu:

Wie überhaupt die Aristotelische Theologie sich in vieler Hinsicht wenig


entwickelt zeigt, so scheint auch hier eine Unvollkommenheit des Systems
nicht zu verkennen, und der Vorwurf des Plotin [Enneades, VI, 1, 1], es seien
„die Kategorien des Aristoteles [... ] unvollständig, weil sie das Intelligible (ta
noeta) nicht berühren. Denn dieselbe ousia könne nicht dem lntelligibeln und
Sinnlichen gemeinsam sein" [Trendelenburg, GK 233], ist darum insofern
wenigstens gerecht, als es allerdings eine gemeinsame Gattung für Gott und
die körperlichen Substanzen nicht geben kann. ,,Nur in analoger und homo-
nymer Weise darf man sie als ein und dasselbe fassen", sagt er [... ] [ebda., VI,
3, 1], und hierin stimmen wir ihm unbedenklich bei (MBS 132).

Brentano erblickt also eine Kluft zwischen „theologischer" und ontologischer


Dimension in der Aristotelischen Metaphysik und zeigt eine mögliche Ver-
bindung dieser beiden Ebenen in einer transzendentalen (vertikalen) Ver-
wendung der Analogie auf. Nachdem er Plotin soweit zugestimmt hat -
,,unbedenklich", wie er sagt-, fährt er fort:

Nur darin scheint auch er uns zu fehlen, daß er für die noeta, für die reinen
Akte, auch Kategorien aufstellt, [... ] da vielmehr Gott unter keine Definition
zu fassen und unter kein Genus unterzuordnen ist, was alles schon der Ein-
fachheit und reinen Aktualität seines Wesens widersprechen würde. Immerhin
wird die Gottheit der Kategorie der Substanz, als der in jeder Weise ersten und
am meisten seienden, wenn nicht zu subsumieren, doch in analoger Weise
beizugesellen sein. Diese Gedanken sind in ihrer Entwicklung nicht mehr
Aristotelisch, obgleich sie dem Keime nach ohne Zweifel in seinen Lehren

57 Vgl. K. Kremer, Die neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas
von Aquin, Leiden: Brill 1966. Nach Kremer „stammt das Modell der thomasi-
schen Lehre, daß Gott das Sein ist, während alles andere nur daran teilhat", von
Plotin (ebda., 472). Hierzu gelangt er nach einer ausführlichen Analyse der Seins-
philosophie Plotins sowie einer Untersuchung über die Aufnahme der Plotinschen
Seinsauffassung durch Proklos und den Pseudo-Dionysius, der schließlich das
neuplatonische Erbe dem mittelalterlich-christlichen Denken vermittelt.
XL MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

enthalten sind, ja sogar unmittelbar aus seinen Prinzipien gefolgert werden


können. Ihnen widersprechen wir nicht, ja wir bleiben ihnen treuer, als Ari-
stoteles selbst ihnen geblieben zu sein scheint, wenn wir, wie später Augusti-
nus [dazu Anm. 207, Zitat aus De Trinitate V und Verweis auf Confessiones
IV], Gottes Wesen, als durch keine Kategorie zu erschöpfen, über alle erheben
(MBS 132 f.).

Diese beiden Passagen sind in jeder Hinsicht bemerkenswert. Brentano prä-


sentiert in ihnen genau jene vertikale Seinsanalogie, die uns eben vorher bei
Thomas begegnet ist, und die in der zweiten Passage von uns hervorgeho-
benen Wendungen sind direkte Anleihen beim Aquinaten. Doch statt auf
ihn beruft er sich, gar für eine Weiterentwicklung der Aristotelischen Lehre,
auf den Neuplatoniker Plotin und auf den neuplatonisch beeinflußten
Augustinus, was angesichts des Umstandes, daß er bereits 1860 auf seine
Vierphasenlehre gekommen war (vgl. Antonelli 140 Anm. 16), in welcher
der Neuplatonismus ein äußerstes Verfallsstadium der Philosophie ist, gera-
dezu bizarr erscheint, und das umso mehr als der die aufsteigende Phase des
Mittelalters krönende Aristoteliker ungenannt bleibt. Nicht nur hätte bei
expliziter Berufung auf Thomas seine Darstellung sowohl sachlich wie gene-
tisch an Klarheit gewonnen, er wäre auch mit seiner Behauptung einer sach-
lichen Kontinuität mit Aristoteles wenn auch wohl nicht in letzter Analyse
so doch jedenfalls prima facie auf ungleich festerem Boden gestanden als mit
der Berufung auf Plotin und Augustinus. 58

58 Mit der Berufung auf Augustinus hat es überdies auch noch dieses Problem. Aus
der Stelle, die Brentano S. 133 Anm. 207 aus De Trinitate zitiert, geht doch nur
hervor, daß Gott keine Akzidenzien hat, nicht aber, daß er keine Substanz sei.
(Was nur in scharfer Deutlichkeit hervorgetreten wäre, hätte er auch noch den auf
sein Zitat folgenden Nebensatz, den wir in geschwungenen Klammern angehängt
haben, mit zitiert). Und wenn mit der Berufung auf die Confessiones jene Stelle
in Buch IV gemeint ist, an der Augustinus über seine Lektüre der Kategorien des
Aristoteles spricht, so geht aus ihr auch nur hervor, daß er durch sie zu dem Irr-
tum verleitet worden sei, te, deus meus, mirabiliter simplicem et incommutabilem,
so zu denken, quasi et tu subiectttm esses magnitudini tttae aut pulchritttdini, ut illa
essent in te quasi in subiecto, sicut in corpore, während doch ttta magnitudo et tua
pulchritudo tu ipse sis, corpus autem non eo sit magnum et pulchrum, quo corpus est:
Auch das sagt nicht mehr, als daß Gottes Größe und Schönheit keine Akzidenzien
von ihm seien. So gesehen ist Augustinus' Position in diesem Punkt schwerlich
unterscheidbar von der, die dann im 6. Jahrhundert Ioannes Philoponos, ebenfalls
Christ, in seinem Kategorienkommentar vertreten wird: ,,Nicht jede Substanz ist
Zugrundeliegendes (hypokeimenon), denn die göttliche Substanz (theia ousia) ist
gewiß nicht Zugrundeliegendes. Ihr kommt ja nichts akzidenziell zu (ouden gar
EINLEITUNG XLI

II.3. Die Ableitung der Kategorientafel


Gegen den Vorwurf der Willkürlichkeit und des Rhapsodismus, der immer
wieder gegen die Aristotelische Kategorientafel gerichtet worden ist, betont
Brerttano entschieden ihre vollständige und kohärente Deduzierbarkeit
(MBS 73-75, 133-136). Die Tatsache, daß das Seiende keine Gattung ist,
beeinträchtigt in seiner Sicht diese Möglichkeit nicht, denn schon die pros-
hen-Einheit sieht er dazu als ausreichend an.
Hiernach ist es unwahrscheinlich, daß sich Aristoteles bei der Ableitung
seiner Kategorientafel mit einer bloßen pistis dia tes epagöges, einem induk-
tiven Nachweis aufgrund der Erfahrung zufriedengegeben hat, da er ja eine
eigentliche pistis dia syllogismou entwickeln konnte. Ein Indiz hierfür liegt in
der Vollständigkeit, die er dem kategorialen Aufbau wiederholt zuschreibt.
Auch der mehrmals vorkommende Ausdruck hai diairetheisai kategoriai59
scheint darauf hinzudeuten, daß die Kategorien das Ergebnis eines Eintei-
lungsprozesses sind, der das on selbst betrifft (diaireseis tou ontos). 60 Brentano
glaubt jedoch den endgültigen Beweis erbringen zu können, indem er den
Ableitungsprozeß vom on zu den Kategorien durchführt. Er geht hierbei von
vereinzelten Überlegungen des Aristoteles aus und sucht sie zu einheitlicher
Kohärenz zu bringen (MBS 136). Im weiteren soll nicht Brentanos minuzi-
öse Analyse dargelegt werden, sondern vielmehr sein methodologisches Kri-
terium sowie dessen theoretische Implikationen.
Brentano verwendet ein dihäretisches Verfahren, das eine Baumstruktur
aufweist, deren Verzweigungen immer weiteren Einteilungen unterzogen
und gemäß ihrer Nähe bzw. Entfernung zur ousia bewertet werden. Die Ein-
teilung geht vom gemeinsamen Begriff des on aus und teilt es in zwei Grund-

autei symbebeken): Also ist sie wohl auch nicht Zugrundeliegendes zu nennen"
(Philop. in Cat. [cp.2], 29.16-18. Vollständigere Angabe zu Philop. in Cat. unten,
Teil IV, LXXX). Philoponos antwortet damit auf die Frage, warum Aristoteles die
Substanz als das, was nicht in einem Zugrundeliegenden ist, bestimmte und nicht
einfach als Zugrundeliegendes. (Vgl. Rainer Thiel, Aristoteles' Kategorienschrift
in ihrer antiken Kommentierung, Tübingen: Mohr Siebeck 2004, 79 f., zu dieser,
ebda. 79, ,,interesssante[n) Bemerkung bei Philoponos"). - Zu Brentanos Bemer-
kungen über Augustinus vgl. bes. auch Trendelenburg, GK243 f.
59 An. Pr. I.37; Top. IV.1; De An. LI 402a25; I.5 410al5 (MBS 134).
60 Top. IV.I 120636; 121a6 (MBS 134). Vgl. F. A. Trendelenburg, GK 10: ,,Wenn
die Kategorien nicht aus dem Gedanken eines Ganzen entworfen und abgeleitet
wären, so würden wichtige Untersuchungen, welche auf ihnen stehen, nur den
Zufall zur Unterlage haben. Aristoteles verfährt sonst umsichtiger. Auch deuten
Ausdrücke, wie hai diairetheisai kategoriai, auf eine wirkliche Eintheilung".
XLII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

klassen: die oitsia (individuelle Substanz) und die akzidentellen Restbestim-


mungen (Akzidenzien im weitesten Sinne, symbebekota). Letztere können
weiter in absolute Akzidenzien (pathe) und Relativa (ta pros ti) untergliedert
werden, je nachdem ob es sich um Akzidenzien handelt, die der Substanz
absolut zukommen oder ihr nur in Bezug auf etwas anderes inhärieren. Unter
den absoluten Akzidenzien sind weiterhin - je nach Weise des Bezugs auf die
Substanz - die Kategorien der Inhärenz oder enyparchonta unterscheidbar,
d. h. Quantität (poson) und Qualität (poion), die der Bewegung (kineseis),
d. h. Wirken (poiein) und Leiden (paschein), und die deren tini, d. h. Wo
(pou) und Wann (pote). Auf diese Weise gewinnt Brentano die ganze Kate-
gorientafel, die für ihn allerdings aus nur acht Gliedern besteht. Die zwei
übrigen Kategorien, nämlich echein und keisthai, gehören eigentlich nicht
zum Schema, können aber mittelbar auf die kineseis zurückgeführt werden
(MBS 136-161).
Bei dem daraus resultierenden Ableitungsbaum

on, dichotomisch zerfallend in ousia und symbebekos;


symbebekos dichotomisch zerfallend in pathos und pros ti;
pathos trichotomisch zerfallend in die
enyparchonta, dichotomisch zerfallend in poson und poion, die
kineseis, dichotomisch zerfallend in poiein und paschein, und die
en tini, dichotomisch zerfallend in pou und pote (MBS 158)

läßt sich eine auffallende Übereinstimmung der ontischen Kategorien mit


den semantischen Kategorien des nomen substantivum, nomen adjectivum,
verbum, adverbia und praepositiones feststellen. 61 Solch eine Korrespon-

61 MBS 166-173. Vgl. F. A. Trendelenburg, GK23 f.: ,,Die ousia entspricht dem Sub-
stantiv, das poson und poion dem Adjektiv, und zwar so, daß jenes auch durch das
Zahlwort ausgedrückt werden kann, dieses die eigentliche Eigenschaft bezeichnet.
Das pros ti hat eine weitere Bedeutung, als daß es durch den relativen Komparativ
begrenzt werden könnte; aber es trägt, wie in den nähern Behandlung erhellt, die
Spuren der grammatischen Betrachtung deutlich an sich. Das pou und pote wird
durch die Adverbien des Orts und der Zeit dargestellt. Die vier letzten Kategorien
finden sich im Verbum wieder, da durch das poiein und paschein das Aktiv und
Passiv, durch das keisthai wenigstens ein Teil der Intransitiven, durch das echein,
so weit die hinzugefügten Beispiele es erkennen lassen, die Eigentümlichkeit des
griechischen Perfekts, inwiefern es einen Besitz der Wirkung anzeigt, in einen
allgemeinen Begriff gefaßt werden. Diejenigen Redeteile, welche, wie z. B. die
Konjunktiön, nur der Form dienen, und also dem Ausdruck der ausgeschlossenen
symploke angehören, können in den Kategorien nicht vertreten sein". Als weiteres
EINLEITUNG XLIII
denz kann allerdings nicht unabhängig von einer bestimmten theoretischen
Einstellung bestehen, die gewisse Anomalien als Abweichungen von der
Standardform angemessen interpretiert. Denn die Übereinstimmung muß
jedesmal „von unten" gesucht und bestätigt werden, d. h. ausgehend vom
ontischen Modell, durch das die semantischen Kategorien ihren Sinn und
ihre Bestimmtheit gewinnen.
Übertragen auf die Begriffe einer idealen grammatica spaeculativa 62 könnte
man sagen, daß die verschiedenen Satzglieder unterschiedliche modi signifi-

Argument übernimmt Brentano Ockhams Bemerkung, daß die so erhaltene Kate-


gorientafel genau den Arten von Fragen entspricht, die man über eine individuelle
Substanz stellen kann. Vgl. W. Ockham, Summa logicae. P. Boehner et al. eds, St.
Bonaventure, N.Y., 1974, pars I, cp. 41, 116: ,,Sumitur autem distinctio istorum
praedicamentorum, sicut innuit Commentator in VII Metaphysicae, ex distinctione
interrogativorum de substantia sive de individuo substantiae. Unde secundum quod
ad diversas quaestiones factas de substantia per diversa incomplexa respondetur,
secundum hoc diversa in diversis praedicamentis collocantur". In der neueren Lite-
ratur hat E. Benveniste die These des grammatikalischen Ursprungs der Aristoteli-
schen Kategorientafel neu aufgestellt. Er kommt nahezu zum selben Ergebnis wie
Trendelenburg, entwickelt aber seine Auffassung ganz unabhängig von diesem. Siehe
E. Benveniste, ,,Categories de pensee et categories de langue", in: ders., Problemes
de linguistique generale, Paris: Gallimard 1966, 63-74. Vgl. dazu auch M. Wesoly,
,,Zur semantischen Interpretation der aristotelischen Kategorien", Symbo/ae Philo-
logorum Posnaniensium 6 (1983), 57-72; ders. ,,Per una interpretazione semantica
delle categorie di Aristotele", Elenchos 5 (1984), 103-140; M. R. Baumer, ,,Chas-
ing Aristot!e's Categories Down the Tree of Grammar", Journal of Philosophical
Research 18 (1993), 341-449.
62 Der theoretische Rahmen der mittelalterlichen spekulativen Grammatik gründet
auf Aristoteles' These, nach der sich das Verhältnis Welt-Denken-Sprache nach
einer doppelten semiotischen Beziehung strukturiert (De Int. l 16a3; vgl. De
An. III.3-4): Die Weltordnung spiegelt sich im Denken (in den pathemata en
tei psychei) und durch dieses in der Sprache wider. Was die spekulative Gramma-
tik angeht, sei hier verwiesen auf M. Grabmann, ,,Die Entwicklung der mittelal-
terlichen Sprachlogik", in: ders., Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur
Geschichte der Scholastik und Mystik, Bd. I, München: Hueber 1926, 104-146;
R. Haller, ,,Untersuchungen zum Bedeutungsproblem in der antiken und mit-
telalterlichen Philosophie", Archiv für Begriffigeschichte 7 (1962), 57-119; G. L.
Bursill-Hall, Speculative Grammars of the Middle Ages. 1he Doctrine ofpartes ora-
tionis in the Modistae, Tue Hague: Mouton 1972; D. P. Henry, Medieval Logic and
Metaphysics. A Modern Introduction, London: Hutchinson 1972; J. Pinborg, Logik
und Semantik im Mittelalter. Ein Überblick, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-
Holzboog 1972; ders., ,,Speculative Grammar", in: N. Kretzmann, A. Kenny,
J. Pinborg (eds.), 1he Cambridge History of Later Medieval Philosophy. From the
Rediscovery ofAristotle to the Disintegration of Scho/asticism, 1100-1600, London:
Cambridge University Press 1982, 254-269; ders., ,,Medieval Semantics", in:
XLIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

candi aufvveisen, die großenteils mit den mannigfaltigen ontischen Kategorien


zusammenfallen. Eine solche Entsprechung kann allerdings nicht als vollkom-
mene Übereinstimmung gelten. Als metasprachliche Ausdrücke - secundae
impositionis nach scholastischer Terminologie - bezeichnen die semantischen
Kategorien oder modi significandi nur mittelbar außersprachliche Entitäten.
Sie gehören einer Ebene an, die sich dem logischen Gebiet der zweiten Inten-
tionen parallel verhält. Während der Verstand durch die Begriffe erster Inten-
tion eine direkte Bestimmung der Realität vornimmt, werden die Dinge bei
der secunda intentio zum Gegenstand einer reflexiven Betrachtung, wobei
sich die Aufmerksamkeit vom bezeichneten Gegenstand bzw. von der Eigen-
schaft zum Inhalt des Begriffes verschiebt. Logik und Grammatik beschäf-
tigen sich beide mit solchen Entitäten „zweiter Ordnung", beide befassen
sich mit entia rationis, die jedoch eine Verbindung - sei sie auch nur indi-
rekt - mit der Realität, also mit der Ontologie beibehalten. Es besteht eine
natürliche Übereinstimmung zwischen den modi intelligendi und modi signifi-
candi einerseits und den modi essendi andererseits, obwohl eine solche Entspre-
chung nicht vollkommen deckungsgleich ist. Denn das Verhältnis zwischen
der ontologischen und der sprachlogischen Ebene ist nicht ausgeglichen; der
Schwerpunkt liegt auf der ontologischen Ebene, die immer als Fundament
der Korrespondenzrelation fungiert - selbst dann, wenn sie als Terminus
erscheint. 63
Wie aus seinem Versuch, die Vielfalt der kategorialen Bestimmungen auf
einen einheitlichen Ursprung zurückzuführen, von dem aus man dann zu
einer schlüssigen Ableitung der Kategorien selbst gelangen kann, deutlich
wird, tritt Brentano ganz entschieden für eine architektonisch anmutende
Systematisierung der Aristotelischen Ontologie ein. 64 Diese systematisie-
rende Tendenz ist aber mit einer offenkundigen Schwierigkeit behaftet.

S. Ebbesen (ed.), Selected Studies on Medieval Logic and Grammar, London: Vari-
orum Reprints 1984.
63 Vgl. Metaph. LJ.15 1021 a26-33 (MBS 34).
64 Vgl. F. A. Trendelenburg, GK2: ,,Wenn die Kategorien die höchsten und letzten
Begriffe darstellen, die als solche allen andern festen Halt und sichere Ordnung
geben: so müssen sie in einem so ausgebildeten System der Philosophie, wie das
aristotelische ist, ihre Beziehungen und Consequenzen offenbaren". Zweifelsohne
das größte Verdienst Trendelenburgs ist seine Betrachtung der Aristotelischen
Kategorienlehre im „Zusammenhang mit den realen Fragen" im Kontext der gan-
zen Aristoteles-Schriften und somit auch die Überholung der früheren Kommen-
tare, die es „meistens versäumt" haben, die Kategorien „als aristotelisch aus dem
Aristoteles [selbst] zu erläutern" (ebda).
EINLEITUNG XLV

Denn trotz der scheinbaren Kontinuität des Ableitungsprozesses ist der


grundlegende Unterschied zwischen der ersten und den weiteren Eintei-
lungen evident. Brentano ist sich dessen völlig bewußt:

· Dieser Unterschied zwischen ousia und symbebekos ist endlich größer, als jeder,
der noch zwischen den Akzidentien unter sich stattfinden kann, er springt
zuerst in die Augen und tritt daher in jeder Weise mit Recht an die Spitze
(MBS 137. Vgl. Metaph. Z l 1028al 1-13).

Dessen ungeachtet verteidigt Brentano die Legitimität seines Ableitungsver-


suchs entschieden. Denn die Kontinuität ist nicht diejenige eines genos, das
sich in seine Spezies unterteilt. Man hat es hier mit einem ganz anderen Ver-
hältnis zu tun, nämlich mit dem Verhältnis zu „Einern", wie er mit Berufung
auf Metaph. I'.2 (1003612 ff.) sagt,

welches zuerst und in eigentlichster Weise den Namen trägt und wovon alle
andern abhängen, und dies ist hier die ousia, wie Aristoteles selbst im vierten
Buche [der Metaphysik] ausführt (MBS 177).

Auf diese Weise löst Brentano die Schwierigkeit aber nicht; er bestätigt nur
ihr Vorhandensein. Denn es geht doch nicht darum, einen größeren Unter-
schied zwischen ousia und symbebekos als zwischen den symbebekota unterei-
nander zu erklären, sondern um diese viel grundlegendere Frage: Wie kann
etwas, nämlich das on, so eingeteilt werden, daß das eine Einteilungsglied
eigentlich Seiendes (ousia), das andere hingegen nur eines Seienden (entis) ist
(symbebekos) und somit das erste Einteilungsglied bereits voraussetzt? (Für
eine weitergehende Diskussion der Schwierigkeiten in Brentanos Systemati-
sierungsversuch vgl. Antonelli 102 ff.).

III. Das Seiende im Sinne des Wahren


Zuletzt war bei Brentanos Behandlung der Analogie des Seienden zu sehen,
daß er in seiner Dissertation bei Thomas von Aquin erhebliche Anleihen
macht, aber ohne seine Quelle zu nennen. In den bisherigen Fällen war es
aber so, daß seine sich stillschweigend auf Thomas stützenden Ausführungen
auch ohne interpretative Zuhilfenahme des Aquinaten verstehbar waren:
Anders aber ist es bei seiner Behandlung des Seienden im Sinne des Wahren
(MBS 29--44), die schon auf den ersten Blick außerordentlich merkwürdig
anmutet und ohne Beiziehung von Thomas' Kommentierung nicht recht
XLVI MAuRo .ANroNELLI UND WERNER SAUER

verständlich werden kann. Andererseits ist Brentanos auf Thomas gestützte


Kommentierung des Aristotelischen on hös alethes insofern ein ganz wich-
tiger Teil seiner Dissertation, als darin bereits deutlich die Wurzeln für seine
im Rahmen der damaligen Logik revolutionäre Urteilslehre liegen, die er
1874 in der Psychologie vom empirischen Standpunkt veröffentlichen wird.
Aus diesen Gründen ist es angebracht, hier in dieser Einleitung auf Bren-
tanos Behandlung des on hös alethes in der Dissertation näher einzugehen.
Zur Eröffnung und um das ganze Problem scharf umrissen sichtbar zu
machen, erinnern wir zunächst daran, daß Brentano in seiner noch vorreis-
tischen Phase das Aristotelische on hös alethes geradewegs mit dem Seienden
im Sinne dessen, was existiert, identifiziert. So schreibt er 1889 in einer Kri-
tik am Existenzbegriff Christoph Sigwarts:

[... ] ein wirklicher Zentaure existiert nicht, ein vorgestellter Zentaure aber exi-
stiert, und zwar so oft, als ich ihn vorstelle. Wem hier nicht der Unterschied
des on hös alethes, d. h. im Sinne des Existierenden, vom on im Sinne des Ding-
lichen (Wesenhaften) klar wird [... ]. 65

Dasselbe, nur ausführlicher und mit expliziter Nennung des Stagiriten, fin-
det sich in dem vermutlich aus seiner letzten vorreistischen Zeit stammen-
den Fragment „Das Seiende im Sinne des Wahren":

Aristoteles, da er die Bedeutungen des Seienden schied, unterschied das Sei-


ende im Sinne des Wesenhaften (Substanz und wesenhafte Eigenschaften) und
Seiendes im Sinne des Wahren, tatsächlich Gegebenen.
Der Begriff bedarf einer Erläuterung.
Er steht dem des Wesenhaften nicht so gegenüber, daß einer den andern aus-
schlösse. Im Gegenteil, kein Wesenhaftes wäre ein Wesenhaftes, wenn es nicht
auch etwas tatsächlich Gegebenes wäre.
Alles, was ist, ist, insofern es ist, ein Seiendes im Sinne des Wahren, tatsächlich
Gegebenen, und selbstverständlich kann es kein Wesenhaftes geben, das es
nicht gibt (WE 30),

und er nennt dann als einen Fall dessen, was nur Seiendes im Sinne des Wah-
ren ist, das Gedankending (ein solches ist z. B. der vorgestellte Kentaur in
dem Text aus 1889, ein anderes Beispiel wäre die gedachte Sonne im Unter-

65 Wahrheit und Evidenz. Erkenntnistheoretische Abhandlungen und Briefe, ausge-


wählt, erläutert und eingeleitet von 0. Kraus (Abkürzung: W7E), Hamburg: Mei-
ner 1974 (Nachdruck der Ausgabe von 1930), 48.
EINLEITUNG XLVII
schied zur Sonne, die ein Seiendes in beiden Weisen ist). Brentano stellt also
folgendes Schema auf:

Seiendes überhaupt Existierendes d. h. Seiendes im Sinne des Wahren,

zerfallend in

wesenhaftes Seiendes was nur Seiendes im Sinne des Wahren ist.

Er beruft sich für die Gleichsetzung des Seienden im Sinne des Wahren mit
dem im Sinne des Existierenden auf Aristoteles, und d. h. auf Metaph. 1::::.. 7.
Doch blickt man vergleichsweise auf die Zeilen in Metaph. 1::::.. 7, die dem on
hös alethes gewidmet sind, so kann die Reaktion in der Tat nur Verblüffung
sein:

Weiters bezeichnet (semainei) das „Sein" (to einai) und das „ist" (to estin), daß
es wahr ist (hoti alethes), dagegen das „Nichtsein" (to me einai), daß es nicht
wahr sondern falsch ist, gleicherweise bei der Bejahung und bei der Vernei-
nung (epi kataphaseös kai apophaseös): wie z. B., es ist Sokrates gebildet (hoti
esti Sökrates mousikos), daß dies [= Sokrates ist gebildet] wahr ist (hoti alethes
touto), oder: es ist Sokrates nicht weiß (hoti esti Sökrates ou leukos), daß es [=
Sokrates ist nicht weiß] wahr ist; dagegen, nicht ist die Diagonale kommensu-
rabel (ouk estin he diametros symmetro/'6), daß es [=die Diagonale ist kommen-
surabel] falsch ist C,1.7 1017a31-35).

In diesen Zeilen läßt sich schlicht nichts von dem erkennen, was Brentano
mit ihnen in Verbindung bringt.

66 Dieses „symmetros" 1017a35 liest Alexander, Al. in Met. 372.7 f., statt des über-
lieferten „asymmetros"; Bonitz, Schwegler und Ross folgen dieser Lesart, desglei-
chen auch Brentano in der Dissertation (MBS 40). Vgl. H. Bonitz, Observationes
criticae in Aristotelis libros Metaphysicos, Berlin: Bethge 1842, 89 f. (mit Verweis
auf auf L'.1.12 1019623, L'.1.29 1024617), sowie ders., Commentarius in Aristotelis
Metaphysicam (1849), photomech. Nachdruck Hildesheim: Olms 1992 (Abkür-
zung: Bonitz Comm.), 242. Aristotle's Metaphysics. A revised Text with Introduction
and Commentary by W D. Ross (1924), 2 vols, reprint with corrections Oxford:
Oxford UP 1953 (Abkürzung: Ross); Ross sagt kurz und bündig, diese Lesart „is
required by the sense" (Ross I 309). A. Schwegler, Die Metaphysik des Aristote-
les. Grundtext, Übersetzung und Kommentar nebst erläuternden Abhandlungen
(1847/48), 4 Bde, photomech. Nachdruck in 2 Bden Frankfurt a. M.: Minerva
1960 (Abkürzung: Schwegler), III 213. - Zur Lesart „symmetros" statt „asymme-
tros" wäre aber noch anzumerken, daß auch bei Alexander die Textüberlieferung
nicht eindeutig ist (s. u. Anm. 74).
XLVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Andererseits aber entspricht sein Schema ganz genau der Unterscheidung


von zwei Weisen, in denen vom Seienden (ens) gesprochen wird, die sich bei
Thomas des öfteren findet und für die dieser sich ebenfalls auf Metaph. L1. 7
zu berufen pflegt. So sagt er in De Ente et Essentia zu Beginn von Kapitel I:

Man muß also wissen, daß, wie der Philosoph im Buch V der Metaphysik sagt,
vom em per se in zwei Weisen gesprochen wird: in der einen Weise so, daß
es in die zehn Gattungen [Kategorien] zerfallt; in der anderen so, daß es die
Wahrheit der Aussagen bezeichnet (quod significat propositionum veritatem).
Der Unterschied zwischen diesen beiden Weisen aber ist der: In der zweiten
Weise kann alles das, worüber eine [wahre] Bejahung gebildet werden kann
(de quo ajfirmativa propositio formari potest), ens genannt werden, auch wenn
es keinen Realitätsgehalt hat (nihil in re ponat). In dieser zweiten Weise werden
[auch] die Privationen und Verneinungen (negationes) Seiendes genannt: Wir
sagen nämlich, daß die Bejahung der Verneinung entgegengesetzt ist, und daß
die Blindheit (caecitas) im Auge ist. Aber in der ersten Weise kann nur das,
was einen Realitätsgehalt hat (aliquid in re ponit), ens genannt werden. Und
daher sind die Blindheit und dergleichen keine entia in der ersten Weise (EE
Kap. I, 3).

An anderen Stellen verbindet Thomas mit jeder dieser beiden Weisen eine
spezielle Frage: mit der zweiten

die Frage, ob es ist (an est), und in dieser Weise ist das Übel, gerade so wie die
Blindheit ist (caecitas est),

woraus klar ist, daß das Seiende nach der zweiten Weise das Seiende qua Exi-
stierendes ist, während Seiendes in der ersten Weise solches ist,

was nicht nur auf die Frage antwortet, ob es ist, sondern auch auf die Frage,
was es ist (quid est) (Quaest. disp. de Malo qu. l art. l ad 19),

also etwas ist, das eine quidditas oder essentia hat, d. h. ein in die Kategorien
fallendes Seiendes ist. Jedes kategoriale Seiende ist also auch ein Seiendes in
der zweiten Weise, aber nicht umgekehrt, und so erhalten wir dieses Schema:

Seiendes (ens) im allgemeinen,


das worüber eine wahre Bejahung gebildet werden kann, oder
was auf die ,,An est?"-Frage antwortet d. h. was existiert,

zerfallend in zwei Klassen,


EINLEITUNG XLIX
Seiendes in den Kategorien,
antwortet auch auf die„ Quid est?"- antwortet nicht auf die „ Quid est?" -
Frage, Frage,
hat Realitätsgehalt hat keinen Realitätsgehalt,
z. B. Privationen und Negationen
(jirst-class beings second-class beings67).

Der ganze Unterschied zwischen dem Schema von Thomas und dem Bren-
tanos ist also der, daß Thomas das Seiende im Sinne des Existierenden nicht
auch Seiendes im Sinne des Wahren, ens quasi verum, nennt: Das wäre die
Weise des Seienden, von der er in der zitierten Stelle in Entsprechung zu
Aristoteles' L'.1. 7 1017a31 dictum sagt, daß sie „die Wahrheit der Aussage
bezeichnet". Aber er läßt diese Weise des Seienden sogleich entfallen, um
stattdessen das Seiende im Sinne dessen, was Subjekt einer wahren Bejahung
sein kann, ins Bild zu bringen, doch, im Kontrast zu Brentano, ohne diese
Weise des Seienden, die mit der ,,An est?"-Frage korrespondiert, auch ens
quasi verum zu nennen.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Brentano sein Schema nicht direkt
von Aristoteles bezog, sondern durch die Vermittlung von Thomas darauf ver-
fiel. Was den einzigen Unterschied zwischen den beiden Aufstellungen anlangt,
so tat Brentano den Schritt der Fassung des Seienden im Sinne des Existierenden
als Seiendes im Sinne des Wahren in seiner Dissertation. Aber um wirklich zu
verstehen, was darin bei der Behandlung des on hös alethes tatsächlich vor sich
geht, müssen wir den Bogen von Aristoteles über Thomas hin zu Brentano span-
nen; da aber Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zur L'.1. 7-Stelle
über das on hös alethes einen dann für Brentano wichtigen Zug macht, werden
wir auch ihn in die Betrachtung einbeziehen müssen.

III.1. Aristoteles
Mit seinem on hös alethes nimmt Aristoteles jenen Gebrauch von „einai"
präzise in den Blick, den Charles Kahn in seiner großen Studie über dieses
griechische Hilfsverb 68 dessen veridical construction genannt hat. In diesem
Gebrauch besagt „esti" soviel wie „so ist es", ,,es ist wahr (der Fall)". Ein
Beispiel für diesen alethischen Gebrauch des Hilfsverbs bei Aristoteles selbst

67 Diese praktische Bezeichnung der beiden Klassen von Seiendem, die auch wir ver-
wenden werden, stammt von Anthony Kenny, Aquinas on Being, Oxford: Oxford
UP 2002 (Abkürzung: Kenny), 3.
68 Charles H. Kahn, The ¼rb „Be" in Ancient Creek, Dordrecht: Reidel 1973.
L MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

findet sich am Anfang der Zweiten Analytiken, wo er von dem für den Wis-
senserwerb nötigen Vorwissen spricht und dafür als Beispiel auch das tertium
non datur bringt: Wir nehmen im voraus an,

z. B., daß in jedem Fall entweder es zu bejahen oder es zu verneinen wahr ist
(hoti hapan e phesai e apophesai a!ethes), daß [es] ist (hoti esti) (An. Post. I.1
71a13 f.),

wo das „hoti esti", ,,daß [es] ist" (,,esti" betont, mit Akzent), soviel besagt wie
,,daß es wahr ist".
Die Fragen, die zu den Kategorien führen, sind Wortfragen: ,,Was ist
Sokrates?", ,,Wie beschaffen, wie bemessen ist er?", usw. 69 Die zum on hös
alethes führenden Fragen dagegen sind Satzfragen. Diesen Fragezugang zum
on hös alethes hat Brentano selbst mit größter Klarheit herausgestellt. Dieses
Seiende, sagt er in einer Aristotelesstudie (wohl aus 1908),

findet sich da, wo ein ganzer Satz, ein Urteil, ein Seiendes genannt wird, wenn
es wahr ist, und ein Nichtseiendes, wenn es falsch ist. Fragt uns einer: ,,Nicht
wahr, kein Radius ist dem anderen ungleich?", so antworten wir wohl: ,,So ist
es". Die Griechen sagten einfach estin. Aristoteles nannte das, was man so sei-
end nennt, ein on hös a!ethes. 70

Oder an dieser Stelle aus 1914 in der Kategorien/ehre:

Wenn einer uns eine Frage vorlegt, so antworten wir oft, um unsere Zustim-
mung auszudrücken, mit ,Ja", und wenn uns einer eine Meinung ausspricht,
und wäre es auch die, daß etwas unmöglich sei, so antworten wir oft: ,,Es ist
so" [... ] [W]ir wollen [damit] nicht sagen, daß ein Ding, das er genannt habe,
sei, sondern daß wir das, was er gesagt, mag er nun etwas anerkannt oder
geleugnet haben, für richtig halten. Man hat dieses Seiende [... ] ein Seiendes
im Sinne des Wahren genannt[ ... ] (K8. Vgl. ebda., 13).

Vom griechischen Sprachgebrauch her liefert die Betrachtung einer Aussage


in der kategorischen Satzform bei bejahender Antwort das Frage/Anrwort-
Paar

,,Ist S P?", ,,Ist S nicht P?" - ,,esti", ,,so ist es",

69 Vgl. Anm. 61; MBS 172 f. Vgl. auch Cat. 5 2631-36, Metaph. Z.1 1028a15-18.
70 Über Aristoteles. Nachgelassene Aufiätze, hrsg. v. R. George, Hamburg: Meiner
1986, 190 f.
EINLEITUNG LI

Durch dieses akzentuierte „esti" wird der Inhalt des in der Frage verwendeten
Satzes als seiend behauptet, und da in diesem Fall zu sein heißt, wahr zu sein,
ist dieses Seiende eines im Sinne des Wahren. Nennen wir diese Satzinhalte
(was gefragt wird und in der bejahenden Antwort als wahr seiend hinge-
stellt wird) nach Brentano Urteilsinhalte, so ist das on hös alethes der wahre
Urteilsinhalt, z. B. [Sokrates ist gebildet] .71
Eine Satzfrage geht nicht auf die Bestandteile der Aussage, weder auf das
,,S' noch auf das „P', noch auch auf die Art ihrer Verknüpfung in der Prädi-
kation: Sei es die essenzielle Prädikation „Sokrates ist ein Mensch" oder die
akzidentelle Prädikation „Sokrates ist gebildet", sei es die Aussage „Homer
ist blind", in der das Prädizierte kein kategoriales Seiendes sondern eine
Privation ist, oder die Aussage „Dieses Nicht-Pferd ist blind'" in der auch
der Subjektsterm kein kategoriales Seiendes bezeichnet, sondern nur ein ens
negativum - bei der Satzfrage geht es immer nur um dieses eine: darum, ob
die betreffende Aussage wahr sei. Daraus ist ohne weiteres klar, daß anders
als das in die Kategorien sich zerlegende on kath' hauto das on hös alethes ein-
heitlich ist; der Urteilsinhalt [Blindheit ist in den Augen Homers] ist, wenn
wahr, in keinem anderem Sinn wahr und so in keinem anderen Sinn ein on
hös alethes, als es [Sokrates ist ein Mensch] ist. Auch das stellt Brentano klar
heraus, so in dieser Bemerkung, es falle Aristoteles

gar nicht ein, [... ] das „on hös alethes", wie er es nennt, ähnlich wie das „on"
im Sinne einer Realität in verschiedene Kategorien[ ... ] zu zerlegen (WE 41).

Antworten wir auf eine Satzfrage mit „Ja" oder „So ist es", so sind das nur
Mittel der Bequemlichkeit, um das in der Frage schon Ausgesprochene als
wahr hinstellen zu können, ohne es zu wiederholen; ganz treffend hat Bren-
tano gesagt,,, ,Ja' ist ein ,Fürsatz' zu nennen" (WE76), und ähnlich ist es mit
„So ist es". So tun wir, wenn wir mit diesen Mitteln der Bequemlichkeit auf
die Frage, ob Sokrates gebildet sei, bejahend antworten, dasselbe wie wenn
wir als Antwort diese Behauptung aussprechen:

,,Es ist so, daß Sokrates gebildet ist",

71 Diese Schreibweise ist von Quine übernommen. Vgl. W V. 0. Quine, Wi>rd and
Object, Cambridge, Mass.: Tue M.I.T. Press 1960, § 35, 168 f.; § 38, 185. Die
eckigen Klammern sind hier ein Operator, der aus Sätzen Bezeichnungen von
Urteilsinhalten macht, was wir sonst mit umständlichen Wendungen wie „der
Urteilsinhalt daß Sokrates gebildet ist" tun müßten.
LII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

worin die Worte „Es ist so, daß" dazu dienen, den nachfolgenden Satz als
wahr zu behaupten.
Dieser Behauptungsoperator, wie man es nennen kann, ist aber entbehr-
lich, denn was er leistet, kann ebenso gut damit erzielt werden, daß der Satz
selbst behauptend ausgesprochen wird, was durch Wortstellung und Beto-
nung verdeutlichend angezeigt werden mag:

,,Es ist Sokrates gebildet", ,,esti Sökrates mousikos".

Hier ist es die betont an den Satzanfang gestellte Kopula des Satzes selbst,
worin sich das dem Satz zugesprochene alethische Sein manifestiert. Wie
unser Behauptungsoperator erübrigt sich ein spezielles alethisches „esti",
seine Funktion hat die Kopula des Satzes übernommen, in anderen Worten,
sie liegt, mit Frege gesagt, ,,in der Form des Behauptungssatzes". 72
Damit sind wir bei der nichts Überflüssiges mehr enthaltenden Aus-
drucksweise für das alethische Sein angelangt, die Aristoteles in der L:I. ?-
Stelle über das on hös alethes verwendet. Und so stellt sich nun dies, daß „das
esti bezeichnet (semainei), daß es wahr ist, sowohl bei der Bejahung wie bei
der Verneinung", für die beiden Beispiele so dar:

(A) Ist Sokrates gebildet? - es ist so,


es ist Sokrates gebildet, esti Sökrates mousikos:
,,estt' bezeichnet, daß es= [Sokrates ist gebildet]
wahr ist, stellt es als wahr hin.

(B) Ist Sokrates nicht weiß? - es ist so,


es ist Sokrates nicht weiß, esti Sökrates ou leukos:
,,estt' bezeichnet, daß es= [Sokrates ist nicht weiß]
wahr ist, stellt es als wahr hin.

Wir merken an, daß hier das Verneinungswort „nicht", ,,ou", im vollstän-
digen Antwortsatz nicht zum Behauptungswort gehört und daher auch

72 G. Frege, ,,Über Sinn und Bedeutung", in: ders., Kleine Schriften, hrsg. v. I.
Angelelli, Hildesheim: Olms 1967, 150. - In anderen Worten, die Kopula spielt
zwei verschiedene Rollen. In der als Kopula verbindet sie das Prädikat mit dem
Subjekt; in der als Behauptungszeichen stellt sie die ganze Verbindung d. h. den
(kategorischen) Deklarativsatz, dessen Form sie ist, als wahr hin. Diese beiden Rol-
len der Kopula sind zu unterscheiden, und sie kann die erste ohne die zweite erfül-
len, etwa wenn wir ein Konditional mit diesem Vordersatz beginnen: ,,Wenn der
Mond aus Käse ist, ... ": Da behaupten wir ja nicht, daß der Mond aus Käse sei.
EINLEITUNG LIII

nicht an den Satzanfang gestellt ist; es wird ja [Sokrates ist nicht weiß] als
wahr, nicht [Sokrates ist weiß] als falsch hingestellt (auch wenn das natürlich
konkomitant mitgesetzt ist). -Auf diese Art also „bezeichnet das esti, daß es
wahr ist, sowohl bei der Bejahung wie bei der Verneinung".
Nun zu dem anderen Fall, daß andererseits „das ouk estin bezeichnet, daß
es falsch ist", wieder sowohl bei der Bejahung wie bei der Verneinung. Das
Beispiel, mit dem „symmetros" 1017a3 5 von Alexander & Co statt des über-
lieferten „asymmetros" (vgl. Anm. 66) ist

(C) Ist die Diagonale kommensurabel? - es ist nicht so,


es ist nicht die Diagonale kommen-
surabel,
ouk istin he diametros symmetros:
„ouk isti" bezeichnet, daß es= [Die D. ist kommensurabel] falsch ist, stellt
es als falsch d. h. als „Nichtseiendes im Sinne des Paischen" (me on hös to
pseudos, E.2 1026a35) hin.

Beachten wir den Unterschied zu (B): Gehört in (B), wie gesagt, in der Ant-
wort das Verneinungswort nicht zum Behauptungswort, so gehört es in (C)
dazu und bildet mit ihm ein Verwerfungszeichen, daher auch seine Stellung
am Satzanfang; der so Antwortende stellt [Die D. ist kommensurabel] als
falsch hin und nicht [Die D. ist nicht kommensurabel] als wahr. Diese Deu-
tung des Beispiels entspricht der Alexanders, wie sich in III.2 zeigen wird;
hier sei die damit konforme Darlegung Schweglers angeführt, mit der dieser
,,das Textverderbnis in he diametros asymmetros" berichtigt:

Daß die Diagonale nicht inkommensurabel, d. h. daß sie kommensurabel sei -


dies ist allerdings eine falsche Behauptung: mit andern Worten, der obige Satz
enthält eine falsche Aussage. Allein darum handelt es sich in diesem Zusam-
menhange nicht, sondern vielmehr darum, an einem Beispiele darzutun, daß
das me einai oder das ouk isti eine Aussage als falsch bezeichne. Esti bezeichnet
(semainei) eine Aussage als wahr, ouk isti als falsch (hoti pseudos). Mithin muß
diejenige Aussage, zu welcher ouk isti hinzugesetzt wird, falsch sein. Dies aber
ist die Aussage, he diametros asymmetros nicht, sondern diese Behauptung ist
vielmehr wahr: falsch ist die Behauptung he diametros symmetros. Mithin muß
he d. asymmetros in unserer Stelle abgeändert werden in he d. symmetros, wie
auch Alexander gelesen hat (Schwegler III 213).

Und der Vollständigkeit halber nehmen wir für den letzten Fall, für den Ari-
stoteles kein Beispiel angibt, das von Ross (I 309):
LIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

(D)Ist die D. nicht inkommensurabel?- es ist nicht so,


es ist nicht die D. nicht inkommen-
surabel,
ouk estin he diametros ouk asymmetros:
„ouk esti'' ,,bezeichnet, daß es= [Die D. ist nicht inkommensurabel] falsch
ist", stellt es als falsch hin. 73

In Metaph. L'.1. 7 wird das Seiende im Sinne des Wahren nur vorgestellt; seine
Diskussion kommt dann in E.4. Ihr Ergebnis hatten wir schon am Anfang
von Teil II (S. XXII), und wir brauchen nicht nochmals darauf zu sprechen
zu kommen. Für den gegenwärtigen Zweck, genauer, für die kommende
Erörterung von Thomas' und Brentanos Behandlung des Seienden im Sinne
des Wahren genügen diese seine Diskussion eröffnenden Zeilen in E.4:

Das im Sinne des Wahren Seiende (hös alethes on) und das Nichtseiende im
Sinne des Falschen (me on hös pseudos) beruht auf Verbindung und Trennung
(peri synthesin esti kai diairesin), beides zusammen auf der Einteilung des
kontradiktorischen Gegensatzes; denn das Wahre bezieht die Bejahung auf
das [in der Wirklichkeit] Zusammenliegende (to alethes ten kataphasin epi töi
synkeimenöi echei) und die Verneinung auf das [in der Wirklichkeit] Getrennte
(ten apophasin epi töi dieiremenöi), das Falsche aber hat das kontradiktorische
Gegenteil dieser Zuteilung (1027618.:_23).

Wir sehen eine Gemeinsamkeit mit der L'.1. 7-Stelle und einen Unterschied:
Wie hier in E.4 deckt auch in L'.1. 7 das on hös alethes sowohl Bejahungen (,,S
ist P") wie Verneinungen (,,S ist nicht P") ab; der Unterschied aber ist der,
daß in dieser E.4-Stelle auch die in L'.1. 7 unerwähnt gebliebene Quelle des

73 Man möchte gerne mutmaßen, daß Aristoteles selbst in der Ll.7-Stelle über das
on hös alethes tatsächlich vier Beispiele hatte, mit „symmetros" im dritten und im
vierten, wieder für die Diagonale, mit „ouk asymmetros", so daß die Stelle mit „ouk
asymmetros, hoti pseudos" endete, dann aber die Worte von „symmetros" bis inklu-
sive „ouk" vor „asymmetros" verloren gingen, so daß die Worte „asymmetros, hoti
pseudos" nach dem ersten „diametros'' zu stehen kamen, damit das dritte Beispiel
entfiel und das vierte zu der überlieferten Ärgerlichkeit verderbt wurde. Eine sol-
che Mutmaßung darf umso eher angestellt werden, als mit den Zeilen über das on
hös alethes ohnehin etwas passiert sein muß, denn weder gehören sie sachlich dort-
hin, wo sie stehen, nämlich zwischen das Seiende nach den Figuren der Kategorien
und das sachlich sich an dieses anschließende potenzial und aktual Seiende, noch
auch standen sie ursprünglich dort, denn aus 101762 geht doch klar genug hervor,
daß ursprünglich und in sachlicher Folgerichtigkeit vielmehr die Darstellung des
potenzial und aktual Seienden unmittelbar auf die des Seienden nach den Figuren
der Kategorien folgte.
EINLEITUNG LV

on hös alethes namhaft gemacht wird, nämlich „Verbindung und Trennung",


d. h. die Formierung von Bejahungen und Verneinungen in der urteilenden
Tätigkeit des Verstandes.
Wie zu erwarten war, umfaßt das, was als Seiendes im Sinne des Wahren
zum Vorschein gekommen ist, Urteilsinhalte und nichts sonst. [Sokrates ist
sprachkundig] ist ein solches Seiendes, aber im Kontrast zu der Aufstellung,
die uns bei Brentano begegnet ist, weder die Substanz Sokrates noch die
Qualität Sprachkunde: Ganz im Gegenteil, diese beiden Entitäten, und das
kategoriale Seiende überhaupt, werden von Aristoteles ausdrücklich aus dem
Bereich des on hös alethes ausgeschlossen, ist doch wie das akzidentell Sei-
ende das on hös alethes Seiendes, das „auf die übrige Gattung des Seienden
geht", peri to loipon genos tou ontos ist (E.4 1028al f.), womit ja diese übrige
Gattung, das kategoriale Seiende, vom Seienden im Sinne des Wahren abge-
grenzt wird.

III.2. Alexander von Aphrodisias


Für die L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes ist uns Alexander bisher nur als
Quelle für die Lesart „symmetros" 1017a35 begegnet. Mit dem oben ange-
sprochenen wichtigen Zug für Brentano in Alexanders Kommentar zur
Stelle ist aber etwas anderes gemeint. Betrachten wir nun diesen im ganzen,
wofür wir ihn in acht Schritte unterteilen:

[a] Es bezeichnet „ist" (to esti), ,,sein" (to einai) und „seiend" (to on) das
Wahre (to alethes), aber „nicht zu sein" (to me einai) und „nichtseiend"
(to me on) das Falsche (pseudos). Denn wir sagen, daß das Wahre ist und
seiend ist, das Falsche aber nicht ist und nichtseiend ist,
[b] und das gleicherweise bei der Bejahung und bei der Verneinung (en kata-
phasei kai apophasei),
[c] und d. h. (toutestin) wenn etwas von etwas positiv (kataphatikös, ,,beja-
henderweise") oder negativ (apophatikös, ,,verneinenderweise") prädiziert
wird.
[d] Wer nämlich sagt, ,,Es ist Sokrates gebildet" (esti Sökrates mousikos),
behauptet, daß das Gesagte wahr ist, und verwendet dabei das „ist" in
Hinsicht auf das Wahre (epi tou alethous);
[e] Und wieder gleicherweise, wer sagt, ,,Es ist Sokrates nicht-weiß" (esti
Sökrates ou leukos), hierbei das „nicht-weiß" (to ou leukos) negativ
(apophatikös) prädizierend, behauptet als wahr (alethes legei), daß Sokrates
nicht-weiß ist (to einai me leukon Sökraten).
LVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

[f] Und so ist in der Bejahung (en tei kataphasei) das Wahre, das Falsche aber
in der Verneinung (en tei apophasei),
[g] wie z. B., wenn jemand sagt: nicht ist die Diagonale mit der Seite kom-
mensurabel (me einai ten diametron tei pleuräi symmetron). Denn das „die
Diagonale mit der Seite kommensurabel" dem „nicht ist" (töi me einai)
hinzufügend, behauptet er, daß es falsch ist [zu sagen], daß das ist;
[h] denn wer die Bejahung (kataphasis) behauptet, sagt, daß das „sein" wahr
ist, dagegen wer die Verneinung (apophasis) behauptet, hebt das „sein" als
falsch seiend auf.74

Hierin sind [a] und [b] beinahe wörtliche Wiedergaben, die Alexander
eigentümliche Wendung beginnt mit [c], womit [b] erläutert werden soll.
Man möchte denken, [b] sei in sich klar und keiner Erläuterung bedürf-
tig, doch nun in [c] wird erklärt, daß die Bejahung in [b] eine Bejahung mit
positivem Prädikatsterm und die Verneinung in [b] gar keine Verneinung sei,
sondern eine Bejahung mit negativem Prädikatsterm, und zu diesem Zweck
verwandelt Alexander Aristoteles' kataphasis, Bejahung, und apophasis, Ver-
neinung, in seine adverbialen Wendungen kataphatikös, apophatikös. Für [d],
den Fall (A) von vorher, hat das keine Auswirkung, wohl aber für [e], den
Fall (B), wo nun keine Verneinung mehr als wahr hingestellt ist, sondern wie
vorher im Fall (A) eine Bejahung, wenngleich in ihr apophatikös prädiziert
wird, will sagen: ein negativer Prädikatsterm prädiziert wird (,,nicht-weiß");
kurz, mit der Ersetzung von apophasis durch apophatikös hat Alexander die
Satznegation durch die Termnegation ersetzt. Also liegt nun in (A) eine kata-
phasis vor, in der auch kataphatikös, d. h. ein positiver Prädikatsterm prädi-

74 Al. in Met. 371.36-372.10 = Aristotelis Opera. Ex rec. I. Bekkeri. Ed. altera quam
cur. 0. Gigon, IV, Berlin: de Gruyter 1961: Scholia in Aristotelem eo!!. Ch. A.
Brandis [etc.], 70la5-18. Wie in Anm. 66 schon gesagt, ist für das „symmetron"
die Überlieferung des Alexander-Textes freilich nicht eindeutig. So bringt Bran-
dis im Scholion noch an beiden Stellen „asymmetron", ,,symmetron" in den kriti-
schen Apparat relegierend. Bonitz war es dann, der in seinen Observationes criticae
in Aristotelis libros Metaphysicos (s. Anm. 66) - so wie dann durch seine Edition
von Alexanders Metaphysik-Kommentar (Alexandri Aphrodisiensis commentarius in
libros Metaphysicos Aristotelis. Recensuit H. Bonitz, Berlin: Reimer 1847, 332.18 f.)
- der Lesart „symmetron" als der authentischen zum Durchbruch verhalf; seine
Bemerkung zu diesem Scholion im Additamentum der Observationes [... ], in dem
seine Emendationen zu den von Brandis gesammelten Scholien zusammengestellt
sind: ,,Legendum utroque loco cum codd. AM uuµ,µ,eTgov supra docuimus p. 90"
(ebda. 136), hat die Frage definitiv entschieden, und so setzte dann auch Hayduck
in der CAG-Edition, Al. in Met., umgekehrt zu Brandis „symmetron" in den Text
und verbannte er „asymmetron" in den Apparat.
EINLEITUNG LVII

ziert wird, und in (B) ebenfalls eine kataphasis, in der aber apophatikös, d. h.
ein negativer Prädikatsterm prädiziert wird: So kann Alexander in [f] die in
[h] nochmals bekräftigte These aufstellen,

So ist in der Bejahung (kataphasis) das Wahre, dagegen in der Verneinung


(apophasis) das Falsche,

worin im Kontrast zu [b] als durch [c]-[e] erklärt die apophasis nun wieder
die Satznegation ist; und wie er mit der Zusammenstellung Bejahung-Wahr
[d] und [e] d. h. (A) und (B) zusammenfaßt, exemplifiziert er die Zusam-
menstellung Verneinung-Falsch darauf mit [g], d. h. mit (C), auch hier, wie
danach in [h], mit der apophasis als Satznegation.
Man sieht sofort, daß Alexanders Behandlung von (C) in [g] nicht gleich-
artig ist mit der von (B) in [e]. In [g] macht er für (C) genau das, was erfor-
dert ist, damit (C) ein Beispiel für das Falsche ist und das Schwegler in der
oben in IIL 1 (S. LIII) angeführten Passage mit der Unterscheidung zwischen
Enthalten und Bezeichnen eigentlich gut herausgestellt hat; kurz und bün-
dig, mit dem „ist nicht" der - natürlich - wahren Behauptung „Es ist nicht
die D. kommensurabel" wird „Die D. ist kommensurabel" als falsch zurück-
gewiesen. Doch dieselbe Prozedur auch auf [e], den Fall (B), angewendet,
ergibt dann, daß mit der wahren Behauptung „Es ist Sokrates nicht weiß"
die Verneinung „Sokrates ist nicht weiß" als wahr anerkannt wird: Und so
entfällt bei einheitlicher Vorgangsweise jeder Grund dafür, die Verneinung
„Sokrates ist nicht weiß" in die Bejahung mit negativem Prädikatsterm
„Sokrates ist nicht-weiß" zu verkehren; Alexander übersah offenkundig, daß
mit dem akzentuierten „esti'' nicht nur eine Bejahung, sondern auch eine
Verneinung als wahr hingestellt werden kann, wie es eben in „esti Sökrates
ou leukos" der Fall ist. Die einzige sinnvolle Erklärung für seine Behandlung
dieses Satzes in [e] dürfte daher diese sein: Er unterschied nicht hinreichend
die Rolle des „esti'' in „esti Sökrates ou leukos" als Behauptungszeichen von
seiner Rolle als Kopula (in der allein das Verneinungswort „ou" dazu gehört),
so daß er sich gezwungen sah, Aristoteles' dictum, daß das ,,esti" das Wahr-
sein bezeichne, ausschließlich auf die Bejahung zu beziehen und infolgedes-
sen für dieses dictum das „gleicherweise bei der Bejahung und bei der Ver-
neinung, epi kataphaseös kai apophaseös" des Stagiriten als „gleicherweise bei
positivem und bei negativem Prädikatsterm" zu lesen.
Größen in der Aristotelesforschung des 19. Jahrhunderts wie Bonitz und
Schwegler folgten dem großen Kommentator der Antike nicht nur darin, in
LVIII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

L'.l.7 1017a35 „symmetros" statt „asymmetros" zu lesen, was eine gute Sache
war, sondern auch, weniger gut, in seiner Umdeutung von „esti Sökrates ou
leukos" in eine Bejahung mit negativem Prädikatsterm. Bonitz argumentiert
so: Weil Aristoteles' ,,epi kataphaseös kai apophaseös" die Wörter „katapha-
sis und apophasis sowohl auf to einai wie auf to me einai bezieht", sei hier
mit ihnen nicht der Unterschied von Bejahung und ihr kontradiktorisch
opponierter Satzverneinung gemeint, sondern das, ,,was aus der affirmativen
oder negativen Natur der Prädikate", ex praedicatorum natura ajfirmativa aut
negativa, sich ergibt, und daher werde

die Aussage: esti Sökrates ou leukos wegen des negativen Prädikats auf die apo-
phaseis zu beziehen sein, aber ihre bejahende Kopula hat die Kraft, diese Aus-
sage als wahr zu bejahen (copula autem a.ffirmativa eam habet vom, ut illam
enunciationem veram esse a.ffirmat) (Bonitz Comm. 242).

Hier ist der Fehler, zwischen den beiden Rollen der Kopula nicht hinrei-
chend zu unterscheiden, völlig deutlich. Ähnlich wie Bonitz sah es auch
Schwegler, der den Kern der L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes ganz im Sinne
von Alexanders [f]-These damit wiedergibt, es

bedeutet das Sein oder das Ist auch das Wahrsein einer Behauptung, das
Nicht-ist die Unwahrheit des Ausgesprochenen (Schwegler III 212),

und dementsprechend in seiner Übersetzung das „hoti esti Sökrates ou


leukos" als „die Behauptung, Sokrates ist nicht-weiß" wiedergibt.
Und Brentano schloß sich, mit Berufung auf Alexander, in seiner Dis-
sertation dem an. Er vermeidet es gleich von vornherein, ,,kataphasis" und
,,apophasis" von „epi kataphaseös kai apophaseös" mit „Bejahung" oder „Affir-
mation" und „Verneinung" oder „Negation" wiederzugeben und übersetzt
die L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes so:

Ferner bezeichnet das „Sein" und das „ist", daß es wahr ist, das Nichtsein aber,
daß es nicht wahr, sondern falsch ist, bei positiven sowohl, als negativen Aus-
sprüchen, wie z. B. Sokrates ist tonkundig, d. h. dies ist wahr, oder Sokrates ist
nicht-weiß, d. h. es ist wahr; dagegen die Diagonale ist nicht kommensurabel,
d. h. es ist falsch (MBS 39 f.);

und dann macht er geltend, es sei


EINLEITUNG LIX
hier [in der L'.l.7-Stelle] das „wahr" auf der Seite der Affirmation (wenn sie
auch bald eine positive, bald eine negative Bestimmung beilegt), das „falsch"
immer auf der der Negation (ebda 40),

worauf er zustimmend Alexanders [f] zitiert und hinzufügt, ,,so auch Schweg-
ler [... ]" (ebda.). Brentanos Wiedergabe der L'.1. 7-Stelle ist freilich mehr eine
Entstellung als eine um Genauigkeit bemühte Übersetzung. Die Wieder-
gabe von „kataphasis" und „apophasis" in „epi kataphaseös kai apophaseös"
mit „positive Aussprüche" und „negative Aussprüche" ist mindestens ebenso
sonderbar wie Alexanders Ersetzung dieser beiden Substantive durch die
Adverbien „kataphatikös" und „apophatikös", nur daß Alexander das in der
Interpretation tut, während Brentano bereits den Text selbst in seinem Sinn
verbiegt. Und dazu ignoriert er völlig die Wortstellung des Originals in den
drei Beispielen, die Position von „esti'' bzw. ,,ouk estin" am Satzanfang, damit
das „esti" in ihnen bereits durch seine Übersetzung auf sein Kopula-Sein
reduzierend; es wird sich zeigen, daß eine ganz bestimmte Absicht dahinter
steht.
Nunmehr ist der für Brentano wichtige Zug in Alexanders Kommentar
zur L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes hervorgetreten: die Konstruktion des
zweiten Beispiels in ihr als Bejahung, und damit einhergehend Alexanders
[f]-These. Doch warum das für Brentano so wichtig ist, ja eine conditio sine
qua non für das darstellt, was er in der Dissertation aus der L'.1. 7-Stelle über
das on hös alethes extrahiert, wird erst wirklich deutlich werden können,
nachdem ihre Kommentierung durch Thomas von Aquin in Betracht gezo-
gen worden ist.

III.3 Thomas von Aquin


Doch ehe wir uns Thomas' Behandlung der L'.1. 7-Stelle über das on hös afethes
in seinem Metaphysik-Kommentar näher ansehen, ist es angebracht, einen
kurzen Blick auf das zu werfen, was er darin über die in III.1 (S. LIV) gegen
Ende angeführte E.4-Stelle (1027618-23) über dieses Seiende sagt: Aristo-
teles trifft

hier seine Bestimmungen über das ens, das die Wahrheit der Aussage bezeich-
net (quod signiftcat veritatem propositionis) [ ... ]
Er sagt also, daß in einer Weise, in der vom ens gesprochen wird, es nichts
anderes bezeichnet als Wahrheit, denn wenn wir fragen, ob der Mensch ein
Tier ist, ist die Antwort, daß es ist (quod est), womit bezeichnet wird, daß
LX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

jene Aussage wahr ist. ( Cum enim interrogamus si homo est animal, respondetur
quod est; per quod significatur, propositionem praemissam esse verum). Und in
derselben Weise bezeichnet non ens [etwas] als Falsches (quasi falsum), denn
wenn die Antwort ist: Es ist nicht (Non est), so wird damit bezeichnet, daß die
vorgelegte Äußerung (oratio) falsch ist. Dieses ens aber, das [ens] quasi vernm
genannt wird, und das non ens, das [non ens] quasi falsum genannt wird, beruht
auf Verbindung (compositio) und Trennung (divisio) [... ] Und hier wird die
Bejahung Verbindung genannt, [... ] die Verneinung aber Trennung (Th. in
Met. VI, lect.4, 1223).
Und da das eben genannte ens und non ens, nämlich das Wahre und das
Falsche, auf Verbindung und Trennung beruht, beruhen sie daher auch auf
der Teilung des Widerspruchs, denn jeder Widerspruch trennt das Wahre und
das Falsche voneinander[ ... ] (ebda 1225).
Wenn daher zwei kontradiktorische Aussagen gebildet werden, ein Paar aus
Termen, die [in der Wirklichkeit, in rernm natura, 1225] verbunden sind,
wie „Der Mensch ist ein Tier", ,,Der Mensch ist kein Tier", und ein anderes
aus Termen, die [in der Wirklichkeit] getrennt sind, wie „Der Mensch ist ein
Esel", ,,Der Mensch ist kein Esel", so zerteilt jedes der beiden kontradikto-
rischen Paare in sich das Wahre und das Falsche [ ... ] Denn diese beiden Aus-
sagen, ,,Der Mensch ist ein Tier" und „Der Mensch ist kein Esel", sind wahr.
Aber das Falsche hat auf seiner Seite die Kontradiktorien dieser beiden Aus-
sagen, die auf die Seite des Wahren fallen, denn das Falsche hat auf seiner
Seite die Verneinung dessen, was [in der Wirklichkeit] verbunden ist und die
Bejahung dessen, was [in der Wirklichkeit] getrennt ist; denn diese beiden
Aussagen, ,,Der Mensch ist kein Tier" und „Der Mensch ist ein Esel", sind
falsch (ebda 1226).

Hier ist alles so, wie es zu erwarten ist. In völliger Klarheit macht Thomas
auf den mit der Satzfrage zusammenhängenden alethischen Gebrauch von
„sein" aufmerksam, und das daraus resultierende Seiende der Urteilsinhalte
nennt er geradewegs ens quasi verum, welches Seiende sowohl in der Bejahung
wie in der Verneinung auftritt (wie besonders in 1226 betont wird). Kurz,
diese Passage würde bestens als Kommentar zum dictum in Ll. 7 dienen, es
bezeichne „das ,Sein' und das ,ist', daß es wahr ist, dagegen das ,Nichtsein',
daß es nicht wahr sondern falsch ist, gleicherweise bei der Bejahung und bei
der Verneinung", von dem signifikanten Umstand abgesehen, daß Aristo-
teles in der Ll. 7-Stelle über das on hös alethes das „Verbinden und Trennen"
unerwähnt läßt und sich ausschließlich auf die Kopula bereits geformter
Aussagen in ihrer Rolle als Behauptungszeichen konzentriert; aber das war
ja auch schon ein Unterschied zwischen der Ll.7-Stelle und der E4-Stelle
(1027618-23), die Thomas hier kommentiert. - Gehen wir aber von da zu
EINLEITUNG LXI

seinem Kommentar zur LJ. 7-Stelle über das on hös alethes, so ändert sich das
Bild ganz drastisch: Darin sehen wir Thomas eine völlig andere Richtung
einschlagen.
D9ch bevor wir uns dem Kommentar selbst zuwenden, ist noch eine für
sein Verständnis relevante Bemerkung vorauszuschicken. Für Thomas ist ein
singulärer Existenzialsatz, wie „Sokrates ist", bereits ein vollständiger, aus
Subjekt und Prädikat geformter Satz, mit dem existenzialen „ist" als Prä-
dikat. Diese satzlogische Doktrin hängt mit seiner Lehre vom esse als actus
essendi zusammen, und darüberhinaus geht mit ihr eine Unterscheidung
bezüglich des esse einher, die der beim ens korrespondiert. In der einen Weise
verstanden ist esse der actus essendi, und das so verstandene esse kommt nur
denfirst-class beings zu, wie wir oben nach Kenny dazu gesagt haben (dem
kategorialen Seienden und natürlich auch dem überkategorialen Seienden
Gott). In der anderen Weise verstanden kommt esse allem zu, worüber eine
wahre Bejahung gebildet werden kann, also den second-class beings ebenso wie
den first-class beings: für X derartiges esse zu haben heißt also nichts anderes
als zum Seienden im Sinne des Existierenden zu gehören d. h. mögliches
Subjekt wahrer Bejahungen zu sein. 75 Dadurch wird die Form ,,X ist" zwei-
deutig: Ist X ein first-class being wie z. B. Sokrates, so kann dieses existenziale
„ist" in jeder der beiden Weisen genommen werden, denn Sokrates ist nicht
nur Subjekt wahrer Bejahungen, sondern hat auch esse im Sinne des actus
essendi; ist dagegen X z. B. die Privation Blindheit, die ein second-class being
ist und keinen actus essendi hat, so kann dieses „ist" nur als Ausdruck des-
sen genommen werden, daß sie Subjekt wahrer Bejahungen ist. Für beides
zusammen, für die Lehre, daß ein Satz der Form ,,X ist" bereits ein vollstän-
diger Satz sei, und für die Unterscheidung zweier Weisen des esse findet sich
eine konzise Formulierung in der folgenden Stelle in der Summa 7heologiae,
in der Thomas auf diesen Einwand gegen seine Identifikation von esse und
essentia bei Gott, daß wir Gottes essentia nicht erkennen können, wohl aber
sein esse, da wir ja wissen, daß ein Gott ist, damit antwortet:

Vom esse wird in zwei Weisen gesprochen. In der einen Weise bezeichnet es
den actus essendi, in der anderen bezeichnet es die Zusammensetzung der Aus-
sage (compositionem propositionis), die die Seele erzeugt, indem sie das Prädikat
mit dem Subjekt verbindet (coniungens praedicatum subiecto). Nach dem in
der ersten Weise verstandenen esse können wir das esse Gottes nicht erkennen,

75 Ein locus classicus für diese Unterscheidung der beiden Weisen des esse ist Quaest.
quodl. IX qu.2 art.2 co.
LXII MAURO .ANTONELLI UND WERNER SAUER

sowenig wie seine essentia, sondern nur nach der zweiten Weise; wir wissen
nämlich, daß diese Aussage, die wir über Gott bilden, wenn wir sagen, ,,Gott
ist" (Deus est), wahr ist (Summa Jh. Ia qu.3 art.4 ad 2).

Demnach ist also der Existenzialsatz „Gott ist" genauso ein kategorischer,
Prädikat mit Subjekt verbindender Satz wie etwa „Gott ist allmächtig", er
beruht also genauso wie dieser auf der compositio propositionis. Nun nennt
aber Thomas gewöhnlich die Kopula das Zeichen dieser compositio: deren
nota est hoc verbum est (Summa Th. Ia qu.48 art.2 ad 2). Doch diese nota
fehlt in dem Satz „Gott ist", es hat fast den Anschein, als würde in ihm
das „ist" beide Rollen zugleich spielen, die der Kopula in diesem explizit
unter die Verbindung des Prädikats mit dem Subjekt subsumierten Satzes
und zugleich die des mit dem Subjektsterm verbundenen Prädikatsterms.
Wie auch immer, auf jeden Fall aber ist manifest geworden, wie leicht es
Thomas fällt, vom kategorischen Subjekt/Prädikatsatz zum Existenzialsatz
überzuwechseln: 76 Und das wird sich auch in seinem Kommentar zur A.7-
Stelle über das on hös alethes zeigen, dem wir uns nun endlich zuwenden
können.
Wie den Kommentar Alexanders bringen wir auch den von Thomas voll-
ständig, ebenfalls in acht Schritte unterteilt. Nach der Behandlung des Sei-
enden nach den Figuren der Kategorien setzt Aristoteles hier, beginnt Tho-
mas,

[l] eine andere Weise des Seienden (alium modum entis), nach der esse und
est die Zusammensetzung der Aussage (compositionem propositionis) bezeich-
nen, die der Verstand durch Verbinden und Trennen (componens et dividens)
erzeugt (Th. in Met. V, lect.9, 895).

Thomas setzt also beim „esse"l„est" der compositio propositionis an, also bei
der Kopula. Doch davon ist, wie schon betont wurde, in der LI. 7-Stelle über
das on hös alethes keine Rede, womit sich bereits diese Differenz zu Aristoteles
ergibt: Der spricht in der Ll.7-Stelle zwar auch von der Kopula, aber gerade
nicht in ihrer Rolle als Kopula, sondern in der Rolle als Behauptungszeichen,
in der sie einen eigenen Behauptungsoperator, wie wir es genannt haben: ,,es
ist so, daß" o. ä., erübrigt. Kenny hat auf diesen Unterschied zwischen der
Ll.7-Stelle und Thomas' Kommentarpassage [1] aufmerksam gemacht:

76 Mit derselben Leichtigkeit geht dieser Übergang in der gerade in Anm. 75 genann-
ten Stelle vonstatten.
EINLEITUNG LXIII
Aristotle's point seems to be to draw attention to the use of the verb 'to be' to
affirm or deny a whole proposition, as opposed to linking predicate to subject
[... ] lt is not clear whether Aquinas understood Aristotle in this way. He says
that 'esse' in this sense signifies the composition of the proposition, which the
intellect creates by compounding and dividing. This is the formula he com-
monly uses to refer to 'esse' as the copula, not as an operator with a whole
sentence as its scope (Kenny 181).

So wird schon aus [l] ersichtlich, daß Thomas' ,,interest, in any case, is else-
where than Aristode's" (ebda., 182): Wie jedoch schon recht bald greifbar
werden wird, ist es auch nicht das kopulative sondern das existenziale „ist",
dem sein wirkliches Augenmerk gilt.
Nachdem also Thomas statuiert hat, das jetzt in Betrachtung stehende
Seiende hänge an dem „esse"l„est" der compositio propositionis, fährt er fort:

[2) Und daher [weil „esse" und „est" die compositio propositionis bezeichnen]
sagt er, daß esse die Wahrheit der Sache (veritatem rei) bezeichnet, oder wie es
eine andere Übersetzung besser hat: daß esse bezeichnet, daß irgendeine Äuße-
rung (dictum) wahr ist (a. a. 0.).

Das, was „eine andere Übersetzung besser hat", ist natürlich ganz wörtlich,
was Aristoteles zu Beginn ..d. 7-Stelle sagt (,,to einai bezeichnet, daß es wahr
ist"), während darin kein Wort über eine veritas rei, Wahrheit der Sache,
vorkommt. Die bessere Übersetzung, von der Thomas spricht, ist die Wort-
für-Wort-Wiedergabe in der Metaphysik-Übersetzung seines Ordensbruders
Wilhelm von Moerbeke: 77

Amplius esse et est significant quia verum, non esse autem quia non verum sed
falsum, similiter in affirmatione et negatione; ut quod ,est Socrates musicus: quia
hoc verum, aut quod, est Socrates non albus: quod verum; hoc autem 'non est dya-
meter incommensurabilis: quodfalsum.

Doch obschon in dieser wortgetreuen Übersetzung von einer veritas rei


natürlich nicht die Rede ist, hält Thomas an ihr fest, wenn auch in modifi-
zierter Form, und verflicht er sie mit [2] im nächsten Satz:

[3] Daher kann die Wahrheit der Aussage (veritas propositionis) die Wahrheit
der Sache in der Weise der Ursache (veritas rei per causam) genannt werden,

77 Aristoteles Latinus XXV 3.2: Metaphysica. Recensio et Translatio Guillelmi de


Moerbeka, Leiden: Brill 1995.
LXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

denn aufgrund dessen, daß die Sache ist oder nicht ist (quod res est vel non est),
ist die Aussage (oratio) wahr oder falsch (a. a. 0.).

D. h., aufgrund dessen, was vorher gesagt wurde- nämlich daß „esse bezeich-
net, daß irgendein dictum wahr ist" -, kann die Wahrheit der Aussage „veri-
tas rei per causam" genannt werden (so daß die res ein verum per causam
genannt werden könnte), wofür Thomas diesen Grund angibt:

Aufgrund dessen, daß die Sache ist oder nicht ist (quod res est vel non est), ist
die Aussage wahr oder falsch (und nicht umgekehrt).

Mittlerweile beginnt schon recht gut sichtbar zu werden, worauf Thomas


in seinem Kommentar zur L:1. 7-Stelle über das on hös alethes wirklich hinaus
will. In [I] begann er, hierin schon von Aristoteles abweichend, mit dem
kopulativen „ist" d. h. der compositio propositionis. Doch was jetzt zum Vor-
schein zu kommen beginnt, ist das existenziale „ist": Denn bei der res, deren
Wahrheit per causam eine Aussage wahr macht, ist doch nur an substanzielle
Einzeldinge zu denken wie Sokrates, Bukephalos, oder an das übersubstan-
zielle Einzelding Gott; und bei der Wendung „quod res est vel non est" ist
doch auch nur an die existenziale Bejahung und Verneinung zu denken:
Begann Thomas in [I] mit dem kopulativen „ist", so ist er jetzt mit dersel-
ben Leichtigkeit wie in der oben aus der Summa Theologiae zitierten Stelle
über die zwei Weisen des esse zum existenzialen „ist" weitergegangen. Dieser
Eindruck verstärkt sich nur noch im ersten der beiden folgenden Schritte:

[4] Denn wenn wir sagen, daß etwas ist (aliquid esse), bezeichnen wir, daß die
Aussage wahr ist, und wenn wir sagen, daß es nicht ist (non esse), bezeichnen
wir, daß die Aussage falsch ist,
[5] und das sowohl beim Bejahen (in affirmando) wie beim Verneinen (in
negando). Beim Bejahen, wie wenn wir sagen, daß Sokrates gebildet ist (quod
Socrates est musicus78 ), daß das wahr ist (quia hoc verum est). Beim Verneinen
aber, wie: Sokrates ist nicht weiß (Socrates non est albus), daß das wahr ist,
d. h. daß er nicht weiß ist (ipsum esse non album). Und ähnlich sagen wir: Es
ist nicht die Diagonale inkommensurabel mit der Seite des Quadrats (non est
diameter incommensurabilis lateri quadrati), daß das falsch ist, d. h. daß sie
nicht nicht kommensurabel ist (non esse ipsum non commensurabilem) (ebda).

78 Der Text hat „albus" anstelle von „musicus"; aber das ist wohl nur ein Lapsus.
EINLEITUNG LXV

Die Wendung „wenn wir sagen, daß etwas ist, aliquid esse" in [4], für die es
in der L'.I. 7-Stelle nichts Entsprechendes gibt, knüpft direkt an [3] an und
bekräftigt nur, daß es jetzt um den Existenzialsatz geht.
In auffälligem Kontrast, ja weitgehender Beziehungslosigkeit zu [2]-[ 4]
steht dann [5], worin Thomas nicht mehr den Existenzialsatz aus den Wor-
ten des Stagiriten herauszuziehen sucht, sondern - nachdem bisher das ein-
zige direkt berücksichtigte L'.I. 7-Wort das in [2] wiedergegebene „to einai
bezeichnet, daß es wahr ist" war - nun dessen drei Beispiele, die keine Exis-
tenzialsätze sondern gewöhnliche Subjekt/Prädikat-Sätze sind, paraphra-
siert. Dabei entgeht ihm freilich der Sinn der in der Moerbeke-Übersetzung
beibehaltenen Wortstellung in ihnen, und dazu behindert ihn beim dritten
das das überlieferte „asymmetros" 1017a3 5 wiedergebende „incommensurabi-
lis"; so kommt eigentlich nicht mehr heraus als daß Bejahungen wie Vernei-
nungen einerseits wahr und andererseits falsch sein können: Es ist schwer zu
sehen, wie daraus eine eigene Weise des Seienden hervorgehen sollte.
Es ist aber [5] auch nur eine Art Parenthese, und im übrigen Teil des
Kommentars zur L'.I. 7-Stelle über das on hös alethes kehrt Thomas zu dem
zurück, wo sein eigentliches Interesse liegt: beim Existenzialsatz, und ver-
bunden damit, beim Ziel, jene Dichotomie des Seienden zwischen first-class
beings, dem kategorialen Seienden in L'.1.7, und second-class beings herauszu-
stellen, für die er sich schon in De Ente et Essentia auf L'.I. 7 berufen hatte.
Wie in dem Frühwerk nennt er auch jetzt die first-class beings Seiendes in der
ersten Weise, und kontrastiert er es mit den second-class beings als einem Sei-
enden in der zweiten Weise, das er aus der Ll.7-Stelle über das on hös alethes
herauszieht.
In diesem übrigen Teil des Kommentars knüpft Thomas zunächst an [3]
und an [1], in dieser Reihenfolge, an:

[6] Man muß aber wissen, daß diese zweite Weise [des Seienden] sich zur
ersten so verhält wie die Wirkung zur Ursache. Denn daraus, daß etwas in der
Wirklichkeit ist (quod aliquid in rentm natura est), folgt die Wahrheit oder
Falschheit in der Aussage, die der Verstand mit diesem Wort Est, genommen
als verbale Kopula (prout est verbalis copula), bezeichnet (a. a. 0., 896).

Das ist nur eine Rekapitulation von [3], in der er aber wie in [1] vorn kopu-
lativen „ist" als dem die zweite Weise des Seienden Manifestierenden spricht.
Es ist aber der Existenzialsatz, den Thomas dabei im Blick hat, beachte sein
,,quod aliquid in rerum natura est", worin das „aliquid in rerum natura est"
LXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

doch nur eine andere Formulierung für das „res est" von [3] ist: Aber die
Leichtigkeit, mit der Thomas vom kopulativen zum existenzialen „ist" wech-
selt, ist uns inzwischen wohlvertraut. Im Weiteren tritt auch ganz explizit
der Existenzialsatz in den Vordergrund und mit ihm die Dichotomie zweier
Weisen des ens und entsprechend auch des esse, wobei auch sein Standardbei-
spiel für ein Seiendes in der zweiten Weise uns wieder begegnet, die Blind-
heit:

[7] Aber da der Verstand auch solches, das in sich (in se) Nichtseiendes (non
ens) ist, als eine gewisse Art von Seiendem (quoddam ens) betrachtet, wie z. B.
die Negation und dergleichen, so wird bisweilen esse von etwas in dieser zwei-
ten Weise ausgesagt, aber nicht in der ersten. Denn es wird gesagt, daß in der
zweiten Weise die Blindheit ist (quod caecitas est), aufgrund dessen, daß die
Aussage, daß etwas blind ist (aliquid esse caecum), wahr ist. Aber es wird von
ihr [der Aussage] nicht gesagt, daß sie in der ersten Weise wahr sei (quod sit
prima modo vera): Denn die Blindheit hat nicht irgendein Sein (aliquod esse)
in den Sachen (in rebus), vielmehr ist sie die Privation des Seins von etwas
(alicuius esse) (ebda).

Nicht nur rückt Thomas hier endgültig den Existenzialsatz in den Vorder-'
grund, sondern mit ihm auch die Dichotomie von first-class beings und second
class beings. Blindheit in sich selbst betrachtet ist kein Seiendes und hat kein
esse in der Wirklichkeit (d. h. keinen actus essendi), indem sie vielmehr die
Absenz von etwas ist, was so etwas wäre, nämlich der Sehkraft von einem
Auge. Es kann aber diese Absenz der Sehkraft von einem Auge ihrerseits als
ein Seiendes betrachtet werden, insofern

(a) Die Blindheit ist

eine wahre Aussage ist aus dem Grund, daß z. B. ,,Homer ist blind" eine
wahre Aussage ist. So hat die Blindheit esse in dem Sinn, daß über sie wahre
Aussagen geformt werden können - sie ist Seiendes im Sinne des Existie-
renden -, und nur wenn das „ist" von (a) als Ausdruck von solchem esse
genommen wird, ist (a) wahr. Wenn aber, beeilt sich Thomas hinzufügen,
das „ist" von (a) als Ausdruck des esse im Sinne des actus essendi verstanden
wird, so ist (a) falsch. 79
79 Es wäre günstig, diese beiden Rollen des existenzialen „ist" in der Schreibweise
zu unterscheiden, etwa für die, in der es als Ausdruck des actus essendi verstanden
wird, ,,Ist" zu schreiben, wonach dann das „ist" von (a) eindeutig und (a) einfach-
hin wahr, dagegen „Die Blindheit Ist" falsch wäre.
EINLEITUNG LXVII
Nachdem in [7] beim Existenzialsatz (a) der Punkt aufgetaucht ist, daß
das „ist" in ihm einmal als Zeichen für die erste Weise des esse genommen
werden kann, in welchem Fall (a) falsch ist, und zum anderen als Zeichen
für die zweite Weise des esse, in welchem Fall (a) wahr ist, beschließt Thomas
den Kommentar zur L'.l. 7-Stelle über das on hös alethes mit einer Betrachtung
zu diesem Punkt. Was im Vergleich mit dem Schema, das er in Kapitel I
von De Ente et Essentia und an anderen Stellen aufgestellt hat, noch fehlt, ist
nämlich dies, daß die first-class beings, das esse im Sinne des actus essendi besit-
zende Seiende, auch esse in der zweiten Weise besitzt, denn natürlich ist auch
dieses Seiende etwas, worüber wahre Bejahungen gebildet werden können,
oder anders, das auf die ,,An est?"-Frage antwortet; das trägt Thomas zum
Beschluß seines Kommentars nach, und dabei schreibt er endlich auch einen
Existenzialsatz explizit an, damit am Ende endgültig außer Streit stellend,
worum es ihm die ganze Zeit schon zu tun war:

[8] Für jede Sache ist es aber eine zufällige Angelegenheit (accidit), daß über
sie etwas wahr bejaht wird, sei es im Verstand oder in der Sprache. Denn die
Sache wird nicht auf die Erkenntnis von ihr bezogen, sondern umgekehrt.
Das esse aber, das eine jede Sache in ihrer eigenen Natur hat, ist substanziell
(substantiale). Wenn wir also sagen, ,,Sokrates ist", und dabei dieses „ist" in
der ersten Weise nehmen, so gehört es zu den substanziellen Prädikaten (est
de praedicato substantiali); denn ens ist jedem einzelnen der entia übergeord-
net, so wie Tier im Verhältnis zu Mensch. Wenn es aber in der zweiten Weise
genommen wird, so gehört es zu den akzidenziellen Prädikaten (est de praedi-
cato accidentali) (ebda).

Während also Satz (a) nur dann wahr ist, wenn sein „ist" als Ausdruck von
esse in der zweiten Weise verstanden wird, ist

(b) Sokrates ist

wahr in jeder der beiden Weisen von esse. Wird das „ist" von (b) als Ausdruck
von esse in der ersten Weise, im Sinne des actus essendi genommen, so ist es
von der Art eines substanziellen Prädikats, de praedicato substantiali: nicht so,
als wäre dieses esse Teil der essentia von Sokrates (was durch die esse! essentia-
Unterscheidung ausgeschlossen ist), sondern so, daß Sokrates durch dieses
esse ein aktual Seiendes, und via seine essentia, ein aktualer Mensch, somit
eine aktuale Substanz in rerum natura ist. Wird hingegen das „ist" von (b)
LXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

als Ausdruck von esse in der zweiten Weise genommen, so ist es nur von der
Art eines akzidentellen Prädikats, aus dem von Thomas angegebenen Grund.
Fassen wir zusammen. Im Unterschied zu seinem Kommentar über das
on hös alethes in E.4 befaßt sich Thomas in dem Kommentar über das on
hös alethes in .d 7 nicht mit dem alethischen, sondern mit dem existenzia-
len Gebrauch von „sein". So erwähnt er, anders als im E.4-Kommentar, im
LI. 7-Kommentar auch kein ens quasi verum; gewiß spricht auch Aristoteles
in der LI. 7-Stelle über das on hös alethes nicht wörtlich von diesem, aber das
ist doch mehr nur eine Zufälligkeit, denn dann in der Rekapitulation von
Ll.7 zu Beginn von E.2 wird das nachgeholt. Bei Thomas aber ist es wesent-
lich, weil er das alethische Sein auf den ganzen Urteilsinhalt bezieht, wäh-
rend der existenziale Gebrauch von „sein" in seiner Sicht das Prädikat eines
kategorischen Satzes zeitigt und primär in solchen Sätzen wie (a) und (b) zur
Gegebenheit kommt. Die allgemeine Absicht aber, die er im Kommentar zur
LI. 7-Stelle über das on hös alethes verfolgt, ist, um zu wiederholen, die, das
schon in Kapitel I von De Ente et Essentia mit Berufung auf LI. 7 aufgestellte
Schema der Einteilung des Seienden aus des Stagiriten eigenen Worten auch
zu extrahieren und damit die Berufung auf LI. 7 für das Schema zu vindizie-
ren.
So besteht keine wirkliche Einheit zwischen den Darlegungen des Aqui-
naten zur Ll.7-Stelle über das on hös alethes und über das on hös alethes in E.4
- es sei, denn, diese Prämisse wird hinzugefügt:

Der existenziale Gebrauch von „sein" in der Weise, in der allein „Die Blindheit
ist" wahr ist, ist im Grunde derselbe wie der alethische Gebrauch von „sein".

Und es ist diese Prämisse, die Brentano bei der Behandlung des Seienden im
Sinne des Wahren in seiner Dissertation bereitzustellen versuchte.

III.4. Brentano
Die Aufgabe, die sich Brentano in der Dissertation bei der Behandlung des
Seienden im Sinne des Wahren stellte, kann kurz und bündig so umrissen
werden: die Aristoteles-Kommentierung von Thomas, seines eigentlichen
Lehrers in dieser Zeit, vor dem Forum der zeitgenössischen Aristoteles-For-
schung ins Recht zu setzen, wofür von dieser her gesehen die divergierenden
Darlegungen des Aquinaten über dieses Seiende in seinen Kommentaren zu
Ll.7 und E.4 zu einer einheitlichen Konzeption des alethischen Seins und
damit des on hös alethes zusammenzuführen waren, was wieder von Thomas
EINLEITUNG LXIX

her gesehen eben die Subsumption des Seienden im Sinne des Existierenden
unter das on hös alethes verlangte; doch das alles ohne jede Berufung auf
Jhomas selbst, was in dieser Zeit in der Welt der Aristoteles-Forschung viel-
leicht nicht besonders geschätzt worden wäre (anders als Bezugnahmen auf
Alexander, Bonitz oder Schwegler).
Es wäre zu erwarten, daß jemand bei der Behandlung von Aristoteles'
on hös alethes mit .d. 7 beginnen und sich erst dann E.4 zuwenden würde.
Brentano aber beginnt mit E.4, was jetzt freilich nicht mehr überraschend
ist, denn der problematische Teil war es, Thomas' Kommentierung der .d. 7-
Stelle über das on hös alethes zu vindizieren.
So beginnt Brentano seine Diskussion des Seienden im Sinne des Wahren
damit, daß sich Aristoteles in E.4

mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig läßt, dahin ausspricht, daß
das on hös alethes und das me on hös pseudos sich nur im Urteile, sei es nun ein
bejahendes oder verneinendes, vorfinde (MBS 39).

Und nach Anführung der oben gegen Ende von III. l (S. LIV) angeführten
Stelle E.4 1027618-23 kommentiert er diese so:

Offenbar wird hier das Urteil wahr und falsch, also auch seiend und nichtsei-
end genannt, das Urteil selbst ist das Subjekt, dem das Seiende als Prädikat
zukommt. Nicht die Kopula, die in dem Satze selbst Subjekt und Prädikat
verbindet, ist darum das Sein, von dem hier gesprochen wird, zumal da auch
ein verneinendes Urteil seiend, ein bejahendes nichtseiend genannt wird, viel-
mehr handelt es sich hier von einem Seienden, das von dem ganzen, fertig
ausgesprochenen Urteile prädiziert wird (ebda).

Das ist klar und durchsichtig; setzen wir stillschweigend Urteil mit Urteils-
inhalt gleich, so ist das nichts anderes, als was sich schon am Anfang von
der Satzfrage und dem alethischen Gebrauch von „esti" her zeigte. Auch der
Fragezugang fehlt schon beim frühen Brentano nicht; er stellt ihn ganz klar
heraus in dem, womit er fortfahrt:

Ein Beispiel mag dies [daß es sich hier um ein Seiendes handelt, das von dem
ganzen Urteil prädiziert wird] deutlich machen. Nehmen wir an, es wolle
Jemand einem Andern beweisen, daß das Dreieck als Winkelsumme 2 R habe,
und er fordere als Ausgangspunkt des Beweises das Zugeständnis, daß der
Außenwinkel gleich den beiden gegenüberliegenden innern Winkel sei [Eukl.
EI. I Prop. XXXII]. Es fragt sich also, ist dies, oder ist dies nicht? d. h. ist es
LXX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

wahr, oder ist es falsch? - Es ist! d. h. es ist wahr. In diesem Sinne stellen die
Analytica posteriora [in I.1] die Forderung, daß man das hoti esti der Grund-
sätze einer Wissenschaft vorher erkannt haben müsse (ebda).

Dem ist weiter nichts hinzuzufügen, außer daß vielleicht daran zu erinnern
wäre, daß das auch mit dem ganz konform ist, was wir im Thomas-Kom-
mentar zu E.4 gefunden haben.
Mit den Worten: ,,Vergleichen wir nun mit dieser Stelle" -die E.4-Stelle-
,,eine andere, aus dem fünften Buche der Metaphysik" (ebda), leitet Bren-
tano zum problematischen Teil über, der Erörterung der Ll.7-Stelle über das
on hös alethes. Darauf bringt er die Stelle in der ziemlich freien Übersetzung,
die in IIl.2 (S. LVIII) schon angeführt wurde und in der er Alexander darin
folgt, daß er das zweite Beispiel in der LI. 7-Stelle als Bejahung mit negativem
Prädikatsterm deutet und auf dieser Basis dessen Zusammenstellungen Beja-
hung-Wahr und Verneinung-Falsch übernimmt sowie außerdem auch der
Wortstellung in den Beispielen keine Beachtung schenkt (wie Thomas, wie
inzwischen zu sehen war). So sieht er die Kopula nicht in ihrer Rolle als ein
sich auf den ganzen Satz erstreckendes Behauptungszeichen, sondern bloß
in der Rolle als Kopula als das an, worum es in der LI. 7-Stelle gehe; und das
führt ihn dazu, einen signifikanten Unterschied im Verhältnis zur Behand-
lung des on hös alethes in E.4 zu sehen: Wir bemerken, kommentiert er,

zwischen den beiden Stellen eine Differenz, die nicht ohne Interesse ist. In
der ersten war das „ist" wie eine Prädikatsbestimmung des Urteils gebraucht,
das als wahr bezeichnet wurde; dieses nahm seinerseits die Stelle des Subjekts
ein: (das Urteil) a ist b, ist (wahr). Hier in der zweiten dagegen macht das
„ist" einen Bestandteil des als wahr behaupteten Satzes selbst aus, indem es als
Kopula Subjekt und Prädikat verbindet: a ist b. Wenn dort das „ist" ein vor-
gelegtes Urteil als mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung erklärte, so kon-
stituiert es hier selbst das Urteil. Wenn dort wahr und falsch sowohl von der
affirmativen als negativen Behauptung prädiziert wurde, so ist hier das „wahr"
auf Seite der Affirmation (wenn sie auch bald eine positive, bald eine negative
Bestimmung beilegt), das „falsch" immer auf der der Negation (MBS 40),

worauf er Alexanders [f] als Bestätigungsinstanz anführt und auf die Über-
einstimmung mit Schwegler hinweist. Und damit, daß es in der LI. 7-Stelle
die Kopula der wahren Bejahung sei, wodurch sich das alethische Sein aus-
drücke, sieht sich Brentano im Besitz der Basis, um das Subjekt der wahren
Bejahung unter das on hös alethes subsumieren zu können.
EINLEITUNG LXXI

Seine Abhängigkeit vom ungenannten Thomas ist evident in dem, womit


er das ausführt: Es ist

.sicher, daß das „sein" der Kopula nicht eine Energie des Seins, ein reales Attri-
but bez~ichnet, da wir ja auch von Negationen und Privationen, von rein fin-
gierten Relationen und andern ganz willkürlichen Gedankengebilden nichts-
destoweniger etwas affirmativ aussagen (MBS 41),
[wie u. a.] wenn wir sagen: ,,die Zentauren sind fabelhafte Ungetüme, Jupiter
ist ein Abgott" u. dgl. Denn daß wir mit allen diesen Affirmationen keinerlei
Realität zuerkennen, leuchtet wohl ein. Das „ist" bezeichnet also auch hier nur
,,es ist wahr" (ebda).

In den Worten „das „Sein" der Kopula etc." bringt Brentano genau die uns
von Thomas her vertraute Unterscheidung der beiden Weisen des esse, und
,,Energie des Seins" ist nur eine Übersetzung von „actus essendi" (actus = ener-
geia), doch statt Thomas tritt Alexander auf den Plan: Brentano zitiert aus
dessen [h] ,,wer die Bejahung etc.", um daran das anzuknüpfen:

So ist also das Sein der Kopula auch nichts anderes als jenes [in E.4 auftre-
tende] einai hös alethes, und die zuerst angeführte Stelle (E, 4) will dies, wenn
sie es weniger klar einschließt, gewiß auch nicht ausschließen (MBS 42).

Das alethische Sein, das in E4 „wie eine Prädikatsbestimmung des ganzen


Urteils" aufgetreten war, ist nun ebenso auch „das Sein der Kopula", d. h. das
„ist" einer wahren Aussage der Form „S ist P" drückt dasselbe alethische Sein
aus wie das „ist" von „so ist es", mit dem ein Urteilsinhalt als wahr hingestellt
wird. Die Vereinheitlichung ist vollzogen, und Brentano sieht sich am Ziel:

Hieraus ergibt sich aber sofort ein erweiterter Umfang für das on hös alethes,
indem nun nicht mehr [wie in E.4] Urteile allein dazu gehören, sondern auch
die Begriffe in sein Bereich gezogen werden, insofern eine affirmative Behaup-
tung über sie gebildet, und dadurch das Sein der Kopula ihnen beigelegt wer-
den kann; sogar das Nichtseiende ist, weil es ein Nichtseiendes ist, [... ] ein on
hös alethes, und überhaupt wird jegliches Gedankending, d. h. Alles, insofern
es objektiv in unserem Geiste existierend Subjekt einer wahren, affirmativen
Behauptung werden kann, dazu gehören. Nichts, was wir in unserem Geiste
bilden, ist so von aller Realität entblößt, daß es ganz von dem Gebiete des on
hös alethes ausgeschlossen wäre, was Aristoteles auch bezeugt, wenn er Metaph.
L:I, 12. p.1019, b, 6. sagt: ,,Auch die Privation (steresis) ist gewissermaßen eine
Eigenschaft (hexis [Besitz, Oppositum von Privation]) [... ]" (ebda).
LXXII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

In einem Wort: Was Subjekt einer wahren Bejahung sein kann, ist ein on hös
alethes, das also mit dem Seienden im Sinne des Existierenden zusammen-
fällt. Hier sieht man nun endlich auch in voller Klarheit, warum Alexanders
[f]-These für Brentano eine conditio sine qua non war, denn ohne sie hätte
er das Seiende im Sinne des Existierenden als das, was Subjekt einer wahren
Bejahung sein kann, unmöglich unter das on hös alethes bringen können.
Und damit ist Brentano bei dem Schema angelangt, das er später dann
bis zum Ende seiner vorreistischen Phase auch im eigenen Namen vertreten
wird. Auch als Beispiele zur Illustration dessen, was nur ein on hös alethes ist,
bringt er jetzt schon wie dann später wieder Gedankendinge, denn der Jupi-
ter, der ein Abgott ist, ist der gedachte (durch Abgötterei fingierte) Jupiter als
solcher, desgleichen ein Kentaur, der ein Fabelungetüm ist, ist ein gedachter
(als Ungetüm erfabelter) Kentaur als solcher. Es kann nun auch die in II. l
(XXVII) erwähnte Subsumierung der sogenannten Prädikabilien unter das
on hös alethes keine Verständnisprobleme mehr bereiten, ebenso wenig diese
Stelle:

Die Definition als Definition, das Genus als Genus u. s. f., wie überhaupt das
Universale als solches, existieren nicht außer dem abstrahierenden Verstande,
und so existiert auch das zöion pezon dipoun als Definition nicht in den Din-
gen, als solche ist es zweite Intention und bloßes on hös alethes wie jedes andere
auch (MBS 116):

Denn all das ist Subjekt wahrer Bejahungen, aber natürlich ohne eigene
,,Energie des Seins", unverschleiert und auf die Quelle verweisend gespro-
chen: ohne actus essendi.
Die Position, die Brentano in seinem Bestreben erreicht hat, Thomas'
Kommentierung der LI. ?-Stelle über das on hös alethes zu rechtfertigen, ist
freilich eine sehr labile. Das on hös alethes ist, indem nun alles, was „Sub-
jekt einer wahren, affirmativen Behauptung werden kann", ein solches ist,
zum Seienden im Sinne des Existierenden geworden. So wäre es folgerichtig
gewesen, das alethische Sein an den Existenzialsatz zu knüpfen. Zwar hatte
Thomas in seinem Kommentar zur ..d. ?-Stelle den Existenzialsatz im Blick.
Aber in diesem Punkt konnte Brentano dem Aquinaten nicht gut folgen.
Weil die Beispiele des Stagiriten nun einmal kategorische Sätze sind, stand
er vor einem unüberwindlichen Hindernis, mit Thomas den Schritt zum
Existenzialsatz zu tun und dann, um das von Thomas in seinem Kommen-
tar zur L'.1. ?-Stelle nicht angesprochene alethische Sein ins Bild zu bringen,
EINLEITUNG LXXIII

dieses Sein an das in dem Sinn, in dem auch „Die Blindheit ist" wahr ist,
genommene existenziale „ist" zu knüpfen: Und so konnte er nicht anders,
als die Kopula als den Ort des alethischen Seins zu bestimmen, dieses zum
Sein der Kopula" zu erklären. Dadurch aber war Brentano auf eine Position
festgelegt, in der die Kopula der wahren Bejahung

,,Sokrates ist gebildet"

innerhalb des Satzes selbst zwei Funktionen hat: einerseits die, den Prädikats-
mit dem Subjektsterm zu verknüpfen und solcherart Sokrates die Bildung,
und andererseits allein und für sich genommen ihm das alethische Sein, ver-
möge dessen er ein on hös alethes ist, zuzusprechen. Es liegt auf der Hand,
daß diese Sonderlichkeit bei Beibehaltung der Verknüpfung des „ist" von „S
ist P" mit dem alethischen Sein nach einer Lösung ruft, die dieses „ist" im
Satz in eine Position rückt, in der es allein und für sich (ohne angehängten
Prädikatsterm) steht und so rein zum Zeichen des alethischen Seins werden
kann: Das aber ist die Position des existenzialen „ist", und so gesehen wird
schließlich der kategorische Satz in den Existenzialsatz

,,Der gebildete Sokrates ist"

zu verwandeln sein.
Der Existenzialsatz liegt aber auch in Brentanos Dissertation selbst schon auf
der Lauer. Bei Brentanos Nähe zu Thomas wäre es nur verwunderlich, würde
sich dessen Konzentration auf den Existenzialsatz in der Kommentierung der
L'.1.7-Stelle über das on hös alethes nicht auch in Brentanos eigener Kommen-
tierung reflektieren. Und ganz offensichtlich ist das so an dieser Stelle, an der
er - nachdem er schon vorher gesagt hat, ,,daß das ,sein' der Kopula nicht eine
Energie des Seins, ein reales Attribut bezeichnet" (MBS 41) - nochmals und
abschließend die Grenze zwischen dem alethischen Sein und der jetzt „wirk-
liches Sein" genannten „Energie des Seins" zieht: Das alethische Sein

wird immer mit dem wirklichen Sein homonym denselben Namen führen,
auch dann, wenn das Sein in dem Sinne des Wahren, das Sein der Kopula mit
Dingen verbunden wird, welchen wohl auch die wirkliche Existenz außerhalb
des Geistes nicht fehlt; es wird dann immer von dem ihnen essentiellen Sein,
als etwas Akzidentelles, unterschieden werden müssen, da es, wie wir schon
hörten, einem jeden Dinge akzidentell ist, wenn in Wahrheit etwas von ihm
behauptet wird (MBS 42 f.).
LXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Zunächst einmal belegt diese Stelle nur wieder und ganz eindringlich, wie
sehr der ungenannte Thomas hinter Brentanos Kommentierung der L'.l. 7-
Stelle über das on hös alethes steht, denn sie ist im wesentlichen nur eine Para-
phrase des Schluß teils von Thomas' Kommentar, Stelle [8]. Nun spricht aber
Thomas an der Stelle explizit vom Existenzialsatz: Und wollen wir uns auf die
Brentano-Stelle einen Reim machen, so werden wir auch sie so lesen müssen,
daß (um Thomas' Beispiel zu nehmen) in dem Satz „Sokrates ist" mit dem
„ist" zwei verschiedene Dinge gemeint sein können: einmal das „wirkliche
Sein" des Sokrates, seine „wirkliche Existenz außerhalb des Geistes", sein
„essentielles Sein" - Thomas in [8]: das esse, ,,das eine jede Sache in ihrer
eigenen Natur hat" und daher substantiale ist -, und zum anderen das ihn
zu einem on hös alethes machende alethische Sein, das so gesehen eben auch
kein „Sein der Kopula" mehr wäre, sondern von dem „ist" in dem Verstande
ausgedrückt würde, in dem „Sokrates ist" und „Die Blindheit ist" gleicher-
maßen wahr sind.
Am direktesten aber schiebt sich der Existenzialsatz ins Bild, wenn wir
jene beiden Beispiele Brentanos für Sätze, deren Subjekt, weil Gedanken-
ding, bloß ein on hös alethes ist, in Betracht ziehen:

,,Kentauren sind fabelhafte Ungetüme", ,,Jupiter ist ein Abgott".

In dem einen Fall ist das eigentliche, Gedankending seiende Subjekt das:
erfabeltes Kentaurenungetüm, im anderen das: der durch Abgötterei fin-
gierte Jupiter; und so können die beiden Sätze von vornherein ohnehin über-
haupt nur als Existenzialsätze verstanden werden:

,,Ein erfabeltes Kentaurenungetüm ist", ,,Der durch Abgötterei fingierte Jupi-


ter ist".

Aber damit sind wir eigentlich bereits bei der Psychologie vom empirischen
Standpunkt von 1874, worin Brentano explizit diesen Weg einschlägt, um
seine neue und für die damalige Logik revolutionäre Lehre von der Reduktion
aller Urteilsformen auf die Form des Existenzialurteils gegen solche schein-
bare Gegeninstanzen, als welche sich „Kentauren sind fabelhafte Ungetüme"
und dgl. prima facie gebärden, zu verteidigen. Der damals einflußreiche Mill
hatte die generelle Rückführbarkeit der Sätze der „5 ist P"-Form aufExisten-
zialsätze mit folgendem Beispiel verneint: Daß der Gebrauch
EINLEITUNG LXXV

of the word is ... as a copula does not necessarily indude the affirmation of
existence, appears from such a proposition as this, A centaur is a fiction of the
poets; where it cannot possibly be implied that a centaur exists, since the pro-
position itself expressly asserts that the thing has no real existence (A System
· ofLogic I.iv.l).

Als Gegeneinwand darauf bringt Brentano in der Psychologie vom empirischen


Standpunkte ein Zitat aus einem Brief von ihm an Mill, das seine Umfor-
mung des Millschen Beispiels in einen Existenzialsatz präsentiert:

„Es dürfre", schrieb ich, ,,nicht undienlich sein, wenn ich die Möglichkeit
einer solchen Reduktion [auf die Existenzialsatzform] speziell an einem Satze
zeige, welchen Sie in Ihrer Logik sozusagen als ein Beispiel, an dem das Gegen-
teil ersichtlich sei, anführen. Der Satz ,ein Zentaur ist eine Erfindung der Poe-
ten' verlangt, wie Sie mit Recht bemerken, nicht, daß ein Zentaur existiere,
vielmehr das Gegenteil. Allein er verlangt, um wahr zu sein, wenigstens, daß
etwas anderes existiere, nämlich eine Fiktion der Poeten [... ] [W]enn es kei-
nen von den Poeten fingierten Zentauren gäbe, so wäre der Satz falsch; und
seine Bedeutung ist tatsächlich keine andere als die, [... ] ,es gibt einen von den
Poeten fingierten Zentauren' [... ]" (PeS 239).

