Seite 2
Parallelkinematiken – Lernziele
Wie lautet die Definition parallelkinematischer Maschinen und welche Nomenklatur
wird verwendet, um sie zu beschreiben?
Welche Vor- und Nachteile bieten PKM gegenüber anderen kinematischen
Strukturen?
Wie kann man PKM hinsichtlich ihrer direkten/inversen Kinematik, differentiellen
Kinematik und Dynamik modellieren? Wie ist das typische Vorgehen?
Wie sind die Jacobi-Matrizen für PKM definiert und welche Schlussfolgerungen
können aus einer Analyse der Jacobi-Matrizen gezogen werden?
Welche verschiedene Arten von Singularitäten können bei PKM auftreten, wie
werden sie mathematisch beschrieben und welche Auswirkungen können sie haben?
Was ist Redundanz und worin unterscheiden sich die verschiedenen Formen?
Hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale kann man PKM bewerten und wie sind
diese Kriterien mathematisch definiert?
Quelle: Pixabay
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 3
Robotik II
1.6 Parallelkinematiken
Leistungsmerkmale
Kinematische Leistungsmerkmale
Zur Bewertung der Leistung einer Parallelkinematik (und damit zur Auslegung
und Optimierung der kinematischen Struktur bezüglich einer vorliegenden
Aufgabe) existieren zahlreiche Kriterien:
Quantifizierung der „Nähe“ zu Singularitäten
erreichbare Genauigkeit
Nachgiebigkeiten in bestimmten Endeffektorlagen oder über den
gesamten Arbeitsraum
Die meisten dieser Kriterien basieren auf der Jacobi-Matrix.
Im Folgenden werden nur die kinematischer Leistungsmerkmale
betrachtet.
Für Weiterführendes, wie beispielsweise dynamische Leistungsmerkmale,
wird auf die Sekundärliteratur verwiesen.
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 5
Kinematische Leistungsmerkmale
Arbeitsraum
Der Arbeitsraum ist die Menge aller erreichbaren Lagen des Endeffektors.
Problem: Bei Parallelkinematiken ist der Arbeitsraum durch verschiedene
kinematische und geometrische Zwangsbedingungen stark begrenzt.
Begrenzende Einflussfaktoren auf den Arbeitsraum:
Kollision der bewegten Plattform mit einer seriell-kinematischen Kette (a)
Kollision einer seriell-kinematischen Kette mit einer anderen (b)
Singularitäten (c)
Limitierte Stellwege der Aktoren (d)
Mechanische Begrenzung passiver Gelenkwinkel (e)
(a) (b) (c) (d) (e)
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 6
Kinematische Leistungsmerkmale
Arbeitsraum
In der Robotik und speziell im Bereich der Parallelkinematiken werden
verschiedene Arten von Arbeitsräumen unterschieden:
Gesamtarbeitsraum (maximal workspace)
Menge aller Positionen des Endeffektors, die mit mindestens einer
Orientierung erreicht werden können
Translationsarbeitsraum (constant orientation workspace)
Menge aller Positionen des Endeffektors, die mit einer bestimmten
(konstanten) Orientierung erreicht werden können
Rotationsarbeitsraum (orientation workspace)
Menge aller Orientierungen des Endeffektors, die in einer bestimmten
(konstanten) Position erreicht werden können
Gesamt-Rotationsarbeitsraum (total orientation workspace)
Menge aller Positionen des Endeffektors, die mit allen Orientierungen eines
definierten Intervalls erreicht werden können
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 7
Kinematische Leistungsmerkmale
Fläche/Volumen des singularitätsfreien Arbeitsraums (Translationsarbeitsraum)
Arbeitsraum von PKM ist durch Singularitäten vom Typ I begrenzt
Arbeitsraum von PKM ist durch Singularitäten vom Typ II unterteilt
Trennung der Bereiche mit und
Teil des Arbeitsraums, in dem sich der Endeffektor bewegen kann, ohne eine
Singularität zu passieren (planar: Fläche; sphärisch: Volumen)
Wichtiges Leistungsmerkmal!
rot:
+ weiß:
-
-
- +
+
+ -
3RRR Parallelroboter 3RRR Parallelroboter
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 8
Kinematische Leistungsmerkmale
Fläche/Volumen des singularitätsfreien Arbeitsraums (Translationsarbeitsraum)
Berechnung mittels Diskretisierung des Arbeitsraums:
Berechnung von an jeder Position im Arbeitsraum
bei konstanter Orientierung des Endeffektors +
Berechnung von Fläche/Volumen anhand der definierten
Schrittweite der Arbeitsraumdiskretisierung und dem -
jeweiligen Vorzeichen der Determinantenwerte +
Genauigkeit des Ergebnisses ist abhängig von der
Auflösung der Diskretisierung +
Ausreichend hoch wählen! 3RRR Parallelroboter
„Lückenlose“ Bestimmung des singularitätsfreien Arbeitsraumes mittels
Intervallanalyse. Hierbei können zusätzlich Fertigungstoleranzen u. ä.
