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Iwan Iljin: Die Entstehung Des Bolschewismus

Das Dokument analysiert die Ausbreitung des Bolschewismus in Deutschland und warnt vor den Gefahren einer Bolschewisierung. Der Autor argumentiert, dass der Bolschewismus die deutsche Kultur, Sprache und Identität zerstören will, um Deutschland der Sowjetunion einzuverleiben. Gegen geistige Vergiftung und subversive Aktivitäten gebe es jedoch keine ausreichenden Abwehrmaßnahmen.

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Iwan Iljin: Die Entstehung Des Bolschewismus

Das Dokument analysiert die Ausbreitung des Bolschewismus in Deutschland und warnt vor den Gefahren einer Bolschewisierung. Der Autor argumentiert, dass der Bolschewismus die deutsche Kultur, Sprache und Identität zerstören will, um Deutschland der Sowjetunion einzuverleiben. Gegen geistige Vergiftung und subversive Aktivitäten gebe es jedoch keine ausreichenden Abwehrmaßnahmen.

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Die Entstehung des Bolschewismus aus der geistigen Krise der Gegenwart

Von Dr. Julius Sehweickert

Solange Recht regiert und schöne Sille,


Du schlicht und gläubig gehst in sichrer Mitte,
Da trittst du siegreich zwischen Molch und Drachen,
Und wo du ruhst, da wird ein Engel wachen.
Doch wenn die Kraft’, die wir „Uns selber“ nennen.
Die wir mit Schaudern raten und nicht kennen,
Gebund‘ne Bestien, wie geklemmt in Mauern,
Die nach der allen Freiheit dunkel lauern —
Wenn die rebellisch sich von dir lossagen,
Gewohnheit, Glauben, Sill’ und Recht zerschlagen.
Und stürmisch sich zum Elemente wenden:
Musst Gott du werden oder teuflisch enden.

Joseph von Eichendorff.

„Wir leben in den Zeilen des Weltgerichts,


aber des stummen,
wo die Dinge von selbst zusammenbrechen.“
Fr. Hebbel.

1.

Die Erkenntnis der Wahrheit verpflichtet. Die Wahrheit über die


Bolschewisierung Deutschlands ist nun erkannt, konkret geschildert und theoretisch
formuliert. Die vorstehende Forschung spricht für sich selbst; man lese sie nur. Die
Verantwortung für Deutschlands Zukunft muss nun von jedem Deutschen
übernommen und getragen werden. Ganz besonders von den gegenwärtigen
Führern; aber nicht nur von ihnen, — sondern auch von den neuen, künftigen
Führern Deutschlands aus den Reihen der Jugend, deren Namen noch unbekannt
sind.
Dieses Buch ist berufen – jedem Deutschen, wer es auch sei, jedes Recht auf
Ausrede, auf Unwissen, auf Unverständnis ein für alle Mal zu nehmen. Der hier
gebrachte, sachliche Querschnitt durch die Bolschewisierung Deutschlands ist ein
ernster Versuch, wie Fichte sich ausdrückt, „den Feser zum Verstehen zu zwingen“.
Es ist genug geschlafen, geträumt, geschwärmt, verschwiegen und betrogen worden.
Die Stunde der Einsicht und der Selbstbesinnung hat geschlagen; und wem das
geistige Auge jetzt nicht aufgehen wird, der ist verurteilt, auf Seiten des Verderbens
stehen zu bleiben.
Es ist schon viel zu viel Zeit verloren, und Deutschland hat keine Zeit mehr
zu verlieren. Jeder Monat der weiteren Hilf- und Ratlosigkeit, des weiteren
Hinabgleitens wird verhängnisvoll werden können. Jeder Tropfen füllt den Kelch.
Jeder Fehler, jedes missratene Experiment wird sich doppelt und dreifach rächen,
und zwar deswegen, weil die Zersetzung zu weit vorgeschritten ist.
Es gilt jetzt vor allem — geistig wach zu werden und die ganze
Scharfsichtigkeit, den ganzen Scharfsinn auf die vorhandene Gefahr zu
konzentrieren. Das ganze Leben Deutschlands muss vom Standpunkt des
Bolschewisierungsprozesses durchleuchtet werden. Jeder Politiker, der sich seiner
Verantwortung bewusst ist und der seine politische und soziale Urteilskraft der
geschichtlich gegebenen Problematik gegenüber aufrecht erhalten will, muss in
dieser Beziehung mit einer grundsätzlichen Revision seiner bisherigen
diplomatischen, politischen und sozialen Wertschätzungen beginnen. Er muss einsehen,
dass er das Wesen des Bolschewismus, seine Ziele und seine Arbeitsweisen, seine
geschichtlichen Quellen und seine Erfolge bisher noch nicht erkannt hat und dass er
sie zu erkennen hat; noch mehr: dass er, solange er sie noch nicht gründlich erkannt
hat, im Dunkeln tappt, unsicher urteilt und unrichtig handelt. Es ist seine
Vaterlandsliebe, die ihm zu dieser bescheidenen Selbstbesinnung verhelfen kann
und soll; seine Vaterlandsliebe und sein Verantwortungsgefühl. Er muss lernen; und
in vielen Hinsichten — umlernen.
Entschließt er sich dazu, so wird er subjektiv und objektiv recht haben. Denn
mit dem Bolschewismus ist wahrlich etwas Neues in die Weltgeschichte getreten. Nicht,
dass diese Bewegung irgendwie aus den Wolken gefallen wäre und keine
historischen Ursachen weder in der Welt überhaupt, noch auch ganz besonders in
Deutschland aufzuzeigen hätte. Aber aus den geschichtlich gegebenen Quellen hat
sich eine neue Qualität und eine neue Macht gebildet, die sich auf neue Weise in der
Welt und vor allem in Deutschland auswirkt; eine neue Macht, die Deutschlands
Zusammenbruch und Deutschlands Untergang erstrebt; eine feindliche Macht, deren
Tücke und Gefährlichkeit alle übrigen Erbfeinde und Erzfeinde Deutschlands in
Schatten stellt. Denn alles, was die übrigen Feinde des deutschen Volkes im Auge
haben und haben können, ist die äußere Einschränkung des deutschen Machtbereichs;
dieser Feind will aber die deutsche Seele ins Verderben stürzen, ihre göttliche Flamme
ausblasen, ihren nationalen Selbsterhaltungstrieb lahm legen, das deutsche Volk
entwürdigen, wirtschaftlich und politisch knechten, Deutschland selbst zu einer
Provinz der kommunistischen UdSSR. degradieren und dann im verruchten
Mischmasch der „Allerweltsproletarier“ endgültig entnationalisieren. Wie jeder
andere Staat hatte Deutschland immer mit seinen diplomatischen und militärischen
Feinden zu rechnen und abzurechnen. Aber einen solchen Feind hat das deutsche
Volk noch nie gehabt.
Dieser Feind will für Deutschland nicht ein begrenztes Dasein, sondern eine
Auflösung, ein Nichtsein.
Was ist aus Russland geworden? Ein Sammelbecken für geknechtete Völker;
eine entnationalisierte, dehnbare Gummi-Union der sowjet-sozialistischen
Republiken, die heute Rumänien verschlingen will, morgen China und Polen,
übermorgen Deutschland und Spanien. Selbst das Wort „Russland“ ist seit mehreren
Jahren aus dem Buch der Geschichte gestrichen; der Staat trägt offiziell einen neuen
Namen und wird nur. aus Bequemlichkeit oder List „Russland“ genannt. Es gibt
keine russische Reichswehr mehr; es gibt nur eine Rote Armee der Weltrevolution, die,
insofern sie im Sowjetstaat stationiert ist, zumeist aus Menschen russischer Herkunft
besteht, daneben aber jeden deutschen Rotfrontler einschließt, sowie jeden Rotfrontier
eines beliebigen anderen Staates, sie alle schon jetzt eingliedernd und
subordinierend. Nur bornierte Menschen lassen sich von geographischen
Vorstellungen blenden; die Kommunisten wissen etwas wichtigeres : der Zweck
schafft den Organismus; die Mentalität bestimmt, wohin der Mensch gehört. Du bist nicht
das, was du zu sein scheinst; du bist das Wesen deines Wollens; der Zweck deines
Daseins; das kleine oder große, gute oder böse Wozu deines Trachtens ...
Unter dem Zweck des kommunistischen Staates erstickt der unglückliche
Sowjetbürger. Er darf nicht frei nach seiner vaterländischen Art trachten und
handeln, frei beten, frei denken, frei arbeiten, frei wohnen, frei schaffen. Er darf nur
„frei lieben“, um in Wollust das Elend seiner Knechtung zu ertränken. Was ist also
aus Russland geworden? Was ist von Russland geblieben? Die halbe Potenz eines
halb erwürgten Volkes. Und dieses Schicksal war von Anfang an und ist auch heute
Deutschland zugedacht.
Der Beweis dafür ist nun gebracht. Deutschland muss bolschewisiert werden,
um Sowjetdeutschland zu werden, also der Sowjetunion eingegliedert, von
Kommunisten regiert, von einer einheimischen GPU. terrorisiert und auf die Knie
gestellt zu werden. Der Name „Deutschland“ wird gestrichen. Die deutsche
Reichswehr wird zur Abzweigung der Roten Weltarmee. Die deutschen Dome
werden gesprengt; die deutsche Intelligenz erschossen; die deutsche Familie in
Unzucht ertränkt; die deutsche Schule auf Marxismus und Leninismus umgestellt.
Die deutsche Sprache, ja, selbst die deutsche Sprache 1) wird einer hässlichen und
naturwidrigen Verquickung unterworfen, also entstellt und auf den Misthaufen der
Geschichte geworfen.
Es wird schon jetzt alles getan, um diesen Plan zu verwirklichen. Ein ganzes
System von raffinierten Maßnahmen, Losungen, Instruktionen, organisatorischen
Büros, Propagandaschriften usw. usw. -— breitet sich in Deutschland aus, gleich
einem Fangnetz; und zwar durchaus nicht insgeheim — im Gegenteil: die ganze
1
Im Sammelwerk Welt vor dem Abgrund (Eckart-Verlag), in dem Aufsatz von A. Demidof auf Seite 147 finde ich