Und so sehen wir, daß und wie Brentanos Auslegung der LI. 7-Stelle über
das on hös alethes in der Dissertation auf seine spätere Urteils- und Satzlehre
hinausdrängt. Vergegenwärtigen wir uns am Ende zusammenfassend kurz
die Hauptpunkte:

1. Brentano wollte Thomas' Auslegung der LI. 7-Stelle über das on hos alethes
vindizieren, deren Interesse aber nicht dem alethischen „ist" von „so ist
es" gilt, sondern dem Existenzialsatz und dem existenzialen „ist".
2. Nun mußte diese Auslegung der Ll.7-Stelle mit dem on hos alethes und
dem alethischen Sein des „ist" von „so ist es" in E.4 auf einen Nenner
gebracht werden: Doch der Existenzialsatz mußte ausgeblendet bleiben,
weil er in der LI. 7-Stelle ja nicht vorkommt; die Beispiele darin sind ja „Es
ist Sokrates gebildet", ,,Es ist Sokrates nicht weiß", ,,Nicht ist die Diago-
nale kommensurabel".
3. So blieb nur übrig, das alethische „ist" von „so ist es" dem kopulativen
„ist", der Kopula in der Bejahungsform „S ist P" gleichzusetzen, so daß
auch das kopulative „ist" das alethische Sein, nun als „Sein der Kopula",
zum Ausdruck bringen konnte; doch da in der LI. 7-Stelle auch das zweite
Beispiel mit Wahrsein verbunden ist, mußte dieses betreffend wieder
LXXVI MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

Alexanders verirrter Deutung desselben als Bejahung (mit negativem Prä-


dikatsterm) gefolgt werden.
4. So konnte das Subjekt der wahren Bejahung, weil ihm nun „das Sein der
Kopula [... ] beigelegt" (MBS 42) und dieses nun das alethische Sein war,
zum Seienden im Sinne des Wahren erklärt werden; und da das Subjekt
einer wahren Bejahung Seiendes im Sinne des Existierenden ist, ergab sich
schließlich dessen Subsumption unter das on hös alethes.
5. Damit war Thomas' Sicht vindiziert, daß es in der L'.1.7-Stelle um das Sei-
ende im Sinne des Existierenden gehe und um dessen Unterscheidung
vom Seienden im Sinne dessen, was auch „eine Energie des Seins" (MBS
41), will sagen: einen actus essendi hat, mit der durch die erste der unter
Punkt 2 genannten Auslegungsvorgaben erzwungenen Novität, daß das
Seiende im Sinne des Existierenden nun zum on hös alethes wurde; der
durch die andere Auslegungsvorgabe gegebene Zwang zur Ausblendung
des Existenzialsatzes aber war nur ein ganz unpassendes Korsett, dessen
sich Brentano dann mit seiner neuen Urteils- und Satzlehre entledigte,
so daß er danach einfach sagen konnte: ,,on hös alethes, d. h. im Sinne des
Existierenden" (WE 48. Dann in seiner Spätzeit verwarf Brentano diese
Doktrin und machte für sie ausdrücklich den Einfluß von Thomas auf
sein früheres Denken verantwortlich, vgl. WE 128 f., 162 f.; aber das ist
eine andere Geschichte).

rv: Zu dieser Ausgabe


Der Text wurde so genau wie möglich durchgesehen, Druckfehler wur-
den beseitigt, die Zitate wie die Stellenverweise und Werkangaben geprüft
und, wo nötig, korrigiert. Alles in geschwungene Klammern Gesetzte, so
gut wie ausschließlich in den Anmerkungen vorkommend, ist Ergänzung
von unserer Hand. Selbstverständlich war die Regel zu befolgen, den Text
des Erstdrucks unangetastet zu lassen, bei unvermeidlichen Ausnahmen
aber den Eingriff so minimal wie möglich zu halten; alle diese nicht durch
geschwungene Klammern (die für die Lesbarkeit nur hätten abträglich sein
können) gekennzeichneten Eingriffe werden im weiteren angeführt werden,
so daß, so Bedarf besteht, jederzeit der Wortbestand des Erstdrucks restau-
riert werden kann.
Brentano zitiert Aristoteles, wie bei der damaligen Editionslage auch
nicht anders zu erwarten, nach dem Text der Bekker-Edition. Das gilt, trotz
der ihm bereits zur Verfügung stehenden großen jüngeren Editionen von
Schwegler und Bonitz, auch für die Metaphysik, was besonders deutlich z. B.
EINLEITUNG LXXVJI

daran sichtbar wird, daß er in H2 1043a28 mit Bekker ÖTI evee7e1a 80 liest
(S. 61 Anm. 51), welcher Lesart weder Bonitz noch Schwegler zustimmen
und die in Bonitz' Edition (sodann auch in den post-Bonitzschen Standard-
editionen von Christ, Ross und Jaeger) der Lesart xa,1 evee7e1a, des Ps.-Ale-
xander (Al. in Met. 551.7) Platz gemacht hat; 81 nur in einzelnen Fällen geht
er, sich explizit auf sie berufend, zugunsten von Bonitz oder Schwegler vom
Bekker-Text ab (so eben auch in der in Teil III aufgetretenen a,(J"uµ,µ,eTeo;I
O'V/J,IJ,eTeo;-Frage .L'.1.7 1017a35, in der übrigens wie Ross auch Christ und
Jaeger Bonitz folgen). Auch für das Organon stand Brentano eine jüngere
große Edition zur Verfügung, die zweibändige kommentierte von Theodor
Waitz. 82 Er verweist einmal auf sie, allerdings auf ihren Kommentar und
in einem nicht den Text betreffenden Punkt (S. 77 Anm. 21); doch steht
gewiß der freilich ungenannte Waitz auch hinter den beiden Abweichungen
vom Bekker-Text in dem Zitat aus Cat. cp.3 S. 120 Anm. 167, und noch an
zwei anderen Stellen (S. 150 Anm. 264, S. 159 Anm. 286) macht sich die
Edition von Waitz bemerkbar. - So wurden denn die Aristoteles-Zitate nach
der Bekker-Edition durchgesehen und korrigiert, doch abgesehen von den
eben angesprochenen wird auch in ein paar weiteren Fällen dem Bekker-Text
nicht gefolgt werden, was am jeweiligen Ort angemerkt werden wird.
Sowohl in den Aristoteles-Zitaten wie im Text durchgehend ersetzt wurde
das Interrogativum ,;rrou", das früher in indefinitem Gebrauch zur Bezeich-
nung der Ortskategorie diente, 83 in dieser Funktion (also nicht etwa in der

80 In diesem Schlußteil der Einleitung erschien es nicht mehr tunlich, beim Usus der
Umschrift zu bleiben.
81 Bonitz' Edition: Aristotelis Metaphysica. Recognovit et ennaravit H. Bonitz, Bonn:
Marcus 1848. Schwegler bringt zwar im Text noch das in den Handschriften über-
lieferte ÖT1 eve(27s1a,, fordert aber im Kommentar z. St. (IV 141) eine Emendation,
wofür er eine Möglichkeit im xai evee7s1a, des Ps.-Alexander sieht. (Für einen
weiteren Belegs. S. 51, Anm. 24 und 26). Ein ähnlicher, allerdings nur in bezug
auf Bonitz aussagekräftiger Fall ist der, daß Brentano in E2 1026613 mit Bekker
ovoµ,aTt liest (S. 24 Anm. 28 u. ö.), was Bonitz, auch hier dem Ps.-Alexander fol-
gend (Al. in Met. 448.36), durch die Lesart Övoµ,a Tt ersetzt hat. - Der Christ-
Text (1886) ist bequem zugänglich in der zweisprachigen Metaphysik-Ausgabe von
Horst Seid!: Aristoteles' Metaphysik. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann
Bonitz. Mit Ein!. u. Kommentar hrsg. von Horst Seid!. Griech. Text in der Edition
von Wilhelm Christ, 2 Bde, Hamburg: Meiner, I 3 1989, II 3 1991. Der Jaeger-Text:
Aristotelis Metaphysica. Recognovit [... ] W Jaeger, Oxford: Oxford UP 1957.
82 Aristotelis Organon Graece. Ed. Th. Waitz, Leipzig: Hahn 1844/46.
83 So führt denn auch Karl Kalbfleisch im Index Verborum seiner Edition von Sim-
plikios' Kategorienkommentar (Simplicii in Aristotelis Categorias commentarium,
LXXVIII MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Wendung „die Frage nou;", S. 157 Z. 15) durch das in neueren Ausgaben
Aristotelischer Werke hierfür ausschließlich verwendete Indefinitum „nou".
An sich wäre es natürlich angegangen, ,,nou" als das Kategoriewort stehen zu
lassen: Aber da Brentano selbst ganz uneinheitlich dafür zwar mehrheitlich
,,nou", dann aber auch wieder „nou" schreibt (so im ersten der beiden Dia-
gramme in Kap. V§ 13 „nou", im zweiten „nou"), war ohnehin eine Regle-
mentierung nötig, die in heutiger Sicht nur zugunsten von „nou" ausfallen
konnte. (Ausgenommen von dieser Reglementierung blieben die griechi-
schen Kommentatoren, weil die auch heute noch maßgeblichen Editionen
noch „nou" für die Ortskategorie haben).
Um eigene Einfügungen in Aristoteles-Zitaten kenntlich zu machen,
verwendet Brentano zumeist eckige Klammern, daneben aber auch runde:
Diese wurden durch ecldge Klammern ersetzt, so daß bei runden Klammern
in einem Aristoteles-Zitat kein Zweifel mehr besteht, daß das Eingeklam-
merte nicht eine Einfügung Brentanos ist; daher wurden auch, um keine
Zweideutigkeit entstehen zu lassen, an einer Stelle, Metaph. L'.1.12 1020al,
die eckigen Klammern um ein Wort im Bekker-Text getilgt: s. die Bemer-
kung z. St. S. 52 Anm. 31.
An einer der von Brentano zitierten Metaphysik-Stellen wurde eine Kür-
zung und an einer anderen eine Erweiterung vorgenommen. Der erste Fall:
Die Stelle E.l 102563-10 S. 13 Anm. 6 hat bei Brentano am Ende, nach
,,aM' OU%11Te(21 ()))TO~ anAw~ ou'ae ri ol/", noch,, ... ou3-el/a AO')-'Ol/ 1TOIOUl/Tat".
Doch im Metaphysik-Text gehen diese Worte nicht auf das ol/ anAw~ bzw.
ri Öl/ von vorher, sondern haben sie einen eigenen, von Brentano aber mit
der Leerstelle ,, ... " gerade ausgelassenen Bezug, nämlich auf „Tl e<TTtl/"
(ou'ae TOU Tl SITTll/ ou3-el/a Ao,YOl/ 1TOIOUl/Tal 610). Brentano will offenbar
die vorangehende Aussage, daß die Einzelwissenschaften 1rse1 ,yel/o~ Tl, von
einer bestimmten Gattung des Seienden nea,yµ,aTeUOl/Tat aber nicht vom ol/
anAw~ bzw. ri Öl/, dahin verstärken, daß sie über dieses keine Sätze aufstellen
bzw. von ihm keine Rechenschaft geben: Aber da das eine völlig überflüssige
Zutat ist - wovon eine Wissenschaft nicht handelt, darüber stellt sie selbst-
redend auch keine Sätze auf -, und außerdem auch noch eine ziemliche
Gewaltsamkeit, schien es am besten,,, ... ou3-el/a AO')-'Ol/ 1TOIOUl/Tat" zu tilgen.
Der andere Fall: Die S. 23 Anm. 21 zitierte Stelle war um „TWl/ ,yae xaTa

CAG VIII. Ed. C. Kalbfleisch, Berlin: Reimer 1907, 522) separat vom ,;rroü
interrog." ein „noü indef." an (das auch, der Natur des Werkes entsprechend, eine
ungleich größere Anzahl an Einträgen hat).
EINLEITUNG LXXIX

(TU{l,ßeß'YJXO; O))TW)) ,rj '}WO{l,8))W)) xa,1 TO atT/0)) SO"'T/ xaTa O"'Ufl,ßeß'YJXO;" E.2
1027a7 f. zu erweitern, weil dieser Satz in die Übersetzung der Stelle im Text
einbezogen ist.
Im Großen und Ganzen sind Brentanos Aristoteles-Zitate sowie seine
Stellenangaben genau, so daß in den meisten Fällen die stillschweigend vor-
genommenen Korrekturen geringfügiger Natur waren. Wirklich schlimm
stand es in dieser Hinsicht nur mit seinem summarischen Verweis auf Physik
III gegen Ende von Kap. IV (S. 70, Anm. 71 und 73); wir hoffen, daß unsere
Ergänzungen an der Stelle nicht unnütz sind.
Eine Wendung, bei der Brentano anscheinend den Eindruck erwecken
will, daß sie von Aristoteles selbst stamme, kommt so beim Stagiriten
a. a. 0. nicht vor: S. 122 z. 12, ,,esw T/ii; <Sravofa;" mit Verweis auf Metaph.
E.4 1027631 (auch die Stelle K8 1065a24, auf die wir dort als eine bessere
Stelle verweisen, enthält die Wendung nicht wirklich wörtlich).
Zwei Stellenangaben wurden als Fehlverweise getilgt: S. 144 Anm. 245
„Top. I, 9. p. 103, b, 20", denn die Anm. führt Stellen an, an denen in der
Aufi:äl1lung von Kategorien das 1ro16v dem 1roO"'OV vorangeht, während es
in Top. 1.9 gerade umgekehrt ist; und S. 168 Anm. 296, ,,Vergl. Top. I, 9.
p. 103, b, 35.", weil diese Stelle nichts hergibt für das, wofür sie ein Beleg
sein soll, nämlich daß Aristoteles die Beispiele für die Kategorien vorzugs-
weise in konkreter Form (z. B., Aeuxov und nicht AeUXOT'Y}q) gibt.
Die griechischen Kommentatoren zitiert Brentano zumeist nach den von
Brandis zusammengestellten Scholien im Band IV der Bekker-Edition (s.
Anm. 74), manchmal auch nach älteren Drucken. Das Meiste von dem,
worauf er bei ihnen Bezug nimmt, ist auch im Corpus der Commentaria
in Aristotelem Graeca (CAG) enthalten; dafür wurden, unter dankbarer
Benutzung des den Brandis-Scholien vorausgeschickten Stellenvergleichs
von Gigon, die CAG-Stellen angegeben (doch ohne Anpassung an CAG bei
Textdivergenzen84 ). Zu berücksichtigen ist aber, daß in CAG die Autorschaft
bei einigen Kommentaren, auf die Brentano (via die daraus von Brandis
exzerpierten Scholien) Bezug nimmt, gegenüber Brandis sich geändert hat:
Die Scholien zur Kategorienschrift, die Brandis dem Ammonios zugeschrie-
ben hatte, gehören in CAG nach dem Herausgeber Adolf Busse zum Kate-
gorienkommentar des Philoponos:

84 So gleich bei Brentanos erstem Zitat aus einem der griechischen Kommentatoren,
nämlich aus Alexanders Metaphysik-Kommentar S. 29 Anm. 2, wo in die kor-
rekt nach Brandis wiedergebene Wendung ,,,;; oÜTwq äxov cpavat" nicht nach der
Hayduck-Edition Al. in Met. nach,;; ein TO eingefügt wurde.
LXXX MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Philoponi (olim Ammonii) in Aristotelis Categorias commentarium, CAG XIII. l.


Ed. A. Busse, Berlin: Reimer 1898,

wie umgekehrt der von Brandis dem Philoponos zugeschriebene Kategorien-


kommentar nach Busse von Arnmonios stammt:

Ammonii in Aristotelis Categorias commentarius, CAG IV:4. Ed. A. Busse, Ber-


lin: Reimer 1895.

Und schließlich stammt der Kategorienkommentar, aus dem Brentano


S. 162 als einem des David (den er, Llaß[J allzusehr dem Buchstaben nach
umschreibend, sowohl dort wie im Inhaltsverzeichnis Dabid nennt) zitiert,
nach Busse von Elias: 85

Eliae (olim Davidis) in Aristotelis Categorias commentarium,

in CAG zusammengefaßt mit dem Isagoge-Kommentar desselben:

Eliae in Porphyrii Isagogen et Aristotelis Categorias commentaria, CAG XVIII. l.


EdA. Busse, Berlin: Reimer 1900. (Der Kategorienkommentar darin 105 ff.).

Auf diese Weise wird das Auffinden der betreffenden Stellen in CAG - und
damit auch in Übersetzungen in dem von Richard Sorabji herausgegebenen
großen Übersetzungswerk, der Reihe Ancient Commentators on Aristotle
(ACA) - problemlos sein. (Die ACA-Bände weisen am Seitenrand die CAG-
Paginierung auf).
Nach neueren Ausgaben zitiert sind jetzt die Stelle aus Augustinus' De Tri-
nitate S. 133 Anm. 207, die aus Ps.-Augustinus S. 163, sowie natürlich auch
die in Teil I (s. Anm. 12) schon erwähnte Stelle aus Thomas' Metaphysik-
Kommentar (Th. in Met. V, lect. 9, 889-893) auf S. 164 f.; und es mag hier
auch gleich für die Stelle aus dem Physik-Kommentar des Aquinaten, auf
die Brentano anschließend S. 165 verweist, eine neuere Ausgabe angeführt
werden:

S. Thomae Aquinatis in octo libros Physicorum Aristotelis expositio. Cura et stu-


dio P. M. Maggiolo OP, Turin; Rom: Marietti 1965, III, lect.5, 322.

85 Zu Elias und David vgl. z. B. L. G. Westerink, ,,Tue Alexandrian Commentators


and ehe Introductions to their Commentaries", in: Aristotle Transformed. The
Ancient Commentators and Their Influence, ed. by R. Sorabji, London: Duckworth
1990,325-48:336ff.
EINLEITUNG LXXXI

Dem Plotip-Zitat S. 132 Anm. 206 wurde ein Verweis auf die Harder/
Beutler/Theiler-Ausgabe (s. u. Anm. 89) beigegeben. Die folgenden Zitate
wurden geprüft, ohne daß neuere Editionen (soweit überhaupt vorhanden)
eigens angegeben wurden: das aus Pacius S. 110 Anm. 138, das aus Isidor
von Sevilla S. 163, und schließlich die Stellen aus Homer, Herodot und
Xenophon auf S. 170; hier wäre bei Herodot „ToÜ ärneoq" zu „ToÜ A..S-'Y)-
vafwv äO"Taoc;" zu ergänzen und bei Xenophon das Verb durch „,y[,yvovTat"
zu ersetzen wie auch die Stellenangabe zu Cyr. 5.2.2 zu ändern, aber das
schien nicht wichtig genug, um an der Stelle angemerkt oder korrigiert zu
werden.
Allenthalben wurde der Wunsch nach Übersetzungen der griechischen
und lateinischen Zitate laut. Dem wurde nicht entsprochen. Was die Aristo-
teles-Stellen betrifft, so häuft Brentano im besten Dissertationsstil Zitat auf
Zitat, dieselbe Stelle auch mehrfach zitierend, und unbekümmert darum, ob
im gegebenen Fall nicht ein einziges Zitat mit zusätzlichen Stellenangaben
oder überhaupt eine bloße Stellenangabe es vollauf getan hätten. 86 Allen die-
sen Zitaten Übersetzungen beizugeben wäre einerseits in Hinsicht auf den
Umfang ganz unmöglich, ohne den Rahmen von Brentanos Text gänzlich
zu sprengen, andererseits aber auch eine ganz überflüssige Arbeit gewesen.
Denn einmal ganz abgesehen davon, daß ja Brentano so manche Stelle selbst
übersetzt: es herrscht doch kein Mangel an Aristoteles-Übersetzungen; es sei
hier nur auf eine verwiesen, in der sich in handlichem Format alles findet
und die zudem die Überarbeitung einer schon klassisch zu nennenden Ari-
stoteles-Übersetzung ist: Ihe Complete Works ofAristotle. Ihe Revised Oxford
Translation. Ed. by J. Barnes, 2 vols, Princeton: Princeton UP 1984.
Von den von Brentano angeführten Kommentatorenstellen wohl am
wichtigsten ist die eben vorhin genannte aus Thomas' Metaphysik-Kommen-
tar; für eine Übersetzung verweisen wir auf

St. Thomas Aquinas, Commentary on Aristotle's Metaphysics. Translation and


Introduction by John P. Rowan. Preface by Ralph Mclnerny, Notre Dame,
Indiana: Dumb Ox Books 1995. (Die Grundlage dieser Übers. ist Th. in Met.).

86 Ein Beispiel für das Letztere wäre gleich sein erstes Zitat (aus De Caelo). Anderer-
seits wieder schenkt er sich die Angabe einer Stelle, wo eine sehr angebracht gewe-
sen wäre: s. S. 95 Anm. 85, wo wir daher zwei Stellen als Ergänzung hinzugefügt
haben.
LXXXII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

Ebenfalls wichtig für Brentano ist der Kommentar Alexanders zum Seienden
im Sinne des Wahren, den wir im vorigen Teil III aber schon ausführlich
behandelt haben. Die übrigen Stellen, die Brentano aus den griechischen
Kommentatoren zitiert, sind zu einem Gutteil bereits in ACA übersetzt;
abgesehen von dem einen Fall von Alexanders Kommentar zur Ll.7-Stelle
über das Seiende im Sinne des Wahren, wo es nötig war, ist kein Grund zu
sehen, warum das in diesen Bänden des monumentalen und auch Standards
setzenden Übersetzungswerks ACA bereits Vorliegende von uns in dieser
Ausgabe der Dissertation Brentanos nochmals hätte übersetzt werden sollen.
Soviel wir sehen, bleiben vier Stellen übrig, für die keine ACA-Überset-
zung vorliegt, für die wir daher im Folgenden Übersetzungen bringen. Die
erste Stelle, S. 102 Anm. 118, von einem Anonymus, nur in den Brandis-
Scholien, nicht in CAG, Schol. 31a6-8:

[ ... ] xaT'Y)')"O(llaq AS')"Wl/ ou Taq e7r'S')"X/{f}/J,a(TI lJixaq aMa Ta ')"Bl/lXWTaTa


wq ae, XaT'Y)')"0(20V/J,8Va xa, µ,'Y]lJS7!'0T8 V'/l'OXeiµ,eva
[in der Kategorienschrift, in De lnterpretatione, in der Topik] nennt er Katego-
rien nicht die Urteile bei Rechtsklagen, sondern die höchsten Gattungen als
das, was immer prädiziert wird und nie Zugrundeliegendes [für ein höheres
Prädikat] ist.

Die nächste Stelle, S. 151 f. Anm. 269 ist aus dem (von Brandis dem David
zugeschriebenen) Kategorienkommentar des Elias, Schol. 49al0-16 = Elias
in Cat. [cp.4], CAG XVIII.1 160.2-7:

(J,7!'0(20LJ(J'I TOil/UV oi µ,etovegf av auTWJ/ xaT'Y)')"O(lOLJJ/Teq ÖTI lJ,a Tl /J,'f/ evlJexa ai


xaT'Y)')"O(ltal, 7!'(20UTl::Jeµ,evou TOU exeu::Ja1; Tl lJ'f}7!'0Te 7ae TOLJ µ,ev '/l'Olelll TO
7l'(l,(J'xe1v (J,l/TSTage, TOU lJe exew TO exw::Ja, ouxfr1; xa, Ave, TOUTO LLJ(2tav6;,
AS')"Wl/ ÖTI V'/l'O TO Xet(J'::Ja, ava7eTa1 TO exeu::Ja,, exoµ,ev lJe µ,f av xaT'Y)')"O(llal/
TO xe1u::Ja1· TO 7ae ex6µ,evov ev TqJ exovTI xefra1. oTov exe1 Tlq lJaxTVAIOV,;;
iµ,aTIOJ/ 'Y/ V7!'0lJrhµ,am· TaLJTa ev TqJ exovTI xefra,.
Es werfen nun diejenigen, die den Vorwurf einer zu geringen Zahl der Kate-
gorien erheben, dieses Problem auf: Warum sind die Kategorien nicht elf, mit
Hinzufügung des Gehabtwerdens? Warum denn nur setzte er dem Tun das
Leiden entgegen, aber nicht ebenso dem Haben das Gehabtwerden? Doch
Syrianos löst dieses Problem: Er sagt, daß das Gehabtwerden sich auf die Lage
zuückführt, wir aber nur eine Kategorie Lage haben. Denn das Gehabte liegt
in dem Habenden, wie z. B., es hat jemand einen Ring, ein Gewand oder
Schuhe: diese Dinge liegen in [bzw. an] dem Habenden [bzw. Anhabenden].
EINLEITUNG LXXXIII
Es folgen noch die beiden Stellen, die Brentano S. 161 f. in den Text selbst
o-estellt hat, die eine aus dem Kategorienkommentar des Philoponos (Bren-
o
tano mit Brandis: des Ammonios), die andere aus dem des Elias (Brentano
mit Brandis: des David). Nach Alexanders Kommentar zur L'.1.7-Stelle über
das Seiende im Sinne des Wahren sind das gewiß die für seine Zwecke wich-
tigsten Stellen aus den griechischen Kommentatoren, die er anführt, denn
während man die übrigen (d. h. die außer diesen dreien) durchaus auch als
nur Gelehrsamkeit demonstrieren sollendes Beiwerk betrachten kann, das
zur Gedankenführung selbst nichts beträgt, sind, wie die Alexander-Stelle
für den Zweck in Kap. III, diese beiden ein wesentlicher Bestandteil des § 14
von Kap.V. Die eine Stelle, Schol. 77a12-18 (in CAG entsprechend Philop.
in Cat. [cp.9], CAG XIIl.l 163.4-8):

TWl! XUT'Y},YO(JIWV ai µ,ev siaw arrAa7, ai iSe xaTa uwiSuar:rµ,ov xat uuµ,rrAOX'f)l!
TWV arr/\Wl! TO slva, i!xouu,. xat arrAa7 µ,ev siu,v ai sie'Y}µ,eva, T8(J"(J"U(Jeq, 'f/
Te our:ria xat TO TrQ(J"())) xat TO TrOIOl! Xat Ta rreoq Tl. xaTa uuµ,rr/\OX'f)l! iSe T'()q
ouuiaq rreoq µ,iav TOUTWV 'Y} rreoq eaUT'f)l! ai Aomat e'g ,Yll!Ol!Tal, 0/0)) el; ouuiaq
xat rror:roü TO rroü Xat TrOTB, kg ouuiaq xai TrOIOU TO TrOISI)) xat 1rauxs1v, Jg
ouuiaq xai TWV rreoq Tl TO i!xs1v xat TO xs7uf:ta,.
Von den Kategorien sind die einen einfach, während die anderen gemäß Ver-
bindung und Verknüpfung der einfachen das Sein haben. Und die einfachen
sind die genannten vier, Substanz, Quantität, Qualität und das Relative; aber
gemäß Verknüpfung der Substanz in bezug zu einer von diesen oder zu sich
selbst entstehen die übrigen sechs, wie aus Substanz und Quantität das Wo
und das Wann, aus Substanz und Qualität das Tun und Leiden, und aus Sub-
stanz und dem Relativen das Haben und die Lage. 87

87 Diese Stelle weist (was Brentano einfach ignoriert) eine glatte Inkonsistenz auf.
Einerseits sollen die sechs nicht-einfachen Kategorien aus der Verknüpfung der
Substanz mit den drei anderen einfachen Kategorien oder mit sich selbst hervorge-
hen: xaTa uuµ;rr/\OX'f)l! <Je T'r}q ouu[aq rreoq µ,[av TOUTW)) [sc. rror:rov, 7!010)), rreoq
Tt] .;; rreoq .SUUT'f)V ai Aomai e't ,Yll!OVTUI, andererseits aber werden dann die
sechs nicht-einfachen Kategorien insgesamt auf die Verknüpfung der Substanz mit
diesen drei anderen einfachen Kategorien zurückgeführt: oiov et our:r/aq [... ] To
i!xe1v xai To xe7u:3-a,, so daß für eine aus der Verknüpfung Substanz-Substanz
hervorgehende Kategorie kein Platz mehr ist. Diese Schwierigkeit im Scholion
Brandis' behebt Busses CAG-Text, indem in ihm der ganze Passus „olov et our:r/aq
[... ] To i!xe1v xai TO xe7r:r:3-at" athetiert und in den Apparat verbannt ist (daher
auch nur „in CAG entsprechend" in der Stellenangabe), wodurch die Stelle nicht
mehr ausschließt, daß eine Kategorie aus der Verknüpfung Substanz-Substanz her-
vorgehe, und in der Tat nennt Philoponos eine CAG-Seite weiter ausdrücklich die
Kategorie, die ihm zufolge so entsteht: ,,Aber mit sich selbst verknüpft konstituiert
sie [sc. die Substanz] das Haben: Denn das Haben meint das Umlegen [oder Anle-
LXXXIV MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Die andere Stelle, Schol. 48628-40 = Elias in Cat. [cp.4], CAG XVIII.1
159.6-18:

TOLJ !Je AeurTOTe/\ou; t/;11\'fj)I anae1::Jµ,'f}fTl)I nOl'f}fJ'aµ,evou TWV xaT'f},YO(llWV, ÖTt


iSexa, xai T'f)V ah1av /J,'f) neofJ'::JevTo; /Jla Tl iSexa, cpeee 'f}/J,et; xai T'f)V ah1av
neofJ'::Jwµ,ev !Jta Tl iSexa. iSe1xvuµ,ev !Je TOLJTO ex iS1a1eefJ'ew; TOlaVT'f}q. TO 0)1
0 8)1 imoxe,µ,ev<.µ 0 OlJX ev unoxe,µ,evw xai el µ,ev /J,'f/ ev unoxe1µ,ev<.µ, no1e'i
T'f)V OUfJ'1av, ei !Je ev unoxs1µ,ev<.µ, ,;; xa::J' eaUTO 0 au xa::J' eaUTO. xai el µ,ev
xa::J' eaUTO, 0 µ,eel(J'T())I 0 aµ,eel(J'TOV. xai el µ,ev µ,ee1fJ'TOV, no1e'i TO nOfTOV,
el !Je aµ,e(ltfTTOV, note'i TO no16v. xäv ryae iSoxfj TO no,ov µ,aet(J'T())I elva,, !Jta
T'qV Ü/\'f}V 8(J'TI µ,eelfTTOV. el !Je au xa::J' eaUTO, 0 fTXSfTlq 8fJ'TI /J,OW/ xai no1e'i
Ta neo; Tl, 0 xaTa fTXSfTl)I äMwv voe'fra1 xai no1e'i Ta; /\oma; e's xaT'f},YO-
e1a;. Te(J'(J'(J,ewv ryae OUfJ'W)I an/\W)I xaT'f}ryoe1wv, OUfJ'1a; nofJ'OLJ no1oü neo; Tl,
ex T'Y)q fTUµ,n/\OX'Y)q TOVTWV a, /\omai anoryeWWVTal, es OUfJ'1a; xai nofJ'OLJ TO
noÜ Xat noTe [ ... ]
Was die einfache Aufzählung der Kategorien betrifft, die Aristoteles gibt, näm-
lich daß sie zehn sind, ohne den Grund hinzuzufügen, warum sie zehn sind,
so wollen wir denn den Grund hinzufügen, warum sie zehn sind. Das aber
zeigen wir durch die folgende Dihairese. Das Seiende ist entweder in einem
Zugrundeliegenden oder nicht in einem Zugrundeliegenden. Ist es nicht in
einem Zugrundeliegenden, so konstituiert es (no1s,) die Substanz. Ist es aber
in einem Zugrundeliegenden, dann entweder von sich aus oder nicht von
sich aus. Wenn nun von sich aus, dann [ist es] entweder teilbar oder unteil-
bar. Wenn nun teilbar, so konstituiert es die Quantität, wenn aber unteilbar,
so konstituiert es die Qualität. (Freilich dürfte es scheinen, als sei auch die
Qualität teilbar: durch die Materie [nämlich] ist sie teilbar). Wenn es aber
nicht von sich aus in einem Zugrundeliegenden ist, so ist es entweder bloßes
Verhältnis (fTXefT1; ... µ,ov'f}) und konstituiert das Relative, oder es wird gemäß
dem Verhältnis (xaTa fTXefT1v) hinsichtlich anderer gedacht und konstituiert
die übrigen sechs Kategorien. Denn da die einfachen Kategorien vier sind,
Substanz, Quantität, Qualität und das Relative, resultieren aus der Verknüp-
fung unter ihnen die anderen, aus Substanz und Quantität das Wo und das
Wann [... ]. 88

gen] einer Substanz um [oder an] eine Substanz", aUT')J IJS eauTfj fTU/J,1TAexoµ,ev'f}
1TOlet TO exe1v· TO 7ae exe1v OUfJ'ta; naei OUfTtav fT'f}µ,afve1 1Te(lt;3-e(J'/V: 164.4 f. (Um
den Text in diesem Sinne konsistent zu machen, mußte Busse 163.18 freilich noch
einen Texteingriff vornehmen; aber das geht uns hier nichts mehr an).
88 Brentano fügt S. 162 hinzu: ,,u. s. f., wie oben Ammonius". Er meint damit den
von Busse athetierten Passus bei Philoponos, und in der Tat sagt Elias an der Stelle,
von der Brentano nur mehr den Anfang bringt, genau dasselbe: ,,aus Substanz und
Quantität das Wo und das Wann [soweit auch Brentano], aus Substanz und Qua-
lität das Tun und Leiden, und aus Substanz und dem Relativen das Haben und die
EINLEITUNG LXXXV

Brentano akzeptiert hiervon freilich nur die zu den sog. einfachen Katego-
rien führende Dihairese.

Lage", es OU<Ttaq xa/ 1W<TOV TO 1TOV xa/ 1TOTS, es


OU<Ttaq xa/ 1TOIOV TO 1T01ell/ xa/
na<TXell/, es
OU<Ttaq xa/ TWl/ 1T(20q Tl TO exetl/ xa/ TO xeTuS-at, Schol. 48639-41
= CAG XVIII.l 159.17-19. Elias bringt also für die sechs nicht-einfachen Kate-
gorien genau das, was sich nach dem im Brandis-Scholion 77al2 ff. überlieferten
Text auch bei Philoponos findet, bei diesem aber sich mit dem „-i) neoq eaUT'YJll"
und dem entsprechenden Beispiel des Habens als aus der Verknüpfung Substanz-
Substanz resultierend schlägt. Umgekehrt wieder findet sich bei Philoponos ziem-
lich genau dieselbe Dihairese für die vier einfachen Kategorien wie bei Elias: ,,Von
den seienden Dingen (TWl/ Öl/TWl/) bestehen die einen von sich aus (xaS-' eauTa
u<pe<TT'f/Xeli), wie die ouufa, während die anderen in Anderem das Sein haben (e11
eTS(lOtq exet TO slvat). Von denen, die in Anderem das Sein haben, werden die
einen in einem Verhältnis betrachtet (e11 <TXS<Tel S-swesiTat), wie Ta 1T(20q Tl, wäh-
rend die anderen verhältnislos (äuxeTa) sind. Und von denen, die kein Verhältnis
aufweisen, sind die einen teilbar (µ,e(ll<TTa), wie Ta 1TO<Ta [ ... ], die anderen aber
unteilbar, wie die notoT'f}Teq. Diese sind also die Kategorien, die im eminenten und
primären Sinn so genannt werden (ai xuefwq xa/ 1Tf2WTwq Asryoµ,s11a1 xaT'f}ryoefat)
[... )", CAG XIII.l 163.10-16. (Da im Brandis-Scholion, aus dem Brentano das
vermeintliche Ammonios- d. h. das Philoponos-Zitat bezieht, die ganze Textpartie
163.10-164.5, also einschließlich der Zurückführung des Habens auf die Ver-
knüpfung Substanz-Substanz, ausgelassen ist, blieb ihm diese Übereinstimmung
in der Herleitung der vier einfachen Kategorien freilich verschlossen).
Die Kategorientafel des Elias ist in ein übersichtliches Diagramm gefaßt in Ross I
lxxxvi, auf das hier zum leichteren Vergleich mit Brentanos eigener in den beiden
Diagrammen in Kap.V§ 13 verwiesen sei. Ross sagt auch (ebda.), diese Katego-
rientafel sei „reproduced by Pacius". Vermutlich meint er damit diese Glosse des
Pacius zu Cat. cp.4 in seiner griech.-lat. Organon-Ausgabe (Aristotelis { . .] Orga-
num { . .}. Julius Pacius recensuit [etc.], Morgiis 1584, 39):
Ego semper existimavi esse quatuor tantum categorias. Nam ens aut est per se, aut
per accidens. Si per se, constituit primam categoriam, quae vocatur substantia. Si
per accidens: aut est absolutum [= xaS-' eauTo], aut relativum. Si relativum [uxeutq
µ,ov'f}], constituit quartam categoriam, i. ad aliquid. Si absolutum: aut fluit a mate-
ria rei, et est quantitas, quae est secunda categoria: aut a forma, et est tertia catego-
ria, nimirum qualitas. Reliquae categoriae ad relationem reduci possunt. Nam Ubi
est relatio loci et rei locatae. Quando est relatio temporis et rei quae est in tempore.
Situm esse est relatio partium corporis. Habere est relatio habentis et rei habitae.
Agere et pati est relatio agentis et patientis. (Pacius fügt unmittelbar an, ebda. 40:
Si Agere et Pati essent diversae categoriae: etiam Habere et Haberi essent catego-
riae diversae. Item Ubi significaret duas categorias, i. continere et contentum esse.
Idem de Quando dici posset [... ]).
Bei den vier von Elias und Philoponos die einfachen genannten Kategorien
herrscht in der Tat Übereinstimmung in der Herleitung, freilich aber nicht mehr
ganz so bei den übrigen; Ross kam es wohl auf das Wesentliche an, die Reduktion
dieser sechs auf jene vier. Pacius zieht aber auch explizit die Konsequenz aus dieser
LXXXVI MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

Was Brentanos eigene Übersetzungen anlangt, so können sie, wovon wir


uns gerade vorher in Teil III (S. LVIII) überzeugen konnten, mitunter auch
recht eigenwillig ausfallen. Um hierfür gleich ein anderes Beispiel zu brin-
gen: In seiner Übersetzung von Metaph. I'.2 100366-10 (S. 15) gibt er das
schlichte „uTe(l'Y)Uetr;", ,,Privationen", des Textes mit „Privation der substan-
tialen Formen" wieder, was nicht nur durch den Text selbst nicht gedeckt
wird, sondern darüber hinaus auch noch in terminologischer Hinsicht nicht
einmal gut Aristotelisch ist, denn ein terminus technicus „ouu1iiflJer; ellJor;"
findet sich bei Aristoteles selbst doch nicht, sondern erst bei den Kommen-
tatoren (so z. B. auch bei Ps.-Alexander, Al. in Met. 501.15, 672.10); und
dann bei Thomas gehört die Rede von den formae substantiales, denen er sol-
che Formen wie z. B. die Gestalt der Statue als formae accidentales opponiert
(z.B. Th. in Met. VII, lect.8, 1458), zum geläufigen terminologischen Reper-
toire. Brentano wieder befleißigt sich dieser Thomasischen Sprechweise mit
der größten Selbstverständlichkeit, so als stamme sie von Aristoteles selbst
(vgl. z.B. S. 106), und seine Wiedergabe des „uTe(l'Y)Uetr;" 100368 mit „Pri-
vation der substantialen Formen" läßt nur wieder (vgl. Anm. 24) seine totale
Dependenz von Thomas' Kommentar z.St. zum Vorschein kommen, indem
er etwas, das dieser kommentierend supponiert:

Alia autem entia dicuntur, quia sunt corruptiones substantiae [... ] Et quia cor-
ruptio terminatur ad privationem [... ], convenienter ipsae etiam privationes
farmarum substantialium esse dicuntur (Th. in Met. IV, lect. l, 539),

gleich in die Übersetzung selbst hineinrutschen läßt. Vielleicht würde man


diesen Lapsus lieber stillschweigend getilgt sehen: Doch konnte eine solche
Textglättung natürlich keine Frage sein. Dagegen machte die Übersetzung
von Cat. cp.l lal-8 auf S. 88, in der merkwürdigerweise „äv;)-ewrror;" kon-
sequent mit „Pferd" wiedergegeben ist, einen Eingriff unumgänglich.
Zwei wesentlich gravierendere Fälle waren diese beiden. Der erste ist diese
vorgebliche Übersetzung einer Plotin-Stelle S. 132:

[... ] der Vorwurf des Plotin [Verweis in Anm. 205 auf Ennead. VI,l,l], ,,die
Kategorien des Aristoteles seien unvollständig, weil sie das Intelligible (Ta
VO'Y)Ta) nicht berührten, denn dieselbe ou<Tfa könne nicht dem lntelligibeln
und Sinnlichen gemeinsam sein".

Reduktion (auf die Brentano S. 162 aufmerksam macht), indem er den Titel der
Kategorie auf jene vier primitiven beschränkt, und das vollauf zurecht, wenn eine
Kategorie gemäß Metaph. L'.I. 28 1024612-16 eine irreduzible Gattung sein soll.
EINLEITUNG LXXXVII

Man überzeugt sich leicht, 89 daß sich am angegebenen Ort nichts findet, was
sich direkt so übersetzen ließe, auch wenn es sinngemäß darin enthalten ist.
Brentanos Fehler wird sofort sichtbar, wenn wir diese Stelle bei Trendelen-
burg yergleichen, an der es, mit der identischen Bezugnahme auf Ennead.
VI,1,1, heißt:

Plotin erldärt die Kategorien des Aristoteles insbesondere darum für unvoll-
ständig, weil sie das Intelligible (Ta J!O'l')Ta) nicht berühren. Denn dieselbe
ourrfa könne nicht dem Intelligibeln und Sinnlichen gemeinsam sein (GK
233).

Kurz, Brentano zitierte Trendelenburg (bei seiner Art, Zeitgenössisches zu


zitieren, sogar recht genau), vergaß aber dann den entsprechenden Verweis
auf ihn, so daß als Ergebnis das herauskam, daß es so aussieht, als würde er
etwas von Plotin selbst in Übersetzung anführen. Das war richtig zu stellen,
wie (nach der auf der folgenden Seite angegebenen Vorgangsweise bei der Kor-
rektur von Zitaten Brentanos aus zeitgenössischem Schrifttum) schon in der
in dem die Stelle enthaltenden Brentano-Zitat in II.2 (S. XXXIX) geschehen.
Der andere Fall ist die vorgebliche Übersetzung einer Stelle in Ockhams
Summa logicae, S. 173:

Entweder fragen wir also von der ersten Substanz, was sie sei, [ ... ] und endlich
wie gekleidet sie sei?

Die Stelle, um die es geht und auf die Brentano verweist, schließt unmittel-
bar an das oben in Anm. 61 aus Ockhams Summa logicae Zitierte an (pars
I, cp.41, 116 f.):

Unde omnia incomplexa per quae convenienter respondetur ad quaestionem


factam per ,quid est' de aliquo individuo substantiae sunt in praedicamento
substantiae, cuiusmodi sunt omnia talia ,homo', ,animal', ,lapis', ,corpus' [... ]
et huiusmodi. Illa autem per quae convenienter respondetur ad quaestionem
factam per ,quale' de substantia sunt in genere qualitatis, cuiusmodi sunt talia
,album', ,calidum', ,sciens', ,quadratum' [... ],et sie de aliis. Illa autem per quae
respondetur ad quaestionem factam per ,quantum' de substantia vel substantiis
demonstratis continentur in genere quantitatis, cuiusmodi sunt talia ,bicubi-

89 Am bequemsten anhand der zweisprachigen Plotin-Ausgabe mit der Übersetzung


von Richard Harder: Platins Schriften. Übers. von R. Harder. Neubearbeitung mit
griechischem Lesetext und Anmerkungen fortgeführt von R. Beutler u. W Theiler,
IVa, Hamburg: Meiner 1967, 96--99.
LXXXVIII MAuRo ANTONELLI UND WERNER SAUER

turn' [... ] et huiusmodi. Illa autem per quae respondetur ad quaestionem factam
per ,cuius' vel per consimile, quia forte ibi deficit nobis unum interrogativum
generale, sunt in genere relationis. lila autem per quae convenienter responde-
tur ad quaestionem factam per ,ubi' sunt in genere ubi. Et quia ad quaestionem
factam per ,ubi' numquam convenienter respondetur nisi per adverbium vel
praepositionem cum suo casuali, sieut si quaeratur ,ubi est Sortes' convenienter
respondetur ,ibi vel hie, vel in Tyro vel in Damasco, vel in mari vel in terra', ideo
ista incomplexa, pro quanto non sunt af!irmationes vel negationes, dieuntur
in genere ubi. Similiter ad quaestionem factam de substantia demonstrata per
,quando' numquam respondetur nisi per adverbia vel per praepositiones cum
suis casualibus, sicut si quaeratur ,quando fuit Sortes' convenienter respondetur
quod fuit heri vel in tali die, ideo praecise talia sunt in genere quando. Simi-
liter ad quaestionem factam per hoc totum ,quid facit Socrates' convenienter
respondetur per verba, sicut quod calefacit vel ambulat, ideo talia sunt in genere
actionis. Et sie, proportionaliter, est de aliis, quamvis forte proprer penuriam
nominum aliquando interrogativa propria praedicamentis et generalia nobis
deficiant. Ex isto sequitur quod talia concreta ,album', ,nigrum', ,calidum',
,amarum' magis directe sunt in genere qualitatis quam eorum abstracta [... ]

In diesem Fall waren also Brentanos Anführungszeichen zu tilgen.


Bei der zeitgenössischen Literatur, auf die Brentano Bezug nimmt, lassen
die Zitate wie die Angaben der Werktitel oft sehr zu wünschen übrig. Unsere
Vorgangsweise bei den Werktiteln bedarf hier keiner besonderen Erläute-
rung. Die Zitate wurden so korrigiert, daß die Leserschaft sicher gehen kann,
daß das zwischen Anführungszeichen Stehende in der jeweiligen Quelle auch
wirklich im Wortlaut so steht. Dadurch ergab sich bisweilen freilich auch die
Notwendigkeit, an Brentanos eigenem Wortbestand etwas zu ändern. Da
aus dem oben genannten Grund der Lesbarkeit diese sowie einige wenige
weitere Änderungen, die notwendig oder doch sehr angebracht erschienen,
nicht in geschwungene Klammern gesetzt wurden, seien nun im Sinne der
Forderung der Restaurierbarkeit von Brentanos eigenem Wortbestand alle
diese Texteingriffe aufgelistet:

S. 26 Z. 15; S. 53, Z. 1 v. u.: Einschub „der Metaphysik".


S. 27 Anm. 38: Änderung von
was von dem [... ] und TO auTo xaTa rnJµ,ßsß'f)xo,; gesagt wird
zu
was über das[ ... ] und TO auTo xaTa rrvµ,ßsß'f)xo,; gesagt wird
S. 34 Anm. 16 Z. 1: Einschub „einer anderen als" vor „der definirten
Sache"
EINLEITUNG LXXXIX

S. 35 Z. 15: Ersetzung (im Einklang mit S. 191 Z. 19 f.) von „der ersten
Philosophie" durch „der Metaphysik".
s. 60 z. 17: Ersetzung von „TOV <Juvaµ,1;1 ÖvTo;" durch „<Juvaµ,et öv"
S. 73 letze Zeile bis S. 7 4 Z. 1: Änderung von
„jeder vernünftige Mensch werde sich mit der Reduction auf diese drei
ebenso, wie mit jenen sieben oder acht, begnügen,"
zu
„hiebei", mit der Reduction auf diese drei werde sich „jeder vernünftige
Mensch ebenso begnügen wie bei jenen sieben oder acht,"
S. 75 Anm. 8: Änderung von
nennt er sie ai <J1a1q1;;;r1;1a-ai xaT'Y)'f'OQtat
zu
werden sie von ihm ai <J1a1q1;;;re1a-a1 xaT'Y)'f'OQtat genannt
Ebda: Änderung von
nennt er[ ... ] die noch nicht genannten ai äMat xaT'Y)'f'OQtat
zu
werden [... ] die noch nicht genannten von ihm ai äMat xaT'Y)'f'OQtat
genannt
S. 76 Z. 7 v. u.: Umstellung von „nicht also" zu „also nicht"
S. 77 Z. 6 u. ö.: Einschub „Aristotelis" in den Titel der AbhandlungTren-
delenburgs von 1833
S. 81 Z. 4 f.: Änderung von
mit „der logischen Subsumption" ,,reale Genesis"
zu
mit der „logische[n] Subsumption" die „reale Genesis"
S. 87 Z. 4: Einschub „Buche" vor „Ll"
S. 127 Z. 20: Einschub „sich" vor „einzureihen"
S. 132 Z. 9: Änderung von
,,die Kategorien des Aristoteles seien etc."
ZU
es seien „die Kategorien des Aristoteles ... etc."
S. 134 Z. 12 f.: Änderung von
ohne freilich den Eintheilungsgrund etc.
zu
freilich „ohne einen Eintheilungsgrund etc."
S. 140 Z. 4: Einschub „den" vor „na~'YJ"
XC MAURO ANTONELLI UND WERNER SAUER

- S. 140 Anm. 228; S. 182 Z. 17: Tilgung des Artikels ,;ro" vor „Tl ~v alva,"
(S. 140 Anm. 228 zweimal)
S. 162 Z. 3: Änderung von
nennt er [ ... ] ai xue[wq XUT'YJ'YOQta1
zu
werden von ihm [... ] ai xuefwq xaT'Y),YOQtat genannt
- S. 165 Z. 22 f.: Änderung von
,,Zunächst", sagt er S. 196, ,,wird das Ursprüngliche etc."
zu
Es „wird hier zunächst", sagt er S. 196, ,,das Ursprüngliche etc."
- S. 168 Z. 20: Einschub „es" nach „kann"
S. 169 Z. 13: Einschub ,,Adjectiva" nach „gebildeten"
- S. 181 Z. 12: Änderung von
fortfährt: ,,Die Figur etc."
zu
fortfährt: Es „ist die Figur etc."
s. 184 z. 13: Einschub „Tou" vor „exovToq"
- S. 187 Z. 24 f.: Änderung von
konnte: ,,Aristoteles sei es nicht gelungen, die Wesenheiten etc."
zu
konnte, daß es Aristoteles „nicht gelungen" sei, ,,die Wesenheiten etc."

Außerdem wurden, weil es der Übersichtlichkeit dienlich schien, in drei


Anmerkungen fehlende Namen von Verfassern angeführter Werke ergänzt:
in Anm. 9 auf S. 75 Zeller und Brandis; in Anm. 340 auf S. 184 Tren-
delenburg und Brandis; und in Anm. 344 aufS. 185 Trendelenburg. Weiters
wurde der von Brentano auch innerhalb von Zitaten verwendete Konjunktiv
der indirekten Rede durch den Indikativ ersetzt (zum erstenmal S. 23 Z. 9:
,,hat" statt „habe"); aber da dadurch am Wortbestand nichts geändert wird,
müssen diese Ersetzungen nicht im einzelnen angeführt werden.
Und schließlich wurde eine Uneinheitlichkeit beseitigt: Für einen Hin-
weis auf eine Stelle verwendet Brentano „cf.", ,,vergl.", ,,vergleiche", biswei-
len auch „vgl.", was zugunsten des am häufigsten vorkommenden „vergl." .
vereinheitlicht wurde. Zweifellos wäre noch eine weitere Vereinheitlichung
möglich gewesen: Bei seinen Stellenangaben verweist Brentano in der Regel
nur auf den Anfang der Stelle, verschiedentlich findet sich aber doch auch
ein „f." oder „ff.", auch eine Von-bis-Angabe. Gelegentlich, wenn es gerade
EINLEITUNG XCI

ins Auge stach, haben wir derartige Ergänzungen vorgenommen, aber ohne
irgendeine Vollständigkeit anzustreben: Denn irgendwann stellt sich dann
doch die Frage des Verhältnisses von Arbeitsaufwand zum erzielten Nutzen.
Um diese Einleitung dann im weiteren in der Benennung von Brentanos
eiaener
t>
zu unterscheiden, wird auf sie als Einl.AS verwiesen werden.
Franz Brentano

Von der mannigfachen


Bedeutung des Seienden
nach istoteles

o
T Öv Ae7eTat rroMaxw;
Aristot. Metaph. Z, 1.
Meinem verehrtesten Lehrer,
dem um das Verständnis des Aristoteles hochverdienten Forscher,
Dr. Adolph Trendelenburg,
ordentlichem Professor der Philosophie
an der Berliner Universität,
in Ehrfurcht und Dankbarkeit gewidmet.
Vorwort
Schüchtern und mit zögernder Hand übergebe ich diese kleine Schrift der
Öffentlichkeit und glaube dennoch eher den Vorwurf allzugroßer Kühnheit
als den der Verzagtheit zu verdienen. Denn wo das Unternehmen an und für
sich zu gewagt ist, muß auch, wer es mit bangem Herzen unternimmt, als
allzukühn erscheinen. Und was ist gewagter, als wenn ein erster Versuch, wie
es hier manchmal geschehen wird, Schwierigkeiten zu lösen strebt, die von
erfahrenen Männern als unlösbar bezeichnet wurden? Was mir den Muth
verlieh, waren die trefflichen Vorarbeiten, die sich mir für den schwierigsten
Theil meiner Arbeit boten. Findet man daher in ihr etwas Gutes, so möge
man es diesen und besonders dem verdienstvollen Forscher danken, von
dem ich mich freue zuerst in das Studium des Aristoteles eingeführt wor-
den zu sein. Wo man dagegen etwas unvollkommen und mit Irrthümern
oder Mängeln behaftet findet, möge man meiner Jugend und Unerfahren-
heit Nachsicht schenken.

Der Verfasser
Inhalt
Einleitung ............................................... 11

I. Kapitel. Das Seiende ist ein oµ,wvvµ,ov. Die Mehrheit seiner


Bedeutungen ordnet sich der vierfachen Unterscheidung des o'v
xaTa o-vµ,ßeß"f}xoq, des o'v wq UA"f}:3-aq, des Öv der Kategorien und
des b'v "?ivvaµ,e, xa, evee,yefq., unter .......................... 15

II. Kapitel. Von dem o'v xaTa o-vµ,ßeß"f}xoq ...................... 18

III. Kapitel. Von dem o'v w; aA"f}:3-aq . ........................... 29


§ 1. Von dem Wahren und Falschen ........................ 29
§ 2. Von dem b'v w; aA"f}:3-a; und dem µ,'Y} o'v w; t/;eu"?io; . ........ 38

IV. Kapitel. Von dem o'v "?ivvaµ,e, xa, evee,yefq., . ................... 45


§ 1. Bestimmung der Bedeutung dieses Seienden .............. 45
§ 2. Verbindungen von Zuständen der Möglichkeit und
Wirklichkeit. Die xf v"f}o-tq . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

V. Kapitel. Von dem Seienden nach den Figuren der Kategorien ...... 73
§ 1. Einleitende Bemerkungen. Die Kategorien sind von
Aristoteles in bestimmter Zahl aufgestellt. Verschiedene
Auffassungen der Aristotelischen Kategorien durch
neuere Erklärer .................................... 73
§ 2. Die Kategorien sind reelle Begriffe ...................... 81
§ 3. Die Kategorien sind verschiedene, analoge Bedeutungen
des öv. Nähere Bestimmung ihrer Analogie ............... 84
§ 4. Die Kategorien sind die höchsten Gattungen des
Seienden ......................................... 95
§ 5. Die Kategorien sind die höchsten Prädicate der
ersten Substanz .................................... 98
§ 6. Princip der Kategorieneintheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH AruSTOTELES

§ 7. Die Zahl und Verschiedenheit der Kategorien


entspricht der Zahl und Verschiedenheit der Weisen
der Prädication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
§ 8. Principielle Verschiedenheit der Kategorieneintheilung
von der Eintheilung der xaT'YJ'YOeovµ,eva in öeoq, ;-i,ov,
,yevoq und rruµ,ßeß'YJxoq. Princip und Deduction dieser
Eintheilung ..................................... 115
§ 9. Die Kategorien müssen begriffiich verschieden sein ........ 118
§ 10. Die Verschiedenheit der Kategorien ist nicht nothwendig
eine reelle Verschiedenheit .......................... 122
§ 11. Warum nicht jedes reelle Öv xaS-' avTo direct in einer der
Kategorien zu stehen komme ........................ 127
§ 12. Möglichkeit einer Deduction der Kategorieneintheilung .... 133
§ 13. Deduction der Kategorieneintheilung. Spuren einer
solchen Deduction, die sich in den Schriften des
Aristoteles finden ................................. 136
§ 14. Diese nfrrTtq i,a rruM071rrµ,ofJ ist in älterer und neuerer
Zeit von verschiedenen Erldärern des Aristoteles in
ähnlicher Weise entwickelt worden. - Deduction des
Ammonius und David. - (Pseudo-)Augustinus und
Isidorus Hispalensis. - Thomas von Aquin. - Prantl. -
Trendelenburg. - Zeller ............................. 161
§ 15. Harmonie zwischen den Kategorien des Aristoteles
und den grammatischen Unterschieden des nomen
substantivum, adjectivum, verbum und adverbium . . . . . . . . 166
§ 16. Lösung der von verschiedenen Seiten gegen die
Aristotelische Kategorieneintheilung erhobenen Einwände:
1) wegen Mangels eines Princips; 2) wegen Aeußerlichkeit
des Princips; 3) warum die Wurzeln der Kategorien
nicht in den vier Ursprüngen der Dinge zu suchen seien;
4) wegen Mangels an Continuität der Eintheilung;
5) wegen Mangels an Synonymie in einer Kategorie;
6) und 7) (a.-f.) wegen Confusion in den untergeordneten
Dingen; bei Qualität und Quantität; bei Thun und
Leiden; beim Wo und der Quantität u. dgl.; bei Quantität
und Relation; bei Thun und Leiden und Relation; bei
INHALT 9

Qualität und Relation; bei Substanz und Relation; bei


Qualitäten, deren Gattungen unter die Relation fallen
sollen; 8) wegen Mangels an Gleichberechtigung;
9) a. wegen Ueberzähligkeit und Coordination des
Subordinirten; b. wegen Mangels an Vollständigkeit.
Schluß. - Das vorzüglichste Object der Metaphysik
ist die ou(J"fa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Einleitung
Dem Vermögen nach ist der Anfang größer, als er seiner eigentlichen Größe
nach ist. Was klein ist im Beginn, wird oft am Ende überaus groß sein. Und
so geschieht es, daß wer im Anfange auch nur um ein Weniges von der
Wahrheit abweicht, im Verlauf immer weiter und weiter und zu tausendmal
größern Irrthümern fortgeführt wird.
Diese Erwägungen, denen wir bei Aristoteles im ersten Buche De coelo
(cap. 5. p. 271, b, 8.) 1 begegnen, mögen die Sorgfalt erklären, mit der er in
den Büchern der Metaphysik sich bemüht, die verschiedenen Bedeutungen
des Seienden festzustellen, und die Aufmerksamkeit rechtfertigen, die wir in
dieser Abhandlung seinen Erörterungen zuwenden. Denn das Seiende ist das
Erste, was wir geistig erfassen, weil es das Allgemeinste, 2 das Allgemeinere
aber immer das der geistigen Erkenntniß nach Frühere ist. 3
Aus demselben Principe ergibt sich noch in einer andern Beziehung die
Wichtigkeit unseres Gegenstandes. Denn die erste Philosophie muß eben
von der Feststellung der Bedeutung des Namens „Seiendes" ihren Ausgang
nehmen, wenn anders ihr Gegenstand das Seiende als Seiendes ist, wie es
Aristoteles wiederholt und auf das Bestimmteste ausspricht. ,,Eine Wissen-
schaft ist," sagt er Metaph. r, 1. (p. 1003, a, 21.), ,,welche das Seiende als
Seiendes und die ihm als solchem zukommenden Eigenschaften betrachtet.
Diese ist verschieden von allen particulären Wissenschaften. " 4 Es ist näm-
lich die allgemeine Wissenschaft, die sogenannte erste Philosophie, die zum
eigenthümlichen Object das Seiende als Seiendes hat (Metaph. E, 1. p. 1026,

1 De coelo I, 5. p. 271, b, 8.... el7l'eQ xai TO /J,IXQOV 1raeaß,'yjva1 T7)q aA'f)»elaq


acpunaµ,evotq ')'IVeTIJ,I 1TOQQW /J,VQI01TAa1TtOV, olov et' Tlq eAa,XIITTOV elvai Tl
cpafrt1 µ,e7e»oq· oOToq 7ae TOUAa,XIITTOV eltrlJ,')'IJ,')'WV Ta /J,S'J'IITT, äv XIV'(}ITele TWV
µ,a»'l)/J,IJ,TIXWV. TOUTOV ;J' (J,/TIOV ÖTt 'f} aex0 iJvvaµ,et µ,ei(wv ./i µ,e7e»e1, rlt01TeQ TO
ev aexii /J,IXQOV ev Tfj TeAeUTfj ')'IVeTal 1raµ,µ,e7e»eq.
2 Metaph. K, 2. p. 1060, b, 4. XIJ,T(J, 1T(l,VTWV 7ae TO Öv XIJ,T'f)'J'OQe/Tal. Top. IV, 6. p.
127, a, 28. ei OÜV TO b'v 7evoq a1rerlwxe, rl,'yjAov ÖTt 1T(l,VTWV äv e/1) 7evoq, B1Tetrl'f}
xaT'f}?'OQetTat auTwv. Vergl. Metaph. B, 3. p. 998, b, 20. ibid. I, 2. p. 1053, b, 20.
3 Met~p~. 1::,._, 11,; p. 1018,_ b, 3~. '~(J,T(J, µ,ev 7ae TOV AO')'OV Ta xa»oAOV 1TQOTeQa,
xaTa rle T'f)V a11T»'l)ITIV T(J, xa» eXIJ,fTT(J,.
4 Metaph. r, 1. p. 1003, a, 21. SITTIV B1TIITT'(}/J,'I) Tlq ,i) »eweeT TO b'v ri Öv xai Ta
TOIJT((J tmaexovm xa»' (J,LJTO. aÜT'f/ ;J' BITTtV ourleµ,tij, TWV ev /J,SQel Ae'J'O/J,SVWV 'f}
atJT'(). Vergl. ibid. 2. p. 1003, b, 21.
12 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

a, 29. 5 K, 4. p. 1061, b, 30-33. K, 7. p. 1064, b, 6.). Der erste Philosoph (o


newTot; r.p1A.oa-or.pot;, De anim. I, 1. p. 403, b, 16.) oder auch der Philosoph
schlechthin betrachtet das Seiende als Seiendes und nicht einem 1heile nach
(Metaph. K, 3. p. 1060, b, 31. ibid. p. 1061, b, 4. 10.). Darum erforscht
und untersucht Aristoteles in den Büchern der Metaphysik fortwährend, wie
er sagt (Metaph. Z, 1. p. 1028, b, 2.), nur eine Frage: was ist das Seiende?6

5 Metaph. E, 1. p. 1026, a, 29. si lf e<TTI Ttq ou<T1a axlll'Y}Toq, aÜT'Y} 'TrflOT&(la xa/
({)IAO<TO(f)IU 'Tr(lWT'Y}, xai xa:J'OAOU 01./TWq ÖTt 'Tr(lWT'Y}" xai 'Tre(ll TOÜ OllTOq 'lJ o'll
TaUT'Y}q a.ll e/7) :J'eW(l/ij<Tat, xai Tl S<TTI xai Ta imaexollTa ri Oll.
6 Metaph. z,
1. p. 1028, b, 2. xai o'0 xai TO rraAat Te xai llUll xai ad S'Y}TOU/J,ellOll
xai asi arroeouµ,ellOll, Tl TO Oll ... - Dennoch finden sich auch Stellen, an wel-
chen Aristoteles der Metaphysik ein anderes Object zuzuweisen scheint, indem er
siez. B. Metaph. A, 1. p. 981, b, 28. bestimmt als die Wissenschaft, die von den
ersten Gründen handle: T'f/ll OllO/J,USO/J,Sll'Y}ll <TO({)IUll 'Tre(ll Ta 'Tr(lWTa afr,a xai Taq
aexa; U'ITOAaµ,ßallOU<TI T((J,llTeq. Vergl. Metaph. K, 7. p. 1064, b, 4. und a. a. 0.
Darauf scheinen auch die Namen selbst, erste Philosophie und Theologie, wie sie
Aristoteles anderwärts (Metaph. E, 1. p. 1026, a, 19. K, 7. p. 1064, b, 3.) nennt,
hinzuweisen, während der Name Metaphysik bekanntlich bei Aristoteles selbst
noch nicht vorkömmt. Allein wenn auch manche Erklärer in älterer und neuerer
Zeit sich dadurch irre leiten ließen (wer die große Mannigfaltigkeit der Ansichten
verschiedener Aristoteliker besonders im Mittelalter historisch kennen zu lernen
wünscht, s. Franc. Suarez, disputationes metaphysicae, pars prior, disp. I, sect.
2.), so ist es doch nicht schwer, diese und ähnliche Stellen mit den oben citirten
in Einklang zu bringen. Die Metaphysik ist eine Wissenschaft. Was ist nun dem
Aristoteles das Wissen? S'Trl<TTa<T:J'at o'e oioµ,s:3-' exa<TTOll arrAwq, sagt er Anal. post.
I, 2. p. 71, b, 9, aMa /J,'f/ T/Jll <TO({)l<TTIX/Jll T(lO'ITOll T/Jll xaTa <TUµ,ßsß'Y}xOq, ÖTall T'r}ll
T' aiTlall oiwµ,s:3-a ,YlllW<TXell/ o't' 'Y/ll TO rreä,yµ,a S<TTlll, ÖTt eXelllOU aiT1a e<TTI,
xai wh el1o'exs<T:J'a1 TOfJT' äMwq exetll. Das Wissen schließt also nicht bloß 1) eine
Erkenntniß des Objects, sondern auch 2) eine Erkennrniß der Gründe des Objects
ein. Die Wissenschaften werden also mit der Betrachtung des Objects die seiner
Gründe verbinden und, in beiden Beziehungen sich von einander unterscheidend,
definirt und gegen einander abgegränzt werden können. Vergl. Anal. post. I, 28. p.
87, a, 38. Und so gibt Aristoteles, wenn er Metaph. A, 1. die <Tocp1a als die mit der
Betrachtung der ersten Gründe beschäftigte bestimmt, ihre Differenz in Hinsicht
der Gründe des Objects an, was hier besonders convenient ist, da er, ausgehend
von der Unterscheidung zwischen Empirie und Wissenschaft, diese so eben als die
Erkenntniß aus den Gründen bestimmt hat (Metaph. A, 1. p. 981, a, 28. oi µ,ell
,yae eµ,rre/(201 TO ÖTt /J,Sll /(TU(T/, o'tOTI lf oux /(TU<Tlll' oi o'e [sc. aio'oTeq] TO o'tOTI xai
T'f/ll aiT1all '}'llWfllSOU<Ttll) und nun durch eine solche Bestimmung der Species am
besten an die von dem Genus gegebene anknüpft. Beide Definitionen vereinigend,
könnten wir sagen, die erste Philosophie sei die Erkennrniß des Seienden im All-
gemeinen aus seinen ersten Gründen. Wirklich bringt Aristoteles sie auch in die-
ser Weise zur Vereinigung, wo er nachweist, wie die verschiedenen Attribute, die
man dem Weisen beizulegen pflege, in dem ersten Philosophen zusammentreffen.
EINLEITUNG 13

Jede Wissenschaft nun beginnt mit einer Erklärung s bjectes. Denn


nach jenem alten und von den Sophisten ausgebeuteten Paradoxon muß ja
ein jeder, der einem Wissen nachstrebt, wissen, was er zu wissen begehrt.
Manche der besondern Wissenschaften, deren Object particulär und einer
Definition fähig ist, stellen daher diese selbst an die Spitze, indem sie dieselbe
als von einer höheren Wissenschaft dargethan voraussetzen (vTWT/:J'eµ,ava1,
Metaph. K, 7. p. 1064, a, 8. vrro:3-aa-w /\aßoua-a1, ibid. E, 1. p. 1025, b, 11.),
so z.B. die Geometrie den Begriff der continuirlichen Größe. Dies kann
natürlich bei der allgemeinen Wissenschaft der Fall nicht sein, einerseits
schon darum, weil sie, die, als höchste Wissenschaft, keiner andern unterge-
ordnet ist, vielmehr selbst über allen steht und ihnen ihre Objecte zuweist,
die Definitionen ihres Objects von keiner andern überkommen kann,7
andererseits aber und vorzüglich darum, weil nichts ist, was weniger als ihr
Object eine eigentliche Definition zuließe. Denn das Seiende im Allgemei-
nen ist keine Species, bei welcher man Genus und Differenz unterscheiden
könnte, da vielmehr Aristoteles, wie wir sehen werden, nicht einmal zugeben
will, daß man es ein Genus nenne. 8 Eine andere Weise der Manifestation ist
also hier zu suchen, und dieses tut Aristoteles, indem er die verschiedenen

Metaph. A, 2. p. 982, a, 21. TOLJTW!I <Je TO µ,ev navTCL 81T/(TTCl,(TS-a1 T(J) µ,aAt<TTCL
exovTt T'f)ll xaS-oAou 81TIITT'f}Jl,'Y)ll ava,ryxaTov unaexe1v· ... {a28} aMa Jl,'f)ll xai
<Jt<JalTXaAIX'f} ')-'e 'Y/ TW!I ah,wv S-eW(l'Y)TIX'f) µ,aMov· OÜTOI 7ae /JI/Ja/TXOUITl!I oi
TaS' ahlas- Ae7011TeS" neei äxalTTov. Ebenso Metaph. r, 1. p. 1003, a, 26.
81Tel <Je TaS' aexas- xai TO,S' aX(20T11,TCLS' aiTlas- ('YJTOÜJJ,e!I, /J'l)AO!I WS' ({)LJITeWS' Tl!IOS'
auTaS' ava,ryxaTov el!lal xaS-' aUT'f)ll • ... {a31} IJIO xai 'YJ/J,lll TOÜ O!ITOS' 1i b'v
TO,S' 1T(2WTaS' ahlas- A'Y)7TTeD!I. Und Metaph. E, 1. p. 1025, b, 3. ai aexai xai
Ta aiT1a ('Y)Te/TCLI TW!I O!ITW!I, /J'l)AO!I <Je ÖTI 1) O!ITCL . ... na1Ta 81TIITT'f}Jl,'Y) ... 1Te(21
aiTlas- xai aexas- 8/TTl!I ... aMa 1T0,1Tat aVTCLI 1Te(21 Sll Tl xai 7evos- Tl 1Te(ll')-'(2a-
t/;aµ,eva1 1Te(21 TOLJTOU nea7µ,aTeLJO!ITCLI' aU' ouxi 1Te(21 O!ITOS' anAWS" ou<Je 1) Oll {s.
Einl.AS LXXVIII}. Jede Wissenschaft also handelt von Gründen, nicht bloß die
Metaphysik. Wie die andern, so hat auch sie darum noch nicht die Gründe selbst
zum Objecte, sondern das, dessen Gründe sie sind. Vergl. auch Brandis, Griech.-
Röm. Phil. II, 2, 1. {Handbuch der Geschichte der Griechisch-Römischen Philoso-
phie. Zweiten Teils zweiter Abteilung erste Hälfte. Aristoteles, seine akademischen
Zeitgenossen und nächsten Nachfolger, Berlin: Reimer 1853} S. 451; Trendelenburg,
Gesch. d. Kategorienlehre {s. Einl.AS Anm. 25}, S. 18, und Andere, die in der
Meinung, daß das Seiende als Seiendes der Gegenstand der Metaphysik sei, über-
einstimmen.
7 Vergl. Metaph. E, 1. p. 1025, b, 7. und K, 7. p. 1064, a, 4. - Die Metaphy-
sik behandelt auch die obersten, allgemeinen Principien, aus welchen die niedern
Wissenschaften ihre Beweise ableiten. Metaph. r, 3. p. 1005, a, 19.
8 S. u. Kap. 5. §. 3.
14 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Bedeutungen, die nach seiner Beobachtung der Name des Seienden umfaßt,
unterscheidend, die eigentlichen von den uneigentlichen sondert und die
letztem von der metaphysischen Betrachtung ausschließt. 9
So bildet die Erörterung der mehrfachen Bedeutung des Seienden die
Schwelle der Aristotelischen Metaphysik. Wenn aber schon hieraus die
Wichtigkeit, die sie für ihn haben mußte, erhellt, so leuchtet diese noch
mehr ein, wenn man bedenkt, wie die Gefahr einer irrthümlichen Verwechs-
lung gleichnamiger Begriffe in der That hier keine geringe ist. Denn wie
in dem zweiten Buche der Analytica posteriora bemerkt wird, 10 wächst die
Schwierigkeit, die Homonymie zu erkennen, mit dem Grade der Abstrac-
tion und Allgemeinheit der Begriffe, und die Möglichkeit einer Täuschung
muß daher bei dem Seienden selbst, diesem, wie wir schon sahen, allgemein-
sten Prädicate, offenbar am größten sein.
Doch wir haben ja noch nicht die Thatsache festgestellt, daß nach Aristo-
teles das Seiende homonym, nicht synonym (Categ. 1, p. 1, a, 1. 6.) gesagt
werde. Dieses werden wir also vor Allem durch mehrere Stellen der Meta-
physik darthun und zugleich zeigen, wie die mannigfachen Unterscheidun-
gen verschiedener Bedeutungen des Seins sämmtlich einer ersten Unter-
scheidung von vier Bedeutungen dieses Namens sich unterordnen lassen,
um dann zur besondern Betrachtung einer jeden von ihnen überzugehen.

9 Vergl. Trendelenburg, Gesch. d. Kategorienlehre, S. 167.


10 Anal. post. II, 13. p. 97, b, 29. Xat yae ai oµ,wvuµ,fa, Aav::M,vou/l'I µ,riMov ev Tot;
xa'JoAOU 'Y) ev Tot; a))1acpoeo1; X. T. A.
Erstes Kapitel.
Das Seiende ist ein oµ,wvuµ,ov. Die Mehrheit seiner Bedeutun-
gen ordnet sich der vierfachen Unterscheidung des b'v xaTa
(TU/J,ßeß'YJXO,;' des b'v w,; aA'Y)'J-e,;, des Öv der Kategorien und des
~ I \ ' I
b'v ouvaµ,et xa, evee'J"etq, unter.

„Das Seiende wird in mehrfacher Weise gesagt," ,,TO rJe Oll Ae,yaTat µ,ev
rroUaxwq," sagt Aristoteles im Anfange des vierten Buches seiner Meta-
physik1 und wiederholt es im sechsten und siebenten Buche2 und an andern
Orten zum öfteren. Er zählt daselbst eine Anzahl von Begriffen auf, von
denen jeder in einer andern Weise ein Seiendes genannt wird. ,,Einiges,"
sagt er Metaph. r, 2. p. 1003, b, 6., ,,wird Seiendes genannt, weil es Sub-
stanz, anderes, weil es Eigenschaft der Substanz, wieder anderes, weil es ein
Weg, der zur Substanz führt, oder Corruption der Substanz, oder Privation
der substantialen Formen, oder Qualität der Substanz ist, oder weil es die
Substanz, oder etwas von dem, was in Beziehung auf die Substanz ausgesagt
wird, hervorbringt oder erzeugt, oder weil es eine Negation von etwas Der-
artigem oder von der Substanz selbst ist. Daher sagen wir auch, es sei das
Nichtseiende ein Nichtseiendes. "3 Die verschiedenen Seienden, die hier auf-
gezählt werden, lassen sich auf vier zurückführen: 1) ein Seiendes, dem kei-
nerlei Existenz außerhalb des Verstandes zukömmt ÜTTS(!'Y)O'atq, a,rrocpaO'atq),
2) das Sein der Bewegung und der Generation und Korruption (orJoq alq
ouO'tav, cp:3-oea), denn diese sind zwar außerhalb des Geistes, haben aber
keine fertige und vollendete Existenz (vergl. Phys. III, 1. p. 201 a, 9.), 3) ein
Seiendes, das eine fertige, aber unselbstständige Existenz hat ( rra:3-'Y) ouO'taq,
7iOIOT'Y)TSq, TrOl'Y)TIXU, ,YSW'Y)TtXa), 4) das Sein der Substanzen (oLJO'ta). Eine
andere Aufzählung von Begriffen, denen in verschiedener Weise der Name
des Seienden zukömmt, gibt Metaph. E, 2. p. 1026, a, 34. Ein Seiendes,

1 Metaph., r, 2. p. 1003, a, 33.


2 Metaph., E, 2. P· 1026, a, 33. aM.' S1Tel TO b'v TO a1rAwq Aeryoµ,avov AeryeTal
1TOM.axwq x. T. A. Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO b'v AeryeTal 1TOM.axwq.
3 Metaph., r, 2. p. 1003, b, 6. Ta µ,ev ryae ÖTt OLJO'tat, ÖvTa AeryeTal, Ta lf ÖTt
1raS-'f} OLJO'taq, Ta lf ÖTt o1Joq eiq OLJO'tav, 0 cpS-oeai 0 O'TeQ'qO'etq 0 1TOIOT'f}Teq 0
1TOl'f}TIXa 0 ryeW'f}TIXa OLJO'taq, 0 TWV 1reoq T'IJV OLJO'tav Aeryoµ,evwv, 0 TOVTWJI TIVOq
a1rocpaO'etq 0 OLJO'taq· 1J10 xai TO /J,'IJ b'v elvat /J,'IJ Öv cpaµ,ev. {Zu Brentanos Über-
setzungs. Einl.AS LXXXVI.}
16 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH AfilSTOTELES

heißt es dort, 4 sei das b'v xaTa, O"uµ,ßeß'YJxoc;, ein anderes das ov wc; aA'(JS-ec;,
dessen Gegentheil das /J,'Y/ b'll wc; t/;eu?Joc; ist; außer ihnen gebe es noch ein Sei-
endes, das in die Kategorien zerfalle, und außer ihnen allen noch das ?Juvaµ,1;1
xa, ellee,yelq, Seiende. Man sieht, auch diese Eintheilung ist viergliederig,
aber ohne darum der im vierten Buche gegebenen durchgängig zu entspre-
chen. Noch weniger stimmt sie mit einer andern, im Anfange des siebenten
Buches gegebenen Zusammenstellung von verschiedenen Bedeutungen des
Seienden überein. Hier wird ein Seiendes als Tl SO"Tt und Toi1e Tl, ein ande-
res als rro16v, ein drittes als rroO"ov bezeichnet, mit denen noch andere in eine
Linie treten sollen. 5 Es sind dies die Figuren der Kategorie, die somit alle in
dem dritten Gliede der zweiten Eintheilung eingeschlossen sind. Diese ist
ihr also übergeordnet. Sie ist es auch, die in dem Buche rreet TWll rroO"axwc;,
in dem fünften der Metaphysik, Kap. 7., auf welches Aristoteles hier ver-
weist, näher erklärt und durch Beispiele erläutert wird, 6 sie ist die erste und
umfassendste Eintheilung des Seienden, der sich auch die Metaph. r, 2.
gegebene und andere, wie die, welche Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34. sich
findet,7 als minder allgemein oder minder vollständig unterordnen oder ein-
reihen lassen. Denn von jenen vier Bedeutungen des Öll, auf welche sich uns
die im vierten Buche aufgeführten zunächst reducirten, entspricht die erste,
wie wir sogleich nachweisen werden, dem zweiten, die zweite einem Theil
des vierten Gliedes der im sechsten Buche gegebenen, während die dritte
und vierte in ihrem dritten Gliede sich vereinigt finden. Aehnliches gilt von
den Metaph. 0, 10. und anderwärts erwähnten Arten des Seienden.
So wird denn auch unsrer Abhandlung diese erste Scheidung des Seienden
zur Eintheilung dienen. Wir handeln zuerst von dem b'll xaTa, O"uµ,ßeß'fJxoc;,
sodann von dem Oll wc; UA'(JS-ec; und dem /J,'Y) Oll wc; t/;eu?Joc;, dann von dem Oll
iJullaµ,et Xat evee,yelq, und endlich von den Kategorien. Aristoteles hat in sei-
4 Metaph. E, 2. p. 1026, a, 34. e'v µ,ev [sc. TWJ/ OJ/TWV] ,yjv TO xaTa {J"LJJJ,ßeß'Y)xo,;,
ifreeov iJe TO w,; aA'Y):3-e,;' xac TO /J,'f/ b'v w,; TO if;efJcJo,;' -rraea TUUTa i)' S{J"TI Ta
(]"X'rJ/J,UTa Tiij,; XUT'Y)?'Oe1a,;, olov TO µ,ev Tl, TO <Je 7TOIOV, TO <Je 7TO{J"OJI, TO <Je 7TOU,
TO iJe 7TOTe, xac ei' Tl äAJ..o {J"'Y)µ,a1ve1 TOJ/ Teonov TOUTOJI· ST/ naea TUUTa 7T(l,J/Ta
TO iJuvaµ,et xat evee7efq,.
5 Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO b'v Ae7em1 7TOMaxw,;, xa:3-anee iJtetAoµ,e:3-a
neoTeeov ev TOI,; nsec TOU 7TO{J"axw,;· {J"'Y)Jl,UIJ/81 7ae TO µ,ev Tl S{J"TI xac ToiJe Tl, TO
iJe OTI 7TOIOJ/ ,;; 7T0{]"0J/ ,;; TWJ/ äAJ..wv SXU{J"TOJ/ TWJ/ OLJTW XUT'Y)?'Oeouµ,evwv.
6 Metaph. tl, 7. p. 1017, a, 7 ff.
7 Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34. S7TSI Je TO b'v Ae7aTat xac TO /J,'f/ b'v TO µ,ev xaTa Ta
{J"x'qµ,aTa TWJ/ XUT'Y)?'Oe1wv, TO iJe xaTa iJuvaµ,tv ,/J evee7e1av TOUTWJ/ ,/J T(J,JIUJ/TIU,
TO iJe xuetwTUTa b'v a,J..rri:3-e,; ,;; if;efJiJo,;, x. T. A.
ERSTES KAPITEL. 17

ner Metaphysik von den beiden letzten in umgekehrter Folge gehandelt. Er


mußte erst die ouo-fa und in ihr Form und Materie kennen lehren (Metaph.
H), um dann von dem b'v 'rJuvaµ,a1 und eva(tralq., zu sprechen (Metaph. 0).
Mit d~m Zwecke unserer Abhandlung, die ja keine vollständige Ontologie
werden soll, stimmt besser jene andere Ordnung und wird sich aus ihr selbst
rechtfertigen.
Zweites Kapitel.
Das b'v xaTa (J"LJµ,ßeß'fJXOq (ens per accidens)

Das Öv xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq hat die lateinische Sprache durch ens per acci-
dens wiederzugeben gesucht. In unsrer deutschen Sprache, die sich sonst so
wohl befähigt zeigt, die Bildungen fremder Sprachen nachzuahmen, möchte
hier schwerlich ein recht eigentlich entsprechender Ausdruck sich finden las-
sen. Schwegler in seiner Uebersetzung der Aristotelischen Metaphysik über-
trägt das XaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq durch „beziehungsweise," 1 worin auch Bran-
dis und Aridere ihm gefolgt sind. 2 Allerdings hat das Öv xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq
sein Sein dadurch, daß ein Seiendes in einer Beziehung zu ihm steht, allein
dennoch will jene Bezeichnung seinen Begriff gar wenig deutlich machen.
Die Zahl sechs ist beziehungsweise groß, denn sie ist das Doppelte von drei
und doch wird Niemand sagen, daß ihr dieses xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq zukomme.
Der Mensch steht einfach gesprochen (a7l'Awq) und im Ganzen genommen
höher als die übrigen lebenden Wesen, obgleich andere Thierarten bezie-
hungsweise höher stehen, die einen z. B. an Lebensdauer, andere an Stärke
oder Schnelligkeit oder Sinnesschärfe, andere wegen der Flügel, die ihm
versagt sind, oder was sonst als eigenthümlicher Vorzug ihnen zukommen
möge, ihn übertreffen. Dennoch gehen diese ihre Vorzüge aus ihrem Wesen
hervor und sind durchaus nicht xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq, per accidens, obwohl nur
secundum quid; beides ist nicht zu identificiren. Darum möchte ich eher
noch den von Schwegler später angewandten Ausdruck „das zufällige Sein,
das Zufällige" 3 wählen, der dann freilich auch in einem engeren, in beson-
derer Weise bestimmten Sinne gefaßt werden müßte. Denn das b'v xaTa
o-vµ,ßaß'Y)xoq ist im Gegensatze zu dem Öv xa:3-' auTo, welches durch eine
ihm eigenthümliche Wesenheit ist, ein Seiendes durch das Sein dessen, was
zufällig sich mit ihm zusammenfindet; während das Öv xa:3-' auTo als solches
(ri aUTO, vergl. Anal. post. I, 4. P· 73, b, 28.) ist, ist das b'v xaTa o-vµ,ßaß'Y)xoq
nicht durch ein ihm als solchem eigenes Sein, sondern es ist, indem Aride-

1 A. Schwegler, Metaph. d. Aristot. {s. Einl.AS Anm. 66} II, S. 80.


2 Brandis, Griech.-Röm. Philos. II, 2, 1. s. 474 ff., statt b'v xaTa uuµ,ßeß7Jxoq
,,Beziehungsweises".
3 Schwegler, a. a. 0. S. 104 ff.
ZWEITES KAPITEL. 19

res ist, zufällig mit ihm seiend. 4 All dies wird sogleich deutlicher werden. In
Ermanglung eines adäquaten deutschen Ausdruckes möge es uns verstattet
sein, der griechischen Bezeichnung selbst uns zu bedienen.
Weil, wie Aristoteles im elften Buche der Metaphysik sagt, kein Öv xaTa,
<Tvµ,ßeß'f}xoq früher ist, als die an sich Seienden,5 und zwar auch der Erkennt-
niß nach das Öv xa:3-' avTo das Frühere ist, 6 so ist es nöthig, vorerst einen,
wenn auch nur flüchtigen Blick auf solches zu werfen, was seinem Gebiete
angehört. Von den Dingen sind einige Substanzen und haben ein für sich
selbstständiges Sein; 7 wie z. B. ein Baum, ein Mensch u. dgl., andere,
welchen dieses fehlt, existiren nur in und an den Substanzen und heißen
Accidenzien; 8 wie z. B. das Weiße, das in dem Körper existirt u. dgl., und
zwar existirt nicht bloß ein Accidenz in einer Substanz, sondern viele und
verschiedenartige. Alle diese können in Wahrheit sowohl von der Substanz,
als auch unter sich, eines vom andern, prädicirt werden, wie wenn wir sagen:
der Körper ist weiß, das Weiße ist schön u. dgl., denn sie sind auch in den
Dingen eins dem Subjecte nach, wenn auch nicht dem Wesen nach, und
da das Seiende und das Eine identisch sind; 9 so folgt daraus, daß auch das
eine das andere ist; doch nicht immer in ein und derselben Weise, sondern
manchmal xa:3-' avTo, manchmal aber auch xaTa, uuµ,ßeß'f}xoq, und dies ist
das Öv xaTa, uuµ,ßeß'f}xoq des Aristoteles, wovon wir jetzt zu handeln haben.
Wo ein Ding mit einem andern Dinge sich vereinigt findet, ist die Ver-
bindung des einen mit dem andern entweder eine nothwendige, universelle
oder doch nur in einzelnen Fällen verhinderte, oder sie ist eine bloß zufallige

4 Metaph. D.., 30. P· 1025, a, 28. 7e7ove µ,ev 'l10 xai SO'TI TO uuµ,ßeß'fJXO<;, aJJ..' oux
rJ aLJTO aJJ..' rJ ifreeov.
5 Metaph. K, 8. p. 1065, b, 2. ou:3-ev xaTa uuµ,ßeß'fJXO<; Tr(!OTe(!Oli TWli xa:3-' aUTO.
6 Man kann dies aus Metaph. D.., 11. p. 1018, b, 34. entnehmen: xaTa TOli AO?'Oll 'lJe
TO uuµ,ßeß'fJXO<; TOÜ Ö)\Ou Tr(!OTe(!Oli, Ololi TO /J,OUO'IXOli TOÜ /J,OUO'IXOÜ av:3-ew-rrou· OLJ
7ae SO'Tal O.A.070<; Ö.A.o<; äveu TOÜ µ,eeou<;.
7 Categ. 5. p. 3, a, 8.
8 Anal. post. I, 22. p. 83, a, 25.
9 Metaph. r, 2, p. 1003, b, 22. ei 'l10 TO Sl/ xai TO b'v TaLJTOl/ xai µ,fa cpuu1<;, Tq)
axo.A.ouS-eTv aM'('J.A.01<; wurree aex0 xai afrwv, aJJ..' oux W<; evi .A.O?'(j) 'li'f}.A.OUµ,eva .
... TaLJTO 7ae el<; äv:3-ew-rro<; xai Wl/ äv:3-ewrro<; xai äv:3-ew-rro<;, xai oux ifreeov
Tl 'li'f}.A.01 xaTa T'f/l/ .A.et,v e1rava'lJ11r.A.ouµ,evov TO el<; SO'Tll/ äv:3-ewrro<; xai SO'Tll/
äv:3-ew-rro<;· ... {633} wu:3-' Öua rree TOÜ evo<; ei''lJ'f}, TOO'aÜTa xai TOÜ ÖVTO<; SO'Tll/.
Vergl. Meraph. Z, 4. p. 1030, b, 10. K, 3. p. 1061, a, 17.
20 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Vereinigung. 10 In der ersten Weise kömmt nach dem Beispiele, das Aristo-
teles anführt, 11 die Eigenschaft 3 Winkel = 2 R zu haben dem Dreiecke zu;
denn sie ist nothwendig und wird bei jedem Dreiecke gefunden. So kömmt
es auch dem Menschen zu, daß er lachen kann, denn dies ist seiner Natur
eigenthümlich, er hat als Mensch die Fähigkeit zu lachen, und hat er sie in
einem einzelnen Falle nicht, so trägt ein Krampf, oder eine Verstümmelung,
oder was sonst die Ursache dieser Unregelmäßigkeit sein mag, die Schuld.
Hier ist also ein inniges Zusammengehören, das sich jenem nähert, welches
in der Definition zwischen Gattung und Artunterschied stattfindet, nur daß
das Eine nicht in dem Wesen des Andern ist (µ,'Y) ev Tfj ouO"[q., Övw); aber es
vertritt in nicht seltenen Fällen in der Definition die Stelle der unbekannten
Differenz, 12 und leistet bei der Aufsuchung derselben gute Dienste. 13 Das
Proprium (l't3wv) der Topik ist in dieser Weise mit einem Wesen vereinigt,
doch nicht dieses allein, denn weil das Proprium als solches einem Dinge
allein zukömmt und mit ihm in der Prädication convertibel ist, 14 so ist das
Proprium des Gattungsbegriffs kein Proprium der Species u. dgl., während es
doch auch dieser xa:3'' auTo, wie wir hier von xa:3'' auTo sprechen, inwohnt.
Allein eben jene Ausnahmsfälle, deren wir schon gedachten, wo etwas
dem Andern nicht immer, sondern in den meisten Fällen nur zukam, sind
es, die beweisen, daß es noch eine andere Weise der Vereinigung in den Din-
gen gibt. 15 Der Klee ist in den meisten Fällen, aber nicht immer dreiblät-
terig, daher hat er in einzelnen Fällen eine andere Zahl von Blättchen und
hier ist dann die Vereinigung eine zufällige. Der Klee ist vierblätterig xaTa
O"uµ,ßsß'Y}xo~, nicht xa:3'' auTo. In solcher Weise ist eine Bewegung nach

10 Metaph. !:::.., 30. p. 1025, a, 14. /J'LJ/J,ßeß'f/XO<; f.e,yeTat o' LJTC(J,(2%81 µ,ev Tll/1 xa/
aA'f};J'S<; eineiv, ou /J,f.l/TOI oüT'ss{},l/(J,'}'X'f}<; oÜT' an/ TO TCOAI.J, 0/0l/ ••• a, 30. Ae'}'STal
lJe xa/ äMw<; /J'LJ/J,ßeß'fJXO<;, 0/0l/ Öua l)T{(J,(2%81 S}{(J,IJ'TqJ xaS-' aUTO /J,'r/ Sl/ Tfj OU/J'lf/,
ÖvTa, olov T{j) T(21,YWVqJ TO 01.10 oeS-a,; exe1v. xai TULJTa µ,ev evlJexemt a11S,a elva1,
sxsfvwv lJe ouS-ev.
11 Ibid.
12 Vergl. unten Kap. 5. §. 9. die letzte Anm.
13 Vergl. Anal. post. II, 13. p. 96, b, 19.
14 Top. I, 5. p. 102, a, 18.
15 Metaph. E, 2. P· 1027, a, 8. WUT' STCelO'rJ ou T{(J,l/Ta S/J'Tll/ ss
ava,,yx'f}<; xa/ ae/
,yj Öl/Ta ,yj ,y1voµ,eva, aMa Ta TCAet/J'Ta w,; STCI TO TCOAI.J, {},l/(J,'}'X'f/ elvat TO xaTa
/J'LJ/J,ßsß'fJXO<; Öv. Ebenso vorher p. 1026, b, 27. sne/ oöv SIJ'Tiv SV TOI<; OÖIJ'I Ta µ,ev
ae/ W/J'UI.JTW<; exol/Ta xai ss
{},l/(J,'}'X'f/<;, ou Tij,; xaTa TO ß[a1ov Ae,yoµ,ev'f},; aM' 'Y}li
Ae,yoµ,ev T{j) /J,'r/ svlJexsuoat äMw,;, Ta o' ss
{},l/(J,'}'X'f}<; µ,ev oux 8/J'TIV ouo' asi, w,;
lJ' STCI TO TCOAI.J, aÜT'f/ aex0 xai aÜT'f} aiT[a S/J'TI TOLJ elva1 TO IJ'LJµ,ßeß'f}xo,;.
ZWEITES KAPITEL. 21

Oben für den schweren Gegenstand accidentell. Aufwärtsbewegt kömmt


dem Schweren xaTa (J"LJ{J,ßeß'Y)xoq zu. Es will einer nach Athen steuern, und
der Sturm verschlägt ihn nach Aegina. Der Wille nach Athen zu gehen und
die Ankunft in Aegina sind einander accidentell. So ist es dem Grammati-
ker accidentell, wenn er tonkundig ist, da er ja ebensogut Grammatiker sein
könnte, ohne musikalisch zu sein, wie es auch meistens geschehen wird.
Beides hat keinerlei innerliche, wesentliche Zusammengehörigkeit, die eine
Eigenschaft ist nicht Folge der andern und stammt auch nicht aus einer
gemeinsamen Ursache mit ihr, sie hat sie xaTa (J"LJ{J,ßeß'Y)xoq. So bestimmt
denn Aristoteles das (J"LJ{J,ßeß'Y)xoq im elften Buche der Metaphysik in fol-
gender Weise: ,,Accidentell ist also dasjenige, was zwar eintritt, aber weder
immer und nothwendigerweise, noch meistentheils." Und ebenso im zwei-
ten Kapitel des sechsten Buches: ,,Was nämlich weder immer noch meisten-
theils ist, nennen wir zufällig;" 16 und er fügt hier zahlreiche Beispiele zur
Erläuterung bei. Ebenso im fünften Buche, Kapitel 30: ,,Accidentell wird
genannt, was einem Dinge zukömmt und in Wahrheit ihm beigelegt wird,
jedoch weder mit Nothwendigkeit noch meistentheils. " 17
Hienach ist denn die Frage zu beantworten, was das Oll xaTa (J"LJ{J,ßeß'Y)xoq
sei. Daß ein Klee vierblätterig ist, trifft sich, wie wir sagten, xaTa (J"LJµ,ßsß'Y)xoq.
Ist das Sein des Vierblätterigen hier ein o'll xaTa (J"LJµ,ßsß'Y)xoq? Nein! das Vier-
blätterige als solches hat sein eigenthümliches Sein, ohne welches es nicht
sein könnte, was es ist, aber der Klee, insofern er das Sein des Vierblätterigen
hat, ist ein oll xaTa (J"LJµ,ßsß'Y)xoq. Der Tonkundige als solcher ist durch ein
ihm eigenes Sein, er ist ein Oll xa::J' auTo, aber wenn der Grammatiker durch
dieses Sein des Tonkundigen seiend ist, so ist er insofern nur ein oll xaTa
O"uµ,ßsß'Y)xoq. Das Sein des Drückenden, als solchen, ist das Drücken, der
Druck ist dadurch, daß etwas drückt. Das Sein des Lebendigen, als solchen,
ist das Leben, es ist, was es ist, indem es lebt. Wenn nun ein Thier auf einen
Körper, auf dem es steht oder liegt, einen Druck ausübt, so ist es nicht bloß

16 Metaph. K, 8. p. 1065, a, 1. eO'TI 'rl'Y) TO O'Uµ,ßeß"l}xoq b' '}'l','l)STal µ,ev, oux aei 'r}'
ou'rl' e; ava,yx"l}q ou'rl' wq eni TO 1TOAU. Metaph. E, 2. p. 1026, b, 31. b' ,yae (1,l)
'fi /J,'(JT' aei µ,rfi:3-' wq eni TO 1TOAU, TOÜTO cpaµ,ev O'Uµ,ßeß"l}xoq elva,. 0/0l) eni xuvi
(1,l) xe1µ,wv '}'SV"l}Tal xai t/;üxoq, TOÜTO O'Uµ,ß0va[ cpaµ,ev, aM' oux (1,l) 1TVl'}'Oq xai
aAea, ÖTI TO µ,ev aei.;; wq eni TO 1TOAU, TO 'r}' oü. xai TOJ) äv:3-ewnov Aeuxov elva,
O'Uµ,ßeß"l}xev (oÜTe ,yae aei ou:3-' wq eni TO 1TOAu), siiiov 'r}' ou xaTa O'Uµ,ßeß"l}xoq.
xai TO u71ase1v 'rle TOV oixo'rloµ,ov xaTa O'Uµ,ßeß"l}XOq, ÖTI ou necpuxe TOÜTO 1TOISIV
oixo'rloµ,oq aM' iaTeoq, aMa O'uveß"I} iaT(20V elva, TOJ) oixo'rloµ,ov x. T. A.
17 S. o. S. 20 Anm. 10.
22 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

wahr, daß das Drückende drückt, und das Thier lebt, sondern es ist auch
wahr, daß das Thier drückt und insofern ist, und daß das Drückende lebt
und insofern ist. Das Drückende lebt nicht durch sein ihm als Drücken-
dem eigenes Sein, und wenn wir daher sagen: das Drückende ist, so meinen
wir damit nicht jenes Sein, welches es durch das Leben, sondern welches es
durch das Drücken hat, oder wenn wir je einmal das erstere meinten, so wür~
den wir eben das Drückende als ein Seiendes per accidens, als ein Öv xaTa
(TUµ,/3e/3'Y)xoq bezeichnet haben.
Dahin erklären das Öv xaTa (Tuµ,ße/3'Y)xoq vor Allem die Beispiele, die Ari-
stoteles im fünften Buche der Metaphysik, Kapitel 7, zu seiner Erläuterung
anführt: ,,XaTa (TUIJ,/3e/3'Y)xoq wird etwas seiend genannt," heißt es dort, ,,wie
wenn man sagt, der Gerechte sei tonkundig, und der Mensch sei tonkundig,
und der Tonkundige sei Mensch, indem man in ähnlicher Weise es sagt, wie
daß der Tonkundige Häuser baue, weil es sich dem Baumeister zufällig trifft,
daß er tonkundig, oder dem Tonkundigen, daß er Baumeister ist. Denn daß
dieses jenes sei, heißt so viel als, daß jenes ihm zufällig zukomme. So ist
es aber auch bei den genannten Dingen der Fall." 18 Insbesondere dient ein
Beispiel, das er anführt, sehr wohl dazu, die so ganz uneigendiche Weise der
Existenz, die dem Öv xaTa (TUµ,/3e/3'Y)xoq eigen ist, anschaulich zu machen.
Er sagt, auch Negationen, wie das Nichtweiße, existirten xaTa (Tuµ,ße/3'Y)xoq,
weil das, worin sie sich zufällig fänden, existire. 19 Gewiß kömmt der Nega-
tion keine ihr als solcher eigene, reelle Existenz zu, allein dennoch, wenn
ich, wo ein Mensch schwarz ist, sagen kann, das Schwarze lebe und existire
als Mensch, so kann ich mit dem gleichen Rechte sagen, das Nichtweiße
existire, nicht als Nichtweißes, sondern als Mensch.
Damit stimmt denn nun auch überein, was im sechsten Buche gesagt
wird, daß das Öv xaTa (Tuµ,ßs/3'Y)xoq sich um die übrige Gattung des Seien-
den bewege, so daß dadurch ebenso wenig, als durch das Sein der Copula,
eine besondere Natur des Seienden außerhalb des Geistes dargethan wer-

18 Metaph. ~, 7. p. 1017, a, 8. XaTa (J"UfJ,ßeß'YJxO,; µ,ev [Ae,ysTat TO Öv], olov TOJI tfxa,ov
µ,ou(J"tXov slval q;aµ,sv xai TOV ä.v;;rgw-rrov µ,ou(J"txov xai Tov µ,ou(J"txov ä.v::rew-
-rrov, -rraea-rrA'f}(J"lW,; Ae'}'OJ/Te,; W(J"1Te(2 TOJI fJ,OU(J"/){())I oixotoµ,siv, ÖTt (J"U{J,ßeß'YJXe Tl/)
oixotoµ,cp fJ,OU(J"/XqJ slva, 'Y}' Tl/) fJ,OU(J"/XqJ oixotoµ,cp • TO ,yae TO(JS slva, TO(Je (J"'f}{J,al-
Jle/ TO (J"UfJ,ßeß'YJXEJ/at TqJ(JS TO(JS. OÜTW (Je xai e-rri TWJI ei(l'f}fJ,SJIWJI.

19 Ibid. 1017, a, 18. oÜTW (Je Ae'}'eTa/ xai TO {J,7) Asuxov siva,, ÖTt <iJ (J"U{J,ßeß'YJXeJI
exüvo, E(J"Ttv. Ueber die Interpunction s. Schwegler a. a. 0. III. 212.
ZWEITES KAPITEL. 23

de. 20 Und auch jenes schon oben Erwähnte versteht sich nun von selbst,
daß kein xaTa a-uµ,ßeß'f)xoq Seiendes früher als das an sich Seiende ist. Fer-
ner sieht man auch ein, warum dem Öv xaTa a-uµ,ßeß'f)xoq eine eigentliche
Ursache abgesprochen wird, wie Metaph. E, 2. ,,Für andere Seiende gibt es
bestimmte wirkende Kräfte, für dieses aber keine bestimmte Kunst und keine
bestimmte Kraft; denn das, was XaTa a-uµ,ßeß'f)xoq ist, oder wird, kann auch
nur eine Ursache xaTa a-uµ,ßeß'f)xoq haben. "21 So wird auch kurz vorher in
demselben Kapitel bemerkt, ,,daß während das in anderer Weise Seiende ein
Entstehen und Vergehen, das Öv xaTa a-uµ,ßeß'f)xoq ein solches nicht hat. "22
Natürlich! der tonkundige Baumeister hat ja nicht ein Entstehen, wie z. B.
der lachensfähige Mensch es hat. Der Baumeister wird durch ein Entstehen
und der Tonkundige durch ein anderes, aber kein Entstehen zielt dahin, daß
der Baumeister tonkundig sei. Man sieht aber wohl, wie der Sophistik hier
reichliche Gelegenheit zu ihrem trügerischen Spiele sich darbieten muß, wie
denn auch Aristoteles bemerkt, ,,daß die Schlüsse der Sophisten sich vor-
züglich um das Öv xaTa a-uµ,ßeß'f)xoq bewegten. "23 Gerade der Mangel eines
eigenen Entstehens z. B. wird das Fundament zu einem Sophisma. 24 Ein
anderer hiehergehöriger Paralogismus, den Aristoteles andeutet25 , ist folgen-
der: Wer Grammatiker ist, ist etwas anderes als tonkundig; ein Tonkundiger
aber ist Grammatiker, also ist ein Tonkundiger etwas anderes, als er ist. Die
Lösung ergibt sich daraus, daß der Tonkundige xa:3-' auTo etwas anderes
20 Metaph. E, 4. p. 1028, a, 1. xai aµ,cpoTeea neei TO /\omov ,yevor; TOU ÖvTor;, xai
OLJX e{w <J'Y)/\OUO'IV ouuav T/Va cpuu,v TOU Övwr;.
21 Ibid. 2. P· 1027, a, 5. TWV µ,ev ,yae äMwv SVIOT/!, <1uvaµ,e1r; sluiv ai 1'COl'Y)TIXaf,
TWV <1' OLJ<Jeµ,fa TISXV'YJ OLJ<Je <1uvaµ,1r; W(dl0'/1,SV'Y)· TWV ,yae xaTa uuµ,ßeß'YJXO<; ÖvTWV
,rj 7,voµ,evwv xai TO afr,ov SO'TI xaTa uuµ,ßeß'Y)xor;. {s. Einl.AS LXXVIII f.} Vergl.
ibid. 4. p. 1027, b, 34. und die Parallelstellen K, 8. {1065a24-26}.
22 Metaph. E, 2. p. 1026, b, 22. TWV µ,ev ,yae äMov T(d01'COV ÖVTWV eO'TI 7eveu1r; xai
cpS-oea, TWV <Je xaTa uuµ,ßeß'Y)xor; OLJX BO'TIV.
23 Ibid. p. 1026, b, 15. eiui ,yae oi TWV O'OcplO'TWV 1\0701 neei TO uuµ,ßeß'Y)xor; wr;
eineiv µ,a/\10-m navTwv. Vergl. K, 8. 1064, b, 28. Die fallacia per accidens ist die
wirksamste, vergl. im 1. Buch d. Soph. elench.
24 Metaph. E, 2. p. 1026, b, 18. xai ei niiv o' äv 0, /1,'Y/ aei <Je, 7e7ovev, WO'T, ei
µ,ouu,xor; wv 7gaµ,µ,aT1xor; 7e7ove, xai ,ygaµ,µ,aTIXO<; wv µ,ouu,xor;. Vergl. Top. I,
11. p. 104, b, 25. und die Bemerkungen von Zell zu dieser Stelle in seiner Ueber-
setzung des Organon. {Aristoteles ~rke. Organon, oder Schriften zur Logik. Über-
setzt von Karl Zell. Sechstes Bändchen. Der Topika erste Hälfte, Stuttgart: Metzler
1841, 654 Anm.}
25 Metaph. E, 2. p. 1026, b, 16. 1'COTc(dOV ifreeov ,rj Tat!TOV µ,ouu,xov xai ,ygaµ,µ,aTIXOV,
xai µ,ou0"1xor; Koefuxor; xai Koefuxor;.
24 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

als Grammatiker, und nur xaTa (]"l){.l,ßeß'Y}xoq Grammatiker ist. Plato hat
der Sophistik als Object das Nichtseiende zugewiesen. 26 Aristoteles billigt
diesen Ausspruch, eben weil die Trugschlüsse der Sophisten hauptsächlich
um das Öv xaTa (]"Vf.1,ßeß'YJxoq sich drehen. Dieses nämlich, sagt er, stehe
dem Nichtseienden nahe 27 und sei gleichsam nur dem Namen nach. 28 Auch
dies ist nach dem, was wir oben gesagt haben, klar, da wegen der Identität
des Öv und des ev (s. o.) jegliches insofern ein Seiendes ist, als es Eines ist,
bei zwei Dingen aber, von denen das eine das andere xaTa (]"Vf.1,ßeß'YJxoq ist,
die eigentliche Einheit fehlt. Die Worte, ,,es sei gleichsam nur dem Namen
nach," mögen durch Folgendes deutlicher werden. Wir haben gesehen, daß
während bei dem Öv xa:3-' auTo etwas durch ein ihm eigenthümliches Sein,
bei dem b'v xaTa (]"Vf.1,ßeß'Y}xoq etwas durch das Sein eines Andern ist, mit
dem es zufällig sich vereinigt findet. Der Tonkundige war Grammatiker
nicht durch das Sein des Tonkundigen, sondern des Grammatikers, ebenso
der Grammatiker tonkundig durch das Tonkundigsein, das kein ihm eigenes
Sein ist. Immerhin wird das „tonkundig" mit Wahrheit von dem Gramma-
tiker prädicirt, und es nehmen somit beide an Ein und demselben Namen
des Tonkundigen Theil, nicht aber an ein und demselben Sein und Wesen.
Es ist eine Prädication xaTa TOVVoµ,a, nicht aber xaTa TOV Ao,yov, 29 selbst
wenn man den Umfang der letzteren Prädication über jene engeren Grän-
zen, die ihm in dem Buche über die Kategorien gesteckt werden, ausdehnen
und Alles zum Wesen Gehörige umfassen lassen wollte. Denn im Gegensatze
zu dem, was wir oben über das xa:3-' auTo Zukommende30 bemerkten, ist es
hier eine Unmöglichkeit, aus dem Prädicat eine Erkenntniß der Natur des
Subjectes, aus dem Sein eine Einsicht in das Wesen dessen, was dadurch sei-
end genannt wird, zu gewinnen. Selbst die conträrsten Gegensätze in jenem

26 Ibid. b, 14. und K, 8. p. 1064, b, 29. Vergl. Plato's Sophisten bes. 235, a. 240, c.
27 Metaph. E, 2. P· 1026, b, 21. cpatlleTa/ 7ae TO o-uµ,ßeß'l}xOr; S')'?'LJr; Tl TOV /J,'f/
OllTor;.
28 Ibid. b, 13. W<T7rl;;(}_ ')'lt(}_ Ol/O/J,aTI /J,Ol/Ol/ TO o-uµ,ßeß'l}xor; S<TT/l/,
29 Vergl. Categ. 5. P· 2, a, 27. TWl/ 1}' Sl/ imoxe,µ,ellqJ Ol/TWl/ eni µ,el/ TWl/ 7rAet<TTWl/
oÜTe TOÜlloµ,a oü:3-' () J..67or; XaT'l}')'OQÜTa/ TOV imoxe1µ,evou· en' Sl//Wl/ 1Je TOÜvoµ,a
µ,ev ou1Jev XWAVe/ xaT'l}')'OQet<T:3-a[ 1TOTe TOV imoxe,µ,el/OU, TOl/ 1Je AO')'Ol/ a1JvvaTOll,
olov TO AeUXOl/ el/ imoxe,µ,ellqJ b'v TqJ o-wµ,aTI xaT'l}')'O(]_ÜTa/ TOV imoxe,µ,evou
(J..euxol/ 7ae o-wµ,a J..e7eTa1), () 1Je J..67or; () TOV AeuxofJ ou1JenoTe xaTa o-wµ,aTor;
xaT'l)'J'O(}_'l}:3-r/io-eTa1. Doch ist hier das bloße xaTa ToÜvoµ,a xaT'l)'J'O(}_et<r:3-a, noch
weiter ausgedehnt, als das Oll xaTa o-uµ,ßeß'l}xor; reicht.
30 S. oben S. 19 f.
ZWEITES KAPITEL. 25

afficiren und differenziren dieses in keiner Weise. 31 Haben wir ja doch eben
erst ein Beispiel betrachtet, wo sogar einer Negation, die also eigentlich alles
Wesens und aller reellen Existenz entbehrt, das Sein einer Substanz, wie der
des Menschen, xaTa O"uµ,ßeß'YJXOt; zugeschrieben wurde, und Aristoteles hat
somit ganz Recht, wenn er Anal. post. II, 8. sagt, daß wir von dem, wovon
wir wüßten, daß es xaTa O"uµ,ßeß'YJxoq sei, nicht wahrhaft wüßten, daß es
sei. 32 So ist also was etwas xaTa O"uµ,ßeß'YJXOt; ist, dasselbe so zu sagen nur
dem Namen nach. 33 Darum handelt auch keine Wissenschaft von dem Öv
;caTa O"V{.J,ßeß'YJXOt;, da was ihrem Objecte xaTa O"U{.J,ßeß'YJXOt; zukömmt, gar
nichts zur Erkenntniß seiner Natur beitragen kann, und von dem, was nur
ein und das anderemal zufällig sich trifft, eine Wissenschaft nicht möglich
ist, die ja immer nur auf das Allgemeine geht, auf das, was immer oder doch
meistens statthat. 34

31 Metaph. I, 9. p. 1058, b, 3. avS-ew1rou AeUXOT'f}r; ou 7TOlet OUüe µ,eAav1a [sc.


ütarpoeav], OUüe TOÜ Aeuxofi avS-ew1rou SITTI ütarpoea xaT' elaor; 7T(!Or; µ,sAava
(LJl;:}(!W1TOJI, OUü' (J,JI OVOµ,a e'v TSJfj.
32 Anal. post. II, 8. p. 93, a, 24. Ö<Ta µ,ev oov xaTa <Tuµ,ßeß'f}xor; oi'aaµ,ev ÖTt e<TTIJI,
Ul/W'(Xa7ov µ,'f}üaµ,wr; exe1v 1T(!Or; TO Tl SITTIJ/" OUüe ,yae ÖTt e<TTIJ/ i'<Tµ,ev· TO üe
('f)Tell/ Tl SITTI Wf/ exovmr; ÖTt e<TTI, µ,'f]ÜSJ/ ('f)TSIJ/ SITTIJ/.
33 Man könnte das ovoµ,aTt µ,ovov e<TTIJ/ noch in anderer Weise zu deuten versucht
sein, indem man das oua' äv Övoµ,a e'v TeS-fi in der soeben aus Metaph. I (Anm.
31) citirten Stelle damit in Verbindung brächte. So wird Metaph. Z, 4. p. 1029, b,
25 ff. ausgeführt, wie zwei Dinge, von denen eines dem andern xaTa <Tuµ,ßeß'f}xor;
zukömmt, oft mit einem einheitlichen Namen bezeichnet werden (e<TTW ü'(} Övoµ,a
auTijJ iµ,aTtov {b27f.}), wie z. B. wenn das weiße Pferd Schimmel genannt wird.
Man könnte da meinen, die Definition dieses Schimmels sei weißes Pferd, und da
die Definition Ausdruck des Wesens ist, der Schimmel oder das weiße Pferd sei
ein Wesen. Man würde aber irren, denn es ist mit jener bloßen Erklärung eines
Namens keine sachliche Definition gegeben. Der einheitliche Name macht die
Einheit der Sache nicht. Diese ist also ov6µ,aTt µ,ovov. Allein erstlich ist in den
wenigsten Fällen ein solcher einheitlicher Name gegeben, und dann würde also
das b'v xaTa <Tuµ,ßeß'f}xor; in gar keiner Weise existiren, was offenbar nicht die Mei-
nung des Aristoteles ist. Sodann ist das „der Schimmel ist ein weißes Pferd" nicht
ein Öv xaTa <Tuµ,ßeß'f}xor;. Hier ist das „ist" nicht gleich <Tuµ,ßsß'fJXS, sondern gleich
<T'f}µ,a1ve1.
34 Metaph. E, 2. p. 1026, b, 3. 1T(!WTOJ/ 7TS(ll TOÜ xaTa <Tuµ,ßeß'f}xor; ASXTSOJ/, ÖTt
ouaeµ,1a SITTI 7TS(ll aUTO S-ewe1a. x. T. A. b, 12. xai TOÜTO euAo,ywr; <TUµ,1T11TTe1·
WIT1TS(l ,yae ov6µ,aTt µ,ovov TO <Tuµ,ßeß'f}xor; SITTIJ/. Ibid. p. 1027, a, 19. ÖTt a'
S7TIITT'(Jµ,'f] oux e<TTI TOÜ <Tuµ,ßeß'fJXOTor; rpaveeov· S7Tl<TT'(JWf/ µ,ev ,yae 7TÜ<Ta 'Y}' TOÜ
aei ,;; TOÜ wr; e,r/ TO 7TOAU. x. T. A.
26 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Aber haben wir denn nicht soeben mit Aristoteles die Eigenthümlich-
keiten des b'v ;w,Ta rruµ,ßeßrrJxoq bestimmt und insofern dennoch einer wis-
senschaftlichen Betrachtung es unterzogen? Allerdings, aber man muß wohl
unterscheiden. Der Begriff des b'v xaTa rruµ,ßeßrrJxoq ist nicht etwas von
dem, dem es zukömmt Öv xaTa rruµ,ßeßrrJxoq zu sein, wie der Begriff des
Individuums ja auch kein Individuum selbst ist. Wie darum zwar keine Wis-
senschaft der Individuen möglich ist, 35 und dennoch der Begriff des Indi-
viduums und sein Verhältniß zur Species u. dgl. wissenschaftlich erörtert
und das Individuum im Allgemeinen in die individuelle Substanz und in
das individuelle Accidenz zerlegt werden kann: 36 so wird auch durch die
Unmöglichkeit einer wissenschaftlichen Betrachtung der Dinge, denen es
zukömmt xaTa rruµ,ßeßrrJxoq zu sein, nicht die Möglichkeit aufgehoben,
das, was xaTa rruµ,ßeßrrJxoq eTvat ist, als solches wissenschaftlich zu betrach-
ten. So darf es uns denn auch nicht wundern, wenn im siebenten Kapitel
des fünften Buches der Metaphysik* die verschiedenen Weisen des Öv xaTa
rruµ,ßeßrrJxoq unterschieden werden. ,,Wenn wir sagen," heißt es dort, ,,der
Mensch sei tonkundig und der Tonkundige Mensch, oder der Weiße ton-
kundig oder dieser weiß, so thun wir es in dem letzteren Falle, weil Beides
ein und demselben zufällig zukömmt, in dem ersten dagegen, weil es (das
Tonkundigsein) zufällig in diesem Seienden sich findet; von dem Tonkun-
digen aber sagen wir, er sei Mensch, weil diesem das Tonkundigsein zufällig
zukömmt." 37 Hier sind also drei Weisen angegeben. Es ist nämlich entweder
1) ein Suppositum xaTa rruµ,ßeßrrJxoq, insofern ein Accidenz ihm zufällig
zukömmt, oder es ist 2) das, was zufällig in einem Suppositum sich findet,
insofern es diesem zukömmt, ein Öv xaTa rruµ,ßeßrrJxoq oder es ist endlich 3)
da, wo Mehreres xaTa rruµ,ßeßrrJxoq demselben Suppositum zukömmt, auch
von ihnen das eine ein Öv XaTa rruµ,ßeßrrJxoq durch das Sein des anderen. So
ist der Weiße tonkundig und derTonkundige weiß.
Die Verschiedenheit dieser drei Weisen des b'v xaTa rruµ,ßeßrrJxoq leuchtet
ein. Eher könnte man gegen ihre Vollzähligkeit Zweifel erheben. Denn einmal
35 Anal. post. I, 13. p. 81, b, 6. TWJ/ ,yae xaS-' exa<TTOJ/ 0 attT;J''i']O"IS"" ou ,yae evlJexeTat
Aaße'iv aUTWJ/ T'f/J/ em<TT'(//J,'i']J/.
36 Categ. 2. p. 1, b, 6.
37 Metaph. ~, 7. p. 1017, a, 13. TOJ/ ,yae ävS-ewrrov öwv /J,OUITIXOJ/ Ae,ywµ,ev xai TOV
/J,OUITIXOJ/ ävS-ewrrov, 'Y)' TOJ/ Aeuxov /J,OUITIXOJ/ ,;; TOÜTOJ/ Aeuxov, TO µ,ev ÖTt äµ,cpw
T/{J aUT/{) uuµ,ßeßrhxaut, TO 15' ÖTt uuµ,ßeß'i'}xe T/{) ÖvTt· TO IJe /J,OUITIXOV ävS-ewrrov,
ÖTt TOUTl/) TO /J,OUITIXOV uuµ,ßeß'i'}xev.

