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Zizek, Slavoj (1989) Das Erhabene Objekt Der Ideologie. Kap. II.3 Che Vuoi

Das Dokument behandelt den ideologischen ‚Steppunkt‘, der die Identität eines ideologischen Feldes bestimmt und frei flottierende Elemente fixiert. Es wird erklärt, wie verschiedene ideologische Elemente durch diesen ‚Steppunkt‘ eine bestimmte Bedeutung erhalten und in ein strukturiertes Netz eingebunden werden. Dabei kommt dem partikularen Kampf, der die hegemoniale Rolle einnimmt, besondere Bedeutung zu.

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Ariel Noriega
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Zizek, Slavoj (1989) Das Erhabene Objekt Der Ideologie. Kap. II.3 Che Vuoi

Das Dokument behandelt den ideologischen ‚Steppunkt‘, der die Identität eines ideologischen Feldes bestimmt und frei flottierende Elemente fixiert. Es wird erklärt, wie verschiedene ideologische Elemente durch diesen ‚Steppunkt‘ eine bestimmte Bedeutung erhalten und in ein strukturiertes Netz eingebunden werden. Dabei kommt dem partikularen Kampf, der die hegemoniale Rolle einnimmt, besondere Bedeutung zu.

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Slavoj Zizek

Das erhabene Objekt der Ideologie

Aus dem Englischen von


Aaron Zielinski

Herausgegeben von
Peter Engelmann

Passagen Verlag
Deutsche Erstausgabe
Titel der Originalausgabe: The Sublime Object of Ideology
Inhalt
Aus dem Englischen von Aaron Zielinski,
unter redaktioneller Mitarbeit von Jan Philipp Weise

Vorwort: Die Verstopfung der Idee 11

Einleitung 27

1. Das Symptom 37
1. Wie hat Marx das Symptom erfunden? 39
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der 2. Vom Symptom zum Sinthom 93
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.
II. Der Mangel im Anderen 131
3. ,,Che Vuoi?" 133
4. Man stirbt nur zweimal 187

III. Das Subjekt 211


5. Welches Subjekt des Realen? 213
6. ,,Nicht nur als Substanz,
sondern ebensosehr als Subjekt" 271

Anmerkungen 309

Alle Rechte vorbehalten


ISBN 978-3-7092-0474-0
© 1989 by Slavoj Zizek
Published by arrangement with Verso, London- New York
© der dt. Ausgabe 2021 by Passagen Verlag Ges. m . b. H., Wien
Grafisches Konzept: Ecke Bonk
Satz: Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
http://www.passagen.at
Druck: Ferdinand Berger & Söhne GmbH, 3580 Horn
3. ,,Che Vuoi?"

Jdentität

Der ideologische „Stepppunkt"

Was erzeugt und erhält die Identität eines gegebenen ideologischen


Felds, auch durch alle möglichen Variationen ihres positiven Inhalts
hindurch? In Hegemonie und radikale Demokratie1 wurde vielleicht die
endgültige Antwort auf diese entscheidende Frage der Ideologie-
theorie gegeben: Der Eingriff eines bestimmten Knotenpunktes
(Lacans point de capiton2 ) strukturiert eine Menge „flottierender Sig-
nifikanten"3 als einheitliches Feld, indem er sie „steppt", ihr Gleiten
unterbricht und ihre Bedeutung fixiert.
Der ideologische Raum setzt sich aus ungebundenen und un-
verknüpften Elementen zusammen - ,,gleitenden Signifikanten" -
deren Identitäten „offen" sind und die von ihrer Artikulation in
einer Kette mit anderen Elementen überdeterminiert sind - ihre
,,wörtliche" Bedeutung hängt also von ihrer metaphorischen Mehr-
bedeutung [surplus-signification] ab. Betrachten wir etwa den Um -
weltschutz: Seine Verbindung mit anderen ideologischen Elementen
ist nicht von vornherein festgelegt; man kann ein staatsorientierter
Umweltschützer sein (wenn man etwa davon überzeugt ist, dass nur
der Eingriff eines starken Staates uns vor der Katastrophe bewahren
kann) oder ein sozialistischer Umweltschützer (wenn man den Ur-
sprung der gnadenlosen Ausbeutung der Natur im kapitalistischen
System verortet), ein konservativer (wenn man predigt, dass die
Menschheit sich wieder mit ihrer heimischen Erde verbinden muss)
und so weiter; der Feminismus kann sozialistisch oder unpolitisch
sein; sogar der Rassismus kann elitär oder populistisch sein ... Durch
das Steppen werden die frei flottierenden ideologischen Elemente

133
t?talisiert und_ so angehalten, fixiert - das heißt, sie werden so .
11e1 'k le Demokratie" weist jedoch darauf hin, dass die bloße Mög-
emes strukturierten Bedeutungsnetzes.
Wenn wir die gleitenden Signifikanten etwa durch den Kornrn .
r~ei,
.
sie zu artikulieren, eine ,:k_uotenhafte", bestimm_endc Rolle
artikularen Kampfes impliziert, der gerade dadmch, das~ er
rnus „steppen", so gibt der Klassenkarnpfallen anderen Elementen u~is eioe~lpular ist den Horizont aller anderen Kämpfe absteckt. Diese
·· · un d f'ixierte
· Be d eutung: der Demokratie (die sogena eine.· ruz
prazise
past1 • rnende' Rolle kommt selbstverständlich · der Demokratie,
· d er
„echte Demokratie" gegenüber der „bürgerlich-formalen Dellnte
be :kratischen Erfindung" zu: Ladau und Mouffe zufolge kann
kratie" als legale Ausbeutungsform); dem Feminismus (die Austo-
'' dern ( · · · h .c · · · h ) l
11 alle anderen Kämpfe soziahstisc e, 1emimstisc e . .. a s gra-
tung ßer ~rau~n entst:ht aus d~~ ~lassenbasierten Arbeitsteilune)~ 11la 11 Radikalisierungen, Erweiterungen und Anwendungen des
der Olwlogze (die Zerstorung naturhcher Ressourcen verstanden gl' due ekratischen Projekts . · ( f d' .
auf neue Felder begreifen au ie wirt-
l?gisch~ Konseque!1z der profitorienti_erten kapitalistischen Produ~~ df7tlichen Verhältnisse, auf die Geschlechterverhältnisse ... ). Das
tionsweise); der Fnedensbewegung (die urößte Gefahr für den F ·
. . . . b
den ist der abenteuerliche Impenahsmus) und so weiter.
fle. ~~ tektische Paradox besteht darin, dass der partikulare Kampf,
ia die hegemoniale Rolle zukommt, die Differenzen nicht gewalt-
Bei diesem ideologischen Kampf dreht sich alles um die Fra e dern . l . A . d
unterdrückt, sondern den Raum für die re at1ve utonom1e . er
welcher „Knotenpu:1~t", welch_er po_int ~~ capiton diese frei gleit!n~ · · · h e Kamp f etwa wn.
sarntikularen Kämpfe eröffnet: Der 1emm1stisc
.c ~d
den Elem~nt_e tota_hsiert und m seme Aquivalenzkette aufnimmt.
Heute b~isp1elsweise kämpfen Neokonservativismus und Sozial-
~;:r dadurch möglich, dass er auf den demokratisch-egalitären poli-
tischen Diskurs verweist. . .
demokratie um den Begriff der „Freiheit": Die Neokonservative
Die Analyse muss daher zuerst den partikularen Kampf m e~nem
wollen zeigen, dass die vom Wohlfahrtsstaat verkörperte egalitär~
Demo~ratie notwendigerweise zu neuen U nterdrückungsformen
und emer Abhängigkeit des Individuums vom totalitären Staat
~:r gebenen ideologischen Feld isolieren, der zugleich den Honzont
Totalität dieses_ Feldes bestimmt- oder, um es mit H egel a_uszu•
drücken, die Art bildet ihre eigene umverselle Gattu~g. 1 D_as is: Je-
führt. Die Sozialdemokraten wiederum betonen, dass individuelle
doch das zentrale theoretische Problem: Wie unterscheidet sich diese
Freiheit, will sie irgendeine Bedeutung haben, auf einem demokra-
bestimmende und totalisierende Rolle eines partikularen Kampfes
tischen Gesellschaftsleben, wirtschaftlicher Chancengleichheit und
so weiter beruhen muss. '- von dem, was man herkömmlicherweise unter „Hegemonie" v:r-
steht - durch die ein bestimmter Kampf (der Arbeiterka1:1pf 1~
So g~seh:n ist.Jedes Element eines gegebenen ideologischen Fel-
Marxismus) als die Wahrheit aller anderen Kämpfe erschemt, bei
des Teil emer ~quivalenzkette: Sein metaphorischer Überschuss,
denen es sich somit letzten Endes um bloße Ausdrucksformen die-
durcl~ den es mit allen anderen Elementen verbunden ist, legt seine
ses einen Kampfes handelt, sodass dessen Sieg auch den Sieg all:r
Identität nachträglich fest (aus kommunistischer Perspektive bedeu-
anderen bedeutet? Oder, um das gängige Argument der Marxis-
tet der Kampf um Frieden, dass man gegen die kapitalistische Ord-
ten aufzugreifen: Nur eine erfolgreiche sozialistisch: Revol:1tio:1
nung kämpft und so weiter). Diese Kette ist jedoch nur unter der
kann die Unterdrückung von Frauen abschaffen, die zerstoren-
Bedingung möglich, dass ein bestimmter Signifikant - mit Lacan:
sche Ausbeutung der Natur beenden und die drohende 1:-t013:-
?as „Eine" - das gesamte Feld „steppt" und seine Identität schafft,
mdem er das Feld verkörpert. katastrophe vereiteln ... In anderen Worten: Wie _können w~r d~e
bestimmende Rolle eines partikularen Feldes begreifen, ohne m die
Betrachten wir Laclaus und Mouffes Projekt der radikalen Demo-
Falle des Essentialismus zu tappen? Meine These lautet, dass der
kratie: Hier werden partikulare Kämpfe artikuliert (um den Frie-
Antideskriptivismus von Saul Kripke die begrifflichen Instrumente
den, die Ökologie, den Feminismus, die Menschenrechte und so
bereitstellt, mit denen man dieses Problem lösen kann.
weiter), von denen keiner vorgibt, die „Wahrheit" aller - ihr letz-
tes Signifikat und ihre „wahre Bedeutung" - zu sein; der Titel

134
135
Deskriptivismus versus Antideskriptivismus 7
. ende Beschreibung [identifying description ] von „Kurt Gödel" zu
oa . .
. fern, dann würde die Antwort lauten: ,,Der Autor, der die U n-
Die Grunderfahrung, auf der Kripkes Antideskriptivismus beruht bellständigkeit der Arithmetik bewiesen hat." Nehmen wir jedoch
ließe sich auch nach dem bekannten Science-Fiction-Film aus de' vo dass der Beweis von einem anderen Menschen (Schmidt, einem
1950ern als Invasion der Körpeifresser bezeichnen. Darin kommt en f~und Gödels) erbracht wurde, den Gödel umgebracht und darauf-
8
zu einem Angriff außerirdischer Lebensformen, die menschlich
Gestalt annehmen - sie sehen haargenau so aus wie Menschen, besit~
J11 die Entdeckung des Bewei~~s f~r sich beanspruch:_ hat. In di~sem
fall würde der Name „Kurt Godel auf denselbe~ Godel verweisen,
zen all ihre Eigenschaften, aber gerade das macht ihre unheimlich d"e identifizierende Beschreibung träfe jedoch mcht länger zu. Der
Fremdheit aus. Das gleiche Problem findet sich auch im Antisernt p~nkt ist, dass der Name „Gödel" durch eine „ursprüngliche Taufe"
tismus (und aus demselben Grund kann man die Invasion der Körper- mit einem gewissen Objekt (einer Person) verb'-1:nde°: wurde -~md
fresser als Metapher für den Antikommunismus der McCarthy-Ära dass diese Verbindung fortbesteht, selbst wenn s1eh die ursprung-
lesen): Juden sind „wie wir"; es ist schwierig, sie zu erkennen und lich identifizierende Beschreibung als falsch herausgestellt hat. 8
auf Ebene der positiven Realität zu bestimmen, was der Überschuss Dies ist der Kern des Konflikts: Die Deskriptivisten betonen die im-
und was die sich entziehende Eigenschaft ist, durch die sie sich von manenten, internen „intentionalen Gehalte" eines Wortes, während
allen anderen unterscheiden. die Antideskriptivisten die externe, kausale Kommunikationskette
Im Konflikt zwischen Deskriptivismus und Antideskriptivismus als entscheidend erachten, also die Art, in der ein Wort von Subjekt
geht es um etwas Grundlegendes: Wie beziehen sich Namen auf die zu Subjekt weitergegeben wurde.
Objekte, die sie bezeichnen? Warum bezieht sich das Wort „Tisch" Hier bietet sich ein erster Angriffspunkt: Lautet die nahe-
auf einen Tisch? Die Antwort des Deskriptivismus ist die nahe- liegendste Reaktion auf diesen Konflikt nicht, dass es sic~1 dabei um
liegende: aufgrund seiner Bedeutung; jedes Wort ist vor allem der zwei unterschiedliche Typen von Namen handelt, nämlich um Be-
Träger einer bestimmten Bedeutung - es bezeichnet also ein Bün- griffe, die (universelle) Arten bezeichnen, _un_d_um Eigenna~en? I~t
del deskriptiver Merkmale (,,Tisch" meint ein Objekt mit einer be- die Lösung nicht einfach, dass der Desknptivismus beschreibt, wie
stimmten Form, das einem bestimmten Zweck dient) und bezieht generische Begriffe funktionieren,_un? dass der Anti~e~kriptivismus
sich folgerichtig auf reale Objekte, insofern diese die Eigenschaf- beschreibt, wie Eigennamen funkt10meren? Wenn wir Jemanden als
ten besitzen, die von diesem Bündel von Beschreibungen5 festgelegt „fett" bezeichnen, dann ist klar, dass diese Person wenigstens die
werden. ,,Tisch" bedeutet Tisch, weil ein Tisch die Eigenschaften Eigenschaft haben muss, besonders korpulent zu seir_i. Wenn wir_je-
besitzt, die unter die Bedeutung des Wortes „Tisch" fallen. Intension manden hingegen als „Peter" bezeichnen, können wir daraus kerne
hat also eine logische Priorität gegenüber der Extension: Die Exten- seiner Eigenschaften ableiten - der Name „Peter" bezeichnet nur
sion (eine Reihe von Objekten, auf die sich ein Wort bezieht), wird deswegen „Peter", weil er so getauft wurde. Indem sie das Problem
von der Intension bestimmt (von den universellen Eigenschaften, die einfach durch eine klassifikatorische Unterscheidung löst, verfehlt
in ihrer Bedeutung enthalten sind). Die antideskriptivistische Posi- solch eine Lösungjedoch, worum es in diesem Konflikt geht: Sowohl
tion hingegen geht davon aus, dass ein Wort durch den Akt einer dem Deskriptivismus als auch dem Antideskriptivismus geht es um
,,ursprünglichen Taufe" 6 mit einem Objekt oder einer Reihe von Ob- eine allgemeine Theorie der Funktionsweise von Bezeichnunge~.
jekten verbunden ist. Diese Verbindung bleibe selbst dann erhalten, Für Deskriptivisten sind Eigennamen bloß verkürzte oder verschlei-
wenn sich das Bündel von Beschreibungen, das die Bedeutung des erte Kennzeichnungen [definite description9], während den Anti-
Wortes ursprünglich bestimmt hatte, vollkommen verändert. deskriptivisten zufolge die externe Kausalkette die Referenz so-
Betrachten wir, etwas heruntergebrochen, ein Beispiel von Kripke gar im Fall von Allgemeinbegriffen determiniert (und zumindest
selbst: Wenn wir die Öffentlichkeit darum bitten, eine identifi- im Fall von denjenigen Allgemeinbegriffen, die natürliche Arten

136
137
bezeichnen). Betrachten wir, wieder etwas vereinfacht ei·n B ·
von Kripke: Irgendwann in der Vorgeschichte wurde eine , bestie1sp·1 1 0 in anderen Worten ' diese Quasi-Einhörner
1111a s ' .
dem Bündel
d
Art von Gegenstand „Gold" getauft, und dieser Name wur:I"1ni e Eigenschaften vollkommen entsprechen, da~ m der ~e eu_tung
011
diesem Punkt mit einem Bündel von Eigenschaften verbunde ~ ~ Wortes „Einhorn" festgelegt ist, so könne~ wir d~;h mch_: sic~er
stark glitzerndes, gelbes Metall, das wunderbar geformt wn dein d~S dass sich der mythische Begriff des „Emhorns ursprunghch
k ann, un d so weiter
· ) ; 1m
· Lauf der Jahrhunderte hat sich dieseser seill,uf bezog, dass es also dieser Gegenstand war, auf den der Be-
B ··en
del von Eigenschaften parallel zur Entwicklung des menschli hun.
da:; Einhorn" bei der „ursprünglichen Taufe" festgelegt wurde ...
W. · lfacht und verändert, sodass wir „Gold" heut c en
1ssens verv1e .
gr~f könnte uns der libidinöse Gehalt von Kripkes Aussagen ent-
· ·f· ·
semen spez1 1schen Eigenschaften · Penodensystem
1m • mit s e · ltl1t ~;en? Was hier ~uf dem ~pi~l ste~t, ist d~e „Er~üllung des Begeh-
P- , einen g "· Wenn wir m der Wirklichkeit auf em Objekt treffen, das all
_1 otonen, Neutronen, Elektronen, Spektren und so weiter ident·r·
. . d l
z1eren; ge l1en wir Je oc 1 davon aus dass ein Wissenschaftler 1 1 l- ~::~igenschaften des phantasma_üsch e1_1 0 ~j ekts unseres ~egeh~ens
d. . ' 1eute · t so sind wir doch notwendigerweise irgendwie enttauscht, wn
1e Entdeckung machte, dass die ganze Welt die Eigenschaften d besitz ' die Erfahrung, ,,dass es das mcht
· · l o f:c.iensic
· " ; es wirc · ht -
G ld" G . es wachen 1st
" .,-ok ?enann_ten egenstandes falsch emgeschätzt hat (der Ein.
d . h dass das reale Obiekt das wir letzten Endes gefunden haben,
. ruc emer g1Itzernden gelben Farbe wurde von einer univer 1 hc ' das ist, worauf s1eh
·J u:1-s~r · h
l · l
en opt1sc 1en Täuschung hervorgerufen und so weiter). In dies
se . nicht '
Be~ehr~n b~z1e t, ob_wo l1 1 es a 11 d.1e
Fall würde sich das Wort „Gold" weiterhin auf denselben Geg:~ nötigen Eigenschaften aufweist. Vielleicht :st
~s kein Zufall,_ ~a~s
Kripke als Beispiel Objekte gewählt ~at, die emen ext~~em hbi~1-
s~and ?eziel:en :vie zuvor - das heißt, wir würden sagen: ,,Gold b~-
si_tzt mcht die Eigenschaften, die man ihm bislang zuschrieb." Und nösen Beiklang haben und in der überlieferten Mythologie ohnehm
das Begehren verkörpern: Gold, Einhörner ...
mcht: ,,Der Gegenstand, den wir bislang als Gold bezeichnet haben
ist in Wirklichkeit nicht Gold." '
Die zwei Mythen
Das Gleiche gilt auch für die entgegengesetzte, kontrafaktische
Situation: Es ist möglich, dass
Wenn wir bedenken, dass das Kampffeld zwischen Deskriptivis-
es__ ein~ Substanz gibt, welch: alle identi_fizierenden Merkmale besitzt, die wir ge- mus und Antideskriptivismus derart von einem Unterstrom der
w_ol~nhch de~n Go~d zuschreiben m:d mittels deren wir es zunächst identifizieren, ßecrehrensökonomie durchdrungen ist, sollte es nicht überraschen,
die Jedoch mcht cheselbe Art von Dmg ist, die nicht dieselbe Substanz ist. Wir wür- da: Lacans Theorie uns dabei helfen kann, die Begriffe d~eses Ko1:-
den von :inem solchen Ding sagen, daß es zwar alle die Erscheinungsweisen hat, mit fliktes zu klären. Dabei geht es uns jedoch nicht um eme quasi-
denen wir ursprünglich Gold identifizieren, daß es aber dennoch nicht Gold ist.w
dialektische „Synthese" von zwei entgegengesetzten Standpunkten,
sondern, ganz im Gegenteil, darum zu zeigen, dass s~wohl Des-
Warum? Weil diese Substanz nicht durch eine Kausalkette, die bis kriptivismus als auch Antideskriptivismus denselben wes~ntlz~hen Pu~kt
zur „ursprünglichen Taufe", aus der die Referenz „Gold" hervor- verfehlen: die radikale Kontingenz des N ame~s. Das ~eigt s1eh dann,
gegangen ist, zurückreicht, mit dem Namen „Gold" verbunden ist. dass sich beide Positionen eines Mythos bedienen, emen Mythos er-
Aus dem gleichen Grund muss man Folgendes sagen:
finden müssen, um ihre Lösung zu verteidigen: Bei Searle finden
wir den Mythos eines ursprünglichen Stammes, bei Donnellan den
Selbst_ wenn Archäologen oder Geologen morgen einige Fossilien entdecken soll-
Mythos eines „allwissenden Beobachters. der Gesch IC. h ~e "i2
. U.m.d_en
ten, die s:=hlüssig z:igen, daß es in der Vergangenheit Tiere gegeben hat, auf die
a~les zu~nfft, was wir über Einhörner aus der Sage vom Einhorn wissen, würde das Antideskriptivismus zu widerlegen, erfmdet_ Se~rle eme pnmiuve
rncht zeigen, daß es Einhörner gegeben hat. 11 Gemeinschaft von Jägern und Sammlern, die eme Sprache nutzt,
die Eigennamen enthält:

138
139
Stellen wir uns vor, in diesem Stamm kennt jeder jeden, und neugeborene St Gerneins_chaft is_t, in de~ Bezugnahmen nicht durch irgendeine Ab-
m1tg· - 1·1ed er werd en 1m · Rahmen von Zeremomen · aetauft, an denen der ganzes arnrnes '
·1 . S- . . . .o tarntn wesenheit oder irgende~nen Mangel getrübt werden.
te1 mmmt. tellen wir uns we1terhm vor, daß die heranwachsenden Kinder 1· .
. .. . .. c 1e Na, IV[it Lacan muss man emen anderen Aspekt hervorheben: In Searles
l
m~n c er Menschen, Berge, Seen, Straßen und Hauser m der Cmgebung durch B'
weis lernen. Und nehmen wir an, es gebe im Stamm ein striktes Tabu des R d in, :Beschreibung dieses Stammes fehlt einfach etwas. Wenn es uns wirk-
u b er r-r

1.ote, so d a ß memals
· ·
Jemandes T
Name •
nach semem Tod erwähnt wird. D e„ w· ens lich um Sprache im strengen Sinne geht, also um Sprache als soziales
. G l · ·
d 1eser esc 11chte 1st nun einfach der: dieser Stamm hat gemäß meiner B l ... er Itz
. . . _ . . . esc 11e , Netzwerk, in dem Bedeutung nur existiert, wenn sie intersubjektiv
b ung eme Inst1tut1on der Eigennamen, die m genau derselben „Weise zur Be 1
anerkannt wird - sie kann also ihrer Definition nach nicht „privat"
nahme verwendet werden, wie dies bei unsern Namen der Fall ist aber bei d_zug,
St·-~m-~ wzra . lk . . . l . . zesem
'ein einziges 11:1-a ein Name so verwendet, daß die Kausalkettentheorie der Ve 1.:
sein-, dann muss ein Teil der Bedeutung jedes Namens darin lie-
standzgung darauf zuträjeY' gen, das~ er sich auf ein Objekt bezieht, weil dies sein Name ist, weil
andere diesen Namen nutzen, um das besagte Objekt zu bezeichnen:
In diesem Stamm erfüll~, ~1~ders gesagt, jeder Namensgebrauch Jeder ~ame implizie:t dieses se~bst-referentielle ~nd zirkuläre Mo-
den An~pruch des Desknptivismus: Der Bezug wird ausschließlich ment, msofern er Teil der gememsamen Sprache ist. Man kann die
~urch em Bündel von Eigenschaften bestimmt. Searle weiß natür- Anderen" hier selbstverständlich nicht auf empirische andere redu-
lich, d.ass solch. ei°: Stamm n~e e~istiert hat; sein Punkt ist lediglich, ;ieren; vielmehr verweisen sie auf Lacans „großen Anderen", also
dass ~ie ~rt, :wie die Namen m diesem Stamm funktionieren, logisch auf die symbolische Ordnung.
ursprungl:ch. ist: da~s alle vom Antideskriptivismus vorgebrachten Hier treffen wir auf die dogmatische Blödheit, die dem Signifi-
Gegenbeispiele logisch sekundär und „parasitär" sind und die vor- kanten als solchem eignet, nämlich die Blödheit, deren Form die
geordnete „d~skripti~istische" Funktionsweise des Namens implizie- Tautologie ist: Ein Name bezieht sich auf ein Objekt, weil dieses Objekt
ren. Wenn wir von Jemandem nur wissen, dass sein Name Smith so genannt wird - diese unpersönliche Form (,,es wird so genannt")
lautet - wenn mit anderen Worten der einzige intentionale Gehalt verweist auf die Dimension des „großen Anderen", die jenseits der
von „Smith" ist, dass er „die Person ist, auf die sich andere als Smith anderen Subjekte liegt. Das Beispiel, das laut Searle ein Inbegriff
be~iehen" -, da~m setzt solch eine Bedingung logischerweise die des Parasitismus ist - das Beispiel der Sprechenden, die nichts
Existenz von mmdestens einem anderen Subjekt voraus, das viel über das Objekt wissen, über das sie sprechen, und deren „einziger
mehr .~ber Smith.weiß - für das der Name „Smith" mit einem gan- intentionaler Gehalt [ist], daß sie den Namen verwenden, um dar-
zen Bundel von Eigenschaften verbunden ist (ein alter fetter Gentle- über zu sprechen, worüber andere sprechen, wenn sie den Namen
man, der einen Kurs über die Geschichte der Pornographie gibt ... ). verwenden" 14 - impliziert vielmehr, dass es in der Sprache als so-
Der vom Antideskriptivismus als „normal" beschriebene Fall (dass zialem Band einen notwendigen Konstituenten für jeden „norma-
eine Refer~nz durch eine externe Kausalkette vermittelt wird), ist len" Namensgebrauch gibt - dieser tautologische Konstituent ist der
also bloß die „externe" Beschreibung (die den intentionalen Gehalt Lacan'sche Herrensignifikant, der „Signifikant ohne Signifikat" .15
nicht berücksichtigt) einer „parasitären" - das heißt logisch sekun- Ironisch erweise ist dieser Mangel tatsächlich als Tabu Teil von
dären - Funktionsweise. Searles Beschreibung (,,es gebe im Stamm ein striktes Tabu des
. Um Searle zu _widerlegen, müssen wir zeigen, dass sein ursprüng- Redens über Tote"). Searles mythischer Stamm besteht also aus Psy-
licher Stamm, m dem Sprache ausschließlich deskriptiv funktio- chotikern, die - wegen des Tabus, das auf den Namen der Toten
niert~ nicht nur empirisch, sondern auch logisch unmöglich ist. Mit lastet - die Funktion des Namen-des-Vaters verwerfen. 16 Man ver-
Dernda würde man selbstverständlich zeigen, wie die „parasitäre" hindert so, dass der tote Vater in die Herrschaft seines Namens
Nutzung die rein deskriptive Funktionsweise immer und von Anbe- übergeht. Wenn Searles Deskriptivismus die Dimension des großen
gin~ ~n zer~etzt, d~ss Searles Mythos eines ursprünglichen Stammes Anderen also verfehlt, so verfehlt der Antideskriptivismus - jeden-
lediglich eme weitere Variante einer vollkommen transparenten falls in seiner vorherrschenden Form - den !deinen anderen, also die

140 141
Dimension des Objekts als Reales und damit die Untersch ·ct . llen kontrafaktischen Situationen (durch den Wechsel all sei-
zwischen Realem und Realität im Lacan'schen Sinne. Deshal~i llng tJl a Eigenschaften hindurch) garantiert: Es ist der Name, der Sig-
der Antideskriptivismus nach jenem X, nach einem Merkm Sllcht
. Id
d ie · .. · f, a1, da 0tAkant, der di~ Identität des. Objekts stützt. Dieser :' Üb_erschuss"
entit~t emer ~e erenz durch alle Veränderungen ihrer Ei 8 ~ Objekt, das m allen möglichen Welten dasselbe ist, 1st „mehr
schaften hmdurch m der Realität garantiert. Und deshalb m gen,
• . uss e : es selbs~", soll hei~:n, es ist ~~cans _objet pe~it a: W~r. suchen _es
semen eigenen Mythos erfinden: Donnellans Mythos des all · t
rgeblich m der positiven Reahtat, weil es kerne pos1t1ve Kons1s-
„ wissen
den Beobachters der Geschichte", der ein Gegenstück zu s -
· · · s •
pnmitivem tamm bildet. Donnelan hat das folgende scharfsi ·
earles venz hat - weil es lediglich die Vergegenständlichung einer Leere
tend Diskontinuität ist, die in der Realität durch das Auftauchen des
und kontrafaktische Beispiel konstruiert: nnige
tignifikanten eröffnet wird. Genauso verhält es sich auch mit dem
Gold: Wir suchen in seinen positiven, physischen Eigens~haften
Angenommen, das einzige, was ein gewisser Sprecher über Thales weiß 0 d
· 1 b · · · · )
wissen g au t, 1st, daß Thales em gnech1scher Philoso1Jh ·war, der gesagt l1 . d
er zu vergeblich nach diesem X, ?as es zur yerkörperung von_ ReIC?t~m
11 W · · D I • . · · at, aß IIlacht; genauso verhält es s1eh auch mit der Ware (um em Beispiel
a es asse1 1st. oc 1 angenommen, es gab memals emen griechischen Pl ·1
l 1 , 11 os 0 •
p 1en,_ c e1 so -etwas ge~_agt hat. Angenommen, Aristoteles und Herodot sprachen von Marx zu verwenden): Wir suchen unter ihren positiven Eigen-
von emem B1 unnengraber, der gesagt hat: ,,Ich wünschte, daß alles Wasser „ schaften vergeblich nach derjenigen, die ihren Wert (und nicht nur
.. l
d ann b raue . l . I d. Ware
. 1te 1c 1 nie 1t 1ese verdammten Brunnen zu graben •" I 11 so e 1·nem Fall' ihren Gebrauchswert) ausmacht. Die antideskriptivistische Vorstel-
spncht der Sprecher laut Donnellan über diesen Brunnenaräber wer111 , d
,~ " ~ . o , er en lung einer externen Kausalkette der Kommunikation, in der eine
N~men „Thales . verwenc~et: Nehm_en wir außerdem noch an, daß es einen Ere-
miten ~~b, ~er memals_ mit irgend Jem~ndem irgend etwas zu tun hatte, und daß
Referenz vermittelt wird, übersieht jedoch die radikale Kontingenz
der tatsachhch der Ansicht war, alles sei Wasser. Trotzdem sprechen wir wen · der Benennung, nämlich die Tatsache, dass die Benennung nach-
" . , n wir
„Tl1a les sagen, ganz klar mcht von diesem Eremiten.17 träglich ihre Referenz konstituiert. Die Benennung ist notwendig,
sie ist jedoch sozusagen nur im Nachhinein und nachträglich not-
Heute ist uns die ursprüngliche Referenz, der Startpunkt einer wendig, sobald wir bereits „drinstecken".
Kausalkette - der arme Brunnengräber - unbekannt. Ein „allwis- Die Rolle des Mythos vom „allwissenden Beobachter der Geschichte"
sender Beobachter der Geschichte", der die Kausalkette bis zum Akt entspricht also Searles Mythos des primitiven Stamms: Beide dienen
der „ursprünglichen Taufe" zurückverfolgen kann, könnte auch die dazu, die radikale Kontingenz der Benennung zu begrenzen, zu zäh-
ursprünglic~e Verbin?ung zwischen dem Wort „Thales" und dem, men und eine Instanz zu konstruieren, die ihre Notwendigkeit garan-
w_as es b.ezeich_ne~,. w:ederherstellen. Warum ist dieser Mythos _ tiert. Im ersten Fall wird die Referenz durch den „intentionalen Ge-
diese antides_knptiv_1stische Version von Lacans Subjekt, dem Wissen halt" garantiert, der dem Namen immanent ist; im zweiten Fall wird
unterstellt wird (su;et supposi savoir) - notwendig? sie durch die Kausalkette garantiert, die uns bis zur „ursprünglichen
?as Grundproblem des Antideskriptivismus besteht darin zu be- Taufe" zurückführt, die das Wort mit dem Objekt verbindet. Wenn
s~1m~en, was die Identität eines bezeichneten Objekts jenseits des die „Wahrheit" im Konflikt zwischen Deskriptivismus und Antides-
~1eh nnme~zu wandelnden Bündels von Eigenschaften konstitu- kriptivismus dennoch beim Antideskriptivismus liegt, so deshalb, weil
i~rt - was ?ie S~lbstidentität eines Objekts gewährleistet, auch wenn der Fehler des Antideskriptivismus auf einer anderen Ebene liegt:
s:ch all seme Eigenschaften gewandelt haben; wie man das objek- Dieser ist gegenüber seinem eigenen Resultat blind, also gegenüber
tive K_orrelat des „starren Bezeichnungsausdrucks" ts, des Namens dem, was er „hervorgebracht hat, ohne es zu wissen". Der Erfolg des
begreifen kann, insofern dieser dasselbe Objekt in allen möglichen Antideskriptivismus liegt darin, dass er uns erlaubt, das objet a als
Welten und kontrafaktischen Situationen bezeichnet. Die übliche real-unmögliches Korrelat des „starren Bezeichnungsausdrucks" zu
Versio~ ~es Ant~deskriptivismus übersieht dabei jedoch, dass es der begreifen - also des point de capiton im Sinne eines „reinen" Signifi-
nachtraglzche Effekt der Benennung ist, der die Identität eines Objekts kanten.

142
143
Der starre Bezeichnungsausdruck und das abjet a
alles nichts bringt, da Coke ja zunächst den „Geist A~erikas"
. h t (das Bündel von Eigenschaften, das angeblich Aus-
Wenn wir daran festhalten, dass der paint de capitan ein K zelC ne · .
Amerikas ist), der dann m Coke als semem 1gm 1 anten
s· 'f"k
punzt l ", eme
· A rt Bed eutungsknoten ist, so heißt das nicht, dass " note.
f:a: l1 d as „reic
· hh a 1tigste
· " 1Avvort ist,
7 • • er e ruck· 1·fizierenden Repräsentanten kondensiert · wir· d : B e1. d.ieser
m dem der gesamte Bedeutu 0 d sign · h X d.
, Ien Umkehrung erhalten wi: gerade die_ses zusätzhc "e , _1e
1~eic_htu~ d~s Feldes, das er „stepp~", kondensiert wird: Der Poi~ 1
fll:~kt-Ursache des Begehrens, dieses „ungreifbare Etwas , d~s „m
capztan ist vielmehr das Wort, das emem gegebenen Feld als w
d er Eb ene d es Sigm . 'f"k . orta bJ ehr als Coke" ist und das sich Lacans Formel zufolge Jeder-
i anten Emheit verleiht und dessen Id • .
. . .
konstitmert. . . . entit . · rnKot und ungemeßbaren
oke · ,
Schlamm verwan d eln k ann (es reic · -11t
Er 1st sozusagen das Wort, auf das sich die Din "b z;elt lU · )
· l · · " ge e .h dass man die Coke warm und schal serviert .
zie 1en, um sich ihrer Einheit zu versichern. Betrachten wir et ct· ~ .sc on, 1· · U„ b h
b eru··11mte M arlb oro-Werb ung: Auf dem Bild · sieht
• .
man emen wa
br Ie Man kann die Logik die~er 1:11:1kehrung, c ie eii:en . ers~. uss
b t C b d' · · aun d iert anhand des Antisemitismus veranschaulichen. Zunachst
gelbratnn e~ dl~wl ody: iKe weite ~rär~e ~md so weiter - all das hat
se s verstan ic 1 ie „ onnotat10n' emes bestimmten Bilde
pro huzi'nt
ersc e
der "
Jude" als Signifikant, der ein Bündel angeblich „tat-
. . . . h
A · ( • . s von .. 11·
1 her" Eigenschaften umfasst (mtnganter Geist, Profitsuc t
m~nka das Land harter, ehrlicher Leute und emes grenzenlose sac 1C · h · ~kl IC
· 11
und so weiter), dabei. ha~del~ es sic~· ·
Jedoch noch. mc _t. wn
Ho~izonts .. .). Der Eff~kt d~_s ,,~teppens" tritt jedoch erst durch ein:
Antisemitismus. Damit wir es mlt echtem Ant1sem1tismus zu
gewisse Umkehru1;1g ei?, ~amh:h dann, wenn die „echten" Ameri-
~; haben, muss die Beziehung umge~<.ehrt werden: Weil sie.Juden
kaner anfangen, sich (m ihrer ideologischen Selbsterfahrung) ·
d B ·1d ·d ·f· · 1111 t · d sind sie so (gierig, intrigant ... ). Diese Umkehrung schemt zu-
em i zu i enti izieren, das von der Marlboro-Werbung geschaf- sin„ hst' rein tautologisch - wir könnten erwi·d ern: N atur „ 1ic
· h is. t d as
fen wurde - also erst, wenn Amerika sich selbst als „Marlboro-Land" nac . . . . d h t .
erlebt. so, weil „jüdisch" gerade bedeutet, g1en_g, 1~_tngant un s~, ~u z1g
u sein ... Doch der Schein von Tautologie trugt: Der „Jude m_dem
Mit allen anderen Symbolen der sogenannten „Massenmedien"
Amerikas verhält es sich genauso - schauen wir uns etwa Coca-Col
~ tz weil sie Juden sind" bezeichnet nicht eine Reihe tatsächlicher
E~ge;schaften, sondern bezieht sich auf das ungreifbare X, auf das,
an: Der Pun~t ist n~cht, ?ass Coca-Cola eine gewisse ideologisch:
was „im Juden mehr ist als der Jude". Der Nat1onalsoziahs~us ~at
Erfahrung/ em gewisses ideologisches Bild von Amerika konno-
verzweifelt versucht, dieses X zu greifen, zu messen und m eme
tiert" (der _fris:he, prickelnde, kalte Geschmack und so '~eiter);
positive Eigenschaft umz:1wande~n, di~ es ~1:s. ermöglicht, Juden
der Punkt ist vielmehr, dass dieses Bild von Amerika seine Iden-
auf objektiv-wissenschaftliche Weise zu identif_1zieren. .. .
~ität ?~d_urch erlangt, dass es sich mit dem Signifikanten „Coke"
Der starre Bezeichnuno-sausdruck" zielt somit auf den unmoghch-
identifiziert. Ein platter Werbespruch könnte lauten: Amerika
reale~' Kern, auf das, wa: ,,im Objekt mehr als das Objekt" ist, auf
das is~ Coke!" _Der en~scheidende Punkt ist, dass diese1:' Spruch~
dieses Mehr, das von der Operation des Bezeichnens produ~iert wird.
,,Amerika (das ideologische Bild eines Landes in all seiner Viel-
Der entscheidende Punkt ist, dass man die Verbindung zwischen der
falt), das ist Gake (dieser Signifikant)!" - nicht umgedreht werden
radikalen Kontingenz der Benennung und der Entstehungslogik d:s
könnte: ,, Gake (dieser Signifikant), das ist (das bedeutet) Amerika!"
„starren Bezeichnungsausdruckes" begreife~ mus~, durch d:n em
Die einzig mögliche Antwort auf die Frage, was Coke ist, wird von
gegebenes Objekt seine Identität erlangt. Die radikale _Kontmgenz
de'.· ~erbung ge,geben: Coke ist das ~np:;rsönliche „it" (,,Coke, th_is
der Benennung impliziert eine irreduzible Lücke zw1sc~e_n dem
is 1t. ) - Coke 1st das „das reale Dmg , das ungreifbare X, die
Objektursache des Begehrens. Realen und den unterschiedlichen Modi seiner Symbolisierung:
Eine bestimmte historische Konstellation kann auf unterschiedliche
. Wegen dieses zusätzlichen X ist die Operation des „Steppens" nicht
Weisen symbolisiert werden; das Reale selbst enthält keinen notwen-
zirkulär und symmetrisch - wir können keineswegs behaupten, dass
digen Modus seiner Symbolisierung.