ein Wort von Stalin zitiert, das er in den Sitzungen des XVI. Kongresses (1930, Juni-Juli) aussprach.

Das Wort ist so unzweideutig und markant, dass ich es hier in extenso anführe (Sperrschrift gehört mir): „Was

aber die späteren Aussichten der nationalen Kulturen und der nationalen Sprachen betrifft, so war ich immer und

bleibe auch jetzt der Leninschen Meinung, dass zu der Zeit, wo der Sozialismus im Weltmaßstabe siegen wird, wo

der Sozialismus erstarken und die Lebensweise durchdringen wird, — die nationalen Sprachen unbedingt zu einer

gemeinsamen Sprache werden verschmelzen müssen; allerdings wird diese Sprache weder die großrussische, noch die

deutsche sein, sondern etwas Neues ...“ Mit andern Worten: der Sieg des Kommunismus wird das Ende der

deutschen Sprache bedeuten! Hier ist der Punkt, wo die Esperantisten der kommunistischen Barbarei tüchtig

Vorarbeiten.
Offensive wird mit einer unerhörten Dreistigkeit offen geführt und sehr vieles wird in
den kommunistischen Zeitungen und Versammlungen öffentlich, mit einer
souveränen Verachtung der deutschen Regierung und des deutschen Bürgertums
diskutiert. Wahrlich, eine neue Methode der Eroberung ... Etwa so, wie der
Holzbohrer das hölzerne Haus zernagt, so dass es eines entsetzlichen Tages baufällig
wird. Gegen Diplomatie schützt sich ein Staat mit Diplomatie; gegen militärische
Angriffe durch sein Heer. Und gegen seelische Verpestung? gegen eine planmäßige
Entfesselung der Unterwelt — im subjektiv-psychologischen Sinne (böse
Leidenschaften), sowie auch im Sinne der sozialen Schichten (Verbrechertum,
demoralisierte Intelligenz)? Welche Gegenmaßnahmen gibt es auf diesem Gebiet, in
diesem Kampf? Keine? Dann ist es um Deutschland geschehen. Oder gibt es doch
welche? Warum greift man dann nicht zu ihnen? Öder liegen diese Maßnahmen
nicht im Bereich der „staatspolitischen Möglichkeit“ und Deutschland bleibt hierin
auf Privatinitiative angewiesen? Wehre dich selbst, wenn du kannst, und hole dir Rat,
wo du willst, — staatspolitisch ist hier wenig oder gar nichts zu machen ....?
So sei denn hier das erste und notwendigste getan: Erkenntnis der Wahrheit
als Aufruf zur Selbstbesinnung der Nation!

2.