* S. Einl.AS LXXXVIII.
ZWEITES KAPITEL. 27

scheint das Tonkundige nicht bloß von dem Menschen, sondern auch von dem
tonkundigen Menschen prädicirt zu werden, und zwar hier, wie es scheint, mit
Nothwendigkeit, und dennoch ohne innere Einheit. 38 Hier scheint also eine
andere Weise des oll xaTa (Tuµ,ßsß'Y)xoq vorzuliegen, wonach dann die Zahl
derselben um ein vielfaches vermehrt würde. Sodann haben wir gesehen, daß
manchmal auch Negationen xaTa (TUµ,ßsß'Y)xoq seiend genannt werden, und es
fragt sich, ob diese eine eigene Weise des oll xaTa (Tuµ,ßsß'Y)xoq bilden werden,
oder sich auf eine der erwähnten zurückführen lassen.
Um auf das Letzte zuerst zu antworten, so entscheidet Aristoteles in dem
unmittelbar Folgenden selbst diese Frage dahin, daß solche Negationen, die
xaTa (Tuµ,ßsß'Y)xoq sind, sich auf die zweite Weise des b'll xaTa (Tuµ,ßsß,fJxoq
zurückführen lassen. 39 Alles, was nicht ist, ist nicht weiß, wenn daher irgend
ein Nichtweißes ist und lebt und Mensch ist, so ist es ihm zufällig, daß es
hier einem Suppositum zukömmt, und es existirt xaTa (TUµ,ßsß'Y)xoq, weil
dieses existirt, ebenso wie das Weiße Mensch ist u. dgl. Natürlich wird aber
Aristoteles nicht eine Rückführung auf jene dritte Weise gänzlich ausschlie-
ßen wollen; sie findet überall statt, wo einer Negation ein Accidenz beigelegt
wird, wie wenn man sagt: das Nichtweiße ist grün oder roth, groß, gelehrt,
oder was es sonst sein möge. Nur nach der ersten Weise kann es bei Nega-
tionen kein b'll xaTa (Tuµ,ßsß'Y)xoq geben, da ja die Aufhebung der Substanz
alles accidentelle Sein mitaufhebt, 40 und somit ein Nichts der Substanz nach
nicht xaTa uuµ,ßsß'Y)xoq seiend sein kann. Wird aber z. B. von dem Klee
das Nichtdreiblätterige prädicirt, so ist hier nicht ein µ,'Y) b'll xa:3-' auTo ein
reelles Oll xaTa uuµ,ßeß'Y)xoq, sondern ein b'll xa:3-' aUTO ist ein µ,'Y) b'll xaTa
uuµ,ßsß'Y)xoq, das dann allerdings auf die erste Weise zurückgeführt werden
mag; denn dem Klee kömmt es zufälligerweise nicht zu, daß er dreiblät-
terig ist. Wenn man den Unterschied von dem „nicht ein Dreiblätteriges
sein" und „ein Nichtdreiblätteriges sein" betonen wollte, 41 so wäre zu erwi-

38 Vergl. Metaph. t::,., 6. princ. und ibid. 9. princ., was über das e'v XaTa uvµ,ßeß7Jxo,;
und TO aUTO xaTa uvµ,ßeß7Jxo,; gesagt wird*.
39 Metaph. t::,., 7. p. 1017, a, 18. Ol!TW lJe AS'}'eTal xai TO /J,'YJ AeVXOJJ elva,, ÖTI i[>
uvµ,ßeß7JXel/ exüvo, SIJ'Tll/. {vgl. Anm. 19}
40 Categ. 5. p. 2, b, 5. /J,'f/ OUIJ'Wl/ oöv TWJJ 1'C(2WTWJJ OUIJ'IWJJ alJuvaTOJJ TWll äUwv Tl
slva,. Vergl. u. Kap. 5. §. 6.
41 An einer Stelle der Anal. post. {Anal. prior. I, 46?} macht Aristoteles diesen Unter-
schied in folgender Weise deutlich. Wie „ich kenne nicht einen Weißen" und „ich
* S. Einl.AS LXXXVIII.
28 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

dem, daß die Prädication eines solchen Övoµ,a aoeurTov dann kein reelles b'v
xaTa rruµ,ßeß'f/XOq, sondern ein Öv wq a/\'f)::teq xaTa rruµ,ßeß'f/XOq prädiciren
würde, 42 worüber wir auf das folgende Kapitel verweisen.
Auf das erste Bedenken ferner ist ebenfalls zu erwidern, daß wenn der
tonkundige Mensch tonkundig genannt wird, auch dieses keineswegs eine
neue Weise des öv xaTa rruµ,ßeß'f)xoq constituirt. Die Behauptung, der ton-
kundige Mensch sei tonkundig, ist nämlich nur scheinbar eine Behauptung,
in der That besteht sie aus zweien, die auch zwei bleiben, wenn dem ton-
kundigen Menschen ein einziger Name beigelegt wird. Die eine ist die, der
Tonkundige sei tonkundig, und diese ist eine Tautologie, und der Tonkun-
dige als Tonkundiger ist ein Öv xa:J' avTo. In dieser Behauptung wurzelt
daher auch die Allgemeinheit und Nothwendigkeit des Satzes. Die zweite
ist die, der Mensch sei tonkundig, und hier haben wir offenbar ein Öv xaTa
rruµ,ßeß'f)xoq nach der ersten der zuvor angeführten Weisen. Ein Blick auf
das, was Aristoteles De interpretatione, cap. 11. sagt, kann davon überzeu-
gen, daß diese Lösung, wie aus sich klar und einleuchtend, auch der Mei-
nung des Aristoteles entsprechend ist. 43
Somit bleiben uns die schon oben aufgeführten drei Weisen des b'v xaTa
rruµ,ßeß'f)xoq, d. i. jenes Seienden, welches durch ein ihm fremdes, zufällig
mit ihm vereinigtes Sein seiend genannt wird, als erschöpfend, allein übrig;
nämlich 1) jenes, welches ein Seiendes ist, insofern ein Seiendes ihm zufal-
lig inhärirt; 2) jenes, welches ein Seiendes ist, insofern ein Seiendes ihm
zufällig subsistirt, 3) endlich jenes Öv xaTa rruµ,ßeß'f)xoq, welches ein Seien-
des ist, insofern ein Seiendes mit ihm zugleich demselben Subjecte zufällig
zukömmt. So viel von dem Seienden in dieser ersten und uneigentlichen
Bedeutung des Namens.

kenne einen Nichtweißen", so unterscheiden sich strenggenommen auch „ich bin


nicht ein Weißer" und „ich bin ein Nichtweißer".
42 Vergl. De interpr. 14. p. 23, b, 15.
43 De. Interpr. 11. p. 20, b, 13. TO /Je e'v xaTa 1TON.Jiw ,;; 1TOMa xa:3-' evoq
xaTar.pavat,;; a1ror.pava1, eav µ,'f} iiv Tl 0 TO ex TWV 1TOMWV IJ'f/1\0Uµ,evov, oux erTTI
xaTar.parTtq µ,fa ou/Je a1ror.parT1q. Ae,yw /Je e'v oux eav Övoµ,a e'v 0 xefµ,evov, µ,'f} 0
/Je iiv Tl e; exefvwv, olov o ävS-ew1roq iuwq erTTI xa, scpov Xat IJl1TOUV xat '1}µ,eeov,
a,Ma xat iiv Tl ,Yll!STal ex TOUTWV" ex /Je TOU /\euxofJ Xat TOU avS-ew1rou xat TOU
ßaiJfse1v oux iiv. WrTTe oih' eav iiv Tl xaTa TOUTWV xaTar.p'Y)rT'(J Ttq µ,fa
xaTar.parTtq, a/\Aa ((!Wl!'f} µ,ev µ,fa xaTar.parTetq /Je 1TOAAai, oÜTe eav
xa:3-' evoq TaUTa, aM' oµ,ofwq 1TOMaf.
Drittes Kapitel.
Das b'v w; aA"f}<J-e;, das Seiende in der Bedeutung des Wahren.
Wir gehen zur Erklärung des b\, wq aA'fJ';;}eq über, mit welchem Namen Ari-
stoteles einen zweiten Begriff, der unter dem vieldeutigen Öll Raum gefunden
hat, näher bestimmt.
Was heißt das „Oll wq aA'f)';;}eq" oder wie Bessarion übersetzt „ens tanquam
verum"? Offenbar heißt das wq soviel als „in der Bedeutung von", und es ist
das o'll wq aA'fJ';;}eq somit das Seiende, das in dem Sinne des Wahren gesagt
wird. Die Begriffe der Wahrheit und Falschheit werden daher denen des Oll
wq aA'f)';;}eq und des ihm entgegengesetzten fllf) Oll wq t/;eürJoq entsprechend
sein.

§ 1. Von dem Wahren und Falschen.


Von dem Wahren und Falschen spricht Aristoteles an vielen Stellen der
Metaphysik nicht allein, sondern auch seiner übrigen, besonders seiner logi-
schen Schriften und in dem dritten Buche 1rse1 t/;uxijq. Wie bestimmt er nun
dort das Wahre und Falsche?
Was uns Aristoteles wiederholt einschärft, ist, daß Wahrheit und Falsch-
heit nur in den Urtheilen, affirmativen oder negativen, sich finde. ,,Das
Wahre oder Falsche," sagt er De anim. III, 8., ,,ist eine Verbindung von
Begriffen des Verstandes. " 1 „Das Wahre oder Falsche," sagt er ebenso im
vierten Buche der Metaphysik,2 „ist nichts Anderes als ein Bejahen oder Ver-
neinen." Zwar gibt es noch eine andere Weise des geistigen Erkennens, die
kein Urtheilen ist, wodurch wir Ungetheiltes, Einfaches erfassen, wodurch
wir das Wesen der Dinge uns begrifflich vorstellen, allein ihm kömmt, wie
das Buch der Kategorien, De interpretatione, das dritte Buch De anima3 und

De anim. III, 8. p. 432, a, 11. O'LJ/J,1TAOX'f} 7ae VO'YJ/J,UTWV S<TTI TO aA'YjS-e,; ,rj t/;sülJo,;.
2 Metaph. r, 8. p. 1012, b, 8. (nach der Verbesserung von Bonitz, observ. crit.
{Observatio,ne~ criti~ae „in A~fstofelis {!b;os lv(etaph~si<;os, s; ~!
nl.~S, A,nm. 66}
S. 117 f.) et lJs µ,'YjS-ev aMo 'YJ cpavat 'YJ a1rocpava1 TO aA'YJS-e,; 'f/ t/;sulJo,; e<TTtv . ...
Alexander gibt die Stelle mit folgenden Worten wieder: ei µ,'YjlJev aMo TO aA'Yj-
S-e,; S<TTIV 'Y/ O!JTW,; exov cpavat O!JTW,; exe1v, xai 1TUAIV TO O!JTW,; exov a1rocpava1
t/;sülJo,; • ... Schol. 685, b, 2. {Al. in Met. (s. Einl.AS Anm. 21) 339.3-5}
3 De anim. III, 6. p. 430, a, 26. 'f/ µ,ev oöv TWV alJ1a1efrwv VO'Yj<Tt,; ev TOIJTOt,;, 1TeQI
ä oux S<TTI TO t/;sülJo,;· ev ol,; lJe xai TO t/;sülJo,; xai TO aA'YjS-e,;, <TLJVS-euf,; Tt,; -iflJ'YJ
VO'YJ/J,UTWV W<T1TeQ e'v OVTW)) . ... b, 1. TO 7ae t/;eülJo,; ev uuvS-euet aef· xai 7ae äv
30 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

das sechste Buch der Metaphysik einstimmig erklären, weder Wahrheit noch ·
Falschheit zu, und ebensowenig findet sie sich, wie in der zuletzt citirten
Stelle beigefügt wird, in den Dingen außerhalb des Geistes. 4 So geschieht
es denn, daß Aristoteles De interpr. 4., wo er eine Definition des Unheils
geben will, es gerade durch das Merkmal bestimmt, daß ihm Wahrheit und
Falschheit zukomme. ,,Nicht jede Rede," sagt er, ,,ist eine Aussage, sondern
nur jene, der es zukömmt, Wahres oder Falsches zu sagen. "5
Allein so entschieden auch Aristoteles an diesen und andern Orten das
Urtheil zum alleinigen Träger von Wahrheit und Falschheit macht, so ent-
schieden er den Dingen außerhalb des Verstandes und den Begriffen außer-
halb der Zusammensetzung jede Theilnahme an Wahrheit und Falschheit
abspricht, so scheint er doch an andern Orten das gerade Gegentheil zu
behaupten. Hören wir ihn nur, wie er im fünften Buche der Metaphysik die
verschiedenen Arten des Falschen aufzählt. Er beginnt gleich damit, daß er
sagt: ,,Das Falsche wird so genannt in der einen Weise, wie wenn man ein
Ding falsch nennt, und zwar entweder weil eine Aussage, die es bezeich-
net, zusammenfügt, was nicht zusammengefügt ist, oder nicht zusammen-
gefügt werden kann, wie wenn man sagt, die Diagonale sei der Seite des
Quadrats commensurabel, oder du sitzest. Denn hievon ist das Eine immer,
das Andere aber im Augenblick falsch. In dieser Weise ist nämlich das Fal-
sche ein Nichtseiendes. Anderes aber wird falsch genannt, was zwar ein Sein
hat, aber so beschaffen ist, daß es entweder nicht, wie es ist, oder als etwas,
was es nicht ist, erscheint, wie z. B. ein Schattenriß und ein Traum. Denn
diese sind wohl etwas, aber nicht das, dessen Vorstellung sie erwecken. Fal-
sche Dinge also werden so genannt, entweder weil sie nicht sind, oder weil
sie die Vorstellung von etwas, was nicht ist, erwecken. "6 - So wird also hier,

TO AeLJXOV /Jff/ AeLJXOV, TO /Jl(} AeLJXOV rruve:J'f}xev. eviJe:;ceTat lJe xai (5/(l,/(leUIV cpava,
1TaVTa. Vergl. Categ. 4. p. 2, a, 7. De interpr. 1. p. 16, a, 12.
4 Metaph. E, 4. p. 1027, b, 20. TO µ,ev 7ae aA'f}:Jec; T'Y)V xaTacparr,v eni TqJ
rru7xe1µ,evcp exs1, T'()V iJ' anocparr,v eni Tl/) 151'(/(l'f//J,P-Vcp, TO lJe t/;sülJoc; TOUTOLJ TOÜ
/J,8(2/U/f,OÜ T'Y)V avTtcparr,v . ... {b25} ou 7ae SUTI TO t/;sülJoc; xai TO aA'f):Jec; SV Tote;
1T(2a7µ,arr1v, olov TO µ,ev a7a:Jov aA'f):Jei;, TO lJe xaxov euWi; t/;eüiloi;, aJ..X SV
iJ,avolq,· 1Te(2l <5S Ta anNi xai Ta Tl SUTIV ouiJ' ev T'Ö (5/(l,VOl(I,.
5 De interpr. 4. p. 17, a, 2. anocpavTtxoi; lJe ou nai; [sc. Ao7oi;], aJ..X ev qi TO
aA'f}:JeuetV,;; t/;suilerr:Je, 1maexs1.
6 Metaph. /:1, 29. p. 1024, b, 17. TO t/;sülJoi; Ae7eTal äMov µ,ev T(201TOV wi; 1T(2a7µ,a
t/;eüiloi;' xai TOUTOLJ TO µ,ev Tl/) /J,'YJ rru7xeirr:Ja1 ,;; alJuvaTOV alva, ULJVTe:Jrtjva,1'
WU1Te(2 AP-,YST(l,/ TO T'Y)l/ iJ,aµ,eT(!Oll elva,1 rruµ,µ,eT(!OV 'l) TO r;e xa;:,f}r;;:,a,,- TOUTWV
7ae t/;eülJoi; TO µ,ev asl, TO lJe 1TOTe· OllTW 7ae oux Övw TaÜTa. TU lJe Örra, SUTl µ,ev
DRITTES KAPITEL. 31

dem Wortlaute nach wenigstens im Widerspruche mit der oben aus dem
sechsten Buche citirten Stelle (ou ,yae 80-T/ TO t/;auJoq xat TO a/V'l)S-aq ev
-ro7q rrea7µ,ao-1v), von einer mehrfachen Weise gesprochen, wie Dinge falsch
genannt werden können. Aber auch in den sensitiven Kräften, in der Phan-
tasie und in den äußern Sinnen, soll sich, wie in den Büchern von der Seele
crelehrt wird, Wahrheit und Falschheit finden. ,,Der äußere Sinn," heißt es im
V
dritten Buche, Kap. 3., ,,ist in Bezug auf sein eigenthümliches Object wahr,
oder doch nur sehr selten der Falschheit zugänglich. Aber der Sinn erstreckt
sich auch auf dasjenige, dem das, was zum eigenthümlichen Gegenstand sei-
ner Wahrnehmung gehört, accidirt, und hier trifft es sich wohl, daß er falsch
ist u. s. f." 7 Ebenso vorher in demselben Kapitel von der Phantasie: ,,Die
äußeren Sinne sind immer wahr, die Vorstellungen der Einbildungskraft
aber meistentheils falsch." ,,Es gibt nämlich auch falsche Einbildungen. "8
Endlich schreibt das sechste Kapitel desselben Buches auch dem vorstellen-
den Verstande Wahrheit zu: ,,Die Aussage sagt etwas von etwas aus, wie die
Bejahung, und eine jede ist wahr oder falsch; doch nicht so jegliches Den-
ken, sondern der Gedanke, der das Wesen seinem Begriffe nach darstellt, ist
wahr und sagt nicht eines vom andern, sondern er ist wahr, wie das Sehen
des eigenthümlichen Objectes (sc. der Farbe) wahr ist. "9 Dennoch werden
auch unter den Begriffen außer den wahren falsche unterschieden, wenn
Metaph. 1:::.., 29. also fortfahrt: ,,Ein Begriff aber ist falsch, der, insofern er
falsch ist, ein Nichtseiendes darstellt. Daher ist jeder Begriff falsch von allem
Anderen, als dem, wovon er wahr ist, wie z. B. der wahre Begriff des Kreises

OJ/Ta, 1T8(()UXe µ,evTOI cpa1vsa-S-a1 ,;; /J,'Y} ola SITTIJ/,;; ä wfi SITTIJ/, OfOJ/ 'Y/ o-x1wyeacp1a
xai TU evu1rv1a· Taiha ,yue SITTI µ,ev Tl, aM' oux div eµ,1ro1e1 T'Y}J/ cpal1Ta1Ttav.
1rea,yµ,aTa µ,ev OUJ/ i{;sulJiij Ol/TW Ae'}"eTal, '/)' Tq) /J,'Y} elvat auTa, ,;; Tq> T'Y}J/ an'
auTWV cpavTao-Eav /J,'YJ ÖvTo<; elva,.
7 De anim. III, 3. p. 428, b, 18. 0 ai'o-:J-'f)ITI<; TWJ/ µ,ev i1JEwv a/\'f):J-'()<; SITTIJ/ ,;; ÖTI
01\l'}"IITTOJ/ exouo-a TO if;sü<Jo<;. /JeUTe(!OJ/ <Je TOÜ o-uµ,ßeß'fJX8J/al wüw· xai evwü:J-a
'Y}/J'f/ SJ/<58,%eTal <J1aif;su<Je1T:J-a1· ... T(!ITOJ/ <Je TWJ/ XOIJ/WJ/ xai S1TO/J,8J/WJ/ TOI<;
o-uµ,ßeß'fJXOITlli, oli; u1raexs1 TU i'<J1a· ... 1Te(ll (1, µ,a/\tlTTa 'Y}/J'f/ SITTIJ/ a1raT'f):J-f)va1
xaTU T'Y}J/ aiu:J-'f)ITIJ/, Vergl. ibid. 427, b, 11.
8 Ibid. p. 428, a, 11. sfra ai µ,ev {sc. die alo-:J-'()1Tet<;I a/\'f):J-ei<; als[, ai <Je <paJ/TalTtat
'}"IJ/OJ/Tat ai 1T/\etou<; if;su<Jei<; . ... a, 18. SITTI ,yue <paJ/TalTta xai lpeU/5'()<;. Vergl.
Meraph. r, 5. p. 1010, b, 1.
9 De anim. III, 6. p. 430, b, 26. SITTI 15' 0 µ,ev <palTt<; Tl xaTa TlliO<;, WIT1Te(l 0
xaTa<pao-1<;, xai aA'f):J-'Y}<; '1) lpeU<J'Y}<; 1ra1Ta' 0 <Je J/OÜ<; OLJ 1ra<;, aM' 0 TOÜ Tl SITTI
xaTU TO Tl 0v elva, [d. h. insofern er erkennt, was eine Sache ist] a/\'f):J-'()<;, xai 01)
Tl xaTa TIJ/0<;' aM' WIT1Te(l TO oeav TOÜ 1/JIOU a/\'f):J-ei;.
32 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

ein falscher für das Dreieck ist ... Andere Begriffe aber sind in der Art falsch,
daß ihnen schlechthin nichts entspricht." 10
Wie lösen wir nun den Widerspruch zwischen diesen letzteren und den
zuerst angeführten Aussprüchen unseres Philosophen? Einfach dadurch, daß
wir zwischen „wahr" und „wahr", ,,falsch" und „falsch" unterscheiden. Wie.
der Name des Seienden, den wir nach seinen verschiedenen Bedeutungen
in dieser Abhandlung kennen lernen, ist auch „das Wahre" ein vieldeuti-
ges Wort, das dem Einen und Andern in homonymer Weise zugesprochen
wird. In einem andern Sinne spricht man von Wahrheit, wenn man von
dem urtheilenden Verstande, in einem andern, wenn man von der Wahrheit
einfacher Vorstellungen und Definitionen redet, oder wenn man die Dinge
selbst wahr nennt. Allen diesen kömmt nicht ein und dasselbe, wenn auch
eine Beziehung auf ein und dasselbe zu, sie werden nicht in der gleichen;
sondern in analoger Weise wahr genannt (nicht xa:3-' ev, wenn auch viele
leicht 1T(lOc; ev xai µ,[av (()V(J"ll), Metaph. r, 2. p. 1003, a, 33., nicht XaTa
µ,[av /(Jeav, wenn auch xaT' avaAory[av, Eth. Nie. I, 4. p. 1096, b, 25.).11
Um dies klarer zu machen, ist es nöthig, nochmals genau darauf zu ach-
ten, was Aristoteles eigentlich unter Wahrheit verstehe. Die Wahrheit ist ihm
die Uebereinstimmung der Erkenntniß mit der Sache. Dies sprach er in der
schon oben citirten Stelle, Metaph. E, 4. p. 1027, b, 20, 12 deutlich genug
aus: ,,Das Wahre bejaht, wo Verbindung, verneint, wo Trennung ist, das Fals
sehe aber hat auf seiner Seite bei Beidem das contradictorische Gegentheil.'~
Noch klarer sagt es das zehnte Kapitel des neunten Buches: ,,Wahr denkt, wer
das Getrennte für getrennt und das Verbundene für verbunden hält, es irrt
aber, wer das der Wirklichkeit Entgegengesetzte behauptet;" 13 woraus dann ·
der Unterschied der ewigen, nothwendigen und der temporären, wandelba-
ren Wahrheiten sich ergibt: ,,Wenn also Einiges immer zusammenbesteht
und unmöglich getrennt werden kann, Anderes aber immer getrennt ist und
keine Vereinigung zuläßt, Anderes endlich des Entgegengesetzten fähig ist:

10 Metaph. !::,., 29. p. 1024, b, 26. J..07oq lJe t/;eulJ0q oTWV /J,'f/ OVTWV ri t/;eulJ'f}q [Ao7oq
ist hier der Begriff oder die Definition von etwas]. lJ,o 1raq J..67oq t/;eulJ0q heeou ,ij
ou eo-Ttl) aA'f}S-'f]q, olov oTOU XUXAOU t/;wlJ'f}q T(ll','WVOU . ... {631} olJe t/;eulJ'f}q Ao7oq
ouS-evoq EO-T/l) a1TAWq Ao7oq.
11 Ueber den Begriff der Analogie s. u. Kap. 5. § 3.
12 S. o. S. 30 Anm. 4.
13 Metaph. 0, 10. p. 1051, b, 3. WO-Te aA'f}S-euet µ,ev o TO (It'(l(l'f}/J,elJOl) oloµ,evoq
lJ1a1eeTo-S-a1 xa/ TO o-u7xefµ,evov o-u7xeTo-S-a1' et/;euo-Tat lJe OevavTtWq exwv '1)' T/1,
1T(2a7µ,aTa.
DRITTES KAPITEL. 33

... so wird über das Letztere dieselbe Meinung und dieselbe Rede wahr und
falsch und kann bald Recht haben und bald irren; über das aber, was nicht
anders sein kann, wird sie nicht bald wahr, bald falsch, sondern dieses bleibt
für immer wahr und falsch." 14 Aus derselben Forderung der Uebereinstim-
mung des wahren Denkens mit der Sache, die gedacht wird, ergibt sich dann
für Aristoteles auch die weitere Folgerung, daß, wo keine Zusammensetzung
in den Dingen vorhanden ist, dieselben auch vom Verstande nicht durch
Zusammensetzung, d. h. durch Verbindung eines Prädicates mit einem Sub-
ject, erkannt werden. ,,Was ist," fragt er, ,,bei dem Nichtzusammengesetzten
sein und nichtsein", ,,wahr und falsch"?" - Und er antwortet darauf, das
"Erfassen und Aussprechen sei hier wahr (nicht dasselbe nämlich sei Beja-
hen und Aussprechen - xaTacpa,rnc; und cparnq; vergl. darüber De interpr.
4, p. 16, b, 27.), und dem Wahren stehe hier nicht der Irrthum, sondern
die Unkenntniß gegenüber. 15 So behauptet denn Aristoteles insbesondere in
Bezug auf die Ideen, die man von einfachen Substanzen, von solchen näm-
lich, die von aller Materie und Potentialität frei, wie die Gottheit, reine For-
men, schlechthin einfache Acte sind, hat, sie könnten durchaus nicht durch
ein zusammensetzendes Denken, sondern nur durch ein einfaches Erfassen
erkannt werden, weßhalb hinsichtlich ihrer keine Täuschung, sondern nur
Kennen oder Nichtkennen möglich sei. ,,In Bezug auf die nichtzusammen-
gesetzten Substanzen," sagt er, ,,kann man sich nicht täuschen." ,,Ueber das-
jenige, was ein Was und actuell ist, ist keine Täuschung, sondern nur Kennt-
niß oder Unkenntniß möglich." 16

14 Ibid. b, 9. ei 'l10 Ta µ,ev ae/ O"IJ,YXS/Ta/ xa/ a'lJuvaTa 'l11a1ee:Jriiva1, Ta 'lJ' ae/
'lJvfie'YJTa/ xa/ a'lJuvaTa O"UJ/TS;j'Y}J/al, Ta 'l}' ev'lJexeTa/ T(J,J/aJ/Tla ... 1Te(2l µ,ev OÜJ/ Ta
ev'lJsxoµ,sva 'Y/ aUT'f) 'Yl'YJleTa/ t/;w'l10s xa/ (1,/Vi'};:;'f)q 'lJo;a xa/ () Ao7oq () aUTOf;, xa/
ev'lJexeTal OT8 µ,ev aA'Y);:)-eue,v OT8 'lJe t/;eu'llerr;:;a,· nee/ 'lJe Ta a'lJuvaTa äMwq exe,v
01./ 'Yl'YJISTa/ OT8 µ,ev (J,/1.'Yj;:;eq OT8 'lJe t/;efJ'lJoq, aM' ae/ TaÜTa (J,/1.'Yj;j'Y} xa/ t/;eu'l10,
15 Metaph. 0, 10. p. 1051, b, 17. nee/ 'lle 'l10 Ta (J,(J"l)J/;:)-em Tl TO elva, ,yj /J,'f) e7va, xa/
TO aA'Y);:)-eq xa/ TO t/;efJ'lJoq; ... {623} aM' errTI ... TO µ,ev ;:;,7üv xa/ cpava, aA'Y);:)-eq
(ou 7ae Tal.JTO xaTacparr,q xa/ cparr1q), TO 'lJ' a7voüv /J,'f) ;:)-177aJ1e/J/,
16 Ibid. b, 26. oµ,01wq 'lJe xa/ nee/ Taq /J,'f) (J"UJ/;:)-eTaq 01.JO"laq· 01./ 7ae errT/J/ anaT'Yj:Jrijva,.
xa/ narra1 elrr,v evee7e1q,, 01./ 'lJuvaµ,e,. e717J10J/TO 7ae äv xa/ ecp;:)-e1eovTO. vfJv 'lJe
TO b'v al.JTO 01.J 'Yl'YJISTa/ ou'lJe cp;:;e1eeTa/' ex T/J/0f; 7ae äv e717veTO. Örra 'li'r) eO"T/J/
Önee dval Tl Xat evee7e1q,, nee/ TaÜTa 01.JX errT/J/ anaT'Y);:;'Y}va, aM' 'Y) J/OSIJ/ 'Y) /J,'r).
Ueber das Tl errT1 ist, wie hier bemerkt wird (im Einklange mit dem im 3. Buche
De anim. Gesagten), nur xaTa rruµ,ßeß'Y)xoq ein Imhum möglich; dies gilt daher
auch von den einfachen Substanzen, bei denen, nach der im 7. und 8. Buche der
Metaphysik entwickelten Lehre, das Seiende und das Tl 0v e7va, identisch sind.
Bei dem Tl errT1 der zusammengesetzten findet jedoch in doppelter Weise ein Irren
34 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Aus diesem Allen bestättigt sich also unsere obige Behauptung, daß nac
Aristoteles die Wahrheit in der Uebereinstimmung des Verstandes mit d
Sache, in der Conformität beider bestehe. 17 Diese Relation zwischen De
ken und Sein ist zwar, wie jede Relation, eine wechselseitige; 18 allein di
Umkehr geschieht nicht in derselben Weise, wie bei den meisten Relati
nen. Während die Relation des Wissens zum Gewußten eine reelle Basis i
dem Wissen hat, wird die umgekehrte des Gewußten zum Wissen offenb
bloß durch die Verstandesoperation gesetzt, eigentliche Basis der Relatio
bleibt doch allein dasjenige, was jetzt als ihr Terminus angenommen wird;
das Gewußte ist kein 1reo; Tt, weil es in Relation zu einem Andern stände,
sondern bloß, weil zu ihm ein Anderes in Relation steht. 19

statt (vergl. o. S. 31 f.), nicht bloß indem eine Definition einer anderen als* der
definirten Sache beigelegt wird, sondern insbesondere auch indem sie aus Theilen
gebildet wird, die einander widersprechen. Z. B. wenn man sagen würde, 3 sei eine
continuirliche Zahlengröße. Diese Art des Irrthums ist bei einfachen Substanzen;
deren Wesensbestimmung sich nicht aus Genus und Differenzen zusammensetzen
läßt, ebenfalls unmöglich. Ihr Wesen hat keine Theile, also auch nicht ihr Begriff.
- Wir besitzen keine in solcher Weise in ihrer Einfachheit vollständige, der gött-
lichen Substanz entsprechende Gottesidee. Sollte Aristoteles in dem Folgenden
{0.10 1052al-4}: ,,TO ile aA'f)::tec; TO voüv aUT/1," TO iJe if;süiloc; oux !Io-TIV, oulJ'
(1,7Tll,T'f), aU' U')'VOla, oux o1'a 0 TIJ((JAOT'f)<;" 0 µ,ev ,yae TU({)AOT'f)<; 80-TIV wc;
äv si TO VO'f)TIXOV öJ..w,; /J,'f/ äxo1 Tl<;," uns die Fähigkeit auch zu dieser Erkenntniß
haben beilegen wollen, so würde damit zugleich auch die Möglichkeit eines ontd 0 •

logischen Beweises eingeräumt sein. Aus der also erfaßten Natur des durch sich
nothwendigen Wesens würde seine Existenz unmittelbar gefolgert werden kön-
nen.
17 Man vergleiche hiefür auch noch Categ. 5. p. 4, a, 37. De interpr. 9. u. a. m.
18 Categ. 7. p. 6, b, 28. 7Tll,VTa iJe T(l, 1re6c; Tl 1reoc; avTt<TTee((JOVTa Ae,YeTal, oiov o
iJoüJ..o,; <5e0"1TOTOIJ iJoüJ..o,; AS,YeTal xai () <5e0"1TOT'f)<; iJouJ..ou <5e0"1TOT'f)<;' x. T. A. Vergl.
ibid. p. 7, b, 12.
19 Metaph. b., 15. p. 1021, a, 26. Ta µ,ev ouv xaT' ae1::tµ,ov xai iJuvaµ,tv Ae,YO/J,eVa
1re6,; Tl 1T11,VTa 80-TI 1re6c; Tl Tl/) Ö1ree 80-TIV aMOIJ Ae,yso-::ta1 aUTO ö 80-TIV, aUa
/J,'fj Tq> aMO 1reoc; exüvo· TO ile /J,eTe'f/TOV xai TO 81TIO"T'f)TOV xai TO lJ1aVO'f)TOV Tq>
UMO 1reoc; auTo Ae,yso-::ta1 1re6c; Tl Ae,YOVTal. TO Te ,yae iJ1aVO'f)TOV O"'f)/J,U/Vel ÖTt
SO"TlV auTOÜ iJ1avo1a, oux äo-TI iJ' 'YJ iJ1avo1a 1reoc; TOÜTO oi:i e<TTi iJ1avo1a· iJi,; ,yae
TaUTOV sie'f)µ,evov äv ei?). Was von dem <5taVO'f)TOV und der lJ1avo1a als Potenz gilt,
gilt natürlich ebenso von dem wirklich Erkannten und dem Erkenntnißact, wie
oben a, 17. To ::tseµ,a7vov und To ::tseµ,a1v6µ,svov sich ebenso entsprochen haben,
wie To ::tseµ,avT1x6v und To ::tseµ,avTov. Vergl. Metaph. I, 6. p. 1056, b, 34. p.
1057, a, 9.

* S. Einl.AS LXXXVIII.
DRITTES KAPITEL. 35

Der Grund dieser Lehre, die wir Metaph. t::., 15. finden, ist leicht einzu-
sehen. Die Harmonie oder Disharmonie unseres Denkens mit den Dingen
ändert durchaus nichts an dem Bestande derselben, sie sind unabhängig von
unserem Denken und bleiben davon unberührt. ,,Nicht deßhalb," heißt es
Metaph. 0, 10., ,,bist du weiß, weil wir mit Wahrheit glauben, daß du weiß
seiest." Dagegen hängt unser Denken von den Dingen ab und muß sich, um
zu sein, nach ihnen richten: ,,vielmehr weil du weiß bist, sagen wir, die
wir es sagen, die Wahrheit". 20 Ebenso im fünften Kapitel der Kategorien:
„Darum weil die Sache ist oder nicht ist, wird auch von der Rede gesagt, sie
sei wahr oder falsch. "21 Nicht die Dinge sind Abbilder unserer Gedanken,
unsere Gedanken sind ihnen nachgebildet, wie die Worte den Gedanken
(De interpr. 1. p. 16, a, 6.), 22 und unser Verstand erreicht eben sein Ziel nur,
indem er durch die Wissenschaft zu dieser Conformität mit den Dingen, zur
Wahrheit gelangt. ,,Ilal/Te~ äv~ewnot TOU ellJevat oee,yol/Tal (f)UO"et" heißt es
darum gleich beim Beginne der Metaphysik*.
Das Gute ist das, was der Wille erstrebt, so ist das Wahre das, worauf der
Verstand als sein Ziel gerichtet ist. Allein dieser Unterschied besteht zwischen
beiden: während der Wille nur dann dessen theilhaft geworden ist, was er
verlangt, nur dann seine Befriedigung gefunden hat, wenn das Object seines
Begehrens in Wirklichkeit außer ihm besteht: so hat der Verstand vielmehr
dann sein Ziel erreicht, wenn das Object seiner Thätigkeit auch in ihm Exi-
stenz gewonnen hat. Das Ziel des einen ist auch sein Object, das Ziel des
andern ist die Erkenntniß seines Objects und findet sich also im Geiste selber.
Daher jenes Wort: ,,Das Wahre und das Falsche ist nicht in den Dingen, als
ob z. B. das Gute wahr, das Böse sofort falsch wäre, sondern im Verstande."
Metaph. E, 4.) 23 Das Gute und Böse ist in den Dingen, insofern sie in ihrer

20 Metaph. 0, 10. p. 1051, b, 6. ou 7ae iM TO 'f]µ,ä,,; oi'e<T-S-a, a/1."1}3-w,; /Te /1.eUXOV elvat
et /TV /1.euxo,;, aMa {1/(J, TO /TS elvat /1.eUXOV 'f)/J,el<; oi cpaVTe<; TOLJTO a/1."1}3-euoµ,ev.
21 Categ. 5. p. 4, b, 8. TqJ 7ae TO neä,,yµ,a, elvat 7] /J,'f/ slvat, TOUT'-1) XCJ,I O /1.070,;
a/1."1}3-'fj,; 7] tpeU<J'f/<; elva1 AS')'eTal.
22 De interpr. 1. p. 16, a, 6. div /J,SVTOI TCJ,LJTCJ, IT"f}/J,e/C/, 1r(}_WTW<;, TaUTa 7rÜ,(Tt
1ra-S-7Jµ,aw T!ij,; t/;uxfii,;, xai div TCJ,LJTCJ, oµ,01wµ,aw 1rea7µ,aw 'Y}<1"f} TaUTa. {Bekker,
Waitz 16a7: oµ,01wµ,aTa, 1rea7µ,aTa. Es schien aber besser, es bei Brentanos - der
modernen Standardausgabe Aristotelis Categoriae et Liber de lnterpretatione. Recog-
novit [... ] L. Minio-Paluello, Oxford: Oxford UP 1949, konformen-Weglassung
des Kommas zu belassen.}
23 Metaph. E, 4. p. 1027, b, 20. s. o. S. 30 Anm. 4.

* S. Einl.AS LXXXIX.
36 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH AruSTOTELES

Beziehung zum Willen betrachtet werden, und der Begriff des Guten, wie er
dem Begehrungsvermögen beigelegt wird, entstammt jenem, der der begehr-
ten Sache zukömmt. Wir nennen gut den Willen, der das Gute will. Die
Wahrheit dagegen ist im erkennenden Geiste.
Allein nur dann erkennt der Geist die Wahrheit, wenn er urtheilt. Wenn
die Wahrheit die Konformität des Erkenntnißvermögens mit der gedachten
Sache war, so lag darin, daß nur jenes Erkenntnißvermögen die Wahrheit
erkennt, das seine Konformität mit der Wirklichkeit erfaßt. Dies thut keine
Sinneskraft. Der äußere Sinn, die Phantasie mögen immerhin Abbilder des
Wirklichen in sich darstellen, bis zur Erkenntniß des Verhältnisses dieses Bil-
des zum Objecte gelangen sie nicht. Auch der Verstand gelangt nicht dazu,
so lange seine Thätigkeit auf Vorstellen und Begriffebilden sich beschränkt;
erst wenn er urtheilt, daß die Sache so sei, wie er sie erkennt, erkennt er die
Wahrheit. Daher denn jene Definition des Urtheils (vergl. De interpr. 4.), 24
es sei die Denkthätigkeit, der es zukomme, Wahres und Falsches zu denken.
Wenn es in dieser Weise aber feststeht, daß die Wahrheit im ersten und
eigentlichsten Sinne nur im Verstandesurtheil Raum hat, so schließt dies
nicht aus, daß in secundärer und analoger Weise auch den Kräften der sinn~
liehen Natur und dem begriffbildenden Vermögen, sowie den Dingen selbst
der Name „wahr" beigelegt werden dürfe. Wie der Name der Gesundheit
zunächst dem gesunden Körper zukömmt, dann aber sich ausdehnt, so daß
Einiges gesund genannt wird, weil es gesund erhält, Anderes, weil es gesund
macht, wieder Anderes, weil es ein Zeichen der Gesundheit, oder ihrer
fähig ist (vergl. Met. r, 2. p. 1003, a, 34.): so kömmt der Name Wahrheit
zunächst dem wahren Urtheile zu, geht aber dann auf Begriff und Sinnes-
vorstellung und auf die äußern Dinge über, die ja alle in engem Verhältniß
zu ihm stehen. Denn die Wirklichkeit ist ja das, wovon, wie wir sahen, die
Wahrheit unseres Urtheils abhängt; die Begriffe aber sind es, die eben von
dem urtheilenden Verstande als mit dem Sein conform oder nicht conform
erkannt werden, sie enthalten wenigstens eine Gleichheit mit diesem, eine
Ungleichheit mit jenem Objecte, wenn sie auch die Gleichung nicht vollzie-
hen; und Aehnliches gilt von den Sinnesvorstellungen.
Wir haben also einen mehrfachen Begriff von wahr und falsch: -1) Wahr-
heit und lrrthum im ersten und eigentlichsten Sinne. Sie finden sich nur im
Urtheile. Von diesem gilt es denn auch zunächst, daß es unmöglich zugleich
wahr und falsch sein könne. - 2) Wahr und falsch, wie es der einfachen

24 De interpr. 4. p. 17, a, 2. s.o. S. 30 Anm. 5.


DRITTES KAPITEL. 37

Verstandesperception, den Definitionen und den Sinnen zukömmt. Dies


geschieht in doppelter Weise: einmal, insofern eine Vorstellung oder ein
Gedanke falsch genannt wird, wenn ihm gar nichts Wirkliches entspricht;
alle übrigen sind insofern wahr; sodann aber ist jede Perception und Defini-
tion falsch, insofern sie einem Andern beigelegt wird, als dem, dessen Defi-
nition und Aehnlichkeit sie eigentlich ist, während sie im entgegengesetzten
Falle wahr genannt wird. So ist, wie wir schon oben hörten, jede Definition,
die die wahre Definition einer Sache ist, die falsche Definition einer andern,
z. B. die wahre Definition des Kreises eine falsche für das Dreieck. (s. o.) So
kann denn ein Begriff in gewisser Weise zugleich wahr und falsch sein. Was
wahr ist in sich, kann falsch sein durch die Beziehung auf etwas ihm Frem-
des, und was in sich falsch ist, kann durch Attribution wahr sein, wie z. B.
wenn Einer sagen würde, die Centauren seien fabelhafte Ungeheuer. -3) Die
Wahrheit und Falschheit in den Dingen. Auch diese Weise des Wahren und
Falschen ist den beiden vorher betrachteten verwandt, aber identisch oder
synonym mit keiner von ihnen. Wir haben gesehen, wie das Gute und Böse
nach Aristoteles zunächst in den Dingen ist, wie aber dann auch ein Wille
gut oder böse genannt wird, insofern er etwas Gutes oder Böses begehrt.
Wenn nun dagegen das Wahre und Falsche zunächst im urtheilenden Geiste
sich fand, wie wird ein Ding wahr oder falsch genannt werden? Offenbar nur
insofern es den Gegenstand eines wahren oder falschen Unheils bildet. In
Rücksicht also auf unser Unheil werden die Dinge wal1r oder falsch genannt,
und zwar geschieht auch dies in zweifacher Weise: 1) weil sie sind oder nicht
sind, sei es nun, daß sie sein könnten, aber nicht sind, und daher die Behaup-
tung ihrer Existenz falsch sein würde, oder daß diese gar einen Widerspruch
einschlöße, wie z. B. eine mit der Seite des Quadrats meßbare Diagonale
Metaph. D.., 29. als Beispiel eines solchen falschen Dinges angeführt wird.
Hieher kann denn auch gezogen werden, was im zweiten Buche der Meta-
physik am Ende des ersten Kapitels gesagt wird, daß Jegliches soviel es am
Sein, soviel auch an der Wahrheit Theil habe. 25 Das, was widersprechende
Eigenschaften vereinigt, was unmöglich ist, ist hienach immer falsch und das
Falschste, was zufälliges Sein hat, bald wahr, bald falsch, das nothwendige,
von aller Potentialität freie Wesen dagegen ewig wahr und das Wahrste. 26 2)
Sind die Dinge wahr oder falsch, insofern etwas der Art ist, daß es eine wahre

25 Metaph. a,, 1. p. 993, b, 30. wa-':/ exaUTOV wq 1!xe1 TOU e/va,1, oÜTW xa,/ T'r}S"
aA'fJS-e,aq.
26 Ibid. b, 28. vergl. b, 11.
38 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

oder falsche Meinung von sich hervorruft, wie etwa ein mittels einer Laterna
magica erzeugtes Bild, das leicht für die Person selbst gehalten wird, oder ein
Traum, oder ein Bleistück, das für eine Silbermünze cursirt, in dieser Weise
falsch genannt werden. Auch insofern könnte man sagen, daß dasjenige, was
nicht aus Substanz und Accidenzien, Genus und Differenz sich zusammen-
setzt (s. o. S. 33 f. Anm. 16.), was also, irgendwie in seinem Sein erfaßt,
jede Trüglichkeit nicht bloß, sondern jede Möglichkeit des beizumischenden
Irrthums ausschließt, am weitesten von dem Falschen entfernt sei. - Endlich
wird 4) insbesondere dem Menschen Wahrheit oder Falschheit beigelegt.
Falsch wird Einer genannt, entweder weil er an falschen Reden seine Freude
findet und, selbst wo es keinen weiteren Vortheil bringt, die Unwahrheit zu
sagen liebt, der Lügner; oder weil er Andern falsche Ansichten beibringt,
in welchem Falle er den Dingen gleicht, die einen falschen Schein erwek-
ken. Ihm entgegen steht der Begriff des wahren Menschen; denn Plato hat
Unrecht, der in seinem Hippias dem Kleineren sophistisch darthun will, daß
der Wahre und der Falsche ein und derselbe seien, indem er den, der sich auf
das Lügen versteht, für den Lügner nimmt und so den, der lügen kann, mit
dem, der die Lüge liebt, verwechselt. 27
So erkennen wir aus der Analogie der verschiedenen mit dem Namen des
Wahren und Falschen bezeichneten Begriffe, wie Aristoteles in seinen ver-
schiedenen, oben angeführten Aeußerungen sich keineswegs widersprochen
hat. Der Grundbegriff der Wahrheit bleibt immer der der Uebereinstim-
mung des erkennenden Geistes mit der erkannten Sache.

§ 2. Von dem Wahren und Falschen, in wiefern es bei den Begriffen des
öv wq aA"f}'J-eq und des µ.IYJ Öv wq t/;eurJoq in Betracht kömmt.
Da, wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, die Worte wahr und
falsch von Aristoteles in vielfacher Bedeutung gebraucht werden, so wird
jetzt alles darauf ankommen, zu bestimmen, in welcher dieser Bedeutungen
er sie anwendet, wenn er von dem öv wq aJ.."f}'J-eq und dem WYJ b'v wq t/;eurJoq
handelt.

27 Metaph. !:::., 29. p. 1025, a, 1. Ta µ,ell OÜll OVTW Ae7eTa1 t/;eulfij, Üll:3-ewno,; /Je t/;eulN/,;
0 euxee0,; xai ngoa1geT1xo,; TWll TOIOUTWll 1\0,YWll, /J,'l1 /J,' eT8(20ll Tl aMa /J,' UVTO,
xai OÜM01,; 8/J,'TTOl"f}TIXO,; TWll TOIOUTWll 1\0,YWll, W(Tn8(2 xai Ta nga7µ,aTa cpaµ,ev
t/;eu/Jir1 etllal, ÖO"a eµ,no1e'i cpallTaO"tall t/;eu/Jij. 010 0 Sll T(JJ 'Innir,t 1\070,; nagaxgoueTal
w,; 0 avTO,; t/;eu/J0,; xai 0,/\'f}:3-r/i,;. Tüll /Jwaµ,ellOll 7ae t/;euO"a0":3-a, Aaµ,ßallel t/;eu/Jfq,
oiho,; /J' 0 ei/Jw,; Xat O ip(20lll/J,O,;' STI Tüll eXOllTa cpaÜI\Oll ßeATtW x. T. A. Vergl.
Plato, Hippias min.
DRITTES KAPITEL. 39

Diese Frage scheint nicht schwer zu entscheiden, da sich Aristoteles


Metaph. E, 4. 28 mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig läßt, dahin
ausspricht, daß das ov wq a/vf};:J-eq und das f.JlrJ b'v wq t/;aüioq sich nur im
Urtheile, sei es nun ein bejahendes oder verneinendes, vorfinde. ,,Das Sei-
ende als Wahres und das Nichtseiende als Falsches findet sich bei Verbindung
und Trennung, beides zusammen aber bei der Theilung des Widerspruchs;
das Wahre nämlich hat auf seiner Seite die Bejahung bei dem Verbundenen,
die Verneinung bei dem Getrennten, das Falsche aber hat auf seiner Seite bei
beiden das contradictorische Gegentheil. ... Denn nicht ist das Wahre und
Falsche in den Dingen, ... sondern im Verstande, hinsichtlich der einfachen
Begriffe aber auch in diesem nicht." Offenbar wird hier das Urtheil wahr
und falsch, also auch seiend und nichtseiend genannt, das Urtheil selbst ist
das Subject, dem das Seiende als Prädicat zukömmt. Nicht die Copula, die
in dem Satze selbst Subject und Prädicat verbindet, ist darum das Sein, von
dem hier gesprochen wird, zumal da auch ein verneinendes Urtheil seiend,
ein bejahendes nichtseiend genannt wird, viel mehr handelt es sich hier von
einem Seienden, das von dem ganzen, fertig ausgesprochenen Unheile prä-
dicirt wird. Ein Beispiel mag dies deutlich machen. Nehmen wir an, es wolle
Jemand einem Andern beweisen, daß das Dreieck als Winkelsumme 2 R
habe, und er fordere als Ausgangspunct des Beweises das Zugeständniß, daß
der Außenwinkel gleich den beiden gegenüberliegenden innern Winkeln sei.
Es fragt sich also, ist dies, oder ist dies nicht? d. h. ist es wahr, oder ist es
falsch? - Es ist! d. h. es ist wahr. In diesem Sinne stellen die Analytica poste-
riora die Forderung, daß man das ÖT1 e<TTI der Grundsätze einer Wissen-
schaft vorher erkannt haben müsse. 29
Vergleichen wir nun mit dieser Stelle eine andere, aus dem fünften Buche
der Metaphysik. Hier heißt es im siebenten Kapitel: ,,Ferner bezeichnet das
,Sein' und das ,ist', daß es wahr ist, das Nichtsein aber, daß es nicht wahr,

28 Metaph. E, 4. p. 1027, b, 18. TO /Je wq a)vr/:,eq Öv, xai /Jff/ Öv wq t/;sfi<Joq, B'Trell5'YJ
'Tre(ll IJ'UJJS-e/J'IJJ 8/J'TI xai 15/at(lell'IJJ, TO /Je IJ'UJJOA.OJJ 'Tre(ll /J,e(llll'/J,OJ/ (J,JJTl(pall'eWq. TO
µ,ev '}'U(l aA.'i']S-eq T'Y}J/ XaTacpall'IJJ B'Trl T4J IJ'U'}'Xel/J,8J/qJ BXel, T'Y}J/ 15' (J,1':Q((!U,/l'IJJ B'Trl
T4) l517)(l'i']/J,8VqJ, TO /Je tf;sü/Joq TOl/TOU TOÜ /J,e(llll'/J,OÜ T'Y}J/ aVTl((!U,/l'/JJ • ••• ou ,yae 8/J'TI
TO t/;sfJ/Joq xai TO aA.'i'}S-eq ev TOtq -rrea,yµ,all'IJJ, .•. aM' ev /J1avo1q,· 'Tre(ll /Je Ta a-rrA.ä
xai Ta Tl 8/J'TIJ/ ou/J' ev T'l/ /J1avo1q,.
29 Anal. post. I, 1. p. 71, a, 11. /J,xwq /J' ava,yxa7ov 'Tr(lO,YIJJWIJ'XelJJ" Ta µ,ev ,yae, ÖTI
8/J'TI,1T(lOÜ1ToA.aµ,ßavs1v ava,yxa7ov, Ta /Je, Tl TO Ae,YO/J,eJ/0)) 8/J'TI, ;uv1eva1 /Js7, Ta
/J' äµ,cpw x. T. A. Das erste sind die Grundsätze, von denen natürlich keine Defi-
nition verlangt wird, das zweite die zu beweisenden Eigenschaften, das dritte das,
was v1roxs1µ,svov der Wissenschaft ist.
40 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

sondern falsch ist, bei positiven sowohl, als negativen Aussprüchen, wie z. B.
Socrates ist tonkundig, d. h. dies ist wahr, oder Socrates ist nicht-weiß, d. h.
es ist wahr; dagegen die Diagonale ist nicht commensurabel, d. h. es ist
falsch. "30 Auch hier haben wir wahr und falsch in jener eigentlichen Bedeu-
tung, wie es im Urtheile sich findet; doch bemerken wir zwischen den bei-
den Stellen eine Differenz, die nicht ohne Interesse ist. In der ersten war
das „ist" wie eine Prädicatsbestimmung des Urtheils gebraucht, das als wahr
bezeichnet wurde; dieses nahm seinerseits die Stelle des Subjectes ein: (das
Urtheil) a ist 6, ist (wahr). Hier in der zweiten dagegen macht das „ist" einen
Bestandtheil des als wahr behaupteten Satzes selbst aus, indem es als Copula
Subject und Prädicat verbindet: a ist 6. Wenn dort das „ist" ein vorgelegtes
Urtheil als mit der Wirklichkeit in Uebereinstimmung erklärte, so constitu-
irt es hier selbst das Urtheil. Wenn dort wahr und falsch sowohl von der affir-
mativen als negativen Behauptung prädicirt wurde, so ist hier das „wahr" auf
Seite der Affirmation (wenn sie auch bald eine positive, bald eine negative
Bestimmung beilegt), das „falsch" immer auf der der Negation: ,,Und so ist
in der Bejahung das Wahre, das Falsche in der Verneinung," sagt Alexander
in seinem Commentare zu dieser Stelle; 31 so auch Schwegler, indem er den

30 Metaph. !:::.., 7. p, 1017, a, 31. STI TO elva, (F'()/J,atvel xai TO e<TTIV ÖTI 0,/1.'()!:J,eq, TO !ls
/J,'f} elva, ÖTI ovx 0,/1.'()!:J,eq aMa fefJ!loq. oµ,ofwq eni xaTaq;auewq xai anoq;auewq,
olov ÖTI e<TTI LWX(dCl,T'()q /J,OlJITIXOq, ÖTI 0,/1.'()!:J,eq TOVTO, ,;; ÖTI e<TTI LWX(dCl,T'()q au
Aeuxoq, ÖTI 0,/1.'()!:J,eq· TO !l' ovx e<TTIV 'fJ /l1aµ,eTgoq uuµ,µ,eT(dOq, ÖTI 1/;efJ!loq. (Nach
der Verbesserung von Bonitz annot. crit. zu der Stelle {Observationes criticae in
Aristotelis libros Metaphysicos, vgl. Einl.AS Anm. 66 und 74}. Auch Alexander hat
uuµ,µ,eTgoq gelesen, s. d. f. Anm.)
31 Alex. Aphrod. Schol. p. 701, a, 5. {Al. in Met. 371.36-372.10} erklärt die ganze
Stelle, wie folgt: eTI, (()'()IT/, IT'()/J,a/Vel TO e<TTI xai TO elva, xai TO Öv TO 0,/1.'()!:J,eq, TO
/le /J,'f/ elva, xai TO /J,'f} b'v TO 1/;efJ!loq· TO µ,ev 7ae 0,/1.'()!:J,eq elvaf Te xai Oll q;aµ,ev,
TO /le 1/;efJ!loq /J,'f} elvaf Te xai /J,'f} Öv, oµ,ofwq ev Te xaw<pa<Tel xai anoq;a<Tel, .
TOIJTSITTIV eav Te xaTa<paT1xwq TIVOq xaT'()'}'O(d'()!:J,fJ ä,v Te anoq;aT1xwq. 0 µ,sv
7ae /1.S'}'WV „e<TTI LWX(dCl,T'()q /J,OUITIXOq" 0,/1.'()!:J,eq (()'()ITIV elva, TO Ae'}'O/J,e!IOV, T(p
e<TTIV eni TOV 0,/1.'()!:J,wq xewµ,evoq. oµ,ofwq xai () /1.S'}'WV „e<TTI LWX(daT'()q ov /1.eU-
xoq"' anoq;aTIXWq xaT'()'}'O(dWV TO ov /1.euxoq, 0,/1.'()!:J,wq AB'}'el 1TCJ,/I.IV TO elva, /J,'f}
Aeuxov LWX(dCl,T'()V. Xat oi5Tw µ,sv ev Tf/ xaw<pa<Tel T0,/1.'()!:J,eq, TO /le 1/;efJ!loq ev
Tf/ anoq;aue,, wq Öwv ei7l''i'} Tlq /J,'f} elva, T'f}V /llCl,/J,eT(dOV Tf/ 1TAeU(dq, ITU/J,/J,eT(dOV.
ITUVTasaq 7ae TO T'f)ll /llCl,/J,eT(dOV ITU/J,/J,eT(dOV Tf/ 1TAeU(dq, T(p /J,'f} elva,, 1/;efJ!loq /1.B'}'el
TO elva, TOVTO. o µ,ev 7ae T'f}V xaTa<pa<Tlll /1.B'}'WV 0,/1.'()!:J,eq (()'()ITl)I elva, TO elva1, o
/le T'f}V anoq;au1v ava1ee1 TO elva, wq 1/;efJ!loq Öv. {Brentano ersetzt, auf die Auto-
rität von Bonitz hin, stillschweigend das auuµ,µ,eTgov im Text des Scholion durch
das uuµ,µ,eT(dOV im kritischen Apparat; vgl. Einl.AS Anm. 74. Ferner, das TO vor
dem ersten 1/;efJ!loq fehlt bei Brandis (auch dann bei Hayduck); wir haben es aber
DRITTES KAPITEL. 41

Bekker'schen Text 'Y/ "r11aµ,eT(20<; cu;-uµ,µ,eTQO<; bekämpft: ,,Daß die Diagonale


nicht incommensurabel, d. h. daß sie kommensurabel sei - dies ist allerdings
eine falsche Behauptung: mit andern Worten, der obige Satz enthält eine
falsche Aussage. Allein darum handelt es sich in diesem Zusammenhange
nicht. "32 Der Unterschied ist klar, und Aristoteles spricht ihn selbst deutlich
aus, wo er im vierten Buche der Metaphysik beweisen will, daß wer einen
Satz als wahr oder falsch zugibt, unzählige zugeben müsse: ,,Machen sie hin-
gegen eine Ausnahme, der Eine (der Alles für wahr erklärt) in Bezug auf die
entgegengesetzte Behauptung, diese allein sei nicht wahr, der Andere (dem
Alles für falsch gilt) in Bezug auf seine eigene Behauptung, diese allein sei
nicht falsch, so setzen sie damit nichtsdestoweniger unzählige wahre und
falsche Sätze voraus; denn auch der ist wahr, der einen wahren Satz wahr
nennt, und dies geht so fort ins Unendliche. "33 Trotzdem ist es gewiß rich-
tig, daß wer das erste Unheil füllt, ebensogut eine Gleichung zwischen dem
Verstande, nämlich den darin befindlichen Vorstellungen, und den Dingen
vollzieht, wie wer durch ein zweites Urtheil das erstere Urtheil selbst als mit
dem Thatbestande im Einklang erklärt. Auch ist es sicher, daß das „sein"
der Copula nicht eine Energie des Seins, ein reales Attribut bezeichnet, da
wir ja auch von Negationen und Privationen, von rein fingirten Relationen
und andern ganz willkürlichen Gedankengebilden nichtsdestoweniger etwas
affirmativ aussagen, wie Aristoteles in der oben citirten Stelle Metaph. r,
2.: ,,daher sagen wir auch, es sei das Nichtseiende ein Nichtseiendes, "34 oder
wenn wir sagen: ,,jede Größe ist sich selbst gleich," wo gewiß in der Natur
der Dinge von einem 1T(20<; Tl, wie die Gleichheit doch ist, nichts gefun-
den wird, oder wenn wir sagen: ,,die Centauren sind fabelhafte Ungethüme,
Jupiter ist ein Abgott" u. dgl. Denn daß wir mit allen diesen Affirmationen
keinerlei Realität zuerkennen, leuchtet wohl ein. Das „ist" bezeichnet also
auch hier nur „es ist wahr". ,,Wer die Bejahung ausspricht," sagte Alexander
a. a. 0., ,,sagt, es sei wahr, wer aber verneint, der nimmt das Sein als etwas

nicht getilgt, weil es geradezu verlangt zu sein scheint, und auch Bonitz in seiner
Edition von Alexanders Metaphysik-Kommentar (s. Einl.AS Anm. 74), 332, kon-
jiziert so: ,,fort. TO t/;sulJoq".}
32 Schwegler a. a. 0. III. S. 213.
33 Metaph. r, 8. p. 1012, b, 18. aav ;J' asat(2Wl/Tal o µ,ev TOV S))U,l/TIO)) wq oux
a,).,r/3-0q µ,ovoq arniv, o lJe TO)) avToq aUTOU wq ou t/;sulJ0q, ou.S-ev ,ljTTO)) a:rrsieouq
(J'l)µ,ßaivet U,UTOtq a!Tet(J'S-a,1 ).6,youq aA'f}.S-e'iq xai t/;sulJe'iq· () ,yae Ae,ywv TOV aA'f}S-fi/
Ao,yov aA'fJS-fii aA'f}S-'Y}q, TOUTO ;J' eiq Q,T(e/(20)) ßalJtetTat.
34 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 10. s.o. S. 15.
42 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Falsches hinweg." So ist also das Sein der Copula auch nichts anderes, als
jenes dva1 w; a1vr1'J-e;, und die zuerst angeführte Stelle (E. 4.) will dies,
wenn sie es weniger klar einschließt, gewiß auch nicht ausschließen.
Hieraus ergibt sich aber sofort ein erweiterter Umfang für das b'v wq
a),.rYJ'J-e;, indem nun nicht mehr Unheile allein dazu gehören, sondern
auch die Begriffe in sein Bereich gezogen werden, insofern eine affirmative
Behauptung über sie gebildet, und dadurch das Sein der Copula ihnen bei-
gelegt werden kann; sogar das Nichtseiende ist, weil es ein Nichtseiendes
ist, in dieser Weise „ein Nichtseiendes seiend", 35 also ein ov w;
a/VY}'J-e;, und
überhaupt wird jegliches Gedankending, d. h. Alles, insofern es objectiv in
unserem Geiste existirend Subject einer wahren, affirmativen Behauptung
werden kann, dazu gehören. Nichts, was wir in unserem Geiste bilden, ist so
von aller Realität entblößt, daß es ganz von dem Gebiete des ov w;
a/VY}'J-eq
ausgeschlossen wäre, wie Aristoteles auch bezeugt, wenn er Metaph. f:l, 12.
p. 1019, b, 6. sagt: ,,Auch die Privation (rnee'YJO'tq) ist gewissermaßen eine
Eigenschaft (ä51;); wenn dem nun so ist, so wird Jegliches dadurch, daß ihm
etwas Positives zukömmt, etwas sein. Das Seiende aber ist eben etwas, was in
homonymer Weise gesagt wird. "36 Er will sagen, auch die Privation könne in
gewisser Beziehung wie eine ä51;, also wie ein positiver Zustand betrachtet
werden, woraus dann folgt, daß auch das Beraubtsein ein Haben, nämlich
der Beraubung, ist. Alles ist sonach durch ein Haben, durch eine positive
Beschaffenheit dasjenige, was es ist. 37 Daß aber die Beraubung wie eine äs1s
und etwas, was man hat, bezeichnet werden könne, das komme daher, weil
das Öv homonym gesagt werde, wo denn in einer Weise sogar Privation und
Negation Dinge seien. Es ist dies eben die Weise unseres b'v w;
aA'Y}'J-e;.
Dieses wird immer mit dem wirklichen Sein homonym denselben Namen
führen, auch dann, wenn das Sein in dem Sinne des Wahren, das Sein der
Copula mit Dingen verbunden wird, welchen wohl auch die wirkliche Exi-

35 Wir haben oben, da wir von dem Öv xa,Ta uvµ,ßsß'Y)xo,; handelten, schon eine
Weise kennen gelernt, wie eine Negation ein Seiendes genannt werden könne (s. o.
S. 22). Die Weise, von der wir hier sprechen, ist eine andere, die aber auch in jener
Stelle deutlich hervortritt. Denn wenn dort gesagt wurde, das Nichtweiße sei, weil
das, dem das Nichtweiße accidire (uvµ,ßeß'Y)xs, vergl. dazu De interpr. 13, p. 23,
b, 16), sei, so ist dieses accidiren eben auch schon ein Sein, aber kein reelles, es ist
ein öv w,; aA'Y):3-e,;, weil es wahr ist, daß der Mensch nicht-weiß ist.
36 Metaph. !::.., 12. p. 1019, b, 6. si 15' 'f/ O'TSQ'Y)O'I,; eO'TIV e;t,; nw,;, navw T(p exs1v
äv si71 Tl. oµ,wvuµ,w,; 15e All'}'O/J,llVOV TO Öv. Vergl. r, 2. p. 1003, b, 6.
37 Vergl. Schwegler a. a. 0. III. S. 225.
DRITTES KAPITEL. 43

stenz außerhalb des Geistes nicht fehlt; es wird dann immer von dem ihnen
essentiellen Sein, als etwas Accidentelles, unterschieden werden müssen, da
es, wie wir schon hörten, einem jeden Dinge accidentell ist, wenn in Wahr-
heit etwas von ihm behauptet wird. 38
So bewegt sich die Copula „sein" und das Seiende als Wahres, selbst wenn
das Subject des Satzes ein reeller Begriff ist, doch nur so um die übrige Gat-
tung des Seienden (nse1 TO Aomov ,yevoq TOÜ ÖJJToq), daß dadurch keine
besondere, außerhalb des Geistes existirende Natur des Seienden kund
gethan wird (ovx esw rJ'Y)AOÜO''IJJ OOO"aJJ TtJJa (f)UO"IJJ TOÜ ()JJToq). 39 Es hat seinen
Grund in den Operationen des menschlichen Verstandes, der verbindet und
trennt, affirmirt und negirt, 40 nicht in den höchsten Realprincipien, aus wel-
chen die Metaphysik ihr b'v ri Öv zu erkennen strebt. Es ist daher ebenso, wie
das b'v xaTa O"Uµ,ßeß'Y)xoq, von der metaphysischen Betrachtung auszuschlie-
ßen.41 Allein damit ist noch nicht gesagt, daß es, wie dieses, gar keiner wis-
senschaftlichen Behandlung fähig wäre; im Gegentheil, es sollen, sagt Ari-
stoteles, Betrachtungen darüber angestellt werden, und nur der Metaphysik
gehören sie nicht an. 42 Wenn wir nicht irren, so hat es die ganze Logik mit
keinem andern Gegenstande zu thun, wenn sie von Genus, Species und Dif-
ferenz, von Definition, Unheil und Schluß handelt. Allem diesem kömmt
wenigstens keinerlei Sein außerhalb des Geistes zu. 43 Es bleibt also nur das
b'v wq aA'Y)::teq dafür übrig; und darum wird denn auch die Logik als bloß

38 So heißt es auch Metaph. I, 6. p. 1056, b, 33 .... TUUTa <Je WS' Ta -rreos- Tl, /irra
/J,'f/ xaS-' azna TWV -rreos- Tl. <l1iie'fJTal ;J' 'f//J,IV ev äM01s- ()Tl <l1xws- AS')'eTat Ta
-rreos- Tl, Ta µ,ev WS' evavTia, Ta o' WS' emO'T'f)/J,'f} -rreos- S1'CIO'T'f)TOV, T(/J AS')'eO'S-ai
Tl äMo -rreos- auTo.

39 Metaph. E, 4. p. 1028, a, 1. s.o. S. 23 Anm. 20. vergl. ibid. p. 1027, b, 31.


40 Metaph. E, 4. p. 1027, b, 34. TO 7ae aiT,ov ... TOU <Je {des Öv WS' aA'f}S-es-} T0S'
<l1avo~as- Tl 7:a~os-. K; 8. P·, 1065, a, 22. [Ta WS' aA'f)S-es- Öv] SO'TIV ev O'V/J,1rAOXrJ T0S'
<l1avo1as- xa1 -rraS-os- ev TaVT'().
41 E, 4. P· 1028, a, 2. <110 TUUTa µ,ev acpeio-S-w, O'Xe7rT80V Oe TOU ÖVTOS' UUTOU Ta
aiTIU Xat Tas- aexas- 'YI Öv.
42 Ibid. p. 1027, b, 28. Öo-a µ,ev ouv <le7 S-swe"ijo-at 7re(21 TO oÜTWS' b'v xat /J,'Y} Öv,
ÜO'Te(lOV e1'CIO'Xe7rT80V,
43 Genera, Species u. dgl. und überhaupt die Universalia existiren zwar außerhalb des
Geistes und sind Dinge (vergl. De interpr. 7. p. 17, a, 38.) allein kein Universale
existirt als Universale, sondern nur insofern ein darunterbegriffenes Individuum
existirt. Der Satz: ,,Der Mensch ist eine Species" betrachtet den Menschen bloß als
öv ws- aA'f/S-es-.
44 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

formale Wissenschaft von den übrigen Theilen der Philosophie als realen
geschieden. 44

44 Die Logik gehört zu den theoretischen, nicht zu den practischen oder technischen
Wissenschaften (s. Brandis, Griech. Röm. Philos, II, 2, 1. S. 139.), dennoch fin-
det sie keine Stelle bei der Eintheilung der theoretischen Wissenschaft in Physik,
Mathematik und erste Philosophie. Diese auffallende Erscheinung erklärt sich
daraus, daß diese allein das reelle Sein betrachten, und nach den drei Graden der
Abstraction in ihrer Betrachtungsweise verschieden, geschieden werden, während
die Logik das bloß rationelle Sein, das b'v ws- a)vr1S-es- behandelt. So bezeichnet
auch Metaph. r, 3. p. 1005, b, 3. sie als 1Te(ll T'/)!, a)vfJS-efas- untersuchende. Wenn
Brandis (a. a. 0. S. 141.) bemerkt, die Logik scheine ihren Gegenständen nach
nicht von den andern wesentlich verschieden, so erklärt sich dies aus dem oben
über das b'v W!, aA'f):Jes- Gesagten, es sei 1Te(ll TO Aomov 'f'SVO!, TOÜ ÖVTO!,. Metaph.
E, 4. p. 1028, a, 1.
Viertes Kapitel.
Das dem Vermögen und der Wirklichkeit nach Seiende (b'v
r}uvaµ,et XUI 8Ve(l'}"et(!,).

Die beiden Bedeutungen des Seienden, von denen wir noch zu handeln
haben, des Seienden, das in die Kategorien zerfallt, und des Oll "rlullaµ,e1 xa,
everrrefq, sind zusammengehörig und aufs innigste miteinander verbunden. 1
So ist ihnen auch das gemeinsam, daß die Wissenschaft des Seienden, die
Metaphysik, in gleicher Weise mit dem Einen und Andern sich beschäftigt,2
während, wie wir sahen, das ov xaTa O"uµ,ßeß'Y)xo,; und das Seiende in der
Bedeutung des Wahren gemeinsam von ihr ausgeschlossen wurden. Da das
Seiende, als Allgemeinstes, von Allem ausgesagt wird, 3 so folgt hieraus für
das Object der Metaphysik, daß es Alles unter sich begreift, insofern es ein
Sein außerhalb des Geistes hat, das, mit ihm Eins, in eigentlicher Weise ihm
zugehört. Somit ergibt sich auch, daß wie das Seiende, das in die Kategorien
zerfällt, so das Seiende in der Bedeutung, in welcher wir jetzt davon sprechen
werden, ein b'll xaS-' auTo egw T'YJ<; "ttallofa,; sei.

§ 1. Das Seiende, das in Oll elle(rye[q, und Oll "tuvaµ,et zerfällt, ist das
Seiende in der Bedeutung, in welcher dieser Name nicht bloß dem
Verwirklichten, in vollendeter Wirklichkeit Existirenden, dem
Wirklich-Seienden, sondern auch der bloßen reellen Möglichkeit
zum Sein beigelegt wird.
Das Oll "rlullaµ,e1 spielt in der Philosophie des Aristoteles eine große Rolle,
wie auch der Begriff der ÜA'Y), mit welcher es der Sache nach zusammenfällt, 4

Vergl. Brandis a. a. 0. III. 1. {Handbuch der Geschichte der Griechisch-Römischen


Philosophie. Dritten Teils erste Abteilung. Übersicht über das Aristotelische Lehrge-
bäude und Erörterung der Lehren seiner nächsten Nachfolger, Berlin: Reimer 1860},
S. 46. Anm. 85. und die daselbst citirten Stellen von Pram! {Geschichte der Logik
im Abendlande (s. Einl.AS Anm. 28), I, 185ff., 299, 302, 305 (die von Brandis
angegebenen Stellen)}.
2 Die Bücher Z und H handeln von dem Öv der Kategorien, resp. von der oud{a,, das
Buch 0 von dem <Juvaµ,et XCLI SVe(2,Yel(f, öv.
3 s.o. s. 11.
4 Vergl. darüber Zeller, Philos. d. Griech. II, 2. S. 238 {31879, II/2 (s. Einl.AS Anm.
28), 318f., Anm. 4}. ÜA't} muß natürlich in einem weiten Sinne, in dem es außer
der Tr(2WT't} ÜA't] auch die Subjecte der Accidenzien umfaßt, genommen werden.
46 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

während das Öv evsr,rys[q, entweder reine Form oder doch durch die Form
actualisirt ist.
Wenn man in neuerer Zeit von einem Möglichen spricht und es wohl
auch mit dem Wirklichen zusammenstellt, wozu dann als Drittes noch das
Nothwendige gefügt wird, so ist dieses von dem Möglichen, dem rJuvaTov
oder rJuvaµ,st Öv, inwiefern wir hier davon sprechen werden, ganz verschie-
den. Es ist dieses ein Mögliches, das von aller Realität dessen, was möglich
genannt wird, abstrahirend, nur behauptet, daß etwas existiren könne, inso-
fern durch seine Existenz kein Widerspruch gesetzt werde. Es existirt nicht
in den Dingen, sondern in objectiven Begriffen und Begriffsverbindungen
des denkenden Geistes, es ist etwas bloß Rationelles.

r
'!
Auch Aristoteles kannte den sogefaßten Begriff des Möglichen gar wohl,
wie die Schrift De interpretatione zeigt, allein mit seinem Öv rJuvaµ,st hat es
keine Verwandtschaft, da dieses ja sonst mit dem b'v wq aA'Y)S.eq von dem
Object der Metaphysik ausgeschlossen werden müßte. Damit gar kein
\
Zweifel übrig bleibe, erwähnt er sowohl im fünften Buche der Metaphy-
sik, Kapitel 12, als auch im ersten Kapitel des neunten Buches dieses dem
arJvvaTOV oo TO evaVTIOV es
ava7x'Y)q aA'Y)S.eq (Metaph. !::., 12. p. 1019, b,
23.) entsprechende rJuvaTov, um es von jedem, das in Bezug auf eine rJvvaµ,tq
rJuvaTov genannt werde, als etwas dem bloßen Namen nach Identisches
1 abzuscheiden, 5 nicht anders, als wie er auch die Potenzen, der Mathematik
a2 , 6 3 u. dgl. als bloß xaTa (J,eTacpoeav so genannte davon fern hält. 6 Er
spricht also hier von einem reellen in Möglichkeit Seienden, wobei seine
eigenthümliche Anschauung zu Grunde liegt, wonach auch ein Nichtwirkli-
ches und im eigentlichen Sinne Nichtseiendes (µ,'Y] Öv )7 doch gewissermaßen

Dann ist die Bemerkung Zellers richtig, ,,daß ein Ding nur insofern 1Juvaµ,s1 ist,
als es die ÜA'f} an sich hat." {31879, 319} Metaph. N, 1. p. 1088, b, 1. al/U'}'X'f/ n
SXUITTOU ÜA'f}li e/l/U,I TO 1Jwaµ,s1 TOIOUTOl/.
5 Metaph. !::,., 12. p. 1019, b, 21. xat aiJuva-ra 1J0 Ta µ,ev xaTa T'hl/ aiJuvaµ,lav
TaUT'f/li Ae'}'eTal, Ta i}' äUov T(201!'0li, 0/ol/ 1JuvaTOl/ Te xat aiJuvaTOl/ x. T. A. Er
zählt als zu diesem bloß rationellen iJuvaTOli gehörig auf {630}: TO µ,ev oi:iv iJwaTOII
e11a µ,ev T(201r011 ... TO /1,'f} el; a11a,yX'f}S" t/;sfJiJoq IT'f//1,U,ll/el, e11a 1Je TO aA'f};Jeq e/l/U,I'
e11a 1Je TO eviJsxoµ,el/011 aA'f};J,eq e/l/al. - Metaph. 0, 1. p. 1046, a, 6.
6 Metaph. !::,., 12. p. 1019, b, 33. xaTa µ,s-racpoea11 1Je 'Y/ SI/ T7) '}'eW/1,eT(ll(!, AS'}'eTal
1Ju11aµ,1q. Vergl. Metaph. 0, 1. p. 1046, a, 7. oµ,010T'f/TI TIJ/1 AS'}'Ol/Tal. Die Aehn-
lichkeit besteht darin, daß wie aus dem b'v 1Juvaµ,s1 das b'11 e11se,yslq, wird, so aus
der Mulriplication der Wurzelgröße mit sich selbst die Größe, deren Wurzel sie ist,
hervorgeht.
7 Metaph. N, 2. p. 1089, a, 28.
VIERTES KAPITEL. 47

existirt, insofern es dem Vermögen nach ist, und dies führt ihn eben dazu, in
einer besondern, weiten Bedeutung des reellen Seienden das in Möglichkeit
Seiende mit darunter zu befassen.
Welches ist also das iuvaTov, das als reelles zum Object der Metaphysik
gehört, und als Öv iuvaµ,s1 dem Öv evs(rys[q, gegenübergestellt wird? Aristo-
teles definirt es im dritten Kapitel des neunten Buches folgendermaßen:
,,Möglich ist dasjenige, wofür, wenn ihm die Wirklichkeit dessen zukömmt,
wozu man ihm das Vermögen beilegt, nichts Unmögliches sich ergeben
wird. "8 An dieser Definition ist zweierlei zu bemerken: 1) daß Aristoteles
dasselbe durch dasselbe zu definiren scheint, da er das iuvaTov durch das
aivvaTOV bestimmt; 2) daß er zu seiner Definition sich auf den Begriff der
eve(l')"Sta stützt, deren Verständniß also von ihr vorausgesetzt wird.
Das erste Bedenken löst sich, indem das aivvaTov einem andern iuvaTov,
als dem, dessen Erkenntniß wir erstreben, entgegengesetzt ist, keinem
andern nämlich als jenem logischen, von dem wir so eben gesprochen. Es ist
das Widersprechende.
Das zweite zwingt uns, unsere Aufmerksamkeit zuerst auf die evee7s1a
zu richten. Das iuvaµ,s1 Öv kann nicht definirt werden, außer mit Hülfe des
Begriffs evee7s1a; denn diese ist, wie Metaph. 0, 8. ausführt, dem Begriffe
und der Substanz nach die frühere: ,,Früher als alle diese Potenzialität," sagt
er, ,,ist die Actualität, dem Begriffe wie dem Wesen nach." ,,Es ist nothwen-
dig," fahrt er weiter unten fort, ,,daß der Begriff und die Erkenntniß dieser
denen der ersteren vorausgehen. "9
'Evee7s1a (Wirklichkeit), bemerkt Aristoteles, kömmt von ee7w (wirken)
her, von einem Verbum der Bewegung, weil, wie er sagt, vor Allem die Bewe-
gung eine evee7s1a zu sein scheint. 10 Doch hierauf beschränkt sich die Aus-
dehnung dieses Begriffes nicht. 11 Was ist also die evee7s1a? Aristoteles gibt

8 Metaph. 0, 3. p. 1047, a, 24. edTt 'iJe. 'iJuvaTOJJ TOVTO cp, eav u1raeg'() 'Y/ evee,ye1a,,
OÜ Ae,yemt exe1v T'Y}l.l 'iJuvaµ,tv, ou:3-e.v S(TTO,/ (J,(JLJJJO,TOJJ, Ae,yw 'i}' olov, ei (JLJ).10,TOJJ
xa:3-f)(J':3-at xai ev'iJexemt xa:3-'Y)u:3-at TOLJT(J), eav u1raeg'() TO xa:3-'Y)d:3-at, ou:3-e.v
&UTO,I (J,(JLJ).10,TOl.l' xa,/ ei Xll.l'f}::}'Y)JJO,I Tl '1) XIJJ'Y)UO,I '1) dT'Y]l.10,/ '1) dT'Y)UO,I '1) e/l.10,/ '1)
,yi,yveu:3-a,, ,;; µ,0 elva, ,;; µ,0 ,yi,yveu:3-a,, oµ,oiwt;.
9 Metaph. 0, 8. P· 1049, b, 10. 1r(J,U'f}t; 'i10 T'Y)t; T0/0,LJT'f}t; 1r(!_OT8(!_0, eö'Tll.l 'Y/ evee,yeta
xai AO,Y(J) xa,/ Tfi ouuiq,· ... b,16. wuT' (J,JJ(J,,YX'f} TOJJ AO,YOl.l 1reoü1raexe11.1 xa,/ T'l7J/
'YJJWG'IJJ T'Y)t; ,yvwuewt;.
10 Metaph. 0, 3. p. 1047, a, 30. aM1J..uS-e 'i}' 'Y/ avee,yeta ToÜvoµ,a,, 'Y/ 7r(!_Ot; T'qJJ
8JJTeAexe1a,v UUJ/Tt:3-eµ,el.l'f} xai a1ri Ta ä,)..)..a,, ex TWJJ XIJJ'qUeWJJ µ,aAtUTO,' 'iJoxeT
,yae 'Y/ 81.18(!_,Yeta µ,aAtUTa 'Y/ XIJJ'f}Ult; elvat. x. T. A.
11 Ibid. 6. p. 1048, a, 25.
48 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

uns keine Definition und erldärt ausdrücldich, daß eine solche hier gar nicht
gefordert werden dürfe, da der Begriff der eve1;rya1a ein so ursprünglicher
und einfacher Begriff sei, daß er keine Definition zulasse, sondern nur, auf
inductivem Wege, durch Beispiele erläutert werden könne. 12 Als solche führt
er an den Erkennenden, wenn nämlich mit diesem Namen der bezeichnet
wird, der eben im Betrachten des erkannten Gegenstandes begriffen ist. Die-
ser also ist evae,yafq, erkennend. Ferner ist evae,yaiq, eine Hermesstatue, die
ausgemeiselt, fertig dasteht, nicht als rohes Holz oder als Marmorblock, an
den der Künstler noch nicht Hand angelegt hat. Wenn Einer etwas weiß,
aber nicht den Erkenntnißact gegenwärtig ausübt, oder wenn ein Block roh
und unbehauen ist, so ist Jener nicht wirldich erkennend, wenn er auch
den Erkenntnißact setzen könnte, dieser nicht wirklich eine Statue, wenn
er sie auch in Möglichkeit ist. 13 So sehen wir uns wieder auf das b'v 'IJuvaµ,a1
zurückgeführt; aus dem Verhältniß von evee,ya1a und 'IJuvaµ,1c; wird auch der
Begriff der evee,ya1a am besten deutlich gemacht. Sie verhalten sich aber,
„wie das Bauende zu dem, was bauen kann, und das Wachende zu dem
Schlafenden, und das Sehende zu dem, was die Augen schließt, aber doch
Sehkraft besitzt, und das aus der Materie Geformte zur Materie, und das
Bearbeitete zu dem noch Unbearbeiteten. Von diesem Gegensatze sei dem
einen Gliede die Wirklichkeit, dem andern die Möglichkeit zugetheilt." 14 So
viel sehen wir klar aus diesen gehäuften Beispielen, daß etwas evae,yeiq, das
ist, als was es in vollendeter Wirklichkeit existirt; dem 'IJwaµ,at Öv fehlt die-
selbe, obgleich „für das, was 'IJuvaµ,at etwas ist, wenn ihm die Wirldichkeit
dessen zukömmt, wozu man ihm das Vermögen beilegt, nichts Unmögliches
sich ergeben wird." (s. o.) Es geschieht darum häufig, daß Aristoteles mit den
Benennungen evee,yeta und 8JlTeAexa1a abwechselt, 15 von denen die letztere,

12 Ibid. a, 35. tlijAov t)' eni TWV xaS-' exauTa Tfj enwywyfi o' ßouAoµ,sS-a AS')'elV, xai
OLJ tfet 1TaVTOq Ö(!OV /,{f)TelV.
13 Ibid. a, 30. SUTI t)' 'Y) evee7s1a TO imaexs1v TO 1reä7µ,a, /J,'f/ oifrwq WU1l"e(2
Ae70µ,sv tluvaµ,et. AS')'O/J,eV tle tJuvaµ,et oTov ev T(j) SllA(JJ 'Eeµ,ijv xai ev Tfj ÖA'Y} T'Y)V
'1]µ,fue,av, ÖTt acpa1esS-sf'I) äv, xai emuTr/iµ,ova xai Tov µ,'Y) S-sweoiivTa, äv tJuvaToq
ri S-sweijua1· TO tJ' evse7e1q,. Vergl. Metaph. t::., 7. {1017blff.}
14 Metaph. 0, 6. p. 1048, a, 36. OLJ tlet naVTOS" öeov S'l)Tell/ aMa xai TO avaAO')'Oli
uuvoeäv, ÖTt w; TO oixotloµ,oiiv neo; TO oixot10µ,1xov, xai TO e7e'l)'YOQOS" neos- TO
xaS-eiitJov, xai TO O(!Wli 71"(20S" TO µ,uov µ,ev öt/;1v tle exov, xai TO a1roxsxe1µ,evov ex
TilS" ÜA'l)S" 1l"(20S" T'Y)l/ ÜA'l)V, xai TO /J,1l"el(2')'auµ,evov 1l"(!OS" TO avee7aUTOV. Tal/T'l)S"
tle TilS" ütacpoeäs- S-aTS(!qJ /J,O(!lqJ 8UTW '1/ evee7s1a a<pW(!IU/J,Sli'I), S-aTS(!qJ üe TO
tluvaTov. Vergl. wegen der Lesart Schwegler {IV 171} zu dieser Stelle.
15 Vergl. Schwegler, Met. d. Arist. IV, S. 221 f.
VIERTES KAPITEL. 49

wie Alexander und Simplicius richtig bemerken, 16 gleich TeAetOT?)c;, Vollen-


dung, ist.17
Doch wie? eine bloße Möglichkeit in den Dingen, ein bloß Mögliches,
das existirt, ist es nicht ein Existirendes, das doch keine Existenz besitzt? ist
es nicht selbst ein Widerspruch und eine Unmöglichkeit? - Die Megariker
wenigstens wollten hier einen Widerspruch finden, und wie es oft geschieht,
daß man Widersprüchen, die man lösen sollte, die Basis des Seienden ent-
zieht, so läugneten sie alles bloß Mögliche, alles Vermögen zu dem, wessen
ein Ding nicht schon wirklich theilhaft sei. Doch es ist nicht schwer, sagt
Aristoteles, 18 eine solche Behauptung ad absurdum zu führen. Gäbe es ja
dann keinen Baumeister, wenn er nicht gerade mit Bauen beschäftigt ist, und

16 Zu Phys. 358, a, 19 ff. {Simpl. in Phys. III.l: Simplicii in Aristotelis Physicorum


libros quattuor priores commentaria, CAG IX. Ed. H. Diels, Berlin: Reimer 1882,
414.22ff.}
17 Ueber die Verschiedenheit von ever27a1a und evTaMxa1a streiten ältere und neu-
ere Ausleger, und so viel ist gewiß, daß die Verschiedenheit ihrer Ansichten viel
größer als die Verschiedenheit der mit dem einen und andern Namen bezeichne-
ten Begriffe ist. Sie werden zwar Verschiedenem beigelegt, doch ist nicht sowohl
der eine Name vom andern, als ein jeder von ihnen von sich selbst durch eine
Verschiedenheit des Gebrauches verschieden; denn das Öv evag7a{q, ist kein syno-
nymer, sondern ein analog gebrauchter Name, wie wir von den Kategorien han-
delnd erkennen werden. So konnte es geschehen, daß, je nachdem sie die einen
oder andern Stellen beachteten, die Erklärer zu den geradezu entgegengesetzten
Ansichten geführt wurden. Während Viele der evTeAeXeta entschiedener als der
eveg7a1a den Charakter vollendeter Wirklichkeit beilegen, sagt Schwegler (a. a. 0.
S. 222) ,,eveg7a1a sei die Thätigkeit (Selbstbethätigung) in vollendetem Dasein,
evTeAeXeta dagegen die noch mit der Dynamis verflochtene und ringende Thä-
tigkeit." Sowohl das Öv evag,yelq, als das b'v evTeAeXel(f, bedeuten das Verwirklichte
und durch die Form Vollendete. Während aber die Bezeichnung evTeAexa1a dies
auch schon im Namen ausdrückt, ist der Name eveg7a1a, wie Aristoteles lehrt (s.
S. 47 Anm. 10), von den Bewegungen hergenommen, nicht weil das in Bewe-
gung Begriffene am meisten evag,ya{q, ist, sondern weil vor anderen Wirklichkei-
ten, die Bewegung zuerst uns in die Augen füllt. Von keinem Dinge, das nicht
wirklich ist, sagt man die Bewegung aus, während andere Prädicate, w. z.B. denk-
bar, begehrenswerth auch Nichtseiendem zukommen (Arist. ibid. {Metaph. 0.3
1047a32ff.}).
18 Metaph. 0, 3. p. 1046, b, 29. aidi <Je Ttveq oi' <paow, oTov oi Ma,yag,xoi, Ömv
SVe(!'}''(/ µ,ovov <JuvauS-a,' Ömv <Je /J,'f/ eveg,yfj ou <JuvauS-a,' olov TOV /J,'f} oixo<Joµ,ofJvTa
ou <Juvad:J'al oixo<Joµ,etv, aMa TOV oixo<Joµ,ofJvTa ÖTaV oixo<Joµ,fj· oµ,o{wq <Je xa/
S1TI TWV äUwv. otq TU uuµ,ßa{vovTa aT01Ta ou xaJ..mov i<Jetv. <J'f)AOV ,yae OTI OUT'
oixo<Joµ,oq äum, eav /J,'f) oixo<Joµ,fj· TO ,yae oixo<Joµ,q> e/Vat TO <JuvaT[i.i etvai edTIV
oixo<Joµ,e1v· x. T. A.
50 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

so keinen andern, der irgend eine Kunst fortdauernd besäße. Allein so gewiß
es ist, daß wer eine Kunst ausgeübt hat, seine Kenntnisse und seine Fertig-
keit nicht sofort vergißt und verliert, und so gewiß es ist, daß er sie nicht bei
jedem Neugebrauch neu erlernen und erwerben muß, so gewiß bleibt der
Künstler Künstler, wenn er auch ruht von seiner Thätigkeit. Ferner, nichts
wäre kalt und warm, bitter und süß, wenn es nicht als solches gerade von
Jemandem empfunden wird, und der Satz des Protagoras hätte seine Rich-
tigkeit, der alle Wahrheit von der subjectiven Empfindung und Meinung
abhängen läßt. 19 Ferner, blind und taub würde bei gesunden Augen und
Ohren derselbe Mensch des Tages gar oftmal, da er ja, wenn er das Auge
schließt und aufhört, in Wirklichkeit zu sehen, auch dem Vermögen nach
nicht mehr sehend wäre, d. i. die Fähigkeit selbst zum Sehen verloren hätte. 20
Endlich wäre alles Entstehen und Vergehen der Dinge zur vollkommenen
Unmöglichkeit geworden; denn Alles wäre, was es sein kann, was es aber gar
nicht sein kann, das kann es auch nie und nimmer werden, und eine Lüge
wäre, was immer man von zukünftigen oder vergangenen Dingen spräche. 21
Indem Aristoteles in solcher Weise die Megariker niederkämpft und uns
die Existenz und Berechtigung seines 1Svvaµ,a1 Öv klar macht, dienen die von
ihm auch hier wieder angeführten Beispiele neuerdings dazu, uns über die
Bedeutung des 1Svvaµ,a1 Öv außer Zweifel zu setzen. Vielleicht bleibt uns
aber doch noch eine Weise der Erläuterung übrig, die wir auch oben bei
der Bestimmung des b'v xaTa <Tvµ,ßaß'Y)xoq angewandt haben, ich meine die
Aufzählung der verschiedenen Arten des in Möglichkeit Seienden, oder viel-
mehr der verschiedenen Weisen, in welchen das eine und andere an diesem
Namen participirt, wenn, wie es in der That der Fall ist, das lSwaµ,1;1 Öv kein
Synonymon sein, sondern nur mit einer gewissen Einheit der Analogie dem
verschiedenen darunter Begriffenen zukommen sollte.
Im fünften Buche der Metaphysik, Kapitel 12, werden vier Weisen ange-
geben, in denen etwas 1Suvaµ,1q genannt wird. Alle stimmen darin überein,
daß sie Principe von etwas sind, 22 und werden - und darauf beruht eben ihre
Analogie 23 - auf ein Princip zurückgeführt, von dem alle andern den Namen
empfangen. Die erste Weise der 1Suvaµ,1q oder des Vermögens, die Aristote-

19 Metaph. 0, 3. p. 1047, a, 4.
20 Ibid. a, 7.
21 Ibid. a, 10.
22 Metaph. 0, 1. p. 1046, a, 9. 1räU'at aexa[ Ttveq siU't.
23 S. u. Kap. 5. §. 3.
VIERTES KAPITEL. 51

les unterscheidet, ist das Princip der Bewegung oder Veränderung in einem
andern, insofern es ein anderes ist. 24 Dies wird beigefügt, weil möglicher-
weise das active Princip in dem Leidenden selbst enthalten sein kann, wie
wenn etwas sich selbst bewegt; auch dann nämlich ist es wenigstens nicht in
Bezug auf ein und dasselbe bewegend und bewegt, wirkend und leidend; ein
und dasselbe wirkt und leidet die Wirkung, doch nicht insofern es dasselbe,
sondern insofern es ein anderes ist. 25 Die zweite Weise ist das passive Vermö-
gen, welches das Princip ist, wonach etwas bewegt wird von einem andern,
insofern es ein anderes ist. 26 Auch dies fügt er aus dem ähnlichen Grunde
bei, weil, wenngleich dasselbe von sich selbst etwas erleidet, es dies doch
nicht thut, insofern es dasselbe, sondern ein anderes ist. Die dritte Weise des
Vermögens ist jene Eigenschaft der Impassibilität, ss1;
ana::J-efa;, wie er sie
nennt (Metaph. 0, 1. p. 1046, a, 13.), d. i. jene Disposition eines Dinges,
der zufolge etwas des Leidens oder der Veränderung ganz unfähig ist, oder
wenigstens nicht leicht zum Schlechteren verändert werden kann. Es ist dies
unsere sogenannte Widerstandskraft. 27 Die vierte Weise endlich, in der etwas
Vermögen genannt wird, ist das Princip, etwas nicht bloß zu wirken (oder
zu leiden), sondern dieses gut und nach Wunsch zu thun. So bezeichnen wir
z. B. einen, der hinkt, stottert u. dgl., nicht als einen solchen, der gehen,
sprechen könne; jener, sagen wir, könne es, der es ohne Anstoß und Fehler
vermag. So wird das grüne Holz nicht brennbar genannt, dagegen das dürre
brennbar u. dgl. 28

24 Metaph. !::i., 12. p. 1019, a, 15. !JUVaµ,,q Ae'}'eTal 'Y/ µ,ev aex0 XIV't}/TeWq,:;; µ,swßoMjq
'Y/ ev eTS(:!(j) 0 STe(:!OV, oiov }C. T. A. {ev eTS(:!(j) 0 eTe(:!OV 1019al6: Bekker. Schweg-
ler (III 224) und Bonitz (Comm. [s. Einl.AS Anm. 66] setzen dagegen die Lesart
ev hegqJ 1i -n eTe(:!OV der Handschrift E (und Alexanders, Al. in Met. 389.2f.) ins
Recht. Entsprechendes gilt für die dann in Anm. 26 zitierte Stelle.}
Vergl. u. Kap. 5. §. 13.
Metaph. !::i., 12. p. 1019, a, 20. 'Y/ <Je [<Juvaµ,tq Ae'}'eTal aex0 /J,eTaßoNijq ,:;;
XIV't}/TeWq] uqi' heeov 'n eTe(:!OV }C. T. A.
Ibid. a, 26. STI Ö!Tat ess1q xaS-' ä,q anaS-0 ÖAwq .;; U/J,eTaßA'fJTa r~ /J,'l) Qq,<Jtwq S7rl
TO xeTeov ell/J,eTUXIV'f}TU, <Juvaµ,stq Ae'}'OVTUI" xAiiTat µ,ev ,yae xat ITUVT(:!tßeTat
xai }CO,/J,"ll"TeTUI xai ÖAwq q,S-st(:!eTUI Oll T4) !JUVa/TS-a,' aMa T4) /J,'l) !JUVa!TS-a, xai
SMel7rell) TIVOq" anaS-0 <Je TWV TOIOUTWV ä, µ,oAtq xai rlieeµ,a 1ra1Txs1 <Jta /JUVU/J,IV
xai TO !JUVa/TS-a, xai TO exs1v nwq.
Metaph. !:::,., 12. p. 1019, a, 23. eTI 'Y/ TOV xaAwq TOVT' S7rlTeAelV,,:;; xaTa neoaiee/Tll)"
... {a26} oµ,o/wq <Je xai eni TOV 1ra1Txsw. Diese /JUVaµ,1q wird hier eigentlich als
dritte aufgezählt, wir haben, nach der 0, 1. eingehaltenen Ordnung, der auch die
der <JuvaTa entspricht, die vierte vorgestellt.
52 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Diesen vier Weisen der 'auvaµ,1r; entsprechend gibt es nun auch ein vier-
faches 'auvaTov, 29 das wir weder mit unserem „möglich", noch „mächtig",
am ehesten noch durch „vermögend" oder „fähig" adäquat wiederzugeben
im Stande sind. Alle diese werden also in Bezug auf ein Vermögen (xaTa
'auvaµ,tv) vermögend genannt, was bei dem gänzlich homonymen Begriffe,
den der Logiker mit dem Namen 'auvaTov verbindet, nicht der Fall ist, 30 und
alle lassen sich auf die erste Weise des 'auvaTov und der 'auvaµ,1r;, auf die aex~
µ,eTaßo)./ijr; ev eTS(lq) ri eTe(IOV, nach der auch sie benannt werden, als ana-
loge Begriffe zurückführen.31
Es fragt sich nun, ob die hier angegebenen Weisen der 'auvaµ,1r; und des
'auvaTov uns zu unserem Zwecke führen werden, der ja darin bestand, die
verschiedenen Weisen des 'auvaµ,e1 Öv kennen zu lernen. Ist vielleicht unser
'auvaµ,el Öv Eins mit dem hier erwähnten 'auvaTov? - Wir müssen diese Frage
verneinen, wenn wir an dem Begriffe des 'auvaµ,e1 Öv, wie er uns oben klar
genug vorgeführt wurde, festhalten. Das erste Princip der Bewegung ist, wie
uns die Physik und Metaphysik im Einklange lehren, in der Gottheit zu
suchen, und doch ist sie, wie auch immer ein 'auvaTov, in keiner Weise ein
'auvaµ,e1 öv, da sie vielmehr im eminenten Sinne des Wortes ein b'v evee,yefq,
ist. 32 So zeigt uns auch jene Weise des 'auvaTov, die nach der obigen Ordnung
die dritte Stelle einnimmt, daß wir in den Weisen des 'auvaTov keineswegs die
des 'auvaµ,e1 Öv zu suchen haben. Wie also? Gibt es nur eine Weise unseres
'auvaµ,e1 Öv, und ist dieses ein Gattungsbegriff, an dem alle, die mit diesem
Namen bezeichnet werden, als Synonyma participiren, oder welches wird
der Weg sein, auf welchem wir zur Erkenntniß der verschiedenen Weisen des
in Möglichkeit Seienden gelangen?

29 t., 12. p. 1019, a, 32 ff.