berücksichtigt werden, vgl. J. Kotlarski et al. – New Interval-based…
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 9
Kinematische Leistungsmerkmale
Fläche/Volumen des singularitätsfreien Arbeitsraums (Translationsarbeitsraum)
Beispiel: Singularitätsfreier Arbeitsraum eines planaren 3RRR Parallelroboters
rot: 0,34 m2 rot: 0,60 m2
(22,8 %) (52,6 %)
weiß: 1,15 m2 weiß: 0,54
(77,2 %) m2
(47,6 %)
Singularitätsfreier Arbeitsraum 3RRR PKM Singularitätsfreier Arbeitsraum 3RRR PKM
Rot = Bereich mit positiven Determinantenwerten:
Weiß = Bereich mit negativen Determinantenwerten:
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 10
Kinematische Leistungsmerkmale
Geschicklichkeit bzw. Dexterität (Kondition der Jacobi-Matrix)
Anforderungen:
Kleine Bewegungen der Achsen führen zu großer Endeffektorbewegung
Isotrope Verstärkung
2-Norm bzw. 2-Norm-Kondition als Gütefunktional
2-Norm einer (nicht notwendigerweise quadratischen) Matrix :
Singulärwerte von
(maximales Verhältnis vom Ausgang zum Eingang )
Es gilt analog für den kleinsten Singulärwert :
Des Weiteren gilt , wobei die Eigenwerte von sind.
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 11
Kinematische Leistungsmerkmale
Geschicklichkeit bzw. Dexterität (Kondition der Jacobi-Matrix)
Übertragung auf die Robotik:
2-Norm Kondition der (nicht zwangsweise quatratischen) Jacobi-Matrix
weit verbreitetes (und oft kritisiertes) Leistungsmerkmal
Verhältnis des größten Singulärwerts zum kleinsten (Verstärkungsfaktoren)
Isotrope Roboterkonfiguration bzw. Endeffektorlage:
Singuläre Roboterkonfiguration bzw. Endeffektorlage:
In der Praxis oft Kehrwert der Kondition (= Geschicklichkeit) als
Leistungsmerkmal:
Alternativen:
1-Norm, Frobenius-Norm oder Unendlich-Norm Kondition der Jacobi-Matrix Diese
Ansätze sind aber weniger aussagekräftig und daher weniger verbreitet.
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 12
Kinematische Leistungsmerkmale
Geschicklichkeit bzw. Dexterität (Kondition der Jacobi-Matrix)
Zur Bewertung einer PKM wird häufig globale Geschicklichkeit angegeben.
Diese ist der Mittelwert der Geschicklichkeiten über den gesamten Arbeitsraum :
Achtung:
Jacobi-Matrix ist inhomogen, wenn der Endeffektor translatorische und
rotatorische Freiheitsgrade besitzt
Homogenisierung der Jacobi-Matrix vor Berechnung der Kondition/
Geschicklichkeit nötig, um aussagekräftige Resultate zu bekommen
Grundidee: Lage des Endeffektors durch zwei (planarer Mechanismus) bzw. drei
Punkte (sphärischer Mechanismus) auf der bewegten Plattform beschreiben
Details finden Sie in der weiterführenden Literatur: C. M. Gosselin –
The Optimum Design of Robotic Manipulators using Dexterity Indices
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 13
Kinematische Leistungsmerkmale
Geschicklichkeit bzw. Dexterität (Kondition der Jacobi-Matrix)
Beispiel: Geschicklichkeit eines planaren 3RRR Parallelroboters
Geschicklichkeit 3RRR PKM Geschicklichkeit 3RRR PKM
(„reguläre“ Jacobi-Matrix) (homogenisierte Jacobi-Matrix)
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 14
Kinematische Leistungsmerkmale
Lagefehler des Endeffektors (Lagegenauigkeit)
Limitierte Auflösung der Winkelencoder ist hauptverantwortlich für eingeschränkte
Lagegenauigkeit des Endeffektors. Aus der differentiellen Kinematik ist bekannt:
Inkrementeller Zusammenhang zwischen kleinen Veränderungen bzw. Fehlern der
Gelenkwinkel und resultierenden Veränderungen der Endeffektorlage :
Berechnung des maximalen Lagefehlers des Endeffektors mit bekannter Auflösung
der Winkelencoder und dem Betrag der Jacobi-Matrix (Absolutwerte der einzelnen
Elemente der Jacobi-Matrix):
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 15
Kinematische Leistungsmerkmale
Lagefehler des Endeffektors (Lagegenauigkeit)
Beispiel: Lagefehler eines planaren 3RRR Parallelroboters
Positionsfehler 3RRR PKM Orientierungsfehler 3RRR PKM
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 16
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit
Annahme: Struktur ist bis auf aktive Gelenke ideal steif
Modellierung der aktiven Gelenke als Federkonstanten
(Gelenke linear elastisch)
Steifigkeit einer seriell-kinematischen Kette
entspricht Steifigkeit des aktiven Gelenkes:
daraus folgt die strukturelle Steifigkeit
(Steifigkeitsmatrix) im Gelenkraum:
Strukturelle Steifigkeit 3RRR PKM
Ansatz beispielsweise für Strukturoptimierungen ausreichend
(nicht exakte Steifigkeit, sondern Steifigkeitsunterschied von Interesse)
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 17
Kinematische Leistungsmerkmale
Tafelanschrieb
Strukturelle Steifigkeit
Die strukturelle Steifigkeit (Steifigkeitsmatrix) einer PKM im kartesischen Raum:
Die strukturelle Steifigkeit einer PKM resultiert
demnach direkt aus der Konstruktion bzw.