Ein geistig gesunder Mensch braucht nur das Wesen des Bolschewismus in
seinen Zielen und Folgen zu erkennen, um die ganze Bewegung grundsätzlich
abzulehnen und den Kampf gegen sie aufzunehmen. Hier kann es, hier darf es kein
Schwanken geben. Wer da noch schwankt, der hat den Maßstab für Gut und Böse
verloren, der trägt schon in sich selbst, im Inneren der eigenen Seele die Zersetzung;
er kann sich nur durch eine unzweideutige und endgültige Wahl aus diesem Sumpf
retten; denn, bleibt er im Sumpfe eines relativistischen „Überlegens“, versucht er
noch dem satanischen Prinzip des Bolschewismus „positive Seiten“ abzugewinnen,
die Zersetzung des Volksgeistes als „harmlos“ zu bezeichnen oder sie gar für
bestimmte politische Zwecke dynamisch auszuspielen, — so dient er (bewusst oder
unbewusst) der ungehinderten Verbreitung der Pest, dem Weltsiege der
Kommunisten und dem Untergang des eigenen Volkes.
Nur nachdem dies alles unzweideutig festgestellt ist, darf man in die geistige
und soziologische Tiefe der gesamten Bewegung hinabsteigen, um gleich einem
Taucher zu versuchen, die verborgenen Strömungen der Volkspsyche zu erforschen.
Der Bolschewismus als Erkrankung der Volksseele und als Massenbewegung
hat zwei Hauptquellen: eine absichtliche, planmäßig geführte Propaganda und eine
in der Volksseele selbst liegende Veranlagung.
Nach dem oben gebrachten „Querschnitt“ ist der erste Faktor gar nicht
anzuzweifeln. Es handelt sich hier um eine weitverzweigte Weltverschwörung, die
sich die Aufgabe gestellt hat — Deutschlands Nach-Kriegs-Notzustand auszunützen,
der deutschen Regierung durch Handelsverträge und dergleichen mehr die Hände
zu binden und durch Propaganda sich der Seele des deutschen Volkes zu
bemächtigen. Dieser gut ersonnene und raffiniert durchgeführte Plan kann auf das
Jahr 1932 große Erfolge buchen.
Der zweite Faktor — die immanente Veranlagung der Volksseele liegt noch
im Dunkeln.
Die ganze Arbeit der bolschewistischen Propaganda gilt der animalischen
Seelentiefe, die in jedem Menschen, bei jedem Volke vorhanden ist und ewig
vorhanden sein wird. Jede leidenschaftliche Natur kennt sie aus eigener Erfahrung.
Diese Animalität ist an sich nicht Geist; sie kann und soll aber geistig geformt und in
geistige Zustände resp. Schöpfungen umgegossen werden. Die christliche
Offenbarung hat uns den kürzesten, den segensreichsten Weg vom Animalischen
zum Geistigen angegeben: Liebe zu Gott und zum Nächsten. Jahrtausende hat sich
der Staat, — zuerst der heidnische, dann der christliche, — bemüht, das Animalische
der menschlichen Seele zu zähmen und es sozial zu erziehen. Daraus sollte ein
christlich fühlendes und trachtendes, freies Rechtssubjekt entstehen.
Allein das Animalische, als solches, bleibt ewig im Menschen resp. im Volke
auch für sich bestehen: halbschlummernd, halblauernd; gehorchend und dennoch
ungehorsam; dienend und tragend, aber fast immer ungern; durch eingehämmerte
und vererbte Hemmungen gebändigt, aber fast nie vollkommen bekehrt und
verklärt; durch Recht und Drill, durch Drohung und Strafe hart erzogen; und (die
Hauptsache!) — nur durch den religiösen Glauben unmittelbar geläutert und nur
auf religiösem Wege bis in die Tiefe veredelungsfähig. Es gibt Epochen, wo das
geistige Prinzip schwächer wird, gleichsam zurücktritt, und das animalische Prinzip
mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit sich hervorwagt; dann kann der
Bolschewismus zu einer Massenpsychose werden. Gegenwärtig erlebt die
Menschheit eine derartige Epoche.
Diese unheimliche Potenz der menschlichen Seele wird zu oft außer Acht
gelassen, vernachlässigt, vergessen. Damit verschwindet sie nicht, sammelt aber
insgeheim ihre rebellischen Kräfte. Es ist auch möglich, dass ihre Zahmheit und ihre
Tragfähigkeit in staatspolitischer Hinsicht überschätzt werden; dass man ihr zu
schwere Lasten auferlegt; dass man in ihr eine zu große Opferfreudigkeit voraussetzt;
dass man ihr einfach eine zu starke Diszipliniertheit zumutet. So ist es z. B. im
großen Kriege 1914—1918 gewesen; so wird es auch ganz besonders in jedem
künftigen Kriege werden, der mit nervenerschütternder Waffe und mit
seelenzersetzender Propaganda geführt werden wird. Ist es einmal so weit, dann
wird die geistige Kraft des Individuums oder auch des Volkes erschöpft. Das
Gewölbe der Hemmungen und Rücksichten, das den Ur-instinkt bis dahin im
seelischen Kellergeschoß eindämmte und das gesamte Gebäude des Charakters trug,
droht einzustürzen, und alles erscheint zermürbt und baufällig. Die absichtliche und
planmäßige Mache der Propaganda gewinnt dann den Freilauf und die rebellischen
Kräfte des menschlichen „Animal“ werden entfesselt.
Bolschewisiert kann jedes Volk werden. Es handelt sich nur um das Ausmaß
und die Last der dazu notwendigen Bedingungen: um die Fehler und
Vernachlässigungen der Volkserziehung; um die Disproportion zwischen der Last
der Opfer und der jeweiligen Tragfähigkeit; um die Geschicktheit und Dauer der
zersetzenden Propaganda; um die Fahrlässigkeit und Ungeschicklichkeit der
Abwehr. Kein Volk ist gegen sein eigenes „Animal“ sicher gestellt; auch das
deutsche Volk nicht, jedes menschliche „Animal“ sehnt sich aber insgeheim nach
seiner „Entfesselung“. Einmal entfesselt, bolschewisiert, — wird jedes Volk
entsetzliches zustande bringen.
Diese Entfesselung wird besonders in den Ländern gefährliche Folgen
zeitigen, wo geschichtlich in der Volkserziehung viel mit Verbot und Autorität
gearbeitet wurde; wo das Animalische mehr gebändigt, gehemmt, gedrillt, als
bekehrt und geläutert wurde; wo Pflicht (und nicht freie Herzensgüte) zur
Hauptform der Tugend, und Disziplin (nicht freies Wohlwollen) zur Grundlage des
Staatswesens geworden sind. Wohl halten sich bei solchen Völkern die Dämme
etwas länger; wohl kann der seelische Automatismus in dieser Hinsicht einen guten
Dienst leisten. Versagt er aber einmal, oder bricht er einfach zusammen, dann steht
unmittelbar hinter ihm die „blonde Bestie“ da, entfesselt, habgierig, rachsüchtig und
grausam. Bolschewisiert kann jedes Volk werden: man braucht nur die sittlichen
Hemmungen lahm zu legen; dann kommt das Übrige von selbst.
Der Bolschewismus ist jedoch nicht das Letzte; das Letzte ist die
kommunistische Knechtung. Denn der Weg der modernen Revolution führt — durch
die bolschewistische Entfesselung in die diktatorisch-bürokratische Zwangsarbeit und
geistige Knechtung des Kommunismus. Grauen erfasst die Seele, wenn man denkt, dass
die nationalen Tugenden des deutschen Volkes — das Pflichtgefühl (Luther! Kant!),
der Ordnungssinn und die gute Disziplinierbarkeit (Friedrich der Große und seine
Ahnen!), die opferfreudige Liebe zum Vaterland usw. — in den Dienst der
kommunistischen Utopie gestellt werden können, und das Naturwidrige dieser
knechtenden Lebensordnung zu tragen und zu ertragen, also im Grunde genommen
zu rechtfertigen verdammt sein werden ... Es gibt schon viele in Deutschland, die sich
dazu vorbereiten — politisch, wirtschaftlich und ideologisch; es gibt schon gelehrte
Doktor-Dissertationen, die emsig zu beweisen suchen — Kant und Hegel seien
Kommunisten gewesen2. Immer von neuem sucht man zwischen Christentum und
dem Tscheka-Kommunismus süßlich-heuchlerische Brücken zu schlagen; immer
verantwortungsloser wird das von Dr. Ehrt entlarvte „edelkommunistische“ Gerede
...
Es ist also der Augenblick gekommen, wo die deutsche Intelligenz sich nach
den deutschen Urhebern des Bolschewismus und des Kommunismus umsehen muss.
Friedrich Nietzsche ist als der tiefsinnigste Begründer der seelischen
Entfesselung und Entsittlichung in Deutschland zu bezeichnen. 3 Karl Marx ist der
richtige Vater des deutschen und des internationalen Kommunismus. Nietzsche mit
seiner Predigt des Antichristentums und der animalischen Entfesselung; Marx mit
seiner Predigt des Klassenkampfes, der revolutionären Enteignung und der

2
Weil bei ihnen nämlich die „Gemeinschaftsidee“ herrschend oder prävalierend war . .
3
Nietzsches Entlarvung der heuchlerischen und unaufrichtig-moralisierenden Elemente, die sich ins
Christentum eingeschlichen haben, könnte eine läuternde und fördernde Bedeutung wohl gehabt haben; diese
Entlarvung erschöpft aber Nietzsches weltanschauliches Vorhaben durchaus nicht; das Letztere bleibt
antichristlich, antitheistisch und entfesselnd überhaupt.
sozialistischen Proletarisierung. Und einmal wird die Geschichte der Weltrevolution
schlagend bewiesen haben, dass Nietzsche und Marx tatsächlich die grundlegende
Mentalität der Kommunisten-Elite in Russland gebildet und erzogen haben.
Nietzsche, als Urheber des deutschen Nihilismus, wusste, was er tat. Er
atmete den zersetzenden Geist Voltaires. 4 Er wollte den „Nihilismus“,5 den
„Immoralismus“6 und „Atheismus“.7 Der ganze Komplex religiöser Gegenstände
(„Gott“, „Seele“, „Tugend“, „Sünde“, „Jenseits“, „Wahrheit“, „ewiges Leben” ...) war
für ihn nichts anderes, als „Lügen aus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten
Sinne schädlicher Naturen heraus“. 8 „Zynismus“ bezeichnete er als „das Höchste,
was auf Erden erreicht werden kann“. 9 Er sah im Begriff „Gott“ — „alles Schädliche,
Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine
entsetzliche Einheit gebracht!“10 Und das, wofür er plädierte, war das zu
entfesselnde „souveräne“ Animal,11 „der ,wilde‘ Mensch.“, „der böse Mensch“12 mit
einem „fröhlichen Unterleib“: 13 „der Barbar ist in jedem von uns bejaht, auch das
wilde Tier“.14
Indem er also „das Christentum mit einem tödlichen Hass“
„perhorreszierte“15 und das „Verbrecherische“ im Menschen als Ausdruck der
„Größe“ zu rechtfertigen suchte,16 wusste er genau, was daraus entstehen wird: „Ich
kenne mein Los. Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas
Ungeheures anknüpfen, — an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste
Gewissens-Kollision, an eine Entscheidung heraufbeschworen gegen alles, was bis
dahin geglaubt, gefordert, geheiligt worden war.
Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.“17 Und weiter:_„wenn die Wahrheit mit
der Lüge von Jahrtausenden 18 in Kampf tritt, werden wir Erschütterungen haben,
einen Krampf von Erdbeben, eine Versetzung von Berg und Tal, wie dergleichen nie
geträumt worden ist. Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen Geisterkrieg
aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft gesprengt —
sie ruhen allesamt auf der Lüge: es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden

4
Menschliches-Allzumenschliches. Titelblatt, Ecce Homo, S. 111. Nietzsches Werke zitiere ich nach der Ausgabe

Bong. Band VII.