144
145
Sc~auen wirr u?-s Frankreichs N_ iederlag: im } ahr 1940 an: l) tituiert - einen begrifflichen Apparat bereitstellt, um den Sta-
Schlussei zu Petams Erfolg lag dann, dass sich seme Symbolisier 011~0n Laclaus „Anti-Essentialismus" 19 zu begreifen. Betrachten wir
tt.1 5 Begrifr · „Demo k ratie
1e wie · " , ,, Sozia
· 1ismus
· " o d er „ M arxismus
· ":
der traumatischen Niederlage durchsetzen konnte (,,Diese Nie~ng
etwa. essentialistische Illusion besteht im · GI au b en, es sei. mog .. 1ic
· l1,
lage ist das Ergebnis einer schon lange heruntergekomme er~
d:mo_~ratischen ~radi~ion_ und gesell_schaftsfei?-dlicher jüdisc~:~ ~ie endgültiges Bündel von Beschreibungen und positiven Eigen-
Emflusse; daher birgt sie die Chance, die französische Gesellschaf ei~ ften (so minimal es auch sei) zu bestimmen, das das dauer-

ordnung auf neuem, korporatistischen und organischen Grund a t;- sc f:e Wesen der „Demokratie" und ähnlicher Konzepte definieren
zubauen ... "). Somit wurde das, was zuvor noch als traumatischer uud hann _ jedes Phänomen, das vorgibt, · a ls „d emo1<.ratisc. h" kl ass1'f'1z1ert
karden zu können, muss die Bedingung erfüllen, dieses Bündel von
.
unbegreiflicher Verlust erfahren wurde, lesbar und erhielt eine:
deutung. Der .Punkt is~ jedoch, dass diese Symbolisierung nicht ii~ tgenschaften aufzuweisen. Laclaus Anti-Essentialismus führt uns
Reale selbst emgeschneben war: Man gelangt nie an einen Punkt ~ dem Schluss, dass es entgegen dieser „essentialistischen Illusion"
an dem „die Umstände selbst zu sprechen beginnen", an dem d/ :nmöglich ist, solch ein Wesen und Bündel fester Eigenschaf~en zu
Sprac~e ~nfängt, ui:i~ittelbar als_ ,,S:prache des Realen" zu fungie~ definieren, das in „allen möglichen Welten" und kontrafakt1schen
ren: Petams Symbolisierung hat sich im Kampf um die ideologisch Situationen gleichbliebe. . . .
Hegemonie durchgesetzt. '- e Demokratie" lässt sich letztlich nur dadurch defmieren, dass sie
_Weil das _R_eale keine S~~tze für seine direkte Symbolisierung an- alle politischen Bewegungen und Organisationen umfasst, die sich
bietet - weil Jede Symbolisierung letztlich kontingent ist-, kann die als „demokratisch" legitimieren und bezeichnen; man kann den
Erfahrung einer gegebenen historischen Realität einzig durch das Marxismus" nur so definieren, dass dieser Begriff alle Bewegungen
Drängen eines Signifikanten Einheit erlangen, indem sie sich auf ~nd Theorien bezeichnet, die sich durch einen Verweis auf Marx
einen „reinen" Signifikanten bezieht. Es ist nicht das reale Objekt, legitimieren und so weiter. Die einzige Möglic?keit, di.e Id~ntität
das als Referenzpunkt die Einheit und Identität einer gewissen eines Objekts zu definieren, ist zu sagen, dass dieses Objekt immer
ideologischen Erfahrung garantiert - es ist, ganz im Gegenteil, die vom selben Signifikanten bezeichnet wird und immer an denselben
Referenz auf einen „reinen" Signifikanten, die unserer Erfahrung Signifikanten gebunden ist. Der Signifikant konstituiert den Kern
von historischer Realität Einheit und Identität verleiht. Die histo- der „Identität" des Objekts.
rische Realität wird selbstverständlich immer symbolisiert; wie wir Kehren wir wieder zur „Demokratie" zurück: Gibt es auf der Ebene
sie erfahren, wird immer durch verschiedene Symbolisierungsmodi der positiven deskriptiven Merkmale wirklich eine Gemeinsamkeit
vermittelt: Alles, was Lacan diesem phänomenologischen Gemein- zwischen dem liberal-individualistischen Demokratiebegriff und
platz hinzufügt, ist die Tatsache, dass die Einheit einer gegebenen der realsozialistischen Theorie, die behauptet, die Grundeigen-
,,Bedeutungserfahrung" - die selbst der Horizont eines ideologi- schaft der „wirklichen Demokratie" sei die Führungsrolle der Par-
schen Bedeutungsfeldes ist - von einem „reinen", bedeutungslosen tei, die die wahren Interessen des Volkes repräsentiert und dadurch
,,Signifikanten ohne Signifikat" gestützt wird. dessen Herrschaft sicherstellt?
Wir sollten uns hier nicht von der offensichtlichen, jedoch fal-
Die ideologische Anamorphose schen Lösung in die Irre führen lassen, dass der realsozialistische
Demokratiebegriff einfach falsch und degeneriert ist, dass er ein
Wir können nun sehen, wie uns Kripkes Theorie des „starren perverses Zerrbild der wahren Demokratie ist. ,,Demokratie'' wird
Bezeichnungsausdruckes" - also eines bestimmten reinen Signifi- letztlich nicht durch den positiven Gehalt dieses Begriffs (sein
kanten, der die Identität eines gegebenen Objekts über das ver- Signifikat) definiert, sondern nur durch seine Identität in einer
änderliche Bündel von Beschreibungen hinaus bezeichnet und bestimmten Position und Relation - durch seinen Gegensatz und

147
146
seine differentielle Beziehung zu „nicht-demokratisch". Der k .. entiert wird als eine Art transzendente Garantie verstanden.
ras , . .
krete Inhalt kann sich jedoch bis ins Extrem wandeln, nämlich~~· reP Element, das nur den Platz emes gewissen Mangels besetzt und
11 pas ·ner körperlichen Präsenz nichts als die Verkörperung eines
zum gegenseitigen Ausschluss (für real-sozialistische Mar:xi . sei . ..
111 issen Mangels ist, wird als Punkt extremer Fulle wahrg~nom-
bezeichnet der Begriff „demokratisch" genau die Phänomene s~ll
der traditionelle Liberale für antidemokratischen Totalitari;rr. le gew Kurz die reine Differenz wird als Identität wahrgenommen, die vom
hält). ..,.~us Jllelnt:onal-differentiellen Wechselspiel ausgenommen ist und des-
real .
Das also ist das fundamentale Paradox des point de capiton: D Homogenität garantiert.
„starre Bezeichnungsausdruck", der eine Ideologie totalisi er se~ir können diesen „Perspektivfehler" als ideologische Anamorp~ose
indem er das metonymische Gleiten seiner Signifikate anhält e:t, ·chnen. Lacan bezieht sich an mehreren Stellen auf Holbems
. .. . , Ist beze1 . .. · l ·
weder em Punkt ubergeordneter Bedeutungsd1ehte noch ei älde Die Gesandten: Wenn wir uns das Gemalde aus der nc 1ti-
GeJ11Perspektive anschauen, so erkennen wir · 1n
· d em, was von vorne
Garantie, die - da sie selbst vom differentiellen Wechselspiel ihrne 11
E!emente .aus~eschlossen ist - als stabiler und fixer Referenzpun~: f:trachtet als ausgedehnter, ,,erigierter" un~ bedeutu~gsl~s:r Fleck
dient. ~r ist vielmehr das Element, das das Drängen des Signifi_ .nt die Umrisse eines Schädels. 20 Die Ideologiekritik muss
erschei , . . .
~anten mn_erhalb des Feldes der Signifikate repräsentiert. Es selbst · e ähnliche Operation vollziehen: Wenn wir das Element, das das
ist nur „reme Differenz": Seine Rolle ist rein strukturell und sein
ein
'deologische Gefüge zusammenhält, also diese ·
„p h a 11·1scl1e" un d
1
Wese? rein performativ - seine Bedeutung fällt mit seinem eige- igierte Bedeutungsgarantie, aus der rechten (oder genauer und
nen Außerungsakt zusammen; kurz, es ist ein „Signifikant ohne e~litisch gesprochen: aus der linken) Perspektive betrachten, dann
Signifikat". Es ist für die Analyse eines ideologischen Gefüges da- können wir darin die Verkörperung eines Mange.ls und einer Kluft
her entscheidend, diese selbstreferentielle, tautologische, perfor- des Unsinns erkennen, die inmitten der ideologischen Bedeutung
mative Operation aufzudecken, die hinter der blendenden Pracht klafft.
jenes Elements liegt, das das ganze Gefüge zusammenhält (,,Gott",
„Land", ,,Partei", ,,Klasse" ... ). Ein „Jude" ist letztlich eine vom
Signifikanten „Jude" stigmatisierte Person; all die phantasmatische Identifizierung ( Graph des Begehrens: Untere Etage)
Vielfalt der Eigenschaften, die Juden angeblich charakterisieren
(Gier, intriganter Geist und so weiter) soll nicht verdecken, dass Zur N achträglichkeit der Bedeutung
,,Juden in Wirklichkeit nicht so sind". Sie soll also nicht die empi-
rische Realität der Juden verdecken, sondern die Tatsache, dass wir Nachdem wir verdeutlicht haben, wie der point de capiton als „star-
es bei der antisemitischen Konstruktion eines „Juden" mit einer rer Bezeichnungsausdruck" fungiert - nämlich als Signifikant, der
rein strukturellen Funktion zu tun haben. seine Identität in allen Variationen seines Signifikats bewahrt -,
Die wirklich „ideologische" Dimension ist somit der Effekt eines sind wir nun beim wahren Problem angelangt: Führt die Totalisie-
gewissen „Perspektivfehlers"; das Element, das das Drängen des rung eines gegebenen ideologischen Felds durch die (_)pe~~tion des
reinen Signifikanten im Bedeutungsfeld repräsentiert - das Ele- ,,Steppens", die seine Bedeutung fi_xiert, daz~, ~a~s keme Uberrest~
ment, durch das der Unsinn des Signifikanten inmitten der Bedeu- bleiben- schafft sie das endlose Gleiten des Sigmfikanten restlos ab.
tung hervorbricht -, wird als ein Punkt wahrgenommen, in dem Und falls nicht wie können wir die Dimension begreifen, die der
die Bedeutung extrem gesättigt ist, der allen anderen Elementen Totalisierung e~tgeht? Lacans Graph des Begehrens stellt für diese
• 91
,,Bedeutung verleiht" und der somit das Feld der (ideologischen) Fragen eine Antwort b ereit. -
Bedeutung totalisiert. Dasjenige Element, das die Immanenz sei-
nes eigenen Äußerungsprozesses in der Struktur der Äußerung

149
148
Graph I d was „auf der anderen Seite herauskommt", nachdem die
( a:hische - reale - Intention den Signifikanten durchlaufen hat
01Yd wieder aus diesem hervorgegangen ist) und wird vom Mathem
tmarkiert (das geteilt~, gespaltene Subjekt, das ~ug~e_ich der au~-
l5schte Signifikant ist, also der Mangel des Sigmfikanten, die
[:ere, die Leerstelle im ~etz des S~gnifi~ante~). Diese minimale
j\rtikulation bezeugt bereits, dass wir es hier mit dem Pro_z~ss der
Anrufung von Individuen als Subjellte zu _tun haben (das_ Ind1v1d~um
. t hier gewissermaßen eine vorsymbohsche und mytlusche Entität;
15
uch bei Althusser wird das als Subjekt angerufene „Individuum"
~egrifflich nicht definiert - es ist einfach ein hypothetisches X, das
]llan voraussetzen muss). Der point de capdon ist der Punkt, durch
den das Subjekt an den Signifikanten „genäht" [,,sewn"] wird.
Lacan hat diesen Graphen in vier aufeinanderfolgenden Formen Gleichzeitig ist er der Punkt, der das Individuum als Subjekt anruft,
artikuliert; um ihn zu erklären, sollten wir uns nicht auf die letzte indem er es durch den Ruf eines gewissen Herrensignifikanten
vollständige Form beschränken, da die Abfolge der vier Forme~ adressiert (,,Kommunismus", ,,Gott", ,,Freiheit", ,,Amerika"). Er ist,
nicht auf eine lineare und graduelle Vervollständigung reduziert in einem Wort, der Punkt auf der Signifikantenkette, an dem die
werden kann; vielmehr impliziert sie die nachträgliche Verände- Subjektivierung stattfindet.
rung der jeweils vorangegangenen Formen. Man kann beispiels- Ein entscheidendes Merkmal auf dieser elementaren Ebene des
weise die letzte, vollständige Form, die die Artikulation der oberen Graphen ist, dass der Vektor der subjektiven Intention den Vektor der
Etage des Graphen enthält (den Vektor von S(A) nach S•D), nur be- Signifikantenkette in eine rückwärtige Richtung nachträglich steppt:
g~eifen, wenn man sie als Ausführung der Frage Che vuoi begreift, Er tritt an einem Punkt aus der Kette heraus, der dem Punkt, an dem
die von der vorhergegangenen Form markiert wurde: Wir verfehlen er ihn durchstochen hat, vorausgeht. Lacan betont die Nachträglich-
den Punkt, wenn wir vergessen, dass es sich bei der oberen Etage keit dieses Bedeutungseffekts in Hinblick auf den Signifikanten. Das
lediglich um die Artikulation der inneren Struktur einer Frage han- Signifikat bleibt in Hinblick auf das Fortschreiten des Signifikanten-
delt, die vom Anderen ausgeht und mit der das Subjekt jenseits der kette zurück: Der Bedeutungseffekt wird immer nachträglich - apres
symbolischen Identifizierung konfrontiert ist. coup- erzeugt. Signifikanten, die noch „flottieren" - deren Bedeutung
Fangen wir mit der ersten Form an, mit der „Elementarzelle des noch nicht fixiert ist - folgen aufeinander. Dann, an einem bestimm-
Begehrens" 23 (siehe oben, Graph 1). Hierbei handelt es sich einfach ten Punkt - an dem die Intention die Signifikantenkette durchsticht
um die graphische Darstellung des Verhältnisses zwischen Signifi- und durchquert-, fixiert ein Signifikant nachträglich die Bedeutung
kant und Signifikat. Es ist bekannt, dass Saussure dieses Verhältnis der gesamten Kette, näht eine Bedeutung an den Signifikanten und
anhand von zwei parallelen Wellen oder zwei Oberflächen dessel- hält das Gleiten der Bedeutung an.
ben Blatt Papiers 24 verbildlicht hat: Das lineare Fortschreiten des Um diesen Prozess richtig zu verstehen, müssen wir uns nur das
Signifikats verläuft parallel zur linearen Artikulation des Signi- oben beschriebene Beispiel des ideologischen „Steppens" vergegen-
fi~anten. Lacan strukturiert diese Doppelbewegung ganz anders: wärtigen: Im ideologischen Raum gleiten Signifikanten wie „Frei-
Eme mythische, vorsymbolische Intention (markiert als Li) ,,steppt" heit", ,,Staat", ,,Gerechtigkeit" und „Frieden" ... dann jedoch wird
die Signifikantenkette, die Reihe des Signifikanten, die vom Vek- ihre Kette durch einen Herrensignifikanten (,,Kommunismus") er-
tor S/ markiert wird. Das Subjekt ist das Produkt dieses Steppens gänzt, der ihre (kommunistische) Bedeutung nachträglich festlegt:

150 151
„Freiheit" ist nur dann verwirklicht, wenn die bürgerlich-Ei
pezifiziert, an denen die Intention (~) die Signifikanten-
Freiheit überwunden wird, die bloß eine andere Form von st1r s zt·. A
okte . und s(A)2 ' der große Andere und das Signifikat als
5
. d er „Staat ".1st d as Mittel,
1st; . durch das die herrschende RJ av rte kreu
.
B e d mgungen ·1 asse d tl
eSS e
Funkt10n:
1 irer Herrschaft aufrechterhält; der Austausch a ·
dem Mark~- ka~m weder „gerecht noch gleich" sein, weil die blo
Graph II
Form des Aqmvalente~1ta~~ches zwischen Arbeit und Kapital A
b:utun? ~e~eutet; ,,Kneg_ 1st der Klassengesellschaft inhärent; n
die soz1ahst1sche Revolut10n kann bleibenden Frieden" s l f
. .. . " c la fe
und so weiter. (Das liberal-demokratische „Steppen" würde s lb 11
„ dl. l · e st
verstan 1c 1 eme ganz andere Artikulation von Bedeutung d "
zieren; ein konservatives „Steppen" würde eine Bedeutung 6ro U-.
b . d. b . ervor
rmgen, 1e :1den Feldern entgegengesetzt ist, und so weiter.) ·
.. Schon auf dieser elementare? Ebe?-e können wir eine Logik der
~bertra~un~ erke~~en - also d1~_Log1k des Grundmechanismus, der
die Illus1_on 11:11 Phano1:1en der Ubertragung hervorruft: Die Über.
tr~gu~g 1st die Kehrseite des Prozesses, bei dem das Signifikat · I(A) S
Hmbhck auf den Signifikantenstrom zurückbleibt; sie besteht in d In
Il!:1s~on, dass di_e Bedeutung eines bestimmten Elementes (die nac~~
W um befindet sich A - also der große Andere als synchroner
traghch vo~ Emgreifen eines Herrensignifikanten fixiert wurde)
u:J symbolischer Code - an de_r Stelle des point de_capit_on?_ Ist der
von Anbegmn schon als dessen immanentes Wesen vorhanden wa
point de capUon nicht gerade di: Em~, der smgulare Sigmfi~ant,
W~r befinden uns „in einer Übertragung", wenn uns die wahre Fre:~
der in Hinblick auf das paradigmatische ~etz des Cod_~s emen
he1t „v:m Natur a:1s" als Gegensatz der bürgerlich-formalen Freiheit
Ausnahmeplatz einnimmt? Um diese schei_nbare Inkoharenz ~u
erschemt, wenn wir glauben, der Staat sei „von Natur aus" ein Instru-
rst ehen müssen wir uns nur ins Gedächtrns rufen, dass der poznt
men~_ der_ Klassei:iherrschaf:t un~. so weiter. Das Paradox liegt selbst- ve , f' ·
de capiton die Bedeutung der vorang~hen~en Elemente 1xiert:
verstandhch dann, dass diese Ubertragungsillusion notwendig ist
Soll heißen, er unterwirft sie nachträglich emem Code und reg:1-
und dass der Erfolg der Operation des „Steppens" daran gemessen
liert ihre wechselseitigen Beziehungen durch diesen Code (so wie
~erden kann: Die capitonnage ist nur dann erfolgreich, wenn sie all
ihre Spuren verwischt. wir es eben am Beispiel des Codes gezeigt haben, ?er d~s kom-
munistische Bedeutungsuniversum reguliert). Es ließe sich be-
Der „U mkehrungseffekt" haupten, dass der point de capiton den großen ~nderen: den syn-
chronen Code repräsentiert und seinen Platz i~ de\ diachronen
Signifikantenkette einnimmt: Ein Para?ox g~nz 1m Smne Laca~s,
Lacan~ g~~ndlegende These zum Verhältnis zwischen Signifikant
demzufolge eine synchrone und paradigmatische_ Stritkt1:r nu~ m-
und Sigmfikat lautet also: Wir haben es nicht mit einem linearen
sofern existiert, als sie selbst von der Eins, von emem smgularen
immanenten und notwendigen Fortgang zu tun, in dem sich Be~
Ausnahmeelement verkörpert wird.
deutung ausgehend von einem ursprünglichen Kern entfaltet,
Daraus wird auch ersichtlich, warum der andere Schnittpunkt der
s_ondern mit e~nem radikal kontingenten Prozess einer nachträg-
beiden Vektoren als s(A) markiert wird: An diesem Punkt treffen
lichen Produktion von Bedeutung. Wir sind somit bei der zweiten
wir auf das Signifikat, die Bedeutung, die eine Funktion des gr~-
Form des Graphens des Begehrens angelangt. Hier werden die zwei
ßen Anderen ist. Sie ist der nachträgliche Effekt des „Steppens ,

152
153
. h n bekommt) eine konkrete und wiedererkennbare Form an.
der rückwärtig von dem Punkt ausgehend erzeugt wird, an de he e . d . . ..
r ss diese symbolische Identifizierung von er imagmaren
Verhältnis zwischen den gleitenden Signifikanten durch BezulU d an ·f·
rnu ierung unterscheiden.
· · wir
· d von einer
·
den synchronen symbolischen Code fixiert wurde. ga Sie neuen Eb ene zw 1· -
entl iz m Vektor des Signifikanten (S-S/) und der symb o 1·1scl1en
. Warum wi:'d der rechte~ letzte A_bschnitt des Vektors des Si hen d e . . d' d .
•f'zierung eingeführt, nämlich durch die Achse, ie as ima-
f1kanten S-S (der dem poznt de capzton folgt) als „Stimme" bez ? dentl i ·( ) · · d
·.l . .. e Ich (mY.7 und seinen imaginären anderen 1 a miteman er
net? Um dieses Rätsel zu lösen, müssen wir die Stimme stren eic~
Lacan begreifen: also nicht als Träger einer selbstpräsenten B gdrni g:~~ndet. Um mi~ sich_ s~lbst identisch_ zu ~e~~en, muss d~s Sub-
V · h mit dem imagmaren anderen identifizieren und sich von
tungsfülle (wie bei Derrida), sondern als bedeutungsloses Ob· ek eu_ ·ekt sie . . .. · l
· kh f 1· .. ')e t, als J . h lbst entfremden - es muss seme Ident1tat sozusagen aus sIC 1
ob~~ t a tes ~e ik: und _l]berrest der Signifikantenoperation, d sie se . .
c_apztonnage: ~Ie Stimme ist das, was bleibt, wenn wir die nachtr··er us in das Bild semes Ebenbilds verlegen.
beDra Umkehrungseffekt" basiert auf dieser imaginären Ebene - er
hche Operat10n des „Steppens", welche die Bedeutung produ · ag- · das Se lb. st ~1s autono-
. 'f'k . . ziert wirder" von der Illusion gestützt, dur~h die · sich
vom . sigm i anten abziehen. . Die .konkreteste
. Verkörperung d'ieses' er Agent versteht, der von Anbegmn als Urheber seme1 Handlun-
o l)Jekthaften
. Status der Stimme 1st offensichtlich die hypnot 1·sche
Ill präsent ist: Durch diese imaginäre Selbsterfahrung verkennt
Stnnme: Wenn man uns dasselbe Wort endlos wiederholt, verli
. d' 0 . . eren rn Subjekt seine radikale Abhängigkeit vom großen Anderen, von
wir ie nentierung, . und das Wort verliert die letzten Spuren sei ner as ymbolischen Ordnung als seiner dezentrierten Ursache. Doch
B ed eutung. N ur seme träge Präsenz bleibt übrig, die eine Art e· _ der s tt diese These der für das Ich konstitutiven
. • f d ·
Ent rem ung 1m
schläfernde, hypnotische Macht auf uns ausübt - dies ist die Stim in ans ta • 1 · h
als „Objekt", als objekthafter Überrest der Signifikantenoperatio:e · ginären Anderen zu wiederholen - dabei hantle t es sie um
1ma l ·( )
Man muss noch eine weitere Eigenschaft der zweiten Form des Lacans Theorie des Spiegelstadiums, die auf der Ac 1s~ rn:-z a ver-
Graphen erklären: nämlich die Veränderung an seinem unteren Ab- ortet werden muss-, sollten wir unsere Aufmerksamkeit heb~r auf
schnitt. _Rechts unten liegt - statt der mythischen Intention (Li) und die entscheidende Differenz zwischen imaginärer und symbolischer
d:s ~u_bJekts (,8), das hervorgebracht wird, wenn diese Intention die Identifizierung richten.
Sigmfikanten_kette durchquert - das Subjekt, das die Signifikanten-
kette _durchsticht. Das Produkt dieser Operation wird nun als I(A) Bild und Blick
markiert. Erste Frage: Warum wird das Subjekt von links (Resultat)
Das Verhältnis von imaginärer und symbolischer Identifizierung -
nach rechts (Anfangspunkt des Vektors) verschoben? Lacan hebt
selbst hervor, dass :s -~ich hierbei um den „Umkehrungsseffekt" von Ideal-Ich* und Jchideal* 28 - ist, um Jacques-Alain Millers Un-
terscheidung (aus seinem unveröffentlichten Seminar) zu nutzen,
han~elt - also um die Ubertragungsillusion, durch die das Subjekt
ein Verhältnis zwischen „konstituierter" und „konstitutiver" Iden-
auf Jeder Stufe „zu dem wird, was es immer schon war": Ein nach-
träg~icher Effekt wird als etwas erfahren, das von Anbeginn da war. tifizierung29: Bei der imaginären Identifizierung ~and_elt es sicl:,
Zweite Frage: Warum bildet I(A) nun unten links das Resultat des einfach gesagt, um eine Identifizierung mit dem Bild, m_ dem wir
Vektors des Subjekts? Hiermit sind wir endlich bei der Jdentifizie- uns selbst als sympathisch erscheinen, das also repräsentiert, ,,was
wir gerne wären". Bei der symbolischen Identifizierung ha~delt es
rz~ng ang~l~~gt: I(A) steht für die symbolische Identifizierung, für
?ie Identifizierung des Subjekts mit dem Zug des Signifikanten (I) sich um eine Identifizierung mit dem Platz, von dem aus wir beob-
achtet werden, von dem aus wir uns als sympathisch und liebenswert
nn ?roßen Anderen, in der symbolischen Ordnung.
Dieser Zug „repräsentiert" nach Lacans Definition des Signifikan- erscheinen.
Für gewöhnlich und spontan stellen wir uns vor, dass es bei
ten „das Subjekt für einen anderen Signifikanten" 26 und nimmt in
einem Namen oder Mandat (den das Subjekt übernimmt und/ oder der Identifizierung um die Imitation von Modellen, Idealen und