30 S. oben S. 46 Anm. 5.
31 Ibid. p. 1019, b, 35. Ta 1Je Ae,yoµ,eva xaTa 1Juvaµ,1v WuvaTa] navTa AS')'STal 'TTQOq
T'f)V 'TTQWT'l}V µ,[av· aÜT'l} ;J' edTIV aex0 µ,emßoMjq Sl/ ÜM<.µ 1i ÜMo. Ta ,yae
ÜMa /\S')'STal <5UllaTa Ti(> Ta /J,Sl/ exe1v aUTWV ÜMo Tl TOtaUT'l}ll 15Ul/a/J,lll, Ta ;Je,
/J,'f/ exe1v, Ta 1Je w1J/ exe1v. x. T. /\. {µ,fav 1020al bei Brentano wie in der Bekker-
Edition in eckigen Klammern; diese wurden (wie es auch bei Christ und Jaeger der
Fall ist) getilgt, damit nicht der Anschein entstehe, es handle sich wie bei 1JwaTa
um einen Einschub Brentanos.}
32 Dazu, daß etwas ein 1Juvaµ,e1 Öv sei, genügt nicht, daß in ihm das Princip einer
Thätigkeit sich finde, sondern es muß ihm auch das 1ro1e'iv als eigentliches Acci-
denz zukommen (s. u. Kap. 5. § 13.). Dies ist bei der Gottheit nicht der Fall.
VIERTES KAPITEL. 53

Das dritte Kapitel des neunten Buches der Metaphysik* sagt uns von
einem Möglichen (rJuvaTov), welches hier, wie der ganze Zusammenhang
und die Beispiele selbst klar zeigen, mit dem in Möglichkeit Seienden, dem
rJvvaµ,et Öv, identisch ist, daß es in jeder Kategorie sich finde. 33 Dasselbe gilt
natürlich dann auch von dem Öv evertrefq,; und so behauptet denn auch das
zehnte Kapitel desselben Buches und das siebente des fünften, daß in jeder
Kategorie einiges in Wirklichkeit, anderes in Möglichkeit seiend genannt
werde. 34 Wenn dem so ist, so ist klar, daß sowohl das rJvvaµ,et Öv als das b'v
everneiq, in vielfacher Weise gesagt wird und nur der Analogie nach Eines
sein kann, denn dieses ist nothwendig bei allem, was den Umfang einer
Kategorie überschreitet, wie Aristoteles in der Nicomachischen Ethik I, 4.
(p. 1096, a, 19.) und an andern Orten deutlich ausspricht, und wir, wenn
wir von der Kategorienlehre handeln, näher nachweisen und aus seinem
Grunde erkennen werden. 35 Demgemäß behauptet denn auch Aristoteles
von dem b'v everrre[q, ausdrücklich, ,,nicht Alles wird in gleicher, sondern in
analoger Weise in Wirklichkeit seiend genannt; wie dieses in diesem oder zu
diesem, so ist jenes in jenem oder zu jenem; einiges nämlich verhält sich wie
eine Operation zur Potenz, anderes wie eine Form zu einer Materie. " 36 Und
hinsichtlich des rJvvaµ,et Öv macht er es dem Plato und den Platonikern zum
nicht geringen Vorwurf, daß sie nicht eingesehen hätten, wie jede Kategorie
als eine andere Seinsweise eine besondere Bestimmtheit und Weise des Ver-
mögens voraussetze. 37 Wir haben schon einmal das enge Verhältniß berührt,

33 Metaph. 0, 3. p. 1047, a, 20. WUT' evlJexeTa,I lJwa.TOJ/ µ,ev Tl elva,1 /J,'Y) elva.1 lJe,
xa,/ lJuva.TOJ/ /J,'Y) e/va,1 e/va,1 lJe, oµ,oiw,; lJs xa,/ eni TWJ/ ä),).wv xa.T'f}')'O(!IWJ/ lJuva.TOl/
ßa,lJ1(e1v b'v /J,'YJ ßa.lJKe1v, xa.i /J,'YJ ßa,lJ{(ov lJwa.Tov slva.1 ßaM(stv.
34 Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34. enei lJs TO b'v AS')'eTa,I xa,/ TO /J,'Y) Öv TO /J,Sll xaTa
Ta ux~µ,a,m TWl/ xa.T'f}')'O(llWll, TO lJs xaTa lJuva,µ,1v 'r} eve(l')'e/(X,)/ TOUTWl/ 'r}
Tal/al/Tta . ... b,., 7. p. 1017, a, 35. eTI TO eiva, U'f}/J,atl/el xa,/ TO Öv, TO /J,Sll lJuvaµ,el
Q'f/TOV, TO (}' evTeAeXet(/, TWV eie'f}µ,evwv TOUTWV. (Es ist nämlich schon vorher
von den Kategorien gehandelt worden.) Vergl. auch De anim. II, 1. p. 412, a, 6.
35 S. u. Kap. 5. § 3.
36 Metaph. 0, 6. p. 1048, b, 6. AS')'eTa,I lJs Sl/e(l')'el(/, ou 1!(1,))Ta, oµ,ofw,;, aAX ,fJ Tip
(l,))0,/\0')'0ll, w,; Toiho ev TOUT<µ 'r} neo,; TOVTO, TolJ' ev TiplJe 'r} 1T(!O,; TOlJe· (vergl.
über die Lesart Bonitz observ. crit. {Observationes criticae in Aristotelis libros Meta-
physicos 47}) Ta µ,sv ')'O,(l w,; Xll/'f}UI,; 1T(!O,; lJuvaµ,1v, Ta(}' w,; ouufa, 1T(!O,; Tl))(X, VA'f)ll.
Vergl. u. Kap. 5, § 13.
37 Metaph. N, 2. p. 1089, a, 34. (J,T01!0)) lJ0 TO Önw,; µ,sv noMa TO Oll, TO Tl eUTI
S'f}Tiijua,1, nw,; (Je ,;; 1!0/a ,;; noua,, µ,~. b, 15. TOUTOI,; lJ0 Tl a.iTtO)) TOV 1TOMa

* S. Einl.AS LXXXVIII.
54 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

in dem das b'v (}uvaµ,a1 xai avae,ya[q, zu dem Öv, das in die Kategorien zerfällt,
steht, 38 sowie wir auch von den Kategorien handelnd darauf zurückkommen
werden. Hier ist uns eine Folge davon begegnet, nämlich die Vielfältigkeit
des Begriffes, sowohl bei dem in Möglichkeit als in Wirklichkeit Seienden.
Es gibt so viele Weisen des Öv (}uvaµ,a1 und avae,yefq,, als es Kategorien gibt;
in diesen werden wir zugleich für jene Zahl und Verschiedenheit kennen
lernen.
Indeß bleibt uns zur völligen Bestimmung des (}uvaµ,a1 Öv noch Eines
übrig. Es fragt sich nämlich, wann etwas in Möglichkeit sei, während über
das in Wirklichkeit Seiende in dieser Beziehung kein Zweifel ist. Es wäre
nämlich jedenfalls unrichtig, wenn Jemand von einem neugebornen Kinde
behaupten wollte, es sei fähig, zu sprechen, zu gehen oder gar etwa die tief-
sten Gründe der Wissenschaft zu durchforschen. Nöthig ist es, daß erst all-
mälig seine Kraft erstarkt und der Keim der Anlage sich entfaltet, damit es
dann vielleicht die Fähigkeit zu allem dem Gesagten, die ihm jetzt fehlt,
erlangen könne. So ist es auch nicht richtig gesagt, die Erde sei in Möglich-
keit eine Bildsäule, denn man kann nicht eher diese aus ihr bilden, als bis sie
durch Verwandlung des Wesens zum Beispiel zu Erz geworden ist. 39 Wie also
läßt sich allgemein bestimmen, wann etwas ein (}uvaµ,a1 Öv sei?
Alles, was in Möglichkeit etwas ist, wird nicht zur Wirklichkeit überge-
führt, wenn nicht durch den Einfluß einer wirkenden Ursache. Jedem in
Möglichkeit Seienden entspricht also eine bestimmte wirkende Ursache und
ihre Thätigkeit, sei es nun eine künstliche, wo dann das Princip der Vollen-
dung dem in Möglichkeit Seienden äußerlich ist, oder sei es eine natürliche,
wo es diesem inwohnt. Immer aber ist etwas dann in Möglichkeit, wenn die
Natur oder die Kunst durch eine einzige Action es in Wirklichkeit versetzen
kann. Möglich durch Kunst ist es eben dann, wenn der Künstler, sobald er
will, es verwirklichen kann, wenn nicht ein äußeres Hinderniß dazwischen
tritt, wie z. B. etwas so in Möglichkeit gesund (heilbar) genannt wird, weil es
durch eine Operation der Arzneikunst gesund werden kann. Möglich durch
die Natur aber ist etwas dann, wenn, wo äußerlich nichts hindert, etwas
durch das ihm eigenthümliche active Princip, durch die ihm inwohnende

etva,; ava,yx'I} µ,sv oöv, Wfffle(l Ae,yoµ,ev, unoS-üva, TO /Juvaµ,el b'v exarnq.i. Vergl.
Metaph. I, 3. p. 1054, b, 28.
38 S. o. zu Anf. d. Kap.
39 Metaph. 0, 7. p. 1049, a, 17. W!T1Te(l 'f/ ,yij oünw av/Je1ac; /Juvaµ,e1· µ,emßaMOU/T(/,
,yae 8/TTal xaAxoc;.
VIERTES KAPITEL. 55

natürliche Kraft zur Wirklichkeit geführt werden kann. In dieser Weise ist
etwas in Möglichkeit gesund, wenn nichts in dem kranken Körper sich fin-
det,, was hinweggeräumt werden müßte, ehe die Natur ihre heilende Wir-
kung ausüben könnte. Wo nun aber etwas erst anderweitige Veränderungen
voraussetzt, ehe jener eigentliche Proceß seiner Verwirklichung beginnen
kann, da ist es noch nicht in Möglichkeit. Die Bäume, die erst gefällt und
gezimmert werden müssen, oder gar die Stoffe, die erst zum Baume sich
umbilden sollen, sind noch nicht in Möglichkeit das Haus; wenn die Balken,
aus denen man es zusammenfügen kann, fertig daliegen, dann kann man
sagen, es sei (Jullaµ,e1. So ist die Erde nicht in Möglichkeit ein Mensch, und
auch der Same ist es noch nicht, wenn aber der Fötus durch ein eigenthüm-
liches actives Princip in Wirklichkeit ein Mensch zu werden vermag, dann
ist er bereits in Möglichkeit. 40
Durch Alles dieses werden die Begriffe des oll ellernefr1, und des b'll (Jullaµ,e1,
des vollendeten oder bloß dem Vermögen nach Seienden in ihren oben gege-
benen Bestimmungen aufs Neue bestättigt, so daß über die Bedeutung, die
Aristoteles mit dem Namen des Öll verknüpft, insofern er es mit dem vollen-
deten auch das unvollendete Seiende, das, was es ist, in Möglichkeit ist und
gleichsam nach der Form begehrt und ihr zustrebt, 41 gemeinsam umfassen
läßt, kein Zweifel bestehen kann.

§ 2. Verbindungen von Zuständen der Möglichkeit und Wirklichkeit.


Die Xlll'l')(J't,; als Actualität, die ein im Zustande der Möglichkeit
Befindliches als solches constituirt.
Wir haben im vorigen § betrachtet, was Aristoteles unter seinem oll elle,nef11,
und seinem (Jullaµ,e1 Öll verstehe. Das letztere erschien als ein als solches

40 Metaph. 0, 7. p. 1049, a, 3. W0"1Te(I_ oil11 oulJe U1TO iaT(I_IXlj)q ä1ra11 ä11 u,y,au:3-et'Y)
oulJ' ano TUX'Y)',, aM' eO"TI Tl o' lJv11aTOll SO"TI, xai Tofh' SO"Tlll u,y1a111ov lJv11aµ,e1.
0(1_0', lJe TOU µ,e11 ano lJ1a11ofaq SVTeAeXel(f, '}'l'}'llOJl,SllOV ex TOU lJvvaµ,et ÖVTO',' OTall
ßovA'Y):3-e!ITO', '}'l'}'ll'Y)TUI µ,'Y]:3-evoq XW/\UO!ITO', TWll SXTO',, exü ;J' e11 TqJ u,y1al,;oµ,e11q1,
OTall Jl,'Y):3-ev XWAU'(/ TWll e11 UUTqJ. oµ,ofwq lJe lJv11aµ,e1 xai oixfa, ei µ,'Y):3-ev XW/\Uel
TWll Sll TOUTqJ xai TV ÜA'(/ TOU '}'l'}'lle0":3-a, oixfa11, oulJ' eO"Tlll o' lJü 1T(I_OO"'}'eVS0":3-a, 'Y)
U1TO'}'el/S0":3-a, 'Y) µ,eTaßaAelll, TOUTO lJv11a,µ,1;1 oixfa. xai eni TWV äUw11 WO"UUTW',,
Öuwv !!gw:3-ev 'Y} aex'f/ Tlj)q '}'eVSO"eW',, xai OO"Wll tJ'f] e11 UUTqJ TC/) i!xol/TI, Öua
Jl,'Y):3-e!IO', TWV !!gw:3-ell eµ,1rolJfl,;011Toq eUTat lJ,' UUTOU. olo11 TO 0"1TS(I_Jl,U oünw· lJü
,yae 8)1 (],N\qJ xai µ,ewßaMelll. OTUll ;J' 0lJ'YJ lJ,a Tlj)', UUTOU aexlj)q 'n TOIOUTOll,
0lJ'YJ TOUTO lJv11a,µ,1;1· eXe/110 lJe heeaq aexlj)q lJüw,. W0"1Te(I_ 'Y/ ,ylj) oünw a11lJe1aq
lJv11aµ,e1· µ,ewßa,Movua ,yae eO"Tal xaAxoq.
41 Vergl. Phys. II, 1. p. 192, b, 16.
56 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

unvollkommenes Seiendes, und daher kömmt es, daß die vollkommene, die
separate Substanz, die Gottheit in keiner Weise an dem 'lJuvaµ,et Öv Theil
hat, sondern reine evee7e1a ist. Dagegen sind alle aus Substanz und Acci-
denz, Materie und Form zusammengesetzten Dinge, eben wegen dieser ihrer
Unvollkommenheit, nicht frei davon, das Öv eveQ'}'etq., besteht bei ihnen aus
der Vereinigung des 'lJuvaµ,et öv mit der evee7e1a, 42 die ja nicht widerspricht,
wie aus der Definition des Öv 'lJuvaµ,et selbst ersichtlich ist.
Aber wir haben außer dem Was des öv 'lJuvaµ,et und des Öv eveQ'}'efq., für
beide auch ein "Wttnn festgestellt, wenigstens thaten wir es, Aristoteles fol-
gend, bei dem Öv 'lJwaµ,et, während für das Öv eveQ'}'efq., von selbst einleuch-
tet, daß der Zustand der Verwirklichung durch die Form der seiner Vollen-

1 dung entsprechende sein muß. Während nun aber die Vereinigung des b'v
'lJuvaµ,et und des Öv eveQ'}'el(!., ohne Zweifel vorkömmt, scheint eine Verei-
nigung der Zustände, die dem einen und andern entsprechend sind, nicht
möglich zu sein, da ja der entsprechende Zustand des unvollkommenen b'v
'lJuvaµ,et ein Zustand vor der Vollendung ist, wenn gleich dieselbe durch ein
einziges Werden herbeigeführt werden kann. (s. § 1.) Und dennoch ist auch
ihre Vereinigung in gewisser Weise nicht widersprechend, und zwar reden
wir natürlich hier von einer gleichzeitigen Vereinigung; denn wenn ein Kör-
per jetzt in Möglichkeit und dann in Wirklichkeit weiß ist, so ist diese Ver-
einigung im Subjecte eigentlich keine Vereinigung der Zustände zu nennen,
und hinsichtlich ihrer findet auch kein Zweifel statt. Eine gleichzeitige Ver-
einigung aber ist möglich 1) in der Weise, wie z. B. das, was in Wirklichkeit
Erz ist, sich vielleicht im Zustande der Möglichkeit findet in Bezug auf eine
gewisse Gestalt u. dgl. Es ist dies eine Vereinigung, wie sie auch für ein in
Wirklichkeit Seiendes mit einem zweiten und dritten in Wirklichkeit Seien-
den vorkömmt, wie z. B. wenn dasselbe Subject zugleich wirklich Körper,
wirklich groß, wirklich grün ist u. dgl. Die Actualität des in Wirklichkeit
Seienden kömmt hier dem in Möglichkeit Seienden nicht als solchem zu,
so z. B. die Actualität des Erzes kömmt dem Erz als Erz, nicht aber als mög-
licher Bildsäule zu. 43 In derselben Weise erklärt sich auch die Vereinigung
des Leichnams in Möglichkeit mit dem in Wirklichkeit Lebendigen u. dgl.
Allein es gibt noch eine zweite Weise, in der die beiden Zustände vereinigt
42 Z.B. De anim. II, 1. p. 412, a, 6. Ae')'oµ,sv i0 ')'&voq ev Tl Twv ÖvTwv T'f/ll ouo-fav,
TaUT'f}q ie TO µ,ev wq 1/A'f/ll, /) xa:3-' aUTO µ,ev oux SO'TI To<Js Tl, eTe(lOll ie /J,O(l(f)'f/ll
xai el<Joq, xa:3-' ?)ll ,iilJ'f} AE')'eTal Toie Tl, xai T(llTOll TO ex TOUTWll. SO'TI ;J' 'Y} µ,ev
ÜA'f/ /Juvaµ,1q, TO ;J' el/Joq evTeASXela.
43 Vergl. Phys, III, 1. p. 201, a, 29. ibid. 19.
VIERTES KAPITEL. 57

werden, und dies geschieht in dem Zustande des Werdenden, bei dem Oll
Jall0rre1, wie es Aristoteles nennt.
Im neunten Kapitel des elften Buches der Metaphysik gibt er uns fol-
gende merkwürdige Definition der Xlll'Y}rrt,;, die trotz alles dessen, was er uns
schon über 'IJullaµ,1,; und ellerrre1a gelehrt hat, nicht ganz leicht verständlich
ist. Er sagt aber so: ,,Die Actualität (elle(tre1a) des Potenziellen (TOÜ 'IJullaµ,e1
övro,;), in wiefern es ein solches ist, nenne ich Bewegung." Ebenso sagt er
im ersten Kapitel des dritten Buches der Physik: ,,Da das Seiende nach jeder
Gattung in solches, was in Wirklichkeit, und in solches, was in Möglichkeit
ist, eingetheilt wird, so ist die Wirklichkeit (ellTei\exe1a) des in Möglichkeit
Seienden als solchen Bewegung." Und weiter unten: ,,Offenbar ist es, daß
die Wirklichkeit des Möglichen als Möglichen Bewegung ist. "44
Bei dieser Definition ist vor allem so viel ldar, daß unter dem in Mög-
lichkeit Seienden oder Möglichen ('IJullaµ,e1 Oll, 'IJullaToll) das im Zustande
der Möglichkeit Befindliche zu verstehen ist; denn würde es in der Weise
genommen, in welcher jede Materie als solche, auch nach ihrer Vereinigung
mit der Form als etwas bloß Potenzielles zu bezeichnen ist, so würde jede
Form außer den separaten Substanzen als Wirklichkeit eines in Möglich-
keit Seienden zu bezeichnen sein, und es wäre damit nichts der Bewegung
Eigenthümliches angegeben.
Allein anderes ist, was Zweifel erregt. Es lassen nämlich die Worte „die
Wirldichkeit des in Möglichkeit Seienden" eine doppelte Auffassung zu, wie
sich also ergibt: Jede Form oder Actualität, welche keine separate Substanz
ist, kann in einer zwiefachen Beziehung als die Actualität von etwas bezeich-
net werden: 1) als die Actualität ihres Substrates, wie z. B. wenn wir von der
Seele sagen, sie sei die Actualität des physischen Körpers, der in Möglichkeit
Leben habe; 45 2) als die Actualität des Compositums, welches durch die Ver-
einigung der Form mit der Materie aus dieser gebildet wird; wie z. B. wenn
wir von der Seele sagen, sie sei die Actualität des lebenden Wesens. Da nun
in unserer Definition die Xlll'Y}rTt,; auch als die Actualität von etwas bezeich-

44 Metaph. K, 9. p. 1065, b, 16. T'Y)V TOÜ ;Juvaµ,el {sc. Öv-ros-) ri TOIOÜTOV SO'TIV
ever;!')'elall Ae,yw XIV'l}O'IV. Phys. III, 1. p. 201, a, 9. ;sl'{/(2'1}/J,eVOU ;Je xaS-' exaO'TOV
,yevos- TOÜ µ,ev SVTeAeXel(!, TOÜ ;Je ;Juvaµ,et, 'Y/ TOÜ ;Juvaµ,et Öv-ros- SVTeABXela, Tl
TOIOÜTOV, XIV'l}O'IS" SO'TIV. ibid. b, 4. TOÜ ;Juva-roiJ, ri ;Juva-rov, SVTeABXela cpaVe(20V
0
/fr, XIV'l]O'IS" SO'TIV.
45 De anim. II, 1. p. 412, a, 19. ava,yxa7ov äea T'qv t/;ux'Y)v ouo-fav slva, ws- sl;Jos-
o-wµ,a-ros- (f!UO'IXOÜ ;Juvaµ,el SW'YJV exov-ros-. 'Y/ ;J' OUO'la SVTeABXela. TOIOUTOU äea
o-wµ,a-ros- SVTeABXela.
58 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

net wird, nämlich von dem in Möglichkeit Seienden, so fragt es sich, ob


dieses in Möglichkeit Seiende als Subject, oder als das durch die Bewegung
Constituirte zu betrachten sei. Beide Auffassungen, so verschieden sie sind,
geben einen wahren und den bisherigen Erörterungen entsprechenden und
darum im Wesentlichen dennoch zuletzt wieder übereinkommenden Sinn.
Dies wollen wir, indem wir in beide näher eingehen, nachweisen.
Nach der ersteren Auslegung, die bei den Erklärern die gewöhnliche ist,46
würde unsere Definition die Bewegung als jene Form bestimmen, welche,
indem sie ihr Subject aus dem ihr entsprechenden Zustande der Potenzialität
zur Actualität brachte (evertra1a), ihn fortbestehen läßt in Bezug auf envas
(Tov CJuvaµ,a, ÖvToq), wozu das Subject in Potenzialität war, gerade insofern
es zu dieser Actualität (der XtV'Y)(}"tq selbst) in Potenzialität war (r; TotovTov
8(}"TIV).
Um dieses zu verstehen, müssen wir uns an das erinnern, was im vorigen
§ in Bezug auf die Frage, wann etwas b'v CJuvaµ,a1 sei, bestimmt wurde. Es
ist etwas dann in Möglichkeit, wenn die Natur oder die Kunst es durch eine
einzige Operation in Wirklichkeit versetzen kann, wenn es also durch ein
einziges Werden wirklich werden kann. Allein eben dieses Werden, wenn
es auch ein einziges sein muß, muß darum nicht ein momentanes sein. Ein
schwarzer Körper, wenn er durch eine einzige Umwandlung weiß wird, wird
es doch nicht durch eine plötzliche Umwandlung. Werden und Vollen-
dung fallen also hier nicht zusammen; zuerst wird das Subject des Werdens
und dann erst seines Terminus theilhaft. Das Subject ist demnach hier in
einer doppelten Potenzialität, 1) zum Werden der Form, 2) zur Form selbst,
und dennoch ist dieser doppelte Zustand der Potenzialität nur ein einzi-
ger schlechthin und dem Begriffe nach; denn insofern ein schwarzer Körper
fähig ist, durch ein einziges Werden weiß zu werden (also in Möglichkeit
ist zur Form des Weißen), ist er offenbar in Möglichkeit zum Weißwerden;
und insofern ein schwarzer Körper ohne weitere vorbereitende Veränderung
des Weißwerdens fähig ist (also in Möglichkeit ist zum Werden der Form),
ist er offenbar im Zustande der Möglichkeit zum Weißen. Indem nun das
Subject aus diesem Zustande der Potenzialität zur Wirklichkeit übergeführt
wird hinsichtlich des Werdens, wird es nur in einen neuen und erhöhten

46 So Simplicius, Schol. p. 358, a, 7. {Simpl. in Phys. III.l, CAG IX 414.3-5} Ö-ra,v


am:l TOU <Juvaµ,et µ,swßaN\'(J eiq TO SJ/efl','el(/,, µ,evov-roq ev (J,LJTqJ TOU <Juvaµ,el, TOTe
Ae7s-ra,1 x1veiu;:,-a,1. Ebenso Themistius u. A. - Auch die Neueren, wie Schwegler,
der {II 195 die in Anm. 44 zitierte K.9-Stelle} in diesem Sinne übersetzt: ,,so nenne
ich die Actualilät des Potenziellen, sofern es ein Potenzielles bleibt, Bewegung."
VIERTES KAPITEL. 59

Zustand der Potenzialität versetzt hinsichtlich der Form selbst, die Terminus
des Werdens ist; 47 in einen erhöhten insofern, als der Zustand des Werdens
gerade jener ist, aus welchem das Subject unmittelbar in den der vollendeten
Wirklichkeit gelangt, während der Zustand vor dem Werden erst mit dem
Zustande des Werdens vertauscht werden mußte, damit dann das Subject in
den der vollendeten Wirklichkeit versetzt würde. Die Erklärer bezeichnen
ihn auch als einen dritten, einen Mittelzustand zwischen dem der bloßen
Möglichkeit und der Wirklichkeit; 48 und dieser Zustand einer bereits actuel-
len Tendenz nach dem Act ist das b'v XWYJO"a1, die xtJJ'Y)O"tq ist jenes actualisi-
rende und doch die Potenzialität nicht ganz erschöpfende Werden.
So hat also das Verständniß der Definition keine Schwierigkeit mehr. Das
fi TOIOÜTOJJ eO"TI unterscheidet diese Weise der Vereinigung der Zustände der
Möglichkeit und Wirklichkeit von der oben erwähnten, in welcher z. B. die
Wirklichkeit des Erzes als Erz mit der Möglichkeit der Bildsäule zusammen-
bestand.49
Allein obgleich die Auctorität wohl fast aller Erldärer für diese Art der
Auslegung spricht, so ist doch, wie gesagt, noch eine andere möglich, die
ihre eigenthümlichen Vorzüge hat. Wenn die erste Auslegung einen wah-
ren und der xtJJ'Y)O"tq entsprechenden Sinn gab, so scheint sie doch nicht frei
von einiger Ungenauigkeit. Denn wenn die doppelte Potenzialität des Sub-
jects wirklich nur eine war schlechthin und dem Begriffe nach (a1r>-w; xai
xaTa TOJJ >-67ov Phys. III, 1. p. 201, a, 32.), so ist es unmöglich, daß die-
ser Zustand hinsichtlich des einen aufgehoben werde und hinsichtlich des
andern fortbestehe. Denn aufgehoben hinsichtlich wessen immer es sei, wird
er schlechthin aufgehoben, also für beide aufgehoben, und wenn nur das
Werden der Form wirldich geworden ist, dagegen die Form selbst noch in
Möglichkeit ist, so ist sie doch nicht in dem vorigen Zustande der Möglich-

47 Schol. 358, a, 36. {Philop. in Phys. III. l: Ioannis Philoponi inAristotelis Physicorum
octo libros (tres priores) commentaria, CAG XVI. Ed. H. Vitelli, Berlin: Reimer
1887, 351.8-12} a1ro1Jf1Jwu1 T'f}ll Xlll't)O'lll O 0e/J,IO'T/Oq 6)../,yov µ,ewßaJ..wv, ÖTI
SO'Tlll 0 TOÜ 1Juvaµ,et OllTOq 7T(2WT't} 8l1TeAexs1a, ri TOIOÜTO)I 80'T/)I' UO'TCl,T't}ll /J,Sll
,yae elva, 8l1TeAexe1aJ1 T'f}ll elq TO el1Joq µ,ewßoM1v, 8)/ i[i 'f}(le/J,el AOl7TOll, 7T(2WT't}ll
1Je T'f}ll 81T' 8Xelll0 7T0(2e/U)I, ,iiTtq 80'TI Xlll't)O'tq.
48 Schol. p. 358, a, 5. {Simpl. in Phys. III.l, CAG IX 414.1-5} oÜTwq äea xa:3-o
8)1S(2'}'cll/, 80'Tlll, ou1Jev Xllle/Tat. ou /J,SllTOI ou1Je xa:3-o 1Juvaµ,e1, /J,SJIO)I 1Juvaµ,et xai
8)1 /J,Oll'(J Tfj 87TIT't}1Je,oT't}TI, oux äv AS'}'OITO Xlllet0':3-a,· aJ..X Öwv (1,7T() TOÜ 1Juvaµ,e1
µ,ewßaM'(J elq TO 8llc(2'}'cll/,, /J,SJIO)ITOq 8)1 auTi;:> TOÜ 1Juvaµ,e,, TOTS AS'}'/;Ta/
Xllle/0':}at.
49 Phys. III, 1. p. 201, a, 29. und Metaph. K, 9. {1065623-25}
60 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

keit geblieben, sondern in einen neuen und näheren Zustand der Möglich-
keit versetzt worden, der eben für sie der Zustand des Werdens ist. So ist also
das Subject wohl gewissermaßen im Zustande der Möglichkeit geblieben,
wie ich etwa von dem, was jetzt weiß und dann roth ist, sagen kann, es sei
im Zustande der Wirklichkeit geblieben hinsichtlich der Farbe, obgleich es
jetzt durch einen andern Zustand der Wirklichkeit farbig ist, als vorher; im
strengen Sinne aber ist das Subject nicht in einem Zustande der Möglichkeit
geblieben, sondern aus dem einen Zustand der Möglichkeit in den andern
Zustand der Möglichkeit zu derselben Form versetzt worden, nämlich in deri
Zustand des Werdens, der durch die XIJJ'Y)(Ttt; constituirt wird.
Darum würde ich, wenn nicht die große Auctorität jener Männer mich
bedenklich machte, die die erstere Auffassung vertreten, unbedingt der zwei~
ten Auslegung den Vorzug geben, nach welcher sich die Definition also
bestimmt:
Die xtJJ'Y)(Ttt; ist die Actualität des Potenziellen als solchen, wie die Form
des Erzes die Actualität des Erzes als solchen ist; d. h. sie ist die Actualität
(evee,ye1a), die ein in Möglichkeit Seiendes (<Juvaµ.,e1 öv)* zu dem macht, was
es ist ('Ti TotoÜTov e(TTt), nämlich zu diesem in Möglichkeit Seienden, oder
mit andern Worten, die ein Mögliches als Mögliches (ein im Zustande der
Möglichkeit Befindliches als in diesem Zustande befindlich) constituirt oder
formirt. Nach dem schon Besprochenen hat die Definition, in dieser Weise
gefaßt, keine Schwierigkeit mehr, und der Vorzug dieser Auslegung besteht
nicht bloß darin, daß nach ihr die Definition in größerer Genauigkeit, son-
dern auch in größerer Einfachheit erscheint. Zu ihrem besseren Verständ-
nisse noch das Folgende, wobei wir immer auf die betreffenden Stellen des
Aristoteles verweisen, zum Zeichen, daß unsere Argumentationen auch nach
seinem Sinne sind. Wir werden 1) zeigen, daß es Potenzialitäten gibt, die als
solche durch eine Actualität constituirt sind, 2) daß dieses nicht bei allen
potenziellen Zuständen der Fall ist, 3) daß, wo es der Fall ist, die constitui-
rende Actualität eine XtlJ'Y)(Ttt; ist.
Der erste Punct ist der, welcher am meisten zu Zweifel und Widerspruch
anregen möchte, darum wollen wir ihn mit besonderer Sorgfalt behandeln,
und wir führen unseren Beweis also, daß wir 1) darthun, daß es in vielen
Fällen zwei verschiedene zu demselben Zustand der Wirklichkeit hingeord-
nete Zustände der Möglichkeit gibt; 2) daß, wo eine solche Mehrheit der
potenziellen Zustände sich findet, der eine wenigstens als solcher durch eine

* S. Einl.AS LXXXIX.
VIERTES KAPITEL. 61

Actualität constituirt (oder formirt) sein muß. Wir beginnen aber, indem
wir auf den vorigen § verweisen, in welchem wir sahen, daß es außer dem
im Zustande der Wirklichkeit Befindlichen, dem evae7efq, Öv, auch ein im
Zustande der Möglichkeit Befindliches gibt, das ov '/Juvaµ,a1. 50 Was constituirt
nun etwas im Zustande des ov evae7afq,? Offenbar eine Form oder evee7a1a.
Wie aber? das ov '/Juvaµ,a1, wird dies auch als solches durch etwas constituirt
(formirt) werden? Man sollte in der That nicht glauben, daß ein Zustand der
Möglichkeit als solcher durch eine Form, die doch eine Wirklichkeit ist, 51
constituirt werden könne, und dennoch ist es der Fall, wenn anders es einen
doppelten Zustand der Potenzialität hinsichtlich derselben Form gibt, wie
wir eben gesagt haben. (s. o. S. 59 f.)
Wir wollen nochmals diese Thatsache uns vor Augen führen und bestätti-
gen. Wir haben also gesagt, daß es oft einen doppelten Zustand der Potenzia-
lität hinsichtlich derselben Wirklichkeit gibt, und dieses war uns hervorge-
gangen aus jener andern, oben bewiesenen (s. S. 58.) Wahrheit, daß es Dop-
pelzustände der Potenzialität gibt, d. h. daß es Dinge gibt, die vermöge ein
und desselben Zustandes, und zwar ein und desselben schlechthin und dem
Begriffe nach (a1rA.wc; xat xaTa TOJJ A.07ov), in Möglichkeit zu zwei Actua-
litäten sind, wie z. B. ein in Möglichkeit Weißes vermöge ein und desselben
Zustandes sich in Möglichkeit befand zum Weißen und zum Werden des
Weißen, weil durch eine einzige Operation, das Weißmachen, Beides ver-
wirklicht werden konnte. (s.o.) Hieraus hatten wir gefolgert, daß, wenn die
beiden Wirklichkeiten doch nur nacheinander auftreten können, die erste
von ihnen den hinsichtlich der zweiten bestehenden Zustand der Möglich-
keit auch aufheben müsse; denn dieser ist mit dem ihr selbst entsprechen-
den ein und derselbe, der doch offenbar geendigt hat. Weil aber nun doch
noch das Subject in Möglichkeit blieb zur zweiten Form, so konnte dies nur
vermöge eines zweiten, neuen Zustandes der Möglichkeit zu dieser Form
sein. (s. S. 59 f.) Hieraus ist klar, daß dieser Wirklichkeit zwei Zustände der
Potenzialität entsprechen. Es gibt also einen doppelten Zustand der Poten-
zialität hinsichtlich derselben Wirklichkeit.
Wir können dieses Argument noch durch ein zweites bekräftigen. Wenn
es hinsichtlich einer Form einen Zustand der Möglichkeit gibt, aus welchem

50 Phys. III, 1. p. 201, a, 9. <Jt'Y}(!'Y)/J,SVOU <Je xa,S-' SXO,UTOV ,yevoq TOÜ µ,ev evTeAeXel(,l,
TOÜ <Je <Juvaµ,et ... Ebenso Metaph. K, 9. {1065614f.}
51 De anim. II, 1. p. 412, a, 9. eUTI 11' 'rJ µ,ev ÜA'Y) 1Juva,µ,1q, TO 11' el<Joq evTeAexe1a,.
Metaph. H, 2. p. 1043, a, 27. 'rJ µ,ev ,yae wq ÜA'Y) [ouu[a, euT[v], 'rJ 11' wq /J,O(!(f!'f/ ÖTI
evee,ye/0,.
62 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

und vermöge dessen das Subject unmittelbar zum Besitze der Wirklichkeit
gelangen kann, und wenn es hinsichtlich derselben Form einen Zustand
der Möglichkeit gibt, aus welchem und vermöge dessen das Subject nicht
unmittelbar zum Besitze der Wirklichkeit gelangen kann, so sind diese bei.:.
den Zustände verschieden, und es gibt also hinsichtlich ein und derselben.
Form einen doppelten Zustand der Potenzialität. Nun ist aber der antece-
dens dieses Conditionalsatzes wahr, also ist es auch der consequens. Es ist
nämlich wahr, daß ein Stein, der geworfen wird, in Möglichkeit ist zu einem
bestimmten Orte, nach dem er geworfen wird, und daß er aus dem Zustande, •
in dem er sich als Geworfenwerdender jetzt befindet, unmittelbar in den
Zustand der Ruhe am erreichten Ziele übergeht, und es ist wahr, daß auch
ein Stein, der an einem Orte ruht, in Möglichkeit zu jenem andern Orte ist,
weil er durch einen einzigen Wurf dahin gelangen kann, und daß er doch aus
dem Zustande, in welchem er sich da, wo er vor dem Wurfe liegt, befindet, ··
nicht unmittelbar dahin gelangen kann, sondern zuerst in den Zustand des
Geworfenwerdenden kommen muß. Also haben wir hier ein Beispiel, wo es
hinsichtlich ein und derselben Wirklichkeit zwei Zustände der Potenzialität
gibt. Dieses Argument entnehmen wir aus Aristoteles selbst, wo er im zwei-
ten Buche der Metaphysik sagt, in doppelter Weise werde etwas aus etwas,
wie ein Mann aus einem Knaben, der zum Manne heranreift, oder wie Luft
aus Wasser; bei dem ersten werde aus dem Werdenden das Gewordene, oder
aus dem in der Vollendung (Verwirklichung) Begriffenen das Vollendete
(Wirkliche). ,,Denn," sagt er, ,,immer gibt es ein Mittleres, wie zwischen
dem Sein und Nichtsein das Werden, so auch das Werdende zwischen dem
Seienden und Nichtseienden. "52
Aus derselben Stelle entnehmen wir noch eine weitere Bestättigung unsec
res Satzes; denn daß hier zwei verschiedene Zustände sind, ergibt sich noch
aus einem andern Merkmal, das dem einen als solchem eigenthümlich ist,
und dem andern fehlt. Aus dem Zustande des Werdens gelangt etwas in den
Zustand der Wirklichkeit, aber nicht umgekehrt, denn was weiß ist, kann

52 Metaph. a, 2. p. 994, a, 22. cJ,xwc; ')'Cl,(! ')'t')'VST(J,/ TOcJe ex ToÜcJe, ,;J wc; TocJe Ae,yemt
/J,STCI, TOüe, oiov et 'Ia·S-µ,iwv 'OM1µ,ma, ,;; oux o/hwc; aM' wc; ex natcSoc; av0e
µ,emßaMovToc;, 'Y/ et ÜüaToc; (Jf(}(!, wc; µ,ev oov ex natcSoc; ävcJea 7i7ve1TS-ai rpaµ,ev;
wc; ex TOÜ 71,yvoµ,evou TO 7e7ovoc; ,;; ex TOÜ emTeAouµ,evou TO TeTSASIT/J,SVOV' aei
')'IJ,(! e/J'TI µ,eTatu, W/J'71'S(! TOÜ elvat xai µ,0 elvat 7eve1Ttc;, OLJTW Xat TO 71,yvoµ,evov
TOÜ OVToc; xai µ,0 OVToc;. 8/J'TI cJ' 0 µ,avS-avwv 71,yvoµ,evoc; emlTT'(J/J,WV, Xat Toirr'
e/J'TlV o' AS')'llTal, OTI ')'l')'VllTal ex µ,avS-avovToc; em/J'T'(J/J,WV. TO lJ' wc; et aeeoc;
ülJwe, rpS-et(!oµ,evou S-aTe(!ou.
VIERTES KAPITEL. 63

nicht weiß werden. Aber aus dem Zustande der Möglichkeit vor dem Wer-
den gelangt etwas in den Zustand der Wirklichkeit und umgekehrt; denn
das Schwarze ist in Möglichkeit weiß, und nachdem es wirklich weiß gewor-
den, ist es in Möglichkeit schwarz und kann somit wieder zu demselben
Zustande zurückl<:ehren. 53
So viel steht also unzweifelhaft fest, es kann hinsichtlich derselben Form
einen doppelten Zustand der Potenzialität geben.
Wo immer aber eine solche Mehrheit der potenziellen Zustände sich fin-
det, da muß der eine wenigstens, als solcher, durch eine Actualität constituirt
(formirt) sein. Dies ist ganz klar und gewiß. Denn die Privation als solche
constituirt nichts; sie ist ja selbst nur ein Öv xaTa <Tuµ,ßaß'Y)xoq und hat an
und für sich betrachtet gar keine Existenz; 54 die Materie aber als solche ist
unterschiedslos, und da sie alle ihre Bestimmungen durch die Form erhält,
durch die sie ist, was sie wirklich ist, so gibt es hinsichtlich ein und derselben
Form auch nur eine Materie, 55 wie also sollte der Unterschied des Zustandes
des Werdens und des Zustandes der Möglichkeit zu derselben Form vor dem
Werden von ihr gesetzt sein? Unmöglich! Vielmehr ist nur eines möglich,
daß der Unterschied der beiden Zustände der Möglichkeit durch eine Form
gesetzt wird, daß also wenigstens der eine von beiden Zuständen als sol-
cher durch eine Actualität constituirt (formirt) wird. Und dies war, was wir
an erster Stelle darthun wollten, und was auf den ersten Blick am meisten
Bedenken erregen kann, daß es nämlich Zustände der Potenzialität gibt, die
als solche durch eine Actualität constituirt sind.
Es läßt sich dies noch auf einem anderen Wege darthun, wenn einmal
der oben bewiesene Satz festgestellt ist, daß ein und derselbe Zustand der
Möglichkeit, und zwar ein und derselbe schlechthin und dem Begriffe nach
(s. o. S. 58.), der Zustand der Möglichkeit hinsichtlich zweier Actualitäten
ist. Denn wenn die beiden Actualitäten an und für sich betrachtet zwei sind,
so müssen sie doch eines sein in der Ordnung zu diesem Zustande der Mög-
lichkeit, und so muß die eine von ihnen zur andern hingeordnet sein, also
dem Subjecte eine actuelle Tendenz zu ihr geben, d. h. einen neuen, näheren

53 Metaph. a, 2. p. 994, a, 31. IJIO exeTva µ,ev oux avaxaµ,1TTel etc; äM'f)Aa, OUIJe
'}'l'YJleTat es avb'eoc; na,c;- Oll 7ae '}'l'YJleTal ex T,yjc; '}'el/S(J'eW<; TO '}'l'}'l/0/J,el/Oll, aM'
S(J'TI /J,eTa T'f/l/ '}'Sl/e(J'/l/. OVTW 7ae xa/ 'f}/J,S(2a ex TOLJ 1T(2Wt', ÖTt µ,eTa TOLJTo· IJIO
oub'e TO newi" es 'f}/J,S(2ac;. ::taTega /Je avaxaµ,1TTel.
54 S.o.S.21f.
55 Metaph. H, 2. p. 1043, a, 12. 0 evee7a1a äM'fJ äM'f/c; ÜA'f/<; xa/ oAo7oc;.
64 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Zustand der Möglichkeit zu ihr constituiren, einen Mittelzustand zwischen


dem ersteren und der Wirklichkeit. 56
Wir kommen zu dem zweiten Punkte. Wenn nämlich durch die vorange-
hende Untersuchung klar geworden ist, daß manches in einem Zustande der
Möglichkeit Befindliche als solches durch eine Form constituirt wird, so ist
doch nicht damit gesagt, daß dies bei allem im Zustande der Möglichkeit zu
etwas Befindlichen der Fall sein müsse. Im Gegentheil, auch dieses wäre ein
Irrthum, den darum Aristoteles im dritten Buche der Physik und dem ent-
sprechenden Theile des elften Buches der Metaphysik bekämpft. Wir wollen
seine Argumentation in etwas vollständigerer Weise hier durchführen. Ein
im Zustande der Möglichkeit Befindliches, das als solches durch eine Actua-
lität constituirt ist, muß 1) ein im Zustande vor der Wirldichkeit Befind-
liches sein, 2) als solches eine Form und also ein Wesen und einen Begriff
haben, den diese Form bestimmt, denn jede Form gibt ein Wesen. Dar-
aus folgt, daß eine Wachskugel z.B., die irgendwo ruhig liegt und in Mög-
lichkeit ein Cubus ist, nicht durch eine Actualität als in diesem Zustande
befindlich constituirt ist. Denn 1) von allen Formen, die in der Wachsku-
gel sind, könnte es doch nur die Actualität des Wachses als Wachs oder die
Weichheit des Wachses sein, die ihm eine besondere Disposition verleiht, die
das Umbilden erleichtert. Allein wenn die Wachskugel zum Cubus gewor-
den, so bleibt ja die Form des Wachses als Wachs und auch seine Weichheit,
also auch alles, was durch sie formell constituirt wird; wenn dies nun ein
Zustand der Möglichkeit, also ein Zustand vor der Wirklichkeit wäre, so
wäre der gewordene Cubus noch nicht Cubus, was widerspricht. Es müßte
Einer also gerade glauben, die Form der Wachskugel als Kugel sei es, die sie
im Zustande der Möglichkeit zum Cubus constituire; denn allerdings kann
das als Kugel Geformte nicht zugleich Cubus sein. Allein dagegen erhebt
sich 2) ein Argument, welches auch hinsichtlich der vorerwähnten Form des
Wachses schlagend ist. Die Wachskugel ist wie zur Form des Cubus, so zu
tausend andern Figuren in Möglichkeit. Alle diese Zustände der Möglichkeit
müßten also durch die Form der Kugel (oder des Wachses) constituirt sein,
wenn die Wachskugel als Kugel (als Wachs) ein im Zustande der Möglich-
keit Befindliches wäre, und folglich mit der Kugel (dem Wachse) als solcher
(d. h. schlechthin und dem Wesen und Begriffe nach) identisch sein. Aber
dies ist unmöglich; denn wo Zwei mit einem gemeinsamen Dritten iden-
tisch sind, sind sie auch unter sich identisch, und folglich wären die unzäh-

56 Metaph. a, 2. S. o. S. 62 Anm. 52.


VIERTES KAPITEL. 65

ligen hier vereinigten Zustände der Möglichkeil zu Cubus, Tetraeder, Dode-


kaeder, Ikosaeder und andern regelmäßigen und unregelmäßigen Formen
a1rAwr; xat xaTa Tov Ao,yov identisch, die doch so verschieden sind, als diese
Formen selbst, die nach den verschiedensten Richtungen auseinanderliegen.
Es ist somit erwiesen, daß die wächserne Kugel, indem sie von der Actualität
des Wachses, als Wachs, von der Kugelgestalt, als Kugel, constituirt wird,
von keiner ihrer Actualitäten in dem Zustande der Möglichkeit zum Cubus
als solchem constituirt wird, daß sie also ein in diesem Zustande der Mög-
lichkeit Befindliches ist, ohne als solches durch eine Actualität constituirt zu
sein. 57
Wir kommen zum dritten Puncte. Nachdem wir gesehen, daß es eine
doppelte Art von Zuständen der Potenzialität gibt, von denen die einen als
solche durch eine Actualität constituirt werden, die andern nicht, so fragt es
sich jetzt, welche Zustände der Potenzialität es seien, die durch eine Actua-
lität constituirt werden, oder, was dasselbe ist, welche Actualitäten es seien,
die potenzielle Zustände als solche constituiren.
Alles in Möglichkeit Seiende als solches steht in Beziehung zu einem
wirkenden Princip; das Subject ist ja dann in Möglichkeit etwas, wenn es
dasselbe durch eine einzige Operation eines wirkenden Princips in Wirk-
lichkeit werden kann. Daher werden auch jene Zustände der Möglichkeit,
die als solche durch eine Actualität constituirt sind, in Bezug auf ein wir-
kendes Princip und dessen Wirken zu betrachten sein. Ein solcher Zustand
der Möglichkeit zu etwas besteht also in einem Subjecte entweder vor dem
Wirken, oder während des Wirkens, oder nach dem Wirken der Kraft, durch
deren Thätigkeit es in den Zustand der Wirklichkeit übergeführt wird. Aber
nach dem Wirken kann er offenbar nicht bestehen; denn wenn das Wirken
vorüber ist, ist nichts mehr realisirbar durch dieses Wirken; was dieses actua-
lisiren konnte, besteht jetzt entweder in Wirklichkeit, oder hat darin bestan-
den, besteht aber auf keinen Fall, in Bezug auf dieses Wirken wenigstens, in
Möglichkeit, sei es nun eine durch eine Form constituirte, oder eine andere.
Es bleiben also die Zustände des Subjects vor dem Wirken und während
desselben zu betrachten übrig. Aber auch der Zustand der Möglichkeit, der

Vergl. Phys. III, 1. p. 201, a, 31. 01.J 7ae TO aUTO TO xaAxijJ elva, xal cJwaµ,e1 Tll/1
Xlll'Y}TqJ ... 34. cJiijJ..ov ;J' errl TWJ/ evavTiwv· TO µ,ev 7ae cJuva<T:Ja, u71aive1v xal
cJuva<T:Ja, xaµ,ve,v heeov· xal 7ae Ö,v TO xaµ,ve,v xal TO u71aive1v TaUTOV '/}V" TO
<Je unoxeiµ,evov xal TO u71aTvov xal TO VO<TOÜJJ, ei'S-' LJ"f'(lOT'Y}<; ei':J' aiµ,a, TaUTOV
xal ev. enel ;J' ou TaUTOV, W<Tnee oucJe xewµ,a TaUTOV xai O(laTOV, 'f/ TOÜ cJuvaTOÜ,
rJ cJuvaTOV, evTeAexe1a cpaveeov ÖTI Xtl/'Y}<Tt<; S<TTIV.
66 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH Aru:sTOTELES

in dem Subjecte vor dem Wirken existirt, kann kein durch eine Actualität
constituirter sein. Denn da finden sich in dem Subjecte nur drei Formen, die
in Betrachtung kommen könnten, eine, die als terminus a quo für die Ver-
änderung, die eintreten soll, zu betrachten ist, wie z. B. die Gestalt der Kugel
bei dem Wachse, das zum Cubus umgeformt werden soll, eine andere, die
eher den Schein erwecken könnte und daher von Aristoteles allein berück-
sichtigt wird, die das Subject constituirt als das, was es in Wirklichkeit ist,
wie, um bei demselben Beispiel der Wachskugel zu bleiben, die das Wachs
als Wachs constituirende Actualität, eine dritte endlich, die, wie hier die
Weichheit dem Wachse, dem Subjecte eine besondere Disposition verleiht. 58
Aber wir haben schon von dem zweiten Puncte handelnd gezeigt, daß keine
dieser Formen ein in Möglichkeit Seiendes, als solches, constituirt. Dieses
als solches besitzt also keine Actualität. Dagegen ist der Zustand der Mög-
lichkeit, in welchem sich das Subject während des Wirkens des activen Prin-
cips befindet, allerdings ein Zustand, der als solcher durch eine Actualität
constituirt ist. Denn das Princip wirkt ja nur insoweit, als das Subject eine
Wirkung und also etwas Wirldiches empfangt. Ist nun das Subject doch
noch in Möglichkeit in Bezug auf diese Kraft und ihre Thätigkeit, so ist es
dies durch einen neuen Zustand der Potenzialität, wie wir oben, den ersten
Punct besprechend, dargethan haben, und alles übrige dort Gesagte kömmt
dann auch in Geltung.
Es fragt sich also nur noch, wie man jene Zustände der Möglichkeit
während des Wirkens des activen Princips zu nennen habe, und welches
der Name jener so zu sagen das Subject potenzialisirenden Actualitäten sei.
Bekanntlich nennen wir sie die Zustände des Werdens oder der Bewegung, 59
und als Bewegungen sind also die Actualitäten zu bezeichnen, die ein Mög-
liches als Mögliches constituiren. Dies zeigt die Induction. Wahrend der
Baumeister baut, ist das, womit er baut, in jenem durch Actualität consti-
tuirten Zustande der Möglichkeit, aber das Baumaterial als solches war ja
nur in Potenzialität zum Hausbau und zum Gebäude. Die Actualität des
Hausbaues oder die Actualität des Gebäudes muß daher die jenen höhe-
ren Zustand der Möglichkeit constituirende sein. Aber doch nicht die des

58 Phys. III, 1. s. die Anm. auf der vorhergehenden Seite.


59 Phys. III, 1. P· 201, a, 27. 'fJ lJe TOÜ lJuvaµ,et ÖvToq, ÖTaJJ eJJTeAeXel(l, Öv eve(l'}''ll (./i
aUTO ./i äUo), 'O Xlll'f)TOJJ, Xlll'f)ll'lq e/l'Ttll. Ae,yw lJe TO 71 wlJl. 8/l'TI ,yae oxaJ..xoq
lJuvaµ,et avlJe1aq, aU' Öµ,wq oux 'f} TOÜ xaJ..xoü eJJTeASXeta, '{/ xaJ..xoq, Xlll'f)ll'lq
Sll'Tlll" ou ,yae TO auTO TO xaJ..x{jJ elva, xa/ lJuvaµ,el Tll/1 Xlll'fJT{jJ.
x. T. A. {Die runden Klammern in der Stelle sind von Brentano eingefügt.}
VIERTES KAPITEL. 67
Gebäudes; denn das Gebäude als solches ist nicht mehr in Möglichkeit in
Bezug auf den Baumeister und dieses sein Bauen; es muß also der Hausbau
(olxoioµff}(]"I<;) jene Actualität sein, und dieser ist eben eine Bewegung (xfv'f}-
rnc;). In derselben Weise läßt sich dies nachweisen in Bezug auf alle anderen
Bewegungen. 60 Denn wie das im Zustande der Möglichkeit zum Gebäude
Befindliche, wenn es als solches durch eine Actualität constituirt ist, gebaut
wird, und dieses der Hausbau, also eine Bewegung ist, so ist es auch bei der
Heilung, der Umwälzung, dem Sprung u. dgl. m. der Fall. 61 Die Bewegung
also ist die Actualität des im Zustande der Potenzialität Befindlichen als sol-
chen, die Actualität des Möglichen als Möglichen, wie z. B. die Bewegung
zur Qualität (aMotW(]"tc;) das Quale-(1ro16v)Werdende in diesem Zustande
der Möglichkeit zu einer Qualität constituirt, und ebenso die Bewegung zur
Quantität (a,Ü{;'f}(]"I<; xa,1 cp:3-t(]"tc;) das Quantum-(1ro(J"ov)Werdende in diesem
Zustande der Möglichkeit zu einer Quantität constituirt, ferner die örtli-
che Bewegung (cpoea) das einem Ziele sich Nähernde in diesem Zustande
der Möglichkeit zu einem Orte constituirt. So wird, wenn es einen solchen
Mittelzustand der Potenzialität auch in dem Gebiete des Substanziellen gibt,
auch der Zustand des substanziellen Werdens und Verwesens durch Genera-
tion und Corruption (,yevs(]"tc; xa,1 cp:3-oea) formell constituirt werden, und
auch diese werden dann Bewegungen sein. 62
Nachdem Aristoteles seine Ansicht über die Bewegung vorgetragen und
positiv begründet hat, sucht er im zweiten Kapitel des dritten Buches der
Physik und dem entsprechenden Theile des elften der Metaphysik sie durch

60 Phys. III, 1. p. 201, b, 5. ÖTt µ,ev OÜV ecniv aÜT'r), xai ÖTt uuµ,ßafvet TOTe
x1veTuS-a1, ÖTav 'Y) evTeAexs1a '1i aÜT'f/, xai oÜTe neoTeeov oÜTe ÜuTseov, rJfijAov·
evcJexeTat ,yae exaUTOV OTe µ,ev evse,yeTv OTe <Je /J,'f/, olov TO oixoüO/J,'Y}TOV xai 'Y)
TOU OIXOÜO/J,'Y}TOU evee,yeta, 1i oixoüO/J,'Y)TOV, oixo<Joµ,'Y}uk eUTtv· ,;; ,yae oixoüO/J,'Y}Utr;
'Y) evee,yeta TOU oixoüO/J,'Y}TOU ,;; 'Y) oixfa· aM' Ömv oixfa 'n, ovxfr' oixoüO/J,'Y}TOV
SUTtV· olxocJoµ,eTmt <Je TO oixoüO/J,'Y}TOV· ava')'X'I) äea T'Y}V oixoüO/J,'Y}UIV T'Y}V
eve(!')'etav elva1· 'Y) ;J' oixoüO/J,'Y)fftr; XIV'Y}Utr; Ttr; eUTIV. aMa /J,'Y}V O avTor; ecpaeµ,ouet
Ao,yor; xai eni TWV äMwv XIV'f/UeWV.
61 Ibid. a, 15. ÖTI <Je TOUTO eUTIV 'Y/ XIV'Y}Utr;, evTeUS-ev üfijAov. Ömv ,yae TO
oixoüO/J,'Y}TOV, TJ TOIOUTOV aVTO Ae,yoµ,ev elva1, evTeAeXel(,I, 'n, oixocJoµ,e'iTat, xai
S(TTI TOUTO oixo<Joµ,'Y}utr;· oµ,ofwr; <Je xai µ,aS-'Y}utr; xai iaT(!eUUtr; xai XUAIUtr; xai
ä,)..u,r; xai ä.<Jeuvu1r; xai 'Yrieavu1r;.
62 Phys. III, 1. p. 201, b, 4. 'Y/ TOU üUVaTOU, 1i cJuvaTOV, evTeASXela cpaVe(!OV ÖTI
XIV'Y}Utr; eUTIV. ibid. a, 10. 'Y/ TOU ÜUVO,/J,el OVTOq SVTeASXela, 1i TOIOUTOV, XIV'Y}Utr;
eUTIV, olov TOU µ,ev aMOIWTOU, 1J aMOIWTOV, aM01wu1r;, TOU <Je aVS'Y}TOU xai TOU
(J,VTIXel/J,SVOU cpS-tTOU (ov<Jev ,yae Övoµ,a XOIVOV en' aµ,cpo7v) aÜS'Y}Utr; xai cpS-[u,r;,
TOU <Je ')'eV'Y}TOU xai cpS-a(!TOU ')'SVeUtr; xai cpS-oea, TOU <Je cpO(!'Y}TOU cpoea.
68 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

eine Polemik gegen frühere Bestimmungen der Philosophen, wobei er wohl


Plato im Auge hat, 63 abermals zu bestättigen. Und wie seine Polemik nie
unfruchtbar ist, da sie überall das Richtige in dem Verkehrten zu finden
und von ihm loszuschälen weiß, so auch hier. Es hatten nämlich, wie er
berichtet, ältere Versuche die Bewegung bestimmt als die Andersheit, als die
Ungleichheit und als das Nichtseiende. Alle diese Bestimmungen bezeich-
nen das Wesen der Bewegung nicht; denn nichts von allem dem muß bewegt
sein, weder das, was verschieden, noch was ungleich, noch was nichtseiend
ist, und da es dem Zustande des Werdens eigenthümlich ist, daß das Wer-
dende zum Zustand des Gewordenen, das Gewordene aber nicht zu jenem
Werden, wodurch es geworden ist, in Möglichkeit ist, wie wir schon oben
gesehen haben, 64 so geht hier ebensogut das Gleiche in das Ungleiche, als
das Ungleiche in das Gleiche über, und das Seiende in das Nichtseiende und
das Nichtseiende in das Seiende u. s. w. 65 Was hat nun aber diese fehler-
haften Bestimmungen hervorgerufen? Es liegt allerdings etwas in der Natur
der Bewegung, was dazu verleiten kann, sie in die Reihe 66 des Privativen zu
stellen; denn da das Werdende keine eigene Gattung der Dinge bildet, son-
dern auf die Gattungen des vollendeten Seienden zu reduciren ist, 67 wie das
Großwerdende auf die Größe, das so und so beschaffen-Werdende auf die
Beschaffenheit, so möchte man es für etwas Unbestimmtes und der Form
Ermangelndes halten. Was sollte man sonst aus der Bewegung machen? Die
()uvaµ,1q, vermöge deren etwas in Möglichkeit ist, ist keine Bewegung, was

63 Vergl. Schol. p. 360, a, 8 und 15 {a, 8: Simpl. in Phys. III.2, CAG IX 431.Sff. -a,
15: Anonymus}.
64 Metaph. a, 2. s. o. S. 63. Anm. 53.
65 Phys. III, 2. p. 201, b, 19. lJiijJ..ov (Je ITX01TOLJITIJ) wq Tt;;J'eG,(]'/J) O,UT'f'JV SVIOI, STS(20T'f/Ta
xai avtlTOT'f/TO, xai TO /J,'f'J b'v <patTXOVTSq slvat T'f'JV XIV'f}ITIV' div oulJev ava7xa7ov
x,ve7uS-a,, oÜT' äv ilTaqa 'n oüT' äv ävura oüT' äv otlx ÖvTa· CLM' oUa' iJ µ.,1;--raßoAr~
oi.fr' slq TO,LJTO, OUT' ex TOUTWV µ,iiMov SITTIV ,rJ ex TWV aVTtXSt/J,eVWV.
66 Nach der Ordnung der Pyrhagoräer. Vergl. Schol. p. 359, b, 30. {Simpl. in Phys.
Ill.2, CAG IX 428.27ff.}
67 Phys. III, 2. p. 201, b, 24. 0,/TIOV lJe TOLJ s/q TaLJTa TtS-evat OTI (1,0(21/TTOV Tl lJoxs7
slvat 0 XIV'f}ITtq, Tiijq (Je hegaq ITLJITTOIXtaq ai aexai {51(1, TO ITTS(2'f}Ttxai slvat
(1,0(21/TTOI' OUTS 7ag TO(JS OUTS TOtovlJs oulJsµ,fa O,UTWV etTTIV, OTI oulJe TWV Ü,Mwv
xaT'f}')'oe,wv. Ibid. 1. P· 200, b, 32. oux e/TTI ie xfv'f}ITtq 1raea Ta 1r12 a 7 µ,aTa·
0
µ,smßaMst 7ag TO µ,smßaMov asi xaT' OUITIO,J) ,rJ xaTa 7TOITOV ,rJ XaTa 1TOIOV ,;;
xaTa T01TOJ). XOIVOV lJ' e,r/ TOUTWV oulJev SITTI J..aßüv, wq <paµ,ev, o' OUTS TO(JS OUTS
1TOITOV OUTS 1TOIOV OUTS TWV äMwv XO,T'f/')'Of2'f//J,<l,TWV ouS-ev. WITT, oulJe XIV'f}Utq
oulJe µ,smßoJ..0 ouS-svoq SITTal ,ro,ga Ta slg'f}µ,eva, /J,'f}(JSVOq ')'S ÖvToq ,ro,ga T(L
sig'f}µ,eva.
VIERTES KAPITEL. 69
aber evae,yalq, etwas ist, ist auch nicht in Bewegung zu ihm; so scheint nur
übrig zu bleiben, daß man sie für eine unvollendete evee,ya1a erklärt, für eine
evra),exa1a, die keine Vollendung gibt, was doch, wenn man darunter nicht
eine Privation versteht, wie ein Widerspruch aussieht. Allein das Räthsel
löst sich so: die Bewegung constituirt als evee,ya1a etwas im Zustande der
Möglichkeit Befindliches als solches, und das Mögliche natürlich ist etwas
Unvollendetes, 68 daher ist das, was die Bewegung vollendet, ein Zustand der
Nichtvollendung, 69 was sie verwirklicht, ein Zustand vor der Wirklichkeit.
,,Darum," sagt Aristoteles, ,,ist es schwer zu fassen, was die Bewegung sei;
denn entweder, meint man, müsse man sie für eine Privation erklären, oder
für ein Vermögen, oder für eine Wirklichkeit schlechthin, und doch scheint
wieder von allem dem nichts möglich. Es bleibt also nur die angegebene
Weise übrig, daß sie nämlich eine Actualität sei, aber eine derartige, wie wir
sie bestimmten, und wie sie zwar schwer zu begreifen, aber dennoch möglich
· "70
1st.
Somit zeigt sich, wie alles, was Aristoteles über die xiv'i'}<rtq lehrt, auch bei
dieser Auslegung der Definition wohl zusammenstimmt. Denn auch das,
was wir so eben berührten, daß die Bewegung keine eigene Gattung des Sei-
enden bildet, sondern den verschiedenen Gattungen, wie auch die evee,ya1a
schlechthin und die '1Jvvaµ,1q, folgt, steht damit in vollkommenem Einldang.
Da das, was die Bewegung als evee,ya1a constituirt, ein Zustand der Mög-
lichkeit ist, die Zustände der Möglichkeit aber zu derselben Gattung mit den

68 Phys. III, 2. p. 201, b, 27. TOÜ <Je <JOXetl/ (1,0(21/TTOl/ elva1 T'qll Xll/'fJ<Tll/ aiTtov ÖTt
oÜTe eiq <J1Jllaµ,1v TWl/ ÖvTWl/ OIJTS eiq evegryetal/ S<TTI S-etvat al.lT'f/l/ a1rAwq· oÜTe
ryae TO <JUl/aTOl/ 1TO<TOl/ elvat Xll/SITat e; avaryx'f)q OÜTe TO eveerye[q, 1TO<TOll, ,if Te
Xlll'f)<Ttq evegryeta µ,ev Ttq elvat <JOXet, (1,TSA'fjq <Je. ai'Ttol/ 1J' ÖTt aTeAeq TO
<JUl/aTOll, OÜ S<TTll/ ri ri
evegryeta. De anim. III, 7. p. 431, a, 6. ryae Xlll'fJ<Tlq
TOÜ anAoÜq eveeryeta ~l/.
69 Wer der ersten Auslegung folgt, dem macht es Schwierigkeiten (vergl. Schol.
p. 358, a, 19. {s. s. 49 Anm. 16}), daß Aristoteles die Xlll'f)<Ttq als eveerysta nicht
bloß, sondern auch als evTsAexe1a bezeichnet, die doch TsAetoT'f)q, Vollendung,
aussagt (s. o. § 1.). Wir erklären dies leicht. Wie die xiv'f)<rtq den Zustand des Wer-
dens constituirt und als solchen verwirklicht, weshalb sie eveerye1a ist, so vollendet
sie ihn auch als solchen und heißt darum evTeAexs1a; setzt sie ja doch auch den
näheren, höheren und so zu sagen vollendeten Zustand der Möglichkeit.
70 Phys. III, 2. p. 201, b, 33. xat <Jta TOÜTO <J'fj xaAS1TOl/ aLJT'f/l/ AaßeTv Tl SITTll/' 1j ryae
eiq <TT8(2'fJ<Tll/ avaryxaTov S-etva1 1j eiq <JUlla/J,lll 1j eiq eveerystal/ a1rNiw, TOUTWl/ 1J'
OLJ<Jel/ cpaiveTal Sl/<JeXO/J,el/Oll. Ae11TeTa1 TOtl/Ul/ 0 eie'fJ/J,SllOq T(201TOq, evegryetal/ µ,ev
Ttl/a elvat, TOlaUT'f/l/ 1J' evegryetal/ oia,v efrcaµ,ev, xaAS1T'f/l/ µ,ev i<Jetll, Sl/<JSXO/J,8ll'f/l/
1J' elvat.
70 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

entsprechenden Zuständen der Wirklichkeit gehören, wie der mögliche Kör-


per mit dem wirklichen Körper in die Gattung der Substanz, das mögliche
Weiß mit dem wirklichen Weiß in die Gattung der Farbe und der Qualität
u. s. f, so muß das b'v XIJJ'f)Uet und die XtJJ'Y}Utq, auf die jedesmalige Species
dessen, was durch sie wird, reducirt, denselben Gattungen wie das vollen-
dete Sein angehören. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß, wie '11uvaµ,1q und
evee7e1a, so auch eine X/JJ'Y)(J"lq in jeder Gattung des Seienden sich finden
müsse. Ein allmäliges, continuirliches Werden, wobei allein ein Zustand des
Werdens, jener zweite Zustand der Möglichkeit, den die eigentliche XtJJ'Y)Utq
formiren soll, stattfinden kann, findet sich nur da, wo conträre Begriffe und
folglich Media sind, die zwischen contradictorisch-Entgegengesetztem feh-
len. Die Umwandlung vom Nichtseienden zum Seienden kann nur eine
plötzliche und augenblickliche sein. Aristoteles thut im dritten Buche der
Physik (und dem entsprechenden Theile des elften der Metaphysik) alles
dieses weitläufiger dar, 71 und beschränkt daher, nachdem er Phys. III, 1. und
Metaph. K, 9. erklärt hat, 72 „daß es ebensoviele Arten der Bewegung und
Umwandlung, als Arten des Seienden gibt," dieses für die eigentliche xfv'Y}utq
später auf die drei Kategorien der Qualität, Quantität und des Ortes, worin,
wie er durch eine sorgfältige Untersuchung nachweist, allein die erforderli-
chen Bedingungen gegeben sind. 73
Indessen wollen wir gegen die erste Auslegung nicht eigentlich ankämp-
fen; bestimmen ja doch am Ende die eine und die andere, wie groß immer

71 Vergl. Metaph. K, 11. p. 1067, b, 14 ff. Ebenso Phys. III {die Phys.-Parallelstelle zu
K. 11 1067614ff. ist jedoch V. I 225a3ff.}.
72 Phys. III, 1. p. 201, a, 8. WCJ'Te Xlli'f/CJ'eW,; xai /J,eTaßoJ./ijr; eUTIV ei't'l) TOUaÜTa Öua
TOÜ ÖvTo,;. Ebenso Metaph. K, 9. {1065bl3f. Zu den von Brentano angeführten
Thesen vgl. Cat. cp.5 3b24ff., Phys. V.2 225b10f., Metaph. K.12 1068al0f. (Sub-
stanzen haben keine Kontrarien); Phys. V.3 227a7-10, Metaph. K.12 1069a2-5
(Medien gibt es nur bei Kontrarien); Phys. Vl.5 236a5-7 (Im Wandel von nicht-
seiend zu seiend, d.h. in der keine Xtl/'l)Utr; seienden 7eveu1,;, ist es ev a.Toµ,cp vfJv,
daß das Vergangene vergangen und das daraus Entstandene entstanden ist.)}
73 Metaph. K, 12. p. 1068, a, 8. ei OÜV ai xaT'l),YOQtat tvrJQ'l)l/Tal ouuiq,, 1TOIOT'l)TI,
T01T(/l, TqJ 1TOISIV ,fj 1T(J,CJ'Xelli, Tq) 1TQOr; Tl, Tq) 1TOCJ'qJ, ava,yx'l) TQÜr; dvat Xlli'f/CJ'elr;,
nowfJ, nouofJ, Tonou. Ebenso Phys. III {richtig: V.l 22565-9}. Bei jenen Din-
gen, welche keinen Mittelzustand zwischen dem vor dem Werden und dem der
Wirklichkeit zulassen, und für die es demnach keine eigentliche xiv'l)utr; gibt, also,
wie wir hören, bei allen Kategorien außer dem 1ro16v, 1rou6v und nov ist offen-
bar der Zustand der Möglichkeit vor dem Werden, den also keine Form als sol-
chen constituirt, schon als nächster Zustand der Möglichkeit zu bezeichnen. Der
Zustand ihres Werdens ist der Zustand der Wirklichkeit im ersten Augenblicke.
VIERTES KAPITEL. 71

ihr formeller Unterschied sein möge, wie schon bemerkt, nichts im Wesent-
lichen Verschiedenes. Nach beiden sehen wir, daß bei dem Öv XtV"f}(J'ct eine
eigenthümliche Weise der Vereinigung eines potenziellen und eines actuel-
len Zustandes stattfindet. Die zweite Auslegung läßt dieselbe sich besonders
klar in der Definition der Bewegung ausdrücken, indem sie sagt, daß die
Bewegung eine Actualität sei, die, indem sie ihren actuellen Zustand setzt,
einen Zustand der Möglichkeit constituirt, das Mögliche als Mögliches. Wir
sehen, daß also auch hier das werdende Subject, wenn es auch in diesem
einen Mittelzustande zwischen dem einer entfernteren Möglichkeit und der
Wirklichkeit einen Zustand der Wirklichkeit und der Möglichkeit zugleich
besitzt, doch nicht zugleich hinsichtlich ein und desselben im Zustande der
Wirklichkeit und Möglichkeit ist; in Wirklichkeit ist es hinsichtlich des
Werdens, der xfvrw1;, in Möglichkeit hinsichtlich der Form, die durch die
xfv'(J(J'tq vorbereitet wird.
Diesen Mittelzustand erreichen denn auch jene Potenzialitäten, bei denen
die eigenthümliche Erscheinung sich zeigt, daß der Möglichkeit keine
erschöpfende Wirklichkeit entsprechen kann. Wie der Begriff der Bewegung
etwas schwer zu Fassendes an sich hat, was Anfangs Staunen und Zweifel an
der Richtigkeit ihrer Definition erregen wird (vergl. Metaph. A, 2. p. 983, a,
12.), so möchte Mancher im Anfange auch nicht zugeben wollen, daß es, da
doch jede Möglichkeit nur in Bezug auf eine Wirklichkeit so genannt wird,
dennoch eine Potenzialität geben könne, der keine Actualität entspricht,
wenigstens keine in den Dingen existirende, wenn auch eine gedachte und
in ihrem Begriffe mitbegriffene. Und doch ist es so, wie das Beispiel jeder
Linie und jedes Körpers klar macht. Die Linie, in Wirklichkeit Eines, ist, als
halbirbar, in Möglichkeit zwei, und da die Hälfte neuer Theilung fahig ist,
in Möglichkeit vier. So ist sie zwei, vier, acht, sechszehn u. s. f. in Möglich-
keit. Und welches ist die Gränze dieser Möglichkeit? Sie hat keine Gränze;
während sie in Wirklichkeit Eines ist, ist sie in Möglichkeit Unendlichvieles.
Diese Möglichkeit wird aber nie durch eine Wirklichkeit erschöpft. Nie-
mals werden die unendlich vielen Linien, die jetzt als Theile der Möglichkeit
nach in der Einen Linie enthalten sind, als unendlich viele wirkliche Linien
existiren. Das Unendliche existirt hier, wie überall, wo es sich um Körperli-
ches handelt,74 immer nur in einem Zustande der Potenzialität, entweder in
dem Zustande der Potenzialität vor der xfv'(J(J'tq (die Eine Linie hat unend-

74 Vergl. Phys. III, 5. p. 204, a, 8.


72 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

lieh viele Theile), oder als Öv XIJJ'fJO"el, wenn eine Theilung ins Unendliche
unternommen wird. Aehnliches gilt bei Fläche und Körper und Anderem. 75
So viel von dem Seienden, insofern es das in reeller Möglichkeit und i.tn
Werden und das im vollendeten Sein sich Befindende gemeinsam umfaßt,
von dem öv in der Bedeutung des b'v 'IJuvaµ,et xa, evee7e1q,.

75 Metaph. 0, 6. p. 1048, b, 9. ä?J..wq iie xa/ TO a-rrel(lOJ/ xai TO Xel/01/ xai Öo-a
Totafha, J.hyna1 iivvaµ,et xai eve(l,Yetq, -rro?J..o7q Twv ÖvTwv, olov T<p oewvTt xai
ßaiif(o1m xai oewµ,evq:i. Taiha µ,ev ,yae evliexeTal xai a-rrAwq 0,/\'f}S-etieO'S-af TrOTe'.
TO µ,ev ,yae O(lW/J,el/01/ ÖTI oeffrat, TO iJ' ÖTt oeäo-S-a, iJvvaTOJ/" TO iJ' a-rrel(lOJ/ oux
oÜTW iivvaµ,el SO'Tll/ wq 81/e(l'}'el(l, 80'0/J,el/01/ XW(llO'TOV, aMa '}'1/WO'el. Tiµ ,yae /JlfJ
l/7r0/\el7rell/ T'l7J/ ci1at(le0'/)) a-rroiifiiwo-1 TO elVat iivvaµ,et TaUT'f}J/ T'l7J/ 81/S(l,Yelal/, Tq>
iie xwef(eo-S-a, oü.
Fünftes Kapitel.
Das Seiende nach den Figuren der Kategorien.

§ 1. Einleitende Bemerkungen. Die Kategorien sind von Aristoteles


in bestimmter Zahl aufgestellt. Verschiedene Auffassungen der
Aristotelischen Kategorien durch neuere Erklärer.
In drei Bedeutungen haben wir das Seiende kennen gelernt, aber dennoch
ist der schwerste Theil unserer Arbeit noch nicht gethan, denn jene vierte
Bedeutung des Seienden, in welcher es näher bezeichnet wird als das Seiende
nach den Figuren der Kategorien, TO Öv xaTa Ta uxr/Jµ,aTa TWV XUT'Y)'}'OQIWV
(Metaph. 0, 10. p. 1051, a, 34.), ist die wichtigste von allen, und da sie
selbst wieder, wie wir des Näheren sehen werden, eine große Mannigfaltig-
keit der Bedeutungen umfaßt, so ist sie insbesondere für unsere Abhandlung
ergiebig sowohl als reich an Schwierigkeiten. Indessen werden wir hier in
den Arbeiten neuerer Forscher und vorzüglich in Trendelenburgs verdienst-
reicher Schrift: ,,Geschichte der Kategorienlehre," eine nicht geringe Hülfe
finden, die unseren vollen Dank verdient. Auf seine gründlichen Darlegun-
gen werden wir auch öfter verweisen, wo wir eine Frage, die uns zu weit
fortführen würde, nicht weiter verfolgen wollen.
Aristoteles theilt das Seiende, wie wir es jetzt zu betrachten haben, nach
den verschiedenen Kategorien. Da ist nun vor Allem die Frage wichtig: Soll
die Zahl der Kategorien, die er uns aufführt, eine den ganzen Umfang dieses
Seienden und die Vielheit der Kategorien erschöpfende sein, oder gibt er uns
nur s. z. s. Beispiele von Kategorien, die man leicht und um ein Vielfaches
vermehren könnte? Prantl in seiner Geschichte der Logik 1 meinte daraus,
daß Aristoteles an verschiedenen Orten eine verschiedene Zahl von Katego-
rien aufzählt (wie er denn an einer Stelle, Metaph. N, 2. p. 1089, 6, 23., sogar
nur drei anzunehmen scheint, Substanzen [ouufa1], Passionen [na.S-'Y)] und
Relationen [neo; Tt]), 2 schließen zu dürfen, Aristoteles sei es mit der Zehn-
zahl und überhaupt mit einer geschlossenen Zahl nicht Ernst gewesen; ja er
meint: ,,hie bei",* mit der Reduction auf diese drei werde sich „jeder vernünf-

Prantl, Gesch. d. Log. im Abendl. I, S. 205 ff.


2 Vergl. hierüber Brandis, Uebers. d. Aristot. Lehrgeb. {= Handbuch der Geschichte
der Griechisch-Römischen Philosophie III. l} S. 41 f.
* S. Einl.AS LXXXIX.
74 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

tige Mensch ebenso begnügen wie bei jenen sieben oder acht, "3 wobei eine
schon vorhergegangene Zurückführung von 1To1e1v, 1Tauxe1v, xecuS-at und
äxe1v auf die beiden ersten, oder eine einzige Kategorie, XtV'Y)O"tq, zu Grunde
gelegt wird. Denn Aristoteles zählt in dem Buche der Kategorien deren zehn
auf: ,,Von dem, was außerhalb der Zusammensetzung gesagt wird, bedeutet
jegliches entweder eine Substanz (ouu[a,) oder ein Großes (1Touov) oder ein
Beschaffenes (1To16v) oder ein Relatives (1Teoq Tt) oder ein Wo (1Tou) oder ein
Wann (1T0Te) oder ein Liegen (xe1uS-a1) oder ein Anhaben (äxe1v) oder ein
Thun (1To1e'i'v) oder ein Leiden (1Tauxe1v)." 4 Und wenn Einige an der Aecht-
heit der Schrift über die Kategorien Zweifel hegen,5 so gibt doch auch das
unbestritten ächte erste Buch der Topik dieselbe Zahl an. Wie diese Zahl sich
vermindern und auf ganz wenige reduciren ließe (ohne deßhalb, wegen ihrer
größeren Allgemeinheit, aufzuhören, das gesammte Gebiet des Seienden zu
umspannen; denn diese Forderung hält Prantl fest), so ließe sie sich auch,
meint er, leicht vermehren, und „für jede irgend vernünftige Auffassung des-
sen, was bei Aristoteles die Kategorien bedeuten, wäre es gänzlich gleichgül-
tig, wenn hier auch die Ziffer siebzehn oder achtzehn und hiemit siebzehn
oder achtzehn speciell aufgezählte Kategorien stünden. "6 Allein weder findet
sich unter den älteren Erklärern des Stagiriten einer, der hierin wie Prantl
dächte, noch scheint sich ein neuerer Forscher seiner Ansicht anschließen zu
wollen; im Gegentheile suchen Brandis, Uebers. ü. d. Aristot. Lehrgebäude,
und Zeller, Philos. d. Griechen II, 2., eine solche Rückführung oder Erwei-
terung als keineswegs dem Sinne des Aristoteles entsprechend darzuthun.7
Ich muß gestehen, daß sie mir dieses in vollkommen überzeugender Weise
geleistet zu haben scheinen. Sie führen so zahlreiche Stellen an, wo unser
Philosoph ganz deutlich zu erkennen gibt, daß er eine bestimmte Zahl von
Kategorien aufgestellt und diese für vollständig gehalten habe, daß nichts

3 Prantl a. a. 0. S. 206.
4 Categ. 4. p. 1, b, 25. TWJ/ xaTa /J,'t]tleµ,fav IJ'U/J,7TAOX'Y)ll Ae,yoµ,evwv äxa/J'TOV ,/fTOI
OUIJ'tav IJ''t)/J,atVel ,;; 7TOIJ'Ol/ ,;; 7TOIOJ/ ,;; 7T(20~ Tl ,;; 7TOV r~ 7TOTe ,;; XÜIJ';,,a, ,;; exetl/ ,;;
7TOlell/,;; 7TILIJ'Xell/. Vergl. Top. 1, 9. p. 103, b, 21. e/J'TI tle miha TOJ/ ae1;,,µ,ov tlexa
x. T. A.
5 Vergl. jedoch Brandis, der wiederholt und entschieden für ihre Aechtheit sich aus-
spricht; zuletzt in seiner Uebers. d. Aristot. Lehrgeb. S. 47. Anm. 86.
6 Prantl, Gesch. d. Log. I, S. 206.
7 Brandis, Griech.-Röm. Philos. III, 1. S. 41 ff. Zeller, Philos. d. Griechen. 2teAufl.
II, 2. S. 189. Anm. 2 {31879 263 Anm. l}.
FÜNFTES KAPITEL. 75

mehr zu einem Zweifel berechtigen kann. 8 Dagegen hat die Meinung Ver-
breitung gewonnen, Aristoteles habe von den ursprünglich, vielleicht wegen
der alten Liebhaberei der Pythagoräer und Platoniker, in der Zehnzahl auf-
gestellten Kategorien später zwei, nämlich die des xürr:3-at und die des exe11;
stillschweigend aufgegeben. So Zeller in seiner Philosophie der Griechen,
Brandis in seiner Gesch. d. Griech.-Röm. Philos. III, 1. Auch Bonitz, Ueber
die Kategorien d. Arist., scheint dieser Meinung nicht abgeneigt und auch
Trendelenburg, Gesch. d. Kategorienlehre. 9 Diese Ansicht, die allerdings
sehr viel Wahrscheinliches für sich hat, werden wir später näher zu prüfen
haben, vor der Hand genügt es, daß Aristoteles an dieser Zahl dann wenig-
stens als einer vollständigen und sicheren festhielt.
Wenn nun aber nicht geläugnet werden kann, daß Aristoteles von der Gül-
tigkeit und Vollständigkeit seiner Kategorientafel überzeugt war, so drängt sich
die Frage auf, was ihm doch wohl diese Ueberzeugung gegeben haben könne.
Dies führte in der neueren Zeit zu Untersuchungen über den Weg, auf welchem
Aristoteles zu ihnen gelangt sein möge, wo denn besonders eine Hypothese von
Trendelenburg zu großer Berühmtheit gelangte, wenn sie auch mehr Gegner
als Vertheidiger gefunden hat. Um nun für die Entscheidung dieser Fragen eine
sichere Basis zu gewinnen, fing man an, das eigentliche Wesen und die Bedeu-
tung der Kategorien näher zu erforschen, und es lassen sich insbesondere drei
Ansichten unterscheiden, die alle darin übereinkommen, daß die Kategorien
nicht bloß subjectiv gültige Begriffsbestimmungen sein können, wie denn auch
ein solcher Gedanke dem Realismus des Aristoteles gänzlich fern geblieben ist. 10

8 So sagt Aristoteles Anal. post. I, 22. p. 83, b, 15. Ta ')'SlJ'f} TWlJ xaT'f}')'O(llWlJ
1Te1TS(lalJTal, und Soph. elench. 22. princ. {178a5f.} e1TSl1Te(l exoµ,ev Ta ')'SlJ'f} TWlJ
xaT'f)'J'O(llWJJ. Top. I, 9. {104al} sagt er nach Aufzählung der Kategorien: miiTa
xai TO<Taiha e<TTI, und häufig werden sie von ihm ai <J1a1eeS-e1ua1 xaT'f}')'O(llal
genannt,* wie z.B. De anim. I, 1. p. 402, a, 24. ibid. 5. p. 410, a, 15. Womit auch
Anal. prior. I, 37. p. 49, a, 7. ouaxwc; ai XaT'f}')'O(llal <51'(/(l'f)lJTal und andere Stellen
zu vergleichen sind. An andern Orten werden nach Aufzählung einiger, die noch
nicht genannten von ihm ai äMa1 xaT'f)'J'O(llat genannt,** was offenbar auf eine
ein für allemal feststehende Kategorientafel hinweist.
9 Zeller, Philos. d. Griech. 2te Aufl. II, 2. S. 191 f. {31879 266}. Brandis, Griech.-
Röm. Philos. III, 1. S. 43. Bonitz, Sitzb. d. k. Acad. d. Wiss. philos. histor. Cl. X,
5, 1853 {s. Einl.AS Anm. 28}. S. 643. Trendelenburg, Gesch. d. Kateg. S. 142.
10 Vergl. oben Kap. 3, § 2, gg. Ende, wo alles, was nicht e;w Tijc; <J1avofac; ist, von
dem Objecte der Metaphysik ausgeschlossen, die Kategorien aber darin einge-
schlossen wurden.
*· ** S. Eint.AS LXXXIX.
76 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Die erste dieser Meinungen geht dahin, daß die Kategorien nicht reale
Begriffe, sondern nur das Fachwerk geben, in welches alle realen Begriffe einzu-
tragen sind, daß sie nur die Gesichtspuncte aufstellen, nach denen bei der Son-
derung der Denkobjecte die Begriffe zu classificiren sind. Dieser Ansicht scheint
Brandis günstig zu sein, wenn erz. B. sagt: Die „Kategorientafel ... sollte ... nur
vollständig zusammenstellen die allgemeinen Bestimmungen oder Fragen, die
wir anzuwenden haben um all und jedes Objekt ins Denken aufzunehmen, zu
Begriffsbestimmungen desselben zu gelangen. Sie sind die der Satzverbindung
enthobenen, von ihr abgelösten allgemeinen Formen oder Gattungen der Aus-
sagen, d. h. nicht schon selberfest bestimmte reale Gattungsbegriffe. "11 Und gleich
darauf: ,,die Kategorien sollen nur die Gesichtspuncte aufstellen, die zu voll-
ständiger Erörterung der fraglichen Begriffe ins Auge zu fassen sind. " 12 Ebenso
Zeller: ,,Die Kategorien wollen die Dinge nicht ihrer wirklichen Beschaffen-
heit nach beschreiben und auch nicht die hiefür erforderlichen allgemeinen
Begriffe aufstellen, sie begnügen sich vielmehr damit, die verschiedenen Sei-
ten anzugeben, welche bei einer solchen Beschreibung in's Auge gefaßt werden
können; sie sollen uns nach der Absicht des Philosophen nicht reale Begriffe,
sondern nur das Fachwerk geben, in welches alle realen Begriffe einzutragen
sind." 13 ,,[D]ie Kategorieen sind nicht selbst unmittelbar Prädikate, sondern
sie bezeichnen nur den Ort für gewisse Prädikate. " 14 Zeller citirt Strümpell, der
in seiner Geschichte der theoretischen Philosophie die Kategorien auch als die
,,Arten der Prädicirung", also nicht* ,,des Prädicirten", bezeichnet. 15
Die zweite Ansicht bezeichnet die Kategorien nicht als Formen der Aus-
sage, als Arten der Prädicirung der Begriffe, sondern als Begriffe; nicht jedoch
1 als Begriffe, insofern sie an und für sich betrachtet werden und einfache
L: Vorstellungen des Geistes bezeichnen, sondern als Begriffe in ihrer Bezie-
hung zum Urtheil betrachtet, d. h. insofern sie Theil des Unheils und zwar
Prädicat sein können. Die Kategorien sind hienach aus der aufgelösten Satz-

11 Griech.-Röm. Philos. II, 2, 1. S. 394.


12 Ebendas. S. 395.
13 Philos. d. Griech. II, 2. S. 188 f. {31879 262)
14 Ebendas. S. 189. Anm. 1. {31879 262 Anm. 2)
15 Gesch. d. theoret. Philos. {Ludwig Strümpell, Die Geschichte der griechischen Phi-
losophie zur Übersicht, Repetition und Orientirung bei eigenen Studien, I. Abt.: Die
Geschichte der theoretischen Philosophie der Griechen zur Übersicht [etc.], Leipzig:
Voss 1854) S. 211.

* S. Einl.AS LXXXIX.
FÜNFTES KAPITEL. 77

verbindung entstanden, sie sind abgelöste Prädicate, allgemeinste Prädicate.


Ihre Eintheilung geht hervor nicht aus realer Betrachtung, sondern aus der
Verschiedenheit grammatischer Verhältnisse, wobei die entsprechende Ver-
schiedenheit der logischen Verhältnisse vorausgesetzt scheint. - Dies scheint
in Kürze die Ansicht Trendelenburgs, die er, nachdem er zuerst in seiner
Abhandlung De Aristotelis Categoriis, Berol. 1833.*, den Ursprung der
Kategorien aus grammatischen Verhältnissen darzuthun versucht hatte, spä-
ter in den Elementa Logices Aristoteleae**, und besonders in der treffiichen
Geschichte der Kategorienlehre, Berlin 1846., ausführlicher entwickelt hat.
So sagt er S. 20: ,,Hiernach erscheinen die Kategorien als die allgemeinen
Begriffe, unter welche die Prädicate des einfachen Satzes fallen .... Die Kate-
gorien sind die allgemeinsten Prädicate." Und weiter unten: ,,Indem sich
die letzten Kategorien geradezu in ihrer Form als Prädicat kund geben ... ,
sind auch die übrigen alle, wenn man durch die Copula, die der o-vµ,rrAox'Y)
angehört, die Aussage herstellt, als Prädicate zu fassen. " 16 Daß die erste Sub-
stanz, die doch eigentlich nur Subject sein kann, 17 hienach auch unter die
Prädicate gehören würde, sucht Trendelenburg dadurch zu verstehen, daß
sie doch wenigstens in uneigentlicher Weise manchmal prädicirt werde, 18
mit Verweisung auf Anal. prior. I, 27: ,,Wir sagen nämlich manchmal: jenes
Weiße sei Socrates, und das Herankommende Kallias. " 19 - Dieser Ansicht ist
Biese, in seiner Philos. d. Aristoteles, beigetreten,2° und auch Waitz, in sei-
ner Ausgabe des Organon, scheint ihr nicht abgeneigt, indem er wenigstens
den Ursprung aus grammatischen Verhältnissen anerkennt. 21 Auch die alten
Uebersetzer des Aristoteles, könnte man meinen, seien ihr günstig gewesen,

16 Gesch. d. Kateg. S. 23.


17 Vergl. Categ. 5. p. 2, a, 11.
18 Trendelendurg a. a. 0. S. 5.
19 An;tl, prior. I,, 27. p. 4?, a, 35. cpaµ,ev 7ae 1roTe TO A.WXOV iixüvo LWXQaT'l'JV elvat
xa1 TO 1reou10v KaMtav.
20 Biese, Philos. d. Aristot. {Franz Biese, Die Philosophie des Aristoteles, in ihrem inne-
ren Zusammenhange[... ] entwickelt, 2 Bde., Berlin: Reimer 1835--42} I, S. 49.
Die „Kategorien, diese Grundbegriffe des Denkens ... (S. 53.) sind aber nicht
Gattungsbegriffe selbst, die das Wesentliche eines Gegenstandes angeben, sondern
die allgemeinsten Arten der Aussage (Ta 7ev7J TWv xaT7J7oe1wv Top. I, 9 .... )."
21 Waitz, Aristotelis Organon I {s. Einl.AS Anm. 82}, p. 268.

* S. Einl.AS Anm. 28 und LXXXIX.


** Berlin: Bethge 1836.
78 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

indem sie xaT'Y)ryoefa1 durch praedicamenta übertrugen, und Trendelenburg


meint, auch die Aussprüche der Scholiasten, des Alexander Aphrodisiensis,
Alexander Aegeus, Porphyrius (,,der Ausdruck xaT'Y)ryoefa wird gebraucht,
um anzuzeigen, daß sie von dem Dinge prädicirt werde" 22) u. A. zeigten, daß
sie in ähnlicher Weise den Begriff der Kategorie gefaßt hätten. 23
Die dritte Ansicht endlich stimmt darin mit der zweiten überein, daß
die Kategorien nicht ein bloßes Fachwerk für Begriffe, sondern wirkliche
Begriffe seien, sie läugnet aber noch entschiedener als die erste, daß es sich
bloß um Prädicate handle, oder daß auch nur mit Rücksicht auflogische und
grammatische Verhältnisse die Tafel der Kategorien entworfen sei. Ihr sind
die Kategorien die verschiedenen höchsten Begriffe, die mit dem gemeinsa-
men Namen Öv bezeichnet werden. - Diese Ansicht hat besonders Bonitz in
seiner Abhandlung „Ueber die Kategorien des Aristoteles" entwickelt und
begründet. ,,Die Kategorien," sagt er, ,,geben im Sinne des Aristoteles die
verschiedenen Bedeutungen an, in welchen wir den Begriffdes Seienden aus-
sprechen; sie bezeichnen die obersten Geschlechter, deren einem jedes Sei-
ende sich muß unterordnen lassen. Sie dienen daher zur Orientirung im
Gebiete des durch die Erfahrung Gegebenen. " 24 Und an einer andern Stelle:
„Es bedeutet hiernach xaT'Y)ryoeia nicht allein und ausschließlich, daß ein
Begriff einem andern als Prädicat beigelegt, sondern auch überhaupt, daß
ein Begriff in bestimmter Bedeutung ausgesprochen oder ausgesagt werde,
ohne daß dadurch seiner Beziehung auf einen andern irgendwie gedacht werde.
Der Plural xaT'Y)ryoeia1 wird hiernach bezeichnen können die verschiedenen
Weisen, in welchen ein Begriff ausgesagt wird, die verschiedenen Bedeutun-
gen, welche man mit seinen Aussagen verbindet, also xaT'Y)ryoefa1 Tou ÖvTo,;;
die verschiedenen Bedeutungen, welche man mit dem Aussagen des Begrif-
fes Öv verbindet, genau dasselbe wie rcoMaxw,;; AeryaTat TO Öv' TCO(Taxw,;;
AeryaTat TO Öv . ... Dieser Ausdruck aber xaT'Y)ryoeia1 TOU ÖvTo,;; ... ist offen-
bar der eigentliche vollständige Name für die Kategorien als die obersten
Geschlechter des Seienden. "25 - Mit dieser Ansicht stimmt, was Ritter sagt
im dritten Bande seiner Geschichte der Philosophie: ,,Unter Kategorien

22 Simplicius fol. 3, b, (Basil. 1551.) {Simpl. in Cat. [Prooem.], CAG VIII (s. Ein!.
w;
AS Anm. 83) 1l.2f.}. ii µ,ev J..e{t; xaT'fJ'YOela AS')'eTal, XaTa TOU nea,yµ,aTo;
a,yoeeuoµ,ev'I).
23 Trendelenburg, De Aristotelis categoriis.
24 Sitzungsb. d. k. Acad. d. Wiss. philos. hist. Cl. X, 5. S. 623.
25 Bonitz a. a. 0. S. 621.
FÜNFTES KAPITEL. 79

versteht Aristoteles die allgemeinsten Arten dessen, was durch das einfache
Wort bezeichnet wird. "26 Auch Hegel nennt die Kategorien im Sinne des
Aristoteles „die einfachen Wesenheiten, die allgemeinen Bestimmungen". 27
Wir haben hier Meinungen kennen gelernt, die nach sehr verschiedenen
Richtungen auseinandergehen, und es ist nun an der Zeit, uns für die eine
oder andere zu entscheiden. Denn, wenn wir auf den Unterschied in der
Grundanschauung, ich meine in der Bestimmung der Bedeutung der Kate-
gorien, vor der Hand allein achten und von allen andern Fragen: nach dem
Wege, auf welchem Aristoteles sie gefunden, u. dgl., und von der Möglich-
keit der bei ihnen wieder verschiedenen Beantwortung absehen, wie eng
diese auch damit verflochten sein mögen, so scheint durch die hier zusam-
mengestellten Ansichten der ganze Umfang der möglichen Verschiedenheit
in der Art erschöpft, daß für eine neue, von allen dreien abweichende Auf-
fassung kein Raum gelassen ist. Da es sich nämlich bei unsern Kategorien,
wie aus allem, wo von ihnen die Rede ist, 28 klar ist, nicht um zusammen-
gesetztes Denken (xaT'Y)'J"oeia = xaTaq;ainc;), 29 wie die Unheile sind, son-
dern um einfache Begriffe handelt, was uns überdies Aristoteles ausdrüddich
versichert (Categ. 4. p. 1, b, 25.), 30 so war es nur möglich, entweder die
Kategorien als die verschiedenen Formen der begrifflichen Aussage, oder als
die verschiedenen obersten Begriffe selbst zu fassen. Thun wir das Erstere,
so kommen wir auf das, was die erste Ansicht lehrte. Thun wir das Letztere,
so fassen wir die Kategorien entweder als Begriffe, insofern jeder Begriff ein
Ganzes für sich, ein als solcher fertiger Gedanke ist, 31 und dann gelangen
wir zu dem, was die Anhänger der dritten Meinung behaupteten, oder wir
fassen sie als Begriffe, nicht an und für sich, sondern insofern der Begriff eine
Stellung im Satze oder Unheil einnimmt, ein Theil des Urtheils und zwar,

26 Ritter, Gesch. d. Philos. III {Heinrich Ritter, Geschichte der Philosophie III, Ham-
burg: Perthes 1831}, S. 77.
27 Hegels Werke XIV {Sämtliche Werke XVIII (s. Einl.AS Anm. 27)}, S. 402.
28 Vergl. z. B. die oben zu Kap. 1. u. a. der citirten Stellen.
29 Wie z.B. Anal. prior. I, 46. p. 52, a, 15. der Name xaT'l}'J-'Oefa gleich xaTacparrtq
gebraucht wird: oµ,ofwq lf exourrt xai ai (J'Te(l't}ffEtq neoq Taq xaT'l}')"O(llaq TaVT'(}
Tfj $-erret. l'rrov ecp' Oü TO A, OIJX iO'OV ecp' Oü TO B, äv,rrov ecp' Oü r' OIJX ävtrrov
ecp' Oü f:::..
30 ~ateg.,4.,p. 1, b, ~5. T~V X~T~' /J,'l}~eµ,fav rruµ,n/\OX'f)V /\e70µ,evwv exarrTOV
'l}TOt ourr1a,v rr'l}µ,a1vs1 'I} norrov 'I} notov x. T. A.
31 De interpr. 3. P· 16, b, 20. iO'T'l}(J'I 7ae o /\e7wv T'f)V lM,votav, xai o axovrraq
'Y)(l8/J,'l}ffeV.
80 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

wie sich dann hier ergeben würde, ein Prädicat ist, und dann werden wir uns
für die zweite Ansicht erklärt haben. Es bliebe freilich noch eine letzte Mög-
lichkeit übrig, weil die Begriffe auch als Termini betrachtet werden, inso-
fern aus ihnen eine syllogistische Ordnung gebildet wird, aber diese fällt von
selbst hinweg, weil Jedem einleuchtet, daß von einer directen Beziehung auf
den Syllogismus bei den Aristotelischen Kategorien keine Rede ist.
Wenn nun also in diesem Puncte, scharf von einandergesondert und sich
entgegengesetzt, die bereits bestehenden Auffassungen alle Möglichkeiten
erschöpfen und jede Neuheit eines weiteren Versuches ausschließen, so müssen
wir unumwunden erklären, daß uns die dritte Ansicht den beiden andern vor-
zuziehen scheint, indem wir aber zugleich beifügen, daß wir sie in ihrer ganzen
Durchführung durch weitere, von der Lösung dieser Frage allerdings nicht
unabhängige Bestimmungen, wie sie sie besonders bei Bonitz in der angeführ-
ten verdienstlichen Abhandlung erfahren hat, nicht theilen können, sondern
vielmehr auch in den andern berechtigte Elemente anerkennen, die mit der
dritten uns ganz wohl versöhnbar scheinen. Auch scheinen uns die Vertreter
der ersteren dieselbe keineswegs schroff und einseitig festzuhalten, wie sie wohl
in einzelnen ihrer Aussprüche erschienen. Vielleicht betonten sie nur dort aus-
schließlich, was ihnen am Ende selbst nicht für das alleinige, sondern nur für
ein Hauptmoment hinsichtlich der Bedeutung der Kategorien gilt. So wenn
Brandis oben die Kategorien nur als Gesichtspunkte bei der Scheidung der Gat-
tungen und Zeller sie nur als Orte für gewisse Prädicate gelten lassen wollte, so
haben sie wohl doch nur in ähnlicher Weise dies gesagt, wie z. B. auch Prantl
in seiner Geschichte der Logik sich nicht zu sagen scheut: ,,Aber insoferne die
Kategorien eben Kategorien sind, gestalten sie sich - schaif ausgedrückt - zu
To1ro1 des Ao,yoq, und diese nun eigentliche Bedeutung der Kategorien als sol-
cher haben wir jetzt zu erörtern, " 32 während er gerade zuvor erst ausdrücklich
gesagt hatte: ,,So nennt Aristoteles jene Bestimmtheiten [die Kategorien] ...
ausdrücklich selbst „gemeinsame Prädicate" - xo1vfi xaT'Y},YO(!_ouµ,ava -, und es
sind ... dieselben das Nämliche, was er auch „Gattungen" - ,yav'Y} - nennt." 33
Ja Zeller selbst beginnt gleich den betreffenden Abschnitt seiner Darstellung
der Aristotelischen Philosophie mit den Worten: ,,Alle Gegenstände unse-
res Denkens fallen nach Aristoteles unter einen der folgenden zehn Begriffe:
Wesenheit, Größe u. s. w. Diese obersten Begriffe oder Kategorien u. s. f." 34 So

32 Gesch. d. Log. im Abendl. I, S. 197.


33 Ebendas. S. 196.
34 Philos. d. Griech. II, 2. S. 186. {31879 258f.}
FÜNFTES KAPITEL. 81

nennt auch Brandis die Kategorien an vielen Orten: ,,Allgemeine und erste
Gattungsbegriffe, oberste Gattungen des Seienden u. dgl." Andererseits gibt
auch Trendelenburg, so großen Nachdruck er auf die logischen Verhältnisse
bei der Scheidung der Kategorien legt, zu, daß in der Anlage derselben mit der
„logische[n] Subsumtion" die „reale Genesis"* streite, 35 und daß Aristoteles die
„auf formalem Wege gefundenen Kategorien real behandelt."36 Ueberhaupt
glauben wir, daß die Auffassung seiner Meinung, wie wir sie oben gegeben
haben, und wie sie der Polemik, die sich gegen ihn erhob, vielfach erschei-
nen wollte, nicht ganz seinem Sinne entsprechend ist. Die Behauptung, daß
die Kategorien nach den verschiedenen Prädicationsweisen sich unterscheiden
und im Hinblick auf die Prädicate des Unheils und Satzes gefunden wurden,
kann ganz gut zusammenbestehen mit der andern, daß sie die Unterschiede
der absolut betrachteten Begriffe angeben sollen, wie wir des Näheren sehen
werden. Würde man Trendelenburg fragen: Wovon geben die Kategorien uns
eine Eintheilung, von dem Prädicat, oder von dem Seienden? Was ist der
ou(Tfa, dem 1ro1ov, ?TO(TOV u. s. w. übergeordnet, ist es der Begriff Prädicat, oder
ist es das Öv? so würde er, wir glauben dessen sicher zu sein, mit uns sich für das
Letztere entscheiden. Weil aber der Gegenstand nicht frei von großen Schwie-
rigkeiten ist, so wollen wir vorsichtig und Schritt für Schritt die Ansicht, die
uns die sicherste scheint, darlegen und begründen. Wir sagen daher:

§ 2. I. Die Kategorien sind nicht bloß ein Fachwerk für Begriffe, sondern
sie sind selbst reelle Begriffe, ÖvTa xaS-' aLJT(J, esw T'Y}t;; 'a,avofai;;.
Dies ist die so klar und wiederholt ausgesprochene Meinung des Aristoteles,
daß ich, wie gesagt, nicht glauben kann, daß eine andere als eine Verschie-
denheit dem Worte nach hier unter den Auslegern stattfindet. Wenn näm-
lich vor Allem darüber kein Zweifel besteht, daß das Öv selbst, wovon der
Metaphysiker zu handeln hat, ein Begriff, und zwar, da ja das bloß objectiv
im Geiste Existirende schon oben ausgeschieden wurde, ein reeller Begriff
ist, so kann auch hinsichtlich der Kategorien kein Zweifel bestehen, wie es
z. B. Metaph. Z, 4. p. 1030, b, 11. klar genug zeigt: ,,Von dem Seienden
bedeutet das eine eine Substanz (To'az Tt), das andere ein Quantum (1ro(Tov),

35 Gesch. d. Kateg. S. 189.


36 Ibid. S. 210.
* S. Einl.AS LXXXIX.
82 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

das andere ein Quale (rroiov)." 37 Ebenso De anim. II, 1. p. 412, a, 6. Metaph.
f:::.., 7. p. 1017, a, 22. H, 6. p. 1045, b, 1. 0, 1. p. 1045, b, 32. und mit ihnen
eine Menge anderer Stellen, die wir zum Theil sogleich weiter unten anfüh-
ren werden, wo wir das Verhältniß des unbestimmten Öv zu den Kategorien
einer näheren Prüfung unterwerfen. 38
Ferner ergibt sich die Wahrheit unserer Behauptung aus den Ausdrücken,
die Aristoteles zur Bezeichnung der Kategorien gewählt hat. So nennt er
siez. B. Allgemeinbegriffe - xo1va - wie im dritten Buche der Physik. ,,Ein
xotvov für diese kann man, sagen wir, nicht finden, das weder eine Substanz,
noch ein Quantum, noch ein Quale, noch sonst eine von den Kategorien
wäre." Vergleiche Anal. post. II, 13. Metaph. A, 4. 39 Auch hierauf werden
°
wir später zurückkommen. 4 Ferner werden die Kategorien Gattungen -
ryev'Y) - genannt, wie im ersten Buche über die Seele: ,,Vor Allem aber ist es
wohl nöthig, zu unterscheiden, in welcher von den Gattungen und was die
Seele sei, ich meine nämlich, ob sie ein Einzelwesen und eine Substanz, oder
ein Quale, oder ein Quantum, oder auch eine andere von den Kategorien
sei, die wir unterschieden haben." Andere Stellens. u. 41 Wenn aber an eini-
gen Orten die Kategorien nicht -ra, ryev'Y) schlechthin, sondern -ra, ryev'Y) -rwv
xa-r'Y)7oe1wv heißen, 42 so erklärt Bonitz a. a. 0. diesen Genitiv als Genitiv
der Apposition, so daß also gerade dasselbe, wie in den vorigen Stellen gesagt
würde. Wolke es aber auch Jemand als „die Gattungen der Prädicate" erklä-
ren, so verschlüge uns dies hier nichts, da die Gattungen dessen, was prädi-
cirt wird, eben auch Gattungen, und folglich Begriffe sein müssen. Endlich
weisen auch der Name xa-r'Y)ryoefat selbst - mag man nun der von Trendelen- ·
burg, oder der von Bonitz gegebenen Erklärung folgen 43 - und besonders die
t:
37 Metaph. z, 4. p. 1030, b, 11. TO 1Je b'v TO µ,ev TO(]e Tl, TO 1Je TCOUOV, TO 1Je TCOIOV Tl.
<r'()µ,afve1.
38 S. u. § 3.
39 Phys. III, 1. p. 200, b, 34. XOIVOV 1}' STCI TOVTWV ou1Jev SUTI J..aßsTv, wq cpaµ,ev, b'
OLJTe TO(]e OVTe TCOUOV OLJTe TCOIOV OLJTe TWV äUwv xaT'(),YO(l'f}/J,rJ,TWV ou:3-ev. AnaL
post. II, 13. p. 96, b, 20. Metaph. A, 4. p. 1070, b, 1.
40 S. u. § 4.
41 De anim. I, 1. p. 402, a, 22. TC(lWTOV 1J' iuwq ava,yxa7ov 1J1eASIV ev TtVI TWV ,Ye'IIWV
xaiTf SUTI {sc. 'Y/ t,l,ux'IJ}, J..e,yw (]e TCOTe(lOV TO(]e Tl xai ouuia ,;; TCOIOV ~' TCOUO'li ~'
xaiTlq äM'fJ Twv 1J1a1ee:3-e1uwv xaT'()"fO(llWV. Vergl. unten S. 96 f.