5
Siehe z. B. Ecce Homo, 101, Wille zur Macht, 151, 151, 152, 158, 161, 166 usw.
6
Siehe z. B. Ecce Homo, 109, 117, 140, 147, Wille zur Macht, 166, 217, „Fortschritt der Unmoralität“, 186.
7
Siehe z. B. Ecce Homo, 80, 86-87, 108, Wille zur Macht, 234-235, 236, 239 usw.
8
Ecce Homo, S. 95.
9
Ecce Homo, S. 96.
10
Ecce Homo, S. 147 u. a. Vgl. Zitate aus den Werken Lenins im Exzerpt.-Büchlein „Lenin über Religion“.
11
Vgl. Wille zur Macht, S. 154, 175, 195, 200, 203, 329, 365.
12
Wille zur Macht, S. 326, 341, 359, 389.
13
Ecce Homo, S. 96.
14
Wille zur Macht, S. 177 u.a.
15
Wille zur Macht, S. 323.
16
Wille zur Macht, S. 341-344, 381.
17
Ecce Homo, S. 140.
18
Nietzsche meint das Christentum
gegeben hat“ ...19
Nietzsche steht aber in Deutschland durchaus nicht einsam da. Der
zersetzende Einfluss Voltaires und der französischen Enzyklopädisten hat sich schon
seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland eingenistet und ist bei den sogenannten
Links-Hegelianern philosophisch zum Vorschein gekommen. Max Stirner hat
manchen Grundsatz der Philosophie Nietzsches vorweggenommen. Bruno Bauer
war nicht umsonst Nietzsches „aufmerksamster Leser“. 20 Die Geschichte des
deutschen Bolschewismus im 19. Jahrhundert wird diese Linie weiter fortzuführen
haben, sie in Zusammenhang mit dem sogenannten „Verfall“ des deutschen
Idealismus und mit dem Aufblühen des deutschen Materialismus, Relativismus,
Agnostizismus und Atheismus zu bringen wissen. Nietzsche ist Exponent einer
ganzen unterirdischen Zersetzungs-Strömung im Volksgeiste gewesen. Er dachte aus der
Tiefe des sich unterirdisch schon entfesselnden Animalismus. Seine Predigt bereitete
gleichsam die selbstbewusste Mentalität des entfesselten Individuums. Der Marxismus
vervollständigte sein Werk, indem er die materialistische und atheistische
Massendoktrin herstellte.
Und jetzt dürfen diese Zusammenhänge, die ich hier nur andeuten kann,
nicht mehr übersehen werden. Sie müssen erforscht, verfolgt und restlos aufgedeckt
werden.

3.

Ein bedrängtes und notleidendes Volk wird leichter bolschewisiert, als ein
ungehindert gedeihendes und blühendes, und zwar deswegen, weil das schwere
Schicksal an die Tragfähigkeit und Opferbereitschaft, an die ursprüngliche Güte und
an die Disziplin, an den Charakter des leidenden Volkes unendlich größere
Ansprüche stellt, als an die des glücklich schaffenden und genießenden Volkes. Je
schwerer die Last, desto leichter bricht das tragende Geschöpf zusammen.
Wenn aber ein Volk dem Bolschewisierungsprozesse verfällt, so bedeutet das
noch gar nicht, dass dieses Volk minderwertiger ist, als die übrigen. Töricht wäre der
Engländer oder der Franzose, der, die Bolschewisierung Deutschlands feststellend
und verfolgend, aus seinen Beobachtungen den Schluss zu ziehen versuchte — das
deutsche Volk wäre eine minderwertige Erscheinung der Weltgeschichte; genauso
töricht, wie ein Deutscher, der einen entsprechenden Schluss in Bezug auf das
russische Volk zu ziehen versucht hätte. Jedes Volk kann der Entfesselung zum
Opfer fallen, wenn eine zu große Disproportion zwischen der Schicksalslast und der
geistigen Tragfähigkeit entsteht. Und diese Entfesselung ist immer nichts anderes,
als eine Art von jüngstem Gericht über die nationale Elite, welche es nicht
verstanden hat, eine richtige Proportion auf diesem Gebiete einzuhalten: die
geschichtliche Last ihres Volkes nicht über die Grenze dessen Tragfähigkeit zu
steigern und die geistige Tragfähigkeit des Volkes zu erziehen und zu stärken.