155
154
Vorbildern geht: Man stellt etwa fest (gewöhnlicherweise auf h zweite, gravierendere Fehler besteht jedoch darin zu über-
lassende Weise aus der „erwachsenen" Perspektive), dass die juerah, per dass die imaginäre Identifizierung immer eine Identifizie-
~eut: ~i~h mit Vol~shelden, Popsängern, Filmstars oder Spor~!;n 8ehen,im Auftrag eines gewissen
· ·
Blickes · Anderen ist.
zm · D.ie Frage, d"1e
identifizieren ... Dieser spontane Begriff führt auf doppelte Wi . 11 r~n~lso immer stellen müssen, wenn ein Modellbild imitiert oder
. d.ie I rre. E rstens, wei·1 d.ie E.
m 1
igenschaf t und der Zug einer peise ~ir Rolle gespielt" wird, lautet: Für wen führt das Subjekt diese
son, mit der wir uns identifizieren, üblicherweise verborgen ist _er~ eine lle"auf? Welcher Blick wird berücksichtigt,
· · wenn d as Su b'~e kt sic . h
handelt sich nicht notwendigerweise um eine besonders glamou .. es R~t einem bestimmten Bild identifiziert? Diese Lücke zwischen der
.
E igensc h aft. rose 111
t wie ich mich selbst sehen möchte, und dem Punkt, von dem
Wenn man dieses Paradox missachtet, so kann das zu ernst
?,olit_isc!1er_i Fehlei~s~hätzungen führen. Schaue_n wir uns nur
oste1 re1eh1sche Pras1dentschaftswahl 1986 an, m deren Zentr
d~: .A.r' ·ch mir selbst als liebenswert
aus i
die
· ersc h eme,
. . entsc h ei'den d , um
1st
)
. Hysterie (und die Zwangsneurose als Unterart, das sogenannte
h sterische Theater zu begreifen: Es ist klar, dass d'ie 11ystensc . he
die kontroverse Figur Kurt Waldheims stand. '10 Da die Linken ud:rn /au sich bei einem solch theatralen Ausbruch dem Anderen als
. ~
von ausgmgen, dass Waldheim die Wählerschaft durch sein Ima ~bjekt des Begehrens anbietet. . Die k~~k~ete Analyse muss a~_er
als großer Staatsmann betörte, versuchten sie die Öffentlichkeit ?e herausfinden, wer - welches Sub}e~t - :u.r sie _d~_n An~eren v_~rkor-
ihrer_ Wahlkampagne davon zu überzeugen, dass Waldheim nie~~ ert. Hinter einer extrem „femmmen imagmaren Figur konnen
nur eme dunkle ~ergangenheit hatte (und wahrscheinlich in Kriegs- Pir oft eine maskuline und väterliche Identifizierung entdecken:
verbrechen verw1ekelt war), sondern dass er außerdem nicht daz ;ie agiert eine fragile Weiblichkeit aus, identifiziert si~h j ed~ch auf
bereit war, sich seiner Vergangenheit zu stellen, und daher denen~ rnbolischer Ebene mit dem väterlichen Blick, dem sie als hebens-
8
scheidenden Fragen auswich - seine Grundeigenschaft war es also y .
wert erscheinen wi·11 . ..
sich zu weigern, seine traumatische Vergangenheit „durchzuarbei~ Beim Zwangsneurotiker wird diese Lücke bis zum Außersten
ten". Dabei übersahen sie jedoch, dass es gerade diese Eigenschaft getrieben: Auf der „konstituierten", imagi°:är_en, phäno:11en~len
~~ar, mit der sich die meisten Wähler aus der Mitte identifizierten. Ebene ist er selbstverständlich in der masochistischen Logik semer
Osterreich war nach dem Krieg ein Land, dessen ganze Existenz Zwangshandlungen gefangen. Er erniedrigt sich, ve~eitelt ~einen
auf der Weigerung beruhte, die traumatische Nazi-Vergangenheit eigenen Erfolg, organisi:rt sein Scheitern 1:1nd so weiter. Die e~t-
„durchzuarbeiten". Indem die Linken bewiesen, dass Waldheim scheidende Frage lautet Jedoch erneut, wo s1eh der grausame Bhck
sich seiner Vergangenheit nicht stellen wollte, hoben sie genau den des Über-Ichs verorten lässt, für den er sich selbst erniedrigt und
Zug hervor, mit dem sich die meisten Wähler identifizierten. dem die zwanghafte Organisation seines Scheiterns Lust bereitet.
Die theoretische Lehre, die wir daraus ziehen können, ist, dass der Diese Lücke kann man am besten mithilfe des Hegel'schen Paares
Zug, mit dem man sich identifiziert, auch ein Versagen, eine Schwä- für den Anderen/für sich" artikulieren: Der Hysteriker erlebt sich
che ?der e!n Schuldgefühl sein kann, sodass wir die Identifizierung ;elbst als jemanden, der seine Rolle für den Anderen aufführt, seine
unwillenthch verstärken, indem wir diesen Zug hervorheben. Die imaginäre Identifizierung ist sein „Sein-für-den-Anderen". Der ent-
rechte Ideologie ist besonders geschickt darin, den Menschen solch scheidende Durchbruch, zu dem es im Rahmen der Psychoanalyse
eine Schwäche oder solch ein Schuldgefühl als Zug anzubieten, mit kommen muss, ist, ihn davon zu überzeugen, dass er selbst derjenige
dem sie sich identifizieren können: Spuren davon finden sich sogar ist, für den er eine Rolle aufführt - dass also sein Sein-für-den-
bei Hitler. Bei seinen öffentlichen Auftritten konnten sich die Men- Anderen eigentlich sein Fürsichsein ist, weil er sich symbolisch be-
schen besonders mit seinen Ausbrüchen impotenter Wut identifi- reits mit dem Blick identifiziert hat, für den er seine Rolle aufführt.
zieren - sie „erkannten" sich also in diesem hysterischen Ausagieren Betrachten wir ein paar nicht-klinische Beispiele, um den Unter-
wieder. schied zwischen imaginärer und symbolischer Identifizierung zu

156 157
verdeutlichen. Eisenstein hat scharfsinnig analysiert, dass Chapr . ht die imaginäre Identifizierung des Bürokraten zerstören; er
Burlesken von einer grausamen, sadistischen und erniedrigenctins oJC es klugerweise vor, dessen symbolische Identifizierung zu un-
Haltung gege~über ~inderr.i gekenn:eichnet sind: In Chaplins F~~ 1,og raben indem er das Spektakel demaskierte, das für seinen Blick
rerg '
men werden Kmder mcht, wie sonst, liebevoll behandelt. Sie werd aufgeführt wurde.
gehänselt, verspottet, wegen ihrer Fehler ausgelacht, Essen wird en
·h • . . Vor
i nen ausgestreut, a 1s seien sie Hühner, und so weiter. Hier :rn··
sen wir jedoch die Frage stellen, mit welchem Blick uns Kin;s- Von i(a) zu I(A)
als Objekte erscheinen, die gehänselt und verspottet werden soll er
und keine zarten schutzbedürftigen Kreaturen sind. Die Antw:rn Wir können diesen Unterschied zwischen i(a) und I(~) - zw~schen
lautet selbstverständlich: Mit dem kindlichen Blick selbst - nur Kind t Ideal-Ich und Ichideal - noch besser veranscha1;1hch_en, mdem
behandeln einander auf diese Weise; eine sadistische Distanz ;r · die Funktion von Spitznamen in der US-amenkamschen
wir . und.
wjetischen Kultur miteinander vergleichen. Betrachten wir zwei
Kindern impliziert also eine symbolische Identifizierung mit de~
t dividuen, die jeweils die höchste Errungenschaft dieser bei-
kindlichen Blick.
Das genaue Gegenteil dieser Perspektive findet sich in Dickens' in Kulturen repräsentieren: Charles „Lucky" Luciano und Josef
Wissarionowitsch Dschughaschwili „Stalin". Im ersten Fall_ erse:zt
Bewunderung der „guten, einfachen Leute", diese imaginäre Iden-
tifizierung mit ihrer armen, aber fröhlichen, vertrauten und unver- der Spitzname den Vornamen (wir sprechen normalerweise em-
dorbenen Welt, in der es keinen grausamen Kampf um Macht und fach von „Lucky Luciano"), während er im zweiten den Nachnamen
Geld gibt. Doch von wo aus (und hierin liegt sein Fehler) betrach- ersetzt (,,Josef Wissarionowitsch Stalin"). Im ersten Fall spielt de_r
tet der Dickens'sche Blick die „guten, einfachen Leute", sodass sie Spitzname auf ein außerordentliches ~reignis an, wel~,hes ~as In~i-
ihm als liebenswert erscheinen - von wo aus, wenn nicht gerade aus viduum gezeichnet hat (Charles Luciano war „lucky , we~l er ei~
der Perspektive der korrupten, von Geld und Macht regierten Welt? Attentat von verfeindeten Gangstern überlebte) - also auf eme posi-
Eine ähnliche Lücke können wir auch in Bruegels späten idyllischen tive, deskriptive Eigenschaft, die uns fasziniert; der Spitzname mar-
Gemälden beobachten, die Szenen aus dem Bauernleben darstel- kiert etwas, das an diesem Individuum hervorsticht, sich unserem
len (ländliche Feste, Kornmäher beim Mittagsschlaf und so weiter): Blick darbietet, das gesehen wird, und nicht den Punkt, von dem
Arnold Hauser hat gezeigt, dass diese Gemälde kaum etwas mit aus wir das Individuum betrachten.
einer wirklich plebejischen Haltung oder einer Annäherung an die Im Falle von Josef Wissarionowitsch hingegen wäre es vollkom-
arbeitenden Klassen zu tun haben. Ihr Blick ist, im Gegenteil, der men falsch, auf ähnliche Weise abzuleiten, dass „Stalin" (Russisch
äußerliche und aristokratische Blick auf die bäuerliche Idylle und für „der Stählerne") auf irgendeine stählerne, unerbittliche Eigen-
nicht der Blick der Bauern auf ihr eigenes Leben. 31 schaft Stalins anspielt: In Wirklichkeit sind die Gesetze des histori-
Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Überhöhung der schen Fortschritts unerbittlich und stählern, es ist die eiserne Not-
sozialistischen „gemeinen Arbeiter" durch den Stalinismus: Die- wendigkeit, durch die der Kapitalismus zerfallen und der ~ber~ang
ses idealisierende Bild der Arbeiterklasse wird für den Blick der zum Sozialismus stattfinden wird, in deren Namen Stalm (dieses
herrschenden Partei-Bürokratie inszeniert - es soll ihre Herrschaft empirische Individuum) handelt - dies ist die Perspektive, aus der
legitimieren. Aus diesem Grund waren Milos Formans tschechi- er sich selbst beobachtet und sein Handeln beurteilt. Wir könnten
sche Filme so subversiv. In ihnen werden die kleinen, gewöhnlichen also sagen, dass es sich bei „Stalin" u~ den Pun~t. handelt, _v~n dem
Leute verspottet, indem gezeigt wird, wie würdelos sie sich verhal- aus sich „Josef Wissarionowitsch" - cheses empirische Individuu_m,
ten und wie sinnlos ihre Träume sind ... Diese Geste war viel gefähr- diese Person aus Fleisch und Blut - idealerweise betrachtet, um sich
licher als die herrschende Bürokratie zu verspotten. Forman wollte selbst liebenswert zu erscheinen.

159
158
Wir können eine ähnliche Spaltung auch in einer Spätschrif
Rousseau beobachten (aus der Zeit seines psychotischen Delir· t v p~ll warum. genau entspricht diese Unterscheidung zwischen
.
j\rt wie wir uns selbst sehen, und dem Punkt, von dem aus wir
die fo~gend~rmaßen betitelt. ~st: Rousseau jug~ de Jeanjacques (~ e~bad;tet werden, der U i:itersc~eidung zwischen Im~gin~rem _und
seau richtet uber Jeanjacques). 32 Man könnte dies als einen Ent 0
von Lacans Theorie des Vor- und Nachnamens begreifen: Der
name bezeichnet das Ideal-Ich, den Punkt der imaginären Ide ?~"
;u mbolischem? Zunächst heße sich behaupten, dass w~: bei_ der 1:ma-
S[ ··ren Identifizierung den anderen auf Ebene der Ahnhchkeiten
. .·1 l d er N ac h name vom Vater ~tammt- als ~ame-des-
ntif1- f~a.
1
eren: Wir identifizieren uns mit dem Bild des anderen, insofern
zierung, wa_uenc . t1 0 s1· nd wie er". Bei· der symbolischen
1ro
vVlf s " .
· I d ent1·r·1z1erung
· 1unge-
·
Vaters bezeichnet er den Punkt der symbolischen Identifizier identifizieren wir uns mit dem anderen genau an dem Punkt,
die Instanz, durch die wir uns selbst beobachten und beurte~ng, · gendern er unnachahmbar ist und sich der Ähnlichkeit entzieht.
Dabei sollte man nicht übersehen, dass i(a) in dieser Unters~he~. an uen wir uns, um diesen zentralen U ntersc h'1ed zu er k1··aren,
ha
dung immer schon I(A) untergeordnet ist: Die symbolische Idenf;~- W ody Allens Film Maclis noch einrnal, Sarn an. Der F1·1m b egmnt
Sc . .
mit
zierung (_der Punkt, :7on d~~ aus ~ir beobacht:t werden) beherrs~~ de~ berühmten Schlussszene aus _Casabla'.'ca.. Bald je~och bemerkt
und bestimmt das Bild, die 1magmäre Form, m welcher wir uns n dass es sich dabei nur um emen „Film-im-Film handelt. Die
. b
l1e h . a1s
enswert ersc emen. Auf der Ebene der formalen Funktio ~:s;hichte dreht sich in Wirklichkeit um ~in:n hysterisc~en ~ew
weise wird. diese U 1:terordnung dadurch bestätigt, dass der Sp~;: Yorker Intellektuellen, dessen Sexualleben em Schl~mass_el 1st: Seme
n~me, der z(a) markiert, auch als starrer Bezeichnungsausdruck und Frau hat ihn gerade erst verlassen; den ganzen Film hmdurch er-
mcht bloß als Beschreibung fungiert.
~
heint ihm Humphrey Bogart und erteilt ihm Ratschläge, .
macht
Betrac~1ten wi_r einen weiteren Fall aus der Welt der Gangster: ironische Bemerkungen über sein Verhalten und so weiter.
Wenn em bestimmtes Individuum den Spitznamen „Scarface" Am Ende des Films wird seine Beziehung mit der Figur Bogarts
trägt, dann bedeutet das nicht einfach, dass sein Gesicht voller aufgelöst: Nachdem er eine Nacht mit der Fr~u seines besten ~reu~-
Narben ist; es bedeutet auch, dass wir es mit jemandem zu tun des verbracht hat, hat der Held ein dramatisches Treffen mit bei-
haben, der s:lbst dann noch „Scarface" genannt werden würde, den am Flughafen; er verzichtet auf sie, lässt sie mit ihrem Mann
w:nn :man seme Narben, beispielsweise durch einen chirurgischen davonziehen und wiederholt so im echten Leben die Schlussszene
E~ngnff, entfernen würde. Ideologische Bezeichnungen funktio- aus Casablanca, mit der der Film begann. Als die Frau über seine
meren ähnlich: ,,Kommunismus" bedeutet (selbstverständlich Abschiedsworte sagt: ,,Das ist wunderschön", antwortet er: ,,Es ist
aus der Perspektive eines Kommunisten) einen Fortschritt von aus Casablanca. Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, diese
Demokratie und Freiheit, selbst wenn - auf der Ebene der Tat- Worte zu sagen." Nach dieser Auflösung erscheint ihm Bogart ein
sachen und Beschreibungen - das politische Regime, das sich als letztes Mal und sagt, dass unser Held endlich „etwas Stil hat", da er
„Kommunistisch" legitimiert, extrem repressive und tyrannische eine Frau zuaunsten einer Freundschaft aufgegeben hat - und dass
b
Phänomene produziert. Um erneut in Kripkes Begriffen zu spre- er ihn daher nicht länger braucht.
chen: ,,Kommunismus" bezeichnet in allen möglichen Welten und Wie sollen wir diesen Rückzug der Figur Bogarts deuten? Die
kontrafaktischen Situationen „Demokratie und Freiheit". Daher naheliegendste Lesart deutet der Held in seinen letzten Worten ~n,
kann diese Verbindung nicht empirisch und unter Bezugnahme die er an Bogart richtet: ,,Das Geheimnis ist wohl nicht, Du zu se1~1,
auf die tatsächlichen Gegebenheiten zurückgewiesen werden. Die sondern ich selbst zu sein." Anders gesagt, solange der Held em
Analyse der Ideologie muss ihre Aufmerksamkeit also auf diejeni- schwacher, zerbrechlicher Hysteriker ist, braucht er ein Ideal-Ich,
gen Punkte richten, an denen die Namen (die prirna Jacie positive mit dem er sich identifizieren kann, also eine Figur, die ihn anleitet;
Beschreibungen bezeichnen) bereits als „starre Bezeichnungsaus- sobald er aber endlich erwachsen und „stilvoll" wird, braucht er den
drücke" fungieren.
externen Punkt für seine Identifizierung nicht länger, weil er mit

160
161
sich selbst identisch geworden ist - er ist „er selbst geworden", ei llschaftlich, als eine lacanianische These ansehe~ kann - wenn schon nicht
autonome Persönlichkeit. Die Worte jedoch, die dem eben zitier./1 1ei gese Eb ne auf der wir i untersuchen, so doch zummdest auf der Ebene, auf
f der e ' '"
Satz folgen, untergraben eine solche Lesart unmittelbar: ,,Sich:n iv · I fixieren.' 1'
der wir
du bist nicht allzu groß und irgendwie hässlich, aber was soll's, ic~
bin klein und hässlich genug, um auch selbst klarzukommen." einzige Problem ist nun, dass diese „Quadratur des Kr_eises"
Der Held „wächst also nicht aus der Identifizierung mit Bogar va: Anrufung, diese ~i~kuläre. Bewegu_ng zwisc~en symbol~sc~er
heraus", sondern identifiziert sich erst dann wirklich mit Bogar/ de nuagi
. ·närer Identifizierung immer einen gewissen Rest" mit dsich
11rid
sobald er eine „autonome Persönlichkeit" wird - genauer: Durch ·ri t. Jedes Mal, wenn die Signifik~ntenke~te ,,_gestep~t un __ so
seine Identifizierung mit Bogart wird er eine „autonome Persön, ?fl e \edeutung nachträglich fixiert wird, bleibt eme gewisse Lucke
lichkeit". Der einzige Unterschied ist, dass die Identifizierung nun ihrruc
.. k ' eine
· ü" ffnung ' die in der dritten .Form .des Graphen
. , ddurch
nicht mehr imaginär ist (Bogart als Modell, das nachgeahmt wird) zu b -"hmte Che vuoi ?" ausgedrückt wird: ,,Sie sagen mu as so,
das eru " · s· b::i"
sondern,jedenfalls in ihrer fundamentalen Dimension, symbolisch~ aberwas wollen Sie damit sagen, worauf zielen ie a .
also strukturell: Der Held verwirklicht seine Identifizierung, indem
er Bogarts Rolle aus Casablanca in der Wirklichkeit aufführt - indem Graph III
er ein gewisses „Mandat" übernimmt, einen gewissen Platz im inter-
subjektiven symbolischen Netzwerk einnimmt (und eine Frau für
eine Freundschaft opfert ... ). Diese symbolische Identifizierung löst
die imaginäre auf (lässt die Figur Bogarts verschwinden) - genauer:
Sie ändert ihren Inhalt radikal. Auf der imaginären Ebene kann
sich der Held nun mit Bogart durch Eigenschaften identifizieren,
die abstoßend sind: dass er klein und hässlich ist.

Jenseits der Identifizierung ( Obere Etage des Graphen des Begehrens)

,,Che vuoi?"