42 Top. I, 15. p. 107, a, 3. ibid, 9. p. 103, b, 20. Soph. elench. 22. p. 178, a, 5. AnaL
post. I, 22. p. 83, b, 15. u. a. a. 0.
43 Vergl. oben S. 78. u. S. 77. und unten§ 5.
FÜNFTES KAPITEL. 83

ihn an andern Stellen ersetzenden Ausdrücke xaT'f/'YOQ'Y}fl,aTa, xaT'()'}'OQOV-


µ,eva (Phys. III, 1. p. 201, a, l; Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 33. A, 4. p. 1070,
b, L u. a. a. 0.) und Ae,yoµ,eva (De. coel. III, 1. p. 298, a, 28. Categ. 4. p. 1,
b, 25. u. a. a. 0.) daraufhin, daß wir in den Kategorien Begriffe, nicht bloß
Orte für Begriffe besitzen. Heißen die Kategorien (}1a1eeue1q, wie Top. IV, 1.
p. 120, b, 36., so will dies eben nur sagen, sie seien die (}1a1ee:3-evm (Vergl.
Anal. prior. I, 37. p. 49, a, 7. Phys. V, 1. p. 225, b, 5.), d. i. die Begriffe, in
welche das Seiende eingetheilt wird ((}1a1ee'iTa1 TO Öv). 44 Aber auch 1TTWue1q
werden sie genannt, 45 wie erklärt sich dieser Name? Bonitz macht mit Recht
darauf aufmerksam, ,,daß nicht 1TTWue1q allein, sondern erst in seiner Ver-
bindung mit Öv und fl,'YJ Öv [TO xaTa Taq 1TTWUe1q fl,'Y) Öv] zur Bezeichnung
der Kategorien verwendet wird. Wir dürfen demnach annehmen," sagt er,
„daß dem Aristoteles dieses Wort allein und für sich nicht bestimmt genug
schien, um wie ,yev'() oder Ta 1TQWTa als Name für die Kategorien gebraucht
zu werden. "46 Die Eudemische Ethik47 allerdings gebraucht 1TTWu1q allein
in demselben Sinne wie xaT'()'}'OQta, aber sie ist ja nur einem Schüler des
Aristoteles, nicht ihm selbst zuzuschreiben. Seine Bezeichnung TO xaTa Taq
1rTwue1q öv läßt die Kategorien nur neuerdings als Övm, folglich als Begriffe
und nicht bloß als Fächer für Begriffe erscheinen.
Wir sagen nicht bloß als Fächer für Begriffe und läugnen also nicht, daß sie
wirklich auch das Fachwerk abgeben, in welches die übrigen reellen Begriffe
eingetragen werden, und die verschiedenen Orte bestimmen, in die sich die-
selben vertheilen. Vielmehr wird sich, wenn wirldich die Kategorien allge-
meine Gattungsbegriffe sind, auch dies in nothwendiger Folgerung als wahr
ergeben; denn jede Gattung umschließt mit einer einzigen weiteren Gränze
alle ihr untergeordneten Arten und Individuen, diese sind in ihr, sie ist gewis-
sermaßen der Ort für sie. Aber auch das Umgekehrte scheint nothwendig zu
sein, daß nämlich der gemeinsame Ort für Begriffe durch ein Genus oder
doch einen analogen Allgemeinbegriff bestimmt werde. Und somit möchte
sich auch in dieser Weise, schon auf rationellem Wege, ergeben, daß wenn
die Kategorien, wie jene behaupten, das Fachwerk für Begriffe sind, sie nicht

44 Vergl. über die Bedeutung von rhaieacr1,; Anal. prior, I, 31. Anal. post, II, 13. p. 96,
b, 25.
45 Mecaph. N, 2. p. 1089, a, 26, TO µ,e11 xaTa Ta<; 11TWO"lll<; /J,'f/ Oll icraxw,; Tal<; XaT'YJ-
7oela1,; Ae7sm1.
46 Bonitz, a. a. 0. S. 615.
47 Ech. Eudem. I, 8. p. 1217, b, 30.
84 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

bloß ein Fachwerk für sie sein können, sondern zugleich selbst Begriffe sein
müssen. Wir sagen:

§ 3. II. Die Kategorien sind verschiedene Bedeutungen des Öll, das xaT'
alla/\o,yfa,ll von ihnen ausgesagt wird, und zwar in doppelter Weise,
nach der Analogie der Proportionalität und nach der Analogie zum
gleichen Terminus.
Aus diesem Satze erhält der vorige eine weitere Bestättigung. Er enthält aber
drei Behauptungen: 1) daß das xa.Ta Ta (J''X,'f)/J,G,Ta T'Y)q ){G,T'Y},YOQ/a,q getheilte
Öll nicht wie ein synonymer Begriff, wie eine Gattung in ihre Arten getheilt
werde, sondern wie ein oµ,wllvµ,oll, das nach seinen Bedeutungen unterschie-
den wird; 2) daß das Öll für die verschiedenen Kategorien, wenn auch homo-
nym, doch nicht eine bloß zufällige Namensgleichheit (a1To TVX'YJq oµ,wllv-
µ,oll) sei, daß vielmehr eine Einheit der Analogie unter ihnen stattfinde; 3)
endlich, daß diese Analogie unter ihnen eine zwiefache sei, nicht bloß eine
Analogie der Proportionalität, sondern auch eine Analogie zum gleichen
Terminus. Wir hoffen dieses, Punct für Punct, bis zu völliger Gewißheit aus
den verschiedenen Aeußerungen unseres Philosophen darzuthun.
Was also das Erste betrifft, so erinnern wir uns, wie wir, da es uns im
Anfange unserer Untersuchungen darum zu thun war, vor Allem die Viel-
deutigkeit des Öll als die Meinung des Aristoteles festzustellen, dieselbe mit
den Worten ausgedrückt fanden: TO Oll Ae,YeTat 1T0Maxwq, das Seiende wird
in vielfacher Weise gesagt. Das 1T0Maxwq bezeichnet also nicht etwa bloß,
daß etwas vielfach, d. h. oftmals und von Vielem, sondern auch, daß es in
vielfacher Bedeutung ausgesagt werde. Aber dieses TO Oll /\a,yaTat 1T0Maxwq
finden wir nicht bloß, wo es sich um jene erste Scheidung des Öll, die der
Ordnung unserer Abhandlung zu Grunde liegt, handelt, sondern auch da,
wo das Öll der Kategorien in diese getheilt wird. So im Anfange des sieben-
ten Buches der Metaphysik: ,,Das Seiende wird in vielfacher Weise gesagt;
denn das eine bedeutet eine Substanz und ein Einzelwesen, das andere ein
Beschaffenes, oder ein Großes, oder sonst eines von dem, was so prädicirt
wird." 48 Ebenso im fünften Buche: ,,Als solches (xa.S-' auTa) seiend wird
genannt, was die Figuren der Kategorie bedeutet; denn so vielfach ausgesagt
wird, so vielfache Bedeutungen hat das Sein. Da nun von dem, was prädi-
cirt wird, einiges eine Substanz bezeichnet, anderes ein Beschaffenes, anderes

48 Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO b'v I\S'}'eTO,l 1TOMa,xw;, xa,$-a1re(2 /Jtell\OJJ,e:3-a, 1TQO-


Te(20V ev ToT; 1Te(21 TOÜ 1rormxw;· U'Y)µ,dvet ,yaq TO µ,ev Tl S(J'T/ xa,/ TO!Je Tl, TO <Je
ÖTt 1ro1ov ,;; 1rouov ,;; TWV äMwv äxa,uTov TWV oÜTw xa,T'YJ'YOQOt1µ,svwv.
FÜNFTES KAPITEL. 85

ein Großes, anderes ein Relatives, anderes ein 1hun oder Leiden, anderes
ein Wo, anderes ein Wann, so bedeutet das Sein mit jedem von diesen ein
und dasselbe. "49 Und im zweiten Kapitel des vierzehnten Buches, wo durch
den Zusammenhang der Sinn des noMaxwr:; recht deutlich hervortritt, sagt
er: ,,Allein ersdich wird das Seiende in vielfacher Weise gesagt. Es bezeich-
net bald eine Substanz, bald ein Beschaffenes, bald ein Großes, und so die
andern Kategorien. "50
Demzufolge läugnet er denn auch in diesem Kapitel, den Platonikern
gegenüber, daß das 'llwaµ,e1 Öv ein einziger Begriff sein könne, da es ja doch
in jeder Kategorie des vieldeutigen öv gefunden werde. 51 Wir haben dies
schon im vorigen Kapitel berührt und haben dort auch von der xfv'Y)o-tr:; spre-
chend gesehen, daß sie sich in mehreren Kategorien findet, darum wird nun
auch von ihr erklärt, sie könne nicht eine für alle Kategorien sein, weil über-
haupt für diese gemeinsame Begriffe sich nicht finden ließen. 52 So behauptet
auch das zehnte Kapitel des fünften Buches der Metaphysik, weil das Sei-
ende vielfach gesagt werde, so folge dies auch für alle andern Begriffe, die
ihm beigelegt würden, so daß auch das Identische, und das Verschiedene,
und das Entgegengesetzte in jeder Kategorie ein anderes zu nennen sei. 53
Besonders klar drückt es aber eine Stelle der Nicomachischen Ethik aus, die
Trendelenburg hiefür citirt: ,,Weil das Gute", heißt es dort, ,,in so vielfacher
Weise gesagt wird, wie das Seiende (wird es ja doch im Substantiellen gesagt,
wie der Gott und der Verstand, und in dem Beschaffenen die Tugenden,
und in dem Großen das rechte Maaß, und in dem Relativen das Nützliche,
und in der Zeit die Gelegenheit, und in dem Ort die Wohnung und anderes
Derartige), so ist offenbar, daß es wohl nicht ein für Alle gemeinsamer und

49 Metaph. t:., 7. p. 1017, a, 22. xaS-' auTa /Je ell!a/ )hyna, Ö1Tanee IT'Y)/J,all/81 Ta
IT:K,'(}/J,aTa Tfj<; xaT'Y)')'O(!laq· OITa::<,w<; 7ae AS')'8Tal, TOITaUTaXW<; TO ellla/ IT'Y]µ,a[-
l/81. enei OÖl/ TWl/ xaT'l}')'O(!OUfJ,Sl/Wl/ Ta µ,ell Tl BITT/ IT'Y)/J,all/81, Ta /Je 1TO/Oll, Ta /Je
1TOITOll, Ta /Je neo<; Tl, Ta /Je 1T0/8/l/ ,ii 7TIZ,IT%,8lll, Ta /Je 1TOU, Ta /Je 1TOTS, 8XIZ,ITT<.µ
TOUTWll TO elllat TavTo 1T'Y]µ,a1l/e1.
50 Metaph. N, 2. p. 1089, a, 7. xafro, 1T(!WTOl/ /J,Sll, ei TO Öl!, 1TOMaxw,;· TO µ,ell 7ae
ÖTI OVITlal/ IT'Y)/J,all/81, TO /J' ÖTt 1TO/Oll, TO 15' ÖTI 1TOITOll, xa/ Ta<; äMa<; i50
xaT'Y)-
7oefa,;.
51 S. oben S. 53 Anm. 37.
52 Phys. III, 1. p. 200, b, 34, und Metaph. K. {9 106567-9}
53 Metaph. l:!., 10. p. 1018, a, 35. ene/ /Je TO e'l/ xa/ TO b'l! noMa::<,w<; AS')'8Tal, axo-
AouS-e'ill /J,l/11,')'X'Y) xa/ TO,Ma Ö1Ta xaTa TaÜTa AS')'8Ta/, WITT8 xa/ TO TaVTOl/ xa/
TO 8T8(!0ll xa/ TO el/allTIOll, WITT' ell!al eT8(!0l/ xaS-' exalTT'Y)l/ xaT'Y)')'O(!lal/.
86 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

einiger Begriff sein kann; denn sonst würde es wohl nicht in allen Kategorien
gesagt werden, sondern in einer einzigen. " 54
So erklärt denn auch das acht und zwanzigste Kapitel des fünften Buches
der Metaphysik mit aller Bestimmtheit, daß, was verschiedenen Kategorien
angehöre, kein gemeinsames Genus habe, und daß die Kategorien sich weder
auf einander, noch auf ein einziges Höheres zurückführen ließen. 55 Und dem
entsprechend läugnet denn auch Aristoteles auf der andern Seite von dem
Seienden, daß es eine Gattung sein könne, wie z. B. im dritten Buche der
Metaphysik: ,,Weder das Eine, noch das Seiende kann für die Seienden Gat-
tung sein." 56 Vergleiche damit Top. IV, 6. p. 127, a, 28. So lehrt auch das
achte Buch der Metaphysik, daß das Seiende nicht wie ein Genus, das in
Species zerfällt, durch Differenzen contrahirt werde, sondern daß es je nach
seiner Bedeutung sogleich, das eine Substanz, das andere Quale, das andere
Quantum sei 57 u. s. w., und im siebenten Buche der Metaphysik wird das
Öv als ein unbestimmter Ausdruck bezeichnet, der erst durch die Kategorien
Bestimmtheit empfange. 58
Wir kommen zu dem, was wir an zweiter Stelle behaupteten, daß nämlich
dem Öv, wie es den verschiedenen Kategorien zukömmt, wenn nicht jene stren-
54 Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, a, 23. STI errei Ta,ya.8-011 lo-axwq Ae,yeTal T(/J (II/Tl (xa/
,yae ev T(/J Tl Ae7na1, olov o .9-eoq xai o voüq, xai ev T(/J TrOl(/J ai ageTal, xa/ ev
T(/J rroo-0 TO /J,STQIOII, xai ev T(/J rreoq Tl TO xe00-1µ,ov, xai ev xeovq., xa1goq, xa/
Sl/ TOTrqJ (JlatTa xai ifreea TOlaÜTa), lJi]Aov wq ovx äv 817) XOll/011 Tl xa%Aou xa/
ev· ov ,yae äv eAe,yeT' ev rrao-atq Ta'iq xaT'f}')'OQlatq, aU' ev µ,iq, /J,Oll'(J.
55 Metaph. 6., 28. p. 1024, b, 9. heea (Je T(/J 7eve1 Ae,yeTal ciJl/ heeov TO TrQWTOV
vrroxe1µ,evo11 xai /1ffJ avaAveTal .9-aTBQOl/ eiq .9-aTSQOl/ µ,'f}lJ' äµ,q;w eiq TaVTOII, olov
•.. Öo-a xa.9-' eTegov o-xi}µ,a xaT'f}')'OQlaq TOÜ ÖvToq Ae7eTa1· Ta µ,ev ,yae Tl SO"TI
O"'f}/J,U,ll/81 TWl/ Öl!TWII, Ta (Je TrOIOl/ Tl, Ta lJ' wq (Jl'(JQ'f}Tal Tr(!OTBQOII" ovlJe ,yae
TaÜTa avaAveTal oüT' eiq äM'f}Aa oüT' eiq ev Tl. Vergl. Anal. prior. I, 27. p. 43,
a, 29, und Metaph. I, 3. p. 1054, b, 27.
56 Metaph. B, 3. p. 998, 6, 22. ovx olov TB (Je TWII Öl!TWII oÜTe TO e'v OÜTe TO b'v elva1
,yevoq.
57 Metaph. H, 6. p. 1045, a, 36. Aristoteles erklärt, in welcher Weise die separaten
Substanzen, die nicht aus Form und Materie bestehen, Eines seien: Öo-a lJe /J,'f/ exe1
ÜA'f/11, µ,0Te IIO'f/T'f/11 µ,0Te aio-.9-'f}T0v, ev.9-uq Örree ev Tl elvai SO"TIII exaO"TOII, und
erläutert dies durch das Beispiel des Öv, das sogleich in die Kategorien zerfalle,
ohne etwas Anderes als Differenz zu erwarten, damit es diese oder jene Kategorie
werde, WO"TreQ xai Örree Öv Tl, TO TO(Je, TO TrOIOII, TO TrOO"Ol/. l110 xai ovx 81/SO"TIII ev
Totq oe10-µ,01q OÜTe TO b'v oÜTe TO ev, xai TO Ti 011 elllal ev.9-uq el/ Ti SO"TIII wo-rrse
xai Öv Tl. x. T. A.
58 Metaph. z, 3 p. 1029, a, 20. Ae,yw lJ' ÜA'f}ll '1) xa.9-' aLJT'f}l/ µ,0Te Tt µ,0Te TrOO"OV
µ,0Te äUo µ,'f}.9-ev Ae7em1 olq WQIO"Tal TO Öv.
FÜNFTES KAPITEL. 87

gere Einheit des Genus, doch die der Analogie, die ja weiter reicht und auch
oµ,wvvµ,a umfaßt, von Aristoteles zugeschrieben werde. Wir finden diese Ein-
heit der Analogie von der generellen unterschieden und ihr übergeordnet in
dem Buche 1ree1 Twv norraxw<;, dem Buche* t::,,. der Metaphysik im sechsten
Kapitel: ,,Einiges ist numerisch (individuell) Eins, anderes der Species nach,
anderes der Gattung nach, anderes der Analogie nach. Dem Individuum nach
Eines ist, was in Einer Materie ist, der Species nach ist Eines, was in der Defini-
tion übereinstimmt, der Gattung nach ist Eines, was dieselbe Figur der Katego-
rie hat, der Analogie nach aber, was sich verhält wie eines zum andern. Immer
aber ist das folgende mit dem vorhergehenden verbunden, wie, was dem Indi-
viduum nach, auch der Species nach Eines ist, während nicht alles, was der
Species nach, dem Individuum nach Eines ist; aber der Gattung nach ist alles
Eines, was der Species nach es ist, während nicht alles, was der Gattung nach,
der Species nach, wohl aber der Analogie nach Eines ist, wogegen, was der
Analogie nach, nicht alles der Gattung nach Eines ist. "59 (Vergl. De part. anim.
I, 5. p. 645, b, 26. Metaph. N, 6. p. 1093, b, 18.) Da die den verschiedenen
Kategorien angehörigen Begriffe alle ÖvTa genannt werden, so ergeben sich die
zuletzt angefügten Bemerkungen des Aristoteles von selbst als richtig, wenn
man dem Öv die Einheit der Analogie zuerkennt. Dies thut Aristoteles mit kla-
ren Worten, z. B. im vierten Buche der Metaphysik: ,,Das Seiende wird zwar in
vielfacher Bedeutung so genannt, allein im Verhältniß zu Einern und zu Einer
Natur und nicht homonym, sondern wie auch das Gesunde alles im Verhältniß
zur Gesundheit, das eine, weil es sie schützt, das andere, weil es sie bewirkt, das
andere, weil es Zeichen der Gesundheit, das andere, weil es für sie empfanglich
ist; oder wie das Aerztliche im Verhältniß zur Arzneikunst u. s. w. "6o Ebenso im
vierten Kapitel des siebenten und im dritten des elften Buches.

59 Metaph. t::., 6. p. 1016, b, 31. eTI <Je Ta µ,ev xaT' ae1S-µ,ov euw ev, Ta <Je xaT'
eWor;, Ta <Je xaTa ,yevo<;, Ta <Je xaT' avaAo,yfav, ae1S-µ,ip µ,ev wv rq ÜA'I} µ,fa, ei'<Jet <J'
wv o AO,YO<; elr;, ,yevet i' Wll TO aUTO ux0µ,a Tr}<; xaT'l},YO(lla<;, xaT' avaAo,yfav
<Je Öua exe1 W<; aAAO 1T(l0<; äJ..J..o. ae/ <Je Ta Ü<TTeea TOI<; eµ,1reouS-ev axo-
J..ou:9-e7, olov Öua ae1S-µ,{(.i xa/ ei'<Jel ev, Öua i' ei'<Jel ou 7Tl'./,l/Ta ae1S-µ,{(.i· aMa ','Sllel
1Tal/Ta e'v Öua1ree xa/ ei'<Jet· Öua <Je ,YSVel ou 1Tal/Ta ei'<Jel aM' avaAo,y[q,· Öua <Je e'v
avaAo,y[q,, ou 1Tal/Ta ,yeve,. De part. anim. I, 5. p. 645, b, 26. Ta µ,ev ,yae exouu, TO
XO/l/011 xaT' avaAo,yfav, Ta <Je xaTa ,yevo<;, Ta <Je xaT' el<Jo<;. Metaph. N, 6. p. 1093,
b, 18. el/ exa<TT'(/ ,yae TOÜ OVTO<; xaT'l},YO(ll(!, e<TTl TO avaAo,yov.
60 Metaph. r, 2. p. 1003, a, 33. TO <Je b'v Ae,YeTal µ,ev 1TOMaxwr;, aMa 1T(l0<; e'v
xa/ µ,fav Ttl/a cpU<Tlll, xa/ oux oµ,wvuµ,w<; aM' W/T1TS(l xa/ TO v,y1e111011 ä.1rav 1T(l0<;
v,yfetal/, TO µ,ev TqJ cpuAaTTelll, TO <Je TqJ 1T01ell/, TO <Je TqJ IT'l}/J,e/011 ell/at Tr}<;

* S. Einl.AS LXXXIX.
88 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Im Anfange des Buches der Kategorien hatte Aristoteles alle Dinge, denen
ein Name gemeinsam zukömmt, in oµ,wvuµ,a und (J'LJJJWJJUµ,a getheilt. Die
Art, wie er sie unterschied, schloß jedes Dritte aus, denn er sagt: ,,Homo-
nym wird genannt, was nur einen gemeinsamen Namen hat, während der
damit bezeichnete Begriff ein verschiedener ist, wie z. B. der Mensch und
der gemalte Mensch ein Thier ist .... Synonym aber wird genannt, was nicht
bloß dem Namen, sondern auch dem Begriff nach dasselbe ist, wie z. B. der
Mensch und der Ochse ein Thier ist. "61 Nach diesen Bestimmungen würde
das Öv, das in die verschiedenen Kategorien zerfällt, da es kein uuvwvuµ,ov ist,
wie wir gesehen haben, nothwendig ein oµ,wvuµ,ov sein. Wenn daher Aristo-
teles in den angeführten Stellen der Metaphysik ihm eine mittlere Stellung
zwischen dem einen und andern zu geben scheint, so gebraucht er das Wort
oµ,wvuµ,ov in einem engeren Sinne, in welchem es nur das befaßt, was er an
einem andern Orte das zufallig Homonyme (a?TO TUX'Y}; oµ,wvuµ,ov) nennt,
welches dem der Analogie nach Homonymen (oµ,wvuµ,ov xaT' avaAO')llav)
entgegengesetzt ist. 62 Ein solches a?TO TUX'Y}; oµ,wvuµ,ov ist also das Seiende
für die Kategorien nicht, es kömmt ihnen in analoger Weise zu.
Allein um zu verstehen, was dies besage, muß man wissen, was Aristoteles
hier sowohl, als überhaupt unter seiner avaAo')lfa versteht, und dies wollen
wir jetzt an dritter Stelle erörtern. Trendelenburg hat in seiner Geschichte

irytefaq, TO IJ' ÖTt !JeXTIXOJ/ auT/ijq. xai TO iaT(l/XOJ/ 1T(20q iaT(l/X'Y}JJ· TO µ,ev ,yae
TqJ exe1v T'f/l/ iaT(l/X'f/l/ AS'}'eTa/ iaT(llXOll, TO <Je TqJ eucpueq elvat rreoq aUT'Y}li, TO
<Je TqJ S(l'}'Ol/ elvat T/ijq iaTetx/ijq. oµ,otoT(l01TWq <Je xai aMa A'f)foµ,eS-a Ae,yoµ,eva
TOlJTOtq. OVTW <Je xai TO b'v Ae,yeTat 7TOMaxwq µ,ev, b,)..)..' ärrav 1T(20q µ,lav aex0v·
Ta µ,ev ,yae ÖTt ouufat, Ol/Ta Ae,yeTat, Ta IJ' ÖTt rraS-'f) ouulaq, x. T. A. Metaph.
z, 4. p. 1030, a, 32. <Jei ,yae ,;; oµ,wvuµ,wq TaÜTa [sc. TO 1TOl0l/ xai 1TOU0l/ x. T. A.]
cpavat elvat Ol/Ta,,;; 1T(!OUTtS-evTaq xai acpat(!OVl/Taq, WU1Til(! xai TO µ,'f) emUT'f)TOll
81TIUT"f}TOJI, errei TO ,ye oeS-ov eUTI µ,'Y}Te oµ,wvuµ,wq cpavat whn wuaUTWq,
b,)..)..' WU1Til(2 TO iaT(llXOJ/ TqJ 1T(!Oq TO aUTO µ,ev xai i!v, ou TO aUTO <Je xai i!v, ou
µ,SVTOI ou<Je oµ,wvuµ,wq· OU!Je ,yae iaT(!IXOll uwµ,a xai S(l'}'Oll xai uxeiJoq Ae,yeTat
oÜTe oµ,wvuµ,wq OUTS xaS-' i!v, aMa 1T(!Oq i!v. Vergl. Metaph. K, 3. p. 1060, b, 32.
61 Categ. 1. p. 1, a, 1. oµ,wvuµ,a As,ynat div Övoµ,a µ,ovov XO/l/Oll, o <Je xaTa ToÜvoµ,a
Ao,yoq T/ijq ouulaq eTe(!Oq, olov !;'i.µov ö Te ävS-ewrroq xai TO ,ye,yeaµ,µ,svov . ...
uuvwvuµ,a <Je As,ynat div TO Te Övoµ,a XO/l/Ol/ xai o xaTa ToÜvoµ,a Ao,yoq T?]q
ouulaq o auToq, olov !;'i.µov ö Til äihewrroq xai o ßoüq. {Zur Übersetzung vgl. Ein!.
AS LXXXVI.}
62 Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, b, 25. oux SUT/ll äea TO a,yaS-ov XO/l/Ol/ Tl xaTa µ,lav
i<Jsav. aMa rrwq IJ'f/ As,yeTat; ou ,yae eotxe TOtq ,ye arro TllX"f}q oµ,wvuµ,01q. aJ..X
ä.ea ,ye TqJ acp' evoq elvat,,;; 1T(!Oq e'v ärral/Ta UUl/TeAeiv, ,;; µ,äMov xaT' avaAo-
,yiav; wq ,yae ev uwµ,aTt öf,q' ev fuxfl voiJq' xai aMO IJ'f/ ev aM<p.
FÜNFTES KAPITEL. 89

der Kategorienlehre über die Bedeutung der Analogie eingehende Untersu-


chungen angestellt. 63 Was er uns lehrt, ist Folgendes:
Die Analogie in der ersten und ursprünglichen Bedeutung, sagt er, sei
etwas Quantitatives, sie sei die mathematische Proportion, und ihr Wesen
bestehe in der Gleichheit von Verhältnissen (l<TOT'Y},; Ao,ywv). 64 Allein auch
im Gebiete der Qualität ist eine Proportion möglich, wovon wir so eben
ein Beispiel in der aus der Nicomachischen Ethik angeführten Stelle hatten:
wie in dem Leibe die Sehkraft, so, hieß es dort, sei in der Seele der Ver-
stand. 65 Zwei Stellen, die Trendelenburg anführt, beweisen (was Trendelen-
burg weniger bestimmt hervorhebt), daß eine solche qualitative Proportion
in doppelter Weise statthat: 1) Wenn ein und dieselbe Qualität in gleichem
oder verschiedenem Grade (denn die Qualität läßt ja TO µ,a,Mov xat TO ,;jTTov
zu) 66 verschiedenen Subjecten zukömmt, z. B. der Körper A ist wärmer als
der Körper B, wie B wärmer als der Körper C ist. Hier findet gewissermaßen
noch eine Vergleichung nach dem Quantum, nach dem Maße statt, aber
nicht xaTa TO 1ro<Tov ri 1ro<Tov, sondern nach dem Quantum der Kraft (ri
~uvavmf Tl), oder dgl. - 2) Wenn verschiedene Qualitäten sich in derselben
Weise zu mehreren Subjecten verhalten, z. B. wenn wir sagen: wie dieses
warm ist, so ist jenes weiß. 67 Die letztere ist die Analogie, die Aristoteles aus-
schließlich mit diesem Namen bezeichnet. 68 Und so ist denn das avaAo,yov
allgemeiner, als das xo1v6v, wenn dieses sich innerhalb derselben Kategorie
63 Gesch. d. Kateg. S. 152 ff.
64 Eth. Nicom. V, 6. p. 1131, a, 31.
65 s. Anm. 62. Andere Beispiele gibt Top. I, 17. p. 108, a, 7. T0v /Je 0/J,OIOT'f)Ta IJ"Xe'IT-
TSOV 81TI Te TWV ev eTB(lOI<; 7eve<TIV, W<; ifraeov 1T(!O<; /fraeov Tl, Ol/TW<; äMo 1T(!O<;
äMo, olov w<; em<TT'(}/JHJ 1reo<; e1Tl<TT'f/TOV, oÜTW<; ai'a-:J-'f)<TI<; 1reo<; al<T:J-'f/TOV· xa/ w<;
heeov ev hee<.p TIVI, Ol/TW<; äMo ev äM<.p, olov w<; öi/;1<; ev ocp:J-aAµ,qj, vofJ<; ev
i/;uxfi, xa/ W<; 7aA'()V'f) ev :J-aAa<T<TTJ, li'f)Veµ,[a ev aee1. Auch Anal. prior. I, 46. P·
51, b, 22. Phys. I, 7. p. 191, a, 7. De part. animal. I, 5, p. 645, b, 6. 9. Metaph. 0,
6. p. 1048, b, 6.
66 Categ. 8. p. 10, b, 26. emlJexaw1 /Je TO µ,?i,Mov xa/ TO 'J1TTOV Ta 1TOIO,.
67 De gen. et corr. II, 6. p. 333, a, 23. el /Je µ,0 Ol/TW xaTa TO 1TO<TOV <TLJµ,ßA'f)Ta W<;
1TO<TOV ex 1TO<TOU, aM' Ö<TOV IJUVUTUI, olov el XOTUA'f) Ü<JaTO<; l'a-ov IJUI/UTUI i/;uxa1v
xa/ <Jexa aeeo<;, xa/ Ol/TW<; XUTa TO 1TO<TOV ovx Tl 1TO<TOV <TLJµ,ßA'fJTO,, aM' Tl
/JUVUVTUI Tl. BI?'} lJ' äv xa/ µ,0 TqJ TOU 1TO<TOU /J,eT(!qJ <TLJµ,ßaMe<T:J-a1 Ta<; <Juva-
/J,el<;, aMa xaT' avaA07fav, olov W<; TO/Je Aeuxov TO/Je :J-aeµ,ov. TO lJ' W<; TO/Je
<T'f}/J,UIVel ev µ,ev 1TOlqJ TO Öµ,01ov, ev /Je 1TO<TqJ TO i'<Tov.
68 De part. animal. I, 4. p. 644, a, 16. Ö<Ta µ,ev 7ae <J1acpeee1 TWV 7evwv xa:J-' u1ree-
ox0v xa/ TO µ,?i,Mov xa/ TO 'J1TTOV, TUUTU u1re(euxw1 ev/ 7eva1, Ö<Ta lJ' exa1
TO avaA07ov, xwef<;· Ae7w lJ' olov öev1<; öev1:J-o<; IJ1acpeee1 TqJ µ,?i,Mov 'r} xaS-'
90 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH .ARISTOTELES

bewegt; 69 es kann auch in den verschiedenen Kategorien Gemeinschaft stif-


ten. ,,Durch alle Kategorien des Seienden," heißt es im vierzehnten Buche
der Metaphysik, 70 „geht das Analoge; wie das Gerade in der Länge, so ist
in der Breite das Ebene, in der Zahl vielleicht das Gerade, in der Farbe das
Weiße." Vergleiche auch A, 6. p. 1016, b, 31. Metaph. A, 4. p. 1070, a,
31. ibid. b, 16. ibid. b, 25. ibid. 5. p. 1071, a, 30. u. s. w. ,,So stellen sich,"
schließt Trendelenburg, die „Kategorien bei Aristoteles {dar}, wenn man,
was sie gemeinschaftlich haben können, betrachtet. "71
Man begreift wohl, wie unter den dem Namen, aber nicht dem Begriffe
nach gleichen Dingen, unter den oµ,wvuµ,01t;, die avaAo,ya, wenn sie so gefaßt
werden, von den arco TUXl'f]t; oµ,wvuµ,w; geschieden und, als die weniger
homonymen, nach einem etwas engeren Gebrauche des Worts gänzlich vom
oµ,wvuµ,ov ausgeschlossen werden. Sie nähern sich schon einigermaßen den
Synonymen; denn außer dem gemeinsamen Namen haben sie, wenn nicht
eine Gemeinschaft, doch eine Verwandtschaft der Begriffe, wenn nicht Iden-
tität, doch Aehnlichkeit, wenn nicht Gleichheit des Wesens, doch Gleich-
heit des Verhältnisses. Es ist gewiß ein Unterschied zwischen einer Homo-
nymie, wie z. B. die, wonach der Stern und der Kriegsgott Mars genannt
werden, und einer andern, wie wenn wir den Fürsten unter den Menschen,
den Adler unter den Vögeln, den König auf dem Schachbrett u. dgl. einen
König nennen.
Auch versteht man ganz wohl, wie das Öv, wenn es für die verschiede-
nen Kategorien nicht synonym sein kann, jedenfalls dieser proportionellen
Aehnlichkeit für dieselben nicht entbehrt. Denn wie der Mensch zu seinem
substantiellen Sein, zur OV(Tta, so verhält sich z. B. das Weiße zum rco16v, als
dem ihm entsprechenden Öv, und die Zahl sieben zum TCO(TOV u. s. w. Es ist
also hier eine Gleichheit der Verhältnisse, eine Analogie, wie Trendelenburg

LJ1Te(d0%,'f}V (TO µ).v ,yae µ,axgoTTTe(dOV TO <Je ßeaxuTTTe(dOV), ix,;3-us; ;J' Ögv,S-o; TqJ
avaAo,yov (o ,yae SXelV4) 1TTe(dOV, S-aTeg<p Aerrf;).
69 Dieses ist das xo1v6v im strengen Sinne des Wortes. Vergl. oben S. 82 Anm. 39. die
aus Phys. III, 1. citirte Stelle. Einen weiteren Sprachgebrauch s. u. § 4.
70 Metaph. N, 6. P· 1093, b, 18. SV SX/1,ITT'(} ,yae TOÜ OVTOq xaT'l}'}'O(dlq, SIJ'TI TO
avaAo,yov, wq eu:3-u SV /J,'f}Xel, OÜTwq SV rrAaTel TO oµ,aAov, iuwq ev ag,S-µ,ij) TO
1Te(dlTTOV, ev <Je xeoq, TO Aeux6v. {Brentano mit Bekker 1093620: oµ,aAov i'uwq, ev
ae1S-µ,ij). Die Christ, Ross, Jaeger konforme Änderung in der Kommasetzung war
nötig, weil von Brentanos Übersetzung der Stelle verlangt.}
71 Gesch. d. Kateg. S. 157.
FÜNFTES KAPITEL. 91

sie erklärt, und wie Aristoteles sie allerdings für seine Kategorien behauptet
hat. 72
Allein hiemit scheint uns der Gedanke des Aristoteles und der Grund,
weßhalb er das Öv der Kategorien von den eigentlichen Homonymen
getrennt wissen wollte, noch nicht in erschöpfender Weise angegeben. In
den oben angeführten Stellen hob er nicht das hervor, daß die Kategorien
gemeinsam als Öv bezeichnet würden, weil, wie das der einen Zugehörende
zu dem einen, das in der andern Enthaltene zu dem andern Seinsbegriffe sich
verhalte, sondern er sagte: ,,das Seiende wird in vielfacher Bedeutung gesagt,
aber im Verhältnisse zu Einern und zu Einer einzigen Natur;" 73 und dieses
Eine, diese einzige Natur, ist die Substanz, wie wir sogleich aus dem Folgen-
den entnehmen: ,,Die Einen werden Seiende genannt, weil sie Substanzen,
die Andern, weil sie Passionen der Substanz sind u. s. w. "74 So sagt er auch im
ersten Kapitel des Buches Z: 75 „Das Seiende wird in vielfacher Weise gesagt
... Denn das eine bedeutet eine Substanz, das andere ein Beschaffenes oder
ein Großes u. s. w. Da aber das Seiende in so vielfacher Bedeutung gesagt
wird, so ist klar, daß das erste Seiende unter ihnen die Wesenheit ist, die die
Substanz bedeutet ... Die übrigen aber werden Seiende genannt, weil von
dem also Seienden die einen Qualitäten, die andern Quantitäten, andere
leidende Zustände oder etwas anderes Derartiges sind." Vergleiche Metaph.
0, 1. p. 1045, b, 27. und K, 3. p. 1061, a, 8. So stellen denn auch zwar
die Beispiele, auf die Trendelenburg hinweist (s. o.), allerdings die Analogie
als eine qualitative Proportion dar, allein die Beispiele, die Aristoteles zur
Erläuterung der Art und Weise, wie das Öv den Kategorien xaT' avaAo,yfav
zukomme, uns angeführt hat, wollen nichts Derartiges zeigen. Wenn die
Diät gesund genannt wird, weil sie die Gesundheit erhält, so ist der Grund
der Participation des Namens offenbar hier nicht eine eigentliche Propor-

72 z.B. Metaph. z, 1, p. 1028, a, 36. }{(1,/ eicJeva,1 TOT' o/6µ,s:3-a, exarnov µ,aJ..una,,
o
Öwv Tl errTIV äv:3-ewrroq ryvwµ,ev -ii TO 1TU(2, µ,äMov -ii TO 7TOIOV -ii TO 1TOO'"OV -ii
TO 1TOU, e1re1 }{(1,/ (1,UTWV TOUTWV TOTe exa,rrwv iuµ,ev, ÖTav Tl errTI TO 7TOO'"OV 1i TO
1ro1ov 7vwµ,ev, zeigt dies deutlich.
73 Metaph. r, 2. p. 1003, a, 33. s. oben S. 87 f. Anm. 60.
74 Ibid.
75 Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO b'v Ae7ew1 1TOMaxwq• .•. rT'Y}µ,a,1ve1 7ae TO
µ,ev Tl err-rt }{(1,/ TO/Je Tl, TO /Je ÖTt 7TOIOV 'Y/ 7TOO'"OV 'Y/ TWV äUwv exarrTOV TWV
oihw }{(1,T'Y}'}'0(20U/J,f.VWV. TOO'"(l,UT(l,XWq /Je Ae'}'O/J,f.VOU TOU OVTOq q;a,veeov ÖTt TOUTWV
1T(2WTOV b'v TO Tl erTTIV, Örree O'"'Y}/J,(1,ll/el T'f/l/ OUO'"l(l,l/ . ... {al8} Ta 15' ä,),_),_a, Ae7ew1
Övw T(j) TOU oÜTwq Ol/TOq Ta µ,ev 1TOO'"OT'Y}T(l,q e/va,1, Ta /Je 1TOIOT'Y}Wq, Ta /Je rra:3-'Y},
Ta /Je äMo Tl TOIOUTOl/.
92 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

tion zu dem zunächst und in erster Bedeutung gesund genannten Leibe,


obgleich er allerdings in einem Verhältnisse zu diesem, d. h. in einer Bezie-
hung zu ihm, zu suchen ist. Ebenso die Medizin, wenn sie gesund genannt
wird, weil sie die Gesundheit bewirkt, die Gesichtsfarbe, weil sie Zeichen der
Gesundheit ist. Alle stehen in einer Beziehung zur Gesundheit und dadurch
zu einander, ohne aber darum gerade in einer Proportion zu stehen. Denn
in jeder richtigen Proportion muß, wenn das zweite Glied dem vierten, auch
das erste dem dritten gleich sein, wenn a : b = c : b, so ist a = c. Daher kön-
nen die Beziehungen des Gesundmachenden und Gesundheitanzeigenden
zur Gesundheit keine Proportion bilden, wenn nicht die Begriffe gesundma-
chend und gesundheitanzeigend ein und dasselbe besagen sollen, was offen-
bar nicht wahr ist. Dasselbe gilt von dem andern Beispiele. Der Leib, an dem
die Heilkunst sich bethätigt, das Werk, das sie verrichtet, das Mittel, dessen
sie sich bedient, u. dgl. werden alle laTe1xov genannt in Bezug auf dieselbe
laT(llXrrJ. Eine Proportion bilden sie nicht zu ihr.

Wir glauben daher, daß außer der von Trendelenburg erörterten Weise der
Analogie eine zweite angenommen werden müsse, die mit ihr zugleich jene
mittlere Stellung zwischen der Synonymie und reinen Homonymie ein-
nimmt. Auch hier sind heterogene Dinge verwandt, auch hier haben sie den
gleichen Namen, den sie führen, nicht ano TUX'f/c;, sondern xaT' avaAo,yfav
erhalten, allein die Verwandtschaft ist eine von der vorerwähnten ganz und
gar verschiedene. Während die zuerst betrachteten Analoga in der Verschie-
denheit der Begriffe eine Gleichheit der Verhältnisse aufuriesen, finden wir
hier ein ganz verschiedenes Verhalten, aber ein Verhalten zu einem gleichen
Begriffe als Terminus, eine Beziehung auf dieselbe aex0 (änav neoc; µ,fav
aex0v Metaph. r, 2.). Aristoteles drückt daher den Unterschied dieser Ana-
loga von den Synonymen so aus, daß er sagt, die letzteren seien im eigent-
lichen Sinne xa:J' ev, die ersteren aber nur neoc; ev, oder doch nur gewisser-
maßen xa:J' ev zu nennen. 76
Oft hat die Sprache auf diese Weise der Verwandtschaft in den Dingen
Rücksicht genommen, wie wir denn von den Dingen die einen mit glei-
chen, die andern mit verschiedenen Namen, andere aber in solcher Weise
bezeichnen, daß die Worte zwar verschieden, aber doch derselben Wurzel
entstammt sind, wie z. B. wenn wir Einiges heilbar, Anderes heilsam nennen
u. dgl. Allein nicht immer verfährt die Sprache mit solcher Genauigkeit,

76 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 12. s. S. 93 Anm. 79.


FÜNFTES KAPITEL. 93

es genügt ihr, daß alles zusammengehört und um Eines sich gruppirt, um,
darum, wie jegliches hingehöre, unbekümmert, es so zu sagen mit einem ein-
zigen Familiennamen zu benennen. So nennen wir königlich nicht bloß den
königlichen Gebieter, der Träger der Königsmacht ist, sondern wir sprechen
auch von einem königlichen Scepter und Gewande, von königlicher Ehre,
von königlichem Befehle, von königlichem Blute u. dgl.; so wurden oben
die Namen des u,y11;1vov und des laTe1xov in vielfacher Bedeutung gebraucht,
und leicht wäre es, die Beispiele noch vielfach zu vermehren. 77
Das Öv also, das den Kategorien zukömmt, ist nach Aristoteles auch in
dieser Weise analog. Nicht bloß jene Gleichheit von Verhältnissen, die für
das eine und andere Öv sich finden, unterscheidet sie von den bloß zufälligen
Homonymen, sondern auch die Analogie durch die Hinsicht auf ein und
denselben Terminus. Die letztere hebt Aristoteles an den angeführten Stellen
vorzüglich hervor, und sie gilt ihm überhaupt für jene Weise der analogen
Benennung, die, dem Synonymon näher stehend, sich weiter von den im
strengeren Sinne des Worts homonymen Dingen entfernt; 78 aus ihr beweist
er auch, daß es eine einzige Wissenschaft sei, die von dem Seienden in den
verschiedenen Bedeutungen handle; 79 aus ihr schließt er ferner, daß von den
Kategorien die eine in eigendicherem Sinne als alle übrigen den Namen des

77 Für in dieser Weise analog wird das evavTtoll erklärt Metaph. ß, 10. p. 1018, a, 31.
Ta ;J' äJv..a Sl/al/Tla A&'f'eTal Ta µ).v Ti;i Ta TOlai7Ta exs1l1, Ta <Je Tqj /Js;mxa slva,
TWl/ TOIOUTWll, Ta <Je Tqj 1l'Ol'Y)TIKa 'Y} -rra:3-'Y)TIKa slva, TWl/ TOIOUTWll, 'Y} 1rOIOÜl/Ta
'Y} -rrauxovTa, 'Y} a,1roß0Aai 'Y} A'r/lpelq, 'Y} ess1q 'Y} O"Te(l't}O"elq slva, TWl/ TOIOUTWl/.
Ebenso das <JuvaTOll ß, 12. p. 1019, b, 35. Ta <Je Ae,YO/J,el/a xaTa <Juvaµ,1v 7r0,l/Ta
A&'f'eTal 1reoq T'f}l/ 1r(2WT'Y)l/ µ,fav· aÜT't/ ;J' SO"Till aex0 µ,swßoNi'Jq Sl/ äJv..q> ri äJv..o.
Ta 7ae äJv..a A&'f'eTal <JuvaTa Ti;i Ta µ,ev SXell/ aVTWl/ äJv..o Tl TOlaUT'Y)l/ <Juva-
/J,lll, Ta <Je /J,'f/ SXelll, Ta <Je w<Ji exs,v. oµ,ofwq <Je xai Ta a,/Juvaw. WO"Te o KU(llOq
öeoq T"ijq 1r(2WT'Y)q <Jwaµ,swq äv el?) aex0 µ,swßA'f/TIK'f} Sl/ äJv..q> ri äJv..o. {zu µ,fav
1020al vgl. die Bemerkung S. 52 Anm. 31} Dagegen wird in der Geometrie und
in der Logik zwar auch von /Juvaµ,1q und einem /JuvaTOll gesprochen, aber hier fin-
det sich bloße Analogie der Proportionalität. S. oben S. 46 Anm. 5 u. 6.
78 So werden Metaph. 0, 1. p. 1046, a, 6. die vieldeutigen, aber in der Analogie der
Gleichheit des Terminus vereinigten Namen von den Homonymen geschieden,
während die Analoga der Proportionalität noch dazu gerechnet werden: TOUTWll
;J' Öua, µ,ev oµ,wvuµ,wq A&'f'Ol/Tal <Juvaµ,s,q acpefuS-wuav· ev,a, 7ae 0/J,OIOT'Y)TI Tll/1
Ae,YOl/Tal . •.• Öua, <Je 1r(20q TO aLJTO sl<Joq, K. T. A.
79 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 11. xaS-a-rrse OÜl/ xai TWl/ U,Ylell/Wl/ a-rral/TWl/ µ,[a
87rlO"T't}/J,'Y) SO"Tlll, oµ,ofwq TOÜTO xai e-rri TWl/ äJv..wv. OLJ 7ae /J,Ol/Ol/ TWl/ xaS-' e'v
Ae,YO/J,&l/Wl/ 87rlO"T't}/J,'Y)q SO"Ti S-swe"ijua, µ,1aq, a,Ma xai TWl/ 1reoq µ,fav Ae,YO/J,&l/Wl/
(()UO"ll/. xai 7ae TaÜTa T(207r0l/ Tll/a Ae7eTal xaS-' ev. iJ"ijAOll OÜl/ ÖTI xai Ta ÖvTa
µ,1aq S-swe"ijua, '(} Övw.
94 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Seienden führe, wie es ja bei Dingen, die in dieser Weise als Analoga gemein-
sam benannt werden, natürlich überall der Fall ist. So ist das Gesunde, wie
es von dem gesunden Leibe ausgesagt wird, im eigentlichsten Sinne gesund,
denn dieses wird, als solches, durch die Gesundheit als Form constituirt,
von der all die andern Begriffe abhängen, und in Bezug auf welche alles,
was irgendwie gesund genannt wird, den Namen erhalten hat. 80 Von den
Kategorien ist das erste und eigentliche Seiende die Substanz (ouo-fa). ,,Die
übrigen," sagt Aristoteles, ,,werden seiend genannt, weil sie von dem also Sei-
enden einige Quantitäten, andere Qualitäten, andere Leiden, andere etwas
anderes Derartiges sind. "81 Und Aehnliches haben wir schon oben aus dem
vierten Buche angeführt.
Somit ist klar, daß das Seiende für die verschiedenen Kategorien ein oµ,w-
vuµ,ov ist, daß sie aber nicht oµ,wvuµ,a ano TU%'Y]q, sondern xaT' avaAo,y[av
sind und zwar nach doppelter Weise der Analogie, nach der Analogie der
Gleichheit der Verhältnisse und nach der Analogie zum gleichen Terminus.
Denn nicht bloß verhält sich das Öv der Substanz zu allem Substanziellen, wie
das Öv der Qualität zu allem Qualitativen u. s. w., sondern es werden auch
alle Kategorien neo; a'v xa1 µ,[av Ttva <puo-1v Seiendes genannt, in Bezug auf
das eine Sein der ouo-fa. 82
Wir sagen:

80 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 16. [To 7l'{!WTOl/], es oi5 Ta ä)J..a 7}{/T'()Tal, xai li,' b'
I\S,YOl/Tal.
81 Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 18. s. oben S. 91. Anm. 75; vergl. S. 87 f. Anm. 60.
82 Diese doppelte Analogie des Seienden ist F. Ravaisson in seinem von der Pariser
Academie gekrönten Essai sur la metaphysique d'Aristote I {Paris 1837}, p. 359 ff.
nicht entgangen: {S. 359}. ,,Ce n'est clone pas un genre superieur que s'unissent
!es categories, ni dans une commune participation a un seul et meme principe ou
aune seule et meme idee; elles s'unissent come !es quarre causes dans une rela-
tion commune avec seul et meme terme,etc'estcetterelation,quienfait
!es objets d'une seule et meme science .... {S. 360}. Mais il y a des relations d' une
nature tou te differente qui etablissent entre !es diverses categories une sorte
de parente; ce sont !es oppositions de l' etre .... S. 362 f. Les deux membres con-
traires de chaque opposition different clone necessairement dans chacune des cate-
gories, comme l'etre lui-meme dans chacun de ses genres. Mais de meme aussi que
c'est partout l'etre, partout c'est la meme opposition: !es termes sont divers, mais
Je rapport identique .... Les oppositions etablissent clone entre !es dix genres de
l'etre des egalites de rapport, des proportions, des analogies: trois
termes synonymes."
FÜNFTES KAPITEL. 95

§ 4. III. Die Kategorien sind die höchsten synonymen Allgemeinbegriffe,


die höchsten Gattungen des Seienden.
Wir haben in dem vorigen Paragraph die Kategorien im Verhältniß zu dem
ihnen übergeordneten, sie gemeinsam bezeichnenden, wenn auch nicht im
eigentlichen Sinne ihnen gemeinsamen Öv betrachtet. Ihre Einheit war eine
Einheit der Analogie, nichts kam ihnen in ein und derselben Weise (w,rau-
-rwq Metaph. Z, 4. p. 1030, a, 35.) als Synonymen zu. Einen höhern syn-
onymen Begriff - dies ist bereits erwiesen - gibt es nicht. Jetzt wenden wir
uns zur Betrachtung des Verhältnisses, in dem die Kategorien zu den ihnen
untergeordneten Dingen stehen, und hier finden wir denn im Gegentheil,
daß alle zu derselben Kategorie gehörigen Dinge Synonyma sind. Die Kate-
gorien sind im eigentlichen Sinne Allgemeinbegriffe (xo1va,) und Gattungen
(,yev7J) der Dinge.
Der Beweis ist leicht zu führen, da die Stellen, wo Aristoteles das eine und
andere ausspricht, zahlreich sind. Das xo1vov hat bei Aristoteles eine engere
und eine weitere Bedeutung. In der weiteren Bedeutung gehört auch das,
was der Analogie nach Eines ist, als XOIVOV xaT' avaAo,y[av 83 unter die xotva.
In diesem Sinne werden denn auch im sechszehnten Kapitel des siebenten
Buches und im zweiten Kapitel des zehnten der Metaphysik das Seiende
und das mit ihm convertible Eine als xo1va, bezeichnet. 84 Allein der bei wei-
tem gewöhnlichere Sprachgebrauch bei Aristoteles ist der, wonach xotva nur
die Synonyma sind, und das xo1vov die Bedeutung eines Allgemeinbegriffes
erhält. 85 In diesem engem Sinne nun werden die Kategorien xo1va, genannt,
wie z. B. im ersten Kapitel des dritten Buches der Physik und im vierten des

83 De part. anim. I, 5. p. 645, b, 26. s. oben S. 87. Anm. 59. Vergl. Anal. post. I, 10.
p. 76, a, 38.
84 Metaph. Z, 16. p. 1040. b, 21. I, 2. p. 1053, b, 19.
85 Oder auch an andern Orten eines allgemeinen Grundsatzes u. dgl. {z. B. Metaph.
B.2: x01vai 1)6t;a1 996628, ,,wie z. B., daß notwendig alles entweder zu bejahen
oder zu verneinen ist, oder daß unmöglich etwas zugleich ist und nicht ist", b29f.,
oder K.4: Ta xo1va 1061618, z. B. ,,daß Gleiches von Gleichem weggenommen
Gleiches übrig läßt", bl9f. ,,We have then here", bemerkt Thomas Heath in der
Einleitung zu seiner Übersetzung von Euklids Elementen, in der er ausführlich
von dessen Auffassung der ersten Prinzipien handelt und dabei auch eingehend
ihren Aristotelischen Hintergrund erörtert, ,,a suffi.cient explanation of Euclid's
term for axioms, viz. common notions (xo1vai evvo1a1), and there is no reason to
suppose it tobe a substitution for the original term due to the Stoies": Euclid, lhe
lhirteen Books ofthe Elements. Trans!. with lntroduction and Commentary by Sir
Thomas L. Heath, 2nd edn, reprint New York: Dover 1956, I, 120f.}
96 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

zwölften der Metaphysik. 86 Daß aber wirklich jenes xo1v6v im engem Sinne
gemeint sei, nicht jenes, wonach auch das analoge Öv und ev u. dgl. den
Namen erhalten, sieht man besonders deutlich aus Anal. post. II, 13., wo
die Kategorien als newTa xo1va, bezeichnet werden. 87 Auch Metaph. K, 3;
legt offenbar gerade im Gegensatze zum Öv der Kategorie ouO'ta das Prädicat
xo1v6v bei. 88
Noch unzweideutiger gibt indeß Aristoteles seine Meinung zu erkennen,
wenn er die Kategorien als Gattungen - '}'SJJ'Y) - bezeichnet. Denn die Gat7
tung ist immer ein Synonymon, wie das vierte Buch der Topik uns ausdrück-
lich lehrt, 89 und wir haben darum schon oben gesehen, wie das Öv und das
ev nicht Gattungen genannt werden dürfen, und wie das, was verschiede-
nen Kategorien angehört, nicht ein gemeinsames Genus haben kann. 90 Daß
aber die Kategorien selbst für alles ihnen Untergeordnete die Gattungen
seien, deuten eben diese Stellen schon ziemlich bestimmt darin an, daß sie
immer das Eine hervorheben, daß, was nicht zu derselben Kategorie, auch
nicht zu derselben Gattung gehöre; aber mit klaren Worten spricht es das
dritte Kapitel des zehnten Buches der Metaphysik aus: ,,Das Eine," heißt es
dort, ,,ist dem Genus nach verschieden, das Andere aber gehört in dieselbe
Kategorie. " 91 Dies bekräftigen denn noch eine Menge anderer Stellen, worin
die Kategorien '}'SJJ'Y) TWV xaT'Y)'f'OQtWV oder auch '}'SJJ'Y) schlechthin heißen.
Beispiele für das Erstere finden sich Anal. post. I, 22. Soph. elench. 22.
Top. I, 9. Top. I, 15. Top. VII, 1. u. a. a. 0. 92 Beispiele für das Letztere sind

86 Phys. III, 1. p. 200, b, 34. s. oben S. 82. Anm. 39. Metaph. A, 4. p. 1070, b, 1.
1ra,ga, ,ya,g T'Y)V OUO'IUV Xat TUMa T(J, XUT'l},YO(!OUµ,eva ouS,ev SO'TI XOIJ/011.
87 Anal. post. II, 13. p. 96, b, 19. µ,eTa <Je TOLJTO Aaßov-ra Tl TO ,yevo,;, olov 1TOT8(20V
TWll nouwv ,;; TWll 1ro1wv, Ta l'<Jta naS,'I} S,ewgei11 <Jta Twll xo111w11 1rgwTw11.
88 Metaph. K, 3. p. 1061' b, 11. e1re1 <Je TO Te b'11 ä1ra11 xa;.}' el/ Tl Xat XO/))())) Ae,yeTat
'ITOMaxw,; Ae,yoµ,evov ... Ebenso ibid. p. 1060, b, 35. Daß dies XO/))O)) die ouuia
ist, wird aus dem vorigen § klar sein.
89 Top. IV, 6. p. 127, b, 6. XUT(J, 'IT<l,))TWV ,ya,g TWV ei<Jwll (J'l)))Wl/U/J,W<; TO ,ye110,; XUT'l}-
,yoge'i'Tat. Vergl. Top. IV, 3. p. 123, a, 28.
90 Metaph. !::,.., 28. p. 1024, b, 12 etc. s. oben S. 86. Anm. 55. u. 56.
91 Metaph. I, 3. p. 1054, b, 35. (J,N\(J, T(J, µ,e11 TO ,yevo,; heea, T(J, r5' ev Tfj at1T'l7
uuuTotx,fq, T'I)<; xaT'l},yogla,;. Ebenso deutlich spricht die oben S. 87. Anm. 59.
citirte Stelle Metaph. l::i., 6. p. 1016, b, 31. dasselbe aus.
92 Anal. post. I, 22. p. 83, b, 15. T(J, ,yev'I} TW)) XUT'l},YO(!IWV 1renega11-ra1. Soph.
elench. 22. p. 178, a, 5. exoµ,e11 T(J, ,yell'I} TWll XUT'l},YO(!IWll. Top. I, 9. p. 103, b,
20. T(J, ,yell'I} TWll XUT'l},YO(!IWV.Top. I, 15. p. 107, a, 3. T(J, ,yewq TWll XUT(J, TOÜ110µ,a
FÜNFTES KAPITEL. 97

Categ. 8. Categ. 10. Anal. post. II, 13. Phys. III, 1. De anim. I, 1. De anim.
II, 1. Metaph. I, 1. A, 5. N, 2. u. a. a. 0. 93
Demnach hatten jene alten Erklärer des Aristoteles so Unrecht nicht, wel-
che, wie Porphyrius uns berichtet, 94 das Buch der Kategorien ,;rre(!t TW!i
1evwv" nennen wollten, obgleich der Name der Kategorien, wie wir noch
sehen werden, bei weitem der bezeichnendere ist. Die Stoiker haben später
für die Kategorien den Namen Ta '}'elitXWTaTa, die höchsten Geschlech-
ter, gebraucht. Trendelenburg meint, vielleicht liege schon hierin eine von
der Aristotelischen verschiedene Behandlung der Kategorienlehre angedeu-
tet.95 Vielleicht deutet eine solche aber weniger der Gebrauch dieses, als das
.Aufgeben des früheren Namens (xaT'l'}'}'0(21a1) an, der sich uns später näher
erklären wird. Denn finden wir bei Aristoteles nicht den Ausdruck Ta '}'elit-
xwTaTa, so nennt er sie doch Metaph. z, 9. ganz in demselben Sinne Ta
rrewTa. 96

xaT'f}70(11Wll. Top. VII, 1, p. 152, a, 38. Sll Sl/1 7s11e1 xaT'Y}70(11aq. Ueber die Erklä-
rung des Genitivs s. o. S. 82.
93 Categ. 8, P· 11, a, 37. STI ei Tu7xa1101 TO aLJTO neo,; Tl xai 1TOIO!I Öv, ou<Jev (1,T01TOV
SV aµ,<pOTS(lOI<, Tot,; 7evernv aLJTO xawe1$-µ,e'"io-S-a1. ibid. 10. p. 11, b, 15. vnee µ,ev
OÜV TWV 1T(lOTe:3-evTWV 7e11w11 ixava, T(l, eie'Y}µ,eva. Anal. post. II, 13. p. 96, b, 19.
µ,eTa <Je TOiJTo 'AaßovTa Tl TO 7evo,;, olov 1TOTS(10V TWV 1TOO"WV ,rj TWV 1TOIW!I ...
Phys. III, 1. p. 201, a, 9. s.o. S. 61. Anm. 50. Ebenso Metaph. K, 9. {1065b14f.}
De anim. I, 1. p. 402, a, 22. 1T(2WTO!I ;J' io-w,; ava7xa'"io11 cJ1e'AeTv SV TIVI TWV 7evwv
xai Tl SO"TI {sc. 'f} \VUX'IJ}, Ae7w <Je 1TOTS(10V TO<Je Tl xai OLJO"la ,rj 1TOIOV ,rj 1TOO"Oll ,rj
xal Tl<, <1,1\A'f/ TW!I cJ1a1eeS-e10-wv xaT'f}70(11WV. De anim. II, 1. p. 412, a, 6. 'Ae70-
µ,ev <J0 7e110,; ev Tl TW!I ÖvTWV T'f}ll OLJO"lav X. T. A. Metaph. I, 1. p. 1052, b, 18.
µ,aAIO"Ta <Je TO µ,heov e{va,1 1T(1WTOV exaO"TOU 7e11ou,; xai XU(llWTaTa TOiJ noo-oU·
SVTeiJ:3-ev 7ae sni Ta äMa S/\'l)AU:3-ev. Metaph. A, 5. p. 1071, a, 24. äMa <Je
äMwv ai'T1a xai O"To1xeTa, wo-nee s'Aex:3-'Y/, TWV /J,'YJ SV Tal!T<{J 7e11e1, xewµ,aTWV,
\VO(f)WV, OLJO"IWV, 1TOO"OT'f}TO<,, 1T/\'Y)ll T(/1 a11a'Ao7ov. {Das Komma nach 1TOO"OT'f/TO<,
(so auch Bonitz, Christ, Ross, Jaeger) ist Brentanos, anstelle von Bekkers Punkt}
Metaph. N, 2. p. 1089, b, 27. xa/TOI <Je'"i 7e TIVa el11a1 ÜA'Y}V SXIJ,O"TC/) 7e11er 7TA'Y)ll
XWfllO"T'Y)ll a<JvvaTOV TWV OLJO"IWV.
94 Porphyr. KaTa neuo-111 xai anOX(llO"IV fol. 2, b {Ei,; Ta,; Ä(llO"TOTS/\OU<, KaT'f}7oe1a,;
XaTa neUO"IV xai anoxe10-1v: Porphyrii Isagoge et in Categorias commentarium, CAG
IVJ. Ed. A. Busse, Berlin: Reimer 1887, 56.18f.}: (1,Al\01 <Je neei TWV ,yevwv TOU
Ö!ITO<,, (1,Al\01 <Je neei TW!I <Jexa 7evwv (sc. sne7eaivav).
95 Gesch. d. Kateg. S. 219.
96 Metaph. z, 9. p. 1034, b, 7. OLJ µ,ovov <Je neei T'/}', ouo-1a,; 0 1\070,; <J'f}/\01 TO /J,'YJ
717veo-S-a1 TO el<Jo,;' aMa neei 1TIJ,!ITWV oµ,01w,; TWV 1T(2WTWV xo1vo,; 0 1\070,;' olov
noo-ou nowU xai TW!I äMwv xaT'tJ7oe1wv. Vergl. auch die S. 96. Anm. 87. citirte
Stelle Anal. post. II, 13.
98 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Wir sagen:

§ 5. IV. Die Kategorien sind die höchsten Prädicate der ersten


Substanz.
Das Individuum aus der Gattung der Substanz nennt Aristoteles erste Sub-
stanz (1T(2WT'f/ ouO"ta). 97 Unsere Behauptung ist demnach keine andere als
diese, daß die Kategorien sämmtlich von der individuellen Substanz prädi-
cirt werden, und zwar daß sie dann die höchsten Prädicate derselben sind.
Der Beweis ergibt sich leicht aus dem vorhergehenden Satze, in welchem die
Kategorien als die höchsten Gattungen der Dinge festgestellt wurden. Denn
als Genera werden sie vor Allem von den ihnen zunächst untergeordneten
Species prädicirt, 98 und wenn auch diese Gattungen sind, auch von deren
Species und den Species der Species bis zum Individuum hinab. 99 Denn, wie
uns das dritte Kapitel der Kategorien lehrt, ,,wo eines vom andern als sei-
nem Subjecte prädicirt wird, da wird, was von dem Prädicate, alles auch von
dem Subjecte ausgesagt werden. " 100 Von der ersten Kategorie also, der OUO"ta,
deren Individua die ersten Substanzen sind, versteht es sich von selbst, daß
sie auch von ihnen prädicirt werden kann.
Aber auch für die andern Kategorien folgt dies aus dem Gesagten. Denn
alles, was nicht Substanz ist, gehört doch als Accidenz einer Substanz an und
ist ja nur seiend, weil es einer Substanz angehört, wie wir schon oben berührt
haben. 101 Was immer einer andern Kategorie angehört, wird daher auch von

97 Categ. 5. p. 2, a, 11. ovufa lJe 8/TTIV 'f/ XU(!IWTaTU, Te xa/ 7l'(!WTWq xa/ µ,a,A11na
Ae,yoµ,ev'f}, 'Y) /Jf()Te xaS-' ti7l'OXel/J,eVOU Ttvoq Ae,yeTal /J,'(JT, ev imoxs1µ,evcp Ttvl
o o
8/TTIV, olov Tlq ävS-ew7l'oq ,rj Tlq imroq.
98 Top. I, 5. p. 102, a, 31. ,yevoq iJ' 8/TTl TO xaTa 7l'AelOVWV xa/ 15ta(pe(!OVTWV Tl/) i:i'l1et
ev Tl/) Tt 8/TTI xaT'f},YO(!OU/J,eVOV. Categ. 3. p. 1, b, 22. Ta ,yae 87!'(1,l/W TWV im' avTa
,ysvwv xaT'f},YO(!etTat.
99 Categ. 5. p. 3, a, 38. TO µ,ev sllJoq xaTa TOÜ O,TO/J,OU xaT'f},YO(!elTat, TO lJe ,yevoq xa/
xaTa' TOU~ etoouq
"\;\ xa1' xaTa' Tou~ aToµ,ou.
' ,
100 Categ. 3. P· 1, b, 10. Ömv eTe(!OV xaS-' heeou xaT'f},YO(!'Y)Tal wq xaS-' !J7l'OXel/J,eVOU,
Öua xaTa TOÜ xaT'f},YO(!OUµ,evou Ae,yeTat, 71'0,VTa xa/ xaTa TOÜ 1moxe1µ,evou e'f/S-'q-
ueTal' olov ävS-ew7l'oq xaTa TOU TIVOq avS-(!W7l'OU XaT't)'YO(!eiTat' TO lJe (ij'Jov xaTa
TOÜ avS-(!W7l'OU" ovxoüv xa/ xaTa TOÜ TIVOq avS-(!W7l'OU xaT'f},YO(!'f/S-riueTat TO (ij'Jov·
o,yae Tlq ävS-ew7l'oq xa/ ävS-ew7l'oq 8/TTI xa/ (ij'Jov. {Tiq ävS-ew7l'oq 1615 (in Anpas-
sung an oTtq ävS-ew7l'oq 64) mit Minio-Paluello statt Brentanos Ttq ävS-ew7l'oq mit
Bekker und Waitz.}
101 S. oben § 4. S. 91. Anm. 75. Anal. post. I, 22. p. 83, a, 25. öua lJe /J,'1/ ovuiav
IT'f}/J,alve1 ... , uuµ,ßeß'f}xom.
FÜNFTES KAPITEL. 99

einer Substanz prädicirt, wie das Buch der Kategorien, das erste Buch der
zweiten Analytik, das siebente Buch der Metaphysik 102 und andere Stellen
lehren. Wenn aber von irgend einer Substanz, dann auch von einer ersten
Substanz, von der ja die übrigen Substanzen Prädicate waren.
Allerdings besteht ein Unterschied zwischen der Prädication der Katego-
rie OV(J'la und überhaupt der zweiten Substanzen (wie Aristoteles die Arten
und Gattungen nennt, die zur ersten Kategorie gehören) 103 und der Prädica-
tion der übrigen Kategorien von der ersten Substanz. Denn bei jenen wird
sowohl Begriff als Name der ersten Substanz beigelegt, diese aber können,
weil sie nichts der Substanz Wesentliches sind, sondern nur als Accidenzien
in ihr sich finden, nicht begrifflich mit ihr identificirt werden. 104 Dennoch ist

102 Metaph. z, 3. p. 1029, a, 23. Ta µ,ev ,yae ätJ..a Tiijq ouuiaq XG,T'f}'YOgetmt. Categ.
5. p. 2, b, 37. ST/ ai 1rewmt ouuiat ata TO TOlq a,Motq ä1ra1Ttll u1roxeiu:?ra1 xue1w-
TaTa ouuiat Ae,yovTat. wq ae ,ye ai 1rewTat ouuia, neo; Ta ätJ..a 7T<J,l)TG, sxouutv,
oihw Ta ei'a'f} xai Ta '}'Sl/'f/ TWJ/ 1rgWTWll OUITIWV 1Tgoq Ta Ao11ra 7T(l,l)TQ, sxe1· xaTa
TOUTWJ/ ,yae 7T(J,l)TG, Ta Aoma xaT'f}'}'Oge7mt. Anal. post. I, 22. p. 83, a, 30. Öua ae
/J,'Y} ouuiav IT'f}/J,aivet, aei xaTa Tll/Oq u1roxe1µ,evou XG,T'f/'}'Ogeiu::!rat, xai /J,'Y} slvai Tl
Aeux6v, o' oux ifree6v Tl b'v Aeux6v 81TT/l), Vergl. ibid. b, 20.
103 Categ. 5. p. 2, b, 30. Ta ei'a'f} xai Ta '}'Sl/'f/ aeuTegat ouuia, Ae'}'Ol/Tal. Ibid. a, 14.
104 Categ. 5. p. 3, a, 15. ST/ ae TWll 81) u1roxe1µ,ev41 OVTWV TO µ,ev Övoµ,a ouaev xwAuet
xaT'f}'}'Ogeiu:?rai 1TOTe TOÜ u1roxe1µ,evou, TOV ae AO'}'OV a,auvaTOll. TWll ae aeuTeewv
OUITIWV xaT'f}'}'Oge7Tat xai OAo,yoq xaTa TOÜ u1roxe1µ,evou xai TOÜvoµ,a' Tl))) ,yae
TOÜ av:?rew1rou AO'}'Ol/ xaTa TOÜ TIVOq av:?rew1rou xaT'f}'}'O(,['(}O"etq, xa/ TOV TOÜ Sl/JOU
WITG,UTWq. WO"Te oux äv ei:-1] rii ouuia TWV 81) u1roxe1µ,ev41. Vergl. ibid. p. 2, a, 19. Es
wird hier nur von einem xaT'f}'}'Ogeiu:?rai 1r0Te, von einer Prädication in einzelnen
Fällen, gesprochen, ja Categ. 5. p. 2, a, 27. leugnet geradezu, dass alle Accidenzien
von der ersten Substanz prädicabel sind: TWll a' 81) u1roxe1µ,ev41 Ol/TWJ/ 81TI µ,ev
TWV 1TAeilTTWll oÜTe ToÜvoµ,a oü':::r' O Ao,yoq xaT'f}'}'OgetTat TOÜ u1roxe1µ,evou· 81T,
eviwv ae ToÜvoµ,a µ,ev ouaev XWAUet XG,T'f/'}'Ogeiu:?rai 1TOTe TOÜ u1roxe1µ,evou, Tl))) ae
AO'}'Oll aauvaTOll. Dies scheint den Anm. 102. citirten Stellen zu widersprechen.
Allein es ist dies, wie die Ausleger häufig es erklären, so zu verstehen, daß, da es
von den Accidenzien concrete und abstracte Namen gibt, wie Tugend und tugend-
haft, Größe und groß u. dgl., von denen die ersteren 1raewwµ,a (vergl. Categ. 1.
p. 1, a, 12.) der letzteren sind, Aristoteles hier von den zwei Namen des Accidenz
ungenau wie von zwei Accidenzien spricht, wonach dann natürlich eine Menge
Accidenzien gar nicht von der Substanz prädicirt werden können; denn ich kann
nicht sagen, der Mensch ist Tugend, wenn auch, er ist tugendhaft. Ammonius
{oder Philoponos?, s. Einl.AS LXXX. Vgl. Philop. in Cat. [cp.ll, CAG XIII.1
25.4ff.} macht noch darauf aufmerksam, daß von vielen abstracten Namen der
Accidenzien keine concrete Form gebildet ist, so daß diese dann in keiner Weise,
auch nicht einem ihnen verwandten Paronymon nach, von der Substanz prädicirt
werden können.
100 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

die Prädication auch dieser Kategorien von der ersten Substanz eine eigent-
liche und naturgemäße Prädication, keine derartige (wie sie wohl zuweilen
vorkömmt), wo die erste Substanz gegenüber der zweiten, oder überhaupt
eine Substanz einem Accidenz gegenüber die Stelle des Prädicats einnimmt.
Eine solche verschobene Form des Urtheils will Aristoteles gar nicht mehr
prädiciren genannt wissen. 105
So ist es denn klar, wie die obersten Gattungen zugleich die höchsten
Prädicate der ersten Substanz sind, da sie überhaupt die höchsten Prädicate
sind. Nur das Öv und das sv und, was sonst nur analoge Einheit hat, kann
in demselben ungenaueren Sinn, in welchem es xo1v6v genannt wird, als
ein noch allgemeineres Prädicat bezeichnet werden, wie z. B. Top. IV, 6.
p. 127, a, 28. gesagt wird, das Seiende werde von Allem prädicirt, und im
zehnten Buche der Metaphysik, das Seiende und das Eine seien die allge-
meinsten Prädicate. 106 Dagegen sagt das erste Buch der ersten Arialytik von
den Kategorien in jenem strengeren Sinne: ,,Sie werden von andern Dingen
ausgesagt, etwas Anderes aber, das von ihnen früher ausgesagt würde, gibt es
nicht. " 107 So stellt auch Metaph. B, 3. die höchsten Gattungen den untersten
Arten, wie die höchsten Prädicate den niedrigsten gegenüber. 108
Man hat in der neuesten Zeit vielfach darüber gestritten, in welchem
Sinne der Name xaT'Y},YO(ltat, mit dem Aristoteles die höchsten Gattungen
bezeichnet, zu verstehen sei. Trendelenburg erklärte, 109 daß er die Bedeu-

105 Anal. post. I, 22. p. 83, a, 4. Ömv /J,5)) 7ae TO ASUXOl/ stvat <pw ;uJ\ov, TOTS AS'f'W
ÖTt 4) uuµ,ßeß'fJXS Asuxij'J elvat ;uJ\ov eUTll!, aM' oux WS" TO V1WXSI/J,el!0)) T(j)
{uA<y TO AeUXO)) eUTI' ... Ömv 65 TO ;uJ\ov ASUXOll elvat <pw, oux ÖTt STSQOll Ti
eUTI ASUXOll, exetl/4) 65 uuµ,ßeß'fJXS {uA<y elvat, •.. aMa TO ;uJ\ov euTi TO irrro-
Xcl/J,cl/0)), Örree xai e7evno, oux 8TS(20ll Tl b'v 'Y)' Örrse ;uJ\ov ,;; ;uJ\ov Ti. ei 60 6el
voµ,o:J-eT'fjUat, SUTW TO oÜTw AS'f'Sll/ xaT'f)'f'OQSlll, TO 6' exefvws- '~TOI /J,'1)6aµ,w;
xaT'f)'f'OQSlll,,;; xaT'f)'f'OQSlll IJ,5)) µ,0 (J,'fiAWS", xaTa uuµ,ßeß'f)XOS' 65 xaT'f)'f'OQSlll. SUTI
6' WS" /J,8)) TO ASUXO)) TO xaT'f)'f'OQOUIJ,8))0)), WS" 65 TO ;uJ\ov TO oi5 xaT'f)'f'OQSITat.
vrroxelu:J-w 60 TO xaT'f)'f'OQOU/J,cl/0)) xaT'f)'f'OQSIU:J-a, ael, oi5 xaT'f}'f'OQBITat, (J,1TAWS",
aMa µ,0 xaTa uuµ,ßeß'f)xos-· oÜTW 7ae ai ano6el;e1s- 0,'7T0681Xl/UOUUI)). Vergl. Tren-
delenburg, Gesch. der Kateg. S. 14 ff.
106 Metaph. I, 2. p. 1053, b, 20. TO 7ae b'v xai TO e'v xa:J-6J\ou xaT'f)'f'OQSITal µ,aAtUTa
navTWll. Vergl. o. S. 11. Anm. 2.
107 Anal. prior. I, 27. p. 43, a, 29. auTa /J,5)) xaT' äMwv xaT'f)'f'OQSITal, xaTa 68 TOU-
TW)) äMa 1TQOTeeov ou xaT'f)'f'OQe1Ta1.
108 Metaph. B, 3. p. 998, b, 14. 1TQOS' 68 TOIJTOIS' ei xai ÖTt µ,aAtUTa aexai TC/, 'f'Sll'fl
eiu,' 1TOTS(20ll 6SI voµ,1(e1v TC/, 1TQWTa TW)) 'f'Sl!W)) aexas- ,;; Ta euxaTa xaT'f)'f'OQOU-
µ,eva eni TWll aToµ,wv;
109 Gesch. d. Kateg. S. 2 ff.
FÜNFTES KAPITEL. 101

tung von Prädicat habe, denn xaTff)'}'O(!et'V, das ursprünglich „anklagen"


bedeute, bezeichne bei Aristoteles als stehender Terminus das Prädiciren im
Urtheile und Satze (enger das Bejahen). Andere dagegen widersprachen die-
ser Ansicht. Es könne, sagten sie, unmöglich die Meinung des Aristoteles
gewesen sein, daß die Kategorien bloß Prädicate umfaßten, da er ja als erste
und wichtigste Kategorie die OLJ(J'ta, die Substanz, aufstelle, als erste und
eigentlichste Substanz aber die individuelle Substanz, das TorJe Tt, bezeichne,
so zwar, daß von den universellen Substanzen ihm jede um so mehr des
Namens OLJ(J'ta würdig scheine, je näher sie dem Individuum stehe. 110 Diese
individuelle Substanz aber könne, nach der ausdrücklichen Lehre des Ari-
stoteles, in einem richtig geordneten Satze niemals Prädicat werden, 111 und
wenn es manchmal geschehe, so verdiene ein solches Prädiciren eigentlich
den Namen des Prädicirens nicht mehr. 112 Wenn daher Aristoteles von dem
xaTff)'}'O(!et'JJ in der Bedeutung des Prädicirens den Namen xaTff)'}'O(!tat herge-
nommen habe, so habe er entweder die Inconvenienz begangen, den Kate-
gorien einen Namen zu geben, der gerade auf das Wichtigste in ihnen nicht
passe, oder den Namen xaTffJ'}'O(!ta herzunehmen von jenem xaTffJ'}'O(!etv,
das eigentlich selbst gar nicht den Namen verdiene. Aus diesem Grunde hat
denn besonders Bonitz in der schon mehrfach citirten Abhandlung über die
Kategorien den Namen xaTffJ'YO(!ta als ,,Aussage" schlechthin erklärt, in wel-
cher verallgemeinerten Bedeutung, wie er aus vielen Stellen des Aristoteles
nachgewiesen hat, dieses Wort auch von ihm gebraucht wird. 113 Zeller in
seiner zweiten Auflage der Philosophie der Griechen ist ihm hierin beige-
treten.114

110 Categ. 5. p. 2, a, 11. s. 0. s. 98. Anm. 97. ibid. b, 21. WO-Te xa,/ ex TOVTWV TO eliJoq
TOÜ ,yevouq µ,äN\Oll ouo-/a,.
111 Categ, 2. p. 1, b, 3. TU iJe oüT' ev urcoxe1µ,evq.J eo-Tiv oÜTe xaS-' urcoxe1µ,evou TIVOq
Ae7em1, oTov OTlq ävS-ewrcoq xa,/ 0 Tlq imroq. ibid. 5. p. 3, a, 36. arco µ,ev ,yae T'Y}q
TC(lWT'f}q ouo-/a,q ouiJeµ,/a, eo-Ti ){G,T'fJ'}'O(lta. xaT' ouiJevoq ·,yae urcoxe1µ,evou Ae7em1.
Vergl. ibid. p. 2, b, 15.Anal. prior. I, 27. p. 43, a, 25. Metaph. !::,., 7. p.1017, a, 21.
... 'Y} ÖTI G,LJTO eo-Tll/ qJ urcaexe1 oö G,LJTO XG,T'f/'}'O(le/Tal (d. i. dessen naturgemäßes
Prädicat es ist; vergl. Bonitz, Anm. zu dieser Stelle {Bonitz Comm. 240f.}).
112 S.o. S. 100. Anm. 105.
113 Sitzb. der k. Acad. der Wissenschaften phil. hist. Cl. X, 5. S. 618ff. Solche {die von
Bonitz besprochenen} Stellen sind Soph. elench. 31. p. 181, b, 27. Metaph. r, 2.
p. 1004, a, 28. Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 28.
114 Philos. d. Griechen II, 2. S. 187. Anm. 1. {31879 259 Anm. 1}
102 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Allein, wenn Aristoteles, wie Bonitz mit Recht zu beachten auffordert, 115
den Namen Kategorien zuerst für den Begriff gestempelt hat, den er bezeich-
net, wo das Seiende in die Figuren der Kategorien getheilt wird, so ist es
doch viel wahrscheinlicher, daß er dabei die eigentlichere und ihm bei wei-
tem üblichere Bedeutung des xaT'Y)'f'Of2etv, nämlich die des Prädicirens, vor
Augen gehabt habe. Und so finde ich denn, daß sogar Brandis, nachde.rn
er früher wie Bonitz den Namen xaT'Y)'f'0(2ta erklärt hatte, 116 in der zuletzt
erschienenen „Uebersicht über das Aristotelische Lehrgebäude" selbst nach
einer Möglichkeit sucht, die xaT'Y)'f'0(2ta im engeren und eigentlicheren Sinne
zu Grunde zu legen. 117 Uns scheint dies ohne alle Schwierigkeit geschehen
zu können; denn angenommen den Fall, daß nicht alles unter den Katego-
rien Begriffene Prädicat werden könne, worüber wir später noch sprechen
..... werden, so sind ja doch jedenfalls die Kategorien selbst Prädicate; dieses
wird durch jenes in keiner Weise gestört werden. Folgt ja doch auch dar-
aus, daß sie Gattungen (7ev'r)) und höchste Gattungen (newm 7ev'Y)) sind,
wie wir oben gesehen haben, keineswegs, daß alles unter ihnen Begriffene
höchste Gattung sein müsse, was ja lächerlich wäre. Die Kategorien selbst
also sind ohne allen Zweifel fähig, Prädicate zu sein, ja sie besitzen diese
-- Fähigkeit vor allen andern Begriffen, indem nichts sich findet, - sei es nun
Individuum, Species oder Genus - das nicht Subject des einen oder andern
von ihnen werden könnte, während für sie selbst ein höheres Prädicat nicht
mehr gesucht werden kann. Ob dies der einzige Grund ist, weßhalb sie den
Namen xaT'Y)7oefa1 erhalten haben, 118 wird sich später zeigen. Vor der Hand

...;:: 115 A. a. 0. S. 611f.


I 116 Griech.-Röm. Phil. II, 2, 1. S. 376.
117 A. a. 0. III, 1. S. 39. ,,[A]llenfalls könnte Wesenheit insofern als Prädicat betrach-
tet werden, inwiefern durch sie die Unbestimmtheit des Stoffs Bestimmtheit
erlangt."
118 Diesen haben vielfach schon die älteren Erklärer hervorgehoben. So Philoponus:
Schol. 39, a, 16. e1TetiS'Y} TOIVUV a1 <Sexa cpwvai TWV '}'BVIXWTO,TWV eiui xai /J,OVOV
xaT'Y}'}'0(20UVTat /J,'Y}ISevi imoxeiµ,evat, <S,a TOUTO KaT'Y}'}'0(2ta<; e,re,yeat/;ev. {Ammo-
nios in Cat. [Prooem.], CAG IV.4. (s. Einl.AS LXXX), 13.17-19} Ebenso in den
IIeoAe,y. a<Seu1r. {prol,egom,ena an~ny!11at d,es, Cod; Urb. z~ den ~at~gor!en Sch~l.
31, a, 6.... xaT'Y}'}'0(2ta<; Ae,ywv ou Ta<; e,r e,yxA7Jµ,au1 <S1xa<; aMa Ta ,yevtxw-
ww W<; aei xaT'Y}'}'0(20U/J,BVa xai /J,'Y}iSe1TOTe V1TOXeiµ,eva. {Übers. Einl.AS LXXXII}
Ebenso Alexander Aphrod., den Trendelenburg, De Aristotelis categoriis, citirt.
Unter den Neuem Prantl, Gesch. d. Logik I, S. 193. ,,[D]ie gemeinsamsten Gat-
tungs-Prädicate sind die Kategorien, d. h. Gattungs-Bestimmtheiten, welche nicht
mehr als Subjecte höherer Pradicate betrachtet werden, sondern die Bestimmtheit
als eine gemeinsam umfassende prädicativ aussagen."
FÜNFTES KAPITEL. 103

war es uns nur darum zu thun, sie als die höchsten Prädicate alles Seienden
und folglich auch als die höchsten Prädicate der ersten Substanz, die ja allem
andern Sein zu Grunde liegt, nachzuweisen.
Wii; sagen:

§ 6. V. Die Kategorien unterscheiden sich nach der Verschiedenheit ihres


Verhältnisses zur ersten Substanz.
Alle Dinge, denen ein Name gemeinsam zukömmt, tragen ihn, wie wir schon
oben sahen, entweder wegen einer bloß zufälligen Namensgleichheit, d. i. als
oµ,wvuµ,a arro TVX'l'}q' oder weil sie gemeinschaftlich an einem Begriffe und
folglich auch an dem ihn bezeichnenden Namen participiren, d. i. als uuvw-
vuµ,a, oder endlich wegen einer Wesensverwandtschaft in der Verschieden-
heit, d. i. als oµ,wvuµ,a xaT' avaAo,yfav. Wie nun die Homonyma anders
als die Analoga und die Analoga wiederum anders als die Synonyma unter
einander Eines sind, so muß natürlich auch in anderer Weise was homonym,
in anderer was analog, in anderer was synonym von Verschiedenem prädi-
cirt wird, in die darunter befaßten Begriffe zerlegt werden. Bei den Homo-
nymen und Synonymen ist die Weise, wie diese Scheidung geschieht, klar.
Denn offenbar werden die ersteren eingetheilt nach der Verschiedenheit der
zufällig mit dem gleichen Namen verbundenen Vorstellungen, wie z. B. der
Name Ball, der sowohl dem bekannten Spielzeug der Kinder, als auch einer
Tanzgesellschaft beigelegt wird, nach der Verschiedenheit dieser Vorstellun-
gen zu scheiden ist. Die Synonyma dagegen werden zerlegt werden nach
der Verschiedenheit der specifischen Differenzen, durch welche sie zu dieser
oder jener Species contrahirt werden, wie z. B. die Thiere in zweifüßige und
vierfüßige u. dgl. sich unterscheiden lassen. Allein für die Analoga? welches
wird für sie die Weise der Eintheilung sein, die der ihnen eigenthümlichen
unvollkommenen Einheit, die dennoch mehr als bloße Namensgleichheit
ist, und ihrer Mittelstellung zwischen Homonymen und Synonymen ent-
sprechend ist?
Wir haben eine doppelte Weise der analogen Prädicate kennen gelernt,
die Analoga der Ähnlichkeit oder Proportionalität und die Analoga in Bezug
auf denselben Terminus. Wie Aristoteles die ersteren zuweilen noch mit zu
den im vollen Sinne homonymen Prädicaten rechnet, 119 so wüßte ich auch
hier nicht, welchen wesentlichen Unterschied man hinsichtlich iher Ein-
theilung in die darunter begriffenen Dinge zwischen beiden machen sollte.

119 S. oben S. 93. Anm. 78.


104 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Denn was durch Ähnlichkeit Eines ist, das ist eigentlich und einfach gespro-
chen verschieden und nur der Proportion nach ein und dasselbe. Beachte
ich daher einfach die Verschiedenheit der Begriffe, die als Materie den einen
und andern Theil dieser qualitativen Proportion bilden, so ergibt sich mir
ohne Weiteres die Unterscheidung des gemeinsamen Namens nach seiner
verschiedenen Bedeutung, wie es bei den reinen Homonymen der Fall war,
wie z. B. die der Seele eines Thiers und der Seele eines Unternehmens u. dgl.
Ganz anders verhält es sich aber bei dem, was in Bezug auf denselben Ter-:
minus analog ist. Diese Analoga sind wirklich neo<; ev xa, µ,fav cpucrll/, wenn
auch nicht xa3-' ev. ev
Dieses ist eine wirkliche Einheit, es ist dem Begriffe
und Wesen nach schlechthin Eins, und man könnte daher diese Analoga
definiten als solche, die ein und dasselbe sind hinsichtlich des Terminus und >•
verschieden nur in Ansehung der Weise, in der sie sich zu ihm verhalten.
Hieraus ergibt sich denn aber unmittelbar auch für sie die Art der Einthei-
lung; denn offenbar wird man sie eben nach dem Unterschied dieser Weisen
ihres Verhaltens einzutheilen haben. Ein Blick auf die oben von Aristoteles
gegebenen Beispiele reicht hin, um dieses klar zu machen.
Da nun, wie wir sahen, das Öv nicht bloß nach der Analogie der Propor-
tionalität, sondern - und dies ist, was Aristoteles vorzüglich betont - auch
nach der Analogie zum gleichen Terminus von den höchsten Gattungen
prädicirt wird, so muß es nach den verschiedenen Weisen des Verhaltens
zu ein und demselben Terminus in dieselben zerfallen. Dieser aber ist jenes
Sein, hinsichtlich dessen alle seiend genannt werden, das Seiende im ersten
und eigentlichsten Sinne. Das eigentlichste und vor allen andern Seiende ist
aber, wie wir schon sahen, die oucrfa, die erste und eigentlichste oucrfa aber
ist die Tr(2WT'YJ oucrfa, die individuelle Substanz; 120 was immer sonst ist, ist,
weil es irgendwie in ihr sich findet. 121 Hier haben wir also den Terminus für
alles Seiende, welcher Kategorie es auch angehören möge, 122 und nach der

120 Metaph. z, 3. p. 1029, a, 1. µ,aAl<TTa ,yae iJOXel dva1 Otl(T/(J, TO imoxefµ,evov


7T(?WTOJ/.

121 Vergl. oben S. 94. und die dort Anm. 80 u. 81. citirten Stellen und S. 99.
Anm.102.
122 Darum heißen Metaph. r, 2. p. 1003, b, 9. die übrigen Kategorien Ta neo,; T'l7J/
OLJ(T/(J,J/ Ae,yoµ,eva. - Metaph. z, 1. p. 1028, a, 25. miha iJe [die concreten For-
men der Accidenzien] µ,äMov cpafveTa1 ÖvTa, iJ10T1 euTf Tl TO vnoxefµ,evov avTo7c;
we1uµ,evov· TOUTO l}' S<TTIJ/ 'I} OLJ(T/(J, }{(J,/ TO xa,;)-' SX(J,(TTOJ/, Önee eµ,cpafveml
SJ/ Tfj}{(J,T'Y}')"O(?I(!, Tfj TOl(J,t/T'l)" TO a,ya,;)-ov ,yae .;; TO xa;)-7Jµ,evov ovx ä,veu TOLJTOU
Ae')"STal. iJijAov oilv ÖTI iJ1a Tat/T'Y}J/ xaxefvwv exa<TTOV S<TTIV. Daher Categ. 5.
p. 2, b, 5. /J,'17 OV<TWJ/ oilv TWJ/ 1T(2WTWV OV<TIWJ/ aiJLJJl(J,TOV TWV ä,Uwv Tl elva1.
FÜNFTES KAPITEL. 105

verschiedenen Weise des Verhaltens zu diesem Terminus, also nach der Ver-
schiedenheit des Verhältnisses zur ersten Substanz werden wir ein Seiendes
vom andern zu unterscheiden und folglich die Unterschiede der höchsten
Seinsbegriffe, der Kategorien, zu bestimmen haben.
Was uns in dieser Weise aus der eigenthümlichen Natur der Analogie
zum gleichen Terminus für die Unterscheidung der Kategorien sich ergeben
hat, kann noch auf einem andern Wege dargethan werden. Hier hat uns die
Wahrheit zur Grundlage gedient, daß die Kategorien verschiedene, aber ver-
wandte Bedeutungen des Seienden sind, wie der dritte und vierte Paragraph
uns gelehrt hatten; nun aber hoffen wir aus dem Begriffe der Kategorien
als der höchsten Gattungen dasselbe Resultat zu gewinnen, indem wir von
der Aristotelischen Lehre über das Verhältniß von Genus und Differenz zu
Materie und Form ausgehen. Es ist nämlich die wiederholt ausgesprochene
Ansicht des Aristoteles, daß nur da, wo ein Ding aus Materie und Form
zusammengesetzt ist, sich eine aus Genus und Differenz zusammengesetzte
Definition geben lasse, 123 und daß, wo dieses geschehe, sich Genus, Species
und Differenz proportionell zu Materie, Form und Compositum verhal-
ten. 124 Das Genus ist demnach mit der Materie verwandt und wird von ihr
entnommen. 125 Was sich also der höchsten Gattung nach unterscheidet, das
unterscheidet sich nicht bloß durch formelle Unterschiede, sondern seine
Materie, als solche, muß sich von der Materie des andern unterscheiden.

123 Metaph. H, 3. p. 1043, b, 28. Wo-T' ouo-1a,; SO-Tl µ,ev 'i],; eviSexem1 elva1 öeov xai
/\O')"OV, 0/0)) T'l],; (Fl)));:J'STOV, eav TS aio-:J'Y}T'Y} eav TS VO'Y}T'(J ri· U; li))) iS' Q,LJT'Y} 'Tr(!W-
TWV, oux SO-TIV, efose Tl xaTa TIVO,; O-'Y}µ,aivs1 0 Ao,yo,; 0 0(!10-TIXO,;, xai /Jet TO µ,ev
WO-'Tre(! LJA'f/11 slva1, TO /Je w,; /J,O(!cp'f/11.
124 Metaph. H, 6. p. 1045, a, 20. cpaVe(!OV IJ'Y} ÖTI OLJTW µ,ev /J,eTIOUO-IV w,; siw:Jao-1v
[die Platoniker] oe1(so-:Ja1 xa/ /\S')"elV, oux eviSexeml a-rroiSoiJvat xai AiJo-at T'Y}V
a1roe1av [nämlich 'Tre(!I Te TOV,; 0(!10-/J,OV,; xai 'Tre(!t TOV,; U(!t:Jµ,ou,;, Tl aiTtoll TOU e'v
elvat; ibid. a, 7.]. ei iS' 80-TIV, WO-'Tre(! Ae,yoµ,ev, TO µ,ev LJ/\'Y} TO /Je /J,O(!cp'f/, xai TO
µ,ev iSvvaµ,e1 TO iS' eve(!')"el(/,, OUXSTI a1roe1a iSo(etev (1,1) slva,1 TO S'fJTOU/J,eVOV. SO-Tl
,yae Q,LJT'Y} 'fJ a1roe1a 'fJ Q,LJT'Y} xäv ei () öeo,; SI?) iµ,aTIOV () 0-T(!O')"')"UAO,; xaAxo,;· ei?)
,yae äv O-'Y}/J,e/0)) ToÜvoµ,a TOUTO TOU Ao,yov, WO-Te TO S'fJTOU/J,eVOV eo-Tl Tl aiT1ov TOU
e'v efva,1 TO 0-T(!O')"')"U/\0)) xai TOV xaAxov. OUXSTI iS' 'fJ a-rroe1a cpa1VeTal, ÖTt TO µ,ev
LJA'f/ TO iSe µ,oecp'f/. Vergl. Metaph. Z, 12. p. 1037, b, 8. De part. anim. I, 3. p. 643,
a, 24. SO-Tl iS' 'fJ /Jtacpoea TO sliSo,; ev Tfj VA'(). Vergl. oben über die Conformität von
Denken und Sein. S. 33 f.
125 Metaph. t:,,., 28. p. 1024, b, 6. TO µ,ev oöv ,yevo,; Too-avmxw,; AS')"STal, TO µ,ev
XQ,T(J, ')"SVeO-IV 0-VVeX'l) TOU Q,LJTOU ei'iSov,;' TO /Je XQ,T(J, TO 'Tr(!WTOV XIV'qo-av 0/J,Oet/Je,;'
TO iS' w,; LJ/\'Y). Metaph. I, 8. p. 1058, a, 23. TO /Je ,yevo,; LJ/\'Y} oi5 AS')"eTal ,yevo,;,
/J,'Y} w,; TO TWV 'HeaxAel/JWV, aM' w,; TO ev Tfj cpUO-el. s. die vorige Anm.
106 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Darum hörten wir schon oben, in den aus dem vierzehnten Buche der Meta-
physik citirten Stellen, daß jede Kategorie eine besondere Bestimmtheit und
Weise des Vermögens, ein besonderes iuvaµ,s1 Öv voraussetze. 126 Dies leuch-
tet nun wohl auf den ersten Blick ein, wenn man auf den Unterschied der
Substanz von den accidentellen Kategorien allein achtet. Die Materie der
Substanz ist ja die sogenannte 1T(2WT'f/ ÜA't], 127 die der substantiellen Form
zu Grunde liegt, während die Accidenzien die aus beiden zusammengesetzte
Substanz als Substrat fordern. 128 Von den accidentellen Kategorien dagegen
möchte man allerdings glauben, sie unterschieden sich, weil eben allen die
Substanz zu Grunde liege, nicht weiter der Materie nach. Wäre dieß der Fall,
so würden wir nur zwei höchste Gattungen, Substanz und Accidenz, haben,
das letztere wäre als ein synonymer Allgemeinbegriff für alles accidentelle
Sein zu betrachten. Allein die Substanz ist ja nicht insofern sie in Wirklich-
keit Substanz, sondern insofern sie in Möglichkeit zur accidentellen Form
ist, 129 die Materie der Accidenzien; die Substanz als Substanz mag immerhin
dieselbe sein, wenn sie nur als Subject der Accidenzien eine verschiedene
ist, so werden diese eine verschiedene Materie haben. Freilich wird es nicht
genügen, wenn sie eine verschiedene ist, wie die substanzielle Materie hin-
sichtlich der verschiedenen substanziellen Formen wegen der specifischen
Differenz der Formen wohl auch eine verschiedene genannt werden kann,
diese Verschiedenheit der Materien besteht auch innerhalb derselben Gat-
tung; vielmehr muß die Materie als Materie verschieden, d. h. das ganze Ver-
hältniß zwischen Materie und Form, ivvaµ,1; und evee,ys1a, muß ein anderes
sein, das Subject muß nicht bloß das Subject verschiedener Formen, sondern
es muß in verschiedener Weise Subject sein, die Form muß nicht bloß eine
verschiedene Form, sondern eine in verschiedener Weise im Subjecte aufge-
nommene, in verschiedener Weise dasselbe afficirende sein. Wenn demnach
die erste Substanz es ist, die allen Accidenzien als Subject zu Grunde liegt, so
ist klar, daß von den höchsten Gattungen der Accidenzien jede eine andere

126 S. oben S. 53. Anm. 37. Auch Metaph. N, 2. p. 1089, 6, 27. heißt es: xahot ifei
7e Tll/G, elva,1 Ü!VY)l/ exao-T<.µ 7eve1· 1T/l!f/l/ XW(llO"T'f/l/ aiJuvaTOl/ TWl/ OUO"IWll.
127 Metaph. 6., 4. p. 1015, a, 7. u. a. a. 0.
128 Metaph. z, 3. p. 1029, a, 20. Ae7w iJ' ÜA'Y}ll ,rj xa,:3-' G,LJT'f/ll /J,'(JTS Tl /J,'(/Te 1TOO"Ol/
/J,'(/Te äMo /J,'Y}:3-ev Ae7sm1 olq W(llO"Tat TO Oll. SO"TI 7ae Tl xa,:3-' oö XG,T'Y}'}'O(lelTG,/
TOUTWl/ SXG,O"TOll, (jJ TO elvat STe(20ll xai TWl/ }{G,T'Y}'}'0(21Wl/ exa<TT'(/" Ta µ,ev 7ae
ÜMa, Tiijq ouo-fa,q XG,T'Y}'}'O(le/Tal, a,ÜT'Y} :Je Tiijq ÜA'Y]q. WO"Te TO eo-xaTOl/ xa:3-' aUTO
oÜTe Tl oÜTe rroo-Ov oÜTe ä)J.o oU.S-ev Su-rtv.
129 S. oben Kap. 4. § 2.
FÜNFTES KAPITEL. 107

Weise der Inhärenz, ein besonderes Verhältniß zur ersten Substanz aufweisen
muß, und daß gerade nach der Verschiedenheit ihres Verhältnisses zur ersten
Substanz nicht bloß Substanz und Accidenz, sondern auch die accidentellen
Kategorien unter einander sich unterscheiden.
So sind wir auf ganz verschiedenem Wege zu demselben Ziele geführt
worden, und wir bewundern auch hier die innerliche Einheit des ganzen
Aristotelischen Lehrsystems, die es in so hohem Grade auszeichnet. Die fol-
genden §§ werden vielfach dazu dienen, das hier Erörterte zu bestättigen,
wodurch uns das eigentliche Princip der Aristotelischen Kategorientafel
offenbar geworden ist. Dieses gibt Aristoteles im siebenunddreißigsten Kapi-
tel des ersten Buches der ersten Analytiken nicht undeutlich in folgender
Weise kund: TO cJ' U7TG,QXell/ To()s Tiµ()s ... TOO"aumxwq A'f)1TT80V oo-axwq at
xaT'f)7oefa1 ()v(JQ'fJVTat, 130 denn diesen Satz kann man umkehren: ai xaT'f)-
7oefa1 ()1atQOVVTat TOO"aUTaxwq, oo-axwq To()s Tiµ()s U1TG,QXel, ,,es gibt so
viele Kategorien, als es Weisen gibt, in denen die Dinge in ihrem Subjecte
existiren," d. h. in welchen sie sich zur ersten Substanz, die das letzte Subject
alles Seins ist, verhalten.
Wir sagen:

§ 7. VI. Die Kategorien unterscheiden sich nach den verschiedenen


Weisen der Prädication.
Wir haben schon oben davon gesprochen, was unter xaT'fJ70Qetv im eigentli-
chen Sinne zu verstehen sei. Wenn eine Species von ihrem Genus oder ihrer
Differenz, eine Substanz von ihrem Accidenz u. dgl. prädicirt wird, so gehört
ein solches Prädiciren nicht zu den eigentlichen Arten der Prädication, und
von diesen sprechen wir hier allein, indem wir sagen, daß die Verschieden-
heit der Kategorien der Verschiedenheit der Prädicationsweisen entspreche.
Der vorige § hat gezeigt, daß die Kategorien sich nach der Verschieden-
heit ihres Verhältnisses zur ersten Substanz unterscheiden, d. h. nach der ver-
schiedenen Weise ihrer Existenz in der ersten Substanz, die keinem andern
inwohnend an und für sich existirt, 131 in der aber alle andern Dinge Existenz
haben. Was verschiedenen Kategorien angehört, existirt in verschiedener
Weise in der ersten Substanz, umgekehrt wird alles, was derselben Kategorie

130 Anal. prior. I, 37. p. 49, a, 6.


131 Anal. post. I, 4. p. 73, b, 5. 8TI o' /J,'f/ xaS-' U1T0Xel/J,SVOU 1\8,YeTal aMou TIVO!,, 0/0))
TO ßaiHsov STe(!Oll Tl Öv ßaiHsov SUTI xai l\eUXOll, 'Y'J ;y ouufa, xai Öua TOÜe Tl
U'(Jµ,afvel, oux eTe(!Oll Tl ÖvTa SUTIV Önse SUTIV. Ta µ,ev Ü'f/ /J,'f/ xas-' U1TOXel/J,SllOU
xaS-' auTa Ae7w, Ta ae xaS-' U1TOXel/J,SVOU uuµ,ßeß'fJXOTa.
108 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

angehört, in derselben Weise ihr inwohnen, in der Weise nämlich, welche


die Kategorie als höchste Gattung bestimmt hat. Durch jede Abweichung
würde die Synonymie des Allgemeinbegriffs aufgehoben, die höchste Gat-
tung wäre nicht in Wirklichkeit Gattung, vielmehr müßten die unterschie-
denen Begriffe, wenn anders nicht auch diese noch eine Verschiedenheit der
Materie nach umfaßten, selbst als höchste Gattungen angesehen werden.
Hieraus ergibt sich denn sofort, daß die Zahl und Verschiedenheit der Kate-
gorien der Zahl und Verschiedenheit der Weisen gleichkömmt, in denen
etwas von der ersten Substanz prädicirt wird. Denn wie etwas in der ersten
Substanz existirt, so wird es auch von ihr ausgesagt, da ja die Prädicationen
(im eigentlichen Sinne) nichts Anderes aussagen, als daß das Prädicat irgend-
wie im Subjecte sei, sei es nun wie eine Gattung in der Species oder eine
Species im Individuum u. dgl., oder wie ein Accidenz in seiner Substanz.
Aus dem Gesagten folgt nun aber weiter, daß die Verschiedenheit der
(eigentlichen) Prädicationsweisen überhaupt, der Verschiedenheit der Kate-
gorien entsprechen wird. Allerdings werden auch von zweiten Substanzen in
eigentlicher Weise Dinge prädicirt, wie z. B. von dem Menschen gesagt wird,
er sei vernünftig, er sei ein Körper, er sei schön, groß, weiß u. s. w., allein
nichts wird von ihnen ausgesagt, was nicht in derselben Weise auch von
einer Einzelsubstanz, also z. B. von einem Einzelmenschen, dem Socrates
oder Plato o. A., ausgesagt würde. Also ist hier keine neue Prädicationsweise,
die zu den früheren, wonach wir die Kategorien unterschieden, hinzukäme,
anzunehmen. Ebensowenig muß man dies für jene Fälle, wo ein Accidenz
vom andern prädicirt wird. Denn wie Aristoteles im zweiundzwanzigsten
Kapitel des ersten Buches der Analytica posteriora erklärt, ist kein Accidenz
Substrat eines andern Accidenz, 132 und es ist nicht das Eine Qualität des
Andern und ein Anderes wieder von ihm Qualität und Qualität der Qua-
lität.133 Nur das universelle Accidenz wird also von dem individuellen oder
minder universellen prädicirt, indem es zu dessen Wesen gehört, wie z. B.
die Farbe von dem Weißen, die Figur von dem Dreieck u. dgl. 134 Welches
ist aber hier das Verhältniß zwischen Subject und Prädicat? Offenbar das der

132 Anal. Post. I, 22. p. 83, b, 20. TaÜTa ile 1TG,l/Ta xa:3-' l/1TOXel/J,Bl/01J TlliO<; xaT'f}')'O-
(!et<T:3-at cpaµ,ell, TO ile o-uµ,ßeß"t)XO<; oux slvat l/1TOXel/J,el/Ol/ Tl.

133 Ibid. p. 83, a, 36. /J,'Y) SITTI TOÜTO Touili 1!0/0T"t)<; XUXell/0 TOUTOU, µ,"t]ile 1TOIOT"t)TO<;
1!0/0T"t)<;.
134 Categ. 2. p. 1, a, 29. Ta ile xa:3-' U1TOXel/J,Bl/01J Te AB')'eTat xai ev l/1TOXel/J,8VqJ SITTIV,
olov 'Y} em<TT'Y)/Jff} ev l/1TOXel/J,BliqJ µ,ev SITTI Tfj t/;uxfj, xa:3-' l/1!0Xetµ,evou ile Ae,yeTat
Tij<; ,yqaµ,µ,aTtXij<;.
FÜNFTES KAPITEL. 109

reellen Identität, das eine gehört zum Wesen des andern. So ist denn auch
hier keine neue Prädicationsweise anzunehmen; denn wie die accidentellen
Universalien mit dem Einzelaccidenz, so sind die zweiten Substanzen mit
der ersten Substanz identisch, bei ihnen haben wir also schon ganz dasselbe
Verhältniß und ganz dieselbe Prädicationsweise zu betrachten gehabt. Daher
ist es auch dasselbe Fragewort, welches der einen oder andern Aussage ent-
spricht. Was ist, fragen wir, dieses Weiß? - Es ist Farbe. Was ist Aristoteles?
- Er ist Mensch, Substanz u. dgl. 135
Demnach ist kein Unterschied in den Prädicationsweisen, in jenen näm-
lich, wo Eines von Einern (Anal. post. I, 22. p. 83, a, 22.) und in eigentlicher
Weise prädicirt wird, dem nicht ein Unterschied in der Kategorieneinthei-
lung entspräche, und Aristoteles konnte mit Recht sagen, daß, in wie viel-
facher Weise ausgesagt, d. h. Eines vom Andern prädicirt werde, in so viel-
facher Weise das „sein" bedeute, und in eben so vielfacher Weise die höch-
sten Gattungen unterschieden werden müßten, in die das Seiende zerfalle. 136
Darum sagt er auch in der schon oben aus den ersten Analytiken citirten
Stelle: ,,Daß dieses in diesem sei und daß dieses von diesem in Wahrheit
ausgesagt werde, das ist in so vielfacher Weise zu nehmen, in wie vielfacher
Weise die Kategorien unterschieden worden sind." 137

135 Top. I, 9. p. 103, b, 27. lJ;;jAov lJ' Jg aUTWV ÖTI o TO Tl e(J'TI O-'f}µ,a1vwv OTS µ,ev
ouo-1av O"'f}/J,alvet, OTS lJe 1TOIOV, OTS lJe TWV äMwv TIVa xaT'f/')'0(21WV. Ömv µ,ev
,yae exxe1µ,evou avS-ewnou cpfl TO exxe1µ,evov ävS-ewnov elva1 ,;; (qjov, Tl eO-TI
Ae,ye1 Xat ouo-1av O"'f}/J,alve1· Ömv lJe xewµ,aTO<; AeuxofJ sxxe1µ,evou cpfl TO sxxe1-
µ,evov Aeuxov elvat ,;; xewµ,a, Tl SO-Tl AS')'SI xai 1TOIOV O"'f}/J,alvet. 0/J,OIW<; lJe xai
sav 7r'fJXUafou µ,e,yeS-ou<; sxxe,µ,evou cpfl TO sxxe1µ,evov 1T'f/XUatOV elva1 µ,e,yeS-o<;' Tl
SO"TIV S(let xai 1TOO"OV O"'f}µ,a1ve1. 0/J,OIW<; lJe xai S1TI TWV äMwv· exao-TOV ,yae TWV
TOIOIJTWV, sav Te aUTO neei alJTOU AE,Y'Y}Tat sav Te TO ,yevo<; neei TOIJTOU, Tl SO-Tl
O"'Y)µ,a1ve1. Ömv lJe neei heeou, Oll Tl SO-Tl O"'f}µ,a1ve1, aMa 1TOO"OV,;; 1TOIOV,;; TIVa
TWV äMwv xaT'Y},Y0(21WV. Metaph. z, 1. p. 1028, a, 36. xai ellJeva1 TOT' oloµ,eS-a
exaO-TOV µ,aAtO"Ta, Ömv Tl SO"TIV o ävS-ewno<; ,yvwµ,ev ,yj TO 1TU(2, µ,ä,Mov ,yj TO
1TOIOV,;; TO 1TOO"OV,;; TO 1TOIJ, snei xai aUTWV TOIJTWV TOTE; exao-TOV i'o-µ,ev, Ömv Tl
SO-Tl TO 1TOO"OV ,yj TO 1TOIOV ,yvwµ,ev. Vergl. ibid. 4. p. 1030, a, 22.
136 Metaph. t:,., 7. p. 1017, a 22. xaS-' avTa lJe elva1 Ae,ynat Öo-anee O"'f}µ,a1ve1 Ta
O-X'f)/J,aTa Tfij<; xaT'Y},YO(llat;· oo-axw<; ,yae Ae,ynat' TOO"aVTaxw<; TO elval
O"'Y)µ,a1ve1. snei oöv TWV XaT'f},Y0(20U/J,SVWV Ta µ,ev Tl SO-Tl O"'Y)µ,a1ve1, Ta lJe 1TOIOV,
Ta lJe 1TOO"OV, Ta lJe 7!"(20<; Tl, Ta lJe 1TOletV ,;; 1rao-xe1v' Ta lJe 1TOIJ' Ta lJe 1TOTS,
exaO-T(j) TOIJTWV TO elva1 TaUTO O"'f}/J,alve1. x. T. A.
137 Anal. Prior. I, 37. p. 49, a, 6. TO lJ' v1raexe1v TolJe Tq>(]e xai TO aA'Y}S-eueo-S-a1 TO(]e
XaTa TOU(]e TOO"aUTaXW<; A'f/1TTSOV oo-axw<; ai xaT'f},YO(llat (]l'(}(l'fJVTat.
11 Ü VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Doch man bemerke wohl, was unsere Behauptung ist; nicht das ist es,
was wir sagen, daß die Kategorien „die Arten der Prädicirung" seien, gegen
welche Ansicht wir uns vielmehr schon im Obigen erklärten (s. S. 80 f.);
mögen diese immerhin auch xaT'f},Y0(2ta1 genannt werden, die Kategorien
in der Bedeutung, in welcher wir von ihnen handelten, und in welcher sie
die höchsten Gattungen der Dinge und die verschiedenen Bedeutungen des
Seienden sind, sind sie nicht. Zu den andern Disconvenienzien (wie, daß
dann die Kategorien keine Begriffe wären, u. dgl.), die uns schon oben diese
Ansicht verwerfen ließen, würde auch noch die kommen, daß dann ohne
Zweifel alle Accidenzien, insofern sie von Accidenzien derselben Kategorie
(seien es nun dieselben von sich selbst, oder die höheren von den niederen)
ausgesagt werden können, auch unter die Kategorie der Substanz gehören
würden. Dies also können wir unmöglich annehmen. Nichtsdestoweniger
halten wir aber das als die Ansicht des Aristoteles fest, daß die Zahl und
Verschiedenheit der höchsten Gattungen der Zahl und Verschiedenheit der
Arten der Prädicirung entsprechend sei, weil nämlich alle Kategorien und
jede nach einer besondern Weise der Prädication von der ersten Substanz
ausgesagt werden, so zwar daß alle nur möglichen Prädicationsweisen vertrea
ten sind, und weil gerade in dieser Eigenthümlichkeit der Prädicationsweise
das eigenthümliche Verhältniß der Kategorie zur ersten Substanz und somit
das eigenthümliche Sein der Kategorie den deutlichsten Ausdruck findet.
Weil nun den verschiedenen Weisen des Aussagens auch die verschiede-
nen Weisen der Frage entsprechen, so können wir sagen, daß wie die ver-
schiedenen Weisen der Aussage, so auch die verschiedenen Weisen der Frage
für die Unterschiede bei der Kategorieneintheilung bezeichnend seien. Wir
stimmen daher vollkommen der Bemerkung von Brandis bei, da er sagt,
daß die Kategorien tafel „die allgemeinen . . . Fragen" vollständig zusam-
menstelle, ,,die wir anzuwenden haben um all und jedes Objekt ins Denken
aufzunehmen." 138
Um jedem Mißverständnisse vorzubeugen und jeder der erwähnten
Ansichten über die Kategorien Rechnung zu tragen, stellen wir im Rück-
blick auf das Gesagte kurz Folgendes zusammen:

138 Griechisch-Röm. Philos. II, 2, 1. S. 394. So übersetzt auch Julius Pacius {Aristotelis
{ .. } Organum (s. Einl.AS Anm. 88), Ausgabe Francoforti 1598 (vermutlich eher
die von Brentano verwendete Ausgabe), 435} Anal. Post. I, 22. p. 83, a, 21. wohl
ganz richtig: itaque attribuitur vel in quaestione quid est, vel quia est quale, aut
quantum, [etc].
FÜNFTES KAPITEL. 111

Man kann bei Aristoteles in dreifachem Sinne von zehn (oder, wenn es
sich so finden sollte, acht) Kategorien sprechen: 1) von den Kategorien als
allgemeinsten Prädicaten der ersten Substanz; 139 2) von den Kategorien als
Reihen von der ersten Substanz prädicabler Dinge, die je unter ein höchstes
Genus geordnet sind und in derselben Weise wie dieses von der ersten Sub-
stanz ausgesagt werden. 140 Es verhält sich diese Bedeutung zu der vorigen,
wie sich z. B. der Begriff des Menschengeschlechts, wenn ich darunter die
Summe aller einzelnen Menschen verstehe, zu dem Begriff des Menschen,
der in seiner Definition den Ausdruck findet, verhält. 3) Kann man von
zehn (oder acht) Aristotelischen Kategorien sprechen, als von eben so vielen
von ihm unterschiedenen Arten der Prädicirung, wenn nämlich Eines von
Einem (Anal. post. I, 22. p. 83, a, 22.) und in eigentlicher Weise (arrAwr;,
Anal. post. I, 22. p. 83, a, 20.) ausgesagt wird. So unterscheidet sich also eine
Art der essentiellen, quantitativen, qualitativen u. s. f. Prädication. 141 Die
erste findet statt, wenn innerhalb derselben Kategorie, die andern, wenn ein
zu der entsprechenden accidentellen Kategorie Gehöriges von der Substanz
prädicirt wird. Von den Kategorien in dieser letzten Bedeutung haben wohl
auch die vorerwähnten den Namen „Kategorie" erhalten.
Dennoch sind es die zuerst genannten Kategorien, von denen wir zunächst
und hauptsächlich zu handeln haben. Sie werden aber selbst wieder von Ari-
stoteles in dreifacher Beziehung betrachtet, wobei freilich, nur nach einer
andern Seite hin bestimmt, immer ein und derselbe Gedanke zur Anschau-
ung gebracht wird. So werden sie 1) gefaßt als die verschiedenen Bedeu-
tungen des Öv, 142 die sich, wie wir sahen, nach der verschiedenen Weise der
Existenz in dem Seienden, worin Alles seiend ist, in der ersten Substanz
unterscheiden; 2) als die höchsten Gattungen, in deren einer jegliches im

139 Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 209 und öfters: ,,Sie sind die allgemeinsten
Prädicate."
140 Zeller, Philos. der Griechen II, 2. S. 189. Anm, 1. {31879 262 Anm.2}: ,,die Kate-
gorien sind nicht selbst unmittelbar Prädicate, sondern sie bezeichnen nur den Ort
für gewisse Prädicate."
141 Brandis a. a. 0. S. 394. ,,Sie sind die der Satzverbindung enthobenen, von ihr
abgelösten allgemeinen Formen oder Gattungen der Aussagen." (Top. I, 9. p. 103,
b, 20. Metaph. E, 2. p. 1026, a, 36. N, 2. p. 1089, a, 26.)
142 Bonitz a. a. 0, S. 623. ,,Die Kategorien geben im Sinne des Aristoteles die ver-
schiedenen Bedeutungen an, in welchen wir den Begriff des Seienden ausspre-
chen." Ebenso S. 599.
112 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

eigentlichen Sinne Seiende enthalten sein muß; 143 3) als die höchsten Prä-
dicate der ersten Substanz, 144 deren Prädicationsweisen für die ganzen Clas-
sen der unter ihnen begriffenen Dinge entscheidend ist. In dieser letzten
Weise bestimmt, werden die sämmtlichen, auch accidentellen Kategorien
als Concreta betrachtet, während die zweite Weise keine Rücksicht auf ihre
Inhärenz in der ersten Substanz nimmt, vielmehr, von dieser abstrahirend,
nur das Verhältniß zu den der Kategorie selbst angehörigen, ihr untergeord-
neten Gattungen, Species und Individuen ins Auge faßt. Daher erscheint
auch sprachlich, wie der Betrachtung der Kategorien und der ihnen unter-
geordneten Begriffe als der Prädicate der ersten Substanz nur die concre-
ten Formen entsprechen, für die Betrachtung der Kategorien als Gattungen
mehr die Form der Abstracta bei den accidentellen Kategorien als die ent-
sprechende. So wird im dritten Buche der Topik gesagt, nicht das Gerechte
sei Genus, sondern die Gerechtigkeit. 145
Allein mit Recht hat Aristoteles, da es galt, für die Kategorien einen
bezeichnenden Namen zu wählen, einen solchen vorgezogen, der sie nach
der Eigenthümlichkeit dieser Begriffe, wie sie bei der dritten Betrachtungs-
weise hervortritt, charakterisirt. Nur selten nennt er sie ,yev'Y) im Vergleich
zu der Bezeichnung mit dem bei weitem üblicheren Namen xaT'Y),yoefa1. Sie
sind nicht bloß Prädicate wie andere, sondern sie sind die in der jedesma-
ligen Ordnung höchsten Prädicate, die Prädicate xaT' k.goX'YJV, die Subject
von höheren Prädicaten nicht mehr werden können. Sie sind aber nicht bloß
dieses, sie sind Prädicate, in welchen die ganze Mannigfaltigkeit der Prädi-
cationsweisen vollständig zusammengestellt wird, sie sind Prädicate, welche
für eine ganze Summe prädicabler Dinge die Prädicationsweise entscheiden;
und sie sind Prädicate, deren ganzer Begriff in der Bezeichnung des Verhält-
nisses zur ersten Substanz seinen Inhalt und seine Bestimmtheit hat, welches
in der Eigenthümlichkeit ihrer Prädicationsweisen von derselben sich kund

143 Bonitz a. a. 0. S. 599. ,,Sie sind die obersten Geschlechter." S. 623. ,,Sie bezeich-
nen die obersten Geschlechter, deren einem jedes Seiende sich muß unterordnen
lassen." Ebenso Prantl a. a. 0. S. 167. u. Andere.
144 Trendelenburg a. a. 0. S. 209. ,,Sie sind die allgemeinsten Prädicate." S. 21. ,,Die
ou1J"1a ist die eigentliche Kategorie des Subjectes." Pram! a. a. 0. S. 198. ,,[W]enn
schon überhaupt die Gattungen ... es sind, welche als Prädicate (xaT'Y)')"OQOU/J,ella)
auftreten, so werden eben die allgemeinsten und umfassendsten Prädicate jene
obersten Gattungen sein."
145 Top. III, 1. p. 116, a, 23. S7Te1Ta lle TO Ö1ree Tolle Tl TOÜ /J,'f/ Sl/ ')"Sl/el, OfOl/ 'Y/ ll1xa10-
IJ"Ul/'Y) TOÜ 13,xafov· TO µ,e11 7ae Sl/ ')"Sl/lll TqJ (i.',-'a,9-ij'J, TO l)' oü, xa/ TO /J,Bl/ Ö1ree
1i',-'a,S.611, TO l)' oü.
FÜNFTES KAPITEL. 113

gibt. Es tritt also die ganze ontologische Verschiedenheit der höchsten Gat-
tungen und ihre ganze begriffliche Bedeutung in der Weise, in der sie Prädi-
cat der ersten Substanz sind, zu Tage.
Vklleicht stehen wir mit diesen Bemerkungen der Ansicht nicht sehr
fern, die Prantl im ersten Bande seiner Geschichte der Logik ausspricht, aus
der wir einige Stellen der Vergleichung halber anführen wollen. Es „treffen,"
sagt er, ,,bei Aristoteles in diesem ,Gemeinsamen' die concrete Gattungs-
Bestimmtheit des objectiv Seienden und die dem zerfahrenen Sensualismus
gegenübergestellte unweigerliche Festigkeit des menschlichen Aussagens
zusammen. Hiemit habe ich das Princip der Aristotelischen Kategorien
ausgesprochen. " 146 Und weiter unten fährt er fort: ,,das bleibt ... der leitende
Gesichtspunct, daß die obersten Gattungen in einer gemeinsamen concreten
Bestimmtheit beruhen müssen, welche dem von ihnen umfaßten concreten
Seienden als ihrem Substrate zukömmt, und demnach von demselben als
dem Subjecte in prädicativer Weise ausgesagt wird. Darum ist auch, sowie
nicht jedwede Gattung, ebenso wenig jedwedes Prädicat eine Kategorie,
sondern die gemeinsamsten Gattungs-Prädicate sind die Kategorien, d. h.
Gattungs-Bestimmtheiten, welche nicht mehr als Subjecte höherer Prädicate
betrachtet werden, sondern die Bestimmtheit als eine gemeinsam umfas-
sende prädicativ aussagen. " 147 „Die ontologische Basis der Kategorien ... ist
der in die Concretion führende Verwirklichungs-Proceß der Bestimmtheit
überhaupt." 148 Die „Bestimmtheit der Namens-Bezeichnung des Gattungs-
Prädicates soll der Ausdruck und die Auffassung der concreten Bestimmt-
heiten sein, in welche der Verwirklichungs-Proceß bis in die Vielheit des
Seinden hinunter sich absetzt." 149 Die letzten Bemerkungen haben wohl eine
Verwandtschaft mit dem, was wir im vorigen § über die Verschiedenheit
des Verhältnisses von '/Juvaµ,1c; und eve(na1a, die bei der Unterscheidung der
höchsten Gattungen maßgebend ist, gesagt haben, doch ist die Übereinstim-
mung nicht vollkommen, und die Abweichung der einen Auffassung von
der andern tritt besonders deutlich darin hervor, daß Prantl, wie wir sahen,
durch die seinige zur Läugnung einer bestimmten Zahl der Kategorien
geführt wird, während die unsrige mit Nothwendigkeit eine solche verlangt.