19
Ecce Homo, S. 141.
20
Ecce Homo, S. 107.
Diese Formel ist ihrem Wesen nach von grundsätzlicher und ewiger
Bedeutung; sie gilt für alle Zeiten und Völker. Sie bekommt aber ein ganz
besonderes Gewicht und ihre Übertretung wird geradezu verhängnisvoll, wenn das
Volk, oder auch eine ganze Völkerwelt sich im Zustand einer geistigen Krise
befindet, etwa so, wie wir es heute erleben.
Dass wir jetzt wirklich inmitten einer großen geistigen Weltkrise stehen, wird
kaum noch von einem einsichtigen Menschen in Zweifel gezogen werden. Diese
Krise ist aber durchaus nicht vorgestern oder aus dem Weltkriege entstanden. Sie
herrschte schon, als Europa in den Krieg ging; und der große Weltkrieg, mit seiner
ganzen Wucht und Dauer, mit seinem unglückseligen Versailler Frieden und mit der
aus dem Weltkrieg entstandenen kommunistischen Revolution in Russland — hat
den Hergang dieser Krise nur beschleunigt oder gleichsam deren photographisches
Plattenbild nur „entwickelt“. Man ging aber in den Krieg ohne an diese Krise zu
denken. Der Bolschewismus ist die Äußerung dieser Krise, und die Frucht des
Weltkrieges; man muss fest damit rechnen, dass jeder neue europäische Krieg den
Bolschewismus in ganz Europa entfesseln wird.
Diese Krise ist tief angelegt und breit in ihrem Umfang. Sie ist grundsätzlich
religiöser und sittlicher Natur. Der Bolschewismus ist ein Symptom des Wankens der
christlichen Welt, des christlichen Glaubens, der christlichen Sittlichkeit.
Die Krise hat zweitens einen sozialen Ursprung und eine wirtschaftliche Seite.
Der Bolschewismus ist ein Symptom des Erdbebens, das die moderne soziale Ordnung und
ganz besonders das Privateigentumsbewusstsein der Menschheit erschüttert.
Drittens hat die Krise eine politische Dimension und Bedeutung. Der
Bolschewismus ist ein Krankheitssymptom des modernen Rechtsbewusstseins und des
modernen Staates.
Wer den Bolschewismus begreifen will, der hat vor allem diese drei
Krisendimensionen, die hier nur angedeutet und kurz aufgezeigt werden können,
genau zu verfolgen und zu erforschen. Der Bolschewismus entsteht in dem Punkte,
wo das Religiöse, das Sozialwirtschaftliche und das Politische sich kreuzen.
Psychologisch gesehen, — wo der „aufgeklärte“ und nicht mehr glaubende
Massenmensch sich sittlich entfesselt, die Grundlagen des Rechtsbewusstseins
ablehnt oder gar zertritt, das Privateigentum nicht mehr schöpferisch zu erleben
versteht und sich der sozialen Ordnung nicht mehr einfügen will. Soziologisch
gesehen — ist der Bolschewismus ein Exponent der religionsmäßig nicht
durchleuchteten und staatspolitisch nicht gelösten sozialen und wirtschaftlichen
Probleme.
Somit gibt es nur eine einzige Möglichkeit, den Bolschewismus zu
überwinden: den Weg zu einem geistigen Aufschwung anzubahnen und resolut zu
beschreiten. Religiöse Belebung; Hervortreten eines neuen, gläubigen und
willensbegabten Geschlechtes, einer neuen Elite mit schöpferischen, führenden
Ideen: sittlich-nationaler Aufschwung: staatspolitische Erneuerung; Inangriffnahme
der Problemkomplexe — Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Übervölkerung, und zwar auf
Grund von zwei Richtlinien: sozial, nicht sozialistisch; Erziehung, nicht Demagogie.
Solange diese geistige Erneuerung, dieser sittlich-nationale Aufschwung nicht
eingetreten ist und sich nicht ausgewirkt hat, bleibt die Gefahr der Bolschewisierung
bestehen, denn der Bolschewismus wird sich weiter schleichend verbreiten. Solange
gilt es, die Formel der Proportionalität zwischen Schicksalslast und Tragfähigkeit
peinlich zu berücksichtigen und zu befolgen: denn eine polizeimäßige und
äußerliche Bekämpfung des Bolschewismus wird den Kern der Sache nie erfassen
und die Quelle des Übels wie verschließen können: die Tragfähigkeit des
Volksgeistes wird also auch weiterhin nicht zunehmen, sondern abnehmen.
Dieser Sachverhalt könnte folgendermaßen veranschaulicht werden.
Dass die Volksmasse den Lockrufen des Bolschewismus und Kommunismus
lauscht und sogar nachgibt, weist durchaus nicht nur auf die in ihrem Unbewussten
aufgestaute und gärende Animalität, sondern auch auf ein dumpfes und dennoch
richtiges Gefühl für ungelöste, lebenswichtige Probleme hin. Die Volksmasse empfindet
diese Probleme und leidet unmittelbar an ihrer Üngelöstheit mehr, als sie imstande
ist, dieselben zu durchdenken und staatspolitisch zu lösen. Sie sucht eine Lösung
nach ihrer Art — durch irrationales Reagieren, durch Gärung und Krampf, durch
Empörung und Protest, durch politische Radikalisierung: sie sucht, ohne zu sehen,
sie tappt im Dunkeln; sie selbst kann keine Idee schaffen, sie kann auch den Weg
nicht selbst wählen — sie sucht nach Fertigem, sie lauscht den Vorschlägen, sie folgt
den vorhandenen Führern. Und das, was sie gegenwärtig erlebt — ist eine
Enttäuschung über die alten Weg e und ein Verlange nach neuen Ideen und Formen.
Nun bieten aber die Bolschewisten etwas neues, tatsächlich unerprobtes;
etwas, was augenscheinlich alle übrigen Vorschläge übertrumpft und
„überstrahlt“ ...
Ganz instinktiv glaubt die Masse au Gerechtigkeit und Solidarität: vom
Christentum geweiht, durch das alte deutsche Genossenschaftsprinzip gestärkt,
durch die Klassendifferenzierung der kapitalistischen Welt gereizt, — sucht dieses
Gefühl nach einer bestimmten Befriedigung und nach einer Umgestaltung des
Lebens. Es sind schon bald zwei Jahrtausende verflossen, seitdem das Christentum
die Offenbarung der Liebe und der Brüderlichkeit in die Welt brachte. Die christliche
Elite der christlichen Staaten hat es aber bis jetzt nicht verstanden, auf Grund dieser
Offenbarung eine gerechte und brüderliche soziale Ordnung zu schaffen, im
Gegenteil, im Bereiche der christlichen Welt ist im Laufe des 19. Jahrhunderts ein
Industrie- und Banken-Kapitalismus entstanden, eine Massen-Proletarisierung und
eine Massen-Verarmung. Somit ist zwischen dem christlichen Glauben und der
tatsächlich vorhandenen Lebensordnung ein klaffender Riss entstanden, den jede
wirtschaftliche Krise, jeder Krieg, jede Notverschärfung zu einer brennenden Wunde
macht. Das Geglaubte wird also nicht gelebt, nicht verwirklicht: das Leben aber wird durch
den Glauben nicht erfasst, nicht befruchtet, nicht umgestaltet. Der Glaube wird dadurch
lebenslos und das Leben glaubenslos. Das öffnet der bolschewistischen Propaganda
Tür und Tor: denn augenscheinlich verspricht sie dem Menschen eine Möglichkeit,
das Geglaubte zu leben und an das Gelebte zu glauben, was allerdings dadurch
erreicht wird, dass der neue „Glaube“ sich nur mit dem Irdischen (Revolution und
Kommunismus) befasst und das neue „Leben“ sich als Entfesselung des
Animalischen gestaltet (Bolschewismus, als „Befreiung“).
Das gesamte Problem wird aber noch ganz besonders dadurch verschärft,
dass der christliche Glaube durch die „Aufklärung“ des Verstandes und durch die
positivistisch-materialistische Denkweise gewissermaßen unterwühlt und geschwächt
erscheint und eine eigenartige Krise erlebt; und dann auch dadurch, dass die
gegenwärtige soziale Elite keine neuen, schöpferischen Ideen bringt. Somit findet die
antichristliche Propaganda der Bolschewisten eine religiös wankende, teilweise sogar
eine bürgerlich-gottlose Seele vor, was ihr die Aufgabe ganz gewaltig erleichtert, um
so mehr, da eine entchristlichte und religionslose Seele den Zutritt zu den heiligsten
Quellen des sozialen Fühlens und Denkens verliert und gar nicht veranlagt
erscheint, neue, schöpferische und führende Ideen hervorzubringen. Der
naturwidrigen Idee des Kommunismus wird demzufolge nichts Richtiges
entgegengestellt, keine führende Idee, kein großzügig gedachter und angelegter
Reformplan. Dem kommunistischen Betrug der „neuen Gerechtigkeit“ steht nur ein
Festhalten an dem tatsächlichen Notzustand, an der kriselnden Gegenwart, an der
vorhandenen Klassendifferenzierung, Proletarisierung und Arbeitslosigkeit
gegenüber; der bolschewistischen Entfesselung — der sittlich mahnende Ruf an die
halbgeglaubten Gebote der heiligen Schrift; den endlosen Versprechungen der
revolutionären Propaganda — eine Ohnmacht des sozialen Denkens und des
politischen Zielsetzens.
Die Masse will, wie gesagt, neue Wege. Die Rettung könnte und müsste darin
bestehen, dass der geschichtlich „alte“, aber ewig gnadenreiche und unerschöpfliche
christliche Glaube in der deutschen Volksseele und ganz besonders im deutschen
Führertum neu erwachte, dass seinem Schoße eine neue schöpferische Idee
entspränge, die den Menschen einen neuen Weg zeigte. Da aber das letztere nicht
geschieht, so wird der verführerische Bolschewismus mit seiner unverzüglichen
Entfesselung und mit seiner nachträglichen Knechtung gleichsam zum
„Monopolisten“ der „Erneuerung“, die eigentlich nichts anderes ist, als neuer
Zusammenbruch und neues Verderben. Die rücksichtslose Entfesselung der Seele und
der rücksichtslose Willensradikalismus ist aber eben dasjenige, womit die
Kommunisten -— allen anderen sozialistischen Parteien gegenüber — die
Massenseele zu bestechen und zu verlocken suchen ...
Damit sind noch zwei Quellen der Bolschewisierung Deutschlands
aufgezeigt: erstens — der richtig empfindende, aber hilflos gärende und auf falsche
Wege abgeleitete Massensinn für soziale Problematik; zweitens — der Mangel an
schöpferischer Idee und Führung.
Das heißt also, dass an der Bolschewisierung Deutschlands nicht nur der
Andrang der zerstörenden Kräfte, sondern auch der Mangel an schöpferisch-aufbauenden
Kräften schuld ist.

4.