Dieses Wechselspiel der imaginären und symbolischen Identifizie-


rung unter der Herrschaft der symbolischen Identifizierung kon- I(A) S
stituiert den Mechanismus, durch den das Subjekt in ein gegebe-
nes sozio-symbolisches Feld integriert wird - wie es ein bestimmtes
,,Mandat" übernimmt. Das war für Lacan ganz klar:
Dieses Fragezeichen über der gebog~_nen Pfeillinie, die. ,,ste~_pt",
Lacan hat aus Freuds Text den C nterschied zwischen Ideal-Ich und Ichideal extra- impliziert, dass zwischen Aussage und Außerungsprozess eme Luc~e
hiert - bezeichnet mit i und I. Auf der Ebene von I können Sie ohne Probleme eine
bestehen bleibt: Auf der Ebene des Ausgesagten behaupten _Sie
gesellschaftliche Dimension einführen. Das I des Ideals kann überlegener- und
legitimerweise als gesellschaftliche und ideologische Funktion konstruiert werden. dies, doch was wollen Sie mir eigentlich dami~ sa~en? (~~ etabher-
Außerdem hat Lacan dies selbst in seinen Ecrits getan: Er hat eine gewisse Form von ten Vokabular der Sprechakttheorie könn~n wir di~se Lu~ke selbS t-
Politik am Grunde der Psychologie situiert, sodass man die These, alle Psychologie verständlich als Differenz zwischen Lokution und illokutiver Kraft

162
163
einer ~egebenen Aussage bezeichnen. 34) Genau an diesem Punk
1 in Wirklichkeit nur eine Leerstelle ist, ein Name ohne
dem die Frage - ,,Warum sagen Sie mir das?" - über der Aus t,
h .. . d (
tau~ t, mussen wir as Begehren, .das kl:i_ne d im Graphen) irn On
sage a ~oh er · · G h. h
er. zu Beginn des Films befmdet sich der Held der . esc. 1c .te -
g ··hnlicher Amerikaner namens Roger 0. Thornh1ll- m emer
schied zur Forderung [demand}b lokalisieren: Sie fordern et t gewo · d ·1 · l d
mir, . a b er was wo 11 en S.1e wir
. kl.ic h , worauf zielen Sie mit Ihre Was
B \1 1O bby die von den Russen überwacht wir , we1 s1c 1 er mys-
tel
~-- K plan angeblich dort aufhält. Em Hotelangeste11ter b etntt
' · .
rung ab? Diese Spaltung zwischen Forderung und Begehr r Otd
· d. p · · · •
1:1ert 1e os1t10n des hysterischen Subjekts. Der klassischen Fo
ende
r1ose a
. Lobby und sagt: ,,Anruf für Mr Kaplan. Befmdet_
·
SK · h h'
ier em
·

herung Lacans zufolge lautet die Logik der hysterischen Ford trn r I{ap1an.::i" In eben diesem Moment macht
e . Thornlnll
. demselben
.c I l ß · erun llten zufälligerweise ein HandzeIChen, um ihm zu bedeuten,
.tO genc erma en: ,,Ich fordere dies von Ihnen, doch was ich wirk!. &11geste .1 . R d'
P r seiner Mutter ein Telegramm senden wil . Die ussen, ie
von Ihnen fordere, ist, dass sie meine Forderung zurückweisen d ic
d iese
. Ford erung . . . d 1e
· 1st
· es em · f ach nicht!" , en:n.· d.~ss e ne beobachten, halten ihn fälschlicherweise für Kaplan. Als
die 5ze . . 'h . . b
.· d Hotel verlässt entführen sie ihn, schleppen 1 n m eme a ge-
Diese Intuition liegt der verrufenen, männlich-chauvinist · h er as ' · S · b ·
~AT • h . 1sc en Villa und verlangen, dass er ihnen von semer p10nagear elt
vve1s eit zugrunde, dass „Frauen Huren sind": Die Frau ist • legene . · · · · U h ld . d
Hure, weil wir nie wirklich wissen, was sie meint - sie sagt beisp~Inle erza"hlt · Natürlich weiß Thornhill davon mchts, seme nsc u wir
· N · I" . Ie s- ·edoch als doppeltes Spiel auf g:fas~t. .
at~ b:~
we1se „ em. zu unseren Avancen, wir können jedoch nies· h
J Worin liegt der, wie man es vielleICht nennen kai:m, psychologisch
sein, dass ?ieses „Nein!" nicht in Wirklichkeit ein doppeltes „J
"b rzeugende Kern dieser Szene, die doch auf emem na~ezu un-
deutet - eme Aufforderung, noch offensiver vorzugehen· in di·
F 11 · ·1 , esern ula:blichen Zufall basiert? Thornhills_ Situation entspncht der
a 1st 1 ir B_egehren genau das Gegenteil ihrer Forderung. In ande-
g dlegenden Situation des menschlichen Wesens als Sprach-
ren Worten 1st der Spruch „Frauen sind Huren" die vulgäre Vers·
grun [being-of..language] (parletre, um Lacans kondensierte Worte
·
emer un b eantworteten Frage von Freud: Was will das Heib ?*'.Hi 10n wesen 37 'J . . . • ·f·k b
U tzen ). Das Subiekt 1st immer an emen Sigm i anten ge un-
Dieselbe Intuition liegt wohl auch einer weiteren Alltagsweisheit zu n J .
den und geheftet, der das Subjekt für_ emen an~eren 1gm 1 anten
s· 'f'k
z:1grunde, der zufolge auch die Politik eine Hure ist: Nicht nur ist 38
räsentiert. Dadurch wird ihm em symbolisches Mandat ver-
sie korrupt, heir~tückisch und so weiter; vielmehr ist jede politi- rep . b. k . N k d er
sche Forderung immer einer Dialektik verhaftet die bewirkt da 1. hen und bekommt einen Platz im mtersu ~ e t1ven etzwer
ie . d d.
. ' ' ss bolischen Beziehungen zua-ewiesen. Der Punkt ist, ass 1eses
sie auf etwas anderes abzielt als auf das, was sie buchstäblich be- sym o . . . k
Mandat letztlich arbiträr ist: Da es wesentlich performat1v ist, ann
sagt: Eine ~orderung kann beispielsweise eine Provokation sein, die
darauf abzielt, zurückgewiesen zu werden (dann ist es am besten man es nicht durch einen Verweis auf die „wahre1:" Eigensc~aft:n
ihr ohne Rückhalt nachzukommen). Das war auch, wie man weiß' und Fähigkeiten des Subjekts begründen. J?as Su?Je~t, das mi~ die-
sem Mandat beauftragt ist, wird so automatisch mit emem gewissen
Lacans Vorwurf an die Studierendenrevolten im Mai 1968: Dies~
Che vuoi ?, mit einer Frage des Anderen konfrontiert. Der Andere
seien einfach eine hysterische Rebellion, die sich nach einem neuen
Herrn sehne. adressiert es, als besitze es selbst die Antwort auf die Frage, war1:m
es dieses Mandat innehat, doch die Frage kann selbstverständlich
Die vielleicht beste Veranschaulichung dieses Che vuoi? ist der An-
nicht beantwortet werden. Das Subjekt weiß nicht, warum es diesen
fang von Hi tc~co~ks Der unsichtbare Dritte. Um die russischen Agen-
ten von der richtigen Spur abzubringen, erfindet die CIA einen Platz im symbolischen Netzwerk einnimm~. Daher _kann seine A:1t~
wort auf das Che vuoi? des Anderen nur die hystensche Frage sem.
Agenten namens George Kaplan, der überhaupt nicht existiert.
,,Warum bin ich das, was ich sein soll, warum habe ich dieses Man-
Man bucht Hotelzimmer für ihn, tätigt in seinem Namen Anrufe,
dat? Warum bin ich (ein Lehrer, ein Herr, ein König ... oder George
kauft Flugtickets und so weiter - all das wird getan, um die russi-
Kaplan)?" Kurz: ,, Warum bin ich das, wovon Du (der große Andere) sagst,
schen Agenten davon zu überzeugen, dass Kaplan wirklich existiert,
dass ich es sei ?"

164
165
Zum Abschluss des psychoanalytischen Prozesses befreit · h · hen Aufgabe ist, die Menschheit durch sein Opfer zu er-
8
Analysand von dieser Frage - er akzeptiert, dass sein Sein nicht;~ 0 rreic · dieser
Das Problem ist, dass er mit · Anrufung mc · h t zm~ec h t-
ßen Anderen begründet wird. Aus diesem Grund begann die Psy horn, sefl• . Seine Versuchungen" bedeuten gerade den hysterischen
l_yse ~mt. d . c oa
roJJ1t. " · · d
er Deutung des_h~stenschen S~mptoms, aus diesem Gru ·derstand gegen sein Mandat, in den Zweifeln an diesem Man at
ist die Erfahrung der weiblichen Hystene ihre Heimat"· D 1
. . . ." . . ennw d den Versuchen, ihm auszuweichen, auch dann noch, wenn er
1st die Hystene anderes als Effekt und Zeugms emer gescheit ~ l . ~
1:-nrufung? Was ist die hysterische Frage anderes als die An{rten bereits ans Kreuz genage t 1st.
1
tlon der Unfähigkeit des Subjekts, die symbolische Identifizi ula~
. l d . erung per Jude und Antigone
zu vo 11 z1e 1en ~n sem symbolisches Man~at vollkommen und ohne
Vorbehalt zu ubernehmen? Lacan formuliert die hysterische F
der Politik begegnet uns dieses Che -ouoi? überall. So zum Bei-
so.· ,, W arum b.1n 1c · h d as, wovon Du mir · sagst, dass ich
• es bin~" rage
W In_ 1 als die amerikanische Presse nach den ersten Erfolgen von
also ist das Mehrobjekt [surplus-object] in mir, das den Andere~ d as spie Jackson41 während des Wahlkampfes 1988 anfing zu fragen:
. l1at, mIC
verl eitet . hals . .. (Kömg, . Herr, Ehefrau ... ) anzurufen u1 dazu Jesse • · · h u
Was will J ackson wirklich?" Man konnte _die rass1stis~ en . nter-
u en " [h az·l]~')
„g1-••ß h ystensche
· n zu
9 •
. · · Die Frage eröffnet die Lücke dess ''.. dieser Frage leicht heraushören, da diese Frage me bei ande-
was ,,im Subjekt mehr als das Subjekt ist", was das Objekt im Subjekt~s~' rone . . . R .
ren Kandidaten gestellt wurd~. Dass wir es h~:~ mit ass~smus zu
das der Anrufung/Unterordnung des Subjekts und seiner Inklus· ' bestat1gt, .dass dieses Che
· sym b o 1·1sche Netzwerk widersteht.
ms 10n tun hab en , wird auch durch die Tatsache. .
· '2 am heftigsten in dem hervorbncht, was gewissermaßen die
Die vielleicht vuoz. . . . ..
d er H . . stärkste . künstlerische Darstellung dieses Mome ns t
destillierte Reinform des Rassismus ist, nämhc~ 1m Antisemitismus:
. ystensierung 1s_t ~oss~ttis berühmtes Gemälde Ecce Ancilla Aus Perspektive des Antisemiten ist der Jude em Mensc~, vo~ dem
D?mz~z, auf ~em Mana Just 1m Moment der Anrufung dargestellt man nie ganz genau weiß, ,,was er wirklich will" - der Antisemit ~eht
wird, m dem ihr der Erzengel Gabriel ihre Mission verkündet: unbe- immer davon aus, dass geheime Motive seine Handlungen le1t~n
flec~t zu empfangen und den Sohn Gottes zu gebären. Wie reagiert (beispielsweise eine jüdische Verschwörung, die ~eltherrschaft, die
Mana auf chese verblüffende Nachricht, auf dieses ursprüngliche
moralische Korruption der Nicht-Juden und so weiter~. Der Fall des
,,_Ge?rüßet seist Du, Maria" [Hail Mary]? Das Gemälde zeigt, dass
Antisemitismus veranschaulicht auch, warum Lacan die Formel d~s
sie sich ängstigt, ein schlechtes Gewissen hat und sich vor dem Erz-
Phantasmas (S•a) ans Ende der gebogenen Pfeillinie gesetzt hat, die
engel in eine Ecke zurückzieht, so als fragte sie sich: ,,Warum wurde
die Frage Che -ouoi ? bezeichnet: Das Phantasma ist eine_ An_twort auf
ich für diese dämliche Mission auserwählt? Warum ich? Was will
das Che -ouoi? Es ist ein Versuch, die Lücke der Frage mit emer Ant-
dieser a_bstoßende_ Geist eigentlich von mir?" Das erschöpfte, blei-
wort auszufüllen. Im Falle des Antisemitismus ist das Phantasma der
che GesICht und die dunklen Augenringe sind verräterisch: Vor uns
,,jüdischen Verschwörung" eine ge~eimnisvolle _Kraf~ der Jud~n,
befindet sich eine Frau, die ein turbulentes Sexualleben hat und
Ereignisse zu manipulieren und im Hmtergrund die Strippen zu zi~-
eine unzüchtige Sünderin ist - kurz, eine Figur, die Eva ähnelt; das
hen - die Antwort auf die Frage: ,,Was will der Jude?" Auf theoreti-
Gemälde stellt dar, wie „Eva angerufen wird, Maria zu werden" und
wie diese hysterisch darauf reagiert. scher Ebene muss man feststellen, dass das Phantasma als K?nstruk-
tion und imaginäre Szene fungiert, die die Leerst~lle und Offnung
M~rtin ~corseses Film Die letzte Versuchung Christi geht noch einen
des Begehrens des Anderen ausfüllt: In dem es uns die F~~age, wa~ der
Schn_tt weiter: _Thema des Films ist die Hysterisierungjesu Christi selbst;
Andere will, endgültig beantwortet, erlaubt es uns, emer unuber-
er zeigt uns emen gewöhnlichen, fleischlichen, leidenschaftlichen
windbaren Sackgasse zu entgehen: Der Andere will etwas von uns,
Mann, der nach und nach - fasziniert und voller Grauen - entdeckt,
gleichzeitig können wir sein Begehren ~icht i~ eine_ ~o~itive ~~twort
dass er der Sohn Gottes und Träger der fürchterlichen, aber auch
oder ein Mandat übersetzen, mit dem wir uns 1dent1fiz1eren konnen.

166
167
Dadurch wird auch klar, weshalb die Juden zum rassisti h rnunikationsmittel unmöglich macht: Er ist einfach der uner-
Objekt schlechthin geworden sind: Verkörpert sich im jüd ·s\
~~iche Punkt des Begehrens, der Lücke 1:11:d Leere des A~deren,
Gott nicht dieses Che vuoi? in reinster Form, dieser furchtba~:c ag on der faszinierenden Präsenz des Heiligen verdeckt wird. Ju-
grund des Begehrens des Anderen? Wird dies nicht auch durch 1\
:: ~estehen auf die Rätselhaftigkeit. des Begehr~ns ~es A~der:n,
formale Verbot bezeugt sich „kein Bildnis von Gott zu mach ~
d f d' esen traumatischen Punkt des remen Che vuoz? Dieser lost eme
also die Lücke im Begehren des Anderen mit einem positiven ehn
. l1en Szenano · auszufüllen? Selbst wenn Gott, wie es P ab . a:e;rägliche Angst aus, da _er weder durch ein ~pfer noch durch
tasmat1sc
~ b volle Hingabe symbohs1ert und „gentnfiziert werden kann.
Abraham der Fall ist, eine konkrete Forderung stellt (dass Abr h ei · l
}1e e
Genau auf dieser Ebene sollten wir ·
den Bruch zw1s.c 1~n Ch nste~-
.
s:i~en S~!m opfr_re), _bleibt of~~n,_ was er ~irklich damit bea;si:: und Judentum lokalisieren - im Gegensatz zur Jüdischen Reh-
t1gt. Es ware bereits eme unzulass1ge Veremfachung zu behaupt t~1ll der Angst ist das Christentum die Religion der Liebe. Man sollte
dass Abraham durch diesen scheußlichen Akt sein unendliches ~en, gwn • L
. H'mga b e zu Gott unter Beweis stellen muss. n·er- den Begriff „Lieb:" <labe~ jedoch so verstehen~ wi~ er v~n ~ca~
trauen un d seme oretisch beschneben wird - man muss also die D1mens10n eme1
Grundhaltung eines jüdischen Gläubigen ist somit diejenige Hiob1~ th e . versuc l1en, d'1e unertrag-..
Anstelle der Klage über all die Katastrophen, die der Andere (G s). fun damentale Täuschung verstehen: ··
Wir
· h d Ad
""b b . ·11 . Ott liehe Lücke des Che vuoi ?, die Offnung im Bege re~ es . n eren
u er uns rmgen wi , tntt Unverständnis, Ratlosigkeit oder sogar
Entsetzen. aus zufüllen, indem wir uns dem . Anderen
. . . als Objekt
. semes Be- .
hrens anbieten. In diesem Smne 1st die Liebe, wie Lacan gezeigt
Diese entsetzte Ratlosigkeit markiert die ursprüngliche Bezi _ ~ eine Deutung des Begehrens des Anderen. D.
hat, . 1e L.ieb e antwo_r-
hun~.?e~ jüdischen Gläubigen zu Gott und den Pakt, den Gott m~t
tet: ,,Ich bin der Mangel in Dir; durch meine H1~gab: u1:d rr_iem
dem Jud1schen Volk geschlossen hat. Dass Juden sich selbst als „aus-
Opfer werde ich Dich ausfül~en und verv?llstä1:-d1ge~. Die_ Liebe
e~wählt~_s Volk" begreifen, hat nichts mit einem Glauben an ihre
ist also eine doppelte Operat10n: Das Subjekt fullt semen eigenen
eigene Uberlegenheit zu tun; sie besitzen keine besonderen Oua-
Mangel aus, indem es sich dem Anderen als Objekt ~arbiet~t, das
litäten; vor dem Pakt mit Gott waren sie ein gewöhnliches ¼lk seine Lücke ausfüllt - die Liebe täuscht uns dadurch, mdem sie uns
n_icht mehr oder weniger korrumpiert als die andere, und lebte~
vorspiegelt, dass zwei Mängel, die sich über~chneiden, den Mangel
em normales Leben - plötzlich, traumatisch aufblitzend erfuhren
als solchen durch gegenseitige Vervollständigung aufhebe~.
sie (durch Moses ... ), dass der Andere sie auserwählt hatte. Diese
Man muss das Christentum also als einen Versuch begreifen, das
Wahl stand somit nicht am Anfang, noch bestimmte sie den „ur-
jüdische Che vuoi? durch den ~kt der Liebe _und des. Opfers zu
sprünglichen Charakter" der Juden - um Kripkes Worte erneut zu
„gentrifizieren". Das größtmögliche ?pfer (di_e Kr~~z1gung, der
nutzen, sie hatte nichts mit ihrer deskriptiven Eigenschaft zu tun.
Tod von Gottes Sohn) ist der endgültige Beweis dafür, dass Gott-
Warum wurden sie auserwählt, warum fanden sie sich plötzlich in
vater uns mit einer allumfassenden, unendlichen Liebe liebt und
der Position wieder, in Gottes Schuld zu stehen? Was wollte Gott
uns so die Angst des Che vuoi? nimmt. Die Passion Chri_sti - dieses
wirklich von ihnen? Die Antwort ist - um die paradoxe Formel des
faszinierende Bild das alle anderen Bilder überdeckt, dieses phan-
Inz~sttabus zu wiederholen - unmöglich und zugleich verboten.
tasmatische Szena1:io, in dem die gesamte libidinöse Ökonomie der
Mit anderen Worten ließe sich die jüdische Position also auch christlichen Religion kondensiert ist - erhält ihre Bedeutung nur
als G~ttes Position jenseits oder vor - dem Heiligen bezeichnen, und
vor dem Hintergrund des unerträglichen Rätsels des Begehrens
zwar 1m Gegensatz zur heidnischen Überzeugung, das Heilige gehe
des Anderen (Gott).
den Göttern voraus. Dieser seltsame Gott, der die Dimension des
Es liegt uns natürlich fern zu behaupten, das C_hristentum sei
He_iligen verdeckt, ist nicht der „Gott der Philosophen" oder ein
eine Art Rückkehr zur heidnischen Beziehung zwischen Mensch
rat10naler Manager des Universums, der die heilige Ekstase als
und Gott: Dass dem nicht so ist, wird schon dadurch bestätigt, dass