146 Prantl a. a. 0. S. 196.


147 Ebendas. S.198.
148 Prantl a. a. 0. S. 208.
149 Ebendas. S. 209.
114 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

In dieser Hinsicht stehen wir also den Ansichten von Brandis, Bonitz,
Trendelenburg und Anderer näher. Mit dem letzteren haben wir auch die
Behauptung gemein, daß alle unter einer Kategorie begriffenen Dinge in
derselben Weise wie diese prädicabel sind, wir sprachen ja darum von zehn
oder acht „Reihen prädicabler Dinge." Dies nöthigt uns noch, kurz auf den
Einwurf zu antworten, der wegen der ersten Substanz, die doch offenbar
der ersten Gattung angehört, und die folglich auch prädicabel sein müßte,
erhoben worden ist. Wir begegnen ihm leicht, indem wir dies einfach zuge-
ben, so weit nämlich unsere Behauptung es nöthig macht. Haben wir ja
doch nur von einer Prädication, deren Subject die erste Substanz selbst ist,
gesprochen, und dies wird Niemand läugnen wollen, daß die erste Substanz
von sich selbst prädicirt werden könne. Dies thut auch Aristoteles nicht.
Ausdrücklich schließt er Anal. prior. I, 27. Phys. I, 7. und Metaph. Z, 3. 150
nur die Möglichkeit einer Prädication von einem Andern aus, und Metaph.
Z, 13. sagt er nur: ,,Nichts von dem, was allgemein prädicirt wird, ist eine
Einzelsubstanz." 151 Die Prädication eines Dinges von sich selbst ist eben so
wenig ein xaT'f)7oee1v xaTa (J'uµ,ßeß'f)xoq als die Prädication des höheren
Begriffes von dem niederen, wie es außerdem, daß es durch sich ldar ist,
auch Stellen wie Top. I, 9. und Anal. post. I, 22. deutlich als Meinung des
Aristoteles zu erkennen geben. 152 Die Tr(}_WT'f/ ou(J'[a, ist öv xa,;;J-' avTo, sie ist
auch xaT'f)','O(}_ovµ,evov xa,;;J-' avTo.
Wir sagen:

150 Anal. prior. I, 27. p. 43, a, 25. anaVTWJ/ (J'f} TWJ/ ÖVTWJ/ Ta µ,ev SUTI TOtaum WUTe
xaTa /Jff)(JeJIOq ÜAAOU xaT'f)'YO(!E.IU.S-at (Ll\'f).S-wq xa.S-oAOU, olov KAewv xai KaA~
Maq xai TO xa.S-' exarrTOJ/ xai airr.3-'f)TOV, xaTa (Je TOLJTWJ/ ä.Ua. x. T. A. Metaph.
z. 3. P· 1028, 6, 36. TO ()' U7r0Xel/J,el/OJ/ SUTI xa.S-' ou Ta ä.Ua Ae7eTal, SXE.IJ/0 (Je
auTO /J,'f}XSTI xaT' ÜAAOU. Vergl. Phys. I, 7. p. 190, a, 34.
151 Metaph. z, 13. p. 1039, a, 1. ou.S-ev U'f)JJ,all/el TWJ/ XOIJ/'/) xaT'f)'YO(!OUJJ,SJ/Wl/ TO(Je
Tl.

152 Top. I, 9. p. 103, 6, 35. exarrTOJ/ 7ae TWJ/ TOIOLJTWV, eav Te aUTO 7re(!l aUTOU
AS'Y'f/Tal eav Te TO 7evoq 7re(!l TOLJTOU, Tl errTt U'f)JJ,all/81. Ömv (Je nsei eTS(!OU,
ou Tl S(TTI U'f)JJ,all/81. x. T. A. Anal. post. I, 22. p. 83, a, 24. STI Ta µ,ev ourrlal/
U'f)JJ,all/OJ/Ta Önee exeTvo .;; Önee exüvo Tl U'f)JJ,alllel, xa.S-' ou xaT'f)'YO(!elTal.
FÜNFTES KAPITEL. 115

§ 8. VII. Daß die Kategorien sich nach den verschiedenen Weisen


der Prädication unterscheiden, führt nicht zu einer Vermischung
der Kategorieneintheilung mit jener in die fünf Universalien, die
.Aristoteles Ta nsef Ttvo,; xanrroeouµ,sva nennt (Top. I, 8. p. 103,
b, 7.). Diese unterscheiden sich nach dem Grade der definirenden
Kraft, die im Prädicate für die Bestimmung des Subjects liegt, nach
dem mehr oder minder „oe1x6v" sein.
Man könnte, nachdem unsere Untersuchung ergeben hat, daß die Katego-
rien sich gemäß den Arten der Prädicirung unterscheiden, fürchten, daß hie-
durch der Unterschied zwischen den beiden in der Aristotelischen Topik (I,
cap. 4-8. und cap. 9.) nacheinander betrachteten Eintheilungen verwischt
werde, zwischen jener nämlich, worin nav TO nsef Ttvo,; xaT'f)'}'O(louµ,svov
(p. 103, b, 7.) in oeo,;, t'J,ov, ,yavo,; und uvµ,ßsß'fJxo,; (Top. I, 4. p. 101, b,
17.), und jener, worin Ta xaT'f/'}'OflOUµ,eva (Metaph. ,6.., 7. p. 1017, a, 25.)
in Tl S<TTI, 'ITO<TOV, 'ITOIOV, neo,; Tl, nou, 7rOT8 u. s. w. (Top. I, 9.) eingetheilt
werden. In Zusammenhang damit möchte man denn auch vielleicht die Ver-
legenheit bringen, in die Aristoteles da, wo beide Eintheilungen sich begeg-
nen, und wo es gilt, die eine in die andere zu fügen, zu gerathen scheint, so
namentlich bei der Behandlung der Kategorie der ouufa, wo ihm die J,a-
cpoea hinsichtlich ihrer Subsumtion Zweifel und Schwierigkeit bereitet. 153
Allein die principielle Verschiedenheit beider Eintheilungen, die auf den
ersten Blick einleuchtet, wird keineswegs verwischt. Denn vor Allem, wenn
wir die Kategorien in dem Sinne nehmen, in welchem sie die höchsten Gat-
tungen der Dinge sind, so ist nicht xaT'fJ'Y0(21a oder xaT'f)'}'O(louµ,svov, son-
dern das Öv dasjenige, was durch diese Eintheilung zerlegt wird, am allerwe-
nigsten könnte es das nsef Ttvo,; xaT'f)'}'0(20uµ,svov schlechthin, sondern eher
noch das 1rse1 7r(2WT'f),; ouufa,; xaT'f)'}'O(louµ,svov sein. So sind denn auch die
Glieder der Kategorieneintheilung reelle Begriffe (s. o.), und die verschie-
denen Fragen, die an die erste Substanz gestellt werden, und die in dem
Unterschiede ihrer Richtungen dem Unterschiede der Kategorien entspre-
chen (s.o.), sind reelle Fragen. Z.B. Ich frage: Was ist Socrates? Ein Mensch.
Wie groß ist er? Fünfschuhig. Wie beschaffen ist er? Weiß u. dgl. Hier ist
Frage und Aritwort reellen Inhalts; denn das Sein des Menschen, des Fünf-
schuhigen, des Weißen, ist ein reelles Sein. Dagegen sind die Glieder jener
andern Eintheilung lauter zweite Intentionen und somit alle bloße ÖvTa w,;

153 Vergl. Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 56 ff. S. 93 ff.


116 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

a,/vY);J,ec;, 154 von denen wohl eine wahre affirmative Behauptung ausgesagt
werden kann, die aber keinerlei Bestand außerhalb des denkenden Geistes
in den Dingen selbst haben. Auch für sie sind die Fragen verschieden, aber
es ist eine Verschiedenheit bloß rationeller Fragen, wie z. B. wenn ich frage:
Welches ist die Definition des Menschen? Welches ist sein Genus? Ist dies, ist
jenes sein Proprium? seine Differenz? sein Accidenz? 155 Freilich könnte einer
meinen, wenn er als Antwort auf die Frage nach der Definition des Men-
schen die erhält: er sei ein [0ov ne[ov iJfnouv, es seien, weil dies doch etwas
Reelles sei, Frage und Antwort hier für eben so reell, wie die obigen zu hal-
ten. Allein man bemerke wohl, daß die Antwort diese ist: [0ov ne[ov iJfnouv
ist die Definition des Menschen. Die Definition als Definition, das Genus
als Genus u. s. f., wie überhaupt das Universale als solches, existiren nicht
außer dem abstrahirenden Verstande, und so existirt auch das [0ov ne[ov
iJfaouv als Definition nicht in den Dingen, als solche ist es zweite Intention
und bloßes b'v w<; a/1.'Y);J-e<; wie jede andere auch.

Allein auch die Eintheilung der xaT'Y),yoefa in die verschiedenen Prädica-


tionsweisen ((J'X'Y)fJ,aTa T'Y)<; xaT'Y),yoefa<;), die ja nach dem oben Gesagten
der Eintheilung des Öv in die verschiedenen Kategorien entsprechend ist,
muß eben darum nicht minder von jener Eintheilung der xaT'Y),yoeouµ,eva
in Definition, Genus, Proprium u. s. w. principiell verschieden sein. Auch
hier ist der Unterschied nicht schwer zu erkennen. Da alles nur insofern von
einem Subjecte prädicirt werden kann, als es mit ihm identisch ist, entwe-
der weil es zu seinem Wesen gehört (essentiell), oder weil es irgendwie in
ihm als seinem Substrate existirt (dem Suppositum nach), so werden so viele
Figuren der Prädication zu unterscheiden sein, als Verhältnisse des Prädicats
zu dem Subjecte möglich sind, vermöge deren eine Prädication im eigent-
lichen Sinne stattfinden kann. Dagegen ist das Princip der Unterscheidung
bei jener andern Eintheilung in Genus, Definition u. s. w. das Maaß, in
welchem ein Begriff für einen andern oe1xo<; (Top. I, 6. p. 102, b, 34.) ist,
d. i. in welchem er, von ihm ausgesagt, ihn bestimmt, wie es die Species und
Definition am vollkommensten leistet, bei den andern also der Grad der
Annäherung an den öeo<;. Diesem Maße folgt dann auch die Schwierigkeit
oder Leichtigkeit der Methode in Bezug auf Beweis oder Widerlegung. Die

154 S.o. Kap. III, § 2. S. 43 f.


155 Top. I, 4. p. 101, b, 30. aea ,Ye TO (iiJov ns(ov lJinovv 0(21/T/J,Oc; SITTIJ/ av.&ewnou;
xai aea ,Ye TO (iiJov ,yevoc; SITTI TOLJ av.&ewnov;
FÜNFTES KAPITEL. 117

Definition vereinigt ja alles, was die andern an bestimmender Kraft besitzen,


in sich; sie gibt das Wesen selbst und gibt es vollständig. Und eben darum
ist es am leichtesten zu zeigen, daß etwas nicht die Definition des Dinges,
am schwierigsten, daß es dieselbe ist. 156 Es gehört aber dazu, daß etwas wie
die Definition vom Definitum prädicirt wird, ein dreifaches: 1) daß es über-
haupt mit Wahrheit ihm beigelegt werden kann; 2) daß es solches enthält,
was zum Wesen des Subjectes gehört, daß es also sv
Tq) Ti S(J'T/, 157 daß es
nicht bloß >CaTa ToÜvoµ,a, sondern auch >CaTa TOJ/ )..6,yov prädicirt wird; 158
3) daß es mit dem Subjecte convertibel ist. Kömmt einem Prädicat bloß
die erste Eigenschaft zu, so ist es (J'uµ,ßsß'l'}xoq. Kömmt ihm außer der Prä-
dicabilität auch die Essentialität jedoch ohne die Convertibilität zu, so ist
es ,ysv1x6v oder ,yevoq in dem Sinne, in welchem es auch die Differenz ein-
schließt. 159 Kömmt ihm dagegen Prädicabilität und Convertibilität mit dem
Subjecte ohne Essentialität zu, so ist es l'rJ1ov. Fehlt ihm keine der Eigenschaf-
ten, so ist es öeoq. 160

156 Top. VII, 5. p. 155, a, 3. cpaveeov lJe xai (IIOTI 7T<J,I/TWI/ efi,a-TOI/ öeov a,vaa-xeuaa-a1·
7Tl\et(TTa '}'U(!_ SI/ atm'i) TU lJelJoµ,eva 1TOMWI/ ei(!_'l]/J,SI/WI/ ... {a7} STI 1T(!.Oc; µ,ev öeov
svlJexem1 xai lJ,u TWI/ äMwv smxe1(!_etli' efre '}'U(!_ Wf/ i'lJ1oc; 0 Ao,yoc;, eiTe Wf/
,yevoc; TO (J,1TolJo:3-ev, efre /J,'Y/ unaexe1 Tl TWI/ SI/ Tq.J AO'}'(J), (J,1/'(J(!_'l]/J,SI/Oc; '}'tl/eTal 0
oe1c;µ,oc; . ... a, 17. lJiJAov OÖI/ ÖTI gfj,a-TOI/ 7T<J,I/TWI/ öeov ava1ee1v, xama-xeual;e1v lJe
xaAS1TWTaTOI/' 8Xe1va TS '}'U(!_ lJe7 7Tll,I/Ta (TLJMo,yla-aa-:3-a1 (xai '}'U(!_ ÖTI U1T/k(!_Xel TU
eie'l]µ,eva xai ÖTI ,yevoc; TO anolJo:3-ev xai ÖTI i'lJ1oc; O Ao,yoc;), xai STI 1TU(!_U TUUTa,
ÖTI (I'l]AOI TO Ti 'l]li elva1 () Ao,yoc;, xai TOUTO xaAwc; lJe7 1TS1TOl'l}Xel/al. Top. I, 6.
p. 102, b, 27. /J,'YJ Aav:3-avfrw (]' 0µ,ac; ÖTt TU 1T(!.Oc; [gegen] TO i'lJwv xai TO ,yevoc;
xai TO a-uµ,ßeß'l}xoc; 7T<J,I/Ta xai 1T(!.Oc; Touc; O(!_l{T/J,Otlc_; aeµ,oa-e1 Ae,yea-:3-a1. lJeff;avTec;
,YU(!_ ÖTI ou /J,01/(J) unaexe1 Tq) U1TO TOl/ O(!_l{T/J,01/' W(T1Te(!_ xai eni TOU ilJfou' 1j ÖTI ou
,yevoc; TO anolJo:3-ev 8!1 Tq.J O(!_l{T/J,q_J, ,;; ÖTI oux unaexe1 Tl TWI/ 81/ Tq.J AO'}'(J) (}_'l];J'ev-
TWI/, Önee xai 81TI TOU a-uµ,ßeß'f/XOToc; äv (}_'f}:3-el'I}, Cl,1/'(J(!_'l]XOTec; 8a-oµ,e:3-a TOI/ O(!_l(T-
/J,01/' wa-Te XUTU TOl/ S/J,1T(!_O(T;J'ev [s. cap. 5.] anolJo:3-evTa AO'}'Ol/ änal/T' äv ei''I}
T(!_01TOI/ TII/U O(!_IXU TU XUT'l](!_l;J'/J,'1]/J,Sl/a. aM' ou lJ1u TOUTO µ,lav 81TI 1TO,I/TWI/
xa:3-oAou µ,e:3-olJov S'IJT'l]Teüli.
157 Top. I, 5. p. 102, a, 32. vergl. Top. IV, 2. p. 122, a, 5.
158 Categ. 5. p. 2, a, 20.
159 Top. I, 4. p. 101, b, 18. xai '}'U(!_ T'Y)I/ lJ1acpO(!_Ul/ wc; oöa-av ,yel/lX'Y)I/ oµ,o[i Tq) ,yeve1
TUXTSOI/.
160 Top. I, 8. p. 103, b, 7. Cl,1/0,'}'X'I] '}'U(!_ 1Tal/ TO neel TII/Oc; XUT'l]'}'O(!_OUµ,evov 'Y}TOI
al/TIXUT'l]'}'O(!_eta-;J-a1 TOU 1T(!_0,'}'/J,UTOc,; 0' /J,'(J. xa/ e/ /J,Sli 0,1/TIXUT'l]'}'O(!_e/Tat, Ö(!_oc; 'Y}
i'lJtov äv e171· ei µ,ev '}'U(!_ rr'l}µ,alve1 TO Tl 'l]li elva1, öeoc;, ei lJe /J,'YJ {T'l]/J,Utl/el, i'lJ1ov·
TOUTO '}'U(!_ ?jv i'lJ1ov, TO Cl,1/TIXUT'l},YO(!_OU/J,el/OI/ µ,ev, Wf/ {T'l]/J,Ull/01/ lJe TO Tl ?jv elva1.
ei lJe /J,'YJ Cl,l/TIXUT'l],YO(!_etTal TOU 1T(!_O,,Y/J,UTOc,;, 'Y}TOI TWI/ 81/ Tq.J O(!_l{T/J,q_J TOU U1TOXel-
µ,evou Ae,yoµ,evwv 8(TTll/ 1j oü. xai ei µ,ev TWI/ 81/ Tq.J O(!_l{T/J,q_J Ae,yoµ,el/Wli, ,ye 1/0 c;
118 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Wir sagen:

§ 9. VIII. Die Kategorien müssen begrifßich verschieden sein, d. h.


ein und derselbe Begriff kann nicht direct unter zwei verschiedene
Kategorien gehören.
Wir haben das Princip der Unterscheidung der Kategorien kennen gelernt.
Jetzt wollen wir in einigen Sätzen die Consequenzen zusammenfassen, die
sich daraus in Bezug auf Art und Größe der Verschiedenheit zwischen den
verschiedenen Kategorien angehörigen Dingen ergeben. Es gibt aber, wie
bekannt, eine doppelte Weise, in der etwas mit einem andern eins, oder
von einem andern verschieden sein kann. Die eine ist sachliche, die andere
begrifßiche Identität oder Verschiedenheit. Auch Aristoteles kennt beide. So
z. B. wo er in dem vierten Buche der Metaphysik das Verhältniß des Öv und
des evzu einander untersucht, bestimmt er es dahin, daß beide sachlich
ein und dasselbe, begrifßich aber verschieden seien, 161 und leicht ließen sich
noch andere Beispiele anführen, wo nach ihm bei sachlicher Identität die
Begriffe verschieden bleiben. 162 Umgekehrt sind denn auch in unzähligen
Fällen zwei Dinge in einem Begriffe identisch, während sie darum doch zwei
unterschiedene Realitäten bleiben, wie ja unter jedes xow'iJ xaT'Y)ryoeouµ,evov
eine Menge solcher bloß begrifßich identischer, reell verschiedener Dinge
fallen, z. B. Socrates und Platon sind als Menschen identisch u. dgl.
Wir sagen daher vor Allem: die Verschiedenheit der Kategorien muß
begrifßich sein, es kann nicht geschehen, daß ein und dasselbe Ding ein und
demselben Begriffe nach, oder auch daß mehrere Dinge, insofern ihnen ein
und derselbe Begriff zukömmt, direct in der Ordnung verschiedener Kate-
gorienreihen zu stehen kommen.
Der Beweis ist Aristotelischen Principien nach einfach zu führen. Denn
vor Allem, daß jede Kategorie ein von den übrigen höchsten Gattungen ver-
schiedener Begriff ist, leuchtet von selbst ein, sonst würden es eben nicht ver-
,;; lJ1acpoea äv 81~1), e1re1lJ0 0 oeurµ,o,; ex '}'Sl/OIJ,; Xat lJ1acpO(!Wl/ S/J'Tll/" el lla Wf/
TWl/ ev TC/) O(!t/J'µ,C/) Ae,yoµ,evwv e/J'TI, lJiijJ..ov ()Tl IJ'Uµ,ßeßrl)xo,; äv ei?'}· TO '}'U(!
IJ'1Jµ,ßeß7Jxo,; 8AS'}'STO o' Wf)TS öeo,; Wf)TS ,yevo,; µ,'f)TS l'lltol/ S/J'Tlll, u1raexe1 lla TC/)
1T(!a'}'µ,aTt.
161 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 31. ou.S-av ifreeov TO ev 1raea TO Öv. - b, 22. el l10 TO
e'v xai TO b'v TaUTOl/ xai µ,[a (f)VIJ't,;, TC/) axoAou.S-eTv aM'f}AOt,; W/J'1TS(! aex0 xa/
afrtoll, aU' oux w,; Sl/1 AO'}'qJ li'l)AOVµ,eva.
162 Z: B; r,hys; III, 3. ~; 20~, a, ,18. ·;· ~/J'TS ,olk,?[w,; ~Ea, ~ aµ,cpotv e~sere1~ wrrnee
TO auTo lJ1a/J'T7Jµ,a ev 1reo,; lluo xat lluo 1reo,; ev, xat TO avavTe,; xat TO xaTavTe,;·
TaÜTa '}'U(! e'v µ,ev e/J'Tlll, () µ,el/TOI Ao,yo,; oux el,;.
FÜNFTES KAPITEL. 119

schiedene Gattungen sein. Die beiden identischen Begriffe wären Eine Gat-
tung mit verschiedener Namensbezeichnung, wie etwa Tl 8(J'Tt und OV(J'la.
Auch hat ja jede ihre eigene Seinsweise, ihr besonderes Verhältniß zur ersten
Substanz.
Daraus folgt nun aber unmittelbar, daß unmöglich die Dinge ein und
demselben Begriffe nach in der Reihe verschiedener Kategorien zu stehen
kommen können. Denn unmöglich kann ein und derselbe Begriff zwei
coordinirte (nicht einander unter- und übergeordnete) Genera haben; die
Kategorien aber sind als höchste Gattungen coordinirt, keine von ihnen läßt
sich auf einen höheren Begriff, am wenigsten aber läßt sich die eine auf die
andere zurückführen. 163
Freilich scheint Aristoteles den Obersatz unseres Schlusses an einigen Stel-
len der Topik nicht mit Entschiedenheit bejahen zu wollen. 164 Allein erstlich
würde selbst das, was Aristoteles auch an diesen Stellen mit Sicherheit fest-
hält, genügen, um die Subordination eines Begriffs unter zwei Kategorien,
wie wir sie geläugnet haben, als unmöglich zu erweisen, da er die Möglich-
keit einer Subsumtion unter zwei disparate Genera im äußersten Falle doch
nur dann zuläßt, wo die beiden Genera in einer höhern Gattung wieder
vereinigt erscheinen. Dies ist aber bei den Kategorien ein Fall der Unmög-
lichkeit, weil sie ja selbst die höchsten Gattungen sind.
Sodann hat Aristoteles seine Ansicht, die er auch hier wohl durchblicken
läßt, an andern Orten bestimmt ausgesprochen. So im fünfzehnten Kapi-
tel des ersten Buchs der Topik, wo er sagt: ,,Und so werden also die beiden
Gattungen und ihr Begriff von dem Raben prädicirt, was doch bei den Gat-
tungen, die nicht einander untergeordnet sind, nicht vorkömmt." Ebenso
wird dies im zweiten Kapitel des vierten Buches der Topik als etwas Incon-

163 Metaph. t::.., 28. p. 1024, b, 15. OU(IS ,yae Tafha avaAUeTal oÜT' elq aM'f)Aa oüT'
slq i!v Tl.
164 Top. IV, 2. p. 121, b, 29. (IOXel ,yae, Öwv e'v el(}oq inro {I!JO ')'.SV'f) '7/, TO eTe(lOV trrro
TOLJ heeou 1Te(ll.SXe1TS-a1. exe1 (}' anoefav en' evfwv TO TOIOLJTO. (IOXel ,yae evfo,q 'Y)
({)(lOV'f/lTlq aeeT'YJ Te xai emlTT'YJ/J,'f/ elva1, xai ou(}frseov TWV ,ysvwv im' ou(IeTeeou
1rse1exsuS-a1· ou whv uno navTwv ')'e uu,yxwesha, T'lJV q;eov'f)ITIV emlTT'YJ/J,'f)V elva,.
el (}' OÜV Tlq ITU')'XW(lOl'f) TO Ae')'O/J,eVOV aA'f);tSq etva,' aMa TO ')'e un' aM'f)Aa ,;;
imo TaLJTO aµ,q;w ')'l')'Ve/T;J'(J,I Ta TOLJ aLJTOLJ ')'.SV'f) TWV ava,yxaiwv <Jo;eleV äv elva,,
xaS-anee xai eni Tijq aeeTijq xai T'l]q 81Tl(J'T'Y)/J,'f)q uuµ,ßaivel · aµ,q;w ,yae l)T(() TO
aLJTO ,yevoq 8/TTIV" exaTe(lOV ,yae (J,tJTWV i!;,q xai (I/0,;J'elTlq 8/TTIV. ITXeTrTSOV OÜV el
/J,'f)/JeTe(lOV u1raexe1 TqJ a1TOIJO;J'SVTI ')'SVel. el ,yae µ,rfiS-' un' aM'f)Aa 8/TTI Ta ')'SV'f)
µ,'Y);t' l)T(() TaUTOV aµ,q;w, oux äv et~ TO ano<JoS-ev ,yevoq. Vergl. Top. VI, 6. p. 144,
b, 14.
120 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

venientes betrachtet. 165 Am deutlichsten aber tritt seine Ansicht hervor, wo


er lehrt, daß verschiedene Genera verschiedene Differenzen haben. Denn
wenn verschiedene Gattungen nicht in den Differenzen übereinkommen, so
enthalten sie natürlich auch keine gleichen Species, die ja zum Genus eben
die Differenz hinzufügen. 166 Diese Lehre finden wir im dritten Kapitel des
Buches der Kategorien: ,,Verschiedene Gattungen, die einander nicht unter-
geordnet sind, haben auch verschiedenartige Differenzen, wie das Genus
Thier und das Genus Wissenschaft; denn Differenzen des Thiers sind z. B.
das auf Füßen gehende und das zweifüßige und das befiederte und das im
Wasser lebende, Differenz der Wissenschaft aber ist keine von diesen; denn
nicht unterscheidet sich Wissenschaft von Wissenschaft durch das zweifüßig
sein." 167 Ebenso im zweiten Buche der zweiten Analytiken, wo er von der
richtigen Ordnung der Theile der Definition handelt. 168 Die Differenz wird
also nicht außerhalb des ihr eigenthümlichen Genus gefunden; muß es ja
doch der Differenz wesentlich sein, daß sie dieses Genus theilt, was ihr sonst
zufällig zukäme. Dann gilt aber nothwendig das Gleiche von der Species, für
die auch noch Metaph. D.., 6. zu vergleichen ist. 169 Ueberhaupt sind Species

165 Top. I, 15. p. 107, a, 27. xa,/ o/frwq OÜV O,JJ,(f)OTe(}_O, Ta '}'Sl/'f/ XO.T'f/'}'O(}_S/TO,I XO.Ta
TOÜ xoea,xoq, xa,/ oAO'}'Oq O,LJTWV. 87!1 iJe TWV /J,'f/ urr' aM'f}AO, '}'el/WV ou ITVµ,ßa,[vst
TOUTO. Top. IV, 2. p. 122, b, 1. ITVµ,ßrJITeTO,I '}'ae TO '}'SVOq xa,/ TO el<5oq TOU 0,LJTOU
ev TC{) Tl 8/TTI XO.T'f}'}'O(}_Sl(TS-a,1, WITTe TO 0,UTO UTiO iJvo '}'Sl/'f/ '}'ll/eTO,I. O,VO,'}'X0,/01/ OÜV
urr' aM'f}AO, Ta '}'Sl/'f/ e/V0,1,
166 Metaph. I, 7. p. 1057, b, 7. ex '}'a(}_ TOU '}'SVovq xa.i TWV <5ta,cpoewv Ta si'iJ'f},
167 Categ. 3. p. 1, b, 16. TWV eTS(}_WV '}'eVWV xa,/ /J,'f/ urr' aM'f}AO, TeTa.'}'/J,Sl/Wl/ eTe(}_O,t
TC{) diJe, xa.i a,i 1510,cpoea,[, olov ((J)OV xa.i 8Til/TT'f//J,'f}q' ((J)OV µ,ev '}'a(}_ 1510,cpoea,/
olov TO Te rrs(ov xa,/ TO iJ[rrovv xa,/ TO TiT'f}VOV xa,/ TO evviJeov, 8Til!TT'f//J,'f}q iJe
ouiJsµ,[a, TOVTWV' ou '}'ae <51a,cpees1 em!TT'fj/J,'f/ 8Til!TT'f//J,'f}q TC{) iJ[rrovq e/1/0,1. {Bren-
tanos heewv '}'evwv bl6: so Waitz, mit hseo'}'svwv im Apparat; dagegen Bekker
eTeQO'}'evwv, so dann auch Minio-Paluello (dieser mit heewv '}'evwv im Apparat).
Ebenso Brentanos olov nach <510,cpoea,/ 618 im Waitz-Text, dagegen bei Bekker und
Minio-Paluello nur im Apparat. Diese Waitzschen Divergenzen vom Bekker-Text
waren zu belassen, weil sonst auch in Brentanos Übersetzung der Stelle hätte ein-
gegriffen werden müssen.}
168 Anal. post. II, 13. p. 97, a, 28. TO iJe Tas°a,1 wq iJü 8/TTa.t, eav TO Ti(}_WTOV J..aß'(/.
TOUTO i}' 8/TTO,I, eav A'f}cpS-fi o' rrä!Ttll axoAovS-ü, eXelVqJ iJe /J,'f/ rravm • Ul/11,'}'X'f} '}'a(}_
slva,[ Tt TotofiTov. x. T. A.
169 Metaph. t::., 6. p. 1016, b, 31. eTI iJe Ta µ,ev xa,T' (l,(}_tS-µ,ov 8/TTIJ/ äv, Ta iJe xa.T'
sliJoq' Ta iJe XO.Ta '}'81/0q . ... '}'Sl/el iJ' liJV TO O,LJTO ITX'YJ/J,O, T'Y}q XO.T'f/'}'0(}_10,q ... 35.
o,s/ iJe Ta Ü!TTe(}_O, TOtq 8/J,Ti(}_OITS-ev o,xoJ..ovS-ü, olov Ö!Ta, (l,(}_tS-µ,0 xa,/ di5et äv, Ö!Ta,
iJ' si'iJs, ou rravTa, ae1S-µ,ijr o,Ma '}'Sl/el Ti11,l/TO, e'v Ö!TO.Tie(}_ xa.i si'iJs,. Auch die oben
citirte Stelle Top. VI, 6. wollte schon für die Species wenigstens nicht die Möglich-
FÜNFTES KAPITEL. 121

und Differenz Begriffe, die miteinander stehen und fallen, wie es besonders
das zwölfte Kapitel des siebenten Buches der Metaphysik erkennen läßt, wel-
ches die in den Analytiken aufgeworfene Frage, warum bei einer Mehrheit
der definirenden Merkmale das Definirte Eines sei, -zu beantworten sucht.
Es wird dort erklärt, daß, wenn man in der Theilung bei den letzten Dif-
ferenzen angelange, die Differenzen den Species gleich werden, 170 und die
Definition als die aus den Differenzen bestehende Aussage bezeichnet, in
welchen also in gewisser Weise das ganze Wesen der Definition begriffen
wird. 17! Was in dieser Weise das siebente Buch uns lehrt, findet in dem ach-
ten seine Begründung. Dort bemerkt Aristoteles, ,,die Begriffsbestimmung
durch die Differenzen scheint des d()oq und der eve(,tye1a (d. i. der Form) zu
sein, " 172 was natürlich ist, wenn, wie eben dort gesagt wird, die Differenz der
Form entspricht. (s. o. S. 105. Anmerk. 124) Verschiedene Materien aber
haben verschiedene Formen 173 und werden dadurch zu dem gemacht, was
sie in Wirklichkeit sind. Aus der Proportionalität der Differenz mit der Form
folgt also, daß je nach der Differenz das ganze Wesen des Dinges diese oder
jene Bestimmungen erhalten wird, und umgekehrt. 174

keit eines doppelten Genus einräumen, die sich aus ihrem Verhältnisse zur Diffe-
renz auch für sie zu ergeben drohte, wenn sie einmal für diese gestattet würde. s. p.
144, b, 26.
170 Metaph. z, 12. p. 1038, a, 15. xai Ot!TW<; aei ßouAeTal ßa1H(etv ewc; äv äJ..:3--n
eic; Ta alJ1acpoqa,. TOTe lJ' eO"OVTO,I TOO"aÜTa el'lJ'Y) -rrolJoc; Öo-amee ai lJ1acpo12af, xai
Ta imo-rrolJa (41a, i'o-a, Tat<; lJ1acpoqa,1q. ei lJ,f} TaÜTa Ot!TW(i exe1, cpaveqov ÖTt 'Y)
TeAeuwfa lJ1acpo12a 'Y/ ouo-fa TOÜ 1r12a7µ,aTO(i eO"Tal xai O 01210-µ,oc;, ei'.n-ee WfJ lJeT
1r0Max1c; TaUTa Ae7e1v ev TOI<; ö1201c;· 1reefe127ov 7ae. x. T. A.
171 Metaph. z, 12. P· 1038, a, 8. cpaveeov ÖTI O 0(210"/J,O<; SO"Tll/ 0 ex TWV lJ1acpoewv
Ao7oc;. ibid. a, 28. WO"Te cpaveeov ÖTt O0(210"/J,O<; J..670<; SO"Tlli Oex TWV lJ1acpo12wv,
xai TOUTWV T0<; TeAetJTafac; }{0,T(J, '}'e TO 012:3-ov.
172 Metaph. H, 2. P· 1043, a, 19. eotxe 7ae Oµ,ev lJ1a TWV lJ1acpoewv J..670<; TOÜ el'lJouc;
xai T0<; evee7efac; elvat.
173 Ibid. a, 12. 0 evee7e1a äM'i'J äM'i'J<; ÜA'i'/<; xai oJ..670;.
174 Das siebente Buch der Metaphysik gibt uns Aufschluß darüber, wie es zu erklären
sei, wenn Aristoteles an einigen Stellen seiner logischen Schriften, diesen seinen
Behauptungen entgegen, der Differenz nicht minder als dem Genus eine größere
Universalität als der Species zuzuerkennen scheint. So namentlich an mehreren
Stellen der Topik. Z. B. Top. IV, 2. p. 122, b, 39. aei 7ae 0 lJ1acpoea e-rr' i'o-'i'/<; ,;;
e-rri 7rAetOl/ TOÜ el'lJouc; Ae7aw1. vergl. Top. I, 8. p. 103. b, 12. und in den zweiten
Analytiken II, 13. p. 96, a, 33. [TWV lJ0 u-rraexovTWl/ ev TqJ 0(210"/J,4)] exaO"TOl/ µ,ev
e-rri -rrAetol/ u1ra12;e1, ä-rravw lJe /J,'f} e-rri -rrAeov· Tal/T'i')li 7ae (LJICJ,'}'X'i') OU0"/0,)) elva,1
TOÜ 1rea7µ,aToc;. x. T. A. Die in der Definition aufgestellte Differenz hat nämlich
122 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Wir sagen:

§ 10. IX. Die Verschiedenheit der Kategorien ist nicht nothwendig eine
reelle Verschiedenheit.
Wir haben schon im vorigen Paragraphen erwähnt, wie häufig es sich treffe,
daß mit der begrifflichen Verschiedenheit keine reelle verbunden sei; denn
gar oft scheidet der betrachtende Verstand, was in sich Eines ist, in ver~
schiedene Begriffe. Daher folgt auch für die Kategorien aus der Nothwen-
digkeit eines begrifflichen keineswegs die Nothwendigkeit eines sachlichen
Unterschiedes. Allerdings gewinnt es den Anschein, als ob Aristoteles bei
der Eintheilung in die Kategorien überall einen mehr als bloß rationellen
Unterschied statuire; es ist ja eine Unterscheidung von öv und öv, die er vor-
nimmt, und zwar von Dingen esw Trij; i,avola; (Metaph. E, 4. p. 1027, b,
31 .*). Allein wenn Aristoteles Eines vom Anderen, als einem andern Seien-
den scheidet, so bezeichnet er damit noch keinerlei reelle Verschiedenheit.
Dies sieht man deutlich aus dem Buche De interpretatione, wo im siebenten
Kapitel das Universelle dem Individuellen, der Mensch dem Kallias, wie ein
Ding dem andern gegenübergestellt werden, 175 womit, wie man ja aus der
Polemik, die Aristoteles selbst gegen die Platoniker führt, deutlich genug

darum oft einen weiteren Umfang als das Definitum, weil wir bei der Definition
nicht immer die Differenz aufzufinden vermögen, welche die eigentliche sein und
die substanzielle Form der Species selbst zu erkennen geben würde. Wenn nun die
essenziellen Formen als solche nicht bekannt sind, so müssen wir sie durch Angabe
von Accidenzien ersetzen, welche Zeichen jener Form sind und insofern essenzielle
Differenzen genannt werden können, als sie zur Erklärung der essenziellen Form
dienen. Diese nun werden auch außerhalb des Definirten gefunden werden; denn
die eigenthümlichen Accidenzien (die i'1J1a) der Species müssen erst mittels der
Definition der Species dargethan werden. Metaph. Z, 12. p. 1038, a, 8 .... <pavseov
ÖTI O O(lUT/J,O<; S<TTIV O ex TWV 1J1a<pO(lWV /\O')'O<;. aMa /J,'f}V xai 1Jü ')'e 1J1a1ee1u:3-a1
T'f/V T'I)<; (}1a<po(lfi<; 1J1a<pogav, olov S())OU 1J1a<poea TO v1r61rouv· 1Tl1,/\1V TOU S())OU TOV
li1T01To1Jo<; T'f/l/ 1J1a<poeav 1Jü ei1Jeva1 Tl V1T01TOUV. WUT' Oll /\SXT80V TOU V1T01To1Jo<; TO
µ,ev 1TTS(1WTOV TO (Je ä1rTS(lOl/ [vergl. hiemit die obige Stelle Top. VI, 6. p. 144, b,
14.], S/J,l/7TS(l /\8')''() xa/\w<;, a/\1\a 1J1a TO a1JuvaTSll/ 1TOt'f}USt TOUTo· a/\Ä
,;; TO µ,ev ux1(01rouv TO (]' äuxta-Tol/· aihat yae 1Jta<pogai 1ro1Jo<;· 'f/ yae ux1(01ro1Jfa
"' Tt<;.
1TOOOT'f}<;
175 De interpret. 7. p. 17, a, 38. S7TSI 1J' SUTI Ta µ,ev xa:3-o/\ou TWl/ 1T(layµ,aTWl/ Ta
(Je xa:3-' ltxaa-TOl/ (/\eyw (Je xa:3-o/\ou µ,ev o' S1TI 1T/\St0l/Wl/ 1T8(f!UXS xaT'f}')'O(letU:3-at,
xa:3-' exa<TTOl/ (Je o' /J,'f}, olov äv:3-ew1ro<; µ,ev TWl/ xa:3-o/\OU, KaMfa<; (Je TWl/ xa:3-'
ltxa<TTOV) x. T. /\.

* Eine bessere Stelle wäre K.8 1065a24. Vgl. Einl.AS LXXIX.


FÜNFTES KAPITEL. 123

ersieht, gewiß nicht gesagt sein soll, sie seien sachlich verschiedene Realitä-
ten, da ihm vielmehr das Universale als nea,7µ,a, als außerhalb des Denkens,
nur in der Existenz des Einzeldinges Existenz hat. Ebenso sehen wir, wie im
Buche der Kategorien die Substanz in erste und zweite Substanzen zerlegt
wird, nicht anders als ob beide ganz verschiedene Dinge umfaßten; allein,
daß sie sachlich verschieden seien, ist auch hier die Meinung nicht. Nicht
zwei Arten der Substanz sollen die eine und andere ovo-fa sein, da vielmehr
die zweiten Substanzen eben die Arten der ersten sind; 176 die Distinction ist
also eine der eben besprochenen ähnliche, eine bloß rationelle Distinction.
Die Art aber, wie diese Distinctionen auftreten, beweist nur, wie Aristoteles,
so sehr er auf der einen Seite gegen den falschen Realismus streitet, auf der
andern doch ebensoweit von den Irrthümern des Nominalismus, den man-
che ihm gerne zuschreiben möchten, 177 entfernt geblieben ist.
Und hieraus erklärt sich denn auch die Art und Weise, wie er von der
Unterscheidung der Kategorien spricht. Denn es ist keineswegs seine
Ansicht, daß zwischen allen höchsten Gattungen, die er aufstellt, und zwi-
schen allen verschiedenen Kategorienreihen angehörigen Dingen ein reeller
Unterschied bestehe, aber dennoch betrachtet er sie als verschiedene Dinge,
und sie sind es auch, abgesehen davon, daß zwischen der Mehrzahl der Kate-
gorien in der That auch keine reelle Identität stattfinden kann, begrifflich so
sehr, daß sie ja, wie wir sahen, nicht einmal an dem Begriffe Öv in gleicher
Weise participiren.
Wir stellen also zunächst durch einige Beispiele, die wir aus Aristoteles
selbst entnehmen, die Möglichkeit der reellen Identität zwischen verschiede-
nen Kategorien zugehörenden Dingen als Thatsache fest, und zeigen dann,
inwiefern sie sich aus dem zuvor angegebenen Principe der Aristotelischen
Kategorieneintheilung erklären lasse.
Das merkwürdigste Beispiel ist das der Kategorien des Thuns und Lei-
dens; denn in dem dritten Buche der Physik und in dem entsprechenden
Abschnitte des Buches K in der Metaphysik lehrt uns Aristoteles, 178 daß

176 Cat<;g- 5, p. ,2, ,a, 14. <JeUTe(la/ <Je ouufa, As,YOl/Ta/, 8)1 oi; d<JeU/li ai 1!'(2WTW; ouuia,
As70µ,sva1 tmaexouu1v.
177 So z. B. B. Haureau in der von der Pariser Academie gekrönten Schrift De Ja phi-
losophie scolastique, Paris 1850.
178 Phys. III, 3. p. 202, a, 13. xai TO 0,1!'0(20U/J,eli0li <Je cpalie(20li, ÖTI 8UTl)i 'fJ Xtli'l}Ul;
8)1 T(p Xlli'l)T(p' Sl/TeASXela 7ae SUTI TOUTOU, xai imo TOÜ Xlli'l}TIXOÜ. xai 'fJ TOÜ
Xlli'f}TIXOÜ <Je 8li8(21'ela oux äM'l} 8UTtli" <Jet µ,ev ,yae slvat 8J/TeAexs1av aµ,cpo'iv·
Xlli'l}TIXOli µ,ev 7ae 8UTI T(p {JLJ)lauS-a,, XlliOÜli <Je T(p 8lie(21'etli' aM' SUT/li 8lie(2-
124 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

die Kategorien 1roie7v und 1rao-xe1J.1 und alle der einen und andern Kategorie
angehörigen Begriffe reell identisch seien. Daß die xfvl'f)o-tq, die, wie man aus
diesen Stellen selbst ersieht, auch reell identisch mit einem 1ro11;1v sowohl als
1rao-x1;1v ist (weßhalb auch diesen Kategorien selbst nicht wieder eine XIJ.ll'f)(J'tq
zukömmt, Metaph. K, 12. p. 1068, a, 13.), noch den drei Kategorien der
Quantität, Qualität und des Ortes zugewiesen wird (s. oben Kap. 4.), kann
uns weniger wundern, denn sie kömmt nicht direct in ihnen zu stehen, son-
dern wird als einen Zustand der Möglichkeit für ein Seiendes aus diesen
Kategorien constituirend auf dieselben reducirt.
Ein anderes Beispiel betrifft die Kategorien des 1roo-6v und des 1rou. Aristo-
teles zählt nämlich unter den Arten der continuirlichen Quantität im sech-
sten Kapitel der Kategorien auch den Ort auf. 179 Nichtsdestoweniger finden
wir eine eigene Kategorie, das 1rou, das nach den erläuternden Beispielen
(Cat. 4. p. 2, a, 1., u. 9. p. 11, b, 13.), sowie nach dem ganzen Gebrauch,
den er davon macht, wie wir weiter unten noch näher sehen werden, ohne
Zweifel der Sache nach nichts Anderes als jener der Quantität angehörige
To1roq ist, obgleich es dem Begriffe nach freilich sich von ihm unterscheidet.
Denn der To1roq kömmt nach Aristoteles dem räumlich Umschließenden
zu und ist seine Gränze, 180 er ist also eine Fläche und so eine Species der
Quantität; 181 dagegen kömmt das, was der Kategorie des 1rou angehört, als

7'1JTIXOJ/ TOÜ XIJ/'l)TOÜ, WIJ'Te oµ,o[w,; µ,[a 'f/ aµ,cpo'iv everns1a WIJ'Tre(}_ TO
aVTO (1/(J,IJ'T'l}/J,a e'v rr:eo,; lluo xai lluo rr:eo,; SJ/, xai TO ävaJ/Te<; xai TO X(J,TaJITe<;'
TaÜTa 7ae i!v µ,ev 8/J'TIJI, () /J,SJ/TOI J..070,; ovx sl,;. oµ,o[w,; lle xai err:i
TOÜ x1voÜvTo<; xai x1vouµ,evou (vergl. Metaph. K, 9. p. 1066, a, 26.). Es werden
nun Bedenken gegen die aufgestellte Lehre erhoben a, 21-b, 5. Die in dem Fol-
genden b, 5-b, 22. ihre Lösung finden. Der Grundgedanke bleibt immer der, daß,
bei aller reellen Identität von (1/(1(},IJ'XSIJ/ und µ,avS-avelll, TT:OlelJ/ und rr:auxs1v, die
Begriffe gänzlich verschieden bleiben: b, 14. ov 7ae TaVTa TT:(J,J/Ta urr:aexs1 TOI<;
OTT:WIJ'OÜJ/ TOI<; aVTOt<;, aMa µ,ovov ol,; TO dvat [vergl. Phys. IV, 11. p. 219, a, 21.]
TO auTo. (Eine Gleichheit in allen Eigenschaften findet nur da statt, wo die Dinge
sachlich und begrifflich identisch sind.) {202} b, 19. öJ..w,; lJ' s/rr:äv oull' 'f/ lJ[lla{1,;
Tfj µ,a::fr}IJ'el ovll' 'f} TT:01'1)/J'I<; Tfj rr:aS-rf}IJ'el TO aUTO xue[w,;, aM' qJ umiexs1 TaÜTa,
'f} XIV'l)IJ'I<;' TO 7ae Toülls ev T(J)lle xai TO Toülls LJTT:O Toülls evee7s1av slvat STS(}_Oll
T(JJ J..6741.
179 Categ. 6. p. 4, b, 22. 80-TI lle (1/W(}_IIJ'/J,SVOV µ,ev olov ae1S-µ,o,; xai Ao70,;, IJ'UVSXS<;
lle olov 7eaµ,µ,rfi, emcpavs1a, uwµ,a, eTI lle rr:aea TaÜTa xeovo,; xai TOTT:O<;. Vergl.
ibid. p. 5, b, 8.
180 Phys. IV, 4. p. 212, a, 20. WIJ'Te TO TOÜ Tre(}_ISXOVTO<; rr:eea,; axtll'l)TOV Tr(}_WTOV, TOÜT,
euTtV o Torr:o,;. Vergl. ibid. 5. p. 212, b, 27.
181 Ibid. 4. p. 212, a, 28. ll,a TOÜTO lloxä err:Err:sllov Tl slvat ... o TOTT:O<;.
FÜNFTES KAPITEL. 125

solches dem durch diese Gränze Umschlossenen zu, das danach benannt und
örtlich bestimmt wird. 182 Es ist ein ähnliches Verhältniß, wie zwischen 1ro1e1v
und 1ra(Txe1v; insofern der Ort von dem Umgränzenden und örtlich Bestim-
menden prädicirt wird, bekömmt er die Quantität als Gattung zugewiesen,
insofern er aber von dem örtlich Bestimmten prädicirt wird, constituirt er
die Kategorie des nov.
Auch die Kategorie des noTe scheint mit dem no(TOll in ähnlicher Weise
sich zu berühren, da wir in der aus dem sechsten Kapitel der Kategorien
citirten Stelle mit dem Orte auch die Zeit als eine Art der Quantität aufge-
führt sehen. Allein das fünfte Buch der Metaphysik lehrt uns hier mit grö-
ßerer Genauigkeit, daß die Zeit nicht an und für sich, sondern reductiv und
x,a,Ta (TVµ,ßeß'f)xor; unter die Quanta zu rechnen sei. 183 Dagegen scheint sie,
da sie von Aristoteles definirt wird als „Zahl der Bewegung in Bezug auf das
Frühere und Spätere," 184 allerdings sachlich identisch zu sein mit einer örtli-
chen Bewegung, 185 mit jener nämlich des ersten Beweglichen, 186 und somit
wird sie in die Kategorie des 1ra(Txe1v gehören, während sie zugleich, insofern
sie von den Dingen, die zeitlich bestimmt werden, die in der Zeit sind, prä-
dicirt wird, die besondere Kategorie des 7iOTe constituirt.
Ich denke, die gegebenen Beispiele reichen hin, um uns über die Meinung
des Aristoteles außer Zweifel zu setzen. Zwischen den Dingen der einen und
andern Kategorie findet ein reeller Unterschied nicht durchgängig statt, da
vielmehr die Fälle reeller Identität zahlreich sind. Es bleibt uns jetzt noch
übrig, zu zeigen, wie diese an sich auffallende Erscheinung mit dem von
uns angegebenen Principe der ganzen Eintheilung in Einklang steht. Wir
haben gesehen, daß die Eintheilung in die Kategorien die Eintheilung kei-
ner synonymen, sondern einer analogen Einheit ist, und daß sie folglich
nicht durch specifische Differenzen, sondern durch verschiedene Existenz-
weisen, durch das verschiedene Verhältniß zur ersten Substanz, von der die
Kategorien prädicirt werden, in ihren einzelnen Gliedern bestimmt werden;
die Verschiedenheit der Kategorien entsprach daher der verschiedenen Weise

182 Phys. IV, 5. p. 212, a, 31. <Jj µ,ev ouv rrwµ,aT/ BfTTI Tl exToq rrwµ,a 1Te(21SXOV UUTO'
TOÜTO SfTTIV ev T01T(JJ.
183 Metaph. A, 13. p. 1020, a, 26.
184 Phys. IV, 11. P· 220, a, 24. () xe6vo~ ag,;:,µ,6~ SfTTI XIV't}fTeW~ xaTa TO 1T(20Te(20V xai
ÜrrTseov.
185 Ibid. p. 219, a, 19. BfTTI <Je TO 1T(20Te(20V xai VfTTe(dOV UUTWV ev Tfjj XIV't}fTel, o' µ,ev
1TOTe b'v XIV'Y}fTI~ SfTT/V" TO µ,eVTOI efva, aUTqJ ifrseov xai ou XIV'Y}fTI~.
186 S. Phys. IV, 14. p. 223, b, 10-21. und b, 32-224, a, 2., wozu dann Phys. VIII, 8. ff.
126 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

ihrer Prädication von der ersten Substanz. Es ist nun klar, daß etwas reell in
sich Identisches eine Verschiedenheit der Verhältnisse zur ersten Substanz
wohl zuläßt, da es sogar, indem es zu der einen Substanz in ein Verhältniß
tritt, die Möglichkeit sich nicht benimmt, auch mit einer andern in Bezie-
hung zu treten, so daß es nun von zwei verschiedenen Substanzen ausgesagt
werden wird. Dies war der Fall bei 1ro1e"iv und 1ra<Txe1v, wo die Bewegung
die Substanz, worin ihr Terminus, und auf die, worin ihr Princip, bezogen,
in verschiedener Weise zwei Subjecten zukommend zwei verschiedene Kate„
gorien constituirte. Denn der Versuch, den Prantl gemacht hat, beide in dem
höheren Genus der XtV'f)<Ttq zu vereinigen, 187 ist so wenig Aristotelisch, als die
mit noch größerer Kühnheit gewagte Rückführung sämmtlicher Kategorien
auf die drei der OU<Tta, des na.&oq und des neoq Tl, wie denn seinem ganzen
Verfahren die nicht genug zu betonende Stelle Metaph. f:::.., 28. p. 1024, b;
15. entgegengehalten werden muß, wonach die Kategorien weder aufein-
ander, noch auf eine höhere Gattung zurückgeführt werden können. Man
vergleiche Brandis in der Uebersicht über das Aristot. Lehrgebäude. 188 Einen
ähnlichen Fall fanden wir bei der Fläche eines Körpers, die einen andern
räumlich umschließt und so nach Aristoteles dessen Ort ist. Dieser Ort, als
Fläche des Umgebenden betrachtet und von diesem prädicirt, gehört natür-
lich in die Kategorie der Quantität, allein insofern er nun auch von dem, was
er enthält, prädicirt wird und ihm seine örtliche Bestimmtheit verleiht, inso-
ev ev
fern ich sage: dieses ist a,yoeil,, es ist Auxel<p, 189 kann er nicht auch des-
sen Quantität sein, er kömmt ihm in einer äußerlicheren Weise zu, in einer
Prädicationsweise, die in ihrer Eigenthümlichkeit die Kategorie des nov von
den andern Gattungen unterscheidet. Aehnliches gilt bei der Zeit, und wo
immer sonst noch reelle Identität zwischen Dingen verschiedener Katego-
rien stattfinden mag. Es erweist sich also der gefundene Eintheilungsgrund
als vollkommen ausreichend, auf den ersten Blick so auffallende Erschei~
nungen, wie die Identität in verschiedenen Kategorien, ja sogar die Identität.
ganzer Kategorien, zu erklären, und mit Leichtigkeit lösen sich Bedenken,
die Manchen als unlösbare Widersprüche erscheinen mochten.
Wir sagen:

187 Prantl, Gesch. d. Log. I. S. 206.


188 Brandis, Griech.-Röm. Philos. III, 1. S. 43.
189 Categ. 4. p. 2, a, 1.
FÜNFTES KAPITEL. 127

§ 11. X. Nicht jedes reelle Öv xa::Y avTo kömmt direct in einer der
Kategorien zu stehen. Die Differenzen und die Dinge, in welchen der
Begriff nicht in seiner Vollständigkeit existirt, werden gleichsam nur
an der Seite stehend mit unter die entsprechende Gattung gerechnet.
Es ist ein Unterschied zwischen dem, was unter die Gattung Thier gehört,
und zwischen dem, was direct unter dieser Gattung zu stehen kömmt, wie
Pferd und Einzelpferd; denn auch was dem Pferde als Princip oder als Theil
oder als Eigenschaft eigenthümlich ist, ist gewissermaßen der Gattung des
Pferdes unterzuordnen, wie z. B. das Wiehern des Pferdes, der Huf des Pfer-
des u. dgl. Weil nun aber damit, daß etwas, wie ein l'rJwv z. B., nur nebenbei
mit unter die eine Gattung gehört, nicht ausgeschlossen ist, daß es vielleicht
unter einer andern direct zu stehen kömmt, wie das l'rJ1ov einer Substanz viel-
leicht Species einer Qualität ist u. dgl., so entsteht die Frage, ob dies durch-
gängig der Fall sei, und ob von allem, was zum reellen Seienden (das nicht
bloß xaTa (J"V{J,ßeß'l'Jxoq seiend ist) gehört, jegliches unter einer der Katego-
rien wenigstens direct zu stehen komme. Die Erklärer des Aristoteles sind
ziemlich einig in der Verneinung dieser Frage, 190 und insbesondere waren
es die Begriffe der rJuvaµ,1; und eve1;rye1a, die, weil das öv rJuvave1 xa, evee-
refq, neben das Seiende, das in die Figuren der Kategorien zerfällt, gestellt
erscheint, wenigstens nicht direct191 den Kategorien sich* einzureihen schie-
nen. So ist es denn auch uns nicht zweifelhaft, daß nicht alle Realitäten den
Kategorien direct untergeordnet werden können. Es kömmt nur darauf an,
diejenigen, bei welchen eine solche Unterordnung möglich, und bei welchen
sie unmöglich ist, aus allgemeinen Gründen zu bestimmen.
Dazu, daß etwas direct unter eine Gattung gehört, ist 1) vor Allem
nöthig, daß es ihr wirklich untergeordnet sei. Daher ist klar, daß dasjenige
unter keine Kategorie direct gehören könne, was, die Gränzen einer Katego-
rie überschreitend, in allen, oder doch in mehreren gefunden wird, indem es
in analoger Weise, wie wir oben sahen, Dingen der einen und andern Gat-
tung zukömmt. Ein solches ist der Fall z. B. beim ara.S-ov (Eth. Nicom. I, 4.
p. 1096. a, 19.), beim Öv, beim ev, bei (J"U{J,ßeß'l'Jxoq, bei elrJoq und ÜA't] (Met.
b.., 28. p. 1024, b, 9.), bei rJuvaµ,1; und evee7e1a und anderem. Nament-

190 Man vergleiche Brandis a. a. 0. II, 2, 1. S. 396. III, 1. S. 40. Trendelenburg,


Gesch. d. Kateg. S. 157. Zeller, Philos. d. Griech. II, 2. S. 187 f. {31879 260-262}
u.A.
191 Vgl. Brandis a. a. 0. III, 1. S. 46.

* S. Einl.AS LXXXIX.
128 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

lieh scheinen auch die Postprädicamente eine Beziehung hierauf zu haben,


die (wo mehrere Bedeutungen unterschieden werden, wenigstens der einen
Bedeutung nach) alle in mehreren Kategorien vorkommen. Diese also sind
keiner Kategorie untergeordnet, geschweige daß sie, wie Species oder Indivi-
duum, direct darunter zu stehen kämen.
Denn was direct unter eine Gattung gehört, muß Species oder Indivi-
duum sein, und aus diesem Grunde ist 2) zu bestimmen, daß jene Begriffe,
welche bei der Definition eines Dinges die Stelle der Differenz einnehmen
(wenn anders dies die wahre und wesentliche Differenz des Dinges ist,
die nicht bloß zufällig, wegen Unkenntniß der eigentlichen Differenz zur
Wesensbestimmung benützt wird, s.o. S. 121 f. Anm. 174.), nur gleichsam
an der Seite der eigentlichen Linie der Kategorie zu stehen kommen: Denn
die Differenzen sind eben, wie Top. IV, 2. sagt, keine Species oder Individua,
und gehören somit nicht direct unter die Gattung. 192
3) Gehören diejenigen Dinge nur reductiv unter ein Genus, in welchen
der Gattungsbegriff nicht vollständig enthalten ist, wie wir z. B. oben sagten,
daß der Pferdehuf nicht direct unter die Gattung Thier gehöre, eben weil er
nicht, wie der Begriff des Pferdes, den Begriff des Thieres in seiner Vollstän-
digkeit enthält. So wird es demnach auch bei den Kategorien der Fall sein.
Diese sind nichts Anderes, als bestimmte Weisen des Seienden, und worin
daher ein Sein nicht ganz und vollständig enthalten ist, das wird nur reduc-
tiv zur Kategorie gehören. So sind denn die Theilsubstanzen, Kopf, Fuß u.
s. w. zwar der Kategorie der Substanz unterzuordnen, 193 aber nicht, wie das
Thier, in die Linie der Kategorie einzureihen. Man kann nach dem siebenten
Buche der Metaphysik dreierlei körperliche Substanzen unterscheiden, die
Materie des Körpers, seine Form und die aus beiden zusammengesetzte kör-
perliche Substanz. 194 Von diesen kann aus demselben Grunde nur die dritte

192 Top. IV, 2. p. 122, b, 18. Xat e/ T'f)V rJtacpoeav sl; TO 7evo; S;t't)XeV, olov TO
1Te(l/TTOV Ö1Te(l aet:itµ,ov. rJtacpoea 7ae ae1:itµ,ofJ TO 1Te(21TTOV, oux slrJo; 8(TT/V. ourJe
rJoxü /J,cTEXelV 't/ rJtacpoea TOV 7evou;· niiv 7ae TO /J,eTEXOV TOV 7evou; '1) slrJo~
'1) ifroµ,ov eUTIV, 'f} rJe rJtacpoea OUTS slrJo; OLJTe ifroµ,ov eUTIV. rJ/ijAov ouv ÖTt ou
/J,eTEXel TOLJ 7evou; '() rJtacpoea, WUT' ourJe TO 1Te(21TTOV drJo; äv el?'} aMa rJtacpoea,
81Tetr10 ou /J,eTEXel TOV 7evou;. Metaph. K, 1. p. 1059, b, 33. r1tacpoea 1]' ourJsµ,ia
TOV 7evou; /J,eTEXet. Metaph. B, 3. p. 998, b, 24. arJuvaTOV rJe xaT't}','O(lÜU;tat -/i
Ta ei'rJ't} TOV 7evou; en/ TWV olxefwv rJ1acpoewv, '1) TO 7evo; ävsu TWV aUTOV s/rJwv.
193 So heißen auch sie Substanzen, z.B. Categ. 5. p. 3, a, 29. u. Metaph. Z, 2. p. 1028,
b, 9.
194 Metaph. z, 3. p. 1029, a, 2. TOIOVTOV rJe T(207TOV µ,ev TtVa 'f/ ÜA't) AE','eTal, äUov
rJe T(201TOV 'f} /J,O(l(f)'r/, T(llTOV rJe TO ex TOLJTWV. De anim. II, 1. p. 412, a, 6. Ae70µ,ev
FÜNFTES KAPITEL. 129

direct in der Kategorie eine Stelle finden, während die andern reductiv ihr
angehören, wie die Seele, weil das lebende Wesen, die Form des Metalles,
weil das Metall eine Gattung der Substanz bildet. Freilich möchte hinsicht-
lich der Form Mancher Zweifel hegen, ob sie nicht als Species des Dinges
zu betrachten, und somit z. B. die substanzielle Form unter jene rJeuTe(!at
ova-1a1 zu rechnen sei, die in der directen Linie der Kategorie eine mitt-
lere Stelle zwischen dem Gattungsbegriff ova-1a und dem TorJe Tt finden.
In der That wird die Form öfter mit den Namen elrJoq und TO Tl 0v elvat
bezeichnet, die auch der Ausdruck für die Artbegriffe sind. Allein man darf
sich nicht von einer Namensgleichheit täuschen lassen. Weil die Form es ist,
welche dem Dinge das Sein gibt, und derzufolge es der einen oder andern
Species und Definition theilhaft wird, so wird auch sie, aber in einem andern
als dem eigentlichen Sinne, Species (elrJoq) genannt, und dasselbe gilt von
den Namen TO Tl 0v elva1 und Ao7oq. Die Definition der körperlichen Sub-
stanzen abstrahirt zwar von der individuellen Materie, keineswegs aber von
der universellen Materie des Definirten, und somit ist klar, daß Form und
Species bei ihnen nicht zu identificiren sind. So ist der Mensch und die
Seele, wie das dritte Kapitel des achten Buches der Metaphysik sagt, 195 nicht
ein und dasselbe. Diesen Unterschied zwischen Form und Species sieht man
auch recht deutlich aus dem dritten Kapitel des siebenten Buches, wo von
einer individuellen Form nicht anders als von einer individuellen Materie
und einem aus beiden zusammengesetzten Individuum gesprochen wird. 196
So ist denn die Form als ein physischer, nicht logischer Theil des Dinges
anzusehen, und daher wie die Materie und andere Theile des Seienden nicht
direct in einer der Kategorien einzureihen. Würde die Form oder die Mate-
rie neben dem Compositum direct in der Kategorie zu stehen kommen, so

'a0 ,yevoq el/ Tl TWll OllTWll T'YJll Ot!(J'IO,ll, TO,t/T'Y)q 'ae TO µ,ev wq ÜA'Y)ll, o' xa,;;r' O,LJTO
µ,ev oux SU'TI TO(le Tl, STSQOll 'ae /J,OQ(p'YJll xa,/ el'aoq, xa,;;r' 'r)ll 'Y}(l'Y) AB,YSTO,I TO(le Tl,
xa,/ TQITOll TO ex TOUTWll.
195 Metaph. H, 3. p. 1043, b, 2. lpUX'YJ µ,ev ,yae xa,/ tf;uxfi elva,1 TO,t!TOV, av;;rgwncp 'ae
xa,/ äv;;rgwnoq ou TauTov, ei /J,'YJ xa,/ 'fJ tf;ux0 äv;;rgw1roq Ae:,:c;;r71rreTat. Vergl. De
anim. II, 1. p. 412, a, 17. ibid. 2. p. 414, a, 20.
196 Metaph. z, 3. p. 1028, b, 33. AB,YSTO,I ()' 'f/ Ot!(J'IO,, ei /J,'YJ TrAeova,;:cwq, aU' 8)1 TBT-
TO,Q(J'I ,ye µ,aAtU'TO,· xa,/ ,yae TO Tl 0v elva,1 xa,/ TO xa,;;ro).ou xa,/ TO ,yevoq QLJ(J'IO,
'aoxeT elva,1 exarrTOU, xa,/ TBTO,QTOJ/ TOUTWJ/ TO vnoxefµ,evov. TO ()' vnoxefµ,evov
8(J'TI xa,;;r' OÜ Ta aMa, AB,YSTO,I, exüvo 'ae O,UTO /J,'Y)XBTI xaT' aMou. [Das LJTrO-
xefµ,evov ist also die individuelle Substanz.] 'a10 TrQWTov 1reei TOUTou 'atogtrrTeov·
µ,aAl(J'TO, ,yae 'aoxeT elva,1 OU(J'IO, TO v1roxefµ,evov TrQWTOV. TOIOÜTOJ/ 'ae TQOTrOJ/ µ,ev
TIVO, rh ÜA'Y) AB,YSTO,I, aMov 'ae TQOTrOV 'f} µ,ogcprh, TQITOll 'ae TO ex TOUTWll.
130 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

würde nebst den andern Inconvenienzen auch eine Störung der Synonymie
des Gattungsbegriffes die Folge sein. Denn „in einer Weise wird die Materie
erste Substanz genannt, in einer andern die Forrn, in einer drittten das aus
beiden Zusarnrnengesetzte. " 197
Was aber von den Theilen des Seienden gilt, daß nämlich der Begriff der
Kategorie nicht vollständig in ihnen enthalten ist, das gilt natürlich um so
rnehr von <lern irn Zustande der Möglichkeit Befindlichen, als solchem. Denn
wenn die Materie schon überhaupt und als Theil des wirklichen Wesens
nur reductiv zu dessen Kategorie gehört, so wird sie gewiß arn wenigsten in
jenem Zustande bloßer Vorbereitung zur Forrn die Vollständigkeit des Seins
besitzen, die dazu gehört, urn direct der Gattung untergeordnet zu werden.
Was nur in Möglichkeit Mensch ist, das ist, wie das vierzehnte Buch der
Metaphysik sagt, eigentlich nicht Mensch, und gehört darum auch nicht
direct unter die Kategorie des Menschen. Es ist ja, was in Möglichkeit ist,
gerade insofern es in Möglichkeit ist, eigentlich ein Nichtseiendes, nur das
Wirkliche ist eigentlich seiend. Wie das bloß Mögliche kein Wesen hat, so
hat es auch keinen Begriff, die Materie für sich allein ist unerkennbar. 198
Wenn nun aber, wie es durch die xtV'Y)O't~ geschieht, etwas irn Zustande
der Möglichkeit Befindliches als solches durch eine Forrn constituirt wird,
so sind hier zwei Zustände reell und begrifflich Eines, ein Zustand der Mög-
lichkeit in Bezug auf die vorbereitete Forrn und ein Zustand der Wirklich-
keit in Bezug auf die Forrn, durch die er constituirt wird. Daher wird in
solchem Fall eine doppelte Unterordnung stattfinden müssen, eine directe
unter die Kategorie dessen, was durch die Forrn in Wirklichkeit ist, und die-
ses ist die Kategorie des rraO'xe1v und des rrote7v, eine reductive aber unter die

197 z, 3. p. 1029, a, 2. s. d. vorige Anm. De anim. II, 2. p. 414, a, 14. T(!IXWq 1ae
Aeo/0/J,SV'Y}q Tfjq OV/Tlaq, xaS-6:rree ei'rcoµ,ev [412, a, 6.], Wl/ TO µ,ev elüoq, TO üe V/\'Y},
TO üe esaµ,q,o7v. Metaph. H, 1. p. 1042, a, 25. ai ;}' ai1TS-'Y}Tal OV!Tlal 1Tä1Ta1 V/\'l)ll
SXOLJ(T/)), SITTI ;}' OV/Tla TO l.11T0Xel/J,el/0)), äAAwq µ,ev 'f} VA'I) (ÜA'Y}ll üe Ae,yw '1} /Jff/
TOÜe Tl Oü/Ta evee,Yel(I, ÜLJJ/<L/J,el e/TTI TOÜe Tl), äAAwq ;}' o Ao,yoq xa/ 'fJ µ,oeq,'YJ, o'
TOÜe Tl b'v T4) AO,Y(µ xwe11TTOJ/ e/TTIJ/, TeiTov üe TO ex TOUTW)). x. T. A.
198 Metaph. N, 2. p. 1089, a, 26. aM' e1TelÜ"f/ TO µ,ev xaTa Taq 1TTW!Telq /J,"f/ 0)) ilTaxwq
m7q xaT'l),YO(llatq Ae,yeTal, 1raea TOLJTO üe TO wq i/;eüüoq Ae,YeTal TO /J,"f/ O)) xa/
TO xaTa üUVaµ,1v, ex TOUTOLJ 'f} ,YSllelTlq e/TTIV, ex TOLJ /J,"f/ avS-ew1rou ÜLJl/<L/J,el üe
avS-ew1rou ävS-ew1roq, xa/ ex TOLJ /J,'Y} /\eLJXOLJ ÜLJl/<L/J,el üe AeLJXOLJ Aeuxov, oµ,ofw~
eav Te ev Tl 'Ylo/Ji'l)Tal eav Te 1TOM<L. De anim. II, 1. p. 412, b, 8. TO ,yae e'v xa/
TO elva, e1Tel 1TAeovaxwq Ae,YeTal, TO xuefwq [womit zu vergleichen Metaph. E,
4. p. 1027, b, 31.] 'f/ eVTeAeXel<L e/TTIJ/, Metaph. z, 10, p. 1036, a, 8. 'f/ ;}' VA'f}
ä,yvwlTToq xaS-' aUT'YJV.
FÜNFTES KAPITEL. 131

Kategorie jener Form, die Terminus der Bewegung ist, also nach dem oben
Gesagten unter die Kategorie der Qualität, Quantität und des Ortes.
Somit sehen wir, daß jenes im vorigen Kapitel betrachtete Seiende, wie
es weiter als das fertige Sein, so weiter als jenes ist, das in die Gattungen der
Kategorien zerfällt. Das Oll ellse7e1q, als das eine Glied umspannt allein die
sämmdichen höchsten Gattungen und das, was in ihnen direct zu stehen
kömmt. Wir können, wie es auch Brandis dmt, 199 Prantl beistimmen, wo er
sagt: ,,jene Art des Seins, welche in dem Entwicklungsprocesse von Poten-
tiellem zu Actuellem auftritt, ist es gerade, welche hiedurch zur Bestimmt-
heit des durch die Formen des Aussagens bezeichneten Seins gelangt. "200 Ein
rationeller Unterschied scheint dabei doch zwischen dem Seienden, inwie-
fern es als Oll ellse7e1q,, und inwiefern es als das in die Kategorien zerfallende
bezeichnet wird, zu bestehen. Bei dem einen wird etwas betrachtet, insofern
es eine Form (ellee7s1a) hat, bei dem andern, insofern es ein Wesen hat und
eine Begriffsbestimmung zuläßt. 201
Endlich scheint 4) daraus, daß die Kategorien Gattungen sind, nothwen-
dig zu folgen, daß nur Dinge, die eine Definition zulassen, worin die logi-
schen Theile als Genus und Differenz auseinandertreten, einer Kategorie
subsumirt werden können. Demzufolge wären alle reinen Geister von dem
Gebiete der Kategorien auszuschließen. Denn wie bei ihnen keine physi-
sche Zusammensetzung aus Form und Materie besteht, so auch keine logi-
sche aus Genus und Differenz, wie wir schon mehrfach berührt haben (s. o.
Kap. 3. § 1. S. 33 und Kap. 5. § 6. S. 105.). Aristoteles hat aber diese Con-

199 Brandis a. a. 0. III, 1. S. 46. Anm. 85.


200 Prantl a. a. 0. S. 186.
201 Bemerk. Um die Theile eines Seienden, die nach dem Gesagten nicht direct unter
einer der Kategorien zu stehen kommen, von dem ganzen Seienden zu prädiciren,
bilden wir abgeleitete Formen. Denn ich kann ja nicht sagen: der Vogel ist ein
Flügel, ist ein Gefieder, sondern nur: er ist ein Geflügeltes, ein Befiedertes; ich
kann nicht sagen: der Ochse ist ein Schwanz, sondern nur: er ist ein Geschwänztes
u. s. w. Was aber von den Theilen bes Seienden, insofern sie in jener in gewisser
Weise abstracten Form auftraten, gilt, das wird durch diese abgeleitete Form nicht
geändert. Auch hier fehlt jene Vollständigkeit des Seins, die zur directen Unter-
ordnung unter die Kategorie nöthig ist. Wie das Gerechte als Gerechtes nichts
Anderes ist, als die Gerechtigkeit, so ist das Geschwänzte als Geschwänztes nichts
Anderes, als sein Schwanz; denn wie das Gerechte durch die Gerechtigkeit gerecht
ist, so ist das Geschwänzte durch den Schwanz geschwänzt u. dgl.
132 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

sequenz nicht gezogen, wenn er auch manchmal sie anzudeuten scheint. 20 2


Unbedenklich theilt er im zwölften Buche der Metaphysik die Substanz
in drei Species, in die der sinnlich-corruptibeln, in die der sinnlich-incor-
ruptibeln und in die der separaten Substanzen, 203 und im ersten Buch der
Nikomachischen Ethik führt er als Beispiel des Guten, das in der Gattung
der Substanz vorkomme, den Gott an. 204 Wie überhaupt die Aristotelische
Theologie sich in vieler Hinsicht wenig entwickelt zeigt, so scheint auch
hier eine Unvollkommenheit des Systems nicht zu verkennen, und der Vor-
wurf des Plotin, 205 es seien „die Kategorien des Aristoteles ... unvollständig,
weil sie das Intelligible (Ta VO'Y)Ta) nicht berühren. Denn dieselbe OU(Tta
könne nicht dem Intelligibeln und Sinnlichen gemeinsam sein," ist darum
insofern wenigstens gerecht, als es allerdings eine gemeinsame Gattung für
Gott und die körperlichen Substanzen nicht geben kann. ,,Nur in analoger
und homonymer Weise darf man sie als ein und dasselbe fassen," sagt er
im dritten Kapitel des sechsten Buches der Enneaden, 206 und hierin stim-
men wir ihm unbedenklich bei. Nur darin scheint auch er uns zu fehlen,
daß er für die VO'Y)Ta, für die reinen Acte, auch Kategorien aufstellt, wenn
auch verschiedene von jenen der sensibeln Dinge, da vielmehr Gott unter
keine Definition zu fassen und unter kein Genus unterzuordnen ist, was
alles schon der Einfachheit und reinen Actualität seines Wesens widerspre-
chen würde. Immerhin wird die Gottheit der Kategorie der Substanz, als der
in jeder Weise ersten und am meisten seienden, wenn nicht zu subsumiren,
doch in analoger Weise beizugesellen sein. Diese Gedanken sind in ihrer
Entwicklung nicht mehr Aristotelisch, obgleich sie dem Keime nach ohne

202 So z. B. Metaph. Z, 11. p. 1037, a, 1., wo die separate Substanz nicht unter die
Individuen aus der Gattung Substanz gerechnet, sondern dem TO<Je Tl gegenüber-
gest<;llt ;"i,r~: x~i 1f~VTO<; ')'/1,(/ ÜA'f} Tl<; 8/TTI)) o' wh 8/TTI Tl 0v slva1 xai sllJo,; avTo
xa:9- auTo aMa TO<Je Tl.

203 Metaph. A, 1. p. 1069, a, 30. OVITIUI lJe T(!el<;, µ,1a µ,ev aiu:9-'f}T'(J, //i,; 0 µ,ev ai'<JIO<;
'q lJe cp:9-a(!T'(J ••• {a33} ÜM'f) lJe (J,XIV'f}TO<; ... A, 6. p. 1071, b, 3. 87fel r}' 0uav T(!el<;
ovda1, lJuo µ,ev ai ((iUITIXUI, µ,1a lJ' 'f) (J,Xll/'f}TO<;, 1fe(!I TaUT'f}<; AeXTSOV, ÖTI (J,))ll,')'X'f}
slva1 Tll/a ai'<J1ov OV/TIU,)) (J,Xt'f}TO)).
204 Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, a, 24. xai ')'/1,(/ ev Tq) Tl AS')'eTal, olov o :9-so,; xai o voü,;
... Vergl. Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 18.
205 Ennead. VI, 1, 1. {Die nachfolgenden Worte in Anführungszeichen sind aber kein
Plotin-Zitat in Übersetzung, wie es den Anschein hat, sondern ein Trendelenburg-
Zitat, GK233. S. Eint.AS LXXXVI f. und LXXXIX.}
206 Ennead. VI, 3, 1. p. 1130, 13. lJe'i /J,SVTOI TO TUVTIJ, avaAO')'I(!, xai oµ,wvuµ,fr;, Aaµ,-
ßavell/. {Edition Harder/Beuder/Theiler, IVa (s. Einl.AS Anm.89), 233, Z.6f.}
FÜNFTES MPITEL. 133

Zweifel in seinen Lehren enthalten sind, ja sogar unmittelbar aus seinen


Principien gefolgert werden können. Ihnen widersprechen wir nicht, ja wir
bleiben ihnen treuer, als Aristoteles selbst ihnen geblieben zu sein scheint,
wenn wir, wie später Augustinus, Gottes Wesen, als durch keine Kategorie
zu erschöpfen, über alle erheben. 207
So viel also von den Dingen, die nicht direct einer der Kategorien unter-
geordnet werden können.
Wir sagen:

neo~ äv gesagt
§ 12. XI. Da das Seiende, das in die Kategorien zerfällt,
wird, und diese nach den verschiedenen Weisen der Existenz in der
ersten Substanz sich unterscheiden, so wird eine Deduction der
Kategorieneintheilung nicht unmöglich sein.
Simplicius berichtet uns, Aristoteles habe nirgends einen Grund für die Rei-
henfolge der Gattungen angegeben, und so habe er denn auch an verschie-
denen Orten in verschiedener Ordnung sie aufgeführt, während Archytas, 208
der bei der Ordnung der Kategorien auch einen Grund dafür angebe, ein und
derselben meistens treu bleibe. 209 Hieraus hat man zu schließen geglaubt,
Aristoteles habe sich niemals Rechenschaft über die naturgemäße Ordnung
der Kategorien gegeben, und (da Beides im Zusammenhange zu stehen
schien) er habe sie auch niemals aus einem Principe abzuleiten versucht.
Ja man hat überhaupt die Möglichkeit einer solchen Ableitung in Abrede
gestellt, weil die von Aristoteles dafür aufgestellten Bedingungen hier nicht
gegeben seien. So sagt Brandis, ,,daß er sie aus einem obersten Princip abzu-

207 Augustin. De trinit. V, 1 et 2. {De Trinitate libri XV. Cura et studio W. J. Moun-
tain, Turnhout: Brepols 1968, V [I 2] & [II 3]} Ut sie intelligamus deum, si pos-
sumus, quantum possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sine
indigentia creatorem, sine situ praesentem, sine habitu omnia continentem, sine
loco ubique totum, sine tempere sempiternum, sine ulla sui mutatione mutabi-
lia facientem nihilque patientem. Quisquis deum ita cogitat etsi nondum potest
omni modo invenire quid sit, pie tarnen cavet quantum potest aliquid de illo sen-
tire quod non sit. Est tarnen sine dubitatione substantia vel si melius hoc appel-
latur essentia, {quam Graeci ouo·iav vocant}. Vergl. Conf IV, 28. {vgl. Einl.AS
Anm. 58}
208 Nicht der Pythagoräer Archytas, sondern ein späterer Philosoph, der zu den Peri-
patetikern gehörte. {Zu dem Autor oder den Autoren, auf den oder die Brentano
hier Bezug nimmt, vgl. Michael Frede, ,,Ps.-Archytas", Der Neue Pau!y. Enzyklo-
pädie der Antike. Hrsg. von H. Cancik & H. Schneider, I, Stuttgart; Weimar:
Metzler 1996, Sp. 1031.}
209 Schol. 79. a, 44. {Simpl. in Cat. [cp.9], CAG VIII 340.26ff.}
134 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

leiten, nicht einmal habe versuchen können, wie aus seinen Erörterungen
über das Sein und Eins sich ergibt. "210 So behauptet auch Bonitz, Aristoteles
habe nach den von ihm selbst für die a1r6(}a1s1; entwickelten Forderungen
einen Beweis für seine Eintheilung nicht unternehmen können, da das Öv
sonst eine Gattung sein müßte, 211 was nach Aristoteles nicht der Fall sei. 21 2
Daß Aristoteles trotzdem so fest von der Richtigkeit und Vollständigkeit
seiner Eintheilung überzeugt war, suchte man daraus zu erklären, daß die
Unmöglichkeit einer Deduction immerhin eine Art von Erfahrungsbestätti-
gung als möglich bestehen ließ. 213
Allein selbst Brandis bemerkt, daß der Ausdruck „ai (}1a,1eaS-e1a-a,1 xaT'YJ-
7oefa1" (Anal. prior. I, 37. Top. IV, 1. De anim. I, 1. p. 402, a, 25; 5. p. 410,
a, 15.) auf eine Eintheilung hinweise, freilich* ,,ohne einen Eintheilungs-
grund irgendwie anzudeuten", 214 und auch Bonitz verkennt diese Bedeutung
der (}1afew1q, nämlich der Eintheilung eines begrifflichen Gebietes in seine
,yev'Y) und al'(}'Y/, nicht (vergl Anal. prior. I, 31. Anal. post. II, 13. p. 96, 6, 25.)
und erklärt den Ausdruck (}1a,1eea-a1q (Top. IV, 1. p. 120, 6, 36. p. 121, a,
6.) als "?11a1eea-a1q TOÜ ÖvToq. Jenen Eintheilungsgrund aber, den Brandis ver-
mißt, haben wir nach Principien, die Aristoteles aufstellt, und Andeutungen,
die er hie und da gibt, als die verschiedene Weise der Existenz in der ersten
Substanz zu bestimmen versucht. In der That scheint jene Einheit, welche
bei der Analogie zum gleichen Terminus statthat, vollkommen genügend,
um hier die Stelle des Genus zu vertreten, wenn sie auch eine geringere ist,
als die des für alle Species synonymen Begriffes. Aristoteles hat dies selbst
ausgesprochen. Anal. post. I, 28. im Anfang sagt er zwar: ,,Eine Wissenschaft
ist, die von Einer Gattung ist . . . Verschiedene Wissenschaften aber sind,
deren Principien weder aus denselben, noch für die eine aus den Principien
der andern hervorgehen. "215 Und im dritten Buche der Metaphysik sagt er,
210 Brandis, Griechisch-Röm. Philosophie III, 1. S. 45. Vergl. II, 2, 1. S. 377.
211 Nach Anal. post. I, 7. p. 75, a, 39. T(2ta ,yae e<FTI Ta ev w7c; a,nol5ei;err,v, ... T(2tTOV
TO ,yevoc; TO tmoxeiµ,evov, oci Ta na:J''f} xa/ Ta xa::' auTa rrvµ,ßeß'fJXOTa l5'f/l\O/ 'Y/
a.nol5e1;1c;.
212 Bonitz a. a. 0. S. 645.
213 Bonitz a. a. 0.
214 Brandis a. a. 0. II, 2, 1. S. 397 {Anm. 556}.
215 Anal. post. I, 28. princ. {87a38-bl} µ,ia 15' 87rl<FT'(J/J,'f/ e<FTIV 'Y/ evoc; ,yevovc; ...
heea 15' em<FT'(J/J,'f/ 8<FTIV eTeeac;, Örrwv al a.exa/ /J,'(JT' ex TWV aUTWV wh::' heea,
ex TWV heewv.
* S. Einl.AS LXXXIX.
FÜNFTES KAPITEL. 135

,,daß dieselbe Wissenschaft von derselben Gattung die ihr als solcher zukom-
menden Eigenschaften aus denselben Principien betrachtet. "216 Nimmt man
hier die Gattung in dem strengen Sinne des Wortes, so entstehen daraus für
das Object der Metaphysik keine geringen Schwierigkeiten, und Aristoteles
versäumt nicht, sie hervorzuheben; ist ja doch die Metaphysik die Wissen-
schaft, die das Seiende als Seiendes und die ihm als solchem zukommenden
Eigenschaften betrachtet. 217 Allein die Weise, wie Aristoteles diese Schwie-
rigkeit löst, läßt keinen Zweifel darüber, daß es ihm hier nicht auf ein stren-
ges Synonymon ankam; es genügt ihm, wenn auch nur die Einheitlichkeit
in der Beziehung auf Eines, wie sie bei der Arialogie zum gleichen Terminus
stattfindet, gewahrt wird. Denn das sind seine Worte: ,,Nicht bloß von dem,
was synonym an Einern Namen Theil nimmt, hat Eine Wissenschaft zu
handeln, sondern auch von dem, was in Bezug auf Eine Natur den Namen
erhält; denn auch dies wird in gewisser Weise xaS-' äv gesagt. Daher ist klar,
daß auch das Seiende als Seiendes zu betrachten Sache Einer Wissenschaft
ist. "218 So spricht er hier auch von Arten des Seienden und eben so vielen
Arten des Einen, nicht anders als ob das Seiende eine Gattung wäre; und
diese sogenannten Arten sind eben die Kategorien. 219 Somit ist daraus, daß
das Seiende kein Synonymon ist, kein Grund zu entnehmen, weshalb die
Möglichkeit einer Deduction für die obersten Gattungsbegriffe geläugnet
werden müßte. Vielmehr scheint es mir außer Zweifel, daß Aristoteles, wenn
er nur die verschiedenen Möglichkeiten in Bezug auf die Existenzweise des
Prädicats im Subjecte ins Auge faßte, ganz wohl zu einem gewissen a prio-
rischen Beweis, zu einer TrtO"Ttq 'IJ,a O"VAA0,y10"µ,oü für die Vollständigkeit der
Kategorieneintheilung gelangen konnte.
Wir besitzen keine derartige Deduction der höchsten Gattungen in den
Schriften des Aristoteles, wie er sie z. B. von den die Verschiedenheit der

216 Metaph. B, 2. p. 997, a, 21. 7re(ll oöv TO aUTO ,yevo; TU uuµ,ßeß'fJXOTa xaS-' aUTU
Tfj; aUT'Y}; eUTI S-swefiua, ex TWJ/ aUTWJ/ llo~wv.
217 Metaph. r, 1. p. 1003, a, 21.
218 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 12. ou ')'U(l /J,OJ/0)) TWJ/ xaS-' e'v Ae')'O/J,SJ/WJ/ e1T1UT'(}/J,'f};
eUTI S-sweijua, µ,1ii;, aMu xai TWJ/ neo; µ,fav Ae')'O/J,SJ/WJ/ cpuu1v· xai ')'U(l mfha
T(l07rOJ/ TIJ/U Ae')'eTal xaS-' ev. llijAOJ/ oöv ÖTI xai TU Övm µ,1ii; S-swefiua, Tl Övm.
219 Ibid. b, 21. ll,o xai TOU ÖvTo; Öua ei'll'f) S-swefiua, µ,1ii; eUTIJ/ e1T1UT'()/J,'f); Tip ')'SJ/el,
Ta n si'll'f) TWJ/ slllwv. und ibid. b, 33. wuS-' Öua 7re(l TOU evo; si'll'f), TOUaiJm xai
TOU ÖvTo; eUTIJ/" nsei (i))) TO Tl eUTI Tij; auTij; emUT'(}/J,'f}; Tip ')'SJ/el S-sweijua,,
M,yw lJ' oTov nsei TauToiJ [substanzielle Einheit) xai oµ,ofou [qualitative Einheit)
xai TWV äMwv TWV TOIOUTWV.
136 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Methode bestimmenden Begriffen Top. I ,8. p. 103, b, 7. uns gibt. Den-


noch scheint die Annahme, er habe sich trotz der Möglichkeit einer 1Tt(J'T1q
(}/a, (J'UMO'}'l(J'/J,OV mit einer 7Tl(J'Tlq rJ,a Trijq e1ra7w7rijq begnügt, nicht wahr-
scheinlich. Außer dem von Brandis beachteten Ausdrucke „ai rJ1a1ee;3-ei(J'a1
xaT'Y)'}'0(2ta1" deutet insbesondere die große Sicherheit, mit der Aristoteles der
Vollständigkeit seiner Kategorientafel sich bewußt ist, auf eine mehr als bloß
inductive Bestättigung durch die Erfahrung hin. Eine solche, wie sie immer
unvollständig bleibt, konnte insbesondere bei einer in ihren Begriffen so
vielgliederigen und in ihrer Bedeutung so umfassenden, über die gesammte
Wirklichkeit ausgedehnten Eintheilung nur eine unsichere Bürgschaft
gewähren. Was aber schließlich bei der Frage, ob Aristoteles sich syllogistisch
von der Vollständigkeit seiner Kategorientafel Rechenschaft gegeben habe,
das größte Gewicht in die Wagschale legen würde, wäre das Gelingen des
Versuches, die Seinsweisen sondernd zu den Kategorien zu gelangen, den wir
im folgenden § anstellen wollen. Wir werden dabei überall von Aristoteli-
schen Anschauungen ausgehen und zugleich, wie wir es bei der Feststellung
des Eintheilungsgrundes gethan, in Andeutungen des Aristoteles selbst die
Bestättigung aller jener analogen Mittelstufen finden, auf welchen wir von
dem allgemeinen Öv zu den höchsten Gattungen hinabsteigen.
Wir sagen:

§ 13. XII. Der deductive Beweis für die Kategorieneintheilung muß


beginnen mit dem Unterschiede zwischen Substanz und Accidenz.
Die erstere wird keine weitere Untereintheilung zulassen, das letztere
zunächst in die zwei Classen der absoluten Accidenzien und der
Relationen, und die erstere von diesen wieder in die der Inhärenzen,
Affectionen und äußerlichen Umstände zerfallen.
Den ersten Ansatz zu einer Deduction der Kategorien macht Aristoteles mit
jener bekannten, tiefgreifenden, ontologischen Scheidung, die selbst Spi-
noza * noch respectirte, da er sagte: Omne quod est, aut in se aut in alio est.
Die Eintheilung in OU(J'ta und (J'Uµ,ßeß'Y)xoq ist eine Eintheilung, die in die-
sen zwei Gliedern alles Seiende umfaßt, das zu den Kategorien gehört; 220 sie
220 Anal. post. I, 22. p. 83, b, 19. uuµ,ßeß'fJXOTa, ,yae e/TTI 7T(1,l)Ta, [Öua /J,'Y} Tl e/TTI
{bl8}]. ibid. a, 25. Öua <Je /J,'Y} OV/Ttav lT'f}/J,aivet, aMa, xaT' äMou U7TOX81/J,BVOU
Ae,ynat, o' /J,'r) e/TTI /J,'{JTS Ö1ree exüvo /J,'{JTS Ö1ree exüv6 Tl, uuµ,ßeß'f}XOTa. ibid.
4. p. 73, b, 8. T(l, µ,ev lJ0 wh xa::3-' U7TOX81/J,BVOU xa::3-' aLJT(J, Ae,yw, Ta <Je xa::3-'
u1roxe1µ,evou uuµ,ßeß'f}xow. Vergl. Categ. 2. p. 1, a, 20. Categ. 5. p. 2, a, 34.

* Ethica I Axiom 1.
FÜNFTES KAPITEL. 137

ist eine Scheidung, die auf einer Verschiedenheit der Existenz in der ersten
Substanz, auf einer Verschiedenheit der Prädication beruht und somit dem
angegebenen Eintheilungsgrunde entspricht. 221 Denn, was Substanz ist, exi-
stirt in der ersten Substanz als dem Wesen nach identisch mit ihr, was Acci-
denz ist, existirt in ihr, nicht als zu ihrem Wesen gehörig, sondern als acci-
dirend oder inhärirend im weitesten Sinne des Wortes. Wir haben darum
oben mit Trendelenburg die Kategorie der ov()"fa als die Kategorie des Sub-
jects bezeichnet, weil, wo sie ins Prädicat tritt, das Subject, als welches ja für
alle Kategorien die erste Substanz gedacht wird (s. o.), nicht bloß benannt,
sondern auch in seinem Begriffe bestimmt wird, so daß nur in diesem Falle
essentielle Gemeinschaft zwischen Subject und Prädicat stattfindet. Dieser
Unterschied zwischen OV()"fa und ()"Uf.1,ßeß'YJXO~ ist endlich größer, als jeder,
der noch zwischen den Accidenzien unter sich stattfinden kann, er springt
zuerst in die Augen und tritt daher in jeder Weise mit Recht an die Spitze. 222
Natürlich läßt die Wesensidentität als reelle Unterschiedslosigkeit über-
haupt auch keine weiteren Unterscheidungen innerhalb ihrer zu. Somit sind
wir hier auf ein Genus gestoßen, und die weiteren reellen Eintheilungen der
ov()"fa werden als Eintheilungen eines Synonymon durch beigefügte '/J1aq;o-
eaf in der Weise der eigentlichen Specification geschehen müssen. So zerlegt
Aristoteles im ersten Kapitel des zwölften Buches der Metaphysik die Sub-
stanz in die sinnliche corruptible und incorruptible und in die unbewegliche
separate Substanz. (s. o.)
Allerdings könnte man noch einen Unterschied in dem Verhältnisse des
Prädicats zum Subjecte auch für die Prädicate, die wegen essenzieller Identi-
tät mit der ersten Substanz von ihr ausgesagt werden, darin finden, daß das
eine nur der Sache nach mit dem Subjecte identisch, durch seine begriff-
liche Fassung aber allgemeiner und insofern von ihm verschieden ist, wie
wenn ich sage: Socrates ist ein Mensch, das andere dagegen reell und ratio-

221 s. die vorige Anm. Categ. 5. p. 2, a, 19. q;a,vaeov <Je ex TWV aie'f//J,SVWV ÖTt TWV
xa,S,' l!1T0Xel/J,SVOU Ae,yoµ,evwv ava,,yxa,Tov }Ca,/ TOÜvoµ,a, xa,/ TOii Ao,yov xa,T'l'),YO-
(!_el(J"S-a,1 TOLJ l!1T0Xetµ,evou X. T. A. 27. TWV 15' ev l!1TOXel/J,SVqJ ÖvTWV e1ri µ,ev TWV
1TAel/J"TWV oÜTe ToÜvoµ,a, oüS-' 0 Ao,yoc; xa,T'l'),YO(!_e1Ta,1 TOLJ l!1T0Xel/J,SVOU' e1r' evlwv
<Je TOÜvoµ,a, µ,ev ou<Jev XWAUel xa,T'l'),YO(!.elll"S-al 1TOTe TOLJ l!1TOXel/J,SVOU, TOV <Je Ao,yov
a<JuvaTOV. Vergl. b, 30.
222 Deutlich läßt z. B. Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 11. den Unterschied zwischen der
ouufa, und den übrigen Kategorien als den ersten und wichtigsten hervortre-
ten, indem es diese sämmtlich auf die eine, die ouula, auf die andere Seite stellt:
ll"'l')/J,a,/Vel ,yae TO µ,ev Tl S/J"TI xa,/ TO/Je Tl, TO <Je ÖTt 1TOIOV ,;; 1TO/J"OV ,;; TWV (l,N\WV
exa,uTov TWV o1frw xaT'f/'YOeouµ,evwv. Das ganze Kapitel dient zur Bestättigung.
138 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH Aru:sTOTELES

nell ganz und gar mit ihm zusammenfallt, wie wenn ich sage: Socrates ist
Socrates. Auf diese Weise kömmt Aristoteles in dem Buche der Kategorien
zu seiner Unterscheidung zwischen dem TorJe Tl oder der Tr(!WT'f} ourrfa und
den rJeuTeQat ourrfa, (Categ. 5. princ.). Allein es ist unmöglich, daß es eine
essenziellere Prädication, als die essenzielle gibt, das reelle Verhältniß zwi-
schen Subject und Prädicat ist in beiden Fällen das gleiche, und wollte man
hier wegen des Unterschiedes des begrifflichen Verhaltens eine nochmalige
Unterscheidung treffen, so hieße dies den Weg, den die Eintheilung des Öv
als eines oµ,wvuµ,ov xaT' a,vaAo,yfav einzuschlagen hatte, um zu den Gat-
tungsbestimmtheiten hinabzusteigen, gleichsam über das Ziel hinaus dahin
verfolgen, wo kein Unterschied der Beziehungen mehr ist, der außerhalb des
Geistes stattfindet. So wenig uns Aristoteles durch die Unterscheidung der
ersten und zweiten Substanzen Arten gibt, in welche eine Gattung zerfallt, so
wenig gibt er uns Gattungen, in die ein Analogon geschieden wird. Immer-
hin ist sie als Ausläufer der Kategorieneintheilung für die ganze Richtung, in
der diese sich bewegt, ein willkommenes Zeichen.
Während so die essenzielle Prädication nur eine einzige Prädicationsweise
und Kategorie abgibt, zeigt die nichtessenzielle, die im Allgemeinen als rruµ,-
ßafvetv bezeichnet wurde, auf den ersten Blick große Verschiedenheiten. Das
rruµ,ßeß'f}xoq ist selbst nur ein avaAo,yov, das nach der Weise der Prädica-
tion von der ersten Substanz wiederum in mehrere Classen zerfallen wird.
Vor Allem kann das, was von dem Subjecte ausgesagt wird, ohne das, was
Subject ist, selbst zu sein, entweder ihm absolut oder nur in Beziehung auf
ein Anderes beigelegt werden, die Accidenzien sind entweder absolute Acci-
denzien oder Relationen. Unter den letzteren verstehen wir nämlich jenes
accidentelle Sein, das in nichts Anderem als in einem gewissen Verhalten
zu etwas, 223 in einer Hinordnung der Substanz, von der es prädicirt wird,
zu einem andern Dinge besteht, wie z. B. wenn ich sage: Socrates ist wei-
ser als Hippias, Philipp ist der Vater Alexanders. Diese Relationen haben
eine andere Weise der Existenz in der Substanz, als die übrigen Accidenzien,
eine verschiedene Art der Abhängigkeit von ihr (Metaph. r, 2. p. 1003, b,
16.); beides ist miteinander identisch; denn in der Weise, in der die Sub-
stanz subsistirt, hält und trägt sie das Accidenz, und in der Weise, in der das
Accidenz accidirt, hängt es von der Substanz ab. Aristoteles hebt diese Ver-
schiedenheit der Inexistenz zwischen absoluten und relativen Accidenzien

223 Categ. 7. p. 8, a, 31. S(J'TI T/1, rreo,; Tl oT,; TO elva1 TU,LJTOl/ S(J'TI Tiµ rreo,; Tl rrw,;
äxe1v.
FÜNFTES KAPITEL. 139

als die nebst der Verschiedenheit zwischen ovo-[a, und o-uµ,ßeß'l')xoq größte,
die überhaupt in der Existenzweise statthaben kann, dort hervor, wo er den
Platonikern gegenüber die materielle Verschiedenheit, also die Verschieden-
heit in dem ganzen Verhältnisse zwischen Subject und Form für die ver-
schiedenen Seinsweisen klar machen will. Von den Relationen, die nur ganz
lose an das Subject geknüpft sind und es gleichsam nur berühren, ohne es
zu modificiren, werden die übrigen Accidenzien als eigentlich afficirende
geschieden, und somit erscheint das ganze Gebiet des Seienden der Katego-
rien in drei Classen zerlegt, ,,das Eine sind Substanzen (ovo-[a,1), das Andere
Affectionen (rra.S-rl)), das Andere Relationen (rreoq Tl)." (Metaph. N, 2.) 224
Brandis bemerkt zu dieser Stelle: ,,die Wesenheiten und Relationen mußte er
natürlich von jener Zusammenfassung der übrigen Kategorien ausschließen
und wählte für diese den Ausdruck Affectionen, um ihre Abhängigkeit von
den Wesenheiten zu bezeichnen, die in der Weise bei den Relationen nicht
statt findet. "225 Besonders gibt sich dies deutlich zu erkennen, wo Aristoteles
von der Bewegung und von dem Entstehen und Vergehen bei den relativen
Dingen handelt. Ihnen kömmt nicht nur keine Bewegung im engem Sinne,
sondern nicht einmal ein eigentliches Werden zu, das doch sonst von keiner
Kategorie ausgeschlossen ist, weil ohne die geringste Aenderung des Subjects
jetzt mit Wahrheit, jetzt fälschlich das rreoq Tl von ihm ausgesagt wird. So
lehren das zweite Kapitel des fünften Buches der Physik und der entspre-
chende Theil des elften der Metaphysik, ferner das erste Kapitel des vier-
zehnten Buches der Metaphysik; auch das Buch der Kategorien gibt dafür
Belege. 226

224 Metaph. N, 2. p. 1089, b, 20. 1WAU Te µ,aMov, WU1Te(! eAex;;,,'Y/, [ava,yx'Y},] ei


SS'YJTelTO rrwq TCOMa T(J, OVTa, /J,'f/ T(J, ev Tfj auTfj xaT'Y}')'O(!l(f, S'YJTelV, 1TWq TCOMat
ouufa1 'Y} 1TOMa 1TOIIJ,, aMa rrwq 1TOM(J, T(J, Övm· T(J, µ,ev ,yae ouufa,, T(J, (]S rra;;,,'Y},
Ta Oe
\ ~' TC(!Oq
' Tl.
225 Brandis, Griechisch-Röm. Philos. III, 1. S. 42.
226 Phys. V, 2. p. 225, b, 11. OU(]e (]'f) T(j) TC(!Oq Tl [eUTI XIV'Y}Utq] · SV(]SXeTal ,yae
;3-aTS(!OU /J,eTaßaMOVTOq aA'Y};;,,eueu;;,,a1 ;3-aTe(!OV /J,'Y}{]SV µ,eTaßaMov, WUTe xaTa
uuµ,ßeß'Y}xoq 0 XIV'Y}Ulq ::,iJT~v;, v~~gl. Met~p~. K, {12 _1~68all,-13!. Met~ph; N,
1. p. 1088, a, 29. U'Y}/J,elOV l) OTI 'Y}XIUTa OVUia Ttq xa1 ov Tl TO 1T(!Oq Tl TO µ,ovov
/J,'f/ elva1 ')'8VeUIV auTOU /J,'Y}{]S cp;;,,ogav /J,'Y}{]& XIV'Y}UIV, WU1Te(! xaTa TO 1TOUOV aÜ~'Y}-
u1q xai cp;;,,[u1q, xaTa TO TCOIOV aM01wu1q, xaTa TOTCOV cpoea, XaTa T'f)V ouufav
'f} arrMj 7eveu1q xai cp;;,,oga. aU' ou xaTa TO TC(!Oq Tl" äveu ,yae TOU XIV'Y};j'Y)Val
OTS µ,ev µ,eT(ov OTS (]S eAaTTOV ri; i'uov eUTal ;3-aTS(!OU XIV'Y};;,,evToq xaTa TO rrouov.
Vergl. Categ 5. p. 4, b, 4.
140 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Sandern wir dieses so lose an das Subject geknüpfte Prädicat, 227 das darum
als die am wenigsten substanzhafte Kategorie, wie die OV(Tta, an die Spitze, an
das Ende der ganzen Kategorienreihe zu treten hat, 228 von den übrigen (TLJµ,-
ßeß'Y)xoTa, als den* na3-'Y) ab, so scheinen auch diese absoluten Accidenzien
noch keineswegs alle in der gleichen Weise von der Substanz prädicirt zu
werden. Erinnern wir uns nur, wie oben die Bewegung sowohl dem, wovon
sie ausging, als auch jener Substanz, welche die durch die Bewegung in ihr
vorbereitete Form aufnehmen sollte, beigelegt wurde, natürlich aber in einer
ganz verschiedenen Weise. Ebenso haben wir gesehen, wie der Ort, der als
Fläche dem für einen andern örtlich bestimmenden Körper zukam, in dem
er sich also zunächst und eigentlich befand, in einer ganz andern Weise von
eben jenem Körper, von dem wir sagen, er befinde sich an diesem Orte, aus-
gesagt wurde; denn es ist gewiß ein großer Unterschied in der Weise, wie von
einem die Ebene oder der Marktplatz prädicirt wird, wenn ich sage: dieses
Feld ist eine Ebene, oder: dieser Stein liegt in der Ebene; diese Häuser u. dgl.
sind oder bilden die a,yoea, oder: diese Körbe, Früchte u. s. w. sind ev a,yoe'ij,.
In diesen Beispielen sind insbesondere drei Classen der absolut, aber
nicht (TLJVWvuµ,w; 229 der Substanz beigelegten Prädicate zu erkennen, in wel-
che diese Affectionen oder na3-'Y) (um sie mit einem allerdings bei Aristote-
les in abwechselnd engerer und weiterer und mehrfach modificirter Bedeu-
tung gebrauchten Ausdrucke 230 xa,T' e;ox'l1v zu bezeichnen) zunächst zerfal-
len werden und zwar so, daß hiedurch das ganze Bereich der Möglichkeit
1
227 Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, a, 21. 1raeacpua'111 ')'0,(]_ TOÜT SO/Xe xai (J'Uµ,ßeß'fJXOTI TOÜ
OVTOq.
228 Metaph. N, 1. p. 1088, a, 22. TO '1Je 1T(!Oq Tl 7Tl1,l/TWl/ 'Y)X/(J'Ta ((!U(J'lq Tlq ,ij OLJ(J'IU TWV
XUT'f}')'O(!/W)) S(J'TI, xai IJ(J'TS(!a TOÜ 1TOIOÜ xai 1TO(J'OÜ· xai na.S-oq Tl TOÜ 1TO(J'OÜ TO
1T(!Oq Tl, W(J'1Te(! eAex.S-'f/, aM' ovx LJA'f}, el' Tl STe(]_O)). x. T. A. ibid. b, 1. al/a')'X'I)
Te SX11,(J'TOU LJA'f}V elva, TO '1Juvaµ,et TOIOÜTOV, W(J'Te xai OLJ(J'taq· TO '1Je 1T(!Oq Tl oÜTe
'11uvaµ,e1 ov(J'fa oÜTs eve(!')'etq,. Vergl. auch Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 76
und S. 117. Daß das neoq Tl das schwächste Sein unter den Kategorien ist, das am
wenigsten ein Tl 0v elva1** hat oder constituiren helfen kann, ist wohl auch der
Grund, warum Metaph. Z, 4. p. 1029, b, 22., wo von dem gehandelt wird, dem
ein Tl 0v elva1** zukomme, der andern Zusammensetzungen der Substanz, nur
der mit dem neoq Tl nicht gedacht wird.
229 Categ. 5. p. 3, a, 34. Top. II, 2. p. 109, b, 6.
230 Oft steht er nur für Bewegungen, z.B. Top. VI, 6. p. 145, a, 3. in den Kategorien
cap. 8. p. 9, a, 28. gar nur für eine Species der Qualität.