Wer die Bolschewisierung Deutschlands richtig verstehen will, der muss


erkennen, dass es sich hier um einen massenpsychologischen Prozess handelt und dass
die Massenseele ganz eigenartigen Gesetzen folgt, deren Nichtbeachtung oder
Zertretung immer fatale Folgen zeitigen wird. Von diesen Gesetzen seien jetzt nur
die wichtigsten, die hier ausschlaggebenden hervorgehoben.
Ist der Ozean ruhig, so gleitet das Schiff über die Meeresfläche dahin, leicht
getragen, nicht umkämpft, nicht bedroht. Wenn es aber „wallet und siedet und
brauset und zischt“, wenn „bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt“, —
dann scheinen die Wogen unberechenbar und allgewaltig zu sein; und nur ein
erfahrener, ein berufener Schiffer kann das aufgewühlte Element doch berechnen und
beherrschen, jedoch auch nicht immer. Wehe dem Schiffer, der nur bei ruhigem
Meere zu segeln versteht Wehe dem Politiker, der die Massenseele nur in
schlummerndem Zustande zu leiten vermag ... Ganz besonders in unseren Tagen:
denn die Bolschewisten sind große Meister, den Wind zu säen und den Sturm zu
ernten; sie segeln im Sturm, wie in ihrem einheimischen Elemente.
Wir erleben jetzt eine Zeit, wo nur solche Politiker standhalten und fertig
werden können, die berufen und veranlagt sind, die Gesetze der aufgewühlten
Massenseele zu erkennen, deren Auswirkungen zu berechnen und deren Regungen
zu beherrschen. Dieses „Erkennen“ braucht nicht „wissenschaftlich - theoretisch“ zu
sein, wie es die Marxisten beanspruchen; hier genügt eine richtige Intuition,
gleichsam ein sozialpolitisches „Fingerspitzengefühl“; aber ohne solche Einsicht in
das Leben der Massenseele werden in Deutschland von nun an nur Fehler begangen
werden.
Die Massenseele befindet sich in Deutschland seit dem Kriege im Zustand
einer akuten geistigen Krise. Der Verlust eines großen Krieges ruft bei jedem
lebensfähigen Volk einen Zweifel an sich selbst und an seiner Vergangenheit hervor,
— eine kritische Revision der überlieferten und vorhandenen Lebensformen; ganz
besonders, wenn der verlorene Krieg mit einer so riesigen Anstrengung und
Opferwilligkeit geführt wurde und mit einem eigentümlichen
Nervenzusammenbruch, mit einer krampfhaften Veränderung der Staatsform und
mit einem Versailler Frieden abschloss. Diese kritische Periode in der Geschichte
Deutschlands ist noch lange nicht zu Ende; im Gegenteil, sie dauert noch fort. Die
Massenseele revidiert ihre Lebenseinstellung, die Grundlagen ihrer
Weltanschauung, die Richtigkeit ihrer bisherigen Lebensformen. Diese Revision
äußert sich nicht etwa in philosophischen Betrachtungen, sondern in einer
Unsicherheit, in einem Wanken der diesbezüglichen Hemmungen und Autoritäten: es ist
eine praktische Umwertung, die sich in dem Hang äußert, die entsprechenden
Pflichten und Verbote nicht mehr „so ernst“ und „so genau” zu nehmen und sich
„nach etwas Neuem umzusehen“. Es ist eine Neigung vorhanden, sich zu entlasten.
Das Verbotene hat für die Massenseele immer etwas lockendes, und zwar schon aus
denselben Gründen, aus denen es einst verboten werden musste: die
Handlungsweise war nämlich antisozial und schädlich, und das animalische Prinzip
neigte dazu. In der Zeit einer geistigen Krise büßen alle Vorschriften, Verbote,
Gebote und Autoritäten an ihrer Geltung ein. Und nun gibt es in solchen Zeiten
nichts schädlicheres und gefährlicheres als ostentatives Rechtsverletzen und dessen
Straflosigkeit. Da, wo eine gesunde Seele sich über ein solches Rechtsverletzen
empört, geht einer kriselnden und kränkelnden Seele gleichsam ein Licht auf: ..Das
kannst du auch, das darfst du auch, das willst du auch.“ Die freche Tat wird zur
Versuchung und Verführung: sie wirft die Grenzen der überlieferten Lebensform
einfach um: provokatorisch löst sie die Moral und das Rechtsbewusstsein auf.
Infolgedessen wirkt sich die Revision nicht schaffend, sondern zerstörend aus. Der
Satan wird der müden und schwankenden Seele gleichsam zum Vorturner. Der
Patient wird die Krise nicht überstehen können. Ein Politiker, der sein Volk auf diese
Weise verführen und zugrunde richten lässt, wird auch sein eigenes tragisches
Schicksal verdient haben. Das massenpsychologische Gesetz „des zertretenen Verbotes“
tritt in Kraft und die schlimmen Folgen werden unabwendbar.
Diese Folgen besitzen aber die gefährliche Eigenschaft, durch lange Zeit
augenscheinlich nicht einzutreten, gleichsam auszubleiben. Die Volksmentalität, die
einer bestimmten Lebensordnung entspricht, zersetzt sich langsam und unvermerkt.
Das menschliche Atom wird von innen angesteckt, dann zermürbt, dann immer mehr
und mehr zerfressen. Noch ist der Volksseele wenig anzusehen; noch lebt das Volk
wie früher: noch klappt der Mechanismus des Massengehorsams. Und da entsteht
der große Selbstbetrug, der „immer noch haltenden Lebensform”, mit dem man sich
tröstet und hinter den man sich versteckt. Bis ... die Geschichte, dieser große und
unerbittliche Buchhalter, in einem unerwarteten Augenblick einen dicken Strich
zieht und den Zusammenbruch der gesamten Lebensform feststellt. Der „Maulwurf
der Revolution“ (Trotzkis Ausdruck) arbeitet unterirdisch; nach und nach reift sein
Werk heran. Das massenpsychologische Gesetz der „langsamen Zersetzung“ blendet den
Beobachter und lähmt die Hand des Kämpfers — bis es zu spät ist.
Diese Auflösung der Lebensformen führt früh oder spät zur Entfesselung der
zentrifugalen Kräfte des Volkslebens, d.h. zum Bürgerkrieg. Diese zentrifugalen
Kräfte verschwinden und versiegen nie. Die Kunst der Politik besteht darin, — sie
nicht nur unschädlich, sondern direkt dem Volksleben nützlich zu machen
(Wetteifer! Meinungskampf! Ausgleich und gegenseitige Ausfüllung der
Differenzen!); und noch darin, — das letzte und entscheidende Wort immer den
zentripetalen Kräften zuzusichern. Der Klassenkampf wird nie aus der Welt
verschwinden: er gehört zum Leben und zu dessen Problematik, etwa so, wie der
Schmerz, das Auseinander, die Differenzierung mit allen ihren Schwierigkeiten und
Gefahren. Wer aber den Klassenkampf schürt, der rüstet zum Massenmord. Worte
sind nicht Rauch oder Nebel; sie sind soziale Realitäten. Eine wütende
Klassenkampfrede ist schon eine Metzelbank. Die Mordmentalität des Bürgerkrieges
reift in den Hetzreden des Burgfriedens heran. Ist diese Mentalität einmal reif
geworden, sinnen die Bürger verschiedener Klassen an die gegenseitige
Ausschließung oder gar Ausrottung, so kann der Bürgerkrieg im nächsten besten
Augenblick auf flammen. Das Schüren der zentrifugalen Stimmungen hat das Volk
immer mit Blut zu bezahlen. Eine Klassenkampfdoktrin ist eine blutige Doktrin, und
wer das Heiligtum des zentripetalen Hanges nicht schonen will, der begeht einen
Hochverrat im tiefsten Sinne des Wortes. Das massenpsychologische Gesetz des
„zentrifugalen Zerfalls“ tritt in Kraft, und man wird die gerufenen Geister nicht mehr
los werden.
Dieser ganze Zusammenhang ist nicht schwer zu verstehen. Das Leben der
Masse ist nicht denkend, sondern fühlend; es folgt nicht den Gesetzen der Logik,
sondern vielmehr ganz eigenartigen Gesetzen einer Psycho-Logik. Je größer die
Unzufriedenheit im Volke, je mehr das heilige Prinzip des gegenseitigen Vertrauens
abgeschwächt erscheint, je mehr sich die Führer an die Leidenschaften der Masse
wenden, — desto mehr überwiegt in dieser Massen-Psycho-Logik das Element der
antilogischen, elementaren Psychose. Die Masse „denkt“ langsam — die Prämissen
und die Schlüsse erfordern den Zeitabschnitt von mindestens einer Generation. Das
Goethesche Wort „urteilen gelingt ihr miserabel“ ist hart, aber wahr. Es sind die