168
169
das Christentum - entgegen dem oberflächlichen Ansch ·
·tte Version des Paares Antigone-Ismene in Margarethe von
jüdischen Religion darin folgt, die Dimension des He~~n - e dn . p
. f'.C . . igen !1 Film Die bleierne Zeit ausmachen? Dort geht es um em aar,
verd ec k en. WIr tre 1en im Chnstentum allerdings auf et . auf Gu drun E nss rin b as1ert
. Was :rottaS
ich aus einer RAF-Terronstm . . (die . )
emer ganz anderen Ordnung angehört: Die Idee des Heil· '
. D' .. zgen d s s 11
·1 rer bedauernswert-mitfühlenden Schwester zusammen-
im_ iens.t a~ Heiligen. da~ exakte G.e?enstück z1:1m Priester ist: b d die versucht „sie zu verstehen" und aus deren Perspek.tive d'ie
Pnester .ist em „F~~kt10nar d~s Heiligen'~; es gibt nichts Heili
ohf.l': sem_e Amtstrage: und die bürokratische Maschine, die
Heilige stutzen und seme Rituale organisieren seien es di'e
J setzt,hichte erzählt wird. (Der Beitrag von Volker Schlöndorff aus
Gesc Omnibusfilm Deutschland im Herbst43 beruht ebenfalls darauf,
. . modernen Staats- 'oder Armeer·t
aztek'1" de~ ne und Gudrun Ensslin miteinander zu parallelisieren.)
sehen Opferntuale oder die
D H ·1· h · j\otlg~auf den ersten Blick unvereinbare Figuren: Die würdevolle
er ei ige mgegen besetzt den Platz des obiet petit a des i llale · • Drei . . d'
Ob . k . . . . J ' reinen · one die sich für das Andenken ihres Bruders opfert, ie pro-
~e ts, emer Person, die eme radikale subjektive Destituti
42 A.~tkig Juliette die sich dem Genuss jenseits aller Grenzen hingibt
durchläuft. Er führt kein Ritual aus und beschwört auch nt~ 1111s e ' d b · )·
herauf. Er beharrt einfach in seiner trägen Präsenz. c ts 1 ·enseits der Grenze, an dem der Genuss noch Freu e ereitet ,
(~ sof;Jnatisch-asketische Gudrun ' die. mit ihren Terrorakten
die a •
die Welt
Nun können wir auch verstehen, warum Lacan Antig·one für ·
"11 • • d . . . eine 'hi~en Alltagsfreuden und -routmen aufwecken will - Lacan er-
~orreit~nn er ,C?pferung C_hnsti ~ielt.: Ihre Hartnäckigkeit macht aus 1 . . · · · k
bt es uns in diesen dreien dieselbe ethische Pos1t10n zu er en-
s1.e zu emer Heiligen und emdeutig rncht zu einer Priesterin. A Iau ' . h b " A d.
uen, nämlich „in seinem Begehren mc~t nac zuge en . . us iesem
diesem Grund müssen wir alle Versuche abblocken sie zu do us
. . , mes- Grund rufen alle drei dasselbe Che vuoz? he~vo~, dasselbe. :,_W~s w~l-
tizieren und dadurch zu zähmen, dass man die furchterrege d
}i~~emdheit und „Unmenschlichkeit", den apathischen Charakter i i e 1en Sie wirklich?" Antigone mit ihrer starrsmmgen Hartnackigkeit,
d . 'h
Juliette mit ihrer apathischen Promiskuität und Gu run mit i ren
~igur verdeckt und sie zu einer zärtlichen Hüterin ihrer Familie un:
· nlosen" Terrorakten: Alle drei stellen das Gute, das durch den
ihres -~aus_halts ~acht, ~ie Mitleid in uns hervorruft und sich als „s1n k.. · d
Staat und die gewöhnlichen Moralvorstellungen ver orpert wir ,
!de_ntifi~at10ns~bJekt anbietet. In Sophokles' Antigone ist Ismene die-
infrage.
Jemge Figur, mit der wir uns identifizieren können: Sie ist liebevoll
rücksichtsvoll, sensibel, bereit nachzugeben und Kompromisse ein~
Das Phantasma als Schirm für das Begehren des Anderen
z1:1gehen,_ rührend und „menschlich" - im Gegensatz zu Antigone,
die an die. Gre~zen geht, die. ,,nicht in ihrem Begehren nachgibt"
Das Phantasma erscheint also als Antwort auf das Che viwz''2. , au f d'ie-
(Lacan). Sie wird - durch dieses hartnäckige Beharren auf den
ses unerträgliche Rätsel des Begehrens das Anderen, des M~ngels
„Todestrieb" und das Sein-zum-Tode - erschreckend rücksichtslos
im Anderen. Zugleich steckt das Phantasma sozusagen auch die Ko-
und fällt so aus dem Kreis alltäglicher Gefühle, Rücksichtnahmen
ordinaten unseres Begehrens ab - es konstruie~t den R~hi_n_en, der
Leidenschaften und Ängste heraus. Anders gesagt, Antigone ruft i~
es uns ermöglicht, etwas zu begehren. Die übhc_he Defi.mti~:m des
un~ (rü~rseligen, alltäglich mitfühlsamen Kreaturen) notwendiger-
Phantasmas - ,,ein imaginiertes Szenario, das die Verwirkhc~ung
weis_e di: Frage hervor: ,,Was will sie wirklich?" Und diese Frage
schließt Jede Identifizierung mit ihr aus. unseres Begehrens repräsentiert" - ist daher gewisser_maßen irre-
führend oder zumindest ambivalent: In der phantasmatischen Szene
In der _europäischen Literatur wiederholt sich das Paar Antigone-
wird das Begehren nicht erfüllt oder „befriedigt", sondern konsti-
Ism~ne m _de _Sades ~erk, und zwar in Form des Paares Juliette-
tuiert (es erhält seine Objekte und so weiter) - durch das Pha:itasrr:a
Justme: Hier ist Justme ebenfalls ein bedauernswertes Opfer, im
lernen wir, ,, wie wir begehren". Das Paradox des Phantasmas hegt m
Gegensatz z~ Juliette (_diesem apathischen Wüstling), die „in ihrem
dieser vermittelnden Rolle: Es ist der Rahmen, der unser Begehren
Begehren mcht nachgibt". Und warum sollten wir nicht auch noch
koordiniert, und zugleich eine Verteidigung gegen das Che vuoi? Es

170
171
44
ist ein Schirm , der die Lücke und den Abgrund im Bege}
. . 1re Schematismus im Erkenntnisprozess. 45 Bei Kant ist der
An d eren verdeckt. Treibt man dieses Paradox auf die Spit 11 nta1en · 1er, em· vermitte · I n d er
.
b 1s rr. I · ze _ J." dentale Schematismus ein Vermitt
zur .1auto og1e -, so könnten wir sagen dass das Beg J uszen . . ( . . - 1
. . , e zren rischen dem empinschen Inhalt kontmgente, 1nne1we t-
Vertezdzgung gegen das Begehren ist: Das durch das Phantasm· e~ Z~ · d
a stru g pirische Erfahrungsob1ekte) und dem Netzwerk er trans-
~
• • C.
tunerte Begehren verteidigt uns gegen das Begehren des A d he em J · d h
gegen d 1eses . . " trans-phantasmatische Begehren (alson ere
„reme d~ntalen ~ategorien_: Er ?ezeichnet den Mech-am~mus, urc
den „Todestrieb" in seiner Reinform). geg ~ die empinschen Objekte m das Net~werk de: t1 ~ns~enden:alen
e ien einbezogen werden, das bestimmt, wie wir sie walu neh-
Nun können wir sehen, warum die Maxime der psych "flategor . . f d. .
lyt1sc· l1en E t h"k · sie· von Lacan formuliert wurde ( 0 an J> d begreifen (als Substanzen mit E1genscha ten, 1e einer
1 , wie . wen un . ) . l d
· · ,,nie . lkette unterworfen sind und so weiter . Ern entsprec 1en er
1m eigenen Begehren nachzugeben"), mit dem Abschluss d J{ausa . . d . . . l
· h an1·smus wirkt auch im Phantasma:
};,fec . Wie
. wir em emp1nsc 1es, .
psychoanalytischen Prozesses - dem „Durchqueren des Pha
· ositiv
· · gegebenes Obiekt . zu emem Objekt des Begehrens? Wie
mas" - zusammenfällt: Das Begehren, in dem man nicht nt h P J ...
b " d f . . l „nac „ fäng t e S an ' ein X ' eme unbekannte Quahtat zu enthalten, etwas,
ge en a:r , ist mc lt das vom Phantasma gestützte Begehre
ehr ist, als es selbst" und es begehrenswert macht? Indem es
das Begehren des Anderen, das jenseits des Phanta n,
rsondern N' l ·
1eg~_. ,, i~ 1t 1m Begehren nachzugeben" impliziert die radikale
smas
das
. d „m n Rahmen des Phantasmas emtntt, · · 1nc · i em es m · eme· p h ant as-
rnatische Szene einbezogen wird, die dem Begehren des Su b'~e1zts
111 e · ·
Zuruc~weisung aller Begehrensvielf~lt, die auf phantasmatischen
Szenanen beruht. Im psychoanalytischen Prozess nimmt ct· Konsistenz verleiht. . . -
1eses Betrachten wir etwa Hitchcocks Film Das Fenster zum 1!of Dei
Begehren des Anderen die Form des Begehrens des Analytikers
Held, gespielt von James Stewart, sitzt_ im ~olls~uhl und blick~ fort-
~-n: Der Analysand versucht seinem Abgrund zunächst durch die .
während durch ein Fenster, das offensichtlichem phantasmat1sches
Ubertragung zu entkommen - also indem er sich dem Analyfk
l . b b' 1 er Fenster ist - sein Begehren wird von dem gefessel~, was er durch das
a s L 1e eso ~ekt anbietet. Die „Auflösung der Übertragung" fin-
Fenster sehen kann. Das Problem der unglüc~hch:n Grace Kelly
det dan1: statt, wenn der Analysand es ablehnt, die Leere und den
· t dass ihr Heiratsantrag für ihn ein Hinderms, emen Fleck dar-
Mangel im Anderen auszufüllen. (Wir finden eine Logik, die dem
Paradox d:s ~egehrens ähnelt, das eine Verteidigung gegen das
is'
stellt, der seinen Blick durch das Fenster stört: st~tt 1 ~ m1_t 1
.h . 'h
r:r
Schönheit zu betören. Wie gelingt es ihr schheßhch, sich m sei~
Begehren 1st, m Lacans These wieder, dass die Ursache immer die
Begehren einzufügen? Indem sie buchstäblich den Rahmen sei-
U~sache von etwas ist, das schiefgeht, das fehlt - im Französischen
nes Phantasmas betritt; indem sie den Hof überquert und „auf der
l~e1ßt das: r;a cloche, etwas hapert. Man könnte sagen, dass Kausa-
anderen Seite" erscheint, wo er sie durch das J?enster beobachten
lität - d~e „normale_" un~ lineare_ Kausalkette - eine Verteidigung
kann. Als Stewart sie in der Wohnung des Mörders erblickt, i~t se~n
gegen di~ Ursache 1st, mit der w1r es in der Psychoanalyse zu tun
Blick sofort gefesselt, er ist auf sie versessen und begehrt s1~: ~1e
haben. Diese Ursache erscheint dort, wo die „normale" Kausali-
hat ihren Ort in seinem phantasmatischen Raum gefunden. Dies 1st
tät scheitert und zusammenbricht. Wenn wir uns beispielsweise
die Lehre, die man aus Lacans „männlichem Chauvinismus" zi~h~n
versprechen, wenn wir_ etwas anderes als das sagen, was wir sagen
kann: Ein Mann kann sich nur auf eine Frau beziehen, wenn sie m
wollten - wenn also die Kausalkette zusammenbricht, die unser
seinen phantasmatischen Rahmen tritt. . .
„normales" Sprechen reguliert-, so drängt sich uns die Frage nach
der Ursache auf: ,,Warum ist das passiert?") Dies ist auch der psychoanalytischen Doxa auf em:r ganz na1v~n
Ebene bekannt, wenn sie nämlich behauptet, dass Jeder Mann m
~an ka~m durch Rückgriff auf Kants Kritik der reinen Vernunft er-
der Frau, die er als seine Sexualpartnerin auswählt, einen Ersatz
klaren, wie das Phantasma funktioniert: Die Rolle des Phantasmas
für seine Mutter sucht: Ein Mann verliebt sich in eine Frau, wenn
in der Ökonomie des Begehrens entspricht der Rolle des transzen-
irgendeine ihrer Eigenschaften ihn an seine Mutter erinnert. Das

172
173
einzige, was Lacan dieser traditionellen Überzeugung hin ..
. d d.
1st, ass :1~ 1e negative Dimen~ion ~etont, die normalerweise üb
, zufu becc a _ bei einem Empfang ein Gewand, das Rebecca zu einem .
e liehen Anlass trug. Die Wirkung ist abermals grotesk, und 1hr
sehen wird: Im Phantasma wird die Mutter auf eine besch ..
n 11 jagt sie wütend davon ... )
_Menge (symbol_ischer) Eigenschaften reduziert; sobald ein ~:\
1m phantasmat1schen Rahmen erscheint, das dem M utter-ti- :Es 1s t daher klar , warum Lacan seinen Graphen
an· . des Begehrens
. Bezug auf Shakespeares Hamlet entwickelt hat: Ist Hamlet
zu nahe kommt - also mit dem mütterlichen Ding nicht nur d in
b est1mmte
·
,..,,1t Endes nicht das Drama emer . gesc heiter
. ten A nri1yung.
,r ?4G A
m
re d uzierte
· · verbunden ist, sonder Urch
jV
Eigenschaften . • }etzten • · · G ·
. lb · d · n sich g steht die Anrufung m ihrer remsten Form: Der eist
unmitte ar mit 1esem verknüpft - wird das Begehren e • · Anfan · ·
Vaters/Königs ruft das Individuum Hamlet a 1s Su b~e · kt an -
. . . ' , rstickt
und verwandelt sich m mzestuöse Klaustrophobie. Hier beg • des let erkennt sich also als Adressat des ihm auferlegten Man-
wir · wie · d er d er paradoxen Vermittlerrolle
· des Phantasmas· egnen
E .
· · · · . S lSt flailloder der Mission (den Tod seines Vaters zu rächen) an; der
eme Konstrukt10n, die es uns erlaubt, mütterliche Substitut dat_s t des Vaters fügt seinem Befehl jedoch rätselhafterweise die
, l1en, uns g l e1c
suc · 11ze1t1g
· · a b er auch davor beschützt, dem mütt ezu
Ge1s k . L ei.d zu f"ugen so 11 e.
1. h D'
1c en mg zu __nahe zu kommen - es erlau~t uns, Distanz zu Wah-
er- Bit• t e hinzu , dass Hamlet seiner. Mutter em . . .'2
Aber Hamlet wird durch die Konfrontat10n mit dem Che vum.
ren: ~eshalb ware es f~lsch zu folgern, dass irgendein empirisches
positiv gegebenes Objekt den Platz des mütterlichen Obiekts · ' des Begehrens des Anderen davon abgehalten, zu. handeln l . l
u. nd
· h 1rn . befohlene Rache durchzuführen: Ein langer Dia og zwisc 1en
p h ~ntasmatisc en Rahmen übernehmen und so anfangen könnt d1e
J
d'
Hamlet und seiner Mutter steht im Zentrum des Stückes. In _1eser
Objekt ~es Begel:rens zu sein: Einige Objekte (diE:jenigen, die de~
traumatischen Dm? zu ähnlich sind). sind definitiv davon ausge- Sze n e fänot o
Hamlet an, am Begehren seiner Mutter zu zweifeln.
· k B ·
Was will sie wirklich? Was, wenn sie die obszöne, prmms e ezie-
schlossen; s~llte~ sie _den phantasmat1schen Raum zufälligerweise
hung mit seinem Onkel genießt? Hamlet wird nicht etwa dur~h Un-
betreten, so 1st die Wirkung extrem verstörend und ekelerregend:
h lüssigkeit in Bezug auf sein eigenes Begehren daran gehmdert,
Das Phantasma verliert seine faszinierende Kraft und wird zu SC . kl' l
einem widerlichen Objekt. zu handeln; es ist nicht so, als „wüsste er nicht, was er wir 1c 1
will" - das weiß er sehr genau: Er will seinen Vater räch~n. Was
Bei Hitchcock finden wir ein weiteres Beispiel für solch eine
ihn hindert, ist sein Zweifel am Begehren des Anderen und die ~on-
Transformation, dies~al in Vertigo: Der Held - wieder gespielt
frontation mit einem gewissen Che vuoi ?, das vom Abgrund emes
:7011 _J a1:1es Stewart - hebt Madeleine leidenschaftlich und folgt furchtbaren, ekelhaften Genießens kündet. Wenn der N am~-~~s-
1hr 111 em Museum. Dort bewundert sie das Portrait von Carlotta
Vaters als Akteur der Anrufung und der symbolischen Identif1z1e-
die bereits lange tot ist und mit der sich Madeleine identifiziert~
rung fungiert, so markiert das Begehren der Mu~ter mit seinem
Eine Freundin des Helden, die an seine Mutter erinnert und
unergründlichen Che vuoi? eine Grenze, an der Jede Anrufung
~ünst!erin ist, ~ereitet eine unangenehme Überraschung vor, um
notwendigerweise scheitert.
ihm emen Streich zu spielen: Sie fertigt eine exakte Kopie von
Carlottas Portrait an, inklusive Spitzenkleid, roten Blumen auf
Der inkonsistente Andere der jouissance
dem Schoß und so weiter. Doch sie ersetzt Carlottas verhängnis-
voll schönes Gesicht durch ihr eigenes, gewöhnliches Gesicht mit
Wir sind somit bereits bei der vierten, letzten und vollständigen
Brille ... Die Wirkung ist verstörend: depressiv, gebrochen und
Form des Graphen des Begehrens angelangt. Denn was in dieser
angeekelt rennt Stewart davon. (Eine ähnliche Szene findet sich
letzten Form hinzukommt, ist ein neuer Vektor der jouissance, der
in Hitchcocks Rebecca. Mrs de Winter, gespielt vonjoan Fontaine,
den Vektor des symbolisch strukturierten Begehrens kreuzt:
trägt - um ihrem Mann eine Freude zu bereiten und da sie da-
von ausgeht, er hänge noch immer an seiner verstorbenen Frau

174
175
Graph IV
ines Genießens entleert [evacuated] .48 Der Körper überlebt
odi }ich
se zerstückelt und mortifmert.
· · · · s·_1gm'f'k
Die 1 ante~~rclnu~g
ted g oße Andere) und die Ordnung des Gemeßens (verkorpert im
(der gr · d· k ·
. ) sind also, in anderen Worten, radikal heterogen un m onsis-
n1og · · · k 11
v . ·ede Übereinstimmung zwischen ihnen 1st stru ture unmog-
··
t~ot, haher liegt der Signifikant des Mangels und der Inkonsistenz
h~~Anderen auf der linken Seite_ der oberen Etag~ de~ Graphen - a~
d r ersten Schnittstelle des Gemeßens und des Sigmfikanten S~A).
d:bald das Signifikantenfeld vom Geni~ßen durchdru_ngen wird,
!ird es inkonsistent, porös und_ perforiert - ~a~ Ge:ne~:n kann
• ht symbolisiert werden und seme Anwesenheit im S1gmfikanten-
otcld kann nur durch die Löcher und Inkonsistenzen
· · d'1esem F e ld
m
fe f espürt werden. Daher ist der einzig mögliche Signifikant des
au g
Genießens der Signifikant des Mangels im . Anderen, der s·1gm'f"1-
kant seiner Inkonsistenz. . .
l(A) S Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, dass das_Su~jekt ~e1 ~~can ge-
lten durchgestrichen und mit dem Mangel m emer Sigmfikanten-
spa ' . . l . 1·
kette identisch ist. Die radikalste D1mens1on von Lacans T 1eo~1e iegt
jedoch nicht darin, diese Tatsache anzuerkennen, sondern dann, dass
~er vollständige Graph ist in zwei Etagen unterteilt, von denen die
der große Andere, also die symbolische Ordnung selbst_, eben~alls von
eme als Ebene der Bedeutung und die andere als Ebene des Genieße
b · h ns einer fundamentalen Unmöglichkeit barre(durchgestr~chen) 1st, dass
~zeic net w:rden k~nn_. ?as Problem der ersten (unteren) Etage ist,
r um einen unmöo-lichen/ traumatischen Kern, um emen zentralen
wie der Schmtt der Sigmfikantenkette und der mythischen Intention
~angel herum str~kturiert ist. Ohne diesen_ M~ngel im_ Ander':n
(~) den Bedeutungseffekt mit all seinen internen Artikulationen
wäre dieser eine geschlossene Struktur, und die emzige _Moghchke1t,
P:oduzier~: mit der Nachträglichkeit der Bedeutung, insofern diese
die dem Subjekt bliebe, wäre die radikale Entfremdung 1m Ande~en.
ehe Funktion des großen Anderen ist - insofern sie also durch den
Es ist also gerade dieser Mangel im Ander~n, der ~s dem Subjekt
Platz des Anderen bedingt ist, durch die Batterie der Signifikanten47
erlaubt, eine Art „Ent-Entfremdung" zu vollziehen, die Lacan „T~en-
(s(A)\ ?1:rch das Imaginäre (i(a)) und das Symbolische (I(A)) -, die
nung"49 nennt: Dabei handelt es sich nicht darum, das~ das Subjekt
I_dent1fmerung des Subjekts, die auf dieser nachträglichen Produk-
nun wahrnimmt, dass es immer durch eine Sprachbarriere vom ~b-
tion von Bedeutung basiert, und so weiter. Das Problem, das sich
auf der zweiten (oberen) Etage stellt, betrifft die Frage, was passiert, jekt getrennt sein wird, son~ern d~~s das Objekt_vom And~:e~ getrennt ist,
dass auch der Andere „es mcht hat , dass er keme endgult1ge A~two_rt
wenn ?as F:ld der Signifikantenordnung (des großen Anderen)
weiß - der Andere ist also selber blockiert und er begehrt: Es gibt em
perforiert wird, wenn es vom Fluss eines vorsymbolischen (realen)
Begehren des Anderen. Dieser Mangel im Anderen gibt de~ Subj~kt
Genießens penetriert wird. Was passiert, wenn sich die vorsymboli-
sozusagen ein wenig Raum zum Atmen. Er erlaubt dem S1:1bje~t, sich
sche „Substanz", der Körper als materialisiertes und verleiblichtes
Genießen im Signifikantennetz verstrickt? nicht vollständig im Signifikanten zu entfremden, aber mcht m~em
er den Mangel des Subjekts ausfüllt, sondern inde1:11 er dem Subj:kt
Das_ all?:meine Res1:1ltat ist klar: Indem der Körper durch das Sieb
gestattet, sich selbst, also seinen eigenen Mangel mit dem Mangel im
des Sigmf1kanten gefiltert wird, wird er der Kastration unterworfen
Anderen zu identifizieren.