Regelung
und aus der kinematischen Struktur .
Häufig ist auch die Nachgiebigkeit eines
Roboters von Interesse. Sie gibt an, wie sich die
Endeffektorlage bei Einwirkung äußerer Kräfte und
Momente ändert (Prinzip der virtuellen Arbeit):
Strukturelle Steifigkeit 3RRR PKM
symmetrische Nachgiebigkeitsmatrix:
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 18
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit
Beispiel: Nachgiebigkeit eines planaren 3RRR Parallelroboters
Nachgiebigkeit (Translationsfehler) 3RRR PKM Nachgiebigkeit (Orientierungsfehler) 3RRR PKM
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 19
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (alternative Modellierungsansätze)
Berücksichtigung der Verformung der einzelnen Glieder und Gelenke einer
seriell-kinematischen Kette in sämtliche Raumrichtungen
ausschließlich die bewegte Plattform wird als
ideal steif betrachtet und vernachlässigt
quadratische lokale Nachgiebigkeitsmatrix
für jede seriell-kinematische Kette
Dimension von resultiert aus der
Anzahl sämtlicher Glieder und Gelenke
jeweils 6x6 Nachgiebigkeitsmatrizen (lokal) der einzelnen
Glieder und Gelenke (vgl. weiterführende Literatur)
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 20
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (alternative Modellierungsansätze)
Die Transformation der lokalen Nachgiebigkeitsmatrix erfolgt unter
Verwendung der Jacobi-Matrix der seriell kinematischen Kette :
Hierbei setzt sich folgendermaßen aus den
Jacobi-Matrizen sämtlicher Glieder und
Gelenke zusammen:
Die Transponierte lautet
dementsprechend:
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 21
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (alternative Modellierungsansätze)
Durch Umformung ergibt sich für die lokalen Nachgiebigkeitsmatrizen:
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 22
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (alternative Modellierungsansätze)
Die gesamte kartesische Steifigkeitsmatrix eines Parallelroboters berechnet
sich anschließend aus den einzelnen globalen Nachgiebigkeitsmatrizen
jeder seriell-kinematischen Kette :
Weiterführende Details finden Sie in:
Y. Woo-Keun et al. – A Method for Analyzing Parallel Mechanism
Stiffness Including Elastic Deformations in the Structure
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 23
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (Kondition der Steifigkeitsmatrix)
Zur Auslegung und Bewertung einer PKM (bezüglich der strukturellen Steifigkeit)
wird häufig die 2-Norm Kondition der kartesischen Steifigkeitsmatrix
betrachtet (vgl. Geschicklichkeit bzw. Dexterität):
größter Singulärwert geteilt durch den kleinsten
In der Praxis auch hier oft Kehrwert der Kondition als Leistungsmerkmal:
Mittelwert von über den gesamten Arbeitsraum als globales Kriterium:
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 24
Kinematische Leistungsmerkmale
Strukturelle Steifigkeit (Kondition der Steifigkeitsmatrix)
Beispiel: Kehrwert der Kondition der Steifigkeitsmatrix eines 3RRR
Parallelroboters (ausschließlich Gelenke linear elastisch, übrige Struktur ideal steif)
einer 3RRR PKM einer 3RRR PKM
(Vor Berechnung der Kondition Homogenisierung der Jacobi-Matrix sinnvoll)
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 25
Parallelkinematiken – Lernziele
Wie lautet die Definition parallelkinematischer Maschinen und welche Nomenklatur
wird verwendet, um sie zu beschreiben?
Welche Vor- und Nachteile bieten PKM gegenüber anderen kinematischen
Strukturen?
Wie kann man PKM hinsichtlich ihrer direkten/inversen Kinematik, differentiellen
Kinematik und Dynamik modellieren? Wie ist das typische Vorgehen?
Wie sind die Jacobi-Matrizen für PKM definiert und welche Schlussfolgerungen
können aus einer Analyse der Jacobi-Matrizen gezogen werden?
Welche verschiedene Arten von Singularitäten können bei PKM auftreten, wie
werden sie mathematisch beschrieben und welche Auswirkungen können sie haben?
Was ist Redundanz und worin unterscheiden sich die verschiedenen Formen?
Hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale kann man PKM bewerten und wie sind
diese Kriterien mathematisch definiert?
Quelle: Pixabay
Prof. Dr.-Ing. Tobias Ortmaier & Dr.-Ing. Svenja Spindeldreier (imes) / Robotik II Seite 26