Führer, die für die Masse zu denken haben und ihr die Schlüsse suggerieren.
Deswegen kämpft auch die Masse nicht in der Form einer wohlüberlegten Taktik,
sondern in Form von krampfhaften Exzessen: sie „schlägt zu“ und reißt nieder.
Elementar und gewaltig tritt die Masse auf; ist sie aber einmal aufgetreten, dann ist
der „Führer“ nicht mehr Führer, sondern der Gestoßene, der Geschleppte oder gar
Geschleifte. Er hat zu gehorchen und mitzumachen, bis die Flut sich legt. In der
Kunst dieses ..Gehorchens“ und „Mitmachens" haben aber die Bolschewisten keine
Rivalen: denn sie sind frei von jeglichen Rücksichten und Hemmungen. Noch mehr:
sie wissen, dass man der Masse das Zerstörendste, das Grausamste, das
Schamloseste vorzumachen hat, um die Masse dadurch unter den Sattel zu kriegen. Und
sie scheuen nicht davor zurück. Sie sind die großen Meister der revolutionären
Technik. Keiner wird es ihnen nachmachen oder sie übertreffen können. Das Gerede
der blinden Leidenschaft bezeichnet aber schon den Sieg des Bolschewismus. Einmal
entfesselt, wird die Unterwelt sich austoben: sie wird dem Rücksichtslosesten ihrer
„Befreier“ nachlaufen. Dies ist das massenpsychologische Gesetz der „entfesselten
Leidenschaft“.
Damit hängt noch manches zusammen. Ohne Glauben an eine „Idee“ kann
die Masse nicht leben, sei diese Idee noch so unbewusst, dumpf, verworren. Die
christliche Idee ist die Idee des seligen, allgerechten Jenseits, welche das Diesseits zu
läutern und zu verklären berufen ist. Das neunzehnte und das zwanzigste
Jahrhundert haben der Masse die Un-Idee eines glücklichen, allnivellierenden Diesseits
beigebracht, ohne das Utopische, das Naturwidrige und das Antihistorische dieser
Un-Idee zu beachten. Die Führer des Sozialismus haben der Weltmasse gegenüber
eine unerfüllbare Verpflichtung im Weltmaßstabe übernommen, ihr gleichsam einen
nicht einlösbaren Wechsel ausgestellt auf ein irdisches Glück für alle, auf ein
diesseitiges Paradies. Breite Massenschichten des Weltproletariates haben ihnen
Vertrauen geschenkt, ohne natürlich eine genügende Urteilsfähigkeit besessen zu
haben, um die Unrealisierbarkeit des Versprechens richtig beurteilen zu können.
Denn die Masse ist dazu veranlagt, an eine Idee unabhängig von deren Richtigkeit
und Realisierbarkeit zu glauben. Es handelt sich für sie nicht um Möglichkeiten,
sondern um Wunschträume. Darum, wird die gottlose Masse, einmal vor die Wahl
gestellt — den harten Weg eines mutigen Tragens und Opferns auf unabsehbare Zeit
zu beschreiten, oder mit der sofortigen Verwirklichung des von ihr geglaubten
diesseitigen Wunschtraums zu beginnen, — kaum einer dauernden Unschlüssigkeit
verfallen. Nun ist aber der geglaubte Wunschtraum des Sozialismus angeblich in
Sowjet-Russland realisiert. Zwei massenpsychologische Gesetze kreuzen sich hier:
das Gesetz des „geglaubten Mythus“ und das Gesetz der „suggestiven Nachahmung“.
Wird etwas von der Masse als Tatsache erlebt, und zwar als ersehnte Tatsache, so wird
sich die Masse nicht früher ernüchtern können, als bis sie sich den Kopf an ihrer
Illusion eingerannt haben wird.
Eines kann nur noch retten: eine geniale, eine begnadete Führerschaft. Die Masse
will geführt werden und muss geführt werden. Eine vermeintliche Führung, die
eigentlich keine ist, kann das Gleichgewicht im Volksleben nur so lange
aufrechterhalten, als das Gleichgewicht von selbst besteht. Solange kann der
Staatsmechanismus die Führung ersetzen. Kommt aber eine Epoche der Krisen und
Katastrophen, so braucht die Masse eine sichere Empfindung, dass es Männer mit
gottgebundenem Gewissen, mit schöpferischer Idee, mit unbeugsamem Willen gibt, in
denen sich der nationale Selbsterhaltungstrieb konzentriert und denen nun zu
gehorchen ist.
Es ist aber auch möglich, dass die neuen „Führer“ tatsächlich Willenskerle
sind, im übrigen aber verderblichen Ideen huldigen und mit dem nationalen
Selbsterhaltungstrieb nichts zu schaffen haben; und dennoch kann es so weit
kommen, dass die Masse ihnen über kurz oder lang nachläuft: denn die Dynamik der
Lüge und des Verderbens ist (weil sie eben Dynamik ist) mächtiger, als die Stockung und
Stauung unter dem Banner einer abstrakten Wahrheit. Das ist das massenpsychologische
Gesetz „der Stauung und der Dynamik“: falsche Führung gilt der Masse mehr als
hilfloser Stillstand. Darüber sind die Bolschewisten genau unterrichtet.
Dieses Gesetz gilt schon für die friedliche Entwickelung eines Landes; aber
noch mehr und ganz besonders gilt es im Bürgerkrieg. Sind die übrigen
Bedingungen auf beiden Seiten gleich, so hat derjenige, der das dynamische Prinzip
vertritt, bedeutend mehr Aussicht auf Erfolg. Der Angreifende imponiert der Masse:
sie empfindet ihn als den starken, den mutigen, den selbstsicheren, als den, der sich
in seinem guten Recht weiß; er macht Eindruck, er ist der „Wagehals“, der
„Mordskerl“; er reißt die Menschen mit sich. Die Masse beginnt die Frechheit als
Tapferkeit, die Übermacht als Recht, den Sieg als Beweis zu erleben, — und die
Massenseele wird erobert; die Kraft des Angreifenden wächst gleich einer Lawine ...
Man kann unter gewissen Umständen einen internationalen Krieg durch streng
eingehaltene Defensive gewinnen; einen Bürgerkrieg — nie. Wer im Bürgerkrieg
ohne eine der Masse einleuchtende, führende Idee kämpft, in einer Defensive
stecken bleibt und nicht den Mut aufbringt, rücksichtslos vorzuschreiten, der wird
den Bürgerkrieg sicher verlieren. Nur eine begeisterte, entschlossene Offensive kann
der Masse imponieren.
Diese Erwägungen könnten folgendermaßen zusammengefasst werden.
Die Masse braucht Führung. Die Führer sind berufen und verpflichtet, ihr eine
Idee zu weisen. Es handelt sich hier nicht um ein noch so geschicktes staatspolitisches
Lavieren und Manövrieren, sondern um das schöpferische Ziel einer Volksgemeinschaft,
um das Wesen und den Sinn des nationalen Lebens und Trachtens, um neue Blüte des
Volksgeistes, um neue soziale Gerechtigkeit; kurz — um das große Wohin vor dem Antlitz
des Herrn. Das kann kein Demagoge leisten; nur ein Führer. Denn der Demagoge ist
kurzsichtig, aventüristisch, verschwommen. Der Führer aber weitsichtig,
verantwortungsvoll, klar; er redet aus der heiligen Tiefe der Volksseele; er fühlt den
geistigen Willensrhythmus seines Volkes; er greift in die edelsten Saiten seines
Herzens; er verspricht nicht — er ruft und fordert; er reizt nicht — er weckt und
führt. So war Mussolinis geschichtliche Tat. (Hier unbedingt eine Fn.)
Die führende Volksschicht, die nationale Elite, ist ihrem Volke eine schöpferisch
richtige Idee — einen überzeugenden, erziehenden, stärkenden Plan ihres künftigen
Lebens schuldig. Wenn die Elite es nicht leistet und nicht zu leisten vermag, so wird
sie zugrunde gehen. Ohne schöpferische Idee und Willensdynamik kann sie ihrem
Volke nicht dienen: denn ihr Dienst ist eben Führung. Eine nackte, ideenlose
Willensdynamik kann sie nicht retten: im Gegenteil, sie ist vielleicht ebenso
gefährlich, wie eine falsche, verderbliche Idee. Wille ohne Idee schafft nur einen
radikalen Blödsinn, ein radikales Verderben; er schafft eine blinde, eine ziellose
Entfesselung mit allen ihren schlimmen Folgen.
So lautet das massenpsychologische Gesetz „der insolventen Elite“: die Elite
führt, führt richtig, oder sie bricht zusammen und verschwindet. Dann beginnt eine
neue Auslese; es entsteht: eine neue Elite. Denn die Elite ist nichts anderes, als das
Organ des nationalen Organismus, das edelste, das leitende Organ. Dies ihr Beruf.
Hieraus ihr Schicksal.