176
177
. ··ren Identifizierung (bei der es um das Verhältnis zwischen
Die drei Ebenen des absteigenden Vektors auf der linke
ag:aginären Ich und seinem konstitutiven Bild, seinem Ideal-
des Graphen können also in Anbetracht der Logik, die ihre~ S
reguliert, begriffen werden. Zunächst haben wir es mit S(A) fo
r.n ht) liegt hier das Begehren (d) vor, das vom Phantasma S•a
. k. d . zu t ?.et wird. Das Phantasma dient dazu, die Kluft im Anderen
D 1eses mar 1ert en Mangel im Anderen, die Inkonsistenz d stutz d" f . . d
. h . er s füllen und seine Inkonsistenz zu_ verbergen - ie asz_in1eren .e
b o 11sc en Ordnung, wenn diese von der jouissance penetrie t .
•o . rw1 nheit eines sexuellen Szenanos kann etwa dazu dienen, die
D ann l1ab en :"ir o•a, die F~rmel des Phantasmas: Die Funktion ~s e .
„ glichkeit des Geschlechterverhältmsses zu verbergen. Das
Phantasmas 1st es, .als .Sclnrm zu dienen ' der diese Inko nsist ·
nrntoasma verbirgt, dass der Andere, dass die symbolische Ord-
verdeckt. Und schheßhch haben wir s(A), der Bedeutungseffe phan . . k . .
·. um eine traumatische Unmöglichkeit herum stru tunert ist,
der vom Phantasma beherrscht wird: Das Phantasma fungie
pungum etwas, das nicht symbolisiert werden kann - das heißt um
„absolute Bedeutung" (Lacan); es konstituiert den Rahmen drt a also Reale der jouissance: Durch. das Phantasma wir . d d"1e youzssance
. .
d en wir · d"1e Wel t als konsistent
· und sinnvoll erfahren - den R , urc
5
. . . d . l b . aurn !a rnestiziert und „gentrifiziert". Was also wird aus dem Begehren,
Przorz, m em sic 1 est1mmte Bedeutungseffekte abspielen. n~chdem wir das ~hantasma „d~rchquert" haben? La:ans Antw~rt
.Der letzte Punkt, den wir klären müssen ' betrifft die Frage , w arurn den letzten Seiten von Semmar XI lautet: Der Trieb, und letzt-
die Formel . des Triebs (.SO D). auf der anderen ' auf der rechten seite
· auf " "b
lieh sogar der Todestrieb. ,,Jenseits des Ph~~tasmas g1 t e_s em
k.
d es Schmtt~mnkts des Ge_me~?ns und des Signifikanten steht. Wir
sagten bereits, dass der S1gmf1kant der Körper zerstückelt , das s er Sehnen, kein verwandtes und e~habenes Ph~nomen. ,,Jense~ts des
·1 . . Phantasmas" liegt nur das Pulsieren des Tnebs u~ das . Szn~hom.
1 m semes Gemeßens entleert, doch diese „Entleerun a" (Jacq
· M ·11 ) • . o ues- Das Phantasma zu durchqueren" bedeutet also, sich mit emem
Al am .! er wird 1:11~ gänzlich vollbracht. Es gibt immer irgend-
welche ~berreste, die m der Wüste des symbolischen Anderen zer- Sinthom zu identifizieren.
streut smd, Oasen des Genießens, sogenannte „erogene Zonen"
Fr~g~ente, die no~h v~~ Genießen durchdrungen sind. Freud~ Das gesellschaftliche Phantasma „durchqueren"
Tneb_ 1st genau an_ diese Uberreste gebunden: Er kreist und pulsiert
So betrachtet ließe sich also die gesamte obere (zweite) Etage des
um sie herum. Diese erogenen Zonen werden mit D (symbolische
Forderung) bezeichnet, weil nichts „Natürliches" oder „Biologi- Graphen als eine Darstellung der Dimension ,jense~ts ~er Anru-
sc~es" _an ihnen ist. Nicht die Physiologie bestimmt, welche Körper- fung" verstehen: Die unmögliche „Quadratur des KrelS(~S der sym-
teile die „Entleerung des Genießens" überstehen, sondern die Zer- bolischen und/ oder imaginären Identifizierung kann men:als dazu
führen, dass kein Rest mehr bleibt. Es bleibt immer ein Uberrest,
stückelung des Körpers durch den Signifikanten (dies wird auch
der den Raum für das Begehren öffnet und den Anderen (die sym-
v~n jenen h~s_terischen Symptomen bestätigt, bei denen Körperteile
wieder erotisiert werden, die „normalerweise" frei vom Genießen bolische Ordnung) inkonsistent werden lässt. Das Phantasma i~t der
sind - der Nacken, die Nase ... ). Versuch, diese Inkonsistenz und Lücke im Anderen zu überwmden
Vie~leicht sollten wir es riskieren, SO D nachträglich aus der Per- und zu verdecken. Damit können wir nun endlich zu den Problema-
spektive von Lacans späteren theoretischen Entwicklungen zu lesen, tiken der Ideologie zurückkehren: Die entscheidende Schwäche der
an Althussers Theorie der Anrufung anknüpfenden ,,(post-)struk-
und zwar als Formel des Sinthoms: Dabei handelt es sich um eine
bestimmte Signifikantenformation, die unmittelbar vom Genießen turalistischen" Ideologietheorien liegt darin, sich auf die untere
dur~hdrungen ist - also um eine unmögliche Verbindung des Etage, auf das untere Quadrat von _Lacans Graph des Begehre1:s
Gemeßens niit dem Signifikanten. Solch eine Lesart erlaubt es zu beschränken. Sie versuchen, die Wirksamkeit von Ideologie
uns, ?ie obere Et~ge, das obere Quadrat des Graphen des Begeh- lediglich anhand der Mechanismen der imaginä~~en ~nd s_ymbo-
rens un Unterschied zum unteren Quadrat zu verstehen: Statt der lischen Identifizierung zu begreifen. Die Dimens10n „Jenseits der

179
178
Anrufung", die somit ausgelassen wird, hat nichts mit irge d .
zu veranschaulichen, warum es nötig ist, die D~skursanalyse
irreduziblen Streuung oder Pluralität des Bezeichnungsp; ei
. 1lt d arum, dass das metonymische Gleitoze roch die Logik des Genießens zu ergänzen, wend~n wir uns e:neut
- es geh t rnc
zu. tun
F.ixierung von Bedeutung und das „Steppen" des gleitenden en
.
s· ~ Spezialfa~l unter den Ideol_~gien zu, in de~ sic~1 _Ideologie wo-
.. 1· h in remster Form verkorpert: der Antisemitismus. Um es
fikanten untergr_äbt (wie es die „post-strukturalistische" Perspe~g. og · llt ", un d d er
oz icdeutlich zu sagen: ,,Die
· Gesellschaft existiert
· · mc
darstellt). ,,Jenseits der Anrufung" liegt das Quadrat aus Beg h ti
Phantasma, Mangel im . . ~ e re ude ist ihr Sympto_m. . .
Anderen und Tneb, der um irgend .
unerträgliche Mehrlust herum pulsiert. ei uf Ebene der Diskursanalyse ist es leicht, das ~etzwer~ symbo-
. Ah r Überdeterminierung zu beschreiben, das m der Figur des
Was ~edeutet das für die Ideologietheorie? Zunächst könnte 1tscdene steckt. Zunächst handelt es sich
· um eme · ' versc
r lue
· b ung.· D er
so schemen, dass man nur analysieren muss, wie der ideolog· h Jll. k des Antisemitismus besteht einfach darin, den gesellschaft-
.k
D is f k. . isc
urs un tiornert und wie die gleitenden Signifikanten t fric
. hen Antagornsmus. · emen
m · ·
Antagomsmus zu vers~ h'ieb en, d er
·
1.isiert un d d urc h die · Intervent10n
· ·
gewisser „Knotenpunkte" ta~
0
• }ic blich zwischen der funktionierenden gesellschaftlichen Struk-
ein ein~eitliches Feld ~ransfor_miert werden. Kurz: wie diskursi:~ ange d'
(dem Gesellschaftskörper) und dem Juden herrscht, der iese
~echarnsmen das Feld ideologischer Bedeutung konstituieren. Au tr zersetzende Kraft unterhöhlt. Es ist also nicht die Gesellschaft
~ie~er. ~erspek~ive wär_e das ~enießen-im-Signifikanten [enjoymeni
:e~bst, die „unmöglich" ist ~nd_ auf_ einem ~ntagonismu_s .?eruht .-
zn-szgnifzer] schlicht vondeologisch und für die Ideologie als sozial
die Quelle allen Zerfalls w1rd m em~r bestlm~ten Ent1tat lok~h-
~and irrelevant. Doch der sogenannte „Totalitarismus" macht deu:~ . rt nämlich im Juden. Diese Verschiebung wird dadurch ermog-
hch, was für jede Ideologie, ja, für die Ideologie als solche gilt: D sie , .. d D Q 11
.d l . ( er licht, dass Juden mit dem Geldmarkt assoznert we: en:_ er_ ue
i eo ogische Effekt also wie ein ideologisches Signifikantennetz der Ausbeutung und des Klassenantagonismus wird mcht m der
uns „festhält") wird letztlich durch den sinnlosen, vorideologischen
Beziehung zwischen der Arbeiterklasse und der herrschenden
Kern des Genießens gestützt. In der Ideologie „ist nicht alles Ideo- Klasse lokalisiert, sondern in der Beziehung zwischen den „produk-
logie (also ideologische Bedeutung)", sondern genau dieses Mehr
tiven" Elementen (den Arbeitern, den Organisatoren der Produk-
ist die wichtigste Stütze der Ideologie. Aus diesem Grund können
tion ... ) und den Kaufleuten, die die produktiven Klassen ausbeuten
wir behaupten, dass es zwei „ideologiekritische" Vorgehensweisen
gibt, die einander ergänzen: und so die organische Kooperation durch Kl~ssenkampf e~setzen.
Diese Verschiebung wird selbstverständlich durch eine Ver-
dichtung gestützt. Die Figur des Juden verdichtet gegensätzliche
- Die erste ist dislmrsiv. Die „symptomale Lektüre" eines ideo-
Eigenschaften, die man sonst mit den untere? oder. den oberen
logischen Textes „dekonstruiert" die spontane Erfahrung seiner
Klassen assoziiert: Angeblich sind sie schmutzig und mtellektuell,
Bedeutung - sie zeigt, wie ein gegebenes ideologisches Feld aus
wollüstig und impotent und so weiter. Die V~rsc~iebung bezieht
einer Montage heterogener „gleitender Signifikanten" hervor-
ihre Energie gewissermaßen daraus, dass die Figur des J ~den
geht, die durch die Intervention bestimmter „Knotenpunkte"
totalisiert werden. eine Reihe heterogener Antagonismen verdichtet: ökonomische
Antagonismen (der Jude als Profiteur), politische (.der Ju~e-.~ls
- Die zweite zielt darauf ab, den Kern des Genießens zu extrahieren
Strippenzieher und Träger geheimer Kräfte), morahsch-rehg10se
und darzulegen, wie eine Ideologie - zugleich jenseits und inner-
(der Jude als hinterlistiger Feind des Christentums), sexuelle (der
halb eines Bedeutungsfelds - ein vorideologisches Genießen im-
Jude als Verführer unschuldiger Mädchen) .... Kurz, ma.n k~nn
pliziert, manipuliert und produziert, das durch das Phantasma
strukturiert wird. ganz leicht zeigen, dass die Figur des Juden em Symptom ist: e~ne
kodierte Nachricht, eine Chiffre, eine entstellte Repräsentat10n
des gesellschaftlichen Antagonismus; indem wir die Verdichtungs-

180
181
und Verschiebungsarbeit aufschlüsseln, können wir ihre B esunde Sozialgefüge eindringt. Kurz gesagt, der „Jude" ist ein
tung entziffern. ed 5
_g h der die strukturelle Unmöglichkeit einer „Gesellschaft" zu-
Diese Logik der metaphorisch-metonymischen Verdichtu eusc '
• h verbietet und verkörpert: Es· schemt,
· a ls l:1ab e d'1ese U nmog-
··
i:r ~ l . b .. . d h . h ng u
ve1 sc ne ung genugt Je oc mc. t, um zu erklären, wie die Fi 1e1c · · · 'fb E ·
·cbkeit in der Figur des Juden _eme positive, grei are xist~nz er-
des Juden unser Begehren veremnahmt; um seine faszinier la!lgt _ aus diesem Grund markiert sie den Ausbruch des Gemeßens
Kraft zu verstehen, müssen wir berücksichtigen wie der J den . gesellschaftlichen Feld.
. . ' " u e''
~en Rahmen des ~hantasmas emtntt, das unser Genießen struk irrtper Begriff des gesellschaftlic~en Phantasmas _ist daher ein not-
nert. Im Grunde 1s t das Phantasma eine Szene die die Lee tu. .: diges Gegenstück zum Begnff des Antagomsmus: Durch das
. .. . . ' . rsteII
emer grundlegenden Unmoghchkeit ausfüllt. Es 1st ein Sch· ~ ;~:ntasma wird der ant~goni_stische Riss ma~kiert. Da~ P_han~asma
. Leere mas luert.
d er eme . E .
,, s g1 t zem Geschlechterverhältnis" irni'
b l .
. t in anderen Worten, ein Mittel, durch das eine Ideologie ihr eigenes
diese Unmöglichkeit wird von der faszinierenden phantasmati; ~nd ~cheitern von Vornherein mit einbezieht. Die !hese ~o~ ~~clau und
Szene ausgefüllt. Deshalb ist das Phantasma letztlich imme: ee_n N(ouffe - der zufolge „die Gesellschaft_ mcht existiert_ und d~s
Phantasma
. des Geschlechterverhältnisses , in dem dieses insze ~n • In Soziale immer ein inkonsistentes Feld_ bil~et, das um e1~e konstl-
wird. Das Phantasma selbst kann daher nicht gedeutet, sondern tive Unmöglichkeit herum struktunert 1st und von emem zen-
„d urc h quert "150 · wer d en: w·ir mussen .. . Erfahrung machnur
bloß die :~alen „Antagonismus" durchquert wird - ii:1pliziert, _dass jeder
d ass r:11c
. l1ts ,, d. a h.mt~r " 11egt
· un d d en,
ass das Phantasma dieses „Nichts" Identifizierungsprozess, der uns ein~ fe~te sozio:symbo~ische Iden-
maskiert. (Hmter emem Symptom liegt jedoch eine ganze Me tität verleiht, zum Scheitern verurteilt ist. D~s ideologische Pl~an-
.. 1· h . nge
nam 1c em ganzes Netzwerk symbolischer Überdeterminierun ' tasma dient dazu, diese Inkonsistenz - dass die „Gesellsc~~f~ mcht
Aus die~em Grund ist die Deutung Teil des Symptoms.) g. existiert" - zu maskieren und unsere gescheiterte Identifiz1erung
Nun ist klar, warum wir den Begriff des Phantasmas auf d
Bere1c. h d . en zu kompensieren. . . .
er Ideologie anwenden können: Auch hier „gibt es kein Für den Faschismus ist „der Jude" das Mittel, seme eigene
~lassenverhältnis", die Gesellschaft ist immer von einer antagonis- Unmöglichkeit zu berücksichtigen und zu repräsentieren: In„sei_ner
tische~ Spal~ung durchzogen, die nicht in die symbolische Ord- positiven Präsenz ist er_lediglich die Ver~örperung der Unmoghch-
~ung n:tegnert werden kann. Im Zentrum des gesellschaftlich- keit des totalitären Projekts und dessen immanenter Schranke. Aus
1deolog1schen Phantasmas steht dagegen die Vorstellung, dass die diesem Grund reicht es nicht aus zu zeigen, dass das totalitäre Pro-
G:sellschaft _existiert und nicht von einem Antagonismus gespalten jekt (eine vollkommen transparente und homogene Ge~ellschaft ~u
w_ird, dass eme Gesellschaft existiert, deren Teile einander orga- etablieren) unmöglich und utopisch ist - das Problem ist, dass die
msch ergänzen. Dies wird beispielsweise an einer korporatistischen totalitäre Ideologie das gewissermaßen schon weiß und es v_on ~orn-
Vorstellung deutlich erkennbar. Diese begreift die Gesellschaft herein anerkennt: Durch die Figur des „Juden" macht sie dieses
als organisches Ganzes, als einen Gesellschaftskörper, in dem die Wissen zu einem Teil ihres Gefüges. Die gesamte faschistische Ideo-
unterschiedlichen Klassen wie Körperteile fungieren und ihren logie ist als Kampf gegen das Element st~u~turiert, d~s den Platz
Teil zum Ganzen beitragen - man könnte behaupten, dass die Vor- der immanenten Unmöglichkeit des faschistischen Projekts besetzt:
stellung einer „Gesellschaft als Körper" das fundamentale ideologi- „Der Jude" ist nichts anderes als die fetischistische Verkörperung
sche Phantasma ist. Aber wie bekommen wir die Distanz zwischen einer fundamentalen Blockierung.
dieser korporatistischen Vorstellung und der tatsächlichen Gesell- Die „Ideologiekritik" muss also d~s Kausalverhältnis, wie es ~o_m
sd_1aft, ~ie vom antagonistischen Kampf gespalten wird, in den totalitären Blick wahrgenommen wird, umkehren: Der „Jude 1st
Bhc_k? ~1e Antwort lautet selbstverständlich: durch den Juden. Die- keineswegs die positive Ursache des g~sellschaftl~cl1en Ant~_go1:is-
ser ist em externes Element, ein Fremdkörper, der korrumpierend mus, sondern bloß die Verkörperung emer Blockierung - namhch

182
183
der Unmöglichkeit, die die Gesellschaft davon abhält, ihre Ide . ··nornene, die dem gewöhnlichen bürgerlich_en Bewusstsein als
als geschlossene und homogene Totalität zu erlangen. Fern dnti ~~ache Abweichungen, kontingente Deformierungen und De-
· · u rsac
. pos1t1ve . h e emer
· gesellschaftlichen Negativität zu s ·avo e1;11erationen der „normalen" Funk~ionsweise der_ Gesellschaft er-
d 1e
der „Jude" vielmehr der Punkt, an dem die gesellschaftliche Neg e:~'.
eine positive Existenz erlangt. Wir können so noch eine weitere; zvzt
g · en (etwa Wirtschaftskrisen, Knege und so weiter) - und daher
eh eindurch eine Verbesserung des Syst~ms ab_gesc l1afft wer d:n k'.01:-
such
aufstellen, die für das Vorgehen der „Ideologiekritik" grundl orlllel a _ tatsächlich notwendige Erzeugmsse dieses Systems smd. Sie
· un d d'1e oben genannten Formeln ergänzt: Man muss in egend
1st · ~~ die Punkte, an denen die „Wahrheit" - nämlich _der immanente
51 nistische Charakter dieses Systems - hervorbncht. Wenn man
geg:benen ide?logischen _?e~üge ?asjenige El_ement aufspüre~~:
dann dessen eigene U nmoglichkeit repräsentiert. Der Jude hält d' . h rnit einem Symptom i'd enti·f·1z1ert
a11tago · " , so er kennt man an, dass 1· n
sie '' Exzessen" und Störungen der „norma1en " O r d nung d er n·1nge
Gesellschaft nicht davon ab, ihre vollständige Identität zu erlan ie det1" chlüssel zu ihrer wahren Funktionsweise
. . 1·1egt. D.iese Perspe k -
. . . h gen•
Ih r eigenes antagomstlsc es Wesen, ihre immanente Blockier · d 6 S . h. d
hindert sie daran, und sie „projiziert" diese interne Neo-ativität ungf · • ähnelt derjenigen Freuds, der behauptet hat, dass sie m en
. F' d o au uve . l b
rn •· men Fehlleistungen und ähnhc 1 „a norma en
1 " Pl1anomenen
..
d_ie igur es „Juden". ~as also, in anderen Worten, vom Syrnbo- .1rau1.u. , k · · d
hschen ausgeschlossen wird (vom Rahmen der korporatistisc} der Schlüssel verbirgt, der uns den Zugang zur Fun t1onswe1se es
· b 1· .
soz10-sym o 1schen Ordnung), kehrt 1m Realen als paranoides Kon-
1en menschlichen Geistes eröffnen kann.
51
strukt des „Juden" wieder.
Nun. sehen wir auch, in':iefern das „Durchqueren" des gesell-
schaftlichen Phantasmas mit der Identifzierung mit einem Syrn _
tom korreliert. Die Juden sind offensichtlich ein gesellschaftlich~
Sympt?m: Sie sind der Punkt, an dem der immanente gesell~
schaftliche Antagonismus seine positive Form erlangt und an der
gesellschaftlichen Oberfläche hervorbricht; der Punkt, an dem er-
sichtlich wird, dass die Gesellschaft „nicht funktioniert" und der
Gesellschaftsmechanismus „knarzt". Wenn wir den „Juden" durch
den Rahmen des (korporatistischen) Phantasmas betrachten, so er-
scheint er als. Ein~ringling, der von außen Unordnung, Zersetzung
und Korruption m das Gesellschaftsgefüge einführt. Er erscheint
als eine äußere, positive Ursache: Könnte man ihn eliminieren, so
würde man wieder Ordnung, Stabilität und Identität herstellen.
Doch während wir „das Phantasma durchqueren", müssen wir uns
zugleich mit dem Symptom identifizieren: Wir müssen anerkennen,
dass die Eigenschaften, die „dem Juden" zugeschrieben werden, ein
notwendiges Produkt unseres Gesellschaftssystems sind; wir müssen
anerkennen, dass in den „Exzessen", die „den Juden" zugeschrie-
ben werden, die Wahrheit über uns selbst liegt .
. Lacan hat genau wegen eines solchen Begriffs des gesellschaft-
lichen „Exzesses" behauptet, dass Marx das Symptom erfunden
hat: Dessen große Errungenschaft ist, gezeigt zu haben, dass alle