* S. Einl.AS LXXXIX.
** S. Einl.AS XC.
FÜNFTES KAPITEL. 141

erschöpft ist. Denn Alles, was nicht jenes erste und eigentlich sogenannte
Sein, von dem alles übrige prädicirt wird, selbst ist, aber auf der andern Seite
auch nicht so ganz wesenlos und nur der Schatten eines Seienden, mehr den
Act eines andern Dinges begleitet, als selbst ein Ding ist, wie die Relation,
das wird entweder in der Substanz, von der es prädicirt wird, oder außer ihr
in einer andern, oder endlich theilweise in ihr, theilweise außer ihr sich fin-
dend, ihr beigelegt werden können. Ein vierter Fall ist nicht mehr denkbar.
Ist das Erste der Fall, so wird das Verhältniß ein eigentliches eve1va1 sein,
das jenem, in welchem die substanzielle Form zur TrQWT'f/ ü)vY} steht, am
nächsten kömmt. Wir können diese Accidenzien, wie z. B. die Farbe, die
Ausdehnung u. dgl., insbesondere lnhärenzen nennen. Existirt dagegen das
Prädicat zunächst ganz außerhalb des Subjectes, wie z. B. der Ort außerhalb
des am Orte Befindlichen, so daß das Subject nur eines besonderen Grundes
wegen von Außen her danach bestimmt wird, so können wir solche Acciden-
zien als äußerliche Bestimmungen oder Umstände der Substanz bezeichnen.
Aristoteles charakterisirt diese äußerliche Benennungsweise deutlich in den
ev
für das 'ITOV gewählten Beispielen a,yoeii,, ev Auxelq; (Categ. 4. p. 2, a, 1.),
wie er denn Top. VI, 6. p. 144, 6, 31. und Phys. IV, 12. p. 221, a, 28. Prä-
dicate, die dieser Classe angehören, geradezu als Ta ev TIVI bezeichnet. Wird
endlich drittens das Prädicat theilweise von Innen, theilweise von Außen
genommen, indem es nicht sowohl wie eine Form zur Materie, als wie eine
Operation zu der Potenz, die sie actualisirt, zu dem Subjecte sich verhält, 231
so wird es im Allgemeinen als Operation oder xfv'Y}<Ttq, wie es Aristoteles öfter
nennt, 232 zu bezeichnen sein. Hier ist entweder das Princip oder der Termi-
nus des Prädicats in- oder außerhalb des Subjectes; denn die Operation ist,
wie Aristoteles sagt, ein Mittleres zwischen dem Operirenden und dem, was
die Operation leidet. 233

231 Metaph. 0, 6. p. 1048, b, 6. AS')'STal lJe evee,yefq, ou 1Tal/Ta oµ,ofw,;, aU' 'Y/ TO
avaAO')'Oll, w,; TOUTO Sl/ TOUT<.µ .;; -rreo,; TOUTO, TO lJ' Sl/ TqJÜS .;; 7TQO,; TOüe. Ta µ,ev
,yae w,; w,;
Xll/'Y}(J"I,; -rreo,; 6Ullaµ,1v, Ta t' OUO'ta -rreo,; Tll/a ÜA'Y]ll, Vergl. De anim. II,
1. p. 412, a, 9.
232 Metaph. z, 4. p. 1029, b, 23. SO'TI ,yae Tl u-rroxefµ,evov exaO'T<.µ, 0/ol/ TqJ 1ro1ijJ xai
TqJ 7rOO'qJ xai TqJ 7rOTS xai TqJ -rrou xai Tfj Xll/7)0'SI. Vergl. Metaph. A, 1. p. 1069,
a, 22. und die vorige Anmerkung. Auch sonst deutet Aristoteles bei der Aufzäh-
lung der Kategorien eine besondere Verwandtschaft zwischen den in dieser Classe
begriffenen an, wie Phys. V, 1. p. 225, b, 7. Metaph. D.., 7. p. 1017, a, 26. ibid. K,
12. p. 1068, a, 9.
233 Metaph. D.., 20. p. 1022, b, 5. [es1,; Aa')'STal] WO'-rree -rreäsi,; Tl,; 'Y/ Xlll'f}O'I,;' ÖTall
,yae TO µ,ev 1r01fj TO <Je 7rOl'l)Tal, SO'TI 7r0/'Y}O'I,; µ,em;u.
Simpl. Schol. 77. b, 42.
142 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Betrachten wir von diesen drei Classen zunächst die erste, die der inhäri-
renden Accidenzien. Wird unter ihnen noch eine weitere Analogie stattfin-
den, oder sollen wir die Inhärenz als Genus und Kategorie festhalten? - Die
sinnlichen Substanzen, an welche wir, als die für uns erkennbareren und
gewisseren, 234 oder strenger genommen allein in der Gattung enthaltenen, 235
zunächst gewiesen sind, ergeben sich der philosophischen Betrachtung des
Aristoteles nicht als einfache Substanzen, sondern ihr Wesen wird durch eine
Zusammensetzung von Materie und Form gebildet, von denen die letztere
die erstere actualisirt, ihr Sein und Wesen verleiht. Jedes dieser Principien
nimmt daher zu dem Compositum eine besondere, von der des andern ganz
verschiedene Stellung ein, das eine ist seine 1Juvaµ,tc;, das andere seine 8VTeAe-
xa1a. 236 Daraus folgt, daß auch die Accidenzien der Substanz, die ihr eigent-
lich inhäriren, immerhin noch eine ganz verschiedene Stellung zur Substanz
einnehmen, d. h. in einer ganz andern Weise ihr inhäriren werden, je nach-
dem sie von Seiten der Materie oder von Seiten der Form ihr zukommen.
Aus der Materie der Substanz ergibt sich das Quantum (1roO"ov), wel-
ches dem potenziellen Charakter des materiellen Princips entsprechend also
erklärt wird: ,,Ein Quantum wird genannt, was in solches, was in ihm besteht
und ein Ganzes für sich und eine Einzelsubstanz zu sein fähig ist, getheilt
werden kann. "237 Insbesondere zeigt sich dieser Zusammenhang mit dem
materiellen Principe auch im dritten Kapitel des siebenten Buches der Meta-
physik. Wie die Materie das letzte Element der Substanz ist, von dem selbst
diese noch in gewisser Weise prädicirt wird (Metaph. Z, 3. p. 1029, a, 23.),
so erscheint hier das Quantum als das zunächst der Substanz Zukommende
und bei einer Abstraction der Accidenzien von dem Subject als das zuletzt

{Simpl. in Cat. [cp.9], CAG VIII 303.27-29} Xll/'Y}<Tlq <Je TOÜ 1TOIOÜVTOq xa/
1TG,<TXOVTOq XeXW(dl<TTal, wq /J,S<T'f/ OÖ<Ta U/J,({)OTS(dWll xa/ U1TO µ,ev TOÜ 1TOIOÜVTOq
1T(dOIOU<Ta, elq <Je TO 1Ta<Txov eva1rse,ya(oµ,ev'Y} TO 1ra.&oq.
234 Metaph. z, 2. p. 1028, b, 8. IJOXel l}' 0 OU<T/a imaexm cpalle(dWTaTa µ,ev To7q
<TWµ,a<Tll/" IJIO Ta Te (([Ja xa/ Ta (f)UTa xa/ Ta µ,oe1a aUTWJ/ OU<Tlaq slvaf cpaµ,ev,
xa/ Ta (f)U<TIXa <TWµ,aTa ..• Vergl. ibid. 3. p. 1029, a, 33.
235 Vergl. oben § 11.
236 De anim. II, 1. p. 412, a, 9. e<TTI l}' 0 µ,ev ÜA'Y} IJUJ1aµ,1q, TO l}' sllJoq &l/TeASXela.
237 Metaph. A, 13. p. 1020, a, 7. 1TO<TOJ/ AS')'eTal TO <Jlal(deTOJ/ siq evu1raexovTa, div
exaTe(dOJ/,;; exa<TTOJ/ ev Tl xa/ TO/Je Tl 1TS(f)UXel/ slva1.
FÜNFTES KAPITEL. 143

Hinwegzunehmende, wo dann für Diejenigen, die das Princip der substan-


ziellen Form nicht kennen, nichts als die ÜA'Y) übrig zu bleiben scheint. 238
Auf der andern Seite stehen die Qualitäten, die ebenso mit der Form ver-
wandt sind, wie die Quantität es mit der Materie war. Denn die Quali-
tät besagt eine Beschaffenheit, eine Art und Weise der Substanz, d. i. eine
Determination oder Differenzirung in irgendwelcher Hinsicht. Diese Deter-
mination findet statt 1) vermöge substanziellen Seins, und so wird die Gat-
tung durch die substanzielle Differenz determinirt, die, wie wir schon oben
sahen, der Form proportional ist; daher wird die substanzielle Differenz im
fünften Buche der Metaphysik als erste Qualität, als substanzielle Qualität
aufgeführt. 239 2) Findet aber auch eine Determination und Modificirung
des Subjects vermöge eines accidentellen Seins statt, und dieses ist die Kate-
gorie der Qualität, von der wir jetzt handeln, und die auch eine Differenz
ist. Denn entweder determinirt und differenzirt sie das Subject der Quanti-
tät nach, und solche Qualitäten sind die Figuren; 240 oder sie differenzirt es
in Hinsicht auf das Wesen des Dinges, indem sie in ihm als eine Beschaf-
fenheit besteht, die seiner Natur angemessen oder unangemessen ist, wie
z. B. ein Körper, der gesund, und ein Körper, der krank ist, durch diese
Beschaffenheiten hinsichtlich ihrer Natur differenzirt und gut oder schlecht
disponirt sind, und dieses sind die ega,q und iJ1aS-eo·a1q der Kategorien; 241
oder es differenzirt eine Qualität das Subject einer Operation nach, wie z. B.
die Wärme u. dgl. Kurzum, so verschieden die Species der Qualität auch
sein mögen, immer werden sie, um zu dieser Kategorie gehören zu können,

238 Metaph. Z, 3. p. 1029, a, 10. xai ifr, 'fJ ÜA'Y} ou1T1a 71vem1. ei 7ae Wf/ aÜT'Y} ou1T1a,
Tlq SITTll/ äM'Y} lJ1a<peu7e1. 1ree1a1eouµ,evwv ')'lt(! TWJ/ äUwv ou cpafveTat ou;:3,ev
u1roµ,evov. Ta µ,ev ')'lt(! äUa TWl/ ITW/J,UTWJ/ na;:3,'Y} xai 1!'017)/J,aTa xai lJuvaµ,w;, TO
lJe /J,'(JXOq xai 7rAUTOq xai ßa,;:3,oq TrOITOT'Y}TSq Ttveq aM' oux OUITlal. TO ')'lt(! 7rOITOJ/
oux OU/Tla, aMa µ,aMov qJ imaexe1 Taf:iTa Tr(!WT<p, exeTvo SITTIJ/ 'fJ OUITla. aMa
/J,'f}J/ a<pa1eouµ,evou /J,'(}XOUq xai nAaTouq xai ßa;:3,ouq ou;:3,ev oewµ,ev unoAemoµ,evov,
7rA'f)J/ el' Tl e/TTI TO oe1(0µ,evov U7r0 TOUTWJI, WITTe T'f)J/ ÜA'Y}J/ (1,J/(J,')"X'Y} <pa1J1e1T;:,,a1
/J,Oll'YJll ou1T1av oÜTw 1Txo1rouµ,evo1q. Vergl. Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 77.
239 Metaph. t::., 14. p. 1020, a, 33. TO TrOIOJ/ Ae7em1 eva µ,ev 7r(!07rOJ/ 'fJ lJ1acpoea T'(Jq
OU/Tlaq, OfOJ/ TrOIOJ/ Tl äv;:3,ewnoq (cµov ÖTI lJ[nouv, imroq lJe TeT(!U7rOUJ/' xai xuxAoq
TrOIOJ/ Tl ITX'(J/J,a ÖTt a')"WVIOJI, wq T'(Jq lJ1acpoeaq T'(Jq xaTa T'f)J/ OU/Tlal/ TrOIOT'Y}TOq
OLJO''Y)q. eva µ,ev l50 T(!O'TrOJ/ TOiJTOl/ Ae7eTa1 'fJ 7r010T'Y}q lJ1acpoea OU/Tlaq . ...
240 Vergl. unten§ 16.
241 Categ. 8. p. 8, b, 26. Darum charakterisirt Metaph. t::., 14. p. 1020, b, 12. diese
~peci~s der Qualität also: eTI xaT' a(!eT'f)li xai xaxfav xai ÖAwq TO xaxov xai
a7a;:3,ov.
144 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

jenen Charakter des Determinirenden und Differenzirenden und folglich


den der Verwandtschaft mit der Form an sich tragen, welcher diese Kate-
gorie von der Quantität unterscheidet. 242 So sagt auch Trendelenburg: ,,Wie
sich aus der Materie der Substanz das Quantum, so ergibt sich aus der Form
die Qualität. "243 Er weist darauf hin, wie demgemäß in gewisser Weise dem
Quale vor dem Quantum der Vortritt sich einräumen lasse, nach Metaph. A,
1. ,,So ist das Erste die Substanz, ihr folgt die Qualität, ihr die Quantität", 244
wenn auch sonst die umgekehrte Folge die angemessenere sei. Aristoteles
läßt fast immer die Qualität vorangehen, 245 vielleicht deßhalb, weil eben die
Form, der sie folgt, das mächtigere Princip und mehr Substanz als die Mate-
rie ist. Indeß hat die eine wie die andere Ordnung ihr berechtigtes Motiv;
und es hat manches für sich, wenn man der von Trendelenburg aus den
von ihm S. 77 f. entwickelten Gründen vorgezogenen folgt. Uns kömmt es
hier bloß darauf an, zu zeigen, daß die eigentlich inhärirenden Accidenzien
selbst wieder eine doppelte Weise der Inhärenz und folglich eine doppelte
Prädicationsweise unterscheiden lassen, daß also, wie das Accidenz, auch das
Inhärenz kein Genus, sondern ein xo1vov xa-r' ava)w,yfav für die Genera der
Quantität und Qualität sei. 246
Auf die Classe der inhärirenden Accidenzien hat, wenn man der ontologi-
schen Bedeutung Rechnung tragen 247 und stufenweise von den innerlichen

242 Metaph. !::.., 14. p. 1020, b, 13., wo Aristoteles in zwei Weisen des no16v alle
zusammenfassen will, heißt es: ITXSl50V /5'f/ xaTa <5uo T(lOTiOU,; Ae,yo1T' äv TO TiOIOV,
xai TOUTWV eva TOV XU(llWTaTOV' Ti(lWT'I) µ,e.v ,yae TiOIOT'I),; 'Y/ T'l),; OUITta,; tJta-
<poea. TaUT'I)<; <5e Tl xai 'Y/ ev Tot,; ae1:Jµ,07,; TiOIOT'I),; µ,eeo,;· <5ta<poea ,yae Tl<;
OUITIWV, aM' 'Y} ou XIVOUµ,evwv 'Y} oux rJ x1vouµ,eva. Ta <5e. na:3-'I) TWV x1vouµ,evwv rJ
xtvouµ,eva, xai ai TWV XIV'l}ITSWV <51a<poeaf. aeeT'f} <5e. xai xax[a TWV na:3-'l)µ,a-
TWV µ,eeo,; Tl' <5ta<pO(la,; ,yae 15'1)/\0ÜITI T'l)<; XIV'l}ITeW,; xa/ T'l),; SVS(l,Yeta,;, xa:J' Ü,;
TiOIOÜITIV 'Y} TiUITXOUITI xa'Aw,; 'Y} <pau'Aw,; Ta ev XIV'l}ITSI ÖvTa' X. T. A.
243 Gesch. der Kateg. S. 78. Vergl. ebendas. S. 103. und Zeller, Philos. der Griechen
II, 2. S. 196. Anm. 3. {31879 272 Anm. 2} und die von ihm citirten Stellen.
244 Metaph. A, 1. p. 1069, a, 20. oÜTw newTov 'Y/ ou1T1a, elm TO no16v, eiTa TO TiOITOV.
245 So z.B. Anal. post. I, 22. p. 83, a, 21. und b, 16. Phys. V, 1. p. 225, b, 6. Metaph.
!::,,., 7. p, 1017, a, 25. Z, 1. p. 1028, a, 12; 4. p. 1029, b, 24. Eth. Nicom. I, 4.
p. 1096, a, 25. u. a. a. 0. {S. Einl.AS LXXIX}
246 Ueber die angemessenste Ordnung der Kategorien s. unten§ 16, 3. das Genauere.
247 Bonitz a. a. 0. S. 607. schließt daraus, daß die Kategorien, obgleich die außer der
Substanz in ihrer ontologischen Bedeutung zu ihr ins Verhältniß der 1Tuµ,ßeß'l)x0Ta
treten, trotzdem eine Reihe gleichgeordneter Eintheilungsglieder bilden, ,,daß es
sich bei den Kategorien als solchen nicht um eine Entscheidung metaphysischer
Fragen, sondern um eine übersichtliche Eintheilung des erfahrungsmäßig gegebe-
FÜNFTES KAPITEL. 145

zu den äußeren Prädicationsweisen hinabsteigen will, die Classe der XtJJ'Y)<Ttq


zu folgen. Während bei den Accidenzien der ersten Classe die Inhärenz es
war, ,auf deren Grundlage hin das Prädicat dem Subjecte beigelegt wurde,
wird es hier die Causalität sein, welche die Prädication des einen vom andern
möglich macht. Nur durch die Verbindung, welche sie unter den Einzel-
substanzen herstellt, wird ja jene Bedingung erfüllt, die als das Unterschei-
dende dieser zweiten Classe der accidentellen Prädicate angegeben wurde,
daß nämlich das, woher das Prädicat genommen werde, in Bezug auf etwas
in dem Subjecte, in Bezug auf ein anderes außer demselben sei, als ein Mitt-
leres zwischen zweien. 248 Das Schlagen ist seinem Princip nach in dem Schla-
genden, seinem Terminus nach in dem, der geschlagen wird, und kann also,
zwischen dem einen und andern gleichsam in der Mitte, sowohl von diesem
als jenem prädicirt werden. Es ist nicht sowohl ein ev T<prJa, als ein 1reoq TorJa,
wie wir oben Aristoteles nicht unpassend es bezeichnen hörten. (Metaph. 0,
6. p. 1048, b, 8.) Man sage nicht, Aristoteles sage doch selbst, die XtJJ'Y)<Ttq sei
in dem Bewegten, z.B. Phys. III, 3. p. 202, a, 13. und an den andern oben
betrachteten Stellen; denn dort hat er ja auch die xtJJ'Y)<Ttq nicht bestimmte
Kategorien bilden, sondern wie evee,ya1a und rJuvaµ,1q in den verschiedenen
Kategorien vorkommen lassen, was nur vermöge der Reduction auf die Gat-
tung des Terminus statthaben konnte, von der wir oben gesprochen haben.
Dieser aber existirt nicht in dem Bewegenden, sondern in dem Bewegten,
wie z. B. bei der Bewegung vom Schwarzen zum Weißen der eine und andere
dieser Termini und alle Farbenstufen, die, während der Bewegung berührt,
als Termini ihrer Theile anzusehen sind, in dem Weißwerdenden sich finden.
Insofern aber die XtJJ'Y)<Ttq besondere Gattungen des Seienden bilden soll,
kann ihr auch in dem, was bewegt wird, kein ev T<prJa alva1, sondern ein 1reoq
TorJa, oder genauer gesprochen ein foi TorJa alvat beigelegt werden.

nen Vorstellungskreises handelt." Im Gegentheile! daraus, daß die Deduction der


Kategorien mit einer ontologischen Verschiedenheit beginnt, ergibt sich, daß auch
alle Untereintheilungen auf dergleichen beruhen werden, und daraus, daß die
Kategorien alle in eine Reihe gestellt sind, daß alle in dieser Deduction angewand-
ten allgemeineren Begriffe nur analoge Einheit haben, also selbst wieder ontologi-
sche Unterschiede in sich enthalten, bis denn von den Kategorien an alle weiteren
Begriffe in den regelmäßigen Stufen synonymer Unterordnung und ontologischer
Gleichheit, d. i. Gleichheit in dem Seinsbegriffe, bis zu den Einzeldingen hinab-
steigen.
248 Metaph. D.., 20. p. 1022, b, 5. Öwv ')'CJ,(2 TO µ,ev 1ro1ijj -ro lJe 'TTOl'l)WI, SO"TI 'TTOl'f}<TI;
µ,ewl;v.
146 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Auf den ersten Blick ergeben sich hier zwei Prädicationsweisen. Die Ope-
ration wird entweder von dem, worin das Princip der Operation ist, 249 und
wovon sie ausgeht (uq/ oi5 e(TTtv), 250 von dem Thuenden, oder von dem,
worin der Terminus der Operation ist (ecp' o' 'f/ xtV'Y}(Tt;), 251 von dem Lei-
denden, prädicirt. Auf der einen Seite wird sich uns das Thun (1ro1e1v), auf
der andern das Leiden (na(Txeiv) herausstellen, und hiemit wird die Zahl der
hier möglichen Kategorien erschöpft sein.
Nur ein Einwand muß noch berührt werden, den man hiegegen erheben
könnte. Aristoteles unterscheidet eine doppelte Art von Thätigkeiten, das
eigentliche Thun (facere, 1ro1e1v) und das Handeln (agere, neaTTetv). Die
Thätigkeit im eigentlichen Sinne ist ein Act, der auf eine äußere Materie
geht, wie bauen, schneiden u. dgl. Die Handlung dagegen ist ein Act, der in
dem Handelnden selbst bleibt, wie sehen, wollen u. dgl. 252 Zwischen dem
Handeln und dem Subject, das handelt, und zwischen dem Thun und dem
Subject, das thut, scheint mithin ein ganz anderes Verhältniß zu bestehen.
Mag man von dem Thun immerhin sagen, es sei in Bezug auf etwas in, in
Bezug auf etwas außer dem Subjecte, das Handeln scheint ganz im Subjecte
zu liegen. Es fordert also eine eigene Prädicationsweise und constituirt eine
eigene Kategorie der intransitiven Handlung.
So scheinbar der Einwurf ist, so ist er doch bei näherer Betrachtung eben
nur scheinbar, und es bleibt darum um nichts weniger wahr, daß Thun,
Handeln und Leiden nur zwei Kategorien bilden können. Um dies klar zu
erkennen, ist es vor Allem nöthig, zu beachten, daß niemals und bei kei-
ner Bewegung das, vermöge dessen etwas bewegt, ein und dasselbe ist mit

249 De gen. et corr. I, 7. p. 324, a, 26. SJ/ <J> n ,yae 0 aex'h -r,rj,; XIJl'f)Uew,;, IJOXel TOVTO
XIJ/elll.

250 Phys. III, 3. p. 202, a, 14. b, 22. VII, 1. princ.


251 Metaph. !::,., 17. p. 1022, a, 7. [rreea,; Ae7s-ra1] eq/ o' 'Y/ XIJ/'Y}UI,; xa/ 'Y/ 1reä~1,;.
252 Metaph. 0, 8. P· 1050, a, 23. errs/ IJ' eu-r/ TWJ/ µ,ev euxa-rov 'Y/ xe,rju1,;, olov öt/;sw,;
'Y/ öeau1,;, xa/ ou.&ev ')'l')'J/eTal naea TaUT'Y}J/ e-rseov ano -r,rj,; öt/;sw,; 8(2')'011, an'
SJ/IWJ/ tJe ')'l')'J/eTaf Tl, olov ano T'(},; oixo1Joµ,1x,rj,; oixfa naea T'l7J/ oixotJO/J,'Y}UIJ!,
Öµ,w,; ou.&ev ~TIOJ! ev.&a µ,ev -reAo,; ev.&a tJe µ,äMov -reAo,; -r,rj,; IJVJ!aµ,sw,; 8UTIJ!.
'Y/ ,yae oixotJO/J,'Y)UI,; ev -ri;.i oixotJoµ,ovµ,evcp, xa/ ä,µ,a ')'l')'JleTal xa/ SUTI -rfj oixfq,.
öuwv µ,ev OÜJ! STe(20J! -rf SUTI naea T'l7J/ xe0u1v TO ')'l')'J/0/J,eJ!OJI, TOUTWJ! µ,ev 'Y/ evee-
')'ela ev -ri;.i 1ro1ovµ,evcp eu-rfv' olov ,if Te oixotJO/J,'Y)Ut,; ev -r0 oixotJoµ,ovµ,evcp xa/ 'Y/
Ürpavu1,; ev -ri;J u<pawoµ,evcp, oµ,ofw,; tJe xa/ err/ TWJ! äUwv, xa/ Ö;,.w,; 'Y} XIJ/'Y)Ut,;
ev -ri;.i x1vovµ,evcp· Öuwv IJe Wf/ SUTIJ/ äUo Tl 8(2')'0J/ naea T'l7J/ SJ/8(2,Yelal/, ev au-roT,;
u1raexs1 'Y/ evee7s1a, olov 'Y/ öeau1,; ev -ri;J 0(2WIITI xa/ 'Y/ .&swefa ev -ri;.i .&sweovJ!TI
xa/ 'f) (wii ev -rfi t/;vxfi-
FÜNFTES KAPITEL. 147

dem, in Bezug auf welches etwas bewegt wird. Denn alles, was thätig ist,
muß eve(n1e1q, sein, insofern es thätig sein soll, darum geht ja die Wirk-
lichkeit, einfach gesprochen, der Möglichkeit voraus. 253 Durch Nichts wird
Nichts. In dem Leidenden dagegen, auf welches die Thätigkeit gerichtet ist,
muß, insofern es etwas erleiden soll, cJuvaµ,et das sein, was es wird. Es ist
also einleuchtend, daß nichts vermöge dessen bewegt, in Bezug auf welches
es bewegt wird, mag man auch die Bewegung im weitesten Sinne nehmen.
Betrachten wir nunmehr jene Thätigkeiten, von denen man sagt, daß
durch sie etwas sich selbst bewege, so werden sie sich in zwei Klassen schei-
den. 1) In solche, welche nur scheinbar intransitiv sind, indem nicht sowohl
etwas sich selbst, als ein Theil den andern bewegt (Phys. VII, 1. p. 241, b,
27.); und dies ist, wie Aristoteles im Anfange des siebenten Buches seiner
Physik darthun will, bei allen Bewegungen im engeren Sinne, die von ihm
als eVZ(2'Y8tat aTel\ouq, eve(tyetat TOU cJuvaµ,et ÖvToq bezeichnet wurden, der
Fall (Phys. VII, 1. p. 241, b, 33. p. 242, a, 15.), so z. B. bei den örtlichen
Bewegungen; 254 Thätigkeiten wie neemaTetV, Tflexe1v wird Aristoteles also
nicht für eigentlich intransitiv gelten lassen. 2) In die wirklich intransitiven
Bewegungen. Solche existiren unter den eigentlich sogenannten Bewegun-
gen, von welchen die Bücher der Physik handeln, nicht. Es gibt aber noch
eine andere Art der Bewegung, indem in einem weiteren Sinne überall, wo
ein Uebergang von der 'lJuvaµ,1q zur evee,yeta stattfindet, von einer Bewe-
gung gesprochen werden kann. 255 Eine solche intransitive Thätigkeit findet
z. B. im Wollen statt. Der Wille bewegt sich wirklich selbst. Allein auch er
kann nach dem, was wir so eben betrachteten, nicht vermöge ein und des-
selben bewegend und bewegt, thätig und leidend sein. Ein Willensact ruft
den andern, keiner sich selbst hervor. Insofern der Wille den Zweck evee,yelq,
will, reducirt er sich selbst von der 'lJuvaµ,1q zur evee,ye1a in Betreff dessen,
was er mittels der Berathung als zu diesem Zwecke dienlich erkennt. So kann

253 Metaph. 0, 8. p. 1049, b, 5. cpa,vseov ÖTt 1T(!0Te(!OV eveg71;1a, <Juvaµ,ew; BITT/V . •.•
b, z4. aei 7ae ex TOU <Juvaµ,et OVTo; ')'l')'VeT(J,I TO Bl/e(!')'elf/, b'v IJ1TO Bl/e(!')'el(,I, OVTo;,
olov äv;;rew1ro; e~ av;;rew1rou, /J,OU<TIXO; IJ1TO /J,OU<TIXOU, aei XIVOUVTO; Ttvo; 1T(!WTOU'
TO <Je XIVOUV BVe(!')'elf/, 'Y}IJ'f} B<TTll/.
254 ~hys. VII, 1. p. 242, a, 16. ava7x'f} xa,/ TO XIVOU/J,el/OV 1räv ev T01TqJ XIVel<T;;ra,1 u1r'
a,JJ..ou.
255 De anim. III, 7. p. 431, a, 4. cpa,[vemt <Je TO µ,ev a,iu;;r'f}TOV ex <Juvaµ,et Ol/TO; TOU
a,iu;;r'f}TIXOU Bl/e(!')'el(,I, 1TOl0Ul/' ov 7ae 1TUIT%el ov<J' aMotOUT(J,I. 1510 äJJ..o el<Jo;
TOUTO Xll/7)/TeW; [als die in der Physik behandelte)· 'Y/ 7ae Xll/'f}<Tt; TOU /J,TeAou;
Bl/8(!')'el(J, 7/ll, 'Y/ 15' a1rJ..w; Bl/S(!')'el(J, hega, 'Y/ TOU TeTeAe<T/J,Sl/OU. Vergl. Metaph. 0,
6. p. 1048, b, 28., wo die Xlll'f}<Tt; in jener engeren Bedeutung genommen wird.
148 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

eine ganze Reihe von Rathschlüssen und Willensacten auseinander hervor-


gehen, wobei immer der vorhergehende die Ursache des folgenden wird, wie
z. B. einer, der nach Rom reisen will, das Mittelmeer zu befahren, Marseille
und eine Reihe von Städten zu berühren, in den Wagen zu steigen u. s. w.
sich entschließt. Einen Anfang muß aber diese Reihe haben, es kann nicht
immer wieder ein Willensact vorausgesetzt werden. Einer muß der erste sein,
und da auch dieser nicht von Ewigkeit ist, so zwingt dies zur Annahme eines
äußeren Bewegers, auf dessen Impuls die erste Willensbewegung stattfindet.
Wie bei der physischen Bewegung das erste Princip, das die Natur bewegt,
von Außen kömmt, so auch bei der Bewegung des Willens, obwohl in ihm
selbst das nächste Princip eines Willensactes liegen kann. 256 Jede intransitive
Bewegung erscheint somit als secundäre Bewegung.
Hiernach ist es denn nicht mehr schwer, die erhobene Frage zu erledigen.
Die Intransitiva der ersten Art, die eigentlich keine Intransitiva sind, zerfal-
len, da der Theil, dem die Bewegung als Thun, und der Theil, welchem sie
als Leiden zukömmt, verschieden sind, von selbst in ein 1ro1eTv und in ein
1ra<Txa1v, und gehören darum, je nachdem man sie von der einen oder andern
Seite betrachtet, der einen oder andern dieser Kategorien an. Das Princip
und der Terminus fallen deutlich außer einander. Die eigentlich immanen-
ten Handlungen aber lösen sich, genau betrachtet, ebenfalls in zwei Begrif-
fen, die sich in die beiden Gattungen vertheilen, auf. Ein und dasselbe Sub-
ject ist zwar thätig und leidend, Princip und Terminus der Thätigkeit liegen
in ihm; allein diese beiden bleiben dennoch reell verschieden, das, wodurch
verwirklicht wird, ist nicht das, was verwirklicht wird, und somit wird die
Operation, in zwei verschiedenen Verhältnissen zu dem Subjecte stehend,
nach zwei verschiedenen Weisen der Prädication von ihm ausgesagt werden,
man erhält zwei Begriffe, die sich ganz rein den Erfordernissen der beiden
Kategorien gemäß scheiden. Insofern in dem Subjecte das Princip der Thä-
tigkeit sich findet, insofern findet sich nicht in ihm der Terminus, und inso-

256 Eth. Eudem. VlI, 14. p. 1248, a, 15. TOLJTO µ,evT' äv arrO(}_'Y}O-ete Ttc;, ae' aUTOLJ
TOUTOU TUX"f/ aiTfa, TOLJ em:J-uµ,i'wa1 OÜ (]eT xai ÖTe (]eT. 0' o/hw 7e rraVTWV eo-Tat;
xa/ 7ae TOLJ vofjo-at xai ßouAeuo-ao-3-a,· ou 7ae ;;'Y) eßouAeurraTO ßou/\euo-aµ,e-
voc;, xai TOLJT' eßouAeurraTO, /;,),.),.' Eo-TIV aex'Y/ Ttc;, ou(]' SVO"f}O-e VO'Y}O-ac; 7r(}_OTS(}_OV
vofjo-at, xai TOLJT' elc; ä1re1eov. oux äea TOLJ vofjo-at OvoUc; aex'YJ, ou(]e TOLJ ßou/\eU-
o-ao-3-a, ßoUA'Y) . ... {a24} TO (Je ("fJTOU/J,eVOV TOLJT' 80-Tl, Ttc; 0 T7}c; XIV'Y}rrewc; aex'YJ
ev Tfjj t/;uxfi. (]fjAov ;;0, wo-rree ev Tq) ÖAq> 3-eoc;, xai rräv exe/vq>. XIVet 7ae rrwc;
rravTa TO ev 'f//J,IV 3-e7ov.
FÜNFTES KAPITEL. 149

fern dieser, liegt jenes nicht in ihm. 257 Jener erste Willensact, den, wie wir
sahen, der äußere Beweger hervorruft, ist nicht intransitiv, er ist von Seite
des Willens ein bloßes rraO",Xetv; aber dennoch ist er offenbar ganz gleicher
Natur mit den folgenden Willensacten und wird als rraO",Xetv in Eine Gat-
tung mit ihnen zu stellen sein. So konnte denn Aristoteles unmöglich für die
intransitiven Bewegungen, wie Trendelenburg wohl annehmen möchte, 258
eine eigene von der des 1ro1a1v und rraO",XelV verschiedene Kategorie statuiren.
Es hieße dies zwei Verhältnisse eines Dinges zur ersten Substanz bei der Con-
stitution einer Kategorie zugleich ins Auge fassen, zwei Arten der Inexistenz,
zwei Arten des aTvat und des Öv in einem Begriffe verschmelzen wollen, und
dieser würde somit nicht eigentlich einer und kein einfaches Prädicat sein,
wie es die Kategorien verlangen. Aristoteles verfährt vielmehr richtig und
dem Princip der Kategorieneintheilung gemäß, wenn er beide als in einem
Genus enthalten anerkennt. 259
Zwei Kategorien scheinen also bei dieser zweiten Classe allein möglich zu
sein, das Thun und das Leiden. Und doch wäre es vielleicht in gewisser Weise
erklärbar, wenn wir die Zahl dieser Kategorien sich noch vermehren sähen.
Die Thätigkeit war ein Mittleres zwischen Zweien. Manchmal scheinen nun
zwei Dinge sich so zu einander zu verhalten, daß in der Weise der Action, aber
doch ohne eine Thätigkeit zu sein, ein Mittleres zwischen beide tritt. In dem
einen findet sich ein Analogon des Thätigkeitsprincips, in dem andern ein
Analogon des Terminus der Thätigkeit. Eine solche Quasithätigkeit besteht,
wie Aristoteles im zwanzigsten Kapitel des fünften Buches der Metaphysik
lehrt, zum Beispiele zwischen dem Kleide und dem damit Bekleideten. 260

257 Vergl. oben S. 50 f. Metaph. b., 12. p. 1019, a, 15.


258 Gesch. der Kateg. S. 23 f.: ,,durch das 1ro1e'i'v und nauxs1v [werden] das Activ und
Passiv, durch das xe'i'u:Ja,1 wenigstens ein Theil der Intransitiven, durch das exs1v
die Eigenthümlichkeit des griechischen Perfects, in wiefern es einen Besitz der
Wirkung anzeigt, in einen allgemeinen Begriff gefaßt." Vergl. ebend. S. 140.
259 So sagt erz. B. Metaph. 0, 8. p. 1049, b, 8., daß die Natur, die wie Phys. II, 1.
p. 192, b, 20. lehrt, ein Princip der Bewegung nicht in einem Andern, sondern
in dem ist, in welchem sie ist, in dieselbe Gattung gehöre mit der Potenz, die in
einem Andern eine Bewegung hervorbringe: xa,1 ,yae 'YJ (f)UIJ"tc; ev TaUTijJ ')'l')'VeTa/'
ev Tal!TijJ ,yae ')'SJ/el Tfj lJuvaµ,el' U(!X'YJ ,yae XIJ/'f)TIW()' aN: Ol!X ev CLMq> aM' ev
auTijJ Tl al!TO.
260 Metaph. b., 20. p. 1022, b, 4. el;,c; lJe AS')'eWI eva, µ,ev T(!O'ITOJ/ olov SJ/S(!')'e/(1, Ttc;
TOÜ exovToc; xai exoµ,evou, WIJ"'ITe(! neal;fc; Ttc;,;; XIV'f)IJ"tc;· Öwv ,yae TO µ,ev 'ITOtfj TO
(Je 'ITOl'Y}WI, 81J"TI 'ITOl'f)IJ"lc; µ,swl;u. OllTW xai TOÜ exovToc; eu:Jijw xa,1 T'Y}c; exoµ,sv'f)c;
eu:JijToc; elJ"TI /J,eWSU e/;tc;.
150 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Das Kleid schützt oder schmückt, der Bekleidete wird dadurch geschützt
oder geschmückt. Dennoch ist das Schützen oder Schmücken keine Action
im eigentlichen Sinne, also kann auch nicht in derselben Weise von Princip
und Terminus die Rede sein. Wer nun auf diese Weise die Sache betrach-
tet, muß am Ende gar dahin kommen, für das Beldeidetsein eine eigene
Kategorie zu constituiren, und Aristoteles hat es wirklich gethan. In dem
vierten Kapitel der Kategorien zählt er unter den höchsten Gattungen auch
das exs111 auf, 261 und erklärt dasselbe durch die Beispiele „ist beschuht, ist
bewaffnet. "262 Auch die Commentatoren fassen daher den Begriff ganz eng
auf das Anhaben oder Tragen eines Kleides ihn beschränkend, 263 und ich
muß gestehen, daß mir an der Richtigkeit dieser Fassung kaum ein Zweifel
möglich scheint, da Aristoteles, indem er auch im neunten Kapitel genau
dieselben Beispiele wiederholt, die Bedeutung des exs111 damit so genau
gekennzeichnet zu haben glaubt, daß eine weitere Erklärung nicht nöthig
sei. 264 Bonitz meint, ,,die Beispiele . . . reichen bei weitem nicht aus, um
daraus eine Induction zu machen. "265 Allerdings reichen sie nur in einem
Falle aus, wenn nämlich die Gränzen des exs111 so eng gezogen werden, daß
die Begriffe w1rA10-w,1 und u1ro1JüJaw„1 das ganze Bereich des exs111 genugsam
zur Darstellung bringen, d. h. wenn wir den engsten Begriff, der beiden
gemeinsam ist, als den Gattungsbegriff annehmen. Die Erklärung dieser auf
den ersten Blick überraschenden Erscheinung, die etwas so ganz Particu-
läres unter die Zahl der höchsten Gattungen treten läßt, liefert die citirte
Stelle des fünften Buches der Metaphysik und zeigt uns zugleich, daß diese
Prädicationsweise von ihm wirklich mit zur Classe der Xlll''(JO'etq gerechnet
wurde. Wenn wirklich eine derartige, der Thätigkeit ähnliche evee7s1a von
dem einen ausgehend das andere affi.cirte, wenn die Waffen, die mich schüt-
zen, wirklich einen reellen, positiven Einfluß auf mich hätten, so wäre ohne

261 Categ. 4. p. 1, b, 27.


262 Ibid. p. 2, a, 3. !ixs1v <Je olov u1ro<JÜJeTa1, WTl/\10-Tal.
263 Simpl. ad categ. fol. 93, a, § 2. {Simpl. in Cat. [cp.9], CAG VIII 365.29-366.1}
erklärt ihn so: emXT'(JTOU Oül/ TIVO; /J,eTOUO-la xai TOÜ xsxwe10-µ,evou T'~; ovo-la;
xai /Jf(/ <JtaTl~Sl/TO; aVT'f}l/ xa~' aUTO /J,'f}<J' ovoµ,a(eo-~a, a<p' eaUTOÜ 1ro1oüvw; xai
TleQIXel/J,Sl/OU TO l'iJ16v eO-Tll/ TOÜ !ixs1v.
264 Categ. 9. p. 11, b, 11. <Jta TO TlQO((Jal/'Y) elvat ov<Jev unee avTWJ/ äMo /\S,YeTal 'rJ
Öo-a ev aexil eeee~'f), ÖTI TO !ixs1v µ,ev O-'f)µ,alvel TO UTlO/Je<Jeo-~a,, TO WTl/\lO-~a,
x. T. /\. {eeee~'f): Brentano mit Waitz (so dann auch Minio-Paluello), Bekker:
eeee~'f)}
265 Bonitz a. a. 0. S. 643.
FÜNFTES KAPITEL. 151

Zweifel für diesen eine neue Weise der Accidentalität und Prädication von
der ersten Substanz und folglich eine neue Kategorie anzuerkennen. Wenn
dagegen nichts als eine Relation zwischen beiden stattfindet, die man nur
leicht für eine Art wirklicher Thätigkeit hält, wie der Sprachgebrauch selbst
anzeigt, wenn also der thätige Einfluß nur eine Fiction, und der Unterschied
zwischen dieser und der eigentlichen Thätigkeit eben der einer Fiction von
der Wirklichkeit ist, so ist keine Kategorie zu constituiren, sondern das exa1v
seinem reellen Gehalte nach unter die Relationen, jener fingirten Vorstel-
lungsweise nach dagegen, als bloßes h'v wq a,A r/}eq, nicht direct, sondern nur
1

reductiv unter die Kategorien der eigentlichen Bewegung zu stellen, ähn-


lich wie auch fingirte Relationen auf die Kategorie neo; Tl reducirt werden,
u. dgl.
Wir haben keinen Zweifel daran, daß alles, was nicht ein wirkliches 1ro1e1v
und rra(J'xa1v ist, mit Unrecht eine Stelle in der Classe der xwrwa1q beanspru-
chen wird. Der reelle Gehalt wird bei näherer Prüfung stets auf den einer
Relation sich reduciren. Aristoteles selbst scheint, wie die bedeutendsten
neueren Forscher annehmen, sowohl das exa1v als das xe1(J''/:ta1, welches eine
ähnliche Stellung einnimmt und seinem reellen Gehalte nach zu dem -rrou
nur eine bestimmte Relation der Theile hinzufügt266 (weßhalb es als '/:te(J't<;
unter die Relationen gehört, und nur als xat(J''::tat mit dem Scheine einer
Xtll'f}(J't<; bekleidet eine eigene Kategorie bildet), 267 später aus der Zahl der
Kategorien gestrichen zu haben, wahrscheinlich in der von uns angegebe-
nen Weise sie subsumirend und reducirend. 268 Schon darin, daß der passi-
ven Kategorie des Bekleidetseins keine active entgegensteht, wie es doch bei
einer wirklichen, vom Kleide aus den Bekleideten beeinflussenden evee7a1a
der Fall sein müßte, 269 zeigt Aristoteles an, daß reell nur eine Relation, die

266 Als Erklärung für den reellen Gehalt des xe1u:J-a1 kann die der ersten Art der
<J1a:J'e<Tlq angesehen werden, Metaph. !:::., 19. p. 1022, b, 1: <J1a:J"e<Tlq AS'}'eTal TOÜ
exoVToq /J,S(d'f/ Taf;,q, ,;; xaTa T01TOV ... Die übrigen, deren er erwähnt, sind Species
der Qualität. Vergleiche auch H, 2. p. 1042, b, 14 u. 19. Die Aenderung in der
:J-eu1q findet statt bei einer Art localer Bewegung, wie ja die Relationen kein eige-
nes Entstehn und Vergehn haben (s. o).
267 Categ. 7. p. 6, b, 11. eTI <Je xa/ 'f) avaxA1u1q xat 'f) O"TO,O"lq xa, 'f) xa:J-e<Jea :J'e<Telq
Ttveq, 'f) <Je :J'eutq TWV rreoq Tl. TO <Je avaxe1u:J-a1 'Y} euTava, 'Y} xa:J-iju:J-at aLJT(J, µ,ev
oux eiu, :J'e<Telq, rraewvuµ,wq <Je arro TWV ei(d'(J/J,SVWV :J'e<TeWV AeryeTat. wozu ibid.
9. p. 11, b, 8. Vergl. Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 140. S. 215.
268 Vergl. Trendelenburg a. a. 0. S. 140. S. 142.
269 Dies war den Erklärern schon früh auffallend, wie Schol. 49, a, 10. zeigt: arroeoüu,
Toivuv oi µ,s1ovssiav auTwv xaT'f}ryoeoüvTeq ÖTt 11,a Ti /J,'YJ iiv<Jsxa ai xaT'f}ryoeia,,
152 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

dann freilich dem einen und andern Terminus nach keine andere Gattung
der Inexistenz besitzen kann, vorhanden sei. Daß er aber, wo es sich um Ver-
schiedenheiten der Bewegung in verschiedenen Kategorien handelt, sie nicht
mit erwähnt, 270 deutet darauf hin, daß sie selbst etwas damit Verwandtes zu
sein beanspruchen, 271 sowie ja auch einmal (Metaph. Z, 4. p. 1029, b, 25.)
für 1TO/elll, 1raa-xa111, Xeta-Ja1 und äxa,11 bloß Xlll'Y)<Tlc; steht, oder es sagen
auch diese Stellen, was an andern Orten, wie z. B. Anal. post. I, 22. (p. 83,
a, 21. und b, 15.), wo der Zweck der Aufzählung der Kategorien offenbar
die Vollständigkeit derselben fordert, noch deutlicher hervortritt, daß exa111
und xa1a-Ja1 keine eigentlichen besonderen Kategorien seien. Entscheidend
scheint die Stelle Metaph. !:::., 7. auf welche das erste Kapitel des Buches Z
als eine solche verweist, die eine vollständige Eintheilung der Kategorien
gebe, 272 und wo dennoch auch nur acht Kategorien aufgeführt werden. 273

1f(20(J'T/;;fsµ,evou TOU exs(J'::,,a,; Tl 't11irroTe '}'0,(2 TOU µ,ev rro1üv TO 7(0,(J'XSIV avTeTage,
TOU 'tle exs1v TO exe(J'::,,a, ouxfr1; xa1' /\Uel TOUTO ~ue1av6q, /\S'}'WV ÖTI urro TO
Xe/(J'::,,a, ava'}'eTal TO exe(J'::,,a,, exoµ,sv 'tle µ,1av XUT'l)'}'0(21UV TO Xel(J'::,,a,· TO '}'0,(2
exoµ,svov ev Tlp SXOVTI Xe/Tal. oTov exs1 Tl$' 'tlaxTU/\IOV '1} iµ,aTIOV '1} urro't11iµ,aTa·
TaUTa ev Tlp SXOVTI Xe/Tal. {Elias in Cat. [cp.4], CAG XVIII. l, 160.2-7 {s. Ein!.
AS LXXX, Übers. LXXXII}
270 Phys. I, 7. p. 190, a, 34.
271 Denn eine Bewegung der Bewegung kann es natürlich nicht geben. Vergl. Phys. V,
2. p. 225, b, 15.
272 Metaph. z, 1. p. 1028, a, 10. TO Öv /\S'}'eTal rroMaxwS', xa::,-6.rrse 't11s1.l\oµ,s::,,a rre6-
Te(20V ev TOIS' rrse/ TOU 1f0(J'UXWS' [ d. i. im fünften Buche der Metaphysik)' (J''l}/J,UI-
Vel '}'0,(2 TO µ,ev Tl e(J'TI xa/ To'tls Tl' TO 'tle ÖTI 1fOIOV '1/ 7(0(1'0)1 '1/ TWV aMWV BXU(J'TOV
TWV OVTW XUT'l)'}'0(20U/J,SVWV, TO(J'UUTUXWS' 'tle /\e'}'O/J,SVOU TOU OVTOS' cpavseov ÖTI
TOVTWV rrewTov b'v To Tl S(J'TIV, Örrse (J''l]µ,a1vs1 T'f/V ou(J'1av.
273 Metaph. f:::.., 7. p. 1017, a, 24. errs/ oilv TWV XUT'l)'}'0(20U/J,SVWV TO, µ,ev Tl e(J'TI
(J''l)/J,Ull/el, TO, 'tle 7(010)1, TO, 'tle 7(0(1'0)1, TO, 'tle 1f(20S' Tl, T(J, 'tle T(Ole/V '1/ 7(0,(J'XSIV, TO, /Je
rrou, TO, 'tle T(OTe, eX(Z.(J'Tq.) TOUTWV TO slva1 TaLJTO (J''l}/J,UIVel, Vergl. auch Phys. V,
1. p. 225, b, 5. So sagt denn auch Brandis, Griechisch-Röm. Philos. III, 1. S. 43.
„Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß Aristoteles die früher mit aufgezählten
Bestimmtheiten des Habens und Liegens später vielleicht habe fallen lassen u. s.
w." Und Trendelenburg, Geschichte der Kateg. S. 142. ,, ... Xel(J'::,,a, und exs1v ...
treten in anderen Stellen des Aristoteles sichtlich zurück ... , wie Anal. post. I, 22.
(p. 83, a, 21.), wo es im Zwecke lag, durch die Kategorien die verschiedenen Arten
des Prädicirens vollständig aufzuführen, und wo dennoch das Xet(J'::,,a, und exs1v
fehlt. Man könnte dort vermuthen, dass sie vielleicht nach einer andern Ansicht
in Kategorien, wie rro1üv und rra(J'xs1v, wenn diese als Activ und Passiv in weiterer
Bedeutung genommen werden, mitgesetzt seien. Wenn in der Metaphysik (Z, 4.
p. 1029, b, 24.) statt der verbalen Kategorien rro1siv, rra(J'xs1v, Xet(J'::,,a,, exs1v kurz-
weg XIV'l)(J'IS' vorkommt, so ist es doch schwer, Xel(J'::,,a, und exs1v in der Bewegung
FÜNFTES KAPITEL. 153

So viel von der Classe der Operationen oder XtV'Y)ITetc;, die uns demnach
auf zwei Gattungen, das 1ro1e1v und 1ra1Txe1v, beschränkt bleibt.
Wir kommen zur letzten Classe der absoluten Accidenzien, die, weil hier
das Prädicat von Außen entnommen wird, als am wenigsten ihrem Sub-
jecte inwohnend, überhaupt am wenigsten seiend genannt werden müssen,
zu den Umständen. Auch hier werden wir sofort einer Verschiedenheit der
Prädicate gewahr, die nur eine analoge Einheit der Prädicationsweise für
sie bestehen läßt. Zwei Maaße sind es, wodurch alle endlichen Dinge von
Außen her gemessen und bestimmt werden, der Ort und die Zeit, und zwar
von dem einen und andern in einer ganz verschiedenen Weise. 274 So werden
sich nothwendig zwei Weisen der Prädication, die eine für die zeitlichen, die
andere für die örtlichen Bestimmungen ergeben. Also mindestens zwei Kate-
gorien. Wir sagen mindestens; denn noch bleibt zu untersuchen 1) ob nicht
auch unter andern Bedingungen eine derartige Prädication von Außen her
eintritt, 2) ob diese Prädicationsweisen selbst keine weiteren Unterschiede
zeigen.
Was das Erste betrifft, so erscheint das Hinzutreten einer neuen Classe
von Umständen als nicht wohl denkbar. Denn einerseits sind die verschiede-
nen Möglichkeiten einer Bestimmung durch ein äußeres Maaß, in jenen bei-
den durch den Ort, und durch die Zeit erschöpft (die inneren Maaße eines
Dinges, wie Länge, Breite und Höhe, gehören als inhärirende nicht in diese
Classe); andererseits wird aber ohne die Bestimmung, die durch das Maaß
gegeben wird, eine reelle Prädication von bloß Aeußerlichem (das also doch
in irgend einer Weise das Subject bestimmen muß, um eine wirkliche Seins-
weise und Accidentalität für es zu haben) nicht mehr möglich sein. Wenn für
das, was bestimmt wird, etwas ganz Aeußeres auch nicht einmal ein Maaß
abgibt, so wird dieses eben gar nicht maaßgebend für es sein, jenes gar nicht
dadurch bestimmt werden.

wieder zu erkennen." Vergl. Bonitz a. a. 0. S. 643. Zeller, Philos. der Griechen II,
2. s. 191. s. 197 {31879 265f., 272}.
274 Vom Orte heißt es Phys. IV, 4. p. 212, a, 20. WO"TS TO TOU 1Te(21SXOllTO<, 1re12a,; axf-
ll'Y)TOJ/ 1T(2WTOJI, TOUT' eO"Tll/ oT01TO', ... 28. xai lha TOUTO lfoxeT S1Tl1TS<fov Tl elva1
xai 0/o)) a,y,yeTov () T01TO', xai 1TS(21SXOll. Von der Zeit Phys. IV, 12. p. 221, b, 16.
/J,STQ'(JO"SI lf' 0 XQOJ/0', TO Xll/OU/J,el/0)) xai TO 'Y]QS/J,OUJI, TJ TO µ,ev Xll/OU/J,SJ/0)) TO lfe
'Y]QS/J,OU))' T'Y}ll ,yaq Xlll'Y)O"ll/ aUTWll /J,STQ'(JO"SI xai T'Y}l/ 'Y}QS/J,tall, 1TOO"'Y) Tl',, WO"TS TO
Xll/OU/J,el/Ol/ oux anAw,; eO"Tal /J,STQ'Y)TOJ/ U1TO XQOJ/OV, ii 1TOO"Ol/ Tl SO"Tlll, aM' ii 'f/
Xlll'Y)O"I', auTOU 1TOO"'(J. ibid. 14. p. 223, b, 10. () lfe XQOJ/0', navmxofi O auTo,;.
154 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Die andere Frage war, ob die beiden angegebenen Prädicationsweisen


selbst nicht etwa einer weiteren Analogie zufolge mehr als zwei Kategorien
constituiren. Allein auch dies scheint unmöglich. Bei der Zeit leuchtet dies
ohnehin ein; denn jedes zeitlich Gemessene verhält sich zu dem ihm als
Maaß entsprechenden Zeittheile in der gleichen Weise, das Heutige nicht
anders als das Gestrige und das Vorigjährige. Anders verhält es sich frei-
lich mit dem Orte; es kann eine Substanz nicht bloß verschiedene örtliche
Bestimmungen erfahren, indem sie diesen oder jenen Ort einnimmt, son-
dern sie kann auch denselben Ort in verschiedener Weise, d. h. mit verschie-
dener Ordnung der Theile in diesem Orte, einnehmen. In der Zeit gibt es
wohl auch eine Ordnung der Theile, aber es ist dies nur eine Tag1q, keine
S-eo·1q, wie Aristoteles im sechsten Kapitel der Kategorien lehrt, 275 und diese
ist im Begriffe der Zeit selbst mit aufgenommen, 276 im Orte dagegen gibt es
eine Lage. Wenn ich nun sage, der Stab ist hier, und wenn ich sage, der Stab
steht senkrecht, so scheint jedes dieser Prädicate ein Umstand, eine Bestim-
mung von Außen her durch den Tonoq, allein die Prädicationsweise scheint
trotzdem verschieden. Zum zweitenmale erhebt das x1ii<J'S-a1 den Anspruch,
eine eigene Kategorie zu constituiren.
Was ist die Lage? Offenbar nichts Anderes, als die Ordnung dessen, was
Theile hat, in Bezug auf den Ort. 277 Wenn ich daher von etwas an einem
Orte Befindlichem außerdem auch weiß, daß es dort z. B. in aufrechter Stel-
lung ist, so weiß ich außer dem Orte des Dinges nur noch die Relation
seiner Theile zu einander in Betreff ihrer örtlichen Bestimmtheit; so daß
Aristoteles Recht hat, wenn er die S-e<J'tq als Species der Relation aufzählt
(Cat. 7. p. 6, b, 12.). 278 Sie hat darum auch kein selbstständiges Entstehen
und Vergehen; denn sobald von den Theilen jeder einen bestimmten Ort
eingenommen hat, 279 ist die Relation unter ihnen von selbst gegeben. Diese
Relation ist zunächst offenbar ein Accidenz der Theile; der obere ist vermöge

275 Categ. 6. p. 5, a, 26. outSe Ta TOU xeovou [µ,oe1a S-eo'/ll exet Ttva,]· v1roµ,evet ,yae
outSev TWV TOU xeovou µ,oeiwv· o' tSe /J,'Y} SO"TIV LJ'TTO/J,SVOV, 1rw,; äv TOUTO S-eutv T/V/l,
exo1; aM.a µ,aM.ov TCLSIV T/V/l, ain-01,; äv exa1v TqJ TO µ,ev 'TT(?OTe(?OV alvat TOU xeo-
vou TO tS' ÜuTaeov.
276 Phys. IV, 11. p. 220, a, 24. ÖTt µ,ev TOIVUV Oxeovo,; ae1S-µ,6,; SO"TI XIV'Y}O"eW,; xaTa
TO 'TT(?OTe(?OV xai ÜO"Te(?OV, xai O"UVeX'YJ<; (uuvaxofi,; ,ya,e), cpavaeov.
277 Metaph. 1::., 19. p. 1022, b, 1. s.o. S. 151. Anm. 266.
278 S. o. S. 151. Anm. 267.
279 Daß auch die Theile einen Ort haben, zeigt Phys. IV, 5. p. 212, b, 12. T/l, ,yae
/J,O{!ta ev T01Uµ 1rw,; 'TTCLVTa.
FÜNFTES KAPITEL. 155
der Lage über dem unteren, der hintere hinter dem vorderen u. dgl.2 80 Allein
die Accidenzien der Theile werden auch von dem Ganzen prädicirt, dem
die Theile angehören; das Haar ist blond, also ist der Mensch blond, d. i. an
den Haaren; die Hand ist verwundet, also ist der Mensch verwundet, d. h.
an der Hand; der Kopf ist hier, der Fuß dort, also ist der Mensch hier und
dort. So wird denn auch die Relation der Theile von dem Ganzen prädicirt
werden. Wenn ein Ei an verschiedenen Theilen verschiedene Farben zeigt,
so prädicire ich die Relation der Theile hinsichtlich ihrer Farben auch von
dem Ganzen und sage, das Ei ist bunt. Ebenso wenn bei einem Menschen
der Kopf zu den übrigen Theilen des Leibes örtlich in einer solchen Relation
steht, daß er das Untere ist, sie das Obere sind, so sage ich von dem gan-
zen Menschen, er stehe kopfüber, u. dgl. Sprachlich tritt nun die Relation
nicht mehr hervor, wie eben, wo das 0,l)WTe(!OlJ ein aJJWTe(!OlJ TOV xaTWTf.(!OU
und das xaTWTeQOV ein xaTWTeQOV TOV avwTeeou war; dem „kopfüber" kann
ich kein Ttvoq beifügen, das sonst das sprachliche Kennzeichen der Relation
wird. 281 Allein offenbar macht dies dem Sein nach keinen Unterschied. Das
Prädicat „bunt" gehört der Relation so gut an wie das Andersfarbige, welches
andersfarbig als das Andersfarbige ist, und die S-e<T1q wird für das Ganze kein
substanzhafteres Sein als jenes schwache Sein der Relation haben, in der die
Theile zu einander stehen, und die nun auf das Ganze übertragen wird. Die
Inexistenz in dem Ganzen ist ja offenbar hier keine andere, die neu zu der in
den Theilen hinzukäme, da vielmehr in Folge dieser und in Rücksicht auf die
Theile dasselbe Accidenz auch dem Ganzen beigelegt wird.
Auf diese Weise scheint nun aber allerdings das Ganze durch seine Theile
eine Bestimmung zu erfahren, die einem Leiden ähnlich sieht, und es ist
Gelegenheit da, eine Quasi-Action, eine Art positiven Einflusses, zwischen
den Theilen und dem Ganzen, dem die Theile seine Lage geben, zu fingiren.
So kömmt es denn, daß das Xet<TS-a, mehr als eine bloße S-e<T1q sein und in die
Classe der xlv'f}<Ttq hineingehören will, wie das lixs1v (s. o.). Allein die stren-
gere Fassung der Kategorien, die dem, was bloß im Verstande ist, nirgends
einen Platz in directer Linie einräumt, hat auch dies, wie wir oben sahen,
nicht zugelassen.
Wir erhalten demnach auch in der dritten Classe nur zwei Kategorien, 1)
das 1rou, worin der Ort von dem darin Befindlichen, 2) das 1roTe, worin die

280 So Metaph. H, 2. p. 1042, b, 19. Ta is S-euet [AS')'eTa.l T'Y)q ÜA'l)q] OfOJ) ouioq xai
l/'Tree:Jveov (Ta.ÜTa. ,yae T(/J Xetu;;ra,{ 1TWq i1a<pees1).
281 Categ. 7. p. 6, a, 36. s. u. § 15.
156 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Zeit von dem durch sie als Maaß Bestimmten prädicirt wird. Daß diese Fas-
sung der beiden Begriffe -rrov und 1r0Te die des Aristoteles wirklich sei, sollen
noch kurz einige Stellen aus dem vierten Buche der Physik bestättigen.
1) Für die Kategorie 1rov. Das 1rov hatte Aristoteles in den Kategorien
erklärt durch „ev o/yoe'ii,, ev Avxefq/'. Hiemit stimmt nun vollkommen,
was wir im fünften Kapitel des vierten Buches der Physik lesen. Dort wird
gezeigt, wie etwas an einem Orte sich befinden könne, und p. 212, a, 31.
wird gesagt: ,,qj µ,ev oöv rrwµ,aTI eO"TI Tl 8XTOS' rrwµ,a 7Te(J_ISXOV aUTO, TOUTO
8G'TIV ev T07Tq.>,2 82 qj 1Je /J,'Y}, oü." Und dieses in einem Orte sich befinden
wird als 7TOV sein erklärt (ibid. 6, 14.): ,,TO ,yae 7TOV aUTO T' 8G'TI Tl, xat 8TI
a,Mo Tl ()et elva1 1raea TOVTO ev (p o' 7Te(J_ISXel." So steht auch unmittelbar
vorher 7TOV als gleichbedeutend mit ev T07T(µ (ibid. 6, 8.): ,,oü 7TOV ... ou(]' ev
T1v1 T07rq.>." Vergl. ibid. 6. p. 213, b, 7. u. s. w. So auch Phys. III, 5. p. 206,
a, 2.: ,,TO ,Ye 7TOU ev T07Tq.>, xat TO ev T07T(µ 7TOV." Daß hiemit die Katego-
rie 1rov gemeint sei, ist also nicht zu bezweifeln und wird auch noch durch
Top. VI, 6. P· 144, 6, 31. bestättigt: ,,oeav 1Je xat et TO ev T 1)) 1 1J1a<poeav
(J,7TO()S()WXeV ourrfaq· ou ()OXel ,yae 1J1a<pS(J_elV ourrfa ourrfa; T4) 7TOU elva1."
Eine besondere Bestättigung endlich ist Phys. VIII, 7. p. 261, a, 20. ,,'r)XIG'Ta
T/ijq ourrfa; esfrrTaTal TO XIVOV/J,eVOV TWV XIV'Y)G'eWV ev T4) <pS(J_eG';;Ja,· XaTa
/J,OV'Y)V ,yae ou1Jev µ,naßaAAel TOU elva,, WG'7Te(J_ aAA01ovµ,evov µ,ev TO
7TOIOV, avsavoµ,evov 1Je xat q:;;;JfvoVTOS' TO 7TOG'OV." Die Bewegungen werden
nämlich, wie wir oben sahen, nach den drei Kategorien, in denen sie vor-
kommen, eingetheilt, und die q:;oea ist die Bewegung in der Kategorie des
1rov; also ist diese Kategorie etwas, dessen Aenderungen die Substanz inner-
lich nicht variiren, also ist das 1rov der Kategorien ein äußerliches Prädicat
und jenes ev T07T(µ, als welches wir es faßten.
2) Für die Kategorie 1r0Te. Wie das 1rov dem ev To1rcp, so entspricht das
7TOTS dem ev xeovcp,2 83 das Aristoteles in demselben Buche* Kap. 12. erör-
tert. Pag. 221, a, 7. bestimmt er das ev xeovcp elva1 also: ,,1J/ijAov (]' ÖTI xat
TOIS' äJJ.01; TOUT' 8G'Tl TO ev xeovq.> elva,, TO /J,eT(J_etG';;Ja1 avTWV TO elva,
U7TO TOV xeovov." So entspricht das ev xeovq.> für die Zeit ganz dem, was wir
als ev T07T(µ oder 7TOV für den Ort kennen gelernt haben (ibid. a, 17.): ,,Ta
1Je 1rea7µ,am WS' ev ae1;:Jµ,cµ T4) xeovcp 8G'TIV. el ()S TOVTO, 7Te(J_ISXeTal u1r'
ae1;:Jµ,ofJ WG'7Te(J_ xai TU ev T07T(µ U7TO T07TOV X. T. A." und ebendaselbst a,

282 Die Definition des T01l'oq s.o. S. 153. Anm. 274.


283 Die Definition des xeovoq s. S. 154. Anm. 276.

* Phys. IV.
FÜNFTES KAPITEL. 157

28.: ,,ava,yw(J 1T(J,VTa Ta ev xeov<p OVTa 1ree1exw.S-a1 LJ1TO xeovou, W0'1T8(2 xa,1
TaP). . a, OO'a ev TIVI SO'TIV, oTov Ta ev T01Tq) LJ1TO TOU T01TOU." Hiemit
stimmen nun vollständig die Beispiele Categ. 4. p. 2, a, 2.: ,,1TOTe rJe oTov
ex.Se;' 1TS(2UO'IV." Freilich könnte, weil beide der Vergangenheit entnommen
sind, einer glauben, es sei die Kategorie rroTe jenes in seinem Umfange auf
Vergangenes und Zukünftiges beschränkte, das Phys. IV. 13. p. 222, a, 24.
bestimmt wird: ,,TO rJe 1TOTe xeovoq WQIO'/J,SVOq 1T(20q TO 1T(20T8(20V vuv, oTov
1TOTe e°A'YJ(().s-'(J Teo[a, Xat 1TOT8 80'Tal xaTaXAUO'/J,Oq' rJe7 ,yae 1rerreeav.S-a1
1T(20q TO vuv. 80'Tal äea 1TOO'Oq Tlq (1,7T() TourJe xeovoq xa,1 elq exe7vo." Allein,
wie Trendelenburg richtig bemerkt, 284 schließt die Kategorie des rroTe auch
die Gegenwart ein. Sowohl das zweite vuv, als das 1TOTe, als das ,?jrJ'(J, (1,(!TI und
1raJ..a1, die dort bestimmt werden, gehören unter das ev xeov<p, und dieses ist
das als ev T1v1, wie Aristoteles die Prädicate nennt, die wir mit dem Namen
der Umstände bezeichneten, dem rrou analoge rroTe der Kategorien. Jenes
enthält jede Antwort auf die Frage rrou; dieses jede auf die Frage rroTe; die an
das TorJe Tl gerichtet wird. ,,1TOTe ßa,rJ[i;e1q; - ,?jrJ'f/." ,,non 0J...S-eq; - äeT1."
(ibid. 13. p. 222, b, 8. 13.) 285
So wären wir denn durch die Bestimmung der verschiedenen Prädica-
tionsweisen zu einer bestimmten Zahl von höchsten Gattungen gelangt,
welche in dem Öv eine analoge Einheit gefunden hatten. Stellen wir den
ganzen Gang der Deduction, da ihn die eingestreuten Einzeluntersuchungen
nicht leicht überschauen lassen, zum Schlusse kurz zusammen.
Das öv, welches mit Ausschluß des b'v xaTa O'uµ,ßeß'fJxoq und des öv wq
aA'(J.S-eq, das nur im Verstande existirt, sowie jedes der Wirklichkeit und Voll-
endung entbehrenden Seienden, wie des Öv rJuvaµ,e1, als Öv im eigentlichen
Sinne alle Arten und Gattungen der Dinge umfaßte, zerfiel zunächst in Sub-
stanz und Accidenz. Der Begriff der Substanz erwies sich als synonym für
die niederen Genera, er bildete die erste Kategorie. Das Accidenz dagegen
erschien selbst wieder als analoger Begriff, der nach dem Unterschiede der
absolut oder in Rücksicht auf ein Anderes dem Subjecte zukommenden Prä-
dicate in absolute Accidenzien und Relationen eingetheilt wurde. Die Relation
oder das neo; Tl, als das am losesten an die Substanz geknüpfte und folglich
am wenigsten Seiende, bildete die letzte Kategorie. Aber auch das absolute

284 Trendelenburg, Gesch. der Kateg. S. 142 f.


285 Zuweilen wird bei Aufzählung der Kategorien statt der Namen 1rou und noTe Tonos-
und xeovos- gesetzt, wie z. B. Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, a, 26. und Metaph. K, 12.
p. 1068, a, 8.
158 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Accidenz ließ noch große Unterschiede in dem Verhältnisse zur ersten Sub-
stanz und in der Weise der Prädication von ihr erkennen, denen zufolge es
zunächst in drei Classen geschieden werden mußte. Die erste umfaßte jene
accidentellen Prädicate des 1T(2WTw; Öv, die ihm als eigentlich in ihm exi-
stirende beigelegt wurden, deren alvat also ein eigentliches evawat war, die
inhärierenden Accidenzien, die in gleicher Zahl wie die inneren Principien
der Substanz, je nachdem sie ihr von Seite der Materie oder Form zukamen,
in der Quantität oder dem 1rou6v und in der Qualität oder dem 1ro16v zwei
Kategorien bildeten. Die zweite Classe enthielt die Prädicate, die theilweise
von Innen theilweise von Außen genommen, mehr 1reo; TO u1roxafµ,avov als
ev Tip u1roxa1µ,ev<.p, im Allgemeinen als Operationen, XtV'f)Uet;, bezeichnet
wurden. Auch sie enthielt zwei Kategorien, das 1ro1a1v, wo das, woher das
Prädicat genommen wurde, dem Principe, und das 1rauxa1v, wo es dem
Terminus nach in dem Subjecte sich fand. Endlich theilte sich auch die
dritte Classe absoluter Accidenzien, wo das Prädicat von einem außerhalb
des Subjects Befindlichen entlehnt wurde, in das 1rov und das 1r0Te, und
hiemit schien die Zahl der möglichen Prädicationsweisen, wenn sie anders
nur reelle Begriffe aufnehmen sollte, erschöpft.
,,
Oll

oudta

, \ ,,
8llLJ1TaQ,XOVTa Xlll'YJO"lq Ta ell Tllll

,
1TOO"Oll
/\ ,
1TO/Oll 1ro1äv
/\1raux.s1v /\
,
1TOLJ
,
1TOTe

Wir sind also wirklich zu jenen acht Kategorien gelangt, von denen es scheint,
daß Aristoteles sie allein festgehalten habe, und von dem exa1v und xa7u;3-a,
haben wir gesehen, wie auf dem eingeschlagenen Wege der Eintheilung auch
zu ihnen ein verlockender Seitenweg sich darbot. Wir haben bei der Schei-
dung der einzelnen Classen immer nur nach den Principien des Aristote-
les selbst die verschiedenen Verhältnisse zur ersten Substanz zu bestimmen
FÜNFTES KAPITEL. 159

gesucht, bei der Scheidung der inneren nach den inneren Principien der Sub-
stanz, der ÜA'f/ und µ,oecprrJ, bei der Scheidung der vermittelnden nach dem
Verhältnisse des evee,yeiq, und 'auvaµ,et öv, wie es bei der Bewegung nach sei-
ner Lehre stattfindet, endlich bei der Constituirung der äußeren Kategorien
nach den über Ort und Zeit, über T01To; und ev T01T<p, xeovo; und ev xeovq.>,
im vierten Buche der Physik dargelegten Ansichten. Warum sollten wir nicht
glauben, daß Aristoteles diesen Weg der rrf <TTt; 'a,a <TUMO,Yt<Tµ,oü verfolgend,
auf diese Weise jenes große Vertrauen auf die Gültigkeit und Vollständigkeit
seiner Kategorien erlangt habe, das eine bloße Induction, selbst unter gün-
stigeren Bedingungen ihm nicht gewähren konnte, wie bei der Eintheilung
der Qualität, die bei ihrem geringeren Umfange und der kleineren Zahl und
größeren Konformität ihrer nunmehr synonymen Eintheilungsglieder ihm
doch nicht als ausgemacht erschöpfend erscheinen wollte. 286 So weit sie aus
Inductionen entspringen konnte, war hier die Gewißheit offenbar größer.
Was aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen Deduction vollendet, ist,
daß wir, wenn wir die verschiedenen Stellen seiner Schriften, wo er, offen-
bar eine besondere Verwandtschaft einzelner Kategorien annehmend, sie
im Gegensatze zu den übrigen mit einem gemeinsamen Namen bezeichnet,
oder ihnen etwas Gemeinsames in ihrer Prädicationsweise von der ersten
Substanz zuspricht, - alle zusammentragen und in gehöriger Weise einan-
der unterordnen, den fehlenden Stammbaum der Kategorien schier ohne
Lücke herzustellen vermögen. Schon Prantl hat dies bemerkt und nicht mit
Unrecht ein großes Gewicht darauf gelegt, nur können wir es nicht billigen,
daß er von einer Reduction der Kategorien auf Kategorien spricht. 287 Bran-
dis sagt ganz richtig, daß dies die ganze Bedeutung der Kategorien aufheben
würde; 288 denn dies ist es, wodurch dann Prantl auch dazu geführt wird, wie
höhere, so niedere Kategorien als jene zehn oder acht zu statuiren, wodurch
man dann natürlich nicht mehr weiß, was diese noch besonders Auszeich-
nendes haben sollen. Weder auf einander noch auf ein höheres Genus (s. o.
S. 86, Anm. 55.), aber auf analoge Einheiten und schließlich auf das Öv selbst
als den höchsten analogen Allgemeinbegriff, der µ,aAt<TTa xa':J-6)..ou Ae,yewt
(s. o.), wird ein der eigentlichen Analyse nur proportionales Verfahren die

286 Categ. 8. p. 10, a, 25. i'O"wq µ,ev oöv xa/ äMoq äv Tlq cpavet'f} T(l01TOq 1TOIOT'f}TOq,
aM' oi' '}'e µ,aAIO"Ta O"XE(>Q)) TOO"OUTOI eiO"tV. {TOO"OUTOI a26: Brentano
Ae'}'O/J,El/01
mit Waitz (so dann auch Minio-Paluello), Bekker: oihof}
287 Prantl, Gesch. der Log. I, S. 206. S. 190 u. s. w.
288 Brandis, Griechisch-Röm. Philos. III, 1. S. 43.
160 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Kategorien zurückführen können. Sie selbst sind die höchsten synonymen


Allgemeinbegriffe.
Die wesentlichsten Stellen aus Aristoteles, die hieher gehören, mögen fol-
gende sein:

]
Mecaph. N, 2.
TO xaw, Taq 1ITWIT8S" Öv p. 1089, a,
[
26. 289)

]
oUufa Anal. post. I, 4.
tTuµ,ßeß'fJXOS" p. 73, 6, 5. u.
[
~
a. a. 0.
1
oUr.rfa rra;hJ 7rf!OS° Tl
Mecaph. N, 2.
[ p. 1089, 6, 23. ]
i, T~~ -----:,,o; I T , ~ ~ ' " [ Mecaph. 0, 6.
p. 1048, 6, 7. ]
A I TaevT1v1 [ Phys. IV, 12.
p. 221, a, 29. ]
, ,

OLJITla 7rOIOV
, '

7rOITOV
f

XIV'f}ITIS" rrou
~ ,

7rOT8
Mecaph. Z, 4.
]
l
[ p. 1029, 6, 23.
1
Metaph. !:,., 20. ]
[ p. 1022, 6, 7.

wtT\\
1 1 1 1 1
Anal. post. !,
outTia 1ro16v 1rOU"6V rro'U rro-rk 7rf!OS° Tl 22. p. 83, 6, 16.
Phys. V, 1.

tl 1
oUufa 1ro16v 1roff6v
1
7r0181V 7r0,IT%81V
1 1 1
[ p. 225, 6, 5.
und a. a. 0.
Caceg. 4. p. l, ]
8%8111 X8t1TS-a1 rro'U TroTk 7rf!OS° Tl 6, 25. Top. !, 9.
[ p. 103, 6, 21.

289 Nicht nach specifischen Differenzen, sondern nach verschiedenen Seinsweisen


(d. i. wie wir oben sahen, nach verschiedenen Weisen des Verhaltens zur outTia als
gemeinsamem Terminus) scheidet sich das Öv in die Kategorien. Bonitz a. a. 0.
S. 614. bemerkt zu dem Ausdrucke 1ITW1T1q: ,,daß rrTWITIS" bei Aristoteles ungefähr
diejenige Bedeutung hat, in welcher wir von Modification sprechen, um beim
Gleichbleiben des Wesentlichen Aenderungen in den Nebensachen und Speciali-
täten dadurch anzudeuten," Dies stimmt vollkommen mit unserem Principe der
Kategorieneintheilung, wonach diese höchsten Seinsbegriffe dem Terminus nach
identisch, nach dem Modus, in dem sie sich zu ihm verhalten, aber verschieden
waren. Von dem Ausdruck Ta ITX'l}/J,aTa Tijq xaT'f/'YO(!taq haben wir schon oben
gesprochen.
FÜNFTES KAPITEL. 161

Man sieht aus dieser Tabelle, welche die meisten der oben zerstreut in
Anwendung gekommenen Stellen vereinigt, wie sämmtliche von uns unter-
schiedene Kategoriengruppen, sowie auch die zu ihrer Scheidung angewand-
ten Mittel, die verschiedenen Modi der Existenz in der ersten Substanz, bei
Aristoteles selbst gefunden werden. Und in der That, wer den Standpunkt
des Aristoteles vollkommen theilen und seine Anschauungsweise sowohl in
Bezug auf die analoge Einheit des Öv, als in Bezug auf die inneren Principien
der Substanz und die Weise ihrer Wirksamkeit nach Außen, als endlich in
Bezug auf die örtlichen und zeitlichen Bestimmungen gänzlich zu seiner
eigenen machen würde, für den möchte schwerlich ein erhebliches Beden-
ken gegen die Gültigkeit und Vollständigkeit der in solcher Weise begrün-
deten Kategorientafel entstehen können. Ich wenigstens möchte wohl, wenn
man mir es erlauben würde, mich auf jene als sichere Grundlage zu stützen,
die ganze Kategorienlehre als richtige Consequenz zu vertheidigen wagen
und werde sie auch gegenüber den von Trendelenburg und Andern erhobe-
nen Anklagen im Verlaufe dieser Abhandlung zu rechtfertigen suchen. Frei-
lich werde ich dann lieber der Achttheilung als jener in den Kategorien und
in der Topik aufgestellten Zehntheilung folgen.
Wir sagen:

§ 14. XIII. Diese 'ITl(TTlq '111a a-uM071a-µ,ou ist in älterer und neuerer Zeit
von verschiedenen Erklärern des Aristoteles in ähnlicher Weise
entwickelt worden.
Wenn in dieser Weise in Aristoteles selbst die zerstreuten Glieder einer nta-Ttq
'111a a-uM071a-µ,ou für die Eintheilung des Öv in die höchsten Gattungen
gefunden werden, so würde es auffallend sein, wenn von seinen Erklärern
keiner dieselben bemerkt, oder wenn bemerkt, zu sammeln versucht hätte.
In der That sind die Versuche, die mangelnde Deduction für die Katego-
rien zu finden, in vielfältiger Weise gemacht worden. Allein häufig geschah
dies in einer Art, die, weit entfernt, die von Aristoteles gegebenen Winke
und Principien zu benützen, sich mit ihnen vielmehr in den größten Wider-
spruch setzte. So z.B. von Ammonius, der (Schol. p. 77, a, 12.) eine Reduc-
tion der Kategorien, von denen die einen einfach, die andern aus der Ver-
bindung der einfachen entstanden seien, in folgender Weise versucht: Twv
X(J,T'Y)?'0(21WJJ (J,/ µ,e.v l;l(TIJJ anAat, (J,I '1Je X(J,T(L a-uv'11uaa-µ,ov xa,1 a-uµ,nAOX'Y}JJ
TWJJ U'ITAWJJ TO efJJ(J,I !Ixoua-1. X(J,1 anAa,7 µ,e.v ela-1v (J,I et(l'Y)/J,E.JJ(J,I Te,(T(T(J,(leq'
,rj Te oua-[a, X(J,I TO 'ITO(TQ)J xa,1 TO 'ITOIOJJ xd Ta neoq Tl· X(J,T(L a-uµ,nAOX'Y)JJ '1Je
T'Y)q oua-[a,q neoq µ,[a,v TOUTWJJ '17 neoq 8(1,UT'Y)JJ (J,/ AOl'IT(J,/ e'g 71JJOJJT(J,I, oTov
162 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

Jg ou1Tfa,; xat no1Tou TO nou xat noTe, Jg ou1Tfa,; xa1 nowu TO no1a1v xa,
na1Txa1v, Jg OUITtar; xai TWV neo,; T/ TO exa1v xai TO Xet/T;;ra1.* Die ersteren
vier werden von ihm (ibid. a, 19.) ai xuefw,; xaT'Y},yoe1a1 genannt**, und in
der That möchte man glauben, sie würden so nicht nur die vorzüglichsten, ja
einzigen Kategorien unter den zehn, sondern auch die einzigen eigentlichen
ÖvTa unter ihnen sein, während die andern ohne eigentliche Einheit und
folglich ohne eigentliches Sein etwa den Namen eines Öv xaTa 1Tuµ,ßaß'Y}xo,;
verdienen möchten. Trotzdem steht Ammonius nicht allein. David gibt in
folgender Weise Rechenschaft von der Vollständigkeit der Kategorientafel
(Schol. P· 48, b, 28.): TOU ()e Ae11TTOT8/\0U,; t/;11\'f)V anae1;:rµ,'Y]ITIV nOl'Y}ITaµ,e-
vou TWV XUT'YJ'YOe1wv, ÖT/ (Jexa, xa, T'f)V alT1av µ,'f) neo1T;;revTo,; (}/(1, Tl (Jexa,
(()eea 'Y)µ,et,; xa, T'f)V alTfav neolT;;rwµ,av (}/(1, Tl (Jexa. (Jafxvuµ,av (Je TOUTO ex
(}/a1ee1Taw,; TO/UVT'f/':• TO Öv ,;; SV tmoxa1µ,evep ,;; oux SV 1moxa1µ,evcp·
xa, al µ,ev µ,'f) SV tJ7TOXelµ,evep, no1a1 T'f)V OUITIUV, al (Je SV tmoxa1µ,evep,,;;
xa;;r' eaUTO ,;; ou xa;;r' eaUTO. xat al µ,ev xa;;r' SUUTO,,;; µ,ael/TTOV ,;;
aµ,ee11TTOV. xa, al µ,ev µ,ae11TTOV, no/et TO no/TOV, al ()e aµ,ee11TTOV, no1a1
TO no1ov. xäv ,yae (Joxi) TO no1ov µ,ae11TTOV alva,, ()/(1, T'f)V ÜA'Y}V 8/TTI
µ,ae/lTTOV. al (Je ou xa;;r' SUUTO, rrj ITX81TI,; 8/TTI µ,OV'Y} xat nolel Ta neo,; T/,
(Bis hieher wäre wenig gegen die Ableitung zu sagen, allein nun fährt auch
er fort:),;; xaTa ITX81T/V ä,Uwv voaha, xat no1a1 Ta,; /\Ol1Ta,; e'g XUT'YJ'YOe1a,;.
Te/TIT(l,ewv ,yae OUITWV an/\WV XUT'YJ'YOe1wv, OU/Tla,; nOITOU no1ou neo,; T/, ex
T7),; ITUµ,nAoxij,; TOVTWV ai /\0/1Tat ano,yaVVWVTa/, Jg OU/Tla,; xa, no/TOU TO
nou xai noTe*** u. s. f., wie oben Ammonius. Freilich will er dann doch
keine eigentliche ITVV;;ra/TI,;, sondern nur eine eµ,(()a1T1,; 1Tuv;;re1Taw,; angenom-
men haben. (ibid. 44.)
Doch nicht alle Versuche, den Grund der Vollständigkeit der Kategori-
entafel zu finden, sind mit einer solchen Mißkennung des Aristotelischen
Grundgedankens unternommen worden, bei einigen ist sogar das bei der
Eintheilung leitende Princip zum klaren Bewußtsein gekommen. So fin-
det sich in der im Mittelalter fälschlich dem hl. Augustinus zugeschriebe-

* Philop. in Cat. [cp.9], CAG XIII.l 163.4-8. (Übers. Eint.AS LXXXIII). Die fol-
gende Stelle (,,ibid. a, 19"): ebda 163.8.
** S. Einl.AS XC f.
*** Elias in Cat. [cp.4], CAG XVIII.l 159.6-18. (Übers. Eint.AS LXXXIV). Die fol-
gende Stelle (,,ibid. 44"): ebda 159.22.
FÜNFTES KAPITEL. 163

nen Schrift, Categoriae decem ex Aristotele decerptae290 (cap. 8), eine Art
Ableitung oder doch Classification der Kategorien, die, so wenig sie auch
befriedigt, doch dadurch sich auszeichnet, daß sie die verschiedenen Ver-
hältnisse zur Substanz zum Principe macht: ,,Hae sunt categoriae decem,
quarum prima usia est - scilicet quae novem ceteras sustinet - reliquae vero
novem (]'Uµ,ßeß'i'JXOTa (id est accidentia) sunt. Ex quibus novem sunt alia in
ipsa usia, alia extra usian, alia et intra et extra. Qualitas, quantitas et iacere
in ipsa usia sunt (mox enim ut usian vel hominem vel equum dixerimus,
advertamus necesse est bipedalem, tripedalem, aut album aut nigrum, aut
stantem aut iacentem; haec in ipsa sunt, et sine hac esse non possunt). Alia
sunt extra usian: ubi, quando, habere (et locus enim ad usian non pertinet,
et tempus et vestiri vel armari ab usia separata sunt). Alia sunt communia,
id est et intra et extra usian: ad aliquid et facere et pati; ad aliquid, ut maius
et minus (utraque enim dici non possunt nisi coniuncto altern quo maius
sit vel minus; propterea ergo unum in se habent, aliud extra se). ltem facere
et extra est et intra ut caedere quisque dici non potest nisi alterum caedat,
vel legere nisi ipse legens aliud sit, aliud quod legit (ita ergo et in usia est et
extra). Pati similiter; caedi enim vel uri nullus potest nisi ab altern patiatur;
propterea hoc quoque et in usia est et extra usian." Das Ansehen des hl.
Augustinus verschaffte, wie der Schrift überhaupt, so auch dieser Deduction
große Geltung. So finden wir sie z. B. von Isidorus Hispalensis adoptirt, in
seinen Originum sive Etymologiarum libri XX, obgleich diesem das e:x;s1v
eine andere und allgemeinere Bedeutung hat: ,,De subjecto igitur genera et
species, in subjecto accidentia sunt. Ex his novem accidentibus tria intra
usiam sunt, quantitas, qualitas et situs. Haec enim sine usia esse non pos-
sunt. Extra usiam vero sunt locus, tempus et habitus. Intra et extra usiam
sunt relatio, facere et pati." (lib. II, cap. 26, 13.)
Mit vollkommener Klarheit aber das Princip, das bei der Eintheilung
des Öv in die Kategorien zu leiten hat, sowohl bestimmend, als anwen-
dend, sehen wir den großen Aristoteliker des dreizehnten Jahrhunderts,
der dem Aristoteles in der Schule sein unantastbares Ansehen gründete, so
daß Picus von Mirandola sagen konnte: ,,Sine Thoma mutus esset Aristote-
les", eine Begründung und Ableitung der Kategorien unternehmen. In sei-
nen Commentaria in XII libros Metaphysicorum Aristotelis, lib. V, lect. 9,

290 Cf. Edit. Venet. 1768, Tom. XVI, p. 54. Der Verfasser nennt sich einen Schü-
ler des Themistius (cap. 22.). {Anonymi paraphrasis Themistiana (Pseudo-Augustini
Categoriae decem), in: Aristoteles Latinus 1.1-5. Ed. L. Minio-Paluello, Bruges;
Paris: Desclee de Brouwer 1961. Das folgende Zitat: 144.28-145.6}
164 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH AruSTOTELES

p. 3. * äußert er sich darüber in folgender Weise: ,,Sciendum est enim quod


ens non potest hoc modo contrahi ad aliquid determinatum, sieut genus
contrahitur ad species per differentias. Nam differentia, cum non participet
genus, est extra essentiam generis. Nihil autem posset esse extra essentiam
entis, quod per additionem ad ens aliquam speciem entis constituat: nam
quod est extra ens, nihil est, et differentia esse non potest. Unde in tertio
huius probavit Philosophus, quod ens genus esse non potest. Unde oportet,
quod ens contrahatur ad diversa genera secundum diversum modum praedi-
candi, qui consequitur diversum modum essendi; quia ,quoties ens dieitur',
idest quot modis aliquid praedieatur, ,toties esse significatur', idest tot modis
significatur aliquid esse. Et propter hoc ea in quae dividitur ens primo, di-
cuntur esse praedicamenta, quia distinguuntur secundum diversum modum prae-
dicandi. Quia igitur eorum quae praedicantur, quaedam significant quid,
idest substantiam, quaedam quale, quaedam quantum, et sie de aliis; opor-
tet quod unieuique modo praedieandi, esse significet idem; ut cum dicitur
homo est animal, esse significat substantiam. Cum autem dieitur, homo est
albus, significat qualitatem, et sie de aliis. Sciendum enim est quod praediea-
tum ad subiectum tripliciter se potest habere. Uno modo cum est id quod est
subiectum, ut cum dieo, Socrates est animal. Nam Socrates est id quod est
animal. Et hoc praedieatum dicitur significare substantiam primam, quae est
substantia particularis, de qua omnia praedicantur. Secundo modo ut praedi-
catum sumatur secundum quod inest subiecto: quod quidem praedieatum
vel inest ei per se et absolute, ut consequens materiam, et sie est quantitas:
vel ut consequens formam, et sie est qualitas: vel inest ei non absolute, sed in
respectu ad aliud, et sie est ad aliquid. Tertio modo ut praedieatum sumatur
ab eo quod est extra subiectum: et hoc dupliciter. Uno modo ut sit omnino
extra subiectum: quod quidem si non sit mensura subiecti, praedieatur per
modum habitus, ut cum dicitur, Socrates est calceatus vel vestitus. Si autem
sit mensura eius, cum mensura extrinseca sit vel tempus vel locus, sumitur
praedicamentum vel ex parte temporis, et sie erit quando: vel ex loco, et sie
erit ubi, non considerato ordine partium in loco, quo considerato erit situs.
Alio modo ut id a quo sumitur praedieamentum, secundum aliquid sit in
subiecto, de quo praedieatur. Et si quidem secundum principium, sie prae-
dieatur ut agere. Nam actionis principum in subiecto est. Si vero secundum
terminum, sie praedicabitur ut in pati. Nam passio in subiectum patiens
terminatur.... Unde patet quod quot modis praedieatio fit, tot modis ens

* Th. in Met. V, lect. 9, 889-893 (s. Einl.AS Anm. 12).


FÜNFTES KAPITEL. 165

dicitur." - Fürwahr dieser Commentar bedarf keines Commentars mehr,


denn mit bewundernswerther Klarheit und Präcision sind die Erklärungen
gegeben. Man vergleiche damit noch, was derselbe Commentator in seinen
Commentaren zu denAuscultationes Physicae lib. III, lect. 5, p. 9 bemerkt.*
An beiden Stellen stimmt er im Wesentlichen mit allen oben gegebenen
Erörterungen überein.
In der neueren Zeit hat insbesondere Prantl von einer Reduction der
Kategorien gesprochen und auf jene Namen von Seinsclassen, die wir bei
Aristoteles finden, hingewiesen, wie sie gleichsam als vermittelnde Stufen
noch über die acht oder zehn Geschlechter des Seienden hinaus und bis zu
dem Alles umfassenden Öv emporführen. Nur dadurch, daß er zu wenig die
eigenthümliche, analoge, nicht synonyme Einheit des Öv und jener höhe-
ren Prädicate berücksichtigte, mußte ihm die Reconstruction der Ableitung
der Aristotelischen Kategorien unmöglich werden. Trendelenburg, da er
sämmtliche Kategorien unter den Gesichtspunct der Prädicate der ersten
Substanz stellte, war, wir möchten sagen, nur noch einen Schritt davon ent-
fernt, das eigentliche Princip der Kategorieneintheilung aufzufinden. Eine
Ableitung der Kategorien hat aber namentlich Zeller in der zweiten Auflage
seiner Philosophie der Griechen gegeben, die mit der unsrigen, einige unbe-
deutende Differenzen abgerechnet, vollkommen übereinstimmt, obgleich er
das Princip selbst, das Aristoteles geleitet, nicht ganz bestimmt angibt, ja
sogar an dem Vorhandensein eines festen Princips zweifeln will. 291 Es „wird
hier zunächst", sagt er S. 196 f.**, ,,das Ursprüngliche an jedem Ding, sein
unveränderliches Wesen oder seine Substanz, von allem Abgeleiteten unter-
schieden. Innerhalb des letzteren sondern sich dann wieder die Eigenschaf-
ten, die Thätigkeiten und die äusseren Umstände. Die Eigenschaften sind
theils solche, welche den Dingen an sich zukommen, und sie drücken in die-
sem Fall bald eine quantitative bald eine qualitative Bestimmtheit aus, d. h.
sie beziehen sich entweder auf das Substrat, oder auf die Form; theils solche,
welche den Dingen nur im Verhältniss zu Anderem zukommen, ein Rela-
tives.292 In Betreff der Thätigkeiten ist der eingreifendste Gegensatz der des

291 Zeller, Phil. d. Griech. II, 2. S. 190 f. {31879 263 ff.}


292 Wir haben oben zuerst die Scheidung in absolute und relative Accidenzien und
dann erst die der absoluten in Eigenschaften u. s. w. vorgenommen, so daß also
bei uns die Relationen nicht zu den Eigenschaften oder eigentlich inhärirenden

* S. Einl.AS LXXX.
** S. Einl.AS XC. S. 196 f. = 3 1879 272.
166 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Thuns und Leidens, wogegen die Kategorien des Habens und der Lage, wie
bemerkt, nur eine unsichere Stellung haben, und von Aristoteles selbst spä-
ter stillschweigend aufgegeben werden. Bei den äusseren Umständen endlich
handelt es sich theils um die räumlichen, theils um die zeitlichen Verhält-
nisse, um das Wo und das Wann."
So rechtfertigt uns also die Uebereinstimmung älterer und neuerer Erklä-
rer gegen den Verdacht, wir möchten etwa unserem Principe zu lieb die
Unterschiede der Kategorien nach fremdem Maaßstabe gemessen und sie
durch selbstgegrabene Canäle geleitet haben, statt sie in ihrem natürlichen
und ursprünglichen Bette aus der gemeinschaftlichen Quelle des Öv fließen
zu lassen.
Wir sagen:

§ 15. XIV. Zwischen den Kategorien des Aristoteles und den


grammatischen Unterschieden des nomen substantivum und
adjectivum, verbum und adverbium findet eine Harmonie statt.
Da Trendelenburg seine berühmt gewordene Hypothese von dem gram-
matischen Ursprunge der Aristotelischen Kategorien aufstellte, galt es ihm
zunächst, etwas zu finden, was bei der Bestimmung der obersten Geschlech-
ter dem Aristoteles als Leitfaden habe dienen können, es galt ihm, den Vor-
wurf Kants und Hegels zurückzuweisen, Aristoteles habe aufs Gerathewohl
zugreifend eine runde Zahl allgemeiner Begriffe zusammengerafft. Diesen
Vorwurf haben wir hoffentlich in anderer Weise beseitigt, und in der That
würde ein Verfal1ren, das bei dem Mangel eines ontologischen Princips
die bloße Uebereinstimmung mit grammatischen Verhältnissen als sichere
Bürgschaft für die Gültigkeit dieser wichtigen Eintheilung angenommen
hätte, immer noch dem Vorwurfe großer Oberflächlichkeit nicht entgehen
können.

Accidenzien gehören. In der That scheint es uns nicht wohl anzugehen, daß, wenn
das gestern und heute kein inhärirendes Accidenz ist, das früher und später, wel-
ches das eine von ihnen zum Fundament, das andere zum Terminus hat, der Sub-
stanz in eigentlicher Weise inhäriren soll. Schon oben sahen wir daher, wie auch
Aristoteles das neoq Tt früher ausschied, - Die Relationen assistiren so zu sagen
mehr einem Seienden, das ihr Fundament ist, als daß sie selbst ein Seiendes wären,
wenigstens sind sie das schwächste Sein. So assistirt das Größersein einer Quan-
tität, das Ähnlichsein einer Qualität; aber auch eine Operation oder ein äußerer
Umstand kann Fundament sein, und dann wird die Relation nicht einmal inner-
lich assistiren, inhäriren aber wird sie in keinem Falle, da sie durch eine gänzlich
außerhalb der Substanz vorgehende Veränderung verloren werden kann. (s. o.)
FÜNFTES KAPITEL. 167

Indeß ist es immer eine dem gesunden Philosophiren willkommene


Erscheinung, sich mit dem gesunden Menschenverstande, mit dem All-
gemeinbewußtsein, das sich besonders auch in der Sprache kund gibt, in
Uebereinstimmung zu sehen. Und so mag es denn auch den Kategorien des
Aristoteles zur Empfehlung dienen, daß sich allerdings eine nicht geringe
Verwandtschaft seiner Kategorien mit gewissen sprachlichen Formen zeigt.
Trendelenburg hat dies, der Einwände mögen noch so viele sein, wie mir
scheint, unläugbar dargethan und auch gezeigt, daß Aristoteles selbst sich
dieser Uebereinstimmung mit der Grammatik gar wohl bewußt gewesen ist.
Wie er überall die Speculation früherer Denker und den speculativen Gehalt
der gewöhnlichen Meinungen auszubeuten verstand, so auch hier. Er hat vor
Allem bemerkt, daß wenn ein Ding von einem andern essentiell prädicirt
werde, so daß diesem Name und Begriff des Prädicats zukomme, dies auch
grammatisch in einer andern Form geschehe, als wenn das Prädicat dem
Subjecte nur den Namen gebe, ohne selbst seines Wesens zu sein. Ich sage:
das Weiß ist eine Farbe, das Holz ist farbig; das Gehen ist ein Bewegtsein, der
Mensch ist bewegt. Regelmäßig geschieht es bei der essentiellen Prädication,
daß Subject und Prädicat dieselbe grammatische Form haben, daß Substan-
tiv von Substantiv, Infinitiv von Infinitiv u. s. w. ausgesagt wird. Ebenso
geschieht es in der Regel bei der accidentellen Prädication, daß das Prädicat
in der grammatischen Form sich vom Subjecte unterscheidet und ein -rraew-
vuµ,ov jenes Wortes ist, das der grammatischen Form nach dem Subjecte
gleichsieht. Aristoteles nennt darum auch die accidentelle Prädication -rraew-
vuµ,wq xaT'f/70Qet<T;;3-a1 im Gegensatz zum <Tvvwvuµ,wq xaT'f/70Qet<T;;3-a1 der
essentiellen. 293 Und hieraus erklärt sich die Sorgfalt, mit der er nachweist,
daß die Prädication der specifischen Differenz auch eine essentielle sei, und
daß die 'ata<poeaf der Substanzen, wenn nicht direct unter das Prädicament
gehörend, doch auch zu ihm gerechnet werden müssen. 294 Denn hier erleidet
eben jene Regel eine Ausnahme; die Differenz wird adjectivisch dem Sub-
stantiv beigelegt, und man könnte sich verführen lassen, sie darum als ein
Accidenz, etwa eine Qualität zu betrachten.
Das Subject des Satzes ist in der Regel ein Substantiv. Da nun das Sub-
ject für die Kategorien als solche, d. i. als Prädicate der ersten Substanz, eine
Substanz ist, so wird die regelmäßige grammatische Form der Subjecte, das
nomen substantivum, regelmäßig bloß bei der Prädication der Substanzen

293 Top. II, 2. p. 109, b, 5.


294 Categ. 5. p. 3, a, 21.-b, 9.
168 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

von diesem unoxefµ,evov auch im Prädicate sich finden, und das nomen sub-
stantivum wird die unterscheidende grammatische Form für die erste Kate-
gorie sein. Die Accidenzien werden sich in die andern Formen zu theilen
haben. Daß die Accidenzien abstract gefaßt auch in substantivischer Form
auftreten, ist allerdings fast allgemein der Fall und nicht mehr eine Ausnahme
zu nennen. Allein dies verschlägt hier nichts; denn nur jene Wörter verdie-
nen bei der Bestimmung der Kategorien beachtet zu werden, welche von der
ersten Substanz prädicabel sind. Die Abstracta also kommen ebensowenig
als die Conjunctionen, lnterjectionen und Präpositionen in Betracht. 295 Dies
zeigen recht schön die von Aristoteles zur Erläuterung jeder Kategorie beige-
fügten Beispiele in ihrer concreten Form: 7eaµ,µ,amxov nicht 7eaµ,µ,aT1wh,
'l}/J,IO"U nicht 'Y}/J,l<Te1a, TS/f.,J/81 nicht TS/f.,J/cll/, Teµ,veTal nicht Teµ,ve<T~a, und
die übrigen, 296 wobei, wie schon Trendelenburg bemerkte, einige deutlich als
Prädicate sich kund geben.
Es ist allerdings nicht zu läugnen, daß wohl bei dem Vergleiche der sprach-
lichen Form auch jener Worte, die wirklich von der ersten Substanz ausgesagt
werden können, mit der jedesmaligen Kategorie der durch sie bezeichneten
Begriffe zuweilen Abweichungen von jeder Regel, die man aufstellen könnte,
sich ergeben. Allein wo jede grammatische Regel Ausnahmen erleidet, ohne
darum aufzuhören, Regel zu sein, konnte dies Aristoteles und kann es* auch
uns nicht beirren. Wenn einer die Ausnahme als Ausnahme erkennt, so muß
er der Regel selbst sich bewußt sein, und wenn einer warnt, sich nicht durch
etwas im einzelnen Falle verleiten zu lassen, so erkennt er eben damit an, daß
dieses im Allgemeinen leiten kann und daher auch in solchen Ausnahmsfäl-
len auf ein Vertrauen, das sich hier getäuscht sehen müßte, Anspruch macht.

295 Hiemit fallen schon zwei der Haupteinwände gegen die Vergleichung der Kate-
gorien mit den grammatischen Formen. Nämlich 1) daß auch andere Redetheile,
wie die genannten Partikeln, Kategorien hätten liefern müssen. Bonitz hat aller-
dings ganz Recht in der Behauptung, Aristoteles habe seinen Blick nicht auf den
gesammten Wortvorrath der Sprache gerichtet, und dies hat auch Trendelenburg
nicht behauptet (s. Geschichte d. Kateg. S. 24), nur die grammatischen Formen
der Prädicate der ersten Substanz kamen in Betracht; 2) daß die Accidenzien,
wie Quantität, Qualität (AeLJXOT'l}q, !J-seµ,oT'l}q Categ. 8., 9.) Wirken und Leiden
(-rrea~1q, mi!J-oq) etc. sich eben so gut durch Hauptwörter, als durch die ihnen als
eigenthümlich zugeschriebenen Redeformen ausdrücken ließen (Vergl. Bonitz a.
a. 0. S. 635 ff. Zeller a. a. 0. S. 190. Anm. 2 {31879 264 Anm.2}).
296 Categ. 4. p. 1, b, 28. {s. Einl.AS LXXIX}

* S. Einl.AS XC.
FÜNFTES KAPITEL. 169

Beides thut Aristoteles, wie Trendelenburg nachgewiesen hat, 297 an mehreren


Stellen, wo er gegen die Betrügereien der Sophistik warnt (Soph. elench. 4.,
p. 162, b, 10. ibid. 22., p. 178, a, 9. 11. 18.*).
Auf Trendelenburg verweisend geben wir kurz die Redetheile an, wel-
che den verschiedenen Kategorien entsprechen. Der OV(J'ta entspricht, wie
schon bemerkt, das nomen substantivum; dem 7TO(J'OV und 1ro16v das nomen
adjectivum, und zwar so, daß das Zahlwort, entweder für sich allein, oder
in seiner Zusammensetzung mit einer adjectivischen Endung, das 7TO(J'OV,
die übrigen Adjectiva das 1ro16v vertreten. Denn daß Aristoteles für beide
verschiedene Formen annahm, zeigt Soph. elench. 4. p. 162, b, 10., und
dann ergibt es sich von selbst, daß nur dies das Unterscheidende gewesen
sein könne. Wie die Quantitäten kein µ,aMov und i}TTov (Categ. 6. p. 6, a,
19.), so lassen auch die Zahlwörter und die mit ihnen gebildeten Adjectiva**
keinen Comparativ zu. Bei dem Prädicate „groß" im Allgemeinen nimmt
Aristoteles Anstand, es in die Kategorie der Quantität zu stellen (ibid. p. 5,
b, 14.); es gehört nun zwar allerdings hinein, bildet aber eben in seiner Form
eine Ausnahme. Dem 1ro1e1v und 1Ta(J'xe1v entspricht das Verbum, jenem das
Activ, diesem das Passiv. Dem äxe1v und xet(J'S-a, entsprechen keine neuen
grammatischen Formen, auch sie werden durch das Verbum ausgedrückt.
Aber eben dem verdanken sie, scheint's, ihre Entstehung. 298 Denn wegen
der verbalen Form der XtV'f}(J'tq untergeordnet, mußten sie der begriffiichen
Betrachtung doch als etwas von der gewöhnlichen und eigentlichen XtV'f}(J'tq
Verschiedenes sich ergeben und auf diese Weise eigene Kategorien consti-
tuiren. Dem 7TOU und 7TOTe entsprechen die Adverbia. Für das 7TOTe z. B.
stellt Aristoteles selbst Phys. IV, 13. p. 222. eine ganze Reihe von Adverbien,
sie einzeln erklärend, zusammen: vüv, 7TOTe, 'Y)()'f}, U(2TI, 1raAa1. Indeß weil
gerade hierin Trendelenburg mancherlei Einwände gemacht worden, ist es
nöthig, einige Gegenbemerkungen zu machen.
Vor Allem hat man bemerkt, daß Zeitbestimmungen auch in andern For-
men als der adverbialen auftreten. Dies ist richtig; allein 1) ist für die meisten
auf das oben Gesagte zu verweisen, daß nämlich diese Formen Abstracta oder
sonst für die concretive Prädication von der ersten Substanz nicht brauch-
bar sind. So z. B. xeovoq, äToq, die ohnehin als solche nicht in die Kategorie

297 Gesch. d. Kateg. S. 24 ff.


298 s. 0. § 13.