5.

Deutschlands Schicksal steht gegenwärtig im Kreuzungspunkt dieser


massenpsychologischen Gesetze. Hart und unerbittlich werden sie sich auswirken,
wenn man Volk und Land deren freiem Spiel überlassen wird. Denn wahrlich, ohne
Einsicht in das Leben der Massenseele werden jetzt überall, in Europa und in der
ganzen Welt, nur Fehler, und zwar verhängnisvolle Fehler begangen werden.
Das, was wir jetzt erleben, hat keine geschichtlichen Analogien: es ist eine
historisch einzigartige Erscheinung, ein nie dagewesener Gordischer Knoten, eine
konzentrierte Krise, bestehend aus mehreren Krisen. Ein religiöses Wanken; ein
staatspolitischer Wirrwarr; eine wirtschaftliche Notlage; und ganz besonders eine
verhängnisvolle Versuchung, sich selbst, seine nationale Würde, sein Vaterland und
dessen geschichtliche Problematik über den Haufen zu werfen und in der
bolschewistischen Entfesselung Ende oder „Erneuerung" zu suchen.
„Erneuerung“? ... Nein Entehrung. Knechtung. Entnationalisierung. Ende.
Die Weltgeschichte kennt nichts dergleichen: planmäßige, absichtliche,
systematische Ansteckung eines angeblich „freundschaftlichen“ Volkes, zwecks Zersetzung
und Auflösung seines Organismus, durch Entfesselung seiner Unterwelt und durch
Bürgerkrieg. Der Bolschewismus ist nicht eine neue Art von Politik, Partei oder
Kultur. — er ist eine Fäulnis bei lebendigem Leibe. Der Zufluss der entsprechenden
kranken und ansteckenden Säfte nach Deutschland dauert jetzt schon vierzehn Jahre.
Der plombierte Wagen, der im Jahre 1917 Lenin und Genossen nach Russland
beförderte, rächt sich nun hundertfach. Aus dem Zusammenbruch des
geschichtlichen Russland ist gleichsam ein Baum des Verderbens, ein Giftbaum
entstanden, der seine zermürbenden, zersetzenden Düfte in alle Winde ausstreut.
Und gegen diese Säfte und Düfte gibt es keine abhaltenden Wände.
Was ist der kommunistische Staat für Deutschland, was bedeutet er schon,
was verspricht er noch zu werden?
Ein leuchtendes Beispiel für die Volksphantasie ist er schon: „so wirst du
glücklich (indem du umkommst!)“ ... Auch eine dynamische Anregung für den
deutschen Volkswillen: „rüste doch zum Bürgerkrieg (und brich zusammen!)“...
Auch ein Musterarsenal der Zersetzungsmethoden: „so und so hast du zu verfahren
(um dich zu entehren und nationalen Selbstmord zu begehen!)“...
In Zukunft aber, nach zustande gekommener Entfesselung, wird er zum
Gewaltherrscher über Volk und Land werden.
Der moderne Massenmensch dürstet nach einem Glücksmärchen, denn er
verliert die Realitäten der christlichen Welt; er sehnt sich nach einem greifbaren,
irdischen Mythus; er sehnt sich nach einem Märchenglück, nach einem
Schlaraffenland und denkt konkret: ist es schon vielleicht entstanden? wo? könnte
man es nachmachen? Es besteht kein Zweifel: wäre der Sowjetstaat nicht da. so wäre
er sicher erfunden, erträumt. Nun braucht er aber nicht erfunden zu werden. Er ist
da und wirbt um die Seele des deutschen Volkes.
In der Volksseele aber erwacht das dumpfe und immer mehr sich festigende
Empfinden, dass die kommunistische Revolution, wie sie auch sei und wie sie auch
verlaufen möge — die wahre und gerechte Sache des lasttragenden Massenmenschen
vertritt und verficht. Das Volksbewusstsein sieht nicht die Einzelheiten des Kampfes;
die Massenseele vermag die geschichtliche Entwicklung Russlands nicht zu
beurteilen; sie ist auch über die Erfolge und Misserfolge der kommunistischen
Wirtschaft gar nicht unterrichtet. Primitiv und hilflos in Sachen der Theorie, lauscht
sie vielmehr auf den Ton der Propaganda und auf deren Losungen, ohne das Übrige
richtig abschätzen zu können. Dumpf flüstert und summt es in den unterirdischen
Gewölben der Massenseele: es summt von „unbestimmter Befreiung“, von „neuer
Gleichheit“, von einer „alles umwälzenden Gerechtigkeit“; und dieses Summen wird
weiterhin unter dem Einfluss der alles überflutenden Propaganda immer stärker
und selbstsicherer werden. Man darf seine Augen nicht verschließen: dieses
unterirdische Flüstern, Murmeln und Summen entspricht einem uralten Traume der
Menschheit überhaupt; es entspricht bestimmten in der Massenseele stets
vorhandenen chiliastischen Erwartungen — es werde nämlich einmal das ersehnte
„tausendjährige Reich" kommen, wo es weder Sünde und Verbrechen, noch Arbeit,
Mühe, Krankheit und Zwang geben wird, ein Reich der Gerechtigkeit und des
Genusses . . . Dieser archaische Traum, in seiner ganzen Verschwommenheit; diese
chiliastische Erwartung, in ihrer ganzen Naivität — sind von alters- her bekannt; sie
bekamen in der Geschichte der Menschheit immer neue Deutungen und Gestalten —
bald im Sinne eines ersehnten „Jenseits“ oder „Halbjenseits“, bald im Sinne des
diesseitigen, unmittelbar gegebenen Alltagslebens. Es ist gleichsam das selige
Jenseits, welches in die nüchterne Prosa des Diesseits hineinzuscheinen oder sich
einfach herabzulassen scheint. Merkwürdig und lehrreich ist aber, dass die jenseitige
Auffassung des „tausendjährigen Reichs“ stets eine religiöse, geistig erziehende und
kultur- schöpferische Periode verkündete: denn sie lehrte die Menschen hoffen, sich
mit der Relativität und Unvollkommenheit der diesseitigen Welt abfinden, die Last
des Lebens geduldig ertragen und schöpferische Arbeit zu leisten. Im Gegenteil, der
hartnäckige Wunsch, das „tausendjährige Reich“ „sofort zu haben“, es ohne weiteres
„hier“ und „jetzt“ zu verwirklichen, bedeutete immer einen nahenden oder schon
eingetretenen Zusammenbruch der Seele (man möchte fast sagen — einen
„Nervenzusammenbruch“): denn diese Auffassung behandelte den unerfüllbaren
Traumwunsch als eine allernächste Wirklichkeit und wollte mit der unerbittlichen
Realität der Natur und des Menschen wenig zu tun haben (im ganzen eine
ausgesprochen paranoide Einstellung der Seele).
Die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts, nämlich im Schoße des
Sozialismus und Marxismus (der berühmte „Sprung ins Reich der Freiheit“!)
vorbereitete und nach dem Kriege (Nervenzusammenbruch!) entflammte
kommunistische Auffassung des Chiliasmus unterscheidet sich von allen früheren
durch ihre anscheinend „wissenschaftliche“ Begründung und rücksichtslose
Willensmäßigkeit. Und noch eins: sie verneint grundsätzlich jegliches Element des
Jenseits und legt sich fest auf ein gottloses „Diesseits“ und ein hemmungsloses
„sofort“. Hieraus die Predigt der Entfesselung, das Gutheißen aller Mittel und Wege,
die Inanspruchnahme des Animalischen in der Menschenseele und diese
ungestüme, treibende Hast im Verneinen, Zerstören und Niederwerfen.
Diesem Appell lauscht nun die müde und beängstigte Seele des heutigen
Menschen, — aus ihrer der Gottlosigkeit halb verfallenen, also entleerten und in
religiöser Hinsicht halb verstümmelten Tiefe und aus ihrem ewigen, chiliastischen,
unausgeträumten Wunschtraum. Sie lauscht diesem Appell um desto mehr, je
schwieriger die Lage des Landes in der Nachkriegszeit sich gestaltet hat und je
weniger ihr an schöpferischer Erneuerungsidee die Elite ihres Landes bietet. Wüsste
nur die deutsche Volksseele, was die kommunistische Lebensordnung in Sowjet-
Russland dem Volke schon gebracht hat und jeden Tag noch bringt, wie dieses
„tausendjährige Reich“ tatsächlich aussieht und was es bedeutet, so hätte sich vieles
Grundsätzliche in Deutschland rasch und radikal geändert. Der Kampf um diese
Einsicht hat erst begonnen; und so lange sie noch nicht hergestellt ist, wird der rohe
und wilde Versuch der Kommunisten, eine neue antichristliche und dennoch
„soziale“ Lebensordnung zu schaffen, — einen dumpfen und ungesunden Widerhall
in der Seele des deutschen Volkes finden.
Der Bolschewismus ist eine Fäulnis bei lebendigem Leibe, eine Entfesselung
der subjektiven und der sozialen Unterwelt. Aus Fäulnis und Entfesselung kann
nichts positives entstehen, kann nichts aufgebaut werden. Das wissen die
Kommunistenführer selbst, und darum entfesseln sie die Menschen nur so lange, bis
sie die Möglichkeit bekommen, ihnen neue, wirkliche, kommunistische Fesseln anzulegen.
Wüsste nur die deutsche Volksseele, was das für Fesseln sind und wie sie sich im
Leben auswirken, so wäre der Erfolg des deutschen Kommunismus rasch und
unwiderruflich abgeflaut. Denn die sogenannten „Fesseln“ des Glaubens, der
Sittlichkeit und des Rechts bedeuten Freiheit; und die wahren Fesseln beginnen erst
da, wo der Gottlose den menschlichen Geist bindet.
Deutschland braucht vor allem Wahrheit und Erkenntnis. Der Wahrheit und
der Erkenntnis soll auch dieses Buch dienen. Dazu ist es berufen; und dieser Beruf
möge auch sein Schicksal bestimmen.

Dr. Adolf Ehrt und Dr. Julius Schweickert (Iwan Iljin). Entfesslung der
Unterwelt. Ein Querschnitt durch die Bolschewisiertung Deutschlands. Eckart-Verlag:
Berlin-Leipzig, 1932. S. 293-315.

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