185
184
3. ,,Che Vuoi ?" 16 Lacan hat den Begriff der forclusion/Verwerfung, der auf Freud zurückgeht,
ebenfalls im Seminar Die Psychosen weiterentwickelt und dort der Verdrängung
1 Ernesto LACLAU, Chantal MOUFFE, Hegemonie und radikale Demokratie. gegenübergestellt, siehe ebenda, 98: ,,Im Verhältnis des Subjekts zum Symbol
2 Der point de capiton, der sowohl für Lacan als auch für Zizek zentral ist, wird gibt es die Möglichkeit einer ursprünglichen Verwe1funft', nämlich, daß etwas
auf Deutsch entweder als Polsterstich oder als Stepppunkt übersetzt, entlehnt nicht symbolisiert ist, das sich im Realen manifestiert wird." Für Lacan ist die
sein~ Bedeutung der Nähtechnik des „Steppens" (auch „Quilten" genannt) und forclusion du Nom du Pere der Ausgangspunkt für die Klinik der Psychosen. Da-
bezeichnet, grob gesagt, das Nähen einer geraden Naht. Einige Signifikanten_ her kann Zizek davon ausgehen, dass Searles mythischer Stamm aus Psychoti-
points de capiton/Stepppunkte - haben die Funktion, eine Reihe verworrener kern besteht. (A. d. Ü.)
Signifikate und Bedeutungen nachträglich so anzuordnen, dass sie eine Be- 17 John R. SEARLE, Intentionalität, 313 f.
deutung erhalten. Lacan entwickelt den Begriff des Stepppunkts etwa in der 18 Siehe Saul KRIPKE, Name und Notwendigkeit, 59. (A. d. Ü.)
21. Sitzung von Jacques LACAN, Die Psychosen. (A . d. ü.) 19 Siehe etwa LACLAU und MOUFFE, Hegemonie und radikale Demokratie, 27 f.:
3 LACLAU, MOUFFE, Hegemonie und radikale Demokratie, 165. (A. d. ü.) „Wir versuchen mit allen Formen des Essentialismus zu brechen - nicht nur mit
4 Siehe beispielsweise Georg W. F. HEGEL, Wissenschaft der Logik II, 335. (A. cl. ü.) jenem Essentialismus, der in hohem Grade die Basiskategorien der modernen
5 Der Begriff des cluster of clesriptions/Bündels von Beschreibungen ist eines der Soziologie und des liberalen Denkens durchzieht und demzufolge jede soziale
zentralen Konzepte, das Kripke in Name und Notwendigkeit bespricht, siehe etwa Identität im historischen Prozeß der Entfaltung des Seins vollkommen bestimmt
. Saul KRIPKE, Name und Notwendigkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, 41: ist, sondern auch mit seinem diametralen Gegensatz: der postmodernen Kon-
„Nach dieser Auffassung - und ein locus classicus für diese Auffassung ist Searles zeption einer Fragmentierung des Sozialen, die sich weigert, den Fragmenten
Aufsatz über Eigennamen - ist der Referent eines Namens nicht durch eine ein- .i rgendeine Art relationaler Identität zu geben. [ ... ] Hier findet eine zweite Ver-
zelne Beschreibung bestimmt, sondern durch ein Bündel oder eine Familie von schiebung statt: politische Praxis besteht in einer demokratischen Gesellschaft
Beschreibungen." Zizek variiert den Begriff durch dieses Kapitel hindurch und nicht darin, die Rechte prä-konstituierter Identitäten zu verteidigen, sondern
spricht von einem cluster of (descriptive) features, duster of descriptions oder cluster of vielmehr jene Identitäten selbst in einem prekären und jederzeit anfechtbaren
(descriptivelpositive) properties. (A. d. Ü.) Terrain zu konstituieren." (A. d. Ü.)
6 Ebenda, 112. (A. d. Ü.) 20 Bei den Gesandten handelt es sich um ein 1533 entstandenes Gemälde von Hans
7 Siehe etwa ebenda, 38: ,,Wenn ich zum Beispiel den Namen ,Napoleon' ver- Holbein dem Jüngeren. Lacan bespricht Holbeins Gemälde unter anderem in
wende und jemand fragt ,Auf wen referieren Sie?', werde ich etwa antworten LACAN, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, 98 f. (A. d. Ü.)
,Napoleon war zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts Kaiser von Frank- 21 Siehe Jacques LACAN, ,,Subversion des Subjekts und Dialektik des Begeh-
reich; er wurde schließlich in Waterloo besiegt', und auf diese Weise gebe ich rens im Freud'schen Unbewussten", in: ders., Schriften, Band 2. (Es sei zudem
eine Beschreibung, die einen Gegenstand als einzigen identifiziert [thus giving auf die wesentlich früher gehaltenen Seminare V und VI verwiesen, in de-
a uniquely identifying description], um den Referenten des Namens zu bestim- nen Lacan den Graphen ausführlich entwickelt: Jacques LACAN, Die Bildung
men." (A. d. Ü.) des Unbewussten, Das Seminar, Buch V (1957-1958), Wien-Berlin: Turia + Kant
8 Saul KRIPKE, Name und Notwendiglwit, 98.:--99. 2019; sowie Jacques LACAN, Das Begehren und seine Deutung, Das Seminar,
9 Siehe etwa John R. SEARLE, Intenti~nalität, Frankfurt am Main: Suhrkamp Buch VI (1958-1959), Wien- Berlin: Turia + Kant 2020. [A. d. Ü.])
1983, 320: ,,Da sichjede beliebige Kennzeichnung [definite description] zu einem 22 Che vuoi? bedeutet: Was willst Du? Lacan bespricht diese Frage erstmals in
starren Designator machen läßt, zeigt der Umstand, daß Kennzeichnungen im Seminar IV, siehe Jacques LACAN, Die Objektbeziehung, Das Seminar, Buch IV,
allgemeinen nicht, Eigennamen aber immer (oder fast immer) starre Desig- Wien: Turia + Kant 2018, 198 f. (A. d. Ü.)
natoren sind, nicht, daß sich die Funktionsweise von Eigennamen und die von 23 Siehe etwa LACAN, Die Bildung des Unbewussten, 79. (A. d. Ü.)
Kennzeichnung voneinander unterscheiden." (A. cl. ü.) 24 Siehe Ferdinand DE SAUSSURE, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft,
10 Saul KRIPKE, Name und Notwendigkeit, 136- 137. Berlin-New York: de Gruyter 2001, 133 f., zur Metapher des Papierblatts 134:
11 Ebenda, 33. „Die Sprache ist ferner vergleichbar mit einem Blatt Papier: das Denken ist die
12 Siehe Keith S. DONNELLAN, ,,Speaking of Nothing", 111: The Philosophical Vorderseite und der Laut die Rückseite; man kann die Vorderseite nicht zer-
Review, 1 (Jan. 1974), 3-31. (A . d. Ü.) schneiden, ohne zugleich die Rückseite zu zerschneiden; ebenso könnte man
13 John R. SEARLE, Intentionalität, 298 f., Hervorhebung im Original. in der Sprache weder den Laut vom Gedanken noch den Gedanken vom Laut
14 Ebenda, 321. trennen [ ... ]. " (A. d. Ü.)
15 Lacan entwickelt das Konzept des „Signifikanten ohne Signifikat" zur Erklä- 25 s(A) steht für das Signifikat, das vom Anderen kommt. (A. d. Ü.)
rung der Psychosen in LACAN, Die Psychosen, 217- 231. (A. d. Ü.)

316 317
26 Siehe Seminar IX (bislang unveröffentlicht) , Sitzung vom 6. Dezember 1961 38 Diese Definition des Signifikanten (entwickelt im bislang unübersetzten Semi-
Jacques LACAN, ,,L'identification (1961-1962) ", Onlinequelle (zuletzt abgeru~ nar IX) hat Lacan erstmals veröffentlicht in LACAN, ,,Subversion des Subjekts
fen am 20. März 2021): http://staferla .free .fr/S9/S9%20L'IDE NTIFICATION . und Dialektik des Begehrens im Freud'schen Unbewussten", in: ders., Schriften,
pdf: ,,Der Signifikant ist, im Gegensatz zum Zeichen , nicht das , was etwas für Band 2, 325-368 , hier 357. (A. d. Ü.)
jemanden repräsentiert, sondern das, wodurch das Subjekt für einen anderen 39 Siehe LACAN , Die Psychosen, 329.
Signifikanten r epräsentiert wird. " (A. d. Ü.) 40 Der Film hat es zudem geschafft, Judas als den eigentlich tragischen Helden
27 m steht für moi im Unterschied zum je. (A. d. Ü.) der Geschichte zu rehabilitieren: Seine Liebe zu Christus war am größten. Aus
28 Freud hat diese Begriffe in Zur Einführung des Narzissmus entwickelt und in Das diesem Grund sah Christus ihn als stark genug an, die furchtbare Aufgabe
Ich und das Es ausgearbeitet, sie dabei jedoch weitestgehend synonym verwen- zu erfüllen, ihn zu hintergehen und so die Erfüllung seines Schicksals (die
det. Lacan hat diese Unterscheidung ab seinem Aufsatz zum Spiegelstadium Kreuzigung) sicherzustellen. Judas' Tragödie fand aus seiner Hingabe an die
wiederholt aufgegriffen und unterscheidet streng zwischen Ich (moi, ego), Ideal- Sache statt - er war gewillt, nicht nur sein Leben, sondern auch sein „zweites
Ich (moi ideaD und Ichideal (ideal du moi) . Dabei geht es Lacan um verschiedene Leben" , seinen posthumen Ruf zu riskieren: Er weiß , dass er als derjenige in
Selbstverhältnisse, die das Kleinkind in unterschiedlichen Stadien seiner Ent- die Geschichte eingehen wird, der unseren Erlöser betrogen hat, und ist dazu
wicklung ausbildet. (A. d. Ü.) bereit, dies zu ertragen, um Gottes Mission zu erfüllen. Jesus hat Judas als ein
29 Die Unterscheidung von „konstituierter" und „konstitutiver" Identifizierung Mittel genutzt, sein Ziel zu erreichen, und wusste sehr wohl, dass sein eige-
trifft Jacques-Alain Miller in der 7. Sitzung vom 7. Januar 1987 seines unver- nes Leiden zu einem Modell werden würde, das von Millionen von Menschen
öffentlichten Seminars „Ce qui fait insigne (1986-1987)". Ein Transkript die- imitiert würde (imitatio Christi). Judas' Opfer hingegen ist ein reiner Verlust,
ses Seminars ist online abrufbar unter: https://jonathanleroy.be/wp-content/ bar jeglichen narzisstischen Vorteils. Vielleicht ähnelt er den gläubigen Opfern
uploads/2016/01/ 1986-1987-Ce-qui-fait-insigne-JA-Miller. pdf. Zuletzt abgeru- der stalinistischen Schauprozesse, die ihre Schuld gestanden und sich selbst als
fen am 15. Juni 2021. (A . d. Ü.) schändlichen Abschaum darstellten, da sie wussten, dass sie so der Sache der
30 Kurt Waldheim war als überzeugter Nazi Wehrmachtsoffizier und Mitglied der Revolution schließlich doch dienen würden .
SA. Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs trat er in den diplomatischen 41 ]esse Jackson bewarb sich 1984 und 1988 für die Präsidentschaftskandidatur der
Dienst Österreichs ein und hatte eine glanzvolle Karriere: Von 1972 bis 1981 war Demokratischen Partei. Dabei wurde er 1984 unerwartet Dritter und lag 1988
er UN-Generalsekretär und von 1986 bis 1992 Bundespräsident Österreichs. sogar knapp vor Michael Dukakis. Jacksons Verhältnis zur jüdischen Geme~_nde
(A. d. Ü.) war seit 1984 wegen einer antisemitischen Bemerkung angespannt. (A. d. U.)
31 Siehe Arnold HAUSER, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I, München: 42 Lacan benutzt den Begriff der „subjektiven Destitution" etwa in Jacques
C. H. Beck 1953, 424. (A. d. Ü.) LACAN, ,,Proposition du 9 octobre 1967 sur le psychanalyste de l'Ecole", in:
32 Siehe Jean-Jacques ROUSSEAU, ,,Rousseau richtet über Jean-Jacques ", Schrif- ders. , Autres Ecrits, Paris: Seuil 2001, 243-259. Die subjektive Destitution steht
ten, Band 2, Frankfurt am Main-Berlin-Wien: Ullstein 1981, 253-636. (A. d. Ü.) am Ende des psychoanalytischen Prozesses. Zizek kommt auf der letzten Seite
33 Jacques-Alain MILLER, ,,Les reponses du reel", in: Paul-Laurent ASSOUN et dieses Bandes erneut darauf zu sprechen. (A. d. Ü.)
al. (Hg.) , Aspects du malaise dans la civilisation, Paris: N avarin 1987, 21. 43 Deutschland irn Herbst (1978) ist ein Episodenfilm, in dem sich elf Regisseure
34 Austin, der Begründer der Sprechakttheorie, unterscheidet zwischen Lokution (unter anderem Schlöndorff, Fassbinder und Kluge) mit den Ereignissen aus
(Akt der Äußerung), Illokution (Absicht des Sprechers) und Perlokution (Wir- dem Herbst 1977 (der Ermordung Schleyers, der Entführung der Landshut und
kung). Searle hat dieses Schema noch etwas verkompliziert und behauptet, dass der sogenannten Todesnacht von Stammheim) auseinandersetzen. (A. d. Ü.)
in jeder Lokution auch eine illokutive/behauptende Kraft auszumachen sei. 44 Lacan erläutert den Begriff des Schirms (icran) im Verhältnis zum Bild (tableau)
Siehe das 7. Kapitel von John R. SEARLE, Intentionalität. (A. d. Ü.) in der 8. und 9. Sitzung von LACAN, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
35 Das kleine d im Graphen steht für disir (Begehren) , während das große D im (A. d. ü .)
Graphen (beziehungsweise in dessen finaler Form) für demande (Forderung, 45 Siehe Bernard BAAS, ,,Le desir pur" , in: Ornicar? 43(1987), 56- 91. (Zizek hat die-
Anspruch , Bitte) steht. (A. d. Ü.) sen Artikel später in einem Sammelband herausgegeben und mit einer kleinen
36 Diese Formulierung findet sich so nicht in Freuds Schriften und geht wohl auf Einführung versehen, siehe Bernard BAAS , ,,Le desir pur: a propos de ,Kant
eine Zuschreibung von Ernest Jones zurück. Siehe Ernest JONES, Sigmund avec Sade' de Lacan", in: Slavoj ZIZEK (Hg.) , Jacques Lacan. Critical Evaluations
Freud. Leben und liverk, Band 2, München: dtv 1984, 493. (A . d. Ü.) in Cultural Theory. Volurne II, Philosophy, London-New York: Routledge, 2003 ,
37 Lacan verwendet den Neologismus parletre - wörtlich Sprechwesen, zugleich das 34-66. [A. d. Ü.])
sprechende und das gesprochene Wesen - erstmals in der Sitzung vom 11. Feb- 46 Siehe Jacques LACAN , ,,Hamlet. Sieben Vorträge aus Seminar VI von -~958-59.
ruar 1975 von Seminar XXII (bislang unveröffentlicht). (A. d. Ü.) ,Das Begehren und seine Deutung'" , in: Wo Es war, 1986-1987. (A . d. U.)

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47 Die „Batterie der Signifikanten" (batterie des signifiants) ist im Grunde der ge- 3 Dieser Satz findet sich in Jacques LACAN, Das Ich in der Theorie Freuds, 414.
samte Wortschatz, der in Hinblick auf einen bestimmten Signifikanten eine (A. d. ü.)
Bedeutung erhält, und wird von Lacan etwa in „Subversion des Subjekts" 4 Die Vorstellung, dass das Lustprinzip danach strebt, die Erregungsmenge im-
(a. a. 0. , 357) beschrieben. (A. d. ü.) mer in einem Gleichgewicht zu bewahren, wurde von Freud erstmals in Jenseits
48 Vgl. zur evacuationdie 16. Sitzung vom 9. April 1986 aus:Jacques-Alain MILLER des Lustprinzips formuliert und dort „Konstanzprinzip" genannt, siehe Sigmund
,,Extimite", Onlinequelle (zuletzt abgerufen am 15. Juni 2021): https://jona~ FREUD, Jenseits des Lustprinzips, Gesammelte Werke, Band 13, Frankfurt am
thanleroy.be/wp-content/uploads/2016/0l/1985-1986-Extimit%c3%a9-JA-Mil- Main: Fischer 1967, 1-69, hier 5. (A. d. Ü.)
ler.pdf. (A. d. Ü.) 5 Der Gedanke geht auf Claude Levi-Strauss zurück und wurde von Lacan erst-
49 Vgl. zur Trennung (siparation) die Sitzung vom 3. Juni 1964 in LACAN, Vier mals (in Bezug auf das Symptom) übernommen und von dort ausgehend weiter-
Grundbegriffe der Psychoanalyse. (A. d. Ü.) entwickelt in Jacques LACAN, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in
50 Miller entwickelt die Gegenüberstellung von Symptom-Phantasma und Deutung- der Psychoanalyse, 316. (A. d. Ü.)
Durchquerung erstmals in „Du sympt6me au fantasma, et retour (1982-1983)". 6 Lacan bespricht das Freud'sche Ding (im Unterschied zur Sache) i~ den Sitzun-
Zizek bezieht sich unmittelbar auf diese von Miller ausgearbeitete Unterschei- gen II-VI von Jacques LACAN, Die Ethik der Psychoanalyse. (A. d. U.)
dung in Slavoj ZIZEK, ,,Sur le pouvoir politique et les mecanismes ideologiques", 7 Lacan verwendet den Begriff der Extimität zu Beginn der XI. Sitzung von Die
in: Ornicar? 34(1984), 41-60, hier 43. (A. d. Ü.) Ethik der Psychoanalyse, siehe Jacques LACAN, Die Ethik der Psychoanalyse, 171. Die-
51 Hier können wir uns einer Unterscheidung bedienen, die von Kovel ausge- ser Begriff wird von Jacques-Alain Miller in seinem bisher unveröffentlichten
arbeitet wurde (in Joel KOVEL, White Racism. A Psychohistory, New York: Seminar „Extimite (1985-1986)" weiterentwickelt. Ein Transkript dieses Seminars
Columbia University Press 1984). Dieser unterscheidet zwischen dominierendem findet sich auf: https://jonathanleroy.be/wp-content/uploads/2016/01/1985-
und aversivem Rassismus. In der Ideologie der N azis formen alle menschlichen 1986-Extimite-JA-Miller.pdf. Onlinequelle, zuletzt abgerufen am 15. Juni 2021.
Rassen ein hierarchisches und harmonisches Ganzes (das „Schicksal" der Arier (A. d. ü.)
ist es, an der Spitze zu führen , während Schwarze, Chinesen und so weiter 8 Siehe etwa Jacques LACAN, Freuds technische Schriften, 68: ,, [ ... ] die Opposition
dienen müssen) - alle Rassen, mit Ausnahme der Juden: Diese haben keinen eige- des leeren Sprechens und des vollen Sprechens, volles Sprechen, sofern es die
nen Platz; ihre „Identität" ist künstlich, sie überschreitet die Grenzen, sie führt Wahrheit des Subjekts realisiert, leeres Sprechen in Beziehung auf das , was
Unruhe und den Antagonismus ein und destabilisiert das Sozialgefüge. Die es hie et nitnc mit seinem Analytiker zu tun gibt, wo sich das Subjekt in den
Juden verbünden sich mit den anderen Rassen und hindern diese daran , sich Machinationen des Sprachsystems, im Labyrinth der Referenzsysteme verirrt,
mit ihrem rechten Platz abzufinden - sie fungieren als geheime Herren, die die ihm die kulturelle Verfassung gibt, an der er mehr oder weniger teilhat. "
es auf die Weltherrschaft abgesehen haben: Sie sind das Gegenbild der Arier, Siehe außerdem Jacques LACAN, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache
gewissermaßen ein negatives und pervertiertes Ebenbild; aus diesem Grund in der Psychoanalyse, 291-312. (A. d. Ü.)
müssen sie ausgerottet werden, während die anderen Rassen bloß dazu gezwun- 9 Der Begriff des „Wissens im Realen" (savoir dans le reeD findet sich beiläufig in
gen werden , den ihnen zugewiesenen Platz einzunehmen. Note italienne" siehe Jacques LACAN, Autres ecrits, Paris: Seuil, 2001, 307-
311, hier 308. Ei~e deutsche Übersetzung, besorgt von Eva Maria Jobst, findet
sich unter: https ://lacan-entziffern. de/lacaniana/j acq ues-lacan-note-i talienne-
i talienische-note-uebersetzt-von-eva-maria-jobs t/ (Onlinequelle, zuletzt abge-
4. Man stirbt nur zweimal rufen am 15. Juni 2021). Der Begriff wurde von Jacques-Alain Miller in seinen
frühen Seminaren der 1980er Jahre aufgegriffen und ausgearbeitet, siehe un-
1 Siehe Jacques LACAN, ,,Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache ter anderem „Clinique lacanienne (1981-1982)" , ,,Du symptöme au fantasme, et
in der Psychoanalyse", in: ders., Schriften, Band 1, 278-281, hier 377: ,,So zeigt retour (1982-1983)" und „Des reponses du reel (1983-1984)".
sich das Symbol zunächst einmal als Mord an der Sach~, und dieser Tod bildet 10 Miran BOZOVIC, ,,Immer Ärger mit dem Körper", in: Wo Es war 5/6 (1988).
im Subjekt die Verewigung seines Begehrens. " Diese Vorstellung geht auf Ko- (Lacan bespricht diese Stelle bei Sade in der XV. Sitzung von LACAN, Die Ethik
jeves Hegelvorlesungen zurück und fand so Verbreitung in der französischen der Psychoanalyse. [A. d. Ü.])
Philosophie, siehe Alexandre KOJEVE, Introduction a la lecture de Hegel, Paris: 11 Walter BENJAMIN , ,,Über den Begriff der Geschichte", Gesammelte Schriften,
Gallimard, 1947, 372 f. (A. d. Ü.) Band 1.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1991, 691-794, hier 693.
2 Die Lektüre von Poes Der entwendete Brief taucht in Lacans Werk ab den 1950er- 12 Walter BENJAMIN , Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V, Frank-
J ahren (ab Seminar II) wiederholt auf, am prominentesten wohl in Jacques furt am Main: Suhrkamp 1991, 589. (Der gesamte Satz lautet folgenderma-
LACAN, ,,Das Seminar über ,,,Der gestohlene Brief"' , in: ders. , Schriften, Band ßen: ,,Das Eingedenken kann das Unabgeschlossene (das Glück) zu einem
1, 12-76 . (A. cl. Ü,)

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