* Von Trendelenburg GK24 ff. angeführte Stellen.


** S. Einl.AS XC.
170 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

des 1roTe gehören. 299 2) Ist es nicht zu verwundern, wenn auch hier, wie bei
den übrigen Formen für die Kategorien, Ausnahmen von der allgemeinen
Regel stattfinden. Und es ist bemerkenswerth, daß z. B. das Wort x.S-1(0;,
welches Zeller als ein solches citirt, 300 wo eine derartige Ausnahme statthabe,
gewöhnlich die Stelle eines Adverbs vertritt: x.S-1(0; eß'YJ, er ging gestern (II. I,
424.), x.S-1(0; SelXO(J'Tq) cpu,yov l,fµ,aTt oYvo7Ta 7TOJ/TOJ/ (Od.VI, 170.). Ebenso
x.S-,(ov (II. XIX, 195 u. a. a. 0.). Auch bei t>wTsea7oq 30 r sagt man nicht bloß
tlsuTe(2atoq ,?iv ex TOV ä(J'Teoq ev L7Ta(2T1/ (Her. VI, 106.), sondern auch
durch andere Verba verbindend, z. B. t>wTsea'i'ot ,?j7'.S-ov (Xen. Cyr. 5, 2, 1),
so daß auch hier der adverbiale Character gewahrt bleibt, da ja die Adverbia
daher den Namen haben, daß sie gewöhnlich beim Verbum stehen.
Einen andern Einwand erhebt Bonitz (a. a. 0.). Wenn die verschiede-
nen Arten der Adverbia, wie die Adverbia loci und temporis, zur Aufstel-
lung von Kategorien veranlaßt hätten, so, sagt er, hätte das Adverb noch
andere Kategorien liefern müssen. Wir erwidern: Allerdings gibt es noch
viele andere Adverbia, die weder Ort- noch Zeitbestimmungen enthalten,
die adverbia comparandi, die adverbia interrogandi, affirmandi und negandi
und andere; allein nur die Adverbia loci und temporis können als Prädicate
von der ersten Substanz ausgesagt werden. Die übrigen dienen (vereinzelte
Ausnahmen abgerechnet) zur näheren Bestimmung ihres Prädicates, dem
eigentlichen Character des Adverbs entsprechend z. B. LwxeaT'Y)q xaAwq
Ae7s1, LwxeaT'Y)q S(J'TI µ,aAa (J'7Toutla7oq. Nur die Adverbia loci und tem-
poris zeigen die auffallende Erscheinung, daß sie wie nomina (ovoµ,aTa, De
interpr. 2.) von der ersten Substanz prädicirt werden: LwxeaT'Y)q SUTIV exs7,
S(J'T/ (J'f'f)f.1,e(20V. Es ist eigemhümlich, und fast als wollte die Sprache hier aus-
drücken, es werde etwas, was zunächst eines Andern Accidenz ist, von einem
Dinge prädicirt, daß sie in diesem Falle eine Form wählt, die sonst zunächst
etwas Anderes als das Subject modificirt (das Prädicat) und nur mittelbar
zugleich eine Bestimmung des Subjectes wird. 302 - Somit ist klar, daß das
Adverb nur zwei und zwar nur diese Kategorien vertreten kann.

299 s. o. § 13.
300 Zeller a. a. 0. S. 190. Anm. 2. {31879 265 Anm.}
301 Zeller a. a. 0.
302 Dasselbe gilt von den Casus der nomina, 1ITW<Te1q ovoµ,ri,Toq, die auch keine ovo-
µ,am sind (De interpr. 2. p. 16, a, 33. TO <Je (J)/)..wvoq ,;; (J)/)..wv1 xai Öua Tot-
aiha, oux OllOµ,aTa aMa TrTW<Tetq Ol/O/J,aToq), so wenig als die Adverbia, und die,
wie diese, nichtsdestoweniger hier als Prädicate der ersten Substanz auftreten, wie
l/UXTOq, Sl/ aryoqq,, Sl/ Auxe/q,.
FÜNFTES KAPITEL. 171

Wir kommen zu der letzten Kategorie, dem neo<; Tl. Für diese weist die
Grammatik keine einheitliche Form auf, und man hat nicht verfehlt, auch
dies gegen Trendelenburg geltend zu machen. Die Sprache verfährt auch hier
mit richtigem Tacte. Der Mangel einer speciellen Form für das neo<; Tl ist
recht bezeichnend für die Natur dieser Kategorie, die, am wenigsten seiend,
wie wir sahen, auch kein specielles ,yf,yve<TS-at und cpS-e1e_e<TS-a1 hat, sondern
immer nur andern Seienden folgend und stets nach deren Natur sich rich-
tend mehr innerlich oder äußerlich der Substanz assistirt. 303 So ist es denn
ganz angemessen, wenn die Sprache adjectivische, verbale und adverbiale
Wortformen in dieser Kategorie vereinigt. z. B. /JmAa<TtoV (1TO<TOV)' xaMtov
(1ro16v), S-ee_µ,a"ivov (was, wie Trendelenburg richtig bemerkt, 304 Ausdruck für
ein neo<; Tl sein kann - Metaph. 6., 15. p. 1021, a, 17. - ohne aber darum,
wie er annimmt, nicht auch für einen Begriff aus der Kategorie 1ro11;1v stehen
zu können; denn S-ee_µ,afvet ist eben gleich e<TTt S-ee_µ,a"ivov. Vergl. Metaph.
6., 7. p. 1017, a, 28.), S-1;e_µ,a1voµ,1;vov (von ihm gilt das Gleiche für 1raa-xe1v),
endlich z. B. 8'}',YLJTe(}_OV xaTa T01TOV (Metaph. 6., 11. P· 1018, 6, 12.) - 1T(}_O-
Te(}_OV, Ü<TTee_ov ( 1rou, 1TOTe). Begreiflicher Weise werden die Ausnahmen hier
häufiger, und so ist es eine besondere Unregelmäßigkeit, daß die neo<; Tl
häufig sogar als Substantiva ins Prädicat treten, z.B. ~wxe_aT'r}<; e<TTt naTr/;e_,
ut6<;, iJovAo<;, 305 iJ1iJaa-xaAo<; u. s. w. u. s. w., während die Relationen doch die
'Y]Xt<TTa ou<Tfa1 sind (s. o.). Aber gerade hier sieht man wieder deutlich, wie
Aristoteles die Sprache nicht aus dem Auge verloren hat. Sie hat ihm, wenn
auch Auctorität, doch keine größere als sonstige wahrscheinliche Meinun-
gen und die Ansichten früherer Denker, die er, dialectisch aus ihnen argu-
mentirend, der eigentlich wissenschaftlichen Untersuchung vorherschickt.
Sogleich zeigt er daher mit dem Finger auf diese Unregelmäßigkeit, und wir
finden nachdrückliche Protestationen, daß keine ou<Tfa zu den Relationen
gehöre (Categ. 7. p. 8, a, 13.-6, 24 und bes. Metaph. N, 1. p. 1088, a, 21.-6,
2.). 306 Bei keinem andern Accidenz möchte vielleicht dieser Fall der substan-

303 s.o.§ 14. S. 165 f. Anm. 292.


304 Gesch. d. Kateg. S. 140.
305 iouAoq ist keine Substanz, auch nicht, wie Trendelenburg zu glauben scheint, nach
Aristoteles (Gesch. d. Kateg. S. 125. S. 186.); vielmehr ist der iouAoq als iouAoq
nur ein auf den ieurrOT'l)(j Bezogenes, ein 7rQO(j Tl.
306 Nicht bloß ein accidentelles Sein, sondern auch eine ouufa kann Fundament einer
Relation werden, wie z. B. die Relation des Socrates, als Mensch, zum Plato, inso-
fern er mit ihm eine substanzielle Gleichheit besitzt, die Menschheit des Socrates
zum Fundamente hat. Die Sprache gebraucht hier kein Substantiv, aber immerhin
172 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

tivischen Prädication von der Substanz, wenigstens in solcher Allgemeinheit,


sich finden. Wenn ich sage, dieser Mensch ist eine schöne Gestalt, so ist es
offenbar nur ein poetischer Ausdruck statt: er ist schön gestaltet, wie auch,
wenn ich, um einen als sehr verständig oder weise zu bezeichnen, sage: dieser
Mensch ist ein Verstand, ist die Weisheit selbst.
Was sich aus dieser Betrachtung ergibt, ist, daß Aristoteles allerdings zu
einer dialectischen Voruntersuchung über Art und Zahl der Kategorien an
der Sprache eine Hülfe und einen Halt finden konnte, daß er aber unmög-
lich mit dieser Weise der Begründung zu einem sicheren oder auch nur ihm
selbst gewissen Resultate gelangen konnte. Sonst konnte er auf die absolu-
ten Kategorien durch die Verschiedenheit der Wortformen, auf die Relation
durch das schon in der Sprache hervortretende Bedürfniß eines ergänzenden
Begriffes (Categ. 7. p. 6, a, 36. Vergl. Trendelenburg, a. a. 0. S. 30 f.) auf-
merksam werden.
Fügen wir noch bei, daß auch in einer andern Weise in einem sprach-
lichen Unterschiede der Unterschied der Kategorien einigermaßen zur
Erscheinung kömmt. Es geschieht dies in der Modification der Fragen, die
an die erste Substanz gestellt werden, je nachdem sie ein Prädicat der einen
oder andern Kategorie in der Antwort verlangen. Aristoteles nennt die Kate-
gorie der ourr1a auch die des Tl errTI (z.B. Top. I, 9. P· 103, b, 22. Metaph.
!:::., 7. p. 1017, a, 25. Eth. Nicom. I, 4. p. 1096, a, 24.) und deutet dadurch
selbst schon an, daß alle mit Tl errTt; eingeleiteten Fragen über eine ourr1a der
ersten Kategorie angehören. Der zweiten Kategorie entspricht aber auch eine
eigene Einleitung der Frage: rrorrov errTI; ebenso der dritten: rro7ov 8(TTI TOr1e;
Auch die beiden XIV'Y)rTetc; haben jede ihre besondere Frageweise. Man muß
hier statt der einfachen Copula errT1 ein anderes Verbum zu dem Tl hinzu-
fügen, bei der einen, wenn ich ganz allgemein fragen will, das rro1a7v, bei der
andern das rra.rrxa1v: Tl rro1a7 TorJa; Tl rra.rrxa1; sonst würde der Gefragte über
alles Andere eher, als über das, was wir wünschten, Aufschluß geben. Ueber
xürr::tat und exelV würde Aehnliches wie oben gelten; das rrwc; XelTG,I; und Tl
exa1; würde weder in Tl Tr0te7; noch auch eigentlich in Tl 1ra.rrxe1; aufgehen,
und so vielleicht zur Annahme eigener Kategorien führen. Ferner, auch die
beiden Kategorien der Umstände haben jede ihre eigene Frageform: rrou errT1

bezeichnend ein Pronomen: LwxgaT'f}~ euTi TauTo TqJ I1AaTwv1. Eine entspre-
chende Form für die Relation könnte das Substantiv in keinem Falle wohl sein,
auch wo die Substanz ihr Fundament ist. Wenn sie von andern Fundamenten die
jedesmalige (regelmäßige) Form entlehnten, so hindert doch hier der accidentelle
Character, der vor Allem gewahrt werden will.
FÜNFTES KAPITEL. 173

TotJe; 1r0Te ea-Tl; und endlich tritt bei der Frage nach dem 1re6t; Tl auch des-
sen eigenthümliche Natur hervor; ich kann nicht schlechthin fragen: 1r6a-ov
EO"TI TotJe; sondern eher 1r0(T0')) SO"TI TotJe 1r(20t; TOtJe; lJ11r)..aa-t0v. oder 1rOTe
EO"TI TotJe 1r(20t; TotJe; Üa-Teeov. und dgl. 307
In dieser Weise hat der Nominalist Ockham in seiner Logik I, cap. 42
(Vergl. damit Quodlib. 5, q. 22.) aus der Zahl der über die erste Substanz
möglichen Fragen, die Zehnzahl der Prädicamente darthun wollen. Von der
richtigen Bemerkung ausgehend, die Zahl der Dinge müsse aus ihrem Ver-
hältnisse zur ersten Substanz bestimmt werden, fahrt er fort: Entweder fra-
gen wir also von der ersten Substanz, was sie sei, und dann ist es Substanz,
oder wie groß, oder wie beschaffen sie sei, oder worauf sie sich beziehe, was
sie thue, was sie leide, wo sie sei und wie (das xe'ia-;3-a1), von welcher Dauer,
und endlich wie gekleidet sie sei?* Der ganze Beweis läuft am Ende auf eine
Induction hinaus, der die Sprache die Uebersicht nur erleichtert hätte, und
es ließe sich gar Vieles gegen das Einzelne und die Zuverlässigkeit des aus
dem Ganzen gewonnenen Resultates einwenden. Die Sprache kann nach
dieser Methode noch weniger, als nach der vorher befolgten, die Verantwort-
lichkeit für die Gültigkeit und Vollzähligkeit der Kategorien übernehmen.
Wir sagen:

§ 16. XV. Aus dem, was die vorangegangene Untersuchung über Princip
und Bedeutung der Kategorien gelehrt hat, lösen sich auch die von
verschiedenen Seiten gegen die Kategorieneintheilung erhobenen
Einwände.
Die Kategorieneintheilung des Aristoteles hat in einer wunderbaren Weise
dem Wechsel der Zeiten getrotzt. Wenn man die Geschichte der Kategorien-
lehre verfolgt, so sieht man, wie ihre Gegner sogar ihr unbewußt huldigen,
und man möchte oft lächeln, wenn man solche, die sich zu ihren entschie-
densten Bekämpfern zählen, im Wesentlichen so ganz von ihr geleitet findet.
Die neueste Zeit allerdings hat keine Aristotelische Kategorienlehre mehr;
wenn sie von Kategorien spricht, so denkt sie nicht an das Tl ea-T1, 1ro16v,
1roa-6v, 1re6t; Tl. Allein keines der neueren Systeme hat sich dauerndes Anse-
hen gegründet, und wenn auch, da das, was neuere Theorien, indem sie nach
den Kategorien forschten, anstreben, gar nicht mehr mit dem Zwecke, den

307 Fragen, die ganze Sätze zur Antwort verlangen, wie weßhalb? Ti 1NrrroTe; u. dgl.
müssen natürlich unberücksichtigt bleiben.

* Für das auf „führt er fort" Folgende s. Einl.AS LXXXVII f.


174 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

Aristoteles verfolgte, zusammentrifft, so kann in keinem Falle gesagt werden,


sie hätten etwas an die Stelle der alten Kategorien gesetzt.
Es fragt sich nun, ob sich wohl annehmen läßt, daß, was so lange gelebt,
ohne alle Lebensfahigkeit sei, oder ob der Zweck, der der wahre Zweck der
Kategorientafel ist, wirklich in ihr erreicht worden. Wir brauchen kaum noch
zu sagen, daß unsere Meinung zu einem günstigen Urtheile sich neigt, die
vorhergehende Untersuchung haben wir ja großentheils so geführt, daß wir
- die Richtigkeit anderer Aristotelischer Anschauungen vorausgesetzt - die
Kategorienlehre mit einer Art innerer Nothwendigkeit sich entwickeln lie-
ßen. Weil aber andere Achtung gebietende Forscher und Freunde unseres
Philosophen hierin anderer Meinung sind, so erwächst uns die Aufgabe, zu
versuchen, wie wir es etwa vermögen werden, ihre Anstände zu beseitigen
und ihre Angriffe abzuwehren.
Vor Allen hat Trendelenburg hier einmal gezeigt, daß wenn Aristoteles
ihm Freund, mehr Freund doch ihm die Wahrheit sei. Brandis und Andere
haben ein milderes Urtheil gefällt, vielleicht deßhalb zum Theil, weil ihr
Maaßstab ein gerechterer war. So auch Zeller, dem wir jedoch auch auf einen
Einwand zu antworten haben.
(1) Als den Grundfehler der ganzen Eintheilung bezeichneten Kant308 und
Hegel3° 9 den Mangel eines Princips. Trendelenburg bezeichnet als solchen
den Mangel an Einheit, den Widerstreit im Princip. 310 Allein auch dieser
Vorwurf wird nach dem Gesagten hoffentlich nicht mehr gegründet schei-
nen. Es ist wahr, Logik und Metaphysik sind bei der Kategorieneintheilung
interessirt, allein nicht als ob sie sich um das Recht der Herrschaft stritten,
als ob beide mit verschiedenen Ansprüchen drängend, abwechselnd gehört
und überhört, weder selbst Genügen fänden, noch auch den Anforderun-
gen der andern gerecht werden ließen. Die Weisen des Seins entsprechen
naturgemäß den Weisen der Prädication, wenn man das znroxefµ,evov alles
Seienden zum trrroxefµ,evov des Satzes macht. ()(J'O,xw,; Ae7eTO,/, TO(J'O,LJTO,'X,W,;
TO eTva1 (J''(Jµ,afve1 (Metaph. 1:::.., 7. p. 1017, a, 23.) Wenn demnach Trendelen-
burg am angeführten Orte sagt, daß alle Mängel aus diesem entspringen, so
soll uns dies als ein ermuthigender Zuspruch gelten.
(2) Ein anderer Tadel, der, wie Trendelenburg mit Offenheit eingesteht,
dann nothwendig die Kategorieneintheilung treffen müßte, wenn sie, einem

308 Kant, Kritik der reinen Vernunft. 2te Aufl. S. 107.


309 Hegel, Vorles. üb. Gesch. d. Philos. I. S. 249 {Sämtliche \Vt>rke XVIII 406}.
310 Trendelenburg, Gesch. d. Kateg. S. 189.
FÜNFTES KAPITEL. 175

grammatischen Leitfaden vertrauend, nicht tiefer und in der Sache selbst


sich ihr Princip gesucht hätte, 311 ist eben nur ein hypothetischer Tadel und
selbst ein Argument gegen die Hypothese, mit deren Fall er selber fallt. Die
große Uebereinstimmung mit der Grammatik, die auch wir anerkennen
mußten, ist in sich kein Tadel, sondern eher ein Lob zu nennen; nur die
Uebereinstimmung mit den grammatischen Formen auf Kosten der Harmo-
nie mit der Form und Natur der Dinge selbst, oder ein unphilosophisches
Begnügen mit der Wahrnahme jener ersteren Uebereinstimmung würde bil-
lig ein Vorwurf gewesen sein.
(3) Aber eine andere Bemerkung wird uns näher berühren. Trendelenburg
meint, daß, wenn die Kategorien real behandelt seien, es consequent sein
würde, die Wurzeln der Kategorien in den vier Gründen oder Ursprüngen
der Dinge zu suchen, weil sie der Natur nach das Erste seien. 312 Daß dies
nicht geschieht, müssen wir, die wir allerdings der Kategorieneintheilung
außer der logischen auch eine metaphysische Bedeutung zuerkannten, inso-
fern wir die höchsten Gattungen nach den verschiedenen Existenzweisen
in der ersten Substanz und den verschiedenen Verhältnissen von 'duvaµ,1~
und avee7e1a sich unterscheiden ließen, dennoch als richtig zugestehen, es
fragt sich aber, ob der daran geknüpfte Tadel eben so richtig sein werde. Wir
glauben dies, wie auch Brandis, Bonitz u. A. gethan, mit Entschiedenheit
verneinen zu dürfen. Die Frage nach den Kategorien in dem Sinne, in wel-
chem Aristoteles von Kategorien spricht, und in welchem sie sich uns wäh-
rend dieser Abhandlung Schritt für Schritt klarer zu erkennen gaben, hat mit
der Frage nach den vier Ursprüngen nichts zu thun, die ja analog sowohl in
der einen als in der andern Kategorie sich finden. Es haben zwar die höch-
sten Gründe mit den höchsten Gattungen der Dinge insofern eine gewisse
Aehnlichkeit, als beide von der allgemeinsten Bedeutung sind, allein, wie
Trendelenburg selbst richtig bemerkt, 313 ist zwischen dem „Allgemeinen der
Abstraction" und dem „ursprünglich Allgemeinen" ein großer Unterschied.
Während das, was der Causalität nach das Allgemeinste ist, xa;:;-' '()µ,ä~ das
weniger Erkennbare und Tfj (f)U(J"et das Erkennbarere ist, ist das, was der Prä-
dication nach das Allgemeinste ist, in gewisser Weise xa;:;-' '()µ,ä~ erkennbarer
als das weniger Allgemeine, wenn auch nicht erkennbarer als das Singuläre,

311 Gesch. d. Kateg. S. 180.


312 Ebendas. S. 187.
313 Ebendas. S. 188.
176 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

da die Sinnenerkenntniß, die auf das Einzelne gerichtet ist, der intellectiven
Erkenntniß, die auf das Allgemeine gerichtet ist, vorhergeht. 314

314 Wir sagen, in gewisser "Weise sei das Allgemeinere xaS-' 'Y)JJ,ä<; erkennbarer als das
weniger Allgemeine. Wir verstehen dies also: Es kann etwas erkannt werden ent-
weder durch einfaches Erfassen, oder durch wissenschaftliche Erkenntniß des
Dinges in Bezug auf die Eigenthümlichkeiten und Gründe, die ihm als solchem
zukommen. Die letztere Erkenntniß wird um so schwieriger, je allgemeiner der
Gegenstand der Erkennmiß ist, und darum ist die Metaphysik, die von dem All-
gemeinsten, dem Öv, handelt, die schwierigste der Wissenschaften (s. Metaph. A,
2. p. 982, a, 23.), die erstere dagegen wird im Gegentheile in eben dem Maaße
leichter. So hörten wir schon oben, daß das Öv das Erste sei, was wir geistig erfas-
sen, und Phys. I, 1. p. 184, a, 16. wird gelehrt, daß das Allgemeinere 'Y)/J,tV, das
weniger Allgemeine Tfj cpuue, uacpe/J'T/;(lOV xai ')'VW(ll/J,WTS(lOV sei. Wer den Begriff
der Gattung nicht hat, kann den der Art, der den ersteren voraussetzt, noch weni-
ger haben.
Weil aber Anal. post. I, 2. p. 72, a, 1. hiemit wenig im Einklange scheint, so müs-
sen wir noch Folgendes beifügen. Jegliches ist insofern erkennbar, als es seiend ist,
also ist Alles an und für sich und der Natur nach um so mehr erkennbar, je mehr es
seiend ist, und es sind die separaten Substanzen, als reine Acre und vollkommenste
Seiende an und für sich am meisten erkennbar (Metaph. a, 1. p. 993, b, 11.). Da
aber unser Erkennen durch Vermittlung der Sinne stattfindet, so sind für uns die
materiellen Dinge trotz der ihnen anhaftenden Potenzialität erkennbarer. Mittels
ihrer erheben wir uns erst zur Erkenntniß immaterieller Wesen. So steht hier das
')'VW(ll/J,WTS(lOV xaS-' rqµ,ä<; dem ')'VW(llJJ,WTS(lOV Tfj cpuue, entgegen.
Aber auch in Bezug auf die Erkenntniß des Körperlichen selbst findet wieder ein
gleicher Gegensatz zwischen dem einen und andern statt. Das Körperliche näm-
lich ist wegen seines unvollkommenen Seins, dem die Potenzialität der Materie
anhaftet, nur im Allgemeinen intellectuell erkennbar, im Einzelnen dagegen wird
es vom Sinne erfaßt. Nun ist die intellective Erkenntniß vollkommener als diesen-
sitive, also ist hier das Allgemeine anAW<; ')'VW(ll/J,WTS(lOV und das Einzelne anAw<;
weniger erkennbar. Weil aber bei uns die Sinnenerkenntniß der intellectuellen
vorangeht, so ist xaS-' 'Y)JJ,ä<; das Einzelne das Erkennbarere. Und dies ist, was Anal.
post. I, 2. lehrt.
Jenes Allgemeine aber, das allein intellective Erkennbarkeit besitzt, zeigt wieder
verschiedene Stufen der Allgemeinheit von der höchsten Gattung bis zur speciell-
sten Species hinab. Und auch hier finden wir denselben Gegensatz zwischen dem,
was xaS-' rqµ,ä<;, und was Tfj cpuue, ')'VW(llJJ,WTS(lOV ist. Denn die Species ist Tfj
cpuue1 erkennbarer als die Gattung, die, wie wir sahen, der Materie proportional
ist, während die Differenz der Form folgt. Wer ein Ding der Species nach erkennt,
erkennt es seinem ganzen Sein nach in vollkommenerer, bestimmterer Weise, als
wer erst nur die Kenntniß der Gattung besitzt. Dagegen ist xaS-' 'Y)JJ,ä<; die Gat-
tung erkennbarer als die Species, da wir, auf dem Wege des Erlernens allmälig von
der Erkenntniß in Möglichkeit zur vollendeten, wirklichen Erkennmiß überge-
hend, zuerst die Gattung und dann erst die ganze Definition, in der wir die Spe-
des erkennen, uns aneignen. Wie in andern Fällen, so steht auch hier das 7eveue1
FÜNFTES KAPITEL. 177

So viel geht also aus der Bedeutung der Aristotelischen Kategorien klar
hervor, daß sie nicht „in ihrer Abfolge den Ursprung der Begriffe nach der
Ordnung, wie sie werden, dem TrQOTe(!OV T'/7 cptHTet, darstellen sollen" ,315 und
daß d<)her auch nicht der leitende „Gesichtspunct der Arrordnung ... unfehl-
bar die Kategorien in die vier Gründe oder Ursprünge zurück[treibt], die
der Natur nach das Erste sind u. s. w." 316 Wenn Trendelenburg bemerkt, daß
insbesondere zwischen den accidentellen, als späteren Kategorien, und der
Substanz, als erster Kategorie, ein Verhältniß der Abhängigkeit des Seins zu
Tage trete, welches die ganze Reihe hindurch etwas Aehnliches zwischen den
folgenden und vorangehenden Gliedern vermuthen lasse, was doch nicht
durchgeführt erscheine, so erklärt sich dies aus dem, was wir oben von der
Analogie zum gleichen Terminus hörten, vollkommen. Denn Eines wird da
immer sein, welches zuerst und in eigentlichster Weise den Namen trägt,
und wovon alle andern abhängen, und dies ist hier die OLJO"ta, wie Aristo-
teles selbst im vierten Buche ausführt. 317 Von diesem Einen also sind alle
übrigen bedingt und unterscheiden sich im Verhältnisse zu ihm, nicht aber
ist es nothwendig, daß sie untereinander selbst wieder im Verhältnisse der
Abhängigkeit stehen; denn nicht directe Beziehungen auf einander, sondern
auf dieses Eine unterscheiden sie.
Es fragt sich aber, da Aristoteles an mehreren schon oben erwähnten Stel-
len von einer naturgemäßen Ordnung der Kategorien sprach, die er freilich
uns bestimmt anzugeben und bei jeder Aufzählung der Kategorien einzu-
halten sich wenig angelegen sein ließ, welches denn diese Ordnung sei? und
(da bei jeder Ordnung ein früher und später ist) nach welchem TrQOTe(!OV
und ÜO"Te(!OV die einen Glieder den andern nachgesetzt werden? Die Frage ist
nicht schwer zu beantworten. Wäre das Seiende eine Gattung, so würden die
Species nach der Verschiedenheit der Perfection, die sie durch die eine oder
andere Differenz erhalten, nach dem OLJO't(!, Tr(!OTeQOV zu ordnen sein. Denn

neoneov dem ovu[q, ngoTegov entgegen. (Metaph. M, 2. p. 1077, a, 19. 26. De


generat. anim. II, 6. p. 742, a, 21. Metaph. M, 8. p. 1084, 6, 10. u. a. a. 0.) Und
dies ist, was Phys. I, 1. lehrt. Beide Stellen widerstreiten sich also nicht.
315 Gesch. d. Kateg. S. 148.
316 Ebendas. S. 187.
317 Metaph. r, 2. p. 1003, 6, 12. OV ')'0,(2 µ,ovov TWJ/ xa;;,,' e'v Ae70µ,evwv 67!1/J'T'(//Jff};
S/J'Tl ;3,ewefiuat µ,1a;, aMa xai TWJ/ neo; µ,[av Ae70µ,evwv ({)U/J'I))' xai ')'0,(2 TaUTa
1!(201!0!1 Tll/0, Ae7em1 xa;;,,' ev. <5/iiAOli OÖ!i ÖTI xai TO, Ol/Ta µ,1a; ;3,ewefiuat Tl OJ/Ta.
navwxou <Je xueiw; TOU 1!(2WTOU rh 67!1/J'T'(//J,'f}, xai el; oli TO, äAAa
'Y)(2T'Y/Tat, xai 131' o' AS')'Ol/Tat. ei OÖ!i TOUT' S/J'Tll/ 0 OV/J'ta }(. T. A.
178 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

die Species der Gattung unterscheiden sich in dieser Weise, 318 und nur von
den Individuen kann man sagen, daß unter ihnen ein -rreoTaeov und Ü<TTe(2ov
nicht mehr stattfinde. 319 Wenn aber die Arten, in die die Gattung sich theilt,
in der Vollkommenheit ihres Seins verschieden, hiernach geordnet werden,
so werden es um so mehr die höchsten Gattungen, in die das Seiende zer-
fällt, und die selbst Bedeutungen des Seienden sind. Sie sind zu ordnen nach
dem -rreoTaeov ou<Tiq,, d. i. nach der größeren oder geringeren Vollkommen-
heit ihres Seins, d. i. nach dem innigeren Verhältnisse zur ersten Substanz,
in Bezug auf welche alle seiend genannt werden. Hiemit stimmen alle die
Andeutungen, die Aristoteles über eine Reihenfolge gab, überein; denn die
Relation verwies er als 'Y)Xt<TTa ou<Tia an das Ende der ganzen Eintheilungs-
reihe, die ou<Tia stellte er an die Spitze, und Metaph. A, 1. wollte er der
Qualität die zweite, der Quantität die dritte Stelle eingeräumt wissen, deß-
halb eben, weil beide die andern Accidenzien wegen ihrer mehr innerlichen
Existenz in der Substanz an substanzhaftem Sein übertreffen, die Qualität
aber, die der Form verwandt ist, die Quantität, weil die Form mehr ou<Tia als
die Materie ist. 32° Führen wir die Ordnung durch, so bekömmt die Classe
der xtv~<Tatc; die vierte und fünfte Stelle, wobei das -rro1e1v dem -rra<Txa1v vor-
geht, weil in dem Thuenden das Princip der Operation ist, das als solches
evae,ya[q, sein muß, während in dem Leidenden der Terminus der Operation
ist, der während des Werdens iuvaµ,at ist. Die sechste und siebente Stelle
erhalten -rrou und 7rOTe; von ihnen ist das -rrou das frühere, weil der To-rroc; zur
Quantität gehört, während dem -rroTe eine XIV'Y)<Ttc; zum Maaße dient. End-
lich macht die Relation den Schluß der ganzen Reihe. 321

318 Z. B. De coelo II, 4. p. 286, b, 22. wuT' ai TO TeAatov neoTef!OV TOÜ aTeAoü,;, xa/
lJta, TaUTa 7i(20Te(20V äv 817) TWV UX'f//J,O,TWV OxuxAo,;. x. T. A.
319 Metaph. B, 3. p. 999, a, 12. ev ~s
Tot,; aTO/J,Ot,; oux äuTt TO /J,SV 7i(20Te(20V TO ~,
ÜuTe(!OV.
320 Metaph. z, 3. p. 1029, a, 29. ~,o es
TO el~o,; xa/ TO aµ,cpotv ouuia ~o{eteV äv elva,
µ,aMov Tij,; ÜA'f),;.
321 Da wir in dieser Reihenfolge dem nou einen sehr zurückstehenden Platz einge-
räumt haben, so könnte man uns den Einwand, den Trendelenburg S. 138 macht,
in veränderter Weise entgegenhalten, nämlich daß die cpoea, als die xiv'f)ut,; die-
ser späteren Kategorie, doch die xaT' ouufav erste unter den x1viiua1,; sei. Denn
gerade in unserem Sinne spricht Aristoteles Phys. VIII, 7. p. 261, a, 19. es aus,
daß 'Y/ xfv'f)ut,; aÜT'f/ 'Tif!WT'f/ TWv äJ..Awv äv a171 xaT' ouufav. Allein man beachte
nur die Gründe, die er dort anführt, und die Schwierigkeit löst sich leicht. Der
erste ist daher genommen, weil die Ortsbewegung den vollkommenen Thierarten
zukomme, woraus denn folgt, daß die Ortsbewegung die erste sei der Vollkorn-
FÜNFTES KAPITEL. 179

So sehen wir denn, wie die aexai als solche zunächst gar nicht maaßge-
bend werden für den Entwurf der obersten Geschlechter. Sie können nur
insoweit einen Einfluß gewinnen, als auf sie eine besondere Prädications-
weise von der ersten Substanz sich gründet. Dies war, wie wir sahen, bei der
wirkenden Ursache und zwar bei ihr allein der Fall. Denn von den vier Gat-
tungen der Ursachen sind zwei, Materie und Form, Theile des Wesens, und
die Prädication, die ihnen gemäß geschehen könnte, gehört daher zur Kate-
gorie der Substanz. Die Prädication des Genus entspricht der Materie, die
Prädication der Differenzen der Form (s. o.). Die Zweckursache aber bringt
nichts für sich allein und ohne die wirkende Ursache hervor, da ihr ja nur
insoweit ein Verursachen zukömmt, als sie die wirkende Ursache bewegt. So
war die wirkende Ursache allein fähig, eine besondere Prädicationsweise zu
begründen und that dies in doppelter Weise, indem sowohl die Substanz,
die auf eine andere wirkt, als jene, die ihre Wirkung empfängt, nach dieser
benannt wurde.
(4) Ein weiterer Hauptvorwurf, der der Kategorienlehre des Aristoteles
gemacht wird, ist der, daß bei ihr keine Continuität der Eintheilung statt-
finde. (Trendelenburg Gesch. d. Kateg. S. 144. S. 187. Brandis, Griech.-
Röm. Phil. II, 2, 1. S. 401.) Das Princip der Eintheilung, sagt Trendelen-
burg, müsse nach des Aristoteles eigenen Forderungen fortlaufen und die
ihm eigenen Differenzen zu neuen Arten verwenden. Hier dagegen seien
die Arten aus der Sache bestimmt, während die Eintheilung in die Katego-
rien selbst aus grammatischen Verhältnissen hervorgegangen sei. (S. 144 f.)
Die einfachste Antwort darauf wäre die, daß eben die Supposition falsch
sei, daß nicht auf grammatischen Verhältnissen (wie auch immer diese sich
proportional verhalten mögen), sondern auf den verschiedenen Weisen des
Seins, des elva, a1TAWf und des eve1va1 in dem eigentlich Seienden, die Kate-

menheit des Subjectes nach, wodurch in gewisser Weise sie selbst als das Vollkom-
menere erscheint. Der zweite Grund ist, weil je weniger eine Bewegung an dem
Bewegten ändert, um so vollkommener ihr Subject und um so vollkommener
also, auch insofern wieder, gewissermaßen sie selbst ist. Durch die örtliche Bewe-
gung nun wird am wenigsten am Subjecte geändert, eben weil der Ort äußerlich
umfängt, während Quantität und Qualität inhäriren, und die Substanz gar mit
dem Subject identisch ist, daher wird der substanzielle Wechsel der aM01w(nq,
diese der quantitativen und diese wieder der Ortsveränderung nachstehen müssen.
Man sieht, daß die Beweisführung nicht auf die Vollkommenheit der Kategorie
1rou sich stützt. Im Gegentheile, je geringfügiger das, was sich ändert, ist, desto
vollkommener ist die Bewegung. Die Vollkommenheit der localen Bewegung
spricht also gerade für die Unvollkommenheit der Kategorie des Terminus.
180 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

gorieneintheilung beruhe. Allein hiemit ist die Sache nicht erledigt; denn
eine Continuität der Eintheilung kann auch dann nicht stattfinden. Nichts-
destoweniger besteht die Eintheilung dabei in ihrem vollen Rechte. Die Ein-
theilung ist ja, wie man nicht vergessen darf, keine Eintheilung eines Genus
in seine Species, die durch Differenzen constituirt, durch Differenzen der
Differenzen sich weiter zum Concreten fortbilden. Das Öv ist kein Genus, es
ist ein analoger Begriff, dessen Bedeutungen erst bestimmt werden müssen,
um dann als Genera in Arten sich zu verzweigen. Die Kategorien selbst sind
die obersten Gattungen, und mit ihrer Differenzirung setzt sich nicht fort,
sondern beginnt erst die eigentliche iS1afQe(J't~, wie sie bei synonymen Begrif-
fen statthat. Das Öv, als solches, hat keine Differenzen, durch die es in die
Kategorien zerlegt würde; wo keine Differenzen sind, wie kann es da zum
Vorwurfe sein, daß sie nicht zu den Untereintheilungen verwandt werden?
Wenn aber Trendelenburg bemerkt, die Eintheilung der OU(J'ta in die erste
und zweite Substanz sei realerer Natur, als jene des Öv in die Kategorien, so
verweisen wir darüber auf das oben Gesagte, wo an der Untereintheilung in
erste und zweite Substanz, wenn sie eine Eintheilung in Arten sein sollte,
gerade der entgegengesetzte Fehler gerügt wurde, daß nämlich hier das Prin-
cip der Eintheilung des analogen Öv zu weit und gleichsam über das Ziel ver-
folgt keineswegs zu einer Eintheilung in reell verschiedene Dinge, sondern
in Dinge, die bloß in der zweiten Intention, als bloße övw w~
aA'f}::te~, eine
Verschiedenheit besitzen, führe. 322
5) Hieraus ergibt sich denn auch von selbst, was wir auf einen andern
Vorwurf antworten werden, daß nämlich eine Kategorie nicht die erste und
zweite Substanz umfassen könne. 323 Ohne Zweifel muß dies geschehen;
denn in welchem andern Genus als in dem Genus der Species könnte das
Individuum sein? Socrates ist erste, Mensch ist zweite Substanz; beide sind
im Genus r0ov und in jedem höheren Genus, somit auch in dem höchsten,
in der Kategorie der OU(J'ta, vereinigt. 324 Die Begriffe „erste" und „zweite Sub-
stanz" gehen freilich nicht in dem Begriffe OU(J'ta zusammen, wie Species,
die in einem Genus vereinigt sind. Sie selbst sind gar nicht in der Kategorie
OU(J'ta, sie sind gar keine reellen Begriffe, sondern wie Genus, Species u. dgl.

322 s. 0. § 13.
323 Trendelenburg a. a. 0. S. 182.
324 Categ. 3. p. 1, b, 10. /iTav eTe(lOJ/ xa:J' ETS(lOV xaT'l}')'O(l'Y/Tal w~
xa:J' t!TrOXel/J,SJ/OLJ,
Örra xaTa TOU xaT'l}')'O(lOV/J,SJ/OLJ AS')'eTat, rravTa xai xaTa TOU t!TrOXel/J,SJ/OLJ
Q'l}:J'~(J'eTat, olov x. T. A.
FÜNFTES KAPITEL. 181

Unterschiede der zweiten Intention, die bloß Existenz im Verstande, bloß


ein eTva1 wq aA'YJ;;J-eq haben können. 325
Aehnliches wie von den zweiten Substanzen gilt auch von den Differen-
zen, die auch Brandis Bedenken zu machen scheinen. 326 Allein es ist kein
Zweifel, daß die Differenzen der Substanzen, wenn anders die wirklich
essentiellen Differenzen der Substanz angegeben werden, zur ersten Katego-
rie gehören; denn sie sind ja essentiell identisch mit den Gattungen, welche
durch sie contrahirt werden. Nur insofern kann man sagen, sie seien keine
Substanzen, als sie nicht direct, sondern, obgleich sie als Synonyma an dem
Begriffe der ouO"ta participiren, 327 nur reductiv in der Kategorie zu stehen
kommen, wie wir oben § 11. gezeigt haben.
(6) Wenn aber Trendelenburg fortfährt: Es „ist die Figur,* welche die
Arten der räumlichen Quanta bildet, der Kategorie der Qualität zugewiesen,
und in diesem sich weit erstreckenden Beispiele hält sich die specifische Dif-
ferenz nicht in der Substanz, in welche sie aufgenommen war, "328 so ist wohl
zu beachten, daß dies die substantielle Differenz nicht trifft; denn die Quan-
tität ist ja nicht Substanz. Zwischen der Definition der Substanz und der
der Accidenzien herrscht, wie das siebente Buch der Metaphysik lehrt, ein
großer Unterschied, so zwar, daß Aristoteles den letzteren nur gewissermaßen
eine Definirbarkeit zuspricht und sagt, man könne eben so wahr sagen, sie
hätten keine Definition, als sie hätten eine, je nachdem man den Begriff
mehr oder minder scharf bestimme. 329 Bei ihnen, wegen ihres unselbststän-
digen, mangelhaften Seins, geschieht es allerdings, daß die Differenzen der
einen Kategorie oft einer andern Kategorie entnommen werden. Sie werden
eben entnommen aus der Verschiedenheit der Principien des Accidenz. So
nimmt die Substanz die Stelle der Differenz ein, z. B. wenn ich sage, das
Blond sei das Gelb des Haares u. dgl. Aber auch Accidenzien sind Principien

325 S. o. Kap. III. § 2.


326 Griech.-Röm. Philos. II, 2, 1. S. 401.
327 Wenn sie aber sogar xaT' avaAoryfav Substanzen genannt würden, so würde dies
ihre Reduction auf die ourrfa als entsprechende Kategorie nicht hindern, wie das
Öv 1Juvaµ,s1, das in jeder Kategorie sich findet, die ÜA'Y) und µ,oecp'f/ u. dgl. beweisen
(s.o. § 11.). Nur zwischen dem, was direct einer Gattung untergeordnet ist, kann
eine Analogie in der Participation des Gattungsbegriffes nicht bestehen.
328 Trendelenburg a. a. 0. S. 182 [
329 Metaph. Z, 5. p. 1031, a, 10.

* S. Einl.AS XC.
182 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

anderer Accidenzien, z. B. die Quantität das Princip der Relation des Größe-
ren zum Kleineren, und das Leiden das Princip der Relation des Leidenden
zum Thätigen u. s. w. u. s. w. Ferner wo Aristoteles die Arten der Bewegung
bestimmt, bestimmt er drei Arten, die Ortsbewegung, das Wachsthum und
die Minderung, und die Alteration (qualitative Aenderung). Fragen wir nach
dem 1Ta1Txs1v330 des örtlich Bewegten, so wird offenbar das q;e(le1TS-a1 als eine
Bewegung nach einem Orte, ebenso die quantitative Bewegung als Bewe-
gung zu einer Quantität, die Alteration als die zu einer Qualität zu bestim-
men sein. Der Terminus des 1Ta1Txe1v, der selbst in einer andern Kategorie
sich findet, specificirt dasselbe dennoch, indem er als Differenz in seiner
Definition gesetzt wird. Aehnlich wird das Princip der Bewegung das 7TOl-
e7v differenziren, z. B. das active Erwärmen als eine Bewegung, die von der
Wärme ausgeht, zu definiren sein. Und darum sagt Aristoteles von den Qua-
litäten jener Species, die er die 1TaS-'f)TIX'f/ nennt, sie seien die Differenzen der
Bewegung. 331 Es kann also nichts Auffallendes und Anstößiges haben, wenn
bei Accidenzien die Differenz von einer andern Natur entlehnt wird. Es ist
dies kein Mangel des Aristoteles, sondern ein Mangel des Tl ,fiv slva1* in den
Kategorien außer der Substanz.
Freilich scheint bei der Figur ein besonderer Fall einzutreten und die Figu-
ren scheinen wirldich für substanzielle Differenzen erklärt zu werden; denn
Metaph. 1::::.., 14. stellt Aristoteles bei der Reduction der vierfachen 1TOIOT'f)q nur
die Figur mit der 'IJ1aq;oea T'Y}q ou1T[aq zusarnmen, 332 nicht aber die passibeln
Qualitäten. Dies kömmt daher, weil die Quantität mehr als andere Acciden-
zien in der Weise der Substanz bezeichnet wird, weil sie in der Weise der Mate-
rie inhärirend in gewisser Weise als das Substrat anderer Accidenzien angese-
hen werden kann, 333 wie z.B. wenn ich sage, die Fläche ist blau u. dgl. So sagt
man auch, dies Gelb ist mehr oder minder gelb als jenes; dagegen, diese Linie
ist eine längere oder kürzere Linie als jene u. dgl. Daß aber Aristoteles nicht
eigentlich die Quantität für eine Substanz hielt, bedarf keines Beweises.
330 Das nao-xs1l/ ist nämlich nicht bloß reell, sondern auch begrifflich identisch mit
dem Xll/eto-Sw und unterscheidet sich bloß je nach der Reduction auf die eine oder
andere Kategorie. s. o. Kap. IV. § 2.
331 Metaph.L':..,14.p.1020,b,17.Ta <Je na:}'f) TWl/ Xll/OVJJ,Sl/Wl/ fi Xll/OV/J,ella,
xai' ai TWll Xlll'YJO-eWll <J1arpoeaf.
332 Metaph. L':.., 14. p. 1020, b, 15. TaVT'f)<; <Je Tl xai' 'Y} el/ TOI<; ae1:}µ,0T,; 7TOIOT'f)<;
µ,eeo,;· <J1arpoea ,yae Tl<; OVO-IWll, aU' 'I) ov Xll/OV/J,Sl/Wl/ 'I) ovx '(/ Xll/OVJJ,ella.
333 Vgl. Metaph. L':.., 13. p. 1020, a, 19.
* S. Einl.AS LXXXIX.
FÜNFTES KAPITEL. 183

(7) Der Zweck der Kategorien und der Zweck jeder Eintheilung ist eine
Sonderung. Der größte Vorwurf, den Trendelenburg334 u. A. gegen die Kate-
gorieneintheilung erheben konnten, ist daher der der Confusion in den
untergeordneten Dingen. Mit Recht fordert man, daß die Grundbegriffe in
scharfen Gränzen sich voneinander absetzen, so daß sicher bestimmt werden
kann, unter welchen derselben sich die einzelnen Begriffe direct unterordnen
lassen. 335 Man fordert dies mit Recht; allein man hüte sich, mehr als dieses
zu fordern, d. h. diese Forderung auf alles irgendwie unter eine Kategorie
Gehörige auszudehnen oder außer der begrifflichen Sonderung eine reelle zu
verlangen, die hier keineswegs nothwendig ist. 336
Wir haben schon gesehen, wie auf die Differenzen der Accidenzien, die
eben nicht direct in der Reihe einer Kategorie zu stehen kommen, die For-
derung nicht allgemein ausgedehnt werden kann. Es bleiben nur die Indi-
viduen, Arten und Gattungen übrig; an ihnen muß sich die Güte oder Feh-
lerhaftigkeit der Eintheilung offenbaren; denn nichts kann vermöge directer
Unterordnung zwei Gattungen angehören. 337
Da sind denn die Anklagen zahlreich, die gegen Aristoteles erhoben wer-
den. Von jenen, welche die Kategorien des xlii<T3-a, und exe1v betreffen, die
als keine reellen Kategorien neben den andern erschienen, abstrahirend, wol-
len wir versuchen, Einiges zu seiner Vertheidigung zu sagen.
(a) Am leichtesten ist diese bei Vorwürfen, wie dem, daß das meiste Thun
zugleich ein Leiden sei, wie das Lehren des Lehrers identisch ist mit dem
Lernen des Schülers u. s. f. 338 Nicht bloß das meiste Thun, alles Thun ist
Leiden; allein da zur Unterscheidung der Kategorien keine reelle Verschie-
denheit verlangt wird, eine begriffliche Verschiedenheit aber offenbar statt-
findet, so ist hier nichts, was Schwierigkeit bereitete. So sagt auch Bran-
dis, daß die Forderung, die Dinge nach dem jedesmaligen Standpuncte der
Erörterung verschiedenen Kategorien subsumiren zu dürfen, vollkommen
berechtigt sei. 339 -Auf dieselbe Weise müssen eine Menge anderer Anklagen
abgewiesen werden, die alle reelle Sonderung statt begrifflicher verlangen. So
z. B. wenn Wo und Wann eigene Kategorien constituiren, so widerspricht

334 Gesch. d. Kateg. S. 181. u. a. a. 0.


335 Ebendas. S. 179.
336 s. o. § 10.
337 s. 0. § 9.
338 Gesch. d. Kateg. S. 139. S. 184.
339 Griech.-Röm. Philos. II, 2, 1. S. 404.
184 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

es gar nicht, daß T07Toq 340 und xeovoq in andern Kategorien auftreten. Indeß
sind Tonoq und xeovoq keine eigenen Species der Quantität, da vielmehr der
Tonoq zu der Art der Fläche gehört, und der xeovoq, wie Metaph. A, 13. p.
1020, a, 26. ausdrücklich sagt, nur xaTa <Tuµ,ßaß'f)xoq ein 1TO(TQ)) zu nennen
ist. Weil nämlich der Raum, worin das erste Bewegliche sich bewegt, ein
no<Tov ist, gehört auch die Bewegung selbst unter das no<Tov, und weil diese,
auch die Zeit.
(b) Ueberhaupt sieht man an diesem Beispiele, daß es dem Aristoteles in
dem Buche der Kategorien nicht immer so genau darauf ankam, die eigent-
lichen Species der Gattungen anzugeben, 341 wie er ja öfter darin bloß dialec-
tisch verfährt. 342 So z.B. gibt er als Differenz des no<Tov die S-e<T1q an, und aus
dem Zusammenhange wird deutlich, daß unter dieser S-e<T1q zwar nicht die,
welche die Würde einer Kategorie beanspruchen möchte, die Toü* exovToq
µ,ee'f/ Tag,q xaTa T01T0)) (Metaph. ,6., 19. p. 1022, b, 1.), wohl aber nichts
Anderes als eine Ordnung der Theile hinsichtlich des Ganzen xaS-' ÖAov, 343
also doch nur eine Relation gemeint ist, die ein Proprium der continuirli-
chen Quantitäten, die nicht bloß xaTa <Tuµ,ßaß'f)xoq Quanta sind, keine Dif-
ferenz unter ihnen ist, weßhalb auch Metaph. A, 13. p. 1020, a, 8. anders

340 Wenn bei dem zur Quantität gehörigen To1roc; auch von einem Oben und Unten
gesprochen wird, das doch zunächst in die Kategorie des 1rou zu gehören scheint
(Trendelenburg, Gesch. d. Kateg. S. 183. Brandis, Griech.-Röm. Philos. {II.2.1}
S. 401.), so ist offenbar von einem andern, analogen Oben und Unten die Rede;
nicht insofern ich sage, dies Ding, das irgendwo ist, ist oben, sondern insofern
ich sage, dieser Ort, der für etwas das 1rou bestimmt, ist oben, d. h. er bestimmt
es so, daß es oben ist. Aristoteles sagt: T'ljV 1reoc; To µhrov xweav xaTw Ae,yovTsc;,
während das eigentlich X<l,TW Genannte TO av Tfj 1T(j_O<; TO µ,euov xweq., sein würde.
Er nennt also hier xaTw, was das xaTw constituirt, wie er umgekehrt manchmal
d~s durch den,Ort Bestimmte Ort nennt, z.B. Metaph. K, 12. p. 1068, a, 10. wo
T01roc; statt 1rou steht.
341 So zählt das sechste Kapitel {Cat. cp.6} p. 4, b, 24. To1roc; und xeovoc; wie eigene
Species der Quantität auf, die Metaph. A, 13. nicht anerkennt, da es sogar den
xeovoc; als xaTa uuµ,ßsß'f}xoc; 7TOUOV bezeichnet. P· 1020, a, 26.
342 Categ. 7. p. 8, b, 21. luwc; (}e xaAe7TOV U1T8(j_ TWV TO/OUTWV U({)O(}(j_wc; 0,1TO({)ai-
Ve(J'S-a,1 /J,'lj 1TOMax,c; 81TeUXeµ,µ,evov· TO /J,SVTOI (}1'f}1TO(j_'f}XBVal 8({), exaUTOU
aUTWV oux äxe'f/UTOV S(J'T/V,
343 Vergl. Categ. 8. p. 10, a, 19.

* S. Einl.AS XC.
FÜNFTES KAPITEL. 185

~intheilt. Daß nun ein l'ilwv unter eine andere Kategorie gehört als seine
Species, hat keine weitere Schwierigkeit. 344
(c) Es macht aber das neo~ Tt auch nach anderen Seiten hin Schwierig-
keiten und scheint mit mehreren Kategorien in Collision zu gerathen. Am
wenigsten auffallend und am leichtesten zu lösen ist die mit dem 1ro1eTv
und 1ra,(l'xe1v. 345 Es ist klar, daß das Thuende eben durch sein Thun auch
in Beziehung tritt zu dem, was leidet. Der Schlagende schlägt einen Schlag
und schlägt ein Geschlagenes, d. i. einen Körper, der den Schlag empfängt.
Beides ist reell untrennbar. Der Verstand aber, der den doppelten Begriff des
Ihuns sowohl, als der Beziehung, die zwischen zwei Substanzen durch dieses
Ihun gesetzt wird, erfaßt, ordnet sie zwei verschiedenen Kategorien unter,
wenn auch die Sprache keinen verschiedenen Ausdruck ihm gestattet. 346
Dasselbe gilt natürlich vom Leidenden; es leidet durch das Princip des Lei-
dens und durch das, worin das Princip des Leidens sich findet; wo also dieses
eine von dem Leidenden selbst verschiedene Substanz ist, muß eine Relation
der einen Substanz zur andern eintreten. Nur bei den im eigentlichen Sinne
intransitiven Acten347 findet ein Thun und Leiden ohne reelle Relation statt,
weil weder evee,yefq, noch cSwaµ,et eine Mehrheit von Substanzen, zwischen
denen die Relation stattfände, vorhanden ist; diese kann also bloß eine ratio-
nelle sein, wie wenn ich sage: dasselbe ist dasselbe mit demselben. Simplicius
macht aber diesen besondern Fall mit Recht geltend, um daraus die Distinc-
tion des Thuns und Leidens von der Kategorie der bloßen Relation, die hier
am klarsten hervortritt, obgleich sie auch sonst einer genaueren Betrachtung
sich nicht verbirgt, für alle Fälle zu beweisen. 348
(d) In ähnlicher Weise erklären sich ähnliche Erscheinungen, wie z. B.
wenn der :Je(l't~, die in einer Relation der Theile in Bezug auf das Ganze
besteht, 349 manches untergeordnet wird, was wieder in andern Kategorien

344 Dies in Bezug auf den Einwand Trendelenburgs, Gesch. d. Kateg. S. 184.
345 Gesch. d. Kateg. S. 131 f.
346 s. 0. § 15.
347 s. o. § 13.
348 Simpl. ad. categ. fol. 76, a, § 11. ed. Basil. {Simpl. in Cat. [cp.9], CAG VIII
299 .1 ff. Seine Beispiele für den besonderen Fall, von dem Brentano spricht: ,,denn
das Umhergehen und das Laufen sind keine Relativa, gleichwohl aber sind sie ein
Tun", ou 7ae tJrq TO 7re(}_l7TaTetli '() Tg_exetli rrg_oc; Tl, xaiT01 TrOlelli Öv, 299.7f.}
349 Das rrg_oc; Tl collidirt hier mit der Qualität mehr als (woraufTrendelenburg S. 183.
zunächst hinwies s. o.) mit dem Quantum, worin sie ja doch nur die Stelle der
Differenz eingenommen hätte; und zwar nicht sowohl mit der vierten Species der
186 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

auftritt. Das nuxvov und µ,avov und das AelOl/ und Teaxu sind der Ausdruck
für Relationen, die zwischen den Theilen stattfinden, die c}uvaµ,s1 verschie-
dene TO(Je Tl sind und folglich eine reelle Relation zulassen. So sehen wir
sie denn Categ. 8. p. 10, a, 19. als :J'so-s1; bezeichnen, und doch werden sie
anderwärts offenbar der dritten Art der Qualität zugewiesen (Phys. VII, 2.
p. 244, b, 7. vergl. unten b, 18. und 20. De generat. et corr. II, 2. p. 329, b,
20.). Hier aber ist der Begriff wenigstens sicher ein anderer; nicht die Ord-
nung der Theile, sondern die Differenzirung der sinnlichen Empfindlichkeit
kömmt in Betracht. (Vergl. Categ. 8. p. 9, b, 5. - s.o.§ 13 und§ 16, 6.)
(e) Am auffallendsten muß aber der Vorwurf der Collision zwischen neo;
Tl und ouo-fa sein, zwischen dem µ,aAIO-Ta und 'Y)XIO-Ta Öv. Kaum eine reelle
Identität scheint zwischen einer Substanz und andern Kategorien möglich;
wie sollte nun gar eine rationelle stattfinden? - Aristoteles ist daher der
festen Ueberzeugung, daß dieses nun und nimmermehr sein könne, weder
eine ganze, noch eine Theilsubstanz, weder eine evse,ysfq, noch eine c}uvaµ,s1
ouo-fa 350 kann dem neo; Tl angehören. Wie sollte auch aus Relationen eine
Substanz sich zusammensetzen? Dennoch meint Trendelenburg, Aristoteles
habe die Materie und Form unter die Kategorie der Relation gestellt, 351 und
tadelt ihn darum, wie er es mit Recht verdiente, sofern die Voraussetzung
richtig wäre. Dagegen scheint er mir ihn mit geringerem Rechte darüber zu
beschuldigen, daß er die Theilsubstanzen der Kategorie der Substanz gewahrt
und sie nicht in die der Relation hinüberversetzt hat. 352 Daß dies nicht so
ganz „mit Willkür" geschehe, dafür können wir Trendelenburg selbst zum
Zeugen nehmen, wenn er an der zuvor citirten Stelle sagt, daß wenn Materie
und Form unter das neo; Tl gestellt würden, damit nichts gesagt wäre: ,,denn
Entstehung und Inhalt, überhaupt die Kategorien der Materie und Form
sind dadurch nicht bezeichnet. "353
Was also vor Allem die ÜA'Y) betrifft, von der Aristoteles Phys. II, 2. zu
behaupten scheint, sie sei eine Relation, 354 so beweist Metaph. N, 1. auf
das Schlagendste, daß er gerade so wie Trendelenburg gedacht hat. ,,Es ist

Qualität, welche Aristoteles, scheint's, im Ernste ausschließt (Categ. 8. p. 10, a,


18.), als mit der dritten, wie wir sogleich zeigen werden.
350 Metaph. N, 1. p. 1088, b, 2. TO /Je rreo,; Tl OVTe <Juvaµ,et OUIJ'la OVTe 8l/ef27el(!,.
351 Gesch. d. Kateg. S. 187.
352 Ebendas. S. 181.
353 Ebendas. S. 187.
354 Phys. II, 2. p. 194, b, 8. eTt Twv rre6,; Tt 0 Ükf/.
FÜNFTES KAPITEL. 187

nothwendig," sagt er dort, ,,daß Materie eines jeden das sei, was in Möglich-
keit ein solches ist; so ist es also auch bei der Substanz; die Relation aber ist
weder in Möglichkeit Substanz noch in Wirklichkeit. Es ist also thöricht,
oder vielmehr unmöglich anzunehmen, eine Nichtsubstanz sei Element der
Substanz und früher als sie; denn später als sie sind alle Kategorien. "355 Hier-
nach kann der Sinn der obigen Stelle aus dem zweiten Buche der Physik nur
der sein, daß jeder Form eine eigene Materie entspreche,3 56 nicht aber, daß
die Materie unter die Kategorie des neoc; Tl gehöre. Man sieht dies deutlich
aus den unmittelbar folgenden, erklärenden Worten (ä.Mq1 70.e sYrJs1 ä,).)\'Y)
ÜA'Y)*). Dies ist auch vollkommen genügend zu dem, was er beweisen will.
Denn wenn jede Form sich ihre eigene Materie determinirt, so ist die Folge-
rung, die Aristoteles ziehen will, klar, daß nämlich die Physik zugleich von
der Materie und Form handeln wird.
Was fehlt denn nun aber der Materie und Form, was fehlt sämmtlichen
Theilsubstanzen daran, daß sie zu den neoc; Tl gehören könnten? - Es fehlt
ihnen 1) schon das, was allen Accidenzien gemein ist, daß sie nämlich außer-
halb des Wesens der Substanz sind, der sie angehören, und von der sie prä-
dicirt werden. Insbesondere fehlt ihnen dann 2) das, was das Wesen der
Relation ausmacht, nämlich, daß sie in der Beziehung einer Substanz auf die
andere besteht. Der Kopf, die Hand u. dgl. sind ja offenbar keine Beziehun-
gen zwischen Substanzen, sondern selbst Substanz.
Worin besteht denn nun aber bei so großer Verschiedenheit die Aehnlich-
keit dieser Theilsubstanzen mit den Relationen, so daß auch Brandis darin
einstimmen konnte, daß** es Aristoteles „nicht gelungen" sei, ,,die Wesen-
heiten sämmtlich vom Gebiete der Beziehungen auszuschließen"? 357 - Die
Aehnlichkeit scheint eine doppelte zu sein: 1) ist es eine besondere Eigen-
thümlichkeit der Relationen, daß das eine Relative nicht ohne das andere
sein oder erkannt werden kann; gegenseitig fordern und definiren sie sich,

355 Metaph. N, 1. p. 1088, b, 1. ava,yx'Y} Te exao-TOLJ ü)w1v elvat TO <Juvaµ,et TOIOLJTOV,


WO-Te xai ouo-fa<;· TO /Je 1T(20<; Tl oihe <Juvaµ,et ouo-fa olhe evee7e1q,. 0,T07TOV
OÜV, µ,äMov /Je U/JUVUTOV, TO ouo-fa<; /J,'YJ ouo-fav 1TOlelV 0-TOIXelOV xai 1T(20Te(20V"
ÜO-Te(20V ')'U(2 näo-at ai XUT'Y}')'0(21UI.
356 De anim. II, 2. p. 414, a, 25. exao-TOLJ 7ae 0 evTeASXeta ev TqJ <Juvaµ,et unaexovTt
xai Tfj oixs[q, ÜA'{} 1TS<pLJXeV e77[,yveo-S-a1.
357 Griech.-Röm. Philos. {II.2.1 401}

* Phys. II.2 194b9.


** S. Einl.AS XC.
188 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

z. B. Herrschendes und Beherrschtes, Größeres und Kleineres u. dgl. Das


Herrschende fordert ein Beherrschtes und das Größere ein Kleineres und
umgekehrt. Das Herrschen des Einen ist ja eben nicht bloß reell identisch
mit dem Beherrschtsein des Andern und das Größersein des Einen mit dem
Kleinersein des Andern, 358 sondern auch begrifflich hängt Eines von dem
Andern ab, indem nur der Terminus zum Fundament und das Fundament
zum Terminus gemacht wird. Hiemit haben nun die Theilsubstanzen und
insbesondere Materie und Form eine Aehnlichkeit, die, wie sie nicht jede für
sich ein stva,1 TZAetoJJ haben und haben können, auch der Erkenntniß nach
von einander abhängen. Wenn sie nicht dasselbe sind, so bilden sie doch
zusammen ein Seiendes, und in der Bestimmung und Definition des Einen
wird das Andere berücksichtigt und mitgesetzt. So wird in der Definition,
der Seele z. B., die eine Form ist, ihre Materie gesetzt (De anim. II, 1. p. 412,
a, 19.), in der der Materie natürlich um so mehr die der Form. Dies gibt
ihnen jene Aehnlichkeit mit den Relationen, wegen deren sie in der oben
citirten Stelle der Physik als neo,; Tl bezeichnet wurden.
Ein Zweites aber, wodurch die Theilsubstanzen mit den Relationen ver-
wandt erscheinen, ist die Prädication der Theile vom Ganzen. Der Theil
kann nämlich vom Ganzen, wie wir schon oben bemerkten, 359 in einer abge-
leiteten Form prädicirt werden, in der absoluten aber nicht. Ich kann nicht
sagen: der Vogel ist Flügel, sondern: der Vogel ist geflügelt u. dgl. Frage ich
nun: wodurch ist der Vogel geflügelt? so muß ich sagen: er ist durch die
Flügel geflügelt, und frage ich: wessen sind die Flügel? so muß ich sagen: sie
sind die Flügel des Geflügelten. Hiedurch entsteht eine täuschende Aehn-
lichkeit mit correlativen Dingen, wo ja auch der Beherrschte der durch den
Herrn Beherrschte und der Herr Herr des Beherrschten war u. dgl. Und
diese Schwierigkeit ist es, welche das Buch der Kategorien hervorhebt. 360 Sie
löst sich aber in folgender Weise: Das Geflügelte als Geflügeltes ist nichts
Anderes als der Flügel, wie das Gerechte als Gerechtes nichts Anderes ist als
die Gerechtigkeit. Sie unterscheiden sich bloß als absolute und concretive
Form, deren letztere anzeigt, bei dem Einen, daß es nicht eine für sich unab-
hängige ganze Substanz, bei dem Andern, daß es ein Accidenz ist. Daher
können in dieser Form beide von der ganzen Substanz prädicirt werden,
was in der absoluten darum nicht geschehen konnte, weil man sonst das

358 s. Phys. III, 3. p. 202, a, 18 u. b, 17.


359 s. o. § 11.
360 Categ. 7. p. 8, a, 25.
FÜNFTES KAPITEL. 189

Prädicat für ein das Wesen und zwar das ganze Wesen des Subjects bezeich-
nendes gehalten hätte; denn auch das Genus Thier bezeichnet, wenn auch
in weniger bestimmter Weise als die Species, den ganzen Löwen u. dgl.
Allein diese Benennung der Substanz nach ihrem 1heile oder nach einem
Accidenz macht noch keine Relation aus. Wenn das Beherrschte nur durch
das Beherrschtwerden beherrscht wäre, so würde es nichts Relatives sein, so
wenig wie das Runde, das durch die Kugelgestalt rund ist; denn wo wären
hier die zwei Substanzen, zwischen denen die Relationen stattfänden? Das
Beherrschte ist aber eben auch ein durch den Herrscher Beherrschtes, und
das macht seine Relativität aus. Denn das Beherrschte als Beherrschtes ist
nicht eins mit dem Herrscher, vielmehr ist nichts, insofern es beherrscht ist,
Herrscher u. dgl.
Warum hat aber Aristoteles die Schwierigkeit nur in Bezug auf die Theil-
substanzen hervorgehoben und nicht in Bezug auf die Accidenzien, hinsicht-
lich welcher doch vollkommen dasselbe der Fall zu sein scheint?361 Er that es
wohl deßhalb, weil bei den Theilsubstanzen die Täuschung insofern leich-
ter ist, als man bei dem Accidenz, wegen des Mangels der correlaten Sub-
stanz sogleich die Unmöglichkeit einer wirklichen Relation erkennt; z. B.
wenn man sagt, die Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit des Gerechten, so ist
die Substanz des Gerechten allein Substanz. Dagegen finden sich bei jenen
andern scheinbaren Relativis wirklich zwei Substanzen vor, die zu einander
in Relation treten können, die ganze und die Theilsubstanz. Dies also kann
wirklich auf Augenblicke verwirren, so gewiß es auch ist, daß Kopf, Fuß,
Hand und die andern Glieder nicht bloße Beziehungen von Substanzen
sind, wodurch am Ende die ganze Substanz aus Beziehungen sich zusam-
mensetzen würde, was, wie Aristoteles Metaph. N, 1. mit vollem Recht sagt,
eine lächerliche, ja unmögliche Annahme wäre.
Die Theilsubstanzen sind aber auch in gewisser Weise in Wahrheit Rela-
tionen, in jener nämlich, die Aristoteles Metaph. !:::.., 15. p. 1021, b, 8. als
neoc; Tl xaTa O"'Vf.1,ßeß'Y)xOc; bezeichnet. In dieser Weise kann z. B. der Kopf
ein neoc; Tl genannt werden, weil er ein Theil ist. Der Begriff Theil ist wirk-
lich eine Relation und ein Accidenz aus der Kategorie neoc; Tl. Aber das,
dem es zukömmt, ein Theil zu sein, ist wohl als Theil, aber nicht als das,

361 Nur Metaph. !::,., 15. p. 1021, a, 31. berührt er auch diese: TO Te ')'ae (J/0,l/O'l)TOV
U'l)/J,O,ll/elÖTt 8(}"Tlll aUTOU <l1avo1a,, oux eUTI ;J' 'Y) Ü/(1,l)O/a neo<; TOUTO OÜ 8(TTI <J,a-
l/0/0,' <Ji<; ')'ae TaUTOV de'l}/J,SVOJ) äv ei''I}, oµ,o[w<; üe xai TlllO<; 8(TT/ll 'Y) Öt/;t<;
öt/;1<;, oux OÜ SUTlll öt/;t<;' xalTOI ?', aNf}S-e<; TOUTO einüv· a,Ma, 'ITQO<; xewµ,a, ,ii neoc;
äUo Tt TotouTov.
190 VON DER MANNIGFACHEN ßEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

was es seinem Wesen nach ist, ein neo; Tt. Der Groschen ist der dreißigste
Theil des Thalers, deßwegen ist der Groschen aber keine Relation; die Linie
ist ein Th eil des Dreiecks, aber an und für sich kein neo; Tl, sondern eine
Quantität und dgl. Daß nun dort eine Substanz Fundament der Relation
ist, widerspricht nicht, 362 nur kann sie nicht selbst die Beziehung, die auf sie
sich gründet, sein. Z. B. zwischen Socrates und Plato findet eine Gleichheit
statt, insofern beide Menschen sind, und dieses sind sie durch ihre Substanz;
deßwegen ist aber weder Socrates noch Plato etwas Relatives; auch sind sie
nicht reell identisch mit der Relation, die zwischen ihnen sich findet; denn
lassen wir den Socrates sterben, so hat die Relation aufgehört, und dennoch
bleibt Plato unverändert der er war.
So viel also sei zur Rechtfertigung unseres Philosophen in diesem Puncte
gesagt.
(f) Doch noch eine andere Schwierigkeit macht uns die Kategorie der
Relation. Es soll nämlich geschehen, daß Arten unter das no16v gehören,
deren Gattungen unter das neo; Tl fallen, 363 und Metaph. A, 15. scheint
hierin ziemlich im Einklange mit dem Buche der Kategorien zu stehen,
indem es eine Art von neo; Tl unterscheidet, die so genannt werden, weil
ihre Genera zu der Kategorie gehören. 364 Trendelenburg hat nicht versäumt,
auf diese auffallende Behauptung aufmerksam zu machen. 365
Allein auch hier scheint eine Lösung des Knotens nicht unmöglich. Vor
Allem halten wir, nach dem früher Betrachteten, so viel fest, daß ein und
derselbe Begriff nicht direct in zwei disparaten Gattungen zu stehen kom-
men kann. 366 Es ist also unmöglich die Meinung des Aristoteles, daß ein

362 s. o. § 15.
363 Categ. 8. p. 11, a, 23. UXeOOl/ 7ae eni 1T/1,l/TWl/ TWl/ TOIOLJTWl/ Ta ')'.Sl/'I) neoq Tl
A.S')'eTal, TWl/ Oe xaS-' exauTa ouOel/. 'f/ µ,ev 7ae .S7TIUT'l}/J,'I), 7evoq oüua, aUTO
Önee SUTll/ heeou A.S')'eTal (Ttlloq 7ae S7TIUT'l}/J,'I) A.S')'eTal), TWl/ Oe xaS-' exauTa
OUOSl/ aUTO Önee SUTll/ freeou A.S')'eTal, oTov 'f/ 7eaµ,µ,aTtX'f} ou A.S')'eTal Tll/Oq
7eaµ,µ,aTIX'f} ouo' rq /J,OUUIX'f} Tll/Oq /J,OUUIX'I). aM' ei äea, xaTa TO 7evoq xai
aiha1 TWl/ neoq Tl A.S')'Ol/Tal, 0/0l/ 'f/ 7eaµ,µ,aTIX'f} A.S')'eTal Tll/Oq 87TIUT'l}/J,'I), ou
T1voq 7eaµ,µ,aT1X'I}, xai 'f/ µ,ouu1x0 T1voq emUT'l}/J,'I) Ae71;m1, ou T1voq µ,ouu1x,fi.
WUTe ai xaS-' exauTa oux eiui TWl/ neoq Tl. Ae')'O/J,e:J'a Oe 7TOIOI Ta7q xaS-' exauTa
x. T. A.
364 Metaph. !::,,, 15. p. 1021, b, 3. Ta µ,ev OÜl/ xaS-' eauTa Ae')'O/J,el/a neoq Tl Ta /J,Sl/
oÜTW A.S')'eTal, Ta Oe 0,)/ Ta ')'Sl/'I) aUTWl/ ii TOlaÜTa, 0/0)) 'f/ iaTe1x0 TWl/ neoq Tl
ÖTI TO 7evoq aUT'Y)q 'f/ emUT'l}/J,'I) OOXel ell/al TWl/ neoq Tl.
365 Gesch. d. Kateg. S. 183.
366 s. oben§ 9.
FÜNFTES KAPITEL. 191

und derselbe Begriff als Species der Qualität und der Relation, 367 oder daß
eine Species der Qualität, und ihr Genus der Relation zufallen könne; denn
dann würde eben das Genus beiden Kategorien, und folglich auch die Spe-
cies. beiden angehören. Nur von einer nominellen, oder höchstens nomi-
nellen und reellen Identität kann die Rede sein, wenn etwas zwei Katego-
rien zugewiesen wird. So war oben das Wärmende, das zur Kategorie 1ro1a111
gehört, nominell und wohl auch reell identisch mit dem Wärmenden aus
der Kategorie des neoq Tl; denn das Princip des Einen war Fundament des
Andern, und beide verlangten denselben, in einem andern Subjecte befind-
lichen Terminus. So ist ferner die Wärme nominell wenigstens gemeinsam
der Qualität, als notoT'Y)q na,;9-'YJTIX'IJ, und der Relation, denn das Erwärmbare
ist durch die Wärme erwärmbar; reell sind sie darum nicht identisch, weil
die Qualität Wärme fortbesteht, auch wenn das Erwärmbare aufgehört hat
zu existiren. Dagegen scheint die Relation Wissenschaft, als die Beziehung
des Wissenden zum Gewußten, wirklich reell identisch mit der es1q des Wis-
sens, d. i. mit der Wissenschaft als Eigenschaft, die dem erkennenden Sub-
jecte eine Perfection verleiht, also dasselbe in Rücksicht auf seine Natur in
gewisser Weise differenzirt oder determinirt; 368 denn nach jenem berühmten
Satze, mit dem das erste Buch der Metaphysik anhebt, ,,1ra11Taq ä11;9-ew1ro1
TOÜ ali%11a1 oee,yo11Ta1 cpuua1." Was von der Wissenschaft im Allgemeinen
gilt, gilt auch von ihren einzelnen Arten. Bei reeller und nomineller Identi-
tät besteht nur ein begriffiicher Unterschied zwischen der jedesmaligen es1q
und dem neoq Tl. Allein dennoch tritt sprachlich ein Unterschied ein. Das
sprachliche Kennzeichen der Relationen, das Bedürfniß oder doch die Mög-
lichkeit eines anzufügenden, ergänzenden Wortes zeigt sich bei den Namen
der speciellen Wissenschaften nicht mehr, so daß, wenn der Ausdruck für
die Gattung ein gleichgeeigneter Ausdruck für den der Qualität und den
der Relation angehörigen Begriff war, die specielleren Ausdrücke alle der
es1q allein entsprechend scheinen. 369 Wir sagen: die Wissenschaft ist Wissen-
schaft des Gewußten, aber wir sagen nicht mehr: die Mathematik ist Mathe-
matik des Mathematischen, oder: die Medizin ist Medizin des Medizini-
schen u. s. w., sondern höchstens: sie ist die Wissenschaft des Medizinischen.
So sind denn die Species der Relation Wissenschaft zwar keine neoq Tl xaTa

367 Categ. 8. p. 11, a, 37. ST/ ei TtJ,YXUl!OI TO aUTO 1'i(20~ Tl xai 1'i0/0)) Ol!, oulJev aT01'iOJ!
8)) aµ,<pOT8(201~ TOI~ ')ISJ!eO"/l! aUTO xa;}ae1:}µ,1;1u;}a1.
368 s. 0. § 13.
369 s. o. S. 190. Anm. 363.
192 VoN DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ArusTOTELES

(J'uµ,ßaß'i'}xoq, 370 aber doch wegen des sprachlichen Mangels im Ausdrucke


der Relation der Sprache nach nur durch die Gattung relativ. Sie kommen
daher in Eine Classe mit manchen der abstracten Formen der neo; Tl, die
Aristoteles an derselben Stelle in gewisser Weise von den rreoq Tl (Aa,yoµ,ava)
ausschließt, wie die Gleichheit und die Aehnlichkeit, während er das Gleiche
und Aehnliche als rreoq Tt Aa,yoµ,ava gelten läßt. 371 Der Grund ist allein der,
weil man nicht die der Gleichheit Gleichheit, sondern nur das dem Gleichen
Gleiche sagen kann. Niemand wird aber behaupten, daß diese in abstracter
Form ausgesprochenen Begriffe nicht Species desselben Genus, wie jene in
concreter Form seien.
(8) So viel von dem neo; Tl, das wegen seines mangelhaften, fast weniger
als accidentellen Seins uns mehr als alle andern in Schwierigkeiten verwik-
keln wollte, indem es beweist, wie die ?)TTOV ÖvTa auch die ?)TTOV ,yvwe1µ,a
sind, wie wir oben hörten. Doch folgt nicht etwa aus dieser Niedrigkeit der
Seinsstufe, was Trendelenburg zu fürchten scheint, 372 daß das neoq Tl aus der
Reihe der zehn oder acht einander nebengeordneten Kategorien verdrängt
werde? - Dieses sicher nicht! denn wenn die übrigen Accidenzien neben der
Substanz Kategorien constituiren, so kann es doch gewiß auch die Relation
neben den andern Accidenzien. Diese Beiordnung ist keine Gleichstellung,
ja auch nicht eine gemeinsame Participation des Uebergeordneten, in dessen
Umfang sie sich theilen; denn der Begriff Öv ist ja kein Genus, wie schon so
oft gesagt wurde, sondern ein e'v xaT' avaAo,yfav.
(9) Wir kommen zu einer letzten Frage, deren Beantwortung zur Recht-
fertigung der Aristotelischen Kategorienlehre (die wir immer unter Voraus-
setzung der Gültigkeit anderer Aristotelischer Sätze über Materie und Form,
Bewegendes und Bewegtes, Zeit und Ort u. dgl. unternehmen, da ihre Prü-
fung uns allzuweit abführen würde) nothwendig ist. Wir meinen die Frage,
ob nicht einige Kategorien anderen unterzuordnen, oder ob vielleicht noch
andere Begriffe ihnen beizuordnen seien. In der ersteren Beziehung fragt es
sich, ob nicht das nou und noTe unter das neoq Tl zu stellen, in der letzteren,
ob nicht ?Juvaµ,1q und evee,ya1a zu den Kategorien hinzuzufügen seien.

370 Metaph. 6., 15. p. 1021, b, 3. TU µ,ev oov xaS-' eauTa As70µ,sva rreoq Tl Ta
µ,ev oifrw AS"f8TUI, Ta (Je Ö,v TU "fSV'I) aVTWV Ti TOlaiJTa . ... b, 8. Ta (Je xaTa
(J'LJµ,ßsß'l)xoq x. T. A.
371 Ibid. b, 6. 8TIxaS-' Ö(J'a Ta exovm AS"f8Tal rreoq Tl, olov l(J'OT'l)q ÖTI TO i'(J'OV, xai
oµ,010T'l)q ÖT1 TO Öµ,01ov.
372 Gesch. d. Kateg. S. 184.
FÜNFTES KAPITEL. 193

(a) Das Erste hat Zeller in seiner Philosophie der Griechen für richtig
erklärt. 373 Wenn dem so wäre, so ist klar, daß ein Irrthum von Seite des
Aristoteles vorläge; denn seine Meinung war dies nicht; im Gegentheile sagt
er ja in der mehrfach schon citirten Stelle Metaph. A, 28. p. 1024, b, 15,
daß die Kategorien nach der in demselben Buche, Kap. 7 gegebenen Ein-
theilung weder aufeinander noch auf ein höheres Genus sich zurückfüh-
ren ließen. Allein wir glauben nicht, daß Aristoteles hier gefehlt hat, und
wir können ihn seine Vertheidigung selbst führen lassen. Der sprachliche
Ausdruck der Relation, nämlich das Bedürfniß eines ergänzenden Casus,
fehlt den örtlichen und zeitlichen Bestimmungen, wie dem a,1yoeq, oder ev
ex.S-a~. Aber wie trüglich freilich ein solches Kennzeichen sein kann, haben
wir schon genugsam erprobt, da nach ihm zu urtheilen auch das ;uiio-.S-at
keine Relation wäre, sondern eine eigene Kategorie constituiren würde, und
alle die übrigen Anomalien einträten, die der Irregularität der Sprache, nicht
aber der Consequenz des Denkens angemessen sind. Dagegen ist ein sicheres
Kennzeichen der Relation jenes schwache, ganz und gar an andere Seinswei-
sen gebundene Sein, dem - wie doch allen übrigen Kategorien - ich will
nicht sagen eine Bewegung, aber auch nicht einmal ein eigentliches Wer-
den und Vergehen zukömmt. Indem ein Absolutes wird, schleicht sich eine
Relation mit ein, indem jenes vergeht, ist auch sie oft ohne die geringste
Aenderung im Subjecte verschwunden. Dies also ist ein allgemeines Merk-
mal der Relation. Ein Ding, welches ein eigenes Werden und Vergehen hat,
ist keine Relation. Selbst wo die Relation ohne Vermittlung eines andern
Accidenz der Substanz assistirte, wie z. B. bei der Wesensähnlichkeit zweier
Individuen aus derselben Art, fand keine Ausnahme statt (s. o.). Hieraus
folgt mit Nothwendigkeit, daß rrou und 1roTa keine bloßen rreo~ Tl sind,
und namentlich beim rrou tritt dieses deutlich hervor, das sogar eine eigene,
eigentliche xtV'l')O-t~ besitzt. 374 Was aber von dem einen der beiden Begriffe
gilt, gilt wegen der engen Verwandtschaft der beiden Kategorien auch von

373 Philos. der Griechen II, 2. S. 197. {31879 272} ,,[S]trenggenommen hätten aber
beide [das Wo und das Wann] freilich unter die Kategorie des Relativen gestellt
werden müssen."
374 Metaph. N, 1. p. 1088, a, 29. fY'fJ/J,etoli lf ÖT1 ,;jx10-Ta ouo-[a, Tlq xai Öv Tl TO -rreoq
Tl TO /J,Ol/Oll /J,'f} elva,1 ')"Elle/Tl)) (J,LJTOU /J,'f}iJe cp:3-oeav /J,'f}iJe Xlll'f}ITlll, WITTre(l_
X(J,T(J, TO TrOITOll a/5/;rf}ITlq xd cp:3-[o-1q, X(J,T(J, TO Tr010ll aMoiwo-1q, X(J,T(J, TOTrOll (f)O(l_a,
X(J,T(J, T'f)ll ovo-iav 'Y/ a-rr)li1 '}'EllelTlq xd cp:3-oea. aM' Oll xaTa TO Tr(l_Oq Tl' (J,))fil) ,yae
TOU Xlll'f};J''f)))(J,l OTe µ,ev µ,ei(ov OTS <Je SA(J,TTQ)) 'II iuov SITT(J,l ;J'(J,TE(l_OU Xll/'f};J'S))TOq
X(J,T(J, TO TrOITO)).
194 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

dem andern. So werden also das 1rou und das noTa als höhere Seinsweisen
gegenüber dem neo; Tt zu fassen, und nicht ihm unterzuordnen sein.
(b) Wir kommen zu dem anderen Theile der Frage, ob nicht die Begriffe
der iuvaµ,1; und evae,ye,a als elfte und zwölfte, oder als neunte und zehnte
Kategorie den übrigen beizugesellen seien. Trendelenburg, um das „Nein"
des Aristoteles hier zu erklären, nimmt an, daß es modale Begriffe seien, 375
die nicht zum Prädicate, sondern zur Copula gehören. 376 Wenn dem so wäre,
so wäre die Auskunft vollkommen befriedigend für uns, die wir Trendelen-
burg in der Annahme, daß die Kategorien alle von der ersten Substanz prä-
dicirt werden, folgen. Allein das Bedenken scheint uns allzusehr gegründet,
das er selbst weiter unten ausspricht: ,,Es hält aber kaum diese Scheidung
vor, wenn wir erwägen, in welchem realen Sinne iuvaµ,1; und evae,ye1a die
aristotelischen Begriffe beherrschen. "377 So wollte denn auch weder Brandis,
noch ein anderer der neueren Forscher der zuerst ausgesprochenen Ansicht
beistimmen. 378 Wir verweisen auf das im Verlaufe der Abhandlung, § 11.
hierüber Erörterte. 379 Das Öv evee,ye[q, ergab sich uns dort als reell identisch
mit dem Öv, das in die Kategorien zerfiel, und von dem es begrifflich nur
insofern verschieden blieb, als das Öv evee,yefq, zunächst besonders ein durch
die Form vollendetes, das Öv der Kategorien dagegen ein wesenhaftes, defi-
nirbares, einer Gattung subsumirbares Sein verlangte. Damit dieses der Fall
sei, muß natürlich dieses Sein ein Geformtes sein, und so sind beide iden-
tisch. Von dem b'v Civvaµ,et haben wir auch schon oben gesehen, wie es als
b'v aTeAaq auf die jedesmalige Kategorie des Öv TaAetov zurückzuführen ist.
So erklärt es sich denn leicht, wenn, nach der Bemerkung Trendelenburgs,
die Kategorien überall in realem Sinne von dem Öv Ciwaµ,et und evee,ydq,
durchherrscht werden, was sonst allerdings unmöglich geschehen könnte;
denn jene modalen Bestimmungen der Copula sind wie dieses Sein selbst
bloße Verstandesdinge, die nicht außerhalb des Geistes existiren. Deutlich
betont daher auch Metaph. !:::.., 12. den Unterschied zwischen diesem moda-

375 Gesch. d. Kateg. S. 163.


376 De interpr. 12. p. 21, b, 30.
377 Gesch. d. Kateg. S. 181.
378 Vergl. Brandis, Griechisch-Röm. Philos. II, 2, 1. S. 163. {402ff.?}
379 S.o.§ 11. S. 130 f., in welchem§ auch über die Stellung der xhnw1~ zu den Kate-
gorien und über die transcendentalen Begriffe gesprochen wurde.
FÜNFTES KAPITEL. 195

len Möglichen, das nicht xaTa ()uvaµ,1v, und den vier vorher erwähnten Wei-
sen des ()uvaTOV, die xaTa ()uvaµ,1v ()uvaTa genannt werden. 380
Dies ist, was wir auf die gegen die Aristotelische Kategorienlehre erhobe-
nen Anklagen antworten wollten. Wir sind uns bewußt, keine absichtlich
stillschweigend übergangen zu haben. Darüber aber, ob diese Vertheidigung
und in wie weit sie in jedem Puncte uns gelungen ist, erwarte ich das Unheil
größerer Kenner und besonders auch jener Männer, die mit so viel Scharf-
sinn und Klarheit die sämmtlichen Schwierigkeiten hervorhoben und durch
die genaue Fixirung der Fragepuncte das wesentlichste Verdienst an dem
Erfolge des Lösungsversuches haben. Wenn ich ihnen zuweilen widersprach,
so geschah es doch nicht, um anzugreifen, sondern um zu vertheidigen, und
ich hätte nicht gewagt, gegen sie zu sprechen, wenn ich nicht dadurch für
Aristoteles gesprochen hätte, so daß ich minder undankbar scheine, indem
ich dem dankbar bin, welchem auch sie zum Danke sich verpflichtet glauben.
Hiemit schließt sich nun das Gebiet unserer Abhandlung ab. Wir sind
in ihr stufenweise, von dem weniger eigentlich seiend Genannten zu dem
eigentlicheren Seienden aufgestiegen. Von den vier Bedeutungen des Öv, in
die dasselbe zunächst zerfiel, war das Öv, das nach den Figuren der Katego-
rie sich theilte, die vornehmste. Da aber auch von den Kategorien der Ver-
lauf dieses Kapitels gezeigt hat, daß alle in Bezug auf ein Sein, in Bezug auf
das Sein der ersten Kategorie den Namen tragen und die übrigen eigentlich
mehr eines Seienden als ein Seiendes zu nennen sind: 381 so ist es die Substanz,
die vornehmlich seiend ist, die nicht bloß etwas ist, sondern schlechthin ist,
und da man in vielfacher Weise von einem Ersten spricht, so ist doch die
Substanz von allen Seienden in jeder Weise das erste, sowohl dem Begriffe,
als der Erkenntniß, als der Zeit nach. 382 Ihr Sein ist der Terminus, zu dem
alle in Analogie stehen, wie die Gesundheit der Terminus ist, in Bezug auf
welchen alles Gesunde gesund genannt wird, entweder, weil es sie hat, oder
wirkt, oder zeigt, oder dgl. Wenn nun die Metaphysik die Wissenschaft vom
Seienden als solchem ist, so ist klar, daß ihr hauptsächliches Object die Sub-
stanz ist; denn überall bei solchen Analogien handelt die Wissenschaft haupt-
sächlich von dem Ersten, und wovon die Andern abhängen, und woher sie
380 Metaph. !::,,., 12. p. 1019, b, 21. vergl. 0, 1. p. 1046, a, 6.
381 Metaph. Z, 1. p. 1028, a, 18. Ta lJ' äMa As7sm1 Övm T(JJ TOÜ oihw,; ÖvTo,; Ta
µ,ev TiOUOT'Y)Ta,; elva,, T(l, iJe TiOIOT'Y)Ta,;, T(l, lJe TiO,:;,'Y), T(l, iJe äMo Tl TOIOÜTOV.
382 Ibid. a, 30. WUTe TO Ti(2üJTW,; b'v xai ou Tl b'v a,M' b'v anAw,; 'Y/ ouufa äv el~.
TiOMaxw,; µ,ev OÜV I\S')"eTal TO Ti(2WTOV" Öµ,w,; lJe TiO,VTWV 'f) ouufa Ti(2WTOV xa/
AO')"qJ xai ')"VWUel xa/ xeovcp x. T. A.
196 VON DER MANNIGFACHEN BEDEUTUNG DES SEIENDEN NACH ARISTOTELES

den Namen empfangen. Von der Substanz also muß der erste Philosoph die
Principien und Gründe erforschen, 383 von ihr hat er zuerst und vornehmlich
und so zu sagen allein zu betrachten, was sie sei. 384

383 Metaph. r, 2. p. 1003, b, 16. navwxoü /Je xuefwq TOÜ 7r(2WTOU 'Y/ S7rUTT"f)/J/f/, xai
es oi'i Ta iiMa 'r)(2T'f}Tat, xai lJ1' o' Ae,YOJ/Tat. ai ouv TOÜT' S(J'TIJ/ 'Y} OU(J'/a, TWJ/
OU(J'/WJ/ äv /Jeot Taq riexaq xai Taq aiT[aq 8%81)) TOJ/ <ptAO(J'O(()OV.
384 Metaph. z, 1. p. 1028, b, 6. /Jto xai 'hµ,Tv xai µ,aAt(J'Ta xai 7r(2WTOV xa/ /J,OJ/0)) wq
ainüv naei TOÜ oÜTwq ÖvToq S-awg'f}Teov Ti S(J'Ttv.
Stellenregister
Aufgenommen wurden nur die im Brentano-Text selbst zitierten Aristoteles-
Stellen. Werktitel und Reihung der Werke nach der Bel<l<:er-Edition. Seiten-
angaben in eckigen Klammern beziehen sich auf Teilzitierungen der betref-
fenden Stellen.

Categoriae De interpretatione
cp.1 lal-3,6-8 88 cp.1 16a6-8 35
cp.2 la29-63 108 cp.2 16a33-61 170
163-5 101 cp.3 16620f. 79
cp.3 1610-15 98 [180] cp.4 17a2f. 30
1616-20 120 cp.7 17a38-61 122
1622 98 cp.11 20613-23 28
cp.4 1625-27 74 [79]
2a2 157 Analytica priora
2a3 150 1.27 43a25-28 114
cp.5 2all-14 98 43a29f. 100
2a14f. 123 43a35f. 77
2a19-21 137 I.37 49a6-8 109 [107]
2a27-34 24 [99, 137] 49a7f. 75
265f. 27, 104 I.46 52al5-17 79
2621f. 101
2630 99 Analytica posteriora
2637-3a4 99 I.1 71al 1-13 39
3a38f. 98 I.2 7169-12 12
3a15-21 99 I.4 7365-10 107 [136]
3a36f. 101 I.7 75a39-62 134
468-10 35 I.13 8166f. 26
cp.6 4622-25 124 I.22 83a4-21 100
5a26-30 154 83a24f. 114
cp.7 6611-14 151 83a25-28 136 [98]
6628-30 34 83a30-32 99
8a31f. 138 83a36f. 108
8621-24 184 83615f. 75,96
cp.8 10a25f. 159 83619 136
10626 89 83620-22 108
lla23-33 190 I.28 87a38-bl 134
lla37f. 97,191 II.8 93a24-27 25
cp.9 11611-13 150 II.13 96a33-35 121
cp.10 11615f. 97 96619-21 96 [ 97]
198 5TELLENREGISTER

97a28-30 120 201627-33 69


97629-31 14 201633-202a3 69
111.3 202a13-21 123f. (118]
Topica 202614-16, 19-22 124
I.4 101b18f. 117 111.5 206a2f. 156
101 b30f. 116 IV.4 212a20f. 124, 153
I.5 102a31f. 98 212a28f. 153 [124]
I.6 102627-36 117 IY.5 212a31f. 156 [125]
I.8 10367-19 117f. 21268f. 156
I.9 103621f. 74 212612f. 154
103627-39 109 212614-16 156
103635-38 114 IV.11 219al9-21 125
104al 75 220a24-26 154 [125]
I.15 107a27-30 120 IY.12 221616-20 153
I.17 108a7-12 89 22la7-9 156
III.1 116a23-25 112 22la17f. 156
IV.2 121629-22a2 119 22la28-30 157
12261-4 120 IV.13 222a24-28 157
122618-24 128 22268f., 13 157
122639-23al 121 IV.14 223610f. 153
IY.6 127a28f. 11 V.2 225611-13 139
127b6f. 96 VII.1 242a16f. 147
VI.6 14463lf. 156 Vlll.7 26lal9f. 178
VII.5 155a3-10, 17-22 117 261a20-23 156

De sophisticis elenchis Decaelo


cp.22 178a5f. 75 (96] I.5 27168-13 11
11.4 286622f. 178
Physica
II.2 19468f. 186 De generatione et con·uptione
III. l200632-201a3 68 (82] I.7 324a26f. 146
201a8f. 70 11.6 333a23-30 89
201a9-l 1 57 (61]
201a10-15 67 Deanima
201al5-19 67 I.1 402a22-25 82, 97
201a27-32 66 II.1 412a6-10 56 [61, 97,
201a3lf.,a34-b5 65 128f., 142]
20164f. 57, 67 412a19-22 57
20165-15 67 41268f. 130
111.2 201619-24 68 11.2 414a14-16 130
201624-27 68 414a25-27 187
5TELLENREGISTER 199
III.3 428al lf., 18 31 1017al8f. 22,27
428618-25 31 1017a2lf. 101
III.6 430a26-28, 61-4 29f. 1017a22-27 85,109
430626-29 31 [152, 174]
III.7 43la4-7 147 [69] 1017a31-35 40
III.8 432allf. 29 1017a35-62 53
Ll.10 1018a31-35 93
De partibus animalium 1018a35-38 85
I.3 643a24 105 Ll.11 1018632-34 11
I.4 644al6-22 89f. 1018634-36 19
I.5 645626-28 87 Ll.12 1019al5f. 51
1019a20 51
Metaphysica 10 l 9a23f., 26 51
A.l 980a21 35, 191 1019a26-32 51
98la28-30 12 101966-8 42
981628f. 12 1019621-23,30-33 46
A.2 982a2lf.,28-30 13 1019633f. 46
a.l 993630f. 37 1019b35-20a6 93 [52]
a.2 994a22-31 62 Ll.13 1020a7f. 142
994a31-63 63 Ll.14 1020a33-62 143
B.2 997a2lf. 135 1020612f. 143
B.3 998614-16 100 1020613-21 144 [182]
998622 86 Ll.15 102la26-33 34
998624-26 128 102la31-62 189
999al2f. 178 102163-6 190
r.1 1003a21-23 11 102163-5,8 192
1003a26-32 13 102166-8 192
T.2 1003a33-67 87f. [15] Ll.17 1022a7 146
100366-10 15 Ll.19 10226lf. 151
1003611-16 93 [135] Ll.20 102264-8 149 [141,
1003612-18 177 [94] 145]
1003616-19 196 Ll.28 102466-8 105
100362lf. 135 102469-16 86 [119]
1003622-29 19 [118] Ll.29 1024617-26 30f.
100363lf. 118 1024626-28,3lf. 32
1003633-36 135 [19] 1025al-9 38
T.8 101268f. 29 Ll.30 1025al4f.,30-33 20
1012618-22 41 1025a28f. 19
Ll.6 1016631-17a3 87 [120] E.l 102563-10 13
Ll.7 1017a8-13 22 1026a29-32 12
1017al3-18 26 E.2 1026a33f. 15
200 5TELLENREGISTER

1026a34-62 16 1038al5-21 121


102663f. 25 1038a28-30 121
1026612-14 25 [24] Z.13 1039al 114
1026615f. 23 HI 1042a25-30 130
1026616-18 23 H2 1042619f. 155
1026618-20 23 1043al2f. 63, 121
1026621 24 1043al9f. 121
1026622-24 23 1043a27f. 61
1026627-31 20 H.3 104362--4 129
1026631-27a2 21 1043628-32 105
1027a5-8 23 H.6 1045a20-29 105
1027a8-ll 20 1045a36-64 86
1027al9-21 25 e.1 1046a6-9 93 [46]
E.4 1027618-28 39 1046a9f. 50
1027620-23,25-28 30 e.3 1046629-35 49
1027628[. 43 1047a20-24 53
1027634-28al 43 1047a24-29 47
1028alf. 23 1047a30-32 47
1028a2--4 43 e.6 1048a30-35 48
Z l 1028al0-15 152 [15, 1048a35-37 48
16, 84, 91, 137] 1048a36-66 48
1028al8-20 91,195 104866-9 53,141
1028a25-30 104 104869-17 72
1028a30-33 195 e.7 1049a3-18 55 [54]
1028a36-62 91,109 e.8 104965, 24-27 147
102862--4 12 104968-10 149
102866f. 196 1049610f., 16f. 47
Z.2 102868-10 142 1050a23-61 146
Z.3 1028633-29a3 129 e.10 105la34-62 16 [53]
[104, 114, 128] 105163-5 32
1029al0-19 143 105166-9 35
1029a20-25 106 [86, 105169-17 33
99] 1051617f.,23-25 33
1029a29f. 178 1051626-32 33
Z.4 1029623-25 141 1052al--4 34
1030a32-63 88 ll 1052618-20 97
103061 lf. 82 l2 1053620f. 100
Z.9 103467-10 97 l3 1054635-55al 96
Z. l O 1036a8f. 130 l6 1056633-57al 43
Z.11 1037alf. 132 l7 105767 120
Z.12 1038a8-15 122 [121] l8 1058a23-25 105
5TELLENREGISTER 201

I9 105863-5 25 108861-4 187 [46,


J(.l 1059633 128 140, 186]
J(.2 106064f. 11 N.2 1089a7-9 85
K3 1060611f. 96 1089a26-31 130 [83]
K8 1065alf. 21 1089a34f., 615f. 53f.
1065a22f. 43 1089620-24 139
106562 19 1089b27f. 97, 106
f(.9 1065616 57 N.6 1093618-21 90 [87]
J(.12 1068a8-10 70
A.l 1069a20f. 144 Ethica Nicomachea
1069a30f.,33 132 I.4 1096a21f. 140
A.4 10706lf. 96 1096a23-29 86 [132]
A.5 107la24-27 97 1096625-29 88
A.6 107163-5 132
N.l 1088a22-25 140 Ethica Eudemia
1088a29-35 139,193 VII.14 1248al5-21, 24-27 148
Personenregister
Albertus Magnus XIV Bonitz, Hermann XVIII, XXIII,
Alexander Aegeus 78 XXV, XLVII, LVI-LVIII, LXIX,
Alexander von Aphrodisias XIX, LXXVIf.,29,40f., 51, 53, 75, 78,
XLVII, XLIX, LIII, LV-LIX, 80, 82f., 97, lOlf., lllf., 114,
LXII, LXIX-LXXII, LXXVI, 134, 144, 150, 153, 160, 168,
LXXIX, LXXXII f., 29, 40f., 49, 170, 175
51, 78, 102 Brandis, Christian A. LVI, LXXIXf.,
Ps.-Alexander LXXVII, LXXXVI LXXXIIf., LXXX.V; XC, 13, 18,
Ammonios LXXIX f., LXXXIII- 40,44f., 73-76,80f., 102, ll0f.,
LXXX.Y, 99, 102, 161f. 114, 126f., 131, 133f., 136, 139,
Angelelli, Ignacio LII 152,159, 174f., 179,181, 183f.,
Antonelli, Mauro XII-XIV, XXVII, 187, 194
XL,XLV Bursill-Hall, G. L. XLIII
Apelt, Otto XXIII Busa, Roberto XVII
Archytas (richtig Ps.-Archytas) 133 Busse, Adolf LXXIXf., LXXXIIIf.,
Aubenque, Pierre XXXVI 97
Augustinus XLf., LXXX, 133, 162f.
Ps.-Augustinus LXXX, 163 Cancik, Hubert 133
Avicenna XVf., XXVII Cathala, M.-R. XV
Chisholm, Roderick M. XXX
Barnes, Jonathan LXXXI Christ, Wilhelm LXXVII, 52, 90,
Bassenge, Friedrich XX 97
Bauch, G. XXIII Chrudzimski, Arkadiusz XI
Baumer, M. R. XLIII Clemens, Franz Jakob XIII
Baumgartner, H. M. XXXVIII Crowell, Galt XIX
Bekker, Immanuel LVI, LXXVI-
LXXIX, 35, 41, 51f., 90, 97f., David (Aristoteles-Kommentator)
120, 150, 159 LXXX,LXXXIIf., 162
Benveniste, Emile XLIII Denzinger, Heinrich XIII
Bergmann, Hugo XIII Diels, Hermann 49
Berti, Enrico XXXII, XXXVI, Düring, Ingemar XXXV
XXXVIII
Bessarion, Basilius 29 Ebbesen, Sten XLIV
Beutler, Rudolf LXXXI, LXXXVII, Elias (Aristoteles-Kommentator)
132 LXXX, LXXXII-LXXX.V; 152,
Biese, Franz 77 162
Binder, Thomas XI Euldid LXIX, 95
Boehner, Philotheus XLIII
204 PERSONENREGISTER

Fabro, Cornelio XXXVIII Isidor von Sevilla (oder Isidorus


Frede, Michael XXIX, 133 Hispalensis) LXXXI, 163
Frege, Gottlob LII
Frohschammer, Jakob XIII Jaeger, Werner LXXVII, 52, 90, 97

Galewicz, W XXX Kahn, Charles H. XLIX


Geiger, L. B. XXXVIII Kalbfleisch, Karl LXXVIIf.
George, Rolf XVII, L Kant, Immanuel XXII, 166, 174
Gercke, A. XXIII Kapp, Ernst XXVII
Geyser, Joseph XXIII Kastil, Alfred XVIII, XXX
Gigon, Olof LVI, LXXIX Kenny, Anthony XLIII, XLIX,
Gillespie, C. M. XXIII LXI-LXIII
Gloclmer, Hermann XXII Klubertanz, G. P. XXXIII
Grabmann, Martin XLIII Kluxen, W XXXVIII
Grenet, P. XXXVIII Köhnke, Klaus Christian XII
Gründer, Karlfried XXXVIII Kraus, Oskar XI, XIIIf., XVI, XLVI
Kremer, Klaus XXXIX
Haller, Rudolf XLIII Kretzmann, Norman XLIII
Harder, Richard LXXXI, LXXXVII, Krings, H. XXXVIII
132
Haureau, Jean-Barthelemy 123 Lask, Emil XVIII
Hayduck, Michael XIX, LVI, Lugarini, L. XXVIII
LXXIX, 40 Luthe, W XXIII
Heath, Thomas L. 95 Lyttkens, H. XXXIII
Hedwig, Klaus XIV
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Mach, Ernst XVIII
XXII, 79, 166, 174 Maggiolo, P. M. LXXX
Heidegger, Martin XVIII, XXXI Mayer-Hillebrand, Franziska XI,
Henry, D. P. XLIII XVII
Herodot LXXXI, 170 Mdnerny, Ralph M. XXXIII,
Herrigel, E. XIX LXXXI
Hintikka, Jaakko XXXII Melandri, E. XIX, XXXVI
Hirschberger, Johannes XXXII, Mill, John Stuart LXXIV f.
XXXVI Minio-Paluello, Lorenzo 35, 98,
Holz, H. H. XXXVIII 120,150,159,163
Homer LXXXI Modenato, Francesca XXXVI
Huemer, Wolfgang XI Möhler, J. A. XIV
Hünermann, Peter XIII Montagnes, B. XXXIII
Mountain, W J. 133
loannes Philoponos: s. Philoponos Münch, Dieter XIII
Muskens, G. L. XXXVI
PERSONENREGISTER 205

Ückham: s. Wilhelm von Ockham Schwegler, Albert XLVII, LIII,


Owen, G. E. L. XXXV LVII-LIX, LXIXf., LXXVIf., 18,
Owens, Joseph XXXII, XXXVI 22,40-42,48(, 51,58
Seid!, Horst XV, LXXVII
Pacius, Julius LXXXI, LXXXV, 110 Sigwart, Christoph XLVI
Patzig, Günther XXIX, XXXII Simons, Peter XXX
Philoponos XLf., LXXIXf., Simplikios LXXVII, 49, 58f., 68,
LXXXIII-Lxxx:v; 59, 99, 102, 78, 133, 141f., 150, 185
162 Smith, Barry XXX
Pico della Mirandola, Sorabji, Richard LXXX
Giovanni XIII, 163 Specht, E. K. XXXII
Pinborg, Jan XLIII Spiazzi, Raimundo XV
Platon 24, 38, 53, 68 Spinoza, Baruch 136
Plotin XXXIXf., LXXXI, Stegmüller, Wolfgang XII
LXXXVIf., 132 Strümpell, Ludwig 76
Poppi, A. XXXVIII Suarez, Francisco 12
Porphyrios 78, 97 Syrianos LXXXII, 152
Prantl, Carl XXIII, 45, 73f., 80,
102, 112f., 126, 131, 159, 165 Theiler, Willy LXXXI, LXXXVII,
Proklos XXXIX 132
Protagoras 50 Themistios 58f., 163
Pseudo-Dionysius XXXIX Thiel, Rainer XLI
Thiele, J. XVIII
Quine, W V. 0. LI Thomas von Aquin XI, XIII-XVII,
XXI, XXXIII, XXXVII, XL,
Ravaisson, Felix 94 XLVf., XLVIIIf., LIV, LIX-
Reale, Giovanni XXIII LXXVI, LXXXf., LXXXVI, 163f.
Reiner, Hans XIX Trendelenburg, Friedrich
Remane, A. XXXVIII Adolf XIIf., XVIII, XXII-XXV,
Ritter, Heinrich 78 f. XXVIII, XXXII, XXXIV, XXXIX,
Ritter, Joachim XXXVIII XLI-XLIV, LXXXVII,
Ross, W D. XLVII, LIII, LXXVII, LXXXIXf., 13f., 73, 75, 77f.,
Lxxx:v; 90, 97 8lf.,85, 88-92, 97,100,102,
Rowan, John P. LXXXI lllf., 114f.,127, 132,137,140,
143f., 149, 151f., 157, 161,
Sauer, Werner XII, XIV 165-169, 17lf., 174f., 177-181,
Schneider, Helmuth 133 183-186, 190,192,194
Schuppe, Wilhelm XXIII
Schwarz, H. XXXVIII Vitelli, Hieronymus 59
Volpi, Franco XVIII, XXXVI
206 PERSONENREGISTER

Waitz, Theodor LXXVII, 35, 77, Wotke, K. XXIII


98,120,150,159
Weingartner, Paul XIV Xenophon LXXXI, 170
Wesoly, M. XLIII
Westerink, L. G. LXXX Zell, Karl 23
Wild, Ch. XXXVIII Zeller, Eduard XVII, XXIIIf., XC,
Wilhelm von Moerbeke LXIII, LXV 45[, 74-76,80, 101,111,127,
Wilhelm von Ockham XLIII, 144, 153, 165, 168, 170, 174,
LXXXVII, 173 193
Witten, R. XXIII Zillgenz, G. XXIII

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